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Zoologiſche Briefe.

Naturgeſchichte
der
lebenden und untergegangenen Thiere,
für
Lehrer, höhere Schulen und Gebildete aller Stände,

von
Carl Vogt.

Mit vielen Abbildungen.


Erſter Band.



Frankfurt a. M.:
Literariſche Anſtalt.
(J. Rütten.)

1851.

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Druck von C. Krebs-Schmitt. in Frankfurt a. M.

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Einleitung.


Ein ungemeiner Reichthum lebender Weſen drängt ſich dem Blicke
eines Jeden entgegen, der die Augen auf die ihn umgebende Natur
lenkt. In allen Elementen, in der Luft, auf und in der Erde, in allen
Tiefen des Waſſers lebt und webt es in den mannigfachſten Geſtalten.
Schwärme von Inſekten und Vögeln erheben ſich auf leichten Flügeln,
während andere Thiere, durch ihre Organiſation an den Boden ge-
feſſelt, auf dieſem nach Nahrung umherſchweifen, oder ſelbſt unter der
Oberfläche Wohnung und Unterhalt ſuchen. Jeder Baum, jeder Strauch
beherbergt ſeine eigenthümlichen Gäſte, jede Erdſcholle dient belebten
Thierweſen als Aufenthaltsort. Die ſüßen und ſalzigen Gewäſſer ſind
erfüllt mit ſchwimmenden Thieren, mit Fiſchen, Kruſtern, Weichthieren,
Infuſorien, ihr Boden überzogen von Polypen, Strahlthieren und
anderen Organismen, die ein ſelbſtſtändiges Leben führen. Wie hoch der
Menſch ſich auch erheben mag an den Gehängen der Gebirge, wie tief
er auch ſein forſchendes Senkblei in den Ocean verſenken mag, überall
findet er Spuren ſchaffenden Thierlebens, überall ſieht er ſich von be-
lebten Formen umgeben, deren Mannigfaltigkeit ſeine Bewunderung
erregt. Nicht minder groß iſt der Wechſel, welchen der Beobachter
beim Durchmeſſen größerer Entfernungen auf der Erdoberfläche wahr-
nimmt. Der Bewohner der Polargegenden findet bei uns eine durch-
aus veränderte Thierwelt, er ſieht keine Robben, die zu Hunderten in
dem Strahle einer kärglichen Sonne ſchlafen, keine Alke und Fett-
gänſe, die in unzähligen Schwärmen an den Felſenufern ſeiner Eis-
meere niſten. Der weiße Bär, der blaue Fuchs, die ungeſchlachten
Walthiere haben ihn verlaſſen, ſtatt des Elenns’ und des Renns,
ſieht er Hirſche und Rehe in unſern Wäldern, Schwärme von Sing-
vögeln und Tauben auf unſern Feldern, andere Fiſche, andere Muſcheln
in unſern Flüſſen und Meeren. Nicht minder erſtaunt der Bewohner
unſerer Zone bei dem Anblicke jener tropiſchen Gegenden, die wieder
1*
[4] ganz andere Thiere in noch weit größerer Mannigfaltigkeit ihm ent-
gegen tragen und durch die ſeltſamen Geſtalten, deren oft rieſenmäßige
Größe und ſchimmernde Farbenpracht die Eindrücke wiederholen, welche
die Ueppigkeit der tropiſchen Pflanzenwelt dem Nordländer übermächtig
aufdrängt.


Es iſt natürlich, daß dieſe außerordentliche Mannigfaltigkeit der
thieriſchen Weſen, welche den Erdball überall ſchmückt und belebt, von
Anbeginn an die Aufmerkſamkeit der Menſchen erregen, ihre Wißbe-
gierde ſtacheln mußte. Zuerſt feſſelte das Ungeheuerliche, das Bizarre,
das Gewaltige ihren Geiſt und entzündete die Phantaſie zu oft ſon-
derbaren Uebertreibungen. Die Leichtgläubigkeit der Menſchen war
zu allen Zeiten dieſelbe, und nicht ſelten wurde das Wahre als un-
wahrſcheinlich verworfen, und das offenbar Falſche als wahrſcheinlich
angenommen. Je mehr ſich aber die Beziehungen zwiſchen den einzel-
nen Völkerfamilien mehrten; je weiter der Unternehmungsgeiſt Ein-
zelner oder ganzer Nationen nach entfernten Gegenden hin ſich aus-
breitete, deſto mehr wurde auch die Wißbegierde angeſpornt, die Thier-
welt jener Gegenden kennen zu lernen und mit derjenigen des Vater-
landes zu vergleichen. Da es eine tiefbegründete Eigenſchaft der
menſchlichen Forſchung iſt, bei unbekannten Dingen zuerſt die Aehn-
lichkeit mit bekannten Dingen aufzuſuchen und ſpäter erſt auf die Unter-
ſchiede aufmerkſam zu werden, ſo ſehen wir auch bei den älteren Völ-
kern, daß ſie gänzlich verſchiedenen Thieren die Namen von ſolchen
Geſchöpfen geben, die ihnen näher bekannt waren, und daß ſie die
Unterſchiede derſelben oft nur in unbedeutenden Merkmalen ſuchen.
Mit der Zeit erweitern ſich die Kenntniſſe; die Aufmerkſamkeit, die
früher nur von dem Wunderbaren gefeſſelt wurde, ſteigt zu ſcheinbar
unbedeutenderen Gegenſtänden herab, die Wißbegierde begnügt ſich
nicht mehr mit dem, was ſie zufällig findet, ſie ſucht mit Bewußtſein
auf und gibt ſich ganz ihrem Zwecke hin. Mühſelige Reiſen werden
unternommen, Beſchwerden aller Art ertragen, um nicht nur die Sit-
ten und Gebräuche fremder Menſchen, ſondern auch die fremder
Thiere kennen zu lernen. In dem ungemein reichen Material, welches
man aus allen Ecken der Erde zuſammenſchleppt, verliert ſich der
Ueberblick. Man beginnt deßhalb zu ſichten und zu ordnen; man ſtellt
Aehnliches zuſammen, trennt das Unähnliche von einander, oft
nur nach äußern Merkmalen, die Jeder ſo wählt, wie ſie ihm am
beſten zuſagen. Bald genügt die äußere Geſtaltung nicht mehr; man
will tiefer in das Innere dringen; man will wiſſen auf welche Art
ein abweichend geſtaltetes Thier ſeine Nahrung ſich verſchaffen, ſein
[5] Leben friſten könne. Man unterſucht die Structur der Organe, welche
dieſen wunderbaren Thierleib zuſammenſetzen; man vergleicht die gefundene
Organiſation mit derjenigen der bekannteren Thiere, man entdeckt innere
Merkmale, welche geeignet erſcheinen, die mannichfaltigen Formen unter
gemeinſchaftliche Geſichtspunkte unterzuordnen. Die natürlichen Hilfs-
mittel des menſchlichen Körpers genügen zur Forſchung nicht mehr;
man ſchärft die Sehkraft der Augen durch Lupen und Mikroskope und
ſteht erſtaunt vor einer neuen Welt, deren Kleinheit ſie bisher dem
Auge entzog. Unermüdlich und raſtlos dringt man weiter auf den ge-
öffneten Wegen, hier ſuchend und forſchend, dort ordnend und ein-
reihend. Von dem kleinſten Thiere will man wiſſen, wie es entſtehe,
lebe, ſich fortpflanze und zu Grunde gehe; jedes bekannte Geſchöpf will
man neben ſeinen Nachbarn und natürlichen Verwandten einreihen in das
Regiſter, welches nach ſtreng geſetzmäßigen Normen die Namen und deren
Bedeutung aufnimmt. Ein neues Feld eröffnet ſich. In den Tiefen der Erde,
in den Schichten der Felſen hat man eine Menge von verſteinerten
Körpern gefunden, deren Aehnlichkeit mit Schnecken und Muſcheln,
mit Knochen und Gehäuſen ſie anfänglich für Naturſpiele halten läßt,
bis man entdeckt, daß die Reſte untergegangener Schöpfungen hier der
zerſtörenden Kraft von Jahrtauſenden entgangen ſind und daß es
nur der genauen Unterſuchung der jetzt lebenden Thiere bedarf, um
dieſe längſt vernichteten Geſchöpfe vor unſerm geiſtigen Auge wieder
erſtehen zu laſſen und ſie ihren Verwandten näher zu bringen.


Wir ſind an der Aufgabe der heutigen zoologiſchen Wiſſenſchaft
angelangt. Sie ſoll uns die unendliche Mannichfaltigkeit der thieri-
ſchen Formen, welche den Erdball jetzt bevölkern und früher bewohn-
ten, vor die Augen führen; nicht in einem ungeordneten Haufen,
aus dem nur hie und da eine auffallende Geſtalt hervorſieht, ſondern
wie ein wohlgeordnetes Heer, deſſen einzelne Waffengattungen in be-
ſtimmter und geſchloſſener Reihe vorüberziehen, ſo daß die Eigenthüm-
lichkeiten eines jeden Gliedes bemerkt, kritiſch unterſucht und gewürdigt
werden können; ſie ſoll uns zeigen, wie dieſe verſchiedenen Gruppen in
ihrem Junern geſtaltet, wie dieſe Organismen beſchaffen ſind und in wel-
chem Verhältniß dieſe Beſchaffenheit zu derjenigen anderer Gruppen ſteht;
ſie ſoll uns die Geſchichte eines jeden klar machen, von ſeiner erſten
Entſtehung an bis zu ſeiner Auflöſung in die Elemente; ſie ſoll end-
lich die Gräber aufdecken und zeigen, welche Verwandte, welche Ah-
nen in unendlichen Generationsfolgen in den Schichten der Erde begra-
ben liegen. Es iſt wahrlich nicht die trockene Aufzählung der Thiere und
ihrer äußern Merkmale, welche das letzte Ziel der zoologiſchen Wiſſen-
[6] ſchaft bildet! Dieſe ſoll vielmehr ein Bild geben vonder Art und Weiſe,
wie das Leben in den verſchiedenen Organismen ſich geſtaltet und
wie es von den unſcheinbarſten Anfängen in mannichfaltige Blüthen-
zweige ausſtrahlt, um in der Krone aller Geſchöpfe, dem Menſchen,
ſeinen jetzigen Endpunkt zu finden. Die Zoologie begnügt ſich nicht mehr
mit jenen Kenntniſſen, welche die ſyſtematiſche Zoologie bilden,
ſie bleibt nicht mehr bei Haaren und Zähnen, Klauen und Federn,
Beinen und Kiemen ſtehen, zufrieden Kennzeichen entdeckt zu haben,
welche die Einreihung in das Syſtem möglich machen; ſie verlangt
von der vergleichenden Anatomie die Zerlegung des Thierleibes,
die Kenntniß der einzelnen Organe und ihrer feinern Structur; von
der vergleichenden Phyſiologie die Ergründung der Func-
tionen, welche dieſe Organe ausüben und der Art und Weiſe, wie
dieſe verſchiedenen Functionen zu einem Ganzen zu der Erhaltung
des Lebens zuſammenwirken; ſie will durch die vergleichende Ent-
wickelungsgeſchichte
erfahren, welche Reihen von Umwandlungen
jedes Thier durchlaufen muß, welche verſchiedene Formen es nachein-
ander annimmt, bis es das Ziel ſeines Lebens erreicht hat; die Palä-
ontologie
oder Verſteinerungskunde endlich ſoll ebenfalls ihren
Tribut bringen, indem ſie aus den verſteinerten Reſten ausgeſtorbener
Thiergeſchlechter die Geſtalten zuſammenſetzt, welche früher die Ober-
fläche der Erde bevölkerten. Wenn ſo die Zoologie nach allen Rich-
tungen hin die einzelnen Theile ihres Gebietes kennen gelernt hat, ſo
fragt ſie nach den Geſetzen, welche die Vertheilung der thieriſchen
Organismen über die ganze Erde regeln; ſie ſucht die Wohnbezirke
zu umgränzen, welche jeder einzelnen Art eigenthümlich ſind und er-
fährt durch die zoologiſche Geographie, welche Bedingungen des
Klimas, des Bodens u. ſ. w. erfüllt werden müſſen, um dieſer oder
jener Art das Leben möglich zu machen.


Ich mache in den nachfolgenden Blättern den Verſuch, dieſes
außerordentlich weitſchichtige Gebiet mit meinen Leſern zu durchſtreifen.
Schon aus dem Umfange der Arbeit ergibt ſich, daß es unmöglich
wäre, auf das Einzelne einzugehen. Nur die größern und größten
Gruppen können genauer in das Auge gefaßt und ihrem Weſen nach
verſtändlich gemacht werden. Der Leſer wird mit dieſem Buche in
der Hand nicht dieſen oder jenen Käfer beſtimmen und den ihm von
den Zoologen gegebenen Namen auffinden können; — kaum wird es
ihm möglich ſein, ſeine Schmetterlings- oder Muſchelſammlung einiger-
maßen darnach zu ordnen und in die ſyſtematiſchen Gruppen zu ver-
theilen. Das Ziel, das ich mir geſteckt habe, iſt ein anderes; ich
[7] hoffe der Leſer ſoll, nachdem er dieſes Buch aufmerkſam geleſen und
ſich mitſeinem Inhalte vertraut gemacht hat, wiſſen, was ein Inſekt,
eine Qualle, ein Fiſch, ein Säugethier iſt, wie die Lebensverrichtungen
der Thiere zu Stande kommen, auf welche Weiſe ſie ſich von andern
Thieren unterſcheiden und welche Stelle ſie in dem Bilde einnehmen,
welches die Thierwelt vor uns aufrollt. Die Wiedergabe eines ſolchen
unermeßlichen Bildes in ſo kleinem Rahmen, wie der unſrige, kann
nur in ähnlicher Weiſe erreicht werden, wie bei einem Landſchafts-
bilde, wo die einzelnen Blätter und Grashalme, Steinchen und Waſ-
ſertropfen verſchwinden, aber Wald und Wieſe, Fluß und Hügel,
Berg und Thal dem Beſchauer dennoch aus gewiſſer Ferne entgegen treten.


Wenn jemals, ſo darf ich ſagen, daß ich mit Luſt und Liebe an
dieſem Bilde gemalt habe, das mir in ſeinen erſten Umriſſen ſchon
vorſchwebte, als ich das Gebiet der Wiſſenſchaft betrat und deſſen
einzelne Parthieen ich ſtets durch eigene Beobachtung und das Stu-
dium Anderer zu vervollkommnen geſucht habe. Nach dem traurigen
Mißlingen der deutſchen Revolution, die ſich hoffentlich bald wieder
glänzender aus ihrer Aſche erheben wird, kann ich einem Miniſterium
des liberalſten Sinnes nur dankbar ſein, wenn es mich für unwürdig
erklärt, der zum Dienſte eines chriſtlich-germaniſchen Duodez-Staates be-
ſtimmten ſtudirenden Jugend Naturgeſchichte vorzutragen, und der fort-
ſchreitenden Reaction darf ich zutrauen, daß ſie durch ſtete Verſchlimme-
rung der unleidlichen Zuſtände Deutſchlands nicht den Wunſch in mir
aufkommen läßt, während der Ausarbeitung meines Werkes die freie Luft
der Schweiz mit der Schwüle meines Geburtslandes zu vertauſchen.
Ich bin dadurch in den Stand geſetzt, einen Lieblingsgedanken auszu-
führen, den ich ſeit langer Zeit hegte.


Zweck und Plan des Buches habe ich ſchon angedeutet. Ich wollte,
ſo viel an mir, den Grundplan verſtändlich machen, nach welchem
das Thierreich in ſeinen verſchiedenen Richtungen ſich darſtellt und
in früheren Perioden der Geſchichte unſeres Erdballs ausgebildet hat.
Die einſeitige Kenntniß der lebenden Thiere würde hierzu nicht ge-
nügt haben — der innere Zuſammenhang der einzelnen Gruppen, die
Verbindung ſo mancher, ſcheinbar iſolirt ſtehender Typen wird erſt
erſichtlich, wenn auch die früheren Bewohner unſeres Planeten in Be-
rückſichtigung gezogen werden. Jede Naturgeſchichte des Thierreiches,
welche nur die lebende Schöpfung zuſammenfaßt, bleibt Flickwerk. —
Ich habe demnach die foſſilen Thierreſte, die Verſteinerungen in dem-
ſelben Umfange und mit derſelben Gleichberechtigung behandelt, wie
die lebenden Thiere.


[8]

Die Entwicklung der einzelnen Typen des Thierreiches kann nicht
aus den äußeren Formen, nicht aus den dürftigen Notizen über den
inneren Bau, die man in den meiſten Schulbüchern oder populären
Naturgeſchichten findet, noch weniger aus den ſtets wiedergekäuten
amüſanten Hiſtörchen alter und neuer Scharteken erkannt werden.
Das Leben der Thiere kennt für alle Erſcheinungen die es bietet, nur
zwei große Triebfedern, welche alle Kräfte und Fähigkeiten in Bewe-
gung ſetzen, die Erhaltung des Individuums und die Erhaltung der
Art — Ernährung und Fortpflanzung. Beide Seiten des Thierlebens
forderten gleiche Sorgfalt der Behandlung. Es war unvermeidlich, bei
Beſprechung der letzteren Seite auf manche Organe und Functionen
einzugehen, welche eine, meines Erachtens höchſt übel angebrachte Prü-
derie aus den meiſten Lehrbüchern der Naturgeſchichte verbannt hat.
Die unbefangene, einfache Behandlung dieſer Verhältniſſe ſcheint mir
zweckmäßiger, als die reizende, gefliſſentliche Verhüllung. Bei dem
heutigen Stande der Wiſſenſchaft, welche den Bau ihres Syſtemes,
die Erkenntniß der Verwandtſchaft zwiſchen den einzelnen Gruppen
und Typen weſentlich auf die Entſtehungsgeſchichte der Thiere im Ei,
von dem erſten Augenblicke ihres Keimens an, und auf die Verwand-
lungen, welche ſie im Leben erleiden, ſtützt, iſt es unmöglich, eine klare
Einſicht in die Thierwelt zu verſchaffen, wenn man dieſe Entſtehungs-
geſchichte zur Seite läßt. — Ich habe alſo die Zeugungs- und Ent-
wicklungsgeſchichte der Thiere, die vergleichende Embryologie, über
die man ſonſt nur ſpärliche Notizen findet, mit beſonderer Aufmerk-
ſamkeit behandelt.


Zur Verſinnlichung des Abgehandelten waren Figuren nothwen-
dig. Der Leſer wird der Verlagshandlung dankbar ſein können für
die reiche Ausſtattung, welche ſie gewährte. Dieſelbe würde noch voll-
ſtändiger in Beziehung auf die Verſteinerungen geworden ſein, wenn
ein anderer Buchhändler, in deſſen freundſchaftliche Beziehungen zu
mir die politiſchen Ueberzeugungen ſtörend eingegriffen zu haben ſchei-
nen, nicht ſtillſchweigend die Mittheilung der Holzſchnitte eines meiner
eigenen Werke verſagt hätte, zu welchen ich ſelbſt vor mehren Jah-
ren die Zeichnungen gefertigt hatte.


Bern am 1. September 1850.


[9]

Erſter Brief.
Frühere und jetzige Beſtrebungen.


Die naturwiſſenſchaftlichen Kenntniſſe des ganzen Alterthums, ſo
wie eines großen Theiles des Mittelalters finden in dem einzigen großen
Naturforſcher Griechenlands, in Ariſtoteles, ihren gemeinſamen
Sammelpunkt. Der Vater der Naturgeſchichte faßte Alles zuſammen,
was von früher erbeuteten Kenntniſſen ihm vorlag, fügte einen unge-
meinen Reichthum höchſt genauer und oft erſt in der ſpätern Zeit be-
ſtätigter Beobachtungen hinzu und wurde für die Scholaſtiker des
Mittelalters ſowohl, wie für die geiſtloſen, alles wiſſenſchaftlichen Sin-
nes entbehrenden Römer, gleichſam der Codex, zu welchem die Gloſſen-
fabrikanten jener troſtloſen Perioden Erläuterungen und Anmerkungen
fertigten. Ariſtoteles trug zuerſt das Scalpell in den Körper der
Thiere; er unterſuchte ihren Bau und faßte ſie zuweilen nach gewiſſen
Aehnlichkeiten zuſammen, die meiſtens von der innern Organiſation
hergenommen ſind. Einen großen Werth legte Ariſtoteles auf die Er-
zeugungs- und Fortpflanzungsweiſe der Thiere und gar manche cha-
rakteriſtiſche Eigenthümlichkeiten, die er in dieſer Hinſicht beſonders
von Seethieren anführt, erhielten erſt in der neueſten Zeit ihre voll-
kommene Beſtätigung. Die Beſchreibung der äußeren Charaktere bleibt
ihm nur Nebenſache; er bedient ſich der allgemein angenommenen Na-
men in der Vorausſetzung, daß dieſelben allgemein verſtändlich ſeien
und fügt nur dann einige hervorſtechende Merkmale kurz an, wenn
er Mißverſtändniſſe vermeiden oder größere Gruppen bezeichnen will.
Die große und einfache Naturanſchauung der Griechen weht durch
dieſes Werk, ein Erzeugniß außerordentlichen Fleißes und jahrelanger
Anſtrengungen. Keine läppiſchen Unterſuchungen über den Zweck,
welchen ein fingirter Schöpfer mit dieſem oder jenem Thiere oder gar Thier-
theile habe erreichen wollen, ſondern eine einfache, nüchterne Darſtellung
der Thatſachen und der aus ihnen hervorgehenden Schlüſſe. Aber auch
kein ſyſtematiſch trockenes Gebäude, in welches die Beobachtungen oft mit
Zwang und indem man ihnen Gewalt anthut, eingereiht werden; ſon-
[10] dern nur hie und da Andeutungen von Abgränzungen, welche für die
Betrachtung dieſes oder jenes Organes bei beſtimmten Gruppen von
Wichtigkeit erſcheinen. Die Hülfsquellen, welche dieſem außerordent-
lichen Manne durch ſeinen Schüler, Alexander den Großen von Ma-
cedonien, zu Gebote geſtellt wurden, ſollen ungemein geweſen ſein; indeß
beruhen doch die weſentlichſten Thatſachen, die Ariſtoteles anführt, auf
dem kleinen Kreiſe des griechiſchen Archipelagus und der Küſten, welche
den öſtlichen Theil des Mittelmeeres begränzen.


Wir können füglich eine lange Periode überſchreiten, in welcher abſtrakte
philoſophiſche Theorieen, kritikloſe Compilationen oder trockene ſcholaſtiſche
Uebungen das Weſen der Naturwiſſenſchaften bildeten. Die ganze lange
Zeit, welche ſich von dem Verfall des griechiſchen Alterthums durch das
Mittelalter hinzieht, zeigt keinen Mann und kein Werk auf, das nur des
Erwähnens werth wäre. Die fortſchreitende Ausbreitung des Chriſten-
thums tödtete, wie jede andere Wiſſenſchaft, ſo auch vor Allem die Na-
turlehre, welche ihm nothwendig feindlich gegenübertreten mußte. Erſt
in der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, wo der freie Gedanke
ſich wieder Bahn zu brechen begann, erſcheinen Männer, welche ſelbſt-
ſtändig zu beobachten und die Beobachtungen ihrer Zeitgenoſſen über-
ſichtlich zu ordnen verſtehen. Die Periode der Wiedergeburt beginnt
zum Theil mit naiven Menſchen, welche eine reine Liebe zur Natur
und deren Wundern beſitzen und zwar nicht ganz frei von Vorurtheilen,
mit einer gewiſſen religiöſen kindlichen Andacht, den Zeitgenoſſen
die Reſultate ihrer Studien mittheilten. Die menſchliche Anatomie
bahnte die Wege, während zugleich Männer wie Geßner, Aldrovandi
das ganze Gebiet der Thierwelt zu umfaſſen ſtrebten. Die wiſſenſchaft-
lich ſtrenge Methode, welche zuerſt in der Aſtronomie angewandt wurde,
wird allmählig in die Naturgeſchichte übertragen. Mit unglaublicher
Geduld und ſcharfſinniger Geſchicklichkeit zerlegt Swammerdamm die
kleinſten Inſekten und weiſt ihre Verwandlungen und Metamorphoſen
nach, während kurz darauf ein ordnender, intelligenter Geiſt, Ray,
dem Vater der heutigen Zoologie, Linné, die Wege bahnt. So man-
nichfachen Reiz auch dieſe Periode der Vorbereitung haben mag, indem
hier namentlich beobachtet werden kann, wie nur langſam die voran-
ſtrebenden Geiſter die Feſſeln brechen können, welche religiöſer Aber-
witz und ſcholaſtiſche Spitzfindigkeit Jahrhunderte hindurch geſchmiedet
haben, ſo finden wir doch hier nur geringe Ausbeute, da die ſpätere
Zeit die Früchte der Kämpfe aufnahm und nützte, während ſie das ver-
altete Kriegsmaterial als unbrauchbar verwarf.


Der außerordentliche Einfluß, welchen Linné, der im Beginne
[11] des achtzehnten Jahrhunderts geboren wurde, als Geſetzgeber der zoo-
logiſchen Wiſſenſchaft ausübte, beruht weniger auf der von ihm ein-
geführten Claſſification und dem Werthe der einzelnen Abtheilungen,
die er darin feſtſetzte und die durch die ſpäteren Forſchungen mannig-
fach abgeändert wurden, als vielmehr auf dem ſtreng logiſch durchge-
führten Syſteme der Benennung und Eintheilung, welches er zuerſt
aufſtellte und das ſeither unverändert geblieben iſt. Die einfachen
Namen, welche der gewöhnliche Sprachgebrauch für die ihm bekannten
Thiere wählt und die bisher von den Naturforſchern ebenfalls benutzt
worden waren, genügten für eine ſyſtematiſche Zuſammenſtellung nicht,
welche das Aehnliche nähern, das Unähnliche entfernen wollte. Jeder-
mann weiß, daß der Hund und der Wolf, die Katze und der Tiger,
der Eſel und das Pferd eine bedeutende Summe von Merkmalen mit-
einander gemein haben und Aehnlichkeiten beſitzen, welche ſich durch
die gebräuchlichen Namen nicht errathen laſſen. Linné führte alſo
die doppelte Namengebung, das Syſtem der binären Nomenclatur,
ein; ganz in ähnlicher Weiſe wie mit zunehmender Civiliſation auch
unter den menſchlichen Völkern der doppelte Name Regel ward. So
wie wir das Individuum durch ſeinen Taufnamen unterſcheiden, wäh-
rend wir durch den Familiennamen die Herkunft deſſelben bezeichnen,
ſo bezeichnet Linné gewiſſermaßen durch einen Taufnamen, der meiſtens
von einem hervorſtechenden äußern Merkmal hergenommen iſt, die Art,
und durch einen vorgeſetzten Namen die Beziehungen dieſer Art zu ver-
wandten Thieren, welche mit ihm eine Gattung (Genus) bilden.
So heißen ihm alle hundeartigen Thiere Canis, alle katzenartigen Felis,
alle pferdeartigen Equus; der Haushund erhält einen Beinamen: fa-
miliaris,
der Wolf einen andern: lupus; die Katze heißt: Felis catus, der
Tiger: Felis tigris; das Pferd: Equus caballus, der Eſel: Equus asinus.


Die Individuen verſchwinden für den Zoologen und wenn es
auch eine Wahrheit iſt, daß das ganze Thierreich nur aus einzelnen
Individuen zuſammengeſetzt iſt, ſo lehrt doch ſchon der natürliche Ver-
ſtand, daß wir alle diejenigen Individuen, welche einander bis auf
einen gewiſſen Grad ähnlich ſind, in unſern Bezeichnungen zuſammen
faſſen. Der Name Wolf z. B. iſt ſchon gewiſſermaßen eine Abſtrak-
tion, unter welcher wir alle diejenigen Thiere vereinigen, welche die
eigenthümliche Farbe, Behaarung, Gebiß, Fußbildung, kurz alle jene
charakteriſtiſchen Kennzeichen des Wolfes gemeinſam haben — Kennzeichen,
die ſo ſehr in die Augen fallen, daß ſelbſt ein Kind, welches einmal
einen Wolf geſehen hat, ein anderes Individuum unmittelbar wieder
als Wolf wiedererkennen wird. Eine weitere Abſtraktion iſt diejenige,
[12] welche auf den Linné’ſchen Genus- oder Gattungsnamen führt. Die
Vergleichung des Eſels und Pferdes z. B. bietet bei großen Ver-
ſchiedenheiten in der Behaarung, in der Geſtalt des Körpers, der
Ohren, des Schwanzes, eine außerordentliche Summe verſchiedener
Merkmale dar, welche auf das Engſte mit einander übereinſtimmen,
wie z. B. die Geſtalt und Bildung der Hufe, der Zähne u. ſ. w.,
ſo daß ſich eine Verwandtſchaft herausſtellt, die ebenfalls Jeder auf
den erſten Blick fühlt, eine Verwandtſchaft, welche von Linné in dem
erſtgenannten Gattungsnamen ihren Ausdruck erhielt.


Mit dieſer ſo einfachen und ſo bequemen Benennungsweiſe ver-
einigten die Linné’ſchen Arbeiten einen Grad von Genauigkeit, Klar-
heit und Kürze in der Aufzählung der charakteriſtiſchen Kennzeichen
der Thiere, der von keinem ſeiner Nachfolger erreicht wurde. Er
verglich die Beobachtungen ſeiner Vorgänger, ſtellte größere Gruppen
auf, die er ſcharf nach äußern und innern Merkmalen ſchied und ent-
wickelte eine ungemeine Thätigkeit, ſowohl ſelbſt als auch namentlich
durch ſeine Schüler, welche ſich über die ganze damals bekannte Erde
zerſtreuten und ihrem Meiſter Materialien zur Vervollſtändigung ſeines
Syſtems ſammelten. Trotz des Einſpruches, den namentlich Buffon
von Anfang an gegen die claſſificirende Methode Linné’s erhob, wur-
den dennoch die einfachen Grundſätze des ſchwediſchen Naturforſchers
bald ſo allgemeine Regel, daß Jeder, der geleſen und verſtanden ſein
wollte, ſich der Linné’ſchen Sprache bedienen mußte. Die Bezeichnungs-
art, welche er einführte, iſt in der That bis auf heute geblieben und
kann um ſo weniger geändert werden, als ſie das alleinige Mittel
bleibt, die Forſcher verſchiedener Länder in Uebereinſtimmung zu
bringen.


Während mit Linné und von ihm aus ſich eine Schule der Syſtema-
tiker entwickelte, welche oft in dürren Formelkram verſank und ihre
Wißbegierde vollkommen befriedigt fühlte, wenn ſie ein neu bekannt
gewordenes Thier in den Katalog regiſtrirt hatte, bildeten ſich auf
der andern Seite einige Männer hervor, welche beſonders auf das
Leben und Verhalten der kleinern Thiere ihre Aufmerkſamkeit richteten
und mit unendlicher Geduld die Sitten und den Haushalt derſelben
ſtudirten. Réaumur, Röſel, de Geer etc. beſchäftigten ſich beſonders
mit dieſen zeitraubenden Beobachtungen und lieferten dadurch den Sy-
ſtematikern vortreffliche Grundlagen zu ſpäterer Verbeſſerung ihrer
Gebäude und Fachwerke.


Auch eine ariſtokratiſche Richtung der Wiſſenſchaft ſollte in der
letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht fehlen. Buffon war
[13] ein abgeſagter Feind jeder Claſſiſication; er ſah geringſchätzig herab
auf die plebejiſchen Mühen von Réaumur und Andern, welche mit ſo
gemeinem Zeuge wie Mücken und Schmetterlingen ihre Zeit füllten.
Durch fein geglättete und pomphafte Beſchreibungen ſuchte der Herr
Graf unter der Ariſtokratie einen gewiſſen nobeln Dilettantismus zu
wecken, der in der That die beſten Früchte für die Vermehrung der
Pariſer Sammlungen brachte. In magnifiquen, hochtönenden Phra-
ſen beſchrieb Buffon die höhern Thiere, Säugethiere und Vögel, ihre
Sitten und Haushalt, ohne Ordnung, ohne inneren Zuſammenhang, je
nachdem ihm dieſer oder jener Stoff geeigneter ſchien, ſeinen Styl
daran glänzen zu laſſen. Er gehört jetzt nur noch der Literatur-Ge-
ſchichte als franzöſiſcher Schriftſteller an und ihm iſt es hauptſächlich
zuzuſchreiben, wenn die hauptſächlichſten Beſtrebungen jener Zeit ſich
mehr auf die höhern und brillanten Claſſen, auf die Säugethiere und
Vögel einerſeits und die Inſekten andererſeits lenkte. So darf es denn
auch nicht wundern, wenn dieſe Claſſen vorzüglich in ihrer Bearbei-
tung vorſchritten und die damals angenommenen Syſteme ſich den
jetzigen ſehr näherten, während die übrigen Claſſen, beſonders die
Weichthiere und die Meeresbewohner faſt nur als Ballaſt nachgeführt
wurden.


Während für Linné das Syſtem und deſſen methodiſche Anord-
nung nur ein Mittel geweſen war, ſo wurde es ſeinen oft geiſtloſen
Nachfolgern meiſt Zweck, und ihre Claſſificationen, ſtatt die Geſammt-
organiſation der Thiere im Auge zu behalten, klammerten ſich oft
ängſtlich an untergeordnete äußere Merkmale an. Ein trockenes For-
melweſen breitete ſich immer mehr und mehr in der Wiſſenſchaft aus
und drängte das friſche Leben zurück, welches unter Linné’s Anregung
das Syſtem durchſtrömt hatte. Der Zopf welcher vor der franzöſi-
ſchen Revolution im politiſchen Leben herrſchte, wuchs auch in der
Wiſſenſchaft rieſengroß, und es drohte eine Zeit der Verödung, die
glücklicher Weiſe durch den erfriſchenden Hauch der franzöſiſchen Re-
volution überwunden wurde.


Die franzöſiſche Revolution, die alle Geiſter ſo mächtig erſchütterte
und überall neue Bahnen eröffnete, brachte auch neue Richtungen in
der zoologiſchen Wiſſenſchaft hervor. Cuvier hatte die Lücken ent-
deckt, welche die Naturgeſchichte der Thiere bot, und indem er während
einer langen Reihe von Jahren beſonders die Anatomie der vernach-
läſſigten Claſſen förderte, ſtellte er neue Grundlagen für die Claſſifi-
cation der geſammten Thierſchöpfung her. Die vergleichende Anatomie
als Grundlage der Zoologie wurde jetzt in allen Ländern mit außer-
[14] ordentlichem Eifer betrieben. Man beſuchte die Seeküſten, um den
Bau der Organismen des Meeres in friſchem Zuſtande zu unterſuchen,
und je tiefer man in die Organiſation dieſer niederen Thiere eindrang,
deſto überraſchendere Ergebniſſe hatte man zu berichten. Während ſo
die Kenntniß der niedern Thiere raſch gefördert wurde, bahnte Cuvier
zugleich einen neuen Weg durch Unterſuchung der Knochenreſte, welche
die Schichten der Erde einſchließen. Durch die genaueſten Vergleichun-
gen der einzelnen Fragmente mit den Skeletten jetzt lebender Thiere,
gelang es ihm die vorweltlichen Säugethiere und Reptilien meiſt in
ihren wahren Formen wieder herzuſtellen, ihre Beziehungen zu der
jetzigen Schöpfung aufzuklären und hierdurch den wichtigſten Einfluß
auf ein ſtrenges und nachhaltiges Studium der Thatſachen zu üben.
Umfaſſende und genaue Beobachtung des Baues der Thiere bis in
ſeine größten Einzelnheiten und ſeine letzten Geſtaltungseigenthümlich-
keiten, kritiſche Lichtung und Vergleichung der Arbeiten der Vorgänger
und unmittelbares Feſthalten an den beobachteten Thatſachen, waren
weſentliche Eigenthümlichkeiten der Cuvier’ſchen Richtung. Cuvier ſelbſt
war ein ſtreng methodiſcher, aber knapper Geiſt, der niemals den
Boden der Thatſachen verließ, durch keine Spekulation die Lücken der
Beobachtung zu erſetzen ſuchte, wohl aber ein reiches Material mit
vieler Klarheit zu ordnen und zu beherrſchen wußte.


Es war natürlich, daß neben der Richtung Cuvier’s, die ſich
durch das ſtrenge Feſthalten an den Thatſachen auszeichnete, eine mehr
idealiſtiſche Schule ſich entwickelte, welche die Thiere nicht nach Merk-
malen, ſondern nach den Prinzipien ordnen wollte, in deren Befol-
gung die Natur die thieriſchen Organismen überhaupt hervorgebracht
hätte. Begreiflicherweiſe trugen die Natur-Philoſophen dieſe Prin-
zipien von ſich aus in die Natur hinein, anſtatt ſie aus den
Thatſachen hervorgehen zu laſſen, welche nur Nebenſache, gleichſam
nur Verbrämung des philoſophiſchen Fachwerkes waren, nach welchen
ſie ſich die Natur zuſchnitten. Die beiden ſo gänzlich in ſich verſchie-
denen Tendenzen ſtießen bald mit äußerſter Heftigkeit aufeinander, und
während die Schlachtfelder Europa’s vom Donner der Geſchütze wider-
hallten, war ein nicht minder heftiger Streit zwiſchen den beiden
wiſſenſchaftlichen Heeren entbrannt, an deren Spitze einerſeits Cuvier,
Meckel, Rudolphi
und Tiedemann, andererſeits Geoffroy St. Hilaire,
Schelling
und Oken fochten. Wie jeder Kampf, ſo förderte auch dieſer
ungemein dadurch, daß die Gegner von beiden Seiten ſoviel Material
als möglich herbeiſchafften, um ihre Widerſacher zu vernichten, und
[15] daß die gegenſeitige Kritik die Beobachtungen ſichtete und ihren that-
ſächlichen Werth feſtſtellte.


Wir ſind mit dieſem Kampfe in die neuere Zeit hinübergetreten.
Die letzten Nachklänge deſſelben hallen noch hie und da wieder; ver-
einzelt trifft man noch zuweilen Ruinen aus der naturphiloſophiſchen
Schule, welche die Natur in die engen Schranken ihres Kopfes zwän-
gen möchten. Die thatſächliche Richtung hat offenbar den Sieg davon-
getragen und es iſt nicht zu läugnen, daß die weſentlichſten Fortſchritte
der Wiſſenſchaft hauptſächlich auf ihr beruhen. Die Claſſification, das
Syſtemmachen, obgleich noch hie und da eifrig gepflegt, ſteht im Hin-
tergrunde; — man hat eingeſehen, daß jede Claſſification theils nur
ein Mittel iſt, unſere Kenntniſſe überſichtlich zu ordnen und ſich in
dem Labyrinthe zurecht zu finden, theils auch wieder ein Ausdruck
dieſer Kenntniſſe, in welchem die vergleichende Beobachtung ihre Re-
ſultate kund gibt. Der Forſcher, der neue Seiten einem beobachteten
Körper abgewinnt, drückt dieſelben gleichſam im Lapidarſtyl durch
Veränderung des Syſtems an der betreffenden Stelle aus, und wäh-
rend ſo das Gebäude im Ganzen ſeit Cuvier’s Zeiten dasſelbe geblieben
iſt, ſo dürfte kaum eine Stelle zu finden ſein, die nicht mehr oder
minder durchgreifend verändert worden wäre.


Als Ausläufer des Kampfes zwiſchen der naturphiloſophiſchen und
realiſtiſchen Richtung ſtellt ſich in der ſyſtematiſchen Zoologie weſentlich
die verſchiedenartige Tendenz der Gruppirung dar. Die Einen behaup-
ten, das Thierreich bilde eine lange und ununterbrochene Reihe, nach ein-
heitlichem Plane gebaut, wo immer ein Weſen vollkommener ſei als das
andere, ſo daß von den niedrigſten Infuſionsthierchen bis zu dem
Menſchen eine Kette aus zuſammenhängenden Gliedern ſich fortziehe.
Derſelbe gemeinſame Plan der Organiſation liege dem Baue aller
thieriſchen Organismen zu Grunde, und je nach der Entwickelung der
einzelnen Organe, aus welchen der Thierleib zuſammengeſetzt ſei, könne
man die Rangſtufe beſtimmen, auf welche jeder Organismus geſtellt
werden müſſe.


Andere behaupten, dem Baue der Thiere liegen im Gegentheil
mehre verſchiedene Urplane zum Grunde. Es ſei zwar vollkommen
richtig, daß in kleinen Gruppen, welche nach demſelben Typus gebaut
ſeien, ſich auch eine Ueberordnung, eine allmählige Vervollkommnung
erkennen laſſe, für das Ganze ſei dies aber nicht richtig, indem jeder
Typus ſich zu einer eigenthümlichen Stufe der Vollkommenheit erhebe
und von ſeinem Gipfelpunkte aus kein Uebergangspunkt zu der Grund-
[16] lage des nächſten Typus ſtattfinde. Wir werden Gelegenheit haben
die letztere Meinung noch weitläufiger auseinanderzuſetzen.


Wenn man früher ſich weſentlich an die äußern Charaktere der
Thiere gehalten hatte, ſelbſt ſo ſehr, daß Linné vielen Spott erdulden
mußte, als er die Ordnungen der Säugethiere auf den Bau der Zähne
gründete (einer ſeiner Gegner warf ihm vor, Adam habe bei der
Namengebung im Paradieſe den Thieren das Maul nicht aufgeriſſen,
um nach den Zähnen zu ſchauen); wenn dann durch Cuvier’s und
ſeiner Nachfolger Beſtrebungen die Claſſification hauptſächlich auf die
innere Organiſation, auf den Bau der Organe im erwachſenen Thiere
und auf die Beziehungen der Letzteren zu einander gegründet wur-
den, ſo bricht ſich jetzt eine neue Richtung Bahn, auf deren Ent-
wickelung die Revolution von 1848 vielleicht beſtimmt iſt einen ähn-
lichen befruchtenden Einfluß zu üben, wie diejenige von 1798 auf die
Cuvier’ſche. Hat man doch überall bemerkt, daß durch politiſche
Stürme die mächtigſte geiſtige Anregung erzielt wird, die ſich auf
andere Gebiete, der Kunſt und der Wiſſenſchaft, des Handels und der
Induſtrie wirft, ſobald ihr dasjenige des politiſchen Handelns ver-
ſchloſſen wird.


Die Entwickelungsgeſchichte der thieriſchen Weſen beginnt allmäh-
lig den Platz einzunehmen, welchen erſt die äußern Charaktere, ſpäter
die innere Organiſation der erwachſenen Thiere behauptete. Wenn
man ſchon früher gewußt hatte, daß die äußeren Umwandlungen,
welche viele Thiere während ihres Wachsthums erleiden, oft in dem
Maße durchgreifend ſeien, daß man das Thier in ſeinem Jugendzu-
ſtande durchaus nicht zu erkennen vermöge (ich erinnere hier nur an
die Raupe und den Schmetterling, an die Kaulquappe und den Froſch)
ſo lehrten die umfaſſenden Beobachtungen der Neuzeit, daß gemeinſame
Typen vorhanden ſeien, nach welchen ſich die Embryonen aus dem
Ei entwickeln und daß den Metamorphoſen, welche die Thiere wäh-
rend ihres Lebens erleiden, Geſetze zum Grunde liegen, welche zu-
gleich für die Ausbildung der geſammten Schöpfung, wie auch für
die Aufeinanderfolge der früheren Erdſchöpfungen maßgebend ſeien.
Die Entwickelungsgeſchichte beſtätigte es, daß verſchiedene Typen der
allgemeinen Organiſation vorhanden ſeien, welche in aufſteigender
Richtung ſich entwickelten, und daß dieſe Typen unter ſich keinen nähern
Zuſammenhang zeigten, indem die urſprünglichen Anlagen des wer-
denden Thieres ſchon bei ihrem erſten Auftreten nichts Gemeinſames
zeigten. Es gelang bei einzelnen Claſſen nachzuweiſen, daß das voll-
kommnere Thier während ſeiner Jugendzuſtände, von der Entwicklung
[17] aus dem Eie an, gewiſſe Stufen der Organiſation durchlaufe, welche
den Bildungsſtänden, in denen die niedern Thiere desſelben Typus verhar-
ren, parallel gehen, ohne jemals eine völlige Gleichſtellung zu erreichen.
Man kann in der That nachweiſen, daß der Embryo eines Säugethieres
z. B. in früheſter Zeit gewiſſe Organiſationseigenthümlichkeiten beſitzt,
welche nur den Fiſchen und auch dieſen nur auf der niedrigſten Stufe
zukommen; man kann nachweiſen, daß die allmählige Ausbildung des
jungen Säugethieres Stadien durchläuft, welche der Ausbildung der
erwachſenen Amphibien entſprechen. Die Vertheidiger der ununter-
brochenen Reihe in der Thierwelt haben ſogar behauptet, dieſe Aehn-
lichkeit gehe bis zur vollſtändigen Identität und das werdende Säuge-
thier ſei in ſeinem erſten Entwickelungszuſtande Infuſionsthierchen,
Wurm, Weichthier, Fiſch u. ſ. w. Dieſe Behauptungen überſchreiten
die Grenzen der Wahrheit. In der Entwickelung eines jeden Thieres
läßt ſich von Anfang an mit Sicherheit neben dem allgemeinen Grund-
plane, wonach das Thier dieſem oder jenem größeren Organiſationstypus
angehört, die ſpecielle Richtung ſehr wohl erkennen, nach welcher hin
ſeine Ausbildung fortſchreiten wird und wenn auch der Säugethierembryo
in ſeinen Anfängen fiſchähnliche Ausbildung mancher Organe zeigt,
ſo iſt doch niemals ſeine Geſammtorganiſation derjenigen eines Fiſches
gleich oder ein ſelbſtſtändiges Leben für ihn in dieſem Zuſtande der
Ausbildung möglich. Der Embryo des vollkommneren Thieres durch-
läuft daher in ſeiner Entwickelung zwar Bildungsmomente, welche
denjenigen der niedern Thiere desſelben Typus analog ſind, niemals
aber iſt ſeine vorübergehende Organiſation vollkommen gleich derjenigen
der niederen Thiere in ihrem erwachſenen Zuſtande.


Noch mehr der Wahrheit entgegen iſt es, wenn man, auf un-
genaue Beobachtungen geſtützt, behauptet, die vollkommenen Thiere
durchliefen in ihrer Entwickelung Zuſtände, welche den erwachſenen
Thieren anderer Grundtypen analog ſeien; — wenn man, wie die An-
hänger der ununterbrochenen Stufenleiter in der Schöpfung es oft
thaten, z. B. behauptet, der Vogel ſei während ſeiner Entwickelung
aus dem Eie zuerſt Infuſionsthierchen, dann Weichthier, dann Fiſch
u. ſ. w. Zu keiner Zeit ſeiner Exiſtenz gleicht der Vogelembryo einem Inſekt
oder einem Weichthier, zu keiner Zeit gleicht das werdende Inſekt
einem Weichthiere oder einem Strahlthiere; gemeinſam iſt allen nur
der Typus, nach welchem das urſprüngliche Ei gebildet iſt. Mit dem
erſten Augenblicke der Formbildung des neuen Individuums in dem Eie
tritt aber auch der Grundtypus hervor, welcher in den einzelnen Ab-
theilungen des Thierreiches ausgebildet iſt.


Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 2
[18]

Es geht ſchon aus dem Geſagten hervor, daß in den einzelnen
Familien und Gattungen, welche die Grundtypen oder größeren
Abtheilungen des Thierreiches zuſammenſetzen, eine allmählige Evo-
lution zur höheren Vollkommenheit erkannt werden kann, deren ein-
zelne Stadien auch in den verſchiedenen vorübergehenden Bildungs-
momenten der höher ſtehenden Embryonen erkannt werden können.
Das Thierreich in ſeiner Geſammtheit betrachtet wiederholt demnach
in ſeinen einzelnen Formen und Geſtaltungen bleibend gewiſſe Bil-
dungsmomente, welche in den Embryonen im zuſammenhängenden
Wechſel vor unſern Augen vorübergeführt werden, und an denjenigen
Organen, an welchen die Entwickelungsgeſchichte dieſe vorübergehenden
Phaſen der Bildung nachweiſt, läßt ſich die größere oder geringere
Vollkommenheit des Thieres und ſein Rang in der Bildungsrichtung,
der es angehört, erkennen. Wenn wir z. B. ſehen, daß die Wirbel-
ſäule des Säugethieres bei ihrem erſten Auftreten aus einem einfachen
Knorpelſtabe beſteht, der noch keine Abtheilungen zeigt, ſo werden wir
denjenigen Fiſchen, welche im erwachſenen Zuſtande nur einen ſolchen
Knorpelſtab beſitzen, einen ſehr niedrigen Platz in der Bildungsreihe
der Wirbelthiere überhaupt anweiſen müſſen.


Dasſelbe Geſetz, welches wir hier für die Ausbildung der jetzt
lebenden Schöpfung aufgeſtellt haben, findet auch auf diejenigen Thiere
ſeine Anwendung, deren Reſte in dem Schooſe der Erde begraben
liegen. Die Unterſuchung der Geſteinsſchichten, aus welchen die Rinde
unſerer Erde zuſammengeſetzt iſt, weiſ’t nach, daß die Oberfläche
unſeres Erdkörpers viele Geſchichtsperioden durchlaufen hat, in wel-
chen unter ſich verſchiedene Schöpfungen die Erde bevölkerten; — eine
allmählige Vervollkommnung der Geſchöpfe, welche nacheinander auf
der Erde erſchienen und wieder untergingen, läßt ſich im Großen
nicht läugnen, wenn gleich über die einzelnen Grade dieſer Vervoll-
kommnung verſchiedene Anſichten herrſchen können. Aus den vorhan-
denen Thatſachen aber läßt ſich ſchon nachweiſen, daß dieſelben Typen,
welche in unſerer jetzigen Schöpfung vorhanden ſind, in ihren An-
fängen ſchon in der erſten Zeit der organiſchen Entwickelung auf der
Erde vertreten waren und daß ſie durch analoge Stufen der Ausbil-
dung hindurch gingen, wie diejenigen ſind, welche wir in der jetzigen
Schöpfung und in den Metamorphoſen der werdenden Thiere erkennen.
Dasſelbe Beiſpiel, welches wir ſoeben benutzten, können wir auch hier
anwenden. Die älteſten Fiſche, welche in den unterſten Schichten ge-
funden werden, beſitzen noch keine ausgebildete Wirbelſäule, ſondern
an ihrer Statt einen Knorpelſtab, der in ähnlicher Weiſe gebildet iſt
[19] wie der Knorpelſtab der niedern Fiſche unſerer jetzigen Schöpfung und
der Knorpelſtab der Wirbelthierembryonen überhaupt in der erſten
Zeit ihrer Bildung.


Die Erkenntniß dieſer dreifachen Richtung in der Ausbildung der
Thierorganismen, nämlich der hiſtoriſchen Entfaltung durch die ver-
ſchiedenen Geſchichtsperioden der Erde hindurch, der Flächenausbildung
durch die mannigfaltigen Formen ausgebildeter Thiere, welche jetzt den Erd-
ball bevölkern, und der genetiſchen Entwickelung in der Ausbildung
der Embryonen, die Verfolgung dieſer dreifachen Richtung bis in ihre
letzte Einzelheit iſt es, welche der heutigen Wiſſenſchaft die zu löſenden
Aufgaben ſtellt. Nach allen Seiten hin beſtrebt man ſich die Lücken
der Beobachtungen zu füllen und mit den vortrefflichſten Hülfsmitteln
ausgerüſtet in die Einzelnheiten der Organiſation einzudringen. Die
Einen verfolgen die einzelnen Thiere von dem erſten Augenblicke ihrer
Entſtehung an, während Andere die verſteinerten Reſte mit den Pro-
dukten der jetzigen Schöpfung vergleichen und aus dieſer Vergleichung
ihre Beziehungen ergründen. Noch iſt zwar das Widerſtreben nicht
ganz überwunden, welches gegen die Verſchmelzung der Thiere der
jetzt lebenden Schöpfung mit der früheren Erdperiode herrſchte, in-
deſſen lichten ſich doch die Reihen der Gegner von Tage zu Tage und
jede neue Arbeit bringt den Beweis, daß nur durch Beobachtung der
angeführten Richtungen die Wiſſenſchaft überhaupt gefördert wer-
den kann.


Zweiter Brief.
Das System.


Sobald man einmal begonnen hatte, die bekannten Thierweſen zu
ordnen und größere oder kleinere Abtheilungen feſtzuſtellen, welche eine
Ueberſicht gewährten, ſo wurde nothwendiger Weiſe das Syſtem der
Ausdruck der jedesmaligen Kenntniſſe über das geſammte Thierreich.
Wir haben ſchon oben geſehen, wie Linné zuerſt durch ſeine doppel-
namigen Bezeichnungen zwei feſte Begriffe in die Wiſſenſchaft einzu-
führen ſuchte, denjenigen der Art (Species) und den weiteren der
Gattung (Genus). Hierbei beſchränkten ſich indeß weder Linné noch
2*
[20] die ſpäteren Claſſifikatoren. Man ſtellte unter ſtets größer werdenden
Gruppen und Abtheilungen die durch gewiſſe Charaktere mit einander
übereinſtimmenden Arten und Gattungen zuſammen, um endlich bis zu
wenigen großen Kreiſen zu gelangen, welche die einzelnen Genustypen
umfaßten, ſo daß das ganze Syſtem füglich mit einem Gebäude ver-
glichen werden kann, in dem man einzelne Stockwerke, Wohnungen,
Säle, Zimmer bis zu den Fachwerken an den Wänden unterſcheidet.
Wie viele öde Regiſtratoren der Wiſſenſchaft gab es, die ihr Leben
damit zubrachten, den einzelnen Aktenbündeln ihre Ueberſchrift zu geben
und ſie aus dieſem oder jenem Gefache in ein anderes hinüber zu
tragen!


Die Grundlage auf welcher das ganze Gebäude der Syſtematik
beruht, iſt die feſte Beſtimmung des Begriffes der Art(Species). Giebt es
wirklich ein ideales Weſen, Art genannt, dem wir feſte und unab-
änderliche Charaktere zuſchreiben können, oder haben wir es nur mit
einzelnen Individuen zu thun, deren Charaktere durch die äußeren Um-
ſtände bedingt und ſo weit modificirt werden können, daß es zweifel-
haft wird, ob ſie noch derſelben Art angehören?


