Verlag von B. G. Teubner in Leipzig.
Der Mensch ist nicht geboren, das Problem
der Welt zu lösen, wohl aber, zu suchen, wo
das Problem angeht, und sich sodann in den
Grenzen des Begreiflichen zu halten.
Goethe, Eckermann's Gespräche; Okt. 1825.
Ich sag' es dir: ein Kerl, der spekulirt,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Haide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und rings ist frische grüne Weide.
Derselbe (Mephisto).
Alle Rechte vorbehalten.
„Aus dem Titel wird der Leser ersehen, dass es sich nur um die
sogenannte deduktive oder formale Logik handelt. Die rechnerische
Behandlung der deduktiven Logik, durch welche diese Disziplin sich
loslöst von den Fesseln, worein die Wortsprache durch die Macht der
Gewohnheit den Menschengeist geschlagen, möchte wol die Bezeichnung
als „exakte Logik“ vorzugsweise verdienen. Sie allein auch vermag den
Gesetzen des folgerichtigen Denkens den schärfsten, konzisesten und
übersichtlichsten Ausdruck zu geben und befindet sich zufolge dieses
Vorzugs in der Lage, zahlreiche und bedeutungsvolle Lücken — wo
nicht Fehler — der älteren Darstellungen zu offenbaren.
Seit dem Erscheinen von des Verfassers „Operationskreis des
Logikkalkuls“ hat diese Behandlung noch höchst bedeutende Fort-
schritte gemacht: vor allem durch die Arbeiten des Amerikaners
Charles S. Peirce und seiner Schule. Namentlich gebührt Herrn
Peirce das Verdienst, die Brücke von den älteren blos verbalen Be-
handlungen jener Disziplin zu der neuen rechnerisch zuwerke gehenden
geschlagen zu haben, eine Brücke, welche im Lager der Berufsphilo-
sophen mit Recht vermisst worden und deren Fehlen es wol zuzu-
schreiben ist, dass die neue Richtung daselbst zum Teil nur mit
Befremden aufgenommen wurde. Durch jene Arbeiten, in welche noch
Verfasser nicht unwesentlich eingreift, ist die Theorie nun so weit
entwickelt und vollendet, dass für einen ersten und Hauptteil des
ganzen Lehrgebäudes bereits eine endgültige Darstellung und Anord-
nung als erreichbar erscheint.
Mit dem Bestreben, solche, soweit es in seinen Kräften steht, zu
verwirklichen, verbindet Verf. zugleich die Absicht, von der schon
sehr ansehnlichen Literatur, welche besonders in englischer Sprache
einschlägig existirt, das Wertvollste in einheitlicher Darstellung zu
einem Handbuch zu vereinigen.“
… Soweit die Anzeige. Inwieweit es mir gelungen, obiges Ideal
zu verwirklichen, werden Diejenigen zu beurteilen in der Lage sein,
a*
[IV]Vorwort.
die das Buch studiren und die bisherige thunlichst vollständig von
mir zusammengestellte Literatur mit in Vergleichung ziehen. Unge-
achtet meines Strebens, das Werk so vollkommen wie nur möglich
zu gestalten, kann — das verhehle ich mir keineswegs — dasselbe
in mancher Hinsicht doch nur ein Kind seiner Zeit geworden sein.
Gleichwol darf ich vielleicht die Hoffnung hegen, dass auch Vieles,
was aus demselben hervorleuchtet, für alle Zeiten maassgebend
bleiben wird.
Was sonst noch über die Eigenart des Buches zu sagen ist,
findet sich in C der Einleitung dargelegt, und begnüge ich mich hier,
nur einiges Wenige noch zu bemerken.
Durch den Anblick der Formeln des Buches ist es nahe gelegt im
voraus zu statuiren: dass mathematische Vorkenntnisse oder irgend welche
spezifische Fachkenntnisse in demselben nicht vorausgesetzt werden.
Vielmehr passen auch hier die einer Dedekind'schen Schrift jüngst
vorausgeschickten Worte: „Diese Schrift kann Jeder verstehen, welcher
das besitzt, was man den gesunden Menschenverstand nennt“. Aber
auch dieses Wort wird gleichwol zutreffen (eines andern Autors): Die
Schöngeister freilich, nicht gewöhnt an so strenge Anforderungen des
Denkens, werden frühzeitig kehrt machen. —
Eine Ausnahme zu oben Gesagtem bildet nur der Anhang 7, der
sich ausschliesslich an Mathematiker wendet, und vielleicht in einem
geringen Grade noch der Anhang 5, indem er wenigstens den Begriff
der mathematischen Funktion voraussetzt. Überhaupt aber dürfte eine
Bekanntschaft mit den Elementen der Buchstabenrechnung, so weit
sie etwa in Tertia eines Gymnasiums gelehrt zu werden pflegt, bei
dem Leser als immerhin wünschenswert zu bezeichnen sein.
Vermittelnd wendet sich das Buch an zwei nur allzu verschieden
disponirte Leserkreise: an die Mathematiker und an die Philosophen.
Wenn ich mit Ausführlichkeit auch solche Geistesoperationen be-
spreche, deren Analoga in ihrer Anwendung auf das Reich der Zahlen
dem Mathematiker längst geläufig sind, so glaube ich mich für diese
Ausführlichkeit entschuldigt halten zu dürfen nicht nur durch die
wünschenswerte Rücksichtnahme auf den nicht mathematisch gebildeten
Leser, sondern auch darum, weil es im didaktischen Interesse liegt,
im Interesse auch einer Erziehung zum guten Lehrer, die Aufmerksam-
keit zu zwingen, dass sie bei solchen Punkten verweile, bei denen der
Anfänger zu straucheln oder Schwierigkeiten zu finden pflegt. Über-
haupt liegt hier auch nicht der Fall vor, dass — wie in der Mathe-
[V]Vorwort.
matik — eine in den Grundzügen schon fertige Kunstsprache vor-
handen ist, durch jahrhundertelangen Usus von jedem Doppelsinn
gereinigt und zufolge dessen eine knappe Ausdrucksweise ermöglichend,
sondern unsre junge Disziplin muss sich die ihr erforderliche Kunst-
sprache zum grossen Teil erst schaffen, und eventuell auch, soweit
vereinzelte Anläufe dazu vorliegen, zunächst erst aus einer schon fast
babylonischen Sprachverwirrung herauszukommen suchen.
Philosophen mögen andrerseits etwaige im Kontext erfolgende
Seitenblicke auf Fragen von spezifisch mathematischem Interesse ge-
neigtest mit in den Kauf nehmen.
Was auf Zahlen Bezug hat, fällt der Arithmetik anheim, die man
ja als einen Zweig der deduktiven Logik (im weiteren Sinne) betrachten
mag. Ich habe mich hier bemüht, das numerische Element der Logik
nach Möglichkeit zurücktreten zu lassen und von ihm gesondert die
Logik im engeren Sinne darzustellen. Die noch wenig zahlreichen An-
wendungen, welche von den Begründern und Bearbeitern der logischen
Algebra gemacht worden sind auf numerische Probleme — insbesondre
als Studien über „numerisch bestimmte Syllogismen“ und in Aufgaben
der Wahrscheinlichkeitsrechnung — habe ich deshalb nicht in das
System aufgenommen. Die Berücksichtigung der letzteren würde
mich überdies genötigt haben, auf die Kontroversen einzugehen,
welche über die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung noch
schweben. Solches, wie ich hoffe, nur auf eine andre Gelegenheit
zurückstellend, begnügte ich mich zunächst, mit Anhang 7 wenigstens
darzuthun, wie die neue Disziplin auch für Probleme der in Zahlen
rechnenden Analysis verwertbar.
Seines Umfanges halber musste ohnehin das einheitlich veranlagte
Werk in zwei Bände zerlegt werden.
Die allgemein-philosophisch gehaltene „Einleitung“, mit ihren
drei Teilen etwa drei von unsern Vorlesungen entsprechend, ist fast
schon ein eigenes Buch geworden; und möchte ich an eine etwaige
Kritik das Ersuchen stellen, dieselbe von dem Hauptinhalte des Werks,
welcher mit der „ersten“ Vorlesung beginnt, getrennt halten zu wollen.
Besonders viel verdanke ich in Bezug auf sie dem Studium der Schriften
von Sigwart, Mill und Jevons, aus der Lektüre von deren oft citir-
ten Werken mir zuweilen auch eine Reminiscenz wol wörtlich in die
Feder geflossen sein mag, ohne als solche in jedem Falle gekenn-
zeichnet zu werden. Dem Lehrer habe ich unter μ) in A der Ein-
leitung ein Mittel an die Hand gegeben um nötigenfalls diese ganz
[VI]Vorwort.
zu überspringen und sogleich mit § 1 in medias res einzutreten: wer
solches vorzieht, kann das jeweils Unumgängliche aus unsern Vor-
betrachtungen nach Bedarf in die Theorie einschalten.
Für das Vierteljahrhundert, welches seit dem Erscheinen von
Boole's „Laws of thought“ nunmehr verflossen, gibt das Buch (noch
mannigfach vermehrt) auch eine wol nahezu vollständige Sammlung
aller Aufgaben, welche zu denkrechnerischer Lösung seither gestellt
worden. —
Grossen Dank verdient jedenfalls der Verleger dafür, dass er es
unternommen, eine so umfangreiche Schrift, welche so hohe und neue
typographische Anforderungen stellte und sich in Deutschland ihren
Leserkreis doch erst wird erobern müssen, zu drucken und in der vor-
liegenden Weise auszustatten.
Der Umstand, dass die deutsche Übersetzung von Liard's Schrift
über die „Logiciens anglais contemporains“, welche einer Kritik
sich enthaltend nur über deren Arbeiten referirt, bereits die zweite
Auflage erlebte, lässt mich indess hoffen, dass für die neue Richtung
doch schon in weiten Leserkreisen ein Interesse vorhanden, und dass
eine systematische und kritische Überarbeitung und Weiterführung
dieser Forschungen um so willkommener sein werde.
Ich schliesse mit dem etwas verwegenen Wunsche, dass meine
englischen und amerikanischen Mitarbeiter ihre Arbeiten in der meinigen
geläutert wiederfinden und aus derselben nicht weniger Anregung und
Förderung schöpfen mögen als ich aus den ihrigen geschöpft habe.
Karlsruhe in Baden, im März 1890.
Der Vorverweisungen halber sei hier sogleich mit angeführt der
Inhalt des zweiten Bandes.
Berichtigungen.
Zum Titelblatt. Das Citat nach Goethe ist mit Liebmann leicht ab-
geändert. In Eckermann's Reminiscenz steht: die Probleme der Welt, sowie
in der Grenze …
α) Die Logik, im weiteren Sinne des Wortes, beschäftigt sich mit
all' den Regeln, durch deren Befolgung die Erkenntniss der Wahrheit
gefördert wird. Sie hat es demnach mit den Methoden der Forschung
überhaupt zu thun. Sie sucht die Frage zu beantworten: wie gewinnen
wir Erkenntnisse, auf welchem Wege gelangen wir zur Wahrheit?
Mithin, da Erfassen der Wahrheit ein Akt des Denkens ist, dürfen
wir als Gegenstand der Logik überhaupt bezeichnen: das Denken, so-
fern es das Erkennen zum Endzweck hat.
Es steht dieses erkennende Denken im Gegensatz, vor allem, zum
Dichten, zum phantasirenden Denken.
Desgleichen blosse Erzählung und Beschreibung, wenn schon sie nicht
ohne Denkthätigkeit zustande kommen und unter sonst gleichen Umständen
von einem logisch geschulten Kopfe vielleicht besser in Angriff genommen
werden, bilden als solche noch ebenfalls nicht ein Thema der eigentlichen
Logik. Ein gleiches wäre von der gesetzgebenden Thätigkeit zu sagen.
Endlich auch diejenigen Denkvorgänge, welche bei Äusserung unsrer un-
mittelbaren Empfindungs- und Willenszustände mitspielen, also bei Aus-
rufen, Wunschäusserungen, Fragen, Bitten und Befehlen, zu denen die
Sprache die Interjektionen und Fragepartikeln, sowie die Optativ- und
Imperativform der Verba hergibt, gehören nicht in den Bereich der logischen
Disziplin.
Mit Übersetzung aus einer Sprache in eine andere werden wir uns
nur soweit zu beschäftigen haben, als es sich dabei um Übertragung von
Aussagen aus unsrer nationalen Wortsprache in eine eigens zu begründende
Kunstsprache des logischen Denkens, in die Formelsprache — oder um-
gekehrt — handelt.
β) Die Wissenschaften pflegen ausser dem Dasein erkennender
Subjekte wesentlich vorauszusetzen, dass es auch etwas Erkennbares
gebe, eine „Wahrheit“, und zwar in Bezug auf jede Frage nur eine
Wahrheit, die von allen mit der unsrigen gleichartigen Intelligenzen,
von allen im Besitz normaler Geisteskräfte befindlichen Menschen, not-
wendig als dieselbe erkannt werden muss, wofern jene sich nur die
Mühe geben, sich in gleicher Weise in die für die Erkenntniss der-
selben günstigen Verhältnisse zu versetzen.
Die Vorfrage aber, ob und inwiefern Erkenntniss der Wahrheit
überhaupt möglich ist, pflegt einer besonderen Disziplin zugewiesen
und in dieser abgehandelt zu werden, die man als „Erkenntnisstheorie“
bezeichnet.
Man hat dieselbe bald als eine Vorstufe der Logik hingestellt,
bald auch hat man versucht, die ihr obliegenden Erörterungen in die
Darstellung der Logik selbst einzuflechten.
Davon, dass das Ergebniss dieser Voruntersuchung bejahend aus-
falle — und dies ist nicht unbestritten — würde hienach die Logik
mit ihrer ganzen Existenzberechtigung abhängig erscheinen, wofern
wir auch für sie die obengenannte „Voraussetzung der Wissenschaften
(im allgemeinen)“ in Anspruch nehmen wollten.
Indessen könnte die gedachte Untersuchung doch jedenfalls nur
mittelst Beweisführungen oder Widerlegungen, Schlüssen, Argumenta-
tionen nach den Regeln eben der Logik geführt werden, deren Existenz-
berechtigung erst aus ihrem Ergebniss zu entnehmen wäre, und so
sähen wir uns von vornherein in einen fatalen Zirkel gebannt, wofern
wir wirklich jene Voraussetzung schon für die Logik in Anspruch
nehmen müssten.
Gezeigt zu haben, wie über die angedeutete Schwierigkeit hinweg-
zukommen ist, durch Lieferung des Nachweises, dass die Logik als
eine formale Disziplin sich in der That davon auch unabhängig be-
gründen lässt, erscheint vorzugsweise als Herrn Sigwart's Verdienst,
und werden wir auf diesen Punkt noch näher einzugehen haben.
γ) Mit ihrem einen — dem gewöhnlich und wol mit Recht als
zweiten aufgeführten — Teile, in Gestalt der nach Whately's und John
Stuart Mill's Vorgange so genannten „induktiven Logik“, geht unsre
Disziplin speziell auch auf die Grundsätze ein, nach welchen Beobach-
tungen und Versuche, Experimente anzustellen, nach welchen diese
sowie Erfahrungen und Wahrnehmungen überhaupt zur Erweiterung
der Erkenntniss zu verwerten sind. Die Logik untersucht hier näher
[3]Einleitung.
diese — wenn nicht einzige*) — so doch jedenfalls ursprüngliche und
hauptsächliche Quelle des Erkennens, als welche die Wahrnehmung,
Perzeption, hinzustellen ist.
Sie setzt auseinander, wie aus einzelnen, nötigenfalls sehr zahlreich
gemachten Wahrnehmungen**) von unter sich ähnlicher Art durch einen
kühnen Prozess der Verallgemeinerung — den „Induktionsschluss“, die
„Induktion“ — allgemeine Sätze (Regeln oder Gesetze) ableitbar sind,
welche auch die nicht mehr wahrgenommenen Fälle derselben Art in
den Bereich unsrer Erkenntniss ziehen, uns Aufklärung über dieselben
geben. Doch weist sie nach, dass dieser Aufschluss, diese Informa-
tion, nicht unfehlbare Sicherheit, dass sie nicht absolute Gewissheit
gewähren kann, wohl aber eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlich-
keit, Probabilität beansprucht, deren Grad sich beurteilen oder taxiren,
sich abschätzen lässt.***)
Indem die induktive Logik auch auf diese Schätzung ausgeht, nach
welcher sich der den Induktionsergebnissen zu schenkende Glaube be-
misst, untersucht sie, wie einzelne Induktionen durch andere gestützt
und gekräftigt, eventuell auch abgeschwächt oder gar durch neue Wahr-
nehmungen völlig entkräftet, umgestossen werden, und sucht zu ergründen,
wie innerhalb der Schranken des menschlichen Könnens Induktionen
anzustellen sind, damit sie möglichst glaubwürdige Ergebnisse liefern.
Auf diese, die induktive Logik, so hochwichtig und interessant sie
auch ist, beabsichtige ich hier ganz und gar nicht einzugehen.†)
δ) Wir wollen uns auf ein viel engeres Gebiet beschränken, um
1*
[4]Einleitung.
dasselbe um so gründlicher in Angriff zu nehmen und — in gewissen
Richtungen wenigstens — um so vollständiger abzuhandeln, nämlich
auf den ersten Teil der heute so genannten Logik, die Logik im
engeren Sinne, Logik*) im Sinne der Alten.
Diese, die „deduktive“ oder auch „formale“**) Logik beschäftigt sich
mit den Gesetzen des folgerichtigen Denkens.
Worin die „Folgerichtigkeit“ des Denkens bestehe, ist durchaus
nicht leicht zu sagen. Ich will die Frage erst einer vorläufigen Be-
sprechung unterziehen, um dann nochmals auf dieselbe zurückzukommen.
Zur Orientirung sei zunächst bemerkt, dass „folgerichtig“ mehr
wie „konsequent“ besagt. Man kann auch konsequent verkehrt ver-
fahren, konsequent unlogisch zuwerke gehen. Wenn ich ein Fremd-
wort, einen international rezipirten wissenschaftlichen Kunstausdruck
für „folgerichtiges Denken“ gebrauchen sollte, so wüsste ich dasselbe
nicht anders, wie als „logisches“ Denken zu bezeichnen.
ε) Ältere Autoren, wie Drobisch1 und Ueberweg1 in ihren so
verdienstlichen Werken haben geglaubt, das Kennzeichen der Folge-
richtigkeit des Denkens allein in der Übereinstimmung dieses Denkens
mit sich selbst erblicken zu sollen.
Dass das Denken, wenn es folgerichtig genannt werden soll, zu
[5]Einleitung.
Widersprüchen mit sich selbst nicht führen dürfe, ist unstreitig (auch)
eine von diesem zu erfüllende Anforderung.
Wer auf sie das Kennzeichen der Folgerichtigkeit des Denkens zu
gründen versucht, ist verpflichtet, zunächst auseinanderzusetzen, was
ein „Widerspruch“ ist.
Mannigfach sind die Arten oder möglichen Formen des Wider-
spruchs; es gibt deren versteckte oder mittelbare, und es gibt auch
offene, unmittelbare Widersprüche.
Die ersteren vollständig aufzuzählen dürfte als ein hoffnungsloses
Beginnen, Unterfangen erscheinen. Zur Charakterisirung der letztern
dagegen lassen — an deren sprachliche Ausdrucksformen anlehnend
— sich wol unschwer äusserliche Kennzeichen aufstellen.
Der Widerspruch kann schon in einer einzigen Aussage enthalten sein,
die alsdann eine „sich selbst widersprechende“ genannt werden mag.
Wer z. B. die Versicherung abgibt: „Ich kann nicht sprechen“ oder
wer dem ihn Besuchenden entgegenruft: „Ich bin abwesend, bin nicht zu-
hause, todt“ und dergleichen, setzt sich dadurch in Widerspruch zu einer
schon durch die blosse Existenz eben dieser seiner Aussage verbürgten
(und damit einen gegenteiligen Ausspruch herausfordernden) Thatsache.
Wird einem Dinge, wovon gesprochen werden kann, einem Objekte
des Denkens, im Prädikat der Aussage ein Merkmal abgesprochen, welches
im Subjekt dieser Aussage demselben zugesprochen erscheint (oder um-
gekehrt), so kann man darin einen Widerspruch der Aussage mit sich
selbst erblicken (sogenannte „contradictio in adjecto“, d. h. im Prädikate)
— so z. B. wenn wir sagten: „Ein kugelförmiger Körper ist nicht kugel-
förmig“. Es waltet dabei allerdings mit die Unterstellung, dass es kugel-
förmige Körper gebe, oder dass solche wenigstens denkbar seien. (Ver-
gleiche auch Hegel's vielberufenes: „Sein ist Nicht sein“, und Anderes.)
Ähnlich verhält es sich mit Konditionalsätzen oder hypothetischen
Urteilen, sobald der Folgesatz in Abrede stellt, was der Bedingungssatz
vorauszusetzen forderte, z. B. „Wenn dies stattfindet, so findet es nicht
statt.“ Hier sind die einander widersprechenden Satzteile und Teilsätze
von einander abhängig gesetzt.
Als Wesen des Widerspruchs wird am besten erklärt die Beziehung
zwischen zwei selbständig hingestellten Sätzen oder Aussagen, von denen die
eine in Abrede stellt, leugnet, was die andre behauptet.
Gewöhnlich stellt man zwei Urteile: „A ist B“ und „A ist nicht B“
als allgemeine Form derartiger Aussagen hin, unter der Voraussetzung,
dass unter A etwas und zwar in beiden Aussagen genau das nämliche
verstanden werde, desgleichen unter B. Zum Beispiel, nachdem irgend
eine Behauptung gefallen, werden die beiden Aussagen:
„Diese Behauptung ist wahr“, und „Diese Behauptung ist nicht wahr“
einen reinen Widerspruch bilden.
Der sogenannte „Satz des Widerspruchs“, der für die Logik eine
fundamentale Bedeutung besitzt, fordert anzuerkennen, dass einunddieselbe
[6]Einleitung.
Behauptung, im nämlichen Sinne verstanden, nicht zugleich wahr und nicht
wahr sein könne.
So drücken ferner die Paare von Sätzen: Der Mars ist bewohnt; Der
Mars ist nicht bewohnt, Alle Menschen sind vollkommen; Alle Menschen
sind nicht vollkommen, je einen Widerspruch aus — wenn auch vielleicht
nicht in der oben als Ideal des reinen Widerspruchs hingestellten Weise
— und letzteres würden sie auch noch thun, wenn man statt der Worte
„nicht bewohnt“, „nicht vollkommen“ bezüglich „unbewohnt“, „unvollkommen“
in ihnen setzte (wo dann für den letzten Satz auch „Kein Mensch ist voll-
kommen“ sich sagen lassen würde.)
Dagegen die beiden Sätze:
Einige Menschen sind klug; Einige Menschen sind nicht klug
drücken keinen Widerspruch aus, schon darum, weil hier das Subjekt der-
selben dargestellt wird durch den mehrsinnigen, äquivoken Namen „Einige
Menschen“, unter dem im ersten Satze ganze andere Menschen verstanden
werden, wie im zweiten.
Auf die erwähnte Form lassen auch die vorhergehenden Beispiele sich
zurückführen, indem man dieselben zusammenhält mit den als selbstverständ-
lich anzuerkennenden Sätzen: „Wenn dies stattfindet, so findet es statt“
resp. „Ein kugelförmiger Körper ist kugelförmig“.
Ob aber jene zwei Urteile über A und B wirklich und in allen
Fällen das Wesen des Widerspruchs in dem darüber erklärten Sinne dar-
stellen, dies zu entscheiden muss eingehenderen Untersuchungen vorbehalten
bleiben. (Vergl. § 15.)
Wollen wir vorsichtig verfahren, ganz sicher gehen, so müssen wir
als das Vorbild, die „typische“ Form des unmittelbaren Widerspruchs die
Gegenüberstellung zweier Sätze nehmen, welche (wie in der That die vor-
hin kursiv gedruckten) zum Subjekt einunddieselbe Behauptung haben, zum
Prädikat aber bezüglich „wahr“ und „nichtwahr“ oder „gültig“ und „un-
gültig“. Direkten Widerspruch erblicken wir zwischen irgend einer (als
gültig hingestellten, mit der Versicherung ihrer Gültigkeit abgegebenen)
Aussage (zwischen einer „Behauptung“) und einer zweiten Aussage, welche
die Ungültigkeit der ersten behauptet.
Bei versteckten Widersprüchen kann man verlangen, dass sie auf
unmittelbare zurückgeführt werden, und zwar wie? — Nun natürlich
wiederum durch folgerichtiges Denken. So kämen wir denn zunächst
zu dem Zirkel, für „folgerichtig“ dasjenige Denken zu erklären, welches
aus sich selbst und durch sich selbst nicht zu direkten Widersprüchen
führt. Dasselbe dürfte also widersprechende Prämissen (als Über-
zeugungen) nie zulassen und von (als Überzeugung) zugelassenen Prä-
missen zu Widersprüchen nie führen. Nun kann man ja aber, ehe
man diejenigen Folgerungen oder Denkhandlungen vollzieht, welche
den unmittelbaren Widerspruch liefern würden, allemal ganz willkür-
lich abspringen, und so erscheint die Erklärung als vollkommen nichts-
sagend, solange ihr nicht die Voraussetzung mit zugrunde gelegt wird,
[7]Einleitung.
dass das Denken nach bestimmten Normen, Vorschriften, Schemata
oder Gesetzen überhaupt stattfinde oder stattzufinden habe.
Sollen diese Gesetze solche des folgerichtigen Denkens sein, so
wird das Denken, wenn es gemäss denselben stattfindet, aus sich
selbst nicht zu Widersprüchen führen dürfen.
Immerhin, auch wenn man niemals von gegebenen Gesetzen ab-
weicht, bleibt aber die Möglichkeit, durch Enthaltung von gewissen
Schlussfolgerungen dem Widerspruch ständig auszuweichen, sich z. B.
in einem Zirkel immerfort zu bewegen, welcher solchen Widerspruch
nicht berührt. So wenigstens, sobald der Gedankenverlauf durch jene
Gesetze nicht vollkommen bestimmt erscheinen sollte — wie wir uns
denn in der That bewusst sind (auch bei folgerichtigem Denken) uns
doch den verschiedensten Dingen in freier Entschliessung noch zu-
wenden, beliebigen Stoffs uns bemächtigen, kurz: in sehr verschiedenen
Richtungen noch weiterdenken zu können.
Es würde demnach die Widerspruchslosigkeit des „folgerichtigen“
Denkens als Kennzeichen desselben sich höchstens aufrecht erhalten
lassen, wenn sie gefordert wird für den ganzen Bereich der nach den
Gesetzen dieses Denkens noch möglichen Denkhandlungen oder Schluss-
folgerungen.
Ob dies nun eine hinlängliche Bestimmung für die Folgerichtigkeit
des Denkens ergäbe, scheint eine schwierige Frage zu sein. Für be-
stimmt begrenzte Gedankensphären, wenigstens, glaube ich dieselbe ver-
neinen zu müssen und dünkt mich, dass gerade die im gegenwärtigen
Buch entwickelte Theorie dieses folgerichtigen Denkens Material dafür
liefert, um (hiefür) die Unzulänglichkeit jener Begriffsbestimmung be-
sonders schlagend darzuthun.
Hier nämlich wird dieses Denken, auf seinen knappsten Ausdruck
reduzirt, sich als ein Kalkul darstellen. Nun lassen aber zahllose in
sich vollkommen konsequente Kalkuln sich aufstellen, die gleichwol
nichts weniger als die Gesetze des logischen Denkens ausdrücken, und
die, weil sie derselben Zeichen sich bedienen, doch auch als Gesetze
eines gewissen Denkens gedeutet werden könnten. Der logische Kalkul
ist in der That nur einer von unzähligen in sich widerspruchsfreien
Kalkuln — die aber in ihren Grundgesetzen oft äusserst weit von
einander abweichen.
Wofern nur die unbeschränkte Deutungsfähigkeit solcher Kalkuln,
ihre Anwendbarkeit auf alle erdenklichen Objekte des Denkens, sich
auch von vornherein absehen liesse, würde ich keinen Anstand nehmen,
schon überhaupt die Konsistenz, oder Verträglichkeit mit sich selbst,
[8]Einleitung.
für allein noch nicht ausreichend zu erklären, um die Gesetze des
logischen Denkens zu bestimmen. Solange aber Obiges noch ununter-
sucht geblieben, brauchen wir zu der Frage auch nicht definitiv Stellung
zu nehmen.
Der vorstehend genommene Anlauf dürfte indess schon genügen,
um erkennen zu lassen, dass der Versuch, von dieser Seite die Auf-
gabe in Angriff zu nehmen, in grosse Schwierigkeiten von vornherein
verwickeln muss.
Nicht überflüssig scheint es, erinnernd hervorzuheben, dass vorstehende
Betrachtung sich beschränkte auf das Gebiet rein deduktiver Denkhandlungen,
wobei also eine Berufung auf neue Erfahrungen von vornherein ausge-
schlossen war.
Wenn dagegen auch diejenigen Widersprüche mit in Berücksichtigung
gezogen werden sollten, welche eintreten können zwischen unsern Denk-
handlungen und dem Zeugniss der Sinne, den Thatsachen der Wahrnehmung
(genauer den durch letztere unweigerlich provozirten Denkhandlungen oder
Urteilen), so dürfte die Frage sich anders stellen.
War auch dieselbe für das erwähnte engere Gebiet vielleicht verneinend
zu entscheiden, so bleibt es unbenommen, sie für das weitere Gebiet alles
Denkens überhaupt noch in gewissem Sinne zu bejahen, nämlich als das
Kriterium der Wahrheit für die Gesamtheit unsrer Überzeugungen doch
hinzustellen die durchgängige und widerspruchslose Übereinstimmung alles
auf diese gegründeten Denkens mit sich selbst, sofern dieselbe auch bei
allem ferneren Zuwachs an Erfahrung sich fort und fort bewährt und von
dem Bewusstsein folgerichtigen Schliessens schon gestützt und getragen ist.
Jedenfalls wird hierbei (wenn solcher Zustand erreicht) das Denken sich
immer schon beruhigen und faktisch jeder Zweifel schwinden.
ζ) Es wird demnach zu billigen sein, dass von neueren Schrift-
stellern der vorstehend charakterisirte Standpunkt auch nicht mehr
eingenommen wird. Vielmehr findet sich von den meisten, die die
Frage berühren, der Umstand anerkannt, um welchen sich augenschein-
lich durchaus nicht herumkommen lässt, dass dem Begriff des folge-
richtigen Denkens eine Annahme, ein Dogma zugrunde liegt, welches
sozusagen den „Glauben des Logikers“ bildet.
Wir haben unter β) eine solche Annahme bereits als eine Voraus-
setzung der Wissenschaften (im allgemeinen) angedeutet, müssen je-
doch für die formale Logik die Annahme anders und enger fassen.
In einer durchaus haltbaren Weise scheint mir solches vonseiten
Sigwart's geschehen, aus dessen lesenswertem Werke1 ich hier be-
sonders die Lektüre der Einleitung und namentlich der Paragraphen 1
und 3 der letzteren empfehle.
Die darin gegebenen Ausführungen des genannten Autors vermöchte
ich einerseits nicht besser darzustellen und möchte dieselben auch nicht
[9]Einleitung.
mit andern Worten wiedergeben und andrerseits sind dieselben doch zu
umfangreich als dass es ratsam erscheinen könnte, sie hier wörtlich auf-
zunehmen.
Wenn ich daher mich damit begnüge — verknüpft mit anderweitigen
Betrachtungen —, hier nur den Grundgedanken Sigwart's zur Darstellung
zu bringen, so darf nicht verhehlt werden, dass derselbe, solchergestalt
herausgerissen aus dem festen Gefüge seiner Ausführungen, vielleicht an
überzeugender Kraft verliert.
Folgerichtig oder logisch mögen wir (mit Sigwart) das Denken
nennen, wenn es für den prüfenden Verstand mit dem Bewusstsein
der Selbstverständlichkeit oder Evidenz verknüpft ist, wenn eine „Denk-
notwendigkeit“ uns zwingt, dasselbe mit der Überzeugung absoluter Ge-
wissheit zu vollziehen.*)
Es bedarf diese Erklärung indess mehrfacher Erläuterungen und
Ergänzungen.
Zunächst: der rein persönliche Charakter, das subjektive Moment,
welches der Folgerichtigkeit des Denkens nach obiger Erklärung an-
zuhaften scheint, wird aufgehoben, das folgerichtige Denken wird dieser
Besonderheit entkleidet durch den Glauben, dass es eine für alle Intelli-
genzen verbindliche — weil eben objektiv begründete — Denknotwendig-
keit gebe.
„Widersprüche“ kann dieses Denken darum nicht enthalten, auch
nicht zu solchen mit sich selber führen, weil es eben dem Verstande
unmöglich fällt, solche mit Bewusstsein zu vereinigen, weil jene Denk-
notwendigkeit uns namentlich zwingt, von zwei einander direkt (kontra-
diktorisch) widersprechenden Urteilen das eine anzunehmen, das andre
zu verwerfen.
Die Induktionsschlüsse können, wie schon angedeutet, die Über-
zeugung absoluter Gewissheit, ganz unfehlbarer Wahrheit, nicht ge-
währen**) und gehören demnach samt allem empirischen Erkennen,
nicht in den Bereich des folgerichtigen Denkens.
Für letzteres bleiben als das Substrat, welches somit das Thema
der deduktiven Logik zu bilden hat, nur übrig:
Erstens die sogenannten „analytischen Wahrheiten“, „Truismen“,
sich darstellend als „identische Urteile“ — wofür als ein Beispiel hier
nur etwa der Satz angeführt sei: „Alle schwarzen Krähen sind schwarz.“
Es sind das Urteile, welche unabhängig von allen Erfahrungsthatsachen
[10]Einleitung.
die Überzeugung von ihrer Wahrheit in sich selbst tragen, zu deren
Anerkennung wir gezwungen sind kraft des Sinnes, den wir den Worten
beilegen.
Mit Lotze1 (p. 573) zu reden, wäre schon die Thatsache der Selbst-
verständlichkeit bei solchen Urteilen, bei den „apriorischen Wahrheiten“
merkwürdig.
Soweit dieselben auf die Zahl Bezug haben, werden hier diese Urteile
grösstenteils den arithmetischen Spezialwissenschaften überlassen.
Im übrigen werden diese, zwar eine unentbehrliche Grundlage alles
Denkens bildenden, aber ebendeswegen als überflüssiger Ausdruck des Selbst-
verständlichen gewöhnlich mit Übermut übergangenen Urteile in diesem
Buche eine besonders eingehende Beachtung finden. Unsre Betrachtungen
würden uns sogar in den Stand setzen, diese Urteile innerhalb irgend welcher
Grenzen, die durch eine nicht zu überschreitende Komplikation ihres Aus-
drucks gegeben werden mögen, gewünschtenfalls mit Leichtigkeit auch voll-
ständig aufzuzählen.
Zweitens bleibt das denknotwendige Fortschreiten von schon vor-
handenen Überzeugungen*), sei es wirklichen, sei es blos vermeintlichen
Erkenntnissen, zu neuen Überzeugungen (wirklichen resp. fraglichen
Erkenntnissen), das ist eben die eigentliche Deduktion. Und deren
Gesetze zu erforschen, wird unsre Hauptaufgabe bilden.
Nach dem Gesagten dürfen, wenn jenes Fortschreiten ein rein
deduktives sein soll, in dessen Verlauf keine neuen Wahrnehmungen
an den Dingen selbst, um deren Erkenntniss es sich handelt, hinzu-
gezogen, es darf nicht an Erfahrungsthatsachen dabei appellirt werden,
die nicht unter den „schon vorhandenen“, den zum Ausgangspunkt der
Deduktion genommenen Erkenntnissen oder Überzeugungen bereits ein-
registrirt wären. Diese heissen die „Prämissen“ und die aus ihnen
abgeleiteten Überzeugungen oder Erkenntnisse heissen die „Konklu-
sionen“ der Deduktion; der Übergang von den erstern zu den letztern
wird (deduktives) Schliessen, Folgern genannt.
Gleichwol verzichtet die Deduktion nicht ganz auf das mächtige
Hülfsmittel der Wahrnehmung. Zugelassen nämlich sind Beobach-
tungen an den Namen oder Zeichen der Dinge. Gerade in ihren höch-
sten Formen, wenn die Deduktion die verwickeltsten ihrer Aufgaben
rechnerisch bewältigt, zeigt sich solches Beobachten der Zeichen als
ein wesentliches und charakteristisches Merkmal derselben. Ein Blinder
wird bei gleicher Begabung, eben wegen seines mangelhaften Beob-
achtungsvermögens in der angedeuteten Richtung, dergleichen deduk-
[11]Einleitung.
tive Aufgaben nicht so leicht zu lösen im Stande sein, wie ein
Sehender. Und auf der Gründlichkeit und Sorgfalt, mit der*) Be-
obachtungen dieser Art immer ausgeführt werden können, beruht mit
die grosse Zuversicht, mit welcher wir die Ergebnisse der Deduktion
acceptiren.
Indem unter den Prämissen des deduktiven Schliessens auch solche
Sätze figuriren können, welche das Ergebniss einer Wahrnehmung an
den Objekten der Untersuchung selbst und ferner auch von auf der-
gleichen Wahrnehmungen gegründeten Induktionsschlüssen darstellen,
mithin als absolut zuverlässig nicht angesehen werden dürfen, liefert
uns die Deduktion namentlich ein Mittel, die Richtigkeit gemachter
Induktionen durch das, was denknotwendig aus ihnen folgt, durch
ihre Konklusionen oder Konsequenzen zu prüfen. Sobald sich auch
nur eine von diesen Konsequenzen mit den Thatsachen oder als
zuverlässig anzusehenden, ferneren Wahrnehmungsergebnissen unver-
einbar erweist, ist mindestens eine von den nicht denknotwendigen
Prämissen zu verwerfen. Solange dagegen auch alle ihre Folgerungen
sich empirisch bewahrheiten, können die Induktionsschlüsse aufrecht
erhalten und zur Grundlage einer „Theorie“ genommen werden, welche
die Erscheinungen zusammenfassend zu beschreiben und zu erklären
beansprucht.
Auf diese Weise wird die Deduktion zu einem mächtig fördernden
Hülfsmittel aller induktiven Wissenschaften. Wogegen sie ihrerseits,
wie wir gesehen haben, der Induktion nicht nur entraten kann, son-
dern vielmehr dieselbe ausschlieſst. Dieser Umstand rechtfertigt auch
das Voranstellen der deduktiven vor die induktive Logik.
η) Wenn vorstehend wiederholt von einer „Denknotwendigkeit“ ge-
sprochen wurde, so ist (mit Sigwart) darauf aufmerksam zu machen,
dass sich von einer solchen in zweierlei Sinne reden lässt.
Wir haben eine physikalisch-physiologisch-psychische, die „psycho-
logische“ oder subjektive Denknotwendigkeit zu unterscheiden von der
„logischen“ oder objektiven.
Die erstere ist der Grund, weshalb ein Mensch gerade so denkt,
wie er eben wirklich denkt. „Psychologisch betrachtet mag man alles,
was der Einzelne denkt, für notwendige, d. h. gesetzmässig aus den
jeweiligen Voraussetzungen erfolgende Thätigkeit ansehen; dass gerade
[12]Einleitung.
dies und nichts anderes gedacht wird, ist notwendige Folge des Vor-
stellungskreises, der Gemütsstimmung, des Charakters, der augenblick-
lichen Anregung, welche das einzelne Individuum erfährt“ (Sigwart1,
p. 5 u. 6). Diese Notwendigkeit ist für den Denkenden eine absolute;
aber für verschiedene Menschen, und für dieselbe Persönlichkeit bei
verschiedenen Gelegenheiten, ist sie oft verschieden; sie gebiert, ruft
hervor da richtiges, dort falsches, unlogisches Denken. Thatsächlich
wird ja sehr vielfach auch unlogisch gedacht.
Die andre, die letztere Notwendigkeit scheint weniger leicht zu
fassen. Gerade sie aber, indem sie dem Denken die Folgerichtigkeit
vorschreibt (und unter Umständen auch aufnötigt), ist diejenige Denk-
notwendigkeit, die wir bei obigen Erklärungen im Sinne hatten.
ϑ) Sie würde sich — zunächst als ein noch unverwirklichtes
Ideal — charakterisiren lassen als diejenige Notwendigkeit, welche
unser Denken beherrschen muss, wofern es seinen Zweck erreichen
soll: das Erkennen.
In der That: nicht um Naturgesetze des Denkens handelt es sich
in der Logik (diese als die Gesetze, nach denen wirklich gedacht wird,
bleiben der Psychologie überlassen), sondern um normative Gesetze,
Gesetze, welche die Richtschnur, Norm des Denkens bilden müssen,
damit es jenen Zweck des Erkennens erreiche. Im Hinblick auf ihre
Beziehung zu, Abhängigkeit von diesem Zwecke wäre also diese Denk-
notwendigkeit auch als eine relative zu bezeichnen.
Sie wäre, genauer gesagt, hinzustellen als der Inbegriff aller der
Gesetze, allgemeinen Schemata oder Methoden, durch deren Befolgung
man erstens von richtigen Überzeugungen, Erkenntnissen ausgehend, stets
wieder nur zu richtigen Erkenntnissen geführt wird, und zweitens, so-
fern solchen Gesetzen etwa auch selbständige Urteile entspringen sollten,
gemäss welcher nur absolut gewisse und wahre gebildet werden können.
Nun frägt sich aber: wie lässt sich solches Ideal verwirklichen?
Empirisch, indem man diese oder jene Gesetze für alle Fälle
durchprobirt, gewiss nicht! Nicht allein bleiben auch die für am
sichersten gehaltenen unsrer Überzeugungen immer noch der An-
zweifelung, Skepsis, ausgesetzt, sondern es wäre jedenfalls auch aus-
sichtslos, die unendliche Fülle der Möglichkeiten erschöpfend durch-
gehen zu wollen.
ι) Wie lässt sich dennoch jenes objektiv notwendige Denken
von dem zufälligen, dem subjektiv verschiedenen unterscheiden? Da
wir aus der Jurisdiktion unsrer subjektiven Denknotwendigkeit doch
[13]Einleitung.
niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen,
so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht
gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „Einleuchtens“
die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem
Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.
Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens
durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig-
keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all-
gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „folgerichtige“ Denken gibt,
und wie sie beschaffen sein müssen.
Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz,
welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine
Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist
ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der
Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller
Gewissheit überhaupt. Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es
keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).
ϰ) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über-
zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die
objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur
subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch
immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel-
baren Widersprüchen handelt.
Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:
„Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die
Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene
psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch
ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge-
leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle
hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu
einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent-
gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es
gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt
die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte
in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten
kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen-
teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der
Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden
Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-
[14]Einleitung.
nichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die un-
mittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in ver-
schiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne
weiteres zerstört werden, wenn man durch blosse Folgerungen zeigt,
dass es widersprechend ist. Auf dem Punkte freilich, wo man die
Konsequenzen des einen und des andern Satzes unmittelbar zur Deckung
bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer
durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der
ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schluss-
reihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den
Irrtum häufig; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird,
bildet er sich aus dem gewohnten Kreise der Vorstellungsverbindungen
wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durch wieder-
holte Schläge zum Weichen gebracht wird.
Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muss gleichwol das psycho-
logische Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im
Denken mit der Zeit eine grosse Wirkung ausüben. Es ist die scharfe
Schneide, mittelst welcher im Fortgang der Erfahrung allmälig die
unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die
besser haltbaren fortdauern.*) Es ist das vernichtende Prinzip im
natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, gleich dem
Fortschritt der Organismen darauf beruht, dass immer neue Ver-
bindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die
grosse Masse wieder vernichtet wird, während die bessern überleben
und weiter wirken.
Dieses psychologische Gesetz des Widerspruchs bedarf natürlich zu seinem
Bestande und zu seiner Wirksamkeit keiner Anschauung. Es ist unmittelbar
durch unsre Organisation gegeben und wirkt vor jeder Erfahrung als Be-
dingung aller Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive und es braucht
nicht erst zum Bewusstsein gebracht zu werden, um thätig zu sein.
Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der Logik auffassen,
sollen wir es als Normalgesetz alles Denkens anerkennen, wie es als Natur-
gesetz auch ohne unsre Anerkennung wirksam ist, dann allerdings bedürfen
wir hier so gut wie bei allen andern Axiomen der typischen Anschauung,
um uns zu überzeugen … „**)
Insbesondre bringt der Gang wissenschaftlicher Forschung es fort-
während mit sich, dass Streit geschlichtet wird durch Verfolgung
falscher Sätze in ihre Konsequenzen, und jeder apagogische Beweis
ist ein Beispiel dieses Verfahrens (Sigwart1, p. 13).
λ) Im Hinblick auf die enormen unter den Menschen herrschenden
Meinungsverschiedenheiten und auf die Thatsachen des Irrtums und
des Streites, scheint auf den ersten Blick ein Glaube an die Ge-
meinverbindlichkeit folgerichtigen Denkens nur schwer aufkommen
zu können.
In diesem Glauben lässt sich die Logik gleichwol nicht beirren.
Sie nimmt an, dass jene Fakta nicht sowol im Intellekte begründet
sind, als vielmehr ganz andern Ursachen zur Last fallen.
Zumeist entspringen jene Meinungsverschiedenheiten schon aus der
Nichtübereinstimmung der Prämissen des Schliessens, deren Erfassung bei
verschiedenen Denkern nach verschiedenen Richtungen mangelhaft erscheint
und die sich häufig nicht zu dem wünschenswerten Grade der Klarheit im
Bewusstsein emporgearbeitet haben, über die denn auch eine hinreichende
Verständigung nicht stattgefunden hat. Viele Menschen verschliessen auch
ihr Bewusstsein gewissen Erkenntnissen.
Doch, sofern selbst die Prämissen deduktiven Schliessens noch leidlich
übereinstimmen, sind die Schlussfolgerungen oft noch verschieden wegen
mangelnder oder unvollständiger, nicht gründlich genug vollzogener Prüfung
der im Bewusstsein aufgenommenen Objekte des Denkens durch den Ver-
stand vonseiten des einen oder andern Denkenden. Solches kann veranlasst
sein durch Denkfaul- (oder zarter ausgedrückt: -träg) heit, Schwerfälligkeit
auf der einen Seite, durch die Scheu vor der geistigen Anstrengung nicht
nur im gegebenen Falle, sondern auch durch den Mangel an Denkfertigkeit
und Gewandtheit, an geistiger Schulung und Disziplin im Denken, welche
jene Disposition im Gefolge zu haben pflegt — und der grossen Menge gilt
in der That das „Kopfzerbrechen“ für die allerunangenehmste Arbeit. Andrer-
seits wird häufig Ungeduld und Übereilung, ein lapsus attentionis etc., auf
das Zustandekommen fehlerhafter Schlüsse hinwirken. So in der That schon
bei ganz aufrichtigen Überzeugungen.
Dazu kommt aber noch die Dazwischenkunft, Intervention des Gemütes
mit seinen Leidenschaften, welche dahin wirken, dass der Mensch, mitunter
sich selbst unbewusst, oder auch sich beschwindelnd, einer in seinem (wirk-
lichen oder vermeintlichen) Interesse liegenden, einer ihm genehmen, er-
wünschten, schmeichelhaften Konklusion den Vorzug zu geben sucht vor der
logisch berechtigten. Namentlich kommt oft das Übergewicht in Betracht,
welches die Eitelkeit mit in die Wagschale legt, indem sie den Menschen
geneigt macht, bei eingewurzelten, überhaupt bei den einmal von ihm ge-
fassten Meinungen mit dem Dünkel der Unfehlbarkeit zu verharren, und
Anderes mehr. Die Logik von Port-Royal1 schon entrollt uns ein aus feiner
Beobachtung hervorgegangenes psychologisches Bild in beregter Hinsicht.
Man könnte auch die Frage aufwerfen, ob für den weiblichen Intellekt
dieselbe Denknotwendigkeit verbindlich ist wie für den männlichen.*) Auch
die auf diesem Gebiete zutag tretenden Gegensätze schieben wir aber auf
Rechnung vor allem der bei beiden Geschlechtern so verschiedenartigen Vor-
bildung und Schulung des Geistes, sodann auch auf Unterschiede des Tem-
peramentes und der Neigungen, welche beim weiblichen Geschlechte reiner
Verstandesthätigkeit im allgemeinen abgewendet sind.**)
Aus alledem geht hervor, dass unser wirkliches Denken in den
Urteilen, die es erzeugt, seinen Zweck häufig verfehlt (cf. Sigwart1,
p. 9); dass diese Urteile teils von dem einzelnen Denkenden selbst
wieder aufgehoben werden, indem die Überzeugung eintritt, dass sie
ungültig sind, d. h. dass notwendig anders geurteilt werden muss, teils
dass die Urteile von andern Denkenden nicht anerkannt werden, indem
diese ihre Notwendigkeit bestreiten, sie für blosse Meinung und Ver-
mutung erklären oder gar ihre Möglichkeit leugnen, sofern über den-
selben Gegenstand notwendig anders geurteilt werden müsse.
Solche Erfahrungen müssen uns dazu anregen, uns selbst auf die
Grundlagen unsres Denkens zu besinnen; in ihnen wurzelt das Be-
dürfniss einer Disziplin, welche beitragen kann, dem Irrtum vorzu-
beugen, den Streit vermeiden zu lehren, eventuell ihn zu schlichten,
indem sie dem Verstande eine solche Vorbereitung gibt, dass ihm
korrektes Denken zur Gewohnheit wird, und so darauf hinwirkt, dass
das gemeinverbindliche Denken auch wirklich zum allgemeinen werde.
μ) Wir wollten uns mit den Gesetzen des folgerichtigen Denkens
beschäftigen, somit des von einer für alle Intelligenzen verbindlichen
Denknotwendigkeit beherrschten Denkens.
Nun kann man fragen: was ist Denken überhaupt, was Notwendig-
keit, was sind Gesetze? Würde jemand diese Fragen beantworten,
so könnte weiter gefragt werden, was die Worte bedeuten, mit Hülfe
deren der Sinn der vorigen zu erklären versucht worden und so weiter
[17]Einleitung.
in infinitum. Wer diese Fragen fort und fort zu beantworten unter-
nähme, würde in Erinnerung rufen — das Bild des Hundes, der sich
in den Schwanz zu beissen sucht; er würde sich immerfort im Ring
herum bewegen!
Zudem ist die exakte Beantwortung derartiger Fragen etwas
höchst Schwieriges — zumeist wol ein verfrühtes Unternehmen!
Und ihr Versuch schon könnte uns von unserm eigentlichen Vorhaben
immer weiter abziehen, würde uns möglicherweise gar nicht zu demselben
kommen lassen, ja er dürfte uns in Untersuchungen verwickeln, die zu den
schwierigsten der Philosophie überhaupt gehören, darunter manche, die Ver-
fasser gern berufeneren Federn überlassen möchte. Daneben aber — und
nicht zum mindesten — müsste uns solches Wagniss auch auf Untersuchungs-
gebiete führen, in Bezug auf welche die Philosophen von Fach noch lange
nicht einig sind, wo es annoch heisst: „soviel Köpfe, soviel Sinne“, Gebiete, die
sich eben einer exakten Behandlung bis jetzt nicht zugänglich erwiesen haben.
Und sich auf Spekulationen in derartigen Gebieten einzulassen, würde
als unvereinbar erscheinen mit dem ganzen Charakter der deduktiven Logik,
die ja auf das Gemeinverbindliche, unmittelbar oder mittelbar Selbstverständ-
liche sich zu beschränken hat, und deren Aufgabe es vorzugsweise ist, in
dem Chaos der philosophischen Systeme den gemeinsamen Boden herzustellen,
auf dem jedes System fussen muss, den unumstösslich sichern Kern zu ge-
winnen, um welchen die übrigen Zweige der Philosophie und Wissenschaft
überhaupt ankrystallisiren mögen.
Jedenfalls, meine ich, kann es dem Verfasser eines Buches über
Logik nicht zugemutet werden, die tiefsten Rätsel des Daseins über-
haupt, die schwierigsten Probleme der Metaphysik, Erkenntnisstheorie,
Psychologie und vielleicht auch Physiologie schon in dessen Einleitung
vorweg zu lösen. Wir können eben hier nur ein Ideal aufstellen, und
von dem Standpunkte aus, den jeder Mensch einnimmt, welcher die Sprache
beherrscht, auf dasselbe zusteuern.
Das Ideal ist: die Gesetze folgerichtigen (weil als solches einleuch-
tenden) Denkens zum Bewusstsein zu bringen, denselben einen allgemeinen
und zugleich möglichst einfachen Ausdruck zu geben, sie namentlich auch
auf möglichst einfache Grundlagen — auf möglichst wenige Prinzipien
oder Axiome — zurückzuführen, und überhaupt dieses Denken zu einer
bewussten Kunstfertigkeit zu gestalten — noch mehr: es in eine Technik
zu entwickeln, welche zu irgendwie gegebenen Prämissen oder An-
nahmen mit leichtester Mühe alle Folgerungen liefere, die nach irgend
einer wünschbaren Richtung überhaupt gezogen werden können, auch
mit unfehlbarer Sicherheit über die Folgerichtigkeit oder -unrichtigkeit
einer Behauptung zu entscheiden, die richtige zu beweisen, die unbe-
rechtigte oder falsche zu widerlegen gestatte.
In ihrem ganzen Umfange kann diese Aufgabe begreiflicherweise nicht
sofort gelöst werden. Aus dem allgemeinen Hintergrunde derselben hebt
sich zunächst ein elementarer Teil hervor, für welchen die Aufgabe nicht
nur als lösbar, sondern bereits als definitiv und nahezu vollständig gelöst
erscheinen wird (ich meine die im Englischen als „logic of absolute terms“
bezeichnete Disziplin). An ihn reiht sich ein höherer Teil (die „logic of
relatives“), dessen Behandlung sich mehr noch in den Anfangsstadien ihrer
Entwickelung befindet.
Was namentlich den zu allerletzt charakterisirten Teil der Aufgabe be-
trifft, so muss die künftige Entwickelung der logischen Disziplin erst vollends
herausstellen, inwieweit er überhaupt durch allgemeine Methoden lösbar ist,
und wann etwa zu seiner Lösung die Spezial wissenschaften einzutreten haben.
Wir könnten uns hienach mit dem bisher Gesagten begnügen, und
mit dem Beginn der „ersten Vorlesung“ sogleich in medias res eintreten.
ν) Um indessen dem ersten unsrer Motti (in welchem ich eine
hohe Weisheit erblicke) thunlichst gerecht zu werden, will ich mir
doch gestatten, etwas weiter auszuholen, und versuchen, dem Ursprung
des logischen Denkens auch noch von einer andern Seite beizukommen,
denselben noch eingehender darzulegen, die angedeuteten Rätsel und
Probleme wenigstens streifend.
Ich thue dies nicht ohne Widerstreben, hervorgerufen durch das Be-
wusstsein subjektiver Fehlbarkeit, sowie der bei der unerschöpflichen Viel-
seitigkeit des Themas höchst wahrscheinlichen Einseitigkeit der Betrachtungen.
Ausdrücklich möchte ich mit diesen einleitenden Überlegungen ebenso an-
spruchslos auftreten, als ich zuversichtlich der alsdann entwickelten Theorie
einen hohen Grad von Vollkommenheit in sachlicher Hinsicht zuspreche, und be-
merke ich zum voraus, dass auch solche Leser, die mir bei jenen nicht überall
zustimmend zu folgen vermöchten, sich mittelst Überschlagung von etlichen
Seiten darüber hinwegsetzen mögen und die Korrektheit sowol als Wirksamkeit
der alsdann folgenden Ausführungen gleichwol nicht werden bestreiten können.
Im Anschluss an gedachte Überlegungen werde ich zudem schliesslich
Gelegenheit und Veranlassung finden, mich über die Eigenart der hier be-
vorzugten Darstellungsweise der logischen Theorie, und des Buches insbe-
sondere, noch näher auszulassen, dieselbe in gewissem Sinne zu rechtfertigen.
ξ) Der Mensch ist sich seines Daseins unmittelbar bewusst, und
schreibt sich einen Geist zu. Die Existenz des eignen Ich's in der
Form der Zeit ist wol (für dieses selbst) die unzweifelhafteste, die un-
bestreitbarste und auch unbestrittenste von allen Thatsachen.
Von dieser der allersichersten Thatsache sind vorsichtige Philosophen
jederzeit ausgegangen und werden solche es auch in Zukunft voraussicht-
lich thun müssen.
Mit dem Bewusstsein aber ist uns ein Mannigfaltiges gegeben.
Eine ganze Welt von Empfindungen, Erinnerungen, Vorstellungen und
[19]Einleitung.
Strebungen — auch schon fertiger Gedanken und Überzeugungen —
findet der reifere Mensch, wenn er anfängt, über sich und die Welt
nachzudenken, zu reflektiren, in seinem Bewusstsein bereits vereinigt.
Jedenfalls — um nur das allerwenigste zu sagen — vermögen wir Ver-
schiedenes in unserm Bewusstsein zu unterscheiden, wir finden Mancherlei in
ihm zusammengefasst. Auch ist der Inhalt des Bewusstseins teilweise
in Veränderung begriffen; Einzelnes in ihm Vorhandene schwindet aus
demselben, nicht vorhanden Gewesenes wird erzeugt, Getrenntes ver-
knüpft, Verbundenes gesondert.
Solche Thätigkeit des menschlichen Geistes, welche wir Denken
im weitesten Sinne des Worts nennen (mit andern Worten Innewerden,
Bewusstwerden), und welche dessen ganzes Dasein ausfüllt, besteht
also jedenfalls wesentlich mit in einer Vereinigung von Mannigfaltigem
im Bewusstsein.
Schon dieser Vorgang hat, genauer besehen, etwas höchst Rätsel-
haftes, um nicht zu sagen: geradezu Unbegreifliches.
Der naive, der ungeschulte Verstand, der Verstand auch des Mannes
der Praxis, der nur gewohnt ist, über die Dinge der Aussenwelt in Bezug
auf diese selbst zu urteilen, dagegen vernachlässigt auch nachzudenken über
die Vorgänge, welche im denkenden Subjekte hierbei stattfinden (sowie über
die Beziehungen zwischen diesen und jenen), mag sich vielleicht mit Er-
forschung von Unbekanntem, mit der Lösung von Problemen beschäftigen,
doch pflegt er nirgends Unbegreifliches zu erblicken. Dass solches wol vor-
handen sein müsse*), wird er eventuell erst mit Verwunderung inne, wenn
er versucht, in den Sinn der philosophischen Lehrmeinungen einzudringen
und auf den Widerstreit von diesen stösst. Wer dann aber, mit der Vor-
sicht, zu welcher die Wahrnehmung solcher Diskrepanz auffordern muss,
ernstlich strebt in den Born der Erkenntniss einzudringen, wird fast auf
Schritt und Tritt gewahr, wie wenig gefestet, bestimmt und vollendet auch
die ihm geläufigsten Begriffe sich erweisen, ja wie wenig oft die für un-
erschütterlich gehaltenen Grundlagen seines gesamten Denkens feststehen.
ο) Um jenen Vorgang der Zusammenfassung oder Verknüpfung
von Mehrerlei zu einer Einheit im Bewusstsein auf sein einfachstes
Urbild zu reduziren, fassen wir einmal den Fall in's Auge, wo das
denkende Subjekt nur zwei Dinge, z. B. Sinneseindrücke in seinem
Bewusstsein vereinigt. Die Sache wird am deutlichsten, wenn wir
diese aus verschiedenen Sinnesenergieen entlehnen.
Man hört den Knall des nahen Blitzes, während der Lichteindruck
desselben noch nachklingt. Es sind ja wol verschiedene Organe des
2*
[20]Einleitung.
Körpers, welche den Schall und den Lichteindruck aufnehmen und
dem Träger des Bewusstseins, dem Gehirne übermitteln; auch von
letzterem mögen noch verschiedene Teile bei der Übernahme der
beiderlei Botschaften vorzugsweise beteiligt sein. Gleichwol ist der
Vorgang von ganz anderer Natur, als wenn etwa ein Wesen, das blos
zu hören vermag, den Donner vernähme, und ein anderes Wesen, das
blos sieht, das Aufleuchten des Blitzes wahrnähme, welche beiden
Wesen nimmermehr auf einander einzuwirken, einander etwas mit-
zuteilen, von einander zu wissen in der Lage wären, weil das erste
zur Aufnahme von Lichteindrücken unfähig, blind, das zweite taub
wäre. Vielmehr ist es ein einheitliches Bewusstsein, in welchem beide
Eindrücke zusammenfallen, koinzidiren, in eins verschmelzen (das heisst
doch wol: sich ver-ein-igen), und dennoch unterscheidbar bleiben!
Dasselbe, wie in Bezug auf diese verschiedenartigen Sinnesein-
drücke, würde sich auch ausführen lassen in Bezug auf die verschiedenen
Eindrücke, welche uns von einerlei Sinnesorgan übermittelt werden,
z. B. für den Fall, wo wir zwei Lichtpunkte, oder sagen wir zwei
Kreidestriche auf der Schultafel, gleichzeitig wahrnehmen. Treffen
auch die von beiden Strichen entsendeten Strahlen, fallen ihre (um-
gekehrten) Bilder auch auf verschiedene Stellen der Netzhaut, so werden
schliesslich doch die Eindrücke beider im selben Bewusstsein vereinigt,
und in dieser Hinsicht würde die Sache nicht anders liegen, wenn
etwa der eine der beiden Striche, oder auch beide, anstatt wahr-
genommene, blos vorgestellte, Erinnerungsbilder z. B. wären.
Die Annahme, es sei gar nicht möglich, zwei (wahrgenommenen oder
blos gedachten) Dingen zugleich Aufmerksamkeit zu schenken, vielmehr
springe letztere immer nur zwischen beiden hin und her, scheint der
Schwierigkeit, die sie zu heben trachtet, nicht mit Erfolg aus dem Wege
zu gehen. Es ist doch jedenfalls zuzugeben, dass wir zwei Striche — mit
dem Augenmaass z. B. — nach ihrer Länge vergleichen können, und dieses
wäre ganz undenkbar, wenn nicht wenigstens ein Erinnerungsbild vom einen
festgehalten und zum andern mit herübergenommen würde, in Bezug auf
welches wir eben zu beurteilen vermögen, ob es mit diesem sich deckt
oder nicht. Die so überaus häufige Thätigkeit des Geistes, welche auf die
Wahrnehmung oder Herstellung von Beziehungen zwischen Objekten des
Denkens hinausläuft, scheint deren gleichzeitige Betrachtung zur unerläss-
lichen Voraussetzung zu haben. Nie würden wir — um noch ein anderes
Beispiel zu wählen — ein Wort zu lesen im Stande sein, wenn im Bewusst-
sein nicht (die Auffassung von) mehr als ein(em) Buchstaben auf einmal
Raum hätte. Nicht nur blos gewissermassen schlummernd, latent im
Bewusstsein überhaupt, sondern selbst im Felde der Aufmerksamkeit ver-
mögen wir also zwei oder mehrere Wahrnehmungen oder auch Vorstellungen
zu vereinigen.
Als auf ein anderes Beispiel sei auf die kombinirten Töne und Har-
monieen noch hingewiesen.
Diese Vereinigung, „In-eins-setzung“ von Zwei- oder Mehrerlei,
diese Herstellung einer „Vieleinigkeit“, welche sich im Bewusstsein des
denkenden Sukjektes vollzieht, ist das, was ich als das Unbegreifliche
des Vorgangs bezeichne.*) Der Versuch, die Herstellung zweier Bilder
an verschiedene Stellen des Hirns zu verlegen — wenn man doch dem
letztern insbesondere, und der materiellen Welt überhaupt, Wirklich-
keit zuschreiben will — lässt deren Wechselwirkung aufeinander, lässt
die Einheitlichkeit des Bewusstseins, der Versuch, sie an dieselbe
Stelle (oder dieselben Stellen) zu verlegen, lässt ihre Unterscheidbarkeit
wol unbegreiflich erscheinen.
π) Einerlei, wie die Wissenschaft in vorgeschritteneren Stadien sich
das Wesen dieses Vorgangs auch zurechtlegen wird, so haben wir uns
hier mit der Thatsache abzufinden, dass in dem einheitlichen Bewusst-
sein des Ich's gar Mannigfaltiges verknüpft, zusammengefasst oder
vereinigt erscheint, dass wir unmittelbar inne werden einer Mannig-
faltigkeit (wie gesagt) von Empfindungen und Vorstellungen, Gemüts-
zuständen und Willensstrebungen, welche teilweise als sich forterhaltend
oder neu immer wieder erzeugend, teilweise als im Wechsel oder Fluss,
in Änderung befindlich sich uns offenbart (zuweilen sich zu eigner
Thätigkeitsäusserung steigernd), und in welcher sich namentlich auch
die Gedanken entwickeln.
Dieser mannigfaltige Inhalt des Bewusstseins mit seinen auf-
einanderfolgenden (genauer: sich an einander reihenden) Zuständen,
seinen successiven Phasen, füllt das Leben des Individuums oder
denkenden Subjektes aus. Er ist eine Welt für sich, ein (Mikro-) Kos-
[22]Einleitung.
mos, den wir kurz, wenn auch nicht erschöpfend, die Ideenwelt,
Gedankenwelt des Individuums nennen mögen.
ϱ) Was uns zur Anerkennung auch des Makrokosmus, der Aussen-
welt nötigt, zwingt, ist die schon von früh auf gemachte und seitdem
fast unaufhörlich wiederholte Wahrnehmung resp. innere Erfahrung,
dass wir über gewisse Teile der uns unmittelbar bewussten Gedanken-
welt nicht willkürlich verfügen können.
Schon der Säugling kann das Gefühl des Hungers nicht willkürlich
beseitigen, kann sich dem Eindruck blendenden Lichtes, wenn er etwa
schlafen möchte, nicht verschliessen. Andere Teile unsrer Gedankenwelt,
dagegen, sind wir uns unmittelbar bewusst, selbstthätig, frei, nach unserm
Willen zu gestalten. Wir können uns z. B., sobald es uns beliebt, einen
grünen Tannenbaum vorstellen, oder, wenn wir mögen, auch einen schnee-
bedeckten, desgleichen rote Farbe, etc. etc. Wir mögen uns angenehmer
Erlebnisse, einer hübschen Melodie erinnern und uns auch bessere Zustände
hoffnungsfreudig ausmalen. Schwerer schon fällt es, unangenehme Er-
innerungen los zu werden.
σ) Einzelnes, was in unser Bewusstsein eintritt, empfinden wir
unangenehm als Schmerz, Leid, Ärgerniss, Kummer; Manches lässt uns
als ein gleichgültig Empfundenes indifferent, Anderes empfinden wir
als angenehm mit Genuss, Lust, Wohlbehagen, Freude. Jenes erstere
veranlasst uns, die Beseitigung, dieses letztere, die Fortdauer, eventuell
Wiederholung seiner selbst zu erstreben. Abermaliges Rätsel: das
Wesen der Affekte, von Zu- und Abneigung, von Schmerz und Lust.
Dass beides, wenn auch vermutlich davon bedingt und stets davon
begleitet, nicht — wie nach der materialistischen Weltanschauung —
lediglich in Bewegungszuständen, in einem mehr oder weniger rhythmisch
ausgeführten Tanze unsrer Gehirnmoleküle bestehen könne, dass auch der
vollendetste Automat noch kein fühlender Mensch wäre, Empfindung über-
haupt nicht auflösbar ist in Bewegung, steht mir vorderhand dogmatisch fest.
Dafür gegebene „Beweise“ vermag ich indessen als solche nicht anzuerkennen.
τ) Durch unsre physischen und psychischen Triebe, durch die Ab-
neigung, auch Furcht, vor Schmerz, sowie die Erwartung von, Aus-
sicht auf Genuss bedingt, bilden sich Wünsche in uns aus, werden
wir uns gewisser Willensstrebungen, eines bestimmten Wollens un-
mittelbar bewusst; wir nehmen Willensakte in uns vor. Und diese
Thatsache des Vorhandenseins eines menschlichen Willens nun hängt
auf das innigste mit der Anerkennung der Aussenwelt zusammen; sie
scheint geradezu eine Vorbedingung*) zu dieser zu bilden, indem die
[23]Einleitung.
letztere in dem erkannten Unvermögen wurzelt, das Gewollte sofort,
durch blosse geistige Thätigkeit des Ich in allen Fällen zu verwirklichen.
Das Wesen des Willens bildet ein vielbehandeltes und gleichwol noch
nicht ergründetes Thema. Es ist eine Frage, welche die Philosophen zur
Zeit noch in zwei grosse Lager spaltet: ob der menschliche Wille wirklich
frei sei (und was ist Freiheit?), oder ob — mit Spinoza — die mensch-
liche Freiheit, deren Alle sich rühmen, lediglich darin besteht, „dass die
Menschen sich ihres Wollens bewusst und der Ursachen, von denen sie
bestimmt werden, unbewusst sind“; dergestalt, dass die Gedanken und
Handlungen des Menschen lediglich eine Funktion sind („Funktion“ im
mathematischen Sinne) der Zustände, aus denen der Mensch hervorgegangen,
der inneren und äusseren Umstände, unter deren Herrschaft er gerade
steht — eine Weltanschauung, nach welcher z. B. ein Mensch, der, wie er
meint, freiwillig den Arm aufhebt, vergleichbar wäre einer (nur allerdings
mit Bewusstsein begabten!) Marionette, die, während ihr mit naturgesetz-
licher Notwendigkeit der Arm durch einen Draht emporgezogen wird, blos
in dem Wahne stünde, denselben selbst zu heben.*)
Die Frage ist von tiefgreifendster Bedeutung namentlich für die
Rechtspflege und für die Beurteilung jenes schlimmsten aller Übel —
der Schuld.
Unleugbar zeigen nun die Fortschritte der Naturforschung, besonders
auf dem Gebiete der Physiologie und Psychiatrik, unterstützt auch durch
die Statistik der menschlichen Gesellschaft, eine stetig steigende Tendenz,
das Gebiet der möglicherweise noch für frei zu haltenden, nämlich einer
nachweisbar zwingenden Bestimmung entbehrenden Lebensäusserungen des
Menschen einzuengen; und es mögen darum Naturforscher und Irrenärzte
mehr zu der letzterwähnten Ansicht neigen. Ich stehe meinerseits nicht
an, mich zu derselben zu bekennen, und zwar meine ich, dass schon ein
Jeder zu demselben Ergebniss kommen muss, wofern wir nur ohne vor-
gefasste Meinung uns selbst darauf besinnen, was denn eigentlich in uns
vorgeht, wenn wir einen Entschluss zu fassen haben? Kommt uns kein
Zweifel an bezüglich dessen, was in einem gegebenen, vorliegenden Falle
zu thun sei, so handeln wir entweder instinktiv nach einem unbewusst und
ohne unser Zuthun von Natur in uns entstehenden Impulse, oder wir
folgen dabei sozusagen mechanisch einer schon von früher überkommenen
(und seinerzeit naturgesetzmässig erworbenen) Gewöhnung. Von freier
Entschliessung wird erst dann zu sprechen sein, wenn mehrere Möglich-
keiten des Handelns sich dem Geiste zur Auswahl darbieten, m. a. W. wenn
wir im Zweifel sind, was thun. Hier dürfte nun die Thatsache nicht in
Abrede zu stellen sein, dass sooft wir so für eine Handlung uns zu ent-
scheiden haben, es wiederum von unserm Willen völlig unabhängig erscheint,
welche Erinnerungen, Vorstellungen und Überlegungen sich uns bis zum
[24]Einleitung.
Moment des Handelns aufdrängen, und welche zuletzt das Übergewicht er-
halten, die That bestimmend.
Des weiteren sei in Bezug auf die angeregte interessante Frage auf
Herrn Emil du Bois-Reymond's bekannte Schrift „Die sieben Welträthsel“
und den darin citirten merkwürdigen Ausspruch des Abbé Galiani ver-
wiesen. Die Arbeit von Ludwig Dieffenbach1 bekundet grosse Belesenheit
des Verfassers und betrachtet mit Scharfsinn auch juristische Fragen vom
deterministischen Standpunkte.*) Von Neueren behandelt Riehl2 Bd. 2,
p. 216 sqq. das Problem der Willensfreiheit besonders eingehend und, wie
mir scheint, in mustergültiger Weise.
Ich würde es, nebenbei gesagt, für einen grossen Segen halten, wenn
die Überzeugung von der Naturnotwendigkeit alles menschlichen Denkens
und Handelns Gemeingut aller Gebildeten würde. Diese Weltanschauung,
welcher unter den Dichtern der Neuzeit Herr Arthur Fitger prägnanten
und poetischen Ausdruck verliehen, müsste — im Einklang mit dem schönen
Gebot der Nächstenliebe und vielleicht wirksamer als diese nur allzuoft
nicht vorhandene oder fast unmögliche — naturnotwendig dahin wirken,
der Animosität, dem Hass und der Verdammungssucht jeglichen Boden,
auf dem sie gedeihen könnten, zu entziehen und auch ein gutes Teil Über-
hebung aus der menschlichen Gemeinschaft zu tilgen. Sofern die Hand-
lungen des Individuums in erster Linie vom Stande seiner Einsicht ab-
hängig, durch diesen sich bestimmt erweisen, würde sich für einen Jeden
das praktische Gebot ergeben, vor allem auf Richtigstellung, Hebung und
Vertiefung der Einsicht — eigner, wie fremder — bedacht zu nehmen.
Bei der Beurteilung des Nebenmenschen würde man stets die in Madame
de Staël's klassischem Spruche: Alles verstehen hiesse alles verzeihen, „Tout
[25]Einleitung.
comprendre, c'est tout pardonner“ (als Subjekt) enthaltene Voraussetzung
zu verwirklichen suchen und damit eine Erkenntniss zu gewinnen streben,
deren Erwerbung durch jene oben genannten Affekte in der Regel voreilig
verhindert wird. Jene Weltanschauung müsste endlich die Mahnung in
sich schliessen, bei dem Kampfe gegen das Übel in dem Verfahren gegen
Übelthäter nicht über das zum Schutze des Einzelnen und der Gesellschaft
erforderliche Maass hinauszugehen.
Wir brauchen indess zu obiger Frage hier keine Stellung zu nehmen,
und genügt uns die Thatsache, dass unser Wille — sei er auch von einer
uns unbewussten Notwendigkeit durchaus bestimmt, sei unsre Willensfreiheit
auch nur Illusion — doch innerhalb unsres Bewusstseins wenigstens als
frei erscheint, nämlich als ein freier unmittelbar empfunden wird. Diese
Thatsache ist nicht nur unbestritten, sondern: dass wir überzeugt sind, frei
zu denken, und auch (innerhalb der Grenzen des uns physisch Möglichen)
frei zu handeln glauben, bildet sogar eine der am tiefsten eingewurzelten
menschlichen Überzeugungen. (l. l. c. c.)
υ) Demjenigen nun, was in unserm Bewusstsein als unfrei em-
pfunden wird, sich dem unmittelbaren Einfluss unsres Willens entzieht,
schreiben wir eine ausser uns liegende Ursache zu, und die Gesamtheit
dieser Ursachen, denen wir ein eigenes Dasein, eine selbständige Exi-
stenz — ähnlich der unsrigen (genauer: derjenigen des Ich's) — bei-
legen, bildet für uns das Nicht-ich oder die Aussenwelt.
So, was wir sehen, hören, tastend fühlen, etc., gestaltet sich (als
eine unfreiwillige Empfindung) zunächst zur Anschauung von etwas
ausser uns Befindlichem. Der passiv empfangene Sinneseindruck löst
in der Regel, um als Empfindung in's Bewusstsein einzutreten, eine
rezeptive Thätigkeit des Geistes aus, und diese setzt sich noch über die
Empfindung hinaus fort, indem sie Veranlassung wird, dass wir (aktiv)
uns eine Vorstellung bilden von dem Gegenstand, der sie hervorruft.
Namentlich ist bekannt, wie wir so die Eindrücke der Farbenverteilung
und Helligkeitsverhältnisse, die wir aus einem zweidimensionalen Gesichts-
felde empfangen, in den (in einen vorgestellten dreidimensionalen) Raum
hinaus verlegen.
Bei der Bildung der Vorstellungen spielt übrigens die Induktion, ob-
wol meist unbewusst geübt, schon eine grosse Rolle. Sie z. B. ist es, die
uns veranlasst, denselben Tisch, den wir sehend als ausgedehnt resp. raum-
erfüllend wahrnehmen, auch mit Widerstandskräften auszustatten, dergleichen
sich uns beim Anfassen desselben kund geben. Mit Induktionsschlüssen
beteiligt sich der Verstand schon bei der Vorstellungsbildung; er vereinigt
oft die aus verschiedenen Sinnesorganen ihm zuteil gewordenen Botschaften
zur Gesamtanschauung eines Dinges, das sie veranlasste.
Besonders sind es Gesichts-, Tast- und Muskelsinn*), aus deren
[26]Einleitung.
Eindrücken wir, ihre Ursachen lokalisirend, unsre Vorstellung der mate-
riellen Körperwelt mit ihrer dreifachen räumlichen Ausdehnung, ihren
Widerstands- und andern Kräften und ihren Bewegungsvorgängen
herausentwickelt, uns konstruirt haben.
φ) Wir bethätigen dabei das unser gesamtes Denken beherrschende
„Kausalitätsprinzip“*): für Alles, was in den Bereich desselben tritt,
eine Ursache anzunehmen — sonach, sofern wir nicht uns selbst als
diese Ursache fühlen, dieselbe ausserhalb zu setzen.
χ) Als ein Teil dieser von uns vorgestellten materiellen Welt
findet auch unser körperlicher Leib seine Stelle. Im gewöhnlichen
Leben zum Ich gerechnet, muss er von der Philosophie doch der
Aussenwelt, dem Nicht-ich zugezählt werden. Wenn nämlich auch
die Vorstellung, dass wir ihn besitzen, im Bewusstsein stets mehr
oder minder lebendig ist, so existirt er doch nicht ganz allein in der
Ideenwelt des Ich's und bildet mit seiner Gestalt und Schwere, seinem
Aufbau aus Zellen, seinem Gefässsysteme und den darin kreisenden
Blutwellen, seinen mannigfachen uns unbewussten Lebensfunktionen,
doch keinen freien (d. h. wie gesagt als frei empfundenen) Bestandteil
unsres Bewusstseins. Wäre dem so, so würde Jedermann dasjenige
*)
[27]Einleitung.
Antlitz, das ihm am schönsten oder gerade am wünschenswertesten
dünkt, besitzen, diejenige Körperkraft, die er sich wünscht, eben-
dadurch erlangen etc.
Die Beziehungen des Leibes, als des dem Ich immerhin am näch-
sten stehenden Teils der Aussenwelt zu diesem, sind mehrfacher Art.
Erstens: Durch die nach seiner Oberfläche, Peripherie, gehenden
Nervenenden, die sich an einzelnen Stellen zu spezifischen Sinnes-
organen vervollkommnen und ausgestalten, wird der Leib zum aus-
schliesslichen Werkzeug, vermittelst dessen die ausserleibliche Aussen-
welt auf uns einzuwirken vermag, spielt er die Rolle des allezeit be-
reiten Boten, welcher, die „peripherischen“ Sinnesreizungen dem Be-
wusstsein übermittelnd, dem Geiste von dieser Aussenwelt Kunde bringt.
Zweitens: Zufolge seiner eigenen Beschaffenheit, seiner physio-
logischen Verfassung, Konstitution, entstehen in ihm selbst auch „visce-
rale“ Reize, wie das Atmungsbedürfniss, Hunger, Durst, Drang jeder
Art, durch welche er unabhängig vom Willen des Individuums phy-
sische Triebe in dessen Bewusstsein wachruft. Auch können noch
hierher gerechnet werden jene (krankhaften) Sinnestäuschungen, die
wir erst unter Beihülfe induktiver Schlüsse von sinnlichen Wahr-
nehmungen zu unterscheiden vermögen.
Drittens endlich: Indem sich gewisse Willensakte unmittelbar in
Bewegungen und Kraftentwickelung, Arbeitsleistung seiner Gliedmaassen
umsetzen, erscheint der Leib auch als das wiederum einzige*) Werk-
zeug, durch welches seinerseits der Geist auf die Aussenwelt einwirken
kann, deren kommende Zustände beeinflussend.
Die sowol unwillkürlichen als unbewussten Wechselwirkungen zwischen
Geist und Leib (deren Vorhandensein wir gleichwol durch induktive Schlüsse
erkennen), wie z. B. die Wirkung von Kummer oder Freude auf das körper-
liche Wohlbefinden, können hier ausser Betracht gelassen werden.
ψ) Wir haben uns hier der gewöhnlichen Ansicht angeschlossen,
der die selbständige Existenz der Aussenwelt, und in ihr auch die
unsrer Nebenmenschen, für unzweifelhaft, für ausgemacht gilt.
Dem gegenüber steht bekanntlich die Weltanschauung eines hervor-
ragenden Metaphysikers: George Berkeley's, nach welcher ganz allein der
Geist existirte, die Aussenwelt aber keine Wirklichkeit besässe, vielmehr nur
eine Vision, und ihre Objekte dem Ich von einem göttlichen Geiste vor-
gespiegelte Wahngebilde, subjektive Erscheinungen wären, das Leben also
[28]Einleitung.
gleichwie ein Traum sich abspielte. Solche Ansicht (selbst wenn in die
Leugnung der Aussenwelt auch die der Nebenmenschen samt ihrem Geiste
noch eingeschlossen würde) lässt allerdings sich weder beweisen noch
widerlegen; es bleibt dem Belieben anheimgestellt, sie anzunehmen oder
zu verwerfen.
Auch sie gibt übrigens ein Nicht-ich zu, bestehend aus der Gesamt-
heit der von dem Ich unabhängigen (als von ihm unabhängig empfundenen)
durch eine Notwendigkeit ihm oktroyirten Vorspiegelungen. Für unsre Zwecke
ist es gleichgültig, ob die Aussenwelt in dieser oder in jener Form aner-
kannt wird, wofern dies nur überhaupt der Fall ist.
Unstreitig kräftigt es unsre Überzeugung von der Existenz eines wahr-
genommenen Dinges der Aussenwelt, wenn wir aus ihren Kundgebungen
inne werden, dass auch andre Menschen dasselbe ebenso wie wir erblicken.
Aus diesem Umstand aber, mit De Morgan2 p. 28 sq., erst die Anerkennung
von der Existenz der Aussendinge ableiten zu wollen, scheint mir ein Umweg
zu sein, und glaube ich (ohne damit einen Anspruch auf Neuheit erheben zu
wollen) diesem gegenüber vorstehend — sub ϱ — υ) — den wahren Grund
hervorgehoben zu haben.
ω) Empfindungen und Vorstellungen lassen auch durch Erinnerung
sich reproduziren, ja wir können die Elemente uns schon geläufiger
Vorstellungen auch zu ganz neuen Vorstellungsgebilden erfinderisch
verknüpfen.
Wesentlich bleibt jedoch eine jede blos vorgestellte, sei es anti-
zipirend geahnte, sei es in Erinnerung gerufene Empfindung von der
durch Sinneseindruck thatsächlich hervorgerufenen verschieden.
Es dürfte schwierig sein, genau festzustellen, in was die faktische Em-
pfindung mit ihrer Erinnerung übereinstimmt und wodurch sie doch von
von dieser sich unterscheidet, was sie etwa vor ihr voraus hat. Die freien
Vorstellungen scheinen mit einem erhöhten Gefühl von Selbstthätigkeit, einem
Gefühl von Anstrengung der Einbildungskraft, Phantasie, verknüpft, unter
Fehlen des Gefühls, eventuell Genusses, und auch der Anstrengung rezep-
tiver Sinnesthätigkeit. „Jedenfalls werden wir nicht satt durch die Vor-
stellung, dass wir ein leckeres Gericht verzehrten, auch leiden wir ungleich
weniger durch blos vorgestelltes Zahnweh.“
Stellen wir uns Veilchengeruch z. B. vor, so haben wir doch nicht
den Genuss des letztern; wir haben die Empfindung selbst nicht. Diese
können wir erst durch umgestaltende Einwirkung auf die Aussenwelt
erlangen, indem wir uns z. B. wirkliche Veilchen verschaffen.
In diesem unsern Unvermögen, die uns angenehmen Empfindungen
und äussern Sinneswahrnehmungen unmittelbar in unserm Bewusstsein
herzustellen, wurzelte, wie schon erwähnt, unsre Erkenntniss der Aussen-
welt überhaupt.
α1) Auf ebendieser Beschränkung unsrer Macht über unsern Be-
wusstseinsinhalt beruht es nun auch ferner, dass wir in Bezug auf
[29]Einleitung.
viele vorgestellte Dinge zunächst nur Absichten fassen, uns Ziele oder
Zwecke vorsetzen können und diese durch Mittel zu erreichen suchen
müssen, dass wir sie oft erst auf Umwegen zu verwirklichen, zu rea-
lisiren im stande sind.
Alles Erkennen der Aussenwelt konnte schon die Voraussetzung
nicht entbehren, dass die von den Dingen auf uns ausgeübten Ein-
wirkungen, dass die Art, wie die Dinge uns „erscheinen“, von einer
Notwendigkeit geregelt seien (bestimmt durch die Natur der Dinge an
sich, die Natur unsres Wahrnehmungsvermögens und durch die Be-
ziehung, gegenseitige Lage, in welche die Dinge und unsre Sinnes-
organe zu einander stehen oder von uns gebracht werden). Und ebenso
wäre das Verfolgen von Zwecken durch Mittel aussichtslos, sinnlos, ohne
die Annahme, dass die aufzuwendenden Mittel notwendige Wirkungen
haben, genauer gesagt: spezifische Wirkungen notwendig haben müssen.
Es wird sich uns in letztrer Hinsicht nur darum handeln, diese Wir-
kungen richtig vorauszusehen, die Gesetze dieser Wirkungen zu erkennen.
Gesetze in dem Sinne von „Naturgesetzen“ pflegt man dahin zu formu-
liren, dass unter gleichen Bedingungen auch jedesmal gleiche Folgen aus-
nahmslos eintreten. Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Statt
„gleiche“ wäre beidemal wol genauer zu sagen: „ähnliche, d. i. solche, die
einander in einer bestimmten Hinsicht gleichen“. Versucht man aber ge-
nauer festzustellen, worin das Einandergleichsein von sei es Ursachen, sei
es Wirkungen, in der betreffenden Hinsicht besteht, so zeigt sich, dass das-
selbe zurückzuführen ist auf die Übereinstimmung zwischen Eindrücken, Em-
pfindungen, die sie unter bestimmten Umständen in unserm Geist hervorrufen,
zurückkommt auf die Gleichheit ihrer Erscheinung für unser Erkenntniss-
vermögen, die als solche unmittelbar empfunden und von der Nichtüberein-
stimmung unterschieden wird. Dieser Rückschluss aber von unsern Em-
pfindungen auf die Dinge, die sie hervorrufen, beruht wieder wesentlich auf
der Annahme, dass jene von diesen mit Notwendigkeit abhängen, ihnen in
gegebener Weise mit unabänderlicher Prädestination entsprechen. Notwendig-
keit also erscheint als der ursprünglichere und höhere Begriff, ohne welchen
auch derjenige einer Gesetzmässigkeit in der Aussenwelt nicht erklärt zu
werden vermöchte.
β1) Unsre eignen Empfindungen — z. B. Schmerz —, unsre Vor-
stellungen, Affekte und Willenszustände werden wir unmittelbar inne
als dasjenige, was sie sind; sie sind gerade das, als was sie in unser
Bewusstsein eintreten. Auf die analogen Vorgänge im Bewusstsein
andrer Menschen vermögen wir darum auch — mit einiger Wahr-
scheinlichkeit — zu schliessen.
γ1) Im Gegensatz aber zu den Erkenntnissobjekten der angeführten
Klasse, welche sonach als dasjenige, was sie „an sich“ sind, von uns
[30]Einleitung.
erkannt werden können, ist in Bezug auf die Dinge der übrigen Aussen-
welt solches nicht der Fall. Vielmehr muss hier zuvörderst eine Grund-
wahrheit konstatirt werden, welche die „Metaphysik“ zutage gefördert
und — die einzige fast — im Kreise der Philosophen zu allgemeiner
Anerkennung gebracht hat (woneben ihr aber das Verdienst nicht ab-
zusprechen ist, der Oberflächlichkeit wirksam entgegengetreten zu sein,
viele Irrtümer, Illusionen als solche aufgedeckt und zerstört zu haben,
überhaupt auf Läuterung und Präzisirung der Begriffe, mannigfach zu
weiteren Fortschritten in dieser Richtung anregend und zur Gründlich-
keit und Behutsamkeit im Forschen erziehend, hingearbeitet zu haben).
Es ist die Wahrheit, dass wir, was die Dinge der Aussenwelt an sich
sind, zunächst überhaupt nicht zu erkennen vermögen.
Längst hat die Physik den Schall, das Licht, die Wärme etc. auf etwas
ganz anderes zurückgeführt, als das ist, als was sie uns erscheinen: auf Be-
wegungsvorgänge, Schwingungszustände materieller Teilchen, welche wir bei
tönenden oder den Ton leitenden Körpern sogar dem Auge sichtbar machen
können. So ist eine grüne Wiese z. B. durchaus nicht „grün an sich“, d. h. ihr
haftet nichts an von unsrer Empfindung der grünen Farbe, sondern wir
wissen oder glauben mit gutem Grunde es zu wissen, dass diese Wiese nur
die Eigenschaft hat, von den auf sie fallenden transversalen Lichtwellen die-
jenigen von einer bestimmten Wellenlänge diffus zurückzuwerfen, die andern
zu verschlucken, sie in Wärme oder auch chemische Arbeit des Blattgrüns
(Chlorophylls) umsetzend. Herr Emil du Bois-Reymond hat schon darauf
aufmerksam gemacht, dass der schöne Ausspruch „Und es ward Licht“ auf
Erden strenge genommen erst zur Wahrheit wurde, als sich die ersten
Augenpunkte bei den frühesten Lebewesen (Infusorien) ausbildeten. Ebenso
ist die uns umgebende Welt eigentlich stumm, und die Schall- und Ton-
empfindungen entstehen erst, wenn durch die in das innere Ohr eindringenden
longitudinalen oder Verdünnungs- und Verdichtungswellen der Luft von den
60000 Corti'schen Stäbchen, welche in der das Labyrinth auskleidenden
weichen Nervenmasse stecken, einzelne Gruppen erschüttert, in Mitschwingung
versetzt werden, u. s. w.
Wir vermögen — bildlich gesprochen — die Farbe der Brille,
durch die wir die Welt betrachten, von dem Erscheinungsbild der
Welt überhaupt nicht zu trennen, nicht dieses von jener frei zu machen,
zu sondern. Denn jene Brille, als das dem Geiste mit den Sinnes-
organen aufgesetze Wahrnehmungsvermögen, können wir eben (ohne
Selbstvernichtung) nicht abnehmen, und nirgends ist der Geist im
stande die Aussendinge selbst zu erfassen. Oder, um mit neueren
Philosophen den Sachverhalt noch etwas schärfer zu präzisiren:
Von der Natur der Dinge an sich — a —, zufolge deren sie auf
uns einwirken, und einem subjektiven Moment x, welches durch unsre
Sinnesorgane sowol als durch die spezifische Natur, eventuell Be-
[31]Einleitung.
schränkung, unsres geistigen Auffassungsvermögens dieser Einwirkung
hinzugefügt, vielleicht auch aus ihr weggenommen, gelöscht wird, unter
allen Umständen aber sich ihr unvermeidlich beimischt, ist die Art A
bestimmt, wie die Dinge uns erscheinen, wie wir sie uns kraft einer
Naturnotwendigkeit vorstellen müssen; es ist, im mathematischen Sinne
des Wortes, A eine Funktion von diesem x und a:
A = f (x, a).
Da wir ausser stande sind, jenes x zu ermitteln, so können wir
aus dem A, dessen wir unmittelbar inne werden, nicht mit irgend-
welcher Sicherheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit auf das a schliessen
(und könnten es selbst dann nicht, wenn uns das Gesetz der Zuord-
nung, oder die Natur der Funktion f schon bekannt wäre), d. h. was
die Dinge an sich sind, bleibt uns unbekannt.*)
Anstatt von solchen „Dingen“, müssten wir eigentlich — vorsichtiger
— nur von dem (unbekannten) „ihrer Erscheinung zugrunde liegenden
Wirklichen“ reden. Auf dem Standpunkt des unbefangenen Bewusstseins
nämlich (im Gegensatz zum Standpunkt des wissenschaftlichen Bewusstseins
vergl. Harms1) identifizirt der Mensch allerdings die Dinge ohne weiteres
mit seinen Vorstellungen von denselben.
Nachdem aber in Bezug auf ganze Reihen von Naturerscheinungen die
fortschreitende Wissenschaft diese Einerleisetzung, Identifizirung schon als
unhaltbar hat erkennen lassen, sie mit dem Streben nach einheitlicher Er-
kenntniss des Weltganzen unvereinbar zeigte, ist die Philosophie vollkommen
im Rechte, wenn sie bei allen Erscheinungsformen der Natur und Aussen-
welt solche Identität von vornherein wenigstens in Zweifel zieht.
So müssen wir nun auch den „Raum an sich“ als das der Erscheinungs-
form des Raumes zugrunde liegende Wirkliche von dieser Erscheinung des-
selben, d. i. dem vorgestellten Raume, unterscheiden und ebenso die Er-
scheinungsform der Zeit auseinander halten mit dem ihr zugrunde liegenden
Wirklichen.
δ1) Die Frage nach der „Ähnlichkeit“ eines „Dings an sich“ und
unsrer Vorstellung von demselben ist wol (vergl. v. Helmholtz1) sinnlos.
Die beiden mögen unvergleichbar sein, wie etwa eine Symphonie und
ein Gemälde. Wesentlich ist die Gesetzmässigkeit, mit der sie sich
gegenseitig entsprechen — ein Entsprechen, welches nicht weiter zu
gehen braucht, als etwa das Entsprechen, die gegenseitig eindeutige
Zuordnung des „Zeichens“ mit dem „Bezeichneten“, des „Dinges“ und
seines „Namens“ (von der weiter unten noch eingehender die Rede
sein wird) und bei der von einer Ähnlichkeit zwischen beiden auch
[32]Einleitung.
keine Rede sein kann. Wesentlich insbesondere ist die Wechselwirkung,
in die beide unter Umständen treten, nämlich vor allem die unter ge-
wissen Voraussetzungen eintretende Einwirkung des Dinges auf unsre
Empfindung und Vorstellung von demselben, wie sie unabhängig von
unserm Willen durch eine Naturnotwendigkeit gegeben erscheint, so-
dann eventuell die Einwirkung unsrer Handlungen auf das Ding, oder
vielmehr wiederum deren dadurch hervorgerufene Rückwirkung auf
uns selber.
Die Eindeutigkeit solchen Entsprechens kann übrigens schon in Zweifel
gezogen werden; ihr Ausdruck ist eventuell zu modifiziren — in Anbetracht
der Möglichkeit, dass gleichwie ein geschliffener Krystall mit seinen ver-
schiedenen Facetten das Bild eines leuchtenden Punktes als ein mehrfaches
zurückwirft, auch unser Geist in der Lage sein könnte (falls ein Sinnes-
organ dem „Facettenauge“ vergleichbar), ein Ding an sich stets nur als
eine Mehrheit von Dingen wahrzunehmen. Auch umgekehrt ist denkbar,
dass wir Dinge a, b und c isolirt nicht zu erkennen vermögen, dass uns
wohl aber a, wenn in Verbindung mit b, als ein Ding und ebenso a mit c
als ein ander Ding in die Erscheinung tritt, ohne dass wir doch von dem
gemeinsamen Element a der beiden eine Ahnung bekommen, und anderes mehr.
ε1) Aus diesem gesetzmässigen Entsprechen, der erwähnten natur-
notwendigen Wechselwirkung zwischen Ding und Vorstellung schöpfen
wir nun die Berechtigung, doch in einem gewissen Sinne von den Dingen
selbst zu reden, und nicht blos von unsern Vorstellungen über dieselben,
trotzdem jene „an sich“ sich unsrer Erkenntniss beharrlich verschliessen,
und nur diese in unser Bewusstsein einzutreten vermögen.
Unstreitig wollen und beanspruchen wir, solches zu thun. Wenn
wir z. B. sagen (vergl. Mill1): „Die Sonne (genauer: der Stand der
Sonne über dem Horizont) ist die Ursache des Tages“, so soll damit
nicht etwa blos ausgedrückt werden, dass die Vorstellung (oder „Idee“)
von der Sonne die Ursache (oder Idee von der Ursache?) sei von unsrer
Vorstellung des Tages; es soll nicht blos eine Beschreibung des sub-
jektiven Zustands unsrer Vorstellungen damit gegeben werden, der als
solcher ja ebenso gut in unsrer Laune oder Willkür blos begründet
sein könnte — sondern es soll mit solchem Ausspruch darauf hinge-
wiesen sein, dass in dem den erwähnten Erscheinungen (der Sonne
und des Tages) zugrunde liegenden (unbekannten) Wirklichen etwas
liegt, was kraft naturgesetzlicher Notwendigkeit uns zwingt, einen ur-
sächlichen Zusammenhang zwischen beiden anzunehmen.
Im Hinblick, unter steter und als selbstverständlich geltender Be-
zugnahme auf jenen Zwang des Entsprechens und unter dem (aller-
dings nur zu oft ausser Acht gelassenen) „metaphysischen Vorbehalt“
[33]Einleitung.
(dass wir die Dinge „an sich“ nicht zu erkennen vermögen), können
wir darum in der That von den Dingen der Aussenwelt selber (auch
im Gegensatz zu unsern Vorstellungen) reden; in diesem Sinne und
unter diesem Vorbehalte geschieht dies auch allgemein in den empi-
rischen Wissenschaften und geschieht es von rechtswegen.
So hat nun z. B. die Frage, ob auf den von uns ewig abgewandten
drei Siebenteln der Mondoberfläche, ob auf der „Rückseite“ des Mondes sich
Wasser befinde, einen ganz bestimmten Sinn, wenn wir auch nicht wissen
können, was der Mond, was Wasser, was Materie überhaupt „an sich“ ist,
was der Erscheinung einer Oberfläche Wirkliches zugrunde liegt u. s. w.
Dies wird wol jedermann ohne weiteres zugeben.
Ebenso ist aber auch — um ein neuerdings vielumstrittenes Beispiel
anzuführen — die Frage eine vollberechtigte, ob der physikalische Raum
wirklich ein „Euklidischer“, eine „ebene“ und sonach unendliche dreidimen-
sionale Mannigfaltigkeit sei, oder ob er etwa als ein durchweg endlicher,
nach allen Seiten mittelst vierdimensionaler Krümmung in sich zurückkehre.
Auch bei dieser Frage handelt es sich nicht um die subjektive Beschaffen-
heit unsrer herkömmlichen, gewohnten Anschauung, welche zur Zeit noch
unbestritten die des ersteren Raumes ist, sondern darum, ob nicht eine
objektive Notwendigkeit vorliegt (oder wenigstens nach dem heutigen Stand
unsrer Erkenntniss schon vorliegen kann und dereinst vielleicht sich auf-
drängen wird) dieselbe zu modifiziren, der Wahrheit zuliebe sie umzubilden,
nämlich sie durch die letztere Raumvorstellung zu ersetzen.
Ganz richtig hat auch Lotze hierin den Kernpunkt der Frage erblickt.
Im übrigen scheint er mir aber in seiner gegen die Untersuchungen von
Riemann und v. Helmholtz gerichteten Polemik (Metaphysik, p. 249 ‥ 267)
(unter anderm) in einen analogen Fehler zu verfallen, wie ihn (nach
Whewhell's Geschichte der induktiven Wissenschaften) der Kirchenvater
Lactantius*) beging, der gegen die Möglichkeit von Gegenfüsslern auf unsrer
Erde eiferte, weil er die ihm geläufige Richtung der Schwere absolut fest-
hielt, und folgerichtig zu dem Schlusse kam, dass solche Antipoden auf
dem Kopfe stehen müssten. Ganz ähnlich in der That überträgt auch
Lotze in seinem Hauptargumente die ihm geläufige Vorstellung (und An-
nahme der Existenz) von unendlichen Geraden, dieselbe allzu fest haltend,
ohne weiteres auf Wesen (jene fingirten mit ihrer ganzen Existenz an die
Kugelfläche gebannten „Flächenwesen“), die sie nach den für ihr Dasein
gemachten Annahmen gar nicht zu haben brauchten, ja überhaupt nicht
haben könnten (p. 252), und spricht darum mit Unrecht von „Wider-
sprüchen“, in welche solche Wesen durch das Studium ihres Raumes ver-
wickelt werden müssten.
So sehr ich das neuerliche Wiederaufleben der (dermalen nur in einem
wissenschaftlicheren Gewand, als früher, auftretenden) Mystik, welches sich
an die erwähnte Frage der Raumdimensionen geknüpft hat, missbillige und
beklage, halte ich doch die zweiterwähnte Raumanschauung für die richtige.
Ich bin überzeugt — doch würde es mich hier zu weit führen, meine
Schröder, Algebra der Logik. 3
[34]Einleitung.
Gründe darzulegen —, dass nicht nur jene neueren Untersuchungen der
Mathematiker über mehrdimensionale Mannigfaltigkeiten logisch und er-
kenntnisstheoretisch vollberechtigte sind, sondern dass auch wirklich unsre
raumerfüllende Welt eine durchaus „endliche“ ist — natürlich „unbegrenzt“
— jedoch nach jeder Richtung unsres Raumes in sich selbst zurückkehrend,
wobei sich die successiven Phasen der jeweils augenblicklichen dreidimensio-
nalen Gegenwart zu einem vierdimensionalen Gebilde der Wirklichkeit
schichtweise übereinanderlegen. Zu dieser Anschauung bin ich — nebenbei
gesagt schon vor der durch Zöllner eröffneten Aera der Kontroversen —
angeregt durch die Lektüre des betreffenden von „Dr. Mises“ (Theodor
Fechner's) „Vier Paradoxa“ — gelangt. Wer Recht hat, das wird — qui
vivera, verra — eine fernliegende Zukunft entscheiden. Jedenfalls kann
es nicht als Argument gegen die Richtigkeit einer Ansicht aufgeführt
werden, wenn Verfechter derselben zu weit gegangen sind, wenn Einzelne
zugunsten derselben auch vielleicht sich kompromittirt haben sollten, und
für welche Ansicht man auch immer Partei nehmen möge, wird man doch
Bernhard Riemann's (auf der Schluss-Seite seiner Arbeit „Über die Hypo-
thesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen“ ausgesprochenes) Endziel
gelten lassen — in welchem wir auch die Rechtfertigung aller meta-
physischen Untersuchungen hauptsächlichst erblicken: dass die Forschung
nicht „durch die Beschränktheit der Begriffe gehindert und der Fortschritt
im Erkennen des Zusammenhangs der Dinge nicht durch überlieferte Vor-
urteile gehemmt wird“.
Wenn bei dem vorstehenden Exkurse das Wort „wirklich“ wiederholt
gefallen ist, so war dasselbe bereits unter dem metaphysischen Vorbehalt,
also nicht als gleichbedeutend mit „an sich“, zu nehmen. „Wirklich“ nennen
wir (zu einer Zeit), was ist, im Gegensatz zu dem was nicht ist, und es
bedarf letzteres keiner weiteren Erläuterung für diejenigen Dinge, deren
wir unmittelbar inne werden. Erläuterungsbedürftig dagegen bleibt das
Wort für die Dinge der Aussenwelt, die wir ja nicht selbst mit unserm
Geiste erfassen, sondern von denen nur die Vorstellung, und eventuell der
Sinneseindruck, in unser Bewusstsein eintritt. Indem wir solch' einem ge-
dachten oder vorgestellten Dinge „Wirklichkeit“ zuschreiben, bringen wir
es zum Ausdruck, dass wir eine objektive Notwendigkeit erkennen, die wir
nämlich direkt als über unserm Willen stehend unfrei empfinden — die
wir denn als eine objektiv begründete auch für gemeinverbindlich halten —
kraft der Natur unsres Vorstellungsvermögens das Ding gerade so und
nicht anders zu denken. Das „Ding an sich“ nennen wir die (unbekannte)
Ursache, die wir solchem Zwange unterzulegen nicht umhin können.
Mit dieser Erklärung wird solchen Dingen, die wir überhaupt nie ge-
dacht haben, die Wirklichkeit nicht abgesprochen.
ζ1) Durch das Fehlen oder die Bezugnahme auf jenes objektiv not-
wendige Entsprechen zwischen Ding an sich und Vorstellung werden
einige Unterscheidungen bedingt und begreiflich, die sonst unverständ-
lich erscheinen müssten.
Es wird verständlich, wieso die Vorstellung von der Vorstellung
[35]Einleitung.
eines Dinges verschieden sein kann von der Vorstellung eben dieses
Dinges (obgleich wir, wie gesagt, jede Vorstellung als das, was sie
„an sich“ ist, inne werden und als ebensolches auch beliebig zu repro-
duziren vermögen), indem bei letzterer jene Bezugnahme eintreten mag,
während sie bei ersterer fallen gelassen ist.
Spreche ich von einem Pferde (p), so habe ich eine Vorstellung von
dem Pferde (vp). Spreche ich aber von meiner Vorstellung von dem Pferde,
so habe ich eine Vorstellung von der Vorstellung von dem Pferde (vvp). Das
beifolgende Schema
versinnlicht in Zeichen unter s, s' das, wovon wir sprechen mögen, und
unter h, h' dasjenige, was wir darunter denken oder im Geiste „haben“.
Wäre jenes nicht verschieden, nicht zweierlei, so müsste, wenn die Vor-
stellung von dem Pferde (eine) lebhaft(e) ist, auch das Pferd (ein) leb-
haft(es) sein. Müssen wir aber Dasjenige, wovon wir beidemal reden, als
zweierlei anerkennen, so scheint es, dass wir auch Dasjenige, was wir uns
darunter denken, beidemal nicht als identisch dasselbe gelten lassen dürfen.
Es drängt sich die Frage auf, ob das nun ohne Ende so weiter geht,
ob wir also die Vorstellung von der vvp abermals als ein neues Objekt des
Denkens anzuerkennen haben, und so fort? Indessen will ich mich be-
gnügen, hier blos die Frage aufgeworfen zu haben; ununtersucht bleibe, ob
dabei nicht Gebilde von einer Art entstehen würden, wie sie etwa im
Gegensatz zu „rationalitas“ das lateinische Scherzwort „rationabilitudinali-
tas“ anzudeuten und wol zu persifliren bestimmt war.
Es wird ebenso begreiflich, wie wir unsrer Vorstellung vom
Raume — gleichwie schon dem Bewusstsein, das sie in sich fasst —
das Merkmal der Ausdehnung abzusprechen vermögen, während wir
doch dem (sonst mit jener identisch erscheinen würdenden) vorgestellten
Raume eine dreifache Ausdehnung zuerkennen — und anderes mehr.
Haben wir nach den Errungenschaften der Physiologie als das Organ
unsres Bewusstseins den cerebralen Teil unsres Leibes anzusehen, so er-
scheint es (unter anderm) immerhin rätselhaft, wie in diesem, dem Hirne,
welches ja ganz im Kopfe Platz hat, die Vorstellung ausgebildet wird von
einem Raume, der noch weit über diesen hinaus bis zu den Sternen (und
noch weiter) reicht. Lehrreiche und anregende Betrachtungen über diese
und noch manche andere Frage über Raum, Zeit, Bewegung und Verur-
sachung finde ich in anziehender Darstellung durchgeführt in dem Werke
Herrn Otto Liebmann's1, welches nunmehr in zweiter Auflage vorliegt.
η1) Fassen wir (mit Mill) die Ergebnisse unsrer Betrachtungen
zusammen, so kommen wir zu dem Schlusse, in welchem die besten
Denker jetzt übereinstimmen:
Wie wir von der Welt überhaupt nichts inne werden, als die
Reihenfolge der Zustände unsres Bewusstseins, als da sind: Em-
pfindungen (Sensationen), Gemütsbewegungen (Emotionen) und Willens-
regungen (Wollen), schliesslich Gedanken*)-„Zustände“, natürlich, die
durch den Wechsel in ihrer Succession auch „Vorgänge“ zusammen-
setzen, wofern sie nicht schon selbst als solche aufzufassen — so
machen die Empfindungen und die Ordnung ihres Eintretens auch alles
aus, was wir von der materiellen Aussenwelt erfahren, und absolut
sicher wissen können, und während die „Substanz“ materieller Körper
die unbekannte Ursache unsrer Empfindungen ist, erscheint die „Sub-
stanz“ Geist als der („an sich“ ebenfalls unbekannte**) Empfänger oder
Rezipient derselben.
Von den erwähnten Dingen sind es vorzugsweise die Gedanken,
welche uns noch weiter zu beschäftigen haben werden.
Dass nun die Dinge der Aussenwelt nicht „an sich“ erkennbar
sind, ist für uns in jeder praktischen Hinsicht glücklicherweise ganz
ohne Belang. „Was die Dinge an sich sein mögen, weiss ich nicht
und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding
anders als in der Erscheinung vorkommen kann“ (Kant, Kritik der
reinen Vernunft. Ausgabe 1791, p. 332).
Die Art, wie diese Welt uns notwendig erscheint, wie die Dinge
auf uns einwirken, beziehungsweise zurückwirken, das ist und bleibt
für uns die Hauptsache. Es kommt dem Landmann darauf an, dass
der von ihm bebaute Acker Früchte trägt, welche sich uns wohl-
[37]Einleitung.
schmeckend und nahrhaft erweisen, ganz einerlei, was diese an sich
sind oder das denselben zugrunde liegende Wirkliche.
ϑ1) Um unsre Zwecke zu erreichen, unsre Ziele zu verwirklichen,
dazu bedürfen wir der Mitwirkung unsrer Nebenmenschen; wir können
deren Kooperation meist nicht entbehren. Um aber solche zu erlangen,
müssen wir uns mit ihnen verständigen.
Auf die mannigfachen andern Momente, aus welchen das Mitteilungs-
bedürfniss sich noch zusammensetzen mag und mit denen es im mensch-
lichen Gemüte begründet erscheint, will ich hier nicht eingehen. Es ist
ausreichend, den einen praktischen Gesichtspunkt hier hervorgehoben zu
haben, welcher schon für sich allein mit Macht zu einer Verständigung
unter den Menschen drängt.
Auch bei Tieren sehen wir nicht selten ein planmässiges Zusammen-
wirken und eine gewisse Arbeitsteilung, vor allem bei den staatenbildenden,
wie Ameisen, Bienen, u. s. w. — es genügt schon, an die Bauten, den
Ackerbau, die Viehzucht, Kriegführung und Sklavenhaltung bei den erstern
zu erinnern. Auf welche Weise, wol unter dem Einfluss des Nachahmungs-
triebes, derjenige Grad der Verständigung zwischen den Individuen des
Stammes, der zu solchen Werken erforderlich ist, doch ohne ein Surrogat
der Sprache, zustande kommt, ist nicht ganz aufgeklärt.
Das wirksamste und ausgiebigste, das Mittel zur Erzielung der
weitestgehenden und weitreichendsten Verständigung unter den Menschen
ist jedenfalls die Sprache.
ι1) In ihr bringt das denkende Subjekt zu dem Ding an sich und
zu seiner Vorstellung von demselben noch ein drittes hinzu: den Namen
oder das Zeichen des Dinges.
Um mit dem Seitenblick auf die Metaphysik, zu welchem wir uns oben
veranlasst gesehen, thunlichst zum Abschluss zu kommen, sei hier sogleich
darauf aufmerksam gemacht, dass — woferne nur die Fälle von etwaiger
Sinnestäuschung ausgeschlossen werden — das Zeichen ebenfalls zu der
Klasse von Dingen zu zählen ist, von welchen wir sagen dürfen, dass wir
sie „an sich“ erkennen.
Was freilich den Kohlenstoffteilchen, die den gedruckten Buchstaben a
zusammensetzen, mit ihrer vorwiegenden linearen und Flächenausdehnung
Wirkliches zugrunde liegt, wissen wir nicht; es kann uns dies aber auch
vollkommen gleichgültig sein. Das Zeichen kommt eben für uns lediglich
als dasjenige in Betracht, als was es uns erscheint; nur seine notwendige
Wirkung auf uns, seine für alle, die es wahrzunehmen vermögen, gleich-
mässig charakteristische Erscheinung bestimmt und regelt seine Verwendung.
Und diese Erscheinung des Zeichens, kraft welcher wir den Buchstaben a
in beliebiger Wiederholung immer als den gleichen erkennen und von allen
andern Buchstaben unterscheiden, bildet für uns das Wesen desselben.
ϰ1) Ich glaube, die elementarste aller deduktiven Disziplinen nicht
einleiten zu dürfen, ohne zuvörderst auf die enorme Wichtigkeit des
Zeichens, das ja an sich als ein unbedeutendes Ding erscheint, ge-
bührend hinzuweisen, und schliesse ich mich dabei grösstenteils —
in freier Weise — an die Ausführungen Trendelenburg's2 (Bd. III,
p. 1 ‥ 4) an.
Erst mit dem Eintritt der „bezeichnenden“ oder „symbolisirenden“
Thätigkeit (zu welcher aus der bildenden Thätigkeit auch noch die
abbildende gerechnet werden mag) scheint in der That das Menschen-
geschlecht sich aus dem absoluten Nullpunkte der Civilisation und
über das Niveau des Tieres erhoben zu haben, und kaum einer wirk-
lichen Sache dürfte der Menschengeist soviel Fortschritte zu verdanken
haben, als wie dem Zeichen der Sachen.
Das Zeichen, welches in der Geberde und im Ton zum Affekt,
zur Lebensstimmung spricht, spricht in Wort und Satz zum Intellekt
und hat nach den Gesetzen der Ideenassoziation die Kraft, in dem, der
es vernimmt oder anwendet, bestimmte Vorstellungen zu erzeugen und
in ihrer Abfolge zu richten.
Indem es mit der Vorstellung zusammenwächst, verschmilzt, wirkt
es selber auch auf das Denken zurück. Durch das Zeichen werden
die sonst in einander fliessenden, zuletzt zerfliessenden, Vorstellungen
gesondert und als getrennte Elemente ein bleibender Besitz, über
welchen der Denkende fortan verfügen kann. Mittelst des Zeichens
wird unterschieden, das Unterschiedene fixirt und das Fixirte zu neuen
und eigentümlichen Verbindungen tauglich gemacht; das Zeichen wird
uns zur Handhabe, an welcher wir die Gedankendinge packen. Erst
durch das Zeichen löst die Vorstellung von dem sinnlichen Eindrucke,
an welchem sie sonst haftet, sich los, und vermag nun in das All-
gemeine sich zu erheben. So wird das Denken durch das Zeichen des
Worts nach der einen Seite frei, auf der andern bestimmt.
Ferner gibt es nur durch das Zeichen, durch welches in Vielen
derselbe Gedanke, derselbe Zweck — ein Wille und eine Seele —
möglich wird, jene Gemeinschaft der menschlichen Kräfte, auf welcher
das Leben der Menschen als ein Leben der Individuen im ganzen
Geschlecht, auf welcher Gesittung und Bildung beruht.
Diese Wirkung schon des ausgesprochenen Zeichens steigert sich
noch ausserordentlich in der Schrift.
Das hörbare Zeichen, flüchtig wie der Augenblick*), wird durch
die Schrift sichtbar und bleibend, den Verkehr der Vorstellungen
zwischen räumlich Entfernten anknüpfend, selbst den — allerdings nur
einseitigen — Verkehr der Gegenwart mit längst vergangenen und
mit den zukünftigen Geschlechtern vermittelnd.
Sofern das Leben des Menschen ein historisches Leben ist, ein Leben
in einer überkommenen durch die Geschichte gebildeten geistigen Substanz,
so ist die Schrift das Organ dieses sich fortsetzenden und erweiternden
Lebens und Wirkens. Der geschichtliche Geist der Menschheit gestaltet
und mehrt sich in der Schrift.
Darum fühlten die Menschen auch seit der ersten Erfindung die
Wichtigkeit der Schrift für menschliches Leben. Gesetze, schon seit Jahr-
hunderten, verpönen ihre Fälschung.
Von den ältesten schriftlichen Urkunden aber, in welchen Glaube und
Willensmeinung unter ihren Zeitgenossen hervorragender Persönlichkeiten
sich einst verewigte und die als etwas Ausserordentliches dem kindlichen
Geist einer früheren Kulturepoche begreiflich imponirten, sehen wir auch
manche bis auf den heutigen Tag noch in übermässigem autoritativen An-
sehen sich erhalten.
Seit bald einem halben Jahrtausend steigert die Schrift im Druck
ihre Fähigkeit verbreiteter Mitteilung und an der Aufgabe, die Zeichen
der Schrift in kürzester Zeit und grösster Vervielfältigung auf kleinem
Raume so herzustellen, dass sie dem Auge sichtbar bleiben, wird immer
noch fortgearbeitet. Endlich dürfen wir es rühmen, dass das Menschen
verbindende Zeichen schon als ein unsichtbarer Blitz von Land zu
Land, von Weltteil zu Weltteil fliegt, den ganzen Erdball mit seiner
Herrschaft umspannend.
So hat das Zeichen in Sprache und Schrift schon für den Menschen
überhaupt eine Bedeutung, wie gar nichts anderes. In Hinsicht seines
Nutzens für die Gesellschaft erstanden allerdings ihm schon Rivalen
oder Konkurrenten, wie Steinkohle und Eisen, wie die Dampfmaschine.
Je mehr wir aber von dem Leben überhaupt den Gebieten geistiger
Thätigkeit uns zuwenden, eine um so hervorragendere Rolle sehen wir
dem Zeichen zufallen, und die bedeutendste in den Wissenschaften, vor-
nehmlich den exakten. Erfindungen, auch Entdeckungen, die sachlichen
Errungenschaften, welche sich der Menschengeist erwirbt, stehen fast
ohne Ausnahme auf der Voraussetzung des verständlichen und konse-
quent gehandhabten Zeichens, welches gleicherweise den einsamen Um-
gang des Gedankens mit sich selbst und den Gedankenverkehr in der
Menschheit bedingt.
λ1) Es haben diese Wissenschaften, mehr oder minder ausgesprochen,
die Tendenz, die Schwierigkeiten des Studiums der Dinge — der Dinge,
die man nicht immer bequem zur Hand hat, die man meist nicht fest-
halten oder fixiren und ohne weiteres manipuliren kann — möglichst
abzuwälzen auf das Studium ihrer Zeichen, welche letzteren dem Forscher
stets zur Verfügung stehen und mit unvergleichlicher Leichtigkeit zu
hantiren sind.
Die Erleichterung und Vorteile, welche ein judiziöser Gebrauch der
Zeichen in dieser Hinsicht der Forschung zu gewähren vermag, würden
sich passend vergleichen lassen mit denjenigen, welche gegenüber dem
direkten Tauschverkehr mit Waaren (in Zentralafrika z. B.) die Einführung
von Wertzeichen — des Geldes — gewähren müsste. Freilich würde mit
solch' illustrirendem Hinweis an Ort und Stelle nicht viel zu gewinnen sein,
indem wir finden, dass Völkerschaften, welche sich noch im Zustande anal-
phabetischer Wildheit befinden, auch mit dem Gebrauch des Geldes oft
unbekannt sind.
Der vorstehende Vergleich ist ähnlich schon von Leibniz gemacht
und verlohnt es, seinen Gedankengang näher darzulegen (vergl. Trendelen-
burg l. c. auf spätern Seiten).
Leibniz geht von einer psychologischen Betrachtung über die Be-
dingungen der Deutlichkeit unsres Denkens aus. Ursprüngliche und ein-
fache Vorstellungen, so wie sie z. B. aus der Wahrnehmung stammen,
pflegen auch anschaulich reproduzirt zu werden. Hingegen denken wir die
zusammengesetzte Vorstellung gemeiniglich nur durch Zeichen. Namentlich
wo behufs Bestimmung und Erkenntniss des Wesens eines Dinges eine
längere Zergliederung nötig ist, schauen wir die ganze Natur dieses Dinges
nicht an, sondern kürzen sie im Zeichen ab, indem wir darin die Fähig-
keit zu haben meinen, die Vorstellung, wenn es sein muss, (vollends) zu
entwickeln. So betrachten wir z. B. bei dem Begriff eines Tausendecks
nicht wirklich alle tausend Seiten, sondern die Zahl tausend und sich
aneinander schliessende Seiten schweben uns dunkel vor, und statt der
deutlichen Vorstellung bedienen wir uns des Wortes als eines Zeichens,
wie z. B. in der Arithmetik und Algebra allenthalben (Meditationes de
cognitione veritatis et ideis, zuerst in den Acta eruditorum. Editio Erd-
mann, p. 79, 80).
Und ferner sagt Leibniz im Eingang seiner deutschen Schrift: Un-
vorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der
deutschen Sprache (Dutens VI, 2, p. 7 sqq. — wahrscheinlich 1697):
„Wir haben Zeichen nötig nicht nur (um) unsre Meinung Andern an-
zudeuten, sondern auch unsern Gedanken selbst zu helfen. Denn gleichwie
man in grossen Handelsstädten, auch im Spiel und sonsten nicht allezeit
Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt der Zeddel oder Marken*) bis
zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedient: also thut auch der Verstand
mit den Bildnissen der Dinge, zumal wenn er viel zu denken hat, dass er
[41]Einleitung.
nämlich Zeichen dafür brauchet, damit er nicht nötig habe, die Sache jedes-
mal, so oft sie vorkommt, von neuem zu bedenken. Daher, wenn er sie
einmal wohl gefasst, begnügt er sich hernach oft, nicht nur in äusserlichen
Reden, sondern auch in Gedanken und innerlichem Selbstgespräch, das
Wort an die Stelle der Sache zu setzen. Und gleichwie ein Rechenmeister,
der keine Zahl schreiben wollte, deren (In-) Halt er nicht zugleich bedächte
und gleichsam an den Fingern abzählete, wie man die Uhr(schläge) zählt,
nimmer mit der Rechnung fertig werden würde: also, wenn man im Reden
und auch selbst in Gedanken kein Wort sprechen (passiren lassen) wollte,
ohne sich ein eigentliches Bildniss von dessen Bedeutung zu machen, würde
man überaus langsam sprechen, oder vielmehr verstummen müssen, auch
den Lauf der Gedanken nothwendig hemmen, also im Reden und Denken
nicht weit kommen. Daher braucht man oft die Worte als Ziffern oder
als Rechenpfennige, anstatt der Bildnisse und Sachen, bis man stufenweise
zum Facit schreitet und beim Vernunftschluss (? Endergebniss der Über-
legung) zur Sache selbst gelanget. Woraus erscheinet, wie ein Grosses
daran gelegen, dass die Worte als Vorbilde und gleichsam als Wechsel-
zeddel des Verstandes wohl gefasset, wohl unterschieden, zulänglich, häufig,
leichtfliessend und angenehm seien.“
„Wenn der Geometer“, sagt Leibniz in demselben Sinne in einer
andern Schrift (Fundamenta calculi ratiocinatoris, Editio Erdmann, p. 92),
„sooft er im Beweisen eine Hyperbel oder eine Spirale nennt, immer ge-
nötigt wäre, ihre Erklärungen oder Entstehungsweisen oder wieder die
Erklärungen der diese bildenden Begriffe sich genau vor Augen zu stellen,
so würde er sehr langsam zu neuen Entdekungen gelangen; wenn der Arith-
metiker beim Rechnen die Werte aller Ziffern und die Menge der Ein-
heiten nacheinander dächte, so würde er nie weitläufige Rechnungen zu
Ende bringen, und es wäre nicht anders, als wenn er statt der Ziffern
soviele Steinchen anwenden wollte; und der Rechtsgelehrte kann nicht
immer, sooft er die Aktionen, die Exzeptionen oder die Rechtswohlthaten
erwähnt, die wesentlichen Erfordernisse dieser Dinge, welche oft weitläufig
sind, im Geiste durchlaufen, und hat es auch nicht nötig.“
Wie man sieht, berührt hier Leibniz schon den bedeutsamen
Unterschied, welcher zwischen unmittelbaren (oder „intuitiven“) und
mittelbaren (symbolischen) Vorstellungen besteht.
Man kann z. B. die fünfhundert Billionen Schwingungen, welche in
einem gelben Lichtstrahl an irgend einer Stelle in der Sekunde vor sich
gehen, sich nicht im eigentlichen Sinn des Wortes „vorstellen“, weil das
ganze Leben des Menschen auch beim Alter des Methusalem nicht aus-
reicht, um auch nur einer einzigen Billion sich mit Gedankenschnelle
folgender Vorstellungen, Empfindungen oder Wahrnehmungen als getrennter
Dinge inne zu werden — ganz abgesehen von der ihrer Kleinheit wegen auch
nicht mehr vorstellbaren Einzelschwingung oder Bewegung eines Teilchens
in seiner zum Strahl senkrechten elliptischen oder kreisförmigen Bahn (so
wenigstens für den Standpunkt der Fresnel'schen Undulationstheorie,
welcher neuerdings aber eine elektrodynamische Theorie des Lichts — von
Maxwell, nach den erstaunlichen Entdeckungen von Hertz wol siegreich —
[42]Einleitung.
gegenübersteht). Man kann jene gleichwol noch „denken“ oder mittelbar sich
vorstellen. Analog vermögen wir vier gegenseitig zu einander senkrechte
Gerade ohne Widerspruch uns zwar zu „denken“, aber nicht mehr, als
(irgend) drei derselben, auf einmal uns anschaulich „vorzustellen“ — eine,
wie zu sehen ist, unerlässliche Unterscheidung, die bei der Kontroverse
über die Raumdimensionen vielfach missachtet oder übersehen worden ist.
Wir bedauern, bei den uns hier gesteckten Zielen auf diese interessante
Frage nicht noch näher eingehen zu können.
μ1) Je nachdem sie ihr obiges Ideal bereits erreicht haben oder
nicht, sind die exakten Wissenschaften aus ihrem ursprünglichen, dem
induktiven Stadium in das deduktive übergetreten, oder befinden sich
noch in jenem.
Hieraus erhellt, dass die allerwichtigsten Funktionen dem Zeichen
in den deduktiven Wissenschaften obliegen müssen, ja dass dasselbe
schliesslich in diesen den einzigen Gegenstand der Beachtung bilden wird.
Hier ist denn, dieser Wichtigkeit entsprechend, der „Bezeichnung“
überhaupt und spezieller der Namengebung, Terminologie oder Nomenklatur
auch die allergrösste Sorgfalt zu widmen. Es erscheint z. B. ein schwieriges
mathematisches Problem oft schon halbwegs gelöst, sobald es gelungen,
die zweckmässigste Bezeichnungsweise für die zu untersuchenden Gebilde
zu entdecken, in welcher die fundamentalen Eigenschaften derselben am
übersichtlichsten und angemessensten Ausdruck finden.
Auch zeigt die pädagogische Erfahrung, dass diejenigen Personen,
welchen eine geringe Begabung zu exaktem Denken zuzusprechen ist, alle-
mal eine auffallende Gleichgültigkeit, oft eine sich vornehm dünkende
Geringschätzung gegen das Zeichen zur Schau tragen und in dieser Stimmung
Unlust verraten, sich in die Disziplin des Zeichens zu fügen.
In der Herrschaft über die Zeichen — zunächst der Wortsprache(n)
— in der Fähigkeit zum und Gewöhnung an korrekten Gebrauch der
Wörter und ihrer Abwandlungen, Flexionen und an richtigen Satzbau, pflegt
man überhaupt ein wesentliches Merkmal der Bildung mit Recht zu erblicken.
ν1) Aus all' den angeführten Gründen erscheint es ratsam, auch
den Prinzipien der Bezeichnung, wie sie aus der Forderung ihrer
Zweckdienlichkeit sich als notwendige ergeben, einige Aufmerksamkeit
von vornherein zuzuwenden.
Zunächst müssen wir hier einer Verwechselung von „Name“ und
„Wort“ vorbeugen.
Was ein Wort ist, weiss jedermann (und wird dieser Begriff
unter anderm auch in der Telegraphie nach seinem Umfang scharf
abgegrenzt).
Nicht alle Wörter aber sind Namen; vielmehr gibt es Wörter, die
zwar dazu dienen, in Verbindung mit andern, Namen zusammenzusetzen,
für sich jedoch noch keinen solchen vorstellen (Beispiele nachher).
Auf der andern Seite wird nicht jeder Name durch ein Wort re-
präsentirt, sondern haben wir zu unterscheiden: einwörterige und viel-
wörterige Namen. „Die Hauptstadt des deutschen Reiches“, oder auch
„die grösste Stadt, die an der Spree liegt“ ist sogut ein Name als wie
„Berlin“; es ist zur Zeit ein mit diesem letztern gleichbedeutender Name.
Zu den aus Wörtern zusammengesetzten Namen kommen in der Wissen-
schaft noch Buchstaben selbst und solche Namen hinzu, die sich aus Buch-
staben oder Ziffern mittelst eigener Verknüpfungszeichen zusammensetzen.
Solche Namen bezeichnen wir vorzugsweise als „analytische Ausdrücke“
(expressions, terms). Es kann und wird uns oft auch ein solcher Ausdruck,
wie a · (b + c), als Name oder Zeichen für ein Ding zeitweilig herhalten
— und geben wir uns der Hoffnung hin, dass durch dergleichen blosse
Namen sich ein grosser Geist nicht abschrecken lassen werde!
Name (nomen, noun) nennen wir ein Wort, Wortgefüge oder
Zeichen, welches nach den seinen Gebrauch regelnden Konventionen
— wonicht gemäss längst vorhandener Übung — fähig und dazu be-
stimmt ist, ein Objekt des Denkens, ein „Ding“ selbst zu bezeichnen.
Der Name muss demnach (im Nominativ) als Subjekt eines Satzes
stehen können, sobald man (in einem solchen) von dem Dinge reden,
etwas darüber aussagen will.
Von den Wörtern stellen deshalb die Hauptwörter (Substantiva)
ohne weiteres (im Nominativ) Namen vor, und auch die Eigenschafts-
wörter (Beiwörter, Adjektiva) und Zeitwörter (Verba) sofern sie in
substantivischer Verwendung vorkommen, wie „Weiss“ für Etwas
weisses resp. die Empfindung weisser Farbe, oder „Schwimmen“ für
die Thätigkeit resp. Kunst des Schwimmens. In der Arithmetik werden
auch Zahlwörter (Numeralia) substantivisch als Namen gebraucht.
Und selbstverständlich werden endlich Fürwörter (Pro-nomina), wie
„Dieser“ oder „Jener“ zu den Namen gerechnet werden dürfen, sofern
sie blos als Stellvertreter eines schon erwähnten (resp. anderweitig
bekannten) Namens fungiren, aus Rücksichten des Wohlklangs aber,
oder um Umständlichkeiten in der Rede zu vermeiden, kürzehalber,
nur dessen Wiederholung zu ersparen bestimmt sind.
ξ1) Unsre Kultursprachen kennen zehn Wortarten, oder wenn wir
die ja für die Logik ganz belanglosen Ausrufungswörter (Interjektionen)
beiseite lassen, deren neune, von welchen wiederum der Artikel in
manchen fehlt, sodass einige dieser Sprachen (wie Lateinisch, Russisch)
sich mit acht Arten von Wörtern (nach der Klassifikation der Philo-
logen und Grammatiker) in logischer Hinsicht behelfen.
Die obenerwähnten fünf von diesen Wortarten können, wie wir
[44]Einleitung.
sahen (auch die vier letztern aber nur bedingungsweise und in be-
stimmten ihrer Formen, wie Infinitiv des Verbums etc.) als Namen
verwendet werden.
Die übrigen, als da sind die Umstandswörter (Adverbia), die Prä-
positionen und die Bindewörter (Konjunktionen) sind dessen unfähig.
Solche Wörter, wie „leider“, „zu“, „entweder“ sind keine Namen, und
dasselbe gilt auch von den Flexionsformen des Substantivs, wie z. B.
der Genitiv „Arthurs“ etc. (vergl. Mill). Die Logiker der Aristotelischen
Schule („Scholastiker“) bezeichneten sie als „synkategorematische“ Aus-
drücke, weil sie erst „zusammen“ mit andern ein Ding bezeichnen
können (etwas „aussagen“) — im Gegensatz zu den Namen oder „kate-
gorematischen“ Ausdrücken.
Diese Wörter können auch in der That nicht als Subjekt eines Satzes
stehen; man kann nicht sagen: „Arthurs war in dem Zimmer“ oder: „Leider
ist zu beklagen“. Man kann freilich sagen: „Leider ist ein deutsches Ad-
verbium“. In diesem Falle aber steht „Leider“ für: „Das Wort: leider“ —
analog wie, wenn wir sagen: „Pferd ist ein Hauptwort“, das Subjekt auch
nur als ein Wort in Betracht fällt und nicht in Hinsicht auf dasjenige, was
es bedeutet. Man könnte solche Verwendung passend als die „suppositio
nominalis“ bezeichnen im Gegensatz zu der „suppositio materialis, sive rea-
lis“ (dies zwar zugunsten der Zweckmässigkeit abweichend vom scholastischen
Gebrauche). Wer solchen Unterschied nicht anerkennen wollte, der müsste
auch zugeben, dass ein gewisses Hauptwort vier Hufe hat und zwei Ohren!
Im Deutschen ist dem Missverständniss allerdings einigermassen vorgebeugt
durch den Wegfall des Artikels bei „Das Pferd“ oder „Ein Pferd“, dessen
Beibehaltung die erstere oder nominelle Auffassung unmöglich machen
würde*) — nicht so allerdings in den des Artikels entbehrenden Sprachen.
Es erscheint darum hier beinahe als Luxus, zu statuiren, dass wir die Auf-
fassung des Subjektes als eines blossen Namens, Wortes oder Wortgefüges
späterhin stets ausgeschlossen wissen wollen.
ο1) Wie ein Zeichen als solches beschaffen ist, auf welche Weise
es eventuell aus einfacheren Zeichen aufgebaut, zusammengesetzt wird,
dies ist (zwar) keineswegs ganz gleichgültig:
Es müssen Zeichen, die für häufigen Gebrauch bestimmt, solchem
ausgesetzt sind, vor allem angemessen kurze sein; es muss Weitläufig-
keit, Komplikation derselben thunlichst vermieden werden. Andern-
falls würde ja ihre Anwendung allemal einen ärgerlichen Aufenthalt
verursachen, und vergegenwärtigt man sich leicht, wie wenig weit wir
mit unserm Denken, mit unsern Erörterungen, Diskussionen kommen
[45]Einleitung.
würden, wären wir z. B. genötigt, den Namen jedes Vorzustellenden
immer erst in Stein zu meisseln!
Der unter λ1) erwähnten psychologischen Unterstützung, welche
das Denken aus dem Zeichen schöpft, würde es ohne diese Anforde-
rung grösstenteils verlustig gehen.
Von den Zeichen, über welche die Sprache verfügt, erfüllen (als die
einfachsten) genannte Anforderung am besten die Buchstaben. Deren An-
zahl ist allerdings eine geringe. Man hat dieselbe in's Unbegrenzte ver-
mehrt, indem man sie einerseits mit „Accenten“ wie in a', a'', … andrer-
seits mit angehängten Ziffern oder Zahlzeichen in Form von „Suffixen“,
„Stellenzeigern“ oder „Indices“ versah, wie a1, a2, a3 etc.
Ungeachtet dieser Vermehrung des Vorrates an leidlich einfachen Zeichen
hat man aber vorgezogen, denselben keine ein für allemal feststehende Be-
deutung für den menschlichen Verkehr überhaupt beizulegen, sondern sie
zu vorübergehenden Bezeichnungszwecken sich verfügbar zu erhalten. Für
eigenartige Verwendung in bestimmten Spezialwissenschaften (ich erinnere
an die Zeichen für die chemischen Elemente), für diverse Untersuchungs-
gebiete und Untersuchungen (wie Buchstabenrechnungen) — eventuell zu
beliebiger Verwendung — sind die Buchstaben reservirt, also dass diese
gleichsam die Rolle spielen oder den Dienst zu versehen haben des „Mäd-
chens für Alles“ in dem Haushalte — mit Zeichen.
Zur Unterstützung des Denkens sowol als zur Darstellung und Be-
schreibung seiner Gesetze werden auch wir in der hier vorliegenden Spezial-
wissenschaft von dieser Gunst der Situation umfassenden Gebrauch machen
und zwar einen viel ernstlicheren, als es in Deutschland bei der einschlä-
gigen Literatur bislang üblich gewesen. Auch nehmen wir gelegentlich
das Vorrecht jeder Wissenschaft in Anspruch, sich für die eigenartigen ihrer
Betrachtung unterliegenden Objekte noch besondre zu deren Darstellung
vorzugsweise geeignete Zeichen zu schaffen.
Im übrigen sind wir aber nicht in der Lage, die Zeichen, deren unser
Denken bedarf, vollkommen frei nach unserm Gutdünken — beschränkt
lediglich durch objektive Zweckmässigkeitsrücksichten — willkürlich zu
wählen, sondern wir finden uns zunächst daran gebunden, aus einem bereits
vorhandenen Zeichenvorrat zu schöpfen, indem wir eben angewiesen sind
auf den historisch überkommenen Wörterschatz der Sprache.
π1) Von dem uns schon mit der Sprache gegebenen Zeichenvorrat,
mit welchem wir (also) in erster Linie zu rechnen haben, pflegen ein-
wörterige Namen die erwähnte erste der an das Zeichen zu stellenden
Anforderungen immerhin schon leidlich gut zu erfüllen.
Das hörbare und sichtbare Zeichen, als welches ein solcher Name
erscheint, zeigt sich nun dergestalt mit der Vorstellung verwachsen,
dass diese kommt, wenn das Zeichen ruft, sowie auch umgekehrt bei
der Vorstellung uns stets der Name einfällt — Vorgänge, bei welchen
sogar, wie unter λ1) auseinandergesetzt, die Vorstellung nicht selten
[46]Einleitung.
unvollendet bleibt, und mehr nur im Zeichen als in dieser selbst ge-
dacht wird.
Nur zu einem verschwindend geringen Teile aber besteht ein angeb-
barer Zusammenhang zwischen diesem Zeichen und dem Bezeichneten,
zwischen dem Wortlaut des Namens und dem Inhalt der Vorstellung
oder demjenigen, was der Name benennen soll (Trendelenburg l. c.).
Solches ist ja in der That bekanntlich der Fall bei den sogenannten
„Onomatopoetica“, die z. B. mit dem Klange des Namens eine Schallwirkung
des zu benennenden Dinges nachahmen, wie die Hauptwörter: Rabe*), Knall,
Donner und andere, wie die Zeitwörter: meckern, miauen, zirpen, rollen etc.
Auch manche Interjektionen, wie patsch, plumps, knak, könnten hierzu an-
geführt werden. Bei dem Wort „Blitz“ sollte man meinen, dass die Plötzlich-
keit und Kürze der betreffenden Lichterscheinung durch die Kürze der Silbe
angedeutet werde. Und um z. B. das griechische Wort βδέλλα für Blutegel
auszusprechen, müssen die Lippen eine saugende Bewegung andeuten etc. etc.
Der sprachenbildende Geist knüpft überhaupt das Zeichen an eine
hervorstechende Seite der Sache an; aber die Anknüpfung an den Inhalt
des unter dem Zeichen Begriffenen ist einseitig und zufällig, gestattet keinen
hinreichend bestimmten Rückschluss auf den vollen Inhalt, das ganze Wesen
desselben. Das andeutende Gepräge des Zeichens schleift sich überdies mit
der Zeit ab, und die ursprüngliche Marke ist in ganzen Sprachen verwischt.
Die verschiedenen Sprachen bezeichnen in der That dasselbe Ding auch mit
den verschiedensten Wörtern.
Der Laut schlägt diejenige Vorstellung in uns an, welche sich
mit blinder Gewöhnung, aber nicht mit unterscheidendem Bewusstsein,
welche sich faktisch, aber nicht logisch in dies Zeichen und in kein
[47]Einleitung.
anderes gekleidet hat (ibidem). Vielmehr ist es allemal eine haupt-
sächlich von psychologischen Momenten beherrschte, von vielen äusseren
Zufälligkeiten*) beeinflusste historische Entwickelung, in welcher eben
dies Zeichen als Name für das vorgestellte Ding sich herausgebildet hat.
ϱ1) Diese Wahrnehmung ist schon geeignet, uns die Bemerkung
nahe zu legen, wie es wünschenswert sein muss, dass die Namen oder
Zeichen als solche auch noch eine zweite Anforderung erfüllen, die wir
einstweilen erst in unbestimmten Umrissen dahin charakterisiren können,
dass sie (aus einfacheren oder den einfachsten Zeichen) auch rationell
zusammengesetzt sein sollen.
Vielwörterige Namen, wie sie in Gestalt einer umständlichen Beschrei-
bung hergestellt und dann oft in Definitionen abgekürzt zu werden pflegen,
vermögen allerdings diese Anforderung in gewissem Grade zu erfüllen.
Zufolge zahlloser Unvollkommenheiten der Wortsprache, welche sich
zwar historisch erklären, doch nimmermehr sachlich rechtfertigen lassen, ist
aber zu ihrer Herstellung oft noch ein hohes Maass von Geschicklichkeit
erforderlich: es ist auf verschiedenen Gebieten noch förmlich eine Kunst,
mit Ausschliessung von Missverständnissen unzweifelhaft zu sagen, von was
man eigentlich reden wolle, und entspringen aus den erwähnten Unvoll-
kommenheiten Schwierigkeiten, mit welchen Redner und Schriftsteller, Unter-
richt und Gesetzgebung beständig ringen.
Es erwächst uns das Ziel, auf eine Vervollkommnung des elementaren
Bezeichnungssystems für unsre Ideenwelt hinzuarbeiten, auf welches wir noch
eingehender und wiederholt die Aufmerksamkeit zu richten haben werden.
Mit einigem Erfolg können wir dies aber erst thun, wenn wir in unsern
Betrachtungen weiter fortgeschritten sein werden.
σ1) Ist so in der That die äusserliche Beschaffenheit eines Namens
immerhin nicht gleichgültig, so tritt solches Moment doch weit zurück
gegenüber einem andern: wir meinen die Konsequenz oder Disziplin
mit welcher das Zeichen gehandhabt wird. Diese, und nicht die Be-
schaffenheit seiner äussern Erscheinung, ist bei dem Zeichen die
Hauptsache.
Als das wesentliche oder fundamentale Erforderniss des Namens
und Zeichens haben wir es hinzustellen, dass das Zeichen bei denen,
die es brauchen, und denen, die es vernehmen, auch bei jeder Wieder-
holung (wenigstens innerhalb eines bestimmten Zeitbereiches) die gleiche
Vorstellung begleite oder erwecke, nämlich diejenige Vorstellung, welche
die Wahrnehmung oder Erkenntniss — eventuell die Erfassung, Kon-
zeption, das Innewerden — desselben Objektes in ihrem Geiste notwendig
erregen müsste (und, von subjektiven Störungen abgesehen, in jedem
eintretenden Falle auch wirklich erregt).
Es würde den Zwecken der Bezeichnung zuwiderlaufen und uns um alle
Vorteile derselben bringen oder die beabsichtigte Wirkung wenigstens in
Frage stellen, wenn bei dem zur Verständigung zwischen Menschen statt-
findenden Verkehr der Eine dies der Andere das unter demselben als Name
fallenden Zeichen verstünde; der Hörer könnte nicht wissen, was darunter
zu denken beabsichtigt ist, wenn der Redende selbst von der einmal dem
Zeichen von ihm beigelegten Bedeutung zu andern Malen willkürlich abginge,
und endlich auch von der auf Erkenntniss irgend welcher Dinge gerichteten
(und natürlich in Zeichen zu führenden) Überlegung des einsamen Forschers
wäre nicht abzusehen, wieso dieselbe erfolgreich zu sein vermöchte, wenn
dabei der Zusammenhang zwischen den Zeichen und ihrer Bedeutung sich
verschöbe, wenn die vorgestellten Dinge ihren Namen sozusagen entschlüpften,
wenn nicht, wenigstens zeitweilig und bis zur Erlangung bestimmter als
Ruhepunkte zu fixirender Endergebnisse solcher Überlegung, die Bedeutung
der meisten Zeichen konsequent beibehalten, „festgehalten“ würde.
Darin, dass das unter dem Zeichen Gedachte demselben eindeutig
entspreche, erblicken wir darum die wesentlichste Anforderung, die an
den Gebrauch des Zeichens zu stellen ist. Der Name soll von einer
bestimmt feststehenden oder konstanten Bedeutung sein; er soll als
ein „einsinniger“ oder nomen univocum verwendet werden.
Schon bei oberflächlicher Überlegung malen wir uns leicht die Un-
sicherheit, eventuell Verwirrung, Konfusion aus, die entstehen muss, wenn
z. B. in einer Gesellschaft drei Herrn den Namen Müller führen und nun
der Herr Müller gerufen oder erwähnt wird. Das Bedürfniss, den Namen
durch Hinzufügung weiterer Bestimmungen zu einem eindeutigen gestaltet zu
sehen, liess jenen Spassvogel seine Wette gewinnen, dass er auf die einem
jeden seiner Bekannten auf der Börse in's Ohr geflüsterte Mitteilung: „Hast
du schon gehört, dass der Meier fallirt hat?“ allemal zur Antwort die
Gegenfrage erhalten würde: „Welcher Meier?“
Wie selten auch zur Zeit noch die im Wortschatz der Sprache
uns gegebenen Namen diese Anforderung erfüllen, so ist es doch als
ein Ideal hinzustellen, dem die Sprache, um ihren Zweck der Ver-
ständigung ausgiebigst zu erreichen, zustreben muss, und dem sie auch
in der That in fortschreitender Entwickelung sich immer mehr zu
nähern scheint: gleichwie das Ding und die Vorstellung von demselben
einander eindeutig mit Gesetzmässigkeit entsprechen, so auch das Ent-
sprechen zwischen dem Vorgestellten und seinem Zeichen zu einem ein-
deutigen zu gestalten, also dass auch das Ding und sein Zeichen ein-
ander eindeutig zugeordnet erscheinen werden und das letztere in
Wahrheit der Stellvertreter oder Repräsentant des erstern genannt
werden dürfe.
Gehörte ein Ding der Aussenwelt an, so war die Vorstellung, die wir
uns von demselben (soweit es überhaupt für uns erkennbar ist) zu bilden
haben, durch eine (wir mögen sagen „naturgesetzliche“) Notwendigkeit
[49]Einleitung.
bestimmt zu denken, und bildete dies, wie wir gesehen haben, eine unerläss-
liche Voraussetzung der Erkenntnisslehre. Die letztere dürfte sogar der
Überzeugung nicht wol entraten können, dass diese Vorstellung nach hin-
reichend gründlicher Prüfung des Dinges bei allen Intelligenzen in letzter
Instanz dieselbe werden muss, dass von dem richtig erkannten Dinge die
Vorstellung eine (mathematische) Funktion ist, und soferne die Erkenntniss
vollständig ist, auch das Ding eine Funktion der Vorstellung — eine
Wechselbeziehung, die wir dann als ein gegenseitig eindeutiges Entsprechen
hinzustellen berechtigt waren.
Man kann allerdings ein „Ding an sich“ auf verschiedene Sinnesener-
gieen einwirken lassen und dadurch verschiedene Teilvorstellungen von
demselben erhalten; es ist zunächst die aus diesen resultirende Gesamt-
vorstellung, welche bei der vorstehenden Auseinandersetzung gemeint war,
welche letztere dann aber auch für (irgend) eine bestimmte dieser Teil-
vorstellungen in Anspruch genommen werden kann. Durch die Thatsachen
der Farbenblindheit, Taubheit etc. erscheint es wol noch geboten, hierzu
das Zugeständniss zu machen, dass in jener Gesamtvorstellung oder in Bezug
auf gewisse von den Teilvorstellungen anfänglich ein Ausfall bei mangel-
haft organisirten Individuen möglich ist, der jedoch mittelst induktiver
Schlüsse indirekt ergänzt zu werden vermag: es kann z. B. auch ein Farben-
blinder das Vorhandensein roten Lichtes durch die Wärmewirkung im Spektrum
von dem des grünen unterscheiden, und ein Tauber mittelst des Tastgefühls
die im Tönen begriffene Saite von der lautlos ruhenden.
τ1) Für ein Ding, soweit es für uns erkennbar ist, mehrere ver-
schiedene Namen zu haben, ist allerdings mit den Zwecken der Ge-
dankenmitteilung sehr wohl vereinbar und es darf dies nicht als ein
eigentlicher Misstand, sondern höchstens als ein Luxus, vielleicht eine
Verschwendung, hingestellt werden.
In der That stehen uns für dasselbe Ding zunächst oft verschie-
dene Namen zugebote, indem es möglich ist, dasselbe von sehr ver-
schiedenen Gesichtspunkten aus zu beschreiben — welche Beschreibung
dann jedesmal als ein Name für das Ding angesehen werden kann,
und manche wissenschaftliche Untersuchung dreht sich darum, ob ein
auf diese und ein auf jene Weise definirtes, eingeführtes, beschriebenes
Ding das nämliche sein muss, oder ein anderes. Sind aber solche
Untersuchungen beendet, ist das Ding voll erkannt, so wird es, auch
im erstern Falle, doch praktisch erscheinen, fortan nur eine, und zwar
die als die zweckmässigste erscheinende von allen Benennungen des
Dinges als seine „offizielle“ Bezeichnung (standard notation) in der
Wissenschaft beizubehalten.
Wie es nun überhaupt möglich gemacht werden kann, dass eine
Mehrheit von Menschen dasselbe vorgestellte Ding je mit dem gleichen
Namen (eindeutig) bezeichne, und zwar nicht nur auf dem Gebiete der
Schröder, Algebra der Logik. 4
[50]Einleitung.
materiellen Welt, wo man auf die Dinge hinzuweisen vermag, sie mit-
unter gleichsam etikettiren könnte, sondern auch aus der geistigen
Welt, aus der Welt des Bewusstseins, mit dem ganzen Reichtum von
Beziehungen, die es wahrzunehmen vermag, aus der Welt des Gemüts-
lebens und Wollens, der Gefühle, auf dem gesamten intellektuellen
Gebiete — wie es m. a. W. erreicht werden kann, dass jene Mehrheit
dieselbe Sprache rede — dies ist auf den ersten Blick schon sehr
erstaunlich.
Indessen unternehmen wir es nicht, diese interessante Frage zu
beantworten, hier auseinanderzusetzen, kraft welcher von der Natur
in den Menschen gelegter Triebe und auf welche Weise in dem jugend-
lichen Verkehr des Individuums mit seinen nächsten Anverwandten,
durch die Erziehung und das Leben diese Aufgabe lösbar ist und in
weitem Umfange auch gelöst zu werden pflegt.
υ1) Es genügt zu konstatiren, dass aber die Aufgabe, welche
nationale Gemeinschaft wir auch in's Auge fassen mögen, doch bei
weitem nicht vollkommen gelöst ist. Der Sprachschatz einer jeden
von unsern Kultursprachen überliefert vielmehr uns eine Fülle von
Namen, welche der oben als wesentlich aufgestellten Anforderung der
Einsinnigkeit durchaus nicht genügen, im Gebrauch denn auch durch
ihren Doppelsinn zur Quelle von Missverständnissen werden und Un-
bedachtsamen gegenüber nicht selten zu missbräuchlicher Anwendung
sich hergeben.
Ein Name, bezüglich dessen jene Anforderung nicht erfüllt ist,
heisst ein „doppelsinniger“ oder „mehrsinniger“, nomen aequivocum oder
ambiguum, wofern er nämlich — dies müssen wir eigentlich der vor-
stehenden Erklärung noch hinzufügen — überhaupt (einen) Sinn hat,
wirklich Name für etwas ist, m. a. W. falls wir nur den sinnlosen oder
„unsinnigen“ Namen, wie „rundes Quadrat“ (dergleichen die Wissen-
schaften gelegentlich auch hervorbringen) beiseite lassen.
Für „doppelsinnig“ wird auch häufig „zweideutig“ gesagt; doch könnte
dieser Gebrauch selbst zur Quelle von Missverständnissen werden, indem,
wie wir nachher sehen werden, auch das Wort „zweideutig“ ein doppel-
sinniges ist — vergl. λ2).
Das Wesen der Doppelsinnigkeit ist nicht darin zu erblicken, dass
der Name eine Mehrheit von Dingen als seine Bedeutung umfasst (wie
einerseits der „Kollektivname“ und andrerseits der „Gemeinname“, von
denen weiter unten die Rede sein wird). Vielmehr beruht solche ledig-
lich auf dem schwankenden Gebrauche, dem wir den Namen unterwerfen.
Die Doppelsinnigkeit ist ein Merkmal der Anwendungsweise des Namens.
Sie tritt nämlich erst ein, indem wir (ev. gewohnheitsmässig)
Urteile fällen, zu denen wir nur berechtigt sind, einmal im Hinblick
auf eine bestimmte von den Bedeutungen des Namens und bei Aus-
schluss seiner übrigen Bedeutungen, ein andermal ebenso im Hinblick
auf eine andere von diesen Bedeutungen bei Ausschluss, vielleicht, der
erstern, u. s. w.
Begegnen wir z. B. Urteilen, wie: „Alle Metalle sind chemische
Elemente“ und ferner: „Messing ist ein Metall“, so erscheint dadurch
der Name Metall zu einem doppelsinnigen gestempelt. Jedes von diesen
Urteilen kann für sich als richtig anerkannt werden, wenn nur die Be-
deutung des Namens Metall auf eine bestimmte Weise aufgefasst, be-
grenzt wird. Diese Abgrenzung ist aber beidemal verschieden; sie ist
eine andere (und zwar hier blos eine „engere“) bei dem erstern Urteile,
wo sie mit der in der chemischen Wissenschaft üblichen zusammen-
fällt, als bei dem zweiten Urteile, wo sie sich deckt mit der („wei-
teren“) Auffassung, welche dem Namen Metall in der Technik und im
gewöhnlichen Leben zuteil wird.
Wer nun solche Doppelsinnigkeit übersähe, der würde sich schwer-
lich der Schlussfolgerung erwehren können, dass Messing ein chemisches
Element sein müsse — wogegen es bekanntlich doch eine Mischung,
Legirung aus Zink und Kupfer ist.
In ähnlicher Weise vollziehen wir, sooft zwei oder mehr Bedeu-
tungen eines Wortes uns unbewusst vermengt werden, fast unver-
meidlich logische Fehlschlüsse — eine Bemerkung, zu welcher spätere
Betrachtungen uns noch vielfach Belege liefern werden. (Vergl. be-
sonders § 4.)
Um (mit Jevons) dies noch durch ein Beispiel zu illustriren, wo der
Doppelsinn etwas weniger augenfällig ist, so könnte jemand argumentiren:
„Strafe ist ein Übel“. „Andern (wenn auch in bester Absicht) ein Übel
zuzufügen, sollte nicht erlaubt sein, ist unrecht.“ Ergo: „Andern eine Strafe
angedeihen zu lassen (zuzufügen), ist unrecht.“ Der Doppelsinn liegt im
Worte „Übel“, welches im ersten Satze aufzufassen war als physisches Übel
oder Leid, im zweiten dagegen als moralisches Übel. Etc.
Sehr treffend sagt Baco von Verulam: Die Menschen glauben
zwar, dass ihr Verstand die Worte beherrsche, aber es kommt auch
vor, dass die Worte ihre Gewalt über den Verstand rückwirkend geltend
machen („Credunt homines, rationem suam verbis imperare, sed fit
etiam, ut verba vim suam super rationem retorqueant“).
φ1) Es ist darum Jevons6 beizupflichten, wenn er sagt, dass nichts
zur Erlangung korrekter Gewohnheiten des Denkens und Schliessens
4*
[52]Einleitung.
mehr in's Gewicht fallen könne, als eine gründliche Bekanntschaft mit
den grossen Unvollkommenheiten der Sprache, und dass an praktischem
Nutzen kaum ein Teil der Logik denjenigen übertreffen dürfte, der auf
die Vielsinnigkeit der Ausdrücke aufmerksam macht. Je mehr man
sich in der That in die subtilen Schwankungen (variations) in der
Bedeutung ganz geläufiger Worte vertieft, desto mehr wird man die
gefährliche Natur der Werkzeuge (tools) gewahr, deren wir uns bei
allen Mitteilungen und Argumentationen zu bedienen haben.
Wird der Gebildete auf diesen Punkt auch sorgsamer achten als der
Ungebildete, so ist doch auch jenem im allgemeinen der Vorwurf nicht zu
ersparen, dass selbst da, wo die Sprache zur Vermeidung jeder Doppel-
sinnigkeit bequeme Ausdrucksmöglichkeiten bietet, er sich diese nicht immer
hinlänglich zunutze macht.
Mit Recht hebt z. B. Mill die Doppelsinnigkeit hervor, mit welcher
fast allerorten das Pronomen „derselbe (dieselbe, dasselbe)“ gebraucht zu
werden pflegt — bald im Sinne von „der nämliche“ (und dann also auch
„gleiche“), bald in dem Sinne von „ein gleicher“, aber nicht der nämliche.
Es ist im Grunde (im erstern Sinne) nicht derselbe Eindruck, den ich em-
pfange, wenn ich ein sich gleichgebliebenes Ding ein zweites Mal wahr-
nehme. Wie oft spricht man nicht auch von „Produktionen“, wo man
eigentlich von den Produkten reden müsste, und dergl.!
Der Doppelsinn des Hülfszeitworts „sein“ als Kopula und als Existenz-
behauptung — z. B. Der Pegasus ist geflügelt und ist (d. h. existirt) doch
überhaupt nicht! — hat jahrhundertelang die Logiker vexirt, ja in der Irre
herumgeführt. Auf den Doppelsinn mancher Wörter der eigenen Sprache
wird man durch das Studium fremder Sprachen erst aufmerksam gemacht;
so durch die französische Unterscheidung zwischen „pouvoir“ und „savoir“
auf den Doppelsinn des deutschen „können“; auf den der Verba „haben“
und „sein“ (letzteres in noch einer andern als der vorhin erwähnten Hin-
sicht) durch die Unterscheidung zwischen „haber“ und „tener“ resp. „ser“
und „estar“ im Spanischen. Ist „Vorstellung“ doppelsinnig als Akt und
als Resultat des Vorstellens, so haben wir uns bestrebt, das Wort hier
immer nur im letztern Sinne zu gebrauchen.
Triftig bemerkt Jevons, dass hierin selbst die Logiker sich nicht viel besser
gezeigt haben, als andere Leute. Unter dem Wort „Negation“ werden wir selbst,
eben notgedrungen dem Sprachgebrauch huldigend, nicht umhin können, bald zu
verstehen die Operation des Negirens, bald aber das Ergebniss dieses Prozesses.
Der Doppelsinn eines Worts ist um so ungefährlicher, je weiter die
Gebiete des Denkens (Begriffssphären), denen seine verschiedenen Bedeu-
tungen angehören, auseinanderliegen. So dürfte z. B. der Doppelsinn des
Wortes „Widder“ zur Bezeichnung des Sternbilds im Tierkreise einer- und
des männlichen Schafes andrerseits (ev. auch noch für eine mittelalterliche
Belagerungsmaschine) nicht leicht Verwechselungen nahe legen.
Auf die aus Meinungsverschiedenheit unter den Menschen entspringende
Mehrsinnigkeit von Ausdrücken, wie „die schönste Frau“, „das beste Ver-
fahren“, etc. macht die Logik von Port-Royal noch aufmerksam.
Univoken Termen (termini) begegnet man besonders in der Sprache
der Technik und Wissenschaft, und sieht sich jede Disziplin genötigt,
dergleichen nötigenfalls sich selbst zu schaffen, sei es durch Restriktion,
Einschränkung eines schon vorhandenen Wortes der Sprache auf eine
bestimmte unter seinen landläufigen Bedeutungen — mitunter auch
unter Spezialisirung oder Generalisirung, Verallgemeinerung desselben,
also Verengerung oder Erweiterung seiner Bedeutung — sei es durch
Einführung ganz neuer Wortbildungen.
Überhaupt sehen wir die Sprache, um den beständig sich steigernden
Bezeichnungsbedürfnissen zu genügen, in einem notwendigen Wachstum
begriffen, zu welchem ausser den soeben erwähnten Prozessen noch be-
sonders auch beisteuert das „Differenziiren“ der Synonyme, welches darin
besteht, dass man Wörter, die bisher wesentlich als gleichbedeutende
gebraucht wurden, anfängt (mit in bestimmter Weise verschiedenem
Sinne) unterscheidend zu gebrauchen. In Illustration dieses Verfahrens
mussten wir oben beginnen, die Synonyme „zweideutig“ und „doppel-
sinnig“ auseinanderzuhalten, und werden auch noch andere Beispiele als
wünschenswert, zweckmässig oder unumgänglich bei Gelegenheit sich
darbieten.
Ein einsinniger Name, soviel sich absehen lässt, ist beispielsweise
„Kathedrale“, obwol er (als ein Gemeinname) sehr vielen individuellen Ge-
bäuden, wie dem Kölner Dome, dem Strassburger Münster, etc. beigelegt
werden mag. Als ein sehr vielsinniger Name dagegen erscheint „die Kirche“
(Jevons l. c.). Bald wird darunter nur verstanden das Gebäude, in welchem
religiöse Handlungen vorgenommen, Andacht verrichtet wird, bald auch be-
deutet der Ausdruck die ganze Körperschaft, Gemeinde der Personen, welche
zu einem bestimmten Bekenntniss gehören, bald nur die religiösen Autori-
täten oder die Körperschaft der Priester, den Klerus, die Hierarchie im
Gegensatz zum Laienelemente, bald endlich auch die gesamte Organisation,
Institution als solche, und in fast allen diesen Fällen wechselt der Aus-
druck noch obendrein seine Bedeutung je nach der Konfession oder Sekte,
für welche derselbe (gewöhnlich stillschweigend) in Anspruch genommen wird.
Es bedarf kaum des Hinweises, dass vielsinnige Namen sich besonders
leicht zur Irreführung namentlich der unkritischen Menge, der Volksmassen
hergeben, und sehen wir solche Praxis auch mit den Schlagwörtern poli-
tischer Parteien von Demagogen und Propaganda machenden Agitatoren
vielfach geübt. Der Missbrauch gleicht dem Taschenspielerkunststückchen,
durch welches dem nichtsahnenden Publikum ein Ding für ein anderes mit
Geschick untergeschoben wird, indem unvermerkt für die eine Bedeutung
des Namens in Anspruch genommen wird, was genau besehen nur für die
andere anerkannt werden konnte und aufrecht erhalten werden könnte —
natürlich mit dem Erfolg, das Urteil zu korrumpiren. Auch bieten die
doppelsinnigen Wörter bequeme Vorwände und Angriffspunkte für den Streit-
lustigen dar, indem es leicht ist, mit Unterstellung, Insinuation der einen
[54]Einleitung.
Bedeutung des Namens gegen dasjenige zu eifern, erfolgreich zu polemi-
siren, was unter demselben Namen im Grunde von einer ganz andern Sache
— und vielleicht mit Recht — behauptet worden ist. Desgleichen machen
sie es leicht, den Gegner, der den Namen in mehrerlei Siune brauchte, oder
(wie sollte er auch anders!) abweichenden Gebrauch bei Andern zuliess,
der Inkonsequenz, anscheinend des Widerspruchs zu überführen. Etc.
χ1) Ungeachtet der hervorgehobenen eminent praktischen Wichtig-
keit sorgfältigen Achtens auf etwaige Doppelsinnigkeit verwendeter
Namen oder Zeichen gebührt den vielsinnigen Namen doch eigentlich
keine Stelle in dem System der Logik selbst. Ihre Betrachtung liegt
von rechtswegen nur der angewandten Logik ob. In der Theorie müssen
wir die fundamentale Anforderung der Einsinnigkeit, kraft welcher erst
ein Zeichen seiner Bestimmung voll zu genügen vermag, jeweils als
erfüllt voraussetzen und dieses Ideal, bevor wir zu Nutzanwendungen
schreiten, allemal vorgängig zu erfüllen trachten.
Hierzu ist es ausreichend, einen etwa vorgefundenen vielsinnigen
Namen (wie man nach früheren sagen kann) zu „differenziiren“, das
heisst hier: so viel verschiedene Namen aus ihm zu machen, als in
wie viel verschiedenen Bedeutungen er gebraucht werden soll. Leicht
wird dies hingebracht, indem man ihn z. B. durch einen Buchstaben
repräsentirt und diesem alsdann Indices 1, 2, 3, … anhängt, je nach-
dem man ihn in seiner ersten, zweiten u. s. w. Bedeutung verstanden
haben will.
Der doppelsinnige Name gilt in der Logik für ein Paar von
Namen, die nur zufällig gleichen Klang haben; er repräsentirt uns
ganz verschiedene Objekte des Denkens, Objekte, die darum doch nichts
miteinander zu schaffen haben sollen. Von diesen wird zu sagen sein,
dass sie „homonym“ durch ihn bezeichnet seien.
Ein Hauptgrund, weshalb die grosse Mehrzahl der Wörter sich als
mehrsinnig erweist, ist darin zu erblicken, dass von psychologischen Mo-
menten beherrscht die Sprache in ihrer historischen Entwickelung sich so
häufig bewogen sah, einen Namen von den einen auf audere Dinge zu über-
tragen (zu transferiren), die mit jenen eine hervorragende Analogie offen-
barten oder auch nur mit ihnen regelmässig sich assozürt zeigten — wie
z. B. „(Stände-)Haus“ auf die gesetzberatende Körperschaft der Volksvertreter.
Nicht selten kriecht so gewissermassen ein Name vom einen Ding zum
andern, bis schliesslich oft keine grössere Gemeinschaft zwischen seinen ver-
schiedenen Bedeutungen erkennbar ist, als zwischen irgend welchen mit ganz
verschiedenen Namen belegten Objekten (Mill).
Namentlich aber — und dies ist das wichtigste Moment — hatte
die Sprache alle Ausdrücke für Objekte, Qualitäten und Verhältnisse auf
den geistigen Gebieten einst zu entlehnen aus dem naturgemäss zuerst
[55]Einleitung.
erschaffenen Wörterschatze für das sinnlich Wahrnehmbare in der materiellen
Welt. Sie musste so neben der „eigentlichen“ und ursprünglichen, der Be-
deutung „katexochēn“ oder „par excellence“ auch noch eine „uneigentliche“,
„übertragene“ oder „metaphorische“ Bedeutung den entlehnten Wörtern (oder
ihren Zusammensetzungen) beilegen — wie dies z. B. geschieht, wenn wir
von einer glänzenden That, einem brillanten Geschäft, einer bittern Ent-
täuschung u. s. w. reden.
Wer solchen Unterschied missachtet, wird leichtlich den Regeln der
Logik gemäss zu absurden oder lächerlichen Folgerungen geführt werden.
Treffend illustrirt dies De Morgan, indem er darauf aufmerksam macht,
dass der Satz „Nur der Weise ist (wirklich) reich“ (Solus sapiens est dives)
logisch vollkommen äquivalent ist mit dem Ausspruche „Jeder Reiche ist
weise“ (Omnis dives est sapiens) — jedenfalls sehr schmeichelhaft für die
Reichen! Natürlich war das erste „reich“ im übertragenen Sinne genommen,
als: reich an inneren, an Schätzen des Gemütes, gesegnet mit Zufrieden-
heit, etc., das zweite aber konnte — ohne weiteres — nur im eigentlichen
Sinne als „reich an Geld und (äusserm) Gut“ — aus psychologischen
Gründen — verstanden werden.
Von jenem Recht der Metapher macht auch heute noch die Sprache
fortgesetzt und in erspriesslicher Weise Gebrauch, vornehmlich in ihren
poetischen Produktionen, und da ist es keineswegs der Wissenschaft und
Logik zur Last zu legen, wenn dieselbe mit ihrer Analyse, mit logisch-
wissenschaftlicher Zergliederung oft gleichsam den prachtvollen Farbenschmelz
von den Flügeln des Schmetterlinges abzustreifen und blos ein kahles Ge-
rippe übrig zu lassen scheint — sondern nur ihrer unvollkommnen Anwen-
dung. Wir missgönnen der Poesie ihre Freiheit nicht, wir bewundern sie
vielmehr ob der Geschicklichkeit und Macht, mit der sie auf die Verede-
lung des Geschmackes, des ganzen Fühlens und Denkens breiter Bevölkerungs-
schichten hinzuwirken und gelegentlich auch — vornehmlich auf ethischem
Gebiete — erhebende und wichtige Wahrheiten grossen Volksklassen, dem
Einfältigen gleichwie dem Gebildeten, zum Bewusstsein und zu Anerkennung
zu bringen versteht, allein wir müssen aus dem uns hier vorliegenden Unter-
suchungsfelde solche Freiheit thunlichst bannen.
ψ1) Wir haben bis jetzt hauptsächlich gehandelt von Dingen, Vor-
stellungen und Namen, indem wir uns bestrebten, hierüber eine erste,
zum Teil auch wol unerlässliche Basis zu fernerer Verständigung zu
gewinnen.
… Im Einklang etwa mit De Morgan's2 Kapitelüberschrift „On ob-
jects, ideas and names“. Dem letzten dieser Themata pflegen deutsche
Werke über Logik entweder gar keine oder doch nur eine sehr stiefmütter-
liche Behandlung angedeihen zu lassen, wie mir dieselben denn überhaupt
von Anfang ihren Flug meistens zu hoch zu nehmen scheinen. Ausführ-
liche und gründlichere Betrachtungen dagegen finden sich diesem Gegen-
stand häufig in englischen Darstellungen der Logik gewidmet und sind in
dieser Hinsicht vor allem die Werke von Mill1 und Jevons6 empfehlend
hervorzuheben (neunte resp. siebente Auflage). Dieselben zeigen hierin sich
[56]Einleitung.
wenigstens ernstlich bestrebt — wie dies auch Leibniz von sich sagt
(vergl. Trendelenburg l. c.) immer — die ersten Prinzipien zu suchen,
„welche sonst als trocken und ohne Reiz die Köpfe kaum kosteten und
schnell wieder fahren liessen“.
Das dritte der obigen Themata (mit dessen Betrachtung wir noch
nicht zu Ende sind), scheint mir nun aber den naturgemässen Aus-
gangspunkt zu bilden, an welchen die ferneren Themata der Logik als
einer Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen (in neuerer Ab-
grenzung auch noch Methoden) anzuknüpfen sind. In der That:
In der mit Schöpfung einer Sprache verknüpften Notwendigkeit der
Namengebung wurzelt auch die Bildung der „Begriffe“.
Es bedarf und verdient dies näher dargelegt zu werden, doch
mögen wir an den Kernpunkt der Frage erst nach einigen weiteren
Vorbetrachtungen herantreten — vergl. η2) und folgende Chiffren.
ω1) Zunächst wol in der Welt des äusserlich Wahrnehmbaren be-
merken wir, dass manche Dinge sich nahezu unverändert, stetig, in
der Zeit forterhalten, dass sie, wie man sagen kann, eine zeitlang, oft
eine lange Zeit hindurch, „dieselben“ (genauer: sich gleich-) bleiben. Die
Kontinuität wird zunächst in unserm Bewusstsein hergestellt, indem
wir bei andauernder sowie wiederholter Wahrnehmung des Dinges inne
werden, dass es uns als „dasselbe“ (the same) erscheint, als welches
es uns schon früher erschienen ist, und schreiben wir auch dem der
Erscheinung des Dinges zugrunde liegenden Wirklichen die ent-
sprechende Stetigkeit des Daseins zu. Die Sprache benennt dieses
Ding, gibt ihm einen Namen, der bei jeder erneuten Wahrnehmung
ebendieses Dinges ausschliesslich gebraucht wird, desgleichen, wenn
man kundgeben will, dass man sich dasselbe in freier Erinnerung vor-
stelle, m. a. W. wenn man von ebendiesem Dinge reden will. Der
Name wird ein „Eigenname“ (nomen proprium, singular term) — im
gewöhnlichen Sinne des Wortes — sein.
In des Wortes engster Bedeutung genommen sollte der „Eigenname“
nur das Ding in einem bestimmten Augenblick, Momente seines Daseins
bezeichnen dürfen. Das gegenwärtige Berlin ist ein anderes als das Berlin
vom Ende des vorigen Jahrhunderts, daher „Berlin“ streng genommen erst
dann ein Eigenname, wenn als bekannt gelten kann, aus welcher Epoche
man es sich vorstellen will.
Merkur, Venus, Erde, Mars, etc. sind beispielsweise darnach Eigen-
namen. Indessen illustriren unsre Beispiele das Wesen des Eigen-
namens bis jetzt erst einseitig, indem sie hinsichtlich dessen, was sie
bedeuten, alle herausgegriffen sind aus der Sphäre der konkreten Dinge
oder Gegenstände.
Ein Ding heisst ein konkretes, wenn es einerseits vollkommen
isolirt denkbar, andrerseits mit allen seinen Merkmalen (Teilen, Attri-
buten und Beziehungen) gemeint ist oder genommen werden soll. So
vermögen wir uns den Erdball ganz gut für sich allein zu denken,
und wenn wir von ihm reden, so meinen wir denselben mit allem
„was darum und daran ist“, ohne irgend etwas ausschliessen zu wollen,
was gültig von ihm ausgesagt werden könnte.
Die Gegenstände der materiellen Welt sowol als auch die in ihr
wahrnehmbaren lebenden Wesen, Pflanzen, Tiere, Personen und Gruppen
von solchen (z. B. der Odenwald, die Familie des N. N., die Güter
dieser Familie, das 24. Regiment der gegenwärtigen deutschen Armee,
etc. — nicht minder aber auch erdichtete persönliche Wesen, wie
Cerberus, Circe, Polyphem und Bucentaur) können darnach als kon-
krete Objekte des Denkens bezeichnet und mag dementsprechend ihr
Name ein nomen concretum jeweils genannt werden.
α2) Aus der Vorstellung eines konkreten Dinges vermögen wir
nun aber auch gewisse Elemente abzusondern und mehr oder minder
vollkommen in unserm Geiste zu isoliren, eventuell erst, nachdem diese
Vorstellung nach gewissen Richtungen noch weiter ausgebildet, ent-
wickelt oder vollendet worden ist. Solche Teilvorstellungen im weitesten
Sinne des Worts (resp. das ihnen zugrunde liegend gedachte Wirkliche)
nennen wir „Merkmale“ desselben (nota, mark — im Singular).
Gelingt solche Isolirung vollkommen, so heisst das Merkmal ein
Teil (pars, part) des Dinges*) und wird sich auch seinerseits wieder
als ein konkreter Gegenstand in's Auge fassen lassen.
So ist der Dunstkreis der Erde (die etwa bis zu 1 mm Druckhöhe
gerechnete Atmosphäre), so sind die unsre Erde zusammenhängend be-
deckenden Wassermassen, der afrikanische Kontinent, ein Berg etc.
als Teile des Erdballs, so ist der Kopf, die Hand als Teil eines Menschen
zu bezeichnen. Sie sind auch selbst konkrete Gegenstände. Nichts
hindert, sie uns auch ohne die übrigen Teile, mit denen sie verbunden
[58]Einleitung.
sind, zu denken, wie denn sehr häufig auch der Teil vom Ganzen
mechanisch abgetrennt zu werden vermag, die Möglichkeit solcher
Trennung wenigstens allemal einleuchtet und in manchen Fällen auch
anfangs blos der Teil bekannt ist, ohne dass man vielleicht von dem
Dasein des Ganzen, dem er angehört, auch nur eine Ahnung besitzt.
Umgekehrt ist zu merken, dass die Teile eines Dinges auch zu den
Merkmalen desselben in der Logik zu rechnen sind. Es sind auch die
Borsten ein Merkmal des Schweins (nicht etwa blos der Umstand,
dass es überhaupt Borsten besitzt, welcher allerdings auch ein Merk-
mal, aber eine durch Abstraktion gewonnene Verallgemeinerung des
vorigen wäre, welche wesentlich nur auf dasjenige hinauskommt, worin
das Schwein mit andern Borsten tragenden Geschöpfen übereinstimmt),
und ist die Mähne, sowie der in ein Haarbüschel endigende Schweif
Merkmal eines männlichen Löwen.
Gelingt jene Isolirung (Absonderung, Vereinzelung) nicht voll-
kommen, so nennen wir das vorgestellte Ding etwas Abstraktes, seinen
(Eigen-) Namen ein nomen abstractum. Wir haben dann Veranlassung
zu reden von „Attributen“ des gedachten Dinges, als da sind Qualität
oder Eigenschaften und Thätigkeiten, und Quantität, sowie von Be-
ziehungen (Relationen), darunter Ursache, Wirkung und anderes.
So die Farbe dieser Blumenkrone, die Elasticität und Festigkeit
der Stahlfeder, mit welcher ich eben schreibe, das Gewicht des Erd-
balls, seine Gestalt, Volum und derzeitige Lage im Weltraum, seine
augenblickliche Entfernung von der Sonne, Geschwindigkeit, die Kraft,
mit der er angezogen wird, etc. — die Schönheit der Circe etc. —
dies alles sind abstrakte Eigennamen.
Die als deren Bedeutung verbleibende Vorstellung ist in der That
dadurch gewonnen, dass man sie von der Gesamtvorstellung des kon-
kreten Gegenstandes gewissermassen abzog, sie in den Brennpunkt der
Aufmerksamkeit rückte und von dem Komplex aller übrigen Vorstellungs-
elemente (nebst dem, was ihnen zugrunde liegt) absah oder abstrahirte.
Solche Isolirung jener aus dem Gesamtbilde hervorgehobenen Vor-
stellung erweist sich aber bei genauerem Zusehen nicht als eine voll-
kommen durchgeführte und durchführbare, wie ich dies für das erste
und noch ein späteres der angeführten Beispiele versuchen will ge-
nauer darzulegen.
Jene beispielsweise rote Farbe können wir uns zwar wol völlig
losgelöst von jedem Gedanken an die Blumenkrone, der sie eignete,
als eine blos subjektive Lichtempfindung vorstellen, und wenn wir
etwa für die vor mir liegende Blumenkrone von Anfang an nur deren
[59]Einleitung.
Vorstellung gesetzt hätten, so würde das aufgestellte Unterscheidungs-
merkmal uns im Stiche lassen und läge kein Grund für uns vor, das
Element der roten Farbe in dieser Vorstellung als ein Abstraktum
gegenüberzustellen der ganzen Vorstellung als einem Konkretum (die
wir ja vielmehr von unserm Standpunkte auch selbst schon als ein
Abstraktum bezeichnen müssen). Es läge dann der Fall vor, dass
wir, anstatt von den Dingen, blos gesprochen hätten von unsren Vor-
stellungen über diese, ohne jede Bezugnahme auf etwas ihrer Er-
scheinung zugrunde liegendes Wirkliches. Wollen wir aber nicht auf-
hören solche Bezugnahme aufrecht zu erhalten, wollen wir fortfahren
nach wie vor von Dingen zu reden, dann freilich können wir jene rote
Farbe nicht anders denken als wie als Farbe von etwas Farbigem; und
wird auch die Vorstellung ebendieses farbigen Etwas im übrigen mög-
lichst unvollendet gelassen, so musste dasselbe doch als vorhanden
notwendig mit gedacht werden und ist die Isolirung jener roten Farbe
keine vollständige gewesen.
Ähnlich musste auch der vom Erdball eingenommene Raum z. B.
als von etwas erfüllt, als Ausdehnungsform irgend einer Materie ge-
dacht werden, von welcher er nie völlig loszulösen ist.
Wir betreten hiermit allerdings ein streitiges Gebiet. Ob man den
Raum sich absolut leer denken könnte, einen Zeitraum ohne jeden Vorgang
in demselben, den Geist auch ohne Körper, darüber ist viel hin und her
gestritten worden. (Ich würde bis zur Erbringung eines Gegenbeweises
diese Fragen verneinen. Die Erscheinung des Todes hat es uns leicht ge-
macht, den Leib auch ohne Seele, isolirt zu denken — wir nennen ihn
Leichnam; ich würde aber, wenn von dem Leibe eines lebenden Wesens
lediglich als Materie ohne Rücksicht auf dessen Besselung gesprochen wird,
auch diesen strenge genommen für ein Abstraktum zu erklären mich ver-
pflichtet glauben.)
Im Hinblick auf solche Kontroversen dürfte die Bemerkung am Platze
sein, dass die Unterscheidung zwischen „abstrakt“ und „konkret“ für unser
Hauptthema (soweit wir dasselbe zu führen vermögen) sich (noch) belang-
los erweisen wird (ein Grund für diese Erscheinung wird sogleich, im
folgenden Kontext ersichtlich). Wesentlich kommt es uns hier nur darauf
an, zunächst die Bedeutung des Eigennamens und nachher die des Gemein-
namens klarzulegen, zu welchem Ende wir dieselbe allerdings wol in ihre
Hauptvarietäten hinein verfolgen müssen.
Ich muss auch gestehen, dass mich die obige Auseinandersetzung für
die Scheidung der Merkmale in Teile und Attribute, die wir hier — ich
denke wol im Anschluss an das üblichste Verfahren — genetisch zu ent-
wickeln versucht haben, nicht völlig befriedigt. Die Erde z. B. zieht nach
dem Gravitationsgesetze ein jedes Massenteilchen des Weltraums an, und
können überhaupt zwischen ihr und irgend einem andern Objekt des Denkens
[60]Einleitung.
vom Geiste Beziehungen wahrgenommen oder hergestellt werden. Um das-
jenige vorzunehmen, was wir oben die Isolirung ihrer Vorstellung nannten,
müssen daher grosse Merkmalgruppen von der auf die Erde bezüglichen
Gesamtvorstellung von vornherein ausgeschieden und losgelöst werden; es
ist auch dazu schon eine Art von Abstraktionsverfahren erforderlich, und
erscheint es geboten dabei auf die Raumerfüllung der Erde, ihre Charakteri-
sirung als das einen bestimmten Raumteil Erfüllende vermittelst einer ihr
zugedachten Begrenzung, sich zu berufen — und ähnlich auch bei den
übrigen als konkrete hinzustellenden Gegenständen.
Dass nun solch' spezieller, gleichwie auch irgend ein anderer Abstraktions-
modus, durch welchen eine Vorstellung zu einer isolirten gestaltet wird,
für die (allgemeinen) Gesetze folgerichtigen Denkens nicht von Belang sein
wird, ist zu gewärtigen.
Die Begriffe von Quantität und Qualität exakt und allgemein zu cha-
rakterisiren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Problemen der Philo-
sophie gehören — ich habe eine mir ganz genügende Erklärung nirgends
auftreiben können. Gleichwol ist die Frage eine fundamentale, da auf ihr
doch die Lehre von den „gleichartigen“, vergleichbaren oder durch ein-
ander messbaren Grössen und die Scheidung zwischen Mathematik und
Logik (im engern Sinne) beruht:
Von einem vorgestellten Dinge vermögen wir durch Abstraktion einen
Teil abzusondern und ebenso vermögen wir ein Merkmal abzusondern
welches nicht Teil sondern eine Eigenschaft, Thätigkeit oder Beziehung des
Dinges ist. Die schwierige Frage ist, worin sich wol jene, die quantitative
von dieser der qualitativen Sonderung der Vorstellungselemente unterscheidet?
Wir glaubten den Unterschied in der vollkommenen Isolirbarkeit jener
erstern im Geiste (sowol als eventuell in der Wirklichkeit) gegenüber der
unvollkommeneren Isolirungsfähigkeit der letztern erblicken zu sollen.
Möglich auch, dass diese Begriffe der Qualität und Quantität (?) zu
den Urbegriffen zu zählen sein werden, die in Form einer Definition einer
Erklärung überhaupt nicht fähig, oder dass sie auch, wie der Begriff des
„Maasses“, erst mittelst langer Reihen von Schlüssen aufgestellt werden
können.
Mill freilich macht es sich hier bequem, indem er sich im wesent-
lichen begnügt zu sagen: Quantität sei dasjenige, wodurch sich ein Liter
Wasser von zwei, drei oder zehn Litern Wasser unterscheidet, worin er
aber mit einem Liter Branntweins oder Schwefelsäure übereinstimmt, Quali-
tät dasjenige, worin jene übereinstimmen und diese sich unterscheiden. So
leicht es aber erscheint, treffende Beispiele hier anzuführen, so schwierig
erscheint es uns, den Gegensatz allgemeingültig zu charakterisiren.
Es mag auch eine Wissenschaft, die sich ein für allemal nur mit
auf eine bestimmte Weise hergestellten Abstraktionsergebnissen be-
schäftigt — wie die Geometrie mit den räumlichen Gebilden — solche
(relativ) als Konkreta hinstellen, und diesen erst und ihren (dann eben-
falls konkret zu nennenden) Teilen als Abstrakta gegenüberstellen die
Attribute der Gestalt, Grösse und Lage, Entfernung etc. jener Gebilde.
[61]Einleitung.
Im Grunde würde alsdann nur konkret und abstrakt genannt werden,
was eigentlich als abstrakt in erster und in zweiter Potenz oder —
wenn man will — im ersten und im zweiten Grade (absolut genommen)
hingestellt werden müsste. — Von einem selbst durch den Abstrak-
tionszprozess gewonnenen Objekte lassen sich ja häufig selbst wieder
Merkmale noch weiter fort abstrahiren.
β2) Nicht anders, wie in Hinsicht der Qualitäten verfährt man
auch bei (wahrgenommenen) Beziehungen zwischen Dingen: auch solche
mögen wir mit Eigennamen belehnen.
Bemerken wir z. B., dass drei gewisse Sterne ein gleichschenkliges
Dreieck bilden, dessen Schenkel fast doppelt so lang ist, wie die Grund-
linie (und zwar allemal wieder, wenn sie allnächtlich wiederkehren), so
können wir zunächst die Figur oder Gruppe selbst als ein Sternbild (und
Konkretum) mit einem Eigennamen bezeichnen; aber wir können sogar auch
das genannte abstrakte Seitenverhältniss (von nahe zwei zu eins), desgleichen
den Neigungswinkel α des einen Schenkels gegen den andern, etc. als
„Ding“ je mit einem aparten Eigennamen belegen (falls solches uns der
Mühe wert erschiene). Ich will dies hier besonders hervorheben, um zu
erinnern, dass ich das Wort „Ding“ in unsern Betrachtungen stets so all-
gemein wie möglich gefasst wissen möchte, und in diesem Sinne für jedes
(nach Ort, Zeit und Abstraktionsmodus) völlig bestimmte „Ding“ einen
„Eigennamen“ für zulässig erachten muss. Einen solchen stellt allemal
schon die Beschreibung vor, durch welche uns das zu denkende, zu be-
trachtende Ding als ein singulares, unzweifelhaft bestimmtes kund gegeben
wird — wenngleich die letztere der für Namen in der Regel wünschens-
werten Kürze entbehren wird, und um ihrer teilhaftig zu werden etwa
durch einen Buchstaben ad hoc zu ersetzen wäre.
Auch der Gewinn z. B., den ein bestimmtes Geschäft für einen be-
stimmten Teilhaber N. N. abwerfen wird — wir mögen denselben ja χ
nennen —, ist so ein Eigenname, und ebenso würde sein Anrecht auf
diesen Gewinn ein solcher sein.
γ2) Und nicht blos die Dinge aus der Aussenwelt, wie in früheren
Beispielen, sondern auch solche aus der Welt des Bewusstseins, aus dem
Geistesleben, sind eines Eigennamens fähig, und sie werden eines solchen
teilhaftig, sobald wir sie mit Worten unverkennbar charakterisiren.
Auch meine Absicht, nachher spaziren zu gehen, die freudige Über-
raschung, die (ein bestimmter) Jemand beim Erfahren einer gewissen an-
genehmen Nachricht empfinden wird, die Eifersucht, die zwei bestimmte
Nebenbuhler zur Zeit auf einander haben — alles dies (immer in der
suppositio nominalis betrachtet) sind Eigennamen.
δ2) Was ein Eigenname bedeutet, das werden wir häufig als
etwas Spezielles, Individuelles, als ein „Individuum“ unter den Objekten
[62]Einleitung.
des Denkens (in allerdings dem ursprünglichen Sinn dieses Wortes
gegenüber sehr erweiterter Bedeutung) anzuführen haben.
Ich muss hier noch einer Ansicht gegenübertreten, zu welcher die
Lektüre von Mill (besonders von p. 37 sq. der Schiel'schen Übersetzung2,
desgl. von p. 40 sq.) verleiten könnte: dass der Eigenname an sich be-
deutungslos oder nicht-bezeichnend (nonconnotative) sei. Das neben andern
ähnlichen von Mill gewählte Beispiel „Johann“ erscheint in dieser Hin-
sicht keineswegs beweisend, denn „Johann“ ist (in unserm Sinne) kein
Eigenname — es sei denn mit solchen Zusätzen, dass er eine ganz be-
stimmte Person bedeutet — sondern ein Vorname, und kommt als solcher
einer ausgedehnten Klasse von Personen zu. So ist denn freilich der
Name ein ziemlich nichtssagender und gibt uns wenig Aufschluss über das
Wesen einer Person, welche denselben führt.
Der Eigenname ganz im Gegenteil ist ein möglichst ausdrucksvoller
zu nennen, indem er ein ganz bestimmtes Ding bezeichnet mit allen seinen
Merkmalen, bekannten sowol als unbekannten, sofern letztere ihm zukommen.
Mill2 selbst auch schränkt seine Behauptung auf einer folgenden
Seite (p. 38) wieder ein, indem er Ausnahmen statuirt, für welche er die
Grenze anscheinend willkürlich zieht; es wäre in der That durchaus nicht
abzusehen, weshalb uns zwar „die Sonne“ eine Menge Attribute mitbezeichnen
sollte, dagegen Mill's eigner Name „John Stuart Mill“ z. B. nicht?
Demgemäss erscheint mir auch die Unterscheidung von „mitbezeich-
nenden“ (connotativen) und „nichtmitbezeichnenden“ (non-connotativen) Namen,
von welchen Mill so grosses Aufhebens macht, als eine gänzlich belang-
lose, genauer gesagt: überflüssige. Es bleibt mir von dem Gegensatze,
wenn ich ihn schärfer in's Auge fasse, nichts anderes übrig als der aller-
dings sehr belangreiche Unterschied zwischen einem Eigennamen und dem
(mit einem Begriff verknüpften) Gemeinnamen; das übrige löst sich in
Dunst auf. Für solchen Gegensatz aber nochmals besondre gelehrt klingende
und — fast möchte ich sagen: schwülstige — Benennungen einzuführen
scheint keineswegs Bedürfniss.
ε2) Nicht unwichtig ist es noch, zu beachten, dass die dem ab-
strakten Substantivum zugeordneten Adjektiva, sofern sie überhaupt
als Namen gelten können, doch im allgemeinen als konkrete Namen
bezeichnet werden müssen.
So ist weisse Farbe oder Weisse ein nomen abstractum, dagegen
weiss = ein weisses Ding = Etwas weisses muss offenbar zu den nomina
concreta gerechnet werden, indem es ja das (konkrete) Ding selbst be-
zeichnen soll, welchem das Attribut der weissen Farbe zukommt. Ebenso
ist (räumliche) Ausdehnung ein Abstraktum, dagegen ausgedehnt, räumlich
= Etwas ausgedehntes, Konkretum: ein jeder Körper kann so genannt
werden. Vergl. noch Leben und lebendig, Nutzen und nützlich, Gleichheit,
Ähnlichkeit, Verschiedenheit und gleich, ähnlich, verschieden, Dankbarkeit
und dankbar etc. hinsichtlich ihres Gegensatzes als Konkreta und Abstrakta.
Ausgedehnte, gleiche, ähnliche oder verschiedene Dinge können freilich
ebensogut aus der Sphäre der Abstrakta genommen sein, wie z. B. auch
[63]Einleitung.
ein geometrischer (sonach immaterieller) Körper, eine Fläche, mathematische
Linie, der Schatten räumlich ausgedehnt, ein Zeitraum wenigstens „aus-
gedehnt“ genannt werden mag. Es lässt demnach (was Mill und Jevons
zu übersehen scheinen) sich nur behaupten, dass die aus abstrakten Sub-
stantiven abgeleiteten Adjektiva konkret sein können, aber nicht müssen,
sie können oft auf beiderlei Weise verwendet werden und nehmen in Wahr-
heit eine Zwitterstellung ein. Andere, wie „dankbar“, freilich kann man un-
bedenklich als Konkreta hinstellen, denn Dankbarkeit lässt sich (es sei denn im
übertragenen Sinne) nur einem lebenden Wesen, also Konkretum, zuschreiben.
ζ2) Versuchen wir nun einmal, uns auf den Standpunkt zu stellen,
als ob es uns obläge, eine Sprache zu erschaffen, ganz nach Belieben
Wörter oder Zeichen zu bilden und solchen ihre Gebrauchsweise vor-
zuschreiben.
Auf den Unterschied unsrer Bestrebungen von denen der Volapükisten
werden wir noch zu sprechen kommen — vergl. α3) in dieser Einleitung,
Fussnote.
Es erscheint dann keineswegs als eine leichte Aufgabe auch nur
zu jenen schon unter ξ1) erwähnten zehn Wortarten zu kommen, welche
wir in unsern Kultursprachen thatsächlich gebildet vorfinden. Die-
selben genetisch zu erklären, sie gewissermassen aus den Bedürfnissen
der Bezeichnung und Mitteilung herauswachsen zu lassen und so als
zur Befriedigung dieser Bedürfnisse erforderliche, in solchem Sinne
notwendige nachzuweisen, dürfte vielmehr höchst schwierig sein, wofern
die Aufgabe überhaupt lösbar.
Das gleiche wäre auch zu leisten für die etwaigen Beugungsformen,
Flexionen jener Wortarten, wie namentlich die Konjugationsformen der
Verba, und die Deklinationsformen der Substantiva (Adjektiva und Prono-
mina), mit welchen dann auch die Bestimmung oder Mission der Präposi-
tionen in nächstem Zusammenhange steht, dergleichen ja in vielen Sprachen
Kasus vertreten.
Es müsste in solcher Untersuchung auch die Frage beantwortet werden,
mit wie vielen und welchen Wortarten, Kasus und Tempora etc. man
(im Minimum) bereits auszureichen vermag, wie viele Arten von sprach-
lichen Gebilden oder — sagen wir kurz — „Sprachformen“ also unerläss-
lich wären, mit welchen Formengruppen man die Zwecke des Gedanken-
ausdrucks gleicherweise, mit welchen aber am besten erreichte und was
die etwa überzähligen Formen für Vorteile gewährten.
Soweit die Lösung dieser Aufgabe gelungen wäre, hätten wir eine
wirkliche Analyse der Sprache gewonnen, eine zugleich wissenschaft-
liche und allgemeine Grammatik, welche die den Kultursprachen gemein-
samen Elementarformen auch als unentbehrliche und notwendige er-
kennen liesse, wogegen sie andrerseits die von Sprache zu Sprache
wechselnden Gebilde ignoriren würde.
Es würde diese allgemeine Grammatik des Vorzugs geniessen, dass in
ihr gerade dasjenige ausser Betracht bleiben dürfte und zu bleiben hätte,
was beim Erlernen einer fremden Sprache jeweils die grössten Schwierig-
keiten zu bereiten pflegt — als da sind: die verschiedenen Arten von Kon-
jugation und Deklination, welche die „spezielle“ Grammatik uns oft so er-
müdend als erste, zweite, dritte etc. aufzählt und vorführt, dazu die
Unregelmässigkeiten der Verba, der Wortstellung und des Satzbaues, nament-
lich aber auch die dem Ausländer das Deutsche so sehr erschwerenden drei
Genera von den in dieser unsrer Sprache mit „der“, „die“ oder „das“ ganz
ohne jeden objektiven Grund zu verknüpfenden (unpersönlichen) Haupt-
wörtern und ebenso die Divergenzen zwischen Schrift und Aussprache, wie
sie vor allem in der unphonetischen Schreibung des Englischen sich so
„bemühend“*) kundgeben, auch anderes mehr.
Für ein engeres Gebiet, nämlich für dasjenige der Zahlenbezeichnung,
sehen wir die analoge Aufgabe bereits gelöst vor uns. Hier kann in
der That leicht der Nachweis geliefert werden, dass, wofern nicht
mehr als zehn Ziffern sollen verwendet werden dürfen, eine systema-
tische Darstellung aller natürlichen Zahlen nicht besser erreicht zu
werden vermag, als sie durch die jetzt allgemein üblichen Ziffern-
zusammenstellungen in unserm aus Indien überkommnen dekadischen
Systeme bereits verwirklicht wird; es kann diese Zahldarstellung als eine
aus Zweckmässigkeitsgründen auch notwendige gerechtfertigt werden.
Dass ähnliches aber für das ganze Gebiet der sprachlich bezeich-
neten oder bezeichenbaren Objekte durchaus nicht gelingt, dürfte seinen
Grund vor allem darin haben, dass eben dieses mit der Sprache ge-
gebene Bezeichnungssystem sich an Vollkommenheit entfernt nicht
messen kann mit dem in der angedeuteten Richtung für die Objekte
der Arithmetik bereits verwirklichten Bezeichnungssysteme.
Hat dieses nun seine Richtigkeit, so muss an Stelle jenes oben-
erwähnten Ideals einer „allgemeinen“ Grammatik ein anderes treten:
das rationellste Bezeichnungssystem für die Benennung aller Objekte
und den Ausdruck aller Vorgänge des Denkens erst zu entdecken und
als ein notwendiges zu rechtfertigen.
Auf dieses Ideal werden wir in der That noch weiter hinarbeiten.
η2) Gehen wir nun von dem eingenommenen Standpunkte auch
nur ein Stück weit, auch einen Schritt nur vor, so leuchtet zunächst
die Notwendigkeit ein, neben den (bisher besprochenen) Eigennamen,
die jeweils ein ganz bestimmtes „Ding“ bezeichnen, nur einem solchen
[65]Einleitung.
zukommen, auch solche Namen zu schaffen, die auf viele Dinge passen;
es erhellt die Notwendigkeit der Schöpfung auch von Gemeinnamen.
Ich denke, dass die Erforderlichkeit von Namen überhaupt zur Be-
zeichnung von Dingen und insbesondre von Eigennamen um je von einem
bestimmten Dinge reden zu können, keiner weitergehenden Rechtfertigung
bedarf, und werden auch die Betrachtungen, die wir anzustellen haben, um
das Bedürfniss nach Gemeinnamen klar zu legen, zum Teil höchst trivialer
Natur sein. Es dürfte solchen gleichwol nicht jedes Verdienst abzu-
sprechen sein.
Denken wir uns eine Anzahl Personen im Vollbesitze einer beliebig
grossen Menge von Eigennamen — aber zunächst nur von solchen — also
dass das gleiche Wort sich bei allen jeweils mit der („gleichen“) Vor-
stellung von dem nämlichen bestimmten (übrigens beliebig konkreten oder
abstrakten) Dinge mit unfehlbarer Sicherheit assoziirt, so wird sich mit
Denknotwendigkeit erkennen lassen, dass diese Personen unfähig sein werden
einander irgendetwas mitzuteilen, was sie nicht bereits laut Voraussetzung
wussten. Ich will z. B. sagen, dass der Schnee weiss ist, aber weil ich
nur über Eigennamen verfüge, kann ich dies nicht in Bezug auf den Schnee
überhaupt thun, sondern nur in Bezug auf einen bestimmten Schnee, der
z. B. an bekanntem Orte liegt, ich kann es auch nicht sagen in Bezug
auf jeden Teil dieses Schnees, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte
Portion desselben, als Ganzes, die ich kurz als „dieser Schnee“ bezeichnen
will. Die Weisse dieses Schnee's mag sich durch ihren genauen Hellig-
keitsgrad auch von derjenigen jedes andern Schnee's unterscheiden. Ich
kann nicht sagen, dass dieser Schnee weiss überhaupt ist, wie andre weisse
Körper, sondern weil ich auch nur den Eigennamen für „diese Weisse“ von
dem erwähnten eigentümlichen Helligkeitsgrade zur Verfügung habe, so
kann ich auch diesem Schnee nur gerade diese Weisse zu- oder absprechen.
Von den Personen, die meinen Ausspruch hören werden, wissen alle, was
unter „dieser Schnee“ gemeint ist (laut Voraussetzung), desgleichen was
„diese Weisse“ bedeutet, und werden dieselben sich auch darunter sofort,
wenn der Name fällt, etwas jener bestimmten Empfindung weisser Farbe
(mit dem erwähnten charakteristischen Helligkeitsgrade) zugrunde liegendes
Wirkliches übereinstimmend vorstellen. Es kann nun aber sein, dass der
Eine oder Andere der genannten Personen gleichwol noch darüber unwissend
ist, dass diesem Schnee gerade diese Weisse zukommt, und dass ich es
ihm sagen will. Laut Voraussetzung habe ich nun aber auch blos einen
Eigennamen für gerade dieses hier vorliegende Zukommen, oder ich habe
keinen. Im letztern Falle kann ich es nicht statuiren oder mitteilen; im
erstern aber, wo „dieses Zukommen“ ein (laut Voraussetzung) im gemein-
samen Besitz der beteiligten Personen befindlicher Eigenname gewesen sein
sollte, muss eben der Andre dasselbe schon gekannt haben, er musste da-
mit bereits wissen, dass diesem Schnee diese Weisse gerade so zukommt,
im Widerspruch zu der obigen Annahme, dass er darüber unwissend ge-
wesen. Ergebniss: ein Bezeichnungssystem, das blos Eigennamen umfasste,
ist notwendigerweise zur Übermittelung irgendwelcher Erkenntniss unzu-
länglich. Dasselbe vermöchte höchstens, bereits vorhandene Erkenntniss-
Schröder, Algebra der Logik. 5
[66]Einleitung.
elemente — durch Anrufen derselben — wiederzubeleben oder in's Feld
der Aufmerksamkeit zu rücken.
Um einen Ausspruch thun zu können, der eine Information zu liefern
vermöchte, brauchen wir mindestens für die Kopula, welcher in unserm
Beispiel „das (erwähnte) Zukommen“ oder „der Besitz“ entspricht, ein
Wort von allgemeiner Bedeutung, das einen Gemeinnamen vertritt, und
können damit dann allerdings als etwas für den Vernehmenden möglicher-
weise Neues sagen: „Dieser Schnee“ besitzt „diese Weisse“.
Wir wollen nun nicht weiter ventiliren, mit welchem minimalen Be-
stand an Gattungsnamen ein Bezeichnungssystem den Zwecken sprachlicher
Mitteilung schon ausreichend zu genügen vermöchte — in Anbetracht, dass
auch andere Momente dahin drängen, solche in grosser Menge zu schaffen,
und dass ein Reichtum der Sprache an Gattungsnamen nur vorteilhaft
erscheint.
ϑ2) Zunächst haben wir aber die vielwörterigen Gattungsnamen, welche
sich aus einwörterigen und vielleicht auch andern Wortzeichen „ableiten“
— etwa rationell in Gestalt einer Definition oder Beschreibung aufbauen
— lassen, von unsrer Betrachtung natürlich auszuschliessen und unser
Augenmerk zu richten auf die Erstellung der als „ursprüngliche“ einwörterig
zu gestaltenden Namen, die zu dem weiteren Aufbau uns erst die Bau-
steine abgeben sollten.
Schon die oberflächlichste Überlegung zeigt, dass es gar nicht
durchführbar sein würde, ein Jedes, was Objekt des Denkens werden
mag, mit einem Worte als Eigennamen zu benennen.
Das wäre schon in Bezug auf die Dinge der Aussenwelt unthunlich.
Wie möchten wir z. B. Geometrie treiben, wenn jede Seite jede Ecke
etc. eines jeden von irgend jemand in Betracht zu ziehenden Dreiecks ihren
eigenen Namen führte, wenn sie von der Sprache je mit einem besonderen
Worte bezeichnet würde und werden müsste? So ausserordentlich gross
die Kombinationsfähigkeit der Buchstaben zu aussprechbaren Silben und so
zahlreich die Arten auch sind, auf welche diese Silben sich zu Worten ver-
knüpfen lassen, sie würden doch bei weitem nicht hinreichen um solchen.
Bedarf an Eigennamen zu decken. Kein menschliches Gedächtniss aber
würde die Kraft besitzen, wären solche Namen auch schon geschaffen
(irgendwie, beliebig eingeführt), dieselben mitsamt ihrer Bedeutung zu be-
halten, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, sie zu erlernen.
Das Erlernen würde hier immer noch (in gewissem Umfange) wenigstens
als möglich erscheinen.
Prinzipiell unmöglich aber müsste es genannt werden, falls die gleiche
Praxis der Belehnung aller Dinge mit Eigennamen auf die Gebilde der
geistigen Welt angewendet werden wollte. Da sich die Zustände des
Bewusstseins eines Menschen, als namentlich seine Wahrnehmung von
Unterschieden oder von Übereinstimmung an den Dingen, seine Empfindungen,
Vorstellungen und Absichten etc. für die andern Menschen nicht sinnlich
zur Wahrnehmung bringen lassen, da sich nicht, wie auf die Aussendinge
auf solche hinweisen lässt, so wäre hier gar kein Weg denkbar, auf welchem
[67]Einleitung.
eine Sprache, die alle individuellen Bewusstseinszustände je mit Eigennamen
bezeichnete, überhaupt Gemeingut einer Mehrheit von Menschen werden
könnte. Schon die Erlernung der Sprache bliebe hier ein vonhause aus
unlösbares Problem.
Wir brauchen also Gemeinnamen.
ι2) Der Gemeinname (nomen appellativum, general term) sollte
mehrere Dinge bezeichnen dürfen, solchen einzeln und sozusagen mit
gleichem Rechte zukommen.
Der Gemeinname „Planet“ z. B. kann der Erde sogut wie dem
Mars, Jupiter oder Saturn etc. beigelegt werden. Wir dürfen darum
sagen: Die Erde ist (ein) Planet, Mars ist Planet, Jupiter ist Planet.
Hierdurch erscheint die Anwendungsweise des Gemeinnamens ge-
regelt, soferne mit ihm etwas sollte ausgesagt werden, insoweit er
also zum Prädiziren dient — zunächst wenigstens: insofern er in der
Form des Singulars Prädikat einer Aussage wird.
Die mittelst Eigennamen bezeichenbaren singularen, besondern,
bestimmten oder individuellen Dinge, welche so der Gemeinname „um-
fasst“, über die sich seine Bedeutung „erstreckt“ und von deren jedem
er für sich im Singular prädizirt werden darf, setzen eine „Klasse“
(oder „Gattung“) zusammen, von der sie die „Individuen“ genannt
werden. So sind Merkur, Venus, etc. bis Neptun die Individuen der
Klasse der Planeten oder der Gattung „Planet“.
Das Wesen der obigen Verwendungsweise besteht nun darin, dass
der Gattungsname sich auf seine Individuen, wie man sagt: „distributiv“,
verteilt — so nämlich, dass er jedem einzelnen dieser Individuen ganz
(und ungeteilt) zukommt.
Es geht nichts, kein Teil von ihm verloren, wenn er einem Individuum
beigelegt, zugeteilt wird, und man behält ihn immer noch ganz übrig, um
ihn ebenso auch einem zweiten, dritten etc. Individuum zuzuteilen. Die
vorliegende ist sonach eine eigentümliche Art von „Verteilung“, welche sich
etwa der Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit vergleichen liesse:
werden hundert Personen von einem Scharlachkranken infizirt, so wird eine
jede derselben nicht etwa blos des hundertsten Teiles, sondern der ganzen
Krankheit, schlechtweg des Scharlachfiebers, teilhaftig (auch verliert Der-
jenige, von welchem der Krankheitskeim sich auf die Andern überträgt,
die Krankheit dadurch nicht).
Gelegentlich der Erläuterung des „Distributionsgesetzes“ werden wir
in § 12 Veranlassung nehmen, noch andere (und schönere) Vergleiche
heranzuziehen zur Verdeutlichung der eigentümlichen Natur dieser hier in
Betracht kommenden Verteilungsweise, der „distributiven“ oder „qualita-
tiven“, und ihres Gegensatzes zur andern von den beiden denkbaren Haupt-
Verteilungsweisen, nämlich der gewöhnlichen oder „quantitativen“ Verteilung.
Analog auch dürfen wir mit der Pluralform von den Individuen
irgend einer in jener Klasse enthaltenen Gruppe, wie Venus, Erde,
Mars, sagen: dieselben seien „Planeten“.
ϰ2) Auch umgekehrt soll unter dem Gemeinnamen (oder „Gattungs-
namen“), wenn von ihm etwas ausgesagt wird, stets nach Beliben
dieses oder jenes („irgendein“ any) Individuum der Klasse verstanden
werden dürfen — unter „Planet“ also, wenn man will, die Erde, oder
auch der Merkur, etc.
Durch diese wichtige Vorschrift erscheint der Gebrauch, die An-
wendungsweise der Gattungsnamen auch in der andern Hinsicht ge-
regelt, soferne er nämlich selbst als Gegenstand, Subjekt einer Aussage
auftreten wird.
Wird diese Vorschrift konsequent befolgt, so wird also, was von
der Gattung ausgesagt wird, auch von jedem ihrer Individuen Geltung
beanspruchen.
Eine Aussage, deren Subjekt Gemeinname ist, eine Klasse vor-
stellt, wird ein allgemeines oder generelles Urteil (judicium generale,
general statement) genannt — im Gegensatz zu einer Aussage, deren
Subjekt ein Eigenname ist, ein Individuum vorstellt, welch' letztere
wir ein singulares oder Einzel-Urteil (judicium singulare, singular state-
ment) nennen werden.
So dürfen wir beispielsweise sagen: Der Planet läuft um die
Sonne, denn Merkur umläuft die Sonne, Venus umläuft die Sonne etc.
Neptun läuft um die Sonne.
Die letztere Aussage ist Beispiel eines singularen Urteils, die erste
illustrirt ein generelles Urteil; dasselbe ist auch gleichbedeutend, äquivalent
mit: „Jeder (every planet, each) umläuft die Sonne“ sowie mit „Alle
Planeten laufen um die Sonne“ und exemplifizirt jene besondre Art von
generellen Urteilen, die man als „universale“ bezeichnet.
Dagegen würde ein Satz wie: „Einige Planeten (some planets) haben
Monde“ zwar auch als ein generelles, aber nicht als ein universales, sondern
als „partikulares“ Urteil hinzustellen sein.
Endlich wird eine Aussage von der Art wie: „Ein Planet ist (von
lebenden Wesen) bewohnt“ ein „unbestimmtes“ Urteil genannt.
Wir wollen auf diese Unterscheidungen, welche zunächst vorwiegend
als sprachliche erscheinen, gleich hier schon aufmerksam machen, weil auf
sie im Text gelegentlich Anspielung gemacht werden wird, während sie
nach ihrem logischen Gehalte, systematisch, erst später in Betracht ge-
zogen werden.
Dagegen ist ein generelles Urteil unrichtig, wenn dasselbe nicht
für jede der als zulässig festgesetzten Bedeutungen des als sein Sub-
[69]Einleitung.
jekt auftretenden Gattungsnamens, nicht für jedes Individuum der
Klasse, zutrifft. Es würde z. B. der Ausspruch: „Der Planet hat (einen
oder mehrere) Monde“ unberechtigt sein, weil er schon für die Venus
(z. B.) als unwahr anzuerkennen ist.
Wir müssen es uns für unser eigentliches Thema vorbehalten, die
Wirkung obiger Grundsätze, durch welche der Gebrauch von Gemein-
namen geregelt werden muss, in die verschiedenen Ausdrucksformen
der Sprache hinein zu verfolgen, und etwaige Abweichungen von den-
selben, welche die Sprache sich (inkonsequenterweise) gestattet, ge-
legentlich zum Bewusstsein zu bringen.
Auf die geschilderte Weise nun ermöglicht es uns der Gemein-
name, beliebig viele singuläre Urteile zu einer einzigen — eben der
generellen oder allgemeinen Aussage — abkürzend zusammenzufassen.
Es wird damit ein ökonomisches Haushalten mit den Mitteln des
Ausdruckes erstmalig angebahnt, und erscheint das Verfahren schon
wegen der Häufigkeit, mit welcher solche Ersparniss anzubringen ist,
von immensem Vorteile. Unabsehbar steigert sich noch diese Wirkung,
wenn wir — in Gestalt des „Begriffes“ — demnächst ein Mittel er-
kennen werden, auch „offene“ Klassen zu bestimmen, Klassen, welche
oft eine unbegrenzte Menge von Individuen umfassen.
λ2) Der Gattungsname kann als ein „mehrdeutiger“ oder „viel-
deutiger“ bezeichnet werden, indem ihm eben mehrere Bedeutungen mit
gleichem (und vollem) Rechte zukommen.*) Er tritt dadurch in Gegen-
satz zu dem als „eindeutig“ (determinative) zu bezeichnenden Eigen-
namen sowie zu dem Namen „Nichts“ (oder „rundes Quadrat“), welchen
wir (wie schon früher „unsinning“, so nun auch) „undeutig“ nennen mögen.
Wie man sieht, ist hiernach zwischen „zweideutig“ und „doppelsinnig“
ein wesentlicher Unterschied anzuerkennen. Ein zweideutiger Name wäre
z. B. „meine Hand“; derselbe würde aber vollkommen „einsinnig“, univok
gebraucht, wenn wir nur logisch berechtigte Urteile fällen, wie: „meine
Hand hat fünf Finger“ und dergl.
Zweideutig ist in der Arithmetik die Quadratwurzel aus irgend einer
von Null verschiedenen Zahl (in ihrer ursprünglichen Bedeutung, als all-
gemeinste, „volldeutige“ oder „Generalwert“ aufgefasst). Sie wird erst
doppelsinnig, wenn man etwa — was nicht erlaubt ist — dieselbe und
ihren „Hauptwert“ homonym benennt oder bezeichnet. Einsinnig bleibt
[70]Einleitung.
sie (bei aller Zweideutigkeit), sobald die Arithmetik eine korrekte Dar-
stellung findet.
Erst durch unberechtigt schwankenden Gebrauch, in der Art, wie wir
es unter υ1) geschildert haben, kann ein vieldeutiger Name auch zu einem
doppelsinnigen gestempelt werden — gleichwie auch schon ein eindeutiger:
man denke z. B. an einen schlechtweg nach „Königsberg“ adressirten Brief,
wo es doch mehrere Städte dieses Namens gibt, von denen aber nur eine
hier gemeint sein konnte und bei einem andern, dem Wortlaut nach eben-
dahin adressirten Brief auch eine andere gemeint sein mag.
Der Gemeinname kann ebenfalls „abstrakt“ oder „konkret“ ge-
nannt werden, je nachdem die unter ihm begriffenen Individuem sämt-
lich als Abstrakta resp. Konkreta zu gelten haben.
„Mut“ stellt ein Beispiel für den ersten, „Pferd“ ein solches für den
zweiten Fall vor. Doch gibt es, wie wir schon hervorgehoben haben, auch
Gattungsnamen von gemischtem Charakter („abstrakt-konkreter“ Natur),
wie „ausgedehnt“. Auch ist hier zu wiederholen, worauf wir bereits hin-
wiesen, dass diese Unterscheidungen von geringem Belang für unsre
nächsten Zwecke sind.
μ2) Vor allem ist noch einer Verwechselung des „Gemeinnamens“
mit dem „Kollektivnamen“ vorzubeugen. Der letztere umfasst allerdings
auch eine Mehrheit von unterscheidbaren Dingen, welche, wenn man
will, wiederum eine Klasse konstituiren und sich auch unter einem
„Gemeinnamen“ oder „Gattungsnamen“ zusammenfassen lassen; jedoch
wird er dadurch zum Kollektivnamen gestempelt, dass bei seinem
Gebrauche wesentlich andere Grundsätze maassgebend sind, als für
diesen ihm zugehörigen Gattungsnamen.
Der Kollektivname kann zunächst selbst ein Eigenname sein. Als
solcher ist er uns nichts Neues / und war bei allen unsern bisherigen
Betrachtungen über Eigennamen schon immer mit zugelassen; auch
seine Bedeutung hat nach wie vor als ein „Individuum“ unter den Ob-
jekten des Denkens zu gelten.
Ein solcher ist z. B. „die (gegenwärtige) deutsche Armee“; ein solcher
ist ferner „die Gruppe der Planeten“ (sie würde zusammen mit deren
Monden und der Sonne abermals einen Kollektivnamen: „das Planeten-
system“ ausmachen); ein solcher ist „die Bibliothek des Herrn N. N.“.
Als zugehöriger Gattungsname würde bezüglich erscheinen: „(gegen-
wärtig eingekleideter) deutscher Soldat“, „Planet“ und „dem Herrn N. N.
gehöriges Buch“.
Wir erinnern, dass nach dem unter ι2) und ϰ2) Ausgeführten das
Wesen des Gemeinnamens in seiner „distributiven“ Verwendung bestand.
Durch seine Vermittelung kommen in erster Linie und hauptsäch-
lich Aussagen zustande, die von den Individuen, welche der Gemein-
[71]Einleitung.
name umfasst, auch einzeln abgegeben werden könnten, ohne dass
man nötig hätte, dabei auch an andre (die andern) Individuen dieser
Gattung zu denken, auf sie zu reflektiren — mit der Berechtigung
also, von allen zwischen solchen Individuen etwa bestehenden Be-
ziehungen von vornherein abzusehen, zu abstrahiren. Mit dem Prädi-
kate freilich können dann auch Beziehungen zwischen Individuen der
Subjektklasse statuirt werden.
Wird dagegen ein Name als Kollektivname gebraucht, so werden
zwischen den Objekten, die er in sich zusammenfasst, gewisse Beziehungen
als vorhanden vorausgesetzt und kommen als solche wesentlich in Be-
tracht. Nicht alle Beziehungen, welche zwischen besagten Objekten
betrachtbar, brauchen gegeben zu sein oder als unveränderliche fest-
gehalten zu werden, aber gewisse wenigstens von diesen Beziehungen,
oder in gewissen Hinsichten wenigstens gelten diese Beziehungen uns
als feste. Jene Objekte und eventuell Individuen stehen vor unserm
Geiste nicht als eine Klasse, sondern als ein System.
Jedenfalls, was von dem Kollektivnamen gültig ausgesagt wird,
braucht von den Individuen, die er in sich zusammenfasst, nicht einzeln
gültig zu sein. Es darf aufhören zu gelten, sobald man solche getrennt
in's Auge fasst, sie separirt. Vielmehr braucht jenes Prädikat nur
der „Gesamtheit“ der Individuen zuzukommen (d. i. dem der gleich-
zeitigen Vorstellung sämtlicher Individuen zugrunde liegenden Wirk-
lichen) mit Rücksicht auf alle Beziehungen, welche zwischen diesen Indi-
viduen schon (faktisch oder theoretisch) bestehen, solange man sie also
in dieser ihrer Verbindung miteinander belässt*) (zuweilen auch, so-
bald man sie erst in gewisse feste Beziehungen zu einander gebracht
denkt, bringt). Auch kommt dem einzelnen Individuum der Kollektiv-
name (darum) nicht zu.
Der Flügelmann der ersten Kompagnie des ersten Regiments der
deutschen Armee ist „deutscher Soldat“; der Oberst desselben auch; aber
er ist nicht „(die) deutsche Armee“. Die dentsche Armee ist schlagfertig;
der einzelne Soldat kann dies auch sein. Aber die deutsche Armee mag
auch der gegnerischen Armee überlegen sein, und von dem einzelnen
deutschen Soldaten könnte doch jedenfalls nicht ausgesagt werden, er sei
[72]Einleitung.
der feindlichen Armee überlegen — ansonst wir unser Militärbudget auf
die Erhaltung dieses einen Soldaten einschränken dürften. Das Buch „ist“
nicht die Bibliothek; die Bibliothek kann viele Tausende wert sein, das
Buch gleichwol nicht, etc.
Als Kollektivnamen könnten wir jedes Ding bezeichnen, an welchem
überhaupt Teile sich unterscheiden lassen: also vielleicht allein den Punkt,
den Augenblick und das Nichts nicht! So ist ein Buch wieder Kollektiv-
name in Bezug auf die in ihm zusammengebundenen Blätter und deren
Seiten, eine Seite ebenso im Hinblick auf die auf ihr gedruckten Sätze,
Wörter, Silben und Buchstaben. Fast jeden Namen also, mit dem wir bis-
her ein Objekt des Denkens bezeichnet dachten, mag man einen Kollektiv-
namen nennen. Es ist darum für die Logik von sehr geringem Belange,
eine Unterscheidung zwischen Kollektivnamen und solchen, die es nicht
sind, aufzustellen.
Und gleichwie die Eigennamen, von welchen wir bisher gesprochen,
so mögen wir auch Gemeinnamen als kollektive hinstellen.
„Armee“ ist so ein Gemeinname, sofern das Wort geradesogut die
deutsche, wie die französische, die englische etc. Armee bezeichnen kann,
und zugleich ist es Kollektivname in Bezug auf die einzelnen Soldaten,
welche mit ihrer Ausrüstung die Armee zusammensetzen. Ebenso ist
„Bibliothek (überhaupt)“ Gemeinname und Kollektivname zugleich, ersteres
als die Bibliothek des Herrn A, die der Gesellschaft B, etc. letzteres als
die einzelnen Bücher umfassend, die sich in ihr befinden. (Jevons6.)
Ein psychologischer sowol als grammatikalischer Grund, von
Kollektivnamen zu reden, liegt wirklich vor, wenn von einer Reihe
von Individuen diese einzeln aufgezählt, erwähnt worden sind, und es
nun gilt dieselben kollektiv zu einem Ganzen zusammenzufassen.
Wenn aufgezählte Individuen zu einem Gemeinnamen zusammen-
gefasst werden sollen, so bedient sich die Sprache wesentlich anderer
Ausdrücke, als wenn dieselben zu einem Kollektivnamen zu vereinigen sind.
Hat man erstern Zweck im Auge, so spricht man (streng konse-
quent, oder auch nur mit Vorliebe) von einer
Klasse, Gattung, Art, Ordnung, Familie (im weiteren Sinne, z. B.
Pflanzenfamilie), einem Geschlecht, auch einem Reich (Bereich), einer
Abteilung etc.
dieser Individuen, im Hinblick dagegen auf letztern Zweck von ihrer
(resp. ihrem)
Menge, (Quantität), Gesamtheit, (Summe), Reihe, Folge, ev. Sequenz,
Schar, Haufen, Gruppe, System, Zusammenstellung, Komplex, Inbegriff,
Gebiet, Mannigfaltigkeit,
man spricht von ihnen als von einem Ganzen, und vielleicht noch in
manchen andern mehr oder weniger synonymen Termen.
Das Wort „Abteilung“ — sowie vielleicht auch schon Bereich,
[73]Einleitung.
Gebiet und Mannigfaltigkeit — scheint wol in gleicher Weise für beide
Zwecke disponibel zu sein.
Auffallend ist der grosse Reichtum an Ausdrücken, welche der Sprache
zu solchen Zwecken zur Verfügung stehen. Die Wissenschaft (namentlich
die Mathematik) hat übrigens schon angefangen diese Synonyme (besonders
die der zweiten Gruppe) erheblich zu differenziiren und dürfte darin noch
weiter fortschreiten.
Die häufigste Veranlassung dazu, von Kollektivnamen überhaupt
zu reden, liegt in dem Auftreten der Pluralform von Substantiven,
mit kollektiver Bedeutung. Auch sie ist vorwiegend grammatischer
Natur. Die Individuen, welche der zugehörige Singular (als Gemein-
name)*) distributiv bezeichnet, bezweckt die Verwendung des Pluralis
nicht selten, kollektiv zu einem Ganzen zusammenzufassen, während
in der Regel freilich auch der Plural nur bestimmt ist, eine Klasse
darzustellen.
Dass man, wenn ein Hauptwort im Plural fällt, demselben oft
nicht ansieht, ob es mit der Absicht kollektiver oder aber genereller
Auffassung gebraucht wird, ist als eine sehr grosse Unvollkommenheit
der Sprache zu bezeichnen. Wir werden sehen, dass auf der Ver-
wechselung beider Absichten manche Fehlschlüsse beruhen.
Wenn wir z. B. sagen: „Die Anforderungen, welche sein Beruf an ihn
stellte“ … und fortfahren … „erfüllte er mit spielender Leichtigkeit“, so
lässt sich das Urteil als ein generelles auffassen. Fahren wir dagegen fort:
… „brachten seine Gesundheit zum Wanken“, so erscheint dies ausgeschlossen,
und ist solches nicht wol von der einzelnen Anforderung, sondern nur von
den vereinigten Nachwirkungen aller der aufreibenden Anforderungen gültig
anszusagen gewesen. Etc. Zuweilen werden sogar Kollektivnamen gebraucht,
um generelle Urteile zu fällen, z. B. wenn wir sagen: die ganze Familie N. N.
hat zur Zeit den Keuchhusten. Seine Eltern sind gestorben. Etc.
In der Regel lässt sich allerdings — durch Aufwendung von nur
ein wenig Sorgfalt auf die Ausdrucksweise — der Doppelsinn ver-
meiden, doch ist zu beklagen, dass in dieser Richtung ausserordentlich
viel gesündigt wird.
Wie oft begegnen wir nicht Sätzen wie: „dass die drei Winkel eines
[74]Einleitung.
Dreiecks gleich zwei Rechten sind“*) oder die Quadrate über den beiden
Katheten gleich demjenigen über der Hypotenuse*) — in welchen doch
das Prädikat nur der Summe der im Subjekte aufgezählten Grössen zukommt!
Korrekt gedeutet würden jedoch diese Sätze behaupten, jeder Dreieckswinkel
für sich sei gleich zwei Rechten und das Quadrat über der Hypotenuse sei
gleich dem über einer jeden Kathete. Wie leicht wäre es aber, in solchen
Fällen noch das Adverbium „zusammen“ in den Text, wie sich gehört,
einzufügen!
Ebenso muss es als ein wahrer Verderb bezeichnet werden, wenn im
Elementarunterricht der Volksschullehrer sagen lässt: „2 und 3 sind 5“,
welches bedeutete: 2 ist 5, desgleichen 3 ist 5. Der Satz enthält zwei
Fehler (nur!), indem einmal die Konjunktion „und“ für das arithmetische
Operationszeichen „plus“ gesetzt erscheint — dieses ginge aber noch an
mit Rücksicht auf den von der Bequemlichkeit der Aussprache beherrschten
Sprachgebrauch. In diesem Buche werden wir uns in der That gewisser-
massen des umgekehrten Fehlers schuldig machen.
Gar nicht zu rechtfertigen ist aber die Pluralform der Kopula. „2 und
3“, verstanden als die Summe 2 + 3, ist eine einzige Zahl, und diese („sind“
nicht, sondern) „ist“ (gleich) 5. Will man im Plural sprechen, wie dies
als Bedürfniss erscheinen kann in dem Falle, wo die Zahlen „benannte“
sind, wie bei „2 Birnen und 3 Birnen“, so ist zu sagen: „sind zusammen
5 Birnen“, wofern man nicht vorzieht zu sagen: „gibt“ (oder „macht“)
5 Birnen.
Eine Ausdrucksweise aber, die, wie gezeigt, den Unterschied zwischen
Einzahl und Mehrzahl, kollektiver und genereller Deutung verwischt, kann
nur verwirrend auf die jungen Köpfe wirken. [Ebenso dulde der Lehrer
nicht, falls a und b Zahlen bedeuten, dass etwa der Schüler spreche, „a
sind gleich b“ — und dergleichen mehr.]
Sehr misslich erscheint es besonders, wenn das adjektivische (sog.
„unbestimmte“) Zahlwort „alle“ anstatt generell, einmal kollektiv ver-
wendet wird. Die lateinische hat in dieser Hinsicht schärfer unter-
schieden als die modernen Sprachen. Sie gebraucht generell nur
„omnes“, kollektiv dagegen „cuncti“ (zusammengezogen aus con-juncti, für
„alle zusammengenommen“, joined together). Wir haben im Deutschen
noch das Wort „sämtliche“, und wäre zu wünschen, dass dieses bislang
mit „alle“ synonyme Wort davon differenziirt und mit der gleichen
Konsequenz unterscheidend gebraucht würde. Vergl. einen in § 4 be-
sprochenen Fehlschluss.
Abgesehen von den erwähnten Fällen der Zusammenfassung auf-
gezählter Dinge und der in den Plural gesetzten Hauptwörter, wo ein
grammatikalischer Grund vorliegen kann, einen (einfachen oder zu-
sammengesetzten) Namen als „Kollektivnamen“ hinzustellen, ist die
[75]Einleitung.
zwischen solchen und Einzelnamen angängige Unterscheidung nur von
psychologischer Art. Sie ist objektiv nur in soweit begründbar, als
eben an dem überhaupt Benennbaren sich fast immer noch irgend
welche Teile unterscheiden lassen, und erscheint im übrigen in unser
subjektives Belieben gestellt.
Den Namen eines materiellen Körpers z. B. haben wir zunächst keinen
Grund, anders als wie als einen „Einzelnamen“ zu bezeichnen. Denselben
Namen müssen wir aber als einen kollektiven hinstellen, sobald wir den
Körper als eine Atomengruppe studiren. Nach Belieben können wir z. B.
auch das Schachbrett als einen Felderkomplex behandeln. Etc.
Die kollektive Vereinigung mehrerer substantivisch benannter
Dinge zu einem Ganzen, sowie die kollektive Pluralbildung (resp.
-verwendung) ist besonders für die mit Zahl und Maass, mit der Quan-
tität der Dinge sich beschäftigenden Disziplinen von Bedeutung.
Das Studium ihrer Gesetze ist demgemäss aber der Arithmetik
und Grössenlehre und nicht der Logik (im engern Sinne) zuzuweisen.
An diesem Scheidepunkte zweigt sich eine grosse Gruppe von
Disziplinen von der Logik ab, um sich ihr selbständig und — in An-
betracht des Reichtums der Entwickelung, die sie gefunden — als
mindestens ebenbürtig gegenüberzustellen. Und beide Richtungen er-
scheinen unter diesem Gesichtspunkt ungefähr wie Quantität und Qua-
lität geschieden.
ν2) Bevor wir das über ω1) charakterisirte Ziel noch weiter ver-
folgen und den Nachweis der dort aufgestellten Behauptung vollends
erbringen, scheint es mir wünschenswert, gleich mit den grundlegenden
Betrachtungen über Namen, ihre Einteilungen und Unterscheidungs-
möglichkeiten hier erst zu Ende zu kommen.
Man pflegt Namen auch noch als positive (affirmative, bejahende)
oder aber negative (verneinende) hinzustellen, wie „nützlich“ und „nicht
nützlich“ (nutzlos), „schädlich“ und „nicht-schädlich“ (unschädlich), „Ich“
und „Nicht-ich“.
So unleugbar in der That ein Gegensatz zwischen solchen Be-
nennungen (auch ihrer Bedeutung nach) besteht, von denen die eine
als „Verneinung“, Negation der andern sich darstellt und gerade die-
jenigen individuellen Objekte auszuschliessen scheint, welche die andere
umfasst (und vice versā), so kann auf diesen Gegensatz doch nicht
etwa eine Einteilung der Namen selbst in „positive“ und „negative“
gegründet werden — in Anbetracht, dass es in unser subjektives Be-
lieben gestellt bleibt, welchen von den beiden einander „kontradikto-
risch entgegengesetzten“ Namen wir als den positiven hinstellen wollen.
So wenn z. B. von geraden Linien in einer Ebene die Rede ist, mögen
wir gewisse Paare (oder auch Systeme, Scharen) von solchen Geraden als
„Parallele“ mit einem positiven, andere als „Nicht-parallele“ mittelst nega-
tiven Namens darstellen. Nichts hindert aber auch, die erstern als „Nicht-
schneidende (Gerade)“ negativ, die letztern als „(einander) Schneidende (Ge-
rade)“ positiv zu benennen.
Positiv oder negativ zu sein, ist daher blos ein äusserliches, sozusagen
grammatikalisches Merkmal des Namens, welchem in seiner Bedeutung kein
bestimmtes Merkmal entspricht, ein logischer Gehalt überhaupt nicht zu-
kommt, unter Umständen aber wol ein psychologischer.
Nur die Beziehung, der Gegensatz zwischen dem durch eine Be-
jahung und dem durch deren Verneinung gebildeten Namen fällt wirk-
lich dem Bereich der Logik anheim, und mit diesem Gegensatz werden
wir uns auch noch eingehend zu beschäftigen haben. (Genaueres hierüber
und über die auf diesen Punkt bezüglichen Kontroversen siehe in der
siebenten und achten Vorlesung.)
Einen Stein kann man als „nicht-sehend“, dagegen nicht wol als „blind“
bezeichnen. Demgemäss noch gewisse unter den für negativ angesehenen
Namen als „privative“ hinzustellen — wie „blind“, „taub“, „lahm“ etc. —
hat nur dann Sinn und ist nur motivirbar, wenn uns eine bestimmte Gattung
vorschwebt, zu der ein so prädizirtes Individuum gehört. Entbehrt das In-
dividuum nur eines Merkmals, welches seinesgleichen (den andern Indivi-
duen ebendieser Gattung) in der Regel (von rechtswegen, im „normalen“
Zustande) zukommt, so legen wir jenem das „privative“ Prädikat oder At-
tribut bei. Wegen der einerseits willkürlichen, andrerseits so komplizirten
Voraussetzungen (denn was hat wol als „normal“ zu gelten?), auf welchen
solche Distinktion beruht, ist dieselbe aber für die elementare Logik von
ganz untergeordnetem Interesse.
ξ2) Dagegen lässt eine wirkliche Einteilung der Namen sich
gründen auf ihre Unterscheidung als absolute (nicht-relative) und rela-
tive. Ein „relativer“ Name ist ein solcher, welcher einem Dinge auf
Grund des Umstands beigelegt wird, dass es in einer bestimmten Art
von Beziehung (Relation) zu einem oder mehreren andern Dingen steht
— ein Name also, bei dessen Deutung das Vorhandensein auch dieser
letzteren Dinge eine Voraussetzung oder Unterstellung bildet.
Z. B. „Ursache, Wirkung, Grund, Folge, Entfernung, Vater, Sohn, ähn-
lich, gleich, unähnlich, verschieden“ sind lauter relative Namen.
Nichts kann als eine „Ursache“ bezeichnet werden, es sei denn als
Ursache von etwas (anderem), welches seine „Wirkung“ zu nennen sein
wird. Niemand kann Vater heissen, er sei denn Vater von Kindern. „Ent-
fernung“ hat keinen Sinn für sich, sondern nur als Entfernung zweier
Punkte, Körper oder Dinge im Raume von einander.
Wenn in der Parodie des „Tannhäuser“, welche die Breslauer Studenten-
[77]Einleitung.
verbindung Silesia geschaffen, auf die Bemerkung des Landgrafen, der
den Tannhäuser aus der Ferne herankommen sieht:
der Dichter den Adjutanten wohldienernd sagen lässt:
so beruht der Witz, resp. die Komik, auf der Verwendung eines relativen
Namens, als ob er ein absoluter wäre.
Jene andern Dinge heissen die „Korrelate“, ihre Namen die nomina
correlativa zu dem, was das nomen relativum bezeichnet; alle mit-
einander sind die „Beziehungsglieder“, membra relationis, und die be-
stimmte Art der zwischen beiderlei Objekten bestehend zu denkenden
Beziehung heisst das „fundamentum relationis“.
Das letztere ist oft sehr verwickelter Art, wie bei „Gläubiger“, „Schuld-
ner“, noch mehr bei „Ankläger“ (Kläger), wo das eine Korrelat der „Ver-
klagte“ (Beklagte), ein zweites Korrelat das „Delikt“, Vergehen, sein würde,
dessen der letztere vom ersten beschuldigt wird (resp. die eingeklagte Schuld-
forderung oder Entschädigungssumme), ein drittes Korrelat der Gerichtshof,
das „Forum“, vor welchem die Klage anhängig gemacht wird, und endlich
ein viertes Korrelat — sofern es nicht durch die vorerwähnten bereits be-
dingt erscheint und dann nicht mitzuzählen wäre — die Gesetzesbestimmungen,
der „Kodex“ und Paragraph, auf die sich die Klage beruft.
Das angeführte Beispiel exemplifizirt ein „mehrfaches Relativum“ (multi-
ple oder plural relative) im Gegensatz zu dem häufigsten Falle, dem des
„zweifachen“ (dual relative), wie es z. B. „Wirkung“ mit ihrem Korrelate,
der „Ursache“, darstellen würde.
Auch Abstrakta, wie „Gestalt“, „Schönheit“ etc. können hienach schon
als duale Relative aufgefasst werden (sofern zu fragen ist: wessen?), wobei
allerdings in Bezug auf „Schönheit“, wie üblich, übersehen wäre, dass
eigentlich der Geschmack des Publikums oder desjenigen, der dieselbe be-
urteilt, anerkennt, als ein drittes Glied in die Beziehung eingeht.
Indem wir uns hier mit einer blossen Worterklärung begnügten,
verweisen wir in Bezug auf Weiteres und Genaueres auf die letzten
Vorlesungen in unserm Buche (24. Vorl.).
ο2) Mit obigem sind unsre Betrachtungen über Namen vorerst zu
Ende gekommen, und dürfte es sich darnach empfehlen, die Haupt-
ergebnisse übersichtlich zu rekapituliren. Es konnten unterschieden
und einander gegenübergestellt werden:
| a) univoke, d. h. einsinnige (wo nicht unsinnige) | und äquivoke oder doppel- und mchrsinnige |
Namen — desgleichen auch schon Wörter oder Zeichen überhaupt.
[78]Einleitung.
Nicht mehrsinnig zu sein war die fundamentale an das Zeichen zu
stellende Anforderung, die auf die Forderung der Konsequenz in
seinem Gebrauche hinauslief.
Die Wörter zerfielen in
| b) kategorematische oder Namen | und synkategorematische oder Nichtnamen. |
Die Namen waren entweder
| c) | Eigennamen | oder | Gemeinnamen |
— jener ein Individuum unter den Objekten des Denkens, dieser (dis-
tributiv) eine Klasse von Individuen bezeichnend — und es bildete
dies die für die Logik fundamentale Unterscheidung, mit deren Be-
sprechung wir uns auf längere Zeit zur Not schon hätten be-
gnügen können.
Die Unterscheidung von
| d) | Einzelnamen | und | Kollektivnamen |
liess sich indessen kaum anders als wie grammatikalisch oder psycho-
logisch rechtfertigen, indem ausser dem Nichts (0), der Eins, dem
Punkt und dem Augenblick so ziemlich alles Benennbare unter irgend
einem Gesichtspunkt als ein Kollektivname hingestellt werden durfte. —
Ebenso war von den einander gegenübergestellten
| e) | positiven | und | negativen |
Namen nur der Gegensatz zwischen beiden logisch begründbar. —
Dagegen erschien jeweils
| f) | abstrakt | oder | konkret |
und (bei Gemeinnamen) eventuell auch gemischt „abstrakt-konkreter“
Natur zu sein als ein in der Bedeutung des Namens selbst begrün-
detes Merkmal, auf das zu achten jedoch für die Logik weniger in's
Gewicht fallen möchte, als für die Philosophie überhaupt.
Endlich war die Einteilung der Namen in
| g) | absolute | und | relative |
wieder eine durchaus belangreiche — wozu unter den Gemeinnamen
auch wiederum solche von „gemischtem“ Charakter denkbar wären
(indem die Individuen, welche der Gemeinname umfasst, auch teils
durch absolute, teils durch relative Namen charakterisirt sein könnten).
Es ist gelegentlich von Wert, sich bei der Verwendung von Namen
über diese Verhältnisse Rechenschaft zu geben und darauf bezügliche
Fragen vorzulegen.
Recht instruktiv und zu richtiger Anwendung vorstehender Unter-
scheidungen erziehend ist ein logisches Gesellschaftsspiel: das Ratspiel, bei
welchem, unter zeitweiliger Entfernung eines Mitspielenden, sich die übrige
Gesellschaft über irgend ein Benennbares, jenem zum Erraten aufzugebendes
Objekt des Denkens einigt. Der Ratende hat der Reihe nach an jeden Ein-
geweihten eine beliebige Frage in Bezug auf das zu erratende Objekt zu
stellen, die aber nur mit „Ja“ oder mit „Nein“ — und im Zweifelsfalle
mit „Ja-nein“ — beantwortet werden darf und korrekt zu beantworten ist;
das Fragen mag so lange im Ring herum fortgesetzt werden, bis die Lösung
erfolgt, das aufgegebene Objekt vom Ratenden bei seinem Namen genannt,
oder aber der Versuch des Ratens aufgegeben wird. Fragen über die
Buchstaben und Silben, die den Namen zusammensetzen, sind ausgeschlossen.
Das Spiel gibt oft die überraschendsten Aufschlüsse über die logische
und intellektuelle Verfassung einzelner von den beteiligten Persönlichkeiten,
und durch die nach erfolgtem Raten häufig sich anspinnende Diskussion
als Erläuterung oder Rechtfertigung für gegebene Antworten, sowie durch
die zuweilen schon im Laufe desselben mittelst Protests aus der Gesellschaft
erfolgende Remedur für eine unrichtig erfolgende Antwort des Einzelnen
gibt es vielfach Anregung zur Klärung der Begriffe.
Es können nicht nur individuelle Gegenstände aus der materiellen Welt
aufgegeben werden, bei denen die Kategorieen der Zeit und des Ortes meist
rasch auf die Spur zu helfen pflegen, sondern auch allgemein gefasste,
mittelst Gemeinnamens dargestellte, Objekte — wie z. B. „Schwefelhölzer“.
Bei einiger logischen Schulung der Teilnehmer pflegen selbst Abstrakta als
Gemeinnamen, wie z. B. „der Sommer“, „Wahrscheinlichkeit“, „der Prädesti-
nationsglaube“, „ein Missverständniss“ und dergl. unschwer geraten zu werden.
Als überraschend reichhaltig erweisen sich die Kategorieen des Zweckes bei
den Erzeugnissen menschlicher Kunst.
Bedingung für die Lösbarkeit der Aufgabe ist die Einsinnigkeit des
zum Raten Aufgegebenen: es muss, falls dessen Name ein doppelsinnig ge-
bräuchlicher sein sollte, die Gesellschaft sich zuvor über eine bestimmte
unter seinen Bedeutungen als die hier dem Namen beizulegende geeinigt haben.
Natürlich wird in praxi auch bei dem Ratenden eine Kenntniss von
der Existenz des betreffenden Objektes oder wenigstens von seinesgleichen,
vorauszusetzen sein. Wer nie von dem neuentdeckten Metall Germanium,
vom Neptunsmond Oberon oder von der dunklen (sehr lichtschwachen) Neben-
sonne des Sirius, vom Sehpurpur, von dem kopflosen Wirbeltier des mittel-
ländischen Meeres, dem Fisch Amphioxus etc. gehört hat, wird solche nicht
wol zu raten im stande sein. Und auch bei denjenigen, welchen es obliegt,
die Antworten zu geben, muss eine hinlängliche Bekanntschaft mit den Eigen-
schaften und Ingredienzien, mit dem ganzen Wesen des Ratobjektes vorliegen.
π2) Nachdem wir die Notwendigkeit erkannt, dass der sprachen-
bildende Geist neben Eigennamen auch Gemeinnamen schaffe, drängt
sich uns als nächste die Frage auf: welche Dinge wir denn je mit dem-
selben Gemeinnamen belehnen sollen?
Behufs ihrer Beantwortung müssen wir uns berufen auf das mensch-
liche Unterscheidungsvermögen, ein Vermögen, ohne welches ja kein
Studium, keine Wissenschaft, kein Erkennen denkbar erschiene:
Wir sind im stande, Verschiedenes zu unterscheiden und an ähnlichen
Dingen Gleichheiten wahrzunehmen.