So weit wir jetzt blicken können, ſo müſſen wir den Begriff der
Art dahin beſtimmen, daß zu derſelben Art alle Individuen gehören,
welche von gleichen Eltern abſtammen und im Verlaufe ihrer Ent-
wickelung, entweder ſelbſt oder durch ihre Descendenten den Stamm-
ältern ähnlich werden. Zur Feſtſtellung der Charaktere, welche einer
Art eigenthümlich ſind, würde alſo ſtets die Beobachtung ihrer Ab-
ſtammung gehören und man würde bei einem einzelnen Thier, deſſen
Leiche oder verſteinerte Reſte man nur in die Hand bekäme, niemals
entſcheiden können, ob es einer andern Art angehört. In der That
hat auch die Wiſſenſchaft ſchon eine unzählige Menge von Irrthümern
ausgemerzt, welche aus vereinzelten Beobachtungen entſtanden ſind,
und täglich dienen weiter greifende Beobachtungen dazu, Thiere, die
man weit verſchieden glaubte, als zu derſelben Art gehörig anzuer-
kennen, oder andere zu trennen, die man früher vereinigt hatte. Nie-
mand wohl würde die Raupe oder den Schmetterling, die beide ſo
unendlich in ihrer äußeren Geſtalt wie in ihrer inneren Organiſation
verſchieden ſind, für daſſelbe Weſen halten, wenn es nicht jedem Kinde
bekannt wäre, daß die Raupe ſich in eine Puppe und dieſe wieder in
einen Schmetterling verwandelt. Die Beobachtung iſt aber nicht überall
ſo leicht, wie in dem angeführten Falle. Wir könnten hunderte von
Beiſpielen anführen, wo es jahrelanger, mit der größten Ausdauer
fortgeführter Beobachtungen bedurfte, um darzuthun, daß dieſes oder
[21] jenes Thier, deſſen iſolirte Kenntniß man längſt hatte, nur die Ent-
wickelungsſtufe eines andern ſei, welches man gänzlich davon verſchie-
den glaubte. Beſonders bei den niedern Thieren, denen man erſt in
der neueſten Zeit die vollſte Aufmerkſamkeit zuwandte, deren Organi-
ſation ihres abweichenden Typus wegen ſo räthſelhaft war und deren
Lebensweiſe oft nur durch glückliche Zufälle ſtückweiſe aufgehellt wurde,
beſonders bei dieſen waren und ſind Verſehen dieſer Art noch jetzt
außerordentlich häufig. Hat man aber ein Recht, aus ſolchen Irr-
thümern die Nichtigkeit des Artbegriffes herzuleiten, oder müſſen ſie
nicht vielmehr dazu dienen, die Lücken unſerer Beobachtungen anerken-
nen zu laſſen und zu ihrer Ausfüllung aufzufordern?


Man hat auf der anderen Seite eingeworfen, daß die tägliche
Beobachtung uns zeige, wie allerdings durch dauernde Einwirkung be-
ſtimmter Einflüſſe, beſonders des Klima’s und der Nahrung, in auf-
einander folgenden Generationen Veränderungen erzeugt werden kön-
nen, die bedeutender ſeien, als diejenigen Merkmale zulaſſen, welche
man für die Art angiebt; — allein auch hier hat die Beobachtung,
ſo weit ſie möglich war, nachgewieſen, daß die Art in ihren Haupt-
zügen unveränderlich ſei und daß es nur ein Mißgriff der Zoologen
war, wenn man die Charaktere der Art wirklich von ſolchen Merk-
malen hergenommen hatte, welche durch die äußeren Umſtände geändert
werden konnten. Die Beobachtungszeit eines einzelnen Forſchers über
die andauernden Wirkungen veränderter äußerer Einflüſſe iſt freilich
nur kurz und im Verhältniß zur Dauer der Geſchichtsperioden des
Erdkörpers verſchwindend klein; wir haben aber nichts deſto weniger
Mittel zur Hand, wodurch wir nachweiſen können, daß wenigſtens
ſeit der Zeit, aus welcher wir geſchichtliche Denkmale beſitzen, die
Charaktere der Arten unverändert geblieben ſind. Die alten indiſchen
Denkmäler laſſen den aſiatiſchen Elephanten und den heiligen Buckel-
ochſen mit vollkommener Sicherheit unterſcheiden, und die Mumien der
Krokodille, des Ibis, des Ichneumon und des heiligen Käfers der
Aegypter, von denen einige nach den neueren Forſchungen zum we-
nigſten Zeitgenoſſen von Adam nach der jüdiſch-chriſtlichen Chronologie
waren, ſind bis auf die kleinſten Einzelnheiten in ihrer Struktur iden-
tiſch mit den Thieren, welche heute noch an den Ufern des Nils leben;
wir können alſo mit vollkommener Sicherheit behaupten, daß bei den
in wildem Zuſtand lebenden Thieren die Charaktere der Art unver-
änderlich ſind und daß die Vergleichung dieſer Charaktere die mangelnde
Beobachtung der direkten Abſtammung erſetzen kann.


Man hat die Erkenntniß dieſer Wahrheit zum Theil auch in der
[22] Abſicht, gewiſſen religiöſen Sagen gefällig zu ſein, ſogar ſo weit aus-
gedehnt, daß man die Art dahin definirte, ſie ſei der Inbegriff aller
Individuen, welche von einem Eltern-Paare abſtammen. Man that
hier wahrlich den Mährchen von der Arche Noah zu viel Ehre an.
Hätte man geſagt, die Art ſei der Inbegriff aller derjenigen Indivi-
duen, deren Charaktere ſo übereinſtimmend ſeien, daß ſie möglicher
Weiſe von denſelben Eltern abſtammen können, ſo wäre man voll-
kommen in den Grenzen der Wahrheit und der Wahrſcheinlichkeit ge-
blieben, wenn gleich ſelbſt dieſe Annahme eines einzigen Elternpaares
bei genauerer Betrachtung eine vollkommene Abſurdität in ſich ſchließt.
Die größere Zahl der Thiere, wenigſtens weit über die Hälfte, lebt
von anderen Arten und iſt in ihrer Exiſtenz auf die Verzehrung der-
ſelben angewieſen. Die Entſtehung der jetzigen Schöpfung in je nur
einem Paare in jeder Art würde zur nothwendigen Folge gehabt ha-
ben, daß die von Pflanzen lebenden Thiere unmittelbar vertilgt und
die Ueberbleibenden dem Hungertode in wenig Tagen Preis gegeben
geweſen wären. Wir gehen hier nicht weiter auf das theoretiſche
Gebiet der Entſtehung der Arten ſelbſt ein; wir ſtellen nur ſo viel als
Reſultat der Beobachtungen hin, daß dieſelbe ſich mit den gleichen
Charakteren fortpflanzt und daß dieſe Charaktere im Laufe der Zeiten
unverändert geblieben ſind.


Man hat noch aus den ziemlich bedeutenden Veränderungen,
welche die Hausthiere in Folge ihrer Abhängigkeit vom Menſchen er-
leiden, Schlüſſe auf die Veränderlichkeit der Art ziehen wollen. In
der That hat es die Kunſt ſoweit gebracht, durch Kreuzung beſonders
gebildeter Eltern, durch beſondere Nahrung und Wartung, Abarten
und Raçen zu erzeugen, die ſich conſtant fortpflanzen und durch Farbe,
Beſchaffenheit der Haare und Knochen, Größe und Körperverhältniſſe
oft die bedeutenſten Differenzen darbieten. Nichts deſto weniger gehen
dieſe Verſchiedenheiten nie ſo weit, daß ſie die weſentlichſten Organe
betreffen. Die Theile des Skelettes bleiben dieſelben und es iſt noch
Niemanden eingefallen behaupten zu wollen, daß man durch Kreuzung
der Naçen den Zahnbau oder die Gehirnſtruktur der Hunde ge-
ändert habe.


Wenn es ſo feſtſteht, daß die Art beſtimmte Charaktere habe,
welche ſich bei der Fortpflanzung ſtets wieder fortzeugen, ſo iſt freilich
die praktiſche Anwendung dieſes Grundſatzes in einzelnen Fällen oft
ſchwierig. Beſonders in den Fällen ſind Irrthümer nicht zu vermei-
den, wo durch direkte Beobachtung der Fortpflanzung diejenigen Cha-
raktere nicht ermittelt wurden, welche durch die äußern Einflüſſe modi-
[23] ficirt werden können; ſelbſt in nahverwandten Thiergattungen iſt die
Möglichkeit der Veränderungen oft ſehr verſchieden. Die Unterſchiede
zwiſchen unſerm gewöhnlichen Fuchs und dem braſilianiſchen ſind bei
weitem nicht ſo groß, als diejenigen zwiſchen einem Dachshunde und
einem Windhunde und dennoch ſind die beiden Füchſe gewiß verſchie-
dene Arten, während die beiden Hunde derſelben Art angehören und
nur Varietäten darſtellen. Es begreift ſich darnach, wie ſo viele
Streitigkeiten ſich entſpinnen konnten über die Grenzen der Art-Cha-
raktere und wie es möglich war, daß der eine Naturforſcher zwei
Thiere als verſchiedene Arten auffaſſen konnte, während der andere in
ihnen nur Varietäten derſelben Art erblickte.


Von ungemeiner Wichtigkeit iſt die Schlichtung dieſer Streitig-
keiten, beſonders für die Beſtimmung derjenigen Reſte, welche wir nur
im verſteinerten Zuſtande kennen. Während hier eine große Partei be-
hauptet, die Perioden der Erdgeſchichte ſeien durch gewaltige Revolu-
tionen von einander getrennt, durch welche alles Lebende vernichtet
wurde und nach denen neue Arten entſta[n]den ſeien, welche von den
Arten der vorhergehenden Periode vollkommen verſchieden waren, ſo
läugnet die andere Partei zwar dieſe Revolutionen nicht, ſchreibt ihnen
aber nur partielle Wirkungen zu und ſucht die Veränderung der ein-
zelnen Arten aus der Veränderung der Erdverhältniſſe zu erklären.
Die Einen behaupten, es finde kein Uebergang ſtatt, die Andern wol-
len, daß die jetzigen Thiere ihre Stammeltern und zwar ihre direkten
Stammeltern in den untergegangenen Schöpfungen beſitzen. Dieſelben
Charaktere foſſiler Muſcheln, welche der Eine zum Beweis anführt,
daß eine Species untergegangen und eine neue entſtanden ſei, dieſelben
Charaktere dienen dem Andern als Stützpunkte für ſeine Behauptung,
daß die Art ſich im Laufe der Jahrhunderte umgewandelt habe. Wem
nun hier Recht geben, wo die Entſcheidung durch direkte Beobachtung
nicht möglich und die aus der Analogie hergenommene Wahrſcheinlich-
keit ſtets dem Angriffe ausgeſetzt iſt? Indeß läßt ſich auch die Löſung
in der Folge hoffen. Da wo die übergebliebenen Reſte wichtigen und
charakteriſtiſchen Theilen angehören, ſind dieſe Diskuſſionen über die
Abgrenzung der Arten allmählig von ſelbſt erloſchen. Ueber foſſile
Säugethiere z. B., deren vollſtändige Zahnreihen und charakteriſtiſche
Gliederknochen man kennt, taucht nur ſelten ein Streit auf; aber
bei Muſcheln und Schneckenſchalen, die doch nur unweſentliche Theile
des Körpers bilden und über deren Veränderlichkeit wir noch bei kei-
ner einzigen Art eine genügende Beobachtungsreihe beſitzen, bei dieſen
brennt der Streit jetzt noch häufig fort; er wird auch hier ſeine Er-
[24] ledigung finden, ſobald die betreffenden Vorunterſuchungen in derſelben
Art erledigt ſind, wie dies bei andern Thieren der Fall iſt.


Die Art iſt demnach, dem jetzigen Stande unſerer Forſchung zu
Folge, ein unveränderlicher Organiſations-Typus, der entſtehen und
vernichtet werden kann, aber keiner weſentlichen Aenderung ſeiner
Charaktere fähig iſt. Die Art entſpricht beſtimmten Lebensbedingungen,
äußern Einflüſſen, mit deren Aufhebung ſie zu Grunde geht; ſie iſt
gleichſam die lebende Realiſation dieſer äußern Bedingungen und kann
mit und durch dieſe nur in ſo weit verändert werden, als unweſent-
liche Charaktere betroffen werden. Die Individuen derſelben Art
pflanzen ſich nach beſtimmten Geſetzen fort und erzeugen Weſen, welche
entweder ſelbſt, oder in ihren Nachkommen den Erzeugern ähnlich
werden. Früher konnte man nach dem damaligen Stande der Wiſſen-
ſchaft behaupten, daß die Jungen ſtets wieder ſelbſt den Alten ähnlich
werden müßten. Die Unterſuchungen der neuern Zeit haben gelehrt,
daß dies nicht überall der Fall iſt und daß es ganze Gruppen nie-
derer Thiere gibt, bei welchen der Cyclus der Fortpflanzung erſt durch
das dritte oder vierte Individuum geſchloſſen wird. Wir werden
Meeresbewohner, ſogenannte Quallenpolypen kennen lernen, bei wel-
chen der Polyp eine Knospe treibt, die ſich allmählig ablöſt und end-
lich als vollſtändig ausgebildete Qualle, mit allen zur Ernährung,
Bewegung, Empfindung und Fortpflanzung nöthigen Organen aus-
gerüſtet, frei im Meere umherſchwimmt. Dieſe Qualle wird niemals
zum Polypen; ſie legt Eier und ſtirbt dann; das Junge iſt alſo
niemals dem Mutterthiere, dem Polypen, ähnlich geworden. Aber die
Eier, welche die Qualle legte, dieſe ſetzen ſich allmählig feſt und wach-
ſen zu Polypen aus, die dem Mutterthiere in allen Stücken ähnlich
ſehen und zuletzt wieder Quallenknospen treiben. In dieſem Falle
ſind alſo nur Großeltern und Enkel mit einander identiſch, während
Eltern und Kinder einander ſo vollkommen unähnlich ſind, daß man
ſie bisher ſogar verſchiedenen Claſſen zutheilte.


Der erſte Name der binären Bezeichnung nach Linné iſt der Name
der Gattung (Genus). Man umſchreibt dadurch eine Summe von
weſentlichen Charakteren, welche mehreren Arten gemeinſam ſind. Na-
türliche Gattungen haben meiſt ein ſo eigenthümliches Gepräge, daß
man unwillkürlich auf dieſelben hingeleitet wird. Bei den höheren
Thieren hat man auch vielfältig die Beobachtung gemacht, daß ſich
die einzelnen Arten mit einander begatten und Baſtarte erzeugen kön-
nen, welche indeß meiſt unfruchtbar bleiben. Pferd und Eſel ſind ver-
ſchiedene Arten derſelben Gattung, ſie erzeugen bekanntlich den Maul-
[25] eſel und das Maulthier; ſo hat man auch Baſtarte geſehen von Hund
und Wolf, Löwe und Tiger u. ſ. w. Trotz dieſer Charakteriſtik der
Gattung, muß indeſſen zugeſtanden werden, daß die Anwendung dieſes
Begriffes eine mehr oder minder willkürliche iſt, indem die Werth-
ſchätzung der weſentlichen Merkmale hauptſächlich dem Takte der ein-
zelnen Forſcher überlaſſen bleibt. Auch das iſt noch zu berückſichtigen,
daß oft mit dem größern Reichthum an Material gewiſſe Charaktere,
die den früheren Forſchern, welche nur wenig Arten kannten, ziemlich
unweſentlich erſchienen, eine größere Wichtigkeit erhalten, indem Grup-
pen von Arten derſelben Gattung dieſe Charaktere beſitzen, während
ſie andern abgehen. Aus dieſem Grunde iſt es erklärlich, warum faſt
aus jeder neuen Bearbeitung eine größere Zerſpaltung der früheren
Geſchlechter hervorgeht. Ein Beiſpiel möge dies erläutern: Linné hatte
unter der Gattung Hund (Canis) nicht allein den Hund, den Wolf
und den Fuchs, ſondern auch die Hyäne begriffen, obgleich letztere
einen, von den übrigen Arten ſehr abweichenden Zahnbau beſitzt und
ihr namentlich die Höckerzähne, welche jene haben, gänzlich mangeln.
Ein Zeitgenoſſe Linné’s ſchon, Storr, trennte die beiden Hyänen mit
Hervorhebung ihrer Unterſchiede von den Hunden ab und bildete für
ſie die beſondere Gattung Hyaena, welche jetzt ſogar, beſonders durch
foſſile Gattungen, der Typus einer Familie geworden iſt. Linné kannte
nur eine Art Fuchs; er hielt die nordiſchen Eisfüchſe nur für Va-
rietäten des gewöhnlichen Fuchſes. Man entdeckte nach und nach faſt
ein Dutzend verſchiedener Arten, welche alle mit unſerm gewöhnlichen
Fuchſe ſich dadurch von den übrigen Hundearten unterſcheiden, daß
ſie einen dichtbehaarten, langen Schwanz, eine ſpitze Schnauze und
Pupillen haben, welche eine ſenkrechte Spalte bilden, während die Pu-
pille der übrigen Hunde rund iſt; auch die obern Schneidezähne
zeigen eine geringe Verſchiedenheit. Auf dieſe Gründe geſtützt, trennten
einige Naturforſcher die Füchſe gänzlich von den Hunden ab, indem
ſie die Gattung Vulpes errichteten; — andere, indem ſie die alte Gat-
tung Canis beibehielten, bildeten darin mehrere Gruppen oder Unter-
gattungen (Subgenus), die eigentlichen Hunde, die Füchſe, die groß-
ohrigen Hunde von Afrika u. ſ. w. begreifend. Man ſieht aus dieſem
Beiſpiele, daß es gewiſſermaßen von dem freien Willen des Natur-
forſchers abhängt, ob er die unterſcheidenden Merkmale der Füchſe für
genügend hält, um ſie durch einen eignen Gattungsnamen auszuzeich-
nen, oder ob er dieſe Merkmale nur zur engeren Gruppirung der
Arten innerhalb einer größeren Gattung benutzt.


Durch die verſchiedenen Begrenzungen, welche die Gattungen ſeit
[26] Linné’s Zeiten wohl ohne Ausnahme in mannichfacher Weiſe erhielten,
wurde ein großer Uebelſtand herbeigeführt, der in der Unbeſtimmtheit
der Gattungsnamen beruht. Spricht Jemand heut zu Tage von der
Gattung Canis, ſo iſt es erſt nöthig zu fragen: „Meinſt Du die
Gattung in der Ausdehnung wie Linné, wie Storr, wie Illiger, wie
Fred. Cuvier, oder wie Iſidor Geoffroy-St.-Hilaire, indem jeder dieſer
Forſcher die Gattung in anderer Weiſe umſchreibt?“ Man hat dieſem
Uebelſtande dadurch abzuhelfen geſucht, daß man den Namen der Au-
torität, welche die Gattung in der Weiſe umgrenzt hatte, wie man
ſie ſelbſt annahm, hinter den Artnamen ſetzte. Allein auch diejenigen,
welche neue Arten beſchrieben hatten, wollten durch Beifügung ihres
Namens die Verantwortlichkeit für die Berechtigung der neuen Art über-
nehmen. So entſtand aufs Neue Verwirrung; — man wußte nicht,
ſollte man die Autorität auf die Umgrenzung des Gattungsnamens
oder auf die Beſtimmung der Art beziehen, und da die liebe Eitelkeit
gar Manchen verleitete, nur um deßwillen eine neue Gattung oder
eine neue Art aufzuſtellen, um ſeinen Namen in den Regiſtern der
Wiſſenſchaft fortgeführt zu ſehen, ſo wurde die Verwirrung nur noch
heilloſer. Endlich hat man ſich ſo ziemlich dahin verſtändigt, daß man
den Namen desjenigen ſowohl, welcher die Gattung umgrenzte, wie
auch desjenigen, der die Art zuerſt aufſtellte, hinter den eigentlichen
Artnamen ſetzt und daß man als Synonyme diejenigen Namen an-
führt, welche von früheren Autoren gegeben wurden. Sehr oft kommt
es vor, daß dieſelbe Art von verſchiedenen Forſchern verſchieden benannt
wurde, meiſt wohl weil die Spätern in der Beſchreibung ihrer Vor-
gänger das ihnen vorliegende Object nicht wieder erkannten. Man
zieht in dieſem Falle den älteſten Artnamen vor, indem man die üb-
rigen als Synonyme citirt.


Die Nomenclatur und Synonymik bilden das unentbehrliche ABC
der Wiſſenſchaft und ſind ebenfalls ſo trocken und langweilig als die-
ſes. Weit übler aber als dieſe Trockenheit iſt der Umſtand, daß in
ihnen ein grauenerregender hiſtoriſcher Ballaſt mitgeführt wird, der
ſich mit jedem Jahre mehrt, ohne daß man wüßte, wie man der alten
Steine los werden könnte. Wenn es nur irgend einmal einem Quer-
kopfe eingefallen iſt, in einem verbreiteten Journale einer längſt be-
kannten Art einen neuen Namen zu leihen, oder einen gewöhnlichen
Spatzen von den andern deßhalb zu unterſcheiden, weil er ein röth-
liches Federchen auf dem Kopfe hat, ſo wird der neugebildete Namen
fort und fort durch Regiſter,[] Abhandlungen und Handbücher unter
[27] den Synonymen mitgeführt, ohne daß man ſich ſeiner wieder entledigen
könnte.


Kehren wir zu unſerm Aufbau des Syſtems zurück. Wir wiſſen,
wie die Arten beſtimmt, wie die Gattungen umgrenzt werden, wir
kennen die Bedeutung der Doppelnamen, welche die Arten tragen und
wiſſen, weßhalb in ſyſtematiſchen Handbüchern die Autoritäten und die
Synonyme beigefügt werden. Indeß genügen die erhaltenen Abthei-
lungen noch nicht um eine überſichtliche Anſchauung des Thierreichs
zu gewähren. Wir bedürfen größerer Kreiſe, die uns durch beſtimmte
Charaktere bezeichnet werden. Hier tritt uns zuerſt die Familie
(Familia) entgegen, als Inbegriff derjenigen Thiere, welche einen ge-
meinſamen Habitus zeigen und in ähnlicher Weiſe durch weiter gehende
Merkmale um einen Mittelpunkt ſich gruppiren, wie die Gattungen
um beſtimmte charakteriſtiſche Kennzeichen. Wir können auch hier das
vorige Beiſpiel anwenden; die Hunde, die Füchſe, die Großohren zeichnen
ſich dadurch aus, daß ſie in ihrem Gebiſſe oben und unten wenigſtens
zwei Höckerzähne haben und daß ihre Füße gleich hoch ſind; alle dieſe
Gattungen unterſcheiden ſich dadurch von den Hyänen und den Wolfs-
hyänen (Proteles), welche keine Höckerzähne beſitzen und deren Rücken
nach hinten abfällt. Die hundeartigen Thiere begreift man unter der
gemeinſchaftlichen Familie der Caniden, die Hyänen unter der Familie
der Hyaeniden, indem man den Namen derjenigen Gattung, welche
gewiſſermaßen als Typus gilt, mit einer paſſenden Endigung verſieht.
Auch bei dieſen natürlichen Familien hat man beſonders dann, wenn
die Gattungen ſehr zahlreich waren, oft Unterfamilien (Subfamilia),
Zünfte (Tribus) oder Sippen unterſchieden, die man meiſtens wieder
durch beſondere Kennzeichen charakteriſirte.


So gelangt man bei ſtets weiterem Aufwärtsſteigen und freierem
Ueberblicken der gemeinſamen Kennzeichen zu ſtets größeren Abtheilun-
gen. Die Katzen, Hyänen und Hunde, die Marder und Stinkthiere,
ſowie die Bären ſind alle reißende Thiere, die ſich von Fleiſch und
Blut nähren und ein eigenthümliches zu dieſer Nahrung in Beziehung
ſtehendes Gebiß beſitzen, das ſo charakteriſtiſch iſt, daß ſelbſt der we-
niger Geübte auf den erſten Blick die Kinnlade eines ſolchen Fleiſch-
freſſers erkennen mag. Man begreift deshalb alle dieſe Thiere zuſam-
men in der Ordnung(Ordo) der Fleiſchfreſſer (Carnivora). Aber
dieſe unterſcheiden ſich auch wieder durch charakteriſtiſche Merkmale.
Die Familie der Bären ſetzt die Füße mit der ganzen Sohle auf den
Boden auf, die Marder und Stinkthiere berühren nur mit der halben
[28] Sohle den Boden, die Hunde, Hyänen und Katzen gehen auf der
Spitze der Zehen. So ergeben ſich denn drei natürliche Unterord-
nungen
(Subordo) in der Ordnung der Fleiſchfreſſer, die Sohlen-
gänger, die Halbſohlengänger und die Zehengänger, deren jede eine
beſtimmte Anzahl von Familien und Gattungen einſchließt. Die Ord-
nungen, wie die Unterordnungen können meiſt weit ſicherer durch be-
ſtimmte Merkmale charakteriſirt werden als die Familien; und wenn
man die Geſchichte derjenigen größern Abtheilungen des Thierreiches
betrachtet, mit denen man ſeit längerer Zeit vertraut war, wie z. B.
der Säugethiere, ſo überzeugt man ſich leicht, daß die verſchiedenen
Syſteme nur in ſofern ſich unterſcheiden, als man den einzelnen Ab-
theilungen verſchiedenen relativen Werth beimaß, daß aber die Cha-
raktere dieſer Abtheilungen ſelbſt ſeit Linné’s Zeiten faſt dieſelben ge-
blieben ſind.


Schon das Zuſammenfügen der Ordnungen würde einen ſichern
Ueberblick gewähren; allein man findet noch allgemeinere Merkmale,
nach welchen man die Ordnungen zuſammenſtellt. Trotz der großen
Verſchiedenheit zwiſchen einem Affen, einem Hunde, einem Pferde und
einer Robbe, wird man dieſelben doch einem Vogel oder einem Fiſche
gegenüber als Glieder eines gemeinſchaftlichen Typus erkennen und bei
genauerer Unterſuchung wird man in der Behaarung ihrer Haut und
in der Art und Weiſe, wie ſie ihre Jungen ſäugen, genügende Kenn-
zeichen finden, um dieſe Säugethiere als Klaſſe(Classis) und als
ein Ganzes mit beſtimmten Merkmalen den Vögeln oder Fiſchen gegen-
über zu ſtellen.


So gelangt man endlich zu den letzten großen Gruppen des
Thierreiches, zu den Kreiſen und Provinzen. Verſchiedene Klaſſen
haben wieder gemeinſame Merkmale in der Geſammtbildung ihres
Körpers, in der Lagerung ihrer Organe, in ihrer Entwickelung wäh-
rend der Embryonalzeit; ſo ſtimmen Fiſch und Vogel, Froſch und
Säugethier in der Exiſtenz eines inneren Skelettes, eines wahren Hir-
nes und Rückenmarkes und in deren Lagerung auf der Rückenfläche
mit einander überein, unterſcheiden ſich als Bildungstypus, als Kreis
der Wirbelthiere und ſtehen als ſolche den Gliederthieren, den Weich-
thieren, den Strahlthieren, die eine andere Lagerung der Leibesorgane,
eine andere Entwicklungsart haben, ſcharf gegenüber.


Es ergiebt ſich aus dem Vorhergehenden, daß nicht alle Merk-
male welche ein Thier zeigt, von gleicher Bedeutung für die Klaſſi-
ficationen ſind, daß man, wie ſchon oft geſagt wurde, die Charaktere
wägen und nicht zählen muß. Die Geſammtbildung des Körpers, die
[29] Art und Weiſe wie die Organe deſſelben hervorgebildet, das Ver-
hältniß wie ſie zu einander gelagert ſind, iſt weit wichtiger als die
relative Ausbildung dieſes oder jenes Organſyſtemes, dieſes oder jenes
einzelnen Gliedes. Und durch dieſe Berückſichtigung der geſammten
Organiſation unterſcheidet ſich denn auch das Streben der neuen
Claſſificatoren weſentlich von den früheren Zeiten. Man ſucht jetzt
natürliche Syſteme aufzuſtellen, d. h. man ſucht durch einzelne her-
vorſtehende Merkmale aus der geſammten Organiſation eines Thieres
ſeine Beziehungen zu den übrigen zu ermitteln und diejenigen Lebens-
bedingungen hervorzuheben, welche einen weſentlichen Einfluß auf die
Bildung des Thierkörpers ausüben. Hierdurch geben ſich dann die
Verwandtſchaften, die nähern und entfernteren Beziehungen zwiſchen
den größeren oder kleineren Gruppen von ſelbſt und es zeigt ſich
dann bei der Ueberſicht eine überraſchende Harmonie, die freilich an
häufigen Stellen durch die Lücken unſerer Kenntniſſe geſtört wird. Es
würde überflüſſig ſein hier weiter auf dieſe Verhältniſſe einzugehen,
da uns die poſitive Grundlage noch mangelt, aus welcher die über-
ſichtlichen Betrachtungen hervorgehen müſſen; jedenfalls werden wir
auch in der Folge damit nur ſehr ſparſam ſein, und indem wir uns
fernhalten von jenen ſonderbaren Auswüchſen, mit welchen beſonders
die Naturphiloſophen ihre Syſteme auszuſchmücken pflegten, werden
wir es mehr dem denkenden Leſer überlaſſen, auf den von uns mit-
getheilten Thatſachen ſein eigenes Gebäude zu errichten.


[30]

Dritter Brief.
Der Thierleib; der Aufbau ſeiner Organe.


Was iſt ein Thier? Wodurch unterſcheidet es ſich von der
Pflanze?


Eine unnöthige Frage! wird Mancher antworten und die Meiſten
werden ihm Recht geben. Wie iſt es möglich einen Baum und einen
Hund, ein Gras und eine Raupe mit einander zu verwechſeln? Das
Eine bewegt ſich willkührlich und frei aus innerem Antriebe, nimmt
Nahrung zu ſich, die es aufſucht und durch eine offene Mündung ein-
führt, das Andere iſt an den Boden gefeſſelt, zeigt weder Empfindung
noch willkührliche Bewegung und läßt die Aufnahme der Nahrungs-
ſtoffe, aus welchen es ſich aufbaut, nicht unmittelbar erkennen. In
dem Thierorganismus eine große Anzahl mannigfach gebildeter Organe,
die den einzelnen Funktionen vorſtehen; in der Pflanze die complicir-
teſten äußern Bildungen und im Innern ein mehr homogenes Gewebe,
deſſen charakteriſtiſche Eigenthümlichkeiten erſt das Mikroskop darlegen
kann. Es ſcheint eben ſo unnöthig den Begriff des Wortes Thier oder
Pflanze feſtzuſtellen, als zu beweiſen, daß zwei mal zwei vier macht.


Stellt man aber dieſelbe Frage an den Forſcher, welcher tiefer
eingedrungen iſt und ſich namentlich mit den niedern Pflanzen und
Thierclaſſen beſchäftigt hat, ſo wird er bedenklich das Haupt ſchütteln
und geſtehen müſſen, daß es kaum möglich ſei eine befriedigende Ant-
wort zu geben und die Grenze zwiſchen Thier und Pflanze mit Sicher-
heit zu legen. Ein Merkmal nach dem andern verſchwindet, je tiefer
man in die einfachſten Formen des Thier- und Pflanzenreiches hinab-
ſteigt; — was uns kaum noch einen ſichern Halt gewährte, muß im
nächſten Augenblicke als unzureichend erkannt werden und ohne voll-
kommene Sicherheit befinden wir uns endlich einer Gruppe von Or-
ganismen gegenüber, welche hier von dem Botaniker, dort von dem
Zoologen als ſein ihm rechtmäßig zuſtehendes Eigenthum beanſprucht
wird. Der Streit iſt nicht neu und beginnt ſtets von Neuem wieder,
denn ſobald ein zweifelhafter Gegenſtand erledigt und mit anſcheinender
Gewißheit an ſeinen Platz in dem einen oder andern Reiche geſtellt
iſt, tauchen wieder über ein neues Object erneute Zweifel auf. Bis
in die Mitte des vorigen Jahrhundert’s hielt man die Korallen ihrer
äußern Geſtalt wegen für Pflanzen. Ein Italieniſcher Forſcher hatte
[31] die vermeintlichen Blüthen des Korall’s entdeckt und dieſelben weit-

Figure 1. Fig. 1.

Korallenbaum mit entwickelten Polypen —
vermeintliche Blüthen.


läufig beſchrieben. Ein Arzt in Mar-
ſeille unterſuchte die Sache genauer
und fand zu ſeinem Erſtaunen, daß
dieſe vermeintlichen Blüthen wirk-
liche Thiere ſeien, die ſich nach
Willkühr bewegten. Der Arzt theilte
ſeine Entdeckung der Pariſer Aka-
demie mit; dieſe fand aber die
Sache ſo gänzlich unwahrſcheinlich,
daß Réaumur Anfangs den Namen
des Entdeckers nicht zu nennen wagte,
um den Mann nicht dem öffentlichen
Spotte auszuſetzen. Heut zu Tage
ſetzt ſich derjenige dem Spotte aus,
welcher aus Unkenntniß Polypen
als Pflanzen beſchreibt oder Koral-
len für pflanzliche Erzeugniſſe hält.


Die Zweifel haben ſich in unſern Tagen auf andere Körper über-
tragen. Noch vor wenigen Jahren behauptete man, jedes Thier habe
einen Mund zur Aufnahme der Nahrung oder in Ermangelung des-
ſelben mehrere freie Oeffnungen; aber es giebt eine Menge von Thier-
weſen, die ganz gewiß und unzweifelhaft Thiere ſind und dennoch kei-
nen Mund beſitzen, keine äußere Oeffnung irgend einer Art haben,
ſondern ihre Nahrungsſtoffe durch Einſaugung auf der Körperfläche

Figure 2. Fig. 2.

Opalina aus dem Darm-
ſchleime des Froſches.


zu ſich nehmen. So lebt in dem Darmkanale
der Fröſche ein ziemlich großes Infuſions-
thierchen, vollkommen durchſichtig, das mit-
telſt Wimpern, die auf ſeiner Oberfläche an-
gebracht ſind, ſich freiwillig in den Flüſſigkeiten
des Darmes umherbewegt und das ganz be-
ſtimmt weder einen Mund, noch zerſtreute
Saugöffnungen beſitzt. Viele Infuſionsthier-
chen, ja ſelbſt hoch organiſirte Eingeweide-
würmer ſind durchaus in demſelben Falle, ſie
friſten ihr Leben nur dadurch, daß ſie durch Ein-
ſaugung ihrer Körperfläche Stoffe aus den
Flüſſigkeiten aufnehmen, in welchen ſie leben.
Die Aufnahme der Ernährungsſtoffe geht hier
[32] ganz auf dieſelbe Weiſe vor ſich wie bei vielen niedern Pflanzen,
welche ſich im Waſſer bilden.


Man glaubte die freie Beweglichkeit der Thiere ſei ein cha-
rakteriſtiſches Kennzeichen. Viele von ihnen ſind zwar gänzlich oder
während der größten Zeit ihres Lebens in ähnlicher Weiſe wie viele
Pflanzen an den Boden feſtgeheftet, aber ſelbſt dieſe feſtſitzenden Thiere,
die beſonders im Meere häufig vorkommen, öffnen und ſchließen ſich,
breiten ihre Fangorgane aus und erhaſchen die Beute, welche in ihre
Nähe kommt. Man glaubte alſo in der freiwilligen Bewegung ein
ſicheres Merkmal gefunden zu haben und bis vor wenigen Jahren
hatte man nach dem damaligen Stande der Kenntniſſe vollkommen
Recht, wenn man ſagte, ein Thier ſei ein abgeſchloſſener Organismus,
welcher ſich willkührlich bewege. Bald aber mußte man erkennen, daß
es eine Anzahl niederer Pflanzen gebe, beſonders Waſſerfäden (Con-
ferven
) deren Keimkörner oder Sporen ſich vollkommen ebenſo be-
wegten, wie kleine Infuſionsthierchen. Man ſah, wie im Innern die-

Figure 3. Fig. 4 Fig. 5 Fig. 6
Fig. 7 Fig. 3

Waſſerfäden mit daraus entſtehenden beweglichen
Keimkörnern (Sporen).
In dem unteren Faden Fig. 3 ſieht man
bei a die Sporen mit ihren rothen Kernen,
die ſich iſoliren, bei Fig. 4 eine freigewor-
dene Spore mit ihrem Kern b und ihren
Bewegungsfäden c; bei 5 eine Spore die
zu keimen beginnt, bei 6 eine, die ſchon eine
zweite Zelle getrieben hat. Fig. 7 iſt eine ge-
panzerte Spore von einer andern Gattung,
die ebenfalls früher für ein Thier gehalten
und Disceraea genannt wurde.


ſer Waſſerfäden (Fig. 3.) ſich grüne
Keimkörner bildeten, die nach einer
gewiſſen Zeit hervorbrachen und ſich
in ſolcher Weiſe in dem Waſſer
umhertummelten, daß jeder unbe-
fangene Beobachter ihre Bewegun-
gen unbedingt für willkührliche hal-
ten mußte. Nur ausdauernde, ſtun-
denlange Beobachtung konnte über-
zeugen, daß dieſe Keimkörner nach
einiger Zeit ſich feſtſetzten und nach
und nach zu wirklichen Waſſerfäden
auswuchſen. Während der Zeit ih-
rer Beweglichkeit verhalten ſich dieſe
Keimkörner vollkommen wie lebende
Infuſionsthierchen; — ſie wälzen
ſich nach allen Richtungen raſch im
Waſſer herum, bewegen ſich vor-
wärts, halten zuweilen einen Augenblick ſtill, ſchnellen plötzlich wie
krampfhaft zurück um dann auf’s Neue wieder vorwärts zu ſchie-
ßen, kurz benehmen ſich in Allem, wie Weſen, denen Empfindung
und willkührliche Bewegung zukömmt; auch ſtanden manche Be-
obachter durchaus nicht an in Folge dieſer Thatſachen zu behaupten,
es gebe keine Grenzlinie zwiſchen Thier und Pflanze und die niedern
[33] Pflanzen verwandelten ſich bei ihrer Fortpflanzung für eine Zeit lang
in Thiere, um ſpäter wieder Pflanzen zu werden. Beſonnenere For-
ſcher gaben zu, daß man in der That die Bewegung dieſer Pflanzen-
ſporen kaum von derjenigen wirklicher, mit einem Munde verſehener
Infuſionsthierchen unterſcheiden könne und daß demnach die freie Be-
wegung nicht als charakteriſtiſches Kennzeichen zwiſchen Pflanzen und
Thiere angeſehen werden dürfe.


Dieſer freien Beweglichkeit der Keimkörner wegen werden noch
bis heute von vielen Naturforſchern die Schwämme (Spongia) als eine

Figure 4. Fig. 8.

Lebender Meerſchwamm.


Art Mittelding zwiſchen Pflanzen und Thie-
ren betrachtet. Es ſind meiſt knollige oder un-
regelmäßige, an den Boden der Gewäſſer gehef-
tete poröſe Maſſen, die ein horniges, kalkiges
oder ſelbſt kieſeliges Skelett im Innern be-
ſitzen, das aus netzartig verbundenen Fäden oder
einzelnen Stacheln und ſpießartigen Nadeln be-
ſteht und mit einer gallertartigen Maſſe überzogen iſt. Auf der Außenfläche
ſieht man kleinere Poren, durch die das Waſſer eindringt und größere
Oeffnungen, durch welche es im Strahle ausfließt. Unſer gewöhnlicher
Badeſchwamm, der zu dieſen Organismen gehört, liefert das beſte
Beiſpiel der Structur der Schwämme. Man bemerkt keine Spur von
Empfindung und Bewegung an dieſen Weſen; nur zu gewiſſen Zeiten
werden mit dem ausfließenden Waſſer kleine runde oder eiförmige
Keimkörner ausgeſtoßen, die ſich mittelſt eines Ueberzuges von Wim-
perhaaren ſehr lebhaft im Waſſer bewegen, umherſchwimmen, ſich dann
fixiren und wieder zu Schwämmen auswachſen. Es iſt, wie man
ſieht, dasſelbe Verhältniß hier, wie mit den Keimkörnern der Waſſer-
fäden und gewiß kein Grund vorhanden, die Schwämme eher zu den
Thieren als zu den Pflanzen zu ſtellen.


Kurze Zeit hindurch glaubte man auch in der Natur der bewegen-
den Organe
ſelbſt ein charakteriſtiſches Merkmal entdeckt zu haben.
Bei den meiſten höhern Thieren kommen auf den innern Häuten, bei
dem Menſchen z. B. in der Naſe und an einigen andern Stellen,
Ueberzüge von mikroskopiſchen Zellen vor, auf denen höchſt feine
Flimmerhaare oder Wimpern ſtehen, die ſich in beſtändiger ſchwingen-
der Bewegung befinden. Dieſe Flimmer- oder Wimperbewegung hängt
bei den meiſten Thieren nicht von dem freien Willen ab; ſie dauert
oft noch lange nach dem Tode fort; einzelne losgeriſſene Zellen dieſer
Art ſchwimmen ſelbſt mittelſt ihrer Flimmerhaare in der Flüſſigkeit
umher. Viele Infuſionsthierchen haben entweder auf der ganzen
Vogt, Zoologiſche Briefe I. 3
[34] Oberfläche ihres Körpers oder an beſtimmten Stellen ſolche Wimpern,
durch deren Hilfe ſie nach Willkühr in dem Waſſer umherſchwimmen; —
andere beſitzen einen oder mehrere peitſchenförmige Anhänge, mittelſt
deren ſie im Waſſer umherrudern. Man glaubte, daß dieſe Bewe-
gungsorgane den Keimkörnern der Waſſerfäden abgingen und hielt
ihre Anweſenheit deshalb für ein charakteriſtiſches Kennzeichen des thie-
riſchen Organismus. Man hatte ſich auch in dieſem Punkte getäuſcht.
Man entdeckte Keimkörner, welche auf ihrer ganzen Oberfläche einen
flimmernden Ueberzug oder einen Kranz von Wimperhaaren beſaßen; man
fand andere, die mittelſt peitſchenförmiger Anhänge luſtig im Waſſer
umherſchwammen. Auch dieſes Unterſcheidungszeichen war vernichtet.


Die Empfindung äußerer Eindrücke, ſagte man, ſteht
nur dem Thiere zu; die Pflanze beſitzt keine Senſibilität. Wir wollen
zugeben, daß die ſeltſamen Bewegungen der Sinnpflanzen keinen Beweis
dafür abgeben, daß ſie Reſultate von Empfindungen ſeien, wir wollen
ſelbſt zugeben, daß wirklich der pflanzliche Organismus nicht empfindet,
wohl aber der thieriſche; wir wollen anerkennen, daß dieſer Unterſchied
theoretiſch feſtgehalten werden dürfe, aber man wird uns dafür zugeben
müſſen, daß er durch die Beobachtung nicht nachgewieſen werden könne.
Es gibt kein anderes Maß für die Größe der Empfindung eines außer uns
ſtehenden Weſens, als die Reaktion des empfindenden Organismus durch
Bewegung. Einen Körper, der ſich auf Reize nicht bewegt, ſeinen
Schmerz nicht zu erkennen gibt, halten wir für empfindungslos. Wo
wir freilich Sinnesorgane zur Aufnahme äußerer Eindrücke wahrneh-
men, da ſchließen wir nothwendig auch auf empfindende Fähigkeit.
Aber die rothen Fleckchen, welche man bei vielen Infuſionsthierchen
vollkommen unbegründeterweiſe für Augen hielt, hat man auch an
vielen Keimkörnern mit Sicherheit nachgewieſen. Viele Infuſionsthier-
chen aber, ſogar ſolche, welche durch die Exiſtenz eines Mundes ihre
Thiernatur unzweifelhaft bekunden, zeigen auf äußere Reize nicht die
mindeſte Spur von Reaction, ſo daß uns vollkommen der thatſächliche
Nachweis ihrer Empfindlichkeit abgeht. Erſchütterungen, plötzliche
Lichteindrücke, heftiger Schall, Zuſammenpreſſen und Quetſchen und
ähnliche ſolcher Eindrücke gehen an dieſen Thieren ſpurlos vorüber; —
wie ſoll man nun bei dieſer Stumpfheit der Empfindung und Bewe-
gung die Gränze ziehen, wo beide aufhören?


So wäre es denn völlig unmöglich in den niedrigſten Stufen
der Organiſation eine Scheidelinie zwiſchen thieriſchen und pflanzlichen
Weſen zu finden? Faſt will es ſo ſcheinen! Doch iſt uns noch ein
Merkmal geblieben, wenn auch ein gar ſchwaches und vielleicht in
[35] einzelnen Fällen unzureichendes Merkmal. Die pflanzlichen Gebilde,
welche ſich während einiger Zeit der Bewegung erfreuen, ſind von
einer ſtarren Hülle umkleidet, welche ihrer Geſtalt eine feſte, faſt un-
veränderliche Abgrenzung verleiht. Zwar hat dieſe Hülle eine gewiſſe
Elaſtizität, ſo daß ſie z. B. beim Herausſchlüpfen aus der Röhre des
Waſſerfadens ſich einbiegen, winden, verlängern und zuſammenpreſſen
können, um durch den oft engen Riß hindurch zu kommen. Kaum
aber hört die äußere Gewalt auf, ſo nimmt auch der Pflanzenkörper
ſeine normale Geſtalt an und ſtellt ſeine urſprüngliche Form durch
die Elaſtizität ſeiner Hülle wieder her. Anders verhält ſich der thie-
riſche Körper auf jenen niederen Stufen der Organiſation. Sein Ge-
webe iſt jeder Zuſammenziehung fähig, mit jedem Augenblicke wird die
Geſtalt durch Contractionen der weichen äußern Hülle verändert.
Dasſelbe Weſen, welches eben noch kugelig erſchien, nimmt im näch-
ſten Augenblicke eine Flaſchen- oder Eiform an und biegt ſich ohne
Einwirkung äußerer Gewalt nur unter dem Einfluſſe ſeines freien
Willens nach allen Seiten hin zuſammen. Die Contractilität
der äußern Hülle
läßt alſo nach den bis jetzt vorliegenden That-
ſachen die Entſcheidung zu, daß der contractile Organismus ein thie-
riſcher Körper ſei, während auf der andern Seite der Mangel dieſer
Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit
Sicherheit beweiſ’t, daß wir es mit einem pflanzlichen Organismus
zu thun haben. Es gibt viele niedrig ſtehende Organismen, die einen

Figure 5. Fig. 9.

Euglypha.
a, die fingerförmigen, zur
Bewegung dienenden Fort-
ſätze; — b, der im Panzer
eingeſchloſſene Körper.


harten, unbiegſamen, aus Kieſel, Eiſen oder Kalk
gebauten Panzer beſitzen, in welchem der Körper
ſo eingeſchloſſen iſt, daß nur die feinen zur Be-
wegung dienenden Peitſchenanhänge hervorragen.
Manche Infuſionsthierchen kapſeln ſich während
einer gewiſſen Zeit ihres Lebens in harte, kugel-
förmige Schalen ein, in welchen ſie vollkommen
unbeweglich ruhen, wie Puppen in ihrer Schale.
In ſolchen Fällen fehlt auch das letzte Criterium
zur Unterſcheidung zwiſchen Pflanze und Thier,
und da, wo die fernere Beobachtung noch nicht
dargethan hat, daß in der ſtarren Hülſe den-
noch ein aus contractilem Gewebe gebildeter Or-
ganismus vorhanden ſei, iſt die Entſcheidung vor
der Hand unmöglich:


Wenn wir ſo auf den niedrigſten Stufen
der Organiſation oft lange ſchwankend ſtehen
3*
[36] müſſen, bevor wir entſcheiden können, ob wir es mit einem Thier
oder mit einer Pflanze zu thun haben, ſo wird uns dies, ſobald wir
einige Schritte weiter gehen, außerordentlich leicht gemacht durch die all-
mählige Entwickelung der Organe
in dem thieriſchen Körper.
Je weiter wir den Thierorganismus in ſeiner Ausbildung nach oben
verfolgen, deſto größer wird die Complikation ſeiner Bildung, deſto
mannigfaltiger die Zahl und das Spiel ſeiner Organe, deſto genauer
und ſchärfer umſchrieben die Function jedes einzelnen dieſer Organe.
Der Thierorganismus hebt ſich in der That aus dem Unbeſtimmten
und Allgemeinen zu ſtets größerer Beſtimmtheit und Präciſion ſeiner
einzelnen Theile empor und es wird nöthig ſein wenigſtens in
kurzen Umriſſen zu ſchildern, in welcher Weiſe dies geſchieht.


Die niederſten Thiere welche wir kennen, beſtehen aus einer

Figure 6. Fig. 10.

Amiba.


eigenthümlichen, weichen, gallertartigen, mit fei-
nen Körnchen durchſtreuten Grundſubſtanz, wel-
che in ihrer ganzen Maſſe der Zuſammenziehung
und Ausdehnung fähig iſt, und die man Sarkode
genannt hat. Bei vielen dieſer niedern Thiere
wird die Bewegung nur dadurch hervorgebracht,
daß dieſe Subſtanz, fließendem Wachſe ähnlich,
ſich da und dorthin ausdehnt, bei anderen gibt
es eigenthümliche Bewegungsorgane in Form
von Wimpern oder Fäden. Im Innern dieſer Subſtanz laſſen ſich
meiſt nur feine Körnchen oder blaſige Räume unterſcheiden, die von
keinem Beſtand ſind. Dieſe thieriſche Grundſubſtanz entſpricht allen
Funktionen des Thierkörpers ohne Ausnahme. Ihre äußere Schicht
erſcheint etwas feſter, als die Maſſe im Innern und bildet ſo eine
Art von äußerer Haut, die ſich wie ein Schwamm mit Flüſſigkeiten
vollſaugt und ſo den Körper ernährt; ihre Zuſammenziehungen ver-
mitteln die Bewegung, ihre äußere Oberfläche die Empfindung; —
ein Theil dieſer Subſtanz iſt eben ſo lebensfähig als das Ganze. Los-
geriſſene Stücke dieſer Subſtanz ziehen ſich zuſammen, dehnen ſich aus,
höhlen Blaſenräume in ſich aus, treiben Fortſätze vor ſich her — kurz —
erleiden durch die Trennung keine Aenderung ihrer Lebenserſcheinungen.
Der Körper des Thieres theilt ſich freiwillig oder ſelbſt durch äußere
Gewalt und jede Hälfte ſchließt ſich wieder zum vollkommenen Thiere ab.
So iſt Alles vereinigt in einer Grundlage, aus welcher die einzelnen
Organe ſich nach und nach zu differenziren beginnen, ähnlich wie bei
dem Embryo, wo ebenfalls aus der Grundſubſtanz des Ei’s die ein-
zelnen Organe und Formelemente durch fortdauernde Differenzirung ſich
[37] aufbauen. Die weitere Ausbildung dieſer formloſen, körnigen Grundſub-
ſtanz geht ſowohl bei den Embryonen, wie bei den Thieren im erwach-
ſenen Zuſtande in gleicher Weiſe vor ſich. Es entſtehen beſtimmte
Elementarformen, Bläschen von mehr oder minder kuglicher Geſtalt,
Zellen von mancherlei Beſchaffenheit, in welchen eine deutlichere Son-
derung zwiſchen äußerer Hülle und eingeſchloſſenem Inhalt Statt ge-
funden hat, und deren Zuſammenhäufung den Thierkörper bildet. Erſt
ſpäter entwickeln ſich aus dieſen Zellen, aus ihrem Inhalte und der form-
loſen Subſtanz, die ſie umgibt, die einzelnen Gewebtheile hervor, deren
Mannigfaltigkeit den Thierleib und ſeine vielfachen Organe auf ihrer
höheren Stufe zuſammenſetzt. Wir kommen in den folgenden Blättern
auf dieſe Ausbildung der Gewebe zurück. Hier ſei nur ſo viel bemerkt,
daß die Abhängigkeit eines Theiles vom ganzen Thierleibe um ſo
größer, die Verbindung deſſelben mit dem übrigen Organismus um
ſo nöthiger iſt, je weiter dieſe Ausbildung der Gewebe fortgeſchritten
und damit auch die Sonderung der einzelnen Organe und ihrer Func-
tionen gediehen iſt. Bedenkt man, daß die Sarkode alle Functionen
des Thieres, Empfindung und Bewegung, Einnahme und Austauſch
von Stoffen im Keime in ſich vereinigt, ſo wird es begreiflich, daß
auch jeder Theil derſelben mit dieſen Functionen ausgerüſtet als ſelbſt-
ſtändiger Organismus auftreten kann. Je mehr aber die Trennung
der Functionen eintritt, deſto weniger iſt dies ferner möglich.


Daher denn auch die erſtaunliche Wiedererzeugungskraft
der niederen Thiere, die ſo weit geht, daß bei vielen jedes Stück des
Organismus ſich zu einem ſelbſtſtändigen Thiere ausbilden kann. Im
normalen Leben des Thieres tritt dieſe Eigenſchaft als geſchlechtsloſe
Zeugung durch Theilung, Knospung, Sproſſung auf; der Thierleib,
welcher entweder nur aus Sarkode oder aus Zellen mit ſehr wenig
differenzirten Organen beſteht, theilt ſich freiwillig in mehre ſelbſt-
ſtändige Weſen oder treibt an irgend einer Stelle Sarkode gleichſam
als Ueberwucherung hervor, welche ſich nach und nach zu einem ſelbſt-
ſtändigen Thiere ausbildet. Als letzter Reſt dieſer Fähigkeit bleibt
auch bei den höchſten Thieren die Thätigkeit des Eierſtockes, als eines
Organes, welches die Eier, d. h. die aus formloſer Körnchenſubſtanz,
aus Sarkode, beſtehenden Keime der neuen Weſen allein hervorzubrin-
gen im Stande iſt.