Die Gleichheit, Übereinstimmung (agreement) findet immer nur in einer
gewissen Hinsicht statt und ist mit Verschiedenheiten (differences), — in
anderer Hinsicht — verknüpft, ohne welche uns die miteinander verglichenen
Dinge gar nicht als mehrere Dinge erscheinen könnten, sondern identisch,
einerlei, einunddasselbe (oder das nämliche), nur ein Ding zu nennen sein
würden.
Teile oder Elemente der Vorstellung eines — nötigenfalls vollständig,
auch mit allen seinen Beziehungen zu noch andern Dingen — gedachten
Dinges, in welchen es mit andern Dingen übereinstimmen oder auch von sol-
chen differiren kann, nannten wir Merkmale desselben (genauer gesagt: jeweils
das solchen Vorstellungselementen zugrunde liegend gedachte Wirkliche).
Insofern wir häufig ein Ding nicht vollständig auszudenken fähig,
müssen wir natürlich neben „bekannten“ auch „unbekannte“ Merkmale in
der Regel zugeben.
Es sei hier nochmals in Erinnerung gebracht, dass (hienach) dem
Namen „Merkmal“ eine möglichst allgemeine Bedeutung unterzulegen ist;
es handelt sich dabei durchaus nicht blos um „Eigenschaften“ (oder aber
„Thätigkeiten“), die dem Dinge selber, auch wenn es isolirt betrachtet wird,
notwendig oder zufällig zukommen (innewohnen), vielmehr kann das Merk-
mal auch begründet sein in einer „Beziehung“, einem Verhältnisse, einer
Stellungnahme, welche andere Dinge zu dem gedachten einnehmen. Nicht
nur gilt uns der Wellenschlag als ein Merkmal des Meeres, sondern es
gilt uns auch der Preis, die Käuflichkeit als Merkmal einer Waare. Schon
dass er mir, oder einem Andern, mir nicht, (als Eigentum) gehört, dass er
mir gefällt, und dergl. ist als Merkmal eines Gegenstandes hinzustellen,
und auch die Abwesenheit bestimmter Merkmalgruppen kann selbst wieder
als Merkmal gelten, z. B. als Merkmal einer gewissen Bergspitze, dass noch
kein menschlicher Fuss sie je betreten — einerlei auch, ob etwa ein ein-
wörteriger Name dafür vorhanden ist, oder nicht (Merkmal der Jungfräu-
lichkeit oder Unberührtheit des Gipfels, der „Unerstiegenheit“?). Vergl.
hiezu besonders § 15. Dass aber z. B. eine Person A um den Tod einer
andern B trauert, lässt sich begreiflicherweise — ohne weiteres — nicht
[81]Einleitung.
wol ein Merkmal einer dritten Person (oder Sache) C nennen. Im Merk-
mal muss eine Bezugnahme auf das Ding zu erblicken sein, sobald wir
dieses ausdenken.
Wir pflegen nun jeweils solche Dinge mit demselben Gemeinnamen
zu benennen, welche dadurch, dass sie einander in Hinsicht bestimmter
Merkmale gleichen, sich uns sozusagen von selber zur Belehnung mit
dem gleichen Namen empfehlen.
ϱ2) Schon als Vorbedingung und weiterhin im Verlauf dieses Be-
nennungsprozesses sowie bei dem Gebrauch des dadurch geschaffenen
Gemeinnamens treten allemal die übereinstimmenden Merkmale jener
Dinge in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, denn sie gerade bilden
das Band zwischen den wechselnden Vorstellungen der individuell ver-
schiedenen Dinge, welche der Gemeinname umfasst, und dem sich
gleichbleibenden Namen. Es wird (in Kant's Ausdrucksweise) auf
jene übereinstimmenden Merkmale „reflektirt“.
Mit dem Gemeinnamen „teuer“ (teures Ding) z. B. werden wir ver-
schiedene Gegenstände nur dann bezeichnen, wenn wir auf die Höhe ihres
Preises achten, mit dem Gemeinnamen „rund“ nur solche, bei denen auf
ihre Gestalt wir unser Augenmerk richten und deren Übereinstimmung mit
der Kugelgestalt wahrnehmen. Etc.
Infolgedessen aber spielt sich ab, vollzieht sich im Geiste ein
eigentümlicher psychologischer Vorgang, welcher darin gipfelt, dass
wir mit dem Gemeinnamen einen „Begriff“ verbinden.
Die übereinstimmenden Merkmale der Dinge, die wir mit dem-
selben Gemeinnamen bezeichnen, verstärken sich gegenseitig im Be-
wusstsein, werden als wiederholt vorgestellte intensiver gedacht, wo-
gegen deren nicht übereinstimmende Merkmale im Bewusstsein zu-
rücktreten.
In unserm Hirn mag diesem Vorgang ein Prozess entsprechen, welcher
treffend verglichen worden ist mit der Vertiefung einer Furche des Ackers,
wie sie durch wiederholtes Pflügen entlang derselben bewirkt wird.
Schopenhauer1 zieht zum Vergleiche heran: die durch wiederholte und
andauernde Umbiegung längs derselben Kanten sich ausbildende Neigung
eines Tuches, sich in bestimmter Faltung zu legen. Bei der unzweifel-
haften Feinheit der uns grösstenteils noch unbekannten Vorgänge im Ge-
hirne, welche die Denkhandlungen begleiten und deren Erforschung der
Physiologie obliegt, sind jedoch beide Vergleiche nur als sehr rohe An-
näherungen aufzufassen, als ein blosser Notbehelf zu nehmen.
Beneke fasst obigen Verstärkungsprozess als eine Anziehung des
Gleichartigen (in unserm Geiste) auf.
σ2) Es kann diese Wirkung noch mit bewusster Absicht gesteigert
werden kraft eines andern Vermögens des Menschengeistes (auf das
Schröder, Algebra der Logik. 6
[82]Einleitung.
wir nebenher Bezug zu nehmen schon wiederholt Veranlassung fanden)
nämlich des Abstraktionsvermögens:
Wir sind im stande, auf gewisse Merkmale eines gedachten Dinges,
m. a. W. in irgendwelchen Elementen unsrer Vorstellung von dem-
selben, die Aufmerksamkeit zu konzentriren, dieselben in das Feld der
Aufmerksamkeit zu rücken und daselbst mehr oder minder vollkommen
zu isoliren, indem wir von andern Merkmalen absehen oder „abstrahiren“,
d. h. die den letztern entsprechenden Vorstellungselemente im Be-
wusstsein zurücktreten, eventuell sie völlig aus demselben schwinden
lassen.
Solch' bewusste Steigerung des durch den Gemeinnamen schon unbe-
wusst eingeleiteten Abstraktionsprozesses wird — aus Gründen der Arbeits-
teilung — besonders in den Wissenschaften praktizirt; in diesen pflegt der
Geist durch reichliche Übung eine förmliche Virtuosität zu erlangen, von
den (für die Untersuchung) unwesentlichen Merkmalen der Dinge abzu-
sehen, alle Nebenumstände jeweils zu vernachlässigen, dieselben zum Be-
huf seiner eigenen Entlastung zu ignoriren und so befreit dann seine volle
Kraft dem Wesentlichen zuzuwenden.
Durch die Abstraktion überhaupt werden Vorstellungselemente so-
weit isolirt, dass sie auch allein, in gleicher Isolirtheit, reproduzirt zu
werden vermögen. Dadurch erlangen resp. erhöhen wir die Fähigkeit,
dieselben allgemein zu verwenden, nämlich sowol, mit neuen Vorstel-
lungselementen sie zu verknüpfen, als auch in andern Vorstellungs-
komplexen als diejenigen waren, aus welchen sie abstrahirt*) wurden,
sie (genauer ihresgleichen) wiederzuerkennen. Vergl. Sigwart1.
Nachdem wir z. B. vom Schnee das Merkmal der Weisse, weisser
Farbe entnahmen, auslösten, abstrahirten, werden wir das gleiche Merkmal
in der vorgestellten Nebelwolke, dem Kochsalz, der Gypsfigur, Papier etc.
wiederfinden, und würde sich auch jemand eine weisse Maus z. B. vor-
stellen können, der niemals eine solche gesehen. — Den Anlass zum Vollzug
dieser Abstraktion aber bot die Erfahrung, dass es verschiedene weisse
Gegenstände gibt, und die Wahrnehmung dessen, worin sie unter sich über-
einstimmen und sich von den nicht weissen unterscheiden. Als auf ein
anderes Beispiel sei noch hingewiesen auf das Merkmal der „Kugelgestalt“
beim Ball, der Seifenblase etc. und auf das Merkmal der „Gestalt“ über-
haupt, welches wir bei der Melodie, bei einer nach geographischer Länge
und Breite bestimmten Himmelsgegend etc. vermissen (als nicht vorhan-
den erkennen), nachdem es durch Abstraktion aus der Anschauung räum-
licher Dinge von bestimmter Begrenzung gewonnen worden.
Die Abstraktion kann schon an der Einzelvorstellung (repraesen-
[83]Einleitung.
tatio singularis) ausgeübt, ihr Verfahren schon auf das Individuum
angewendet werden.
Logisch betrachtet ist es gleichgültig für das Ergebniss eines
Abstraktionsprozesses, ob man denselben nur einmal, oder öfters, voll-
zogen habe, ob an einem oder an unzähligen Objekten. Psychologisch
aber macht solches einen sehr beträchtlichen Unterschied aus, und es
dürfte fraglich sein, ob nicht in dieser Hinsicht es geradezu als eine
Vorbedingung für die Möglichkeit des Abstraktionsvollzuges hinzustellen
ist, dass wir erst der individuellen Verschiedenheit der durch Abstrak-
tion zu sondernden Merkmale inne geworden seien dadurch, dass durch
Vergleichung verschiedener Objekte wir die Übereinstimmung der einen
neben der Verschiedenheit der andern wahrgenommen.
τ2) Wir versuchten vorstehend genetisch auseinanderzusetzen, auf
welche Weise wir dazu gelangen, uns einen Begriff, notio, conceptus,
conception zu bilden von den durch einen Gemeinnamen dargestellten
Dingen.
Der Begriff ist das — in gewissem Sinne unvollendet, ein „Ideal“
bleibende — Resultat des eben (unter ϱ2 und σ2) geschilderten Pro-
zesses.
Sein „Wesen“ (essentia), oder, wie man auch sagt, seinen „In-
halt“ (complexus, intent) bilden eben die gemeinsamen Merkmale der
mit dem Gemeinnamen bezeichneten Dinge, und zwar seinen „faktischen“
Inhalt diejenigen der letztern, auf welche bei seiner Bildung reflektirt
wurde, seinen „idealen“ Inhalt aber die sämtlichen gemeinsamen Merk-
male überhaupt, welche als solche erkannt werden könnten, die es
aber vielleicht niemals vollständig auszudenken möglich.
Im Gegensatz zu diesem Inhalte wird die Gesamtheit, Klasse der
unter dem Gemeinnamen (distributiv) zusammengefassten Individuen
bezeichnet als der „Umfang“ (ambitus, sphaera, extent) des zugehörigen
Begriffes.
Beispielsweise sind im Begriffe „materielle Substanz“ als dessen In-
halt zusammengefasst die Merkmale: ausgedehnt und von bestimmter Raum-
erfüllung zu sein, d. i. sich irgendwo im Raume zu befinden, die Merkmale
der Beweglichkeit, Undurchdringlichkeit, Trägheit und Schwere, überhaupt
die Eigenschaft, der Sitz von Kräften zu sein, dazu von unzerstörbarer und
unerschaff barer Masse, also der Masse nach geschätzt, von ewiger Fort-
dauer zu sein, das Merkmal, eine Temperatur zu besitzen, und anderes
mehr. Seinen Umfang macht alles das zusammen aus, was überhaupt
Materie heisst: jeder Körper, jeder Teil eines solchen und jede Gruppe von
Körpern im Weltall.
υ2) Gemäss der hervorgehobenen zwiefachen Hinsicht — nach
6*
[84]Einleitung.
Inhalt und Umfang — in welcher Begriffe betrachtet werden können,
sind auch zwei Möglichkeiten denkbar, einen Begriff zu bestimmen.
Dies kann nämlich einerseits geschehen durch Angabe seines Um-
fanges — sogenannte Einteilung, Divisio(n), resp. Partition*) des Be-
griffes, und andrerseits durch Angabe seines Inhaltes, das ist Begriffs-
erklärung, Definition, auch Beschreibung.
So würden wir z. B. durch Aufzählung sämtlicher Planeten eine Um-
fangsangabe (Division, Partition) des Begriffes „Planet“ vollziehen — man
würde dazu erst im stande sein, wenn schon alle Planeten bekannt wären.
Ebenso aber thun wir dies auch dadurch, dass wir sagen, die Klasse der
Planeten zerfalle in die drei Unterklassen der inneren Planeten, der Erde
und der äusseren Planeten.
Die Umfangsangabe des grammatikalischen Begriffes „Satz“ (sentence)
wird geleistet durch den Hinweis, dass der Satz entweder ein Fragesatz
(sentence interrogative) oder ein Ausrufungssatz (sentence ejaculative), oder
eine Wunschäusserung (sentence optative), oder eine Bitte (sentence roga-
tive), ein Befehl (sentence imperative) oder endlich eine Aussage (sentence
indicative, statement, lat. enunciatio — ein Urteil, judgement, judicium) sein
wird, m. a. W. dass die genannten Gebilde zusammen alles das ausmachen,
was man einen „Satz“ nennen kann.
Das Entsprechende leisten wir für den Begriff der „einfachen Farbe“
(im Gegensatz zur Mischfarbe), wenn wir sagen, sie sei entweder rot,
orange, gelb, grün, blau oder violet mit allen Abstufungen und Übergängen,
wie sie das Spektrum eines weissglühenden festen Körpers zeigt.
So mögen wir ferner den Umfang des Begriffs „Wirbeltier“ kund geben
durch den Hinweis darauf, dass mit Einschluss des Amphioxus die Fische,
sowie die Reptilien, Vögel und Säugetiere zusammen die Wirbeltiere aus-
machen.
Der Ausspruch: „Die Affekte sind: Liebe, Hass, Freude, Kummer,
Hoffnung, Furcht, Humor (!) und Zorn“ gibt eine Aufzählung (oder Ein-
teilung des Begriffs) der Affekte.
Die Einteilung kann geradezu auf eine „Klassifikation“ hinaus-
laufen, sofern man nämlich bei ihr nicht (oder nicht durchaus) auf
die Individuen selbst zurückgeht, sondern dabei sich auf gewisse Unter-
klassen als dem Umfange nach schon bekannte Begriffe (die sog.
„Einteilungsglieder“, membra divisionis) beruft. Durch an sie gestellte
wissenschaftliche Anforderungen wird indess der Begriff der „Klassi-
fikation“ noch weiter eingeengt.
Fortgesetzte Einteilung auch der zunächst sich darbietenden Unter-
klassen oder Teilungsglieder führt in letzter Instanz (zuguterletzt)
immer auf die Individuen als etwas (dem „Umfange“ nach) „nicht“
weiter „Teilbares“ (zurück).
Umfasst — wie in der grossen Mehrzahl der Fälle — der Um-
fang eines Begriffes unbegrenzt viele Individuen, ist deren Klasse eine
offenc, so lässt sich dieser Umfang niemals erschöpfend angeben da-
durch, dass man auf die Individuen selbst zurückgeht; vielmehr sieht
man sich alsdann genötigt, zur Umfangsangabe auch solche Unter-
klassen heranzuziehen, die selbst wieder offene sind, und entweder als
schon bekannte vorauszusetzen sind, oder, wenn sie erklärt werden
sollen, dies nur vermittelst Inhaltsangabe, Definition eines ihnen zu-
gehörigen Begriffes zu werden vermögen. Bekannt wiederum konnten
zwar die Individuen einer beliebig grossen Menge noch einzeln, der
unbegrenzte Rest jedoch ebenfalls nur durch Innewerdung ihres begriff-
lichen Inhalts geworden sein.
Exempel: Die unbegrenzte Reihe der Individuen, welche wir „natür-
liche Zahlen“ nennen, lässt sich zwar beliebig weit, doch niemals fertig
aufzählen. Irgendeinmal muss die begriffliche Bestimmung derselben ein-
treten, und am besten geschieht dies gleich von vornherein; man wird sie
„definiren“ als „Summen von Einern“, d. i. als die Ergebnisse eines Ver-
fahrens, durch welches hinter 1 fort und fort + 1 angehängt wird.
Ebenso lassen sich die Punkte, die innerhalb einer gegebenen Ellipse
liegen, nur durch ebendies Merkmal, oder auf eine darauf zurückkommende
Weise, sie lassen nur begrifflich sich allesamt bestimmen.
Die Umfangsangabe erscheint darum als das unvollkommnere der
beiden Mittel, einen Begriff zu bestimmen. Zudem überlässt sie uns
noch ungelöst die Aufgabe, erst den Komplex der in allen unter den
Begriff fallenden Individuen übereinstimmenden Merkmale ausfindig zu
machen, zu entdecken, durch deren Verknüpftsein dieselben von allen
nicht unter diesen Begriff fallenden Individuen unterscheidbar sind.
Sie lässt somit das Wesen des Begriffes unerörtert, lässt uns den
Reifen vermissen, der gleichsam als Fassdauben die Individuen erst
zusammenhält.
Auch ist noch ein Umstand zu beachten: Wenn wir die Bestimmung
eines Begriffs durch Umfangsangabe versuchen, so erscheint die Auswahl
der Objekte des Denkens, die als seine Individuen hinzustellen sind, von
vornherein in unser Belieben gestellt. Wie immer man auch solche Aus-
wahl treffen mag, so lässt sich in dem Zufall, der unsre subjektive Will-
kür lenkt und sie gerade auf diese und auf keine andern Objekte als die
zu Individuen zu erhebenden (vielleicht auf's Gerathewohl, at random) ver-
fallen lässt, in der That ein ebendiesen und nur diesen Individuen gemein-
sames Merkmal erblicken, in gewissem Sinne also auch von einem „Be-
griffe“ reden, welcher der so gebildeten Klasse von willkürlich zusammen-
gelesenen Objekten zugeordnet wäre.
Indessen leuchtet ein, dass solchermassen künstlich geschaffenen, „er-
künstelten“ Begriffen ein wissenschaftlicher Wert in der Regel nicht zu-
kommen wird. Ein solcher wird wol nur solchen Begriffen zuzusprechen
sein, die entweder entsprungen sind aus der Erkenntniss übereinstimmen-
der Merkmale an gegebenen Objekten, die diesen unabhängig von subjek-
tiver Laune notwendig oder faktisch zukommen, oder welche dadurch, dass
sie ein gegebenes, ein bestimmt angebbares Merkmal enthalten, eben dienen
sollen Objekte unsres Denkens zu bestimmen.
Wenn schon sie allerdings missbraucht werden könnte, so wird es
gleichwol nicht ratsam erscheinen, der Freiheit der Begriffsbildung irgend
welche Schranken von vornherein aufzuerlegen. Vergl. γ3).
φ2) Die Begriffserklärung, Definition*), zu der wir nach obigem
zum Behufe der Begriffsbestimmungen greifen werden, sieht sich vor
eine andere Schwierigkeit gestellt.
Zunächst lassen die Merkmale, welche den unter einen Begriff
fallenden („zu seiner Kategorie gehörigen“) Individuen „gemeinsam“
sind, und welche in ihrer Verbindung dessen idealen Inhalt ausmachen,
sich überhaupt nie vollständig aufzählen. Der volle Inhalt des Be-
griffs lässt nie sich fertig „beschreiben“. Denn wieviele Merkmale
man auch schon berücksichtigt haben mag, so werden sich stets noch
neue gemeinsame Merkmale angeben lassen, auf welche noch nicht
geachtet worden ist. (vergl. nachherige Beispiele.)
Die Definition verzichtet daher in der That auf die unmittelbare
Angabe des ganzen Begriffsinhaltes. Sie begnügt sich, direkt, explicite,
nur einen Teil desselben, den Rest aber blos mittelbar, implicite anzu-
geben, indem sie unter den übereinstimmenden Merkmalen eine gewisse
Gruppe hervorhebt von solchen Merkmalen, welche die übrigen alle
involviren, mitbedingen, nach sich ziehen, zur Folge haben — sei es
[87]Einleitung.
auf Grund logischer Denknotwendigkeit allein, sei es auch mit denk-
notwendiger Bezugnahme auf die anerkannten Grundsätze einer wissen-
schaftlichen Doktrin, wie die Naturgesetze, Rechtsnormen und dergl.
Diese in der Definition hervorgehobenen Merkmale können als
charakteristische oder „wesentliche“ Merkmale des Begriffes (notae essen-
tiales) hingestellt werden; doch ist nicht zu übersehen oder zu ver-
gessen, dass die Bedeutung dieses Namens ein willkürliches Moment
in sich schliesst, indem schon Beispiele darthun, dass für denselben
Begriff als für ihn charakteristische sehr verschiedene Merkmalgruppen
erwählt werden können.
Ein Beispiel zur Erläuterung dieser allgemeinen Bemerkungen: Wir
mögen den Kreis (aufgefasst als Kreislinie) regelrecht definiren als eine
geschlossene, ebene Kurve, deren sämtliche Punkte von einem bestimmten
Punkt (etwa ebendieser ihrer Ebene, dem alsdann sogenannten „Mittel-
punkte“) gleichweit abstehen. [Etwas kürzer gefasst könnte die Definition
auch lauten: „Kreis“ ist der „geometrische Ort“ — d. i. die Gesamtheit
der möglichen Lagen — eines („desjenigen“) Punktes in einer Ebene, wel-
cher konstanten Abstand hat von einem festen Punkt in dieser Ebene.]
Auf Grund der geometrischen Axiome folgt alsdann denknotwendig
der Satz von der Gleichheit aller Peripheriewinkel, welche auf demselben
Bogen stehn, im Kreise. Dieser Satz thut aber weiter nichts, als: auf ein
weiteres Merkmal, welches allen Kreisen gemeinsam ist, aufmerksam machen,
solches konstatiren. Und zwar würde hier sogar sich beweisen lassen,
dass dieses Merkmal (wenn auf gewisse Art formulirt) unter allen ebenen
Kurven nur einem Kreise zukommen kann, weshalb man dasselbe auch be-
nutzen könnte um eine gültige, jedoch von der vorigen gänzlich verschiedene
Definition des Kreises aufzustellen.
Ebenso hätten wir aber auch definiren können „Kreis sei eine solche
ebene (geschlossene) Kurve zu nennen, welche bei gegebenem oder nicht
zu überschreitendem Umfange den grösstmöglichen Flächeninhalt hat. Dar-
aus folgt dann schon logisch allein (wenigstens, falls zugegeben wird, dass
der vorigen Definition allemal ein wirklicher Kreis entspricht, ohne Be-
rufung auf weitere geometrische Axiome), dass diese Kurve auch bei ge-
gebenem Flächeninhalt den kleinstmöglichen Umfang haben muss — was
folglich ebensogut zu einer Definition des Kreises hätte mitverwendet wer-
den können.
Offenbar sind es Gruppen von zum Teil recht verschiedenen Merk-
malen — wir brauchen sie nicht in einzelner Aufzählung zu wiederholen
— die in diesen verschiedenen Definitionen als wesentliche Merkmale des
Kreises hingestellt wurden. Die einen ziehen aber schon die andern auf
Grund der geometrischen Doktrin nach sich.
Den idealen Begriff des Kreises würde jemand erst dann besitzen,
wenn alle möglichen für alle Kreise übereinstimmenden Eigenschaften und
Relationen (Thätigkeiten fehlen hier) seinem Geiste gegenwärtig wären, in
seinem Bewusstsein vereinigt würden. Derselbe müsste darnach alle (unter
anderm auch alle geometrischen) Sätze, die überhaupt als von jedem Kreise
[88]Einleitung.
gültig ausgesagt werden könnten (auch in Bezug auf seinen Schnitt, seine
Berührungen mit andern seinesgleichen sowie mit irgend welchen Kurven
und Figuren, auch in Bezug auf Scharen von seinesgleichen, die Kreis-
schnitte der Flächen etc., nicht zu vergessen seiner Gleichung und analy-
tischen Eigenschaften in jedem Koordinatensysteme) schon kennen. Nun
lässt sich aber die Möglichkeit nicht leugnen, dass fort und fort neue und
allgemeingültige Sätze vom Kreise entdeckt werden. Den idealen Begriff
des Kreises besitzt sonach niemand, sondern es ist seine Verwirklichung ein
Ziel, auf das die Wissenschaft erst hinarbeitet.
Ein altbekanntes Beispiel, wie man in Bezug auf die Auswahl der
als „wesentliche“ zur Begriffsbestimmung ausreichenden Merkmale sich
versehen kann, liefert Platon's Definition des Menschen als eines zwei-
beinigen Tiers ohne Federn, welche dessen Schüler Diogenes durch einen
gerupften Hahn persiflirte. Bezug sollte bei jener Definition genommen
sein auf die anerkannten Thatsachen der Naturgeschichte.
Für einen gegebenen Begriff hat demnach der Ausdruck „die
wesentlichen Merkmale“ keinen bestimmten Sinn, sofern damit nicht
auf eine bereits getroffene Auswahl hingewiesen wird; man kann viel-
mehr von vornherein nur reden von „einer“ Gruppe charakteristischer
Merkmale.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass eine Definition (auf extra-
logischem Gebiete) überhaupt nur innerhalb des Rahmens einer be-
stimmten Wissenschaft eines bestimmten Sinnes teilhaftig sein wird —
indem sie eben auf die Grundsätze, Axiome einer solchen stillschweigend
Bezug nimmt.
Z. B. durch die oben gegebene Begriffserklärung des Kreises würde
dieser Begriff in andrer Weise und als ein andrer bestimmt, wenn dabei
auf die Axiome etwa einer nicht-euklidischen Geometrie Bezug genommen
werden sollte — anstatt, wie dies oben stillschweigend geschah — auf die
der Euklidischen. Es mag sogar der Fall eintreten, dass verschiedene unter
den gleichberechtigt zu nennenden, weil einander gegenseitig bedingenden
Definitionen des Kreises dort in der That wesentlich verschiedene Begriffe
bestimmen, einander nicht mehr gegenseitig zur Folge haben.
Unter allen Umständen aber stützt und beruft sich die Begriffs-
bestimmung mittelst Definition ganz unvermeidlich (mit) auf die Ge-
setze des denknotwendigen Folgerns; sie setzt die deduktive Logik be-
reits voraus.
χ2) Nun stehen zunächst uns nur diejenigen Begriffe zur Ver-
fügung, die mit den fertigen Gemeinnamen der Sprache verknüpft sind
und so uns gegeben erscheinen. Diese mögen jeweils durch beigegebene
Erläuterungen von jedem Doppelsinn gereinigt, vor solchem fernerhin
bewahrt werden, sodass wir mit ihnen einen unveränderlichen und
scharfbestimmten Vorstellungsinhalt (vorbehaltlich dessen durch die
[89]Einleitung.
fortschreitende Erkenntniss bedingten Zuwachses) verknüpfen. Zur Auf-
stellung aller ferneren Begriffe von unbegrenzt allgemeiner Anwend-
barkeit steht uns dann, wie gezeigt, nur das Mittel der Definition zur
Verfügung, bei dessen Anwendung allemal die Logik schon voraus-
gesetzt werden musste.
Dieser Umstand legt mir erstmalig eine Bemerkung nahe, für die
ich noch anderweitige und ausschlaggebende Gründe in's Feld zu führen
haben werde. Schon im Hinblick darauf scheint mir nämlich das Be-
streben: die Logik selbst als eine Logik des Begriffsinhaltes darzu-
stellen, wie es seit Jahrtausenden vorwiegend zu verwirklichen gesucht
worden, ein Hysteron-proteron zu sein; es wird damit, wie mich
dünkt, das unterste zu oberst gekehrt, genauer: das oberste zu unterst.
Es würde mir bedauerlich erscheinen, es würde ja zu einem Zirkel
nötigen, wenn die Grundgesetze folgerichtigen Denkens sich nicht darlegen
liessen, ohne diesen subtilsten und schwierigsten Teil der Logik, wenn
man will auch den höchsten, schon vorauszusetzen, als welcher die Lehre
von den Inhalten der Begriffe (den Endzielen der Wissenschaft überhaupt)
scheint hingestellt werden zu müssen.
In der That aber zeigt schon in ihrer bisherigen Entwickelung —
wie F. A. Lange1 pag. 147 hervorhebt — die Logik eine zunehmende
Tendenz, von einer Lehre des Inhalts eine solche des Umfangs zu werden.
Der letztern, deren konsequente Durchführung von diesem scharfsinnigen
Autor bislang vermisst wird, weissagt derselbe eine „Zukunft“ — mit
reicher Entfaltung.
Wir versuchen hier, die Verwirklichung dieser Voraussagung mit an-
zubahnen. Wenn wir auch die verschiedenen Seiten der Frage noch ein-
gehend beleuchten werden, so sei es doch hier schon ausgesprochen, dass
wir die Logik als Lehre von den Urteilen und Schlüssen rein nur als eine
„Logik des Umfanges“ darstellen werden — desgleichen zunächst auch die
Lehre von den Begriffen. Damit glauben wir auch den leichtesten Weg
einzuschlagen, auf welchem sich mit gegebenen Kräften am weitesten wird
kommen lassen.
ψ2) Auch das individuelle oder Einzelding wird als „Begriff“ mit
zugelassen; es ist der Komplex aller seiner Merkmale, durch deren
eigenartige Verbindung miteinander es sich von allen andern Objekten
des Denkens unterscheidet und so als ein vollkommen bestimmtes sich
darstellt. In ihm und mit ihm selbst fällt Inhalt und Umfang seines
Begriffes in eins zusammen.
Durch diese Einziehung des Einzeldinges unter die (bisher nur
als „allgemeine“ betrachteten) „Begriffe“ erweitern wir die Auffassung,
die wir mit dem Worte „Begriff“ verbinden. Wir geben damit kund,
dass uns als das Charakteristische beim Begriffe (als das Wesen vom
Begriff des Begriffes) nur eben das erscheint, dass unter seinem Namen
[90]Einleitung.
eine bestimmtc von allen andern unterscheidbare Merkmalgruppe, ein be-
stimmter Vorstellungsgehalt*) — in eigenartiger Verknüpfung**) —
zusammengefasst und in unabänderlich konstanter Weise diesem Namen
zugeordnet werde.
Mit Sigwart (l. c.) betrachten wir als „das Ziel der Begriffs-
bildung im logischen Sinne eine für alle Denkenden gleiche Ordnung
ihres mannigfaltigen Vorstellungsgehaltes und damit die allseitige plan-
mässige Vollendung dessen, was die Sprache überall schon mit un-
bewusster Vernunft begonnen hat“.
In und mit dem Begriff wird in der That verglichen: es wird Über-
einstimmendes zusammengefasst und Nichtübereinstimmendes ausein-
andergehalten. Und die Wahrnehmung aller Verschiedenheiten sowie
die aller Übereinstimmungen (auch nach der Seite der Relationen, wie
Grund und Folge, Ursache und Wirkung) wird die Erkenntniss des
Weltganzen zusammensetzen.
Die Wissenschaft aber geht darauf aus, nicht nur logisch voll-
kommene, sondern auch die zweckmässigsten Begriffe zu gewinnen, mit
Hülfe deren und ihrer Bezeichnung die grösstmögliche Einfachheit
und Abkürzung unsres Wissens zu erreichen ist und die wertvollsten
und umfassendsten allgemeinen Urteile ermöglicht werden. (Vergl.
Sigwart1 p. 272 u. 273.)
ω2) Kehren wir nochmals zu unsrer Betrachtung der Definition
zurück. Bei der Erklärung eines Begriffs mittelst Definition konnte
es sich nicht um die Angabe eines einzigen Merkmals als des „wesent-
lichen“ handeln. Es müsste sonst das zu Erklärende mit Demjenigen,
wodurch es erklärt werden soll, sich dem idealen Vorstellungsgehalte
nach schon von vornherein decken und würde ein völlig identisches
Urteil resultiren, wie z. B. „Weiss heisst etwas Weisses“, „Wahrheit
ist, was wahr ist“; es könnte höchstens die Erläuterung des Sinns
eines Wortes vermittelst eines damit synonymen vorliegen, wie etwa
[91]Einleitung.
„Rotation ist eine Drehung“, „Zweifel ist Ungewisssein“ und dergl. —
was aber niemand als eine Definition gelten lässt.
Als charakteristisch kann immer nur eine Mehrheit, Gruppe, ein
System von (allermindestens zwei) angebbaren Merkmalen in Betracht
kommen — welche dem Begriffsinhalte angehören, in ihm enthal-
ten sind.
Würde eines von diesen Merkmalen durch die übrigen von selbst
bedingt“ (in dem schon erläuterten Sinne), so wäre seine Anführung
überflüssig; dasselbe ist dann aus der Definition — behufs deren Ver-
einfachung — fortzulassen; dann sind ja schon die übrigen Merkmale
zur Bestimmung des Begriffes ausreichend.
Jedes von diesen Merkmalen wird nun aber, ausser in dem zu
definirenden, auch noch selbständig oder in andern Begriffen auftreten,
denn wenn ein solches jenem ausschliesslich angehörte, so würde es
allein schon für den zu definirenden Begriff charakteristisch sein, zur
Bestimmung desselben ausreichen; die Angabe der übrigen Merkmale
könnte alsdann unterbleiben und kämen wir auf den oben schon als
ausgeschlossen erkannten Fall zurück.
Die in der Definition je als „wesentliche“ verwendeten Merkmale
müssen also, je für sich, gleichwie einen „engeren“ Inhalt, so einen
„weiteren“ Umfang haben; sie werden dem zu definirenden „über-
geordnete“ oder mit ihm verglichen „höhere“ Begriffe sein.
Von diesen Begriffen oder wesentlichen Einzelmerkmalen pflegt
man irgend einen — gewöhnlich den durch ein Substantiv dargestellten
— als „genus proximum“, d. i. als die dem zu definirenden („Art“-)
Begriffe nächst übergeordnete „Gattung“ zu bezeichnen, und sagt von
dieser, dass sie durch die noch ferner hinzutretenden Merkmale ein-
geschränkt, noch näher bestimmt, „determinirt“ werde.
Jedes neu hinzutretende Merkmal muss in der That, gleichwie es
den faktischen durch die bisherigen Merkmale ausgedrückten Vorstel-
lungsinhalt vermehrt, so auch den (möglichen) Umfang des von letzterm
bestimmten Begriffes wirklich verringern, ansonst es ja von diesen
bereits thatsächlich mitbedingt sein und darum seine Erwähnung über-
flüssig erscheinen würde.
Diese in der Definition zu dem genus proximum noch hinzu-
tretenden Merkmale werden demgemäss als „differentiae specificae“ be-
zeichnet, weil sich durch ihren Komplex, sowie auch schon durch jedes
einzelne von ihnen der zu definirende Begriff als eine Unterart des
genus proximum von andern Arten dieser Gattung spezifisch unter-
scheidet.
So erscheint bei unsrer (ersten) Definition des Kreises der Begriff
„Kurve“ (oder Linie) als nächst übergeordnete Gattung. Dieser ist von
weiterem Umfange und dürftigerem Inhalte als der Begriff „Kreis“ selbst.
Der Kreis erscheint als eine „Art“ unter der „Gattung“ der Kurven. Als
spezifische Unterschiede treten in unsrer Definition drei Merkmale zu dem
Begriff der Kurve hinzu, nämlich das Merkmal „geschlossen“ zu sein, „eben“
zu sein und „gleichen Abstand ihrer Punkte vom Mittelpunkte zu haben“.
Liessen wir das erste fort, so würde die Definition auch jeden Kreis-
bogen umfassen (resp. als einen „Kreis“ hinstellen), ja — bei hinreichend
allgemeiner Fassung des Begriffs „Kurve“ — auch jedes System von
Bögen und vielleicht isolirten Punkten derselben Kreislinie.
Durch Weglassung auch des zweiten Merkmals der Ebenheit bekämen
wir einen Begriff, unter dessen Umfang ausser den Kreisen und Kreis-
bögen auch jeder Linienzug auf einer Kugelfläche fallen würde — der auf
eine starre Kugel (als mathematische Linie) geschriebene Namenszug des
geehrten Lesers zum Beispiel. Etc.
Was Kurve, was eben, was geschlossen ist, was gleichen Abstand
seiner Punkte von einem nämlichen Punkte hat, das sind lauter höhere
oder dem des Kreises übergeordnete Begriffe.
Wenn sonach die Definition eines Begriffes nur vermittelst anderer,
demselben übergeordneter oder höherer Begriffe geleistet zu werden
vermag, so wird man bei fortgesetzter Bestimmung auch dieser und
der folgenden Begriffe mittelst Definition schliesslich bei solchen Be-
griffen anlangen und innehalten müssen, welche als die allgemeinsten,
dem Umfange nach weitesten oder höchsten, einer Definition nicht
weiter fähig sind, da sich zu ihnen höhere Begriffe (ausser dem einen
allumfassenden des „Etwas“) nicht mehr angeben lassen (resp. im
Begriffsvorrat der Sprache nicht vorfinden).
Solche selbst nicht definirbare, aber zur Definition anderer ver-
wendbare Begriffe nennt man „Urbegriffe“ oder „Kategorieen“. Die-
selben werden dann einfach als von Anfang bekannt, nämlich mit der
Sprache selbst gegeben vorauszusetzen sein.
Welches sind nun aber jene Kategorieen, die zum Aufbau aller
andern Begriffe ausreichen würden?
Ein erster — nach der zutreffenden Kritik von Mill und Andern
noch ziemlich misslungener — Versuch zur Aufstellung einer Kate-
gorieentafel ist bekanntlich von Aristoteles gemacht. Auch haben
Kant, Mill selbst, Peirce1c, Sigwart und Andere schon bessere Vor-
schläge für das ganze Gebiet oder für einzelne Teilgebiete des Denkens
zu machen gewagt. Ich hoffe einleuchtend zu machen, dass und warum
derartige Versuche als verfrühte zur Zeit noch nicht zum Ziele führen
können.
α3) Immerhin ist uns mit Obigem das Ideal erwachsen, unser
gesamtes Begriffssystem zu einem wissenschaftlich streng gegliederten
zu gestalten, indem wir die Begriffe alle aus möglichst wenigen Ur-
oder Grundbegriffen vermittelst möglichst weniger Grundoperationen (zu
denen die Determination gehören wird) systematisch aufbauen. [Die
Begriffe dieser Operationen werden selbst zum Teil den Urbegriffen
in gewissem Sinne zuzuzählen sein].
Nachdem erkannt ist, wie viel der menschliche Geist dem Zeichen
verdankt, dürfen wir die Möglichkeit nicht ungenutzt lassen, das Zeichen
noch weiter auszubilden. Es bietet sich die Aufgabe dar, durch an-
gemessene, adäquate Gestaltung des Zeichens Zeichen und Sache durch-
weg in gesetzmässiges Entsprechen zu bringen, oder (mit den Worten
Trendelenburg's) die Gestaltung des Zeichens und den Inhalt des
Begriffs in unmittelbare Berührung zu bringen, indem wir statt des
in der Sprache gerade vorhandenen Wortes solche Zeichen ersinnen,
welche die im Begriff unterschiedenen und zusammengefassten Merk-
male unterscheidend und zusammenfassend darstellen.
Auf einzelnen Gebieten hat die Wissenschaft aus eigenem Bedürfniss
schon Anfänge einer solchen Begriffsschrift hervorgebracht. Das Verfahren,
durch welches mit unsern Ziffern die nach dem zehnteiligen Gesetz fort-
schreitende Zahlenbildung ausgedrückt wird (vergl. ζ2), ist ein hervor-
ragendes Beispiel dazu, an welchem es sich (in der Arithmetik und höheren
Rechnung) deutlich zeigt, wie mit dem zutreffenden Zeichen die Herrschaft
über die Sache, die Einsicht und Kunst des Menschen in unübersehbarer
Wirkung zunimmt. Mit dem „notwendigen“, d. h. gemäss der Forderung
höchster Angemessenheit als solches sich aufdrängenden Zeichen muss sich
die Erkenntniss der bezeichneten Gebiete notwendig weiter und weiter er-
schliessen.
Eine solche Bezeichnung wird, wenn sie auf das ganze Feld der
Gegenstände des Denkens ausgedehnt zu werden vermag, im Gegensatz
gegen das dem Inhalte der Vorstellungen mehr oder weniger gleich-
gültige Zeichen des Wortes, eine charakteristische Sprache der Begriffe,
„Begriffsschrift“, und im Gegensatz gegen die besonderen Sprachen der
Völker eine allgemeine Sprache der Sache (Pasigraphie) sein (ibid.).
Hiermit sind wir angelangt bei dem Gedanken einer philosophisch
wissenschaftlichen Universalsprache.
Derselbe war zuerst von Des Cartes erfasst, dann von Leibniz
vertieft; doch blieben die beiderseits gemachten Vorschläge mehr Umriss
und Versprechen, als Ausführung und Leistung. Ich folge mit den hierauf
bezüglichen Bemerkungen wieder Trendelenburg (l. c.). Cartesius (Episto-
lae I, 111 in der Amsterdamer Ausgabe von 1682, p. 353 sqq.) verlangt,
dass eine ähnliche Ordnung unter den Ideen, welche möglich sind, her-
[94]Einleitung.
gestellt werde, wie es eine natürliche Ordnung unter den Zahlen gibt.
Und wie jemand in einem Tage lernen kann, in einer unbekannten Sprache
alle Zahlen in's unendliche zu benennen und zu schreiben, obwol sie mit
unzähligen verschiedenen Wörtern bezeichnet werden, so könne ähnliches
mit den übrigen zum Ausdruck der menschlichen Gedanken notwendigen
Wörtern geschehen. Die Erfindung einer solchen Sprache hänge von der
wahren Philosophie ab*); denn ohne diese sei es unmöglich, alle Ideen
der Menschen aufzuzählen oder zu ordnen und so zu unterscheiden, dass
sie deutlich und einfach wären. Erst wenn man deutlich entwickelt hätte,
welches die einfachen Vorstellungen, und aus welchen Elementen die Ge-
danken zusammengesetzt sind, und wenn dies in der Welt anerkannt worden:
so lasse sich eine allgemeine Sprache hoffen, welche leicht zu lernen, aus-
zusprechen und zu schreiben wäre und welche überdies, was die Haupt-
sache, unsre Urteilskraft fördern würde, indem sie alles so deutlich und
unterschieden darstellte, dass eine Täuschung unmöglich würde, während
umgekehrt unsre Wörter nur verworrene Bedeutungen haben, an welche
sich der menschliche Geist so lange Zeit gewöhnt hat, dass er fast nichts
vollkommen einsehe. Cartesius setzt hinzu, dass er eine solche Sprache
und die Wissenschaft*), von welcher sie abhängt, für möglich halte; mit
ihrer hülfe werde dann ein Bauer über die Wahrheit der Dinge besser
urteilen, als jetzt ein Philosoph. Aber man solle nicht hoffen, sie je zu
erleben, denn das setze grosse Veränderungen voraus und es sei dazu not-
wendig, dass sich die Welt in's Paradies verwandle.
Leibniz indessen hatte kühneren Mut, obwol er die vorangegangenen
Versuche*) und ihr Vergebliches kennt.
Des Letztern (nicht von ihm herausgegebenen) Aufsätze über die Pasi-
graphie sind betitelt: historia et commendatio linguae characteristicae uni-
versalis quae simul sit ars inveniendi et judicandi, desgl. dialogus de con-
nexione inter res et verba et veritatis realitate (1677).
Schon die Namen, welche Leibniz dem Unternehmen gibt, kündigen
seine Bedeutung an. Bald nennt er es lingua characteristica universalis
[95]Einleitung.
oder das Alphabet der menschlichen Gedanken, bald hingegen calculus philo-
sophicus oder calculus ratiocinator. [In jenem Briefe vom Jahre 1714 nennt
er es spécieuse générale — ein Name, welcher an die Verwandtschaft mit
der geometrischen Analysis erinnert, da diese, seit Vieta Buchstaben als
allgemeine Zeichen von Grössen in sie einführte, analysis speciosa hiess.]
Diese Namen zeigten schon das Ziel, das Leibniz vor Augen hatte: es
war eine adäquate und allgemeine Bezeichnung des Wesens der Begriffe
durch eine solche Zergliederung in ihre Elemente, dass dadurch eine Be-
handlung derselben durch Rechnung möglich werden sollte; sein Unter-
nehmen, sagt Leibniz, müsse zustande kommen characteribus et calculo als
eine combinatoria characteristica.
Von den Prinzipien her hofft er Befestigung der Erkenntniss, Ver-
hütung des Widerspruchs, Ausschluss des Streites (man werde, wo solcher
droht, einfach sagen: Lasst uns friedlich die Sache berechnen!). Leibniz
erwartet einen Einblick und eine Übersicht, durch welche mitten in der
sich ausdehnenden Masse der Erkenntniss dennoch die Wissenschaften sich
abkürzen, und insbesondere hofft er durch die Einsicht in die einfachen
Elemente und deren Verbindungsweisen auch fortschreitende Erkenntniss
des Besonderen, Entdeckungen und Erfindungen.
Die Verwirklichung des gedachten Ideals einer wissenschaftlichen
Klassifikation und systematischen Bezeichnung alles Benennbaren muss
aber nach dem oben von uns Angeführten zur Voraussetzung haben:
die vollendete Kenntniss der die Begriffselemente zu verknüpfen be-
stimmten Grundoperationen und die Bekanntschaft mit deren Gesetzen.
Diese Vorarbeit hat die Logik zu leisten, und solange sie — wie der-
malen — unvollendet ist, können Versuche erwähnter Art von Erfolg
nicht gekrönt sein.
Vorher schon Kategorieentafeln aufzustellen scheint mir kaum ver-
dienstlicher, als der Hinweis auf einen Haufen Steine als auf die Bausteine
zu einem wundervollen Baue, dessen Plan jedoch noch niemand gesehen
hat, und bei welchem auch das Bindemittel, der Kitt zum Zusammenhalten
der Steine, vergessen ist.
Jene die Begriffe verknüpfenden Operationen werden wir hier in
der That erst zu studiren haben.
Und ihre Gesetze werden wir in bestimmten Grenzen vollständig
erforschen, aber allerdings zunächst nur für die elementarsten Ver-
*)
[96]Einleitung.
richtungen des Denkens, wie sie als solche sich darbieten. Dieser
erste Teil der Logik ist der Klassenkalkul — von Peirce als die
Logik der Dinge hingestellt, welchen „absolute“ Namen zukommen
(vergl. ξ2).
An die schwankenden Gebräuche der Wortsprache werden wir
dabei den Maasstab eines vollkommen konsequenten Bezeichnungs-
systems anlegen. Mit letzterem werden wir dann auch im stande sein,
die Verknüpfungen und Beziehungen, die zwischen Urteilen möglich
sind, erschöpfend wiederzugeben, sodass als ein zweiter Teil der Logik
der Aussagenkalkul erscheint, der sich zu einem hohen Grade von
Vollendung bereits entwickelt zeigt.
Erst mit dem völligen Ausbau eines dritten (und schwierigsten)
Teiles könnte aber die Disziplin der Logik den Anspruch erheben die
obenerwähnte Vorarbeit für die dereinstige wahre Philosophie geleistet
zu haben. Das wäre die Logik der unter „relativem“ Namen zu be-
greifenden Gedankendinge: die Logik der Beziehungen überhaupt und
ihrer verschiedenen Kategorieen. Diesen Teil unsrer Disziplin müssen
wir dermalen grossenteils noch unfertig lassen.
β3) Wir haben von π2) ab versucht, den Begriff des „Begriffes“
zu entwickeln.
In einer so fundamentalen Frage, über welche die Philosophen
schon seit Jahrtausenden geschrieben und wo deren Lehrmeinungen
so himmelweit auseinandergehen, scheint nun aber doch ein kritischer
Rückblick noch angezeigt zu sein.
Wir gingen bei unsrer Betrachtung von dem für den Begriff (als
Einzelding oder aber allgemeinen Begriff) bereits vorhanden gedachten
Namen (Eigennamen resp. Gemeinnamen) aus.
Die Annahme, dass der fragliche Begriff einen Namen habe, kann
nicht wol als eine Beschränkung für die Allgemeinheit unsrer Be-
trachtungen angesehen werden, wofern nur nicht etwa gefordert wird,
dass der Name von Anfang bereits unter den einwörterigen figurire.
Denn was auch Gegenstand des Denkens werden mag, es lässt sich
doch mit Worten angeben, beschreiben. Und diese Beschreibung stellt
uns einen (eventuell eben vielwörterigen) Namen für das Beschriebene
vor. So oft wir übrigens einen neuen Begriff gewinnen, empfinden
wir alsbald das Bedürfniss nach einem angemessenen (auch angemessen
kurzen) Namen für denselben, und diesem Bedürfniss könnte nötigen-
falls selbst durch einen einwörterigen Namen — mittelst Einführung
eines solchen — immer genügt werden.
Es sollte jedenfalls mit unsrer Erörterung nicht behauptet sein,
dass die Bildung des Worts dem Begriffe notwendig oder thatsächlich
vorangehe.
Wenigstens die Aneignung des Wortes vonseiten des jugendlichen
Menschen bei der Erlernung seiner Muttersprache mag in der That nicht
selten derjenigen des zugeordneten Begriffes voraufgehen. Auch vermöchte
die Wissenschaft wol Beispiele aufzuweisen, wo die Kombination von
Worten — z. B. in der Form als „Nicht-a“, nachdem ein Begriff von a
bereits vorgelegen — den ersten Anstoss zur Bildung eines Begriffes gab.
Jedoch lassen auch Belege sich erbringen für Fälle, wo die umgekehrte
Succession erkennbar ist. Auf p. 177 seiner Schrift1 erinnert J. Keller
an das von Steinthal erwähnte Kind, das jedesmal, wenn es einen Fremden
mit Papa anredete, den Kopf dazu schüttelte. „Es befand sich auf dem
Stadium seiner Begriffsentwickelung, wo der allgemeine Begriff Mann, den
es mit dem Worte Papa verband, sich zu spalten anfing in Mann im all-
gemeinen und in den Begriff, den Kinder späterhin mit Papa verbinden.“
Wie in diesem Falle, so dürfte auch bei dem Zuwachs an Begriffen, den
die Wissenschaften liefern, die geistige Erfassung des Begriffes der wort-
bildenden Namengebung zumeist vorangehen.
Die ganze Frage mögen wir indess der Psychologie, Sprachwissenschaft
und Pädagogik überlassen.
Worauf wir hier sicher fussen zu dürfen glaubten, ist nur: dass
die Begriffsbildung mit der Namengebung, der Schöpfung und Fort-
entwickelung der Sprache, notwendig handinhand geht.
γ3) Schwerlich dürfte unsre Darlegung beanstandet, sie möchte
wol als zutreffend zugestanden werden in Bezug auf die sogenannten
„empirischen“ Begriffe.
Begriffe, die ihren Ursprung der Wahrnehmung, Erfahrung ver-
danken, entstehn zweifellos auf die angegebene Weise. Und zwar
braucht die Wahrnehmung nicht gerade eine sog. „äussere“ zu sein,
die auf dem Sinneseindruck beruht.*) Auch durch „innere“ Wahr-
nehmung und Erfahrung gewinnen wir Begriffe in ganz analoger
Weise. So mögen wir bei der Farbe und dem Ton auf das gemein-
same Merkmal des „Sinneseindrucks“ reflektiren**), wir mögen von
den Phantasiegebilden, Absichten, Stimmungen und Gedanken das
Merkmal der „Unsinnlichkeit“ abstrahiren.
Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch
Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten
müssen.
Neben dem geschilderten Prozesse der „unmittelbaren“ Begriffs-
bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch „mittel-
barer“ konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu
müssen.
Der Begriff der „Unmöglichkeit“ z. B. (den auch Keller hervorhebt)
ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale
von allem „Unmöglichen“ entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen-
stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be-
griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken
ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder
(solchen und) physikalischen Gründen die „Möglichkeit“ zusprechen. Und
es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein
gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan-
den wäre, in Anbetracht, dass „Unmöglichkeit“ ja in der That nicht von
Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt-
nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.
Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be-
griffs der „Unmöglichkeit“ darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.
Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der „Verknüpfung“ (Kom-
bination) und „Trennung“ (Separation) und — als eine Modifikation
der letztern — insbesondre in Form der „Verneinung“ (Negation), von
durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen
auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass
Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs-
entwickelung hingestellt werden dürfen.
Auch die Begriffe des „Dings an sich“ und der „Wahrheit“, der
„Vollkommenheit“, des „Ideals“, der „Freiheit“, und andere, könnten ähn-
lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung
anzuregen.
Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig-
keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung
seines Wesens hinzuweisen.
Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche
die Philosophen auch noch nicht einig geworden.
Es befehden sich die Schulen der „Nominalisten“, der „Realisten“ und
der „Konzeptualisten“ und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist,
dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im
Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner-
kannte Theorie noch nicht berufen.
Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen
der „allgemeinen Vorstellung“ (repraesentatio generalis sive universalis) als
[99]Einleitung.
Desjenigen, was darunter vorgestellt wird, wenn der Name einer Klasse
fällt, z. B. wenn von „einem Baume“ gesprochen wird — im Gegensatz zu
der Einzelvorstellung (repraesentatio singularis, wie „dieser Baum hier“)
und im etwaigen Gegensatz zum Begriff „Baum“. Die Identität solcher
Allgemeinvorstellung mit dem zugehörigen Begriffe wird teils behauptet,
teils bestritten.
Auf solchem unsichern und vielumstrittenen Fundamente nun das
Gebäude einer Wissenschaft errichten zu wollen, die, wie die Logik,
den Anspruch erhebt, nur absolut sichere, weil denknotwendige und
evidente Wahrheiten aufzustellen, scheint mir kein wissenschaftliches
Verfahren. Die Logik von vornherein als eine solche des Begriffsin-
haltes zu errichten möchte eher wol dem Versuche gleichen, das Dach
vor dem Hause zu bauen.
Eine „Logik des Umfanges“ in erster Linie anzustreben, darin bestärkt
mich auch die Überlegung: dass (gerade wenigstens von dem Standpunkte,
den manche Verfechter einer solchen „des Inhaltes“ einnehmen) viele Be-
griffe dem Inhalte nach überhaupt nicht existiren, die gleichwol eines (be-
grifflich!) scharfumgrenzten Umfanges sich erfreuen.
So die meisten ursprünglich durch Negation gewonnenen Begriffe, wie
etwa „Nichtmensch“ — indem es, wie Lotze witzig bemerkt, für den
menschlichen Geist eine ewig unlösbare Aufgabe bleibt, von allem, was
nicht ein Mensch ist, also „von Dreieek, Wehmut und Schwefelsäure“ die
gemeinsamen Merkmale zu abstrahiren und zum Begriff des „Nicht-men-
schen“ zusammenzufassen!
Dem Umfange nach existirt aber dieser Begriff doch unzweifelhaft
(wenn man auch mit Lotze gegen die Zweckmässigkeit und den wissen-
schaftlichen Wert seiner Aufstellung zu Felde ziehen mag), sintemal kein
individuelles Objekt des Denkens bekannt ist, über welches wir irgend im
Zweifel sein könnten, ob demselben das Prädikat, ein „Mensch“ zu sein,
zu oder abzusprechen wäre — vorausgesetzt nur, dass man sich über ge-
wisse Fragen des Doppelsinns, z. B. den Embryo, den Leichnam betreffend,
geeinigt, nämlich den Begriff „Mensch“ selbst erst gehörig präzisirt hat.
Und die Lotze'sche Argumentation1 pag. 58 würde mutatis mutan-
dis ebensogut auf „einander nicht schneidende Kurven“ anwendbar sein, wo
seine sonstigen Einwendungen wegfielen. Auch hier würde es wol unmöglich
sein, ein „positives“ gemeinsames Merkmal zu abstrahiren. Ein „negatives“
aber, genauer: die Abwesenheit eines bestimmten (anerkannten) Merkmals,
will Lotze eben nicht als Merkmal gelten lassen. Vergl. hiezu § 16.
Von seinem Standpunkte aus, auf den ich mich soeben stellte, um
ihn mit seinen eigenen Gründen zu widerlegen, hätte also auch dieser letz-
tere Begriff keinen Inhalt und existirte doch unzweifelhaft seinem Umfange
nach, als Klasse; und als solcher wäre er auch (schlechthin oder in ander-
weitig noch enger begrenzter Auffassung) für die Geometrie ganz un-
entbehrlich.
Von einer Logik des Inhaltes müssten (darnach also) ganz un-
entbehrliche Begriffe ausgeschlossen bleiben und hätte solche keinen
7*
[100]Einleitung.
Anspruch darauf, mit ihren Gesetzen unser ganzes Denken zu um-
fassen, oder die erforderliche Allgemeinheit zu besitzen.
Übrigens steht es auch gar nicht so schlimm um die Einseitig-
keit eines Studiums der blossen Begriffsumfänge (ohne Rücksicht auf
den Inhalt der zugehörigen Begriffe) — aus dem Grunde, weil sich
zeigen wird, dass bestimmten Umfangsverhältnissen der Begriffe (wo
solche vorhanden) allemal die „umgekehrten“ Verhältnisse zwischen
ihren Inhalten parallel gehen, z. B. einer Überordnung hier eine Unter-
ordnung dort.
Es wird also das eine zwar unbehelligt vom andern dennoch
grossenteils zugleich mit ihm erledigt. Und die Frage: ob Logik des
Inhalts oder des Umfangs? müsste darnach sogar für irrelevant er-
klärt werden, hätte sich nicht jene durch die Anforderung, u. a. immer
nur begrifflich bestimmte Subjektklassen zu bilden, ganz übermässig
eingeschränkt gesehen, und wäre sie nicht in Reaktion gegen solche
Einengung notgedrungen allemal über ihre Grenzen hinaus getreten,
und — inkonsequent geworden! [Konsequenterweise könnte z. B. die
Logik des Inhalts partikulare Urteile überhaupt nicht bilden — es
sei denn als identische oder „nichtssagende“ Urteile — vergl. die Aus-
führungen am Schlusse des § 44.]
Was eine „Klasse“ ist, scheint auch viel leichter zu begreifen, als
der Komplex der psychologischen Motive, welche zu ihrer Aufstellung
Veranlassung bieten könnten. Stellte man letztere, d. i. eben den „In-
halt“ des zugeordneten Begriffes (falls anerkannt werden mag, dass
es einen solchen gibt) in den Vordergrund der Betrachtung und be-
gänne, dergleichen Motive selbst aufzuzählen, so vermöchte niemand
vorab zu ersehen, ob nicht die Wissenschaft noch ganz andere Motive
zur Klassenbildung dereinst aufdrängen wird, als diejenigen sind, die
man heutzutage als einen regelrechten Begriff konstituirend gelten
lassen will. Wie schon unter v2) angedeutet und in Einstimmung mit
Dedekind1 pag. 2, Fussnote können wir es nicht als berechtigt an-
erkennen, dass man der Freiheit der Begriffsbildung irgend welche
Schranken von vornherein auferlege.
Gerade indem sie die Klasse als eine möglicherweise auch ganz
willkürlich zusammengesetzte — um nicht zu sagen „zusammengewür-
felte“ — in's Auge fasst, wird die Logik der Klassen, unter denen von
selbst auch die Umfänge aller Begriffe mit figuriren, eine wesentlich
höhere Allgemeinheit erzielen als jede Logik, welche von vornherein
nur von den Inhalten der Begriffe handeln will.
Das letzte Wort über die Frage dürfte der Erfolg zu sprechen
[101]Einleitung.
haben; und hier scheinen mir zunächst die jahrtausendlangen Be-
mühungen, von der Betrachtung des Begriffsinhaltes aus die Logik in
ein gesund fortschreitendes Wachstum zu bringen, gescheitert.
Schlagender dürfte dies kaum zu konstatiren sein, als es von einem
der heftigsten Gegner der Umfangslogik selbst geschieht, nämlich von
Prantl, indem dieser in der Vorrede zum 4ten Bande seines Riesenwerkes1
als den Hauptgewinn seiner eingehenden Studien über die Logik-Erzeugnisse
von mehrern der neueren und neuesten Jahrhunderte mit drastischen Worten
den hinstellt, dass Andere all' den Wust nun nicht mehr durchzulesen
brauchen! Sollte da die Disziplin nicht fortgesetzt doch auf dem Holzwege
gewesen sein?
δ3) Ich möchte hiernächst noch einem Vorurteile entgegentreten,
welches der Aufstellung einer „Logik des Umfanges“ entgegensteht.
Es ist besonders in Deutschland bei geistreichen Philosophen
Mode geworden — und neuerdings in verstärktem Maasse*) — die
Versinnlichung von Begriffsumfängen durch die Euler'schen Kreise
(vergl. § 3) eine dürre oder öde zu nennen, überhaupt von der Be-
trachtung der Umfangsverhältnisse als von etwas Trockenem, Lang-
weiligen oder Unfruchtbaren mit einer gewissen Geringschätzung zu
sprechen, und vollends einen auf diese Betrachtung gegründeten Kalkul
als einen toten Formalismus oder leeren Schematismus zu qualifiziren,
solchen von vornherein zu verdammen.
Die Frage, ob dem wirklich so ist, scheint mir von ganz kapi-
taler Bedeutung zu sein und es besonders im Interesse der deutschen
Philosophie zu liegen, dass derselben auf den Grund gegangen werde.
Bei dem Versuche, dies zu thun, wende ich mich nicht an Diejenigen,
die (vielleicht mehr oder minder bewusst) solche Äusserungen im Grunde
blos als einen Deckmantel, eine scheinbare Rechtfertigung für ihre Bequem-
lichkeit benutzen, zufolge deren sie die Mühe scheuen, welche es unver-
meidlich kostet, in den Geist einer konsequent aufgebauten, exakten Wissen-
schaft einzudringen, die Herrschaft über einen Kalkul sich zu erringen.
Diese würden, weil ihnen die Überzeugung unwillkommen, auch schwerlich
zu überzeugen sein.
Denjenigen aber, die unbeeinflusst von solch' persönlichem Motive auf-
richtig meinen, dass die Sache sich also verhalte, möchte ich folgende Be-
trachtung nahe legen.
Bringen wir uns einmal zum Bewusstsein, was denn eigentlich
[102]Einleitung.
vor sich geht beim Zählen (der Einheiten einer Menge). — Wenn ich
z. B. die Herrn, die hier auf einer Bank vor mir sitzen, zähle, so
bilde ich einen jeden derselben einfach mit einem Striche (1) ab. Da-
mit das entstandene Bild — sagen wir 11111 — nicht als eilftausend-
einhunderteilf gelesen werde, verbinde ich die Striche (Einer) mit dem
Zeichen plus. Ich erhalte so ein Schema:
1 + 1 + 1 + 1 + 1
und ist es für die Zwecke unsrer Betrachtung nebensächlich, dass für
dasselbe auch ein einfacheres Zeichen: 5, nebst zugehörigem Namen
eingeführt ist.
Im Grunde ist es also eine äusserst rohe Art von Abbildung, die
wir beim Zählen vornehmen (die Abbildung der Einheiten oder Indi-
viduen der Menge blos nach ihrer „Häufigkeit“ oder „Anzahl“) —
eine Abbildung, die hinsichtlich ihres Gehaltes bei weitem nicht heran-
reicht an diejenige, welche der Stift des Zeichners, die Kamera des
Photographen, der Pinsel des Malers hervorzubringen vermöchte, von
dem Meissel des Bildhauers zu geschweigen, durch welche ja nicht
blos die Anzahl, sondern vielleicht die ganze äussere Erscheinung, ja
allerhand charakteristische Eigentümlichkeiten der Haltung und der
geistige Ausdruck der Gesichtszüge der abgebildeten Persönlichkeiten
zur Darstellung kämen. Noch weniger kümmern wir uns bei unserm
Abbildungsverfahren um diejenigen Verhältnisse, die den Menschen am
meisten vom Menschen zu interessiren pflegen. Von den Anlagen,
Kenntnissen und Fertigkeiten, von dem ganzen Charakter der abge-
bildeten Personen — nicht zu reden von ihren Vermögensverhält-
nissen (!), die ja von andrer Seite auch wiederum der Darstellung
durch Zahlen zugänglich wären — wird einfach abstrahirt. Von der
Abstammung und sozialen Stellung, von der Vorgeschichte eines Jeden,
seinen Aussichten für die Zukunft … von allem, was das Wesen seiner
Persönlichkeit ausmacht, wird abgesehen; es wird, sofern es auch be-
kannt sein sollte, beim Zählen gelöscht, ignorirt.
Welcher gemüt- und phantasievolle Denker möchte sich angesichts
dessen nicht versucht fühlen etwa zu sagen: „Natürlich haben auch
die Zahlenverhältnisse ihren Wert; aber wo man diesen bedürfen wird,
ist er nicht so schwierig zu ermitteln, um sich seiner nicht nebenher
augenblicklich zu bemächtigen; einen Hauptgesichtspunkt für die Be-
trachtung der Dinge aus ihren Zahlenverhältnissen zu machen halte ich
für ebenso unfruchtbar (irrig) als langweilig“*)!
Langweilig, trocken, dürr etc.? — Vielleicht ja! — Man kann es
auch heute noch niemand verwehren, die Arithmetik (als die Wissen-
schaft, die sich mit den Zahlenverhältnissen beschäftigt) langweilig
zu finden. Es thun dies aber zumeist nur Solche, die entweder einen
recht schlechten Elementarunterricht genossen oder sich überhaupt
nicht der Mühe unterzogen haben, dieselbe kennen zu lernen.
Unfruchtbar? — Nein! — Es dürfte doch heutzutage wol niemand
mehr es wagen, die Analysis und Mathematik, die Lehre von Zahl
(und Maass), die messende und rechnende Physik, der Unfruchtbarkeit
zu zeihen.
Und dennoch bleibt die Thatsache der Rohheit unsres Abbildungs-
verfahrens, welches bei jedem Zählen allemal bethätigt wird, bestehen;
dennoch ist die ungeheure Dürftigkeit, welche auch der Ermittelung
metrischer Beziehungen notwendig anhaftet, ganz unverkennbar, und
selbst die Geometrie, indem sie noch die „gestaltlichen Verhältnisse“
der Dinge in den Bereich ihrer Betrachtung zieht, ist doch unleugbar
einseitig, sieht von den allerinteressantesten Eigenschaften der raum-
erfüllenden Substanz armselig ab.
Wie sind dabei nun die grossartigen Erfolge zu begreifen, die in
einer (die Unterbrechungen eingerechnet) allerdings mehrtausendjährigen
Geschichte gerade jene Wissenschaften thatsächlich errungen haben
(und mit der Zeit nur immer reichlicher zu verwirklichen scheinen),
welche sich die Erforschung der Gesetze der Dinge nach Zahl und
Maass zur Aufgabe stellten?
Die Antwort gibt das alte Gleichniss von dem Bündel Pfeile,
welches allen Versuchen, dasselbe zu zerbrechen, als Ganzes wider-
stand und sich erst Demjenigen ergab, der dasselbe auflöste, die Pfeile
einzeln zu knicken:
Die Schwierigkeiten, welche dem Fortschritt der Erkenntniss ent-
gegenstehen, sind auch nur einzeln zu überkommen, und gerade in
ihrer Einseitigkeit, in der durch sie verwirklichten Teilung der Arbeit
liegt das Verdienst und die Kraft der erwähnten Disziplinen.
In ebendiesem Sinne dürfen wir auch die unsrer Logik der Um-
fangsverhältnisse zur Last gelegte Einseitigkeit als einen Vorzug der-
selben in Anspruch nehmen. Indem die ältere Logik solche Einseitig-
keit verschmähte, ist sie in den jahrtausenden verhältnissmässig stehen
geblieben, das Sprichwort illustrirend: qui trop embrasse, mal étreint.
*)
[104]Einleitung.
Versuchen wir — es ist hohe Zeit — es jetzt einmal ernstlich mit
solcher Einseitigkeit und gehen über den Vorwurf der Dürftigkeit, die
ja allerdings in gewissem Sinne mit solcher naturnotwendig verknüpft
ist, sich aber durch intensivere Entwickelung in ihrem eigenen Be-
reiche, durch grossen, ja ungeahnten, Reichtum der Entfaltung in
andrer Hinsicht ausgleicht, zur Tagesordnung über.
Nicht übergehen dürfen wir jedoch diese Frage:
War es denn aber auch wahr, dass die Zahlenverhältnisse der
Dinge gar „nicht so schwierig zu ermitteln seien, um sich ihrer (im
Bedarfsfalle) nicht nebenher augenblicklich zu bemächtigen?“ Sind nicht
vielmehr in der That Generationen scharfsinniger Forscher in uner-
müdlicher Arbeit fort und fort in Anspruch genommen, nur um dieser
Zahlenverhältnisse sich immer mehr zu bemächtigen?
Und was zeigt sich nun auch in Bezug auf die Begriffsumfänge
beim Vordringen auf unserm „einseitigen“ Pfade?
Es zeigt sich, dass schon diese „dürftigen“ Umfangsverhältnisse
durchaus nicht so einfach zu übersehen sind, wie man anfangs sich
einbilden mochte, ferner dass selbst bedeutende Philosophen in Fehler
darin verfallen sind, und dass sich schwierige Probleme zur Lösung
darbieten. Wer letzteres mit Aussicht auf Erfolg bestreiten wollte,
der müsste wol erst einmal die in diesem Buch als noch ungelöst
signalisirten Probleme lösen!
Ganz Zutreffendes über die vorliegende Frage sagt F. A. Lange auf
p. 18 seiner citirten Schrift1, wo er Ueberweg's Stellungnahme gegen
die schematisirende formale Logik geisselt. Der sehr beachtenswerte
Passus lautet:
„Wie nahe übrigens Ueberweg in Folge seines ungemeinen Scharf-
sinns, seinem eigenen erkenntnisstheoretischen Vorurteil zum Trotz, an die
richtige Auffassung der logischen Technik streifte, zeigt eine zum § 84
(S. 234) gehörige Anmerkung, welche speziell gegen die geringschätzige
Art gerichtet ist, in der Hoppe (logik, Paderborn 1868) von dem »Denken
nach dem Schema« redet im Gegensatz zu einem angeblichen Denken nach
dem Begriff. Hier sagt Ueberweg wörtlich: »Mit gleichem Recht könnte
man die mathematisch-mechanische Betrachtung als einseitig und willkür-
lich schelten, wenn sie untersucht, was aus gewissen einfachen Voraus-
setzungen folgt und dabei von andern Datis absieht, von denen jene in der
Wirklichkeit nicht abgesondert vorzukommen pflegen, wenn sie z. B. die
Bahn und die Stelle des Falls eines irgendwie geworfenen Körpers nur auf
Grund der Gravitation und der Beharrung berechnet, ohne den Miteinfluss
des Luftwiderstandes zu erwägen, sodass anscheinend die konkrete An-
schauung das Resultat genauer zu bestimmen und über die Rechnung zu
triumphiren vermag; wollte aber die mathematische Mechanik jenes ab-
straktive Verfahren nicht üben, so würde sie die Bewegungsgesetze über-
[105]Einleitung.
haupt nicht zu erkennen vermögen und die Wissenschaft würde aufgehoben
sein.« Es folgt die in der That schlagende Anwendung auf die Logik.
Wer in ähnlicher Weise das abstrakte Verfahren der Logik von der Rea-
lität aus korrigiren will, »hebt durch dieses Verfahren nicht eine falsche
Logik zugunsten einer bessern, sondern die Möglichkeit einer methodisch
fortschreitenden logischen Erkenntniss der Denkgesetze selbst auf.«“
Erst nach beendeter Untersuchung über das, was aus den Umfangs-
verhältnissen der Begriffe schon allein folgt, wird die wissenschaftliche
Theorie des Denkens auch andere Momente mit in Betracht ziehen dürfen.
Wer freilich sich an ein gerade vorliegendes Beispiel hält und solches ander-
weitige Wissen, den nicht auf Umfangsverhältnisse bezüglichen Gehalt des-
selben, mit hinzunimmt, kann wol ein volleres Resultat zu besitzen glauben
und auf den Logiker herabsehen, der sich mit dem dürftigen Schema des
Umfangsverhältnisses plage. Allein Der wird auch stets am Beispiel
hängen bleiben und sich ohne die Reflexion auf diese Verhältnisse, welche
durch das Abstrahiren von allem übrigen bedingt ist, niemals zur Er-
kenntniss des allgemeinen Denkgesetzes erheben (vergl. Ueberweg l. c.
mutatis mutandis).
So wird es auch Demjenigen, der ein Gemälde nach den Regeln der
Perspektive beurteilt, nicht zu verargen sein, wenn er die Abstufungen der
Farbentöne und die dem Bilde zugrunde liegende Idee des Künstlers dabei
ausser Acht lässt. Soll das Bild gut sein, so muss vor allem die „dürf-
tige“ Zeichnung, die wieder übermalt wird, jenen Gesetzen genügen. (Vergl.
De Morgan5 p. 83.)
Wenn gar aber Lotze seine Logik mit dem Wunsche schliesst,
dass die deutsche Philosophie zu dem Versuche sich immer wieder
erheben werde „den Weltlauf zu verstehen und ihn nicht blos zu be-
rechnen“, so ist zu sagen: könnten wir ihn nur erst berechnen! dann
würden wir gewiss ihn auch „verstehen“, soweit überhaupt ein Ver-
ständniss auf Erden erzielbar.
ε3) Den Begriffen wird ihre Bildungsweise vorgeschrieben durch
das „Urteil“. Durch das Urteil wird ausnahmslos einem Subjekte ein
Prädikat beigelegt, zugeschrieben oder aber abgesprochen.
Für die komplizirteren Fälle, in welchen das Urteil sich aus Teilsätzen
zusammensetzt, die durch Konjunktionen verbunden sind, behalten wir uns
vor, dies in der Theorie erst genauer darzulegen; in solchen ist das Sub-
jekt selbst ein Urteil, eine Aussage. In den einfacheren Fällen treten zu-
meist anderweitige Objekte des Denkens als Subjekt auf.
Dies Subjekt ist entweder ein Einzelding — und als solches ohne-
hin ein Begriff — oder es ist eine Klasse von Einzeldingen, und auch
diese erscheint gewöhnlich zusammengehalten und bestimmt durch das
Band eines ihre Individuen verknüpfenden Begriffes. Das Urteil be-
jaht dann, oder verneint, das Prädikat von allen Individuen dieser Klasse
und damit zugleich von ihrem Begriffe.
Soferne das Urteil anerkannt, zur Uberzeugung erhoben, adoptirt
wird — und dies zu werden ist der letzte, der Endzweck aller Urteile,
welcher nur vorübergehend durch den mittelbaren Zweck einer blos
provisorischen Annahme des Urteils verdrängt zu werden vermag —
erfüllt es alsdann folgende Mission, Bestimmung.
Sofern es bejahte, begründet es hinfort, wird es zum Ausgangs-
punkt für — eine Gewöhnung des Geistes, die Merkmalgruppe des
Subjektbegriffes (und damit zugleich eines jeden seiner Individuen)
stetsfort zu verknüpfen mit den Merkmalen des Prädikatbegriffes,
die letztere geradezu in den Subjektbegriff selbst aufzunehmen und
als einen integrirenden Bestandteil seines Inhaltes mit diesem zu ver-
schmelzen.
War solche mentale Gewöhnung schon ehe das Urteil fiel vor-
handen, so erscheint dasselbe als überflüssig, oder es dient doch nur
dazu, gedachte Gewöhnung zum Bewusstsein zu bringen, in diesem
wieder aufzufrischen und zu festigen.
Sofern das Urteil verneinte, beugt es jedenfalls der genannten durch-
gängigen Verknüpfung vor.
Im übrigen lässt der Sinn und die Tragweite der sog. „verneinenden“
Urteile verschiedene Auffassungen zu (als negativ prädizirende oder aber
negative), in Bezug auf welche ich mich in Gegensatz zu Sigwart werde
stellen müssen. Die Kontroversen können nicht kurzerhand vorweg abge-
macht werden und ist in ihrem Betreff auf die Theorie (7te Vorlesung) zu
verweisen. Es wird sich zeigen, dass, was wir — um den streitigen Fragen
hier noch auszuweichen — nunmehr im Hinblick auf die bejahenden Urteile
sagen werden, sich auch auf die „verneinenden“ übertragen lässt.
Das Prädikat ist selbst ein Begriff. Und dieser ist, wenn nicht
mit dem Subjektsbegriffe „identisch“, so allemal ein „höherer“ Begriff,
die Prädikatklasse dann der Subjektklasse „übergeordnet“.
Psychologisch jedoch ist es nicht erforderlich das Prädikat über-
haupt als eine Klasse zu denken.
Wenn ich z. B. sage (cf. Mill2 pag. 113, 117) „Schnee ist weiss“,
so will ich dies von irgend welchem, von allem Schnee gesagt haben, und
ist es richtig, dass aller Schnee enthalten ist in der Klasse der „weiss“
zu nennenden Dinge. Thatsächlich brauche ich aber bei jener Aussage an
sonst nichts Weisses zu denken und will ich in der That damit nur kund-
geben, dass in meiner Vorstellung vom Schnee das Merkmal der „Weisse“
ein Element bildet, dass er mir die Empfindung erregt, die (durch Ab-
straktion von irgend welchen weissen Dingen gewonnen) als die Vorstellung
von „weiss“ ein isolirter und bleibender Besitz meines Geistes geworden
ist. Die analoge Betrachtung in Bezug auf den Satz: „Blut ist nicht
weiss (sondern rot)“ durchzuführen überlassen wir dem Leser.
Wir heben dies ausdrücklich hervor, um uns gegen den Vorwurf
[107]Einleitung.
zu verwahren, als ob wir den Umstand übersehen hätten, wenn wir
späterhin aus Gründen wissenschaftlicher Zweckmässigkeit auf das
Verhältniss zwischen der Subjekt- und der Prädikatklasse vorwiegend
reflektiren, die beiden Begriffe gleichwol nach ihren Umfangsbeziehungen
ins Auge fassen.
Aus alledem wird zunächst ersichtlich sein, wie die Urteile be-
zwecken, auf die (definitive) Gestaltung der Begriffe hinzuarbeiten und
einzuwirken.
Ich will nunmehr noch den Gedankengang Herrn Charles
S. Peirce's darlegen, durch welchen er in der Einleitung zu seiner
grundlegenden Arbeit5 das Wesen der Urteile und auch der Schlüsse
von einer neuen Seite beleuchtet. Damit werden wir dann auch auf
die Frage nach dem Wesen der Folgerichtigkeit der letztern zurück-
kommen. Indem ich hinsichtlich des Wortlautes auf pag. 15 sqq. der
Peirce'schen Schrift verweise, darf ich mich seiner Betrachtungsweise
in freier Reproduktion anschliessen und mir auch kritische Zwischen-
und Zusatzbemerkungen gestatten.
ζ3) Denken — sagt Peirce ungefähr — Denken als Gehirnthätig-
keit („cerebration“) ist ohne Zweifel den allgemeinen Gesetzen der
Nerventhätigkeit (nervous action) unterworfen.
Es erscheint darum gerechtfertigt, zunächst einmal die letztere im
allgemeinen zu betrachten.
Wenn eine Gruppe von Nerven gereizt (erregt, stimulirt) wird,
so werden die Nervenknoten (Ganglien), mit denen die Gruppe im
engsten Zusammenhange steht, — und schliesslich das Centralorgan
des Geistes selbst — in einen Zustand der Thätigkeit versetzt, wel-
cher seinerseits nicht selten Bewegungen des Körpers veranlasst.*)
Wenn der Reiz (the stimulation) fortdauert, verbreitet sich die Er-
regung (irritation) von Ganglion zu Ganglion, gewöhnlich dabei an-
wachsend. Bald auch beginnen die zuerst erregten (excitirten) Nerven
Ermüdung zu zeigen, und so ist aus doppeltem Grunde die körperliche
Thätigkeit von einer wechselnden Art. Wenn die Reizung beseitigt
wird, hört auch meist die Erregung rasch auf.
Aus diesen Thatsachen geht hervor, dass wenn ein Nerv affizirt
wird — solange bis die Stimulation unangenehm wirkt — die Reflex-
thätigkeit, wenn sie nicht von vornherein von solcher Art ist, den
[108]Einleitung.
Reiz zu beseitigen, ihren Charakter wieder und wieder verändern wird,
bis der Reiz beseitigt ist, und darnach erst wird diese Thätigkeit
aufhören.
Nun haben alle Lebensprozesse eine Tendenz und die Fähigkeit
durch Wiederholung (repetition) leichter zu werden — innerhalb ge-
wisser Grenzen wenigstens, deren Überschreitung als Übermüdung,
Überanstrengung, beziehungsweise Altersabnahme und -schwäche zu
bezeichnen wäre. Längs was immer für einem Pfade eine nervöse
Entladung (a nervous discharge) einmal gegangen ist, längs ebendieses
Pfades wird eine neue der vorigen gleichartige Entladung um so
leichter und wahrscheinlicher wieder stattfinden. Es beruht auf dieser
allbekannten Thatsache der Nutzen und Erfolg der Übung.
Demgemäss wenn eine Nervenerregung wiederholt wird, so sind
alle die verschiedenen Thätigkeiten, welche bei vorhergegangenen ähn-
lichen Veranlassungen stattgefunden haben, in der günstigeren Lage,
auch jetzt wieder stattzufinden, und zwar werden diejenigen am ehesten
wieder eintreten, welche am häufigsten stattgefunden haben bei jenen
vorausgegangenen Veranlassungen. Nun mögen die verschiedenen
Handlungen, welche die Reizung nicht beseitigten, vorher manchmal
ausgeführt worden sein und manchmal nicht; aber diejenige That,
welche die Reizung beseitigt, muss am häufigsten ausgeführt worden
sein, weil die Einwirkung in der Regel fortgedauert haben wird bis
sie vollzogen wurde.*) Darum muss eine starke Gewöhnung daran,
der gegebenen Reizung auf diese besondre Weise zu begegnen, rasch
sich ausbilden.
Eine so erworbene Gewohnheit kann auch als eine Disposition, eine
Anlage zu ihrer Ebenfallserwerbung weiter vererbt werden — sagt Peirce
ungefähr; dies dürfte jedoch als eine von der Physiologie noch nicht völlig
entschiedene Frage zu bezeichnen sein und wird bekanntlich solches von
einer Autorität wie die des Herrn Weismann entschiedenst bestritten.
η3) Zu unsern wichtigsten Gewohnheiten gehören diejenigen, kraft
deren gewisse Klassen von Antrieben oder Reizungen uns zuerst in
eine blos geistige, physiologisch betrachtet, blos cerebrale oder Hirn-
thätigkeit versetzen.
Der Anblick eines hübschen Gegenstandes z. B. mag den Wunsch er-
zeugen, denselben zu besitzen, welcher in dem Vorsatz gipfelt, bei nächster
Gelegenheit sich seinesgleichen zu kaufen.
Sehr oft aber ist es auch nicht eine äussere Empfindung, ein
Sinneseindruck (an outward sensation), welcher den Gedankengang in
Fluss bringt (which starts the train of thought), sondern die Reizung,
statt „peripherisch“ zu sein, ist „visceral“ (aus den Eingeweiden, aus
dem Innern des Leibes stammend).
So wenigstens Peirce. Für diese für ihn charakteristische Ausdrucks-
weise scheint mir aber eine Modifikation wünschenswert zu sein. Gemein-
hin möchte man wol die eigentlich oder im engeren Sinne „visceralen“
Reize — wie Hunger, Geschlechtstrieb, Kopfweh — mitsamt den periphe-
rischen Sinneseindrücken als physische Antriebe gegenüberstellen den psy-
chischen, von denen Peirce nunmehr reden will, im Hinblick wenigstens
auf die Hirnthätigkeit, die sie begleitet.
Solche Antriebe zu Denkhandlungen oder wirklichen Thaten, wie sie
als Hass, Liebe, Furcht etc. und namentlich, durch den Stand unsrer Ein-
sicht bedingt, als Beweggründe (Motive) mannigfachster Art, wie Eigen-
nutz, Selbstsucht, Pflichtgefühl, Gemeinsinn, in unserm Bewusstsein existiren,
zu den „visceralen“ (vielleicht Unterabteilung der grosshirnig-cerebralen)
Reizungen zu rechnen, dürfte doch etwas gewagt erscheinen und überhaupt
nur angängig sein, sofern man einseitig lediglich die Zustände oder Vor-
gänge in's Auge fasst, welche im (als „wirklich“ supponirten) Nervensystem
den Bewusstseinsvorgängen — nach heutigem Stand der Physiologie —
parallel gehen. Hierauf allerdings hat Peirce von vornherein schon hin-
gewiesen durch die Bemerkung, dass er das Denken (nur) „as cerebration“
betrachten wolle. Nunmehr fährt er fort:
In solchem Falle hat die Thätigkeit in der Hauptsache denselben
Charakter: eine innere Thätigkeit beseitigt die innere Reizung. Eine
vorgestellte Konjunktur von Umständen veranlasst uns dazu, eine ge-
eignete Richtschnur des Handelns (line of action) vorzustellen.
Man findet, dass solche Vorkommnisse, auch wenn keine äussere
Handlung eintritt, doch in hohem Maasse dazu beitragen, dass in uns
eine Neigung, Gewohnheit sich ausbilde, wirklich auf die vorgestellte
Weise zu handeln, wenn die vorgestellte Gelegenheit annähernd
eintritt.
Eine cerebrale Gewöhnung (Gewohnheit? — „cerebral habit“) der
höchsten Art, welche für eine unabsehbare Reihe von Gelegenheiten
bestimmen wird, sowol, was wir in Gedanken, als was wir in Wirk-
lichkeit thun, wird ein „Glaube“ genannt.
Peirce sagt durchweg „belief“, nicht Überzeugung, conviction, oder
Meinung, Ansicht, opinion, view. Wegen der Schwierigkeit, die spezifisch
religiöse Nebenbedeutung („faith“), mit welcher (im Deutschen) das Wort
„Glaube“ behaftet erscheint, nicht unnötig in den Vordergrund treten zu
[110]Einleitung.
lassen, würde ich das Wort „Überzeugung“ vorziehen, wenn nicht dieses
seinerseits wieder eine zu enge Bedeutung hätte, indem es auf ein schon
ganz feststehendes, über jedes Zweifeln erhabenes Glauben hinzuweisen
pflegt. Das Wort „ein Glaube“ soll hier nur irgend etwas, was jemand
eben glaubt, bezeichnen.
Bringen wir es uns zum Bewusstsein, dass wir eine spezielle
Gewöhnung (specified habit) dieser Art haben, so vollziehen wir ein
„Urteil“ (judgment).
Unter Umständen möchte ich vorziehn zu sagen: … dass wir sie er-
werben, sie begründen oder fortan haben werden. Indessen hat Herrn
Peirce's Ausdrucksweise hier den Vorzug, für alle Fälle wenigstens zuzu-
treffen, wenn sie dafür auch nicht alles erschöpfen dürfte, was im Urteil
liegen kann.
Zum Beispiel: schliessen wir uns dem Urteil an: „der Mars ist von
intelligenten Wesen bewohnt“ (wie dies neuerdings sehr wahrscheinlich
geworden ist), so konstatiren wir (für uns und Diejenigen, die wir etwa
durch den Hinweis auf die schnurgeraden Kanäle von Sciaparelli's areo-
graphischer Karte ebendavon überzeugen oder überreden) — eventuell be-
beginnen und festigen, gewinnen wir damit eine Gewohnheit, die Oberfläche
jenes (die Erde an Alter wol weit übertreffenden) Planeten belebt zu
denken mit Wesen, die auf die Umgestaltung dieser Oberfläche, ja auf
die Konfiguration des Festlandes dortselbst zweckbewusst und mit erfolg-
reicher Technik einwirkten. —
Es tritt, wie mir scheint, auf diesem, dem intellektuellen Gebiete die
merkwürdige Thatsache hervor, dass oft ein Augenblick schon genügt (ein
Augenblick, nämlich, des „Einleuchtens“), um die allerfestesten und uner-
schütterlichsten Gewohnheiten sich anzueignen, Gewohnheiten, die nicht
selten mit äusserster Zähigkeit für's ganze Leben festgehalten werden.
Die Kraft, mit welcher eine Überzeugung so als eine Denkgewohnheit
festgehalten wird, pflegt mehr oder minder vollkommen die reichliche Übung
zu ersetzen, die sonst — auf dem Gebiet der äusseren körperlichen Thätig-
keiten wenigstens und auch bei vorwiegend mechanischem Auswendiglernen
— unerlässlich scheint zur Erwerbung und Festigung einer Gewohnheit.
Die Intensität dieser Kraft erscheint mitbedingt durch den Grad der Evi-
denz; sie steigert sich nach Maassgabe, je deutlicher wir (einmal oder zu
immer wiederholten malen) das im Urteil Gedachte als ein durch objektive
Notwendigkeit zu denken Gebotenes zu erkennen glauben. Bei den un-
mittelbar einleuchtenden, „analytischen“ oder selbstverständlichen Wahr-
heiten ist die Tyrannei dieser Gewohnheit eine so grosse, dass man von vorn-
herein gar nicht anders kann, als derselben huldigen. Der Begriff der
Gewohnheit erhält in solchem Falle einen volleren Inhalt als gewöhnlich,
den reichsten wol, der überhaupt ihm zukommen kann: sie artet in einen
Grenzfall aus und fällt geradezu zusammen mit einem absoluten Zwange
(der „Denknotwendigkeit“).
Eine Denkgewohnheit kann natürlich auch verhältnissmässig unwichtig
und kurzlebig sein. Wer z. B. urteilt: „ich bin hungrig“, manifestirt damit
eine Gewohnheit, sich, sooft er an seinen gegenwärtigen Zustand zurück-
[111]Einleitung.
denken mag, von Hungergefühl befallen zu denken — eine Gewohnheit
indess, die meistens wieder verloren gehen wird, sobald darnach Sättigung
stattgefunden.
In den meisten Fällen möchte das, was Peirce hier als das Bewusst-
werden und den Anfang einer Denkgewohnheit hinstellt, vielleicht treffender
als das Innewerden einer permanenten Neigung (wo nicht subjektiven Not-
wendigkeit) des Denkens bezeichnet werden. Doch mögen wir — nach
dem Billigkeitsanspruche „sit venia verbo“ — das Wort „Gewohnheit“
immerhin cum grano salis beibehalten.
ϑ3) Eine Glaubensgewohnheit (belief-habit) kann in ihrer Ent-
wickelung damit beginnen, noch unentschieden, schwankend und schwach
zu sein; sie vermag jedoch unbeschränkt zu werden: schärfer aus-
geprägt, stärker und von weiterer Sphäre der Wirksamkeit — Peirce
lässt sie anfangs unbestimmt, mit Besonderheiten behaftet und dürftig
(vague, special and meagre) sein, hernach präziser, allgemeiner und
vollständiger (more full) werden.
Der Vorgang dieser Entwickelung, soweit er im Bewusstsein (in
imagination) stattfindet, heisst Denken (thought).
Urteile werden gebildet, und unter dem Einfluss einer Glaubens-
gewohnheit erzeugen sie oft ein neues Urteil, welches als ein Zuwachs
zu dem Glauben erscheint. Ein solcher Vorgang wird Schliessen (an
inference) genannt.
Das oder die vorangegangenen Urteile heissen die Voraussetzungen
oder Prämissen, das nachfolgende Urteil der Schluss, die Konklusion.
Die Gewohnheit des Denkens, welche den Übergang von den
ersten zu der letzten vermittelte und bestimmte, wenn als Satz formu-
lirt zum Bewusstsein gebracht, heisst das „leitende Prinzip“ (the lea-
ding principle) des Schliessens. (Beispiele weiter unten.)
Während aber dieser Prozess des Schliessens oder die spontane
Entwickelung von Überzeugungen (des „Glaubens“) fast beständig in
uns vorgeht, erzeugen auch neue peripherische Reizungen immerfort
neue Glaubensgewohnheiten.
Für unsre Kulturepoche glaube ich als einen höchst wesentlichen Teil
dieser neuen Anregungen die durch Beispiel, Unterricht, Wort, Schrift,
Druck und Bild bewirkte Mitteilung resp. Übertragung der Ansichten und
Überzeugungen andrer Menschen, von Sachverständigen, Fachgenossen etc.
doch ganz besonders hervorheben zu sollen.
So wird der Glaube (das Glauben) zum Teil durch frühere Über-
zeugungen bestimmt, zum Teil durch neue Wahrnehmungen.
Herrscht nun aber eine Gesetzmässigkeit in allen diesen Wand-
lungen?
Die Forschung besteht darauf (maintains), dass dies der Fall ist,
nämlich dass sie alle hinsteuern auf ein Endziel (gerichtet, angepasst
sind, are ‥ adapted to an end), nämlich das: den Glauben mit der
Zeit gewissen vorbestimmten Erkenntnissen entgegenzuführen (that of
carrying belief, in the long run, toward certain predestinate conclu-
sions), welche die nämlichen sind für alle Menschen und welche bleiben.
Dies ist der „Glaube“ (the faith) des Forschers.
Auf dieser stillschweigend angenommenen Thatsache beruhen alle
Maximen des Überlegens (maxims of reasoning) und auf Grund der-
selben wird das, was zuletzt geglaubt werden muss, unabhängig sein
von dem, was bisher geglaubt worden ist, und wird den Charakter der
Wahrheit (reality) haben.
Kommt diese Wahrheit auch für den Einzelnen vielfach noch nicht
zum Durchbruch, so wird sie doch (mehr und mehr auf jedem Gebiete)
einst ihre Herrschaft entfalten für das Geschlecht. Der Glaube an ihre
Erkennbarkeit, an ihren endlichen und definitiven (endgültigen) Sieg oder
Triumph, liegt ganz gewiss der Forschung zugrunde und an der Verwirk-
lichung dieses Ideals mitzuarbeiten schwebt jedem Forscher vor.
Diesen Glauben nimmt nun Peirce auch für den Logiker in Anspruch
(dem Wortlaute nach sogar nur für diesen) und sagt:
Wenn darum eine gegebene Gewohnheit des Folgerns (a given
habit, considered as determining an inference) von solcher Art ist,
dass sie auf das gemeinsame Endziel hinwirkt (is of such a sort, as
to tend toward the final result), so ist sie korrekt und andernfalles
nicht. So zerfallen die Schlussfolgerungen (inferences become divisible)
in gültige (the valid) und in ungültige (the invalid), und daraus schöpft
die Logik ihre Existenzberechtigung.
Man sieht, dass hier Peirce dem Ergebnisse der Erkenntnisstheorie
sozusagen teleologisch vorgreift.
Da nun diese Auffassung der Folgerichtigkeit die Ergänzung, deren
sie bedürftig erscheint, durch Sigwart bereits gefunden hat — vergl.
unter A der Einleitung die Absätze β) und ξ … ι) — so glauben wir der
Auseinandersetzung nach dieser Richtung nichts mehr hinzufügen zu sollen.
ι3) Das Eigentümliche und Verdienstliche an dieser den Kern der
Sache jedenfalls nahe streifenden Auseinandersetzung von Peirce
scheint mir zu sein: die nachdrückliche Hervorhebung des Moments
der Gewohnheit in Bezug auf das Urteilen (mit Überzeugung, das
Glauben) sowol, wie auf das Folgern oder Schliessen.
Ein spezielles, individuelles Handeln kann niemals selbst als eine
Gewohnheit bezeichnet werden; es kann, als ein einmaliges, höchstens
zum Ausgangspunkt für eine solche werden oder ein Ausfluss einer
[113]Einleitung.
solchen sein. Gewohnheit (und Neigung, Disposition) ist etwas Gemein-
sames, übereinstimmend Wirkendes in einer ganzen Klasse von Hand-
lungen (die, sofern sie auch bei verschiedenen handelnden Personen
verglichen werden, sogar unbegrenzt, eine offene Klasse sein mag und
in Bezug auf den Einzelnen die gleiche Bezeichnung nur insofern
nicht verdienen wird, als das Leben desselben eine unbegrenzte Menge
von Handlungen überhaupt nicht in sich fassen kann); die Gewohn-
heit ist immer von einem mehr oder weniger allgemeinen Charakter.
Eine Gewohnheit veranlasst uns, unter ähnlichen Umständen auch
immer ähnlich zu handeln, d. h. unter Umständen, die einander in
einer bestimmten Hinsicht gleichen, stets Handlungen zu vollziehen, die
wiederum in bestimmter (vielleicht in einer ganz andern) Hinsicht
einander gleichen. Die zeitliche Succession der übereinstimmenden
Merkmale jener Umstände und dieser Handlungen, wenn aus einem
physiologischen Grunde erfolgend (und zugleich vielleicht durch ein
psychologisches Motiv verursacht), macht das Wesen der Gewohn-
heit aus.
In den verschiedenen Fällen, in denen „dieselbe“ Gewohnheit wirk-
sam ist, werden darnach die „spezifischen Differenzen“ zwischen den
Gruppen jener Umstände sowol als auch zwischen diesen Handlungen
nebensächlich, ohne Belang sein.
Gelingt es, die übereinstimmenden Merkmale (eventuell auch nur
„wesentliche“ von diesen Merkmalen) jener Umstände und dieser Hand-
lungen in Zeichen darzustellen, bei denen jene spezifischen Differenzen
unausgedrückt bleiben, offen gelassen werden — m. a. W. vermögen
wir nur den „Begriff“ der Umstände, unter welchen gedachte Gewohn-
heit wirkt, und den „Begriff“ der Handlungen, die sie dann hervor-
ruft, darzustellen, so werden wir ein Schema für die Gewohnheit er-
halten: sooft Umstände (von den Merkmalen) A eintreten, thun wir B
(vollziehen eine Handlung von den Merkmalen B).
Jede Gewohnheit muss so ein allgemeines Schema haben.
Als Umstände haben wir jetzt hauptsächlich Zustände des Bewusst-
seins und zwar besonders Meinungen, als Handlungen ebenso vorzugs-
weise Denkhandlungen, die Bildung neuer Meinungen im Auge.
Es wurde erkannt, dass solche Meinungen wesentlich selbst schon
Gewohnheiten im Denken sind oder zu solchen werden.
ϰ3) Aus solchen, den „Prämissen“ p kann sich eine neue Denk-
gewohnheit und Meinung entwickeln: die „Konklusion“ c. (Vergleiche
wieder Peirce l. c.)
„Es gilt p, ergo gilt auch c“, oder abgekürzt:
„p, ergo c“
ist darum das Schema jeder Folgerung.
Die Konjunktion „ergo, folglich, also (therefore)“ ist das Zeichen
des Schliessens (sign of illation).
Der Übergang von der Prämisse (oder dem System der Prämissen,
set of premises) p zu der Konklusion c findet beim Schliessen statt
gemäss einer in uns wirksamen Denkgewohnheit oder Regel.
Obwol diese das Folgern beherrschende oder „leitende“ Gewohn-
heit gewöhnlich nicht vom Bewusstsein objektivirt wird (is not present
to the mind), sind wir uns doch bewusst, nach einem allgemeinen
Prinzip (on „some“ general principle) zu schliessen.
Alle Schlussfolgerungen, welche ebendiese Denkgewohnheit be-
stimmen würde sobald nur die geeigneten (d. i. die unter den ersten
Teil ihres Schemas fallenden) Prämissen zugelassen wären (when once
the proper premises were admitted), bilden eine Klasse. Und die
Denkgewohnheit ist vom Standpunkt der Logik eine gute zu nennen,
wenn sie niemals (oder im Falle eines Schlusses nach der Wahr-
scheinlichkeit, in case of probable inference, selten) von einer wahren
Prämisse zu einer falschen Konklusion führen würde; andernfalles ist
sie verwerflich (logically bad). M. a. W. Jeder denkbare Fall der
Wirksamkeit einer guten Gewohnheit des Schliessens würde entweder
ein solcher sein, in welchem die Prämisse falsch, oder ein solcher, in
welchem die Konklusion wahr ist. Wogegen, wenn eine solche Ge-
wohnheit schlecht ist, Fälle denkbar sein würden, in welchen die
Prämisse wahr ist, während die Konklusion falsch bleibt.
Wir sahen, dass eine jede Gewohnheit ein allgemeines Schema
haben muss. Dies gilt mithin auch von einer Denkgewohnheit, welche
beim Folgern wirksam ist, das Ziehen von Schlüssen beherrscht: die-
selbe wird sich allemal durch einen Satz darstellen lassen, dass ein
Urteil (proposition) C von einer gewissen allgemeinen Form, welches
in einer bestimmten Beziehung steht zu einem Urteil (oder einer
Gruppe von Urteilen) P von ebenfalls allgemeinem oder schematischem
Ausdruck, wahr sein muss, sobald dieses letztere wahr ist.
Ein solcher Satz ist dann das „leitende Prinzip“ der Klasse von
Schlussfolgerungen, deren Gültigkeit (validity) es in sich schliesst
(implies).
Wird der Schluss erstmalig gezogen, so pflegt (wie schon an-
gedeutet) das leitende Prinzip, solchergestalt formulirt, dem Geiste
[115]Einleitung.
nicht gegenwärtig zu sein. Aber die Gewohnheit, deren Schema es
darstellt, ist in einer solchen Weise wirksam, dass bei Vergegen-
wärtigung (upon contemplating) der angenommenen (believed) Prä-
missen durch eine Art Intuition (Wahrnehmung, perception) auch die
Konklusion für wahr erachtet wird.
Mit diesen Worten „by a sort of perception“ beruft sich auch Peirce
auf das von Sigwart mit Recht stärker hervorgehobene, ja in den Vorder-
grund gestellte Bewusstsein der objektiven Denknotwendigkeit oder Gefühl
der Evidenz.
Wenn hernach die Schlussfolgerung einer logischen Kritik unter-
worfen wird, so vollziehen wir eine neue Schlussfolgerung, deren eine
Prämisse jenes leitende Prinzip der vorigen ist (gemäss welcher Ur-
teile, die in bestimmter Beziehung zu einander stehen, geeignet er-
scheinen, Prämisse und Konklusion eines gültigen Schlusses zu sein),
während die andere Prämisse eine Thatsache der Wahrnehmung (ob-
servation) ist, nämlich der Beobachtung, dass die genannte (gegebene)
Beziehung wirklich besteht zwischen der Prämisse und der Konklusion
der in Frage (under criticism) stehenden Schlussfolgerung, dass m. a. W.
das Schema jenes leitenden Prinzips im vorliegenden Falle zutrifft,
und woraus dann geschlossen wird, dass diese Folgerung berechtigt,
gültig war.
Ein Beispiel, an das wir noch weitere Unterscheidungen anknüpfen,
mag dies verdeutlichen. Wir wählen hier das folgende (obzwar sehr
abgedroschene, weil fast in allen Schriften über Logik einmal erwähnte):
| Cajus ist ein Mensch, | a ist ein b, |
| ergo: Cajus ist sterblich. | ergo: a ist c. |
Das rechts dem Schlusse beigefügte „Schema“ desselben zeigt,
dass ihm (so wie er zunächst sich darstellt) logische Gültigkeit nicht
zukommen kann. Es kann nicht eine (gute) Denkgewohnheit uns von
einer Prämisse der Form „a ist ein b“ hinüberleiten zu einer Kon-
klusion „a ist c“.
Dass vielmehr eine solche Gewohnheit, falls sie überhaupt bestünde,
eine schlechte sein müsste, wäre leicht an beliebigen Beispielen darzuthun:
indem wir dem a dieselbe Bedeutung „Cajus“, dem b die „Mensch“ wie in
dem Beispiel belassen, brauchen wir etwa nur dem c die Bedeutung „un-
sterblich“ (oder „vollkommen“ und anderes) beizulegen, um die Haltlosig-
keit des Schlusses zu erkennen. Die Folgerung wäre alsdann eine solche,
deren Prämisse wir als richtig, deren Konklusion wir aber als falsch (mit
einer gewissen Denknotwendigkeit) anerkennen müssen.
Gleichwol lässt sich die obige Konklusion sowol, als die Prämisse,
8*
[116]Einleitung.
für richtig erklären, und die Schlussfolgerung besitzt darum das, was
man die „extralogische Gültigkeit“ derselben nennen könnte: sie ist
„materiell“ (aber nicht „formell“) richtig.
Von der angeführten Prämisse allein konnte, wie gezeigt, eine
Denknotwendigkeit die Konklusion hier nicht liefern. Da diese letztere
aber richtig ist, so kann es dennoch eine gute Denkgewohnheit ge-
wesen sein, die zu ihr hinführte (auch eine, die vom Gefühl der Denk-
notwendigkeit begleitet sein mag), aber dann von andern Prämissen
aus, nämlich von einer Gruppe solcher, die aus der angegebenen durch
geeignete Ergänzung, Vermehrung hervorgehen.
Thatsächlich wirkte bei obigem Schlusse noch etwas, eine Denk-
gewohnheit, mit, die uns zur richtigen Konklusion leitete, indessen als
Prämisse unausgesprochen blieb. Man kann den Schluss gelten lassen
als einen unvollständigen, als ein sog. „Enthymem“.*)
In Enthymemen wird im gemeinen Leben sehr häufig geschlossen,
wobei dem Verfahren die Tendenz der Abkürzung und die Höflichkeit zu-
grunde liegt, bei dem Hörer, dem man die erforderliche mentale Ergänzung
des Schlusses zuschiebt, auch selbstthätige denkende Mitwirkung voraus-
zusetzen.
Bringen wir uns dieses (anfänglich eventuell unbewusst gebliebene)
Agens zum Bewusstsein, so finden wir, dass es die Überzeugung war,
dass alle Menschen sterblich seien.
Dieser Glaube, selbst eine Denkgewohnheit, wird von Peirce
geradezu als das „leitende Prinzip“ des vorliegenden Enthymems hin-
gestellt — mit einer gewissen Berechtigung vielleicht, obwol nicht in
dem sonst üblichen Sinne.
Fügen wir denselben ausdrücklich, als Urteil gefasst, der bis-
[117]Einleitung.
herigen Prämisse hinzu, reihen wir dieses Urteil in unsre Prämissen
ein, so lautet der Schluss nunmehr:
| Alle Menschen sind sterblich, Cajus ist ein Mensch, |
|
| ergo: Cajus ist sterblich. | ergo C): a ist c. |
Der so vervollständigte Schluss besitzt nunmehr auch logische
Gültigkeit; er ist auch „formell richtig“ und zur Bekräftigung dessen
vermögen wir uns nur darauf zu berufen, dass auch sein allgemeines
Schema (unmittelbar) einleuchtet. Aus diesem Grunde ist der Schluss
nunmehr auch ein „vollständiger“ (a complete argument).
Bringen wir uns noch das „leitende Prinzip“ dieses Schlusses zum
Bewusstsein, so werden wir, die Aufgabe etwa von der psychologischen
Seite angreifend, vielleicht finden, dass es die Überzeugung ist: dass ein
Merkmal des Merkmals eines Dinges auch ein Merkmal dieses Dinges selbst
sein müsse. Wir haben dann den Schluss:
Nota notae est nota rei ipsius,
Sterblichkeit ist ein Merkmal der Menschennatur, welche Merkmal des
Cajus ist, ergo: Sterblichkeit ist ein Merkmal des Cajus.
Aber dieses selbe Prinzip des „nota notae etc.“ ist wiederum wirksam
beim Ziehen dieser letzteren Schlussfolgerung, sodass dieselbe durchaus
nicht vollständiger ist als die vorhergehende. Auch hat sie das gleiche
Schema wie diese.
Die in diesem Schema niedergelegte (formulirte, in dasselbe ein-
gekleidete) Denkgewohnheit mögen wir als das leitende Prinzip selbst
hinstellen.
Das Schema des Schlusses erhält man, indem man die Namen
der speziellen Dinge, von welchen die Schlussfolgerung spricht, durch
Symbole von allgemeiner Bedeutung, Buchstaben, ersetzt, für diese aber
alle Beziehungen, welche die Schlussglieder (Prämissen und Konklusion)
von jenen Dingen ausdrücklich voraussetzten oder behaupteten, ent-
sprechend zum Ausdruck bringt.
Aus obigen Betrachtungen erhellte auch, dass man, um eine viel-
leicht materiell richtige Schlussfolgerung als eine dennoch unberech-
tigte zu erkennen, sie als logisch ungültig nachzuweisen, nur zu ihrem
Schema ein Beispiel zu finden braucht, in welchem die Prämissen als
richtig anzuerkennen sind, während die Konklusion sich als falsch er-
weist. Auch bei solcher Anerkennung wird an das Gefühl der Evi-
denz appellirt. (Vergl. hiezu eine in § 12 gegebene Illustration.)
Kürzer auch mag man direkt jene Namen durch irgend welche
andere ersetzen, für die zwar die Prämissen noch zutreffen, die Kon-
klusion aber nicht mehr zutreffen würde.
Der Mangel oder das Ausbleiben des Gefühles der Evidenz genügt
ohne weiteres in der Regel noch nicht zu obigem Zwecke, dem Un-
gültigkeitsnachweise für eine gegebene Schlussfolgerung — in An-
betracht dass man schon bei logisch berechtigten Schlüssen in ver-
wickelteren Fällen oft langer Schlussreihen, erst mühsamer Zwischen-
überlegungen bedarf, um das Gefühl von der Evidenz der Folgerung,
die Überzeugung von ihrer Denknotwendigkeit zu gewinnen.
λ3) Ich habe noch zu erklären, weshalb hier die Logik als eine
Algebra dargestellt und in dieser Darstellung berechtigt erscheint, sich
im Gegensatz zu andern Behandlungsweisen vorzugsweise das Epitheton
einer „exakten“ Logik beizulegen.
In dem Bestreben, die Grundgesetze folgerichtigen Denkens zum
Bewusstsein zu bringen und denselben einen allgemeinen, zugleich
möglichst einfachen Ausdruck zu geben, hat sich die Logik ursprünglich
enge an die Wortsprache angelehnt. Sie musste dieses thun, da ein
anderes Mittel des Gedankenausdrucks zunächst überhaupt nicht zu-
gebote stand, und sie wird auch in Zukunft fortfahren müssen, bis zu
einem gewissen Grade diesen Anschluss zu suchen, nicht nur, weil sie
sich dem Anfänger gegenüber stets in der gleichen Lage befindet,
sondern auch, weil überhaupt in absehbarer Zeit die Wortsprache
immerhin das Hauptmittel des Gedankenausdrucks sowie eine Haupt-
form des Gedankenvollzuges bleiben wird. Auch wir werden mit dieser
Anlehnung zu beginnen haben (1. Vorlesung).
Nachdem nun aber in Gestalt von so vielen andern Disziplineu
das Beispiel vorlag, wie förderlich es ist, sich für bestimmte Unter-
suchungsgebiete je eine eigene Zeichensprache zu schaffen und die
fundamentalen Sätze dieser Disziplinen, unter Benutzung von Buch-
staben als Symbolen, in allgemeine Formeln einzukleiden, hat nach
einer langen Zeit verhältnissmässig unfruchtbarer Stagnation auch die
Logik einen frischen Aufschwung genommen und sich in schon ziem-
lich zahlreichen neueren Bearbeitungen*) zu einer eigenen Buchstaben-
rechnung, einer Algebra der Logik entwickelt.
In dieser finden nun die Gesetze des folgerichtigen Denkens ihren
denkbar schärfsten, kürzesten und übersichtlichsten Ausdruck, in ihr
stellen sie sich in der konzisesten und knappsten Gestalt dar. Zugleich
befreit uns die neue Zeichensprache von all' den Fesseln, in welche
durch die Macht der Gewohnheit die Wortsprache den Menschengeist
[119]Einleitung.
geschlagen. Zufolge dieser Vorzüge ist die rechnerische Behandlung
der Logik in der Lage, mancherlei Lücken der älteren blos verbalen
Behandlungen nachzuweisen und auszufüllen, zuweilen auch Fehler
derselben zu berichtigen, darunter solche von grösserer Tragweite, von
fundamentaler Bedeutung.
Jener enge Anschluss an die Wortsprache hat nämlich für die
älteren Behandlungen der logischen Disziplin erhebliche Gefahren ge-
bracht, denen sie auch grossenteils zum Opfer fielen. Auch die ge-
bildetsten Kultursprachen haben ja als die Produkte einer von zahl-
losen Zufälligkeiten beeinflussten Entwickelung viele und gewichtige
Mängel, bestehend vor allem in der Übereinstimmung der üblichen
sprachlichen Einkleidungsformen für wesentlich verschiedene Gedanken-
beziehungen. Mit der dadurch so oft, ja regelmässig bewirkten Ver-
hüllung des wahren Sachverhältnisses war es nahe gelegt, dieses selbst
zu verkennen, seinen Unterschied von andern, mittelst gleicher Wort-
verbindung ausgedrückten zu übersehen — wogegen andrerseits an die
Verschiedenheiten zugebote stehender verbaler Ausdrucksformen manch
überflüssige Distinktionen geknüpft werden mochten. Der Zweideutig-
keiten und Unbestimmtheiten zufolge schwankenden Gebrauches, der
unsymmetrischen Einkleidung so vieler symmetrischen Verhältnisse,
sowie der empfindlichen Abwesenheit von angemessen kurzen Ausdrucks-
formen für manche wesentliche und charakteristisch häufig wieder-
kehrende Beziehungen nicht zu gedenken.
Man wird hiefür in dem Buche als solche gekennzeichnete Belege
genugsam finden.
Die rechnerische Behandlung der logischen Materie — zuerst von
Leibniz1 angeregt, dann auch von Lambert2…5 und Ploucquet1 ver-
folgt, ist in dem grundlegenden Werke „Laws of thought“ zum ersten-
mal durch George Boole4 zu einem in seiner Art nahezu voll-
ständigen, auch auf die Lösung von Problemen zugespitzten Systeme
ausgebildet worden.
Nahezu vollständig allerdings nur innerhalb jenes schon erwähnten
Gebietes, welches, von Peirce als die „logic of absolute terms“ bezeichnet,
sich weiterhin von selbst schärfer charakterisiren wird. Wie schon an-
gedeutet, beschäftigt sich diese Disziplin nur mit den alleräusserlichsten
logischen Aufgaben, welche auch den Tummelplatz der alten Logik bilden,
sofern diese etwa in der Lehre von den Syllogismen gipfelte. Naturgemäss
muss indess die Erledigung dieser Aufgaben allen feineren Untersuchungen
aus der Logik der Beziehungen überhaupt, es muss der „logic of relatives“
die elementarere Disziplin vorangehen, so wie etwa die Geometrie der
Mechanik und diese der Elasticitätslehre voraufzugehen hat.
Die Anlehnung an das Vorbild eines bereits bekannten Kalkuls,
als welcher sich derjenige der arithmetischen vier Spezies naturgemäss
in den Vordergrund drängte, hat allerdings auch seinerseits diesem
ob zwar genialen und bewunderungswürdigen Systeme gewisse Ubel-
stände aufgeprägt, von welchen es jedoch rasch genug durch neuere
Bearbeiter gereinigt worden ist.
μ3) Nun aber schien diese neuere Darstellung des gewichtigsten
Inhaltsstoffes der (alten) Logik in einer eigenen Zeichensprache, in
der Form eines Kalkuls, dem Althergebrachten ganz unvermittelt,
schroff gegenüberzustehen. War sie doch auch nicht aus diesem un-
mittelbar herausgewachsen, sondern hatte sozusagen einen selbständigen
Ursprung: Mathematiker zumeist, nicht Berufsphilosophen, hatten sie
aufgebaut.
Kein Wunder, dass dieselbe im andern Lager ungemessenes Be-
fremden*) erregte, verständnissvollem Entgegenkommen oft nicht be-
gegnete, vielmehr manch' abfällige Beurteilung erfuhr, namentlich ab-
seiten Solcher, die überhaupt keinen Kalkul beherrschen.
Zuzugeben ist, dass ein Übergang von dem älteren zum neueren
Systeme grösstenteils fehlte, und berechtigt war wenigstens das Ver-
langen, dass die Grundlagen des Kalkuls aus den Prinzipien der alten
Logik abgeleitet und bewiesen würden — wohlbemerkt: soferne dieses
möglich ist — ein Punkt, auf den ich zurückzukommen habe.
Die vermisste Brücke geschlagen zu haben ist nun das Verdienst
der grundlegenden Arbeit5 in Bd. III des American Journ. des Herrn
Charles S. Peirce, zu welcher ihm, wie er sagt, Betrachtungen von
Augustus de Morgan die Anregung gegeben haben.
Dasjenige vor allem, was uns in dieser Arbeit an Errungenschaften
gesichert ist, desgleichen auch, was alsdann noch — und zum Teile
unter seiner Leitung — Herrn Peirce's Schüler hinzugefügt haben,
besonders in1, 1 Miss Ladd und Herr Mitchell — dieses zunächst
habe ich mich bestrebt, in systematischer Darstellung zu einem wissen-
schaftlichen Systeme zu vereinigen.
Dass mir dabei nicht blos eine reproduzirende Thätigkeit zufiel, sondern
ich auch kritisch und sichtend, lückenergänzend und schliesslich an dem
[121]Einleitung.
Gebäude weiterbauend eingreifen durfte, wird schon ein flüchtiger Ver-
gleich zeigen.
v3) Einen Unterschied zwischen der hier angestrebten und den
früheren Behandlungsweisen der Logik möchte ich noch hervorheben,
ohne jemand damit nahe treten zu wollen.
Suchen wir — was keine leichte Aufgabe ist — die vorgängigen
Darstellungen der verbalen Logik zu überblicken, so scheinen dieselben
uns stets nur aufzutreten mit einem schon in sich abgeschlossenen,
einem fertigen Bestande von Lehren.
Für das richtige Verständniss, mitunter für ganz eigenartige Auf-
fassung und Anordnung, für angemessene Wertschätzung und An-
wendung ebendieser stereotypen Lehren plädiren solche Werke mit
grossem Scharfsinn, oft gewandter Dialektik und mehr oder minder
Verdienst und Glück. Mit grossem Verdienst auch pflegen sie den
Leser einzuführen in die vorhandenen Streitfragen oder Kontroversen,
unhaltbare Ansichten widerlegend, veraltende Distinktionen über Bord
werfend und neue einführend, auch einen Einblick in die historischen
Wandlungen philosophischer Anschauungsweisen eröffnend. Bald von
der allgemein philosophischen und metaphysischen, bald mehr von der
psychologischen Seite tragen sie wol Schätzenswertes zu einem Auf-
bau der Logik bei.
Was ich aber bei all diesem Anerkennenswerten vermisse ist, dass
dabei mir nirgends zutage zu treten scheint, was denn etwa weiter
noch zu thun und anzustreben wäre! In fühlbarem Gegensatze zu
andern wirklichen Wissenschaften scheint mit der gegebenen Doktrin
das Gebäude der logischen Disziplin allemal schon ganz vollendet da-
zustehen. —
Dagegen wird bei der rechnerischen Behandlung eine unbegrenzte
Fülle ganz bestimmter Probleme sich zur Lösung darbieten: auch die
Logik erscheint hier alsbald als eine Wissenschaft, die unbegrenzter
Weiterentwickelung fähig, und ganz deutlich wird man, denke ich, die
Punkte erkennen, wo zunächst die Hebel anzusetzen sind, an welchen
fernere Arbeit einzusetzen haben wird, um ein weiteres Fortschreiten
zu verwirklichen. —
Die Frage, wie nun wol das Verhältniss der verbalen zur rech-
nenden Disziplin aufgefasst werden soll, möchte ich dahin beantworten:
Herr Venn1 ist der Ansicht, dass diese nicht bestimmt sei, jene
zu verdrängen, sondern vielmehr als ein gewissermassen höherer Teil
auf sie zu folgen habe. Hievon bin ich nicht allzuweit entfernt, nur
[122]Einleitung.
meine ich, dass diese überdies — auf Grund eben ihrer vollkommnen
Konsequenz — von maassgebendem Einfluss auf die künftige Gestaltung
jener werden sollte, im Sinne einer Annäherung, ihrer Anbequemung
an sie.
Bei der Fülle von der verbalen Logik fremden, ja unzugänglichen
Themata von Untersuchungen, auf die wir hier einzugehen haben,
mussten naturgemäss manche verdienstliche Betrachtungen jener hier
unberücksichtigt bleiben oder konnten solche nur flüchtig gestreift
werden. Sollte in der That Alles, was mir anderwärts von Wert
erscheint, hier aufgenommen sein, so müsste ich das Volum des Buches
vermehrfacht haben. Es kann deshalb nur wünschenswert genannt
werden, dass der Studirende sich auch in der sonstigen zeitgenössischen
Logikliteratur thunlichst umsehe, wozu ihm die Literaturangaben in
unserm Verzeichnisse sowol als in gelegentlichen Noten Anregung
geben und behülflich sein mögen.
ξ3) Zum Schluss der Einleitung noch einige Worte über Wert und
Nutzen der Logik überhaupt und damit auch der vorliegenden Studien.
Schon die Logik von Port-Royal1 bemerkt, dass nichts schätzens-
werter sei, als der gesunde Verstand und ein zutreffendes Urteil (le
bon sens et la justesse de l'esprit) in der Unterscheidung dessen was
wahr und was falsch ist. Während alle andern Eigenschaften des
Geistes nur beschränkte Anwendungsgebiete besitzen, sei die Genauig-
keit der Urteilsfunktion (l'exactitude de la raison) allgemein von
Nutzen in allen Lagen und Verrichtungen des Lebens; denn nicht nur
in den Wissenschaften, sondern auch bei der grossen Mehrzahl der
Gegenstände (sujets), von denen die Menschen reden, und der Geschäfte,
die sie treiben, sei es schwierig und von grösster Wichtigkeit, die
Wahrheit vom Irrtum zu scheiden — eine Aufgabe, die dem Verstand
obliege. Man solle deshalb vor allem darauf bedacht nehmen, die
eigne Urteilskraft zu entwickeln (de former son jugement). Gewöhn-
lich bediene man sich des Verstandes als des Mittels, sich der Wissen-
schaften zu bemächtigen, aber man solle eher sich der Wissenschaften
als eines Werkzeugs zur Vervollkommnung des Verstandes bedienen,
da die Schärfe des letztern ohne Vergleich wertvoller sei als alle auch
von den verlässigsten Wissenschaften erschlossenen Kenntnisse.
Und treffend hebt Mill hervor, dass bei weitem der grösste Teil
unsres Wissens (allgemeinen sowol wie des besonderen) offenbar aus
Folgerungen besteht. Folgerungen zu ziehen sei das grosse Geschäft
des Lebens genannt worden. Ein jeder habe täglich, alle Augenblick,
[123]Einleitung.
Thatsachen zu prüfen, welche er nicht direkt beobachtet hat (und zwar
nicht zu dem allgemeinen Zweck der Vermehrung seines Wissens, son-
dern weil die Thatsachen selbst für seine Interessen und Obliegen-
heiten von Belang sind). Alle haben gewisse Thatsachen zu bestimmen,
sie aus gegebenen Wahrnehmungen oder Data zu schliessen, und dar-
aufhin gewisse Regeln (vorschriftsmässig oder nach freiem Ermessen)
anzuwenden, und je nachdem sie dies gut oder übel thun, erfüllen sie
gut oder schlecht die Pflichten ihres Berufs. Die logik zeige nun
aber, welche Beziehungen stattfinden müssen zwischen den Daten
und dem was aus ihnen geschlossen oder durch sie bewiesen wer-
den kann. Darnach müsse sich in der Wissenschaft sowol, wie bei
Führung seiner Geschäfte, ein jeder richten, bei Strafe, falsche Fol-
gerungen zu ziehen, welche nicht in der Realität der Dinge be-
gründet sind.
„Wenn es Regeln gibt, nach welchen sich jeder Verstand in einem
jedem Falle, in welchem er richtig geschlossen hat, wissentlich oder
unwissentlich richtet, so scheint es kaum nötig, zu erörtern, ob es
wahrscheinlicher ist, dass Einer diese Regeln beobachten wird, wenn
er sie kennt, als wenn er sie nicht kennt.“
Eine Wissenschaft könne ohne Zweifel auf eine gewisse Höhe
gebracht werden ohne die Anwendung einer andern Logik als der-
jenigen, welche alle Menschen, die einen gesunden Verstand besitzen,
im Verlauf ihrer Studien empirisch erlangen. Es gebe aber eine ge-
wisse Grenze sowol in Bezug auf das, was die Mechaniker ohne die
Grundsätze der Mechanik, als auf das, was die Denker ohne die Grund-
sätze der Logik zu leisten vermögen. Wenn mehrere der schwieri-
geren Wissenschaften noch in einem so mangelhaften Zustand sind,
dass in ihnen nicht allein so wenig bewiesen wird, sondern auch der
Streit über das wenige „Bewiesene“ nicht enden zu wollen scheint, so
liege der Grund vielleicht darin, dass die logischen Begriffe der Men-
schen noch nicht jenen Grad von Ausbildung („Ausdehnung“) und Ge-
nauigkeit erlangt haben, welcher für die Beurteilung der einschlägigen
Beweise erforderlich ist …
So sehr wir diesen hier im Auszuge wiedergegebenen Ausführungen
zustimmen, so möchten wir doch eine andere Rücksichtnahme in den
Vordergrund stellen. Wir wünschen die logische Forschung überhaupt
nicht vom utilitarischen, geschweige denn von einem kurzsichtig oder
engherzig — um nicht zu sagen „bornirt“ — utilitarischen Standpunkte
aus beurteilt zu sehen. So verdiente aber ein Standpunkt genannt zu
werden, der das Streben nach Zutageförderung und Erkenntniss der
[124]Einleitung.
Wahrheit nur dann als berechtigt anerkennte, wenn dieselbe einen
unmittelbaren oder zum voraus schon erkennbaren Nutzen verspricht.
Wir wünschen, dass die Logik unter dem wissenschaftlichen Ge-
sichtspunkte betrachtet werde. Höher als jede Aussicht auf etwaigen
Nutzen der Disziplin steht uns ihr absoluter Wert als Selbstzweck —
„Wert“ als im Gegensatz zur „Nützlichkeit“ — steht uns die Erfor-
schung der für richtiges Schliessen maassgebenden Denkgesetze um
ihrer selbst willen. Und welches edlere Ziel könnte sich der Intellekt
auch setzen, als das: sich selbst zu erkennen! — somit die altehrwürdige
Mahnung des Thales, das γνῶϑι σεαυτόν des Weisen von Milet ver-
wirklichend.
Nebenbei halten wir ja solches Forschen nach der Wahrheit um
ihrer selbst willen auch für diejenige Taktik, die den Forderungen
eines vernünftigen, weil hinreichend weit ausschauenden Utilitarismus
am besten gerecht werden muss.
Die Geschichte der Wissenschaften zeigt es zur Genüge, wie erst
durch dieses freie Walten des Erkenntnisstriebes, durch das reine, von
allen Rücksichten des Eigennutzes, ja Nutzerfolges, losgelöste Streben
nach Wahrheit, d. i. die Bethätigung eben des wissenschaftlichen
Geistes, die allergrössten Entdeckungen ermöglicht wurden.
Wären z. B. nicht Jahrhunderte lang in diesem Geiste die Gesetze
jener rätselhaften Kraft erforscht worden, mit welcher geriebener Bern-
stein, Harz etc. leichte Körper wie Korkstückchen, Papierschnitzel anzieht,
wären sie nicht, wie gesagt, ohne jede Aussicht auf praktische Verwend-
barkeit um ihrer selbst willen studirt worden, so würde auch die Ent-
deckung des elektrischen Telegraphen unmöglich gewesen sein; als aber
jene so „unpraktisch“ sich anlassenden Forschungen weit genug gediehen
waren, lag dieselbe auf einmal so nahe, dass Mehrere darauf verfielen, war
die Entdeckung — unbeschadet des Verdienstes Derer, welche wirklich die
letzten Schritte vollführten — schon fast von selbst da.
Eine von diesem Geist beseelte Forschung möchten wir als die
Hochpraxis bezeichnen gegenüber der nur auf greifbar praktischen
Nutzen ausgehenden Niederpraxis. Hier vor allem dürfte es am Platze
sein —, wie der volkstümliche Ausdruck fordert: „den grossen Glauben
zu haben und nicht die grosse Eselsmeinung.“.
So trivial die obige Wahrheit in den Kreisen, die sich mit ernster
Forschung abgeben, im allgemeinen glücklicherweise ist, ist sie doch
gerade vonseiten Derer, welche die Logik zu kritisiren liebten, nicht
hinlänglich gewürdigt, oft ganz ausser Augen gesetzt worden.
Wir zweifeln nicht, dass jene allgemeine Erfahrungsthatsache,
welche als ein Gesetz aus der Geschichte der gesamten Wissenschaften
hervorleuchtet, sich einst auch bei der Logik bewahrheiten wird, wo-
[125]Einleitung.
fern diese nur erst in den richtigen Bahnen — wofern sie nur über-
haupt einmal — fortschreitet, und nehmen wir das Vorrecht der gänz-
lich uninteressirten Forschung, das andern Wissenschaften zugestanden
ist, auch für sie in Anspruch.
Gleich andern Wissenschaften dürfte auch die Logik einst ganz Un-
geahntes verwirklichen und herbeiführen, dass nebenher in überraschender
Weise auch unabsehbare Vorteile erzielt werden. Um nur auf eines hin-
zudeuten, so sind seit ihrem jüngsten Aufschwunge bereits drei „logical
machines“ neuerdings aufgebaut, die allerdings den ihnen beigelegten Namen
noch kaum zu verdienen scheinen, die nämlich mit ihrer Leistungsfähigkeit
sich noch auf einer sehr rudimentären Stufe befindlich zeigen — wie etwa
der Papin'sche Topf gegenüber der Dampfmaschine. In der That aber
vermag doch Niemand vorauszusehen, ob nicht schon bald eine „Denk-
maschine“ konstruirbar wird, analog oder vollkommner wie die Rechen-
maschine, welche dem Menschen einen sehr beträchtlichen Teil ermüdender
Denkarbeit fortan abnehmen wird, gleichwie die Dampfmaschine es mit der
physischen Arbeit erfolgreich thut.
Freilich darf man die Ernte nicht schon während der Aussaat fordern,
und am wenigsten da, wo Bäume gepflanzt werden.
Hauptmittel des Gedankenausdrucks und eine Hauptform des Ge-
dankenvollzuges ist, wie schon gesagt, die Sprache.
Untersuchungen über die Gesetze des Denkens werden wir des-
halb naturgemäss damit beginnen, dass wir deren einfachste Bildungen
in's Auge fassen. Rein äusserlich betrachtet wären dies allerdings
Buchstaben, Silben und Worte — die Ergebnisse eines an den sprach-
lichen Gebilden vorgenommenen und möglichst weit getriebenen Zer-
gliederungsprozesses. In wesentlicher Hinsicht sind es Sätze, welche
Aussagen, Urteile, Behauptungen darstellen.
Alles*) auf das Erkennen gerichtete Denken vollendet sich näm-
lich in Urteilen, die als Sätze innerlich gedacht oder äusserlich aus-
gesprochen, in Worte gefasst werden. In Urteilen endigt jede prak-
tische Überlegung über Zwecke und Mittel, gipfelt jede Übereinkunft,
um sie dreht sich jeder Streit. In die Form von Urteilen kleidet sich
der Irrtum, in ihnen auch wird die Erkenntniss der Wahrheit nieder-
gelegt; in Urteilen schliesst sich jede Überzeugung ab. Und nur in-
sofern sich eine individuelle Überzeugung im Satze ausspricht, kann
sie Gegenstand gemeinsamer Betrachtung werden und auf die Aner-
kennung vonseiten Aller Anspruch erhebeu. Alle andern sprachlichen
Gebilde kommen nur in Betracht als Bestandteile oder Elemente des
Satzes, alle andern Geistesthätigkeiten nur als Bedingungen oder Vor-
bereitungen, als Begleiterscheinungen und Wirkungen des Urteils.
Beginnen wir sonach damit, die Urteile in's Auge zu fassen, wie
sie die Wortsprache als Sätze formulirt! Es muss sich uns hierbei
empfehlen, unter Beiseitelassung der zusammengesetzteren, zunächst
uns an die einfachsten Arten der Urteile zu halten. Als solche er-
scheinen die sogenannten „kategorischen“ Urteile, welche sich dar-
stellen in Form eines Satzes, der mit einem „Subjekt“ ein „Prädikat“
verknüpft.
Wie aus der Grammatik bekannt, ist das Subjekt Dasjenige, wor-
[127]§ 1. Subsumtion.
über etwas ausgesagt wird, das Prädikat Dasjenige, was von dem
Subjekte ausgesagt wird. Die Verbindung zwischen beiden wird sehr
häufig durch ein Hülfszeitwort, die „Kopula“: „ist“, vermittelt.
Am besten wrden wir unsre Betrachtungen sogleich an ein
paar Beispiele anknüpfen und erst nachher zusehen, inwiefern den
Bemerkungen, zu welchen uns diese Beispiele Veranlassung geben,
allgemeinere Gültigkeit zukommt.
Kategorische Urteile einfachster Art sind beispielsweise die in der
Chemie als richtig anerkannten Sätze:
„(Alles) Gold ist Metall.“ — „(Alles) Kochsalz ist Chlornatrium.“ —
An diese schon lassen die für unsre Disziplin fundamentalen Aus-
einandersetzungen sich auf das leichteste knüpfen.
Beide Aussagen haben die nämliche Kopula. Als ihre, wie gesagt
übereinstimmende, Kopula erscheint die dritte Person singularis des
Hülfszeitworts, verbum auxiliare „sein“, nämlich: das Wörtchen „ist“,
welches, hier wie dort, das zu seiner Linken befindliche Subjekt mit
dem rechts von ihm stehenden Prädikate verknüpft.
Gleichwol erscheint die Beziehung, welche zwischen dem Subjekt
der Aussage und ihrem Prädikat thatsächlich besteht, in dem ersten
Beispiel als eine wesentlich andere, wie in dem zweiten, insofern um-
gekehrt Metall nicht immer Gold, dagegen alles Chlornatrium auch Koch-
salz ist. Diese Verschiedenheit ist in den obigen Aussagen augen-
scheinlich nicht zum Ausdruck gebracht.
Will man genauer, als jene Aussagen es thun, die thatsächliche
Beziehung zwischen dem Subjekte und dem Prädikate hiernächst ver-
mittelst eines Beziehungszeichens darstellen, so muss man für das
erste Beispiel ein anderes Zeichen wählen, als für das zweite. Man
schreibe etwa:
| Gold ⊂ Metall. | Kochsalz = Chlornatrium. |
Das zweite Zeichen, =, ist entlehnt den (übrigen) mathematischen
Disziplinen und namentlich schon der Arithmetik; es ist das bekannte
„Gleichheitszeichen“. Während dasselbe aber anderwärts oft nur be-
nutzt wird, um Übereinstimmung, Gleichheit in einer bestimmten Hin-
sicht auszudrücken, z. B. Gleichheit hinsichtlich des Inhaltes oder
Flächenmaasses bei zwei verschiedenen vielleicht auch verschieden ge-
stalteten Flächen, soll dieses Zeichen in gegenwärtiger Schrift stets in
der (inhaltlich) weitest gehenden (dem Umfang nach „engsten“) Be-
deutung aufgefasst werden, welche ihm überhaupt beigelegt zu werden
vermag. Es soll uns nämlich die Übereinstimmung in jeder Hinsicht,
[128]Erste Vorlesung.
die vollkommne Übereinstimmung, Einerleiheit oder Identität zwischen
den Bedeutungen der durch dasselbe verknüpften Namen, Zeichen oder
Ausdrücke darstellen. Es kann daher das Zeichen = hier als „einer-
lei mit“, oder, wenn man will, auch als „identisch“ gelesen werden;
indessen verschlägt es nichts, wenn wir uns bequemer der allgemeinen
Übung anschliessen, dasselbe einfach als „gleich“ zu lesen.
Für der Mathematik ferner stehende Leser sei ein für allemal be-
merkt, dass man eine Behauptung der Form
a = b
eine „Gleichung“ nennt, und zwar werden im Deutschen die durch das
Zeichen = getrennten sowol als verknüpften Ausdrücke schlechtweg als
die beiden „Seiten“ der Gleichung bezeichnet; so ist a die „linke“, b die
„rechte Seite“ der vorstehenden Gleichung (englisch: lefthand resp. right-
hand member, französisch: premier und second membre, etc.).
Nach dem Gesagten wird eine Gleichung, wie a = b, uns aus-
drücken, dass ihre beiden Seiten a und b lediglich Namen für einund-
dasselbe Objekt des Denkens sind. Und zwar sind es hier für das
Nämliche verschiedene Namen. Dieser Umstand jedoch ist nebensäch-
lich, indem auch in Gleichungen, wie a = a, die beiderseitigen Namen
in einen einzigen werden zusammenfallen können. Es kommt bei der
Gleichsetzung oder Identischsprechung, Identitätsbehauptung, nicht auf
den Klang der Namen, nicht auf das Aussehen der etwaigen Aus-
drücke, sondern ganz allein auf die Bedeutung derselben an.
Daneben mag auch die psychologische Wirkung der Namen eine ver-
schiedene sein; sie mögen an verschiedene Merkmale von Dem, was sie
bezeichnen, zuerst erinnern, und wie in dem angeführten Beispiele: „Koch-
salz = Chlornatrium“ den Hörer oder Leser veranlassen, sich Dasjenige, was
sie bedeuten sollen, von verschiedenen Seiten vorzustellen, indem sie je
mit eigentümlichen Vorstellungselementen an das Vorzustellende anknüpfen,
diese sozusagen in den Vordergrund stellend. Achtet man hier in der That
auf die Art, wie die Namen „Kochsalz“ und „Chlornatrium“ zusammen-
gesetzt sind, so wird durch den erstern überhaupt nicht an chemische Be-
standteile, sondern nur an die Verwendung des Salzes zum Kochen erinnert,
dagegen durch den letzteren blos hervorgehoben, dass das Vorzustellende
die chemische Verbindung der Elemente Chlor und Natriummetall sei.
Das eine Merkmal aber: durchaus von der Beschaffenheit des gewöhnlichen
zum Kochen verwendeten Salzes zu sein, ist von dem andern Merkmal: aus
Chlor und Natrium zu bestehen, nach heutigem Stand der chemischen Er
kenntniss unmöglich zu trennen, vielmehr damit unweigerlich zu verknüpfen,
und so ist es immerhin dasselbe, was beide Namen bezeichnen.
Diesen ihren „logischen Gehalt“, ihre volle und eigentliche Bedeutung,
von ihrem „psychologischen“ Gehalt zu unterscheiden werden wir bei Namen
sowol als auch bei Urteilen hier häufig Veranlassung haben.
Gleichwie die Klassen der Dinge, welche für Kochsalz, und welche
für Chlornatrium erklärt werden müssen, ganz und gar einerlei sind,
so sind es auch die zugehörigen „Begriffe“ Kochsalz und Chlornatrium.
Dieselben haben nicht nur einerlei „Umfang“, sondern auch denselben
„Inhalt“, identisch dieselben Merkmale.
Das andere Zeichen ⊂ lese man: „untergeordnet“, auch, wenn man
will: „subordinirt“. Es heisse das Unterordnungszeichen und eine Be-
hauptung, wie
a ⊂ b
eine „Unterordnung“ (subordinatio). Das Zeichen ist ähnlich gestaltet,
gewissermassen nachgebildet dem (einen) „Ungleichheitszeichen“ der
Arithmetik, nämlich dem Zeichen \< für „kleiner (als)“. Bekanntlich
kann dieses rückwärts als „grösser“, \>, gelesen werden und wird da-
durch leicht mit seiner Bedeutung dem Gedächtnisse eingeprägt —
einerlei, ob vorwärts oder rückwärts gelesen — dass man sich merkt:
das Zeichen breite sich immer vom kleineren zum grösseren Werte
hin aus, oder spitze sich vom grösseren Wert gegen den kleineren
hin zu. Analog wird auch unser Unterordnungszeichen rückwärts, d. i‥
wenn man wiederum von links nach rechts lesen will, in der umge-
kehrten Stellung, ⊃, gelesen, als „übergeordnet“ (superordinirt) zu deuten
sein. Die obige Unterordnung darf (mit andern Worten) auch rück-
wärts angeschrieben werden als eine „Überordnung“ (superordinatio):
b ⊃ a,
und wird dieser Ausspruch genau dasselbe besagen, wie der vorige.
Einer Verwechselung der Zeichen für „über“- und „untergeord-
net“ beugt die Bemerkung vor, dass auch hier das Zeichen seine Arme
oder Zweige jeweils vom engeren zum weiteren Begriff, von der weniger
umfassenden Klasse nach der umfassenderen hin (welche die andere
in sich schliesst, also — in einem gewissen, späterhin noch näher er-
läuterten Sinne — vom Teil zum Ganzen), somit ebenfalls vom Klei-
neren zum Grösseren hin divergirend ausbreitet, wogegen in dem ent-
gegengesetzten Sinne, vom weiteren zum engeren Begriff hin, das
Zeichen sich zuspitzt (genauer gesagt: spitzrundet), seine Zweige immer
enger zusammenlaufen, konvergiren, um sich am „Scheitel“ des Zeichens
zu vereinigen. Die kleinere Klasse, der engere Begriff, steht sonach
immer am Scheitel des Zeichens.
Hienach erscheinen auch die Über- und Unterordnungszeichen als
leicht zu merkende, als „mnemonische“.
Von den beiden Begriffen „Gold“ und „Metall“ wird in der That
Schröder, Algebra der Logik. 9
[130]Erste Vorlesung.
jener der „engere“, dieser der „weitere“ genannt. Diese Benennung
ist schon von der älteren Logik eingeführt und zwar augenscheinlich
im Hinblick, nicht auf den „Inhalt“, sondern auf den „Umfang“ der ge-
nannten Begriffe.
Der „Umfang“ des Begriffes „Gold“ setzt sich zusammen aus allem
Dem, was Gold ist; ihn bildet die Klasse aller der Substanzen oder
Dinge, welche als Gold zu erklären sind. Ebenso bildet die Klasse
aller der Dinge oder Substanzen, welche Metall zu nennen wären, kurz
gesagt: die ganze Klasse der Metalle, den sogenannten „Umfang“ des
Begriffes „Metall“. Die erstere Klasse ist in der zweiten enthalten,
welche daneben auch noch Anderes enthält, z. B. die Klasse der als
Silber zu bezeichnenden Substanzen, etc. Jene ist wirklich ein Teil
von dieser. Die Klasse „Gold“ ist, neben noch Anderem, ganz ent-
halten in der Klasse „Metall“ — dies ist also die Beziehung, welche
die Unterordnung „Gold ⊂ Metall“ auszudrücken bestimmt ist.
Umgekehrt aber, wie deren „Umfänge“ die Klassen, verhalten sich
die „Inhalte“ der beiden Begriffe.
Der „Inhalt“ oder das Wesen des Begriffes Metall setzt sich zu-
sammen aus denjenigen Merkmalen, welche allen Metallen gemeinsam
sind und, insgesamt, nur diesen zukommen. Dahin gehören erstlich
diejenigen Eigenschaften, welche den materiellen Substanzen überhaupt
innewohnen, eventuell für sie charakteristisch sind, als da sind: die
Eigenschaft der Raumerfüllung, die Eigenschaft, träge, schwer zu
sein, von konstanter Masse, etc. Und zweitens gehören dazu solche
Merkmale, welche die Metalle von Nichtmetallen unterscheiden, z. B.
die Eigenschaft „gute“ Leiter der Elektrizität zu sein, eine geringe
spezifische Wärme zu besitzen, im festen oder flüssigen Zustande das
Licht in jener eigentümlichen Weise zurückzuwerfen, welche als „Metall-
glanz“ bezeichnet und in der Theorie der Metallreflexion von der Optik
schärfer präzisirt wird, u. a. m.
Alle diese Merkmale des Begriffes „Metall“ kommen nun auch
dem Begriff „Gold“ zu, und dazu noch manche andere, durch welche
— zum Teil — das Gold sich von andern Metallen unterscheidet, z. B.
das dem Golde eigentümliche hohe spezifische Gewicht, die Eigenschaft,
im reflektirten Lichte gelb, im durchgehenden Licht aquamarinblau
zu erscheinen, seine Duktilität, gewisse chemische Verwandtschaften
und anderes mehr.
Dem „Inhalte“ nach betrachtet ist nun der übergeordnete und
weitere Begriff in dem untergeordneten, dem engeren mit enthalten.
Der erstere erscheint geradezu als ein Teil des letzteren.
Im Hinblick auf diesen Inhalt der Begriffe, d. i. ihr eigentliches
Wesen, müsste man also die Beziehung zwischen Gold und Metall gerade
umgekehrt, wie oben, schreiben, in Gestalt von:
Inhalt des Begriffes Gold ⊃ Inhalt des Begriffes Metall
— so wenigstens, wenn man die geschilderte mnemonische Interpretation
des Beziehungszeichens beibehalten will.
Statt ⊃ das frühere Zeichen ⊂ hier beizubehalten wäre nur angängig,
wenn man diesem eine andere (ebenfalls mnemonische) Deutung geben,
dasselbe nämlich dahin auslegen wollte, als ob mittelst desselben das an
seinem Scheitel stehende Objekt sozusagen den Versuch machte, den An-
spruch erhöbe, (mit den ausgebreiteten Armen des Zeichens) das andere
Objekt zu umfassen, dasselbe in sich einzuschliessen. Diese Einschliessung
als eine vollendete auch äusserlich zur Darstellung zu bringen, indem man
etwa den Namen des eingeschlossenen Objektes in den des einschliessenden
hineinsetzte, ist aus typographischen Gründen nicht angängig.
Die in unserm Beispiel bestehende Beziehung zwischen Gold und
Metall, die wir also im Hinblick auf die zugehörigen „Klassen“ oder
„Umfänge“ der gleichnamigen Begriffe vermittelst der Formel
Gold ⊂ Metall
darzustellen fortfahren, ist wesentlich dieselbe Beziehung, welche über-
haupt zwischen einer „Art“ und der ihr übergeordneten „Gattung“ be-
steht, desgleichen zwischen einem „Individuum“ und einer „Art“, zu
der dies Individuum nebst noch andern Individuen gehörte. Es ist
im allgemeinen:
die Art ⊂ ihrer Gattung, das Individuum ⊂ seiner Art,
die Gattung ⊃ einer ihrer Arten, die Art ⊃ einem ihrer Individuen.
Bei Art und Gattung ist der engere oder Artbegriff zugleich der
inhaltsreichere, der weitere oder Gattungsbegriff aber der inhaltsärmere.
Und dasselbe lässt sich auch aufrecht erhalten in Bezug auf ein „In-
dividuum“ und die demselben übergeordnete „Art“, indem man ja unter
dem „Begriffe“ des gedachten Individuums nichts anderes als dessen
(Einzel-) Vorstellung selbst versteht, nämlich die Gesamtheit aller seiner
Merkmale. Als Beispiel sei angeführt: „Die Erde ist ein Planet“,
was mit
Erde ⊂ Planet
darzustellen ist. Wieder enthält der „Begriff“ der „Erde“ neben vielen
eigentümlichen Merkmalen auch alle Merkmale des Begriffes „Planet“.
Nachdem wir nun für unsre beiden Musterbeispiele, die „typischen“
Exempel von kategorischen Urteilen auf S. 127, den Unterschied, Gegen-
satz hervorgehoben, welcher in den Beziehungen zwischen Subjekt und
Prädikat bei ihnen zutage tritt, und uns diese Beziehungen in ihrer
9*
[132]Erste Vorlesung.
Eigenart klar zum Bewusstsein gebracht haben, haben wir die Fähig-
keit erworben, sind wir vorbereitet, die wahre Bedeutung der Kopula
„ist“ (oder „sind“) zu erfassen, und uns nach einem geeigneten Be-
ziehungszeichen zur Darstellung derselben umzusehen.
Die Kopula „ist“ wird bald die eine, bald die andere der beiden
Beziehungen ausdrücken, die wir mittelst der Zeichen ⊂ und = dar-
gestellt haben. Zu ihrer Darstellung wird sich darum ein aus den
beiden letzten zusammengesetztes Zeichen ⋹ als ein ohne weiteres,
sozusagen nunmehr von selbst, verständliches und dem Gedächtniss
sich einprägendes vor allen andern empfehlen. Ausführlichst wird
dieses Zeichen als „untergeordnet oder gleich“ zu lesen sein. Und so-
ferne sich herausstellen wird, dass den an unsern Beispielen gemachten
Wahruehmungen allgemeine Gültigkeit zukommt, können wir sagen:
Das kategorische Urteil drückt immer aus, dass das Subjekt (der
Subjektbegriff) dem Prädikate (Prädikatbegriffe) entweder untergeordnet
oder aber mit ihm identisch sei. Es wird demnach ursprünglich oder
von hause aus:
Subjekt ⋹ Prädikat
die gemeinsame Form aller kategorischen Urteile sein.*)
Indem wir nachher an dem Leitfaden ihres sprachlichen Aus-
drucks die verschiedenen Arten kategorischer Aussagen möglichst voll-
ständig durchgehen, werden wir in der That sehen, dass sich diese
Behauptung durchaus bewahrheitet, dass die erwähnte Auffassung sich
wenigstens unbeschadet des logischen Gehaltes der betreffenden Urteile
überall anbringen, allgemein durchführen lässt — allerdings nicht
selten bedingt durch eine Abänderung des „psychologischen Gehaltes“
der betreffenden Urteile, sowie auf Kosten der Eleganz ihres sprach-
lichen Ausdruckes, unter Verletzung, mitunter auch, des Sprachgefühles,
in einer Weise, die wol in der That den Eindruck, erkünstelt zu sein,
hervorbringen kann. Lässt aber dadurch sich nur bewirken, dass alle
Urteile in einer gemeinsamen Form erscheinen, und so einer allgemeinen
Behandlung zugänglich werden, so ist durch die Erzielung solch' un-
absehbaren Vorteils doch der gedachte modus procedendi vollauf ge-
rechtfertigt.
Eine Behauptung der Form
10) a ⋹ b
[133]§ 1. Subsumtion.
werden wir eine Subsumtion (Einordnung) nennen, das Zeichen ⋹ das
Subsumtionszeichen. Dasselbe könnte auch das Zeichen der „eventuellen
(oder fakultativen) Unterordnung“ genannt werden, wo das Beiwort
„eventuell“ darauf anspielt und in der That lediglich darauf hindeuten
soll, dass die Unterordnung auch in (identische) Gleichheit ausarten
kann — im Gegensatz zu dem Zeichen ⊂ der wirklichen oder defini-
tiven Unterordnung, „der Unterordnung“ schlechtweg.
Die linke Seite a der obigen Subsumtion heisst auch der Unter-
begriff oder terminus minor derselben, die rechte Seite b ihr Oberbegriff
oder terminus major. [Nebenbei bemerkt sind das Benennungen, die
ganz ebenso auch bei der Unterordnung a ⊂ b anwendbar erscheinen.]
Ich werde indess diesen Benennungen in der Regel die einfacheren
„Subjekt“ und „Prädikat“ selbst vorziehen, und zwar auch auf einem
solchen Felde der Anwendung von Subsumtionen, welches mit diesen
der Grammatik (spezieller der Satzlehre oder Syntax) entlehnten Ge-
bilden anscheinend nichts zu thun hat, z. B. wenn wir später unter a
und b in 10) uns „Gebiete einer Mannigfaltigkeit“ vorzustellen haben.
Wir konnten in unsern typischen Exempeln die Subsumtion 10)
in Worten durch den Satz darstellen:
„a ist b“
oder auch „alles a ist b“. Bei der ersteren Fassung muss man bleiben,
wenn das Subjekt a — der Einzelvorstellung entsprechend — ein In-
dividuum bedeutet, das ist also bei den sogenannten „singulären“
Urteilen. Z. B. „Mars ist Planet“, was logisch dasselbe sagt, wie:
„Der Mars ist ein Planet“.
Je nach dem sprachlichen Ausdruck des Subjektes werden aber
für die Kopula mitunter auch andere Formen, wie z. B. die Plural-
form „sind“ zu wählen sein. So namentlich, wenn es sich um Arten
und Gattungen handelt, z. B.
„(Alle) Säugetiere sind Wirbeltiere“.
„(Alle) Zweihufer sind Wiederkäuer“.
An diesen als den wol häufigeren Fall wollen wir uns bei den nächsten
Besprechungen vorzugsweise halten.
Gegenüber den einfachen Zeichen ⊂ und = drückt das zusammen-
gesetztere Zeichen ⋹ (wie schon Peirce betont) gleichwol die einfachere
Beziehung aus. In der That die Subsumtion
10) a ⋹ b
sagt weniger, wie die Unterordnung, resp. Gleichung
| 20) | a ⊂ b, | 30) | a = b. |
[134]Erste Vorlesung.
Die Subsumtion lässt nämlich die umgekehrte Beziehung, in welcher
b zu a steht, offen. In Worten ist der Inhalt der Aussage 20) oder
30) je nur durch zwei Sätze wiederzugeben, nämlich etwa:
20) Alle a sind b, aber nicht alle b sind a,
und
30) Alle a sind b, desgleichen alle b sind a.
Offenbar schliessen diese beiden Beziehungen einander aus; sie können
niemals beide zugleich wahr sein, indem die letztern Sätze rechts ein-
ander (kontradiktorisch) widersprechen.
Dagegen gibt 10) den einfachen Satz wieder: „Alle a sind b“. Gemessen
nach ihrer Ausdrucksfähigkeit vermittelst der Wortsprache ist also in
der That die Subsumtion 10) die einfachste von allen drei Aussagen.
Die Subsumtion 10) konstatirt, stellt fest, dass irgend einer der bei-
den Fälle 20), 30) vorliege, und dann selbstverständlich nicht der andere.
Der erstere 20) von diesen beiden Fällen ist weitaus der häufigere.
Bezüglich des letzteren 30) sei zunächst nur hervorgehoben, dass
namentlich bei allen Urteilen, die als Begriffserklärungen, Definitionen
hingestellt werden, beabsichtigt ist, dass diese als auch umgekehrt
gültige verstanden werden.
Z. B. wenn wir definitionsweise sagen: „Die (Jede) Kugelfläche ist
eine Fläche, deren sämtliche Punkte gleichen Abstand haben von einem
bestimmten Punkte (dem sog. Mittelpunkte)“, so ist damit gemeint,
dass auch umgekehrt jede Fläche mit konstantem Abstand ihrer Punkte
von einem bestimmten Punkt eine Kugelfläche (zu nennen) sei. Sagen
wir ebenso: „Gerade Zahlen sind ohne Rest durch 2 teilbare Zahlen“,
so muss auch der Ausspruch gelten: „Ohne Rest durch 2 teilbare
Zahlen sind gerade Zahlen“. —
Welcher von den Fällen 20) und 30) bei der Subsumtion 10) vor-
liege, ist manchmal unbestimmt, manchmal zwar bestimmt, aber nicht
bekannt, meistens ohne Belang.
Freilich, wenn es zweifellos ist, welcher von den Fällen 20), 30)
vorliegt, so hat die Aussage 10) a ⋹ b einen eigentümlichen Charakter,
den man durch einen Ausspruch wie:
„Paris liegt an der Seine oder an der Leine“
illustriren könnte.
Ein solcher Ausspruch mag vielleicht albern erscheinen, doch ist
er unzweifelhaft richtig oder korrekt zu nennen! Paris liegt allerdings,
wie jedermann weiss, nicht (wie Hannover) an der Leine, sondern es
liegt an der Seine. Jemand, der obigen Ausspruch thäte, würde dem-
nach eine Unwissenheit fingiren, die man ihm kaum zutrauen möchte,
[135]§ 1. Subsumtion.
er könnte sich dadurch den Vorwurf einer gewissen Unredlichkeit,
Verstellung zuziehn. Für den Hörer aber, der etwa nicht schon von
vornherein sachlich orientirt wäre, der seine Information über die Lage
von Paris erst aus der obigen Aussage schöpfen müsste, würde diese
Aussage ein irre führendes psychologisches Moment enthalten. Und
dennoch: Weniger zu sagen als man weiss, ist erlaubt; und aus der
Fülle der verfügbaren Kenntnisse Dasjenige hervorzuheben, was für
einen bestimmten Zweck verwertbar ist, und demgemäss Anderes un-
benutzt zu lassen, ist allgemeine Praxis in den Wissenschaften. Ge-
schah dies in dem citirten Ausspruch zwecklos, so hat es hier, bei 10)
zu geschehen zu dem Zwecke, den verschiedenen möglichen Fällen,
die wir unter 20) und 30) aufgezählt haben, eine einheitliche Behand-
lung angedeihen zu lassen, wie denn auch die Wortsprache faktisch
für sie alle der nämlichen Kopula „ist“ oder „sind“ sich bedient.
Noch eines kommt hinzu, den obigen (Paris betreffenden) Aus-
spruch in jeder andern als der logischen Hinsicht als verwerflich er-
scheinen zu lassen: es ist der Umstand, dass es hier einen grösseren
Aufwand von Worten erforderte, dass es umständlicher war, die in dem
Ausspruch gegebene unvollständige Information zu liefern, als es ge-
wesen wäre (in Gestalt des Ausspruchs: „Paris liegt an der Seine“)
die vollständigere Information zu geben.
Die gleiche Ausstellung wird man — anscheinend — uns auch
später machen können, wenn wir in einer Subsumtion a ⋹ b das
Zeichen ⋹ als „untergeordnet oder gleich“ lesen, während wir in
einem Falle sehr wohl wissen, dass wirkliche Unterordnung, in einem
andern Falle vielleicht, dass eigentlich Gleichheit stattfindet!
Hier wird eben nicht ausser Acht zu lassen sein, dass es sich
für uns, indem wir „untergeordnet oder gleich“ sagten, in erster Linie
um eine genaue Darstellung, um charakteristische Wiedergabe des
Sinnes der Kopula handelte. Das ist freilich umständlicher, als nur
„untergeordnet“ oder aber blos „gleich“ zu sagen. Die Wortsprache
aber hat für ⋹ den kürzeren Ausdruck „ist“, wofern sie nicht —
noch kürzer — dies Beziehungszeichen gänzlich unübersetzt lässt, wie
z. B. die russische Sprache, zuweilen auch die lateinische (vergl. „ars
longa“, etc.).
Überhaupt haben wir bereits gesehen, dass — im Gegensatz zu
vorigem abschreckenden Beispiele — die unvollständigere Information
10) den weitaus kürzeren sprachlichen Ausdruck in der That besitzt.
Dies aber gilt für alle Kultursprachen und ist darum nicht etwa blos
für einen zufälligen Umstand, eine Äusserlichkeit der betreffenden
[136]Erste Vorlesung.
Sprachen zu halten, sondern sicherlich tief begründet in der Natur
des menschlichen Intellektes. Die Subsumtion 10) — können wir
sagen — drückt blos einen Gedanken aus; die vollständigere Informa-
tion 20) resp. 30) aber je deren zwei, und indem wir uns statt dieser
letzteren mit diesem ersteren begnügen, lassen wir den einen davon
fallen, sehen wir ab, abstrahiren wir von demselben.
Das Subsumtionszeichen ⋹ wird also, gegenüber den Zeichen ⊂
und =, als das ursprünglichere hinzustellen sein. Auf ihm werden
wir darum auch das ganze Gebäude des ersten und umfassendsten, des
elementaren Teiles der exakten Logik aufrichten.
Übrigens je nach den verschiedenen Anwendungsgebieten des Sub-
sumtionszeichens und -begriffes werden wir dafür noch mannigfache
sprachliche Ausdrucksformen gewinnen. Will man ein kurzes Wort
für dieses Zeichen haben, welches auf allen Gebieten passt, so lese
man es etwa als „eingeordnet“, oder „sub“, spreche also 10) als
„a sub b“.
Ein Hauptvorzug dieses unbestimmteren (die Alternative zwischen
= und ⊂ stellenden) Zeichens ⋹ tritt in der Wissenschaft zutage,
wo man sehr viel mit allgemeinen Sätzen oder Aussagen (auch For-
meln) und Gesetzen zu thun hat, wo es gerade wesentlich auf die Ge-
winnung solcher ankommt. Von der unbegrenzten Menge der Fälle,
welche solch' ein allgemeines Urteil a ⋹ b unter sich begreift, findet
da oft bei den einen Gleichheit, bei den andern Unterordnung statt,
und wird eine Zusammenfassung aller dieser Fälle in ein einheitliches
Gesetz gerade eben nur durch das Subsumtionszeichen ermöglicht. Es
kommt m. a. W. zumeist vor, dass bei einundderselben Subsumtion 10)
die Frage, ob der Fall 20) oder der 30) vorliege, gar nicht allgemein,
prinzipiell entschieden werden kann, sondern sich bald in dem einen,
bald in dem andern Sinne entscheidet. Um hiezu ein einfachstes Bei-
spiel zu geben, werden wir diese Verhältnisse an den Quadratwurzeln
der Arithmetik sogleich im Kontext erläutern.
Im Anschluss an das Vorstehende möchte ich auch noch rechtfertigen,
weshalb ich nicht, wie manche der neueren Autoren über Logik, für ⊂
das Kleinerzeichen \< selbst verwende, und demgemäss auch das Subsum-
tionszeichen nicht durch das in der Mathematik schon gebräuchliche Zeichen
≦ für „kleiner oder gleich“ darstelle, vielmehr besondre Zeichen für diese
Beziehungen wählte.
Den Ausschlag hiefür gab die Erwägung, dass letztere Zeichen be-
stimmt sind und geeignet sein sollen, in der Arithmetik selbst auch neben
den Ungleichheitszeichen verwendet zu werden. Es lassen schon die Ele-
mente der reinen Mathematik in manchen ihrer Abschnitte sich ohne das
Unterordnungs- und namentlich das Subsumtionszeichen nicht korrekt dar-
[137]§ 1. Subsumtion.
stellen, woferne man bei ihrer Begründung nicht ungebührlich lange auf
die Anwendung einer knappen Zeichensprache verzichten und mit verbalen
Umschreibungen sich behelfen will. Und mit fortschreitender Entwickelung
der mathematischen Wissenschaft werden, bin ich überzeugt, diese Zeichen
daselbst immer unentbehrlicher werden.
Namentlich tritt dies schon längst bereits da zutage, wo man mit
„vieldeutigen“ Zahlenausdrücken zu thun bekommt, das ist, im Elementar-
unterricht, erstmalig bei der Quadratwurzelausziehung. Diese ist eine (im
allgemeinen) zweideutige Operation, und bekannt ist, wie zuweilen Lehrer
sowol als Bücher, indem sie z. B. in einem Atem schreiben: = 3 und
daneben auch = — 3, den Anfänger (nach dem Satze, dass wenn zwei
Grössen einer dritten gleich sind, sie auch unter sich gleich sein müssen)
zu dem Fehlschlusse verleiten: + 3 = — 3. In mehr versteckter Form,
geschickt verhüllt, liegt dieses Verfahren einer Reihe von arithmetischen
Paradoxen zugrunde, welche den Anfänger zu verblüffen pflegen.
Der Fehler liegt in dem unberechtigten Gebrauche des Gleichheitszeichens.
Schreibt man freilich: „Silber = Metall“ und (mit demselben Rechte)
„Metall = Gold“, so gelangt man auch zu dem Schlusse: „Silber = Gold“!
In Bezug auf diesen Gebrauch herrscht in der zeitgenössischen Mathematik
noch eine gewisse Nachlässigkeit, hervorgegangen aus der Übertreibung
einer sonst in dieser Disziplin als so überaus fruchtbar bewährten Sparsam-
keit, der Sparsamkeit mit Zeichen, welche hier zu einem Geizen mit solchen
ausartet. Es beruht darauf die Möglichkeit zahlreicher „Paradoxa“, das ist
deduktiver Ableitung, scheinbaren Beweises von Widersprüchen und augen-
scheinlich falschen, absurden Ergebnissen auf Grund der schulmässigen
Sätze und Regeln, indem eben diese nicht korrekt gewesen.
Um die Sache korrekt zu behandeln muss man zunächst die als eine
mehrdeutige verstandene, die „volldeutige“ Quadratwurzel von der eindeutig
zu verstehenden auch in der Bezeichnung sorgfältig unterscheiden. Jene
wird auch der allgemeine oder „Generalwert“, diese der Prinzipal- oder
„Hauptwert“ der Wurzel genannt. Der Generalwert ist aber meist eigentlich
gar kein Wert (so wie z. B. ein Handschuh auch kein Schuh ist), vielmehr
ist er eine ganze Klasse von Werten. Nach Cauchy's Vorschlag kann
man ihn durch Anwendung einer sich sonst als „überflüssig“ charakte-
risirenden Klammer (vergl. Anhang 2) in Gestalt von vor dem
letzteren, dem Hauptwert , auszeichnen, und verwendet man, noch besser,
für ihn ein doppeltes Wurzelzeichen , welches ebenso an den Anfangs-
buchstaben des Wortes „Wurzel“, wie das gewöhnliche oder einfache Wurzel-
zeichen √ an den des Wortes „radix“ erinnert.
Wir verstehen demnach unter die Klasse oder Gattung, welche
sich zusammensetzt aus allen den Zahlen, deren Quadrat gleich a ist —
im Gegensatz zu , welches uns eine bestimmte von diesen Zahlen re-
präsentiren wird.
Es ist z. B. die volldeutige Quadratwurzel, Vollwurzel, aus 32 oder 9
die von den beiden Werten 3 und — 3 gebildete Gattung von Zahlen:
, oder kürzer ausgedrückt:  9 = ± 3.
[138]Erste Vorlesung.
Und wollen wir blos ausdrücken, dass 3 einer (der eine) von diesen beiden
Werten ist, ein andermal vielleicht, dass — 3 ein solcher (der andere) ist,
so ist es nur mehr zulässig, hiefür zu schreiben:
und
— Behauptunge, die jetzt, weil sie korrekt sind, nicht mehr zu obigem
Fehlschlusse verleiten können.
In diesem sowie in fast allen andern Beispielen derselben Art, die
wir bilden mögen, besteht zwischen der volldeutigen Quadratwurzel und
irgend einem ihrer Werte wirklich die Beziehung der Unterordnung, näm-
lich die Unterordnung des Individuums unter eine umfassendere Klasse, zu
der es gehört. Will man nun aber diese Wahrnehmung generalisiren, die-
selbe für eine ganz beliebige Zahl a aussprechen, so darf man gleichwol
nicht sagen, es sei
und ,
aus dem Grunde, weil diese Aussagen eine Ausnahme erleiden würden,
nämlich für a = 0 falsch werden. Da + 0 und — 0 einerlei sind, so
hat, wenn unter a die Null verstanden wird, auch die volldeutige Quadrat-
wurzel aus a nur mehr einen Wert, den Wert 0; die als ihr „General-
wert“ zu bezeichnende Klasse schrumpft hier in ein einziges Zahlindividuum
zusammen (sie ist diesmal ausnahmsweise auch wirklich ein „Wert“) und es ist:
,
gleich, aber nicht untergeordnet.
Allgemein, für jede beliebige Zahl a, gilt daher weder die Unter-
ordnung, noch die Gleichung, sondern in der That nur die Subsumtion:
und ebenso .
Und ähnlich ist auch bei den höheren Wurzeln in der Buchstaben-
rechnung das Subsumtionszeichen anzuwenden der Allgemeingültigkeit zuliebe.
Allerdings wählt die Mathematik von den eventuell beiden unter die
Klasse fallenden Werten frühzeitig den einen als den sogenannten
Hauptwert aus und zwar — bei positivem Radicanden, im Gebiete der
reellen Zahlen — den positiven, den sie schlechtweg mit bezeichnet,
sodass z. B. 3= der Hauptwert und — 3 = — der Nebenwert
der Quadratwurzel aus 9 sein wird. Und indem sie fortan vorzugsweise
mit diesen eindeutigen oder Hauptwerten operirt, das Rechnen mit viel-
deutigen Ausdrücken nach Möglichkeit vermeidet, flieht die Mathematik so-
zusagen die Gelegenheiten, wo sie ein spezifisch logisches Beziehungszeichen
anwenden müsste. Ähnlich, wie in diesen ersten und einfachsten Fällen,
verfährt die Mathematik auch später wieder bei den mehrdeutigen ana-
lytischen Elementarfunktionen, d. i. den logarithmischen, cyklometrischen
und allgemeinen Potenzfunktionen: sie wendet sich möglichst bald von deren
Generalwerten ab und den eindeutigen Zweigen dieser Funktionen als den
erwählten Hauptwerten derselben zu, hauptsächlich wol, um nicht einen
komplizirteren Zeichenapparat, nämlich noch andere als die drei Zeichen
[139]§ 1. Subsumtion.
der Grössenvergleichung (=, \>, \<) verwenden zu müssen, dergleichen in
der That bis jetzt auch keines ganz allgemein rezipirt erscheint.
Aber nicht nur zur Darstellung der Beziehungen zwischen vieldeutigen
Zahlenausdrücken sollte eigentlich das Subsumtionszeichen allgemeinere Ver-
wendung finden, sondern auch noch auf zahlreichen anderen Untersuchungs-
gebieten, wo sich einstweilen noch jeder Autor seine eigene bisweilen recht
schwerfällige Terminologie schafft behufs Darstellung von Beziehungen, die
einfach als eine „Einordnung“ zu charakterisiren wären.*)
Wählten wir nun für die Unterordnung das Zeichen \< selbst, so
würden zahlreiche Missverständnisse ebendadurch nahe gelegt werden. Wir
können auch bei Zahlengattungen A und B, also bei vieldeutigen Aus-
drücken, das Zeichen \< in seinem ursprünglichen Sinne verwenden, um
mittelst der Relation A \< B auszudrücken, dass jede Zahl der Gattung A
kleiner sei als jede Zahl der Gattung B. Doch wenn wir auch absehen
wollen von der Zulässigkeit dieser immerhin seltnereu Verwendungsweise,
so sieht man doch den in einer Formel beiderseits stehenden Ausdrücken
nicht immer an, ob sie uns einen oder ob sie mehrere Werte repräsentiren
sollen, wo doch im ersteren Falle das Zeichen \< eine ganz andere Deutung
zu erhalten hätte. Bei allen allgemeinen Untersuchungen über Zahlen-
klassen, vieldeutige Ausdrücke, muss man vielmehr als Grenz- oder De-
generationsfälle auch diejenigen besondern Fälle mit unterlaufen lassen,
wo die vieldeutigen in eindeutige Ausdrücke ausarten, wo die Klassen auf
je ein Individuum zusammenschrumpfen. Zwischen zwei Zahlindividuen,
eindeutigen Zahlzeichen, ist die eigentliche Unterordnung unmöglich, un-
denkbar, denn das zweite Individuum müsste dann eine Klasse sein, die
ausser dem ersten noch andere Individuen enthält im Widerspruch zu der
Annahme, dass sie nur eines enthalte, nämlich eine „singuläre“ Klasse sei.
Sind A und B dergestalt eindeutige Zahlzeichen, so könnte die Subsum-
tion A ⋹ B, in der Gestalt der Relation A ≦ B geschrieben, doch nur
als Gleichung gelten, es müsste dann A = B selbst sein. Als Behauptung
[140]Erste Vorlesung.
hingestellt, würde jene Relation dann allerdings noch richtig bleiben, jedoch
weniger sagen, wenn man das Zeichen \< in ≦, statt als „untergeordnet“,
nun als „kleiner“ interpretirte. Sooft aber solche Relation A ≦ B als Vor-
aussetzung hinzustellen wäre, müssten die beiden fraglichen Interpretationen
von \< einen Unterschied geben: es wäre im erstern Falle die Annahme
„A kleiner als B“ durch die Relation ausgeschlossen, im zweiten aber zu-
gelassen. Und anderes mehr.
Unstreitig wird es also praktischer sein, für die Unterordnung ein
von dem Zeichen \< verschiedenes Zeichen zu wählen. Wenn nun dieses
fragliche Zeichen mit Rücksicht auf die Anforderung, dass dasselbe beim
Vor- und Rückwärtslesen muemonisch interpretirbar sei, ebenfalls zwei
divergirende Äste besitzen soll, so müssen dieselben gekrümmt genommen
werden, und bleibt (bei Wahrung der Symmetrie des Zeichens in vertikaler
Richtung, d. i. um die horizontale Axe) gewissermassen nur die Möglich-
keit übrig, dasselbe dem von uns gewählten Parabel- (oder Hyperbel) bogen
ähnlich zu gestalten — in Anbetracht, dass ein Zeichen wie
≺
bereits vergeben erscheint, nämlich nach Paul Du Bois Reymond's Vor-
schlag eine eigentümliche Verwendung zur Darstellung infinitärer Beziehungen
bereits gefunden hat und auch am besten findet.
Man könnte höchstens noch unserm Zeichen anstatt des Scheitels eine
Ecke geben: ⊂, wodurch es sich aber weniger deutlich von dem Zeichen \<
abheben würde — ein Punkt indess, über den ich mit niemand streiten
will. [Verwendeten wir statt des Parabelbogens einen Kreisbogen, so
würde dadurch ein oft störender Parallelismus mit etwaigen Klammerhaken
der hinter das Zeichen tretenden Ausdrücke bewirkt werden.]
Das Zeichen ⋹ wurde 1873 von mir eingeführt1. Umfassende An-
wendungen von den durch dasselbe ausgedrückten Beziehungen der Sub-
sumtion möchten wol l. c. zum ersten mal auf (sozusagen) extralogischem
Gebiete gemacht sein. Ich habe jenes mit noch einem andern Zeichen, auf
das wir einzugehen haben werden, daselbst verwendet, um ein geschmeidiges
Rechnen mit vieldeutigen Zahlenausdrücken auszubilden, Prinzipien und
Methoden für solches zu entwickeln.
Herr Peirce verwendet dafür das in Amerika bereits ziemlich ein-
gebürgerte Zeichen
⤙,
welches allerdings drei Jahre früher von ihm eingeführt worden ist; doch
haben vor ihm auch Augustus De Morgan und Andere sich schon be-
sondrer von den angeführten differirender Zeichen für die gedachte Be-
ziehung bedient.
Ich meine, dass nicht Rücksichten auf die mehr oder weniger zufällige
Priorität eines Bezeichnungsvorschlages, sondern lediglich sachliche Zweck-
mässigkeitsrücksichten den Ausschlag dafür geben sollten, welcher Vorschlag
etwa allgemein anzunehmen wäre. In dieser Beziehung könnte ich schon
die vorstehende Auseinandersetzung für sich selbst reden lassen. Besonders
möchte ich jedoch noch darauf aufmerksam machen, dass ein vorgeschlagenes
Beziehungszeichen nicht blos für sich allein in Betracht zu ziehen ist, sondern
[141]§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
auch als ein Glied eines vollständigen Systems von Zeichen für sämtliche
logischen Grundbeziehungen. Sollten letztere — immerhin, wie wir sehen
werden, zehn, oder, wenn man die vor- und rückwärts verschieden aus-
sehenden gesondert zählt, vierzehn an Zahl — überhaupt planmässig, ratio-
nell bezeichnet werden — und dies erscheint bei ihrer grossen Anzahl
durchaus wünschenswert — so wird sich zeigen lassen, dass mein Vorschlag
nicht nur zweckentsprechend, sondern auch fast der einzige ist, der thunlich
erscheint. Vergl. die spätere Besprechung der sämtlichen Zeichen in § 34 sq.
Jedenfalls dürfte sich's empfehlen, auf die Gestaltung neu einzuführender
Zeichen eine grosse Sorgfalt zu verwenden. Denn ist ein ungeschickt ge-
wähltes Zeichen einmal wirklich eingebürgert, so möchte wol eine Abhülfe
kaum minder schwierig durchzuführen sein, als etwa der Plan, den Schienen-
weg, Fahrdamm einer unzweckmässig gelegten Eisenbahnlinie wieder in
fruchtbares Ackerland zu verwandeln!
Ich schliesse diesen Exkurs mit der Anführung eines in der Über-
setzung von mir etwas gemilderten Ausspruchs von A. De Morgan, nach
Peirce's von mir geteilter Ansicht, eines der scharfsinnigsten Logiker, die
existirten. Derselbe stellt am Schlusse seines Syllabus3 die beiden folgenden
Thatsachen einander gegenüber.
Erstens: die Logik ist die einzige Disziplin, welche seit dem Wieder-
aufleben der Wissenschaften (since the revival of letters) keine entsprechenden
Fortschritte gemacht hat.
Zweitens: die Logik, ganz allein, hat keinen Zuwachs an Zeichen
(symbols) hervorgebracht.
Er sagt geradezu „keine Fortschritte“, was bekanntlich auch Kant
mit aller Schärfe behauptet.
Es erübrigt uns noch, nachzusehen, inwiefern jedes Urteil als ein
„Subsumtionsurteil“ angesehen werden kann. Zunächst wenigstens
wird dies für die kategorischen Urteile zu zeigen sein.
Für nicht-kategorische, nämlich die aus verschiedenen Teilsätzen mittelst
Konjunktionen — wie: „wenn ‥, so ‥“, „entweder ‥, oder“, „weder ‥,
noch“, „nicht nur ‥, sondern auch ‥“, „folglich“, „weil“, und andere —
zusammengesetzten Urteile kann erst im Lauf der Entwickelung unsrer
Theorie nach und nach dargethan werden, dass und auf welche Weise sie
ihrem logischen Gehalte nach vollständig darstellbar sind mit Hülfe des
Subsumtionszeichens selbst oder auch anderer Zeichen, deren Bedeutung
jedoch auf den Subsumtionsbegriff zurückführbar ist, welche sich in der
That aus dem letztern ableiten, auf Grund desselben definiren lassen.
Als „Ding“ oder Objekt des Denkens, von welchem in einem Satze
etwas ausgesagt wird, und welches demnach dessen „Subjekt“ bildet,
kann auch ein selber als Satz formulirtes Urteil auftreten und ebenso
kann dasjenige, was von jenem prädizirt wird, bestehen in der Hervor-
[142]Erste Vorlesung.
hebung einer Beziehung, in der ein zweites Urteil zu jenem ersten
steht. Dergleichen Urteile, welche anstatt von beliebigen andern
Dingen zunächst selbst wieder nur von Urteilen handeln, nehmen in
der Lehre von den Urteilen eine bevorzugte, eine Sonderstellung ein.
Dahin gehören vor allem die sog. „hypothetischen“ (vergl. § 28) und
die „disjunktiven“ Urteile (vergl. § 15 und 31), ferner aber auch Urteile,
welche, indem sie z. B. Verba wie „können“ oder „müssen“, oder Adverbia,
wie „vielleicht“ etc. enthalten, auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit der
Zulassung eines gewissen Urteils hinweisen, im Grunde also auch nur von
diesem selbst etwas unmittelbar prädiziren, erst mittelbar auch über die
Dinge aussagen, welche dieses Urteil betrifft (vergl. § 54); endlich gehören
dahin die im Sinne Sigwart's aufgefassten „verneinenden“ Urteile (Urteils-
verneinungen — vergl. § 15 und 31).
Alle solchen Urteile werden von Boolesekundäre oder Urteile
der zweiten Klasse genannt und gegenübergestellt den primären oder
Urteilen der ersten Klasse (zu denen im allgemeinen die kategorischen
gehören), welche nämlich nicht implicite erst von Urteilen sondern
sogleich von den Dingen selbst handeln. Als die einfacheren haben
wir vorerst nur diese letzteren zu betrachten.
Auch für die kategorischen Urteile müssen wir jedoch im Hinblick
auf den fast unerschöpflichen Reichtum der Wortsprache und ihrer
Ausdrucksmöglichkeiten darauf verzichten, die Aufgabe der Erbringung
fraglichen Nachweises hier mit dem Anspruch auf formelle Vollständig-
keit zu lösen. Wir begnügen uns — und dies dürfte auch genügen
— an der Hand einiger Beispiele nur für die vornehmsten Ausdrucks-
formen der Sprache zu erläutern und Anleitung zu geben, in welcher
Weise die Darstellung zu vollziehen ist.
Besonders kommt es dabei uns noch darauf an, das Verfahren auch
gegen unbillige Beurteilung in Schutz zu nehmen.
Im Urteil gibt sich ausser dem, was wir seinen „logischen Gehalt“
nennen, oft ein gutes Teil von Stimmung, Gefühl und Absicht, Streben
des Redenden kund und ruft Verwandtes (oder auch Entgegengesetztes)
hervor in dem, der es vernimmt. Je nach der Form seiner sprach-
lichen Einkleidung bleibt dabei oft mancherlei „zwischen den Zeilen zu
lesen“ (vergl. des Dichters: „Was er weise verschweigt, zeigt mir den
Meister des Stils“ sowie das geflügelte Wort: „Man merkt die Absicht
und man wird verstimmt“ u. a.). Es legt der Satz häufig Neben-
gedanken nahe, auf deren Gestaltung schon die Art und Weise seiner
Betonung von grossem Einfluss sein kann; gewisse Gedanken bereitet
der Satz vor zu leichterer Erweckung, wofern er sie nicht selbst schon
völlig wachruft, für andere präjudizirt er hemmend und vorbeugend.
[143]§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
Man wird z. B. dessen inne, wenn man im nächsten besten (Frage)-
Satze die Emphase, den Nachdruck der Reihe nach auf's erste oder
aber zweite u. s. w. bis letzte Wort legt.
Z. B. „‥ Wenn Sie den Mut haben!“ „Hat er die Lisette geheiratet?“ Etc.
Ich will dabei nicht reden von Fällen, wo die Betonung geradezu den
Sinn des Satzes selbst verändert, wie der bekannte Ausspruch: „von der
Seite kannt' ich dich noch nicht“ dies erfuhr, als ein schlechter Schau-
spieler mit der Betonung: „von der Seite kannt' ich dich noch nicht“ den-
selben deklamirte. Ich will nur reden von den Wirkungen des Satzes, die
unbeschadet seines logischen Gehaltes nebenher gehen können. So sagt
z. B. der Ausdruck „Meine Wenigkeit“ logisch nicht mehr als „ich“; ersterer
aber hat einen Beigeschmack von affektirter Bescheidenheit. Etc.
Von einem mitunter ganz beträchtlichen Teil dieses lebendigen
Inhaltes, des „psychologischen Gehalts“ des Urteils sieht ohnehin die
Logik ab — nicht nur die unsrige, die Logik des Umfanges, sondern
die Logik überhaupt. Diese kümmert sich um das Urteil nur insofern,
als es mit dem, was es ausdrücklich ausspricht, wahr oder falsch ist,
resp. durch die Konsequenz zu denken geboten oder weiteres zu
denken nötigend.
Wie aber der „logische Gehalt“ des Urteils hienach nur als ein Aus-
zug, ein Excerpt aus dessen sprachlich angedeutetem Gehalte erscheint, so
verhält sich wol auch schon dieser zu dem ihm zugrunde liegenden Gedanken
und mag der Dichter (Victor v. Scheffel) recht haben, wenn er sagt:
Dieser Auffassung gemäss soll nun auch nicht behauptet sein,
dass durch die beabsichtigte Darstellung eines Urteils als Subsumtion
dasselbe etwa nach seiner psychologischen Natur genauer dargelegt, dass
es damit in irgend einer andern als eben nur der logischen Hinsicht
angemessener oder besser dargestellt werde!
Als Beispiel betrachte man das Urteil: „Die Wanderheuschrecken
haben ihre Ohren an den Waden“. Wir bestehen darauf, dass dieses
logisch äquivalent ist mit dem Satze: „Die Klasse der Wanderheu-
schrecken ist enthalten in der Klasse der Geschöpfe (Wesen oder über-
haupt „Dinge“), welche (ihre) Ohren (Gehörorgane) an (den) Waden
tragen“. Keineswegs jedoch soll damit etwa unterstellt oder für die
Auffassung plädirt werden, als ob der Hörer in seinem Geiste bereits
vorgebildet habe die Vorstellung einer Klasse von Wesen, die das
Gehörorgan an der unteren Hälfte der Extremitäten besitzen, und dass
er nun, nachdem er durch das Urteil von der Thatsache in Kenntniss
[144]Erste Vorlesung.
gesetzt ist, in diese vorrätige Klasse auch einfach diejenige der Wander-
heuschrecken „einordne“.
Im Gegenteil: die Thatsache wird wol den meisten Lesern über-
raschend und neu sein, so wie es z. B. auch in weiteren Kreisen un-
bekannt sein mag, dass eine Krebsart, Mysis, das Gehörorgan sogar
an den Schwanzflossen trägt. Ein solches Urteil wird uns nicht schon
im Besitz der Prädikatklasse antreffen, sondern uns höchstens Veran-
lassung werden, dass wir eine solche Klasse erst aufstellen. Wesent-
lich wird jenes Urteil nur unsern Begriff von den Wanderheuschrecken
berichtigen oder vervollständigen, uns nötigend, diese Tiere, während
wir bislang bei ihnen an Gehörorgane vielleicht niemals gedacht haben,
fortan mit Trommelfellen, Tympanums, zu beiden Seiten jedes Schien-
beins*) ausgestattet zu denken.
Auch der sprachliche Ausdruck unsrer als Beispiel gewählten Aus-
sage ist durch die Umschreibung nur schwerfälliger geworden. Un-
streitig aber gibt diese Umschreibung doch die nämliche Information
wie die ursprüngliche Aussage, und ihr Vorzug besteht darin, dass sie
die Beziehung zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatbegriffe rein
nach deren Umfangsverhältnisse darstellt, wodurch diese Beziehung in
der auf das Subsumtionszeichen gegründeten Zeichensprache, in Gestalt
von a ⋹ b, nunmehr ausdrückbar wird. Und die Vorteile solcher Aus-
drucksweise — wo immer es sich um logische Fragen handelt —
werden im weiteren Verfolg unsrer Theorie genugsam zutage treten.
Ähnliche Bemerkungen, wie an das Vorhergegangene, würden nun
auch mutatis mutandis an manche der nachfolgend anzuführenden Bei-
spiele sich anknüpfen lassen; indess werden wir nicht mehr ausdrück-
lich darauf hinweisen.
Eines aber sei hier noch hervorgehoben: in Bezug auf verneinende
Urteile.
Es ist geltend gemacht worden, die durch eine Verneinung
geforderte permanente Sonderung, Auseinanderhaltung oder Trennung
von Merkmalen sei so wesentlich verschieden von der durch ein be-
jahendes Urteil angeregten Verknüpfung solcher, dass es keinen Wert
habe, beide Operationen unter demselben Gesichtspunkt zu betrachten,
unter ein gemeinsames Schema sie zu bringen. Dies aber dürfte doch
absprechend, vorschnell geurteilt sein.
Sagen wir z. B. „das Wasser sei nicht zusammendrückbar (inkompres-
[145]§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
sibel)“, so fordern wir psychologisch, dass die Vorstellung, das Merkmal
der Zusammendrückbarkeit, wie es elastischen und namentlich elastisch
flüssigen Körpern zukommt, ausgeschieden werde aus dem Begriff des
Wassers, falls es etwa irrtümlich in denselben aufgenommen worden sein
sollte, und andernfalles, dass diese Vorstellung seiner Bildung wenigstens
fern bleibe, dass sie nicht in die Vorstellung des Wassers eingehe.
Nun lässt auch dieses Urteil als eine Subsumtion sich ansehen, be-
sagend, dass die Klasse der als „(flüssiges) Wasser“ zu bezeichnenden Dinge
enthalten sei in, gehöre zu der Klasse der nicht zusammendrückbaren Sub-
stanzen oder Dinge.
Diese Umformung des Urteils geschieht auch hier der logischen
Technik zuliebe und sie hat den gleichen Wert wie in den übrigen
Fällen; sie wird erforderlich sobald man auf die Umfangsbeziehungen
zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatbegriffe reflektiren will
(und zwar, wie man später sehen wird, einerlei, ob man als letzteren das
Merkmal der Zusammendrückbarkeit oder aber das der Inkompressibilität
gelten lassen mag).
Und solcher Reflexion kann ein wissenschaftlicher Wert ebenso-
wenig abgesprochen werden, als etwa der einseitigen Hervorhebung
der chemischen Zusammensetzung (oder vielleicht der Gewichtsverhält-
nisse) von Substanzen, deren eine aus den andern als eine Verbindung
hervorgeht.
Des weiteren wären hiezu noch die unter δ3) der Einleitung an-
gestellten Betrachtungen heranzuziehen.
Man wird finden, dass, wer da gegen das Verfahren der Logik
des Umfanges eifert, allemal dabei aus der Rolle des Logikers eigent-
lich herausfällt, nämlich anstatt daran festzuhalten, dass es dieser um
normative Bestimmungen, um einen Kanon des Denkens zu thun sein
muss, sich (unbewusst) auf den Standpunkt stellt, als ob es vielmehr
ankäme auf eine naturwissenschaftliche Analyse der psychologischen
Vorgänge beim wirklichen Denken. Namentlich hat die exakte Logik
oft Veranlassung, sich von der Sprachform zu befreien; „denn wie
sehr auch die letztere — sagt treffend Fr. A. Lange1 p. 94 — sich
dem natürlichen und gewöhnlichen Denken anschmiegt, so ist es doch
nicht Sache der Logik, dieser Natürlichkeit zu huldigen, sondern viel-
mehr zu scheiden und klar zu stellen, was wirklich logisch ist in den
Gebilden der Sprache und was nicht.“
Nach diesen Vorbemerkungen können wir unsrer eigentlichen Auf-
gabe, die nun erhebliche Schwierigkeiten nicht weiter darbietet, jetzt
näher treten.
Zunächst gibt es Fälle, wo die Subsumtion (auch) nicht den vollen
(logischen) Inhalt des kategorischen Urteils wiedergibt.
Dies tritt dann ein, wenn in dem Urteil ein Fingerzeig enthalten ist,
ob die Kopula Unterordnung oder ob sie Gleichheit bedeutet, wenn das
Urteil selbst die eine von diesen beiden Interpretationen ausschliesst. Sagen
wir z. B.
„1001 ist eine von den durch 11 und 13 teilbaren Zahlen“, oder auch:
„Santorin ist eine von den zahlreichen Inseln im griechischen Archipel“,
so erscheint zwischen Subjekt und Prädikat die Beziehung der identischen
Gleichheit ausgeschlossen, und drückt das Urteil eine wirkliche Unter-
ordnung aus. Es wird hier eben im Urteil selbst das Prädikat als eine
Mehrheit von Individuen gegenüber dem als eine Minderheit (vorhin sogar
als nur ein Individuum) sich darstellenden Subjekte hingestellt.
Sehen wir dagegen das Prädikat mit dem bestimmten Artikel verbunden
(der allerdings, wie schon erwähnt, in manchen Sprachen, wie im Lateinischen
und Russischen fehlt), oder wird — was wesentlich auf dasselbe hinaus-
kommt — das Prädikat mit dem hinweisenden Fürwort (pronomen demon-
strativum) „der-, die-, dasjenige“ (im Plural „diejenigen“) eingeleitet, so
beansprucht und erhält die Kopula die assertorische Kraft des Gleichheits-
zeichens, versichert die Identität zwischen Subjekt und Prädikat und schliesst
die Unterordnung aus. Z. B.
Hierher gehören auch die Fälle, wo das Prädikat ein Eigenname ist,
also nicht — wie es sonst als die Regel erscheint — einen allgemeinen
Begriff, sondern etwas Individuelles, ein spezielles Objekt des Denkens be-
zeichnet, z. B.
In dieser besondern Art von „singulären“ Urteilen drückt die Kopula
ebenfalls die Identität des Subjektes mit dem Prädikate aus.
Dasselbe gilt von Aussagen wie „2 mal 2 ist 4“, wo das Prädikat ein
Zahlenindividuum ist und die Kopula die Versicherung der arithmetischen
Gleichheit zwischen Subjekt und Prädikat gibt, die hier übrigens mit der
identischen Gleichheit in gewissem Sinne zusammenfällt (sofern es üblich
ist, alle einander gleichen Zahlen durch ein einziges den Zahlenort mar-
kirendes Zahlenindividuum vertreten zu lassen).
Zu den hiermit gekennzeichneten Fällen treten noch solche von spe-
ziellerem Charakter hinzu, die man passend als die „Grenzfälle“ bezeichnen
kann, wo nämlich „nichts“ oder „etwas“ resp. „alles“ als Subjekt, be-
ziehungsweise Prädikat auftritt (wie z. B. bei dem Satze: „dies ist alles“).
Diese werden wir erst in einer späteren Vorlesung (§ 9) berücksichtigen.
Wird das Subjekt mit a, das Prädikat mit b bezeichnet, so ist a ⊂ b
der volle Sinn der Aussagen ersterer und a = b derjenige der Aussagen
letzterer Art. In beiden Fällen gilt also gewiss die Subsumtion a ⋹ b
[147]§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
und drückt wenigstens einen Teil des (logischen) Inhalts unsrer Urteile
richtig aus.
Zu derselben muss aber, um die Urteile vollständig wiederzugeben,
noch etwas hinzugefügt werden, und zwar in dem zweiten, dem Falle der
Gleichheit a = b, wo eben das Urteil auch umgekehrt gilt, invertibel oder
reziprokabel erscheint, ist zu der Subsumtion a ⋹ b noch eine zweite Sub-
sumtion b ⋹ a hinzuzusetzen.
Was zu der Subsumtion a ⋹ b noch anzumerken ist, damit die Unter-
ordnung a ⊂ b vollständigen Ausdruck finde, werden wir erst sehr viel
später in's Auge fassen (17. Vorlesung.).
Es gehören eben die angeführten Fälle, wenngleich sie in grammati-
kalischer Hinsicht, d. i. schlechtweg, zu den einfachen Urteilen zählen mögen,
doch zu den „in logischer Hinsicht zusammengesetzten“ (so wenigstens vom
elementarsten Standpunkte aus betrachtet).
Verweilen wir nur mehr bei den auch im engsten Sinne „ein-
fachen“ Urteilen — das sind diejenigen, in welchen die Frage nach der
Umkehrbarkeit des Urteils unbeantwortet gelassen ist — bei welchen also
es offen bleibt, ob das durch Vertauschung von Subjekt und Prädikat sich
ergebende Urteil gilt oder nicht gilt, nämlich dieser Umstand — wenn
auch vielleicht nebenher bekannt oder aus der Sache ersichtlich — doch
in dem Urteil selbst nicht ausgedrückt erscheint.
Hier — behaupteten wir — kann man immer Subjekt und Prädi-
kat als Klassen auffassen und den logischen Gehalt des Urteils da-
durch vollkommen wiedergeben, dass man es interpretirt als die Ver-
sicherung (Assertion): Die Subjektklasse ist ganz enthalten in der
Prädikatklasse. Man wird demnach auch sprachlich durch geeignete
Umschreibung — ohne dadurch den logischen Gehalt des Urteils zu
alteriren — die Kopula immer auf das Wörtchen „ist“ hinausspielen
können.
Hiezu ist es freilich erforderlich, den Begriff der „Klasse“ nicht
allzu enge zu fassen.
An schwach besuchten Schulanstalten kann es vorkommen, dass
eine Schülerklasse auch einmal nur einen Schüler besitzt, vielleicht
sogar gar keinen. Analog diesem schon im gemeinen Leben vor-
kommenden Präcedenzfalle werden wir hier das Wort „Klasse“ immer
in solchem Sinne nehmen, so weit fassen, dass auch der Fall zugelassen
erscheint, wo die Klasse nur ein Individuum enthält, sich auf ein
solches beschränkt, in ein solches gewissermassen zusammenzieht.
Sogar dem „Nichts“ als dem Fall einer gar kein Individuum ent-
haltenden oder leeren Klasse werden wir späterhin seinen Platz unter
den Klassen einräumen.
Im übrigen wollen wir, was unter einer „Klasse“ und was unter
einem „Individuum“ zu verstehen sei, zunächst nicht weiter erörtern.
10*
[148]Erste Vorlesung.
Jedermann versteht, was gemeint ist, wenn man spricht von der Klasse
der Säugetiere, einer Klasse, von der jedes einzelne Säugetier ein Indi-
viduum vorstellt, oder von der Klasse der Dinge, welche diese oder
jene Eigenschaften besitzen. Zum Überfluss mögen hierzu die Betrach-
tungen unter δ2) und ν2) der Einleitung nachgesehen werden:
Wir sind im stande irgend welche Objekte des Denkens als „Indi-
viduen“ zu einer „Klasse“ zu vereinigen („zusammenzufassen“).
Allein nur (scheint es) einander (unmittelbar) widersprechende Sätze,
je mit der Überzeugung von ihrer Richtigkeit verbunden, machen hie-
von eine Ausnahme. Kann auch jeder, für sich, für wahr gehalten
werden, z. B. der Satz: „Der Mond ist bewohnt“, sowie der Satz: „Der
Mond ist unbewohnt“, so können sie doch nicht zusammengefasst
werden zu einer „Klasse von Wahrheiten“.
Und auch ein Individuum mögen wir bezeichnen als eine Klasse,
welche eben nur dieses Individuum selbst enthält. Ein jedes Gedanken-
ding kann zu solchem Individuum gestempelt werden.
Dem wissenschaftlichen Begriff des Individuums werden wir indess
gelegentlich noch näher treten (22. Vorlesung).
Auch jene Klasse aber, die selber eine Menge von Individuen
umfasst, kann wieder als ein Gedankending und demgemäss auch als
ein „Individuum“ (im weiteren Sinne, z. B. „relativ“ in Bezug auf
höhere Klassen) hingestellt werden. Wenn wir jedoch von einem
Individuum „im absoluten (engeren) Sinne“ reden, so verstehen wir
darunter ein Objekt des Denkens, dessen Name als ein Eigenname und
nicht als ein Gemeinname gehandhabt wird (vergl. den Teil B unsrer
Einleitung).
Nach dem Gesagten kann das Subjekt des Urteils, wenn es ein Haupt-
wort ist, ohne weiteres als eine Klasse aufgefasst werden, desgleichen,
wenn dieses Hauptwort etwa durch Beiwörter oder Relativsätze näher be-
stimmt, determinirt erscheint.
Dasselbe ist der Fall, wenn das Subjekt aus mehreren durch Kon-
junktionen, wie „und“, „oder“, „sowie“ etc. verbundenen Substantiven oder
Nomina besteht. Z. B. „Gold und Silber sind Edelmetalle“ heisst: Jede
als Gold oder Silber sich erweisende Substanz ist ein Edelmetall; die
Klasse jener Substanzen ist enthalten in der Klasse dieser, der Edelmetalle.
Den logischen Gehalt der meisten Konjunktionen werden wir übrigens noch
zum Gegenstand eines speziellen Studiums machen, und ist zu empfehlen,
dass man namentlich die Betrachtung von Sätzen wie: „Entweder a oder b
ist c“, „Weder a noch b ist c“ vorerst zurückstelle. Zur Stelle auf diese
einzugehen würde später nur zu Wiederholungen uns nötigen.
Nachdem unter ξ1) der Einleitung der Gebrauch von Wörtern in der
„suppositio nominalis“ ausgeschlossen worden, konnte als Subjekt des Urteils
[149]§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
nur mehr auftreten ein Hauptwort, Pronomen, oder Verbum; auch kann
das Subjekt durch einen Relativsatz vertreten sein.
Von Verben wird häufig die Infinitivform auch substantivisch gebraucht
und kann als Subjekt eines Satzes stehen, wie z. B. in „Schwimmen ist
eine Kunst“, wo „Schwimmen“ auch durch „das Schwimmen“ ersetzbar ist
— im Englischen steht die Partizipialform „swimming“, im Französischen
das Hauptwort „la nage“. Offenbar wird hier etwas ausgesagt von einer
Klasse menschlicher Thätigkeiten resp. Fertigkeiten, nämlich vom Schwimmen;
von ihr wird behauptet, dass sie enthalten sei in der Klasse derer, die „eine
Kunst“ sind, d. i. eigens erlernt und durch Übung gefestigt werden müssen
von Jedem, der sie erlangen will. Vergl. auch „Tadeln ist leicht, schwerer
ist Besser-machen“; d. i. (die Thätigkeit des) Tadeln(s) gehört zu der Klasse
der „leicht“ auszuübenden Thätigkeiten, in diesem dem übertragenen Sinne
überhaupt zur Klasse der „leichten Dinge“. Man sieht an diesem Beispiele,
wie die Einschaltung eines solchen im Urteil selbst gar nicht erwähnten
Hülfsbegriffes, hier desjenigen der „Thätigkeit“, erforderlich werden kann,
um dem Doppelsinn des Prädikatnamens zu steuern, einer falschen Deutung
desselben vorzubeugen. Im letzten Teil des Satzes geht das Prädikat dem
Subjekte voran: Etwas besser machen (als es gemacht worden ist) ist ent-
halten in der Klasse der Thätigkeiten (resp. Dinge), welche schwerer sind
(im übertragenen Sinne) als das Aussprechen eines Tadels über die erfolgte
Ausführung. Etc.
Desgleichen kommen im Deutschen als Subjekt von Sätzen auch Verba
vor im Partizip, wie in: „Vorgethan und nachbedacht hat Manchen in
gross Leid gebracht“. In diesem Sprüchwort ist das Subjekt offenbar die
Klasse der Fälle, in welchen ein Mensch erst nach impulsivem Handeln
über dieses nachdachte. Es ist von dieser Klasse behauptet, dass sie ent-
halten sei in der Klasse derjenigen Handlungen, die ihrem Urheber grosses
Leid brachten — aber, müssen wir hinzufügen, nicht ganz, sondern nur zu
einem ansehnlichen Teile, denn durch das unbestimmte, hier als Pronomen
stehende Zahlwort „Manchen“ ist das Urteil obendrein zu einem „parti-
kularen“ gestempelt, so wie es and erwärts auch durch den Beisatz von
Adverbien, wie „manchmal, bisweilen, oft, häufig, selten, nicht immer“ etc.
zum Prädikate zu geschehen pflegt. Die eigentliche Subjektklasse ist hier
jener unbestimmte Teil der angeführten Klasse.
Auch in den Fällen, wo ein Relativsatz das Subjekt des Satzes ver-
tritt, wird nun der Leser leicht das Urteil nach dem Umfangsverhältnisse
vom Subjekt- und Prädikatbegriffe analysiren. Die Beispiele: „Was uns im
innersten erregt, pflegt bleibenden Eindruck zu hinterlassen“, sowie Schiller's
„Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich
Gemüt“ mögen dazu anregen. Beide sind „partikulare“ Urteile, worauf im
ersten Satze das Verbum „pflegt“ hinweist: Subjektklasse wird hier sein
der grössere Teil der Erlebnisse, welche eine tiefgehende Emotion verur-
sachen. Das zweite Urteil ist allerdings nicht der Form nach als parti-
kular anzusehen, sondern nur im Sinne des Dichters, wofern man demselben
nicht eine viel zu weit gehende Behauptung in den Mund legen will.
Abgesehen von Fällen der erwähnten Arten haben wir es beim Sub-
jekt nur mehr mit einem Hauptwort oder aber Fürworte zu thun.
Dass ersteres eine Klasse vorstellt, wurde bereits dargethan. Es sind
hiezu nur noch ein paar Bemerkungen angezeigt im Hinblick auf dessen
etwaige Begleitworte.
Ausser Adjektiven und Relativsätzen können mit dem Hauptwort auch
noch verbunden sein irgendwelche Zahlwörter (numeralia). Z. B. „4 Birnen
und 3 Äpfel liegen auf dem Tische“, „Der dritte und der fünfte Mann
soll vortreten“, etc. Nun dann kennzeichnet sich das Subjekt ohne weiteres
als eine Klasse (sogar im engsten Sinn dieses Wortes).
Ähnlich verhält es sich, wenn sogenannte unbestimmte Zahlwörter
(numeralia indefinita) mit dem Hauptworte verbunden sind. Solche sind
z. B. „einige (etliche), manche, mehrere, viele, wenige, häufige, die meisten,
gewisse“, etc.; und die Anwendung dieser stempelt, wie schon unter χ2)
der Einleitung erwähnt, das Urteil zu einem sog. „besondern“ oder „parti-
kularen“ — im Gegensatz zum „allgemeinen“ oder „universalen“ Urteile,
in welchem das Subjekt als Ganzes angeführt oder von dem unbestimmten
Zahlwort „alle“, in der Singularform vom adjektivischen Pronomen „jeder“,
„irgend ein“ begleitet erscheint.
Sagen wir: „Einige Menschen sind klug“, so ist das Subjekt eine
Klasse, bestehend aus einer unbestimmten Anzahl, aus „einigen“ Menschen
und diese Klasse wird hingestellt als ganz enthalten in der Klasse der
„klugen“ Wesen. Bezeichneten wir die erstere Klasse mit a', die letztere
mit b, so hätten wir auch hier eine Subsumtion: a' ⋹ b.
Wenn wir nun ferner die Klasse der nicht-klugen (eventuell unklugen)
Wesen mit b1 bezeichnen, so dürfen wir aber das ebenfalls richtige Urteil
„Einige Menschen sind nicht klug“ jetzt durchaus nicht mit a' ⋹ b1 dar-
stellen, weil das Subjekt dieser letzteren Aussage, obwol in Worten gleich-
lautend, homonym benannt, doch ein ganz anderes ist, als das der vorigen.
Hierdurch würde nämlich ein Doppelsinn des Symboles a' geschaffen; das-
selbe würde der fundamentalen in der Wissenschaft an jedes Zeichen zu
stellenden Anforderung der Einsinnigkeit [vergl. σ1 ‥ χ1) der Einleitung] nicht
mehr genügen — und in der That wird es für unsre Zeichensprache noch
viel verfänglicher erscheinen als in der Wortsprache, Verschiedenes mit
dem gleichen Zeichen in einer Untersuchung zu benennen. Hier müssten
wir also für das Subjekt der zweiten Aussage ein neues Zeichen a'' wählen,
dieselbe durch eine Subsumtion a'' ⋹ b1 darstellen, um Verwechselungen
der beiden Subjekte vorzubeugen, welche ja in einundderselben Betrachtung
auch nebeneinander vorkommen könnten, vielleicht zusammen aufzutreten
bestimmt sind.
Wie jene beiden partikularen Urteile darzustellen sind, wenn a die
Klasse der Menschen überhaupt und b, wie oben, die Klasse der klugen Wesen
bedeutet, dies wird in spätern Untersuchungen eingehend dargelegt werden.
Einstweilen genüge die Einsicht, dass auch die partikularen Aussagen im
Grunde nichts Anderes als Subsumtionsurteile sind. Indessen sei gleich hier
schon angeführt, dass in Bezug auf sie die Fussnote auf S. 132 zutreffen wird.
Ist das als Subjekt figurirende Hauptwort mit einem adjektivischen
Pronomen verbunden, wie dem besitzanzeigenden (pr. possessivum) in „Sein
Haus“ ‥ oder dem hinweisenden, wie „Diese (Jene) Arbeiter“ …, so dient
dies auch nur zur näheren Bestimmung der Klasse.
Anders dagegen, wenn der sog. verneinende Artikel „kein“ mit dem
Subjekt verknüpft erscheint. Sagen wir „Kein Mensch ist vollkommen“,
so ist durchaus nicht etwa Subjekt des Satzes „Kein Mensch“ und Prädikat
desselben „vollkommen“. Vielmehr ist der Satz, bevor er als Subsumtion
gedeutet werden kann, erst umzuschreiben in den logisch damit äquiva-
lenten: „Jeder Mensch ist nicht-vollkommen“ oder „Alle Menschen sind un-
vollkommen“, dessen Subjekt die ganze Klasse der Menschen und dessen
Prädikat die Klasse der unvollkommenen Dinge oder Wesen bedeutet. Wie
vorhin ein „partikular“, so haben wir hier ein „universell verneinendes“
Urteil vor uns, und bis zur systematischen Behandlung der verneinenden
Urteile überhaupt können wir uns mit der Erkenntniss begnügen, dass sie
unter dem Gesichtspunkt der Umfangsbeziehungen ebenfalls blos auf Sub-
sumtionen hinauslaufen.
Tritt ein substantivisch gebrauchtes Pronomen als Subjekt eines Urteils
auf, so kann dasselbe als ein „bezugnehmendes“ (word of reference) stehen,
wie „es“, „dasselbe“ (das vorher genannte Ding) und ist dann lediglich
Stellvertreter eines bestimmten nomen's, welches auch statt seiner wieder-
holt werden könnte; es war dann im buchstäblichen Sinne ein pro-nomen.
Jenes kann aber auch ein persönliches Fürwort (pronomen personale)
sein, in welchem Falle es ganz selbständig, ohne Bezugnahme auf vorher
Erwähntes, auftreten mag als: „Ich, du (Sie), er, sie, es, wir, ihr (Sie),
sie.“ Hier kann die Kopula „bin, bist, seid, sind“ auch immer leicht auf
„ist“ hinausgespielt werden, indem man statt „ich bin“ … doch sagen
kann, „der (resp. die) Redende, Sprecher, Verfasser, etc. ist“ ‥ und statt „du
bist“ ‥ als logisch vollkommen äquivalent sich sagen lässt: „Der (oder
die) Angeredete, Adressat, etc. ist“ ‥; „wir sind“ … heisst ja in des Wortes
engster Bedeutung gewöhnlich nur: „die Klasse der Personen, welche besteht
aus dem Redenden und den Angeredeten, ist“ ‥, im weiteren Sinne: „die
Klasse der bereits erwähnten oder als bekannt vorauszusetzenden Personen
mit Einschluss des Redenden oder als redend Dargestellten ist“ ‥; ebenso
„Ihr seid“ ‥ heisst: „die Klasse der angeredeten Personen ist“ ‥ Etc.
Auch das unbestimmte persönliche Fürwort „man“ bezeichnet als Sub-
jekt (und es steht nur als solches) doch nur eine gewisse Klasse von Per-
sonen, desgleichen „jemand“, „jedermann“. Bei „niemand“ ist, analog wie
dies in Bezug auf das ihm äquivalente „kein Mensch“ implicite schon aus-
einandergesetzt wurde, die Verneinung zum Prädikat zu schlagen; für „nie-
mand weiss ob‥“ ist als logisch äquivalent zu setzen „jedermann ist dar-
über unwissend, ob‥“. Etc. Auf Urteile, als deren Subjekt „nichts“ erscheint,
kommen wir noch ausführlich zu sprechen.
Eine Bemerkung fordert endlich die dritte Person singularis des Neu-
trums der persönlichen Fürwörter heraus, nämlich das Wörtchen „es“,
welches häufig als Subjekt von Urteilen auftritt. Das ist der Fall in den
sogenannten impersonalen Urteilen.
Als eine wichtige Unterabteilung dieser letztern müssen wir zunächst
die sog. „Existenzialurteile“ hervorheben, wie „Es gibt (il y a, there are) …
z. B. Metalle, die auf dem Wasser schwimmen“. Auch solche Urteile wür-
den als Subsumtionsurteile sich ansehen lassen; z. B. das angeführte wäre
zu deuten als: Gewisse Vorstellungen von Metallen die auf dem Wasser
[152]Erste Vorlesung.
schwimmen, sind enthalten in der Klasse derjenigen Vorstellungen, denen
(als das Vorgestellte) Wirkliches entspricht. Der Klasse gedachter Dinge,
denen Realität zukommt, welche existiren, wird auch hier eine Subjektklasse
eingeordnet. Die Existenzialurteile gehören jedoch wieder zu denen, für
welche die Fussnote auf S. 132 Platz greift, weshalb zu ihrer Einkleidung
doch in unsrer Technik zu andern Mitteln wird gegriffen werden müssen
und wir mit besondrer Sorgfalt auf dieselben zurückzukommen haben. Der
vorstehenden Betrachtung kommt daher eine praktische Tragweite nicht zu
sondern nur ein theoretischer Wert, sofern sie beiträgt vollends zu er-
härten, dass wirklich alles Urteilen sich in Subsumtionen bewegt.
In vielen Fällen vertritt das Wörtchen „es“ blos provisorisch das
Subjekt, welches dann ausführlicher hinter dem Prädikate beschrieben wird;
z. B. „es weht ein heftiger Wind“ oder „es ist bequem, Andere für sich
arbeiten zu lassen“; so auch bei „es ist leicht …“, „es ist nützlich ‥“. Etc.
Auch bei den impersonalen Urteilen im engsten Sinne des Worts, wie
„es regnet, donnert, blitzt“ … „es riecht nach Moschus“, „es ist vier Uhr
(Nachmittags)“ etc. wird der Leser unschwer die Subjekt- und zugehörige
Prädikatklasse ausfindig machen. So im ersten Beispiel: der gegenwärtige
Zustand der Atmosphäre am hiesigen Platze ordnet sich ein in die Klasse
der Zustände, die wir als Regen(wetter) bezeichnen; ein Geruch nach
Moschus (etwas diesen Geruch Hervorrufendes) ist vorhanden in der uns
umgebenden Luft (Existenzialurteil); der gegenwärtige Augenblick ist iden-
tisch mit dem durch die Zeitbestimmung 4 Uhr Nachm. der hiesigen Ortszeit
charakterisirten Momente. Und so weiter.
Nachdem wir so die wichtigsten Formen sprachlichen Ausdrucks durch-
gegangen haben, welche beim Subjekt eines Urteils vorkommen mögen, er-
übrigt es, ein gleiches in Bezug auf das Prädikat desselben zu thun.
Ist das Prädikat ein Substantiv mit oder ohne determinirende Neben-
bestimmungen, oder auch ein Aggregat von solchen (mittelst Konjunktionen
verbundenen), so liegt keine Schwierigkeit vor, sich den Umfang des Prä-
dikatbegriffes oder die Prädikatklasse zum Bewusstsein zu bringen.
Desgleichen haben wir dazu wiederholt schon Anleitung gegeben für
den Fall, wo das Prädikat ein Adjektivum ist — wie denn der Satz „die
Erde ist rund“ nichts anderes aussagt als: die Erde gehört zu der Klasse
der als „rund“ zu bezeichnenden Dinge, sie ist „Etwas rundes“, ein rundes
Ding. Nach diesem Vorbild konnte überhaupt ein Adjektivum allemal in
die substantivische Form sogleich umgesetzt werden; die Adjektiva stehen
den Substantiven am nächsten, erscheinen nur grammatikalisch von solchen
verschieden. In der Thatsache allerdings, dass sie ihrer logischen Gleich-
wertigkeit mit Substantiven ungeachtet, doch nicht allgemein wie diese als
Subjekt eines Urteils stehen können, offenbart sich eine psychologische
Eigentümlichkeit der Wortsprache — wie denn z. B. Mill hervorhebt, dass
man nicht sagen könne: „rund ist leicht zu bewegen“.*) — Obige Sub-
stantivirung des Adjektivs ist auch gleichermassen ausführbar, in was immer
für einem Grad oder Vergleichungsmodus dasselbe steht, einerlei ob im
[153]§ 2. Darstellbarkeit der Urteile als Subsumtionsurteile.
Positiv, Komparativ oder Superlativ. Auch Beispiele zu den letzteren Fällen
wird man schon unter den vorstehend betrachteten finden.
Statt durch die vom Hülfszeitwort „sein“ abgeleitete Kopula mit dem
Subjekt des Urteils verknüpft zu sein, ist das Prädikat desselben in den
allermeisten Fällen mit einem Verbum konstruirt, und oft besteht es nur
aus einem solchen.
Einerlei ob dieses Verbum transitiv — vielleicht ein reflexivum —
oder intransitiv ist, ob es im Aktivum oder Passivum steht, auch einerlei
in welchem Tempus, ob in einem Präteritum, im Präsens oder im Futu-
rum, stets wird sich — sei es vermittelst einer Partizipialkonstruktion, sei
es durch Zuhülfenahme eines Relativsatzes — das Urteil durch ein anderes
vom selben logischen Gehalt umschreiben lassen, in welchem die Kopula
„ist“ steht und das Prädikat als eine Klasse hervortritt, der die Subjekt-
klasse sich einordnet. Es würde ermüdend sein, dies für alle Fälle durch-
zusprechen, die sich in grammatikalischer Hinsicht irgend unterscheiden
lassen, und werden ein paar Beispiele genügen.
„Die Erde dreht sich“ sagt das nämliche wie „die Erde ist sich drehend
(Etwas sich drehendes), sie ist in Rotation befindlich, enthalten in der Klasse
der Körper oder Dinge, welche sich im Zustande der Drehung befinden“.
Der Satz „Caesar wurde ermordet“ passt sich nicht minder unserem
allgemeinen Schema der kategorischen Urteile an, indem er besagt: die
(singuläre) Klasse, bestehend aus dem einen Individuum (der bekannten histo-
rischen Person des römischen Imperators) Caesar, ist enthalten in der
Klasse der Personen, welche ermordet wurden.
„Am 9. August 1896 wird eine totale Sonnenfinsterniss stattfinden“
stellt sich bei Reflexion auf die Umfangsbeziehungen als das Subsumtions-
urteil dar: „Eine totale Sonnenfinsterniss ist enthalten in der Klasse der
Ereignisse (Dinge), welche am 9. August 1896 stattfinden (werden)“.*)
In dieser Fassung erscheint indess das Urteil als ein „unbestimmtes“, und
es gibt sich in der Verbindung des Subjektbegriffes „totale Sonnenfinster-
niss“ mit dem unbestimmten Artikel „Eine“ zu erkennen, dass das Urteil
eigentlich ein „Existenzialurteil“ ist. Man könnte in der That mit der-
selben logischen Tragweite auch sagen: „Es gibt eine … Sonnenfinsterniss,
welche auf den ‥ Aug. 1896 fällt“. Am angemessensten würde darnach
(abermals als Subsumtion) das Urteil dahin zu interpretiren sein: Die Vor-
stellung einer auf den 9. Aug. 1896 fallenden Sonnenfinsterniss gehört
zu (ist enthalten in) der Klasse derjenigen Vorstellungen, denen Wirk-
liches entspricht. Analog möge der Leser das Urteil interpretiren: „In die
Jahre 1870 und 71 fällt ein deutsch-französischer Krieg“.
Auch der abgekürzte Gefechtsbericht: „Tote 20, Verwundete 100“
kann so einerseits als Existenzialurteil dargestellt werden; doch lässt er
andrerseits auch sich als das umkehrbare Urteil deuten: Die Anzahl der
bei jenem Gefechte (tot)Gebliebenen ist (einerlei mit, gleich) 20 u. s. w.
Das in dem Rufe: „Feuer!“ niedergelegte Urteil dürfte ebenfalls wesent-
lich als Existenzialurteil anzusehen sein. Und anderes mehr.
Dagegen würde das schon in B der Einleitung erwähnte Urteil: „der
Pegasus ist geflügelt“, sich logisch decken mit der Subsumtion: „die (er-
dichtete) Vorstellung vom (Dichterrosse) Pegasus ist enthalten in der
Klasse der Vorstellungen von solchen Dingen (Wesen), welche als geflügelt
zu bezeichnen“.
In der Regel geht in unsern Kultursprachen das Subjekt dem Prädi-
kate voran, doch haben wir bereits auf Fälle hingewiesen, wo das Subjekt
provisorisch nur durch „es“ vertreten erscheint, um ausführlichst hinter
dem Prädikate beschrieben zu werden. Dahin gehörten auch die meisten
Existenzialurteile, cf. „Es war einmal ein König …“ etc.
Fälle der umgekehrten Stellung beider Satzglieder kommen auch ausser-
dem vor, jedoch verhältnissmässig selten, so namentlich bei anschaulich
lebendigen Schilderungen vorwiegend sinnlichen Charakters — wie denn
noch auf sinnlicher Stufe stehende Sprachen, z. B. Das Hebräische, das
Verbum besonders gerne voranstellen (Sigwart), so auch im gemütlichen
Erzählerton und in poetischen Wendungen. Vergl. z. B. „Unaufhörlich
donnerten die Lawinen, rollte der Donner, knatterte das Kleingewehrfeuer;
unausgesetzt schien die Sonne“, „Unaufhaltsam schreitet fort die Zeit“, etc.
Der Satz: „In Südafrika lebt das Erdferkel“ kennzeichnet durch diese Stel-
lung sich als ein partikulares Urteil und hat darum eine andere logische
Tragweite, als der Satz: „Das Erdferkel lebt in Südafrika“, welcher uni-
versal, und falsch zu nennen wäre, da diese Tiere auch in Senegambien
vorkommen.
Es muss dem Sprachgefühl des Lesers überlassen werden, allemal
(auch bei der umgekehrten Stellung) das Subjekt ausfindig zu machen,
dasselbe nebst dem Prädikate zu erkennen. — Man übe sich, etwa an
Sentenzen, wie: „Diejenigen verzeihen nie, die das Unrecht zugefügt haben“
(They never pardon, who have done the wrong, Jevons), oder Goethe's:
„Was wir verstehen können wir nicht tadeln“ etc., desgleichen an irgend-
welchen Sätzen, wie „Ich fühle mich jetzt besser“; „So hat er gesagt“
(= Das eben Vernommene ist übereinstimmend mit dem, was er, damals,
gesagt hat — De Morgan); „Hans ist allein zuhause“ (= die Klasse der
zuhause befindlichen Personen ist identisch der singulären Klasse „Hans“) —
die beiden letzten, wie man sieht, umkehrbare Urteile. Etc. —
Es ist darüber gestritten worden, ob ein Urteil wie „dieser Hund ist
ein laufender“ genau denselben Gehalt habe wie das Urteil „dieser Hund
läuft“. Solange man uns nicht einen Hund zeigen kann, der ein „soeben
laufender“ ist und dennoch nicht „läuft“ — oder umgekehrt — darf uns
die ganze Frage als eine höchstens dem psychologischen gebiet angehörige
hier gleichgültig bleiben.
Wir versuchten vorstehend darzuthun, dass in der That und in
welcher Weise ein jedes Urteil, soferne man die Umfangsbeziehung
zwischen Subjekt- und Prädikatbegriff in's Auge fasst, hinausläuft auf
und darzustellen ist als eine Subsumtion. Gelang es, dies für die Urteils-
bildungen in der deutschen Sprache einleuchtend zu machen, so dürfen
[155]§ 3. Euler's Diagramme.
wir dasselbe auch für jede Sprache in Anspruch nehmen, in Anbetracht
dass, was in irgend einer, sich auch in deutscher Sprache adäquat
wird ausdrücken lassen.
Zweck der ganzen Auseinandersetzung war nur der: von vorn-
herein einen Einblick zu eröffnen in das weite ja allumspannende Feld
der Anwendungen, welche eine auf das Studium der Subsumtion ge-
gründete Disziplin zulassen wird, in die Allgemeinheit und Tragweite,
auf welche solche Disziplin Anspruch hat, die ihr zukommen muss.
Was etwa in diesen Betrachtungen noch unvollendet geblieben ist,
das wird sich zumeist in spätern Spezialstudien erledigen.
Die Beziehung der Subsumtion, mit deren logischem Gehalt und
sprachlicher Einkleidung wir uns bisher beschäftigten, ist fähig, räum-
lich oder geometrisch veranschaulicht zu werden auf eine Weise, welche
für das Studium der Logik ungemein förderlich ist. Seit Leonhard
Euler1 in seinen „Briefen an eine deutsche Prinzessin“ von gedachter
Versinnlichungsweise (der zwischen Begriffsumfängen oder Klassen über-
haupt — und so namentlich auch zwischen Subjekt und Prädikat —
bestehenden Beziehungen) einen populären Gebrauch gemacht hat, ist
dieselbe wol in allen Werken über Logik benutzt oder wenigstens auf
sie Bezug genommen. Auch wir wollen fortan uns jene Beziehungen
versinnlichen vermittelst der „Euler'schen*)Diagramme“.
Zu dem Ende ordnen wir in Gedanken den zu betrachtenden Be-
griffsumfängen oder Klassen gewisse räumliche Gebiete „Sphären“
(„Begriffssphären“) oder auch Flächen, z. B. Kreisflächen in der Ebene
der Zeichnung, zu, lassen diese und jene einander gegenseitig eindeutig
entsprechen, oder bilden jene durch diese gewissermassen ab.
Um zunächst zu unsern typischen Beispielen von kategorischen
Urteilen auf S. 127 zurückzukehren, so mag die Kreisfläche a die Klasse
„Gold“, die Kreisfläche b die Klasse „Metall“ vorstellen.
Alsdann verdeutlicht die Fig. 1 die
Beziehung: a ⊂ b, in welcher beide Klas-
sen zu einander stehen; man erblickt die
Klasse a als einen blossen Teil der Klasse
b, sieht, dass sie ganz in der letzteren ent-
[156]Erste Vorlesung.
halten ist, dass aber diese letztere noch über sie hinausragt (b „over-
laps“ a) und demnach b auch noch anderes ausser a (wie ja z. B. die
Klasse „Silber“) enthalten wird.
Stellen wir uns dagegen durch Kreisflächen a und b die Klassen
„Kochsalz“ und „Chlornatrium“ dar, so wird die zwischen beiden
Klassen bestehende Beziehung: a = b versinnlicht durch die Fig. 2, in
welcher beide Kreise ersichtlich in einen einzigen zusammenfallen.
Die Subsumtion a ⋹ b aber, welche, wie wir sahen, den Sinn des
kategorischen Urteils „a ist b“ im allgemeinen wiedergibt, wird zu ver-
anschaulichen sein durch den Hinweis darauf, dass von den beiden
durch die Fig. 1 und die Fig. 2 dargestellten Fällen irgend einer (der
eine oder aber der andere) stattfinde.
Man kann sich — im ersten Falle — geradezu die Kreisfläche a
mit allen Goldteilchen, „Goldatomen“ der Welt belegt denken, sodass
jeder Punkt dieser Fläche der Träger eines Goldatomes ist, und den a
umgebenden ringförmigen Teil der Kreisfläche b mit den Atomen aller
übrigen Metalle (ausser Gold), die sich im Weltall vorfinden. Und
analog könnte man — im zweiten Falle — mit den „Kochsalzmole-
külen“ verfahren.
Wir könnten — im ersten Falle — sagen: man denke sich die Kreis-
fläche a ganz einfach „vergoldet“, wenn nicht bei der „Vergoldung“ im
Sinne der atomistischen Hypothese den Goldatomen gewisse Abstände vor-
geschrieben wären, die sie nicht zu unterschreiten vermögen, über die hin-
aus sie einander sich nicht nähern können, sodass wir sie auf der kleinen
Fläche füglich nicht alle unterzubringen vermöchten. Emanzipiren wir uns
aber von der Forderung, solche durch die Temperatur und Dichte des Ver-
goldungsmaterials, eventuell die Grösse der Atome bestimmte Abstände
einzuhalten, so steht der geforderten ideellen Zuordnung nichts mehr im
Wege, da wir ja über unbegrenzt viele mathematische Punkte in der Kreis-
fläche a verfügen, welche eine Mannigfaltigkeit „der zweiten Art“ im Sinne
Georg Cantor's bilden.*
Wir gehen aber sofort noch einen erheblichen Schritt weiter, über
die bisherige Praxis der Verwendung Euler'scher Diagramme hinaus,
indem wir die Beziehungen zwischen „Sphären“ oder Punktgebieten des
[157]§ 3. Identischer Kalkul mit Gebieten einer Mannigfaltigkeit.
Raumes auch an sich studiren, losgelöst von deren vorhin charakteri-
sirten illustrativen Zwecken, also ohne Rücksicht darauf, dass uns diese
Gebiete Klassen oder Begriffe versinnlichen sollten.
Wir lassen so der eigentlichen Logik eine Hülfsdisziplin vorauf-
gehen oder auch mit ihr parallel einhergehen, deren Sätze jederzeit
durch die Anschauung kontrolirt werden können und welche von rein
mathematischem Charakter ist. In ihr werden die Regeln aufgestellt
und bewiesen für eine eigentümliche Buchstabenrechnung, welche pas-
send zu bezeichnen sein dürfte als
Als gegeben denken wir uns hier eine Mannigfaltigkeit von Ele-
menten — etwa die Mannigfaltigkeit der Punkte in der Fläche der
Schultafel (oder die der Felder auf einem Bogen karrirten Papiers).
Diese Mannigfaltigkeit halten wir im Felde unsrer Aufmerksam-
keit fest und kümmern uns nicht um die Dinge ausserhalb derselben.
Die Natur dieser Mannigfaltigkeit sowie die Art ihrer Elemente sei
von vornherein in unser Belieben gestellt; die Betrachtungen sollen
allgemeine sein und werden (mit einem gewissen, später zu erwähnen-
den Vorbehalt) Gültigkeit beanspruchen für jede denkbare Mannigfal-
keit von irgendwelchen Elementen. Anstatt der bereits hervorgehobenen
beiden Beispiele könnten wir namentlich auch nehmen: die Mannig-
faltigkeit der Punkte des Raums überhaupt; desgleichen die (bekannt-
lich vierdimensionale) Mannigfaltigkeit aller im Raume denkbaren Ge-
raden; oder auch blos diejenige der Punkte einer bestimmten (sei es
begrenzten, sei es unbegrenzten) geraden Linie; ferner auch die Mannig-
faltigkeit der Zeitpunkte eines bestimmten Zeitraums, einer Epoche,
wo nicht der Zeit überhaupt, und so weiter, u. s. w. Zur unmittel-
baren Veranschaulichung ihrer Teile qualifizirt sich am besten das
schon hervorgehobene Paradigma der Vorderfläche der Schultafel, die
wir ja mit den in sie einzutragenden Figuren auch jeden Augenblick
im Text hier abbilden zu können in der Lage sind. Ich werde aus
didaktischen Gründen — um nicht immer abstrakt (blos von Ele-
menten, von Mannigfaltigkeit, etc.) zu reden — diese spezielle Mannig-
faltigkeit hier in den Vordergrund stellen, sie die „bevorzugte“ Mannig-
faltigkeit nennen.
Irgend eine Zusammenstellung von Elementen der Mannigfaltig-
keit nennen wir ein Gebiet der letzteren. Solches Gebiet kann — in
unserem „bevorzugten“ Falle — aus beliebig vielen getrennten Teilen,
als da sind: isolirte Punkte, Linien und Flächen, bestehen, eine ganz
[158]Erste Vorlesung.
beliebige „Figur“ in der Tafelebene bilden; doch muss bei Linien-
stücken und Flächen jeweils ausgemacht sein, ob auch deren End-
punkte resp. Grenzlinien, Konturen mit zu dem Gebiet gehören sollen,
oder nicht. Praktisch aber, behufs Illustration der allgemeinen Sätze
unsres Kalkuls, werden wir in der Regel die Gebiete möglichst einfach
durch zusammenhängende Flächen, etwa nach Art der Euler'schen
Diagramme durch Kreisflächen (wo nicht das Gegenteil bemerkt wird,
unter Einschluss von deren Peripherie) uns darstellen.
Buchstaben, wie a, b, c, … mögen künftighin solche Gebiete be-
deuten, aber diese selber, und nicht etwa (wie es sonst wol in der
Mathematik üblich ist) deren Maasszahlen oder Flächeninhalte, von
dergleichen in diesem Buche überhaupt nicht die Rede sein wird.
Mit einziger Ausnahme, vielleicht, der geometria situs, der syntheti-
schen oder Geometrie der Lage herrscht in der Mathematik der Gebrauch
vor, unter den Buchstaben jeweils Zahlen zu verstehen, und zwar zumeist
die Maasszahlen von Grössen (eventuell auch die aus Paaren solcher zu-
sammengesetzten „komplexen“ Zahlen).
Von einer Grösse ihre Maasszahl zu abstrahiren ist — auch nachdem
man mit der Maass-Einheit schon Bekanntschaft gemacht hat — noch ein
ziemlich komplizirter Prozess. Ich erinnere an die Schwierigkeiten, welche
schon die Aufstellung des Begriffs der Länge einer krummen Linie, sowie
des Flächeninhaltes, desgl. des Voluminhaltes einer irgendwie begrenzten
ebenen oder körperlichen Figur im elementaren Unterricht bietet — ganz
zu geschweigen von den Schwierigkeiten der Messung selber.
Sich unter dem buchstaben anstatt der gemessenen Grösse, z. B.
Fläche selbst, deren Maasszahl vorzustellen ist gar nicht das Naturgemässe,
vielmehr etwas Erkünsteltes. Es darf in Erinnerung gebracht werden, dass
die Gewöhnung daran erst in der Schule mühsam anerzogen wird. Wenn
z. B. von den Schülern eine Mischungsaufgabe, betreffend Wasser und
Wein, gerechnet wird, so wird der Lehrer leichtlich auf die Frage, was x
hier bedeute?, vom Schüler die Antwort erhalten: „x bedeutet das Wasser“
— statt richtig: die Anzahl Liter des zur Mischung zu verwendenden
Wassers. Manche Schüler müssen wiederholt und hartnäckig darauf hin-
gewiesen werden, dass unter den Buchstaben keineswegs die Dinge selbst,
sondern deren Anzahl, beziehungsweise Maasszahlen, zu verstehen seien.
Es kann daher nicht wol als eine ungebührliche Zumutung an den
Mathematiker bezeichnet werden, von dieser so mühsam erworbenen Ange-
wöhnung zeitweilig — für den gegenwärtigen Kalkul — sich frei zu machen
und wieder zurückzukehren zu dem urwüchsigen Verfahren, welches (an-
statt ihrer Maasszahlen) die Dinge selbst benennt und bezeichnet — zumal
auch hiefür Präcedenzfälle in der Mathematik schon genugsam vorliegen:
wie denn z. B. in der Lehre von Kongruenz, Ähnlichkeit und Projektivität
der Figuren unter einem Dreieck A B C auch durchaus nicht verstanden
wird die Maasszahl von dessen Fläche, vielmehr in der That das Dreieck
selber, u. a. m.
Immerhin dürfte gerade den vorwiegend mathematisch geschulten Leser
[159]§ 3. Identischer Kalkul mit Gebieten einer Mannigfaltigkeit.
es anfänglich eine bewusste Anstrengung kosten, hier, wo es unumgänglich
ist, isch zu emanzipiren von jener Gewöhnung, mit den uns Flächen dar-
stellenden Buchstaben in Verbindung zu bringen die Vorstellung von metri
schen Relationen.
Jedes spezielle Gebiet, das wir so unter einem Buchstaben a ver-
stehen mögen, nennen wir einen „Wert“ (valor, value) des letztern.
Als erste Beziehung, welche zwischen zwei Gebieten a und b be-
stehen kann, fassen wir nun im identischen Kalkul die Beziehung der
Subsumtion:
a ⋹ b
in's Auge, die uns ausdrücken wird, dass das Gebiet a (das „Subjekt-
gebiet“) sich dem Gebiete b (dem „Prädikatgebiet“) einordne, dass a in b
enthalten sei — so wie es, nebenbei gesagt, die Alternative zwischen
den Figuren 1 und 2 veranschaulicht.
Den Sinn ebendieser Beziehung setzen wir einzig und allein als
bekannt voraus.
Alle andern Begriffe und Beziehungen, die wir noch in den Be-
reich des identischen Kalkuls hereinzuziehen haben, werden ausschliess-
lich aus Beziehungen dieser Sorte, aus „Subsumtionen“ aufgebaut, so-
dass wir ungeachtet seiner später vollzogenen Erweiterungen und
scheinbar grösseren Tragweite doch sagen können, der identische
Kalkul beruhe einfach und ganz auf dem Studium der Subsumtionen.
Wir werden die Gesetze dieses Kalkuls zunächst (unter Beihülfe
der Wortsprache) in der allgemeinen Form mathematischer Beweisführung
begründen, für welche seinerzeit die Geometrie des Euklides muster-
gültig geworden ist, um hernach in einem Rückblicke zu erkennen,
dass bei den Schlüssen ebendieser Beweisführung nur die Prinzipien
dieses Kalkuls selber angewendet worden sind.
Niemand, der für Reinheit der Methode und Konsequenz des Ver-
fahrens Sinn besitzt, wird sich dem Eindruck der Schönheit und mathe-
matischen Eleganz des damit geschaffenen wissenschaftlichen Systems
verschliessen können. Freilich wird man, um diesen Eindruck ganz
ungetrübt zu gewinnen, möglichst abzusehen haben von allem Beiwerk
der hiernächst zu entwickelnden Theorie.
Das Beiwerk ist zu einem Teile ein kritisches, insofern uns obliegen
wird, die gewählten Bezeichnungsweisen, die das Fundament der Zeichen-
sprache bilden, zu motiviren, sie zu rechtfertigen gegen etwaige Ausstel-
lungen von mathematischer nicht minder, wie von philosophischer Seite.
Überhaupt werden wir auf vorauszusehende Einwände sowol, wie auf ent-
gegenstehende Lehrmeinungen philosophischer Systeme und Ausführungen
namhafter Mitarbeiter und Philosophen oft Rücksicht zu nehmen, solche
nötigenfalls zu widerlegen haben. Und die Eigenart unsrer Behandlungs-
[160]Erste Vorlesung.
weise der logischen Materie bildet gerade hiefür eine beträchtliche Er-
schwerung. Zufolge der verbindenden Stellung, die sie zwischen Philosophie
einer- und Mathematik andrerseits einzunehmen bestimmt ist, werden wir
in der That auf zwei — wie schon im Vorwort erwähnt — fast allzu
verschieden disponirte Leserkreise stetsfort bedacht zu nehmen haben.
Die Hauptmasse aber des mit der Theorie des identischen Gebietekal-
kuls hier zu verflechtenden Beiwerks wird von sachlicher Art sein, nämlich
aus Nutzanwendungen des Kalkuls für die Zwecke der Logik selbst zu
bestehen haben. Von diesen finden wir für gut, einen (ersten) Teil wenig-
stens gleich neben der Theorie einherlaufen zu lassen, und zwar den Teil,
welcher abzielt auf die Verwertung des Kalkuls behufs Einkleidung in
seine Zeichensprache zunächst derjenigen Beziehungen, welche zwischen
Klassen oder Begriffsumfängen die Wortsprache auszudrücken vermag.
Begriffe und Sätze oder Formeln des „identischen“ Kalkuls (be-
ziehungsweise des damit verwandten logischen, vergl. die sechste Vor-
lesung) werden (überhaupt) die verschiedenartigsten Anwendungen
zulassen, Anwendungen, die sich lediglich unterscheiden durch die
Deutungsweise, Interpretation der hier als allgemeine Symbole ver-
wendeten Buchstaben, und demgemäss auch der sie verknüpfenden
Operations- und Beziehungszeichen. Wir werden namentlich unter den
Buchstaben verstehen können:
— kurzum, bei geeigneter Auslegung der Zeichen so ziemlich alles
Denkmögliche.
Wenn demnach als Vorwurf, Thema der deduktiven Logik ge-
meinhin bezeichnet wird die Lehre von den Begriffen, Urteilen und
Schlüssen, so wird zu sehen sein, dass auch auf diese Objekte unsre
Hülfsdisziplin des identischen Kalkuls sich mitbezieht. Sie wird sich
auf dieselben direkt übertragen lassen, indem man einfach einen Wechsel
in der Deutung der Zeichen vollzieht.
Wie schon angedeutet, würde unsre Darstellung des identischen
Kalkuls an Übersichtlichkeit allerdings gewinnen, wenn wir ihn zu-
nächst nur als reinen Gebietekalkul, lediglich unter dem Gesichtspunkte
[161]§ 3. Identischer Kalkul mit Gebieten einer Mannigfaltigkeit.
α), entwickelten und uns dabei aller Seitenblicke auf seine ander-
weitigen Anwendungen zunächst enthielten. Dieser Vorteil würde in-
dess erkauft durch eine Reihe von, in meinem Dafürhalten schwer-
wiegenden pädagogischen Nachteilen: man würde, vor allem, gar lange
nicht abzusehen vermögen, zu was überhaupt die Betrachtungen gut
sind, und weshalb sie angestellt werden. Zudem handelt es sich doch
auch darum, den deutschen Leserkreis erst einigermassen heranzu-
ziehen zu dem Gebrauch dieses Kalkuls, zu welchem ja Übungsbücher
oder Aufgabensammlungen im Deutschen noch nicht existiren, wo-
gegen in der englischen Literatur bereits manche Werke diesen Cha-
rakter in beträchtlichem Umfange ausgeprägt zeigen. Jede Illustration
aber von theoretischen Sätzen durch Beispiele auf einem Anwendungs-
felde muss hier den Wert einer Übung im Gebrauch der zu erlernen-
den Zeichensprache noch nebenher besitzen.
Aus diesen Gründen erscheint es mir als höchst wünschenswert
bei der Entwickelung der Theorie des identischen Kalkuls sogleich ein
Anwendungsgebiet von einigermassen praktischer Natur zur Verfügung
zu haben, und wähle ich als das nächstliegende das Anwendungsfeld
β), dasjenige Gebiet also, welches ja den Ausgangspunkt unsrer Be-
trachtungen von vornherein gebildet hat, und die Idee zur Gründung
einer selbständigen Hülfsdisziplin auf dem Felde α) erst seinerseits
anregte.
Auf dieses Anwendungsfeld β) werden wir, nunmehr von α) aus-
gehend, hinübergeleitet durch die Bemerkung, den Hinweis darauf:
dass die „Elemente“ unsrer Mannigfaltigkeit auch sogenannte „Indi-
viduen“ sein können, wo dann die „Gebiete“ dieser Mannigfaltigkeit
zu bezeichnen sein werden als Systeme, und wenn man will als
„Klassen“ von solchen Individuen. Als dergleichen „Individuen“ mögen
irgendwelche Objekte des Denkens, sofern sie überhaupt in Gedanken
isolirbar sind, zunächst hingestellt werden, und die ganze Mannigfaltig-
keit wird dabei erscheinen als eine all' jenen Klassen übergeordnete
allgemeinere oder umfassendere Klasse, wofern sie nicht etwa als die
Mannigfaltigkeit des Denkbaren überhaupt sich wird ansehen lassen.
Anmerkung. Nächst dem Anwendungsfelde β) des identischen Kal-
kuls — das ist dem mit dem „Gebietekalkul“ α) auf das engste verwandten
„Klassenkalkul“ — ist als das wichtigste dessen Anwendungsfeld δ) her-
vorzuheben, das ist der „Aussagenkalkul“ (von McColl als „calculus of
equivalent statements“ bezeichnet). Müssen wir doch all' unsre Über-
legungen und Beweise vollziehen in Gestalt einer Reihenfolge von Aussagen!
Um dessen, was wir dabei thun, jeweils vollkommen inne zu werden,
über einen jeden unsrer Schritte uns klarste Rechenschaft abzulegen, wird
Schröder, Algebra der Logik. 11
[162]Erste Vorlesung.
es darum ratsam sein, auf das Anwendungsfeld δ) schon frühzeitig zu
achten, gelegentlich auch auf dieses einen Seitenblick zu werfen. Syste-
matisch wird ja auf dasselbe allerdings erst später, mit Band 2 erst ein-
zugehen sein. Aus dem angedeuteten didaktischen Grunde aber sei vor-
greifend schon hier bemerkt, dass im Aussagenkalkul einer Subsumtion
a ⋹ b die Bedeutung zukommen wird: Wann die Aussage a gilt, gilt auch
die Aussage b, jene zieht diese nach sich, m. a. W.: Aus a folgt b.
Die wichtigste Rolle muss naturgemäss solchen Klassen zufallen,
welche als der „Umfang“ von (gewissen, denselben zugeordneten) Be-
griffen bestimmt erscheinen. Doch ist wie bereits unter γ3) der Einlei-
tung betont, die Rechnung mit Klassen noch umfassender als die Rech-
nung mit Begriffsumfängen, sofern man jeweils zu vorübergehenden
Zwecken, ja sogar in völlig willkürlicher Auswahl, auch die allerhete-
rogensten Dinge in eine Klasse wird zusammengefasst denken dürfen.
Die Benennung als „Umfang“ eines Begriffes, welche wir von der
scholastischen Logik überkommen haben, um die Klasse oder Gesamt-
heit aller derjenigen Individuen zu bezeichnen, welche „zu der Kate-
gorie des betreffenden Begriffes gehören“, diese Benennung erscheint
— im Hinblick schon auf deren Versinnlichung mittelst Euler'scher
Diagramme — als eine ziemlich unglücklich gewählte. Es sind ja
keineswegs die „Umfänge“ oder Peripherieen der Euler'schen Kreise,
es sind nicht die Konturen der Flächengebiete, welche uns im iden-
tischen Kalkul die „Begriffsumfänge“ zu versinnlichen haben, sondern
allemal diese Kreisflächen selber resp. die Flächengebiete mit allem
was sie in sich enthalten. Viel passender hiefür erscheint das eng-
lische „extent“, welches ganz wohl mit „Ausdehnung“ oder „Erstreckung“
des Begriffes im Deutschen wiedergegeben werden könnte. Doch sind
wir nicht in der Lage, eine Jahrhunderte alte und ganz allgemein
acceptirte logische Terminologie umstossen zu können, und müssen
uns damit begnügen, auf das Verfängliche der Benennung einmal hier
aufmerksam gemacht zu haben.
Noch ist zu betonen, dass wir bei den Anwendungen der Theorie
auf Klassen immer nur scharfumgrenzte oder, wie man sagen kann
„wohldefinirte“ Klassen im Auge haben werden.
Es wird vorausgesetzt, dass in Bezug auf kein Ding oder irgend
mögliches Objekt des Denkens einem Zweifel Raum gelassen sei, ob
es zu der gedachten Klasse gehöre oder nicht.
Dies ist zunächst der Fall, sobald die Individuen der Klasse sich
vollständig haben aufzählen lassen.
Häufig aber werden die (zu betrachtenden) Klassen „offene“ sein,
Klassen von einer unbegrenzten Individuenzahl, deren Individuen also
[163]§ 3. Identischer Kalkul mit Gebieten einer Mannigfaltigkeit.
überhaupt nie vollständig aufgezählt zu werden vermögen — wie z. B.
die Klasse der Linien oder Kurven — eventuell auch Klassen, deren
Individuen zum Teil noch ungewiss im Schoosse der Zukunft ruhen —
wie z. B. die Klasse der Menschen u. a. m.
In solchen Fällen müssen wir voraussetzen, dass wenigstens ein
Prinzip in uns wirksam sei, welches in Bezug auf jedes einzelne in
den Bereich unsres Denkens jemals fallende Objekt, in Bezug auf alles,
was fähig ist, von uns vorgestellt (oder was noch mehr sagt, von uns
gedacht) zu werden, unzweifelhaft entscheidet und uns mit Notwendig-
keit dahin drängt, dirigirt, entweder, es zu der Klasse zu rechnen, oder
aber, es von ihr auszuschliessen.
In Gestalt des „Begriffes“ haben wir ja mit einem derartigen
Prinzipe, das solches auch zu leisten fähig, schon in C der Einleitung
Bekanntschaft gemacht. Indessen sei es ausdrücklich bemerkt, dass
Natur und Wirkungsweise gedachten Prinzips hiernächst uns gleich-
gültig lässt. Gerade darin, dass wir es dahingestellt sein lassen, auf
welche Weise die vorauszusetzende Abgrenzung unsrer Klassen zu-
stande kommen mag, erblicken wir einen Hauptvorzug der hier be-
folgten Methode. Auf diesem Umstand gerade beruht, wie wir meinen,
der elementare und fundamentale Charakter der hier entwickelten Theorie.
Das oben ausgesprochene Kriterium für die Wohldefinirtheit einer
Klasse scheint übrigens noch eines einschränkenden Zusatzes zu be-
dürfen in Gestalt des Vorbehaltes, dass die in Frage kommenden Ob-
jekte hinlänglich bekannt seien.
Sobald z. B. wir eine Zahl kennen, ist jeder Zweifel ausgeschlossen,
ob sie zur Klasse der ganzen Zahlen gehörig oder nicht; wir mögen
die Klasse der ganzen Zahlen als Exempel einer wohldefinirten Klasse
hinstellen ganz unbeschadet dessen, dass wir z. B. nicht wissen, ob das
Atomgewicht des Schwefels (auf Wasserstoff als Einheit bezogen)
zu derselben gehört oder nicht (vergl. die Stass'schen Atomzahlbe-
stimmungen), da uns eben diese Zahl zur Zeit nicht hinlänglich sicher
bekannt sein dürfte.
Auch mit diesem Vorbehalte bildet die genannte Voraussetzung
ein Ideal in den Zuständen unsres Denkens, welches nur selten von
der Wirklichkeit daselbst erreicht wird.
Es braucht in dieser Beziehung nur an die Schwierigkeiten erinnert
zu werden, welche die Abgrenzung zwischen Pflanzen- und Tierreich bei
den niederen Organismen der Naturwissenschaft bereitet, oder auch — um
ein noch frappanteres Beispiel zu wählen — an die Schwierigkeiten, welchen
die neuere gegen Fälschung der Nahrungs- und Genussmittel gerichtete
Gesetzgebung bei dem Versuche begegnet ist, die Begriffe von Brod, Wurst,
11*
[164]Erste Vorlesung.
von Wein und Bier festzustellen, den Umfang derselben unzweifelhaft ab-
zugrenzen. Gleichwie diese Umgrenzung erfolgte mittelst Angabe der In-
gredienzien, welche zur Bereitung jener Lebensmittel verwendet sein dürfen,
so werden auch im allgemeinen gewisse Merkmale, die wir aus dem vollen
Inhalte des zugehörigen Begriffs als die „wesentlichen“ hervorheben, das
wirksame Prinzip zur gesuchten Abgrenzung liefern.
Faktisch ist in der That die Abgrenzung der Klassen, welche die
Sprache mit Gemeinnamen darstellt, zumeist eine schwankende. Nicht nur
bleiben Fälle denkbar, welche bei der Abgrenzung unberücksichtigt gelassen
sind, und in Bezug auf welche schon Derjenige, der den Gemeinnamen
gebraucht, sich im Unklaren darüber befindet, ob sie einzurechnen oder
auszuschliessen seien (womit dieses auch für Alle strittig, unentschieden
bleibt), sondern die Abgrenzung ist auch oft im subjektiven Gebrauch bei
einundderselben Persönlichkeit eine wechselnde, richtet sich nach dem
Gedankenkreise, in dem man sich eben bewegt, und verändert sich mit dem
Untersuchungsfelde, auf das man den Gemeinnamen anwendet.
So schliesst z. B. in der Naturgeschichte die Klasse der Tiere die-
jenige der Menschen in sich ein, wogegen in der Sprache des gewöhn-
lichen Lebens und gesellschaftlichen Verkehrs sie dieselbe ausschliesst. So
begrenzen wir auch die Klasse „Mensch“ sicherlich enger, wenn wir sagen:
„Alle Menschen sind sterblich“, als wenn wir sagen: „Dieser Mensch ist
todt“, „der Arzt hat einen Menschen secirt“ und dergl. Es hätte doch ge-
wiss keinen Sinn, einen Leichnam noch als „sterblich“ zu bezeichnen!
Ausserdem aber wird, wenn erst die Paläontologie noch erfolg-
reicher in eine graue Vorzeit eindringt, der Lamarck - Darwin'schen
Entwickelungslehre einst die Aufgabe zufallen, die Grenze zwischen Zwei-
und Vierhänder, eventuell Vierfüsser noch schärfer zu ziehen, so wie sie
durch die Entdeckung des Archäopterix und der mit Zähnen bewaffneten
fossilen Vögel Nordamerikas (Hesperornis, Ichthyornis etc.) bereits in die
Lage versetzt wurde, genauer scheiden zu müssen, was zur Klasse der
Vögel und was zu derjenigen der (Flug-)Eidechsen hinfort gehören solle.
Mit der Voraussetzung wohldefinirter Klassen vollzieht die Logik eine
ganz ähnliche Idealisirung der Wirklichkeit, wie z. B. die Mechanik es
thut, indem sie absolut starre, oder aber vollkommen tropfbar flüssige in-
kompressible oder endlich vollkommen elastisch flüssige (gasförmige) Körper
fingirt. Indessen ist mit ihrem Ideal die Logik insofern in einer günsti-
geren Stellung, wie die Mechanik, als es der letztern nicht möglich ist,
z. B. Körper herzustellen, welche dem Zustand der absoluten Starrheit be-
liebig nahe kommen. Wogegen es doch wenigstens in unserm Vermögen
liegt, für uns selbst und Andere die Klassen, von welchen die Rede sein
soll, mittelst Besinnung darüber, resp. in freier Übereinkunft mittelst ein-
gehender Verständigung in jeder wünschbaren Schärfe abzugrenzen. Es
geschieht ja nicht immer, doch kann es nötigenfalls geschehen.
Auf dieses Ideal der Logik, dass man auf wohldefinirte Klassen
sich berufen könne, arbeiten zudem Gesetzgebung und Wissenschaften
— eine jede auf ihrem Gebiete — mit grosser Macht hin. Dasselbe
ist gerade auf letzterem Felde, welches zur Anwendung unsrer Dis-
[165]§ 3. Identischer Kalkul mit Gebieten einer Mannigfaltigkeit.
ziplin in erster Linie in Betracht kommt, im weitesten Umfange ver-
wirklicht, und bildet es in der That eine unerlässliche Voraussetzung
für alles exakte Denken. Auch bleibt es unbenommen, die Abgren-
zung in Frage kommender Klassen von Dingen zunächst nur provi-
sorisch zu vollziehen, und falls sich aus den Ergebnissen angestellter
Untersuchungen auf Grund exakten Denkens Beweggründe dazu ergeben
sollten, diese Abgrenzung nachträglich abzuändern, zu modifiziren.
Verstehen wir unter b die Klasse der Studirenden auf deutschen Uni-
versitäten im laufenden Studienjahre, so ist diese Klasse eine wohldefinirte.
Hier entscheidet nämlich die ordnungsmässig vollzogene Immatrikulation.
In dieser Klasse b ist enthalten diejenige der Studirenden der Universität
Leipzig vom selben Jahrgange, welche mit a bezeichnet werden möge. Es
ist dann a ⋹ b. Denkt man sich in die Felder auf einer hinreichend fein
karrirten Seite eines Bogens Papier die Namen sämtlicher Studenten der
Klasse b eingetragen, und zwar jeden Namen gesondert in ein eigenes Feld,
so werden diejenigen Felder, welche die Namen von Studenten der Klasse a
enthalten, einen gewissen Komplex bilden — man kann durch geeignete Aus-
wahl der zur Eintragung der letzteren zu ver wendenden Felder, durch Zusammen-
legen dieser Felder bewirken, dass er einfach zusammenhängend erscheint —
und es wird nun die Beziehung zwischen den Felderkomplexen, in welche die
Individuen der Klassen a und b eingetragen sind, der Fig. 1 wesentlich gleichen,
nämlich mit ihr darin übereinstimmen, dass der Komplex a als ein Teil des
Komplexes b erscheint, in letzterem enthalten ist. Indem jedes Feld er-
scheint als der „Träger“ eines einzelnen Individuums, einem solchen „zu-
geordnet“ ist, prägt sich die Beziehung a ⋹ b zwischen den Klassen a
und b hier anschaulich aus, sie wird im wahren Sinne des Wortes sichtbar.
Es ist für das Folgende von der höchsten Wichtigkeit, dass man
sich die Punktgebiete oder Flächen, die wir im identischen Kalkul
betrachten werden, und die Klassen, von welchen behufs Illustration
oder Anwendung des Kalkuls die Rede sein wird, in der geschilderten
Weise auf einander bezogen denke. Wir glaubten, um allseitiges Ver-
ständniss zu erzielen, auch ein Beispiel mit begrenzter Individuenzahl
der Klassen vorführen zu müssen. Man wähle bei unbegrenzter Indi-
viduenzahl (mathematische) Punkte, bei begrenzter etwa Felder zur
Darstellung der in Betracht kommenden Individuen. Indess steht im
letztern Falle nichts im Wege, die Felder sich auch in getrennte,
etwa besonders markirte Punkte zusammenziehen zu lassen.
Nach diesen (im Grossen und Ganzen auch motivirten) Vorbe-
merkungen gehen wir zur systematischen Darstellung der Theorie über.
Es kommt uns dabei auch sehr auf Erzielung einer guten Über-
sicht an, welche wir durch scharfe Sonderung und konsequente Chiff-
rirung ihrer verschiedenen Momente zu erzielen hoffen.
„Definitionen“, Begriffserklärungen chiffriren wir (wenn überhaupt,
[166]Erste Vorlesung.
so) je mit arabischen Ziffern in vollständiger aber einfacher Klammer,
wie (1), (2) und so weiter.
„Postulate“ ebenso, jedoch mit doppelter Einklammerung wie
((1)), ((2)), ‥
„Prinzipien“ oder „Axiome“ mit römischen Ziffern, wie I, II, etc.,
„Theoreme“, Lehrsätze wieder mit arabischen Zahlen aber nur ein-
seitiger (rechtseitiger) Einschliessung, mit „Halbklammer“, wie 1), 2), 3),‥
Es wird der Logik gemeinhin zugemutet, dass sie auch erkläre, was
unter Definition, Postulat, Axiom und Theorem zu verstehen sei, dass sie
also namentlich auch auf die Erfordernisse einer guten Definition näher
eingehe, desgleichen auf die Anforderungen, die an den Beweis (die „Demon-
stration“) zu stellen, durch welchen das Theorem als ein solches nach-
gewiesen werden muss, durch welchen es von einer blossen Behauptung
zum Lehrsatz erst erhoben wird.
Ähnlich gehört auch die Charakterisirung der „Aufgabe“ des „Pro-
blems“, nebst den Anforderungen an ihre „Lösung“ (solutio) und deren
„Determination“ noch zu den Obliegenheiten der gewöhnlichen Logik.
Es erscheint jedoch durch die Anlage, den Plan des ganzen Buches
geboten, dass wir uns an dieser Stelle auf diese Fragen nicht einlassen,
vielmehr uns mit dem Hinweis begnügen, dass die fraglichen Begriffe, so-
weit sie nicht ohnehin schon Gemeingut sind, einstweilen wenigstens syn-
thetisch erworben, herangebildet werden können an dem Material der auf-
zustellenden und als solche hingestellten speziellen Definitionen, an der
grossen Zahl von mustergültig bewiesenen Theoremen, etc.
Es wird sich ein „Dualismus“ (eine „Reziprozität“) durch die ganze
Disziplin ziehen, indem die auf die Operationsstufe der Addition sich
beziehenden Sätze sozusagen „Pendants“, symmetrische Gegenstücke
bilden zu den auf die Stufe der Multiplikation bezüglichen (vergl.§ 14).
Wir chiffriren die „einander dual entsprechenden“ Sätze jeweils mit der
gleichen Nummer, jedoch unterschieden durch das Suffixum + resp. ×.
Auch stellen wir solche Sätze meistens in den beiden Spalten (Kolum-
nen) links und rechts von einem die Druckseite in der Mitte brechenden
Vertikalstriche (dem „Mittelstriche“) einander symmetrisch gegenüber.
Die analoge Übung besteht bekanntlich schon längst in der Geometrie
der Lage, wo in den reziproken oder zu einander polaren Sätzen z. B.
Raumpunkt und Ebene ihre Rollen tauschen, während die Gerade verharrt.
Es bedarf wol kaum des Hinweises, dass (hier wie dort) in ver-
schiedenen Kolumnen oder Spalten aufgeführte Voraussetzungen oder
Behauptungen, wenn sie auch im selben Niveau, auf einer Zeile stehen,
doch niemals Bezug auf einander haben sollen: sie sollen nicht etwa
gleichzeitig gelten, behauptet oder angenommen werden. Vielmehr hat
man auf einmal immer nur den Text von einer Spalte allein, zu-
sammen mit den etwa quer durchgehenden Zeilen zu lesen.
Ohne Suffixum werden nur die „zu sich selbst dualen“ Sätze
chiffrirt erscheinen.
Als für die Theorie vorerst unwesentlich — indess behufs etwaiger
Nebenbemerkungen vorausgeschickt zu wünschen — lasse ich zur Zeit
unchiffrirt die
(Definition). Unter einer Aussage von der Form:
b  a
(sprich: b übergeordnet oder gleich a, b super a) soll ganz das nämliche
verstanden werden, wie wenn man sagt, dass
a ⋹ b
sei. Eine Subsumtion kann hienach auch rückwärts gelesen werden, in-
dem man nur das Subsumtionszeichen als Supersumtionszeichen inter-
pretirt, resp. „umkehrt“.
Kraft dieser Definition vermögen wir auch den (verhältnissmässig sel-
tenen) Fällen gerecht zu werden, in welchen die Wortsprache das Prädikat
dem Subjekte voranzustellen liebt — auf welche bereits in § 2 hingewiesen
wurde: auch dergleichen Urteile mögen wir jetzt unmittelbar in die For-
melsprache übertragen, ohne dass wir erst genötigt wären, eine Umstellung
der beiden Satzglieder dabei vorzunehmen.
Ökonomisch und von Wert wird solche Möglichkeit sich besonders
dann erweisen, wenn etwa der natürliche Gedankenverlauf dahin geführt
hat, das Prädikat zuerst, vor dem Subjekte, zu beschreiben und wenn diese
Schilderung sowie auch der Ausdruck gedachten Prädikates in den Sym-
bolen unsrer Formelsprache einigermassen komplizirt erscheint, weit-
läufig ist. Wollte man in solchem Falle das Subjekt in die gewöhnliche
typische oder normale Stellung zum Prädikate bringen, so wäre man ge-
nötigt, die umständliche Beschreibung, den komplizirten Namen oder Aus-
druck des letzteren (hinter dem Subjekte, nachdem er vor demselben zuerst
gefallen ist) zu wiederholen, was mühsam und langweilig sein kann. Die
Wortsprache vermag sich dem durch den Gebrauch eines hinweisenden Für-
worts zu entziehen, indem sie auf das Prädikat als auf jenes oder dieses
eben beschriebene Ding zurückverweist. In der Formelsprache könnten wir
allenfalls solcher lästigen umständlichen Wiederholung dadurch auch aus
dem Wege gehen, dass wir sofort, nachdem der komplizirte Name des Prä-
dikats erstmalig vollendet ist, ein einfaches Buchstabensymbol als Abkür-
zung für denselben, als Name ad hoc oder Hülfsbezeichnung für dieses Prä-
dikat einführten, sodass dessen Wiederholung dann keine Umstände mehr
verursacht. Doch kann auch dies schon eine Nötigung zu unbequemen
Weiterungen (wie Überladung der Untersuchung mit Zeichen u. a.) in sich
schliessen, und bleibt das einfachste Auskunftsmittel jedenfalls das anmit
geschaffene: die Beziehung des Subjekts zum Prädikate in der umgekehrten
Ordnung als eine rückwärts gelesene Subsumtion oder „Supersumtion“ dann
zum Ausdruck zu bringen.
In die systematische Darstellung unsrer Disziplin werden wir das
Supersumtionszeichen  erst in § 34 aufnehmen.
An die Spitze haben wir zwei Grundsätze zu stellen, welche nicht
auf noch einfachere Sätze zurückführbar erscheinen und schlechthin
zugegeben werden müssen.
Prinzip I.
a ⋹ a.
Da das Subsumtionszeichen ⋹ der Kopula „ist“ entspricht, so
heisst dies in Worten: „a ist a“.
Diese Aussage muss als eine gültige anerkannt werden, was immer
für eine Bedeutung dem a auch beigelegt werden mag. Z. B. „Gold
ist Gold“. „Weiss ist weiss“, etc. Dergleichen Sätze sind von nie-
mand bestrittene Wahrheiten, deren Äusserung höchstens ihrer Selbst-
verständlichkeit halber Anstoss erregen kann.
Demgemäss trägt auch die obige Subsumtion I den Charakter
einer allgemeingültigen, einer „Formel“. Dieselbe, oder ihren Ausdruck
in Worten, nennen wir den Satz der Identität, principium identitatis.
Unter diesem Namen hat schon die alte Logik den Satz gekannt
und als ersten Grundsatz angenommen.
Bedeutet a ein Punktgebiet (z. B. eine Fläche) aus unsrer Mannig-
faltigkeit (der Fläche der Schultafel), so sagt der Satz I aus: a ist in
sich selbst enthalten, ist ein Teil von a; a ist untergeordnet oder identisch
gleich a.
In der That liegt von den beiden Fällen, welche wir in der Ein-
leitung unter dem Subsumtionszeichen als mögliche zusammengefasst
haben, hier, wo beide Seiten der Subsumtion das nämliche Gebiet vor-
stellen, ganz zuverlässig der eine vor, aber allerdings nie der erste,
sondern immer nur der zweite Fall: a ist niemals*) untergeordnet
dem a, sondern stets identisch gleich a.
Die Aussage a ⋹ a hat daher etwas von jenem irreführenden
Charakter, den wir bereits auf S. 134 sq. besprochen und durch ein Bei-
spiel illustrirt haben; und auf den ersten Blick würde das nachher
von uns bewiesene Theorem 1), nämlich die Gleichung a = a, als der
angemessenere Ausdruck des Satzes der Identität erscheinen. Dem-
ungeachtet müssen wir doch bei der obigen Fassung I dieses Prinzips
beharren aus zwei Gründen.
Erstens hatten wir es ja angezeigt gefunden, von den drei Zeichen
⋹, ⊂ und = das erstere oder Subsumtionszeichen als das ursprüng-
liche hinzustellen, auf dessen wohlerfasste Bedeutung das ganze Gebüude
der Algebra der Logik zu gründen sei. Von den beiden andern Zeichen
wurde bisher nur ganz beiläufig gesprochen, nämlich lediglich, um die
äusserliche Bildungsweise oder Zusammensetzung des Subsumtions-
zeichens zu motiviren. Das Zeichen = werden wird erst nachher,
mittelst Definition (1), als ein wesentliches fortan legitim zu ver-
wendendes Beziehungszeichen in das System unsrer Disziplin einführen,
und das Zeichen ⊂ noch sehr viel später. Auf unserm gegenwärtigen
Standpunkte sind wir also noch gar nicht berechtigt, resp. in der Lage,
von identischer Gleichheit zu reden.
Zweitens — und dieser Grund ist der ausschlaggebende — müssen
wir trachten möglichst wenig Behauptetes als unbeweisbaren Grund-
satz hinzustellen. Sagen wir aber von einem ausgewanderten Freunde
z. B., er sei nach Südamerika gegangen, so sagen wir offenbar mehr
über ihn aus, als wenn wir blos melden, er sei nach Amerika (d. i.
Nord-, Süd- oder Mittelamerika) gegangen. Und ebenso enthält die Aus-
sage: „a ist identisch gleich a“ eine weitergehende Information über
die Beziehung des a zu sich selber, als die Aussage: „a ist unter-
geordnet oder identisch gleich a“, m. a. W. „a ist entweder nur ein
Teil oder aber das Ganze von a“.
Um also möglichst wenig Unbewiesenes vorauszusetzen, werden
wir die letztere Alternative zunächst offen lassen, nur den letzten
Satz als Grundsatz hinstellen. Wir werden für den Augenblick so
thun, als ob wir nicht wüssten, welcher von den beiden Fällen
eintritt, um dergestalt zu erkennen, dass auch dann schon mit
zwingenden Gründen sich darthun lässt, dass es der letztere Fall ist,
welcher zutrifft.
Für den systematischen Aufbau unsrer Disziplin sind vorstehende
Betrachtungen durchaus nicht wesentlich; ich habe mit denselben nur
beabsichtigt, die Beweggründe unsres Zuwerkegehens klar zu legen, so-
mit auch einer missverständlichen Beurteilung desselben zuvorzukommen.
[170]Zweite Vorlesung.
Für die Theorie ist es vollkommen ausreichend, das Prinzip I rundweg
als ein solches hinzustellen.
Anmerkung zu I. Aus didaktischen Gründen will ich ebenso, einst-
weilen vorgreifend, bemerken, dass, als ein Prinzip des „Aussagenkalkuls“
gedeutet, der Satz I der Identität uns die Erlaubniss garantiren wird, eine
als wahr anerkannte Behauptung bei beliebiger Gelegenheit zu wiederholen.
Dieselbe muss dann immer wieder als wahr anerkannt werden. Wenn a
gilt, so gilt a. Von dieser Freiheit werden wir im Text fortgesetzt Ge-
brauch machen. (Vergl. § 31.)
Prinzip II. Wenn a ⋹ b und zugleich b ⋹ c ist, so ist auch a ⋹ c.
Stellen a, b, c Gebiete — etwa Kreisflächen — vor, so mag
dieser Satz durch die Figur erläutert werden:
Indessen bringt solche Figur noch Besonder-
heiten (besondre Umstände) zum Ausdruck, die
in dem Satze nicht gefordert, nur zugelassen, die
in ihm offen gelassen sind. Der Fig. 3 liegt näm-
lich die Annahme zugrunde, dass die eventuellen
Unterordnungen, von welchen im Satze die Rede
ist, wirkliche, definitive Unterordnung seien. Da
das Zusammenfallen zweier Kreise, von denen der
eine im andern enthalten ist, immerhin als ein ver-
hältnissmässig seltener Zufall erscheint, so mag man den in der Figur 3
zur Darstellung gebrachten Fall als den „allgemeineren“ bezeichnen
(und zwar in Hinsicht jedes Paares von aufeinanderfolgenden Kreisen,
welches man in's Auge fassen möge).
Um auch die andern im Prinzip II mit inbegriffenen Fälle zu er-
halten, braucht man sich nur noch vorzustellen, dass von den drei
Kreisen, nämlich dem innersten a, dem mittleren b und dem äusseren c,
irgend zwei successive auch zusammenfallen dürfen — eine Deckung,
die sich in einfachster Weise hinbringen lässt, entweder indem man
einen äusseren Kreis zusammenschrumpfen lässt zu dem nächsten in
ihm enthaltenen Kreis, oder auch indem man den inneren Kreis sich
ausbreiten lässt bis zur völligen Ausfüllung des nächsten ihn um-
[171]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip I und II.
schliessenden Kreises. Es können so auch alle drei Kreise in einen
einzigen zusammenfallen, und erhalten wir eigentlich noch vorstehende
drei Figuren (Fig. 4 ‥ 6), welche mit Fig. 3 zusammen den Satz II erst
vollständig veranschaulichen.
Wir werden bei der Veranschaulichung von Sätzen und Aufgaben
uns künftig zumeist nur an den „allgemeinen“ Fall halten und uns
mit der Darstellung der Fälle spezielleren Charakters durch Figuren
nicht aufhalten, vielmehr die besonderen Ausartungen, die „Degenera-
tionsfälle“ sich ebenfalls zu veranschaulichen jeweils dem Leser über-
lassen — soferne solches überhaupt noch wünschenswert erscheint.
In verwickelteren Untersuchungen — beim Auftreten zahlreicher
Gebietssymbole — wird es ohnehin unthunlich, jene Möglichkeiten
immer vollständig durchzugehen. Alsdann aber bleibt der Argwohn
zulässig, es möchte in einem der übergangenen Spezialfälle die Sache
sich doch wesentlich anders verhalten, als in dem allgemeineren Falle
behauptet und dargestellt worden. Hieraus erhellt, dass aus der An-
schauung nicht in gleichem Maasse die Überzeugung von der Gewiss-
heit unsrer allgemeinen Untersuchungsergebnisse zu schöpfen ist, wie
sie sich erreichen lassen wird durch die streng analytische Methode,
deren wir uns fast immer, jedenfalls in wesentlichen Fragen ganz aus-
schliesslich bedienen. Kann doch in der That für die Umgrenzung
eines Gebiets die Figur immer nur ein Beispiel darstellen, während
unsre Gebiete irgendwie beschaffen sein, auch aus isolirten Punkten,
Linien und getrennten Flächenstücken sollen bestehen dürfen! Mag
also auch anfangs — bei unsern grundlegenden Betrachtungen — die
Anschauung oft rasch vorauseilen dem durch das Folgende illustrirten
modus procedendi, nämlich dem vorsichtigen und zuweilen mühsamen
Verfahren des von der Anschauung losgelösten streng deduktiven
Schliessens, so wird sie doch später sicher hinter diesem Verfahren
zurückbleiben; sie wird ihm bald nachhinken und zuletzt es aufgeben
müssen, dasselbe einzuholen. Bei dem Aufbau unsres Lehrgebäudes
soll darum die Anschauung nur nebensächliche Verwendung finden,
illustrationsweise, um den abstrakten logischen Prozeduren einen Vor-
stellungsinhalt zu geben; sie soll darin überhaupt nur eine didaktische,
erziehende, pädagogische Rolle spielen.
Hier freilich müssen wir uns noch auf dieselbe stützen, um das
Prinzip II annehmbar erscheinen zu lassen: Wenn ein Gebiet in einem
zweiten und dieses in einem dritten enthalten ist, fällt es uns unmöglich,
uns vorzustellen, dass das erste nicht in dem dritten enthalten wäre;
das Gegenteil vielmehr ist unmittelbar „intuitiv“. Auf die Heraus-
[172]Zweite Vorlesung.
forderung drei solche Gebiete a, b, c nachzuweisen, bei denen die
vorausgesetzten Einordnungen des a in b und des b in c zutreffen, die
behauptete Einordnung des a in c aber sich nicht bewahrheitet, wird
niemand sich stellen können.
Das Prinzip II gibt uns ein Schema an die Hand, nach welchem
von (zwei) bekannten Wahrheiten zu einer neuen (dritten) Wahrheit
fortgeschritten, nach welchem aus zwei Aussagen eine dritte abgeleitet
werden kann, welche allemal, wenn jenen beiden Wahrheit zukommt,
notwendig ebenfalls wahr sein muss. Nach unsern einleitenden Be-
trachtungen haben wir einen solchen Prozess als eine Schlussfolgerung,
als deduktives Schliessen (inference, illatio) zu bezeichnen.
Die Voraussetzungen, aus denen gefolgert wird, die „Prämissen“
sind hier die beiden Subsumtionen a ⋹ b und b ⋹ c; der „Schluss“
(genauer: „Schlusssatz“), die „Konklusion“ heisst a ⋹ c.
Der Schluss (als Folgerung verstanden) ist nicht nur gemein-
verbindlich für alle Intelligenzen, sondern auch „allgemeingültig“,
nämlich unabhängig von der Materie des Denkens: Sein Schema ist
allgemein, indem der Schluss Geltung beansprucht, was auch immer
für Bedeutungen den Buchstabensymbolen a, b, c in jenem Schema
(durchweg) untergelegt werden mögen. Vorläufig werden wir das
Schema auf Gebiete unsrer Mannigfaltigkeit, sodann auch auf Klassen
von irgendwelchen Objekten des Denkens anzuwenden haben.
Der Satz II selbst ist — hier im System für uns — das erste
Beispiel eines deduktiven Schlusses, und zwar ist er in der That einer
— abermals der erste — von den sogenannten Vernunftschlüssen oder
„Syllogismen“ der alten Logik, in deren Studium — kann man fast
sagen — diese Disziplin gipfelte. Derselbe führt daselbst den —
etwas geschmacklosen — Namen Barbara und wird auch als das
„dictum de omni (et de nullo)“ bezeichnet.
„Quidquid de omnibus valet, valet etiam de quibusdam et de
singulis (quidquid de nullo valet, nec de quibusdam valet, nec de
singulis)“ ist der Wortlaut dieses „dictum“.
Was von allen gilt, das gilt auch von einigen und von den einzelnen
(Was von keinem gilt, das gilt weder von einigen noch von den einzelnen)
— scilicet Individuen.
Wir werden die Syllogismen auch in diesem Werke vollständig
(und kritisch) durchnehmen, und mag deshalb in Bezug auf Einiges,
was über den Syllogismus Barbara noch zu sagen wäre, auf die
20. Vorlesung verwiesen werden.
Zur Stelle sei nur noch bemerkt, dass das Gebiet b, welches in
[173]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip II.
der Konklusion gar nicht vorkommt, dagegen in jeder der beiden Prä-
missen einmal vertreten ist, als das Mittelglied (terminus medius) des
Syllogismus bezeichnet zu werden pflegt; dasselbe wird durch die
Schlussfolgerung ausgemerzt oder „eliminirt“. Von den beiden Prä-
missen heisst diejenige (a ⋹ b), welche das Subjekt a der Konklusion
enthält, auch der Untersatz (propositio minor), die andere (b ⋹ c),
welche das Prädikat c der Konklusion enthält, der Obersatz (propositio
major) des Syllogismus.
Wie schon gesagt, ist der Satz II ein allgemeiner Schluss,
welcher, weil die Bedeutung der in ihm vorkommenden Glieder a, b, c
in unser Belieben gestellt ist, das Vorbild abgibt für eine unbegrenzte
Menge nach seinem Schema auszuführender Schlüsse.
Um rein mechanisch die Konklusion a ⋹ c aus den Prämissen
abzuleiten, bieten sich zwei Wege dar: Man mag in dem Untersatze
a ⋹ b das Prädikat b auslöschen, und an seine Stelle schreiben das
Glied c, welches in dem Obersatz jenem übergeordnet erscheint. Oder
man kann auch in dem Obersatz b ⋹ c das Subjekt b ersetzen durch
dasjenige Subjekt a, welches in dem Untersatz demselben untergeordnet
erklärt ist. Hienach können wir die beabsichtigte Anwendungsweise
des Schema's II in Worten wie folgt formuliren:
In einer Subsumtion (einem Urteil) kann an Stelle des Subjekts
jedes Subjekt dieses Subjektes, sowie an Stelle des Prädikats jedes Prädi-
kat dieses Prädikates eingesetzt (substituirt) werden.
Es wurde in II der Untersatz vor (eventuell über) dem Obersatz
ausgesprochen („Goclenische“ Anordnung der Prämissen). Auch wenn
umgekehrt der Obersatz vor (resp. über) den Untersatz gestellt ist
(„Aristotelische“ Anordnung), muss man geübt sein, den Schluss
zu ziehen:
Aus b ⋹ c und a ⋹ b folgt ebenfalls a ⋹ c.
Denn nach Prinzip I, für Aussagen in Anspruch genommen (vergl.
Anmerkung zu I) kann man auch die zweite Prämisse vor der ersten
lesen und die (für uns) ursprüngliche Anordnung der Prämissen her-
stellen.
Die Goclenische Anordnung empfiehlt sich (hier) in der That
als die zur Erreichung des Schlusses bequemere, zur Vorbereitung der
Schlussfolgerung geeignetere; sie erscheint als die natürliche für die
Logik des Umfanges. Die Wahl der umgekehrten Folge erklärt sich
bei Aristoteles aus dem Umstand, dass er statt der Umfänge eben
die Inhalte der Begriffe in's Auge fasste, wo dann die Stellung: „c ist
[174]Zweite Vorlesung.
Merkmal des b, b Merkmal des a, ergo c auch Merkmal des a“ als
die natürlichere erscheint.
Auch wenn a, b, c Klassen vorstellen, musste der Satz II all-
gemeine Geltung haben. Hiezu ein paar Beispiele. Es ist:
Gold ⋹ Edelmetall, Edelmetall ⋹ Chemisches Element,
folglich auch: Gold ⋹ Chemisches Element.
Luft ist ein Körper. Alle Körper sind schwer.
Ergo: die Luft ist schwer. (Lotze.)
Pferd ⋹ Säugetier; Säugetier ⋹ Wirbeltier; ergo: Pferd ⋹ Wirbeltier.
Beiläufig sei noch bemerkt, dass ein Schluss nach dem Schema II
auch häufig als ein Schluss a fortiori bezeichnet wird; namentlich ist
dies berechtigt, wenn (wie dies meist der Fall) die Subsumtionen in
den Prämissen wirkliche Unterordnung bedeuten — in Analogie zu
dem Schluss der Arithmetik von a \< b und b \< c auf a \< c. Wenn
jedes Pferd ein Säugetier und jedes Säugetier ein Wirbeltier ist, so
muss — können wir sagen — um so mehr auch jedes Pferd ein Wirbel-
tier sein. —
Drücken wir — um bei unsern Beispielen zu bleiben — dies etwa
so aus, indem wir nunmehr auch auf den Inhalt der den Klassen zu-
geordneten Begriffe achten, dass wir sagen: Den Pferden kommen die-
jenigen Merkmale zu, die allen Säugetieren gemeinsam sind; die Säuge-
tiere aber besitzen alle für die Wirbeltiere gemeinsamen Merkmale,
und folglich müssen den Pferden auch die Merkmale der Wirbeltiere
zu eigen sein, so wird verständlich, weshalb die überlieferte Logik
(Kant) dem Prinzip II auch den Ausdruck geben konnte: „nota notae
est nota rei (repugnans notae repugnat rei)“: jedes Merkmal des
Merkmals (einer Sache) ist auch ein Merkmal der (eben dieser) Sache.
Die in dem Beispiel in Frage kommenden Merkmale sind (kurz zu-
sammengefasst) bezüglich die, Säugetier zu sein und Wirbeltier zu sein.
So auch ist, Materie zu sein, stoffliche Qualität, ein Merkmal der
Luft, und schwer zu sein, Schwere, ein Merkmal der stofflichen Natur,
„Stofflichkeit“ (sit venia verbo!), folglich auch Schwere ein Merkmal
der Luft. —
Nun drängt sich freilich wol einem Jeden, der einen solchen Syl-
logismus in's Auge fasst, eine Bemerkung auf, die ich zunächst für
unser Beispiel aussprechen will, nämlich: dass man gar nicht wissen
könne, dass alle Säugetiere Wirbeltiere seien, ohne bereits zu wissen,
dass auch die Pferde Wirbeltiere sind.
Ebenso kann man auch nicht wissen, dass ein Gebiet b ganz, mit
[175]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip II.
allen seinen Teilen, in einem Gebiet c enthalten ist, ohne zugleich zu
wissen, dass auch der Teil a des Gebietes b in c enthalten ist.
Die Bemerkung also ist naheliegend, dass die Schlussfolgerung uns
keine wesentlich neue Erkenntniss liefert, keine, die wir — im Besitze
der Prämissen befindlich — nicht eigentlich schon besessen hätten.
Diese Bemerkung ist richtig und unbestritten: es findet durch
deduktives Schliessen eigentlich keine Vermehrung des Erkenntniss-
materials statt; die Deduktion gibt über nichts Aufschluss, was nicht
in den Prämissen, auf die sie sich stützt, im Grunde schon enthalten
wäre, und es kann der Syllogismus II als das einfachste Beispiel, als
der Urtypus deduktiven Schliessens, als der er sich hinstellen lässt,
gerade am allerbesten benutzt werden, um über das Wesen der de-
duktiven Methode Klarheit zu verbreiten.
Eines aber, dem wir entgegentreten müssen, das ist die Versuchung
(der auch manche Philosophen erlegen sind), auf diesen Umstand eine
Geringschätzung der deduktiven Methode zu basiren.
Gleichwie es schwierig sein möchte*), Demjenigen, der eben erst
das Alphabet erlernt, einen angemessenen Begriff beizubringen von der
Grossartigkeit der Literatur, die ihm durch dasselbe erschlossen wird,
so dürfte es auch schwer halten, einem Anfänger, welcher etwa noch
keine einzige deduktive Disziplin beherrscht, eine zutreffende Vor-
stellung beizubringen von der Kraft und dem Wert der deduktiven
Methode. Ich würde mich einem solchen gegenüber eines Gleichnisses
bedienen: Der Maschinenbauer muss auch das Eisen, aus dem er seine
Maschinenteile herstellt, schon haben; es findet bei dem Bau der
Maschine keine Vermehrung dieses Materials statt, vielmehr geht ein
nicht unbeträchtlicher Teil desselben dabei unproduktiv verloren. Und
ferner wird auch bei der Benutzung der fertig gestellten Maschine
keine Arbeit durch dieselbe geschaffen, sondern nur ein bereits verfüg-
barer Arbeitsvorrat — abermals unter Verlusten — in neue wertvollere
Formen umgesetzt.
Analog dem ersten, wie auch dem zweiten Teil dieses Gleichnisses,
hebt nun allerdings die deduktive Methode aus dem vorhandenen
Material oder Vorrat von Erkenntnissen nur Einzelnes hervor, aber
allerdings gerade dasjenige, was für bestimmte Erkenntnisszwecke von
Wert ist, für die Fortführung der Untersuchung von Interesse erscheint.
Sie begrenzt dieses Einzelne in bestimmte Formen und bringt es, von
[176]Zweite Vorlesung.
dem Übrigen getrennt, zum Bewusstsein, bietet es isolirt der Aufmerk-
samkeit, der Beachtung dar, und hält es zu weiterer Verwendung dis-
ponibel. Mitunter richtet sie auch das Ganze in neue zu anderweitiger
Förderung der Erkenntniss geeignetere Formen her.
Sie zieht — um ein anderes Bild zu gebrauchen — die im Schachte
freilich bereits vorhanden gewesenen Edelsteine an das Tageslicht, gibt
ihnen Schliff und Fassung.
Dass diese Deduktion aber eine Kunst ist, welche in den meisten
Fällen gar nicht so nahe liegt, deren Methode oft nicht leicht zu entdecken,
zeigen fast alle Untersuchungen aus dem Gebiete der reinen und angewandten
Mathematik, ebenso die komplizirteren Aufgaben in gegenwärtiger Schrift.
Um es zur Stelle durch ein Beispiel darzuthun, welches keine Vor-
kenntnisse erfordert, lege ich dem Leser eine ganz einfache Aufgabe (aus
der allgemeinen Theorie der Verknüpfung) vor.
Es mögen a, b, c beliebige Elemente einer Mannigfaltigkeit und a b
das Resultat einer Verknüpfung von a mit b bedeuten, von der wir au-
nehmen, dass sie jeweils wieder ein bestimmtes Element derselben Mannig-
faltigkeit liefere; m. a. W. es sollen irgend zwei Elemente, in bestimmter
Folge genommen, sich immer „eindeutig“ zu einem dritten verknüpfen
lassen. Die Knüpfung sei auch „eindeutig umkehrbar“, d. h. wenn a allein,
oder b allein, durch ein anderes Element ersetzt, geändert wird, so soll
auch a b sich ändern.
Wenn nun die Knüpfung z. B. das Gesetz befolgt, dass allgemein
immer (a b) (b c) = a c ist, so soll die Frage entschieden werden, ob a b
= b a durchaus zu gelten habe (die Knüpfung „kommutativ“ sein müsse),
oder aber, ob nicht vielleicht in besondern Fällen ein Knüpfungsergebniss
a b von dem b a verschieden sein könne?
Jene Frage ist zu bejahen (die letztere zu verneinen), sie wäre da-
gegen, wenn das Gesetz der Knüpfung ein wenig anders, nämlich (a b) (b c)
= c a gelautet hätte, zu verneinen.
Diese Antwort auf die gestellte Frage steckt bei der ersten sowol als
bei der etwas abgeänderten zweiten Aufgabe ebenfalls ganz und gar schon
in den Prämissen, aber doch ziemlich verhüllt. Man versuche doch einmal,
sie aus den Prämissen herauszuschälen! Ich will dies hier unterlassen, da
die Betrachtung in eine andere (in gewissem Sinne speziellere) Disziplin
gehört. —
Ich bemerke nur noch, dass man unter den „Elementen“ sich auch
Zahlen z. B. vorstellen darf, und das Knüpfungsergebniss a b dann — im
mathematischen Sinne — irgend eine „Funktion“ f (a, b) der zwei Argu-
mente a und b bedeuten wird, die eindeutig umkebrbar sein muss. Erfüllt
diese nun die Funktionalgleichung (und es gibt solche Funktionen):
f {f (a, b), f (b, c)} = f (a, c),
so wird sie auch „symmetrisch“ sein, nämlich f (a, b) = f (b, a) für alle
Werte von a und b sein müssen. —
Wie oft nicht finden wir aber — ganz ähnlich wie bei der vorliegenden
[177]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip II.
Aufgabe — uns in der Lage, dass wir gar nicht wissen, was alles in
unserm Wissen schon enthalten ist, dass wir nicht sofort abzusehen ver-
mögen, ob ein Bestimmtes darin liegt oder nicht, und es im ersten Falle
eine schwere Arbeit kostet, dasselbe herauszuholen!
Es ist dieser Umstand die Folge von dem Vorhandensein allgemeiner
Erkenntnisse, in Gestalt von welchen ja gegenüber dem direkten Erkennen
auch das mittelbare oder indirekte Erfassen von Wahrheit zur Thatsache wird.
Wer den Wert der Deduktion überhaupt oder der Syllogistik ins-
besondere aus dem Grunde bestreitet, weil dabei ein Verlust, ein Preis-
geben von, Verzichten auf, Opfer an Erkenntnissmaterial stattfindet,
gebraucht durchaus kein stichhaltigeres Argument oder Beweismittel,
als jemand, der den Nutzen der Maschine leugnen wollte, weil sie vom
verfügbaren Arbeitsvorrat einen Teil als Nebeneffekt verloren gehen
lässt — oder auch den Wert der Bildhauerkunst wegen des durch sie
herbeigeführten Verlustes an Marmor! Es hat auch die Gestalt, in
der wir Erkenntnisse isoliren, ihren selbständigen Wert.
Um die Wertschätzung der Deduktion dem Anfänger gegenüber
zu retten, resp. diese gegen die auf sie erfolgten Angriffe zu ver-
teidigen, heben Mill und Wundt1 (p. 285 sq.) — an Stelle des vor-
stehend von mir in den Vordergrund gestellten Grundes — als ein
ebenfalls nicht zu übersehendes Moment mit Recht hervor, dass man
bei jenen auf eine Geringschätzung hinauslaufenden Einwänden von
der verkehrten Vorstellung ausgeht, ein allgemeiner Satz lasse sich
nur auf diejenigen Fälle anwenden, aus welchen er abstrahirt worden
ist. Die fruchtbringendste Anwendung unsres Syllogismus besteht aber
gerade darin, dass wir ihn auf solche Fälle anwenden, die zur Auf-
stellung der (in der Regel wol induktorisch gewonnenen, vielleicht auch
axiomatisch-hypothetisch aufgestellten) allgemeinen Prämisse nicht ge-
dient haben.
Ein gut gewähltes Beispiel hiezu bringt Ueberweg in Gestalt
des Schlusses: Was das Pendel verlängert verlangsamt (ceteris paribus,
unter sonst gleichen Umständen) den Gang desselben. Wärme (genauer:
Temperatursteigerung, Erwärmung) verlängert das Pendel. Also ver-
langsamt sie seinen Gang. Der Obersatz konnte in der theoretischen
Physik durch Rechnung abgeleitet sein, und brauchte also nicht not-
wendig ohne Vermittelung des Untersatzes schon den Schlusssatz als
Spezialfall in sich zu enthalten (cf. Fr. A. Lange1 p. 89).
Im Grunde auch wird ja bei dem induktiven Verfahren, es wird
selbst in den Erfahrungswissenschaften immer nur von besonderen Fällen
auf den besonderen Fall geschlossen. Schon das einmal sich gebrannt
habende Kind scheut ein zweites mal das Feuer, noch ehe es sich zu
Schröder, Algebra der Logik. 12
[178]Zweite Vorlesung.
dem allgemeinen Urteil erhoben, dass die Berührung mit Feuer
brennenden Schmerz verursacht. Und jener Art des Schliessens vom
Besondern auf's Besondre — des „Analogieschlusses“ — ist schon das
Tier fähig; auch der „asinus ad lapidem non bis offendit eundem“,
selbst der Esel stösst nicht zwei mal an denselben Stein. Mit dem
allgemeinen Satze aber, wie ihn der Induktionsschluss liefert, erhebt
sich der menschliche Intellekt über den des Tieres. Dieser Satz ist
das wirksamste und sicherste Mittel, aus bisherigen Erfahrungen für
weitere Fälle Nutzen zu ziehen, dieselben zu verwerten. Derselbe ent-
lastet das Gedächtniss von der Anforderung, die Einzelwahrnehmungen
selbst (in ihrer vielleicht grossen Anzahl) mit all' ihren Nebenumständen
und Details zu behalten; er gewährt die Erleichterung, gestattet, alles
Nebensächliche zu vergessen; indem durch ihn diese Einzelwahr-
nehmungen gleichsam summarisch gebucht, nur das Facit aus den-
selben gezogen wird, bildet er die bequemste Form, dieselben zur
Nutzanwendung auf weitere Einzelfälle in der Erinnerung aufzuspeichern
und im Geiste zurecht zu legen. Er bildet dann die Vermittelung, das
Band, die Brücke, über die von jenen vielleicht schon im Gedächt-
niss gelöschten zu diesen neuen Fällen der Subsumtionsschluss uns
hinüberführt.
Den Satz „Alle Menschen sind sterblich“ auf die bereits gestorbenen
Menschen anzuwenden würde freilich ein ziemlich unnützes Beginnen
sein. Aber wenden wir nicht diesen Satz (als Obersatz in Verbindung
mit dem Untersatze „N. N. ist ein Mensch“ und der Konklusion: „ergo
ist N. N. sterblich“) fortwährend an auf uns und unsre noch lebenden
Mitmenschen? Und wie anders würde es in der Welt aussehen, wenn
nicht unsre ganze Lebensführung unter der Herrschaft dieses Syllogis-
mus stünde? Dass man kein Logiker zu sein braucht, um ihn zu
machen, nimmt ihm nichts von seiner Wichtigkeit. (Wundt l. c.)
Oft auch handelt es sich darum mit Hülfe der Konklusion fest-
zustellen, ob eine Prämisse zulässig ist — wie dies schon S. 11 an-
gedeutet wurde — eine Prämisse, die zunächst noch einen provisorischen
oder hypothetischen Charakter hat. Der Chemiker z. B., der eine Sub-
stanz zu verbrennen versucht, um zu ermitteln, ob sie organischen
Ursprungs sei, steht unter der Herrschaft eines Syllogismus, dessen
Obersatz lautet: „Alle organischen Körper sind verbrennlich“, dessen
Untersatz: „Diese Substanz ist organisch“ aber erst durch das that-
sächliche Eintreffen oder Nichteintreffen des Schlusses: „Diese Sub-
stanz ist verbrennlich“ als eine zulässige (und dann noch weiter zu
verfolgende, vollends ausser Zweifel zu setzende) oder aber als eine
[179]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip II.
fortan zu verwerfende Hypothese erkannt wird (vergl. Wundt
ibidem).
Wesentlich sind es übrigens andere Formen des Syllogismus (als der
bisher besprochene einfache Subsumtionsschluss II), welche in dieser Hin-
sicht in Betracht kommen, weshalb die weitere Ausführung der angeregten
Bemerkung auf die 20. Vorlesung zu versparen wäre.
Es gibt auch scheinbare Ausnahmen zu dem Prinzip II. Ohne die
Vollständigkeit der Aufzählung garantiren zu wollen, bemerke ich
deren von dreierlei Art. Als mehr nur auf ein Spiel mit Worten
hinauslaufend will ich dieselben im Nebentexte behandeln.
Zur Verdeutlichung der ersten Art von solchen Ausnahmen diene das
Beispiel (aus Jevons6):
„Hans ist kein Narr. Kein Narr eignet sich zur Bekleidung hoher
Staatsämter. Ergo: Hans eignet sich zur Bekleidung hoher Staatsämter.“
Was hier als Mittelbegriff erscheint hat den verbalen Ausdruck „kein
Narr“. Wir haben aber schon in § 2 hervorgehoben, dass „kein-a“ über-
haupt nicht eine Klasse ist. Das wahre Subjekt des scheinbaren Ober-
satzes bildet die Klasse: „Jeder Narr“, sein Prädikat: „ist ungeeignet zur
Bekleidung hoher Staatsämter“. Was ferner als Untersatz erscheint, würde
für die Zwecke der Logik korrekter darzustellen sein, sei es in Gestalt
von: Hans »ist nicht« ein Narr, als die Verneinung des Satzes: Hans ist
ein Narr, sei es als negativ prädizirendes Urteil in Gestalt von: Hans ist
(ein) Nicht-Narr (d. h. bei gesundem Verstande). Welche von diesen beiden
Auffassungen maassgebend sein solle für das verneinende Urteil, bildet eine
bekannte Streitfrage unter den Philosophen, zu der wir erst in § 15
Stellung nehmen werden. Jedenfalls aber wird der Schluss nach Schema II
hiemit hinfällig; derselbe fällt auch nicht etwa unter das Schema irgend
eines andern gültigen Syllogismus. Bei der zweiten Auffassung sieht man
augenblicklich, dass gar kein Mittelglied vorhanden. Hier ist die Klasse
„Narr“ Subjekt des einen, die Klasse „Nicht-Narr“ Prädikat des andern
Satzes und statt dreien gehen also vier Glieder in die Prämissen ein (so-
genannnte „quaternio terminorum“).
Auch eben hierauf, auf die „fallacia falsi medii“, den ‚Trugschluss“
(das „Sophisma“) oder „Fehlschluss“ (die „Paralogie“, den ‚Paralogismus)
des falschen Mittelgliedes — Trugschluss oder Fehlschluss, je nach der
Absichtlichkeit oder Unabsichtlichkeit des unrichtigen Verfahrens — läuft
auch die zweite der gedachten scheinbaren Ausnahmen hinaus.
Z. B. Aus dem Untersatz: „Rappen sind Pferde“ und dem Obersatz:
„Pferde sind auf dem Rennplatze“, folgt nicht mit Denknotwendigkeit der
Schluss: „Rappen sind auf dem Rennplatze“.
Denn während der Untersatz dasselbe besagt, wie „Alle Rappen sind
Pferde“, m. a. W. die (ganze) Klasse der Rappen ist enthalten in der Klasse
der Pferde, während also der Untersatz ein wirklich „universales“ Urteil
ist, trifft solches bei dem vermeintlichen Obersatze nicht zu. Vielmehr
ist der Sinn dieses in der That unvollständigen Ausspruches eigentlich nur
der: „Gewisse (oder Einige) Pferde sind auf dem Rennplatze“, und dieser
12*
[180]Zweite Vorlesung.
Sinn würde ihm auch nur zukommen, wenn er selbst ausdrücklich gelautet
hätte: „Alle Pferde sind auf dem Rennplatze“, indem unter „alle Pferde“
dann doch wieder nur diejenigen eines gewissen Besitzers, einer bestimmten
Gruppe gemeint sein konnten, nicht aber die Klasse der Pferde überhaupt.
Der angebliche Obersatz ist in Wahrheit ein „partikulares“ Urteil.
Im vorliegenden Beispiele entsprang der Fehler aus der Unvollständig-
keit des Ausdrucks, der durch seine Lückenhaftigkeit bedingten Ungenauig-
keit desselben, wodurch das (unzulänglich beschriebene) Subjekt des zweiten
Satzes dem Namen nach zur Deckung kam mit dem Prädikat des ersten.
Dergleichen „elliptische“ Redeweisen, welche man in der Wortsprache be-
quemlichkeitshalber sich ungemein häufig gestattet, sind die Hauptquelle
für die logischen Paradoxa, d. h. die scheinbaren Widersprüche zur Theorie
des exakten Denkens.
Die leicht in's Endlose zu vermehrenden Beispiele zeigen, dass Nach-
lässigkeit im Ausdruck für das exakte Denken seine Gefahren birgt, und
dass man sich, unbekümmert um den Sinn, mechanisch, nach den Schemata
oder Prinzipien des Kalkuls behuf Schliessens zuwerke zu gehen, erst ge-
statten darf, wenn die Prämissen in der Zeichensprache des Kalkuls bereits
ihren vollständigen und angemessenen Ausdruck gefunden haben.
Indessen, auch wenn die Prämissen im Geiste der Wortsprache beide
korrekt ausgedrückt erscheinen, kann man noch zufolge einer (alsdann also
berechtigt zu nennenden) Doppelsinnigkeit des Mittelbegriffs in den Fehler
der fallacia falsi medii verfallen.
Dies werde illustrirt durch: Einige Herren sind Grundbesitzer. Herr
Meier, Herr Müller, Herr Schmidt und Herr Schulze sind einige Herren.
Ergo sind dieselben Grundbesitzer.
Das Mittelglied „einige Herren“ hat im (hier vorangestellten) Ober-
satze eine möglicherweise ganz andere Bedeutung als im (darauf folgenden)
Untersatze.
Allgemein merke man: das Mittelglied b des Syllogismus II darf nicht
blos durch einen sprachlichen Ausdruck von der Form „einige x“ gegeben
erscheinen; solche Beschreibung würde nicht genügen, um die Bedeutung
desselben unzweideutig zu erklären.
Diese Unbestimmtheit entspringt aber nicht allein aus derjenigen des
angewendeten „unbestimmten Zahlwortes“: „einige“, sondern sie ist schon
durch die Anwendung eines Zahlwortes überhaupt bedingt.
Sagten wir: A, B und C sind drei Personen. Drei Personen sind an
dem Morde beteiligt. Ergo sind A, B und C an dem Morde beteiligt —
so wäre es ja ein vollkommen bestimmtes Zahlwort „drei“, welches zur
Charakterisirung des Pseudo Mittelgliedes mit verwendet worden. Und doch
kann der Schluss nicht verbindlich sein, solange nicht als Subjekt des
Obersatzes: „Diese selben drei Personen“ zu setzen ist.
Die Verbindung eines Zahlwortes mit einem substantivischen Begriffe
ist nicht ausreichend, ist unzulänglich, um eine wohldefinirte Klasse unzwei-
deutig zu erklären. Dieselbe kann daher auch keinen Mittelbegriff liefern,
der als solcher anzuerkennen wäre.
[Man könnte freilich auch: „drei Personen“ als eine wohldefinirte
Klasse hinstellen, welche dann zu umfassen hätte jedes erdenkliche Tripel,
[181]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip II.
jede Zusammenstellung von irgend dreien Personen aus der Vergangenheit,
Gegenwart wie Zukunft des Menschengeschlechtes. Diese Klasse ist es
aber nicht, von der die Wortsprache auszusagen beabsichtigt, sobald schlecht-
weg von drei Personen die Rede ist; sie meint dabei immer „gewisse drei
Personen“, d. i. nur ein nicht näher bestimmtes Individuum der vorhin be-
schriebenen Klasse.]
Das Nämliche was vorhin für das Beispiel der Zahl drei durchgesprochen
ist, würde sich auch auf die Zahl eins [übertragen] lassen, da wo sie als
der „unbestimmte Artikel“: „ein“ mit einem Substantiv verknüpft wird.
Um Fehlschlüsse der erläuterten Art, wie sie aus dem Doppelsinn
des Mittelgliedes entspringen, zu vermeiden, lege man sich jeweils die Frage
vor, ob unbeschadet der Gültigkeit der Prämissen das fragliche Mittelglied
im Obersatze auch wirklich genau in demselben Sinne (als dasselbe) ver-
standen werden dürfe und müsse, wie im Untersatze.
Im Anschluss an die letzten Betrachtungen des Nebentextes kon-
statiren wir übrigens eine wichtige Verhaltungsmassregel, deren Be-
folgung sich die Wortsprache keineswegs stets zur Richtschnur nimmt,
wogegen die exakte Logik sich vor der verbalen durch ihre Befolgung
hervorthun muss. Es ist der Grundsatz, die Maxime: Verschiedenes
niemals mit demselben Zeichen darzustellen im Laufe einer Untersuchung
— ein Grundsatz, der als die Forderung der Einsinnigkeit aller etwa
verwendeten Zeichen schon in B der Einleitung seine Rechtfertigung fand.
Die Unerlässlichkeit dieser Vorschrift kann eben durch das Prinzip II
dargethan werden.
Sind a, b, c Gebiete oder Klassen derart, dass etwa a ⋹ b ist, so
gibt es auch immer ein solches x, dass x ⋹ c ist (man braucht z. B.
unter x sich nur c selber vorzustellen kraft I). Erlaubten wir uns nun
etwa, das x (welches im allgemeinen von b verschieden ist) ebenfalls mit
dem Namen b zu belehnen, so erhielten wir zu Prämissen a ⋹ b und
b ⋹ c und kämen folgerichtig gemäss II zu dem Schlusse: a ⋹ c — als
einer Folgerung aus der einzigen Annahme a ⋹ b, bei ganz beliebigem c!
Und die fallacia falsi medii wäre fertig und legitimirt.
Dass die Verwendung einunddesselben Zeichens als Name für ver-
schiedene Denkobjekte (im Zusammenhange einer Überlegung) wie im
vorstehenden Beispiel sich immer rächen muss, lässt sich allerdings
nicht beweisen. Um aber die konsequente Durchführung unsrer Prin-
zipien unbehelligt von allen nebenrücksichten zu ermöglichen, dürfen
wir uns auch einer solchen Gefahr nicht aussetzen. Es muss demnach
für den Kalkul wie für die exakte Logik maassgebend sein, dass man
immer nur Identisches mit demselben Buchstaben benenne, oder die
Bedeutung eines Zeichens, so wie sie einmal festgesetzt worden, un-
verbrüchlich festhalte, bis die Untersuchung über das damit Be-
zeichnete zum Abschluss gekommen. Es ist darauf zu halten ver-
[182]Zweite Vorlesung.
pflichtet, wer immer dem dictum des „quidquid valet etc.“ allgemeine
Geltung zuerkennen will.
Als eine Nutzanwendung hievon bemerkten wir schon in § 2 S. 150,
dass wenn ein Ausdruck wie „einige b“ in verschiedenen Sätzen vorkommt,
diese Klasse nicht immer mit demselben Zeichen b', sondern allemal wieder
mit einem neuen b'', b''', etc. im allgemeinen darzustellen sein wird. Und
ähnliches gilt, wo „ein b“ als Subjekt eines „unbestimmten“ Urteils auf-
tritt. Der identische Kalkul wird ja übrigens zur Darstellung partikularer
sowol als unbestimmter Urteile, über bessere als dieses provisorische Aus-
kunftsmittel späterhin verfügen.
Eine dritte Art von scheinbaren Ausnahmen zu Prinzip II möge ver-
deutlicht werden an dem Beispiele von Jevons:
Alle Werke (Schriften, Stücke) Shakespeare's können (von einer
Person) nicht in einem Tage durchgelesen werden. Hamlet ist ein Werk
von Shakespeare. Ergo kann Hamlet nicht in einem Tage durchgelesen
werden. Für eine deutsche Schule mag man Goethe's Iphigenie als Para-
digma vorziehen.
Der Untersatz und Schluss kann nicht bemängelt werden, wofern es
mit dem Obersatze seine Richtigkeit hat.
Das Subjekt dieses — oben vorangestellten — Satzes: „Alle Werke ‥“
steht hier nicht „distributiv“ als eine Klasse, sondern „kollektiv“ als eine
Menge; es steht für „die Gesamtheit der Werke“, für „alle Werke zusam-
mengenommen“ (cuncti, nicht omnes) und wäre besser durch „Sämtliche
Werke“ auszudrücken gewesen.
Das Urteil ist gar kein generelles (abgesehen von der Unbestimmtheit
der durchlesenden Person); es ist kein im engeren Sinne „universales“. Ein
„universales“ (im weiteren Sinne, schlechtweg) kann es nur genannt wer-
den, insofern es ein „singulares“ Urteil ist und die singularen Urteile mit
zu den universalen gerechnet werden.
Wofern der Untersatz nicht gerade Identität zwischen seinem Subjekt
und seinem Prädikate aufweist, wird er — wie dies oben der Fall — eine
wirkliche Unterordnung dieses Subjekts unter die Klasse seines Prädikat-
begriffes ausdrücken. Sein Prädikat muss dann also ein allgemeiner oder
Gattungsbegriff sein. Dieses Prädikat des Untersatzes muss aber, als der
Mittelbegriff, zugleich Subjekt des Obersatzes sein (wenn anders ein Subsum-
tionsschluss nach dem Schema II sich soll anbringen lassen) — was oben
nicht zutrifft; und deshalb war der Schluss hinfällig.
Es sind also blos Unvollkommenheiten unsrer modernen Sprachen
gewesen, die zu den Fehlschlüssen verleitet haben und damit Aus-
nahmen zum Prinzip II zu begründen schienen.
Zusatz zu II. Die Ausdehnung des Satzes II auf mehr als zwei
als Prämissen angenommene Subsumtionen, welche sich so anordnen
lassen, dass bis zur letzten hin das Prädikat einer jeden mit dem Sub-
jekt der auf sie folgenden übereinstimmt, ist naheliegend. Wenn
a ⋹ b, b ⋹ c und c ⋹ d, so folgt auch a ⋹ d und so weiter.
Der Beweis ist auf Grund von II selbst — durch mehrmalige An-
[183]§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip II.
wendung ebendieses Prinzips — zu leisten. So folgt hier aus den
beiden ersten Prämissen nach II schon, dass a ⋹ c sein muss, und
hieraus in Verbindung mit der dritten Prämisse c ⋹ d folgt abermals
nach II, dass a ⋹ d sein muss, wie behauptet worden.
Wir haben damit das Verständniss der einfachsten Form des von
der alten Logik sogenannten Kettenschlusses (sorites) gewonnen.
Anmerkung 1 zu Prinzip II.
Auf dem Anwendungsfelde δ) des § 3, d. i. im „Aussagenkalkul“ —
vergleiche die Anmerkung auf S. 161 sq. — wird dem Prinzip II die Bedeu-
tung zukommen: Wenn c aus b folgt und b aus a folgt, so folgt auch c aus
a — unter a, b, c irgend welche Annahmen oder Behauptungen, irgend
welche „Aussagen“ (Urteile) verstanden.
Wir werden von diesem „Prinzip“ bei den Beweisen unsrer theoreme
fortgesetzt — und, als von etwas Selbstverständlichem, stillschweigend Ge-
brauch machen. Damit aber der Leser alsdann auch dessen inne werde,
sei hier im voraus schon darauf aufmerksam gemacht.
Unter den Prinzipien des Gebietekalkuls aber darf solches „Prinzip“
offenbar nicht aufgezählt werden, da es ersichtlich oder wenigstens an-
scheinend gar nicht von Gebieten handelt. Jedenfalls in der that betrifft
es nicht die Gebiete unsrer hier „bevorzugten“ Mannigfaltigkeit.
Anmerkung 2 zu Prinzip II.
Ähnlich wie mit dem letzten verhält es sich mit noch einem Grund-
satze, den wir fortgesetzt bei unsern Schlussfolgerungen im Gebietekalkul
bethätigen werden.
In die fundamentalen Sätze und Formeln des Kalkuls gehen Buch-
staben ein als allgemeine Symbole, in solcher Weise, dass denselben aus
der Mannigfaltigkeit unsrer Gebiete je ein beliebiges als „Wert“ oder Be-
deutung soll untergelegt werden dürfen.
Der Grundsatz, den wir meinen, ist nun dieser: Jedes allgemeine Sym-
bol (dessen Bedeutung unsrer Mannigfaltigkeit angehört) darf durch jedes
beliebige (andre) Symbol (dessen Bedeutung derselben Mannigfaltigkeit an-
gehört) durchweg ersetzt werden — einerlei ob das letztere wiederum als
ein (natürlich ebenso) „allgemeines“ aufgefasst wird, oder ob es beliebt
wird, dessen Bedeutung irgendwelche Beschränkungen aufzuerlegen, oder
ob endlich dasselbe ein ganz spezielles Gebiet bezeichnet.
Auch von dieser Erlaubniss machen wir demnächst fortgesetzt Ge-
brauch; wir substituiren bei den Beweisführungen — geradeso, wie es auch
in der Mathematik geschieht — alle Augenblick für ein allgemeines (Ge-
biete-, Klassen-, oder Aussagen-)Symbol irgend ein anderes. Aber nicht
nur bei den fundamentalen, sondern auch bei den mittelst Beweises auf
diese zurückgeführten, den aus ihnen gefolgerten oder abgeleiteten Sätzen,
in den „Theoremen“.
Bei den Definitionen und Postulaten sowie den Axiomen oder „Prin-
zipien“ — bei allem was willkürlich ausgemacht, allgemein angenommen,
konventionell festgesetzt wird — konstatirt obiger Grundsatz lediglich Das-
jenige, was im Begriffe des „allgemeinen“ Symbols liegt. Eine in Betreff sol-
[184]Zweite Vorlesung.
cher Symbole getroffene Übereinkunft soll ja immer den Sinn haben, dass
sie zu gelten habe, was immer für besondre (sogenannte „Werte“) oder
wiederum allgemeine Symbole für die Buchstaben in ihr substituirt wer-
den, und dasselbe gilt auch in Betreff solcher Sätze oder Behauptungen,
die man übereinkommt, ohne jeden Beweis als allgemeingültige schlechtweg
zu adoptiren.
Dagegen für die aus solchen Grundlagen als Folgerungen abgeleiteten
Theoreme die gleiche Erlaubniss in Anspruch zu nehmen ist nicht mehr
blos durch den Sinn der Worte verbürgt, sondern erscheint als ein wirk-
liches Prinzip, wenn auch zunächst nicht als ein dem Gebietekalkul eigen-
tümliches.
Auch die Berechtigung zu diesem Verfahren wird aber sich nicht als
Ausfluss, Wirkung eines ganz neuen Prinzipes, sondern lediglich als eine
Bethätigung unsres Prinzips II selber, und zwar auf dem Anwendungsfelde
ε) des § 3 späterhin erkennen lassen.
Nunmehr verleiben wir auch das Gleichheitszeichen dem Lehr-
gebäude der Algebra der Logik ein, indem wir auf den als allein be-
kannt vorausgesetzten Begriff der Subsumtion eine Begriffserklärung
der durch jenes Zeichen auszudrückenden Beziehung gründen.
Definition (1) der identischen Gleichheit (Identität).
Dass ein Ausspruch von dieser Form a = b eine Gleichung, a die
linke, b die rechte Seite derselben genannt wird, haben wir schon
S. 128 angeführt.
Da Vorstehendes eine Definition ist, so muss (wie schon auf
S. 134 hervorgehoben wurde) die Festsetzung auch umgekehrt gelten:
Es kann die Gleichung a = b nichts anderes aussagen, als dass die
vorerwähnten Subsumtionen gleichzeitig bestehen, m. a. W.:
(1)''. { Wenn a = b gilt, so muss a ⋹ b und b ⋹ a sein.
Wollten wir die beiden Teile (1)' und (1)'' der Definition (1) aus-
drücklich auf einmal aussprechen, so wäre in (1)' die Partikel „so“
durch „immer dann und nur dann“ zu ersetzen gewesen.
Zusatz zu Def. (1). Weil alsdann (nach I, für Aussagen in An-
spruch genommen — vergl. die Anmerkung zu Prinzip I)
b ⋹ a und zugleich a ⋹ b
sein wird, so folgt nach Def. (1), dass auch:
b = a
zu gelten habe. Dies heisst:
Jede Gleichung darf auch rückwärts wiederum als solche gelesen wer-
den, m. a. W.: Die beiden Seiten einer Gleichung dürfen (in derselben)
[185]§ 4. Erste Grundlagen: Definition der Gleichheit.
miteinander vertauscht werden, oder: Die identische Gleichheit ist eine
„symmetrische“ Beziehung — ein Satz, der sich, wie wir soeben sahen,
ganz streng beweisen lässt.
Stellen a und b Gebiete vor, so müssen sie, wenn das erste im
zweiten und zugleich das zweite im ersten enthalten sein soll, einan-
der decken, in eines zusammenfallen, koincidiren. Identisch gleiche
Gebiete bezeichnen wir demnach als „einerlei“.
Man ersieht hierans, dass — wie schon in der Einleitung betont —
der Begriff der Gleichheit im identischen Kalkul weit enger gefasst ist,
als in der Grössenlehre. Dort, wo von Maassbestimmungen absolut nicht
die Rede sein soll, dürfen wir zwei Kreise oder Flächen, wenn sie etwa
nur „gleich gross“ (inhaltsgleich, sogar, wenn sie auch kongruent) sein
sollten, durchaus nicht als (identisch) „gleich“ gelten lassen.
Ungeachtet dieser verschiedenen Interpretation des Gleichheitszeichens
in den beiden Disziplinen ist es doch unbedenklich, sich des nämlichen
Zeichens = für beiderlei Beziehungen zu bedienen selbst dann, wenn An-
wendungen des identischen Kalkuls auf das Gebiet der mit Zahl und
Maass operirenden Mathematik beabsichtigt sein sollten. Und zwar aus
zwei Gründen.
Erstens deshalb, weil auch in der Mathematik nicht mit den Grössen
selbst, sondern nur mit deren Maasszahlen, weil darin allgemein nur mit
abstrakten Zablen gerechnet zu werden pflegt. Jede abstrakte Zahl be-
trachtet man aber daselbst als ein nur einmal existirendes Individuum, ver-
sinnlicht etwa durch einen bestimmten Punkt der Zahlenlinie resp. Zahlen-
ebene, und bei dieser Auffassung kommt die Gleichheit zweier Zahlen auch
auf ein Zusammenfallen derselben, auf deren Identität hinaus — wie schon
S. 146 angedeutet.
Zweitens würden gedachte Anwendungen des identischen Kalkuls auf
das Gebiet der rechnenden Analysis doch vor allem angezeigt erscheinen
— und könnten in der That von grossem Nutzen werden — da, wo man
mit vieldeutigen Ausdrücken zu thun bekommt, wo nämlich mit Zahlzeichen
zu operiren ist, die nicht notwendig je eine einzige Zahl, sondern eventuell
eine ganze Klasse oder Gattung von Zahlen vorstellen. Von zwei solchen
Zahlgattungen würde nun eine, A, „untergeordnet oder gleich“ einer an-
dern B zu nennen, es würde A ⋹ B zu schreiben sein, wenn alle Werte,
die A umfasst, unter den Werten von B zu finden sind, und „gleich“
würden die beiden vieldeutigen Ausdrücke A und B heissen müssen, wenn
dies gegenseitig ist, d. h. wenn sie beide ganz die nämlichen Werte um-
fassen. Sobald aber diese identisch gleichen Ausdrücke A und B ein-
deutige Zahlzeichen würden, nämlich die unter A und B verstandenen
Zahlengattungen etwa nur je aus einem Zahlindividuum bestehen sollten, die
Klasse A in den einen Wert a, die B zu der Zahl b zusammenschrumpfte,
dann würde die vorhin statuirte identische Gleichheit A = B der Klassen
doch in der That zusammenfallen mit der arithmetischen Gleichheit a = b
zwischen diesen ihren einzigen Zahlwerten.
So wenig sich auch, wie S. 136, 139 dargelegt, das Zeichen \< zur
[186]Zweite Vorlesung.
Verwendung in der Logik empfahl, würde es nach dem soeben Auseinan-
dergesetzten doch nur eine unnütze Weitläufigkeit sein, wenn wir für die
identische Gleichheit ein anderes als das arithmetische Gleichheitszeichen
einführen, ein apartes, komplizirteres Zeichen für dieselbe hier benutzen
wollten.
Bedeuten a und b Klassen, und ist a = b, so werden a und b nur
(verschiedene) Namen für einunddieselbe Klasse vorstellen. Beispiels-
weise werde angeführt:
Pferd = Ross, Neger = Mohr,
Erdtrabant = Mond (im engeren Sinne), = der Mond.
1) Theorem. Stets ist a = a.
Jedes Gebiet ist sich selbst identisch gleich.
Beweis. Die Voraussetzungen a ⋹ b, b ⋹ a, der Def. (1) für
die Gleichheit a = b treffen nach Prinzip I zu, wenn a selber unter b
verstanden, für b gesetzt wird; folglich ist in diesem Falle die Defini-
tion auch anwendbar. Aus a ⋹ a und a ⋹ a folgt nach (1)': a = a.
2) Theorem. Wenn a ⋹ b und b = c, so ist a ⋹ c.
Beweis. Dann ist auch b ⋹ c nach der zweiten Prämisse auf
Grund des Teils (1)'' der Def. (1) Und hieraus, in Verbindung mit
der ersten Prämisse folgt nach II, dass a ⋹ c.
3) Theorem. Wenn a = b und b ⋹ c, so ist auch a ⋹ c.
Beweis. Nach der ersten Prämisse und Def. (1) Teil (1)'', ist
auch a ⋹ b und hieraus in Verbindung mit der zweiten Prämisse folgt
nach II: a ⋹ c, wie zu beweisen war.
Die beiden letzten Theoreme zusammenfassend können wir also
sagen:
Zusatz. Als Prädikat sowol, wie als Subjekt, darf Gleiches für
Gleiches gesetzt werden.
In der That geht die Konklusion bei Th. 2) hervor aus der ersten
Prämisse, indem man deren Prädikat b durch das ihm gleiche c er-
setzt, bei Th. 3) aus dessen zweiter Prämisse, indem man deren Sub-
jekt b durch das ihm gleiche a ersetzt.
4) Theorem. Wenn a = b und b = c, so ist auch a = c.
Oder: Wenn zwei Gebiete mit einem dritten identisch gleich sind, so
sind sie auch unter sich identisch.
Es sind dann alle drei Gebiete „einander gleich“ — vergl. die
nachherige Zusatzdefinition.
Beweis. Nach Def. (1), Teil (1)'', ist mit den beiden Voraus-
setzungen des Satzes einerseits gegeben, dass a ⋹ b und b ⋹ c sei,
und hieraus folgt a ⋹ c nach II. Ebenso ist andrerseits gegeben:
[187]§ 4. Folgesätze. Gleichheit.
c ⋹ b und b ⋹ a, also nach II auch c ⋹ a. Die gefolgerten beiden
Ergebnisse a ⋹ c und c ⋹ a lassen sich aber nach Def. (1) Teil (1)'
zusammenfassen zu der Gleichung a = c, womit der Satz bewiesen ist.
Die Theoreme 2), 3), 4) finden bereits unter Prinzip II sich durch
Figuren erläutert, vergl. Fig. 3 … 6.
Zusatz zu Th. 4). Die Ausdehnung des Satzes von zweien auf
eine beliebige Menge als erfüllt vorauszusetzender Gleichungen, welche
sich so anordnen lassen, dass sie eine stetige Kette bilden, d. h. dass
die einander zugewendeten Seiten benachbarter Gleichungen jeweils
übereinstimmen, ist naheliegend, und kann durch wiederholte Anwen-
dung des Th. 4) unschwer bewiesen werden.
Wenn a = b, b = c und c = d ist, so folgt aus den zwei ersten
Gleichungen nach 4) zunächst a = c und hieraus, in Verbindung mit
der dritten Gleichung folgt ebenso: a = d. Daneben folgt auch aus
den beiden letzten Gleichungen b = d, sodass hier jede zwei vorkom-
mende Symbole als gleich nachweisbar sind.
Zusatzdefinition zu (1). Nunmehr kann auch der Begriff der
identischen Gleichheit von zweien auf eine beliebige Menge von Ge-
bieten ausgedehnt werden. Die Gebiete der Menge sind „einander
gleich“ zu nennen, wenn (d. h. immer dann und nur dann, wenn) je
zwei derselben einander gleich sind.
Dass solches stattfinde, wird ausgedrückt, indem man die Namen
der Gebiete in irgend einer Folge auf der Zeile durch Gleichheits-
zeichen verbindet, z. B. schreibt:
a = b = c = …
Tritt zu einer Menge von unter sich gleichen Symbolen ein wei-
teres Symbol hinzu, welches einem von jenen gleich ist, so bilden die
bisherigen Symbole zusammen eine neue Menge von unter sich gleichen
Symbolen.
Denn ist a1 = a2 = … = a× = … = an die erstgedachte Menge
und trits an + 1 = a× hinzu, so ist für λ = 1, 2, … n auch leicht zu be-
weisen, dass das neuhinzugekommene an + 1 = aλ sein muss, in Anbetracht
dass a× = aλ schon laut Voraussetzung gilt. Ein beliebig aus der neuen
Menge herausgehobenes Paar von Symbolen enthält entweder das neu hin-
zugekommene Symbol an + 1 oder nicht. Im ersten Falle enthält es neben
jenem Symbole noch ein solches aλ der alten Menge, und ist die Gleich-
heit beider Symbole des Paars soeben bewiesen. Im zweiten Falle muss
das Paar aus zwei Symbolen aλ und aμ der alten Menge bestehen und ist
deren Gleichheit bereits in der Voraussetzung gefordert, dass sämtliche
Symbole dieser letztern einander gleich seien.
In beiden Fällen sind also die zwei Symbole des aus der neuen Menge
herausgehobenen Paares in der That einander gleich.
Was in logischer Beziehung davon zu halten sei, dass bei vorstehen-
der Beweisführung im Grunde der Schluss der „vollständigen Induktion“,
„Schluss von n auf n + 1“ angewendet werden musste, darüber sei auf
Anhang 3 und auf § 51 verwiesen.
Ist nun irgend ein System von Gleichungen als zwischen Gebieten
bestehend gegeben, so werden diese Gebiete unter sich gleich sein
müssen, wenn es gelingt, die gegebenen Gleichungen so in einer Reihe
anzuordnen, dass beim Durchgehen derselben in einem bestimmten
Sinne — etwa von links nach rechts fortschreitend — man in jeder
neu ins Auge gefassten Gleichung auf ein Gebiet stösst, welches be-
reits in wenigstens einer der vorhergehenden Gleichungen als linke
oder rechte Seite vorgekommen war. Um dies zu entscheiden, kann
man eine beliebige von den Gleichungen als erste herausschreiben,
darauf als zweite eine solche folgen lassen, welche eines der in der
ersten stehenden Gebiete enthält, als dritte dann aus dem Reste eine
solche Gleichung herauslesen, welche abermals die Forderung erfüllt
mindestens eines der bisher schon vorgekommenen Gebiete zu ent-
halten, und so weiter bis zu Ende. Ist es auf eine Art möglich, in
dieser Weise mit den Gleichungen zu Ende zu kommen, so würde sich
nachweisen lassen, dass dies auf jede Art eintreffen muss, mit welcher
Gleichung des Systems man auch beginnen und wie man auch mit
der Auslese der immer mindestens ein früheres Symbol enthaltenden
Gleichungen fortfahren mag. —
Es sollen jetzt noch zwei spezielle Gebiete in die Algebra der Logik
eingeführt werden, für welche als Namen, wie unter Th. 22) dargelegt
wird, die Zahlzeichen 0 und 1 sich empfehlen. Auch diese wollen wir
vermittelst des Beziehungszeichens der Einordnung erklären, und zwar
erfolge die
| Definition (2×) der „identischen Null“ | Definition (2+) der „identischen Eins“ |
| dadurch, dass wir die Subsumtion | |
| 0 ⋹ a | a ⋹ 1 |
als eine allgemeingültige, nämlich für jedes Gebiet a unsrer Mannigfal-
tigkeit anzuerkennende hinstellen. Dies will sagen:
| 0 nennen wir ein Gebiet, welches zu jedem Gebiete a in der Be- ziehung der Einordnung steht, welches in jedem Gebiete der Man- nigfaltigkeit enthalten ist. | 1 nennen wir ein Gebiet, zu wel- chem jedes Gebiet a in der Be- ziehung der Einordnung steht, in welchem jedes Gebiet der Mannig- faltigkeit enthalten ist. |
Die Symbole 0 und 1, denen wir diese Eigenschaft zuschreiben,
[189]§ 4. Definition von 0 und 1. Folgesätze.
zählen wir jedenfalls hinfort mit zu den „Gebieten“ unsrer Mannig-
faltigkeit. Eventuell, möglicherweise, werden es „uneigentliche“ Ge-
biete sein, d. h. sie bleiben leere Namen, wenn unter den bisher als
solche angesehenen wirklichen oder „eigentlichen“ Gebieten, die mit
der Mannigfaltigkeit zugleich uns virtuell, fakultativ gegeben erschei-
nen, sie sich nicht nachweisen lassen sollten — eine Frage, auf die
wir im System uns erst an einer späteren Stelle einlassen wollen.
Auch die Beweggründe, welche uns zur Einführung ebendieser
Symbole bestimmen, das Willkürliche, welches in ihrer Definition zu
liegen scheint, erklärend rechtfertigen, können wir erst unter Def. (3)
in § 5 auseinandersetzen.
Lediglich aus didaktischen Gründen — damit der Leser, falls er nicht
will, niemals den Leitfaden der Anschauung zu verlassen braucht — sei
indess die Bedeutung welche den Symbolen 0 und 1 zukommen wird, vor-
greifend schon hier kurz angegeben: Die 0 wird uns ein leeres Gebiet vor-
stellen, welches keinen Punkt der Mannigfaltigkeit enthält, und wenn von
Klassen die Rede ist, dem Begriffe des „Nichts“ entspricht. Die 1 dagegen
wird die ganze Mannigfaltigkeit vorstellen, hier, im bevorzugten Falle, also
die ganze Fläche der Schultafel. Und falls a, b, c, … uns Klassen vor-
stellen, wird 1 die umfassendste Klasse bedeuten, welche alle die Klassen
und Individuen, von denen in der Untersuchung die Rede ist, in sich ver-
einigt. Vergleiche § 7.
Es wird sich zeigen, dass die hier vollzogene Aufnahme, Einver-
leibung, Adjungirung der identischen Null unter die Gebiete (der leeren
Klasse unter die Klassen, des Begriffs des „Nichts“ unter die Begriffe)
unsrer ganzen Disziplin ihren eigenartigen Charakter aufprägt. Die
Tragweite dieser unscheinbaren Übereinkunft (2×) ist kaum mit Ge-
ringerem zu vergleichen, als mit den Wirkungen der Einführung der
arithmetischen Null, der Aufnahme dieser unter die Ziffern und Zahlen.
Letztere war eine That, in Bezug auf die mich Herrn Hermann
Schubert's interessante Studie „Zählen und Zahl“ (Hamburg 1887,
36 Seiten) belehrt (pag. 34), dass sie ungeachtet ihres heute allgemein
anerkannten Wertes seinerzeit hartnäckige und heftige Opposition her-
vorgerufen.
Zusatz 1 zu Def. (2). Es kann nicht mehr als ein Gebiet von
der in Def. (2×) resp. (2+) geforderten Eigenschaft geben.
Denn gäbe es ausser 0 resp. 1 auch noch ein zweites Gebiet 0'
resp. 1' von jener gedachten Eigenschaft, dass nämlich
| 0' ⋹ a | a ⋹ 1' |
allgemein sein müsste, so hätten wir auch
| 0 ⋹ 0' nebst 0' ⋹ 0 | 1' ⋹ 1 nebst 1 ⋹ 1' |
[190]Zweite Vorlesung.
[indem wir uns hier unter dem a auch 0 resp. 1, dort, in Def. (2),
auch 0' resp. 1' vorstellen dürfen], und damit folgte nach Def. (1):
| 0' = 0 | 1' = 1, |
d. h. die gedachten beiden Gebiete wären bezüglich einerlei, wären
eines.
Zusatz 2 zu Def. (2). Insbesondre gilt auch
0 ⋹ 1.
In dieser Subsumtion fallen die beiden Subsumtionen (2×) und (2+)
in eine einzige zusammen, welche als ein unter beiden zugleich be-
griffenes Beispiel erscheint. In der That kann man sich unter a
| in (2×) auch 1 | in (2+) auch 0 |
denken. Zum Überfluss aber folgt obige Subsumtion aus (2×) und (2+)
zusammen auch noch nach Prinzip II, wofern man sich in beiden
unter a den nämlichen Wert vorstellt.
5) Theorem.
| 5×) Wenn a ⋹ 0 so ist a = 0. m. a. W. | 5+) Wenn 1 ⋹ a so ist 1 = a. |
| Einordnung eines Gebietes unter 0 ist Gleichheit (mit 0), bedingt „Verschwinden“ des betreffenden Gebietes. | Die fakultative Überordnung eines Gebietes über 1 ist Gleichheit (des- selben mit 1). |
| Beweis. Da nach Def. (2×) ohnehin 0 ⋹ a ist, so folgt hie- mit aus der Voraussetzung a ⋹ 0 unsres Theorems kraft Def. (1)' die Gleichheit: 0 = a. | Beweis. Da nach Def. (2+) ohnehin a ⋹ 1 ist, so gibt dies in Verbindung mit der vorausgesetz- ten Subsumtion 1 ⋹ a nach Def. (1)' die Konklusion: a = 1. |
Unerledigt ist noch die Frage, auf welche Weise nun solche Sub-
sumtionen, wie die mit Def. (2) eingeführten, in denen als Subjekt
oder Prädikat die Symbole 0 oder 1 auftreten, mit Hülfe der Kopula
„ist“ in der Wortsprache darzustellen sein werden? Um die uns zu-
nächst obliegenden Betrachtungen nicht zu überladen, wollen wir der-
gleichen Fragen vorerst noch zurückstellen, unser Augenmerk eine
Zeitlang blos dem Gebietekalkul als solchem zuwenden — und dessen
Anwendungen auf die Wortsprache hernach im Zusammenhange (in
der vierten Vorlesung) durchgehen. Was da die Def. (2) im Gefolge
hat, ist unter ϱ), σ), τ), υ) des § 9 entwickelt. —
Wir müssen uns nunmehr mit Operationen bekannt machen, durch
welche aus (zunächst) zwei Gebieten a, b jeweils ein drittes Gebiet
abgeleitet werden kann, aus zwei Klassen eine dritte (später dann auch
aus mehreren solchen eine neue). Zwei wichtigste von solchen Ope-
rationen bezeichnen wir als identische Multiplikation und als identische
Addition, und entlehnen — der Einfachheit wegen — Namen und Be-
zeichnungsweise für die Operationsergebnisse und die dazu verknüpften
Operationsglieder aus der Arithmetik von den gleichnamigen arithme-
tischen Operationen.
Erfahrungsmässig hat dies Verfahren einen gewissen Widerstand zu
gewärtigen; dasselbe wird nicht von jedermann ohne weiteres gebilligt und
acceptirt. Es werden deshalb einige Worte zu seiner Rechtfertigung am
Platze sein, sowie Fingerzeige, wie dasselbe da wo es ungeeignet erscheinen
sollte, zu modifiziren sei.
Mit dem Malzeichen, z. B., und dem Namen „Produkt“ die Vorstellung
einer arithmetischen Multiplikation zu verknüpfen, ist durch jahrhunderte-
langen Gebrauch sanktionirt, und von dieser langgewohnten und berech-
tigten Gedankenverbindung zwischen Namen und dem durch sie Benannten
sich hier stets frei zu halten wird in der That dem Leser zugemutet er-
scheinen, wenn wir wirklich jene Namen und Zeichen aus der Arithmetik
in unsre Disziplin herübernehmen. Bedeuteten die zu einem Produkt a · b
oder a b zu vereinigenden Symbole a und b hier Zahlen oder auch
Klassen, Gattungen von Zahlen, so wäre die Zumutung allenfalls eine harte
zu nennen.
Solches ist nun aber nicht der Fall. Freilich, da uns a und b Klassen
von irgendwelchen Dingen oder Objekten des Denkens vorzustellen haben
werden, so ist ihre Interpretation als Klassen von Zahlen nicht gerade
prinzipiell [ausgeschlossen]. Doch bildet letztere gegenüber den sonst hier
im allgemeinen beabsichtigten Deutungsweisen ein Anwendungsfeld von sehr
speziellem Charakter und verhältnissmässig untergeordneter Wichtigkeit.
Für dieses, wenn es überhaupt in Betracht gezogen werden sollte, kann
man sich leicht gewisse Kautelen, eine besondere Behutsamkeit in der Ver-
wendung der Namen und Zeichen, als logischer (identischer) oder aber
[192]Dritte Vorlesung.
arithmetischer, zur Pflicht machen, auf das wir nachher noch näher zu
sprechen kommen.
Lassen wir die etwa möglichen Anwendungen des identischen Kalkuls
auf arithmetische Untersuchungen vorerst beiseite, so wird aber der obige
Vorwurf einer ungebührlichen Zumutung von selbst hinfällig, indem es
ganz unmöglich wird, dem Malzeichen die gewohnheitmässige Bedeutung
unterzulegen. Man versuche doch einmal, wenn a die Klasse derjenigen
Dinge vorstellt, welchen das Epitheton „schwarz“ zukommt, und b die
Klasse der „Pferde“, das Produkt a · b im arithmetischen Sinn zu verstehen!
Abzustehen aber von einem ohnehin unmöglichen Vorhaben — dies lässt
sich doch nicht als eine ungebührliche Zumutung hinstellen!
Bei dem Versuch, ihn im herkömmlichen, arithmetischen Sinn zu deuten,
gibt sich in unserm Beispiel der Name a · b als ein ganz und gar sinn-
loser sofort zu erkennen. Daher ist dieser Name als ein solcher, der über-
haupt eine vernünftige Erklärung noch nicht gefunden hat, zunächst zu
jeder beliebigen Verwendung disponibel. Welche Bedeutung wir ihm hin-
fort auch beilegen mögen — was wie gesagt in unserm Belieben, Arbi-
trium steht — so kann dies zu Missverständnissen überhaupt nicht führen,
ist unbedenklich und unverfänglich.
Das gleiche gilt, wenn a und b Punktgebiete, Flächen, — und zwar
diese selbst, nicht aber deren Maasszahlen oder Inhalte, vorstellen (vergl.
S. 158). Es ist noch unausgemacht und kann deshalb beliebig ausgemacht
werden, was in diesem Falle a · b bedeuten solle.
Dass eine herkömmliche Verwendung von Namen und Zeichen auf
einem bestimmten Anwendungsfelde durchaus nicht deren selbständige Ver-
wendung auf andern, neuen Anwendungsgebieten präkludirt oder von vorn-
herein ausschliesst, dafür gibt es Präcedenzfälle genug in den Wissen-
schaften.
Es ist dem Chemiker auch nicht verboten worden, mit CO das Kohlen-
oxydgas zu bezeichnen, weil etwa durch den schon zwei Jahrtausende älteren
Usus des Geometers es sanktionirt war, unter CO die Verbindungsstrecke
zweier Punkte C und O zu verstehen. Um beide Deutungen zu verwech-
seln, müsste man im Unklaren darüber sein, ob es sich um Punkte han-
delt, oder um chemische Elemente, und füglich ist dem Leser eines Buches
doch wenigstens zuzutrauen, dass er wisse und sich im Bewusstsein lebendig
erhalte, wovon in dem Buch die Rede ist!
Was nun dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Um arith-
metisches und identisches Produkt zu verwechseln, müsste man auch nicht
wissen, ob die Rede ist von Zahlen, oder ob von Klassen, Gebieten.
Jedenfalls kann es nicht untersagt werden, unter einer besondern Über-
schrift eine aparte — sei es Bezeichnung bekannter Dinge, sei es Inter-
pretation bekannter Zeichen — zu verwenden, und zwar immer demjenigen
Verfahren den Vorzug zu geben, welches sich dem zu betrachtenden Gegen-
stande am besten anbequemt.
Einfacher aber, übersichtlicher, kürzer und zweckmässiger, als mit a b,
lässt das Ergebniss der Operation, die wir identische Multiplikation der
Klassen a und b zu nennen haben, sich überhaupt nicht darstellen — im
Hinblick auf die Anforderung, dass der Name dieses identischen Produktes,
[193]§ 5. Die identische Multiplikation und Addition.
um hinreichend ausdrucksvoll und durch sich selbst verständlich zu sein, die
Symbole a und b, denen es entstammt, doch selber enthalten, sie irgendwie
miteinander verknüpfen muss. Die simpelste Verknüpfung von Zeichen ist
eben das Nebeneinanderstellen derselben auf der Zeile, und der Vorteile,
die aus solcher Einfachheit erwachsen, sind wir nicht gesonnen, uns un-
nötigerweise hier zu entschlagen. Zudem stellt auch die Wortsprache selbst
(wie in § 8 zu sehen) die Namen der als identische Faktoren zu einem
Produkt zu verknüpfenden Klassen in der Regel ohne weiteres Verknüpfungs-
zeichen oder Bindewort nebeneinander.
Ähnliches aber, wie oben in Bezug auf das Produkt ausgeführt ist,
liesse sich grösstenteils auch hinsichtlich der Summe sagen.
Nur dann, wenn Anwendungen des identischen Kalkuls auf die Arith-
metik selbst beabsichtigt sein sollten — dergleichen uns hier meistens
ganz ferne liegen — wird es ratsam die „arithmetischen“ und die „iden-
tischen“ Operationen, Operationsglieder und Operationsergebnisse jeweils im
Texte durch die kursiv gedruckten Beiwörter sorgfältigst zu unterscheiden,
eventuell auch mittelst verschiedener Knüpfungszeichen die einen und die
andern zu kennzeichnen. Ganz unerlässlich würde letzteres erscheinen, wenn
etwa im selben Ausdruck oder in der nämlichen Formel die beiderlei Ope-
rationen gleichzeitig vorkommen sollten.
Hier aber ist es leicht, gedachte Unterscheidung der arithmetischen
und der gleichnamigen identischen Knüpfungszeichen irgendwie, in einer ad
hoc konventionell festzustellenden Weise, zu bewirken. Man klammere
etwa die Zeichen der seltener vorkommenden Sorte von Operationen ein:
(·), (+), oder drucke sie hohl, fett, kursiv und dergleichen.
Bei der Multiplikation ist man in der günstigen Lage, ohnehin über
zwei Knüpfungszeichen zu verfügen. Man reservire z. B. den Punkt, ·, für
die identische, das liegende Kreuz, ×, für die arithmetische Multiplikation
und beobachte die Rücksicht, dass alsdann nur das eine von diesen beiden
Zeichen auch ungeschrieben bleiben, bequemlichkeitshalber unterdrückt wer-
den darf, nicht aber auch das andere — indessen, je nachdem es zweck-
mässig erscheinen mag, durchweg das erste oder durchweg das zweite.
Für identische Addition wird man praktisch auch ein stehendes Kreuz
† gegenüber dem arithmetischen + in solchen Fällen verwenden, wie uns
denn hier — dank der Liberalität des Verlegers — kleinere + Zeichen
+ und + zu gebote stehn.
Überdies ist zu beachten, dass wo immer Anwendungen der geschil-
derten Art beabsichtigt sein sollten, auch die „identische“ Null und Eins
— etwa durch kursiven Druck als 0, 1 oder aber mittelst Apostrophirung
etc. — von den Zahlindividuen 0, 1 unterschieden werden müssen —
vergl. § 9, ω). —
In einem seiner Aufsätze 1a verwendet Herr Peirce durchweg ein-
mal als Malzeichen das Komma, für identische Gleichheit ein Gleichheits-
zeichen mit darunter gesetztem Komma, und für identische Addition ein +
mit in den Winkelraum rechts unten eingefügtem Komma +̦. Das ganze
Bezeichnungssystem erscheint schon ein bischen schwerfällig, das erstere
aber auch höchst bedenklich, weil man in Text wie in Formeln [z. B. bei
Schröder, Algebra der Logik. 13
[194]Dritte Vorlesung.
f(a, b, c, ‥)] dann nie unterscheiden kann, ob a, b, c, ‥ eine Gruppe, ein
System von mehreren Symbolen, oder aber ein einziges Symbol — das Pro-
dukt der letztern — vorstelle. Von diesem System der Schreibung kommt
Peirce auch selbst wieder in seinen späteren Aufsätzen — und wie es
scheint, definitiv — zurück. Im schriftlichen Arbeiten mag aber das Zei-
chen +, sich zuweilen empfehlen.
Neue Zeichen und Namen zu erfinden ist ja in der That nicht schwer,
und was die Namen betrifft, so hat gerade die Philosophie hierin die Welt
schon mit grossartigen Leistungen beglückt.
Wollten wir vor der bei der Arithmetik zu machenden Namenanleihe
zurückschrecken, so würden auch wir genötigt sein, ein ganzes Heer von
neuen Namen zu erfinden. Es würde bei weitem nicht genügen, neben
eigenen Zeichen zur Vertretung unsrer (von Boole schon eingeführten) 0
und 1, etwa blos für „Multiplikation, Faktor, Produkt“ und „Addition,
Summand, Summe“ neue Namen zu schaffen. Als solche wurden — neben-
bei gesagt — bereits „Composition, Componenten, Compositum („compound“)“
und „Aggregation, Aggreganten, Aggregat“*) von Augustus de Mor-
gan2,3 verwendet. — Es würde überdies die Folge sein, dass wir das
Summenzeichen Σ, das Produktenzeichen Π durch andere Zeichen ersetzen
müssten, dass wir zeitweilig neue Namen einzuführen hätten auch eventuell für
„Potenz“, für „Division, Quotient, Dividend und Divisor“, für „Subtraktion,
Differenz, Minuend und Subtrahend“, für „Abziehen“ und „Vermindern“,
für „mal, plus, durch und minus“, und ausserdem noch für eine Menge
anderer Kunstausdrücke. Ich erinnere an: „Monom, Binom, Trinom, Poly-
nom“, an „Koeffizient“, an „Ausmultipliziren“ (nach der Multiplikationsregel
für Polynome) und „Ausscheiden“ (eines gemeinsamen Faktors), an die
Benennungen „Funktion“ und „Argument“, an „linear“ und „homogen“ (in
ihrer Anwendung auf den Funktionsbegriff), u. s. w.
Ein Blick auf den weiterhin dichter werdenden Formelinhalt dieses
Buches wird schon erkennen lassen, wie viel umständlicher und schwer-
fälliger derselbe sich darstellen müsste, wollten wir nur überall da, wo ein
Malzeichen steht oder gesetzt zu denken, zu unterstellen ist, ein ausdrück-
liches Knüpfungszeichen anbringen!
Erstrebenswerter als solche Neuerungen scheint es doch zu sein, mit
einer schon vorhandenen Nomenklatur, die sich auch unsern eigenartigen
Zwecken vorzüglich anpasst, haushälterisch auszukommen. Weigerten wir
uns dessen, so würde aber die schlimmste Wirkung die sein, dass wir ge-
nötigt wären, eine Menge aus der Arithmetik der vier Spezies allbekanuter
Sätze in dem fremdartigen Gewand, das sie alsdann notwendig zeigen
müssten, vollständig neu zu lernen. Bei dem Plan, den wir hier lieber
befolgen, haben wir dagegen den Vorteil, nicht nur, dass die zahlreichen
Analogieen und die minder zahlreichen Gegensätze zwischen dem identischen
und dem arithmetischen Kalkul auf das klarste zutage treten, sondern dass
wir auch einen ansehnlichen Teil unsrer Übung aus der allgemeinen Arith-
metik (freilich nur von der Tertia eines Gymnasiums her) hier ohne weiteres
[195]§ 5. Identische Multiplikation und Addition.
zu verwerten in der Lage sind und diesen Vorteil blos erkaufen müssen
durch rege Aufmerksamkeit auf die Punkte, wo jene Analogieen aufhören.
Eine gewisse Leichtigkeit, nicht blos Bezeichnungsweisen zu wechseln,
sondern mehr noch, solche umzudeuten, sie vom Einen auf's Andere zu
übertragen, ist auch anderwärts förderlich oder unentbehrlich gewesen, und
nirgends in der Mathematik darf man an der Bezeichnung kleben. Es ge-
nügt zu erinnern, an die Streckenrechnung, z. B., überhaupt an die zahl-
reichen „symbolischen“ Rechnungsmethoden, welche Analysis und Geometrie
bereits aufweisen. —
Die identische Addition hat mit der arithmetischen, ihrem Wesen
nach, noch einige Verwandtschaft, die identische Multiplikation aber
mit der arithmetischen gar keine [vergl. § 9, ω)].
Gleichwol rechtfertigt sich die übereinstimmende Bezeichnung von
beiderlei Operationen durch die durchgängige Übereinstimmung ihrer for-
malen Eigenschaften: alle Gesetze, welche von der Addition und Mul-
tiplikation in der allgemeinen Arithmetik als allgemeine Formeln
gelten (also ohne Rücksicht auf die Natur der zu verknüpfenden Zahlen,
im ganzen Zahlengebiete) — sei es in Bezug auf jene Operationen für
sich, sei es auch für ihre Verbindungen miteinander — alle diese
Gesetze werden sich auch für die identischen Operationen als allgemein
gültig erweisen, und — dazu noch einige mehr!
Nur wo die „umgekehrten“ oder inversen Operationen von jenen
beiden, also die Subtraktion und Division mit in Betracht kommen,
hört die formale Übereinstimmung zwischen den arithmetischen und
den identischen „vier Spezies“ zumeist auf.
Wir werden uns mit der identischen Subtraktion und Division
erst spät — in der 12. Vorlesung — beschäftigen, und zwar, um sie
dort für immer abzuthun, nämlich zu erkennen, dass diese Operationen
im identischen Kalkul definitiv entbehrt werden können, indem sie
ausreichend und am zweckmässigsten zu vertreten sind durch eine ein-
fachere dritte Operation, die Negation, welche als ein gemeinsamer
Spezialfall jener beiden erscheint.
Auch im identischen Kalkul mögen wir Addition und Multipli-
kation zu zwei verschiedenen (Operations-)Stufen rechnen. Während
aber in der Arithmetik die Addition als die ursprünglichere oder erste
Stufe vorangeschickt werden muss, um das Verständniss der Multipli-
kation als der zweiten Stufe vorzubereiten und zu erschliessen, steht
im identischen Kalkul die Reihenfolge der beiden Operationen in unserm
Belieben. Beide sind hier unabhängig von einander einzuführen; sie
sind gewissermassen ebenbürtig oder von gleichem Range. Schon um
dies zum Bewusstsein zu bringen, werde ich der Multiplikation hier
13*
[196]Dritte Vorlesung.
den Vortritt geben. Ausserdem aber bestimmt mich hiezu die Rück-
sicht, dass auf einem der Hauptanwendungsgebiete des identischen
Kalkuls — auf dem Anwendungsfelde δ) des § 3, im sog. „Aus-
sagenkalkul“ — die Multiplikation in der That als die bei weitem
wichtigere und häufigere, wo nicht ursprünglichere Operation er-
scheinen wird. Demungeachtet mögen aber nach wie vor die Addition
und Subtraktion ihre Bezeichnung als Operationen der ersten Stufe
beibehalten.
Wir werden das identische Produkt a · b oder a b, desgleichen die
identische Summe a + b zweier Gebiete a und b hier je gesondert defi-
niren in ihrer Anwendung als Subjekt (terminus minor) und in ihrer
Anwendung als Prädikat (terminus major) von Subsumtionen.
Man wird jedoch sehen, dass diese beiden Definitionen eines und
desselben Symbols a b resp. a + b keineswegs von einander unabhängig
sind, sondern derart in einander übergreifen, dass durch die eine not-
wendig auch schon die andre gegeben erscheint. Eine bestimmte von
ihnen muss als die des einfacheren Ausdrucks fähige an die Spitze
gestellt werden. Und zwar die
| Definition (3×). | Definition (3+). |
Wenn es für gegebene Gebiete a, b und c zutrifft, dass zugleich
| c ⋹ a und c ⋹ b | a ⋹ c und b ⋹ c |
ist, so soll — kürzer — gesagt werden, es sei:
| c ⋹ a b. | a + b ⋹ c. |
Mit dieser Festsetzung haben wir definirt:
| das identische Produkt als Prädikat. | die identische Summe als Subjekt. |
Hiedurch werden nämlich — zunächst lediglich als Bestandteile
oder Elemente einer gewissen Redensart*), als Prädikat resp. Subjekt
— die Symbole
| a b | a + b |
eingeführt, welche wir auch „Gebiete“ nennen werden. Auf unserm
gegenwärtigen Standpunkt müssen wir noch darauf gefasst sein, dass
diese — je nach den Bedeutungen von a und b — sich als eigentliche
Gebiete vielleicht nicht nachweisen lassen, sondern eben als „uneigent-
liche“ unsrer Mannigfaltigkeit zuzuschlagen, zu adjungiren sind.
Da obiges Definitionen sein sollen, so gelten die Festsetzungen
auch umgekehrt, und sagen die Subsumtionen
| c ⋹ a b | a + b ⋹ c |
hinfort nichts anderes aus, als dass
| c ⋹ a und zugleich c ⋹ b | a ⋹ c sowie b ⋹ c |
sei.
Um uns unzweideutig darauf zurückbeziehen zu können, wollen
wir die beiden in jeder dieser Begriffserklärungen liegenden funda-
mentalen Festsetzungen nochmals (mit äusserster Sparsamkeit an
Textesworten) übersichtlich rekapituliren, indem wir sie mit unter-
scheidenden Chiffren versehen, welche sich im bisherigen Texte nicht
wol anbringen liessen. Unsre Konventionen sind:
Die einzeln stehende Subsumtion soll jeweils das nämliche aus-
drücken, besagen, wie die zwei nebeneinander stehenden Subsumtionen
zusammengenommen. Dies ist es, was ausgemacht wurde.
Zusatz 1) zur Definition (3).
Es gibt mindestens ein Gebiet c, welches den Voraussetzungen
der Def. (3) genügt, indem nach Def. (2×) resp. (2+) jedenfalls
| 0 | 1 |
ein solches c ist. Wie immer die Gebiete a und b auch gegeben sein
mögen, so ist es also jedenfalls zulässig, von
| einem Produkte a b | einer Summe a + b |
zu reden, nämlich von ihnen zu sagen, es sei 0 ⋹ a b, und
a + b ⋹ 1.
Hier tritt zum ersten mal ein Beweggrund zutage, der für die
Einführung der Symbole 0 und 1 spricht, wie sie mittelst Def. (2)
vollzogen worden. Die Zuziehung dieser Symbole zu der Mannig-
faltigkeit der Gebiete hat nämlich, wie soeben erkannt, den Erfolg und
rechtfertigt sich eben hiedurch, dass nun von a · b und a + b stets
gesprochen werden kann. In Bezug auf das Produkt a b wird dies
durch die Einführung der 0 in der That erst hingebracht, wie wir in
§ 7 noch genauer sehen werden: hätten wir nicht die 0, so wäre es
nicht der Fall; es ist die Mission und das Verdienst der Null, dass
sie dies bewirkt. Nur durch ihre Zuhülfenahme lässt es sich erreichen,
[198]Dritte Vorlesung.
dass hinfort identische Multiplikation und Addition für ganz beliebige
Faktoren resp. Summanden a, b auch ausführbar werden.
Ohne diesen Umstand würde aber eine allgemeine Buchstaben-
rechnung nach einheitlichen Regeln nicht möglich sein.
Hätte z. B. das identische Produkt a · b sehr häufig keinen Sinn,
so könnte man keinen irgend Produkte enthaltenden Buchstaben-
ausdruck, unbekümmert um die Bedeutung oder die Werte der in ihm
vorkommenden Operationsglieder nach den Regeln des Kalkuls um-
formen. Man müsste vielmehr jedesmal erst zusehen, ob die etwaigen
Teilausdrücke (Ausdruckteile), sowie ob der ganze Ausdruck überhaupt
einen Sinn hat, und wäre genötigt, die Bedingungen dafür jederzeit
im Auge zu behalten, sie immerfort als „Gültigkeitsbedingungen“
weiterzuschleppen.
Ein eklatantes, und — wie ich denke — hinreichend abschreckendes
Beispiel einer derartigen unerquicklichen Sachlage wird uns weiter
unten der Kalkul der inversen Operationen, werden uns die Gesetze
der identischen Subtraktion und Division in § 23 liefern, deren Be-
folgung aber, wie schon erwähnt, zum Glück entbehrlich bleibt.
Wenn nun also durch eine so einfache Übereinkunft, als welche
die Def. (2) erscheint, wenn namentlich durch die Einführung der
identischen Null mittelst Def. (2×), ein derartiger Erfolg sich erzielen
lässt, dass durch sie erst ein einheitliches Schliessen und Rechnen
nach unumschränkt allgemein gültigen Regeln ermöglicht wird — so
ist dieser Umstand ein hinreichendes Motiv dafür, diese Einführung
zu vollziehen, so rechtfertigt dieser Erfolg wenigstens nachträglich die
seiner Zeit bei Aufstellung der Def. (2) anscheinend bethätigte Willkür.
Damit der Leser auch bei den im nächsten Paragraphen folgenden
teilweise subtileren Betrachtungen die Veranschaulichung durch die bei-
gegebenen Figuren alsbald verstehen könne, sei wiederum vorgreifend gleich
hier bemerkt, dass a b das den Gebieten a und b gemeinsame Gebiet vor-
stellen wird, dass aber, wenn ein solches nicht vorhanden, dem Produkt
a b der Wert 0 zuzuschreiben ist; desgl. wird a + b dasjenige Gebiet be-
deuten, in welches a und b zusammenfliessen — so wie es, weiter unten
§ 7, für Kreisflächen a und b die Figuren 9× und 9+ schraffirt aufweisen.
Es braucht hienach der Leitfaden der Anschauung nirgends verlassen zu
werden.
Wir bringen aber im Systeme die Veranschaulichungen absichtlich erst
später, um eben die Anschauung nicht sofort zur Führerin bei den grund-
legenden Betrachtungen werden zu lassen, vielmehr derselben die Herr-
schaft vorzuenthalten und den rein analytischen Charakter, die formelle
Strenge der auszuführenden Schlüsse in den Vordergrund der Aufmerksam-
keit des Lesers zu rücken, um diesen die ihnen gebührende Beachtung zu
sichern.
Die ganz wenigen und unbedeutenden Wiederholungen, zu denen uns
die befolgte Taktik nötigt, mögen entschuldigt sein mit dem Hinweis, dass
man eben beim Gehen zuweilen auch den Blick vorauseilen lassen muss
nach Punkten hin, zu welchen selbst man erst etwas später gelangt.
6) Theorem. Die beiden Subsumtionen
| 6×) a b ⋹ a, a b ⋹ b | 6+) a ⋹ a + b, b ⋹ a + b |
gelten für alle denkbaren Werte von a und b, sie gelten als allgemeine
Formeln.
Beweis. Nach Prinzip I müssen wir zugeben, dass
α)
| I×. a b ⋹ a b. | I+. a + b ⋹ a + b. |
Dies ist zunächst zweifellos, wenn a und b wirkliche Gebiete vor-
stellen, weil wir ja für alle denkbaren Gebiete den Satz I als Grund-
satz angenommen haben.
Führen wir zuvörderst unter dieser Annahme unsern Beweis
zu Ende.
Wenn man nun in vorstehender Subsumtion α)
| das ab linkerhand | das a + b rechterhand |
mit dem c in (3×)'' resp. (3+)'' identifizirt, d. h. sich ebendieses
Gebiet unter dem dortigen c vorstellt, so erkennt man, dass die Sub-
sumtion α) nach (3)'' nichts anderes aussagt, als dass zugleich
| a b ⋹ a, a b ⋹ b | a ⋹ a + b, b ⋹ a + b |
ist, wie zu beweisen war.
Sollte es nun aber kein eigentliches Gebiet geben, welches unter
dem Symbol
| a b | a + b |
zu verstehen wäre — eine Frage, deren völlige Erörterung wir bewusst
auf eine spätere Stelle im System der Theorie verlegten, so ist folgendes
zu bemerken.
Wir nehmen den Satz der Identität „a ist a“ nicht blos für die
Gebiete — etwa unsrer „bevorzugten“ speziellen Mannigfaltigkeit —
sondern wir nehmen ihn auch für diejenigen jeder denkbaren Mannig-
faltigkeit, ja sogar für alles zu denken Mögliche überhaupt in Anspruch.
Auch für irgendwelche Klassen von irgendwelchen Individuen muss er
anerkannt werden. Jedes Ding oder Objekt des Denkens ist es selber,
ist das, was es ist.
Wir dürfen demnach verlangen, dass unser Prinzip I auch für
Namen anerkannt werde, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dieselben
einen Sinn haben, oder nicht. Dasselbe gilt uns auch für sinnlose
[200]Dritte Vorlesung.
Namen. Auch „nichts ist nichts“, 0 ⋹ 0, ein rundes Quadrat ist ein
rundes Quadrat — dürfen wir sagen.
Auch wer solche Behauptung nicht als selbstverständlich hinnehmen
möchte, wird wenigstens zugeben müssen, dass dieselbe unbedenklich ist: es
kann durch sie kein Irrtum erzeugt werden, gerade weil es „nichts“ ist,
worauf sich die Aussage bezieht; über „nichts“ will sie eine Information
erteilen und charakterisirt sich somit als eine inhaltsleere.
Nun haben wir mittelst der in den Definitionen (2) und (3) ge-
troffenen Übereinkunft ausgemacht, die Symbole 0, 1, a · b und a + b
unter allen Umständen zu den „Gebieten“ unsrer Mannigfaltigkeit zu
rechnen, sie nötigenfalls, wenn es keine eigentlichen Gebiete geben
sollte, welche die ihnen beigelegten Eigenschaften besitzen, als „un-
eigentliche“ Gebiete — meinetwegen sinnlose Namen — dieser Mannig-
faltigkeit zuzuschlagen.
Nach dem Vorausgeschickten können wir also auch für diese
„Gebiete“ den Satz der Identität in Anspruch nehmen und darauf die
Überlegung gründen, durch welche sich oben der Beweis der Theo-
reme 6) ergab.
In § 7 wird sich übrigens herausstellen, dass der Fall, wo jenen
Symbolen der Wert 0 zukommt, in der That der einzige Fall ist und
bleibt, in welchem sie uneigentliche Gebiete vorstellen. Dies ist zudem
auch a priori klar. Denn entweder gibt es ein wirkliches Gebiet, welches
die Bedeutung des Symbols a b ausmacht, oder nicht. Im letztern Falle ist
das als Gebiet hingestellte Zeichen a b sinnlos, bedeutet nichts und kann 0
genannt werden. Analog a + b, falls es ausarten sollte.
Dass nun auf die identische Null ebenfalls das Prinzip I anwendbar
ist, also 0 ⋹ 0 sein muss, ist — zum Überfluss — schon in der Def. (2×)
der identischen 0 enthalten, indem die Formel 0 ⋹ a als eine allgemein-
gültige auch für ein die 0 bedeutendes a in Anspruch genommen werden
darf. Auch unter diesem Gesichtspunkt also erscheinen die Subsumtionen α),
auf die unser Beweis der Theoreme 6) sich gründete, selbst dann zulässig,
wenn a b oder a + b uneigentliche Gebiete sein sollten, d. i. eben 0 bedeuten.
Endlich würden für a b = 0 die Subsumtionen 6×) sich auf Grund
der Def. (2×) auch unmittelbar verifiziren lassen — vergl. § 9, ϱ) — wo-
gegen für den Fall a + b = 0 zur Bewahrheitung der Subsumtionen 6+)
das Theorem 24+) könnte herangezogen werden.
Nach Th. 6) muss im identischen Kalkul mit Gebieten nun —
umgekehrt wie in der Arithmetik und Zahlentheorie — gesagt werden:
das Produkt sei stets in seinem Faktor (dem ersten oder auch dem
zweiten) enthalten; und es muss auch gesagt werden: der Summand,
das Glied, sei in der Summe enthalten. —
Mit dem Bisherigen haben wir bereits die formale Grundlage für
einen bedeutenden (ersten) Teil des Gebäudes unsrer Disziplin gewonnen.
[201]§ 6. Kritische Untersuchungen über die gegebene Definition.
Mit den gegebenen Prinzipien I, II, den Definitionen (1) bis (3) und
den Theoremen 1) bis 6) kommt man bereits bei den deduktiven
Schlussfolgerungen, welche uns obliegen, bis incl. der Theoreme 25) aus.
Gleichwol wollen wir an das bisherige noch einige — etwas
subtilere — Betrachtungen unter der Überschrift des nächsten Para-
graphen anreihen, welche die Bestimmung haben, eine berechtigte
Anforderung zu erfüllen, einem Erkenntnissbedürfniss zu genügen, das
meines Erachtens beim Anblick der Definition (3) von a b und a + b
sich aufdrängen muss. Es handelt sich um die Frage, ob die in (3)
anscheinend nur für die einseitige Verwendung dieser Symbole als
Prädikat, respektive Subjekt, gegebene Vorschrift auch deren umge-
kehrte Verwendung regelt, inwiefern sie also wirklich verdiente, als
die vollständige Definition von Produkt und Summe hingestellt zu werden.
Es werden diese Betrachtungen noch einige an sich nicht un-
interessante Theoreme und neue Formen von Definitionen liefern, die
aber, wie angedeutet, späterhin nicht wesentlich citirt zu werden
brauchen, die im Lehrgebäude nicht gerade als unentbehrliche Stütze
erscheinen.
Anfänger mögen also ohne Schaden den § 6 überschlagen und
werden dennoch in der Lage bleiben, die letzten Ziele dieses Buches
erreichen zu können.
Ich denke hiebei speziell an den immerhin möglichen und für eine
fernere Zukunft zu erhoffenden Fall einer Verwertung unsres Lehrganges
für den Logikunterricht in Gymnasialprima. Daselbst eingeführt zu werden
ist das Buch nicht bestimmt, vielmehr wird dasselbe seinen Zweck er-
reichen, wenn Lehrer, Philosophen und Mathematiker, es würdigen.
Zusatz 2 zur Def. (3). Unter den Voraussetzungen der Defi-
nition (3) hat jedes Gebiet x, derart, dass
| x ⋹ c | c ⋹ x |
ist, die gleiche Eigenschaft wie c, dass nämlich auch
| x ⋹ a nebst x ⋹ b | a ⋹ x nebst b ⋹ x |
sowie
| x ⋹ a b | a + b ⋹ x |
ist. Dies ergibt sich einerseits nach (3)' unter zweimaliger Anwendung
des Prinzips II, und andrerseits, in Übereinstimmung damit, auch
nach (3)'' durch einmalige Anwendung von II; nämlich, um es genauer
— z. B. links vom Mittelstriche — darzulegen: Aus x ⋹ c und c ⋹ a
[202]Dritte Vorlesung.
folgt x ⋹ a, desgleichen aus x ⋹ c und c ⋹ b folgt x ⋹ b, und aus
diesen beiden Ergebnissen muss nach (3×)' selbst (für x statt c in
Anspruch genommen) folgen: x ⋹ a b.
Andrerseits folgt aus x ⋹ c und c ⋹ a b sogleich direkt: x ⋹ a b
und damit nach (3×)'' auch x ⋹ a und x ⋹ b.
Mit diesem Zusatze können wir nun die Definition (3) zu folgender,
nur äusserlich etwas komplizirter erscheinenden Formulirung zusammen-
fassen, bei der wir ebenfalls von vornherein sicher sind, dass das defi-
nirte Gebilde als „Gebiet“ existirt:
7) Theorem, als neue Fassung der Def. (3), auch zu citiren als
Definition (4), und zwar
| 7×) Th. = Def. (4×) | 7+) Th. = Def. (4+). |
Wenn für gegebene a, b ein c existirt derart, dass für jedes x, für
welches
| x ⋹ c | c ⋹ x |
ist, auch
| x ⋹ a nebst x ⋹ b | a ⋹ x nebst b ⋹ x |
sein wird, dann und nur dann ist man berechtigt zu sagen, es sei:
| c ⋹ a b. | a + b ⋹ c. |
Beweis. Da nach I c ⋹ c ist, so ist c selber ein zulässiger
Wert des x und muss jedenfalls auch
| c ⋹ a nebst c ⋹ b, | a ⋹ c nebst b ⋹ c, |
| somit nach (3×)' c ⋹ a b | somit nach (3+)' a + b ⋹ c |
sein. Die Umkehrung ist der Inhalt des vorigen Zusatzes.
Der Sachverhalt sei einstweilen schon durch die Figur veran-
schaulicht:
Figure 7. Fig. 7×. | [figure] Figure 8. Fig. 7+. |
Zusatz zu Th. 7). Unter den Bedingungen des Satzes hat wieder
jedes y derart, dass
| y ⋹ c | c ⋹ y |
[203]§ 6. Kritische Untersuchungen über die gegebene Definition.
ist, durchaus die gleiche Eigenschaft, wie c, wie leicht mittelst II zwie-
fältig zu beweisen ist.
Anmerkung zu Th. 7). Daneben mag es noch solche x geben, für
welche zwar
| x ⋹ a nebst x ⋹ b | a ⋹ x nebst b ⋹ x |
ist, ohne dass doch zugleich
| x ⋹ c | c ⋹ x |
wäre. Im allgemeinen lassen sich in der That Gebiete x derart angeben,
welche zu c in einer andern als der durch vorstehende Subsumtion aus-
gedrückten Beziehung stehen, und wird es der Phantasie des Lesers nicht
schwer fallen, sich in obige Figuren solche Gebiete x eingetragen zu
denken, z. B.
| links einen über das Zweieck c hinaus- ragenden oder auch ganz ausserhalb desselben liegenden, jedoch noch in den Kreis a sowol als den b ganz hineinfallenden kleinen Kreis x | rechts einen die Kreise a und b zwar ganz in sich schliessenden, jedoch von der Zweieckfläche c noch teilweise überragten, vielleicht sogar selbst in das Zweieck c hineinfallenden Kreis x. |
Wir mussten die Def. (4) als ein Theorem — Th. 7) — hinstellen,
weil dieselbe keine willkürliche Festsetzung mehr den Grundlagen
unsrer Disziplin hinzufügte, sondern auf Grund namentlich der bereits
getroffenen Festsetzung (3), sich als eine notwendig mitgeltende, gleich-
berechtigte Form ebendieser Def. (3) nachweisen liess.
Diese Form ist freilich weniger einfach als die frühere, und es
hätte keinen Wert, die einfachere Fassung der Definition in eine ver-
wickeltere, komplizirtere umzuwandeln, wenn diese nicht durch ihre
Analogie mit den noch fehlenden, den ausstehenden beiden Definitionen
uns das Material zu interessanten Vergleichen lieferte.
Inzwischen verlohnt es noch, zu sehen, dass und wie man von
Def. (4) zur Def. (3) auch zurückgelangen kann.
Ich will dies nur für die Sätze links vom Mittelstriche zeigen.
Wir mögen die Def. (4×) auch so in Worte fassen: Die Redensart
„c sei in a b enthalten“, m. a. W. die Subsumtion „c ⋹ a b“ heisst:
jedes in c enthaltene x ist auch in a und in b enthalten.
Da nach I c selbst ein solches x ist, muss nun die Annahme
c ⋹ a b auch die beiden Subsumtionen c ⋹ a und c ⋹ b nach sich
ziehen, womit (3×)'' gewonnen ist.
Bleibt nur noch das Umgekehrte zu zeigen, d. h. (3×)' abzuleiten.
Sind die Voraussetzungen c ⋹ a und c ⋹ b gleichzeitig erfüllt, so
muss nach der erstern jedes in c enthaltene x (für welches also x ⋹ c
ist) nach II auch in a enthalten sein (für dasselbe auch x ⋹ a sein).
Ebenso muss nach der zweiten Voraussetzung jedes in c enthaltene x
[204]Dritte Vorlesung.
auch in b enthalten, für x ⋹ c auch x ⋹ b sein. Nach beiden Voraus-
setzungen zusammen wird also jedes in c enthaltene x zugleich auch
in a und in b enthalten sein, wonach die Def. (4×) ersichtlich an-
wendbar ist, und nach dieser c ⋹ a b zu sagen sein wird. Damit ist
dann auch (3×)' und sohin die ganze Def. (3) gewonnen.
Mit Def. (3) sowol als Def. (4) erscheint auf den ersten Blick
immer noch
| das Produkt nur als Prädikat | die Summe nur als Subjekt |
allgemein definirt. Gleichwol zeigt sich leicht, dass damit doch auch
für die Verwendung
| des Produkts als Subjekt | der Summe als Prädikat |
schon in gewissem Grade präjudizirt ist.
In der That ist dies wenigstens in den Beispielen der Subsumtionen α)
des vorigen Paragraphen, sowie des Theorems 6), also bei:
augenscheinlich der Fall. Und diese Beispiele bleiben auch nicht die
einzigen; vielmehr könnten wir sogleich den Zusatz beifügen: So oft
etwa noch
| a ⋹ y oder b ⋹ y | y ⋹ a oder y ⋹ b |
sein sollte, muss nach II auch
| a b ⋹ y | y ⋹ a + b |
gelten, und diese Subsumtionen würden ebenfalls die umgekehrte Verwendung
exemplifiziren.
Dass aber auch ganz allgemein die Definition
| des Produkts als Subjekt | der Summe als Prädikat |
zurückgeführt werden kann auf die für die frühere (hiezu umgekehrte)
Verwendung bereits gegebene Def. (3), dass sie durch diese völlig mit-
gegeben ist, ergibt sich aus folgender Betrachtung, die wir in die
Form zweier Lehrsätze kleiden.
| (8×)' Theorem. Soll | (8+)' Theorem. Soll |
| a b ⋹ c | c ⋹ a + b |
gelten, so muss für jedes x, für welches
| x ⋹ a b | a + b ⋹ x |
ist, auch sein:
| x ⋹ c. | c ⋹ x. |
Beweis direkt aus II durch nur einmalige Anwendung dieses
[205]§ 6. Kritische Untersuchungen über die gegebene Definition.
Prinzips, das in der That aus den beiden Voraussetzungen — linkerhand
z. B. aus x ⋹ a b und a b ⋹ c — unmittelbar uns die Behauptung liefert.
| 8×)'' Theorem. Wenn für jedes x, für welches x ⋹ a b ist, auch x ⋹ c sein muss, so wird | 8+)'' Theorem. Wenn für jedes x, für welches a + b ⋹ x ist, auch c ⋹ x sein muss, so wird |
| a b ⋹ c | c ⋹ a + b |
zu gelten haben.
Beweis. Nach I, nämlich wegen
| a b ⋹ a b, | a + b ⋹ a + b, |
ist ja dann a b resp. a + b selber ein zulässiger Wert des x. —
Hienach ist klar, dass wir definitionsweise zu sagen haben werden,
es sei
| a b ⋹ c, wenn für jedes x, welches ⋹ a b ist, auch x ⋹ c sein wird. | c ⋹ a + b, wenn für jedes x, wo- für a + b ⋹ x ist, auch c ⋹ x sein muss. |
Ersetzen wir hierin die Forderung x ⋹ a b resp. a + b ⋹ x durch das-
jenige, was sie nach Def. (3) bedeutet, so erhalten wir folgende Fassung
der noch ausstehenden Definition, die, wenn man sie auch selbständig
als eine solche von vornherein hätte hinstellen können, doch dermalen
wesentlich wieder als Theorem zu bezeichnen ist.
| 9×) Theorem, auch zu citiren alsDefinition (5×). | 9+) Theorem, auch zu citiren alsDefinition (5+). |
Wenn für gegebene a, b ein solches c existirt, dass für jedes die
Bedingungen
| x ⋹ a, x ⋹ b | a ⋹ x, b ⋹ x |
bezüglich gleichzeitig erfüllende x auch stets
| x ⋹ c | c ⋹ x |
ist, so (d. h. immer dann und nur dann) ist zu sagen, es sei:
| a b ⋹ c. | c ⋹ a + b. |
[figure] Figure 9. Fig. 8×. | Figure 10. Fig. 8+. |
Der Sinn auch dieser Erklärung mag durch eine Figur erläutert
werden, in welcher sich die vorausgesetzten Bedingungen hinsichtlich
der Gebiete a, b, c und wenigstens eines bestimmten x verwirklicht
zeigen (Fig. 8× u. Fig. 8+). Es bedeuten a, b, x Kreisflächen und c
das „Bilineum“, die von den zwei Kreisbogen begrenzte Fläche.
Zusatz 1 zu Th. 9). Unter diesen Bedingungen hat jedes y derart, dass
| c ⋹ y | y ⋹ c |
ist, durchaus die gleiche Eigenschaft wie c, wie leicht nach II auf zwei
Arten zu beweisen.
Zusatz 2 zu Th. 9). Nach Def. (2) existirt in Gestalt von 1 resp. 0
sicher mindestens ein c, welches den Voraussetzungen der Def. (5) genügt,
gleichwie auch in Gestalt von 0 resp. 1 mindestens ein x der daselbst
verlangten Art angebbar ist.
Anmerkung 1 zu Th. 9). Daneben mag es noch solche x geben,
für welche zwar
| x ⋹ c | c ⋹ x |
ist, ohne dass jedoch zugleich
| x ⋹ a, x ⋹ b | a ⋹ x, b ⋹ x |
wäre, und in der That wird in die Figur die Phantasie des Lesers mit
Leichtigkeit solche Flächen x einzeichnen.
Anmerkung 2 zu Th. 9). Sehr wichtig ist die Bemerkung:
Das Theorem 6) des vorigen Paragraphen folgt ebensogut aus der Def. (5),
wie aus der (3).
Denn für jedes x, für welches
| x ⋹ a nebst x ⋹ b | a ⋹ x nebst b ⋹ x |
ist, gilt selbstverständlich doch
| x ⋹ a | a ⋹ x |
— im Grunde nach I, für Aussagen in Anspruch genommen, vergl.
Anmerkung zu I. Indem man also unter dem c der Def. (5) sich a
vorstellt, erkennt man, dass nach dieser
| a b ⋹ a | a ⋹ a + b |
sein muss — und ähnlich für b. —
Vergleichen wir die Formen (4) der Def. (3) und die Def. (5),
nämlich die beiden Theoreme 7) und 9) miteinander, so tritt eine
weitgehende Übereinstimmung derselben zutage.
Der Unterschied beider Theoreme besteht nämlich ganz allein
darin, dass die Zeile mit der Subsumtion
| x ⋹ c | c ⋹ x |
und die Zeile mit den Subsumtionen
| x ⋹ a, x ⋹ b | a ⋹ x, b ⋹ x |
[207]§ 6. Kritische Untersuchungen über die gegebene Definition.
im einen Theorem dem andern gegenüber vertauscht erscheint; d. h.
in der zusammengesetzten Voraussetzung eines jeden der beiden Theoreme,
welche selbst die Erfüllung einer Bedingung an das Erfülltsein einer
zweiten Bedingung knüpft, muss man jenes Bedingte mit dieser Be-
dingung vertauschen, um das andre Theorem daraus zu erhalten —
man muss nicht das Theorem, wohl aber dessen Voraussetzung
„umkehren“.
Wir hätten nun allerdings anstatt der Definitionen (3) oder (4)
auch die Definition (5) als solche an die Spitze der ganzen Theorie
stellen können, woraus sich sofort auch das Th. 6) — wie in Anm. 2
zu Th. 9) gezeigt — mitergeben haben würde.
Es wäre dann a b und a + b auch wieder nur für die einseitige
Verwendung definirt erschienen, aber diesmal für die umgekehrte wie
früher, zunächst nämlich wäre a b nur als Subjekt und a + b als
Prädikat erklärt.
Für die andersseitige Verwendung dieser beiden Symbole (nämlich
für die von a b als Prädikat und a + b als Subjekt) könnte dann die
Begriffserklärung wieder leicht auf die vorhergehende zurückgeführt
werden kraft zweier Theoreme — naheliegender Analoga zu Th. 8)'
und 8)'' — die wir zunächst aussprechen und beweisen wollen.
| 10×)' Theorem. Soll | 10+)' Theorem. Soll |
| c ⋹ a b | a + b ⋹ c |
gelten, so muss für jedes x, für welches
| a b ⋹ x | x ⋹ a + b |
ist, auch sein:
| c ⋹ x. | x ⋹ c. |
Beweis direkt aus Prinzip II.
Und umgekehrt:
| 10×)'' Theorem. | 10+)'' Theorem. |
Wenn für jedes x, für welches
| a b ⋹ x | x ⋹ a + b |
ist, auch
| c ⋹ x | x ⋹ c |
sein muss, so wird zu sagen sein, es sei
| c ⋹ a b. | a + b ⋹ c. |
Beweis nach I, da alsdann auch a b resp. a + b selbst ein solches
x ist, welches die Bedingung und folglich auch die Behauptung der
Voraussetzung erfüllt.
Hienach würden wir also definitionsweise zu sagen haben, es sei
| c ⋹ a b allein dann, wenn jedes a b enthaltende x auch c enthalten muss. | a + b ⋹ c dann allein, wenn jedes in a + b enthaltene x auch in c enthalten sein muss. |
Ersetzten wir nunmehr in diesen Festsetzungen die Bedingung
a b ⋹ x resp. x ⋹ a + b durch dasjenige, was sie nach Def. (5) oder
Th. 9) bedeutet, wobei indess in letzterem an Stelle des dortigen x
zur Unterscheidung ein andrer Buchstabe, wie y, verwendet werden
müsste (weil x bereits mit einer andern Bedeutung vorgekommen, nicht
mehr verwendbar erscheint), so erhielten wir endlich die noch aus-
stehenden beiden Definitionen.
Diese aber — obwol im Grunde notwendig äquivalent der Def. (3)
und dasselbe leistend, nämlich mit Hülfe des Subsumtionsbegriffs die
Bedeutung von a b als Prädikat und von a + b als Subjekt erklärend
— würde sich doch dem Wortlaut nach mit Def. (3) durchaus nicht
decken. Bei weitem nicht so einfach wie letztere würde sie sogar
noch erheblich verwickelter sich darstellen als die Def. (4) in Th. 7),
indem sie noch weitere bedingte Bedingungen in ihre Bedingungen
eingefügt zeigte. Wir wollen sie hier gar nicht in Worte fassen,
sondern sie höchstens in der konziseren Formelsprache des Aussagen-
kalkuls — als ein Kuriosum — darstellen [§ 32, π ‥ σ)].
Ihrerseits müsste sie, als die ursprüngliche Definition zugrunde
gelegt, kraft Th. 10) uns noch eine abermals erheblich verwickeltere
Fassung der Def. (5) liefern; diese wieder könnte in demselben Sinne
weiter verwendet werden und so ohne Ende fort immer verwickelter.
Wir müssen ja nun im Gegenteil nach möglichster Vereinfachung
der grundlegenden Begriffserklärungen streben.
Da haben wir denn als eine bemerkenswerte Thatsache zu kon-
statiren, dass die Def. (5) [von a b als Subjekt, etc.] — ungeachtet
ihrer Analogie zur Def. (4) [von a b als Prädikat etc.] — durchaus
nicht einer analogen Vereinfachung fähig zu sein scheint, wie die letztere (4),
[welche wir ja in die einfachere Fassung, Def. (3), zusammenziehen
konnten] — wenigstens nicht, ohne ihren Charakter [dass sie a b als
Subjekt definire, etc.] dabei zu verlieren.
Wollte man gleichwol das Th. 9) als Def. (5) an die Spitze stellen,
so würde sich zwar sehr leicht der eine Teil (3)'' unsrer früheren
Def. (3) — nunmehr als Lehrsatz — auf Grund des bereits aus jener
deduzirten Theorems 6) beweisen lassen. In der That aus:
| c ⋹ a b und a b ⋹ a folgte c ⋹ a und ähnlich auch c ⋹ b. | a + b ⋹ c und a ⋹ a + b folgte a ⋹ c und ähnlich auch b ⋹ c. |
[209]§ 6. Kritische Untersuchungen über die gegebene Definition.
Dagegen würde die Ableitung von (3)' aus Def. (5) eine etwas höhere
Anforderung an das abstrakte Denken stellen.
Ich will diese Ableitung nur für die Sätze zur Linken des Mittel-
striches darlegen.
Wir können die Def. (5×) auch so in Worte fassen: Die Redens-
art: „c enthält a b“ — in Formel: „a b ⋹ c“ heisst: jedes in a und b
zugleich enthaltene x ist auch in c enthalten.
Auf diese Def. ist nun die Erklärung der andern Redensart: „c
ist in a b enthalten“ oder „c ⋹ a b“ zurückzuführen mittelst des Th. 10×)
— wonach ebendieses heissen wird:
jedes a b enthaltende x (jedes x, welches a b enthält) muss auch c
enthalten.
Fügt man in diese Erklärung ein, was die (in der Klammer wieder-
holte) Voraussetzung „x ⋹ a b“ nach der vorhergehenden Erklärung (5×)
bedeutet, indem man das dortige c mit x identifizirt, und für den hier
bereits anderweitig vergebenen Buchstaben x einen andern, y, gebraucht,
so ergibt sich als die auf Def. (5×) zu gründende Erklärung von a b
als Prädikat die folgende:
„c ⋹ a b“ heisst: jedes x, welchem jedes in a und b enthaltene y ein-
geordnet ist, muss auch c enthalten.
Auf Grund dieser Definition ist nun zu zeigen, dass wenn c ⋹ a
und c ⋹ b ist, auch c ⋹ a b sein muss.
Gesetzt nun, es sei wirklich c ⋹ a und zugleich c ⋹ b.
Dann ist c selber ein solches in a und b enthaltenes y.
Es ist nun zu zeigen, dass jedes x, welchem jedes in a und b
enthaltene y eingeordnet ist, auch c enthält.
Sei x irgend ein Gebiet, welchem jedes in a und b enthaltene y
eingeordnet ist. So ist diesem x auch das vorhin erwähnte y, welches
einerlei mit c war, eingeordnet, oder es muss dasselbe x auch c ent-
halten. Unter den genannten Voraussetzungen (c ⋹ a und c ⋹ b) trifft
demnach die letzte Definition zu und sind wir berechtigt zu sagen, es
sei c ⋹ a b — womit nun auch (3×)'' gewonnen und die ganze Def. (3×)
aus der (5×) abgeleitet ist.
Aus alledem geht hervor, dass es zwar praktikabel, doch jeden-
falls nicht vorteilhaft ist, den von uns zurückgelegten Weg im ent-
gegengesetzten Sinne zu durchlaufen.
Allerdings, sobald für a b resp. a + b die Art und Weise der Ver-
wendung — sei es als Subjekt, sei es als Prädikat — vorgeschrieben
ist, erscheint damit von selbst auch die Verwendung in dem umge-
kehrten Sinne geregelt. Welche von den beiden Verwendungsweisen
Schröder, Algebra der Logik. 14
[210]Dritte Vorlesung.
wir aber als die ursprüngliche Definition zuerst festlegen, ist deshalb
doch nicht gleichgültig, sondern das in § 5 eingeschlagene Verfahren
vorzuziehen.
| 11×) Theorem. | 11+) Theorem. |
Es gibt nun ein „Gebiet“ c, welches die Forderung der Definitionen
| (3×) oder (4×) und (5×), d. i. 7×) und 9×) | (3+) oder (4+) und (5+), d. i. 7+) und 9+) |
gleichzeitig erfüllt für dieselben (irgendwie) gegebnen Gebiete a, b.
Da für dieses
| c ⋹ a b und a b ⋹ c | a + b ⋹ c und c ⋹ a + b |
zugleich sein wird, so ist dasselbe
| c = a b | c = a + b |
selbst zu nennen.
Zusatz. Es kann jedenfalls nur ein solches c geben.
Denn wäre auch noch c' ein solches, so folgt ebenso:
| c' = a b | c' = a + b |
und damit nach Th. 4) c' = c.
Beweis des Theorems. Dieser besteht in der Verbindung zweier
Überlegungen, von denen die eine — allerdings modifizirt — unter
Th. 6) schon einmal augestellt worden ist. Er möge demungeachtet
hier ganz zum Bewusstsein gebracht werden. — Wie schon erwähnt,
sind nach I die Formeln
α)
| a b ⋹ a b | a + b ⋹ a + b |
als gültige anzuerkennen. Nach
| Th. 9×) wenn das a b rechts in α) | Th. 9+) wenn das a + b links |
mit c in Gedanken identifizirt wird, erkennt man aber, dass die obige
Aussage α) den Inhalt hat, dass jedes x, für welches
| x ⋹ a nebst x ⋹ b | a ⋹ x nebst b ⋹ x |
ist, auch die Forderung erfüllen muss:
| x ⋹ a b | a + b ⋹ x. |
Dagegen nach
| Th. 7×) wenn das a b linkerhand | Th. 7+) wenn das a + b rechterhand |
in α) mit dem c daselbst identifizirt wird, sagt ebendieser Satz α) aus,
dass umgekehrt jedes x, für welches
| x ⋹ a b | a + b ⋹ x |
ist, auch die Bedingung erfüllen wird
| x ⋹ a nebst x ⋹ b | a ⋹ x nebst b ⋹ x. |
Dies alles ist auch direkt nach Def. (3) ersichtlich. — Das
Symbol a b resp. a + b ist demnach in der That selbst dasjenige
„Gebiet“ c, welches die Voraussetzungen der als Theoreme 7) und 9)
ausgesprochenen Definitionen gleichzeitig erfüllt.
Auf Grund der vorstehenden Überlegungen können wir nun sagen:
Die Operationen der identischen Multiplikation und Addition sind
niemals undeutig und niemals mehrdeutig, vielmehr unbedingt ausführ-
bar und eindeutig — oder, wie ich zusammenfassend es ausdrücken
will: sie sind „vollkommen eindeutige“ innerhalb der durch Zuzug
der Symbole 0, 1, a b, a + b vielleicht erweiterten Mannigfaltigkeit
von „Gebieten“.
Dass a b in der That eines Wertes nie ermangeln kann, wenn man
schon den Namen a b selber als „Wert“ gelten lässt, erscheint selbst-
verständlich: eine solche Definition verbürgt zugleich die Existenz des Defi-
nirten. Dass a b nicht mehrere Werte haben kann, zeigte der Zusatz zu
Th. 11). Analog bezüglich des a + b.
Worauf es hier besonders ankam, war: zu sehen, dass die Aufnahme
der neuen Symbole unter die „Gebiete“ im Grunde schon dadurch vollzogen
wurde, dass man das Identitätsprinzip I auf sie anwendete, beziehungsweise
ausdehnte.
Indem man nunmehr für c sogleich den Namen a b resp. a + b
gebrauchte, würden die beiden Theoreme 7) und 9) augenscheinlich
zu einem Satze zusammenfliessen, der sich völlig deckt mit der alten
Definition (3) — nur dass es jetzt „jedes x“ anstatt des dortigen
„gewissen“ c hiesse.
Dergestalt im Ringe herum gegangen kämen wir somit wieder zu
unserm Ausgangspunkte zurück.
Diesen Satz, Def. (3), stellt Herr Peirce einfach als „Definition“
von a b resp. a + b hin.
Dass er aber solche Definition nicht blos für die einseitige Ver-
wendung (als major resp. minor) sondern in der That vollständig ent-
hält — dies durch die hier gegebene Zergliederung nachgewiesen zu
haben, dürfte wol nicht überflüssig gewesen sein. —
Wir schreiten jetzt dazu, das im Bisherigen abstrakt Definirte zu
veranschaulichen, zu deuten.
Solange es ununtersucht gelassen wird, ob es „eigentliche“ Gebiete
gebe, welche die von den Symbolen 0, 1, a b, a + b geforderten Eigen-
schaften besitzen, konnten wir sagen, dass unsre Definitionen die
14*
[212]Dritte Vorlesung.
Existenz des Definirten insofern verbürgen, als sie es gewissermassen
selber erzeugen oder schöpferisch einführen.
Sobald wir aber jenen unter die „Gebiete“ aufgenommenen Sym-
bolen eine Bedeutung unterlegen, behaupten, dass es der Anschauung
zugängliche, wirkliche Gebiete gebe von den bezüglichen Eigenschaften,
fügen wir unsern Definitionen gewisse Postulate hinzu, wir stellen
Forderungen über Gebietnachweise als allgemein erfüllbare hin, bezüg-
lich deren wir uns lediglich auf die Anschauung zu berufen vermögen.
Ganz allein bezüglich der Null werden wir solchen Nachweis als
nicht ausführbar erkennen, und darf ich die Konstatirung des Gegen-
teils wol für den Augenblick als ein „negatives“ Postulat bezeichnen.
| ((1×)) Negatives Postulat. | ((1+)) (Positives) Postulat. |
| Es gibt kein eigentliches Gebiet von den Eigenschaften, welche Def. (2×) dem Symbole 0 auferlegt. Es lassen sich nämlich Gebiete angeben, die einander ausschliessen*), soge- nannte „disjunkte“ Gebiete, die kein Element gemein haben. Da die 0 in jedem Gebiet enthalten, allen ge- meinsam sein soll, so kann sie nur ein „leeres“ Gebiet sein, welches kein Element der Mannigfaltigkeit enthält. Trotzdem als ein „Gebiet“ derselben charakterisirt, kann die Null auch nichts, was etwa ausser- halb der Mannigfaltigkeit läge, ent- halten, sie kann nur dem Begriffe des „Nichts“ entsprechen. Nach Ad- jungirung des letzteren ist in der That dem Sprachgebrauch ent- sprechend zu sagen: Jedes Gebiet enthält seine eigenen Teile sowie Elemente und sonst „nichts“. Das Nullgebiet wird so von den einge- führten das einzige uneigentliche oder fingirte, eingebildete, angeb- liche Gebiet bleiben. | Die Elemente (und Gebiete) der Mannigfaltigkeit [seien resp.] sind miteinander alle verträglich, sodass wir vermögen, die Mannigfaltigkeit als ein Ganzes zu denken. In dieser ist dana jedes Gebiet derselben ent- halten — einschliesslich des ad- jungirten Nullgebietes — gemäss den Anforderungen (2+); und hin- dert nichts, sie selbst als das grösste der in ihr enthaltenen Gebiete, als ein wirkliches Gebiet zu bezeichnen. Dieses bildet nun die dem Symbole 1 zukommende Bedeutung, welches so- nach dem Begriffe „des Ganzen“ oder „Alles“ innerhalb der vorausgesetz ten Mannigfaltigkeit entspricht. |
Als Postulat ist ((1+)) eigentlich nur dann zu bezeichnen, wenn
der Satz für eine bestimmte Mannigfaltigkeit in Anspruch genommen
wird — wie z. B. für diejenige der Punkte der Tafelfläche. Es gibt
nämlich auch Mannigfaltigkeiten, bei denen das Postulat ((1+)) nicht
erfüllbar ist, und solche finden wir ausschliesslich auf geistigem Gebiete,
im Bereich der Lehren, Meinungen und Behauptungen. Es gibt
Meinungen und Behauptungen, auch Anforderungen oder Bedingungen,
die miteinander unvereinbar sind.
Beispielsweise der Satz: „die Funktion f (x, y) ist symmetrisch“
lässt sich mit dem Satze: „die(selbe) Funktion f (x, y) ist nicht sym-
metrisch“ unmöglich zu einer Mannigfaltigkeit der früher gedachten
Art vereinigen, oder mit vielleicht noch anderen Sätzen in einer als
Ganzes denkbaren Mannigfaltigkeit zusammenfassen, gemeinsam unter-
bringen. Da diese beiden Sätze — jeder einzelne als gültig oder erfüllt
angenommen, als glaubhaft hingestellt — einen Widerspruch involviren,
da sie m. a. W. miteinander „unverträglich“ erscheinen, vermag der
menschliche Geist nicht, sie zu vereinigen; wir können immer nur den
einen oder aber den andern dieser beiden Sätze gelten lassen.
A priori, von vornherein, ist ((1+)) daher nicht sowol als ein
„Postulat“ sondern vielmehr als eine Voraussetzung oder Annahme zu
qualifiziren, durch welche die zu betrachtende Mannigfaltigkeit cha-
rakterisirt wird als eine „konsistente Mannigfaltigkeit“, deren Elemente
sämtlich miteinander verträglich sind — im Gegensatz zu den „inkonsi-
stenten Mannigfaltigkeiten“, deren Elemente nicht alle verträglich sind
miteinander. Auf diesen Sachverhalt sollte oben schon das in eckige
Klammer gesetzte [seien resp.] vorsichtig hinweisen. (Vergl. hiezu
§ 31, Fussnote.)
Um das Gebiet 1 zu veranschaulichen, müssten wir die ganze
Bild- oder Tafelfläche schraffiren; die Veranschaulichung des Null-
Gebietes ergäbe sich, wenn wir sie ganz leer liessen, nichts, auch nicht
einen Punkt in sie einzeichneten und sagten, das Eingezeichnete eben
sei das Nullgebiet.
Die Symbole 0 und 1 erscheinen als die beiden Extreme, als die
äussersten Werte unter den denkbaren Gebieten der Mannigfaltigkeit,
und zwar ist das Nullgebiet als das minimale, das Gebiet 1 als das
Maximalgebiet zu bezeichnen. Ebenso stellen 0 und 1 die entgegen-
gesetzten Extreme (Grenzfälle, limits) unter den Klassensymbolen vor,
indem keine Klasse weniger als keines und keine mehr als alle Indi-
viduen einer vorausgesetzten Mannigfaltigkeit (wo nicht von Objekten
des Denkens überhaupt) enthalten kann.
Wie es ferner die Figur veranschaulicht, in welcher wir a und b
als Kreisflächen angenommen und die zugehörigen Gebiete a · b resp.
a + b durch Schraffiren hervorgehoben haben:
Figure 11. Fig. 9×. | Figure 12. Fig. 9+. |
| ist zu konstatiren, dass | |
| a · b das Gebiet vorstellt, welches den Gebieten a und b gemeinsam ist, in welchem sie sich gegenseitig durch- dringen (schneiden), und — falls sie keinen Punkt gemein haben (Fig. 10×) — das Nullgebiet. | a + b das Gebiet vorstellt, zu welchem a und b einander gegenseitig ergänzen, [und zwar, falls dann innerhalb der Mannigfaltigkeit nichts mehr übrig bleibt, diese selbst, das Gebiet 1 — vergl. Fig. 10+, worin b die Aussen- fläche des innern Kreises bedeutet]. |
[figure] Figure 13. Fig. 10×. | Figure 14. Fig. 10+. |
| Hier ist a · b = 0 | Hier ist a + b = 1. |
| Solche Gebiete, deren Produkt 0 ist, nannten wir bereits disjunkt. | Analog mögen solche Gebiete, deren identische Summe 1 ist, sup- plementär genannt werden. |
Wir mögen die vorstehenden Sätze etwa selbst bezeichnen als
| Postulat ((2×)) | Postulat ((2+)), |
weil sie wesentlich auf der Erfüllbarkeit der Forderung beruhen und
diese in sich schliessen:
| wenn zwei Gebiete gegeben sind, | |
| dasjenige Gebiet nachzuweisen, resp. herzustellen und im Geiste zu isoliren, welches die den beiden gemeinsamen Punkte ausschliesslich enthält. | ein Gebiet zu bilden, welches nur die- jenigen Punkte enthält, die dem einen oder auch dem andern der beiden ge- gebenen Gebiete angehören. |
Vermögen wir nun dieses, so stimmt für die Anschauung die
Probe des Teils (3)' sowol als die Probe des Teils (3)'' der Defi-
nition (3):
| Zu Fig. 9×, Wenn irgend ein Gebiet c zugleich in a und b ent- halten ist, so ist es auch in dem angeblichen Gebiet a b enthalten. Desgl. umgekehrt: Wenn ein c in dem fraglichen a b enthalten ist, so ist es auch zugleich in a und in b enthalten. | Zu Fig. 9+. Wenn a und zu- gleich b ganz in einem Gebiete c enthalten sind, so ist auch das an- gebliche Gebiet a + b in diesem c enthalten. Und umgekehrt, wenn das problematische a + b in einem Gebiete c enthalten ist, so ist auch sowol a als b in diesem c ent- halten. |
Vergl. auch Prinzip II und das hier unmittelbar evidente Theo-
rem 6).
Zu Fig. 10×, wo a und b keinen Punkt gemein haben, ist noch
zu bemerken: Ausser dem Nullgebiete ist kein Gebiet c denkbar,
welches zugleich in a und in b enthalten wäre; dies Gebiet 0 ist aber
auch in a b (welches = 0 behauptet ist) enthalten — cf. I sowie
Def. (2×), nach welchen beiden ja 0 ⋹ 0 gilt. Wenn umgekehrt ein c
in dem a b, welches 0 ist, enthalten sein soll, so muss es nach Th. 5×)
selbst 0 sein, und ist dasselbe nach Def. (2×) dann auch in a sowie
in b enthalten.
Man sieht: der Satz der Arithmetik, wonach ein Produkt nicht anders
gleich 0 sein, verschwinden kann, als indem einer seiner Faktoren selbst 0
ist — ein Satz, der dort übrigens auch für Produkte von unbegrenzter
Faktorenzahl schon nicht mehr gilt — dieser Satz trifft im identischen
Kalkul überhaupt nicht zu. Hier kann vielmehr leicht a · b verschwinden,
ohne dass a oder b selbst gleich 0 wäre, verschwände. Es ist dies aber
auch ein Satz, der wesentlich nicht auf die Multiplikation, sondern auf die
Division sich bezieht, indem bei ihm der Produktwert (= 0) als gegeben
erscheint. Der Satz kommt in der That auf die Gleichung = 0 (für a
ungleich 0) hinaus, und dass die auf Division bezüglichen Sätze der Arith-
metik sich zumeist nicht auf den identischen Kalkul übertragen, wurde
bereits hervorgehoben.
In gleicher Weise stimmt die Probe für jede andere der in § 6
abgeleiteten Formen der Def. (3).
Die angegebenen Gebiete genügen also der Def. (3) wirklich und
nach Vorangegangenem [cf. Th. 11) Zusatz] auch einzig. Zum Über-
fluss vermöchte man bei jedem andern als a b resp. a + b vermuteten
Gebiete leicht solche x nachzuweisen, für welche die Forderungen der
[216]Dritte Vorlesung.
bezüglichen Definitionen des vorigen Paragraphen nicht mehr alle zu-
treffen.
Hiermit aber haben wir den Boden der Realitäten betreten. Wir
können aus dem anschaulichen Substrat die Gewissheit schöpfen, dass
das System unsrer grundlegenden Definitionen und Prinzipien ein in sich
konsistentes ist, dass dasselbe Widersprüche nicht in sich bergen kann,
seine Teile miteinander verträglich sein müssen.
Bei dem Kalkul mit Klassen enthalten die letzten Postulate die
Forderungen:
| von einer gegebenen Klasse von Individuen diejenigen abzusondern, welche zugleich einer andern Klasse angehören | zwei gedachte Klassen in eine ein- zige zu verschmelzen, welche die Individuen der beiden sämtlich enthält |
— Forderungen, denen der menschliche Geist gewachsen erscheint.
Man sieht: die identische
| Multiplikation | Addition |
| läuft auf eine | |
| Absonderung, Selektion | Zusammenfassung, Kollektion |
| hinaus; bei | |
| ersterer werden aus der einen Klasse die Individuen der andern „(her)ausgelesen“. | letzterer werden die Individuen der beiden Klassen zu einer ein- zigen Klasse gesammelt, „zusammen- gelesen“.*) |
Allemal entsteht hiebei aus den gegebenen Klassen eine neue,
welche zu jenen in einer bestimmten Beziehung steht, und zwar in
einer ganz fundamentalen Beziehung, welche erscheint als eine der
denkbar einfachsten und am nächsten liegenden oder ursprünglichsten
Beziehungen, die sich naturgemäss zu allererst der Beachtung dar-
bieten. Indem nun die Wortsprache gedachte Klassen von Dingen in
der Regel mit Gemeinnamen benennt, wie sie ja von Urbeginn haupt-
sächlich mit Gemeinnamen operirt, die auf ganze Klassen von Dingen
oder Verhältnissen passen, wird sie durch die Darstellung mittelst
Worten, verbale Einkleidung der obigen Prozesse ein paar der wich-
[218]Vierte Vorlesung.
tigsten Mittel an die Hand bekommen resp. in Gestalt derselben be-
reits besitzen, um aus vorhandenen Gemeinnamen in's Unbegrenzte neue
Gemeinnamen zusammenzusetzen oder abzuleiten — wodurch sie in
den Stand gelangt, mit einem noch verhältnissmässig geringen Namen-
vorrat haushälterisch auszureichen zur Bezeichnung von Vielem.
Es verdient deshalb sorgfältig untersucht zu werden, auf welche
Weise die Wortsprache unser Mal- und Plus-Zeichen wiedergibt; es
muss in's Auge gefasst und konstatirt werden, wie, wenn a, b, c, … in
Worten charakterisirte Klassen vorstellen, deren identisches Produkt
und Summe ihren verbalen Ausdruck finden.
Für das Nämliche bieten oft sich mehrere Ausdrucksmöglichkeiten
dar, mitunter aber — werden wir sehen — auch gleiche Ausdrucks-
weisen für Verschiedenes! — Ein bedenklicher Umstand, der gelegent-
lich die Gefahr von Missverständnissen hervorruft und der Wortsprache
den Vorwurf mangelhafter Präzision zuziehen muss, von welchem unsre
Formel- oder Zeichensprache frei bleibt.
Um alles auf Interpretation unsrer identischen Operationen, deren
Vor- und Rückübersetzung aus der Wort- in die Zeichensprache Be-
zügliche sogleich vollständig erledigen zu können, setzen wir, ein wenig
vorgreifend, hier schon als bekannt voraus einige Grundeigenschaften
dieser Operationen, die ohnehin unmittelbar einleuchten, aber aller-
dings erst im nächsten Paragraphen formell bewiesen werden — so
namentlich die in den Theoremen 12) und 13) ausgesprochenen, des-
gleichen die Ausdehnung der Def. (3) auf beliebig viele Klassensym-
bole, wie sie in Zusatz 2 zu Th. 13) geleistet wird.
α) Was die Wiedergabe des identischen Produktes a · b oder a b
(wovon wir also beiläufig wissen, dass es auch einerlei mit b a ist)
mit Worten betrifft, so kann, wenn die Klassen a und b mit Substan-
tiven benannt sind, a b unter Umständen durch ein zusammengesetztes
Hauptwort ausgedrückt werden. Z. B. a = Neger, b = Sklave, a b =
Negersklave, d. i. ein Neger, welcher ein Sklave, oder ein Sklave, der
Neger ist. So auch „Gold-Münze“, „Marmor-Platte“, etc.
α') Umgekehrt jedoch lässt sich durchaus nicht, ja bei weitem nicht,
jedes zusammengesetzte Hauptwort in dieser Weise deuten, als iden-
tisches Produkt hinstellen. Schon bei „Tischler-Meister“ könnte man
darüber streiten, ob darunter blos ein Tischler zu verstehen sei, der
zugleich Meister ist, ein „Meister unter den Tischlern“ oder aber
ein Meister von Tischlern, „Meister der Tischler“, der über andre
Tischler als Befehlender und Meister gesetzt ist. Eine Rede aber,
[219]§ 8. Interpretation für Klassen.
bei Tische gehalten, eine „Tischrede“, soll jedenfalls nicht dasjenige
bedeuten, „was zugleich ein Tisch und eine Rede ist“ — und Ähn-
liches mehr.
β) Wohl am häufigsten wird der eine Faktor eines identischen
Produktes durch ein Substantiv, der andre, oder die übrigen, in Form
von Adjektiven ausgedrückt.
Schon S. 152 wurde ausgeführt, dass wir die Beiwörter ganz ebenso
wie die Hauptwörter als Klassen auffassen, z. B. mit
„a = schwarz“ (= schwarzes Ding = etwas Schwarzes)
kurz ausdrücken, dass a die Klasse derjenigen Dinge bezeichnen solle,
denen das Epitheton „schwarz“ zukommt, die wir etwa „schwarze“
nennen würden. Bedeutet nun in diesem Sinne a = „schwarz“, b =
„Pferd“, so wird a b = „schwarzes Pferd“ die Klasse der Rappen be-
zeichnen.
Bedeutet d = „jung“ und c = „normannisch“, so ist d c a b = „jun-
ges normannisches schwarzes Pferd“ ein gewisser Teil jener Klasse. Etc.
β') Umgekehrt auch liefern ein Hauptwort mit seinen Beiwörtern,
wenn sämtlich als Klassen mit Buchstaben bezeichnet, allemal die Faktoren
zu einem identischen Produkte.
Allerdings kann man nicht sagen, dass jedes Adjektiv einen Faktor
vorstelle, sondern es steht dieser Verwendung der Adjektiva im Sinne
solcher Faktoren bereits gegenüber deren (schon S. 152 von uns ab-
gehandelte) Verwendung als Prädikat (vergl. „Dieses Pferd ist schwarz“).
Und auch wenn ein Beiwort attributivisch mit einem Hauptwort ver-
bunden ist, zeigt sich, dass manchmal noch eine „prädikative“ Deu-
tung desselben nebenher läuft, die wir unter ε) zu besprechen haben
werden. Von dieser Nebenbedeutung abgesehen hat aber in ihrer
attributiven Verwendung die „Adjektiv“ genannte Wortart die aus-
schliessliche Mission den Zwecken der identischen Multiplikation zu
dienen.
Da vor, dort hinter das von ihm regirte Substantiv gestellt gibt
das Adjektiv in manchen Sprachen durch seine nach Numerus und
Kasus mit ihm übereinstimmende Beugung, Flexion seine Zusammen-
gehörigkeit mit dem Substantive zu erkennen, in allen Sprachen aber
wenigstens durch seine (mit eventuell noch seinesgleichen) demselben
benachbarte Stellung.
γ) Immer steht zur Übersetzung des identischen Produktes in die
Wortsprache ein Relativsatz zur Verfügung, eingeleitet, konstruirt mit
dem beziehenden Fürwort, Relativpronomen „welcher, welche, welches“
[220]Vierte Vorlesung.
etc. a · b heisst: „die a welche b sind“, oder — mit Rücksicht auf das
Th. 12×) des nächsten Paragraphen — auch „die b, welche a sind“.
So bezeichnet auch der Ausdruck: „die Pferde, welche schwarz
sind“, desgleichen „Etwas schwarzes, das ein Pferd ist“ die Klasse der
Rappen.
γ') Auch diese Regel gilt wiederum umgekehrt. Es handle sich
darum die weitläufigeren Ausdrücke der Wortsprache in die übersicht-
licheren des Kalkuls zu übersetzen. Indem wir dann suchen müssen,
alle in Betracht kommenden Klassen mit Buchstaben zu bezeichnen,
werden wir einen Relativsatz mit einem Prädikate zu identifiziren
haben; ihn nämlich auffassen als die Klasse derjenigen Dinge, welchen
das Prädikat desselben zukommt. In diesem Sinne kann — gleichwie
jedes Adjektiv — so auch jeder Relativsatz als der eine Faktor mit dem
Substantiv auf das er sich bezieht als dem andern Faktor zu einem iden-
tischen Produkte vereinigt werden.
Und die besprochenen Übertragungsweisen gelten ebensowol, wenn
a · b als Subjekt, wie wenn es als Prädikat steht.
Exempel: a b ⋹ c, wo c = „selten“ bedeutet, heisst: „Schwarze
Pferde sind selten“, oder auch: „Pferde, welche schwarz sind, sind
selten“. c ⋹ a b, wo c ein spezielles Pferd „Favorite“ bedeutet, heisst:
„Favorite ist ein schwarzes Pferd“ oder: „Favorite ist ein Pferd, wel-
ches schwarz ist“.
δ) Dagegen nur, wenn a · b als Prädikat steht, ist das Malzeichen
auch durch die Partikel „und“ übertragbar.
c ⋹ a b, übersetzt mit „Favorite ist ein Pferd und schwarz“ wird
uns, genau wie die vorhergehenden Sätze darüber informiren, dass (das
Rennpferd) Favorite ein Rappe sei.
Das diesem vorhergehende Beispiel jedoch, für a b ⋹ c, würde
sich — wie man sogleich übersieht — durchaus nicht mit „Schwarze
Dinge und Pferde sind selten“ übersetzen lassen.
Sagten wir aber: „Was schwarz und ein Pferd ist, ist selten“, so
stünde „schwarz und ein Pferd“ wieder nicht als Subjekt da, sondern
als Prädikat des Relativsatzes (zu dem Relativpronomen „Was“, =
„Dasjenige, welches“) der das Subjekt des ganzen Satzes vertritt.
Auf diese Eigenschaft der Partikel (Konjunktion) „und“, im Sub-
jekt gebraucht eine andere logische Bedeutung zu erlangen als wie
im Prädikate, werden wir weiterhin noch näher einzugehen haben
(vergl. ϰ).
ε) Als eine besondre Anwendungsweise der identischen Multipli-
[221]§ 8. Interpretation für Klassen.
kation erscheint die von der alten Logik so genannte Operation der
„Determination“. Durch Determination wird der Umfang eines Be-
griffes allemal vermindert, sein Inhalt vermehrt, und ist der Grund für
diese Benennung darin zu erblicken, dass, wenn wir z. B. unter den
„Pferden“ die „schwarzen“ hervorheben, wir zu dem Begriff des Pfer-
des, welcher zwar das Merkmal „eine Farbe zu besitzen“ in sich
schliesst, in welchem aber die Beschaffenheit dieser Farbe unbestimmt,
offen gelassen ist, nunmehr noch das Merkmal der schwarzen Farbe
hinzufügen und jenen Begriff dadurch noch näher bestimmen.
Das Wesen des Determinirens ist zu erblicken in der Einschrän-
kung der freien Wahl, in der Verengerung, Verminderung des Spiel-
raumes, der für unsre Willkür, Phantasie, oder den Zweifel gelassen
ist, unter Vermehrung vielleicht der Information.
Verlangen wir im Kaufladen etwa Perlen a, so ist die Klasse der
Objekte, die wir verlangen, durch ihren mit dem Namen „Perlen“ ver-
flochtenen Begriff charakterisirt. Begriff und Klasse erfahren eine
nähere Bestimmung, wenn wir Glasperlen verlangen. Was von Glas
ist, „gläsern“, möge b genannt werden. Dann ist durch die Forderung
von b a (oder a b) schon weniger Spielraum gelassen in Bezug auf
dasjenige, was der Kaufmann uns vorlegen mag, und dieser Spiel-
raum wird immer weiter eingeschränkt, das Verlangte immer genauer
bestimmt (determinirt), wenn wir weisse Glasperlen, runde weisse Glas-
perlen u. s. w. verlangen. Jeder neue, durch ein Adjektiv (eventuell
durch einen Relativsatz) ausgedrückte Faktor, wie „rund“ c, „weiss“ d,
fügt hier wirklich eine weitere Bestimmung für die Klasse, die wir
meinen, hinzu.
Solches ist aber durchaus nicht überall der Fall, wo Faktoren
in Gestalt von Adjektiven oder Relativsätzen auftreten. Sagen wir z. B.
„Das mächtige (a) deutsche (b) Reich c …“ so ist Subjekt des
hiermit begonnenen Satzes das identische Produkt a b c.
Hier aber bewirkt nur der Faktor b eine Determination des c.
Sagen wir b c, so wird gefordert und hinzugebracht, dass der Hörer
sich aus der Klasse der „Reiche“ das „deutsche“ isolire, es absondere,
hervorhebe und vorstelle. Es wird durch das Adjektiv „deutsch“ an-
gegeben, bestimmt, von welchem Reich die Rede sein soll.
Ganz anders der Faktor a. Derselbe sagt nicht etwa aus, dass
man unter „den deutschen Reichen“ gerade das „mächtige“ meine; das
„mächtige deutsche Reich“ ist (sofern wir die Gegenwart im Auge
haben) ganz dasselbe als wie „das deutsche Reich“. Schon als b c ist
das Subjekt vollkommen bestimmt, es ist hier geradezu a · b c = b c.
Mit dem Faktor a legen wir dem bereits determinirten Subjekte
b c ein Prädikat bei, dem „deutschen Reiche“ das Prädikat „mächtig
zu sein“, indessen nur beiläufig, anmerkungsweise, in der Voraussetzung,
dass ihm dieses Prädikat anerkanntermassen zukomme oder wenigstens
in der Erwartung, dass diese Prädikation nicht bestritten werde (an-
sonst wir vor dem beabsichtigten Satze ein eigenes Urteil: „das deutsche
Reich ist mächtig“ formulirt haben würden, um zunächst diese Posi-
tion gegen etwaige Einwände zu verteidigen). Wir bezwecken durch
die Hinzufügung des Attributs „mächtig“, die Aufmerksamkeit des
Hörers besonders auf dieses Merkmal (der Macht) zu lenken, das Vor-
handensein dieses Merkmals in dem Begriffe des deutschen Reichs in
Erinnerung zu rufen, es als ein besonders wichtiges im Bewusstsein
aufzufrischen. Wir vermehren durch solchen Gebrauch eines Adjek-
tivs wol mitunter den Vorstellungsinhalt der Hörer oder Leser, wir
steigern die Intensität der Vorstellung in einer bestimmten Richtung,
ohne jedoch die Klasse, welche vorgestellt wird, zu beeinflussen, ohne
den Umfang des vorgestellten Begriffs zu verengern.
Die Philologie bezeichnet solche Verwendung eines Attributs (eines
Beiwortes oder auch Relativsatzes) passend als die prädikative, im Gegen-
satz zu der früher besprochenen, die wir eine determinative nennen
werden.
Sagen wir (mit J. St. Mill): „der Vater des jungen Mannes, der
ihm jenes verboten hatte …“, so ist der Relativsatz „der … verboten
hatte“ ein anderes Beispiel prädikativer Verwendung. Über das Sub-
jekt a = Vater des jungen Mannes — eine Klasse, die hier naturnot-
wendig aus nur einem Individuum besteht — und (vorausgesetzt, dass
man wisse, von welchem jungen Mann die Rede) bereits vollkommen
bestimmt erscheint, über dieses Subjekt erteilt der Relativsatz eine
beiläufige Information, sagt aus, dass es ⋹ (vielleicht identisch =)
sei der (wol auch nur aus einem Individuum bestehenden) Klasse der-
jenigen Personen, welche dem jungen Manne jenes verboten hatten.
Jedenfalls aber bezweckt und vermag dieser Relativsatz nicht, das
Subjekt des Satzes näher zu bestimmen, auszudrücken, dass „derjenige
unter den Vätern des jungen Mannes, welcher ihm jenes verboten
hatte“ gemeint gewesen.
Man sieht hier auch das Mittel, die beiden Verwendungsweisen
attributiv gebrauchter Adjektive als solche zu erkennen, zu discerniren.
Ist in a b oder in dem Ausdruck „die a, welche b sind“, der Relativ-
satz „welche b sind“, resp. der Faktor b, von determinativem Charakter,
so muss der Ausdruck: „diejenigen unter den a's, welche b sind“ den-
[223]§ 8. Interpretation für Klassen.
selben Sinn geben; im gegenteiligen Falle aber wird der letztere un-
zulässig, nicht selten lächerlich erscheinen.
Ist b in a b ein „prädikativer Faktor“, so kann der Sinn des Pro-
duktes a b auch mit „die a (welche, nebenbei gesagt, ⋹ b sind)“ oder
mit „a (welches ja ⋹ b)“ vollkommen ausgedrückt werden. Dann ist
in der That a ⋹ b, sowie a b = a; und diese beiden Aussagen sind
solche, die wir in der Theorie des Gebietekalkuls auch wirklich als
äquivalente, einander gegenseitig bedingende nachweisen, die wir durch
Rechnung aus einander ableiten können, vergl. Th. 20).
Dass aber a b = a hier ist, lässt erkennen, dass man einen Fak-
tor b, sofern er prädikativ ist, auch ganz unterdrücken, die mit a b
bezeichnete Klasse kürzer durch a allein darstellen kann.
Prädikative Faktoren sind also in der rechnenden Logik ohne Be-
lang, im Gegensatz zu den determinativen.
So wenigstens, wenn sie wirklich nur eine beiläufige Information
geben. Es kommt jedoch auch vor, dass eine Behauptung a ⋹ b eine
folgenschwere Prämisse für weitere Untersuchungen bildet und sich
keineswegs von selbst verstand. Mit dieser selbständig hinzustellenden
Aussage a ⋹ b ist dann ein etwa prädikativ mit a verknüpfter Fak-
tor b als gleichwertig zu erachten, welcher letztere nun aber eine
neue und wesentliche Information enthält. In diesem Falle können wir
ihm erst im „Aussagenkalkul“ volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Mit prädikativ erteilten Attributen wird unbewusst oder bewusst im
gemeinen Leben, in Journalistik, Kritik, rhetorischen und polemisirenden
Schriften ein weit verbreiteter Missbrauch getrieben, darauf gerichtet, im
minder wachsamen Leser Voreingenommenheit zu erzeugen, irrige Ansichten
einzuschmuggeln, die Zustimmung zu denselben, deren Annahme gewisser-
massen zu erschleichen, um unversehens unberechtigte Denkgewohnheiten
zu begründen, die sich der wahren Erkenntniss hinderlich erweisen. Wird
z. B. gesagt: „der feige Gegner wich dem Kampfe aus“ und dann gleich
mit der Erzählung fortgefahren, so bleibt dem Hörer meist nicht die Zeit
zu überlegen, ob auch das Epitheton „feig“ berechtigt gewesen, ob nicht
vielleicht gerade das Gefühl der Überlegenheit, eventuell Klugheit, Scho-
nung oder Friedensliebe Motiv jenes Ausweichens war. Und dadurch dass
mit verschiedenen Variationen des Ausdrucks dergleichen Imputationen mög-
lichst oft in jener rasch darüber hingleitenden Form wiederholt zu werden
pflegen, gelingt es, in der unkritischen Menge verhängnissvolle Ideenasso-
ziationen zu festigen. Auch dem Logikkalkul widerfuhr bereits beinahe
ein derartiges Schicksal, indem der Verfasser eines wol besser ungeschrie-
ben gebliebenen Buches kaum anders, als mit dem Epitheton „der unfrucht-
bare“ von demselben spricht. —
Herr Wundt will die „Determination“ anders aufgefasst wissen, als
— so viel ich sehen kann — alle übrigen Schriftsteller über diesen Gegen-
[224]Vierte Vorlesung.
stand, insbesondere alle Diejenigen, welche ausser ihm die — neuerdings
von Prantl so genannte — „mathematisirende Logik“ kultiviren —
(Sitzungsberichte d. Kgl. Bairischen Akademie der Wissenschaften von 1886).
Durch Determination des Begriffes „Schaf“ mittelst des Begriffs „weiss“
ergibt sich ihm 1 pag. 224 sq., gleichwie auch uns, der Begriff „weisses
Schaf“, dessen Umfang die Klasse der weissen Schafe, d. i. der weissen
(Dinge) unter den Schafen.
Dagegen gelangt Herr Wundt, indem er den Begriff „Weiss“ deter-
minirt, vermittelst des Begriffs „Schaf“ zu dem Begriffe: „die Weisse des
Schafes“ — anstatt, wie wir, zu dem Begriffe „weisses Schaf“ wie oben,
indem wir einfach unter den weissen Dingen die Schafe hervorheben. Für
Herrn Wundt ist also, wie er selbst betont, die Determination im allge-
meinen eine nicht kommutative Operation.
Meiner Meinung nach findet bei den Überlegungen, die Herrn Wundt
zu der angegebenen Ansicht führen, eine Vermengung statt zwischen Pro-
zessen, die sich auf den Umfang und solchen, die sich auf den Inhalt der
fraglichen Begriffe beziehen.
Hielten wir uns streng in dem Rahmen einer „Logik des Umfanges“,
so konnten wir jedenfalls der Wundt'schen Auffassung nicht beipflichten.
Wir können es aber auch nicht, wenn wir uns streng in dem Rahmen
einer „Logik des Inhaltes“ halten.
Bei den Umfängen oder Klassen lief die Determination hinaus auf
eine Sonderung, ein Hervorheben von der, den determinirenden Faktoren*)
gemeinsamen Unterklasse.
Nicht zu übersehen ist, dass aber bei den Inhalten oder Begriffen die
Determination wesentlich eine Knüpfung ist, auf eine Verbindung der ge-
gebnen Begriffe hinausläuft:
Wir erhalten den Begriff „weisses Schaf“, indem wir mit den sämt-
lichen im Begriff Schaf bereits enthaltenen Merkmalen verbinden den Be-
griff „weiss“, d. i. das Merkmal der weissen Farbe. Und dasselbe Ergeb-
niss erhalten wir notwendig auch, wenn wir mit dem Merkmal der weissen
Farbe verbinden die sämtlichen Merkmale des Begriffes Schaf.
Unter den letzteren ist — wohlbemerkt — das Merkmal der „Weisse“
oder weissen Farbe gar nicht enthalten: es gibt ja auch schwarze Schafe!
Und der Begriff Schaf soll doch nur die allen Schafen gemeinsamen Merk-
male enthalten, auch hätten wir nicht nötig, erst zu verbinden, was schon
verbunden gewesen wäre. Man kann also eventuell wohl reden von der
Weisse eines bestimmten Schafes, oder auch einer Gruppe von solchen,
nämlich von der „Weisse“ der weissen Schafe. Dagegen ist — bei der
allgemeinen Auffassung des Begriffes „Schaf“ — die „Weisse des Schafes“
überhaupt ein Unding, sie postulirt nämlich die „Weisse“ auch für die
schwarzen Schafe.
Zu diesem Begriff der „Weisse des Schafes“ kann nun aber Wundt
nur gelangen, indem er — anstatt zu verknüpfen — das Merkmal der
weissen Farbe absondert, hervorhebt — faktisch aus dem Begriffe „weisses
Schaf“, vermeintlich indess wol aus dem zur Determination herbeigezogenen
Begriff „Schaf“, der jenes Merkmal aber, wie gezeigt, überhaupt nicht enthält.
ζ) Um demnächst auch den verbalen Ausdruck für die identische
Summe a + b zu gewinnen, müssen wir uns vor allem über die logische
Bedeutung der Partikel „oder“ orientiren.
Es ist in logischer Hinsicht entschieden als ein Misstand zu be-
klagen, dass die modernen Kultursprachen je nur ein Wort für „oder“
besitzen, während doch zur unterscheidenden Darstellung der wesent-
lich verschiedenen Verhältnisse, welche wir mit dieser einen Konjunk-
tion unterschiedslos anzudeuten pflegen, mindestens drei Partikeln er-
forderlich sein würden. Die lateinische Sprache hat in diesem Betreff
feiner empfunden, schärfer unterschieden.
Ein erstes ist das „erklärende“ (auch gleichsetzende, identifizirende,
wiederholende, iterative) „oder“ = „oder mit andern Worten“ (lateinisch:
sive, seu), welches Namen, Redeteile verknüpft, deren zweiter noch
einmal das nämliche besagt wie der erste, indess zum Zweck der Ver-
deutlichung, eventuell schärferen Präzisirung des ersten: in neuer Aus-
drucksweise.
Sagen wir z. B.: „Der Bauer oder Landmann“ …, so ist das an-
gewendete das obige „oder“, wofern wir nur die Klassen „Bauer“ und
„Landmann“ als identisch ansehen. Die Wiederholung mit dem an-
dern Worte mag hier den Zweck haben, dem vorzubeugen, dass etwa
der Hörer entgegen unsrer Absicht an einen Bauer im Schachspiel,
einen Vogelbauer oder anderes denke.
Wie man an dem Beispiel sieht, ist dieses „oder“ schon deshalb
Bedürfniss, weil die Sprache manche Homonyme enthält, gleichlautende
Namen für ganz Verschiedenes, welche häufig eine unabhängige Ent-
stehungsgeschichte und etymologische Zusammensetzung besitzen, nur
zufällig gleich lauten. Je vollkommner eine Sprache, desto weniger
freilich dürfte solches in ihr vorkommen.
Aber auch wenn Homonyme gar nicht vorkämen, würde das ge-
nannte „oder“ — beziehungsweise ein Äquivalent dafür — doch bleiben
müssen, um Bedürfnissen der Wissenschaft zu genügen. Dieses „oder“
dient dazu, eine als Einschaltung, in Parenthese, anzumerkende Defini-
tion mit dem begrifflich zu erklärenden nomen zu verbinden und als
solche zu kennzeichnen, z. B. „die Kugelfläche oder der Ort der Punkte
gleichen Abstands von einem festen Punkte“, … Am häufigsten kommt
Schröder, Algebra der Logik. 15
[226]Vierte Vorlesung.
es bei wissenschaftlichen Untersuchungen vor, dass einunddasselbe
Objekt als ein, zwei verschiedenen Objektreihen a1, a2, a3, … und
a', a'', … zugleich angehöriges auch zwei verschiedene Namen er-
halten hat: a1 und a', sodass a1 = a' bedeutet, während etwa die
übrigen accentuirten und mit Suffixen behafteten a lauter verschiedene
Objekte bedeuten mögen, und dieser oft folgenschwere Umstand wird,
indem man von jenem erstern Objekte als von „a' oder a1“ spricht, in
dem Bewusstsein aufgefrischt erhalten. Es erscheint sonach dieses
„oder“ als nahe synonym mit d. i. (das ist), d. h. (das heisst), i. e.
(id est) — englisch „viz. (gesprochen: namely)“ — und kommt dem-
selben logisch die Bedeutung =, nämlich die Kraft einer in Paren-
these ausgesprochenen Identität, identischen Gleichheit zu.
Es wäre vielleicht, weil denn doch „oder m. a. W.“ als zu lang
erscheint, ganz angemessen und empfehlenswert, für dieses erste „oder“
das lateinische „sive“ zu verwenden und in die modernen Sprachen
einzuführen.
η) Ein zweites ist das „gegensätzliche“, „ausschliessende“, „exklu-
sive“ (auch „disjunktive“) „oder“ = „oder aber“ (lateinisch: aut, eng-
lisch: or else).
„a oder aber b“ will sagen: entweder a und dann nicht b, oder b
und dann nicht a.
Wie dieses „oder“ im identischen Kalkul auszudrücken ist, werden
wir in § 18, ε) sehen.
ϑ) Das dritte ist das „einschliessende“ „inklusive“ (auch „konjunk-
tive“) „oder“ = „oder auch“ (lateinisch: vel).
„a oder auch b“ will sagen: entweder a, oder b, oder beides zugleich.
Mit diesem letzteren „oder“ werden wir es bei der Übersetzung
des Zeichens + der identischen Addition zunächst allein zu thun
haben.
Es würden bei den zwei letzten Gattungen von „oder“ sich noch
weitere Nüancen unterscheiden lassen, je nachdem es nur unbekannt, jedoch
(an sich) bestimmt ist, welcher von den zwei oder drei Fällen eintritt,
stattfindet, zwischen denen die Alternative zu stellen ist, d. i. „oder viel-
leicht“, — oder aber völlig unbestimmt gelassen, ganz (oder auch nur teil-
weise, bedingt, innerhalb gewisser Grenzen) in unser Belieben gestellt,
willkürlicher Wahl anheimgegeben ist, für welchen Fall man sich ent-
scheide, d. i. „oder wenn man will“ — eine Auffassung, auf die gerade
„vel“ etymologisch besonders hinweist. Indessen will ich mich begnügen,
diese Unterscheidungen nur angedeutet zu haben.
In Bezug auf „oder auch“ scheint freilich der Sprachgebrauch sich
nicht genau an die obige Erklärung zu halten, vielmehr dessen Bedeutung
[227]§ 8. Interpretation für Klassen.
noch über die oben stipulirte hinauszugehen, nämlich oft auch für „oder
aber, wenn man will“ herhalten zu müssen.
Der Ausdruck „a oder auch b“ wird gleichbedeutend mit dem „a
oder aber b“, das inklusive „oder“ deckt sich mit dem exklusiven, und
begreift auch dieses mit, in dem Falle wo die dritte Alternative „a
und b zugleich“ ohnehin undenkbar ist, oder aus sachlichen Gründen
fortfallen muss. So ist
„Silber oder auch Gold“ = „Silber oder aber Gold“
und wird besser dargestellt durch das kürzere „Silber oder Gold“, weil
es nichts gibt, was Silber und Gold zugleich sein könnte, weil die
Begriffe „Silber“ und „Gold“ ohnehin „konträre“ Gegensätze vorstellen,
einander von selbst ausschliessen, disjunkt sind.
ι) Nach diesen Vorbemerkungen wird es verständlich sein, wenn
wir nunmehr konstatiren, dass die identische Summe a + b sich in der
Wortsprache stets durch „was a oder auch b ist“ ausdrücken lässt. Durch
„a oder auch b“ selber kann die Summe auch in jedem Zusammen-
hange übersetzt werden mit Ausnahme des Falles, wo sie als Subjekt
steht; in diesem wäre solches nicht unbedenklich, weil dadurch (vergl.
§ 15, Schlussanmerkung) eine Verwechselung des Urteils mit einem
„disjunktiven“ nahe gelegt würde; ganz unbedingt wird dann auch
die Partikel „oder“ viel besser durch die Partikel „und“ ersetzt. Also:
Steht a + b als Subjekt, so lese man das Pluszeichen als „und“; andern-
falles als „oder“, genauer: „oder auch“.
Wo a + b als Prädikat steht indessen — und dies bildet eine
bemerkenswerte Eigentümlichkeit der Wortsprache — ist die Ersetzung
des Bindewörtchens „oder“ durch „und“ nicht zulässig, wie sich dem-
nächst und unter ϰ) unzweifelhaft herausstellen wird.
Die Proposition c ⋹ a + b lässt sich übersetzen mit „c ist a oder
auch b“, resp. mit „alle c sind a oder (auch) b“.
Und ferner ist a + b ⋹ c in Worten darzustellen mit „a und b
ist c“, „alle a und b sind c“.
[Nicht angängig wäre, dafür zu sagen: „(entweder) a oder b
ist c“ und mindestens gewagt: „alle a oder b sind c“, „jedes a oder
auch b ist c“.]
Beispiele zu a + b ⋹ c: „Canadier und Indianer sind Ameri-
kaner“, auch: „Canadier sowie Indianer etc.“ Die Klassen a und b
in dem gewählten Beispiel sind nicht disjunkt, schliessen einander
nicht aus, es ist a b hier nicht gleich Null, weil es auch canadische
Indianer gibt. Ähnlich noch in diesem Beispiel:
„Adelige und Besitzende werden zur Aristokratie gerechnet“.
Anders dagegen im folgenden, wo a b = 0 gelten müsste, die
Begriffe a und b disjunkt zu nennen wären:
„Gold und Silber sind Edelmetalle“.
Es wäre zur Not wol angängig, zu sagen:
„Silber, oder auch Gold, ist Metall“,
„Adelige, oder auch Begüterte, gehören zur Aristokratie“, und ganz
gut jedenfalls: „Wer adelig oder auch begütert ist gehört dazu“, „Was
Silber oder Gold ist, ist Metall“. Desgleichen allenfalls, weil von dem ad-
jektivischen Zahlwort, numeralen Adjektiv „alle“ regirt: „Alles Gold oder
Silber ist Edelmetall“. Besser aber: „Alles Gold und Silber etc.“ Unzu-
lässig dagegen wäre es oder wenigstens von geringerem logischen Gehalte,
zu sagen: Entweder Gold oder Silber ist Edelmetall, und darum: „Gold
oder Silber, das Gold oder das Silber, ist Edelmetall“, eine entschieden
schlechte Ausdrucksweise, weil das „und“ soviel deutlicher.
Beispiele zu c ⋹ a + b.
„Jene Familien sind adelige oder auch wohlhabende.“ Hier können
einzelne von den genannten Familien auch zu den unbemittelten Adeligen
gehören, andere wohlhabend aber bürgerlich sein.
Einen wesentlich hievon verschiedenen Sinn würde aber die Be-
hauptung darbieten: „Jene Familien sind adelig(e) und wohlhabend(e)“.
Dies würde bedeuten, dass sie sämtlich beides zugleich sind, und wäre
mittelst c ⋹ a b auszudrücken, vergl. δ).
Anderes Exempel: „Diese Behauptungen sind richtige oder auch
falsche“. Als Übersetzung von c ⋹ a + b hingestellt, wird dieser Satz
besser mit „richtige oder falsche“ darzustellen sein, mit Unterdrückung
des „auch“, weil hier a und b einander ausschliessen, a b = 0 ist. So
aufgefasst ist das Urteil ein rein „analytisches“, welches denknotwendig
gelten muss von jeder beliebigen Gruppe von Behauptungen: Alle
Behauptungen sind entweder richtige oder falsche.
Dagegen würde es mindestens eine Nachlässigkeit des Ausdrucks sein,
hiefür zu sagen: „diese Behauptungen sind richtige und falsche“.
Dergleichen „Nachlässigkeiten“ kommen allerdings nicht nur ungemein
häufig in der Sprache des gemeinen Lebens, sondern auch bei den besten
Schriftstellern vor, und sie entschuldigen sich zu einem Teile durch die
Sitte, nach welcher im Verkehr zwischen Personen vorausgesetzt zu werden
pflegt, dass der Andere keinen Unsinn rede und man selbst auch dies
nicht zu thun beabsichtige. Wenn also eine Äusserung von einer der
Parteien, die miteinander in geistigem Verkehr stehen, bei korrekter
Deutung nach den Regeln der Schule sowie des überwiegenden Sprach-
gebrauchs ein offenbarer Unsinn ist, Widersprüche in sich schliesst —
vielleicht auch, wenn sie dabei nur als allzu selbstverständlich, „nichts-
sagend“ und darum zwecklos erscheint — so pflegt der andern Partei
zugemutet zu werden, dass sie die nächstliegende unter den möglichen ver-
[229]§ 8. Interpretation für Klassen.
nünftigen Deutungen herausfühle und als den beabsichtigten Sinn jener
Äusserung unterlege.
So würde ein Ausspruch: „Diese Behauptungen sind richtige und
falsche“, wenn wirklich gebraucht, zu verstehen sein in dem Sinne: „einige
(die einen) von diesen Behauptungen sind richtige, einige (die andern) sind
falsche“ — ein Urteil, welches wir an dieser Stelle noch nicht in der Lage
sind, in der Zeichensprache des Kalkuls darzustellen.
Man könnte sogar sagen: „diese Behauptungen sind richtig und falsch
(zugleich)“, wenn der Sinn derselben nicht unzweifelhaft feststeht: richtig
in dem einen Sinne und zugleich falsch in dem andern Sinne, der ihnen
etwa untergelegt werden kann. Im Grunde ist dann aber das Subjekt c
des Satzes beidemal nicht dasselbe und der Ausspruch nur eine abkürzende
Zusammenfassung der beiden Aussagen: „diese Behauptungen (auf die eine
Art gedeutet) sind richtig“; „ebendiese Behauptungen (auf die andre Art
gedeutet) sind falsch“.
Kraft des oben Bemerkten würde das eingangs gewählte Exempel,
i. e. die Aussage: „diese Behauptungen sind richtige oder auch falsche“, im
Verkehr gebraucht, auch nicht die oben ihr gegebene Bedeutung c ⋹ a + b
als ein „nichtssagender“ Ausspruch haben, sondern — mit einem Stich
in's Ironische — die Aufforderung an den Gegenpart enthalten, zu prüfen,
ob nicht unter seinen Behauptungen doch wol einige falsche sein möchten!
Auf diese Interpretation aber würde dabei das „auch“ in „oder auch“ jetzt
wesentlich mit hinwirken.
Von solcher Gepflogenheit, von solchen Freiheiten, Lizenzen der Ver-
kehrssprache aber müssen wir hier, um nicht in übergrosse Weitläufigkeiten
verwickelt zu werden, nach Möglichkeit absehen. Es wäre überhaupt besser,
wenn man sich korrekter Ausdrucksweisen befleissigte. Zudem würden wir
sonst genötigt sein, auf die Eigentümlichkeiten und Feinheiten der speziellen
Sprache, in welcher wir unsre logischen Untersuchungen führen, in einem
Umfange einzugehen, welcher sich mit den allgemeineren Zwecken dieses
Buches nicht vertrüge, vielmehr einer spezifisch „deutschen“ Sprachlehre
anheim fiele. In Bezug auf die Übertragung irgendwelchen sprachlichen
Textes in die Zeichensprache der Logik wird darum noch Manches dem
Takt und Sprachgefühl des Studirenden zu überlassen sein.
ϰ) Wir haben im Bisherigen — unter δ) und ι) — bereits ge-
sehen, dass der Partikel „und“ im Subjekt und im Prädikat eine logisch
durchaus verschiedene Bedeutung zukommt.
Der Gegensatz möge noch an einem prägnanten Beispiel sichtbar
gemacht werden, welches uns zugleich die vier Schemata der Defini-
tionen (3) illustriren wird. Sagen wir:
„Betrüger (a) und*) Betrogene (b) sind auf dem Holzwege, ver-
[230]Vierte Vorlesung
dienen Tadel“, oder dergleichen, so will dies freilich sagen einerseits:
„Betrüger sind auf unrechtem Wege, sind tadelnswert“ und andrer-
seits: „Betrogene sind auf unrichtigem Wege, verdienen einigen Tadel“
— entsprechend dem Schema (3+)'' oder dem zweiten Teil der Defi-
nition (3+) für a + b ⋹ c; entsprechend — können wir auch sagen
— der ganzen Definition (3+) von a + b als Subjekt, soferne die zwei
letzten Sätze auch umgekehrt wieder in den ersten zusammengezogen
werden dürfen, als mit ihm gleichbedeutend hingestellt werden.
Sagen wir desgleichen:
„Jene Herren sind Betrüger und Betrogene“ so heisst dies ganz
analog: „Jene Herren sind Betrüger“ und zugleich: „Jene Herren sind
Betrogene“ — in Illustration des Schema's (3×)'' für c ⋹ a · b, sowie
auch der ganzen Definition (3×) von a · b als Prädikat, indem wieder
für die zwei letzten Sätze auch umgekehrt der erste eintreten kann,
dieser mit jenen gleichbedeutend ist.
Das beidemal völlig gleichlautende „Betrüger und Betrogene“ ist
nun aber als Klasse im erstern Fall mit a + b, im letztern doch mit
a · b zu übersetzen gewesen!
Im Subjekt hat die Konjunktion „und“ die Kraft des Plus-, im
Prädikat die des Malzeichens.
Es erscheint uns so, wenn wir dieses nun einheitlich zusammen-
fassen, als die Hauptaufgabe des Bindewortes „und“: die Operations-
glieder innerhalb der Definitionen (3) miteinander zu verknüpfen, Glieder,
welche eben bei (3+), wo sie im Subjekt stehn, additive oder
Summanden, bei (3×) wo sie im Prädikat stehn, multiplikative, oder
Faktoren sind.
λ) Ähnliches gilt auch in Bezug auf die nahe liegende Ausdehnung
der Schemata unsrer Def. (3) auf mehr als zwei Operationsglieder
(cf. Zusatz 2 zu Th. 13):
| a ⋹ b c d | a + b + c ⋹ d |
sagt nicht mehr und nicht weniger, wie:
| a ⋹ b, a ⋹ c, a ⋹ d | a ⋹ d, b ⋹ d, c ⋹ d. |
Etc. Wir können auch diese Theoreme für die Wortsprache in An-
spruch nehmen. Darnach lassen sich beliebig viele Sätze
| vom selben Subjekt aber mit ver- schiedenen Prädikaten | mit demselben Prädikat aber ver- schiedenen Subjekten |
jeweils zusammenziehen in einen einzigen Satz mit ebendiesem Subjekt
resp. Prädikate und mit einem neuen, zusammengesetzten
| Prädikate | Subjekte. |
[231]§ 8. Interpretation für Klassen.
Desgleichen können umgekehrt Sätze der letztern Art, d. i. Sätze mit
einem auf gewisse Art zusammengesetzten
| Prädikat | Subjekte |
immer aufgelöst werden in eine Anzahl von als gleichzeitig gültig an-
zuerkennenden Sätzen vom nämlichen Subjekt resp. Prädikate und den
Elementen jenes zusammengesetzten
| Prädikats als einzelnen Prädikaten | Subjekts als einzelnen Subjekten |
— eine Zerfällung durch welche der Sinn jener Sätze seine Erklärung
findet, dieselben „auseinandergesetzt“ werden.
Die „Zusammensetzung“ erfolgt beidemal (sowol bei dem linker-
hand als bei dem rechterhand Gesagten) vermittelst der Konjunktion
„und“, wozu nur zu bemerken ist, dass letztere nicht immer ausdrück-
lich gesprochen wird. Vielmehr pflegt bekanntlich statt „a und b
und c und d“ in der Regel blos gesagt zu werden:
„a, b, c und d“, indem man alle Bindewörter, mit Ausnahme des
letzten, durch Kommata (Pausen) ersetzt — und zwar sowol wenn a,
b, c, d Adjektive (oder auch Relativsätze) als wenn sie Substantive
bedeuten. Ähnlich später bei Adverbien. Exempel:
| „Die Löwen sind Raubtiere, vom Katzengeschlecht und im Oriente heimisch“ heisst: „Die Löwen sind Raubtiere“, „Die Löwen sind vom Katzengeschlecht“, „Die Löwen sind Orientbewohner“ — ein sog. (be- jahendes) „konjunktives“ Urteil. | „Säuren, Basen und Salze sind chemische Verbindungen“ heisst: „Säuren sind chemische Verbin- dungen“, „Basen sind chemische Ver- bindungen“ und „Salze sind che- mische Verbindungen“ — sogenann- tes „kopulatives“ Urteil. |
Der Sinn des erstern Satzes wird durch die drei letzten „aus-
einandergesetzt“; die drei letztern Sätze ziehen sich in den ersten
zusammen.
Es beherrscht, regulirt unser Schema im Grossen und Ganzen den
Gebrauch von „zusammengesetzten“ nämlich aus andern abgeleiteten
Klassen in Subjekt und Prädikate, führt ihn zurück auf den schon be-
kannten Gebrauch der sie zusammensetzenden einfachen Klassen.
Indessen sind sowol in Bezug auf das Schema linker- als in Bezug
auf dasjenige rechterhand auch Ausnahmen zu konstatiren.
μ) Links tritt eine Ausnahme zutage da, wo das Subjekt kon-
struirt erscheint mit einem der sog. „unbestimmten Zahlworter“: „einige,
etliche, manche, gewisse, wenige, viele“ — auch „kein oder keine“, des-
gleichen schon, wo es versehen ist mit dem unbestimmten Artikel „ein“,
oder mit einer Zahlbestimmung überhaupt — vergl. S. 180.
Z. B. die drei Sätze: „Einige Substanzen sind (in Wasser) löslich“;
„Einige Substanzen sind (an der Luft) verbrennlich“ und „Einige Sub-
stanzen sind (in der Hitze) verflüchtigend“ sagen zusammen doch
weniger aus, als der eine Satz: „Einige Substanzen sind löslich, ver-
brennlich und flüchtig“, mit welchem sie ja nach dem allgemeinen
Schema ganz gleichbedeutend sein müssten. In jenen drei Sätzen wird
nämlich nur gesagt, dass es Substanzen gibt, welche eine beliebige
der drei erwähnten Eigenschaften für sich (vielleicht nur getrennt
von den übrigen) besitzen. In diesem einen Satze dagegen wird kon-
statirt, dass es auch Substanzen gibt, die alle drei Eigenschaften auf
sich vereinigen (wie dies in der That manchmal, sogar bei Salzen, z. B.
beim salzsauren Anilin der Fall ist).
Ähnliches liesse sich bei den folgenden Aussagen durchsprechen:
„Gewisse Pflanzen sind Fleischfresser, Dicotylen und Bewohner tro-
pischer Moore“. „Manche Menschen sind unklug und leichtsinnig“. „Wenige
Menschen sind arm und zufrieden“. „Viele sind unwissend und leichtgläubig“.
Etc. „Zwei Mann wurden verwundet und gerieten in feindliche Gefangen-
schaft“ heisst nicht: Zwei Mann wurden verwundet, und zwei Mann gerieten
in Gefangenschaft; vielmehr bezieht sich letzteres auf dieselben zwei Mann,
wie erstres, und weil eben der Name „zwei Mann“ das Subjekt nur unzu-
länglich bezeichnet, reicht die Wiederholung des Namens nicht aus, es als
dasselbe zu kennzeichnen, und muss formell die Ausnahme Platz greifen.
Statt „Einige a sind b und c“ zu sagen: „Einige a sind b oder (auch) c“
würde dem Inhalt der beiden Sätze: „Einige a sind b“ und: „Einige a
sind c“ zwar etwas näher kommen, sich aber auch nicht mit ihm decken.
Es wird nicht mehr nötig sein, hierauf zurückzukommen, nachdem diese
sog. „partikularen“ Urteile im Zusammenhange behandelt sein werden.
Lassen wir auch dieselben bis dahin noch möglichst zurücktreten, so durfte
doch hier der Hinweis auf die Thatsache nicht unterbleiben, dass sie eine
Ausnahme für das linksseitige Schema begründen.
Und ein analoges Verhalten nehmen wir uns hier auch zur Richtschnur in
Bezug auf die später ebenfalls allgemein zu behandelnden verneinenden Urteile.
Ein „negatives“ Urteil, wie: „Kein Mensch ist fehlerfrei und all-
wissend“ behauptet wiederum weniger, als wie die beiden Sätze: „Kein
Mensch ist fehlerfrei“ und „Kein Mensch ist allwissend“ zusammen —
welche nur in den Satz: „Kein Mensch ist fehlerfrei oder allwissend“
ohne Änderung (Erweiterung oder Einschränkung) des Sinnes zusammen-
gezogen werden könnten.
ν) Eine Ausnahme von unserm Schema rechterhand unter λ) ist
formell zu statuiren in folgendem Falle: Wenn das Prädikat eine Be-
ziehung zwischen den Individuen der Subjektklasse, oder auch zwischen
Unterklassen derselben, konstatirt, so darf a + b ⋹ c nicht ohne weiteres
in a ⋹ c und b ⋹ c zerfällt werden (und analog bei mehr als zwei
[233]§ 8. Interpretation für Klassen.
Termen). Z. B. „Buschmänner (Hottentoten, Namaqua) und Neger
(Damra, Hereró's) befehden einander“ will nicht sagen: „Buschmänner
befehden einander“ und „Neger befehden einander“, sondern: „Die
Buschmänner befehden die Neger“ und „Die Neger befehden die Busch-
männer“.
„a und b sind einander gleich“ heisst natürlich nicht: „a ist ein-
ander gleich“ und „b ist einander gleich“, sondern: „a ist gleich b“ und
„b ist gleich a“. Analog: „Der Kläger und der Beklagte verglichen
sich“. Etc.
„Die Herren A und B schliessen einen Kauf ab“ heisst: „Herr A
schliesst einen Kauf ab“ und „Herr B schliesst einen Kauf ab“, und
lässt es offen, ob sie dies miteinander thun, wobei der eine Herr als
Käufer der andere als Verkäufer erscheinen würde, oder aber mit
dritten Personen. Im ersten Falle würde das Prädikat zwar eine Be-
ziehung zwischen den beiden Individuen der Subjektklasse involviren,
und doch die erwähnte Ausnahme nicht Platz greifen, weil die gedachte
Beziehung im Prädikat nicht ausdrücklich erwähnt ist.
In allen Beispielen überträgt sich doch wesentlich das Prädikat
(„befehden“, „gleich sein“, „Kauf abschliessen“ etc.) auch auf die Unter-
klassen und Individuen der Subjektklasse, und in gewissem Sinne bleibt
es immer wahr, dass, was von der Gattung ausgesagt wird, auch von
deren Arten und Individuen gelten, ausgesagt sein soll; nur die Beziehung,
welche dem Prädikat beigefügt ist, das „einander“ oder „mit, gegen,
durch, etc. einander“ muss bei den Einzelübertragungen des Prädikats
auf jene Unterklassen jeweils modifizirt, verschieden ausgedrückt, oder
— um einen bei Nicht-Mathematikern in diesem Sinne beliebten Aus-
druck zu gebrauchen — muss dabei „differenziirt“ werden.
Regeln aufzustellen, nach welchen in dergleichen Fällen die Zer-
spaltung des zusammengesetzten Urteils in einzelne einfachere, oder
umgekehrt die Zusammenfassung solcher zu einem einzigen korrekt zu
erfolgen hätte, liegt uns hier noch ferne. Es wären diese Regeln in
die Logik der Beziehungen überhaupt zu verweisen. Diese aber, als
eine allgemeine Disziplin, stellt einen höheren Teil der Logik vor, dem-
gegenüber wir es hier nur mit den allerelementarsten Beziehungen
zwischen Klassen oder Begriffsumfängen zu thun haben, nämlich mit
jener besonderen Gruppe von Beziehungen, deren Erklärung ganz auf
den Begriff der Einordnung gegründet werden kann, und bei welchen,
wenn von Individuen einer Klasse etwas ausgesagt wird, die übrigen
Individuen dieser Klasse dem Geist nicht gegenwärtig zu sein
brauchen.
ξ) Die nämliche Bedeutung, wie im Prädikat — nämlich die Kraft
des Mal-Zeichens — kommt der Partikel „und“ auch in Appositionen
zu, d. h. zwischen Adjektiven (ev. auch Relativsätzen) die vom näm-
lichen Substantiv regirt sind, sowie zwischen Umstandswörtern (Ad-
verbien) die sich auf das nämliche Verbum beziehen. Z. B. „Umsich-
tige und wohlmeinende Freunde rieten ihm …“ = „Freunde, umsichtig
und wohlmeinend, rieten …“ Der Satz hat zum Subjekt (a · b) · c,
d. i. „Freunde c, die umsichtig (a) und wohlmeinend (b) zugleich sind
(resp. waren)“, nicht aber (a + b) · c = c · (a + b), das ist „Freunde, die
umsichtig oder aber wohlmeinend, oder vielleicht beides zugleich sind“.
Der Deutlichkeit zuliebe würde allerdings das „und“ besser unterdrückt
und gesagt: „Umsichtige, wohlmeinende Freunde“ … Indess wird des
Wohlklangs wegen, bei einer Aufzählung von mehreren Eigenschafts-
oder aber Umstandswörtern, die Sprache ungern auf das deren letzte
verknüpfende Bindewort verzichten. Z. B. „Opferwillige, reiche und
verschwiegene Freunde halfen ihm aus seiner Geldverlegenheit“. Es
muss gemeint sein: Freunde, die alle jene Eigenschaften zugleich be-
sassen; hätte z. B. auch nur einer derselben geplaudert, so würde die
Diskretion der Übrigen nichts genützt haben!
„(Gewohnheitmässiger) Haschisch(genuss) tötet schnell, elegant und
sicher“ besagt wieder, dass die Tötung in jeder der genannten Weisen
zugleich erfolge. Etc.
Als fernere Beispiele mögen noch angeführt sein: „Ein markt-
schreierisches und schwindelhaftes Unternehmen florirte daselbst“. „Die
arglosen und unbewaffneten Eingeborenen erschraken sehr“. „Gewissen-
hafte und pflichttreue Beamte werden geschätzt“. „Gezogene und weit-
tragende Geschütze …“ „Seltene und teure Mineralien …“ Etc.
Wie schwankend übrigens der Gebrauch bei derartigen Sätzen ist,
zeigen Urteile wie:
„Taugliche und untaugliche Militärdienstpflichtige haben sich ein-
zufinden“. „Unsre aktiven und passiven Mitglieder sind eingeladen“
etc. — wo die in die Apposition eingehenden beiden Klassen a und b
sich nicht zu a · b sondern zu a + b zusammensetzen. Es wäre hiezu
wieder auf das unter ι) Ausgeführte zu verweisen. Ob eine aus den
Teilen a und b zusammengesetzte Apposition mit a b oder mit a + b zu
übersetzen, ihrem Sinne nach logisch darzustellen ist, würde ohne sach-
liche Nebenbetrachtungen in der That oft dunkel bleiben; über den Sinn
von einigen Appositionen wird man wirklich streiten können.
Man lege sich bei dergleichen Übertragungen stets die Frage vor,
ob beabsichtigt sei, dass die durch die Appositionsglieder ausgedrückten
[235]§ 8. Interpretation für Klassen.
Eigenschaften gleichzeitig oder nur einzeln dem regirenden Substantiv
(oder Verbum) zugeschrieben werden: im erstern Fall wird a b, im
letztern a + b die richtige Übersetzung sein.
Wir haben es in der Wortsprache, wie man sieht, fast immer nur
mit Regeln zu thun, welche auch Ausnahmen zulassen. Erst im Kalkul
werden wir Gesetze haben, bei denen Ausnahmen nicht vorkommen.
Im logischen Interesse haben wir vorstehend den Begriff der „Appo-
sition“ etwas weiter gefasst, als es in der Grammatik üblich ist, wo der-
selben zugemutet zu werden pflegt, dass sie — wie bei „Dionysius, der
Tyrann von Syrakus“, „Polykrates, Herrscher von Samos“, etc. — in der
Form von Substantiven auftrete.
ο) Wir lernten für identische Produkte und Summen verschiedene
Weisen der Übertragung in die Wortsprache kennen.
Die Operationszeichen · und + dürfen aber als mal und plus nur
gelesen werden, wenn die Klassen, welche sie verknüpfen, durch Buch-
staben dargestellt sind: Es soll hier nicht dafür plädirt werden, dass
man sage: „schwarz mal Pferd gleich Rappe“ oder „Pferd mal weiss
gleich Schimmel“!
Wird das Malzeichen gar nicht gesprochen, so werden die Sätze wieder
legitim, und machen — im Deutschen — wegen mangelnder Flexion des Eigen-
schaftswortes und eventuell dessen hier nicht üblicher Hintansetzung hinter das
Hauptwort, nur den Eindruck, von einem Kinde oder etwa einem Böhmaken,
einem auf tiefer Kulturstufe stehenden, oder der deutschen Sprache nicht
recht mächtigen Ausländer, halbwilden Eingebornen, etc. herzurühren:
„Schwarz(es) Pferd (black horse) ist (=) Rappe“
„Pferd weiss(es) (cheval blanc) = Schimmel“ —
— im übrigen vollkommen entsprechend der Schreibung: a b = c.
Desgleichen soll nicht „Herren plus Damen“ für „Herren und
Damen“ gesagt werden. Etc.
π) Als Exempel zu Th. 6) führen wir an:
a b ⋹ „Gebildete Adelige sind gebildet“.
„Besitzende Adelige sind adelig (Adelige).“
„Schwarze Pferde sind schwarz“ [oder „Rappen sind schwarz“; „sie
sind auch Pferde“, etc.].
Hier gibt es nun sowol schwarze als auch nicht schwarze Pferde.
Man beachte in dieser Hinsicht den Gegensatz des Beispiels zu den
beiden folgenden:
„Der weisse Schnee ist weiss“,
„Alle runden Quadrate sind rund“ —
welche indess ebenso berechtigt sind, das Th. 6×) zu exemplifiziren.
Das zweite Beispiel fordert die Bemerkung heraus, dass aller
Schnee weiss sei*), die versuchte Determination des Subjekts „Schnee“
durch das Adjektiv „weisse“ mithin überflüssig. Es gibt hier a b —
d. h. b welche a sind — aber keine b, welche nicht a wären.
Das dritte Beispiel provozirt den Einwurf, dass es runde Quadrate
überhaupt nicht gebe. [Da es zu einer Kontroverse Anlass geben kann,
werden wir. auf dasselbe unter ϱ) des § 9 implicite nochmals zurück-
kommen.]
Die drei kursiv gedruckten Exempel können als typische bezeichnet
werden, indem — wie leicht zu sehen — jede denkbare Anwendung
des Satzes 6×) von der Art eines dieser drei Exempel in beregter
Hinsicht sein muss.
⋹ a + b. „Die Adeligen sind Adelige oder auch Besitzende [ge-
hören zur Aristokratie]“. „Die Besitzenden ebenfalls“.
„Gleich ist untergeordnet oder gleich“, vergl. den § 1.
Der Satz: „Norddeutsche sind Deutsche“ kann angesehen werden
als eine Exemplifikation von 6×) sowol als von 6+). Ersteres, indem
man „Norddeutsche“ versteht als die Klasse derjenigen Deutschen,
welche aus dem Norden stammen, resp. nördlich der Mainlinie wohnen.
Letzteres, insofern man die Klasse der Deutschen ansehen kann als
die identische Summe aus den Klassen der Nord- und der Süddeutschen
(einschliesslich der durch die Kolonialerwerbungen hinzugekommenen
Reichsangehörigen).
Alle diese Sätze dürften einfach als Selbstverständliche zu be-
zeichnen sein. — Wir müssen hier eben auch die verschiedenen Arten
des Selbstverständlichen registriren. Und dieses hat verschiedene Grade!
Wo ist die Grenze des unmittelbar Selbstverständlichen für den einen,
wo für den andern Denker oder Studirenden? Im Grunde wird — so
hoffen wir — Alles in diesem Buch behauptete als selbstverständlich
richtig zu bezeichnen sein — nicht minder wie diese elementarsten
Betrachtungen so auch die komplizirtesten Theoreme und Lösungen
verwickelter Aufgaben, in welche vielleicht schon der begabteste mensch-
liche Intellekt ohne die Technik unsres oder eines ihm gleichwertigen
Kalkuls nicht mehr Einsicht zu gewinnen vermöchte.
Zur Entschuldigung dafür, dass wir jeweils auch bei dem einfacheren,
dem unmittelbar Selbstverständlichen verweilen, sei der Ausspruch aus
Goethe's Wahlverwandtschaften citirt:
„Es klingt freilich wunderlich, wenn man etwas ausspricht, das sich
ohnehin versteht; doch nur indem man sich über das Bekannte völlig ver-
ständigt, kann man miteinander zum Unbekannten fortschreiten“.
Andernfalls nämlich trennen sich alsbald die Wege und wird offenbar,
dass es doch von einer nicht zu unterschätzenden erziehlichen Wirkung
gewesen wäre, dass es geradezu unerlässlich ist, sich erst um die Sicherung
von gemeinsamen Ausgangspunkten und Richtungen des Fortschreitens zu
bemühen, selbst auf die Gefahr hin, dem Vorwurf der Trivialität zu begegnen.
ϱ) Die Betrachtungen unter π) würden nicht vollständig sein,
wenn wir nicht bei Th. 6×) den Fall noch eingehender erörterten, wo
a b = 0 ist.
Ich wähle dazu ein gewisses typisches Beispiel, ein Beispiel, welches
sich zu einem Vorbild für alle Fälle dieser Art besonders gut eignet.
Sagen wir:
„Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke sind gleichseitig“
so gibt dies, wenn als Klasse „gleichseitig“ mit a bezeichnet und
„rechtwinkliges Dreieck“ oder „Rektangel“ = b genannt wird, eine
Illustration zu dem Satze 6×) a b ⋹ a.
Sind nun die Dreiecke, von welchen wir sprechen, solche auf der
Kugelfläche, sind es „sphärische“ Dreiecke, so gibt es*) Individuen der
Klasse a · b, welche ja die „gleichseitigen rechtwinkligen (Kugel-)Drei-
ecke“, oder kürzer gesagt, die „gleichseitigen (sphärischen) Rektangel“
bedeuten soll. Aus der Sphärik nämlich gleichwie aus der Anschauung
ist es bekannt, dass jedes dreirechtwinklige Dreieck als der achte Teil
der ganzen Kugelfläche zugleich auch ein gleichseitiges (nämlich drei-
rechtseitiges) ist. Hier ist dann a · b nicht gleich 0, und haben wir
ein Beispiel, welches sich den früher unter π) angeführten als gleich-
artig an die Seite stellt.
Sprachen wir dagegen von geradlinigen oder ebenen Dreiecken, so
wird a · b jetzt ein Name sein, welcher „nichts“ bedeutet; es ist ein
sinnloser oder leerer Name geworden, eine Klasse vorstellend, welche
kein Individuum in sich schliesst, sintemal es gleichseitige rechtwinklige
ebene Dreiecke bekanntlich nicht geben kann.
Ob man nun auch für ebene Dreiecke den obigen Ausspruch
[238]Vierte Vorlesung.
gelten lassen wird?? Man könnte darüber streiten, und es wäre das
buchstäblich ein Streit „um nichts und wieder nichts“, denn auch die
fragliche Aussage ist nichtssagend, sie bezieht sich auf nichts.
Wie man solches im gemeinen Leben halten mag, ist uns gleich-
gültig; ich meine, man sollte (auch da) sie gelten lassen, man sollte
ihr wenigstens eine sozusagen „formale Gültigkeit“ zuerkennen, in An-
betracht, dass in ihr dem Subjekt, den gleichseitigen ebenen Rektangeln,
nur eine bei demselben schon vorausgesetzte Eigenschaft (der Gleich-
seitigkeit) zugesprochen, beigelegt wird.
Hier aber, in dem Rahmen unsrer Disziplin der Algebra der Logik,
sind wir jedenfalls verpflichtet, die gedachte Aussage als richtig anzu-
erkennen.
Diese — ja eine noch viel weitergehende — Verpflichtung ist
eine Wirkung, notwendige Folge der seiner Zeit von uns vollzogenen
und durch die Vorteile, die sie gewährt, ja bereits motivirten Ad-
jungirung der Null zu unsrer Mannigfaltigkeit, Folge der Aufnahme
des Nullgebietes unter die Gebiete, der Zulassung einer Nullklasse zu
den Klassen, der Hinzuziehung des Begriffs des „Nichts“ zu den
sonstigen Begriffen des Menschengeistes.
Nach Def. (2×) ist 0 ⋹ a, was auch a für ein Gebiet, für eine
Klasse bedeuten möge. Wenn also a b die 0 bedeutet, so ist in der
That a b ⋹ a.
Das „Nichts“ ist sogar Subjekt zu jedem Prädikate: das Nichts ist
schwarz; das Nichts ist zugleich auch nicht schwarz; denn die Null-
klasse ist in jeder Klasse mit enthalten. Wenn sie „nichts“ betrifft,
kann eine Aussage niemals falsch sein, und wenn sich Aussagen auf
gar nichts beziehen, so ist auch kein Widerspruch zwischen diesen
Aussagen möglich.
Den in diesem Absatze ausgesprochenen allgemeinen Sätzen wird
später doch eine gewisse Einschränkung nachträglich zu geben sein;
indem es nötig fällt, die Mannigfaltigkeit 1, aus welcher jene Gebiete,
Klassen oder Prädikate nach Belieben herausgehoben werden dürfen,
in gewissem Sinne nach oben zu beschränken, indem sich herausstellt,
dass diese Mannigfaltigkeit eine „reine“ bleiben, d. i. eine gewisse
Beschaffenheit bewahren muss, worüber ψ, χ) zu vergleichen.
In Bezug auf unser typisches Exempel kann man sich nunmehr auch
vorstellen, dass etwa die Natur zu untersuchender Dreiecke — ob sie ebene,
ob sphärische — von vornherein unbekannt sei. Die in dem Exempel als
gültig hingestellte Aussage mag dann vielleicht ein Glied bilden in einer
Kette von Überlegungen, die den Zweck haben, zu ermitteln, von welcher
Natur die fraglichen Dreiecke wirklich sein müssen. Wird dabei nach hier
[239]§ 9. Konsequenzen der Adjungirung einer Nullklasse.
entwickelten logischen Prinzipien konsequent verfahren, so kann die er-
wähnte Aussage als Prämisse zu weiteren Schlussfolgerungen nun ganz un-
bedenklich mitverwendet werden, und ist kein Grund ersichtlich, weshalb
gedachte Untersuchungen nicht ihren Zweck erreichen dürften.
So kann man z. B. auf die Behauptung, dass gedachte Dreiecke gleich-
seitig sind, nach bekanntem Satze den Schluss gründen, dass sie auch
gleichwinklig sein, ihre Winkelsumme mithin drei Rechte betragen müsse,
womit dann die Frage entschieden ist und die ebenen Dreiecke aus-
geschlossen erscheinen.
σ) Es wurde in § 1 ausgeführt, dass das Subsumtionszeichen ⋹
der Kopula entspricht, und, wenn a und b Klassen vorstellen, die Sub-
sumtion a ⋹ b mit „a ist b“ resp. „alle a sind b“ wie derzugeben sei.
Die seitdem mit Def. (2×) von uns vollzogene Zuziehung, Ad-
jungirung der „Null“ zu den Gebieten und Klassen hat nun im Gefolge,
dass auch diese Bemerkung eine Modifikation nachträglich erfahren
muss, wenigstens für die Sprache des gemeinen Lebens.
Hat a den Wert 0, so gilt die Subsumtion a ⋹ b ohnehin, was
auch für eine Klasse b immer bedeuten möge. Diese Subsumtion 0 ⋹ b
lehrt uns dann nichts besonderes, sie wird (hinsichtlich des b) zu einer
geradezu „nichtssagenden“.
Der Fall a = 0 ist nun der, wo die Klasse a überhaupt keine
Individuen enthält, eine leere ist, was die Sprache mit: „Es gibt keine a“
ausdrücken wird.
Diesen Fall muss man nunmehr, wenn ausgesagt wird, dass a ⋹ b
sei, stets mit als möglich zugelassen denken; daher ist die Subsumtion:
a ⋹ b
fortan zu lesen:
„Alle a, sofern es welche gibt, sind b“
sie ist m. a. W. zu interpretiren als:
Entweder: es gibt keine a,
Oder, wenn es welche gibt, so sind sie alle b.
Im Rahmen der gegenwärtigen Disziplin wird es zwar [mit einem
kleinen unter υ) zu erwähnenden Vorbehalt] ganz unbedenklich sein,
auch bei der einfacheren Fassung zu bleiben und nur zu sagen: „a
ist b“ resp. „alle a sind b“, wie früher.
Für die Verkehrssprache aber wäre hiezu nicht zu raten! Indem
hier stillschweigend die Unterstellung hinzutritt, dass Derjenige, der
etwas sagt, auch wirklich (über) etwas aussagen wolle, so wird eine
auf „alle a“ bezügliche Aussage allgemein so aufgefasst, dass sie das
Subjekt als existirend annehme oder hinstelle.
Wird etwa gemeldet: „Alle Versuche seien fehlgeschlagen“, so wäre
in der Auffassung des Publikums damit implicite auch gesagt, dass
wirklich Versuche gemacht worden. Und wenn jemand, der nieman-
den beraubte, etwa von sich sagen wollte: „alle von ihm Beraubten
seien wohlhabend gewesen“, der würde sich einer argen Selbstverleum-
dung schuldig machen. Etc. Vergl. hiezu noch weiter unten φ).
Immerhin beruht auf diesem Umstand eine Art von Witz, eventuell
bewusster Täuschung oder Lüge, welche vor dem logischen Gewissen noch
am ehesten zu entschuldigen (auch vor dem mathematischen, sofern eben
in der Mathematik eine Anzahl, die der a, auch gleich 0 gedacht wer-
den darf).
Wer sich im Alltags-Leben die Subsumtion 0 ⋹ a zur Verhal-
tungsregel wählen wollte, würde sicherlich bald der Wortklauberei,
Sophistik, Spitzfindigkeit geziehen werden, und dieser wollen wir hier
nicht das Wort reden.
Aber „Eines schickt sich nicht für Alle“. In der Wissenschaft
ziemt es sich, schärfer zu unterscheiden, stillschweigende Voraus-
setzungen jeweils zu ausdrücklichen zu erheben, dann aber, was gar
nicht gesagt worden, auch nicht als behauptet hinzustellen.
Auch die gewöhnliche Verkehrssprache kann den Begriff des „nichts“
oft nicht entbehren; sie zieht ihn zeitweilig allerdings heran, ohne jedoch
auf sein Mitunterlaufen immer und überall gefasst zu sein. Sie verhält
sich in dieser Beziehung der identischen Null gegenüber ungefähr so, wie
die arithmetische Analysis sich verhält gegenüber der „absoluten Unend-
lich“, welche hier ebenfalls zeitweilig herangezogen wird, um den Mangel
eines Zahlenwertes äusserlich zu verdecken, den Ausfall einer Zahl zu
maskiren, welche m. a. W. hier wesentlich die Rolle eines Lückenbüssers
(„stopgap“) spielt, und dennoch nie als eine wirkliche Zahl angesehen und
behandelt werden darf, dem Zahlengebiete schon darum nicht einverleibt
werden kann, weil sie die Regeln der Arithmetik über den Haufen wer-
fen würde.
Im identischen Kalkul dagegen wird die identische Null in ähnlicher
Weise überall zugelassen erscheinen, wie in der Mathematik bei allgemeinen
Untersuchungen im Zahlengebiete die arithmetische Null von vornherein
mitbegriffen zu werden pflegt.
Dieser Umstand begründet einen Hauptunterschied zwischen der Sprache
der Logik und der des gemeinen Lebens.
τ) Es hat die Zuziehung der Null auch noch die weitere Folge,
dass wir die sog. „Existenzialurteile“, Sätze wie „Es gibt a's“ nicht
mehr (wie in § 2 noch provisorisch geschah) vermittelst einer Sub-
sumtion darzustellen in der Lage sein werden. Man kann freilich eine
Klasse bilden: r, die Klasse des Realen, die alles umfassen soll, was
in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (oder, wenn man will, auch
[241]§ 9. Konsequenzen der Adjungirung einer Nullklasse.
in der Gegenwart allein) dem Bereich der Wirklichkeit angehört, was
existirt. Wenn es a's gibt, so ist dann a ⋹ r. Das letztere aber ist,
kraft Def. (2×), auch richtig, wenn es keine a's gibt; es schliesst die
Subsumtion den Fall a = 0 nicht aus.
Wie Existenzialurteile selbst in unsrer Zeichensprache angemessen
darzustellen sind, werden wir später sehen (§ 33).
Einstweilen sind wir nur im stande die Verneinung eines Existen-
zialurteils darzustellen, indem, wie gezeigt, die Gleichung a = 0 [oder,
nach Th. 5×) auch die Subsumtion a ⋹ 0] ausdrücken wird: „Es gibt
keine a's“. Dies wäre z. B. richtig, wenn a die Klasse der „Zauberer,
Hexen und Gespenster“, oder auch wenn es die der „runden Quadrate“
bedeutete.
υ) Zur Stelle ist über die verbale Einkleidung der mit Def. (2)
als allgemeine Formel eingeführten Subsumtionen:
| (2×) | 0 ⋹ a und a ⋹ 1 | (2+) |
überhaupt noch einiges zu bemerken.
Wir sahen: 0 bedeutet „nichts“; das Zeichen ⋹ entspricht der
Kopula, und muss mit „ist“ in die Wortsprache übertragen werden;
endlich a mag jedes beliebige.*) Prädikat sein — sagen wir beispiels-
weise „schwarz“.
Die Subsumtion 0 ⋹ a ist unzweifelhaft richtig, weil die Klasse
aller der Dinge, welche wir „schwarz“ nennen würden, ausser diesen
nichts enthält, also wie ich sagen darf, noch obendrein auch „nichts“
enthält.
Wenn wir diese Subsumtion aber, dem vorausgehenden gemäss,
mit „Nichts ist schwarz“ übersetzen wollten, so würden wir gleichwol
eine falsche Aussage erhalten. Denn letztere würde ja den Sinn haben:
„Es gibt nichts Schwarzes“; sie würde die Verneinung eines der oben
erwähnten Existenzialurteile sein, welche in Formeln nicht die Sub-
sumtion, sondern nur die Gleichung 0 = a oder a = 0 ausdrückt.
Die Subsumtion hatten wir demnach falsch übersetzt, und dieses
weist darauf hin, dass für unsre „extremen“ Fälle die Übersetzungs-
regeln eine Ausnahme haben, und haben müssen, indem über den Sinn
des regelrechten Übersetzungsergebnisses die Wortsprache bereits ander-
weitig verfügt hat.
Dies aber lässt sich nicht nur erklären sondern auch rechtfertigen.
Bei der Aufstellung ihrer Regel, nämlich indem sie es zur Gewohnheit
Schröder, Algebra der Logik. 16
[242]Vierte Vorlesung.
werden liess, mittelst der Kopula die Einordnung des Subjekts unter
das Prädikat auszudrücken, hat die Wortsprache auf jene äussersten
Fälle (des Subjekts 0 oder Prädikates 1) überhaupt nicht ihr Augen-
merk gerichtet. Indem sie die Kopula die logische Bedeutung „⋹“
gewinnen liess, durfte sie jene Fälle beiseite lassen.
Sie musste ja in der That darauf bedacht sein, die Mittel aus-
zubilden, vermöge deren sich von irgend etwas (nicht aber von nichts)
etwas aussagen lasse, und zwar etwas Bedeutsames, nicht aber etwas
Selbstverständliches und vollkommen Belangloses.
Als ebenso zweck- und nutzlos, wie selbstverständlich, erscheint
aber für das gemeine Leben sowol, wie für die verschiedensten Spezial-
wissenschaften jegliche Äusserung von dem Sinne oder der Form einer
der beiden Subsumtionen der Def. (2). Dass in irgend einer Klasse
unter Anderem auch „nichts“ mitenthalten sei, oder dass irgend eine
Klasse von Dingen in Allem mitenthalten sei, dieses hervorzuheben
dürfte nicht leicht irgendwo von Wert sein. Und zwar kann dies zu-
gegeben werden ganz unbeschadet dessen, dass für die Technik des
Kalkuls jenen Subsumtionen (2) doch eine ganz wesentliche Mission
zufällt, dass ihre Unentbehrlichkeit hiefür bereits erkannt wurde, und
wir allmälig vollends sehen werden, wie sie ihre Mission daselbst glän-
zend erfüllen (die: Ausnahmslosigkeit zu ermöglichen).
Für die gedachten beiden Grenzfälle nun, wo die Einordnung also
selbstverständlich und darum nichtssagend sein würde, hat die Wort-
sprache sich vorbehalten, der Kopula die Kraft des Gleichheitszeichens
zu verleihen.
In Bezug auf (2×) — dass eine Aussage „Nichts (0) ist schwarz
(a)“ sagen will: 0 = a und nicht 0 ⋹ a — haben wir dies bereits
auseinandergesetzt.
Dasselbe trifft auch bezüglich (2+) zu. Geben wir etwa am Ende
einer Aufzählung eines Berichtes die Versicherung ab: „Dies (das Bis-
herige, Aufgezählte, Referirtes a) ist Alles“, so wollen wir damit
sicherlich nicht blos aussprechen, dass das Bisherige (a) in allem
Denkbaren (1) mitenthalten sei neben — Gott weiss noch was — An-
derem, also dass a ⋹ 1 sei, sondern wir wollen versichern, dass die
fragliche oder erwartete Klasse resp. Mannigfaltigkeit von Objekten
oder Ereignissen, umfassend z. B. alles Dasjenige, dessen Kenntniss
für die richtige Beurteilung der Sachlage wesentlich ist, durch das
Aufgezählte, Referirte gerade erschöpft sei — in unsrer Zeichensprache
also, dass a = 1 sei, wenn wir in der That jene ganze Mannigfaltig-
keit mit 1 bezeichnen.
Bedeutet nun also a irgend eine Klasse, wie „schwarz“ oder „Gold“,
etc., so dürfen wir Subsumtionen wie
0 ⋹ a, a ⋹ 1
jedenfalls nicht mit:
„Nichts ist Gold“ resp. „Gold ist Alles“
übersetzen, obgleich 0 nichts und 1 alles Denkbare bedeutet, resp. auf
unserm gegenwärtigen Standpunkte noch bedeuten kann.
Die Übersetzung dieser Subsumtionen in die Wortsprache ist über-
haupt unnötig.
Will man sie aber dennoch ausführen, so ist etwa, wie oben
(unter ϱ), die erstere mit „Das Nichts ist Gold, ist schwarz, etc.“
wiederzugeben — vergleiche „das goldene Nichtschen und das silberne
Warteeinweilchen“ des Volkswitzes im deutschen Sprichwörterschatze.
Bei geeigneter Betonung würde sich sogar die oben zurückgewiesene,
refutirte Aussage aufrecht erhalten lassen. Falsch ist sie nur in der ge-
wöhnlichen Betonung: „Nichts ist schwarz“, welche an den Tonfall des Dak-
tylus: –⏑⏑ wenigstens erinnert. Richtig dagegen (in unserm Sinne) wäre
sie mit der ungewöhnlichen Betonung: „Nichts…ist schwarz“ (es ist ja
ebensogut auch weiss) mit dem Tonfall des Amphimacer oder Kretikus:
–⏑–, und einer Pause hinter der ersten Länge.
Wird 0 anstatt durch „nichts“, durch ein Produkt dargestellt, das O
zum Werte hat, so kann die gewöhnliche Ausdrucksweise wieder Platz
greifen. Da z. B. die Klasse „rundes Quadrat“ = 0 ist, so wäre es
wenigstens unverfänglich zu sagen: „alle runden Quadrate sind schwarz“
und dergl.
Am besten sage man etwa: das Nichts ist in Allem, so auch in
der Klasse a noch mitenthalten.
Die zweite Subsumtion: a ⋹ 1 liesse sich übersetzen mit: „Gold
ist etwas“, „Schwarze Dinge sind etwas“, etc. indem das unbestimmte
Pronomen „etwas“ die Klasse vorstellt, die alles Denkbare unter sich
begreift, alles, wovon man überhaupt zu reden vermöchte.
Es würde diese allumfassende Klasse entsprechen dem von Boole
in die Logik eingeführten „Universum des Diskussionsfähigen“ (uni-
verse of discourse), Jevons' und R. Grassmann's „Totalität“ oder „All“.
Ob es aber angängig ist, eine so umfassende Klasse überhaupt zu
bilden, die unter anderm auch die Ableugnung ihrer eigenen Zulässig-
keit, die Verneinung ihrer Existenz mitenthalten müsste, ob wir diese
hier als Bedeutung unsrer identischen 1 (Peirce's ∞) beilegen dürfen,
soll gleich nachher noch eingehender untersucht werden.
φ) Nach dem Bisherigen dürfte es beinahe überflüssig sein, noch
besonders darauf hinzuweisen, dass auch die Subsumtion
0 ⋹ 1
16*
[244]Vierte Vorlesung.
nicht mit „Nichts ist Alles“ in die Wortsprache übertragen werden
darf, und zwar aus doppeltem Grunde. Desgleichen darf sie nicht
mit „Nichts ist etwas“ wiedergegeben werden (aus einfachem Grunde),
weil hier wenigstens noch das Subjekt „nichts“ — wie vorhin noch
obendrein das Prädikat „alles“ — bewirkt, dass der Kopula „ist“ die
assertorische Kraft des Gleichheitszeichens nach dem Sprachgebrauch
zukommt, statt derjenigen der Einordnung.
Will man jene Subsumtion durchaus in Worte fassen, so sage
man etwa: „Das Nichts ist auch in der Gesamtheit mitenthalten“.
Wir glaubten mit den Betrachtungen unter ϱ), υ) und φ) so ein-
gehend bei einer verhältnissmässigen Kleinigkeit, anscheinenden Baga-
telle verweilen zu sollen, weil in Bezug auf sie und ihre Auffassung
ein schroffer Gegensatz der Meinungen unter den Anhängern verschie-
dener philosophischer Systeme zutage getreten ist und noch immerfort
gestritten wird.
Von Herbart, dem auch Sigwart beitritt, ist in Abrede gestellt,
dass die Wortsprache die Existenz des Subjektes unterstelle, und wird von
letzterem als Beleg das Urteil angeführt: „Der Pegasus ist geflügelt“.
Allerdings will mit diesem und in vielen ähnlichen Urteilen nicht aus-
gesprochen sein, dass es in der Mannigfaltigkeit des Wirklichen überhaupt
Individuen der Subjektklasse gebe, hier also: dass wirklich ein Pegasus
existire. Dennoch aber wird mit dem Urteile ein Subjekt als wirklich
vorhanden gesetzt.
Das logische Subjekt fällt nur hier nicht zusammen mit dem grammati-
kalischen Subjekte. Wir haben den logischen Gehalt des als Beispiel her-
vorgehobenen Urteils schon in § 2 dahin erläutert, dass dasselbe lediglich
behaupte: die Vorstellung des Pegasus ist enthalten in der Klasse der Vor-
stellungen von geflügelten Wesen, und jene Vorstellung ist eine wirkliche,
hat eine historische Existenzberechtigung in einer gegebenen Mannigfaltig-
keit von mythischen Wesen.
Wer diese Wirklichkeit leugnen, die Subjektklasse hier als eine leere
hinstellen wollte, der müsste als einen vollberechtigten Ausspruch auch
das Urteil zugeben: „Der Pegasus ist ungeflügelt“ — oder, sagen wir z. B.
auch „grün“ — kurzum mit jedem beliebig gewählten Prädikate!
Auch der Umstand bildet nur eine Bestätigung unsrer Thatsache:
dass der Glaube an die Existenz so mancher Subjekte oder auch Objekte
— sagen wir z. B. des leibhaftigen Teufels, eines tierisch-magnetischen
Fluidums etc. — eben dadurch erzeugt und gefestigt zu werden pflegt, dass
von früh auf in der Umgebung des heranwachsenden Menschen vielfach
über dieselben ausgesagt, prädizirt wird — ein Verfahren, das als ein
weitverbreiteter Missbrauch dem Aufmerksamen nicht entgehen kann.
Sehr Treffendes über die hier berührte noch nicht abgeschlossene Kon-
troverse sagt auch Venn1 p. 126 sqq., welcher, die Frage wol am gründ-
lichsten behandelnd, derselben ein eignes Kapitel widmet. — Aussagen, Prä-
dikationen über gar nicht existirende Subjekte spielen gerade in den Wissen-
[245]§ 9. Konsequenzen der Adjungirung einer Nullklasse.
schaften eine höchst hervorragende Rolle — wie z. B. in der Mechanik
die Sätze über die „vollkommen“ starren Körper. Solche Sätze haben
wesentlich die Bedeutung von Schlüssen, welche an die Voraussetzung der
absoluten Starrheit eines Körpers die betreffenden Behauptungen als Fol-
gerungen knüpfen; ihr logisches Subjekt ist eben diese Hypothese (der
vollkommnen Starrheit eines Körpers) und erscheinen damit auch sie als
Urteile über Urteile, und somit über Existirendes.
Wenn es demnach mit der Wortsprache sich doch so, wie wir oben
sagten, verhält, so sind wir aber an deren Brauch in unsrer Disziplin
nicht gebunden.
χ)*) Am letzten Beispiel, der Subsumtion 0 ⋹ 1, lässt sich übri-
gens schon darthun, dass es in der That unzulässig ist, unter 1 eine
so umfassende, sozusagen ganz offene Klasse, wie das oben geschilderte
„Universum des Diskussionsfähigen“ (von Boole) zu verstehen.
Wie ausgemacht ist, sollte nämlich 0 in jeder Klasse, welche aus
der Mannigfaltigkeit 1 herausgehoben werden kann, mitenthalten sein,
sodass 0 ⋹ a gilt, 0 sollte Subjekt zu jedem Prädikate sein.
Verstünden wir nun unter a die Klasse derjenigen Klassen der
Mannigfaltigkeit, welche gleich 1 sind, [und dies wäre ja, wenn wir alles
Denkmögliche in die Mannigfaltigkeit 1 hereinziehen dürfen, gewiss
erlaubt], so umfasste diese Klasse wesentlich nur ein Objekt, nämlich
das Symbol 1 selbst, beziehungsweise das Ganze der Mannigfaltigkeit,
die seine Bedeutung ausmacht — ausserdem aber auch „nichts“ mit-
hin O. Da nun also 1 und 0 die Klasse derjenigen Objekte aus-
machten, welche gleich 1 zu gelten haben, so müsste nicht nur: 1 = 1,
sondern auch: 0 = 1 anerkannt werden. Denn ein Prädikat, welches
einer Klasse zukommt (hier das Prädikat, identisch gleich 1 zu sein),
muss auch jedem Individuum dieser Klasse zukommen, gemäss Prinzip II.
In einer solchen Mannigfaltigkeit, wo 0 = 1 gälte, würde jede
Möglichkeit der Unterscheidung zweier Klassen oder auch Individuen
von vornherein ausgeschlossen sein; hier wäre dann alles „wurst“.
Indem man die Gleichung 0 = 1 nach später bewiesenen Regeln beider-
seits mit a, daneben auch mit b multiplizirte [gemäss Th. 16×), 21×) und
22×)] sodann die Ergebnisse 0 = a und 0 = b [gemäss Th. 4)] mitein-
ander vergliche, würde sich die Gleichung a = b als allgemeine Formel ergeben,
gültig, was auch a und b für Klassen oder Individuen vorstellen mochten!
Als allgemeine Formel hingestellt ist solche Gleichung jederzeit ein Unsinn.
Wir werden die Gleichung:
0 = 1
[246]Vierte Vorlesung.
nur anzuerkennen vermögen für eine völlig leere Mannigfaltigkeit 1,
eine Mannigfaltigkeit, welche selbst gar kein Element oder Individuum
enthält — und eine solche schliessen wir von unsern Betrachtungen
grundsätzlich aus.
Die vorstehende Überlegung würde — mutatis mutandis — auch statt-
haft gewesen sein, wenn man in ihr das Symbol 1 von Anfang an durch
den Namen irgend einer speziellen Klasse b der erstbetrachteten Mannigfaltig-
keit ersetzt hätte; sie würde ebenso auf die absurde Gleichung 0 = b ge-
führt haben. Und zwar wie folgt: Es gelte 0 ⋹ a für jede Klasse a.
Versteht man unter a die Klasse derjenigen Gebiete, welche gleich b sind,
so muss diese neben b (welches ja von allen Gebieten ganz allein gleich
b ist) auch die identische 0 enthalten, was eben die Subsumtion 0 ⋹ a
behauptet. Dann muss also auch 0 ein solches Gebiet sein, welches gleich
b ist; es folgt (im Widerspruch mit Obigem) so: 0 = b — für jedes b!