Bei abnormen Zuſtänden tritt uns dieſelbe Erſcheinung entgegen
und in um ſo ausgebildeterem Maße, je tiefer das Thier in Hinſicht
ſeiner Gewebs- und Organ-Entfaltung ſteht. Der zerſchnittene Arm-
polyp wächſt zu zwei ſelbſtſtändigen Thieren aus; jede ſeiner Hälften
[38] ergänzt das ihr Fehlende bis zur Vollſtändigkeit. Der Naturforſcher
mit ſeinem Scalpell befindet ſich dieſen Thieren gegenüber vollkommen
in der Lage des Göthe’ſchen Zauberlehrlings — die getrennten Hälften
werden ganze Individuen. Bald aber, mit der Differenzirung be-
ſtimmter Organe und weſentlicher Organſyſteme, beſchränkt ſich dieſe
Fähigkeit. Der verſtümmelte Körper reproducirt ganz oder unvoll-
ſtändig die Theile, die ihm verloren gingen — der Krebs bildet ſich
neue Scheeren, neue Füße, die Eidechſe einen neuen Schwanz, der
Salamander ein friſches Auge (wenn anders die Beobachtung richtig)
— ja die Synapte und die Seewalze ſollen ſich einen neuen Darm,
neue Athemwerkzeuge bilden können. Aber dieſe Neubildung geht nur
von demjenigen Theile des verſtümmelten Thierleibes aus, der die
weſentlichſten Organſyſteme noch enthält. — Das abgeſchnittene Bein
des Salamanders kann ſich nicht einen neuen Körper bilden, wohl
aber der Körper ein neues Bein hervorſproſſen laſſen. Und dieſe Re-
production geſchieht auf dieſelbe Weiſe, wie die Bildung der Organe
im Ei beim Werden des Embryo’s, durch Erguß formloſer Bil-
dungsmaſſe, die ſich zu Zellen und Geweben umwandelt. Als letzter
Reſt dieſer Thätigkeit bleibt bei den höchſten Thieren der Heilungs-
proceß der Wunden, die Bildung der Narbenſubſtanz.


Doch kehren wir zur Entfaltung des Thierleibes und zur Diffe-
renzirung ſeiner Organe zurück.


Beſondere Höhlen zur Aufnahme der zur Ernährung des Kör-
pers eingeführten Stoffe bilden ſich zuerſt, weßhalb man auch oft
behauptet hat, der Grundtypus des thieriſchen Körpers ſei ein vorn
eingeſtülptes Bläschen, deſſen innere durch die Einſtülpung hervorge-
brachte Höhle die Aneignung der von Außen eingebrachten Nahrungs-
ſtoffe vermittele. Die Verdauungsorgane zeigen in ihrem Stre-
ben nach höherer Ausbildung eine unendliche Mannigfaltigkeit der
Form; zuerſt nur ein vorderer Eingang, ein Mund, mit einem kurzen
röhrenförmigen Schlunde, aus deſſen hinterem unbeſtimmten Ende die
aufgenommenen Nahrungsmittel in das weiche Gewebe des Körpers
hineingedrückt werden; dann ein geſchloſſener Schlauch, der die un-
verdauten Reſte der Nahrung, den Koth, durch dieſelbe Oeffnung
auswirft, durch welche die Nahrungsſtoffe aufgenommen werden; end-
lich ein mehr oder minder gewundenes Rohr, welches durch zwei
Oeffnungen, Mund und After, nach Außen mündet und weſentliche
Complikationen in ſeinen einzelnen Theilen darbietet. Wenn die Wan-
dungen dieſes Rohres, welche mit den aufgenommenen Nahrungsſtoffen
in Berührung kommen, anfangs der äußern Körperwand analog ge-
[39] baut und nur als eine Einſtülpung derſelben nach Innen zu betrachten
ſind, ſo entwickeln ſich ſpäter zur Bewältigung und Auflöſung der
eingeführten Nahrungsmittel eine Menge von verſchiedenen Apparaten,
welche die mannigfaltigſte Struktur beſitzen. Abſonderungsorgane, Drü-
ſen
aller Art, welche bald ſauere, bald alkaliſche Stoffe in die Darmhöhle
ergießen, treten an verſchiedenen Stellen auf. Es entwickelt ſich auf
dieſe Weiſe die Leber, die verſchiedenen Speicheldrüſen, die man-
nigfachen eigenthümlichen Abſonderungsorgane, welche theils in den
Darmwandungen ſelbſt, theils in ihrer Nähe ſich ausbilden. Die Um-
ſetzung der ſo verſchiedenartig geſtalteten und chemiſch ſo mannigfaltig
zuſammengeſetzten Organe erzeugt Auswurfsſtoffe, welche durch be-
ſondere Drüſen abgeſondert werden, die zum Theile, wie die Haru-
organe
, anfänglich in Beziehung zu dem Darmkanale ſtehen, dann
aber ſich von ihm trennen und ſelbſtſtändig werden.


Die Function der Verdauungsorgane bietet demnach vorzugsweiſe
zwei Seiten dar — eines Theils die Zerlegung der Nahrungsſtoffe in
ſolche Subſtanzen, welche von dem Organismus aufgenommen werden
können — andern Theils die Aufnahme dieſer zubereiteten Stoffe in den Or-
ganismus ſelbſt und in deſſen Theile. Der Darmkanal iſt ſo einerſeits der
Behälter, in welchem die aufgenommenen Gegenſtände durch Zuſatz von
verſchiedenen chemiſchen Agentien behandelt und löslich gemacht werden,
anderſeits der Filter, durch den die aufgelöſten Stoffe abgeſeiht, in
den Organismus aufgenommen und von den unverdaulichen Reſten
getrennt werden. So mannigfaltig bekannt indeß die Formen des
Darmrohres und der Drüſen, welche die auflöſenden Agentien liefern,
ſowie die Zuſammenſetzung ihrer einzelnen Gewebe iſt, ſo wenig wiſſen
wir von der eigentlichen Natur dieſer Vorgänge, beſonders bei den
niederen Thieren. Die raſtloſe Bemühung der Phyſiologen und Che-
miker hat uns nachgewieſen, daß bei den höheren Thieren die einzelnen
Abtheilungen des Darmkanals verſchiedene Funktionen haben, ſo wie
auch die Nahrungsſtoffe, wenn ſie ihren Zweck vollkommen erreichen
ſollen, mehrere Stoffe enthalten müſſen; daß beim Menſchen z. B.
der Magen hauptſächlich zur Aufnahme derjenigen Stoffe beſtimmt iſt,
welche dem Eiweiße oder dem Fleiſche in ihrer chemiſchen Zuſammen-
ſetzung entſprechen, während der Darm weſentlich die Aneignung der
Subſtanzen, die dem Fett ähnlich oder in Fett überführbar ſind, ver-
mittelt und daß demnach die in den Darm- und den Magenhäuten
liegenden Drüſen, ſo wie die großen Hülfsdrüſen, Leber und Speichel-
drüſen, welche ihre Abſonderung in die Darmhöhle ergießen, ſehr
verſchiedenartige Flüſſigkeiten bereiten. Bei der zunehmenden Zerſplit-
[40] terung der Functionen an beſondere Organe, die man bei der Ent-
faltung des Thierleibes beobachtet, läßt ſich erwarten, daß in den
niederen Thieren, wo nur geringe Diverſität der Verdauungsorgane
herrſcht, auch die Function derſelben mehr vereinigt ſei. Hier fehlen
uns aber die näheren Grundlagen eindringenderen Wiſſens. Unzäh-
lige Thiere leben einzig und allein von Stoffen, die den höheren
Thieren, deren verdauende Thätigkeit vorzugsweiſe unterſucht iſt, keine Sub-
ſtanz zur Erhaltung ihres Lebens bieten könnten; ich nenne nur als
Beiſpiel ſo manche Inſekten, deren einzige Nahrung aus Holzfaſer,
Hornſubſtanz (Haaren und Federn), fauligen Materien und anderen,
für uns und die höheren Thiere ganz unverdaulichen Stoffen beſteht.
Die aufrichtige Naturforſchung kann hier nur ſagen, von welchen
Stoffen dieſe Thiere leben, und wie die Form der Organe beſchaffen
iſt, womit ſie die Nahrungsſtoffe erfaſſen, mechaniſch zerkleinern, auf-
löſen und verdauen — aber das Wie? der letzteren Vorgänge bleibt
noch ein reiches Feld für künftige Forſchung.


In gleicher Ungewißheit ſchweben wir über die zweite Seite der
Verdauungsfunction, über die Aufnahme der Stoffe in den Organis-
mus ſelbſt. Wir kennen eine einzige durchgreifende Bedingung für die
Aneignung fremder Stoffe, welche für die ganze Thierwelt gilt —
die aufzunehmenden Stoffe müſſen flüſſig ſein, oder durch
die Verdauungsorgane verflüſſigt werden können, um durch Einſaugung
der Darmwandungen aufgenommen und mittelſt Austauſch gegen die
allgemeine Ernährungsflüſſigkeit dem Körper angeeignet zu werden.
Die Bedingungen dieſes Austauſches, des Uebertrittes gewiſſer Stoffe,
während andere zurückbleiben, kennen wir kaum bei den Säugethieren,
geſchweige denn in der übrigen Thierwelt.


Jedes Thier iſt auf Ernährung angewieſen. Zwar können viele
längere Zeit hindurch ohne Aufnahme von Nahrung fortexiſtiren und
dies um ſo eher, je niedern Stufen ſie angehören; aber dennoch bleibt
es ein allgemeines Geſetz, daß der thieriſche Organismus zu Grunde
geht, wenn ihm nicht von Zeit zu Zeit Stoff von Außen zur Erhal-
tung zugeführt wird; das materielle Thierleben beſteht weſentlich in
Verbrauch von Stoff, der durch die verſchiedenen Abſonderungsorgane
aus dem Körper ausgeſchieden wird. — Die Zufuhr, welche dieſen
verbrauchten Stoff erſetzen ſoll, muß demnach alle Subſtanzen enthal-
ten, welche den Körper ſelbſt zuſammenſetzen. Die Ernährung des
thieriſchen Körpers, der Erſatz der unbrauchbar gewordenen Theile
durch den verarbeiteten Nährſtoff iſt mithin nur dann möglich, wenn
derſelbe in dem ganzen Körper überall hin dringen, nach allen Orga-
[41] nen hin vertheilt werden kann. Zu dieſem Zwecke entwickelt ſich all-
mählig im thieriſchen Organismus der Kreislauf der allgemeinen
Ernährungsflüſſigkeit, des Blutes. Bei den niedrigſten Stufen der
Thierwelt durchdringen die von der Außenfläche oder von der Darm-
haut aufgeſogenen Stoffe leicht die ſchwammige Grundſubſtanz, aus
welcher der Körper beſteht. Bald genügt die einfache Imbibition der
Sarkode nicht mehr; — ein contractiler blaſenförmiger Raum wird
hergeſtellt, durch deſſen Zuſammenziehung die allgemeine Ernährungs-
flüſſigkeit in eine gewiſſe Bewegung verſetzt wird. Der contraktile
Raum bildet ſich zu einem eigenen Schlauche, deſſen muskulöſe Wan-
dungen rhythmiſche Zuſammenziehungen ausführen, durch welche die
allgemeine Ernährungsflüſſigkeit in ſtetem Umſchwunge durch den Kör-
per erhalten wird. In den niedern Stufen ergießt ſich das Blut,
ohne in beſondere Wandungen eingeſchloſſen zu ſein, ohne eine feſt
beſtimmte Richtung zu haben, ſchrankenlos durch die Zwiſchenräume
der Gewebe und Organe, umſpült dieſelben überall und durchdringt
die Körperſubſtanz. Bei der höheren Thieren kreist das Blut in
einem anfangs unvollſtändig, ſpäter vollkommen geſchloſſenen Syſteme
von Röhren, die man Gefäße nennt. Die Wechſelwirkung mit
dem Gewebe der einzelnen Organe wird durch die äußerſt zarten
Wandungen der feinſten Endigungen dieſer Gefäße, durch die Netze
der Haargefäße bewerkſtelligt, während die Richtung des Blutſtromes,
die bei den niedern Thieren oft unbeſtimmt iſt, oft ſelbſt periodiſch
wechſelt, bei den höheren durch äußerſt ſinnreiche mechaniſche Klappen-
vorrichtungen in der Bewegungsmaſchine des Herzens genau fixirt
wird. Auf dieſe Weiſe wird im Körper ſelbſt eine Flüſſigkeit gebildet,
das Blut, in welches alle Stoffe eingeführt werden, die von Außen
her genommen oder durch den Umſatz der Körperorgane abgeſchieden
werden. Der ſtete Umſchwung dieſes Blutes durch die aufnehmenden
Organe einerſeits, durch die abſondernden andrerſeits, die Durchdrin-
gung aller Theile mittelſt dieſer Flüſſigkeit vermittelt Ausſcheidung und
Aufnahme und es iſt ſomit das Blut gewiſſermaßen der aufgelöſte
Organismus, der ſeine eigene Zukunft (die aufgenommenen Nahrungs-
ſtoffe) und ſeine Vergangenheit (die verbrauchten Stoffe der Organe)
in ſich enthält.


Mit der Function des Kreislaufes ſteht in genaueſter Verbindung
diejenige der Athmung. Ein tiefer Unterſchied beſteht in dem Ver-
halten der beiden organiſchen Reiche, des Pflanzenreiches und des
Thierreiches zu der atmosphäriſchen Luft. Das Thier verbraucht den
Sauerſtoff derſelben und haucht an ſeiner Statt Kohlenſäure aus; die
[42] Pflanze im Gegentheile, ſaugt Kohlenſäure ein und gibt dafür Sauer-
ſtoff an die Atmosphäre zurück. So ſtehen beide Reiche in inniger
Wechſelwirkung durch das Mittel der Atmosphäre. Die Exiſtenz des
Einen bedingt die des Andern; ohne Pflanzenwelt keine Thierwelt und
umgekehrt. Die in dem Waſſer lebenden Pflanzen und Thiere ſind
hinſichtlich ihrer Athmung auf diejenigen Gasarten angewieſen, welche
in dem Waſſer ſelbſt enthalten ſind. Der im Waſſer aufgelöſte Sauer-
ſtoff dient den Thieren, die darin aufgelöſte Kohlenſäure den Pflanzen
zur Unterhaltung dieſer Wechſelwirkung mit der Atmosphäre. Durch
Abhaltung der Luft, durch Entziehung derſelben aus dem Waſſer kann
man die Bewohner dieſes Elementes ebenſo erſticken, wie die Land-
thiere durch Entziehung der Atmosphäre. Aber auch bei den Orga-
nen, welche die Athmung vermitteln, zeigt ſich eine ſtufenweiſe Aus-
bildung und genauere Specialiſirung ihrer Function. Anfänglich iſt
die Athmung der allgemeinen Körperoberfläche anheim gegeben, dann
entſtehen beſondere Organe, welche oft mit den Bewegungsorganen
verſchmolzen oder nur theilweiſe von ihnen getrennt ſind; dann erſchei-
nen ſie als Anhängſel auf der äußern Fläche, bis ſie endlich beſondere
Höhlen im Innern bilden, die einen complicirten röhrenförmigen Bau
annehmen. Man unterſcheidet hier in der Thierwelt weſentlich zwei
Arten von Athemorganen: Kiemen, die unterſte Stufe, beſtimmt im
Waſſer zu athmen und deßhalb weſentlich in Form von Vorſprüngen,
Blättern, Bäumchen etc. entwickelt und Lungen, beſtimmt mit der
atmosphäriſchen Luft unmittelbar in Wechſelwirkung zu treten und
deßhalb in Form von Blaſen, Säcken oder Luftröhren ausgebildet.
Wie der Darmkanal das Organ für die Aufnahme von Stoffen in
flüſſiger Form iſt, ſo haben die Athemorgane die ſpecielle Function des
Austauſches von Gasarten, welche ſich im Blute finden, mit denen
des Mediums, in welchem das Thier lebt. Aber dieſer Austauſch be-
ſchränkt ſich nie, ſelbſt bei der höchſten Entwickelung der Athemorgane
nicht, auf dieſe allein, indem ſtets auch die äußere Haut an dieſer
Function, die ſie Anfangs allein hatte, Antheil nimmt. Eine weſent-
liche Bedingung zur Erhaltung der Athemfunction iſt der ſtete Wechſel
des zur Athmung dienenden Mediums, zu welchem Zwecke theils eigen-
thümliche, der Einrichtung eines Blaſebalgs ähnliche Vorrichtungen
dienen, theils auch beſondere Wirbel- und Strudelorgane, welche eine
Strömung des Waſſers oder der Luft erzeugen, vorhanden ſind.


Die ſogenannten vegetativen Functionen, welche die Erhal-
tung des Individuums bezwecken, zerſplittern ſich in der angedeuteten
Weiſe immer mehr und mehr bei fortſchreitender Ausbildung des thie-
[43] riſchen Organismus. Nicht minder findet dieſelbe Erſcheinung ſtatt
in dem Bereiche derjenigen Organe, welche die Empfindung und
Bewegung vermitteln, alſo den eigentlichen thieriſchen, oder ani-
malen Functionen
vorſtehen. Die Hautoberfläche iſt Anfangs
das gemeinſchaftliche Organ für Empfindung und Bewegung zugleich.
Die niedern Thiere taſten mit jedem Punkte ihrer Oberfläche und jede
Stelle derſelben dient zugleich als Bewegungsorgan. Nach und nach
aber treten beſondere Taſtorgane hervor, die an einzelnen Stellen nur
beſonders ausgebildet ſind, während die übrige Hautoberfläche, mehr
und mehr differenzirt, ſich zum Schutzorgan des ganzen Körpers und
zum Stützpunkt der Bewegung ausbildet. Dort entſtehen Anhäufungen
anorganiſcher Maſſen, die in mehr oder minder engem Zuſammen-
hange mit dem Hautgewebe ſtehen und ſchützende Röhren, Schalen,
Schilder, Schuppen und Panzer bilden. In den niederen Stufen, wie
bei den Korallen, den Polypen und den Schalen der Weichthiere zeigen
dieſe anorganiſchen Schutzbildungen im Innern ihrer Maſſen mehr
oder minder kryſtalliniſche Struktur, während da, wo ſie als Knochen-
Zahn- oder Emailſubſtanz auftreten, eine organiſche Maſſe ihre Haupt-
grundlage bildet. Anderwärts ſind es feſte organiſche Bildungen, aus
Holzfaſer, Chitin*), oder Hornſubſtanz gewebt, welche der äußern
Haut ihre Feſtigkeit verleihen und ſie faſt unzerſtörbar für ſchwächere
chemiſche Agentien machen. Eigenthümliche Angriffsorgane, theilweiſe
auch zur activen Vertheidigung beſtimmt, entwickeln ſich in Geſtalt von
Stacheln, Haken, Giftbläschen u. ſ. w. — kurz eine Mannigfaltigkeit
der äußeren Bildungen tritt auf, welche beſonders von der beſchrei-
benden Zoologie mit großer Ausführlichkeit in das Bereich ihrer Be-
trachtungen gezogen werden muß. Die größere oder geringere Härte,
welche die Haut an vielen Stellen beſitzt, befähigt ſie, paſſives Bewe-
gungsorgan zu werden, indem die activ bewegenden Theile, die Mus-
keln, ſich an ihrer inneren Fläche feſtſetzen und ſo feſte Stützpunkte für
ihre Wirkſamkeit finden. Wenn die Hautoberfläche noch wie bei vielen
höhern Thieren mehreren Functionen zugleich vorſteht, wie der Ab-
ſonderung, dem Taſtgefühl, dem Schutze gegen äußere Einflüſſe, ſo
ſind dieſe ſtets an verſchiedene ſtreng individualiſirte Theile des
Hautgewebes gebunden.


Die Bewegung, welche bei allen Thieren willkührlich iſt (es iſt
damit nicht ausgeſchloſſen, daß auch unwillkürliche Bewegungen vor-
kommen,) und bei den niederen Stufen als Function der geſammten
[44] Thierſubſtanz gleichmäßig zukömmt, wird nach und nach ebenfalls auf
beſondere Gewebe und Organe beſchränkt. Man findet Fäden, die
zu Bündeln zuſammentreten, den Thierleib in beſtimmten Richtungen
durchziehen und durch ihre Zuſammenziehungen beſtimmte Bewegungen
veranlaſſen. Anfänglich ſetzen ſich dieſe Fäden nur hier und da an
der Körperwandung oder an Organen feſt, welche durch ihre Elaſti-
zität und relative Feſtigkeit einerſeits Stützpunkte abgeben, anderſeits
aber auch Beugungen geſtatten. Bald aber entwickeln ſich feſtere Stücke,
Hebel, welchen zugleich beſondere wohl characteriſirte, ein eigenes Ge-
webe bildende Fadenbündel, Muskeln, entſprechen, die an den
hebelartig beweglichen feſten Theilen gleich Zugſeilen angebracht ſind
und dieſe mittelſt oft ſehr künſtlicher Gelenke auf einander bewegen.
In den niedern Formen der Geſtaltungen bilden dieſe Hebel hohle
Röhren, aus Horn, Chitin, oder theilweiſe unorganiſcher Subſtanz geformt,
auf deren innerer Fläche die jetzt höchſt charakteriſtiſch gebauten und
mit keinem andern Gewebe verwechſelbaren Muskelfäden angeheftet
ſind. In den höheren Bildungsſtufen befinden ſich die Hebel, die
Knochen und Knorpel, welche ebenfalls ſehr eigenthümliche Gewebe
bilden, im Innern des Organismus als mehr oder minder ſolide
Körper und die Muskeln ſind auf ihrer Außenfläche angebracht; bei
den höheren Thieren ſind es die Bewegungsorgane, das innere Skelett
und die Muskeln, von welchen die äußere Formgeſtaltung des Körpers
abhängt, bei den niedern Thieren ſind es oft ganz andere Organe,
beſonders aber die Verdauungs- und Geſchlechtsorgane, welche auf
die äußere Geſtaltung des Körpers bedingend einwirken.


Auch die Sinnesorgane differenziren ſich erſt allmählig in dem
Körper hervor und zwar urſprünglich in einer Form, welche es faſt
zweifelhaft läßt, ob das Sinnesorgan wirklich eines ſei und welcher
ſpecielleren Function, dem Hören oder Sehen, es eigentlich vorſtehe.
Daß alle Thiere Sinnesempfindungen beſitzen, wenn auch oft nur in
ſehr ſtumpfer Weiſe, iſt unzweifelhaft — ob aber die Zahl der Sinne
dieſelbe ſei, wie bei dem Menſchen und den höheren Thieren, iſt eine
andere Frage. Es kann vermuthet werden, daß bei den niederen Thie-
ren die verſchiedenen Sinnesempfindungen die wir, mit ſpeciellen Or-
ganen dafür begabt, als Sehen, Hören, Riechen, Schmecken unter-
ſcheiden, ebenſo untereinander und mit dem Taſtſinn zuſammenſchmelzen,
wie dies auch bei anderen Functionen der Fall iſt — uns eine Vor-
ſtellung von dieſem Zuſammendrängen ſpecifiſch verſchiedener Sinnes-
empfindungen in eine zu machen, erſcheint mir aber unmöglich. Eben
ſo können wir die Gränzen der einzelnen Sinnesempfindungen nicht nach
[45] den unſern abmeſſen — es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſelben für jedes
Thier verſchieden ſind und daß das Eine noch Wellenerſchütterungen
als Schall und Ton empfindet, die für das Andere unhörbar ſind etc.
Wie dem auch ſei, die Sinnesorgane differenziren ſich erſt allmählig
aus der Körpermaſſe hervor und laſſen auch deutliche Spuren allmähliger
Ausbildung erkennen. Zuerſt tritt in einfacher Blaſenform mit einem in
dieſem Säckchen eingeſchloſſenen kryſtalliniſchen Kerne, das Gehörorgan
in die Erſcheinung. Tief im Innern des Körpers verborgen und oft
unmittelbar dem Centralnervenſyſteme aufgeſetzt, wurde dieſe primitive
Form des Ohrs erſt neuerdings durch das Mikroſkop entdeckt. Nach und nach
hebt es ſich an die Oberfläche empor, um die Schallwellen direkt zu
empfangen, die es vorher nur durch Vermittelung der Körpergewebe
erhielt. Die hinzutretenden Theile erhalten das Uebergewicht über das
urſprüngliche Ohrbläschen und auf der höchſten Stufe der Ausbildung
zeigt ſich ein eigentliches äußeres Ohr, welches mit einem wunderbar
complicirten inneren Organe in Zuſammenhang ſteht. In ähnlicher Weiſe
verhält ſich das Auge, bei welchem zugleich jenes Geſetz in den Vor-
dergrund tritt, nach welchem die vielfachen Wiederholungen eines und
deſſelben Organes mit denſelben Functionen eine Stufe niederer Aus-
bildung verrathen, während die complicirte Bildung eines zur ſpe-
ciellen Function beſtimmten Organes, das in einfacher Zahl vorhanden
iſt, die höhere Bildungsſtufe andeutet. So ſind im Anfange die
äußeren Hüllen für das Auge in ihrer Beſchaffenheit nicht verſchieden
von der allgemeinen Körperhülle, die eine gewiſſe Durchſichtigkeit be-
ſitzt; — ſpäter differenziren ſie ſich mehr als durchſichtige Augenhäute;
aber nur auf höheren Stufen werden eigenthümliche Schutzorgane,
Lider, für das Sehorgan nach und nach ausgebildet. In den erſten
Rudimenten der Augen exiſtirt nur ein lichtbrechender Körper, die
Linſe, während nach und nach noch mehre Organe gleicher Art, Glaskör-
per, Augenflüſſigkeit, hinzutreten. Ebenſo differenziren ſich nur nach
und nach als ſelbſtſtändige Organe diejenigen Bildungen, welche das
Seitenlicht abzuhalten, die Schärfe und Genauigkeit des Bildes zu er-
höhen haben, und wozu namentlich die farbigen Augenhäute und die
in Art von Schirmen beweglichen Regenbogenhäute gehören. Anfangs
iſt das Sehorgan unbeweglich in die Körperſubſtanz eingefügt; ſpäter
wird es, ſelbſt unbeweglich, von beweglichen Körpertheilen getragen;
auf der höchſten Stufe endlich wird das Organ willkührlich beweglich
und kann nach Belieben ſelbſtſtändig auf den zu betrachtenden Gegen-
ſtand gelenkt werden. — Nur ſehr ſpät treten beſondere Organe
für diejenigen Empfindungen, welche wir als Geruch und Ge-
[46] ſchmack
bezeichnen, hervor und die Zunge iſt Anfangs namentlich oft
Taſtorgan, Ergreifungsorgan und Geſchmacksorgan zugleich, während
ſpäter erſt ſich dieſe Functionen mehr nnd mehr differenziren.


Die Empfindungen und willkührlichen Bewegungen hängen bei den
höheren Thieren von der Exiſtenz eines eigenen Organſyſtems ab,
welches wir mit dem Namen des Nervenſyſtems bezeichnen. So
wie das Blut der Mittelpunkt aller vegetativen Functionen iſt, durch
welchen aller Austauſch der Körpertheile bedingt wird, ſo ſtellt das
Nervenſyſtem das Centrum der animalen Functionen dar, welches die
Empfindungen zum Bewußtſein bringt und die Bewegungen regelt.
Auch dieſes ſo äußerſt wichtige Syſtem dringt erſt durch vielfache Pha-
ſen bis zu dem letzten Punkte ſeiner Ausbildung, die es in dem Men-
ſchen erreicht, vor. Bei den niedern Thieren hat auch die genaueſte
Unterſuchung keine Sonderung, weder ein Centralorgan, noch peri-
pheriſche Nerven entdecken laſſen; — weiter hinauf begegnet man ein-
zelnen Nervenknoten, von welchen feine Fäden an die wichtigſten
Organe ausſtrahlen. Durch dieſe Fäden verbinden ſich die verſchie-
denen Knoten zu einem gemeinſchaftlichen Syſteme, das meiſt bei den
niedern Thieren noch aus unregelmäßig durch den Körper zerſtreuten
Knoten zuſammengeſetzt iſt. Später bildet ſich eine Reihe von Knoten,
welche durch dicke Verbindungsſtränge mit einander zuſammenhängen
und von einem in dem Kopfe gelegenen aus mehrfachen Anſchwellungen
zuſammengeſetzten Knoten ausgehen ein Bauchmark, welches auf der
Bauchſeite des Körpers unter den Eingeweiden liegt; — endlich in den
höheren Thieren ſondert ſich die Centralmaſſe als Hirn und Rücken-
mark
ſcharf von den ausſtrahlenden Nervenfäden ab und wird in dem
Verhältniſſe zu dem Körper ſtets bedeutender an Maſſe, indem ſie
zugleich die Rückenlage einnimmt.


Mit der Entwickelung des Nervenſyſtems hält die Ausbildung
der geiſtigen Fähigkeiten vollkommen gleichen Schritt und erhebt
ſich in jedem einzelnen Typus der Organiſation bis auf eine gewiſſe
Höhe, welche ſtets bedeutender iſt als diejenige, womit der nächſte
Typus anfängt. Die geiſtigen Fähigkeiten der Thiere ſind auf das
Engſte an das materielle Subſtrat gebunden; — es giebt kein ſelbſt-
ſtändiges, unabhängiges, geiſtiges Prinzip, welches den thieriſchen
Körper nur als Maſchine zu ſeiner Manifeſtation benutzt. Die
geiſtigen Fähigkeiten überhaupt ſind nur das Produkt der Function
der Nervenmaſſe und hängen von der Integrität dieſes Organſyſtems ab,
wie alle übrigen Functionen von ihren ſpecifiſchen Organen.


Die Organe, deren Entfaltung wir bisher mit kurzen Zügen an-
[47] zudeuten verſuchten, beziehen ſich auf das Leben des Individuums und
auf die Erhaltung deſſelben als abgeſchloſſener organiſcher Körper.
Zu dem thieriſchen Leben gehört indeß nothwendigerweiſe noch eine
zweite Bedingung, die Erhaltung der Art durch Fortpflanzung
des Einzelweſens und ſomit die Erhaltung der ganzen thieriſchen
Schöpfung in ihrer Geſammtheit während des Laufes der Zeiten.
Jedem thieriſchen Organismus iſt nur eine gewiſſe Zeit der Exiſtenz
angewieſen; der Tod iſt ein allgemeines Geſetz für alle, während die
Fortdauer in der Art durch Erzeugung von Nachkommenſchaft ebenſo
ein allgemeines Geſetz zu ſein ſcheint. Auch für dieſe ſo äußerſt wich-
tige Function begegnen wir dem allgemeinen Geſetze der Differenzirung.
In mannigfach wechſelnder Weiſe tritt uns zuerſt die geſchlechtsloſe
Zeugung
der Nachkommenſchaft entgegen. Die organiſche Grundſub-
ſtanſt, welche den Körper bildet, iſt, wie wir ſchon oben erwähnten,
befähigt, durch Theilung, durch Knospen, durch Sproſſen, kurz in
ſehr mannigfach verſchiedener Weiſe ſich und damit die Art zu ver-
vielfältigen. Nur langſam, faſt wie im Kampfe, weicht dieſe geſchlechts-
loſe Zeugung zurück vor der Thätigkeit beſonderer Organe, welche ſich
in dem Körper entwickeln. Die Produkte dieſer Fortpflanzungsorgane
ſind es, welche zur Erzeugung neuer Weſen nothwendig ſind. Zwei
Gegenſätze, das männliche und weibliche Geſchlecht treten her-
vor. Anfangs noch auf denſelben Individuen vereinigt, trennen ſie
ſich bei den ausgebildeten Thieren, bei welchen dann jedes Individuum
einem beſtimmten Geſchlechte angehört. Die Vereinigung beider Ge-
ſchlechter, die Vereinigung der Produkte der beiderſeitigen Fortpflan-
zungsorgane, des Eies und des Samens iſt nun nöthig zur Bildung
des werdenden Geſchöpfes. Anfangs unterſcheiden ſich die Geſchlechter
nur durch den Inhalt der Organe, nicht durch die Form derſelben;
ſpäter zeigen die Geſchlechtsorgane Verſchiedenheit der äußeren Bil-
dung, ohne daß die Individuen durch andere Kennzeichen ihr Geſchlecht
verriethen; endlich drückt die Geſchlechtsverſchiedenheit der ganzen Or-
ganiſation ihren Stempel ſo tief auf, daß ſchon in dem Aeußeren dieſe
Verſchiedenheit erkannt werden kann, und oft ſo bedeutend wird, daß
die Individuen derſelben Art, aber verſchiedenen Geſchlechtes nicht nur
in ganz verſchiedene Klaſſen, ſondern ſogar in verſchiedene Organi-
ſationstypen eingereiht wurden.


Wenn die Grundform, von welcher aus ſowohl das Pflanzen-
wie das Thierreich in entgegengeſetzter Richtung ſich entwickeln, beiden
ſo gemeinſam iſt, daß kaum eine Scheidelinie erkannt werden kann, ſo
läßt ſich erwarten, daß auch in der Ausbildung der einzelnen Form-
[48] elemente, aus welchen die Organe des pflanzlichen und thieriſchen
Körpers ſich aufbauen, anfänglich eine große Uebereinſtimmung herrſcht,
die erſt bei nachträglicher Differenzirung mehr und mehr aufgehoben
wird. Dies iſt in der That der Fall. Wir haben oben geſehen, daß
die formloſe Grundſubſtanz, welche die niederſten Thiere bildet und die
bald mehr bald minder flüſſig iſt, den Grundſtock des thieriſchen Bau’s
darſtellt und daß die erſte Formgeſtaltung, welche ſich hervorhebt, die
eines Bläschens, einer Zelle iſt, die dann auch bei niederen Thieren
gleichmäßig wie bei niederen Pflanzen die größere Maſſe des Orga-
nismus zuſammenſetzt. Ebenſo iſt das primitive Ei, wie es ſich in dem Eier-
ſtocke der meiſten Thiere nach einem gemeinſamen Plane ausbildet,
nach dieſer Grundlage aller Gewebe und Organismen als Zelle gebaut.


Dieſe beſteht weſentlich aus mehren Theilen. Der Zellenin-
halt
entſpricht meiſt der Sarkode; es iſt eine mehr oder minder flüſſige,
mit Körnchen durchwebte Subſtanz, die meiſt eiweißartig iſt, während
die Körnchen fettiger Natur ſind. Der Zelleninhalt wird meiſtens
von einer ſtrukturloſen feinen Haut, der Zellenmembran oder Zel-
lenwand umſchloſſen; — dieſe tritt in Wechſelwirkung mit den umgebenden
Subſtanzen. Sie hat die Eigenſchaft, dieſe oder jene Stoffe, je nach
der Natur der Zelle aufzunehmen oder abzugeben. Die Zelle des
Pflanzengewebes iſt ſtarr, die ſie einhüllende Membran aus einem
eigenthümlichen Stoffe, der ſogenannten Celluloſe oder der Holzfaſer
gewebt, welcher als ſolche vollkommen unlöslich iſt, keinen Stickſtoff
enthält und auch bei einer ganzen Klaſſe von Thieren, den Mantel-
thieren, als eigenthümliches Formelement vorkommt. Die thieriſche
Zellenmembran dagegen beſteht aus eiweißartiger Subſtanz oder aus
Modificationen derſelben und beſitzt meiſtens einen bedeutenden Grad
von Elaſticität, die ſich bis zu wahrer Zuſammenziehungsfähigkeit ſtei-
gert. Bei den einzelligen Thieren bildet dieſe Zellenmembrane die
äußere Haut und iſt dann jeglicher Bewegung fähig.


Im Innern der Zellen bemerkt man meiſt außer dem beſchriebenen
Inhalte noch andere eigenthümliche Gebilde, die faſt überall conſtant
vorkommen und beſonders bei der Vermehrung der Zellen eine bedeu-
tende Rolle zu ſpielen ſcheinen. Dieſe Gebilde ſind der Kern (nucleus)
und das in demſelben eingeſchloſſene Kernkörperchen (nucleolus),
welche letztere auch in mehrfacher Zahl vorkommen können. Der Kern
bildet bald ein Bläschen, bald einen ſcheinbar ſoliden, mehr oder min-
der feſten Körnchenhaufen, in deſſen Maſſe das oder die Kernkörper-
chen eingebettet liegen. Auch bei einzelligen Thieren iſt der Kern wohl
überall vorhanden und bietet beſonders bei der Fortpflanzung und
[49] Vermehrung höchſt eigenthümliche Erſcheinungen, welche wir bei dieſen
Thieren ausführlicher betrachten werden.


Die Vermehrung der thieriſchen Zellen hat man beſonders bei
dem Eie der höhern Thiere beobachtet, wo man dieſe Erſcheinung den
Furchungsprozeß des Dotters genannt hat. Der Kern oder das ſoge-
nannte Kernbläschen, das Anfangs (Fig. 11, c) vorhanden iſt, ver-
ſchwindet hier, und die formloſe Subſtanz des Dotters oder der Zellen-
inhalt (b) beginnt ſich in einzelnen Maſſen zu ballen, deren jede als Mit-
telpunkt einen neu gebildeten Kern beſitzt. Meiſtens ſchreitet die Bil-
dung dieſer kernhaltigen Ballen in der Weiſe vor, daß jeder derſelben
ſich ſtets auf’s Neue in zwei Theile ſpaltet, ſo daß zwei (Fig. 12)
vier, acht (Fig. 13) und noch mehr Furchungskugeln (Fig. 14) ent-

Figure 7. Fig. 11. Fig. 12. Fig. 13 Fig, 14.

Furchungsprozeß im Ei des Seeigels.


ſtehen, welche wieder ſelbſtſtändige Kerne beſitzen. Dieſe Vermehrung
nach der Zweizahl ſetzt ſich ſo lange fort, bis das ganze Ei, oder ein
Theil deſſelben in eine Anzahl von Elementarzellen zerlegt iſt, aus
welchen die Gewebe des Embryo ſich aufbauen. Nach und nach erſt
ſcheidet ſich an der Oberfläche dieſer Zellen die Zellenmembran immer
beſtimmter ab, während anfangs nur die mehr verdichtete äußere Lage des
Inhaltes ſelbſt als ſolche auftritt. Aus dieſen primitiven Zellen nun
bilden ſich die Organe heraus. Der Embryo der höheren Thiere, der Kör-
per der niederen Thiere während ihres ganzen Lebens iſt aus Zellen
zuſammengehäuft, welche zwar in jedem Organe eine eigenthümliche
Bildung zeigen, aber dennoch ſtets nach demſelben Grundtypus ge-
baut ſind.


Auch bei den höchſten Thieren ſind noch viele Gewebe vorhanden,
bei welchen ſich auch im ausgebildeten Zuſtande die Zellenſtructur er-
hält. Faſt alle normalen, wie abnormen Flüſſigkeiten des Körpers,
namentlich aber das Blut, enthalten mehr oder minder häufig einge-
ſtreute Zellen oder Körperchen, die aus Zellen herſtammen. Die zarten
Auskleidungen der inneren Höhlungen, die Wandungen des Darm-
kanals, der Luftwege, der Drüſenſchläuche, ſind meiſt von pflaſterför-
migen, hautartigen Ausbreitungen von Zellen gebildet, die man mit
dem gemeinſamen Namen der inneren Oberhäute oder der Epithe-
lien
belegt hat. Alle jene Subſtanzen, welche von der Conſiſtenz
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 4
[50] einer weichen Gallert bis zu der elaſtiſchen Härte des Knorpels und
zu dem noch feſteren Gewebe des Knochens fortſchreiten, ſind entweder
aus noch erkennbaren oder aus ſolchen Zellen zuſammengeſetzt, die in
mannigfacher Weiſe durch innere Ablagerungen, Verdickungen, Ver-
ſchmelzungen verändert und unkenntlich geworden ſind. Es würde zu
weit führen, wollten wir hier auf dieſe mannigfachen Modificationen
eingehen, welche alle jene Gebilde hervortreten laſſen, die weſentlich
als innere Stützpunkte der Bewegung benutzt werden und wo bei wei-
terem Fortſchritte durch Ablagerung unorganiſcher Subſtanz (meiſt
Kalk) in dem verſchmolzenen Zellengewebe jene feſten Elemente
des Thierkörpers entſtehen, die wir als Knochen, Zähne, Schalen u. ſ. w.
bezeichnen. — Die verſchiedenen Fette, die Farbſtoffe und Pigmente,
welche wir in dem thieriſchen Körper abgelagert finden, ſind meiſt
ebenfalls Inhalt von Zellen und in Zellen urſprünglich abgelagert,
wenn auch oft nachträglich dieſer Urſprung gänzlich verwiſcht wird.
Meiſt läßt ſich bei dieſen verſchiedenen Modifikationen der Zelle die
urſprüngliche eiweißartige Natur ihres Inhalts und ihrer ſtructurloſen
Wandung nachweiſen; zuweilen aber treten beſondere Stoffe auf, wie
namentlich die Hornſubſtanz, das Chitin, jener eigenthümliche, ſtickſtoffhal-
tige Beſtandtheil des Skelettes der Gliederthiere, oder gar die ſtick-
ſtoffloſe, unlösliche Holzſubſtanz der Pflanzenzellen, die Celluloſe, bei
den Mantelthieren.


Eine eigenthümliche Ausbildung der Gewebe iſt die in Faſern,
die ſowohl im Innern der Zelle, als in ihrer Wandung, als auch in
ihrer Umgebung ſich entwickeln können. Zuerſt ſieht man in der form-
loſen Subſtanz gleichſam nur Züge, unbeſtimmte, verſchwimmende
Längslinien, die namentlich bei Bewegungen durch Zuſammenziehung
hervortreten. Dieſe Züge werden feſter, beſtimmter; genau abgegränzte
Faſern von beſtimmbarer Dicke und mannigfaltiger Zuſammenſetzung
treten hervor. Die verſchiedene Feſtigkeit, Zuſammenſetzung und Dicke
laſſen weiche Bindefaſern, feſtere Sehnenfaſern, elaſtiſche Faſern u. ſ. w.
unterſcheiden, und man kann in der Thierwelt eine faſt ununterbro-
chene Skala von den unbeſtimmt abgegränzten Faſern der niederſten
Thiere bis zu den Hornfaſern der Hufen, Klauen und Federn, den
Zahnfaſern und ähnlichen Gebilden verfolgen. Aus dieſen Faſern
weben ſich dann beſonders die hautartigen Gebilde, welche in dem
thieriſchen Organismus vorkommen, die Röhren der Gefäße etc. zu-
ſammen, denen durch eine ſolche Bildung meiſt eine große Dehnbarkeit
und Elaſticität geſichert iſt. Nach einer andern Richtung hin entwickelt
ſich die Faſer, welche die Bewegung vermittelt. Stets weich bleibend
[51] nimmt ſie immer beſtimmtere Charaktere an und ſteht endlich bei den
höheren Thieren als Muskelfaſer in zwei Typen da, je nachdem ſie
der willkürlichen oder der unwillkürlichen Bewegung dient. In ebenſo
eigenthümlicher Weiſe, als Hohlfaſer mit beſonderem Inhalt, bildet ſich
die Nervenfaſer allmählig mit unterſcheidenden Charakteren hervor.


Es wäre unmöglich, die Charaktere der verſchiedenen Formele-
mente der thieriſchen Körper auch nur überſichtlich auseinander zu
ſetzen. Auch dürfte dies um ſo mehr unthunlich erſcheinen, als bei
den niederen Thieren namentlich das meiſte noch der ſpäteren Forſchung
überlaſſen bleibt.


Vierter Brief.
Die Fortpflanzung und die darauf gegründete Eintheilung.


Alles Lebende entſteht aus einem Eie, hatte der alte Harvey ge-
ſagt, und lange Zeit galt ſein Ausſpruch für eine unumſtößliche Wahr-
heit. Man ſtritt ſich nur darüber, ob die Eier oder Keime der Thiere
neu in dem mütterlichen Individuum entſtünden, oder ob ſie in dem-
ſelben in unendlicher Kleinheit in einander geſchachtelt vorhanden ſeien,
ſo daß das Mutterthier gleichſam bei ſeiner Erſchaffung ſämmtliche
Keime bis zum Untergange ſeiner Nachkommenſchaft vorgebildet im
Leibe tragen ſollte. Neben dieſen beiden Anſichten erſtreckte ſich freilich
ein noch vergeſſenes Feld, von dem man lieber ſchwieg, als daß man
die ſchwachen Seiten hätte aufdecken ſollen. Die Fortpflanzung der
Eingeweidewürmer und mancher anderen Schmarotzer, ſowie derjenigen
Weſen, die in außerordentlicher Fülle und Kleinheit die Gewäſſer be-
völkern, war für beide ſtreitende Parteien in ein undurchdringliches
Dunkel gehüllt. Indeſſen führte doch die Nothwendigkeit und der zu-
nehmende Gebrauch der Vergrößerungsgläſer immer wieder auf dieſe
Gebiete zurück und um manche außerordentliche Erſcheinungen zu er-
klären, nahm man endlich ſeine Zuflucht zu der Anſicht, daß viele nie-
dere Thierweſen nicht von Eltern ihrer Art abſtammten, ſondern un-
mittelbar aus dem organiſchen Stoffe durch Urzeugung (Generatio
aequivoca
) entſtünden. Von gewiſſen Thieren galt dieſe Anſicht ſeit
uralten Zeiten; ja Ariſtoteles hatte ſchon behauptet, die Aale erzeugten ſich
aus dem Schlamme, das Ungeziefer aus dem Kothe und Kehricht. Die
4*
[52] Volksmeinung ließ die Thiere unmittelbar aus der Subſtanz entſtehen,
in der man ſie zuerſt als Junge fand.


Die naturphiloſophiſche Periode unſerer Wiſſenſchaft bildete mit
beſonderer Vorliebe die Theorie von der Erzeugung der niedern orga-
niſchen Weſen durch Urzeugung aus. Man glaubte an die Exiſtenz
eines organiſchen Grundſtoffes, der überall verbreitet ſein ſollte. Die
Organe der höheren Thiere und Pflanzen, nahm man an, bildeten
ſich aus dieſem Grundſtoffe hervor und würden wieder in ihn zurück-
geführt, ſobald ſie verfaulten und ſich auflöſten. Dieſe thieriſche Grund-
ſubſtanz nun (Urſchleim, Eiweiß, Gallert) ſollte die Fähigkeit haben,
unter dem gemeinſamen Einfluſſe von Luft und Waſſer in thieriſcher
oder pflanzlicher Richtung ſich zu organiſiren und ſich je nach den äußeren
Umſtänden zu beſtimmten Formgeſtaltungen, zu beſtimmten Pflanzen
und Thieren, beſonders Schimmelfäden und Infuſorien, zu entwickeln.
Ohne ſich viel näher um die Organiſation der entſtehenden Pflanzen-
oder Thier-Weſen zu bekümmern und in derſelben die Erklärung der
unendlichen Vervielfältigung jener meiſt mikroſkopiſchen Weſen in Auf-
güſſen organiſcher Subſtanzen zu ſuchen, mühte man ſich ab, durch
vielfache und in ihrem Weſen ſtets ungenaue Verſuche die Bedingun-
gen zu finden, unter welchen aus denſelben Stoffen bald Pflanzen,
bald Thiere erzeugt würden. Man ſtellte auf mühevollen Umwegen
endlich ſo viel feſt, daß zur Urzeugung organiſcher Weſen drei Bedin-
gungen nöthig ſeien: eine organiſche Subſtanz, ſei ſie nun thieriſchen
oder pflanzlichen Urſprungs, Waſſer und Luft. Hinſichtlich der Ent-
ſtehung der Eingeweidewürmer waren die Aerzte einſtimmig und die
Naturforſcher mit ihnen der Anſicht, daß ſie unmittelbar auf Koſten
des Thieres erzeugt würden, welches ſie bewohnten. Wenn man auch
hätte annehmen wollen, daß die im Darmkanal befindlichen Würmer
als junge Thiere, oder in Geſtalt von Eiern mit der Nahrung oder
dem Trinkwaſſer von Menſchen und Thieren hinabgeſchluckt ſeien, ſo
konnte man doch nach dem damaligen Stande der Wiſſenſchaft unmög-
lich von den in geſchloſſenen Höhlen, im Muskelfleiſche, im Auge und
an ähnlichen Orten anweſenden Eingeweidewürmern glauben, daß ſie
von Außen dort hin gelangt ſeien. Man war überzeugt, daß hier eine
falſche Plaſticität des thieriſchen Organismus walte; der ſtatt irgend
einer normalen, zum Körper gehörigen Bildung oder eines krankhaften
Aftergebildes ein thieriſches Weſen niederer Art hervorbringe.


Die genaueren Unterſuchungen der uns zunächſt liegenden Zeit
ſtellten ſich alsbald dieſer allgemein verbreiteten Annahme einer Ur-
zeugung entgegen, und wenn auch in vielen Fällen unſere gegenwärtige
[53] Kenntniß durchaus nicht hinreicht, um mit vollkommener Sicherheit die
Herkunft der Organismen darzuthun, welche man in Aufgüſſen und
in anderen thieriſchen Körpern findet, ſo war doch ein einziger, aus
phyſikaliſchen Grundſätzen hervorgehender Verſuch hinreichend, die Nich-
tigkeit des ganzen naturphiloſophiſchen Gebäudes darzuthun. Ein
Aufguß, den man kocht, alſo zu einer Temperatur bringt, bei welcher
das thieriſche Eiweiß gerinnt und zu jeder fernern Geſtaltung unfähig
wird, ein ſolcher Aufguß bringt niemals organiſche Weſen hervor,
wenn er vollkommen luftdicht verſchloſſen wird; läßt man ihn dagegen
offen ſtehen, ſo erzeugen ſich dieſelben Weſen in dem Aufguſſe, als
wenn er ungekocht geblieben wäre. Es ſchien hierin der Beweis zu
liegen, daß der freie Zutritt der Luft es ſei, welcher die Urzeugung bedinge.
Man ſuchte nun die Luft von jeder organiſchen Beimiſchung zu reini-
gen, ohne jedoch ihre Zuſammenſetzung zu verändern. Man kochte den
Aufguß in einem Kolben, durch welchen man einen Luftſtrom leiten
konnte, der vorher durch Schwefelſäure oder irgend eine andere Sub-
ſtanz ſtrich, welche alle in der Luft mitgeführten organiſchen Stoffe
zerſtörte, ohne der Zuſammenſetzung der Luft ſelbſt Eintrag zu thun.
Man ließ dieſen Apparat wochenlang, monatelang in Funktion und
erneuerte täglich die Luft, indem man ſie durch Schwefelſäure ſtreichen
ließ, ohne den mindeſten Erfolg. Es bildeten ſich niemals organiſche
Weſen in einem ſolchen Apparate. In einem anderen Kolben aber,
deſſen Inhalt vollkommen gleich behandelt war, deſſen Erneuerungs-
luft man aber nicht durch Schwefelſäure oder Aetzkali, ſondern nur
durch eine leere Glasröhre ſtreichen ließ, alſo ihrer organiſchen Ein-
ſchlüſſe nicht beraubte, wimmelte es bald von mikroſkopiſchen Pflanzen
und Thieren aller Art. Es war ſomit der thatſächliche Beweis gelie-
fert, daß nach Anwendung ſolcher Mittel, welche die Lebensfähigkeit
organiſcher Körper zerſtören, auch bei Anweſenheit von organiſcher
Subſtanz, Luft und Waſſer, keine neuen Weſen entſtehen, und es
war der mittelbare Nachweis geliefert, daß in der Luft, in den ſoge-
nannten Sonnenſtäubchen, trockene Keime und Weſen der niederſten Art
den Aufgüſſen zugeführt wurden, in welchen ſie einen geeigneten Boden
zu ihrer Entwickelung und Fortpflanzung hatten. In der That iſt die
Fortpflanzungsfähigkeit der Thiere und Pflanzen, die ſich in ſolchen
Aufgüſſen finden, ungeheuer, ſo daß ein einziges ſolches Individuum
in kurzer Zeit eine Nachkommenſchaft von Millionen beſitzen und durch
dieſelbe eine bedeutende Menge von Flüſſigkeit bevölkern kann.


[54]

Den Nachweis gegen die geſchlechtsloſe Urzeugung der Eingewei-
dewürmer auf Koſten der Thiere, welche ſie bewohnen, hat man auf
andere Weiſe zu liefern geſucht. Einestheils erreicht bei den meiſten
Gattungen derſelben die Produktion von Eiern und Keimen wahrhaft
fabelhafte Proportionen, ſo daß Millionen dieſer Eier und Keime
zu Grunde gehen können, ohne daß deßhalb die Art vernichtet würde.
Dann hat man die meiſt mikroſkopiſchen Eier und Jungen auf ihren
dunkelen Wegen verfolgt; man hat geſehen, daß die ſtaunenswertheſten
Verwandlungen durchlaufen werden; daß oft derſelbe Schmarotzerwurm
angewieſen iſt während ſeines Lebens in verſchiedenen Geſtalten ver-
ſchiedene Thiere zu bewohnen; daß viele Würmer eine Zeitlang frei ſind
und ſich von Außen her in ihre Wohnthiere einbohren — kurz man
hat eine Menge von Wegen entdeckt, auf welchen dieſe Eingeweidewür-
mer an ihre Wohnſitze gelangen und von denen man früher gar keine
Ahnung hatte. Täglich vervielfältigen ſich dieſe Forſchungen, und wenn ſie
auch noch kein vollſtändiges Licht verbreiten, ſo geben ſie doch Fingerzeige
und Analogieen genug, durch welche man alle paradoxen Erſcheinungen
auf dieſem Gebiete weit natürlicher und ungezwungener erklären kann,
als durch die Annahme einer Urzeugung der Eingeweidewürmer auf
Koſten ihrer Wohnthiere.


Wir verwerfen alſo gänzlich und unbedingt die ſogenannte Ur-
zeugung als ein Hirngeſpinnſt, oder vielmehr als einen theoretiſchen
Deckmantel für unſere factiſche Unwiſſenheit. Jedes thieriſche Weſen,
welches exiſtirt, iſt für uns das Produkt der Fortpflanzung von an-
deren Weſen, welche ihm ähnlich waren. Uns vorbehaltend bei der
Betrachtung der einzelnen Thierklaſſen näher auf die Einzelnheiten
einzugehen, müſſen wir hier einen Blick auf die Fortpflanzungsweiſen
der Thiere im Allgemeinen richten.


Die geſchlechtsloſe Zeugung kommt, wie wir ſchon in dem
vorigen Briefe bemerkten, hauptſächlich nur in den niedrigſten Stufen
der einzelnen Organiſationstypen vor und auch hier wieder in ſehr
verſchiedener Art und Weiſe. Es gibt Thiere, deren Geſammtorgani-
ſation indeß noch nicht ſo weit erforſcht iſt, um ein genügendes Ur-
theil abgeben zu können, deren Körper nach einer gewiſſen Dauer
ſeiner Exiſtenz, ſich in eine Unzahl von Keimkörnern auflöſt, die wie
es ſcheint, dazu beſtimmt ſind, jedes ſich zu einem neuen Individuum
zu geſtalten. Das Mutterthier geht hier bei der Erzeugung ſeiner
Keime zu Grunde, und die Keime ſelbſt ſtreuen ſich, wie es ſcheint, nach
verſchiedenen Richtungen aus, um ein neues ſelbſtſtändiges Leben zu
beginnen.