Diese Überlegungen zeigen, dass Boole's universelle Interpretation
der 1 in der That eine zu weitgehende gewesen.*)
Im eigentlichen Gebietekalkul, für die Gebiete a einer Mannigfal-
tigkeit 1 von Punkten z. B., lässt sich die Subsumtion 0 ⋹ a, wie wir
schon sahen, ganz unumschränkt aufrecht erhalten.
Doch ist nun die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Ge-
setze des Kalkuls auch auf die Mannigfaltigkeit, gebildet aus allen
möglichen Klassen, aus irgendwelchen Objekten des Denkens werden über-
tragen lassen.
Es ist gezeigt, dass es unzulässig ist, diese Mannigfaltigkeit 1
vollkommen bestimmungslos, sie gänzlich uneingeschränkt oder offen
zu lassen, indem sich gewisse denkmögliche Formulirungen der Prädi-
katklasse a schon in (2×) als unzulässig erwiesen. Wie muss sie nun
aber beschaffen sein, damit auf sie angewendet, die Regeln des Kal-
kuls, insbesondre die Def. (2×), zu Widersprüchen in sich nicht mehr
führen können?
Ich will die Antwort auf diese schwierige Frage zu geben versuchen.
Wir haben es zunächst zu thun mit einer Mannigfaltigkeit von
irgend welchen „Dingen“ — Objekten des Denkens überhaupt — als
„Elementen“ oder „Individuen“. Diese mögen (sämtlich oder auch zum
Teil) von vornherein gegeben, oder aber (zum andern Teil oder sämt-
lich) nur begrifflich irgendwie bestimmt sein. Denn völlig bestimmungs-
los dürfen sie, wie schon gezeigt, nicht bleiben.
Damit die Symbole 0 und 1 etc. nach den Regeln des Kalkuls in
dieser Mannigfaltigkeit verwendbar seien, wird dieselbe hinsichtlich
[247]§ 9. Konsequenzen der Adjungirung einer Nullklasse.
der Art, wie ihre Elemente gegeben oder auch begrifflich bestimmt
sein dürfen, gewisse Anforderungen zu erfüllen haben.
Als eine erste Anforderung haben wir schon in § 7 unter Postulat
((1+)) die namhaft gemacht: dass die Elemente der Mannigfaltigkeit
sämtlich vereinbar, miteinander „verträglich“ sein müssen. Nur in die-
sem Falle bezeichnen wir die Mannigfaltigkeit mit 1. Im andern da-
gegen ziehen wir für dieselbe den Namen ∞ vor als des einzigen
(Zahl?)-Zeichens aus dem Bereich der Arithmetik, welches daselbst
eine definitiv unerfüllbare Forderung (die: mit 0 multiplizirt 1 zu geben)
ausdrückt (wogegen die anfängliche Unmöglichkeit andrer Symbole,
wie — 1, i = , etc., sich bekanntlich durch Erweiterung des
Zahlengebiets beheben liess), als des spezifischen Symboles, also, der
Unmöglichkeit. [Ein Exempel für letztere wird in Gestalt einer Man-
nigfaltigkeit von miteinander unverträglichen Funktionalgleichungen in
Anhang 5 gegeben.] Eine Mannigfaltigkeit, welche demnach ∞ zu
nennen wäre, lassen wir im „identischen“ Kalkul ausser Betracht.
Sind die Elemente der Mannigfaltigkeit vereinbar, so lassen sich
in derselben kollektiv nach Belieben Systeme, „Gebiete“ aus ihren Ele-
menten zusammensetzen, in ihr abgrenzen, es lassen sich m. a. W.
auch zwecks distributiver Verwendung irgendwie Klassen von Indi-
viduen aus ihr hervorheben.
Und insbesondre gehören auch ihre Individuen selbst mit zu den
Klassen, welche wir dann, wenn sie eben zu nur einem Individuum zu-
sammenschrumpfen, als „monadische“ oder „singuläre“ Klassen bezeich-
nen mögen.
Durch jenen Prozess der beliebigen Hervorhebung von Klassen von
Individuen der ursprünglich gedachten Mannigfaltigkeit wird nun (im
Allgemeinen) eine neue, noch viel umfassendere Mannigfaltigkeit ent-
stehen, geschaffen, nämlich die der Gebiete oder Klassen der vorigen.
So ist die Mannigfaltigkeit der Punktgebiete der Tafelfläche eine
viel umfassendere als die Mannigfaltigkeit ihrer Punkte; denn während
die letztere als Gebiete, Punktklassen, nur irgend welche Flächen ent-
hält, umfasst die erstere ausser diesen selben Flächen (als ihren „sin-
gulären“ Klassen) auch noch alle denkbaren Gattungen von Flächen,
z. B. die Gattung der kreisförmigen Flächen, als Klassen in sich. Jedes
Individuum der letztern Mannigfaltigkeit ist ein Punktgebiet, eine Fläche,
die auch in Linie, Punktgruppe oder Punkt zusammenschrumpfen kann.
Jedes Individuum der erstern ist eine Gattung von Punktgebieten, die
ebenso auch in ein einzelnes Punktgebiet schrumpfen kann und not-
wendig auch alles vorige mit in sich schliesst.
Die neue Mannigfaltigkeit könnte man als die „zweite Potenz“ der
vorigen — besser wohl als deren „erste abgeleitete oder derivirte Mannig-
faltigkeit“ bezeichnen.
Von ihr liesse sich abermals eine (eventuell) neue, noch umfassen-
dere Mannigfaltigkeit „ableiten“, welche als die derivirte der ersten
derivirten oder als die zweite abgeleitete Mannigfaltigkeit der ursprüng-
lichen zu bezeichnen wäre. Und so fort.
Wie aus den vorausgeschickten Überlegungen zu ersehen ist, darf
nun die Bedeutung der identischen 1 sich von der ersten jedenfalls
nicht über die zweite, deren „abgeleitete“ Mannigfaltigkeit, mit er-
strecken, noch weniger also über noch höhere von den abgeleiteten
Mannigfaltigkeiten.
Und damit auch in der ursprünglichen Mannigfaltigkeit die Sub-
sumtion (2+) aufrecht erhalten werden könne, ist von vornherein er-
forderlich (und hinreichend), dass unter ihren als „Individuen“ gegebenen
Elementen sich keine Klassen befinden, welche ihrerseits Elemente der-
selben Mannigfaltigkeit als Individuen unter sich begreifen.
Bildete man auch nur eine singuläre „Klasse“ in ebendieser und
liesse solche als ein neues Individuum derselben zu, so drängte augen-
blicklich wieder die identische Null sich zu ihr hinzu, schlüpfte sozu-
sagen durch die Thür der Def. (2×) in sie ein.
Ich werde eine Mannigfaltigkeit der genannten Art eine „reine“
nennen — im Gegensatz zu einer „gemischten“, bei welcher obige An-
forderung nicht durchaus erfüllt ist, also wenigstens einzelne ihrer
Elemente Klassen sind, die schon andere Elemente derselben als In-
dividuen enthalten.
Damit der identische Kalkul auf eine Mannigfaltigkeit anwendbar
sei, muss sie eine reine Mannigfaltigkeit sein von vereinbaren Elementen.
ψ) Auch auf die derivirte einer solchen Mannigfaltigkeit ist der
identische Kalkul wiederum anwendbar, nur muss die Null in dieser
unterschieden werden von der Null in jener, der ursprünglichen Mannig-
faltigkeit. Ebenso auch selbstverständlich die Eins, indem ja die eine
Mannigfaltigkeit als Ganzes nicht identisch war, sich nicht deckte mit
der andern; überhaupt werden in ihr sämtliche Ausdrücke, Operations-
und Beziehungszeichen eine neue, eigenartige Bedeutung beanspruchen.
Ein Gebiet 0, welches die fundamentale Eigenschaft: 0 ⋹ a nicht
nur in der ursprünglichen, sondern zugleich auch in der abgeleiteten
zweiten Mannigfaltigkeit besässe, kann es, wie wir gesehen, jedenfalls
nicht geben; ein solches zu fingiren wäre nicht zulässig, man könnte,
[249]§ 9. Reine Mannigfaltigkeit.
ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, es nicht einführen. M. a. W.
Man darf die Betrachtungen innerhalb der ersten mit denjenigen innerhalb
der zweiten Mannigfaltigkeit nicht vermengen.
Schon das Subsumtionszeichen gibt zwischen Gebiete gesetzt einen
ganz anderen Sinn, als wenn es Klassen von Gebieten verknüpft.
Zur Unterscheidung wollen wir die Klassen der ursprünglichen
Mannigfaltigkeit — also etwa Punktgebiete unsrer Tafel — wie früher
mit kleinen, dagegen die Klassen ihrer derivirten Mannigfaltigkeit, d. i.
also Gattungen von Punktgebieten, oder Klassen jener Klassen, mit
grossen lateinischen Buchstaben darstellen.
Was dann eine Subsumtion a ⋹ b ausdrückt, haben wir längst
erörtert. Auch fahren wir fort, die identische Null dieser ursprüng-
lichen Mannigfaltigkeit mit 0, die ganze mit 1 zu bezeichnen. Es
mögen uns a', a'', a''', … noch spezielle Punktgebiete oder Klassen
der ursprünglichen Mannigfaltigkeit vorstellen.
Wenn nun in der zweiten oder derivirten Mannigfaltigkeit eine
Subsumtion
A ⋹ B
gelten soll, so müssen alle in A zu einer Gattung zusammengefassten
Punktgebiete auch vorkommen unter den in B zusammengefassten.
Das Gebiet 0 kann dabei zu jenen gehören oder auch nicht.
Wenn etwa:
gerade die rechts angemerkten Gebiete umfasst, so ist die Subsumtion
A ⋹ B beispielsweise erfüllt. Und zwar ist hier A ⊂ B. Hielten
wir aber die Bedeutung von A fest, so wäre A = B nur dann zu
nennen, wenn auch B nur die drei angeführten Gebiete O, a, a'
enthielte.
Ich verbinde die zu einer Klasse A oder B zusammengefassten Ge-
biete rechts hier nicht durch Pluszeichen, weil solche als Gebiete-ver-
knüpfende bereits einen abweichenden Sinn erhalten haben, und ihre An-
wendung bei B, z. B., bewirken würde, dass wir von den angeführten
Gebieten nach Th. 22+) nur mehr das eine 1 behielten.
Auch in unsrer zweiten Mannigfaltigkeit ist der Fall zulässig,
dass die Klassen (Gebietgattungen) A, B als singuläre zu verstehen
[250]Vierte Vorlesung.
sind, nämlich je in ein individuelles Gebiet ausarten. Es mag einmal
A = a, und vielleicht ebenso B = b je nur ein Gebiet vorstellen.
Im Allgemeinen wird dann nicht mehr A ⋹ B sein. Dass aber
trotzdem vielleicht noch a ⋹ b sein kann, vermöchten wir in dieser
zweiten Mannigfaltigkeit nun überhaupt nicht auszudrücken — jeden-
falls nicht mittelst des bisherigen Subsumtionszeichens.
Hieran wird auch die Möglichkeit ersichtlich, dass A B von a b ver-
schieden; es muss z. B. das erstere Produkt unter den angegebnen Vor-
aussetzungen, sobald nur b mit a nicht gerade zusammenfällt, verschwinden,
ohne dass doch a b, welches = a, gleich 0 zu sein brauchte.
Das angeführte Beispiel, wo etwa A = a, B = b, a ⋹ b und doch
nicht A ⋹ B augenscheinlich ist, lässt erkennen, dass es beim Über-
gang von Betrachtungen innerhalb der ersten zu solchen innerhalb
der zweiten Mannigfaltigkeit nicht einmal erlaubt sein wird, zu beiden
Seiten einer Subsumtion Gleiches für Gleiches zu setzen, und zwar aus
dem Grunde, weil bei Ausführung der Substitution auch das Subsum-
tionszeichen seine Bedeutung notwendig ändert!
Sollte A ⋹ B sein während A = a und B = b singuläre Klassen
von Gebieten, also Einzelgebiete selber vorstellen, so wäre der Fall
A ⊂ B undenkbar, indem ja B dann ausser dem A (welches einerlei
mit a ist) noch mindestens ein zweites Gebiet enthalten müsste, im
Widerspruch zu der Annahme, dass es auch nur ein Gebiet, b, um-
fasse. Es bliebe nur die Möglichkeit A = B übrig, und wäre es so-
nach dasselbe Gebiet a, = b, das beide Klassen ausschliesslich ent-
hielten. —
Wir hätten nun in der zweiten Mannigfaltigkeit A gleich O („gross
Null“) zu nennen, wenn A eine leere Klasse ist, welche gar kein Ge-
biet der ersten Mannigfaltigkeit enthält, also jedenfalls auch deren
Nullgebiet (klein) 0 nicht — auch nicht einmal dieses.
Hieraus erhellt, dass in der That die Nullklasse der zweiten Man-
nigfaltigkeit, O, eine ganz andere Bedeutung hat, als diejenige 0 der
ersten, dass sogar erstere die letztere auch nicht unter sich begreift.
Das Nullgebiet der ersten Mannigfaltigkeit ist, als ein „Gebiet“, doch
gewiss ein ordentliches, legitimes Individuum der zweiten; das „Nichts“
in jener ist „Etwas“ in dieser.
Zu dem absurden Ergebniss 0 = 1 waren wir aber oben, bei χ),
im Grunde nur gelangt, indem wir beide Nullen verwechselten, auch
die andre, O, mit 0 bezeichneten. —
Lag hienach eine Mannigfaltigkeit ursprünglich vor, auf welche
die Postulate unsres Kalkuls anwendbar waren, so durfte die Bedeu-
tung der 1 schon nicht über die Ableitung oder Derivirte dieser Mannig-
[251]§ 9. Reine Mannigfaltigkeit.
faltigkeit mit erstreckt, und jedenfalls also auch nicht über alles Denk-
mögliche überhaupt ausgedehnt werden!
Es ist indess auch gar nicht wünschenswert, die Bedeutung der 1
in solch' abstrakter Allgemeinheit, wie Boole sie anstrebt, zu fassen.
Jede Untersuchung dreht sich doch nur um gewisse Dinge. Diese
werden als eine „reine“ Mannigfaltigkeit sich ansehen lassen, insofern
es eben möglich und geboten sein wird, von den Untersuchungen über
irgendwelche Klassen dieser Dinge getrennt zu halten alle etwaigen
Untersuchungen über die Klassen der Klassen von ebendiesen Dingen!
Man strebt, bei den Untersuchungen folgerichtig denkend zuwerke
zu gehen. Will man die Schlüsse, die auszuführen sind, sich in der
knappsten Form, wie sie allein die algebraische Zeichensprache ge-
währen kann, zum Bewusstsein bringen, sie nach den Methoden der
logischen Theorie kontrolliren, oder auch sogleich von der Technik
des Kalkuls für die Probleme der Untersuchung Nutzen ziehen, so
empfiehlt es sich, und genügt es, nur eben jene Dinge, um welche die
Untersuchung sich dreht, zu einer umfassendsten Klasse zusammen-
zufassen, und sie als „die ganze Mannigfaltigkeit“ oder „identische
Eins“, als den „Denkbereich“, mit der Ziffer 1 zu bezeichnen.
ω) Zum Schlusse wollen wir noch, obwol es nicht mehr ganz
unter die Überschrift dieses Paragraphen gehört, die identischen Ope-
rationen und Symbole in Vergleichung ziehen mit den gleichnamigen
arithmetischen, mit den sonstigen mathematischen.
Die durchgängige Übereinstimmung ihrer formalen Eigenschaften,
welche aufseiten der identischen Operationen nur noch ein kleines Mehr
aufweist, rechtfertigte bereits ihre übereinstimmende Benennung und
Bezeichnung mit den arithmetischen Operationen, wenigstens für ein
selbständiges (mit arithmetischen Untersuchungen nicht vermengtes)
Studium des identischen Kalkuls, wie es hier dargestellt ist.
Im übrigen aber zeigt ihrer Bedeutung nach die identische Mul-
tiplikation gar keine, die Addition nur eine bedingte Verwandtschaft mit
der arithmetischen Operation gleichen Namens. Letzteres insofern:
Ist die identische Summe a + b zweier Gebiete eine „reduzirte“,
sodass a b = 0 ist, mithin kein Teil des einen Summanden als ein auch
im andern versteckter, implicite in diesem tautologisch wiederholt er-
scheint, so wird die Maasszahl jener Summe a + b auch die arith-
metische Summe a' + b' der Maasszahlen a' und b' ihrer Glieder a und
b sein. In diesem Falle lässt sich dann also das Pluszeichen ohne
weiteres beibehalten, wenn man unter a, b und a + b, statt diese Ge-
[252]Vierte Vorlesung.
biete selber, nur ihre Maasszahlen verstehen will, und die identische
Addition geht bei solchem Wechsel der Deutung in die arithmetische
über, fällt völlig mit ihr zusammen.
Anders, wenn das identische Produkt a b nicht 0 ist, wenn a und
b einen Teil a b gemeinhaben. Hier würde, wie leicht zu sehen, das
arithmetische Aggregat:
a' + b' — (a b)'
als die Maasszahl der identischen Summe a + b anzusetzen sein, wenn
darin (a b)' diejenige des identischen Produktes a b bedeutet. Dem Um-
stande, dass in a' + b' der beiden Gliedern gemeinsame Teil (a b)'
doppelt in Anrechnung gebracht ist, müsste dann eben durch ein-
maliges Subtrahiren des letztern nur einfach abgeholfen werden.
Es begreift dieser Ansatz auch den vorhin besprochenen Fall mit
unter sich, und ist derselbe also als allgemeingültig anzusehen, indem
für a b = 0 auch (a b)' = 0 sein muss (was aber nicht umgekehrt zu
gelten braucht*), nämlich die Maasszahl eines Gebietes welches als
identische Null verschwindet, sicher die arithmetische Null sein wird.
Bei gemischten Untersuchungen ist aber, was beachtenswert und
vielleicht für den Anfänger überraschend, auch die identische Null,
das logische „Nichts“ von dem Zahlindividuum 0 sorgfältig zu unter-
scheiden. Ein einfaches Beispiel schon vermag dies darzuthun. Das
identische Produkt 2 · 3, z. B., (im Gegensatz zum arithmetischen 2 × 3
verstanden) ist „nichts“, nämlich der identischen Null gleichzusetzen,
weil es Nichts geben kann, was zugleich 2 und 3 wäre. Würde man
es aber der arithmetischen Null gleichsetzen, so hiesse das: behaupten,
dass das Zahlindividuum 0 einerlei sei mit den Zahlindividuen 2 und
3, was absurd.
Bei der Rechnung mit vieldeutigen arithmetischen Ausdrücken
muss demnach nicht nur das identische vom arithmetischen Produkt
mittelst konsequenter Anwendung verschiedener Malzeichen, sondern
es muss auch die identische Null von der arithmetischen etwa durch
kursiven Druck der erstern oder einen über sie gesetzten Punkt, Accent
oder dergleichen unterscheidbar gemacht werden. Ebenso würde die
identische Eins hier das ganze Zahlengebiet, auf welchem die Unter-
suchungen sich bewegen, vorzustellen haben und erscheint es über-
[253]§ 9. Fortsetzung.
flüssig zu betonen, dass sie von der arithmetischen 1 unterscheidend
bezeichnet werden müsse.
Sind a, b lineare oder Flächen- oder Raumgebiete und als solche durch
ihre Begrenzung gegeben, so würde es nach den in Herrn Otto Bödicker's
„Erweiterung der Gauss'schen Theorie der Verschlingungen“ etc. (Stutt-
gart, Spemann 1876, 68 Seiten) entwickelten Methoden nicht schwer fallen,
die Maasszahlen (a + b)' und (a b)' ihrer identischen Summe und desgl.
Produktes durch Integrale darzustellen, erstreckt über die Gebiete a, b
selbst oder ihre Umgrenzungen.
Wenn sonach die Analogie der identischen beiden Grundoperationen
mit ihren arithmetischen Namensverwandten keine tiefgehende ist, so
tritt dafür eine sehr weitgehende Analogie jener beiden mit gewissen
komplizirteren arithmetischen Operationen zutage, die wir nur kurz
anführen wollen: die identische Multiplikation verhält sich ihrem ganzen
Wesen nach durchaus ähnlich, wie die Operation der Aufsuchung des
grössten gemeinschaftlichen Divisors oder Teilers gegebener Zahlen und
die identische Addition entspricht ebenso der Aufsuchung ihres kleinsten
gemeinschaftlichen Multiplums oder Vielfachen.
In der That könnte man hinstellen: das identische Produkt von
Gebieten als das grösste denselben gemeinsame Gebiet, als das umfas-
sendste von all' den Gebieten, welche ihnen gemein sind; desgleichen
die identische Summe von Gebieten als das kleinste von all' den Ge-
bieten, die ein jedes von den gegebnen in sich enthalten, als das min-
dest umfassende also von denen, die diese alle gemein haben.
Die Wahrnehmung dieser auch Herrn Georg Cantor nicht entgangenen
Analogie hat in der That Herrn Dedekind veranlasst, in seiner schon
erwähnten Abhandlung1 unser identisches Produkt a b, welches er die „Ge-
meinheit“ von a und b nennt, mit G (a, b), unsre von ihm die „Zusammen-
setzung“ genannte identische Summe a + b mit M (a, b) darzustellen. Da
diese Bezeichnung unstreitig etwas schwerfälliger erscheint, wie die unsrige,
so möchte ich, sogar bei logisch-arithmetischen Untersuchungen gemischter
Art, unterscheidenden Knüpfungszeichen, z. B. für die identische Addition
einem erheblich kleineren Pluszeichen im allgemeinen den Vorzug geben.
Eventuell, namentlich für schriftlichen Gebrauch, dürfte es sich in solchen
Fällen auch empfehlen gemäss Herrn Peirce's zeitweiliger Übung eines
Pluszeichens mit in die Ecke rechts unten gesetztem Komma +, als iden-
tischen Knüpfungszeichens sich zu bedienen zur Unterscheidung vom ein-
fachen als dem arithmetischen +Zeichen — wobei dann auch die Summen
und Produktzeichen Σ, Π, wenn als identische (nicht arithmetische) zu
deuten, mit einem Komma als Apostroph nur zu versehen wären, gleichwie
erforderlichenfalls die 0 und 1 — vergl. S. 193 sq.
12) Theorem. Für die identischen Operationen gilt das „Kommuta-
tionsgesetz“:
| 12×) a b = b a. | 12+) a + b = b + a. |
Nach diesem dürfen die beiden
| Faktoren eines identischen Pro- duktes | Glieder einer identischen Summe |
miteinander ausgetauscht werden — ohne dass dies von Einfluss auf die
Bedeutung, den Wert des Ausdrucks wäre. Die identische Multipli-
kation resp. Addition — können wir auch sagen — ist eine „kommu-
tative“ Operation; ihr Ergebniss ist „symmetrisch“ in Bezug auf die
(beiden) Operationsglieder.
Beweis des Satzes. Nach den Formeln des Th.
| 6×) a b ⋹ b, a b ⋹ a | 6+) b ⋹ a + b, a ⋹ a + b |
von welchen ja nach Anmerkung zu Pr. I, S. 170, eine beliebige zu-
erst statuirt werden durfte, folgt gemäss Def. (3×)' resp. (3+)':
| a b ⋹ b a | b + a ⋹ a + b |
und in dieser hiemit allgemein bewiesenen Formel darf man auch a
und b vertauschen und erhält:
| b a ⋹ a b | a + b ⋹ b + a |
was mit dem vorigen Ergebniss nach Def. (1) zusammenfliesst zu
| a b = b a, | a + b = b + a, |
welches zu beweisen war.
[Das zweite Ergebniss hätte auch, analog wie das erste, direkt
aus den vom Th. 6) gelieferten Subsumtionen:
| b a ⋹ a, b a ⋹ b | a ⋹ b + a, b ⋹ b + a |
nach Def. (3)' abgeleitet werden können; doch wäre diese Variante
des Beweises augenscheinlich etwas weniger einfach gewesen.]
Exempel. a = Adelige, b = Besitzende.
Die Besitzenden unter den Adeligen sind einerlei mit den Adeligen
unter den Besitzenden.
Anderes Beispiel: a = weiss, b = Pferd. Etwas weisses, was ein
Pferd ist, muss ein Pferd sein, welches weiss ist, und vice versā.
Sei a = Europäer, b = Russe, so gilt: Europäer und Russen sind
Russen oder Europäer. Die Europäer nebst den Russen sind die Russen
oder Europäer.
Es bedeute a das, was einem andern (einer bestimmten Klasse) unter-
geordnet ist, b das, was ebendiesem gleich ist, so gilt: gleich sowie unter-
geordnet ist untergeordnet oder gleich.
13) Theorem. Für die identischen Operationen gilt auch das
„Assoziationsgesetz“:
| 13×) a (b c) = (a b) c. | 13+) (a + b) + c = a + (b + c). |
Wenn man in bestimmter Folge, sei es
| ein Symbol mit dem Produkt zweier andern Symbole, | ein Symbol zu einer Summe zweier andern Symbole, |
sei es
| ein Produkt zweier Symbole mit einem dritten (Symbol) multiplizirt | eine Summe zweier Symbole zu einem dritten Symbol addirt |
so ist es nach dem angegebenen Satze für den Wert des Ergebnisses
gleichgültig, ob sich der in seinem Ausdruck in die Mitte tretende
| Faktor | Term oder Summand |
(hier b) mit dem ersten (a) oder ob er sich mit dem letzten (c) der
drei genannten Symbole „vergesellschaftet“ oder „assoziirt“, nämlich ob
er mit diesem oder mit jenem vermittelst einer Klammer zusammen-
geschlossen und dadurch zu
| einem Teilprodukte | einer Teilsumme |
des ganzen Ergebnisses vereinigt wird — unter
| Teilprodukt ein solches Produkt | Teilsumme eine solche Summe |
verstanden,
| welches selbst wieder Faktor eines andern Produktes ist. | welche ihrerseits als Term einer andern Summe erscheint. |
Es erscheint hienach der Name des „Assoziationsgesetzes“ gerecht-
fertigt.
Man sieht, wie viel einfacher in Formeln, als in Worten, sich
ein solches Gesetz darstellt.
In dem formalen Ausdruck des letzteren treten Klammern auf,
und ist dies in unserm Lehrgebäude hier wesentlich zum ersten mal
[256]Fünfte Vorlesung.
der Fall. Über Zweck, Sinn und Verwendungsweise dieses Elementes
der Zeichensprache, welches für die Erzielung knapper Ausdrucks-
formen so hoch wichtig ist, im Grunde jedoch — zur Not — ent-
behrt werden könnte, möge auf den Exkurs über Klammern in An-
hang 2 verwiesen sein.
Beweis des Theorems. Nach 6×) resp. 6+) ist:
| b c ⋹ c und a (b c) ⋹ b c, | c ⋹ b + c und b + c ⋹ a + (b + c) |
| folglich nach II: | somit nach II: |
| a (b c) ⋹ c. | c ⋹ a + (b + c). |
| Ebenso ergibt aus | Ebenso ist: |
| b c ⋹ b und a (b c) ⋹ b c | b ⋹ b + c, b + c ⋹ a + (b + c), |
| sich auch: | somit: |
| a (b c) ⋹ b. | b ⋹ a + (b + c). |
| Endlich ist nach 6×) unmittelbar: | Endlich ist nach 6+) unmittelbar: |
| a (b c) ⋹ a. | a ⋹ a + (b + c). |
| Aus dieser letzten und der vorher- gehenden Subsumtion folgt nach Def. (3×)': a (b c) ⋹ a b | Aus dieser und der vorhergehenden Subsumtion folgt nach (3+)': a + b ⋹ a + (b + c) |
| und hieraus, in Verbindung mit der vorher erwiesenen Subsumtion [a (b c) ⋹ c] folgt ebenso: | und hieraus, in Verbindung mit der zuerst konstatirten Subsumtion c ⋹ a + (b + c) folgt ebenso: |
| a (b c) ⋹ (a b) c. | (a + b) + c ⋹ a + (b + c). |
Analog zeigt man, dass umgekehrt:
| (a b) c ⋹ a (b c) | a + (b + c) ⋹ (a + b) + c |
ist, womit sich dann die Gleichheit der beiderseitigen Ausdrücke nach
Def. (1) bewiesen findet.
| In der That ist nach 6×): | Man hat nämlich nach 6+): |
| (a b) c ⋹ a b, desgl. a b ⋹ a | a ⋹ a + b, a + b ⋹ (a + b) + c, |
| folglich a fortiori: | folglich |
| (a b) c ⋹ a. | a ⋹ (a + b) + c. |
| Aus | Ebenso |
| (a b) c ⋹ a b und a b ⋹ b | b ⋹ a + b, a + b ⋹ (a + b) + c, |
| folgt ebenso: | woraus: |
| (a b) c ⋹ b. | b ⋹ (a + b) + c. |
| Endlich ist nach 6×) direkt: | Endlich nach 6+) direkt: |
| (a b) c ⋹ c. | c ⋹ (a + b) + c. |
| Aus den zwei letzten Subsumtio- nen folgt nach (3×)': (a b) c ⋹ b c, | Hienach haben wir, kraft (3+)': b + c ⋹ (a + b) + c, |
| und hält man mit dem vorher- gehenden Ergebniss (a b) c ⋹ a | und da oben bereits a ⋹ (a + b) + c |
| dies letztere zusammen, so ergibt sich wiederum nach (3×)' | gefunden ist, folgt endlich nach (3+)', weiter: |
| (a b) c ⋹ a (b c). | a + (b + c) ⋹ (a + b) + c. |
q. e. d.
Die vorstehenden Beweise der Assoziationsgesetze bilden meines Er-
achtens eine der schönsten Leistungen des Herrn Peirce.
Exempel zu dem Satze. Die Gebildeten (a) unter den adeligen
Grundbesitzern (b c) sind die gebildeten Adligen (a b) unter den Grund-
besitzern (c).
Gebildete oder auch Adelige (a + b) nebst den Besitzenden (c) sind
dieselbe Klasse von Personen, wie Gebildete (a) nebst den Adeligen oder
auch Besitzenden (b + c).
Exemplifikationen zu 13+) sind in der Wortsprache nicht leicht aus-
drucksvoll darzustellen, weil in dieser ja Klammern nicht verwendet werden
und, wo sie doch der Deutlichkeit wegen erforderlich wären, deren mentale
Ergänzung höchstens durch die Betonung nebst geeigneten Pausen, durch
den Rythmus der Rede angedeutet zu werden vermag. Im vorliegenden
Falle jedoch pflegt die Wortsprache — ohnehin gerechtfertigt durch die
Theoreme 13) selbst, vergl. die nachfolgenden Zusätze und Zusatzdefinitionen
— bei der additiven Vereinigung oder kollektiven Zusammenfassung von
drei oder mehr Klassen dieselben stets unterschiedslos, eventuell durch
Konjunktionen wie „und“, „sowie“, „oder“ verknüpft hintereinander auf-
zuzählen; sie pflegt die Theoreme 13) allgemein dahin zu verwerten, dass
sie es sich erspart, sich schenkt, Ausdrucksformen für Unterschiede auf-
zustellen, die ohnehin belanglos sind.
Zusatz 1) und Zusatzdefinition.
Die konsequente Ausdehnung der vorstehenden speziellen Kommu-
tations- und Assoziationsgesetze zu den gleichnamigen allgemeinen
Sätzen, welche sich auf beliebig viele Operationsglieder beziehen, ist
nun geradeso, wie in der Arithmetik, zu leisten.
Es würde in diesen Prozess der Verallgemeinerung, hier wie dort,
nur das Th. 16) noch mit hereinzuziehen sein.
Die verallgemeinerten Sätze lassen sich zu dem Ausspruche zu-
sammenfassen, dass bei der Verknüpfung beliebig vieler Symbole durch
lauter Multiplikationen resp. lauter Additionen die Reihenfolge oder
„Ordnung“ und die „Gruppirung“ oder Zusammenfassung dieser Opera-
tionsglieder gleichgültig ist, insbesondre also auch Klammern nach
Belieben gesetzt oder unterdrückt werden dürfen.
Auf diese Sätze ist endlich auch die Begriffserklärung
| eines Produktes | einer Summe |
von beliebig vielen
| Faktoren | Gliedern |
genau wie in der allgemeinen Arithmetik zu gründen.
Die Ausführung dieses Programmes kann nur eine Wiederholung
desjenigen sein, was manchen Lesern aus den Werken von wissen-
schaftlicher Tendenz über letztere Disziplin bereits bekannt ist.
Zudem wird durch dieselbe in logischer Hinsicht nichts Wesentliches
hinzugefügt, und sei sie darum ebenfalls in den Anhang verwiesen
(Anhang 3).
Es lässt sich nun auch ein Produkt, eine Summe von drei oder
mehr Gebieten wieder als ein solches zur Anschauung bringen, wie
es für drei Operationsglieder die Figuren zeigen:
Figure 15. Fig. 11×. | Figure 16. Fig. 11+. |
Man nehme sich die Mühe, an diesen Figuren die Gültigkeit des Asso-
ziationsgesetzes 13) wirklich nachzusehen, indem man
| einmal die Zweieckfläche, das Bili- neum a b mit der Kreisfläche c, das andere mal die Kreisfläche a mit der Zweieckfläche b c vor dem gei- stigen Auge zum Schnitt bringt. | einmal die (ebenfalls von zwei Kreisbogen begrenzte) hier in Ge- stalt eines liegenden Achters sich darstellende Fläche a + b mit dem Kreis c, das andre mal den Kreis a mit der Achterfläche b + c zu einem Gebiet vereinigt. |
Beidemal erhält man in der That dieselbe schraffirte Figur als die
Bedeutung von
| a b c | a + b + c. |
Zusatz 2), auch gehörig zur Def. (3).
Die beiden Teile (3)' und (3)'' der Def. (3) lassen sich nun-
mehr leicht von zweien auf beliebig viele Subsumtionen ausdehnen,
nämlich:
[259]§ 10. Reine Gesetze.
Und umgekehrt:
Der Beweis ist naheliegend, nämlich z. B. linkerhand so zu leisten.
Ad (3×)'''. Aus x ⋹ a nebst x ⋹ b folgt nach (3×)', dass x ⋹ a b;
hieraus aber in Verbindung mit x ⋹ c folgt abermals nach (3×)', dass
x ⋹ (a b) c, oder, weil die Klammer weggelassen werden darf, dass
x ⋹ a b c. Hieraus dann und aus der Voraussetzung x ⋹ d folgt wieder
nach (3×)', dass x ⋹ (a b c) d sein muss, wo nun abermals die Klammer
wegzulassen ist, u. s. w.
Ad (3×)'''' kann man in der Voraussetzung auch unter Anbringung
einer Klammer die rechte Seite als ein Produkt von nur zwei Faktoren
schreiben, sodass sie sich darstellt als: x ⋹ a (b c d …). Hieraus folgt
aber nach (3×)'', dass x ⋹ a, sowie x ⋹ b c d … sein muss. Letzteres
kann wieder geschrieben werden: x ⋹ b (c d …) und zerfällt nach (3×)''
abermals in x ⋹ b nebst x ⋹ c d … Indem man so weiterfährt, ge-
winnt man fortschreitend die verschiedenen Subsumtionen, welche die
Behauptung ausmachen. —
Exempel zum Vorstehenden haben wir schon in § 8 unter λ)
gebracht.
Es könnten vorstehende Sätze auch als selbständige Definition von
Produkt und Summe aus beliebig vielen Operationsgliedern (Faktoren
resp. Summanden) hingestellt werden, während im gegenwärtigen Lehr-
gang wir vorgezogen haben, diese Begriffe rekurrirend auf diejenigen
der „binären“ (d. h. immer nur zwei Symbole auf einmal verknüpfenden)
Multiplikation und Addition zurückzuführen.
14) Theoreme. („Tautologiegesetze“.) Allgemein ist:
| 14×) a a = a. | 14+a + a = a. |
Beweis. Nach Th. 6×) resp. 6+), wenn darin a für b genommen
wird, ist einerseits:
| a a ⋹ a. | a ⋹ a + a. |
Andrerseits treffen die Voraussetzungen der Def. (3) nach I zu,
wenn unter c und b dort ebenfalls a verstanden wird, und ist dar-
nach auch:
| a ⋹ a a, | a + a ⋹ a, |
sodass nach Def. (1) nun unser Lehrsatz bewiesen erscheint.
Während die vorhergehenden Theoreme Eigenschaften ausdrückten,
welche den arithmetischen Operationen ganz ebenso wie den identischen
zukommen, ist dies mit den Theoremen 14) nicht der Fall. Wir mögen
letztere deshalb als die spezifischen Gesetze des identischen (sowie auch
des logischen) Kalkuls hinstellen.
In der Arithmetik würde Gleichung 14+) nur für den Wert 0,
Gleichung 14×) nur für die Werte 0 und 1 von a erfüllt sein; ausserdem
könnte man beide Gleichungen noch für a = ∞ in Anspruch nehmen,
welch' letzteres Symbol aber nicht zu den Zahlen gehört.
In Worten lassen sich die beiden Sätze wie folgt fassen:
Identische
| Multiplikation | Addition |
eines Gebietes
| mit sich selbst | zu sich selbst |
lässt dasselbe unverändert — doch ist der Formelausdruck als der über-
sichtlichere dem verbalen vorzuziehen.
Die Anschauung lässt beide Sätze als ganz selbstverständlich er-
scheinen. Das Gebiet
| welches a mit sich selbst gemein hat | zu welchem a sich selbst ergänzt |
ist eben a selber. Entsprechend für Klassen:
Ein Mensch, welcher ein Mensch ist, ist ein Mensch, und umgekehrt
darf man auch sagen: ein Mensch ist ein Mensch und ein Mensch, ist
ein Mensch, welcher ein Mensch ist. Was Gold oder auch Gold ist, ist
eben Gold — sowie umgekehrt.
Freilich ist die Bemerkung am Platze, dass man durch solche Urteile
sich einer unnötigen Wiederholung, einer „Tautologie“, eines „Pleonasmus“
schuldig mache. Es wird auch in der That kaum jemals einem Vernünf-
tigen einfallen solchergestalt in unverhüllter Form, sozusagen nackt zu
sagen: „die Pferde, welche Pferde sind“, „die Neger-Mohren-Neger“ und
ebensowenig „die Menschen und die Menschen und die Menschen“ oder der-
gleichen.
In verhüllter Form dagegen — implicite — wird solches, wie sich
zeigen lässt, in den Wissenschaften sowol wie im gemeinen Leben, ungemein
häufig gethan. Ein paar Beispiele werden genügen, dies zum Bewusstsein
zu bringen.
Zum Zwecke einer zahlentheoretischen Untersuchung mögen wir etwa
aus der Mannigfaltigkeit der positiven ganzen Zahlen diejenigen hervor-
[261]§ 10. Reine Gesetze.
heben, „welche nur durch 1 und durch sich selber teilbar sind“. Die so
charakterisirte Klasse wird dann bestehen aus den Primzahlen (d. i. den
Zahlen die zwei Teiler haben) und aus der bekanntlich nicht zu diesen
gehörigen Eins (die ja nur einen Teiler hat). Für letztere aber ist es
oben doppelt gesagt, dass sie durch 1 teilbar, denn bei ihr heisst eben
„durch sich selber“ ebenfalls „durch eins“ teilbar. Von ihr sagten wir
also in versteckter Form aus, dass sie „durch 1 und durch 1“ teilbar sei
— eine ausserhalb des Zusammenhanges jedenfalls überflüssige Wiederholung,
die aber innerhalb des Zusammenhanges ganz unerlässlich ist, um die ver-
bale Charakterisirung der Klasse so kurz wie oben zu gestalten.
Verfügt man bereits über den Namen „Primzahlen“, sind diese schon
eingeführt, ist ihr Begriff bereits erklärt, so kann man freilich die hervor-
zuhebende Klasse von Zahlen ungefähr ebenso kurz bezeichnen als die der
„Primzahlen nebst der Eins“; jedoch tritt hier erstlich der Gesichtspunkt,
unter dem man die Zahlen hervorheben will, nicht so deutlich zutage, und
zweitens mochte ja auch die ganze Untersuchung der Einführung des Prim-
zahlbegriffs vorangegangen sein.
Sprechen wir einmal von „den Besitzenden und den Adeligen“, so
sind die besitzenden Adeligen augenscheinlich doppelt aufgeführt, nämlich
einerseits unter den Besitzenden, dann nochmals unter den Adeligen. Die
Beschreibung der Klasse fällt aber jedenfalls so einfacher aus, als wenn
man diesen Umstand vermeiden wollte.
In Bezug auf weitere Beispiele möge noch auf die Betrachtungen
unter § 18, α ‥ δ) verwiesen sein.
Was nun aber (beim Beschreiben, Charakterisiren von Klassen) in
verhüllter Gestalt implicite, ganz allgemeine Praxis ist, muss im System der
Wissenschaft auch unverhüllt, ausdrücklich, explicite eine Stelle finden.
Zusatz 1 zu Th. 14). Die Ausdehnung dieser spezifischen
Gesetze des identischen Kalkuls auf beliebig viele unter sich gleiche
Operationsglieder ist naheliegend. Wir haben hier auch als all-
gemeingültige Formeln:
| a a a … = a. | a + a + a + … = a. |
Behufs Beweises hätte man — unter Vorausbeziehung auf
Th. 16) — z. B.:
a a a = (a a) a = a a = a,
sodann
a a a a = (a a a) a = a a = a,
u. s. w.
Die erste lässt erkennen, dass eine Operation des „Potenzirens“ im
identischen Kalkul nicht vorkommt. Die „Potenzexponenten“ der Arithmetik
bleiben hier als obere Indices für uns verfügbar, und werden wir speziell
unter a1 hier im allgemeinen nicht a selber, sondern irgend ein zweites
von a vielleicht verschiedenes Gebiet verstehen; ebenso wird uns
a, a0, a1, a2, a3, …
[262]Fünfte Vorlesung.
weiter nichts als eine Reihe von einander vielleicht durchweg verschiedener
Gebiete oder Klassen vorstellen.
Die zweite Formel zeigt, dass der Zusammenhang, wie er zwischen
Addition und Multiplikation in der Arithmetik besteht — allerdings nur
für den Fall eines positiven ganzzahligen Multiplikators, ein Zusammen-
hang, der aber gerade die Multiplikation zur Operation der zweiten Stufe
dort der Addition gegenüber stempelt — hier im identischen Kalkul kein
Analogon hat. Das Fehlen solchen Analogons zu der gedachten Gleichung
der Arithmetik:
thut unsrer Bemerkung keinen Eintrag, dass die identischen Operationen
sämtliche formalen Eigenschaften der gleichnamigen arithmetischen besässen.
Denn eben weil diese Gleichung nicht allgemein, nicht im komplexen Zahlen-
gebiete für ein ganz beliebiges n Sinn hat oder gültig ist, gehört sie nicht
zu den „formalen“ Eigenschaften — im vollen Sinne dieses Wortes.
Während so von den wirklich formalen Eigenschaften der beiden
direkten Operationen der arithmetischen vier Spezies im identischen
Kalkul in der That keine fehlt, sehen wir hier noch die spezifischen
Gesetze 14) als weitere Eigenschaften hinzutreten, und zu diesen
werden ferner noch — im Grunde als eine Folge derselben — die
beiden Theoreme 23) kommen. Wir müssen demnach die identischen
Operationen der Multiplikation und Addition den arithmetischen gegen-
über als die an formalen Eigenschaften reicheren hinstellen.
Zusatz 2 zu Th. 14). Wenn nun überhaupt in einem Produkte,
einer Summe, Faktoren resp. Glieder wiederholt auftreten, sei es auch
nicht durchweg als successive oder einander benachbarte, sondern viel-
leicht getrennt durch noch andre Operationsglieder, so wird man prak-
tisch von den Theoremen 14) Gebrauch machen im Sinne einer Ver-
einfachung dieser Ausdrücke, indem man von jeder Sorte Faktoren
resp. Summanden immer nur einen beibehält (etwa den ersten), die
übrigen ihm identisch gleichen aber fallen lässt. So wird man
z. B. für
| a b c a a b d a c d c | a + b + c + a + a + b + d + a + c + d + c |
in Hinkunft kürzer sagen
| a b c d. | a + b + c + d. |
Man kann nämlich wegen der Kommutativität der Operationen die
Operationsglieder zunächst so umordnen, dass die übereinstimmenden
zusammenkommen, alsdann kann man die Gruppen der letztern wegen
der Assoziativität jener Operationen jeweils zu einem einzigen Opera-
tionsgliede zusammenschliessen, und endlich sie nach Th. 16) — auf
[263]§ 10. Reine Gesetze.
das wir vorverweisen müssen — ersetzen durch den einfacheren Aus-
druck, dem sie nach Th. 14) äquivalent sind. So wäre vorstehend:
| (a a a a) (b b) (c c c) (d d) | (a + a + a + a) + (b + b) + (c + c + c) + (d + d) |
als eine Zwischenstufe der Rechnung zu denken gewesen.
Den hier gegebenen Wink darf der Rechner nie aus den Augen
verlieren.
Analog wird man für: „die leichtgläubigen, guten, leichtgläubigen
Kinder“ kürzer blos sagen: „die leichtgläubigen guten Kinder“, und für:
„Mohammedaner und Briten sowie Russen und Mohammedaner“ blos sagen
„Mohammedaner, Briten und Russen“. —
Für das Th. 14×) gebrauchte Boole4 den mit Recht allerwärts als
ungeeignet qualifizirten Namen des „law of duality“, wofür Jevons1 den
„law of simplicity“ vorschlägt. Indem Boole eine Addition nur für ein-
ander gegenseitig ausschliessende Summanden zuliess, konnte er auch nicht
das Th. 14+) aufstellen oder zugeben. Von Neueren pflichtet ihm hierin
nur Herr Venn1) noch bei, auf dessen Einwände wir in § 18, α) ‥ δ)
ausführlichst eingehen werden.
Das Th. 14+) ist zuerst von Jevons1) ausgesprochen, welchem auch
bezüglich Gebrauchs der hier adoptirten Addition die Priorität zukommen
dürfte, soweit sie nicht etwa von De Morgan anticipirt erscheint. Th. 14+)
nennt Jevons das „law of unity“, indem er darauf hinweist, dass die
Nichtbeachtung des Satzes beim Zählen zu falschen Ergebnissen des Zählens
führe. Eine schon einmal gezählte Einheit darf nicht wiederholt gezählt
werden. Sind M', M'', M''', … individuell verschiedene Münzen, z. B.
Markstücke, so gäbe eine Zählung, wie M' + M'' + M'' + M''' + ‥ ein
falsches Resultat; es muss beachtet werden, dass M' + M' weiter nichts
ist, als M' etc.
Am geeignetsten würde mir die Bezeichnung der Theoreme 14) als
„Tautologiegesetze“ (der identischen Multiplikation resp. Addition) erscheinen,
indem sie ausdrücken, dass es belanglos ist, das nämliche, was man bereits
genannt hat, nochmals zu nennen, mag es mit simultanen oder unter alter-
nativen Termen aufgeführt sein.
| 15×) Theorem. | 15+) Theorem. |
| Wenn a ⋹ b so ist ac ⋹ b c. | Wenn a ⋹ b so ist a + c ⋹ b + c. |
| Beweis. Nach 6×) ist a c ⋹ a, wegen a ⋹ b also, nach II: a c ⋹ b. Ebenso ist nach 6×): a c ⋹ c. Aus den beiden letzten Subsumtionen folgt aber nach (3×)': | Beweis. Nach 6+) ist b ⋹ b + c, nach II also um so mehr: a ⋹ b + c, und da ohnehin c ⋹ b + c nach 6+) ist, so haben wir nach Def. (3+)' auch: |
| a c ⋹ b c. | a + c ⋹ b + c. |
In einer Subsumtion darf man also beiderseits
| mit demselben Symbol multipliziren | dasselbe Symbol addiren |
[264]Fünfte Vorlesung.
und muss man wiederum eine gültige Subsumtion hierdurch erhalten.
An der Figur
lassen beide Sätze sich durch Anschauung kontrolliren. Dass aber diese
Sätze nicht umgekehrt werden dürfen, nämlich, dass aus a c ⋹ b c resp.
a + c ⋹ b + c nicht a ⋹ b folgen kann, offenbaren die Figuren:
Figure 18. Fig. 13×. | Figure 19. Fig. 13+. |
bei denen für die Kreise a, b, c die angegebene Voraussetzung sich je
als erfüllt, die fragliche Folgerung aber sich als nicht erfüllt zeigt.
Exempel:
| Rappen sind Pferde, ergo: eng- lische Rappen sind englische Pferde. Blau ist farbig, ergo: blaue Salze sind farbige Salze. | Schweden sind Europäer, ergo: Schweden und Russen sind Europäer oder Russen. |
Dagegen:
| Die europäischen Vulkane*) sind italienische Vulkane. Gleichwol ist „europäisch“ nicht notwendig „ita- lienisch“. | Russen und Asiaten sind Europäer oder Asiaten, ohne dass doch Russen auch Europäer sein müssten. |
Anmerkung. In der Wortsprache kann man durch unbedachte An-
wendung des Th. 15×) in Fehler kommen; es ist daselbst auf scheinbare
Ausnahmen des Satzes Rücksicht zu nehmen. Ein paar Beispiele werden
dies am schnellsten deutlich machen.
Ein Pistolenschütze ist ein Mensch. Darum muss aber ein vortreff-
licher Schütze noch nicht ein vortrefflicher Mensch, der beste Schütze nicht
der beste Mensch sein! Ebenso braucht eine grosse Fliege kein grosses
Tier, ein kleiner Elephant kein kleines Tier zu sein, eine grosse Hütte
kein grosses Gebäude — vergl. Jevons6. Pfennige sind Geld, aber viele
Pfennige können doch wenig Geld sein. Etc.
Die Ausnahme ist darin begründet, dass hier das Adjektiv c, welches
determinirend zum Subjekt und Prädikat tritt, in beiden einen verschiedenen
Sinn erhält zufolge des Umstandes, dass es als ein relatives verstanden,
relativ genommen wird, nämlich eine Beziehung, ein Verhältniss des Sub-
stantivs zu andern seinesgleichen auszudrücken bestimmt ist. Der Begriff
„vortrefflich unter den Schützen“ hat einen andern Inhalt, als der „vor-
trefflich unter den Menschen, vortrefflich als Mensch“ und dementsprechend
ist auch der Umfang beider Klassen nicht derselbe.
Das Th. 15×) gilt stricte nur dann, wenn die Klasse c im Subjekt
und Prädikat in absolut demselben Sinne verstanden wird.
Dementsprechend würde auch der Schluss: Alles Metall ist Substanz,
folglich muss gelten: Das schwerste Metall (Iridium) ist die schwerste
Substanz — dieser Schluss würde formell falsch, ein Fehlschluss sein, ob-
wol hier die Prämisse sowol als die Konklusion materiell richtig ist.
Eine ähnliche Bemerkung: dass der Kontrast von Individuen einer
Subjektklasse zu ihresgleichen unwillkürlich mit in's Gewicht fällt, trifft
nicht selten schon beim Erteilen solcher Prädikate zu, die sich als absolut
bestimmte Attribute darzustellen scheinen. So werden wir vielleicht die
gleiche Farbe, die falls von Schafen die Rede ist, noch „weiss“ genannt
wird, bei einer chemischen Substanz als grau oder gelblich bezeichnen.
Als den Umfang des Begriffes „weiss“ in absolutem Sinne können wir
immerhin bezeichnen: die Gesamtheit derjenigen Dinge, welche wir (als
solche ihrer Kategorie) eben „weiss“ nennen würden, und bleibt dies un-
bedenklich, es erscheint der Umfang nämlich als völlig bestimmt, solange
nicht Objekte bekannt sind als unter verschiedene Kategorieen zugleich
fallende, unter deren einer sie als weiss, unter deren andrer sie als nicht-
weiss zu bezeichnen wären. — Dass wir nur mit wohldefinirten Klassen zu
thun hätten, wurde bereits als eine nicht überall wirklich erfüllte, ideale
Voraussetzung der Logik hingestellt.
| 16×) Theorem. | 16+) Theorem. |
| Wenn a = b, so ist a c = b c. | Wenn a = b, so ist a + c = b + c. |
Man darf also auch beide Seiten einer Gleichung mit demselben Symbol
multipliziren, sowie um Dasselbe vermehren.
Beweis. Die Annahme a = b zerfällt nach Def. (1) in die beiden
Subsumtionen a ⋹ b und b ⋹ a. Aus der ersten folgt nach Th.
| 15×) a c ⋹ b c | 15+) a + c ⋹ b + c |
und ebenso aus der zweiten:
| b c ⋹ a c | b + c ⋹ a + c |
womit nach Def. (1) die Behauptung erwiesen ist.
Anmerkung 1. Durch Anwendung des Kommutationsgesetzes 12)
auf die Behauptung in den beiden Theoremen 15) und 16) kann man
diesen noch verschiedene Formen geben. Z. B. dem Th. 15×) noch die
Formen: Wenn a ⋹ b, so ist auch a c ⋹ c b, desgleichen c a ⋹ b c, desgl.
endlich c a ⋹ c b. Doch werden wir Sätze, die sich so unwesentlich von
den aufgestellten unterscheiden, künftig nicht mehr mit anführen, vielmehr
ohne weiteres als zugleich mit jenen gegeben betrachten.
Anmerkung 2. In der Arithmetik dürfen die beiden Sätze bekannt-
lich auch umgekehrt werden. Man darf daselbst einen übereinstimmenden
Faktor der beiden Seiten einer Gleichung, desgleichen einen übereinstim-
menden Summanden derselben ohne weiteres „streichen“, den Faktor aller-
dings nur, wenn er von 0 verschieden ist. Es kommt dies hinaus auf die
Division der Gleichung durch den gedachten Faktor resp. auf die beider-
seitige Subtraktion des gedachten Summanden, und beruht die Zulässigkeit
des Verfahrens auf der Eindeutigkeit der beiden inversen Operationen, näm-
lich der arithmetischen Division (mit Ausnahme derer durch 0) und der
arithmetischen Subtraktion. Da wie schon erwähnt die inversen Operationen
des identischen Kalkuls mit den gleichnamigen arithmetischen ausser ihrem
Gegensatz zu den direkten Operationen nur wenig gemein haben, so lässt
sich schon erwarten, dass hier der Rückschluss von
a c = b c oder a + c = b + c
auf a = b nicht zulässig sein wird.
Für Gebiete thun dies in der That die Figuren kund, in denen a und b
die Kreisflächen, dagegen c das schraffirte Gebiet vorstellt:
Figure 20. Fig. 14×. | Figure 21. Fig. 14+. |
Ebenso offenbaren für Klassen es Beispiele wie folgende:
| Die gleichseitigen Dreiecke sind die gleichwinkligen Dreiecke, aber es ist nicht: gleichseitig einerlei mit gleichwinklig — der Rhombus z. B. ersteres ohne das letztere. Die schwerste Substanz ist das schwerste *) Metall, doch ist nicht: Substanz = Metall. | Die Primzahlen nebst den unge- raden Zahlen ist dasselbe wie die Zahl 2 nebst den ungeraden Zahlen. Gleichwol ist die Klasse der Prim- zahlen nicht identisch mit der Zahl 2, sondern greift noch weit über dieses allerdings in ihr enthaltene Zahlindividuum hinaus. U. a. m. |
Wegen der von der Arithmetik her geläufigen Übung ist es hier am
Platze vor dem erwähnten Rückschluss ausdrücklich zu warnen:
In Gleichungen (sowie Subsumtionen) des identischen Kalkuls ist es
nicht gestattet, übereinstimmende Faktoren oder auch Terme der beiden
Seiten zu „streichen“.
| 17×) Theorem. | 17+) Theorem. |
Wenn a ⋹ b und a' ⋹ b', so ist auch:
| a a' ⋹ b b'. | a + a' ⋹ b + b'. |
| Beweis. Nach 15×)*) und 12×) | Beweis. Nach 15+) und 12+) |
folgt aus unsern Annahmen:
| a a' ⋹ b a', b a' ⋹ b b', | a + a' ⋹ b + a', b + a' ⋹ b + b', |
woraus die Behauptung a fortiori (d. i. nach II) zu schliessen ist.
| 18×) Theorem. | 18+) Theorem. |
Wenn a ⋹ b und a' = b' ist, so muss sein:
| a a' ⋹ b b'. | a + a' ⋹ b + b'. |
Beweis aus Th. 17×) resp. 17+), da die Annahme a' = b' auch
a' ⋹ b' nach Def. (1) in sich schliesst.
| 19×) Theorem. | 19+) Theorem. |
Wenn a = b und a' = b', so ist auch:
| a a' = b b'. | a + a' = b + b'. |
Beweis. Nach Def. (1) schliessen die Voraussetzungen in sich,
dass sowol a ⋹ b, a' ⋹ b', als auch b ⋹ a, b' ⋹ a' ist. Aus ersterm
folgt nach 17×) resp. 17+):
| a a' ⋹ b b' | a + a' ⋹ b + b', |
aus letzterem ebenso:
| b b' ⋹ a a', | b + b' ⋹ a + a', |
womit die Behauptung nach Def. (1) erwiesen ist. In Worten kann
man sagen:
| Gleiches mit Gleichem multiplizirt gibt Gleiches. | Gleiches zu Gleichem addirt gibt Gleiches. |
Zusatz 1. Die Ausdehnung der Sätze 17) bis 19) auf beliebig
viele Subsumtionen oder Gleichungen ist naheliegend.
Um die allgemeinsten Sätze, welche sich auf diesem Wege ge-
[268]Fünfte Vorlesung.
winnen lassen, in Worte zu fassen, müssen wir aber ein paar Bemer-
kungen vorausschicken.
„Gleichstimmig“ nennen wir solche Subsumtionen, in deren Sub-
sumtionszeichen der Bogen sich nach derselben Seite hin öffnet; dies
sind z. B. alle bisherigen Subsumtionen, in welchen er es nach rechts
that. Dagegen nennen wir „ungleichstimmig“ zwei Subsumtionen, in
denen der Bogen nach verschiedenen Seiten schaut, deren eine also
eine eventuelle Unterordnung, deren andre eine eventuelle Überord-
nung ausdrückt, wenn beide von links nach rechts gelesen werden.
In der Arithmetik herrscht der Gebrauch, die Anwendung der dort
ebenfalls geltenden Theoreme 19) sowie schon 16) als eine Multipli-
kation resp. Addition der die Voraussetzung bildenden (beiden) Glei-
chungen schlechtweg zu bezeichnen. Dieses Verfahren ist schon in
der Arithmetik nicht ganz korrekt, weil man ja in dieser Disziplin
faktisch immer nur Zahlen, also niemals Gleichungen durch Rechnung
verknüpft, und aus diesem Grunde haben auch schon einzelne Lehrer
dagegen geeifert.
Die gedachte Ausdrucksweise ist jedoch in der Arithmetik ent-
schuldbar und unverfänglich ja zweckmässig, indem sie in dieser Dis-
ziplin durchaus nicht missverstanden werden kann und einen in der
Mathematik unbeschreiblich oft auszuführenden Prozess kurz und
charakteristisch andeutet. Sie ist daselbst auch, wie gesagt, ganz all-
gemein üblich, und kein Mathematiker wird, wenn etwa die Gleichungen
a = b, a' = b', a'' = b'' vorausgeschickt sind, Bedenken tragen, zu
sagen: Multipliziren wir diese Gleichungen miteinander, so entsteht
a a' a'' = b b' b'', summiren wir sie, so kommt a + a' + a'' = b + b' + b'';
desgl. zu sagen: multipliziren wir die erste Gleichung mit c, so er-
halten wir a c = b c, etc.
Diesen Gebrauch dürfen wir nun aber in den identischen Kalkul
nicht unmodifizirt herübernehmen. Insoweit es sich nur um den Ge-
bietekalkul handelt, wäre dies allenfalls noch angängig. Dazu werden
wir aber im Aussagenkalkul zu lernen haben, wie Aussagen, Urteile,
Behauptungen überhaupt, insbesondere also auch Subsumtionen und
Gleichungen durch Multiplikation sowie Addition zu verknüpfen sind,
und zwar in einem von dem oben besprochenen wesentlich verschie-
denen, nämlich in dem richtigen, korrekten Sinne.
Solche Verknüpfung von Aussagen wird zu den häufigsten in unsrer
Theorie vorzunehmenden Prozessen gehören. Da wird denn z. B. eine
Gleichung a = b wirklich zu multipliziren sein mit einer Aussage c, und
das Produkt (a = b) · c wird etwas anderes, nämlich mehr besagen, als
wie die Gleichung a c = b c. Ebenso wird uns das Produkt zweier Glei-
[269]§ 10. Die nicht von Negation handelnden Sätze.
chungen (a = b) · (a' = b') bedeutend mehr ausdrücken als dass blos die
Gleichung gelte a a' = b b', u. s. w. — worüber des Näheren der Aussagen-
kalkul selbst zu vergleichen, insbesondre § 33, ξ).
Es ist deshalb unerlässlich, die mehrerlei Prozesse auch unterscheidend
zu benennen. Und dieses geschieht unsres Erachtens am einfachsten und
besten, wenn man behufs Beschreibung der früheren in unsern Theoremen
als zulässig hingestellten Schlüsse dem Multipliziren resp. Addiren ein ge-
eignetes Umstandswort, Adverb zugesellt. Das Adverb muss, wie sich
zeigt, ein anderes sein, bei den Schlüssen der Theoreme 15) und 16) als
bei denen von 17) bis 19). Für jene ist schon „beiderseits“ gebräuchlich,
für diese schlagen wir „überschiebend“ vor (nicht unpassend erschiene auch
„superponirend“).
Es soll gesagt werden: Subsumtionen, Gleichungen (später über-
haupt „Propositionen“ — zunächst von einerlei Art) werden durch
eine Operation „überschiebend“ verknüpft, wenn man aus ihnen eine
neue Subsumtion resp. Gleichung (Proposition derselben Art) dadurch
ableitet, dass man sowol ihre linken Seiten als auch ihre rechten Seiten
durch die gedachte Operation verknüpft.
Darnach dürfen wir nun erstlich die Theoreme 15) und 16) auch (nur
wenig abweichend von der früheren Fassung) wie folgt aussprechen: Sub-
sumtionen sowol als Gleichungen dürfen beiderseits mit demselben Symbol
multiplizirt, resp. beiderseits um dasselbe Symbol vermehrt werden; es darf
beiderseits dasselbe Symbol zu ihnen addirt werden; es darf auch ein Sym-
bol mit einer Subsumtion oder Gleichung beiderseitig multiplizirt, es darf
zu jenem diese beiderseitig addirt werden. Und zweitens:
Es liefern uns die Theoreme 17) bis incl. 19) darnach den all-
gemeinsten Satz:
In beliebiger Menge vorhandene sei es gleichstimmige Subsumtionen
oder auch Gleichungen dürfen überschiebend mit einander multiplizirt, über-
schiebend zu einander addirt werden, und zwar ist das Ergebniss eine
Gleichung nur, wenn unter den verknüpften Propositionen sich keine
Subsumtion befindet, dagegen wieder eine mit den gegebenen gleich-
stimmige Subsumtion im andern Falle, d. i. wenn mindestens eine Sub-
sumtion sich unter den verknüpften Propositionen vorfindet.
Würde man aber eine Gleichung a = b mit einer andern a' = b'
beiderseits multipliziren, so erhielte man eine Aussage
a · (a' = b') = b · (a' = b')
die sich ebenfalls als eine im Aussagenkalkul gültige nachweisen lassen
wird, und daselbst einen Sinn hat, der weder sich deckt mit dem des Er-
gebnisses der überschiebenden Multiplikation beider Gleichungen: a · a' = b · b',
noch mit dem des Ergebnisses ihrer Multiplikation (schlechtweg):
(a = b) · (a' = b').
Man ersieht hieraus, dass auch die Umstandswörter „beiderseits“ und „über-
schiebend“ nicht verwechselt werden dürfen, nicht durch ein einziges Um-
[270]Fünfte Vorlesung.
standswort ersetzt werden können, und dass in der That in unserer Theorie
es geboten erscheint, in beregter Hinsicht mehr als in der Mathematik auf
korrekten Ausdruck zu halten!
Notabene: Multiplizirt man die Gleichung a' = b' beiderseits mit a = b,
so entsteht auch etwas anderes, wie wenn man die Gleichung a = b beider-
seits mit a' = b' multiplizirte. Vergl. § 33, ξ) und ο).
Zusatz 2. Kombinirte Anwendung der Theoreme 19×) und 19+)
liefert den Satz, dass es in jedem Ausdruck, welcher nur durch die
Operationen der identischen Multiplikation und Addition aufgebaut
erscheint, gestattet ist, Gleiches durch Gleiches zu ersetzen. Sicherlich
wird solche Ersetzung ohne Einfluss auf den Wert des Ausdrucks
bleiben, wenngleich die Form desselben dadurch verändert werden mag.
Exempel. Ist b + c = a, so ist auch
a (b + c) + d + (b + c) c = a a + d + a c = a + a c + d = a + d.
Wie Venn1 p. 146 und anderwärts bemerkt ist das der linkseitigen
Kolumne von Sätzen 15) ‥ 19) zugrundeliegende Th. 15×) bereits von
Leibniz gegeben (Specimen demonstrandi, Erdmann, p. 99), der auch
schon die Determination durch Nebeneinanderstellen der Symbole nach Art
der Faktoren eines Produktes ausdrückt.
Die Theoreme des gegenwärtigen Paragraphen sind von so ausser-
ordentlich häufiger Anwendung, dass es zu umständlich wäre, sie jedes-
mal zu citiren. Dieselben müssen in succum et sanguinem, in Fleisch
und Blut des Rechners übergegangen sein.
20) Theorem. Eine jede von den beiden Gleichungen:
a = a b , a + b = b
ist nur eine Umschreibung der Subsumtion:
a ⋹ b,
dergestalt, dass diese drei Aussagen äquivalent sind, einander gegen-
seitig bedingen: wenn irgend eine von ihnen gilt, so gelten auch die
beiden andern.
Der Beweis besteht aus vier Teilen, indem zu zeigen ist, dass
aus jeder der Gleichungen die Subsumtion und umgekehrt aus der
Subsumtion eine jede von den Gleichungen folgt.
| Ist a = a b, so folgt nach Def. (1) auch a ⋹ a b, und weil nach Th. 6×) auch a b ⋹ b ist, so folgt a fortiori: | Ist a + b = b, so haben wir auch a + b ⋹ b, und weil nach 6+) ohne- hin a ⋹ a + b ist, so folgt nach II: |
| a ⋹ b. | a ⋹ b. |
| Ist a ⋹ b, so kommt nach 15×): a a ⋹ a b, oder wegen 14×): a ⋹ a b. Da nun nach 6×) ohnehin a b ⋹ a gilt, so ist nach Def. (1) bewiesen, dass a = a b ist. | Ist a ⋹ b, so kommt nach 15+): a + b ⋹ b + b, oder wegen 14+): a + b ⋹ b. Da nun nach 6+) ohne- hin b ⋹ a + b gilt, so ist a + b = b nach (1) bewiesen. |
Für Gebiete wird der vorstehende Satz durch die Figuren 1 und 2
versinnlicht.
Exempel für Klassen. Rappen sind Pferde. Also sind Pferde, welche
Rappen sind, nichts anderes als Rappen. Desgl. Rappen oder Pferde sind
schlechtweg Pferde. Es versteht sich, dass unsre Exemplifikationen noch
in der mannigfaltigsten Weise vermehrt werden könnten.
Zusatz. Im Th. 20) ist mitenthalten das Theorem von Robert
Grassmann, dass auch die beiden Gleichungen einander gegenseitig
bedingen. Das nämliche gilt von den beiden Subsumtionen:
a ⋹ a b und a + b ⋹ b,
die ja mit solchen des Th. 6) in jene Gleichungen zusammenfliessen:
Auch diese beiden sind mit den drei obigen äquivalente Aussagen. —
Schreiben wir nun die Subsumtionen der Def. (2): 0 ⋹ a und a ⋹ 1
nach Vorbild des Th. 20) in Gleichungen um, so erhalten wir augen-
blicklich die folgenden Theoreme (die als „reine“ Gesetze erscheinen):
| 21×) Theorem. a · 1 = a. | 21+) Theorem. a + 0 = a. |
| 22×) Theorem. a · 0 = 0. | 22+) Theorem. a + 1 = 1. |
In Worten bezüglich:
| Mit 1 multipliziren ändert nichts, oder: Der Faktor 1 kann nach Be- lieben gesetzt oder unterdrückt werden. (Darum heisst 1 der Mo- dul der Multiplikation.) | Null addiren ändert nichts, oder: als Summand kann 0 nach Belieben zugefügt oder weggelassen werden. (Deshalb mag 0 auch der Modul der Addition genannt werden.) |
| Ein Produkt verschwindet, sobald ein Faktor desselben 0 wird. | Eine Summe nimmt den Wert 1 an, sobald ein Term derselben gleich 1 wird. |
Die beiden letzten Sätze sind nämlich auch leicht auf beliebig viele
Operationsglieder auszudehnen.
Durch die Voranstellung des Th. 20) haben wir hier die aller-
dings hübschen vier direkten Beweise, welche Peirce von diesen
Sätzen gibt, erspart. Zum Überfluss seien auch diese hier reproduzirt.
| Beweis von 21×). Nach 6×) ist a · 1 ⋹ a. Aus der Subsumtion von I : a ⋹ a nebst derjenigen (2+): a ⋹ 1 | Beweis von 21+). Nach I ist: a ⋹ a, und nach (2×) ist: 0 ⋹ a. Hieraus folgt nach dem Schema (3+)': |
| folgt ferner nach (3×)': a ⋹ a · 1; womit der Satz kraft (1) bewiesen ist. | a + 0 ⋹ a. Dazu ist nach 6+): a ⋹ a + 0, somit nach Def. (1) der Satz er- wiesen. |
| Beweis von 22×). Nach (2×) ist: 0 ⋹ a · 0; nach 6×) aber auch a · 0 ⋹ 0, also nach (1) der Satz erwiesen. | Beweis von 22+). Nach (2+) ist, gleichwie jedes Gebiet, so auch das a + 1 ⋹ 1. Dazu nach 6+) 1 ⋹ a + 1, somit besteht die Gleichheit. |
Für den Gebietekalkul ist die Gültigkeit der Sätze im Hinblick
auf die Bedeutung von Produkt, Summe, 0 und 1 auch unmittelbar
evident:
| Was ein Gebiet der Mannigfaltig- keit mit der ganzen Mannigfaltig- keit gemein hat, ist ebendieses Ge- biet selbst. | Dasjenige, wozu ein Gebiet von weiter nichts ergänzt wird, ist dies Gebiet selber. |
| Was ein Gebiet mit nichts gemein hat, ist nichts. | Dasjenige, wozu ein Gebiet der Mannigfaltigkeit durch die ganze Mannigfaltigkeit ergänzt wird, ist offenbar ebendiese. |
Anmerkung 1 zu den Theoremen 21) und 22).
Nach 21+) kann man jeden Ausdruck darstellen als eine Summe,
deren eines Glied er selber, und dessen anderes Glied 0 ist. Auch
einen Ausdruck, der gar nicht in Form einer Summe erscheint, ein
beliebiges Symbol, kann man hienach jederzeit als eine Summe gelten
lassen, dafür ausgeben, als eine solche behandeln, ansehen, betrachten.
Insofern man aber den Summand 0 nicht ausdrücklich zu schreiben
pflegt, nennt man in solchem Falle den Ausdruck, das Symbol, auch
schlechtweg eine eingliedrige Summe, ein „Monom“. Dies gewährt den
erheblichen Vorteil, dass man nun Regeln, die sich auf die Verknüpfung
von Summen ebenso beziehen, wie auf diejenige von andern Symbolen
(die keine Summen sind) einheitlich zusammenzufassen, für beide Fälle
auf einmal darzustellen vermag, worauf wir gelegentlich bereits hin-
wiesen.
Nach 21×) kann man ebenso jedes Symbol als ein Produkt hin-
stellen, dessen andrer Faktor 1 wäre, und da man letztern nicht zu
schreiben pflegt, dasselbe als ein einfaktoriges Produkt bezeichnen.
Zusatz zu ebendiesen Theoremen 21, 22).
Kommen in einem Ausdruck die Symbole 0 und 1 irgendwieoft
als multiplikative oder additive Operationsglieder vor, verknüpft mit
irgendwelchen andern durch Buchstaben dargestellten Gebiets- oder
Klassensymbolen, so wird allemal eine Vereinfachung des Ausdruckes
[273]§ 11. Gemischte Gesetze.
nach den Schemata 21) und 22) möglich und angezeigt erscheinen,
und zwar ist leicht einzusehen, dass sich der vorausgesetzte Umstand
des Vorkommens von 0 oder 1 — durch das fortgesetzte und nötigen-
falls wechselnde Spiel der Berücksichtigung des jeweils einschlägigen
von diesen Schemata — immer gänzlich beseitigen lässt, mit einziger
Ausnahme des Falles, wo der ganze Ausdruck nach seiner Reduktion
schliesslich selbst den Wert 0 oder 1 annimmt (d. h. sich herausstellt,
dass er eben diesen Wert besitzen muss).
Es wird nämlich jede als Summand auftretende Null, sowie jede
als Faktor auftretende 1 ohne weiteres zu unterdrücken sein. Wo
dagegen die 0 als Faktor erscheint, tilge man das ganze Produkt, in
welchem sie Faktor ist. Wofern nämlich dieses Produkt nicht etwa
selbst der ganze Ausdruck ist (welcher dann vielmehr in 0 zu ver-
wandeln wäre), muss es nämlich Summand sein; denn wenn es Faktor
wäre, hätte man nicht das ganze Produkt genommen gehabt. Ebenso
wo 1 als Summand auftritt, tilge man alle übrigen mit ihm verbundenen
Summanden. Darnach muss diese 1 Faktor geworden sein, wofern sie
nicht der resultirende Wert des Ausdrucks selbst ist, denn wenn sie
abermals Summand wäre, hätte man ja die übrigen Summanden noch
nicht vollständig getilgt gehabt.
In solcher Weise reduzirt kann ein aus Gebietsymbolen mittelst Addi-
tion und Multiplikation aufgebauter Ausdruck, sofern er nicht selbst in
den Endwert 0 oder aber 1 sich zusammenzieht, die Symbole 0 und 1
nicht (weiter) enthalten.
Exempel. (a + b + c) (a + b + d) (a + c + d) · 0 · (1 + b + c + d) = 0,
{a (b + c) + d (a + c)} (a b + c d) (b f + g h) + (1 + a c) (1 + g h) + (a + b) · 0 · (c + d) + a d + b c d = 1,
a + 0 + (a + 1) (1 + 1) c (0 + 1) (1 + d) + 1 · {a (b c + d + 1) · 1 · d · 0 + e · 1} (1 + f + g + 0) = a + c + e.
So wichtig die vier Sätze 21) und 22) für den Kalkul mit Klassen
sich erweisen werden, so wenig Wert scheint es zu haben, dieselben in
der Wortsprache für solche in Anspruch zu nehmen.
Mit Widerstreben fast bequeme ich mich zu dem Versuche, der mehr
nur als eine Übung für den Leser in der verbalen Einkleidung von Formeln
sich rechtfertigen dürfte.
| 21×) Was schwarz und zugleich irgend etwas ist, das ist schwarz, und vice versā. | 21+) Was schwarz oder nichts ist, ist schwarz (und umgekehrt). Es wird sich freilich entgegnen lassen: es könne auch nichts sein. Dieses hebt aber unser Urteil keineswegs auf, da wir übereingekommen sind, unter den schwarzen Dingen auch das Nichts mitzubegreifen. |
| 22×) Was schwarz und zugleich nichts ist, muss nichts sein — dies wird allgemein zugegeben werden. Aber auch umgekehrt: Nichts ist nichts und zugleich schwarz — so wenig- | |
| stens in gegenwärtiger Disziplin, in welcher wir übereingekommen sind, das Nichts in jeder Klasse, so auch in derjenigen der schwarzen Dinge mitenthalten zu denken. | 22+) Was schwarz oder irgend et- was ist, muss eben nur irgendetwas sein, und umgekehrt: Alles ist schwarz oder (sonst) irgend etwas. |
Das Wort „nichts“ könnte in vorstehenden Sätzen auch teilweise oder
durchweg durch „ein rundes Quadrat“ z. B. ersetzt werden.
Wir sehen, dass für die Sprache des gemeinen Lebens höchstens wol
die Theoreme 22×) und 21+) beanstandet werden können, aber nur diese
— durchaus nicht 22+). Jene sind dort in der That cum grano salis zu
nehmen.
Dem Mathematiker dagegen, der seine bei den Zahlen erworbenen
Gewohnheiten in den identischen Kalkul unbesonnen herübernähme, müsste
das Theorem 22+) allein anstössig erscheinen. Die drei andern von den in
Rede stehenden Theoremen konstatiren ja Formeln, die auch in der Arith-
metik allgemeine Geltung haben.
Und der Umstand, dass die identische 0 die (beiden) Grundeigenschaften
a · 0 = 0 und a + 0 = a mit der arithmetischen gemein hat, rechtfertigt
es zweifellos, dass wir der Arithmetik das Zahlzeichen 0 behufs Darstellung
unsres Nullgebietes, des absoluten „Nichts“, entlehnten.
Dagegen vereinigt die „identische 1“ in sich die Grundeigenschaft der
arithmetischen 1, dass a · 1 = a ist, mit einer solchen „der absoluten Un-
endlich“, gemäss welcher in der Mathematik a + ∞ = ∞ gilt.
In rein formaler Hinsicht würde darnach ein aus 1 und ∞ zusammen-
gesetztes Zeichen, wie etwa:
wol als das geeignetste erscheinen, um Dasjenige vorzustellen, was ich hier
„die identischen Eins“ nenne.
Will man aber statt eines besondern Zeichens (wie Jevons' „Uni-
verse“ U, R. Grassmann's „Totalität“ T) der Einfachheit wegen eines der
beiden Zeichen 1 und ∞ selbst hiezu verwenden, so gibt die formale Hin-
sicht keinen Ausschlag, welches von den beiden etwa vorzuziehen wäre.
Nun haben Boole und Andere stets, auch Herr Peirce früher, nur
das Zeichen 1 benutzt. Neuerdings jedoch hat sich letzterer5 samt seiner
Schule — sekundirt durch Wundt1 — für das Zeichen ∞ entschieden,
sodass den Genannten also a · ∞ = a gilt!
In sachlicher Hinsicht mag hiebei wol die Überlegung ausschlaggebend
gewesen sein, dass das fragliche Zeichen die ganze Mannigfaltigkeit, auf
deren Gebiete die Untersuchungen spielen, vorzustellen hat, und diese häufig
„eine unendliche“ ist, nämlich, wenn sie auch nicht immer ein unbegrenztes
oder unendlich grosses Gebiet vorstellt, doch wenigstens unbegrenzt viele
Elemente enthält. So enthält ja in der That die durchaus endliche und
vollkommen begrenzte Fläche der Schultafel (z. B.) gleichwol unendlich
viele Punkte.
Demungeachtet muss ich jenen Übertritt*) für einen Rückschritt halten
[275]§ 11. Gemischte Gesetze.
und scheint mir für den identischen Kalkul mit Gebieten und Klassen sowol
als mit Aussagen die 1 unbedingt den Vorzug vor der ∞ zu verdienen
aus folgenden Gründen:
α) Während die Gleichung a · 1 = a für die Arithmetik eine funda-
mentale ist, spielt die Gleichung a + ∞ = ∞ daselbst gar keine Rolle.
Grund: die „absolute ∞“ ist gar keine Zahl, sondern wird nur zeitweilig
zum Zahlengebiet herangezogen um in der That den Mangel, das Nicht-
vorhandensein eines Zahlenwertes zu verdecken. Manche Leser dürften
deshalb schon Anstoss daran genommen haben, dass ich überhaupt von
„einer Unendlich“ gesprochen. Die ∞ spielt in der Mathematik nur die
Rolle eines „Lückenbüssers“ (S. 240).
β) In den Anwendungen auf Wahrscheinlichkeitsrechnung (cf. DeMorgan
Boole, Peirce, Mac-Farlane, Mc Coll) entspricht die identische Eins
immer dem bekannten Symbol, 1, der Gewissheit.
γ) In der Anwendung auf jede endliche Mannigfaltigkeit, d. i. auf eine
solche, welche nur eine begrenzte Menge von Individuen, Elementen um-
fasst (Exempel: Feldergebiet eines Bogens karrirten Papiers) muss Denen,
die sich aus dem angeführten Grunde für das Symbol ∞ entschieden haben,
dieses ganz ebenso unpassend erscheinen, wie ihnen für eine unendliche
Mannigfaltigkeit das Symbol 1 erschien.
δ) Zudem dürfte es sich aber auch empfehlen, das Symbol ∞ reser-
virt zu behalten für andere Zwecke: nämlich als Symbol des Widerspruchs,
der Unverträglichkeit. Schon im identischen Kalkul — doch ist dies hier
von geringem Belange — müsste man damit eigentlich die Ausdrücke
= 0 — 1 [vergl. § 23, σ)] darstellen. In gewissen andern Disziplinen
indess, die mit dem identischen Kalkul nur verwandt sind, nicht zusammen-
fallen, ist es von hohem Werte, das Symbol ∞ zu dem angedeuteten
Zwecke verfügbar zu haben. Speziell z. B. um die Unverträglichkeit ge-
wisser Funktionalgleichungen, Algorithmen miteinander in Formeln zu setzen
bedürfen wir dieses Zeichens, als des am augemessensten erscheinenden
(vergl. Anhang 5, Beleg 7). Im Grunde würde so der Gebrauch von ∞,
statt 1, legitim eingeschränkt auf den Fall, wo die Elemente (und also auch
die Gebiete) der ganzen Mannigfaltigkeit nicht alle verträglich sind miteinander.
Dieser Fall aber ordnet sich nicht dem identischen Kalkul unter,
sondern gibt mit Veranlassung zur Begründung eines neuen Kalkuls, des eigent-
lich „logischen“ oder Kalkuls mit „Gruppen“, in Bezug auf den wir sehen
werden, dass er von einer gewissen Stelle an sich vom identischen abzweigt
— vergl. § 12 und Anhang 4, 5 und 6.
Der Anfänger kann hier noch nicht in der Lage sein, die unter δ)
rubrizirten Bemerkungen ganz zu verstehen, mithin die angeführten Gründe
voll zu würdigen. Anders Derjenige, der schon das Buch durchgearbeitet
haben wird. Für diesen müssen wir der Vollständigkeit wegen noch eines
bemerken:
Im Aussagenkalkul werden ja auch Aussagen in Rechnung gezogen,
die gemeinhin zu reden miteinander „unverträglich“ sind, die mit ihrem
Sinne einander „widersprechen“. Es scheint demnach kraft des von mir
unter δ) Gesagten das Verfahren des Herrn Peirce, die ganze Mannig-
faltigkeit der Aussagen mit ∞ zu bezeichnen, auf den ersten Blick gerade
gerechtfertigt zu sein. Und doch bestreite ich eben letzteres! Und dies
mein Grund: Der Aussagenkalkul wird — wesentlich ganz in Überein-
stimmung mit Peirce — von uns so angelegt werden, dass man die Aus-
sagen (teilweise absehend von deren Sinne) jeweils in Gebiete umschreibt:
in Gebiete von Zeitpunkten. Von einer Unverträglichkeit der letzteren
miteinander (und in diesem Sinne also auch der zugehörigen Aussagen)
kann dann so wenig die Rede sein, wie von einer Unverträglichkeit, einem
„Widerspruch zwischen den Punkten einer geraden Linie“.
In der That wird dieser Aussagenkalkul auch nur ein Unterfall sein
des identischen Kalkuls mit Gebieten einer Mannigfaltigkeit von unter sich
verträglichen Elementen.
Ein Beispiel dagegen des „logischen“ Kalkuls, der einen wesentlich
andern Anblick darbieten wird, liefert erstmals der logische Kalkul mit
Funktionalgleichungen, Algorithmen und Kalkuln, auf den wir in Anhang 4
und 5 eingehen.
Aus diesen Gründen sei die Beibehaltung der (Boole'schen) 1 empfohlen
und hier bethätigt.
| 23×) Theorem. Stets ist: | 23+) Theorem. Stets ist: |
| a (a + b) = a. | a + a b = a. |
| Beweis 1. Nach I ist a ⋹ a, zugleich nach 6+): a ⋹ a + b. Aus diesen beiden Subsumtionen folgt nach Def. (3×)': | Beweis 1. Nach I ist a ⋹ a, zugleich nach 6×): a b ⋹ a, woraus nach Def. (3+)' folgt: |
| a ⋹ a (a + b). | a + a b ⋹ a. |
| Umgekehrt ist aber auch nach 6×): | Dazu ist nach 6+) direkt: |
| a (a + b) ⋹ a. | a ⋹ a + a b. |
Hiemit ist denn nach Def. (1) die Gleichheit erwiesen.
Beweis 2. Nach 6) ist: a b ⋹ a ⋹ a + b und die erste dieser
beiden Subsumtionen lässt sich nach dem einen Teil des Th. 20) um-
schreiben in die Gleichung 23+), die zweite Subsumtion, nach dem
andern Teil von 20), in die Gleichung 23×). —
Von den beiden Theoremen 23) ist — aus einem erst unter 28)
darzulegenden Grunde — das zweite 23+) von der grösseren Wichtig-
keit. Es genügt, von beiden nur dieses für den Gebrauch beim
Rechnen sich einzuprägen, weshalb wir dasselbe auch allein in Worte
kleiden wollen: Solche Glieder einer Summe, welche ein anderes Glied
derselben zum Faktor haben, können jeweils unterdrückt, gestrichen, weg-
gelassen werden, sie gehen in dem letzteren ein, werden von ihm ge-
wissermassen verschluckt, einverleibt oder absorbirt — weshalb man
das Th. 23+) auch als das „Absorptionsgesetz“ des identischen Kalkuls
bezeichnen kann. Umgekehrt kann man natürlich auch ein beliebiges
(Gebiets- oder Klassen-)Symbol um das Produkt desselben in irgend welche
andere Symbole auf Wunsch additiv vermehren, ohne dass dies von Ein-
fluss auf die Bedeutung des Ausdrucks wäre, in welchem jenes Symbol
vorkommt.
Für irgend zwei Gebiete a, b ist die Gültigkeit der Theoreme 23)
auch unmittelbar anschaulich.
Exempel für Klassen: Die Adeligen, welche adelig oder auch besitzend
sind, müssen eben die Adeligen sein. Die Adeligen und die besitzenden
Adeligen sind einfach die Adeligen.
Der Ausdruck: „Pferde oder auch Rappen (schwarze Pferde)“ sagt
weiter nichts, als der kürzere Ausdruck: „Pferde“.
Freilich, wenn jemand erzählte, es seien (bei einer gedachten Gelegen-
heit) „Pferde und Rappen“ zu sehen gewesen, so würde er mehr sagen, als
wenn er blos erzählte, es seien „Pferde“ zu sehen gewesen; es wäre näm-
lich im erstern Falle positiv behauptet, dass unter den Pferden auch
(einige) Rappen bemerkbar gewesen seien, während im zweiten Falle hier-
über nichts ausgesagt, also das Gegenteil auch als möglich offen gelassen
ist. Wie ein solcher Ausspruch in der logischen Zeichensprache darzu-
stellen wäre, würde sich erst nach dem Eingehen auf die partikularen und
Existenzial-Urteile angeben lassen, dann aber dem Studirenden auch keine
Schwierigkeit mehr bereiten.
Aufgaben. Den Ausdruck zu vereinfachen:
a b c (b + c) + (c d + a + d e f) a
Resultat: a.
Desgleichen die Ausdrücke:
a b (a + b), a + b + a b, a b c (a + b + c), a + b + c + a b + a c + b c + a b c.
Endergebnisse bezüglich: a b, a + b, a b c, a + b + c.
| 24×) Theorem. Wenn | 24+) Theorem. Wenn |
| 1 = a b | a + b = 0 |
| ist, so muss auch sein: | ist, so muss auch sein: |
| 1 = a und 1 = b. | a = 0 und b = 0. |
| Ein Produkt kann nicht anders gleich 1 werden, als indem jeder Faktor desselben gleich 1 wird. | Eine Summe kann nur dann ver- schwinden, wenn ihre Glieder sämt- lich gleich 0 werden. |
| Beweis 1. Laut Voraussetzung ist nach Def. (1): | Beweis 1. Laut Voraussetzung ist nach Def. (1): |
| 1 ⋹ a b, | a + b ⋹ 0. |
| und da nach Th. 6×) | Aber nach Th. 6+) ist |
| a b ⋹ a | a ⋹ a + b, |
| ist, so folgt nach II auch: | folglich nach II: |
| 1 ⋹ a, | a ⋹ 0, |
| somit nach Th. 5+): | nach Th. 5×) also |
| 1 = a. | a = 0. |
| Analog beweist man auch, dass 1 = b ist; zudem folgt dies nach 21×) als Rückstand aus der Voraus- setzung, nachdem schon a = 1 be- wiesen ist. | Analog beweist man auch, dass b = 0 ist; desgl. folgt dies nach 21+) als Rückstand aus der Voraus- setzung, nachdem bereits a = 0 be- wiesen ist. |
Beweis 2. Nach Def. (3×) resp. (3+)
sagt die Subsumtion
| 1 ⋹ a b | a + b ⋹ 0 |
ganz das nämliche aus, wie die beiden Subsumtionen:
| 1 ⋹ a nebst 1 ⋹ b | a ⋹ 0 nebst b ⋹ 0 |
zusammen, und nach Th. 5×) resp. 5+) sind diese Subsumtionen alle
drei je für sich äquivalent den entsprechenden Gleichungen in unserm
zu beweisenden Satze.
| Beweis 3. Beiderseitige Addi- tion von a zu der Voraussetzung nach 15+) gibt wegen 22+): | Beweis 3. Multiplikation der Voraussetzung beiderseits mit a gemäss 15×) gibt wegen 22×): |
| 1 = a b + a | a (a + b) = 0, |
| also nach 23+): | also nach 23×): |
| 1 = a, | a = 0, |
| etc. | etc. |
Anmerkung. Nach Th. 5) hätten auch die Gleichheitszeichen
in der Voraussetzung unseres Satzes (desgleichen überall in demselben)
durch das Subsumtionszeichen ersetzt werden können.
Mit Beweis 1 konnte das Theorem schon viel früher aufgeführt
[279]§ 11. Gemischte Gesetze.
werden, dicht hinter Th. 6), wenn man will; mit Beweis 2 sogar noch
vor dem letztern.
Zusätze. Da aus den zwei letzten (den behaupteten) Gleichungen
des Satzes auch umgekehrt die erste (die vorausgesetzte) nach 18)
und 21) folgt, so kann man sagen, dass diese eine Gleichung äqui-
valent ist dem System der beiden andern, simultan als gültig hin-
gestellten. Insbesondre also sagt rechterhand die eine Gleichung
a + b = 0 genau dasselbe aus, wie die beiden Gleichungen a = 0
und b = 0 zusammen genommen; denn aus jener folgen diese beiden,
und aus diesen beiden folgt umgekehrt auch jene. Aus einem bald
näher darzulegenden Grunde besitzt dieser Satz wiederum grössere
Wichtigkeit als sein duales Gegenstück.
Wir haben auch in der Arithmetik Analoga zu dem erwähnten Satze.
So ist, wenn a und b reelle Zahlen bedeuten und i die imaginäre Einheit
vorstellt, bekanntlich die Gleichung a + i b = 0 äquivalent dem Gleichungen-
paare: a = 0, b = 0. Desgleichen können diese letzteren beiden in die
eine Gleichung a2 + b2 = 0 zusammengezogen werden, indem im reellen
Zahlengebiet auch eine Summe von Quadraten nicht anders verschwinden
kann, als indem ihre Terme (somit auch die Grundzahlen dieser Quadrate
selbst) sämtlich verschwinden. Die Geltung des Th. 24+) weist darauf
hin, dass es im identischen Kalkul nichts geben wird, was den negativen
Zahlen der Arithmetik analog wäre. Namentlich kann es hier keine Gebiete
geben, die als Summanden oder Addenden zu einmal gesetzten Gebieten
hinzugefügt, diese wieder aufhöben. Es würden solche Gebiete sich hier
auch nicht fingiren lassen, ohne dass die fundamentalen Gesetze des Kal-
kuls umgestossen werden müssten. Gleichwol verfügt auch der identische
Kalkul über die Mittel, eine Ausschliessung, Ausnahme oder Exception vor-
zunehmen, worüber die einschlägigen Betrachtungen in § 23 zu vergleichen
sein werden.
Die Ausdehnung der Sätze 24) von zweien auf beliebig viele
Operationsglieder und Gleichungen ist leicht zu bewerkstelligen und
naheliegend.
So wird z. B. die Gleichung a + b + c = 0 das nämliche aussagen,
wie die drei Gleichungen a = 0, b = 0, c = 0 zusammen. Denn man
kann die dreigliedrige Summe a + b + c zunächst darstellen als eine
zweigliedrige: (a + b) + c. Die Anwendung des für Binome bewiesenen
Th. 24+) auf die Gleichung (a + b) + c = 0 zerfällt diese zunächst in
die beiden Gleichungen a + b = 0 nebst c = 0, und die erstere von
diesen wird durch abermalige Anwendung des Th. 24+) noch in a = 0
nebst b = 0 gespalten. Und so weiter.
Eine beliebige Menge von Gleichungen, deren eine Seite 0 (resp. 1)
ist, lässt sich demnach stets in eine einzige solche Gleichung zusammen-
ziehen und durch diese ausreichend vertreten.
Exempel für Klassen.
Wenn die Aussage wahr ist: „Alles der Wirklichkeit 1 Agehörige ist
ein Räumliches a (d. i. irgendwo vorhanden sei es gewesen, sei es gegen-
wärtig existirend oder künftig in's Dasein tretend) und ein Zeitliches b
(irgendwann vorhanden)“, so gelten auch die beiden Aussagen: „Alles Wirk-
liche ist als ein Räumliches irgendwo vorhanden (sc. gewesen, existirend
oder künftig)“ und: „Alles Wirkliche ist als ein Zeitliches irgendwann vor-
handen“. Und umgekehrt ziehen diese beiden letzteren Sätze den vorher-
gehenden nach sich.
Der Satz: „Es gibt keine Drachen, Hexen und Gespenster“ sagt das-
selbe, wie die drei Sätze: „Es gibt keine Drachen“. „Es gibt keine Hexen“.
„Es gibt keine Gespenster“.
25) Die beweisbare Subsumtion des Distributionsgesetzes.
Es ist allgemein:
| 25×) Theorem. | 25+) Theorem. |
| a b + a c ⋹ a (b + c). | a + b c ⋹ (a + b) (a + c). |
Ich gebe für diese Sätze zwei ganz verschiedene Beweise.
| Beweis 1. Nach 6+) ist: | Beweis 1. Nach 6×) ist: |
| b ⋹ b + c und c ⋹ b + c | b c ⋹ b und b c ⋹ c |
| somit nach 15×): | somit nach 15+): |
| a b ⋹ a (b + c), a c ⋹ a (b + c). | a + b c ⋹ a + b, a + b c ⋹ a + c, |
| Hieraus aber folgt nach Def. (3+) der zu beweisende Satz. | und hieraus folgt nach Def. (3×) die zu beweisende Subsumtion. |
| Beweis 2. Nach 6×) ist: | Beweis 2. Nach 6+) ist: |
| a b ⋹ a und a c ⋹ a, | a ⋹ a + b und a ⋹ a + c, |
| woraus nach Def. (3+): | woraus nach Def. (3×): |
| a b + a c ⋹ a. | a ⋹ (a + b) (a + c). |
| Analog ist: | Analog ist: |
| a b ⋹ b und a c ⋹ c | b ⋹ a + b, c ⋹ a + c |
| sonach gemäss 18+): | somit nach 18×): |
| a b + a c ⋹ b + c | b c ⋹ (a + b) (a + c) |
| Aus dem vorigen Ergebniss in Verbindung mit diesem fliesst nach Def.(3×) die behauptete Subsumtion. | Aus den gewonnenen beiden Re- sultaten fliesst nach Def. (3+) der zu beweisende Satz. |
Zusätze. Wieder gestattet uns das Kommutationsgesetz, in den
bewiesenen Formeln sowol Faktoren als Glieder beliebig umzustellen,
und dadurch denselben noch andere Gestalten zu geben. Namentlich
sei hervorgehoben, dass auch:
[281]§ 11. Gemischte Gesetze.
| b a + c a ⋹ (b + c) a | b c + a ⋹ (b + a) (c + a) |
fortan gelten muss.
Die Ausdehnung der Sätze auf die identische Addition beliebig
vieler Terme mit gemeinsamem Faktor, resp. Addition eines Terms
zu einem Produkt von beliebig vielen Faktoren, ist naheligend, und
leicht zu beweisen. So haben wir auch:
| a b + a c + a d ⋹ a (b + c + d) | a + b c d ⋹ (a + b) (a + c) (a + d), |
und so weiter. —
Die Rechtfertigung der oben den Theoremen 25) gegebenen Über-
schrift, und die Exemplifikation dieser Sätze durch Klassen, verschieben
wir auf die nächste Vorlesung. Desgleichen verzichten wir darauf, die
Sätze schon in Worten zu formuliren, aus Gründen, die daselbst zu-
tage treten werden.
Setzen wir einen Augenblick den Fall, es würden sich auch die
beiden folgenden Formeln beweisen lassen, die ich zwar noch nicht als
Theoreme bezeichnen aber (vorgreifend) mit den jetzt fälligen Chiffren
numeriren will:
| 26×) a (b + c) ⋹ a b + a c | 26+) (a + b) (a + c) ⋹ a + b c, |
so würden im Hinblick auf Th. 25) nach Def. (1) auch die Gleichungen
gelten müssen:
| 27×) a (b + c) = a b + a c | 27+) a + b c = (a + b) (a + c), |
deren erste mit dem „Distributionsgesetze“ der Arithmetik zusammen-
fällt. Und umgekehrt: wenn die Formeln 27) als Gleichungen gelten,
so sind nicht nur die Subsumtionen 25) sondern auch die 26) kraft
Def. (1) als allgemeine Formel wahr.
Auch diese Formeln 26) und 27) wären wieder von zweien leicht
auf mehr als zwei Operationsglieder auszudehnen, und hätte man bei
27), z. B. linkerhand, für drei Operationsglieder:
a (b + c + d) = a b + a c + a d
und so weiter. Der Beweis wäre zu führen, indem man die dreiglie-
drige Summe b + c + d zunächst als eine zweigliedrige (b + c) + d kraft
13+) darstellte und dann zweimal nacheinander, zuerst auf diese bino-
mische Summe selber, sodann auf ihren ersten Term b + c, das Schema
27×) anwendete. Man hat also zu schliessen:
a (b + c + d) = a {(b + c) + d} = a (b + c) + a d = (a b + a c) + a d =
= a b + a c + a d.
Um darnach für eine viergliedrige Summe b + c + d + e den Satz zu
beweisen, hätte man auch diese wieder als eine binomische darzustellen,
z. B. in Gestalt von (b + c + d) + e. Etc.
Auf ihre Gültigkeit — die sich bald offenbaren wird — wollen
wir die Formeln 27) erst nachher prüfen und uns zunächst damit be-
[283]§ 12. Nichtbeweisbarkeit der 2. Subsumtion des Distributionsgesetzes.
schäftigen, dieselben in Worte zu kleiden, so, wie man behufs ihrer
Anwendung im identischen Kalkul gut thut, sie sich einzuprägen.
Jede als eine allgemeine Formel geltende Gleichung des Kalkuls
lässt sich in zweierlei Weise, nämlich im Sinne von links nach rechts,
sowie im entgegengesetzten Sinne, anwenden, und liefert, zum Zwecke
dieser Anwendungen in Worte gefasst, demgemäss auch zwei Sätze:
den einen (wie wir sagen können) vorwärts gelesen, den andern indem
sie rückwärts gelesen wird. Die Formel drückt nämlich [im Hinblick
auf den Zusatz zu Th. 2), 3), auf Zus. 2 zu Th. 19) und später noch
dessen Verallgemeinerung Zus. 2 zu Th. 32)] die Erlaubniss aus, ge-
legentlich die eine Seite der Gleichung durch die andere zu ersetzen,
also entweder die linke Seite derselben durch die rechte, oder, falls
es beliebt, umgekehrt den Ausdruck zur rechten durch den zur linken
Hand befindlichen.
Von links nach rechts gelesen lehrt die Gleichung 27×) oder, was
auf dasselbe hinauskommt, die Gleichung: (b + c) a = b a + c a, dass
eine Summe mit einem Symbol multiplizirt werden kann, indem man jedes
Glied der Summe mit ihm multiplizirt und die Ergebnisse (Einzelprodukte,
„Partialprodukte“) addirt (summirt). Kürzer gesagt: die Multiplikation
einer Summe kann „gliedweise“ an dieser ausgeführt werden.
Ein Faktor, mit welchem eine Summe behaftet erscheint, „verteilt“
sich darnach auf die Glieder der Summe — so jedoch, dass jedes Glied
den ganzen Faktor bekommt. Und unter diesem Gesichtspunkt er-
scheint die Bezeichnung des Satzes 27×) als „Distributionsgesetz“ ge-
rechtfertigt.*)
Freilich ist die Art der „Verteilung“ eine eigentümliche, wie wir sie
übrigens schon bei der distributiven Verwendung der Gemeinnamen in B
der Einleitung kennen gelernt haben. Auf dem Gebiete der materiellen
Welt dürfte solche Distribution oder distributive Verteilung, bei welcher
jeder an ihr Teilnehmende, Partizipirende das zur Verteilung gelangende
Objekt ganz und ungeteilt für sich erhält, ohne dass es darum doch den
andern Partizipanten vorenthalten würde, kaum ein Analogon finden — es
sei denn (annähernd) etwa bei der Austeilung, dem Weitergeben von Feuer
— beispielsweise der Cigarre —, von Fermenten, auch der Verbreitung
von Ansteckungsstoffen. Wohl aber vollziehen sich distributive Verteilungen
auf dem geistigen Gebiete: in Gestalt der — wie die Sprache zu sagen
vorzieht — „Mitteilung“ von Gedanken. Charakteristisch ist hiebei, dass
Derjenige, der einen klugen Einfall z. B. Andern mitteilt, ihn dadurch selber
[284]Sechste Vorlesung.
nicht verliert, während doch ein Jeder des ganzen Einfalles oder Gedan-
kens teilhaftig geworden, und auf diesem Umstand beruhen wesentlich die
grossen Vorteile des sog. Gedankenaustausches (eventuell auch die Nach-
teile, z. B. bei Verleumdung). Wenn in einer Gesellschaft von hundert
Personen Jeder auch nur einen klugen Gedanken hat und ihn den Andern
mitteilt, so geht ein Jeder mit hundert klugen Gedanken nach Hause*)!
Der Verteilungsprozess ist hierbei untrennbar verbunden mit einer Verviel-
fältigung, mit einem wiederholten Inexistenztreten des Verteilungsobjektes.
Eine Geldsumme z. B. lässt unter die Anwesenden in dieser Weise sich
leider nicht verteilen.
Die Anwendung der Formel 27×) in dem ebenerwähnten Sinne
heisst Ausmultipliziren; man sagt, dass man die Summe b + c + ‥ „mit
a ausmultiplizire“, wenn man das Produkt (b + c + ‥) a in b a + c a + ‥
verwandelt.
Man sagt in der Arithmetik auch, das Produkt werde „entwickelt“,
doch wird man auf diese Ausdrucksweise hier besser verzichten, weil wir
dieselbe in § 20 in einem andern Sinne einzuführen haben. Der Eng-
länder verfügt hier über das Wort „expanded“ zum Unterschiede von „de-
velopped“.
Soll a (b + c + d ‥) ausmultiplizirt werden, so „geht man mit dem
Faktor a“ in Gedanken „in die Klammer hinein“, und lässt ihn bei dem
ersten Gliede auf welches man stösst gewissermassen hängen. Ohne aber
dadurch seiner Begleitung verlustig zu gehen, wandert man mit ihm weiter,
um ihn auch bei dem zweiten Gliede haften zu lassen, und so fort.
Die umgekehrte Anwendung der Formel, wobei man also eine
Summe b a + c a + d a ‥ in das Produkt (b + c + d ‥) a zusammenzieht,
heisst das „Ausscheiden des gemeinsamen Faktors“ a. Rückwärts ge-
lesen also liefert uns die Formel 27×) den Satz: Wenn die Glieder
einer Summe einen „gemeinsamen“ (genauer blos: übereinstimmenden)
Faktor „enthalten“**), so kann man denselben „ausscheiden“, d. h. ihn
neben eine Klammer setzen, in welche die Summe der andern Faktoren
geschrieben wird.
Damit dies korrekt sei, muss indess jedes Glied der gedachten
Summe als ein „binäres“, d. i. aus nur zwei Faktoren bestehendes, Pro-
dukt angesehen werden, dessen einer Faktor der in allen Gliedern laut
Voraussetzung übereinstimmend vorhandene oder „gemeinsame“ Faktor
[285]§ 12. Nichtbeweisbarkeit der 2. Subsumtion des Distributionsgesetzes.
ist. Bestand also ein Glied aus vielen Faktoren, so wird in ihm, nach
Abtrennung des „gemeinsamen“ erst das Produkt der übrigen Fakto-
ren den „andern“ Faktor vorstellen, von welchem in obiger Erklärung
die Rede war (durchaus nicht dürfte die Summe von dessen Teilfak-
toren gebildet werden).
Wie an dem Beispiel der Formel 27×) zu sehen ist, können die
beiden Sätze, welche eine Formel vor- und rückwärts gelesen liefert,
gänzlich verschieden klingen. Dies wird sich sogar als die Regel er-
weisen. Gleichlauten, m. a. W. in einen Satz zusammenfallen, müssen
die beiden nur dann, wenn die Formel symmetrisch ist, d. h. die eine
Seite der Gleichung durch blosse Buchstabenvertauschung in die an-
dere übergeführt werden kann, was dann nebenbei gesagt (durch die
entgegengesetzte Vertauschung) auch immer umgekehrt der Fall sein
muss. Es war dies unter den bisherigen Formeln oder Theoremen
nur bei den Kommutationsgesetzen 12) der Fall.
Die Formel 27×) werden wir „das duale Gegenstück des Distribu-
tionsgesetzes“ nennen.*) Dass sie dies wirklich ist, nämlich durch blosse
Vertauschung von „plus“ und „mal“ aus dem (eigentlichen) Distribu-
tionsgesetze hervorgeht, erkennt man deutlichst, wenn man in beiden
Formeln die unterdrückten Malzeichen nebst den gesparten, mental
zu ergänzen gewesenen Klammern ausdrücklich anschreibt:
| 27×) a · (b + c) = (a · b) + (a · c) | 27+) a + (b · c) = (a + b) · (a + c). |
Auch die Formel 27+) ist von distributivem Charakter; sie zeigt,
dass ein Summand, welcher zu einem Produkte tritt, sich auf die Fak-
toren des letzteren „verteilt“. Statt ein Symbol zu einem Produkt zu
addiren, kann man es zu jedem Faktor desselben addiren und die Ergeb-
nisse (Einzelsummen) miteinander multipliziren. Umgekehrt: Wenn die
Faktoren eines Produktes einen übereinstimmenden Term (Summanden)
enthalten, so lässt sich das Produkt reduziren auf diesen Term vermehrt
um das Produkt der restirenden Terme in den als nur zweigliedrige oder
„binomische“ Summen anzusehenden Faktoren.
Von diesen beiden Sätzen ist wol der letztere für die Technik
des identischen Kalkuls noch von einigem Werte. Wie sich zeigen
wird, lässt aber die Anwendung des Th. 27+) sich überhaupt umgehen,
und kann man schon mit dem Distributionsgesetze 27×) auskommen.
In der Arithmetik gilt die Formel 27+) nicht; hier stehen Multipli-
kation und Addition nur in einseitig distributivem Zusammenhange: die
[286]Sechste Vorlesung.
Multiplikation verhält sich distributiv zur Addition, aber nicht umge-
kehrt. Im identischen Kalkul dagegen stehen Addition und Multiplika-
tion in gegenseitig distributivem Zusammenhange.
Da die Formel 27×) die beiden vorhergehenden Subsumtionen 26×)
und 25×) ohnehin umfasst, so verlohnt es natürlich nicht, diese beiden,
weniger besagenden Sätze einzeln in Worte zu kleiden und sich ge-
sondert einzuprägen, sondern wird es vorzuziehen sein und hinreichen,
dies nur mit dem inhaltreicheren Satze 27×) zu thun. Wir durften
daher auf jenes verzichten, und begnügen wir uns, das letztere gethan
zu haben.
Dass nun die Formeln 27) — und damit auch die vorhergehen-
den 26) — in der That Geltung haben, lehrt für die bisher als an-
schauliches Substrat benutzten Flächengebiete oder Klassen von Punkten
der Ebene zunächst die Anschauung. Man überzeugt sich nämlich son-
der Mühe, dass sowol die linke als die rechte Seite einer jeden Glei-
chung 27) bezüglich denselben in der folgenden Figur schraffirten Teil
der Gebiete a, b, c vorstellt:
Figure 22. Fig. 15×. | Figure 23. Fig. 15+. |
Die Anschauung konnte auch benutzt werden um alle bisherigen
Sätze des Gebietekalkuls unmittelbar als richtig zu erkennen. Doch
wird man zugeben, dass dies kein Beweis derselben sein würde, unter
welchem ja ihre (bewusste) Zurückführung auf die bisherigen Defini-
tionen (1) bis (3) durch zwingende nach den Prinzipien (I und II)
ausdrücklich erfolgende Schlüsse zu verstehen ist.
Sonach erscheinen auch die Sätze 27) bis jetzt noch als unbe-
wiesen.
Die Unmöglichkeit, ihren Beweis auf der Grundlage des Bisherigen
zu leisten, kann völlig ausser Zweifel gestellt werden auf eine Weise,
die ich jetzt auseinandersetzen will.
Ein solcher „negativer“ Beweis kann nur durch Exemplifikation
geleistet werden.
Eine allgemeine Behauptung wird als in dieser Allgemeinheit ungültig
erwiesen sein, sobald man auch nur ein einziges Beispiel nachweist, für
[287]§ 12. Nichtbeweisbarkeit der 2. Subsumtion des Distributionsgesetzes.
welches sie nicht zutrifft, und dieses für sie selbst oder eine ihrer Konse-
quenzen zu thun, erscheint als der einzige Weg, ihre Ungültigkeit zu be-
weisen. Im letztern Fall hat man dafür einen sog. „apagogischen“ oder
„indirekten“ Beweis, die „reductio ad absurdum“ — wovon sich jene Exempli-
fikation auch als ein spezieller Fall würde hinstellen lassen, in Anbetracht,
dass die Geltung der Behauptung für das Beispiel ja eine Konsequenz ist
ihrer allgemeinen Geltung.
Handelt es sich insbesondre um den Nachweis der Ungültigkeit einer
Folgerung selbst, und zwar einer angeblichen Beweisführung für einen
materiell richtigen Satz, so bleibt nur der Weg des unmittelbaren Exem-
plifizirens offen und kommt folgendes in Betracht.
Dass ein Satz A aus einer Gruppe von Definitionen, Axiomen und
Sätzen B nicht mit Notwendigkeit folgt, wird jedenfalls dann unzweifel-
haft erwiesen sein, wenn es gelingt, ein Gebilde als wirklich oder
denkmöglich nachzuweisen, welches die Definitionen, Axiome (und Sätze)
der Gruppe B sämtlich bewahrheitet und gleichwol den Satz A nach-
weislich nicht erfüllt — kurz: wenn man zeigt, dass irgendwo die
Sätze B ohne A geltend vorkommen. Dann in der That kann A von
B nicht bedingt werden.
In unserm vorliegenden Falle brauchen wir den Beweis der Nicht-
beweisbarkeit nur etwa für die Formel 26×) zu führen. Für die 26+)
ergibt sich derselbe alsdann als ein selbständiger ganz ebenso dual
entsprechend, oder auch als ein vom vorigen abhängiger in unmittel-
barer Zurückführung auf diesen auf Grund einer am Anfange des
nächsten Paragraphen folgenden Bemerkung.
Der Satz A wird so die Formel 26×), die Gruppe B aber den
ganzen Inhalt der Paragraphen 4, 5, 6, 10, 11 vorstellen.
Es empfiehlt sich vielleicht, das Wesen dieser Schlüsse durch ein ein-
facheres Beispiel zu illustriren. Ich wähle folgendes Sophisma (aus Keynes1):
folglich: A) bist du nicht ein Mann (kein Mann).
Sagt dies ein Mann zu irgend jemand, so sind die Prämissen B des
ausgeführten Schlusses richtig. Sagt er es zu einer Frau, so ist auch die
Konklusion, der Schlusssatz B materiell richtig, und dennoch ist der Schluss
unberechtigt, formell falsch! Dies wird erkannt, wenn man es ihn zu einem
Manne sagen lässt, wo dann eben die Konklusion auch materiell unrichtig
sein wird.
Es kann auch in der Anwendung des Satzes auf eine Frau die Un-
richtigkeit des Schlusses als solchen nachgewiesen werden, indem man das
Wort „Mann“ durchweg durch das Wort „Mensch“ ersetzt. Würde eine
vom Denkinhalte unabhängige Denknotwendigkeit von den Prämissen B
zur Konklusion A hinüberführen, so müsste dies gleichermassen der Fall
sein, durch welches andre nomen man auch irgend ein in der Schluss-
[288]Sechste Vorlesung.
folgerung auftretendes nomen ersetzte. Die Folgerung müsste nach einem
allgemeingültigen Schema vor sich gehen.
Dieses ist hier, wie gezeigt, nicht der Fall, und der Schluss demnach ein
„Fehlschluss“ resp. „Trugschluss“, d. i. eben gar kein wirklicher „Schluss“.
(Der vorgeschrittenere Leser wird später leicht diesen speziellen Trugschluss
auch nach den Regeln der Logik zu analysiren vermögen; derselbe läuft
hinaus auf eine Verwechselung von Gleichheits- und Subsumtionszeichen.) —
Dergleichen „negative“ Beweise, Beweise für die Unzulässigkeit einer
gewissen Folgerung oder die Unmöglichkeit eines gewissen Beweises, sind
gewöhnlich nicht ganz leicht zu geben. Dies wird auch in unserm Falle
zu sehen sein.
Als an ein berühmtes Vorbild sei hier noch daran erinnert, wie durch
die Arbeiten von Beltrami, Cayley und Felix Klein die Nichtbeweis-
barkeit des 11ten (in englischen Ausgaben 12ten) Axioms des Euklides
aus den übrigen Axiomen der Euklidischen Geometrie dargethan worden
ist. Nennen wir jenes Parallelenaxiom kurz A, die Gruppe der übrigen
Axiome B, so gelang es zu beweisen, dass A nicht aus B folgen kann,
wesentlich dadurch, dass für die Worte: „Raum“, „Abstand“ und „kongruent“
durchweg substituirt wurden die Worte: „Quasi-Raum“, „Quasi-Abstand“
und „quasi-kongruent“, den letzteren aber eine solche (anschauliche) Bedeutung
untergelegt wurde, dass die Axiomgruppe B sich als durchaus erfüllt, der
Satz A dagegen sich als nicht erfüllt nachweisen liess.
Es haben selbst Lehrer der Mathematik in ihren gegen diese Arbeiten
oder wenigstens deren Ergebniss polemisirenden Schriften (zahlreiche an-
dere aber durch thatsächliche Nichtanerkennung dieses Ergebnisses) so
wenig Verständniss für den logischen Charakter der Frage an den Tag
gelegt, dass Denjenigen, die den Wert der Logik überhaupt bemängeln,
hier greifbar gezeigt werden könnte, wie viel Streit, beharrlicher Irrtum,
Papier- und Zeitverschwendung durch eine bessere logische Schulung des
Geistes sich vermeiden liesse!
Da nun im identischen Kalkul — für unsre „Gebiete“ — der
Satz A, wie wir durch Anschauung erkannten, doch materiell richtig
ist, so wird sich die Unabhängigkeit des Satzes A von der Satzgruppe
B nur darthun lassen, indem wir für gewisse Objekte, von denen hierin
die Rede war, durchweg andere Objekte substituiren, m. a. W. den
Symbolen, welche uns diese Objekte darstellten, eine neue Bedeutung
unterlegen, die beiden Partieen von Sätzen in ihrer Anwendung auf
ein weiteres Untersuchungsfeld studiren.
Ein solches Anwendungsfeld, in welchem die Gruppe B ohne den
Satz A gilt, ist nun in der That der „logische Kalkul mit Gruppen,
z. B. von Funktionalgleichungen, Algorithmen oder Kalkuln“, den ich
in Anhang 4 und 5 (resp. in 6) mit allem Detail begründe. Ich
weise — um bei dem Aufbau der gegenwärtigen Theorie nicht zu
einer übergrossen Abschweifung genötigt zu sein, unter diesen beson-
dern Überschriften — eingehend nach, dass hier wirklich B durchaus
[289]§ 12. Nichtbeweisbarkeit der 2. Subsumtion des Distributionsgesetzes.
zutrifft, während Beispiele sich darbieten werden, in welchen A keines-
wegs zutrifft. Den Beispielen, sowie dem ganzen Kalkul wird ein her-
vorragendes Interesse auch an sich zukommen.
Die Anwendbarkeit des identischen Kalkuls auf das in § 3, S. 160
mitaufgezählte Feld ζ) wird demnach keine durchgängige sein, vielmehr
nur eine beschränkte, teilweise oder partielle; sie wird bei den Sätzen 26)
aufhören.
In der systematischen Darstellung der Theorie, mit der wir im
Zuge sind, werde ich also die behauptete Nichtbeweisbarkeit der Sub-
sumtion 26×) nunmehr als erwiesen ansehen.
Dieselbe bildet insofern auch kein wesentliches Moment dieser Theorie,
als der letzteren doch nur obliegt positiv fortzuschreiten, so gut sie es
eben vermag. Das Fortschreiten gelingt ersichtlich auf die Weise, in der
wir es ausführen werden, und auf die Herausforderung, es anders zu
machen, die Subsumtionen 26) mittelst Beweises auf Grundlage des Bis-
herigen zu Theoremen zu erheben, wird niemand sich melden können.
Wir stehen darnach einer merkwürdigen Thatsache gegenüber.
Nach der in § 8 erörterten sprachlichen Einkleidung von a + b
und a · b, wenn a und b als Klassen aufgefasst werden, sind die For-
meln 25×) und 26×) wie folgt in Worte zu fassen:
25×) a b + a c ⋹ a (b + c). „Alle a, die b sind, nebst allen a, die c
sind, müssen solche a sein, die b oder auch c sind.“
Exempel: Die Gebildeten, welche adelig, und die Gebildeten, welche
wohlhabend sind (die adeligen Gebildeten und die wohlhabenden Ge-
bildeten), sind Gebildete, welche adelig oder auch wohlhabend sind.
26×) a (b + c) ⋹ a b + a c. „Alle a, welche b oder auch c sind,
müssen solche a sein, die b sind, oder auch solche a, die c sind.“
Exempel: Die Gebildeten, welche adelig oder auch wohlhabend
sind, sind adelige Gebildete oder auch wohlhabende Gebildete (sind
Gebildete, welche adelig, oder auch Gebildete, welche wohlhabend sind).
Von diesen beiden gleich selbstverständlich klingenden Sätzen lässt
der erstere sich syllogistisch beweisen, der letztere nicht.
Bei den älteren blos verbalen Behandlungen der logischen Disziplin
ist wol sicherlich nie jemand darauf verfallen, jenen ersten Beweis zu
liefern, und übersah man ebenso die Unmöglichkeit des zweiten.
In dem Nachweise und der Ausfüllung solcher Lücken gibt sich
auch wol eine Überlegenheit der mathematischen Behandlungsweise
kund. —
Jene unberücksichtigt gebliebenen Sätze (ich denke fast: sie wer-
den auch nirgends ausgesprochen worden sein) sind nichtsdestoweniger
von der allerhäufigsten Anwendung (begreiflich zumeist unbewusster-
Schröder, Algebra der Logik. 19
[290]Sechste Vorlesung.
weise) — wie dies schon bei den Raisonnements des gewöhnlichen
Lebens eine geringe Aufmerksamkeit lehrt.
Anstatt der beiden Subsumtionen 25+) und 26+) wollen wir
schliesslich nur die Gleichung 27+), die sie in sich zusammenfasst,
noch für Klassen formuliren: „Was a oder b und zugleich a oder c ist,
das sind die a, nebst den b welche c sind.“
Exempel: Die Gebildeten und die wohlhabenden Adeligen sind
gerade diejenigen Personen, welche gebildet oder wohlhabend und (zu-
gleich) gebildet oder adelig sind.
Ich muss an dieser Stelle das Verhältniss des hier Vorgetragenen zu
Herrn Ch. S. Peirce's Vorarbeiten kennzeichnen.
So weit der identische Kalkul als Buchstabenrechnung bis hier über-
haupt zur Darstellung gekommen ist, erscheint sein Aufbau der Haupt-
sache nach ganz in den §§ 4, 5, 10 und 11 enthalten. In formeller Hin-
sicht ist für diese Entwickelung Herrn Peirce's grundlegende Arbeit5 im
dritten Bande des American Journal of Mathematics maassgebend gewesen,
und zwar nicht nur in Bezug auf den Plan im grossen und ganzen, son-
dern auch bezüglich fast aller einzelnen Sätze und der Mehrzahl ihrer Be-
weise. Die Sätze allerdings waren zum Teil schon von Boole, Jevons
und Anderen gegeben.
Ein beträchtlicher Unterschied findet jedoch statt hinsichtlich der Inter-
pretation der vorkommenden Symbole. Herr Peirce nämlich fasst die
Buchstaben durchweg als Urteile auf, begründet also die Theoreme als
solche des „Aussagenkalkuls“ — wogegen hier sie als solche des „Gebiete-
kalkuls“ entwickelt wurden. Durch das letztere Verfahren erhalten sie,
wie in § 32 gezeigt werden wird, eine erheblich grössere Tragweite; sie
werden ganz wesentlich verallgemeinert. In formeller Hinsicht indess ist
die Verschiedenheit der Interpretation bei dem von Peirce eingehaltenen
Gange zufällig fast ohne jeglichen Einfluss gewesen, und lag uns oft ein-
fach ob, die Peirce'schen Betrachtungsweisen auf die Gebiete zu übertragen.
Fussend auf die allbekannten Prinzipien I und II und die Definitionen
(1), (2) und (3), von welchen die letzteren namentlich ihm eigentümlich
sind, gibt Herr Peirce eine streng analytische Herleitung der verschie-
denen Theoreme des Kalkuls und zwar zunächst derjenigen — sagen wir
„bejahenden Charakters“, in welchen nämlich von Negationen nicht die Rede
ist — bis exclusive des Theorems 25).
Hier angelangt hält er indess bei den Distributionsgesetzen inne und
werden diese [von uns mit 27) numerirten Formeln] von ihm (5 pag. 33)
mit der Bemerkung abgefertigt, dass sie nach l. c. von ihm citirten For-
meln leicht zu beweisen, der Beweis aber für die Mitteilung zu langwierig
sei [They are easily proved by*) …, but the proof is too tedious to give].
Dies war nun ein zu berichtigender Punkt.
Von den beiden Subsumtionen 25) und 26) aus denen als einfacheren
Sätzen das „volle“ Distributionsgesetz 27) sich zusammengesetzt erweist,
[291]§ 12. Nichtbeweisbarkeit der 2. Subsumtion des Distributionsgesetzes.
liess die eine 25) sich in der That leicht, aber gar nicht langwierig, auf
dem angedeuteten Wege beweisen. (Von den zwei in § 11 von mir ge-
gebnen Beweisen beansprucht der erste kaum mehr als eine Zeile an
Druckraum.)
Für den andern Teilsatz 26) aber wollte es mir zunächst durchaus
nicht gelingen, den fehlenden Beweis zu erbringen. Statt dessen glückte
es mir vielmehr, die Unbeweisbarkeit des Satzes — wie oben (in Verbin-
dung mit den citirten Anhängen) auseinandergesetzt — darzuthun, und
eine dieserhalb mit Herrn Peirce geführte Korrespondenz lieferte die Auf-
klärung, dass derselbe seines diesbezüglichen Irrtums ebenfalls schon inne
geworden war — vergl. hiezu die Fussnote auf p. 190 in dessen in-
zwischen erfolgter Fortsetzung 8 seines citirten Aufsatzes, im siebten Bande
des American Journal.
Wenn ich auch in dieser Berichtigung mit Herrn Peirce zusammen-
traf, so glaube ich doch darin über ihn hinauszugehen, dass ich eben die
Unerreichbarkeit des zuerst von ihm erreicht Geglaubten nachweise.
Interessant wird es nunmehr sein, zu sehen, in welcher Gestalt das
von Peirce errichtete wissenschaftliche Gebäude nach jener Berichtigung
weiterzuführen ist.
Durch jenen Beweis der Unbeweisbarkeit der Subsumtion 26) wird
es offenbar gemacht, dass statt des einen eigentlich zweierlei Kalkuln
existiren, derart, dass in dem einen beide, im andern nur der eine der
beiden Teile des Distributionsgesetzes unbedingt statthat. Mit dieser
Erkenntniss aber drängt sich die Notwendigkeit auf, die verschiedenen
Kalkuln auch verschieden zu benennen. Es erschien mir angemessen,
den ersten, bisher schlechtweg so genannten „Logikkalkul“ seitdem
als den „identischen“ Kalkul zu bezeichnen im Gegensatz zu dem an-
dern, dem Kalkul mit „Gruppen“ — vielleicht als dem eigentlich
„logischen“, beide Kalkuln jedoch nach wie vor in das Gebiet der „Al-
gebra der Logik“ zu verweisen.
Bis zum Einschluss der Theoreme 25) fallen beide Kalkuln wie
gesagt in einen zusammen, so weit decken sie sich. Erst bei den
Subsumtionen 26) erfolgt die Trennung, indem auch diese und damit
das volle Distributionsgesetz 27) im identischen Kalkul noch durchaus
gelten werden, im logischen (dem Kalkul mit „Gruppen“) nicht. So
weit auch findet dieser Gruppenkalkul sich in anhang 4 und 6 ent-
wickelt, und darüber hinaus ist eine Entwickelung ihm überhaupt noch
nicht zuteil geworden, auch bleibt er wol naturgemäss zurück, da ihm
so wichtige Gesetze des identischen Kalkuls abgehn. Wir beschäftigen
uns hiernächst nur mit dem identischen Kalkul weiter.
Um weiter zu fahren, müssen wir uns vor allem klar machen,
dass die beiden Sätze 26×) und 26+) sich auf einander zurückführen lassen.
Gilt z. B. die Formel 26×) allgemein, so auch wie oben dargelegt
das „volle“ Distributionsgesetz 27×). Und durch des letztern wieder-
holte Anwendung ist ihrerseits leicht zu beweisen die „Multiplikations-
regel für Polynome“, welche in dem (uns zunächst genügenden) ein-
fachsten Falle ausgedrückt wird durch die Formel:
28×) (a + b) (c + d) = a c + a d + b c + b d.
Beweis. Multiplizirt man erst nur die Summe a + b mit dem
hinter ihr stehenden Faktor nach 27×) aus, so ergibt sich:
(a + b) · (c + d) = a · (c + d) + b · (c + d)
und wenn man in den beiden Termen rechterhand nunmehr auch die
Summe c + d je mit dem vor ihr stehenden Faktor ausmultiplizirt, so
entsteht:
(a + b) (c + d) = (a c + a d) + (b c + b d),
wo nun die Klammern rechterhand auch weggelassen werden dürfen
[cf. Anhang 2] und der Satz sich bewiesen findet.
Meist wird die Formel 28×) im Sinne von links nach rechts an-
gewendet, und verlohnt es nur zu diesem Zwecke sie sich in Worten
einzuprägen (wobei wir wegen der späteren Ausdehnung des Satzes
auf beliebig viele Glieder die Gliederzahl, die bis jetzt nur „zwei“ sein
dürfte, schon unerwähnt lassen wollen):
Zwei Polynome (mehrgliedrige Summen) können mit einander multipli-
zirt werden, indem man jedes Glied des einen Polynoms mit jedem Glied
des andern multiplizirt und die Einzelprodukte summirt (addirt).
Man nennt diesen Prozess das „Ausmultipliziren“ der gedachten
Polynome — in der Arithmetik auch wol das „Entwickeln“ ihres Pro-
duktes; doch erscheint wieder letzteres aus später zutage tretenden
Gründen hier weniger geeignet (vergl. den § 19 über die „Entwicke-
lung“ der Funktionen überhaupt.
Im umgekehrten Sinne, also von rechts nach links gelesen, zwecks
der „Zerfällung“ eines gegebenen Aggregates von (monomischen binä-
ren) Produkten in polynomische Faktoren, wird in der Praxis mit
Recht der einmaligen Anwendung der komplizirten Formel 28×) vor-
gezogen die wiederholte Anwendung der einfacheren 27×) im Sinne des
„Ausscheidens“ gemeinsamer Faktoren, so wie sie im umgekehrten
Sinne beim Beweis von 28×) bereits oben geleistet ist. Man wird hier
eben den Ansatz machen:
a c + a d + b c + b d = a (c + d) + b (c + d) = (a + b) (c + d).
Bevor wir weiterfahren sei die Gleichung 28×) auch für Klassen noch
durch ein Beispiel erläutert:
Die russischen oder europäischen Kapitalisten oder Kaufleute sind die
russischen Kapitalisten nebst den russischen Kaufleuten und den europäi-
schen Kapitalisten sowie den europäischen Kaufleuten.
Sobald wir nun uns auf 28×) berufen dürfen lässt sich die rechte
Seite von 27+) durch Ausmultipliziren wie folgt zerlegen:
(a + b) (a + c) = a a + a b + a c + b c,
und dies gibt nach Th. 14×)
= {(a + a b) + a c} + b c = {a + a c} + b c = a + b c,
indem der erste Term a a oder a nach 23+) die beiden zunächst ihm
folgenden successive „absorbirt“.
Hiermit aber wird dann die Gleichung 27+) und damit auch die
kraft Def. (1) in ihr mitenthaltene Subsumtion 26+) bewiesen er-
scheinen.
Dem bisherigen genau dual entsprechend würde vermittelst 26+) auch
26×) sich ableiten lassen. Daher nun musste auch 26+) notwendig unbe-
weisbar sein, denn wenn für diese Subsumtion der Beweis gelänge, sc
wäre damit auch für die 26×) ein Beweis geliefert, was erwiesenermassen
unmöglich ist.
Keinesfalls werden wir also genötigt sein, die Sätze 26) alle beide
als Prinzipien hinzustellen.
Versuche, einen von ihnen etwa nach Hinzufügung der Def. (6)
der Negation mit ihrem zugehörigen Postulate zu beweisen, schlagen
ebenfalls fehl.
Dagegen brauchen wir blos einen speziellen Fall des einen, z. B.
von 26×) als Axiom oder Prinzip zu fordern, und zwar den folgenden.
Prinzip III×. Wenigstens, wenn [b c ⋹ 0, somit auch] b c = 0 ist,
gilt sicher:
a (b + c) ⋹ a b + a c.
Zusatz 1. Nach 25×) und Def. (1) gilt dann auch die Gleichung:
a (b + c) = a b + a c
vorerst unter der einschränkenden Voraussetzung, dass b c = 0 sei.
Zusatz 2. Von zweien ist der Satz leicht auf drei und mehr
Glieder auszudehnen, vorerst unter der entsprechenden Voraussetzung,
dass deren Produkte zu je zweien gleich 0 seien. So muss nament-
lich sein:
a (b + c + d) = a b + a c + a d,
[294]Sechste Vorlesung.
falls
b c = 0, b d = 0, c d = 0.
Dann ist nämlich (wegen b c = 0) nach Zusatz 1:
(b + c) d = b d + c d = 0 + 0 = 0
cf. Th. 21+). Deshalb also abermals nach Zusatz 1 ist:
a {(b + c) + d} = a (b + c) + a d
und durch Einsetzung von a (b + c) = a b + a c rechterhand ergibt sich
hieraus der zu beweisende Satz.
Ebenso beweist sich leicht das Schema 28×) sofern nur a b = 0
und c d = 0. Etc.
Anmerkung 1. Dem Prinzip III× würde ein Satz III+ dual ent-
sprechen: dass (a + b) (a + c) ⋹ a + b c wenigstens dann sein müsse, wenn
b + c = 1 ist. Denselben dürfen wir aber nicht auch als ein „Prinzip“
bezeichnen sondern müssen ihn ein „Theorem“ nennen, weil er sich nun-
mehr — selbst ohne die angegebene beschränkende Voraussetzung, näm-
lich verallgemeinert zu 26+) und 27+) — auf Grund von III× beweisen
lassen wird.
Indessen braucht auf dieses Theorem hier überhaupt nicht Bezug ge-
nommen zu werden.
Anmerkung 2. Ein spezieller Fall des Prinzips III×, also ein noch
speziellerer Fall der Subsumtion 26×) würde der folgende Satz sein:
III×0. Es ist a (b + c) ⋹ a b + a c, soferne wenigstens b c = 0
und b + c = 1 ist,
wo dann auch a (b + c) = a b + a c unter denselben Bedingungen gelten
würde × ein Satz, dem wir also weiter unten die kürzere Fassung
a (b + b1) = a b + a b1
oder die noch kürzere: a = a b + a b1 würden geben können.
Mit diesem noch einfacheren Satze, selbst in Verbindung mit seinem
dualen Gegenstücke, gelänge es aber (wie wir sehen werden) nicht, hier
auszukommen.
Da von zwei einander dual entsprechenden Sätzen hier blos der
eine III× zum Prinzip erhoben wurde, so werden unsre ferneren Be-
weisführungen eine Weile notwendig unsymmetrisch: der Dualismus
ist uns zur Zeit entschlüpft, wird jedoch in Bälde wieder ein-
gefangen.
Den in Kenntniss zu nehmenden Sätzen werden wir bis dahin
auch nicht in der Lage sein, die ihnen dual entsprechenden immer
sogleich gegenüberzustellen.
Über die anscheinende Unmöglichkeit, statt einseitig, hier doch
symmetrisch vorzugehen, nämlich an Stelle von III× einen sich selbst
[295]§ 12. Prinzip zur Vertretung des unbeweisbaren Satzes.
dual entsprechenden Satz zum dritten Prinzip zu erwählen, muss ich
mir weitere Bemerkungen noch vorbehalten (S. 310 sq.).
Einstweilen garantirt uns unser Prinzip III× die Erlaubniss, eine
Summe wenigstens dann nach dem Distributionsgesetze auszumultipliziren,
wenn ihre Glieder unter sich disjunkt sind (d. h. zu je zweien multi-
plizirt ein Produkt 0 geben).
Dergleichen Summen mag man „reduzirte“ nennen.
Man kann noch bemerken, dass auch die ausmultiplizirte Summe
wieder eine reduzirte sein wird und nebenher diese Wahrnehmung mit
McColl verallgemeinern zu dem Satze:
Zusatz 3. Das Produkt zweier (oder mehrerer) reduzirten Summen
gibt ausmultiplizirt wieder eine reduzirte Summe.
Jedes Glied der ausmultiplizirten Summe hat nämlich, als Partialpro-
dukt, ein Glied der ersten und ein Glied der zweiten Summe zum Faktor.
Haben zwei Glieder aus der einen Summe denselben Term zum Faktor, so
müssen ihre andern Faktoren disjunkte Terme aus der andern Summe sein,
und sie darum zum Produkt O geben. Andernfalles haben sie sowol aus
der einen als aus der andern Summe disjunkte Terme zu Faktoren und
geben, wenn miteinander multiplizirt, um so mehr ein Produkt O.
Anmerkung 3 zu Prinzip III×.
Man kann — vergl. Jevons1 p. 27 sq. — für das Prinzip III×
und ebenso schon für die allgemeinere Subsumtion 26×), nachdem sie
(wie oben geschah) für Klassen oder auch für Gebiete in Worte ge-
fasst sind, einen verbalen „Beweis“ liefern wie folgt.
Vorausbemerkt sei nur, dass hiebei im Satze, wie im Beweis wieder-
holt (auch in „disjunktiven“ Urteilen) die Konjunktion „oder“ vorkommt.
Beim spezielleren Satze III× ist dieselbe im Sinne von § 8, η) zu verstehen
als „oder aber“, bei dem allgemeineren Satze 26×) dagegen im Sinne von
§ 8, ϑ) zu ersetzen durch „oder auch“. Hierdurch allein würden die bei-
den Sätze und Beweise sich unterscheiden. Wir sagen hiernächst schlecht-
weg „oder“.
Im übrigen muss man wesentlich auch die Interpretation § 8, ι) von
a + b vor Augen haben.
Jevons' „Beweis“ zu III× resp. 26×).
Was a und entweder b oder c ist — wenn es b ist, so ist es a b*,
wenn es c ist, so ist es a c, und es ist folglich entweder a b oder a c.
[— sintemal auch a (b + c) ⋹ b + c, sowie a b ⋹ a b + a c und
a c ⋹ a b + a c nach Th. 6) sein muss —].
Es sei nicht in Abrede gestellt die gemeinverbindliche Denknot-
wendigkeit dieser Überlegung, so wenig, als wie schon die Selbstver-
ständlichkeit des durch sie (womöglich noch) plausibel(er) gemachten
Satzes.
Allein es wird bei diesen Schlüssen von einem Grundsatze Ge-
brauch gemacht, der bisher weder implicite noch explicite Erwähnung
fand, nämlich von diesem:
„a ist entweder b oder c“ heisst genau dasselbe, wie „entweder a
ist b, oder a ist c“. Kürzer: Was b oder c ist, ist entweder b, oder
es ist c.
Man sieht, wie hienach die Kopula „ist“ sich verteilt auf die beiden
Glieder der Alternative, und wie umgekehrt sie von diesen beiden auch
wieder abgezogen und in eine einzige Kopula zusammengezogen verschmol-
zen werden kann.
Von den in diesem Grundsatz für „einander äquivalent“ erklärten bei-
den Urteilen ist das erste ein kategorisches, also mit einer Kopula ver-
sehenes, mit dem Subjekte a und dem Prädikate „b oder c“. Das zweite
Urteil aber ist gar kein kategorisches, sondern ein „disjunktives“. Es be-
steht aus zwei Sätzen, deren jeder für sich seine Kopula besitzt, und die
mittelst der Bindewörter „entweder ‥“, „oder ‥“ verknüpft, in Abhängig-
keit voneinander gesetzt sind.
Es gehört dieser Grundsatz als schlechthin gültiger ausschliesslich
dem „Aussagenkalkul“ an, woselbst wir ihn noch näher studiren wer-
den — § 45, α+). Im Gebietekalkul gilt er im allgemeinen nicht: Wenn
ein Gebiet a im Gebiete b + c enthalten ist, braucht es nicht entweder
in b oder in c ganz enthalten zu sein. Daselbst gilt er — wie wir
erst viel später, § 47, sehen werden — nur für die „Inaividuen“ der
Klassen, die Punkte von a, nicht aber für die Klassen selber.
Erst wenn diese „Argumentation auf die Individuen“ der Klasse
als ein Grundsatz, als ein „Prinzip“ ausdrücklich vorausgeschickt wor-
den wäre, dürften wir die obige Überlegung als einen wirklichen Be-
weis hinstellen.
Dergleichen zu thun wäre wohl in der That am zweckmässigsten beim
ersten Unterricht mit Schülern.
Hier dagegen wollen wir darauf ausgehen, unsre Axiome oder
Prinzipien möglichst aus dem Gebiete- oder Klassenkalkul selbst zu
schöpfen (von dem Aussagenkalkul, der sich in ihm mitenthalten er-
weist, solange es nur irgend angeht auch mit den Prinzipien I und II
auszukommen suchend — die wir ja bislang schon in doppeltem Sinne
zu citiren hatten). Da verbietet es sich denn von selbst, von Argumen-
tationen auf die Individuen der Klassen wesentlich Gebrauch zu machen,
solange das „Individuum“ noch überhaupt nicht einer wissenschaft-
[297]§ 12. Prinzip zur Vertretung des unbeweisbaren Satzes.
lichen Definition im Klassenkalkul teihaftig geworden, auf welche
solche Argumentationen in strenger Beweisführung erst zu basiren
wären. Um aber solche Definition und Beweisführung zu verwirk-
lichen (vergl. § 47) werden wir längst schon des vollen Distribu-
tionsgesetzes zum Aufbau unsrer Disziplin bedurft haben und vielfach
in der Lage gewesen sein, desselben nicht entraten zu können.
Aus diesen Gründen verharren wir bei dem gewählten Prin-
zipe III×.
Unverkennbar geht die Arithmetik einen umgekehrten Weg: sie fängt
bei Aufstellung ihrer Zahlbegriffe und ersten Sätze eben mit „Argumen-
tationen auf die Individuen“ als den plausibelsten Überlegungen des Men-
schengeistes an. In didaktischer Hinsicht dürfte solches Verfahren auch
die grössten Vorzüge besitzen, und tadeln wir sie keineswegs darob. Wir
verlangen jedoch, dass entweder das Eine oder aber das Andre konsequent
durchgeführt werde! Hier nun haben wir nicht den Begriff des Indivi-
duums sondern den der Einordnung zwischen Gebieten, Subsumtion, an die
Spitze gestellt; wir haben bereits den entgegengesetzten Weg eingeschlagen
und müssen ihn nun auch zu Ende gehen; wir dürfen darum jenen Begriff
auch noch nicht voraussetzen (es sei denn ganz nebenher bei den Illustra-
tionen durch Beispiele oder den Nutzanwendungen des Kalkuls), sondern
werden erst verhältnissmässig spät im stande sein, eine Definition des In-
dividuums, Punktes aufzustellen.
Wir begnügen uns, einstweilen mit Peirce zu sagen, der obige
„Beweis“ sei nicht syllogistisch, sondern „dilemmatisch“ und verweisen
in Bezug auf die als ein „Dilemma“ hinzustellende Art des Schliessens
auf § 45 des mehrerwähnten Aussagenkalkuls, sowie schon auf das
Schema der Aufgabe ι1) des § 18. [Der vorgerücktere Leser wird
leicht diese Schlussform als eine hier wirklich mit zur Anwendung
gekommene erkennen, indem er sich das s des Schema's als a (b + c),
das p desselben als a b + a c deutet — ohne dass wir nötig hätten,
hierauf nochmals zurückzukommen.] Den vorgreifenden Charakter des
„Beweises“, zufolge dessen er hier noch nicht am Platze, noch depla-
cirt erscheint, erblicke ich aber wesentlich nicht darin, dass diese
Schlussform in ihm zur Anwendung kommt, sondern vielmehr in dem
erwähnten „Argumentiren auf Individuen“.
Dual entsprechend könnte der andre Satz:
26+) (a + b) (a + c) ⋹ a + b c,
— in Worten: „Was a oder b und zugleich a oder c ist, ist entweder a
oder: b und c“ auch dilemmatisch so „bewiesen“ werden: Dasselbe ist
entweder a oder nicht. Ist es nicht a, so muss es nach dem ersten Teil
der Voraussetzung b und nach dem zweiten c sein; also ist es entweder a
oder „b und c“.
Nebenbei bemerkt liegt hier ein Fall vor, wo die Wortsprache, als
des Instrumentes der Klammern entbehrend, unpräzise, zweideutig oder
doppelsinnig wird, resp. durch geeignete Betonung und Pausen die Klam-
merstellung andeuten, ersetzen muss. Es gibt ja „(a oder b) und zugleich
c“, das ist (a + b) c, einen wesentlich andern Sinn als „a oder (b und zu-
gleich c)“. Der letztere nur war vorhin maassgebend. Vergl. die Studie
unter ζ) und η) des § 18. —
Hiezu ist gehörig Anhang 4 nebst 5 und eine Episode aus An-
hang 6. —
Ich werde mich im § 13 und 16, d. h. in Bezug auf die Darstellung
und Begründung der für die Technik des Kalkuls wichtigsten Sätze am
nächsten an Robert Grassmann2 anschliessen.
Wir haben nunmehr mit einer dritten fundamentalen Operation
des identischen Kalkuls Bekanntschaft zu machen, welche — im Hin-
blick auf die Begriffsumfänge oder Klassen — Negation oder Ver-
neinung schon von der alten Logik genannt worden ist — eine Be-
nennung, die wir auch für die Punktgebiete unsrer Mannigfaltigkeit
adoptiren. Schon auf die Begriffe angewendet erscheint die Benennung
eigentlich als eine übertragene, aus dem Aussagenkalkul, in welchem
sie ursprünglich wurzelt (resp. aus der Lehre von den Urteilen) meta-
phorisch herübergenommene.
Es ist diese dritte Operation insofern von einfacherem Charakter
wie die beiden vorhergehenden, als sie immer schon an einem einzelnen
Objekte vollziehbar ist, wogegen Multiplikation und Addition je deren
zweie als zu verknüpfende Operationsglieder voraussetzen.
Multiplikation, Addition und Negation sind die „drei Spezies“ des
identischen Kalkuls.
Der begriffserklärung der negation müssen wir einen Hülfssatz
vorausschicken.
29) Hülfstheorem. Wenn einerseits
a b = 0 sowie a + b = 1
und andrerseits zugleich auch
a c = 0 sowie a + c = 1
ist, so muss sein:
b = c.
Beweis. Nach Th. 4) hat man
a b = a c und a + b = a + c.
Multiplizirt man die letztere Gleichung beiderseits mit b, so ent-
steht nach Prinzip III× [sogar schon nach III×0] und Th. 14×):
a b + b = a b + b c.
Ebenso entsteht aus ihr durch beiderseitige Multiplikation mit c:
a c + b c = a c + c.
Wegen der erstern Gleichung ist aber gemäss 16+):
a b + b c = a c + b c
und folglich nach Th. 4) auch
a b + b = a c + c;
d. h. nach 23+), indem die ersten Terme absorbirt werden haben wir:
b = c,
q. e. d. Einfacher hätte man auch, mit Rücksicht auf die Voraus-
setzung a b = 0, nach 21+) und 23+) das eine Multiplikationsergebniss
in b = b c, das andre, wegen a c = 0, in b c = c zusammenziehen
können. Indessen hat der erstere Beweis den Vorzug, sich auf eine
spätere Erweiterung des Satzes, zu Th. 40) und Zusätze, ohne weiteres
übertragen zu lassen.
Bezeichnen werden wir die Negation eines Gebietes a, indem wir
diesem den „Negationsstrich“ 1 als Suffixum anhängen, sonach mit a1
(gelesen: „a-nicht“).
Sollte ein zu negirendes Gebiet einen zusammengesetzten Ausdruck
haben, so wird es überdies dabei einzuklammern sein gemäss der allgemein
bezüglich Gebrauchs der Klammern geltenden Maxime (vergl. Anhang 2).
So wird z. B. (a b)1, (a + b)1, (a1)1 die Negation von a b resp. a + b und a1
vorstellen.
Bei der Wahl obiger Bezeichnung kommt folgendes in Betracht.
Das Suffixum 1 soll einen Vertikalstrich vorstellen. Mittelst eines
solchen werden wir auch anderweitig — namentlich für Beziehungen —
die Negation andeuten. So wird uns z. B. das vertikal durchgestrichene
Gleichheitszeichen: ≠, gelesen „ungleich“, die Verneinung der Gleichheit
auszudrücken haben. Nach diesem Prinzip wird es nämlich leicht, zu
jedem Beziehungszeichen sofort dessen Verneinung zu bilden. Indem man
einfach dasselbe vertikal durchstreicht gewinnt man ein hübsches und durch
sich selbst verständliches, mnemonisches, obendrein auch noch nicht ander-
weitig vergebenes Zeichen zur Darstellung eben der Beziehung, welche die
Negation von jener zu nennen.
Aus \>, z. B. wäre hienach auch das regelrechte Zeichen für „nicht
grösser“, welches für's reelle Zahlengebiet als ≦ („kleiner oder gleich“)
in der Mathematik sehr viel gebraucht wird, unschwer abzuleiten.
Da es nun nicht angängig ist, Buchstaben oder gar zusammengesetzte
Ausdrücke jeweils in Druck und Schrift wirklich durchzustreichen, so muss
eben der Vertikalstrich neben jenen angemerkt werden (im letztern Falle,
[301]§ 13. Negation (mit Postulat) und darauf zu gründende Sätze.
wie betont, unter Einklammerung der Ausdrücke). Da ferner eine Nega-
tion (die Operation des Negirens) nicht vollzogen werden kann, es sei denn
an einem bestimmten Objekte, so ist es wiederum naturgemäss, das Objekt,
welches man behuf Negirens schon haben muss, dem Negationsstrich dabei
voranzuschicken, letztern also dahinter zu stellen, sei es auf gleicher Höhe,
sei es darüber (als Accent) oder darunter (als Suffixum). Ich entschied
mich für das Suffixum als das in Druck und Schrift die grösste Deutlich-
keit gewährende Zeichen von immerhin minimalen Raumansprüchen.
[In meiner früheren Schrift2 verwendete ich zur Bezeichnung der
Negation noch das Suffixum 1, schrieb also für unser non-a stets a1 (ge-
lesen: „a unten 1“, kürzer „a-eins“). Es sollte dies daran erinnern, dass,
wie in § 23 gezeigt wird, die Negation von a auch durch 1 — a darstell-
bar ist. Jedoch erscheint es angezeigt, des Dualismus halber, der alsdann
reiner zum Ausdruck kommen wird, ein von den Symbolen 0 und 1 unab-
hängiges Zeichen zur Darstellung der Negation zu verwenden.]
Von Andern (namentlich Boole, R. Grassmann und Ch. S. Peirce)
ist vorgezogen worden, das zu negirende Objekt mittelst Horizontalstrich
zu überstreichen, für unser a1 also zu schreiben ā (gelesen a strich).
Ernstliche Einwände lassen auch gegen diese Gepflogenheit sich nicht
erheben. Die Entscheidung für diese oder jene ist gewissermassen Geschmack-
sache. Eine jede von ihnen hat gewisse Vorteile und Nachteile.
Will man mit dem Horizontalstrich konsequent sein, so müsste man
nun mit ≡ (statt ≠) die Ungleichheit darstellen. Dies sieht nun erstlich
aus, wie ein doppelt negirtes Minuszeichen. Sodann ist das Zeichen auch
schon anderweitig in Beschlag genommen: in der Zahlentheorie zur Dar-
stellung von „gleichrestig“ oder „kongruent“ — in andern Disziplinen auch
wol für „identisch gleich“ im Sinne von „allgemein gleich“, d. i. gleich für
alle Wertsysteme gewisser Buchstabengruppen. Das Zeichen ≡ würde also
hier seine dritte, mit den bisherigen disparate, Bedeutung beigelegt er-
halten, wogegen ≠ für „nicht gleich“ schon vielfach üblich ist (vergl.
z. B. Aufsätze von Netto und Andern im Journal für die reine und an-
gewandte Mathematik). — Weiter würden wir für die Verneinung noch
andrer Beziehungen, wie z. B. für „nicht untergeordnet“ mit dem Horizontal-
strich viel weniger hübsche Zeichen bekommen: ⊂̅ statt ⊄, etc. —
Zeichen, die aus getrennten Teilen bestehen, weniger symmetrisch sind und
wol auch mehr Raum einnehmen, als mit dem Vertikalstriche.
Endlich, schon bei Buchstaben, gefällt mir nicht, dass die Höhenlage
des Horizontalstrichs von der Höhe des Buchstabens abhängig wird, z. B.
āb̄ für unser a1b1. Sind aber die Buchstaben von gleicher Höhe, wie a
und c, so erscheint es allzu nahe gelegt, solche, wie wir sehen werden,
grundverschiedene Ausdrücke wie ā c̄ = a1c1 und = (a c)1 miteinander
zu verwechseln, indem ihre Unterscheidung davon abhinge, ob an einer
Stelle von höchst geringer Ausdehnung die Druckerschwärze, Tinte, nicht
angegangen oder übergeflossen ist.
Bei zusammengesetzten Ausdrücken indess hat der Horizontalstrich den
Vorteil, zugleich als Vinculum zu dienen und die Klammer zu ersetzen,
wie in , und ā̄ für die oben angeführten drei Beispiele. Auch
[302]Siebente Vorlesung.
lässt unsre Schreibweise wegen der Ähnlichkeit des Negationsstrichs mit
dem Suffixum 1 es fortan weniger ratsam erscheinen, ein erstes, zweites,
drittes etc. (in einer Untersuchung auftretendes) a etwa mit a1, a2, a3, …
hier zu benennen. Hiefür kann man jedoch, da Potenzen ohnehin aus-
geschlossen sind (Th. 14), nun mit a1, a2, a3, … sich sehr gut behelfen.
In Bezug auf die Streitfrage zwischen Horizontal- und Vertikalstrich
bei zu verneinenden Beziehungszeichen könnte übrigens Herrn Charles
S. Peirce die Autorität seines Vaters Benjamin Peirce1 gegenübergestellt
werden, mit dessen Bezeichnungsvorschlägen in seiner „Linear associative
Algebra“ wir teilweise zusammentreffen.
De Morgan, Jevons und Andere nehmen für Begriffe resp. Klassen
und deren Negation die korrespondirenden Buchstaben aus dem grossen
und kleinen Alphabete, bezeichnen die Negation von A mit a, sowie um-
gekehrt — was nach Th. 31) zulässig. Dies ist nur durchführbar, insoweit
blos „einfache“ Symbole in Betracht kommen (vergl. Anhang 2), verbietet
sich indess, wenn das Negiren auch für zusammengesetzte Ausdrücke soll
angedeutet werden können. Denn die Negation von A + B würde durch-
aus nicht etwa a + b sein, u. s. w. — vergl. die Theoreme 36). Der Vor-
schlag erscheint uns hier als gänzlich unannehmbar.
Mit Worten nennen wir die Negation von a auch „Nicht-a“ oder
„Non-a“.
Indessen „non-a“, „non (a + b)“ etc. für unser a1, (a + b)1 in Formeln
anzusetzen würde schwülstig („cumbrous“) werden.
Definition (6), der Negation.
„Negation“ eines Gebietes a nennen wir ein solches Gebiet a1, welches
zu ihm in der Beziehung steht, dass zugleich:
a a1 ⋹ 0 und 1 ⋹ a + a1
ist.
Da nach Th. 5) ohnehin 0 ⋹ a a1 und a + a1 ⋹ 1 sein wird, so
gelten dann kraft Def. (1) auch die beiden Sätze:
30) Theoreme. Allgemein ist:
| 30×) | a a1 = 0. | 30+) | a + a1 = 1. |
Diese Gleichungen hätten ebensogut zur Definition der Negation a1
von a verwendet werden können, muten jedoch dieser Negation schein-
bar etwas mehr zu, als nur die obigen in ihnen mitenthaltenen beiden
Subsumtionen zu erfüllen.
Nach § 7, S. 214, können wir nun auch sagen: Negation eines
Gebietes nennen wir ein solches Gebiet, welches zu demselben zugleich dis-
junkt und supplementär ist.
Zusatz 1 zu Def. (6). Zu einem Gebiete a kann es nicht mehr
als eine Negation geben.
Denn wäre a1' eine zweite, so würden neben den beiden Glei-
chungen 30), und mit demselben Rechte, auch diese beiden bestehen:
a a1' = 0 und a + a1' = 1
und würde aus allen vier Gleichungen nach Hülfstheorem 29) [wo b
dem a1 und c dem a1' entspricht] folgen:
a1' = a1,
d. h. die beiden Negationen wären identisch, einerlei, wären in der
That nur eine.
Die Operation des Negirens, d. i. die Herstellung der Negation zu
einem gegebenen Gebiete, wird darnach jedenfalls keine „mehrdeutige“
sein, die Negation a1 von a ist ein höchstens eindeutiges Gebietsymbol.
Dagegen könnte noch dieses Symbol als ein „undeutiges“, die Opera-
tion des Negirens als „unausführbar“ erscheinen. Bislang ist noch die
Möglichkeit zugelassen, dass — vielleicht je nach dem „Werte“ von a
— das Zeichen a1 ein sinnloses, einer Deutung als eigentliches
Gebiet eventuell ganz unfähiges ist, welches dann als ein „uneigent-
liches“ Gebiet der Mannigfaltigkeit zu adjungiren die Def. (6) uns
zumutet.
Diese Möglichkeit schliesst aus das folgende Postulat mit dem zu-
gehörigen die Interpretation liefernden Nachweise.
Postulat ((3)). Zu jedem Gebiete a gibt es (mindestens) eine Nega-
tion a1 (und dann wie schon gezeigt auch nur diese).
Dieselbe wird als Rückstand erhalten, wenn man das Gebiet a aus
der ganzen Mannigfaltigkeit 1 fortlässt.
Dieses Restgebiet hat nämlich in der That die Eigenschaft, erstens:
mit dem Gebiete a keinen Punkt gemeinsam zu haben, d. i. die
Gleichung 30×) zu erfüllen; hätte es einen Punkt mit a gemein, so
wäre ja dieser Punkt von a nicht pflichtschuldigst fortgelassen — und
zweitens: das Gebiet a auch zur ganzen Mannigfaltigkeit 1 zu ergänzen,
d. i. die Gleichung 30+) zu erfüllen. Fehlte auch nur ein Punkt an
dieser Mannigfaltigkeit, so wäre ja nicht der volle Rückstand genommen.
Dasselbe ist sonach eine richtige Negation zu a, und weil es nur eine
gibt, haben wir hier den bestimmten Artikel anzuwenden und zu sagen:
die Negation von a.
Die Ausführungen des vorstehenden Absatzes sind nicht etwa als ein
„Beweis“ des vorhergehenden Postulates anzusehen, dessen Anerkennung
vielmehr wir schlechthin fordern. Sie sollen nur beitragen, den Sinn des-
selben voll zum Bewusstsein zu bringen, und der Anschauung resp. Intui-
tion behülflich sein, dasselbe zu verifiziren.
Die Negation a1eines Gebietes a ist — in unserm bevorzugten
[304]Siebente Vorlesung.
Falle — die Ergänzung dieses Gebietes zur Mannigfaltigkeit 1, d. i. zur
ganzen Fläche der Schultafel.
Ist z. B. a die (Innen) Fläche eines
Kreises, mit Einschluss von dessen Kon-
tur, so bedeutet a1 die Aussenfläche des-
selben (soweit sie zur Tafelfläche gehört)
mit Ausschluss von dessen Kontur. In
Fig. 16 ist dieses Gebiet durch Schraffiren
veranschaulicht.
Diese Ergänzung a1 erscheint als das
| Maximalgebiet unter den zu a „dis- junkten“ | Minimalgebiet unter den zu a „sup- plementären“ |
| Gebieten. |
Als ein „Postulat“ durften wir den Satz ((3)) deshalb hinstellen,
weil er die Forderung in sich schliesst, involvirt, zu irgend einem
Gebiet a ebenjene Ergänzung zu denken oder zu bilden, sie aus ihm
abzuleiten und in Gedanken zu isoliren.
Dieser Forderung fühlen wir uns gewachsen.
Zusatz 2 zu Def. (6). Insbesondre ist:
01 = 1 , 11 = 0;
die Negation der Null ist die Eins und umgekehrt; denn in der That
haben wir nach den Theoremen 21) oder 22):
0 · 1 = 0 und 0 + 1 = 1,
desgleichen mit umgestellten Faktoren resp. Gliedern. Auch ist es un-
mittelbar intuitiv: Nichts ist erforderlich, um ein Ganzes zu sich selbst
zu ergänzen. Die ganze Mannigfaltigkeit ist erforderlich um das Nichts
zu ihr selbst zu ergänzen.
Die so hochwichtige Deutung unsrer Definition und Sätze für
Klassen wollen wir auf demnächstige Paragraphen verschieben und uns
bis zum Wiedergewinn des Dualismus im reinen Gebietekalkul fort-
bewegen.
Die Theoreme 30) mögen auch einzeln in Worte gefasst werden:
| Ein Gebiet mit seiner Negation multiplizirt gibt 0. | Ein Gebiet zu seiner Negation addirt gibt 1. |
Und sie können auch auf beliebig viele Operationsglieder dahin aus-
gedehnt werden:
Zusatz 1 zu Th. 30).
| Sooft unter den Faktoren eines Produktes solche vorkommen, deren | Findet sich unter den Gliedern einer Summe überhaupt eines, welches |
| einer die Negation des andern ist, verschwindet das Produkt. | als die Negation eines andern Gliedes erscheint, so hat die Summe den Wert 1. |
So ist z. B.
| a b c · a b1c d1 = 0. | a + b + c1 + a + c + d1 = 1. |
Man kann nämlich wegen der Kommutativität der Operationen
die Operationsglieder so umordnen, dass das gedachte neben seine
Negation zu stehen kommt; diese beiden kann man dann wegen der
Associativität zu einem einzigen Operationsglied zusammenfassen (des-
gleichen die übrigen Operationsglieder) und nach Th. 19) Zusatz 2
durch seinen Wert 0 resp. 1 ersetzen, worauf das Th. 22) in Wirksam-
keit tritt. In unsern Beispielen haben wir als Wert des Ausdrucks:
| a c d1 · b b1 = (a c d1) · 0 = 0. | (a + b + d1) + (c + c1) = (a + b + d1) + 1 = 1. |
31) Theorem. Es ist allgemein:
(a1)1 = a.
Die Negation der Negation der Negation eines Gebietes ist dies Gebiet selbst, oder:
Doppelte Verneinung „bejaht“, hebt sich auf.
Beweis 1. Nach Th. 30) hat man unter Anwendung des Kom-
mutationsgesetzes:
a1 · a = 0, a1 + a = 1,
und andrerseits, wenn Th. 30) für a1 statt a (so, wie es ist) in An-
spruch genommen wird:
a1 · (a1)1 = 0, a1 + (a1)1 = 1.
Vergleicht man diese vier Gleichungen mit dem Schema der Vor-
aussetzungen des Hülfstheorems 29), so nimmt man dessen Anwendbar-
keit wahr, und erhält die Folgerung:
a = (a1)1,
die zu gewinnen war.
Beweis 2. Man kann auch einfach bemerken, dass die beiden
Voraussetzungen der Def. (6) kraft Th. 12) unverändert gültig bleiben,
wenn man die Symbole a und a1 mit einander vertauscht. Da nun
die Def. (6) eine allgemeine Festsetzung sein sollte, so muss auch die
an jene Voraussetzung konventionell geknüpfte Folgerung in Kraft
bleiben, wenn man a und a1 vertauscht. — Die Sache wird deutlicher,
wenn man in Def. (6) den Namen a1 vermeidet, denselben durch irgend
einen andern, etwa durch b ersetzt. Es wird ausgemacht: b die Nega-
tion von a zu nennen, wenn a b = 0 und a + b = 1 ist. In diesem
Falle ist aber auch b a = 0 und b + a = 1 nach Th. 12). Folglich ist
Schröder, Algebra der Logik. 20
[306]Siebente Vorlesung.
dann auch a die Negation von b zu nennen, wozu man sich eben durch
die vorhergehende Abmachung verpflichtet hat, in Anbetracht, dass
diese als eine allgemein zu befolgende hingestellt wurde, welche eben-
sogut für ein Paar b, a von Gebieten, wie für das Paar a, b verbind-
lich ist. Wird nun für b der Name a1 eingeführt, so gilt für a auch
der Name b1 oder (a1)1 — vergl. übrigens Th. 32).
Ist also b (resp. a1) die Negation von a, so ist auch a die Negation
von b (resp. a1).
Die Beziehung der Negation zwischen zwei Gebieten (a und a1) ist
allemal eine gegenseitige. Die Beziehung ist „symmetrisch“.
Man wird durch Th. 31 erinnert an die Eigenschaft des Minus-Zeichens,
an den Satz der Arithmetik:
- (- a) = a,
und könnte sich im Hinblick auf diese Analogie versucht fühlen, die Be-
zeichnung a1 durch — a ersetzen zu wollen. Wir werden indess später
sehen, dass nicht 0 — (0 — a) = a sondern 1 — (1 — a) = a das wahre
arithmetische Analogon des Th. 31) bildet. Vergl. § 23.
32) Theorem.
Ist a = b, so ist auch a1 = b1, oder: Gleiches, negirt, gibt Gleiches.
Beweis. Aus den beiden Gleichungen des Th. 30): aa1 = 0,
a + a1 = 1 folgt wegen a = b nach Th. 16), d. h. indem man eben b
für a substituirt:
b a1 = 0, b + a1 = 1.
Nach Th. 30) — für b in Anspruch genommen — ist aber auch:
b b1 = 0, b + b1 = 1.
Aus diesen vier Gleichungen folgt nach dem Schema des Hülfs-
theorems 29): a1 = b1, wie zu zeigen war.
Zusatz 1. Ist a1 = b1, so muss nach Th. 32) auch (a1)1 = (b1)1,
mithin kraft Th. 31) auch a = b sein. Die beiden Gleichungen a = b
und a1 = b1 bedingen sich also gegenseitig, sind äquivalent.
Zusatz 2. Hienach lässt der Zusatz 2 sub Th. 19), dass in ge-
wissen Ausdrücken Gleiches für Gleiches gesetzt werden dürfe, sich
nunmehr ausdehnen auf alle durch Addition, Multiplikation und Nega-
tion hergestellten Ausdrücke: In jedem nur mittelst der identischen Opera-
tionen der „drei Spezies“ aus Gebietsymbolen aufgebauten Ausdrucke ist es
erlaubt, irgend einen Term durch einen ihm identisch gleichen zu ersetzen.
Von dieser Erlaubniss wird beim Rechnen umfassendster Gebrauch
gemacht, meist ohne besondern Hinweis auf dieselbe.
Ist z. B. a = c und b = d, so darf man für (a b1 + a1b) e auch
schreiben (c d1 + c1d) e. Etc. etc.
„Erlaubt“ nennt man diejenigen Umformungen eines Ausdrucks,
welche ohne Einfluss auf den Wert (die Bedeutung) desselben sind, in
der That also nur die Form des Ausdrucks (nur den Namen dessen,
was er bedeutet) berühren. Diese erlaubten Umformungen nennt man
vorzugsweise „Transformationen“. Es sind das diejenigen Veränderungen
an dem Ausdrucke, oder freien Reproduktionen desselben, durch welche
der Ausdruck in einen neuen verwandelt wird, übergeht, welcher dem
gegebenen identisch gleich sein muss.
Von Verschiedenem eines für's andere zu setzen ist in dem an-
gegebenen Sinne bei Ausdrücken im Allgemeinen nicht erlaubt, wie
man leicht an den nächsten besten Beispielen (und schon bei den ein-
fachsten Ausdrücken, wie a · b, a + b, a1) sich überzeugen kann.
Für einen Term auch einen von ihm verschiedenen zu substituiren ist
natürlich aber angängig bei allgemeinen Sätzen oder Formeln. Kommt a
als allgemeines Symbol in solchen vor, und ist unter a bereits ein be-
stimmtes Gebiet verstanden, so darf man doch b für a schreiben, auch
wenn b ungleich a ist; man darf auch die vorkommenden Buchstabensymbole
allgemeiner Art beliebig unter sich vertauschen, unbeschadet dessen, dass
sie verschiedene Bedeutungen haben mögen (vergl. Anm. 2 zu Prinzip II).
„Erlaubt“ sind hier diejenigen Veränderungen zu nennen, die unbeschadet
der Richtigkeit der Formel vollzogen werden können.
Anmerkung zu Theorem 32).
Der ungemein häufig auszuführende Schluss von einer Gleichung
a = b auf die Gleichheit zwischen den Negationen ihrer beiden Seiten:
a1 = b1, dieser Schluss — mithin die Anwendung des Th. 32) — darf
nicht etwa als das „Negiren jener Gleichung“ bezeichnet werden; viel-
mehr ist zu sagen: aus a = b folge durch „beiderseitiges Negiren“ die
Gleichung a1 = b1.
Es würde nämlich die Negation oder Verneinung der Gleichung
a = b selbst (schlechtweg) die Behauptung liefern, dass a nicht gleich b
sei, in Zeichensprache, dass a ≠ b (vergleiche den Aussagenkalkul) —
eine Behauptung welche die Gleichung a = b aufhebt, umstösst, also
mit ihr nicht nur nicht äquivalent, sondern sogar unverträglich ist —
desgleichen also auch keineswegs sich deckt mit der Behauptung, dass
Nicht-a gleich sei Nicht-b.
Ich glaubte darum2 für diese Anwendung des Th. 32) einen eigenen
Namen in Gestalt von („Entgegensetzung“ oder) „Opposition“ seiner Zeit
vorschlagen zu sollen. Doch erscheint das vorstehende als das näher liegende
Auskunftsmittel, die Verwechslung zu vermeiden, und dürfte dasselbe wol
den Vorzug verdienen. Zudem liesse auch der bei einer Subsumtion —
vergl. unten Th. 37) — schon sanktionirte Name des „Schlusses durch
Kontraposition“ sich hier auf die Gleichung mit übertragen.
33+) Theorem. Es ist allgemein:
a + b = a b + a b1 + a1b.
Beweis. Wir haben:
a + b = a · 1 + 1 · b = a (b + b1) + (a + a1) b = (a b + a b1) + (a b + a1b) = a b + a b1 + a1b,
mit Rücksicht auf die Sätze 21×), 30+), 30×) und III× (sogar schon III×0),
endlich 14+) — nicht zu gedenken der Theoreme 16), 12+) und 13+)
Zusätze. Man darf nämlich den Faktor 1 hinzusetzen, für 1 nach
Belieben b + b1 oder a + a1 substituiren (da diese Terme der 1 gleich
sind), sodann ausmultipliziren, weil hier die Summanden disjunkte sind,
endlich die Additionsklammern weglassen, und die Wiederholung des
Summanden a b als tautologisch unterlassen.
Zusatz zu Th. 33+). Für beliebige a, b ist auch:
a + b = a + a1b = a b1 + b,
d. h. Eine Summe bleibt ungeändert, wenn man einen Summanden mul-
tiplizirt mit der Negation eines andern, und umgekehrt: so oft in einem
Glied einer Summe ein Faktor steht, der als die Negation eines andern
Glieds derselben erscheint, darf man diesen Faktor unterdrücken.
Beweis. Es ist ähnlich wie oben:
a + b = a · 1 + b = a (b + b1) + b = (a b + a b1) + b = a b1 + (a b + b) = a b1 + b
mit Rücksicht, ferner, auf das Absorptionsgesetz 23×). Und analog
wenn b und a vertauscht werden. Dies ist der selbständige Beweis
des für die Technik des Kalkuls ungemein wichtigen Zusatzes. Am
schnellsten ergibt sich derselbe aus der Formel 33+) durch Vereinigung
des ersten Terms rechterhand mit dem zweiten oder dritten gemäss
27+), 30+) und 21×).
Durch Anwendung vorstehender Sätze kann eine binomische Summe
jederzeit in eine „reduzirte“ verwandelt werden. Es ist ratsam, sich
dieselben einzuprägen. Ihre Veranschaulichung geben wir unter dem
nächsten Satze.
34+) Theorem. Was auch a und b für Gebiete vorstellen mögen,
so ist:
1 = a b + a b1 + a1b + a1b1.
Beweis. Man hat in der bisherigen Weise:
1 = a + a1 = a · 1 + a1 · 1 = a (b + b1) + a1 (b + b1) = a b + a b1 + a1b + a1b1
unter Berufung auf III× [oder auch nur III×0]. —
Sind a und b z. B. Kreisflächen, so entsprechen den Gliedern
rechterhand in 34+) die vier Teile, in welche von den Konturen dieser
[309]§ 13. Negation (mit Postulat) und darauf zu gründende Sätze.
Gebiete die ganze Ebene der Tafel im Allgemeinen zerschnitten wird
— wie dies Fig. 17 veranschaulicht. Man sieht zugleich, dass das [in
Fig. 9+) schraffirte] Gebiet a + b aus den drei
ersten dieser Terme zusammengesetzt ist, und
ebensoleicht, wie Th. 33+), ist auch der Zusatz
zu demselben durch die Anschauung zu bewahr-
heiten.
Zur Erläuterung sei erinnert, dass man der
unter Postulat ((3)), Fig. 16 gegebenen Interpreta-
tion von a1 und b1 eingedenk sein muss. Hienach
wird a b1 — z. B. — dasjenige Gebiet vorstellen,
welches der Innenfläche des Kreises a und der Aussenfläche des Kreises b
gemeinsam ist, kurz gesagt: den Teil der Kreisfläche a, der ausserhalb b
fällt. Und a1b1 muss das den beiden Aussenflächen der Kreise a und b
gemeinsame Gebiet vorstellen, mithin die Punkte umfassen, die ausserhalb
beider Kreise zugleich liegen, ein Gebiet, das man als Aussenfläche des
(als ein liegender Achter erscheinenden) Gebietes a + b bezeichnen darf.
Berührten sich die Kreise a und b, so würde das Gebiet a b in einen
Punkt, den Berührungspunkt zusammenschrumpfen, und hätten ihre Kon-
turen gar keinen Punkt gemein, so würde das Gebiet a b fortfallen, nicht
existiren, O sein; dann würde a b1 mit dem ganzen Kreis a und a1b mit b
zusammenfallen.
Zusatz. Ersetzt man in 34+) die Summe der drei ersten Glieder
rechterhand durch den einfacheren Ausdruck, welchem dieselbe nach
Th. 33+) gleich ist, so ergibt sich noch:
1 = a + b + a1b1.
Für die Zwecke des Unterrichts muss zum Bewusstsein gebracht
werden, dass bei der korrekten Ausführung jener Substitution zweimal
vom Assoziationsgesetze 13+) der Addition, nebst Zusatz, Gebrauch zu
machen war, und zwar in entgegengesetztem Sinne: einmal behufs Ein-
führung einer Klammer, durch welche die Gleichung 34+) in
1 = (a b + a b1 + a1b) + a1b1
umgeschrieben, die rechte Seite als zweigliedrige Summe dargestellt wird,
deren erster Term nun erst durch das ihm gleiche a + b ersetzbar ist,
welches als ein zusammengesetzter Ausdruck zunächst wieder selbst auch
eingeklammert werden muss (cf. Anhang 2) — sodann bei dem Substitu-
tionsergebnisse: 1 = (a + b) + a b behufs Unterdrückung der letzten Klammer.
Dergleichen Zwischenoperationen übergehen wir zumeist mit Still-
schweigen.
Nunmehr können wir zur Begründung des vollen Distributionsgesetzes
schreiten. Dazu bedürfen wir sogar des Th. 34+) nicht, und wurde
dieses blos wegen seiner nahen Verwandtschaft mit 33+) gleich hinter
diesem angereiht.
Theorem [ohne Nummer]. Auch wenn b c nicht gleich O ist,
somit ganz allgemein, gilt die Subsumtion 26×) und damit auch das volle
Distributionsgesetz 27×).
Wir mögen sogleich das letztere beweisen.
Beweis. Einerseits ist:
a b + a c = a b · 1 + a c · 1 =
= a b (c + c1) + a c (b + b1) =
= a b c + a b c1 + a c b + a c b1 =
= a b c + a b c1 + a b1c
nach III× [sogar schon nach III×0].
Andrerseits ist wegen 33+):
a (b + c) = a (b c + b c1 + b1c).
Und da die Produkte je zweier von den rechts eingeklammerten
Gliedern O geben müssen, indem hier jedesmal mindestens zwei Fak-
toren zusammenkommen, die als Negationen von einander sich gegen-
seitig vernichten, da m. a. W.:
b c · b c1 = 0, b c · b1c = 0, b c1 · b1c = 0
ist, so dürfen wir nach dem Zusatz 2 zu Prinzip III× nun rechterhand
ausmultipliziren. Dies liefert:
a (b + c) = a b c + a b c1 + a b1c.
Durch Vergleichung mit dem obigen Ausdruck folgt also nach Th. 4):
a (b + c) = a b + a c,
q. e. d. Mit dem durch Prinzip III×, Def. (6) und Postulat ((3)) ver
stärkten Beweiskapitale ist hienach der Beweis des Distributionsgesetzes
nunmehr gelungen.
Anmerkung. Eben um zu zeigen, dass auch das Produkt
a (b c + b c1 + b1c) durch Ausmultipliziren entwickelt werden darf, würde
augenscheinlich der speziellere Satz III×0 nicht ausgereicht haben und
war es unumgänglich, den umfassenderen III× als Prinzip hinzu-
stellen.
Dies scheint mir allerdings mathematisch noch nicht vollkommen sicher-
gestellt. Und ebenso muss ich es hier noch dahingestellt sein lassen, ob
nicht schon ohne das Prinzip III× — auf Grund lediglich des Zuzugs von
Def. (6) und Postulat ((3)) mit Hülfe des (vielleicht auch für Aussagen
in Anspruch zu nehmenden) Theorems 30) und 31) (d. i. den Sätzen des
Widerspruchs, des ausgeschlossenen Mittels und der doppelten Verneinung)
ein Beweis des Distributionsgesetzes möglich wäre. Den in Anhang 4 und 5
entwickelten logischen Kalkul mit Algorithmen kann man hiefür nicht als
beweiskräftig gelten lassen, sofern sich in ihn der Begriff der Negation
[311]§ 13. Auf Negation gründbare Sätze.
nicht übertragen lässt (siehe ibidem Schlussnote) vielmehr in diesem Betreff
dieser logische Kalkul noch weiter vom identischen zu divergiren, von ihm
sich zu entfernen scheint.
Wir dürfen fortan auch die Formeln 26), 27) und 28×) als Theo-
reme bezeichnen und ohne Einschränkung von denselben Gebrauch
machen. Dasselbe gilt von dem dualen Gegenstück des letzteren, wel-
ches bislang noch nicht erwähnt worden ist, und lautet:
28+) Theorem. Es ist
(a + c) (a + d) (b + c) (b + d) = a b + c d.
Beweis durch dreimalige Anwendung von 27+), wodurch sich
mittelst Zusammenziehung der beiden ersten und der beiden letzten
Faktoren linkerhand ergibt: (a + c d) (b + c d), und dies, ebenso zu-
sammengezogen in die rechte Seite übergeht.
Die Theoreme 26) bis 28) finden nunmehr — ihrer vorgreifenden
Chiffrirung ungeachtet — erst hier im System ihre Stelle.
Wir wollen deshalb die 27×) und 28×) auch einmal in ihrer all-
gemeinsten Fassung von binomischen Summen auf polynomische aus-
gedehnt aussprechen:
27×) Th. (a1 + a2 + a3 + … + am) b = a1b + a2b + a3b + … + am b.
28×) Th. (a1 + a2 + a3 + … + am) (b1 + b2 + … + bn) =
= a1b1 + a2b1 + a3b1 + … + am b1 +
+ a1b2 + a2b2 + a3b2 + … + am b2 +
+ . . . . . . . . . . .
+ a1bn + a2bn + a3bn + … + am bn.
Bei den diesen dual entsprechenden 27+) und 28+) sei dies dem
Leser überlassen. Die Formulirung derselben dürfte hier kaum ver-
lohnen, weil die Erfahrung des Rechners darthut, dass man schon
mit den einschlägigen Theoremen auf der einen Seite des Mittelstrichs
überall bequem auskommt — und diejenigen der linksseitigen Kolumne
sind aus der Arithmetik geläufig.
Von vorstehender Multiplikationsregel für Polynome kann man
sagen, dass sie auch das Distributionsgesetz 27) als besondern Fall
in sich schliesse, indem man es als zulässig erachtet und sich vor-
stellen kann, dass das eine der beiden zu multiplizirenden Polynome
von vornherein als ein Monom gedacht werde oder auf ein solches
sich reduzire [vergl. die Anm. 1 zu Th. 21) und 22)]. Schrumpft z. B.
das zweite Polynom in sein erstes Glied b1 zusammen, so ergibt sich
— indem man dieses erste b als das einzige nun in Betracht kom-
[312]Siebente Vorlesung.
mende statt mit b1 einfacher mit b schlechtweg bezeichnet — aus 28×)
direkt das Th. 27×).
Es lässt sich also das Th. 28) als der allgemeinste Ausdruck des
Distributionsgesetzes ansehen.
Zusatz 1 zu Th. 28).
Ist aus Gebietsymbolen, die wir „einfache“ nennen wollen und
etwa durch Buchstaben dargestellt annehmen, ein Ausdruck aufgebaut
lediglich mittelst der Operationen der identischen Multiplikation und
Addition, mithin dadurch, dass jene Symbole untereinander und auch
mit sich selbst irgendwie verknüpft sind durch die genannten zwei
direkten Spezies, so lässt sich allemal der Ausdruck darstellen als ein
Aggregat von Monomen, als eine Summe, deren Glieder nur Produkte
sind aus lauter einfachen Symbolen.
Beweis. Die vorkommenden Operationsglieder können nämlich
nur entweder Summanden oder Faktoren sein, und sofern sie selbst
noch als zusammengesetzt erscheinen, können sie nur Produkte oder
aber Summen sein. In Bezug auf einen zusammengesetzten Ausdruck-
teil sind daher nur folgende vier Fälle denkbar:
Der zweite Fall lässt sich überall, wo er vorkommt, durch Aus-
multipliziren nach dem Distributionsgesetze beseitigen (zu gunsten einer
Vermehrung des vierten Falles, indem dabei Produkte von Summen
aufgelöst werden in Summen aus Produkten).
Die Fälle 10) und 30) kommen unmittelbar in Wegfall, indem man
die den zusammengesetzten Ausdruckteil umschliessende Klammer unter-
drückt — in Anbetracht, dass diese sich nach dem Assoziationsgesetze
13) nebst Zusatzdefinitionen in ebendiesen Fällen als überflüssig charak-
terisirt. Eine Summe aus Summen (genauer gesagt: mit einer Summe
als einem Gliede, oder auch mit mehreren Summen und vielleicht noch
andern Gliedern als Gliedern) lässt sich ja immer ansehen als eine
einzige Summe aus den sämtlichen Gliedern, und ebenso ein Produkt
aus Produkten und vielleicht noch andern Faktoren immer darstellen
als einziges Produkt aus den Faktoren jener nebst diesen übrigen
Faktoren.
Hienach bleibt nur noch der vierte Fall übrig. Das heisst, unser
Ausdruck wird nur mehr sein können eine Summe, ein (ein- oder mehr-
gliedriges) Aggregat von Monomen, welche selbst nichts anderes sein
[313]§ 13. Auf Negation gründbare Sätze.
können als (ein- oder mehrfaktorige) Produkte aus einfachen Gebiet-
symbolen, irgendwie herausgegriffen aus der Gruppe der in den Aus-
druck ursprünglich eingehenden literalen Gebiete. q. e. d.
Man sagt von einem in solcher Weise dargestellten Ausdruck:
derselbe sei in seine letzten Glieder („ultimate aggregants“) zerfällt, auf-
gelöst (oder entwickelt).
Bemerkenswert ist, dass er dann keine Klammern mehr enthalten
wird. In der That nur beim Multipliziren von Summen durfte die
Klammer (um diese herum) nicht ohne weiteres weggelassen werden,
wogegen beim Addiren von Produkten dem herrschenden Gebrauch
gemäss die Klammern jeweils gespart werden.
Es versteht sich, dass man bei der geschilderten Zerfällungsarbeit
von den Gesetzen der Tautologie und Absorption, — Th. 14) und
23) — im Sinne der Vereinfachung des Resultates umfassendsten Ge-
brauch machen wird.
Geschieht letzteres nach Möglichkeit, also dass kein Term wiederholt
angesetzt und jeder unterdrückt wird, der einen andern als Faktor ent-
hält, so würde sich wol zeigen lassen, dass die Zerfällung eines Ausdruckes
in seine letzten Aggreganten immer nur auf eine Weise möglich, dass sie
eine vollkommen eindentig bestimmte ist, sobald wenigstens die in den
Ausdruck eingehenden „einfachen“ Gebiete von einander unabhängig be-
liebige sind [solange also insbesondre unter diesen Gebieten auch keine
vorkommen, welche die „Negation“ von andern sind]. Indessen im Hin-
blick auf spätere viel wichtigere Ausdehnungen unsres Satzes (vergl. § 19)
dürfte es kaum verlohnen, diesen immerhin schwierig erscheinenden Nach-
weis zu liefern.
Zur Illustration werde die Aufgabe gelöst den folgenden Ausdruck in
seine letzten Aggreganten zu zerfällen:
x = {a b c + (a b d + a c d)} +
+ {(a b + c d) (a c + b d) (a d + b c) + (a + b + c) (a + b + d) (a + c + d) (b + c + d)} ×
· {(a + b) (c + d) + (a + c) (b + d)} (a + b c) (a + b d) (a + c d) (a + b c d).
Als Nebenrechnung entwickle man erst die beiden Glieder in der
zweiten Zeile.
Das erste wird (durch Ausmultipliziren):
a b c d + a b c + a b d + a c d + b c d,
wovon auch noch der erste Term eingeht; das zweite wird:
(a + b + c d) (a b + c + d) = a b + a c + a d + b c + b d + c d + a b c d,
wovon der letzte Term absorbirt wird.
Die stehen bleibenden sechs Terme absorbiren aber auch noch die
sämtlichen des vorhergehenden Gliedes, und da die Entwickelung des In-
haltes der geschwungenen Klammer in der dritten Zeile gerade die näm-
lichen sechs Terme liefert, so erhalten wir:
[314]Siebente Vorlesung.
x = a b c + a b d + a c d +
+ (a b + a c + a d + b c + b d + c d) (a + b c d).
Multiplizirt man hier vollends aus, so gehen auch noch die ersten drei
Terme von x in dem Ergebnisse ein, und entsteht:
x = a b + a c + a d + b c d
als das gesuchte Ergebniss.
Ganz genau dual entsprechend kann man auch jeden Ausdruck der
gedachten Art (der mithin Ergebniss der Verknüpfung von lauter ein-
fachen Symbolen mittelst identischer Multiplikationen und Additionen
ist) „zerfällen in seine letzten Faktoren“, („ultimate factors“ — von
Peirce auch geradezu als Primfaktoren bezeichnet), d. h. in solche
Faktoren, welche nur Summen aus irgendwelchen von den gegebenen
einfachen Symbolen sind, mithin kein Produkt mehr zum Summan-
den enthalten.
Man scheide hier gemeinsame Faktoren, soweit solche ersichtlich
sind, jeweils aus, und vereinige die dann noch übrig bleibenden Glie-
der successive nach dem dualen Gegenstück der Multiplikationsregel
für Polynome, d. h. gemäss dem Th. 28+), indem man jeweils jeden
Faktor des einen Gliedes um jeden Faktor des andern vermehrt und
die sich ergebenden Einzelsummen schliesslich miteinander multiplizirt
(ohne Ausmultipliziren sie zu einem Produkte vereinigt, ihre Multipli-
kation „blos andeutend“).
Auf diese Weise umgeformt wird z. B., wie leicht zu sehen, unser
letzter Ausdruck:
x = (a + b) (a + c) (a + d) (b + c + d).
Ebenso würde ein Ausdruck y = x + e sich nun darstellen als:
y = (a + b + e) (a + c + e) (a + d + e) (b + c + d + e).
Da jedoch die Anwendung des dualen Gegenstücks 28+) der Multipli-
kationsregel für Polynome dem Mathematiker nicht geläufig ist, so werden
wir später [unter Th. 36), Zusatz 3] ein anderes Mittel angeben, um ohne
jenes denselben Zweck zu erreichen — ein Zweck übrigens, dessen Ver-
wirklichung ohnehin nur selten als vorteilhaft oder wünschenswert erschei-
nen möchte. —
Zusatz 2 zu Th. 28) [und 30)].
Ist eine „reduzirte“ Summe gleich 1, d. h. eine Summe, deren Glie-
der unter sich disjunkt sind, so ist die Negation irgend eines Gliedes
dieser Summe allemal die Summe ihrer übrigen Glieder (ohne das ge-
nannte); ebenso ist — noch allgemeiner — die Negation irgend eines
Aggregates von Gliedern, hervorgehoben aus dieser Summe, leicht angebbar
in Gestalt des Aggregates ihrer übrig bleibenden Glieder.
Denn dieses letztere Aggregat erfüllt die für die Negation des
erstern charakteristischen beiden Bedingungen des Theorems 30): das-
selbe erstens zur 1 additiv zu ergänzen — dies laut Voraussetzung —
und zweitens mit ihm disjunkt zu sein, das Produkt 0 zu liefern; das
Produkt muss verschwinden, weil beim Ausmultipliziren desselben ge-
mäss Th. 28+) alle Partialprodukte nach Voraussetzung verschwinden
werden, mithin auch deren Summe.
Ist z. B. 1 = a + b + c + d + e, während a, b, c, d, e disjunkt sind,
so muss sein:
a1 = b + c + d + e, c1 = a + b + d + e, (a + b + c + d)1 = e,
(a + b)1 = c + d + e, (a + c + e)1 = b + d, etc.
In der Mannigfaltigkeit 1 der Wirbeltiere muss, was „nicht“ Fisch
ist, Reptil oder Vogel oder Säugetier sein, und was nicht Reptil oder
Vogel ist, muss Fisch oder Säugetier sein. Etc.
Mit den Prinzipien I, II und III× und den bisherigen Definitionen
hatten wir bereits die formalen Grundlagen für die Schlussfolgerungen
im identischen Kalkul vollständig gewonnen. Diese Grundlagen ent-
sprachen entweder „dualistisch“ sich selbst, oder sie traten paarweise
auf als Gegenstücke zu einander. Nur bei Prinzip III× hörte die
Symmetrie zeitweilig auf, indem der diesem dualistisch entsprechende
Satz III+ nicht auch zum Prinzip erhoben wurde (vergl. Anm. 1 zu III×).
Die Gültigkeit auch dieses Satzes ist nun aber nachgewiesen; sie ist
mit dem allgemeineren Satze 26+), in dem er enthalten, zugleich sicher-
gestellt.
Gleichwie nun also die Grundlagen, so müssen auch die aus diesen
ableitbaren Folgerungen durchaus dem Satze des Dualismus genügen,
welcher lautet:
35) Theorem.
In jedem Satze und in jeder allgemeinen Formel des identischen Ge-
bietekalkuls ist es gestattet, gleichzeitig die Zeichen der Unter- und Über-
ordnung, die 0 und die 1*)sowie das Mal- und das Pluszeichen —
selbstverständlich mit den zugehörigen Benennungen im etwaigen ver-
balen Texte, wie Subjekt und Prädikat, Produkt und Summe, Faktor
und Summand — durchweg zu vertauschen, und muss man hiedurch immer
[316]Siebente Vorlesung.
wieder einen gültigen Satz, eine richtige Formel erhalten, die von den
ursprünglichen in der Regel, doch nicht notwendig verschieden.
Anstatt die Zeichen ⋹ und  der Einordnung und Überdeckung,
oder das „Sub“- und das „Supersumtionszeichen“ miteinander zu vertau-
schen, konnte man auch ein jedes derselben, z. B. das erste ⋹ festhalten,
wofern man nur alsdann die beiden Seiten der Subsumtion, das Subjekt
und Prädikat jeweils vertauschte. In der That: aus a ⋹ b entsteht durch
Vertauschung des im Subsumtionszeichen enthaltenen Bogens ⊂ der Unter-
ordnung mit dem ⊃ der Überordnung ersichtlich: a  b, und durch Ver-
tauschung von major und minor entsteht: b ⋹ a, was genau dasselbe sagt
— [aber freilich etwas ganz anderes als die ursprüngliche Subsumtion
a ⋹ b. Diese, wenn für sich allein hingestellt, gilt auch in der That nicht
als allgemeine Formel, mithin beansprucht der Satz 35) auch nicht, auf
sie anwendbar zu sein. Erst da, wo eine solche Subsumtion von andern
Relationen abhängig gemacht ist, kann er mit auf sie anwendbar werden,
desgleichen auch in solchen besondern Fällen, wie a ⋹ a, wo eben die
Subsumtion den Charakter einer Formel annimmt].
Prinzip I a ⋹ a gibt insbesondre a  a; dasselbe geht also auf ge-
nannte Weise in sich selbst über.
Aus Prinzip II, welches aussagt: „Wenn a ⋹ b und b ⋹ c so ist
a ⋹ c“ erhalten wir auf die eine Art: „Wenn a  b und b  c, so ist
a  c“, auf die andre: „Wenn b ⋹ a und c ⋹ b, so ist c ⋹ a“ beides
aber ist richtig und deckt sich mit Prinzip II selber.
Man revidire schliesslich, dass durch das angegebene Verfahren die
beiden Definitionen (2×) und (2+) ebenso (3×) und (3+) zu tauschen kom-
men, wogegen die Def. (1) der Gleichheit und die (6) der Negation nur
in sich selbst übergeht.
Ersetzten wir die Gebietsymbole 1 und 0 etwa durch 1⊂ resp. 1⊃
und die Operationssymbole · und + durch ×⊂ resp. ×⊃ [desgleichen
die Chiffrirungssuffixa × und + durch ⊂ und ⊃], so könnten wir
dem Prinzip des Dualismus den einfacheren Ausdruck geben: In allen
Theoremen des Kalkuls darf man die Zeichen ⊂ und ⊃ durchweg ver-
tauschen.
Führt nämlich von den Grundlagen eine Denknotwendigkeit zu
gewissen Folgerungen hin, so muss diese Notwendigkeit bestehen un-
abhängig von der Materie des Denkens und deren Bezeichnung. Also
auch wenn man das mit ⊂ Ausgedrückte mit ⊃ dargestellt hätte,
müsste sie fortbestehen. Dann würden aber die Grundlagen dieselben
geworden sein, und statt der vorigen hätte man wol grossenteils neue
Folgerungen erhalten — die dualen Gegenstücke der letzteren — so-
nach müssen denn auch diese gelten.
Wir wollen die Berechtigung zu diesem Schlusse noch etwas
übersichtlicher darlegen.
Es mögen mit G die mehrerwähnten formalen „Grundlagen“
des identischen Kalkuls bezeichnet werden, bestehend aus den bis-
herigen Definitionen (1), (2), (3), (6), und den hier als „Prinzipien“
bezeichneten Axiomen I, II — unter Zuzug des als ebenfalls gültig nach-
gewiesenen dualen Gegenstückes III+ (oder III⊃) zu III× (oder III⊂).
Wie wir gesehen, haben dann diese Grundlagen G die Eigenschaft,
wiederum in sich selbst nur überzugehen, d. h. ungeändert zu bleiben,
wenn man im obigen Sinne die Zeichen ⊂ und ⊃ durchweg ver-
tauscht, und wurde dieser Umstand dadurch sichtbar gemacht, dass
wir dem G das Suffixum  erteilten, welches die gleiche Eigenschaft
in sich zu erkennen gibt.
Durch diese Grundlagen G ist nun erwiesenermassen eine Gruppe
von Folgerungen denknotwendig mitbedingt, z. B. die direkt bewiesenen
Theoreme in der Kolumne zur Linken des Mittelstriches enthaltend,
welche F⊂ genannt werden möge. Dieser notwendige Zusammenhang:
„Es gilt G, also auch F⊂“
muss a priori bestehen bleiben, wenn man die Zeichen ⊂ und ⊃ ver-
tauscht. Dadurch gelangen wir aber zu dem Satze:
„Es gilt G, also auch F⊃“,
durch welchen die ganze Gruppe F⊃ der den vorigen F⊂ dual ent-
sprechenden Sätze, darunter alle die in der Spalte rechts vom Mittel-
strich befindlichen, mit einem Schlage bewiesen erscheint.
Hieraus erhellen auch die Vorteile des Dualismus und seiner Be-
achtung.
Die durchgängige Symmetrie erleichtert schon das Behalten der
Sätze, wie denn auf zwei Säulen ein Bau fester ruht, als auf einer.
Man kann aber den Dualismus auch in der That benutzen als ein
wirksames Prinzip um sich die Herleitung und Begründung von nahe
der Hälfte aller künftigen Sätze zu ersparen. Neben der kleinen
Minderzahl sich selbst dual entsprechender Sätze genügt es fortan,
nur die in der einen Spalte stehenden selbständig abzuleiten, woraus
die fehlenden in der andern Spalte fast mühelos abzuschreiben sind,
und man sich auf deren Gültigkeit wird ohne weiteres verlassen kön-
nen. Ja bei jedem Paar einander dual entsprechenden Sätze hat man
die Wahl, ob man nur den linksseitigen oder nur den rechtseitigen
wirklich beweisen will.
Beispielsweise müssen darum auch Geltung haben die sämtlichen
[318]Siebente Vorlesung.
noch ausstehenden dualen Gegenstücke bisheriger Sätze, nämlich die
noch nicht erwähnten Theoreme:
33×) Th. a b = (a + b) (a + b1) (a1 + b).
Zusatz dazu:
a b = (a + b1) b = a (a1 + b).
34×) Th. (a + b) (a + b1) (a1 + b) (a1 + b1) = 0.
Zusatz dazu:
a b (a1 + b1) = 0.
Beweise für diese Sätze kann man zum Überfluss auch, den vor-
getragenen genau dual entsprechend, konstruiren. Desgleichen mögen
— eine für den Anfänger empfehlenswerte Übung selbständig Beweise
für sie aufgesucht werden.
Bei den „Zusätzen“ genügt schon einfaches Ausmultipliziren mit Rück-
sicht auf 30×) und 21+). Bei den „Theoremen“ empfiehlt sich Anwendung
des Schemas 27+), wonach sich z. B. die beiden ersten Klammerfaktoren
zusammenziehen in a + b b1 = a + 0 = a, etc.
Übrigens gleichwie in vorstehenden Beispielen werden wir auch sonst
nirgends gezwungen sein, vom Th. 35) des Dualismus einen wesent-
lichen Gebrauch zu machen, indem wir uns ja die benötigten Sätze
auch samt und sonders einzeln zu beweisen vermögen. Sofern es
uns beliebt, mögen wir das Th. 35) auch lediglich die Rolle eines
empirischen Prinzips hier spielen lassen, welches die eben bei jedem
einzelnen Satze zu machende Wahrnehmung, dass auch sein duales
Gegenstück gilt, nachträglich konstatirt, m. a. W. alle diese Wahr-
nehmungen zu einem allgemeinen Satze in erschöpfender Induktion zu-
sammenfasst, resumirt.
In solchen Fällen, wo wir nur mehr des einen der beiden zu ein-
ander dualen Sätze für die Technik des Kalkuls bedürfen werden, be-
gnügen wir uns hinfort, auf die Existenz des andern lediglich in der
Chiffrirung — durch Anbringung eines Suffixums × oder + bei des
erstern Chiffre — hinzuweisen.
Den tiefern Grund für die Thatsache, dass wie durch den Gebiete-
kalkul, so auch durch die Lehre von den Begriffen ein Dualismus sich
hindurchzieht, kann man darin erblicken, dass — wie auf S. 130 er-
kannt — die Unterordnung von Begriffsumfängen einer Überordnung
der zugehörigen Begriffsinhalte parallel geht, und insbesondre auch
die Multiplikation der Umfänge gleichzeitig angesehen werden kann als
eine Addition der Inhalte. Es ist deshalb nicht zu verwundern, dass
jener identischen Multiplikation auch die Eigenschaften der identischen
Addition genau zukommen, da sie im Grunde selbst eine solche ist.
Wir treten nunmehr an ein Untersuchungsfeld heran, auf welchem
grosse Vorsicht geboten ist, indem wir namhafteste Philosophen aller Zeiten
— ich nenne zunächst nur Aristoteles und Kant — hier weit ausein-
andergehen sehen und auch ganz neuerdings von autoritativen Seiten unhalt-
bare Theorieen aufgestellt zu finden meinen, die ihre Urheber, wofern diese
nur konsequent dabei zuwerke gingen, in die grössten Widersprüche mit
sich selbst verwickeln müssten.
Schon um die hiernach entgegenstehenden Hindernisse hinwegzuräumen
sehe ich mich veranlasst, der Fortsetzung des systematischen Teils unsrer
Disziplin einige Betrachtungen von kritisch-polemischer Natur voranzu-
schicken.
Bei diesen Vorbetrachtungen will ich mich des Rechnens noch ent-
halten, die Überlegungen vielmehr gemeinverständlich blos in Worten führen.
Der Kalkul wird schliesslich die Ergebnisse dieser Überlegungen bestätigen
und alles in noch hellerem Lichte erscheinen lassen.
Der Gründe für die Schwierigkeiten einer Theorie der Negation
und die durch sie bedingte Uneinigkeit unter den Fachgelehrten sind
mehrere, und werde hier auf die hauptsächlichsten im voraus hin-
gewiesen, obwol sie sich erst nach Bewältigung des Aussagenkalkuls
völlig überblicken und dann auch alle Schwierigkeiten sich als über-
wunden erkennen lassen werden.
Ein Hauptgrund dürfte zu erblicken sein in gewissen Unbestimmt-
heiten der Wortsprache, welche oft schon in ihren einfachsten und
fundamentalsten Satzbildungen die wünschenswerte Präzision vermissen
lässt, indem sie — als eine notwendiger Zeichen, wie namentlich des
Instituts der Klammern, entbehrende — verschiedene Auffassungen
dieser Satzbildungen zuzulassen scheint und insbesondere eine Ver-
mengung von Deutungen des Klassenkalkuls mit solchen des Aussagen-
kalkuls nicht selten nahe legt.
Die in Titel des § 16 genannten Sätze der Logik gehören wesent-
lich dem Aussagenkalkul an, wurzeln ganz in diesem und können in
ihrer ursprünglichen Bedeutung erst dort völlig erledigt werden
(Vergl. § 31).
Es kann sich im Klassenkalkul nur um Analoga von ebendiesen
Sätzen handeln, denen wir aber, weil sie gleichlautenden Ausdrucks
in der Formelsprache teilhaftig sind und später durch einen blossen
Wechsel der Interpretation, durch eine einfache Umdeutung aus ihnen
[320]Siebente Vorlesung.
hervor oder in sie übergehen werden, einstweilen schon den gleichen
Namen beilegen mit dem unterscheidenden Zusatze: „im Klassenkalkul“.
Zwei zu den allergeläufigsten gehörende Redewendungen sind
es besonders, die durch ihren Doppelsinn der Verwirrung Vorschub
leisteten.
Die eine*) lautet:
α) „A ist nicht B“.
Entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist es im Allgemeinen
durchaus nicht gleichgültig (für den Sinn dieser Aussage), ob die Ver-
neinungspartikel „nicht“ (in noch näher zu erläuterndem Sinne) zur
Kopula „ist“, oder ob sie zum Prädikate „B“ geschlagen wird.
Es handelt sich um die beiden Aussagen:
β) „A »ist nicht« B“ und γ) „A ist »nicht B«“
welche als die Deutungsmöglichkeiten der Aussage α) zunächst sich
darzubieten scheinen.
Da im Worttext die Klammern ganz andern Zwecken zu dienen pflegen,
als wie im Kalkul, da sie hier schon anderweitig beschlagnahmt sind, näm-
lich wie bekannt jeweils verwendet werden, um Anmerkungen, Erläuterungen
in den Haupttext einzufügen, so ersetze ich daselbst die Zeichen (,) des
Kalkuls durch eigentümlich gestaltete Anführungszeichen (guillemets, quo-
tation marks) » , «.
Man kann die fraglichen Deutungen β) und γ) beim Aussprechen schon
durch den Tonfall unterscheiden: es wird der Satz β) etwa im Rhythmus
des Choriambus (–⏑⏑–) zu sprechen sein, mit einer Pause hinter der ersten
Länge, wogegen der Satz γ) mehr an den Versfuss des Ditrochäus (–⏑–⏑)
anklingt.
Nach der Meinung derjenigen Philosophen, welche, wie Kant,
Lotze, Sigwart**) das „verneinende“ Urteil α) im Sinne von β) auf-
gefasst wissen, nämlich die Verneinungspartikel zur Kopula geschlagen
haben wollen — wenn sie auch nicht gerade zu der deutlichkeitshalber
von mir dafür gewählten Schreibung β) sich bequemen — soll dieses
Urteil α) oder β) nur konstatiren, dass die Aussage
δ) „A ist B“
beziehungsweise
unrichtig, falsch sei. Umgekehrt käme darnach der Leugnung dieser
[321]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Aussagen δ) der sprachliche Ausdruck β) zu, beziehungsweise die Aus-
drucksform:
Die Frage, ob es wirklich angängig ist, die Verneinung der Aussagen
δ) sprachlich in die Ausdrucksformen β) einzukleiden, werden wir nachher
zum Austrag zu bringen haben. Um Einwänden zuvorzukommen will ich
voraus bemerken, dass dies nicht allgemein, und strenge genommen wol
überhaupt nicht, angängig ist und dass ich mich blos provisorisch zu dieser
Ausdrucksweise bequeme um auf den Gedankengang derjenigen Philosophen
eingehen zu können, welche darin den Typus der „verneinenden“ Urteile
zu erblicken wähnen.
Das Missliche solcher Darstellung wird der Leser sicherlich bei β''')
bereits herausgefühlt haben.
Bei genauerem Zusehen wird es sich uns als inkorrekt erweisen,
nämlich mit dem anerkanntesten Prinzip der Logik ersichtlich in
Widerspruch bringen, bestünde man darauf, die Verneinung der Aus-
sagen δ), δ''') in die Form der Sätze β), β''') zu kleiden, die Verneinungs-
partikel sonach auf die Kopula zu beziehen.
Als den korrekten Ausdruck solcher Verneinung werden wir schliess-
lich allgemein nur gelten lassen können:
Im hinblick darauf werde ich mich auch enthalten, das im Sinne
von β) verstandene Urteil α) hier ein „verneinendes“ Urteil zu nennen;
ich werde vielmehr diese korrekt durch ε) darzustellende Aussage hier
nur als eine „Urteilsverneinung“ gelten lassen.
Gebrauchen wir demungeachtet vorderhand dafür die Ausdrucks-
weise β), so ist der bei den Chiffren δ) erklärte Sinn derselben nie
ausser Augen zu lassen: es ist demgemäss unter allen Umständen fest-
zuhalten, dass sie die Geltung der Aussagen δ) in Abrede zu stellen
haben und weiter nichts. —
Was ferner den Sinn der Aussage γ) betrifft, welche als die andre
Deutungsmöglichkeit von α) sich darbot, so hat, wenn A und B Ge-
biete unsrer Mannigfaltigkeit bedeuten, das »nicht B«, non-B oder
B1 im vorvorigen Paragraphen bereits seine Erklärung wiederum als
ein Gebiet ebendieser Mannigfaltigkeit gefunden, und können wir in
diesem Falle nicht im Zweifel darüber sein, was die Aussage oder
Subsumtion γ) bedeutet, Sie wird dann, etwas ausführlicher formulirt,
behaupten:
γ) Das Gebiet A ist enthalten in dem Gebiet Nicht-B, d. i. in
demjenigen Gebiete, welches übrig bleibt, wenn man die sämtlichen
Elemente von B, und nur diese, aus unsrer Mannigfaltigkeit fortlässt,
dem Gebiete, welches ohne ein Element mit B gemein zu haben, das
B zur ganzen Mannigfaltigkeit ergänzt.
Wie ein Punktgebiet aus der Ebene der Schultafel, so vermögen
wir aber auch irgend ein gewünschtes System von Individuen aus
einer Klasse, der sie angehören, im Geiste fortzulassen oder auszu-
streichen und die alsdann übrig bleibenden Individuen festzuhalten;
diese vermögen wir so zusammenzufassen zu einer neuen Klasse.
Sofern dabei nur Bezug genommen wird auf eine bestimmte Mannig-
faltigkeit der „gewöhnlichen“ Art, deren Individuen etwa den Punkten
einer Ebene eindeutig zugeordnet werden könnten und welche die bei
einer Untersuchung in Betracht gezogenen Begriffsumfänge oder Klassen
mit ihren Individuen sämtlich enthält, wird demnach auch die Bedeu-
tung der „Negation einer Klasse“ (und damit, nach dem Umfange be-
trachtet, auch des zugehörigen „Begriffes“) einsinnig feststehn — und
zwar für alle Klassen des erwähnten Untersuchungsfeldes, überhaupt
für alle diejenigen, welche etwa aus Individuen jener Mannigfaltigkeit
gebildet werden könnten.
Haben wir z. B. die Mannigfaltigkeit der farbigen Dinge im Auge,
so ist klar, was wir meinen, wenn wir reden von »nicht weissen«, oder
auch von »nicht-schwarzen« Dingen, und dieselben Ausdrücke erhalten
abermals eine bestimmt feststehende, obzwar beträchtlich weitere, um-
fassendere Bedeutung, sobald wir sie etwa auf die Mannigfaltigkeit
der sinnlich wahrnehmbaren Dinge beziehen; im letzteren Falle ge-
hört ein Schall, Geruch, ein Druck oder Schlag etc. dazu, im er-
steren nicht.
Einerlei, ob das erstere geschieht, oder das letztere, so werden
beispielsweise die Aussagen gültig sein: „Einige Schafe sind nicht-
weiss“, und „Alle Schafe sind nicht-grün“, oder, was dasselbe sagt:
„Kein Schaf ist grün“.
Diese Aussagen, welche nach der landläufigen Terminologie das
„partikular verneinende“ und das „universell verneinende“ Urteil exempli-
fiziren, werden sogar noch richtig bleiben, wenn man auch die in Ge-
danken zugrunde gelegte Mannigfaltigkeit noch beliebig weiter aus-
dehnt; denn ebendadurch könnte auch nur eine Erweiterung der
Prädikatklasse »nicht weiss« resp. »nicht-grün« (oder des auf die Man-
nigfaltigkeit beschränkten Umfangs des Prädikat„begriffes“, sofern von
einem solchen noch zu sprechen ist) bewirkt werden, und gehörte das
[323]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Subjekt schon zu der engeren, so wird es um so mehr auch zu der
erweiterten Prädikatklasse gehören.
Sind A und B irgend welche Klassen von Individuen oder völlig
bestimmten mittelst Eigennamens bezeichenbaren Objekten des Den-
kens — Klassen, die z. B. als die Umfänge von uns gegebenen Be-
griffen bestimmt sein mögen — so kann man immer eine Mannig-
faltigkeit konstruiren, welche die Individuen aus beiden Klassen sämt-
lich enthält, und schon mit Bezug auf diese Mannigfaltigkeit (die Mn.
A + B) werden dann die Aussagen: „Einige A sind nicht-B“ sowie
„Alle A sind nicht-B“ einen völlig bestimmten Sinn haben, nämlich
fähig sein, auszudrücken, dass die Klassen A und B teilweise resp.
ganz einander ausschliessen (und zwar im ersteren Falle auch auf
welche Weise).
Ganz dasselbe wird auch gelten für eine jede der genannten über-
geordnete Mannigfaltigkeit. Und es scheint zunächst nichts im Wege
zu stehen, dass wir die letztere sogar sich erstrecken lassen über das
ganze Gebiet des überhaupt zu denken Möglichen, dass — wie wir
dies ausdrücken wollen — wir unsern Betrachtungen zugrunde legen
die „absolute Mannigfaltigkeit“ (des Denkmöglichen).
Es würde dadurch die als „Verneinung“ einer bestimmten Klasse
B „schlechtweg“ zu bezeichnende Klasse Nicht-B die weiteste Bedeu-
tung zugewiesen erhalten, deren sie überhaupt fähig sein kann, sie
würde nämlich alle möglichen individuellen Objekte des Denkens zu-
sammenschliessen mit Ausnahme der zur Klasse B gehörenden.
In so erweiterter Bedeutung pflegt nun die Wortsprache die durch
Verbindung eines Terms B mit der Verneinungspartikel „nicht“ von
ihr zusammengesetzten Ausdrücke „nicht-B“ allerdings gemeinhin nicht
aufzufassen, namentlich dann nicht, wenn dieselben in andern Stellungen
wie als Prädikat gebraucht werden. Vielmehr bezieht sie dieselben in
der Regel stillschweigend nur auf irgend ein dem Begriffe B über-
geordnetes genus proximum.
Sprechen wir z. B. von „Nichtkombattanten“, so wird das genus
proximum (zu Kombattanten) hier etwa die Klasse der zur Armee
gehörigen oder aber der an einem Feldzug teilnehmenden Personen
sein. Und sicher, wenn wir das Wort als Subjekt eines Satzes, oder
im Genitiv, in einem von andern Substantiven regirten Kasus ge-
brauchen, werden wir — wie Lotze treffend betont — die Pferde,
Wagen und Steine am Wege nicht unter die Nicht-Kombattanten
einrechnen.
Fällt dagegen das Wort als Prädikat, sagen wir z. B. „die Ärzte
21*
[324]Siebente Vorlesung.
sind Nichtkombattanten“, so wird es für die logische Tragweite des
Satzes gleichgültig, ob wir das Wort in jener engeren oder in irgend
einer weiteren Bedeutung fassen. Da schon die engere Bedeutung des
Wortes „Nichtkombattant“ die Ärzte umschliesst, so wird die weitere
es ebenfalls thun.
Strenge genommen sagt freilich im letzteren Falle das Urteil weniger
aus, als im erstern; es lässt nämlich unausgedrückt, dass die (gedachten)
Ärzte zu den (am Feldzug teilnehmenden) Personen gehören. Allein dieser
Umstand bildete einen auch im erstern Falle nur enthymematischen Bestand-
teil des Urteils, indem letzteres ja des genus proximum nicht ausdrücklich
Erwähnung that. Sofern man — worauf es hier allein ankommen wird —
nur eben die Thatsache, dass kein Arzt ein Kombattant ist, als den vollen
Sinn und Gehalt des Urteils gelten lässt, sagt bei der zweiten Auffassung
das Urteil auch ebensoviel als bei der ersten.
Wir mögen hienach die Frage, ob bei dem prädikativen Gebrauche
des (dem Umfange nach jedenfalls existirenden) Begriffes Nicht-B
dieser letztere mehr oder weniger enge gefasst werden soll, die Frage,
ob bei der Begrenzung dieser durch Negation aus einer gegebenen B
abzuleitenden Klasse Nicht-B Bezug zu nehmen sei auf eine bestimmte,
mental zu supplirende, der B nächst übergeordnete Gattung (in wel-
chem Falle auch non-B als eine wohldefinirte Klasse erscheinen wird,
deren Aufstellung und Verwendung unmöglich beanstandet werden
kann), oder ob dabei vielmehr Bezug genommen werde auf die „ab-
solute“ Mannigfaltigkeit (ein Verfahren, gegen welches von gewissen
Seiten Protest erhoben worden ist) — diese Frage können wir zu-
nächst ganz offen lassen, sie in das subjektive Belieben stellen. Wir
mögen z. B. die in Betracht kommenden verneinenden Ausdrücke wie
„nicht-schädlich“, „nicht vollkommen“ oder „unvollkommen“, „nicht in
eine bestimmte Beziehung eingehend, etwas bestimmtes thuend oder
leidend, etc.“ ganz in dem allergeläufigsten Sinne verstehen, und sind
darnach auf dem Punkte angelangt, sagen zu dürfen, dass mit einer
Aussage der Form
γ'') Die Klasse A ist enthalten in der Klasse Nicht-B
oder
γ''') Alle A sind »nicht B«
ein bestimmter und bekannter Sinn verbunden wird.
Das uns die Klammer vertretende Anführungszeichen » « konnte
hier auch entbehrlich gemacht werden durch die Schreibung:
A ist (resp. alle A sind) nicht-B, non-B oder Nicht-B,
wodurch sich schon die Auffassung γ) des Urteils α) hinlänglich
charakterisirt und von der Deutung β) unterscheidet. Beliebt ist für
γ) auch die Ausdrucksweise: „A ist ein Nicht-B“.
Berechtigt ist nun die Bemerkung, dass ein solches Urteil γ) ganz
wesentlich als ein bejahendes erscheint: es wird dadurch, wie sonst
allerwärts, eine Subjektklasse unter die Prädikatklasse subsumirt —
welche letztere hier nur, gewissermassen zufällig, den verneinenden
Ausdruck Nicht-B besitzt. Dass solche Ausdrucksform aber als ein
nebensächlicher Umstand hinzustellen ist, sich mehr nur psychologisch,
als logisch, begründen und zumeist sich auch vermeiden lässt (sofern
für nicht-B auch ein „positiver“ Name zur Verfügung steht), dass
ebenso, wo sie fehlte, die Ausdrucksform sich (mittelst doppelter Ver-
neinung) willkürlich herstellen liesse, das haben wir schon unter ν2)
in B der Einleitung ausgeführt oder angedeutet (vergl. die dortigen
Betrachtungen über parallele und nicht-schneidende sowie schneidende
und nicht-parallele Geraden in einer Ebene).
Im Hinblick darauf will es nicht als rationell erscheinen, auf
diesen Umstand eine wesentliche Unterscheidung zwischen bejahenden
und verneinenden Urteilen zu gründen. Es scheint Beanstandung zu
verdienen, dass man die Urteile α) mit der Deutung γ) überhaupt als
„verneinende“ bezeichne — wie ich dies im Einklang mit der seit
Aristoteles in der scholastischen Logik (noch) herrschenden (erst
neuerdings mehrseitig bekämpften) Terminologie in der That hier
thun werde.
Die Wahrnehmung dieser Diskrepanz hat bekanntlich Kant veran-
lasst, neben den „bejahenden“ und den von ihm „verneinende“ genannten
Urteilen β) noch eine dritte Art von Urteilen einzuführen, die er ziemlich
unglücklich — vergl. Sigwart I, p. 122 — „unendliche“ oder „limiti-
rende“ Urteile nennt (Die Seele ist nicht sterblich, soviel als: gehört in
die unendliche Sphäre, die übrig bleibt, wenn ich das Sterbliche aussondere).
Wie man sieht decken sich diese „limitativen“ Urteile Kant's (deren Be-
rechtigung und Vorkommen Sigwart — im Gegensatz zu Lotze — aus-
drücklich anerkennt) mit den eben besprochenen Urteilen γ).
Ich würde vorstehenden Einwand als berechtigt anerkennen und
die „verneinenden“ Urteile der herrschenden Terminologie als unpas-
send benannte umtaufen, wenn es daneben noch wirklich verneinende
Urteile — etwa die β) — gäbe. Indem wir aber, wie schon angedeutet,
diese Ausdrucksform β) als nicht haltbar erkennen werden, wird offen-
bar, dass solches nicht der Fall ist, und aus diesem Grunde mögen
wir uns auch der herrschenden Terminologie in Bezug auf ihre „ver-
neinenden“ Urteile ganz unbedenklich anschliessen.
Am angemessensten erscheint es, dergleichen Urteile γ) — mit
Wundt — als „negativ prädizirende“ zu bezeichnen.
Diese Benennung dürfte auf alle Fälle passend und unanfechtbar er-
scheinen, und auch von Denjenigen der Kant'schen vorgezogen werden,
[326]Siebente Vorlesung.
die, wie Sigwart, auf einem, dem hier zu rechtfertigenden entgegen-
gesetzten Standpunkte bestehen zu müssen glauben.
Wir haben jetzt den Sinn der Aussagen β) und γ) als der beiden
Deutungsmöglichkeiten von α) selbständig festgestellt und vorweg
die einschlägigen Benennungsfragen erledigt.
Nunmehr können wir dazu schreiten, zu zeigen, dass die Bedeu-
tung der beiden Urteile β), γ) in der That grundverschieden ist. Im An-
schluss daran wird sich dann auch herausstellen, welches von beiden
die dem Urteil α) rechtmässig zukommende Deutung ist.
Ob in α) die Verneinungspartikel „nicht“ in dem angeführten
Sinne zur Kopula, oder ob sie zum Prädikat geschlagen wird, wird
sich als gleichgültig uns nur dann erweisen, wenn das Urteil α) ein
singulares ist, d. h. wenn das Subjekt A des Urteils Keine Klasse, son-
dern ein Individuum vorstellt, wenn es mithin nicht durch einen Ge-
meinnamen als ein vieldeutiger Term, sondern als ein eindeutiger Term
durch einen Eigennamen ausgedrückt sich darstellt.
Stellt A einen Punkt unsrer Mannigfaltigkeit vor, so decken sich
die Aussagen β') und γ'). Wenn der Punkt einem Gebiete B nicht
angehört, so gehört er notwendig dem Aussengebiete, der Negation
des letztern oder dem Gebiete Nicht-B an, und umgekehrt. Der Punkt
kann nicht gespalten werden; er kann nicht in zwei einander aus-
schliessende Gebiete zugleich hineinragen.
Ebenso, wenn A ein Individuum vorstellt.
Die Musik von Beethoven — ich meine diese selber, und zwar (um
ein ganz individuelles Subjekt zu erhalten) bei einer bestimmten Gelegen-
heit von gewissen Künstlern exekutirt, nicht etwa aber die gedruckten
Noten — »ist nicht« schwarz. Sie ist folglich »nicht-schwarz«.
Oder, um noch ein besseres Beispiel zu nehmen:
Das Kind frägt: „Darf ich dies thun?“ Der Vater sagt: „Nein!“
und er mag diese Antwort ausführlicher in den Satz kleiden: „Du
darfst dies nicht thun.“
Dies ist zunächst wol zu unterscheiden von: Du darfst es »nicht thun«,
d. h. Du darfst es unterlassen! Man sieht: die Verneinungspartikel gehört
nicht zu dem ihr unmittelbar folgenden Worte „thun“, sondern zu dem
Worte „darfst“ und wäre logisch-konsequenter Weise, aber im Gegensatz
zum Sprachgebrauche, eigentlich voranzustellen dem Prädikate „darfst dies
thun“ des entsprechenden bejahenden Urteils. Im Englischen wird sie schon
etwas weiter vorangenommen: „You dare not do that“, und am unzwei-
deutigsten prägt sich ihre Bezugnahme auf das Verbum „dürfen“, wel-
ches das nachfolgende regirt, im Französischen aus: „Tu ne dois pas
faire cela“.
Ob wir nun das Verbot „Du darfst dies nicht thun“ wie vor-
[327]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
stehend auffassen als die blosse Verneinung des Satzes „Du darfst dies
thun“, welchen das Kind als einen Fragesatz aufgeworfen, oder ob wir
dasselbe deuten in dem Sinne: „Du gehörst zur Klasse der Personen,
welche nicht es thun dürfen“, dies ist in materieller Hinsicht ganz
ohne Belang, kommt wesentlich auf dasselbe hinaus, Hier rächt es
sich nicht, wenn man die Verneinungspartikel zur Kopula anstatt zum
Prädikate schlägt.
Wollte aber darauf hin jemand behaupten, aus der Verneinung der
Aussage: „Du darfst dies thun“ sei mit Denknotwendigkeit gefolgt: „Du
darfst dies nicht thun“, oder umgekehrt, so wäre zu entgegnen, dass solcher
Schluss von der Verneinung des „A ist B“ auf die Behauptung „A ist
nicht B“ doch ein formell unrichtiger wäre. Im vorliegenden Falle, wo
Prämisse und Konklusion materiell richtig, war der Schluss ein unvoll-
ständiger, ein Enthymen. Und zwar beruhte er wesentlich mit auf einer
stillschweigend übergangenen Nebenprämisse, besagend, dass das Subjekt
„Du“ resp. das „Ich“ des Fragesatzes ein Individuum sei. Nach der Art,
wie wir den Begriff des Individuums fassen, drückt diese unerwähnt ge-
bliebene Prämisse einerseits aus, dass unser Subjekt nicht eine Mehrheit
von Bedeutungen habe (keine Gattung ist), und andrerseits auch dass es
existire, nicht „nichts“ bedeute oder bedeutungslos wäre — sodass, in der
die Null adjungirt habenden exakten Logik wenigstens, die ausgelassene
Prämisse auch als ein Paar von Prämissen hingestellt werden könnte.
Dass in der That ohne solche Prämisse der Schluss hinfällig wäre,
wird sogleich ersichtlich, wenn wir nachher das Subjekt Ich, Du des Frage-
und Antwortsatzes durch Wir, Ihr ersetzen.
Ganz anders (nämlich) verhält sich aber die Sache, wenn das
Urteil α) ein generelles ist, mag es partikular, mag es universal sein.
Hier geben die Sätze β) und γ) verschiedenen Sinn, und wenn dem
Sprachgebrauch unzweifelhaft entsprechend das Urteil α) interpretirt
werden soll, so ist es durchaus nur im Sinne von γ) zu deuten. Konse-
quenterweise muss demnach die Verneinungspartikel zum Prädikate ge-
schlagen werden.
Nehmen wir z. B. an, dass die ältern Geschwister etwas thun
dürfen (vielleicht sogar sollen), was den jüngeren untersagt bleibt, so
wird auf die Frage der Kinder oder des unter ihnen das Wort führenden:
„Dürfen wir dies thun?“ das „Nein“ des Vaters in Kraft bleiben, denn
ein „Ja“ oder „Ihr dürft dies thun“ würde es den jüngeren Geschwistern
mit erlauben.
Die Antwort aber: „Ihr dürft dies nicht thun“ würde es (nach
dem Prinzipe: „quidquid de omnibus valet, etc.) auch den älteren ver-
bieten! Und sie würde gewiss auch als ein solches Verbot verstanden
werden.
Hier also ist es einmal jedenfalls nicht angängig, die Verneinung
[328]Siebente Vorlesung.
des Urteils δ) in der Form α) auszusprechen, m. a. W. den Satz α) in
dem als Bedeutung von β) erklärten Sinne zu verstehen. Es fehlt ja
der Sprache nicht an Ausdrucksformen zur Darstellung des zutreffenden
Sachverhaltes; der Vater mag z. B. auf die gestellte Frage zur Ant-
wort geben: „Ihr nicht, aber wohl (sondern nur) die beiden ältesten“,
oder „Nur zum Teile dürft Ihr es thun, zum Teil nicht, und zwar etc.“
Als vollständig unmöglich muss es aber hingestellt werden, die richtige
Antwort in Gestalt eines einzigen Satzes zu geben, dessen Subjekt
„Ihr“ (logisch dasselbe wie das „Wir“ des Fragesatzes) wäre, und
dessen Prädikat (in Bejahung oder Verneinung hingestellt) schlecht-
weg als „dürft dies thun“ sich darstellte!
Da genau genommen selbst das Pronomen personale „Ich“, auf eine
bestimmte Person bezogen, noch ein Gattungsbegriff ist, insofern diese
Person gemeint sein kann in verschiedenen Momenten ihres sich abwickelnden
Lebens, so würden schon an die Frage: „Kann ich dies thun?“ — z. B.
ein gewisses schwieriges Kunststück hinbringen, welches nur zeitweilig ge-
lingt — sich Betrachtungen anknüpfen lassen, welche den letzten analog sind.
Das vorstehende Beispiel war gewiss aus dem Leben genommen;
es hatte höchstens den Misstand, dass ein logisch identisches Subjekt
A doch im Frage- und Antwortsatze als Ich, Wir resp. Du, Ihr ver-
schiedenen Ausdrucks teilhaftig wurde. Fassen wir darum noch ein
Beispiel in's Auge, in welchem das Subjekt seinen Ausdruck nicht
wechselt.
Zugegeben, dass es weisse und auch schwarze Schafe gibt. Bedeutet
dann A die ganze Klasse der „Schafe“ und B die Klasse „weiss“, so er-
kennt man augenblicklich dass die Aussage β) in dem oben für sie fest-
gesetzten Sinne richtig ist, und die zweite γ) falsch. Erstere, nämlich:
β0) „Die Schafe (schlechtweg, d. h. alle Schafe) »sind nicht« weiss“
müsste als ein richtiges Urteil anerkannt werden indem sie die Geltung
der falschen Aussage
δ0) „Alle Schafe sind weiss“
in Abrede stellte — so wenigstens gemäss der über die Auslegung einer
jeden Aussage β) oben getroffenen Verabredung.
Die zweite Aussage dagegen
γ0) „Die (Alle) Schafe sind nicht-weiss“
ist ein falsches Urteil, würde behaupten, dass auch die weissen Schafe,
welche es doch gibt, welche sogar die Mehrzahl bilden, nicht-weiss seien.
Die beiden Urteile können daher unmöglich äquivalent sein.
Man bemerkt aber auch, wie gezwungen die dem Satze β0) gegebene
Auslegung erscheint. Unstreitig würde hiefür die Sprache den Ausdruck
vorziehen: „Nicht alle Schafe sind weiss“ (d. h. die Klasse der Schafe ist
nicht ganz, nur zum Teil, enthalten in der Klasse der weissen Dinge), wo-
mit sie allerdings darüber hinaus noch andeuten würde, dass es neben
„nicht-weissen“ auch weisse Schafe gibt; am besten den: Einige Schafe sind
[329]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
nicht-weiss. Soll wirklich weiter nichts, als was in dem Satze ausgesagt
wird: „Es ist nicht wahr, dass alle Schafe weiss sind“ korrekt zum Aus-
druck gebracht werden, ohne dass man aufhört von allen Schafen zu reden,
so steht uns vorerst nur diese allerdings etwas umständliche Ausdrucksweise
selbst zur Verfügung (§ 33 und 35).
Ich möchte indess weitere zur Rechtfertigung unserer Behauptungen
dienende Ausführungen an gegnerischerseits gemachte Einwürfe an-
knüpfen:
Kant's „limitative“ Urteile γ) glaubten wir angemessener als „nega-
tiv-prädizirende“ bezeichnen zu sollen, und auch fortfahren zu dürfen, im
Einklang mit der „herrschenden“ Aristotelisch-scholastischen Terminologie
dieselben schlechtweg als „verneinende“ Urteile gelten zu lassen — in An-
betracht dass wir die andere Urteilform β) (die für Kant-Lotze-Sigwart
den Typus des verneinenden Urteils vorstellt) überhaupt nicht werden an-
erkennen können.
Gegen Kant's limitative, also unsre negativ prädizirenden Urteile
polemisirt nun aber auf das heftigste Lotze. Ein Autor von des letzteren
Bedeutung und Ansehen, falls er irrt, verdient gewiss widerlegt zu werden.
Geben wir ihm darum zunächst selbst das Wort. In 1 p. 61 sagt derselbe:
„Eine bestimmte Beziehung zwischen S und P, welcher Art sie immer
sein mag, denken wir uns durch ein Urtheil: S ist P, als einen noch frag-
lichen Gedanken ausgedrückt; diese Beziehung bildet den Gedankeninhalt,
über den zwei einander entgegengesetzte Nebenurtheile gefällt werden; das
eine affirmative gibt ihm das Prädicat der Gültigkeit oder der Wirklich-
keit, das andere negative verweigert sie ihm.“
Es erhellt hieraus, dass Lotze das „verneinende“ Urteil im Sinne
unsrer Aussage β) aufgefasst wissen will. Für diese Auffassung plädirt er
überhaupt auf der ganzen Seite (p. 61) und weiterhin.
Er fährt z. B. fort (und hierin kann ich ihm beipflichten):
„… aber zwei wesentlich verschiedene Arten des Urtheils begründet
dieser Unterschied nicht. Gültigkeit oder Ungültigkeit sind vielmehr in
Bezug auf die Frage, die uns hier beschäftigt, als sachliche Prädicate zu
bezeichnen, die von dem ganzen Urtheilsinhalte als ihrem Subjecte gelten.“
Aber nun weiter unten:
„… das limitative oder unendliche Urtheil, das durch eine positive
Copula dem Subject ein negatives Prädicat beilegen soll und durch die
Formel: S ist ein Nicht-P, ausgedrückt zu werden pflegt. Viel Scharfsinn
ist auch in neuerer Zeit zur Ehrenrettung dieser Urtheilsform aufgeboten
worden, in der ich dennoch nur ein widersinniges Erzeugniss des Schulwitzes*)
finden kann.“
Ich werfe zunächst die Zwischenfrage ein: Steht nicht unmittelbar
vorher das „sachliche Prädikat der Ungültigkeit“ schon im Widerspruch
mit der soeben und noch weiterhin verfochtenen Anschauung? Ist nicht
[330]Siebente Vorlesung.
eine Aussage, wie: „Dies Urteil ist ein ungültiges“ gerade von der be-
kämpften Form: „S ist ein nicht-P“?
Fern liegt mir indess, etwa einen kleinen lapsus consequentiae auf-
greifen zu wollen, um einen Vorwurf daraus zu schmieden. Hören wir
weiter (auf p. 62):
„Und so gibt es nirgends für das natürliche Denken eine zwingende
Veranlassung, limitative Urtheile zu bilden; jede Folgerung, die aus dem
Satze: S ist ein Nicht-P, möglich wäre, bleibt auch möglich aus dem andern:
S ist nicht P. Es ist nicht der Mühe werth, hierüber weitläufiger zu werden;
offenbare Grillen müssen in der Wissenschaft nicht einmal durch zu sorg-
fältige Bekämpfung fortgepflanzt werden.“
Dies — insbesondre was kursiv gedruckt — ist ein fundamentaler Irr-
tum! Wir haben bereits gesehen, dass wenn S zum Beispiel „Alle A“ be-
deutet, diese hier für äquivalent erklärten Sätze — im Grunde unser γ)
und β) — durchaus nicht gleichbedeutend sind; sie können daher auch
nicht dieselbe logische Tragweite besitzen. In der That wird später wahr-
zunehmen sein: aus dem letztern Urteil β) — sei es für sich, sei's in Ver-
bindung mit andern Prämissen — folgt viel weniger als aus dem erstern γ).
Leicht war es eine derartige allgemeine Behauptung aufzustellen, wenn
man sich dabei beruhigte und es unterliess, dieselbe in ihre Konsequenzen
zu verfolgen.
Letzteres haben wir schon gethan nach der Seite der universalen Aus-
sagen. Thun wir's auch noch nach der Seite der partikularen, um uns zu
vergewissern, wie weit Lotze mit sich selbst in Übereinstimmung bleibt.
Sein Subjekt S möge also nun bedeuten: „Einige A“.
Wenn Lotze nach den von ihm selbst aufgestellten Grundsätzen zu-
werke geht, so muss er unter dem Satze „Einige A sind nicht B“, oder
wie dies noch deutlicher geschrieben werden könnte, unter: „Einige A »sind
nicht« B“ verstehen: die verneinend ausfallende Antwort auf die Frage,
ob einige A wol B seien? Verneinung des Urteils: „Einige A sind B“
liefert aber nach dem gesunden Menschenverstand, nach den Regeln der
Schullogik und wie dies später auch die Rechnung bestätigt, das Urteil:
„Kein A ist B“.
Niemandem wird es einfallen, unter dieser letzteren Aussage genan
das nämliche zu verstehen, wie unter der vorigen, die beiden für äquivalent
zu erklären; niemand wird z. B. den Satz: „Einige Schafe sind nicht weiss“
verstehen als „Kein Schaf ist weiss“ und niemand wird die Verneinung der
Behauptung, dass einige Schafe gelb seien, durch den Satz ausdrücken:
„Einige Schafe sind nicht gelb“.
Auch Lotze thut dies nicht. Er versteht unter Sätzen, wie: einige A
sind nicht B, alle A sind nicht B, ganz dasselbe, wie alle übrigen Menschen,
und steht nur in dem Wahne, die verneinenden Aussagen gleichwol durch-
aus unserm Schema β) gemäss zu deuten.
Lotze tritt überhaupt als entschiedener Gegner einer Logik des (Be-
griffs-) Umfanges auf. 1 p. 58 sagt er:
„Natürlich haben auch diese Umfangsverhältnisse ihren logischen Werth;
aber wo man diesen bedürfen wird, ist er nicht so schwierig zu ermitteln,
um sich seiner nicht nebenher augenblicklich zu bemächtigen; einen Haupt-
[331]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
gesichtspunkt für die Betrachtung der Urtheile aus jenen Verhältnissen zu
machen, halte ich für ebenso irrig als langweilig.“
Wenn Lotze damit Recht hätte, so würde unser Bemühen, eine exakte
Logik des Umfanges hier zu begründen, ein eitel vergebliches sein.
Nun zeigen aber die Fehler, in welche Lotze verfällt (und zwar schon
in so einfachen jedweder Komplikation ermangelnden Fällen, wie bei dem
besprochenen verneinenden Urteile), dass es doch nicht so leicht ist, sich
der fraglichen Umfangsverhältnisse nebenher zu bemächtigen, und damit
richtet sich seine (ohnehin, wie die vorhergehenden, eminent subjektive)
letzte Schlussbemerkung von selbst. Des näheren vergleiche man hiezu
noch δ3) in C unsrer Einleitung.
Wir haben gesehen, dass sooft das Urteil α) oder δ) ein generelles
ist, es wesentlich einen andern Sinn liefert, als der ist, welchen der
Sprachgebrauch mit der Aussage α) verbindet, will man die Verneinungs-
partikel gemäss β) auf die Kopula beziehen.
Nun aber zu zeigen, dass dies genau genommen sogar einen Un-
sinn liefert, dazu will ich jetzt schreiten.
Es handelt sich um das Urteil:
ε) Die Behauptung „A ist B“ ist unrichtig, von dem ich nachweisen
will, dass es nicht (wie provisorisch bisher) mit β) „A »ist nicht« B“
— noch weniger auch mit α) — wiedergegeben werden darf.
Das Urteil ε) ist von Hause aus und bleibt in Ewigkeit (in Boole's
Benennungsweise) ein sekundäres, ein Urteil über ein Urteil; nur mittelbar
zunächst sagt es auch über A und B selbst etwas aus.
Welche Schlüsse aus dem Urteil ε) in Bezug auf A und B zu ziehen
sind, wie m. a. W. dieses Urteil aufzulösen ist in primäre Aussagen, die
von diesen Dingen A, B selbst (und von deren Negationen) unmittelbar
handeln, werden wir später (Ende § 35) erschöpfend darlegen. Dort wird
zu sehen sein, dass dieses Urteil allgemein nur in eine Alternative von
primären Urteilen zerfällbar ist.
Die wirkliche Verneinung, Leugnung einer Aussage hat zum Sub-
jekt (wie Lotze richtig bemerkte) ebendiese Aussage, und zum Prädi-
kate „ungültig, falsch, nicht-wahr“. Subjekt jenes Urteils ε) ist die
Behauptung δ) „A ist B“.
Diese selbst*), und nicht, wie nach Sigwart, die Kopula „ist“
derselben, ist dasjenige, was bestritten, in Abrede gestellt werden soll,
ist der Gegenstand, auf den die Ableugnung sich bezieht, ist zugleich
das „Objekt der Verneinung“.
Es scheint von vornherein eine Verdrehung der wahren Sachlage
zu sein, wenn man für dieses Urteil ε) ein anderes unterzuschieben
[332]Siebente Vorlesung.
sucht — in Gestalt von β) — mit dem Subjekte A! Die Berechtigung
hiezu müsste doch erst nachgewiesen werden.
Wie wir aber bereits die Unmöglichkeit eingesehen haben, wenig-
stens falls A eine(n) Gattung(sbegriff) vorstellt, dies in korrekter
Weise durchzuführen, so lässt sich nun auch obendrein erkennen, dass
die Aussage β) dann einen Widerspruch in sich schliesst.
Mit dem Urteil β) wird beabsichtigt, von dem Subjekte (das ist
unstreitig:) A etwas auszusagen, zu prädiziren. Die hinter diesem
Subjekt stehenden Worte:
ζ) „»ist nicht« B“
geben an, was vom Subjekte A ausgesagt werden soll, sie erscheinen
— wenn man nicht gerade sagen will: als das „Prädikat“ des Satzes
— so doch gewiss: als die „Prädikation“ in demselben.
Unbeschadet des distributiven Charakters des Prädikates kann die Kopula
in dasselbe eingerechnet werden. Schon aus dem Grunde, weil eine Kopula
sehr häufig fehlt, erst in Gedanken zugefügt werden müsste (z. B. auch
sobald ein anderes Verbum, als das Hülfszeitwort „sein“ im Satze auftritt),
wird nicht selten dasjenige, was eigentlich die „Verbindung der Kopula
mit dem Prädikate“ zu nennen wäre, schlechtweg als „Prädikat“ bezeichnet.
Wer schärfer unterscheiden will, mag für diese Verbindung den Ausdruck
„Prädikation“ gebrauchen.
Mit dieser Prädikation ζ) geraten wir nun aber in Widerspruch
mit unserm Prinzip II, in Konflikt mit dem Satze: quidquid de omni-
bus valet, valet etiam de nonnullis et de singulis — den auch die
Gegner unsrer Ausführungen als einen die ganze Logik beherrschenden
Grundsatz ausdrücklich anerkennen.
Es müsste diese Prädikation ζ) sobald das Urteil β) anerkannt
wird, nun auch den sämtlichen Arten und Individuen der Gattung A
zukommen, was im Allgemeinen (wie die Beispiele zeigen) nicht der
Fall ist.
Vom gegnerischen Standpunkt musste als richtig der Satz zugegeben
werden: β0) Alle (Die) Schafe »sind nicht« weiss. Diese Prädikation
„»sind nicht« weiss“ müsste nach dem dictum de omni auch den weissen
unter den Schafen (als einzelnen) zukommen, was widersinnig. Von der
Gattung der Schafe müsste sie ebenso auf deren Arten, auf jede Schaf-
rasse sich übertragen, während es doch sehr wohl eine solche Rasse geben
kann, die nur weisse Schafe enthält.
Ragt der Kreis A nur teilweise in den Kreis B herein, so hätte man
ebenso anzuerkennen: Alle Punkte des Kreises A »sind nicht« im Kreise B
enthalten. Dasselbe aber erschiene damit auch von den in B hineinfallenden
Punkten des A behauptet.
Sagen wir aber: der Kreis A fällt nicht in den Kreis B hinein, so
scheinen wiederum beide Deutungen β) und γ) gleichermassen zulässig zu
[333]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
sein. Das Subjekt ist nunmehr ein Individuum, welches die in ihm ent-
haltenen Punktindividuen Kollektiv — nicht generell — zusammenfasst, und
hier könnte man den erhobenen Einwand nicht mehr vorbringen, denn einen
Grundsatz der Logik, wonach, was von dem Ganzen behauptet wird, un-
bedingt auch von dessen Teilen einzeln gelten müsste, einen solchen Grund-
satz gibt es nicht.
Die obige Argumentation wird hinfällig, wenn ein Schliessen von
allen oder einigen auf einzelne nicht angeht, weil überhaupt nur ein
Individuum vorliegt.
Logisch ist dies der Fall nur beim singulären Urteil, dem Sprach-
gefühl nach mitunter schon, wenn das Subjekt A im Singular steht.
[So kann man namentlich die Sätze β') und β'') passiren lassen,
auch wenn darin das »ist nicht« in Anführungszeichen gesetzt würde,
um so mehr aber ohne diese Verunstaltung, und zwar weil ihr Subjekt
charakterisirt erscheint als ein Individuum — allerdings nicht aus
unsrer ursprünglichen, sondern in der aus ihr „abgeleiteten“ Mannig-
faltigkeit, der Mn. der Punktgebiete, der Klassen. Jedenfalls ist —
im Gegensatz, wie gezeigt, zu β''') — bezüglich jener beiden Sätze zu
erklären, dass sie den sprachlich richtigen Ausdruck für die Verneinung
der entsprechenden Sätze δ'), δ'') vorstellten.]
Durch die Singularform wird in der Regel psychologisch eine Indi-
vidualisirung des Subjektes angeregt. Man mag sich deshalb versucht
fühlen, auch Lotze für sein Beispiel wenigstens zuzustimmen, wenn er das
Urteil: „Der Geist ist nicht Materie“ aufgefasst wissen will als die ver-
neinende Antwort auf die Frage, ob der Geist Materie sei?
Das Urteil tritt zwar in der Form eines „unbestimmten“ Urteils auf,
beansprucht aber unzweifelhaft ein „universales“ in logischer Hinsicht zu sein.
Unrecht muss man Lotze sofort auch für das Beispiel geben, wenn
man — anstatt „Der Geist“ schlechtweg — einmal sagt: „Alle Geister“
oder auch nur: „Jeder Geist“. [Letzteres, obwol in Singularform, bringt
durch das adjektivische Pronomen „Jeder“ sofort die generelle Natur des
Urteils, den Charakter des Subjekts als eine Gattung zum Bewusstsein,
und begründet dadurch eine Ausnahme zu der eben nebenher statuirten
psychologischen Regel.] Es könnten ja — rein logisch betrachtet — auch
einige Geister Materie sein und andere nicht. Da wäre denn die Frage,
ob allgemein der Geist Materie ist, zu verneinen, und dennoch das Urteil:
„Der Geist ist nicht Materie“, mit der gleichen Allgemeinheit hingestellt,
ein ungültiges!
Nun unterscheiden sich aber die beiden Aussagen: „Der Geist ist nicht
Materie“ (so, wie diese verstanden werden sollte) und „Jeder Geist ist
nicht Materie“ (oder: Kein Geist ist Materie) logisch überhaupt nicht. Sie
unterscheiden sich nur psychologisch, insofern die Mehrdeutigkeit des Sub-
jekts bei der erstern dem Bewusstsein entschwunden ist.
Man erkennt hier überhaupt die psychologische oder subjektive Be-
dingung dafür, dass man Kant's Benennungsweise, Lotze's und Sig-
[334]Siebente Vorlesung.
wart's Theorie der verneinenden Urteile zustimmen könne: sie besteht
darin, dass man vollständig ausser Acht lasse oder vergesse, dass das Sub-
jekt der zu verneinenden Urteile eine Mehrheit von Bedeutungen umfassen
kann oder umfasst.
Von rechtswegen hätte diese Theorie zum wenigsten auf die singu-
lären Urteile ausdrücklich beschränkt werden müssen.
Da bei den generellen Urteilen nun nichts übrig bleibt, als zu der
Deutung γ) für ihre Verneinung die Zuflucht zu nehmen, und wir bei
den singulären Urteilen zwischen den Deutungen β) und γ) die Wahl
hatten, so werden wir im Interesse der Einheitlichkeit des Verfahrens, um
eine allgemeine Theorie zu ermöglichen, auch bei den letzteren der
Deutung γ) den Vorzug zu geben haben.
Für die Algebra der Logik liesse sich noch ein weiterer Grund geltend
machen, ganz und gar, auch bei den singulären Urteilen, nicht nur die
Auslegung, die wir mittelst β) dem Urteil α) gaben, sondern diese Aus-
drucksweise β) selbst: „A »ist nicht« B“ zu verwerfen.
Dieser stellt sich dar als eine Folge oder Wirkung der hier (im
Gegensatz zur Sprache des gemeinen Lebens) vollzogenen Zuziehung der Null.
Die Null — haben wir gesehen — ist in jeder Klasse mitenthalten;
sie ist Subjekt zu jedem Prädikate. Hier muss gelten: Das Nichts ist ein B
(in B enthalten), und zugleich auch: Das Nichts ist ein Nicht-B (in Nicht-B
mitenthalten) — was nebenbei gesagt durchaus keinen Widerspruch bildet,
obwol die Klassen B und Nicht-B einander ausschliessen, indem sie gerade
eben Nichts gemein haben.
Zugleich mit der Klasse A, zu der das Nichts mitgehört, zu der es
quasi sich mit herandrängt, von der es nicht ausgeschlossen werden kann,
würde nun im Urteil β) die Prädikation ζ) „»ist nicht« ein B“ auch dem
Nichts zugesprochen erscheinen. Wir würden so auf die Anerkennung des
Satzes geführt: „Das Nichts »ist nicht« ein B“, welcher seinerseits zu
verstehen war als die Inabredestellung des Urteils: „Das Nichts ist ein B“.
Das letztere unbedingt anzuerkennen waren wir aber durch die Konsequenz
verpflichtet — daher ein Widerspruch!
Für die Sprache des gemeinen Lebens wäre, wie schon angedeutet,
diese Überlegung nicht maassgebend, weil diese in ihren Urteilsbildungen,
wie anderwärts ausgeführt, das Nichts gemeinhin vorweg ausschliesst (prä-
kludirt). In der exakten Logik aber dürfen (resp. müssen) wir jedes Urteil
der Form β) für falsch erklären. Die Verneinungspartikel mit Sigwart
auf die Kopula zu beziehen ist dann hier überhaupt nicht angängig.
So wenigstens, wenn der Grundsatz „quidquid de omnibus valet, valet
etiam de singulis“ für alle Prädikationen, welche die Wortsprache auszu-
drücken vermag, wirklich für „quidquid valet“, für alles, was gültig aus-
gesagt werden kann, soll aufrecht erhalten werden. Denn unter diesen
Einzelnen („singuli“) figurirt hier auch das Nichts, wenngleich wir das-
selbe sonst freilich nicht als ein „Individuum (im engeren Sinne)“ der
Subjektklasse gelten lassen werden.
Ich gebe zu, dass dieser vorstehenden Argumentation kein grosses
[335]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Gewicht beizulegen ist. Ob man sich ihr anschliessen will, bleibt in ge-
wissem Grade Geschmackssache. Man kann auch den Standpunkt ein-
nehmen (wie wir ohnehin, bei unsrer Fassung des Prinzipes II, es thun),
dass man die Gültigkeit des Grundsatzes „quidquid valet etc.“ einschränkt
auf solche Prädikationen, welche als wirkliche (und demnach selbstverständ-
lich bejahend auftretende) Subsumtion unter eine (wenn auch vielleicht als
Negation einer andern sich darstellende) Prädikatklasse erscheinen.
Ich meine jedoch, dass es nicht angezeigt ist, ganz unnötigerweise
und sozusagen gewaltsam, in Gestalt der (wie mich dünkt absonderlichen)
Satzform: A »ist nicht« B, solche Prädikationen in die Wortsprache ein-
zuführen, welche, indem sie einer Klasse A gültig zugesprochen werden,
gleichwol nicht allem Dem zukommen können, was unter dieser Klasse A
mitenthalten ist.
Unsre Ergebnisse sind also folgende.
Die herrschende Terminologie ist wesentlich im Rechte. Ihre
„verneinenden“ Urteile sind negativ prädizirende. Die Verneinungspartikel
im verneinenden Urteil gehört zum Prädikate, und in seiner Polemik
gegen Kant ist Lotze im Unrechte.
Mit Kant aber diese Urteile als „limitative“ abweichend zu be-
nennen ist überflüssig. Denn die nach Kant-Lotze-Sigwart's Theorie
als »verneinende« hingestellten Urteile können allgemein als diese
jedenfalls nicht gelten und sie brauchen — was sich empfiehlt — als
besondere Urteilsformen der Wortsprache (und in der Logik als pri-
märe Urteile) überhaupt nicht anerkannt zu werden.
Dieselben sind verneinende, d. h. nun also negativ prädizirende
Urteile über ein Urteil, welches ihr Subjekt und zugleich das Objekt
der Verneinung ist. Allgemein ist es nicht möglich, dieselben darzu-
stellen in Gestalt eines Urteils, welches das Subjekt dieses Subjektes
zum Subjekte hätte. Die exakte Logik wird vielmehr diese sekun-
dären Urteile, diese „Urteilsverneinungen“ auflösen in eine Alternative
von primären Urteilen.
Noch bleibt der Einwurf Lotze's zu widerlegen, wenn unsrer Prädi-
katklasse B ein Begriff zugeordnet ist, der (als seinen Inhalt) bestimmte
Merkmale in sich zusammenfasst, dass es zumeist nicht möglich sei, mit
der Negation der Klasse, mit (Kant's und) unserm „Nicht-B“, dem „wider-
sinnigen Erzeugniss des Schulwitzes“ einen Begriff zu verbinden.
Darauf ist zu bemerken, erstens, dass wenn dem so ist oder wäre, es
nichts zu bedeuten hätte. Das thut nichts!
Der Sinn, den wir Aussagen, wie:
Alle A sind nicht B, Einige A sind nicht B, wirklich beizulegen
haben, ist, wie wir gesehen haben, ein solcher, dass die „Prädikation“,
nicht-B zu sein, sich ganz in gleicher Weise von den omnes auf die non-
nulli und die singuli (von allen auf einige und die einzelnen, ja sogar auf
das Nichts mit) überträgt, wie eine Prädikation, B zu sein.
Weil sonach jene Prädikation „nicht- B“ zu sein, den distributiven Cha-
rakter mit jedem wirklichem Prädikate gemein hat, weil sie die funda-
mentale Eigenschaft besitzt, auf eine Mehrheit generell angewendet allemal
dem Prinzip II gemäss sich auf die Glieder derselben zu verteilen, so
müssten wir schon aus rein äusserlichen Zweckmässigkeitsrücksichten —
um eine gemeinschaftliche Behandlung solcher Prädikation mit den wirk-
lichen Prädikaten (mit Prädikatbegriffen) zu ermöglichen — dazu schreiten,
den Begriff des Prädikats zu erweitern. Wir müssten uns dadurch be-
stimmen lassen, jenes „nicht-B“ — sei es auch als ein fiktives, „uneigent-
liches“ Prädikat, d. h. im Grunde blosse Redensart — doch als „Prädikat
im weitern Sinne“ mit zuzulassen; jene wären also unter die „Prädikate“
mitaufzunehmen, und zwar, wenn auch weiter gar nichts darunter zu
denken wäre.
Letzteres ist aber noch obendrein nicht der Fall. Denn zweitens ist
nicht der geringste Anlass oder gar zwingende Grund vorhanden, den Be-
griff des Merkmals so enge zu fassen, wie es bei Lotze's Argumentation
anscheinend geschieht. [Vergl. γ3) unsrer Einleitung.]
Wir erinnern an die grosse Allgemeinheit mit welcher der Begriff des
Merkmals hier stets aufgefasst werden sollte und auch sonst immer auf-
gefasst wird. Merkmal eines Dinges oder isolirbaren Objekts des Denkens
war alles zu nennen, was von dem Dinge (oder in Bezug auf dasselbe)
wahrheitsgemäss ausgesagt werden kann.
Solches konnte sogar bestehen in einer Beziehung des Dinges zu uns
selbst als der mittelbaren Folge einer z. B. willkürlich von uns hergestellten
Beziehung unsrer selbst zu diesem. Wenn ich — beispielsweise — in
einen Laden trete um gewisse Dinge zu kaufen, so muss es — während
meiner Verhandlungen mit dem Kaufmann, der Besichtigung der Waren
ev. dem Feilschen um den Preis — als ein Merkmal gewisser von den
Waren gelten, dass ich sie kaufen will, im Gegensatz zu den übrigen,
die ich nicht kaufen will. Habe ich jene gekauft, so ist es wiederum ein
Merkmal derselben, dass sie in meinen Besitz oder Eigentum übergegangen.
Der Kaufmann wird, um dieses Merkmal festzuhalten, sie beiseite legen,
meine Adresse auf das Paket schreiben, etc., wofern er nicht, falls die
[Gegenstände] schwer beweglich sind, sie gar mit Kreidestrich versieht, das
„Merkmal“ sichtbar zu machen. Das gleiche würde der Kaufmann vielmehr
bei den nicht-gekauften Waren thun, falls ich etwa beinah den ganzen
Laden ausgekauft hätte. Die gekauften Waren sind diejenigen, die nicht
dem Kaufmann verbleiben; die nicht gekauften diejenigen, die ich ihm
lassen will; das eine ist sogut ein Merkmal wie das andre, und kann
auch, wie man sieht, nach Belieben positiv oder negativ ausgedrückt werden.
Wer je versuchen sollte, etwa die Maxime: „Sooft du im Zweifel bist,
ob du etwas thun sollst oder nicht, so unterlass' es!“ im praktischen Leben
zu befolgen, wird bald gewahr werden, wie oft ihn dieser Rat im Stiche
lässt, indem, was unter einem Gesichtspunkt als ein Thun erscheint, sich
unter einem andern als ein Unterlassen darstellt, sowie umgekehrt. So z. B.
bei der Frage: Soll ich Herrn N grüssen?, oder soll ich ihn „schneiden“?
Auch „Abwesenheit“, „Nichtvorhandensein“, „Fehlen“ oder „Mangel“
eines bestimmten Merkmals oder einer Merkmalgruppe ist wiederum als
[337]§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
ein Merkmal und damit auch als ein Begriff anzuerkennen, wie denn auch
die Sprache dafür die soeben angeführten abstrakten Begriffswörter und
überhaupt — vor allem in Gestalt der mit der Vorsilbe „un-“ zusammen-
gesetzten Beiwörter und Hauptwörter — eine Unmasse von Benennungen hat.
Es ist ein Merkmal des Schalles, Tons oder Klanges z. B., dass er
der Farbe (im eigentlichen, nicht im übertragenen Sinne) entbehrt, dass er
überhaupt nicht auf den Gesichtssinn wirkt. Wir erblicken darin eine Ver-
schiedenheit, einen Gegensatz, Kontrast desselben z. B. mit dem Bilde des
Spektrums. Soll auch „Kontrast“ nicht als ein Merkmal gelten?
Warum, frage ich — um noch ein Beispiel zu nehmen — warum soll
es nicht ein Merkmal für die Katze der Insel Man („Manxcat“) genannt
werden, dass sie keinen Schwanz besitzt? Mir scheint es für die Katzen
dieser Rasse noch ein wichtigeres Merkmal zu sein, dass sie keinen, als
für die übrigen Katzen, dass sie einen Schwanz jeweils besitzen.
Wer sich diesem zuzustimmen weigerte, müsste vor allem ein unfehl-
bares, vom sprachlichen Ausdruck unabhüngiges Kennzeichen aufstellen, wo-
nach über die „positive“ Natur eines Merkmals zu entscheiden wäre, z. B.
sich ergeben würde, ob parallel oder schneidend, ob gesund oder krank,
nützlich oder schädlich, frei oder gebunden, vorwärts oder rückwärts, gleich
oder verschieden, etc. das positive (Beziehungs-) Merkmal.
Sofern wir die Klasse „Mensch“ als eine wohldefinirte anzusehen ver-
mögen, glauben wir mit dem Begriffe „Mensch“ ein Mittel zu besitzen,
Alles, was (ein) Mensch ist, zu unterscheiden von allem Erdenklichen, was
es nicht ist. Diese Unterscheidung ist eine gegenseitige. Im ferneren
Besitze des fundamentalen Begriffs der Verneinung, „begreifen“ wir damit
auch, was es heisst, wenn sich die für den „Menschen“ charakteristische
Merkmalgruppe an einem Objekt des Denkens nicht, oder nicht vollständig,
vorfinden sollte. Wir haben damit von selbst auch den „Begriff“: „Nicht-
Mensch“, und haben es gar nicht nötig, nach weiteren gemeinsamen Merk-
malen „von Dreieck, Wehmut und Schwefelsäure etc.“ noch besonders zu
suchen, indem das Nichtzutreffen jener bestimmten Merkmalgruppe als
Merkmal völlig genügt, um den Begriff „Nicht-Mensch“ zu charakterisiren
und (kraft des in Gestalt dieses Merkmals in uns wirksamen Prinzips) die
Klasse „Nicht-mensch“ zu einer genau ebenso wohldefinirten Klasse zu
machen, als die Klasse „Mensch“ es war. Vergl. γ3) der Einleitung.
Auch wer die Existenz eines Inhaltes zu dem angeblichen Begriffe
Nichtmensch leugnet, indem er bei einer engeren, doktrinären, Auffassung
des „Begriffes“ verharrt, wird aber wenigstens zugeben müssen, dass ein
„Umfang“ zu diesem streitigen Begriffe in Gestalt der Klasse wirklich
vorhanden ist (S. 99), dass der Begriff mindestens „dem Umfange nach“
existirt — und dies genügt für eine Logik des Umfanges!
Allerdings muss die Mannigfaltigkeit unsrer Denkobjekte, damit
in ihr der Negationsbegriff aufstellbar ist, gewisse Anforderungen*)
Schröder, Algebra der Logik. 22
[338]Siebente Vorlesung.
erfüllen, an die indess noch niemand gedacht zu haben scheint, welche
zu formuliren jedenfalls die Philosophen gänzlich unterlassen haben (an
die auch Lotze's Ausstellungen nicht entfernt streifen). Bei der Fort-
setzung der Theorie werden wir diese Anforderungen zu statuiren haben.
Die zweite der eingangs erwähnten Redensarten lautet:
η) „A ist B oder C“.
Auch hier macht es einen grossen Unterschied, ob wir die Partikel
„oder“ mit auf die Kopula beziehen, oder ob wir sie blos auf die
beiden Ausdrücke beziehen, die sie, anscheinend im Prädikate, unmittel-
bar verknüpft, m. a. W. ob wir als Glieder der Alternative ansehen
wollen: die durch distributive Verwendung der Kopula entstehenden
beiden Prädikationen „ist B“ und „ist C“, oder aber blos: die Klassen-
terme „B“ und „C“.
Im erstern Falle haben wir in Gestalt von:
ein wirklich „disjunktives“ Urteil vor uns (falls nämlich die Glieder
der Disjunktion einander ausschliessen). Dieses Urteil stellt eine Aus-
sage (A ist B) als abhängig hin von einer andern (A ist C), genauer
gesagt: es macht die beiden Aussagen von einander abhängig. Ent-
weder es gilt die eine, oder es gilt die andere, oder also vielleicht
auch beide zugleich — so wenigstens bei der für uns hier maass-
gebenden Auffassung.*)
Als ein sekundäres Urteil vermögen wir dieses in unsrer bis-
herigen Formelsprache noch keineswegs auszudrücken; vielmehr muss
das dem Aussagenkalkul vorbehalten bleiben.
Da in η) die Worte „ist“ und „oder“ durch das eine, B, der beiden
Prädikate B und C getrennt erscheinen, so könnten sie auch nicht durch
eine Klammer auf der Zeile zusammengeschlossen werden, und bleibt zur
deutlichen Charakterisirung der hier geforderten Auslegung, wenn man
nicht eigene Ein- und Auslösungszeichen einführen will, nichts übrig, als
eben so, wie es in der zweiten Fassung von ϑ) geschah, die Kopula „ist“
hinter der Konjunktion „oder“ zu wiederholen.
Im zweiten Falle haben wir in Gestalt von:
ι) „A ist »B oder C«“
einfach ein kategorisches Urteil vor uns, kein disjunktives. Während
[339]§ 15. Disjunktive Urteile von disjunktiv prädizirenden zu unterscheiden.
vorhin B und C zwei gesonderte Prädikate waren, hat das vorliegende
Urteil nur ein Prädikat: »B oder C«, welches aber aus zwei Klassen
B und C mittelst der Konjunktion „oder“ zusammengesetzt erscheint,
somit einen (von Jevons so genannten) „pluralen Term“ vorstellt.
Man könnte auch in Gestalt eines sog. „divisiven“ Urteils sagen: Die A
sind teils B, teils C.
Diesmal genügte die Klammer, oder das sie vertretende Anführungs-
zeichen, zur deutlichen Charakterisirung der für die Aussage η) hier ge-
forderten Auffassung. Sofern es nun lediglich darauf ankommt, einer Ver-
wechselung der beiden Auffassungen ϑ) und ι) des Urteils η) vorzubeugen,
so lässt sich dieser Zweck erreichen, indem wir etwa die Vorschrift be-
obachteten, im zweiten Falle allemal die Anführungszeichen » « zu setzen,
im ersten sie fortzulassen. Alles in allem genommen würde also in dieser
Frage mit dem Institut der Klammern doch auszukommen sein.
Im Gegensatz zu den (eigentlich) „disjunktiven“ ϑ) sind Urteile
von der Form ι) nur als „disjunktiv prädizirende“ zu bezeichnen.
Beide Urteile ϑ) und ι) geben denselben Sinn, decken sich oder
sind logisch äquivalent, das eine folgt jedesmal mit aus dem andern
(und umgekehrt) falls sie sich als singuläre Urteile darstellen, sobald
nämlich das Subjekt A derselben ein Individuum bezeichnet. (Und
dieser Umstand bildet dann eine Prämisse, welche auch unerlässlich
ist, damit man die erwähnte Folgerung ziehen dürfe.)
Stellen dagegen unsre Urteile sich als generelle dar, genauer: be-
deutet ihr Subjekt A eine Klasse oder Gattung, so geben sie ver-
schiedenen Sinn, und zwar sagt das disjunktive Urteil ϑ) entschieden
mehr aus als das disjunktiv prädizirende ι), indem es unfehlbar auch
die Gültigkeit des letzteren nach sich zieht, wogegen das disjunktiv
prädizirende Urteil ι) alsdann nicht aufgebrochen werden darf in ein
disjunktives ϑ).
Ist in der That ein Punkt A enthalten im Gebiete »B oder C« (d. i.
in dem aus den Kreisen B und C zusammengesetzten Gebiete B + C, dem
Inbegriff, der Gesamtheit jener Gebiete), so ist notwendig er entweder ent-
halten im Gebiete B, oder aber im Gebiete C, oder vielleicht auch (falls
diese einander nicht ausschlossen) in beiden Gebieten zugleich, d. h. es
gilt dann: Entweder ist A in B enthalten oder es ist A in C enthalten.
Desgleichen selbstverständlich auch umgekehrt: Gilt letzteres, so ist der
Punkt A gewiss auch im Gebiete »B oder C« enthalten.
Der Punkt konnte ja nicht teilweise dem einen, teilweise dem andern
Gebiet angehören, da er eben unteilbar ist.
Anders, wenn dem Gebiet A eine Ausdehnung zukommt.
Ist es nach ϑ) richtig, dass ein solches A entweder ganz in B hinein-
fällt, oder dass es ganz in C hineinfällt, so wird es damit auch in »B
oder C« hineinfallen, d. h. es gilt alsdann auch wieder ι).
Dagegen ist der umgekehrte Schluss jetzt nicht mehr zulässig. Wenn ι)
gilt, so kann dies auch so geschehen, dass A zu einem Teile in den Kreis B
zum andern in C hineinfällt; es gilt dann das disjunktiv prädizirende
Urteil ι): A ist in »B oder C« enthalten, und gleichwol gilt das disjunk-
tive Urteil ϑ) nicht, indem weder A in B noch A in C (schlechtweg, d. h.
ganz) enthalten sein wird.
Und so verhält es sich nun auch, falls A eine Klasse, ein Gattungs-
begriff sein sollte.
Zugegeben etwa, dass es blos weisse und schwarze Schafe gebe. Als-
dann ist das disjunktive Urteil:
ϑ) Entweder sind alle Schafe weiss, oder sie sind schwarz, offenbar
unrichtig; das Gegenteil vielmehr:
Weder sind alle Schafe weiss, noch sind sie alle schwarz, ist richtig.
Das disjunktiv prädizirende Urteil dagegen ist richtig, und zwar gibt
ihm die Sprache (ohne Anwendung von besondern Anführungszeichen) den
Ausdruck:
ι) Alle Schafe sind (entweder) weiss(e) oder schwarz(e).
Dass unser Urteil, wie in diesem Beispiele, ein universales, sowie dass
die Glieder B und C der Alternative einander ausschliessen, erscheint dabei
als nebensächlich. Das gleiche gilt, falls es partikular, sowie falls B und C
ein Gebiet gemein haben.
Im Hinblick darauf z. B., dass westafrikanische Schafe der Wolle ent-
behren und unter diesen sich auch schwarze finden mögen, können wir sagen:
ι) Einige Schafe sind schwarz oder ohne Wollhaare, und niemand wird
diesen Satz als das disjunktive Urteil verstehen:
ϑ) Entweder einige Schafe sind schwarz, oder einige Schafe (dieselben)
entbehren der Wollhaare.
Und auch, wenn das generelle Urteil sich im Subjekt des Ausdrucks
„Jedes A“, „Manches A“ bedienen, sowie wenn es in der sprachlichen Aus-
drucksform des „unbestimmten“ Urteils sich darstellen sollte, gilt ein gleiches.
Sagen wir:
(Die) Milch ist entweder gefälscht oder unverfälscht (echt), so ist das
Urteil wesentlich ein universales, es will von „jeder“ oder „aller“ Milch gelten.
Dasselbe Urteil aber würde wieder nur im Sinne von ι) als disjunktiv
prädizirendes zu verstehen sein und unzweifelhaft auch verstanden werden.
Das entsprechende disjunktive Urteil
ϑ) Entweder ist alle Milch gefälscht, oder alle Milch ist echt,
wäre abermals sowol als Deutung jenes Urteils, wie auch an sich zu ver-
werfen.
Die bisherige Logik scheint mir nun zwischen den beiden Arten
von Urteilen, den disjunktiven (die sie den kategorischen gegenüber-
stellt) und den disjunktiv prädizirenden (welche unter die kategorischen
fallen) nicht hinlänglich unterschieden zu haben.
Die von ihr so genannten disjunktiven Urteile sind, wie aus dem
vorstehenden erhellt, in der Regel disjunktiv prädizirende. Jedenfalls
werden wir es zunächst (bis zum Aussagenkalkul) nur mit den letzteren
[341]§ 15. Disjunktive Urteile von disjunktiv prädizirenden zu unterscheiden.
zu thun haben. Blos, wo sie singulär sind, erscheinen beide Auf-
fassungen gleichermassen zulässig.
Im Hinblick auf den Umstand, dass bei diesen Urteilen die Glieder
der Disjunktion schon vielfach in der Sprache des gemeinen Lebens,
desgleichen bei den in unsrer Theorie mit zuzulassenden Urteilen ein-
ander nicht notwendig auszuschliessen brauchen, dürfte es als ange-
messener erscheinen, das Wort „disjunktiv“ durchweg durch ein anderes,
etwa durch „alternativ“ zu ersetzen.
Anmerkung. Im Hinblick auf das unter η) Gesagte könnte man
auf die Vermutung kommen, als ob ähnlich auch das Urteil:
ϰ) A oder B ist C,
in welchem das Bindewort „oder“ anscheinend im Subjekt des Satzes
auftritt, zweierlei Deutungsmöglichkeiten darböte.
Bei korrekter Handhabung der Sprache ist dies nicht der Fall.
Das Urteil ist unter allen Umständen ein sekundäres, in Wirklichkeit
disjunktives, welches die zwei Urteile „A ist C“ und „B ist C“ der-
art von einander abhängig hinstellt, dass mindestens das eine derselben
gelten muss: Entweder A ist C, oder aber B ist C, oder auch (bei
der für uns maassgebenden Auffassung des „oder“) beide, A und B,
sind C. Zu seiner Darstellung in der Formelsprache wird auch dieses
Urteil des Aussagenkalkuls bedürfen.
Dagegen würde ein Urteil
λ) » A oder B « ist C
auszudrücken haben, dass das Gebiet A + B, der Inbegriff der Klassen A
und B in C enthalten ist, demnach sowol A als B selber sich unter C
subsumirt. Bereits unter ι) des § 8 haben wir darauf aufmerksam ge-
macht, dass aber das Pluszeichen des identischen Kalkuls im Subjekte mit
„und“ zu übersetzen ist, und hätte darnach in der Wortsprache der Sach-
verhalt, anstatt durch λ) nur durch das Urteil
μ) A und B ist C
ausgedrückt werden dürfen, wo Verwechselungen alsdann ausgeschlossen
erscheinen.
Die in diesem Paragraphen besprochenen Urteilsformen lassen
erkennen, dass es — wie schon Jevons betont — oft einen Unter-
schied macht, ob man von einer Klasse spricht, oder ob von den in
ihr enthaltenen Individuen. Will man von Klassen reden — wie wir
es bis zur Erledigung der wissenschaftlichen Definition des Individuums
durchweg vorhaben — so müssen disjunktiv (resp. alternativ) prädi-
zirende Urteile von den disjunktiven (resp. alternativen) und negativ
prädizirende Urteile von den Urteilsverneinungen sorgfältig unter-
schieden werden. —
Die Übertragung der bisherigen Begriffe und Sätze von den Ge-
bieten einer Mannigfaltigkeit 1 von Punkten auf die Klassen einer
Mannigfaltigkeit von Individuen unterliegt keiner innern Schwierigkeit,
wenn nur ebendiese Mannigfaltigkeit wieder die beiden Grundeigen-
schaften besitzt: erstens als ein Ganzes 1 denkbar zu sein, d. h. nur
miteinander verträgliche Elemente als Individuen zu enthalten („kon-
sistente“ Mn. — vergl. § 7) und zweitens eine „reine“ Mn. zu sein, so-
mit unter ihren Individuen nicht auch Klassen von solchen Individuen
(nebst vielleicht noch anderem) zu enthalten, und demzufolge die Ad-
jungirung einer einheitlichen Null zuzulassen [vergl. § 9, ψ, χ)].
Diese beiden Anforderungen aber, vereinbar und rein zu sein, wer-
den sich für die Existenz, für die Möglichkeit der Bildung, eines
Negationsbegriffes nicht nur als hinreichende, sondern auch als uner-
lässliche, notwendige Bedingungen demnächst erweisen.
Aus der Mannigfaltigkeit des Denkmöglichen überhaupt denken
wir uns eine Mn. der verlangten Art als eine wohldefinirte Klasse
hervorgehoben und bezeichnen dieselbe fortan kurz als eine „gewöhn-
liche Mannigfaltigkeit“.
Die Elemente oder Individuen derselben müssen, wie gesagt, ein-
ander gegenseitig ausschliessen, in dem Sinne, dass zwar wohl ein In-
dividuum zugleich Teil*) oder Eigenschaft, Thätigkeit, Merkmal eines
andern, desgleichen sogar eine Beziehung zwischen andern, aber nicht
eine Bedeutung desselben sein darf, das andre nicht etwa eine das erste
mitumfassende Klasse sei. Und ferner müssen diese Individuen ver-
einbar, d. i. gleichzeitig denkmögliche sein, es dürfen keine zwei ein-
[343]§ 16. Gewöhnliche Mannigfaltigkeit.
ander ausschliessen in dem Sinne, dass sie beide zusammen zu denken
einen Widerspruch involviren würde.*)
Unter diesen Umständen, wissen wir bereits, ist es zulässig, eine
Klasse O zu fingiren, welche allen aus der Mn. hervorhebbaren Klassen
a gegenüber jene von der Def. (2×) geforderte Eigenschaft besitzt, dass
nämlich O ⋹ a sei, und diese Klasse ist die leere, welche die Rolle
des „Nichts“ für diese, in dieser Mn. spielt.
Und ferner gibt es dann auch eine Klasse 1, welche diesen Klassen
gegenüber die Forderung der Def. (2+) erfüllt, dass a ⋹ 1 stets ist,
und dies ist die Mn. selbst als die umfassendste der in ihr enthal-
tenen Klassen.
Alsdann auch ist es möglich, die Individuen irgend einer ge-
gebenen Klasse a aus der Mn. fortzulassen, und die übrig bleibenden
Individuen derselben wiederum zu einer Klasse zusammenzufassen
(für welche O zu nehmen ist, wenn keine übrig bleiben sollten).
Wir haben damit die ausreichenden Grundlagen zur Bildung eines
Negationsbegriffes: die Negation ā oder a1 von a wird die bei dem
geschilderten Prozess resultirende Klasse sein.
Wir nennen diese Klasse nicht-a, non-a, die Negation, auch das
kontradiktorische Gegenteil der Klasse a in Bezug auf die zugrunde liegend
gedachte Mannigfaltigkeit, welche letztere indess in der Regel durch den
Gegenstand der Untersuchung oder die Natur der anzustellenden Über-
[344]Achte Vorlesung.
legungen von vornherein bestimmt ist, als ein für allemal gegeben
erscheint, woneben es, andernfalles, meist als belanglos sich erweist,
ob sie mehr oder minder enge begrenzt wird — woraus sich erklärt,
weshalb sie nicht weiter erwähnt zu werden pflegt.
Wir übertragen auch diese Benennungen auf die den Klassen a
und a1 (oder ā) möglicherweise zugeordneten Begriffe.
Als Beispiele haben wir bereits im vorigen Paragraphen die Nega-
tionen „nicht-schwarz“ und Nichtkombattant“ besprochen. Der letztere Be-
griff umfasst z. B. die Pionire, Trainsoldaten, Regimentshandwerker, Laza-
retgehülfen, Ärzte, Auditoren und Geistlichen die am Feldzug teilnehmen
oder zur Armee gehören, und lassen die Beispiele erkennen, dass in der
That der Negationsbegriff auf eine bestimmt abgegrenzte Mn. gemeinhin
bezogen wird.
In der Unbestimmtheit jener beim Negiren eines Begriffes zu-
grunde zu legenden Mannigfaltigkeit, welche als eine demselben (nicht
immer gerade „nächst-“) übergeordnete Gattung ausfindig zu machen
die Sprache gewöhnlich dem Sprachgefühl des Einzelnen überlässt,
liegt nun allerdings eine Schwierigkeit, mit welcher die Theorie sich
abzufinden hat. In praktischer Hinsicht ist diese Schwierigkeit minder
erheblich, da man bei der angewandten Logik, in den Wissenschaften,
doch allemal nur zu thun hat mit Objekten einer bestimmten Gattung,
mit den Dingen, welche eben dem Felde der Untersuchung angehören.
Fühlbarer macht sie sich auf dem Gebiete der reinen Logik, die sich
ja nach Möglichkeit erstrecken sollte über alles Erdenkliche.
Behufs Erzielung einer möglichst unumschränkten Anwendbarkeit
unsres Kalkuls wird es sich empfehlen, die beim Negiren zugrunde
zu legende Mannigfaltigkeit thunlichst weit zu fassen. Auf die Art,
wie dies sich erreichen lässt, gehen wir nachher (am Schluss des
Paragraphen) ein.
Einstweilen sei nur auf folgendes hingewiesen. Ausser beim Prädi-
ziren kommt die Verneinungspartikel „nicht“ am häufigsten in Verbindung
mit Adjektiven (oder deren Substantivirung) vor, und wird hier nicht
selten durch die mit dem griechischen Alpha privativum entsprechende
Vorsilbe „un-“ vertreten. Z. B. „möglich“, „unmöglich“ = nicht-möglich,
„Unmöglichkeit“.
Durch die letztere pflegt aber noch bestimmter als bei Anwendung
der Partikel „nicht“, auf ein bestimmtes genus proximum des dem
negirten Adjektiv entsprechenden Begriffes hingewiesen zu werden, sodass
man die beiden Ausdrucksformen nicht unbedingt für gleichbedeutend er-
klären darf. Z. B. von „durchsichtig“ oder „undurchsichtig“ zu sprechen,
werden wir nur Anlass haben, wo von körperlichen Dingen die Rede ist.
Bei der Bildung des Negationsbegriffs der „Undurchsichtigkeit“ wird des-
halb auf die Mannigfaltigkeit der Körperwelt (resp. ihrer Merkmale) Bezug
[345]§ 16. Deutung der Negation für Klassen.
genommen, reflektirt. Die Frage, ob Geister durchsichtig seien (Drobisch)
wird allgemein zu verneinen sein; aus dem genannten Grunde dürfen sie
aber doch nicht „undurchsichtig“ genannt werden. Logisch korrekt bleibt
die Antwort: „Geister sind nicht-durchsichtig“, wo dann mit der Negation
Bezug genommen ist auf eine hinreichend umfassende Mannigfaltigkeit,
welche neben dem Sichtbaren, der Körperwelt auch mindestens die Geister,
und (nach Belieben) anderes mehr, umfasst.
Mit Denknotwendigkeit gelten nun die Gleichungen:
30×) a ā = 0, 30+) a + ā = 1, 31) ā̄ = a,
sowie
0̄ = 1 und 1̄ = 0.
Zunächst die beiden letzteren geben uns (für Klassen gedeutet) die
Sätze: Nicht-nichts ist etwas — eine Klasse, die, wie wir gesehen haben,
Alles überhaupt (innerhalb der Mn.) Denkbare umfasst. Und Nicht-
etwas ist nichts.
So unumschränkt diese Sätze auch zu gelten scheinen (zufolge unsrer
Gewöhnung, mit unsern Überlegungen uns immer nur innerhalb einer „ge-
wöhnlichen“ Mn. zu bewegen), dürfen wir doch schon bei ihnen nicht ausser
Acht lassen, dass für eine völlig offene Mn., für die „absolute“ Mannig-
faltigkeit des überhaupt zu denken Möglichen, dieselben keine Geltung
haben werden, indem für sie — wie in § 9, ψ) gezeigt — ein einheitliches,
ein „absolutes Nichts“ undenkbar ist. Schon durch seine blosse Benennung
und Einführung, durch seine Adjungirung zu einem Teile der absoluten
Mn. wurde das Nichts zu einem Individuum gestempelt, „individualisirt“
für andere Teilmannigfaltigkeiten derselben. Das Nichts in Bezug auf eine
gewöhnliche Mn. z. B. war allemal ein Individuum in Bezug auf die aus
dieser „abgeleitete“ Mn.: das Nichts der Grössenlehre war ein Individuum
in der Klasse der Zahlen (die arithmetische 0), die Null des identischen
Kalkuls ein Individuum in der Klasse der Gebiete oder in der Mn. der
Klassen. Sie wurde selbst ja zu einem Gebiete, zu einer Klasse. Über-
haupt ist „Nichts“ immer ein Individuum in der Klasse der Eigennamen
sowie der Namen schlechtweg, der Worte und der Symbole, eventuell der
Vorstellungen, Gedankendinge oder Erfindungen des Menschen. Jedermann
wird die Behauptung zugeben: Nichts ist etwas, wovon man reden, „etwas“,
worüber man verschiedener Meinung sein und streiten kann. Es existirt
also schon der obige Gegensatz zwischen „nichts“ und „etwas“ in der ab-
soluten Mn. nicht.
[Es könnte eingewendet werden, dass wir hier von „Nichts“ immer
nur in der suppositio nominalis gesprochen vergl. ξ1) der Einleitung, S. 44 —
von „dem Nichts“, als dem Worte, ev. der Vorstellung des Nichts, aber
nicht von der Sache, nicht von ebendiesen in der suppositio realis oder im
Hinblick auf seine Bedeutung genommen, nicht wirklich von nichts. Allein
im letztern Sinn kann davon überhaupt nicht gesprochen werden, man müsste
denn schweigen.]
Die Gleichung 30×) a a1 = 0 sagt nun aus: Es gibt nichts, was
zugleich (und im selben Sinne) a und nicht-a ist.
Z. B. Nichts ist schwarz und zugleich auch nicht schwarz. Ein
Subjekt auch, dem die Prädikate „schwarz“ und „nicht-schwarz“ gleich-
zeitig zukommen sollten, muss „nichts“ sein.
Die Gleichung erscheint als der konziseste Ausdruck für den „Satz
des Widerspruchs“, das principium contradictionis der alten Logik — zu-
nächst hier mit der Beschränkung auf Klassen und Begriffsumfänge.
Aristoteles in seiner Metaphysik formulirt den Satz so (vergl. Sig-
wart1 p. 145): Es ist unmöglich, dass dasselbe demselben in derselben Be-
ziehung zugleich zukomme und nicht zukomme … und sagt weiter: Dies ist
der allergewisseste Grundsatz …, denn es ist unmöglich, dass irgend je-
mand annehme, dasselbe sei und sei nicht … Jedermann, der einen Be-
weis führt, führt ihn deshalb auf diesen Satz als letzten zurück; denn er
ist von Natur das Prinzip auch für alle andern Axiome.
Demselben Satze werden wir im Aussagenkalkul wieder begegnen
gleichwie auch den übrigen.
Die Gleichung 30+) a + a1 = 1 sagt aus:
Alles ist »a oder nicht-a«.
In die Formelsprache zurückübersetzt würde dieser Ausspruch
allerdings nur besagen: 1 ⋹ a + a1, allein nach Th. 5+) muss diese
Subsumtion äquivalent sein der Gleichung 30+). Jedenfalls: Was a
ist, und was nicht-a ist, ergänzt sich zu der Gesamtheit alles (in unsrer
Mannigfaltigkeit) Denkbaren, macht zusammen diese ganze Mn. aus.
Ein Drittes oder Mittelding zwischen a und nicht-a, „schwarz“ und
„nicht-schwarz“, gibt es darum in ihr nicht. Und so erscheint der Satz
als Ausdruck des „principium exclusi tertii (oder medii) inter duo con-
tradictoria“, als der Grundsatz des ausgeschlossenen Dritten oder Mittels
zwischen zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Begriffen oder als
das „tertium non datur“ der alten Logik — für den Klassenkalkul
gedeutet.
Die übliche Fassung: Omne A est aut B, aut non-B (Jedes A ist ent-
weder B, oder nicht-B) muss aber vor missverständlicher Deutung, vor
einer zu weit gehenden Interpretation bewahrt werden.
Übersetzt man das „omne A“ mit „jedes Individuum einer Klasse A“,
so ist der Satz richtig, nämlich, wie oben § 16 auseinandergesetzt, sowol
zu verstehen als das disjunktiv prädizirende Urteil: A ist » B oder nicht-B «
— unzweifelhaft gilt in der That: A ⋹ B + B1, da eben B + B1 = 1 und
A ⋹ 1 sein muss — als auch als disjunktives Urteil für's einzelne Individuum.
Deutete man aber das „omne A“ als: „jedes Objekt A des Denkens“,
so überschritte man den dem Satze faktisch zukommenden Gültigkeitsbereich,
und namentlich würde man über die demselben rechtmässig zukommende
Deutung hinaus gehen, wenn man das „omne A“ übersetzen wollte mit
„jede Klasse A“. Hierdurch nämlich würde das Urteil gleichbedeutend
mit der (disjunktiven) Behauptung, dass entweder A ⋹ B oder A ⋹ B1
[347]§ 16. Satz des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten.
sein müsse, was ja falsch zu nennen ist, sooft A aus Teilen von B und
B1 sich zusammensetzt.
So mag z. B. wahr sein: Alle Schafe sind, oder jedes Schaf ist ent-
weder schwarz oder nicht schwarz (resp. weiss), wogegen doch gleichwol
nicht gelten wird: Jede Schafrasse ist entweder schwarz oder nicht schwarz
(weiss), indem eine solche Rasse auch schwarze neben weissen Schafen ent-
halten mag.
Mit andern Worten: der von „jedem A“ behauptete Satz gilt nur
in der ursprünglichen und nicht in der (aus ihr) „abgeleiteten“ Mannig-
faltigkeit.
Die Theoreme 30) müssen besonders bei der wissenschaftlichen
Klassifikation, Einteilung (divisio) berücksichtigt werden.
Von einer solchen ist als oberste Anforderung die zu erfüllen,
dass die Einteilungsglieder oder (Unter)Arten der zu klassifizirenden
Gattung wirklich zusammen diese Gattung ausmachen: kein Individuum
der Gattung darf ausgelassen werden; die Klassifikation muss eine
vollständige sein; die Einteilung darf keine Lücke (gap, hiatus in divi-
dendo) aufweisen.
Natürlich müssen die Einteilungsglieder auch wirklich Arten der ge-
nannten Gattung (müssen derselben sämtlich eingeordnet) sein; die Arten
dürfen nicht über die Gattung hinausgreifen.
Diese Anforderung bildet aber keine solche, vor deren Vernachlässigung
besonders zu warnen ist, weil die Einteilungsglieder ohnehin nur als deter-
minirende Faktoren der Gattung in Betracht zu kommen pflegen. Teilten
wir z. B. die Schafe ein in weisse und schwarze, so meinten wir natür-
lich nicht: in weisse Dinge und schwarze Dinge, sondern in weisse Schafe
und schwarze.
Darnach pflegt sich die Anforderung, dass die identische Summe der
Einteilungsglieder der Gattung eingeordnet sei, gemäss Th. 6×) und Def. (3+)
ganz von selbst zu erfüllen; die Vollständigkeit aber erfordert, dass nun
auch die umgekehrte Einordnung stattfinde, damit eben gemäss Def. (1)
identische Gleichheit zwischen der Gattung und der Summe ihrer Arten
vorliege.
Als eine zweite fundamentale Anforderung pflegt die hingestellt
zu werden, dass die Einteilungsglieder disjunkt seien, einander gegen-
seitig ausschlössen, je zu zweien 0 zum Produkt geben.
Die Vernachlässigung dieser Anforderung würde nämlich zu tau-
tologischen Wiederholungen von bereits Aufgezähltem führen, welche
als nicht wünschenswert, an sich zwecklos hinzustellen. Fehlerhaft
könnte aber solches Verfahren nicht wol genannt werden, auch würde
ein Verstoss gegen diese zweite Anforderung keine bedenklichen Wir-
kungen haben — vielmehr kann, wie wir in § 18, α ‥ δ) zeigen, die
Missachtung derselben durch Rücksichten auf die Kürze und Bequem-
lichkeit des Ausdrucks, bei Aufzählungen (die eine Gattung oder
[348]Achte Vorlesung.
Kategorie klassifizirend erschöpfen sollen) nicht selten sogar geboten
erscheinen.
Eine dritte und letzte Anforderung, die rigoros gestellt zu werden
pflegt, ist die: dass ein „Einteilungsgrund“ vorhanden sei (vergl. Ein-
leitung S. 85). Diese Anforderung mag durch psychologische, didak-
tische, oder auch methodologische Rücksichten diktirt erscheinen; in
rein logischer Hinsicht ist sie wol irrelevant zu nennen. Logisch voll-
kommen ist eine Einteilung — im Sinne der Logik des Umfanges
wenigstens — sobald sie nur die beiden ersten Anforderungen ja zur
Not schon, sobald sie die erste derselben erfüllt.
Eine, alle drei Anforderungen erfüllende, und überhaupt die logisch
vollkommenste Einteilungsweise wird erhalten, indem man das Th. 30+)
zum Schema der Einteilung nimmt, nämlich aus der Gattung nur zwei
Arten, aus jeder Art ebenso nur zwei Unterarten, und so weiter, macht,
und zwar in folgender Weise. Sobald (durch ein Merkmal bestimmt,
was indess vom Standpunkt der Logik des Umfanges noch unwesent-
lich zu nennen) eine Art a der Gattung als solche sich darbietet,
muss die Negation von dieser: a1, soweit sie nur unter die Gattung
fällt, als die andere Art hingestellt werden. Und ebenso weiter in
Hinsicht der Arten und ihrer Unterarten, falls jene noch fort und fort
eingeteilt werden sollten.
Das solches Einteilungsverfahren ein erschöpfendes sein muss, ist
nach Th. 30+) evident, wenn man dieses für die jeweils einzuteilende
Gattung als augenblicklicher Mannigfaltigkeit 1 in Anspruch nimmt.
Ebenso erfüllt das Verfahren kraft Th. 30×) auch die zweite Anfor-
derung (und bildet allemal das erwähnte Merkmal den durch die dritte
geforderten Einteilungsgrund).
Anwendbar ist das Verfahren auf jede Gattung einer „gewöhn-
lichen“ Mannigfaltigkeit 1. Hält man letztere fest, und nennt a die
zu klassifizirende Gattung, b eine erste Art derselben, so wird b ⋹ a,
somit nach Th. 20×) b = a b sein. Man hat demnach die Einteilung:
a = a b + a b1
Ist dann c eine Unterart von a b, d eine solche von a b1, so hat man
ebenso weiter:
a b = a b c + a b c1, a b1 = a b1d + a b1d1
sonach
a = a b c + a b c1 + a b1d + a b1d1,
wo augenscheinlich das Produkt irgend zweier Glieder rechts ver-
schwinden muss, als ein zwei solche Faktoren vereinigendes, die Nega-
tionen von einander sind. Etc.
Eine derartige Einteilung heisst zweileilig oder dichotomisch (im
weitern Sinne). Die Gattung verzweigt sich dabei in Arten und Unter-
arten so wie mancher Baum sich in Äste und Zweige gabelt. Es ist
aber nicht erforderlich, dass jede Unterart gleichmässig weiter ein-
geteilt werde und jedenfalls wird man bei gewissen Spezies als letzten
Einteilungsgliedern stehen bleiben.
Gewöhnlich setzt man sogleich eines von diesen endgültigen Ein-
teilungsgliedern jeweils als erste Art resp. Unterart an, dessen Nega-
tion dann also die übrigen unter die betreffende Gattung resp. Art
fallenden Einteilungsglieder in sich vereinigen wird. Hier braucht
nur diese letztere, mithin immer nur das eine der beiden Einteilungs-
glieder noch weiter eingeteilt zu werden — Dichotomie im engeren
Sinne. Auch diese ist zuverlässig eine erschöpfende (exhaustive) Ein-
teilungsweise.
Werden z. B. mit Max Müller1 die menschlichen Sprachen unter
dem Gesichtspunkt ihrer genealogischen Verwandtschaft oder nach-
weislichen Abstammung von einer gemeinschaftlichen Muttersprache
eingeteilt in die arischen (oder indogermanischen), die semitischen und
die turanischen, so erhalten wir dichotomisch zuwerkegehend die
Einteilung:
und ist nun ersichtlich, dass wenn etwa bei der oben erwähnten Ein-
teilung eine Sprache übersehen worden sein sollte, die sich in keine
der drei Abteilungen einfügt, oder wenn vielleicht bei einem wilden
Volksstamme eine solche Sprache noch neu entdeckt werden sollte,
diese notwendig zu unsrer letzten Gruppe gehören wird — d. i. zur
Gruppe der weder arisch- noch semitisch- noch turanischen Sprachen.
Vergl. hiezu Jevons6 p. 98 ‥ 111, insbesondre auch bezüglich des
„Baum des Porphyrius“ (Malchos).
Solange dergleichen nicht bekannt, mögen wir diese vierte Unter-
abteilung allerdings gleich 0 annehmen.
Ähnlich aber, wie in diesem Beispiele, bewahrt uns auf den
weniger sicheren Gebieten des Wissens allein das dichotomische Ver-
fahren vor dem Begehen einer Auslassung beim einteilen. Um hier-
gegen die erforderliche Garantie zu gewinnen, genügt es indess, wie
man sieht, sich nur die letzte Unterklasse allemal zum Bewusstsein
[350]Achte Vorlesung.
zu bringen, welche von den bereits aufgezählten übrig gelassen wird,
und mit Sorgfalt zu erwägen, ob sie wirklich eine leere.
Unterbleibt dies, während sie doch mitangeführt wurde, so macht der
Klassifizirende den Eindruck nur Selbstverständliches zu sagen. Hierauf
beruht z. B. der Humor der folgenden in Studentenkreisen beliebten Hexa-
meter von unbekanntem Autor:
Si bene rem memini sunt causae quinque bibendi:
Hospitis adventus, praesens sitis atque futura,
Vinum, festa dies et quaelibet alia causa.
— Weiss ich die Sache noch recht, so gibt's fünf Gründe des Trinkens:
Erstlich die Ankunft des Gast's, dann Durst nebst künftigem Dürsten,
Wein auch, und festlicher Tag, und jegliche andere Ursach. —
Die Gleichung 31) (a1)1 = a stellt das „Prinzip der doppelten Ver-
neinung“, das „dupplex negatio affirmat“ vor. Sie zerfällt nach Def. (1)
in die beiden Subsumtionen:
a ⋹ (a1)1, d. h. a ist nicht nicht-a,
und
(a1)1 ⋹ a, was nicht nicht-a ist, muss a sein.
So unbestimmt sind ihrem Sinne nach die in Worten ausgedrückten
Sätze, sogar Grundsätze, der herkömmlichen Logik, dass man darüber ver-
schiedener Meinung sein kann, welchen derselben eigentlich unsre Formeln
jeweils darstellen! Es stellt z. B. Boole, dem wir uns angeschlossen,
4 pag. 49 die Gleichung 30×) als den Ausdruck des principium contradic-
tionis hin, wogegen Peirce5 pag. 28 im Anschluss an Leibniz und Kant,
die Subsumtion a ⋹ (a1)1 als solchen ansieht — die umgekehrte als das
principium exclusi medii hinstellend.
Man vergleiche über diese Streitfrage die gründliche Auseinander-
setzung von Sigwart1 § 23, welcher auf Aristoteles zurückgehend dar-
thut, dass unsre obige Auffassung die berechtigte.
Übrigens hängen die drei Sätze in der That auf das innigste zu-
sammen. Alle drei gelten sie indess nur für eine „gewöhnliche“
Mannigfaltigkeit, weil nur für eine solche der Begriff Nicht-a auf-
gestellt werden konnte, und konstatiren sie, indem sie als schlechtweg
gültige hingestellt zu werden pflegen, gewissermassen gleichmässig,
dass wir uns mit unserm Denken immer nur in einer solchen bewegen.
Wer mit Sigwart die Verneinungspartikel auf die Kopula bezieht,
kann die Sätze 31) auch wieder nur für Individuen von a gelten lassen,
aber nicht für Klassen a. Eine Schafrasse z. B. von der es falsch ist, zu
behaupten, sie sei nicht-weiss, indem sie neben schwarzen auch weisse
Schafe enthält, darf darum doch nicht weiss genannt werden, weil dieses
Prädikat damit auch ihren schwarzen Schafen zugesprochen würde.
Dass nun die an unsre Mannigfaltigkeit zu stellenden beiden An-
forderungen „konsistent“ und „rein“ zu sein, nicht nur, wie erkannt,
hinreichend, sondern auch notwendig (unerlässlich) sind, damit die
[351]§ 16. Satz der doppelten Verneinung (im Klassenkalkul).
Theorie der Negation Anwendung finden könne und allgemein, für
jede der Mn. angehörige Klasse, der Begriff ihrer Negation aufstellbar
werde, ist zudem leicht zu sehen.
Wäre die Mn. nicht konsistent, so wäre durch ihre Setzung bereits
ein Widerspruch gegeben, und könnte auf dieser Basis unmöglich die For-
derung widerspruchsfreien logischen Denkens erfüllt werden.
Wäre aber die Mn. keine reine, so müsste mindestens einmal als In-
dividuum derselben eine Klasse A figuriren, die neben anderm auch ein
ausserdem schon vorkommendes Individuum b derselben Mn. unter sich be-
greift. Die Negation dieser Klasse A dürfte nach 30×) kein Individuum
derselben, also auch b nicht, enthalten, und müsste dennoch alle übrigen
Individuen der Mn., ausser genanntem A, umfassen, unter diesen auch das
frei vorkommende b — es wäre mithin Widersprechendes gefordert. Ebenso
hätte die Negation des b (als isolirten Individuums der Mn.) alle übrigen
Individuen derselben, sonach auch A, als Individuen zu umfassen, damit
als Inbegriff von b und fraglichem Nicht-b die ganze Mn. herauskomme
(die ja das Individuum A enthalten soll), und zudem dürfte dieses Nicht-b
das b nicht enthalten, welches zugleich mit dem in ihr enthaltenen A doch
in ihr steckt. Auch hier wäre also der Ausschluss des b zugleich mit
dessen Einschluss (das eine explicite, das andre implicite mittelst A) ge-
fordert — was unvereinbar.
Während es so sich nicht angängig erwies, unter Ausschluss eines
Individuums doch ganz eine Gattung zuzulassen, die es unter sich begreift,
oder umgekehrt, bei Ausschluss dieser ganzen Gattung das Individuum zu-
zulassen, während es logisch unmöglich erschien, der Gattung und den Be-
deutungen ihres Namens Widersprechendes zuzumuten, bleibt solches sehr
wohl möglich in Bezug auf ein Ganzes und dessen Teile, wie es das fol-
gende Beispiel erläutern mag.
Gesetzt in einer Frage der Besteuerung von Grund- und Hausbesitzern
gelten als Steuerobjekte nicht blos die Häuser, sondern auch die Fenster
und die Kamine derselben — um nicht zu sagen, auch die Ziegel auf den
Dächern. Dann sind diese letztern ja sämtlich Teile der erstern. Man
wird sie aber alle als gänzlich von einander unabhängige Objekte ansehen
und behandeln können, und z. B. aus bestimmten vielleicht gesetzlich nor-
mirten Gründen jemanden von der Besteuerung seines Gebäudes frei
sprechen können, ohne ihm (damit) doch diejenige von dessen Kaminen zu
erlassen, u. s. w. In dieser Mn. würde die Negation eines Hauses doch
dessen sämtliche Kamine und Fenster als Individuen enthalten müssen, die
Negation der gesamten letztern aber das Haus (als Ganzes) doch ein-
begreifen. Es entstünde keinerlei Widerspruch, denn was vom Ganzen gilt
(quidquid valet etc.) braucht darum bei den Teilen nicht auch schon zu-
zutreffen. Das Haus und sein Kamin bleiben hier doch von einander un-
abhängige Objekte des Denkens.
Konsistent wird nun eine Mn. schon sein, sobald sie keine Urteile
als Individuen umfasst, denn dann kann auch zwischen letzteren kein
Widerspruch bestehen. Rein wird sie sicher sein, sobald keine Klassen
als ihre Individuen figuriren.
Eine Mn. aller erfindlichen, (im engern Sinne) individuellen Ob-
jekte des Denkens ohne die (in der suppositio realis genommenen)
Urteile wird nun überall da, wo nicht von Urteilen, sondern von Dingen
schlechtweg die Rede ist, von hinreichender Erstreckung sein, um beim
Negiren aller in Betracht kommenden Begriffe oder Klassen einheit-
lich zugrunde gelegt werden zu können, und mag solche etwa die
„Mannigfaltigkeit der erdenklichen individuellen Dinge“ genannt werden.
Nach Bedarf kann man diese auch noch auf die Sphäre der „wirklichen“
Dinge einschränken.
36) Theoreme. Allgemein ist:
| 36×) (a b)1 = a1 + b1 | 36+) (a + b)1 = a1b1 |
| Die Negation eines Produktes ist die Summe der Negationen der Fak- toren. | Die Negation einer Summe ist das Produkt der Negationen der Glieder. |
Umgekehrt auch:
| Eine Summe von Negationen ist die Negation des Produktes ihrer Neganden. | Ein Produkt von Negationen ist die Negation der Summe |
Beweis. Da es nur eine Negation zu einem Gebiete geben kann,
so ist behuf Beweises gewissermassen nur die Probe zu machen, d. h.
nachzusehen, ob die angebliche Negation
| a1 + b1 von a b | a1b1 von a + b |
die für dieselbe charakteristischen beiden Beziehungen des Th. 30) mit
diesem Gebiete zusammen erfüllt, d. h. ob wirklich
| a b (a1 + b1) = 0, a b + a1 + b1 = 1 | (a + b) a1b1 = 0, a + b + a1b1 = 1 |
ist. Dies folgt nun in der That aus den Zusätzen zu Th. 34×) und
34+), wenn man dieselben auch noch für die Gebiete a1, b1 statt a, b
mit Rücksicht auf Th. 31) in Anspruch nimmt.
Im Grunde kam hiebei wieder das Hülfstheorem 29) in Anwendung.
Man hat — z. B. links vom Mittelstrich — nach 30) einerseits:
a b · (a b)1 = 0, a b + (a b)1) = 1
und, wie eben gezeigt, andrerseits:
a b · (a1 + b1) = 0, a b + (a1 + b1) = 1,
folglich nach jenem: (a b)1 = a1 + b1.
Exempel für Klassen. Wer nicht adelig und Grundbesitzer zu-
[353]§ 17. Fernere Sätze für Gebiete und Klassen.
gleich ist, ist entweder nicht adelig, oder nicht Grundbesitzer [oder
auch beides zugleich nicht, cf. § 8, ϑ)].
Was nicht „ausländisch oder billig“ ist, muss nicht ausländisch
(ev. inländisch) und zugleich nicht billig (ev. teuer) sein.
Hier ist wieder an eine Eigenheit der Wortsprache zu erinnern. Die
Subsumtion c ⋹ a1b1 heisst:
„Jedes c ist nicht a und (zugleich) nicht b“,
wofür man auch den Ausdruck wählen kann: „Jedes c ist weder a noch b“
— sogenanntes „verneinendes konjunktives“ Urteil. Man kann sich auch
noch anders ausdrücken und beispielsweise sagen: „(Jeder Fisch) Ein Fisch
ist kein Vogel und kein Säugetier“.
Schlägt man aber in solchem Falle den verneinenden Artikel zum
Subjekte (anstatt, wie soeben, zum Prädikate), so muss das Mal-Zeichen
im Prädikate, statt wie vorhin mit „und“, nun mit „oder“ übersetzt werden:
„Kein Fisch ist ein Vogel oder ein Säugetier“ — vergl. § 8, λ, μ), S. 232.
Wogegen der Satz: „Kein Fisch ist (ein) Vogel und (ein) Säugetier“ nur
bedeuten würde: c ⋹ (a b)1, das heisst: c ⋹ a1 + b1. —
Dem gegenüber würde das sog. „verneinende kopulative“ Urteil: „Weder
die a noch die b sind c“ (= Sowol die a als auch die b sind nicht c) in
Formeln einfach durch: a + b ⋹ c1 darzustellen sein. Und analog für mehr
als zwei Terme.
Für Gebiete werden (im Hinblick auf Fig. 16) die Theoreme 36)
veranschaulicht durch Fig. 17.
Zusatz 1. Die Ausdehnung der Theoreme 36) auf beliebig viele
Terme (Operationsglieder, Faktoren oder Summanden) ist naheliegend.
So ist auch:
| (a b c)1 = a1 + b1 + c1 | (a + b + c)1 = a1b1c1, |
denn:
(a b c)1 = {(a b) · c}1 = (a b)1 + c1 = (a1 + b1) + c1 = a1 + b1 + c1, etc.
Anmerkung zu Th. 36). Wendet man die Formeln 36) auf a1
und b1 statt a und b an, so ergibt sich nach 31):
| (a1b1)1 = a + b | (a1 + b1)1 = a b. |
Diese Formeln zeigen (wie Peirce bemerkt), dass mit Hülfe der
dritten Spezies, der Negation, von den beiden ersten Spezies — d. i. von den
direkten Rechnungsarten des identischen Kalkuls: Multiplikation und Addi-
tion — irgend eine, gleichviel welche, [entbehrlich] gemacht werden könnte.
Wollte man mit Negation und Multiplikation allein auskommen,
so brauchte man nur überall, wo eine Summe a + b auftritt, für diese
zu schreiben. Mit Addition und Negation würde man ausreichen,
indem man für jedes Produkt a b konsequent sagte — falls wir
hier einmal den wagerechten Negationsstrich benutzen. [Ebenso liesse
Schröder, Algebra der Logik. 23
[354]Achte Vorlesung.
nach früherem für 0 sich 1̄, oder aber für 1 sich 0̄ durchweg schrei-
ben, d. h. man könnte auch noch des einen der beiden Symbole 0 und
1 entraten.]
Analog lässt sich mittelst der Partikel „nicht“ von den beiden
Konjunktionen „und“ und „oder“ irgend eine logisch durch die andere
darstellen:
| Für „a oder b“ könnte gesagt werden: „was nicht »Nicht-a und Nicht-b« ist“. | Für „was a und b ist“ liesse sich sagen: „was nicht »Nicht-a oder Nicht-b« ist“. |
Dass es aber unzweckmässig wäre, solches durchzuführen, sei es im
Kalkul, sei's in der Wortsprache, bedarf kaum einer nähern Darlegung.
Es liegt die Möglichkeit vor, dass sich die Sätze 36) vielleicht
in der Gestalt:
| Was nicht a und b ist, muss nicht a oder nicht b sein, | Was nicht a oder b ist, muss zugleich nicht a und nicht b sein, |
in Worte gefasst schon irgendwo in ältern Logikbüchern vorfinden.
Wo nicht, so müssen sie De Morgan zugeschrieben werden, welcher
[wie Herr Venn1 p. 389, Fussnote ausfindig gemacht hat] in 6 p. 208,
indessen ohne Beweis, bemerkt, es hätten a + b und a b bezüglich a1b1
und a1 + b1 zum Gegenteile. Selbständig ist auf diese beiden hübschen
Sätze auch Herr Robert Grassmann2 gekommen, und dürfte dieser sie
zum ersten mal (und zwar auf die vorgetragene Weise) bewiesen haben.
Die in seiner Fussnote zu 5 p. 32 von Herrn Peirce — jedenfalls
im guten Glauben — ausgesprochene, Herrn R. Grassmann eigentlich ver-
dächtigende Vermutung (auf Grund unsicherer Reminiscenzen von Jevons'
Schrift1) kann ich (nachdem es mir unlängst endlich gelungen ist, dieses
Buch durch antiquarischen Erwerb desselben zu Gesicht zu bekommen)
durchaus nicht begründet finden.
Die Anwendung der Theoreme 36) im Sinne von links nach rechts,
also die Verwandlung eines Ausdruckes (a b)1 resp. (a + b)1 in den ihm
gleichwertigen a1 + b1 resp. a1b1 nennt man das „Ausführen“ (Ent-
wickeln*)) der Negation, welche im Gegensatz hiezu bei den ursprüng-
lichen Ausdrücken (a b)1 und (a + b)1 „nur angedeutet“ erscheint. Eine,
wie hier mit Negationsstrich versehene Klammer ( )1 mag eine „Nega-
tionsklammer“ genannt werden. Das Ausführen der Negation läuft auf
das „Auflösen“ dieser Klammer hinaus.
Zusatz 2 zu Th. 36).
Durch kombinirte Anwendung der beiden Theoreme 36) und des
Th. 31) kann man nunmehr von jedem nur durch Multiplikation und
[355]§ 17. Fernere Sätze für Gebiete und Klassen.
Addition aus lauter einfachen Symbolen und deren Negationen auf-
gebauten übrigens noch so komplizirten Ausdrucke die Negation sofort
und mit leichter Mühe ausgeführt herstellen, und zwar indem man
jedes Gebiet mit seiner Negation und ausserdem noch die Zeichen
„mal“ und „plus“ vertauscht.
Man schreibe also aus dem gegebenen Ausdruck ab: a mit a1, a1
in Gestalt von a, · als + und + als ·, wobei nur noch zu beachten
ist, dass manche Klammern, welche im ursprünglichen Ausdruck blos
gesetzt zu denken waren aber unterdrückt sein durften, im negirten
Ausdruck ausdrücklich angeschrieben und beibehalten werden müssen
wogegen andere, diejenigen, die dort unentbehrlich waren, hier als
überflüssig in Wegfall kommen. Man hat nämlich gemäss Anhang 2
zu berücksichtigen, dass ursprünglich jeder zusammengesetzte Aus-
druck, wenn mit andern Termen verknüpft oder zu verknüpfen, in
Klammer stehen muss, dass aber endgültig (teils zufolge gewisser
Eigenschaften, Gesetze unsrer direkten Operationen, teils auf Grund
eigener auf Klammerersparniss es absehender Konventionen) nur um
Summen herum, welche als Faktor auftreten, die Klammer nicht
weggelassen werden darf.
War hienach der ursprüngliche Ausdruck schon frei von über-
flüssigen Klammern, so wird beim Negiren desselben eine Klammer
allemal dann einzuführen, im negirten Ausdruck neu anzubringen sein,
wenn man an das Negiren eines Produktes kommt, welches als ein
Summand im ursprünglichen Ausdruck steht — indem eben dadurch
sich eine Summe ergeben wird die als Faktor zu setzen. Dagegen
kommt jede (andre, jede nicht gerade ein Produkt als Glied um-
schliessende) Klammer des ursprünglichen Ausdrucks beim Negiren in
Wegfall.
Zur Erläuterung und Übung seien zunächst für einige Ausdrücke die
Negationen hergesetzt, deren erste sechs schon De Morgan3 pag. 42 ge-
geben hat:
| Ausdruck: a + b c, | Negation desselben: a1 (b1 + c1) |
| „ x = (a + b) c, | „ x1 = a1b1 + c1 |
| „ (a + b) (c + d), | „ a1b1 + c1d1 |
| „ a + b (c + d), | „ a1 (b1 + c1d1) |
| „ a + b + a1c (oder a + b + c), | „ a1b1c1 |
| „ (a + b c) (d + e f), | „ a1 (b1 + c1) + d1 (e1 + f1) |
| „ a1b + c1, | „ (a + b1) c |
| „ a b + a1b1, | „ (a1 + b1) (a + b) = a b1 + a1b |
| Ausdruck: a1 (b1 + c + d1), | Negation desselben: a + b c1d |
| „ a1b c + a b1c1, | „ (a + b1 + c1) (a1 + b + c) |
| „ a (b1 + c1) + b1c1, | „ (a1 + b c) (b + c) = a1 (b + c) +b c |
| „ a1 (b + c + d) + b c d, | „ a (b1 + c1 + d1) + b1c1d1. |
Noch weitere Aufgaben in § 18, χ).
In jedem aus einfachen Gebietsymbolen durch die Operationen der
drei Spezies Multiplikation, Addition und Negation aufgebauten Aus-
drucke kann man jetzt alle vorgeschriebenen (angedeuteten) Negationen
ausführen, wodurch der Ausdruck übergeht in einen solchen, der nur
noch durch die beiden direkten Spezies, Multiplikation und Addition,
aufgebaut erscheint aus den einfachen Symbolen und deren Negationen.
Man braucht zu diesem Zwecke nur mit den innersten „Negan-
den“ zusammengesetzter Natur, welche von der oben beschriebenen
Art sein werden, zu beginnen, die innersten mit Negationsstrich be-
hafteten Klammern zuerst, und dann nach aussen fortschreitend nach
und nach auch die äussern Klammern dieser Art, aufzulösen, bis keine
Negationsklammer mehr vorhanden ist.
Wird auch auf diese Weise rasch die Möglichkeit der Ausführung
erkannt, so ist das geschilderte Verfahren doch nicht das praktischste.
Es kann sich nämlich dabei ereignen, dass man irgend einen zusam-
mengesetzten Ausdruckteil wiederholt „umzunegiren“, in seine Negation
umzuschreiben bekommt, was, sooft es zweimal geschah, nach Th. 31)
unnötige Arbeit war. Besser also wird man mit dem Auflösen der
Negationsklammern in der Richtung von aussen nach innen fortschreiten,
und sobald man mit dem Negiren der in einer solchen stehenden Terme
wiederum auf eine Negationsklammer stösst, solche (mitsamt dem auf
sie bezüglichen Vorsatze des Negirens) einfach fallen lassen, ignoriren.
Darnach ist z. B.
[{(a + b)1c + d1e} f]1 = {(a1b1c + d1e) f}1 = (a + b + c1) (d + e1) + f1
auf die erstere Art mit, auf die letztere ohne die angegebene Zwischen-
rechnung (der doppelt negirte Ausdruckteil war a + b) sofort hinzusetzen.
Weitere Exempel:
[{(a b)1 + (c d)1} (e + f)1]1 = a b c d + e + f,
[a + b {c + d (e + f g)1}1]1 = a1 {b1 + c + d e1 (f1 + g1)},
([(a x + b x1)1 {(m x)1 (n x1)1}1c]1 + x)1 =
= (a + x1) (b1 + x) (m x + n x1) c x1 = b1n c x1.
Zusatz 3 zu Th. 36).
Das am Schluss des § 13 erwähnte Problem der Zerfällung eines
Ausdrucks in seine letzten Faktoren kann nunmehr dadurch gelöst wer-
[357]§ 17. Kontraposition.
den, dass man die Negation des Ausdrucks herstellt, dieselbe (durch
Ausmultipliziren) in ihre letzten Aggreganten zerfällt und dann abermals
die Negation davon gemäss Th. 36) bildet. Z. B. für
y = a b + a c + a d + b c d + e
ergibt sich:
y1 = (a1 + b1) (a1 + c1) (a1 + d1) (b1 + c1 + d1) e1 = a1b1e1 + a1c1e1 + a1d1e1 + b1c1d1e1,
sonach:
y = (a + b + e) (a + c + e) (a + d + e) (b + c + d e)
in Übereinstimmung mit dem früheren Ergebnisse.
37) Theorem.
| Wenn | a ⋹ b, so ist b1 ⋹ a1 | (und umgekehrt). |
Man darf also auch die beiden Seiten einer Subsumtion negiren, wenn
man nur zugleich das Subsumtionszeichen umkehrt. Oder: Untergeordnetes
(oder Gleiches), negirt, gibt Übergeordnetes (oder Gleiches). Eingeord-
netes, negirt, gibt Umgeordnetes.
Es lassen sich zwei Beweise vollkommen dualistisch führen.
Beweis. Wenn a ⋹ b ist, so ist
| a = a b nach Th. 20×) | a + b = b nach Th. 20+) |
also nach Th. 32) auch
| a1 = (a b)1, das ist a1 = a1 + b1 | (a + b)1 = b1, das ist a1b1 = b1 |
nach Th. 36), und diese Gleichung ist, wiederum nach Th. 20) äqui-
valent der Subsumtion: b1 ⋹ a1, q. e. d.
Wendet man den Satz 37) auf die Subsumtion b1 ⋹ a1 als die
ursprünglich vorauszusetzende an, so folgt aus dieser auch (a1)1 ⋹ (b1)1,
das ist nach Th. 31) a ⋹ b.
Die beiden im Satze vorkommenden Subsumtionen bedingen sich
also gegenseitig, sagen wesentlich dasselbe aus oder sind äquivalent.
Exempel. Da Gold Metall ist, so ist, was nicht Metall ist, auch
nicht Gold. Desgl. umgekehrt: Gilt etwa der Satz: „Was nicht Pro-
teinsubstanz ist (nicht aus dem Ei stammt) ist auch nicht lebendig“,
so folgt: „Alles Lebendige ist Proteinsubstanz (stammt aus dem Ei)“.
Ist eine Klasse als Subjekt enthalten in einer Prädikatklasse, so muss
(als Klasse aufgefasst) die Negation des Prädikats enthalten sein in der
Negation des Subjektes — und zwar ganz einerlei, in Bezug auf welche
Mannigfaltigkeit man die Negationen bildet, wofern dieselbe nur eine
gewöhnliche ist, den Negationsbegriff zulässt.
Für Gebiete kann man den Satz durch die Anschauung verifiziren
[358]Achte Vorlesung.
an der Fig. 1 S. 155: die Aussenfläche des Kreises b ist ganz in der
des Kreises a enthalten.
Der Schluss von der Subsumtion a ⋹ b auf die Subsumtion b1 ⋹ a1
(oder umgekehrt) gehört zu den sog. „unmittelbaren Folgerungen“, in-
dem derselbe schon zustande kommt, wenn auch nur eine Prämisse
gegeben ist. Derselbe wird in der Logik als die „Konversion durch
Kontraposition“ des durch die gegebene subsumtion ausgedrückten Ur-
teils bezeichnet.
Zusatz. Ist a ⋹ b und zugleich a1 ⋹ b1, so wird a = b sein, und
umgekehrt.
Beweis nach Def. (1), indem aus der letzten Subsumtion nach
Th. 37) und 31) hinzufolgt: b ⋹ a.
Exempel. Die beiden Sätze: „Was Kochsalz ist, ist auch Chlor-
natrium“, und „was nicht Kochsalz ist, ist nicht Chlornatrium“ —
drücken zusammen aus, dass Kochsalz und Chlornatrium einerlei sind.
38) Theoreme.
| Die Subsumtion | a ⋹ b | sagt genau dasselbe |
aus, wie eine jede der beiden Gleichungen:
| ad 38×) a b1 = 0. | ad 38+) a1 + b = 1. |
Beweis. Aus a ⋹ b folgt nach Th.
| 15×) durch beiderseitiges Multipli- ziren mit b1, dass a b1 ⋹ b b1, so- mit nach Th. 30×), dass a b1 ⋹ 0, was nach Th. 5×) auf a b1 = 0 | 15+ durch beiderseitiges Addiren von a1, dass a1 + a ⋹ a1 + b, somit nach Th. 30+), dass 1 ⋹ a1 + b, was nach Th. 5+) auf 1 = a1 + b |
hinauskommt. — Ist umgekehrt
| a b1 = 0, | a1 + b = 1, |
| so hat man nach Th. 30+): | so folgt nach Th. 16×) etc.: |
| a = a · 1 = a (b + b1) | a = a · 1 = a (a1 + b) |
| = a b + a b1 = a b + 0 | a a1 + a b = 0 + a b |
oder a = a b. Aus diesem Resultate folgt aber nach Th. 20×), dass
a ⋹ b, wie zu beweisen war.
Aus dem Umstand, dass der letzte Teil des hier gegebenen Beweises
rechterhand dem links durchaus nicht dual entspricht, erkennt man die
Möglichkeit noch andrer Varianten der beiden Beweise, welche aufzusuchen
dem Leser als eine gute Übung empfohlen sei.
Exempel für Klassen. Da alles Gold Metall ist, so gibt es nichts,
was zugleich Gold und nicht Metall wäre. Und jede Substanz — ja
[359]§ 17. Fernere Sätze.
alles Denkbare innerhalb einer die Klasse Metall umfassenden ge-
wöhnlichen Mannigfaltigkeit — ist (entweder) Metall oder [auch]
nicht Gold.
Nach den Theoremen 38) lässt jede Subsumtion sich als eine Glei-
chung schreiben, deren eine Seite 0, oder, wenn man will, auch 1 ist.
Zusatz zu Th. 38). Nach diesem Satze in Verbindung mit Th. 31)
muss auch die Gleichung
| a b = 0 | a + b = 1 |
bezüglich äquivalent sein einer der beiden Subsumtionen:
| a ⋹ b1, b ⋹ a1 | a1 ⋹ b, b1 ⋹ a. |
Die Gleichung a b = 0 erscheint so, als der symmetrische Ausdruck
— symmetrisch allerdings nur im Hinblick auf das Kommutationsge-
setz 12×) der identischen Multiplikation — für eine symmetrische Be-
ziehung, für welche die Wortsprache nur die unsymmetrischen Aus-
drucksformen hat:
„Kein a ist b“, oder „Kein b ist a“,
resp.
„Alle a sind nicht b“, „Alle b sind nicht a“,
(die demnach auch unter sich äquivalent sein werden) — woferne man
hier nicht etwa seine Zuflucht nehmen will zu der Umschreibung mit-
tels verneinenden Existenzialurteils:
„Es gibt nichts, was a und b zugleich ist“.
39) Theoreme.
| Jede Gleichung | a = b | lässt sich (auf der |
einen Seitz, z. B.) rechterhand auf
| 39×) 0 | 39+ 1 |
bringen. Dieselbe ist nämlich äquivalent der Gleichung:
| a b1 + a1b = 0 | a b + a1b1 = 1, |
oder auch in einer praktisch minder wichtigen Form geschrieben:
| (a + b) (a1 + b1) = 0 | (a + b1) (a1 + b) = 1, |
welche, wie leicht zu sehen, durch Ausmultipliziren gemäss Th. 28×),
30×) und 21+) auf die vorige zurückkommt.
Beweis. Nach Def. (1) zerfällt die Gleichung a = b in die bei-
den gleichzeitig anzuerkennenden Subsumtionen:
a ⋹ b und b ⋹ a.
Nach dem Th. 38) lassen dieselben sich umschreiben in die Gleichungen
| a b1 = 0, a1b = 0 | a1 + b = 1, b1 + a = 1 |
[360]Achte Vorlesung.
und folgt aus diesen durch überschiebendes Addiren resp. Multipliziren
die zu beweisende Gleichung in der einen ihrer angegebenen beiden
Formen.
Umgekehrt, wenn die Gleichung gilt:
| a b1 + a1b = 0, | a b + a1b1 = 1, sive (a + b1) (a1 + b) = 1, |
so muss nach Th. 24) sein:
| a b1 = 0 und a1b = 0, | a1 + b = 1 und a + b1 = 1, |
was nach Th. 38) hinauskommt auf die beiden Subsumtionen a ⋹ b und
b ⋹ a, somit nach Def. (1) auf die Gleichung a = b, wie zu zeigen war.
Indess konnte man hier auch schon mit der ersten Hälfte des Be-
weises auskommen, mit Rücksicht darauf, dass nach den citirten Sätzen
das Paar der Subsumtionen sowie der für sie genommenen Gleichungen
jeweils äquivalent sein musste der zum Ausgangspunkt genommenen Gleichung.
Exempel. Da Kochsalz einerlei mit Chlornatrium ist, so gibt es
nichts, was Kochsalz und nicht Chlornatrium oder Chlornatrium und nicht
Kochsalz wäre. Auch nichts, was Kochsalz oder Chlornatrium und zugleich
nicht Kochsalz oder nicht Chlornatrium wäre.
Alles ist entweder Kochsalz und zugleich Chlornatrium oder nicht
Kochsalz und dann auch nicht Chlornatrium. Desgleichen Kochsalz oder
nicht Chlornatrium und zugleich Chlornatrium oder nicht Kochsalz.
Aufgabe. Man bringe die Gleichungen
a b = a c, a + b = a + c
rechts auf 0.
Auflösung: Mittelst der Zwischenrechnung — cf. Th. 36):
a b (a1 + c1) + a c (a1 + b1) = 0, (a + b) a1c1 + a1b1 (a + c) = 0
erhält man leicht die Resultate:
a(b c1 + b1c) = 0 resp. a1(b c1 + b1c) = 0.
Bei den Anwendungen wird man aber, besonders wenn a, b oder c kom-
plizirte Ausdrücke vorstellen, die Zwischenrechnung sparen und sich so-
gleich an das Schema dieser Endergebnisse halten. — Ebenso würden die
rechts auf 1 gebrachten Gleichungen lauten:
a1 + b c + b1c1 = 1 resp. a + b c + b1c1 = 1.
Das Th. 39) ist von grosser Wichtigkeit für die Technik unsres
Kalkuls, und zwar das 39×) in höherem Maasse als sein duales Gegen-
stück aus dem teilweise schon erwähnten Grunde, weil man lieber mit
Aggregaten (Summen) von monomischen Produkten als mit Produkten
von Polynomen (die in Klammern gesetzt bleiben müssten) rechnet,
desgleichen vorzieht, das auch der Arithmetik angehörige Distributions-
gesetz 27×), statt seines Gegenparts 27+), anzuwenden — wozu endlich
[361]§ 17. Fernere Sätze.
jetzt als ein weiterer Grund der Umstand hinzutritt, dass es schon
jedermann geläufig ist, mit rechterhand auf 0 (nicht aber auf 1) ge-
brachten Gleichungen zu operiren. [Es könnte überdies als ebendahin
wirkend angeführt werden, dass auch in der Wortsprache Ausdrücke
wie (a + b) (c + d) meist unbequemer unzweideutig darzustellen sind,
als die ihnen dual entsprechenden a b + c d.]
Nach Th. 24) Zusatz konnte jedes System von gleichzeitig gel-
tenden Gleichungen mit der rechten Seite 0 in eine einzige solche
Gleichung zusammengezogen und durch diese ausreichend vertreten
werden. Nach den Th. 38) und 39) kann aber jede Subsumtion sowol
als jede Gleichung überhaupt dargestellt werden als eine Gleichung mit
der rechten Seite 0.*) Thut man dies bei allen etwa gegebenen Sub-
sumtionen und Gleichungen, und wendet hernach den genannten Zu-
satz an, so lässt sich offenbar das Ziel verwirklichen, welches der fol-
gende Satz ausspricht:
Zusatz zu Th. 39). Jedes System von simultanen (koexistiren-
den, als gleichzeitig geltend hingestellten) Subsumtionen und Gleichungen
lässt sich in eine einzige Gleichung mit der rechten Seite 0 (oder, wenn
man will 1) zusammenziehen und durch diese vollkommen vertreten.
Wir werden dieselbe die „vereinigte Gleichung des Systemes“
nennen.
Dies legt uns folgende Bemerkung nahe. In der verbalen Logik wird
gewöhnlich unterschieden zwischen „Folgerungen“, als welche sich an eine
einzige Prämisse knüpfen, und „Schlüssen“, als welche mehrere Prämissen
haben. Diese Unterscheidung erscheint auf Grund des vorstehenden Zu-
satzes in der exakten Logik — für den Kalkul — als belanglos, da wir
hier immer ein System von Prämissen in eine einzige Prämisse werden
zusammenziehen können. Auch „Schlüsse“ dürfen hier als „Folgerungen“
hingestellt werden.
Und mit der Lösung von Problemen, die sich allgemein beziehen auf
eine einzige Gleichung — z. B. mit deren Auflösung nach einer Unbekannten
— wird das nämliche dann auch von selbst geleistet sein für irgend ein
System von Gleichungen!
Übungsaufgabe. Man bilde die vereinigte Gleichung der folgenden
acht Subsumtionen und Gleichungen:
a ⋹ b, c ⋹ d1, e1 ⋹ f, g1 ⋹ h1, k = l, m = n1, p1 = q, r1 = s1.
Auflösung. Die vereinigte Gleichung ist:
a b1 + c d + e1f1 + g1h + k l1 + m n + m1n1 + p1q1 + p q + r1s + r s1 = 0.
Ebenso ist von den drei Subsumtionen:
a ⋹ b, a ⋹ c1, c ⋹ b
die vereinigte Gleichung:
a b1 + a c + b1c = 0. Etc.
Die linke Seite einer rechts auf 0 gebrachten Gleichung nennt
man, wie in der Mathematik auch „das Polynom dieser Gleichung“.
So ist a b1 + a c + b1c das Polynom der zuletzt erwähnten.
Mehr beiläufig wollen wir jetzt ein paar Theoreme anreihen, die
sich zwar nicht selbst auf Negationen beziehen, aber erst jetzt be-
wiesen werden können, nachdem wir (auf Grund des Prinzips III×)
unter Hinzuziehung des Negationsbegriffs die Berechtigung erworben
haben, von dem vollen Distributionsgesetze Gebrauch zu machen.
40) Theorem. Wenn zugleich
a c ⋹ b c und a + c ⋹ b + c
ist, so muss sein: a ⋹ b
Beweis. Ähnlich wie bei Th. 29) haben wir:
a = a (a + c) ⋹ a (b + c) = a b + a c ⋹ a b + b c = b (a + c) ⋹ b (b + c) = b
nach Th. 23×), der zweiten Voraussetzung nebst 15×), sodann 27×), der
ersten Voraussetzung nebst 15+), wieder 27×), dann der zweiten Vor-
aussetzung nebst 15×) und endlich 23×). Oder dual entsprechend.
Also nach Th. 2) und 3): a ⋹ b, q. e. d.
Zusatz 1. Kombinirt man die durch das Theorem 40) gegebene
Aussage mit derjenigen, welche sich durch Vertauschung von a und b
aus ihr ergibt so erhält man das Theorem:
Wenn a c = b c und zugleich a + c = b + c ist, so muss a = b sein,
— welches als eine Verallgemeinerung des Hülfstheorems 29) erscheint
und auch selbständig genau wie letzteres bewiesen werden kann.
Anmerkung. Dass sowol beim Th. 40) als bei dessen Zusatz eine
der beiden Prämissen allein nicht genügt, um die Konklusion zu rechtfer-
tigen, haben wir bereits unter Th. 15) und 16) hervorgehoben und durch
Beispiele über Klassen sowie durch Figuren belegt. Wir sind jetzt auch
im stande, es analytisch zu beweisen.
Bei Th. 40) gibt die Annahme a = (b + c1) u, wo u ein willkürliches
Gebiet vorstellt, jedesmal ein solches Gebiet a, für welches die erste Prä-
misse a c ⋹ b c erfüllt ist, indem ja a c = b c · u ⋹ b c nach Th. 6×) wird
— und, nebenbei gesagt, auf die allgemeinste Weise; hier wird nun
a b1 = b1c1u im Allgemeinen nicht = 0, also nicht a ⋹ b sein.
Ähnlich für b = a c1 + u ist a + c ⋹ b + c nämlich a + c + u, und wieder
a b1 = a · (a1 + c) u1 = a c u1
nicht notwending 0, wie es nach Th. 38×) sein müsste, falls a ⋹ b folgte.
Desgleichen, was den Zusatz betrifft, ist a c = (a + u c1) c ohne dass
a = a + u c1 sein müsste, endlich ist a + c = (a + u c) + c, ohne dass doch
im Allgemeinen, und für jedes beliebige Gebiet u sein müsste a = a + u c.
Das Theorem sowol als sein Zusatz gilt auch umgekehrt, und
zwar für jedes beliebige Gebiet c. Nämlich wenn z. B. a ⋹ b ist, so
muss nach Th. 15) auch a c ⋹ b c sowie a + c ⋹ b + c für jedes c sein.
Exempel zu dem Satze. Sind die Mongolen und die Russen stets Russen
oder Asiaten, zugleich alle mongolischen Russen auch asiatische Russen, so
müssen die Mongolen sämtlich Asiaten sein. [Seit der chinesischen Ein-
wanderung in fremde Weltteile sind freilich die Prämissen nicht mehr ganz
zutreffend, sie waren es jedoch zeitweise.]
Zusatz 2 zu Th. 40) Theorem von Peirce.
Wenn für irgend ein c zugleich
a c ⋹ b und a ⋹ b + c
ist, so folgt:
a ⋹ b,
desgleichen umgekehrt, für jedes c.
Beweis 1, nach Th. 40), weil unter den Voraussetzungen des
Satzes nach Th. 15) auch a c c ⋹ b c und a + c ⋹ b + c + c, also a c ⋹ b c
und a + c ⋹ b + c folgt.
Beweis 2×. Aus der zweiten Prämisse folgt durch beiderseitiges
Multipliziren mit a gemäss 15×):
a a ⋹ a (b + c) also nach 14×) und 27×): a ⋹ a b + a c.
Aber es ist a b + a c ⋹ a b + b, wie sich durch beiderseitiges Addiren
von a b zur ersten Prämisse gemäss 15+) ergibt. Hienach folgt a fortiori:
a ⋹ a b + b oder wegen des Absorptionsgesetzes 23+): a ⋹ b, wie zu
zeigen war.
Hiezu genau dual entsprechend lässt sich noch ein dritter „Beweis 2+“
führen, was dem Leser zur Übung empfohlen sei.
Die Umkehrung versteht sich nach Th. 6) und II von selbst: Ist
a ⋹ b, so wegen a c ⋹ a auch a c ⋹ b für jedes c. Etc.
Der Satz wäre eigentlich als ein selbständiges Theorem aufzuführen
gewesen; er sieht noch einfacher aus als das Th. 40) demzuliebe wir ihn
behufs Vergleichung hier eingereiht haben. Sonderliche Wichtigkeit für
die Theorie möchte er gleichwol nicht besitzen und betrachte ich ihn mehr
nur als Kuriosum. Die Exempel zu demselben klingen alle recht sonder-
bar. Z. B. Da Gold, welches käuflich, Metall ist, und alles Gold käuflich
oder Metall sein wird, so muss Gold Metall sein. Umgekehrt folgt aus
[364]Achte Vorlesung.
letzterm einerseits, dass auch geschmiedetes Gold Metall ist, und Gold sein
wird Metall oder auch geschmiedet.
Von fundamentaler Wichtigkeit sind dagegen folgende Sätze:
| 41×) Theorem (Peirce5 p. 39) Wenn | 41+) Theorem. (Peirce) Wenn |
| a b ⋹ c | a ⋹ b + c |
| ist, so ist | ist, so ist |
| a ⋹ b1 + c. | a b1 ⋹ c. |
D. h. Es darf
| ein Faktor des Subjekts | ein Summand des Prädikats |
jeweils von diesem abgelöst und mit Negationsstrich versehen (in seine
Negation verwandelt, negirt) als
| Summand zum Prädikat | Faktor zum Subjekt |
geschlagen werden — wonach denn aus der zweiten Subsumtion mit
Rücksicht auf Th. 31) auch wieder die erste folgt. Der eine Satz
nämlich kann, indem man b mit b1 vertauscht, auch als die Um-
kehrung des andern dargestellt werden, ermächtigt zum Rückschlusse
von dessen Behauptung auf seine Voraussetzung.
Behufs Beweises schliesse man aus der Voraussetzung durch
beiderseitiges
| Addiren von b1: | Multipliziren mit b1: |
| a b + b1 ⋹ b1 + c. | a b1 ⋹ b1 (b + c), |
| Nach Theorem 33+) Zusatz gibt dies: | oder, wenn rechts ausmultiplizirt wird mit Rücksicht auf 30×): |
| a + b1 ⋹ b1 + c | a b1 ⋹ b1c. |
| und da nach Th. 6+) auch | Da aber nach Th. 6×) |
| a ⋹ a + b1 | b1c ⋹ c |
ist, so folgt die Behauptung nach Prinzip II.
Vergleiche hiezu das Theorem ν) von Peirce im nächsten Para-
graphen. Noch einfacher kann man sich gemäss Th. 38×) und ev.
36) überzeugen, dass sowohl die behauptete als die vorausgesetzte Sub-
sumtion hinausläuft auf die Gleichung:
| a b c1 = 0. | a b1c1 = 0. |
Exempel:
| Die Säugetiere welche Flossen haben, sind Wale; ergo: die Säugetiere sind Wale oder haben keine Flossen. | Mohammedaner sind Schiiten oder Sun- niten; ergo: Mohammedaner, welche nicht Schiiten sind, müssen Sunniten sein. |
α) Auf Grund der Theoreme 33+) und Zusatz sind wir nun in
der Lage, die zuerst von Jevons (dann unabhängig auch von Peirce,
R. Grassmann und mir, Mc Coll und ev. noch Anderen) erfasste
und in diesem Buche zu Grunde gelegte identische Addition vollends
zu rechtfertigen gegenüber den von sehr beachtenswerter Seite gegen
sie erhobenen Einwänden. Die Betrachtungen dürften auch an sich
instruktiv sein, dazu als eine gute Übung erscheinen.
Es wurde bereits erwähnt, dass Boole4 in, ihm unbewusst, zu
engem Anschluss and das Vorbild der arithmetischen Addition die
gleichnamige Operation in der Logik nur verwendet wissen will um
Klassen zu verknüpfen, die keine Individuen gemein haben — und
dass, nach der inzwischen vollzogenen Läuterung der Disziplin von
arithmetischen Beimengungen, von neueren Autoren ihm hierin nur
Herr Venn noch beipflichtet, indem er 1 pag. 381 ‥ 389 die Forderung
verficht, die Addition auf gebietfremde Summanden, individuenfremde
oder disjunkte Klassen zu beschränken.
Herr Venn verwirft es, die Summe a + b für den Fall wo a b
nicht = 0 ist, überhaupt zu erklären, da es ihm hier anstössig er-
scheint, dass der den beiden Gliedern gemeinsame Teil a b, welcher in
die Summe a + b doch nur ein mal eingehen soll, daselbst doch zwei
mal (als Teil von a sowol, wie als Teil von b) implicite erwähnt wird.
Es ist unbestreitbar, dass man diesen Standpunkt einnehmen kann,
denn auf Grund der oben citirten Sätze ist man berechtigt, und hindert
in der That nichts, überall da, wo eine unsrer im Jevons'schen Sinne
auftretenden Summen a + b auftritt, dafür unsymmetrisch und etwas
umständlicher sei es a + a1b, sei es a b1 + b zu schreiben, oder endlich
auch symmetrisch aber noch umständlicher: a b + a b1 + a1b.
Wer dieses vorzieht, wird also in der That es durchführbar finden,
ausschliesslich mit „reduzirten“ Summen zu operiren und bei Herrn
[366]Neunte Vorlesung.
Venn's Ansicht zu verharren. Es frägt sich nur, wie man damit
durchkäme, ob etwa besser und bequemer?
Nicht der einzige, aber doch ein Hauptzweck unsres Kalkuls sind
jedenfalls die Anwendungen desselben. Bei diesen müssen wir Data
von Textaufgaben übertragen in die Zeichensprache des Kalkuls, in
Relationen oder Formeln, und haben deren rechnerisch gefundene
Lösungen alsdann wieder in die Wortsprache zurückzuübersetzen.
Die Brauchbarkeit des Kalkuls wird dabei im allgemeinen als
eine um so grössere erscheinen, je inniger derselbe sich an die Wort-
sprache anschmiegt; wenigstens soll er von den Gepflogenheiten der
letzteren nicht ohne Not, nicht ohne triftige, durch greifbaren Vorteil
sich rechtfertigende Gründe*) abweichen.
Ich werde nun durch ein paar Beispiele den Nachweis liefern,
dass die Wortsprache unsre identische Addition nicht nur zulässt,
sondern allerorten ganz ungenirt und wesentlich von derselben Gebrauch
macht — in der Wissenschaft natürlich nicht weniger wie im gemeinen
Leben (doch genügt es schon, aus letzterm nur die Beispiele heraus-
zugreifen**)). Es erscheint schon deshalb nicht ratsam, jene Addition
aus unsrer Disziplin der Algebra der Logik auszuschliessen. Überdies
werden wir aber sehen, dass die Wortsprache auch wohl daran thut,
dieselbe zu verwenden.
β) Exempel. Die geographische Gesellschaft einer Universitäts-
stadt veranstaltete im Saale der Museumsgesellschaft einen öffentlichen
Vortrag, und schrieb in dessen Ankündigung im Tageblatt aus, dass
Studenten sowie Museumsmitglieder freien Eintritt hätten.
Es gab aber viele Studenten, die zugleich Mitglieder der Museums-
gesellschaft waren.
Sagen wir für „Studenten“ a, für „Museumsmitglieder“ b, so war
also die Klasse der durch freien Eintritt bevorzugten Personen in der
Ankündigung als „Studenten und Museumsmitglieder“, mithin als a + b
bezeichnet.
Es ist augenscheinlich, dass die Klasse a · b der den beiden Kate-
gorieen gemeinschaftlich angehörenden Individuen auf diese Weise
zweimal aufgezählt wurde, und hätte im Sinne des Herrn Venn kor-
[367]§ 18. Verschiedenartige Anwendungen.
rekter das Inserat besagen müssen, dass „für die Studenten und die-
jenigen Mitglieder der Museumsgesellschaft, welche keine Studenten sind“
der Eintritt frei sei — entsprechend a + a1b.
Die Ankündigung wurde wohlweislich nicht so stilisirt, schon weil
sie dann um die Inseratkosten für die gespaltene Petit-Zeile, welche
die hier kursiv gedruckten Worte erfordert haben würden, teurer zu
stehen gekommen wäre!
γ) Anderes Exempel. Ein Armeebefehl gibt bekannt, dass
während des Waffenstillstandes aus einer von den deutschen Truppen
umzingelten Festung folgende Kategorieen von Personen herauszu-
lassen seien:
Hiermit ist die Klasse der herauszulassenden Personen schlechtweg
gekennzeichnet als die identische Summe:
A) a + b + c + d + e + f.
Dies ist in der That der kürzeste Ausdruck für diese Klasse,
welcher möglich erscheint, obgleich, oder vielmehr gerade weil man
sich dabei nicht scheut, es nicht ängstlich umgeht, verschiedene Klassen
von Personen implicite, d. h. in verhüllter Gestalt, unter anderm Namen,
wiederholt aufzuzählen. Z. B. die deutschen Kinder sind unter b mit
aufgezählt als Kinder und unter f nochmals als Deutsche, etc.
Will man niemals andere Klassen zusammenfassen als solche, die
einander ausschliessen, so ist man genötigt — falls wir etwa die
obige Reihenfolge beibehalten wollen — den folgenden Ausdruck in
Worten darzustellen:
B) a + b a1 + c a1b1 + d a1b1c1 + e a1b1c1d1 + f a1b1c1d1e1.
Um zu beweisen, dass dieser in der That dem vorigen identisch gleich
ist, scheide man erst den Faktor a1 bei den fünf letzten Gliedern aus, wo-
durch entsteht:
a + a1 (b + c b1 + d b1c1 + e b1c1d1 + e b1c1d1 + f b1c1d1e1)
und ersichtlich wird, dass nach Th. 33+) Zusatz dieser ausgeschiedene
Faktor a1 unterdrückt werden darf. Thut man dies und scheidet bei den
vier letzten Gliedern der entstehenden Summe sogleich den Faktor b1 aus:
a + b + b1 (c + d c1 + e c1d1 + f c1d1e1)
so darf auch dieser unterdrückt werden, und so fort.
Ebenso wie wir eben B) in A) transformirten, kann man auch um-
gekehrt den Ausdruck A) in den B) überführen, indem man — die Glieder
des A) von rechts nach links durchgehend — successive von der Erlaub-
niss Gebrauch macht, ein jedes Glied mit der Negation des ihm voran-
gehenden zu multipliziren.
Das gäbe nun die folgende Aufzählung: Frauen oder Mädchen,
dazu die Kinder männlichen Geschlechts (Knaben), sodann die greisen
Personen, welche männlichen Geschlechts „und keine Kinder“ sind
(Greise), sodann die Verwundeten, welche nicht weiblichen Geschlechts,
auch keine Kinder und keine Greise sind, weiter die Kranken, welche
nicht weiblichen Geschlechts, keine Kinder, keine Greise und unver-
wundet sind, endlich die Deutschen, welche nicht weiblichen Geschlechts,
keine Kinder, keine Greise, unverwundet und gesund sind.
Nun lässt sich der Ausdruck ja allerdings noch in etwas verein-
fachen. Indem nämlich hier b c = 0 ist, d. h. es keine Kinder gibt,
die Greise sind, muss:
c b1 = b1c + 0 = b1c + b c = (b + b1) c = 1 · c = c
sein; es lässt sich also der Faktor b1 bei c unterdrücken, oder ist der
Zusatz „welche keine Kinder sind“ bei den „Greisen“ — wie man ja
wol augenblicklich gesehen hat — überflüssig.
Welcher Befehlshabende würde gleichwohl sich einer solchen
Pedanterie schuldig machen, wie sie auch der so vereinfachten letzten
Aussage noch anhaftet?! —
Man bemerke noch die Unsymmetrie des letzten Ausdruckes (B), die
Abhängigkeit seines Baues von der gewählten Reihenfolge der Glieder.
Nähme man die Glieder von A) in der umgekehrten Folge, z. B., so hätte
man, um nichts schon Aufgezähltes zu wiederholen, nunmehr zu sagen:
C) f + e f1 + d e1f1 + c d1e1f1 + b c1d1e1f1 + a b1c1d1e1f1
Und wollte man neben Erfüllung der Boole-Venn'schen Anforderung gar
noch die Symmetrie des Ausdrucks bezüglich aller sechs Terme von A)
wahren — so, wie es Th. 33+) bezüglich der zwei ersten ermöglicht — so
wären nicht weniger als dreiundsechzig Glieder anzusetzen, deren jedes aus
sechs Faktoren a oder a1, b oder b1, etc. bis f oder f1 bestünde, wie aus
späteren Untersuchungen erhellen wird.
δ) Die vorstehenden Beispiele liefern Belege für eine sehr be-
merkenswerte Thatsache:
Etwas schon einmal Gesagtes zu wiederholen scheint auf den ersten
Blick eine Verschwendung zu sein an Zeit und Worten.
Die Beispiele thun aber dar, dass es sehr viel umständlicher wird,
den Wiederholungen konsequent aus dem Wege zu gehen, als sie sich
gelegentlich zu gestatten; sie zeigen, dass nur durch solche scheinbare
[369]§ 18. Rechtfertigungen.
Verschwendung die grösste Sparsamkeit an zur Beschreibung einer Klasse
benötigten Worten oder Zeichen sich erzielen lässt, und bewahrheiten so
auf dem Gebiete des Haushalts mit Worten, auf dem Felde der „Ter-
minologie“, einen Satz, dem auch auf andern wirtschaftlichen Gebieten
(so namentlich bei den Beratungen des Staatshaushalts seitens der
Volksvertreter) eine allgemeinere Berücksichtigung zu wünschen wäre:
dass die anscheinend allerengste Sparsamkeit oft auf die ärgste Ver-
schwendung notwendig hinausläuft.
Als Vorteile, welche durch den Gebrauch der (Jevons'schen) ein-
schliessenden oder tautologisirenden Addition (gegenüber der aus-
schliessenden Boole-Venn's) zu erzielen sind, somit denselben recht-
fertigen, lassen sich namhaft machen:
Der einzige Einwand, der gegen jene Addition sich erheben lässt
und auch erhoben wurde*), ist der Vorwurf der Tautologie: dass man
Schröder, Algebra der Logik. 24
[370]Neunte Vorlesung.
dabei sich schuldig mache, schon einmal Gesagtes (zumeist doch nur
in verhüllter Gestalt) nochmals zu sagen, zu wiederholen.
Dieses ist nun aber an sich etwas ganz Harmloses, und kann uns
das Ärgerniss, welches an Tautologien, wenn sie etwa wie bei Th. 14)
unverhüllt auftreten, welches an den „nackten“ Pleonasmen zu nehmen
ist, nicht bewegen, auf alle oben aufgezählten Vorteile zu verzichten
— um so weniger, als ja ohnehin bei allgemeinen Festsetzungen fast
immer gewisse Grenzfälle mit eingeschlossen werden, mit unterlaufen,
im Hinblick auf welche allein man die Festsetzungen sicher nicht ge-
troffen haben würde. —
Jevons1 p. 76 sq. führt als Beleg dafür, dass das „oder“ — eventuell
„und“, vergl. § 8, η, ϑ) — faktisch nicht im ausschliessenden Sinne ge-
braucht wird, den Satz an: Ein (englischer) „peer“ ist entweder ein Herzog
(duke), oder ein Graf (earl) oder ein Marquis oder ein „viscount“ oder ein
Baron, und macht darauf aufmerksam, dass viele peers zwei oder mehr
von diesen Titeln besitzen, z. B. der Prince of Wales zugleich Duke of
Cornwall, Earl of Chester, Baron Renfrew etc. ist. Auf p. 77 citirt er
Stellen aus Shakespeare, Milton, Tennyson und Darwin's „Origin
of species“ (denen leicht aus deutschen Klassikern ähnliche gegenüber-
zustellen wären) um die gleiche Thatsache zu stützen, und resumirt mit
Recht, dass die Bedeutungen der durch die Konjunktionen „und“ sowie
„oder“ verknüpften Terme von der absoluten Identität bis zum absoluten Ge-
gensatze schwanken.
ε) Als nächste Anwendung unsres Kalkuls sei eine kleine Studie
ausgeführt über unzulängliche Präzision und Missverständlichkeit ver-
baler Ausdrücke, welche mit den Partikeln „und“, „oder“ und „nicht“
aufgebaut werden und die Beschreibung von Klassen bezwecken, welche
sich aus andern als bekannt vorausgesetzten Klassen ableiten.
Auf die Mehrsinnigkeit des Bindewortes „oder“ wurde schon in
§ 8 unter ζ, η, ϑ) aufmerksam gemacht.
Was a oder b ist, im inklusiven Sinne verstanden als „a oder
auch b“, entsprach nach dortigen Auseinandersetzungen der identischen
Summe:
a + b, welche = a b1 + a b + a1b ist,
d. h. bedeutet, was entweder a und nicht b, oder b und nicht a, oder
endlich a und b zugleich ist.
Was a oder b ist, im exklusiven Sinne verstanden als „a oder
aber b“, vergl. § 8, η), wird nunmehr darzustellen sein mit:
a b1 + a1b,
d. h. entweder a, und dann nicht b, oder aber b, und dann nicht a.
Für zwei Kreise a und b wird dieses Gebiet
durch die in nebenstehender Figur schraffirte Fläche
veranschaulicht.
Die beiden Ausdrücke differiren um das Glied a b,
fallen also mit ihren Bedeutungen zusammen, sooft
a b = 0 ist.
Wir haben dies bereits l. c. durch das Beispiel
„Gold oder Silber“ erläutert, resp. exemplifizirt. Dagegen bedeutet „Grund-
besitzer oder aber Adelige“ etwas ganz anderes als „Grundbesitzer oder
auch Adelige“. Jenes nämlich fasst blos die bürgerlichen Grundbesitzer
mit den nicht grundbesitzenden Adeligen in eine Klasse zusammen unter
Ausschluss der adeligen Grundbesitzer. Dieses dagegen unter Einschluss
der letzteren.
Beiderlei „oder“ erscheinen als symmetrisch in Bezug auf die
Glieder der Alternative. „a oder auch b“ sagt dasselbe wie „b oder
auch a“ nach dem Kommutationsgesetze 12×).
Ebenso ist aber auch „a oder aber b“ einerlei mit „b oder aber a“,
da, wie leicht zu sehen,
a b1 + a1b = b a1 + b1a
sein muss.
Hier möchten wir noch die Frage einschalten, ob es nicht vielleicht
ein unsymmetrisches „oder“ gibt in dem Sinne, dass „a oder b“ bedeutet:
entweder a und dann nicht b, oder aber b und dann vielleicht doch auch a
zugleich?
Die Frage ist offenbar zu verneinen. Der Ausdruck ist ganz unklar,
sofern er in seinem ersten Teil etwas verbietet, was er in seinem zweiten
Teile ausdrücklich erlaubt.
Hier kann man entweder — in Analogie mit dem in der Gesetzgebung
maassgebenden Usus — den Grundsatz anerkennen, dass, was etwa in
einem Gesetzesparagraphen als erlaubt (nicht verboten) erscheint, in einem
andern aber verboten wird, verboten sei, den Grundsatz also: Wenn Erlaub-
24*
[372]Neunte Vorlesung.
niss und Verbot zusammentreffen, so gilt das Verbot. Darnach hätten wir
a b1 + b a1 + b a b1 = a b1 + a1b
als Sinn des obigen Ausdrucks, entsprechend dem exklusiven „oder aber“
— da das b, welches zugleich auch a ist, dem ersten Teil zufolge auch
nicht b sein muss, also mit dem Faktor b b1, = 0, behaftet sein und weg-
fallen wird.
Oder man könnte auch den Grundsatz einhalten, sobald in Bezug auf
das Nämliche eine Erlaubniss und ein Verbot ausgesprochen werden, immer
das zuletzt Gesagte gelten zu lassen, ein ergangenes Verbot also durch eine
darauf folgende ausdrückliche Erlaubniss als aufgehoben zu betrachten —
was allerdings nicht im Einklang mit dem Prinzip I des Aussagenkalkuls
stehen wird. In diesem Falle würde unser Ausdruck bedeuten:
a b1 + b + a b = a + b;
jenes „oder“ deckte sich dann also mit „oder auch“.
In beiden Fällen hätten wir kein neues „oder“, sondern nur eines der
beiden früheren in weitläufigerer Formulirung.
Sofern es nicht aus dem oben genannten Grunde ohnehin gleich-
gültig, irrelevant ist, werden wir wie bisher, so auch fortgesetzt hier,
wenn nicht ausdrücklich „oder aber“ gesagt wird, unter der schlecht-
weg gesetzten Partikel „oder“ immer das einschliessende „oder auch“
verstehen.
ζ) Nach unsern Festsetzungen sind nun die Ausdrücke:
„nicht-a“ „was a und b ist“, sowie, „was a oder b ist“
von einer ganz bestimmten Bedeutung; sie können nur auf eine Weise
verstanden werden als a1, a b, resp. a + b, und erscheinen Missverständ-
nisse hiebei ausgeschlossen.
Ebenso sind:
„Was a und nicht b ist“ als a b1,
„Was a oder nicht b ist“ als a + b1
völlig unzweideutige Ausdrücke.
Doppelsinnig dagegen erscheinen schon die Ausdrücke:
„Was nicht a und b ist“, „Was nicht a oder b ist“.
Den erstern z. B. kann man einerseits verstehen als:
„Was nicht a, und zugleich b, ist“
d. h. als a1b, andrerseits als:
„Was nicht a und b zugleich ist“,
d. h. als
(a b)1 = a1 + b1 = a1b + b1 = a1b + a b1 + a1b1 nach Th. 33+)
— woraus zu ersehen, um was sich die Bedeutung des Ausdrucks von
der des vorigen unterscheidet.
Ebenso kann der zweite verstanden werden als:
„Was »nicht a« oder b ist“, d. h. a1 + b = a1b1 + a b + a b1,
oder aber als:
„Was nicht »a oder b« ist, d. h. (a + b)1 = a1b1.
Im Interesse der Deutlichkeit empfiehlt sich hiernach die Maxime:
bei konjunktiver Häufung von Attributen oder Prädikaten die bejahten
den verneinten womöglich vorangehen zu lassen.
Man wird hier wiederum bestätigt finden, dass die Mehrsinnigkeit
und die damit gegebene Möglichkeit von Missverständnissen, ja, ge-
legentlich die Verleitung zu solchen, daher rührt, dass die Wortsprache
des Instituts der Klammern entbehrt. Hiefür noch ein Beispiel:
„Was a und b oder c ist“
kann verstanden werden als:
„Was »a und b« oder c ist“,
d. i. als
a b + c = (a b) + c
oder auch in dem wesentlich davon verschiedenen Sinne:
„Was a und »b oder c« ist“,
d. i. als
a (b + c).
Letzterer Ausdruck wird nun vollständig bekanntlich gelesen als:
„a (mal) Klammer b plus c geschlossen“, und so könnte man — scheint
es — auch im Texte Doppelsinnigkeiten vermeiden, wenn man daselbst
die Worte … „Klammer“ … „Geschlossen“ … an geeigneter Stelle
einfügte. Mindestens würden aber hiefür die … Anführungszeichen »
und … Schlusszeichen « … den Vorzug verdienen, da wie schon ein-
mal erwähnt, im Worttext die Einklammerung schon anderweitig be-
schlagnahmt ist.
In Druck und Schrift dürfte der Gebrauch dieser Zeichen, zu
denen wir auch gelegentlich greifen, in der That der beste Behelf sein
wo immer es auf genaueste Unterscheidung ankommt und Missverständ-
nisse sich nicht durch den Stil, Wahl geeigneter Redewendungen schon
völlig ausschliessen lassen.
Zu so verzweifeltem Auskunftsmittel, jene Zeichen, wie angegeben,
ausdrücklich zu lesen, greift die Sprache jedoch im gesprochenen Texte
nicht; vielmehr verhält sie sich diesen Zeichen gegenüber gerade wie bei
den Interpunktionszeichen und bestrebt sich ihrem Mangel abzuhelfen und
dasjenige was die Zeichen uns auszudrücken bestimmt sind, darzustellen
durch den Tonfall und Rhythmus der Rede, Anbringung geeigneter Pausen
und nachdrückliche Betonung einzelner Redeteile, Emphase. Auch beim
Lesen von Formeln werden ja die Klammern nicht immer gesprochen,
sondern zumeist in ähnlicher Weise angedeutet — woraus allerdings, beim
Diktiren z. B., bekannte Schwierigkeiten entspringen.
Immerhin besitzt die Zeichensprache des Kalkuls zufolge ihrer
korrekten Handhabung der Klammern einen merklichen Vorsprung vor
der Wortsprache, der sich besonders bei subtileren und verwickelten
Untersuchungen geltend macht.
Wie schon beim Beschreiben von Klassen, so macht sich auch in
irgend welchen andern Beziehungen der beklagte Mangel und gerügte Nicht-
gebrauch von die Klammern zu vertreten fähigen sprachlichen Gebilden
sehr häufig fühlbar.
Als Beispiel dadurch herbeigeführter Unbestimmtheit führt Jevons
u. a. den Satz an: Er fuhr [‚]von Dover nach London und ‛von London nach
Brighton[‚] mit dem Schnellzuge'. Zufolge der (Un-)Sitte, das Zeitwort
ganz an's Ende zu stellen, entstehen im Deutschen leider solche Unklar-
heiten ganz besonders leicht, wie es beispielsweise die Zeitungsnotiz er-
kennen lässt: An der deutschfranzösischen Grenze wird viel über [‚]Wild-
diebereien ‛von französischer Seite[‚] geklagt' — derengleichen aber unschwer
auch von den bessern Schriftstellern in unbegrenzter Fülle beizubringen wären.
In der begonnenen Aufzählung missverständlicher Ausdrücke der
Wortsprache wollen wir nicht nach Vollständigkeit streben, sondern
begnügen uns mit noch ein paar Beispielen.
η) Aufgabe. Auf wieviele Arten kann der Ausdruck: „Was a
und b oder c und d ist“ verstanden, beziehungsweise missverstanden
werden?
Auflösung. Verstanden auf vier, somit missverstanden auf
drei Arten.
Sind nämlich vier Terme durch irgendwelche Operationen zu ver-
knüpfen, was wir dadurch andeuten wollen, dass wir die Terme a b c d
ohne Knüpfungszeichen nebeneinander setzen, so können Klammern auf
folgende fünf Arten gesetzt werden, um die Knüpfungen auf lauter
„binäre“ (d. h. immer nur zwei Elemente auf einmal verbindende)
zurückzuführen:
{(a b) c} d, {a (b c)} d, (a b) (c d), a {(b c) d}, a {b (c d)}.
Unser obiger Ausdruck lautet nun:
a · b + c · d
und lässt folglich fünf Deutungen zu, von denen aber die zweite und
vierte dasselbe Resultat liefern, indem nach Th. 13×) etc.:
{a (b + c)} d = a {(b + c) d} = a (b + c) d = a b d + a c d
sein muss, wogegen dieses Resultat von den drei andern Deutungen:
{(a b) + c} d = (a b + c) d = a b d + c d, a {b + (c d)} = a (b + c d) = a b + a c d
und
[375]§ 18. Studien.
(a b) + (c d) = a b + c d
verschieden ist, gleichwie auch diese unter sich es sind im Allgemeinen.
ϑ) Aufgabe. Wie unterscheidet sich der Ausdruck: „folgsame (a)
fleissige (b) Kinder (c)“ von dem Ausdruck: „folgsame Kinder und
fleissige Kinder“.
Auflösung. Der erstere ist a b c, der letztere
a c + b c = (a + b) c also a b c + a b1c + a1b c,
d. h. er umfasst ausser dem erstern auch noch die Kinder, welche
folgsam aber nicht fleissig und diejenigen, welche fleissig aber nicht
folgsam sind.
Sagt man nun: „folgsame und fleissige Kinder“, so erscheint es
ganz in subjektives Belieben gestellt, ob man den erstern Ausdruck
darunter verstehen will, oder den letztern — vergl. § 8, ξ).
Es geben, denke ich, die vorstehenden Betrachtungen kein allzu
glänzendes Bild von der Qualifikation der Wortsprache zur exakten
Darstellung und Einkleidung von Untersuchungen über Klassen, und
sie lassen wol auch erkennen, dass das Heil nicht etwa zu erwarten
ist von Bestrebungen, die — wie das „Volapük“ — blos die unregel-
mässigen Formen, z. B. der Deklinationen und Konjugationen, abschaffen.
ι) Nunmehr Betrachtungen von einer andern Tendenz: Die Sätze
bisheriger Theorie können gelegentlich verwertet werden um Ausdrücke
zu vereinfachen, welche Klassen darstellen sollen.
Aufgabe. Wenn gesprochen wird von den gebildeten Reichen,
den reichen Adeligen und den adeligen Ungebildeten — wie ist die
Beschreibung dieser Klasse von Personen zu vereinfachen?
Auflösung. Man lasse den mittleren Term weg; die Anführung
der reichen Adeligen ist zu sparen. Denn:
Sei a = gebildet, b = reich, c = adelig,
so ist:
a b + b c + c a1
die gegebene Klasse, und für b c kann gesetzt werden:
1 · b c = (a + a1) b c = a b c + a1b c;
alsdann aber wird in dem Ausdrucke:
a b + a b c + a1b c + a1c
das zweite Glied vom ersten, das dritte vom letzten nach Th. 23+) ab-
sorbirt, und entsteht:
a b + a1c.
In Worten kann man überlegen: Die reichen Adeligen sind ent-
weder gebildet oder ungebildet. Im erstern Falle sind sie unter den
gebildeten Reichen, im letztern unter den adeligen Ungebildeten ohne-
hin erwähnt, und folglich ist es durchaus überflüssig, sie noch be-
sonders zu erwähnen.
Man sieht, wie hier die Rechnung zwar für den in ihr noch Un-
geübten vielleicht nicht bequemer ist, als die Überlegung in Worten,
wie sie aber die Operationen dieses verbalen oder mentalen Räsonne-
ments Schritt für Schritt wiederspiegelt und dieselben in knappster
Form zum Ausdruck und Bewusstsein bringt.
Beiläufig haben wir vorstehend einen Satz gewonnen. Denselben
spricht die Formel aus:
Theoremι) a b + b c + c a1 = a b + c a1,
welche leicht zu merken und in der Technik des Kalkuls von ziem-
licher Anwendbarkeit ist.
ϰ) Der Satz ist übrigens nahe verwandt, wenn man will nur eine
kleine Umformung, eines schon von Herrn Peirce aufgestellten Theo-
rems, nämlich des folgenden: Es gilt stets:
Theoremϰ) (a + x) (b + x1) = a x1 + b x.
Durch Ausmultipliziren der linken Seite lässt sich nämlich erhalten:
x b + b a + a x1,
wonach der Satz ersichtlich auf den ι) zurückkommt. In der ihr von
Peirce gegebenen Form ist die Gleichung dadurch bemerkenswert,
dass die eine Seite derselben als das duale Gegenstück der andern
(und umgekehrt) erscheinen würde, wenn nicht das Symbol x zugleich
mit seiner Negation x1 tauschte. Es wäre darnach nicht korrekt, die
Formel ϰ) selber eine „zu sich selbst duale“ zu nennen, wohl aber
darf man von dem durch sie ausgedrückten allgemeinen Satze sagen,
dass er sich selbst dual entspreche. Denn das duale Gegenstück von ϰ),
welches lautet: a x + b x1 = (a + x1) (b + x),
wird den nämlichen Satz ausdrücken, da man in letzterer Gleichung
unter x auch dasjenige Gebiet verstehen kann, welches in ϰ) mit x1
bezeichnet wurde.
λ) Aufgabe. Auf einer strategischen Bahnlinie findet sich für
eine gewisse Zeit der Transport verboten von allen Gütern ausser
solchen, welche Kriegszwecken dienen können, wenn sie explosiv oder
[377]§ 18. Anwendungen.
nicht für die Montanindustrie bestimmt sind, sowie solchen, welche
für die Montanindustrie bestimmt sind, wenn sie nicht explosiv sind
oder nicht Kriegszwecken dienlich.
Man soll das Transportverbot vereinfachen.
Auflösung. Es bedeute a = Kriegszwecken dienlich, b = ex-
plosiv, c = für die Bergbauindustrie bestimmt. So ist nur erlaubt zu
transportiren die Klasse der Güter:
a (b + c1) + c (b1 + a1).
Von Th. 33+), Zusatz, Gebrauch machend kann man hiefür schreiben:
a (b c + c1) + c (b1a + a1) = a c (b + b1) + a c1 + a1c = a c + a c1 + a1c = a + c,
quod erat inveniendum. Also:
Ausschliesslich erlaubt ist der Transport derjenigen Güter, welche
Kriegszwecken dienlich, oder für die Montanindustrie bestimmt sind
(ganz ohne Rücksicht darauf, ob sie explosiv sind, oder nicht). —
Man kann auch gemäss Th. 36) von dem Ausdruck die Negation
nehmen, und findet: (a1 + b1c) (c1 + b a) = a1c1
unmittelbar durch Ausmultipliziren. Also ist der Transport verboten
für Alles, was weder Kriegszwecken dienlich noch auch für die Mon-
tanindustrie bestimmt ist. — Die Klasse „explosiv“ fiel beidemal ganz
heraus; dieselbe kommt wesentlich gar nicht in Betracht. —
μ) Man kann nun auch schon manche Streitfrage rechnerisch
entscheiden.
Aufgabe. Ein Chemiker hatte, um weitere Schlüsse darauf zu
bauen, gesagt:
„Salze, die nicht farbig sind, sind Salze, die nicht organisch sind,
oder organische Körper, die nicht farbig sind.“
Ein anderer bestreitet ihm dies. Zu entscheiden, wer Recht hat.
Auflösung. Es bedeute a = Salze, b = organisch, c = farbig.
So lautete die Behauptung:
a c1 ⋹ a b1 + b c1.
Nach Th. 38×) ist die vorstehende Subsumtion völlig gleich-
bedeutend mit der Gleichung:
a c1 (a b1 + b c1)1 = 0, oder a c1 (a1 + b) (b1 + c) = 0
und da Ausmultipliziren linkerhand diese Gleichung nach Th. 30×) be-
wahrheitet, so ist auch die Subsumtion richtig, hatte der Erstere Recht.
Wie von allen verfügbaren Mitteln, so auch vom Ausmultipliziren kann
[378]Neunte Vorlesung.
geschickt und ungeschickt Gebrauch gemacht werden. Unzweckmässig wäre
es, hier erst die beiden Binome auszumultipliziren, wobei von den vier zu
bildenden Produkten blos eines, b b1 fortfiele. Besser gehe man mit dem
Faktor a in die erste Klammer und mit dem c1 in die letzte Klammer
hinein, wo dann nur je ein Glied stehen bleiben und sogleich a b · b1c1 ent-
stehen wird.
Man kann auch nach Th. 38+) die Subsumtion umschreiben in
die Gleichung:
(a c1)1 + a b1 + b c1 = 1 oder a1 + c + a b1 + b c1 = 1,
welche sich ebenfalls bewahrheitet, indem nach Th. 33+) Zusatz:
a1 + a b1 = a1 + b1, desgleichen c + b c1 = c + b, hernach aber b1 + b = 1
und die ganze Summe: 1 + a1 + c = 1 nach Th. 22+) sein wird.
Endlich könnte man die rechte Seite der fraglichen Subsumtion
umformen in:
a b1 (c + c1) + (a + a1) b c1 = a b1c + a c1 (b1 + b) + a1b c1 = a c1 + (a b1c + a1b c1).
Nach Th. 6+) ist nun ein Summand — hier a c1 — jederzeit in
der Summe enthalten. —
ν) So unvollständig unser bis jetzt gesichertes wissenschaftliches
Kapital noch ist (wie aus der Fortsetzung der Theorie erhellen wird),
so vermag man doch mit demselben schon unbeschränkt neue Sätze
aufzustellen, deren oft recht interessante zu entdecken, entdeckte zu
beweisen. Wir begnügen uns mit ein paar Beispielen.
Theoremν) (von Peirce). Wenn
a b ⋹ c + d
ist, so muss auch:
a c1 ⋹ b1 + d
sein [und desgleichen, mit demselben Rechte:
a d1 ⋹ b1 + c, b c1 ⋹ a1 + d, b d1 ⋹ a1 + c, c1d1 ⋹ a1 + b1,
sodass von allen sechs Subsumtionen eine jede die fünf übrigen nach
sich zieht, mit jeder andern äquivalent ist]. Es kann hienach ein
Faktor des Subjekts mit einem Summanden des Prädikats vertauscht
werden, sofern man nur beide in ihre Negationen umwandelt.
Der Beweis des Theorems wird am einfachsten dadurch geleistet,
dass man nach Th. 38×) die Subsumtionen in Gleichungen umschreibt,
wodurch die vorausgesetzte in a b (c + d)1 = 0 oder wegen 36+) in
a b c1d1 = 0, die behauptete in a c1 (b1 + d)1 = 0, das ist a c1b d1 = 0 über-
geht, sonach die beiden ganz das nämliche besagen.
[Nun darf man in der Voraussetzung unbeschadet ihrer Gültigkeit
[379]§ 18. Anwendungen.
a mit b sowie auch c mit d vertauschen, und muss hiebei auch die Be-
hauptung gültig bleiben. Thut man dies einzeln oder gleichzeitig, so er-
hält man aus der letztern sofort auch noch die drei folgenden von den be-
haupteten Subsumtionen, und geht die allerletzte dann nach dem Theorem
selbst aus der vorletzten hervor, wenn man in ihr die Terme b und c vor-
schriftsmässig auf die andre Seite des Subsumtionszeichens wirft. Zum
Überfluss folgt die eine Hälfte der sechs Subsumtionen auch aus der andern
und so die letzte aus der ersten durch beiderseitiges Negiren gemäss
Th. 37) und 36).]
ξ) Exempel hiezu. In der Mannigfaltigkeit 1 der (ebenen) Kurven
bedeute a die Klasse der Kegelschnitte, b die Klasse derjenigen Kurven,
welche einen „Mittelpunkt“ haben, c die Klasse der Ellipsen (mit Ein-
schluss des Kreises) und d die Klasse der Hyperbeln (mit Einschluss
des Geradenpaars, nämlich Paares einander schneidender Geraden), so
ist die vorausgesetzte Subsumtion erfüllt, nämlich:
Kegelschnitte, welche einen Mittelpunkt haben, sind Ellipsen oder
Hyperbeln.
Nach dem Theoreme folgt daraus: Kegelschnitte, welche nicht
Ellipsen sind, müssen Hyperbeln sein oder (Kurven, die) keinen Mittel-
punkt haben. Etc. etc.
Anmerkung. Das gegebene Beispiel kann benutzt werden um
darzuthun, dass es nicht gestattet ist, die Subsumtionszeichen in dem
Satze ν) durch Gleichheitszeichen zu ersetzen. Denn die vorausgesetzte
Subsumtion gilt hier sogar als Gleichung (indem die Ellipsen nebst den
Hyperbeln auch die Kegelschnitte sind, die einen Mittelpunkt haben),
die gefolgerte Subsumtion aber nicht:
Kurven, die keinen Mittelpunkt haben (oder aber, resp.), sowie
Hyperbeln, brauchen nicht Kegelschnitte zu sein, die nicht Ellipsen
sind — sie brauchen nämlich überhaupt nicht Kegelschnitte zu sein.
ο) Herr Peirce erblickt im obigen Satze ν) das wahre Wesen,
die „Essenz“ der Negation — was insofern begründet erscheint, als
derselbe die hochwichtigen Theoreme 41) in sich vereinigt. Diese
fliessen aus ihm, indem man c = 0 resp. b = 1 annimmt.
Man konnte auch umgekehrt das Th. ν) ganz unmittelbar auf die
beiden einfacheren Theoreme 41) zurückführen.
Anstatt aus diesen setzt Peirce5 p. 35, sein Theorem aus folgenden
beiden Sätzen zusammen (wie? ist mir nicht recht ersichtlich):
| Theoremο×). Wenn | Theoremο+). Wenn |
| a b ⋹ c | a ⋹ b + c |
| so ist: a c1 ⋹ b1 | so ist: b1 ⋹ c + a1 |
sowie umgekehrt — deren Beweis und Deutung dem Leser überlassen sei.
π) Theorem (von Jevons1 p. 61). Von den sechs Gleichungen:
a = b c1 + b1c, a1 = b c + b1c1
b = c a1 + c1a, b1 = c a + c1a1
c = a b1 + a1b, c1 = a b + a1b1
hat jede die fünf übrigen zur Folge; dieselben sind alle sechse einander
äquivalent.
Aufgabe: das Theorem zu beweisen.
Auflösung. Durch beiderseitiges Negiren nach Th. 32) und 36)
gehen die beiden Gleichungen einer jeden Zeile in einander über. Es
handelt sich also nur noch darum, die untereinander stehenden links
auf einander zurückzuführen.
Dies kann geschehen, indem man die beiden ersten Gleichungen
mit c1 resp. c beiderseits multiplizirt und die Ergebnisse a c1 = b c1,
a1c = b c überschiebend addirt. Etc.
Am besten bringt man gemäss Th. 39+) die erste dieser Gleichungen
rechterhand auf Null. Dieselbe erweist darnach sich äquivalent mit
a (b c1 + b1c)1 + a1 (b c1 + b1c) = 0
oder, wegen
(b c1 + b1c)1 = b c + b1c1,
mit:
a b c + a b1c1 + b c1a1 + c a1b1 = 0.
Hieraus ist aber zu ersehen, dass der vorausgesetzte Zusammen-
hang zwischen den Symbolen a, b, c in Bezug auf diese symmetrisch
ist, durch Vertauschung derselben nicht verändert wird. Man mag
demnach z. B. die Buchstaben a, b, c „cyklisch“ — im Ringe herum
— vertauschen, d. h. a durch b, daneben b durch c und c durch a er-
setzen; dadurch wird man aus jener ersten Formel die dritte und aus
dieser die fünfte erhalten.
Das behufs Beweises vorstehend eingeschlagene Verfahren und die
daran geknüpfte Wahrnehmung mochte ungezwungen zur Entdeckung
des Satzes geführt haben.
Man verifizire den Satz auch durch die Anschauung an der Fig. 18
(S. 371), indem man das dort schraffirte Gebiet mit c bezeichnet.
In Worten kann man sagen: Wenn a bedeutet „b oder aber c“, so
muss auch b einerlei sein mit „a oder aber c“, und c mit „a oder aber b“.
Exempel zu dem Satze. Es möge a die Klasse der gesetzlich
[381]§ 18. Studien.
erlaubten, b diejenige der moralischen Handlungen vorstellen (welche
beiden Sphären einander bekanntlich nicht durchaus decken). Alsdann
sind die Handlungen a b unbedingt zu billigen oder wenigstens nicht
zu beanstanden (es sei denn unter Gesichtspunkten, wie der Klugheit,
Zweckmässigkeit, u. a. auf die wir hier keine Rücksicht nehmen wollen),
die Handlungen a1b1 sind unbedingt zu verwerfen; dagegen können wir
die Handlungen der Klasse a b1 + a1b (= c), welche nur gesetzlich oder
nur moralisch, aber nicht beides zugleich sind, für den Augenblick —
nur um etwa einen kurzen Namen für die Klasse zu haben — „strit-
tige“ oder „fragwürdige“ nennen, sofern sie von dem Interpreten des
Gesetzes eine andere Beurteilung zu erfahren haben als wie vom Stand-
punkte der Moral. Noch besser vielleicht wird man sie „Konflikts-
handlungen“ nennen, weil Derjenige, der sie begeht oder sich vor sie
gestellt sieht, sich in Konflikt befindet oder in solchen gerät zwischen
seinem eigenen sittlichen Bewusstsein und demjenigen seiner Nation
soweit es in der Gesetzgebung zum Ausdruck gelangt ist.
Nach unserm Satze müssen dann auch die gesetzlichen Handlungen
entweder moralische oder aber Konfliktshandlungen sein, und um-
gekehrt. Desgleichen müssen diejenigen Handlungen welche frag-
würdig (Konfliktsh.) oder aber gesetzlich sind, moralische sein, und
umgekehrt.
Stellt man einen Ausdruck a b1 + a1b symbolisch als eine Knüpfung
a ∘ b von a mit b dar, so ist diese Knüpfung einerseits, wie erwähnt, eine
kommutative, es ist a ∘ b = b ∘ a, zugleich ist sie nach Jevons' Satze auch
eindeutig umkehrbar, und befolgt in Bezug auf ihre Umkehrungen das Gesetz,
dass sooft c = a ∘ b ist, auch a = b ∘ c und b = c ∘ a sein muss. Man
beweise, dass allgemein auch:
(a ∘ b) ∘ a = b = a ∘ (b ∘ a)
sein wird. Die Knüpfung genügt überhaupt den Gesetzen des in Anhang 5
unter „Beleg 6“ angeführten Algorithmus Q0. —
ϱ) Wir haben gelernt, jede beliebige Subsumtion a ⋹ b auf ver-
schiedene Arten in eine Gleichung umzuwandeln, welche ganz das
nämliche sagt — cf. Th. 20) und 38).
Umgekehrt hingegen mochte eine Gleichung a = b nach Def. (1)
durch zwei als gleichzeitig geltend hingestellte Subsumtionen a ⋹ b
und b ⋹ a ersetzt werden.
Hier liegt die Frage nahe, ob es nicht auch angängig ist, jede
beliebige Gleichung umzuschreiben in eine einzige Subsumtion.
Diese Frage beantwortet in bejahendem Sinne — das
Theoremϱ). Wenn a = b ist, so muss auch a + b ⋹ a b sein,
und umgekehrt, sodass die Gleichung mit der Subsumtion äquivalent.
In Worten: Wenn alles, was a oder b ist, auch a und b sein muss,
so sind a und b identisch, einerlei — und vice versā.
Dies zu beweisen kann als eine leichte Übungsaufgabe für An-
fänger empfohlen werden. Doch sei deren Lösung hier angegeben:
Wenn a = b ist, so wird
a + b = a + a = a und a b = a a = a,
somit läuft die behauptete Subsumtion hinaus auf die durch das Prin-
zip I verbürgte a ⋹ a. Die Gleichung zog mithin die Subsumtion
nach sich.
Ist umgekehrt a + b ⋹ a b, so können wir nach Th. 6+), der Vor-
aussetzung und Th. 6×) den Kettenschluss ausführen:
a ⋹ a + b, a + b ⋹ a b, a b ⋹ b, ergo a ⋹ b,
und ebenso zeigt man, was überdies nach der Symmetrie schon folgt,
dass auch b ⋹ a, womit nach Def. (1) dann die Gleichung a = b be-
wiesen erscheint. Die Subsumtion hat also auch die Gleichung zur
Folge, q. e. d.
Ein anderer Beweis ist ganz mechanisch führbar, indem man Sub-
sumtion wie Gleichung gemäss den Theoremen 38×) und 39) rechter-
hand auf 0 bringt.
σ) Aufgabe. Man zeige, dass wenn
a ⋹ b1c1 und b c = 0
ist, auch
b ⋹ c1a1 und c a = 0
sowie
c ⋹ a1b1 und a b = 0
sein muss.
Gilt z. B.: ein Fisch ist weder Vogel noch Säugetier, während kein
Vogel ein Säugetier ist, so haben wir auch die Folgerungen: ein Vogel
ist weder Fisch noch Säugetier, und kein Säugetier ist ein Fisch, sowie:
ein Säugetier ist weder Fisch noch Vogel, desgleichen kein Fisch ein Vogel.
τ) Ebenso zeige man, dass wenn gleichzeitig:
a ⋹ b c1 + b1c, b ⋹ c a1 + c1a, c ⋹ a b1 + a1b
ist, dann diese Subsumtionen als Gleichungen gelten müssen, nämlich
a = b c1 + b1c, etc.
sein wird.
Ausführung — gleichwie bei σ) — dem Leser überlassen —
vergl. π).
υ) Dem Anfänger, wie dem Dozenten wird auch die Zusammen-
stellung einer Anzahl rein rechnerischer Übungen willkommen sein, die
wir in mehrere Gruppen verteilen.
Die Aufgaben zielen zumeist auf die Vereinfachung eines ge-
gebenen Ausdruckes hin, und werden wir sie alsdann dadurch dar-
stellen, dass wir den „gegebenen“ und den resultirenden vereinfachten
Ausdruck, der zu entdecken gewesen, d. i. den „gesuchten“ Ausdruck,
ohne weiteres einander gleich setzen. In andern Fällen handelt es
sich von vornherein nur um den Nachweis der Identität einander gleich
gesetzter Ausdrücke; in manchen auch darum, aus einer gegebenen
Voraussetzung rechnerisch eine angegebene Folgerung zu ziehen.
Allemal machen die Angaben den Anspruch, allgemeingültig zu
sein bei beliebiger Deutung der vorkommenden Buchstabensymbole als
Gebiete oder als Klassen. Jede so ein Problem nebst seinem End-
ergebniss statuirende Angabe bringt mithin ein eigenes Theorem des
identischen Kalkuls zum Ausdruck. Natürlich muss jedoch bei unsrer
beabsichtigten mehr nur miscellenhaften Zusammenstellung solcher
Theoreme auf strenge Systematik und Vollständigkeit Verzicht ge-
leistet werden.
Nur gelegentlich geben wir auch eine Andeutung über die be-
quemste Art der Lösung, und muss der Leser resp. Löser eben die
wichtigsten Sätze des Kalkuls, vor allem die Regeln für's Ausmulti-
pliziren und Ausscheiden, das Tautologie- und das Absorptionsgesetz,
die Theoreme 30), und Zusatz zu 33+), etc. beständig vor Augen haben.
Als Theoremφ) stellen wir die Formel voran:
φ) (a + b) (b + c) (c + a) = a b + b c + c a,
welche dadurch bemerkenswert erscheint, dass sie vollkommen zu sich
selbst dual ist.
Dieselbe kann auch in der Gestalt geschrieben werden:
a (b + c) + b c = (a + b c) (b + c)
und lässt sich analog in der Form:
a (b + c + d ‥) + b c d ‥ = (a + b c d ‥) (b + c + d ‥)
auch auf beliebig viele Terme a, b, c, d, ‥ ausdehnen, wo sie dann noch
zu sich selbst dual, aber nicht mehr — wie bei dreien — in Bezug
auf alle diese Terme symmetrisch ist.
Für drei Symbole kann man dem Satze auch noch andere zu sich
selbst duale Formen geben, und zwar symmetrisch als:
(a + b c) (b + a c) (c + a b) = a (b + c) + b (a + c) + c (a + b),
[384]Neunte Vorlesung.
desgleichen unsymmetrisch, aber einfacher, als:
(a + b c) (b + a c) = a (b + c) + b (a + c), etc.
— indem diese Ausdrücke alle durch Ausmultipliziren, nach dem Ab-
sorptionsgesetze auf a b + a c + b c hinauskommen. —
χ) (a + b c) b = (a + c) b; a (a b + b c) = a b;
(a b + a c + b c) a b c = a b c; (b + a c) (c + d) = a c + b c + b d;
a + b (c + d) + (a + b x) c = a + b (c + d); (a + b) (b + a c) = b + a c;
(a + b) (b + a) = a + b; (a + b) (b + c) (c + d) (d + a) = a c + b d;
(a + b) (b + c) = b + a c; (a + b) (b + c) (c + d) = a c + c b + b d;
(a + b) (b + c) (c + d) (d + e) = b d + c (a d + a e + b e);
(a + b) (b + c) (c + d) (d + e) (e + f) = a c d f + a c e + b c e + b d e + b d f;
(a + b) (a + c) (a + d) (b + c) (b + d) (c + d) = a b c + a b d + a c d + b c d;
(a + b) (b + c) (c + d) (d + e) (e + a) = a d b + b e c + c a d + d b e + e c a;
(a + b + c) (a + b + d) (a + c + d) (b + c + d) = a b + a c + a d + b c + b d + c d;
a (b + c) c (a + b) = a c;
(a + b c) (b + a c) = a b + a c + b c = (a + b) (a b + a c + b c);
(a b + c d) (a + b) (c + d) = a b (c + d) + (a + b) c d.
a (b + c) + c1 = a + c1; a (b + c) (a1 + b1) c1 = 0; a1b c (b1 + a c + a1c1) = 0;
(a + b) (a1 + b1) = a b1 + a1b, (a + b1) (a1 + b) = a b + a1b1;
(a + b1c) (b + a1c1) = a b, (a1x + b) (a + b1x1) = a b; a (b + c) + a1 + b1c1 = 1;
(a + b1c1) (a c + b1) = a c + b1c1; a (b1 + c d) b (c1 + d) = a b c d;
(a b1c + a1b c1) (a b c1 + a1b1c) = 0; (a1 + b c) (a + b1c1) = a b c + a1b1c1;
(a1 + b1) (a b + a c + b c) = c (a b1 + a1b); (a1 + b1) a (b c1 + b1c) = a b1c;
a (b + c) (c1 + a b + a1b1) = a b; a + b1 + c1 + b (a c1 + a1c) = 1;
{a b1c + (a1 + c1) b} {a b1c1 + a1 (b + c)} = a1b; a b + a b1c = a (b + c);
a (a1 + b1c) (a1 + b c) = a c (a1 + b1) (a1 + b) = a (b1 + a1c) b (a1 + c1) = 0;
a1 (b1 + c1) (b + c a) (c + a b) = 0; (x + y) (x1 + y z1) (y1 + x z) = 0;
x y (a + x1) (a1 + y1) (b + y1) (b1 + x1) = 0; a1 + b1 + c1 + a b + a c + b c = 1;
(x + y) (x1 + z1) (y1 + z) (x1 + y + z) (x + y1 + z1) = 0; a1 + b1 + c (a b1 + a1b) = a1 + b1;
(a + b) (a b1 + a1b) = a b1 + a1b = (a1 + b1) (a b1 + a1b);
a b (a b1 + a1b) = 0 = a1b1 (a b1 + a1b);
(b c1 + b1c) (c a1 + c1a) (a b1 + a1b) = 0; (b c1 + b1c) + (c a1 + c1a) + (a b1 + a1b) =
= (c a1 + c1a) + (a b1 + a1b) = (a b1 + a1b) + (b c1 + b1c) = (b c1 + b1c) + (c a1 + c1a) =
= (a + b + c) (a1 + b1 + c1) = a (b1 + c1) + a1 (b + c) = etc.
[385]§ 18. Übungsanfgaben.
(a b + a1b1) (b c + b1c1) (c a + c1a1) = a b c + a1b1c1;
(b c + b1c1) (a b1 + a1b) (a c1 + a1c) = a1b c + a b1c1;
(a1b c + a b1c + a b c1) (a1b1 + a1c1 + b1c1) = 0;
a b + a1b1 + a1c1 + b1c1 = c1 + a b + a1b1;
a1 + b1 + a (b c1 + b1c) = a1 + b1 + c1 = a1b c + a b1c + a b c1 + a1b1 + a1c1 + b1c1;
(a + b1 + c1) (a b + a c + b c) = a (b + c); a (b + c) + b (a c1 + a1c) = a b + a c + b c;
a (b + c) + c1 + a b + a1b1 = a + b1 + c1 = a (b c1 + b1c) + c1 + a b + a1b1;
a (b + c) + a1b1 + a1c1 + b1c1 = a + b1 + c1 = a b c + a1b1 + a1c1 + b1c1 + a (b c1 + b1c);
a1 (b c1 + b1c) + a b + a c + b c = b + c; a b + a c + b c + a1b1 + a1c1 + b1c1 = 1;
(a1 + c1 + e1) (b1 + c1 + e1) (b1 + d1 + e1) (b1 + d1 + f1) (a c d f = a b1c d e1f,
Anleitung: man lasse in den Summen die Glieder fort, deren Nega-
tion als Faktor aussen steht, und erhält: e1 (b1 + e1) (b1 + e1) b1a c d f, etc.;
(a1 + b + c) (a + b1 + c) (a + b + c1) = a b + a c + b c + a1b1c1;
(a1b1 + b c1)1 = a b1 + b c; {(a1x + b1x1) c}1 = c1 + a x + b x1.
Zeige, dass wenn x = a (b + c) + b c1 + b1c ist, dann x1 = a1b c + b1c1
sein muss. Ebenso dass wenn bezüglich:
x = a1b c + a (b + c), b c + c a + a b, b1 (c1 + a) + c1a, a (b c1 + b1c) + b1c1,
so
x1 = a b1c1 + a1 (b1 + c1), b1c1 + c1a1 + a1b1, b (c + a1) + c a1, a1 (b1c + b c1) + b c;
a b1 + b1c + a b c1 = a c1 + b1c.
ψ) a1b1 + a c + b c = c + a1b1; (a + b) c1 + (c + a1b1) a1 + b c = 1;
a1b c + a b + a c + b1c = a b + c;
a1b + a c1 + a1c + b c + a b1 = a + b + c,
Anleitung: a1 (b + c) + a (b1 + c1) + b c = a1 (b + c) + a (b c)1 + b c =
= a1 (b + c) + a + b c = b + c + a + b c = etc.;
a b + b c1 + c d + b d1 = b + c d,
Anleitung: a b + b (c d)1 + c d = a b + b + c d = etc.;
a + b + c1 + a1b1c = 1,
Anleitung: Nach Th. 33+) Zusatz ist die linke Seite
= a + b + c1 + a1b1 = a + b + c1 + a1 = 1 + b + c1 = 1,
oder auch nach Th. 36+) und 30+), weil a1b1c = (a + b + c1)1;
a b + a1c + b c + c d1 + a b1c d = a b + c,
Bemerkung: das Glied a b könnte auch beiderseits fortgelassen werden;
a (c d + a b c d1 + b1c d1 + a c1 + a b1d) = a;
(a b1c1 + b c) (b c1a1 + c a) (c a1b1 + a b) = a b c;
Schröder, Algebra der Logik. 25
[386]Neunte Vorlesung.
(a b + a1b1) (c d + c1d1) {(a + d) b1c1 + a1d1 (b + c)} = 0;
{a + c1 (b + d1)} {b + d1 (a + c1)} (a +b d1) c1 (b + a c1) d1 = (a + b) c1d1;
(a + b + c + d) (a1 + b1 + c1 + d1) = a (b1 + c1 + d1) + a1 (b + c + d).
Anleitung: man zeige, dass der beim Ausmultipliziren eigentlich noch
hinzutretende Term (b + c + d) (b1 + c1 + d1) von den beiden übrigen absor-
birt wird, indem man ihn mit a + a1 multiplizirt;
(a + b + c) (a + b1 + c1) (a1 + b + c1) (a1 + b1 + c) = 0;
a1b c + a (b + c) = a (b + c) + b c; a (b + c) + b c1 + b1c =
= a b c + b c1 + b1c = a b + b c1 + b1c = a c + b c1 + b1c;
a b1c1 + a1b c1 + a1b1c + a1b c + a (b + c) = a + b + c;
a b x + a1x1 + a1b = b x + a1x1; a1x1y1 + x y1 + a x y = a x + a1y1;
a y + b x + a1b1x y = a y + b x + x y
wol am bequemsten nachzuweisen; indem man das x y rechts mit 1, =
= a + b + a1b1 multiplizirt;
a b x1y1 + a y + b x + a1b1x y = (a + x) (b + y);
a b1 + b c1 + c a1 = a1b + b1c + c1a = (a + b + c) (a1 + b1 + c1);
(a + b1) (b + c1) (c + a1) = (a1 + b) (b1 + c) (c1 + a) = a b c + a1b1c1;
a b + a b1x + a1b x1 = a x + b x1;
a b c d + a (b1 + c1 + d1) x y + b (a1 + c1 + d1) x y1 + c (a1 + b1 + d1) x1y +
+ d (a1 + b1 + c1) x1y1 = a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1,
wie zu zeigen, indem man a b c d mit 1, = x y + x y1 + x1y + x1y1 multipli-
zirt, sodann die gleichnamigen Glieder zusammenzieht. —
ω) Wenn c = a x + b x1
bedeutet, so zeige man, dass
a b + c (a + b) = c
sein muss.
Desgleichen, wenn
e = a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1
bedeutet, dass
a b c d + e (a + b + c + d) = e.
Wenn a b c = 0
ist, so muss a b d (x + c1) = a b d
sein. —
Unter der Voraussetzung, dass
a b c d = 0
[387]§ 18. Übungsaufgaben.
ist, sollen die folgenden Reduktionen gerechtfertigt oder als zulässige ent-
deckt werden:
a (b c1 + d1) = a (b + d1); (a1 + b1 + d) c = (a1 + b1) c;
a (b + c1 + d1) = a (c1 + d1); a d + a c1 + a b1c d1 = a (b1 + c1);
a1 + b c + c d1 = a1 + b c; a1 + b1c + c d = a1 + b1c;
a1 + b d + a b c1d1 = a1 + b c1; a b c + (b1 + c1) d1 = (a + b1 + c1) d1;
a1 + b (c1 + d) = a1 + b c1; a (b1 + c d1) = a (b1 + c);
a b + (a + b1 + c1) d1 = a b + (b1 + c1) d1.
Anleitung zur ersten Aufgabe. Die linke Seite lässt sich schreiben:
a (b c1d + d1) + a b c d = a b d (c1 + c) + a d1 = a (b d + d1) = a (b + d1).
Anleitung zur zweiten dieser Aufgaben. Die linke Seite ist
{a1 + b1 + d (a1 + b1)1} c = (a1 + b1 + a b d) c = (a1 + b1) c,
weil der letzte Term, ausmultiplizirt, Null gibt. Etc.
Anleitung zur letzten Aufgabe: Da b c die Negation von b1 + c1, so
darf man für a + b1 + c1 schreiben a b c + b1 + c1; hievon der erste Term,
ausmultiplizirt, gibt a b c d1 (und kann um a b c d, welches 0 ist, vermehrt
werden; dadurch entsteht a b c) welches dann in das schon vorhandene Glied
a b eingeht, von diesem verschlungen wird.
Hier würde die Gleichung falsch, wenn man das Glied a b beiderseits
fortlassen wollte. Zu ihrer Geltung bedarf sie aber der Voraussetzung nicht.
α1) Man vereinfache eine jede der nachfolgenden acht Subsumtionen:
a b1 ⋹ b, a ⋹ a1 + b, a b1 ⋹ a1, b1 ⋹ a1 + b,
a ⋹ a b, a + b ⋹ b, b1 ⋹ a1b1, a1 + b1 ⋹ a1.
Auflösung: a ⋹ b — wie vermittelst des Th. 38×) zu zeigen. —
Nach dem dritten der obigen Schemata könnte beispielsweise dem
Satze: „Alle Sünden sind verzeihbar (können Vergebung finden)“ als eine
logisch vollkommen äquivalente — psychologisch aber so sehr davon ver-
schiedene — auch die Fassung gegeben werden: „Unverzeihliche Sünden
sind keine Sünden“ — welche De Morgan von dem das Beispiel herrührt
nicht ganz mit Unrecht als „ungeschickt“, tölpelhaft oder abgeschmackt
(„awkward“) hinstellt.
Dagegen muss man sich hüten, dergleichen an einem Beispiel zu
machende Wahrnehmungen sogleich auf die ganze Urteilsform auszudehnen.
Zum Beispiel: „Falsche lateinische Deklinationen sind gar keine lateinischen
Deklinationen …“ hatte ich einst zu entgegnen, als mir ein philologischer
Kollege meine Einteilung der numerischen Gleichungen in richtige und
falsche1 p. 359 durch den Vergleich mit einer Einteilung der lateinischen
Deklinationen in richtige und falsche lächerlich zu machen suchte. In der
That: wirklich lateinische Deklinationen sind immer richtige. „… dagegen:
falsche Gleichungen sind wirklich Gleichungen (d. i. Behauptungen einer
25*
[388]Neunte Vorlesung.
Gleichheit).“ So erwies sich jene „ungeschickte“ Urteilsform hier als eine
geschickte zur Entkräftung des Einwandes.
β1) Man bringe die Gleichung a + b = a rechts auf 0 nach Th. 39).
Auflösung: a1b = 0, was mit b ⋹ a äquivalent. Notwendige und
hinreichende Bedingung dafür dass ein Summand b im andern eingehe
und unterdrückt werden dürfe, ist also: dass er diesem eingeordnet sei.
Darnach erscheint das Absorptionsgesetz 23+) als spezieller Fall und
Korollar der Theoreme 6).
Man verfahre ebenso mit der Gleichung a b = a und untersuche
die Bedingung für das Eingehen eines Faktors b im andern a. Die-
selbe ist a b1 = 0 oder a ⋹ b.
Wenn x = a b1 + a1b + a1c1 + b1c1 bedeutet, so untersuche man nach
Vorstehendem systematisch, welches von den vier Gliedern rechts unter-
drückt werden darf — McColl3. Da
a b1 (a1b + a1c1 + b1c1)1 = a b1 (a + b1) (a + c) (b + c) = a b1 (a b + c) = a b1c
und a1b (a b1 + a1c1 + b1c1)1 = a1b c
von 0 im allgemeinen verschieden, so sind die zwei ersten Glieder beizu-
behalten. Dagegen ist:
a1c1 (a b1 + a1b + b1c1)1 = 0 und b1c1 (a b1 + a1b + a1c1)1 = 0;
wir können also nach Belieben das dritte oder vierte Glied weglassen.
Aber nicht beide zugleich, denn nachdem nun
x = a b1 + a1b + b1c1 resp. x = a b1 + a1b + a1c1
geschrieben ist, wird:
b1c1 (a b1 + a1b1)1 = a1b1c1 und a1c1 (a b1 + a1b)1 = a1b1c1
nicht verschwinden — so lange die Gebiete a, b, c als allgemeine gedacht,
so lange nicht besondere Beziehungen zwischen denselben bestehend vor-
ausgesetzt werden.
Natürlich wird man zur Anwendung des hier erläuterten syste-
matischen Verfahrens nur zu schreiten haben, sofern sich nicht die
überflüssigen Glieder („redundant terms“) schon beim blossen Anblick,
bei Durchsicht des Ausdrucks (by mere inspection) als andere zum
Faktor habend entdecken lassen — vergl. das Beispiel:
a1b c + a1c + a b c1 + b c1 = a1c + b c1.
Bei der Untersuchung, ob ein a + b = a, d. h. a1b = 0 ist, kann
übrigens zur Vereinfachung der Rechnung, wie McColl hervorhebt, von
einem späteren Satze, vergl. Anm. 2 zu Th. 44+) mit Vorteil Gebrauch
gemacht werden.
γ1) Nunmehr noch einige Übungen im rechnerischen Ziehen von
Schlüssen. Man beweise den Sorites:
[389]§ 18. Aufgaben und Anwendungen.
a ⋹ b, b ⋹ c, c ⋹ d, d ⋹ e, ergo a ⋹ e,
indem man die Prämissen in der Form darstellt:
a = a b, b = b c, c = c d, d = d e.
(Jevons2 p. 31.)
Auflösung. Durch Rückwärtseinsetzung folgt:
a = (a b c d) e.
δ1) Man zeige dass wenn den Prämissen eines (bejahenden) Ketten-
schlusses noch eine Subsumtion hinzugefügt wird, welche sozusagen
die Kette schliesst, durch welche nämlich der major seiner letzten dem
minor seiner ersten Prämisse subsumirt wird, dann sämtliche termini
einander gleich sein müssen. Z. B. ist:
a ⋹ b, b ⋹ c, c ⋹ d, d ⋹ e und e ⋹ a,
so folgt a = b = c = d = e. (Jevons9 p. 212.)
In der That hat man a ⋹ e nebst e ⋹ a, somit e = a, ebenso
a ⋹ d nebst d ⋹ a, somit d = a, etc. —
ε1) „Jedes a ist b“, dargestellt als „Jedes a ist b, oder b“, gibt
durch Konversion den Schluss: „Jedes a, welches nicht b ist, ist b“ —
als scheinbare „contradictio in adjecto“.
In Formeln kann man noch etwas einfacher so zu diesem Schluss ge-
langen: Wenn a ⋹ b, so ist nach Th. 15×) a b1 ⋹ b b1, aber b b1 ⋹ b nach
Th. 6×), ergo a b1 ⋹ b. Am einfachsten nach Th. 41+), c = b setzend.
Man löse diesen Widerspruch. (Jevons9 p. 202.) Der schein-
bare Widerspruch schwindet bei dem Hinweis darauf, dass a b1 ⋹ 0,
oder also a b1 = 0 sein muss, d. h. es gibt keine a, welche nicht b
sind; die Klasse dieser ist eine leere, und somit auch in der b mit-
enthalten! —
ζ1) Wenn kein a ein b c (d. h. b und c zugleich) ist, was folgt
bezüglich der b und der a c? (Jevons9 p. 200.)
Beantwortung: die Prämisse a ⋹ (b c)1 lässt sich umschreiben in
a b c = 0, und dieses ebenso wieder in b ⋹ (a c)1, d. h. kein b ist
ein a c. —
η1) Jevons9 p. 189.
Was ist der wahre Sinn der Redensart: „Alle Räder, welche nach
Croyland kommen, sind mit Silber beschlagen“?
Bezeichnet r die Klasse der nach Croyland kommenden Räder
und s = silberbeschlagen, so soll r ⋹ s sein.
Die Unterstellung ist: dass es silberbeschlagene Räder überhaupt
nicht gebe, d. h. dass s = 0 sei.
Hiernach folgt gemäss Th. 2) und 5+), dass auch r ⋹ 0 somit
r = 0 sei, das heisst also: es kommen keine Räder nach Croyland
(einer gebirgig entlegenen, früher schwer zugänglichen Abtei).
Aufgaben von einer ähnlichen Leichtigkeit der Behandlung, in-
dessen gleichwol nicht immer von unzweifelhafter Klarheit der Frage-
stellung und unanfechtbarer Lösung, gibt Jevons in 9 in unge-
heurer Menge.
ϑ1) Beobachtet sei, dass die Phänomene a, b, c nur in den Kom-
binationen a b c1, a1b1c und a1b1c1 vorkommen. Was sind die einfachsten
Aussagen, die über a, b, c gemacht werden können? (Jevons9 p. 219.)
Beantwortung. Der Ansatz:
a b c1 + a1b1c + a1b1c1 = 1, oder a b c1 + a1b1 = 1
gibt erschöpfend die Mannigfaltigkeit 1 der wirklichen Fälle an. Durch
beiderseitiges Negiren folgt:
(a1 + b1 + c) (a + b) = 0 oder a b1 + a1b + (a + b) c = 0.
Das Verschwinden der beiden ersten Terme zeigt an, dass a = b ist,
und kann hienach das Verschwinden des letzten Terms kürzer durch
(a + a) c = 0 oder a c = 0
ausgedrückt werden. Faktisch bedingen also die Phänomene a und b
einander gegenseitig (die Klassen der Fälle wo das eine oder wo das
andere von ihnen vorliegt, sind identisch) und wo eines von ihnen
vorliegt, da fehlt c. —
ι1) Gesetzt: Jedes s ist a oder b, aber jedes a ist p, und jedes b
ist p. Zu folgern: jedes s ist p. (De Morgan2 p. 123.)
Ist s ⋹ a + b, dazu a ⋹ p, b ⋹ p, so folgt nach Def. (3) aus dem
System der letzteren Prämissen: a + b ⋹ p, und hieraus in Verbin-
dung mit der ersten Prämisse nach Prinzip II:
s ⋹ p,
wie zu zeigen war.
Nach De Morgan wäre dieser Schluss eine gewöhnliche Form
des „Dilemma“. —
ϰ1) Gesetzt: Jedes a ist entweder b, c oder d, ferner kein b ist a
und kein c ist a, so folgt: jedes a ist d. (De Morgan2 p. 122.)
Beweis. Von den Prämissen
a ⋹ b + c + d, a b = 0, a c = 0
kann man die erste nach Th. 20) schreiben:
a = a (b + c + d) = a b + a c + a d,
was sich mit Rücksicht auf die folgenden vereinfacht zu:
a = a d oder a ⋹ d.
λ1) Gesetzt: Jedes a ist b, c oder d; jedes b ist e, jedes c ist e,
jedes e ist d. So folgere man: jedes a ist d. (De Morgan2 p. 123.)
Prämissen: a ⋹ b + c + d, b ⋹ e, c ⋹ e, e ⋹ d.
Ergo: b ⋹ d, c ⋹ d, c ⋹ d, b + c ⋹ d,
und da ohnehin d ⋹ d, so ist auch b + c + d ⋹ d, woraus in Verbin-
dung mit der ersten Prämisse a fortiori folgt: a ⋹ d. —
μ1) Angenommen: Jedes a ist b, jedes c ist d aber kein b ist d.
Zu beweisen, dass auch kein a ein c sein wird. (De Morgan2 p. 123.)
Prämissen: a ⋹ b, c ⋹ d, b d = 0.
Aus den ersten beiden folgt nach Th. 15×): a c ⋹ b d, sonach a c ⋹ 0,
was auf a c = 0 nach Th. 5) hinausläuft. —
ν1) Man vereinfache die Aussage:
(c + a) b1 + a c = (a + b) c1 + a b.
Auflösung. Bringt man rechts auf 0, so entsteht: b c1 + b1c = 0,
das heisst: b = c.
ξ1) Ist x = a x + b x1, so soll bewiesen werden, dass b x1 = 0
sein muss.
Am einfachsten geschieht dies mittelst Durchmultiplizirens der Prä-
misse mit x1.
ο1) Wenn a = a b + x (a + b), so ist b = a b + x1 (a + b), und um-
gekehrt. Dies zu beweisen, wird man beide Gleichungen rechts auf 0
bringen, wodurch sich a1b x + a b1x1 = 0 übereinstimmend ergibt.
π1) (Jevons9, p. 239.) Zu zeigen, dass die Aussage: „Alle a sind
sowol b als c“ äquivalent ist dem Systeme der beiden Aussagen: „Was
nicht b ist, ist auch nicht a“ und „Was nicht c ist, ist nicht a“, mithin
[392]Neunte Vorlesung.
a ⋹ b c äquivalent .
Auflösung: Erstere Subsumtion, rechts auf 0 gebracht gibt:
a b1 + a c1 = 0
und dies ist auch die vereinigte Gleichung der beiden letztern Sub-
sumtionen. Zudem geben diese nach (3): b1 + c1 ⋹ a1, was die Konver-
sion durch Kontraposition der erstern Subsumtion nach 37) und 36) ist.
ϱ1) De Morgan3 p. 14 empfiehlt einem Jeden, der sich oder seine
Bekannten auf die Probe zu stellen wünscht, in wie weit Zergliederung
(Analyse) der Formen des Aussagens (of enunciation) für ihn von Wert
sein würde, die Vorlage dieser Frage, deren Beantwortung sofort ge-
geben und begründet werden soll: ob die beiden folgenden Behauptungen
(oder welche von ihnen) richtig seien:
Erstens. Alle Engländer, welche nicht schnupfen, sind zu finden
unter den Europäern, welche keinen Tabak konsumiren.
Zweitens. Alle Engländer, welche keinen Tabak konsumiren,
finden sich unter den Europäern, welche nicht schnupfen?
Bedeutet a = Engländer, b = Europäer, c = Schnupfer, d = Kon-
sument von Tabak, so ist behauptet: a c1 ⋹ b d1, sodann a d1 ⋹ b c1, und
gilt als selbstverständlich, dass a ⋹ b und c ⋹ d ist. Während also
a b1 = 0 und c d1 = 0
ist, sagt die erste Behauptung, dass
a c1 (b1 + d) = 0, die zweite, dass a d1 (b1 + c) = 0
sei; die zweite ist mithin offenbar richtig; von der ersten aber ver-
schwindet zwar auch der Term a c1b1 = c1 · 0 identisch; dagegen bleibt
die Behauptung übrig:
a c1d = 0, oder a d ⋹ c,
welche unrichtig, sintemal es auch Engländer gibt, die Tabak konsu-
miren ohne zu schnupfen (indem sie eben rauchen oder Tabak kauen,
priemen). —
σ1) Venn1 p. 264.
Drei Personen A, B, C sind beschäftigt, einen Haufen Bücher in
einem Antiquariat zu sortiren. A soll alle deutschen politischen Werke
und die gebundenen ausländischen Novellen herauslesen, dem B sind
die gebundenen politischen Werke und die deutschen Novellen, falls
sie nicht politischen Inhaltes, zugewiesen, endlich dem C die gebun-
denen deutschen Werke und die ungebundenen politischen Novellen.
[Statt „politisch“ würden wir vielleicht besser „historisch“ nehmen.]
Welche Werke werden von zweien der drei Personen beansprucht,
und werden es gewisse Werke von allen dreien?
Auflösung. Es bedeute a = deutsch, b = politisch, c = gebun-
den, d = Novelle, und bei der Rechnung A die Klasse der der gleich-
namigen Person zugewiesenen Werke, desgl. B etc., so ist gegeben:
A = a b + a1c d, B = b c + b1a d, C = a c + c1b d
und hieraus folgt:
A B = b c (a + d), A C = a b (c + d), B C = a c (b + d),
A B C = a b c,
womit die Antworten auf die gestellten Fragen gefunden sind und
z. B. die letzte besagt, dass die gebundenen deutschen politischen
Werke und nur diese (falls solche vorhanden) von allen drei Personen
beansprucht werden.
In den Mathematical Questions with their solutions from the „Edu-
cational Times“ (edited by W. J. C. Miller), Vol. 33, 1880, pag. 99 und
100 sind auch noch in andrer Manier die Lösungen der vorstehenden Auf-
gabe gewonnen von den Herrn C. J. Monro, R. R. Grey, und andern,
sowie von H. McColl. In bezug auf des letztern Manier vergleiche der
weiter vorgeschrittene Leser den § 46, 18. Studie.
τ1) Aufgabe, McColl, Math. Questions, Vol. 34, 1881, p. 85,
gelöst von W. B. Grove, Elizabeth Blackwood, u. a.
Was ist der geringste Zusatz, der zu den Prämissen: a ⋹ a,
b ⋹ β, c ⋹ γ, … gemacht werden muss, damit sie den Schluss ge-
statten: x ⋹ ξ?
Auflösung. Mit Rücksicht auf Th. 38×), 24×) und 5×) lässt das
ursprüngliche Prämissensystem sich zusammenziehen zu der Subsum-
tion: a α1 + b β1 + c γ1 + … ⋹ 0, und da der gewünschte Schluss ist:
x ξ1 ⋹ 0, so ist den Prämissen allermindestens hinzuzufügen die An-
nahme, dass
x ξ1 ⋹ a α1 + b β1 + c γ1 + …
sei. Dieses setzt weniger voraus, der Zusatz ist schwächer, („weaker“),
als wenn etwa das Subjekt nur in einzelnen Gliedern der Summe
rechterhand enthalten gedacht werden müsste oder in einer echten
Teilsumme der letztern, in einer Unterklasse, die nicht das Ganze
wäre („short of the whole“).
υ1) Aufgabe (W. B. Grove, Math. Questions Vol. 35, 1881, p. 29
— hier leicht abgeändert).
In einer gewissen Schule hat jeder Schüler, der Englisch und Fran-
zösisch, oder keines von beiden lernt, keine Algebrastunden; jeder an
[394]Neunte Vorlesung.
dem Unterricht in der Algebra Teilnehmende lernt sowol Englisch als
Deutsch oder keines von beiden; jeder der Französisch aber nicht
Deutsch lernt, hat entweder Englisch oder nicht Algebra. Man er-
setze die Angaben durch eine einzige ihrem System äquivalente ein-
fachere Angabe und zeige, dass die Anzahl derer, die Algebra haben,
die Zahl der Englisch Lernenden nicht überschreiten kann.
Mit der letzteren Forderung treten wir eigentlich aus dem Rahmen
der uns hier gesteckten Kategorieen von Aufgaben heraus; doch mag die
Lösung als eine so naheliegende hier mit in Kauf genommen werden.
Auflösung (von McColl, Elizabeth Blackwood, u. a.). Es
bezeichne a, d, e, f die Gattung der bezüglich Algebra, Deutsch, Eng-
lisch, Französisch lernenden Schüler.
So lauten die Data:
e f + e1f1 ⋹ a1, a ⋹ e d + e1d1, d1f ⋹ a1 + e,
und ist die vereinigte Gleichung derselben:
a (e f + e1f1 + e d1 + e1d + d1e1f) = 0
oder, da der Koeffizient von e1 in der Klammer sich auf 1 reduzirt,
hernach das Th. 33+) Zusatz anwendbar wird:
a (f + d1 + e1) = 0,
das heisst:
a ⋹ d e f1.
Da nun die Klasse a einem Teil der Klasse e schon eingeordnet, und
a fortiori a ⋹ e ist, so muss Num. a ≦ Num. e sein, wenn wir mit
„Numerus a“ die Anzahl der Individuen der Klasse a bezeichnen —
wie zu beweisen war. —
Die einfachste Formulirung der Data würde übrigens das System
der beiden Aussagen:
a f = 0 und a ⋹ d e
vorstellen, also: Wer Algebra hat, hat kein Französisch, dagegen sicher
Deutsch sowol als Englisch.
φ1) (Jevons9 p. 283 und Miss Ladd1 p. 51.)
Was sind, genau präzisirt, die Punkte, in welchen zwei Disputan-
ten übereinstimmen, und die, in welchen sie differiren, wenn der eine
(Henrici) behauptet:
Auflösung. Henrici's Behauptung ist: a = b c, oder
a b1 + a c1 + a1b c = 0.
Der Andere behauptet erstens, dass a = b, mithin a b1 + a1b = 0,
oder a b1 + a1b c + a1b c1 = 0
sei, und zweitens, dass a ⋹ c, das heisst a c1 = 0 sei.
Die vereinigte Gleichung dieser beiden Aussagen:
a b1 + a c1 + a1b c + a1b c1 = 0
geht über diejenige Henrici's um das zu den vorhergehenden dis-
junkte letzte Glied a1b c1 hinaus. Mithin stimmen Beide in dem was
Henrici behauptete überein, während der Opponent desselben oben-
drein behauptet, dass
a1b c1 = 0,
m. a. W.
b c1 ⋹ a
sei, d. h. dass eine dreifach ausgedehnte Mannigfaltigkeit, welche nicht
Punkte zu Elementen hat, Raum sein müsse.
Wie schon das Beispiel der (Einzel-)Töne zeigt, welche nach Höhe,
Stärke und Dauer eine dreifach ausgedehnte Mn. vorstellen, ist also jeden-
falls der Opponent im Unrecht. Dies schliesst nicht aus, dass auch Hen-
rici's angebliche Behauptung falsch ist. Beide Disputanten hätten nicht
„die“, sondern nur „eine“ dreifach ausg. Mn. sagen dürfen, wo dann ihre
beiderseitigen Aussagen: a ⋹ b c und: a ⋹ b, a ⋹ c auf genau dasselbe
hinausgelaufen wären — cf. Def. (3×). —
Die bisherigen Anwendungsbeispiele und Aufgaben schon lassen
wol erkennen, dass wo man über so viele Methoden verfügt, wie im
identischen Kalkul, wo man freie Wahl hat unter so vielen Mitteln,
von welchen sich ein mehr oder minder judiziöser Gebrauch machen
lässt — da jedenfalls von einem „toten Formalismus“ nicht zu sprechen
sein wird. —
Nachdem wir Operationen kennen gelernt haben, dienlich um aus
gegebenen Gebieten oder Klassen deren neue abzuleiten, müssen wir
uns über die Eigenschaften der Ausdrücke orientiren, welche mittelst
dieser Operationen aufgebaut oder zusammengesetzt werden können.
Auf dieses Ziel steuern wir nunmehr hin.
42+) Theorem.
Jedes Gebiet y lässt sich durch jedes andre Gebiet x und dessen Ne-
gation x1 „linear und homogen“ ausdrücken in der Form:
y = a x + b x1.
Beweis. Geometrisch wäre dies zwar evident für die Bedeutungen
von a = A, b = B der Fig. 19 in welcher x und y
die Kreisflächen, dagegen A und B die Bilineums-
oder Bogenzweieckflächen, in welche diese Buch-
staben eingeschrieben sind, vorstellen. Offenbar
ist nämlich hier: A x = A, B x1 = B, y = A + B.
Indessen soll ohne Not nicht auf die An-
schauung rekurrirt, zurückgegangen werden oder
Berufung erfolgen.
Wir beweisen daher unsre Behauptung rein „analytisch“. Und
dies gelingt bereits — und auf die einfachste Weise — durch die
nach bisherigem [Th. 21×), 30+) und 27×)] leicht erweisliche Identität:
y = y x + y x1,
welche mit obiger Behauptung zusammenfällt, sobald man unter a
und b das Gleiche, und zwar y selbst, versteht.
Noch besser, nämlich — wie man bald in der Lage sein wird,
darzuthun — auf die allgemeinste Weise, wird der Satz erwiesen durch
die ganz unumschränkt gültige Gleichung:
y = (x y + u x1) x + (x1y + v x) x1,
[397]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
in welcher, auch bei gegebenen Gebieten x, y, die Symbole u, v noch
völlig beliebige, willkürliche oder arbiträre Gebiete vorstellen. Auch
diese Gleichung wird man durch Ausmultipliziren rechterhand und mit
Rücksicht auf bekannte Theoreme leicht verifiziren.
Die in unserm Theorem behauptete Gleichung ist demnach auch
wahr, wenn
a = x y + u x1, b = x1y + v x
erklärt wird, d. h. unter a, b die angegebenen Werte verstanden werden.
Die „Koëffizienten“ a und b der als zulässig behaupteten homogen
linearen Darstellung des y durch x und x1 sind demnach nicht völlig
bestimmt, wenn auch x und y gegebene Werte (Bedeutungen) haben.
Mögen sie doch sogar, wie gezeigt, je einen willkürlichen also voll-
kommen unbestimmten Bestandteil enthalten! Auch werden diese
Koeffizienten im Allgemeinen ihre Bedeutung ändern, wenn man dem
x andre und andre Werte beilegt (m. a. W. Bedeutungen unterlegt).
Auch für Klassen ist unser Satz unmittelbar einleuchtend: Die
Individuen einer Klasse y müssen solche sein, welche x sind, oder
solche, welche nicht x sind. Die Salze z. B. sind teils verbrennliche
Salze, teils unverbrennliche.
Es versteht sich, dass auch eine dieser beiden Teilklassen eine
leere sein kann, in welchem Falle der betreffende Term der Darstellung
a x + b x1 gleich 0 zu denken ist, und zwar genügt es, um das Ver-
schwinden dieses Terms zu bewirken, dass man dessen Koeffizienten
gleich 0 nehme. Verstünden wir z. B. unter y die Klasse der Menschen
und unter x die Klasse der sterblichen Wesen (die Klasse „sterblich“),
so wäre b = 0 zu denken. Die Klasse der Menschen besteht aus der-
jenigen der sterblichen Menschen, wozu aus der Klasse der unsterb-
lichen Wesen nichts hinzuzunehmen ist; hier ist schon y = a x = y x
— vergl. auch Th. 20×).
Entsprechend der schon erwähnten Unbestimmtheit der Koeffi-
zienten a, b dürften wir freilich in unserm Beispiel unter b auch ver-
stehen: die Klasse der Bäume — in Anbetracht, dass es auch keine
unsterblichen Bäume gibt, also b x1 doch = 0 wäre.
Die in dem Theorem gebrauchten Ausdrücke „linear“, sowie „homogen“
sind aus der mathematischen Terminologie herübergenommen; sie finden
in der Mathematik ihre Erklärung, auch die Benennungen dort ihre Moti-
virung. Auf letztere wollen wir hier gar nicht, auf erstere nur so weit
eingehen, als für unsre Zwecke unerlässlich ist. Für den Augenblick ge-
nügt die Bemerkung, dass man eben einen Ausdruck von der Form a x + b x1
— und nur einen solchen — in Bezug auf x und x1 „linear und homogen“
zu nennen hat. Die allgemeinste lineare aber nicht homogene Funktion
[398]Zehnte Vorlesung
von x und x1 hätte die Form:
a x + b x1 + c;
sie enthielte nämlich ausser einem mit dem Faktor x und einem mit dem
x1 behafteten Gliede auch noch einen von x und x1 freien Term, das so-
genannte „Absolutglied“ c.
Allerdings gebraucht die Mathematik diese Benennungen nur, sofern
die Koeffizienten a und b (beziehlich auch c) von x und x1 „unabhängig“,
bezüglich ebendieser Variabeln „konstant“ sind, nämlich stets dieselben
Werte behalten, welche Werte man auch dem x oder x1 in Gedanken
unterlegen mag. Diese Anforderung ist im obigen Theorem anscheinend
nicht immer erfüllt. Es werden aber die demnächst folgenden Sätze von
44) an zeigen, dass und wie sie sich in weitestem Umfange realisiren
lässt; auch oben waren schon bei der Annahme a = b = y diese Koeffi-
zienten für jede Deutung von x die gleichen.
43) Theoreme.
Die Subsumtion a ⋹ b ist auch äquivalent der Gleichung:
| 43×) a = u b, | 43+) b = a + v, |
in welcher u resp. v ein gewisses, ein unbestimmtes Gebiet vorstellt.
Beweis. Da
| u b ⋹ b | a ⋹ a + v |
nach Th. 6), so folgt nach Th. 2) oder 3) aus der Gleichung jeden-
falls die Subsumtion, was immer u und v bedeutet haben mochten,
und muss nur noch gezeigt werden, dass auch das Umgekehrte für
gewisse u, v der Fall ist.
Letzteres mag auf zwei Arten geschehen. Einmal selbständig:
Hier genügt es, darauf aufmerksam zu machen, dass falls a ⋹ b ist,
die Gleichung 43×) schon für u = a, ebenso die 43+) wenigstens für
v = b in der That erfüllt sein wird kraft Th. 20).
Sodann auch mittelst Berufung auf Th. 42). Nach diesem Satze
kann stets:
| a = u b + v b1 | b = u a + v a1 = (u + a1) (v + a) |
geschrieben werden, indem man das eine der beiden Gebiete a, b
linear und homogen durch das andre und seine Negation ausdrückt
und die in Betracht kommenden Koeffizienten (die rechts vom Mittel-
strich ganz andre sein mögen, als links von demselben) zunächst u
und v nennt. Da nun, laut Voraussetzung, nach Th. 38):
| a b1 = 0 | a1 + b = 1 |
ist, so folgt aus vorigem durch beiderseitiges Multipliziren mit b1 resp.
Addiren von a1:
[399]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
| a b1 = v b1 = 0 | a1 + b = u a + v a1 + a1 = = u a + a1 = u + a1 = 1 |
wonach sich die obige Gleichung vereinfacht zu
| a = u b + 0 = u b | b = 1 · (v + a) = a + v |
wie zu zeigen war.
Zusatz zu Th. 43). Im Hinblick auf Th. 38) können wir also
jetzt sagen, dass auch die Gleichungen:
| a b1 = 0 und a = u b | a1 + b = 1 und b = a + u |
oder, wenn man will, auch die:
| a b = 0 und b = a1u | a + b = 1 und b = a1 + u |
einander äquivalent sind.
Es wird der Satz links (indem man x für b sagt) als ein spe-
zieller Fall eines späteren Haupttheorems 50+) erscheinen.
Anmerkung 1. Man hat wohl zu unterscheiden zwischen un-
bestimmten und willkürlichen Gebieten. Die letztern gehören zu den
erstern, aber nicht umgekehrt.
| Ist b gegeben und a | Ist a gegeben und b |
lediglich durch die Anforderung bestimmt, dass es die Subsumtion
a ⋹ b
erfülle, so kann man in der Gleichung
| 43×) das u | 43+) das v |
als ein vollkommen willkürliches oder arbiträres Gebiet ansehen.
Anders aber, wenn überdies auch das andre der beiden Gebiete
a, b gegeben, oder überhaupt nur, falls es auch nicht gegeben ist, noch
andern Anforderungen ausser jener Subsumtion unterworfen sein sollte.
Für gegebene a und b, z. B., dürfen u und v nicht ganz beliebig
angenommen werden.
Vielmehr müssen sie alsdann von der Form sein:
| u = a + w b1 | v = (a1 + r) b |
wo nur mehr w resp. r ein beliebiges Gebiet vorstellt — wie wir durch
ein späteres Theorem 50+) in die Lage gesetzt sein werden zu beweisen,
indem wir die Gleichung 43) nach der Unbekannten u resp. v auflösen.
Ebenso mag überhaupt jede fernere an a und b gestellte Anforderung
eine Einschränkung des Willkürlichkeitsbereichs, der Variabilität von u
oder v involviren, gewisse Gebieteklassen als unzulässige Bedeutungen für
u oder v ausschliessen.
Ähnlich, wenn man etwa die beiden die Subsumtion a ⋹ b nur um-
[400]Zehnte Vorlesung.
schreibenden Gleichungen 43×) und 43+) als gleichzeitig geltende in's Auge
fasst, können u und v nicht völlig unabhängig von einander angenommen
werden. Vielmehr, wenn eines von diesen beiden Gebieten (eventuell im
Einklang mit den für dasselbe angeführten Bestimmungen) festgelegt, ge-
geben oder irgendwie angenommen ist, muss das andre die Form haben:
| u = a + s v1, | v = b (u1 + t), |
wo nur mehr s, resp. t willkürlich bleibt.
Auch dieses nachzuweisen ist weiter nichts, als eine hier vorgreifend
angeführte und als Übungsexempel zu empfehlende Anwendung des weiter
unten vorgetragenen Theorems 50+). Zur Erleichterung von deren Lösung
und um auf dieselbe nicht mehr zurückkommen zu müssen, führen wir hier
nur noch an, dass u resp. v die Gleichung erfüllen muss:
| u a1v + u1a = 0 | v b1 + v1b u1 = 0 |
welche sich ergibt, indem man den Wert von b oder a aus der einen von
den beiden Gleichungen 43) in die andre substituirt und dann rechts auf
0 bringt, kurz indem man eines der Symbole a, b aus den Gleichungen 43)
eliminirt.
Beispielsweise kann die nach Def. (2) geltende Subsumtion:
| 0 ⋹ b | a ⋹ 1 |
nach Th. 43) umgeschrieben werden in eine Gleichung:
| 0 = u b. | 1 = a + v. |
Doch sind alsdann u und v augenscheinlich nicht vollkommen willkürlich
und andrerseits sind sie auch nicht vollkommen bestimmt. Es gelten die
Gleichungen (wenn b nicht selbst 0 resp. a nicht selbst 1 ist) nicht für
alle, sondern nur für gewisse Gebiete u, v, aber doch für unendlich viele;
es muss nämlich u, v von der Form sein:
| u = w b1, | v = a1 + r, |
wo w und r arbiträr bleiben. In der That lag hier ein Fall vor, wo
a = 0 resp. b = 1 völlig bestimmt war, wo es „gegeben“ erscheint.
Anmerkung 2. Wir wollen jetzt im Überblick die zwölf Arten
zusammenstellen, auf welche nach den bisherigen Sätzen eine Subsum-
tion a ⋹ b in Gestalt einer einzigen Beziehung (zumeist Gleichung)
angeschrieben werden kann. Die folgenden Aussagen sind einander
äquivalent:
a ⋹ b und nach 37): b1 ⋹ a1;
nach 20):
a = a b, b = a + b,
woraus nach 32) und 36) auch folgt:
a1 = a1 + b1, b1 = a1b1;
nach 38): a b1 = 0, a1 + b = 1;
[401]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
nach 43):
a = u b, b = a + v,
woraus nach 32) und 36) auch:
a1 = b1 + u1, b1 = a1v1
— in welchen letzteren Darstellungen u, v und somit auch u1, v1, ge-
wisse nicht näher bestimmte Gebiete vorstellen, welche in den oben
erläuterten Fällen auch als arbiträre auszulegen erlaubt ist.
Wie man leicht erkennt kann man obendrein die Gleichungen auch
sämtlich durch Subsumtionen ersetzen in folgender Weise:
a ⋹ a b, a + b ⋹ b
a1 + b1 ⋹ a1, b1 ⋹ a1b1
a b1 ⋹ 0, 1 ⋹ a1 + b
a ⋹ u b, a + v ⋹ b
b1 + u1 ⋹ a1, b1 ⋹ a1v1
und mag so die Zahl der verfügbaren Ausdrucksweisen noch um zehn ver-
mehren.
Bei den sechs ersten von diesen gilt nämlich die umgekehrte Subsum-
tion nach Th. 6) und Def. (2) ohnehin als allgemeine Formel, sodass
Gleichheit eintritt. Und bei den vier letzten Subsumtionen, welche ihrer-
seits aus der ihnen entsprechenden Gleichung nach Def. (1) hervorgingen,
folgt auch aus der Subsumtion wieder die Gleichung nach Th. 6), welches
ms u b ⋹ b resp. a ⋹ a + v liefert, etc., darnach gemäss Prinzip II den
Schluss a ⋹ b zu ziehen gestattet, welcher äquivalent war der Gleichung
(in der freilich u, v eine andre Bedeutung haben kann als in der voraus-
gesetzten Subsumtion).
Wir geben jetzt die Erklärung des Funktionsbegriffes für (und in
seiner Beschränkung auf) den identischen Kalkul.
Definition. „Funktion“ von x oder f (x) — gelesen: f von x —
nennen wir im identischen Kalkul jeden Ausdruck, welcher aus dem
Gebietsymbol x (eventuell auch seiner Negation x1) und irgendwelchen
andern Gebietsymbolen aufgebaut ist vermittelst der drei Grundoperationen
des Kalkuls als da sind: identische Multiplikation, Addition und Negation.
Beliebig häufige Verwendung eines jeden Symbols ist bei diesem
Aufbau selbstverständlich zugelassen. Auch war die in Klammer ge-
setzte Einschaltung strenge genommen überflüssig, weil wir zu x zu-
nächst durch Negiren ohnehin x1 ableiten und diese beiden Bausteine
beliebig weiter verwenden können. Von den Operationen dürfen
einzelne auch unvertreten sein; ebenso mögen andere Symbole fehlen.
Analog ist unter einer Funktion f (x, y) von x und y, sowie unter
einer Funktion f (x, y, z) von x, y und z, u. s. w. irgend ein Ausdruck
Schröder, Algebra der Logik. 26
[402]Zehnte Vorlesung.
zu verstehen, der aus den angegebenen Symbolen x, y resp. x, y, z, etc.
nebst vielleicht irgend welchen andern vermittelst der drei identischen Spe-
zies aufgebaut ist.
Die angeführten Symbole x, resp. x, y, resp. x, y, z, etc. heissen
die „Argumente“ der Funktion f (x), resp. f (x, y), resp. f (x, y, z), etc.,
welche demnach als eine Funktion von nur einem Argumente, resp.
von zwei, drei oder mehr Argumenten zu bezeichnen — oder, wie
man sogleich erkennen wird, besser gesagt — „anzusehen“ ist.
Im Allgemeinen werden hienach in dem Aufban des eine Funktion
darstellenden Ausdruckes die Argumente x, y, z, … der Funktion nebst
ihren Negationen x1, y1, z1, … vorkommen, unter sich und mit noch
andern Gebietsymbolen, wie 0, 1, a, b, c, … a1, b1, … verknüpft durch
identische Multiplikation oder Addition, wobei zwischen die Ver-
knüpfungen hinein, sowie solchen vorangehend oder nachfolgend, auch
die Operation der Negation an irgendwelchen Teilen des Ausdrucks
vorgeschrieben sein mag.
Jene „andern“ Gebietsymbole, a, b, c, … welche neben den Argu-
menten vorkommen mögen, werden — wenn mit Buchstaben dargestellt
und als allgemeine Gebiete aufgefasst — auch wol „Parameter“ der
Funktion genannt.
Zu jedem ein Gebiet darstellenden Ausdruck darf man nach Th. 21×)
den Faktor 1 so oft es beliebt hinzusetzen, und nach Th. 30+) für den
einen Faktor 1 schreiben x + x1, für einen zweiten Faktor 1 schreiben
y + y1, für einen dritten z + z1, etc. und was hier für den ganzen Aus-
druck gesagt ist, gilt ebenso auch für irgend einen Term, ein Opera-
tionsglied oder einen Teilausdruck desselben.
Hienach ist offenbar, dass man jeden Ausdruck überhaupt nach
Belieben ansehen kann als Funktion von x*), oder von x und y, von
x, y und z, etc., auch wenn er diese Argumente von vornherein gar nicht
enthalten sollte. Mit andern Worten: unter der „beliebig häufigen“ Ver-
wendung der Argumentsymbole in dem Aufbau des Ausdruckes ist
oben auch die Nicht-Verwendung derselben, die Enthaltung von ihrer
Verwendung, mit zugelassen.
Auch die Unterscheidung zwichen den Argumenten und den Para-
metern der Funktion erscheint hienach als eine willkürliche: Wenn
wir einen Ausdruck als Funktion von x, y, z, … hinstellen, so heisst
dies weiter nichts, als dass wir beabsichtigen, sein Verhalten für ver-
[403]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
schiedene Bedeutungen oder Wertsysteme ebendieser genannten Argu-
mente zu studiren.
Insofern wir dabei diesen Argumenten andre und andre spezielle
Gebiete als Bedeutung unterlegen, ihre Namen festhaltend denselben
andre und andre Werte beilegen werden, kann man auch sagen, man
lasse die Argumente sich ändern, oder sie seien „veränderliche“ Ge-
biete, Variable.
Die Parameter der Funktion dagegen, deren jedem wir — etwa
im Laufe einer Untersuchung — stets dieselbe Bedeutung untergelegt
wissen wollen, nennen wir „beständige“ Gebiete oder Konstante.
Es kann sein, dass wenn die Bedeutung der Argumente wechselt,
diese also geändert werden, auch der als Funktion derselben hin-
gestellte Ausdruck seine Bedeutung wechselt, dass also der Funktions-
wert sich dann ebenfalls ändert. Ebenso kann es aber auch sich er-
eignen, dass trotzdem man die Argumente alle denkbaren Wertsysteme
(aus der Mannigfaltigkeit unsrer Gebiete) durchlaufen lässt, der Wert
der Funktion doch stets der gleiche bleibt, dass er als unveränderlich,
„absolut konstant“ sich herausstellt. Kurz gesagt: die Funktion selbst
kann sich als variabel oder aber als konstant erweisen. (Beispiele
nachher.)
Im erstern Falle wird die Funktion als die abhängige (dependente)
Variable bezeichnet, im Gegensatz zu den Argumenten als den unab-
hängigen (independenten) Variabeln — in Anbetracht, dass es bei den
letztern in unser Belieben gestellt erscheint, welchen Wertänderungen
wir dieselben unterwerfen wollen, wogegen hienach die Veränderlich-
keit des Funktionswertes zufolge des für denselben geltenden Aus-
druckes sich mit Denknotwendigkeit richtet, mithin als eine durch die
Veränderungen, denen man die Argumente einmal unterworfen hat,
durchaus „bedingte“ erscheint.
Bleibt der Wert einer Funktion stets der gleiche, wenn man einem
bestimmten Argument x alle denkbaren Werte aus der Mannigfaltig-
keit unsrer Gebiete als Bedeutung unterlegt während die Bedeutung
aller übrigen Symbole festgehalten wird, wogegen er sich ändern
würde sobald auch die Bedeutung der übrigen Argumente wechselte,
so nennt man die Funktion nur „relativ konstant“ und zwar konstant
in Bezug auf dieses genannte Argument x. Ebenso kann eine Funktion
auch konstant sein in Bezug auf eine bestimmte Gruppe von Argumenten,
indem ihr Wert durch alle möglichen Veränderungen, denen man eben
diese Argumente unterwirft, sich nicht beeinflusst erweist. Auch
hiezu nachher Beispiele.
Die zwischen Parametern und Argumenten einer Funktion will-
kürlich gezogene Grenze ist demungeachtet von eminent praktischer
Wichtigkeit, in Anbetracht, dass es in der Regel nicht zweckmässig
erscheint, einen Ausdruck in seiner Abhängigkeit von allen in den-
selben eingehenden allgemeinen oder literalen Gebietsymbolen zugleich
zu untersuchen. Zumeist erscheint es nur angezeigt oder geboten,
dies in Bezug auf eine gewisse Gruppe der den Ausdruck formal zu-
sammensetzenden Elemente auf einmal zu thun, und diesen als den
„Argumenten“ der Funktion die übrigen Elemente als ihre Parameter
gegenüberzustellen.
Alle hier eingeführten Benennungen sind dem Mathematiker — in
ihrer nicht durchaus gleichlautenden, aber doch analogen Anwendung auf
das Gebiet der Zahlen — längst geläufig. Die mathematische Erklärung
der „Funktion“ setzt allerdings das Vorhandensein eines „analytischen“ oder
Formelausdrucks für dieselbe nicht voraus, sondern stützt sich lediglich
auf die eindeutige Zuordnung der Funktionswerte zu den Argumentwerten
(resp. -wertsystemen); doch lässt sie wenigstens die analytische Darstellung
der Funktionen durch dergleichen Ausdrücke mit zu, und findet auf dem
Gebiet der letztern ihre hauptsächlichsten Anwendungen.
Ausserhalb der mathematischen Terminologie wird von „Funktionen“
sowol als von „Argumenten“ in einem gänzlich davon unabhängigen Sinne
gesprochen: Man spricht von der Funktion, im Sinne von Lebensverrichtung,
vom Funktioniren, irgend eines Organes des Pflanzen- oder Tierkörpers,
auch von dem Funktioniren einer Maschine, überhaupt von der Funktion,
der Wirksamkeit irgend eines Mittels zu einem Zwecke. Und ferner pflegt
ein Beweisgrund auch als Argument, die Beweisführung, namentlich wenn
sie eine rhetorische ist, als Argumentiren oder Argumentation bezeichnet
zu werden. Diese Benennungen haben, wie gesagt, gar nichts mit den
obigen, an die wir uns hier halten, zu schaffen. Die verschiedenen An-
wendungssphären dieser Homonyme liegen aber auch so weit auseinander,
dass der vorhandene Doppelsinn nicht sehr verfänglich erscheint.
Ersetzt man in einem als Funktion f (x) betrachteten Ausdrucke
das Argument x durchweg, wo immer es sich in dem Ausdrucke vor-
findet, durch ein spezielles Gebiet a, also namentlich auch x1 durch-
weg durch a1, so wird der durch diese Substitution sich ergebende
Ausdruck mit f (a) bezeichnet.
Insbesondre erhält man demnach f (1), indem man x durch 1 und
demgemäss x1 durch 0 durchweg in f (x) ersetzt — wobei man die durch
die Theoreme 21), 22) und eventuell 30) angezeigten Vereinfachungen oder
Reduktionen des Ausdrucks eintreten lassen kann. Ebenso resultirt f (0)
aus f (x), indem man 0 für x und 1 für x1 einsetzt.
Obige Bemerkung gilt auch, wenn a einen zusammengesetzten Aus-
druck bezeichnet, und ist hienach, sobald f (x) gegeben ist, auch die Be-
deutung von f (b c), f (a + b), etc. ohne weiteres klar.
Analog entsteht f (a, b) aus f (x, y), indem man a für x und b
für y (somit auch a1 für x1 und b1 für y1) in letzterm Ausdruck sub-
stituirt. Und so weiter.
Wird ein die Gebietsymbole x, y, … enthaltender Ausdruck als
Funktion von diesen Argumenten mit f (x, y, …) bezeichnet, so ver-
fügt man damit über eine zweite Darstellung desselben und diese wird,
gegenüber dem „aktuellen“ Ausdruck der Funktion in Gestalt des ur-
sprünglichen Ausdruckes, bezeichnet als die „symbolische“ Darstellung
derselben. Eine Funktion wird darnach „symbolisch“ dargestellt, in-
dem man hinter einen „Funktionsbuchstaben“ f oder φ, ψ, χ, Ϝ, Φ, Ψ,
Χ, … in eine Klammer und durch Kommata getrennt die Namen der
Argumente in unabänderlich festzuhaltender Reihenfolge schreibt.
Der Funktionsbuchstabe ist ein „Operationssymbol“, aber nicht ein
Gebiets- oder Klassensymbol, und darf mit einem solchen durchaus nicht
verwechselt werden. Sähe man z. B. bei f (a + b) das f für ein Gebiet
an, so würde diesem Ausdruck eine ganz andere als die vorhin erläuterte
Bedeutung zukommen, derselbe würde nämlich dann für das Produkt
f · (a + b) = f · a + f · b gehalten werden müssen. Es empfiehlt sich also
zum Funktionsbuchstaben einen solchen zu wählen, der nicht schon ander-
weitig als Gebietsymbol vorkommt.
Dass ein Buchstabe als Funktionsbuchstabe gelten solle ist jedoch in
der Regel schon ohne ausdrückliche Vereinbarung ersichtlich. Sagen wir
z. B. f (x), oder auch f (0), f (1) und dergleichen, so gibt sich das ein-
geklammerte Symbol schon dadurch als ein Argument oder Argumentwert
— mithin das davorstehende als Funktionsbuchstabe — zu erkennen, dass
es mit einer Klammer umschlossen ist, die ohne solche Absicht als eine
„überflüssige“ zu verwerfen wäre (vergl. Anhang 2). Und sagen wir
f (x, y, ‥) so zeigen auch die Symbole trennenden Kommata deren Be-
stimmung, Argumente zu repräsentiren, an.
Haben wir nun etwa eine Funktion f (x, y, z), so wird der Ausdruck
f (y, z, x) nicht wieder eben diese, sondern diejenige Funktion vorstellen,
deren Ausdruck aus dem gegebenen hervorgeht, indem man x durch y,
daneben y durch z und z durch x durchweg ersetzt. Ebenso, wenn f (x, y)
gegeben ist, bedeutet f (y, x) das Ergebniss einer Vertauschung von x
und y miteinander im gegebenen Ausdrucke, u. s. w.
Leicht erhellen nunmehr die Vorteile, welche durch die symbolische
Darstellung der Funktionen erzielbar sind und im Hinblick auf welche
eben solche Darstellung in die Wissenschaft eingeführt wurde.
Bei allen Untersuchungen von irgend allgemeinem Charakter ist
es eine Sache von erster Wichtigkeit, zu wissen, in welcher Weise
sich die Bedeutung eines Ausdruckes richtet nach den Bedeutungen
der ihn zusammensetzenden Terme von allgemeiner Natur. Will man
diese Abhängigkeit erforschen, so muss man den letzteren als Argu-
menten andere und andere Bedeutungen unterlegen, Werte beilegen,
[406]Zehnte Vorlesung.
man muss dieselben sich ändern lassen oder sie variiren, um sodann
die zugehörigen Werte in's Auge zu fassen, welche unser Ausdruck
dabei annimmt.
Die „Einsetzung“ oder „Substitution“ eines speziellen Wertes für
ein bestimmtes Buchstabensymbol, oder auch eines Wertsystemes für
eine ganze Gruppe von solchen, wird darum eine der am häufigsten
geforderten Verrichtungen in der Wissenschaft sein. Und unter Um-
ständen, wenn etwa alle Werte einer bestimmten Klasse von Werten
der Reihe nach für ein Symbol eingesetzt werden sollten, kann der
ermüdende Prozess dadurch abgekürzt, vereinfacht werden, dass man
statt dessen auf einmal einen allgemeinen Ausdruck für dieses Symbol
substituirt, welcher die Werte jener Klasse, und nur diese, sämtlich
umfasst, dass man anstatt der Einzelwerte selbst einsetzt den Aus-
druck der ganzen Klasse von Werten. So wird es oft erforderlich
auch einen zuweilen recht komplizirten Ausdruck für ein Buchstaben-
symbol zu substituiren, sogar nicht selten gleichzeitig ein ganzes
System von Ausdrücken für ein System von Argumenten.
Die Operation der Einsetzung läuft im wesentlichen auf ein Kopiren,
Abschreiben, Reproduziren des gegebenen Ausdruckes hinaus, wobei man
nur dessen eingedenk bleiben muss, sobald man beim Abschreiben auf
eines der zu ersetzenden Symbole stösst, dass man dasselbe nicht unver-
ändert kopirt, sondern den eben dafür einzusetzenden Ausdruck nimmt,
denselben — nötigenfalls in eine Klammer eingeschlossen — hinsetzt, um
darnach in dem solchergestalt modifizirten Abschreibeverfahren wieder fort-
zufahren. An der Schultafel kann der Prozess durch Auslöschen der zu
ersetzenden Symbole mit dem Kreideschwamme und Einschreiben der ein-
zusetzenden Werte in die leeren Räume verdeutlicht werden; jedenfalls ist
unerlässlich, dass der Anfänger in der Ausführung solch elementaren Pro-
zesses sich eine gewisse Übung erwerbe.
Es kann nun der aktuelle Funktionsausdruck ein durch ein anderes
zu ersetzendes Symbol hundert mal, ja unbegrenzt, „unendlich“ oft ent-
halten, wie das Beispiel zeigen mag:
— in welchem der Ausdruck freilich in den einfacheren f (x) = a + x b
auch zusammengezogen werden könnte, während derartige Verein-
fachungen vielleicht nicht immer ausführbar erscheinen. Da wäre es
nun äusserst ermüdend, resp. gar nicht vollständig durchführbar, das
Argument x durch einen komplizirten Ausdruck — sagen wir
(a b1 + a1b) (c d + c1d1)
— durchweg in Wirklichkeit zu ersetzen.
Die symbolische Funktionsdarstellung erspart uns aber die Nötigung
[407]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
zu dieser Arbeit, führt dieselbe zurück auf die einmalige Ersetzung
des x an der Stelle, wo es als Argument aufgeführt war, durch den
Ausdruck, welcher dafür einzusetzen ist. So wird in unserm Bei-
spiele schon
f {(a b1 + a1b) (c d + c1d1)}
das Ergebniss der verlangten Operation vorstellen, und für die Zwecke
allgemeiner Überlegungen genügt es zumeist, die Operation solcher-
gestalt nur „angedeutet“ zu lassen.
So liefert uns die symbolische Funktionsdarstellung allemal einen
übersichtlichen und ausdrucksvollen schon durch sich selbst verständ-
lichen Namen für jeden Funktionswert, welcher zu einem gegebenen
Argumentwert oder Wertsysteme gehört. —
Ein weiterer Vorteil, den uns diese Funktionsbezeichnung gewährt,
ist aber der, dass wir durch sie auch in den Stand gesetzt werden,
Eigenschaften, welche allen Funktionen zukommen, desgleichen Sätze,
welche etwa nur für gewisse Klassen von Funktionen gelten, in der
Zeichensprache des Kalkuls konzisest mittelst Formeln darzustellen.
Dieser Vorteil ist für das Studium der Ausdrücke und Funktionen
ein ähnlicher und von der gleichen Tragweite, wie der, den der Ge-
brauch von Buchstaben als allgemeinen Symbolen für Gebiete oder
Klassen beim Studium der letzteren gewährt. Die Funktionsbuchstaben
können auch verwendet werden zur Darstellung von allgemeinen
Funktionen.
Nunmehr zur Illustration des Gesagten einige Beispiele und
Übungen.
Bedeutet f (x) = a + a1x, worin dem Obigen entsprechend a einen
Parameter vorstellen soll, also die Symbole a und a1 von unveränderter
Bedeutung bleiben, wenn man auch dem x irgendwelche verschiedene Be-
deutungen unterlegt, sodass die Gebiete a und a1 als „unabhängig von x“
zu bezeichnen, so ist f (0) = a und f (1) = 1. Somit ist die Funktion
sicher mit x veränderlich, wofern nur unter a nicht gerade das Gebiet 1
verstanden wird; sie nimmt ja dann für verschiedene Werte von x mit-
unter selbst verschiedene Werte an. Weiter ist auch f (a) = a, mithin
hier zufällig: f (a) = f (0). Dagegen ist wieder f (a1) = 1, somit hier
f (a1) = f (1). Endlich wird f (b) = a + a1b = a + b — cf. Th. 33+) Zu-
satz, und konnten wir auch allgemein den ursprünglichen Ausdruck ver-
einfachen zu f (x) = a + x. —
Für f (x) = a + b x ist ähnlich:
f (0) = a = f (a) = f (b1), f (1) = a + b = f (b) = f (a1),
f (c) = a + b c, f (c1) = a + b c1, etc. —
Für f (x) = (a + x) (b + x1)
[408]Zehnte Vorlesung.
wird
f (0) = a, f (1) = b, f (a) = a b = f (b1), f (b) = a + b = f (a1),
also wieder, im Allgemeinen, f (x) veränderlich bei veränderlichem x, wirk-
lich „abhängig“ von x. Natürlich darf man bei einer speziellen Funktion
f (x) die ursprüngliche Abmachung, Konvention, durch welche die Bedeu-
tung dieses Zeichens erklärt wurde, nicht aus dem Auge verlieren. Würde
z. B. jemand hier irrtümlich die Gleichung f (b) = a + b als die Erklärung,
Definition dieser Funktion f, als Funktion eines Argumentes, das (statt x)
den Namen b führte, ansehen, so würde er erhalten:
f (a1) = a + a1 = 1, anstatt, wie vorhin: f (a1) = a + b.
Dasjenige was ich aus einem Ausdruck f (x) erhalte, wenn ich für x erst
b, hernach für b durchweg a1 in denselben einsetze, müsste nur dann not-
wendig als das gleiche erscheinen, wie wenn für x sogleich a1 in dem Aus-
druck eingesetzt worden wäre, wenn dieser b nicht neben x enthielte. —
Versteht man hingegen unter f (x) den Ausdruck:
f (x) = a (x + b1) + b (a1 + x1),
so wird
f (0) = a b1 + b = a + b, f (1) = a + a1b = a + b,
f (a) = a + b, f (b) = a + b,
und so weiter; man erhält für f (x) stets den gleichen Wert
f (x) = a + b,
was für ein Gebiet man auch unter x verstehen möge; die hier vorliegende
Funktion ist faktisch unabhängig von x oder konstant.
Analog wäre
f (x) = (a + b1x) (a1x1 + b) = a b
(bei gegebenen a, b) absolut konstant. Man vergleiche § 18, λ), wo be-
reits der Beweis für diese Behauptungen geleistet worden ist.
Ebenso würde die Funktion:
f (x, y) = a (x + y1) + y (a1 + x1) = a + y
zu nennen sein: „konstant in Bezug auf x“, wogegen sie, sofern nicht ge-
rade a = 1 bedeutet, von y abhängig erscheint. —
Die Funktion f (x, y) = a (x + y + x1y1) ist ebenfalls konstant, und zwar
stets f (x, y) = a.
Dagegen die Funktion: f (x, y, z) = x z + y1z + x1y z ist nur in Hin-
sicht auf x und y konstant, indem sie den Wert haben wird:
f (x, y, z) = z.
Bedeutet: f (x, y, z) = a y z1 + b z x1 + c x y1,
[409]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
so folgt:
f (0, y, z) = a y z1 + b z, f (1, y, z) = a y z1 + c y1,
f (x, 0, 0) = c x = f (1, x1, 1), f (x, 0, 1) = b x1 + c x, f (x, 1, 1) = b x1,
f (0, 0, 0) = 0 = f (1, 1, 1), f (1, 0, 0) = c, f (0, 1, 1) = b,
f (a, b, c) = a b c1 + b c a1 + c a b1 = f (a1, b1, c1), f (b, c, a) = 0,
f (c, a, b) = a b1 + b c1 + c a1, f (a, b1, c1) = a b1c + b c1a1 + c a b = a c + a1b c1,
f (a1, b, c) = a b c1 + b c a + c a1b1 = a b + a1b1c, etc.
Der Leser ermittle auch noch andre Funktionswerte, wie
f (x1 1, 0), f (x, 1, x), f (x, x1, 0), f (d, d, d), etc.
44+) Theorem. Allgemein ist:
f (x) = f (1) · x + f (0) · x1.
Beweis. In § 17, Zusatz 2 zu Th. 36) haben wir gesehen, dass
(und wie) sämtliche im aktuellen Ausdruck von f (x) etwa „angedeu-
teten“ Negationen sich werden „ausführen“ lassen, sodass schliesslich
der Ausdruck nur noch durch Addition und Multiplikation (ohne Nega-
tion) aus lauter Gebietssymbolen aufgebaut erscheint.
Von einem Ausdruck solcher Art haben wir aber in § 13, Zusatz 1
zu Th. 28) ferner gesehen, dass (und auf welche Weise) derselbe im-
mer in seine „letzten Aggreganten“ zerfällt werden kann, also dass
derselbe als eine Summe, ein (eventuell auch nur eingliedriges) Poly-
nom erscheint von lauter monomischen Gliedern, die nur (eventuell
auch einfaktorige) Produkte sind von lauter „einfachen“ Gebietssym-
bolen — irgendwie herausgegriffen aus der Gruppe der in den Aus-
druck ursprünglich eingehenden literalen Gebiete und deren Negatio-
nen —, dagegen keine Summen mehr als Faktoren aufweisen und
ohne jegliche Klammern darum sich anschreiben lassen.
Nachdem in diesem Stadium unser Ausdruck angelangt ist, kann
man nun kraft des Kommutationsgesetzes 12×) in einem jeden der er-
wähnten Monome sämtliche Faktoren, die x sind, desgleichen sämtliche
Faktoren x1, zusammenrücken lassen und ihr Produkt nach dem Tau-
tologiegesetze 14×) je durch einen einzigen Faktor x, resp. x1 ersetzen
[wobei implicite auch das Assoziationsgesetz 13×) nebst Th. 16×) in
Wirkung tritt].
Diejenigen Glieder des Aggregates, welche x und x1 zugleich ent-
halten, kommen dabei nach Th. 30×), 22×) und 21+) in Wegfall.
Der Ausdruck erscheint hienach als „linear“ in Bezug auf x und
x1, insofern er diese Symbole nicht mehr mit sich selber oder mit-
[410]Zehnte Vorlesung.
einander, sondern nur noch mit Parametern multiplizirt zeigen wird.
Und zwar hat er, wenn man noch die in Bezug auf x und x1 „gleich-
namigen“ Glieder zusammenzieht, sie nach Th. 27×) „vereinigt“, näm-
lich x1 bei all den Gliedern, welche x1 zum Faktor haben, als gemein-
samen Faktor „ausscheidet“, und ebenso x bei den mit x behafteten
Gliedern — nachdem man kraft des Kommutationsgesetzes 12+) sie
hat zusammenrücken lassen — notwendig die Form:
f (x) = A x + B x1 + C,
wo die „Koeffizienten“ A, B, C die Symbole x und x1 nicht mehr als
Operationsglieder enthalten, (sondern höchstens sich darstellen werden
als Summen von Produkten aus lauter Parametern oder eventuell auch
Negationen solcher).
Jedenfalls nämlich kann man doch die Summe derjenigen Glieder,
welche weder mit x noch mit x1 behaftet waren, nunmehr C nennen und
mit A resp. B das Gebiet bezeichnen, in welches — nach Ausführung der
geschilderten Operationen — das x resp. x1 multiplizirt erscheinen wird —
vorausgesetzt natürlich, dass die Symbole A, B, C nicht bereits anderweitig
als Namen vergeben waren, nämlich nicht selbst schon als Parameter im
aktuellen Funktionsausdruck f (x) vorgekommen sind, in welchem Falle
denn andere Buchstaben zur Darstellung unsrer Koeffizienten genommen
werden müssten.
Hienach lässt also jede Funktion von x im identischen Kalkul sich
als eine lineare Funktion von x darstellen.
Dieselbe wäre „homogen“ zu nennen in dem Falle, wo etwa das
„Absolutglied“ C sich = 0 herausstellte, wo man es dann fortlassen
und einfacher: f (x) = A x + B x1 schreiben könnte.
Aber auch wenn C nicht verschwindet, kann man unsern Aus-
druck vollends homogen machen — sei es durch überschiebendes Mul-
tipliziren der vorstehenden Gleichung mit der Gleichung
1 = x + x1
— sei es, noch besser, indem man blos das Absolutglied mit dem
Faktor 1, der = x + x1 ist, versieht, somit C durch
C · 1 = C (x + x1) = C x + C x1
ersetzt.
Hierdurch wird in der That:
f (x) = (A + C) x + (B + C) x1.
Der Ausdruck nimmt also schliesslich die „lineare homogene“ Form
an (indem wir A + C kürzer a und B + C ebenso b nennen):
f (x) = a x + b x1,
in welcher a und b von x (und x1) unabhängig sind.
Im identischen Kalkul lässt hienach jede Funktion sogar als eine
homogene lineare sich hinstellen (mit konstanten Koeffizienten).
Diesem Umstand hauptsächlich hat es der identische Kalkul zu ver-
danken, dass er so erheblich viel leichter zu beherrschen und zu handhaben
ist, als die numerisch rechnende Mathematik für deren Ausdrücke und
Funktionen eine so einfache typische Grundform nicht angebbar ist.
Die geschilderten Umformungen fanden nun aber sämtlich statt
nach allgemein geltenden Theoremen oder Gesetzen des identischen
Kalkuls, sodass die Gleichheit zwischen dem ursprünglichen Ausdruck
f (x) und dem so gewonnenen a x + b x1 identisch bestehen muss für
ganz beliebige, für alle erdenklichen Bedeutungen sämtlicher vorkom-
menden Buchstaben oder Gebietsymbole — wie denn schon für alle
Zwischenstufen der Rechnung die Gleichung zwischen dem Ausdruck
f (x), und dessen successiven Transformationen nach dem Distributions-
gesetze etc., stetsfort den Charakter einer allgemeinen Formel behielt.
Diese letzte Formel bleibt demnach auch richtig, falls man x
durch 1 ersetzt, wobei x1 = 0 zu setzen ist; desgleichen fährt sie fort
gültig zu sein für x = 0, x1 = 1. Indem man sie für diese speziellen
Fälle in Anspruch nimmt, erkennt man aber dass:
f (1) = a, f (0) = b
ist und nach Einsetzung dieser Werte von a und b in jene letzte For-
mel wird unser Theorem bewiesen erscheinen.
Die Darstellung einer Funktion f (x) nach dem Schema des Th. 44+)
wird die „Entwickelung“ (development) dieser Funktion nach der Varia-
beln x genannt.
Durch solches Entwickeln wird die Funktion „linear“ und „homogen“
gemacht in Bezug auf x und x1.
x und x1 heissen die „Konstituenten“ der Entwickelung, im Gegen-
satz zu den „Koeffizienten“ f (1) und f (0) derselben.
Das Produkt der Konstituenten ist 0, ihre Summe ist 1, nach
Th. 30), wogegen die Koeffizienten irgendwelche von einander unab-
hängig beliebige Werte haben mögen, wie schon die Annahme
f (x) = a x + b x1
erkennen lässt.
Nach Boole4 p. 72 und 73 Fussnote ist das Theorem 44+) das Ana-
logon des Taylor'schen Satzes in der Funktionenlehre der arithmetischen
Analysis.
Die (in der Taylor'schen bekanntlich enthaltene) Mac-Laurin'sche
Reihe:
[412]Zehnte Vorlesung.
geht in der That in unser Th. 44+) über, sobald man annimmt, dass die
Zahl x der Formel des Tautologiegesetzes 14×):
x x = x oder x — x x = 0,
das heisst der Gleichung:
x (1 — x) = 0
genüge. Diese quadratische Gleichung hat aber im Gebiet der Zahlen nur
die beiden Wurzeln 0 und 1, und wird demnach unter x dann eine dieser
beiden Zahlen zu verstehen sein.
Für x2 = x ist aber auch x2 · x = x · x oder x3 = x2, somit auch
x3 = x, dann weiter x3 · x = x · x oder x4 = x, etc., und vereinfacht dar-
nach die obige Reihe sich zu:
insbesondere gibt dies, für x = 1 in Anspruch genommen:
und wenn man aus diesen beiden Gleichungen die in der geschwungenen
Klammer { } stehende Reihe eliminirt, indem man ihren Wert aus der
zweiten Gleichung entnimmt und in die erste einsetzt, so kommt:
f (x) = f (0) + x {f (1) — f (0)}
oder, anders geordnet:
f (x) = f (1) · x + f (0) · (1 — x).
Dies ist nun das Th. 44+) selbst, in Anbetracht, dass wir beim Stu-
dium der inversen Operationen des identischen Kalkuls (§ 23) sehen wer-
den, dass in der That 1 — x = x1 bedeutet.
Wenn also die (Mac-Laurin'sche) Reihenentwickelung einer Funktion
f (x) für die Werte 0 und 1 von x zulässig ist, so fällt sie mit unserm
Theorem zusammen. —
Bemerkt sei noch, dass man die Gleichung x x = x in der Arithmetik
auch zusammenziehen könnte in x (x — 1) = 0, was im identischen Kalkul
nicht angängig wäre, cf. § 23.
Wir wollen nun die verschiedenen Phasen der beim Beweise des
Theorems 44) auszuführen gewesenen Operationen, die vorstehend ab-
strakt geschildert sind, durch einige konkrete Beispiele erläutern.
Natürlich bleibt es unbenommen, mit dem schematischen Verfahren
auch noch anderweitige Vereinfachungen, die sich unterwegs anbringen
lassen, zu verbinden.
Exempel. Sei f (x) = [{(a x + b x1)1c + d x} 1e x1]1.
Dann gibt die Ausführung der vorgeschriebenen Negationen:
f (x) = {(a x + b x1)1c + d x} + e1 + x = (a1 + x1) (b1 + x) c + e1 + x
indem der Term d x von dem x absorbirt wurde.
Durch Ausmultipliziren folgt hieraus:
f (x) = a1b1c + a1c x + b1c x1 + e1 + x = a1b1c + e1 + b1c x1 + x
wobei wieder zu Anfang der zweite Term in den letzten einging. Ferner
kann man aber in der Summe b1c x1 + x nach Th. 33+) Zusatz den Faktor
x1 unterdrücken und darnach wird auch in unserm
f (x) = a1b1c + e1 + b1c + x
der erste Term vom vorletzten aufgesogen und bleibt:
f (x) = b1c + e1 + x
was — am besten wieder nach dem soeben citirten Satze — homogen ge-
macht sein wird:
f (x) = x + (b1c + e1) x1.
In der That aber ist hier mit leichtester Mühe schon aus dem ursprüng-
lichen Ausdrucke zu entnehmen, dass:
f (1) = [(a1c + d)1e · 0]1 = 01 = 1, f (0) = [(b1c)1e]1 = b1c + e1
ist, womit also die Koeffizienten von x und x1 richtig angegeben erscheinen.
Exempel. Bedeutet
f (x) = (a x + b x1 + c) (d x + e x1) g x,
so sind diesmal keine Negationen auszuführen. Durch einfaches Ausmul-
tipliziren, wenn man sich unterwegs nicht die geringste Vereinfachung ge-
stattet, ergäbe sich:
f (x) = a d g x x x + a e g x x1x + b d g x1x x + b e g x1x1x + c d g x x + c e g x1x.
Nach Th. 30+) fallen nun aber die Terme alle fort, welche x1 neben x
zeigen. Bei den übrigen ist nach Th. 14×) x x sowie x x x durch x allein
zu ersetzen und ergibt sich schliesslich durch Vereinigung dieser (bezüg-
lich x) gleichnamigen Terme a d g x + c d g x das Resultat:
f (x) = (a + c) d g x
und dieses wird durch das Th. 44) bestätigt, beziehungsweise noch rascher
gewonnen, indem schon aus dem ursprünglichen Ausdrucke direkt sich
ergibt:
f (1) = (a + c) d g, f (0) = (b + c) e · 0 = 0.
Exempel. Man entwickle, ohne Benutzung des Satzes, nach x die
Funktion:
f (x) = (a x1 + b x) (d x + e x1)1 (g x + h) (k + l x1) {(m x)1 (n x1)1}1
und kontrollire dadurch den Satz.
Ausführung der Negationen gibt:
f (x) = (a x1 + b x) (d1 + x1) (e1 + x) (g x + h) (k + l x1) (m x + n x1).
Das Ausmultipliziren ohne jegliche Vereinfachung würde hier 64 Glieder
geben. Lassen wir aber sogleich diejenigen fort, in welchen x und x1 zu-
sammentreffen, und multipliziren die Faktoren zunächst paarweise, den ersten
[414]Zehnte Vorlesung.
mit dem letzten, etc. schreiben auch gleiche Faktoren nie wiederholt an,
so entsteht:
f (x) = (a n x1 + b m x) (d1e1 + e1x1 + d1x) (g k x + h k + h l x1).
Der Term d1e1 (mit x + x1 multiplizirt) wird hier von den beiden folgenden
absorbirt, und kommt:
f (x) = (a n e1x1 + b m d1x) (h l x1 + g k x + h k) =
= a n e1h l x1 + a n e1h k x1 + b m d1g k x + b m d1h k x,
also:
f (x) = b d1 (g + h) k m x + a e1h (k + l) n x1.
Mit viel geringerer Mühe erhält man aber dieses Resultat augenblicklich
nach dem Th. 44+), indem sich:
f (1) = b d1 (g + h) k m, f (0) = a e1h (k + l) n
schon aus dem ursprünglichen Ausdruck von f (x) — bequemer allerdings
nach ausgeführten Negationen — unmittelbar ergibt.
Übungsexempel. Man entwickele
f (x) = a (x + b1) + b (a1 + x1),
so ergibt sich rein mechanisch, was wir früher § 18, λ) mittelst Kunst-
griffen fanden: f (x) = (a + b) (x + x1) = a + b.
Übungsaufgabe. Durch Entwickelung nach a zu zeigen, dass:
a b (c + d) + (a + b) c d = a (b c + b d + c d) + a1b c d.
Bezeichnet man die linke Seite mit f (a), so ergeben sich in Gestalt
von f (1) und f (0) die rechts angeführten Koeffizienten von a und a1.
Entwickelt man eine Funktion von der Form
f (x) = a x + b x1
gemäss dem Th. 44) nach x, so erzeugt sich allemal der gleiche Aus-
druck wieder, indem
f (1) = a, f (0) = b
sich erweist, d. h.: Eine bezüglich eines Symbols homogene lineare Funk-
tion ist immer schon nach diesem „entwickelt“.
Durch das Th. 44+) erscheint das Th. 42+) von neuem bewiesen
für alle Gebiete y = f (x), die eines analytischen Ausdruckes im iden-
tischen Kalkul fähig sind, und erhält letzteres für diese dadurch einen
präziseren Inhalt. —
Zusatz 1 zu Th. 44+) (Boole).
Der Satz lässt von einer Funktion eines Argumentes sich leicht
ausdehnen auf eine Funktion von zwei, drei, und beliebig vielen Argu-
menten.
Auch jede solche Funktion kann nach (allen) ihren Argumenten
(zugleich) „entwickelt“ werden nach den Schemata:
f (x, y) = f (1, 1) x y + f (1, 0) x y1 + f (0, 1) x1y + f (0, 0) x1y1,
f (x, y, z) =
= f (1, 1, 1) x y z + f (1, 1, 0) x y z1 + f (1, 0, 1) x y1z + f (1, 0, 0) x y1z1 +
+ f (0, 1, 1) x1y z + f (0, 1, 0) x1y z1 + f (0, 0, 1) x1y1z + f (0, 0, 0) x1y1z1,
und so weiter, und kann man für das Bildungsgesetz der Entwicke-
lung mit Boole folgende Regel aufstellen.
Um die Entwickelung einer Funktion f (x, y, …) von beliebig vielen
Argumenten nach ebendiesen zu erhalten, ersetze man in dem Ausdruck
der Funktion sämtliche Argumente durch 1 und multiplizire das Ergeb-
niss mit dem (geordneten) Produkt dieser Argumente. Dadurch bekommt
man das Anfangsglied der gesuchten Entwickelung. In diesem ersetze
man den letzten Faktor (des „Konstituenten“ oder Produkts der Argu-
mente) durch seine Negation und zugleich das letzte Argument 1 (im
„Koeffizienten“) durch 0, wodurch sich ein zweites Glied der Entwickelung
ergibt. In diesen beiden-Gliedern ersetze man hierauf den vorletzten Faktor
ihres Konstituenten durch seine Negation, zugleich das vorletzte Argument
ihres Koeffizienten (welches noch immer 1 geblieben sein wird) durch
0, und erhält zwei weitere Glieder. In allen vier bisherigen Gliedern er-
setze man den drittletzten Faktor durch seine Negation, zugleich das dritt-
letzte Argument im Koeffizienten durch 0, wodurch sich vier weitere Glie-
der ergeben, und so weiter fort, bis man jeden, auch den ersten, Kon-
stituentenfaktor durch seine Negation, zugleich auch das erste Argument
1 jedes Koeffizienten durch 0 ersetzt hat.
Wenn im Funktionsausdruck, vielleicht neben einem Argumente, auch
dessen Negation vorkommt, so muss diese selbstverständlich in 0 verwan-
delt werden, wenn man das Argument durch 1 ersetzt, und umgekehrt in
1, wenn man das Argument durch 0 ersetzt im Einklang mit einer schon
früher statuirten Bemerkung.
Es wurde beim Formuliren der vorstehenden Regel bereits unter-
weges angedeutet, dass man den hier als ersten erhaltenen Faktor
jedes Gliedes wieder als dessen „Koeffizienten“, das Produkt der nach-
folgenden (Buchstaben-) Faktoren aber, welche Argumente oder Nega-
tionen von solchen sind, als seinen „Konstituenten“ zu bezeichnen habe.
Behufs Beweises von diesem Zusatze betrachte man den Funktions-
ausdruck f (x, y, z, …) zuerst lediglich in seiner Abhängigkeit von x.
Man entwickele ihn nach diesem einen Argument x gemäss dem
Schema 44+). Die Koeffizienten dieser Entwickelung werden dann
nur noch als Funktionen von y, z, …, hingegen konstant in Hinsicht
[416]Zehnte Vorlesung.
auf x erscheinen, indem eben behufs ihrer Gewinnung dieses x durch
1 oder 0 ersetzt werden musste. Hierauf entwickle man jeden dieser
Koeffizienten nunmehr nach y, abermals gemäss dem Schema 44+),
setze seinen Wert in den Ausdruck ein und multiplizire aus. Die
neuen Koeffizienten werden dann nur noch als Funktionen von z, …
dagegen als konstant bezüglich x und y erscheinen; sie können nach
z entwickelt eingesetzt werden, und so weiter.
Es wird genügen, den angedeuteten Beweis nur für die Funktion
f(x, y) von zwei Argumenten wirklich auszuführen, da von diesem be-
sonderen Falle des auszuführenden Beweises der allgemeinere sich nur
quantitativ (durch grössere Häufung von Symbolen in den auch häufiger
wiederholt zu machenden Ansätzen) unterscheidet. — Dort hat man
zunächst: f (x, y) = f (1, y) x + f (0, y) x1,
und dann weiter:
f (1, y) = f (1, 1) y + f (1, 0) y1, f (0, y) = f (0, 1) y + f (0, 0) y1.
Die Einsetzung dieser Werte in den vorigen Ausdruck gibt nach
Ausmultipliziren den zu beweisenden Satz, wie er sich oben angegeben
findet. —
Die im obigen Zusatz gegebene Ausdehnung des Th. 44) auf Funk-
tionen von mehr als einem Argumente ist zwar theoretisch interessant
und wichtig, aber für die Technik des Kalkuls von geringem prak-
tischen Werte, aus dem Grunde, weil man sich bei den vielen zum
Teil gleichzeitig geforderten Einsetzungen von Werten 0 und 1 (je
für ein Symbol und dessen Negation, oder umgekehrt) allzuleicht ver-
sieht, diese zahlreichen Substitutionen auch ermüdend und lang-
weilig sind.
Sollte wirklich die Entwickelung einer gegebenen Funktion nach
mehreren Argumenten angezeigt erscheinen, so schlägt man am besten
den Weg ein, der uns zum Beweise dieses Zusatzes verholfen hat,
d. h. man entwickelt immer nur nach einem Argument auf einmal
und so nach diesen allen nur successive („fortschreitend“, „hintereinan-
der“), wobei man bei jeder Zwischenoperation schon auf möglichste
Vereinfachung der Koeffizienten Bedacht nehmen wird.
Wir begnügen uns, hiezu nur ein Exempel zu geben. Sei nach x,
y, z zu entwickeln: f (x, y, z) =
(a b x y + a1b1) (c d1x z + c1d y1) + (a1x1 + b1y + c1z + d) (y z + d1y1z1),
so entwickelt man am besten zuerst nach y als demjenigen Symbole, wel-
ches am häufigsten in dem Ausdrucke vorkommt — sodass durch Ein-
[417]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
setzung der Spezialwerte 0, 1 für y oder y1 die beträchtlichsten Reduk-
tionen des letzteren in Aussicht stehen. Es entsteht:
f (x, 1, z) = (a b + a1b1) c d1x z + (a1x1 + b1 + c1 + d) z, (= etc.)
f (x, 0, z) = a1b1 (c d1x z + c1d) + a1x1d1z1.
Und hieraus leiten wir ab, wie wenn wir nach z entwickeln wollten:
| f (x, 1, 1) = a x + a1x1 + b1 + c1 + d, | f (x, 1, 0) = 0, |
| f (x, 0, 1) = a1b1 (c d1x + c1d), | f (x, 0, 0) = a1b1c1d + a1d1x1, |
worans endlich, der Entwickelung nach x entsprechend:
| f (1, 1, 1) = a + b1 + c1 + d, | f (1, 1, 0) = 0, |
| f (1, 0, 1) = a1b1 (c d1 + c1d), | f (1, 0, 0) = a1b1c1d, |
| f (0, 1, 1) = a1 + b1 + c1 + d, | f (0, 1, 0) = 0, |
| f (0, 0, 1) = a1b1c1d, | f (0, 0, 0) = a1 (b1c1 + d1). |
Damit ist denn gefunden:
f (x, y, z) = (a + b1 + c1 + d) x y z + a1b1 (c d1 + c1d) x y1z + a1b1c1d x y1z1 +
+ (a1 + b1 + c1 + d) x1y z + a1b1c1d x1y1z + a1 (b1c1 + d1) x1y1z1
als die gesuchte Entwickelung.
Das Resultat ist das nämliche, ob man erst nach x entwickelt
und dann weiter nach y, oder ob man es erst nach y und dann nach
x thut, oder endlich nach beiden zugleich.
Auch stimmt eine Entwickelung nach dem Argumentenpaare x, y
und dem Argument z überein mit derjenigen nach dem Argument x
und dem Argumentenpaare y, z; sie ist zugleich die Entwickelung nach
dem Argumentetripel x, y, z. Man sieht:
Das Entwickeln einer Funktion ist in Hinsicht auf deren Argu-
mente eine kommutative und zugleich assoziative Operation. Reihenfolge
und Gruppirung der Argumente, nach denen einzeln oder in Gruppen
entwickelt wird, sind dabei nebensächlich; die ganze Anordnung des
Entwickelungsprozesses steht in unserm Belieben. Woferne nur alle-
mal ausmultiplizirt wird ist die nach der Gesamtheit der Argumente
entwickelte Funktion zugleich entwickelt nach jedem einzelnen dieser
Argumente und nach jeder Gruppe von solchen und umgekehrt — ab-
gesehen natürlich von der Anordnung der resultirenden Glieder und
der Reihenfolge der zu den Konstituenten derselben zusammentretenden
Faktoren, welche Momente ja aber ohne Einfluss auf den Wert des
Ergebnisses sind.
Dies alles wird nebenher bei der Durchführung des obigen Be-
weises ersichtlich und könnte leicht noch näher dargelegt werden. Hin-
sichtlich z zum Beispiel erscheint die nach x, y, z entwickelte Funktion
Schröder, Algebra der Logik. 27
[418]Zehnte Vorlesung.
in der That gesondert in Glieder, welche z selbst und solche, welche z1
enthalten. Die Glieder von beiderlei Art sind leicht aus dem Gesamt-
ausdruck herauszulesen, wenn sie auch nicht (durchaus) beisammen
stehen. Analog bezüglich des y sowie des x. Etc.
Zusatz 2 zu Th. 44+) (Boole).
Alle Konstituenten der Entwickelung einer Funktion sind zu einander
disjunkt, geben nämlich zu irgend zweien multiplizirt das Produkt 0, in-
dem sie sich jedenfalls dadurch von einander unterscheiden müssen,
dass mindestens ein Faktor des einen Konstituenten im andern durch
seine Negation vertreten erscheint, wonach also das Th. 30×) anwend-
bar wird.
So ist bei zwei Argumenten in der That:
x y · x y1 = 0, x y · x1y = 0, x y · x1y1 = 0,
x y1 · x1y = 0, x y1 · x1y1 = 0, x1y · x1y1 = 0.
Etc. Es wäre nicht uninteressant, doch etwas umständlich, das all-
gemeine Zutreffen dieser aus dem Bisherigen schon einleuchtenden
Thatsache mittelst zwingender Schlüsse genauer darzulegen.
Ebenso gilt:
Die Summe aller Konstituenten ist stets gleich 1 — eine Aussage,
die bei einem Argumente mit Th. 30+), bei zwei Argumenten mit dem
Th. 34+) zusammenfällt (für a, b dort x, y gesagt). Bei dreien haben wir:
x y z + x y z1 + x y1z + x y1z1 + x1y z + x1y z1 + x1y1z + x1y1z1 = 1
Etc. Jene Konstituenten sind nämlich (allgemein) gerade die Glieder
des ausmultiplizirten Produktes — cf. Th. 30+):
1 = (x + x1) (y + y1) (z + z1) . . . .,
welches als die Entwickelung der konstanten Funktion 1 nach x, y,
z, … anzusehen sein wird.
Hat die Funktion n Argumente, so ist die Anzahl ihrer Konstituenten,
somit auch der Glieder ihrer vollständig angeschriebenen Entwickelung
gleich der nten Potenz von 2, gleich 2n. Diese Anzahl ist also 2, 4, 8,
16, 32, 64, … bei 1, 2, 3, 4, 5, 6, … Argumenten.
Anmerkung 1 zu Th. 44+).
Das duale Gegenstück zu diesem Theorem:
44×) Th.
möge hier wenigstens einmal Erwähnung finden; erstmalig ist dasselbe
von Herrn Peirce ausgesprochen.
Durch Vergleichung dieses Ausdrucks mit dem vom andern, Th. 44+)
gelieferten, ergibt sich nach ihm die interessante Formel:
.
Dieselbe würde als „zu sich selbst dual“ zu bezeichnen sein, wenn
man nur berechtigt wäre die Funktion f (x) sich selber dual ent-
sprechend zu nennen.
Ersetzt man f (1) durch a und f (0) durch b, wo dann a und b
als allgemeine Gebiete werden aufgefasst werden dürfen, so erhält man
jene Formel:
(a + x1) (b + x) = a x + b x1
von Peirce, die wir schon unter ϰ) des § 18 betrachtet haben. —
Gleichwie das Th. 44+) in eventuell wiederholter Anwendung be-
nutzt werden konnte, um eine Funktion f (x, y, z, …) nach ihren
Argumenten in eine Summe zu entwickeln, so kann dies auch mit
Th. 44×) geschehen behufs Entwickelung ebendieser Funktion in Ge-
stalt eines Produktes. Diese letztere wird dann das duale Gegenstück
der vorigen Entwickelung sein. Z. B. bei zwei Argumenten wird:
.
Etc. Jene erstere Entwickelung war nach dem mathematischen Sprach-
gebrauch zu bezeichnen als (ein) homogen(er Ausdruck) in Hinsicht jedes
einzelnen sowol, als jeder Gruppe, als auch der Gesamtheit der „Argument-
symbole“ (falls in diese wir auch die Negationen der Argumente mit ein-
rechnen); sie war nämlich dadurch gekennzeichnet, dass in jedem Gliede
immer gleichviele der betreffenden Symbole als Faktoren stehen. (Dabei ist
jeder Argumentbuchstabe auch vertreten.)
Analog erscheint diese letztere Entwickelung in einer eigentümlichen,
der homogenen dual entsprechenden Form, die sich dadurch kennzeichnet,
dass jeder Faktor der Zerfällung immer von genannten Argumentsymbolen
gleich viele als Summanden enthält (so zwar, dass in jedem Faktor auch
jeder Argumentbuchstabe entweder in Gestalt des Argumentes selbst oder
in Gestalt von dessen Negation als Glied vertreten ist, und dies im Ganzen
auf jede mögliche Weise).
Lässt man alle in einem Ausdruck f überhaupt vorkommenden
Buchstabensymbole als „Argumente“ gelten, und entwickelt nach diesen
gemäss Th. 44+), so wird man eine Zerlegung jenes Ausdrucks f in
seine „letzten Aggreganten“ erhalten — in dem schon § 13 zu Th. 28)
erörterten Sinne, jedoch in der Regel wol mit dem Unterschiede (vom
Ergebniss der dort beschriebenen Prozesse), dass jetzt von den nach
Th. 30+) möglichen Zusammenziehungen von Gliedern, und dem Ein-
gehenlassen überflüssiger Faktoren solcher, kein Gebrauch gemacht ist.
Analog kann man auch das Th. 44×) benutzen, um die Zerfällung
27*
[420]Zehnte Vorlesung.
irgend eines Ausdrucks in seine „letzten oder Prim-Faktoren“ zu be-
werkstelligen.
Anmerkung 2 zu Th. 44). Als Folgerungen fliessen aus diesem
Theorem durch beiderseitiges Multipliziren mit x resp. x1 die Sätze
McColl's:
x f (x) = x f (1) und x1f (x) = x1f (0)
und macht derselbe darauf aufmerksam, dass durch Anwendung dieser
Schemata manche Rechnungen sich sehr vereinfachen lassen.
Hatten wir z. B. in § 18 unter β1) auszurechnen: a b1 (a1b + a1c1 + b1c1)1,
so kann dies so geschehen, dass man den Faktor hinter a b1 als eine
Funktion f (a) von a, oder aber als eine solche F (b) von b betrachtet;
darnach ergibt sich nach dem ersten resp. zweiten Schema das Ganze gleich
a b1 (0 + 0 + b1c1)1 = a b1 (b + c) = a b1c,
resp.
a b1 (0 + a1c1 + c1)1 = a b1 (c1)1 = a b1c.
Und dergleichen mehr.
Sind Ausdrücke, an oder mit welchen eine Rechnungsoperation
des identischen Kalkuls vorzunehmen ist, nach bestimmten resp. den
nämlichen Argumenten „entwickelt“ — und man vermag ja jeden Aus-
druck nach gegebenen Argumenten entwickelt darzustellen — so lassen
die Rechnungsregeln ganz ausserordentliche Vereinfachungen zu, von
welchen jetzt Kenntniss zu nehmen ist: wir haben mit entwickelten
Funktionen nun rechnen zu lernen.
Vorbemerkung zu Th. 45+).
Schon nach dem Distributionsgesetze allein ist die Summe von
nach x, y, … entwickelten Funktionen [ganz ähnlich, wie in der Arith-
metik die von Potenzreihen] zu bilden mittelst additiver Vereinigung
der Koeffizienten aller gleichnamigen Glieder — wobei wir „gleichnamig“
jetzt solche Glieder zu nennen haben, welche denselben Konstituenten
als Faktor enthalten, sich also höchstens durch ihren Koeffizienten
unterscheiden.
So sind z. B. a x y1z und b x y1z zwei gleichnamige Terme in Hinsicht
auf die Argumente x, y, z.
In der That haben wir ohne weiteres:
(a x + b x1) + (a' x + b' x1) = a x + a' x + b x1 + b' x1 = (a + a') x + (b + b') x1,
(a x1 + b x) + (c x1 + d x) + (e x1 + f x) = (a + c + e) x1 + (b + d + f) x,
(a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1) + (a' x y + b' x y1 + c' x1y + d' x1y1) =
= (a + a') x y + (b + b') x y1 + (c + c') x1y + (d + d') x1y1,
und so fort. Die Summe von Funktionen, welche nach gewissen für
[421]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
sie alle gemeinsamen Argumenten entwickelt sind, wird hienach eben-
falls wieder nach diesen entwickelt erhalten, und bedarf die vorstehende
Regel für den auch nur mit den ersten Elementen der Buchstaben-
rechnung Vertrauten keiner besonderen Betonung; sie versteht sich
ohnehin. Aber auch:
45+) Theorem. Um das Produkt von Funktionen „auszurechnen“,
welche nach denselben Argumenten entwickelt und geordnet sind, braucht
man nur die Koeffizienten der gleichnamigen resp. gleichstelligen Glieder
miteinander zu multipliziren und hinter deren Produkte die ihnen ge-
meinsamen Konstituenten zu setzen. Auf diese Weise erhält man das
Produkt wieder nach ebendiesen Argumenten entwickelt.
Man hat so gewissermassen nur eine Superposition, ein Überein-
anderschieben mit den die Entwickelungen darstellenden Polynomen vor-
zunehmen, dergestalt, dass die ohnehin übereinstimmenden Konstituenten
der gleichstelligen Glieder zur Deckung kommen, ihre Koeffizienten aber
zu neuen Koeffizienten zusammentreten, indem sie sich multiplikativ
verbunden nebeneinanderstellen.
In der That ist:
(a x + b x1) (a' x + b' x1) = a a' x + b b' x1,
(a x1 + b x) (c x1 + d x) (e x1 + f x) = a c e x1 + b d f x,
(a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1) (a' x y + b' x y1 + c' x1y + d' x1y1) =
= a a' x y + b b' x y1 + c c' x1y + d d' x1y1,
etc. Beweis durch (mentales) Ausmultipliziren nach der Multipli-
kationsregel für Polynome Th. 28×) mit Rücksicht auf den Zusatz 2
zu Th. 44+):
Indem hier jedes Glied des einen Polynoms oder entwickelten Aus-
drucks mit jedem Glied des andern im Geiste zusammengebracht wird,
verschwinden alle diejenigen Einzelprodukte, deren Faktoren verschiedene
Konstituenten enthalten, in Anbetracht, dass ja letztere disjunkt sind
— m. a. W. ungleichnamige Glieder aus dem einen und dem andern
Polynom entnommen, geben allemal Null zum Produkte. Von Einfluss
auf den Wert des Ergebnisses können nur diejenigen Einzelprodukte
bleiben, welche gleichnamige Glieder aus dem einen und dem andern
Polynom zusammenfassen. In dem Produkt solcher wird aber der in
beiden übereinstimmende Konstituent nicht wiederholt als Faktor zu
erwähnen, sondern nach dem Tautologiegesetze 14×) nur einmal als
Faktor anzuschreiben sein, q. e. d.
Von zweien ist der Satz äusserst leicht auch auf beliebig viele
multiplikativ zu verknüpfende Polynome auszudehnen.
Das Theorem ist bereits von Boole gegeben; es bewirkt dass mul-
tiplikative Prozesse sich im identischen Kalkul oft ausserordentlich viel be-
quemer, als in der Arithmetik gestalten.
Zusatz zu Th. 45+).
Das Theorem ist noch einer naheliegenden Erweiterung fähig,
nach welcher überhaupt das Ausmultipliziren von gleichvielgliedrigen
Aggregaten oft sich vereinfachen wird (auch wenn diese Aggregate
nicht aus „Entwickelung“ nach gewissen Argumenten hervorgegangen).