[55]

Eine andere Vermehrungsweiſe iſt die durch Theilung, welche
beſonders bei den Infuſionsthierchen häufig vorkommt. Ein Thier,

Figure 8. Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17.

Glockenthierchen (Vorticella), die ſich durch Theilung
und Knospung fortpflanzen.
Das Thierchen Fig. 15 iſt eben in der
Theilung begriffen, der Kern b iſt ſchon voll-
kommen doppelt; Fig. 16 will ſich von ſeinem
Stiele loslöſen; Fig. 17 bildet an der Baſis
des Stieles eine ſeitliche Knospe, die noch un-
vollkommen iſt. Bei allen dreien iſt a der
Mund mit der Wimperkrone, b der Kern, d
die gefüllten Magenblaſen, e die contractile
Blaſe, f der Stiel, i der acceſſoriſche Wimper-
kranz, den die ſich loslöſenden Individuen wäh-
rend ihrer freien Beweglichkeit haben.


welches bis dahin ein ſelbſtſtän-
diges Leben führte und keine Spur
eines ſymmetriſchen Baues zeigte,
läßt plötzlich eine Rinne oder
Furche oder eine ſonſtige Verän-
derung in ſeinem Inneren gewah-
ren, welche ſich bis zu einer Thei-
lung in zwei, meiſtentheils gleiche
Hälften ausbildet — eine Theilung,
die zuweilen nach einigen Stunden
ſich bei den kaum getrennten Hälf-
ten auf’s Neue wiederholen kann.
So ſchreitet die Fortpflanzung
durch immer fortgeſetzte Theilung
der neu entſtandenen Individuen in
geometriſcher Weiſe vor, und man
weiß aus dem Beiſpiele des
Schachbrett’s, zu welch ungeheu-
ren Zahlen man auf dieſe Weiſe
gelangen kann und nothwendig
gelangen muß, wenn nicht ander-
weite Hinderniſſe hemmend da-
zwiſchen treten.


Bei der Theilung ſind die
beiden Hälften, in welche das
Thier zerfällt, meiſt einander vollkommen gleich. Es findet kein Un-
terſchied zwiſchen dem alten und jungen Thiere ſtatt. Anders iſt es
bei der Fortpflanzung durch Knospen, die ſich in ſehr verſchiedener
Weiſe darſtellen und meiſtens die ſogenannten ſocialen oder geſellſchaft-
lichen Formen der Thiere zu Folge haben. An irgend einem Theile
des Körpers, bald an dem vorderen Ende, bald an der Seite, bald an
dem hinteren Ende zeigt ſich ein Auswuchs, der Anfangs mit dem
Körper des Mutterthieres in dem innigſten Zuſammenhange ſteht. Die
allgemeine Ernährungsflüſſigkeit cirkulirt aus dem Körper des Mutter-
thieres in die Höhlung der Knospe. Dieſe ſcheint anfangs nur ein zufäl-
liger, von frühern Forſchern oft für krankhaft gehaltener Auswuchs.
Die Knospe gewinnt nach und nach ein zunehmend ſelbſtſtändiges Leben.
[56]

Figure 9. Fig. 18.

Waſſerlinſen, a an deren Wur-
zeln mehrere Armpolypen (Hy-
dra
) ſitzen. Aus dem Polypen
bei c ſind zwei ſchon mit Armen
verſehene Knospen entwickelt, die
der Ablöſung nahe ſind.


Oft bleibt ſie in Verbindung mit dem Mut-
terthier und indem die neuen Knospen
nach beſtimmten Normen bald mehr bald
minder regelmäßig ſich entwickeln, entſtehen
jene gemeinſchaftlichen Colonieen, die wir
als Polypen, Corallen, Moosthiere u. ſ. w.
kennen lernen werden; oft aber auch reißen
ſich die Knospen los und führen während
einiger Zeit ein ſelbſtſtändiges Leben, ſo daß
man wohl zwiſchen freien Knospen und zwi-
ſchen bleibenden Knospen unterſcheiden muß,
indem erſtere meiſtens bei feſtſitzenden Thie-
ren vorkommen und zur Gründung neuer
Colonieen in der Ferne beſtimmt ſind, wäh-
rend Letztere die Vergrößerung des Polypen-
ſtockes zur Folge haben und zu dem Ende
mit dem Mutterſtocke in Verbindung bleiben.
Zuweilen bilden ſich die Knospen auch in
der Weiſe, daß feſtſitzende Thiere lange Ausläufer oder Ranken von
ihrer Baſis ausſchicken, aus denen dann ähnlich wie aus den Aus-
läufern der Erdbeerpflanze von Zeit zu Zeit durch Knospungen neue
Individuen entſtehen. Manchmal ſelbſt bilden ſie ſich im Innern des
Körpers und werden nach ihrer Ablöſung ausgeſtoßen.


Die höheren Thiere in allen Typen pflanzen ſich durch die ge-
ſchlechtliche Zeugung
fort, und dieſe iſt auch bei vielen niedern
Thieren vorhanden, bei welchen außerdem noch die Vermehrung durch
Knospenbildung ſtattfindet. Die geſchlechtliche Zeugung bedingt, wie
ſchon in dem vorigen Briefe dargethan wurde, die Exiſtenz zweier ver-
ſchiedener einander entgegengeſetzter Zeugungsſtoffe, des männlichen
oder des Samens und des weiblichen oder des Eies, die meiſtens in
beſonderen Geſchlechtsorganen ausgebildet werden. Beide Produkte haben
durch die ganze Thierwelt ſo eigenthümliche Charaktere, daß ſie nur
ſelten verkannt werden können. Das Ei aller Thiere iſt nach einem
beſtimmten Plane gebaut; eine mehr oder minder körnige weiche oder
flüſſige Subſtanz, deren Hauptbeſtandtheile Fett und Eiweiß ſind,
der Dotter, bildet den Hauptinhalt des Ei’s und wird von einer
außerordentlich zarten, nur in ſeltenen Fällen feſter werdenden,
ſtrukturloſen Haut, der Dotterhaut, umſchloſſen. In dieſem Dotter
liegt ein helles Bläschen, welches meiſt eine waſſerhelle Flüſſigkeit
[57]

Figure 10. Fig 19.

Eierſtocksei des
Kaninchens.
a Dotter haut (bei den
Säugethieren ausnahms-
weiſe ſehr dick); b Dotter;
c Keimbläschen; d Keim-
fleck.


in ſich ſchließt und welches man das Keimbläs-
chen
genannt hat. In dem Innern des Keim-
bläschens ſelbſt findet ſich bald ein körniger Fleck,
bald an deſſen Statt, eins oder mehrere außeror-
dentliche kleine Bläschen, die Keimflecke. Das
primitive Ei aller Thiere iſt aus dieſen verſchie-
denen ineinander geſchachtelten Gebilden, dem
Keimfleck, dem Keimbläschen und dem Dotter zu-
ſammengeſetzt und hat ſtets eine nur mikroſkopiſche
Größe. Die Eier werden in beſonderen, manch-
mal ſich periodiſch entwickelnden Organen, in den
Eierſtöcken gebildet. Ihre in die Augen fallende
Größe erhalten ſie meiſtens durch Vermehrung des
Dotters, oder durch ſpätere Umbildung verſchiedenartiger Hüllen und
Schalen und des Eiweißes. Zur Bildung dieſer Letzteren entwickeln
ſich eigene Hilfsorgane und Drüſen, ſo daß bei vielen Thieren die
weiblichen Geſchlechtstheile einen äußerſt complicirten Bau beſitzen.


Das männliche Zeugungsprodukt, der Same, wird ebenfalls in
eigenen drüſenartigen Organen ausgebildet und zeigt eine nicht minder
charakteriſtiſche Zuſammenſetzung. Mit nur wenigen Ausnahmen enthält
er bei allen Thieren zur Zeit der Zeugungsfähigkeit lebendig bewegte
Körperchen, die man mit dem Namen der Samenthierchen oder

Figure 11. Fig. 20.

Saamenthierchen rerſchiedener Thiere.
a. Von einem Polypen (Actinia).
b. Von einer Qualle (Rhizostoma).
c. Von einem Säugethier (Bär).
d. Von einem Vogel (Sperling).
e. Von einem Krebſe (Hummer).


Samenfäden belegte.
Früher hielt man ſie,
ihrer lebhaften Be-
wegungen wegen, all-
gemein für Thiere,
die man bald den In-
fuſionsthierchen, bald
den Eingeweidewür-
mern zuzählte. Allein
alle Verſuche eine in-
nere Organiſation an
ihnen zu entdecken, wa-
ren durchaus frucht-
los. Durch genauere
Unterſuchung ihrer Entſtehungsweiſe an ihrer Bildungsſtätte, dem
Hoden, überzeugte man ſich, daß ſie nicht ſelbſtſtändige Thiere, ſon-
dern nur Formelemente des männlichen Organismus ſeien, welche
eine ähnliche Beweglichkeit beſitzen wie die Flimmer- und Wimperhaare.
[58] Dieſe Samenfäden haben meiſt einen mehr oder minder eiförmigen,
ſcheibenartigen Körper, der zuweilen auch cylindriſch oder korkzieher-
artig gedreht iſt und einen langen ſchwanzförmigen Anhang, der ſich
peitſchenartig hin und her bewegt. Das Gewimmel von Tauſenden
dieſer beweglichen Formelemente in einem einzigen Tropfen zeugungs-
fähigen Samens iſt eins der merkwürdigſten Schauſpiele, welches man
unter dem Mikroskope erblicken kann. Nur bei wenigen Thieren ſind
die Formelemente vollkommen ſtarr und von äußerſt abweichender Ge-
ſtalt, bei manchen aber werden ſie noch in eigenthümlichen Samen-
ſchläuchen eingeſchloſſen, aus welchen ſie ſpäter hervorgetrieben werden.
Auch die männlichen Geſchlechtsorgane erhalten oft eine äußerſt com-
plicirte Form, indem ſich in ihrem Vereiche mannigfache Drüſen und
abſondernde Gebilde entwickeln, welche die Vermehrung der Samen-
maſſe bezwecken. Außerdem kommen bei den höheren Thieren, ſowohl
bei dem männlichen wie weiblichen Geſchlechte, äußere Organe vor,
welche zur Vereinigung beider Geſchlechter im Fortpflanzungsakte, zur
Begattung dienen und oft von ſehr ſonderbaren Haft- und Haltwerk-
zeugen begleitet ſind.


Beide Geſchlechter bedingen ſich wechſelſeitig, kein Ei ohne Samen
und kein Samen ohne Ei. Es gibt keine Art von Thieren, die nur
männlich oder nur weiblich wären. Mannigfaltige Verhältniſſe wech-
ſeln aber in dieſer Beziehung ab. Bei den Einen wird das Ei auf
dem Wege ſeiner Ausſtoßung aus dem Organismus nothwendig mit
den männlichen Zeugungsſtoffen in Berührung gebracht, die von dem-
ſelben Individuum in männlichen Organen erzeugt werden; — das
Thier iſt ein wirklicher Hermaphrodit, ein Zwitter, und genügt als
ein einzelnes Individuum zur Fortpflanzung der Gattung. Vielleicht dürfte
ſich in ſpäteren Zeiten herausſtellen, daß dieſe Anſicht eine irrige ſei,
und daß die Geſchlechter ſtets auf verſchiedene Individuen derſelben
Art vertheilt ſeien; — bis jetzt aber iſt der ſichere Beweis dieſes Verhal-
tens noch nicht geliefert, und wenn man auch verſucht hat, das thatſächliche
gemeinſame Vorkommen von Zeugungsſtoffen beiderlei Art auf einem
und demſelben Individuum dadurch zu erklären, daß man behauptete,
die männlichen Zeugungsſtoffe ſeien erſt durch Begattung eingeführt,
ſo iſt dieſe Behauptung dennoch weit entfernt, genügend unterſtützt zu
ſein. Die meiſten hermaphroditiſchen Thiere indeſſen pflanzen ſich
dennoch in der Weiſe fort, daß ſie wechſelſeitig ihre Eier befruchten.


Die Befruchtung ſelbſt geſchieht indeſſen in mannigfach ver-
ſchiedener Weiſe. Bedingung für ſie iſt, daß die ſpecifiſchen Produkte
der Fortpflanzungsorgane, die Samenthierchen und die Eier, mit ein-
[59] ander in direkte, unmittelbare Berührung kommen. Bei den einen
wird dies dadurch erreicht, daß die Eier, von dem mütterlichen Orga-
nismus ausgeſtoßen, außerhalb deſſelben durch den von dem männ-
lichen Individuum ausgeſtoßenen Samen befruchtet werden, und zwar
geſchieht dieſes ebenſowohl bei ſolchen Arten, welche an dem Boden
feſtſitzen, als bei ſolchen, die ſich frei im Raume bewegen können.
Selbſt unter den Thieren, welche gemeinſchaftliche Colonieen oder Stöcke
bilden, kommt es nicht nur vor, daß männliche und weibliche Indi-
viduen auf demſelben Stocke ſich finden, ſondern auch, daß ſämmt-
liche Individuen eines Stockes nur einem einzigen Geſchlechte angehören,
alſo entweder männlich oder weiblich ſind, und daß demnach die Zeu-
gungsſtoffe auf’s Geradewohl dem Waſſer überlaſſen werden müſſen,
in der Hoffnung, daß der Strom des flüſſigen Elementes ſie den
Stöcken des andern Geſchlechtes zuführen werde. Es findet hier das
ähnliche Verhältniß ſtatt, wie bei denjenigen Pflanzen, bei welchen
ebenfalls männliche und weibliche Blüthen auf verſchiedenen Stämme
vertheilt ſind, und wo der Wind den Blüthenſtaub den weiblichen
Blumen zuführen muß.


Bei den höhern Thieren findet die Befruchtung des Eies noch
innerhalb des mütterlichen Organismus ſtatt, in welchen die männ-
lichen Zeugungsſtoffe durch die Begattung eingeführt werden. Wie
bei denjenigen Thieren, deren Eier außerhalb der Mutter befruchtet
werden, ſo löſt ſich auch hier zu gewiſſen, periodiſch wiederkehrenden
Zeiten, das Ei aus ſeiner Geburtsſtätte, dem Eierſtocke los und wird
nach Außen geführt. Auf ſeinem Wege trifft es die männlichen Zeu-
gungsſtoffe, die entweder durch unmittelbare Begattung dem weiblichen
Organismus einverleibt wurden, oder aber ſchon ſeit längerer Zeit
dort verweilten. Bei vielen Thieren nämlich und beſonders bei den
Inſekten exiſtirt als beſonderer Anhang der innern weiblichen Ge-
ſchlechtsorgane eine Taſche oder ein Behälter, in welchem der männ-
liche Same ſelbſt Jahrelang unverändert ſich erhält, ſo daß eine einzige
Begattung für vielfache Perioden des Eierlegens zur Befruchtung
genügend iſt. Meiſt wird das Ei nach erfolgter Befruchtung von dem
mütterlichen Organismus ausgeſtoßen, zuweilen aber auch entwickelt
ſich das junge Thier im Innern des mütterlichen Organismus an
einer beſonderen zu den Geſchlechtsorganen gehörigen Brutſtätte, dem
Uterus oder der Gebärmutter, und verläſſt dann erſt denſelben als
mehr oder minder ausgebildeter Fötus. Bei den höchſten Typen des
Thierreiches tritt ſogar das Junge in einen engen Zuſammenhang
[60] mit dem mütterlichen Organismus ſelbſt, aus deſſen Blut es diejenigen
Stoffe entnimmt, welche zu dem Aufbaue ſeines Körpers nöthig ſind.


Jedes Thier durchläuft von dem Augenblicke ſeiner erſten Bil-
dung an bis zu ſeinem normaler Weiſe eintretenden Tode eine Reihe
von Bildungsſtufen, deren genauere Betrachtung für die Naturgeſchichte
um ſo wichtiger iſt, als oft die größten Geſtaltveränderungen durch
dieſelben erzeugt werden. Wir werden im Verlaufe dieſes Briefes
noch die Veränderungen im Ei und die allmählige Hervorbildung des
Embryo’s aus dem urſprünglich formloſen Stoffe ſchon um deßwillen
genauer in’s Auge faſſen, weil wir auf dieſelben hauptſächlich die Ent-
wickelung der Urtypen bauen, aus denen uns das Thierreich zuſam-
mengeſetzt erſcheint. Nicht minder wichtig ſind aber die Veränderun-
gen, welche die Thiere auch dann noch erleiden, nachdem ſie durch
Befreiung aus den Hüllen des Eies ſelbſtſtändig geworden ſind; oft
betreffen dieſe Veränderungen und Umgeſtaltungen nur das Indivi-
duum, in einzelnen Fällen greifen ſie aber ſo tief, daß das Indivi-
duum darüber zu Grunde geht und erſt durch erneute Fortpflanzung
der Typus des Mutterthieres hergeſtellt wird.


Der Gang der ſtufenweiſen Entwickelung der Thiere geſchieht
meiſt in der Weiſe, daß die Geſchlechtsreife und diejenige Periode, in
welcher ſie zur Fortpflanzung fähig ſind, den Gipfelpunkt ihrer Aus-
bildung bezeichnet. Bei denjenigen Thieren, in welchen periodiſch weit
von einander abſtehende Epochen der Geſchlechtsäußerung vorkommen,
überraſcht ſogar die höhere und kräftigere Entfaltung aller Lebenser-
ſcheinungen in dieſer Periode des Geſchlechtslebens. Mit dem Schwin-
den der Fortpflanzungsthätigkeit tritt meiſt auch eine allmälige Zurück-
bildung der Organe ein, die dem endlichen Tode entgegenführt. Es
gibt aber viele Gattungen und Arten, ja größere Abtheilungen des
Thierreiches, bei welchen dieſe Zurückbildung der Organe, dieſe rück-
ſchreitende Metamorphoſe
, wie man ſie genannt hat, ſchon frü-
her beginnt, bevor noch die Geſchlechtsreife eingetreten iſt. Dieſes
findet namentlich ſtatt bei ſolchen Thieren, welche in der Jugend frei
umherſchweifen, während ſie im Alter ſich feſtſetzen oder endlich als
Schmarotzer in andern Thieren leben. Die Bewegungsorgane, mit
welchen ſie ausgerüſtet waren, verkümmern, die Sinnesorgane ſchwin-
den, und oft wird der Körper in ſo bedeutender Weiſe umgeſtaltet,
daß man die erwachſenen Thiere in andere Organiſationstypen und
in niederſtehende Claſſen vertheilte, während man die jüngern Thiere
höheren Claſſen zuwies. Wir werden die auffallendſten Beiſpiele die-
[61] ſer Art, namentlich unter den Kruſtenthieren und den Eingeweide-
würmern finden.


Bei vielen Thieren geſchieht die Ausbildung und Rückbildung
des Körpers in ſo allmähliger Weiſe, daß es faſt unmöglich iſt, be-
ſtimmte Stadien derſelben nachzuweiſen. Das Junge verläßt das Ei
in einer Geſtalt, die dem alten Thiere ſchon gewiſſermaßen ähnlich iſt
und nur durch die Verhältniſſe der einzelnen Theile des Körpers,
oder durch die mangelnde Ausbildung untergeordneter Organe ſich
unterſcheidet. So verläßt der junge Fiſch z. B. meiſt das Ei in einer
Geſtalt, welche zwar dem erwachſenen Thiere ähnlich iſt, obgleich ſeine
Floſſen wenig ausgebildet und die Größenverhältniſſe ſeiner Körper-
theile ſo von dem Erwachſenen verſchieden ſind, daß es dem Unge-
übten unmöglich iſt, Gattung und Art zu erkennen. Dennoch aber
geſchieht die Umgeſtaltung der Floſſen und der Körpertheile ſo allmäh-
lig, daß man keinen beſtimmten Haltpunkt erkennen kann.


Bei vielen und großen Thiergruppen findet das entgegengeſetzte
Verhältniß ſtatt, ſie gehen Verwandlungen ein, welche durch beſtimmte
charakteriſtiſche Epochen geſchieden ſind, meiſtens in der Art, daß in
der äußeren Hülle des Thieres die neue Geſtalt ſich entwickelt und
aus der geſprengten Hülle in vollendeter Form hervorgeht. Man hat
dieſe, gewiſſermaßen plötzlich eintretenden Umänderungen, Metamor-
phoſen
oder Verwandlungen genannt und ſie beſonders in den
Reihen der Gliederthiere, faſt in allgemeiner Verbreitung angetroffen.
Zuweilen geſchieht es, daß das Thier während einer ganzen Ent-
wickelungsperiode, ohne Nahrung zu finden, in ruhendem Zuſtande
verharrt, während welcher Zeit die innern Veränderungen vor ſich
gehen; in anderen Gruppen nimmt das Thier beſtändig Nahrung zu
ſich, während es in ähnlicher Weiſe ſucceſſive Veränderungsperioden
eingeht. Die Form, in welcher das Thier das Ei verläßt, wird die
Larve, Raupe, Made (Larva), die zweite Verwandlungsſtufe die Puppe
(Pupa, Nympha), die dritte das Bild (Imago) genannt. Raupe, Puppe
und Schmetterling ſind die bekannteſten Beiſpiele ſolcher Verwand-

Figure 12. Fig. 21.


[figure]

lungsſtufen eines und deſſelben
Individuums.


Eine abweichende Art der
Metamorphoſe kommt bei nie-
drig ſtehenden Gruppen ein-
[62]

Figure 13. Fig. 21, 22, 23

Larve, Puppe und Bild des Schwalben-
ſchwanzes (Papilio Machaon Linné.)


zelner Organiſationstypen vor.
Das aus dem Ei hervorgebil-
dete Individuum wird zu kei-
ner Zeit dem Mutterthiere
ähnlich, es entwickelt vielmehr
in ſeinem Inneren, entweder
gleichzeitig oder nach einan-
der eine Reihe von Keimen,
die ſich zu neuen Weſen ge-
ſtalten und dabei oftmals wäh-
rend ihrer allmähligen Aus-
bildung bis zu dem Typus des
Mutterthieres ähnliche Ver-
wandlungen eingehen, wie die,
welche wir ſo eben betrachteten.
Zuweilen ſelbſt ſcheint dieſer
Prozeß des Untergangs des
Individuums und der Erzeugung neuer Keime aus demſelben
ſich mehrfach zu wiederholen, ſelbſt in der Weiſe, daß man innerhalb
des entſtehenden Tochterthieres das noch im Leibe der Mutter einge-
ſchloſſen iſt, das Enkelthier ſich bilden ſieht. Man hat dieſe ſeltſame
Weiſe der Fortpflanzung, den Generationswechſel oder die Am-
menzeugung
genannt und mit dem Namen Ammen, diejenigen ge-
ſchlechtloſen Zwiſchenſtufen bezeichnet, aus welchen durch innere oder
äußere Knospen die Individuen hervorgehen. Eines der complicirte-
ſten Beiſpiele dieſer Art, welches man bis jetzt kennt, möge als Bei-
ſpiel dieſer Ammenzeugung dienen. Ein Eingeweidewurm, Monosto-
mum mutabile
erzeugt Eier, in deren Innern ein mit Flimmern

Figure 14. Fig. 24. Fig. 25. Fig. 26.

Ammenzeugung des Monostomum mutabile.
Fig. 24 das Ei, Fig. 25 die freie Großamme, Fig. 26 die freie
Amme. a Eihülle, b Großamme, c Amme, d Augenpunkte.


beſetzter Embryo
entſteht. Dieſer
Embryo, den
man die Groß-
amme nennen
könnte, und der
niemals dem Mo-
noſtomum ähn-
lich wird, geht zu
Grunde. Die
Großamme be-
wegt ſich durch
einen Beſatz von
[63] Wimperhaaren ſchwimmend umher und gleicht ganz einem freien Thiere,
welches ſogar ein deutliches Verdauungsorgan und Augenpunkte be-
ſitzt. In dem hintern Theile dieſer Großamme bildet ſich nun auf dem
Wege der Knoſpung ein Ammenſchlauch (c) von hinten dreizipflicher
Geſtalt, in dem ſich, wieder auf dem Wege der Knoſpung, eine Menge
eigenthümlicher Thiere, ſogenannte Cercarien, erzeugen, welche, ſobald
ſie ihre vollſtändige Ausbildung erreicht haben, aus der Amme her-
vorbrechen und frei im Waſſer einherſchwimmen. Aber dieſe Cerca-
rien ſind nur Larven, welche dazu beſtimmt ſind, ſich in Inſekten ein-
zubohren und dort förmlich ſich einzupuppen, alſo ganz in ähnlicher
Weiſe ſich zu verwandeln, wie die Raupe in die Puppe; erſt aus der
Puppe der Cercarie geht wieder ein Monoſtomum hervor. Man ſieht,
daß hier zwei Generationen, diejenige der Großamme und der Amme,
zu Grunde gehen, bis endlich diejenigen Individuen erzeugt werden,
welche durch eine eigenthümliche Verwandlung den Typus des Mut-
terthieres erreichen, und daß demnach bei dieſen und ähnlichen Weiſen
der Fortpflanzung nicht die unmittelbaren Nachkommen, ſondern erſt
die mittelbaren jene Charaktere der Art wieder zeigen, welche die El-
tern beſaßen.


Nicht minder bedeutend für die Geſammt-Anſchauung des Thier-
reichs und namentlich für die Begründung der größeren Kreiſe, in
welche ſich daſſelbe eintheilt, iſt die genauere Betrachtung der Art und
Weiſe, wie ſich der Thierleib aus ſeinem Keime hervorbildet und in
ſeinen erſten Formgeſtaltungen ſich verhält. Wie bei dem Bildhauer
der formloſe Stein nur nach und nach der vollendeten Statue ſich
entgegenbildet, anfangs nur die gröberen Umriſſe der Gruppen und
Geſtalten, ſpäter erſt die Einzelnheiten der Form ſich darſtellen, ſo tre-
ten auch bei der Entwicklung der Thiere zuerſt die allgemeinen Grund-
linien des Planes hervor, nach welchen es gebaut iſt, und erſt bei
fortgeſetzter Differenzirung laſſen ſich die Einzelheiten der Geſtaltung
erkennen. Die Betrachtung der erſten Entwicklungszuſtände gibt am
leichteſten und klarſten die leitenden Grundſätze an die Hand, nach
welchen die größeren Kreiſe und Gruppen des Thierreiches geſchieden
werden können, indem ſie dieſe Grundſätze unmittelbar aus der Beob-
achtung ohne weiteren Zwang hervorgehen läßt.


Ueberblickt man das Thierreich in ſeiner Geſammtheit, ſo ergeben
ſich, je nach der Bildung der jungen Thiere, drei große Gruppen oder
Provinzen, die ſich wieder in mannigfache Unterabtheilungen zerlegen.
[64] Bei den niederſten Thieren, den Urthieren oder Protozoen, exiſtirt

Figure 15. Fig. 27.

Verſchiedene Infuſorien.


durchaus keine geſchlechtliche
Zeugung, keine Bildung eines
wahren Eies, welches durch
Befruchtung erſt die Fähigkeit
erhält, ſich zu einem ſelbſtſtän-
digen Thiere zu entwickeln.
Der Charakter ihres geſamm-
ten Körperbaues entſpricht dem der Zelle, ihre Körperſubſtanz iſt we-
ſentlich die oben erwähnte Sarkode; der Körper ſelbſt hat eine mehr
oder minder rundliche Geſtalt, in welcher keine beſtimmte regelmäßige
Gruppirung von Organen wahrgenommen werden kann. Die jungen
Thiere entwickeln ſich in ähnlicher Weiſe wie die primitiven Zellen,
meiſtens durch Theilung des Mutterthieres und ſelbſtſtändige Ent-
wickelung eines jeden einzelnen Theiles, oder durch Knoſpung oder
Erzeugung ſelbſtſtändig belebter Sproſſen aus dem Inneren des Körpers.
Uebereinſtimmend mit dieſer Entwickelung iſt auch bei dem einfachen
Bau der niederſten Thiere ihre Unterſcheidung von den Pflanzen um
ſo ſchwieriger, je mehr ſie den Charakter einer einfachen Zelle bei-
behalten.


Alle übrigen Thiere pflanzen ſich durch geſchlechtliche Zeugung,
durch wirkliche Eier, wirkliche Embryonen fort, obgleich andere Arten
der Fortpflanzung wie Knoſpung, Sproſſung etc. durch dieſe geſchlecht-
liche Funktion nicht ausgeſchloſſen ſind. Aber hier laſſen ſich wieder
zwei große Gruppen oder Provinzen unterſcheiden. In der einen
Provinz verwandelt ſich das ganze Ei, der geſammte Dotter durch
allmählige Umbildung in das junge Thier; nirgends zeigt ſich ein
Gegenſatz zwiſchen dem werdenden Thiere und einem Theile des Dot-
ters. Die Anlagerung verſchiedener Organe aber bedingt bemerkens-
werthe Unterſchiede in dieſer Provinz und dadurch eine weitere Ein-
theilung in beſchränktere Kreiſe. Bei dem Kreiſe der Strahlthiere
(Radiata)
lagern ſich die Organe in gleichnamiger Wiederholung
ſtrahlenförmig um eine Axe, welche hauptſächlich durch den Mund
bezeichnet wird, ſo daß der Körper in eine gewiſſe Anzahl von Seg-
menten zerfällt, welche dieſelbe Zuſammenſetzung haben, und die ein-
zeln vorkommenden Organe (Mund, Darm etc.) in dieſer Axe ſelbſt
liegen. Die Entwickelung um dieſe Axe geht gleichmäßig in allen
Organen vor ſich und wiederholt ſich nach den einzelnen Strahlen-
richtungen hin in gleichmäßiger Weiſe. Die Korallen, die Scheiben-
quallen, die Seeſterne können als Typen dieſer Bildungsweiſe dienen.
[65]

Figure 16. Fig 28.

Seeſtern. (Asterias.)


Sie entſtehen alle aus
Embryonen, welche
in ihrem erſten Bil-
dungszuſtande gewiſ-
ſen Infuſorien äu-
ßerſt ähnlich ſehen,
bei denen aber als-
bald, in Folge der
Ausbildung ihrer de-
finitiven Organe, der
ſtrahlige Charakter
und die Zuſammen-
ſetzung aus ver-
ſchiedenen gleichbe-
deutenden Segmenten
auf das deutlichſte
hervortritt.


Bei einer andern großen Gruppe, bei dem Kreiſe der Würmer

Figure 17. Fig. 29.

Ein Ringelwurm (Nereis.)


(Vermes), wandelt
ſich ebenfalls das
ganze Ei zu einem
infuſorienartigen
Embryo um. Al-
lein ſehr bald tritt
hier ſtatt einer
ſtrahlenförmigen
Segmentation eine Tendenz zur bilateralen Lagerung der Organe her-
vor, die von der vorigen gänzlich verſchieden iſt. Es bildet ſich nämlich
ſtatt einer Axe eine Mittelebene aus, welche ſenkrecht den Körper durch-
ſchneidet und ſomit ein Rechts und Links erkennen läßt. Dieſe ſenk-
rechte, durch die Mittellinie gelegte Ebene theilt den Körper in zwei
ſymmetriſche Hälften, welche dieſelben Organe in gleicher relativer La-
gerung enthalten, und durchſchneidet die einfach vorhandenen Organe,
die ſtets in der Mitte liegen, in zwei gleichnamige Hälften. Die Ent-
wicklung dieſer ſymmetriſchen Lagerung aus der vorher mehr oder min-
der kugeligen Form des Embryo’s geſchieht hauptſächlich durch Streckung
des Leibes mit welcher bei den höhern Formen der Würmer zu-
gleich eine quere Gliederung verbunden iſt. Die gleichnamigen Organe
wiederholen ſich dann, entſprechend dieſen queren Gliedern, die
man auch Zoniten genannt hat, und bei den höchſten Typen der
Vogt. Zoologiſche Briefe, I. 5
[66] Claſſe tritt eine mehr oder minder deutliche Sonderung des Vorder-
endes, ein wahrer Kopf hervor. Die hauptſächlichſten Knoten des
Nervenſyſtemes, die weſentlichſten Sinnesorgane, die am Anfange des
Verdauungskanales angebrachten Freßwerkzeuge ſind in dieſem Kopfe
vereinigt, während in den nachfolgenden Ringen die einzelnen Organe
oft ganz in derſelben Form und Zuſammenſetzung ſich gleichförmig
wiederholen. Man gewahrt alſo hier ſchon eine doppelte Richtung der
Entfaltung, einestheils in der Lagerung der ſymmetriſch ausgebildeten
Organe zu beiden Seiten der Mittellinie und andererſeits in der gleich-
namigen Wiederholung mehrerer Körperringe von vorn nach hinten; —
beides Richtungen, wodurch ſich dieſer Kreis zunächſt an denjenigen
der Gliederthiere anſchließt.


Ein dritter Kreis, derjenige der Weichthiere (Mollusca) bildet
ſich ebenfalls aus Embryonen hervor, die durch Umbildung des gan-
zen Eies entſtehen. Der Typus indeſſen, nach welchem dieſe Thiere ſich
hervorbilden, iſt ſchon mannichfaltiger, die Anlagerung der Organe,
weder dem ſtrahligen noch auch ganz dem bilateralen Typus entſpre-

Figure 18. Fig. 30.

Seeſcheiden.


chend. In den untern Formen der Weich-
thiere, bei den Molluskoiden, läßt ſich zwar
bei den höher ſtehenden Familien eine
Axe mit radiärer Anordnung der Organe,
oder eine Mittelebene mit ſymmetriſcher
Anlagerung der einzelnen Körpertheile
erkennen, nicht aber bei den meiſten See-
ſcheiden, die vollkommen regellos ſind.
Bei den eigentlichen Mollusken kommt
zwar allerdings ſymmetriſche Anordnung vor, aber doch ſtets nur in ge-
ringerem Maße entwickelt und durch weſentliche Ausnahmen verwiſcht.
Häufig ſelbſt iſt dieſe Mittelebene nicht mehr grade, ſondern wie bei
den Schnecken ſpiralig aufgewunden und die äußern Organe zu bei-

Figure 19. Fig. 31.

Teichhornſchnecke.


den Seiten dieſer Spiralebene
angebracht. Die innern Or-
gane und beſonders diejeni-
gen, welche der Fortpflan-
zung angehören, zeigen dieſe
ſymmetriſche Anordnung faſt
niemals und laſſen ſo auch in
den höchſten Typen der Claſſe
jenen Mangel an Symmetrie,
der in den unteren ſo ſcharf
[67] hervortritt, deutlich wahrnehmen. Man bemerkt niemals eine Abthei-
lung bes Körpers von vorn nach hinten in gleichnamige Körperringe,
wie bei den Würmern, wenn auch eine ſolche Anhäufung der weſent-
lichſten Sinnes- und Freßwerkzeuge, ſowie der hauptſächlichſten Ner-
venknoten in einem mehr oder minder abgetrennten Theile, einem
Kopfe, bei den höhern Formen ſich vorfindet.


Die dritte Provinz des Thierreiches, welche in ihrer höchſten
Vollendung das ausgebildetſte Thier, den Menſchen hervorbringt, zeich-
net ſich dadurch aus, daß der Embryo nur aus einem Theile des
Eies hervorgeht, und daß von vorne herein, mit dem erſten Momente
der Keimanlage des werdenden Thieres, ein Gegenſatz zwiſchen dem
Embryo einerſeits und dem ganz oder theilweiſe zu der Bildung des
Embryo’s zu verwendenden Dotter andererſeits hervortritt. Dieſer
Gegenſatz verſchwindet nach und nach dadurch, daß der Dottertheil
entweder ganz zur Bildung des Embryo’s verwendet oder theilweiſe
von demſelben abgeſchieden wird. Die embryonale Bildung aller
Thiere aber, welche zu dieſer Provinz gehören, ſtimmt darin überein,
daß ſie von einem begrenzten Mittelpunkte ausgeht und nicht wie bei der
vorigen großen Gruppe das ganze Ei zugleich in Anſpruch nimmt.
Indeſſen zeigen ſich auch hier die weſentlichſten Verſchiedenheiten, je
nachdem man dieſe oder jene Gruppe ſpecieller in’s Auge faßt.


Bei dem Kreiſe der Kopffüßler (Cephalopoda), die man

Figure 20. Fig. 32.

Loligopsis Veranyi.


bis jetzt noch allgemein zu den Weich-
thieren rechnete, von denſelben aber wohl
unterſcheiden muß, geht die Entwickelung
des Embryo’s in der Weiſe von einer
beſtimmten Stelle des Eies aus, daß der ab-
geſchnürte Dottertheil zuletzt in der Axe des
Körpers dem vordern Ende derſelben, dem
Kopfe, vorliegt. Der Kopffüßler umfaßt mit
ſeinen im Kranze geſtellten Bewegungsor-
ganen den Dotter, der ſeinem Hinterleibe
gegenüber liegt, und ſchon durch dieſe La-
gerung entwickelt ſich eine gewiſſe Ten-
denz zur Gruppirung der Organe um eine
Axe, welche indeß, trotz der äußern un-
ſymmetriſchen Form des Thieres durch eine
ſehr ſymmetriſche Anlagerung der Organe
5*
[68]

Figure 21. Fig. 33.

Embryo eines
Kopffüßlers (Sepia.)
a Der Dotter, b die
Fangarme, c die Au-
gen, d der Körper,
e die Schwimmfloſſen.


im Innern bedeutend überwogen wird. In der That
erſcheinen bei allen Kopffüßlern Nervenſyſtem und
Sinnesorgane, Gefäßſyſtem und Athemorgane nach
ſtreng ſymmetriſchem Plane gebaut und die Abwei-
chung in der Anordnung der übrigen Syſteme nicht
bedeutender, als ſie auch bei andern bilateralen Thie-
ren vorkommt. Niemals aber tritt bei den Kopffüß-
lern eine quere Theilung des Körpers in Ringe auf,
und auch die Abgrenzung eines Kopfes von dem
übrigen Körper erſcheint nicht immer ganz deutlich.


Bei dem zweiten und größten Kreiſe dieſer Ab-
theilung, welcher eine Unzahl von Thieren einſchließt,
bei den Gliederthieren (Articulata) ſetzen ſich
Embryo und Dotter in der Weiſe gegenüber, daß der
Embryo ſeine Rückenſeite dem Dotter zuwendet und
dieſe erſt zuletzt ſich zur Bildung des vollſtändigen
Organismus ſchließt. Der Embryo entfaltet ſeine Organe in entſpre-

Figure 22. Fig. 34. Fig. 35.

Embryo des Fluß-Krebſes.
Fig. 34 zeigt den Embryo in ſeiner zuſammengekugelten Lage
im Ei, Fig. 35 denſelben entwickelt. a Der Dotter, c das
Auge, d die Beine, e der Hinterleib (Schwanz), f das Herz.


chender Weiſe, wie
die Würmer, zu bei-
den Seiten einer Mit-
tellinie, ſo daß bei dem
vollendeten Thiere
ein ſtreng ſymmetri-
ſcher Bau beider Kör-
perhälften vorhanden
iſt, während zugleich
eine Gliederung des
Körpers von hinten
nach vorn eintritt.
Das Reſultat dieſer
neuen Richtung in-
deſſen iſt nicht die Hervorbringung gleichartiger Ringe, in welchen
die einzelnen Organe ſich in ähnlicher Form wiederholen, wie bei den
Würmern, ſondern vielmehr die Entwickelung gewiſſer geringelten Kör-
pergruppen, die wir mit dem Namen Kopf, Bruſt und Bauch unter-
ſcheiden, und die in jeder Beziehung ſehr unter ſich verſchieden ſind.


Bei dem dritten und höchſten Kreiſe dieſer Abtheilung endlich, bei
den Wirbelthieren (Vertebrata), findet man dieſelbe ſymmetriſche
Anlage, dieſelbe Tendenz der Theilung des Körpers in drei große
Abtheilungen, Kopf, Bruſt und Bauch, aber eine gänzlich verſchiedene
[69] relative Lagerung der Organe, welche dadurch bedingt iſt, daß der

Figure 23. Fig. 36.

Embryo eines Fiſches (Coregonus).
a. Der Dotter, über welchen der junge Fiſch mit
der Bauchfläche hergebogen iſt; b Fettblaſen im
Dotter; c Hof der Blutbildung; def Theile des
Gehirns; g Ohrbläschen; h Auge; i Wirbelſaite
mit den Wirbelabtheilungen; k After; l Darm;
m Niere; n Schwanz; o Herz; p Anlage der
Bruſtfloſſe.


Embryo mit ſeiner Bauch-
fläche dem Dotter gegenüber
liegt und ſich von der Mit-
tellinie des Rückens aus ent-
wickelt, während die Bauch-
linie ſich in letzter Inſtanz
abſchließt. Es iſt daher hier
vollkommen der Gegenſatz zu
den Gliederthieren ausgebil-
det, und da die relative Her-
ſtellung der einzelnen Haupt-
ſyſteme des Körpers von der
Peripherie des Embryos die-
ſelbe bleibt, ſo folgt daraus
jener merkwürdige Gegenſatz
in der Lagerung der Haupt-
organe, wonach bei den
Gliederthieren das Herz auf
dem Rücken, die Verdauungs-
organe in der Mitte, das Centralnervenſyſtem auf der Bauchfläche
liegt, während bei den Wirbelthieren das Herz die Bauchfläche, das
Nervenſyſtem die Rückenfläche einnimmt.


Halten wir die eben angeführten Unterſchiede, die wir ſpäter aus-
führlicher darſtellen werden, feſt, ſo bildet ſich folgendes Syſtem der
Eintheilung, dem wir auch jetzt ſchon die Klaſſen beifügen, um eine
vorläufige Ueberſicht zu gewähren.


[70]
[71]

Fünfter Brief.
Untergegangene Schöpfungen.


Die verſchiedenen Schichten der Erde bergen in ihrem Innern
einen großen Reichthum von Ueberreſten zu Grunde gegangener Thiere,
welche früher die Oberfläche der Erde bevölkerten. Anfangs nur Ge-
genſtände des Staunens oder der Neugierde, feſſelten dieſe verſteinerten
Reſte doch ſpäter die ungetheilte Aufmerkſamkeit vieler Forſcher, und
je mehr man ſich mit ihnen beſchäftigte, deſto wichtiger erſchien ihre
Vergleichung mit den Thierformen der Jetztwelt, ſowie die genaue
Beſtimmung ihres Fundortes und der Schicht, in welcher ſie einge-
ſchloſſen waren. Man erkannte, daß die Verſteinerungen, wenn ſie
oft auch noch ſo abweichend geſtaltet waren, dennoch den Plan ver-
vollſtändigten, welchen die jetzige Schöpfung uns vor Augen ſtellt; daß
ſie gleichſam die Lücken ausfüllten, welche in der Geſammtheit des Bil-
des vorhanden waren, und weſentlich zur Erläuterung mancher iſolirten
Erſcheinungen dienten, deren Anknüpfungspunkte man vergebens in
der Jetztwelt ſuchte. Die Unterſuchung der Verſteinerungen wurde bei
der Mangelhaftigkeit der Reſte, die uns geblieben ſind, ein wahrer
Prüfſtein für die Genauigkeit unſerer Kenntniſſe. Lebende und foſſile
Thiere bildeten gleichſam eine Doppelkontrole für die Fortſchritte der
Wiſſenſchaft im Allgemeinen, denn zur Erkennung der oft unſcheinba-
ren Reſte und loſen Theile (Knochen, Zähne etc.) bedurfte es der ge-
naueſten Kenntniß und der minutiöſeſten Vergleichung mit den analogen
Theilen lebender Thiere, wodurch die Unterſuchung dieſer letzteren
weſentlich gefördert wurde.


Für die Geologie hatten die Verſteinerungen inſofern einen unge-
mein großen Werth, als ſie zur genaueren Beſtimmung der Schichten
dienten, in welchen ſie ſich vorfanden. Man hatte bald bemerkt, daß
gewiſſe leicht kenntliche Verſteinerungen ſich überall wieder fan-
den, wo dieſelbe Geſteinsſchichte wiederkehrte, und man fand, daß
dieſe Foſſilien für den Geologen etwa denſelben Nutzen hatten, wie
für den Geſchichtsforſcher die Münzen, welche er aus dem Schutte
verſunkener Städte hervorgräbt, daß ſie gleichſam Erkennungsmedaillen
waren für die Zeitperioden, in welcher die Schicht ſich bildete. Mehr
und mehr geſtalteten ſich bei fortdauernder Unterſuchung die Kenntniſſe
über die Einſchlüſſe der Schichten. Man verglich die Verſteinerungen,
dieſe Münzen einer großen telluriſchen Geſchichtsperiode unter ſich ſelbſt
[72] und mit denen anderer Perioden; man ſuchte ſo näher zu ergründen,
wie das Leben überhaupt ſich in jenen Zeiten geſtaltet und in welcher
Weiſe es bis zu ſeinem jetzigen Ziele fortgeſchritten ſei. So gewann
man nach und nach eine Reihe einzelner Bilder, beſtimmte abgegränzte
Epochen in aufeinanderfolgender Reihe zeigend, jedes folgende verſchie-
den von dem vorhergehenden, vollſtändiger in ſeiner Ausführung,
reicher in ſeinen Einzelnheiten; — Bilder, die ſich endlich in harmo-
niſcher Uebereinſtimmung mit der jetzigen Schöpfung zu einem gemein-
ſamen Ganzen gruppiren. Es ergab ſich aber daraus auch die Noth-
wendigkeit, untergegangene und beſtehende Schöpfung nicht wie früher
getrennt von einander zu halten, ſondern im Gegentheile bei der Be-
trachtung der Lebensformen mit einander zu verſchmelzen und als un-
zertrennbares Ganze zu betrachten. Unſere Kenntniß der Verſteine-
rungen iſt jetzt wenigſtens ſo weit fortgeſchritten, daß wir zu den
meiſten foſſilen Formen Anhaltspunkte kennen gelernt haben, welche
uns erlauben, ihre wahrſcheinliche Lebensart und ihre Beziehungen zu
der Umgebung zu erſchließen. Wir haben deßhalb in den folgenden
Darſtellungen die Todten den Lebenden ganz gleich geſtellt und beiden
daſſelbe Recht zu erhalten geſucht, indem es uns unmöglich ſcheint,
eine klare Einſicht in die Entwickelung des Thierreiches überhaupt zu
gewinnen, wenn man nicht die vergangenen Generationen zu Hülfe
nimmt. Bei der ſpeciellen Betrachtung der einzelnen Formen, ſowie
bei der Claſſification ſind deßhalb überall die Verſteinerungen an der ihnen
zukommenden Stelle des Syſtemes eingereiht und von allen Klaſſen, Ord-
nungen und Familien iſt in kurzen Zügen die telluriſche Geſchichte angegeben.


Die Perioden der Erdgeſchichte, als deren Ausdruck ſtets die ſie
belebenden Schöpfungen dienen, ſind mannigfaltig in ihrer Aufeinan-
derfolge. Es exiſtiren indeſſen einzelne größere Gruppen, welche man be-
ſonders feſthalten und ſcharf charakteriſiren kann. Es erſcheint nöthig,
dieſelben kurz zu erwähnen, da wir bei jeder einzelnen Familie auf
die Zeit zurückgehen werden, wo dieſelbe ihren Urſprung nahm.


Als älteſte Belebungsperiode der Erde kennen wir die Ueber-
gangsgebilde
, die man beſonders zu beiden Seiten des Rhein’s,
in Rußland, Schweden, England, in der Bretagne und in Nordamerika
reich entwickelt findet. Grauwacke, Schiefer, ſchwärzliche Kalke und
dunkle Sandſteine ſetzen vorzüglich die Schichten zuſammen, in welchen
man die Verſteinerungen antrifft. Dieſe finden ſich oft in ungeheuren
Mengen, wenn auch nicht immer ſo wohl erhalten, daß bei ihrer ab-
weichenden Form eine genaue Ermittelung ihrer Natur möglich wäre.
Die Unterſuchung der Verſteinerungen der Uebergangsgebilde, unter
[73] welchen man noch beſonders zwei Gruppen, das ſiluriſche als
untere und das devoniſche Syſtem als aufliegende Gruppe unter-
ſchieden hat, iſt beſonders in neuerer Zeit ungemein fruchtbringend ge-
weſen und verdient auch um deßwillen beſondere Berückſichtigung, weil
hier die Anfangstypen des ganzen Thierlebens ſich unſern Blicken darbieten.
Von großer Wichtigkeit iſt es daher zu ſehen, daß alle jene Grundtypen der
Kreiſe, welche wir in dem Thierreiche unterſcheiden, ſchon im Beginn re-
präſentirt ſind, wenn auch hauptſächlich nur in ihren niederen Formen.


Ueber den Uebergangsgebilden, wohl von ihnen unterſchieden und
eine durchaus andere Schöpfung bietend, ſehen wir die Steinkohlen-
gebilde
mit einer ungemein reichen Entwickelung der Vegetation,
deren Ueberreſte uns jetzt die Steinkohlen liefern. Auch hier findet
ſich eine große Anzahl thieriſcher Verſteinerungen, beſonders in dem
die Steinkohlen begleitenden Kohlenkalke; wie es denn überhaupt all-
gemeines Geſetz iſt, daß thieriſche Verſteinerungen vorzugsweiſe in
kalkigen Schichten, pflanzliche dagegen in kieſelig ſandigen Schichten
ſich vorfinden. Die Kohlenformation kommt hauptſächlich in einzelnen
Becken vor, welche bald Meeresufer, bald aber auch weit ausge-
dehnte Binnenſümpfe geweſen ſein mögen, an welchen die üppigen
Wälder der Kohlenzeit gediehen. Auch in der Kohlenzeit ſind von
Wirbelthieren nur noch Fiſche vorhanden, und man hat deßhalb die
Uebergangsgebilde und das Kohlengebirge zuſammen wohl auch als
das Reich der Fiſche bezeichnet.


Auf dem Kohlengebirge lagern vielfache Schichten, welche man,
der vorwiegenden Ausbildung der Reptilien wegen, auch als Reich
der Reptilien bezeichnet hat. Das Kupferſchiefergebirge oder
das permiſche Syſtem, das Salzgebirge oder die Trias, der
Jura und die Kreide bilden die vier Gruppen, welche man in die-
ſer Periode unterſchieden hat. In dem triaſiſchen Syſtem, wel-
ches namentlich zu beiden Seiten des Oberrheines und in Mittel-
deutſchland als bunter Sandſtein, Muſchelkalk und Keuper ausgebildet
iſt, ſind es beſonders die Schichten des Muſchelkalkes, welche eine
reiche Ausbeute in Verſteinerungen liefern und ganz beſonders hin-
ſichtlich der Ausbildung der Gliederthiere und namentlich der Krebſe
wichtig erſcheinen. Die Kalk- und Mergelſchichten des Jura, durch
ihre Korallenriffe ausgezeichnet, bilden einen nicht minder eigenthüm-
lichen Abſchnitt in der Erdgeſchichte, indem im Jura beſonders die
Ausbildung der Reptilien ihren Höhepunkt erreicht. Die gewaltigen
Bogen, welche von dem juraſſiſchen Gebirge in Nord- und Süddeutſch-
land, in der Schweiz, Frankreich und England angelagert ſind und
[74] die meiſt treffliche Erhaltung der Verſteinerungen in den mergelichen
Lagen derſelben machten den Jura von jeher zu einem vortrefflichen
Ausgangspunkte für die Forſchung über Verſteinerungen. Man hat
bei ihm viele einzelne Schichten unterſchieden und jedenfalls ſo viel
feſtgeſtellt, daß in ihm wenigſtens drei verſchiedene vollkommen ſelbſt-
ſtändige Epochen vorkommen, die man in Deutſchland als Lias oder
ſchwarzer Jura, mit Oolith oder brauner Jura, Korallen-
kalk
oder weißer Jura unterſchieden hat. In der Kreide, welche
beſonders durch die maſſenhafte Entwickelung der Rhizopoden ausge-
zeichnet iſt, unterſcheidet man ebenfalls mehrere Schichten und zwar
namentlich: das Néocomien, den Grünſand, die untere chlori-
tiſche Kreide
und die obere weiße Kreide, welche beſonders in
Norddeutſchland, Nordfrankreich und Südengland entwickelt iſt, wäh-
rend die unteren Schichten der Kreide vorzüglich in der Umgegend des
Mittelmeeres, in den Pyrenäen und Apenninen ſich ausgebildet zeigen.


Die ſogenannten Tertiärgebilde, welche in unſere jetzige
Schöpfung gewiſſermaßen allmählig übergehen und mit ihr zuſammen
als Reich der Säugethiere bezeichnet werden können, bilden den Schluß-
ſtein für die Entwicklung der Erdgeſchichte. Sie ſind in einzelnen
Becken abgelagert, die zerſtreut auf der ganzen Erde vorkommen und
ſchon den Einfluß der Climate erkennen laſſen. Man unterſcheidet bei
ihnen untere, mittlere und obere Tertiärgebilde (Eocen, Miocen,
Pliocen
) ſo wie die Diluvialgebilde. Da in der Tertiärzeit die
Anfangstypen der Säugethiere auftreten, ſo erſcheinen die Verſteine-
rungen derſelben beſonders für die Betrachtung dieſer Klaſſe von un-
gemeiner Wichtigkeit.