Zur Herstellung des Produktes zweier solchen Aggregate genügt die
multiplikative Verknüpfung ihrer gleichstelligen Glieder, sobald bekannt
ist, dass die Glieder des einen Aggregates disjunkt sind mit den un-
gleichstelligen Gliedern des andern — was dann immer auch umgekehrt
der Fall sein wird. So muss z. B. sein:
(a + b + c) (a' + b' + c') = a a' + b b' + c c',
sobald a b' = 0, a c' = 0, b a' = 0, b c' = 0, c a' = 0, c b' = 0 ist. —
46+) Theorem.
Auch die Negation einer nach irgendwelchen Symbolen entwickelten
Funktion wird nach ebendiesen entwickelt erhalten, indem man einfach
die Koeffizienten des Ausdrucks negirt, die Konstituenten aber unver-
ändert lässt; es ist:
(a x + b x1)1 = a1x + b1x1,
(a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1)1 = a1x y + b1x y1 + c1x1y + d1x1y1,
etc. Beweis 1. Bezeichnet f den Inhalt der Klammer links, das ist
eben die zu negirende Funktion, den Neganden, und f' die rechte Seite
der zu beweisenden Gleichung, sonach die angebliche Negation von f,
so ist blos zu zeigen, dass
f' = f1
d. h. die angebliche Negation in der That die wirkliche ist. Auf Grund
der Theoreme 30), wonach ja:
f f1 = 0 und f + f1 = 1
sein muss, wird dies aber nach dem Hülfstheorem 29) geleistet sein,
sobald wir darthun, dass auch:
f f' = 0 und f + f' = 1
ist. Beides folgt nun in der That durch Ausführung dieser Multipli-
kation und Addition gemäss Th. 45+), indem bei f und f' die Produkte
der gleichstelligen Koeffizienten a, a1; b, b1; etc. durchweg verschwinden,
ihre Summen gleich 1 werden — konform den Theoremen 30), wobei
zuletzt Zusatz 2 zu Th. 44+) in Wirksamkeit tritt.
Der vorstehende Beweis lief mehr auf eine Probe der Richtigkeit,
eine Verifikation des Satzes hinaus. Der folgende Beweis ist mehr
„heuristisch“, lässt auch erkennen, auf welchem Wege der Satz leicht
zu entdecken war.
Beweis 2. Nach Th. 36) ist — zunächst bei einem Argumente:
(a x + b x1)1 = (a x)1 (b x1)1 = (a1 + x1) (b1 + x) = x a1 + a1b1 + b1x1 = a1x + b1x1
wie nach dem Th. § 18, ι) oder ϰ), oder endlich durch völlige Ent-
wickelung des vorletzten Ausdrucks nach x gemäss Th. 44+) unter
Berücksichtigung des Absorptionsgesetzes einzusehen.
Nachdem so für ein Argument der Satz gewonnen ist, lässt er
sich für zwei Argumente hieraus ableiten, wie folgt:
In derselben Weise fortschreitend wird der Satz für immer ein
Argument mehr gewonnen [und allgemein für n + 1 Argumente auf
den vorher erledigten Fall von n Argumenten zurückgeführt].
Das Th. 46+) gestaltet auch das Negiren der Funktionen zu einer
bequemen Operation, sobald solche nur „entwickelt“ worden.
Von manchen in meinem Operationskreis2 gegebenen Sätzen, die ich
später durch Herrn Peirce antizipirt, vorweggenommen fand, ist mir
wenigstens dieses Theorem geblieben.
Exempel. (a x + b x1 + c)1 = (a1x + b1x1) c1 = a1c1x + b1c1x1.
Exempel. Nach unserm Satze kann nun die Negation von a b1 + a1b
auf drei Arten hergestellt werden. Der Ausdruck ist nämlich entwickelt
sowol nach a für sich, als auch nach b allein, als auch nach a und b zu-
sammen. Im Hinblick auf ersteres bekommt man die Koeffizienten b1 und b
zu negiren, während man die Konstituenten a und a1 stehen zu lassen hat;
es entsteht: (a b1 + a1b)1 = a b + a1b1.
In der zweiten Hinsicht muss man die a und a1 als die Koeffizienten gelten
lassen, diese negiren, und b1, b als Konstituenten unverändert lassen, wo-
durch a1b1 + a b somit das gleiche Resultat entsteht.
In der dritten Hinsicht werden in:
a b1 + a1b = 0 · a b + 1 · a b1 + 1 · a1b + 0 · a1b1
die Koeffizienten 0, 1, 1, 0 zu negiren sein, wodurch sich
(a b1 + a1b)1 = 1 · a b + 0 · a b1 + 0 · a1b + 1 · a1b1
also wiederum das alte Resultat ergibt.
Die letzte Betrachtung zeigt, dass bei der Anwendung des Satzes
eine Fehlerquelle verfänglich ist: man darf die etwa fehlenden Glieder
[424]Zehnte Vorlesung.
der Entwickelung nicht übersehen, da deren Nullkoeffizienten beim Ne-
giren sich in 1 zu verwandeln haben; m. a. W. man muss die Ent-
wickelung jeweils als eine vollständige dargestellt der Anwendung des
Satzes zugrunde legen, jeden einzelnen Konstituenten berücksichtigen,
wenn er auch, weil in 0 multiplizirt, in dem Ausdruck nicht zu er-
blicken war.
Thäten wir dies nicht, so erhielten wir ja aus a b1 + a1b = 1 · a b1 + 1 · a1b
durch Negiren der Koeffizienten fälschlich 0 · a b1 + 0 · a1b = 0 als die ge-
suchte Negation.
Ebenso ist die Klippe zu vermeiden, dass man das Th. 46×) nicht
etwa anwende bevor die (nach den Konstituenten) gleichnamigen Glieder
vereinigt sind.
So ist z. B. (a1x + a x1 + b1x1)1 nicht =
= a x + a1x1 + b x1 = a x + (a1 + b) x1, sondern = a x + (a + b1)1x1 = a x + a1b x1.
Im Hinblick auf die letzten Sätze: Th. 45) nebst Vorbemerkung
und Th. 46), kann man zusammenfassend sagen, dass jede an oder
mit Funktionen auszuführen vorgeschriebene Operation des identischen
Kalkuls sich als die gleiche Vorschrift überträgt auf die Koeffizienten
von deren Entwickelung. —
Noch sei bemerkt, dass die Negation einer Funktion f (x) in Ge-
stalt von {f (x)}, unbequem zu schreiben ist. Um ein handlicheres
Zeichen dafür zu erhalten, mag man definiren:
f1 (x) = {f (x)}1, und ähnlich f1 (x, y) = {f (x, y)}1
etc. Darnach wird uns auch bedeuten:
f1 (0) = {f (0)}1 und f1 (1) = {f (1)}1. —
Es ist zu wünschen, dass man im stande sei jeweils rasch die ver-
schiedenen Werte zu übersehen, deren eine gegebene Funktion des
identischen Kalkuls „fähig“ ist, welche sie nämlich dadurch zugeteilt
erhalten kann, dass man den Argumenten irgendwelche Wertsysteme
beilegt.
Um die angeregte Frage über die „Variabilität“ irgend einer
Funktion zu beantworten, schicken wir eine kurze Betrachtung voraus
über „Mittel“ oder „Zwischenwerte“.
Definition. Ein Gebiet x ist ein „mittlerer“ Wert oder „Zwischen-
wert“ („Mittel“) von a und b zu nennen, es ist zu sagen: „x liege
zwischen a und b“, wenn
a ⋹ x und zugleich x ⋹ b
ist. Da hieraus: a ⋹ b nach Prinzip II folgt, so ist ersichtlich, dass
[425]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
von einem „Mittelwerte“ nur gesprochen werden kann bei solchen zwei
Gebieten, zwischen welchen die Beziehung der Einordnung, Subsumtion
besteht, von denen das eine im andern enthalten ist. Dies ist stets
vorauszusetzen — oder es wird mit behauptet — sobald wir die
Redensart gebrauchen.
Sobald a ⋹ b ist gibt es immer Mittelwerte (mindestens einen
solchen) zwischen a und b; nach Prinzip I und der Voraussetzung ist
nämlich x = a sowol als x = b alsdann ein solcher. Es kann dar-
nach irgend ein Gebiet a als ein Mittelwert zwischen ihm und sich
selber hingestellt werden — wie bei der durch die Voraussetzung
a ⋹ b mit zugelassenen Annahme b = a zu sehen ist.
Wir gehen nun darauf aus, die allgemeine Form der zwischen a
und b liegenden Gebiete, falls es solche gibt, zu finden.
Hier haben wir zunächst das kleine
Hülfstheorem zu Th. 47+). Wenn x zwischen a und b liegt, so
ist stets:
a x1 + b x = x,
und umgekehrt.
Beweis. Ist x zwischen a und b gelegen, so gilt nach der ge-
gebenen Definition und Th. 38×):
a x1 = 0 und b1x = 0.
Ersetzen wir darnach in dem Ausdrucke a x1 + b x das a x1 durch 0
und dieses durch b1x, so wird derselbe:
a x1 + b x = b1x + b x = (b1 + b) x = 1 · x = x
wie einerseits zu zeigen gewesen.
Ist andrerseits a x1 + b x = x, so können wir diese Gleichung mit
x1 beiderseits multipliziren („durchmultipliziren“) und erhalten: a x1 = 0
oder a ⋹ x — cf. Th. 38×). Darnach vereinfacht sich aber die Glei-
chung zu: b x = x, was nach Th. 20×) äquivalent ist: x ⋹ b. Damit
ist also gezeigt dass a ⋹ x und x ⋹ b, somit auch a ⋹ b sein muss,
d. h. dass in der That x zwischen a und b liegt.
Man könnte dem Satze auch die einfachere Form geben: Liegt x
zwischen a und b, so ist
a + b x = x,
in Anbetracht, dass wegen a ⋹ b nach Th. 20+) b = a + b sein muss.
Setzt man in der That diesen Wert für b in den früheren Ausdruck ein, so
wird derselbe: a x1 + b x = a x1 + (a + b) x = a (x1 + x) + b x = a + b x.
In dieser vereinfachten Gestalt ist aber der Satz nicht rein umkehrbar,
wie in der früheren, vielmehr kann sehr wohl a + b x = x sein, ohne dass
doch a ⋹ x ⋹ b, ohne dass überhaupt a ⋹ b ist. Bei beliebigem a und b
[426]Zehnte Vorlesung.
lässt dies die Annahme x = a + b w erkennen, in welcher auch w ein ar-
biträres Gebiet vorstellt; denn diese Annahme genügt in der That, wie
leicht zu proben, der Forderung a + b x = x — und nebenbei gesagt, wie
sich mittelst Th. 50+) zeigen lassen würde, auch auf die allgemeinste Weise.
Der vereinfachte Satz würde nur so sich umkehren lassen: Wenn
a + b x = x und zugleich a ⋹ b ist, so muss x zwischen a und b liegen. In
der That kommt dann die Voraussetzung, wie so eben gezeigt, auf die des
früheren (umgekehrten) Satzes: a x1 + b x = x hinaus.
Nunmehr beantwortet die aufgeworfene Frage der Satz:
47+) Theorem. Stellt w ein arbiträres Gebiet vor, so ist:
x = a w1 + b w
die allgemeine Form aller zwischen a und b liegenden Gebiete — sobald
überhaupt zwischen a und b Gebiete liegen können, d. h. a ⋹ b ist.
Beweis. Ist irgend ein x zwischen a und b gelegen, so sind
immer Werte für w angebbar derart, dass unsre Formel gerade dieses
x vorstellt. Ein solcher Wert von w ist sicher x selber, indem für
w = x in der That a x1 + b x = x nach dem vorigen Hülfssatze sein wird.
Umgekehrt muss bei beliebig angenommenem w der Ausdruck
a w1 + b w immer zwischen a und b liegen, sobald nur a ⋹ b ist.
Da nämlich dann b = a + b ist, so haben wir ähnlich wie oben:
a w1 + b w = a w1 + (a + b) w = a + b w
und folgt erstens a ⋹ a + b w nach Th. 6+), und zweitens, wegen
b w ⋹ b — cf. Th. 6×) — auch a + b w ⋹ a + b, d. h. a + b w ⋹ b. Es
ist also a + b w oder a w1 + b w oder x dann zwischen a und b gelegen,
q. e. d.
Im Einklang mit der Anschauung wird also der Ausdruck:
x = a + w b
uns jeden zwischen a und b liegenden Wert vorstellen und nur solche
Werte, sobald nämlich von solchen überhaupt zu sprechen, nämlich
a ⋹ b oder a + b = b ist.
Der Mindestbetrag oder „minimale“ Wert des x ist der für w = 0
sich ergebende Wert a selber, sein Höchstbetrag oder „maximaler“
Wert der für w = 1 sich ergebende Wert b. Und alle dazwischen
liegenden Werte überhaupt erhält man, indem man in einer der beiden
obigen Gleichungen w von 0 bis 1 variiren lässt — das heisst, im
identischen Kalkul: indem man w alle denkbaren Gebiete unsrer Mannig-
faltigkeit vom gänzlich leeren bis zur vollen Tafelfläche als Bedeutung
nach einander annehmen, oder wie man sagt „durchlaufen“ lässt.
Der Vorgang dieses Durchlaufens ist hier nicht so einfach, wie in
[427]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
der Arithmetik etwa das Durchlaufen der reellen Zahlen von 0 bis 1, die
daselbst ja eine bestimmte Reihenfolge haben.
Zunächst unterscheiden sich nur solche Werte von
x = a + w b = a + w a1b
— cf. Th. 33+) Zusatz — bei denen der Term w a1b verschieden ausfällt.
Es kommt nur auf die ausserhalb a zugleich aber innerhalb b liegenden
Gebietsteile von w an, wogegen es gleichgültig ist, wie man die inuerhalb
a oder ausserhalb b fallenden Teile von w festlegt, welche Punkte von a
sowie von b1 man zu w rechnet oder nicht rechnet.
Wenn w den Wert 0 verlässt, so erhalten wir demnach die nächsten
Bedeutungen von x, wenn wir w nur einen Punkt des Gebietes a1b be-
deuten lassen, aber jeden, einzeln genommen, successive. Hernach werden
wir dem w die Bedeutung jedes denkbaren Punktepaares, Punktetripels,
Quadrupels etc. von innerhalb des Gebietes a1b unterzulegen haben. Es
folgen Punktmengen aus unendlich vielen diskreten Punkten von a1b, die
sich in der Nähe einer oder mehrerer Stellen unendlich dicht häufen, dann
solche, die längs eines Linienstücks überall dicht sind, solche Punktmengen,
die ein Linienstück stetig ausfüllen, dieses wieder kombinirt mit allen
früheren Punkten, Punktmengen, etc. dasselbe verlängert oder dazu ein
zweites genommen, und so weiter, dann folgen Flächengebiete aus a1b
herausgegriffen, dann auch mit früherem kombinirt, etc. Zuletzt die ganze
Fläche a1b ohne irgend ein Punktetripel, ohne ein gewisses Punktepaar,
ohne einen einzelnen Punkt dieser Fläche auf jede denkbare Weise ge-
bildet, zu allerletzt diese Fläche a1b voll genommen — immerfort mit be-
liebiger Besetzung der ausserhalb a1b liegenden (dem Gebiete a + b1 ange-
hörigen) Punkte.
Insbesondre fliesst aus Th. 47) jetzt auch das Th. 43×), indem,
wenn a ⋹ b ist, auch 0 ⋹ a ⋹ b, mithin a ein Zwischenwert zwischen
0 und b zu nennen sein wird. Derselbe kann hienach durch 0 + w b,
also w b dargestellt werden, und umgekehrt stellt a = w b stets einen
solchen vor.
Nach diesen vorbetrachtungen wird der Satz verständlich sein:
48+) Theorem.
Eine Funktion im identischen Kalkul liegt immer zwischen dem
Produkte und der Summe der Koeffizienten ihrer Entwickelung, und zwar
ist sie fähig, jeden zwischen diesen beiden Grenzen liegenden Wert
(mit Einschluss ebendieser Grenzen) auch wirklich anzunehmen dadurch,
dass man für ihre Argumente geeignete Werte wählt.
Beweis — zunächst für ein Argument. Sei
f = a x + b x1,
so berechnet sich:
f · a b = a b und (a + b) · f = f,
[428]Zehnte Vorlesung.
daher ist nach Th. 20×):
a b ⋹ f und f ⋹ a + b,
somit f in der That zwischen a b und a + b gelegen.
Ebenso leicht wäre dies auch mittelst a b + f = f und f + (a + b) = a + b
zu zeigen gewesen. Desgleichen ganz direkt: Es ist nach 6×) a x ⋹ a,
b x1 ⋹ b, woraus durch überschiebendes Addiren folgt: f ⋹ a + b. Und
ferner ist: f = (a + a b) x + (a b + b) x1 = x a + a b + b x1,
sonach kraft 6+): a b ⋹ f.
Daher muss nach Th. 47) nun f sich darstellen lassen in der Form:
f = a b w1 + (a + b) w.
Damit aber diese Gleichung, d. h.
a x + b x1 = a b + w (a + b),
zu einer richtigen Identität werde, kann man zu jedem gegebenen x
ein w angeben, und zu jedem gegebenen w ein x, das sie erfüllt. Für
ersteres genügt die Annahme:
w = a x + b x1,
für letzteres die Annahme:
x = a1b w1 + a b1w,
wie man leicht nachrechnet.
In der That ist also f zwischen a · b und a + b auch jedes Zwischen-
wertes fähig, und zwar wird der Ausdruck a x + b x1 einen gegebenen
Wert f, für den nur
a b ⋹ f ⋹ a + b
ist, annehmen, indem man
x = a1b f1 + a b1f, somit x1 = (a + b1) f1 + (a1 + b) f
nimmt, da nach dem Hülfstheorem zu 47+) dann sein wird:
a b f1 + (a + b) f = f.
Beweis für zwei Argumente. Sei
f = a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1,
so sieht man, dass
a b c d · f = a b c d und (a + b + c + d) + f = a + b + c + d
ist. Nach Th. 20) haben wir also in der That:
a b c d ⋹ f und f ⋹ a + b + c + d,
wie dies auch noch auf verschiedene andere Arten wieder nachweis-
bar wäre.
Der erste Teil des Satzes (soweit er kursiv gedruckt) ist hienach
bewiesen, und ist klar, wie man den analogen Beweis auch bei be-
liebig vielen Argumenten leisten kann.
Nennt man nun:
a b c d + w (a + b + c + d) = φ = a b c d w1 + (a + b + c + d) w,
so gibt es zu jedem Wertepaar x, y ein Gebiet w, welches die
Gleichung
f = φ
erfüllt, zu einer identisch richtigen macht. Ein solches ist w = f
selber, wie äusserst leicht nachzurechnen.
Umgekehrt gibt es aber auch zu jedem beliebig angenommenen
oder gegebenen Werte von w (oder f) ein Wertepaar x, y, welches
diese Gleichung erfüllt. Ein solches ist z. B.:
x = (a + b) c1d1w + (a1 + b1) c d w1, y = (a b1 + c) d1w + (a1b + c1) d w1,
x1 = (a1b1 + c + d) w + (a b + c1 + d1) w1, y1 = {(a1 + b) c1 + d} w + {(a + b1) c + d1} w1,
wie die Probe zeigt.
Um die Behauptung mit möglichst wenig Mühe zu verifiziren rechne
man nicht etwa erst die Produkte x y, x y1, x1y, x1y1 für sich aus, sondern
sogleich:
a x y = a x · a y, b x y1 = b x · b y1, c x1y = c x1 · c y, d x1y1 = d x1 · d y1;
man findet auf diese Weise unmittelbar:
a x y = a b1c1d1w, b x y1 = b c1d1w, c x1y = c d1w, d x1y1 = d w + a b c d w1,
und da nach Th. 33+) Zusatz — vergl. auch § 18, γ) — sein muss:
a b1c1d1 + b c1d1 + c d1 + d = a + b + c + d,
so stimmt die Probe.
Die Art zu schildern, wie ich vorstehende Werte von x, y systematisch
fand, würde hier noch zu weit führen und sei darüber blos im Allgemeinen
auf den § 24 verwiesen.
Da nun nach Th. 47+) φ jeden denkbaren Wert zwischen a b c d
und a + b + c + d vorstellt, so ist erkannt, dass auch f jeden solchen
Wert wirklich annehmen kann.
Das Entsprechende analog bei drei und mehr Variablen darzuthun,
ist nicht ganz einfach (Problem!) und wollen wir auf den independenten
Beweis des nicht kursiv gedruckten Teils des Th. 48+) für diesen Fall
nicht eingehen. —
Man kann jedoch diesen Beweis auch rekurrirend führen, nämlich,
nachdem er für irgend eine bestimmte Anzahl von Argumenten bereits
geleistet ist, darthun, dass er auch für die nächst höhere Anzahl
[430]Zehnte Vorlesung.
von Argumenten (für ein Argument mehr) dann gelten muss („Schluss
von n auf n + 1“ oder „Verfahren der vollständigen Induktion“).
Hinreichend wird dies erhellen, wenn wir es für zwei und drei
Argumente durchführen.
Ist f der vorige Ausdruck, so kann man, denselben nach y an-
ordnend, schreiben:
f = (a x + c x1) y + (b x + d x1) y1.
Nach dem für ein Argument (y) bereits bewiesenen Satze muss also
a b x + c d x1 ⋹ f ⋹ (a + b) x + (c + d) x1
sein, und kann f jeden zwischen diesen „Grenzen“ oder „einschliessenden
Werten“ gelegenen Wert auch wirklich annehmen. Nach dem für ein
Argument (x) bewiesenen Satze ist aber a b · c d der Minimalwert des
Subjektes von f, links, und (a + b) + (c + d) der Maximalwert seines
Prädikates rechts (bei variablem x). Folglich kann f jeden zwischen
a b c d und a + b + c + d gelegnen Wert wirklich annehmen, q. e. d.
Sei s = F (x, y, z) irgend eine Funktion von drei Argumenten und
mögen a, b, c, d, e, f, g, h die Koeffizienten ihrer geordneten Ent-
wickelung heissen, so ist nach z entwickelt:
s = F (x, y, 1) z + F (x, y, 0) z1,
folglich
F (x, y, 1) · F (x, y, 0) ⋹ s ⋹ F (x, y, 1) + F (x, y, 0),
d. h.
a b x y + c d x y1 + e f x1y + g h x1y1 ⋹ s ⋹ (a + b) x y + (c + d) x y1 + (e + f) x1y + (g + h) x1y1,
mithin s jedes Zwischenwertes zwischen dem Minimalwert a b · c d · e f · g h
der linken und dem Maximalwert (a + b) + (c + d) + (e + f) + (g + h) der
rechten Seite, also zwischen a b c d e f g h und a + b + c + d + e + f + g + h, fähig.
Man hätte auch zuerst nach x, y anordnen und die für ein und
zwei Argumente schon bewiesenen Sätze in der umgekehrten Folge
anwenden können. —
Um hiernach die Bedeutungen, welche einem Ausdruck für irgend-
welche Werte einer bestimmten Gruppe von Buchstaben zukommen
können, sofort zu überschauen, braucht man nur den Ausdruck nach
ebendiesen Buchstaben zu entwickeln und alsdann das Th. 48) anzu-
wenden.
Zusatz zu Th. 48+).
Jede Menge von arbiträren Gebietssymbolen, die in einer Funktion
im identischen Kalkul vorkommen, lässt sich stets durch ein einziges
arbiträres Gebiet ersetzen.
Behufs Beweises ist nur zu zeigen, dass man zwei arbiträre
Gebiete u, v jeweils durch eines w vertreten lassen kann (ohne dass.
dies von Einfluss auf den Variabilitätsbereich des Ausdrucks wäre).
Auf diese Weise wird man dann die Anzahl der vorkommenden arbi-
trären Symbole solange fortgesetzt um eins vermindern können, bis
sie gleich eins geworden ist.
Denkt man sich aber den die arbiträren Gebiete u, v enthaltenden
Ausdruck f nach diesen entwickelt, so wird er nach Th. 44+) die
(„bi-“)lineare homogene Form haben:
f = a u v + b u v1 + c u1v + d u1v1,
und alle Werte, deren dieser Ausdruck fähig ist, sowie nur solche,
können nach Th. 48+) auch von dem folgenden Ausdruck angenommen
werden:
f = a b c d + w (a + b + c + d)
und umgekehrt, sodass dieser letztere für eine offen gelassene Be-
deutung des Gebietes w gerade so allgemein ist, wie der vorhergehende
für unbestimmte u, v.
Die Gesamtheit der Bedeutungen des erstern fällt zusammen mit
der Gesamtheit der Bedeutungen des letzteren Ausdrucks, weshalb es
gestattet war, denselben Buchstaben f zur Bezeichnung beider zu ver-
wenden.
Exempel 1. Auf diese Weise, wenn immerfort u, v, w ganz
willkürliche Gebiete vorstellen, vereinfacht sich der folgende Ausdruck
linkerhand zu demjenigen rechterhand in der Gleichung:
a d u v1 + b c u1v + v {a d (b + c) + b c (a + d)} = w (a d + b c).
Es stellt also die linke Seite unter allen Umständen, was immer auch
u und v bedeuten mögen, einen Teil des Gebietes a d + b c vor, und
zwar jeden gewünschten.
Exempel 2. Es ist ganz allgemein:
{a (u + b1) + b (u1 + a1)} (v + c1d1) + {c (u + d1) + d (u1 + c1)} (v1 + a1b1) = a + b + c + d.
Die linke Seite ist hier trotz der Unbestimmtheit von u, v ein eindeu-
tiger Ausdruck, sie ist konstant bezüglich u, v, wie man bereits durch
die, der Anwendung unsres Zusatzes ohnehin voranzuschickende, Ent-
wickelung der linken Seite nach u, v erkennt.
Hier, meinen wir einmal, ist der gemeine Verstand ohne die Technik
des Kalkuls nicht ausreichend. Die intuitiv anschauliche Erkenntniss dürfte
wol bei vorliegender Aufgabe die Rechnung nicht einholen. Man versuche
doch einmal, auch nur für einen konkreten Fall das, was die Gleichung
behauptet zu begreifen, indem man etwa
[432]Zehnte Vorlesung.
a = Kaufmann, b = Russe, c = Europäer, d = Grundbesitzer, u = ge-
bildet, v = patriotisch
gelten lässt und beginnt, die Bedeutung der linken Seite unsrer Gleichung
gemäss der in § 8 und 16 dargelegten Regeln in Worten zu beschreiben!
Man wende nicht ein, dass so komplizirte Ausdrücke nicht vorkommen,
blos künstlich ersonnen seien. Solange die Mittel zu ihrer Handhabung
und praktisch schon zu ihrer Einkleidung fehlen, solange Methoden und
Wege dahin noch nicht einmal eröffnet sind, müssen ja Aufgaben, die
solche Ausdrücke involviren könnten, natürlich unzugänglich bleiben. So-
fern aber die Philosophie die Ausbildung solch' exakter Methoden ver-
schmähte, müsste sie wol ewig im Phrasentum stecken bleiben, wobei es
allerdings unbenommen bliebe, fort und fort in immer neuen Tonarten zu
variiren, wie weit man es darin gebracht. Gleichwie vielmehr die reine Mathe-
matik auf dem Zahlengebiete noch immer nicht auf die Höhe gelangt ist, solche
Komplikationen zu bewältigen, wie sie die Anwendungen auf selbst ver-
hältnissmässig noch ganz einfache Aufgaben der Physik und Technik ihr
zumuten, so werden zweifelsohne auch bei den zu erhoffenden Anwendungen
der geläuterten Methoden unsrer Logik auf die Probleme der „wahren
Philosophie“ (vergl. Descartes — S. 94) die Komplikationen jeder Art
nicht ausbleiben.
Exempel 3. Es erweist sich auch nach unserm Zusatze:
a b u v1 + (a1 + b1) u1v + u (a b1 + a1b) = w
als vollkommen unbestimmt oder willkürlich, unbeschränkt jedes Gebiet
zu bedeuten fähig, man könnte sagen: geradezu als „alldeutig“. —
Die Aufgabe, eine Funktion nach ihren Buchstabensymbolen zu
entwickeln, deckt sich nicht mit der Anforderung, dieselbe auf ihren
formell einfachsten Ausdruck zu bringen — wohl aber kann das ein-
schlägige Theorem 44) behufs Lösung der letzteren oft mit Vorteil
zugezogen werden.
Während aber jene Aufgabe als eine vollkommen bestimmte sich
erwies, so ist solches mit dieser nicht der Fall: es bleibt für eine
Funktion zuweilen die Wahl zwischen mehreren gleich einfachen „ein-
fachsten“ Ausdrücken. Es genügt dies durch Beispiele zu belegen: so
sind — vergl. meinen Operationskreis2, p. 27, Z. 20 v. o. — die beiden
äquivalenten Ausdrücke:
a (b + c1) + a1b1 = a b + (a1 + c1)b1
gleich einfachen Baues und lassen doch sich nicht weiter reduziren;
vergleiche auch ein schon in § 18 unter β1) behandeltes Exempel (wo
sich die Methode angegeben findet, die Nichtunterdrückbarkeit eines
Operationsgliedes, wo sie vorliegt, nachzuweisen).
Auf diesem Umstande beruht es wol, dass zur Lösung der Auf-
[433]§ 19. Funktionen und deren Entwickelung.
gabe, einen Ausdruck auf seine einfachstmögliche Form zu bringen,
eine unfehlbar zum Ziel führende einheitliche Vorschrift nicht bekannt
ist, und eine solche sich auch schwerlich aufstellen liesse: vielmehr
wird dabei immer Einiges der Willkür und dem analytischen Geschick
des Rechners anheimgestellt bleiben.
Miss Ladd und Mr. McColl empfehlen zu dem genannten Zweck
das doppelte Negiren des — wie wir unbeschadet der Allgemeinheit an-
nehmen können, schon als ein Aggregat von Monomen — gegebenen Aus-
drucks, wobei die erste Negation desselben durch Ausmultipliziren, unter
Fortlassung verschwindender oder eingehender Terme, erst wieder in Ag-
greganten zu entwickeln ist, bevor man abermals negirt. Vergl. auch § 27.
Exempel zu dieser Methode von McColl. Gegeben:
x = a + b c + a1b1d + a1c1d, also x1 = a1 (b1 + c1) (a + b + d1) (a + c + d1),
wo zunächst die beiden Terme a als unverträglich mit dem Faktor a1 fort-
zulassen sind. Wir erhalten sonach
x1 = a1 (b1 + c1) (b c + d1) = a1 (b1 + c1) d1, und folglich: x = a + b c + d
als den auf seine einfachste Form gebrachten Ausdruck.
Anderes Exempel McColl's. Gegeben:
x = a b1c1 + a b d + a1b1d1 + a b d1 + a1b1d,
also
darnach
x = (a + b1) (a1 + b + c1) = a b + a c1 + a1b1 + b1c1.
Von diesen vier Gliedern darf nun aber noch das zweite oder aber vierte
unterdrückt werden, sodass
x = a b + a c1 + a1b1 = a b + a1b1 + b1c1
sich deckt mit dem oben beispielsweise angeführten zweierlei einfachste
Darstellungen zulassenden Ausdrucke — vergl. § 18, β1).
Als ein bequemeres Verfahren scheint mir indess die Anwendung von
Th. 30+) und 33+) Zusatz den Vorzug zu verdienen, wonach man sogleich
schliessen kann:
x = a {b1c1 + b (d + d1)} + a1b1 (d1 + d) = a (b1c1 + b) + a1b1,
d. h. einerseits
= a (c1 + b) + a1b1, andrerseits = a b + (a c1 + a1) b1 = a b + (c1 + a1) b1.
Beim vorigen Exempel wäre zunächst der Faktor a1 zu unterdrücken
gewesen, hernach in x = a + b c + (b1 + c1) d der Faktor b1 + c1 als die
Negation von b c vorstellend.
Schon von alters her werden in der Logik Urteile auch als „Pro-
positionen“ bezeichnet, namentlich, wenn sie als Glieder eines Theo-
rems oder einer Beweisführung, Argumentation, auftreten. Wir wer-
den uns dieses Namens auch hier, jedoch in einem ganz bestimmten
noch näher zu erläuternden Sinne, bedienen.
Die kategorischen Urteile, mit deren Ausdruck in der Zeichen-
sprache des Kalkuls wir uns bisher beschäftigten, erwiesen sich — in
§ 2 — in der Regel als Subsumtionen, zum Teil auch als Gleichungen,
und so wird uns der Name „Proposition“ zunächst herhalten als ein
gemeinsamer Name für diese beiden Arten von Behauptungen, als ein
kürzeres Wort für „Subsumtion oder auch Gleichung“ — einerlei ob
solche in der Wortsprache oder ob sie in der Zeichensprache des
Kalkuls ausgedrückt erscheint, immerhin vorzugsweise im Hinblick auf
letztere Darstellungsmöglichkeit.
Späterhin werden wir aber den Begriff der „Proposition“ noch
weiter fassen. Zu den erwähnten beiden Arten von Aussagen werden
nämlich noch andere kommen, welche wie Unterordnungen, Überord-
nungen, Ungleichungen und anderes mehr, sich ebenfalls in unserer
Zeichensprache formelartig darstellen.
Alle Beziehungen, welche denkbar sind zwischen Gebieten unsrer
Mannigfaltigkeit, desgleichen also auch zwischen Klassen überhaupt
sowie Begriffsumfängen insbesondere, soweit es dabei ankommt auf
Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gemeinsamer Elemente oder
Individuen der unter sich verglichenen Gebiete oder Klassen — sagen
wir kurz: alle „Umfangsbeziehungen“, sollen, in Worten oder Zeichen
statuirt, später schlechtweg Propositionen genannt werden. Ihre mög-
lichen Arten zählen wir in § 34 ‥ 39 vollständig auf.
Als Vorbereitung für die wichtigen Untersuchungen zu denen wir
im nächsten Paragraphen schreiten, müssen wir nun die Aufmerksam-
keit des Lesers richten auf einige Unterscheidungen, welche sich bei
[435]§ 20. Spezielle und allgemeine Propositionen.
Betrachtung der Propositionen aufdrängen. Wir müssen uns —
unter gewissen Gesichtspunkten — mit einer Einteilung der Proposi-
tionen beschäftigen. Was wir aber in diesem Betreff demnächst zu
sagen haben im Hinblick auf die Subsumtionen und Gleichungen (denen
eine Einführung in die Theorie bis jetzt allein zuteil geworden), wird
es späterhin ein Leichtes sein auch auf die übrigen Arten von Aus-
sagen zu übertragen, die unter den erweiterten Begriff der „Proposi-
tion“ noch fallen werden.
Zunächst zerfallen die Propositionen in spezielle und allgemeine.
„Speziell“ nennen wir eine Proposition, wenn sie als Subjekt und
Prädikat, als linke und rechte Seite der Gleichung, überhaupt als Be-
ziehungsglieder“ (der „Umfangsbeziehung“) sowie als Operationsglieder
der diese etwa darstellenden Funktionen lediglich vollkommen bestimmte
oder eindeutige Gebietsymbole, bestimmte wohldefinirte Klassen enthält
— „eindeutig“ in der „abgeleiteten“ Mannigfaltigkeit oder Mn. der
Gebiete, der Klassen — kurz: wenn sie nur von speziellen Gebieten
oder Klassen handelt.
„Allgemein“, genauer: „von unbestimmtem oder allgemeinem Cha-
rakter“ nennen wir eine Proposition, wenn obiges nicht der Fall ist,
wenn also auch Gebietsymbole in ihr vorkommen — sei es als Be-
ziehungsglieder, sei es als Operationsglieder der drei identischen Spe-
zies im Ausdrucke derselben — die von noch nicht völlig bestimmter,
vielmehr von teilweise oder völlig unbestimmter, eventuell allgemeiner
Bedeutung in der Mannigfaltigkeit der Gebiete resp. Klassen sind.
Beispielsweise sind 0 = 0, 0 ⋹ 1, 0 · 1 = 0, etc. desgleichen a ⋹ b,
falls a und b etwa die in Fig. 1 dargestellten Kreisflächen bedeuten, lauter
spezielle Propositionen; ebenso würden dann 0 ⋹ a, b ⋹ 1, a b ⋹ a solche
exemplifiziren, nicht minder wie a = a b, und andere.
Auch die Urteile: „Die Neger sind von schwarzer Hautfarbe“ sowie
„Alle schwarzen Krähen sind schwarz“, obwol in der logischen Termino-
logie als generelle, ja universale (zu deutsch „allgemeine“) Urteile zu be-
zeichnen, sind doch in unserm Sinne nur als spezielle Propositionen hinzu-
stellen, und dürfen sie nicht etwa „allgemeine“ Propositionen genannt werden.
Man nimmt hier wieder einmal die Gefahren eines Doppelsinnes als
naheliegende wahr, und fühlt die Unabweislichkeit einer genaueren Ver-
ständigung. Ich muss mich den Sprachreinigern zum Trotze hier gegen
die Verdeutschung des Wortes „universal“ erklären, weil ich das Wort
„allgemein“ hierselbst in wesentlich abweichendem Sinne — dem lateini-
schen „generalis“ näher kommend — zu gebrauchen mich genötigt sehe.
Das Subjekt „Neger“ war, als ein Gattungsname, ein vieldeutiger Term
in der ursprünglichen, d. i. der Mannigfaltigkeit der individuellen (der mittelst
Eigennamen darzustellenden) Objekte des Denkens. Es erscheint aber als
28*
[436]Eilfte Vorlesung.
ein eindeutiger Term in der abgeleiteten, der Mannigfaltigkeit der Klassen,
indem es unter den Klassen eine ganz bestimmte, individuelle Klasse vorstellt.
Als allgemeine Propositionen würden a = a b, sowie a ⋹ b, a b ⋹ a,
etc. hinzustellen sein, wenn entweder a, oder b, oder beide Symbole unbe-
stimmte Gebiete oder Klassen vorstellen sollten, wenn die Bedeutung dieser
Symbole ganz oder teilweise offen gelassen wäre. Ebenso, wenn a irgend
ein Gebiet vorstellt (desgleichen, wenn es ein beliebiges in einem be-
stimmten b enthaltenes Gebiet vorstellte), muss die Proposition a ⋹ 1 als
eine „allgemeine“ bezeichnet werden. Etc.
Auf dem Felde der Arithmetik entsprechen unsern „speziellen“ Pro-
positionen die „numerischen“ Gleichungen, welche nur mittelst Ziffern dar-
gestellte individuelle Zahlen („numerische“ oder „ziffrige“, „digital numbers“)
enthalten, oder in denen wenigstens, falls Buchstaben in ihnen auftreten
sollten, diese, wie π = 3,14159 …, e = 2,71828 …, i = ,
schon eine konventionell feststehende Zahlenbedeutung haben. Unsern „all-
gemeinen“ Propositionen dagegen entsprechen die „literalen“ oder Buch-
staben-Gleichungen, welche auch Buchstaben als „unbestimmte“ oder „all-
gemeine“ Zahlzeichen enthalten, Buchstaben, denen es uns noch freisteht
verschiedene Zahlenwerte als Bedeutung unterzulegen.
Solch leicht erkennbares äusserliches Unterscheidungsmerkmal, wie das
Auftreten oder Nichtauftreten von Buchstaben in der Arithmetik es bil-
dete, können wir jedoch im identischen Kalkul der Unterscheidung beider
Klassen von Propositionen nicht zugrunde legen, weil wir hier auch die
speziellen Gebiete oder Klassen stets mit Buchstaben darzustellen pflegen
und darzustellen genötigt sind — die beiden Gebiete 0 und 1 ganz allein
ausgenommen. Was dort (in der Arithmetik bei i, π, e) als Ausnahme
mitanzuführen war, bildet hier (im identischen Kalkul) die Regel!
Spezielle Propositionen erfreuen sich jeweils eines völlig bestimm-
ten Sinnes, und darum ist eine spezielle Proposition immer entweder
eine richtige oder eine falsche.
Die oben angeführten waren Exempel von richtigen speziellen Propo-
sitionen. Dagegen würden 1 ⋹ 0, 0 = 1, und bei der durch Figur 1 er-
klärten Bedeutung von a und b die Subsumtion b ⋹ a, die Gleichung
a b = b, etc. eine falsche spezielle Proposition exemplifiziren; ebenso die
verbalen Urteile: „Die Mohren sind weiss“ sowie „Einige schwarze Krähen
sind nicht-schwarz“, und andere mehr.
Die (in unserm Sinne) „allgemeinen“ Propositionen können nicht
so, wie die der vorigen Abteilung, die speziellen, ohne weiteres in
richtige und falsche eingeteilt werden, weil sie keinen völlig fest-
stehenden Sinn besitzen. Die Beantwortung der Frage, ob sie als
richtig oder falsch erscheinen, wird vielmehr häufig davon abhängen,
welche Bedeutungen, Werte oder Wertsysteme man den in ihnen vor-
kommenden Buchstabensymbolen, für welche eine völlig bestimmte Be-
deutung eben noch nicht ausgemacht ist (und die darum als „unbe-
[437]§ 20. Analytische Propositionen, Formeln.
slimmte“ oder „variabele“ eventuell als „allgemeine“ Symbole hingestellt
werden mögen) beigelegt denkt.
Wohl aber tritt auch hier bei einer Umschau ein grosser Gegen-
satz zutage:
Wir bemerken — schon unter den bisherigen — solche Propo-
sitionen, die richtig werden, welche Bedeutungen, Werte oder Wert-
systeme man auch den in ihnen vorkommenden variablen Elementen
beilegen mag, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist.
Erstere nennen wir „analytische“ Propositionen, die letzteren „syn-
thetische“.
Hierbei befinden wir uns in vollkommener Analogie mit dem Verfahren
der numerisch rechnenden Mathematik, die ihre Buchstabengleichungen in
analytische und synthetische einteilt.
Beispiele von „analytischen“ Propositionen sind die Subsumtionen resp.
Gleichungen:
a ⋹ a, 0 ⋹ a, a ⋹ 1, a b ⋹ a, a ⋹ a + b, a + a b = a,
a a1 = 0, a + a1 = 1, a (b + c) = a b + a c, etc.
Überhaupt jede in den bisherigen Sätzen, d. i. Axiomen („Prinzipien“) und
Theoremen, als allgemeingültig hingestellte und eventuell bewiesene Sub-
sumtion oder Gleichung wird als eine „analytische“ Proposition zu bezeich-
nen sein.
Analytische Propositionen, in unsrer Zeichensprache dargestellt,
heissen mit einem Worte auch „Formeln“ im strengen Sinn dieses
Wortes.
Der Sprachgebrauch mit seinen Inkonsequenzen verwendet freilich manch-
mal auch das Wort „Formel“ als synonym mit (Buchstaben-)Ausdruck (ex-
pressio, compound term), doch ist diese Verwendung die weitaus seltenere,
hat meist einen rhetorischen Beigeschmack und ist eigentlich als inkorrekt
zu qualifiziren — so wenigstens für die Mathematik; ich habe nichts da-
gegen, wenn der Chemiker nicht nur von der Formel für einen chemischen
Vorgang, sondern auch von der „Formel“ einer Substanz als einer chemi-
schen Verbindung spricht.
In der Mathematik ist die Formel jeweils eine Gleichung (eventuell
auch Ungleichung) also eine wirkliche Behauptung, nicht aber blos ein Aus-
druck, Term oder Name für eine Zahl, und analog soll es auch im iden-
tischen Kalkul gehalten werden.
Das charakteristische Merkmal der Formel schlechtweg ist dem-
nach in ihrer Allgemeingültigkeit, ist darin zu erblicken, dass sie „er-
füllt“ ist, gilt, welche Wertsysteme (aus der zugrunde gelegten Man-
nigfaltigkeit) man auch den in ihr vorkommenden Buchstabensymbolen
unterlegt.
Niemals, freilich, kann hier solche Allgemeingültigkeit empirisch
[438]Eilfte Vorlesung.
nachgewiesen werden, indem man etwa alle erdenklichen Werte und
Wertsysteme durchprobirte, dieselben für unsre Buchstabensymbole ein-
setzend und das Einsetzungsergebniss auf seine Richtigkeit als spezielle
Proposition in jedem Falle prüfend. Vielmehr steht uns, wenn wir eine
allgemeine Proposition für eine Formel ausgeben, nur die Berufung auf
das Gefühl der Evidenz zugebote, mit der wir sei es ihr Schema selbst, sei
es dasjenige der Voraussetzungen aus denen sie abgeleitet wurde, sowie
der Schlüsse die von da zu ihr hinführten, als denknotwendige erkennen.
Alle übrigen bisher vorgekommenen Propositionen (zunächst sofern die
in ihnen auftretenden Buchstaben nicht durchweg ganz spezielle Bedeu-
tungen hatten) sind Exempel von „synthetischen“ Propositionen. So nament-
lich die in unsern Theoremen angeführten Subsumtionen oder Gleichungen,
welche als Voraussetzungen oder Bedingungen, desgleichen diejenigen welche
dann als Behauptung in dem Theorem hingestellt wurden. Ebenso, wenn
zwei Propositionen als einander äquivalent hingestellt wurden, wo dann die
eine von der andern und diese von jener bedingt wird, waren es allemal
synthetische Propositionen.
Ein einfachstes Beispiel einer synthetischen Proposition ist insbeson-
dere die Subsumtion a ⋹ b. Diese gilt ja nicht als allgemeine Formel für
beliebige Wertepaare oder Bedeutungen von a und b. Es gibt Fälle (illustrirt
durch Fig. 1) in welchen sie richtig, andere (illustrirt z. B. durch Fig. 7 ‥ 11)
in welchen sie falsch ist. Ebenso die Gleichung a b = a, etc.
Wenn Prinzip II aussagte, unter den Voraussetzungen a ⋹ b und
b ⋹ c gelte die Behauptung a ⋹ c, oder wenn Th. 37) aussagte, die bei-
den Subsumtionen a ⋹ b und b1 ⋹ a1 seien äquivalent, so waren alle diese
Subsumtionen synthetische.
Um eine allgemeine Proposition als eine synthetische nachzuweisen,
genügt es schon, ein einziges Wertsystem ausfindig zu machen, anzu-
geben, welches, für die Buchstaben in sie eingesetzt, eine falsche spe-
zielle Proposition liefert.
So kann a + b ⋹ a nur eine synthetische Proposition sein, sowol wenn
a und b unbestimmte Gebiete vorstellen, als auch, wenn eines derselben,
z. B. b als ein spezieller Kreis gegeben sein sollte. Man braucht nämlich
dem a nur die Bedeutung eines ausserhalb b liegenden Kreises beizulegen,
um durch die Anschauung zu erkennen, dass alsdann sie falsch wird.
Von den synthetischen Propositionen kann man sagen, dass sie
eine Beziehung zwischen den in sie eingehenden Gebieten ausdrücken
oder etabliren, man kann sie mit einem Wort auch „Relationen“ (im
engeren Sinne) nennen.
So drückt die letztbetrachtete a + b ⋹ a, wie leicht zu sehen, die Be-
ziehung zwischen den Gebieten a und b aus, dass b in a enthalten ist,
was kürzer auch b ⋹ a sagen würde. Die analytische Proposition oder
Formel a b ⋹ a dagegen drückt keinc Beziehung zwischen a und b selbst
[439]§ 20. Synthetische Propositionen, Relationen.
aus (wenngleich sie allerdings die Beziehung der Einordnung von ab in a
ausspricht und mit Recht behauptet); diese lässt sich nicht als eine „Rela-
tion“ zwischen a und b hinstellen, da ihr alle Gebiete a und b schon so
wie so genügen.
Auch die richtigen speziellen Propositionen werden „analytische“
genannt, wenn sie durch Einsetzung spezieller Werte aus einer For-
mel, einer analytischen Proposition von allgemeiner Gültigkeit hervor-
gehen, wenn sie m. a. W. nur eine Formel exemplifiziren, partikulare
Anwendungen, Paradigmata einer solchen, mithin von denknotwen-
digem Schema sind. Und andernfalles werden wir auch jene wieder
„synthetisch“ nennen; desgleichen mögen die falschen speziellen Propo-
sitionen mit zu den „synthetischen“ gezählt werden.
Darnach ist z. B. jene Aussage: „Die schwarzen Pferde sind schwarz“
zwar eine spezielle, gleichwol aber eine analytische Proposition zu nennen.
Sie geht nämlich aus dem Th. 6×) a b ⋹ a hervor, wenn man a = schwarz
und b = Pferd bedeuten lässt, und gilt wie dieses mit Denknotwendigkeit.
Die Aussage gibt uns auch keinerlei Belehrung über diese Klassen a und
b, da sie in unserer Disziplin auch nicht einmal die Existenz des Subjektes,
nämlich schwarzer Pferde unterstellt oder fordert. Ebenso bei: „Der weisse
Schnee ist weiss“, „Die runden Quadrate sind rund“.
Dagegen das Urteil: „Die Mohren sind schwarz“ ist eine synthetische
spezielle Proposition (und zwar eine richtige); es belehrt über die Haut-
farbe der Mohren, und hat zum Schema: a ⋹ b, welches, wie erkannt nicht
von allgemeiner und denknotwendiger Geltung ist. Definirten wir freilich
die „Mohren“ als „Menschen von schwarzer Hautfarbe“ und setzten diesen
Ausdruck für das Subjekt in unser Urteil ein, so würde dasselbe sich nun-
mehr als ein analytisches (dem obigen ähnlich) darstellen. Solange aber
solche Einsetzung nicht geschehen, ist aus dem Urteil selbst seine Selbst-
verständlichkeit nicht zu erkennen und muss dasselbe immerfort synthetisch
genannt werden, um so mehr, als der Begriff der „Mohren“ schon ander-
weitig bekannt und auch durch andere Merkmale als das der schwarzen
Hautfarbe definirt sein könnte.
Hienach zerfallen denn alle Propositionen wie einerseits in spe-
zielle und allgemeine, so andrerseits in synthetische und analytische,
sodass hieraus durch Kombination sich vier Unterklassen ergeben, als
da sind die synthetischen speziellen, die synthetischen allgemeinen, die
analytischen speziellen und die analytischen allgemeinen Propositionen.
Kennzeichen der „analytischen“ Proposition ist somit die aus ihr
selbst ersichtliche „Selbstverständlichkeit“ derselben, ihre denknotwendige
Geltung — einerlei, ob sie von allgemeinerem Charakter ist, oder von
speziellem, nämlich aus allgemeingültigem Schema durch Einsetzen
spezieller Werte für dessen Buchstabensymbole hervorgegangen.
Kennzeichen der „synthetischen“ Propositionen ist, dass sie solcher
aus ihnen selbst erkennbarer denknotwendiger Geltung ermangeln.
Den analytischen und den synthetischen Propositionen fällt eine
gänzlich verschiedene Rolle in der Wissenschaft zu.
Erstere sind in Bezug auf die Gebiete oder Klassen, über welche
sie etwas auszusagen scheinen, im Grunde vollkommen „nichtssagend“,
sie liefern über diese selbst keinerlei Information. Dagegen stellen
sie uns, wenn sie von allgemeinem Charakter, wenn sie Formeln sind,
Gesetze des Denkens dar (und bringen, im Fall sie spezieller Natur,
solche zur Anwendung); sie bringen uns Sätze, Theoreme der formalen
Logik zum Ausdruck und zum Bewusstsein.
Indem sie als solche eventuell die Gleichheit, Identität zwischen
allgemeinen Ausdrücken konstatiren, ermächtigen sie uns, jeden Aus-
druck von der Form der linken Seite der Gleichung, wo immer es uns
vorteilhaft erscheint, zu ersetzen durch einen andern, nach dem Schema
ihrer rechten Seite konstruirten Ausdruck, oder auch umgekehrt (vergl.
S. 283). Sie drücken so fakultativ anzuwendende Rechenvorschriften aus,
garantiren uns gewisse Freiheiten in der Umformung von Ausdrücken,
von welchen wir — geschickt, oder zur Unzeit — Gebrauch machen
mögen in der Absicht, die Beschreibung von Klassen zu vereinfachen
und an Zeichenaufwand, Ausdruckskapital und geistiger Arbeit Er-
sparnisse zu erzielen, überhaupt um irgendwelche Probleme zu lösen.
Und auch wenn unsere Formeln blos als Subsumtionen erscheinen,
gewährleisten sie uns die Erlaubniss, gewisse Substitutionen, falls es
uns passend erscheint, vorzunehmen, insbesondre den terminus minor
derselben, wo er anderwärts als Prädikat auftritt, durch den major,
ihren major, wo immer er als Subjekt auftritt durch ihren minor zu
ersetzen; vergl. S. 173. Auch sie statuiren also Lizenzen für die Um-
formung, Transformation — zum wenigsten von Aussagen.
Wenn dann später durch den „Aussagenkalkul“ auch solche Theoreme,
welche gewisse Behauptungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig
hinstellen, in der Zeichensprache durch einen einzigen Ansatz, durch
eine „Formel“ darstellbar gemacht werden, so wird sich das zuletzt Ge-
sagte auch auf den so erweiterten Begriff der Proposition und Formel
übertragen. Es regeln diese Formeln den Übergang von einer Aussagen-
form zu andern; sie geben uns allgemeine Schemata für denknotwendiges
Folgern, deduktives Schliessen.
Soviel über die Rolle, welche den analytischen Propositionen, und
namentlich den Formeln zufällt, die, soferne sie in Worten dargestellt
sind, auch „analytische Urteile“ von der Philosophie genannt werden
oder als „apriorische Wahrheiten“ bezeichnet werden mögen. Vergl. ζ)
unsrer Einleitung.
Ich kann mich bei dieser Gelegenheit eines Seitenblicks auf die „Wahr-
heiten der Mathematik“ nicht entschlagen. Soferne diese Zahlen betreffen
— einerlei ob ganze oder irrationale oder andere — so ist es erst in
neuerer Zeit durch die scharfsinnigen Arbeiten namentlich von Hermann
Grassmann und den Herrn Weierstrass, Georg Cantor und Dede-
kind ausser allen Zweifel gestellt worden, dass diese Wahrheiten durchaus
nur den Charakter von „analytischen“ haben (vergl. hiezu unsern § 51),
dass mithin Kant's Frage: wie sind synthetische Urteile a priori möglich?
wol eine gegenstandslose ist.
Dagegen erscheinen die Axiome der Geometrie als „synthetische“ Pro-
positionen, die eine denknotwendige Geltung nicht zu beanspruchen ver-
mögen und in dieser Hinsicht auf einer Linie stehen mit den Axiomen
oder Prinzipien der Mechanik, mit den Theorieen und Hypothesen aller
übrigen Teile der Physik oder Naturlehre. Dermalen bildet dies allerdings
noch eine, selbst unter den Mathematikern nicht völlig zum Austrag ge-
brachte Streitfrage. Für den Verfasser kann indess kein Zweifel bestehen,
wohin der Sieg sich (vollends) neigen muss, und erscheint mir die Geo-
metrie von hause aus als der erste Teil der Physik, als ursprünglich nur
ein Zweig der induktiven und Naturwissenschaften, als solcher zunächst im
Gegensatze stehend zur reinen Mathematik im engsten Sinne des Wortes,
die als streng deduktive Disziplin nur Arithmetik*) und Logik zu um-
fassen hätte und für Denjenigen, der mit Dedekind die Arithmetik als
einen Zweig der Logik ansieht, mit letzterer geradezu zusammenfiele.
Sofern nicht ihre Axiome als in der Natur des physikalischen Raumes
begründete einst noch in Zweifel gezogen und modifizirt werden müssen,
hat aber die Geometrie, gefolgt von der Geomechanik etc., ihr induktives
Anfangsstadium längst schon verlassen und ist, einen rein mathematischen
Charakter annehmend, in das deduktive Stadium übergetreten (vgl. S. 42).
Sie mag, gleichwie die theoretische Mechanik, aber nicht ohne diese, zur
(reinen) Mathematik (im weiteren Sinne) nunmehr gerechnet werden. —
Die synthetischen Propositionen, oder Relationen, geben eine In-
formation über die Klassen oder Gebiete, von denen sie handeln; sie
dienen also in erster Linie dazu, wirklich etwas auszusagen und die
Mitteilungsbedürfnisse der Sprache zu befriedigen.
Sofern sie von speziellem Charakter sind, wird diese Information,
wie erwähnt, entweder richtig oder unrichtig sein. In diesen Fällen
haben alle Klassen, von denen in der Proposition die Rede ist, ihre
Definition, Erklärung bereits anderweitig, vorher, oder wenigstens
ausserhalb der Proposition, gefunden; die Proposition sagt nur über
lauter „bestimmte“ oder „bekannte“ Klassen etwas aus.
Anders, wenn die Proposition von allgemeinem Charakter ist, wo
sie auch unbestimmte Klassen oder deren Symbole enthält.
Hier sind dann zweierlei Fälle zu unterscheiden.
Es kann sein, dass es gar keine speziellen Werte gibt, dass Ge-
biete oder Klassen gar nicht denkbar sind, welche, für jene unbe-
stimmten Symbole in die Proposition eingesetzt, dieselbe „erfüllten“,
nämlich aus ihr eine richtige spezielle Proposition hervorgehn lassen
würden.
Von solcher Art wären z. B. die Propositionen:
a a1 = 1, sowie x + x1 = 0.
Da nach Th. 30) für jede Klasse a, für jedes Gebiet x, doch aa1 = 0,
und x + x1 = 1 sein muss, so würden diese Relationen auf die For-
derung hinauslaufen, dass 1 = 0 sein solle.
Dies würde nur zutreffen, wenn die Mannigfaltigkeit, auf die unsre
Untersuchungen sich beziehen, von vornherein eine leere wäre, und dass
solches auszuschliessen sei, haben wir bereits als ein diesen Untersuchun-
gen zugrunde zu legendes Postulat hingestellt. Für uns wird also eine
Gleichung:
1 = 0
als eine unbedingt zu verwerfende gelten, wir können sie geradezu als den
Typus der „Absurdität“ hinstellen.
Wer sie zugäbe würde auf jegliche Unterscheidung innerhalb der Mn.
Verzicht leisten, wie wir schon S. 245 ausgeführt haben. Dem wäre alles
„egal“; buchstäblich gälte für Den: „Es ist Alles nichts“.
In solchem Falle nennen wir die synthetische Proposition eine
„absurde“.
Insofern sie zu gelten beanspruchte — und dies zu thun ist doch
der Endzweck jeder Aussage oder Behauptung — würde die Propo-
sition uns zumuten unter ihren Symbolen uns Gebiete zu denken, die
gar nicht denkbar sind. Sie stellte damit an uns eine unerfüllbare
Forderung. Auf jedem Felde ist es leicht, Forderungen aufzustellen,
welche zu erfüllen unmöglich ist, und so auch auf dem Felde der Logik,
auch im identischen Kalkul.
Zuweilen wird auch die Forderung selbst, z. B. die Gleichung
x + x1 = 0,
eine „unmögliche“ genannt; jedoch geschieht dies dann nicht in der
suppositio nominalis, indem es ja leicht ist, dieselbe trotz allen Wider-
sinnes behauptend auszusprechen, sondern in der suppositio realis: die
Gleichung in Hinsicht dessen, was sie behauptet, als eine erfüllte oder
geltende, ist unmöglich.
Eine synthetische Proposition wird demnach auch „absurd“ zu nennen
[443]§ 20. Spezielle und allgemeine, synthetische u. analytische Propositionen.
sein, wenn sie mit Denknotwendigkeit — nach den Regeln des Kalkuls —
auf die Gleichung 1 = 0 hinausläuft.
Dass aber auch umgekehrt auf diese Gleichung jede im obigen Sinne
absurde Proposition hinauslaufen muss, jede nämlich, die durch kein Wert-
system ihrer unbestimmten Symbole erfüllbar ist, werden wir im Aussagen-
kalkul sehen.
Der vorige Kontext lässt dann nebenher die Thatsache deutlich wer-
den, dass sobald einmal ein Unsinn zugegeben wird, dann auch jeder Un-
sinn mittelst zwingender Schlüsse sich ableiten oder beweisen lässt — so-
fern wir nämlich als Schema solchen Unsinnes die Behauptung nehmen,
dass zwei beliebig herausgegriffene verschiedene Dinge einerlei seien. Ge-
langten wir vom ersteren zu 0 = 1, so liess sich auch von da zu a = b
fortschreiten.
Ist die allgemeine synthetische Proposition nicht absurd, so gibt
es Werte oder Wertsysteme, deren Einsetzung in die Proposition (für
die in ihr vorkommenden nicht schon anderweitig bestimmten Gebiet-
symbole) die Wirkung hat, dass eine richtige spezielle Proposition ent-
steht. Von solchen, die allgemeine in eine richtige spezielle Propo-
sition „verwandelnden“ Wert(system)en sagt man, dass sie die Propo-
sition „erfüllen“, derselben „genügen“, sie „bewahrheiten“.
Man nennt sie auch „Wurzeln“, beziehungsweise ein „System von
Wurzeln“, dieser Proposition (Gleichung oder Subsumtion etc.) — ent-
sprechend dem bei synthetischen Gleichungen in der Mathematik gel-
tenden Sprachgebrauche.
Sobald die Proposition aber Geltung beansprucht, stellt sie uns
vor die Aufgabe, uns unter ihren Buchstabensymbolen solche Gebiete
oder Klassen vorzustellen, welche sie „erfüllen“, m. a. W., diese Sym-
bole eben nur bedeuten zu lassen: ein System von „Wurzeln“ der Pro-
position. Und um dies für jedermann zu ermöglichen, müssen solche
Wurzeln mit Hülfe der in der Proposition etwa sonst noch vorkom-
menden bestimmten oder „gegebenen“ Gebiete, ihrer sogenannten „Para-
meter“, beschrieben, durch diese übrigen Gebiete ausgedrückt, „berech-
net“ werden.
Die Ausführung dieses Geschäftes heisst das „Auflösen“ der Pro-
position nach den als ihre „Wurzeln“ zu bestimmenden Gebieten als
„Unbekannten“. Damit sie als solche sogleich erkennbar seien, werden
diese erst zu bestimmenden unbekannten Gebiete mit Vorliebe durch
die Buchstaben x, y, z, … dargestellt, im Gegensatz zu den mit den
ersten Buchstaben des Alphabets zu bezeichnenden Parametern.
Und zwar erhält man eine „besondere“ oder „partikulare“ Lösung
der Proposition, wenn die Angabe von Wurzeln nur auf eine Weise er-
[442]Eilfte Vorlesung.
folgt, wenn nur ein System von Wurzeln (nach anderer, etwas weiterer
Auffassung, wenn nur nicht jedes solche) ermittelt worden, während
die allgemeine Lösung vorliegt, sobald alle möglichen existirenden Wur-
zeln(systeme) ermittelt sind, sich dargestellt finden.
Beides fällt zusammen, es liegt schon die „allgemeine Lösung“
vor, und wird der Ausdruck „partikulare Lösung“ dann besser ausser
Kurs gesetzt, falls überhaupt nur ein System von Wurzeln existirt,
falls also die Unbekannten sich durch die Proposition eindeutig be-
stimmt erweisen.
Um dies sogleich durch ein einfaches Exempel zu illustriren, so haben
wir nach Th. 43) als Auflösung der Subsumtion x ⋹ b nach der Unbe-
kannten x den Ansatz: x = wb, in welchem w ein willkürliches Gebiet
vorstellt, und zwar gibt bei solcher Deutung von w dieser Ausdruck alle
erdenklichen Lösungen, er stellt die allgemeine Lösung vor. Wurzel ist
hier jedes zwischen 0 und b liegende Gebiet x. Als partikulare Lösungen
oder spezielle Wurzeln ergeben sich z. B. durch die Annahmen w = 0 und
w = 1 die Werte x = 0 und x = b (hier Minimal- resp. Maximalwert der
Wurzeln). Werden mehrere solche Wurzelwerte in einundderselben Unter-
suchung in Betracht gezogen, so pflegt man sie auch als x1, x2, … unter-
scheidend zu bezeichnen. Alle Wurzeln fallen hier in eine x = 0 zu-
sammen, und ist die Lösung eine eindeutig bestimmte, wenn von vornher-
ein b = 0 bedeutete.
Dual entsprechend hat man analog x = a + w als die allgemeine
Lösung der Subsumtion a ⋹ x, mit dem Minimalwerte x1 = a und dem
Maximalwerte x2 = 1, wobei für a = 1 wieder nur eine Wurzel x = 1
existiren wird.
Wir ersehen hieraus, wie die allgemeine synthetische Proposition
fähig ist und wie ihr die Mission zufällt, gewisse Gebiete oder auch
ganze Klassen von Gebieten (oder von Klassen, und Systemen solcher)
— gewissen Anforderungen oder Bedingungen entsprechend — zu „be-
stimmen“, dieselben aus der Mannigfaltigkeit der überhaupt denkbaren
Gebiete (resp. Klassen und Gebietsysteme) auszeichnend hervorzuheben.
Die analytische Proposition vermag nicht, solchem Zwecke dienstbar
zu sein; wird z. B. verlangt, dass x y ⋹ x sei, so dürfen wir unter x und
y uns noch jedes beliebige Paar von Gebieten vorstellen.
Es tritt darnach die Aufgabe an uns heran, uns nunmehr mit
dem Problem der Auflösung von (synthetischen allgemeinen) Proposi-
tionen zu beschäftigen, welche Aufgabe wir im nächsten Paragraphen
in einer für den bisherigen Propositionsbegriff erschöpfenden Weise er-
ledigen werden.
Zum Schlusse geben wir noch rekapitulirend eine Übersicht über die
vorstehend nötig gewordenen Unterscheidungen. Die Einteilung der Pro-
positionen, zu der wir uns veranlasst gesehen, veranschaulicht das Schema:
[445]§ 20. Spezielle und allgemeine, synthetische u. analytische Propositionen.
Bedeutet p = Proposition, b = speziell (erinnernd an besondere prop.,
aber nicht im Sinne von partikular), g = allgemein (erinnernd an genera-
lis aber nicht im Sinne von universal),
α = analytisch, σ = synthetisch (Relation),
v = wahr (prop. vera), f = falsch (prop. falsa),
a = absurd, s = auflösbar (prop. solubilis),
so bestehen die Gleichungen resp. Subsumtionen:
p = b + g, b g = 0, p = σ + α, σ α = 0,
v f = 0, b ⋹ v + f ⋹ p, g σ = a + s,
a s = 0, α ⋹ v, a ⋹ f, f ⋹ σ.
Sonach ist:
g ⋹ σ + α oder g = g σ + g α,
ebenso
b v ⋹ σ + α oder b v = b v σ + b v α,
σ = b v σ + b f + a + s, α = b v α + g α,
dazu
f = b f + g a, v = b v + g α
indem hier nämlich auch
s v = s f = 0
zu gelten hat.
Nach dem Sprachgebrauch kann eine Relation, wenn sie irrtümlich
als eine Formel hingestellt worden, auch als eine „falsche Formel“ quali-
fizirt werden. In logischer Hinsicht ist dies aber nicht korrekt, denn
solche „falsche Formel“ oder „vermeintliche Formel“ ist überhaupt keine
„Formel“; niemals ist ein Teil von σ ⋹ g α. Man wird darum die Formeln
auch nicht in richtige und falsche einteilen dürfen — so wenig wie etwa
die lateinischen Deklinationen! Eine falsche Proposition dagegen ist wirk-
lich eine Proposition, Aussage und Behauptung gewesen.
Auf die spezielle falsche Proposition
0 = 1
laufen übrigens wie schon angedeutet auch die „absurden“ wesentlich
hinaus und werden wir zwischen beiden späterhin keinen Unterschied
machen. —
Um das Einfachste und Wichtigste vorweg zu erledigen, stellen
wir an die Spitze den Satz:
49+) Theorem. Die Gleichung
a x + b x1 = 0
ist äquivalent einer jeden der beiden Doppelsubsumtionen:
b ⋹ x ⋹ a1resp. a ⋹ x1 ⋹ b1,
d. h. ausführlicher gesprochen, dem Paare von Subsumtionen:
b ⋹ x, x ⋹ a1resp. a ⋹ x1, x1 ⋹ b1
mit welchem nebenher dem Prinzip II gemäss gegeben ist:
b ⋹ a1sowie a ⋹ b1.
Allemal ist also die Unbekannte zwischen dem Koeffizienten ihrer Nega-
tion und der Negation ihres Koeffizienten gelegen.
Beweis. Nach Th. 24+) zerfällt die gegebene Gleichung ohne
Einbusse an Inhalt in die beiden
a x = 0 und b x1 = 0;
die letztere von diesen ist aber nach Th. 38×) äquivalent der Subsum-
tion b ⋹ x und die erste äquivalent der x ⋹ a1, und damit ist die
erste Doppelsubsumtion b ⋹ x ⋹ a1 nicht nur bewiesen, sondern auch
als mit der gegebnen Gleichung äquivalent erkannt.
Das Th. 38×) lässt aber auf vorstehende zwei Gleichungen sich
auch noch auf eine zweite Weise anwenden: indem man links, statt
des einen, den andern Faktor isolirt; so ergeben sich auch direkt die
beiden Subsumtionen a ⋹ x1, x1 ⋹ b1 des andern Paares, welche zu
einfacherer Schreibung sich in die zweite Doppelsubsumtion a ⋹ x1 ⋹ b1
zusammenziehen lassen.
Überdies folgen aber auch die beiden Subsumtionen des zweiten
Paares durch „Konversion mittelst Kontraposition“ nach Th. 37) —
unter Berücksichtigung von Th. 31) — aus denen des ersten, und ebenso
also auch die eine Doppelsubsumtion aus der andern.
Endlich kann man, nachdem die erste Doppelsubsumtion wie
vorstehend bewiesen, als der Gleichung
a x + b x1 = 0
üquivalent nachgewiesen ist, die zweite auch durch blosse Buchstaben-
[447]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
vertauschung aus dem damit gewonnenen Satze ableiten. Vertauschung
von x mit x1 und zugleich von a mit b führt nämlich die Gleichung
a x + b x1 = 0
nur in sich selbst über und ist darum gleichwie in dieser Prämisse,
so auch in deren Konklusionen gestattet.
Wir werden im Verlauf der weiteren Untersuchungen erkennen,
dass das Th. 49+) die im Titel des Paragraphen genannten beiden
Probleme schon vollständig löst, dass wir nämlich berechtigt sind,
das erste Subsumtionenpaar als die „Auflösung“ der Gleichung
a x + b x1 = 0
nach der Unbekannten x hinzustellen, und ebenso das zweite Subsum-
tionenpaar als deren „Auflösung“ nach der Unbekannten x1 (der Nega-
tion der vorigen). Und ferner wird die nebenher mit diesen Subsum-
tionenpaaren gegebene Relation a ⋹ b1, oder, was damit nach Th. 37)
äquivalent sein muss: b ⋹ a1, oder endlich nach Th. 38×) in symme-
trischer Fassung angeschrieben:
a b = 0,
als die „Resultante“ der Elimination von x (nebst x1) aus der Glei-
chung a x + b x1 = 0 zu bezeichnen sein.
Auflösung nebst Resultante fasst die Doppelsubsumtion übersicht-
lichst zusammen.
Um alles dies zu erkennen, müssen wir uns aber jetzt in einige
Betrachtungen von nicht mehr ganz so einfacher Natur vertiefen; wir
müssen namentlich noch mit einer andern Form der „Auflösung“ Be-
kanntschaft machen, welche demjenigen, was man in der Mathematik
unter der Auflösung, „Wurzel“ einer Gleichung versteht, näher kommt,
und, wenn sie auch nicht so bequem, wie die (angeblich) im obigen
Theoreme dargestellte, mit Worten zu interpretiren sein wird, doch für
die Zwecke der Rechnung gewisse Vorzüge beansprucht.
Als mit einer — wie man später übersehen wird — im Grunde
nur neuen Fassung des vorigen Theorems müssen wir uns auch mit
dem folgenden Theoreme befreunden.
50+) Theorem. Die Gleichung
a x + b x1 = 0
ist äquivalent dem Gleichungenpaare:
a b = 0 und x = b u1 + a1u,
worin u ein unbestimmtes Gebiet vorstellt.
Der Beweis besteht aus mehreren Teilen.
Im ersten Teile gilt es zunächst zu zeigen, dass a b = 0 aus der
vorausgesetzten Gleichung folgt. Dies findet sich bereits oben auf eine
erste Weise bewiesen. Ich will dafür aber noch einen zweiten Be-
weis geben:
α) Gilt für gewisse Werte von a, b, x die erste Gleichung, so
kann man dieselbe beiderseits einmal mit a, ein andermal mit b mul-
tipliziren und die so sich ergebenden Gleichungen überschiebend ad-
diren. Dadurch erhält man:
a x + a b x1 + a b x + b x1 = 0.
Aber die beiden äussersten Glieder linkerhand geben nach der Vor-
aussetzung (zusammen) null. Deshalb vereinfacht sich unser Ergeb-
niss zu:
a b (x1 + x) = 0, oder a b = 0,
womit gezeigt ist, dass die zweite Gleichung aus der ersten folgt.
Sollte nun also diese zweite Gleichung a b = 0 — wir mögen sie
etwas vorgreifend schon die „Resultante“ nennen — von den Koef-
fizienten a und b der ersten nicht erfüllt sein, so kann auch die erste
unmöglich gelten, sie kann dann durch keinen Wert von x erfüllt
werden — denn, wenn sie für ein gewisses x richtig wäre, so müsste,
wie gezeigt, auch die zweite Gleichung gelten, entgegen der soeben
gemachten Annahme.
β) Nehmen wir sonach die Gleichung a b = 0 als erfüllt an, so
muss ferner — was auch immer für ein Gebiet unter u verstanden
werden möge — der durch die dritte Gleichung gegebene Ausdruck
bu1 + a1u, für x in die erste Gleichung eingesetzt, dieselbe erfüllen,
d. h. jedes durch die dritte Gleichung dargestellte Gebiet x ist dann
eine richtige „Wurzel“ unsrer ersten Gleichung. Denn die Probe
stimmt: ist
x = b u1 + a1u,
so folgt
x1 = b1u1 + a u
nach Th. 46+) und 31), und die erstere Gleichung mit a, die letztere
mit b durchmultiplizirt liefert beim Addiren:
a x + b x1 = a b u1 + a b u = a b (u1 + u) = ab · 1 = a b = 0
wie behauptet worden.
Man sieht jedoch, dass die Probe für das Erfülltsein der Gleichung
durch die angebliche Lösung nur insofern stimmt, als die Resultante
[449]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
eben erfüllt ist, denn durch die Einsetzung verwandelte sich die Glei-
chung zunächst in jene Resultante.
Ohne Rücksicht auf das Erfülltsein oder Nichterfülltsein dieser
letzteren könnte man daher mit Herrn Voigt definiren:
„Lösung“ (oder „Wurzel“) einer Gleichung nennen wir einen Aus-
druck, welcher, für die Unbekannte in die Gleichung eingesetzt, dieselbe
auf ihre Resultante reduzirt (genauer: auf die Resultante der Elimina-
tion jener Unbekannten aus ihr).
γ) Umbekehrt lässt aber auch jedes die (erste) Gleichung
a x + b x1 = 0
erfüllende x sich durch den Ausdruck bu1 + a1u darstellen, indem es
z. B. genügt, unter u sich x selbst vorzustellen, um die Gleichung
x = b u1 + a1u
zu einer analytischen oder richtigen Identität zu machen.
Alsdann wird auch u1 durch x1 zu ersetzen sein. Nach der An-
nahme ist aber, wie unter Th. 49+) bereits erwähnt, auch schon für
sich: a x = 0 und b x1 = 0; sonach folgt, wenn für b x1 erst 0, für 0
dann a x geschrieben wird (mit ähnlichem Kunstgriff, wie S. 425):
b u1 + a1u = b x1 + a1x = 0 + a1x = a x + a1x = (a + a1) x = 1 · x = x,
was zu zeigen war und auch nach Th. 49+) mittelst Buchstaben-
vertauschung auf das Hülfstheorem zu Th. 47+) hätte zurückgeführt
werden können.
Wir sind hienach berechtigt den Ausdruck, welchen die dritte
Gleichung x = b u1 + a1u
für die Unbekannte liefert (oder auch diese Gleichung selber) als „die
allgemeine Lösung“ der Gleichung hinzustellen.
Hiermit ist dargethan, dass wenn die erste Gleichung gilt, dann
auch die zweite gelten muss (vergl. α) und die dritte wenigstens für
ein gewisses u (vergl. γ), woneben unter β) gezeigt ist, dass wenn die
zweite Gleichung nebst der dritten (für irgend ein u) gilt, dann auch
die erste Gleichung gelten muss.
D. h. das ganze Theorem ist bewiesen, und mag man merken:
Die Gleichung ist stets äquivalent ihrer allgemeinen Lösung nebst der
Resultante.
Jener Satz ist das Haupttheorem der bisherigen Theorie. Er
lehrt (noch unmittelbarer wie der vorige) bezüglich irgend einer Un-
bekannten x die im Titel dieses Paragraphen angedeuteten Probeleme
lösen. Bei der Wichtigkeit desselben müssen wir noch einige Zeit bei
seiner Betrachtung verweilen.
In früher geschilderter Weise lässt nämlich jedes System von
gleichzeitig geltenden oder zu erfüllenden Gleichungen (oder nach Be-
lieben auch Subsumtionen) sich zusammenziehen in und ersetzen durch
eine einzige Gleichung mit der rechten Seite 0, die „vereinigte Glei-
chung“ des Systemes.
Kam in dem Systeme neben irgend welchen andern Gebietsym-
bolen ein Gebiet x vor, so wird die linke Seite der vereinigten Glei-
chung eine „Funktion“ von x sein (und auch wenn jenes nicht der Fall
war, würde sogar sie als Funktion von x sich doch ansehen lassen).
Diese Funktion lässt sich nach Th. 44+) durch x und x1 linear und
homogen darstellen in der Form a x + b x1, sodass die erste Gleichung
in unserm Theoreme die Stelle vertritt des allgemeinsten Systemes
von simultanen Gleichungen und eventuell Subsumtionen, in welchen
neben vielleicht noch andern eine Unbekannte x vorkommt.
Eine „Unbekannte“ mögen wir das Gebiet x nennen auch dann, wenn
es bekannt sein sollte, indem man doch immer die Frage aufwerfen kann,
welche Werte sich dem x noch beilegen lassen würden, ohne dass die Pro-
positionen des Systems zu gelten aufhören, indem man, m. a. W. die For-
derung stellen kann, die vereinigte Gleichung, somit auch jenes System
simultaner Propositionen nach x „aufzulösen“, und zwar sie vollständig auf-
zulösen, mithin sämtliche „Wurzeln“ derselben anzugeben. Durch den einen
vielleicht schon bekannten Wert von x ist jene Frage doch im Allgemeinen
noch nicht von vornherein erledigt.
Die Auflösung einer Gleichung oder eines Systems setzt die Vor-
frage nach deren Auflösbarkeit als erledigt voraus. Der Vernünftige
wird ja nichts Unmögliches unternehmen.
Unter α) ist aber dargethan, dass in Bezug auf die Auflösung
der vereinigten Gleichung a x + b x1 = 0 nach x diese Frage bald zu
bejahen, bald zu verneinen ist:
δ) Die Gleichung ist auflösbar, es gibt Werte, welche für x
eingesetzt, dieselbe erfüllen, d. h. sie besitzt Wurzeln immer dann,
wenn zwischen den Koeffizienten derselben die Relation ab = 0 be-
steht, d. h. wenn ihre Koeffizienten disjunkt sind; aber auch nur dann.
Denn wenn diese zweite Gleichung unsres Theorems nicht erfüllt
ist, haben wir gesehen, kann auch die erste Gleichung für keinen
Wert von x bestehen, sie hat dann überhaupt keine Wurzeln und ist
dieselbe, sowie das ihr äquivalente System von Propositionen in diesem
Falle „unauflösbar“ und „absurd“ zu nennen. Unter den Propositionen
des Systems werden dann sich entweder solche finden, die für sich
allein schon „absurd“ und durch kein x erfüllbar sind, oder die Pro-
[451]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
positionen sind wenigstens „unvereinbar“, „inkonsistent“, sie vertragen
sich nicht miteinander.
Die Forderung, die vereinigte Gleichung aufzulösen, überhaupt,
sie für irgend eine Bedeutung des Symboles x als gültig anzuerkennen,
bleibt es hier unmöglich, zu erfüllen.
Die Gleichung a b = 0 erscheint hienach als das Kennzeichen für
die Auflösbarkeit der Gleichung a x + b x1 = 0 nach der Unbekannten x.
Nicht auflösbar war beispielsweise die Gleichung 1 · x + 1 · x1 = 0; sie
selbst sowol als ihre „Resultante“ lief auf die absurde Forderung 1 = 0
hinaus; der Ansatz einer solchen Gleichung x + x1 = 0 ist ganz und gar
unzulässig.
Nicht nur ist a b = 0 eine unerlässliche, notwendige Bedingung
sondern auch die hinreichende Bedingung für diese Auflösbarkeit.
Ist sie nämlich erfüllt, so gibt die dritte Gleichung unsres Theo-
rems: x = b u1 + a1u für jede Bedeutung des u eine richtige Wurzel
und für ein von 0 bis 1 (im Klassenkalkul von „nichts“ bis „alles“)
variirendes u die sämtlichen Wurzeln der ersten Gleichung an.
Diese hat hienach, falls sie auflösbar ist, im Allgemeinen unend-
lich viele (eine unbegrenzte Anzahl oder Menge von) Wurzeln; ihre
Lösung nach x ist (unendlich-) vieldeutig. Geleistet wird die verlangte
Auflösung der ersten Gleichung dann also durch die dritte Gleichung
des Theorems, und zwar ausschliesslich und vollständig, indem die-
selbe für x einen allgemeinen Ausdruck angibt, welcher sämtliche
Wurzeln der erstern und nur solche umfasst.
Als die notwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass die
Unbekannte x überhaupt einen Wert oder Werte habe, könnte man
die Gleichung a b = 0 füglich auch die „Wertigkeits“- oder „Valenz-
bedingung“ für x nennen. Nur wenn sie erfüllt war, konnte es ein die
Gleichung a x + b x1 = 0 erfüllendes Gebiet x geben, war x eines
Wertes fähig, und wenn sie erfüllt ist, musste es auch ein solches
(eventuell mehrere solche) Gebiete geben, denn im letzteren Falle er-
wies sich jedes durch den Ausdruck b u1 + a1u dargestellte Gebiet als
eines von der verlangten Eigenschaft.
ε) In Anbetracht, dass diese Gleichung a b = 0 den Namen x der
Unbekannten überhaupt nicht enthält, kann man sie aber, wie schon
eingangs angedeutet, auch noch unter einen andern Gesichtspunkt
bringen: man kann sie bezeichnen als „Resultante der Elimination des x
aus der ersten Gleichung a x + b x1 = 0“ unsres Theorems.
So oft nämlich eine Gleichung oder überhaupt ein System von
Propositionen gegeben ist, in welchen eine Gruppe x, y, … von Sym-
29*
[452]Eilfte Vorlesung.
bolen eventuell vorkommt („eventuell“, d. h. nicht notwendig durchaus,
vielleicht sogar überhaupt nicht), und man leitet daraus durch logische
Schlüsse solche (eventuell neue) Propositionen ab, welche jene Sym-
bole x, y, … nicht enthalten, in welchen deren Name gar nicht vor-
kommt, so nennt man diese letztern Propositionen (sowol sie einzeln,
als auch das System derselben) „ein Ergebniss der Elimination von x,
y, … aus jenem gegebenen Propositionensystems“. Man sagt: man
habe die Symbole x, y, … aus dem Systeme herausgeworfen oder
„eliminirt“.
Es gibt hienach im Allgemeinen mehrere Eliminationsergebnisse
für das nämliche Propositionensystem und in Bezug auf die nämlichen
Symbole x, y, … als zu eliminirende Gebiete oder „Eliminanden“.
In unserm Falle würde z. B. auch a b c = 0 ein solches sein, was
immer c bedeuten mag.
Doch ist zu bemerken, dass man diejenigen von den durch die
Elimination gewonnenen Propositionen, welche etwa sich als „ana-
lytische“ Propositionen herausstellen sollten, fallen lässt, und sie end-
gültig, definitiv dem Eliminationsergebnisse nicht zuzuzählen pflegt
aus dem Grunde, weil man sonst immer eine unbegrenzte Menge von
„nichtssagenden“ Propositionen mit in's Auge zu fassen hätte. So
dürften beispielsweise die analytischen Propositionen 0 ⋹ a, b ⋹ 1,
a b ⋹ a, (a b)1 = a1 + b1, etc. unserem Eliminationsergebniss a b = 0
nicht zugezählt werden, obwol auch sie sich als Aussagen über a, b
darstellen, die x nicht enthalten. M. a. W.:
Gleichwie bei dem als „Basis“ der Elimination dienenden Systeme
von gegebenen Propositionen diese nur in Betracht kommen, sofern
sie Relationen darstellen, dagegen beiseite zu lassen sein werden, so-
bald sie etwa analytische Propositionen sein sollten, so fallen auch
als Eliminationsergebnisse nur Relationen in's Gewicht.
Es ist nun eine gelegentlich sehr wichtige Frage, welche Rela-
tionen etwa, unabhängig von den Werten der Symbole x, y, … zwischen
den übrigen im gegebenen Propositionensysteme vorkommenden Gebiet-
symbolen bestehen werden, sobald dieses System gilt, m. a. W. welche
Relationen diese übrigen Symbole erfüllen, zu einander eingehen müssen,
damit das Propositionensystem überhaupt bestehen könne — für irgend
ein Wertsystem der Eliminanden.
Ein solches Eliminationsergebniss, durch welches diese Frage
„vollständig“ beantwortet wird (in sogleich noch näher präzisirtem
Sinne), heisst „das volle Eliminationsergebniss“ oder schlechtweg „das
Eliminationsresultat“, und sofern es nicht als ein System von Rela-
[453]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
tionen sich darstellt, vielmehr in eine einzige Relation zusammen-
gezogen ist, auch „die Resultante der Elimination“‥ Dass die An-
wendung des bestimmten Artikels hiebei gerechtfertigt ist, wird dem-
nächst erhellen.
Es bezeichne B kurz das als Basis der Elimination von x, y, …
gegebene System von Propositionen (und zwar Relationen), ebenso
bezeichne R ein Eliminationsergebniss. Dasselbe wird hienach ein
System von Relationen sein (oder auch eine einzige Relation), das
aus B folgt, jedoch die in B (vielleicht) vorkommenden Symbole x,
y, … nicht enthält; R kann nur andere, in B ebenfalls vorkommende
Symbole, wie a, b, … enthalten (nebst vielleicht noch ganz neuen
Symbolen, die auch in B nicht vorgekommen waren, wie es zum Bei-
spiel unbestimmte Parameter sein würden).
Nach der beabsichtigten Erklärung ist R dann „ein volles Eli-
minationsergebniss“ zu nennen, wenn, sobald R erfüllt ist, es sicher
mindestens ein Wertsystem von x, y, … gibt, für welches auch B ·er-
füllt sein muss.
Ist nun auch R' „ein volles Eliminationsergebniss“ in diesem
Sinne, so erkennt man leicht, dass die beiden Ergebnisse R und R'
logisch äquivalent sind, dass sie einander gegenseitig bedingen müssen:
wann R erfüllt ist, wird auch R' erfüllt sein und ebenso folgt um-
gekehrt aus der Geltung von R' auch die von R; der Fall, dass zwar
eines von den beiden Ergebnissen, aber nicht das andere, erfüllt ist,
kann nicht vorkommen.
Denn wäre zum Beispiel R erfüllt, während R' nicht erfüllt ist,
so gäbe es aus dem erstern Grunde ein Wertsystem der x, y, … für
welches auch B erfüllt ist. Da für dieses nun also B gilt, so muss
auch R' gelten, indem laut Voraussetzung R' als ein Eliminations-
ergebniss aus B folgte. Das Erfülltsein von R' widerspräche also der
soeben gemachten Annahme seines Nichterfülltseins, welche hienach
unzulässig war, zu verwerfen ist. Etc.
Wir sind darum berechtigt, R' eine blosse Umschreibung von R
zu nennen; zu sagen R und R' seien wesentlich dasselbe Eliminations-
ergebniss — vielleicht nur in verschiedenen Formen oder Ausdrucks-
weisen. Wir dürfen R (sowie auch R') als „das Resultat der Elimi-
nation“ schlechthin bezeichnen.
In dem besonderen Falle, wo das Propositionensystem B die Eli-
minanden x, y, … gar nicht enthalten sollte, wo von vornherein kein
einziger von diesen in ihm vorkäme, ist leicht zu sehen, dass B selber
das Resultat der Elimination von x, y, … aus ihm sein muss; es fällt
[454]Eilfte Vorlesung.
dann mit R zusammen und ist seine eigene Eliminationsresultante. Denn
erstens ist es „ein“ Eliminationsergebniss, weil es x, y, … nicht mehr
(genauer: ohnehin nicht) enthält und doch „aus B folgt“, nämlich
seine Geltung mit der von B gegeben ist (Wenn B gilt, so gilt B —
vergl. Prinzip I im Aussagenkalkul); und zweitens ist es das volle
Ergebniss, indem, sobald es erfüllt ist, sonach B gilt, es auch Wert-
systeme von x, y, ‥ geben muss, „für welche B gilt“, dann nämlich
B ohnehin gelten muss, welche Wertsysteme man auch immer unter
x, y, ‥ verstehen mag. — Es versteht sich, dass in solchem Grenz-
falle von Eliminiren nur in uneigentlichem Sinne zu sprechen ist, so-
fern man Jemanden, der gar nicht da ist, auch nicht hinauswerfen kann.
Aber auch wenn B von vornherein die Eliminanden x, y, … oder
wenigstens einige derselben enthielt, kann es doch mit der Elimi-
nationsresultant R logisch äquivalent sein — und dies bildet noch
eine zweite Art von besondern Fällen bemerkenswerten Charakters.
Trifft solches zu, sodass also nicht nur R aus B folgt, sobald B
nur für irgend ein Wertsystem der x, y, … erfüllt ist, schlechthin
gilt, sondern auch, wenn R gilt, B unbedingt gelten muss, mithin
gelten muss für jedes beliebige Wertsystem der Eliminanden x, y, …,
so sagt man, dass letztere „von selbst aus B herausfallen“. Dann kann
ja in der That B durch R ganz und gar ersetzt werden. —
Ist die volle Resultante zu einer Gleichung (Basis) nur eine ana-
lytische, Formel oder Identität, wie 0 = 0, so wird man nach dem
unter ε) Bemerkten auch sagen dürfen: die Gleichung liefere, oder
habe, keine Resultante.
Zu allen diesen vorerst theoretisch als möglich erkannten Vor-
kommnissen wird uns die Praxis Beispiele liefern.
Durch die Elimination entlastet sich der Geist, indem er auf seine
Kenntnisse in Hinsicht der Eliminanden zeitweilig verzichtet, dieselben
fallen lässt, von ihnen absieht, abstrahirt, jeweils von solchen Erkennt-
nisselementen, welche für die Verfolgung bestimmter Erkenntnisszwecke
unwesentlich, belanglos erscheinen und deren Beibehaltung also ihn
hiebei nur als ein Ballast zu beschweren vermöchte.
ζ) Kehren wir nach diesen allgemeinen, nämlich auf jedes System
von Propositionen, Aussagen und jede Gruppe von Symbolen anwend-
baren (in gleicher Weise auch auf die Relationen der numerischen
Mathematik übertragbaren) Betrachtungen, durch welche der Begriff
des Eliminationsresultates festgelegt ist, zurück zu unserm Theorem 50+).
Hier wird in der That die Gleichung a b = 0 nun als die volle
[455]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
Resultante der Elimination von x aus der Gleichung a x + b x1 = 0 zu
bezeichnen sein, sintemal, wenn jene erfüllt ist, es nach β) auch immer
Werte von x gibt welche diese erfüllen.
Die erste Gleichung des Theorems exemplifizirt das B, die zweite
das R der obigen allgemeinen Betrachtungen.
Sollte die vereinigte Gleichung das x gar nicht enthalten, so wird
sie, wenn wir a ihre linke Seite nennen, die Form a = 0 haben.
Nach Früherem können wir ihr Polynom gleichwol nach x „entwickeln“,
wodurch sie wird:
a x + a x1 = 0,
und wenn wir jetzt x wieder regelrecht eliminiren, so ergibt sich
a a = 0 oder a = 0 als die Resultante — somit in der That wiederum
die ursprüngliche Gleichung in Bestätigung des oben Gesagten.
Ungeachtet der durchgängigen Übereinstimmung der Begriffe von „Eli-
mination“, „Resultante“, „Wurzeln“ und „Auflösung“ in Bezug auf Glei-
chungen des arithmetischen, wie auf Propositionen des identischen Kalkuls
gestaltet sich die Anwendung dieser Begriffe in beiden Disziplinen doch
sehr verschieden!
In der Arithmetik erweist sich das Eliminationsproblem sowol als das
Auflösungsproblem in bestimmter Weise abhängig von der Anzahl der zur
Verfügung stehenden („von einander unabhängigen“) Gleichungen in ihrem
Verhältniss zur Anzahl der zu eliminirenden, beziehungsweise als Unbe-
kannte zu berechnenden Zahlgrössen. Im identischen Kalkul, in Bezug auf
Gebiete, ist dieses, wie sich zeigte, durchaus nicht der Fall.
In der Arithmetik kann man aus einer Gleichung überhaupt nichts
eliminiren — sofern die Resultante wieder eine Gleichung werden soll.
[Allerdings liesse sich z. B. im Gebiet der positiven Zahlen eine Unglei-
chung, wie a \> b, auch als die Resultante der Elimination des x aus der
Gleichung a = b + x hinstellen.]
Man ist nicht im stande, aus einer (synthetischen) Gleichung eine andre
abzuleiten, welche eine oder mehrere Buchstabenzahlen, die in der erstern
vorkamen, nicht mehr enthält, wofern diese nicht nach den Regeln der
Arithmetik von selbst aus ihr herausfallen.
Damit Elimination möglich sei, dürfen erstens die gegebenen Glei-
chungen einander nicht widersprechen und muss zweitens die Anzahl der
„unabhängigen“ Gleichungen (d. h. solcher von welchen keine aus den
übrigen folgt), um eins grösser sein als die Anzahl der Eliminanden.
Um eine Grösse zu eliminiren sind also in der Arithmetik mindestens
zwei Gleichungen erforderlich, für n Grössen mindestens n + 1 Gleichungen.
Im identischen Kalkul kann schon aus einer Gleichung jedes beliebige
Gebietsymbol eliminirt werden, und gleichwie eines, so auch mehrere nach-
einander oder auch a tempo, auf einmal (eine Aufgabe die wir noch zu
betrachten haben werden). Hier ist das Eliminationsproblem ganz allgemein
lösbar. Aus jeder beliebigen Menge von Propositionen lässt sich eine be-
liebige Gruppe von symbolen jederzeit eliminiren. Nur wird die Resul-
[456]Eilfte Vorlesung.
tante nicht immer eine Relation sein, sondern manchmal nur eine analytische
Proposition, eine Identität.
Soll in der Arithmetik ein System von Gleichungen nach einem System
von Unbekannten auflösbar sein, so darf die Anzahl der unabhängigen
Gleichungen nicht grösser sein, als die Anzahl der Unbekannten und dürfen
auch keine den andern widersprechende Gleichungen mit vorliegen.
Im identischen Kalkul darf sie beliebig gross sein.
Eine Ähnlichkeit zwischen beiden Disziplinen erblicken wir aber darin,
dass hier wie dort das Auflösungsproblem nicht unbedingt, nicht in allen
Fällen lösbar ist.
In der Arithmetik erscheinen durch die Gleichungen die Unbekannten
nicht völlig bestimmt, sie bleiben teilweise willkürlich, die Auflösungen
sind vieldeutige, jedenfalls dann, wenn (Auflösbarkeit vorausgesetzt) die An-
zahl der Gleichungen kleiner ist, wie die der Unbekannten.
Im identischen Kalkul ist die Auflösung in der Regel eine mehrdeu-
tige, auch schon bei einer Gleichung ersten Grades mit einer Unbekannten,
und mit andern Problemen als mit einer Gleichung ersten Grades können
wir hier zunächst überhaupt nicht zu thun haben.
η) Um für die Anwendungen das Th. 50+) sich einzuprägen, merke
man (einerseits):
Die Resultante der Elimination eines Symbols, einer Unbekannten x,
aus einer rechts auf 0 gebrachten links nach dieser entwickelten Glei-
chung ergibt sich, indem man das Produkt der Koeffizienten von dieser
Unbekannten und ihrer Negation gleich 0 setzt.
Man kann aber — auf zwei Arten — der Gleichung eine solche
Form geben, dass die Elimination sich schon vollzieht, indem man ein-
fach den Eliminanden und seine Negation ausstreicht, unterdrückt.
| Einmal nämlich trifft dies zu, wenn man die linke Seite der Glei- chung als Produkt schreibt, sie in ihre „letzten Faktoren“ zerlegt. So wird sie: (a + x1) (b + x) = 0 und unterdrückt man hier die zwei- ten Glieder der Binome, so ergibt sich in der That die Resultante: a b = 0. | Ebenso trifft es zu, wenn man, die linke Seite wie früher entwickelt lassend, die Gleichung rechts auf 1 bringt — vergl. Th. 32). Für a x + b x1 = 0 haben wir dann zu sagen: a1x + b1x1 = 1 und wird durch Löschen von x und x1 hier in der That entstehen: a1 + b1 = 1, eine Gleichung die mit der Resul- tante a b = 0 nach Th. 32 und 36) äquivalent ist. |
Stellte man aber, während die Gleichung rechts auf 1 gebracht ist,
zugleich auch die linke Seite als Produkt dar, schriebe man also:
[457]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
(a1 + x1) (b1 + x) = 1,
so träfe die letzte Regel nicht mehr zu, ebensowenig, wie es bei der
ursprünglichen Form der Gleichung
a x + b x1 = 0
der Fall war — indem ja nach derselben fälschlich a1b1 = 1, resp.
a + b = 0 entstehen würde. —
Ein bequemeres Eliminationsverfahren als das Fortlassen, Aus-
löschen, die Tilgung der Eliminanden ist nun überhaupt nicht denkbar.*)
Es ist deshalb bei Eliminationsaufgaben mitunter vorteilhaft zu
operiren mit rechts auf 1 (anstatt auf 0) gebrachten Gleichungen (in-
dem man links Aggregate, nach wie vor, Produkten vorzieht). Be-
sonders wird dies — auch noch aus einem andern Grunde: der Inter-
pretation halber — im Aussagenkalkul sich empfehlen.
03D1;) Lautet
f (x) = 0
eine nach x aufzulösende Gleichung, so entsteht durch Entwickelung
des Polynoms derselben nach x gemäss Th. 44+):
f (1) · x + f (0) · x1 = 0
und ist daher:
f (0) · f (1) = 0
die Resultante der Elimination von x und zugleich die Bedingung für
die Auflösbarkeit der Gleichung nach x und für ihre mögliche Geltung.
Die Auflösung selbst würde heissen:
x = f (0) · u1 + f1 (1) · u.
ι) Von praktischem Nutzen ist noch diese Bemerkung. Wir setzten
beim Eliminiren bisher das Polynom der Gleichung als bezüglich des
Eliminanden x (durch Entwickelung nach demselben) homogen gemacht
voraus. Von dieser Voraussetzung ist es vorteilhaft, sich unabhängig
zu machen. Ist nämlich:
a x + b x1 + c = 0
die Gleichung, aus welcher x zu eliminiren ist, wo die linke Seite als
nicht homogene lineare Funktion jetzt ein Absolutglied c enthält, so
würde diese Gleichung, homogen gemacht, lauten:
(a + c) x + (b + c) x1 = 0
und gäbe nach der Regel:
[458]Eilfte Vorlesung.
(a + c) (b + c) = 0
als die Resultante. Diese vereinfacht sich aber zu:
a b + c = 0 oder c + a b = 0.
Daher kann man merken: Das Absolutglied (Aggregat der Glieder
welche x und x1 nicht zum Faktor haben) geht jeweils unverändert in
die Resultante über; es braucht demselben nur noch das Produkt der
Koeffizienten hinzugefügt zu werden, mit welchen x und x1 ursprüng-
lich behaftet sind.
ϰ) Ist nun bei einer Gleichung a x + b x1 = 0 die Bedingung für
ihre Zulässigkeit oder Auflösbarkeit, die Valenzbedingung für x oder
Resultante seiner Elimination, erfüllt, so handelt es sich auch noch
darum, den allgemeinsten Ausdruck für die Unbekannte oder Wurzel
x der Gleichung jederzeit richtig herstellen zu können. Es ist zu dem
Ende nicht praktisch, etwa nur die Formel
x = b u1 + a1u
auswendig zu lernen, schon weil in einer solchen die für die Unbe-
kannte (x), die Koeffizienten (a, b) und den Parameter (u) zugrunde
gelegte Bezeichnung sehr häufig kollidirt, in Konflikt gerät, nicht
stimmt mit denjenigen Bezeichnungen welche gegeben sind in den Pro-
blemen auf die der Satz angewendet, für welche er verwertet werden
soll. Es empfiehlt sich deshalb, dass man die durch die Formel der
Auflösung (allerdings am kürzesten) ausgedrückte Regel sich oben-
drein in Worten einpräge, und merke man darum (andrerseits):
Um nach einer Unbekannten eine Gleichung aufzulösen, nachdem
dieselbe rechts auf 0 gebracht, links nach der Unbekannten entwickelt
und als auflösbar erkannt ist, setze man die Unbekannte gleich der
Negation ihres Koeffizienten multiplizirt mit einem unbestimmten Gebiete,
plus dem Koeffizienten ihrer Negation mal der Negation dieses Gebietes.
Für die Gleichung
a x + b x1 = 0, wo a b = 0
ist, hat man also die Wurzeln x, neben welchen auch deren Negation
angegeben werden mag:
ϰ) x = a1u + b u1, x1 = a u + b1u1,
worin man wegen der Willkürlichkeit von u natürlich auch u und u1
hätte vertauschen können.
λ) Die Auflösungen lassen sich nun aber auch noch in folgenden
Formen schreiben:
λ) x = b + a1u = a1 (b + u), x1 = b1 (a + u1) = a + b1u1,
[459]§ 21. Auflösung uud Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
welche dadurch bemerkenswert sind, dass sie ein Operationsglied weniger
enthalten, mithin einfacher erscheinen.
Um zunächst diese beiden neuen Formen für x aufeinander zurückzu-
führen, bemerke man, dass wegen a b = 0 hier
b = 1 · b = (a + a1) b = a b + a1b = 0 + a1b = a1b,
oder auch rückwärts: a1b = b sein muss; und ähnlich auch, dass a b1 = a.
Mit der vorhergehenden nach u homogenen Form x) bringt man so-
dann die Darstellung λ), z. B. x = b + a1u in Zusammenhang, indem man
rechts nach u entwickelt, wodurch sich ergibt:
x = b (u + u1) + a1u = b u1 + (b + a1) u.
Nach Th. 33+) Zusatz ist aber jetzt b + a1 = a1 + a b = a1 + 0 = a1
— wie denn überhaupt wegen a ⋹ b1 oder b ⋹ a1 hier:
a b1 = a, a1b = b, a1 + b = a1, a + b1 = b1
schon nach Anm. 2 zu Th. 43) folgt — und erhalten wir die frühere Form
x = b u1 + a1u
aus der letzten durch Einsetzung jenes Wertes a1 für b + a1. Umgekehrt
erhält man aus dieser jene, indem man a1 durch das wegen a b = 0 ihm
gleiche a1 + b ersetzt und darnach die Glieder mit b zusammenzieht, d. h.
die eben vollzogene Umformung nun rückwärts ausführt.
μ) Nach allen in ihr vorkommenden Symbolen rechterhand ent-
wickelt lautet unsre Lösung:
wie sich aus ϰ) leicht nach Th. 44+) ergibt, am bequemsten aber
direkt, indem man in ϰ) den einen (mit b nicht behafteten) Term mit
b + b1 den andern (von a noch freien) Term mit a + a1 multiplizirt.
Die Ausdrücke μ) könnten hinwiederum auch in:
zusammengezogen werden, wobei sie nach a, b noch entwickelt blieben.
ξ) Einen heuristischen Beweis, eine „Herleitung“, der die Auflösung
leistenden Formel λ) — somit auch ϰ) — habe ich in meinem Opera-
tionskreis2 gegeben wie folgt.
Soll a x + b x1 = 0 sein, während die Bedingung a b = 0 für den
Bestand und die Auflösbarkeit dieser Gleichung erfüllt ist, so muss,
wie schon unter 49+) erwähnt, für sich:
a x = 0 und b x1 = 0
sein. Der ersten Forderung genügt man nach Th. 43) Zusatz auf die
[460]Eilfte Vorlesung.
allgemeinste Weise, indem man x = v a1 setzt, wo v ein unbestimmtes
Gebiet bedeutet. Darnach folgt dann
x1 = v1 + a, b x1 = b v1 + a b = b v1 + 0 = b v1
und um nun auch noch die zweite Forderung zu erfüllen, braucht man
nur mehr v1 so zu bestimmen, dass b v1 = 0 ist. Darnach folgt in
gleicher Weise:
v1 = w b1, v = w1 + b,
wo w1 ebenso, wie ursprünglich w, ein unbestimmtes Gebiet vorstellt.
Hiermit ist gefunden:
x = (w1 + b) a1
und dies ist die eine der unter λ) für die Lösung angegebenen For-
men, wenn man noch den Namen w1 des unbestimmt bleibenden Ge-
bietes durch den Namen u ersetzt. Für dieses x = a1 (u + b) stimmt
nun, wie schon (indirekt) erkannt (und auch wieder direkt leicht nach-
weisbar wäre) die Probe: es erfüllt die aufzulösende Gleichung bei
beliebigem u.
Das Ergebniss muss darnach die vollständige Auflösung darstellen.
Denn jede Wurzel x der Gleichung muss wie erkannt diese Form
haben, und jedes x von dieser Form ist eine Wurzel der Gleichung.
Übrigens ist zu bemerken, dass unser Th. 50+) obwol in den vor-
liegenden Gestalten erst von mir ausgesprochen, hergeleitet und bewiesen,
im Grunde doch nichts anderes ist, als das Haupttheorem im Boole'schen
Werke4, nur gereinigt von allen arithmetischen Beimengungen und von
der spezielleren Boole'schen mitausgedehnt über die allgemeinere Je-
vons'sche Addition, demgemäss auch nicht unerheblich vereinfacht.
Im Gegensatz zu noch andern eventuell zu besprechenden Methoden
zur Bewältigung des Auflösungs- und Eliminationsproblemes werde ich da-
her die auseinandergesetzte (nach einem auch schon von andern Seiten vor-
liegenden Vorgange) „die von mir modifizirte Boole'sche Methode“ nennen
(„Boole's method, as modified by Schröder“). Bezüglich dessen unmodi-
fizirter Methode vergleiche § 25, Ende.
ο) Beabsichtigen wir Anwendungen des Theorems 50+) im Klassen-
kalkul, so muss noch näher erwogen werden, wie daselbst der unbe-
stimmte Parameter u zu interpretiren, wie also die Formel der Auflösung:
x = b u1 + a1u oder x = b + u a1
in der Wortsprache darzustellen sein wird.
Jene Formel unmittelbar in diese zu übertragen, gemäss den in
§ 8 und 16 erörterten Regeln, erscheint misslich, in Anbetracht, dass
u allemal einen unbestimmten Bruchteil: „nichts, oder einiges (etwas),
oder das ganze (alles)“ von der mit ihm multiplizirten Klasse heraus-
[461]§ 21. Auflösung und Elimination bei Gleichungen und Subsumtionen.
schneiden wird. Ein Ausdruck wie: „was b und nicht etwas Gewisses
oder auch nicht a aber gleichzeitig jenes Gewisse ist“ entbehrt doch
wol der wünschenswerten Durchsichtigkeit. Auch passen Subsumtionen
sich bequemer der Wortsprache an, als wie Gleichungen.
Dem Mangel wird leichtlich abgeholfen, indem man auf die Form
49+) des Theorems 50+) zurückgeht.
Jenes Theorem statuirte, dass die Gleichung
a x + b x1 = 0
auch äquivalent ist dem Paare der Subsumtionen:
b ⋹ x und x ⋹ a1,
oder — noch einfacher geschrieben — der Doppelsubsumtion:
b ⋹ x ⋹ a1.
Demnach werden die beiden zusammengültigen Aussagen:
„Alle b sind x, und kein x ist a“
mit Worten die „Auflösung“ der Gleichung a x + b x1 = 0 nach der Un-
bekannten x leisten.
In der That erscheint in diesen Aussagen die Unbekannte x auf
der einen Seite, als Prädikat resp. Subjekt einer Subsumtion, isolirt,
während auf deren andrer Seite nur bekannte Terme, gegebene Klassen
stehen — und dieses muss als das Charakteristikum der „Auflösung“
für die Wortsprache angesehen werden.
Auch wenn wir eine Gleichung für die Wurzel haben — wir mögen
sie für den Augenblick kurz mittelst x = c darstellen — könnte die-
selbe ja mit Worten nur in Gestalt der beiden Subsumtionen c ⋹ x
und x ⋹ c — vergl. Def. (1) der Gleichheit — ausgedrückt werden,
welche wesentlich von dem eben beschriebenen Charakter sind. [Diese
würden sich auch wieder in eine Doppelsubsumtion c ⋹ x ⋹ c, oder
auch x ⋹ c ⋹ x, zusammenziehen lassen.]
Allerdings wäre hier die „andre“ Seite, das aus den bekannten
Klassen zusammengesetzte Subjekt oder Prädikat der Subsumtionen,
beidemal das nämliche: c, was vorhin nicht der Fall war. Es wird sich
aber im Hinblick auf den obigen Satz 49+) oder ο) empfehlen, bei
dem Begriff der „verbalen Auflösung“ von dieser Anforderung Umgang
zu nehmen, ja den Begriff der „Auflösung“ überhaupt eben dadurch
zu erweitern.
Zu demselben Ergebnisse kann man auch von den Formeln ϰ) oder
λ) aus, d. h. auf dem Umwege über diese Darstellungen der Wurzeln, ver-
mittelst des Theorems 48) gelangen.
Darnach in der That muss x = b u1 + a1u zwischen dem Produkte und
der Summe seiner Koeffizienten liegen, und sich in Gestalt von:
[462]Eilfte Vorlesung.
π) x = a1b + w (a1 + b)
auch darstellen lassen — vergl. Th. 47), zweite Form; m. a. W. die Glei-
chung ist äquivalent dem Subsumtionenpaare:
a1b ⋹ x, x ⋹ a1 + b.
Wegen a b = 0 haben wir aber, wie bereits gezeigt:
a1b = b und a1 + b = a1,
also wieder
b ⋹ x ⋹ a1, q. e. d.
Ebenso sieht man dem Ausdruck x = b + u a1 augenblicklich an, dass
er zwischen b und b + a1 irgendwie gelegen, welches letztere sich aber da,
wo a b = 0 ist, in a1 selbst zusammenzieht.*)
ϱ) Es erübrigt, dass wir uns noch vollends über die „Determina-
tion“ des Auflösungsproblems orientiren, vor allem, dass wir uns über
die Frage klar werden, wann die Gleichung nur eine Wurzel besitzt,
wann dagegen mehrere; in welchen Fällen sie gar keine Wurzel hat,
wurde bereits festgestellt.
Wenn ein Gebiet x durch eine gegebene Gleichung
a x + b x1 = 0
ausschliesslich bestimmt ist, wenn an x keine andern Anforderungen
gestellt werden, als dass es eben diese Gleichung erfülle, m. a. W.
wenn x geradezu definirt erscheint als die Wurzel dieser Gleichung,
dann bleibt in unsrer Formel für die Auflösung:
x = a1u + b u1,
das unbestimmte Gebiet u vollkommen beliebig oder arbiträr.
Die Wurzel x ist dann in der Regel nicht ein Gebiet, sondern —
kann man sagen — eine ganze Klasse von Gebieten, die sich eben
aus unsrer Formel ergeben, indem man dem u alle möglichen Bedeu-
tungen (in der Mannigfaltigkeit der Gebiete) beilegt.
σ) Je nachdem die Werte der gegebenen Koeffizienten a, b be-
schaffen sind, kann indess auch der Fall eintreten, dass alle Werte
dieser Klasse zusammenfallen, sich auf einen einzigen reduziren.
Sicher tritt dies, weil nach Th. 49+) x zwischen b und a1 gelegen,
ein, wenn
b = a1, somit auch a = b1,
ist, oder, da diese Bedingung, rechts auf 0 gebracht, als
a b + a1b1 = 0
sich darstellt, wenn nicht nur die Auflösbarkeitsbedingung a b = 0,
sondern auch daneben noch die Bedingung a1b1 = 0 erfüllt ist.
Wir haben in diesem Falle:
x = a1b = b = b + a1 = a1
als die einzige Wurzel der aufzulösenden Gleichung, deren verschiedene
Ausdrucksformen der Leser mit Rücksicht auf die angeführten Rela-
tionen, soweit es nicht bereits geschehen, leicht auf einander zurück-
führen wird. In der That fällt dann aus allen Formeln für die Wurzel
x das unbestimmte Gebiet u von selbst heraus, wie auch direkt bei
einer jeden von ihnen — am leichtesten bei ν) — zu sehen ist.
Jene Bedingung b = a1 ist aber nicht nur hinreichend für das
Zusammenfallen sämmtlicher Wurzeln, sondern auch notwendig für
dieses. Soll nämlich x = b u1 + a1u unabhängig sein von u, so muss
es insbesondre für u = 0 auch denselben Wert annehmen wie für
u = 1, d. h. es muss b = a1, sonach da a b ohnehin = 0 ist, auch
a1b1 = 0 sein. Also:
Notwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass die Gleichung
eine und nur eine Wurzel habe ist: dass die Koeffizienten Negationen von
einander seien.*)
Ihre Wurzel ist dann eindeutig bestimmt, die Unbekannte näm-
lich gleich dem Koeffizienten ihrer Negation (oder der Negation ihres
Koeffizienten) in der Gleichung.
Für diesen Fall kommt in der That die Gleichung
a x + a1x1 = 0 oder b1x + b x1 = 0
nach Th. 39) auch direkt auf x = a1 = b hinaus. —
In jedem andern Falle ist die Wurzel durch die Gleichung nicht
vollkommen bestimmt, vielmehr die Auflösung (unendlich) vieldeutig
(„unendlich“ nur in dem Falle nicht, wo die Klasse, das Gebiet a1b
aus einer begrenzten Menge von Individuen, Punkten bestünde).
τ) Wir erwähnten bereits, wann u arbiträr bleiben wird.
Sobald hingegen ausser der Gleichung a x + b x1 = 0 über x noch
anderweitige Information vorliegt, so wird die Variabilität von u ge-
wissen Einschränkungen unterliegen.
Erledigen wir noch die Frage, welche Werte dem u zugeteilt wer-
den dürfen, wenn x einen bekannten Wert hat oder einen gegebenen
Wert erhalten soll, der jedoch immerhin der Gleichung a x + b x1 = 0
genügt.
Die Antwort ergibt sich, indem man unter letzterer Voraussetzung
die Gleichung b u1 + a1u = x nach der Unbekannten u auflöst. Zu dem
Ende hat man diese Gleichung rechts auf 0 zu bringen — cf. Th. 39)
und 46): x (b1u1 + a u) + x1 (b u1 + a1u) = 0,
links nach u zu ordnen:
(a x + a1x1) u + (b1x + b x1) u1 = 0
und nunmehr das Th. 50) selbst anzuwenden.
Als Resultante der Elimination des u ergibt sich:
(a x + a1x1) (b1x + b x1) = a b1x + a1b x1 = 0,
und ist diese wegen der vorausgesetzten Relationen a x = 0 und b x1 = 0
von selbst erfüllt. Darnach berechnet sich:
u = (b1x + b x1) v1 + (a1x + a x1) v, u1 = (b x + b1x1) v1 + (a x + a1x1) v,
wo nun v ein arbiträres Gebiet bleibt.
Machen wir mit diesen Ausdrücken die Probe der Auflösung, von der
nicht ganz leicht zu sehen ist, dass sie wirklich stimmt.
Zunächst ist zu bemerken, dass man durch Tilgung der Terme
a x und b x1 schon die aufzulösende Gleichung hätte vereinfachen kön-
nen zu:
a1x1u + b1x u1 = 0,
und dass ebenso bei u der zweite, bei u1 der dritte von den vier Ter-
men in Klammer wegfällt.
Indem man diese vereinfachte Gleichung gemäss Th. 50) nach der
Unbekannten u auflöste, ergäben sich für u und u1 die noch ein-
facheren Ausdrücke:
υ) u = b1x v1 + (a + x) v, u1 = (b + x1) v1 + a1x1v
welche auch aus den vorigen durch einen Kunstgriff ableitbar, indem
man z. B. oben bei u in der zweiten Klammer den Term a x, der ja
0 ist, zufügt und Th. 33+) anwendet.
Nun wird:
a1u + b u1 = a1b1x v1 + a1x v + b v1 + a1b x1v,
von welchem Ausdruck wir einzusehen haben, dass er (bei beliebigem v)
gleich x sein muss.
Wegen b x1 = 0 fällt zunächst der letzte Term fort, und für den vor-
letzten können wir ebendeshalb schreiben:
b v1 = b v1 (x + x1) = b v1x + v1b x1 = b v1x + 0 = b v1x.
Alsdann tritt x als gemeinsamer Faktor heraus, und sein Koeffizient wird:
(a1b1 + b) v1 + a1v = (a1 + b) v1 + a1v = (a1 + a b) v1 + a1v = a1v1 + a1v = a1,
da ja a b = 0 ist.
Hiemit ist denn gefunden:
a1u + b u1 = a1x,
und bleibt nun blos noch in Betracht zu ziehen, dass wegen a x = 0 in
der That:
a1x = a1x + a x = (a1 + a) x = 1 · x = x
sein muss.
Die Probe mit den Ausdrücken υ) stimmte also für jede Bedeutung
von v.
Der Parameter u der Auflösung x = a1u + b u1 unsrer Gleichung
a x + b x1 = 0 ist hienach bei gegebenem x im Allgemeinen weder voll-
kommen beliebig noch vollkommen bestimmt. Vielmehr ist aus den Dar-
stellungen υ) für denselben zu ersehen, dass er zwischen b1x und a + x
liegen muss, in Formeln, dass:
φ) b1x ⋹ u ⋹ a + x
und dazwischen kann er auch jeden Wert zugeteilt erhalten, wie man
durch Anwendung des Th. 47) auf die Funktion, welche u hier von v
ist, erkennt.
χ) Völlig beliebig könnte bei gegebnem x der Parameter u nur wer-
den, wenn b1x = 0 und a + x = 1 wäre. Bilden wir aber aus diesen
Relationen und der vorausgesetzten a x + b x1 = 0 die vereinigte Gleichung,
so erhalten wir:
(a + b1) x + (a1 + b) x1 = 0,
woraus durch Elimination von x entsteht:
(a + b1) (a1 + b) oder a b + a1b1 = 0,
d. h. a = b1, sowie b = a1, womit wir auf den schon unter σ) behandelten
Fall verwiesen werden, in welchem die Wurzel x vollkommen bestimmt war.
ψ) Völlig bestimmt könnte dieser Parameter u nur sein, wenn
b1x = a + x, d. h. a1x1 · b1x + (a + x) (b + x1) = 0,
oder a x1 + b x = 0 noch wäre, im Ganzen also, d. h. im Verein mit der
ursprünglichen Gleichung, wenn:
a x + b x1 + a x1 + b x = 0,
oder
(a + b) (x1 + x) = a + b = 0,
mithin sowol a = 0, als b = 0 wäre.
In diesem Falle würde durch die aufzulösende Gleichung:
0 · x + 0 · x1 = 0
offenbar x vollkommen unbestimmt gelassen, und müsste in der That u = x
selbst genommen werden, falls hier die Formel
x = b u1 + a1u = 0 · u1 + 1 · u
noch die Auflösung darstellen sollte.
Augenscheinlich ist jedoch dieser Fall nur ein Grenzfall von sehr spe-
ziellem Charakter und untergeordneter Wichtigkeit, der wol kaum besonders
gemerkt zu werden braucht.
ω) Jedenfalls ist, wie aus φ) nochmals und schon aus γ) ersicht-
lich, die Annahme u = x selber für den unbestimmten Parameter ge-
nügend, um einen gegebenen Partikularwert x aus dem allgemeinen Aus-
druck der Wurzeln hervorgehen zu lassen.
Nachdem vorstehend das Auflösungs- sowie das Eliminationspro-
blem für eine Unbekannte erledigt ist (insoweit als gegebene Propo-
sitionen nur Subsumtionen und Gleichungen in Betracht kommen),
fassen wir den Fall in's Auge, wo mehrere Unbekannte vorliegen.
Diese werden, wenn sie in einem Propositionensysteme vorkamen,
in der Regel auch in dessen vereinigter Gleichung auftreten. Wenn
nicht — so fallen sie aus dem System von selbst heraus, da mit
diesem ja die vereinigte Gleichung logisch äquivalent ist. Wird diese
stehen bleibende Gleichung sich als „falsch“ herausstellen, so war das
ganze Auflösungsproblem unmöglich; andernfalles aber bleiben die
herausfallenden Unbekannten vollkommen unbestimmt, und, sofern nicht
noch anderweitige Bestimmungen für sie hinzutreten, willkürlich. Es
bleibt dann nur noch die Frage nach den Wertsystemen der nicht
herausfallenden Unbekannten zu beantworten.
Seien x, y, z, … die in der vereinigten Gleichung auftretenden
Unbekannten. So wird die linke Seite derselben sich nach jeder ein-
zelnen von diesen, sowie nach allen zusammen entwickeln lassen.
Man kann nach der (vollständigen) Resultante der Elimination
irgend einer von ihnen, oder einer Gruppe derselben, oder auch von
allen miteinander fragen.
Hier gilt nun der Satz:
Zusatz 1 zu Th. 50). Die Resultante der Elimination sämtlicher
Unbekannten wird erhalten, indem man das Produkt der Koeffizienten
[467]§ 22. Fortsetzung, auch für mehrere Unbekannte.
des nach denselben entwickelten Polynoms der Gleichung gleich 0 setzt.
[Ausdehnung von η) des § 21.]
Wir beweisen den Satz zunächst für irgend zwei Unbekannte x, y.
Nach diesen entwickelt hat die Gleichung die Form:
oder nach x geordnet:
desgleichen nach y geordnet:
wobei die Koeffizienten a, b, c, d nun noch die übrigen Unbekannten
z, … als Argumente enthalten können.
Eliminirt man x allein, so kommt nach schon bekannter Regel:
und wenn hieraus jetzt y eliminirt wird:
a c b d = 0.
Eliminirte man aber zuerst y, so käme
woraus durch Elimination von x entsteht:
a b c d = 0
— das ist wesentlich dasselbe wie vorhin.
δ) Es ist also zunächst gleichgültig, ob man erst x, dann y, oder
ob man erst y, dann x eliminirt.
Die gefundene Relation a b c d = 0 muss nun aber auch die volle
Resultante bei Elimination des Paars von Gebieten x, y sein. Denn
wenn sie erfüllt ist, so gibt es jedenfalls (mindestens) ein Gebiet x,
welches die vorhergehende Gleichung erfüllt — vergl. δ) des § 21).
Weil diese aber die Resultante der Elimination von y aus der ersten
Gleichung vorstellte und somit (für das gedachte x) erfüllt ist, so gibt
es (zu diesem) nun auch ein y, welches die erste Gleichung erfüllt.
Sonach gibt es, sobald die Relation a b c d = 0 erfüllt ist, sicherlich
ein Wertepaar von x, y, für welches die ursprüngliche Gleichung rich-
tig wird, d. h. diese Relation ist die (volle) Resultante der Elimina-
tion von x und y zugleich.
In dieser Weise kann man weiter schliessen. Bezüglich dreier
Unbekannten x, y, z entwickelt hat die Gleichung die Form:
a x y z + b x y z1 + c x y1z + d x y1z1 + e x1y z + f x1y z1 + g x1y1z + h x1y1z1 = 0
und gibt die Elimination von z:
30*
[468]Eilfte Vorlesung.
(a x y + c x y1 + e x1y + g x1y1) (b x y + d x y1 + f x1y + h x1y) = 0,
oder:
a b x y + c d x y1 + e f x1y + g h x1y1 = 0.
Hieraus aber folgt durch Eliminiren von y nebst x nach der vorstehend
schon bewiesenen Regel sogleich:
a b c d e f g h = 0,
und dasselbe würde (nur mit umgestellten Faktoren) sich auch er-
geben haben, hätte man zuerst x nebst y, hernach z eliminirt.
Man schliesst nun, wie vorhin, dass diese Relation die volle Re-
sultante der Elimination von x, y, z sein muss. Denn ist sie erfüllt,
so gibt es mindestens ein Wertepaar von x, y, für das die vorher-
gehende Gleichung und zu diesem dann auch einen z-Wert, zusammen
also ein Wertetripel von x, y, z, für welches die erste Gleichung er-
füllt ist.
Man könnte auch zuerst z und y auf einmal eliminiren; so er-
gäbe sich:
(a x + e x1) (b x + f x1) (c x + g x1) (d x + h x1) = 0
oder
a b c d x + e f g h x1 = 0,
woraus dann durch Elimination des x wiederum dieselbe Resultante
folgte — desgleichen, falls man etwa in umgekehrter Ordnung erst x,
hernach y und z miteinander eliminirte.
ε) Es ist also auch gleichgültig, ob man die Gruppe x, y und
ausserdem z, oder ob man x für sich, und die Gruppe y, z auf einmal
eliminirt.
Man sieht: das Eliminiren von Symbolen ist in Bezug auf diese —
nach δ) — eine kommutative und — nach ε) — auch eine assoziative
Operation.
Wollte man vollkommen gründlich sein, so hätte man auf die-
selbe alle in Anhang 3 über die Multiplikation angestellten Betrach-
tungen zu übertragen — ähnlich, wie dies auch in Bezug auf das
Entwickeln der Fall war — vergl. § 19 Zus. 1 zu Th. 44). Und diese
Übertragung unterläge auch nicht der geringsten Schwierigkeit, indem
die erwähnten Betrachtungen einfach Geltung behalten, falls man nur
unter a b, anstatt ein Produkt, vorübergehend versteht: das Ergebniss
einer Elimination von a, b — aus irgend einer bestimmten Elimina-
tionsbasis — resp. der Entwickelung nach a, b von irgend einer be-
stimmten Funktion.
Aber auch schon darum, weil in unsrer resultirenden Relation
keine Unbekannte hinsichtlich ihres Koeffizienten (oder desjenigen ihrer
[469]§ 22. Elimination von mehreren Unbekannten.
Negation) bevorzugt erscheint (desgleichen keine Gruppe von Unbe-
kannten und Negationen solcher, kein Konstituent der Entwickelung),
m. a. W. schon aus der Symmetrie dieser Relation (in Bezug auf die
den verschiedenen Konstituenten zugeordneten Koeffizienten) ist zu er-
sehen, dass die Reihenfolge und Gruppirung, in welcher die Eliminan-
den beseitigt werden, dass die ganze „Anordnung des Eliminations-
prozesses“ gleichgültig sein muss für die zu erwartende Resultante.
Genauer:
Zusatz 2 zu Th. 50). Es ist für das Ergebniss ohne Belang, in
welcher Reihenfolge man aus einer Gleichung die verschiedenen Unbekannten,
sei es einzeln, sei es in beliebigen Gruppen eliminirt, auch einerlei, in
welchen Gruppen, und ob man sie successive oder ob man sämtliche Un-
bekannte auf einmal eliminirt.
Da das Entwickeln nach vielen Symbolen zugleich S. 416 eine er-
müdende Operation ist, bei welcher leicht auch Versehen mitunter-
laufen, so wird man behufs Elimination einer Gruppe von solchen am
besten so verfahren, dass man erst eine Unbekannte allein eliminirt,
z. B. x. Die Resultante wird nur noch die übrigen Unbekannten y,
z,… enthalten. Aus dieser wird man hernach eine zweite von den
Unbekannten eliminiren, z. B. y, aus der so gewonnenen neuen Resul-
tante eine dritte z, und so weiter fortschreitend nach und nach die
sämtlichen Unbekannten.
ζ) Auf Grund des Zusatzes 1 zu Th. 50) wäre — in Erweiterung
der unter η) des § 21 gemachten Bemerkungen — leicht zu zeigen,
dass wenn die vereinigte Gleichung rechterhand auf 1 gebracht ist, auch
hier (bei beliebig vielen Eliminanden) wieder die Resultante erhalten
wird, indem man einfach die Konstituenten des nach den Eliminanden
entwickelten Polynoms der Gleichung (mithin diese Eliminanden selbst
samt ihren Negationen) durchweg auslöscht.
War z. B. f(x, y) = 0 die Gleichung nach zweien von den Unbekannten
entwickelt, so wird sie nun
f1 (x, y) = 1 oder a1x y + b1x y1 + c1x1y + d1x1y1 = 1,
und gibt durch Ausstreichen der Konstituenten:
a1 + b1 + c1 + d1 = 1,
was mit a b c d = 0 äquivalent ist. Etc.
η) Anmerkung zum Zusatz 2 des Th. 50).
Im Gegensatz zu vorstehendem ist es aber nicht gleichgültig, wel-
ches Verfahren man beim Eliminiren einschlägt in folgender Hinsicht.
Hat man ein System von Propositionen (wir können ohne Beein-
trächtigung der Allgemeinheit sagen: Gleichungen, da sich ja auch die
Subsumtionen stets als Gleichungen darstellen liessen) — also: Hat
man ein System von Gleichungen, so kann man ein Symbol (oder auch
eine Gruppe von solchen) aus diesen, indem man sie getrennt lässt —
mithin aus jeder Gleichung für sich — eliminiren und schliesslich die
Resultanten zu einem einzigen Ausspruch zusammenfassen.
Oder man kann auch die Gleichungen des Systems zuerst in eine
einzige zusammenziehen und aus dieser „vereinigten“ Gleichung als-
dann das Symbol (resp. die gedachte Gruppe der Symbole) eliminiren.
Auf letzterem Wege ergab nach unsern Regeln sich die volle Re-
sultante der Elimination.
Auf dem erstern Wege jedoch erhält man im Allgemeinen ein
weniger umfassendes Resultat, zwar wol ein richtiges, aber nicht das
volle Eliminationsergebniss — wie dies schon an einfachen Beispielen
nachweisbar ist.
Wird z. B. das Symbol x aus den beiden Gleichungen des Systems:
a x + b x1 = 0, c x + d x1 = 0
einzeln eliminirt, so lautet die vereinigte Gleichung der beiden Er-
gebnisse:
a b + c d = 0
geradeso, wie sie auch lauten würde, wenn man aus den Gleichungen:
a x + b x1 = 0, c y + d y1 = 0
das Paar x, y eliminirt hätte. [Offenbar kam hiebei nicht zur Gel-
tung, nicht zum Ausdruck, dass die Unbekannte y der zweiten Glei-
chung die nämliche sein sollte, wie die der ersten, dass beide Gleichun-
gen für denselben Wert des Eliminanden erfüllt seien.]
Dagegen ist die Resultante der Elimination von x aus der ver-
einigten Gleichung:
(a + c) x + (b + d) x1 = 0
(von jenen) nun:
(a + c) (b + d) = a b + a d + b c + c d = 0
— sonach umfassender als das vorige Eliminationsergebniss, indem
sie, ausser a b = 0 und c d = 0, auch noch besagt — was daraus allein
nicht folgen würde — dass auch a d = 0 und b c = 0 sein muss!
Behufs Gewinnung des vollen Eliminationsergebnisses muss man also
erst vereinigen, dann eliminiren.
Gegen diese Vorschrift kann man freilich zuweilen auch ohne Schaden
sündigen — im obigen Exempel insbesondre dann, wenn die dabei ver-
[471]§ 22. Elimination von mehreren Unbekannten.
lornen Terme von selbst oder analytisch verschwinden, wie dies z. B. ein-
treten würde, wenn sich a d als von der Form α β1 · α1β und c d als von
der Form α β · α1β1 oder vielleicht γ δ · ε δ1, und dergleichen, herausstellte.
Es haben durch solchen Verstoss einzelne meiner amerikanischen Mit-
arbeiter auf dem Feld der logischen Algebra bei der Behandlung spezieller
Aufgaben einen Vorsprung vor mir gewonnen, indem sie allerhand Weit-
läufigkeiten des Druckes ersparten und mit einfacherem Formelansatz zum
Ziel kamen, als wenn sie nach den von mir empfohlenen Schemata streng
systematisch zuwerke gegangen wären. Solchen Vorsprung muss ich aber
als einen illegitimen bezeichnen, sofern sich die dabei befolgte Taktik bei
andern Gelegenheiten rächen müsste.
Durch die vorstehenden Überlegungen wurde das Eliminations-
problem für eine beliebige Menge von Eliminanden erledigt.
ϑ) Es frägt sich noch, wie das Auflösungsproblem bei einer Mehr-
zahl von Unbekannten sich gestaltet.
Im Gegensatz zur numerisch rechnenden Mathematik muss das
Problem der Auflösung eines Propositionensystems nach mehreren ebenso
wie schon nach einer Unbekannten allemal mit der Elimination eben-
dieser Unbekannten verbunden werden in der Art, dass diese Elimina-
tion der eigentlichen Auflösung jeweils vorauszuschicken ist. Und
ferner scheint das Auflösen nach mehrern Unbekannten für die Logik
nicht die entsprechende Wichtigkeit zu besitzen, wie für die Arith-
metik.
Die Unbekannten mögen x, y, z, … heissen. Eliminirt man (aus
der vereinigten Gleichung des Problemes) sie sämtlich — z. B. succes-
sive in der umgekehrten Ordnung als wie sie angegeben sind — so ergibt
sich als Resultante eine Gleichung, in der nur noch bekannte Gebiete
0, 1, a, b, c, d, … vorkommen werden.
Die Resultante — R = 0 möge sie heissen — kann eine analy-
tische Identität sein, wie es namentlich der Fall sein wird, wenn sie
auf die Gleichung 0 = 0 sich zusammenzieht, während auch umge-
kehrt, nachdem sie rechts auf 0 gebracht ist, die linke Seite R der-
selben auf Grund der Regeln des Kalkuls dann ebenfalls identisch 0
sein wird. In diesem Falle wird die Aufgabe der Berechnung von
x, y, z, … unbedingt lösbar sein für alle denkbaren Wertsysteme der
Parameter oder Symbole a, b, …
Oder aber: die Resultante R = 0 ist selbst eine synthetische Glei-
chung, eine Relation.
Ist dieselbe von den gegebenen Symbolen a, b, ‥ nicht erfüllt, in-
dem sich für ihre linke Seite R eben ein gemäss den Voraussetzungen
des Problems von 0 verschieden zu denkender Wert herausstellt (und
[472]Eilfte Vorlesung.
wie es namentlich vorliegen wird, sobald die Resultante etwa auf die
Gleichung 1 = 0 sich zusammenzieht), so wird unsre Aufgabe unlös-
bar, unmöglich sein, nicht etwa, weil man alsdann die Werte der Un-
bekannten nicht sollte zu entdecken vermögen, sondern weil es dann
gar keine solchen Werte geben kann, welche die aufzulösende Glei-
chung erfüllen.
Ist dagegen die resultirende Relation R = 0 von den gegebenen
Gebieten a, b, ‥ erfüllt, so ist die Aufgabe lösbar, die Auflösung mög-
lich, und kann man alsdann gleichwie im ersten Falle schreiten zur
Ermittelung der „Wurzeln“, d. h. der (aller derjenigen) Wertsysteme,
welche für x, y, z, ‥ eingesetzt die vereinigte Gleichung erfüllen.
ι) Häufig sind auch die Parameter a, b, c, … nicht speziell gegeben,
sondern selbst noch unbestimmte, als gegeben blos zu denkende Gebiete; sie
werden etwa, da man in der Wissenschaft sogleich möglichst allgemeine
Probleme zu lösen bestrebt ist, uns allgemeine Gebiete von vornherein vor-
zustellen haben.
In solchem Falle kann man nach der gleichen Methode, die wir hin-
sichtlich x, y, z, ‥ noch auseinanderzusetzen haben, die Parameter a, b, …
zuerst selbst als Unbekannte so bestimmen, dass sie jene Resultante R = 0
auf die allgemeinste Weise befriedigen. Alsdann ist in der That auch kein
Unterschied mehr vorhanden zwischen gegebenen und gesuchten Gebieten;
wir mögen dann sämtliche Buchstabengebiete, welche in die vereinigte Glei-
chung eingehen, gleichmässig als „Unbekannte“ bezeichnen und erlangen
den Vorteil, dass das Auflösungsproblem nun stets lösbar wird, sofern die
Gleichung nicht geradezu auf die Absurdität 1 = 0 hinausläuft.
Denken wir uns nämlich alle Buchstaben eliminirt, bis auf einen a,
so kann die Resultante nur eine von folgenden vier Formen haben:
0 · a + 0 · a1 = 0, d. h. 0 = 0, wo a dann unbestimmt bleibt,
1 · a + 0 · a1 = 0, wo dann a = 0 sich bestimmt,
0 · a + 1 · a1 = 0, d. h. a1 = 0, wo sich a = 1 bestimmt,
1 · a + 1 · a1 = 0, d. h. 1 = 0, was (für jedes a) unmöglich —
— in Anbetracht, dass ja ausser a keine Buchstaben mehr in der Resul-
tante vorkommen werden, sonach das Polynom der letztern, nach a ent-
wickelt, als Koeffizienten nur 0 oder 1 aufweisen kann.
Im ersten Fall war die Resultante als eine analytische Gleichung er-
füllt, hier fiel a mit den übrigen Buchstaben von selbst heraus und bleibt
es willkürlich.
Im zweiten und dritten Falle erwies sich a (= 0 oder aber 1) als
absolut bestimmt; man wird diesen seinen ermittelten Wert in die ver-
einigte Gleichung einsetzen unter Vereinfachung derselben in der dadurch
bedingten Weise, und wird es fortan ausser Betracht lassen um sich nur
noch mit der Aufgabe zu beschäftigen diese vereinfachte Gleichung aufzu-
lösen, so als wenn sie die ursprünglich gegebene gewesen wäre; dieselbe
enthält dann mindestens einen Buchstaben weniger.
In allen drei Fällen haben wir dann eine Unbekannte weniger, weil
auch im ersten a als willkürlich bleibend erkannt, gefunden ist.
Im vierten Falle wird man das Problem als unzulässig verlassen. Da
die Resultante aus der vereinigten Gleichung folgte, so wird auch diese
schon absurd sein, für keinen Wert von a und für kein Wertsystem der
Buchstabensymbole — kurzum überhaupt nicht — zu bestehen vermögen.
Liegt dieser vierte Fall nun nicht vor, so kann auch bei keiner fer-
neren Elimination irgend einer Buchstabengruppe die absurde Gleichung
1 = 0 mehr vorkommen. Denn da diese letztere auch a nicht enthält, so
kann sie jedenfalls als „ein Ergebniss der Elimination des a“ auch an-
gesehen werden, und müsste also, entgegen der Annahme, in der vollen
Resultante der Elimination von a schon enthalten gewesen sein — und
eben die volle Resultante hatten wir ja beim Eliminiren jederzeit gebildet.
Wir hätten nunmehr jetzt zur Elimination und Berechnung von b, c, ‥
zu schreiten in der Weise wie es für x, y, ‥ des weitern auseinander-
gesetzt wird.
ϰ) Aus der vorletzten Eliminationsresultante R (x) = 0, welche
beim Einhalten der oben empfohlenen Anordnung des Eliminations-
prozesses von den Unbekannten nur noch x enthalten kann, berechne
man x gemäss Th. 50+). Dies ist möglich, weil die Bedingung für
ihre Auflösbarkeit ja eben das Erfülltsein der (letzten) Resultante
R = 0 war. Im Ausdruck für die Wurzel x wird ein willkürlicher
Parameter u auftreten.
Für jeden Wert der somit gefundenen Wurzel x wird dann die
Gleichung R (x) = 0 erfüllt sein, weil die Probe für die Auflösung,
wofern sie richtig vollzogen war, doch sicher stimmt.
Diese Gleichung R (x) = 0 war aber selbst die Resultante der
Elimination von y aus der drittletzten Eliminationsresultante
R (x, y) = 0,
welche von den Unbekannten ausser x nur noch y enthielt (da die
folgenden Unbekannten bereits eliminirt waren). Das Erfülltsein dieser
Resultante R (x) = 0 ist die Bedingung für die Auflösbarkeit der Glei-
chung R (x, y) = 0 nach der Unbekannten y.
Setzt man in letztere den für die Wurzel x gefundenen Wert für
x ein, so enthält sie ausser der Unbekannten y nur noch die bekannten
Gebiete a, b, ‥ nebst dem willkürlichen Parameter u, und ist sicher
nach y auflösbar. Ihre Auflösung gemäss Th. 50) liefert uns nun
auch diese zweite Wurzel, deren Ausdruck noch einen neuen willkür-
lichen Parameter v enthalten wird.
Die gefundenen Wertepaare x, y befriedigen jetzt die drittletzte
Resultante R (x, y) = 0, welches die Bedingung war für die Auflös-
barkeit nach z der viertletzten Resultante R (x, y, z) = 0, die ausser
[474]Eilfte Vorlesung.
diesen als Argumente angeführten drei Unbekannten keine andern ent-
hält. Nach Einsetzung der gefundenen Wurzelwerte von x, y wird
man daher durch Auflösung gemäss Th. 50) jetzt die dritte Wurzel
z erhalten deren Ausdruck einen neuen arbiträren Parameter w in sich
schliesst.
Und so kann man augenscheinlich fortfahren bis alle Unbekannten
gefunden sind, welche dann auch die (zuletzt nach der letzten Unbe-
kannten aufgelöste, das ist die) ursprünglich gegebene vereinigte Glei-
chung erfüllen werden.
λ) Wir wären hiemit zu Ende, wenn nicht noch eine beim successiven
Eliminiren von ‥ z, y, x zuweilen eintretende Möglichkeit zu berücksichtigen
wäre, die wir mit Stillschweigen übergangen haben: Es kann bei diesem
successiven Eliminiren — eventuell zu verschiedenen Malen — vorkommen,
dass beim Eliminiren einer bestimmten Unbekannten mit dieser zugleich noch
mehrere andere, dass eine ganze Gruppe von solchen auf einmal herausfällt.
Fällt z. B. beim Eliminiren von y auch x zugleich heraus, so wird die
der definitiven Resultante R = 0 unmittelbar vorangehende vorletzte Re-
sultante jetzt nicht R (x) = 0 sondern R (x, y) = 0 zu nennen sein. Fallen
unterweges mit z zugleich schon x und y heraus, so ist die vorletzte Re-
sultante von der Form R (x, y, z) = 0, etc.
Man kann erstlich solchen Fall beseitigen, indem man — im ersten
Beispiel — zwischen die allerletzte R = 0 und die vorletzte R (x, y) = 0
die Gleichung
R · x + R · x1 = 0
als nunmehrige vorletzte unter R (x) = 0 zu verstehende Resultante ein-
schiebt — eine Gleichung, die sich aus R = 0 durch „Entwickelung“ der
linken Seite nach x ergab.
Im zweiten Beispiel, indem man zwischen R (x y z) = 0 und R = 0
als drittletzte und vorletzte Resultante die Gleichungen einschiebt:
R · x y + R · x y1 + R · x1y + R · x1y1 = 0
als dermaligen Stellvertreter des im Text erwähnten R (x, y) = 0 und wie-
der R · x + R · x1 = 0 als Stellvertreter von R (x) = 0 — und so fort.
Zur Erledigung des Falles genügt dann der Hinweis darauf, dass so-
fern eine Unbekannte aus der nach ihr aufzulösenden Gleichung von selbst
herausfällt, dieselbe (wie bereits erkannt) unbestimmt bleibt, hier also, wo
sie durch die Gleichung allein bestimmt werden sollte, als willkürlich oder
arbiträr zu bezeichnen sein wird.
Zweitens erkennt man aber auch ganz direkt, dass wenn beim Elimi-
niren einer Unbekannten auch die übrigen mit herausfallen, diese alle bis
auf eine willkürlich bleiben müssen, welche letztere sich durch die übrigen
ausdrücken lässt.
Gibt z. B. die Gleichung R (x y z) = 0 beim Eliminiren von z sogleich
eine Resultante R = 0, die auch x und y nicht mehr enthält, so ist —
das Erfülltsein der letzteren vorausgesetzt — die erstere nach z schon not-
[475]§ 22. Auflösung nach mehreren Unbekannten.
wendig auflösbar (also: welche Werte auch immer unter y und x verstan-
den werden mögen; es bleiben somit x und y arbiträr, und lässt sich durch
Auflösung der Gleichung R (x, y, z) = 0 nach z nunmehr dieses durch die
beliebigen x und y ausdrücken).
Wir mögen hienach als
Zusatz 3 zu Th. 50) den Satz registriren: Auch nach jedem System
von Unbekannten kann jedes System von Subsumtionen und Gleichungen
bequem aufgelöst werden, sobald dieselben nur überhaupt zulässig und
miteinander verträglich sind, was daran zu erkennen, dass die Resul-
tante der Elimination dieser Unbekannten erfüllt ist.
Sobald es nur Wertsysteme der Unbekannten gibt, welche ein-
gesetzt in die Propositionen des Systems dieselben erfüllen, sind solche
auch immer leicht vollständig aufzufinden.
Für die allgemeinste Gleichung mit zwei Unbekannten — α) dieses
Paragraphen wollen wir die Auflösung nach x, y wirklich ausführen.
Dies lässt sich auf zwei Arten bewerkstelligen. Unter Voraussetzung,
dass die Resultante der Elimination von x und y:
a b c d = 0
erfüllt sei, kann erst y eliminirt und aus der Resultante γ') das x be-
rechnet werden, hernach aber y aus γ); oder umgekehrt mittelst β')
und β). Ersteres gibt:
μ) x = c d u1 + (a1 + b1) u, x1 = (c1 + d1) u1 + a b u
und dies in γ) eingesetzt:
{(a + d1) c u1 + (b1 + c) a u} y + {(b + c1) d u1 + (a1 + d) b u} y1 = 0
woraus sich endlich berechnet:
Letzteres gibt:
ν) y = b d v1 + (a1 + c1) v, y1 = (b1 + d1) v1 + a c v,
was in β) eingesetzt liefert:
{(a + d1) b v1 + (b + c1) a v} x + {(b1 + c) d v1 + (a1 + d) c v} x1 = 0
und aufgelöst:
Die Wurzeln x, y werden hienach durch die Ausdrücke μ, μ') oder
nach Belieben auch ν, ν') vollständig oder in allgemeinster Weise dar-
gestellt, wobei u, v jedes denkbare Gebietepaar vorzustellen haben.
[476]Eilfte Vorlesung.
Es könnten nebenbei auch die Faktoren u, u1, v, v1 zur einen Hälfte
unterdrückt werden, nämlich bei x in μ) der u1, bei x1 der u, etc.
Man bemerkt die Verschiedenartigkeit und Unsymmetrie, der für
die einen und für die andern Wurzeln sich ergebenden Darstellungen
je nachdem man die eine oder die andere Reihenfolge bei dem Auf-
lösungsverfahren einhält. Diese Wahrnehmung wird uns noch eigen-
artige Forschungen in § 24 auszuführen anregen.
ξ) Von grösserer Wichtigkeit als die vorstehend erledigte sind
die Aufgaben, bei welchen nicht nach den Werten der verschiedenen
Unbekannten x, y, z, … selber, je für sich, sondern sogleich nach dem
Werte einer bestimmten Funktion f (x, y, z, …) dieser letzteren ge-
fragt wird.
Sind die Unbekannten bereits selber sämtlich ermittelt, so brauchte
man ihre Ausdrücke nur in den gegebenen Ausdruck dieser Funktion ein-
zusetzen, um auch diese Aufgabe gelöst zu haben. Das Resultat würde so
eine ganze Reihe arbiträrer Parameter u, v, w, … enthalten, die behufs
Vereinfachung desselben nun noch gemäss Th. 48) Zusatz durch einen ein-
zigen solchen ersetzt werden müssten.
Dies wäre unbequem; zudem würde den Unbekannten je nach der
Reihenfolge, in der man sie beim Auflösen ermittelt, wiederum eine ver-
schiedenartige Behandlung zuteil werden, die einen sozusagen vor den an-
dern bevorzugt erscheinen. Überhaupt aber wäre die angegebene Art, das
Problem zu lösen, obwol scheinbar als die am nächsten liegende sich dar-
bietend, doch als ein Umweg zu bezeichnen, in Anbetracht dass eine sehr
viel einfachere und in Hinsicht sämtlicher Unbekannten symmetrisch zuwerke
gehende Lösungsweise der Aufgabe möglich ist.
Es ist bemerkenswert, dass ohne die Werte der Unbekannten x,
y, z, ‥ irgend selbst zu kennen man die Berechnung von f (x, y, z, …)
doch unmittelbar zu leisten vermag:
Zusatz 4 zu Th. 50). Mit den einfachen Mitteln des Th. 50) sind
wir schon im stande, wenn ein beliebiges System von simultanen Glei-
chungen und Subsumtionen gegeben ist, irgend eine verlangte Funktion
f (x, y, z, …) einer Gruppe von („unbekannten“) Gebieten — falls es ge-
wünscht wird: ohne Rücksicht auf die Werte einer zweiten Gruppe m, n,
p, q, r, … — durch die Symbole einer dritten Gruppe, nämlich durch alle
übrigen a, b, c, … auszudrücken, resp. im identischen Kalkul zu „be-
rechnen“.
Man füge einfach dem gegebenen Systeme von Propositionen die
neue Gleichung
t = f (x, y, z, …)
hinzu — indem man eben für die gesuchte Funktion einen einfachen
[477]§ 22. Auflösung nach mehreren Unbekannten.
Namen, als welchen wir t gewählt haben, einführt. Man bilde nun
erst die vereinigte Gleichung des also vergrösserten Systemes, eliminire
aus dieser sowol die Symbole m, n, p, q, r, … der zweiten als auch die
x, y, z, … der ersten Gruppe, so wird man eine Resultante erhalten,
die ausser dem gesuchten t nur noch die Gebiete a, b, c, … der dritten
Gruppe enthält. Und diese nach der Unbekannten t gemäss Th. 50+)
aufgelöst führt zur Erledigung unsrer Aufgabe.
Den vorliegenden Fingerzeig hat schon Boole gegeben.
Exempel siehe in § 25 unter Aufgabe 24, ‥ 26 und anderwärts.
Hinsichtlich der „Determination“ auch dieses Problems, seine even-
tuelle Unzulässigkeit, Bestimmtheit oder Unbestimmtheit, sind wiederum
verschiedene Vorkommnisse möglich, welche sich aber der Leser nach dem
Vorangegangenen leicht selber zurecht legen wird, und die zum Teil auch
durch die Beispiele illustrirt werden.
Wenn — wie dies wol meist beabsichtigt sein wird — die Sym-
bole m, n, p, q, r, … in dem Ausdruck f (x, y, z, …) nicht vorkommen,
so kann man natürlich auch aus der vereinigten Gleichung des noch
unvergrösserten Propositionensystems erst einmal die m, n, p, q, …
eliminiren und die so gewonnene Resultante dann noch mit der Glei-
chung t = f (x, y, z, …) oder also
t f1 (x, y, z, ‥) + t1f (x, y, z, ‥) = 0
„vereinigen“, um jetzt nur mehr x, y, z, ‥ zu eliminiren. Bei dieser
Anordnung des Verfahrens wird man alsdann mit weniger komplizirten
Relationen zu thun haben, als bei der Anordnung nach dem allgemei-
neren Schema. —
Man sieht: auf unserm bisherigen Standpunkte, wo wir als „Pro-
positionen“ nur erst Subsumtionen und Gleichungen kennen, hat der
identische Kalkul den seltenen Vorzug, die allgemeinsten Aufgaben,
die innerhalb seines Rahmens überhaupt erdacht werden können, auch
wirklich zu lösen.
Dass immerhin auch hier noch etwas zu thun bleibt, dass fernere
Fortschritte der Disziplin noch möglich und anzustreben sind, werden wir
in § 24 sehen, wo an die Art und Weise der Lösung obiger Aufgaben —
z. B. in Hinsicht ihrer „Symmetrie“ bezüglich gewisser Symbolgruppen —
noch weitere Anforderungen gestellt werden.
Auch in Anhang 6 eröffnen sich Perspektiven auf noch fernere Pro-
bleme. Man kann von diesem Anhang grösstenteils schon jetzt — noch
besser nach § 24 Kenntniss nehmen. —
Eine erste Anwendung des Haupttheorems 50) wollen wir — mehr
im theoretischen Interesse — machen, um über die zur Addition und
Multiplikation entgegengesetzten oder inversen Operationen des Kalkuls
Klarheit zu gewinnen.
In jeder Disziplin die überhaupt von Subtraktion und Division
handelt, werden diese Operationen definirt als diejenigen, welche eine
Aufgabe lösen, die in der Beziehung der Umkehrung steht zur Aufgabe
der Addition resp. Multiplikation.
Bei den letztern Aufgaben, denjenigen also der beiden direkten
Operationen, werden die Summanden resp. Faktoren a, b als gegeben
angenommen, und kommt es darauf an, deren Summe resp. Produkt:
α)
| x = a + b | x = a · b |
herzustellen, zu bilden — oder, wenn man die in der Arithmetik ge-
bräuchliche, hier nicht mehr ganz passende Ausdrucksweise in unsre
Disziplin herübernehmen will: sie zu „berechnen“. Eine zu der eben
geschilderten „umgekehrte“ oder „inverse“ Aufgabe liegt vor, wenn der
bei der vorigen gesucht gewesene Term gegeben ist und einer der
beiden vorhin bekannt gewesenen Terme als Unbekannte gesucht wird,
während auch der andere nach wie vor als bekannt gilt. Diese Auf-
gabe tritt also an uns heran, wenn gefragt wird nach demjenigen
Terme, welcher mit einem gegebenen additiv resp. multiplikativ ver-
knüpft ein gegebenes Resultat liefert, eine gegebene Summe, resp-
ein gegebenes Produkt gibt.
Eine Operation, welche zwei Operationsglieder thetisch verknüpft,
lässt im Allgemeinen zweierlei Umkehrungen, zu ihr inverse oder
lytische Operationen zu, je nachdem bei bekanntem Knüpfungsergeb-
nisse das eine oder das andere jener Operationsglieder als Unbekannte
gesucht wird. Wegen der Kommutativität der identischen Addition
[479]§ 23. Die inversen Operationen des Kalkuls.
resp. Multiplikation — vergl. Th. 12) — kann man aber den zweiten
Term einer Summe resp. Faktor eines Produkts allemal zum ersten
machen; es ist darum gleichgültig, ob es das erste oder ob es das
zweite Operationsglied war, nach welchem gefragt wurde, und fallen
die beiden Umkehrungen der Operation hier jeweils in eine zu-
sammen.
Bezeichnen wir abermals die bekannten Terme mit a und b, den
gesuchten Term mit x, so wird es sich nun also darum handeln, das-
jenige Gebiet, oder diejenigen Gebiete x zu ermitteln, welche die Glei-
chung erfüllen:
β)
| x + b = a, | x · b = a, |
m. a. W. es wird diese Gleichung nach der Unbekannten x aufzulösen
sein. Als
| „identische Differenz“: a minus b, aus dem „Minuenden“ a und dem „Subtrahenden“ b | „identischen Quotienten“: a (geteilt) durch b, aus dem Dividenden (Zähler) a und dem Divisor (Nenner) b |
werden wir zu definiren haben: die Wurzel der vorstehenden Gleichung
β) — falls sie nämlich eine solche besitzt, falls die Gleichung β) über-
haupt auflösbar ist nach x.
Die Bedingung hiefür ergibt sich aber nach Th. 50), indem wir
die Gleichung zunächst rechterhand auf 0 bringen — nach Th. 39)
wird sie:
γ)
| a1 (b + x) + a b1x1 = 0 | a1b x + a (x1 + b1) = 0 |
— und indem wir nunmehr die Unbekannte x aus ihr eliminiren. Die
Resultante lautet:
δ)
| a1b = 0, somit b ⋹ a | a b1 = 0 sive a ⋹ b. |
Und diese Relation drückt die Anforderung aus, welche von den
gegebenen Termen (Gebieten, Klassen) a, b erfüllt sein muss, wenn es
überhaupt ein Gebiet oder Gebiete x geben soll für welche die aufzu-
lösende Gleichung besteht. Sie ist unerlässliche Bedingung für die
mögliche Geltung der Gleichung, die notwendige und hinreichende Be-
dingung für die Auflösbarkeit derselben und die Existenz einer „Wur-
zel“ (oder von Wurzeln). Identische Subtraktion und Division sind
hiernach keine unbedingt ausführbaren Operationen; ihre Ausführbarkeit
ist vielmehr an die Bedingung δ) geknüpft.
Ist diese Relation nicht erfüllt, so kann vernünftigerweise über-
haupt nicht von einer Differenz „a minus b“ resp. einem Quotienten
„a durch b“ gesprochen werden; die letzteren bleiben sinnlose Namen
[480]Zwölfte Vorlesung.
und in gewisser Hinsicht von demselben Charakter, wie die nächste
beste Silbenzusammenstellung.*) Es gibt dann eben nichts, was dem
Namen als seine Bedeutung entspricht. (Auch die Null, das „Nichts“
unsrer ursprünglichen Mannigfaltigkeit bleibt als solche Bedeutung aus-
geschlossen.)
Als Bedingung dafür, dass gedachter Differenz, gedachtem Quo-
tienten eine Bedeutung, ein Wert überhaupt zukomme, mögen wir sie
auch die „Valenzbedingung“ für letztere nennen. Diese Bedingung
müssen wir, so oft im folgenden von Differenzen oder Quotienten ge-
sprochen wird, jeweils als erfüllt voraussetzen.
Ist jene Wertigkeitsbedingung δ) erfüllt, so vereinfacht die auf-
zulösende Gleichung sich zu:
ε)
| a1x + a b1x1 = 0 | a1b x + a x1 = 0 |
und kann man nun zur Auflösung derselben nach der Unbekannten x
schreiten.
Aus dem allgemeinen Theorem 50), nach dessen Schema die Auf-
lösung stattzufinden hat, wissen wir aber bereits, dass es nicht blos
eine Wurzel geben wird, sondern unendlich viele (im Allgemeinen von
einander verschiedene). Einen Ausdruck, der sämtliche Wurzeln und
nur solche liefert, werden wir erhalten, indem wir die gegebenen
Terme a, b mit einem willkürlichen Gebiet u in bestimmter Weise
verknüpfen.
Diesen Ausdruck wollen wir die „volldeutige Differenz“, resp. den
„volldeutigen Quotienten“ nennen, oder auch den „Generalwert der Diffe-
renz, des Quotienten“ im Gegensatz zu einem nachher hervorzuheben-
den besondern Wert derselben (desselben), den wir als deren „Prin-
zipal- oder Hauptwert“ zu bezeichnen Anlass finden und auch die
„eindeutige Differenz“, den „eindeutigen Quotienten“ nennen mögen.
Ich will mir das gewöhnliche Subtraktions- und Divisionszeichen
zur Darstellung von letzteren reserviren, und müssen wir dann, um
nicht Missverständnisse herauszufordern, für die volldeutigen Ausdrücke
unterscheidende Zeichen wählen. Als solche habe ich schon2 das ein
Kolon durchsetzende Minuszeichen für die Subtraktion und ein dop-
peltes Kolon für die Division angewendet.
Als die allgemeinste Wurzel der Gleichung β) oder ε) erhalten
wir nun also:
[481]§ 23. Identische Subtraktion und Division.
ξ)
| x = a ÷ b | x = a : : b, |
wo die rechte Seite den Ausdruck bedeutet:
η)
| a ÷ b = ab1u1 + au = | a : : b = a u1 + (a + b1) u = |
| = a (b1 + u) = | = a + u b1 = |
| = a b1 + u b = a b1 + u a b, | = a b + u a1b1, |
in welchem u ein willkürliches Gebiet vorstellt.*)
Natürlich stimmt nun auch die Probe der Auflösung, welche
darin besteht, dass man den Ausdruck η) oder ξ) für x in die Gleichung
β) einträgt und sich überzeugt, dass dieselbe auf Grund der Voraus-
setzung δ) erfüllt ist — und zwar für jede Bedeutung des u. In der
That muss sein:
ϑ)
| (a ÷ b) + b = a | (a : : b) b = a, |
d. h. jeder Wert
| der Differenz, zu dem Subtrahenden addirt gibt den Minuenden | des Quotienten, mit dem Divisor multiplizirt liefert den Dividenden. |
Bei dem Nachweise ist schon die Valenzbedingung δ) unentbehrlich,
indem man als Wert der linken Seite in ϑ) zunächst erhält:
| a + b | a b |
was erst auf Grund von δ) sich in a zusammenzieht — vergl. Th. 20). —
In § 21 und 22 gelang es uns, die allgemeinsten Eliminations- und
Auflösungsprobleme der bisherigen Theorie schon ohne jegliche Kenntniss
von den hier betrachteten inversen Operationen des identischen Kalkuls zu
lösen. In dieser Thatsache hauptsächlich ist die Bestätigung zu erblicken
für eine früher schon einmal gemachte Andeutung: dass die identische
Subtraktion und Division ohne Schaden oder Einbusse aus der ganzen Dis-
ziplin des Kalkuls sich ausmerzen lassen. Auch die gegenwärtige Studie
hat die Tendenz dies vollends zu erhärten.
Die hier gebrauchten Bezeichnungen sind deshalb auch als proviso-
rische, nur dem augenblicklichen Bedarf zu dienen bestimmte anzusehen,
und aus diesem Grunde ist es auch sehr gleichgültig, wie man etwa die
volldeutigen Operationszeichen in a ÷ b, a : : b zur Unterscheidung von den
eindeutigen in a — b, a : b verbatim lesen mag. Da es immerhin misslich
erscheint, häufig Zeichen lesen zu müssen ohne einen Fingerzeig darüber
und eine bestimmte Gewöhnung, wie dieselben auszusprechen seien, so mag
man für jene etwa „voll-minus“ und „voll-durch“ sprechen.
Beachtenswert erscheint noch folgendes. Wir haben vorstehend x er-
Schröder, Algebra der Logik. 31
[482]Zwölfte Vorlesung.
klärt als die allgemeinste Lösung der Gleichung β), als den Generalwert
der Wurzel. Dieser ist eigentlich nicht ein Wert, sondern stellt gleichwie
die Ausdrücke η) eine ganze Gattung oder Klasse von Werten vor, die
man erhalten wird, indem man daselbst das u von 0 bis 1 variirt (vergl.
S. 426 sq.). Die Gleichungen ζ) bis ϑ) sowie die noch weiterhin folgenden
auf volldeutige Differenzen und Quotienten bezüglichen sind darum auch
nicht, wie zumeist die früheren, zu deuten als Gleichungen zwischen Ge-
bieten, sondern als solche zwischen Klassen von Gebieten — die allerdings,
wie in ϑ) rechts, sich unter Umständen auch in ein einziges Gebiet zu-
sammenziehen mögen. Sie sollen aussagen, dass (nicht etwa jedes einzelne,
sondern) die Gesamtheit der Gebiete links einerlei ist mit der Gesamtheit
der Gebiete welche rechts vom Gleichheitszeichen dargestellt erscheinen.
Die Gleichheitszeichen sind also wirksam nicht in der ursprünglichen, sondern
in der aus ihr abgeleiteten Mannigfaltigkeit, in der Mn. der Klassen von Ge-
bieten, und sinken dieselben nur in Ausartungsfällen, wie ϑ), in die erstere
Mn. zurück.
Will man jedoch x als ein eindeutiges Gebietsymbol aufgefasst wissen,
mithin darunter nur ein spezielles die Gleichung β) erfüllendes Gebiet, eine
partikulare Wurzel dieser Gleichung verstehen, so ist es nicht mehr zu-
lässig die Angaben ζ) als Gleichungen beizubehalten. Wie wir schon ander-
wärts ausgeführt haben, darf das Individuum seiner Gattung nicht etwa
gleich gesetzt werden. Für ζ) müsste alsdann korrekt geschrieben werden:
| x ⋹ a ÷ b | x ⋹ a : : b |
— wobei im Allgemeinen die Unterordnung gilt und Gleichheit nur in den
(nachher auch zu betrachtenden) Grenzfällen eintreten kann, wo die rechte
Seite eindeutig wird, die Gleichung β) nur eine Wurzel zulässt, in diesen
Fällen aber auch eintreten muss.
Auch diese Subsumtionszeichen wären aber als solche der abgeleiteten
Mannigfaltigkeit zu interpretiren, und nicht als solche der ursprünglichen.
Die Subsumtion besagte hier nicht, das Gebiet x sei als Teil enthalten in
einem rechts angeführten Gebiete, sondern nur, es sei als Individuum ent-
halten in der rechts stehenden Klasse von Gebieten.
Gerade in jenen Grenzfällen aber, wo die Klasse a ÷ b rechts selbst
nur ein Gebiet umfasst, müsste das Subsumtionszeichen Missverständnisse
nahe legen, indem es Einordnung (als Teil) mitzuzulassen scheint, wo, wie
erwähnt, nur Gleichheit gelten kann. Zur Vermeidung solcher (und ähn-
licher schon in § 9 unter ψ) charakterisirter Misstände müsste man eigent-
lich zweierlei Subsumtionszeichen verwenden für die ursprüngliche und für
die abgeleitete Mannigfaltigkeit.
Die Nötigung hiezu lässt sich indess vermeiden und sie pflegt glück-
lich vermieden zu werden, indem man die Lösungen:
| x = a (b1 + u) | x = a + u b1 |
auch jetzt wieder als Gleichungen schreibt, dafür aber dem u eine andere
Deutung gibt. Statt wie bisher es als ein willkürliches Gebiet gelten zu
lassen, dem alle erdenklichen Bedeutungen innerhalb der ursprünglichen
Mn. mit gleichem Rechte zukommen, braucht man es jetzt nur hinzustellen
[483]§ 23. Identische Subtraktion und Division.
als ein „unbestimmtes“ Gebiet, das vielleicht noch seiner näheren Bestim-
mung harrt. Man wird es jetzt, wo x eindeutig sein soll, nur „ein ge-
wisses“ Gebiet bedeuten lassen [oder irgend eines von jener sub τ) des
§ 21 bestimmten Klasse von Gebieten] und dadurch hinbringen, dass beider-
seits vom Gleichheitszeichen eindeutige Gebietsymbole stehen zwischen denen
die Behauptung der Gleichheit wieder zulässig ist.
Demgemäss werden wir es fortan auch wie bisher vermeiden, mit
unsern Betrachtungen über die ursprüngliche Mn. solche zu vermengen, in
welchen das Subsumtionszeichen anders als für diese selbst gedeutet wer-
den müsste.
Unter allen Gebieten, welche wir als die Partikularlösungen der
Gleichung β) in η) zusammengefasst, der Gebieteklasse also, welche
wir als „volldeutige“ Differenz resp. Quotienten daselbst angegeben
haben, sind besonders zweie hervorhebenswert, nämlich: die beiden
einschliessenden Gebiete oder „Grenzen“, zwischen welchen (sie selbst
mitzugelassen) alle Gebiete der Klasse a ÷ b resp. a : : b liegen müssen.
Aus unsern Formeln η) ergibt sich das eine als das umfassendste
Punktgebiet oder die weiteste unter den Bedeutungen, welche der Diffe-
renz, dem Quotienten von a und b eindeutig untergelegt werden kön-
nen, bei der Annahme u = 1, das andre als die engste dieser Bedeu-
tungen für u = 0 — wobei indessen nicht zu übersehen ist, dass der
Dualismus erfordert, der Annahme u = 1 bei der einen die u = 0 bei
der andern Operation, und umgekehrt, gegenüberzustellen.
Wir erhalten (für u = 1 resp. 0) als den
| Maximalwert der identischen Dif- ferenz: | Minimalwert des volldeutigen Quo- tienten: |
| ι) (a minder b) = a. | (b in a) = a. |
| Der höchste unter den Werten der Differenz ist darnach der Minuend selber | Der niederste unter den Quotien- tenwerten ist der Dividend oder Zähler |
und bei dieser Auffassung erscheinen unsre inversen Operationen als
völlig wirkungslos an dem passiv mit ihnen affizirten Operations-
gliede. Es ist demnach müssig, etwa noch nach formalen Gesetzen
dieser eindeutigen „Maximalsubtraktion“ und „Minimaldivision“ zu
fragen, auch nicht angezeigt, deren Ergebniss für den Hauptwert zu
erklären.
Desgleichen verlohnt es nicht, eigene Knüpfungszeichen für diese Ope-
rationsweisen einzuführen, weshalb wir uns in ι) mit einem charakteristi-
schen Wortausdruck für die Andeutung ihres Ergebnisses begnügten.
Bei der andern Annahme (u = 0 resp. 1) dagegen stellt sich her-
aus als der
31*
[484]Zwölfte Vorlesung.
| Minimalwert der volldeutigen Dif- ferenz: | Maximalwert des volldeutigen Quo- tienten: |
| ϰ) a — b = a b1 | a : b = a + b1 = |
und indem wir für diese hiermit die gewöhnlichen Subtraktions- und
Divisionszeichen einführen, bezeichnen wir sie auch als den eindeu-
tigen oder Hauptwert, d. i. als Differenz und Quotient schlechtweg.
„Eindeutige“ Subtraktion resp. Division nennen wir die zu ihrer Bil-
dung dienenden Operationen. Auch diese Operationen sind nur „aus-
führbar“, es haben a — b und a : b nur einen Sinn, wenn die Valenz-
bedingung δ) erfüllt ist.
Aus den Definitionen η) und ϰ) sind als besondere Fälle hervor-
zuheben:
λ
wo die Valenzbedingung (für die angegebenen Differenzen und Quo-
tienten) jeweils analytisch, von selbst erfüllt ist, weshalb von ihr ab-
gesehen werden kann, den Formeln λ) unbedingte Geltung zukommt.
Die Subtraktion einer Klasse von sich selbst sowie von der 1 ist
unbedingt ausführbar, etc.
Die Symbole 1 ÷ 1 und 0 : : 0 sind hienach vollkommen unbe-
stimmt oder „alldeutig“ zu nennen; sie stellen die ganze aus der
ursprünglichen Punktmannigfaltigkeit „abgeleitete“ oder ableitbare
Mannigfaltigkeit der Gebiete vor, indem uns eben u schlechthin jedes
Gebiet zu bedeuten hat.
Die letzten Formeln unter λ) aber:
μ) 1 — a = a1 = oder 0 : a
lassen erkennen, dass die Negation weiter nichts als ein gemeinsamer
Spezialfall der (eindeutigen) Subtraktion und Division ist: a negiren
heisst, es von 1 abziehen oder es in die 0 hineindividiren.
Mit diesem Spezialfall der beiden inversen Operationen aber kommt,
[485]§ 23. Die Negation als ihr gemeinsamer Spezialfall.
wie wir gesehen haben, der identische Kalkul — als mit seiner „dritten
Spezies“ — schon völlig aus.
Zieht man auch die beiden inversen Operationen mit unter den
Gesichtspunkt des Dualismus, so werden natürlich zugleich mit Addi-
tion und Multiplikation auch Subtraktion und Division ihre Rollen
auszutauschen haben. Alsdann kann man sagen, dass die hiemit ge-
gebene Gleichung:
ν)
zu sich selbst dual ist.
Und das gleiche gilt auch von den noch durch ihre Kombination mit
sich selbst entstehenden Gleichungen wie:
etc. Die p. 31 meines Operationskreis2 gemachte Angabe, dass diese er-
wähnten die einzigen zu sich selbst dualen Formeln des identischen Kal-
kuls seien, beruhte jedoch auf einem Übersehen, ist eine zu weit gehende
gewesen, wie wir denn in der That schon in § 18 unter φ) auch noch
andre Formeln solchen Charakters kennen gelernt haben. —
Mit Rücksicht auf μ) hätten die fundamentalen Theoreme 30) und 31)
nun auch in folgenden Formen angeschrieben werden können, in deren
einigen (den durch die Beisetzung der Chiffre hervorgehobenen) es nützlich
ist, sie gesehen zu haben:
Die 31) zeigt, dass nicht — (— a) = a oder 0 — (0 — a) = a, sondern
1 — (1 — a) = a das wahre arithmetische Analogon des logischen Satzes
von der doppelten Verneinung ist — worauf wir uns schon S. 306 beriefen.
Beachtenswert erscheint, dass der Ausdruck ϰ), mit x bezeichnet
bezüglich die Auflösung ist des folgenden Paares von Gleichungen:
ο)
| x + b = a, x b = 0 | x b = a, x + b = 1 |
durch welches also
ϰ )
| x = a — b | x = a : b = |
vollkommen eindeutig bestimmt wird.
Man erkennt dies leicht, indem man systematisch zuwerke geht, zu-
[486]Zwölfte Vorlesung.
erst also die vereinigte Gleichung des Gleichungenpaares ο) herstellt, aus
dieser dann x eliminirt, wodurch sich abermals die Valenzbedingung δ) und
nur diese ergibt, endlich jene nach der Unbekannten x auflöst. Als Auf-
lösung ergibt sich der völlig bestimmte Wert:
| x = a b1 | x = a + b1; |
und umgekehrt ist leicht nachzuweisen, dass dieser letztere Ansatz zu-
sammen mit der Valenzbedingung δ) auch das Gleichungenpaar ο) nach
sich zieht, nämlich dieselbe vereinigte Gleichung liefert mit welcher dieses
äquivalent sein muss. Sobald man also die in der Voraussetzung π) doch
sicher miteingeschlossene Annahme gelten lässt, dass die daselbst gegebenen
Ausdrücke einen Sinn haben, wird die Gleichung π) auch ihrerseits das
Gleichungenpaar ο) zu ersetzen im stande sein.
Links vom Mittelstriche z. B. ist aus dieser Betrachtung zu lernen,
dass man im identischen Kalkul einen Summanden (b) von der einen
Seite der Gleichung wenigstens dann (jedoch auch nur dann) von dieser
Seite als einen Subtrahenden (mit dem Minuszeichen) auf die andere
Seite werfen darf, wenn er mit dem andern Summanden (x, resp. mit
allen übrigen Gliedern der vorausgesetzten Summe) disjunkt ist, wenn
also die binomische Summe eine reduzirte war.
Während aus einer Gleichung x + b = a im Allgemeinen nur zu
schliessen ist, dass x einer von den Werten der volldeutigen Differenz
a ÷ b sein müsse, folgt x = a — b ausschliesslich dann, wenn neben-
her bekannt ist, dass x b = 0 sei.
Dagegen darf ein Subtrahend immer als Summand über das
Gleichheitszeichen hinübergeschafft, transponirt werden, m. a. W. aus
einer Gleichung x = a — b ist es immer zulässig den Schluss zu
ziehen: x + b = a, in Anbetracht, dass die Probe einer richtig voll-
zogenen Subtraktion doch sicher stimmen wird.
Im Hinblick darauf z. B., dass b + 0 = b nebst b · 0 = 0 gilt, wird
es darnach insbesondre gestattet sein, eine Gleichung a = b (oder a = b + 0)
in die Form a — b = 0 umzusetzen, dieselbe mithin auch nach demselben
Schema, welches in der Arithmetik geläufig ist, rechterhand auf 0 zu
bringen. In der That sagt der Ansatz a — b = 0 nach ϰ) aus, dass
a b1 = 0 sei, wozu aber noch die Valenzbedingung a1b = 0 tritt, und dieses
läuft nach Th. 24) und 39) zusammen auf a = b hinaus. Wie den Ge-
brauch der inversen Operationen überhaupt, so wird man aber auch die
Schreibweise a — b = 0 in unsrer Disziplin besser vermeiden.
Unberechtigt würde es aber beispielsweise sein, aus der Gleichung
a + 0 = a, die allgemein gilt, den Schluss zu ziehen, dass 0 = u a sein
müsse bei beliebigem u, nämlich dass 0 dem Generalwert von a ÷ a, nach
dem Schema η, λ) gebildet, gleichzusetzen sei. Es gilt dies, da der Term 0
ein vollkommen bekannter, notwendig nur für gewisse u (= v a1, z. B. für
u = 0); es darf nur geschlossen werden, u sei einer von den im General-
[487]§ 23. Identische Subtraktion und Division.
wert zusammengefassten Werten, und weil a · 0 = 0, so ist es hier der
Hauptwert selber: 0 = a — a.
Es erübrigt noch, auch Ausdrücke von den folgenden Formen einmal
in's Auge zu fassen:
ϱ
von welchen die Valenzbedingung zeigt, dass sie im Allgemeinen sinnlose,
„uninterpretable“ sind, falls nämlich nicht gerade a gleich
| 1 | 0 |
| 0 | 1 |
bezüglich bedeutet.
Führte man hier das Zeichen ∞ („unendlich“) als Symbol der Ab-
surdität, des Unsinns ein, so könnte man — falls nur nicht gerade die
eben genannte Voraussetzung zutrifft — diese Ausdrücke samt und sonders
gleich ∞ setzen, und speziell wäre zuverlässig:
σ) 0 ÷ 1 = ∞ = 1 : : 0 sowie 0 — 1 = ∞ = 1 : 0 =
— letzteres wie in der Arithmetik [wobei nun auch die Gleichung
0 — 1 = als zu sich selbst dual erscheinen würde].
Es ist in der That unverfänglich, die verschiedenen absurden Ausdrücke,
wie 0 — 1 und 1 : 0, einander gleich zu setzen. Alles was unsinnig ist,
darf für einerlei uns gelten. Gäbe man überhaupt auch nur den aller-
geringsten Unsinn zu, so würde ja durch vollkommen logische Schlüsse
auch jeder gewünschte „noch so grosse“ Unsinn sich beweisen lassen —
ähnlich wie bekanntlich in der Arithmetik, so auch in identischen Kalkul.
Speziell hier: Lässt man zu, dass es ein x = gebe von der Eigen-
schaft, dass x · 0 = 1 ist, so ist leicht zu zeigen, dass auch für ebendieses
x gilt: x + 1 = 0 nebst x · 1 = 0, dass also auch x = 0 — 1 anzuerkennen
ist. Wegen x · 0 = 0 folgte nämlich aus der Annahme, dass 0 = 1, und
hieraus durch beiderseitiges Multipliziren mit x auch 0 = x, sodann
x + 1 = x + 0 = x = 0 und x · 1 = 0 · 1 = 0. —
Das Symbol ∞ kann aber nicht, wie seinerzeit das Symbol 0, als ein
„uneigentliches“ Gebiet der Mannigfaltigkeit unsrer Gebiete zugeschlagen, ad-
jungirt werden; vielmehr vertritt es die Null der „abgeleiteten“ Mn., Mn. der
Gebieteklassen.
Es müsste nämlich seine Hinzuziehung, Zulassung als „Gebiet“ die
Folge haben, dass die Prinzipien unsres Kalkuls, wenn sie in voller All-
gemeingültigkeit aufrecht erhalten würden, sich selbst aufhöben, uns nach
allen Seiten in Widersprüche verwickelten [wie wir denn nach der Defi-
nition ∞ = nun ∞ · 0 = 1 hätten im Widerspruch mit a · 0 = 0 bei
der Annahme a = ∞, etc.] — dass sie andernfalles ihre Allgemeingültig-
keit verlören und mit lästig zu beobachtenden Ausnahmen behaftet würden,
[488]Zwölfte Vorlesung.
wodurch es nahegelegt erschiene, den Eindringling ∞ aus der Mannigfaltig-
keit der Gebiete wieder auszustossen. —
Durch die Koexistenz der Gleichungen π) und ο) findet sich
unsre Definition von eindeutiger Differenz und Quotient, die wir oben
durch Partikularisiren der volldeutigen gewannen, noch einmal selb-
ständig ausgedrückt. Z. B. links: Weiss man von einem Gebiete x
nur das eine, dass seine Summe mit einem gegebenen b ein
anderes a liefert, so ist x noch nicht vollständig bekannt. Wohl aber ist
der gesuchte Summand vollkommen bestimmt, wenn man ferner weiss,
dass er den andern b ausschliesst, dass also bx gleichzeitig 0 ist. Etc.
Und ähnlich auch für Klassen. Für letztere besitzt die in
a — b = a b1 (während a1b = 0 gedacht wird) vorgeschriebene logische
Operation einen sehr geläufigen sprachlichen Ausdruck in Gestalt jener
verbalen Formen, mittelst welcher eine Ausnahme statuirt wird.
Es kann das Minuszeichen geradezu mit der Partikel „aus-
genommen“, „ohne“ in die Wortsprache übersetzt werden, indem die
Differenz a — b die Klasse der a mit Ausschluss der b vorstellen wird
(von welchen die Valenzbedingung die Voraussetzung ausspricht, dass
sie ganz in jener enthalten seien).
Bedeutet z. B. a = Metall, b = Edelmetall, so stellt a — b = a b1
die Metalle vor, welche nicht Edelmetalle sind, also die Metalle ohne die
Edelmetalle, die Metalle mit Ausnahme der Edelmetalle.
Umgekehrt jedoch darf ein sprachlicher Ausdruck von der Form
„die a ohne die b“, „a ausgenommen b“ in unsre Zeichensprache in der
Regel nicht mit a — b ohne weiteres übertragen werden, sondern nur mit
a — a b = a (a b)1 = a (a1 + b1) = a b1 (wo dann in der That a1 · a b = 0
ist). Die Wortsprache setzt es nämlich als selbstverständlich voraus,
dass man aus einer Klasse nur solche Individuen ausschliessen könne
und auszuschliessen beabsichtige, welche in ihr enthalten sind — und
diese stillschweigende Forderung muss der hier ausdrucksvollere Kal-
kul ausdrücklich darstellen. Sagt man „die a ohne die b“, so meint
man sicherlich nur „die a ohne diejenigen b, welche a sind“.
Wird z. B. berichtet, im untergegangenen Schiffe seien alle Passa-
gire (a) ertrunken, ausgenommen die Frauen (b), welche gerettet worden,
so ist, wenn b die Klasse der Frauen schlechtweg, somit im ganzen
Menschengeschlechte, bedeutet, die Klasse der ertrunkenen Personen offen-
bar nur a — a b = a b1 nicht aber a — b, welcher Ansatz gar keinen Sinn
haben würde, indem hier die Valenzbedingung b ⋹ a nicht erfüllt wäre.
Für a — a b hier a — b schreiben hiesse: von den Passagiren des Schiffes
auch die in ruhiger Sicherheit auf dem Festlande lebenden Frauen aus-
schliessen zu wollen.
Sagen wir ebenso: „die Europäer ohne die Russen“, so heisst dies
vollständiger ausgedrückt: die Europäer ohne die europäischen Russen, und
kann es uns nicht einfallen, auch die asiatischen Russen von den Euro-
päern ausschliessen zu wollen.
Ungeachtet dessen, dass nun also hier die Wortsprache einem
geringeren Zwange unterworfen ist, in ihren Ausdrucksformen eine
grössere Freiheit, Licenz geniesst, wie unsere Zeichensprache, sind
wir doch berechtigt, die Subtraktion im Klassenkalkul als eine Aus-
schliessung zu erklären, sie auszugeben für die Exception.
Für die eindeutige Division hat die Sprache keinen entsprechenden
oder adäquaten Ausdruck. Unter der Voraussetzung, dass a ⋹ b sei,
bedeutete = a + b1 dasjenige was a oder nicht-b ist. Es liegt im
gewöhnlichen Gedankenverlaufe wol selten eine Veranlassung vor, eine
derartige Klasse zu bilden, und dieser Umstand war Beweggrund
für uns, der identischen Subtraktion den Vortritt vor der Division
zu geben.
Unter denjenigen Operationen zwar, welche unter dem Namen
der volldeutigen Division zusammengefasst sind, ist immer eine, welche
im Klassenkalkul, im Kalkul mit Begriffsumfängen oder -Inhalten hin-
zustellen ist als eine Abstraktion.
Ist bei bekannten x nämlich x · b = a, so ist x selbst sicherlich
einer von den Werten des volldeutigen Quotienten a : : b und muss
man, um von dem Produkte a zu diesem seinem Faktor x überzugehen,
dabei absehen, abstrahiren von den für den andern Faktor b charak-
teristischen Merkmalen.
Z. B. seien a, b, x die Klassen: a = „Rappe“, b = „schwarz“,
x = „Pferd“, so gibt der Begriff „Rappe“, befreit, abgesehen vom Merk-
mal der schwarzen Farbe, den Begriff „Pferd“.
Die eindentige Division liefert uns aber in Gestalt von nicht
gerade jenen besonderen Faktor x, sondern einen andern, der eben-
falls mit b multiplizirt, determinirt, a liefert. Als Quotienten der
Klasse „Rappe“ geteilt durch die Klasse „schwarz“ stellt sie vielmehr
hin: alles, was entweder ein Rappe, oder nicht schwarz ist. Unter
diesen „nicht-schwarzen“ Dingen sind auch die übrigen Pferde noch
mit enthalten.
Es mag der Psychologie überlassen bleiben, zu erklären, weshalb
das duale Gegenstück zur Einschränkung, Ausnahmebildung im natür-
lichen Denken keine Stätte zu finden scheint, jedenfalls hier nicht die
[490]Zwölfte Vorlesung.
entsprechende Rolle spielt. Uns genügt es hier, von der Thatsache
Notiz zu nehmen. —
In den Figuren 20 finden sich für die Kreisflächen a und b zu-
nächst die Gebiete a — b = a b1 und = a + b1 mittelst schräger
Schraffirung hervorgehoben; zugleich sind für eine bestimmte Annahme
von u als dritten Kreis durch wagrechtes Schraffiren die bei η) in Be-
tracht kommenden Flächen ub resp. ub1 sichtbar gemacht, und damit
auch die Generalwerte a ÷ b und a : : b soweit möglich (nämlich exempli-
ficando) veranschaulicht.
Fig. 20+
Fig. 20×
Wie wir gesehen, liesse sich der Subtraktion wol noch einige
Wichtigkeit für die Technik des identischen Kalkuls zuerkennen, indem
bei den Übersetzungen aus Wort- in Zeichensprache, oder umgekehrt
— namentlich also bei der Einkleidung von Textaufgaben behufs ihrer
rechnerischen Behandlung, sodann bei der Interpretation der Rechnungs-
ergebnisse mittelst Worten — diese Operation in Betracht kommen
wird, wo immer Ausnahmen zu konstatiren sind oder gefordert werden.
Aus diesem Grunde, dessengleichen bei der Division nicht vor-
liegt, wollen wir nun der Subtraktion noch einige Betrachtungen
widmen (dem Leser es überlassend, sich das dual Entsprechende be-
züglich der Division gewünschtenfalles selbst zum Bewusstsein zu
bringen).
Von den Gesetzen der eindeutigen Subtraktion ist vor allem das
„Distributionsgesetz“ (derselben) zu beachten:
τ) a (b — c) = a b — a c oder (b — c) a = b a — c a,
von welchem auch in den Diskussionen des gemeinen Lebens allgemein
Gebrauch gemacht wird.
Z. B. Der europäische ohne den russischen Handel ist der europäische
Handel ohne den russischen Handel. Die geflügelten Tiere mit Ausnahme
der Insekten sind die geflügelten Tiere mit Ausnahme der geflügelten In-
sekten und vice versā. Etc.
Der Beweis des Satzes ergibt sich am einfachsten, indem man
die beiden Seiten der Formel nach dem Schema ϰ) evaluirt. In der
That hat die linke Seite derselben die Bedeutung a (b — c) = a b c1
mit der Valenzbedingung b1c = 0; und die rechte Seite der Formel
hat den Wert:
a b — a c = a b (a c)1 = a b (a1 + c1) = a b c1
mit der Valenzbedingung
(a b)1a c = (a1 + b1) a c = a b1c = 0.
Unter der Voraussetzung also, dass die Ausdrücke zu beiden Seiten
der Formel nur überhaupt einen Sinn haben — eine Voraussetzung,
die man füglich als eine „selbstverständliche“ bezeichnen kann — werden
diese beiderseitigen Ausdrücke das Nämliche (nämlich a b c1) bedeuten
und ist die Gültigkeit der Formel unanfechtbar. Bedingung dafür ist
die vereinigte Gleichung der beiderseitigen Valenzbedingungen, welche
im vorliegenden Falle aber auf die erste, die linkseitige Valenz-
bedingung sich reduzirt, indem diese, nämlich b1c = 0, schon von
selber auch die andre a b1c = 0 zur Folge hat.
Immerhin ist nicht zu übersehen, dass die Valenzbedingungen für die
beiden Seiten der Gleichung τ) verschiedene sind, dass die linke Seite, um
einen Sinn zu haben, mehr verlangte, als die rechte. Man kann daher
durch unbedachte Anwendung des Satzes in Fehler verfallen, und es ist
z. B. aa — a oder a · a — a · 1 nicht = a (a — 1), weil die Valenzbedingung
für die Differenz a — 1, das wäre a1 = 0, im allgemeinen nicht erfüllt ist,
während andrerseits a a — a sehr wohl einen Sinn, nämlich den Wert 0 hat.
Im übrigen kann auf Grund von τ) der Satz des Widerspruchs oder
die Formel 30×) sub ξ) a (1 — a) = 0 jetzt aufgelöst werden in a — a a = 0
und erscheint er darnach als eine blosse Umschreibung des Tautologie-
gesetzes 14×) a a = a — eine Auffassung, welche besonders Boole betonte.
Für die Wortsprache ist die Ausserachtlassung der Verschiedenartig-
keit jener beiderseitigen Valenzbedingungen nicht verfänglich und zwar wegen
der oben erwähnten Licenz, deren sie sich beim Statuiren von Ausnahmen
erfrent. Ein Beispiel wird dies deutlich machen.
Es möge a = betrunken, b = Heide, c = Grönländer bedeuten.
Nehmen wir an, dass es betrunkene Grönländer gar nicht gibt, sintemal
man auf Grönland nur in Leberthran kneipt, so wird der Satz an-
zuerkennen sein, dass die betrunkenen Heiden ohne die Grönländer einerlei
sind mit den betrunkenen Heiden ohne die betrunkenen Grönländer, das
ist a b — a c, welches wegen a c = 0 sich in a b zusammenzieht! Keines-
wegs dürfte aber a (b — c) hiefür geschrieben werden, in Anbetracht, dass
nicht alle Grönländer Heiden zu sein brauchen oder wirklich sind, man
[492]Zwölfte Vorlesung.
daher von den Heiden b exakt auch nicht die Grönländer c subtrahirend
ausnehmen kann, sondern nur die grönländischen Heiden b c. Es würde
darnach der Ausdruck b — c schon jeglichen Sinnes baar sein, und wäre
es nur zulässig die Klasse b — b c = b (1 — c) = b c1 zu bilden.
Um uns auch über die sonstigen Gesetze der logischen Subtrak-
tion möglichst rasch zu orientiren, will ich zunächst in übersichtlicher
Formelzusammenstellung die fundamentalen Sätze der arithmetischen
Subtraktion zur Vergleichung hersetzen.
Soweit dieselben auf nicht mehr als drei allgemeine Zahlen Bezug
haben, können letztere — vergl. meine Schriften 1 und 2 — in folgende
vier Gruppen gebracht werden:
Nach dem Schema ϰ) können wir nun für jeden der hier verglichenen
Ausdrücke den Wert angeben, der demselben im identischen Kalkul beizu-
legen ist. Desgleichen vermögen wir nach dem Schema δ) auch seine
Valenzbedingung anzusetzen, oder, wo mehrere Minuszeichen in dem Aus-
druck vorkommen, seine sämtlichen Valenzbedingungen, welche wir dann
zu einer einzigen Gleichung vereinigen mögen. Mit Rücksicht auf diese
seine Valenzbedingung (schlechtweg) können wir endlich jeden Ausdruck
nötigenfalls entwickeln nach den Symbolen, a, b, (c), aus welchen er auf-
gebaut ist.
Sonach ist es dann weiter keine Kunst, zuzusehen, ob (und unter
welchen Bedingungen) die in der Arithmetik gleichwertigen Ausdrücke
auch im identischen Kalkul übereinstimmen und um welche Terme sie sich
andernfalles unterscheiden.
Es stellt sich heraus, dass von den in der Arithmetik geltenden
Gleichungen so ziemlich die Hälfte auch im identischen Kalkul Geltung
besitzt unter der Voraussetzung, dass die Ausdrücke beiderseits gleichzeitig
einen Sinn besitzen, d. h. unter den aus dem Anglick der beiden Seiten
selbst ersichtlichen Valenzbedingungen.
Unter Zugrundelegung derselben Annahme (der „vereinigten“ Valenz-
bedingung der Gleichung) bedarf die andere Hälfte der Gleichungen, um
im identischen Kalkul gültig zu werden der Hinzufügung eines Korrektions-
gliedes auf der einen Seite derselben — eines additiven oder subtraktiven
Gliedes, welches eines allgemeinen Ausdrucks selber fähig ist.
Es würde zu weit führen, wenn wir für alle Kombinationen der vor-
stehend unter v) einander gleichgesetzten Ausdrücke dies hier im einzelnen
rechtfertigend durchführen wollten. Jede von den einschlägigen Unter-
suchungen nebst ihrer geometrischen Deutung kann als eine interessante
oder wenigstens zuträgliche Übung, geistige Gymnastik für den Anfänger
empfohlen werden.
Von den nicht unmodifizirt geltenden Sätzen sei deshalb nur weniges
speziell hervorgehoben.
Zu v1) haben wir insbesondere:
φ) (a + b) — b = a — a b oder a — b
das ist a b1. Korrektionsglied ist mithin — a b oder — b. Es wäre nicht
erlaubt, den Ausdruck, wie in der Arithmetik, auf a zu reduziren. Z. B.
Die Begüterten und die Adeligen, ohne die Begüterten, sind nicht
etwa schlechtweg die Adeligen, sondern nur die unbegüterten Adeligen
(R. Grassmann).
Zu v2) gilt beispielsweise:
χ) a + (b — c) = {(a + b) — c} + a c;
Korrektionsglied mithin: + a c. Die Reihenfolge, in welcher Additionen
und Subtraktionen vollzogen werden, ist also im identischen Kalkul nicht
gleichgültig.
Die Sätze v3) dagegen gelten auch im identischen Kalkul ganz un-
verändert.
Zu v4) haben wir exempli gratia:
ψ) (a + c) — (b + c) = (a — b)(1 — c),
das Korrektionsglied ist also — (a — b) c. Hieraus ersieht man, dass ein
übereinstimmender Bestandteil (Summand, c) von Minuend und Subtrahend
einer Differenz jedenfalls dann unterdrückt, die Differenz also immer dann
mit ihm „gekürzt“ werden darf, wenn derselbe gegen die andern Bestand-
teile disjunkt, wenn nämlich c a = 0 und c b = 0 ist: beim Subtrahiren
reduzirter Summen von einander sind übereinstimmende Terme unbedenklich
zu streichen.
Statt nach den Gesetzen der eindeutigen kann man auch nach
denen der volldeutigen Subtraktion fragen.
Man findet, dass die Regel der Arithmetik für das distributive Aus-
multipliziren einer Differenz (sowie umgekehrt für das Ausscheiden eines
gemeinsamen Faktors im Minuend und Subtrahend einer solchen):
ω1) a (b ÷ c) = a b ÷ a c
auch hier Geltung hat, indem nach dem Schema η) sich übereinstimmend
a b (c1 + u) als Wert der beiden Seiten ergibt unter der schon bei τ) er-
wähnten Valenzbedingung b1c = 0, die man als eine selbstverständliche
auch unerwähnt lassen könnte auf Grund des Axioms, dass ein Satz nur
Geltung beanspruchen kann für diejenigen Fälle, für welche Dasjenige,
worüber er aussagt, einen Sinn besitzt.
Ferner ergeben sich die Werte der nachstehend untereinandergestellten
[494]Zwölfte Vorlesung.
Elementarausdrücke, wenu man die rechts neben sie gestellten Gleichungen,
eventuell — wo sie vorkommen — unter Elimination von y und z, ge-
mäss der Methode des § 21 nach der Unbekannten x auflöst:
und so weiter. Valenzbedingung ist jeweils die Resultante der Elimination
von x, y, z.
Hier steht jedoch noch ein andrer Weg offen: man kann auch das
Schema η) eventuell wiederholt als Vorschrift benutzen, um die verlangten
Ausdrücke darnach aufzubauen, wobei man mit den Inhalten der Klammern
beginnend successive nach aussen fortschreiten wird. Dieses Verfahren —
bei ω1) oben von uns angewendet — ist das bequemere da, wo nur ein
÷ Zeichen sich in dem Ausdrucke vorfindet. Wo aber deren mehrere auf-
treten, würde so in das Ergebniss eine Mehrzahl von arbiträren Para-
metern u, v, w eingehen, die dann nach unserm Zusatze zu Th. 48+) auf
einen einzigen erst noch zurückgeführt werden müssten.
Hat man so (auf die eine oder andere Weise) die Elementarausdrücke
berechnet, so unterliegt die Vergleichung derselben wiederum keiner
Schwierigkeit, und wird man ähnliche Wahrnehmungen, wie oben bei den
eindeutigen Ausdrücken, machen.
Insbesondere möge noch der Leser untersuchen, ob allgemein, oder
unter welchen Bedingungen die Ausdrücke
ω3) (a + c) ÷ (b + d) und (a ÷ b) + (c ÷ d)
für einander gesetzt werden dürfen, desgl. für die einfachen Minuszeichen.
Wol genügen aber schon die bisherigen Studien um ein Bild zu
geben von den Schwierigkeiten oder besser Unbequemlichkeiten, mit
welchen man fortgesetzt sich zu placken hätte, wollte man etwa nach
den solchergestalt für die Exception und Abstraktion geltenden Formeln
wirklich rechnen. Als empfindlichster Misstand würde sich der Um-
stand fühlbar machen, dass die Regeln nicht unbedingt gültig, die
Transformation von Ausdrücken nach denselben nicht allgemein zu-
lässig sind, sondern an die von mir so genannten Valenzbedingungen
als an eine jeweilige Voraussetzung geknüpft erscheinen. Sodann sind
die mittelst des Korrektionsglieds modifizirten Sätze auch weniger
einfach, als die entsprechenden in der Arithmetik, und analoge Ver-
[495]§ 23. Die inversen Operationen des Kalkuls.
einfachungen, wie sie letztere Disziplin noch obendrein durch die Ein-
führung der „negativen“ Zahlen für den ganzen Komplex ihrer ein-
schlägigen Sätze erzielt hat, wären hier nicht anzubringen. Die Sätze
würden hier, zumal bei ihrer nicht unerheblichen wol kaum verminder-
baren Anzahl, auch schwer zu behalten sein und müssten jedesmal
bei der Anwendung samt ihren Gültigkeitsbedingungen nachgeschlagen
werden — gewiss eine höchst unerquickliche Zumutung! Und
anderes mehr.
Es ist darum nur zu beglückwünschen, dass durch das Studium
einzig ihres gemeinsamen Spezialfalles, der Negation, die weitere An-
wendung der inversen Operationen des Kalkuls entbehrlich und über-
flüssig geworden.
Der Studirende möge deshalb auch einen Ausdruck wie „die a
ohne die b“, „die a mit Ausnahme der b“ künftighin nicht mit a — a b
resp. a — b sondern nur mit a b1 in die Zeichensprache übertragen. In
der That ist der Ausdruck mit: „die a, welche nicht b sind“ augen-
scheinlich äquivalent. —
Zum Schlusse sei noch erwähnt, dass die Darstellung η) des
Generalwerts der Differenz sich auch unter dem Gesichtspunkt des
Th. 44+) Zusatz 1 für die Entwickelung einer Funktion f (a, b) = a ÷ b
nach ihren Argumenten darstellen, nachträglich ableiten lässt. Nach
diesem Satze nämlich müssten wir haben:
α1) a ÷ b = (1 ÷ 1) a b + (1 ÷ 0) a b1 + (0 ÷ 1) a1b + (0 ÷ 0) a1b1.
Nun ist der Koeffizient 0 ÷ 1 sinnlos — vergl. das unter σ) Gesagte.
Damit der sinnlose Term aus dem Ausdruck fortfalle, wird der zu-
gehörige Konstituent a1b = 0 sein müssen, was uns die Valenz-
bedingung liefert.
Nach den unter λ) angegebenen Spezialwerten (die auch durch ge-
sonderte Überlegungen hätten unabhängig ermittelt werden können) sind:
1 ÷ 1 = u, 1 ÷ 0 = 1 und 0 ÷ 0 = 0
für die übrigen Koeffizienten einzusetzen und ergibt sich:
a ÷ b = u a b + a b1
in Übereinstimmung mit η).
Analog dual entsprechend für den Generalwert des Quotienten.
Das Theorem 44+) nebst Korollaren wird in dieser Weise auch
für die unter Konkurrenz inverser Operationen aufgebauten Funktions-
ausdrücke gültig bleiben, wenn man es durch die Zusatzbemerkung
ergänzt, dass diejenigen Konstituenten, deren Koeffizienten undeutig aus-
[496]Zwölfte Vorlesung.
fallen, für sich gleich 0 gesetzt werden müssen und so die Valenzbedingung
für den Funktionsausdruck liefern.
Die vorstehende nähert sich der Art und Weise auf welche Boole
seine inversen Operationsergebnisse ermittelte.
Die wesentlichsten in diesem Paragraphen gewonnenen Ergebnisse,
seinerzeit im Operationskreis2 von mir mitgeteilt, habe ich nachträglich als
von Herrn Peirce in seiner Schrift1a schon früher veröffentlichte vor-
gefunden.
Die zur Vervollständigung der Theorie hiernächst von uns angestellten
Betrachtungen können bei erstmaliger Lektüre des Buches überschlagen
werden — es sei denn, dass der Anfänger sie benntzen wolle um sich im
identischen Rechnen zu üben. Dieselben scheinen mir vorwiegend ein theo-
retisches Interesse zu besitzen — von eigentümlichem Reiz vielleicht für
den Mathematiker — dagegen praktische Verwertbarkeit wol erst für eine
fernere Zukunft in Aussicht zu stellen.
Ein nicht ganz leichtes Problem ist es, das uns hier noch zu be-
schäftigen hat, da seine Lösung unter Umständen wünschenswert er-
scheinen kann. Dasselbe bezieht sich auf den Fall, wo nach einer Mehr-
zahl von unbekannten Gebieten oder Klassen gleichzeitig gefragt wird.
Hier kam es darauf an, die sämtlichen Wertsysteme, und nur
solche, anzugeben, welche für die Unbekannten x, y, z, … in die ver-
einigte Gleichung des Problems bezüglich eingesetzt, dieselbe erfüllen.
In § 22, unter ϑ) sqq. gelang uns dieses, indem wir die vereinigte
Gleichung nach dem System der Unbekannten allgemein auflösen, ihre
Wurzeln wirklich „berechnen“, d. h. unter Zuhülfenahme arbiträrer Para-
meter u, v, w, … Ausdrücke für dieselben aufzustellen lernten, welche
bei beliebiger Deutung jener Parameter uns allemal ein System von
Wurzeln, ein solches aber auf jede mögliche Weise, liefern mussten.
Zu dem Ende mussten aber die Unbekannten successive (eliminirt
und in der umgekehrten Ordnung) berechnet werden und die für die-
selben als Wurzeln erhaltenen Ausdrücke erwiesen sich nach ihrem
ganzen Baue — „formell“ — abhängig von der dabei eingehaltenen
Reihenfolge.
Die zuerst berechnete Unbekannte enthielt z. B. in ihrem Aus-
druck nur einen willkürlichen Parameter, die nach dieser berechnete
dazu noch einen weiteren, mithin deren zweie, die nächstberechnete
ihrer dreie, u. s. w. Es konnte auch vorkommen, dass bei der letzten
Elimination (eine oder) mehrere Unbekannte auf einmal herausfielen.
Diese mussten dann unbestimmt, willkürlich bleiben und waren durch
sie hernach die übrigen Unbekannten auszudrücken. Auf diese Weise
[497]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
wurden bei der Auflösung einzelne Unbekannte vor den andern bevor-
zugt, und solches war sogar der Fall, wenn auch die urspüngliche Auf-
gabe „symmetrisch“ erschien bezüglich sämtlicher Unbekannten oder
auch einer gewissen Gruppe von solchen, wenn die vereinigte Gleichung
durch gewisse unter den Unbekannten vorgenommene Vertauschungen
— in Verbindung vielleicht mit einer gleichzeitigen Vertauschung unter
ihren gegebenen Parametern a, b, c, … — ungeändert blieb, nur in
sich selbst transformirt wurde.
So ist z. B. die Gleichung x y = 0 bezüglich x und y symmetrisch.
Elimination von y gibt 0 = 0 (womit also auch x von selbst heraus-
gefallen); mithin kann x als willkürlich hingestellt werden, und darnach
berechnet sich dann: y = v x1. Somit stellen uns die Gleichungen:
x = x, y = v x1
bei beliebigem x und v in der That jedes System von Wurzeln vor; man
könnte auch sagen:
x = u, y = v u1
bei beliebigen u, v.
Hätten wir aber die umgekehrte Reihenfolge bei der Auflösung vor-
gezogen, so würden wir in Gestalt von y = y, x = u y1, oder:
x = u v1, y = v
zur Darstellung von ebendiesen Wurzelpaaren gelangt sein.
Eine gerechtfertigte, rationelle Anforderung ist es, nunmehr zu
verlangen, dass die Darstellung für die Wurzelnsysteme von dem bei
dem Auflösungsverfahren befolgten modus procedendi unabhängig er-
scheinen sollen, und dass insbesondere alle diejenigen Vertauschungen
einerseits zwischen den Unbekannten x, y, z, … andrerseits zwischen
den gegebenen Parametern a, b, … welche die Data des Problems
ungeändert lassen, nämlich die vereinigte Gleichung desselben in sich
selbst transformiren, auch das System der Lösungen nicht affiziren,
nämlich die Darstellungen der verschiedenen Wurzeln nur auf einander
zurückführen, wofern sie noch mit geeigneten Vertauschungen unter
den neu hinzugekommenen Symbolen, den willkürlichen Parametern,
verbunden werden.
Um diesen Anforderungen zu genügen, dürfen nun jedenfalls nicht
mehr einzelne Unbekannte direkt durch andere von ihnen ausgedrückt
werden, wo letztere unbestimmt bleiben; vielmehr müssen jetzt alle
Wurzeln ausgedrückt werden lediglich durch die gegebenen Parameter
a, b, c, ‥ (oder die Koeffizienten der nach den Unbekannten ent-
wickelten vereinigten Gleichung) und durch willkürliche oder „unab-
hängige“ Parameter.
Dergleichen arbiträre Gebiete (welche wir bisher mit Vorliebe u,
v, w genannt haben), will ich in diesem Paragraphen ausschliesslich
durch griechische Buchstaben (des kleinen Alphabetes) darstellen, sodass
auch umgekehrt jeder solche uns stets ein vollkommen willkürliches
Gebiet bedeutet.
Ein durch solche Parameter ausgedrücktes System von Wurzeln
wird als ein richtiges, als eine Lösung der gegebenen Relation oder
vereinigten Gleichung zu bezeichnen sein, wenn dasselbe, in die
Gleichung eingesetzt, diese in eine analytische Identität verwandelt;
es darf also durch die Einsetzung nicht etwa eine „Relation“ zwischen
den Parametern sich ergeben.
Und als die allgemein(st)e Lösung wird es zu bezeichnen sein,
wenn jedes beliebige die vereinigte Gleichung erfüllende Wertsystem
x, y, z, … der Unbekannten aus den für die Wurzeln aufgestellten
Ausdrücken dadurch erhalten werden kann, dass man den in sie ein-
gehenden Parametern geeignete partikulare oder besondere Werte
beilegt.
Die Forderung der „Symmetrie“ haben wir oben schon charakterisirt.
Ein allen diesen Anforderungen genügendes System von Aus-
drücken (resp. von Gleichungen, in welchen linkerhand die Unbekannten
sämtlich isolirt erscheinen, rechterhand nur die Koeffizienten mit will-
kürlichen Parametern verbunden erscheinen) nennen wir eine „symme-
trisch allgemeine“ Lösung des vorgelegten Problems.
Man mag noch ausserdem verlangen, dass die Anzahl der ver-
wendeten arbiträren Parameter nicht grösser sei, als unumgänglich.
Ich werde nunmehr die vorstehend charakterisirte Aufgabe für
eine Reihe von Einzelfällen lösen — die wichtigsten, von elementarer
Natur. Es zeigt sich, dass die gefundenen Lösungen immer leicht als
solche, die allen Anforderungen wirklich genügen, zu bewahrheiten
sind. Weinger leicht sind sie manchmal zu entdecken.
Zu ihrer Auffindung verfüge ich bis jetzt erst über den Anfang
einer allgemeinen Methode. Der erste Schritt von dieser — bei jedem
Problem der gleiche — führt nicht selten schon sofort zum End-
ergebnisse. Manchmal aber wird man durch denselben zunächst in
einen Zirkel geführt, aus welchem es bis jetzt nicht möglich erscheint,
ohne besondere Kunstgriffe herauszukommen. Die Methode bedarf
also noch weiterer Ausgestaltung. Was über dieselbe zu sagen ist,
will ich gelegentlich der Beispiele auseinandersetzen.
Ich beginne mit der folgenden (unbegrenzten) Reihe von funda-
mentalen Problemen.
Aufgabe 1. Es soll die Gleichung
x y = 0
„symmetrisch allgemein“ nach den Unbekannten x und y aufgelöst werden.
Die Auflösung wird dargestellt durch die Gleichungen:
x = α β1ω1 + α1β ω, y = α1β ω1 + α β1ω,
worin, wie vorbemerkt, α, β und ω ganz beliebige Gebiete bedeuten.
Aufgabe 2. Ebenso nach x, y, z die Gleichung
x y z = 0
symmetrisch allgemein zu lösen.
Auflösung:
x = α (β1 + γ1) ω1 + α1 (β + γ) ω,
y = β (γ1 + α1) ω1 + β1 (γ + α) ω,
z = γ (α1 + β1) ω1 + γ1 (α + β) ω.
Aufgabe 3. Desgleichen nach x, y, z, w aufzulösen die Gleichung:
x y z w = 0.
Auflösung:
x = α (β1 + γ1 + δ1) ω1 + α1 (β + γ + δ) ω,
y = β (α1 + γ1 + δ1) ω1 + β1 (α + γ + δ) ω,
z = γ (α1 + β1 + δ1) ω1 + γ1 (α + β + δ) ω,
w = δ (α1 + β1 + γ1) ω1 + δ1 (α + β + γ) ω.
Und so weiter: das Bildungsgesetz für beliebig viele Faktoren des
zum Verschwinden zu bringenden Produktes ist ersichtlich.
Beweis. Erstens stimmt bei ganz unbestimmt gelassenen will-
kürlichen Gebieten ω, α, β, γ, δ, … für die angegebenen Wurzelwerte
die Probe der Auflösung — wie dies leicht nachzurechnen ist.
Die Auflösungen sind also jedenfalls richtige.
Zweitens sind sie aber auch die allgemeinsten, wie ich für Auf-
gabe 3 näher nachweisen will (ganz analog ist es auch für die vor-
hergehenden beiden Aufgaben zu leisten, etc.).
Ist x, y, z, w irgend ein Wertsystem oder System von gegebenen
Gebieten, welche die Anforderung x y z w = 0 erfüllen, so kann man
immer unsre Parameter ω, α, β, γ, δ so bestimmen, dass unsre Aus-
drücke für die Wurzeln gerade dieses Wertsystem liefern. In der That
genügt es, zu diesem Zwecke etwa:
ω = 0 und α = x, β = y, γ = z, δ = w
selbst zu denken.
Um dies darzuthun muss nur erkannt werden, dass die Gleichung:
x = x (y1 + z1 + w1)
unter der Voraussetzung 0 = x y z w eine richtige Identität ist. Ad-
diren wir aber diese letztere überschiebend zu der vorigen Gleichung,
so entsteht:
x = x (y1 + z1 + w1 + y z w) = x · 1 = x,
in Anbetracht, dass wegen y1 + z1 + w1 = (y z w)1 der Inhalt der Klammer
rechts gleich 1 sein muss — cf. Th. 36×) und 30+).
Und analog bezüglich der übrigen Unbekannten. Ebenso würde
mit den Annahmen
ω = 1, α = x1, β = y1, γ = z1, δ = w1
der Nachweis gelungen sein.
Es ist also wirklich jede denkbare Lösung, jedes der Forderung
x y z w = 0 genügende Wertsystem in unsern Ausdrücken für die
Wurzeln enthalten.
Und drittens gleichwie die Aufgabe in Bezug auf sämtliche Un-
bekannte symmetrisch war, so sind es auch unsre Resultate, indem
durch Vertauschungen unter den Parametern α, β, γ, δ augenscheinlich
die verschiedenen Wurzeln nur in einander übergeführt werden, das
System der Lösungen aber, wenn zugleich auch diese Wurzeln ver-
tauscht werden, als Ganzes unverändert bleibt.
Wir sind darnach mit dem Beweis zu Ende. —
Unsre Lösungen sind sogar symmetrisch in Bezug auf die Gruppe
der Parameter und diejenige ihrer Negationen, indem bei Vertauschung
von ω, α, β, γ, δ mit bezüglich ω1, α1, β1, γ1, δ1 die Ausdrücke wesent-
lich ungeändert bleiben, nur in sich selbst wieder übergehen.
Letztere Eigenschaft ist ein Luxus. Man kann sie preisgeben und
dafür den Vorteil erkaufen, dass man mit einem Parameter weniger
auskommt.
Wie im zweiten Teil des Beweises sich offenbarte sind nämlich
auch die für die spezielle Annahme ω = 1 (oder auch = 0) sich er-
gebenden Ausdrücke schon die allgemeinsten Lösungen und kann man
also sagen, dass auch durch die Formeln:
x = α1 (β + γ + δ)
y = β1 (γ + δ + α)
z = γ1 (δ + α + β)
w = δ1 (α + β + γ)
[501]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
die Gleichung x y z w = 0 schon symmetrisch allgemein gelöst wird,
wobei wir nun nicht mehr Parameter, als Unbekannte haben.
Analog auch für die übrigen Aufgaben: es wird z. B.
x = α β1, y = α1β
die einfachst mögliche symmetrisch allgemeine Lösung der Gleichung
x y = 0 sein. Etc.
Zur Auffindung der angegebenen Lösungen kann man heuristisch
sich leiten lassen durch die folgende Überlegung.
Soll x y z w = 0 sein, so müssen wir nach Th. 43) Zusatz haben:
x = α (y z w)1 = α (y1 + z1 + w1) und ist damit die allgemeine Form
gefunden, in welcher x sich durch vier andre Gebiete α, y, z, w aus-
drücken lässt; symmetriehalber muss das Analoge in Bezug auf die
übrigen Unbekannten der Fall sein, sich also y durch β, x, z, w aus-
drücken lassen, etc. Würden wir aber dieses Schema zum Vorbild
nehmen, so bekämen wir noch mit einer übergrossen Anzahl von
Parametern zu thun (die auch nicht von einander unabhängig bleiben
dürften).
Vorteilhafter ist darum die Bemerkung, dass nach bekannten
Sätzen — cf. Th. 38) Zus. und Th. 20) — eine Gleichung ab = 0 äqui-
valent ist (der Subsumtion a ⋹ b1 und folglich auch) der Gleichung
a = a b1 (wie dies, wegen a = a b1 + a b, auch leicht ganz direkt nach-
zuweisen). Aus der Gleichung x y z w = 0 erhalten wir also:
x = x (y1 + z1 + w1), y = y (z1 + w1 + x1), etc.
Ersetzt man hier rechterhand die Symbole x, y, z, w selbst durch un-
bestimmt gelassene Parameter α, β, γ, δ so erhält man jedenfalls sym-
metrische Darstellungen für die vier Unbekannten, welche fähig sind
jedes gegebene Wertsystem der Wurzeln bei geeigneter Bestimmung
der Parameter (nämlich für die Annahme α = x, β = y, etc. der-
selben) auch wirklich zu liefern, und ist mit diesen Darstellungen nur
die Probe noch zu machen, ob sie auch für alle möglichen Werte
dieser Parameter schon die Forderung, dass x y z w = 0 werde, erfüllen
— und siehe da: die Probe stimmt!
Die damit gewonnenen symmetrisch allgemeinen Lösungen:
x = α (β1 + γ1 + δ1), y = β (γ1 + δ1 + α1), etc.
bleiben jedenfalls ebensolche, wenn man sie noch mit einem weitern un-
bestimmten Parameter ω1 multiplizirt, und aus den Darstellungen gehen
dann ebenso berechtigte hervor, indem man sämtliche Parameter mit ihren
Negationen vertauscht. Aus den beiden Systemen von Ausdrücken ergeben
sich endlich durch additive Vereinigung der entsprechenden neue, an-
scheinend die allgemeinsten (in Wahrheit aber nur ebenso allgemeine) die
[502]Zwölfte Vorlesung.
ebenfalls die Forderung x y z w = 0 erfüllen müssen, in Anbetracht, dass
sie nach ω samt und sonders entwickelt erscheinen und man also behufs
Multiplikation derselben nur die Koeffizienten ihrer gleichnamigen Glieder
übereinander zu legen braucht.
Um die beim vorstehenden Spezialproblem erlangten Fingerzeige
in der Richtung einer zum Ziel führenden Methode zu verallgemeinern,
müssen wir noch dem Th. 50) eine neue Ausdrucksform geben, durch
welche dasselbe mit dem Zusatze zum Th. 47+) in Zusammenhang ge-
bracht wird. Das letztere sagte (mit neuer Bezeichnung) aus, dass
sooft A ⋹ x ⋹ B ist, auch immer A x1 + B x = x sein müsse. Sagen
wir hier b für A und a1 für B, so gelangen wir — in Anbetracht,
dass die Gleichung a x + b x1 = 0 auch mit der Doppelsubsumtion
b ⋹ x ⋹ a1 nach Th. 49+) äquivalent ist, zu dem Satze, den wir be-
zeichnen als das
Hülfstheorem des § 24: Die Gleichung a x + b x1 = 0 ist äqui-
valent der:
x = b x1 + a1x.
In der That kann diese Äquivalenz auch leicht direkt nachgewiesen
werden, indem man einfach die letztere rechterhand auf 0 bringt.
Die letztere Gleichung, obwol sie rechterhand die Unbekannte x selbst
noch enthält, kann gleichwol als eine partikulare „Lösung“ der erstern hin-
gestellt werden, in Anbetracht, dass sie aus der allgemeinen Lösung
x = b u1 + a1u auch hervorgeht, indem man den willkürlichen Parameter u
gleich x selbst annimmt. Sie stellt aber mit gleichem Rechte jede
Partikularlösung vor, indem es offen blieb, welche von diesen unter x
gedacht wurde.
Man könnte, im Hinblick auf die erste, unsre zweite Gleichung
auch noch zu:
x = a1x
(mittelst Unterdrückung von b x1, welches ja 0 sein sollte) vereinfachen.
Für unsre beabsichtigten Anwendungen wird sich dieses aber nur
selten empfehlen, — so, natürlich, wenn der Term b x1 analytisch ver-
schwinden sollte, wie es oben bei Aufgabe 4, wo b = 0 war, der Fall
gewesen.
Wir werden darnach ein Arbeiten nach dem „vollen“ und ein
solches nach dem „verkürzten“ Schema unsres Hülfstheorems zu unter-
scheiden haben.
Nach obigem Hülfstheorem können wir nun die vereinigte Gleichung
unsres Problems nach irgend einer Unbekannten so auflösen, dass wir
ohne Zuhülfenahme eines arbiträren Parameters diese Unbekannte durch
[503]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
sich selbst und durch die übrigen Unbekannten linear und eindeutig
ausdrücken.
Thun wir dies für jede Unbekannte, so erhalten wir ein System
von Gleichungen, deren jede mit der ursprünglichen vereinigten Gleichung
äquivalent ist (und je für eine Unbekannte einen Ausdruck angibt).
Jede Vertauschung von Symbolen, welche die ursprüngliche Glei-
chung in sich selbst verwandelt, muss darum auch bei dem System
dieser aus ihr gezogenen Folgerungen zulässig sein, dasselbe in sich
selbst verwandeln.
In unsern Darstellungen für die Unbekannten kommen nun freilich
rechterhand neben den Koeffizienten der vereinigten Gleichung auch
diese Unbekannten selbst wieder vor. Ersetzt man aber (blos rechter-
hand) jede einzelne von diesen letztern durchweg durch einen besondern
nunmehr unbestimmt zu lassenden Parameter oder griechischen Buch-
staben, so wird man ein allgemeineres System von Darstellungen für
die Unbekannten erhalten, welches jedenfalls fähig ist, ein jedes be-
sondere System von Wurzelwerten (für gewisse Parameterwerte) dar-
zustellen, welches (m. a. W.) alle Wurzelsysteme notwendig mitumfasst
oder in sich begreift.
Ausserdem wird dieses System von Gleichungen unfehlbar die An-
forderungen der Symmetrie auch erfüllen. Wenn nämlich vor der Er-
setzung durch die griechischen Buchstaben eine Gleichung des Systems
aus einer andern hervorging durch eine vielleicht zwischen den Koef-
fizienten und jedenfalls auch zwischen den Unbekannten der vereinigten
Gleichung vorgenommene Vertauschung, so muss das gleiche auch
nach jener Ersetzung noch der Fall sein sobald man nur mit der Ver-
tauschung eben der Unbekannten auch die entsprechende zwischen den
für sie eingesetzten griechischen Parametern parallel gehen lässt.
Also die Anforderung der Allgemeinheit und die Anforderung der
Symmetrie erfüllen bereits die so gewonnenen Darstellungen für die
Unbekannten. Um sie als „symmetrisch allgemeine Lösungen“ der
vereinigten Gleichung hinstellen zu dürfen, müssen wir nur noch zu-
sehen, ob sie auch Lösungen derselben sind, ob sie als Wurzeln die-
selbe erfüllen schon bei beliebig gelassenen Parameterwerten. Zu dem
Ende ist nunmehr die Probe zu machen; die Ausdrücke sind für die
Unbekannten in die vereinigte Gleichung einzusetzen.
Nicht selten, wie gesagt, stimmt diese Probe: es resultirt aus der
Substitution der Ausdrücke, die wir dann als die „Wurzeln“ bezeichnen
dürfen, eine von den Parametern analytisch erfüllte Identität; man ist
schon mit dem einen geschilderten als dem ersten Schritt der Methode
am Ziele.
Zuweilen aber führt die Einsetzung jener Darstellungen für die
Unbekannten zu einer Relation zwischen den Parametern, welche von
diesen erst erfüllt werden müsste. Die Aufgabe ist alsdann wenigstens
auf die andre zurückgeführt: diese Relation nunmehr nach besagten
Parametern als Unbekannten symmetrisch allgemein zu lösen. Hätten
wir schon deren Wurzeln, so würde ihre Substitution in die früheren
Gleichungen uns auch die ursprünglichen Unbekannten darstellen lehren.
Die Hülfsaufgabe, auf die wir so geführt werden, kann sehr viel
einfacher und leichter sein, als wie die ursprüngliche, in welchen
Fällen wir schrittweise zum Ziel gelangen werden. Allein es kommt
auch vor, dass die für die Parameter resultirende Relation oder Hülfs-
gleichung genau von derselben Form ist, wie die ursprüngliche ver-
einigte Gleichung in Bezug auf die ursprünglichen Unbekannten es
war, sodass das Problem wesentlich — bis auf die nunmehr durch
andere vertretenen Namen der Unbekannten (und vielleicht Koeffizien-
ten) — dasselbe geblieben ist, und es, auf die gleiche Art von neuem
in Angriff genommen, in Ewigkeit bleiben müsste. Alsdann vermögen
nur andersartige Kunstgriffe aus dem Zirkel herauszuführen — wofern
überhaupt das Problem ein lösbares.
Es werden fernere Beispiele dies nach und nach illustriren.
Aufgabe 4. Die Subsumtion:
x ⋹ y
nach x und y symmetrisch allgemein zu lösen.
Auflösung. Die Gleichung x y1 = 0, mit der unsre Subsumtion
äquivalent, ist dies auch wieder mit den beiden:
x = x y und y = x + y.
Nach der auseinandergesetzten Methode gelangen wir also zu den
Formeln:
x = α β ω1 + α1β1ω, y = (α + β) ω1 + (α1 + β1) ω
welche auch schon für ω = 0 angesetzt werden konnten als:
x = α β, y = α + β,
und die Aufgabe lösen.
Ebenso konnte aber auch die Lösung schon aus der bei Aufgabe 1
gegebenen abgeleitet werden, indem man nach dortigen Schemata die Glei-
chung x y1 = 0 symmetrisch allgemein löst nach den Unbekannten x und
y1; für diese hat man die l. c. aufgestellten Ausdrücke und ergibt noch
aus dem letztern sich y selbst durch beiderseitiges Negiren. Man bekommt
die nämlichen Formeln, wie vorstehend, bis auf den Umstand, dass der
Parameter β mit seiner Negation gewechselt.
Es gibt keine wirkliche Vertauschung, welche hier die Data des
Problems ungeändert liesse: es können x und y hier nicht die Rollen
tauschen und die Aufgabe selbst ist unsymmetrisch. Die Symmetrie
unsrer Lösungen besteht hier gleichwol in dem Sinne, dass weder y
einseitig durch x ausgedrückt wird, noch umgekehrt x durch y, sondern
dass vielmehr beide Unbekannte gleichmässig dargestellt werden durch
zwei unabhängige Parameter α und β. Dass diese Darstellungen so-
gar in Bezug auf letztere symmetrisch erscheinen, dürfte mehr wol
nur als ein Zufall anzusehen sein. Verzichteten wir auf diese Gleich-
mässigkeit, so könnte die Aufgabe schon einfacher mittelst:
x = α, y = α + β,
oder auch mittelst:
x = α β, y = β
in unabhängigen Parametern gelöst werden.
Aufgabe 5. Eine Reihe von Problemen einfachsten Charakters
ergibt sich, indem man fordert, dass von den vier Gliedern der nach
x und y entwickelten Einheit (identischen Eins) irgend eines, irgend
zweie oder irgend dreie verschwinden, dass also von den vier Glei-
chungen:
x y = 0, x y1 = 0, x1y = 0, x1y1 = 0
in jeder möglichen Weise eine Gruppe gelten solle und allemal das
System nach x und y symmetrisch allgemein gelöst werde.
Für die erste Gleichung, wenn sie für sich allein gelten soll, ist dies
schon unter Aufgabe 1 geleistet, für die zweite unter Aufgabe 4 und dar-
aus ergibt sich auch die Lösung für die dritte Gleichung, indem man x
und y vertauscht; endlich braucht man, um für die vierte Gleichung die
Lösungen zu finden, nur bei denen der Aufgabe 1 das x, y durch x1, y1
zu ersetzen, somit hier als x und y anzusetzen: die Negationen der an-
gegebnen Wurzeln.
Gleichzeitige Geltung von irgend zweien der vier obigen Gleichungen
führt auf die sechs Aufgaben, je eine von den Gleichungen symmetrisch
allgemein zu lösen:
| x y + x y1 = x = 0, | x y + x1y = y = 0, | x y + x1y1 = 0, |
| x y1 + x1y = 0, | x y1 + x1y1 = y1 = 0, | x1y + x1y1 = x1 = 0. |
Von diesen bietet nur die dritte und die vierte ein Interesse (siehe
unten). Bei den vier andern Aufgaben fiel nämlich die eine Unbekannte
von selbst heraus; diese bleibt willkürlich und kann einem Parameter α,
oder β, gleichgesetzt werden, wogegen sich die andre Unbekannte gleich 0
resp. 1 bestimmt.
Nach Th. 33+) gibt das Verschwinden irgend dreier von den vier Ter-
men, mithin auch ihrer Summen zu irgend dreien, die Ansätze:
[506]Zwölfte Vorlesung.
x1 + y1 = 0, x1 + y = 0, x + y1 = 0, x + y = 0,
welche nur je durch das Verschwinden der beiden Glieder befriedigt wer-
den können, womit sich aber x und y gleich 1 oder 0 völlig bestimmen.
Alle vier Terme zugleich können nicht verschwinden, weil der Ansatz
nach Th. 34+) auf die absurde Gleichung 1 = 0 führen würde.
Als einzige weitere Ausbeute der vorstehenden Blumenlese notiren
wir also diese beiden Probleme: die Gleichung
x y + x1y1 = 0 resp. x y1 + x1y = 0
je symmetrisch allgemein zu lösen.
Dieselben sind dadurch interessant, dass sie die einfachsten Exempel
zu dem oben erwähnten „Zirkel“ liefern.
Behandeln wir zunächst das erste derselben. Die Gleichung zer-
fällt in die beiden Forderungen x y = 0 und x1y1 = 0. Der ersten
von diesen wird nach Aufgabe 1 durch den Ansatz: x = α β1, y = α1β
auf die allgemeinste Weise symmetrisch genügt, und müssen die Para-
meter α und β nur mehr noch so bestimmt werden, dass sie auch die
zweite Forderung x1y1 = 0 erfüllen. Es wird aber
x1y1 = (α1 + β) (α + β1) = α1β1 + α β
und sonach erhalten wir in Gestalt von α β + α1β1 = 0 für diese unbe-
kannten Parameter eine Gleichung von genau derselben Form, als die
ursprüngliche gleichung in Hinsicht von x und y gewesen.
Das gleiche stellt sich heraus, wenn wir streng systematisch ver-
fahren, die Gleichung nämlich gemäss dem Hülfstheorem des § 24
nach x und y auflösen, wodurch sich x = y1, y = x1 ergibt, alsdann
die Symbole x, y rechterhand durch arbiträre Parameter α, β ersetzen
und mit den gewonnenen Darstellungen x = β1, y = α1 die Probe der
Auflösung machen: es zeigt sich, dass diese Parameter nicht unab-
hängig von einander sind, sondern die Relation: α1β1 + α β = 0 be-
friedigen müssen, welche wiederum von der alten Form ist. Auf die-
selbe Weise (behufs Ermittelung von α, β) fortfahrend müssten wir
nun immerfort auf die gleiche Aufgabe behufs ihrer eignen Lösung
zurückverwiesen werden.
Aus dem Zirkel tritt man aber hier leicht heraus vermittelst der
Bemerkung, dass die Relation zwischen den Parametern auch mit
α = β1 oder β = α1 äquivalent ist. Es genügt also in den obigen
Darstellungen β1 durch α zu ersetzen, und erhalten wir:
x = α, y = α1
als die gesuchten symmetrisch allgemeinen Lösungen.
Die Symmetrie gibt hier sich darin kund, dass die beiden Lösungen
[507]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
in einander übergehen, wenn man den (einzigen) vorkommenden Para-
meter α mit seiner Negation α1 vertauscht. —
Die analogen Betrachtungen für das zweite Problem durchzu-
führen, dessen Gleichung auf x = y oder y = x hinausläuft und mittelst:
x = α, y = α
symmetrisch allgemein gelöst wird, dürfen wir füglich dem Leser
überlassen.
Indem man analog dem hier Durchgesprochenen systematisch alle
diejenigen Probleme aufsucht, welche sich ergeben können durch die
Forderung des Verschwindens von irgend einer Gruppe von Termen,
hervorgehoben aus den acht Gliedern der Entwickelung von 1 nach
x, y und z gelangt man weiter zu den in Aufgabe 6 bis 11 behan-
delten Problemen — wobei wir aber nur mehr diejenigen erwähnen,
welche nicht zufolge Herausfallens von Unbekannten auf früher Er-
ledigtes hinauslaufen und welche ferner der Art nach verschieden sind,
sodass sie nicht durch blosse Vertauschung von Unbekannten mitein-
ander oder mit ihren Negationen auf bereits Behandeltes zurück-
kommen.
In Aufgabe 2 ist sonach für die Forderung des Verschwindens von
nur einem der acht Terme implicite die Lösung schon für alle Möglich-
keiten angegeben.
Wir führen auch die Probleme nicht mehr in der streng kombi-
natorisch-lexikalischen Reihenfolge vor — in welche sie erst durch die
Anordnung: Aufg. 2, 10, 7 (oder 8 Anm.), 6, 8, 11, 9 treten würden.
Aufgabe 6. Die Gleichung
x = y z1 + y1z
oder, die rechte Seite auf 0 gebracht:
x y z + x y1z1 + y z1x1 + z x1y1 = 0
symmetrisch allgemeinst zu lösen.
Die Auflösung leisten die Formeln:
| x = β γ1 + β1γ, | x1 = β γ + β1γ1, |
| y = γ α1 + γ1α, | etc. |
| z = α β1 + α1β, |
wie schon durch den ersten Schritt der auseinandergesetzten Methode
sich ohne weiteres ergibt — vergl. hiezu auch das Th. von Jevons
unter π) des § 18. Wieder genügt hier die Annahme α = x, β = y,
γ = z, um gegebene Werte von x, y, z herausspringen zu machen.
Hätte man für die Auflösung einer gleichung a x + b x1 = 0 an-
statt des vollen Schemas x = b x1 + a1x1 das verkürzte: x = a1x —
vergl. unser Hülfstheorem — benutzt, so würden sich die ebenfalls
richtigen aber weniger einfachen Formeln als Lösung des Problems
ergeben haben:
| x = α (β γ1 + β1γ), | x1 = α1 + β γ + β1γ1, |
| y = β (γ α1 + γ1α), | etc. |
| z = γ (α β1 + α1β), |
Man ersieht hieraus, dass das Problem der symmetrisch allgemeinen
Darstellung eines Systems von Unbekannten nicht nur auf verschiedene
Weisen, sondern auch in verschiedener Weise lösbar ist.
Aufgabe 7. Die Gleichung
x y1z1 + y z1x1 + z x1y1 = 0,
welche nur die letzten drei Glieder der vorigen enthält, symmctrisch
allgemein zu lösen.
Auflösung. Systematisch ergibt sich:
x = α (β + γ) + α1 (β γ1 + β1γ) = (β + γ) (α + β1 + γ1) =
= α β γ + β γ1 + β1γ,
wozu x1 = α1β γ + β1γ1
gehört, und so weiter — x, y, z nebst α, β, γ cyklisch (im Ringe her-
um) vertauscht.
Die Lösungen sind richtige, aber nicht die einfachst möglichen.
Bessere ergeben sich hier merkwürdigerweise, indem man anstatt des
„vollen“ Schema's das „gekürzte“ in Anwendung bringt. So kommt:
| x = α (β + γ), | x1 = α1 + β1γ1, |
| y = β (γ + α), | etc. |
| z = γ (α + β), |
als eine schon beträchtlich einfachere unter den möglichen Lösungen
der Aufgabe. Man mache hier die Probe und überzeuge sich, dass
mittelst der Annahme α = x, β = y, γ = z die Lösungen auch jedes
gewünschte die Data erfüllende System von Wurzelwerten zu liefern
im stande sind; Elimination von α, β, γ führt blos auf die obige
Gleichung.
Aufgabe 8. Die Gleichung
x y z + x1y z + y1z x + z1x y = 0
nach x, y, z symmetrisch allgemein zu lösen.
Dieselbe ist auch äquivalent dem System der drei Gleichungen:
y z = 0, z x = 0, x y = 0,
indem ihr Polynom sich mittelst identischer Umformungen leicht in
x y + y z + z x zusammenziehen lässt.
Auflösung. Es wird also die nach x aufzulösende Gleichung in
der Gestalt erscheinen:
x (y + z) + x1y z = 0,
und nach dem vollen Schema ergibt sich darnach systematisch:
| x = α β1γ1 + α1β γ, | x1 = α (β + γ) + α1 (β1 + γ1), |
| y = β γ1α1 + β1γ α, | etc. |
| z = γ α1β1 + γ1α β, |
wozu nur noch bemerkt werden mag, dass x und x1 auch in der Gestalt:
x = (γ α1 + γ1α) (α β1 + α1β), x1 = (γ α + γ1α1) + (α β + α1β1)
geschrieben werden könnten, etc.
Anmerkung. Die Lösung derjenigen Gleichung:
x1y z + y1z x + z1x y = 0,
welche nur die drei letzten Glieder der obigen umfasst, müssen sich
nunmehr ergeben, wenn man in denen der Aufgabe 7 die Unbekannten
mit ihren Negationen vertauscht. Thut man das gleiche auch mit den
dortigen Parametern, so werden sich:
| x = α + β γ, | x1 = α1 (β1 + γ1) |
| y = β + γ α, | etc. |
| z = γ + α β, |
als diese gesuchten Lösungen ergeben.
Übrigens ist hervorzuheben, dass bei den Aufgaben 7 und 8 weder
das Verfahren nach dem vollen, noch dasjenige nach dem verkürzten
Schema uns die in formaler Hinsicht einfachsten Lösungen lieferte,
welche möglich erscheinen.
Vielmehr drücken schon die Ansätze:
Lösungen aus für die darunter gesetzten Aufgaben (deren letzte aus
Aufgabe 8 durch Vertauschung der Unbekannten mit ihren Negationen
[510]Zwölfte Vorlesung.
hervorgeht) — wie durch Eliminiren von α, β, γ aus den drei Glei-
chungen je leicht zu verifiziren ist.
Bei gegebenen Werten von x, y, z, welche die Resultante oder vor-
gelegte Gleichung erfüllen, sind hier bezüglich:
α = y z + x1 (y + z)
bei den zwei ersten Problemen; sodann
α = y (auch y + u z1); α = y1 (auch y1 + u z)
— und so weiter, die Buchstaben α, β, γ und x, y, z cyklisch vertauscht
— diejenigen Werte, welche für die Parameter anzunehmen sind, um
die Lösungsgleichungen identisch zu erfüllen.
Gelegentlich der ersten von obigen vier Aufgaben sei noch eines
kleinen Paradoxons erwähnt. Eliminirt man blos β und γ, so entsteht
für α die Gleichung:
(y1 + z1) α + x1 (y + z) α1 + x y1z1 = 0,
in welcher das letzte Glied links auch unterdrückt werden mag auf Grund
der von x, y, z ohnehin erfüllt vorauszusetzenden Relation oder Endresul-
tante der Elimination (auch noch von α). Darnach berechnet sich:
α = x1 (y + z) + u y z,
worin u willkürlich.
Behufs Erzielung einer möglichst einfachen Annahme für α wird man
sich nun versucht fühlen u (anstatt wie oben 1) lieber gleich 0 zu nehmen,
somit α = x1 (y + z) und entsprechend β = y1 (z + x), γ = z1 (x + y) zu
setzen. Mit diesen Werten stimmt nun aber die Probe β + γ = x auf-
fallenderweise nicht, vielmehr läuft diese Gleichung (auf Grund der Vor-
aussetzungen über x, y, z vereinfacht) noch auf die Relation x y z = 0 hin-
aus, welche mit den Voraussetzungen nicht gegeben war.
Um dies aufzuhellen, eliminiren wir aus den drei Gleichungen
x = β + γ, etc.
der Aufgabe in Vereinigung mit den drei Ansätzen:
α = x1 (y + z) + u y z, β = y1 (z + x) + v z x, γ = z1 (x + y) + w x y
die Parameter α, β, γ und erhalten als vereinigte Resultante:
0 = x y1z1 + y z1x1 + z x1y1 + x y z (v1w1 + w1u1 + u1v1).
Aus dieser ist zu ersehen, dass u, v, w in allen drei Ansätzen will-
kürlich bleiben, wenn x y z = 0 sein sollte, dass aber ohne diese Voraus-
setzung dieselben (unabhängig von x, y, z) nur einander gleich genommen
werden dürfen, falls u1 = v1 = w1 = 0 somit u = v = w = 1 gesetzt
wird, womit sich die oben angeführten Parameterannahmen als notwendige
ergeben.
Bei der dritten Aufgabe dagegen resultirt für α die Gleichung:
y α1 + z α + x z = 0, woraus α = y + u z1
folgt. Der analoge Ansatz für β und γ in Gestalt von
[511]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
β = z + v x1, γ = x + w y1
liefert durch das entsprechende Verfahren die Resultante:
0 = y z + z x + x y + x1y1z1 (v1w + w1u + u1v),
woraus ersichtlich ist, dass der letzte Term für u = v = w schon bei be-
liebigem u in Wegfall kommen wird. —
Aufgabe 9. Die Gleichung:
x y1z1 + y z1x1 + z x1y1 + x1y z + y1z x + z1x y = 0,
welche die bei den Aufgaben 7, und 8 Anm., vorgekommenen Glieder
in sich zusammenfasst, nach x, y, z symmetrisch allgemein zu lösen.
Auflösung. Die Gleichung fordert, dass:
x + y + z = x y z, oder (x + y + z) (x1 + y1 + z1) = 0
sein solle, und lässt sich schreiben in der Gestalt:
oder y z1 + z x1 + x y1 = 0,
oder y1z + z1x + x1y = 0,
(y z1 + y1z) + (z x1 + z1x) + (x y1 + x1y) = 0,
womit, da die drei Terme auch einzeln verschwinden müssen, nach
Th. 39) gesagt ist, dass:
x = y = z
sein müsse. Hiernach wird denn augenscheinlich:
x = α, x1 = α1
y = α, y1 = α1
z = α, z1 = α1
die gesuchte Lösung in unabhängigen Parametern sein.
Behufs Verfahrens nach dem (vollen) Schema der Methode müsste
man die Gleichung zuerst nach einer Unbekannten ordnen, z. B. nach x,
wo sie sich in folgender einfachen Gestalt darstellen wird:
x (y1 + z1) + x1 (y + z) = 0,
sodann nach jener auflösen, etc. Es würde sich
x = α β γ + α1 (β + γ) = (β + γ) (α1 + β γ),
oder noch konziser:
x = β γ + α1 (β + γ), x1 = β1γ1 + α (β1 + γ1),
y = γ α + β1 (γ + α), etc.
z = α β + γ1 (α + β),
ergeben, und da sich y z = α (β γ + β1γ1), somit x1y z = α β1γ1 und folglich
ebenso x y1z1 = α1β γ herausstellt, so führt uns die Probe der Auflösung
[512]Zwölfte Vorlesung.
auf eine Gleichung in α, β, γ von derselben Form wie die gegebene in x,
y, z — nur die drei ersten Glieder mit den drei letzten vertauscht, d. h.
wir gelangen zum Zirkel. Aus diesem wird wieder nur herauszukommen
sein durch die Bemerkung, dass die Relation zwischen unsern Parametern
auf γ = β = α hinausläuft, womit sich die oben angeführten Lösungen
ergeben. — Nach dem gekürzten Schema würden hier alle drei Unbekannten
sich gleich α β γ ergeben haben. —
Aufgabe 10. Die Gleichung:
x y z + x1y1z1 = 0
symmetrisch allgemein zu lösen in unabhängigen Parametern.
Das systematische Verfahren nach dem vollen Schema der Methode
führt hier zu der Erkenntniss, dass die Wurzeln folgenden Bau haben
müssen:
x = α (β1 + γ1) + α1β1γ1 = α (β1 + γ1) + β1γ1, x1 = α1 (β + γ) + β γ
| y = β (γ1 + α1) + γ1α1, | etc. |
| z = γ (α1 + β1) + α1β1, |
d. h. wir erhalten dieselben Ausdrücke, wie im Kontext der vorigen
Aufgabe — nur die Parameter mit ihren Negationen vertauscht. Weil
nun aber x y z = α1β1γ1 und x1y1z1 = α β γ wird, so werden die Para-
meter selbst noch die Relation
α β γ + α1β1γ1 = 0
symmetrisch allgemein zu erfüllen haben, womit wir bei dem Zirkel
uns angelangt finden.
Auf ebendiesen Zirkel würde es auch führen wenn man etwa die
Lösungen der Aufgabe 2 benutzen wollte, um die vorliegenden zu ent-
decken. Ebenso:
Wendete man das gekürzte Schema an, so ergäbe sich:
x = α (β1 + γ1), x1 = α1 + β γ
und so weiter (die Buchstaben cyklisch vertauscht). Hier würde zwar
x y z = 0 schon identisch verschwinden, dafür aber
x1y1z1 = α1β1γ1 + α β γ
sich ergeben und somit der alte Zirkel resultiren.
Der Leser mag hier nun selbst versuchen, aus diesem Zirkel
herauszukommen.*)
Aufgabe 11. Die Gleichung:
x y z + x1y z + y1z x + z1x y + x1y1z1 = 0,
[513]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
— welche links die Glieder der in Aufgabe 8, Anmerkung und Auf-
gabe 10 gegebenen Gleichungen zusammenfasst — symmetrisch allgemein
zu lösen.
Die Darstellungen für die Wurzeln müssen — hiernach — sich er-
geben, wenn man in die bei der Aufgabe 7 gefundenen Ausdrücke die-
jenigen Parameterwerte substituirt, welche die Forderung der Auf-
gabe 10:
α β γ + α1β1γ1 = 0
symmetrisch allgemein erfüllen.
Anmerkung. Vertauschte man noch die Unbekannten mit ihren
Negationen, so ergäben sich daraus weiter die Lösungen für eine Auf-
gabe, welche die Glieder aus den Aufgaben 7 und 10 zusammenfasste. —
Mit vorstehenden Aufgaben würden alle diejenigen erledigt sein,
welche irgend Interesse bieten von jenen, die unter den sub Aufgabe 5
angegebnen Gesichtspunkt fallen.
Aufgabe 12. Die Gleichung:
x y1 + x1y = c
nach x und y symmetrisch allgemein zu lösen.
Auflösung.
Die in Aufgabe 6 gelöste Gleichung hätte nach Jevons' dort citirtem
Theorem auch angeschrieben werden können in der Gestalt:
x y1 + x1y = z,
woraus ersichtlich ist, dass die dortige von der hier vorliegenden Aufgabe
sich nur dadurch unterscheidet, dass jetzt z nicht mehr unbekannt sein,
sondern einen gegebenen Wert c besitzen soll.
Wollte man die Lösungen der Aufgabe 6 zur Auffindung der Wur-
zeln der obigen 12 benutzen, so bliebe man in den Zirkel gebannt, für
die unbestimmten Parameter α und β jener Lösungen eine Gleichung
α1β + α β1 = c von genau der nämlichen Form, wie die vorstehende lösen
zu müssen, und so ohne Ende fort weiter, falls man abermals neue Para-
meter zur Darstellung der letztern einführen wollte.
Eliminirt man x und y aus der rechts auf 0 gebrachten Gleichung,
so resultirt 0 = 0, woraus zu erkennen ist, dass c vollkommen will-
kürlich gegeben werden kann. Die Gleichung lautet:
c (x y + x1y1) + c1 (x y1 + x1y) = 0.
Das systematische Verfahren führt (ebenfalls) hier zum Zirkel:
Nach dem vollen Schema wird man unschwer die Darstellungen ge-
winnen:
x = c β1 + c1β, y = c α1 + c1α
(in Bestätigung von Jevons' Theorem) und müssen dann aber, damit die
Schröder, Algebra der Logik. 33
[514]Zwölfte Vorlesung.
Probe stimme, die Parameter selbst wieder die Relation α β1 + α1β = c
erfüllen.
Nach dem gekürzten Schema erhielte man:
x = α (c β1 + c1β), y = β (c α1 + c1α),
wo α, β dann die Gleichung erfüllen müssten:
c (α β1 + α1β) = c, oder c (α β + α1β1) = 0,
welche aufzulösen wenigstens nicht leichter ist, als die ursprüngliche Aufgabe.
Um nun aus diesem Zirkel herauszukommen, nehmen wir die Un-
bekannten nach c entwickelt an:
x = α c1 + β c, y = γ c1 + δ c
x1 = α1c1 + β1c, y1 = γ1c1 + δ1c
und machen mit diesen Werten die Probe; es muss dann:
c1 (α γ1 + α1γ) + c (β δ1 + β1δ) = c
werden, d. h.:
c1 (α γ1 + α1γ) = 0 und c (β δ + β1δ1) = 0.
Diesen Forderungen genügen wir (zwar für ein gegebenes c keines-
wegs auf die allgemeinste Weise, immerhin jedoch in einer für alle c
zutreffenden Weise), indem wir:
α γ1 + α1γ = 0 und β δ + β1δ1 = 0
selbst machen, womit sich
γ = α und δ = β1
bestimmt. Einsetzung dieser Werte führt uns nunmehr zu den Dar-
stellungen der Wurzeln:
x = α c1 + β c, x1 = α1c1 + β1c
y = α c1 + β1c, y1 = α1c1 + β c,
von welchen in der That erweislich ist, dass sie unser Problem lösen.
Einerseits stimmt (wie gezeigt) die Probe.
Andererseits genügen sie den Forderungen der Symmetrie: durch
Vertauschung von β mit β1 gehen x und y ineinander über — während
durch Vertauschung von α, β mit α1, β1 auch x, y in x1, y1, und um-
gekehrt, übergeht.
Endlich aber — und dies muss hier noch besonders nachgewiesen
werden — sind die Lösungen auch die allgemeinsten: Für die An-
nahmen:
α = x y, β = x y1 (oder auch x + y1), c = x y1 + x1y
werden in der That die Gleichungen zu analytischen, identisch in x, y
erfüllten. Bei geeigneter Bestimmung der Parameter α, β werden also
unsre Ausdrücke für die Unbekannten auch jedes gewünschte, die vor-
[515]§ 24. Symmetrisch allgemeine Lösungen.
gelegte Gleichung erfüllende Wertepaar x, y darzustellen im stande
sein, q. e. d. —
Selbstredend können solche Parameterwerte, welche dieses leisten, wie
soeben die für α und β angegebenen, auch systematisch aufgefunden wer-
den, indem man unsre die Wurzeln darstellenden Gleichungen mit der
ursprünglichen Gleichung des Problems „vereinigt“ und nach den Unbe-
kannten α, β auflöst. Es genügt dann aber für diese nur irgend ein System
von Partikularlösungen zu entdecken, wobei man denjenigen vom einfach-
sten Ausdrucke den Vorzug geben wird.
Zur Übung für den Studirenden führen wir noch folgende beiden Auf-
gaben mit ihren Lösungen ohne weitere Bemerkung an.
Aufgabe 13. Die Gleichung:
x y = a
nach x und y symmetrisch allgemein zu lösen.
Auflösung: x = a + α β1, y = a + α1β.
Aufgabe 14. Das Gleichungenpaar:
x y = a, x1y1 = b
symmetrisch allgemein zu lösen.
Auflösung. Es müssen a und b die Voraussetzung:
a b = 0
erfüllen, womit sich: a = α β1, b = α1β ergibt. Alsdann sind:
x = a + γ b1, x1 = b + γ1a1
y = a + γ1b1, y1 = b + γ a1
die gesuchten Lösungen. Um gegebene x, y zu erhalten, braucht man blos
γ = x y1 oder auch γ = x + y1 (oder irgendwie dazwischen) zu nehmen.
Wir gehen nunmehr zu einer letzten und Hauptaufgabe über.
Aufgabe 15. Die allgemeinste Gleichung mit zwei Unbekannten x, y:
a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1 = 0
— kürzer: F = 0 — soll nach diesen symmetrisch allgemein gelöst werden.
Auflösung. Durch Elimination von x, y resultirt zwischen den
Koeffizienten der Gleichung die Relation:
a b c d = 0
und diese ist zunächst identisch zu erfüllen, indem man gemäss Auf-
gabe 3 für jene Koeffizienten in unabhängigen Parametern die Aus-
drücke nimmt:
33*
[516]Zwölfte Vorlesung.
| a = α (β1 + γ1 + δ1), | a1 = α1 + β γ δ, |
| b = β (α1 + γ1 + δ1) | etc. |
| c = γ (α1 + β1 + δ1) | |
| d = δ (α1 + β1 + γ1). |
Obwol wir uns unter den Koeffizienten fortan diese Ausdrücke
vorzustellen haben werden, ziehen wir den Einfachheit wegen vor, doch
die alten Namen a, b, c, d für dieselben beizubehalten.
Schon in § 22 unter β) und γ) haben wir die Gleichung F = 0
nach x resp. nach y geordnet angeschrieben und aus dem Anblick
dieser Darstellungen fliessen — nach dem vollen Schema unsrer
Methode — die Gleichungen:
x = x (a1y + b1y1) + x1 (c y + d y1),
y = (a1x + c1x1)y + (b x + d x1) y1,
deren jede mit der aufzulösenden F = 0 äquivalent sein wird.
Systematisch zuwerke gehend ersetzen wir rechts in ihnen die
Namen x, y der Unbekannten durch unbestimmte Parameter μ, ν.
Ordnen wir auch sogleich nach diesen, so ergeben sich die Ausdrücke,
neben welche wir diejenigen für ihre Negationen schreiben:
x = a1μ ν + b1μ ν1 + c μ1ν + d μ1ν1, x1 = a μ ν + b μ ν1 + c1μ1ν + d1μ1ν1,
y = a1μ ν + b μ ν1 + c1μ1ν + d μ1ν1, y1 = a μ ν + b1μ ν1 + c μ1ν + d1μ1ν1.
Hiermit sind nun leicht die vier Produkte zu bilden:
x y = a1μ ν + d μ1ν1, x y1 = b1μ ν1 + c μ1ν,
x1y = b μ ν1 + c1μ1ν, x1y1 = a μ ν + d1μ1ν1,
deren Einsetzung in F = 0 uns die Bedingung liefert:
a d (μ ν + μ1ν1) + b c (μ ν1 + μ1ν) = 0,
welche einzig noch von μ, ν zu erfüllen ist.
Der Versuch, die Gleichung so, wie die obige, systematisch nach
den Unbekannten μ, ν aufzulösen, führt im Zirkel herum — wie auch
schon a priori zu sehen ist, in Anbetracht, dass die Gleichung unge-
ändert bleibt, wenn man in ihr (dem Vorbild entsprechend, das sie
mit F = 0 zusammengehalten darbietet) das a sowol als das d durch
a d, zugleich das b und das c durch b c ersetzt.
Indessen kommt man hier unschwer zum Ziele durch die Bemer-
kung, dass wenn
μ ν1 + μ1ν = ϱ genannt wird, sich μ ν + μ1ν1 = ϱ1
dazu ergibt, wonach die zu erfüllende Gleichung lautet:
a d ϱ1 + b c ϱ = 0.
Dieser wird auf die allgemeinste Weise vermittelst des Ansatzes
(cf. Th. 50):
ϱ = a d ϖ1 + (b1 + c1) ω, ϱ1 = (a1 + d1) ω1 + b c ϖ
— worin die überstrichenen Faktoren auch unterdrückt werden dürften
— zu genügen sein, und wenn man darnach
μ = ϰ ϱ1 + λ ϱ, μ1 = ϰ1ϱ1 + λ1ϱ
ν = ϰ ϱ1 + λ1ϱ, ν1 = ϰ1ϱ1 + λ ϱ
nimmt, wie sich dies nach den in Aufgabe 12 gewonnenen Schemata
für die symmetrisch allgemeine Auflösung der Gleichung
μ ν1 + μ1ν = ϱ
nach den Unbekannten μ, ν (bei gegebenem ϱ) ergibt, so wird unser
Problem gelöst sein.
Es erübrigt nur mehr die Werte von μ, ν, oder besser sogleich
die Produkte:
μ ν = ϰ ϱ1, μ ν1 = λ ϱ, μ1ν = λ1ϱ, μ1ν1 = ϰ1ϱ1
nebst den gefundenen Werten von ϱ, ϱ1 in die letzten Ausdrücke von
x, y einzusetzen. Nach ϱ geordnet wird zunächst:
x = (a1ϰ + d ϰ1) ϱ1 + (b1λ + c λ1) ϱ, x1 = (a ϰ + d1ϰ1) ϱ1 + (b λ + c1λ1) ϱ,
y = (a1ϰ + d ϰ1) ϱ1 + (b λ + c1λ1) ϱ, y1 = (a ϰ + d1ϰ1) ϱ1 + (b1λ + c λ1) ϱ
und hieraus fliessen bei Unterdrückung jener überstrichenen ω-Faktoren
wol die konzisestmöglichen Ausdrücke für die „Wurzeln“ der vorgelegten
Gleichung:
x = b c (a1ϰ + d ϰ1) + a d (b1λ + c λ1) + a1 (d + ϰ) ω1 + b1 (c + λ) ω,
y = b c (a1ϰ + d ϰ1) + a d (b λ + c1λ1) + a1 (d + ϰ) ω1 + c1 (b + λ1) ω,
x1 = b c (a ϰ + d1ϰ1) + a d (b λ + c1λ1) + d1 (a + ϰ1) ω1 + c1 (b + λ1) ω,
y1 = b c (a ϰ + d1ϰ1) + a d (b1λ + c λ1) + d1 (a + ϰ1) ω1 + b1 (c + λ) ω,
worin ϰ, λ ω unabhängig beliebige Parameter vorstellen.
Direkt dürfte hier nicht ganz leicht zu sehen sein, dass die bei-
den letzten Ausdrücke wirklich die (korrekt gebildeten) Negationen
für die ersten beiden sind. Übersehbar wird dies erst, nachdem man
die Ausdrücke nach den drei Parametern entwickelt haben wird, was
auch zum Ausmultipliziren derselben behufs Probens der Auflösungen
die bequemste Form gibt. Man findet:
Die Probe, dass, a b c d = 0 vorausgesetzt, identisch:
a x y = 0, b x y1 = 0, c x1y = 0 und d x1y1 = 0
wird, stimmt — was eine Anzahl leichter Rechenexempel liefert, in-
dem man immer nur die gleichstelligen Koeffizienten aus den entsprechen-
den zwei Zeilen zu verknüpfen braucht. Mit Rücksicht auf die Sym-
metrieverhältnisse brauchte übrigens nur eine von diesen vier Glei-
chungen auf ihre Richtigkeit geprüft zu werden, wofern die letztere
diesmal nicht schon aus der Herleitung erhellte.
Auf Grund der Relation a b c d = 0 kann man bemerken, dass die
folgenden unter den obigen Koeffizienten mit den ihnen rechts gleich-
gesetzten äquivalent sind:
a1 + b1d = a1 + d (b1 + c), d (a1 + c) = d (a1 + b1c),
b1 + a1c = b1 + c (a1 + d), c (b1 + d) = c (b1 + a1d),
a1 + c1d = a1 + d (b + c1), d (a1 + b) = d (a1 + b c1),
c1 + a1b = c1 + b (a1 + d), b (c1 + d) = b (c1 + a1d).
Ersetzte man jene durch diese, desgleichen ihre Negationen wo sie
auftreten durch diejenigen der rechten Seite, so ist es, um alles
vollends in den unabhängigen Parametern ausgedrückt zu erhalten,
nur mehr erforderlich, dass man die lateinischen Buchstaben a, b, c, d
durchweg in die griechischen α, β, γ, δ verwandle.
Was die Anforderungen der Symmetrie betrifft, so geht die Glei-
chung F = 0 ausschliesslich in sich selbst über durch die folgenden
Vertauschungen („Transpositionen“) links vom Vertikalstrich:
| 10) (x, y) (x1, y1) (b, c) | (λ, λ1) |
| 20) (x, y1) (x1, y) (a, d) | (ϰ, ϰ1) |
| 30) (x, x1) (a, c) (b, d) | (ϰ, λ1) (λ, ϰ1) (ω, ω1) |
| 40) (y, y1) (a, b) (c, d) | (ϰ, λ) (ϰ1, λ1) (ω, ω1) |
| 50) (x, x1) (y, y1) (a, d) (b, c) | (ϰ, ϰ1) (λ, λ1) |
Dieselben, verbunden mit den rechts vom Vertikalstrich daneben
gesetzten Vertauschungen zwischen den Parametern, führen auch das
System der vier für x, y, x1, y1, angegebenen Lösungen nur in sich
selbst zurück. Da aus denen 10) und 30) die übrigen Vertauschungen
alle ableitbar sind, so braucht dies nur für jene beiden wirklich nach-
gesehen zu werden.
Den Forderungen der Symmetrie ist also durch unsre Lösungen
durchaus Genüge geleistet.
Es ist nunmehr nur noch die Frage zu erledigen, wie etwa die
Parameter ϰ, λ, ω anzunehmen sind, damit unsre Formeln für die Wur-
zeln ein gegebenes Wertepaar x, y darstellen, das übrigens die Glei-
chung F = 0 erfüllt.
Nach dem Hülfstheorem des Paragraphen — vergl. auch § 21, ω)
— ist es zu dem Ende ausreichend μ = x, ν = y selbst zu machen,
desgleichen ω = ϱ selbst zu nehmen, und nach dem in Aufgabe 12
Ermittelten werden die Annahmen ϰ = μ ν nebst λ = μ ν1 (oder auch
μ + ν1) zum Ziele führen. Darnach werden wir in Gestalt von:
ϰ = x y, λ = x y1 (oder auch x + y1), ω = x y1 + x1y
ein System von Annahmen haben, welches in einfacher Weise unsre
Formeln für x, y zu solchen macht die sich als blosse Umformungen
der Gleichung F = 0 herausstellen, auf Grund von dieser sich iden-
tisch bewahrheiten. Die Rechnung bestätigt dies in der That direkt;
man wird dazu am besten die konzisesten Ausdrücke von x, y nehmen
und auch die aus F = 0 durch Elimination von x oder y sich er-
gebenden beiden Relationen β'), γ') des § 22 dabei berücksichtigen.
Die vorstehend gelösten Aufgaben liefern begreiflicherweise uns
auch ebensoviele Eliminationsprobleme: eliminirt man aus ihren Lösun-
gen, resp. den die Wurzeln darstellenden Gleichungen, sämtliche unab-
hängigen Parameter (also griechischen Symbole), so kann man sich
überzeugen, dass als Resultante hervorgeht die ursprünglich zur Auf-
lösung vorgelegt gewesene Gleichung, und zwar gerade nur diese aber
keine weitergehende Relation zwischen den Unbekannten (und Koef-
fizienten) — was als eine Kontrole für die Richtigkeit unsrer Be-
trachtungen dient.
Dies auch bei Aufgabe 15 durchzuführen, ist leicht, obschon ein
wenig mühsam.
Eliminirt man hier erst ϰ und λ ohne ω, so zeigt sich, dass ω
diesmal kein Luxus-Parameter ist, wie bei den Aufgaben 1 bis 4, wo
es, selbst bei gegebenen x, y, ‥, noch beliebig spezialisirt, gleich 0
oder 1 z. B. genommen werden konnte. Vielmehr muss diesmal ω
eine als Resultante der Elimination von ϰ, λ sich ergebende Relation
erfüllen, welche — mit Rücksicht auf die Endresultante F = 0 — in
der einfachen Gestalt geschrieben werden kann:
(a1 + d1) (x y1 + x1y) ω1 + (b1 + c1) (x y + x1y1) ω = 0.
Nur insofern die Werte von x, y als erst durch die Gleichung
[520]Zwölfte Vorlesung.
F = 0 bestimmt gelten sollen, wird gleichwie ϰ und λ, so auch ω
willkürlich, werden alle dreie wirklich unabhängige Parameter sein. —
Aus Vorstehendem wird der Studirende schon inne geworden sein,
dass in unsrer Disziplin noch eine Fülle von Problemen der Lösung
harrt. Ich signalisire (ausser den Aufgaben 10 und 11) insbesondere:
die symmetrisch allgemeine Auflösung der allgemeinsten Gleichung
mit drei Unbekannten. Ferner: die Ergänzung der Methode zu einer
solchen, die in allen Fällen unfehlbar zum Ziele führt — oder andern-
falles: der Nachweis, dass in gewissen Fällen die Aufgabe unlösbar
ist, nebst der vollständigen Angabe, in welchen Fällen eben ihre Lösung
unmöglich bleibt.
In Anbetracht, dass wir bei der Darstellung zweier Unbekannten
mittelst unabhängiger Parameter in Aufgabe 14 mit einem solchen aus-
kamen, in Aufgabe 12 deren zweie und in Aufgabe 15 deren dreie be-
nötigten, reihen weiter hieran sich Fragen nach der Minimalanzahl der
bei jedem Probleme erforderlichen selbständigen Parameter, und an-
deres mehr.*)
Dies alles schon bei demjenigen Teile unsrer Disziplin, der (nächst
dem Aussagenkalkul) als der vollendetste, ja als im wesentlichen voll-
endet hingestellt werden darf! Betreffen ja doch die eben charakteri-
sirten Forderungen nur noch die Art und Weise, nur mehr die Aus-
drucksformen einer Lösung, die schon gegeben wurde. —
Des weiteren vergleiche man noch den Anhang 6, welcher (etwa
mit den Schlussbetrachtungen des Anhang 4 verschmolzen) auch als
eine selbständige, den andern ebenbürtige Vorlesung in die Theorie
hätte aufgenommen werden können. Dass ich ihn als eine solche nicht
einreihte, geschah hauptsächlich deshalb, weil in ihm das numerische
Element der Logik in einem Grade hervortritt, welcher mit der auf
dessen Ausschluss gerichteten Tendenz des Buches nicht ganz im Ein-
klang sich befindet. —
Als einfachste Anwendungen der Theorie läge es nunmehr nahe, etwa
die sogenannten „unmittelbaren Folgerungen“ und alsdann die Syllogismen
der schulmässigen Logik vorzunehmen. Dies könnten wir auch leicht, in-
soweit nur universale Prämissen und Konklusionen in Betracht zu ziehen sind.
Aufgaben aber, bei welchen partikulare Urteile mit in Betracht kommen,
müssen wir als um einen Grad schwieriger bezeichnen. Bei der Unbestimmt-
heit des Zahlworts „einige“ ist dies auch begreiflich. Es stellt sich heraus,
dass die Behandlung solcher Aufgaben, selbst wenn sie in ihrer Art noch
so einfach angelegt erscheinen, für die bisherige schon leidlich in sich ab-
geschlossene Theorie zumeist*)noch gar nicht erreichbar ist (vergl. § 33).
Und so könnte von den angedeuteten Problemen doch nur ein unbedeutender
Bruchteil zur Zeit erledigt werden — Grund für uns, das ganze Unter-
nehmen zu verschieben.
Wir beschäftigen uns darum hiernächst nur mit solchen Aufgaben,
wie sie unsrer Theorie prinzipiell schon zugänglich sind — mögen dieselben
in ihrer Art auch erheblich verwickelter erscheinen als wie die oben an-
gedeuteten. Dabei wird ähnlich, wie in der Mathematik verfahren, wo
man z. B. auch die komplizirtesten Aufgaben über quadratische Gleichungen
bewältigen lernen wird, bevor man sich mit der einfachsten kubischen
Gleichung abgibt. Durch jeweilige „Beschränkung“ auf bestimmte abge-
grenzte Gebiete ist allein die „Meister“schaft zu erlangen.
Wir stellen demnach eine Reihe von Problemen und Untersuchungen
hier zusammen. In erster Linie sollen diese zur Erläuterung dienen für
die bisher entwickelten allgemeinen Methoden. Auch mögen sie als Übungs-
beispiele angesehen werden, um die Bethätigung ebendieser Methoden beim
Studirenden anzubahnen. Zum Teil sollen diese Beispiele später auch als
Prüfsteine verwendet werden, um an ihnen vergleichende Betrachtungen
über diese und noch andere fernerhin auseinanderzusetzende Auflösungs-
methoden anzustellen. Alle können sie dazu dienen, die Kraft der rechne-
rischen Methode gegenüber den herkömmlichen schulmässig verbalen Über-
[522]Dreizehnte Vorlesung.
legungsweisen in's rechte Licht zu setzen, jene als die überlegene zu
erproben.
Dagegen wolle man diesen Beispielen nicht etwa die Bestimmung zu-
schreiben, dass sie den Nutzen unsrer Kunstlehre des Denkens — vielleicht
für das praktische Leben — darzuthun hätten.*) Utilitarische Bestrebungen
liegen uns nach wie vor ferne und setzen wir voraus, dass auch der Leser
von dem wissenschaftlichen Interesse geleitet sei.
Ich gebe die Aufgaben nicht etwa peinlich nach ihrer Schwierigkeit
geordnet. Der Studirende, welcher mit den leichtesten beginnen und von
diesen allmälig aufsteigend zu den verwickelteren fortschreiten will („schwie-
rige“ gibt es eigentlich unter den bisherigem Kalkul überhaupt zugäng-
lichen Problemen, nachdem derselbe so weit entwickelt ist, nicht mehr)
braucht sich nur zuerst an diejenigen zu machen, welchen der geringste
Druckumfang gewidmet ist, und bei denen sich am wenigsten Formel-
anhäufungen dem Auge darbieten!
Ich beginne vielmehr mit jener komplizirtesten der von Boole ge-
stellten Aufgaben, welche ich erstmalig in2 nach seiner geläuterten Methode
behandelt habe und auch hier mit allen Zwischenrechnungen durchnehme
— weil mir dieselbe jenen oben angedeuteten Zwecken der Methoden-
erläuterung und später auch -vergleichung am vielseitigsten und besten
zu dienen fähig erscheint.
1. Aufgabe. (Boole4 p. 146 ‥ 149.) Es werde (gemäss Boole)
angenommen**), dass die Beobachtung einer Klasse von Erscheinungen
(Natur- oder Kunsterzeugnissen, z. B. Substanzen) zu den folgenden
allgemeinen Ergebnissen geführt hat:
α) Dass in welchem auch von diesen Erzeugnissen die Merkmale A
und C gleichzeitig fehlen, das Merkmal E gefunden wird, zusammen mit
einem der beiden Merkmale B und D, aber nicht mit beiden.
β) Dass, wo immer die Merkmale A und D in Abwesenheit von E
gleichzeitig auftreten, die Merkmale B und C entweder beide sich vor-
finden oder beide fehlen.
γ) Dass überall, wo das Merkmal A mit dem B oder E, oder mit
beiden zusammen besteht, auch entweder das Merkmal C vorkommt oder
das D, aber nicht beide. Und umgekehrt, überall wo von den Merkmalen
C und D das eine ohne das andre wahrgenommen wird, da soll auch
[523]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
das Merkmal A in Verbindung mit B oder mit E oder mit beiden zu-
gleich auftreten.
Verlangt sei
erstens dass ermittelt werde, was in jedem gegebenen Falle aus
der erwiesenen Gegenwart des Merkmals A in Bezug auf die Merk-
male B, C und D geschlossen werden kann,
zweitens auch zu entscheiden, ob irgendwelche Beziehungen un-
abhängig von der An- oder Abwesenheit der übrigen Merkmale be-
stehen zwischen derjenigen der Merkmale B, C, D (und bejahenden-
falles welche?),
drittens in ähnlicher Weise zu beantworten, was aus dem Vor-
handensein des Merkmals B folgt in Bezug auf die Merkmale A, C
und D (sowie umgekehrt, wann aus An- oder Abwesenheit von
Merkmalen dieser letzteren Gruppe auf diejenige von B geschlossen
werden kann),
viertens zu konstatiren, was für die Merkmale A, C, D an
sich folgt.
Auflösung. Die ganze Klasse der Fälle von Erscheinungen,
resp. die Klasse der Erzeugnisse, in welchen sich eines der Merkmale
A, B, C, D, E vorfindet, werde mit dem entsprechenden Buchstaben
des kleinen lateinischen Alphabets bezeichnet.*) Bedeutet sonach a
die Klasse der Fälle in welchen das Merkmal A vorliegt, so wird a1
die Klasse derjenigen Fälle bedeuten, in welchen dieses Merkmal A
fehlt, etc.
Nach dem in den Paragraphen 8 und 16 über die Interpretation
des identischen Kalkuls für Klassen Gesagten — vergl. auch § 18,
ε) … ϑ) übersetzen sich im engsten Anschluss an den Worttext die
Data α), β), γ) unseres Problems bezüglich in die nachstehenden Pro-
positionen (Subsumtionen resp. Gleichungen):
δ) a1c1 ⋹ (b d1 + b1d) e, a d e1 ⋹ b c + b1c1, a (b + e) = c d1 + c1d.
Die Gleichung erhält man eigentlich zuerst als Subsumtion vor und
rückwärts gelesen, nämlich als
a (b + e) ⋹ c d1 + c1d nebst c d1 + c1d ⋹ a (b + e),
was aber nach Def. (1) der Gleichheit sofort eben in die Gleichung zusammen-
zuziehen ist.
Man bemerkt nun, dass in jedem unsrer drei Data α), β), γ) die
[524]Dreizehnte Vorlesung.
bezüglich der Merkmale A, B, C, D gegebene Auskunft verquickt er-
scheint mit einem andern Element E, über welches wir in den ver-
langten Schlussfolgerungen nichts zu sagen wünschen.
Es wird deshalb in erster Linie erforderlich sein, das dem Merk-
mal E entsprechende Klassensymbol e zu eliminiren aus dem System
der Propositionen δ), in welches wir die Data eingekleidet haben.
Zu dem Ende bringen wir dieselben rechts auf Null — nach dem
Schema der Theoreme 38×) und 39+) — und bilden gemäss Th. 20+)
— ihre „vereinigte Gleichung“, indem wir, statt jeder einzelnen, so-
gleich die Summe ihrer linken Seiten gleich Null setzen. Dabei ist
lediglich Sorge zu tragen, dass man die Negationen der vorkommenden
Ausdrücke richtig ansetze, mit Rücksicht namentlich auf Th. 36)
und 46+). Die vereinigte Gleichung lautet:
ε) a1c1 (b d + b1d1 + e1) + a d e1 (b c1 + b1c) + a (b + e) (c d + c1d1) + (a1 + b1e1) (c d1 + c1d) = 0.
Die Resultante der Elimination von e besteht nun nach § 21, ι)
aus dem von e und e1 freien Gliede im Polynome dieser Gleichung:
a1c1 (b d + b1d1) + a b (c d + c1d1) + a1 (c d1 + c1d),
dessen erster Term a1c1b d noch in dem letzten a1c1d nach dem Ab-
sorptionsgesetze 23+) eingeht, vermehrt um das Produkt der Koeffi-
zienten, welche e und e1 in ε) besitzen — das Ganze gleich 0 gesetzt.
Der Koeffizient von e ist aber: a (c d + c1d1), der von e1 ist des-
gleichen leicht aus ε) herauszulesen als:
a1c1 + a d (b c1 + b1c) + b1 (c d1 + c1d);
das Produkt beider ist gleich:
a d b1c*),
mithin die Resultante:
a1 (c d1 + c1d + b1c1d1) + a (b c d + b c1d1 + b1c d) = 0,
oder durch Zusammenziehung zweier Terme:
ζ) a (c d + b c1d1) + a1 (c d1 + c1d + b1c1d1) = 0.
Diese schon recht übersichtliche Gleichung hat nun den Ausgangs-
punkt für unsere weiteren Betrachtungen zu bilden.
Man bemerkt zunächst, dass, betrachtet als „entwickelt“ nach den
Argumenten c und d, die Koeffizienten von a und a1 in ζ) geradezu
die Negationen von einander sind, meinem Theorem 46+) gemäss
[525]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
gebildet.*) Das Produkt dieser beiden Koeffizienten sowol als auch
dasjenige ihrer beiden Negationen ist demnach gleich Null.
Um die zweite der gestellten Fragen zu beantworten und zugleich
die Beantwortung der ersten Frage vorzubereiten, müssen wir jetzt a aus
ζ) eliminiren. Dem Gesagten zufolge führt diese Elimination aber auf
die Identität 0 = 0, womit in Beantwortung jener zweiten Frage be-
wiesen erscheint: dass zwischen den Merkmalen B, C und D Für sich
hinsichtlich ihrer An- oder Abwesenheit keine unabhängige Beziehung
besteht.
Die Gleichung ζ) ist demnach äquivalent ihrer „Auflösung“ nach a.
Weil indess, wie bemerkt, auch das Produkt der Negationen der
Koeffizienten von a und a1 verschwindet, der eine Koeffizient die Ne-
gation des andern ist, muss hier der in § 21, σ) betrachtete Fall
vorliegen: der in dem Ausdruck der Wurzel gemeinhin auftretende
ein unbestimmtes Gebiet u enthaltende Term geht in den andern ein,
die Gleichung hat nur eine Wurzel, die Unbekannte a ist durch die
Gleichung eindeutig bestimmt, und zwar hat sie zum Ausdrucke den
Koeffizienten ihrer Negation a1 in der Gleichung, sodass ganz un-
mittelbar:
η) a = c d1 + c1d + b1c1d1
als die gesuchte Auflösung nach a erhalten wird.
Dieselbe könnte nebenbei gesagt auch in den Formen angesetzt
werden:
ϑ) a = c d1 + c1d + b1c1 = c d1 + c1d + b1d1 = c d1 + c1d + b1 (c1 + d1),
die unbedingt mit dem Ausdruck η) äquivalent sind, vergl. § 18, β1).
Die Gleichung η) beantwortet nun die erste der gestellten Fragen,
und zwar, indem wir sie als Subsumtion vor- und rückwärts inter-
pretiren, dahin: wo immer das Merkmal A zu finden ist, muss auch das
Merkmal C oder das D vorliegen, aber nicht beide zugleich, oder aber es
müssen beide zusammen mit dem Merkmal B fehlen; umgekehrt: Wo die
Merkmale B, C, D alle drei fehlen, sowie auch, wo von den Merkmalen
C, D das eine ohne das andere vorliegt, da muss auch das Merkmal A
sich finden.
Des weiteren muss nun b aus der Gleichung ζ) eliminirt werden.
Da die Koeffizienten a c1d1 und a1c1d1 von b und b1 daselbst disjunkt
sind, Null zum Produkte haben, so besteht die Resultante dieser Eli-
mination einfach in der gleich 0 gesetzten Summe der von b und b1
freien Glieder in ζ), d. h. sie lautet:
ι) a c d + a1c d1 + a1c1d = 0
— eine Gleichung, aus welcher die Antwort auf die vierte Frage nach-
her zu entnehmen sein wird.
Mit Rücksicht auf diese Relation ι) vereinfacht nun die Gleichung ζ)
sich zu:
ϰ) a c1d1b + a1c1d1b1 = 0
und gibt dieselbe dem Th. 50+) gemäss regelrecht nach der Unbe-
kannten b aufgelöst:
b = a1c1d1 + v (a c1d1)1 = a1c1d1 + v (a1 + c + d),
wobei v eine unbestimmte Klasse vorstellt. Hier lässt aber nach
Th. 33+) Zusatz der in v zu multiplizirende Term a1 sich mit dem Faktor
(c + d)1 = c1d1 ausstatten und geht hernach das betreffende Glied
v a1c1d1 im ersten Term der rechten Seite nach dem Absorptionsgesetze
auf, sodass:
λ) b = a1c1d1 + v (c + d)
als ein einfacherer Ausdruck für die gesuchte Auflösung nach b erscheint.
Behufs bequemster Deutung mittelst Worten werden wir dieses
Ergebniss — dasselbe für v = 0 und v = 1 in Anspruch nehmend —
umschreiben in die Doppelsubsumtion:
μ) a1c1d1 ⋹ b ⋹ a1 + c + d,
die auch gemäss Th. 49+) direkt aus ϰ) herausgelesen werden konnte.
Damit ist in Beantwortung der dritten Frage gefunden: Wenn die
Merkmale A, C und D gleichzeitig fehlen, so findet sich das Merkmal B,
und wo das Merkmal B sich findet, da muss das Merkmal C oder auch
das D vorliegen, wonicht A fehlt.
Behufs Beantwortung der vierten Frage könnte man die Gleichung ι)
direkt in Worte fassen wie folgt: Die Merkmale A, C und D kommen
nicht alle drei zusammen vor und wo das Merkmal A fehlt kann von
den Merkmalen C und D das eine nicht ohne das andere auftreten.
Etwas übersichtlicher vielleicht wird man die Gleichung ι) in ihre
Auflösung nach a umschreiben mit der sie (weil Elimination von a blos
auf 0 = 0 führt) äquivalent sein muss. Diese Auflösung lautet:
ν) a = c d1 + c1d + w (c1 + d1) = c d1 + c1d + w c1d1,
[527]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
wo w unbestimmt ist — cf. Th. 33+) nebst dem Absorptionsgesetze (be-
hufs Rechtfertigung der letztvollzogenen Kürzung). Oder als Doppelsub-
sumtion geschrieben:
ξ) c d1 + c1d ⋹ a ⋹ c1 + d1.
Sie lehrt, dass aus der Anwesenheit von A geschlossen werden kann auf die
Abwesenheit von wenigstens einem der beiden Merkmale C, D, und umge-
kehrt, dass wo von diesen letztern C und D das eine allein (ohne das andere)
sich vorfindet, geschlossen werden kann auf die Anwesenheit von A.
Zur Übung möge der Leser aus ζ) auch c durch a, b, d und d durch
a, b, c ausdrücken und die Ergebnisse interpretiren — Aufgaben die auch
McColl sich gestellt. Man findet leicht als Eliminationsresultante, ver-
einfachte Gleichung und Lösung:
a1b1d1 = 0, (a d + a1d1) c + (a b d1 + a1d) c1 = 0,
c = a b d1 + a1d + u a d1 oder a b d1 + a1d ⋹ c ⋹ a d1 + a1d;
a1b1c1 = 0, (a c + a1c1) d + (a b c1 + a1c) d1 = 0,
d = a b c1 + a1c + t a c1 oder a b c1 + a1c ⋹ d ⋹ a c1 + a1c.
Anmerkung zur 1. Aufgabe.
Natürlich sind die Data unseres Problems auch mögliche und
logisch zulässige; denn ihre vereinigte Gleichung ε) ist eine Relation,
die keinen Widerspruch involvirt, die nach den Regeln des Kalkuls
auf die im bisherigen Aussagengebiete allein absurde Behauptung 1 = 0
nicht hinausläuft.
Unmöglich können aber diese Data, so wie Boole angibt, ganz
durch Beobachtung (einer Klasse von Naturerzeugnissen) gewonnen
worden sein, indem der in der Prämisse β) angeführte Fall a d e1, dass
„wo immer die Merkmale A und D in Abwesenheit von E gleichzeitig
auftreten“, kraft des Gesamtsystems dieser Prämissen, überhaupt nie
vorgekommen sein kann.
Liest man nämlich aus der vereinigten Gleichung ε) diejenigen
Glieder heraus, welche die Kombination a d e1 zum Faktor haben, in-
dem man da, wo einer dieser Buchstaben a, d oder e — nennen wir
ihn für den Augenblick x — unvertreten erscheint, sich den Faktor
1, = x + x1, hinzudenkt, so ergibt sich leicht als die Gesamtheit dieser
Glieder:
a d e1 (b c1 + b1c) + a b c d e1 + a b1c1d e1 =
= a d e1 (b c + b c1 + b1c + b1c1) = a d e1 · 1 = a d e1.
In der That ist also nach der vereinigten Gleichung selbst:
ο) a d e1 = 0,
d. h. der Fall konnte niemals vorgekommen sein — ein Umstand, auf
[528]Dreizehnte Vorlesung.
welchen mich aufmerksam gemacht zu haben ich Herrn M. Badorff
in Baden-Baden verdanke.
Das Boole'sche Problem ist darnach eigentlich als eine Vexir-
aufgabe zu bezeichnen, und um von diesem ihrem vexatorischen Cha-
rakter befreit zu sein, hätte die Aufgabe vielmehr etwa mit den
Worten eingeleitet werden sollen: „Gesetzt durch Beobachtung einer
Klasse von Erscheinungen oder sonst auf irgend eine Weise sei er-
kannt, dass …“.
2. Aufgabe von Herrn Venn4 p. 487.
Die Mitglieder eines Aufsichtsrats (Verwaltungsrats, members of a
board) a sind entweder Obligationenbesitzer b (bondholders) oder aber
Aktienbesitzer c (shareholders) — d. h. also nicht beides zugleich.
Wenn nun die Obligationenbesitzer zufällig alle im Aufsichtsrat sind, was
folgt in Bezug auf diese und die Aktienbesitzer (die b und die c)?
Auflösung. Übersetzung der Data in die Zeichensprache liefert:
a ⋹ b c1 + b1c, b ⋹ a.
Aus diesem Prämissensystem ist a zu eliminiren. Die vereinigte
Gleichung desselben lautet:
a (b c + b1c1) + a1b = 0
und gibt regelrecht als die Resultante: (b c + b1c1) b = 0, oder:
b c = 0;
dies heisst: kein Obligationenbesitzer ist Aktienbesitzer.
Noch kürzer lässt die Elimination des a aus den beiden Prämissen
sich hier unmittelbar nach Prinzip II ausführen, den Schluss liefernd:
b ⋹ b c1 + b1c, oder b (b c + b1c1) = 0, b c = 0,
wie oben.
Auch die beste allgemeine Methode wird so in einzelnen Fällen
durch besondre denselben angepasste Kunstgriffe sich oft nach Ein-
fachheit der Lösung noch übertreffen lassen.
Herr Venn verwendete die obige Aufgabe zu einem Wettstreit zwischen
einer „Klasse“ von gut in der verbalen Logik geschulten Studirenden und
einer andern in der rechnerischen Logik bewanderten — welcher eklatant
zugunsten der letztern ausfiel.
3. Aufgabe. (Boole4, p. 118 ‥ 120 und 128 ‥ 129.) Das Stu-
dium einer Klasse von Substanzen habe zu den Ergebnissen geführt:
Treten die Merkmale a und b zusammen auf, so findet sich das Merk-
mal c oder aber das d. Treten b und c zusammen auf, so findet sich
[529]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
sowol das Merkmal a, als das d, oder beide fehlen. Sooft die Merk-
male a und b zusammen fehlen, fehlen auch die c und d, und umge-
kehrt. Gefragt, was ohne Rücksicht auf das Merkmal d von den
übrigen ausgesagt werden kann.
Auflösung. Die Klasse der Substanzen, die ein bestimmtes
Merkmal besitzt, möge für die Zwecke der Rechnung hier mit dem
Namen des Merkmals selbst dargestellt werden. So fordern die Prä-
missen, dass:
a b ⋹ c d1 + c1d, b c ⋹ a d + a1d1, a1b1 = c1d1
sei. Aus diesen ist d zu eliminiren, die Resultante nach a oder b
oder c aufzulösen, das Ergebniss mit Worten zu deuten. Vereinigte
Gleichung des Prämissensystemes ist:
a b (c d + c1d1) + b c (a d1 + a1d) + a1b1 (c + d) + c1d1 (a + b) = 0.
Die Elimination von d erfordert den Ansatz:
a1b1c + (a b c + a1b c + a1b1) (a b c1 + a b c + a c1 + b c1) = 0
zu dessen Herstellung man aus der vereinigten Gleichung blos heraus-
zulesen braucht: das von d sowol als d1 freie Glied, sodann die Koeffi-
zienten, mit welchen d behaftet erscheint und endlich die Koeffizienten
von d1. Der erste Klammerfaktor zieht sich in b c + a1b1, der zweite
in a b + a c1 + b c1 zusammen, wonach leicht a b c als das Produkt der
beiden erkannt wird. Mithin ist unsre Resultante:
a b c + a1b1c = 0.
Sie lehrt, dass die Merkmale a, b und c nie alle drei zusammen auf-
treten, auch in Abwesenheit von a und b das c nicht vorkommt.
Elimination irgend eines der drei Buchstaben a, b, c aus ihr führt
auf: 0 = 0 (z. B. des a auf b c · b1c = 0). Die Resultante sagt dem-
nach genau dasselbe, wie ihre Auflösung nach irgend einer dieser Un-
bekannten. Die Auflösungen sind, wenn u, v, w unbestimmte Klassen
(von Substanzen) vorstellen, bezüglich:
a = b1c + u (b1 + c1) = b1c + u (b1c + c1) = b1c + u c1,
analog
b = a1c + v c1 und endlich c = w (a b1 + a1b),
oder in Form von Doppelsubsumtionen:
b1c ⋹ a ⋹ b1 + c1, a1c ⋹ b ⋹ a1 + c1, 0 ⋹ c ⋹ a b1 + a1b.
Sie zeigen, dass wo in Abwesenheit von b das Merkmal c vorliegt,
auch a sich finden muss; wo a sich findet aber b oder auch c not-
wendig fehlen wird. Desgleichen, a und b vertauscht. Endlich wo c
Schröder, Algebra der Logik. 34
[530]Dreizehnte Vorlesung.
sich findet, da muss von den Merkmalen a und b das eine ohne das
andere (muss a oder aber b) zugegen sein.
4. Aufgabe. (Jevons9 p. 202.)
In einer Mannigfaltigkeit ist jedes Ding entweder ein b oder ein c,
und jedes c ist ein b, wofern es nicht ein a ist. Zu beweisen, dass
jedes a ein b sein muss.
Beweis. Prämissen sind: 1 ⋹ b + c und c ⋹ b + a1. Sie geben
die vereinigte Gleichung:
b1c1 + a b1c = 0
aus welcher c zu eliminiren ist. Die Resultante lautet:
a b1 = 0, oder also: a ⋹ b
wie zu zeigen war.
5. Aufgabe — aus dem „Moral science tripos“ von Cambridge
1879, behandelt von Jevons9 p. 206. Es stehe fest, dass jedes b,
welches nicht d ist, entweder a sowol als c, oder weder a noch c ist;
und ferner, dass kein c und kein d ein a und b zugleich sein kann.*)
Zu beweisen, dass kein a ein b ist.
Beweis. Die Prämissen in Formeln eingekleidet lauten:
b d1 ⋹ a c + a1c1, c ⋹ (a b)1, d ⋹ (a b)1,
und geben die vereinigte Gleichung:
(a c1 + a1c) b d1 + a b c + a b d = 0.
Elimination von d aus dieser gibt:
a b c + a b (a c1 + a1c) = 0, oder a b c + a b c1 = 0,
und hieraus Elimination von c:
a b = 0,
d. h. kein a ist b, wie zu beweisen war.
6. Aufgabe. (McColl3 p. 21.)
Es sollen x und y eliminirt werden aus den Prämissen:
a x1 ⋹ c + d y, b x ⋹ c + d y + e, a1b1 ⋹ x + c + d e1, a + b + c ⋹ x + y.
Auflösung. In der vereinigten Gleichung:
a c1x1 (d1 + y1) + b c1e1x (d1 + y1) + a1b1c1 (d1 + c) x1 + (a + b + c) x1y1 = 0
kommt y nur als y1 in der Form A + By1 = 0 vor, weshalb als
Resultante der Elimination von y anzusetzen ist A = 0, d. h. die
Glieder, welche y1 zum Faktor haben, sind einfach wegzulassen. Um
aus dem Rückstande:
b c1d1e1x + {a c1d1 + a1b1c1 (d1 + e)} x1 = 0
noch x herauszuwerfen, hat man alsdann das Produkt der beiden Koeffi-
zienten gleich 0 zu setzen, welches augenscheinlich gibt:
a b c1d1e1 = 0, oder a b ⋹ c + d + e.
7. Aufgabe. (Boole4 p. 237.)
Eine Anzahl Tuchmuster lieferte bei der Untersuchung folgende
Regeln:
Jedes weiss (w) und grün (g) gestreifte Stück war auch schwarz (s)
und gelb (e) gestreift und umgekehrt.
Jedes rot (r) und orange (a) gestreifte Stück war auch mit blau (b)
und gelb gestreift, und umgekehrt.
Was kann ohne Rücksicht auf gelb geschlossen und über grün
ausgesagt werden?
Auflösung. Die Data sind:
w g = s e, r a = b e,
sonach in vereinigter Gleichung:
w g (s1 + e1) + s e (w1 + g1) + r a (b1 + e1) + b e (r1 + a1) = 0
woraus e eliminirt:
w g s1 + r a b1 + (s w1 + s g1 + b r1 + b a1) (w g + r a) = 0
oder
r a (b1 + s w1) + w (s1 + b r1 + b a1) g + r a s g1 = 0.
Die Resultante der Elimination von g läuft auf die Nullsetzung
des ersten Terms hinaus:
r a (b1 + s w1) = 0 oder r a ⋹ b, r a s ⋹ w.
Unabhängig von gelb und grün ist also lediglich zu schliessen:
dass rot und orange gestreifte Muster auch blau, sowie rot, orange
und schwarz gestreifte auch weiss gestreift sein müssen.
Mit Rücksicht hierauf lässt sich nun der erste Term der obigen
von e freien Endgleichung unterdrücken, und gibt dieselbe nach der
Unbekannten g aufgelöst leicht:
g = r a s + u { w1 + s (b1 + r a)},
34*
[532]Dreizehnte Vorlesung.
d. h. die grün gestreiften Muster bestehen aus allen, die zugleich rot,
orange und schwarz gestreift sind, nebst einer unbestimmten Menge solcher
(keinen, einigen oder allen solchen), die entweder nicht weiss gestreift
sind, oder die schwarz, und zugleich nicht blau oder rot nebst orange,
gestreift sind.
Bequemer wird sich dies in Gestalt der Doppelsubsumtion beschreiben
lassen, welche darum für die Einkleidung der Lösung den Vorzug verdient:
r a s ⋹ g ⋹ w1 + s (b1 + r a)
und zu erkennen gibt: dass die zugleich rot, orange und schwarz ge-
streiften Muster auch grün gestreift sein müssen. Jedes grün ge-
streifte Muster aber muss, falls es nicht weiss gestreift ist, sicher
schwarz und entweder nicht blau, oder rot nebst orange gestreift sein.
Es versteht sich, dass vorstehend ein jeder Buchstabe nicht das
Merkmal der betreffenden Farbe, sondern die Klasse der mit diesem Merk-
mal behafteten Objekte in unsrer Mannigfaltigkeit — der Tuchmuster —
vorzustellen hatte. —
Man vergleiche auch die Lösung vorstehenden Problems nach Peirce's
Methode in § 27. Das Problem ist auch behandelt von Grove (Educatio-
nal Times, April 1881), Miss Ladd1 p. 55 ‥ 57.
8. Aufgabe. (Lambert3 I, 14.)
Wenn die x ohne die a einerlei sind mit den b, und die a ohne
die x zusammenfallen mit den c, wie drückt sich x durch a, b und c aus?
Auflösung. Data sind:
a1x + b und a x1 = c,
also in vereinigter Gleichung:
a1b1x + (a + x1) b + a c1x1 + (a1 + x) c = 0.
Durch Elimination des x ergibt sich zunächst die Relation:
a b + a1c + (a1b1 + c) (b + a c1) = 0, oder: a b + a1c + b c = 0, oder:
a b + a1c = 0
— vergl. Th. ι) des § 18 — wonach die Gleichung sich vereinfacht zu:
x (a1b1 + c) + x1 (a c1 + b) = 0
und nach x aufgelöst gibt:
x = a c1 + b + u (a + b) c1 = a c1 + b,
indem der unbestimmte Term eingeht.
In Anbetracht, dass b c = 0 ist, also b = b c1 + b c = b c1 gesetzt
werden kann, lässt sich dem Ergebniss auch die Gestalt geben:
x = (a + b) c1
und lehrt dasselbe: die Klasse x besteht aus den a und den b, mit
Ausschluss der c (was wir in § 23 mit x = a + b — c dargestellt
[533]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
haben würden, wonach es mit Lambert's Ergebniss buchstäblich über-
einstimmte).
Wie Herr Venn1 p. 272 bemerkt, besitzt vorstehende Aufgabe ein ge-
wisses historisches Interesse als einer der frühesten Versuche, logische Auf-
gaben rechnerisch (in Symbolen) zu lösen, und reiht sich unter dem gleichen
Gesichtspunkt hieran auch die folgende von Lambert behandelte Frage.
9. Frage. Wenn a d = b c ist, lässt sich alsdann schliessen, dass
= sein müsse, d. h. wenn die a mit den d die nämlichen Individuen
gemein haben, wie die b mit den c, muss dann jede (resp. überhaupt eine,
resp. eine bestimmte) Klasse, welche durch b determinirt sich in a zu-
sammenzieht, sich decken mit jeder (resp. etc.) Klasse, welche durch d
determinirt c gibt?
Wie in den Klammern schon angedeutet, unterscheiden wir mehrerlei
Auffassungen der Frage, für welche alle sie verneinend zu beantworten
sein wird. Herr Venn l. c. konstatirt einen Irrtum Lambert's, welcher,
obwol die Nichthebbarkeit beiderseits übereinstimmender Faktoren in einer
Gleichung schon bemerkend, doch mehr als einmal annehme, dass es sich
also verhalte (die Frage nämlich zu bejahen sei). Indessen gibt Venn
selbst, unter Äusserung berechtigter Zweifel, eine unrichtige Beantwortung
der Frage, indem er ihre Bejahung an die Bedingung knüpft, dass a = c
und b = d sei — was sich bei einer jeden der Auffassungen nicht gerade
als notwendig, eventuell als nicht hinreichend, herausstellen wird.
Um dies alles aufzuhellen, sei die Frage auch hier behandelt, obwol
sie nicht ganz in den die übrigen Aufgaben umschliessenden Rahmen passt:
wir wünschten mit § 23 die inversen Operationen des Kalkuls endgültig
aus unserer Disziplin ausgemerzt zu haben, weshalb wir denn auch die
Untersuchung auf gegenwärtigen Kontext beschränken.
Zur Unterscheidung von General- und Prinzipalwert des Quotienten
greifen wir auf die Bezeichnungen des § 23 zurück.
Die Prämisse, rechts auf 0 gebracht lautet:
a d (b1 + c1) + b c (a1 + d1) = 0,
oder links nach a, b, c, d entwickelt
a d (b1c1 + b1c + b c1) + b c (a1d1 + a1d + a d1) = 0;
sie leugnet also die Existenz von sechsen der sechzehn zwischen a, b, c, d
und ihren Negationen überhaupt denkbaren Kombinationen, welche die
Mannigfaltigkeit 1 der Möglichkeiten zusammensetzen, wogegen sie über
die zehn übrigen Kombinationen derselben nichts aussagt.
Soll nun überhaupt ein Wert von a : : b übereinstimmen mit einem
Werte von c : : d, so müssen zunächst die beiderseitigen Valenzbedingungen
erfüllt sein, welche lauten: a b1 = 0 und c d1 = 0. Um die vereinigte
Gleichung der letztern a b1 + c d1 = 0 nach allen vier Symbolen zu ent-
wickeln, wird man am besten das Th. 33+) links anwenden, wonach sie
die Form annimmt:
a b1c d1 + a b1 (c1 + d) + c d1 (a1 + b) = 0,
[534]Dreizehnte Vorlesung.
also
a b1c d1 + a b1 (c1d + c1d1 + c d) + c d1 (a1b + a1b1 + a b) = 0.
[Hätte man statt dessen jedes ihrer beiden Glieder mit der Entwickelung
von 1 nach den beiden andern im betreffenden Glied nicht vorkommenden
Symbolen gemäss Th. 34+) multiplizirt, so wäre der Term a b1c d1 unnötig
zweimal angesetzt worden.] Versammelt man nun hieraus diejenigen
Glieder, deren Verschwinden durch die Prämisse nicht ohnehin garantirt
ist, so bemerkt man dass es die folgenden dreie sind: a b1c d1, a b1c1d1 und
a1b c d1. Darnach ist b1d1 (a c + a c1 + a1c) = 0 oder b1d1 (a + c) = 0,
das heisst:
a + c ⋹ b + d
die notwendige Bedingung dafür, dass ein Wert von a : : b nur überhaupt
mit einem solchen von c : : d übereinstimmen könne. Da schon diese
Bedingung im allgemeinen nicht erfüllt ist, und, wie erkannt, ganz und
gar nicht in der Voraussetzung liegt, so wird die gestellte Frage für jeg-
liche Auffassung derselben zu verneinen sein.
Nehmen wir nun aber ausser der Prämisse a d = b c auch noch diese
Forderung a + c ⋹ b + d als erfüllt an, so ist uns nicht nur letztere,
sondern sind auch die Valenzbedingungen a ⋹ b und c ⋹ d selbst ge-
sichert, und ausser diesen stipulirt die Prämisse nur noch, dass
b d (a c1 + a1c) = 0 oder b d (a + c) ⋹ a c
sei. Die so erweiterte Prämisse läuft also auf die drei Voraussetzungen:
a ⋹ b, c ⋹ d, (a + c) b d ⋹ a c
hinaus, deren vereinigte Gleichung das Verschwinden von neunen jener sech-
zehn Konstituenten festsetzt — die im bisherigen sich auch angegeben finden.
Unter dieser Annahme können wir nun weiter fragen, ob, oder unter
welchen ferneren Bedingungen auch jeder Wert von a : : b mit jedem Werte
von c : : d übereinstimmen wird?
Dies ist nur möglich, wenn diese beiden Ausdrücke eindeutig ausfallen,
nämlich selbst nicht schon mehrere unter sich verschiedene Werte umfassen.
Für den Generalwert des Quotienten von a und b hatten wir in § 23,
η) den Ausdruck:
a : : b = a u1 + (a + b1) u
und soll dieser von u unabhängig ausfallen, so muss für beliebige u, v sein:
a u1 + (a + b1) u = a v1 + (a + b1) v,
was rechts auf 0 gebracht: a1b1 (u v1 + u1v) = 0 gibt und für jedes Worte-
paar u, v nur bestehen kann, wenn selber a1b1 = 0 ist — vergl. unten
Studie 21. Da nun ohnehin a b1 = 0 nach der Valenzbedingung war, so
haben wir alsdann a b1 + a1b1 = 0 oder b1 = 0, d. h. b = 1 und wird
a : : b = a : : 1 = a sein müssen. Analog d = 1 und c : : d = c.
Die obige Frage wird demnach sich nur bejahen lassen, wenn
a = c und b = d = 1
ist; mithin war hier Herrn Venn's Entscheidung, bei welcher b = d noch
unbestimmt blieb, nicht ausreichend.
Von grösserem Interesse erscheint die Frage, ob oder wann vielleicht
die Gesamtheit der Werte von a : : b sich deckt mit der Gesamtheit der
Werte von c : : d?
Diese Gleichheit a : : b = c : : d tritt nur dann und sicher dann ein,
wenn unter der oben stipulirten Annahme die Gleichung:
a + u b1 = c + v d1
für ein beliebig angenommenes u erfüllbar ist durch ein v und für ein
irgendwie angenommenes v erfüllbar ist durch gewisse u — vergl. § 23, η).
Letzteres tritt ein, wenn für die (rechts auf 0 gebrachte) Gleichung:
(a + b1u) c1 (d + v1) + a1 (b + u1) (c + d1v) = 0
die Resultante der Elimination des v:
a c1d + a1b c + b1c1d u + a1c u1 = 0
auflösbar ist nach u, d. h. wieder, wenn nur die Resultante auch seiner
Elimination hieraus erfüllt ist. Als die gesuchte Bedingung finden wir
hienach schlechtweg die Resultante der Elimination von u nebst v aus der
obigen Gleichung, also:
a c1d + a1b c = 0
— eine Gleichung, welche laut Prämisse schon ohnehin erfüllt ist.
Unter den durch Zuzug der Valenzbedingungen von a : : b und c : : d
zu der Prämisse a d = b c erweiterten Voraussetzungen wird folglich aller-
dings aus letzterer auch auf die Geltung der „Proportion“ a : : b = c : : d
zu schliessen erlaubt sein, indess auch nur unter diesen Voraussetzungen.
Fragen wir endlich, ob oder wann auch die Hauptwerte der beider-
seitigen Quotienten übereinstimmen werden, d. h. wann in unsrer Bezeich-
nung wirklich a : b = c : d, oder = , sein wird? — unter ebendiesen
Voraussetzungen, ohne welche ja die Frage gar keinen Sinn haben würde!
Nach ϰ) des § 23 deckt sich dies mit der Forderung, dass
a + b1 = c + d1, oder (a + b1) c1d + a1b (c + d1) = 0,
sei. Da laut Prämisse schon zwei von den vier Termen links fortfallen,
reduzirt sich dies auf die Forderung:
b1c1d + a1b d1 = 0 oder (a + a1) b1c1d + a1b (c + c1) d1 = 0,
worin nach den Valenzbedingungen abermals zwei Terme sich wegheben.
Es bleibt die Bedingung:
a1c1 (b1d + b d1) = 0, oder b + d ⋹ a + c + b d
durch welche den neun schon verschwindenden Konstituenten noch zwei
weitere zugesellt werden. Schliesslich haben wir:
a d ⋹ c ⋹ d ⋹ b + c, b c ⋹ a ⋹ b ⋹ a + d
als den Inbegriff der erforderlichen Bedingungen für die Bejahung der
Frage, ob = ?
10. Aufgabe. (Venn1 p. 267.)
Aus einer gewissen Klasse von Gegenständen liest eine Person
heraus (picks out) die x, welche z sind und die y, welche nicht z sind.
Aus dem Rückstande scheidet eine andere Person aus die z, welche y
und die x, welche nicht y sind. Man findet, dass nur die z, welche
nicht x sind, diese aber sämtlich, übrig bleiben.
Was kann alsdann über die ursprüngliche Klasse — w möge sie
heissen — ausgesagt werden?
Auflösung. In die Zeichensprache übersetzt lautet die Prämisse:
w (x z + y z1)1 (z y + x y1)1 = z x1
— vergleiche das über die Ausschliessung, Exception in § 23 S. 495
gesagte.
Nach meinem Th. 46) stellt die linke Seite sich dar als:
w (x1z + y1z1) (z1y + x1y1) = w (x1y1z + x1y1z1) = w x1y1.
Es lautet also die Gleichung:
x1y1w = x1z,
wobei die linke Seite zu erkennen gibt: der Erfolg der zweimaligen
Ausscheidungen war einfach die Beseitigung der x und der y aus der
Klasse der w.
Da nun die Gleichung, rechts auf 0 gebracht, aussagt:
x1y z + x1y1z1w + x1z w1 = 0,
so haben wir erstlich als Resultante der Elimination von w die Relation:
x1y z = 0 oder y z ⋹ x,
d. h. alle y, welche z sind, mussten auch x gewesen sein, und zweitens
haben wir als Auflösung:
w = x1z + u (x + y)
bei unbestimmtem u, oder:
x1z ⋹ w ⋹ x + y + z,
d. h. die Klasse w musste sicherlich die z, welche nicht x sind, alle
enthalten haben, und konnte nur aus Individuen der Klassen x, y
und z zusammengesetzt gewesen sein — was auch unmittelbar als
selbstverständlich einleuchtet.
11. Aufgabe. (Mc Coll, Math. Questions etc. from the Educa-
tional Times, Vol. 31, p. 43 und 44, auch gelöst von Herrn Lloyd
Tanner.)
Durch Beobachtung sei erkannt, dass sooft die Ereignisse a und b
[537]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
zusammen eintreten, denselben allemal folgt*) das Ereigniss c, des-
gleichen das d oder auch e, ferner: dass, sooft die Ereignisse d und e
beide eintreten, ihnen allemal vorhergegangen*) ist das Ereigniss a,
oder auch b nebst c. Wann können wir (aus dem Eintreten oder Nicht-
eintreten der Ereignisse a, b, c oder d) schliessen erstens, dass e ge-
wisslich eintreffen wird, und zweitens, dass e sicher nicht eintrifft?
Auflösung. Die Data lauten (wenn a gedeutet wird als Klasse
der Fälle, wo das gleichnamige Ereigniss eintritt, etc.):
a b ⋹ c (d + e), d e ⋹ a + b c,
oder:
a b (c1 + d1e1) + a1 (b1 + c1) d e = 0,
woraus durch Elimination von e zunächst zu ersehen ist, dass a b c1 = 0
oder a b ⋹ c, d. h. das Zusammentreffen von a und b stets von c ge-
folgt ist, wie dies auch schon die Prämissen statuirten, sodann durch
Auflösen der restirenden Gleichung nach der Unbekannten e, sowie e1,
sich ergibt:
a b d1 ⋹ e ⋹ a + b c + d1, a1d (b1 + c1) ⋹ e1 ⋹ a1 + b1 + d.
Die ersten Teile von diesen Doppelsubsumtionen enthalten die
Antwort auf die gestellten Fragen: e tritt sicher ein, wenn a und b
(und c) ohne d eintreten, und e tritt zuverlässig nicht ein, wenn d
eintritt und entweder a und b, oder a und c nicht eintreten.
12. Aufgabe. (W. B. Grove, Educational Times 1. Febr. 1881,
6616; Miss Ladd1 p. 54.) Die Mitglieder einer wissenschaftlichen
Gesellschaft zerfallen in drei Abteilungen (Sektionen) a, b, c von denen
jedes Mitglied mindestens einer angehören muss, und gelten folgende
Bestimmungen:
Wer der Sektion a aber nicht der Sektion b angehört, desgleichen
wer der b und nicht der c angehört, endlich wer der Sektion c aber
nicht a angehört, darf der Gesellschaft einen Vortrag halten, falls er
seinen Beitrag bezahlt hat, aber sonst nicht.
Ein jeder, der Sektion a aber nicht c, c aber nicht a, b aber
nicht a, Angehörende, darf den Mitgliedern ein Experiment vormachen,
falls er seinen Beitrag gezahlt hat, sonst nicht.
Jedes Mitglied muss jährlich den übrigen Mitgliedern entweder
einen Vortrag halten oder ein Experiment vormachen.
Gesucht der Minimalzusatz zu den Bestimmungen, durch welchen
jedes Mitglied gezwungen würde, entweder seinen Beitrag zu zahlen
oder seine Mitgliedschaft zu verwirken.
Auflösung. Sei 1 die Klasse der Mitglieder, x die Klasse derer,
die einen Vortrag halten müssen (sonach auch dürfen), y die Klasse
derer, die ein Experiment vormachen müssen, z die Klasse derer, die
ihren Beitrag bezahlt haben.
Dann garantiren die bisherigen Bestimmungen schon dass:
a1b1c1 = 0, (a b1 + b c1 + c a1) x z1 = 0, (a c1 + a1c + a1b) y z1 = 0, x1y1 = 0
ist, und handelt es sich darum, hinzubringen, dass z1 ausgeschlossen
werde aus allen den Teilen der Gesamtheit 1 der Mitglieder, aus denen
es nicht bereits ausgeschlossen wurde, nämlich aus der Negation von:
a1b1c1 + (a b1 + b c1 + a1c) x + (a c1 + a1b + a1c) y + x1y1.
Diese ist:
(a + b + c) (a b c + a1b1c1 + x1) (a c + a1b1c1 + y1) (x + y)
in Anbetracht, dass der Koeffizient von x vollends nach a entwickelt sich
als a (b1 + c1) + a1 (b + c) darstellt, während der von y als a c1 + a1 (b + c)
schon ebendarnach entwickelt ist, wonach die Negationen dieser Koeffizienten
sich sofort als a b c + a1b1c resp. a c + a1b1c1 nach meinem Th. 46+) ergeben.
Hier sind nun zunächst die beiden Terme a1b1c1, als in ihre Negation
a + b + c zu multiplizirende fortzulassen. Darnach gibt das Produkt der
beiden mittleren von den vier Faktoren:
a b c + a c x1 + a b c y1 + x1y1,
wovon der letzte Term als Negation des nachfolgenden Faktors x + y zu
unterdrücken, der vorletzte vom ersten absorbirt wird. Dann erhalten wir
durch Ausmultipliziren leicht: a b c (x + y) + a c x1y, wobei jedoch statt x + y
genommen werden kann: x + x1y und dann der vom zweiten dieser Glieder
herrührende Term in dem letzten Gliede eingeht.
Es bleibt:
a b c x + a c x1y
als Ausdruck jener Klasse, von welcher z1 auszuschliessen wäre.
Daher ist der gesuchte geringste erforderliche Zusatz zu den Be-
stimmungen dieser:
a c (b x + x1y) z1 = 0,
d. h. „Wer seinen Beitrag nicht gezahlt hat, kann nicht allen drei
Sektionen zugleich angehören und einen Vortrag halten, desgleichen
kann er nicht den Sektionen a und c gleichzeitig angehören und ohne
Vortrag zu halten ein Experiment vormachen“.
Hätte man oben die Koeffizienten von x und y mittelst Ausmultipli-
zirens von (a1 + b) (b1 + c) (c1 + a) resp. (a1 + c) (a + b1) (a + c1) negirt, so
[539]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
konnte diese Aufgabe schon in § 18, als χ1) gebracht werden, da sie eine
Elimination oder Berechnung einer Unbekannten nicht erforderte.
13. Aufgaben. Unter dieser Nummer geben wir eine Reihe von
leichteren Rechnungsaufgaben.
α) Man bringe die Gleichung x = a rechts auf Null, löse sie alsdann
systematisch nach x auf und überzeuge sich, dass der unbestimmte Term
eingeht.
β) Aus der Gleichung a x + b = 0 soll x eliminirt [und berechnet]
werden. Auflösung: die Resultante ist: b = 0. [Darnach würde sich be-
rechnen: x = u a1, d. h. x ⋹ a1.]
γ) Analog x und y aus der Gleichung
a x + b y + c = 0
zu eliminiren etc. Resultante: c = 0. Berechnen würde sich darnach:
x = u a1, y = v b1 oder x ⋹ a1, y ⋹ b1.
δ) Wenn a = x b und b = y a, so ist durch Elimination von x und y
zu zeigen, dass a = b sein muss.
Anstatt das systematische Verfahren anzuwenden, kann man hier auch
mittelst Durchmultiplizirens der Prämissen schliessen, dass
a b = x b b = x b = a, b a = y a a = y a = b, sonach a b = a = b
sein muss.
ε) Aus a x = b das x zu eliminiren und zu berechnen.
Resultante: a1b = 0, Lösung: x = b + u a1, resp.
b ⋹ a, b ⋹ x ⋹ b + a1.
Durch beiderseitiges Multipliziren der Prämisse mit a und Vergleichung,
erkennt man auch direkt, dass a b = b sein muss; doch gibt das syste-
matische Verfahren die Gewissheit, dass man hiermit die volle Resultante
besitze.
ζ) Nach x aufzulösen die Gleichung:
(a b + a1b1) x + (a b1 + a1b) x1 = 0.
Auflösung: x = a b1 + a1b. [Resultante: 0 = 0.]
η) Desgl. a1b1x + (a b1 + a1b) x1 = 0. Aufl. x = a b1 + a1b + u a b.
ϑ) Man zeige, dass aus der Gleichung:
(b1 + c1) x + (a c + a1b) x1 = 0, wo a b1c + a1b c1 = 0
sein wird, sich x = a c + a1b völlig eindeutig bestimmt. Man sieht: die
Bedingung S. 463 in σ) des § 21 braucht nicht etwa analytisch erfüllt zu
sein, sondern es genügt, wenn sie nur erfüllt ist kraft der Resultante.
ι) Dagegen für (b1 + c1) x + a1 (b + c) x1, wo a1 (b c1 + b1c) = 0, wird
x = a1 (b + c) + u b c irgendwie zwischen a1 (b + c) und a1 (b + c) + b c
liegen können.
ϰ) (Boole?) Aus a b + x a b1 + y a1b + a1b1 = 0 eliminire man x, y.
Die Resultante heisst a b + a1b1 = 0, oder a = b1, b = a1. Mit Rück-
sicht darauf vereinfacht die Gleichung sich zu x a + y a1 = 0, woraus
x = u a1, y = v a oder x ⋹ a1, y ⋹ a sich berechnen würde.
λ) Das Gleichungenpaar nach x aufzulösen:
a = a b + x (a + b), b = a b + x1 (a + b).
Die Wurzel ist: x = a b1 + u (a + b1), und ergibt sich keine Relation
zwischen a und b. Die zweite Prämisse deckt sich mit der ersten —
vergl. § 18, ο1).
μ) (De Morgan2 p. 123.) Zu zeigen, dass aus den Prämissen:
„Jedes a ist b oder c und jedes c ist a“ kein Schluss in Bezug auf nur
zweie der drei Klassen a, b, c gezogen werden kann.
Auflösung. a ⋹ b + c, c ⋹ a gibt a b1c1 + a1c = 0 als vereinigte
Gleichung. Elimination von a allein, desgleichen von c für sich, führt
augenscheinlich nur auf 0 = 0, als der vollen Resultante. Die von b führt
blos auf die zweite Prämisse zurück.
ν) Venn5 p. 13. Die Data zu vereinfachen:
x ⋹ y z + y1 (= y1 + z), x y z ⋹ w, w x y z = 0.
Resultat: x y = 0.
14. Aufgabe (nach Venn1 p. 270 den deutschen Schulverhältnissen
angepasst).
Wir beschränken unsre Aufmerksamkeit (confine ourselves) auf
die Schüler der Mittelschulen einer Stadt als da sind:
a = Gymnasiasten und a1 = Realschüler.
Bedeutet b die welche Hebräisch und c die welche Englisch hatten,
so soll von der Kategorie x der bei den Promotionsprüfungen durch-
gefallenen, der sitzen bleibenden oder nichtpromovirten Schüler bekannt
sein, dass — was der Leser sich leicht in Worte fasst:
x ⋹ a b1 + a1c, a x ⋹ b + c, c x ⋹ a b
ist. Man ermittle diese Klasse.
Auflösung. Unschwer überzeugt man sich, dass der Faktor,
welchen x in der vereinigten Gleichung erhält:
a b + a1c1 + a b1c1 + a1c + b1c = 1
ist, und diese sich zu: x = 0 vereinfacht. Mithin sind alle promo-
virt worden.
15. Aufgabe. Venn1 p. 268 — desgleichen.
Bei einer andern Schüleraufgabe bedeute x die Knaben, x1 die
Mädchen, a die prämiirten, b und c die an einem bestimmten Unter-
richtsgegenstand, z. B. Griechisch resp. Literaturgeschichte teilnahmen.
So soll aus der Angabe:
a = b x + c x1
die Unbekannte x berechnet werden.
Auflösung. Man findet:
x = a c1 + a1c + u (a b + a1b1),
wo u unbestimmt; d. h. die Knaben zählten zuverlässig in ihren Reihen
die sämtlichen prämiirten Schulkinder, die nicht Literaturgeschichte
hatten nebst den nicht prämiirten Schulkindern, die Literaturgeschichte
hatten; zudem vielleicht irgendwelche prämiirte Kinder die Griechisch
hatten sowie ev. nicht prämiirte Kinder die kein Griechisch hatten,
doch jedenfalls keine andern.
16. Aufgabe. Venn1 p. 262 — auch Math. Quest. Vol. 34,
p. 35 und 36. (Lösungen von Harley, Matz, Mc Coll, Genese,
u. a.) Bei einem Klub bedeute
so sollen die folgenden (in Worten zu gebenden) Klubregeln:
x ⋹ z, y z ⋹ x, x y = 0
vereinfacht werden.
Auflösung. In der vereinigten Gleichung:
x z1 + x1y z + x y = 0
lässt zuerst der Faktor x1 sich unterdrücken — indem man in den
beiden letzten Gliedern linkerhand sich y als gemeinsamen Faktor
ausgeschieden denkt und in der Klammer das Th. 33+) Zusatz an-
wendet, die Klammer hernach wieder auflösend. Alsdann aber lässt
unmittelbar das Th. ι) des § 18 sich anwenden und entsteht:
x z1 + y z = 0 oder x ⋹ z nebst y z = 0,
was wieder in Worte zu fassen.
Venn findet dies mittelst „Entwickelung“ der einzelnen Teilaussagen
nach x, y und z und nachheriger Zusammenziehung der Ergebnisse, welch
letztere, wie er nicht ganz unrichtig bemerkt „is purely a matter of tact
and skill, for which no strict rules can be given“.
17. Aufgabe. Venn5 p. 14.
Gegeben:
a ⋹ b + c, b ⋹ c + d, c ⋹ d + a, d ⋹ a + b.
Welche Bedingung muss mindestens hinzugefügt werden, damit
a b ⋹ d sei?
Auflösung. Die Forderung a b d1 = 0 gibt, nach allen vier Sym-
bolen entwickelt:
a b c d1 + a b c1d1 = 0.
In der vereinigten Gleichung der Prämissen:
a b1c1 + b c1d1 + c d1a1 + d a1b1 = 0
ist aber das einzige Glied in welchem a b d1 als Faktor stecken kann,
weil es von a1 sowol als b1 und d frei ist, das zweite, und dieses garan-
tirt, dass a b c1d1 + a1b c1d1 = 0 ist. Demnach ist der zweite Teil der
entwickelten Forderung bereits ohnehin erfüllt, und braucht nur mehr
noch stipulirt zu werden, dass: a b c d1 = 0, das heisst a b c ⋹ d sei. —
18. Aufgabe. Man eliminire und berechne x aus der Sub-
sumtion:
a x + b x1 + c ⋹ α x + β x1 + γ.
Auflösung. Homogen gemacht lautet dieselbe Prämisse:
(a + c) x + (b + c) x1 ⋹ (α + γ) x + (β + γ) x1,
und wird dieselbe rechts auf 0 gebracht, indem man ihre linke Seite
mit der Negation der rechten multiplizirt. Nach den Theoremen 38),
36) und 46) lässt sich dies unmittelbar hinschreiben in Gestalt von:
(a + c) α1γ1x + (b + c) β1γ1x1 = 0,
woraus nun als Resultante der Elimination von x folgt:
(a b + c) α1β1γ1 = 0, oder a b + c ⋹ α + β + γ,
und als Auflösung:
x = (b + c) β1γ1 + u a1c1 (α + γ);
oder in Form einer Doppelsubsumtion beides vereinigt:
(b + c) β1γ1 ⋹ x ⋹ a1c1 + α + γ,
oder auch:
(a + c) α1γ1 ⋹ x1 ⋹ b1c1 + β + γ.
19. Aufgabe. Eliminire und berechne x aus der Gleichung:
a x + b x1 + c = α x + β x1 + γ.
Auflösung. Rechts auf 0 gebracht und homogen gemacht lautet
die Gleichung:
[543]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
{(a + c) α1γ1 + a1c1 (α + γ)} x + {(b + c) β1γ1 + b1c1 (β + γ)} x1 = 0,
woraus die Resultante folgt:
(a b + c) α1β1γ1 + (a b1α1β + a1b α β1) c1γ1 + a1b1c1 (α β + γ) = 0
und die Auflösung:
x = {(b + c) β1γ1 + b1c1 (β + γ)} + u (a + c + α1γ1) (a1c1 + α + γ)
oder:
(b + c) β1γ1 + b1c1 (β + γ) ⋹ x ⋹ (a + c) (α + γ) + a1c1α1γ1.
20. Aufgabe. Die Gleichung b = x a + y a1 nach x und y auf-
zulösen.
Auflösung. Rechts auf 0 gebracht lautet die Gleichung:
a (b1x + b x1) + a1 (b1y + b y1) = 0.
Der erste Term, gleich 0 gesetzt, ist die Resultante der Elimination
von y, ebenso der zweite, gleich 0 gesetzt, die Resultante der Elimi-
nation von x. Da Elimination beider Unbekannten auf die Identität
0 = 0 führt, so braucht zwischen a und b keinerlei Relation zu be-
stehen; vielmehr können diese beiden Gebiete völlig nach Belieben
angenommen werden. Auflösung der ersten Resultante nach x, und
der letztern nach y, gibt endlich:
x = a b + u (a1 + b) = a b + u (a1 + a b) = a b + u a1,
y = a1b + v (a + b) = a1b + v (a + a1b) = a1b + v a,
für willkürliche u, v. In der That stimmt die Probe:
b = (a b + u a1) a + (a1b + v a) a1,
und ist damit, wenn man nur noch die Namen a, b durch x, y ersetzt,
die Formel des Th. 42) systematisch aufgefunden.
21. Studie. Soll es mindestens einen Wert von x geben, für
welchen die Gleichung besteht:
a x + b x1 = 0,
so — haben wir gesehen — muss a b = 0 sein. Welche Relation aber
die Koeffizienten a, b erfüllen müssen, wenn die Gleichung für jeden
Wert von x Geltung haben soll, ist auch nicht schwer zu sehen.
Dieselbe lautet: a = b = 0,
d. h. die Koeffizienten müssen dann beide schon einzeln gleich 0 sein.
Insbesondre muss nämlich alsdann die Gleichung auch für x = 1, so-
wie für x = 0, gelten, was als notwendig zu erfüllende Bedingung
a = 0 nebst b = 0 liefert, und das genügt auch, um die Gleichung zu
einer allgemein geltenden Formel zu machen.
Analog musste bekanntlich a b c d = 0 sein, wenn es ein Werte-
paar von x und y, oder auch deren mehrere, geben soll, für welches
die Gleichung:
a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1 = 0
richtig wird. Soll diese Gleichung aber für jedes Wertepaar x, y, soll
sie allgemein gelten, so ist:
a + b + c + d = 0
dafür die notwendige und hinreichende Bedingung; wieder müssen
dann also alle Koeffizienten für sich verschwinden, je den Wert 0 haben.
Behufs Nachweises bilde man aus 1, 1, 0, 0 alle erdenklichen Werte-
paare (1,1; 1,0; 0,1; 0,0) und setze sie für x und y — oder auch:
man erteile nur dem y die Werte 1 resp. 0 und verwerte für die
stehen bleibende Gleichung in x, die dann noch für jedes x wird
gelten müssen, das Ergebniss der vorhergehenden Überlegung.
Analog für noch mehr Variable.
22. Aufgabe.
Die Gleichung:
a u v + b u v1 + c u1v + d u1v1 = a b c d + w (a + b + c + d)
ist, wie wir in § 19 unter Th. 48) Zusatz gesehen haben für irgend ein
w erfüllbar durch gewisse Wertepaare u, v und für irgend ein Wertepaar
u, v erfüllbar durch gewisse w.
Es soll die Bedingung (Relation zwischen a, b, c, d) dafür aufgesucht
werden, dass diese Gleichung auch für ein irgendwie angenommenes Werte-
paar v, w bestehen (d. h. durch ein u erfüllt, nach u aufgelöst werden)
könne, resp. für ein beliebiges Wertepaar u, w (erfüllbar sei durch ein v).
Auflösung. Man eliminire zunächst v aus der rechts auf 0 gebrachten
Gleichung. Als Resultante stellt sich nach einiger Rechnung heraus:
a1b1 (c + d) u w + a b (c1 + d1) u w1 + (a + b) c1d1u1w + (a1 + b1) c d u1w1 = 0
und da dieselbe nun für jedes irgendwie gedachte Wertepaar u, w Geltung
haben soll, so muss — cf. vorige Studie — sein:
a1b1 (c + d) + a b (c1 + d1) + (a + b) c1d1 + (a1 + b1) c d = 0,
das heisst:
a + b = c + d nebst a b = c d.
Die Resultante der Elimination des u ergibt sich analog, bequemer
aber, indem man vorstehend u mit v und zugleich b mit c vertauscht. Zu
deren allgemeiner Geltung in v, w würde sonach erforderlich sein, dass:
a + c = b + d und a c = b d
ist. Die vereinigte Gleichung der beiden Ergebnisse, m. a. W. das System
der Forderungen:
a + b = c + d, a + c = b + d, a c = b d, a b = c d,
welches auf a = d, b = c hinausläuft (Aufgabe, dies nachzuweisen),
[545]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
stellt die Bedingung dafür vor, dass von den drei Symbolen u, v, w irgend
zweie ganz beliebig angenommen werden können, ohne dass der Bestand
der ersten Gleichung gefährdet wird. —
23. Aufgabe (Boole4 p. 144).
Die Ringelwürmer (Anneliden) sind weichleibige Tiere und entweder
nakt oder in einer Röhre eingeschlossen. Auch besteht die Ordnung der
Ringelwürmer aus allen wirbellosen Tieren, welche rotes in einem doppelten
Gefässsystem zirkulirendes Blut haben.
Bedeutet a = Anneliden, s = weichleibige Tiere (softbodied animals)
n = nakt, t = in einer Röhre (tube) eingeschlossen, i = wirbellos (inver-
tebrate), r = rotes in etc. zirkulirendes Blut habend, so werden:
a ⋹ s (n + t), a = i r, nebst n t = 0
(was als selbstverständlich eingeschlossen) die gegebenen Propositionen sein.
Gesetzt wir wünschen nun zu erfahren, in welcher Weise die Klasse
s t = w der weichleibigen in einer Röhre eingeschlossenen Tiere sich zu-
sammensetzt aus den Klassen r, n, i der rotblütigen, der nakten und der
wirbellosen Tiere.
So werden wir zuerst aus der vereinigten Gleichung der Prämissen:
a (s1 + n1t1) + a (i1 + r1) + a1i r + n t = 0
das a eliminiren. Die Resultante ist:
n t + (s1 + n1t1) i r = 0.
Und diese Gleichung werden wir mit der hinzugekommenen:
w1s t + w (s1 + t1) = 0
vereinigen. [Die Elimination des a konnte hier vor dieser Vereinigung er-
folgen, weil a in der hinzutretenden Gleichung w = s t nicht vorkommt.]
Aus der vereinigten Gleichung ist alsdann s und t zu eliminiren. Die
Resultante der Elimination zunächst des s lautet:
n t + n1t1i r + w t1 + w1t i r = 0,
sodann die auch von t:
(n + w1i r) (w + n1i r) = 0,
oder:
n w + n1i r w1 = 0.
Und diese Gleichung ist nun wiederum nach w als Unbekannter aufzulösen.
Es wird:
s t = w = n1 (i r + u),
worin u eine unbestimmte Klasse bedeutet; d. h. Die Klasse der in eine
Röhre eingeschlossenen weichleibigen Tiere besteht aus den nicht nakten
wirbellosen rotblütigen Tieren nebst einem unbestimmten Reste von nicht-
nakten Tieren. Das Resultat befindet sich, wie man leicht nachweisen
wird, in Übereinstimmung mit dem von Boole in der weitläufigeren Fassung
w = n1 {i r + u (i r1 + i1)}
dargestellten Ergebnisse.
Benennte man auch s t1, s1t und s1t1 je mit einem eigenen Buchstaben
(gleichwie vorhin s t mit w) und brächte das gleiche Verfahren gemäss dem
Th. 50+) Zusatz — in Anwendung, so würde sich in Einklang mit Boole
ergeben:
s t1 = n i r + u (i1 + r1), s1t = u n1 (i1 + r1), s1t1 = u (i1 + r1)
(wobei nur u jedesmal wieder von neuem eine unbestimmte Klasse vorzu-
stellen hätte) welche Resultate zu deuten wir dem Leser überlassen.
24. Aufgabe (Venn1 p. 310).
Gegeben y z = a, z x = b; es soll c = x y durch a und b aus-
gedrückt werden.
Auflösung. Aus der vereinigten Gleichung der beiden ersten
Prämissen:
a1y z + a (y1 + z1) + b1x z + b (x1 + z1) = 0
eliminire man zuerst z, welches ja in der dritten Prämisse nicht vor-
kommt. Aus der Resultante:
a + b x1 + (a1y + b1x) (a + b) = 0
und der dritten Prämisse bilde man sodann die vereinigte Gleichung:
a y1 + b x1 + a1b y + a b1x + c1x y + c (x1 + y1) = 0
um aus ihr noch x und y zu eliminiren, schliesslich c zu berechnen.
Die vorstehende Gleichung wird die volle Resultante der Elimi-
nation des z aus dem System der drei Prämissen, resp. aus deren ver-
einigter Gleichung, uns vorstellen, weil die Terme, die von vornherein
vom Eliminanden frei sind, immer unverändert in die Resultante über-
gehen. Elimination von y gibt:
b x1 + a b1x + c x1 + (a1b + c1x) (a + c) = 0,
oder:
a1b c + a (b1 + c1) x + (b + c) x1 = 0
und hieraus die von x:
a1b c + a (b c1 + b1c) = 0,
oder
(a b1 + a1b) c + a b c1 = 0.
Da die Elimination von c hieraus auf 0 = 0 führt, so braucht zwi-
schen a und b keinerlei Relation zu bestehen und konnten diese Klassen
von vornherein beliebig angenommen werden, so lange x und y unbe-
stimmt gelassen wurden. Nunmehr berechnet sich:
c = a b + u a1b1,
oder
a b ⋹ c ⋹ a b + a1b1,
was zu finden war.
Anmerkung. Um x und y auf einmal zu eliminiren, wäre freilich
ein einfacheres Verfahren das gewesen, dass man in das überschiebend ge-
bildete Produkt der beiden ersten Gleichungen z x y = a b den Wert von
z y (= c) aus der dritten Prämisse einsetzte. Aus dem Ergebniss c z = a b
schliesslich z eliminirend erhält man aber blos: a b c1 = 0, woraus zu er-
kennen ist, dass jenes Ergebniss nicht die volle Resultante gewesen. —
In andern Fällen mag ein Kunstgriff schneller als das systematische Ver-
fahren zuweilen auch zur vollen Resultante führen, doch ist das letztere,
selbst wenn es weitläufiger, vorzuziehen, eben weil es uns über jene Frage
nicht im Ungewissen lässt.
Wäre d = x y1 + x1y zu suchen gewesen, so hätte sich ergeben:
a b d + (a b1 + a1b) d1 = 0,
also:
d = a b1 + a1b + u a1b1.
Für e = x1y1 ebenso: (a + b) e = 0, e = u a1b1.
Für f = x y1 desgleichen: a f + a1b f1 = 0, f = a1 (b + u).
Und dergleichen mehr — wobei natürlich die Symbole u der ver-
schiedenen Lösungen beliebige aber nicht von einander unabhängige
Bedeutungen haben. —
25. Aufgabe. Unter Elimination von x die Funktion t = φ (x).
auszudrücken durch die Koeffizienten der Gleichung f (x) = 0.
Auflösung. Sei entwickelt:
f (x) = 0 = a x + b x1, φ (x) = t = a x + β x1,
wo also
a = f (1), b = f (0), α = φ (1), β = φ (0)
gegebene Parameter vorstellen werden, so haben wir die letzte Glei-
chung rechts auf 0 zu bringen:
t φ1 (x) + t1φ (x) = 0,
aus ihr und der andern die vereinigte Gleichung zu bilden:
f (x) + t φ1 (x) + t1φ (x) = 0,
also entwickelt:
(a x + b x1) (t + t1) + t (α1x + β1x1) + t1 (α x + β x1) = 0,
sodann x zu eliminiren, und die Resultante:
{a (t + t1) + α1t + α t1} {b (t + t1) + β1t + β t1} = 0,
oder
(a + α1) (b + β1) t + (a + α) (b + β) t1 = 0
nach der Unbekannten t aufzulösen, nicht ohne dieselbe zuvor auch
eliminirt zu haben. Da
(a + α1) (b + β1) (a + α) (b + β) = (a + α1α) (b + β1β) = a b
35*
[548]Dreizehnte Vorlesung.
ist, haben wir als Resultante nur die alte Valenzbedingung:
a b = 0,
welche auch schon aus der Gleichung f (x) = 0 zu ersehen war, und
sodann:
t = (a + α) (b + β) + u (a1α + b1β)
als die gesuchte Darstellung.
t ist demnach gelegen zwischen
a β + b α + α β und a β + b α + a1α + b1β
(in welcher Summe der Term α β einging — vergl. § 18, Th. ι).
26. Aufgabe. Analog unter Elimination von x, y durch die Koef-
fizienten der Gleichung:
f (x, y) = 0
die Funktion t = φ (x, y) auszudrücken.
Auflösung. Entwickelt sei
f (x, y) = a x y + b x y1 + c x1y + d x1y1 = 0,
φ (x, y) = α x y + β x y1 + γ x1y + δ x1y1 = t,
so hat man wie vorhin zu verfahren: die letzte Gleichung rechts auf
0 gebracht mit der vorigen zu vereinigen, dann x, y herauszuwerfen
und die Resultante nach t aufzulösen. Sie lautet:
(a + α1) (b + β1) (c + γ1) (d + δ1) t + (a + α) (b + β) (c + γ) (d + δ) t1 = 0,
gibt bei Elimination von t die alte Valenzbedingung:
a b c d = 0
und aufgelöst:
t = (a + α) (b + β) (c + γ) (d + δ) + u (a1α + b1β + c1γ + d1δ),
worin u unbestimmt bleibt. —
Ähnlich lässt sich die Lösung bei beliebig vielen Eliminanden
x, y, z, … hinsetzen.
27. Aufgabe (Miss Ladd1 p. 58 ‥ 61).
Die Werktage der Woche sollen kurz mit
Mo., Di., Mi., Do., Fr., Sa.
bezeichnet werden.
Sechs Kindern a, b, c, d, e, f wird zugemutet*), dass sie folgende
Vorschriften befolgen.
b und f beschliessen zuerst, was sie thun wollen, und c trifft seine
Entscheidung vor a, d oder e.
Zu ermitteln ist erstens, wann c ausgehen muss, zweitens, wann es
daheim bleiben muss, mithin drittens auch, wann es verfahren kann
nach seinem Gefallen.
Auflösung. Man lasse a auch bedeuten die Klasse der Fälle
oder Zeiten, in welchen das Kind a ausgeht, sonach a1 die Klasse der
Fälle oder Zeiten, in welchen das Kind a daheim verweilt und so
weiter. Ebenso lasse man Mo. bedeuten die Klasse der Fälle, in wel-
chen „es Montag ist“, d. h. die Klasse der auf einen Montag fallenden
Zeiten, u. s. w.
Alsdann fordern die beiden ersten Vorschriften, dass sei:
In der That soll die Klasse der Fälle, wo es Mo. (oder Di.) ist und
zugleich die Kinder a, b, c, d zusammen ausgehn, eine leere sein, was durch
(Mo + Di) · a b c d = 0 auszudrücken; etc.; ebenso soll die Klasse der Zeiten
eine leere sein, wo es Do. (oder Fr. oder Sa.) ist und die Kinder a, b, c
zusammen daheim bleiben, was durch (Do + Fr + Sa) a1b1c1 = 0 sich aus-
drücken wird, etc. Dass an den betreffenden Tagen nicht mehr als viere
ausgehen, bezüglich nicht mehr als dreie daheim bleiben sollen, braucht
nicht besonders formulirt zu werden, indem die aus dieser Formulirung zu
unserm Ansatz hinzutretenden Terme ohnehin von den bereits angesetzten
absorbirt werden müssten, wie a b c d e von a b c d, wie a1b1c1d1 von a1b1c1, etc.
Ferner ist zu bemerken, dass im Sinne der Aufgabenstellerin die
Sämtlichen Kinder etwa in einer und derselben Pension untergebracht zu
denken sind, sodass diejenigen, die daheim bleiben, dann auch „beisammen“
bleiben, und diejenigen, welche ausgehen, dies ebenfalls „zusammen“ thun.
Die dritte Prämisse schliesst für gewisse Tage die Fälle aus, in
welchen b und c beide aus oder beide daheim sind, falls nicht (oder
„ausgenommen“, wenn) zugleich a, b, e und f beisammen bleiben. D. h.
sie fordert:
(Di + Mi + Sa) (b c + b1c1) (a b e f + a1b1e1f1)1 = 0.
Die Negation im letzten Faktor kann nach meinem Th. 46) als die-
[550]Dreizehnte Vorlesung.
jenige einer nach b entwickelte Funktion ausgeführt werden, wodurch
derselbe wird:
b (a1 + e1 + f1) + b1 (a + e + f)
und dies nach Th. 45) mit dem ebendarnach schon entwickelten vor-
hergehenden Faktor multiplizirt, verschafft unsrer Prämisse die Form:
30) (Di + Mi + Sa) (a1b c + b c e1 + b c f1 + a b1c1 + b1c1e + b1c1f) = 0.
Die letzte Prämisse ist in Formeln:
(Mo + Sa) b (d1 + c1e1f1)1 = 0
oder
(Mo + Sa) b d (c + e + f) = 0.
Multiplizirt man hier mit dem ersten Faktor aus und berücksichtigt,
dass nach der zweiten Prämisse: Sa · c1e1f1 = 0 ist, so kann man mit
Rücksicht auf: c + e + f + c1e1f1 = 1
im zweiten Teil vereinfachen:
Sa · (c + e + f) = Sa · (c + e + f + c1e1f1) = Sa · 1 = Sa,
sodass
40) Mo · b d (c + e + f) + Sa · b d = 0
der Ausdruck der vierten Prämisse wird (wie auch direkt einzusehen,
da das Daheimbleiben c1e1f1 am Sa. schon ausgeschlossen ist).
Zunächst ist erforderlich, a, d und e zu eliminiren [vergl. den
Nachsatz unter Prämisse 40) im Text der Aufgabe].
Der Teil der Prämissen, welcher schon frei von diesen ist, lautet:
wobei 10) und 40) keinen Term beisteuern. Die Summe der linken Seiten
von 2') und 3') ist jedenfalls ein erster Bestandteil in dem Polynom der
gesuchten Resultante.
Miss Ladd entnimmt nun weitere Bestandteile als Eliminationsergeb-
nisse aus den einzelnen Paaren von Prämissengleichungen, wobei sie indess
einige Paare — wie (1) mit (4), etc. — übergeht.
Da nach § 22 S. 470 dies immer insofern bedenklich ist, als man
riskirt, nicht die volle Resultante zu bekommen, eliminiren wir lieber syste-
matisch aus der „vereinigten“ Gleichung der vier Prämissen (zu welcher
man dieselben im Geiste leicht zusammenzieht) — wenn auch mit mehr
Schreiberei — erst a, dann d, dann e (wenn man will, unter Beiseitelas-
sung der vorstehend schon hervorgehobnen Terme, welche sich ja unver-
ändert erhalten müssen — oder, weil es unbequem, auf sie besonders
achten zu müssen, lieber unter Mitanführung derselben).
Die Resultante der Elimination von a enthält, gleich 0 gesetzt die
Summe aller der Glieder aus den vier Prämissen, welche weder a noch a,
zum Faktor haben:
[551]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
0 = (Mo + Di) (b c d e + b c d f + b c e f + b d e f + c d e f) +
+ (Do + Fr + Sa) (b1c1d1 + b1c1e1 + b1c1f1 + b1d1e1 + b1d1f1 + b1e1f1 + c1d1e1 +
+ c1d1f1 + c1e1f1 + d1e1f1) +
+ (Di + Mi + Sa) (b c e1 + b c f1 + b1c1e + b1c1f) + Mo · b d (c + e + f) + Sa · b d +
plus dem Produkte aus der Summe der Koeffizienten von a in die Summe
der Koeffizienten von a1, nämlich:
+ [(Mo + Di) (b c d + b c e + b c f + b d e + b d f + b e f + c d e + c d f + c e f + d e f) +
+ (Di + Mi + Sa) b1c1] . [(Do + Fr + Sa) (b1c1 + b1d1 + b1e1 + b1f1 + c1d1 +
+ c1e1 + c1f1 + d1e1 + d1f1 + e1f1) + (Di + Mi + Sa) b c].
Letzteres ist zunächst auszumultipliziren. Nennte man es kurz
[A + B] [C + D] = A C + A D + B C + B D,
so verschwindet nicht nur B D, sondern, weil das Produkt je zweier ver-
schiedenen Wochentage 0 ist auch A C, und aus demselben Grunde verein-
fachen die stehen bleibenden Glieder A D + B C sich zu:
Di · (b c d + b c e + b c f) + Sa · b1c1
mit Rücksicht auf das Absorptionsgesetz.
Denkt man dies sich oben hinter das +Zeichen gesetzt, und eliminirt
aus der Gleichung d, so erhält man analog weiter:
wo das Produkt der zwei letzten Zeilen sich wieder reduzirt, und zwar zu:
Sa · b (c1e1 + c1f1 + e1f1).
Wird, nachdem dies eingesetzt ist, endlich e eliminirt, so kommt:
wo das letzte Produkt sich reduzirt zu:
Sa · b1c1 + Di · b c f + Di · b c = Di · b c + Sa · b1c1.
Nach den Wochentagen geordnet ist demnach die gesuchte Resul-
tante, wenn wir eingehende Terme sogleich bei den Koeffizienten fort-
lassen:
0 = Di (b c + b1c1f) + Mi (b c f1 + b1c1f) + (Do + Fr) b1c1f1 + Sa (b f1 + b1c1),
wo der letzte Koeffizient zusammengezogen ist aus
b c f1 + b c1f1 + b1c1.
[552]Dreizehnte Vorlesung.
Dies gibt, nach c geordnet:
0 = Sa · b f1 + {Di + Mi · f1} b · c + {(Di + Mi) f + (Do + Fr) f1 + Sa} b1 · c1,
was zerfällt in die Resultante der Elimination auch noch von c:
Sa · b f1 = 0
und in die beiden Subsumtionen:
Di · b + Mi · b f1 ⋹ c1, (Di + Mi) b1f + (Do + Fr) b1f1 + Sa · b1 ⋹ c.
In Beantwortung der gestellten Fragen haben wir demnach das
Ergebniss:
Wenn am Di. oder Mi. f ohne b ausgeht, desgleichen, wenn am
Do. oder Fr. b und f beide daheim bleiben, endlich, wenn am Sa. b
zuhause bleibt, so muss c ausgehen.
Wenn am Di. b ausgeht, sowie wenn am Mi. b ohne f ausgeht,
dann muss c zuhause bleiben.
In jedem andern Falle kann c nach Belieben verfahren. Wie es
aber auch verfahren möge, so wird am Sa. b nicht ohne f ausgehen
dürfen.
Die vorstehende ist wol die komplizirteste von den Aufgaben des
Denkrechnens, die bis jetzt überhaupt gestellt und gelöst worden sind.
28. Aufgabe. McColl, Math. Questions, Vol. 33, p. 22 ‥ 24, auch
gelöst von C. J. Monro.
Ähnlich wie in der 11. Aufgabe mögen nachstehend die Buch-
staben gedeutet werden als Klassen der Fälle, in welchen ein gleich-
namiges Ereigniss eintritt. Dann soll beobachtet sein, dass:
a b x ⋹ c d e, b c y ⋹ d e, c + d + e1 ⋹ (a1 + b + x) (b1 + c + y), a1x = b1y.
Gesucht, wann ohne Rücksicht auf y das Eintreffen (resp. Eingetroffen-
sein) oder Nichteintreffen des Ereignisses x verbürgt ist.
Auflösung. Elimination von y aus der vereinigten Gleichung der
drei letzten Prämissen:
b c (d1 + e1) y + (c + d + e1) (a b1x1 + b c1y1) + a1x (b + y1) + (a + x1) b1y = 0
gibt: a1b x + a b1 (c + d + e1) x1 = 0,
und dies mit der ersten Prämisse (die y gar nicht enthielt) vereinigt:
(a1 + c1 + d1 + e1) b x + a b1 (c + d + e1) x1 = 0.
Die Auflösung dieser Resultante nach x, mitnebst deren Konversion (d. h.
ihrer Auflösung nach x1):
a b1 (c + d + e1) ⋹ x ⋹ a c d e + b1, (a1 + c1 + d1 + e1) b ⋹ x1 ⋹ a1 + b + c1d1e
lässt die Subjekte von x und x1 (daneben ungefragt auch ihre Prädikate)
erkennen — was leicht in Worten zu formuliren.
29. Aufgabe (Elizabeth Blackwood, Math. Quest. Vol. 35,
1881, p. 24 u. 25). Bekannt sei, dass jedes von den zusammengesetzten
Ereignissen a y z, b z x, c x y von mindestens zweien der Ereignisse d, e, f
begleitet (resp. gefolgt) ist und dass jedes von den zusammengesetzten
„Nichtvorkommnissen“ d1y1z1, e1z1x1, f1x1y1 das Nichteintreffen von min-
destens zweien der Ereignisse a, b, c bedingt. Welche Abhängigkeit
folgt daraus zwischen dem Eintreffen oder Nichteintreffen der Ereig-
nisse a, b, c, d, e, f ohne Rücksicht auf die x, y, z?
Auflösung (cf. McColl, Grove, und andere).
Die Prämissen sind:
a y z + b z x + c x y ⋹ e f + f d + d e, d1y1z1 + e1z1x1 + f1x1y1 ⋹ b1c1 + c1a1 + a1b1.
Indem man das Polynom ihrer vereinigten Gleichung nach x, y, z ent-
wickelte, und das Produkt der Koeffizienten = 0 setzte, ergäbe sich un-
schwer die gesuchte Resultante als: a b c d1e1f1 = 0.
Da dieses systematische Verfahren immerhin einige Schreiberei erfor-
derte, wollen wir die Aufgabe durch einen Kunstgriff lösen, der noch ein-
facher ist als der von McColl etc. („by mere inspection“) angewendete.
Wir zerlegen jede der beiden Prämissensubsumtionen, deren Subjekt ja als
Trinom erscheint gemäss Def. (3+) in drei einzelne Subsumtionen, und
werfen in einer jeden von diesen den Koeffizienten von links gemäss
Peirce's Th. 41) nach rechts; so entsteht:
y z ⋹ e f + f d + d e + a1, y1z1 ⋹ b1c1 + c1a1 + a1b1 + d,
z x ⋹ „ „ „ + b1, z1x1 ⋹ „ „ „ + e,
x y ⋹ „ „ „ + c1, x1y1 ⋹ „ „ „ + f.
Addiren wir überschiebend jetzt diese sechs Subsumtionen und beachten,
dass y1z1 + z1x1 + x1y1 gerade die Negation von y z + z x + x y ist, so er-
halten wir:
1 ⋹ a1 + b1 + c1 + d + e + f,
oder:
a b c ⋹ d + e + f,
was zu finden gewesen.
30. Aufgabe (Macfarlane, Math. Questions, Vol. 44, p. 48 ‥ 50).
Aus den mit Worten gegebenen Data:
a x + b1y = c, d x1 (e + y) = f
sollen die Klassen x, y als Unbekannte durch die übrigen ausgedrückt
werden.
Die Auflösung soll hier mit allen Zwischenrechnungen gegeben wer-
den. Aus der vereinigten Gleichung der Data:
(a x + b1y) c1 + (a1 + x1) (b + y1) c + d f1x1 (e + y) + (d1 + x + e1y1) f = 0
heben wir die Koeffizienten von y und y1 hervor, und bilden ihr Produkt:
[554]Dreizehnte Vorlesung.
{b1c1 + d f1x1} {(a1 + x1) c + e1f} = b1c1e1f + c d f1x1.
Aus diesen und den stehen gebliebnen Gliedern (welche weder y noch y1
zum Faktor haben), heben wir die Koeffizienten von x und von x1 hervor,
um deren Produkt zu bilden:
(a c1 + f) (b c + d e f1 + c d f1) = a c1d e f1 + b c f.
Letzteres, mit den bezüglich x und y konstanten Termen des vorigen Er-
gebnisses sowol als der vereinigten Gleichung vereinigt und gleich 0 ge-
setzt, ist die Resultante der Elimination von x nebst y, oder die zwischen
den bekannten Klassen notwendig geltende Relation:
a c1d e f1 + a1b c + b c f + b1c1e1f + d1f = 0,
welche leicht als
a d e ⋹ c + f, b c ⋹ a, b c f = 0, f ⋹ (b + c + e) d
in Worten zu deuten ist. Um x zu finden, braucht man nur mehr die
Gleichung mit der rechten Seite 0 aufzulösen, in welcher x und x1 bezüg-
lich die Faktoren des zuletzt ausmultiplizirten Produktes zu Koeffizienten
haben. Da b c f = 0 ist, vereinfacht der Koeffizient von x1 sich noch zu
(b c + c d + d e) f1, und ist hienach die Auflösung:
(b c + c d + d e) f1 ⋹ x ⋹ (a1 + c) f1.
Ebenso heben wir noch aus der vereinigten Gleichung die Koeffizienten
von x und x1 hervor; das Produkt derselben ist:
(a c1 + f) {c (b + y1) + d f1 (e + y)} = a c1d e f1 + b c f + c f y1 + a c1d f1y,
wovon eigentlich nur die beiden letzten Glieder auszurechnen gewesen.
Diese zusammengezogen mit den nur y oder y1 aber nicht x oder x1 zum
Faktor habenden Gliedern der vereinigten Gleichung geben die nach y auf-
zulösende Gleichung:
(b1c1 + a c1d f1) y + (a1c + e1f + c f) y1 = 0,
deren Auflösung ist:
a1c + c f + f e1 ⋹ y ⋹ c + b (a1 + d1 + f).
Zur Darstellung dieser letzteren (in der Zeichensprache) nimmt Herr
Macfarlane den Raum von sieben Druckzeilen in Anspruch, zur Dar-
stellung der Auflösung nach x deren viere, und habe ich nicht versucht,
seine Resultate zu kontroliren, da der hervorgehobene Kontrast wol ge-
nugsam erkennen lässt, dass sein Verfahren weit entfernt sein muss, zu
den zweckmässigsten zu gehören.
31. Studie. Um dem Leser, welchem Boole's grundlegendes
Werk4 vielleicht schwer zugänglich ist, eine Idee zu geben, in welcher
Weise dort Probleme rechnerisch behandelt werden, wollen wir schliess-
lich ein paar Aufgaben dieses Autor's noch in seiner Manier lösen,
obwol wir, wie schon angedeutet, dasjenige, was diese Manier von
den neueren Behandlungsweisen unterscheidet, auf Grund der unver-
[555]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
kennbaren Vorzüge dieser letzteren für endgültig abgethan halten, ihm
nur historisches Interesse noch zuerkennend.
Vor allem sei die fundamentale Aufgabe behandelt, die Gleichung
a x + b x1 = 0
nach x aufzulösen. Zu dem Ende muss im Einklange mit den Ergeb-
nissen unsres § 23 zunächst 1 — x für x1 geschrieben, die Gleichung
also mit Boole4 p. 155 in der Form angesetzt werden:
a x + b (1 — x) = 0.
Diese aufzulösen verfährt Boole wie bei den arithmetischen Glei-
chungen ersten Grades, bildend:
,
und dieses Ergebniss wird von Boole nun als f (a, b) betrachtet und
in Gestalt von:
f (a, b) = f (1, 1) a b + f (1, 0) a b1 + f (0, 1) a1b + f (0, 0) a1b1
gemäss Th. 44+) nach a und b „entwickelt“. So ergibt sich ihm:
,
wobei ich davon absehe, dass auch für a1, b1 in der Regel nur 1 — a,
1 — b von ihm geschrieben wird.
Da ein Unsinn wäre, falls es wirklich vorkäme, so muss es
herausfallen, d. h. in einen verschwindenden Konstituenten, in 0 mul-
tiplizirt sein. Dies gibt die Valenzbedingung für x oder Auflösbar-
keitsbedingung für die gegebne Gleichung, nämlich:
a b = 0
(d. i. unsre Resultante der Elimination des x), und da = u jeden
erdenklichen Wert vorstellt, unbestimmt oder willkürlich bleibt, so
haben wir:
x = a1b + u a1b1
in Übereinstimmung mit unserm rein logisch gerechtfertigten Ergeb-
nisse ν) des § 21.
Man sieht indess, dass hier Zwischenoperationen ausgeführt wurden,
die einer logischen Deutung unfähig bleiben, wie z. B. nicht nur die Bil-
dung des im identischen Kalkul jedes Sinnes ermangelnden Nenners 0 — 1,
sondern namentlich auch schon der Ansatz einer Differenz b — a, während
a gar nicht in b enthalten!
Andere Aufgabe. In 4 p. 95. 97 verlangt Boole, dass die Glei-
chung: x = y (z + w) nach der Unbekannten y aufgelöst werde, wobei
ihm bedeutet: x = verantwortliche Wesen, y = vernunftbegabte Wesen,
z = Diejenigen, die Freiheit des Handelns haben, w = Solche, welche
ihrer Freiheit sich freiwillig begeben haben.
Und er verfährt analog wie vorhin folgendermassen. Die arithmetische
Lösung des Problems:
wird, als Funktion von x, z, w betrachtet, entwickelt nach dem Schema:
f (x, z, w) = f (1, 1, 1) x z w + f (1, 1, 0) x z w1 + … + f (0, 0, 0) x1z1w1.
Es entsteht, wenn wir die drei sofort herausfallenden Terme noch in
Klammer mit anführen:
,
und folgt hieraus erstens, dass die Konstituenten der beiden deutungsun-
fähigen Koeffizienten und verschwinden müssen, also
x (z w + z1w1) = 0
sein muss, und zweitens, dass
y = x (z w1 + z1w) + u x1z1w1
gefunden ist, was dann leicht mit Worten zu interpretiren.
Instruktiv ist die Vergleichung dieses Ergebnisses mit dem nach unsrer
Theorie sich ergebenden. Die Aufgabe fällt, wenn man z + w mit einem
Buchstaben bezeichnet, unter das Schema der in Aufgabe 13, ε) des gegen-
wärtigen Paragraphen schon gelösten (wobei die dort x genannte Unbe-
kannte nur y heisst, wogegen a = z + w, b = x hier als gegeben zu den-
ken — vergl. auch § 23) und haben wir zuverlässig als Resultante:
x z1w1 = 0
sowie als Auflösung:
y = x + u z1w1 oder: x ⋹ y ⋹ x + z1w1.
Nach Th. 33+) Zusatz kann statt des Terms u z1w1 allerdings auch
u x1z1w1 gesetzt werden. Gleichwol deckt sich aber unser Ergebniss nicht
mit dem Boole'schen, und die Abweichung erklärt sich aus dem Umstande,
dass bei Boole die Summe z + w als eine „reduzirte“ verstanden wird,
deren Glieder z und w als disjunkte das Produkt:
z w = 0
geben — bei uns jedoch im Allgemeinen nicht. Ziehen wir diese Glei-
chung als eine nach den Daten des Problemes selbstverständlich geltende
[557]§ 25. Anwendungsbeispiele und Aufgaben.
zu unsern Prämissen hinzu, so — aber erst dann — erweist sich (leicht)
die völlige Übereinstimmung der beiderseitigen Ergebnisse.
Indem bei Boole sogar x + x = 2x, etc. gilt, so treten überhaupt,
wie vorstehend, bei seinem Verfahren in den Gliedern des Resultates oft
Zahlenfaktoren, wie , , etc. als Koeffizienten auf, die er schliess-
lich als belanglose, nicht interpretable, über Bord wirft, die Konstituenten,
mit denen sie behaftet erscheinen, gleich 0 setzend.
Ähnlich mag endlich zur Vergleichung herangezogen werden eine
von den zahlreichen Aufgaben, die Boole knüpft an Senior's Defi-
nition von „wealth“ (wörtlich des Reichtums, genauer wol dem volks-
wirtschaftlichen Begriffe des „Gutes“ entsprechend). Prämisse ist:
w = s t (p + r),
wo w = Gut, s = Dinge, die nur in begrenztem Vorrat verfügbar (limi-
ted in supply), t = übertragbar (transferable), p = Genuss verschaffend
(productive of pleasure) und r = Leid vorbeugend (preventive of pain)
bedeutet. Cf. 4 p. 106, sq.
Verlangt ist ein Ausdruck für w ohne Rücksicht auf r.
Wir würden systematisch aus der Gleichung:
w1s t (p + r) + w (s1 + t1 + p1r1) = 0
erst r eliminiren, die Resultante: w1s t p + w (s1 + t1) = 0 sodann nach w
auflösen und finden:
w = s t (p + u) oder s t p ⋹ w ⋹ s t
— ein Ergebniss, das aber hier schon unmittelbar zu gewinnen war, indem
man den Namen r des Eliminanden durch den u einer unbestimmten Klasse
ersetzte!
Boole hingegen, welcher natürlich die Prämisse, da p und r sich
gegenseitig nicht ausschliessen, in der Form ansetzen muss:
w = s t (p + r p1)
operirt, p1 durch 1 — p ersetzend, wie folgt. Er schreibt die Gleichung:
w — s t (p + r — r p) = 0,
bemerkt, dass das Polynom derselben für r = 1 in w — s t und für r = 0
in w — s t p übergeht, mithin
(w — s t) (w — s t p) = 0
die Resultante der Elimination von r ist. Ausmultiplizirt gibt dies (wegen
w w = w, etc.) eine Gleichung:
w — w s t p — w s t + s t p = 0
aus der sich:
[558]Dreizehnte Vorlesung.
nach den Regeln der Arithmetik berechnet. [Statt dessen konnte aber auch
jenes Polynom erst nach w entwickelt werden in der Gestalt:
(1 — s t) (1 — s t p) w + s t p (1 — w) = 0,
woraus dann:
sich berechnete.] Beidemal ergibt sich durch die mühsame „Entwickelung“
der rechten Seite als einer Funktion f (s, t, p) übereinstimmend:
,
als ein auch unmittelbar einleuchtendes Ergebniss: Die wirtschaftlichen
Güter bestehen aus allen übertragbaren Genussmitteln von begrenztem Vor-
rat und einem unbestimmten Reste (indefinite remainder) von nur in be-
grenzter Menge zur Verfügung stehenden übertragbaren Dingen, die keine
Genussmittel sind.
Der Leser hat vielleicht den Eindruck, dass Boole's Verfahren sich
— in Praxi wenigstens — doch ziemlich stark von meiner Modifikation
desselben unterscheidet. —
Es handelte sich im bisherigen stets um Probleme, deren Data
ausdrückbar sind durch Subsumtionen (oder Gleichungen*)) zwischen
Klassen oder Funktionen des identischen Kalkuls von solchen, und
deren Lösung dann ebenfalls wieder durch Aussagen von dieser Form
darstellbar ist. Es kam dabei darauf an, gewisse Klassen aus den
Daten des Problems zu eliminiren, andere aus denselben in dem in
§ 21, ο) erläuterten Sinne zu berechnen, d. h. ihre Subjekte und Prä-
dikate aufzufinden, welche vermittelst der übrigen Klassen sich be-
schreiben lassen.
Ehe wir mit nächster Vorlesung in Band 2 diesen Kreis unsrer
Aufgaben erweitern, wollen wir noch ein Weilchen bei den bisherigen
verweilen um uns über die verschiedenen Methoden zu orientiren,
welche zur Bewältigung dieser Aufgaben vorgeschlagen worden sind
und zur Verfügung stehen.
Als solche zählt Herr Peirce in seiner grundlegenden Arbeit5.
in chronologischer Folge auf: die Methoden von Boole, Jevons,
Schröder, McColl, denen er alsdann noch eine fünfte selbst hinzu-
fügt. Wir werden sehen, dass diese nur auf dreie „wesentlich“ hin-
auslaufen, von denen die von mir modifizirte Boole'sche Methode im
bisherigen schon dargelegt und ausschliesslich angewendet worden ist.
Durch diese ihm zuteil gewordene Modifikation erscheint das ursprüng-
liche Verfahren Boole's nunmehr als vollständig antiquirt (superseded)
und dürfte künftig niemand mehr je auf dasselbe zurückgreifen. In
seiner abgeänderten Gestalt jedoch wird dasselbe, denke ich, wol fort-
[560]Vierzehnte Vorlesung.
leben, obwol ihm neuerdings durch McColl und Peirce ein ebenbür-
tiges Verfahren an die Seite gestellt ist. —
Das Verfahren von Jevons ist zwar ein kunstloses — wenn man
will, das nächstliegende oder ursprünglichste — doch verdient es immer-
hin als eine besondere Methode (die zweite von oberwähnten dreien)
hingestellt zu werden.
Im wesentlichen besteht dasselbe kurz gesagt darin: dass man
für die sämtlichen Klassen, von denen im Problem die Rede ist, alle
Möglichkeiten hinschreibt, welche in Bezug auf das Vorkommen oder Nicht-
vorkommen einer jeden in Verbindung mit den andern denkbar sind, von
diesen denkbaren Kombinationen alsdann alle diejenigen ausstreicht, welche
durch die Data des Problemes als unzulässige ausgeschlossen werden, und
aus den stehen bleibenden endlich herauszulesen sucht die Antwort auf die
Fragen, die das Problem aufwirft.
Von Jevons1 p. 44 sq. zuerst 1864 auseinandergesetzt, ist, wie Herr
Venn1 p. 351 bemerkt, derselbe Gedanke schon früher, 1811, auch von
Semler1 p. 48 angedeutet.
Der erste der drei im Jevons'schen „Ausmusterungsverfahren“ ge-
forderten Prozesse deckt sich mit der „Entwickelung“ im Sinne des
Th. 44+) der identischen 1 — welche die ganze Mannigfaltigkeit vor-
stellt der Individuen oder Objekte auf die das Problem Bezug nimmt
— nach den im Probleme vorkommenden Klassensymbolen als Argu-
menten. Die Glieder und Konstituenten dieser Entwickelung sind eben
jene „Kombinationen“, die alle hinsichtlich dieser Klassen denkbaren
Möglichkeiten repräsentiren. Anstatt dieselben mittelst Pluszeichen
unter sich zu verknüpfen und die so gebildete Summe ausdrücklich
gleich 1 zu setzen, wird man gewöhnlich vorziehen, gedachte Kombi-
nationen bequemer nur einfach untereinander zu schreiben.
Man beginnt demgemäss damit, als erste Kombination hinzuschreiben:
das Produkt sämtlicher vorkommenden Klassensymbole (indem man, wo
etwa eine Klasse nebst ihrer Negation in den Data des Problems erwähnt
sein sollte, sich für eine von beiden, etwa für die affirmativ ausgedrückte
entscheidet). In dieser ersten Kombination ersetzt man das letzte Symbol
durch seine Negation und erhält die zweite Kombination; in beiden bis-
herigen Kombinationen ersetzt man das vorletzte Symbol durch seine Nega-
tion und erhält zwei weitere Kombinationen. Man fährt so fort in allen
bisherigen Kombinationen immer ein früheres Symbol durch seine Nega-
tion zu ersetzen, bis dieses auch für das erste Symbol geschehen ist, so
werden sämtliche Kombinationen angesetzt sein.
Die Zahl der letzteren ist 2n, wenn n die Anzahl der vorkommenden
Symbole gewesen — vergl. S. 418 — und jede dieser 2n Kombinationen
ist ein Produkt von n Faktoren, wobei als Faktor ein jeder von den im
[561]§ 26. Besprechung noch andrer Methoden. Verfahren von Jevons.
Problem zu verwenden gewesenen Buchstaben entweder unnegirt als sol-
cher steht oder aber durch seine Negation vertreten ist.
Um beispielsweise die 7. Aufgabe des § 25 nach Jevons' Methode
zu behandeln, würde schon der Ansatz von 27 = 128 Kombinationen (welche
je aus sieben Symbolen sich zusammensetzen) erforderlich sein. Man wird
sich schwerlich dazu verstehen, für n \> 6 die Operationen noch praktisch
durchzuführen.
In dieser mit wachsender Zahl n so rasch zunehmenden Weitläufigkeit
der Prozesse liegt eine erste und grosse Schwäche der Methode.
Behufs Ausführung des zweiten von der Methode geforderten Pro-
zesses muss man eine jede der angesetzten Kombinationen im Geiste
zusammenhalten oder vergleichen sowol mit der linken Seite, dem
Subjekte, als eventuell mit der rechten Seite, dem Prädikate einer
jeden in Form einer Subsumtion gegeben gedachten Prämisse des
Problemes. Man muss ja zusehen ob die Kombination mit der Prä-
misse verträglich ist, oder nicht, um — im letztern Falle — die Kom-
bination auszustreichen. Dieses geht genauer dargelegt in folgender
Weise vor sich.
Beide Seiten der Prämisse mögen wir als Aggregate von Mono-
men uns dargestellt denken, sodass
S + S' + ‥ ⋹ P + P' + P'' + …
die Form unsrer Prämisse ist, wo die Glieder S, S', ‥ P, ‥ selbst Pro-
dukte sein werden von höchstens n Symbolen (in der Regel weniger),
hervorgehoben aus der Gruppe der überhaupt im Problem vorkommen-
den (n) Klassensymbole a, b, c, … und ihrer (n) Negationen a1, b1, c1, …
Man hat sich nun zu erinnern, dass nach § 8, χ) die Pluszeichen
der Subsumtion links, im Subjekte, mit „und“, rechts, im Prädikate
aber mit „oder“ in Worte zu übersetzen sind, mithin die Prämisse
fordert, dass wo die in S vereinigte Faktorenkombination vorliegt, so-
wol, als auch wo die in S' vereinigte vorliegt, etc. da auch vorliegen
muss entweder die in P oder die in P', oder die in P'', etc. vereinigt
erscheinende Kombination von Faktoren.
In Bezug auf die mit dieser Prämisse zu vergleichende Kombi-
nation (aus der Menge der 2n angesetzten) — K möge sie für den
Augenblick heissen — können nun verschiedene Fälle vorliegen.
Entweder sie ist — nach Th. 6×) oder Prinzip I — einem der
Subjekte S, S', ‥ (eventuell auch gleichzeitig deren mehreren) einge-
ordnet, d. h. die sämtlichen Faktoren, aus denen sich eins dieser Sub-
jekte zusammensetzt, treten auch als Faktoren in K auf, oder nicht.
Im letztern Falle treffen schon die Voraussetzungen der Prämisse
für unsere Kombination K nicht zu, die Prämisse berührt die Kom-
Schröder, Algebra der Logik. 36
[562]Vierzehnte Vorlesung.
bination gar nicht, geht sie nichts an, sagt überhaupt nichts in Bezug
auf dieselbe aus. Die Kombination kann als mit der Prämisse ver-
träglich, doch zu ihr indifferent, neutral, bezeichnet werden.*)
Im ersteren Falle fordert die Prämisse, dass die Kombination K
nun auch mindestens einem der Prädikate P, P', P'', ‥ eingeordnet
sei, d. h. dass sie auch dessen Faktoren sämtlich in sich aufweise.
(Sie muss deshalb mit letzteren der Reihe nach im Geiste zusammen-
gehalten werden.)
Ist es der Fall, so erfüllt die Kombination K unsre Prämisse, sie
ist nicht nur mit ihr verträglich, sondern sogar konform mit ihr ge-
bildet, in „Übereinstimmung“ mit derselben.
Ist es nicht der Fall, so widerspricht die Kombination K der Prä-
misse, wird von ihr als unzulässig hingestellt, ausgeschlossen, verboten,
und muss ausgestrichen werden.
Um dies zur Stelle durch ein ganz einfaches Beispiel zu erläutern, so
möge die Prämisse heissen: a b1 ⋹ c1, d. h. die a, welche nicht b sind,
sind auch nicht c (oder: wo die Merkmale von a vorliegen und Merkmale
von b fehlen, da fehlen auch solche von c). Wie verhalten sich dann die
drei Kombinationen: a1b1c d1, a b1c1d und a b1c d1? Nun: die erste ist in-
different zu der Prämisse, als den Faktor a b1 nicht in sich aufweisend; die
zweite ist im Einklange mit der Prämisse, fällt unter dieselbe, da sie neben
a b1 auch c1 aufweist; die dritte aber widerspricht der Prämisse, indem sie
zwar a b1, aber nicht c1, vielmehr statt dessen c in sich als Faktor auf-
weist, dieselbe wäre demnach zu streichen, wogegen die beiden andern
Kombinationen stehen bleiben können als von dieser Prämisse erlaubte
(d. h. nicht verbotene) sofern sie nicht von andern Prämissen noch auf-
gehoben werden.
Ehe wir zur Besprechung des dritten und letzten Prozesses der
Jevons'schen Methode übergehen, mögen die beiden vorigen an jenem
Boole'schen Problem, der 1. Aufgabe des § 25 erprobt werden.
Citirenshalber legen wir uns die Prämissen α), β), γ) des Problems
in folgender Fassung auseinander:
α) a1c1 bedingt b d1e oder b1d e;
β) a d e1 bedingt b c oder b1c1;
[563]§ 26. Das Ausmusterungsverfahren von Jevons.
— indem wir auch den Ausdruck a (b + e) = a (b e1 + b1e + b e) nach
den drei in ihm vorkommenden Symbolen entwickelten (was strenge
genommen nicht nötig: man könnte auch mit a b + a e schon die
Überlegungen anstellen). —
Da fünf Symbole a, b, c, d, e in Frage kommen, so haben wir
25 = 32 Kombinationen durchzugehen, die wir nachstehend geordnet
und numerirt untereinander stellen.
Die links notirten Chiffren α), β), γ) von Prämissen erklären die
danebenstehende Kombination als mit diesen übereinstimmende, als
eventuell zulässig, die rechts notirten als ihnen widersprechende unzu-
lässige, dergestalt, dass wo Erlaubniss (im vorerwähnten Sinne) und
Verbot zusammentreffen, das Verbot zu gelten hat. Die Kombina-
tionen, bei denen keine Prämissenchiffre angemerkt ist, sind die zu
allen Prämissen indifferenten.
Kombinationen.
| 1) | a b c d e — γ3') | 17) | a1b c d e |
| 2) | β) a b c d e1 — γ1') | 18) | a1b c d e1 |
| 3) | γ3') γ1'') a b c d1e | 19) | a1b c d1e — γ1'') |
| 4) | γ1') γ1'') a b c d1e1 | 20) | a1b c d1e1 — γ1'') |
| 5) | γ3') γ2'') a b c1d e | 21) | a1b c1d e — α) γ2'') |
| 6) | γ1') γ2'') a b c1d e1 — β) | 22) | a1b c1d e1 — α) γ2'') |
| 7) | a b c1d1c — γ3') | 23) | α) a1b c1d1e |
| 8) | a b c1d1e1 — γ1') | 24) | a1b c1d1e1 — α) |
| 9) | a b1c d e — γ2') | 25) | a1b1c d e |
| 10) | a b1c d e1 — β) | 26) | a1b1c d e1 |
| 11) | γ2') γ1'') a b1c d1e | 27) | a1b1c d1e — γ1'') |
| 12) | a b1c d1e1 — γ1'') | 28) | a1b1c d1e1 — γ1'') |
| 13) | γ2') γ2'') a b1c1d e | 29) | α) a1b1c1d e — γ2'') |
| 14) | β) a b1c1d e1 — γ2'') | 30) | a1b1c1d e1 — α) γ2'') |
| 15) | a b1c1d1e — γ2') | 31) | a1b1c1d1e — α) |
| 16) | a b1c1d1e1 | 32) | a1b1c1d1e1 — α) |
Die rechts glossirten Kombinationen sind ausgestrichen zu denken.
Man bemerkt, dass einige von den Fällen: 21, 22, und 30), sich zwei-
mal in den Prämissen verboten finden. Natürlich, nachdem sie ein
erstes mal als solche erkannt und gestrichen worden, war es ein Luxus,
uns davon zu überzeugen, dass sie nochmals daselbst ausgeschlossen
werden, und seitens welcher Prämissen; man durfte sie von da beim
Durchgehen der letztern überspringen.
Die rechts unglossirten Kombinationen oder Fälle sind die zu-
lässigen. Es sind die elfe mit den beigefügten Nummern, die wir
uns übersichtlich nochmals herausschreiben in eine
Tabelle:
Der oben gegebenen Andeutung zufolge muss nun diese Tabelle
uns vertreten eine Gleichung, in welcher die Summe der elf in ihr
zusammengestellten Kombinationen gleich 1 gesetzt wird. Wurde sie
doch aus der vollständigen Entwickelung der 1 erhalten, indem man
alle diejenigen (einundzwanzig) Glieder oder Konstituenten fortliess,
welche kraft der Prämissen verschwinden!
Aus dem Anblick der Tabelle kann man ohne weiteres entnehmen,
dass — worauf wir unter der 1. Aufgabe schon aufmerksam machten —
die Kombination a d e1 überhaupt nicht vorkommt, dass hier a d e1 = 0 sein
muss. Es ist das jener von Boole sicherlich nicht beabsichtigte vielmehr
bei der Formulirung seiner Aufgabe wol übersehene Umstand, zufolge
dessen seine Prämisse β) einen vexatorischen Charakter bekam. Ausser
auf die in § 25 angedeutete Weise würde sich dies auch noch vermeiden
lassen, indem man der Prämisse β) anstatt der angegebenen positiven die
negative Fassung gäbe „dass in Abwesenheit von E die Merkmale A
und D zusammen niemals mit B ohne C sowie mit C ohne B sich vor-
finden“ — was einfach auf den Ausschluss der Elementarfälle oder Kombi-
nationen 6) und 10) hinausliefe.
Wir kommen nun zu den letzten im Jevons'schen Verfahren ge-
forderten Prozessen welche dahin zielen, dass aus den stehen gebliebenen
Kombinationen herausgelesen werde die Antwort auf die im Probleme
aufgeworfenen Fragen, betreffend entweder die Resultante der Elimi-
nation eines Symbols, oder auch die Auflösung der Data nach einer
Unbekannten.
Die Behandlung, welche Jevons diesen letzten Teilen seiner
Methode angedeihen lässt, ist entschieden der schwächste Punkt in
seiner Darstellung, weshalb ich mich auch nicht mehr an diese halte.
Ist es doch keineswegs unsre Absicht, eine Geschichte aller irgend
gemachten verfehlten oder unzulänglichen Versuche zu schreiben —
ansonst das tausendfache Volumen dieses Buches nicht ausreichen würde!
Nach den anderwärts — vergl. § 21 unter η) rechts vom Mittel-
striche — gegebenen Andeutungen ist es nun aber ein Leichtes, auch
das Eliminationsproblem noch glatt zu lösen:
Die Elimination eines Symbols ist darnach einfach zu leisten,
indem man aus der Tabelle der stehen gebliebenen Kombinationen den
Eliminanden (nebst seiner Negation, wo immer er als Faktor steht,
und er tritt eben nur als solcher auf) unterdrückt, weglöscht. Eine
jede dabei wiederholt als Rückstand bleibende Kombination aber wird
man natürlich — cf. Tautologiegesetz 14+) — nur einmal beibehalten,
das zweite mal fortlassen.
So liefert nun die im obigen Problem geforderte Elimination von e
aus unsrer Tabelle die Resultante:
1 = a b c d1 + a b c1d + a b1c d1 + a b1c1d + a b1c1d1 + a1b c d + a1b c1d1 + a1b1c d,
wo der erste von den acht Termen rechterhand aus den Kombinationen
3) und 4), der drittletzte aus 17) und 18), der letzte aus 25) und 26)
— wenn man will auch schon gemäss Th. 30+) — zusammengezogen ist.
Zufällig sind die acht Konstituenten in vorstehender Gleichung
gerade die Hälfte der 24 = 16, welche die Entwickelung der 1 nach
den Symbolen a, b, c, d (ohne e) zusammensetzen. Die übrigen achte
treten in der linken Seite der Gleichung ζ) der 1. Aufg. des § 25 auf,
wenn man diese vollends (auch nach b) entwickelt. Unser Ergebniss
stimmt also überein mit dem dort (viel bequemer) gefundenen.
Eliminirt man aus ihm a auf die angegebene Weise, so ergibt
sich weiter nichts, als die Entwickelung der 1 nach den Argumenten
b, c, d mit ihren 23 = 8 Gliedern, also eine analytische Identität, durch
welche die zweite der im Problem gestellten Fragen sich erledigt.
Eliminirt man b, so folgt:
1 = a c d1 + a c1d + a c1d1 + a1c d + a1c1d1,
[566]Vierzehnte Vorlesung.
welche fünf Glieder die dreie in Gleichung ι), l. c. in der That zur
vollständigen Entwickelung der 1 nach den Symbolen a, c und d er-
gänzen — und die vierte Frage des Problems beantworten. —
Das Äquivalent der Auflösung nach einer Unbekannten endlich
wird nun bei dieser Methode darin zu erblicken sein, dass man aus
der Resultante oder Zusammenstellung der stehen gebliebenen Kombi-
nationen diejenigen Kombinationen der übrigen Symbole herauszuleseu
vermag, welche als Koeffizienten mit dieser Unbekannten selbst, sowie
diejenigen welche mit ihrer Negation ausschliesslich verknüpft sind.
So kommt — in Beantwortung der ersten Frage unsres speziellen
Problems — die Klasse a nur vor in Verbindung mit
b c d1 + b c1d + b1c d1 + b1c1d + b1c1d1,
und wo eine von diesen fünf Kombinationen vorliegt, da kann auch a
sich finden; a1 aber kommt nur mit den dreien
b c d + b c1d1 + b1c d
verbunden vor; und entweder bei mindestens einer von den fünfen
wird a oder bei mindestens einer von den dreien wird a1 sich auch
finden müssen, da nicht alle Glieder, deren Summe ja = 1 ist, zugleich
verschwinden können.
Ebenso kommt — in Beantwortung der dritten Frage — b nur
vor in Verbindung mit:
a c d1 + a c1d + a1c d + a1c1d1
und b1 nur mit: a c d1 + a c1d + a c1d1 + a1c d. —
Eine schwache Seite des Verfahrens bleibt darin bestehen, dass
man diese Antworten in einer unübersichtlichen Form, nach allen
restirenden Symbolen gleichmässig entwickelt gewinnt, und es nun
noch dem analytischen Geschick des Rechners überlassen bleiben muss
— resp. der Willkür in Bezug auf die Auswahl unter den verschie-
denen Arten, auf welche dazu das Th. 30+) sich verwenden lässt —
die Beschreibung dieser die Antwort enthaltenden (Aggregate von)
Klassen weiter zu vereinfachen!
Ich möchte hier mit ein paar Worten auf Bemerkungen von
Lotze in seiner „Anmerkung über logischen Calcül“ (Zweite Auflage
seiner Logik1 p. 266 und 267 — das Vorwort datirt vom 6. Sept. 1880)
eingehen, da dieselben geeignet erscheinen, eine irrige Ansicht über
das Verhältniss der rechnerischen Methoden zu dem Verfahren von
Jevons hervorzurufen und zu verbreiten.
In thatsächlicher Hinsicht ist zunächst zu erwähnen: die Schluss-
[567]§ 26. Lotze's Kritik.
bemerkung Boole's bei seinem (als 1. Aufgabe in unserm § 25 behandelten)
Probleme „I have not attempted to verify these conclusions“ hatte Lotze,
wie er mir schrieb veranlasst, diese Verifikation zu versuchen. Boole's
Fassung der Prämisse β), welche eine Kombination (a b c d) als „beobachtet“
hinstellt, die nach den Konklusionen dann gar nicht vorgekommen sein
kann, führte ihn jedoch dabei irre, und wandte er sich nach einem erfolg-
losen Anlauf dieserhalb brieflich (19. April 1880) an mich, worauf ich am
22. April ein Antwortschreiben abgehen liess, welches nebst dem Hinweis
auf Badorff's Wahrnehmung (S. 528) die oben (S. 563 sq.) gegebene Zu-
sammenstellung der glossirten Kombinationen mit den zugehörigen Er-
läuterungen nahe wörtlich enthielt. Ich hatte dieselbe — ohne noch von
irgend welchen Schriften Jevons' damals Kenntniss zu haben, jedoch nach
dem Vorgange meines damaligen Kollegen, Herrn Lüroth — schon zuvor
entworfen. Nach einem späteren Schreiben muss Lotze meinen Brief auch
erhalten haben.
Ich will nun nicht davon reden, dass die Bemerkung Lotze's p. 266,
dass der „passendere“ Weg „sich ganz von selbst darbietet“, sowie p. 267,
dass Jevons das Verfahren nicht erst entdeckt zu haben brauchte, da es
in der Anweisung zu Klassifikationen längst vorgelegen, mit seiner anfäng-
lichen Hülflosigkeit einigermassen kontrastirt. Jedenfalls auch lag für
Lotze keine Verpflichtung vor, jener kleinen Beihülfe meinerseits zu er-
wähnen, welche sich ja blos als Bethätigung einer schon anderweitig be-
kannten (mir zwar seitdem erst als solche kund gewordnen) „Methode“
von Jevons erwies.
Was ich aber im sachlichen Interesse sagen zu sollen glaube, ist
folgendes.
Indem Lotze bei seiner Besprechung des Boole'schen Problems
sich darauf beschränkt, lediglich die „Tabelle“ der elf stehen
bleibenden Kombinationen (von S. 564) hinzusetzen, und von den
übrigen meint, dass sie schon gleich während des „ganz mechanischen“
Verzeichnens derselben zu unterdrücken waren, erweckt er den An-
schein, als ob (hier) die rechnerische Behandlung des Problems gegen-
über einer solchen nach dem gemeinen Verstande einen ganz über-
mässigen Arbeitsaufwand erheische, auch einen erheblich grösseren
Druckumfang in Anspruch nehme; er verhilft dem kunstlosen Zuwerke-
gehen gegenüber dem wissenschaftlichen zu einem billigen und un-
verdienten Triumphe.
Kaum möchte selbst dem Scharfsinn eines Lotze zuzutrauen sein,
dass er es praktikabler finde hier schon während des Verzeichnens die-
jenigen Kombinationen zu unterdrücken, „welche durch die Gesamtheit
der gegebenen Bedingungen ausgeschlossen sind“. Jedenfalls aber ist
die von Lotze so geschickt verhüllte mühsame Geistesarbeit (der wir
in der Absicht, sie in extenso darzulegen, auf S. 563 unter der Über-
schrift „Kombinationen“ einen doch immer noch unzulänglichen Aus-
[568]Vierzehnte Vorlesung.
druck gegeben haben) beim Jevons'schen Verfahren gar nicht zu ver-
meiden; sie muss durch mentale Vergleichung einer jeden von den
32 Kombinationen je mit fast allen der (14 resp.) 16 Prämissensubjekte
und ev. -Prädikate doch wirklich geleistet werden.
Nun pflegt bei einer Methode schon eine geringe Arbeitsersparniss
sehr wichtig zu sein wegen der unbegrenzten Häufigkeit, mit der sie
sich anbringen lässt, und bei einer Vergleichung zwischen verschiedenen
Methoden sind selbst geringfügige Unterschiede in dieser Hinsicht
nicht zu verachten. Hier aber ist der Unterschied zugunsten der
Rechnung für sich schon ein ganz beträchtlicher und Jeder, der die
beiderlei Arbeiten durchgemacht, wird mir beipflichten, wenn ich be-
streite, dass jener Jevons'sche Weg hier „der passendere“ gewesen.
Er ist es wol überhaupt nie, doch um so weniger, je grösser die An-
zahl der in Betracht zu ziehenden Symbole.
Die ganze „Anmerkung über logischen Calcül“, auf deren sonstige
Auslassungen hier einzugehen ich verzichte, ruft doch in etwas den Aus-
spruch Melanchthon's zu Sinn: „Den alten Lehrmeistern gefällt nicht die
neue Lehre“! —
Ähnliche Bemerkungen, wie in Bezug auf die Jevons'sche Methode,
treffen auch hinsichtlich Herrn Hermann Scheffler's Verfahren zu,
welches nur eine geringfügige Modifikation der vorigen ist.
Auch er behandelt in 1 auf p. 739 ‥ 742 das Boole'sche Problem
— unsern Prüfstein für die Methoden — und zwar, wie gesagt, wesentlich
in Jevons' Weise, indem er nur: erstlich die negirten Fälle als Faktoren
unterdrückt, was eine kleine Druckersparniss bildet, dafür die positiv vor-
handenen Merkmale zwischen Vertikalstriche einschliessend — so bedeutet
ihm |a| die Klasse der Fälle, wo das Merkmal a allein, ohne eines der
vier übrigen vorliegt (was uns a b1c1d1e1 darstellt), desgleichen |a b| die
Klasse der Fälle, wo nur die Merkmale a und b verbunden, jedoch ohne
c, d und e, auftreten (was also bislang durch a b c1d1e1 dargestellt wurde),
etc. — und indem er zweitens, anstatt der Gesamtheit 1 aller denkbaren
Fälle, die Klassen a, b, c, d, e selber nach den (positiven) Symbolen „ent-
wickelt“. Letzteres ist kein Vorteil, indem es ihn nötigt, nach dem Vorbild:
a = |a| + |a b| + |a c| + |a d| + |a e| + |a b c| + |a b d| + |a b e| + |a c d| +
+ |a c e| + |a d e| + |a b c d| + |a b c e| + |a b d e|*)+ |a c d e| + |a b c d e|
nun 5 × 16 = 80 Glieder — statt unsrer 32 — hinzuschreiben und
sichtend (ev. streichend) durchzugehen.
Nach den Prämissen — vergl. unsre „Tabelle“ auf S. 564 — bleiben
z. B. von diesen 16 Gliedern nur die sechs folgenden stehen:
a = |a| + |a b c| + |a c e| + |a d e|**)+ |a b c e| + |a b d e|
[569]§ 26. Venn's graphische Modifikation des Verfahrens.
und wird der Leser leicht aus dem Anblick jener Tabelle sich die analogen
Entwickelungen von b, c, d und e auch in dieser Symbolik herausschreiben. —
Von einigem Interesse sind noch Schlüsse die Herr Scheffler am
Schlusse zieht, von der Art der folgenden: dass, wenn nur ein einziges
Merkmal erscheint, dieses nur a sein kann, dass wenn überhaupt vier
Merkmale zusammen erscheinen, darunter immer b und e sind, etc. Solche
Schlüsse zu ziehen die halb arithmetischer Natur sind, scheint nicht direkt
in das Ressort unsres Kalkuls zu gehören. Dagegen wird sie der Leser
leicht in der Tabelle der 11 zulässigen Fälle bestätigt erblicken oder aus
dieser entnehmen.
Herr Scheffler veranschaulicht schliesslich das Boole'sche Problem
auch noch durch eine Figur (in der nachher zu besprechenden Manier des
Herrn Venn, der ihm darin zuvorgekommen) — die aber unbrauchbar ist,
weil sie das ganze Feld 1 nur in 31 anstatt in 32 Felder zerlegt, sonach
von allen denkbaren Fällen von vornherein einen unberücksichtigt lässt.
Dass es Herrn Scheffler „nicht ganz klar“ geworden, wieso zwischen
den Merkmalen b, c, d keine unabhängige Beziehung resultiren soll, während
er doch den Fall |c d| nebst |b c d| als einzig zugelassen konstatirt, liegt an
der Unzulänglichkeit seiner Bezeichnung. Der Fall |b c d| z. B. weist nicht
auf eine solche Beziehung hin, indem er ja das Fehlen der Merkmale a
und e unweigerlich — nur eben leider nicht „ausdrücklich“ — fordert.
Die obenerwähnte kleine Druckersparniss war also nicht umsonst zu haben,
sondern muss mit dem Zustand des ungedeckten Irrtümern-Ausgesetztseins
erkauft werden. —
Herr Venn zieht in seinem mehrerwähnten Werke1 im Grunde
auch die Jevons'sche Methode noch den übrigen vor. Er gibt der-
selben aber — wenigstens soferne nicht mehr als fünf Klassensymbole
beim Problem in Betracht kommen — eine graphisch anschauliche
Gestalt, die Beachtung verdient. Er verwendet Diagramme nach Art
der Euler'schen, macht aber einen eigentümlichen Gebrauch von der
Schraffirung. Während in meiner Schrift2 ich, gleichwie im Bisherigen,
mich dieses Veranschaulichungsmittels blos bedient hatte um gewisse
(Flächen-)Gebiete vor den übrigen hervorzuheben, legt Herr Venn
dem Schraffiren die Bedeutung des Ausstreichens, einer Tilgung bei.
Durch Schraffiren soll ein im allgemeinen logisch denkbares Gebiet, resp.
eine Klasse, als eine nach den Daten des vorliegenden Problemes nicht
vorhandene, als eine verschwindende oder leere gekennzeichnet werden.
Ein von ihm gegebenes einfaches Beispiel wird die Sache sogleich
klar machen.
Prämissen eines Problems seien: a ⋹ b (oder a b1 = 0) und
b c = 0. So werden die Data nach Euler'scher
Weise durch die Figur 21 darzustellen sein, aus
welcher auch direkt ersichtlich ist, dass a c = 0 sein
wird — ein Schluss, der rechnerisch durch Elimi-
nation von b aus den Prämissen gezogen werden
kann (Bekannter Syllogismus — vergl. „Celarent“ und „Cesare“ in § 42).
Statt dessen veranschaulicht Venn die Data mittelst der Figur 22,
in welcher die Gebiete a b1 (wagrecht) und b c (hier
senkrecht) sich ausgestrichen finden. Man erkennt
auch hier sogleich, dass a c völlig ausgestrichen ist.
Für Probleme, die sich auf zwei, drei, vier oder
fünf Klassen a, b, c, d, e beziehen, empfiehlt dem-
gemäss Herr Venn die durch die handlichen
Figuren 23, 24, 25 u. 26 dargestellten Schemata,
welche etwa durch Überdruck zu vervielfältigen und
bei jedem derartigen Problem ganz stereotyp zu verwenden sind. [In
den ersten beiden Figuren erblicken wir kongruente Kreise, in der
dritten als Gebiete a, b, c, d vier kongruente Ellipsen, in der vierten
[571]§ 26. Venn's graphische Modifikation des Verfahrens.
aber neben zwei Paar kongruenter Ellipsen a, e und b, d noch eine
ringförmige Fläche c in Gestalt einer Raute mit abgerundeten Ecken.
Herr Venn verwendet andere Buchstaben.]
Die Figuren zerschneiden je die ganze Ebene, den Konstituenten
der Entwickelung von 1 entsprechend richtig in resp. 4, 8, 16 und
32 Felder.
Ich habe diese Felder numerirt so, dass die Nummern angeben
die Stellenzahl des betreffenden Konstituenten von
1 = a b + a b1 + a1b + a1b1, resp.
1 = a b c + a b c1 + a b1c + a b1c1 + a1b c + a1b c1 + a1b1c + a1b1c1, resp.
1 = a b c d + a b c d1 + a b c1d + a b c1d1 + a b1c d + a b1c d1 + a b1c1d + a b1c1d1 +
+ a1b c d + a1b c d1 + a1b c1d + a1b c1d1 + a1b1c d + a1b1c d1 + a1b1c1d + a1b1c1d1,
resp. bei der letzten Figur die Nummer der betreffenden Kombination
in der Zusammenstellung, gegeben beim letzten nach Jevons' Methode
behandelten Problem auf S. 563, welche Kombination jeweils eigentlich
selbst, als durch das Feld veranschaulicht, in ebendieses hineinzu-
schreiben wäre.
Demgemäss veranschaulicht und zugleich damit löst Herr Venn das
nunmehr wohlbekannte Boole'sche Problem durch die Fig. 27 in welcher
blos unterblieben ist, auch das Aussen-
feld (32) zu schraffiren, und ausserdem ihm
das Versehen zu verbessern war, das
Feld 24 der Fig. 26 freigelassen zu haben
(vergl. Venn1 p. 281).
Übrigens schliesst es auch einen Fort-
schritt gegenüber dem ursprünglichen
Jevons'schen Verfahren in sich, dass
Venn diesen Strich der Felder nicht im
Hinblick auf das Kombinationensystem
der nach allen Symbolen gleichmässig
entwickelten Einheit vollzieht [wie sie beim vorliegenden Problem auf
S. 563 angegeben], sondern im Hinblick auf die Glieder der einzeln
rechts auf 0 gebrachten Prämissengleichungen, wie sie sich in unsrer
vereinigten Gleichung jeweils zusammengestellt finden [so oben bei ε)
der 1. Aufg. des § 25]. Gewisse von diesen Gliedern — nämlich die
ans weniger Faktoren zusammengesetzten — werden sich dabei als
von grösserer Tragweite („scope“) erweisen als die andern, nämlich
den Strich ganzer Komplexe von Elementarfeldern auf einmal er-
heischen.
Zur ferneren Illustration sei auch Venn's graphische Behandlung
der 10. Aufgabe des § 25 hergesetzt (Fig. 28), wobei wir die aus dem
Gebiet w herausgelesenen Felder horizontal
schraffirt, das übrig bleiben sollende Feld durch
einen Punkt hervorgehoben und diejenigen vier
Felder die darnach verschwinden mussten, verti-
kal schraffirend ausgestrichen haben, demgemäss
das Feld x1y z w nach beiden Richtungen schraf-
firend.
Zum Schlusse sein noch ein paar Probleme
Venn's angeführt, bei welchem sein Verfahren in der That vielleicht
bequemer erscheint als irgend ein rechnerisches.
Die von Jevons1 p. 64 aufgestellten Data:
a = b + c, b = c1 + d1, c1d1 = 0, a b = b c d
seien zu vereinfachen.
Schraffiren („shading out“) aller
Felder, die durch diese Prämissen als
leere hingestellt werden, liefert die
Fig. 29, aus welcher sofort ersichtlich,
dass
a = b = c = 1, d = 0
sein muss, indem eben nur das Feld a b c
noch übrig bleibt.
Rechnerisch würde sich dieses Resul-
tat ebenfalls ergeben, indem man die
vereinigte Gleichung:
a b1c1 + a1 (b + c) + b c d + b1 (c1 + d1) + c1d1 + (a b1 + a c1 + a1b c) d = 0
etwa nach a entwickelte, wodurch sich
a (b1 + c1 + d) + a1 · 1 = 0
mit einiger Mühe ergäbe; es muss sonach in der That a1 = 0, das
heisst a = 1, hernach auch b1 + c1 + d = 0 sein, etc.
Treffend widerlegt Herr Venn1 p. 148 Fussnote die Bemerkung von
Jevons, l. c. dass die obigen Data zweifellos einander widersprechende
(„contradictory“) seien, auf die wir in Anhang 6 zurückkommen müssen,
weil die ihr zugrunde liegende falsche Anschauung Jevons vielfach zur
Aufstellung ungeeigneter Ergebnisse geführt hat.
Ähnlich kommt Venn5 p. 15 von den Daten aus:
y ⋹ x z1 + z x1, w y ⋹ x z + x1z1, x y ⋹ w + z, y z ⋹ x + w
[573]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
zur Anlegung der Figur 30, aus welcher auf den ersten Blick ein-
leuchtet, dass
y = 0
der ganze logische Gehalt (import) des Prämissensystems sein muss.
In der That erhalten wir dieses Ergebniss auch als dessen „ver-
einigte Gleichung“, welche hiernach zusammen-
fallen wird mit der Resultante der Elimination
von x, z oder w — einzeln, oder in einer Partie,
oder insgesamt — aus dem Prämissensysteme.
Vergl. auch Math. Quest. vol. 34 p. 51, wo
dieselbe Aufgabe mit vertauschtem x und y gestellt
und — umständlicher — von McColl gelöst ist.
Dagegen löst sie auf die vorstehende Weise
Herr R. Harley, ibid. p. 74.
Die Methode, welche Herr Peirce in seiner grundlegenden Arbeit5
p. 37 ‥ 42 als fünfte — meiner Auffassung nach: dritte — den übrigen
hinzufügt, ist äusserst beachtenswert und genial, wenn auch seine
Darstellung derselben einzelnes zu wünschen lässt.
Ich möchte das Verhältniss dieser Methode zur modifizirten
Boole'schen vorweg im Bilde charakterisiren. Bei dieser wurden die
verschiedenen Knäuel der Prämissen oder Data des Problems erst fest
zu einem einzigen Knoten geschürzt (der vereinigten Gleichung) und
dieser dann durchhauen (bei der Elimination).
Beim Peirce'schen Verfahren aber werden jene Knäuel in ihre
dünnsten Fäden auseinandergelegt und die erforderlichen einzeln zer-
schnitten (oder auch neu nach Bedarf verknüpft) — wogegen die
Jevons'sche Methode sogleich ein Häcksel aus dem Ganzen machte!
Ich denke zu zeigen, dass durch eine geringfügige Abänderung der
Peirce'schen Tendenz unter Beibehaltung seiner Schlussweisen, indem
man nämlich jene Knäuel immer nur so weit auseinandernimmt, als
erforderlich, um den Eliminanden resp. die Unbekannte frei zu be-
kommen, dasjenige Verfahren entsteht, welches für gewöhnlich den
Vorzug verdienen dürfte — wobei sich das Verfahren aber dem
McColl'schen genähert haben, nicht mehr allzuweit von demselben
verschieden sein wird.
Wenn Herr Peirce von seiner Methode sagt, dass sie „perhaps
is simpler and certainly is more natural than any of the others“, so
muss ich ihm in Bezug auf die grössere Natürlichkeit Recht geben,
[574]Vierzehnte Vorlesung.
obwol es beim ersten Blick auf die sechs „Prozesse“ aus denen sie
sich zusammensetzt, durchaus nicht so scheint. Die (nur eventuell)
grössere Einfachheit wird erst erreicht bei der angedeuteten Abänderung,
die ich vorschlage.
Ich will zuerst versuchen, eine möglichst getreue Darstellung
seiner Methode zu geben, was ich indess nicht thun kann, ohne einige
Ergänzungen beizufügen und gelegentliche Kritik zu üben.
Methode von Peirce.
Erster Prozess. Man drücke alle Prämissen mittelst der
Kopula ⋹ aus*), beachtend, dass nach Def. (1) a = b dasselbe sagt,
wie a ⋹ b und b ⋹ a. Die Prämissen werden sich darnach als ein
System von lauter Subsumtionen darstellen.
Zweiter Prozess. Man „entwickele“ jedes Subjekt in Form einer
Summe gemäss Th. 44+) und dual entsprechend jedes Prädikat in Form
eines Produkts gemäss Th. 44×) nach den in ihm vorkommenden Buch-
stabensymbolen — indem man etwa im Einklang mit den im § 19
auseinandergesetzten Methoden links das Schema:
f (x) = f (1) x + f (0) x1, rechts das f (x) = {f (0) + x} {f (1) + x1}
bezüglich jeden Buchstabens wiederholt in Anwendung bringt.
Als das „leichteste“ Verfahren stellt Peirce hier ein gewisses hin,
auf das ich erst in der Anmerkung nachher eingehen will.
Ich muss aber bemerken dass eine vollständige „Entwickelung“ schon
im Sinne der Peirce'schen Methode gar nicht erforderlich ist. Es ist
[575]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
völlig ausreichend, wenn man nur die Subjekte in „letzte Aggreganten“,
die Prädikate in „letzte Faktoren“ im Sinne des § 13 zerlegt, jene also
ausmultiplizirend je als Summe von monomischen Produkten einfacher Sym-
bole darstellt, diese aber gemäss dem dualen Gegenstück 27+) des Distri-
butionsgesetzes jeweils in ein Produkt von Summen einfacher Symbole
verwandelt.
Während z. B. nach Peirce ein Prädikat x + y z in
(x + y + z) (x + y + z1) (x + y1 + z)
dual „entwickelt“ werden sollte, genügt bereits dessen Zerlegung in
(x + y) (x + z). Und analog wird auch allgemein das letzterwähnte Ver-
fahren seiner grösseren Einfachheit halber den Vorzug verdienen.
Nach Ausführung des zweiten Prozesses werden also als Subjekte
nur Summen von Produkten, als Prädikate nur Produkte von Summen
aus einfachen Symbolen auftreten — und das genügt.
Dritter Prozess. Gemäss den Schemata der Def. (3), wonach
eine Subsumtion der Form
| b + c + d + ‥ ⋹ a | a ⋹ b c d … |
äquivalent ist dem Systeme von Subsumtionen:
— wie ich bequemer dafür schreiben will — löse man alle „zusammen-
gesetzten“ Subsumtionen in die damit äquivalenten Systeme von simul-
tanen einfacheren Subsumtionen auf.
Es wird darnach irgend eine Prämisse, welche nach dem bisherigen
die Form besitzen muss
s + s' + s'' + … ⋹ p p' p'' p''' …
in der Gestalt anzuschreiben sein:
womit gesagt sein soll, dass s ⋹ p, s ⋹ p', s ⋹ p'', s ⋹ p''', ‥,
s' ⋹ p, s' ⋹ p', s' ⋹ p'', s' ⋹ p''', ‥, s'' ⋹ p, etc. sei.
In praxi — meint Peirce — werden diese Operationen schon
beim Niederschreiben der Prämissen sich vollziehen lassen.
| Da die Glieder s, s', ‥ der in letzte Summanden zerlegten Sub- jekte ihrerseits monomische Pro- dukte waren, | Da die Faktoren p, p', ‥ der in letzte Faktoren zerlegten Prä- dikate ihrerseits Summen aus ein- fachen Symbolen waren, |
so werden nach Vollzug unsres dritten Prozesses gerade umgekehrt
wie früher
| die Subjekte nur Produkte | die Prädikate nur Summen |
sein, aber jetzt aus lauter einfachen Symbolen, nämlich den Argumenten
(Variablen, Koeffizienten, Parametern, Eliminanden, Unbekannten, oder
wie man sie nennen mag) und ihren Negationen — wofern sie nicht
selbst schon einfache Symbole sind.
Vierter Prozess. Dieser soll nunmehr die Elimination eines
Symbols bewerkstelligen. Wir nennen den Eliminanden x. Dann
müssen nach Peirceauf jede mögliche Weise zusammengehalten werden
eine Subsumtion des vorliegenden Systems, welche x im Subjekt oder
aber x1 im Prädikat enthält, mit einer solchen, welche umgekehrt x
im Prädikat oder aber x1 im Subjekt enthält.
Sollte beides zugleich der Fall sein bei einer Prämissensubsumtion,
so fällt der Eliminand schon von selbst heraus, oder man kann das eine
weglassen, den einen Term x resp. x1 unterdrücken — gleichviel welchen.
Wenn nämlich x und x1 zusammen im Subjekte vorkämen, so wäre
dieses (als das Produkt der einfachen Symbole) kraft Th. 30×) gleich 0,
wenn sie zusammen im Prädikate vorkämen, so wäre letzteres (als die
Summe dieser und vielleicht noch anderer Terme) nach Th. 30+) gleich 1.
Diese Fälle werden gar nicht in Betracht kommen, weil man Subjekte und
Prädikate doch immer nur möglichst „ausgerechnet“ ansetzt.
Kommt aber x im Subjekt und zugleich x1 im Prädikate vor, oder
umgekehrt, so kann dies nach bisherigem nur in der Form:
a x ⋹ b + x1 resp. c x1 ⋹ d + x
eintreten, und wird gemäss Th. 41) solcher Ansatz zu
a x ⋹ b oder a ⋹ b + x1 resp. c x1 ⋹ d oder c ⋹ d + x
— nach Belieben — sich sofort vereinfachen lassen.
Nach der vorausgehenden Bemerkung wird jene Subsumtion von
der Form sein:
α) a x ⋹ b oder aber a ⋹ b + x1
und diese von der Form:
β) c ⋹ d + x oder aber c x1 ⋹ d
wobei nach dem Th. 41) des § 17 die nebeneinanderstehenden Sub-
sumtionen ja äquivalent sein müssen.
Resultante der Elimination von x aus den beiden Subsumtionen
des-Paares, welches aus den Zeilen α) und β) je eine Subsumtion
enthält, ist nun die Subsumtion:
γ) a c ⋹ b + d.
Beweis. Die vereinigte Gleichung von α) und β) würde in der That
(in der von mir bevorzugten Schreibweise) lauten:
a b1x + c d1x1 = 0,
somit als Resultante liefern: a b1c d1 = 0, was nach Th. 38×) mit der Sub-
sumtion γ) äquivalent ist.
Die Regel für solche Einzelelimination lautet also: Man multipli-
zire die Subjekte und addire die Prädikate der zusammengehaltenen Sub-
sumtionen unter Weglassung des Eliminanden.
Von den so gewonnenen Resultanten müssen die nicht analytisch
erfüllten (diejenigen, welche „Relationen“ sind) vollständig registrirt
werden, sofern sie nicht in bereits registrirten mitenthalten sind.
Zusammen mit denjenigen Subsumtionen, in welchen der Eliminand
gar nicht vorkam, werden sie in Gestalt eines Propositionensystems
die volle Resultante darstellen.
Es ist nicht erforderlich, eine Subsumtion der Form α) mit einer
andern von ebendieser Form α) behufs Elimination des x zusammenzuhalten,
und ebensowenig braucht man x aus irgend zwei Subsumtionen der Form β)
apart zu eliminiren, weil in solchen Fällen die Resultanten stets auf die
Identität 0 = 0 hinauslaufen müssen.
In der That würde bei zwei Subsumtionen der Form α):
a x ⋹ b und c x ⋹ d (oder c ⋹ d + x1)
die vereinigte Gleichung lauten: (a b1 + c d1) x + 0 · x1 = 0, sonach bei Eli-
mination des x nur fordern, dass (a b1 + c d1) · 0 = 0 sei, was von selbst
der Fall ist. Und ähnlich verhält es sich bei irgend zwei Subsumtionen
der Form β), wie:
a ⋹ b + x und c ⋹ d + x (oder c x1 ⋹ d),
welche vereinigt 0 · x + (a b1 + c d1) x1 = 0 geben. Im übrigen müsste, dass
hier die Gesamtheit der Einzelresultanten die volle Resultante darstellt,
doch eigentlich noch bewiesen werden!
Fünfter Prozess. Derselbe bezweckt (in Verbindung mit dem
nächstfolgenden und letzten Prozesse) das Äquivalent dessen zu leisten,
was wir seinerzeit als die Auflösung des Propositionensystems nach
einer Unbekannten (x) bezeichneten. Nach § 21, ο) kommt diese hinaus
auf die Ermittelung erstens eines (x nicht als Operationsglied ent-
haltenden) Prädikates, zu welchem x Subjekt ist, und zweitens eines
(ebenfalls von x freien) Subjektes, zu welchem x Prädikat ist.
Im fünften Prozess werden zunächst alle Subjekte, sowie alle
Prädikate von x (unter den im Prämissensystem vorkommenden Sym-
bolen oder Termen) aus den vorliegenden Subsumtionen einzeln heraus-
gelesen; im sechsten werden sie hernach zu einem einzigen Subjekte
resp. Prädikate zusammengefasst.
Nachdem vorstehend hingebracht war, dass alle Subjekte höchstens
Produkte, alle Prädikate aber höchstens Summen sind (wofern sie näm-
lich überhaupt noch als zusammengesetzte, nicht schon als einfache
Symbole erscheinen), können wir nach Belieben gemäss Th. 41) jedes
Operationsglied aus dem Subjekte in's Prädikat bringen, oder umgekehrt,
indem wir dasselbe erstens in seine Negation verwandeln, zugleich
aber auch zweitens die Art seiner Verknüpfung (mit den andern Sym-
bolen) dualistisch abändern, nämlich diese aus einer Addition in eine
Multiplikation oder umgekehrt verwandeln — vergl. den Wortlaut
jenes Theoremes, nach welchem ja:
a ⋹ b + x1 mit a x ⋹ b und a x1 ⋹ b mit a ⋹ b + x
gleichbedeutend ist.
Keineswegs dürfte dagegen
a + x1 ⋹ b in a ⋹ b x oder auch a ⋹ b x1 in a + x ⋹ b
(oder umgekehrt) verwandelt werden, wie man, die Subsumtionen rechts
auf 0 bringend leicht erkennt, wo sie besagen:
(a + x1) b1 = 0, a (b1 + x1) = 0 resp. a (b1 + x) = 0, (a + x) b1 = 0
und augenscheinlich einander durchaus nicht decken. Mit Subsumtionen
von vorstehender Form können wir es aber hier nicht mehr zu thun be-
kommen, da, wenn solche vorkamen, sie nach dem dritten Prozess zerlegt
sein mussten.
Wo es etwa erforderlich wird, ein Symbol auf die andre Seite
der Subsumtion „hinüberzuschaffen“ (zu „transponiren“), welches auf
der einen Seite isolirt steht, so lässt es die Einheit zurück, falls es
Subjekt war, die Null falls es Prädikat gewesen. Schematisch: soll
in einer Subsumtion a ⋹ b das a hinübergeschafft werden, so sagt
man: 1 · a ⋹ b und folgert nach der Regel: 1 ⋹ a1 + b; sollte aber
das b herübergeschafft werden, so denkt man sich die gegebene Sub-
sumtion in der Gestalt angeschrieben: a ⋹ b + 0, und folgert regel-
recht: a · b1 ⋹ 0. —
Demnach kann stets die Negation x1 der Unbekannten, wo sie
irgend vorkommt, in Gestalt von x transponirt werden, wodurch er-
zielt wird, dass das vorliegende Subsumtionensystem nur mehr x selbst,
aber nicht mehr x1 enthält. Und weiter können diejenigen Operations-
[579]§ 27. Methoden von McColl und Peirce
glieder, mit welchen nun x noch verknüpft erscheint, ebenfalls auf die
andere Seite geschafft werden, sodass in jeder einzelnen Subsumtion
(in der die Unbekannte überhaupt vorkommt) diese jetzt endlich isolirt
erscheinen wird, und zwar entweder als das Subjekt, oder als das
Prädikat derselben. Die regelrechte Ausführung dieser Operationen
macht den fünften Prozess aus.
Sechster Prozess. Man vereinige schliesslich die gewonnenen
Subsumtionen, welche die Unbekannte x zum Prädikate haben in eine
einzige Subsumtion mit ebendiesem Prädikate x, indem man die Summe
ihrer Subjekte bildet, ebenso diejenigen Subsumtionen, welche gemein-
sam die Unbekannte x zum Subjekte haben in eine einzige Subsum-
tion mit ebendiesem Subjekte x und dem Produkt ihrer Prädikate als
Prädikat — auf Grund der jetzt im umgekehrten Sinne, wie beim
dritten Prozess, anzuwendenden Schemata der Def. (3).
Hiermit wird man schliesslich die Doppelsubsumtion (mit x als
dem Mittelterme) erhalten, welche die „Berechnung“ der Unbekannten
leistet und das Problem löst.
Zur Illustration dieser Methode wollen wir mit Peirce das als 1. Auf-
gabe in § 25 von uns gelöste Problem von Boole nochmals behandeln,
dessen Data waren:
a1c1 ⋹ (b d1 + b1d) e, a d e1 ⋹ b c + b1c1, a (b + e) = c d1 + c1d,
und bei welchem verlangt wird, erstens diejenigen Aussagen über a zu
finden in welchen nur noch von b, c, d die Rede ist (which „involve“ only
b, c, d), zweitens anzugeben welche Relation zwischen b, c, d allein besteht,
drittens zu finden, was von (und mit) b in Bezug auf a, c, d ausgesagt
werden kann und viertens zu ermitteln, welche Relation zwischen a, c und
d besteht.
Auflösung gemäss Peirce. Durch die ersten drei im Kopf aus-
geführten Prozesse lösen wir die drei Prämissen bezüglich auf in die nach-
folgend zusammengestellten Subsumtionen:
Es war hiebei blos zu berücksichtigen, dass
b d1 + b1d = (b + d) (b1 + d1), b c + b1c1 = (b + c1) (b1 + c),
ähnlich c d1 + c1d = (c + d) (c1 + d1) und endlich a (b + e) = a b + a e ist.
Zuerst müssen wir e eliminiren, „von welchem wir nichts wissen wol-
len“, von welchem abgesehen werden soll.
Zum System der Resultanten gehören erstens diejenigen unter den
obigen Subsumtionen, welche e überhaupt nicht enthalten; diese sind:
δ) .
Zweitens tragen dazu bei die Resultanten der Elimination des e aus
je einer Subsumtion der Gruppe:
mit je einer solchen der Gruppe:
und nur diese, weil in den Subsumtionen jener Gruppe wesentlich e im
Prädikat (oder, was auf dasselbe hinausläuft, e1 im Subjekt), in den Sub-
sumtionen dieser Gruppe aber e im Subjekte auftritt.
Nach der Regel des vierten Prozesses gebildet sind nun unsre Resul-
tanten sämtlich hingeschrieben folgende:
,
wovon aber nur diese eine:
ε) a d ⋹ b + c1 + d1
wirklich zu notiren gewesen, die andern — nämlich: 0 ⋹ 1, a d ⋹ 1,
a d ⋹ b1 + c + d, etc. bis a c1d ⋹ b + c1 + d1 — als selbstverständlich schon
mittelst „Kopfrechnung“ erkannt und sofort hätten weggelassen werden
können.
Die zuletzt gefundne Einzelresultante ε) kann nun auch noch, indem
man d1 der Regel des Th. 41) gemäss nach links wirft, vereinfacht wer-
den zu:
a d ⋹ b + c1.
Und ferner geht die zweite von den Subsumtionen δ): a1c1 ⋹ b1 + d1
augenscheinlich in der letzten c1d ⋹ a auf, wie man in Peirce's Manier
am schnellsten sehen wird, indem man erstere mittelst Umstellung zweier
Terme umwandelt in c1d ⋹ b1 + a, was aus c1d ⋹ a und Th. 6+) doch a
fortiori schon folgt.
Es wird darnach jene fortzulassen sein.
Die Gesamtresultante der Elimination des e, zunächst durch das System
der koexistirenden Subsumtionen δ) und ε) vollständig dargestellt erschei-
nend, zieht sich demnach zusammen zu:
[581]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
ζ) a1c1 ⋹ b + d, , , a d ⋹ b + c1.
Dieses System von sechs Subsumtionen bildet nunmehr die Prämissen zu
allen weiter verlangten Schlussfolgerungen.
Die zweite, dritte und sechste von diesen gibt die Prädikate von a
an; dieselben sind:
b1 + c + d, b1 + c1 + d1 und b + c1 + d1.
Es muss a eingeordnet sein ihrem Produkte:
a ⋹ (b + c1 + d1) (b1 + c + d) (b1 + c1 + d1)
oder ausmultiplizirt:
a ⋹ b1 (c1 + d1) + c d1 + c1d = b1c1d1 + c d1 + c1d.
Um zu finden, ob irgend eine Relation zwischen b, c und d besteht, suchen
wir auch die Subjekte von a zusammen. Diese sind aus der ersten, vierten
und fünften Subsumtion ζ) zu entnehmen in Gestalt von: b1c1d1, c d1 und
c1d; es muss also ihre Summe dem a eingeordnet sein:
b1c1d1 + c d1 + c1d ⋹ a.
Augenscheinlich resultirt durch Elimination des a aus den beiden letzten
Subsumtionen, welche hier schon durch den Schluss Barbara nach Prin-
zip II erfolgen wird, weiter nichts als eine analytische, „leere“, das Prin-
zip I der Identität exemplifizirende Formel (an „empty“ proposition), so-
dass zwischen b, c und d keine unabhängige Beziehung zu bestehen braucht.
Um die Prädikate von b zu finden, kombiniren wir die zweite und
dritte Subsumtion ζ) und erhalten (analog, wie bei a des genaueren an-
gegeben wurde):
b ⋹ (a1 + c + d) (a1 + c1 + d1) oder b ⋹ a1 + c d1 + c1d
als drittes der verlangten Ergebnisse.
Durch Sammlung der Subjekte von b geht aus der ersten und der
letzten Subsumtion ζ) hervor:
a1c1d1 + a c d ⋹ b.
Durch Elimination von b aus diesem und dem vorigen Ergebnisse ge-
mäss Prinzip II geht dann hervor:
a c d + a1c1d1 ⋹ a1 + c d1 + c1d,
oder vereinfacht: a c d = 0, was mit der vierten und fünften Subsumtion gibt:
c d1 + c1d ⋹ a ⋹ c1 + d1
in Beantwortung der letzten von den gestellten Fragen. —
Anmerkung. Unter dem zweiten Prozesse empfiehlt Peirce, um
einen Ausdruck in seine letzten
| Summanden | Faktoren |
„entwickelnd“ zu zerlegen, falls er nämlich von vornherein ein
[582]Vierzehnte Vorlesung.
| Produkt (von Summen) | eine Summe (von Produkten) |
gewesen, das folgende Verfahren. Man bilde
| jedes denkbare Produkt | jede Summe |
aus allen in dem Ausdruck vorkommenden Buchstabensymbolen und deren
Negationen, sodass darin jeder Buchstabe nur einmal (negirt oder aber un-
negirt) vertreten ist.
Gemäss der fundamentalen Formel des Th. 6):
a b ⋹ b ⋹ b + c
untersuche man, ob
| das gebildete Produkt ein Subjekt ist von jedem Faktor | die Summe ein Prädikat ist von jedem Gliede |
des gegebenen Ausdruckes. Trifft dies zu, so ist es, resp. sie ein
| letzter Summand | Primfaktor |
ebendieses Ausdruckes, andernfalls nicht.
Man fahre in dieser Weise fort, bis so viele letzte Summanden resp.
Faktoren gefunden sind, als der Ausdruck besitzen muss.
Um diese Zahl zu finden (unter obenerwähnter Voraussetzung, die ja
schon nach § 14 sich immer vorgängig erfüllen lassen würde), gibt Peirce
ohne Herleitung den arithmetischen Ausdruck an:
2m + n — m p — p,
wo m die Gesamtanzahl der verschiedenen Buchstabensymbole bedeutet, die
im Ausdruck vorkommen, falls ein Symbol und seine Negation nicht als
verschieden angesehen werden, wo ferner n die Gesamtzahl der im Aus-
druck als Operationsglieder überhaupt auftretenden Symbole vorstellt, mögen
diese verschieden sein oder nicht (nach Berücksichtigung übrigens der Tau-
tologie- und Absorptionsgesetze behufs einfachstmöglicher Schreibung des
Ausdrucks), endlich p die Anzahl der
| Faktoren | Glieder |
des Ausdrucks ist (mit dem gleichen Vorbehalte wie soeben, ohne wel-
chen sonst ja die Zahlen n und p beliebig hoch angesetzt werden könnten).
Es sei hienach z. B. der Ausdruck x + y z „dual zu entwickeln“ [„dual“,
das soll heissen: in die Form eines Produktes, gemäss Th. 44×) — sinte-
mal die „Entwickelung“ schlechtweg, in unsrer Terminologie sich stets be-
zieht auf die Zerlegung in eine Summe gemäss Th. 44+)]. Nach Peirce
ist zu bemerken, dass hier m = 3, n = 3, p = 2 ist, womit sich die An-
zahl der gesuchten Faktoren (arithmetisch) berechnet zu
23 + 3 — 3 × 2 — 2 = 8 + 3 — 6 — 2 = 3.
Man sollte nun alle acht Ausdrücke, welche durch additive Vereinigung
dreier von den sechs Symbolen x, y, z, x1, y1, z1 mit verschiedenen Buch-
staben gebildet werden können eigentlich durchprobiren in folgender
Weise. Da
x ⋹ x + y + z und y z ⋹ x + y + z,
[583]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
so ist x + y + z ein Faktor unseres Ausdrucks x + y z. Um die Probe mit
x + y + z1 zu machen, haben wir zu bemerken, dass:
x ⋹ x + y + z1 und y z ⋹ x + y + z1
ist, sodass dies ebenfalls einer von den gesuchten Faktoren sein musste.
Das nämliche stellt sich heraus, wenn wir mit x + y1 + z den Versuch
machen, womit also (hier zufällig bei den drei ersten Versuchen) die ge-
suchten Faktoren schon vollzählig gefunden sind. Dagegen würde z. B. mit
x + y1 + z1 der Versuch fehlgeschlagen haben, indem zwar x ⋹ x + y1 + z1
aber nicht y z ⋹ x + y1 + z1 sein müsste, und bezüglich x1 + y1 + z1 liesse
sich weder einsehen, dass x, noch dass y z demselben eingeordnet sein
müsste. Etc.
Sollte ebenso beispielsweise der Ausdruck:
(a + b + c) (a + b1 + c1) (a1 + b + c)
— diesmal in die Form einer Summe, also schlechtweg — „entwickelt“
werden, so wäre m = 3, n = 9, p = 3, sodass
23 + 9 — 3 × 3 — 3 = 5
die a priori bestimmte Anzahl der zu gewärtigenden Entwickelungsglieder
ist. Von den acht Konstituenten der Entwickelung (von 1) nach a, b, c
sind daher nur dreie hier ausgeschlossen, und zwar sind es diese:
a1b1c1, a1b c, a b1c1,
welche allein nicht in allen drei Faktoren, nämlich in den gerade darüber-
stehenden nicht, sich enthalten erweisen. Der Ausdruck ist sonach:
= a b c + a b c1 + a b1c + a1b c1 + a1b1c. —
Die Vorausbestimmung der Anzahl Glieder resp. Faktoren der ge-
suchten Entwickelung erscheint mir zwar verdienstlich, das ganze Verfahren
auch in der That nicht schwierig, jedoch (im allgemeinen) als zu umständ-
lich und ermüdend gegenüber denjenigen Verfahrungsweisen, vor welchen
ihm Peirce den Vorzug zuerkennen will, und die schon im § 13 ausein-
andergesetzt wurden.
Ich würde bei Aufgaben der letzterwähnten Art judiziöses Ausmultipli-
ziren vorziehen, wo noch Faktoren fehlen dieselben in Gestalt von 1, = x + x1,
hinzufügend, wiederholten Ansatz eines Gliedes aber vermeidend. So haben
wir, in dem Beispiel, durch Vereinigung des ersten mit dem dritten Fak-
tor sogleich:
(b + c) (a + b1 + c1) = a (b c + b c1 + b1c) + a1 (b c1 + b1c)
— etwa bei (b1 + c1) den Faktor a1 gemäss Th. 33+) Zusatz beifügend, und
b + c beim Multipliziren mit a vollends entwickelnd gemäss Th. 33+) selbst.
Bei den Aufgaben der vorigen Art aber scheint mir das Schema des
Th. 27×) am bequemsten verwendet zu werden, wonach in obigem Beispiel
zuerst x + y z in (x + y) (x + z) übergeht, sodann weil x + y den Buch-
staben z, x + z aber den y noch nicht, wie es erforderlich wäre, enthält,
weiter:
x + y = x + y + z z1 = (x + y + z) (x + y + z1)
[584]Vierzehnte Vorlesung.
und analog x + z = x + z + y y1 = (x + y + z) (x + y1 + z)
genommen, im Produkte:
x + y z = (x + y + z) (x + y + z1) (x + y1 + z)
aber der erste Faktor rechts nur einmal angesetzt wird. Um den Gedanken-
gang darzulegen musste ich dies alles niederschreiben; man kann jedoch
das Ergebniss leicht gleich aus dem Kopfe hinsetzen.
Zum Glücke aber brauchen wir, wie oben betont, uns bei den Pro-
blemen hiermit überhaupt nicht zu plagen. Gleichwol aber schien mir
Peirce's Manier im „Entwickeln“ der Funktionen es wert zu sein, der
Aufmerksamkeit des Lesers unterbreitet zu werden, sollte sie auch blos
dazu dienen, die Mannigfaltigkeit und Fülle der Weisen, auf welche in
unsrer Disziplin zuwerke gegangen werden kann, auf's neue zu illustriren.
Ich will nun diejenige Modifikation der Peirce'schen Methode
auseinandersetzen, welche mir, wie eingangs angedeutet, als die aller-
natürlichste und einfachste zugleich erscheint.
Wie der Leser wol bereits herausgefühlt hat, besteht der Vorzug
der Natürlichkeit gegenüber der Boole'schen Methode bei der Peirce-
schen darin, dass sie — nicht wie jene mit Gleichungen — sondern
vielmehr mit Subsumtionen operirt, sonach mit Subjekten und Prädi-
katen zu thun hat, die den Urteilsfunktionen im gewöhnlichen Denken
sich durchaus anpassen. Die Prämissen brauchten nicht mehr rechter-
hand auf 0 gebracht, auch nicht mehr zu einer einzigen Aussage ver-
einigt zu werden — Operationen, deren erstere zuweilen mühsam aus-
zuführen ist, deren letztere, so leicht sie ist, ein schwülstiges (cum-
brous) Ergebniss aufweisen kann. Bei Peirce's Verfahren mussten
indess dafür andere Weitläufigkeiten in Kauf genommen werden, die
wir nun vermeiden wollen unter Beibehaltung der Vorzüge.
Aus irgend einem System von in Form von Subsumtionen an-
geschriebenen Prämissen ein Symbol x zu eliminiren, desgleichen das-
selbe (im mehrerwähnten Sinne) zu „berechnen“ ist unsre Aufgabe.
Mit der „Berechnung“ ist bekanntlich allemal die Elimination der
Unbekannten zu verbinden, die uns die Auflösbarkeitsbedingung liefert;
desgleichen geht schon nach § 21 und wie weiterhin zu sehen mit der
Elimination auch die Auflösung oder Berechnung von selber Hand in Hand.
Sollte also etwa ein Symbol zu eliminiren und ein anderes zu berechnen
verlangt sein, so wende man nacheinander in Hinsicht auf jedes der beiden
für sich das Verfahren an, welches wir nun bezüglich des einen x be-
schreiben werden. Ebenso, wenn mehrere Unbekannten zu eliminiren da-
neben irgend welche zu berechnen sind, wird man (wie schon früher er-
wähnt) die Eliminanden immer einzeln successive (in irgend einer Reihen-
folge) beseitigen, weil dabei mit jedem Schritte schon eine erhebliche Ver-
einfachung des fernerhin die Prämissen zu vertreten habenden Propositionen-
[585]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
systems erzielt wird — wogegen, wenn man die Operationen behufs simul-
taner Elimination an das ursprüngliche Prämissensystem anküpfen wollte,
man dieses Vorteils verlustig gehen würde. Wir werden es demnach in
der That immer nur mit einem Symbol, als Eliminanden oder Unbekannte,
auf einmal zu thun bekommen, und brauchen nur darauf Bedacht zu nehmen,
wie wir uns in Bezug auf dieses (somit auch jedes) am besten aus der
Schlinge ziehen.
In jeder Prämissensubsumtion (welche x überhaupt enthält) entwickele
man die linke Seite, das Subjekt, falls x in demselben vorkommt,
nach x in Form einer Summe gemäss Th. 44+) die rechte Seite oder
das Prädikat, falls x in ihm vorkommt, in Form eines Produktes ge-
mäss Th. 44×). Darnach lässt sich:
a x + b x1 ⋹ (α + x1) (β + x)
als die allgemeine Form einer jeden x enthaltenden Prämisse hin-
stellen, wobei nur, wenn x auf einer Seite von selbst herausfällt oder
fehlte, dasselbe nicht extra eingeführt zu werden braucht, vielmehr
dann in Gestalt von
a x + b x1 ⋹ γ resp. c ⋹ (α + x1) (β + x)
mit der betreffenden Prämisse weiter zu operiren ist. Es brauchen
auch etwa ausfallende Glieder, wie 0 · x oder 0 · x1 oder Faktoren, wie
1 + x oder 1 + x1, durchaus nicht angesetzt zu werden, vielmehr kommen
in solchen Fällen auch die beim allgemeinen Schema anzuführenden
Operationen, soweit sie sich auf jene zu beziehen hätten, einfach in
Wegfall.
Man löse jetzt die betreffende Subsumtion gemäss Definition (3) auf
in die einfacheren Subsumtionen:
wobei wieder, falls ein Term fehlte, derselbe auch vorstehend nicht
vertreten sein wird.
Das allgemeine Schema repräsentirt nur zwei (nicht vier) Subsumtionen,
nämlich die beim Lesen einer jeden Zeile sich ergebenden: a x ⋹ α + x1,
b x1 ⋹ β + x, da die über's Kreuz durch das Subsumtionszeichen verbundenen
Terme nur analytische Identitäten a x ⋹ β + x, b x1 ⋹ α + x1 liefern.
Nach der Regel von Peirce's Theorem 41) werfe man das Opera-
tionsglied x1jetzt (als x) auf die andere Seite, was beim allgemeinen
Schema auf eine Unterdrückung des Terms x1 hinausläuft, und für
sämtliche angeführten Fälle gibt:
| a x ⋹ α b ⋹ β + x | resp. | a x ⋹ γ b ⋹ γ + x | resp. | c x ⋹ α c ⋹ β + x. |
[586]Vierzehnte Vorlesung.
Sodann isolire man x vollends durch Hinüberwerfen des mit ihm ver-
knüpften Operationsgliedes nach derselben Regel, wodurch entsteht:
b β1 ⋹ x ⋹ a1 + α, resp. b γ1 ⋹ x ⋹ a1 + γ resp. c β1 ⋹ x ⋹ c1 + α.
Hierdurch ist dann die Prämisse verwandelt in eine Doppelsubsum-
tion mit dem Mittelgliede x und einem davon freien Subjekte sowol
als Prädikate. Dieselbe ist m. a. W. für sich schon „aufgelöst“ nach x;
zugleich erscheint x eliminirt, sobald man es beim Lesen der Doppel-
subsumtion gemäss Prinzip II überspringt. In der That wird beim
allgemeinen Schema b β1 ⋹ a1 + α die Resultante der Elimination des x
vorstellen.
Wenn von dem allgemeinen Schema einzelne Terme fehlten, so kann
es sich ereignen, dass man statt einer Doppelsubsumtion nur eine einfache
Subsumtion erhält von der Form
d ⋹ x oder aber x ⋹ δ.
Diese ist jedoch leicht zu einer Doppelsubsumtion zu ergänzen in Gestalt von:
d ⋹ x ⋹ 1 resp. 0 ⋹ x ⋹ δ
und ist ersichtlich, dass alsdann durch die Elimination des x aus der
Einzelprämisse nur eine Identität: d ⋹ 1 resp. 0 ⋹ δ resultiren würde,
die bei Aufstellung der Gesamtresultante nicht weiter berücksichtigt zu
werden braucht (weil 0 links Summand, 1 rechts Faktor würde — wie
sogleich zu sehen).
Um nunmehr das ganze System von Prämissen nach der Unbekannten
x aufzulösen, nachdem die x enthaltenden sämtlich zu solchen Doppel-
subsumtionen umgeformt sind, braucht man nur die Subjekte dieser
letzteren additiv zu einem einzigen Subjekte, ihre Prädikate multiplikativ
zu einem einzigen Prädikate von x zu vereinigen. Man wird dadurch
eine Doppelsubsumtion mit dem Mittelgliede x und davon unabhängigen
extremen Gliedern erhalten, welche nach Def. (3) äquivalent sein muss
dem System jener Doppelsubsumtionen, welche also zusammen mit der
Gruppe der x von vornherein nicht enthaltenden Prämissen das ur-
sprüngliche Prämissensystem vollständig vertritt. Die volle Resultante
der Elimination des x besteht aus dem System der Prämissen eben
dieser letztern Gruppe in Verbindung mit der aus der „vereinigten“
Doppelsubsumtion durch Überspringen des x gemäss Pr. II sich er-
gebenden Resultante, welche die Summe der Subjekte des x einordnet
dem Produkt seiner Prädikate. —
Um dies an dem klassischen Problem von Boole, 1 Aufg. des § 25,
zu erläutern, so schreiben wir behufs Elimination von e die erste Prämisse
in der Gestalt an:
, die zweite als: a d (b c1 + b1c) ⋹ e,
[587]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
indem wir eine Doppelumstellung an ihrem früheren Ansatz vornehmen,
nämlich den Faktor e1 von links als Summanden e nach rechts warfen,
sodann den Summanden b c + b1c1 negirt als Faktor b c1 + b1c von rechts
nach links — oder beides a tempo.
Die dritte Prämisse, welche Gleichung war, lösen wir als vorwärtige
und rückwärtige Subsumtion bezüglich auf zu:
| a b ⋹ c d1 + c1d | resp. | c d1 + c1d ⋹ a |
| e ⋹ c d1 + c1d + a1 | b1 (c d1 + c1d) ⋹ e. |
Die Resultante der Elimination des e besteht aus dem System der
drei von den vorstehenden Subsumtionen, welche e gar nicht enthalten,
zusammen mit derjenigen, welche die Summe der drei Subjekte von e sub-
sumirt unter das eine Prädikat desselben. Letztre lautet:
a1c1 + a d (b c1 + b1c) + b1 (c d1 + c1d) ⋹ c d1 + c1d + a1.
Hiermit ist diese Elimination bereits vollzogen. Bei keiner allgemeinen
Methode wird man sich aber der Anforderung entziehen können, die syste-
matisch von ihr gelieferten Rechnungsergebnisse jeweils nach Möglichkeit
— mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des gerade vorliegenden
Falles — zu vereinfachen, zu reduziren! Das letzte vereinfacht sich zu:
a b1c d = 0 oder a c d ⋹ b,
wie man augenblicklich erkennt, wenn man das Glied a1 von rechts als
Faktor a und ebenso das Glied c d1 + c1d von rechts als Faktor c d + c1d1
nach links wirft.
Der Übersicht wegen reproduziren wir die (bereits da stehende) Gesamt-
resultante, zugleich die Elimination von a vorbereitend; sie besteht aus
dem Systeme:
(b d + b1d1) c1 ⋹ a, a ⋹ b1 + c d1 + c1d, c d1 + c1d ⋹ a, a ⋹ b + c1 + d1.
Mithin ist ihre Auflösung nach a:
(b d + b1d1) c1 + c d1 + c1d ⋹ a ⋹ (b1 + c d1 + c1d) (b + c1 + d1)
in welcher Doppelsubsumtion die extremen Glieder sich nach leichter Re-
duktion als gleich herausstellen, sodass die Elimination von a ergebnisslos
bleibt, und
a = c d1 + c1d + b1c1d1
geschrieben werden kann.
Um sodann b zu eliminiren, nehmen wir am besten die letzte als die
einfachste Zusammenfassung der nun als Prämissen dienenden Ergebnisse,
und zerlegen die Gleichung als vor- und rückwärtige Subsumtion in:
.
Die Elimination von b1 aus der ersten und der in b1 ⋹ a + c + d um-
geschriebenen dritten von diesen vier Subsumtionen liefert augenscheinlich
nur ein identisches Ergebniss, weshalb die Resultante der Elimination
[588]Vierzehnte Vorlesung.
von b (somit b1) blos aus den von b freien Subsumtionen dieser Gruppe
besteht, die sich in
c d1 + c1d ⋹ a ⋹ c1d1 + c d1 + c1d oder c1 + d1
zusammenziehen. Auch liest man sofort heraus die Auflösung nach b1:
a (c d + c1d1) ⋹ b1 ⋹ a + c + d,
woraus sich diejenige nach b durch Umstellen der Terme, oder auch beider-
seitiges Negiren ergibt zu:
a1c1d1 ⋹ b ⋹ a1 + c d1 + c1d,
wo letzteres Prädikat (nur) mit Rücksicht auf die vorhergehende Relation
(zwischen a, c, d) auch in a1 + c + d zusammenziehbar ist (indem man ihm
a1c d ohnehin, aber auch noch a c d, welches 0 ist, zufügen kann).
So gelangten wir also zu den früheren Ergebnissen.
Es möge ferner noch die 7. Aufgabe des § 25 (von Boole) entsprechend
behandelt werden. Die Prämissen waren:
w g ⋹ s e, r a ⋹ b e, s e ⋹ w g, b e ⋹ r a
und werden im Hinblick auf die beabsichtigte Elimination von e zu
schreiben sein:
,
oder
,
mithin stellt das System:
w g ⋹ s, r a ⋹ b, w g ⋹ r a + b1, r a ⋹ w g + s1
die Resultante der Elimination von e vor.*)
Um die Elimination und Berechnung von g vorzubereiten, schreiben
wir letzteres:
,
woraus folgt:
r a s ⋹ g ⋹ (s + w1) (r a + b1 + w1) oder w1 + s (r a + b1)
wie früher — eine Behandlung, die mir derjenigen des § 25 entschieden
vorzuziehen scheint.
Ich meine gleichwol, dass das von mir modifizirte Verfahren Boole's
durch diese neue Methode keineswegs überflüssig gemacht wird. Nicht nur
behält es den einen Vorzug, dass man dabei mehr rein mechanisch — um
nicht zu sagen: gedankenloser — zuwerke gehen kann, womit ich mir zum
Teil den Umstand erkläre, dass, wie Herr Peirce seinerzeit mir schrieb,
[589]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
seine Schüler mein Verfahren dem seinigen vorzuziehen pflegten, sondern
auch zum vollen Verständniss der ganzen Disziplin wird dasselbe stets un-
entbehrlich bleiben. Endlich kann man auch die an jeder einzelnen Prä-
missensubsumtion zu vollziehenden Operationen der Auflösung und Elimina-
tion mindestens geradesogut nach jenem Boole'schen Schema ausführen,
als nach der vorstehend illustrirten Peirce'schen Methode, wie eine ver-
gleichende Bearbeitung der typischen 18. Aufg. des § 25 nach den beiden
Manieren zu erkennen gibt. —
Das Verfahren, welches Herr McColl ganz selbständig, indessen
immerhin sehr nachträglich, zur Lösung der Probleme des Boole'schen
Kalkuls ersonnen, ist doch nicht ganz so sehr, wie er selbst glaubt,
von dem modifizirten Boole'schen verschieden — und muss ich hierin
Herrn Venn1 p. 372 beipflichten (vergl. ebenda). Sofern nur eine
Prämisse in Betracht kommt — und die Boole'schen Prämissen lassen
sich ja stets in eine einzige zusammenziehen — möchte ich dasselbe
überhaupt nicht als eine neue Methode, sondern höchstens als eine
eigene „Manier“ in der Anwendung der Boole'schen Methode gelten
lassen.
Ein Fortschritt tritt erst da zutage, wo es sich um Elimination
und Auflösung bei SystemenBoole'scher Prämissen handelt und ist
eben darin zu erblicken: dass McCollderen vorgängige Vereinigung zu
einer einzigen Prämissengleichung entbehrlich macht, womit er denn Peirce
vorgearbeitet und eine neue Behandlungsweise der Probleme angeregt,
mitbegründet hat.
Vorwiegend scheinen mir Herrn McColl's Verdienste auf einem andern
Felde zu liegen: auf dem der Anwendungen — worüber u. a. unser An-
hang 7 zu vergleichen ist.
McColl's Verfahren basirt auf den beiden Gleichungen:
x f (x) = x f (1) und x1f (x) = x1f (0),
welche wir schon in § 19 als Anm. 2 zu Th. 44+) angeführt haben,
und die er auch für beliebig viele Argumente zusammenfassend er-
weitert zu dem Satze:
x y z ‥ u1v1 ‥ f (x, y, z ‥ u, v, ‥) = x y z ‥ u1v1 ‥ f (1, 1, 1, ‥, 0, 0, ‥).
Die Gültigkeit auch dieser Gleichung ist unmittelbar ersichtlich aus
der allgemeinen Boole'schen Formel 44+) für die Entwickelung einer
Funktion f (x, y, z, ‥ u, v, ‥) beliebig vieler Argumente nach ebendiesen
— in Anbetracht, dass bekanntlich f (1, 1, 1 ‥ 0, 0, ‥) der Koeffizient
ist, mit welchem der Konstituent x y z ‥ u1v1 ‥ in jener Entwickelung
behaftet erscheinen wird, und dass die übrigen Glieder derselben Ent-
wickelung, als mit dem angegebnen disjunkte Konstituenten habend,
in diesen multiplizirt verschwinden müssen.
Charakteristisch ist aber die Art, wie McColl zu obiger Gleichung
gelangt. Seine Rechnungsweisen sind wesentlich aus dem Aussagenkalkul
(„calculus of equivalent statements“) hervorgewachsen, und könnten eigent-
lich erst unter diesem ganz ungehindert besprochen werden, weshalb wir
auch noch einmal auf sie zurückkommen — § 46 am Schlusse. Bedeuten
ihm nun x, y, z, ‥ u, v, ‥ verschiedene Aussagen, so wird diesen Symbolen
der Wert 1 zukommen, wenn sie wahr und der Wert 0, wenn sie falsch
sind (vergl. unten § 28). Wird nun angesetzt das Produkt x y z ‥ u1v1 ‥, so
sind damit die Faktoraussagen als gleichzeitig gültige hingestellt oder an-
genommen (vergl. § 28), d. h. es ist x = y = z ‥ = 1 und ebenso
u1 = v1 = ‥ = 1, sonach u = v = ‥ = 0 gesetzt; und deshalb dürfen
in der That die genannten Symbole in einer etwa noch dahinter tretenden
(d. h. gleichzeitig gemachten) ferneren Aussage f (x, y, z, ‥, u, v, ‥) durch
diese ihre Werte 1, 1, 1, ‥ 0, 0, ‥ bezüglich ersetzt werden.
Es müsste dies auch gültig bleiben, wenn etwa f (x, y, ‥, u, ‥) nicht
mehr blos einen Funktionsausdruck des identischen Kalkuls in unserm bis-
herigen Sinne, sondern auch, wenn es irgend ein System von Propositionen
vorstellte, in welchem nur als Aussagensymbole die Argumente vorkämen.
Gelegentlich macht, um Schlüsse zu ziehen, McColl auch in dieser Weise
von dem Satze Gebrauch. Doch lässt von dem wie wir sehen werden
engeren „Aussagen“kalkul (in welchem nämlich die Symbole lediglich der
Werte 0 und 1 fähig sind) der Satz auch auf den weiteren „Klassen“kalkul
(in welchem sie beliebige Werte haben können) sich nicht ohne weiteres
übertragen (cf. § 46, 18. Studie).
Ist nun z. B. eine Subsumtion:
φ (x) ⋹ ψ (x)
nach der Unbekannten x aufzulösen, oder auch diese zu eliminiren, so
wird gefolgert:
φ (x) ψ1 (x) ⋹ 0
was dasselbe besagt, wie, dass es = 0 sei; und hieraus durch beider-
seitiges Multipliziren mit x1 oder x, unter Anwendung des angeführten
Satzes:
x1φ (x) ψ1 (x) = x1φ (0) ψ1 (0) ⋹ 0, x φ (x) ψ1 (x) = x φ (1) ψ1 (1) ⋹ 0,
oder, was dasselbe besagt, = 0. Nach Th. 38) lassen nun aber diese
letzten Subsumtionen sich umschreiben in:
φ (0) ψ1 (0) ⋹ x, φ (1) ψ1 (1) ⋹ x1
oder auch, nach Belieben, in:
x1 ⋹ φ1 (0) + ψ (0), x ⋹ φ1 (1) + ψ (1).
Multiplizirt man überschiebend die Subsumtionen der ersten, oder ad-
dirt ebenso man die der zweiten Zeile, so ergeben sich mit Rücksicht
auf Th. 30) und Th. 5) die Formen, in deren erster McColl die Resul-
tante der Elimination von x ansetzt:
[591]§ 27. Methoden von McColl und Peirce.
φ (0) φ (1) ψ1 (0) ψ1 (1) = 0 resp. 1 = φ1 (1) + φ1 (0) + ψ (1) + ψ (0)
— oder auch ⋹ für = geschrieben.
Ich denke, man erkennt, dass dies nur eine andere Manier ist, zu
derselben Resultante zu kommen, zu welcher Boole gelangen würde, indem
er die Gleichung φ (x) ψ1 (x) = 0 links nach x entwickelte und das Pro-
dukt der Koeffizienten = 0 setzte.
Verbände man dagegen diagonal oder über's Kreuz je zwei Sub-
sumtionen aus den beiderlei Zeilen vermittelst des Syllogismus Barbara
(oder Prinzips II) um x oder x1 zu eliminiren, so würde sich diese
Resultante auf eine dem Verfahren von Peirce näher kommende
Weise ergeben in den Formen:
φ (0) ψ1 (0) ⋹ φ1 (1) + ψ (1), φ (1) ψ1 (1) ⋹ φ1 (0) + ψ (0).
Die beiden Subsumtionen einer (der ersten) Zeile aber stellen für
McColl die Auflösung nach der Unbekannten x vor — wofür meines
Erachtens wieder diejenigen der Hauptdiagonale den Vorzug verdienen
würden, gleichwie dann auch die Subsumtionen der Nebendiagonale
die Auflösung nach x1 am besten darstellen werden. —
Die Art, wie hienach McColl mit Systemen von Subsumtionen
operirt, erhellt aus folgendem.
Nachdem jede einzelne von den gegebenen Prämissensubsumtionen,
wie oben gezeigt in zweie von der Form α ⋹ x, β ⋹ x1 aufgelöst,
zerfällt ist, können wir als unser Prämissensystem ansehen:
α1 ⋹ x, α2 ⋹ x, …, αn ⋹ x,
β1 ⋹ x1, β2 ⋹ x1, … βn ⋹ x1,
und lassen diese n Paare nach Def. (3+) sich zusammenziehen in:
α1 + α2 + … αn ⋹ x,
β1 + β2 + … βn ⋹ x1,
welche beiden Subsumtionen zusammen dessen „Auflösung“ nach x
vorstellen, wogegen deren überschiebend gebildetes Produkt:
(α1 + α2 + … + αn) (β1 + β2 + … βn) ⋹ 0
die Resultante der Elimination des x sein wird.
Ein Beweis für die Vollständigkeit dieser Resultante — nämlich der
α β = 0 für die Prämissen α ⋹ x, β ⋹ x1 — wäre nach unsern Betrach-
tungen in § 21 leicht zu erbringen (resp. ist dort selbst implicite bereits
erbracht), ist jedoch von McColl nicht gegeben.
Nach vorstehendem Schema behandelt McColl verschiedene Pro-
bleme, namentlich von Boole, darunter auch die bekannte 1. Aufgabe
des § 25 und diese mittelst zwei (ein halb) Druckseiten Rechnung.
Irgendwelche Vorteile in Hinsicht der Druckersparniss, Vermehrung
[592]Vierzehnte Vorlesung.
der Übersicht oder Erleichterung der Arbeit gegenüber den schon
auseinandergesetzten (und teilweise allerdings der McColl'schen sich
nähernden) Behandlungsweisen vermag ich aber nicht dabei wahrzu-
nehmen. —
Wo mehrere Argumente als Eliminanden oder Unbekannte gleich-
zeitig in Betracht kommen, verfährt übrigens McColl nicht etwa rein nach
dem oben geschilderten Schema für eines nach dem andern von diesen.
Vielmehr müssen wir, um vollständig sein Zuwerkegehen charakterisirt zu
haben und den bis incl. zu unserm § 32 vorgeschrittenen Leser in den
Stand zu setzen, die von McColl behandelten Probleme genau in seiner
Weise (nach-)rechnen zu können, etwas vorgreifend noch folgendes bemerken.
Sei F (x, y, z, ‥) ein Prämissensystem, z. B. ein aussagenrechnerisch
angesetztes „Produkt“ von Subsumtionen, so wird dasselbe laut Voraus-
setzung gelten, somit den Wert der 1 des Aussagenkalkuls haben. Irgend
ein Konstituent (einer Entwickelung) nach den Argumenten x, y, z, ‥,
z. B. x y1z1 ‥, wird daher mit diesem Faktor F (x, y, z ‥), der ja 1 ist,
versehen werden dürfen, sodass
x y1z1 ‥ = x y1z1 … F (x, y, z ‥).
Nach dem im Schlusspassus der S. 589 gegebenen Satze (und mit Rück-
sicht auf dessen zulässige im Kontext der folgenden Seite schon angedeutete
Erweiterung) ist aber die rechte Seite dieser Gleichung = x y1z1 … F (1, 0, 0, ‥)
und somit ⋹ F (1, 0, 0, ‥) kraft Th. 6×). Sonach ergibt sich in der Gestalt:
x y1z1 ‥ ⋹ F (1, 0, 0, ‥)
ein Prädikat zu dem gedachten Konstituenten, welches sich zunächst
wiederum als ein Produkt von Subsumtionen darstellt, worin aber die
Argumente nicht mehr vorkommen. Dasselbe wird nun nach den in § 32
gegebnen Schemata, insbesondre dem λ), sich umschreiben lassen in einen
von allen Subsumtionszeichen befreiten Ausdruck, der auch als ein solcher
des Klassenkalkuls deutungsfähig geworden.
Aus den zu sämtlichen Konstituenten auf diesem Wege gewonnenen
Prädikaten leitet hernach McColl durch überschiebendes Addiren sich seine
Eliminationsergebnisse ab, die sich so als Prädikationen ergeben für die
Konstituenten nach den als Unbekannte zu berechnenden Argumenten.
Z. B. aus den Prädikaten zu x y1z1 und zu x y1z fliesst so ein Prädikat zu
x y1, aus diesem und einem ähnlich gewonnenen Prädikate zu x y ergibt
sich ein Prädikat zu x (welches durch Kontraposition schliesslich in ein
Subjekt zu x1 verwandelt wird). Etc.
Dass dieses Zuwerkegehen nicht eben vorteilhaft ist, zeigt deutlichst
eine Vergleichung der von McColl gegebnen Lösungsarbeit — z. B. bei
der 28. Aufgabe des § 25 — mit der — dort — von mir geleisteten. —
Das Verständniss der Betrachtungen wird sehr erleichtert, wenn sich
der Leser die geringe Mühe nimmt, sich dieselben mittelst Flächengebieten
zu veranschaulichen.
Um einzusehen, dass es immer gewisse Gebiete c gibt, welche den Forde-
rungen der Def. (5) genügen, nämlich (S. 205) die Eigenschaft haben, dass
für alle x, für welche
α)
| x ⋹ a und zugleich x ⋹ b | a ⋹ x und zugleich b ⋹ x |
ist, auch
β)
| x ⋹ c | c ⋹ x |
sein muss, könnte man folgende Überlegung anstellen.
Gesetzt ausser 0 resp. 1 gebe es kein x, für das die Beziehungen α)
erfüllt sind. Dann genügt bereits der Wert
| c = 0 | c = 1 |
der obigen Forderung, fernerhin also jedes beliebige Gebiet c.
Ist diese Annahme aber nicht erfüllt, so gibt es ausser 0 resp. 1
mindestens ein x — ein solches heisse x1 — von solcher Beschaffenheit,
dass die Bedingungen α) bezüglich erfüllt sind, d. h. dass wir haben:
| x1 ⋹ a, x1 ⋹ b | a ⋹ x1, b ⋹ x1. |
Alsdann ist auch für alle solchen x, für welche
β1)
| x ⋹ x1 | x1 ⋹ x |
ist, a fortiori die Bedingung α) erfüllt.*)
Wenn nun auch das Umgekehrte gilt, dass nämlich für jedes x, für
38*
[596]Anhang 1.
das die Bedingungen α) zutreffen, auch die Subsumtion β1) besteht, dann
ist in Gestalt von
c = x1
bereits ein die Forderungen der Def. (5) erfüllender Wert des c gefunden.
Gilt er diese Umkehrung nicht, so gibt es mindestens ein x — ein
solches heisse x'' — derart, dass die Voraussetzung α) zutrifft, d. h. dass
wir haben:
| x'' ⋹ a, x'' ⋹ b | a ⋹ x'', b ⋹ x'' |
ohne dass doch für dieses x auch β1) erfüllt wäre, d. h. ohne dass wir
hätten:
| x'' ⋹ x' | x' ⋹ x''. |
In diesem Falle kann nach Def.
| (3+) aus x1 ⋹ a und x'' ⋹ a | (3×) aus a ⋹ x1 und a ⋹ x'' |
gefolgert werden, dass
| x1 + x'' ⋹ a | a ⋹ x1x'' |
sein muss, und analog ergibt sich, dass zugleich auch ist:
| x1 + x'' ⋹ b | b ⋹ x1x''. |
Nennen wir aber
| x1 + x'' = x2 | x1x'' = x2, |
so ist dieses Gebiet x2 jetzt ein solches, für welches x'' bei jener Um-
kehrung keine Ausnahme mehr bildet, desgleichen, nach wie vor, auch x1
keine. Wir haben nämlich nach Th.
| 6+) x1 ⋹ x1 + x'', also x1 ⋹ x2 | 6×) x1x'', ⋹ x1, also x2 = x1 |
desgleichen:
| x'' ⋹ x2 | x2 ⋹ x''. |
Dieses x2 ist jetzt der den Forderungen unsrer Def. (5) genügende
Wert des c selber, es ist:
c = x2,
wenn es jetzt überhaupt kein x mehr gibt, welches den Voraussetzungen α)
genügte, ohne mit x2 die Beziehungen einzugehen:
β2)
| x ⋹ x2 | x2 ⋹ x. |
Gibt es aber noch solche x, welche sich dem x2 — will ich kurz
sagen — „nicht fügen“, d. h. für welche zwar die Voraussetzungen α) aber
nicht die Subsumtion β) erfüllt ist, so kann man ebenso weiter schliessen.
Es sei dann x''' irgend eines derselben; so haben wir:
| x''' ⋹ a, x''' ⋹ b | a ⋹ x''', b ⋹ x''' |
aber doch nicht
| x''' ⋹ x2 | x2 ⋹ x'''. |
Dann folgt nach Def. (3) aus:
| x2 ⋹ a und x''' ⋹ a | a ⋹ x2 und a ⋹ x''' |
dass
| x2 + x''' ⋹ a | a ⋹ x2x''' |
und analog auch:
| x2 + x''' ⋹ b | b ⋹ x2x''' |
ist. Nennen wir nunmehr
| x2 + x''' = x3 | x2x''' = x3, |
so ist x3 ein solches Gebiet, welchem sich alle bisherigen x „fügen“, sogar
das letzte: x''', da wir nach Th. 6) haben:
| x''' ⋹ x3 | x3 ⋹ x''' |
während α) ja ohnehin von diesem x''' erfüllt wird.
Gibt es jetzt kein x mehr, welches α) erfüllt, ohne auch die Sub-
sumtion:
β3)
| x ⋹ x3 | x3 ⋹ x |
zu erfüllen, so ist: c = x3 als ein die Anforderungen der Def. (5) er-
füllendes c gefunden.
Gibt es aber noch ein x — es heisse x''' — welches sich bei der
Umkehrung dem x3 „nicht fügt“, so kann man, ebenso weiter schliessend, ein:
| x3 + x'''' = x4 | x3x'''' = x4 |
konstruiren, für welches sich x'''' samt allen früheren Gebieten x „fügt“.
In dieser Weise fortfahrend kann man aus jedem angebbaren sich
„nicht fügenden“ und dem zuletzt gewonnenen x allemal ein neues x ab-
leiten, bezüglich dessen sich alle bisherigen „fügen“; man kann das sich
nicht fügende sozusagen endgültig beseitigen.
Man könnte sich hienach zu dem Schluss berechtigt glauben, es müsse
ein c existiren, für das sich jedes x „fügt“. In der That sieht man sich
vor die Alternative gestellt, entweder diese Existenz zuzugeben, oder un-
begrenzt in der angegebenen Weise fortzuschliessen.
Jener Schluss wäre gleichwol nicht stichhaltig. Beispielsweise können
wir dies aus dem bekannten Paradoxon von Achilles mit der Schildkröte
lernen, wo die Alternative vorliegt, entweder zuzugeben, dass jener diese
nicht einholen könne, oder aber auf den zehntel, hundertel, tausendtel etc.
Schritt, der noch fehlt, ohne Ende fortzuschliessen. Die Abneigung vor
letzterem ist kein zwingender Grund, sich für ersteres zu entscheiden. —
Dass es Gebiete c gibt, die den Forderungen der Def. (5) genügen ist
stichhaltig ja schon in § 6 bewiesen.
Man könnte es nebenher auch so einsehen. Da nach Th. 6+) resp. 6×):
| a ⋹ a + b, b ⋹ a + b | a b ⋹ a, a b ⋹ b |
sein muss, so ist für jedes die Bedingungen α) erfüllende x auch sicher:
| x ⋹ a + b | a b ⋹ x, |
[598]Anhang 1.
folglich ist unter anderm auch
| c = a + b | c = a b |
ein die Forderungen der Def. (5) erfüllendes c. —
Ungeachtet der Analogie mit Def. (5), welche in unsrer Theorie die
Def. (4) — vergl. Th. 7) — darbietet, lässt sich an letztere doch eine
Studie, welche analog der vorstehenden erschiene, nicht knüpfen. Vielmehr
ist man hier augenblicklich mit den Überlegungen fertig:
Dass es c gebe, welche den Forderungen der Def. (4) genügen, näm-
lich die Eigenschaft haben, dass für alle x, welche der Subsumtion β) ge-
nügen, auch die beiden Subsumtionen α) erfüllt seien, ist sofort schon klar,
wenn man nur das Gebiet:
| c = 0 | c = 1 |
in's Auge fasst. Nach Th. 5) kann nämlich für dieses c die Subsumtion β),
also die
| x ⋹ 0 | 1 ⋹ x |
überhaupt nur bestehen. wenn
| x = 0 | x = 1 |
selbst ist, und dieses einzige x, welches β) erfüllt, erfüllt dann auch ge-
mäss Def. (2) die beiden Subsumtionen α).
Das angeführte c ist also bereits ein die Forderungen der Def. (4)
schon erfüllendes.
Derselbe ist vorzugsweise bestimmt für nicht mathematischgebildete
Leser.
Indessen dürfen doch auch in einer vollständigen Theorie die funda-
mentalen Auseinandersetzungen über ein so wichtiges Element der Zeichen-
sprache, als welches die Parenthesen sich darstellen, nicht fehlen.
Man versetze sich zunächst auf den Standpunkt zurück, wo eben erst
das Th. 13) bewiesen ist, resp. bewiesen werden soll. Dasselbe fordert
schon (und erstmalig) die nachstehenden Bemerkungen heraus.
Dass Klammern oder Parenthesen (brackets) auch im identischen
Kalkul vonnöten sind, wird bedingt durch den Umstand, dass man
auch in diesem Kalkul oft zu thun, zu operiren, umzuspringen, zu
„rechnen“ hat mit Gebieten, Klassen oder Aussagen (etc.), die einen
zusammengesetzten, einen komplizirten Namen oder Ausdruck besitzen —
einen Namen z. B. von welchem einzelne Bestandteile oder Elemente
selbst wieder Gebiete oder Klassen vorstellen mögen, verschieden von
dem durch den ganzen Namen vorgestellten Gebiete.
Einfach (simple) — im strengen oder engsten Sinn des Worts
— nennen wir einen Namen, Term, wenn er ein Buchstabe ist, wie a
oder b, x, α, A, etc., desgleichen, wenn er eine Ziffer, wie 0, 1 (auch ∞).
Zusammengesetzt (compound) heisst der Name in jedem anderen
Falle.
Mag es einfach oder zusammengesetzt sein, so muss an ein Zeichen
die Anforderung gestellt werden, dass es im Druck isolirt stehe, nämlich
von andern Zeichen durch unbedruckte Zwischenräume, Spazien, geschieden
sei. Zusammengesetzt sollte nun eigentlich ein Zeichen immer dann heissen,
wenn an ihm selbst sich noch in dieser Weise getrennte Teile erkennen
lassen, wogegen es einfach zu nennen wäre, sobald in ihm die Drucker-
schwärze ein zusammenhängendes Flächenbild bedeckt. Es machen jedoch
hievon die Buchstaben i, j (und die als Namen hier überhaupt nicht ver-
wendeten Vokale ä, ö, ü) eine Ausnahme. Dass es unverfänglich ist, auch
diese noch den einfachen Zeichen beizuzählen, beruht erstlich auf dem Um-
[600]Anhang 2.
stand, dass wir einen über Buchstaben zu setzenden Punkt oder Tupfen
(dot) hier nicht als Operationszeichen verwenden werden, und zweitens auf
der nunmehr sogleich im Haupttext folgenden Bemerkung.
Aus einfachen Namen können auch neue, demnach „zusammen-
gesetzte“ Namen aufgebaut werden, wobei man jene jedoch in der
Regel mitsamt den etwa sie verbindenden Knüpfungszeichen einer be-
stimmten Zeile entlang zu setzen und zu lesen hat. Für die meisten
Zwecke wird es darum zulässig sein, auch solche Namen als „einfache“
(im weiteren Sinne) gelten zu lassen, die nur auf der Zeile wenigstens
keine getrennten Bestaudteile aufweisen.
So darf der als einfacher Name zu behandelnde Buchstabe allenfalls
noch mit einem Accente oder aber Suffixum, unteren Index, also überhaupt
mit einem (Stellen-) Zeiger versehen sein, wie a' (sprich: a strich, oder a
prim, englisch: a dash), a'', ‥ a0, a1, a2, ‥ an (gesprochen: a null, a eins,
a zwei, … a unten n), desgleichen — im identischen Kalkul wenigstens,
und dies entgegen der sonstigen mathematischen Gepflogenheit — auch
mit einem Exponenten, wie a0, a1, a2, ‥ an (spr. a hoch null, etc.) indem
hier S. 261 sq. die Exponenten stets nur als „obere Indices“ angesehen werden,
(das Kapitel über die „Logik der Beziehungen“ vielleicht ausgenommen).
Wie schon in B der Einleitung S. 45, erwähnt, wird durch die Zeiger
der Vorrat an „einfachen“ Namen, die zum Benennen zur Verfügung stehen,
der sich sonst auf die Buchstaben der paar Alphabete beschränken würde,
fast unbegrenzt vermehrt.
Durch ihre Stellung über oder unter dem Niveau der Zeile aber,
sowie durch ihren kleineren Druck in dieser andern Höhenlage, sollen die
Zeiger sich als zu dem ihnen unmittelbar links vorangehenden Buchstaben
gehörige zu erkennen geben, und ähnliches gilt auch von dem „Negationsstrich“.
Der Negationsstrich nimmt im identischen Kalkul eine Sonderstellung
ein, indem er hier als ein Operationszeichen gebraucht werden wird, um
die „Verneinung“ des mit ihm behafteten Ausdrucks zu fordern, darzu-
stellen. Demgemäss werden wir a1 (gelesen: a nicht) eigentlich als einen
zusammengesetzten Namen anzusehen haben und können ihn als einfach
nur in den (oben charakterisirten) Fällen gelten lassen, wo auch a' z. B.
als einfach angesehen werden dürfte, nämlich wo über ihn hinweg streng
auf der Zeile weiterzulesen ist.
[In der 25. Vorlesung gilt auch der Accent sowie das Suffixum 0 als
ein Operationszeichen, indem dort a' steht für das „Bild“ von a und a0
für die „Kette“ von a, was dort also zu ähnlichen Bemerkungen in Bezug
auf den Accent und das Suffixum 0, wie soeben in Bezug auf den Nega-
tionsstrich Veranlassung geben würde.]
Abgesehen von diesem Operationszeichen, mit welchem bereits an
einem einzigen Symbole (dem es rechts unten anzufügen) operirt werden
kann, verwenden wir als „Operationszeichen“ fast nur noch Knüpfungs-
zeichen, und zwar solche, welche mindestens zwei Symbole auf der Zeile
verbinden. Wesentlich kommen sogar nur zweierlei solche Knüpfungs-
zeichen: plus und mal, für uns in Betracht, als + und · (oder ×), und nur
[601]Exkurs über Klammern.
vorübergehend, in § 24, treten zu diesen noch Subtraktions- und Divisions-
zeichen hinzu, unter letztern der Bruchstrich, der zwei Symbole in verti-
kaler Richtung verbindet.
Ausser durch Operationszeichen, werden aber Ausdrücke auch noch
durch „Beziehungszeichen“ zu Aussagen verbunden, wie =, ⋹, ≠ etc. die
sämtlich nur auf der Zeile zwischen sie zu treten haben.
Ein Wort, sofern es nicht blos aus einem Buchstaben besteht,
sowie eine Verbindung von Worten zu einer Beschreibung oder zu
einer Aussage, würde als ein „zusammengesetzter“ Name oder Aus-
druck hinzustellen sein.
Solche führen wir aber nicht in die Rechnung ein, da sie sich
für die Bezeichnungszwecke der exakten Logik als zu umständlich
erweisen.
Unser Hauptbestreben bleibt ja darauf gerichtet, eine Ökonomie
der Zeichen zu verwirklichen und zwar, da an die Zeichen auch die
Gedanken geknüpft sind, damit auf möglichste Ersparniss an Gedanken-
arbeit hinzuwirken.
Wenn darum — etwa in einer Textaufgabe — eine Klasse mit
Worten gekennzeichnet ist, und es angezeigt erscheint, dieselbe der
„Rechnung“ zu unterwerfen, sie in Subsumtionen, Gleichungen, Formeln
oder auch Ausdrücke eingehen zu lassen, überhaupt sie zum Gegen-
stande anhaltender Überlegungen zu machen, so werden wir wie gesagt
dieselbe jeweils möglichst einfach uns darstellen, demgemäss also von
vornherein einen Buchstaben, einen „einfachen“ Namen für sie einführen.
Muss ja doch bei den an ein Objekt geknüpften Untersuchungen
— vollends beim Rechnen mit demselben — sein Name erfahrungs-
mässig in häufiger Wiederholung gedacht und ausgesprochen werden,
und verursacht (S. 44) ein umständlicher Name, ein unbequemes Zeichen,
doch allemal, so oft es nur gebraucht werden muss, einen höchst ärger-
lichen Aufenthalt!
Hauptsächlich auf diesem Umstand, dass sie die Wiederholung meistens
langwieriger Namen ersparen durch den Hinweis auf ihre einmal vollendete
Aussprache, beruht — nebenbei bekanntlich — der grosse Wert der
Pronomina demonstrativa für die Wortsprache.
Solcher nun bedürfen wir im Kalkul nicht (können sie da auch nicht
brauchen!) und sichern uns den gleichen Vorteil in noch höherem Maasse,
indem wir für den verwickelten Namen einen Buchstaben einführen, den-
selben dann in jedem Bedarfsfalle wiederholend.
Wenn nun bei den anzustellenden Überlegungen unsre einfachen
Namen vermittelst der Rechnungs- und Beziehungszeichen des iden-
tischen Kalkuls zusammenzusetzen sind zu „Ausdrücken“, welche viel-
leicht selbst wieder zur Bildung noch komplizirterer Ausdrücke oder
[602]Anhang 2.
Aussagen als deren Operations- oder Beziehungsglieder weiterzuver-
wenden sein werden, wenn also an solche noch fernere Uberlegungen
angeknüpft werden müssen, welche ein (eventuell wiederholtes) Her-
stellen, Ansetzen ihres Namens erfordern —, so würde es nach bis-
heriger Maxime angezeigt erscheinen, auch für sie wiederum „einfache“
oder Buchstaben als Namen neu einzuführen — wo wir dann gänzlich
der Klammern entraten könnten.
In der That würde diese Praxis: für jede in Betracht zu ziehende
Klasse, für jeden Ausdruck sofort einen einfachen Namen zu schaffen,
am besten durchweg eingehalten, wenn nicht ihre strikte Befolgung
einen Misstand nach sich zöge, durch die Rücksichtnahme auf welchen
die Wirksamkeit jener Maxime wieder eingeschränkt werden muss.
Resultiren würde nämlich eine Überladung der Untersuchungen mit
einer allzugrossen Menge aparter (wenn auch einfacher) Zeichen, deren
Bedeutung, da sie doch wenigstens während gedachter Untersuchungen
festgehalten werden muss, im Gedächtnisse zu behalten, demselben
eine übergrosse Last aufbürden hiesse.
Aus diesem Grunde verwenden wir zur Bezeichnung von solchen
Gebieten oder Klassen, die zu andern bereits einfach benannten in
einer einfachen Beziehung stehen, anstatt willkürlich zu erfindender
„einfacher“, doch oft lieber „zusammengesetzte“ Namen, und zwar
solche, welche durch die Art ihrer Zusammensetzung stetsfort erkennen
lassen, in welcher Beziehung jene gedachten Gebiete zu diesen er-
wähnten stehen sollen.
Im Ganzen kommt es also darauf an, den goldenen Mittelweg zu
gehen zwischen Gebundenheit an bemühend schwerfällige Ausdrucks-
weisen einerseits und Überlastung des Gedächtnisses andrerseits, m.
a. W. darauf: dass man das an sich gerechtfertigte Bestreben nach
möglichster Erleichterung und Vereinfachung der Ausdrucksmittel
zügeln lasse durch die Rücksicht auf eine nur mässige Inanspruch-
nahme des Gedächtnisses, namentlich auf Entlastung des mechanischen
Gedächtnisses — durch Beizug des judiziösen — vermittelst mässigen
Gebrauches von zusammengesetzten und zwar von rationell zusammen-
gesetzten Namen.
Sobald nun bei einem zusammengesetzten Ausdruck eine Operation
angedeutet, an oder mit ihm vorgenommen werden soll, wird die An-
bringung von Klammern zum unabweislichen Bedürfniss: damit einer
Mehrsinnigkeit der Bezeichnungsergebnisse vorgebeugt werde.
Um dies näher darzulegen, wollen wir vorzugsweise die Fälle in's
Auge fassen, wo jene Beziehungen darstellbar, wo nämlich zusammen-
[603]Exkurs über Klammern.
gesetzte Ausdrücke herzustellen sind durch die Knüpfungszeichen des
identischen Kalkuls.
Sind a, b, c Gebiete oder Klassen, so werden a · b, b · c, a + b,
b + c, etc. die nächstliegenden Beispiele von neuen, aus den vor-
liegenden abgeleiteten Gebieten oder Klassen sein, für welche sich uns
die angeführten Symbole als „zusammengesetzte“ Namen zur Ver-
fügung stellen.
Wenn wir nun z. B. ein Gebiet a zu multipliziren haben mit dem
Gebiete b + c, so dürfen wir für das sich dadurch ergebende Gebiet
nicht ohne weiteres schreiben:
a · b + c
aus dem Grunde, weil dieser Ausdruck ebensogut gehalten werden
könnte für das Ergebniss der Addition eines Gebietes c zu dem Gebiete
a · b. Und diese beiden Ergebnisse wären doch verschieden, wie schon
die Veranschaulichung derselben für das nächste beste Beispiel zeigt;
sie dürften also durchaus nicht verwechselt werden. Solcher Ver-
wechselung vorzubeugen ist die Klammer bestimmt.
Das Malzeichen in obigem Ausdruck a · b + c erscheint faktisch
nur neben den Bestandteil b des zusammengesetzten Namens b + c
gestellt, und niemand vermag dem Ausdruck anzusehen, dass es sich
auf diesen ganzen Namen beziehen sollte.
Ebenso bliebe in Hinsicht des Pluszeichens der Zweifel offen, ob
es sich auf das ganze Produkt a · b oder nur auf den ihm zunächst
stehenden Faktor b desselben beziehen solle.
Solche Unbestimmtheit (hier Zweideutigkeit, Doppelsinnigkeit) zu
heben vermögen wir vermittelst der Klammern, und zwar, indem wir
als obersten Grundsatz adoptiren:
Sooft an oder mit einem „zusammengesetzten“ Ausdruck eine Operation
ausgeführt werden soll, welche durch ein an demselben anzubringendes
Operationszeichen darzustellen ist — wie z. B. auch durch eine bestimmte
Art der Verknüpfung des Ausdruckes mit noch anderen Symbolen —
so muss derselbe eingeklammert werden, und zwar: damit man erkenne,
das Operations- resp. Verknüpfungszeichen beziehe sich auf den ganzen
Ausdruck und nicht etwa blos auf den ihm zunächst stehenden Be-
standteil desselben.
Hienach erscheinen denn in der That die beiden vorhin noch
in der Gefahr einer Verwechselung befindlichen Ausdrücke als a · (b + c)
— sprich a mal Klammer b plus c, geschlossen — und (a · b) + c —
spr. Klammer a mal b geschlossen, plus c — nun auch äusserlich ge-
[604]Anhang 2.
bührend unterschieden, und war es von diesen der erstere a · (b + c),
den wir zu bilden vorhatten.
Die Klammer ( ) mag angesehen werden als Überrest einer einfach
geschlossenen (unverknoteten) Kurve, welche den zusammengesetzten Namen
oder Ausdruck als ihren Inhalt umfassen, einhegen soll und ihn so zu
einem Ganzen zusammenschliesst, welches nur als solches zu allem, was
ausserhalb befindlich in Beziehung treten kann. So in unserm Beispiele:
Von dieser Ellipse brauchen aber nur die in die Zeile
fallenden beiden Teile wirklich ausgezogen oder forterhalten zu
werden, weil eben nur dieser entlang der Ausdruck gelesen
wird. Zugleich erhellt aus dieser Bemerkung, wie zuweilen
auch ein wagrechter Strich oder Haken ⎵ als „Vinculum“ die Klammer
zu ersetzen vermag — so in der Arithmetik der verlängerte Wurzelstrich,
sowie der Bruchstrich, zum Exempel bei .
Sich die Befolgung obiger Regel zu erlassen, ein Dispens von
derselben, ist nur zulässig auf Grund bewusster Überlegungen (oder
durch solche gerechtfertigter Übung), die wir nachher erörtern werden.
Ist der verknüpfte ein einfacher Name wie a oder b', so ist dessen
Einklammerung unnötig, indem bei a · b' niemand auf die Meinung
verfallen kann, das Malzeichen beziehe sich nur etwa auf die rechte
Hälfte des Buchstabens a, und nicht auf diesen ganzen Buchstaben
und niemand auch in den Irrtum geraten wird, es beziehe sich au
das b ohne seinen Accent. [Sollte freilich einmal — zu irgendwelchem
Zwecke — das Produkt a · b accentuirt werden, so müsste es ein-
geklammert, es müsste dann (a · b)' geschrieben werden.]
Sofern also alle in Betracht gezogenen Gebiete oder Klassen mit ein-
fachen Namen benannt sind, ist das Institut der Klammern überflüssig.
Die „überflüssige“ Klammer bildet ein noch für andere Zwecke
disponibles Merkzeichen, und mag man z. B. in einer Untersuchung mit
(a), (b), etc. ganz andere Dinge wie a, b, … bezeichnen.
Auch in den andern Fällen wird die Klammer entbehrlich, sobald
man die erforderliche Menge von einfachen Namen einführt.
Der obige Ausdruck a · (b + c) z. B. kann auch ohne Klammern darge-
stellt werden in Gestalt von a · z, sobald wir b + c = z nennen, und ebenso
lässt sich, indem a · b = x genannt wird, ohne jegliche Klammer x + c
schreiben für dasjenige was wir oben mit (a · b) + c darstellen mussten.
Um noch ein Beispiel anzuführen, so lässt sich das Assoziations-
gesetz der Multiplikation ohne Klammern dahin aussprechen, dass,
wenn a · b = x und b · c = y genannt wird, dann a · y = x · c sein müsse.
Die Klammer, indem sie uns die Einführung noch besondrer ein-
facher Namen erspart, überhebt uns also auch der Nötigung, die Be-
[605]Exkurs über Klammern.
deutung dieser Namen ausserhalb des Textes auseinanderzusetzen, sei es in
vorgängiger Erklärung, sei es in nachträglicher Anmerkung zu dem-
selben, wo nicht in Form einer Einschaltung; sie gestattet, von dem,
was sie zu bedeuten hätten, im Zusammenhange des Textes zu reden.
Anstatt „z, welches b + c bedeutet“ sagen wir sogar bequemer „(b + c)“.
Fassen wir den Zweck der Klammern noch unter einem andern
Gesichtspunkt in's Auge. Sobald in einem Ausdruck mehrere Knüpfungs-
zeichen zu erblicken sind, fällt den Klammern die Aufgabe, die Mission
zu, die Succession oder Reihenfolge der betreffenden Operationen zu
regeln. Nach der Erklärung, welche unsre Operationen der identischen
Multiplikation und Addition gefunden haben, hat es nur einen Sinn,
zu verlangen, dass zwei Gebiete (zu einem dritten) verknüpft werden.
Es wäre aber sinnlos, etwa zu fordern, dass a, b und c gleichzeitig
durch Multiplikation und Addition verknüpft werden sollten. Wenn a
tempo a mit b multiplizirt und b mit c summirt werden sollte, was
sich ja in der That durch verschiedene Personen ausführen liesse, so
würden auch zwei Ergebnisse a · b und b + c resultiren. Zu einem Er-
gebnisse durch die beiden Rechnungen der Multiplikation und Addition
lassen sich die drei Gebiete nur vereinigen, wenn diese Rechnungen
nacheinander, successive, fortschreitend ausgeführt werden, und da frägt
es sich vor allem, in welcher Ordnung oder (Reihen-) Folge.
Wird zuerst b und c summirt, und hernach (mit dem Ergebnisse)
a multiplizirt, so entsteht a · (b + c).
Wird dagegen zuerst a mit b multiplizirt, und dann (zu dem Er-
gebnisse) c addirt, so entsteht (a · b) + c.
So wenig man ein Haus bauen und hernach erst die Steine
und Balken dazu liefern kann, so wenig kann man an einem Gebiete
eine Operation (sei es auch nur andeutungsweise) vollziehen, bevor
man (einen Namen für) dies Gebiet selbst hergestellt hat. Ehe man
es wenigstens gedacht, kann man nichts daran oder damit machen.
Auch „die Nürnberger hängen Keinen, sie hätten ihn denn zuvor“.
Es ist darnach eine innerhalb einer Klammer vorgeschriebene
Operation jeweils vor derjenigen ausgeführt zu denken, welche an oder
mit dem Klammerausdruck selbst vollzogen werden sollte, deren Zeichen
also auch nur ausserhalb von dessen Klammer zu erblicken sein wird.
Man wird in einem jeden Bestandteil des Ausdrucks jeweils leicht die
innersten Klammern ausfindig machen, und für die Interpretation so-
wol als eventuell auch für die „Ausrechnung“ von komplizirten Aus-
drücken, welche Klammern ev. in Klammerausdrücken und wieder in
[606]Anhang 2.
solchen etc. desgleichen vielleicht auch neben solchen eingeschachtelt
enthalten, ist also die Regel gerechtfertigt, diese Prozesse von innen
nach aussen fortschreitend auszuführen. Auf dieser Bemerkung vor
allem beruht die für den Anfänger schon nicht ganz leichte Kunst des
richtigen Verstehens und Ansetzens von Ausdrücken, eine Kunst in
Bezug auf welche, wie bei jeder Kunst, die Übung ein Übriges, viel-
leicht das meiste, thun muss.
In prinzipieller Hinsicht ist nun aber noch zweierlei zu bemerken.
Erstens ist das Einschachteln von Klammerausdrücken in neue
Klammern u. s. w. sowie überhaupt das häufige Anbringen von solchen,
immerhin ein lästiger Notbehelf; der erstere Fall sogar nicht selten
ein die Übersicht erschwerender Umstand. Man sucht diesen Misstand
dadurch zu verringern, dass man da, wo im nämlichen Ausdruck
Klammern von einer andern umschlossen werden, für die eingeschlos-
senen und für die umschliessende verschiedene Klammerhaken mit
Vorliebe verwendet, so diejenigen der runden (…), der geschwungenen
oder geschweiften {…} und der eckigen […] Klammer.
Zudem aber sucht man überhaupt den Gebrauch der Klammern
möglichst einzuschränken.
Ein für allemal sei bemerkt, dass man übereingekommen ist, die
zusammengesetzten Ausdrücke, welche durch ein logisches Beziehungs-
zeichen zu verknüpfen sind, welche also die linke oder rechte Seite
einer Subsumtion, oder einer Gleichung, einer Ungleichung, etc. bilden
sollen, im (Gebiete) Kalkul niemals einzuklammern. Also man schreibt z. B.:
a b ⋹ a + b und nicht: (a b) ⋹ (a + b).
Erst im „Aussagenkalkul“, wo jene Ausdrücke Aussagen bedeuten, die
selbst wieder derartige Beziehungszeichen enthalten mögen, kann solche
Einklammerung nötig werden, und würde in der That z. B. a ⋹ b = c
ganz etwas anderes bedeuten, als (a ⋹ b) = c — jenes nämlich kund
geben, dass a in b enthalten sei, welches einerlei mit c, dieses aber, dass
c die Aussage bedeute (oder ihr äquivalent sei), dass a in b enthalten.
Das Nähere wird sich aus dieser Disziplin ergeben.
Der Gebrauch der Klammer ist dort durch die Konvention geregelt,
dass, wo nicht eine solche Klammer das Gegenteil vorschreibt, die Zeichen
der identischen Operationen stets vor den Beziehungszeichen interpretirt
werden müssen.
Darnach dürften wir im Gegensatz zum obigen Beispiel in einem Aus-
druck des Aussagenkalkuls, wie a (b ⋹ a) + b, die Klammer jedenfalls
nicht weglassen.
Doch kehren wir wieder zum Gebietekalkul zurück.
Ausserdem sich von der Klammer zu dispensiren gelingt zunächst
in der Hälfte der Fälle.
Wo es nämlich, wie in den angeführten Beispielen lediglich darauf
ankommt, vermittelst der Klammer zwei verschiedene Auffassungs-
möglichkeiten für einenunddenselben Ausdruck zu unterscheiden ge-
nügt es, und ist es folglich erlaubt, die Klammer bei der einen
Auffassungsweise konsequent wegzulassen, wofern man nur sie bei der
andern konsequent beibehält.
Man ist in der Mathematik übereingekommen, beim Addiren von
Produkten die Klammern (um diese herum) wegzulassen*), und diesem
Gebrauche wird es zweckmässig sein, sich auch im identischen Kalkul
anzuschliessen. Sonach schreiben wir für
(a · b) + c hinfort bequemer a · b + c oder a b + c.
Um so gewissenhafter muss dann aber beim Multipliziren von
Summen die Klammer (um letztere herum) beibehalten werden und
ist es niemals erlaubt, einen Ausdruck a (b + c) in a b + c abzukürzen.
Beispielsweise kann hienach der Ausdruck a · b + c · d nur mehr
als (a b) + (c d), nicht aber als a (b + c) d, auch weder als a (b + c d)
noch als (a b + c) d verstanden oder gedeutet werden.
So wird ferner — wenn wir hier vorgreifend auch den Negationsstrich
mit in den Bereich der Betrachtungen ziehen — bei a · (b1) = a b1 und
a + (b1) = a + b1 die Klammer sich sparen lassen, wofern sie nur bei Aus-
drücken der Form (a · b)1 und (a + b)1 festgehalten wird, und indem wir
ersteres thun wird hingebracht, dass nun, den Kommutationsgesetzen 12)
entsprechend, das ohnehin nicht missverständliche b1a resp. b1 + a ohne
weiteres umgestellt werden darf in a b1 und a + b1. Sofern nicht eine
Klammer es anders vorschreibt, wird also die Negation jeweils vor den
beiden andern Spezies ausgeführt zu denken sein.
Ebenso mögen wir definiren: d1' = (a')1, da wo vielleicht (a1)' noch
einen andern Sinn behält. —
Für die Zeichen Π und Σ werden hinsichtlich des Klammergebrauchs
in § 30 noch besondere Festsetzungen getroffen.
Ferner aber kann die Klammer auch in beiden Fällen weggelassen,
sie kann durchaus gespart werden überall da, wo die durch die Klammer-
stellung von einander unterschiedenen Ausdrücke denknotwendig den-
selben Wert haben müssen, wo sie nur als verschiedene Namen für
das nämliche Gebiet, für ein und dieselbe Klasse erscheinen.
Ein erstes Beispiel liefert uns das Assoziationsgesetz 13) selbst.
Nach diesem — welches wir nur etwa für die Multiplikation in's
Auge fassen wollen — ist es für den Wert des Produktes gleich-
gültig, auf welche Weise man in dem Ausdruck
[608]Anhang 2. Exkurs über Klammern.
a · b · c
eine Klammer anbringt. Eine solche kann nur entweder die beiden
ersten oder aber die beiden letzten der drei als Faktoren angesetzten
Symbole — bei Festhaltung von deren Reihenfolge — umschliessen,
da a und c durch das mittlere Symbolb getrennt erscheinen, folglich
deren Einschliessung ohne b in eine Klammer unthunlich ist. Eine
Einklammerung des ganzen Ausdrucks a b c ist ja, solange nicht weitere
Operationen an ihm vorzunehmen sind, als unnötig zu verwerfen, und
ebenso eine Einklammerung der einfachen Symbolea, b oder c selbst
bereits ausgeschlossen.
Auf eine der beiden angegebenen Arten aber muss die Klammer
auch gesetzt gedacht werden, wenn überhaupt dem Ausdruck ein Sinn
untergelegt werden soll. Denn wir können auch zwei Multiplikationen
nicht gleichzeitig ausführen: eine von beiden — entweder die von a
mit b oder die von b mit c — muss den Vortritt haben, m. a. W. ein
Produkt ist bis jetzt nur für zwei Faktoren definirt worden; ein
Produkt von dreien aber zur Zeit noch unerklärt.
Wir könnten demnach unter a · b · c, wenn überhaupt etwas, so
nur entweder (a · b) · c oder a · (b · c) verstehen. Welches von beiden
wir thun, ist aber, wegen a (b c) = (a b) c, also kraft des Assoziations-
gesetzes gleichgültig und folglich braucht darüber auch keine Vorschrift
gegeben zu werden. Wir schreiben künftig unterschiedslos, bequemer
und übersichtlicher für die genannten beiden Ausdrücke den einen
a b c
und sind so naturgemäss zu dem Begriff des Produktes von drei (zu-
nächst noch in bestimmter Ordnung gegebenen) Faktoren a, b und c
gelangt, als welches wir — unter dem Namen a b c — zu verstehen
haben den kraft des Assoziationsgesetzes übereinstimmenden Wert der
Produkte a (b c) und (a b) c.