Die einzelnen Perioden, welche wir in aufſteigender Reihenfolge
als Uebergangsgebirge, Kohlengebirge, permiſches Syſtem, Trias,
Jura, Kreide, Tertiärgebilde, Diluvium und heutige Schöpfung kennen
lernten und in welchen noch einzelne, nicht minder unabhängige Le-
bensepochen unterſchieden werden können, dieſe Perioden, ſage ich,
wurden von einzelnen mächtigen Revolutionen unterbrochen, welche
die beſtehenden Lebensformen durchaus vernichteten und nach deren
Vorübergehen neue Gattungen und Arten an die Stelle der frü-
her Vorhandenen traten. Es dauert freilich über dieſe Annahme noch
ein mit Heftigkeit geführter Streit unter den Geologen fort, indem
die Gegner keine ſprungweiſe Entwickelungen durch Revolutionen, ſon-
dern nur eine allmählige Ausbildung und Umwandlung der einzelnen
Arten anerkennen wollen. Es wäre unmöglich, hier auf die Entwick-
lung dieſer Streitigkeiten einzugehen, welche einem andern Zweige der
[75] Wiſſenſchaft angehören; — doch können wir nicht umhin, den
Grund der verſchiedenen Anſichten anzugeben, da dieſer in das
Bereich der Zoologie gehört. Es handelt ſich hierbei weſentlich
um die genaue Beſtimmung und Abgrenzung der einzelnen Arten,
welche ſich in benachbarten Schichten vorfinden, und um die ſpecielle
Beſtimmung der Grenzen, innerhalb welcher die Charaktere der Arten
variiren können. Wir führten ſchon früher an, daß hier ein Zwiſt
vorhanden ſei, der vielleicht niemals endgültig entſchieden werden könne,
da uns der einzig ſichere Maßſtab für die unzweifelhafte Feſtſtellung
der Art, die Herſtammung von gleichgebildeten Körpern bei den Ver-
ſteinerungen durchaus abgeht. Für uns iſt der Streit entſchieden, denn
es mag höchſtens 1/10000 Theil der bekannten Arten ſein, von welchen
man behauptet, daß ſie mehr oder weniger modificirt eine Revolution
überſtanden und von einer Formation in die andere übergegangen
ſeien. Und auch dieſe Arten gehören meiſtens zu ſolchen Gattungen,
bei welchen die Artcharaktere äußerſt ſchwierig zu umſchreiben ſind, und
wo ſelbſt über die lebenden Arten viele Zweifel obwalten. Wenn es
alſo auch von den wenigen Arten, die jetzt noch zweifelhaft ſind, nach-
gewieſen werden ſollte, daß ſie wirklich aus einer Schöpfung in die
andere übergehen, ſo bleibt dennoch für die ungeheure Mehrzahl der
Arten jetzt ſchon der Satz unbeſtreitbar richtig, daß ſie durch
Revolutionen vernichtet wurden, um einer anderen Schöpfungsperiode
und deren Erzeugniſſen Platz zu machen.


Da bei den Verſteinerungen nur die feſteren Theile, Schalen und
Knochen, uns erhalten ſind, dieſe aber bei vielen Thieren nur ſehr
unweſentliche Beſtandtheile des Körpers ausmachen, bei andern ganz
fehlen, ſo darf man ſich über die Unvollſtändigkeit unſerer Kenntniß
der Verſteinerungen einerſeits, ſowie über die Schwierigkeit der Be-
ſtimmung andererſeits nicht wundern. Von ganzen Claſſen weicher,
gallertartiger Thiere, die wahrſcheinlich in den älteren Zeiten unſeres
Erdballes wimmelten, iſt uns keine Spur übrig geblieben; nur unbe-
ſtimmte vage Eindrücke deuten auf ihre Exiſtenz hin. Bei den Frag-
menten anderer bedurfte es oft jahrlanger, mühſeliger Unterſuchungen,
nur um die Klaſſe oder Ordnung zu bezeichnen, zu welcher das Thier
gehört haben mochte, von dem uns der räthſelhafte Reſt blieb.
Nur die genaueſten Vergleichungen und die ſtrengſte Aufmerkſamkeit
auf die geringfügigſten Unterſchiede, kann in ſolchen Fällen ſichere Auf-
ſchlüſſe geben. Und dieſe Methode, ſo ſchwierig und zeitraubend ſie
auch iſt, bleibt dennoch die einzige, welche zum Ziele führen kann!


Betrachten wir die Entwicklung der einzelnen Typen des Thier-
[76] reiches durch die Erdgeſchichte hindurch, ſo zeigt ſich zuerſt in ihrem
allgemeinen Verhalten eine merkwürdige Verſchiedenheit. Wir können
behaupten, daß von allen Kreiſen, in welche wir das Thierreich ein-
theilten, Repräſentanten in den älteſten Schichten vorhanden ſind. Al-
lein das Verhältniß dieſer Repräſentanten iſt ein eigenthümliches. Es
gibt ganze Ordnungen, vielleicht ſelbſt Klaſſen bei näherer Kenntniß,
welche maſſenhaft mit vielen Familien, Gattungen, Arten und Indivi-
duen plötzlich in den älteſten Schichten auftreten und deren Mannig-
faltigkeit mit der Annäherung an unſere Epoche ſtets mehr und mehr
abnimmt, bis ſie endlich, bald früher, bald ſpäter gänzlich verſchwin-
den, oder in unſerer jetzigen Schöpfung nur einzelne wenige Reprä-
ſentanten zählen, gleichſam verlorne Poſten, welche rückwärts hindeu-
ten, auf das Heer, welches ihnen vorangegangen iſt. So iſt jener
merkwürdige Typus der Trilobiten, dieſer ſeltſamen Krebſe, welche die
älteren Meere bevölkerten, durchaus verſchwunden, und vergebens hat
man in der jetzigen Schöpfung ihre näheren Verwandten geſucht. So
hat jene gewaltige Ordnung der Ganoiden, welche einſt einzig die
Klaſſe der Fiſche repräſentirten, in unſerer jetzigen Schöpfung nur
vereinzelte Angehörige, die man früher kaum beachtete und wohl
oder übel anderwärts anzureihen ſuchte. Aehnliches findet Statt bei
den Armmuſcheln (Brachiopoda), den Ammoniten u. ſ. w. Das ſel-
tene Vorkommen einzelner ſonderbarer Typen in unſerer Schöpfung,
die vereinzelt daſtehen, nirgendshin paſſen wollen und doch zu wenig
zahlreich erſcheinen, um die Aufſtellung beſonderer Ordnungen oder
Familien zu motiviren, iſt ſchon häufig durch dieſen Zuſammenhang
mit den Verſteinerungen aufgeklärt worden. Sie ſind nur die Reſte
zahlreicher Ordnungen, die in der Vergangenheit lebten. Andere ver-
einzelte Typen dieſer Art können freilich nicht als Ueberreſte zu Grunde
gegangener Lebensformen angeſehen werden, ſondern mögen vielleicht
als Vorboten zukünftig erſcheinender Thierformen in unſerer jetzigen
Schöpfung vorhanden ſein.


Auch dieſe Entwicklungsweiſe, worauf der letztere Umſtand hin-
deutet, kömmt vor. Zuweilen erſcheinen gewiſſe Typen in älteren
Schichten nur mit einigen wenigen Repräſentanten, deren Zahl mehr
und mehr anſchwillt, bis in irgend einer Schicht der Höhepunkt der
Entwicklung erreicht wird. Von dieſer Epoche ab vermindert ſich die
Mannigfaltigkeit, und oft bleibt nur ein vereinzelter Repräſentant in
der heutigen Schöpfung zurück. Die Gruppe der Nautilen unter den
Kopffüßlern, diejenige der Seelilien unter den Stachelhäutern geben
Beiſpiele dieſer allmähligen Ausbildung zu einem Höhepunkte, von
[77] welchem ſie zu gänzlicher Verarmung herabſinken. Manchmal ſcheint
es, als ſei die Entwicklung der Typen, die von geringer Mannigfal-
tigkeit ausgehen, noch jetzt in ihrem Fortſchritte begriffen und als habe
die Mannigfaltigkeit der Familien und Gattungen im Laufe der hiſto-
riſchen Entwicklung nur zugenommen. Die meiſten Mollusken und
Strahlthiere dürften für dieſe Art der Ausbildung Zeugniß ablegen.


Man erſieht ſchon aus dieſer Mannigfaltigkeit in der Entwicklung
der einzelnen Typen, daß von den beſonderen Schöpfungsperioden,
welche wir unterſchieden haben, jede einen eigenthümlichen Charakter
beſitzen muß, indem bald dieſe, bald jene Klaſſe oder Ordnung vor-
wiegend in ihrer Entwicklung iſt und dem Ganzen ſeinen Stempel der
Präponderanz aufdrückt. Wie rothe Fäden ziehen ſich aber durch alle dieſe
Schöpfungen die einzelnen Entwicklungstypen durch, welche wir in der
jetzigen Schöpfung beobachten. Und überall ſehen wir die Wiederkehr des
Geſetzes, daß die hiſtoriſche Entwicklung durch die Erdgeſchichte hindurch
derjenigen des Individuums durch ſeine Jugend aualog iſt, und daß die
Lebensformen der ältern Schichten in vieler Beziehung die embryonalen
Entwicklungsphaſen wiederholen, welche wir bei den höheren Typen
der einzelnen Klaſſen wahrnehmen. Neben dieſem Geſetze, deſſen all-
gemeine Gültigkeit vielleicht nur deßhalb noch nicht überall nachge-
wieſen werden konnte, weil die Grundlagen des Nachweiſes bei den
lebenden Thieren noch nicht hinlänglich hergeſtellt ſind, begegnen wir
noch einer andern charakteriſtiſchen Erſcheinung, nämlich einer eigen-
thümlichen Verſchmelzung beſonderer Charaktere, welche ſpäter mehr
und mehr bei den einzelnen Gruppen ſich ſcheiden. Manchmal will es
ſcheinen, als träten erſt nach und nach die Scheidelinien hervor, welche
in der jetzigen Schöpfung ſcharf gezogen ſind, ſo daß Verbindungs-
glieder im foſſilen Zuſtande zwiſchen Klaſſen und Ordnungen gefun-
den werden, welche derjenige, der nur die jetzige Schöpfung betrachtet,
für unvereinbar erklärt haben würde. So findet man bei den älteſten
Fiſchen im Verein mit embryonalen Charakteren andere, welche auf
eine Annäherung zu den Reptilien hindeuten, während unter dieſen
ſelbſt wieder Uebergangsformen zwiſchen Eidechſen und Krokodilen,
Schildkröten und Eidechſen u. ſ. w. vorhanden ſcheinen. Dieſe Mittel-
formen bieten indeß nur um ſo mehr den überzeugenden Beweis, daß
ein gemeinſamer Plan die untergegangenen Schöpfungen mit der jetzigen
verbindet, und daß beide einander gegenſeitig erläutern und verſtänd-
lich machen.


[78]

Sechſter Brief.
Kreis der Arthiere. (Protozoa.)


Auf der niederſten Stufe der Organiſation ſtehen dieſe meiſt mikro-
ſkopiſch kleinen Thierchen, welche in allen Arten ſüßer und ſalziger
Gewäſſer oft in zahlloſen Mengen gefunden werden. Ihr geſammter
Körperbau läßt ſich meiſt auf den Typus einer einfachen Zelle zurück-
führen oder auf eine Verbindung mehrerer einfachen Zellen zu ge-
meinſchaftlichen Stöcken, welche im Kleinen zuweilen jene Geſellſchaf-
ten nachahmen, die im größeren Maßſtabe von den Korallen, Polypen
und Seeſcheiden erzeugt werden. Vergebens ſucht man in den Pro-
tozoen ausgebildete innere Organe. Der Verdauungsapparat im
höchſten Grade ſeiner Entfaltung hat nur einen Anfang und ein Ende,
einen Mund mit abgekürztem Schlunde und einen After, aber keine
mittlere Röhrenentwicklung, keinen eigentlichen Darm. Bei vielen exi-
ſtirt durchaus keine Spur eines Ernährungsapparates, und das Thier
lebt nur durch Aufſaugung von Flüſſigkeit mittelſt ſeiner äußeren
Fläche oder durch Einſchmelzung feſter Subſtanz in die gallertartige
Maſſe, aus welcher es gebildet iſt. Die Charaktere der primitiven
Zelle ſind faſt bei allen Urthieren erkannt. Namentlich zeichnet ſich
ein mehr oder minder dunkeler Kern im Inneren ihres meiſt glas-
hellen und durchſichtigen Körpers aus, welcher bei der Fortpflanzung
eine große Rolle ſpielt. Richt minder unterſcheidet man oft als erſte
Anfangsſpur eines Cirkulationsſyſtemes einen oder mehrere pulſirende
Räume im Innern der Körperſubſtanz, die oftmals ſo weich iſt, daß
ſie zu zerfließen ſcheint. Bei vielen dieſer Thiere läßt ſich indeß mit
Deutlichkeit eine feſtere Subſtanzlage erkennen, welche die äußere Haut
bildet und die ſogar oft eine lederartige Feſtigkeit erhält, ſo daß ſie
beim Trocknen der Thiere und nach der Zerſtörung der übrigen Kör-
perſubſtanz in erkenntlicher Form zurückbleibt. Außer dieſer äußern
Haut kommen bei vielen Formen und namentlich bei den zuſammenge-
wachſenen ſchalenförmige Hüllen oder Panzer vor, in denen die Thiere
ganz oder theilweiſe ſtecken und aus welchen ſie bald ihre Bewegungs-
organe, bald ſelbſt einen großen Theil ihres Körpers hervorſtrecken
können. Zuweilen treten dieſe Panzerhüllen als gallertartige Maſſen,
[79] in andern Fällen als hornartige Büchschen auf; — oft ſogar ſind
ſie durch Aufnahme von Kieſelerde oder Kalk unzerſtörbar gemacht, ſo
daß ſie ſelbſt nach dem Glühen des Thieres ſo wie in foſſilem Zuſtande
zurückbleiben. Im Gegenſatze zu der organiſchen Einfachheit des Kör-
pers, erſcheinen dieſe Schalen oft von äußerſt complicirter Geſtalt, ſo
daß man ſie vor genauerer Unterſuchung des thieriſchen Körpers,
welcher ſie erzeugt und bewohnt, für Produkte weit höherer Thiere
anſah. Die gewöhnlichſte Fortpflanzungsart der Protozoen iſt die
durch Theilung, und zwar findet dieſe ſowohl der Länge als der Quere
nach ſtatt. Der Kern, welcher im Innern des Thieres liegt und ſich
durch ſeine feſte Beſchaffenheit von der zerfließenden Subſtanz des übri-
gen Körpers wohl unterſcheidet, leitet dieſe Theilung ein; — man
ſieht ihn innerhalb des noch einfachen Körpers in Geſtalt einer Schuh-
ſohle oder eines Bisquits, das ſich immer mehr in der Mitte durch-
ſchnürt, während zugleich die Theilung des ganzen Körpers bis zur
vollſtändigen Trennung der beiden Hälften ſich vollzieht. Seltener
nur und zwar namentlich bei denjenigen Urthieren, welche gemein-
ſchaftliche Colonieen bilden, erſcheint Sproſſen- oder Knoſpenbildung,
indem an irgend einem Theile des Körpers eine Ausbuchtung entſteht,
welche ſich allmählig zu einem vollſtändigen Thiere geſtaltet und ent-
weder mit dem Mutterthiere im Zuſammenhang bleibt, oder ſich von
demſelben losreißt, um ſelbſtſtändig eine Colonie zu bilden. Wenn
dieſe Knoſpen, wie es häufig der Fall iſt, nach beſtimmten mathema-
tiſchen Geſetzen an berechneten Stellen ſich entwickeln, ſo entſtehen
Schalen von regelmäßiger Form, während ſonſt meiſt unregelmäßig
veräſtelte baumartige Kolonieen ſich bilden. Endlich kommt bei einigen
höheren Gattungen der Urthiere (den Glockenthierchen oder Vorticel-
liden), ſogar eine Fortpflanzungsweiſe vor, welche mit der Ammen-
zeugung verglichen werden kann. Das Individuum als ſolches ſtirbt
ab und verwandelt ſich in einen meiſt unbeweglichen Körper, der in
ſeinem Innern in ſteter Reihenfolge Kerne erzeugt, die ſich zu ſelbſt-
ſtändigen Weſen entwickeln, ſo daß alſo aus der Amme mehrfache Jun-
gen hervorgehen, die, wie es ſcheint, ſich unmittelbar durch Metamor-
phoſe in die Form des Mutterthieres umwandeln. Geſchlechtsorgane
und deren Produkte, wie beſonders Eier, Sinnesorgane, abgeſondertes
Nervenſyſtem, Athmungsorgane ſind noch bei keinem zu den Protozoen
gehörigen Thiere entdeckt worden.


Die Bewegungsorgane geben durch ihre verſchiedene Beſchaffen-
heit hauptſächlich den Grund zur weitern Klaſſeneintheilung der Pro-
tozoen. Die Körperſubſtanz ſelbſt iſt überall in hohem Grade contrac-
[80] til, ſo daß bei denjenigen Gattungen, welche an dem Boden befeſtigt
ſind, oder die nur kriechen, die Zuſammenziehung und Ausdehnung
des Körpers ſelbſt zur Ortsbewegung genügt. Die eine Klaſſe, die
Wurzelfüßer oder Rhizopoden, bewegt ſich nur mittelſt ausſtülpbarer
Fortſätze des Körpers, die ſogar nach der Behauptung einiger Be-
obachter in einander überfließen können; bei der anderen Klaſſe, den
Infuſorien, ſind dagegen Bewegungsorgane auf der äußern Körper-
fläche entwickelt in Form von peitſchenförmigen Anhängen, Wimperhaaren
oder Borſten, welche meiſt auch zugleich zum Ergreifen der Nahrung
dienen.


Die Protozoen finden ſich nur im Waſſer, aber meiſt in zahl-
loſen Mengen, ſo daß ihre mit harten Schalen verſehenen Gattungen
maſſenbildend werden. Sie ernähren ſich theils von mikroſkopiſchen
Pflänzchen, Bacillarien, Navicellen, Oscillatorien, theils von Proto-
zoen ſelbſt oder auch von faulenden Thier- und Pflanzenſtoffen, in
deren Nähe ſie ſtets in Menge ſich finden. Einige Arten ſind förm-
liche Schmarotzer, die auf anderen Waſſerthierchen oder im Innern des
Darmkanales von höheren Thieren ſich aufhalten. Viele der im
Meere lebenden Protozoen leuchten Nachts und erſcheinen dann als
zahlloſe zitternde Lichtpunkte, namentlich im bewegten Waſſer.


Klaſſe der Wurzelfüſſer. (Rhizopoda.)


Der Körper dieſer Thiere beſteht gänzlich aus jener gallertartigen
Grundſubſtanz mit eingeſtreuten dichteren Körperchen, deren wir ſchon
öfter erwähnten und die ſich im Inneren zur Aufnahme von Flüſſig-
keit oder von feſteren Stoffen hie und da aushöhlt, ſo daß man ver-
änderliche Blaſenräume in dem Gewebe wahrnimmt. Die Phantaſie
hat dieſe Blaſenräume, welche bald erſcheinen, bald wieder verſchwin-
den, für Magenblaſen erklärt, ohne bei dieſer ganzen Klaſſe indeß die
Exiſtenz eines Mundes nachweiſen zu können. Flüſſige Stoffe werden
von der Körperoberfläche eingeſaugt, feſtere dadurch aufgenommen, daß
der gallertartige Körper ſich gleichſam um den aufzunehmenden Stoff
herumſchmilzt, der nun an irgend einer beliebigen Stelle in das Ge-
webe des Thieres eindringt, im Innern liegen bleibt und allmählig
[81] aufgelöſt wird. Oft ſind die in ſolcher Weiſe aufgenommenen Gegen-
ſtände ſo groß, daß das Thier nur eine Art von gallertartigem Ueber-
zug über den in ſeinem Innern befindlichen Körper bildet, von wel-
chem Ueberzug hie und da ſich einzelne Zacken ausſtülpen und wieder
einziehen. Außer einer hellen Blaſe, welche ſich hin und wieder zu-
ſammenzieht und die man als Anfang eines Organes zur Umtreibung
der Säfte im Körper anſehen kann, und einem feſten, dunkleren Kerne,
hat man noch keine innere Organiſation in dieſen Körpern beobach-
ten können. Sie kriechen mittelſt ausſtülpbarer Fortſätze ihres Kör-
pers, die bald dicker und fingerförmig, bald fein und mannigfach ver-
äſtelt erſcheinen, auf dem Boden der Gewäſſer einher und finden ſich
beſonders im Meere in zahlloſen Mengen.


Die äußere Körperform der Rhizopoden bietet ſehr mannigfache
Geſtaltverhältniſſe dar. Die meiſten derſelben beſitzen einen Panzer,
der bald nur ein einziges Thier enthält, bald einen gemeinſchaftlichen
Korallenſtock für viele Thiere dieſer Art darſtellt. Durch ein oder viel-
fache Löcher dieſes hornigen oder kalkigen Panzers werden die der
Bewegung dienenden Fortſätze hervorgeſtülpt. Die kalkige Beſchaffen-
heit der Schale unterſcheidet die Wurzelfüßer ſcharf von den Jufuſo-
rien, bei welchen nur hornige oder kieſelhaltige Schalen vorkommen.
Nur wenige Wurzelfüßer ſind ganz nackt oder haben nur einen hor-
nigen oder lederartigen Panzer von der Form einer Büchſe.


Die Wurzelfüßer leben ſowohl in ſüßen Gewäſſern als beſon-
ders in dem Meere und ihre Schalen ſind in manchen Schichten der
Erde in ſo ungeheurer Zahl aufgehäuft, daß man von der Kreide
z. B. mit vollem Rechte behaupten kann, ſie ſei zum größten Theil
nur aus mikroſkopiſchen Rhizopodenſchalen zuſammengeſetzt. Auch in
unſerer jetzigen Zeit beſteht namentlich der feine Kalkſand, welcher an
ſo vielen Orten den Meeresſtrand bildet, ſeiner Hauptmaſſe nach aus
ſolchen Rhizopoden und in dem Niederſchlage und dem Bodenſatze
klarer Bäche, ſo wie an den Waſſerpflanzen finden ſie ſich oft in
großer Anzahl.


Man theilt die Klaſſe der Rhizopoden in zwei Ordnungen ein.
Die erſte Ordnung oder die Einleibigen (Monosomatia) um-
faßt alle diejenigen Wurzelfüßer, welche nur aus einem einzigen Thiere
beſtehen und entweder nackt ſind, oder in einer hornigen Kapſel ſtecken,
die nur eine einzige Oeffnung beſitzt.


Die vollkommen nackten Formen bilden die Familie der Wechſel-
thierchen
(Proteida), Thiere unbeſtimmbarer Form und Größe,
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 6
[82]

Figure 24. Fig. 37.

Amiba.


die faſt überall auf der bewohnten Erde, von
Sibirien bis nach Norditalien hin, im Boden-
ſatze ſüßer Gewäſſer gefunden worden ſind.
Ein körniges, durchſichtiges, hie und da mit
inneren Bläschen verſehenes Klümpchen Schleim
reckt und dehnt ſich unter den Augen des Be-
obachters nach allen Seiten hin aus und wech-
ſelt beſtändig die Geſtalt ſeines Körpers, in
welchem man als conſtante Beſtandtheile nur
einen rundlichen Kern und einen pulſirenden helleren Raum unter-
ſcheiden kann, der eine rundliche Form hat. Feſtere Stoffe, wie
Bacillarien, werden dadurch aufgenommen, daß das Thier beim Dar-
übergleiten ſie in ſeine Maſſe gleichſam eindrückt. Die Gattung Amiba,
welche man früher ihrer wechſelnden Geſtalt wegen Proteus nannte, und
die Sonnenthierchen (Actinophrys) bilden dieſe ſonderbaren Körper.


Die zweite Familie dieſer Ordnung, die Kapſelthierchen (Arcellida),

Figure 25. Fig. 38.

Euglypha.


beſitzt einen hornigen oder kalkigen Panzer, der
eine mehr oder minder vollſtändige Büchſe mit
einer einzigen Oeffnung darſtellt, aus welcher die
bewegenden Fortſätze herausgeſtülpt werden. Bei
einigen Gattungen ſind dieſelben fingerförmig,
bei anderen ſehr fein und vielfach veräſtelt. Oft
tritt die Veräſtelung ſo plötzlich ein, daß man
unter dem Mikroſkope einen langſam rinnenden
Strom geſchmolzenen Wachſes zu ſehen glaubt,
welcher nach allen Seiten hin ſich vertheilt. Bei
der Gattung Arcella iſt der Panzer mehr oder
minder glockenförmig mit großer runder Oef-
nung, bei Difflugia und Euglypha ei- oder flaſchen-
förmig mit vorderer Oeffnung, und bei der letz-
teren Gattung wie es ſcheint aus einzelnen moſaikförmig zuſammen-
gefügten Stücken gebildet. Bei der Gattung Miliola windet ſich der
Panzer, aus deſſen Oeffnungen das Thier ungemein lange fadenför-
mig veräſtelte Anhänge hervorlaſſen kann, im Halbkreis um eine Axe.
Der Bauſtein, welcher in Paris ganz allgemein angewendet wird und
unter dem Namen des Grobkalkes eine von den Geologen wohl un-
terſchiedene Schicht der Tertiärgebilde darſtellt, iſt faſt einzig aus foſſi-
[83] len Miliolenſchalen zuſammengeſetzt, ſo daß man wohl ſagen kann,
Paris ſei einzig aus dieſen Thieren gebaut, von welchen mehrere
Millionen auf eine Unze gehen.


Die zweite Ordnung der Wurzelfüßer, die Vielkammerigen
(Polythalamia)
beſteht aus ſocialen Thieren, deren Organiſa-
tion nur ſehr wenig ermittelt iſt, zumal da es bis jetzt unmöglich
war, die undurchſichtigen Schalen ohne Zerſtörung der darin enthal-
tenen Körper aufzuhellen. Die Schalen ſelbſt beſtehen aus einzelnen
Kammern, die bald durch Oeffnungen mit einander in Verbindung
ſtehen, bald gänzlich von einander abgeſchloſſen ſcheinen und in deren
jeder wahrſcheinlich ein beſonderer Thierleib eingeſchloſſen iſt. Viel-
leicht auch hängen die einzelnen Thierleiber durch die Communikations-
öffnungen der einzelnen Kammern ſo mit einander zuſammen, daß eine
gemeinſchaftliche Grundmaſſe exiſtirt, mit welcher die einzelnen Thier-
leiber theilweiſe verſchmolzen ſind. Oft findet ſich an jedem Kämmer-
lein nur eine, in den meiſten Fällen aber zahlreiche feine Oeffnungen,
welche den Durchtritt der zarten fadenförmigen Anhänge durch die
kalkigen Schalen vermitteln. Alle Polythalamien bewohnen das Meer
und ihre Schalen finden ſich beſonders in den mergeligen, ſandigen
und kreidigen Schichten der Tertiär-Epoche und des Kreidegebirges
abgelagert; doch hat man ſie bis zu dem Kohlengebirge abwärts
noch vorgefunden. Nur höchſt wenige Gattungen ſcheinen ſich anzu-
heften; meiſtens ſind die Panzer durchaus frei und wahrſcheinlich
exiſtirt außer der Bewegung der einzelnen Individuen noch eine Ge-
ſammtbewegung der ganzen Stöcke, wodurch dieſe langſam kriechend
fortbewegt werden. Die äußerſt zierliche Form dieſer vielkammerigen
Schalen, die derjenigen mancher Kopffüßler ſehr ähnlich ſieht, verlei-
tete früher die Beobachter, dieſe foſſilen Schalen für Reſte von mikro-
ſkopiſchen Cephalopoden zu halten; ſpäter glaubte man ſie den Moos-
thieren oder den eigentlichen Polypen anreihen zu können, bis die
Entdeckung ihrer höchſt einfachen Körperſtruktur ihre Verwandtſchaft
mit den einleibigen Wurzelfüßern beſtätigte. Man hat bis jetzt nahe
an 2000 Arten dieſer mikroſkopiſchen Schalen unterſchieden, die man
mit Beziehung auf die Stellung ihrer Kammern in mehrere Familien
getheilt hat.


6*
[84]
Figure 26. Fig. 39.

Nodosaria.


In der Familie der Einzeiler(Stichostegida) liegen
die einzelnen Kammern in einer geraden oder wenig gebo-
genen Linie mit ihren Enden aneinander gereiht, während
in der Familie der Doppelzeiler(Enallostegida) die Kam-
mern auf zwei oder drei parallelen Reihen neben einander
oder abwechſelnd geſtellt erſcheinen. Da die Gattung dieſer
Familie meiſt mit einer einzigen Kammer anfangen und die
Kammern in beiden Reihen ſtets größer werden, ſo bilden
die Schalen gewöhnlich pyramidale Formen. Die Familie

Figure 27. Fig. 40.

Planulina.


der Schneckenzeiler(Helicostegida) be-
ſitzt ſtets an Größe zunehmende Kam-
mern, welche wie die Schneckenhäuſer
ſpiralförmig aufgerollt ſind und ſo
gänzlich den Anblick der gekammerten
Schalen wiederholen, welche der Papier-
nautilus im Großen darbietet. Bei
vielen Gattungen dieſer Familie iſt die Schale in
einer Ebene, bei andern mehr oder minder ſpindelförmig wie eine
Gartenſchnecke oder ein Tritonshorn aufgerollt. Eine vierte Familie,
die Spiralzeiler (Entomostegida), zeigt ebenfalls ſpiralförmig in einer
Ebene aufgerollte Kammern, die aber in doppelten Reihen geordnet
ſind, ſo daß ſie zu den Schneckenzeilern oder den Helicoſtegiern in
demſelben Verhältniſſe ſtehen, wie die doppelzeiligen Enalloſtegier zu
den einzeiligen Stichoſtegiern. Als fünfte Familie hat man die Axen-
zeiler
(Agathistegida) unterſchieden, bei welchen die Kammern ſo um
eine ſenkrechte Axe geſtellt ſind, daß ſie die ganze Länge der Schale
einnehmen und einander umfaſſen.


Als zweifelhafte Körper müſſen wir bei dieſer Klaſſe der Wur-
zelfüſſer noch der ſogenannten Nummuliten oder Linſenſteine

Figure 28. Fig. 41.

Nummulites.


erwähnen. Es ſind meiſt linſenförmige verſtei-
nerte Körper, von welchen man noch keine lebende
Art gefunden hat, die aber namentlich in der
Umgegend des Mittelmeeres ganze Gebirge bil-
den und beſonders in dem Kreidegebirge und
den unteren Tertiärſchichten verbreitet ſind. Die
Pyramiden ſind großentheils aus Nummuliten-
kalk gebaut, der faſt nur aus dieſen linſenförmi-
gen Körpern zuſammengeſetzt iſt. Schleift man
einen ſolchen Nummuliten, der äußerlich vollkommen feſt erſcheint, an,
ſo ſieht man, daß ſein Inneres eine Unzahl von Kammern enthält, die
[85] einer in einer Ebene gewundenen Spirallinie nach geſtellt ſind und
durch ſchiefe Scheidewände getrennt werden. Die dicke Schale, welche
dieſe Körper umgibt, hat noch keine Oeffnungen wahrnehmen laſſen,
ſo daß es zweifelhaft erſcheint, ob ſie wirklich zu den Rhizopoden ge-
hören, oder nicht innere Schalen von Thieren waren, welche den
ſpäter zu betrachtenden Röhrenquallen angereiht werden müſſen. Hero-
dot kannte ſchon dieſe eigenthümlichen linſenartigen Verſteinerungen
und gibt für ihre Entſtehung die Sage an, daß ein Theil der für
die Arbeiter an den Pyramiden beſtimmten Linſenvorräthe übergeblie-
ben und verſteinert ſei.


Die Verbreitung der Wurzelfüßer auf der Erde iſt noch wenig
unterſucht, da man die genaueren Nachforſchungen auf wenige Küſten-
punkte im Ocean, im rothen und Mittelmeere eingeſchränkt hat. Gegen
den Aequator hin nimmt die Zahl der Gattungen und Arten bedeutend
zu. In der Kohlenperiode hat man nur wenige Arten gefunden;
mehr ſchon im Jura; maſſenbildend treten aber dieſe kleinen Schalen
erſt in der Kreide und dem Tertiärgebirge auf, wo auch die Zahl
ihrer Arten ſtets im Zunehmen begriffen iſt.


Klaſſe der Infuſorien. (Infusoria.)


Figure 29. Fig. 42.

Verſchiedene Infuſorien bei ſchwacher
Vergrößerung.
I Monas, II Trachelius anas, III Enche-
lis,
im Augenblicke, wo ſie Koth durch den After
entleert, IV Paramecium, V Buſenthierchen (Kol-
poda), VI Trachelius fasciola
auf Waſſerfäden
kriechend.


Die Körperform dieſer
Thiere, welche im Gegenſatze
zu den Rhizopoden nur we-
nig zuſammengewachſene Ge-
ſellſchaften und Stöcke bildende
Gattungen beſitzen, iſt im
Ganzen rundlich oder eiför-
mig; ihre Größe erreicht nie-
mals eine halbe Linie und nur
bei den ausgezeichnetſten For-
men können die einzelnen In-
dividuen bei günſtiger Beleuchtung des Waſſers als bewegte Punkte
unterſchieden werden. Das Mikroſkop nur konnte die Kenntniß dieſer
Thierklaſſe vermitteln und obgleich die Ergebniſſe unbefangener For-
ſchung vielfach durch das Bedürfniß, die Welt mit außerordentlichen
Wundern in Erſtaunen zu ſetzen, getrübt wurden, ſo hat doch in
neuerer Zeit die ungeſchminkte Anſchauung ſich auf’s Neue Bahn gebrochen.


Die Körperoberfläche der meiſten Infuſorien beſteht aus einer
feſteren Schicht der weichen, gelatinöſen mit Körnchen durchwebten
[86] Subſtanz, aus welcher ihr ganzer Organismus aufgebaut iſt, und die
wir unter dem Namen Sarkode kennen gelernt haben. Manchmal iſt
dieſe Hautſchicht auf dem größten Theile des Körperumfanges oder
ſelbſt vollſtändig nackt, in den meiſten Fällen jedoch ſtehen darauf
Wimperhaare entweder zerſtreut oder in regelmäßigen Reihen, be-
ſonders aber in häufiger Anzahl in der Umgebung des Mundes ent-
wickelt. Dieſe Wimper- oder Flimmerhaare ſind feine Läppchen oder
Härchen, die ſehr biegſam ſind und nach dem Willen des Thieres
bewegt werden können. Sie dienen entweder als Schwimmorgane
oder zum Erregen von Strudeln und Wirbeln im Waſſer, wodurch
kleine Körperchen mit fortgeriſſen und dem Infuſionsthierchen zuge-
führt werden. Bei einigen Gattungen bilden ſich dieſe Wimperhaare
zu beweglichen Borſten, Griffeln und Haken aus, ſo daß bei den
höchſt organiſirten Thieren dieſer Klaſſe ziemlich verſchiedene Arten
von Bewegungsorganen vorkommen können. Einige Familien der
Klaſſe beſitzen Panzer, welche aus verſchiedenen Stoffen gewebt ſind.
Bald iſt es nur eine einfache Gallerthülſe, die ein einziges oder viele
Individuen gemeinſchaftlich umfaßt, bald eine mehr oder minder hor-
nige Kapſel, die auf Waſſerpflanzen feſtſitzt und in welche ſich das
Thier ganz oder theilweiſe zurückziehen kann. Bei den frei beweglichen
Infuſorien hat der hornige oder lederartige Panzer die Geſtalt eines
Schildchens, welches den Rücken deckt und meiſt mehr oder minder biegſam
iſt, oder die einer geſchloſſenen Büchſe, die vorne eine Oeffnung beſitzt;
eine einzige Familie hat kieſelige und unverbrennliche Panzer, die
beſonders in zahlreichen Maſſen in den Feuerſteinen der Kreide in
foſſilem Zuſtande gefunden werden.


Die Bewegungsorgane der Infuſorien ſind in mannigfacher
Weiſe geſtaltet. Bei mehreren Familien exiſtirt nur ein langer faden-

Figure 30. Fig. 43. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46.

Euglena viridis.
Verſchiedene Contractionszuſtände
der Euglena viridis. a der Rüſſel.
b der Augenfleck. c der Kern.


förmiger Anhang, welcher peitſchen-
förmig im Waſſer hin und her bewegt
wird. Zuweilen vervielfältigt ſich die
Zahl dieſer Geiſeln, welche man höchſt
unpaſſender Weiſe auch mit dem Na-
men Rüſſel belegt hat, obgleich ſie nicht
hohl ſind und niemals zur Anfnahme
von Nahrung dienen. Die Anweſen-
heit eines ſolchen Rüſſels konnte bis
vor wenigen Jahren für einen Beweis
der thieriſchen Natur eines Organis-
mus gelten. Seitdem man aber ent-
[87] deckt hat, daß dieſe Anhänge beſonders häufig bei pflanzlichen Keim-

Figure 31. Fig. 47—51

Keimkörner.


körnern vorkommen, welche damit
im Waſſer herumwirbeln, ſo ſpricht
die Exiſtenz eines ſolchen Rüſſels
eher für die pflanzliche Natur des
Organismus und es gehören weitere
Beweiſe dazu, wenn man die thie-
riſche Natur feſtſtellen will. Eine
Menge jener grünen Organismen,
welche von Ehrenberg ihres Rüſſels

Figure 32. Fig. 52.

Opalina.


wegen für Thiere erklärt wurden, müſſen jetzt
bis zum Nachweis des Gegentheils für Pflan-
zen angeſehen und dem zu Folge ganze Fa-
milien, wie die Kugelthierchen (Volvociden),
Panzermonaden (Cryptomonadinen), aus den
Catalogen des Thierreiches geſtrichen werden.
Die Wimpern bilden die am häufigſten
verbreitete Bewegungsart bei den Infuſorien
und da ſie dieſelben willkürlich ſpielen oder
ruhen laſſen und ihnen eine beliebige Richtung
ertheilen können, ſo dienen ſie ebenſowohl
zum Schwimmen, wie zum Herbeiſchaffen der
Nahrung. Die oft außerordentlich feinen Härchen
erregen dann durch ihre regelmäßigen Schwing-
ungen einen Strudel, welcher oft die Erſcheinung eines umrollenden
Rades erzeugt und von ferne her alle feinen Partikelchen, die in dem
Waſſer ſchwimmen und ſelbſt kleinere Thiere heranreißt und an der
Mundöffnung vorbeiführt, ſo daß das Infuſorium dieſelben verſchlucken
oder nach Belieben verſchmähen kann. Frühere Beobachter, deren
Inſtrumente nicht Schärfe genug beſaßen um die Wimperhaare ſelbſt
zu ſehen, die aber wohl den von ihnen hervorgebrachten Strudel er-
blickten, ſprachen deßhalb von einer gewiſſen Zauberkraft der Infuſo-
rien, wodurch ſie kleinere Thiere, die ſich im Waſſer befänden, an ſich
heranzögen. Bei allen Infuſorien welche einen Mund beſitzen, iſt
wenigſtens dieſer mit Wimpern beſetzt, wenn auch der übrige Körper
nackt iſt. Auf dem Körper ſelbſt ſtehen die Wimpern bald in Längs-
reihen, bald in Querreihen oder in Randſäumen um den Körper
herum, zuweilen auf häutigen Fortſätzen, die ein- und ausgeſtülpt wer-
den können, zuweilen ſelbſt auf Ringen von feſter Subſtanz. Endlich
gibt es noch zwei Familien, bei welchen ſteife Borſten, Griffel und
[88] gebogene ſtarke Haken vorhanden ſind, welche ſich nur auf der Bauch-
fläche finden und die vollkommen wie fußartige Stützen verwendet
werden, mittelſt deren die Thierchen ſehr geſchickt an Waſſerfäden,
Meerlinſen, Wurzeln und ähnlichen Gegenſtänden unter dem Waſſer
umherlaufen oder ſpringen können. Beim Schwimmen bleiben dieſe
Borſten und Haken unbewegt.


Man hat noch bei keinem Infuſorium eine abgeſonderte Nerven-
maſſe
oder Sinnesorgane wahrnehmen können. Zwar entdeckt
man bei vielen derſelben und am häufigſten bei den niedrigſten For-
men einen meiſt hochroth gefärbten Fleck, der mit großer Sicherheit
für ein Auge angeſprochen wurde. Bei einigen Arten findet man auch
zwei oder drei ſolcher Flecke; vergebens aber hat man in der Nähe
dieſer Pigmentflecke nach einer Nervenmaſſe oder nach einem lichtbre-
chenden Körper geſucht und die Entdeckung, daß viele Pflanzenſporen,
deren Keimen und Auswachſen in Waſſerfäden man ſpäter ganz ſicher
beobachtete, ebenfalls ſolche augenartige rothe Flecken hatten, bewies zur
Genüge, daß hier von einem Auge keine Rede ſein könne. Im Gegentheile
dürfte man aus dem Vorkommen eines röthlichen runden Fleckes bei
bewegten Organismen von grüner Farbe eher auf die pflanzliche Na-
tur ſchließen. Nichtsdeſtoweniger bemerkt man, daß alle, auch die voll-
kommen augenloſen Infuſorien, wenigſtens Licht und Dunkel ſehr wohl
empfinden, daß ſie mit ihrer Körperoberfläche taſten und nicht ohne
Auswahl Nahrung einnehmen.


Die Aufnahme der Nahrungsſtoffe findet in ſehr verſchiedener
Weiſe ſtatt. Die Infuſorien der einen Ordnung entbehren gänzlich
einer jeden Oeffnung an dem Körper, wodurch feſte Stoffe eingeführt
werden könnten. Die Körperſubſtanz iſt indeſſen nicht mehr ſo weich,
wie bei den Rhizopoden, ſo daß, wie bei dieſen, durch Eindrücken in
die Maſſe ſelbſt die Aufnahme fremder Körper geſchehen könnte. Die
mundloſen Infuſorien ernähren ſich demnach nur durch Einſaugen
flüſſiger Stoffe in die gelatinöſe Körpermaſſe. Oft ſammeln ſich dieſe
Flüſſigkeiten in blaſenförmigen Räumen im Innern des Gewebes an,
welche zwar ſpäter ſpurlos verſchwinden, die man aber doch, einer
verkehrten Anſicht zufolge, als eben ſo viele Magenblaſen betrachtet
hat. — Diejenigen Infuſorien welche eine Mundöffnung beſitzen,
nähren ſich beſonders von feſten Stoffen, mikroſkopiſchen Thierchen
und Pflanzen, die ſie ſtets in der Nähe ihrer Wohnorte finden.
Unſchädliche aus dem Pflanzen- und Thierreiche entnommene Farb-
ſtoffe wie Carmin oder Indigo werden von den meiſten Arten mit
Leichtigkeit in großer Menge verſchluckt, ſo daß man nach einer
[89]

Figure 33. Fig. 53.

Paramecium
caudatum.
a.
Der Mund, der in den
ſchlauchförmigen, hinten
geſchloſſenen Schlund b
führt. c. Futterballen im
Körper zerſtreut, d. der
Kern. e. die beiden con-
tractilen Blaſen, wovon
die vordere ſternförmig
zuſammengezogen iſt, f.
Körnchen des Gewebes.


ſolchen Mahlzeit die Farbſtoffe im Innern des
Körpers erblicken kann. Seit dem vorigen Jahr-
hundert ſchon hat man dieſe ſinnreiche Fütterungs-
methode der Infuſorien benutzt, um über ihre in-
nere Organiſation Aufſchlüſſe zu erhalten. Der
Mund der Infuſorien befindet ſich entweder am
vordern Leibesende, wo er meiſt eine runde Oeff-
nung darſtellt, oder auf der Bauchfläche mehr oder
minder weit nach hinten gerückt in Geſtalt einer
ovalen oder ſelbſt ſpiralig gewundenen Spalte. Er
iſt von wimpernden Lippen begrenzt, die in einzel-
nen Fällen ſelbſt klappenartig verlängert ſind und
meiſt ein- und ausgeſtülpt werden können, ſo
daß der Mund oft nur im Acte des Freſſens zur
Anſchauung kommt. Die Mundhöhle ſetzt ſich trich-
terförmig nach Innen fort und iſt bei einigen we-
nigen Gattungen mit hornartigen Stäben bewaff-
net, welche einen cylindriſchen Korb, ganz ähnlich
einer Fiſchreuße bilden, der allerdings beim Faſ-
ſen der Beute thätig iſt. Im Uebrigen iſt die Mund-
höhle ſtets mit zarten Wimpern ausgekleidet, die
ſich auch durch den Schlund fortſetzen, der bald
grade, bald mehr oder minder gewunden in das
weiche Parenchym des Körpers hineinragt. Kleine
Nahrungspartikel werden durch den Strudel, den die Wimpern des
Schlundes erregen, in eine rundliche Kugel zuſammengeballt und dieſe
Kugel zuletzt durch den Schlund in das nachgiebige Körpergewebe
hineingepreßt. Starre Körper, wie namentlich Stücke mikroſkopiſcher
Pflanzen werden ſehr häufig in das Körpergewebe hineingetrieben
und ſtecken dann an irgend einer Stelle in der gallertartigen Sub-
ſtanz. Meiſt zeigt ſich ein heller blaſenartiger Hof um dieſe in das
Körpergewebe hineingepreßten Nahrungsſtoffe. Aufgenommene Flüſſig-
keiten bilden einen hellen blaſenartigen Tropfen und häufig gewahrt
man, daß nahe ſtehende Tropfen dieſer Art in einander fließen, ein
ſicherer Beweis, daß ſie nicht durch häutige Wände von einander ge-
trennt ſind. Beim lebhaften Freſſen von Infuſorien, welche lange ge-
hungert haben, erſcheint der Körper oft ganz angefüllt mit ſolchen
Nahrungskugeln und wenn man Sorge trägt, verſchiedene Farben
nacheinander zu füttern, ſo ſieht man leicht, daß die betreffenden Farb-
ſtoffe durchaus unregelmäßig und nicht in der Reihenfolge ihrer Auf-
[90] nahme durch den Körper vertheilt ſind. Man hatte geglaubt, dieſe
Erſcheinung dadurch erklären zu können, daß man die Exiſtenz eines
Darmkanales annahm, von welchem geſtielte Magenblaſen berabhin-
gen und man hatte ſogar nach gewiſſen angenommenen Formen eines
nicht vorhandenen Darmkanales die Infuſionsthierchen in Ordnungen
zerfällt. Man hat ſich jetzt überzeugt, daß man hierin viel zu weit
gegangen iſt, denn man ſieht nicht nur im Innern des Körpers die
Nahrungsballen hin und her ſich verſchieben, ſondern auch bei man-
chen Arten eine vollſtändige Kreisdrehung derſelben im Innern, die
oft ſtundenlang anhält und wobei der ganze Körperinhalt des ruhen-
den Thieres ſich ſtets in derſelben Richtung langſam um die Körperaxe
herumwälzt. Daß eine ſolche Erſcheinung mit der Exiſtenz eines Darm-
kanales und geſtielter Magenblaſen in direktem Widerſpruche ſteht,
iſt leicht einzuſehen. Die unverdauten Stoffe werden bei vielen Infu-
ſorien durch den Mund wieder ausgeworfen, bei andern durch eine
Afterſtelle hinausgepreßt, welche ſich meiſt am hintern Theile des Kör-
pers befindet.


In dem Körper aller Infuſorien findet man bei genauerer Unter-
ſuchung ein oder mehrere helle Räume, welche ſich abwechſelnd aus-
dehnen und zuſammenziehen, aber keine eigene Wandungen zu beſitzen
ſcheinen. Vielleicht dürfte die Anweſenheit dieſer pulſirenden Räume
ebenſo wohl, wie Contractilität der äußern Leibeswandungen für einen
Beweis der thieriſchen Natur eines Organismus gelten können. Mei-
ſtens ſind dieſe Räume rund und zuweilen in ſolcher Zahl vorhan-
den, daß ſie in ein einziges langes Gefäß zuſammenfließen. Bei man-
chen Gattungen erſcheinen ſie in Geſtalt vielſtrahliger Sterne und bei
den Zuſammenziehungen verſchwinden abwechſelnd die Strahlen oder
der Mittelraum. Obgleich dieſe Räume ſtets an beſtimmten Stellen
wiedererſcheinen, ſo ſind ſie doch ſicher wandungslos, da man bei hef-
tigen Zuſammenziehungen ſowohl einzelne Räume ſich theilen als auch
im Beginne der Ausdehnung dieſelben einzeln auftreten und ſpäter in
eine große Blaſe zuſammenfließen ſieht. Jedenfalls ſind dieſe blaſen-
artigen Räume weniger dichte Stellen des Körpergewebes, an welchen
ſich die daſſelbe durchdringende Flüſſigkeit ſammelt, um dann durch
eine Zuſammenziehung wieder in das ſchwammige Gewebe hinausge-
trieben zu werden, ſo daß alſo hierdurch eine erſte, wenn auch höchſt
unvollkommene Spur eines Kreislaufes der Säfte hergeſtellt wird.
Vielleicht auch haben dieſe contractilen Blaſenräume eine feine Oeff-
nung nach Außen, ſo daß bei ihrem Zuſammenziehen Flüſſigkeit aus
dem Körper hinausgepreßt, bei ihrer Ausdehnung Waſſer von Außen
[91] aufgenommen würde. Sollte dieſe Beobachtung ſich erwahren, ſo müßte
man dieſe Räume als erſte Spuren von Athemorganen auffaſſen.


Die Fortpflanzung der Infuſorien geſchieht durch Knospung,
Theilung oder durch eine höchſt eigenthümliche Art von Ammenbildung,
welche indeß nur bei wenigen Gattungen und auch hier nicht ganz
vollſtändig beobachtet worden iſt. Die Knospung hat man bis jetzt

Figure 34. Fig. 54. Fig. 55. Fig. 56.

Glockenthierchen (Vorticella), die ſich durch Theilung
und Knospung fortpflanzen.
Das Thierchen Fig. 54 iſt eben in der
Theilung begriffen, der Kern b iſt ſchon voll-
kommen doppelt; Fig. 55 will ſich von ſeinem
Stiele loslöſen; Fig. 56 bildet an der Baſis
des Stieles eine ſeitliche Knospe, die noch un-
vollkommen iſt. Bei allen dreien iſt a der
Mund mit der Wimperkrone, b der Kern, d
die gefüllten Magenblaſen, e die contractile
Blaſe, f der Stiel, i der acceſſoriſche Wimper-
kranz, den die ſich loslöſenden Individuen wäh-
rend ihrer freien Beweglichkeit haben.


nur bei feſtſitzenden Thieren aus
der Familie der Glockenthierchen
beobachtet. An dem Stiele der-
ſelben bilden ſich ſeitliche Aus-
wüchſe, welche allmälig mehr und
mehr die Form des Glockenthier-
chens erhalten und nach ihrer
Loslöſung, mittelſt eines eigenen
Wimperkranzes am hintern Ende
davon ſchwimmen. Solche los-
gelöſte Knospen ſetzen ſich dann
wieder feſt und bilden neue Glok-
kenthierchen.


Die Theilung der Infu-
ſorien wird durch den feinkörni-
gen Kern, der ſich in allen dieſen
Thieren vorfindet, eingeleitet und
kommt ſowohl bei kleinen noch
nicht ausgewachſenen, wie bei
den größten Individuen vor. Der
Kern iſt bald rundlich, bald in
Form eines Roſenkranzes oder
eines langen, graden oder ge-
wundenen Bandes ausgebildet.
Meiſtens erſcheint er feſt mit dem
umliegenden Gewebe verbunden,
oft aber auch ſieht man, daß der Leib des Infuſoriums, während der
Kern ſtill liegt, ſich um ihn wie ein Mittelpunkt herumdreht; wahr-
ſcheinlich iſt dieſe Erſcheinung die Einleitung zu jenem Vorgange der
Fortpflanzung, bei welcher der Kern als ſelbſtſtändiges Individuum
auftritt. Bei der Theilung ſchnürt ſich zuerſt der Kern in der Mitte
durch und der übrige Körper folgt nach. Bei einigen Jufuſorien hat
man bis jetzt nur Längstheilung, bei andern Quertheilung, bei an-
dern beide Arten der Fortpflanzung zugleich beobachtet.


[92]

Die dritte eigenthümliche Fortpflanzungsart der Infuſorien, welche
bis jetzt nur bei der Familie der Glockenthierchen beobachtet wurde,
werden wir bei dieſer näher betrachten.


Die Infuſorien finden ſich zuweilen in größeren Maſſen zuſam-
men und die gallertartigen Polypenſtöcke oder die Bäumchen, welche
einige Gattungen bilden, ſind ſo groß, daß ſie auch dem freien Auge
ſichtbar ſind. Klare Torfgräben, langſam rieſelnde Bäche mit Waſſer-
pflanzen und ſchleimigem Ueberzuge von mikroſkopiſchen Waſſerpflanzen
auf dem Grunde und an den Seiten, Waſſerfäden und Meerlinſen,
die Ufer ſtehender Gewäſſer und klarer Seeen dienen ihnen vorzüglich
zum Aufenthaltsorte. Die meiſten zeigen trotz des Mangels an ſpe-
cifiſchen Sinnesorganen deutliche Auffaſſung von Licht und Schatten,
indem ſie ſich meiſt an der Lichtſeite der Gläſer ſammeln. Der Taſt-
ſinn iſt ſehr ausgebildet, wie man deutlich bei Berührungen ſieht und
ebenſo erſcheinen die meiſten dieſer Thiere ſehr wähleriſch in ihrer
Nahrung, die ſie ebenſo ausſuchen, ja ſelbſt ihr mit einiger Liſt nach-
ſtellen, indem ſie auflauern und plötzlich hervorſchießen. Viele Arten
leben geſellig in großen Schwärmen; andere mehr vereinzelt; die
Schmarotzer wiſſen ſehr gut, beſonders wenn ſie ſich an der Außen-
fläche anderer Thiere feſtſetzen, die Stellen zu wählen, wo dieſe ſie
nicht abſtreifen können. Viele Arten erheben ſich mit den Gasbläschen,
welche die Waſſerfäden unter dem Einfluſſe des Sonnenlichtes ent-
wickeln, von dem Grunde der Gewäſſer nach oben und bilden dort
eine Art Schaum, der ſich am Abend wieder zu Boden ſenkt. Oft-
mals erſcheinen grüne und rothe Infuſionsthierchen in ſolch’ ungeheu-
rer Menge plötzlich auf der Oberfläche derGewäſſer, daß die aben-
teuerlichſten Vorſtellungen dadurch erweckt und von Abergläubiſchen
und Pfaffen nach ihrem Sinne ausgebeutet wurden. Viele Infuſorien
haben die Eigenſchaft, auch nach längerem Trockenliegen durch Be-
feuchtung wieder aufzuleben, wodurch leicht ihre Verbreitung in Auf-
güſſen erklärt werden kann, indem die trockenen Körper als Sonnen-
ſtäubchen durch die Luft hinweggeführt in den Aufgüſſen einen geeig-
neten Boden zu ihrer Entwicklung finden. Mit Ausnahme einer ein-
zigen Familie, welche Kieſelpanzer beſitzt und ſich in der Kreide vor-
findet, hat man noch keine foſſilen Infuſorien gefunden, deren weiche
Körperſubſtanz begreiflicher Weiſe die Erhaltung nicht begünſtigte.


Die Eintheilung der Klaſſe der Infuſorien erſcheint aus zweierlei
Gründen beſonders ſchwierig: einestheils ſind viele dieſer Thiere ſo
klein, daß bei manchen die Erkenntniß der äußern Körpergeſtalt, bei
allen diejenige der feineren Struktur ihrer Organe an der Grenze der
Vergrößerungskraft unſerer beſten Mikroſkope ſteht, und dann hält
[93] es außerordentlich ſchwer, die Entwicklungsſtufen und die jungen
Thiere höher organiſirter Klaſſen, ſowie die zweifelhaften Pflanzen-
arten abzutrennen, von welchen man ſich durch weitere Beobachtung
noch nicht genau hat überzeugen können, in welches der beiden Reiche
ſie gehören. Nachdem man aus der Klaſſe der Infuſorien, wie ſie der
umfaſſendſte Beobachter dieſer Klaſſe, Ehrenberg, im Jahre 1838 um-
ſchrieb, die Räderthiere als weit höher organiſirte, zu dem Typus der
Würmer gehörige Thiere abgeſchieden, die unzweifelhaften Pflanzen,
wie die Closterinen, Bacillarien, Volvocinen abgetrennt hat, ſo blei-
ben noch eine ganze Menge von Organismen, bei denen man außer
der Beweglichkeit durch einen fadenförmigen Rüſſel und der Exiſtenz
eines rothen Punktes, die auch unzweifelhaften Pflanzengebilde zukom-
men, noch keine thieriſche Charaktere, wie namentlich Zuſammenziehung
der Leibeswand oder innere contractile Räume hat wahrnehmen kön-
nen. Wir haben auch dieſe Organismen, wohin viele Arten der
Ehrenberg’ſchen Monaden und alle Panzenmonaden gehören, für ſo
lange ausgeſchieden, bis der präciſe Beweis ihrer thieriſchen Natur
hergeſtellt ſein wird. Ebenſo erſcheint es unzweifelhaft, daß die Vi-
brionen oder Zitterthierchen theilweiſe bewegliche Schimmelfäden, theil-
weiſe junge Würmer ſind, die mit den Infuſorien nichts gemein ha-
ben. Nach dieſer Sichtung der Klaſſe kann man mit Rückſicht der
Verdauungs- und Bewegungsorgane folgende Eintheilung begründen:


Die erſte Ordnung, die mundloſen Infuſorien (Astoma) um-
faßt alle Thiere, welche keinen Mund beſitzen, niemals zur Aufnahme feſter
Nahrungsmittel gebracht werden können und ſich entweder durch einen
peitſchenförmigen Rüſſel oder durch Wimperorgane fort bewegen. Die

Figure 35. Fig. 57—60.

Euglena viridis.
Verſchiedene Contractionszuſtände
der Euglena viridis. a der Rüſſel.
b der Augenfleck. c der Kern.


Familie der Aenderlinge(Astasida)
zeichnet ſich durch einen äußerſt contrac-
tilen Körper, meiſt von grüner oder ro-
ther Farbe und länglicher ſpindelförmi-
ger Geſtalt aus, welcher bei den eigent-
lichen Aenderlingen frei iſt, während bei
der Unterfamilie der gepanzerten Aen-
derlinge
(Dinobryida) ein horniges
Büchschen vorhanden iſt, in welches der
feſtſitzende Körper ſich zurückziehen kann.
Die meiſten Thiere dieſer Familie be-
ſitzen einen rothen, ſogenannten Augen-
punkt, nur den Aenderlingen und den Hermenthierchen (Epipyxis) geht
derſelbe ab. Eine Gattung die Augenthierchen (Euglena) mit ſpindel-
förmig geſchwänztem grünem oder rothem Körper und rothem Punkte
[94] iſt es hauptſächlich, welche durch ihr maſſenhaftes Auftreten die Ge-
wäſſer grün oder roth färbt.


Eine andere Familie, die Kranzthierchen(Peridinida) zeichnet ſich

Figure 36. Fig. 61.

Peridinium
a.
Der Rüſſel, b. der Panzer, c. der
Wimperkranz, d. der Kern.


aus durch einen feſten Horn- oder Kieſel-
panzer, der zuweilen in ſonderbare
hornartige Spitzen ausgezogen iſt. Die-
ſer Panzer hat einen queren oder ſchie-
fen Spalt, der von einem Wimperkranze
ausgefüllt iſt und außerdem noch in
ſeiner bewegenden Thätigkeit von einem
fadenartigen Rüſſel unterſtützt wird, der
an einer beſtimmten Stelle des Panzers
hervorgeſtreckt werden kann. Foſſile Pan-
zer dieſer Familie ſind zwar in den
Feuerſteinen entdeckt worden, indeſſen dürfte die thieriſche Natur dieſer
Körper überhaupt noch ſtarken Zweifeln unterliegen, zumal da zwei von
Ehrenberg zu dieſer Familie geſtellte Gattungen, (Chaetotyphla und Chaeto-
glena
), welche keinen Wimperkranz beſitzen, gewiß wohl Pflanzen ſind.


Die dritte Familie der mundloſen Infuſorien, die Glasthierchen

Figure 37. Fig. 62.

Opalina.


(Opalinida) ſind bis jetzt nur durch Arten
bekannt, welche als Schmarotzer im Darme von
Fröſchen und Plattwürmern leben. Sie be-
ſitzen nur Wimperorgane, die in geraden Rei-
hen auf dem eiförmigen platten Körper ſtehen
und mittelſt deren ſie ſich langſam in dem
Darmſchleime umherwälzen. Da das Thier-
chen vollkommen durchſichtig und farblos
iſt, ſo hat man ſich mit Sicherheit von
dem Fehlen einer Mundöffnung überzeugen
können.


Bei weitem zahlreicher an verſchieden-
artigen Formen iſt die Ordnung der mund-
führenden Infuſorien (Stomatoda)
. Bei allen Formen iſt
eine wahre, von Wimpern umſtellte Mundöffnung vorhanden,
welche die Aufnahme feſter Nahrungsſtoffe geſtattet. Die erſte Fa-
milie, die der Monaden(Monadida), beſteht aus kleinen rundlichen
Thierchen, welche als hauptſächlichſtes Bewegungsorgan einen oder
mehrere rüſſelförmige Anhänge beſitzen und außerdem eine deutliche,
ſehr fein bewimperte Mundöffnung zeigen, durch welche feſte Nahrungs-
ſtoffe aufgenommen werden, die man im Innern als runde Futter-
ballen wieder erkennt. Sie ſtehen durch ihre außerordentliche Klein-
[95] heit an der Grenze unſeres Auffaſſungsvermögens und ſind bisher mit
einer Menge von pflanzlichen Gebilden zuſammen geworfen worden.
Die thieriſchen Monaden ſind alle farblos, haben einen contractilen,
biegſamen Körper und erſcheinen in zahlloſen Mengen, beſonders in
Aufgüſſen faulender Subſtanzen, während die mit ihnen verwechſelten
Pflanzenkörper meiſt grün ſind und einen ſtarren Körper zeigen.


Eine höchſt merkwürdige Familie iſt diejenige der Glockenthierchen
(Vorticellida), die man wieder, je nach dem ſie frei ſind oder in
einer Hülſe ſtecken, in zwei Unterfamilien als eigentliche und als
gepanzerte Glockenthierchen(Ophrydina) eintheilen kann. Alle dieſe
Thierchen haben einen mehr oder minder glockenförmigen Körper, der
meiſtens auf einem längern oder kürzern Stiele feſtſitzt. Nur die
Trompetenthierchen(Stentor) und die Urnenthierchen(Tri-
chodina)
machen hievon eine Ausnahme, indem ſie auf keinem eigent-
lichen Stiele feſtſitzen, während die eigentlichen Glockenthierchen theils
einſam, theils in Form veräſtelter Bäumchen auf Stielen ſtehen, die
bald ſtarr ſind, bald auch durch einen im Innern angebrachten Mus-
kel, deſſen Faſerſtructur deutlich iſt, ſchnellend zurückgezogen werden
können. Der auszeichnende Charakter der Glockenthierchen beſteht in
einem an dem vordern Rande des Körpers angebrachten Flimmer-
ſaume mit verhältnißmäßig langen Wimperhaaren, der nach Willkühr
ausgeſtülpt und wieder eingezogen werden kann und wodurch ſie einen
Strudel im Waſſer erregen, der kleinere Thierchen und ſchwimmende
Körperchen in die am Rande des Flimmerſaumes gelegene, meiſt ſpi-
ralförmig gewundene Mundöffnung führt, die ſich in einen kurzen
Schlund öffnet. In derſelben Vertiefung des Körpers, in welcher der
Mund liegt, befindet ſich auch der After. Bei den auf Stielen ſte-
henden Gattungen dieſer Familie reißen ſich ſowohl die Knospen als
auch die vollendeten Thiere öfters von ihrem Stiele los und ſchwim-
men mittelſt eines zweiten Wimperkranzes, der ſich an ihrer hintern
Körperhälfte entwickelt, davon; ein Gleiches thut eines der durch
Theilung entſtandenen Individuen bei den einſamen Gattungen, wäh-
rend bei den baumartigen Glockenthierchen die lieblichen Formen
dadurch entſtehen, daß die getheilten Individuen mit mehr oder
minder langen Stielchen auf dem gemeinſamen Stamme ſtehen bleiben
und ſo verſchieden geſtaltete Bäumchen bilden, die oft mit bloßem
Auge ſichtbar ſind, beſonders dann, wenn ſie paraſitiſch an größeren
Waſſerinſekten angeheftet ſind. Nach den verſchiedenen geſelligen For-
men und der Natur des Stieles hat man beſonders die einzelnen
Gattungen unterſchieden. So haben die eigentlichen Glockenthier-
chen
(Vorticella) einen langen biegſamen Stiel, auf deren jedem nur ein
[96]

Figure 38. Fig 63—65.

Vorticella.


einzelnes Thierchen ſitzt, während
die Glockenbäumchen(Car-
chesium)
gemeinſam auf veräſtel-
ten, biegſamen und ſchnellenden
Stielen ſitzen. Bei der geringſten
Erſchütterung ziehen ſich die Stiele
mit Blitzesſchnelle ſpiralförmig
ſchnellend zuſammen, was der in
ihrer Höhlung befindliche faden-
artige Muskel bewirkt, während
zugleich der Wimperkranz einge-
zogen wird. Bei einer andern
Gattung, den Säulenglöck-
chen
(Epistylis), iſt der Stiel
ſtarr und das Glöckchen wirft
ſich bei der Zuſammenziehung mit
einem plötzlichen Rucke hinten

Figure 39. Fig. 66.


Figure 40. Fig. 67.

Epistylis nutans.
Fig. 66. zwei Thierchen von denen das eine ſich zuſammenge-
zogen hat, auf demſelben Stiele. a die Mundöffnung mit dem
Wimperkranze. b der Kern. c Magenblaſen. d der Schlund.
e die contractile Blaſe. f der Stiel. Fig. 67. Die Aeinetenform
des Thieres, in die es ſich bei der Fortpflanzung verwandelt.


über, ſo daß es wie geknickt am Stiele hängt. Un-
ter den gepanzerten Glockenthierchen unterſcheidet
man die Gallertglöckchen(Ophrydium), wo eine
Unzahl ſpindelförmiger, langgezogener, durch grüne
Körnchen gefärbter Thiere in der Peripherie eines
gemeinſchaftlichen Gallertklumpens ſtecken, der zu-
weilen die Größe eines kleinen Apfels erreicht, ſo-
wie die Mantelglöckchen(Vaginicola), die inner-
halb horniger, meiſt
flaſchenförmiger Büchs-
chen einzeln auf Pflanzen
und Thieren aufſitzen.


Die Beobachtungen
der neueſten Zeit haben
bei den Glockenthierchen
(Vorticella), den Säu-
lenglöckchen (Epistylis)
und den Mantelglöck-
chen (Vaginicola) eine
übereinſtimmende Art
der Fortpflanzung er-
kennen laſſen, welche den
Weg zu ganz neuen Forſchungen anbahnt. Der Körper dieſer
[97]

Figure 41. Fig. 68. 69. 70. 71. 72.

Fig. 68—72. Vaginicola.
Fig. 68—71. Verſchiedene Acineten-Formen, die das Thier bei der Fortpflanzung
annimmt. Fig. 72, Ein ausgebildetes und entwickeltes Thier, in deſſen Büchſenpanzer.
ſich auf dem Grunde eine Knospe gebildet hat, die ſchon einen hinteren Wimperkranz
beſitzt und ſich baldigſt loslöſt. Die Bedeutung der Buchſtaben iſt für alle Figuren
dieſelbe, a. Der Mund. b. Der Kern. d. Der Schlund. e. Die contractile Blaſe.
f. Der Stiel. g. Der Panzer. h. Die Fäden der Acinetenformen.


Thiere ballt ſich allmählig zuſammen und umgiebt ſich mit einer
rundlichen Kapſel, die bei den Glockenthierchen durch eine Art Aus-
ſchwitzung, bei den bepanzerten Arten durch Umbildung des Panzers
ſelbſt hervorgebracht wird. So entſtehen rundliche Körper, die bald
ſtiellos, bald geſtielt ſind und im Innern einer glasartig durchſichti-
gen Hülle den zuſammengekugelten Leib des Thieres enthalten,
an welchem alle übrigen Organe, mit Ausnahme des Kernes und einer
runden contractilen Blaſenſtelle, gänzlich verſchwinden. Von dieſen Kör-
pern ſtrahlen radienartig Fortſätze aus, welche ſich ähnlich verhalten,
wie die Fortſätze, mittelſt deren ſich die Rhizopoden bewegen, in Knöpf-
chen endigen und in langſamen Schwingungen hin und her bewegt werden.
In dieſer Form, welche wir die Acineten-Form nennen, hat man die ein-
gekapſelten Glockenthierchen ſchon lange gekannt, und ſie unter mehreren
Gattungsnamen, als Sonnenthierchen (Actinophrys), Strahlenfuß (Podo-
phrya)
, Strahlenbäumchen (Acineta), beſchrieben, ja ſogar als ſelbſtſtändige
Familie hingeſtellt. An den aus den Vaginicolen hervorgehenden Acineten
hat man nun ferner beobachtet, daß der Kern allmählig ſchärfer her-
vortritt, während die Fäden zu ſchwinden anfangen. Der Kern ent-
hält endlich einen Wimperüberzug, bewegt ſich ſelbſtſtändig und wird
zuletzt aus dem Körper hervorgetrieben, um als freies Infuſorium unter
der Geſtalt eines Urnenthierchens (Trichodina) davon zu ſchwimmen. Wenn
auch dieſe Beobachtungen noch der Beſtätigung bedürfen, ſo geht doch we-
nigſtens ſoviel aus denſelben hervor, daß viele Infuſorienformen,
die man bis jetzt für ſelbſtſtändig anſah, nur Uebergänge darſtellen, die
bei genauerer Verfolgung ihrer Entwickelung mit andern der äußeren
Geſtalt nach höchſt verſchiedenen Formen zuſammenfallen. Die Acineten
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 7
[98] können gewiſſermaßen als Zwiſchenſtufen, als Ammen gelten, in deren In-
nern durch Knospung ein Kern nach dem andern ſich erzeugt, welcher im wei-
tern Verlaufe ſeiner Ausbildung als ſelbſtſtändiges Junge davonſchwimmt.


Unter den vielfachen Formen, welche nach Ausſcheidung der Mo-
naden und der Glockenthierchen, bei den mit einem Munde verſehenen
Infuſorien noch übrig bleiben, kann man zwei Hauptgruppen unter-
ſcheiden. Die eine, die große Familie der Haarthierchen(Trichodida)
bildend, umfaßt alle diejenigen mundführenden Infuſorien, welche ſich
nur durch Wimperhaare bewegen, während die Gattungen der anderen
Familie, die Borſtenträger(Setifera), außerdem noch Borſten, Haken
oder Griffel zum Klettern oder Kriechen haben. Die erſtere dieſer
großen Familie kann wieder in folgende Unterfamilien zerlegt werden:
Bei den Walzenthierchen(Enchelina) iſt die Körperfläche nackt und
nur am vordern Ende des Körpers, der zuweilen in einen langen
Hals ausgezogen iſt, befindet ſich in der Umgebung des Mundes ein
Wimperkranz, der eine rundliche Form hat. Der After befindet ſich
bei allen an dem entgegengeſetzten Körperende, während bei den Glocken-
thierchen, welchen ſie ſonſt am nächſten ſtehen würden, die unverdau-
ten Nahrungsſtoffe durch den Mund ſelbſt wieder ausgeworfen wer-
den. Diejenigen Gattungen dieſer Unterfamilie, deren vorderer Kör-
pertheil halsförmig ausgezogen iſt, biegen und winden denſelben ſchlan-
genförmig umher und ſcheinen ihn ſowohl als Taſtwerkzeug wie auch
zur Bewegung zu benutzen. Lacrymaria; Trichoda; Enchelys.


Bei einer zweiten Unterfamilie, den Halsthierchen(Trachelina),

Figure 42. Fig. 73.

Paramecium.


iſt entweder der ganze oder doch der größere Theil des
Körpers mit wirbelnden Wimpern beſetzt, die meiſtens
in Längsreihen geordnet und an dem Munde etwas län-
ger ſind. Dieſer liegt meiſt an der Unterſeite des Körpers
in einem länglichen Spalte unter einer mehr oder minder
ausgebildeten Oberlippe, welche zuweilen halsartig
oder zungenförmig geſtaltet iſt. Der After befindet
ſich bald an dem einen Ende, bald etwas ſeitlich an
dem Körper. Trachelues; Loxodes; Bursaria; Para-
mecium, Kolpoda
. Eine dritte Unterfamilie, die der
Reuſenthierchen(Nassulina), kann aus denjenigen
wimpertragenden Formen gebildet werden, welche einen
reuſenartigen Zahnapparat beſitzen, der den Ein-
gang des Schlundes umgibt; auch hier hat man
nach der Stellung dieſer Zahnreuſe, die bald am
vordern Ende, bald in der untern Fläche ſteht, meh-
rere Gattungen unterſchieden. Nassula; Prorodon.


[99]

Die letzte große Familie, die Borſtenthierchen(Setifera), haben

Figure 43. Fig. 74.

Ploesconia
von der Seite geſehen, wie ſie auf den Bauch-
borſten wie auf Füßen läuft.


eine mehr oder minder abge-
glattete Geſtalt und auf der
untern Fläche des Körpers,
außer den Wimpern, welche
in der Mundrinne entwickelt
ſind, Borſten oder Haken zum
Kriechen und Springen auf
feſten Gegenſtänden im Waſſer.
Mund und After befinden ſich
ſtets auf der Bauchfläche des
Körpers, zuweilen nahe bei einander in einer ſpaltförmigen Rinne.
Man kann unter ihnen die eigentlichen Hechelthierchen(Oxytrichina)
(Kerona; Urostyla Stylonychia)
mit weichem biegſamen Körper, die
oft ſogar nur mit Hinterlaſſung ihrer Borſten zerfließen und die
Nachenthierchen(Euplota) unterſcheiden, bei welchen letzteren der Rücken
durch ein flaches horniges Schild von ziemlicher Conſiſtenz gedeckt iſt.
Chlamidodon; Euplotes.


Die Verbreitung der Infuſionsthierchen auf der geſammten Erde
iſt nur noch ſehr unvollſtändig gekannt. Wie es ſcheint, wirken die
klimatiſchen Verhältniſſe weniger auf dieſe kleinen Weſen ein, da derſelbe
Beobachter viele Formen von Berlin bis nach Süddeutſchland, ja von
Arabien bis nach Sibirien hin in den ſüßen Gewäſſern vorfand. Viele For-
men entſtehen überall in faulenden Aufgüſſen von thieriſchen und pflanz-
lichen Stoffen, nach der irrigen Behauptung Einiger durch Urzeugung, nach
der Anſicht Anderer durch Entwicklung von Keimen und eingetrockneten
Körpern, die im Waſſer wieder aufleben. Die Vermehrung vieler
Arten durch Selbſttheilung iſt ungeheuer, da ſie in geometriſcher Pro-
portion zunimmt und jedes durch Theilung entſtandene Individuum
faſt unmittelbar darauf ſich wieder theilen kann. So kann es denn
nicht verwundern, wenn in Aufgüſſen thieriſcher und pflanzlicher Stoffe
unter günſtigen Umſtänden oft nach kurzer Zeit Schwärme von Mil-
lionen gewiſſer Infuſionsthierchen erſcheinen, die dort ein ephemeres
Daſein führen.


Ein weſentlicher Schlüſſel zur Aufklärung der Erſcheinungen,
welche ſolche Aufgüſſe namentlich hinſichtlich der Aufeinanderfolge ver-
ſchiedener Arten geben, dürfte in der Verfolgung der Beobachtungen
über die Entwickelung derſelben liegen, indem hierdurch ſicherlich in
ähnlicher Weiſe, wie bei den Glockenthierchen, noch eine Menge für
7*
[100] verſchieden gehaltener Formen als Uebergangsſtufen einer und derſel-
ben Art erkannt werden würden.


In geologiſcher Beziehung iſt einzig die Familie der Kranzthier-
chen (Peridinida) wichtig, da ſie durch ihren Kieſelpanzer der Zerſtö-
rung entging. Ihre Reſte finden ſich beſonders in den Feuerſteinen
der weißen Kreide, ſo wie in den verſchiedenen Trippeln und Putz-
mergeln, welche der Kreideformation angehören. Was ſonſt als foſſile
Infuſorien angeführt wird, gehört entweder zu den Wurzelfüßern,
oder zu den mit Kieſelſchalen verſehenen mikroſkopiſchen Pflänzchen, die
man irrthümlich als thieriſche Formen auffaßte.


Siebenter Brief.
Kreis der Strahlthiere. (Radiata.)


Wenn wir bei den Protozoen nur eine ſehr langſame und un-
bedeutende Entwickelung zu höheren Stufen der Ausbildung gewahren
konnten, ſo gibt ſich im Gegentheile unter den weit zahlreicheren
Klaſſen und Ordnungen der Strahlthiere eine unverkennbare allmäh-
lige Ausbildung der geſammten Organiſation kund, obgleich auch hier
der höchſte Typus, welcher erreicht wird, trotz der großen Mannich-
faltigkeit der einzelnen Gewebe und Organe dennoch ſtets die niedere
Stellung des ganzen Kreiſes erkennen läßt.


Der unveränderliche Charakter der Strahlthiere, welcher überall
wiederkehrt, beſteht in der ſtrahligen Gruppirung ihrer Organe um
eine mehr oder minder verlängerte Axe, die in den meiſten Fällen
durch den Mund geht, aber auch dann, wenn der Mund ſeitlich von
dieſer Axe liegt, ſich ſehr wohl durch die Lagerung der übrigen Kör-
pertheile erkennen läßt. Außerdem bilden ſich überall, wo Eier
durch geſchlechtliche Zeugung entſtehen, (und dies iſt in allen Klaſſen
der Strahlthiere der Fall, während bei den Urthieren weder Eier noch
überhaupt geſchlechtliche Zeugung vorkommt) die Embryonen in ihrer
Vollſtändigkeit aus dem ganzen Eie heraus und durchlaufen zuweilen
höchſt complicirte Larvenzuſtände oder auch eigenthümliche Ammen-
generationen.


[101]

Die Körperſubſtanz der Strahlthiere tritt bei den niederen Typen
kaum aus dem Zuſtande der Sarkode, jener unbeſtimmten gelatinöſen,
körnigen Subſtanz der Urthiere, hervor; — differenzirt ſich aber bei den
höheren mehr in einzelne Gewebe, die faſt vollſtändig die Zellenſtruktur
beſitzen. So ſehen wir denn auch faſt überall eine deutliche wohl-
charakteriſirte äußere Haut, die von dem übrigen Körper unter-
ſcheidbar iſt und bei den Stachelhäutern eine wahrhaft lederartige
Conſiſtenz gewinnt, während ſie bei den übrigen Klaſſen dieſes
Kreiſes zwar weicher bleibt, allein häufig theils Flimmerorgane,
theils wechſelnde Bläschen und andere Vertheidigungswaffen in ihrem
Innern entwickelt. Bei mehren Klaſſen, wie namentlich bei den Po-
lypen und den Stachelhäutern, finden ſich außerdem ſtets mehr oder
minder bedeutende Kalkablagerungen auf und in der Haut, welche bei
den letzteren ſogar zu einem förmlichen aus einzelnen Stücken zuſam-
mengeſetzten Skelette ſich verbinden und eine feſte Schale um das Thier
bilden.


Als eine Abſonderung der äußern Haut, die aber von dem Kör-
per mehr getrennt iſt, kommt beſonders bei den Polypen und Quallen-
polypen ein lederartiges, horniges oder kalkiges Gehäuſe vor, in
welche ſich dieſe Thiere ganz oder theilweiſe zurückziehen können.
Dieſe Gehäuſe oder Polypenſtöcke (Polyparium), welche
meiſtens trotz der Kleinheit der Thiere eine bedeutende Größe errei-
chen, da Millionen Individuen auf demſelben Stock organiſch mit
einander verbunden hauſen, bilden die bekannten Korallen, welche ſo-
wohl in jetzigen als in früheren geologiſchen Epochen einen weſent-
lichen Einfluß auf die Bildung der Erdrinde übten. Die Korallen,
ſowie die Schalen der Stachelhäuter ſind in beſonders bedeutender
Anzahl von den älteſten Schichten der Erde bis auf die neueſte Zeit
vorhanden und zwar in ſo großer Zahl und ſo mannichfach wechſeln-
den Formen, daß die Unterſuchung derſelben auch für die Erkenntniß
der jetzt lebenden Formen von der größten Wichtigkeit iſt.


Nur bei den höchſten Formen der Strahlthiere glaubt man ein
geſondertes Nervenſyſtem und eigenthümliche Sinnesorgane
gefunden zu haben, die indeß nur in ſehr unvollkommener Weiſe aus-
gebildet erſcheinen und an der ſtrahligen Gruppirung des ganzen
Körpers theilnehmen ſollen. Dieſe Organe, ſowie die einzelnen Theile
des Nervenſyſtems, welches einen Ring um den Schlund darſtellen
ſoll, wiederholen ſich eben ſo oft, als der Körper gleichſam durch die
ſtrahlige Anordnung in einzelne Segmente zerfällt, und beſtehen bei
den Quallen aus Bläschen, die kryſtalliniſche Maſſen einſchließen,
[102] bei den Stachelhäutern aus einem knotenloſen Schlundringe und
gefärbten Pigmenthaufen an beſtimmten Körperſtellen. Die Bewe-
gungsorgane
ſind äußerſt mannigfach geſtaltet. Viele Strahlthiere
ſind freilich für immer an dem Boden feſtgeheftet und entbehren gänz-
lich der Ortsbewegung, während ſie ſich mit größter Lebhaftigkeit zu-
ſammenziehen und ausdehnen können; andere aber kriechen und klet-
tern, theils mit beweglichen Stacheln, beſonders aber mit eigenthüm-
lichen Saugröhren, die ſie gleich Zugſeilen zur Fortſchleppung des
Körpers anwenden. Viele endlich ſchwimmen frei umher, entweder
durch klappende Zuſammenziehungen ihres ſcheibenförmigen Körpers
oder durch eigenthümliche knorpelige Schwimmblaſen, die ſich an be-
ſtimmten Theilen des Körpers entwickeln. Alle Strahlthiere leben im
Meere, mit Ausnahme einer einzigen Gattung, des Armpolypen,
welcher ſich in dem ſüßen Waſſer findet.


Die Ernährungsorgane der Strahlthiere ſind ebenfalls ſehr
mannigfaltig geſtaltet. Alle ohne Ausnahme beſitzen einen Mund, aber
nur die wenigſten einen After, der dann meiſtens in der Axe des
Körpers, dem Munde gegenüber liegt. Bei denjenigen, welche keinen
After beſitzen, werden die unverdauten Speiſereſte durch den Mund
wieder ausgeworfen, während die aus der Speiſe gewonnene Nah-
rungsflüſſigkeit durch eine hintere Oeffnung des Darmes in die Kör-
perhöhle übergeht und ſo bei zuſammengeſetzten Stöcken allen Indi-
viduen, die an der Kolonie betheiligt ſind, zu Gute kömmt. Bei eini-
gen Gattungen der Strahlthiere findet man ſtatt eines einzigen Mundes
viele kleine Oeffnungen, welche durch Röhren mit einer meiſt ſehr ge-
räumigen Verdauungshöhle in Verbindung ſtehen, von welcher aus
dann wieder Röhren nach allen Seiten hin ausſtrahlen. Meiſt ſind
in der Umgebung des Mundes einziehbare Fortſätze, Fühler oder
Tentakeln, in einem trichterförmigen Kranze aufgeſtellt, die zum
Einfangen der Nahrung dienen. Bei einigen Stachelhäutern bemerkt
man ſogar einen äußerſt complicirten Zahnapparat, der zum Kauen
der meiſt vegetabiliſchen Nahrung dient.


Nur bei den höhern Typen der Strahlthiere kommt ein ſchlauch-
förmiges Herz vor, welches durch ſeine Zuſammenziehungen den
Nahrungsſaft in dem Körper umhertreibt. Bei den niederen Typen
finden ſich weder Gefäße noch ein ſpecieller Bewegungsapparat für
den Nahrungsſaft vor, welcher indeſſen entweder durch Wimperorgane
oder durch die Contractionen der Leibeswand im Körper und in den
Zwiſchenräumen der Organe hin und her getrieben wird. Hierzu
kommt dann noch in einigen Klaſſen ein Syſtem von Röhren, welche
[103] den Körper durchziehen und die durch äußere Mündungen Waſſer
aufnehmen, das in dem Körper circulirt. Beſondere Athmungsorgane,
welche nur zu dieſem Zwecke beſtimmt ſind, kommen einzig bei der
höchſten Klaſſe der Strahlthiere, bei den Stachelhäutern, vor.


Die Fortpflanzung und Entwickelung der Strahlthiere iſt
theilweiſe erſt in den neueſten Zeiten und auch hier in vieler Bezie-
hung nur unvollſtändig erkannt worden. Sie unterſcheiden ſich von
den Protozoen ſcharf durch die Exiſtenz geſchlechtlicher Zeugung, die
Allen ohne Ausnahme zukommt, und durch den Mangel hermaphrodi-
tiſcher Bildung, beſonders in den höheren Klaſſen. Faſt alle Strahl-
thiere ſind getrennten Geſchlechtes und zwar finden ſich ſogar bei denen,
welche Kolonien bilden und an dem Boden feſtſitzend ſich einander
nicht nähern können, die Geſchlechter meiſt auf verſchiedene Stöcke
vertheilt, ſo daß hier die Befruchtung der Vermittlung der Waſſer-
ſtrömungen überlaſſen bleibt. Außer der geſchlechtlichen Zeugung in-
deſſen kommt auch bei allen geſellſchaftlich lebenden Formen, wie ſich
faſt von ſelbſt verſteht, Knospenbildung mit freien, ſich ablöſenden und
mit feſtſitzenden Knospen vor. Eine ganze Klaſſe, die der Quallen-
polypen, zeichnet ſich durch eine höchſt merkwürdige Ammenzeugung
aus, welche bis jetzt die Mutterthiere und die Ammen ſogar in zwei
verſchiedene Klaſſen bringen ließ. Ob eine freiwillige Längstheilung
irgend wo vorkomme, dürfte noch zweifelhaft ſein, das aber iſt ſicher,
daß gewaltſam getheilte Individuen der Quallenpolypen zu ſelbſtſtän-
digen Körpern heranwachſen können. Eine eigenthümliche Erſcheinung
iſt die Tendenz zur Fixirung an dem Boden, welche bei den unvoll-
kommenen Formen ſowie im erwachſenen Alter eintritt, während die
Larven und Jungen der Strahlthiere meiſtens frei beweglich ſind. Die
meiſten Strahlthiere erſcheinen im unvollendeten und Jugendzuſtande
in der Form eines umgekehrten Kegels, deſſen Spitze dem Boden zu-
gewandt, und deſſen nach oben gerichtete Baſis von der Mundöff-
nung in der Mitte durchbohrt iſt. Wir werden bei den einzelnen Klaſ-
ſen und Ordnungen die nähern Erſcheinungen der Fortpflanzung, ſo-
wie die Larvenentwickelung dieſer Thiere genauer betrachten.


Die genauere Begrenzung der einzelnen Klaſſen, welche den Kreis
der Strahlthiere bilden, konnte bis jetzt hauptſächlich aus dem Grunde
nur unvollſtändig durchgeführt werden, weil die Entwickelung der mei-
ſten derſelben nur höchſt unvollſtändig bekannt war. Auch jetzt noch
wiſſen wir von einer ganzen Klaſſe, den Röhrenquallen, durchaus gar
nichts über die embryonale Entwickelung, ſo daß die Stellung und
Umgrenzung dieſer Klaſſe ſo lange eine rein hypothetiſche iſt, bis er-
[104] neute Beobachtungen das über ihr herrſchende Dunkel aufhellen.
Wir unterſcheiden nach der äußeren Körperform, nach der Anordnung
der Verdauungs- und Bewegungsorgane und nach der Fortpflanzungs-
weiſe folgende vier Klaſſen unter den Strahlthieren.


Figure 44. Fig. 75.

Einzelner Polyp des
Koralls vergrößert.


1. Polypen. Weiche, mehr oder min-
der gelatinöſe, ſehr contractile Körper von
cylindriſcher Geſtalt, die mit ihrem Fuße
meiſt unbeweglich feſtgewachſen an dem Bo-
den haften. Der Verdauungskanal beginnt
mit einem kreisförmigen Munde in der Mitte
eines trichterförmigen Tentakelkranzes und
führt in eine von beſondern Wänden um-
gebene Magenhöhle, die ſich nach unten in
die allgemeine Leibeshöhle öffnet, in welcher
ſich die Geſchlechtswerkzeuge in Geſtalt band-
artiger Streifen befinden. Sie bilden meiſtens hornige oder kalkige
Korallenſtöcke, auf welchen die Thiere in großen Maſſen zuſammen-
leben. Wir trennen von ihnen die Armpolypen, welche zu der näch-
ſten Klaſſe, und die Moospolypen, welche zu den Weichthieren gehören.


2. Quallenpolypen. Sie erſcheinen ſtets in zwei verſchie-

Figure 45. Fig. 76.

Sertularia.


denen Formen. Die unvollendete Form
gleichet der vorigen Klaſſe ſo ſehr, daß

Figure 46. Fig. 77.

Pelagia.


[105] man ſie als Armpolypen bisher nur als eine Familie oder Ord-
nung der Polypenklaſſe bezeichnete. Indeſſen unterſcheiden ſie ſich
weſentlich durch den Mangel aller inneren Geſchlechtstheile und einer
eigenen Darmwandung, indem die afterloſe Verdauungshöhle unmittel-
bar in der Leibesmaſſe ſelbſt ausgehöhlt iſt. Die höhere Form dieſer
Thiere, welche aus der Polypenform durch Knospung hervorgeht, um-
faßt die ſogenannten Schirmquallen, Thiere mit ſcheiben- oder glocken-
förmigem Körper und meiſt centralem, auf der Unterfläche ange-
brachtem Munde von gelatinöſer Beſchaffenheit und faſt glasartiger
Durchſichtigkeit, die ſich durch Klappen ihres Scheibenkörpers ſchwim-
mend im Waſſer bewegen und deren Organe alle nach dem ſtrengſten
radiären Typus angeordnet ſind.


Figure 47. Fig. 78.

Velella.


3. Die Röhrenqual-
len
haben eine äußerſt unbe-
ſtimmte Geſtalt, an welcher der
radiäre Typus nur an den An-
hängen ſich erkennen läßt. Sie
ſchwimmen mittelſt eigenthüm-
licher Knorpelſtücke, die bei den
meiſten durch geſchloſſene mit
Luft gefüllte Blaſen unterſtützt werden. Man kennt faſt nur die äu-
ßere Form dieſer Thiere, welche bisher mit den Schirmquallen und
den Rippenquallen, die zu den Weichthieren gehören, in eine Klaſſe
zuſammengeſtellt wurden.


4. Die Stachelhäuter beſitzen eine lederartige Haut, in welcher

Figure 48. Fig. 79.

Echinus.


Kalkablagerungen vor-
kommen, die bis zu
getäfelten und ganz ge-
ſchloſſenen Schalen zu-
ſammenſchießen. Es ſind
rundliche, ſternförmige,
abgeplattete oder cylind-
riſche Thiere, welche ſich
meiſt mittelſt Saugfüh-
lern kriechend auf dem
Boden bewegen. Die
ſtrahlige Anordnung der
Organe iſt nur bei den
[106] Familien von cylindriſcher Körperform einigermaßen verdeckt; eine
Hinneigung zum bilateralen Typus läßt ſich nur undeutlich bei einigen
höhern Formen erkennen. Das Nervenſyſtem, welches einzig bei dieſer
Klaſſe und auch hier nur ſehr zweifelhaft erkannt worden iſt, ſoll aus
einem feinen Schlundringe beſtehen. Die Geſchlechter ſind überall ge-
trennt und auf verſchiedene Individuen vertheilt; die Entwickelung durch
höchſt ausgebildete Larven und Ammenformen merkwürdig; ungeſchlecht-
liche Zeugung fehlt gänzlich.


Klaſſe der Polypen. (Polypi.)


Figure 49. Fig. 80.

Korallenbaum mit entwickelten
Polypen.


In der Ausdehnung, wie wir
dieſe Klaſſe begreifen, indem wir
die Armpolypen einerſeits und die
Moospolypen als Weichthiere an-
derſeits davon abtrennen, bilden
die Polypen eine nach höchſt einfa-
chem Typus und in ſehr überein-
ſtimmenden Formen entwickelte Klaſſe,
die ſich durch den cylindriſchen Kör-
per, den in der Mitte eines meiſt
flimmerloſen Fühlerkranzes ſtehenden
Mund und die mit eigenen Wänden
verſehene Verdauungshöhle, welche
nach hinten ſich in die Leibeshöhle
öffnet, durch die inneren Geſchlechts-
theile, die in bandartigen Streifen
angelagert ſind, und durch die meiſt
außerordentlich entwickelten horni-
[107]

Figure 50. Fig. 81. Fig. 82.

Einzelne Polypen von Veretillum cynomorium.
Stark vergrößert.
a Eine Zelle, in welche ſich ein Polyp
zurückgezogen hat. b der Fühlerkranz. c die
Magenhöhle. d die Krauſen der Geſchlechts-
theile. Zur Seite iſt Fig. 82. ein Polyp quer
durchſchnitten um das Verhältniß der ſtrahlich
geſtellten Falten mit den Geſchlechtskrauſen zur
mittleren Verdauungshöhle zu zeigen.


gen oder kalkigen Korallenſtöcke,
welche ihren gemeinſchaftlichen
Kolonieen als Boden und Um-
hüllung dienen, vor allen übri-
gen Thieren auszeichnen, welche
mit ihnen die ſtrahlige Anordnung
der Körpertheile um eine centrale
Axe gemeinſchaftlich beſitzen. Die
einzelnen Thiere, welche in den
Polypenſtöcken hauſen, ſind nur
ſelten mikroſkopiſch, obgleich zu
ihrer genauern Unterſuchung
Vergrößerungsgläſer angewendet
werden müſſen. Diejenigen Gat-
tungen, welche einzeln leben, be-
ſitzen oft eine weit bedeutendere
Größe und es giebt z. B. Meer-
neſſeln, welche wohl den Umfang
einer Fauſt erreichen mögen.


Die äußere Haut der
Polypen iſt bei denjenigen Thie-
ren, welche in Polypenſtöcken
hauſen und ſich in eine ſchützende Röhre zurückziehen können, äußerſt
weich und zart und nur in höchſt ſeltenen, vielleicht noch der Beſtä-
tigung bedürfenden Fällen dürftig mit ſeinen Wimperhaaren beſetzt.
Bei den nackten Polypen erlangt die Haut, beſonders am Leibe, eine
lederartige Feſtigkeit und bildet einen unten geſchloſſenen Sack, in
welchen die Fühler oder Tentakeln zurückgezogen werden können. In
der Haut dieſer Letzteren finden ſich in vielen Fällen Neſſelorgane,
glashelle Bläschen, welche nebſt einem langen Spiralfaden eine ätzende
Flüſſigkeit hervorſchnellen, die ein Brennen auf der Haut erzeugt.


Von beſonderer Wichtigkeit erſcheint die Bildung der kalkigen
Korallenſtöcke, welche beſonders in ſüdlichen Meeren feſte Maſſen
von bedeutender Größe und Härte bilden, während in nördlichen
Breiten hauptſächlich nur nackte, oder mit ſchwammartigen Stöcken
verſehene Polypen vorkommen. Unterſucht man die chemiſche Zuſam-
menſetzung dieſer Polypenſtöcke, ſo findet man, daß ſie größtentheils
aus reinem kohlenſaurem Kalke beſtehen, dem oft etwas kohlenſaure
Talkerde beigemiſcht iſt. Nur bei wenigen Gattungen erſcheinen ſie
hornig und bei einer ſogar iſt der Polypenſtock aus Kieſelerde gebaut.
[108] Dieſe mineraliſchen Concretionen, die meiſt noch einen kryſtalliniſchen
Bau zeigen, ſind dennoch keine einfachen Ausſchwitzungen, ſondern
trotz ihrer oft großen Härte ein Beſtandtheil der Haut ſelbſt und
zwar desjenigen Theiles, welcher den hintern Theil des Leibes um-
giebt. Hier ſetzen ſich bei dem Wachsthum des Polypen theils minder
theils mehr zahlreiche Kalkpartikelchen ab und bilden ſo entweder eine
ſchwammige, von Kalknetzen durchzogene Maſſe, oder endlich eine
ſteinartige Subſtanz, in welcher der organiſche Stoff faſt gänzlich
verſchwunden iſt.


Figure 51. Fig. 83.

Polypenſtock einer
Caryophyllia.


Unterſucht man die Polypenſtöcke näher,
ſo ſieht man, daß auch in den zuſammengeſetz-
teſten Kolonieen jedes Thier eine eigene Zelle
hat, welche ſich nach unten zur Röhre verlän-
gert und ſich in gemeinſchaftliche Kanäle fort-
ſetzt, die ein Röhrenſyſtem bilden, das mit der
verlängerten Leibeshöhle eines jeden Indivi-
duums zuſammenhängt. Bei den todten und
foſſilen Polypenſtöcken, bei welchen die organiſche
Subſtanz verſchwunden iſt, kann man dieſe Dis-
poſition der gemeinſchaftlichen Kanäle noch ſehr
wohl verfolgen. Bei vielen Polypen fließen
indeß die Röhren und Zellen, welche den einzelnen Thieren ange-
hören, mehr oder minder in einander über oder werden durch da-
zwiſchen entwickelte Subſtanz in ſolcher Weiſe in einander verſchmolzen,
daß manchmal die Unterſcheidung jeder einzelnen Zelle ſchwierig wird.
Mag auch die Geſtalt des Polypenſtockes ſelbſt ſein, welche ſie wolle,
ſo zeigen doch die Zellen ſtets eine einfache, runde oder ſtrahlige Geſtalt
und wiederholen in dieſer Weiſe den Typus, nach welchem der ganze
Leib des Thieres gebaut iſt.


Die Bildung eines Polypenſtockes beginnt mit einer Incruſtation
desjenigen Körpers, auf welchem der junge Polyp ſich feſtſetzt, iſt alſo
offenbar eine Ausſchwitzung der Baſis des Polypenleibes. Man hat
dieſe Ausſchwitzung das Fußblatt oder Oberhautblatt genannt,
da ſie ſich gleichſam wie ein Blättchen Wachs an die Gegenſtände an-
ſchmiegt, auf welchen ſich der Polyp feſtſetzt. Häufig beſchränkt ſich
dieſes Fußblatt auf die beſchriebene Ausdehnung, in andern Fällen
erhebt es ſich am Rande und umgiebt wie ein dünnes Firnißblatt
den unteren Theil des Polypenſtockes, zuweilen auch vergrößert ſich
dieſes Fußblatt durch ſtets neu aufgelegte Schichten in der Mitte, ſo
daß es Anfangs eine kegelförmige Warze bildet, die nach und nach
[109] zu einem Stamme oder einem veräſtelten Baume auswächſt. Auf dieſe
Weiſe bildet ſich das Fußblatt bei einigen Familien, wie namentlich
bei dem ächten Korall, zu einer inneren Axe aus, die durchaus keine
Zellen enthält und um welche herum die gemeinſchaftliche Maſſe er-
goſſen iſt, in deren Zellen die einzelnen Polypen ſitzen und welche
von den gemeinſchaftlichen Kanälen durchzogen iſt. Dieſe Axenſtöcke
wachſen ſtets wie alle Fußblätter durch Auflage neuer Schichten auf
der den Polypen zugewandten Seite.


Die Verſteinerung, welche in der Haut des hinteren Leibestheiles
vor ſich geht und welche die Zelle ſelbſt für den Leib des einzelnen
Polypen bildet, ſtrahlt von einzelnen Punkten des Gewebes aus und
entwickelt ſich in dem Maße nach beſtimmten mathematiſchen Geſetzen,
wie die Knospen der Polypen ſelbſt ſich ausbilden. Man kann auch
hier wieder verſchiedene Theile unterſcheiden, die für die genauere
Auffaſſung der zoologiſchen Unterſchiede und des Verhältniſſes der
Polypenſtöcke zur ganzen Organiſation der Thiere von Wichtigkeit
erſcheinen.


Als äußere Schicht der einzelnen Polypenzellen kann man in den
meiſten Fällen ein Kalkblatt unterſcheiden, welches das Reſultat der
Verſteinerung der äußerſten Hautſchichte des Thieres iſt. Meiſt bildet die-
ſes Blatt eine kegelförmige Dute oder ein längeres Rohr, nur zuweilen,
wie bei den Orgelkorallen, conſtituirt es für ſich allein die röhrenförmige
Zelle der Polypen. Man hat dieſes Blatt, welches meiſtens an der
Baſis der Polypenſtöcke und als Umhüllung der einzelnen Zellen ſich
bemerkbar macht, das Mauerblatt genannt. Durch Vereinigung
und Verſchmelzung der Mauerblätter auf ihrer äußeren Seite und
durch Verdickung ihrer Maſſe bildet ſich jene Zwiſchenſubſtanz, welche
beſonders bei den ſchwammigen Polypenſtöcken die einzelnen Zellen
mit einander verbindet.


Schon in der Charakteriſtik der Thierklaſſe bemerkten wir, daß
die inneren Geſchlechtstheile der Polypen in krauſen bandartigen Strei-
fen angeordnet ſeien, welche ſtets eine ſtrahlige Gruppirung um den
Magenſack und tiefer hinab darböten. Die Verſteinerung dieſer haut-
artigen Falten, welche in das Innere der Leibeshöhle hineinragen, bil-
det nun die Strahlen, die wir meiſt in den Zellen der Polypenſtöcke
erblicken. Es entwickeln ſich dieſe Strahlen von außen nach innen,
entſprechend den häutigen Falten und Geſchlechtskrauſen, welche bald
weniger, bald mehr vorſpringen. So ſieht man denn in den Zellen
der Polypenſtöcke zuweilen nur kurze Blätterſtrahlen, die den Rand
der geräumigen Zellenhöhle zacken, während in den meiſten Fällen
[110] wenigſtens die Hauptſtrahlen in der Mitte ſich treffen und zu einer
Säule zuſammenſchmelzen, die bald aus den gewundenen Blättern
der einzelnen Strahlen, bald aus einer ſchwammigen Zuſammenſchmel-
zung derſelben beſteht. Zuweilen wächſt die Säule, welche die Axe
der Zelle einnimmt, ſich verlängernd fort, während die Scheidewände
oder Strahlen in ihrem Wachsthume zurückbleiben. Die Säule bildet
dann ein mittleres unabhängiges Stäbchen im Centrum der ſtrahligen
Zelle. Meiſtens wachſen auch von der Säule aus den Strahlen kor-
reſpondirende Blätter entgegen, welche eine innere Krone bilden, deren
nach der Peripherie gewendete Zacken bald frei bleiben, bald ſich mit
den von der Mauer aus hereinwachſenden Strahlen verbinden. An
den Stellen wo die Strahlen oder dieſe Kronenblätter das äußere
Mauerblatt erreichen, wird dieſes oft durchbrochen, ſo daß die Strah-
len ſich über die Umgebung der Zelle hinaus fortſetzen.


Figure 52. Fig. 86. Fig. 85. Fig. 84.

Fig. 84 — 86. Junge Polypenſtöcke einer
Schwammkoralle (Fungia). Fig. 84 die Kammer
hat nur ſechs primäre Strahlen; die ſekundären be-
ginnen am Mauerblatte vorzuſproſſen. Fig. 85. Die
ſekundären Strahlen ſind gebildet; die tertiären wach-
ſen. Fig. 86. Die quaternären und quintären Strah-
len bilden ſich. 1. die primären, 2. die ſekundären,
3. die tertiären Strahlen.


Beim erſten Beginne
der Bildung einer neuen
Polypenzelle zeigen ſich nur
äußerſt wenige Hauptſtrah-
len, welche die Zelle in ſechs
primitive Kammern abthei-
len; — wenigſtens iſt die
Sechszahl, ſo viel man bis
jetzt hat beobachten können,
die Normalzahl, nach wel-
cher ſich die vielſtrahligen
Polypen der eigentlichen
Korallenſtöcke entwickeln.
Auch bei denjenigen Polypenſtöcken, bei welchen, wie bei den Schwamm-
korallen, eine ungeheure Anzahl einzelner Strahlen exiſtirt, auch bei
dieſen tritt zuerſt nur eine einfache Zahl von ſechs Strahlen auf, die ſich
ſpäter in ſtreng geſetzmäßiger Weiſe vergrößert, und ſelbſt dann kann
man noch die primären Strahlen meiſt an ihrer größeren Dicke und
Höhe von den ſpäter entſtandenen unterſcheiden. Die neuen Strahlen
entwickeln ſich bis zum vierten Cyclus ſtets in der Weiſe fort, daß
eine jede Kammer in der Mitte durch den neu entſtehenden Strahl in
zwei Hälften getheilt wird. So wird beim Auswachſen einer Schwamm-
koralle z. B., die Anfangs nur ſechs Strahlen hat, jede dadurch ge-
bildete primäre Kammer durch den ſekundären Strahl in zwei Hälf-
ten getheilt und die ganze Zelle hat nun zwölf ſekundäre Kammern.
Durch die Entſtehung der tertiären Strahlen erhält ſie vier und zwan-
[111] zig tertiäre Kammern, dann aber nicht acht und vierzig, ſondern nur
ſechs und dreißig, indem nur die Hälfte der tertiären Kammern und
zwar diejenigen, welche an dem primären Strahl anliegen, durch qua-
ternäre Strahlen in zwei Hälften getheilt werden. Mit Beobachtung
dieſes Geſetzes läßt ſich die Zahl aller Strahlen, welche an einer Po-
lypenzelle vorkommen, auf die urſprüngliche Sechszahl reduziren, zu-
mal da es ein durchgreifendes Geſetz iſt, daß die gleichnamigen Strah-
len ſich auch ſtets zu gleicher Zeit im ganzen Umfange der Zelle entwickeln.


Die Bildung der Polypenſtöcke wird noch durch den Umſtand be-
ſonders complicirt, daß auch die gemeinſchaftliche Maſſe, welche die
einzelnen Polypen mit einander verbindet, ſich in bald mehr, bald
minder zuſammenhängender Weiſe verſteinert und nun mit den Strah-
len und Mauerblättern zuſammenwächſt. Dieſelbe ſtrenge Geſetzmä-
ßigkeit, welche ſich in der Bildung der Strahlen bemerkbar macht,
herrſcht auch in der Entwickelung der einzelnen Knospen, welche die
Polypen treiben. Bei den einen werden dadurch mehr oder minder
veräſtelte Bäume gebildet, wo bald jede Knospe oder jede Zelle einen
Aſt darſtellt, bei andern entwickeln ſich ganze Syſteme von Knospen
zu einzelnen Aeſten und Zweigen oder zu fingerförmig ausgebreiteten
Maſſen, bei wieder anderen werden alle Zellen in eine einzige, mehr
oder minder rundliche Maſſe von oft ungeheurer Größe zuſammen
geſchmolzen. Das Skelett eines jeden zu Grunde gegangenen Polypen
bleibt der gemeinſchaftlichen Kolonie als unvergänglich integrirender
Theil, und ſo entſtehen aus der Vereinigung vieler kleiner Weſen und
aus ihrer geſetzmäßigen Entwicklung jene merkwürdigen Maſſen, auf
deren Bildung im Großen wir noch einen weiteren Blick werfen werden.


Von eigentlichen Bewegungsorganen kann bei den feſtſitzenden
Polypen nicht wohl die Rede ſein und auch diejenigen freien Stöcke,
welche im Sande oder im Schlamme ſtecken und von welchen man
bisher glaubte, ſie ſchwämmen im Meere umher, entbehren jeglichen
Bewegungsorganes. Nur die freien Einzelpolypen, wie die Seeane-
monen, beſitzen einen breiten, ſcheibenförmigen Fuß, mit welchem ſie

Figure 53. Fig. 87.

Seeanemone (Actinia.)


ſich anſaugen und hin und her gleiten können.
Wohl aber beſitzen die Polypen einestheils ein ſehr
[ausgebildetes] Faſergewebe, das ihre einzelne Leibes-
theile zuſammenzieht und anderſeits einziehbare
Tentakeln, welche eine große Bewegbarkeit beſitzen.
Bei denjenigen Polypen, welche acht Tentakeln um
den Mund beſitzen, ſind dieſelben meiſt blattförmig
und an den Rändern mehr oder minder gekerbt,
[112] während ſie bei den ſechs und mehrſtrahligen Polypen eine mehr wal-
zenförmige Geſtalt haben und eine hohle am vordern Ende geſchloſſene
Röhre darſtellen. Bei allen Polypen ohne Ausnahme ſteht die Höhlung
der Tentakel in Verbindung mit der Leibeshöhle und die Entfaltung
ſcheint zum Theil dadurch bewirkt zu werden, daß von der Leibes-
höhle aus Flüſſigkeit in ihre Höhlung eingepreßt wird.