Als eine Art von psychologischem Postulat, neu hinzutretend zu den
auf die Interpretation bezüglichen und in § 7 schon angeführten Postulaten,
kann es allerdings vielleicht hingestellt werden, dass wir uns schliesslich
dieses Gebiet a b c noch auf eine (anscheinend) dritte Weise, nämlich:
als das den dreien a, b und c schlechtweg gemeinsame Gebiet, im Geist zu
erzeugen und vorzustellen vermögen, ohne dabei einen der vorher ange-
deuteten Bildungsprozesse wiederholen, mit Bewusstsein durchlaufen zu
müssen.
Indem wir diese Überlegungen nun analog auch auf beliebig viele
Faktoren ausdehnen, schliessen sich hier ebenso naturgemäss an die
Betrachtungen des folgenden Anhangs.
Ich werde zunächst nur vom Produkte reden. Um den Begriff
eines Produktes von beliebig viel — sagen wir n — Faktoren zu ge-
winnen, bedürfen wir ausser dem speziellen Assoziationsgesetz 13×)
und dem speziellen Kommutationsgesetz 12×) noch wesentlich des
Satzes 16×), dass Gleiches mit Gleichem multiplizirt Gleiches gibt (so
wenigstens im Falle der Anwendung von nie mehr als zwei Faktoren)
— wobei, wie in dieser ganzen Disziplin „gleich“ ja eigentlich nur
Identisches genannt wird. Dieses Th. 16), welches wir im System
erst ein wenig später aufzuführen vorzogen, könnte, samt dem dasselbe
vorbereitenden Th. 15), auch unmittelbar hinter Th. 13) angereiht
werden, und ist für die nachfolgenden Überlegungen vorausgeschickt
zu denken.
Diese Überlegungen, welche als ebenso scharfsinnig, wie einfach und
fundamental zu bezeichnen sind, rühren wesentlich von Hermann Grass-
mann her. Von Hermann Hankel und von mir reproduzirt, wobei sie
vielleicht noch ein wenig gewonnen haben, sind sie neuerdings auch von
0. Stolz in dessen Vorlesungen über allgemeine Arithmetik aufgenommen
worden. Es könnte in ihrem Betreff auf dieses letztere Werk sowol wie
auf mein Lehrbuch1 verwiesen werden. Doch will ich, um ein möglichst
lückenloses Gebäude hier aufzurichten, das für unsere Disziplin Unent-
behrliche davon hier einfügen, und zwar mit der Vereinfachung, welche
Herr Stolz1 der Darstellung noch hat angedeihen lassen.
Was auf die Anordnung (Reihenfolge) und was auf die Zusammen-
schliessung (mittelst Klammern, Gruppirung) der Faktoren sich bezieht
ist nach Grassmann's Vorgange scharf auseinander zu halten. Wenn
wir zunächst von der letzteren, also von der Klammerstellung, handeln
wollen, so ist demnach die Reihenfolge der als Faktoren zu verwen-
denden Symbole von vornherein gegeben zu denken und im Verlauf
der Untersuchung unabänderlich festzuhalten.
Es empfiehlt sich, diese Faktoren mit numerirten Buchstaben zu
bezeichnen, sie etwa
a1, a2, a3, … an — 1, an
zu nennen.
Das Th. 13×) zeigte uns, dass die Klammerstellung bei drei
Faktoren gleichgültig ist. Dazu gilt der
Satz 13)a. Wenn die Klammerstellung bei weniger als n Faktoren
irrelevant ist, so muss sie es auch bei n Faktoren sein.
Beweis. Nach der Voraussetzung ist es bei 3, 4, ‥ bis inclusive
n — 1 Faktoren bereits als für den Wert des Ergebnisses gleichgültig
erkannt, in welcher Weise man dieselben vermittelst Klammern so in
Gruppen scheidet, dass ein Ausdruck entsteht, welcher durch lauter
Multiplikationen von immer nur zwei Faktoren hergestellt ist. Der
laut Annahme stets übereinstimmende Wert des Ergebnisses für alle
die verschiedenen hierbei noch denkbaren Bildungsweisen des Ausdrucks
kann demnach schon ohne jede Klammer geschrieben und schlechtweg
das „Produkt“ der in dem Ausdruck vorkommenden Symbole oder
„Faktoren“ (für die bestimmte Reihenfolge in der sie auf der Zeile
stehen) genannt werden.
Es ist dann zu zeigen, dass auf Grund der Theoreme 13×) und
16×) dasselbe auch für n Symbole zutreffen muss, wenn diese in be-
stimmter Reihenfolge angeschrieben und dann irgendwie mittelst
„binärer“ Multiplikation (d. i. eben Multiplikation von immer nur
zwei Faktoren) zu einem Produkte vereinigt werden.
Nun kann der ganze Ausdruck in zwei Faktoren mittelst Klammern
nur auf folgende Arten gespalten werden, für welche wir die zuge-
hörigen Ergebnisse mit den linkerhand eingeführten Namen benennen
wollen:
x1 = a1 (a2a3 … an)
x2 = (a1a2) (a3 … an)
. . . . . . . . . . . .
xr = (a1a2 … ar) (ar + 1 … an)
. . . . . . . . . . . .
xn — 1 = (a1a2 … an — 1) an,
wo r irgend eine der Indexzahlen von 1 bis n — 1 bedeuten mag,
mithin 1  r ≦ n — 1 zu denken ist.
Die Bildungsweise für die beiden Hauptfaktoren oder Teilprodukte:
a1a2 … ar = sr, ar + 1ar + 2 … an = tr
von irgend einem dieser Ausdrücke
[611]Ausdehnung des Produkt-Begriffs auf beliebig viele Terme.
xr = sr tr
braucht nach dem Gesagten nicht weiter angedeutet oder mittelst
fernerer innerhalb derselben anzubringender Klammern angegeben, vor-
geschrieben zu werden, da diese Teilprodukte jedenfalls weniger als
n (höchstens n — 1) Faktoren enthalten, während sogar s1 = a1 und
tn — 1 = an — wie man sich auszudrücken pflegt — „nur aus einem
Faktor bestehen“, eigentlich nämlich gar nicht Produkte sind.
Zu zeigen ist, dass die obigen n — 1 Ausdrücke x1, x2 … xn — 1
einander gleich sein müssen, und dies wird nach Th. 4) Zusatz geleistet
sein, wenn wir darthun, dass allgemein (nämlich für jedes der gedachten
γ bis zum letzten hin)
xr = xr + 1
sein muss, womit ja x1 = x2, x2 = x3, … xn — 2 = xn — 1 dann erkannt
sein wird.
Nun ist zufolge der den Symbolen tr und tr + 1 beigelegten Bedeutung
(kraft der bei solchen Teilprodukten beliebig anbringbaren Klammern):
tr = ar + 1tr + 1
und kann nach Th. 16×) dies in xr = sr tr eingesetzt werden. Darnach
wird sich dann xr aus drei Faktoren zusammensetzen und kraft Th. 13×)
sich ergeben:
xr = sr (ar + 1tr + 1) = (sr ar + 1) tr + 1.
Es ist aber zufolge der den Symbolen sr und sr + 1 zukommenden Be-
deutung auch (wegen der Unterdrückbarkeit von Klammern in denselben):
sr ar + 1 = sr + 1
und kann dies wiederum nach 16×) in das letzte Ergebniss eingesetzt
werden. Dadurch entsteht:
xr = sr + 1tr + 1 = xr + 1
was zu beweisen war.
Nun war bei drei Faktoren die Klammerstellung ohne Einfluss
auf den Wert des Ergebnisses; nach dem eben Bewiesenen muss sie
es auch für 3 + 1 oder 4 Faktoren sein; ist sie es sonach für viere,
so muss sie es auch sein für 4 + 1 oder 5 Faktoren und so weiter.
Es kann in dieser Weise ohne Ende fort geschlossen werden, und
jedenfalls auch so lange, bis man irgend eine vorgedachte Faktoren-
zahl erreicht hat (Schluss von n — 1 auf n resp. n auf n + 1, oder
Bernoulli'scher „Schluss der vollständigen Induktion“).
Gilt also nur das spezielle Assoziationsgesetz (für drei Faktoren),
so gilt auch stets das allgemeine Assoziationsgesetz (für beliebig viele
Faktoren). Letzteres lautet:
Satz 13)b („Allgemeines Assoziationsgesetz“). Auch bei irgend einer
Anzahl, bei einer beliebigen Reihe von multiplikativ zu verknüpfenden Sym-
bolen ist die Klammerstellung für den Wert des Ergebnisses gleichgültig.
(Definition.) Den für jede denkbare Art der Klammerstellung
übereinstimmend erhältlichen Wert des Ergebnisses der Verknüpfung
nennt man kurz das Produkt der sämtlichen, in ihrer gegebenen Reihen-
folge verwendeten, Symbole und pflegt man dasselbe dadurch auszu-
drücken, dass man diese Symbole als „Faktoren“ in jener bestimmten
Reihenfolge gemeinhin ohne alle Klammern nebeneinander stellt.
Die hier angestellten Betrachtungen sind nicht nur für die identische,
wie für die numerische Multiplikation in gleicher Weise gültig, sondern
überhaupt für jede Art von eindeutiger Verknüpfung, die man sich unter
dem vorstehend gebrauchten Namen „Multiplikation“ irgend vorstellen mag.
Nichts hindert, den Punkt, wo er als Malzeichen in Gedanken zu setzen
gewesen, wirklich hinzuschreiben und ihn dabei durch ein beliebiges
Knüpfungszeichen ∘ (wie Herr Stolz es thut) zu ersetzen. Die an unsre
Voraussetzungen angeknüpften Schlussfolgerungen müssen dabei unverändert
stichhaltig bleiben, weil sie eben (von der Materie unabhängig) nach all-
gemeinen Schemata mit Denknotwendigkeit erfolgten. Sofern also für die
gedachte Knüpfung nur die Voraussetzungen 13×) und 16×) zutreffen, muss
auch das allgemeine Assoziationsgesetz für diese Knüpfung gelten und kann
der Begriff der ursprünglich nur „binären“ Knüpfung erweitert werden zu
demjenigen einer beliebig viele Terme auf einmal (in bestimmter Reihen-
folge) verbindenden Knüpfung der nämlichen Art.
Namentlich sind unsre Ergebnisse auch auf die identische gleichwie
auf die numerische Addition ohne weiteres übertragbar und gilt dies nicht
minder von dem hiernächst noch weiter Folgenden. Als Knüpfungszeichen
wird hier eben nur das Pluszeichen zu figuriren haben.
Die so ausgedehnten, dergestalt erweitert anzulegenden Betrachtungen
gehören sich eigentlich eingefügt in den Rahmen einer allgemeinen Theorie
der Verknüpfung, welche — passend wol „absolute Algebra“ zu nennen —
dieselben für die verschiedenen Unterdisziplinen ein für allemal erledigte.
Doch sei bemerkt, dass, abgesehen von vereinzelten Bruchstücken, solche
Theorie noch nicht geschrieben ist!
Nebenbei gesagt gibt es auch Operationen, die nur assoziativ, nicht
kommutativ sind — wie z. B. die Multiplikation der Substitutionen und
die der Quaternionen und unzählige andere — sowie auch umgekehrt
Operationen sich angeben lassen, welche kommutativ aber nicht assoziativ sind.
Hier indess haben wir nur noch mit der Verbindung beider Eigen-
schaften der Assoziativität und Kommutativität uns zu beschäftigen.
Auf Grund der bisherigen aus 13×) abgeleiteten Theoreme (und
Definition) lässt sich nun der Satz beweisen:
Satz 13)c. In einem Produkt von n Faktoren dürfen irgend zwei
benachbarte miteinander vertauscht werden.
Wird: a1a2 … an = x genannt, so gilt auch:
x = a2a1a3 … an =
= a1a2 … ar — 1ar + 1ar ar + 2 … an — 1an =
= a1a2 … an — 2an an — 1.
Beweis. Da man nach 13)b Klammern auch beliebig anbringen
darf, so können wir schreiben:
x = (a1a2 … ar - 1) (ar ar + 1) (ar + 2 … an) =
= sr — 1 (ar ar + 1) tr + 1.
Nach Th. 12×) ist aber ar ar + 1 = ar + 1ar, und darnach wird —
gemäss 16×):
x = sr — 1 (ar + 1ar) tr + 1 = sr — 1ar + 1ar tr + 1.
Setzt man hierin wieder die Werte von sr — 1 nebst tr + 1 ein, und
lässt die dabei um diesen ihren zusammengesetzten Namen ursprüng-
lich anzubringenden Klammern kraft 13)b weg, so ist der mittlere
(allgemeine) Teil unsrer Behauptung bewiesen.
Ebenso beweist man die beiden andern Teile, indem für die ex-
tremen oder Rand-Fälle (r = 1 und r = n — 1) sein muss:
x = (a1a2) t2 = (a2a1) t2 = a2a1t2
und
x = sn — 2 (an — 1an) = sn — 2 (an an — 1) = sn — 2an an — 1.
q. e. d.
Satz 13)d. Ist aber Vertauschung benachbarter Faktoren erlaubt,
so kann man aus irgend einer gegebenen auch jede gewünschte Anordnung
der Faktoren herleiten.
Man suche unter den Faktoren der gegebenen Anordnung den-
jenigen heraus, welcher (in der gewünschten Anordnung) an die erste
Stelle treten soll. Steht er nicht bereits an dieser, so lasse man ihn
durch nötigenfalls fortgesetzte Vertauschung mit dem ihm jeweils un-
mittelbar vorangehenden Faktor, nach und nach bis an die erste Stelle
vorrücken. Sobald er dieselbe inne hat, lasse man ihn an dieser
fortan unverändert stehen. Man suche hierauf denjenigen Faktor in
der nunmehr als gegeben vorliegenden Anordnung auf, welcher in der
verlangten die zweite Stelle einnehmen soll. Hat er diese Stelle nicht
schon selber inne, so ist er jedenfalls hinter derselben zu finden, weil
vor ihr nach dem Bisherigen bereits ein andrer Faktor steht. Man
lasse ihn dann ebenso — in fortgesetztem Platzwechsel mit dem augen-
blicklich unmittelbar vor ihm stehenden resp. vor ihn getretenen —
bis an die zweite Stelle vorrücken, und wenn er sie erreicht, in der-
[614]Anhang 3.
selben verharren, und fahre so fort, bis jeder Faktor die ihm zu-
gewiesene Stelle eingenommen hat. Dies muss endlich eintreten weil
mit jedem neu vorgenommenen Faktor, die Zahl der noch nicht an
ihre Stellen gebrachten immer um 1 abnimmt, und weil die neu, die
an den folgenden Stellen, hinzutretenden Erfolge die früher errungenen
nicht wieder umstossen.
Soll beispielsweise aus der Anordnung a5a2a4a1a3 die Reihenfolge
a1a2a3a4a5 hergestellt werden, so wird der Reihe nach zu bilden sein:
a5a2a1a4a3
a5a1a2a4a3
a1a5a2a4a3
a1a2a5a4a3
a1a2a5a3a4
a1a2a3a5a4
a1a2a3a4a5
Hienach ist erkannt, dass eine (multiplikative) Verknüpfung, welche
assoziativ ist gemäss Th. 13×) und ausserdem dem speziellen Kommu-
tationsgesetze 12×) unterworfen, welche somit „bei zwei Faktoren kommu-
tativ“ ist, dies auch bei beliebig viel Faktoren sein muss, d. h. es gilt
für sie der
Satz 13)e(„Allgemeines Kommutationsgesetz“). Auch bei einem
Produkte von beliebig vielen Faktoren ist deren Reihenfolge gleichgültig.
Legt man von vornherein die Voraussetzungen 12×) und 13×) in ihrer
Verbindung mit einander zugrunde, so kann man zu den allgemeinen Er-
gebnissen 13)b und 13)e auch noch auf andre Weisen gelangen, über
welche am vollständigsten wol mein Lehrbuch 1 Aufschluss gibt.
Hiermit nun sind wir zu dem Abschlusse gelangt, den wir er-
strebten.
Ich gestatte mir nur noch eine Bemerkung darüber, was von der
ganzen mathematisch so musterhaft strengen Betrachtung in Bezug
auf ihre Stellung zur Logik zu halten.
Es wurde hier als ein — sollte man meinen — der Logik (im
engsten Sinne) eigentlich fremdes Element, die Zahl, mit in den Kreis
der Untersuchungen hereingezogen — allerdings nur die natürliche
Zahl oder Anzahl, jedoch — in Gestalt von r und n — auch die all-
gemeine oder Buchstabenzahl. Dies geschah teils nebensächlich, teils
wesentlich. Ersteres insofern wir die Zahlen als Suffixe des Buch-
stabens a verwendeten: es boten eben a1, a2, ‥ an sich als zweck-
[615]Ausdehnung der Sätze über Produkte etc. auf beliebig viele Terme.
mässige Namen für die (irgendwievielen) n Faktoren dar, und diese
Namen sind so gut wie irgendwelche andere. Letzteres bei dem
„Schlusse von n auf n + 1“ durch welchen allein der Satz 13)a be-
wiesen werden konnte und auf den wir auch schon sub Th. 4) Zusatz
hinweisen mussten.
Der rein logischen Rechtfertigung dieses Schlusses (der voll-
ständigen Induktion) in Verbindung mit solchen logischen Grund-
betrachtungen, wie sie die Gewinnung des Begriffes der „Anzahl“ (der
Einheiten einer Menge) vorzubereiten helfen müssen, ist der § 51 im
2. Bande gewidmet. Aus dem gegenseitigen Hinübergreifen der beiden
Disziplinen ist aber allerdings zu entnehmen, dass sich die Elemente
der Logik und diejenigen der Arithmetik in Hinkunft wol nicht mehr
ganz in der bisher beliebten scharfen Sonderung von einander vorzu-
tragen empfehlen werden (resp. streng und gründlich abhandeln lassen),
welche ich für die ersteren hier noch nach Möglichkeit aufrecht zu
erhalten mich bestrebt habe. Die elementarsten (nämlich die „Anzahl-“)
Begriffe der „quantitativen“ Logik müssen wenigstens bei den Buch-
staben oder Symbolen schon zur Anwendung kommen dürfen, mittelst
deren wir die Überlegungen der „qualitativen“ Logik formuliren —
mögen wir diese jener auch vorangehen lassen. Wie denn auch um-
gekehrt die Überlegungen der Arithmetik nie entbunden zu werden ver-
mögen von der Befolgung jener denknotwendigen Gesetze, welche die
(des Zählens sich noch enthaltende) allgemeine Logik aufstellt. In-
zwischen mögen auch noch folgende Erwägungen zur Beachtung
empfohlen sein.
Es wurde im Bisherigen von Reihenfolge oder (An-) Ordnung und von
Gruppirung oder Zusammenfassung der Faktoren gehandelt, so gelegentlich
früher auch von Eindeutigkeit der Operationen. Und sei bemerkt, dass wir
hier nicht etwa aus den „Begriffen“ von „Eindeutigkeit“ resp. „Ordnung“
und „Gruppirung“ (welcher letztere eigentlich hier erstmalig zu gewinnen
gewesen) werden abstrakte Folgerungen zu ziehen haben. Wir haben uns
dafür vielleicht noch lange nicht weit genug in diese Begriffe und deren
Definition vertieft, über die sich jedenfalls noch manches sagen liesse. Viel-
mehr begnügten wir uns, diese Begriffe hier genetisch einzuführen, sie auf
synthetischem Wege an dem Substrat der Faktoren entstehen zu lassen,
gewissermassen den Anfänger zu denselben zu erziehen. Es war die Ein-
flechtung dieser Begriffe in den Text für uns nur das Schema, die Formel,
unter der wir das in den Sätzen bereits in seinem Wesen Erkannte nach-
träglich allgemein und mnemonisch zusammenfassten.
Um zu erkennen, dass mit alledem keine fremden Elemente in
unsre Disziplin wesentlich hereingezogen sind, braucht man sich nur
etwa dasjenige, was wir hier allgemein als durchführbar erkannt haben,
[616]Anhang 3.
in jedem Falle seiner künftigen Anwendung wirklich durchgeführt zu
denken. Z. B. solche Umformungen, die wir kraft des allgemeinen
Kommutations- und Assoziationsgesetzes an Produkten uns künftighin
gestatten werden, mag man jeweils auf die strikte Anwendung der
Schemata 12×), 13×) und 16×) zurückführen, wie ich es zum Schlusse
noch für ein Beispiel darlegen will. Es möge zum Exempel für die
Gleichung:
(a b) · (c d) = (a d) · (b c)
der Beweis verlangt werden, weil man vielleicht den einen dieser beiden
Ausdrücke in den andern zu verwandeln wünscht. Hier kann man
unter Anwendung der darüber und darunter angesetzten Schemata wie
folgt zum Ziele der gewünschten Umwandlung beweiskräftig gelangen:
.
In dieser Weise durchweg zu verfahren, hiesse nun freilich, auf den
Nutzen unserer allgemeinen Sätze zu verzichten, durch deren An-
wendung wir ja ohne weiteres den einen Ausdruck in den andern
(mittelst blosser Abänderung der Faktorenfolge) hätten umschreiben
können. Allein der Hinblick darauf, dass man Obiges doch überall
thun könnte, offenbart uns, dass die ganze Theorie doch nur auf den
Prinzipien der §§ 4 und 12 wesentlich beruht.
Der gegenwärtige Anhang dient einem doppelten Zwecke: einem
ausserhalb des Interessenkreises dieses Buches liegenden, und einem
in denselben fallenden.
Der erste Zweck ist: die Grundzüge einer eigenen Zeichensprache zu
entwickeln und systematisch zu erläutern, von der ich in anderweitigen
Mitteilungen bereits beiläufigen Gebrauch gemacht habe und — behufs
Aufstellung einer allgemeinen Theorie der Verknüpfung — einen noch viel
umfassenderen Gebrauch zu machen haben werde — einer Zeichensprache,
die es mir namentlich durch ihre Einfachheit erst ermöglichen wird, die
zahlreichen Ergebnisse meiner Untersuchungen über Funktionalgleichungen
übersichtlich mitzuteilen und in knappster Form zu begründen.
Dieselbe lehnt sich übrigens an die allgemeine Zeichensprache des iden-
tischen Kalkuls auf das innigste an.
Ihr Gebrauch wird auch in Anhang 5, wo sie nicht entbehrt werden
kann, illustrirt.
Dem zweiten Zweck soll gegenwärtiger Anhang 4 nicht für sich
allein dienstbar sein, sondern in Verbindung mit dem nächstfolgenden,
gewissermassen sekundirt von Anhang 5. Er besteht in der Lieferung
des schuldig gebliebenen Beweises für eine in § 12 unsrer Disziplin
aufgestellte, für die Theorie der Erkenntniss wol nicht belanglose Be-
hauptung: dass nämlich ein gewisses Gesetz des folgerichtigen Denkens,
die „zweite Subsumtion des Distributionsgesetzes“, nicht syllogistisch
bewiesen werden kann.
Behufs Erreichung dieses Zieles werde ich aus meinen Unter-
suchungen über Funktionalgleichungen eine kleine aber interessante
Episode (ganz elementarer Natur) herauszugreifen und in Anhang 5
vorzuführen haben.
Dieselbe dient zugleich als eine Exemplifikation, sie liefert ein
spezielles Substrat für die allgemeinen Betrachtungen des Anhang 4,
[618]Anhang 4.
und zwar ein solches, über dessen Realität kein Zweifel obwalten kann,
indem ich zu allen in Betracht zu ziehenden Funktionalgleichungen
auch Lösungen angebe, welche ohne Vorkenntnisse von jedermann
leicht als solche erkannt und verifizirt werden können — so schwierig
sie mitunter auch zu entdecken waren. Durch die Existenz von
Lösungen wird dargethan, dass jene Funktionalgleichungen wirklich
bestehen können und für gewisse Funktionen (für eben diese Lösungen)
in der That als allgemeine Formeln gelten.
Von mathematischen Bildungselementen dürfte hierbei kaum mehr als
der Begriff der eindeutigen Funktion (wenigstens von zwei Argumentzahlen)
vorausgesetzt erscheinen.
Bei den Auseinandersetzungen werde ich wiederholt zwei meiner Ab-
handlungen zu citiren haben — die erstere lediglich, um für Diejenigen,
die sie kennen, den Zusammenhang mit dem Gegenwärtigen herzustellen.
Von der zweiten werde ich das zum Verständniss des Ganzen und der be-
absichtigten Nutzanwendungen Unentbehrliche nachstehend ebenfalls kurz-
möglichst zusammenstellen, sodass der Leser, welcher verstehen will, nicht
gezwungen sein wird, Einsicht von derselben zu nehmen. Immerhin dürfte
aber solche Einsichtnahme hier als wünschenswert zu bezeichnen sein,
wenigstens soweit die hier angezogenen einleitenden Paragraphen dieser
zweiten Abhandlung in Betracht kommen. Ich werde diese Abhandlungen
in Anhang 4 und 5 immer mit (l. c.)7 und (l. c.)8 citiren, — siehe unter
„Schröder“ das Literaturverzeichniss.
Gegenstand der Untersuchung sei eine Mannigfaltigkeit U von
Sätzen, deren jeder für sich betrachtet gelten oder auch nicht gelten
kann, im ersten Fall aber auch die Geltung von noch andern Sätzen
derselben Mannigfaltigkeit nach sich zieht auf Grund von „Prinzipien“ P
welche selbst der gedachten Mannigfaltigkeit nicht durchaus anzugehören
brauchen. Die sämtlichen Sätze der Mannigfaltigkeit seien ferner mit
einander und mit den Prinzipien verträglich.
Derartige Sätze wären z. B. diese:
„Das Dreieck A B C ist rechtwinklig“,
„Die Funktion f (x, y) ist symmetrisch“ —
denen wir im Aussagenkalkul als „Gelegenheitsurteilen“ wieder begegnen
werden. Es kommt ganz darauf an, von welchem Dreieck, von welcher
Funktion, die Rede ist — je nachdem werden die angeführten Sätze gelten
oder nicht gelten. Die Geltung des ersten Satzes zieht die Geltung einer
ganzen Reihe anderer auf das Dreieck A B C bezüglicher Sätze oder Aus-
sagen nach sich, nämlich aller derjenigen, welche Eigenschaften konstatiren,
die auf Grund der „Prinzipien“ (Axiome) der Euklidischen Geometrie aus
der Rechtwinkligkeit folgen. Ebenso zieht die Geltung des zweiten Satzes
beispielsweise die Folgerung nach sich, dass die beiden Umkehrungen der
Funktion f (x, y) mit einander identisch sind — auf Grund der Voraus-
setzung, die man hier als zu den „Prinzipien“. gehörig ansehen mag, dass
die Funktion eine eindeutige Umkehrung überhaupt zulasse.
Nachdem hiermit der allgemeine Charakter des Substrates unsrer
Untersuchung hinlänglich gekennzeichnet sein dürfte, empfiehlt es sich,
ein spezielles Substrat dieser Art nunmehr hervorzuheben, eine ganz
bestimmte Mannigfaltigkeit von Sätzen namhaft zu machen und jeweils
zur Illustration zu benutzen:
Die „Sätze“ der Mannigfaltigkeit seien — analog dem zweiten
der vorstehenden Beispiele „f (x, y) = f (y, x)“ — durch arithmetische
Formeln darstellbare, nämlich Funktionalgleichungen.
Als eine „Formel“ hingestellt zu werden verdient eine Funktional-
gleichung insofern, als sie für eine Funktion, die ihr genügt, den Charakter
der Allgemeingültigkeit besitzt, nämlich gelten wird für jedes erdenkliche
Wertsystem der Argumente, welches man irgend aus dem Gebiete der Zahlen
herausgreifen mag. Keineswegs aber braucht die Funktionalgleichung auch
erfüllt zu sein für jede Funktion, vielmehr haftet ihr auch ein synthetischer
Charakter an insofern als sie dienlich sein kann, gewisse Funktionen (oder
Klassen von solchen) als solche, die ihr genügen sollen, zu bestimmen.
So bestimmt ja in der That die Funktionalgleichung f (x, y) = f (y, x),
wenn sie analytisch („allgemein“, für alle Wertepaare x, y) gelten soll, die
Funktion f als eine symmetrische; für eine solche aber ist sie dann als
eine Formel erfüllt.
Der Name „Formel“, den wir hier den Funktionalgleichungen beilegen,
rechtfertigt sich ausserdem durch die nachfolgend für sie einzuführende
symbolische Schreibweise, in welcher sie einen ähnlichen Anblick dar-
bieten werden, wie die bekannten Formeln der allgemeinen Arithmetik —
wie z. B. Kommutations- und Assoziationsgesetz — gelegentlich auch geradezu
mit solchen zusammenfallen.
Und zwar mögen unsre Funktionalgleichungen sich nur beziehen
auf eine Funktion zweier Argumente nebst ihren beiden Umkehrungen,
die ich nach den (l. c.)8, § 1 dargelegten Grundsätzen symbolisch als
Produkt, Verhältniss und Bruch schreibe und alle drei als vollkommen
eindeutig voraussetze.
Die dreifache Voraussetzung dieser Eindeutigkeit nebst den, den
Gegensatz der drei Grundoperationen (oder die Definition von zweien
derselben durch die dritte) zum Ausdruck bringenden sechs „Funda-
mentalbeziehungen“ [die ich sogleich angeben werde — vergl. auch
(l. c.)8, § 2] konstituiren alsdann die „Prinzipien“ P, nach denen
Folgerungen zu ziehen sein werden.
Für f (a, b) werde also kürzer blos a b geschrieben, und dies ein
„symbolisches Produkt“ genannt. Zu jedem beliebigen Wertepaar a und b
soll es stets einen und nur einen Wert von f (a, b) oder a b im Gebiete
der Zahlen geben. Die Aufsuchung dieses Wertes für gegebene a, b ist
eine Operation, die wir demnach als die „erste Grundoperation“ (oder
„symbolische Multiplikation“) bezeichnen werden. Für ein gewisses Werte-
paar a, b sei c der Wert von a b, sonach a b = c.
Für die im Anhang 5 gegebenen Beispiele wird sich allemal der
Wert c in einer die Funktion a b definirenden Tabelle (Funktionstafel —
in Gestalt eines symbolischen Einmaleinses) aufschlagen lassen.
Nun kann man aber auch, wenn b und c gegeben sind, nach dem
Werte (oder den Werten) von a fragen, die so beschaffen sind, dass a b
gerade gleich dem gegebenen c ist, und ebenso, wenn a und c gegeben
sind, nach dem oder denjenigen Werten von b, für welche a b = c wäre.
Die Operationen, durch welche wir Antwort auf diese beiden Fragen
erlangen, nennen wir die „umgekehrten“ oder „inversen“ Operationen von
der als symbolische Multiplikation bezeichneten „direkten“ Operation. Wir
bezeichnen sie als „symbolische Divisionen“ und zwar bezüglich mittelst
Doppelpunktes als „symbolische Messung“ und mittelst Bruchstrichs als
„symbolische Teilung“; sie bilden die beiden andern von den „drei Grund-
operationen“. Auch sie werden jeweils äusserst leicht an der die Funktion
a b erklärenden Funktionstafel auszuführen sein.
Wir nehmen nun ferner an, dass die Antwort auf die gestellten Fragen
stets (für jedes Wertepaar von a und c, sowie von b und c) und immer
nur auf eine Weise gegeben werden könne, oder wie man sagt, dass die
beiden symbol. Divisionen (gleichwie die Multiplikation) „unbedingt aus-
führbar“ und „nie mehrdeutig“ seien. M. a. W. wir erklären, nur mit
solchen Funktionen a b uns beschäftigen zu wollen, bei welchen solche Ein-
deutigkeit der Umkehrungen zutrifft. Sooft dann a b = a' b sein sollte,
wird auch a = a' sein müssen; ebenso, wenn a b = a b' ist, wird b = b'
folgen.
Dasjenige b, für welches bei gegebnen a, c:
a b = c ist, nennen wir b = c : a
und dasjenige a, für welches bei gegebnen b, c:
a b = c ist, nennen wir a =
und nach der Voraussetzung wird es immer ein und nur ein solches geben,
sodass das symbolische Verhältniss a : b und der symbolische Bruch
uns in jedem Falle (für gegebene Operationsglieder desselben) eine ganz
bestimmte Zahl vorstellen werden.
Nach diesen Definitionen sind dann
a b = c, b = c : a und a =
drei einander äquivalente Aussagen, und substituirt man den Ausdruck,
welchen uns irgend eine dieser Gleichungen für den auf ihrer einen Seite
isolirten Buchstaben als einen neuen diesem eben zukommenden Namen zur
Verfügung stellt, in die beiden andern Gleichungen, so ergeben sich die
sechs Beziehungen:
b = (a b) : a, a = , a (c : a) = c, a = , b = c, b = c :
welche für die beiden, je in sie eingehenden Buchstaben den Charakter von
allgemein gültigen Formeln haben müssen, da zweie von den drei Buch-
[621]Funktionalgleichungen.
staben von vornherein beliebig angenommen werden konnten (wodurch sich
erst der dritte bestimmte).
Es wird deshalb gestattet sein, in obigen Beziehungsgleichungen die
Buchstaben auch durch irgend welche andere zu ersetzen, und kann man
sich für einen solchen Buchstabenwechsel entscheiden, dass in jeder von
den Gleichungen nur mehr a und b — und zwar der letztere b auf einer
Seite isolirt — vorkommen. Darnach werden sich die sechs „Fundamental-
beziehungen“ zu dem übersichtlichen Schema zusammenziehen lassen:
in welchem die im regelmässigen Sechseck angeordneten Ausdrücke dem
im Mittelpunkt stehenden b gleichgesetzt zu denken sind, natürlich aber
auch unter sich einander gleich gesetzt werden dürfen.
Endlich seien aber die zu betrachtenden Funktionalgleichungen
auch von einer bestimmten Form. Sie seien diejenigen der „Sorte“
a, b, c = a, b, c
von (l. c.)8, § 4, d. h. solche Gleichungen, in welchen beiderseits die
Ergebnisse der Verknüpfung der nämlichen drei Buchstabenzahlen a,
b und c durch irgend welche zwei successive von den drei symbolischen
Grundoperationen stehen — wo diesen Buchstaben nun von einander
unabhängig beliebige Werte zukommen sollen.*)
Unsre „Mannigfaltigkeit“ umfasst darnach 990 (nicht durch Buch-
stabenvertauschung auf einander zurückführbare und nicht identische)
Gleichungen, die man leicht vollständig hinschreiben kann, und deren
Gesamtheit ich also U hier zu nennen haben werde. [In Anhang 5
werden nur wenige Gruppen von diesen Gleichungen wirklich in's
Auge zu fassen sein.]
Derselben gehören die „Prinzipien“ P hier überhaupt nicht an.
Die in diesen Funktionalgleichungen auftretenden Argumente oder
Operationsglieder a, b, c mussten dabei stets als allgemeine Zahlen eines
bestimmten, sei es diskreten, sei es kontinuirlichen, begrenzten oder
auch unendlichen Zahlengebietes aufgefasst werden. [Wirklich in
Betracht kommen werden für uns aber nur Zahlengebiete, die aus
einigen wenigen Ziffern bestehen.]
Indem (l. c.)8, § 9 eine Funktion von mir konstruirt ist, welche
[622]Anhang 4.
für das ganze Gebiet der komplexen Zahlen die 990 besagten Gleichungen
gleichzeitig erfüllt — aber schon dadurch auch, dass eingangs des
Anhang 5 eine Funktion angegeben ist, welche dies wenigstens für ein
Zahlengebiet aus zwei oder vier Ziffern thut — ist die Existenz von
Lösungen für alle diese Funktionalgleichungen sowie die Verträglich-
keit der letztern miteinander dargethan.
Die 990 „Formeln“ unsrer Mannigfaltigkeit U würden in der üblichen
Gestalt von „Funktionalgleichungen“ erscheinen, wenn man für jedes sym-
bolische Produkt a b wieder f (a, b), für die symbol. Quotienten a : b und
aber etwa φ (a, b) und ψ (a, b) bezüglich schriebe. Beispielsweise
müsste so die Formel:
= b eigentlich lauten: ψ {φ (b, c), a} = f {b, ψ (a, c)}.
Um hinfort nicht allzu abstrakt zu reden, halte ich mich schon bei
der Darstellung der allgemeinsten Begriffserklärungen und Theoreme an
das hervorgehobene spezielle Substrat U.
Unter A, B, C verstehen wir lauter „Algorithmen“, d. h. irgend-
welche Gruppen von Funktionalgleichungen, herausgegriffen aus der
„Mannigfaltigkeit“, d. i. dem Gebiete der 990 Formeln U.
Ich unterscheide dabei, wie anderwärts, zwischen Formelgruppen
und Formelsystemen, indem ich unter einer „Formelgruppe“ verstehe
ein solches System von Formeln des Gebietes, welches keine ihm nicht
bereits angehörige Formel des Gebietes kraft der „Prinzipien“ nach
sich zieht — also ein System, welches ergänzt worden ist durch den
Zuzug aller seiner Konsequenzen, so weit diese wieder dem Gebiete U
angehören.
Von andern Formelsystemen, als den in dieser Weise zu Algo-
rithmen kompletirten Gruppen sei hier überhaupt nicht die Rede. Nur
sei in Bezug auf die ohne Rücksicht auf logischen Zusammenhang ge-
bildeten „Formelsysteme“ bemerkt, dass sich auf sie ohne weiteres
jener Kalkul anwenden lässt, der für Gebiete einer Mannigfaltigkeit
überhaupt in der Algebra der Logik aufgestellt worden ist, und den
wir in dieser Anwendung den „identischen Kalkul mit Formelsystemen“
zu nennen haben werden im Gegensatz zu dem sogleich zu begründenden
„logischen Kalkul mit Algorithmen“.
Wenn A aus B (kraft der „Prinzipien“) folgt, aber nicht umge-
kehrt, so werden wir hier schreiben:
α) A ⊂ B.
[623]Subsumtion.
Es ist dann in der That das Formelsystem des Algorithmus A kleiner,
nur ein Teil (m. a. W. „echter Teil“) des Formelsystems des Algo-
rithmus B.
Allerdings ist auch die umgekehrte Schreibweise berechtigt und wird
im „Aussagenkalkul“ vorgezogen — vergl. Bd. 2 § 28 — im Hinblick
darauf, dass die Zeit, während welcher (resp. die Klasse der Gelegenheiten
bei welchen) die von einer andern B einseitig bedingte Aussage A als
wahr anzuerkennen ist, nur ein Teil sein wird der Zeit (resp. etc.) während
welcher die Aussage A gilt:
Wenn (wann, solange, sooft) B gilt, gilt auch A aber nicht umge-
kehrt; A kann auch gelten ohne B.
Ebenso ist nun auch hier die Gesamtheit der Fälle in welchen (die
Klasse der Funktionen, für welche) der Algorithmus B erfüllt wird, nur
ein Teil von derjenigen, für welche es der Algorithmus A ist. Unter
diesem Gesichtspunkt müsste man eigentlich die Schreibung:
β) B ⊂ A
zur Darstellung des vorausgesetzten Sachverhalts wählen.
Wenn demnach das Zeichen ⊂ der Unterordnung genau dem
Zeichen \< entsprechend verwendet werden soll, so hat man doch für ein-
unddieselbe Beziehung a priori unter zwei Schreibweisen die Wahl, nämlich
einer extensiven α), bei der mehr auf die räumliche (Flächen-)Ausbreitung
der — etwa geschrieben gedachten — Sätze oder Formelsysteme gesehen,
und einer intensiven β), bei welcher mehr auf ihre zeitliche Ausdehnung,
ihre Gültigkeitsdauer, das Augenmerk gerichtet wird, oder — sofern man
von einer solchen nicht sprechen mag — auf die Klasse der Gelegenheiten,
wo sie Anwendung finden, hier also die Fälle des Erfülltseins oder die Klasse
der Lösungen der Funktionalgleichungen.
Durch die Bevorzugung der extensiven vor der intensiven Schreibung
unterscheidet sich der hier vorzutragende Kalkul schon in der Anlage von
dem später vorzutragenden Aussagenkalkul.
Ich würde mich unter Umständen wol auch der zweiten Schreibweise
anschliessen, muss aber hier der ersteren den Vorzug geben.
Folgt nicht nur A aus B, sondern auch B aus A, so sind die
Formelsysteme der Algorithmen A und B identisch dieselben, und
schreiben wir:
A = B oder B = A.
Denn da wir nur mit Algorithmen zu thun haben wollen, so ist
das Formelsystem A ergänzt zu denken durch Zuziehung aller seiner
Konsequenzen, zu denen nach der Voraussetzung auch B gehört, und
umgekehrt, d. h. beide sind eines.
Um lediglich auszudrücken, dass A aus B folgt, während un-
bekannt ist oder unentschieden, offen gelassen werden soll, ob auch
umgekehrt B aus A folge, werden wir schreiben:
A ⋹ B desgl. B  A,
[624]Anhang 4.
was man wie bisher als „eingeordnet“ oder „sub“ lesen kann, daneben
auch: A folgt aus B, ist Teil von B, in B enthalten; B bedingt, um-
fasst A, schliesst A in sich, involvirt es („implies“ A).
Darnach müssen die beiden Axiome zugegeben werden:
I. A ⋹ A.
II. Wenn A ⋹ B und B ⋹ C, so ist auch A ⋹ C.
Auch kann man, das Zeichen ⋹ „der eventuellen Unterordnung“
als das ursprüngliche ansehend, durch dieses das Gleichheitszeichen
definiren mittelst der
Definition (1). Wenn A ⋹ B und zugleich B ⋹ A, so werde
A = B genannt.
Versinnlichen wir uns die Algorithmen durch Flächengebiete der
Ebene, so stellt — wenn nur grosse anstatt kleine Buchstaben in sie
eingetragen gedacht werden — die Figur 1, S. 155, die Beziehung
A ⊂ B, und die Figur 2 ibid. die A = B dar, und falls A ⋹ B, so
findet entweder das eine oder das andre statt.
Diese Versinnlichung ist aber hier noch mehr als blosse Analogie,
auch mehr als eine Abbildung: Man kann sich geradezu die Flächen-
gebiete in soviele Parzellen zerlegt denken, als wie viele Gleichungen
des Gebietes U der zugehörige (gleichnamige) Algorithmus umfasst,
und in diese Parzellen — wie in die Felder auf einem Bogen karrirten
Papiers — diese Gleichungen selbst hineingeschrieben, so wird damit
das wirkliche Verhältniss der Formelgruppen A, B zu einander direkt
zur Anschauung gebracht.
Wir definiren jetzt das „logische“ Produkt A · B oder A B und die
„logische“ Summe A + B zweier Algorithmen, und bringen alsdann die
Grundeigenschaften der so eingeführten Gebilde zum Ausdruck.
Hiebei wollen wir für alle Definitionen und Sätze durchweg die-
selben Chiffren verwenden, welche den entsprechenden im identischen
Kalkul zukamen, wenn diese auch hier in etwas anderem Zusammen-
hange vorgebracht werden, weil ja gerade die anfängliche Überein-
stimmung der beiden Kalkuln von erster Wichtigkeit ist.
A B stelle den, den beiden Algorithmen A und B gemeinsamen
Formelkomplex vor, es sei also das „logische“ Produkt der Formel-
gruppen einerlei mit dem „identischen“ Produkt der betreffenden Formel-
systeme, cf. Fig. 9×, S. 214.
Dasselbe werde 0 genannt, also A B = 0 geschrieben, wenn A
[625]Multiplikation.
und B innerhalb U keine Gleichung gemein haben, und diese 0 werde
als ein uneigentlicher, der „Null-Algorithmus“ mit zu den Algorithmen
gezählt.
Im andern Falle ist A B auch nicht blos ein Formelsystem, son-
dern selbst wieder ein Algorithmus, indem es alle Gleichungen, die
es innerhalb U nach den „Prinzipien“ zur Folge haben kann, bereits
in sich schliessen muss.
Ersichtlichermassen gilt nämlich (auch wenn A B nur Formel-
system wäre):
Th. 6×) A B ⋹ A und A B ⋹ B.
Hat nun A B innerhalb U eine Konsequenz C, so folgt diese,
weil mit A auch A B gegeben ist, nach Prinzip II auch aus A, d. h.
es ist C ⋹ A; und ganz ähnlich folgt C ⋹ B, d. h. es muss C den
Algorithmen A und B schon gemeinsam sein, sich in A B befinden.
Die Multiplikation von Algorithmen ist ein ungemein fruchtbares
Mittel, um neue Algorithmen A B zu limitiren, sie als vollständige
oder „Gruppen“ nachzuweisen, die Grenzen ihrer Konsequenzen (inner-
halb U) zu erkennen, wenn bereits diejenigen der Faktoren A, B be-
kannt, diese selbst limitirt sind. (Beispiele weiter unten, Anhang 5
sub „Beleg 1“.)
Aus der Übereinstimmung der logischen mit der („extensiv“ auf-
gefassten) identischen Multiplikation geht hervor, dass jene auch die
Grundeigenschaften von dieser besitzt; sie ist kommutativ und asso-
ziativ, auch gilt z. B. Th. 14×) A · A = A — was alles übrigens auch
ganz direkt einleuchtet.
Speziell seien hier aber zum Bewusstsein gebracht die der Defi-
nition (3) der Theorie entsprechenden beiden Sätze:
(3×)' Sooft X ⋹ A und zugleich X ⋹ B, so ist auch X ⋹ A B.
(3×)'' Jedesmal, wenn X ⋹ A B ist, muss auch X ⋹ A und X ⋹ B sein.
Der letztere (3×)'' von diesen beiden Sätzen erscheint im Hinblick
auf Th. 6×) und II als geradezu selbstverständlich: Wenn X aus dem
dem A und B gemeinsamen Formelsystem schon folgt, so folgt es
a fortiori aus A, desgl. aus B.
Nicht in gleichem Grade (der Unmittelbarkeit) leuchtet aber der
erste Satz (3×)' ein. Liesse man hier ausser Acht, dass die Formel-
gruppe X ganz dem Gebiet U angehören muss, so würde sich der
Satz (3×)' leicht durch Beispiele widerlegen lassen. In der That ist
der Fall denkbar, dass gewisse Behauptungen resp. Formeln X nach
Schröder, Algebra der Logik. 40
[626]Anhang 4.
den ja ausserhalb U liegenden „Prinzipien“ zwar aus den Prämissen A
folgen, desgl. aus den Prämissen B, ohne jedoch aus den, den beiden
Prämissensystemen gemeinsamen Elementen oder Gleichungen zu folgen,
welche letztere sogar 0 sein, ganz fehlen können. (Betreffs wirklichen
Vorkommens solchen Falles siehe Anhang 5, „Beleg 2“.)
Wenn dagegen, wie vorauszusetzen, X, A, B komplete Algorithmen
desselben Gebietes U sind, so muss, falls X aus A folgt, das Formel-
system der Gruppe X geradezu ein Teil desjenigen von A sein, ebenso,
falls auch X aus B folgt, ein Teil von B, und dann also ein Teil
des dem A und B gemeinsamen Formelkomplexes (welcher mithin
sicher vorhanden ist).
Sonach gelten also in der That die beiden Teile von (3×), einem
Satze, von dem wir sahen, dass durch ihn das identische Produkt
ausreichend definirt werden konnte. Diese Definition hätten wir anstatt
der von uns gewählten unmittelbar intuitiven auch hier zu Grunde
legen können.
Desgleichen gilt hier das Analogon der
Definition (2×): 0 ⋹ A,
und zwar hat dieses einfach den Sinn, dass mit dem Gebiet der Felder,
in welche die Formeln irgend eines Algorithmus eingetragen sind,
auch jederzeit unbeschriebene Felder verbunden gedacht werden mögen.
„Nichts“ oder „leere Felder“ bilden die Bedeutung des Nullalgorithmus,
wenn wahr sein soll, dass jeder Algorithmus seine eigenen Formeln
und ausserdem 0 enthält.
Zöge man indess die 18 Identitäten der Formelsorte a, b, c = a, b, c
mit in den Bereich der alsdann 1008 Gleichungen umfassenden Mannig-
faltigkeit U herein, so würden diese 18 den Inhalt des Nullalgorithmus
ausmachen. Seine Bedeutung würde die Aussage sein, dass die For-
meln a (b : c) = a (b : c), etc., allgemein gelten, und würden diese als
konstanter unvermeidlicher Bestandteil sich in jedem Algorithmus mit
vorfinden. Durch sie würde aber offenbar über Geltung oder Nicht-
geltung von noch andern Formeln des Gebietes kein Präjudiz gegeben.
Als die „logische Summe“ A + B definiren wir denjenigen Formel-
komplex, welcher nicht nur die Gleichungen von A und die von B
sämtlich enthält, sondern auch noch alle diejenigen Gleichungen des
Gebietes U dazu, welche aus diesen, wenn sie gleichzeitig als wahr
[627]Addition.
angenommen werden, auf Grund der „Prinzipien“ hinzugefolgert werden
können.*)
Diese logische Summe A + B greift über die „identische Summe“
A (+) B der Formelsysteme im Allgemeinen hinaus — wie sich nachher
leicht durch Beispiele belegen lassen wird (Anhang 5, „Beleg 3“).
Die letztere bedeutet bekanntlich das Formelsystem, zu welchem
die Systeme A und B sich gegenseitig ergänzen; dieselbe wird im
Allgemeinen kein „Algorithmus“ sein, weil aus A und B zusammen
als Prämissen sich oft noch weitere Gleichungen schliessen lassen
werden, die weder dem A noch dem B für sich angehören.
Es ist demnach die logische Summe zweier Algorithmen etwa in
folgender Weise durch eine Figur zu versinnlichen.
Sehr oft ereignet es sich, dass die logische
Summe A + B sämtliche Gleichungen des Gebietes
U umfasst. Diese konstituiren ja zusammen
selbst einen Algorithmus: U0, welcher inner-
halb des zur Illustration gewählten Substrates
mit dem Formelsystem U zusammenfällt.
Dieser Algorithmus U0 möge — für den
Augenblick — mit dem Zahlzeichen 1 bezeichnet werden, eine Kon-
vention, die sich dadurch rechtfertigt, dass alsdann die Gleichung
A · 1 = A allgemein gelten wird. Dann gilt für jedes Individuum A
in der Mannigfaltigkeit der zur Betrachtung vorliegenden Algorithmen
auch das Analogon der
Definition (2+): A ⋹ 1.
Und endlich gelten die beiden Sätze, welche in der Theorie die
Definition (3+) der identischen Summe zusammensetzten:
Da nach unsrer Definition der logischen Summe offenbar:
Th. 6+) A ⋹ A + B und B ⋹ A + B
sein muss, so erscheint der letztere Satz (3+)'' nach II als geradezu
selbstverständlich: Wenn A nebst B und allem, was beide noch zur
Folge haben, aus X folgt, so folgt natürlich auch A aus X und
B aus X.
Weniger unmittelbar leuchtet der erstere Satz (3+)' ein.
Wäre X kein Algorithmus, sondern blos ein Formelsystem, aller-
40*
[628]Anhang 4.
dings ganz aus U, jedoch irgendwie, herausgegriffen, so wäre ein Fall
denkbar, wie ihn die folgende Figur versinnlicht: wo zwar A und B
ganz in X liegen, dagegen A + B doch
nicht in X enthalten ist (vgl. An-
hang 5, „Beleg 4“). Es brauchte dann
(3+)' nicht zu gelten.
Nun aber sollte X einen Algorith-
mus (innerhalb U) bedeuten, komple-
tirt durch Hinzuziehung aller seiner
nach den „Prinzipien“ bedingten Kon-
sequenzen. Wenn dieser A zur Folge
hat, dessen ganzes Formelsystem in
sich schliesst, desgl. B zur Folge hat,
so hat er auch alles das zur Folge, was kraft der Prinzipien aus A
und B zusammen noch weiter gefolgert werden kann, d. h. er hat
auch A + B zur Folge und schliesst dessen ganzes Formelsystem von
Hause aus in sich.
Hiermit ist sorgfältigst erkannt, dass die Axiome I und II, sowie
die Definitionen (1), (2), (3) des „identischen Kalkuls“ auch in dem
„logischen Kalkul“ mit Algorithmen*) unmodifizirt Geltung haben.
Diese aber bildeten ausschliesslich die formale Grundlage für den
ersten Teil jenes Kalkuls, soweit er in den Paragraphen 4, 5 bis 10,
11 der Theorie dargestellt ist. Folglich können wir auch alle aus
dieser Grundlage streng deduktiv dort abgeleiteten Sätze jetzt ohne
weiteres in den logischen Kalkul herübernehmen, die kleinen Buch-
staben von ebendort in grosse umschreibend — einschliesslich der ersten
Subsumtion, Th. 25×), des Distributionsgesetzes.
Dass die zweite 26×) nicht gilt, werden wir gegen Schluss belegen
(Anhang 5, „Beleg 5“); doch sei bemerkt, dass von dem nur diesen
Zweck im Auge Habenden die vorhergehenden und nachfolgenden Be-
lege des Anhang 5 überschlagen werden können.
Was vorstehend erörtert und festgesetzt worden an dem Substrat
der resp. für die „Algorithmen“ oder „Gruppen von Funktional-
gleichungen“, das lässt sich noch allgemeiner und für die Gruppen-
theorie überhaupt aufrecht erhalten.
Der Begriff der „Gruppe“ hat neuerdings fast in der gesamten Mathe-
matik eine rapid steigende Bedeutung und zunehmend verbreitete Anwen-
[629]Logischer Kalkul mit Gruppen.
dung gefunden. Sind doch Herrn Dedekind's Zahlenkörper, Kronecker's
Rationalitätsbereiche, etc. nichts anderes wie „Gruppen“, und wie die Sub-
stitutionentheorie sich fast nur um Gruppen von Substitutionen dreht, so
haben auch für die Geometrie Herrn Walter Dyck's gruppentheoretische
Untersuchungen, für die höhere Analysis Herrn Sophus Lie's Trans-
formationsgruppen etc. eine fundamentale Wichtigkeit erlangt. Nicht minder
sah die Mechanik sich genötigt „Gruppen“ von Bewegungen (Translationen
und Rotationen) zu studiren, und ist mit deren Studium durch Camille
Jordan u. a. die Bravais-Sohncke'sche Erklärung der Krystallstruktur
erwachsen, u. s. w.
Unter solchen Umständen dürfte es wohl verlohnen, die Gesetze, nach
welchen alle Forscher, die sich mit Gruppen beschäftigen, wenn auch viel-
leicht unbewusst, denken, sich einmal gründlich zum Bewusstsein zu
bringen, zumal diese Gesetze in ihren elementarsten Grundzügen sich als
keine andern erweisen als die der Logik überhaupt und des identischen
Kalkuls, bis exclusive zur zweiten Subsumtion des Distributionsgesetzes.
Ist ein System von Dingen gegeben, die wir „Elemente“ nennen
wollen, und kennen wir einen Prozess, durch welchen aus irgend-
welchen von diesen Elementen sich neue Gebilde erzeugen, herstellen,
„ableiten“ lassen, so vermögen wir auch die letzteren als weitere
„Elemente“ zu dem System der bisherigen hinzuzuschlagen, sie sozu-
sagen dem Systeme als neue Errungenschaft „anzugliedern“.
Auf diese Weise kann man fortfahren, und den gleichen Prozess
auch auf die (oder irgendwelche) Elemente des so erweiterten Elemente-
systems anwenden, solange überhaupt der Prozess noch neue Dinge als
Elemente zu liefern vermag und auf die hinzutretenden anwendbar bleibt.
Den Prozess haben wir uns hienach begrifflich bestimmt zu denken
als eine gewisse Art von Prozessen. Sofern wir ihn eigenmächtig aus-
führen können, mögen wir ihn auch eine „Operation“ nennen, oder, wenn
sich an dieser verschiedene Stadien unterscheiden lassen, ihn hinstellen als
ein „System von Operationen“ (den Teiloperationen der vorerwähnten als-
dann „zusammengesetzten“ Operationen); die Reihenfolge solcher Teil-
operationen kann eine vorgeschriebene, oder auch ganz oder teilweise in
unser Belieben gestellte sein, je nach der Art, wie der Prozess begrifflich
bestimmt erscheint. Operationen können (als „uni-näre“?) schon aus einem
Elemente (zuweilen oder immer) ein neues erzeugen, oder aber als
„Knüpfungen“ deren zweie oder mehrere bedürfen um ein neues Element
hervorzubringen („binäre“, „ternäre“ und „multi-näre“? Knüpfungen). Als
auf Beispiele sei auf Negation und Multiplikation als solche Operationen
hingewiesen.
Durch die Vorschrift, welche die Natur des Prozesses bestimmt
und durch die ursprünglich gegebenen Elemente ist in allen Fällen
die Mannigfaltigkeit der Objekte des Denkens bestimmt, welche durch
den Prozess aus jenen Elementen ableitbar sind.
Vorbehaltlich jedoch dessen, dass die als gegeben hingestellten Ele-
mente nicht bereits unverträglich miteinander seien und dass als Elemente
nicht etwa „Klassen von Elementen“ figuriren. Die erstere Forderung er-
scheint sofort als eine selbstverständliche. Bei Nichtbeachtung der letztern
aber müsste späterhin Verwirrung, Konfusion entstehen, es müssten Wider-
sprüche sich ergeben insofern keine Sicherheit, keine Garantie dagegen vor-
läge, dass wir nicht — bei den nötig fallenden Unterscheidungen zwischen
den Elementen — ein bestimmtes Element als solches (bei einer bestimmten
Betrachtung) auszuschliessen und zugleich dasselbe als ein Individuum einer
solchen Gattung oder Klasse, die selbst Element ist, zuzulassen hätten. Nur
höchstens kollcktive Zusammenfassungen von Elementen zu einem Systeme
solcher, nicht aber generelle (zu einer Gattung von solchen) wird man
wiederum als „Elemente“ gelten lassen dürfen. M. a. W. das System der
dem Prozess der Gruppenbildung zu unterwerfenden Elemente wird von
vornherein — in dem in den §§ 7, 9 und 16 erläuterten Sinne — eine
konsistente sowol als reine, wird eine gewöhnliche Mannigfaltigkeit sein
müssen, und auch der Prozess der Gruppenbildung ist der Einschränkung
zu unterwerfen, muss so beschaffen sein, dass jenes System bei seiner Er-
weiterung zur „Gruppe“ eine solche Mn. stets bleiben wird.
Die also aus den gegebenen Elementen ableitbaren Elemente bilden
mit diesen selbst zusammen ein System, welches die durch die erstern
bestimmte, denselben zugehörige „Gruppe“ zu nennen ist, und dürfen
jene als ausreichende „Bestimmungselemente“ dieser Gruppe hingestellt
werden.
Der Begriff der Gruppe ist hienach ein engerer als der des „Elemente-
systems“; jede Gruppe ist ein Elementesystem, aber nicht jedes Elemente-
system ist eine Gruppe.
Hienach ist klar, dass (zunächst) die Begriffserklärungen der Ein-
ordnung oder Subsumtion, der Gleichheit und der Unterordnung auf
die Gruppen ebenso anwendbar sein werden, wie auf die Elemente-
systeme überhaupt, und bedarf der Ansatz: A ⋹ B, oder die damit
äquivalente Redensart: die Gruppe A ist „Untergruppe“ der B, keiner
neuen Erklärung.
Die in der Wissenschaft eingeführte Arbeitsteilung bringt es mit
sich, dass auch gruppentheoretische Untersuchungen sich immer nur
auf eine (begrifflich) bestimmte Mannigfaltigkeit von Objekten des
Denkens zu beziehen haben, aus welcher nur die Bestimmungselemente
aller in Betracht zu ziehenden Gruppen allein hervorzuheben sind.
Diese Mannigfaltigkeit (die wir, wie gesagt als eine „gewöhnliche“
vorauszusetzen haben) bestimmt ihrerseits eine Gruppe, oder besser
gesagt, sie ist — wenn mit Rücksicht hierauf eben vollständig, um-
fassend genug, charakterisirt — schon selbst eine Gruppe.
Diese Gruppe, die umfassendste, welche alle denkbaren Gruppen
[631]Logischer Kalkul mit Gruppen.
des vorliegenden Untersuchungsfeldes in sich schliessen wird — und,
als blosses Elementarsystem aufgefasst, etwa „die zugrundeliegende
Mannigfaltigkeit“ zu nennen wäre — mag „die vollständige Gruppe“
(schlechtweg) genannt werden. Sie entspricht der „identischen Eins“,
1, des Aussagen- und Gebietekalkuls und würde nicht unpassend auch
als „die Gruppe 1“ hingestellt werden.
Dieselbe ist jedoch — bei den Substitutionen z. B. — nicht mit der
„identischen Substitution“ 1 zu verwechseln, welche letztere vielmehr, wie
nachher erhellt, eine „Nullgruppe“, „die Gruppe 0“ konstituiren wird.
Als „Produkt“ A · B oder A B zweier Gruppen A und B gilt uns
das System der Elemente, welche sowol der Gruppe A als auch der
B angehören — m. a. W. das „identische Produkt“ der zugehörigen
Elementesysteme, die „Gemeinheit“ dieser Systeme in Herrn Dede-
kind's1 Ausdrucksweise. Dasselbe muss, sofern es kein leeres (oder
„Nullsystem“) ist, allemal selbst eine Gruppe sein.
Denn wäre dies nicht der Fall, so müsste durch den Prozess der
Gruppenbildung aus seinen Elementen ein neues ableitbar sein, welches
ihm selbst, dem Systeme A B, nicht angehört, und darum auch nicht dem
System A und dem B zugleich angehören kann, vielmehr wenigstens einem
dieser beiden — sagen wir dem System A — nicht angehören wird. Da
laut Definition die Elemente von A B aber sämtlich auch Elemente von A
(sowie von B) sind, so wäre es hienach auch gelungen, aus den Elementen
des Systems A ein neues, diesem nicht angehöriges Element abzuleiten —
im Widerspruch mit der Voraussetzung, dass A eine Gruppe gewesen.
„Nullgruppe“ oder „Gruppe 0“ nennen wir das Produkt aller er-
denklichen Gruppen, welche in der vollständigen Gruppe (als Unter-
gruppen) enthalten sind (diese selbst also einbegriffen).
Wo etwa auch ein mit 0 bezeichnetes Element auftritt, ist diese
„Gruppe 0“ von dem „Elemente 0“ natürlich zu unterscheiden.
Die Nullgruppe wird eine eigentliche Gruppe sein auf jedem
solchen Untersuchungsfelde, wo gewisse Elemente in jeder Gruppe
enthalten, allen Gruppen gemeinsam sein müssen.
So z. B. wird im Gebiet der Substitutionsgruppen die Nullgruppe be-
stehen aus der einen identischen Substitution 1; in der Gruppentheorie
des identischen Kalkuls — vergl. Anhang 6 — wird die Nullgruppe aus
den beiden Elementen 0 und 1 bestehen, und auch auf dem Gebiet der
Gruppen von Funktionalgleichungen oder Algorithmen können der Null-
gruppe als Inhalt oder ihre Bedeutung eventuell untergelegt werden: die
„sechs Fundamentalbeziehungen“ nebst all den Formeln, welche etwa
noch auf Grund derselben allgemein, als analytische Gleichungen, gelten.
Andernfalles wird die Nullgruppe als eine uneigentliche, nämlich
inhaltlose oder leere, zu gelten haben.
Summe A + B zweier Gruppen A und B nennen wir diejenige
[632]Anhang 4.
Gruppe, welche aus den Elementen von A und B zusammengenommen
ableitbar ist, welcher m. a. W. die Elemente der „identischen Summe“
der Elementesysteme A und B als Bestimmungselemente dienen. Die
erstere greift über die letztere im allgemeinen hinaus, wie gelegent-
lich gegebene Beispiele darthun.
Es würde nun blos eine Wiederholung desjenigen sein, was wir
im identischen oder Gebietekalkul bereits eingehendst durchgesprochen
haben (was uns ferner behufs Angliederung der Dedekind'schen
Kettentheorie obliegen wird, in neuer Fassung aufzufrischen) und was
wir endlich für das Substrat der Algorithmen im Eingang gegenwär-
tigen Anhanges erinnernd in Anspruch zu nehmen hatten, wollten wir
von neuem darlegen, wie aus den hiemit gegebenen Grundlagen wieder
alle Gesetze des identischen Kalkuls bis zu dem in § 12 charakteri-
sirten Divergenz- oder Abzweigungspunkte hin als auch für den
„Gruppenkalkul“ gültige fliessen. Wir dürfen diese Gesetze für ihn
hinfort ohne weiteres in Anspruch nehmen.
Ist der gruppenbildende Prozess eine „uninäre“ Knüpfung, d. h. eigent-
lich gar keine Knüpfung, sondern vielmehr eine Operation, mittelst welcher
je aus einem Elemente immer schon ein eventuell neues als Funktion oder
Bild desselben abgeleitet werden kann — wie z. B. im identischen Kalkul
die Operation des Negirens, in der Arithmetik die der Quadratwurzel-
ausziehung, oder die Herstellung des Briggs'schen Logarithmus, etc. — so
steht nichts im Wege die gedachte „Ableitung“ als eine „Abbildung“ an-
zusehen, und deckt sich der Begriff der „Gruppe“ mit dem Dedekind'schen
Begriff der „Kette“. Des Letzteren Ketten sind die durch einen Abbildungs-
prozess erzeugten Gruppen. Der Gruppentheorie ordnet die Theorie der
Ketten als ein besondrer Zweig sich unter.
Es könnte sogar scheinen als ob die letztere sich ebensoweit erstreckte,
wie die erstere. Denn ist die eindeutige Abbildung eine solche nur ein-
seitig, nicht auch umgekehrt, ist sie eine „unähnliche“, so mögen irgend-
viele Elemente das nämliche Bild haben. Dieses Bild als das Ergebniss
einer Verknüpfung jener Elemente hinzustellen, geht aber dann nicht an,
weil der Unterschied besteht, dass es diesen nicht erst in ihrer kollektiven
Verbindung, als dem Systeme derselben, sondern dass es ihnen bereits
einzeln genommen, distributiv oder generell, eindeutig entspricht. Immerhin
ergeben sich aus diesem Verhältnisse vielleicht Anknüpfungspunkte für beide
Theorieen.
Die Gruppentheorie ist hienach anzusehen als eine wirkliche Erweiterung
der Theorie der Ketten. —
Als solches muss ich jetzt ein paar spezielle Algorithmen des
Gebietes U vorstellen.
Voraus bemerke ich, dass ich den logischen Zusammenhang zwischen
den 990 Formeln dieses Gebietes längst vollständig erforscht habe und
denselben auch auf die einfachste Weise zu begründen vermag. Die Dar-
legung dieses Zusammenhanges ist aber nicht der Endzweck der gegen-
wärtigen Mitteilung. Vielmehr beabsichtige ich ja, denselben nur nebenher
zu benutzen, um durch gegenteilige Beispiele darzuthun, dass gewisse Sätze
im logischen Kalkul keine Geltung zu haben brauchen.
Ich kann mich daher in Bezug auf das — unter vielen denkbaren,
ebenfalls schon ziemlich von mir durchforschten Formelgebieten [vergl. (l. c.)8,
§ 3 und 4] willkürlich ausgewählte — Gebiet U darauf beschränken, die
meinem Hauptzweck dienlichen Thatsachen einfach anzuführen, sofern diese
Thatsachen (mit mehr oder weniger Mühe) von jedermann kontrolirbar
sind, und brauche ich dabei weder auf die Methoden einzugehen, durch
welche sie (im Zusammenhang) am bequemsten zu beweisen wären, noch
darauf, wie sie gefunden wurden.
Die Ableitung der einen Formeln aus den andern, von denen sie mit-
bedingt werden, ist zudem leicht und ganz elementar zu bewerkstelligen
und mag deshalb dem Leser überlassen bleiben. Nur in Bezug auf das
schwierige (und hier besonders wichtige) Problem der Abgrenzung jeder
Formelgruppe will ich beweiskräftige Angaben machen.
Wesentlich sind es fünf Algorithmen, mit denen wir Bekannt-
schaft zu machen haben.
10) Der Algorithmus U0 selbst, bestehend aus den sämtlichen
990 Gleichungen des Formelgebietes U [vergl. (l. c.)8, § 7 sq.].
Für uns ist nur der Nachweis von Belang, dass es Funktionen
gibt, die alle diese Funktionalgleichungen gleichzeitig erfüllen, dass
diese also, als „Formeln“ aufgefasst, miteinander verträglich sein
müssen.
Der Nachweis ist zu leisten durch Angabe einer Funktion, die
sie wirklich erfüllt. Eine solche wird nun für ein Zahlengebiet von
vier Elementen, den Ziffern 1, 2, 3, 4, definirt (in Gestalt eines sym-
bolischen Einmaleinses) vermittelst der Tafel:
[634]Anhang 5.
desgleichen auch schon für ein Zahlengebiet von nur zwei Elementen,
1 und 2, durch das erste Viertel dieser Tafel — (es sind das die
Funktionstafeln 10,0)2 und 10,0)4 von (l. c.)7.
Überzeugen wir uns wenigstens für ein Beispiel davon, dass solches
in der That der Fall ist. Unter anderm müsste etwa gelten:
— eine Formel, aus der nebenbei gesagt, alle übrigen von U fliessen, die
somit für sich schon eine ausreichende Prämisse des Algorithmus U0 bildet
(dergleichen er 156 innerhalb U besitzt). In der Formel dürfen wir nun
für a, b, c irgendwelche von den Ziffern 1, 2, 3, 4 setzen, und müssen,
falls sie gültig, allemal eine richtige Gleichung erhalten. So muss sich
z. B. herausstellen, dass
, sowie auch ,
etc. ist. Um dies nachzusehen entnehmen wir aus der zweiten Zeile der
Tafel vom letzten „Produkte“ (als zusammengehalten mit seinem ange-
gebenen Werte 2) dass 2 : 4 = 3 ist, aus der vierten Zeile aber, dass
2 · 3 = 4. Durch Einsetzung dieser Werte kommt also die erstere Glei-
chung hinaus auf: , und dass dieses richtig ist, indem beide Seiten
den Wert 1 haben, ist aus der dritten und vierten Zeile der Tafel vom
ersten „Produkt“ zu entnehmen.
Ebenso kommt die andre Gleichung auf oder 1 = 1 hinaus. —
Der Leser vergesse bei diesen Betrachtungen nicht, dass hier keines-
wegs von „eigentlichen“ Produkten und Quotienten die Rede ist, für welche
ja das Einmaleins schon anderweitig feststeht. Vielmehr ist vorstehend
1 · 1 und 2 · 3 etc. nur aufzufassen als eine abgekürzte Schreibung ad hoc
für f (1, 1) und f (2, 3) etc., und konnten solche Funktionswerte bei der
Definition, tabellarischen Erklärung von f (x, y) doch nach Belieben fest-
gesetzt werden!
So leicht es nun auch für ein Beispiel sich erwies, das Erfülltsein
einer bestimmten Formel nachzusehen, so würde es doch bei ihr schon
sehr weitläufig werden, solches für alle Wertsysteme der Argumente aus
dem Zahlengebiete durchzuführen, und vollends kaum durchführbar, fast
eine Lebensaufgabe, bei allen 990 Formeln des Formelgebietes U denselben
empirischen Weg auszuschreiten.
Der Leser, welcher meinen in jedem beliebig herausgegriffenen Bei-
spiele sich bewährenden Behauptungen gleichwol den Glauben versagt, muss
[635]Substrat zum vorigen Anhang und Material zu dessen Belegen.
deshalb verwiesen werden auf die generellen Schlüsse, durch welche ich
(l. c.)8 und an andern Orten das empirische Verfahren vereinfacht oder
entbehrlich gemacht habe. —
20) Der Algorithmus A1. Die Gleichung, welche das Assoziations-
gesetz ausdrückt:
b (a c) = (b a) c
ist eine von den 990 Gleichungen U. Aus ihr fliessen noch 15 andere
Gleichungen desselben Gebietes, und nur diese. Ich muss dieselben
vollständig anführen. Sie lauten:
(b : a) : c = b : (a c), , ,
wo die Seiten der beiden Dreiecke und des vollständigen Vierecks als
Gleichheitszeichen zwischen den an die Ecken gesetzten Ausdrücken
interpretirt zu denken sind.
Die Ableitung dieser 15 Gleichungen aus der Prämisse gibt zum
Überfluss mein Lehrbuch der Arithmetik und Algebra, I. Band, p. 242 sqq.
Die vorstehenden 16 Gleichungen bilden dasjenige, was auf dem
Gebiete U der Algorithmus A1 der (eindeutigen und eindeutig um
kehrbaren) assoziativen Operationen zu nennen ist.
Dass wirklich keine andern als diese 16 Gleichungen des Gebietes
aus dem ganzen Systeme folgen, kann auf die elementarste Weise
nachgewiesen werden durch die folgende Tafel von Funktionswerten
welche auf einem Zahlengebiet von 6 Zahlen, die mit den Ziffern 1
bis 6 bequemlichkeitshalber benannt sind, in Gestalt eines symbolischen
Einmaleinses eine vollkommen eindeutige und ebenso umkehrbare
Funktion definirt.
Man sieht leicht, dass dieses Zahlengebiet der einfachsten „Gruppe“,
die es gibt, von nicht durchweg vertauschbaren „Substitutionen“ entspricht,
indem man das Element 1 mit der „identischen Substitution“, die Ele-
mente 2, 3, 4 mit den „Transpositionen“ (α β), (α γ) und (β γ) identifiziren
kann, wo dann die Elemente 5 und 6 den „cyklischen“ Substitutionen
(α β γ) und (α γ β) entsprechen werden, und unsre symbolische Multiplikation
zusammenfällt mit der eigentlichen Multiplikation der Substitutionen.
Wie die Multiplikation der Substitutionen überhaupt, so ist also auch
die vorliegende jedenfalls assoziativ. Und auch der Nachweis, dass keine
andern von den 990 Gleichungen U als die sub A1 angeführten 16 von
der durch die Tafel definirten Funktion durchaus erfüllt werden, unter-
liegt theoretisch nicht der geringsten Schwierigkeit. Dagegen würde, den-
selben ohne weitere Vorbereitung direkt zu liefern, allerdings einen Auf-
wand an Mühe erheischen, welcher der Kenntnissnahme der gesamten das
Gebiet U erledigenden Theorie der Verknüpfung, nachdem dieselbe im Zu-
sammenhange von mir dargelegt worden wäre, schon allein fast gleich-
kommen dürfte.
Nebenbei sei noch bemerkt: Lässt man die vertikalen Seiten der
beiden Dreiecke, sowie die Diagonalen des Quadrats in A1 fort, so
bleiben diejenigen 12 von den 16 Gleichungen A1, deren jede für sich
als eine „ausreichende Prämisse“ von A1 zu bezeichnen ist und also
innerhalb U die Tragweite 16 hat. Dagegen bilden die fortgelassenen
4 Gleichungen einen dem A1 untergeordneten Algorithmus K1, dessen
Prämissen eben jene beiden Vertikalseiten (mit der Tragweite 4) sind.
Von den Diagonalgleichungen des Quadrats bildet jede für sich einen
eigenen Algorithmus: J2 resp. J3, indem sie keine weiteren Konse-
quenzen innerhalb U nach sich zieht.
Diese Eigenschaft, innerhalb U die Tragweite 1 zu haben, kommt
unter allen 990 Gleichungen U ausser den beiden genannten nur noch
der Gleichung zu:
,
die somit ebenfalls einen eigenen Algorithmus: J1 vorstellt. (Vergl.
unten „Beleg 1“.)
30) Der Algorithmus C1. Eine Prämisse desselben kann zunächst
angegeben werden in Gestalt einer jeden von den beiden Gleichungen:
.
Diese gehören zwar dem Gebiete U nicht an; auf letzterem aber
ziehen sie folgende 30 Gleichungen als Konsequenzen nach sich, die
wir den Algorithmus C1 (der kommutativen Operationen) innerhalb U
nennen.
wo die punktirten Linien Wiederholungen (Dubletten) anderer bereits
als Seiten ausgezogenen Formeln vorstellen, aus denen sie durch ein-
fache Buchstabenvertauschung hervorgehen und daher nicht mitzu-
zählen sein werden.
Es ist nun bemerkenswert — wenn auch für unsern Hauptzweck
unwesentlich — dass 29 von diesen 30 Gleichungen einzeln als Prä-
missen des ganzen Algorithmus ausreichen, somit die Tragweite 30
haben. Nur die Diagonalgleichung des obersten Quadrats, d. i. die
vorhin erwähnte Gleichung J1, teilt diese Eigenschaft mit den übrigen
nicht, sondern bleibt ein in sich abgeschlossener Unteralgorithmus
von C1 mit der Tragweite 1.
Eine dem Algorithmus C1 ausschliesslich unterworfene Multipli-
kation definirt auf einem Gebiete von vier Zahlen die Tafel 111, 1)4
und, auf eine zweite davon verschiedene Art auch die Tafel 121, 1)4
meiner Abhandlung (l. c.)7 — welche lauten:
| 1 = 1 · 1 = 2 · 2 = 3 · 4 = 4 · 3 | 1 = 3 · 3 = 4 · 4 = 1 · 2 = 2 · 1 |
| 2 = 2 · 4 = 4 · 2 = 1 · 3 = 3 · 1 | 2 = 2 · 4 = 4 · 2 = 1 · 3 = 3 · 1 |
| 3 = 3 · 3 = 4 · 4 = 1 · 2 = 2 · 1 | 3 = 1 · 1 = 2 · 2 = 3 · 4 = 4 · 3 |
| 4 = 4 · 1 = 1 · 4 = 2 · 3 = 3 · 2 | 4 = 4 · 1 = 1 · 4 = 2 · 3 = 3 · 2. |
Für jede andre von den 990 Formeln U, welche nicht mit einer
von den 30 angeführten zusammenfällt, ist der Leser wenigstens in
der Lage, sich zu überzeugen, dass sie von den vorstehenden Funk-
tionen nicht, oder nicht durchaus erfüllt wird.
40) Der Algorithmus O1, (l. c.)8 § 5 besprochen und limitirt, kann
— nach den Elementen der Arithmetik — definirt werden als die
logische Summe:
O1 = A1 + C1.
Bei genauerem Zusehen zeigt sich leicht, dass aus der Annahme,
eine Multiplikation sei assoziativ und kommutativ zugleich, folgt, dass
von den 990 Gleichungen U nun 150 erfüllt sind, nämlich alle die
von einander verschiedenen Formeln, welche erhalten werden können
durch Gleichsetzung irgend zweier der nachstehend vom selben Rechteck
umrahmten Ausdrücke:
O11
O12
O13
Das erste Rechteck enthält (als nicht durch blosse Buchstabenver-
tauschung aufeinander zurückkommende) 14. das zweite 100, das dritte
36 von den genannten 150 Gleichungen, welche zusammen den Algo-
rithmus O1 der gewöhnlichen Algebra oder sog. „allgemeinen Arithmetik“
im Formelgebiete U ausmachen.
Auf einem Zahlengebiete von 3 resp. 4 Elementen erfüllen aus-
schliesslich ihn die durch die beiden Tafeln, (l. c.)7 31, 1)3 und 91, 1)4:
[639]Substrat zum vorigen Anhang und Material zu dessen Belegen.
| 1 = 1 · 1 = 2 · 3 = 3 · 2 | 1 = 1 · 1 = 3 · 3 = 2 · 4 = 4 · 2 |
| 2 = 3 · 3 = 1 · 2 = 2 · 1 | 2 = 2 · 1 = 1 · 2 = 3 · 4 = 4 · 3 |
| 3 = 2 · 2 = 3 · 1 = 1 · 3 | 3 = 3 · 1 = 1 · 3 = 2 · 2 = 4 · 4 |
| 4 = 4 · 1 = 1 · 4 = 2 · 3 = 3 · 2 |
definirten beiden Funktionen, sodass eine jede von den (innerhalb U
beiläufig 60) ausreichenden Prämissen von O1, wie z. B. die Gleichung
(a b) c = b (c a), wirklich nur die Tragweite 150 (daselbst) besitzen kann.
50) Der Algorithmus C00. Wesentlich werden wir jetzt nur noch
des nachstehenden Algorithmus bedürfen, welcher 18 Gleichungen des
Gebietes U umfasst:
und C00 genannt werden möge, in Anbetracht, dass er nur als ein
Unteralgorithmus des schon anderwärts von mir erwähnten Algorith-
mus C0 mit den Prämissen a b = a : b = sich darstellt.
Die 12 Gleichungen an den beiden ersten sechsseitigen Sternen
ziehen einander und auch die 6 am dritten Sternecke nach sich, wo-
gegen von diesen letzteren immer nur die zwei Gleichungen an den
parallelen Dreieckseiten einander gegenseitig bedingen, und ausserdem
[640]Anhang 5.
keine Konsequenzen haben. Es sei dies nur nebenbei — zur Orien-
tirung — bemerkt.
Wesentlich ist aber der Nachweis, dass dieser Algorithmus kom-
plet ist, keine weiteren als die angeführten 18 Gleichungen des Ge-
bietes U zur Folge haben kann.
Dieser Nachweis lässt sich unschwer führen mit Hülfe der nach-
stehenden Funktionstafel*), welche auf die einfachst mögliche Weise,
und das ist für ein Zahlengebiet von 9 Elementen, eine eindeutige und
eindeutig umkehrbare Funktion zweier Argumente so definirt, dass sie
eben nur den angeführten Funktionalgleichungen C00, und keinen
andern Formeln von U, Genüge leistet:
Dieselbe ist in der bei den einfacheren Tafeln noch nicht beliebten
Abkürzung geschrieben, welche verständlich wird durch die Bemerkung,
dass die erste Zeile derselben ausführlicher lauten sollte:
1 = 2 · 2 = 5 · 8 = 8 · 5 = 1 · 9 = 9 · 7 = 7 · 3 = 3 · 4 = 4 · 6 = 6 · 1,
und so weiter.
Als besonders beachtenswert müssen wir hervorheben, dass in C00
nur die beiden wagrechten Seiten des dritten sechsseitigen Sterns eine
Eigenschaft ausdrücken, die auch der gewöhnlichen Multiplikation zu-
kommt, sub O1 gilt, nämlich die Eigenschaft:
E1) a (b : c) = a : , a =
Dies ist also ein Formelsystem, welches man durch ebendiese
Wahrnehmung, dass
O1 · C00 = E1
[641]Belege.
ist, als eine vollständige Gruppe, als einen eigenen Algorithmus von
der Tragweite 2 (innerhalb U) erkennt.
Als „Beleg 1“ (cf. Anhang 4 unter „Multiplikation“) mag ausser der
Schlussbemerkung des vorigen Absatzes noch angeführt werden, dass die
oben behauptete Vollständigkeit der aus nur einer Gleichung bestehenden
Formelgruppe J1 hervorgeht durch die Bemerkung, dass
A2 · C1 = J1
ist, wo A2 charakterisirt ist durch die Prämisse: a : (b : c) = (a : b) : c.
Ebenso ist A1 · C2 = J2, wo C2 die Prämisse hat: a : b = b : a. Etc.
„Beleg 2“ (cf. ibidem). Die etwa N1 zu nennende Formel a : a =
folgt leicht aus A1, desgleichen also auch die Formel:
M2) a : a = b : b
Dieselbe Gleichung M2 ist auch in einem Algorithmus D2 enthalten,
von welchem das reine Multiplikationsgesetz (a b) c = (a c) b eine Prämisse
bildet. Jene M2 folgt aber nicht aus dem Algorithmus A1 · D2, welcher
= J2 ist; denn in der That sind für J2 in Gestalt der Tafeln 112,2)4 und
122,2)4 meiner schon citirten Abhandlung (l. c.)7 Lösungen angebbar, welche
sogar dem noch umfassenderen Algorithmus C2 genügen, dagegen die
Formel M2 augenscheinlich nicht erfüllen. Hier folgt also X (= M2) aus
A (= A1) desgl. aus B (= D2), und dennoch nicht aus A · B (= J2). Grund
dieses scheinbaren Widerspruchs zu dem Theorem (3×)' des Anhang 4 ist
der Umstand, dass eben X, = M2, nicht dem Formelgebiet (U) angehört,
innerhalb dessen das Produkt A B aufgesucht wurde.
„Beleg 3“ (cf. Anhang 4 sub „Addition“). Das Hinausgreifen der
logischen über die identische Summe ist schon an dem Beispiel A1 + C1 = O1
zu sehen, wo sich die 16 + 30 Gleichungen der letztern zu den 150 Glei-
chungen der erstern erweitern. Noch einfacher zeigt es sich an demselben
Beispiele, wenn man auf das Gebiet der „reinen“ Multiplikationsgesetze
innerhalb U, d. i. auf das Formelsystem O11 des Algorithmus O1 sich be-
schränkt: Die eine Prämisse b (a c) = (b a) c von A1 mit den vier Glei-
chungen des Vierecks unten links in C1 fliesst dann zu den 14 Formeln O11
logisch zusammen.
„Beleg 4“ (cf. ibid.). Versteht man unter X das Formelsystem, be-
stehend aus den 150 Gleichungen O1 und noch irgendwelchen andern Glei-
chungen des Gebietes U, z. B. der Gleichung (c a) : b = , jedoch ohne
die zwei Gleichungen E1, so ist — im Gegensatz zu (3+)' — sowol
A, = A1 als auch B, = C1 in X enthalten, dennoch aber A + B, = A + C1 = O1
nicht (ganz) in X enthalten.
„Beleg 5“ (cf. ibid.). Man bemerke, dass der obige Algorith-
mus C00 mit den beiden vorhergegangenen Algorithmen A1 sowol als C1
überhaupt keine dem Gebiet U angehörigen Formeln gemein hat, dass
also hierselbst:
A1 · C00 = 0 und C1 · C00 = 0
ist. Darnach haben wir auch:
A1 · C00 + C1 · C00 = 0 + 0 = 0.
Im Gegensatz dazu ist aber:
(A1 + C1) · C00 = O1 · C00 = E1
nach dem unter O1 und C00 Gesagten.
Eine Unterordnung:
(A1 + C1) · C00 ⋹ A1 · C00 + C1 · C00
ist folglich hier unmöglich. Denn diese, nämlich E1 = 0, müsste wegen
der ohnehin gültigen Subsumtion 0 ⋹ E1 — cf. Def. (2×) — nach der
Definition (1) der Gleichheit auf E1 = 0 hinauslaufen, während doch E1
von 0 verschieden ist.
Da nun 0 ⋹ E1 stetsfort in Geltung bleibt, während, wie gesagt,
die Gleichheit 0 = E1 ausgeschlossen ist, so bleibt nur die andere
Alternative: 0 ⊂ E1 übrig, d. h. wir haben hier:
A1 · C00 + C1 · C00 ⊂ (A1 + C1) · C00
und zwar definitiv untergeordnet, ⊂, aber nicht gleich, =.
Dieses Ergebniss findet sich im Einklang mit der anderweitig be-
reits erkannten Thatsache, dass die erste
Subsumtion des Distributionsgesetzes not-
wendig gilt.
Der Sachverhalt wird — in Anbe-
tracht, dass auch A1 und C1 innerhalb U
keine Formel gemein haben — versinn-
licht durch die Fig. 33, bei der wir auch
die Zahl der Formeln jeweils in die Ge-
biete eingetragen haben.
Ein zweites Beispiel, wo wirklich Unter-
ordnung eintritt, würde im Anschluss an
das vorstehende erste erhalten, indem man den Algorithmus C00 ersetzte
durch das ebenfalls als ein Algorithmus:
E0 = E1 + E2 + E3
nachweisbare Formelsystem seines dritten Sternecks, und ein drittes
[643]Der Hauptbeleg.
Beispiel — das allereinfachste — erhielte man durch Ersetzung von
C00 durch E1 selber.
Das analoge Verhältniss besteht für die angeführten Beispiele auch
noch auf dem umfassenderen Gebiete der 3064 (l. c.)8 charakterisirten
Formeln fort.*)
Der logische Kalkul unterscheidet sich demnach in der That von
dem identischen dadurch, dass in ersterem das Distributionsgesetz nicht
als Gleichung zu gelten braucht, sondern nur einseitig gelten muss als
die Subsumtion:
25×) A · B + A · C ⋹ A · (B + C),
wogegen die umgekehrte Subsumtion:
26×) A · (B + C) ⋹ A · B + A · C
oft nicht erfüllt ist.
Jedenfalls kann aus den den beiden Kalkuln gemeinsamen Grund-
sätzen nicht die Gleichheit der beiderseitigen Ausdrücke folgen.
Noch ein Beweis für diese merkwürdige Thatsache, der von den
Betrachtungen des gegenwärtigen Anhanges ganz unabhängig ist,
wird von mir in Anhang 6 ge-
geben. Derselbe nimmt die
Ausführungen des Anhangs 4
für ein Substrat in Anspruch
welches ausschliesslich dem
Gebiete des identischen Kal-
kuls angehört und setzt mit-
hin keinerlei Betrachtungen auf
extralogischem Gebiete voraus;
auch er jedoch wird kein gänz-
lich müheloser sein.
Das als nur einseitige Sub-
sumtion geltende Distributions-
gesetz 25×) des logischen Kal-
kuls wäre in diesem durch die
Fig. 34 zu versinnlichen, worin A (B + C) den überhaupt (resp. schräge),
A B + A C den doppelt schraffirten Teil vorstellt.
Dass diese beiden in eins zusammenfliessen, nämlich Gleichheit
41*
[644]Anhang 5.
eintritt, kommt übrigens auch zuweilen vor, und geben wir dazu noch
folgenden vorletzten
„Beleg 6“. Ein gewisser — nämlich der bereits (l. c.)8, § 6 be-
trachtete — Algorithmus Q0 umfasst 324 Gleichungen innerhalb U (von
dessen 132 ausreichenden Prämissen z. B. die Gleichung a (b : c) = a
eine sein würde) und hat mit dem Algorithmus O1 von 150 Gleichungen
ein gewisses, leicht ausfindig zu machendes Formelsystem von 46 Gleichungen
gemein, das einen Algorithmus bildet, welcher Q1 heissen möge — als
dessen Prämisse z. B. die Formel genommen werden könnte: (b : c) a = a : .
Wir haben also:
O1Q0 = Q1 oder (A1 + C1) Q0 = Q1.
Ferner ist (siehe unter A1) : A1Q0 = K1; dazu C1Q0 = C1, weil C1 ganz
in Q0 enthalten; somit: A1Q0 + C1Q0 = K1 + C1. Dass aber K1 + C1 = Q1
ist leicht nachzuweisen. Mithin gilt hier in der That:
(A1 + C1) Q0 = A1Q0 + C1Q0
als Gleichung.
Es kommen also beide durch das Zeichen ⋹ in der ersten Sub-
sumtion des Distributionsgesetzes als Alternative offen gelassenen Fälle
faktisch vor.
„Beleg 7“. Wir könnten auch unser Untersuchungsfeld noch
über U hinaus ausdehnen, indem wir es beispielsweise alle diejenigen
(auf eine Funktion zweier Argumente nebst ihren Umkehrungen be-
züglichen) Funktionalgleichungen umfassen liessen, welche (bei sym-
bolisch abgekürzter Schreibung dieser drei Grundfunktionen als Pro-
dukt, Bruch und Verhältniss) nicht mehr wie sechs Operationsglieder
a, b oder c enthalten.
Alsdann würden die Formeln des Gebietes nicht mehr allesamt
miteinander verträglich sein.
Es würden Fälle vorkommen, wo von zwei Funktionalgleichungen
zwar jede für sich als allgemeine Formel gelten kann und in der That
Lösungen besitzt, indem Funktionen sich angeben lassen, die sie
wirklich erfüllen — wo aber beide Gleichungen unmöglich zusammen-
bestehen können, es keine Funktion geben wird, die sie gleichzeitig
erfüllte.
Ein solches Formelpaar wäre z. B. dieses:
a = (a · b) · (b · a) und b = (a · b) · (b · a).
Dass jede von diesen Formeln für sich als allgemeingültige bestehen
kann, thun bezüglich die beiden Tafeln dar:
[645]Belege.
| 1 = 1,2345678 | 1 = 1,2345,6789 |
| 2 = 2,1754836 | 2 = 2,4718,3695 |
| 3 = 3,7186524 | 3 = 3,7561,9824 |
| 4 = 4,5812763 | 4 = 4,1629,7358 |
| 5 = 5,4621387 | 5 = 5,8193,4276 |
| 6 = 6,8573142 | 6 = 6,3974,8512 |
| 7 = 7,3268415 | 7 = 7,6832,5941 |
| 8 = 8,6437251, | 8 = 8,9257,1463 |
| 9 = 9,5486,2137, |
welche in der unter C00 erläuterten Abkürzung geschrieben sind, sodass
ausführlicher z. B. die erste Zeile der erstern Tafel zu lesen wäre:
1 = 1 · 1 = 2 · 3 = 3 · 4 = 4 · 5 = 5 · 6 = 6 · 7 = 7 · 8 = 8 · 2
und die der zweiten:
1 = 1 · 1 = 2 · 3 = 3 · 4 = 4 · 5 = 5 · 2 = 6 · 7 = 7 · 8 = 8 · 9 = 9 · 6,
etc. — Dass aber jene beiden Formeln nicht zugleich bestehen können,
geht daraus hervor, dass durch Vergleichung aus ihnen folgen würde:
a = b, was für ein, wie wir voraussetzen, mehr als eine Zahl ent-
haltendes Zahlengebiet, mithin als allgemeine „Formel“ unmöglich ist,
indem es die Gleichheit auch für irgend zwei als verschieden voraus-
gesetzte Zahlen oder Elemente des Gebietes postuliren würde.
Ähnlich würden sich auch Fälle anführen lassen, wo von drei Funktional-
gleichungen eine jede für sich, auch irgend zwei zusammen, nicht aber
alle drei zugleich von einer Funktion erfüllt werden können und dergleichen
mehr — worauf ich hier indess verzichte.
Endlich würde das Formelgebiet auch solche Formeln mit um-
fassen, welche für sich allein schon unzulässig sind, nämlich nicht be-
stehen können, ohne einen Widerspruch mit den Voraussetzungen der
Eindeutigkeit der Funktion und der Mehrheit resp. Verschiedenheit der
Elemente des Zahlengebietes zu involviren. Eine solche würde z. B.,
wie der Leser leicht nachweisen wird, die Formel a b = a (b a) sein,
und andre mehr.
Die Gesamtheit der Formeln des Gebietes, als „Gruppe“ oder „Al-
gorithmus“ betrachtet mitumfasst also diesmal auch absurde Folgerungen
und trägt den Charakter der Unmöglichkeit an sich. Zur Bezeichnung
des letztern empfiehlt sich darum nicht die 1, die wir oben für U ver-
wenden mochten, sondern vielmehr ein Symbol, welches die Nicht-
existenz, Unmöglichkeit des damit zu Bezeichnenden in sich zu er-
kennen gibt. Als solches bietet die Mathematik aber nur das Zeichen ∞
[646]Anhang 5.
der „absoluten Unendlich“ dar. Vergl. die Bemerkung in § 10 unsrer
Theorie des identischen Kalkuls S. 274 sqq.
Allerdings würde jetze — ein geringer Übelstand, denn an Sonder-
barkeiten und exceptionelles Verhalten ist man ja bei dem Symbol ∞
ohnehin gewöhnt — wenn A einen zulässigen Algorithmus innerhalb
des Formelgebietes vorstellt, A · ∞ = A zu gelten haben, und nicht,
wie in der Arithmetik = ∞ (sofern dort A ≠ 0 ist). Dafür aber
bietet sich nun ∞ — A als ein mnemonisches und bequemes Zeichen
dar, um das System derjenigen Formeln des Gebietes ∞ zu bezeichnen,
deren jede für sich mit den Gleichungen des Algorithmus A unverträg-
lich sein muss. Nennten wir σ0 die erste und σ1 die zweite der obigen
beiden Funktionalgleichungen, so gehörte die erste dem Systeme ∞ — σ1,
die zweite dem ∞ — σ0 an. —
Hier kommt die Frage zur Beantwortung, wie viel verschiedene und
welche Ausdrücke der identische Kalkul mit Gebieten oder Klassen aus einer
gegebenen Menge solcher vermittelst seiner drei Spezies überhaupt zu
bilden vermag, und ferner im Zusammenhang damit die Frage, wie vielerlei
und welche Aussagen über zwei Gebiete a, b, über dreie a, b, c, auch wie
vielerlei über viere a, b, c, d, etc., die exakte Logik imstande ist abzugeben,
solange sie sich noch auf ihrer ersten Etappe befindet, nämlich nur erst über
das Subsumtions- und Gleichheitszeichen (nicht aber über deren Verneinung)
verfügt — eine Frage, die wir für die zweite Etappe erst in § 39 be-
antworten werden.
Die Beantwortung jener Fragen wird ermöglicht durch das Studium
der „Gruppen“, zu welchen die Ausdrücke oder Funktionen des identischen
Gebietekalkuls zusammentreten.
Als eine Nutzanwendung der Betrachtungen ergibt sich nebenbei ein
neuer Beweis für die Nichtbeweisbarkeit der zweiten Subsumtion des Distri-
butionsgesetzes, bei welchem es nicht erforderlich ist, ein extralogisches Sub-
strat in's Auge zu fassen (vergl. § 12).
Und endlich wird auf Grund derselben die Unmöglichkeit dargethan,
die Gleichung x y z + x1y1z1 = 0 in drei unabhängigen Parametern symme-
trisch allgemein zu lösen (vergl. § 24).
Es wird zu sagen sein: ein System von Ausdrücken (des iden-
tischen Kalkuls) bilde eine „Gruppe“ (in Hinsicht der Operationen
dieses Kalkuls), wenn es nicht möglich ist, mittelst der drei identischen
Spezies (als da sind Negation und additive sowie multiplikative Ver-
knüpfung) aus denselben einen neuen Ausdruck herzuleiten, welcher
nicht schon mit einem unter ihnen identisch gleich wäre, welchen
m. a. W. das System nicht bereits in sich schlösse.
Nennen wir jene Ausdrücke die „Elemente“ der Gruppe, so wird
also eine Gruppe ihrem Begriffe gemäss alle diejenigen Ausdrücke,
welche aus ihren Elementen mittelst der drei Spezies aufgebaut werden
können, bereits als Elemente enthalten müssen.
So bilden — um das einfachste Beispiel voranzustellen — die
beiden Ausdrücke
0 und 1
zusammen eine Gruppe — nebenbei bemerkt: die „Nullgruppe“ — weil
auch ihre Negationen 1 und 0 sind, die multiplikativen sowol als die
additiven Verknüpfungen dieser beiden Symbole aber immer wieder
auf 0 und 1 selbst nach den Theoremen 22) und 23) hinauslaufen.
Kommt in einer Gruppe auch nur ein Buchstabe (oder auch Buch-
stabenausdruck) a vor, so enthält die Gruppe notwendig auch dessen
Negation a1, welche es ja möglich ist, mittelst Negirens aus ihm ab-
zuleiten. Dann lässt aber auch a · a1, welches gleich 0 ist, und a + a1,
welches gleich 1 ist, sich mittelst identischer Spezies aus diesen ver-
fügbaren Elementen ableiten, und folglich muss die Gruppe — sofern
sie diesen Namen wirklich verdiente — auch die Symbole 0 und 1
enthalten haben, d. h.
Die Nullgruppe ist (selbstverständlicher) Bestandteil einer jeden
Gruppe.
Es bilden, wie leicht nachzuweisen, die Symbole
0, 1, a, a1
selbst wieder eine Gruppe. Wir nennen sie die „Gruppe von a“, weil
sie aus a allein, wie gezeigt, schon ganz ableitbar ist.
Die Gruppe von a1 fällt hienach zusammen mit der Gruppe von a,
die Nullgruppe auch mit der Gruppe von 1.
Wenn in einer Gruppe ein gewisses System von Elementen für
sich schon eine Gruppe bildet, so nennt man diese eine „Untergruppe“
von jener, jene auch, wenn man will, eine „Übergruppe“ von dieser —
vergl. Anhang 4, Schluss.
So war die Nullgruppe eine Untergruppe der a-Gruppe, gleichwie
überhaupt von jeder erdenklichen Gruppe zu nennen.
In der Gruppe von a kann indess (wie schon angedeutet) der
Buchstabe a auch durch irgend einen Ausdruck, eine Funktion des
identischen Kalkuls vertreten sein, und sind z. B.
0, 1, a b, a1 + b1
0, 1, a + b, a1b1
0, 1, a b1, a1 + b
etc., noch allgemeiner:
0, 1, f (a, b, c, …), f1 (a, b, c, …)
nach dem Obigen ebenfalls richtige Gruppen, die wir als die „Gruppe
[649]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
von a b (oder a1 + b1)“ die „Gruppe von a + b“, resp. a b1, ‥ resp.
f (a, b, c …) bezeichnen dürfen.
Bei Angabe oder Aufzählung der Elemente einer Gruppe sollen natür-
lich tautologische Wiederholungen möglichst unterbleiben. Solange nur die
einfachen Gebietsymbole oder Buchstaben, welche allenfalls in den Aus-
drücken für die Elemente vorkommen, als von einander unabhängig be-
liebige Gebiete angesehen, gedeutet werden, müssen hienach auch sämtliche
Elemente einer Gruppe im Allgemeinen unter sich verschieden sein, m. a. W.
die Gleichsetzung irgend zweier Ausdrücke der Gruppe muss allemal eine
synthetische Gleichung, eine „Relation“ liefern, nicht aber darf dadurch
eine „Formel“ entstehen.
Diese Forderung ist stricte aufrecht zu erhalten, sobald etwa die
„Anzahl“ der Elemente in Betracht gezogen werden, wenn von dem „Um-
fang“ der Gruppe gesprochen werden soll — andernfalles würde ja der
Gruppe ein bestimmter Umfang gar nicht zukommen. Ist sie erfüllt, so
mögen wir sagen, die Gruppe sei in ihrer „reduzirten“ Form dargestellt,
reduzirt gegeben, ausgerechnet, ermittelt.
Im übrigen wird es aber bei den in's Auge zu fassenden Erzeugungs-
weisen der Gruppen sich empfehlen, dass man im Geiste des Tautologie-
gesetzes Wiederholung von Elementen nicht verbiete, sondern nur für belang-
los erkläre. Wo keine Veranlassung dazu vorliegt, wird man alsdann doch
sie ohnehin unterlassen — so z. B. bei allen Endergebnissen, bei denen ja
auf grösstmögliche Einfachheit derselben für künftigen Gebrauch zu sehen ist.
Auf der andern Seite gewinnt man so die Freiheit, eine Gruppe z. B.
auch aus einer Übergruppe entstehen zu lassen dadurch, dass man zwischen
den Elementen von dieser Relationen einführt, z. B. einzelne Elemente, die
ursprünglich verschieden gedacht wurden, einander gleich werden lässt.
Nur aber indem man zulässt, dass verschiedene Buchstaben auch gleich-
wertig werden dürfen, nur dadurch wird man in der That imstande sein,
sich die volle Allgemeinheit der Betrachtungen mitsamt deren Vorteilen
zu sichern.
Ein solches System von Elementen der Gruppe aus welchem alle
übrigen Elemente derselben durch unsre Operationen (der drei Spezies)
schon vollständig ableitbar sind, nannten wir ein „(ausreichendes)
System von Bestimmungselementen“ der Gruppe.
Wir bezeichnen die Gruppe kurz, indem wir hinter den Buch-
staben G ein System von Bestimmungselementen derselben — diese
durch Kommata getrennt — in eine Klammer schreiben.
Auch die Gruppe selbst kann als ein ausreichendes System von
Bestimmungselementen ihrerselbst hingestellt werden, insofern hier
„übrige“ Elemente, die erst noch aus den angegebenen abzuleiten
wären, gar nicht vorhanden sind. In solchem Falle mögen wir das
Symbol G auch weglassen.
Sonach werden wir nun haben:
[650]Anhang 6.
G (0) = G (1) = G {0, 1} = {0, 1};
G (a) = G (a1) = G {0, 1, a, a1} = {0, 1, a, a1}
und zudem = G (a, a1) = G (0, a) = G (1, a) = G (0, a1) = G (1, a1) =
= G (0, a, a1) = G (1, a, a1) = G (a1, a) = G (a, 0) = etc.
indem es auch auf die Reihenfolge bei der Angabe der Elemente nicht an-
kommen wird.
Nehmen wir in G (a) das a gleich 0 an, so entsteht:
G (0) = {0, 1, 0, 1} = {0, 1},
und ebenso für a = 1 erhalten wir G (1) = {0, 1, 1, 0} was sich eben-
falls zu {0, 1} „reduzirt“ — in Illustration des im vorigen Kontext
Gesagten.
Die Nullgruppe besteht aus zwei, die Gruppe von a schlechtweg aus
vier Elementen, weil zunächst in ihr das a als beliebig zu denken.
Bei der Angabe von ausreichenden Bestimmungselementen einer
Gruppe wird indess im Allgemeinen darauf zu halten sein, dass man
sich unnötiger Weitläufigkeiten nicht schuldig mache, d. h. es sind
überflüssige Elemente dabei zu unterdrücken. Als „überflüssig“ wird die
Angabe eines Bestimmungselementes dann zu bezeichnen sein, wenn
dasselbe aus den bereits angegebenen (resp. den übrigen „Bestimmungs-
elementen“) durch die erlaubten Operationen, eben der drei Spezies,
schon ableitbar ist.
So ist bei G (a, a1) das a1 ein überflüssiges Bestimmungselement, wes-
halb es besser unterdrückt und die betreffende Gruppe einfacher mit G (a)
dargestellt wird. Resp. falls man a1 beibehalten will, so wird a als über-
flüssig zu unterdrücken sein.
Kommen überflüssige Bestimmungselemente nicht (mehr oder von
vornherein nicht) vor, so ist das System der Bestimmungselemente ein
„reduzirtes“. Wir haben dann „ein ausreichendes System von unent-
behrlichen Bestimmungselementen“ (welche freilich allemal auch durch
ganz andere vertreten werden könnten, und darum nur in einem ge-
wissen Sinne als „unentbehrliche“ hingestellt werden dürfen — näm-
lich als „nicht-überflüssige“ — wie aus dem Obigen erhellt). Auf ein
solches System soll der schlechtweg gebrauchte Name „System von
Bestimmungselementen“ künftig immer hinweisen. —
Unsre nächste Aufgabe sei: die Gruppen aufzusuchen der Aus-
drücke, welche mittelst zwei, resp. 3, resp. 4 Buchstaben a, b, c, d
gebildet werden können. So weit thunlich mögen wir auch zusehen,
auf welche Art diese Gruppen in Untergruppen sich gliedern. Vor
allem aber kommt es darauf an, die Anzahl und Beschaffenheit der
verschiedenen „Arten“ oder „Typen“ zu ermitteln, von welchen die als
Elemente der Gruppe auftretenden Ausdrücke sein werden.
Von zwei Ausdrücken werden wir nämlich sagen, dass sie zum
nämlichen Typus gehören, wenn sie durch blossen Buchstabenwechsel
aus einander hervorgehen, genauer: wenn es möglich ist, aus dem
einen Ausdruck den andern, dadurch abzuleiten, dass man für die ein-
fachen Buchstaben a, a1, b, b1, … aus denen er sich zusammensetzt und
deren positive uns unabhängig beliebige Gebiete vorstellen, eventuell
andere (sei es positive, sei es negative) einfache Symbole sub-
stituirt, deren positive ebenfalls unabhängig beliebige Gebiete vorzu-
stellen haben.*) Es wird dann immer auch möglich sein, den andern
Ausdruck aus dem einen zurückzugewinnen: indem man nämlich die
vorigen Einsetzungen wieder rückgängig macht. (Postulat?, dass man
dies immer könne.)
Vom selben Typus sind z. B. die Ausdrücke
a + a1b c1 und b1 + a1d,
weil der zweite (zunächst in der mit ihm äquivalenten Form b1 + a1b d, = b1 + b d a1)
sich aus dem ersten (der auch zu a + b c1 reduzirbar) ergibt, indem man
in diesem das a durch b1' — somit das a1 durch b' — zugleich das b
durch d' und das c1 durch a1' ersetzt, hernach aber die Accente weglässt.
Darnach wird auch der erste Ausdruck sich aus dem zweiten (in seiner
reduzirten Form) ergeben, indem man im letztern b1 durch a', d durch b',
und a1 durch c1' ersetzt, sodann die Accente fortlässt.
Hat man zwei Ausdrücke auf die Übereinstimmung ihres Typus zu
untersuchen, in welchen teilweise oder durchaus die nämlichen Buchstaben
auftreten, so ist es ratsam (so, wie es im vorstehenden Beispiel durch-
geführt worden), die Buchstaben des einen Ausdrucks provisorisch mit Ac-
centen zu versehen und dadurch von denen des andern unterscheidbar zu
machen.
In der That sollten die Buchstaben des einen Ausdrucks eine von den
gleichnamigen des andern unabhängig beliebige Bedeutung haben, und wird
man so nur die allgemeine für das Bezeichnen maassgebende Maxime im
vorliegenden Falle befolgt haben, dass in einer Untersuchung als ver-
schieden Denkbares nicht übereinstimmend bezeichnet werden dürfe.
Andernfalles läuft man nicht selten Gefahr die gleichnamigen Buch-
staben als solche des ersten und als solche des zweiten Ausdruckes zu
vermengen, wie an einem Beispiel dargelegt werden möge: Um den
Ausdruck:
a x + a1b y + b1c in b1x + b c1y + a c
zu verwandeln und damit zu erkennen, dass beide zum selben Typus ge-
hören, ist erforderlich und hinreichend, a tempo zu ersetzen:
(x durch x, y durch y),
[652]Anhang 6.
Bringt man sich aber zum Bewusstsein, dass gleichzeitig a1 durch b und b
durch c1 (desgleichen b1 durch c und c durch a) ersetzt werden solle (im
ersten Ausdrucke), so liegt das Missverständniss, der Wahn, nahe, als ob
etwa a1 durch c1 (desgl. b1 durch a) zu ersetzen wäre. Dies ist nicht der
Fall, denn das b (des ersten Ausdruckes) welches durch c1 daselbst ersetzt
werden soll, ist ein ganz anderes Gebietsymbol, als das b (des zweiten
Ausdruckes), durch welches das a1 (im ersten) zu ersetzen war.
Dem Missverständniss wird vorgebeugt, wenn man sich die Buchstaben
des zweiten Ausdruckes mit Accenten versieht, wo dann zu sagen ist, dass
man a durch b1', b durch c1', c durch a', somit auch zugleich a1 durch b',
b1 durch c', (c1 durch a1') zu ersetzen habe.
Jedenfalls wird man bei Beachtung dieser einfachen Vorsichtsmassregel
leichter und sicherer diejenigen (oder solche) Vertauschungen ausfindig
machen, welche den einen Ausdruck in den andern überführen, sofern es
deren gibt — und andernfalles wird man ebenso die Unmöglichkeit solcher
Verwandlung bequemer erkennen.
In vielen Fällen freilich — wo Vertauschungen von immer nur zwei
Buchstaben auf einmal, sogenannte „Transpositionen“ schon hinreichen, die
beabsichtigte Überführung zustande zu bringen, und zwar solche Trans-
positionen, die nie einen Buchstaben als Vertauschungselement miteinander
gemein haben — braucht man nicht zu solcher Weitläufigkeit (der Ein-
führung und Wiederfortlassung von Accenten) seine Zuflucht zu nehmen.
Man erkennt z. B. augenblicklich, dass von den beiden Ausdrücken:
a b + a c + a1b1c1 und a b + b c1 + a1b1c
der eine aus dem andern durch Vertauschung von a mit b und zugleich
von c mit c1 hervorgeht, mithin auch diese von einerlei Art sein werden.
[Wo dagegen sog. „cyklische“ Vertauschungen von höherer Ordnung,
Vertauschungen im Ringe herum erforderlich werden, wie beim vorher-
gehenden Beispiel die Ersetzung von a durch b1, von b1 durch c und von
c durch a, da möchte die kleine Weitläufigkeit sich für den Anfänger
lohnen.]
Nicht vom selben Typus sind z. B. die beiden Ausdrücke:
a b + a1b1 und a b + a b1
deren zweiter sich auf a reduzirt. Was für unabhängig beliebige Gebiete
man auch für a und b einsetzen möge, nie wird derselbe hier in den
zweiten übergehen, wie leicht durchzuprobiren wäre.
Die „Gruppe von a und b“ besteht aus 16 Elementen, als da sind:
G (a, b) = {0, 1, a, b, a1, b1, a b, a b1, a1b, a1b1, a + b, a + b1,
a1 + b, a1 + b1, a b + a1b1, a b1 + a1b}
Dass diese Ausdrücke in der That durch die identischen Spezies
aus a und b „ableitbar“, nämlich abgeleitet sind, ist augenscheinlich.
Ebenso ist ersichtlich, dass dieselben unter sich verschieden. Um
es zu beweisen, brauchte man nur ein jedes der Elemente nach den
beiden Argumenten a und b im Sinne des § 19 „entwickelt“ darzu-
stellen, wie es die beiden letzten derselben, sowie die viere von a b
bis a1b1 schon sind. Alsdann würde sich offenbaren, dass keine der
Entwickelungen durchaus dieselben Glieder enthält, wie irgend eine
andere, dass sie lauter verschiedene (additive) Kombinationen von den
vier Konstituenten a b, a b1, a1b, a1b1 vorstellen, m. a. W. durch die
Werte 0 oder 1 der Koeffizienten, mit denen diese Konstituenten in
ihnen (in den Entwickelungen) behaftet sind, sich unterscheiden.
Bleibt also nur noch darzuthun, dass mit dem angegebenen System
von Elementen die Gruppe erschöpfend angegeben ist: es bleibt die
„Vollständigkeit der Gruppe“ zu beweisen.*)
Dieser Nachweis kann auf zwei Wegen geliefert werden.
Der erste Weg besteht in der Anwendung der Methode, durch
welche sich ein gegebenes System von Bestimmungselementen einer
Gruppe allemal zu dieser Gruppe vervollständigen oder ergänzen lässt.
Bleibt diese Methode bei dem vorliegenden System von (16) Elementen
erfolglos, indem durch sie keine weiteren Elemente demselben hinzu-
gefügt werden, so musste das System schon die vollständige Gruppe
gewesen sein.
Bevor wir von dem zweiten Wege sprechen, wollen wir diese
Methode näher in's Auge fassen.
Gegeben irgend welche Symbole oder Ausdrücke als Bestimmungs-
elemente einer Gruppe. Es handle sich darum, die ganze Gruppe her-
zustellen. Dies lässt sich unfehlbar, wie folgt, bewerkstelligen:
Man füge den gegebnen Bestimmungselementen (durch Kommata
getrennt) zunächst die 0 und 1, sowie die Negationen jener hinzu, so-
fern sie nicht bereits unter denselben sich mitangegeben finden. Hier-
mit wird dieser erste Prozess — des Negirens — sich als schon ab-
geschlossen erweisen, indem es nicht nötig fallen wird noch weiter
vom Negiren Anwendung zu machen.
Die Elemente 0 und 1, die wir uns vorangeschrieben denken,
[654]Anhang 6.
mögen bei den folgenden Prozessen ausser Betracht bleiben, sintemal
es nicht möglich ist, durch multiplikative oder additive Verknüpfung
eines Ausdruckes mit ebendiesen jemals einen neuen Ausdruck zu
gewinnen.
Von der hinter 0, 1 stehenden Reihe als nunmehrigem Bestande
von Elementen verknüpfe man nun (in Gedanken), zunächst z. B. stets
multiplikativ, ein jedes Element mit jedem andern, und füge, wenn das
Produkt keinem einzigen von den bisherigen Elementen gleich ist,
dasselbe allemal als ein neues Element den bisherigen am Ende der
Reihe hinzu. Man fahre solange damit fort, bis sich durch die multi-
plikative Verknüpfung keine neuen Elemente mehr ergeben, bis näm-
lich jede zwei von den vorhandenen (den gegebenen nebst den hinzu-
getretenen) Elementen verknüpft worden. Der Prozess des Multipli-
zirens wird sich damit als abgeschlossen erweisen.
Ebenso verfahre man endlich in Hinsicht additiven Verknüpfens
indem man von dem dermalen verfügbaren Vorrate jede zwei Elemente
zu einer Summe zusammenhält und diese, wenn sie von allen bis-
herigen verschieden, denselben sofort als ein neues Element am Ende
der Reihe angliedert. Die Gruppe muss dann vollständig dastehen, so-
bald auch dieser Prozess des Addirens zu Ende gekommen.
Da die verknüpfenden Operationen kommutative sind, so wird
man natürlich, nachdem ein a mit einem b zusammengehalten worden,
das b nicht nochmals mit diesem a zu verbinden brauchen. Es ge-
nügt darum, ein jedes Element gewissenhaft mit jedem der ihm vorher-
gehenden in der Reihe verknüpft zu haben. Verknüpfungen der Ele-
mente mit sich selbst können wegen der Tautologiegesetze erlassen
werden.
Auch zulässig zwar, jedoch minder gut würde die Taktik sein, ein
Element je mit allen ihm nachfolgenden zu verknüpfen, weil im Lauf der
Prozesse das Ende der Reihe sich oft noch weiter hinausschiebt und man
sonach genötigt wäre, nachdem ein frühes Element mit allen zur Zeit auf
dasselbe folgenden, nebst den eventuell ebendadurch noch neu hinzutretenden,
schon vollständig verknüpft worden, später, wenn durch Verknüpfen späterer
Elemente deren abermals neue hinzugekommen sein werden, nochmals auf jenes
zurückzukommen um es auch mit diesen inzwischen neuhinzugetretenen noch
zu verknüpfen — und dieses eventuell wiederholt, bei jedem Elemente! Man
müsste so von jedem Elemente im Sinne behalten oder notiren, bis zu
welcher Stelle der Reihe als ihrem dermaligen Endpunkte man es bereits
mit den ihm nachfolgenden verknüpft hat, von wo an noch nicht; man
käme aus der gleichmässigen Ordnung heraus und würde leichter Aus-
lassungen begehen.
Um zu erkennen, dass das so gewonnene Elementesystem die ge-
[655]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
suchte vollständige Gruppe ist, sind folgende Überlegungen anzu-
stellen.
Nachdem der Prozess des Multiplizirens benndigt ist kann selbst-
verständlich durch multiplikative Verknüpfung zweier Elemente kein
neues Element mehr gewonnen werden, auch nicht durch multiplika-
tives Verknüpfen beliebig vieler von den vorhandenen Elementen —
denn solches läuft bekanntlich auf das successive Verknüpfen von
immer nur zweien ebendieser Elemente hinaus, welches, wie wir wissen,
ein neues Element nie liefern konnte.
Ebenso, nachdem der Prozess des Addirens beendigt, kann addi-
tive Verknüpfung von zweien oder beliebig vielen der nun vorhandenen
Elemente kein neues Element mehr liefern.
Wir wollen die Reihe der nach diesem dritten Prozesse vorliegenden
Elemente kurz die „Summenreihe“ nennen, und ebenso das System der
Elemente soweit es nach Beendigung des zweiten Prozesses vorgelegen,
die „Produktenreihe“.
In der That kann jedes Element dieser Summenreihe angesehen werden
als die Summe α + β zweier Elemente α und β der Produktenreihe, indem
man, wenn es mit einem Element α dieser Produktenreihe selbst zusammen-
fallen sollte, sich nur die 0 unter β vorzustellen braucht.
Ebenso konnte jedes Element α der Produktenreihe angesehen werden
als das Produkt γδ zweier Elemente γ und δ der vorhergehenden (durch
den ersten oder Negationsprozess ergänzten) Reihe — sie möge kurz die
„erste“ Reihe heissen — (im Gegensatz zu dem ursprünglich gegebnen
Systeme von Bestimmungselementen als der „nullten“ Reihe). Denn wenn
das Element auch als ein γ zu diesem ursprünglichen System selbst ge-
hörte, so braucht man sich nur (unter α ebendieses γ und) unter δ die 1
vorzustellen.
Ich behaupte jetzt, dass auch die Multiplikation irgend zweier
(und darnach auch beliebig vieler) Elemente der Summenreihe kein
neues Element mehr liefern kann. Denn durch α + β wird sich das
eine, durch α' + β' das andere dieser Elemente darstellen lassen, wo α
und β sowie α' und β' der Produktenreihe angehören. Nun ist:
(α + β) (α' + β') = α α' + α β' + α' β + β β'.
Die vier Glieder rechterhand gehören aber unfehlbar selbst schon
der Produktenreihe an, denn diese enthält ja als Element bereits jedes
Produkt von zweien ihrer Elemente.
Die Summenreihe aber enthält jede Summe nicht nur von zweien,
sondern auch von beliebig vielen Elementen der Produktenreihe; sie
enthält nämlich auch als Element jede Summe von irgend zweien (und
beliebig vielen) ihrer eigenen Elemente. Im vorliegenden Falle müssen
z. B. auch α α' + α β', sowie α' β + β β' schon Elemente dieser Summen-
[656]Anhang 6.
reihe sein, und ebendarum muss auch die Summe dieser beiden wieder
ein ihr selber angehöriges Element sein, wie zu zeigen gewesen.
Bei dem Beweise wurde augenscheinlich kein Gebrauch gemacht
von der Annahme, dass zuvor der erste Prozess vollzogen sei, dass
die Vervollständigung des Systems mittelst Einverleibung auch der
Negationen seiner Elemente überhaupt stattgefunden habe. Wir müssen
vielmehr allgemein den Satz haben:
Wenn ein System von Elementen so beschaffen ist, dass es durch
multiplikative Verknüpfung zwischen seinen Elementen — „Intermultipli-
ziren“ — keine neuen Elemente mehr liefern kann, und man vervollstän-
digt das System soweit, dass sich auch durch additive Verknüpfungen
zwischen seinen Elementen — „Interaddiren“ — keine neuen Elemente
mehr ergeben können, so kann auch das so vervollständigte System beim
Intermultipliziren keine neuen Elemente mehr liefern. M. a. W.:
Eine „Gruppe hinsichtlich Multiplikation“, wenn vermehrt auch zu
einer „Gruppe hinsichtlich Addition“, bleibt dennoch Gruppe hinsichtlich
der Multiplikation, wird also eine „Gruppe in Hinsicht beider Opera-
tionen“.
Des Dualismus halber liefert natürlich dieser Satz noch einen
zweiten richtigen, wenn man die Worte „Multiplikation“ und „Addi-
tion“ in ihm vertauscht.
Ich behaupte ferner, dass nachdem der erste Prozess vorausge-
gangen, nun auch die Operation des Negirens aus keinem Element der
Summenreihe ein neues mehr erzeugen kann.
Zunächst wird als α + β das zu negirende Element darzustellen
sein, wo α und β der Produktenreihe angehören. Und wir haben:
(α + β)1 = α1β1.
Der Beweis wäre erbracht, wenn etwa auch α1 und β1 der Pro-
duktenreihe angehören müssten. Dies lässt sich aber keineswegs be-
haupten. Nachweisbar ist gleichwol, dass α1β1 wenigstens der Summen-
reihe angehören muss.
Als Element der Produktenreihe ist nämlich:
α = γ δ und ebenso β = γ' δ',
wo γ, δ, γ', δ' der „ersten“ (abgeleiteten) Reihe als Elemente angehören.
Da diese mittelst Negirens vervollständigt worden, so enthält sie not-
wendig auch schon die Negationen γ1, δ1, γ1', δ1' ebendieser Elemente.
Nun ist
α1β1 = (γ1 + δ1) (γ1' + δ1') = γ1γ1' + γ1δ1' + γ1' δ1 + δ1δ1',
wo die Glieder rechterhand notwendig der Produktenreihe, und dar-
[657]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
nach das Aggregat derselben auch der Summenreihe, schon unver-
meidlich angehören.
Hiermit ist erkannt, dass weder durch Addiren, noch durch Multi-
pliziren, noch durch Negiren aus der Summenreihe neue Elemente
abgeleitet werden können. Dies ist also auch nicht möglich durch
irgendwelche Verbindung dieser Operationen unter einander.
D. h. jene Summenreihe muss die gesuchte Gruppe sein. q. e. d.
So sehr die Ergänzung von Bestimmungselementen zur vollstän-
digen Gruppe durch vorstehendes Verfahren auch vereinfacht erscheint,
so ist sie doch immerhin noch mühsam genug.
Beispielsweise aus den Bestimmungselementen a, b ergibt sich als
„erste“ Reihe:
0, 1, a, b, a1, b1,
sodann als zweite oder Produktenreihe bei strenger Einhaltung der vor-
geschriebenen Ordnung:
0, 1, a, b, a1, b1, a b, a1b, a b1, a1b1
— ein System, welches die Negationen der vier letzten Elemente in der
That noch nicht enthält. Zur dritten oder Summenreihe treten dann zu
den angegebenen noch der Reihe nach:
a + b, a1 + b, a + b1, a1 + b1, a b1 + a1b, a b + a1b1
als weitere Elemente hinzu.
An ferneren beiläufig von uns angeführten Gruppen wird der Leser
reichliche Gelegenheit haben, die Methode einübend zu festigen.
Ein zweiter Weg, die Vollständigkeit einer gegebenen Gruppe
nachzuweisen, besteht darin, dass man die Anzahl ihrer Elemente
a priori ermittelt und sich überzeugt, dass dieselbe hier vorliegt.
Zu diesem Zwecke muss man ein System von Bestimmungs-
elementen der Gruppe kennen.
Ein solches ausschliesslich und auf jede mögliche Weise aus der
Gruppe herauszulesen, ist eine keineswegs leichte Aufgabe, die wir
einstweilen als ein systematisch erst noch zu lösendes Problem vor-
merken.
Sehr häufig genügt jedoch schon die blosse Beaugenscheinigung,
Okularinspektion der Gruppe, um ein System von Bestimmungs-
elementen derselben zu entdecken, indem man eben wahrnimmt, dass
aus gewissen als Elemente auftretenden einfachen oder Buchstaben-
symbolen die übrigen Elemente alle aufgebaut sind — als Funktions-
ausdrücke des identischen Kalkuls. Diese einfachen Symbole, nach
Weglassung derer, welche die Negationen von beibehaltenen sind, bil-
den dann das System der Bestimmungselemente. So oben a und b.
Sind aber n unabhängig beliebige Symbole als Bestimmungselemente
einer Gruppe gegeben, so muss dieselbe aus 22n Elementen bestehen.
Die Ermittelung ihrer Elementenzahl ist sonach eine leichteste
Aufgabe.
Analog Jevons9 p. 221, 10 und8 p. 137 … 143 lässt dies sich in der
That unschwer wie folgt beweisen.
Jedes Element der Gruppe ist eine Funktion lediglich der n Be-
stimmungselemente, und enthält die Gruppe alle Funktionen, welche
durch die Operationen des identischen Kalkuls aus diesen aufgebaut
werden können.
Denkt man sich jedes Element gemäss § 19 nach den n Bestim-
mungselementen als den Argumenten „entwickelt“, so enthält diese
Entwickelung, vollständig angeschrieben, 2n Glieder (vgl. ibidem). Jeder
von den 2n Konstituenten der Entwickelung kann zum Koeffizienten nur
entweder 0 oder 1 haben, weil laut Voraussetzung noch andere Buch-
staben als die der Argumente nicht vorkommen, und 0 und 1 die
einzigen speziellen Gebietsymbole des identischen Kalkuls waren. Je-
nachdem wird der betreffende Konstituent als Glied in der Entwickelung
fehlen oder ganz in derselben vertreten sein. Darnach haben wir aber:
verschiedene Möglichkeiten, die Koeffizientenstellen mit Nullen oder
Einsern zu besetzen, und ebensoviel verschiedene „Ausdrücke“, aufgebaut
aus den n Argumenten, kann es nur, ebensoviele muss es auch geben.
Die ermittelte Zahl, nur um 1 vermindert, muss auch zugleich
die Anzahl sein der inhaltlich verschiedenen (einander nicht äquiva-
lenten) Aussagen, welche von der auf simultane Subsumtionen und
Gleichungen beschränkten Logik abgegeben werden können in Bezug
auf n Gebiete oder Klassen.
Denn da die Aussage eine Subsumtion oder eine Gleichung sein
soll (zu welcher ja auch ein System von simultanen Propositionen
ebendieser Art stets sich vereinigen lässt), so kann sie als Gleichung
mit der rechten Seite 0 geschrieben werden. Das Polynom, die linke
Seite dieser Gleichung kann aber als eine Funktion der n gegebenen
Klassen, nur einer von den obigen 22n Ausdrücken sein, und somit gibt
es auch anscheinend genau so viel verschiedene Aussagen. Von diesen
Aussagen läuft aber eine auf: 1 = 0 hinaus, diejenige nämlich, bei der
links alle Koeffizienten als Einser angesetzt sind, das Polynom also
[659]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
die Summe sämtlicher Konstituenten sein wird. Diese eine Aussage
ist als absurde, unzulässige, nicht mitzurechnen, sonach die fragliche
Anzahl der über n Klassen möglichen Aussagen:
= 22n — 1.
Eingerechnet dagegen ist (wieder) die „nichtssagende“ oder „iden-
tische Aussage, bei der linkerhand alle Koeffizienten Nullen sein werden
und welche auf: 0 = 0 hinausläuft.
Nach diesen Ergebnissen muss also a priori
222 = 24 = 16, 223 = 28 = 256, 224 = 216 = 65 536,
225 = 232 = 4 294 967296, 226 = 264 = 18 446744 073709 551616, …
die Anzahl sein der im Allgemeinen unter sich verschiedenen Aus-
drücke, welche aus zwei Gebieten a, b resp. aus dreien a, b, c, resp.
aus vieren, a, b, c, d, resp. etc. durch die Operationen des identischen
Kalkuls aufgebaut werden können (bei sechs Gebieten mithin über
18 Millionen Billionen!).
Ebendiese muss bezüglich auch die Anzahl sein der Elemente für
die Gruppen
G (a, b), resp. G (a, b, c), resp. G (a, b, c, d), …
Die Vollständigkeit der oben angegebenen Gruppe G (a, b) ist
hiermit auch auf dem zweiten Wege bewiesen.
Wir wenden uns nunmehr der Frage zu, wie vielerlei und welche
Typen die Ausdrücke aufweisen müssen, welche unsre Gruppen G (a),
G (a, b), G (a, b, c), G (a, b, c, d), … — in nunmehr ja bekannter An-
zahl — als Elemente zusammensetzen.
Es zeigt sich, dass diese Frage für die Anwendungen der Gruppen-
theorie (von denen wir am Schluss eine geben) von Wichtigkeit ist.
Leicht ist die Frage bei den Gruppen G (a) und G (a, b) zu beant-
worten, die ja oben schon fertig gebildet vor unsern Augen stehen.
Zunächst müssen die Elemente 0 und 1 für von verschiedenem ·
Typus erklärt werden, welcher Gruppe sie auch angehören mögen,
sodass jedes von diesen beiden Elementen als für sich allein schon
einen aparten Typus konstituirend anzusehen ist. Es ist nämlich
nicht möglich, von den beiden Ausdrücken
0 · a + 0 . a1, 1 · a + 1 · a1,
desgleichen von den beiden
42*
[660]Anhang 6.
0 · a b + 0 · a b1 + 0 · a1b + 0 · a1b1, 1 · a b + 1 · a b1 + 1 · a1b + 1 · a1b1
etc. den einen aus dem andern durch eine Buchstabenvertauschung ab-
zuleiten.
Bei G (a) gesellt sich nun zu dem „ersten“ Typus 0, als „zweiter“
der Typus a, a1, dessen beide Repräsentanten in der That durch die
Vertauschung von a mit a1 in einander übergehen, und endlich als
„dritter“ der Typus 1. Wir haben also nach Typen ordnend für G (a)
das Schema:
0
a, a1
1
Die Reihenfolge der Typen bestimmt sich hier unter dem Gesichts-
punkt, dass aus der Entwickelung der 1 nach dem Bestimmungs-
elemente a der Gruppe: 1 = a + a1 beim ersten Typus kein, beim
zweiten ein Glied und beim dritten Typus alle zwei Glieder in einem
Repräsentanten des Typus vereinigt, zu einem solchen zusammengefasst
erscheinen.
„Komplementär“ werden wir zwei Typen zu nennen haben, wenn
ein Repräsentant des einen Typus die Negation ist von einem Reprä-
sentanten des andern. Als „Repräsentanten“ eines Typus dürfen wir
jeden aus den Bestimmungselementen der Gruppe aufgebauten Ausdruck
bezeichnen, der zu dem Typus gehört („von“ diesem Typus „ist“).
Darnach wäre es nicht schwer zu zeigen, dass zwei komplemen-
täre Typen immer gleichviele Repräsentanten besitzen, gleichviel Ele-
mente der Gruppe umfassen müssen, und zwar sind die Repräsentanten
des einen gerade die Negationen von denen des andern. „Entwickelt“
nach den Bestimmungselementen der Gruppe enthält der eine Reprä-
sentant immer gerade diejenigen Glieder, welche in der Entwickelung
des andern fehlen — vgl. den Zusatz auf S. 314 sq.
Bei strenger Anordnung der Typen nach der Zahl von Gliedern
in der Entwickelung ihrer Repräsentanten werden also komplementäre
Typen einen Rang einnehmen, der sich dadurch kennzeichnet, dass
der eine Typus vom Anfang der Typenreihe gerade so weit absteht,
als der komplementäre vom Ende derselben. Es wird sich aber später
zumeist empfehlen, von dieser strengen Anordnung abzugehen, nämlich
die Reihe der Typen gleichsam in der Mitte zu knicken und die beiden
Schenkel zusammenzulegen, sodass die komplementären Typen zu
Nachbarn werden.
Von zwei komplementären Typen werden wir sagen, dass sie zu-
sammen einen „Haupttypus“ ausmachen.
Die komplementären Typen könnten auch einander „dual entspre-
chende“ genannt werden. Zu einem Ausdruck als Repräsentanten eines
Typus erhält man nämlich den dual entsprechenden, wenn man —
während die in ihn eingehenden einfachen Symbole (seien sie positive
oder negative) ungeändert gelassen werden — „plus“ mit „mal“ in
ihm vertauscht. Die Negation erhält man — nach den Theoremen 36)
— ebenso, indem man nur obendrein noch jene einfachen Symbole in
ihre Negationen verwandelt. Die Negation des Ausdrucks geht also
aus dem dualen Gegenstück desselben hervor, indem man die Buch-
staben des letzteren mit ihren Negationen vertauscht — sowie um-
gekehrt, d. h. Negation und duales Gegenstück des Ausdrucks gehören
zum selben Typus, den wir den komplementären von demjenigen des
Ausdrucks nannten.
Wie zahlreiche Beispiele darthun, kann aber ein Ausdruck auch
sich selbst, oder wenigstens einem solchen vom nämlichen Typus dual
entsprechen, sodass es auch Typen gibt, die zu sich selber dual und
komplementär sind.
Ein sich selber komplementärer Typus ist zugleich ein Haupt-
typus, konstituirt für sich einen solchen. Ein solcher kann nach dem
Vorstehenden aber nur vorkommen innerhalb derjenigen Abteilung,
welche die Mitte innehält in der Reihe der Typen, somit je gerade
die Hälfte aller Konstituenten zu einem Elemente zusammenfasst.
Dies alles exemplifizirt sich bereits bei der Gruppe G (a), wo die
Verhältnisse freilich höchst einfach liegen:
Der mittlere (zweite) Typus, repräsentirt durch a, a1, ist zu sich
selbst komplementär, und zugleich der zweite Haupttypus. Der dritte
Typus, repräsentirt durch 1, ist komplementär zum ersten, durch 0
repräsentirten, und macht mit ihm den ersten Haupttypus aus. Wir
haben also bei G (a) drei Typen und zwei Haupttypen.
Der Analogie mit dem Folgenden wegen heben wir noch hervor,
dass sich die Frage nach der Anzahl der Typen in der Gruppe G (a)
geometrisch deckt mit der Frage nach der Anzahl der Arten, auf
welche sich an der zweipunktig begrenzten Strecke, dem (geradlinigen)
„Zweieck“ Ecken auswählen lassen.
Man kann entweder keine Ecke, oder irgend eine, oder alle zwei
Ecken auswählen.
Analog wird bei der Frage nach der Zahl
der Typen, in welche die Elemente der
Gruppe G (a, b) sich einordnen, es darauf
ankommen, zu ermitteln, auf wie viele Arten
[662]Anhang 6.
sich beim (ebenen) Viereck, z. B. beim Quadrate (Fig. 36) Ecken aus-
wählen lassen.
Offenbar kann man ent-
weder keine Ecke wählen, oder
irgend eine, oder irgend zweie,
und dann entweder zwei be-
nachbarte, oder aber zwei gegen-
überliegende, oder irgend dreie
(mit Auslassung jedes vierten)
oder alle viere.
Wenn wir für die Konstituenten der Entwickelung der identischen 1
nach den Bestimmungselementen a, b der Gruppe die Nummern bei-
behalten, welche aus der Vergleichung der beiden Quadrate der Figur
ersichtlich werden, so haben wir in der That bei den Elementen von
G (a, b) die folgenden 6 Typen — in strenger Anordnung:
und schliessen sich von diesen der erste und sechste zu einem Haupt-
typus, ebenso der zweite und fünfte zu einem zweiten Haupttypus zu-
sammen, während der dritte und vierte je für sich einen Haupttypus
konstituiren. Wir haben also bei zwei Bestimmungselementen sechs
Typen und vier Haupttyen.
Nachdem dies erledigt, nehmen wir die analoge Aufgabe bei der
Gruppe aus drei unabhängigen Bestimmungselementen: G (a, b, c), in
Angriff. Und zwar wollen wir die fragliche Anzahl der Typen und
Haupttypen erst a priori ermitteln. Eine empirische Bestätigung der
Ergebnisse wird sich nachträglich ergeben, indem wir die 256 Elemente
der Gruppe in den einfachsten Ausdrucksformen, deren sie im iden-
tischen Kalkul fähig scheinen, wirklich hinschreiben — was sich der
mannigfachen Anwendungen halber, die von der Zusammenstellung
gemacht werden können, verlohnen wird.
Numeriren wir in der Entwickelung der identischen Eins nach
den Bestimmungselementen a, b, c:
[663]Geometrisch kombinatorisches Problem von Jevons.
die acht Glieder kurz mit den darübergesetzten Ziffern, so erkennt
man sogleich, dass unser Problem sich deckt mit der Aufgabe, die
Anzahl der Arten zu ermitteln, auf welche an einem Würfel — mit wie
nebenstehend numerirten Ecken — deren irgend welche ausgewählt
werden können.
Genauer lässt dies sich in folgender Weise einsehen. Denken
wir uns irgend eine Funktion f (a, b, c, …) von den „Argumenten“
a, b, c, … nach diesen im Boole'schen
Sinne entwickelt, so wird nach § 19 ein
jeder „Konstituent“ der Entwickelung sich
darstellen als das Produkt der sämtlichen
Argumentbuchstaben:
a b c …
— je mit oder aber ohne Negationsstrich
genommen.
Und bei den Problemen der vorlie-
genden Gattung haben wir nur mit den
Entwickelungen der identischen Eins zu
thun, welche der Summe aller jener Konstituenten gleich ist.
Nach dem Gesagten muss ein jeder Konstituent in jeden andern
(zu der nämlichen Entwickelung gehörigen) sich überführen lassen
lediglich dadurch, dass man gewisse Argumentbuchstaben in ihre Ne-
gationen verwandelt. Vergleichen wir irgend zweie dieser Konstituenten
mit einander, so lassen dieselben sich jedenfalls dadurch in einander
überführen, dass man diejenigen Argumentbuchstaben ungeändert lässt,
welche in beiden Konstituenten übereinstimmend vorkommen, nämlich
entweder beidemal positiv (unnegirt), oder aber beidemal negativ (mit
Negationsstrich versehen) erscheinen, dass man dagegen diejenigen
Argumente mit ihren Negationen vertauscht, welche in beide Konstituenten
in verschiedener Weise als Faktor eingehen, nämlich im einen —
gleichviel welchem von beiden — unnegirt, im andern negirt auftreten.
Mit Clifford (siehe weiter unten) kann man passend „Abstand“
der beiden in Vergleichung zu ziehenden Konstituenten nennen: die
Anzahl der Argumentbuchstaben, welche dergestalt behufs Überführung
des einen Konstituenten in den andern zu vertauschen sind mit ihren
Negationen.
So werden beispielsweise die beiden Konstituenten
[664]Anhang 6.
a b c d und a b1c d
den Abstand 1 besitzen, weil es erforderlich und ausreichend ist, das eine
Argument b mit seiner Negation b1 zu vertauschen, um aus dem einen von
ihnen den andern abzuleiten.
Die Konstituenten a1b c d und a b1c d dagegen haben den Abstand 2,
weil zu diesem Zwecke die beiden Argumente a und b mit ihren Nega-
tionen a1 und b1 vertauscht werden müssen.
Die Konstituenten a b1c d1 und a1b1c1d haben den Abstand 3, etc.
Ein jeder Konstituent besitzt von sich selbst oder einem ihm identisch
gleichen (wie z. B. a1b1c d von a1b1c d) den Abstand 0.
Nach den Erörterungen besitzt ein Konstituent A von einem
andern B denselben Abstand, wie der andere B vom ersten A.
Untersucht man nun beim oben vorliegenden Probleme, wie sich
ein Konstituent oder Glied unserer Entwickelung, z. B. das erste 1
oder a b c als „Ursprung“ zu den übrigen Gliedern in Hinsicht seines
„Abstandes“ von denselben verhält, so bemerkt man, dass es zu dem
Ursprung drei Glieder (Konstituenten) gibt, welche den Abstand 1 von
ihm besitzen, und die man darum passend als die dem Ursprung „be-
nachbarten“ oder „anliegenden“ Glieder wird bezeichnen können. Drei
andere von den 7 übrigen Gliedern haben von ihm den Abstand 2,
und sollen die dem Ursprung „abliegenden“ Glieder heissen. Das letzte
noch übrige Glied hat von dem Ursprung den grössten hier vor-
kommenden, nämlich den Abstand 3, und mag das denselben „gegen-
überliegende“ oder der „Gegenkonstituent“ des Ursprungs genannt werden.
Für den eben gewählten Ursprung versinnlicht diesen Sachverhalt
die Figur:
Während Ursprung und Gegenglied ungeändert bleiben (festge-
halten werden), können, durch blosse Vertauschungen unter den Argu-
menten a, b, c selbst, die drei anliegenden Glieder ineinander über-
geführt werden, desgleichen die drei abliegenden.
Ganz ebenso verhält sich nun die Würfelecke 1 zu den drei ihr
benachbarten 2, 3 und 5, nebst den ihr abliegenden Ecken 4, 6 und 7
und ihrer Gegenecke 8 — wofern die Abstände entlang dem Kanten-
system des Würfels gemessen werden.
Und wie die Würfelecken als gleichwertig zu gelten haben, indem
man jede Ecke in die Lage jeder andern bringen kann, ohne dass der
Würfel aufhört mit sich selbst zusammenzufallen, so kann man auch
durch blosse Vertauschungen von Argumenten a, b oder c mit ihren
Negationen (sowie auch von jenen unter sich) die ganze Konstituenten-
summe so in sich selber transformiren, dass irgend zwei verlangte
Glieder derselben den Platz gewechselt haben werden — sodass, was
oben über den Ursprung a b c in seinem Verhältniss zu den übrigen
Gliedern gesagt ist, auch von jedem andern Gliede als Ursprung wird
gelten müssen.
Um alle analytisch ausführbaren Transformationen der Konstituenten-
summe in sich selbst unter geometrischem Bilde erblicken zu können, wird
man auch den „umgestülpten“ Würfel, das ist denjenigen Würfel, bei
welchem die Ziffern aller Gegenecken ausgetauscht worden, für gleichwertig
gelten zu lassen haben mit dem ursprünglichen Würfel, obwol er mit
diesem nie zur Deckung mit allen gleichnamigen Ecken gebracht werden
kann, demselben vielmehr nur „symmetrisch gleich“ sein wird.
Jene, die Konstituentensumme in sich selbst transformirenden Ver-
tauschungen sind leicht zu ermitteln. Es sind vor allem die folgenden
Produkte von „Transpositionen“, bei denen wir solche Buchstabenvertau-
schungen, die von selbst aus andern folgen, jeweils unter diese schreiben:
(a, a1) (1, 5) (2, 6) (3, 7) (4, 8); (b, b1) (1, 3) (2, 4) (5, 7) (6, 8);
(c, c1) (1, 2) (3, 4) (5, 6) (7, 8);
| (a, b) (3, 5) (4, 6); | (a, c) (2, 5) (4, 7); | (b, c) (2, 3) (6, 7) |
| (a1, b1) | (a1, c1) | (b1, c1) |
Aus diesen schon würden sich die folgenden Vertauschungen nach den
Multiplikationsregeln der „Substitutionen“ theorie ableiten lassen, gleichwie
sie direkt sich ergeben:
| (a, b, c) (2, 5, 3) (4, 6, 7); | (a, c, b) (2, 3, 5) (4, 7, 6) |
| (a1, b1, c1) | (a1, c1, b1) |
(a, a1) (b, b1) (1, 7) (2, 8) (3, 5) (4, 6); (a, a1) (c, c1) (1, 6) (2, 5) (3, 8) (4, 7);
(b, b1) (c, c1) (1, 4) (2, 3) (5, 8) (6, 7);
(a, a1) (b, b1) (c, c1) (1, 8) (2, 7) (3, 6) (4, 5);
| (a, b1) (1, 7) (2, 8); | (a, c1) (1, 6) (3, 8); | (b, c1) (1, 4) (5, 8); |
| (a1, b) | (a1, c) | (b1, c) |
[666]Anhang 6.
| (a, a1) (b, c1) (1, 8) (2, 6) (3, 7) (4, 5); | (b, b1) (a, c1) (1, 8) (2, 4) (3, 6) (5, 7); |
| (b1, c) | (a1, c) |
| (c, c1) (a, b1) (1, 8) (2, 7) (3, 4) (5, 6); | |
| (a1, b) |
| (a, b, c1) (1, 6, 4) (3, 5, 8); | (a, b1, c) (1, 4, 7) (2, 8, 5); | (a, b1, c1) (1, 7, 6) (2, 3, 8); |
| (a1, b1, c) | (a1, b, c1) | (a1, b, c) |
— desgleichen in den drei letzten Vertauschungen die Cyklen sämtlich rück-
wärts gelesen, beziehungsweise die beiden letzten Elemente in denselben
durchweg vertauscht.
Da es nun bequemer ist, sich von der geometrischen Anschauung
des Würfels leiten zu lassen, als derartige Zeichenvertauschungen vor-
zunehmen, so wollen wir die uns obliegende kombinatorische Unter-
suchung jetzt am geometrischen Bilde ausführen.
Wir haben entweder keine Aushebung: dies gibt den ersten Typus
welcher der nichtssagenden Aussage entspricht und das Element 0 der
Gruppe G (a, b, c) liefert.
Oder wir haben eine Aushebung, indem wir als Element der Gruppe
irgend ein Glied, einen Konstituenten jener achtgliedrigen Summe, oder
also eine Ecke des Würfels nehmen — einer von Jevons und Clifford
so genannten „einfaltigen“ Aussage („one-fold statement“) entsprechend.
Dies gibt den zweiten Typus mit den 8 Repräsentanten oder Formen (als
Elementen der Gruppe):
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8.
Oder wir haben zwei Aushebungen, indem wir zwei Ecken des Würfels
nehmen, entsprechend zweien Konstituenten, welche additiv vereinigt zu
denken sind zu einem Ausdrucke, als einem Elemente der Gruppe, oder
als dem Polynom einer (rechts auf 0 gebrachten) Aussage, die als eine
„zwiefältige“ oder „zweifache“ (twofold statement) bezeichnet werden dürfte.
Zwei Ecken des Würfels lassen nun aber auf dreierlei Weisen sich
auswählen.
Beginnen wir jedesmal mit der Ecke 1, so kann die zweite Ecke ent-
weder eine ihr benachbarte (anliegende) Ecke sein, d. h. eine von den
dreien 2, 3, 5 und dann gleichviel welche, oder eine abliegende, d. h. 4, 6
oder 7, oder die gegenüberliegende, somit 8. Dies gibt für die drei fol-
genden Typen, bei denen die verbundenen (kombinirten) Ecken entweder
Endpunkte einer Kante, oder Gegenecken einer Seitenfläche des Würfels
oder endlich Gegenecken des Würfels selbst sind:
Dritter Typus mit den 12 Repräsentanten (wenn wir Raumersparniss
halber die Pluszeichen jeweils unterdrücken, welche die Ziffern einer jeden
Kombination eigentlich verbinden sollten):
12, 34, 56, 78, 13, 24, 57, 68, 15, 26, 37, 48.
Vierter Typus mit den 12 Repräsentanten:
14, 23, 58, 67, 16, 25, 38, 47, 17, 35, 28, 46.
Fünfter Typus mit den 4 Repräsentanten:
18, 27, 36, 45.
Oder wir haben drei Aushebungen („threefold“ statement) Auch diese
lassen sich auf drei Arten bewerkstelligen und liefern drei weitere Typen.
Entweder nämlich: zwei von den drei auszuhebenden Ecken sind be-
nachbarte; dann mögen wir 1 und 2 als diese nehmen. Alsdann kann auch
die dritte auszuhebende Ecke einer von diesen beiden benachbart sein (aber
nicht beiden zugleich, weil sonst der Würfel ein Dreieck zur Seitenfläche
haben müsste), gleichviel welcher — wie z. B. 3 der 1, und die drei
Ecken bestimmen eine rechtwinklig gebrochene Linie: 213, ein „Knie“; dies
gibt den
Sechsten Typus mit den 24 Repräsentanten:
312, 124, 243, 431, 657, 578, 786, 865,
215, 156, 562, 621, 734, 348, 487, 873,
513, 137, 375, 751, 426, 268, 684, 842.
Andernfalles wird die dritte neben 1 und 2 auszuwählende Ecke keiner
von diesen beiden benachbart sein; dann fallen die Ecken 3, 4, 5, 6
ausser Betracht, und kann jene nur einer von den beiden Endpunkten 7
und 8 der Gegenkante von 12 sein, gleichviel welcher von diesen. Diese
Aushebung verknüpft also die Endpunkte einer Kante je mit einem End-
punkt ihrer Gegenkante und gibt den
Siebenten Typus mit den 24 Repräsentanten:
127, 128, 781, 782, 345, 346, 563, 564,
136, 138, 681, 683, 245, 247, 572, 574,
154, 158, 481, 485, 263, 267, 372, 376.
Oder unter den auszuhebenden Ecken sind keine zwei benachbarte.
Beginnen wir mit 1, so werden also die drei anliegenden 2, 3 und 5 zu
verwerfen sein. Nun kann aber auch die Gegenecke 8 nicht genommen
werden, weil dieser die drei noch übrigen Ecken 4, 6 und 7 benachbart
sind und dann keine nicht benachbarte Ecke mehr vorhanden wäre, die für
die dritte sich nehmen liesse. Folglich müssen in diesem Falle die beiden
andern Ecken unter den der ersten abliegenden 4, 7, 8 ausgewählt werden,
gleichviel auf welche Weise. Wie 147 bestimmen dann die gewählten
Ecken ein gleichseitiges Dreieck, welches von Diagonalen dreier Seiten-
flächen des Würfels gebildet wird, und auf welchem als Grundfläche je
eine Ecke des Würfels pyramidenförmig steht. Dies ist der
Achte Typus mit den 8 Repräsentanten:
523, 641, 714, 832, 176, 258, 385, 467. —
Da hiermit bei drei Aushebungen alle Möglichkeiten erschöpft wurden,
so haben wir überzugehen zu dem Falle, wo vier Aushebungen gemacht
werden. Es wird sich herausstellen, dass diese auf sechserlei Arten ge-
schehen können.
Erster Unterfall: Drei von den vier auszuwählenden Ecken bilden die
Figur des rechten Winkels (das Knie, wie 213 etc. beim sechsten Typus),
sodass zwei von ihnen der von uns in die Mitte gesetzten dritten benachbart
sind. Alsdann kann die vierte Ecke einer von diesen dreien benachbart
sein, oder nicht.
Ist sie der bevorzugten oder mittleren Ecke benachbart, so erweist
sie sich als vollkommen bestimmt. Weil nämlich von den drei derselben
benachbarten Ecken schon zwei ausgehoben sind, muss sie die dritte sein.
Die vier gewählten Ecken bestimmen dann ein Dreikant (einen Dreifuss);
ihr System besteht aus einer Ecke des Würfels mitnebst den Endpunkten
der drei in ihr zusammenstossenden Kanten. Dies ist der
Neunte Typus mit den 8 Repräsentanten:
1523, 2641, 3714, 4832, 5176, 6258, 7385, 8467.
Ist die vierte Ecke aber einer von den beiden andern benachbart, mit-
hin bei 213 der 2 oder der 3, so kann sie entweder demselben durch die
bisherigen drei Ecken bestimmten Seitenquadrate als dessen vierte Ecke
angehören, oder, wenn diesem nicht, so sicher dem gegenüberliegenden.
Im ersten Falle sind die gewählten vier Ecken diejenigen einer quadra-
tischen Seitenfläche des Würfels; sie bestimmen dann auf vier Arten jene
zweiteilig im rechten Winkel gebrochene Linie (ein Knie), sowie eine drei-
teilig in Hufeisenform gebrochene Linie. Dies gibt den
Zehnten Typus mit den 6 Repräsentanten:
1243, 5786, 1562, 3487, 1375, 2684.
Im andern Falle muss die zu 213 hinzu zu wählende vierte Ecke ent-
weder 6 oder 7 sein (weil 5, als der mittleren benachbart, schon unter
dem neunten Typus berücksichtigt ist, und 8 zu keiner von den dreien
benachbart). Die vier Ecken, wie 6213, bestimmen jetzt eine windschiefe
dreiteilig gebrochene Linie (windschiefes Doppelknie) und haben wir den
Elften Typus mit den 24 Repräsentanten:
3126, 5124, 1348, 7342, 1568, 7562, 3786, 5784,
2137, 5134, 1248, 6243, 1578, 6573, 2687, 5684,
2157, 3156, 1268, 4265, 1378, 4375, 2487, 3486.
Bleibt der Fall zu erledigen, wo die vierte Ecke keiner von den drei
ein Knie 312 bildenden benachbart ist.
Als vierte werden dann also auszuschliessen sein die Ecken 4, 5, 6
und 7, sodass als einzig zulässige 8 geblieben. Die vier erwählten Ecken
erscheinen als diejenigen an einem rechtwinkligen Knie in Verbindung mit
der Gegenecke seines Scheitels und haben wir den
Zwölften Typus mit den 24 Repräsentanten:
3128, 1247, 2435, 4316, 6574, 5782, 7861, 8653,
2158, 1564, 5623, 6217, 7346, 3485, 4871, 8732,
5138, 1376, 3752, 7514, 4267, 2683, 6841, 8425.
Hiermit sind die Fälle abgethan, bei denen eine erwählte Ecke zwei
andern erwählten benachbart ist, also drei von den vier zu erwählenden
Ecken in der Lage wie beim sechsten Typus zu einander stehen; denn
das von diesen dreien gebildete Knie könnte man immer für 213 im
obigen Räsonnement eintreten lassen, welches in allen seinen möglichen
Kombinationen bereits aufgeführt worden. Sollen Wiederholungen vermieden
werden, so ist also fortan solcher Fall nicht mehr zuzulassen.
Bleibt der Unterfall zu erledigen, wo drei von den vier erwählten
Ecken in der Lage wie beim siebenten Typus sich zu einander befinden —
wie z. B. 127. In diesem Falle sind 3, 4, 5, 6 als zu 1 oder 2 benachbart
nach dem soeben gesagten zu verwerfen, und bleibt blos 8 als vierte zu-
lässige Ecke übrig. Die vier erwählten Punkte bilden jetzt die Ecken von
einem der rechteckigen Diagonalquerschnitte des Würfels, und haben wir den
Dreizehnten Typus mit den 6 Repräsentanten:
1278, 3456, 1368, 2457, 1548, 2637.
Bleibt als letzter noch der Unterfall zu erledigen, wo drei von den
vier auszuhebenden Ecken die Figur des achten Typus miteinander bilden.
Und zwar wird auch die vierte Ecke mit je zweien der drei erwähnten nur
diese Figur des achten Typus eingehen dürfen, weil andernfalles (wenn
nämlich eine Konfiguration des siebten oder sechsten Typus dabei mit
unterliefe) die Aushebungsweise schon im Bisherigen abgethan sein müsste.
Insbesondere dürfen sonach benachbarte Ecken jetzt überhaupt nicht mehr
vorkommen.
Gehen wir von der Aushebung der Ecken 235 aus, so sind 1, 4, 6
und 7 als einer (oder mehreren) von den drei erwählten Ecken benachbart,
zu verwerfen und bleibt nur mehr 8 als vierte zulässige Ecke übrig. Die
vier zu erwählenden Ecken sind jetzt durchweg von einander abliegende
und bilden das System der Ecken von einem der beiden regelmässigen
(dem Würfel einschreibbaren) Tetraeder. Wir haben somit als letzten
Typus dieser Aushebung den
Vierzehnten Typus mit den zwei Repräsentanten:
1476, 2358. —
Nunmehr auch die Fälle von 5, 6, 7 und 8 Aushebungen durchzu-
gehen ist nicht erforderlich, weil hierbei gerade die Ecken auszuheben sein
werden, die bei den ersten vier Aushebungen (diese in umgekehrter Reihen-
folge genommen) bezüglich zurückgelassen wurden. Die Typen von jenen
Aushebungen sind zu denen von diesen bezüglich komplementär. Insbesondere
werden (die) 8 Aushebungen liefern: das Element 1 der Gruppe G (a, b, c),
[670]Anhang 6.
als einzigen Repräsentanten des letzten Typus derselben — entsprechend
der absurden Aussage: 1 = 0.
Wir müssen demnach im Ganzen haben entsprechend je
0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 Aushebungen:
1 + 1 + 3 + 3 + 6 + 3 + 3 + 1 + 1 = 22 Typen
von Elementen der Gruppe G (a, b, c), mithin so viele Arten von Aus-
drücken, welche aus a, b und c mittelst der drei Spezies aufgebaut
werden können.
Und diese Typen konstituiren zusammen:
1 + 1 + 3 + 3 + 6 = 14 Haupttypen
zu welchen sich je die von Anfang und Ende der obigen Reihe gleich-
weit abstehenden Typen bezüglich zusammenthun. —
Wir wollen nunmehr von jedem Typus einen Repräsentanten wirk-
lich anschreiben, um denselben auf seine einfachste Gestalt oder be-
quemste Ausdrucksform im identischen Kalkul zu bringen. Es repräsen-
tirt den
die geringfügige Vereinfachung findet hier jedoch auf Kosten, unter
Verhüllung der Symmetrie statt.
Die vorstehend von mir durchgeführte Untersuchung — ohne das
geometrische Gewand, in das ich sie gekleidet, und ohne die Bezugnahme
auf „Ausdrücke“ sowie „Gruppen“ — ist zuerst von Jevons in Angriff
genommen, der sich die Frage vorlegte, wie vielerlei „Aussagen“ (innerhalb
der von uns charakterisirten Schranken) über drei Klassen a, b, c gemacht
werden können. Jevons schreibt — freilich in ganz andrer Gestalt, als
die oben gewonnene — die 256 rechts auf 0 gebrachten Aussagen wirklich
hin (9 p. 286 … 289 cf. auch 8 p. 137 sqq.) — eine Zusammenstellung, die er
als „the logical index“ bezeichnet. Er ordnet diese Aussagen in ver-
schiedene „Typen“ ein, deren er aber (statt 22) nur 15 aufstellt. Die der
übrigen zu klassifiziren verhindert ihn ein fundamentaler Irrtum, zufolge
dessen er eine Aussage als eine sich selbst widersprechende (als „inconsi-
stent“) erklärt wenn sie das Verschwinden von einer der drei Klassen a,
b, c, oder von einer ihrer Negationen a1, b1, c1 involvirt. Mit Recht hebt
Venn1 p. 162 Fussnote hervor, dass was (auch von Jevons) bei ab-
geleiteten Symbolen, z. B. Produkten wie a b, etc. als zulässig erklärt wird,
auch bei den ursprünglichen Symbolen nicht ausgeschlossen werden darf,
dass aber die Einführung einer solchen Restriktion überhaupt (ein Verbot,
leere oder verschwindende Klassen zur Sprache zu bringen) für die Logik
ein geradezu selbstmörderisches Verfahren (suicidal) wäre.
Zu verwundern ist, dass Clifford, der wie nachher zu schildern, das
analoge Problem für vier Symbole a, b, c, d gelöst, gleichwol die
Jevons'sche Lösung des niedereren Problems (für dreie) nicht revidirt zu
haben scheint.
Ist ein Ausdruck von einem der vorstehenden 22 Typen gleich
Null zu setzen, so lässt sich die damit gegebene Aussage oft noch
auf eine einfachere Gestalt bringen dadurch, dass man einzelne Glieder
auf die andere Seite des Gleichheitszeichens wirft, oder auch die
Gleichung in mehrere zerfällt, diese in Subsumtionen umschreibt, etc.
Wir kommen damit den von Jevons in seinem „logical index“ ge-
gebenen Formen der Aussage näher, werden diese aber meist an Einfach-
heit der Ausdrucksweise noch überbieten können, weil Jevons des Sub-
sumtionszeichens noch entbehrte und die Einordnung a ⋹ b zum Beispiel
durch die Gleichung a = a b auszudrücken genötigt war.
Wenn wir uns genau an die oben vorgeführten Typus-Repräsen-
tanten halten, so ergeben auf die angeführte Weise in der That sich
leicht die folgenden Aussagen zum
Die Gruppe G (a, b, c) besteht hienach aus folgenden 256 Elementen:
1. Typus: 0; 22. Typus: 1;
2. Typus:
a b c, a b c1, a b1c, a b1c1, a1b c, a1b c1, a1b1c, a1b1c1.
21. Typus:
a1 + b1 + c1, a1 + b1 + c, a1 + b + c1, a1 + b + c, a + b1 + c1, a + b1 + c, a + b + c1, a + b + c.
3. Typus:
a b, a b1, a1b, a1b1, a c, a c1, a1c, a1c1, b c, b c1, b1c, b1c1.
20. Typus:
a1 + b1, a1 + b, a + b1, a + b, a1 + c1, a1 + c, a + c1, a + c, b1 + c1, b1 + c, b + c1, b + c.
4. Typus:
a (b c + b1c1), a (b c1 + b1c), a1 (b c + b1c1), a1 (b c1 + b1c),
b (a c + a1c1), b (a c1 + a1c), b1 (a c + a1c1), b1 (a c1 + a1c),
(a b + a1b1) c, (a b1 + a1b) c, (a b + a1b1) c1, (a b1 + a1b) c1.
19. Typus:
a1 + b c1 + b1c, a1 + b c + b1c1, a + b c1 + b1c, a + b c + b1c1,
b1 + a c1 + a1c, b1 + a c + a1c1, b + a c1 + a1c, b + a c + a1c1,
a b1 + a1b + c1, a b + a1b1 + c1, a b1 + a1b + c, a b + a1b1 + c.
5. Typus:
a b c + a1b1c1, a b c1 + a1b1c, a b1c + a1b c1, a b1c1 + a1b c.
18. Typus:
(a + b + c) (a1 + b1 + c1), (a + b + c1) (a1 + b1 + c), (a + b1 + c) (a1 + b + c1), (a + b1 + c1) (a1 + b + c)
|
|
|
|
|
6. Typus:
a (b + c), a (b + c1), a (b1 + c1), a (b1 + c), a1 (b + c), a1 (b1 + c), a1 (b1 + c1), a1 (b + c1),
b (a + c), b (a1 + c), b (a1 + c1), b (a + c1), b1 (a + c), b1 (a + c1), b1 (a1 + c1), b1 (a1 + c),
(a + b) c, (a + b1) c, (a1 + b1) c, (a1 + b) c, (a + b) c1, (a1 + b) c1, (a1 + b1) c1, (a + b1) c1.
17. Typus:
a1 + b1c1, a1 + b1c, a1 + b c, a1 + b c1, a + b1c1, a + b c1, a + b c, a + b1c,
b1 + a1c1, b1 + a c1, b1 + a c, b1 + a1c, b + a1c1, b + a1c, b + a c, b + a c1,
a1b1 + c1, a1b + c1, a b + c1, a b1 + c1, a1b1 + c, a b1 + c, a b + c, a1b + c.
Schröder, Algebra der Logik. 43
[674]Anhang 6.
7. Typus:
a b + a1b1c, a b + a1b1c1, a b c + a1b1, a b c1 + a1b1,
a b1 + a1b c, a b1 + a1b c1, a b1c + a1b, a b1c1 + a1b,
a c + a1b c1, a c + a1b1c1, a b c + a1c1, a b1c + a1c1,
a c1 + a1b c, a c1 + a1b1c, a b c1 + a1c, a b1c1 + a1c,
a b1c1 + b c, a1b1c1 + b c, a b c + b1c1, a1b c + b1c1,
a b1c + b c1, a1b1c + b c1, a b c1 + b1c, a1b c1 + b1c.
16. Typus:
a b1 + a1b + a1b1c1, a b1 + a1b + a1b1c, a b1 + a1b + a b c1, a b1 + a1b + a b c,
a b + a1b1 + a1b c1, a b + a1b1 + a1b c, a b + a1b1 + a b1c1, a b + a1b1 + a b1c,
a c1 + a1c + a1b1c1, a c1 + a1c + a1b c1, a c1 + a1c + a b1c, a c1 + a1c + a b c,
a c + a1c1 + a1b1c, a c + a1c1 + a1b c, a c + a1c1 + a b1c1, a c + a1c1 + a b c1,
a1b1c1 + b c1 + b1c, a b1c1 + b c1 + b1c, a1b c + b c1 + b1c, a b c + b c1 + b1c,
a1b1c + b c + b1c1, a b1c + b c + b1c1, a1b c1 + b c + b1c1, a b c1 + b c + b1c1
[in welchen Ausdrücken von dem ternären Gliede auch jeweils der eine,
oder aber der andere von den beiden Faktoren unterdrückt werden darf,
die in einem der übrigen mit ihm verbundenen Glieder vorkommen].
8. Typus:
a b c1 + a b1c + a1b c, a b c + (a b1 + a1b) c1, a b c + b1 (a c1 + a1c), a (b c1 + b1c) + a1b1c1,
a b c + a1 (b c1 + b1c), b (a c1 + a1c) + a1b1c1, (a b1 + a1b) c + a1b1c1, a b1c1 + a1b c1 + a1b1c.
15. Typus:
a b c + a1b1 + a1c1 + b1c1, a b c1 + (a1 + b1) c + a1b1, a b1c + b (a1 + c1) + a1c1, a b1c1 + a1 (b + c) + b c,
a (b1 + c1) + a1b c + b1c1, a1b c1 + b1 (a + c) + a c, a1b1c + (a + b) c1 + a b, a b + a c + b c + a1b1c1,
[oder: (a + b1 + c1) (a1 + b + c1) (a1 + b1 + c), (a + b1 + c) (a1 + b + c) (a1 + b1 + c1), etc.]
9. Typus:
a b + a c + b c, a b + (a + b) c1, a c + b1 (a + c), a (b1 + c1) + b1c1,
a1 (b + c) + b c, b (a1 + c1) + a1c1, (a1 + b1) c + a1b1, a1b1 + a1c1 + b1c1.
10. Typus:
a, a1, b, b1, c, c1.
11. Typus:
a c + b c1, a c1 + b c, a c + b1c1, a c1 + b1c, a1c1 + b c a1c + b c1, a1c1 + b1c, a1c + b1c1,
a b + b1c, a b1 + b c, a b + b1c1, a b1 + b c1, a1b1 + b c, a1b + b1c, a1b1 + b c1, a1b + b1c1,
a b + a1c, a c + a1b, a b + a1c1, a c1 + a1b, a c + a1b1, a b1 + a1c, a c1 + a1b1, a b1 + a1c1.
12. Typus:
a (b + c) + a1b1c1, a (b + c1) + a1b1c, a (b1 + c1) + a1b c, a (b1 + c) + a1b c1,
[675]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
a b1c1 + a1 (b + c), a b c1 + a1 (b1 + c), a b c + a1 (b1 + c1), a b1c + a1 (b + c1),
b (a + c) + a1b1c1, a b1c1 + b (a1 + c), a b1c + b (a1 + c1), b (a + c1) + a1b1c,
b1 (a + c) + a1b c1, b1 (a + c1) + a1b c, a b c + b1 (a1 + c1), a b c1 + b1 (a1 + c),
(a + b) c + a1b1c1, (a + b1) c + a1b c1, a b c1 + (a1 + b1) c, a b1c1 + (a1 + b) c,
(a + b) c1 + a1b1c, a b1c + (a1 + b) c1, a b c + (a1 + b1) c1, (a + b1) c1 + a1b c.
13. Typus:
a b + a1b1, a b1 + a1b, a c + a1c1, a c1 + a1c, b c + b1c1, b c1 + b1c.
14. Typus:
a (b c + b1c1) + a1 (b c1 + b1c), a (b c1 + b1c) + a1 (b c + b1c1).
Die Ausdrücke eines jeden Typus sind so geordnet, dass sie, wenn
der Reihe nach gelesen, genau entsprechen den vorher zusammengestellten
Aushebungen chiffrirter Würfelecken. Durch Vergleichung eines Ausdrucks
mit der gleichstelligen Ziffernkombination unter dem gleichen Typus wird
darnach auch sogleich ersichtlich, wie der erstere nach a, b, c entwickelt
sich darstellen würde, z. B. der erste Ausdruck (Repräsentant) des elften
Typus muss sein:
a c + b c1 = 3 + 1 + 2 + 6 = 1 + 2 + 3 + 6 = a b c + a b c1 + a b1c + a1b c1.
Die Anzahl der Typen und Haupttypen in welche die 216 = 65536 Ele-
mente der Gruppe G (a, b, c, d) zerfallen, hat Clifford3 bestimmt —
vergl. auch eine hierauf bezügliche Bemerkung von Cayley2.
Dabei ist es ihm um die Typenzahl der Aussagen zu thun, welche
in simultanen universalen Urteilen über vier Klassen a, b, c, d abge-
geben werden können (wenn also Alternativen zwischen solchen Ur-
teilen ausgeschlossen bleiben, sodass nur die von uns später soge-
nannten einfachen oder monomischen Urteile in Betracht kommen
werden).
Wir wollen über den Charakter und die Ergebnisse seiner müh-
samen Untersuchung wenigstens kurz referiren, uns einige Zusatz-
bemerkungen gestattend.
Die 16 Glieder oder Konstituenten in der geordneten Entwickelung
der identischen Eins nach den Argumenten a, b, c, d:
1 = a b c d + a b c d1 + a b c1d + a b c1d1 + a b1c d + … a1b1c1d1
wollen wir uns wieder mit den Zahlen 1, 2, 3, … 16 der Reihe nach
numerirt denken.
Was die Abstandsverhältnisse dieser 16 Konstituenten betrifft, so
gibt es zu irgend einem derselben als „Ursprung“ („origin“) vier „an-
43*
[676]Anhang 6.
liegende“ („proximates“), welche den Abstand 1 von ihm besitzen,
sechs „mittelständige“ („mediates“), die von ihm den Abstand 2 haben,
vier „abliegende“ („ultimates“) mit dem Abstand 3, endlich einen
„gegenüberliegenden“ („obverse“) mit dem Abstand 4 — so wie es für
den Ursprung a b c d das folgende Schema zu erkennen gibt:
Die Frage ist: auf wie viele Arten irgendwieviele von diesen
16 Konstituenten ausgehoben und zu einer identischen Summe ver-
einigt, additiv kombinirt werden können, wenn man zu einerlei Art
alle diejenigen Aushebungen rechnet, bei welchen die resultirenden
Summen durch blosse Vertauschungen unter den Buchstaben a, b, c, d,
a1, b1, c1, d1 auf einander zurückgeführt werden können.
Auch hier lässt das Problem sich unter geometrischem Bilde be-
trachten. Und zwar läuft es hinaus auf die Ermittelung der Anzahl der
Arten, auf welche bei dem „Analogon des Würfels in einer räumlichen
Mannigfaltigkeit von vier Dimensionen“ sich Ecken auswählen lassen. Um
zunächst für dieses Gebilde einen geeigneten Namen zu gewinnen, möge
man bedenken, dass auch zutreffend bezeichnet werden könnte
die Strecke als Zweieck
das Quadrat „ (reguläres) Vierstreck (Vierseit)
der Würfel, Kubus „ „ Sechsquadrat (Hexaeder)
— indem in dem ohnehin für letztern gebräuchlichen Namen „Sechsflach“
(Hexa-hedron) nur zufällig nicht ausgedrückt erscheint, dass jede Seiten-
fläche ein Quadrat sein solle.
Für jenes fragliche vierdimensionale Gebilde bietet demnach unge-
zwungen der Name „Achtwürfel“ „Oktokub“ oder
(reguläres) „Achtzell“
sich dar. Dieses Achtzell ist in der That zu denken als ein vierdimensio-
nales (hyper-)räumliches Gebiet, welches begrenzt ist von acht Würfeln,
von denen immer viere in einer Ecke der Figur zusammenstossen und zu
je zweien eine quadratische Seitenfläche gemein haben.
Man kann das Gebilde ganz gut auch in unserm (dreidimensionalen)
Raume veranschaulichen — sei es durch seine Projektion in den letztern,
wo die Würfel sich als Rhomboeder darstellen, sei es auf eine Weise, die
ich jetzt beschreiben will.
Schon das Quadrat kann selber (ich meine nicht eine Projektion des-
selben) mit seinen vier Ecken in eine gerade Linie eingezeichnet werden,
[677]Geometrisch-kombinatorisches Problem von Clifford.
desgleichen der Würfel mit seinem Ecken- und Kantensystem in eine Ebene,
wofern man nur sich gestattet, einzelne Seiten resp. Kanten desselben zu
verbiegen, dieselben kürzend oder dehnend.
Für das Quadrat soll dies Fig. 40, für
den Würfel Fig. 41 erläutern; in beiden
haben wir auch die Nummern der Ecken
eingetragen (bezogen auf die Glieder
unsrer Entwickelung der identischen Eins nach a, b resp. a, b, c).
Zwei Seiten des Quadrates sowie zwei Seitenflächen des Würfels er-
blickt man unverzerrt.
Nichts hinderte, beim Quadrat die beiden andern Seiten gerad-
linig anzunehmen; jedoch geschähe dies auf Kosten der Übersichtlich-
keit, indem die vier Seiten dann in- und über-
einander fallen würden. Nun kann man aber
doch von den Verzerrungen absehen, und deren
ungeachtet die Seiten resp. Kanten für gleich-
wertig gelten lassen. Indem man die Qua-
dratseiten den Deformationen geschmeidig folgen
lässt, kann man z. B. auch in der Anschauung
das soit-disant „Quadrat“ Fig. 40 in sich selbst
herumschwingen, sodass die Ecke 1 nach 2, 2
nach 4, 4 nach 3 und 3 nach 1 rückt. Ebenso
kann man den — sit venia verbo! — „Würfel“
Fig. 41 in sich selbst verschieben, sodass er stets
mit seiner Anfangslage in Deckung bleibt, aber
z. B. die Ecken 3, 1 nach 4, 2, die 4, 2 nach 8,
6, letztere nach 7, 5 und diese nach 3, 1 rücken,
etc. Kurz man kann alle am wirklichen Quadrat
resp. Würfel ausführbaren Prozesse oder Opera-
tionen im Geiste auch zur Ausführung bringen an den vorstehenden Ab-
bildern dieser Gebilde, welche eine Dimension weniger als das Gebilde
selbst besitzen und — nach Analogie
eines Herbariums — füglich als „ge-
presstes“ Quadrat, „gepresster“ Würfel
zu bezeichnen wären.
Analog bietet nun der vierdimen-
sionale Oktokub im dreidimensional ge-
pressten Zustande (gepresst natürlich
unter Verbiegung und Zerrung von
einzelnen seiner Kanten) sich in einer
Gestalt dar, die wir nebenstehend in
einer annähernd perspektiven, nämlich
orthogonalen Projektion in der Ebene
der Zeichnung darstellen, die 16 Num-
mern an die Ecken setzend.
Vier von den Würfeln haben, wie
man sieht, jetzt eine wiegenförmige
Gestalt gewonnen, welche an gewisse
[678]Anhang 6.
viersitzige Kinderschaukeln erinnert; zwei von den Würfeln sind unverzerrt
geblieben; zwischen diesen erscheint einer als der Kern der ganzen Figur
in unserem Raume; der letzte von den Würfeln ist diese ganze Figur selbst,
und schliesst die sieben vorerwähnten in sich, ist aber gleichwol als mit
einem jeden derselben gleichwertig anzusehen.
Das Gebilde hat 32 Kanten, von welchen immer viere in einer von
den 16 Ecken zusammenstossen. Je dreie von solchen 4 von einer Ecke
ausgehenden Kanten bestimmen einen „Würfel“ und von den vier so be-
stimmten Würfeln (von welchen ebenfalls zu sagen sein wird, dass sie in
dieser Ecke zusammenstossen) haben je zweie wieder eine Seitenfläche mit-
einander gemein, sodass auch sechs „quadratische Seitenflächen in jeder Ecke
zusammentreffen; der Seitenflächen sind es 24 im ganzen.
Anstatt der hier gewählten Veranschaulichungsweise kann man auch
eine exakte Parallelprojektion des vierdimensionalen Gebildes (regulären
Oktokubs) in unsern dreidimensionalen Raum betrachten. Eine orthogonale
Projektion derart gibt die Figur (das Kantensystem) des regulären Rhomben-
dodekaeders (Rautenzwölfflächners, Granatoeders) mitsamt den acht Radien,
welche die dreikantigen Ecken desselben mit seinem Mittelpunkte verbinden,
in welchem letztern die Projektionen zweier Ecken des Achtzells zusammen-
fallen — ein Umstand auf welchen Herr Kollege Hertz mich aufmerksam
machte. Die Projektion ist analog derjenigen, bei welcher ein Würfel sich
als reguläres Sechseck projizirt, wobei zwei Würfelecken in dem Mittelpunkt
des letztern übereinander fallen. Wie wir diese in der Fig. 43 ein wenig
auseinanderhalten, so wollen wir auch in der Fig. 44 des projizirten Acht-
zells die beiden Ecken 8 und 9 behufs Vermehrung der Übersicht nicht
ganz zusammenfallen lassen, was sie eigentlich thun sollten.
Die 24 quadratischen Seitenflächen des Achtzells projiziren sich zur
[679]Geometrisch-kombinatorisches Problem von Clifford.
einen Hälfte als die 12 rautenförmigen Seitenflächen des Granatoeders, zur
andern Hälfte als die im Innern des Körpers liegenden Rauten, die auf
zweien Gegenkanten einer vierkantigen Granatoederecke stehen und dessen
Mittelpunkt 8 oder 9 zur vierten Ecke haben. Und ganz deutlich wird
man nun allemal die beiden als Rhomboeder projizirten Würfel erblicken,
die auf irgend einer von den vorerwähnten 24 Rauten als auf einer
gemeinsamen Grundfläche stehen.
In der Regelmässigkeit der vorstehenden Figur prägt sich mit der
Umstand aus, dass die 16 Ecken des regulären Oktokubs auf dem vier-
dimensionalen Analogon einer Kugelfläche, auf einer „Vierer-Sphäre“ liegen
müssen.
Würde die Seite des Quadrats oder Kante des Würfels und Oktokubs
zur Längeneinheit genommen, so würde nebenbei gesagt der Radius dieser
vierdimensionalen Hyper-Sphäre leicht als = = 1 sich berechnen,
gleichwie der Radius der durch die Ecken eines Würfels gelegten (drei-
dimensionalen) Kugel = , der des dem Quadrat umschriebenen
Kreises = und der des „eindimensionalen Hypo-Kreises“, gelegt
durch die Ecken des Zweiecks (der Strecke 1), = = ist. Die
dem Granatoeder umschreibbaren Kugeln, welche nämlich durch die Ecken
von einerlei Art desselben hindurchgehen, sind natürlich von kleinerem
Halbmesser, als dem vorerwähnten 1 der Hyper-Sphäre, und zwar wären
ihre Radien unschwer zu finden — in Anbetracht, dass (nach einer Be-
merkung von Hertz) gleichwie in Fig. 43 die Quadratdiagonalen 23, 47,
etc. und die Dreiecke 235, 476) so in der räumlichen Figur zu Fig. 44 die
Würfeldiagonalflächen 4, 6, 16; 4, 6, 7, etc. sowie die Tetraeder 1, 10, 11, 13
und 4, 6, 7, 16 sich in natürlicher Grösse präsentiren müssen. Wol die
einfachste Veranschaulichung des Achtzells entnehme ich einem Modelle
Herrn Victor Schlegel's — Modell Nr. 2
der 15. Serie (Projektionsmodelle der vier
ersten regelmässigen vierdimensionalen Kör-
per) aus der hübschen Sammlung von
Modellen für den höheren mathematischen
Unterricht, welche in L. Brill's Verlage
in Darmstadt erschienen. Das Gebilde ist
in des ersteren Abhandlung: „Theorie der
homogen zusammengesetzten Raumgebilde“
in den Nova acta der Ksl. Leop.-Carol.
Deutschen Akademie der Naturforscher,
Bd. 44, p. 343 ‥ 457, angeführt p. 434 —
auch als Stringham's reguläres „Oktae-
droid“ (cf. American Journal of Math.
Vol. 3, p. 1 ‥ 14).
Das Modell stellt eine centrische Projektion des Achtzells in unsern
Raum vor, analog derjenigen durch Fig. 45 dargestellten, bei der man
[680]Anhang 6.
einen Würfel auf die Ebene stellt und von einem Punkte oberhalb des-
selben auf diese projizirt. Es sei durch die beifolgenden Fig. 46 und 47
veranschanlicht — jene wie die
früheren orthogonal, diese nach
Kopp'scher Manier schief pro-
jizirt — bei welcher der innere
oder Kern-Würfel thatsächlich
in unserm Raume steht.
Es kann nun die geometrisch-
kombinatorische Aufgabe ge-
stellt werden, zu ermitteln, auf
wie viele Arten sich an er-
wähntem Achtzell Ecken aus-
wählen lassen, wenn zu einerlei
Art alle diejenigen Aushebungen
gezählt werden, bei welchen die
Systeme der ausgewählten Ecken
kongruente oder symmetrisch
gleiche Figuren bilden. Und mit
dieser Aufgabe fällt das von
Clifford gelöste logisch-kom-
binatorische Problem zusammen,
die Anzahl der Typen zu er-
mitteln, in welche die aus vier
(und nur vier) Argumenten a, b,
c, d (also ohne Zutritt von Pa-
rametern als Koeffizienten) zu-
sammensetzbaren „Funktionen
im identischen Kalkul“ zerfallen,
oder die Typenzahl der Aus-
sagen zu finden (vermehrt um
1), welche über vier Klassen
oder Begriffe (ohne Hinzu-
ziehung von noch anderen) in
simultanen universalen Urteilen
abgegeben werden können.
Um nunmehr Clifford's
Resultate als auf die Typenzahl der Elemente von G (a, b, c, d)
bezügliche anzuführen, wollen wir unsre vorangeschickten Resultate
für G (a), G (a, b) und G (a, b, c) noch einmal rekapitulirend
zusammenstellen, indem wir für jede Zahl von ausgehobnen Konsti-
tuenten auch hinzufügen: die Summe der Formenzahlen der Typen,
in welche sie zerfällt, das ist die Gesamtanzahl der Elemente unsrer
Gruppe, welche entwickelt aus soviel Konstituenten sich additiv
zusammensetzen.
Diese Formenzahl ist bei n Bestimmungselementen der Gruppe und λ
[681]Geometrisch-kombinatorisches Problem von Clifford.
auszuhebenden von den 2n Konstituenten (der Entwickelung der identischen 1
nach jenen) a priori bekannt, indem sie sein muss: die Anzahl der (addi-
tiven) Kombinationen ohne Wiederholungen zur λten Klasse von diesen 2n
Konstituenten (oder Entwickelungsgliedern) als „Elementen“. Sie ist mit-
hin der Binominalkoeffizient:
(2n)λ,
wofern wir uns für den Binominalkoeffizienten zum Exponenten m und vom
Index λ der bekannten Schlömilch'schen Bezeichnungsweise bedienen:
.
Wir hatten für n = 1, mithin bei G (a), zu
0, 1, 2 Aushebungen (resp. -facher Aussage, -fold statement):
1, 1, 1Typen, mit zusammen
1, 2, 1 oder
(2)0, (2)1, (2)2Formen (Repräsentanten oder Elementen der Gruppe),
dabei 1 + 1 = 2 Haupttypen.
Desgleichen hatten wir für n = 2, also bei G (a, b), zu
0, 1, 2, 3, 4 Aushebungen:
1, 1, 2, 1, 1Typen, mit zusammen bezüglich
1, 4, 6, 4, 1 oder
(4)0, (4)1, (4)2, (4)3, (4)4Formen, somit
1 + 1 + 2 = 4 Haupttypen.
Ferner für n = 3, also bei G (a, b, c), zu
0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 Aushebungen:
1, 1, 3, 3, 6, 3, 3, 1, 1Typen mit zusammen
1, 8, 28, 56, 70, 56, 28, 8, 1 oder
(8)0, (8)1, (8)2, (8)3, (8)4, (8)5, (8)6, (8)7, (8)8Formen,
was 1 + 1 + 3 + 3 + 6 = 14 Haupttyen gab.
Endlich für n = 4, mithin bei G (a, b, c, d), gibt es bei
0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 Aushebungen:
1, 1, 4, 6, 19, 27, 47, 55, 78, 55, 47, 27, 19, 6, 4, 1, 1 Typen mit
1, 16, 120, 560, 1820, 4368, 8008, 11440, 12870, 11440, 8008, 4368, 1820, 560, 120, 16, 1 oder
(16)0, (16)1, (16)2, (16)3, (16)4, (16)5, (16)6, (16)7, (16)8, (16)9, (16)10, (16)11, (16)12, (16)13, (16)14, (16)15, (16)16Formen
und beträgt die Zahl der Haupttypen:
1 + 1 + 4 + 6 + 19 + 27 + 47 + 55 + 78 = 238.
In Summa haben wir also für
n = 1, 2, 3, 4:
3, 6, 22, 398 Typen und
2, 4, 14, 238 Haupttypen.
Die von Clifford gegebne Typenzahl 396 war hier um 2 zu ver-
mehren, weil er die Elemente 0 und 1 der Gruppe, als identische (0-fold
statement) und absurde Aussage (16-fold statement) nicht mitberücksichtigte.
Ich habe nur die vier ersten Typenzahlangaben des obigen Schema's
selbst nachgerechnet.
Bei drei Aushebungen hat man in der That in Bezug auf die Ab-
standsverhältnisse der drei ausgehobenen Glieder die folgenden 6 Möglich-
keiten: p p m, p m u, p u o, m m m, m m o, m u u, oder
112, 123, 134, 222, 224, 233
wo die Buchstaben p, m, u, o als Anfangsbuchstaben auf „proximate, me-
diate, ultimate und obverse“ hinweisen sollen, und selber — oder besser
die darunter gesetzten Abstandsziffern — je an die Seiten eines Dreiecks
gesetzt zu denken sind, an dessen Ecken die drei ausgehobenen Glieder
stehen. Repräsentanten dieser 6 Typen sind etwa die Ausdrücke:
Wie man sieht läuft das Problem, arithmetisch gefasst, hinaus
auf die additive Zerlegung der Binomialkoeffizienten von der Form (2n)λ
in die Formenzahlen der verschiedenen Typen, welche sich bei λ Aus-
hebungen ergeben. Für n = 2 und 3 ergaben sich als solche Zer-
legungen:
Das allgemeine Gesetz scheint jedoch nicht leicht zu ermitteln.
Will man das Problem bei beliebigem n und λ mithin allgemein be-
handeln, so empfiehlt es sich vielleicht, die 2n Konstituenten der Ent-
wickelung so zu numeriren, dass ihre Ordnungszahlen im „dyadischen Zahlen-
system“ dargestellt erscheinen. Aus dem strenge nach den Argumentbuch-
staben geordnet dargestellten Konstituenten ergibt sich die Ordnungszahl
in der dyadischen Darstellung auf's leichteste, indem man alle unnegirten
Argumentfaktoren in Nullen, alle mit Negationsstrich versehenen in Einser
umschreibt. Man kann hernach die Entwickelung der identischen Eins so
zusammenfassen:
(als „identische Summe).
[683]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
Um den Abstand irgend zweier Glieder dieser Summe zu erfahren, setze
man sie mit den gleichstelligen Ziffern (ihrer dyadischen Ordnungszahlen)
unter einander, und setze eine Null an, wo zwei gleiche Ziffern (zwei
Nullen oder zwei Einser) unter einander stehen, eine Eins, wo zwei un-
gleiche Ziffern (0 und 1 oder 1 und 0) unter einander stehen. Der ge-
suchte Abstand ist die Ziffernsumme („Quersumme“) des so gebildeten
Ansatzes. [Den letztern könnte man als das „symbolische Produkt“ der
beiden Glieder im Sinne meiner Abhandlung8 § 9 und 10 hinstellen.]
Für 0, 1, 2 Aushebungen hat man jedenfalls bezüglich 1, 1, n als
Typenzahlen. Doch schon für 3 Aushebungen ist die Typenzahl mit ihren
den Typen einzeln zugehörigen Formenzahlen nur sehr mühsam zu ge-
winnen.
Das Problem sei den Mathematikern zur Weiterführung empfohlen. —
Was die eingangs angeregte Frage nach der Gliederung einer
gegebenen Gruppe in Untergruppen, und deren Anzahl, betrifft, so ist
dieselbe noch sehr leicht empirisch für G (a) und G (a, b) zu beant-
worten.
Es enthält nämlich*)G4 (a) = (0, 1, a, a1) — ausser sich selbst
— nur die eine Untergruppe G2 (0) = (0, 1).
G16 (a, b) enthält als Untergruppen
erstens die Nullgruppe G2 (0);
zweitens die sieben vierelementigen Gruppen:
G4 (a), G4 (b), G4 (a b), G4 (a b1), G4 (a1b), G4 (a1b1), G4 (a b1 + a1b)
drittens die sechs achtelementigen Gruppen:
viertens sich selber als 16 elementige Gruppe. Zusammen enthält
G (a, b) also 1 + 7 + 6 + 1 = 15 Untergruppen.
Die Gliederung auch dieser Untergruppen wäre leicht in ähnlicher
Weise anzugeben.
Dagegen ist die analoge Aufgabe, die Untergruppen von G256 (a,
b, c) vollständig anzugeben, eine noch ungelöste und signalisirt sich
[684]Anhang 6.
hier abermals eine Reihe von Problemen dem Mathematiker und
Philosophen.
Anstatt von „Gruppen“ schlechtweg, d. i. von Gruppen hin-
sichtlich aller drei Operationen oder Spezies des identischen Kalkuls
hat man zuweilen Veranlassung, auch zu reden von Gruppen in Hin-
sicht nur gewisser von diesen drei Operationen. Und verdient es,
hier noch kurz erörtert zu werden, auf wie viele und welche Arten
solches möglich ist.
Von vornherein erscheint es möglich zu reden von einer Gruppe
in Hinsicht keiner, oder irgend einer, oder irgend zweier oder endlich
aller dreie von den genannten Operationen.
Der erste Fall bleibe ausser Betracht. Von den übrigen
3 + 3 + 1 = 7 Möglichkeiten erweisen aber nur fünfe sich als
wesentlich verschieden, wo 5 entstanden aus 3 + 1 + 1.
In der That ist haltbar der Begriff einer Gruppe in Hinsicht der
Negation für sich als eines Systems von Elementen, welches durch
Negiren nicht weiter vermehrt werden kann, welches nämlich zu jedem
Ausdrucke, der als Element des Systems auftritt, auch dessen Nega-
tion bereits als Element enthält.
Desgleichen der Begriff
Weiter der Begriff
Beispiele gelegentlich in Band 2.
Dagegen kann es nicht geben:
eine Gruppenbildung hinsichtlich Multiplikation und Negation allein,
desgleichen nicht eine solche nur in Hinsicht auf Addition und Nega-
tion — denn sind die Operationen eines von diesen beiden Paaren von
Spezies zugelassen, so ist es von selbst auch immer die dritte Spezies,
und wird der letzte Fall vorliegen: der Gruppenbildung schlechtweg
oder in Hinsicht aller drei Spezies.
Dies beruht auf der Anmerkung zu den Theoremen 36), wonach
auch (S. 353)
(a1b1)1 = a + b resp. (a1 + b1)1 = a b
allemal gebildet werden kann, sobald es gestattet ist, neben der Opera-
[685]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
tion des Negirens nur die eine der beiden direkten Operationen des
Kalkuls auf die Elemente a und b der Gruppe anzuwenden.
In der That sind also im identischen Kalkul nur die aufgezählten
fünferlei Arten der Gruppenbildung möglich, von welchen die letzte
als die wichtigste diejenige ist, mit der wir uns vorwiegend be-
schäftigten.
Wir können auch das Substrat der hier untersuchten „Gruppen“
benutzen, um (auf's neue) jene Behauptung des § 12 unsrer Theorie
zu erhärten: dass die zweite Subsumtion des Distributionsgesetzes nicht
syllogistisch beweisbar ist.
Im logischen Kalkul mit „Gruppen“ (speziell von Ausdrücken,
Funktionen, wie sie im identischen Kalkul vorkommen) gilt in der
That diese zweite Subsumtion des Distributionsgesetzes im allgemeinen
nicht und gelten gleichwol doch alle andern Sätze des identischen
Kalkuls, wie solche bis einschliesslich des § 11 der Theorie entwickelt
worden — insbesondre natürlich also auch die erste Subsumtion des
Distributionsgesetzes.
Um gedachten Nachweis zu leisten, braucht man sich nur nach
der oben von uns begründeten Methode von der Vollständigkeit nach-
stehender vier Gruppen zu überzeugen, die wir kurz mit den links bei-
gesetzten Buchstaben bezeichnen wollen:
A = G8 (a b c, a b + a c + b c) = {0, 1, a b c, a1 + b1 + c1,
a b + a c + b c, a1b1 + a1c1 + b1c1, a1b c + a b1c + a b c1, a b c + a1b1 + a1c1 + b1c1},
B = G16 (a b, b c) = {0, 1, a b, b c, a1 + b1, a1 + c1, a b c, a b c1, a1b c,
a1 + b1 + c1, a1 + b1 + c, a + b1 + c1, b (a + c), b1 + a1c1, b (a c1 + a1c), b1 + a c + a1c1},
C = G16 (a c, b c) = {0, 1, a c, b c, a1 + c1, b1 + c1, a b c, a b1c, a1b c,
a1 + b1 + c1, a1 + b + c1, a + b1 + c1, c (a + b), c1 + a1b1, c (a b1 + a1b), c1 + a b + a1b1},
D = G32 (a b, a c, b c) = {0, 1, a b, a c, b c, a1 + b1, a1 + c1, b1 + c1,
a b c, a b c1, a b1c, a1b c, a1 + b1 + c1, a1 + b1 + c, a1 + b + c1, a + b1 + c1,
a (b + c), b (a + c), c (a + b), a1 + b1c1, b1 + a1c1, c1 + a1b1,
a (b c1 + b1c), b (a c1 + a1c), c (a b1 + a1b), a1 + b c + b1c1, b1 + a c + a1c1, c1 + a b + a1b1,
a b + a c + b c, a1b1 + a1c1 + b1c1, a1b c + a b1c + a b c1, a b c + a1b1 + a1c1 + b1c1}.
Die drei ersten von diesen: A, B, C, sind Untergruppen der vierten
D, was selbstverständlich erscheint auch bei der ersten A, in An-
betracht, dass die Bestimmungselemente von dieser nichts anderes sind,
als Produkt und Summe der Bestimmungselemente von D.
Da C aus B hervorgeht, indem man b und c vertauscht, so braucht
die Probe auf Vollständigkeit blos bei den Gruppen A, B und D aus-
geführt zu werden: für diese aber ist sie von erster Wichtigkeit, da
auf der konstatirten Vollständigkeit die Beweiskraft der Überlegungen
beruht. [Man müsste sich hier also der nicht unerheblichen Mühe des
systematischen Intermultiplizirens und Interaddirens unterziehen.]
Nach dem aufgestellten Begriffe der logischen Summe von Gruppen
haben wir nun:
B + C = D,
weil G (a b, a c, b c) die Bestimmungselemente von G (a b, b c) und
G (a c, b c) in sich vereinigt. Daher ist:
A · (B + C) = A · D = A
— nach Th. 20×), weil ja A ⋹ D, wie oben erwähnt, sein musste.
Andrerseits ist es leicht, die Produkte A · B und A · C der ersten
Gruppe in die beiden auf sie folgenden zu ermitteln.
Sucht man die Elemente auf, welche die Gruppen A und B, nämlich
ihre Elementensysteme, gemein haben, so bildet deren System not-
wendig wieder eine Gruppe. Diese möge E heissen; so lehrt der blosse
Anblick von A und B, dass
E = G4 (a b c) = {0, 1, a b c, a1 + b1 + c1}
ist, und haben wir also:
A · B = E.
Ebenso zeigt sich aber auch, dass
A · C = E
ist (wie zum Überfluss auch schon aus der Symmetrie von E bezüg-
lich a, b, c hervorgeht).
Darnach wird sein müssen:
A · B + A · C = E + E = E.
Nun deckt aber E sich keineswegs mit A, es ist sonach auch
A B + A C verschieden von, jedenfalls ungleich A (B + C), welches
gleich A erwiesen. Man bemerkt, dass E nur eine (d. i. eine „echte“)
Untergruppe von A ist; wir haben:
E ⊂ A
und folglich auch (durch beiderseitige Einsetzung des Gleichen):
A B + A C ⊂ A (B + C)
womit nachgewiesen ist, dass es im logischen Kalkul mit Gruppen
Fälle gibt, in welchen die Formel des Distributionsgesetzes nur ein-
seitig als eine Unterordnung gilt.
Die Unterordnung folgte hier auch schon aus dem Nichtvorliegen
der Gleichheit in Anbetracht, dass A B + A C als ⋹, das ist = oder ⊂,
A (B + C) in Th. 25×) bewiesen ist.
Von der erworbenen Bekanntschaft mit den Typen der Gruppe
G (a, b, c) und von der gegebenen Zusammenstellung ihrer Elemente
wollen wir schliesslich eine Nutzanwendung machen, um die Theorie
der Eliminationsresultanten sowie diejenige der symmetrisch allgemeinen
Lösungen um einen Schritt zu fördern.
Denken wir uns x, y und z irgendwie durch „Parameter“ a, b, c,
d, … ausgedrückt, mithin sie als Funktionen des Gebietekalkuls von
eben diesen Symbolen — und nur von diesen — gegeben, so kann
man nach der Relation f (x, y, z) = 0 fragen, die als Resultante der
Elimination sämtlicher Parameter aus den vorliegenden Gleichungen:
x = φ (a, b, c, d, ‥), y = ψ (a, b, c, d, ‥), z = χ (a, b, c, d, ‥)
folgen muss. Das Polynom f (x, y, z) dieser Resultante kann nur eines
der 256 Elemente der Gruppe G (x, y, z) sein, da es andere Symbole
als x, y und z selbst laut Voraussetzung nicht in sich aufweist, mithin
bei seiner „Entwickelung“ nach seinen drei Argumenten x, y, z als
Koeffizienten nur die Symbole 0 und 1 zur Verfügung stehen können.
Sehr häufig — wie wir bereits erfahren — tritt insbesondre der
Fall ein, dass unser Polynom das Element 0 der Gruppe G (x, y, z) ist.
Die Resultante stellt sich alsdann in der Gestalt 0 = 0 dar und ist
eine nichtssagende. Wir dürfen alsdann sagen, dass bei unbestimmt
gelassenen Werten der Parameter a, b, c, d, ‥ auch die Gebiete x, y, z
von einander unabhängig beliebige bleiben, oder dass keine Relation, Be-
ziehung zwischen denselben bestehn muss oder folgt (S. 454).
Falls f (x, y, z) sich als das Element 1 der Gruppe G (x, y, z)
herausstellen sollte, wäre die Resultante (als da ist: die Gleichung 1 = 0)
eine absurde (Behauptung).
Dieser Fall kann aber nicht vorkommen, — und die Erfahrung
wird es bestätigen — auch lässt es sich strenge, wie folgt, beweisen.
Eine Resultante 1 = 0 wäre als ein Ergebniss der Elimination nicht
nur von a, b, c, … sondern auch von x, y, z anzuerkennen. Als letzteres
müsste es auch in der vollen Resultante für x, y, z enthalten sein.
Eliminirt man aber regelrecht aus der vereinigten Prämissengleichung
x1φ + x φ1 + y1ψ + y ψ1 + z1χ + z χ1 = 0
[688]Anhang 6.
ebendiese drei Symbole, so ergibt sich als die gedachte volle Resultante
nur: 0 = 0.
Der Aussagenbereich, mit dem wir es im vorliegenden ersten Bande
der exakten Logik ausschliesslich zu thun haben, war auf die universalen
Urteile beschränkt, umfasste nämlich nur, was mittelst Gleichungen oder
Subsumtionen ausdrückbar ist.
In diesem Bereiche kann ein unmittelbarer Widerspruch (S. 6) über-
haupt nicht vorkommen, sintemal bekanntlich das kontradiktorische Gegen-
teil einer universalen allemal eine partikulare Behauptung ist — vergl. S. 33.
Gleichwol kann mittelbar, innerlich, auch schon auf dieser ersten Logik-
etappe ein Widerspruch zwischen sowol als in Aussagen auftreten, insofern
sie zusammen oder für sich schon auf die Behauptung 1 = 0 hinaus-
laufen oder zu schliessen gestatten — zusammen, wie z. B. die Gleichungen
a = 0 und a1 = 0, und für sich schon, wie z. B. x + x1 = 0, oder wie
a x y1 + a1 + x1 + y = 0 — womit sie denn in unmittelbaren Widerspruch
treten würden zu der allen unsern Betrachtungen implicite zugrunde liegenden
Annahme, dass 1 nicht gleich, ≠ 0 sei.
Dass dergleichen nun hier nicht vorliegen kann, ist mit obigem dar-
gethan.
Und wie sollten auch jene Prämissen x = φ (a, b, ‥), y = ψ (a, ‥),
… einen Widerspruch mit einander involviren, da durch eine jede der-
selben doch nur festgesetzt wird, was unter dem Buchstaben linker-
hand verstanden werden solle, einem Buchstaben, der neu, noch un-
erwähnt war, und auf den in den übrigen Prämissen auch keinerlei
Bezug genommen ist?!
Aus diesen Gründen wird uns also die absurde Resultante über-
haupt nicht in den Weg kommen und mag fortan unberücksichtigt
bleiben. —
Als in x, y, z symmetrische Resultanten können nun überhaupt nur
folgende fünfzehn — von achterlei Typus — auftreten *), für die wir
die beigesetzten Chiffren einführen:
[womit nach § 18, Th. π) auch y = z x1 + z1x und z = x y1 + x1y ge-
geben ist],
R5') x1y1z1 + x1y z + y1z x + z1x y = 0 oder x = y z + y1z1
(womit zugleich auch y = z x + z1x1, z = x y + x1y1 sein muss).
von welchen drei Gleichungen nämlich eine aus den zwei andern folgt
— ein Satz, der denen § 18, π, σ, τ) sich anschliesst.
R6') x y z + x y1z1 + y z1x1 + z x1y1 + x1y1z1 = 0, oder
(x = y1 + z1), y = z1 + x1, z = x1 + y1.
(somit auch: x1 = y1 = z1)
Von diesen Resultanten sind paarweise komplementär: R0 mit R9
(siehe oben die Fussnote)
| R1 mit R8', | R1' mit R8, | |
| R2 und R7 | ||
| R3 mit R6', | R3' mit R6 | |
| R4 und R4' | ||
| R5 und R5' |
insofern die Polynome derselben (nicht aber die resultirenden Aus-
sagen selber) Negationen von einander sind — wogegen die zum selben
Typus gehörigen (die hier gleich numerirt erscheinen und sich nur
durch den Accent unterscheiden) als solche, welche durch Vertauschung
der x, y, z mit ihren Negationen in einander übergehen, nur als ob-
verse von einander bezeichnet werden dürften.
Wir haben hienach nur sechs Haupttypen.
Die Vollständigkeit der Zusammenstellung nachzuweisen sei als
eine ganz leichte Aufgabe dem Leser überlassen.
Wie man einerseits die Gleichung R = 0 betrachten konnte als
die Resultante der Elimination von a, b, ‥ aus den gegebenen
Gleichungen
Schröder, Algebra der Logik 44
[690]Anhang 6.
x = φ (a, b, ‥), y = ψ (a, b, ‥), z = χ (a, b, ‥)
so kann man andrerseits auch umgekehrt, indem man jene Resultante
R = 0 als gegeben, als eine von den Unbekannten x, y, z zu erfüllende
Relation ansieht, diese drei Gleichungen x = φ, etc. auffassen als die
Lösungen dieser Aufgabe, nämlich als die Formeln, welche die (oder
gewisse) Wurzeln jener Gleichung R = 0 in unabhängigen Parametern
a, b, ‥ ausgedrückt darstellen.
Wie von Anfang schon bei der Zahl der Unbekannten, so wollen
wir jetzt auch hinsichtlich der Anzahl der Parameter uns auf die An-
nahme beschränken, dass es ihrer dreie seien: a, b und c.
Die rechten Seiten unserer drei Gleichungen nämlich
φ (a, b, c), ψ (a, b, c), χ (a, b, c),
werden alsdann ebenfalls Elemente sein der Gruppe G (a, b, c). Und
sollten etwa durch cyklische Vertauschung von a, b und c diese drei
Funktionen in einander übergehen, so werden wir in Gestalt von
α) z = φ (a, b, c), y = φ (b, c, a), z = φ (c, a, b)
symmetrische Lösungen haben für die, wie sich zeigen wird, auch hin-
sichtlich der Unbekannten symmetrische Aufgabe, die Gleichung
R = 0, ausführlicher R (x, y, z) = 0
aufzulösen.
Gedachte Lösungen verdienen den Beinamen von allgemeinen
Lösungen allermindestens insofern, als sie bei der Willkürlichkeit der
Parameter a, b, c uns unendlich viele Systeme von Wurzeln der
Gleichung R = 0 ausdrücken. Sie verdienen aber sogar als „die all-
gemeinen“ Lösungen hingestellt zu werden, nämlich als Ausdrücke,
welche jedes erdenkliche System von Wurzeln der Gleichung R = 0
schon in sich fassen werden, indem in § 22 erkannt wurde, dass (die
notwendige und) eine hinreichende Bedingung für die Auflösbarkeit
des Gleichungensystems x = φ, y = ψ, z = χ nach den Unbekannten
a, b, c die ist, dass die Resultante R = 0 der Elimination von a, b, c
aus dem Systeme erfüllt sei; es werden demnach die Parameter a, b, c
sich auch immer so bestimmen lassen, dass für ein (irgendwie) ge-
gebenes, nur aber die Forderung R = 0 erfüllendes Wertsystem der
Unbekannten x, y, z jene drei Gleichungen gerade dieses Systems von
Wurzeln darstellen.
Wir haben dann also kurz „die symmetrisch allgemeinen Lösungen“
der Gleichung R = 0. Der Form nach kann (und wird) es noch ver-
schiedene Systeme solcher Lösungen für eine nämliche Gleichung R = 0
[691]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
geben, doch werden diese immer gleich umfassende sein, der Bedeutung
nach sich mit einander decken.
In der Absicht, die symmetrisch allgemeinen Lösungen der Gleichung
R2 (und damit auch die von R6 nebst R6' — vergl. § 24, Aufg. 10 und
11) welche bislang nicht erreichbar schien, zu entdecken, oder andern-
falles nachzuweisen, dass die Lösung dieser Aufgabe mittelst dreier
unabhängigen Parameter unmöglich ist, habe ich nun für alle erdenk-
lichen Annahmen der Funktion φ (a, b, c) die Resultante R = 0 auf-
gesucht.
Um die Ergebnisse der Untersuchung übersichtlich angeben zu
können, bemerke ich, dass von den drei Gleichungen x = φ (a, b, c), y =
etc. immer nur die erste wirklich angeführt zu werden braucht, indem
die beiden andern ja durch die cyklische Vertauschung von a, b, c zu-
gleich mit der von x, y, z aus ihr sich auf das leichteste ergeben.
Was die Untersuchung herausstellte, können wir hiernach dahin
zusammenfassen. Es ergibt sich als Resultante der Elimination von a, b, c:
R0 aus der Annahme x = a, desgleichen aus der x = a b + a1c, des-
gleichen aus der Annahme
Nicht vertreten sind die Resultanten:
R2, R2', R6, R6', R8, R8'
[und — wie vorauszusehen gewesen — auch die absurde Resultante
R9 oder 1 = 0 nicht].
Was zunächst die beiden letzteren betrifft, so wird bei ihnen die
Frage nach ihrer symmetrisch allgemeinen Lösung gewissermassen
44*
[692]Anhang 6.
hinfällig, indem durch die Forderungen R8 oder R8' sich die Un-
bekannten als
x = y = z = 0 resp. als x = y = z = 1
absolut bestimmt erweisen. Wenn man wollte, könnte man freilich
auch hier in Gestalt von:
| resp. |
|
solche Lösung in drei willkürlichen Parametern a, b, c angeben.
Auch R7 lässt sich schon einfacher wie oben mittelst eines Para-
meters lösen in Gestalt von
Bei allen andern von den vorgekommenen Gleichungen wird 3 die
Minimalzahl von den zu ihrer symmetrischen Lösung erforderlichen
Parametern sein.
Die Vollständigkeit unsrer Resultantentafel vorausgesetzt wird
durch das Nichtauftreten der Resultanten R2, R2', R6, R6' der Beweis
erbracht sein, dass diese Gleichungen eine symmetrisch allgemeine
Lösung in drei unabhängigen Parametern nicht besitzen können.
Darnach bleibt es aber unbenommen, in vier oder mehr Parametern
immer noch nach einer solchen Lösung zu fahnden. So ist z. B. die
Resultante der Elimination von a, b, c, d aus den drei Gleichungen:
x = a b + c d
y = a c + b d
z = a d + b c
keine andere als: R3 — von welcher Gleichung denn also auch um-
gekehrt die drei vorhergehenden eine symmetrische allgemeine Lösung
geben. Und es erscheint nicht undenkbar, sondern fast als wahr-
scheinlich, dass auch für R2 sich in solcher Art Lösungen finden liessen.
Mit der Fertigstellung gegenwärtigen Lehrgebäudes noch allzusehr
anderweitig in Anspruch genommen muss ich das interessante Problem,
dies zu entscheiden, zur Zeit Andern überlassen.
Was aber die Vollständigkeit unserer für drei Parameter gegebenen
Resultantentafel betrifft, die für den obigen Beweis von erster Wichtig-
keit war — sowie überhaupt in Betreff der Gewinnung derselben, so
ist folgendes zu bemerken.
Keineswegs braucht man alle 256 Elemente von G (a, b, c) einzeln
gleich x gesetzt (und durch cyklische Permutation der beiden Buchstaben-
systeme a, b, c und x, y, z zu einem Systeme von drei Gleichungen er-
gänzt) direkt auf ihre Resultante zu prüfen.
Zunächst liefern die hinsichtlich a, b, c symmetrischen Ausdrücke oder
Elemente von G (a, b, c) stets ohne alle Rechnung R7, weil der Ansatz
auf x = y = z augenscheinlich hinausläuft. Dergleichen Ausdrücke kommen
nur bei dem
1. und 22., 2. und 21., 5. und 18., 8. und 15., beim 9., und beim 14.
Typus vor, mithin bei 10 Typen und 6 Haupttypen, und finden sich —
abgesehen von den Elementen 0 und 1 — oben bei R7 vertreten durch
Repräsentanten, welche mit Rücksicht auf die nachfolgenden Bemerkungen
als ausreichende hingestellt werden durften.
Wir brauchten also nur mehr die Ausdrücke durchzugehen, welche
nicht bezüglich aller drei Buchstaben a, b, c symmetrisch erscheinen.
Solche können nun aber noch in Hinsicht zweier von diesen drei Buch-
staben symmetrisch sein, was in der That vorkommt bei den Typen:
2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13.
und 21, 20, 19, 18, 17, 16, 15,
sonach bei allen Typen ausser 11 und den schon abgethanen 1 nebst 22
und 14.
In solchem Falle braucht man nur solche Ausdrücke zu berücksichtigen,
bei welchen der Buchstabe a bevorzugt erscheint, die Symmetrie also hin-
sichtlich b und c vorliegt. Denn war dies nicht der Fall, war ein andrer
Buchstabe als a bevorzugt, so lässt sich durch cyklische Vertauschung der
drei Parameter immer hinbringen, dass es der Fall wird, dass in dem = x
zu setzenden Ausdrucke φ (a, b, c) der bevorzugte Buchstabe gerade a ist.
Denken wir für den Augenblick uns den bevorzugten Buchstaben als
das erste Argument angeführt, so müssen in der That die drei Gleichungen
x = φ (b, c, a), y = φ (c, a, b), z = φ (a, b, c),
desgleichen diese:
x = φ (c, a, b), y = φ (a, b, c), z = φ (b, c, a)
bei der Elimination von a, b, c uns die nämliche Resultante R = 0 liefern,
als wie die drei Gleichungen:
x = φ (a, b, c), y = φ (b, c, a), z = φ (c, a, b)
sintemal die Resultante, weil sie die Eliminanden a, b, c gar nicht ent-
hält, auch ungeändert bleiben muss, wenn man diese irgendwie unter sich
vertauscht.
Auf Grund dieser Bemerkung reduzirt sich nicht nur bei den hin-
sichtlich zweier Argumente symmetrischen, sondern auch bei den gänzlich
unsymmetrischen Funktionen φ (a, b, c) die Menge der direkt zu ermit-
telnden Resultanten sehr beträchtlich, und wird die Resultante schon nur
für höchstens ein Drittel der Ausdrücke wirklich aufzusuchen sein.
Nehmen wir vorläufig als erwiesen an, dass die Resultante aus den
drei letzten Gleichungen, wie immer auch die Funktion φ (a, b, c) be-
schaffen sein möge, hinsichtlich x, y, z symmetrisch sein muss — ein Punkt
über welchen nachher noch zu sprechen sein wird — so kommt aber um
die Menge der auf Resultanten zu prüfenden Ausdrücke zu vereinigen noch
folgendes hinzu.
War R (x, y, z) = 0 die zum Ansatz x = φ (a, b, c) etc. gehörige Re-
sultante, so muss ebendiese, nämlich R (x, z, y) = 0 auch zu dem An-
satze x = φ (a, c, b) gehören, weil die Gleichungen
x = φ (a, c, b), y = φ (b, a, c), z = φ (c, b, a)
durch die gleichzeitige Vertauschung von b mit c und y mit z in die vorigen
augenscheinlich verwandelt werden (mit Umstellung der beiden letzten von
ihnen).
Von den sechs Ausdrücken, welche aus φ (a, b, c) durch Vertauschung,
Permutation der Argumente ableitbar wären, braucht also immer nur einer
auf seine Resultante (wenn = x gesetzt, etc.) geprüft zu werden — womit
im Allgemeinen (d. h. sofern jene sechs Ausdrücke verschieden), eine Re-
duktion der Arbeit auf ihren sechsten Teil erzielt sein wird.
Weiter aber muss der Ansatz x = φ (a1, b1, c1), etc. auch seinerseits
die obige Resultante R (x, y, z) = 0 liefern, da die Bezeichnung der Eli-
minanden gleichgültig ist, diese also auch durch ihre Negationen durchweg
ersetzt werden durften — eine Bemerkung, durch welche die restirende
Arbeit sich abermals um nahe die Hälfte reduzirt, nämlich nur dann sich
nicht verringern wird, wenn die Funktion φ (a, b, c) bei Vertauschung der
Argumente mit ihren Negationen ungeändert blieb.
Eine abermalige Reduktion der Arbeit auf ihre Hälfte ermöglicht
endlich diese Bemerkung: Hat der Ansatz x = φ (a, b, c), etc. zu einer
Resultante R× (x, y, z) = 0 geführt, wo x einen gewissen von den Indices
1 bis 8 vorstellt, so muss natürlich aus den Gleichungen:
x1 = φ1 (a, b, c) etc. [d. h. y1 = φ1 (b, c, a), z1 = φ1 (c, a, b)]
— unter φ1 die Negation von φ verstanden — sich ganz dieselbe Resul-
tante ergeben, weil diese Gleichungen bezüglich äquivalent, blosse Trans-
skriptionen von, den vorhergehenden sind. Daraus folgt aber, dass nun
auch der Ansatz:
x = φ1 (a, b, c) etc. [d. h. y = φ1 (b, c, a), z = φ1 (c, a, b)]
nun auch nicht mehr durch mühsames Eliminiren auf seine Resultante ge-
prüft zu werden braucht, vielmehr letztere sich aus der vorigen unmittelbar
abschreiben lässt, indem man die Symbole x, y, z mit ihren Negationen
vertauscht. Das heisst, die hier in Frage kommende Resultante lautet:
R× (x1, y1, z1) = 0, oder nach der eingeführten Nomenklatur: Rϰ' (x, y, z) = 0.
Die gleiche Bemerkung trifft auch für x = 0 zu, wenn man R0' für
einerlei mit R0 gelten lässt.
Auf Grund derselben brauchen die Ausdrücke der zu schon geprüften
„komplementären“ Typen nicht mehr auf ihre Resultanten geprüft zu werden,
[695]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
und von den Ausdrücken eines zu sich selbst komplementären Typus nur
die eine Hälfte.
Ist beispielsweise R4 als Resultante zu x = a1b c + a b1c1 ermittelt, so
muss R4' die Resultante sein zu dem Ansatze x = (a + b1 + c1) (a1 + b + c)
= a b + a1c1 + b1c. Und — in Illustration zu den vorhergehenden Be-
merkungen — ist R3' die Resultante zu dem Ansatze x = a + b c1, so
muss es auch die Resultante sein zu dem x = a + b1c, der durch Ver-
tauschung von b und c aus ihm hervorgeht.
Ist R5 die Resultante zu x = a (b c1 + b1c), so muss es auch die zu
x = a1 (b c1 + b1c) sein, weil letzteres Gleichungensystem durch Vertauschung
von a, b, c mit a1, b1, c1 in das vorige übergeht. Etc.
Hiernach ist es nur mehr eine kleine Geduldsprobe, die Vollständigkeit
unsrer Resultantentafel nachzuweisen.
Mühsam bleibt aber die Ableitung von 19 der zusammengestellten 44
Resultanten selbst, von welchen 20 direkt abgeleitet werden mussten (was
nur bei dem Ansatze: x = a sich auf den ersten Blick erledigt — und
wobei die ebenso selbstverständlich auf R7 führenden Fälle nicht ein-
gerechnet sind). Ich habe nach schon erläuterten und auch noch nicht er-
läuterten Methoden das Eliminationsverfahren auf die mannigfaltigste Weise
variirt, dasselbe aber immer als ein mühsam anzuwendendes gefunden; und
wer mir auch nur einen Teil der Resultanten nachrechnet, wird sicherlich
gleich mir den Wunsch nicht unterdrücken können, dass hierbei eine Art
von Denkrechenmaschine die mechanische Arbeit abnehmen möchte! —
Versuchen wir jetzt noch den rückständigen Beweis des sehr plausibeln
Satzes zu leisten, den auch die Erfahrung in den vorstehenden Aufgaben
bestätigte: dass die Resultante R (x, y, z) = 0 der Elimination von a, b, c
aus den drei Gleichungen:
x = φ (a, b, c), y = φ (b, c, a), z = φ (c, a, b)
eine symmetrische Funktion von x, y, z sein müsse, so sollte man meinen,
dieser Beweis müsste a priori gelingen: es müsste gelingen, zu zeigen, dass
wenn man irgend zwei Argumente von R, wie etwa y und z, in den vor-
liegenden Gleichungen vertauscht, die nämliche Resultante herauskommen
wird. Gelänge dies, so wäre in der That der Beweis der Symmetrie von
R erbracht, indem sich durch eventuell wiederholtes Vertauschen („Trans-
position“) von immer nur zweien der Argumente x, y, z bekanntlich jede
erdenkliche Anordnung derselben würde herstellen lassen. Auffallender-
weise ist es nun aber auf keine Weise möglich, die drei Gleichungen:
x = φ (a, b, c), z = φ (b, c, a), y = φ (c, a, b)
durch was immer für Vertauschungen unter den Parametern a, b, c in die
vorigen dreie zu transformiren, wie es der Leser leichtlich nachweisen wird.
Und die Versuche einer Beweisführung auf dem angedeuteten Wege scheinen
fehlzuschlagen, auch wenn man etwa noch in Berücksichtigung zieht, dass
es von vornherein gleichgültig gewesen, in welcher Reihenfolge man die
Argumente der Funktion φ ansetzen mochte. Die Funktion φ (a, b, c) hätte
man ja z. B. auch Φ (a, c, b) nennen können. Allerdings, wenn man b
[696]Anhang 6.
mit c vertauscht und dazu das zweite Argument mit dem dritten, so gehen
die drei letzten Gleichungen in der That in die drei vorigen über. Von
rechtswegen heisst es dann aber durchweg nun Φ statt φ. —
Auch die Hinzuziehung der Annahme, dass die Funktion φ (a, b, c)
ausser a, b, c sonst keine Parameter enthalte — eine Annahme, die sich
übrigens für die Geltung des Satzes als unwesentlich erweisen wird —
scheint eine aprioristische Beweisführung nicht zu fördern.
Und somit bleibt nichts übrig als den Beweis des Satzes a posteriori
anzutreten, indem man die Resultante für die allgemeinste Funktion φ (a, b, c)
wirklich herstellt, und ihre Symmetrie darnach sozusagen empirisch nach-
weist als eine unmittelbar wahrzunehmende.
Zu dem Ende lösen wir zunächst die noch allgemeinere
Aufgabe. Die Parameter a, b, c zu eliminiren aus den drei Glei-
chungen:
x = φ (a, b, c), y = ψ (a, b, c), z = χ (a, b, c),
wo φ, ψ, χ irgendwelche Funktionen im identischen Kalkul sind.
Auflösung. Man hat „entwickelt“:
φ (a, b, c) = φ111a b c + φ110a b c1 + φ101a b1c + φ100a b1c1 +
+ φ011a1b c + φ010a1b c1 + φ001a1b1c + φ000a1b1c1,
analog für ψ und χ, worin nun also die Koeffizienten als gegeben zu
denken sind in Gestalt von irgendwelchen Gebiets- oder Klassensymbolen.
Bezeichnen wir bei diesen Koeffizienten die Negation durch übergesetzten
Horizontalstrich, so ist ferner:
φ1 (a, b, c) = φ̄111a b c + φ̄110a b c1 + φ̄101a b1c + φ̄100a b1c1 +
+ φ̄011a1b c + φ̄010a1b1c + φ̄101a1b1c + φ̄000a1b1c1,
analog für ψ und χ.
Vereinigte Gleichung der Prämissen ist nun:
x1φ + x φ1 + y1ψ + y ψ1 + z1χ + z χ1 = 0,
wo die linke Seite nun leichtlich nach den a, b, c geordnet sich schreiben
liesse. Man liest indess die Koeffizienten der verschiedenen Konstituenten
schon bequem aus den für φ und φ1 gemachten Angaben heraus. Resul-
tante der Elimination von a, b, c ist das Produkt dieser Koeffizienten = 0
gesetzt, mithin:
Diese Resultante soll jetzt noch nach den Argumenten x, y, z ent-
wickelt werden. Man erhält unschwer:
[697]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
Sei nun insbesondere:
ψ (a, b, c) = φ (b, c, a), χ (a, b, c) = φ (c, a, b),
mithin
ψ (a, b, c) = φ111a b c + φ101a b c1 + φ011a b1c + φ001a b1c1 +
+ φ110a1b c + φ100a1b c1 + φ010a1b1c + φ000a1b1c1,
χ (a, b, c) = φ111a b c + φ011a b c1 + φ110a b1c + φ010a b1c1 +
+ φ101a1b c + φ001a1b c1 + φ100a1b1c + φ000a1b1c1,
oder also:
ψ111 = φ111, ψ110 = φ101, ψ101 = φ011, ψ100 = φ001,
ψ011 = φ110, ψ010 = φ100, ψ001 = φ010, ψ000 = φ000,
χ111 = φ111, χ110 = φ011, χ101 = φ110, χ100 = φ010,
χ011 = φ101, χ010 = φ001, χ001 = φ100, χ000 = φ000,
desgleichen mit übergesetzten Horizontalstrichen, so erhalten wir durch
diese Einsetzungen als die Resultante der Elimination von a, b, c aus den
drei Gleichungen:
x = φ (a, b, c) y = φ (b, c, a), z = φ (c, a, b)
die nachstehende Gleichung:
[698]Anhang 6.
0 = x y z · φ̄111 (φ̄110 + φ̄101 + φ̄011) (φ̄100 + φ̄010 + φ̄001) φ̄000 +
+ x y z1 (φ̄110 + φ̄101 + φ011) (φ̄101 + φ̄011 + φ110) (φ̄100 + φ̄001 + φ010) (φ̄011 + φ̄110 + φ101) ·
· (φ̄010 + φ̄100 + φ001) (φ̄001 + φ̄010 + φ100) +
+ x y1z (φ̄110 + φ̄011 + φ101) (φ̄101 + φ̄110 + φ011) (φ̄100 + φ̄010 + φ001) (φ̄011 + φ̄101 + φ110) ·
· (φ̄010 + φ̄001 + φ100) (φ̄001 + φ̄100 + φ010) +
+ x y1z1 (φ̄110 + φ101 + φ011) (φ̄101 + φ011 + φ110) (φ̄100 + φ001 + φ010) (φ̄011 + φ110 + φ101) ·
· (φ̄010 + φ100 + φ001) (φ̄001 + φ010 + φ100) +
+ x1y z (φ̄101 + φ̄011 + φ110) (φ̄011 + φ̄110 + φ101) (φ̄001 + φ̄010 + φ100) (φ̄110 + φ̄101 + φ011) ·
· (φ̄100 + φ̄001 + φ010) (φ̄010 + φ̄100 + φ001) +
+ x1y z1 (φ̄101 + φ110 + φ011) (φ̄011 + φ101 + φ110) (φ̄001 + φ100 + φ010) (φ̄110 + φ011 + φ101) ·
· (φ̄100 + φ010 + φ001) (φ̄010 + φ001 + φ100) +
+ x1y1z (φ̄011 + φ110 + φ101) (φ̄110 + φ101 + φ011) (φ̄010 + φ100 + φ001) (φ̄101 + φ011 + φ110) ·
· (φ̄001 + φ010 + φ100) (φ̄100 + φ001 + φ010) +
+ x1y1z1 · φ111 (φ110 + φ101 + φ011) (φ100 + φ010 + φ001) φ000;
hierbei wurde lediglich Gebrauch gemacht von den Tautologiegesetzen 14),
dem Th. 30+) φ̄ + φ = 1, 22+) a + 1 = 1 und 21×) a · 1 = a.
Beachtet man überdies, dass die Koeffizienten von x y z1, x y1z und
x1y z die nämlichen sind, desgleichen sich als einerlei herausstellen die
Koeffizienten von x y1z1, x1y z1 und x1y1z, so treten weitere Vereinfachungen
ein. In diesen Koeffizienten lassen zudem nach dem Schema:
(α1 + β + γ) (α + β1 + γ) (α + β + γ1) = α β + α γ + β γ + α1β1γ1
noch drei und drei Faktoren sich ausmultipliziren, sodass die Resultante
sich am einfachsten darstellt als:
0 = x y z φ̄111 (φ̄110 + φ̄101 + φ̄011) (φ̄100 + φ̄010 + φ̄001) φ̄000 +
+ (x1y z + x y1z + x y z1) (φ̄110φ̄011 + φ̄110φ̄101 + φ̄101φ̄011 + φ110φ101φ011) ·
· (φ̄100φ̄001 + φ̄100φ̄010 + φ̄010φ̄001 + φ100φ010φ001) +
+ (x y1z1 + x1y z1 + x1y1z) (φ110φ011 + φ110φ101 + φ101φ011 + φ̄110φ̄101φ̄011) ·
· (φ100φ001 + φ100φ010 + φ010φ001 + φ̄100φ̄010φ̄001) + ·
+ x1y1z1φ111 (φ110 + φ101 + φ011) (φ100 + φ010 + φ001) φ000 ·
Die Symmetrie derselben in Bezug auf x, y, z ist nun ersichtlich.
Ersetzen wir die Namen der Argumente a, b, c durch die griechischen
Buchstaben α, β, γ um die lateinischen Buchstaben frei zu bekommen für
andre Zwecke, so empfiehlt es sich noch, die zwar ausdrucksvolle, doch
etwas schwerfällige Bezeichnung der bisherigen Koeffizienten von φ durch
die darunter gesetzten Zeichen zu ersetzen:
[699]Zur Gruppentheorie des identischen Kalkuls.
φ111, φ110, φ101, φ100, φ011, φ010, φ001, φ000
a, b, c, d, e, f, g, h.
Als Resultante der Elimination von α, β, γ aus den drei Gleichungen:
x = a α β γ + b α β γ1 + c α β1γ + d α β1γ1 + e α1β γ + f α1β γ1 + g α1β1γ + h α1β1γ1,
y = a β γ α + …, z = a γ α β + …
ist dann gefunden:
0 = x y z a1 (b1 + c1 + e1) (d1 + f1 + g1) h1 +
+ (x1y z + x y1z + x y z1) (b1e1 + b1c1 + c1e1 + b c e) (d1g1 + d1f1 + f1g1 + d f g) +
+ (x y1z1 + x1y z1 + x1y1z) (b e + b c + c e + b1c1e1) (d g + d f + f g + d1f1g1) +
+ x1y1z1a (b + c + e) (d + f + g) h.
Soll sich dies in
0 = x y z + x1y1z1
zusammenziehen — wie es doch der Fall sein müsste, wenn diese Gleichung
eine symmetrisch-allgemeine Lösung x = φ (α, β, γ), etc. in drei arbiträren
Parametern α, β, γ besässe — so müssen der erste und der letzte Koeffi-
zient gleich 1 gemacht werden (durch geeignete Bestimmung von a, b, c,
d, e, f, g, h) während die beiden mittleren Koeffizienten verschwinden.
Jene beiden Gleichungen:
a1 (b1 + c1 + e1) (d1 + f1 + g1) h1 = 1 = a (b + c + e) (d + f + g) h
geben aber durch Kontraposition:
a + h + b c e + d f g = 0 und a1 + h1 + b1c1e1 + d1f1g1 = 0
und involviren Widersprüche miteinander, wie diesen: dass gleichzeitig
a = 0 und a1 = 0 sein müsste (desgleichen h + h1 = 0, anstatt = 1).
Vergl. auch Th. 24×).
Es geht hieraus von neuem die Unmöglichkeit hervor, die Gleichung
R2 = 0 (und damit auch die R6 resp. R6' = 0) in drei Parametern sym-
metrisch allgemein zu lösen.
Nachstehend gebe ich das Verzeichniss der von mir selbst benützten Lite-
ratur, noch ergänzt durch Literaturangaben aus Venn's Schrift1 ebenda. Von
diesen sollen die besternten nach ihm besonders für die symbolisirende oder
rechnerische Logik von Interesse sein. Wo mir dies auf Grund eigener Über-
zeugung oder Einsichtnahme der Fall scheint oder mir überhaupt zum Bewusst-
sein gekommen, dass unmittelbar ein Werk von erheblichem Einfluss auf die
Gestaltung meiner vorliegenden Schrift geworden, habe ich dasselbe meistens
noch durch den Druck hervorgehoben. Von jeder Schrift, die ich zu Gesicht be-
kommen, findet sich die Anzahl ihrer Seiten angeführt.
Was die Logikliteratur überhaupt betrifft, soweit solche hier nicht an-
geführt worden, so sind schon in Ueberweg1 und Prantl1 die reichhaltigsten
Angaben zu finden und ausserdem sei bemerkt, dass nach De Morgan2 p. 333
— schon 1847 — die zweite Auflage von Blakey's „Essay on logic“ einen Kata-
log von über tausend Logikschriften mit kurzer Titelangabe enthält.
Biographische Notizen über De Morgan, Boole und Jevons finden sich
bei Liard1 p. 71, 99, 147. Boole's Leben ist unter dem Titel „Homeside life
of a scientific mind“ in dem „University Magazine“ von 1878 anonym von seiner
Wittwe Mrs. Mary Boole beschrieben — vgl. über dasselbe auch Harley1.
Über Augustus De Morgan's Leben und Schriften gibt auch die „Encyclo-
paedia Britannica“ 9th Ed., Vol. 7, p. 64 ‥ 67 schätzenswerte Notizen.
Da ich die Anwendungen der Algebra der Logik auf numerische Probleme
(im Allgemeinen) und insbesondere auf die Aufgaben der Wahrscheinlichkeits-
rechnung, wie im Vorwort erwähnt, vorerst beiseite lassen musste, so sei zum
Schlusse hier wenigstens die Literatur darüber zusammengestellt, soweit solche
mir irgend zur Kenntniss gekommen. Es möchten in erwähnter Hinsicht in Be-
tracht kommen:
Die Zahlen hinter den Namen bedeuten die Nummer der Seite, auf welcher
der Name sich erwähnt findet.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig.
Dieses Werk kann in mehrfacher Beziehung als eine Neubearbeitung und vollständige
Ausgabe der im Jahre 1866 in demselben Verlage erschienenen kleinen Schrift: „Die algebraischen
Methoden der Auflösung der litteralen quadratischen, cubischen und biquadratischen Gleichungen“
angesehen werden. Dasselbe liefert in seinem jetzigen Umfange einen vollständigen Abriſss der
Theorie und Geschichte der algebraischen Gleichungen, speziell der Gleichungen der ersten
vier Grade. Bei dem reichhaltigen Stoffe, welchen das Werk nicht sowohl den Algebraisten
von Studium und Fach, als insbesondere dem Historiker darbietet, fehlt hier der Raum, eine
Detaillierung des gesamten Inhaltes zu geben; wir beschränken uns darauf, Inhalt und An-
ordnung der Hauptabschnitte summarisch anzudeuten. Zum allgemeinen Verständnis der
Tendenz des Werkes muſs vorweg bemerkt werden, daſs durchaus und selbst in denjenigen
Partieen des Werkes, in welchen die Resultate der Forschungen der sogenannten modernen Algebra,
von Hesse und Aronhold begründet, von Cayley, Salmon und Clebsch zur vollständigen Theorie
ausgebildet, die gebührende Berücksichtigung finden, immer das Hauptproblem der antiken
Algebra in den Vordergrund gestellt worden ist, nämlich diejenigen Werte der Variablen zu
bestimmen, welche einer gegebenen Funktion den Wert Null geben. Denn bekanntlich haben
es die Untersuchungen der sogenannten modernen Algebra im strengen Sinne dieser Disziplin
nur selten mit Gleichungen zu thun und werden die Methoden ihrer Auflösung nur nebensächlich
behandelt; vielmehr ist der Hauptgegenstand dieses neuen Zweiges der algebraischen Analysis
die Entdeckung derjenigen Eigenschaften einer binären Form, welche insbesondere durch
lineare Transformationen unveränderlich bleiben, deren genaue Kenntnis aber für ein tieferes
Studium der Theorie der algebraischen Gleichungen in ihrer gegenwärtigen Ausbildung uner-
läſslich ist.
Was Inhalt und Anordnung des in acht Kapitel zergliederten Werkes anbetrifft,
so enthält
der erste Abschnitt eine Darstellung der allgemeinen Eigenschaften der Gleichungen
mit einer Unbekannten und der Cayleyschen binären Formen;
der zweite Abschnitt die Lehre von den verschiedenen Transformationen und den
symmetrischen Funktionen der Wurzeln, sowie die Darstellungsmethoden der Varianten,
Retrovarianten, Geminanten und Diskriminanten;
der dritte Abschnitt die direkte Auflösung der partikulären Gleichungen;
der vierte Abschnitt ist dem Hauptgegenstande des Werkes gewidmet, nämlich einer
systematischen Darstellung aller seit den ältesten Zeiten entdeckten Methoden der direkten
Auflösung der Gleichungen der ersten vier Grade bei Anwendung der Substitution und der
Reduzenten, untermischt mit historischen Durchblicken auf die Entwickelung der Disziplin und
unter steter Hervorhebung des gemeinsamen die Methoden innerlich miteinander verknüpfenden
Prinzips. In diesem Kapitel finden selbstverständlich die Erfindungen der modernen Algebraisten
in ausführlicher Weise ihre Berücksichtigung.
In den folgenden drei Abschnitten sind dann die Methoden der Wurzeltypen oder die
Kombinationsmethoden, sowie die goniometrischen und geometrischen Methoden der Auflösung
der Gleichungen in entsprechender teils systematischer, teils historischer Anordnung entwickelt.
Welch einer mannigfaltigen Behandlung die Algebra der Gleichungen fähig ist, mag aus dem
Umstande entnommen werden, daſs in den letzterwähnten vier Abschnitten weit über zwei
Centurien von Methoden ihrer Auflösung beschrieben werden.
Das Werk schlieſst mit dem achten Abschnitte, welcher ein chronologisch geordnetes
Verzeichnis aller auf diesem Gebiete seit den ältesten Zeiten erschienenen Werke und Ab-
handlungen enthält, die die Theorie der Gleichungen in irgend einer Beziehung bereichert
haben. Diese Gesamtlitteratur, von welcher grundsätzlich alle Handbücher der Algebra aus-
geschlossen sind, umfaſst allein einen Raum von über zwei Druckbogen, indem auſser den
Schriften, welche sich auf die litteralen Gleichungen der ersten vier Grade sowie auf die
partikulären Gleichungen beziehen, auch noch in zwei besonderen Abteilungen die Schrif-
ten über die Behandlung der numerischen sowie die Gleichungen fünften Grades auf-
geführt sind.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig.
Galois und seine Nachfolger, besonders C. Jordan, haben die fundamentale Bedeutung
des Begriffes einer diskontinuierlichen Gruppe für die Theorie der algebraischen
Gleichungen in helles Licht gesetzt. Derselbe Begriff ist später von Dedekind für die Zahlen-
theorie und in den letzten Jahren namentlich von Klein, Poincaré und Picard mit groſsem
Erfolge für die allgemeine Funktionentheorie verwertet worden.
Es giebt nun neben den diskontinuierlichen Gruppen noch andere Kategorieen von
Gruppen, unter denen zunächst die endlichen kontinuierlichen Gruppen Beachtung
verdienen, indem ihre Theorie für mehrere mathematische Disziplinen, insbesondere für die
Theorie der Differentialgleichungen von groſser Bedeutung ist.
Das vorliegende Werk giebt eine ausführliche und systematische Darstellung von Lies
vieljährigen Untersuchungen über diesen Gegenstand, welche bisher in vielen einzelnen, meist
schwer zugänglichen Schriften niedergelegt worden sind.
Die ursprüngliche Absicht, die beiden letzten Abschnitte dieses Werkes in einen Band
zu vereinigen, ist aufgegeben, daher wird der zweite Abschnitt als ein besonderer Band erscheinen,
ebenso wie der dritte, der bald folgen wird.
Der zweite Abschnitt enthält die Theorie der Berührungstransformationen und der
Gruppen von solchen Transformationen, er zerfällt in fünf Abteilungen: In den beiden ersten
werden der Begriff und die Eigenschaften der Berührungstransformationen entwickelt, die dritte
Abteilung handelt von den infinitesimalen Berührungstransformationen, die beiden letzten be-
schäftigen sich mit der Theorie der Gruppen von Berührungstransformationen.
In der ersten Abteilung ist überdies die Theorie der partiellen Differentialgleichungen
erster Ordnung entwickelt, soweit es für den Plan des Ganzen notwendig war.
Besonders muſs erwähnt werden, daſs die beiden ersten Abteilungen, welche beinahe
die Hälfte des ganzen Bandes ausmachen, von den Entwickelungen des ersten Abschnitts ganz
unabhängig sind und daher auch von solchen verstanden werden können, welchen der erste
Abschnitt unbekannt ist.
Dieser erste Band bildet ein in sich abgeschlossenes Ganzes und soll (ebenso wie jeder
folgende) auf selbständigen Wert Anspruch haben, wenngleich er auſserdem bestimmt ist,
ein ausführliches Werk über die Anfangsgründe des rein analytischen Teils der Mathematik
einzuleiten.
Ein zweiter Band wird die Lehre von den natürlichen Zahlen enthalten, spe-
zieller: die wissenschaftliche Begründung der gemeinen Arithmetik, die Elemente der Zahlen-
theorie, der Kombinatorik und der Gröſsenlehre; ein dritter Band soll dann die analyti-
schen Zahlen behandeln und ein vierter überhaupt die Analysis des Endlichen zum
Abschluſs bringen.
Dieser Abriſs hat die Bestimmung, den Schülern von denjenigen Lehrern in die Hand
gegeben zu werden, welche ihren Unterricht auf eine völlig strenge und vorwurfsfreie Be-
gründung der Elemente der Algebra zu stützen wünschen, in dem Sinne, wie dieselbe in dem
ausführlichen „Lehrbuch der Arithmetik und Algebra für Lehrer und Studie-
rende“ (Leipzig 1873, X u. 360 S.) von dem Verfasser zu geben versucht worden ist. Das
Vorwort zu jenem „Lehrbuche“ enthält eine nähere Anleitung über die dabei beabsichtigte
Art der Verwendung.
Die Schrift entwickelt eine durchaus elementare Methode, die Probleme der
deduktiven Logik mittelst eleganter Rechnung zu lösen — wodurch diese Disziplin in die
groſse Kette der rein mathematischen Wissenschaften endgültig eingereiht wird.
Man sieht hier schon den grossen Unterschied, welcher besteht zwischen
dem logischen Ideal der „Pasigraphie“ und dem linguistischen einer „Weltsprache“,
wie es heutzutage die Volapükisten anstreben. Gleichwie die Letzteren es thun,
so bezweckten auch die erwähnten vorangegangenen Versuche blos, eine Ver-
ständigung zu erzielen zwischen Solchen, die in der Sprache einander fremd sind.
Durch die allerdings nicht gering anzuschlagende Beseitigung aller Unregelmässig-
keiten vereinfachen sie zwar erheblich die Grammatik, übernehmen aber ohne
weiteres fast alle sonstigen logischen Unvollkommenheiten unsrer faktischen Kultur-
sprachen, schliessen an diese sich als an etwas schlechthin Gegebenes an.
Solcher vorgängigen Versuche führt schon Trendelenburg uns eine ziem-
liche Anzahl (beiläufig fünfe, von Kircher, Becher, Dalgarn, Wilkins und
Trede) an. Das ohne Jahreszahl, Druckort und Namen des Verfassers unter dem
Titel: „Vorschläge einer notwendigen Sprachlehre“ um 1811 erschienene Werk
von Ludwig Benedikt Trede, welches den Grundgedanken des Volapük schon
vollständig (indess wol weniger einfach) in seiner Art verwirklicht, konnte ich
von der Königlichen Bibliothek zu Berlin entleihen. Einer noch umfassenderen
Reihe derartiger Versuche gedenkt Herr Guntram Schultheiss in einem Auf-
satze über „Künstliche und natürliche Weltsprachen“ in Westermann's Monats-
heften vom Sept. 1886, p. 796 ‥ 807.
Des Raimundus Lullius „Summulae logicales“ war hierbei nicht Er-
wähnung zu thun. — Dass Herrn Frege's „Begriffsschrift“1 diesen ihren Namen
nicht verdient, sondern etwa als eine in der That logische (wenn auch nicht
zweckmässigste) Urteilsschrift zu bezeichnen wäre, glaube ich in meiner Rezension4
dargethan zu haben.