Obgleich die Polypen namentlich in den Fühlern eine große
Empfindlichkeit zeigen, ſo iſt es doch noch nicht gelungen, Nerven oder
Sinnesorgane bei ihnen wahrzunehmen. Auch die Verdauungs-
organe
ſtehen auf einer ſehr niederen Stufe der Entwickelung. Der
runde, zuweilen auf einem Knopfe
in der Mitte der Fühler ange-
brachte Mund führt in eine weite
Magentaſche, welche ſich nach
hinten frei durch offene Spalten
in die Leibeshöhle öffnet, ſo daß
Waſſer und Nahrungsſtoffe ge-
meinſchaftlich durch dieſe hinte-
ren Oeffnungen in die Leibes-
höhle übergehen. Dieſe iſt durch
häutige Blätter, welche in dem
untern Theile der Leibeshöhle
nach innen zu frei ſind, oben
ſich an die Magenwandung an-
ſetzen und auf ihrem freien ge-
krausten Rande die männlichen
oder weiblichen Geſchlechtsor-
gane
tragen, in eine große An-
zahl von Taſchen oder Kammern
zerfällt. Bei den gemeinſchaftlich
lebenden Polypen geht die Lei-
beshöhle, in welcher der Nah-

Figure 54. Fig 88. Fig. 89.

Einzelne Polypen von Veretillum cynomorium.
Stark vergrößert.
a Eine Zelle, in welche ſich ein Polyp
zurückgezogen hat. b der Fühlerkranz. c die
Magenhöhle. d die Krauſen der Geſchlechts-
theile. Zur Seite iſt Fig. 89. ein Polyp quer
durchſchnitten, um das Verhältniß der ſtrahlich
geſtellten Falten mit den Geſchlechtskrauſen zur
mittleren Verdauungshöhle zu zeigen.


rungsſaft mit Waſſer vermiſcht beſtändig hin und her circulirt, in
ein Netz von Gefäßen über, welches ſich in der gemeinſchaftlichen
Maſſe des Polypenſtockes hinzieht und mit allen übrigen Polypen
in direkter Communication ſteht. Der Strom der Flüſſigkeit, welcher
durch dieſe Gefäße läuft, wird durch zarte flimmernde Wimpern
bedingt, und geht an der einen Seite der Fühler bis an deren
Spitze, um auf der andern Seite wieder hinab zu gleiten. Da die
Polypen die Oeffnungen der Magenhöhle gegen die Leibeshöhle hin
[113] nach Belieben durch Zuſammenziehung ſchließen können, ſo hängt es
auch von ihrem Willen ab, welche Stoffe ſie in die Leibeshöhle über-
treiben, welche durch den Mund wieder auswerfen wollen.


Die Geſchlechter ſind ſtets getrennt und ſoweit man bis jetzt
unterſucht hat, ſogar bei den geſelligen auf verſchiedene Polypenſtöcke
vertheilt, an denen keine äußere [Geſchlechtsverſchiedenheit] zu bemerken
iſt. Eier und Samen bilden ſich in kapſelartigen Höhlungen der Ge-
ſchlechtstheile aus, treten in die Leibeshöhlung über und werden erſtere
zuweilen ſchon als ausgebildete Embryonen durch den Mund ausge-
worfen, worauf ſie ſich entwickeln und feſtſetzen. Bei den vielſtrahli-
gen Polypen findet daſſelbe Verhältniß ſtatt, welches wir bei der Ent-
wickelung der Strahlen ihrer Zellen beobachteten. Sie haben zuerſt nur
ſehr wenige Fühler, deren Zahl ſich mit ihrem Wachsthum vermehrt.


Die ungeſchlechtliche Zeugung iſt außerordentlich weit ver-
breitet, wie ſich ſchon daraus ergibt, daß nur höchſt wenige Polypen
als einzelne Individuen leben. Indeſſen hat man die Erſcheinung der
Knospung faſt noch gar nicht an lebenden Thieren beobachtet, ſon-
dern nur aus der Bildung der Polypenſtöcke erſchloſſen, wo ſich dann
allerdings erkennen läßt, daß die Knospung nach beſtimmten Geſetzen
vor ſich geht, wodurch je nach der Gattung der Polypen baumförmige
oder ſchwammige Formen erzeugt werden. Aus den zuſammenfließen-
den Zellen mancher Polypenſtöcke hat man ſchließen wollen, daß hier
eine freiwillige mehr oder minder vollſtändige Längstheilung ſtattfinde,
welche indeß durchaus noch nicht erwieſen iſt. Auch über die innere
Entwicklung dieſer Knospen und Sproſſen wiſſen wir nur ſo viel, als
ſich auf die äußern Organe und auf die Vermehrung der in der Lei-
beshöhle angebrachten Scheidewände bezieht, was aus der Vervielfälti-
gung der Strahlen in den Zellen erſchloſſen werden kann.


Alle Polypen ohne Ausnahme leben im Meere und zwar die be-
weglichſten mit ihrem Fuße an dem Boden feſtgeſogen, andere mit
ihrer Baſis im Schlamme ſteckend, andere feſtgewachſen und unfähig
je den Ort zu ändern. Dieſe letzteren geben beſonders Veranlaſſung
zu jenen Bildungen, welche in den ſüdlichen Meeren unter dem Namen
der Korallenriffe bekannt ſind. In den nördlichen Breiten ſind es
hauptſächlich nackte und gelatinöſe Polypen, Seeanemonen, welche die
Klaſſe repräſentiren. In den Meeren der gemäßigten Zone findetman neben
den nackten Polypen noch ſolche mit ſchwammigen Polypenſtöcken, in
welchen Kalknadeln zerſtreut ſind. Erſt in dem Mittelmeere kommen
wahre Korallenſtöcke vor, die indeß nur raſenförmige Ausbreitungen
Vogt, Zoologiſche Briefe I. 8
[114] bilden. Die eigentliche Zone der Korallenriffe beginnt am 30ten Grade
nördlicher Breite und hört faſt gänzlich unterhalb des 25ten Grades
ſüdlicher Breite auf, ſo daß ſie alſo eine Art Gürtel um die Erde
bildet, der mit dem Aequator parallel läuft. Felsboden begünſtigt be-
ſonders ihre Entwickelung, während Schlamm und Sand ihnen hinder-
lich iſt. In der genannten Ausdehnung aber ſind ungeheure Strecken
von den Productionen der Polypen überdeckt und wenn man die Ge-
ſchichte der Erde näher unterſucht, ſo findet man, daß früher die Ko-
rallenthiere und ihre Riffe eine weit größere Ausdehnung beſaßen und
daß mächtige Gebirgszüge zum großen Theile von ihnen auferbaut ſind.


An den ſeichten Stellen der ſüdlichen Meere rudert der Seefahrer
oft über weite Strecken hin, deren Farbenpracht mit den ſchönſten Tin-
ten unſerer Gegenden im Herbſte wetteifert. Durch das durchſichtige
Waſſer ſchimmern die prächtigſten Abſtufungen von Grün, Gelb und
Roth hindurch, die augenblicklich einem eintönigen Grau Platz machen,
ſobald das Schleppnetz ausgeworfen oder das Waſſer ſtärker beunru-
higt wird. Das Netz bringt aus der Tiefe ſteinige Aeſte oder Knollen
hervor, welche einen grauen ſchleimigen Ueberzug zeigen. Die Polypen,
die äußerſt empfindlich gegen Berührung oder Waſſerſtrömungen ſind,
haben ſich ſämmtlich in ihre Zellen zurückgezogen, ſo daß die Stöcke
nur die kalkige Maſſe zeigen. Legt man aber die Stücke in’s Waſſer
und läßt ſie darin ruhig, ſo entfalten ſich allmählig wieder die Poly-
pen, die beſonders an ihren Fühlern jene lebhaften Farben zeigen.
Längeres Verweilen außer dem Waſſer tödtet die Polypen unausbleib-
lich, weshalb ſie denn auch niemals über eine gewiſſe Höhegränze ſich
anſiedeln, die bei ſtillen Gewäſſern etwa 4 bis 6 Fuß unter dem
Stande der Ebbe ſich hält. Ebenſo behaupten diejenigen Gattungen,
welche beſonders die Korallenriffe bilden, hinſichtlich der Tiefe eine
gewiſſe Gränzlinie unter welcher ſie ſich nicht anſiedeln. So hat man
in dem rothen Meere beobachtet, daß alle Korallen, welche man aus
mehr als 9 Faden Tiefe hervorzog, nur todte Bruchſtücke waren und 20
Faden dürfte überall als die größte Tiefe angeſehen werden, in welcher
ſich noch lebende Korallen anſiedeln, obgleich man aus weit bedeuten-
derer Tiefe lebende Polypen hervorgezogen hat, die aber nur kleine
Bäumchen, keine großen ſteinigen Maſſen bilden. Die Bildung der
Korallenriffe ſelbſt hat manches Eigenthümliche. Die ältern Seefahrer
im ſtillen Ocean waren ſchon betroffen von der eigenthümlichen, meiſt
kreisförmigen Geſtalt der einzelnen Inſeln, welche oft in ihrem Innern
einen ſtillen See, eine Lagune umſchloſſen, die nur einige Zugänge
durch das ſchmale Riff zeigte, welches den Kreis der Inſel ausmachte.
[115] Man glaubte, daß die Korallen ſich hauptſächlich auf den Rändern
von Kratern vulkaniſcher Kegelberge entwickelt hätten und nahm an,
daß ſie aus beliebiger Tiefe herauf ſenkrechte Mauern aufführten, welche
an der Oberfläche die Bildung des Bodens abzeichneten. Erſt die ge-
nauere Beobachtung des Lebens der Korallenthiere und des Verhaltens
ihrer Riffe gab die genauere Erklärung der auffallenden Erſcheinungen.


Man unterſcheidet jetzt der Form nach drei verſchiedene Arten von
Korallenriffen. Die Atolls oder Lagunenriffe beſtehen aus einem
ſchmalen, mehr oder minder regelmäßig gekrümmten Streifen feſten
Landes, der einen innern See, eine Lagune umſchließt und aus todten
zerbröckelten Korallenmaſſen beſteht, die durch Kalkſand wieder verkittet
und in einen fruchtbaren Boden verwandelt ſind, welcher kaum über das
Meeresniveau hervorragt und meiſt zuerſt mit Kokospalmen ſich be-
pflanzt. Zuweilen iſt die Lagune in der Mitte eines ſolchen Atolls
gänzlich abgeſchloſſen von der See, die außen brandet; meiſt aber zeigt
ſie einen oder mehrere Einſchnitte durch welche das Waſſer der La-
gune mit dem Meere in Verbindung ſteht. Die Tiefe der Lagunen iſt
meiſt nicht bedeutend, höchſtens bis zu 40 Faden und bietet einen ſichern
Ankergrund. Die Lagune ſelbſt iſt ein wahrer Sammelplatz von feſt-
ſitzenden und ſchwimmenden Seethieren aller Art, welche ſich hieher
vor der Brandung und der Strömung des freien Meeres flüchten.
Nach außen hin findet ſich meiſt ſchon in geringer Entfernung von
dem Riffe eine bedeutende Tiefe, ſo daß dieſes eine faſt ſenkrecht aus
der Tiefe aufſteigende Mauer bildet. Die Dammriffe unterſcheiden
ſich nur dadurch von den Atolls, daß im Innern der Lagune ſich eine
Inſel aus anſtehenden Felſen und feſtem Lande befindet, welche, wie
durch einen Feſtungsgraben, durch einen mehr oder minder breiten
Lagunenkanal von dem wie ein Gürtel ſie umgebende Riffe getrennt
iſt. Dieſer Lagunenkanal iſt meiſt nur von geringer Tiefe, zuweilen
aber von ſehr bedeutender Breite und die Dammriffe, welche gürtel-
förmig das Land umziehen und den Lagunenkanal von der See ab-
ſcheiden, beſitzen oft eine ungeheure Ausdehnung. So hat das Damm-
riff, das ſich an der Küſte von Neu-Caledonien findet, eine Länge
von 400 engliſchen Meilen und dasjenige der auſtraliſchen Küſte er-
ſtreckt ſich mit geringen Unterbrechungen durch etwa 15 Breitengrade.
Endlich die dritte Art von Riffen wird durch die ſogenannten
Küſtenriffe gebildet, welche ſich nur dadurch von den Dammriffen
unterſcheiden, daß ſich zwiſchen ihnen und dem feſten Lande kein Lagunen-
kanal hinzieht, ſondern daß ſie ſich unmittelbar an die Küſten anlehnen.


Bedenkt man, daß die Korallenpolypen ſich nur bis zu einer ge-
8*
[116] wiſſen Tiefe anbauen können, daß aber die der See zugekehrten Seiten
der Korallenriffe oft eine faſt ſenkrechte Mauer von mehreren hundert
Faden Tiefe bilden, aus deren Tiefe das Senkblei nur todte Bruch-
ſtücke hervorbringt, vergleicht man mit dieſer Eigenthümlichkeit der
Korallenthiere die verſchiedenen Arten der von ihnen gebauten Riffe,
welche allmählig in einander übergehen, ſo ergiebt ſich die Erklärung
der Erſcheinung im Großen in höchſt einfacher Weiſe. Alle Korallen-
thiere haben ſich ſicher in der Nähe der Küſten in ſolcher Tiefe ange-
ſetzt, wie dies ihre Lebensbedingungen ihnen vorſchrieben und haben
ſo urſprünglich Küſtenriffe gebildet. Nun ſenkte ſich der Boden
allmählig langſam im Laufe von Jahrhunderten und bis zu einer
ſolchen Tiefe, daß die untern Polypen abſtarben. Die Polypen bau-
ten nach oben fort, um die ihnen zukommende Höhe unter dem Mee-
resſpiegel zu behaupten. Die Korallenſtöcke der todten Polypen dien-
ten als feſter Felsboden für die jüngeren Generationen. Indem der
Boden ſich immer mehr ſenkte, bildeten ſich die Dammriffe und als er
gänzlich verſchwand, die Atolls aus, die alſo nur ringförmige Umkrei-
ſungen von Stücken feſten Landes, von Inſeln und Bergſpitzen ſind, welche
im Laufe der Zeit unter die Oberfläche des Meeres ſich hinabſenkten.
So ſind dieſe Werke ſo unſcheinbarer Thierchen die unwiderſprechlich-
ſten Zeugniſſe für jene langſamen und allmähligen Veränderungen
der Erdoberfläche, zu deren Erkenntniß die Mittel unſerer Forſchung
ſonſt nicht hinreichen würden, und aus dem Vorhandenſein der zahl-
reichen Atolls und Lagunenriffe im ſtillen Ocean kann der ſichere Be-
weis entnommen werden, daß in der Gegend jenes Meeres einſt weite
Continente exiſtirten, die ſich allmählig unter die Oberfläche des Waſ-
ſers hinabſenkten und deren Spitzen nur noch als zerſtreute Inſel-
gruppen hie und da aus der Tiefe hervorragen.


Die Klaſſe der Polypen iſt in allen Schichten der Erde von der
früheſten Zeit her bis auf die Gegenwart in äußerſt zahlreichen und
mannigfaltigen Formen vertreten. Doch waren in den Zeiten der
Grauwacke und der Trias hauptſächlich mehr ſolche Formen entwickelt,
welche raſenförmige Polypenſtöcke bildeten, ſo daß die Maſſe der Po-
lypen von nicht ſo bedeutendem Einfluß auf die Schichtbildung war.
In der juraſſiſchen Periode ändert ſich dieſes Verhältniß. Ueberall wo
man noch den Jura angetroffen hat, in Frankreich, der Schweiz,
Deutſchland und England, alſo in Breiten, welche jetzt durchaus keine
Riffe mehr zeigen, exiſtirten damals außerordentlich ausgedehnte Korallen-
riffe, welche theilweiſe zwar von der jetzigen abweichende Gattungen und
gänzlich verſchiedene Arten enthalten, ſonſt aber dieſelben Eigenthümlichkei-
[117] ten zeigen, welche wir auch in den Korallenriffen der Gegenwart beobachten.
An vielen Stellen bilden die juraſſiſchen Korallenriffe wahre Atolls, hügel-
förmige Erhöhungen von höchſtens 50 Fuß Mächtigkeit, die auf kieſeligen
und ſandſteinigen Schichten angebaut ſind. Im Umkreiſe der Atolls zeigen
ſich die Korallen — im Innern aus feinem Schlamm gebildete Schich-
ten, die ſich offenbar bei größerer Ruhe des Waſſers ablagerten, mit
zahlreichen, Schlamm und Sand bewohnenden Muſcheln, dünnſchaligen
Seethieren und ähnlichen Meerbewohnern, welche ruhige Orte vor-
ziehen. An dem Fuße der von den Korallen gebildeten Mauer ſieht man
Breccien- und Lumachellenkalke, die aus den Bruchſtücken zer-
riebener und zerbrochener Schalen zuſammen gebacken ſind und offen-
bar als Reſultate der den Atoll umwogenden Brandung ſich darſtellen.
Die Korallenſtöcke ſelbſt und die ihre Zwiſchenräume bewohnenden
Muſcheln und Seelilien ſtehen ſenkrecht auf den Schichten, ein Beweis, daß
ſie ſich auf denſelben als auf ihrem urſprünglichen Wohnſitze befinden.


Die Nahrung der lebenden Polypenthiere beſteht offenbar aus
kleinen thieriſchen und pflanzlichen Partikelchen, welche durch die Strö-
mung ihnen zugeführt werden. Das Entfalten und Schließen ihrer
Arme, wie überhaupt ihre ganzen Lebenserſcheinungen, ſind meiſt
äußerſt träge; doch bemerkt man deutlich Empfindlichkeit gegen das
Licht und gegen Berührungen oder Waſſerſtrömungen, welche plötz-
liches Zurückziehen in die Zelle verurſachen. Die Korallenſtöcke ſelbſt
dienen einer Unzahl von Muſcheln, Schnecken, Würmern und Fiſchen
zum Wohnort und Schlupfwinkel und viele dieſer Thiere nähren ſich
auch von den Polypen, indem ſie dieſelben mit ihren ſcharfen Zungen und
Kiefern abkratzen oder auch die Zellen ſelbſt zwiſchen den Zähnen zermalmen.


Die Eintheilung der Polypen in Ordnungen, Familien und Gat-
tungen hat beſonders deßhalb viele Schwierigkeiten, weil man nur
von ſehr wenigen Arten die Thiere und deren engeres Verhältniß zu
den Polypenſtöcken genauer kennt. Wir begegnen deßhalb auch vielen
verſchiedenen Verſuchen, die aber alle nur zu unſicheren Reſultaten
gelangten, indem ſie entweder die foſſilen Arten mit umfaßten und
dann einzig die Charaktere des Polypenſtockes berückſichtigten, oder aber,
indem ſie die Foſſilen fern hielten, eine weſentliche Lücke ohne alle
Ausfüllung ließen. Wir nehmen als Baſis der Eintheilung das Zah-
lengeſetz, nach welchem die Fühler und Strahlen ſich entwickeln, an und
indem wir zugleich nach einem allgemeinen Naturgeſetze die ſocialen
Formen für die niedriger ſtehenden, die freien für höher entwickelt an-
ſehen, erhalten wir folgende drei Ordnungen, die alle ſehr zahlreich
in allen Schichten der Erde vertreten ſind.


[118]

Erſte Ordnung: Sechsſtrahlige Polypen (Hexactinia).
Alle zu dieſer Ordnung gehörigen Polypen haben eine bedeutende An-
zahl von rundlichen, cylindriſchen oder pfriemenförmigen Fühlern und
Strahlen in den Zellen der Polypenſtöcke, welche ſich indeſſen ſämmt-
lich aus der Sechszahl entwickeln. Die Embryonen und freien Sproſ-
ſen ſind freilich noch nicht beobachtet, aber die jüngſten Zellen beſitzen
nur ſechs einfache Strahlen, die ſich im ſpätern Alter vermehren. Alle
haben kalkige Polypenſtöcke, welche baumartige oder ſchwammige Maſſen bil-
den. Sie bilden jetzt einzig die ächten Korallenriffe, während in früheren
geologiſchen Epochen auch die achtſtrahligen Polypen Riffbildend auftraten.


Die Familie der Baumkorallen (Madreporida) beſitzt meiſtens

Figure 55. Fig. 90.

Madrepora.


verhältnißmäßig kleine Polypen, deren
zwölf Tentakel in einer einzigen Reihe
ſtehen, ſehr kurz ſind und wie verküm-
mert ausſehen. Der Polypenſtock iſt
ſehr porös, meiſt fingerförmig ver-
äſtelt, die einzelnen Zellen rund oder
verwaſchen ſechseckig, durch poröſe Maſſe
verbunden oder röhrenartig an der
Oberfläche hervorſtehend. Die Strah-
len ſind nur in geringer Zahl vor-
handen, reichen nur ſelten bis in die
Mitte der Zelle und bilden niemals
eine eigentliche Säule in derſelben. Je
nach der Tiefe der Zellen und den im
Grunde vorhandenen oder fehlenden
Scheidewänden hat man in dieſer äu-
ßerſt zahlreichen Familie, welche auch
beſonders in den älteſten Schichten durch
eigenthümliche Gattungen vertreten iſt,
mancherlei Unterabtheilungen unter-
ſchieden, deren Werth noch näher er-
örtert werden muß. So haben die ei-
gentlichen Madreporen ſehr tiefe, bis
in die Mitte des Stockes reichende Zel-
len; die Reihenkorallen(Seriatopora) die Kettenkorallen
(Catenipora) die ſich im Uebergangsgebirge finden, ganz tiefe, durch
quere Scheidewände getheilte Zellen, während die Poriten überall
poröſe, mit ſehr oberflächlichen, niemals die Mitte des Koralls erreichen-
den Zellen beſetzte Polypenſtöcke bilden.


[119]

Die Becherkorallen (Cyathophyllida) bilden ſtets einfache Po-
lypenſtöcke von Becherform mit wohl ausgebil-

Figure 56. Fig. 91.

Caryophyllia.


deten Strahlen, welche aber löcherig und oben
zackig ſind, und ſchiefen oder queren Boden-
wänden. Ihre Polypen ſind groß, mit vielen,
ziemlich langen Fühlern verſehen; die Zellen
ebenfalls geräumig. Die Sproſſen neuer Po-
lypen wachſen bei einigen Gattungen nicht ſeit-
lich, ſondern oben aus der Zelle, ſo daß der
Polypenſtock aus mehren in einander geſchach-
telten Polypen zu beſtehen ſcheint. Cyathophyllia;
Dendrophyllia; Stephanophyllia; Caryophyllia.


Die Drehkorallen (Turbinolida) haben mit
der vorigen Familie die Geſtalt ſo wie die
großen, mit langen Tentakeln verſehenen Thiere gemein; aber ihre
meiſt einfach zelligen Korallenſtöcke zeigen ſtets durchgehende Kammern
und niemals Bodenwände, durch welche die Zellen in horizontal über-
einander liegende Abtheilungen getrennt würden. Je nach der Anwe-
ſenheit einer Säule oder von Säulenblättern ſo wie nach der Ganz-
heit oder Durchbohrung des äußeren Mauerblattes, das bei manchen
Gattungen dieſer Familie ganz zellig, bei andern ſehr vollſtändig er-
ſcheint, hat man mehre Unterabtheilungen in dieſer zahlreichen Familie
gebildet. Turbinolia; Desmophyllum; Cyathina; Desmia.


Die Sonnenkorallen (Astreida) ſind es hauptſächlich, welche durch

Figure 57. Fig. 92.

Astrea.


ihre ſchweren, ſteinigen
Maſſen die Korallenriffe
bilden. Sie ſind ungemein
zahlreich in Gattungen von
dem Muſchelkalke an bis in
unſere heutige Schöpfung
vertreten und deßhalb in
viele Unterfamilien und
Gruppen zerlegt worden.
Die Fühler der Thiere ſtehen meiſt etwas zerſtreut; die Strahlen der
Leibeshöhle ſind außerordentlich zahlreich, weßhalb auch in den Zellen
der Korallen ein ſehr entwickelter Strahlenkranz ſich findet. Die
dadurch gebildeten Kammern ſind tief, durch Querbalken der
Länge nach unvollkommen getheilt. Niemals finden ſich vollſtändige
Bodenwände. Die meiſten Polypen dieſer Familie ſcheinen ſich nicht
nur durch Knospen, ſondern auch durch freiwillige Theilung zu ver-
mehren, wodurch langgedehnte, meiſt gewundene Zellen entſtehen, die
[120] dem Polypenſtocke etwa das Ausſehen der ſchraffirten Karte einer
Berggegend geben. Die Korallen bilden meiſt rundliche, dicke ſteinige
Maſſen. Nach dem oberen Rande der Strahlen, die dort ausgezackt,
hier ganz rundlich ſind, hat man zwei Unterfamilien und in dieſen ein-
zelne Gruppen von zahlreichen Gattungen unterſchieden, je nachdem
die Zellen ganz iſolirt bleiben, ſo daß die Koralle ein äſtiges Anſehen
erhält, oder durch poröſe Zwiſchenmaſſe zuſammengeleimt, durch ihre
Wände aneinander gekettet oder endlich gänzlich zuſammenfließend ſind.
Eusmilia; Diploctenium; Ctenophyllia; Dendrogyra; Stylina; Sarcinula;
Astraea; Angia; Echinopora; Maeandrina


Die Schwammkorallen (Fungida) bilden oblonge oder rundliche

Figure 58. Fig. 95. Fig. 94. Fig. 93.

Junge Schwammkorallen (Fungia.)


Maſſen von bedeutendem
Umfange, die meiſtens
frei ſind oder ſich der
Unterfläche, auf der ſie
liegen, wie ein dicker
Ueberzug anpaſſen. Die
Strahlen der Zellen ſind
außerordentlich zahlreich,
gezackt und ſo ausgebreitet, daß die eigentliche Umſchreibung der Zel-
len ſelbſt verloren geht. Bei den eigentlichen Schwammkorallen, die
einſam ſind und dennoch oft mehr als den Umfang eines Tellers erreichen,
iſt das Thier groß, mit einem röhrenförmigen Munde und runden,
wurmähnlichen Fühlern, die hie und da aus den Strahlen des Ko-
ralls hervorſtehen. Bei anderen Gattungen ſind nur noch verkümmerte,
wulſtartige Fühler vorhanden. Die zahlreichen Arten und Gattungen ſind
beſonders von den juraſſiſchen Schichten an bis jetzt ungemein häufig.


Die Augenkorallen (Oculinida) zeichnen ſich durch die ſchöne, ver-
äſtelte Form ihrer Polypenſtöcke aus, welche ausgebreiteten Sträuchern
gleichen. Die Zellen ſind klein, rundlich, die Strahlen nur wenig ent-
wickelt, doch ſtärker wie bei den Madreporen. Was ſie vor dieſen
auszeichnet, iſt die ungemeine Härte und Feſtigkeit der Zwiſchenſub-
ſtanz, die keine poröſe Beſchaffenheit zeigt und ſich nur durch das
Röhrennetz in der Mitte von den ſoliden Axen der ächten Korallen
unterſcheidet. Manche Gattungen dieſer Familie werden deßhalb oft
als weißes Korall bezeichnet. Die Polypen ſind klein, ihre Fühler lang.


Eine höchſt merkwürdige Familie dieſer Ordnung ſind die Stau-
denkorallen
(Antipathida). Der Polypenſtock wird von einer hornigen
Axe gebildet, die eine lederartige Hülle hat, in welcher zuſammenzieh-
bare, durch die Polypen bewahrte Zellen ſich finden. Dieſe haben nur
ſechs cylindriſche Fühler im Kreiſe um den Mund, während die üb-
[121] rigen Rinden- und Hornkorallen, welche ſonſt in der Structur der
Axe mit den Staudenkorallen vollkommen übereinſtimmen, acht gekerbte
Fühler beſitzen und deßhalb einer folgenden Ordnung angehören.


Die zweite Ordnung umfaßt die fünfſtrahligen Polypen
(Pentactinia).
Sie beſteht vorzugsweiſe aus einſamen Polypen,
welche einen einfachen oder doppelten Tentakelkranz um den Mund
tragen, deſſen meiſt zahlreiche Fühler von der Fünfzahl ſich herleiten,
ein Verhältniß, das namentlich im Jugendzuſtande, wo der Fühler
nur noch wenige ſind, deutlich hervortritt. Sie haben niemals einen
kalkigen Korallenſtock, ſondern nur eine lederartige, ſackförmige Haut,
in welche die Fühlerkrone zurückgezogen werden kann. Der hintere
Theil ihres Körpers ſitzt bei den geſelligen Arten auf einer lederar-
tigen, mit Ausläufern verſehenen Grundlage, während die freien Gat-
tungen entweder eine Saugſcheibe beſitzen oder mit dem zugeſpitzten
weicheren Hintertheile im Schlamme ſtecken.


Die Familie der Seeblüthen (Zoanthida) beſteht aus keulenför-
migen, biegſamen geſelligen Polypen, die meiſt in Büſcheln zuſammen-
ſitzen und deren Mund von einer einzigen Reihe ſehr kurzer aber zahl-
reicher Fühler umgeben wird. Die meiſten dieſer Polypen können ſich
theilweiſe in die lederartige Haut, die den mittleren Körper umgiebt,
zurückziehen; anderen, die man deßhalb zu einer eigenen Gattung er-
hoben hat, geht dies Vermögen ab.


Die Familie der Seeanemonen oder Meerneſſeln (Actinida)

Figure 59. Fig 96.

Actinia.


kommt beſonders in den warmen und gemäßigten
Zonen häufig vor. In ausgedehntem Zuſtande bil-
det der Körper dieſer Polypen ſtets einen auf bei-
den Seiten abgeſtutzten Cylinder von größerer
oder geringerer Höhe. Die untere Fläche des Cy-
linders wird von einer Saugſcheibe gebildet, wo-
mit ſie ſich ſo feſt an Steine, Felſen, Muſcheln
feſtſaugen, daß es oft kaum möglich iſt, ſie ohne
Zerreißung loszutrennen. Am beſten gelingt dies
noch durch das Unterſchieben einer dünnen breiten Klinge. Sie krie-
chen langſam mittelſt ihrer Saugſcheiben fort und halten ſich beſonders
gerne in geringer Tiefe auf. In ſolchen Meeren, welche bedeutende
Ebbe und Fluth haben, wohnen viele Arten vorzugsweiſe an der
Gränze der letzteren in Waſſertümpeln, die auf den Felſen zurückblei-
ben. Die Fühler ſind äußerſt verſchieden geſtaltet und geſtellt; bald
in einer, bald in vielfachen Reihen, in einfachem Kreiſe oder auf
einem fünflappigen ausſtülpbaren Sterne. Bei den einen ſind ſie ſehr
[122] lang, dünn und wurmförmig, bei andern kurz und dick, bei einigen
veräſtelt und ausgezackt. Die Meerneſſeln ſind äußerſt gefräßige Thiere,
welche von Muſcheln, Schnecken und Kruſtenthieren leben, deren im
Magen ausgeſogene Schalen durch den Mund wieder ausgeworfen
werden, was oft mit ſo vieler Energie geſchieht, daß der ganze, weite,
faltige Magenſack aus dem Munde hervorgeſtülpt wird. Bei der Be-
rührung ziehen ſie ſich mit großer Lebhaftigkeit zuſammen und ſpeien
das im Innern enthaltene Waſſer durch den Mund oder durch eigene
Oeffnungen an dem Grunde der Tentakel aus. Sie prangen meiſt in
den lebhafteſten Farben und beſonders zeichnen ſich die Fühler durch
brennende Tinten aus. Sie haben ein äußerſt zähes Leben und laſſen
ſich Jahre lang in Gefäßen, deren Waſſer oft gewechſelt wird, erhal-
ten. Ein Beobachter an der Küſte von Schottland hatte ein ſolches
Exemplar 40 Jahre lang, während welcher Zeit es, wahrſcheinlich
durch innere Knospenbildung, über 600 Junge erzeugte. Die Eier
entwickeln ſich im Innern der Leibeshöhle ſo weit, bis die Jungen
nackte Polypen mit fünf rundlichen warzenartigen Strahlen darſtellen.
In dieſer Geſtalt werden ſie durch den Mund ausgeſpieen. Die Zahl
der Fühler wächſt nun ſchnell, während zugleich die inneren Organe
ſich ausbilden. Einige Arten werden in den italieniſchen Küſtenorten
von dem gemeinen Volke gegeſſen. Actinia; Cribrina; Minyas.


Die freien Seeneſſeln(Edwardsida) ſind bis jetzt nur durch eine
einzige Gattung bekannt, die aber ihrer eigenthümlichen Beſchaffenheit
wegen eine beſondere Familie bilden muß. Es ſind wurmförmige
Thiere, welche verſteckt im Sande leben und bis jetzt nur an der
Weſtküſte Frankreichs aufgefunden worden ſind. Die größte Art er-
reicht die Länge eines halben Fußes und die Dicke eines Federkieles.
Um den Mund ſtehen in ein oder zwei Reihen 10 bis 20 Fühler, die
mit dem ganz durchſichtigen Vordertheile des Körpers in die lederar-
tige Hülle des Mittelkörpers zurückgezogen werden können; auch die
ſtumpfe Spitze des Hinterleibes iſt in ähnlicher Weiſe zurückziehbar.
Im Innern des Körpers ſcheint hinſichtlich der Scheidewände der
Leibeshöhle die Achtzahl zu herrſchen.


Die Ordnung der achtſtrahligen Polypen (Octactinia)
hat höchſtens acht in einfachem Kreiſe um den Mund geſtellte und meiſt
dreieckige, blattartige Fühler, welche an den Seiten gekerbt, zuweilen
ziemlich tief ausgezackt ſind. Die Korallenſtöcke haben in dieſer Ord-
nung, welche auch nackte Repräſentanten hat, eine außerordentliche
Mannigfaltigkeit in Struktur und chemiſcher Zuſammenſetzung, indem
ſie bald Röhren, bald ſchwammige Stöcke, bald innere Axen bilden.


Die Familie der Orgelkorallen(Tubiporida) hat meiſt kalkige
[123] oft an Maſſe ziemlich bedeutende Korallenſtöcke, aus einzelnen, faſt
parallelen rundlichen Röhren gebildet, die bündelartig zuſammenſtehen
und von dünnen Polypen mit langen einziehbaren Fühlern bewohnt
werden. Die Ränder der Fühler ſind ſehr tief eingekerbt, ſo daß ſie
faſt gefiedert erſcheinen. Die einzelnen Röhren ſind durch Zwiſchen-
wände mit einander verbunden, die auch in den Röhren ſelbſt als
quere Scheidewände auftreten. Die jetzigen Orgelkorallen haben alle
eine prächtig purpurrothe Farbe, während die Thiere grün oder röth-
lich ſind. In den Schichten der Uebergangsgebilde war dieſe Familie
beſonders reich in einzelnen Gattungen repräſentirt, die man beſonders
nach der Stellung der Röhren unterſchieden hat.


Die Familie der Pilzkorallen oder Seekorke(Alcyonida) hat
fleiſchige Polypenſtöcke von ſchwammiger Beſchaffenheit, die ſich zuweilen
fingerartig ausbreiten. Das ganze Gewebe des Polypenſtockes iſt von
einer Unzahl unregelmäßiger kalkiger Concremente, die meiſt warzige
Nadeln darſtellen, durchſpickt und bietet einzelne ſternförmige Zellen
auf der Oberfläche dar, welche nach dem Rückzuge der Polypen wie
Warzen erſcheinen. Sie kommen namentlich in den gemäßigten Meeren
ſehr häufig vor, erreichen aber niemals eine bedeutende Größe. Die
Polypen ſind kurz, dick, ihre Fühler von mittlerer Länge, aber ſeitlich
ſehr tief eingekerbt.


Die Rindenkorallen (Gorgonida) unterſcheiden ſich von al-

Figure 60. Fig. 97.

Isis nobilis. Das Edelkorall.


len übrigen Polypen durch die
Entwickelung einer kalkigen, kie-
ſeligen oder hornigen Axe, die
in Baumform veräſtelt und mit
einem lederartigen Ueberzuge ver-
ſehen iſt, in deſſen einzelnen Zellen
die Polypen ſtecken. Zuweilen ver-
ſteinern dieſe Zellen ebenfalls und

Figure 61. Fig. 98.

Ein einzelner Polyp.


[124] ſtellen ſich dann als kurze Becherchen dar, welche der Axe aufſitzen.
In der weichen Rindenſubſtanz, welche die Axe umgiebt, ſind meiſt in
ganz ähnlicher Weiſe, wie in dem Polypenſtocke der Seekorke, Kalk-
nadeln abgelagert und außerdem die Netze der gemeinſchaftlichen Ka-
näle, welche die Polypen verbinden, ſichtbar. Die Polypen ſind denen
der Seekorke ähnlich, nur ſind ihre Fühler meiſt noch kürzer und
weniger tief eingekerbt. Man hat die einzelnen Gattungen beſonders
nach der Struktur und Subſtanz der Axen unterſchieden. Unter den
mit ſteinerner Axe zeichnet ſich beſonders das ächte Korall (Isis
nobilis
)
durch ſeine große Härte und Polierfähigkeit, ſowie durch
die lebhaft rothe Farbe aus. Der ganze Polypenſtock bildet einen
Baum, deſſen Stamm in ſeltenen Fällen ſogar Mannsdicke erreichen
ſoll. Die ganze Axe iſt vollkommen ungegliedert, zuſammenhängend
und auf der Oberfläche mit feinen parallelen Streifen gezeichnet. Die
Axe dieſer Blutkoralle wird ſeit den älteſten Zeiten zu allerhand
Schmuckſachen verarbeitet. Ihre Heimath iſt das Mittelmeer, wo ſie
beſonders an der afrikaniſchen Küſte in Riſſen und Spalten der Felſen
wächſt und mit eigenen Inſtrumenten und Schleppnetzen abgeriſſen
wird, was ſtets eine langwierige Operation iſt, da ſie ſich bis in eine
Tiefe von 700 Fußen anbaut und die größten Stöcke meiſt nur in
dunkeln ſeitlichen Spalten der Felſen ſich finden. Für die Fiſcher des
Mittelmeeres iſt der Korallenfang eine eben ſo reiche Quelle von
Sagen und abenteuerlichen Geſchichten, wie für die Bewohner des
Binnenlandes die eingegrabenen Schätze und die mineraliſchen Reich-
thümer im Innern der Berge. Andere der Blutkoralle nahe verwand-
ten Gattungen haben eine gegliederte Axe mit hornigen oder ſteinigen
Zwiſchenſtücken, während die eigentlichen Gorgonien eine nur hornige
Axe beſitzen, im übrigen aber eben ſo wie die im Mittelmeere vor-
kommende Kieſelkoralle in ihrer Struktur ganz mit den Blutkorallen
übereinkommen. Isis; Gorgonia; Mopsea; Prymnoa.


Figure 62. Fig. 99.

Veretillum cynomorium.


Die Familie der Seefedern(Pennatulida) zeichnet ſich dadurch
aus, daß der gemeinſchaftliche Polypenſtock von einem beſonderen Stiele
[125] getragen wird, der in ſeiner Mitte eine feſte Axe enthält, ſonſt aber
von einer Hülle umzogen wird, in welcher nur die gemeinſamen Nah-
rungskanäle ſich verzweigen, aber keine Polypenzellen ſich finden. Mit
dieſem ſtets freien und zugeſpitzten Stiele ſteckt der Polypenſtock in
dem Schlamme oder Sande ohne weitere Befeſtigung. Die Länge und
die Dicke des Stieles ſowie ſein Verhältniß zu dem polypentragenden
Theile wechſelt ungemein. Bei den Seegurken(Veretillum) und
eigentlichen Seefedern (Pennatula) hat er die Länge und Dicke
eines Fingers und erſcheint fleiſchig, bei der Ruthenfeder (Vir-
gularia)
iſt er nur ſehr kurz, bei dem grönländiſchen Sonnenſchirme
(Umbellularia)
dagegen ungemein dünn und lang, während er bei der
Nierenfeder (Renilla) nur ſehr unbedeutend erſcheint. Die Polypen
erſcheinen verſchieden geſtaltet, doch meiſt von länglicher Geſtalt mit ſchmalen
tief eingekerbten Fühlern und in verſchließbare Zellen zurückziehbar.
Der Theil des Polypenſtockes, welcher die Polypen trägt, iſt höchſt
verſchieden gebildet. Bei der Seegurke iſt er walzenförmig und die
Polypen ſitzen unregelmäßig an allen Seiten herum. Bei den See-
federn ſtehen auf beiden Seiten eines mittleren Stieles breite kalkige
Lamellen, die nach außen hin ſich fächerartig ausbreiten und wo jede
Fächerleiſte eine Zelle für einen Polypen bildet. Noch complicirter iſt
dieſe Bildung bei den Ruthenfedern, wo zu beiden Seiten eines Schaf-
tes Sförmig gewundene kurze Röhren ſtehen, welche wie Armleuchter
auf der äußeren Seite Röhrchen mit endſtändigen Polypen tragen.


Als letzte Familie der achtſtrahligen Polypen und gewiſſermaßen
als analoge der Meerneſſeln, betrachten wir die Familie der Meer-

Figure 63. Fig. 100.

Lucernaria.
a
der Stiel. b die Fühler-
haufen. c die Geſchlechts-
krauſen.


ſchirme(Lucernarida) gallertartige, durchſich-
tige, mit einem runden Stiele ſich anheftende
Polypen, die entweder nur acht einfache oder
ſelbſt nur vier ſpäter getheilte dicke Fühler be-
ſitzen, welche durch eine trichterförmige Zwiſchen-
haut verbunden ſind. An der Spitze dieſer
Fühler bemerkt man eigenthümliche Saugfäden
und Neſſelhaufen, die bei keinem andern Poly-
pen vorkommen. Die Verdauungshöhle iſt
außerordentlich kurz und öffnet ſich nach hinten
ſogleich in die Leibeshöhle, welche nur vier Scheide-
wände beſitzt. Die Eierſtöcke, welche ganz den
gewöhnlichen Bau haben, erſtrecken ſich bis
weit hervor in die ſchirmähnliche Ausbreitung der Tentakeln. Man
findet verſchiedene Gattungen dieſer Familie an den europäiſchen Küſten
des Oceanes.


[126]

Klaſſe der Quallenpolypen.


Die Thiere welche dieſe Klaſſe bilden ſind ihrer außerordentlich
wechſelnden Körperform wegen bisher in zwei vollkommen getrennten
Klaſſen aufgeführt worden. In der That treten ſie in zwei ganz ver-
ſchiedenen Geſtalten in die Erſcheinung. Als unvollkommene Formen
ſind es polypenartige Körper, bald einzeln, bald Stöcke bildend, meiſt
feſtgeheftet an den Boden aus einem einfachen Magenſacke gebildet und
mit einer unbeſtimmten Anzahl rundlicher Fangarme verſehen; als
vollkommnere Form findet man ſie frei ſchwimmend im Meere in rund-
licher Scheiben- oder Glockengeſtalt, von beſtimmt ſtrahligem Bau,
der genaue Zahlenverhältniſſe erkennen läßt. Wir wiſſen jetzt, daß
beide Formen von einander abſtammen, allein nichts deſtoweniger ſind
wir gezwungen, auch noch in ſyſtematiſcher Hinſicht ſie getrennt von
einander zu behandeln, da wir nur erſt von ſehr wenigen Arten mit
Gewißheit angeben können, wie ſie in beiden Lebensformen ſich geſtalten.


Figure 64. Fig. 97.

Armpolyp des ſüßen
Waſſers, (Hydra) ter eben einen
Waſſerfloh (Daphnia) gefangen
hat und im Begriffe ſteht, die
Beute dem Munde (a) zuzuführen.


Die unvollkommene Form welche wir
mit dem Namen der Armpolypen be-
zeichnen, umfaßt Thiere von weichem Kör-
perbau, die meiſtens in Kolonien zuſammen-
leben und deren Mund von einer ver-
änderlichen Zahl wimperloſer, rundlicher,
ſehr ausdehnbarer Fühler umgeben iſt. Viele
Gattungen haben einen Polypenſtock, der
entweder nur eine Inkruſtation oder veräſtelte
Bäumchen bildet, die glockenförmige Zellen
tragen, in welche ſich meiſt die einzelnen
Polypenleiber zurückziehen können. Dieſe
Polypenſtöcke ſind dann äußerſt zart, papier-
artig oder hornig und biegſam; ſie bilden
niemals größere Maſſen oder Korallen, wie
die eigentlichen Polypen.


In der weichen Haut der Armpolypen finden ſich ſowohl Neſſel-
organe als eigenthümliche Giftorgane, welche aus einem mit Wider-
haken verſehenen Bläschen beſtehen, das einen klebrigen Faden hervor
ſchnellt, welcher ſich beim Erhaſchen der Beute um dieſelbe ſchlingt.
Die Bläschen reißen ſich bei dieſer Gelegenheit aus der Haut los
und ihre Berührung tödtet unausbleiblich die kleinen Thierchen, welche
von den Armen erfaßt waren. Die Fangarme ſelbſt ſind ſtets rundlich
[127] und bei einigen Gattungen ſcheinbar aus einem großzelligen Gewebe gebildet,
während ſie bei andern hohl ſind und dieſe Höhle mit der Magen-
höhle in Verbindung ſteht. Nervenſyſtem und Sinnesorgane
hat man noch bei keinem Armpolypen entdeckt. Der Mund, der in
der Mitte des Fühlerkreiſes ſich befindet, führt in eine einfache Ver-
dauungshöhle
über, welche zwar von feſteren Wandungen umgeben,
aber nicht von der Leibeswandung getrennt iſt. Das Thier bildet ſo-
mit einen einfachen hauptſächlich aus Sarkode gebildeten Schlauch, wäh-
rend die Korallenpolypen, deren Magen ſelbſtſtändige Wandungen beſitzt,
einen doppelten in ſich ſelbſt eingeſtülpten Schlauch darſtellen. Bei den
einſamen Armpolypen iſt die Verdauungshöhle nach unten blind ge-
ſchloſſen, während bei den geſellſchaftlichen Gattungen ſie nach unten in
eine Röhre übergeht, welche in ein für alle Individuen des Stockes ge-
meinſchaftliches Netz von Röhren mündet. In allen dieſen Röhren wird
die Ernährungsflüſſigkeit durch zarte Wimpern umgetrieben. Die un-
verdauten Stoffe werden bei Allen durch den Mund ausgeworfen.


Die Fortpflanzung der Armpolypen geſchieht auf mehrfache
Art. Innere Geſchlechtstheile findet man niemals bei den Armpolypen,
während Knospung bei allen vorkommt. Die innere Höhle der
Knospen ſteht Anfangs mit der Verdauungshöhle des Körpers in Ver-
bindung, iſt gleichſam nur eine Nebenhöhle, eine Ausſackung derſelben,
ſchnürt ſich aber bei den freien Gattungen nach und nach ab, während
zugleich die Fühler hervorſproſſen. Bei den ſocialen Gattungen bleibt
die Verbindung beſtändig, wodurch die veräſtelten Baumformen ent-
ſtehen. Die Geſchlechtsorgane entſtehen bei den Armpolypen perio-
diſch an der Außenfläche in ähnlicher Weiſe wie Knospen und ver-
ſchwinden allmählig wieder nach ihrer Entleerung. Bei dem gewöhnlichen
Armpolypen des ſüßen Waſſers (Hydra) bilden ſich am untern Theile
des Körpers Wülſte, die beginnenden Knospen ganz ähnlich ſind und
in welchen ſich Dotterkugeln entwickeln, die eine förmliche Schale um-
gebildet erhalten. Offenbar ſind dieſe äußeren Knoten als Eierſtöcke
anzuſehen. Oberhalb dieſer Eierſtöcke brechen ähnliche Wülſte hervor,
die anfangs geſchloſſen, ſpäter aber mittelſt einer durchbohrten Warze
nach außen geöffnet ſind. In dieſen Wülſten entwickeln ſich Samen-
thierchen, die einen runden Körper und einen ſehr langen und zarten
Haaranhang beſitzen, nach einiger Zeit durch die Warzenöffnungen
ausſchlüpfen und im Waſſer umherwimmeln, offenbar zu dem Zwecke,
die in den Eierſtöcken befindlichen Eier zu befruchten.


Bei denjenigen Armpolypen welche einen Polypenſtock beſitzen,
wie namentlich bei den Glockenpolypen (Campanularia) bilden
[128] ſich zu gewiſſen Zeiten eigenthümliche Individuen aus, deren Verdau-
ungsapparat meiſt nur rudimentär oder ſelbſt gänzlich verkümmert iſt;
auch die Fühler dieſer Geſchlechtsindividuen ſind durchaus verkümmert
und meiſtens bilden ſie nur geſchloſſene Becher, in deren Innerem ſich
vollſtändige Eier oder Samenthierchen erzeugen. Nach ihrer Entleerung
verſchwinden dieſe kapſelförmigen Individuen wieder und der Polypenſtock
erſcheint dann vollkommen geſchlechtlos. Die letzte Art der Fort-
pflanzung, welche die vollkommnere Quallenform liefert, werden wir
erſt ſpäter betrachten.


Man findet die Armpolypen in allen Meeren und eine Gattung,
das einzige Beiſpiel unter ſämmtlichen Strahlthieren, auch im ſüßen
Waſſer. Sie bilden ſtets nur ſehr kleine, dünne Polypenſtöcke, die
entweder kruſtenartig ſind oder kleine Fädchen und Bäumchen dar-
ſtellen, die ſich überall, beſonders aber auch auf den Blättern der
Tange und andern Seepflanzen anſiedeln. Diejenigen der ſüdlichen
Meere ſind noch faſt gar nicht bekannt und auch die der nördlichen
See nur unzureichend unterſucht.


Die Zahl der bekannten Armpolyen iſt nur gering und ſteht
durchaus in keinem Verhältniß mit derjenigen der vollendeteren For-
men, ſo daß eine genauere Eintheilung derſelben auch ſchon deshalb
unthunlich iſt, weil dieſelbe aus der Kenntniß der beiden Erſcheinungs-
formen gemeinſchaftlich hervorgehen müßte. Wir theilen einſtweilen
die Armpolypen in folgende Familien ein:


Die Familie der Süßwaſſerpolypen(Hydrida) beſteht hauptſäch-

Figure 65. Fig 102.

a Waſſerlinſen, an deren
Wurzeln die Polypen ſitzen. b
ein entwickelter Polyp. c ein
ſolcher mit zwei, der Ablöſung na-
hen ausgebildeten Knosven. d ein
anderer, ganz zuſammengezogen.


lich aus der Gattung Hydra, deren Arten
man vorzüglich häufig an Waſſerlinſenwur-
zeln angeheftet findet. Das Thier iſt ganz
nackt, mit langen Fangarmen verſehen, die
es auch zum Umherklettern braucht, obgleich
es ſich gewöhnlich mit ſeinem Fuße feſtſetzt
und ruhig auf Beute lauert. Die Fangarme
ſelbſt ſind hohl und ihre Höhle ſteht mit
der, den ganzen Leib des Thieres bildenden
Verdauungshöhle in Verbindung. Sie kön-
nen ungemein verlängert werden und dienen
durch ihre Neſſel- und Haftorgane zum
Fangen der Beute, die beſonders in Waſſer-
flöhen (Cyclops), kleinen Mückenlarven und
derlei Thierchen beſteht. Die Thiere ſind
ungeheuer gefräßig und pflanzen ſich bei gu-
tem Futter lebhaft durch Knospen fort, die
[129] an der unteren Leibeshälfte hervorſproſſen. Ihr Leben iſt ſehr zähe,
ihre Reproduktionskraft ungemein groß, ſo daß einzelne Stücke wieder
zu ſelbſtſtändigen Thieren auswachſen. Die hervorſproſſenden Knospen
ſtehen Anfangs mit der Leibeshöhle in Verbindung, ſchnüren ſich aber
vollſtändig ab, ſobald ihre Arme entwickelt ſind. Die Warzen und
Wülſte, welche von den beſonders im Sommer hervorſproſſenden Ge-
ſchlechtstheilen gebildet werden, wurden von vielen Beobachtern für
eine Ausſchlagskrankheit gehalten. Die Thiere ſelbſt gehen im Winter
zu Grunde, während die Eier überwintern und ſich im Frühjahre
entwickeln.


Die Familie der Röhrenpolypen(Tubularida) begreift meiſtens

Figure 66. Fig. 103. Fig. 104. Fig. 105,

Syncoryne.
Fig. 103. Eine Gruppe Polypen in natürlicher Größe.
Fig. 104. Ein Polyp mit Quallenknospen. Fig. 105. Eine
losgelöste Qualle. a der Stiel; b, c, d, e Quallenknospen in
verſchiedenen Stufen der Ausbildung; f Arme des Polypen;
g Anheftungsſtelle der freien Qualle; h Mund; i Fangfä-
den; k Glockenrand; l Körper.


geſellige Thiere, die
oft eine zarte Röhre
als Umkleidung ihres
Körpers beſitzen, in
welche ſie ſich aber nie-
mals gänzlich zurück-
ziehen können. Die frei
werdenden Quallen-
Knospen entwickeln
ſich an der Baſis der
Fühler, welche nicht
hohl ſind. Die Ge-
ſchlechts- Individuen
bilden da wo ſie be-
obachtet ſind keulen-
förmige kurz geſtielte
Formen mit ganz ver-
kümmerten Fühlern. Faſt bei allen hat man die Bildung der höheren
Quallenform beobachtet. Je nach der Stellung der Fühler in einer
oder zwei Reihen und ihrer verhältnißmäßigen Länge, nach dem Vor-
handenſein einer dünnhäutigen Röhre oder deren Fehlen, hat man
verſchiedene Gattungen unterſchieden, die faſt alle an der Küſte der
Nordſee und des Oceans vorkommen. Coryne; Syncoryne; Tubularia;
Eudendrium; Synhydra
.


Eine dritte Familie iſt diejenige der Glockenpolypen(Campanularida),
bei welchen die Polypen ſämmtlich in flaſchenförmigen Bechern auf ver-
äſtelten Bäumchen ſitzen und ſich in dieſe Becher zurückziehen können.
Vogt, Zoologiſche Briefe I. 9
[130]

Figure 67. Fig. 106.

Sertularia.


Je nachdem die einzelnen Becher lang
geſtielt oder ſtiellos ſind, hat man
verſchiedene Gattungen aus dieſen
Glockenpolypen gebildet. Die Becher
in welchen ſich Eier und Samen ent-
wickeln, zeigen weder Fühler noch
Verdauungskanäle, während die ge-
ſchlechtsloſen Individuen dieſelben be-
ſitzen. Die ganzen Polypenſtöcke bil-
den federartige Bäumchen oder einzelne
Glöckchen, die mit langen Stielen auf
meiſtens zellig veräſtelten Wurzeln
aufſitzen. Die größeren Formen fin-
den ſich beſonders in ſüdlichen Mee-
ren, während in den nördlichen mehr
die zarteren kleineren Gattungen vor-
handen ſind. Campanularia; Sertu-
laria; Plumularia; Dyomea
.


Bei den meiſten Armpolypen des Meeres kannte man ſchon
früher eine eigenthümliche Art der Fortpflanzung, welche indeß erſt
in der neueren Zeit in ihren anderweitigen Beziehungen genauer er-
kannt und gewürdigt wurde. Dieſe Fortpflanzungsweiſe beſteht darin,
daß an irgend einer Stelle des Leibes, bald in den Axenſtellen der
Bäumchen, wo die Zweige abgehen, bald in der Nähe des Tentakel-
kranzes, bald ſelbſt innerhalb deſſelben eigenthümliche Sproſſen ent-
ſtehen, welche Anfangs ganz in derſelben Weiſe wie die feſtſitzenden
Knospen fortwachſen, nach und nach aber eine eigenthümliche Form
annehmen, die von derjenigen der urſprünglichen Polypen außeror-
dentlich verſchieden iſt. Es bildet ſich eine Art Höcker auf der Ober-
fläche des Polypenleibes, in welchem die Ernährungsflüſſigkeit ebenſo
cirkulirt wie in der übrigen Leibeshöhle. (Fig. 104, b.) Allmählig häuft ſich
in dieſer Art Bruchſack und um den Strom der Flüſſigkeit herum ein
Kern von feſterer feinkörniger Subſtanz an, der ſich nach und nach
unter dem Einfluſſe der Saftſtrömung in der Weiſe aushöhlt, daß
man nach einiger Zeit einen mittleren Strom und 4 oder 6 Seitenſtröme
ſieht, welche nach außen zu auseinander gehen. (Fig. 104, c u. d.) Nun iſt
ſchon aus jenem Kerne der hohlen Knospe eine Art Embryo gebildet, indem
der urſprüngliche Kern ſich nach außen in 4 oder 6 Lappen, entſprechend
den Seitenſtrömen der allgemeinen Ernährungsflüſſigkeit, ausgezackt hat.
[131] Der ſproſſende Embryo ſtellt nun eine Glocke dar, die mit dem Gipfel
ihrer Wölbung an dem Stamme des Polypen anſitzt, während ihr freier
Rand nach außen ſchaut. (Fig. 104, e.) Je nach den Gattungen wachſen
dann die Randlappen in mehr oder minder lange Fäden aus, während
zugleich der Anſatzpunkt auf dem Gipfel der Glocke ſich mehr und
mehr abſchnürt und der mittlere Zapfen, in welchen der Strom der
Ernährungsflüſſigkeit ſich fortſetzte, mehr ſelbſtſtändig wird und ſich zur
Verdauungshöhle des werdenden Individuums umbildet. Zugleich
erhält die Knospe Beweglichkeit; der äußere freie Rand klappt gegen die
Mitte hin auf und zu. Endlich ſchließt ſich der Verbindungsſtrom
zwiſchen dem Polypen und der glockenförmigen Knospe, der Stiel mit
dem dieſe anhing ſchnürt ſich an ihrem Gipfel ab und ein kryſtall-
helles Weſen, faſt von der Geſtalt eines Schirmes mit einem in der
Mitte angebrachten Fortſatze, auf dem der Mund ſitzt, eine wahre
Schirmqualle (Fig. 105.) ſchwimmt frei und ſelbſtändig in dem Waſſer
umher. Manchmal beſitzen dieſe jungen Schirmquallen ſchon bei der
Ablöſung von dem Polypen ausgebildete Geſchlechtsorgane; in andern
Fällen bilden ſich dieſe erſt ſpäter bei weiterem Wachsthum aus.


Figure 68. Fig. 107.

Figure 69. Fig. 108. Fig. 109.

Hydra tuba und die aus ihr hervorknospenden Quallen.
a der Fuß der Hydra, c ihre Fangarme, d die
einzelnen, taſſenförmig aufeinanderſitzenden Quallen-
knospen, e die Ströme, welche durch dieſelben auf-
ſteigen und die Magenhöhle bilden, f der Mund,
g die Randkörper. Fig. 107 ein freier Polyp; Fig. 108
ein Polyp mit auffitzenden Quallenknospen; Fig. 109
eine losgelöſte junge Qualle.


In der einfachen Weiſe
wie wir es ſoeben beſchrie-
ben, findet die Quallenzeu-
gung nicht bei allen Arm-
polypen ſtatt. Man hat
ſowohl an der engliſchen,
wie an der norwegiſchen
und nordamerikaniſchen
Küſte Armpolypen gefun-
den, welche dem gewöhn-
lichen Armpolypen des ſüßen
Waſſers ſo ähnlich ſahen,
daß man ſie ſogar mit
demſelben in eine Gattung
brachte und nur als Art
unterſchied. Bei dieſen
bildet ſich die Knospe, welche
zur Qualle werden ſoll, in
der Mitte des Fühlerkran-
zes wahrſcheinlich neben,
vielleicht ſelbſt auf dem
Munde, ſo daß die Wöl-
9*
[132] bund des glockenförmigen Individuums auf dem Munde des Polypen
aufliegt und der freie Rand nach oben ſteht. Ehe ſich noch dieſe Knospe
abgelöst hat, bildet ſich zwiſchen ihr und dem Polypen und zwar von
dieſem letzteren ausgehend, eine neue Knospe und ſo fort, bis endlich, da
die glockenförmigen Individuen ſehr flach ſind, der Polyp das Anſehen
eines Aufſatzes von Untertaſſen hat, welche auf einem kurzen, durch-
ſichtigen Stiele ruhen; die oberſte flache Glocke iſt der älteſte Keim,
die unterſte der jüngſte. Die ſämmtlichen Knospen ſind miteinander
durch Ströme verbunden, welche aus der Leibeshöhle des Polypen
nach oben aufſteigen. Dieſe aufſteigenden Ströme, welche auch
hier zur Bildung der centralen Verdauungshöhle und ihrer Sei-
tenkanäle beitragen, verſiechen allmählig, indem ſich die Knospen
ablöſen und als freie Quallen davonſchwimmen. Im Augenblicke ihrer
Befreiung haben dieſe Quallen die Breite eines viertel Zolles; ſie
wachſen bis zu einem Durchmeſſer von mehr als einem halben Fuße
und ſind in der Nord- und Oſtſee eine der häufigſten Arten, die in
Schwärmen von Millionen zu gewiſſen Zeiten erſcheinen. Es iſt die
ſogenannte Ohrenqualle (Aurelia aurita). Nach früheren Be-
obachtungen glaubte man, die ſchüſſelförmigen Individuen, welche auf
dem Polypen aufſitzen, ſeien das Reſultat einer Quertheilung des
Polypenkörpers, deſſen Tentakelkrone darüberſitze. Neuere Unterſuchungen
haben gezeigt, daß dies ein Irrthum ſei, und daß der Fühlerkranz
die in ſeiner Mitte entſtandenen vielfachen Knospen trägt.


Wir kennen durch die genaueſten Beobachtungen den ganzen
Kreis der Entwickelung, welche die Ohrenqualle durchläuft. Die

Figure 70. Fig. 110. 111. 112. 113. 114.

Eier der Ohrenqualle.
Fig. 110 das reife Ei; Fig. 111 daſſelbe in
der Dottertheilung; Fig. 112 nach der Dotter-
Theilung; Fig. 113 erſte Bildung des Embryo;
Fig. 114 der frei bewegte Embryo. a Saugnapf
am hinteren Ende zum Anheften.


Quallen ſind getrennten Ge-
ſchlechtes, ihre Eier entwickeln
ſich in beſonderen Bruttaſchen.
Nachdem ſie den Furchungs-
prozeß durchlaufen haben, bil-
den ſie ſich zu einem ovalen
infuſorienartigen Weſen um,
das an dem vordern dickern
Ende eine ſeichte Grube beſitzt
und einen Ueberzug von Flim-
merhaaren hat. In dieſem
Zuſtande verlaſſen die Jungen
die Bruttaſchen und ſchwimmen frei in dem Waſſer umher, ſetzen ſich
aber nach einiger Zeit mit der bemerkten Grube feſt und gehen nun
weitere Veränderungen ein. Sie werden cylindriſch, das freie Ende
[133]

Figure 71. Fig 115. 116. 117. 118.

Junge der Ohrenqualle.
Fig. 115. Der Embryo bekommt einen Mund; er ſchwimmt in
dieſer Geſtalt frei umher; Fig. 116. Die Arme ſproſſen hervor;
Fig. 117. Die Arme bilden ſich aus, der Embryo ſitzt feſt;
Fig. 118. Vollſtändige Polypenform. a der Saugnapf, b der
Mund, c die Arme.


wulſtet ſich auf
und läßt bald
in der Mitte die
runde Mund-
öffnung erken-
nen. Später
zeigen ſich um
dieſe Mund-
öffnung zwei,
dann vier, dann
acht kurze Fort-
ſätze, ſo daß das
Thier etwa die
Geſtalt einer
Kurbel hat, die mit ihrem freien gezahnten Ende ein Kammrad bewegt.
Die Fortſätze wachſen allmählig zu langen Armen aus und nun iſt das Thier
ein vollkommener Armpolyp von großer Gefräßigkeit, der mit ſeinem
ſtumpfen Ende feſtſitzt und ſein Leben eine Zeitlang in dieſem Zuſtande
fortſetzt, um ſpäter durch Knospung wieder Ohrenquallen zu erzeugen.


Es zeigt uns alſo dieſe merkwürdige Klaſſe der Quallenpolypen
eine dopelte geſchlechtliche Zeugung, indem einerſeits feſtſitzende
Knospen entſtehen, welche als Geſchlechtsindividuen auftreten und nur
Eier oder Samen erzeugen, deren Ernährung aber durch die Circula-
tion der allgemeinen Flüſſigkeit bedingt wird, welche von den geſchlechts-
loſen Individuen des Polypenſtockes ausgeht, — und anderen Theils durch
Bildung freier Knospen, die ſich nach ihrer Loslöſung ſelbſtſtändig
ernähren und zu verhältnißmäßig bedeutender Größe anwachſen. Dieſe
Knospen ſind die Schirmquallen, deren Struktur weit vollkommener
iſt, als diejenige der Polypen.


Die Schirmquallen oder Meduſen ſind ſtets nackte gallertartige

Figure 72. Fig. 119.

Rhizostoma.


Thiere von mehr oder minder ſcheiben-
förmigem, zuweilen glockenförmigem
Körper, deſſen freier, meiſt mit Fäden
beſetzter Rand durch wechſelnde klap-
pende Zuſammenziehungen und Aus-
dehnungen als Schwimmorgan dient.
An der untern Fläche dieſes meiſt
glasartig durchſichtigen Körpers be-
findet ſich der Mund oder die ſeine
Stelle vertretenden Saugorgane, oft
[134] von ſtielartigen Verlängerungen umgeben, ſo daß der ganze Körper
einigermaßen einem Hutpilze ähnlich ſieht.


Alle Quallen ſind nackt und ihr aus einer oft knorpelharten Zel-
lenſubſtanz zuſammengeſetzter Körper von einer zarten Oberhaut be-
deckt, in welcher ſich meiſt ähnliche Neſſelorgane finden, wie wir ſie
ſchon bei den Polypen kennen lernten. Die Gäſte der Seebäder ken-
nen dieſe neſſelnde Eigenſchaft oft aus eigener ſchmerzlicher Erfahrung.
Der ſcheibenförmige Körper ſelbſt zeigt ſtets in der Anordnung aller
ſeiner Organe einen ſtreng regelmäßigen ſtrahligen Typus, ſo daß
man jede Qualle in je vier oder ſechs vollkommen gleiche Segmente
zerſpalten kann. Nach dieſen Zahlen geordnet zeigen ſich denn auch
bei den meiſten dieſer Thiere an dem Rande angebrachte, oft außer-
ordentlich lange contractile Fäden, welche offenbar als Fühlfäden be-
nutzt werden.


Als Nervenſyſtem und Sinnesorgane hat man eigenthüm-

Figure 73. Fig. 120.

Pelagia noctiluca
von unten geſehen. a. Die vier
Arme, zwiſchen welchen ſich der
Mund befindet. b. Die Glocke.
c. Der Rand derſelben. d. Die
Randkörper. e. Die Fangfäden.
g. Die Höhlen neben dem Magen,
in welchen die Geſchlechtskrauſen
ſitzen.


liche Körper gedeutet, welche an dem
Rande der Scheibe meiſtens in Sechs- oder
Achtzahl eingebettet liegen. Es beſtehen
dieſe Randkörper aus einem kapſelartigen
Bläschen, in welchem ein runder oder
eckiger kryſtalliniſcher Kern enthalten iſt.
Bei einigen Gattungen ſind dieſe Bläs-
chen von einem lebhaft gefärbten Pig-
mente umgeben, was ſie für Augen an-
ſprechen ließ, während ihre Zuſammen-
ſetzung aus einem kryſtalliniſchen Kerne,
der in einem Bläschen eingeſchloſſen liegt,
eher darin die erſte Bildung von Hör-
organen erkennen laſſen dürfte.


Die Verdauungsorgane ſind in
eigenthümlicher Weiſe geſtaltet. Meiſt iſt
ein einfacher Mund vorhanden, der
zuweilen nur von einem Randſaume
umgeben, in den gewöhnlichen Fällen
aber von Fangarmen der verſchiedenſten
Geſtalt umſtellt iſt. Oft beſitzen dieſe
[135] Fangarme Randſäume, die wie eine Krauſe gefaltet ſind. Bei vielen

Figure 74. Fig. 121.

Geryonia
a.
Die Glocke. b. Die 6
Fühlfäden, an und zwiſchen
welchen die Randkörper ſitzen.
c Der Stiel. d. Die End-
lappen deſſelben, von welchen
die 6 Kanäle in den Magen
e. aufſteigen. f. Der Scheiben-
rand.


Gattungen indeſſen findet ſich keine einzelne
Mundöffnung, ſondern feine Saugmündungen,
die entweder auf einem einfachen Mittelſtiele
oder auf vielfachen Fühlern, die oft noch ver-
äſtelt ſind, ſich nach außen öffnen. Die fei-
nen Röhren, welche von dieſen Saugmün-
dungen aufſteigen, führen ebenſo wie der ein-
fache Mund in eine größere oder kleinere
Magenhöhle, welche meiſt eine gewiſſe Anzahl
von ſtrahlig geſtellten Nebenſäcken beſitzt. Aus
dieſen Nebenſäcken entſpringen Gefäße in be-
ſtimmter Zahl, welche ſtrahlig nach dem Rande
zulaufen und dort entweder in ein Randgefäß
oder in ein äußerſt zierliches Maſchennetz von
feineren Gefäßen übergehen. Der ganze Kör-
per wird auf dieſe Art von der Ernährungs-
flüſſigkeit durchzogen und nicht ſelten ſieht
man ſogar noch unverdaute Reſte kleiner
Thierchen in dieſen Kanälen.


Die Geſchlechtsorgane zeigen ſich in der Form bandförmiger
Drüſen, welche bald als Streifen an dem untern Rande der Scheibe
oft in bedeutend großer Zahl, bald in eigenen nach außen geöffneten
Höhlen zur Seite der Magenhöhle in Form gekrauſter Franzen ange-
bracht ſind und einzelne Säckchen enthalten, in welchen bei dem einen
Geſchlechte die Samenthierchen, bei dem andern die Eier ſich ent-
wickeln.


Bevor der Zuſammenhang der einzelnen Formen der Schirmquallen
mit den ſie erzeugenden Polypen hergeſtellt iſt, kann unmöglich eine
auf richtige Grundſätze gegründete Claſſification derſelben hergeſtellt
werden. Man kann nur die mannigfaltigen Formen derſelben, die in
allen Meeren und zwar meiſt geſellig in Schwärmen angetroffen wer-
den, nach der Normalzahl ihrer Organe und der Anordnung derſelben
in einzelne Familien zerlegen.


Die Familie der Pilzquallen (Medusida) hat einen faſt kugligen
ſchirmförmigen Hut und einen vierſeitigen mittleren Mund, der von
vier Fangarmen umſtellt iſt. Alle Organe ſind nach der Vierzahl
[136]

Figure 75. Fig. 122.

Pelagia.


geordnet; die Randkörper, deren
Zahl wenigſtens acht beträgt, hoch-
roth gefärbt und bei ganz jungen
Individuen an dem Rande ſo be-
deutend ausgekerbt, daß die Rand-
körper auf zapfenartigen Verlänge-
rungen zu liegen ſcheinen. Die Bän-
der der Geſchlechtstheile haben meiſt
eine hochgelbe, rothe oder braune
Farbe, die durch den glashellen,
ziemlich weichen Körper durchſchim-
mert. Zu dieſer Familie gehört die
erwähnte Ohrenqualle (Aurelia)
die Seeleuchte (Pelagia) und meh-
rere andere weit verbreitete Gattungen.
Medusa; Cyanea; Ephyra; Chrysaora.


Ihnen nah verwandt iſt die Familie der Seequallen (Oceanida),

Figure 76. Fig. 123—125.

Syncoryne.


deren Organe eben-
falls nach der Vier-
zahl geordnet ſind.
Der Schirm dieſer
Quallen iſt mehr
glocken- oder hutför-
mig, der Mund ein-
fach und an der Spitze
eines längeren Rüſ-
ſels angebracht. Die
Geſchlechtsorgane lie-
gen frei auf der un-
tern Seite der Scheibe, während ſie bei der vorigen Familie im Grunde
von Höhlungen verſteckt ſind, die ſich an der Baſis der Fangarme be-
finden. Die an der Scheibe angebrachten Randfäden erſcheinen bei
manchen Gattungen veräſtelt, bei andern einfach. Die Randkörper
ſind ungefärbt, die Magenhöhle klein und die von ihr ausgehenden
Gefäße nur wenig veräſtelt. Zu dieſer Familie gehören faſt alle die-
jenigen Quallen, welche man bis jetzt als direkte Abkömmlinge der Röhren-
polypen (Tubularida) beobachtet und unter dem Namen Cladonema, Sthenyo,
Callichora
etc. bezeichnet hat. Oceania; Thaumantias; Cytacis; Callirhoe.


Die Familie der Scheibenquallen (Aequorida) hat eine meiſtens
ſehr flache linſenförmige Scheibe mit farbloſen Randkörpern und ge-
wöhnlich kurzen Randfäden, auf deren unterer Seite die Geſchlechts-
[137] organe in zahlreichen, bandartigen Streifen angebracht ſind. Es ſcheint bei
ihnen die Sechszahl vorzuherrſchen; der Mund iſt ungemein groß und von
keinen Fangarmen umgeben; die von dem Magen ausgehenden Gefäße äu-
ßerſt zahlreich, aber wenig veräſtelt. Aequorea; Cunina; Eurybia; Aegina.


Die Haarquallen (Berenicida) haben eine flache Glocke mit un-
zähligen, äußerſt feinen Randfäden, durch welche ſehr dünne Kanäle nach
oben aufzuſteigen ſcheinen. In der Scheibe hat man nur ein Gefäßnetz
entdeckt, welches ein veräſteltes Kreuz bildet, ſo daß alſo die Organe
nach der Vierzahl geordnet erſcheinen. Wahrſcheinlich wird die Nah-
rung durch die Randfäden aufgeſaugt, wenigſtens hat man noch keine
Verdauungsorgane, aber auch eben ſo wenig die Geſchlechtsorgane ent-
deckt. Berenice; Eudora.


Um ſo bekannter iſt die Familie der Wurzelquallen (Rhizosto-
mida
). Unter einem glockenförmigen Hute ſtehen nach der Vierzahl

Figure 77. Fig. 126.

Rhizostoma.


geordnete Fangarme, die zuweilen baum-
artig veräſtelt ſind und an deren Spitzen
ſich Saugmündungen zeigen, die in einen
geräumigen Magen führen. Ein Mund
exiſtirt nicht; die aus dem Magen aus-
gehenden Gefäße bilden am Rande der
Glocke ein zierliches Maſchennetz. Die
Randkörper ſind lebhaft roth gefärbt, die
Geſchlechtstheile in Höhlen am Grunde
der Fangarme verborgen. Einzelne Gat-
tungen dieſer Familie erreichen einen Durch-
meſſer von mehreren Fußen. Rhizostoma; Cephea; Cassiopea.


Die Rüſſelquallen (Geryonida) haben ebenfalls keinen Mund,
ſondern unter der glockenförmigen Scheibe einen ſehr bewegli-

Figure 78. Fig 127.

Geryonia.


chen maſſiven Stiel, an welchem ſechs
glatte Kanäle nach oben ſteigen, um ſich in
einen ſechsſeitigen kleinen Magen zu öffnen.
Die Randkörper ſind ebenfalls nach der
Sechszahl vertheilt und ungefärbt. Die
Spitze des Rüſſels, an welcher ſich die ſechs
Saugöffnungen befinden, erſcheint gefältelt
oder zuweilen auch mit Fäden beſetzt. Gery-
onia; Favonia; Saphenia; Lymnorea
.


Da faſt die ganze Klaſſe der Quallen-
polypen aus weichen, gallertartigen Thieren
beſteht, ſo kann von einer Aufbewahrung
in den Schichten der Erde keine Rede ſein,
[138] obgleich unbeſtimmte Abdrücke in den Schiefern von Solenhofen
allerdings darauf hindeuten, daß die älteren Meere ebenfalls von
Quallen bewohnt waren. Auch die Bäumchen, welche die Glocken-
polypen bilden, ſind zu weich, um ſich erhalten zu finden. In
der jetzigen Schöpfung ſind beide Formen der Klaſſe in allen
Meeren verbreitet; die Quallen namentlich meiſt in ungemein
zahlreichen Schwärmen, die in beſtimmter Richtung ſchwimmen und
von Rippenquallen und ſchwimmenden Schnecken verfolgt werden,
welche ihre hauptſächliche Nahrung an ihnen finden. Annäherung der
beiden Geſchlechter oder ſonſtige beſondere Lebenserſcheinungen hat man
bei den Quallen noch nicht beobachtet. Die meiſten leuchten des Nachts
mit zitterndem, gelbem Lichte, das beſonders bei Bewegungen ſtär-
ker wird.


Klaſſe der Röhrenquallen. (Siphonophora.)


Ein ſonderbares Gemiſch ſonderbarer Thiere, deren Zuſammen-
ſtellung als Klaſſe oder Ordnung nur ein Reſultat unſerer großen Un-
kenntniß ihrer Organiſation iſt. In der That wiſſen wir von den meiſten
dieſer ſeltſamen Thiere noch nicht einmal, ob wir ſie als einfache Thiere mit
vielen Saugmündungen oder als ſchwimmende Polypenſtöcke betrachten ſol-
len, wo an einem gemeinſchaftlichen Stamme, der zum Schwimmen einge-
richtet iſt, eine bedeutende Anzahl einfacher Polypen ſitzen. Die Ana-
tomie dieſer Thiere iſt nur ſehr wenig gekannt, ihre Fortpflanzung
vollkommen dunkel, ſo daß man ſtets nur mit Unſicherheit die einzel-
nen Thiere zuſammenſtellen kann, welche zu dieſer Klaſſe gehören ſollen.
Wir müſſen, da die Struktur dieſer Thiere ſo außerordentlich verſchie-
den iſt, auf die einzelnen Familien ſogleich eingehen, indem wir nur
bemerken, daß man weder Nervenſyſtem, noch Sinnesorgane, noch
Athemorgane erkannt hat, und daß auch die Anatomie der Geſchlechts-
theile noch faſt unbekannt erſcheint.


Die Familie der Seeblaſen (Physalida) beſteht aus großen blaſen-
förmigen Körpern von gelatinöſer Beſchaffenheit, aus deren unterem Raum
[139]

Figure 79. Fig. 128.

Physalia.
a. Der blaſenförmige Körper.
b. Fühlfäden. c. Saugmündun-
gen. d. Fangfäden.


eine Menge von wurmförmigen Saugmün-
dungen, Fühlern und ungemein verlänger-
baren Fangfäden hervorhängen. Der
blaſenförmige Körper beſteht eigentlich aus
zwei in einander geſchachtelten Blaſen,
von welchen die innere vollkommen
geſchloſſen und mit Luft gefüllt iſt,
während die äußere einen obern Kamm
hat, welchen das Thier beim Schwimmen
wie ein Segel benutzt. Dieſe äußere Knor-
pelblaſe dient außerdem als Decke für die
Fangfäden und die Saugmündungen,
welche ſich darin zurückziehen können.
Träubchen rother Körper am Grunde der
Saugröhren wurden als Eiertrauben an-
geſehen. Die wunderſchön blau und roth
gefärbten Thiere ſchwimmen in Haufen auf der Oberfläche der ſüd-
lichen Oceane und bringen bei der Berührung eine ſo bedeutende
Neſſelſucht hervor, daß ſie von älteren Beobachtern für giftig erklärt
wurden. Physalia; Discobale.


Die Familie der Knorpelquallen (Velellida) beſitzt ſtatt einer Knor-
pelblaſe eine zellige Scheibe

Figure 80. Fig. 129.

Velella.
a. Die mittlere Saugöffnung. b. Saug-
fäden. c. Körper. d. Knorpelſcheibe. e. Fühl-
fäden.


aus Knorpelſubſtanz, die ſo-
gar manchmal Kalkablagerun-
gen enthält, und auf deren
unterer Fläche ſich die Kör-
perorgane befinden. Die Zellen
der Scheibe ſind mit Luft ge-
füllt und dienen ſo, dem Kör-
per eine bedeutende ſpecifiſche
Leichtigkeit zu geben. Auf der
Unterfläche der Scheibe ſieht
man in der Mitte eine größere Oeffnung, von einem wurmartigen
Fortſatze getragen, welche die Einen für den Mund, die Andern für
die Oeffnung eines Waſſergefäßſyſtems erklären. Im Umkreiſe dieſer
größern Saugmündung ſtehen vielfache kleinere Saugmündungen
von ebenfalls wurmförmiger Geſtalt, welche von den Einen für Füh-
ler und Oeffnungen von Waſſerröhren, von den Andern für eben ſo
viele ſaugende Mundöffnungen gehalten werden. Am Grunde dieſer
Sauger ſieht man kleine Träubchen, welche für die Geſchlechtsorgane
[140] gehalten werden. Die Thiere dieſer Familie, welche meiſt eine wun-
derſchöne blaue Farbe haben, erſcheinen zu gewiſſen Zeiten in zahl-
loſen Schwärmen an den Küſten des Mittelmeeres und der tropiſchen
Oceane. Die eine Gattung Velella, welche im Mittelmeere vorkommt,
hat auf der Knorpelſcheibe einen ſchiefen aufrechtſtehenden Kamm, die
andere, in den ſüdlichen Meeren häufigere Porpita, eine einfach runde
ſtrahlig zellige Scheibe.


Die Familie der Doppelquallen (Diphyida) beſteht aus mehr

Figure 81. Fig. 130 Fig. 131.

Diphyes Brajae.
Fig. 130. Natürliche Größe des ganzen Thie-
res. Fig. 131. Ein Einzelthier ſtark vergrößert. a. Der
gemeinſame Stiel, an dem bei dem abgebildeten Exem-
plare, das zwei Fuß lang war, 38 Einzelthiere hingen,
von welchen nur vier abgebildet ſind. b. Knorpelhelm
des Einzelthieres. c. Schwimmblaſe. d. Saugmund.
e. Zuſammengezogene Fangfäden. f. Oelbläschen. g.
Schwimmblaſenöffnung des Einzelthieres. h. Oberes
Ende des Stiels mit unentwickelten Knospen neuer Ein-
zelthiere. i. Oelbläschen k. Oeffnungen der beiden ge-
meinſamen Schwimmblaſen.


oder minder zuſammen-
geſetzten Weſen, deren
Struktur weit compli-
cirter iſt, als bei den
vorhergehenden Thieren.
Man findet in dem
Meere ſehr häufig ein-
zelne Körper von glas-
artiger Helle umher-
ſchwimmen, welche deut-
lich aus zwei Stücken
beſtehen, einem Deckſtücke
und einer klappenden
Schwimmhöhle, welche
meiſt die Form einer
hohlen Glocke hat und
mit einer rundlichen
Oeffnung verſehen iſt,
die lebhaft auf und zu-
klappt. Das aus der
Schwimmglocke ausſtrö-
mende Waſſer treibt
durch ſeinen Rückſtoß
das Thier vorwärts,
deſſen Hauptorgane un-
ter dem Deckſtücke an-
gebracht ſind. Dort befindet ſich nämlich ein wurmartiger Saug-
körper, der in der Ausdehnung einen Mund von ſtrahlig eckiger
Form zeigt, und an deſſen Grunde ungemein lange Fang- und Neſſel-
fäden verborgen ſind. Dem Anſatzpunkte dieſer Saugmündung gegen-
über ſieht man im Deckſtücke eine zellige Höhle, welche für das Ge-
ſchlechtsorgan gehalten wird.


[141]

Es iſt noch die Frage, ob die beſchriebenen Thiere, welche haupt-
ſächlich die Gattung Diphyes bilden, nicht abgelöſ’te Stücke zuſammen-
geſetzter Thiere ſind; denn man findet Weſen, wo eine Menge ſolcher
Thiere, bis zu vierzig und mehr, jedes aus einem helmartigen Deck-
ſtücke, einer Schwimmglocke und einem Saugkörper mit Fangfäden be-
ſtehend, an einem gemeinſchaftlichen Stiele befeſtigt ſind, an deſſen
obern Ende zwei große Schwimmblaſen und zwei Knorpelſtücke ſich
finden, die jedes ein Oelbläschen zu enthalten ſcheinen. Zwiſchen die-
ſen Endknorpelblaſen ſcheinen die Thiere hervorzuſproſſen, denn die
größten befinden ſich am hintern Ende, die kleinſten in der Nähe der
beiden großen Schwimmblaſen. Jedes einzelne Thier bewegt ſich ſelbſt-
ſtändig für ſich, aber der äußerſt contractile Stiel hat ebenfalls ſeine
eigenthümliche Beweglichkeit und das Ganze wird von den beiden
großen Schwimmblaſen mit Leichtigkeit im Waſſer nach allen Richtun-
gen hin und her gezogen. Der die Theile vereinigende contractile
Stiel iſt hohl und in ſeiner Röhre circulirt die von den einzelnen Thie-
ren herkommende Ernährungsflüſſigkeit.


Bei andern Gattungen, wie z. B. Stephanomia, wird die Vereini-
gung der einzelnen Thiere noch größer. Die einzelnen Schwimmglocken
ſtehen iſolirt, bald in Reihen, bald mehr unregelmäßig am vordern
Ende des Stieles, der eine Luftblaſe enthält. An dem Stiele ſelbſt
ſitzen unzählige wurmartige Saugmündungen, jede von einem Paket
Neſſel und Fangfäden umgeben, deren Verdauungshöhlen alle in den
Kanal des gemeinſamen Stieles einmünden. Bei der leiſeſten Berüh-
rung ſchnellt der Stiel zuſammen und alles birgt ſich zwiſchen den
Schwimmglocken, die mit größter Schnelligkeit davon eilen. Kein merk-
würdigerer Anblick als ein ſolches Weſen, das mit allen ausgebreiteten
Organen wie ein durchſichtlicher, röthlicher, ſpannenlanger Federbuſch
im Meere ſchwimmt und aufgefangen, zuſammengezogen im Glaſe ein
unſcheinbares Gallertklümpchen bildet, das der Laie verdrießlich über den
mißglückten Fang wegſchüttet. Iſt es ein einfaches Thier mit Schwimm-
glocken und Saugröhren oder ein zum Schwimmen eingerichteter Po-
lypenſtock, mit verſchiedenartigen Individuen, ſchwimmenden und freſ-
ſenden? Spätere Unterſuchungen werden die Antwort auf dieſe
Frage bringen. Physophora; Diphyes; Ersaea; Rhizophysa; Agalma;
Hippopodius
.


[142]

Klaſſe der Stachelhäuter. (Echinodermata.)


Die letzte am höchſten organiſirte Klaſſe der Strahlthiere, bei
welchen der ſtrahlige Typus ſogar allmählig einer ſymmetriſchen An-
ordnung ſich annähert. Sie unterſcheiden ſich von den Klaſſen, welche
wir bisher betrachteten, weſentlich durch die Exiſtenz einer mehr oder
minder lederartigen, undurchſichtigen Körperbedeckung, in welcher ſtets
Kalk in verſchiedenen Formen abgelagert iſt und bald nur eine unter
dem Meſſer knirſchende Haut mit eingeſprengten Concretionen bildet,
bald ein förmliches Skelett zuſammenſetzt, das die innern Organe von
allen Seiten einſchließt, und aus Ringen oder Täfelchen aufgebaut iſt.
Bei den meiſten Stachelhäutern zeigt ſich auf den erſten Blick die ſtrah-
lige Anordnung der Organe die oft ſo ausgeſprochen iſt, daß der
Körper ſelbſt eine Sternform annimmt. Wie bei den Quallen und
Polypen die Vier- und Sechszahl, ſo herrſcht bei den Stachelhäutern
faſt allgemein die Fünfzahl vor und man kann in den meiſten Fällen
bei dieſer Anordnung einen unſymmetriſchen Mittelſtrahl und auf jeder
Seite zwei ſymmetriſche Strahlen unterſcheiden, wo ſich denn meiſtens
der Mittelſtrahl durch beſondere Entwicklung einzelner Theile kenntlich
macht. Die Körperform iſt ſehr mannichfaltig und geht von der Kugel-
geſtalt bis zu der einer platten Scheibe oder eines Sternes, oder bis
zur Walzenform in allen nur erdenkbaren Zwiſchengeſtalten vor. Bei
den angehefteten Gattungen wird die Körperform becherartig und dann
befinden ſich Mund und After auf der oberen vom Stiele abgekehrten
Körperfläche. Bei den Kugel- und Scheibenformen wird der Mund
ſtets auf der unteren, der Bauchfläche, angetroffen, während bei der
Walzengeſtalt die Stellung des Mundes an dem einen Ende das
Vorn und Hinten deutlich bezeichnet. Die Bewegung iſt nicht ſo
mannichfaltig, als in anderen Klaſſen. Kein erwachſener Stachelhäuter
kann förmlich ſchwimmen, obgleich alle nur in dem Meere leben. Sie
kriechen vielmehr meiſtens mit eigenthümlichen Saugfüßen, die man
Ambulacien nennt, auf dem Boden des Waſſers umher. Nur einigen
wenigen gehen dieſe Saugfüße ab und ſie behelfen ſich dafür durch
windende Bewegungen ihres wurmförmigen Körpers oder durch Um-
klammerung mittelſt beweglicher Strahlen und Ranken. Eine ganze
Familie der Stachelhäuter bleibt zeitlebens durch einen mehr oder min-
der langen Stiel an den Boden geheftet und bietet durch ihren glocken-
förmigen Körper, ſowie die oft gefiederten Arme, welche den Mund
umſtehen, eine große Aehnlichkeit in ihrer äußeren Geſtalt mit den
[143] Polypen dar. Uebrigens gibt es in der ganzen Klaſſe der Echinoder-
men keine ſocialen Thierformen; alle leben iſolirt als Individuen und
pflanzen ſich nur durch geſchlechtliche Zeugung fort.


Die Haut der Echinodermen beſteht aus einem dichten Faſer-
gewebe, welches meiſt eine lederartige Feſtigkeit hat. Die Kalkablage-
rungen, welche darin vorkommen und die manchmal bis auf kleine
Ueberreſte die Lederhaut gänzlich verdrängen, ſind in einfachſter Form
bei den ſogenannten Seewalzen (Holothuria) vorhanden. Hier bil-

Figure 82. Fig. 132

Holothuria.


den ſie meiſt unregel-
mäßige, netzartige
Körper, die indeß bei
einer anderen Fami-
lie einen förmlichen
Angelhaken oder An-
ker tragen, welcher
aus der Haut her-
vorſteht und dem
Thiere beim Angreifen
eine gewiſſe Rauhigkeit
gibt. Es ſcheinen dieſe
Angelhaken, welche nach Willkühr bewegt werden können, von Wichtig-

Figure 83. Fig. 133.

Synapta Duvernoy.
Man ſieht den äſtigen Fühlerkranz, der den
Mund umgiebt, von welchem aus ſich der
Darm durch den glashellen, hie und da zu-
ſammengezogenen Leib bis zum After hinzieht.
Die kleine Figur nebenbei ſtellt einen Anker-
haken mit ſeiner in der Haut ſitzenden Platte
ſtark vergrößert vor.


keit für das Kriechen des Thieres im
Sande zu ſein. Sie finden ſich übrigens
nur bei den Gattungen wurmförmiger
Stachelhäuter, welchen andere Bewe-
gungsorgane und zwar namentlich die
Saugfüße abgehen. Bei der Familie der
Seeſterne rücken die unregelmäßigen
netzartigen Kalkkörperchen in der Haut
ſo nahe zuſammen, daß ſchon ein förm-
liches, freilich nur aus einzelnen Stücken
zuſammengeſetztes, nach allen Richtungen
hin bewegliches Skelett entſteht, das in
gewiſſer Beziehung einem Kettenpanzer
nicht unähnlich ſieht. Von den äußeren
Panzerringen, welche den Körper und
beſonders die Strahlen deſſelben zu-
ſammenſetzen, gehen nach innen hin
Querbalken, die gelenkartig mit ein-
[144]

Figure 84. Fig. 134.

Asterias.


ander verbunden ſind
und in der Mitte un-
ter einem Winkel zu-
ſammenſtoßen, ſo daß
an der Bauchfläche
der Arme eine tiefe
Rinne, die ſogenannte
Bauchrinne, gebildet
wird. Zwiſchen die-
ſen Stücken befinden
ſich einzelne Oeffnun-
gen, durch welche die
zum Kriechen dienen-
den und in der Bauch-
rinne gelegenen Saug-
füße nach außen her-
vortreten können.
Man kann ſich auf dieſe Weiſe das Skelett der Seeſterne als aus ein-
zelnen geſchloſſenen Panzerringen beſtehend vorſtellen, welche Ringe
nicht vollkommen rund, ſondern auf der Bauchfläche nach innen ein-
gedrückt ſind. Außer dieſen Ringen ſind in der Haut der See- und
Schlangenſterne eine Menge von Stacheln eingepflanzt, deren Baſis
in die Lederhaut eingeſenkt und beweglich iſt, ſo daß dieſe Kalkſtacheln
zugleich als Stützen und zur Wehre benutzt werden können. Bei den
Schlangenſternen nehmen die Panzerringe an den Armen die
Geſtalt von Tafeln an und laſſen ſo die Lederhaut bis auf die Fugen
der Tafeln verſchwinden. Noch weiter geht dieſe Täfelung bei den

Figure 85. Fig. 135.

Echinus.


Seeigeln; hier iſt der
ganze Körper von einer
Schale umhüllt, welche
aus einzelnen meiſt fünf-
oder ſechseckigen Täfel-
chen zuſammengeſetzt iſt
und nur eine Oeffnung
für den Mund und eine
für den After übrig läßt.
Es ſind dieſe Täfelchen
aus Kalknetzen gebildet,
welche noch mittelſt orga-
niſcher Faſermaſſe durch-
[145] webt ſind. In der Nähe des Mundes und des Afters ſtehen dieſe
Täfelchen oft nur in mittelbarem beweglichem Zuſammenhange, indem ſie
in die lederartige Haut gleichſam eingelegt ſind. Bei den verſteinerten
Seeigeln fallen deßhalb dieſe beweglichen Tafeln leicht heraus, wäh-
rend die übrigen Tafeln des Körpers feſt mit einander verbunden,
eine einzige Schale bilden. Auf beſonderen Höckern dieſer Schale ſind
meiſtens mehr oder minder große bewegliche Stacheln eingepflanzt,
welche ebenfalls aus Kalkmaſſe und zwar aus einem einzigen Stücke
beſtehen und hauptſächlich zum Stützen des Körpers bei der Bewe-
gung dienen. Außer den Stacheln findet man noch eigenthümliche Greif-

Figure 86. Fig. 136.

Pedicellarien.
a Der Stiel, b die Zange.


organe, Pedicellarien genannt, die aus einem
langen Kalkſtiele und einer drei- oder vierklap-
pigen Zange beſtehen, welche beſtändig geöffnet
und wieder geſchloſſen wird. Dieſe Pedicellarien,
die man früher für Schmarotzer hielt, ſtehen
auf beſonderen kleinen Höckerchen, beſonders
häufig in der Nähe des Mundes bei Seeigeln
und Seeſternen und ſcheinen zum Ergreifen von
Nahrungsſtoffen beſtimmt. Sie erſcheinen ſchon
früh bei den Embryonen und zeichnen ſich dann
durch ihre plumpe Geſtalt aus. Später wird
der Stiel länger und nun ſchwanken dieſe Zan-
gen auf dem Stiele beſtändig hin und her, wäh-
rend ihre oberen Backen auf und zuklappen. Selbſt nach dem Tode
des Thieres dauern dieſe Bewegungen der Pedicellarien noch eine ge-
raume Zeit fort.


In gleicher Weiſe wie das Skelett der Seeigel, iſt auch dasje-
nige der Seelilien (Crinoidea) zuſammengeſetzt, welche beſonders in
den älteren Schichten der Erde häufig vorkommen. Der Stiel dieſer
Thiere, womit ſie unbeweglich feſtſitzen, wird aus ſcheibenförmigen
Stücken aufgebaut, die wie Münzen aufeinander liegen, währnd der becher-
förmige Körper aus einzelnen Tafeln gebildet iſt. Die obere Fläche die-
ſes Körpers iſt mit weicher lederartiger Haut überzogen, während die
Arme mit ihren Nebenarmen und Zweigen, die an dem Rande des
Bechers ſtehen, wieder in ähnlicher Weiſe wie die Säule des Stieles
aus einzelnen Tafelſtücken aufgebaut ſind. Bei der Betrachtung der
Gattungen, Familien und Ordnungen werden wir auf dieſe Verhält-
niſſe näher eingehen müſſen.


Die Bewegungsorgane der Stachelhäuter ſind ziemlich über-
einſtimmend bei allen gebildet. Bei den wurmförmigen ſind deutliche
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 10
[146] Muskelmaſſen entwickelt, welche äußerſt energiſche Zuſammenziehungen
des Körpers bewirken können. Bei den übrigen ſieht man dieſe Mus-
keln nur an den ſpeciellen Bewegungsorganen entwickelt und hier auch
oft in ausgezeichneter Weiſe. Die Saugfüßchen (Ambulacra),

Figure 87. Fig 137.

Ambulacra.
a
Der Stiel, b die Saugſcheibe.


welche mit Ausnahme einer einzigen Familie
allen Stachelhäutern zukommen, ſind die we-
ſentlichſten Bewegungs- und Haftorgane der-
ſelben. Es ſind hohle, wurmförmige Organe,
welche durch Oeffnungen des Skelettes oder
der Haut hervorgeſtreckt werden können und
eine außerordentliche Ausdehnbarkeit beſitzen.
Bei einigen Familien ſind die Saugfüßchen nur
ſehr klein und kurz, pfriemenförmig, ohne end-
ſtändigen Saugnapf, zuweilen ſelbſt veräſtelt
und ſcheinen hauptſächlich nur als Taſtorgane
benutzt werden zu können. Sie ſtehen dann
auch nur auf der Bauchſeite des Körpers und
können nicht durch eigene Oeffnungen in das Innere zurückgezogen
werden. Bei den Seeſternen, den Seeigeln und den eigentlichen Meer-
walzen dagegen bilden dieſe Saugfüßchen lange derbhäutige Cylinder,
die an ihrer Spitze mit einem förmlichen Saugnapfe verſehen ſind,
welcher noch obenein durch einen poröſen Kalkring in ſeiner Form
geſtützt wird. Dieſe Saugfüße treten durch eigene Löchlein hervor,
welche entweder in der Haut oder in den Täfelchen und zwiſchen den Ringen
der Schale angebracht ſind und werden von den Thieren als Taſt- und
Bewegungsorgane benutzt. Sie ſind in ungemein großer Anzahl vor-
handen und es gewährt ein eigenthümliches Schauſpiel, bei einem le-
benden Seeigel die Bewegung dieſer Füßchen zu ſehen. Nach allen
Seiten taſten ſie herum, indem ſie ſich ſo ſehr verlängern, daß ſie nur
wie ein dünnes Haar erſcheinen. Eine Saugſcheibe nach der anderen
ſetzt ſich an, ſaugt ſich feſt und indem nun eine Menge dieſer Füßchen
ſich verkürzen, ziehen ſie den Körper wie an eben ſo vielen Zugſeilen
weiter. Seeigel und Seeſterne klettern auf dieſe Weiſe mit größter
Leichtigkeit an den glatteſten Glaswänden umher und heften ſich ſo
feſt, daß man eher die Saugfüßchen zerreißt als ſie durch Gewalt ablöſ’t.


Faſt bei allen Stachelhäutern hat man geglaubt, ein Nerven-
ſyſtem
nachweiſen zu können. Daſſelbe ſoll aus einem ſehr feinen
Nervenringe beſtehen, welcher den Schlund umgibt und meiſtens ein
Fünfeck darſtellt, aus deſſen Winkeln Aeſte in die Körperſtrahlen aus-
laufen. Die Nervenäſte gehen hauptſächlich den Reihen der Saugfüß-
[147] chen entlang und geben, wie es ſcheint, Aeſte an dieſelben ab. Beſon-
dere Knoten hat man bis jetzt an dieſem Nervenſyſteme nirgends wahr-
nehmen können, ſelbſt da nicht, wo Nerven davon abgehen ſollen.
Dies läßt die ganze Natur dieſes ſogenannten Nervenſyſtemes ſehr
problematiſch erſcheinen und in der That behaupten auch neuere, aus-
gezeichnete Beobachter, daß ſie darin nur Sehnenfäden zwiſchen Mus-
keln, ſogenannte Muskelnäthe, aber kein Nervenſyſtem erkennen könnten.
Sinnesorgane ſind äußerſt zweifelhaft. Man findet zwar an den
Spitzen der Arme der Seeſterne, ſowie oben auf dem Rücken der See-
igel rothe Flecken, welche ſogar bei den Seeigeln in feinen Löchlein
beſonderer Platten eingelagert ſind und die man für Augen gehalten
hat. Indeſſen ſuchte man vergebens in dieſen Pigmentflecken, zu wel-
chen man ſogar bei den Seeſternen die äußerſten Spitzen der Haupt-
nerven verfolgt haben will, nach einem lichtbrechenden Körper, ſo daß
die Bedeutung dieſer Organe zumal bei der Unſicherheit des Nerven-
ſyſtems noch ſehr zweifelhaft bleibt. Jedenfalls auch wenn es Augen
ſind, erſcheinen dieſelben nur äußerſt unvollkommen und werden erſetzt
durch den höchſt feinen Taſtſinn, welchem die Saugfüße oder bei den
wurmförmigen Stachelhäutern die den Mund umgebenden Fühler als
Organe dienen.


Die Verdauungsorgane der Stachelhäuter bieten ziemlich
mannichfaltige Geſtalten dar. Faſt bei allen befindet ſich der Mund
in der Axe des Körpers, bei den wurmförmigen am vorderen Ende,
bei den übrigen in der Mitte oder vornen an der Bauchfläche als
rundliche oder fünfeckige Oeffnung. Nur bei einigen Seeigeln erſcheint
der Mund aus dieſer centralen Stellung gewichen und mehr nach
vorn hingerückt; aber dann ſtets in ſolcher Weiſe, daß dieſe Abwei-
chung in der Fortſetzung des unpaaren Strahles liegt und dadurch
die Mittellinie angedeutet wird, welche den Körper in zwei Hälften
trennt. Bei den wurmförmigen Stachelhäutern iſt der Mund von
einem Fühlerkranze umgeben, welcher meiſt veräſtelt erſcheint und in
die lederartige Hülle des Körpers zurückgezogen werden kann. Es
ſind dieſe Fühlerkränze im Gegenſatze zu der Körperhaut äußerſt weich
und zart und ein ausgezeichnetes Taſtorgan, wie man ſich leicht bei
Beobachtung lebender Thiere überzeugen kann. Bei den übrigen be-
findet ſich der Mund in der Mitte einer mehr oder minder bedeuten-
den beweglichen Hautausbreitung, die meiſtens nur mit den ſchon er-
wähnten Pedicellarien beſetzt iſt. Bei den Seeſternen ſind in dieſer
Haut vorſpringende mit harten Kalkſtücken beſetzte Warzen angebracht,
welche die Function von Zähnen ausüben. Ein ſehr entwickelter
10*
[148]

Figure 88. Fig. 138

Anatomie eines Seeigels.
Die untere Fläche der Schale iſt entfernt und der Mund auf die Seite ge-
zogen. a Mund mit Zähnen und Zahngeſtell, b Schlund, c erſte Windung des
Darmes, d zweite Windung bis zum After, e Eierſtöcke, f Waſſerſäckchen der
Fühlergänge, g die Schale mit ihren Stacheln.


Kauapparat zeigt ſich bei zwei Unterfamilien der Seeigel, nämlich
bei den eigentlichen Seeigeln und bei den Scheibenigeln. Bei letzteren
beſteht der Kauapparat aus dreieckigen Kalkſtücken, von welchen je zwei
zu einem V förmigen Stücke zuſammenſtoßen, deſſen Spitze gegen den
Mittelpunkt des Mundes gerichtet iſt. An dieſer vorderen Spitze ſind
harte Schmelzſtücke eingeſenkt, welche wirkliche ſchneidende Zähne dar-
ſtellen. Im ruhenden Zuſtande ſtellen ſich dieſe Zähne ſo zuſammen,
daß ſie eine fünfeckige Roſette bilden, welche den Mund gänzlich ſchließt.
Weit ausgebildeter iſt der Kauapparat der eigentlichen Seeigel. Ein
hohes Kalkgerüſte, aus 15 Stücken zuſammengeſetzt, umgibt hier den
Schlund, der von dem Munde grade nach oben in die Höhe ſteigt.
Dieſe Kalkſtücke ſind untereinander beweglich und beſitzen einen ſehr
ausgebildeten Muskelapparat, der ihre Bewegungen vermittelt. Als
Hauptſtücke erſcheinen darin fünf dreiſeitige ſchmale Pyramiden, welche
gegen die Mitte zu eine Rinne tragen, in welcher ein langer Schmelz-
zahn eingelaſſen iſt. Es entſprechen dieſe Pyramiden den einfachen
Pyramiden, welche bei den Scheibenigeln vorkommen. Die meiſelartigen
Schmelzzähne ragen in der Mundhöhle nach unten hervor und rücken
im Maße ihrer Abnutzung von oben nach unten weiter. Bei den
[149] übrigen Stachelhäutern iſt der Eingang des Mundes vollkommen un-
bewaffnet.


Der Darmkanal ſelbſt, welcher von dem Munde ausgeht, iſt
je nach der Körpergeſtalt äußerſt verſchieden gebildet. Bei den See-
lilien und Haarſternen windet ſich der von dem centralen Munde aus-
gehende Darm um eine ſchwammige, in der ſenkrechten Axe des Kör-
pers gelegene Mittelſpindel und öffnet ſich dem unpaaren Strahle
gegenüber auf derſelben Seite wie der Mund, ſo daß demnach Mund
und After ſich auf einer Fläche befinden. Bei den eigentlichen See-
ſternen führt die Mundöffnung unmittelbar in einen weiten Magen-
ſack, der ſeitliche Ausbuchtungen und Blindſäcke beſitzt. Bei den wah-
ren Seeſternen erſtrecken ſich dieſe Seitenäſte, die oft noch auf beiden
Seiten traubenförmige Anhänge haben, in die Strahlen des Sternes
hinein. Bei den Schlangenſternen bilden ſie nur mehr oder minder
veräſtelte ſeitliche Säcke, die in der Körperſcheibe ſelbſt liegen und
nicht in die Strahlenarme eingehen. Den Schlangenſternen ſowohl,
wie vielen Seeſternen fehlt der After, ſo daß die unverdauten Nah-
rungsmittel durch den Mund ausgeworfen werden müſſen. Bei den
meiſten Seeſternen iſt aber der After vorhanden und dann ſtets auf
der Rückenfläche dem Munde gegenüber angebracht. Bei den See-
igeln findet ſich ein langer gewundener Darmkanal, welcher von dem
Munde ausgehend, in faſt ſtets gleicher Weite ſich durch den Körper
windet und entweder auf der Spitze der Rückenfläche oder in der
Mittellinie dem unpaaren mittlern Strahle gegenüber endet. Man
findet bei den verſchiedenen Seeigeln jede abweichende Stellung in
dieſer Richtung, ſo daß der After ſich bald am Rande, bald ſeitlich
auf der Oberfläche, bald auf der Unterfläche, aber ſtets dem mittleren
Strahle gegenüber findet. Bei den wurmförmigen Stachelhäutern
liegt der Mund an dem einen, der After an dem entgegengeſetzten Ende;
meiſt indeß iſt der gleichweite Darm mehrfach in dem Körper und
zwar in zwei S förmige Schlingen gebogen. Bei allen Stachelhäu-
tern iſt der Darm durch ein Gekröſe, das gewöhnlich aus einzelnen
brückenartigen Sehnenfäden beſteht, an der Leibeswand angeheftet.
Die mit Zähnen bewaffneten Stachelhäuter nähren ſich meiſtens von
Pflanzenſtoffen, beſonders von Tangblättern, während die zahnloſen
vorzugsweiſe kleine Schalthiere verſchlingen, für deren Panzer ihr
Darmkanal eine vortreffliche Fundgrube abgibt.


Man darf erwarten, daß bei ſo hoch organiſirten Thieren wie
die Stachelhäuter überhaupt ſind, ein Blutgefäßſyſtem und Ath-
mungsorgane
nicht fehlen können. Faſt bei allen findet ſich ein
[150]herzartiges Centralorgan, welches bald, wie bei den Seewalzen,
eine contractile Blaſe, bald einen länglichen Schlauch darſtellt und
ſtets in der Nähe des Mundes an dem Schlunde gelegen iſt. Von
dieſem Herzen aus entſpringen bei den ſtrahligen Stachelhäutern mehr
oder minder zahlreiche Gefäßringe, von welchen aus Gefäße gehen, die
ſich beſonders an die Saugfüßchen und an die Kiemen verbreiten. Es
haben dieſe Gefäße deutliche Wandungen, allein ihr Verlauf iſt den-
noch bei den einzelnen Gattungen nur ſehr unvollſtändig gekannt, was

Figure 89. Fig. 139. Anatomie der Röhrenh[o]lothurie (Holothuria tubulosa).
Das Thier iſt der Länge nach aufgeſchnitten, die Haut ausgebreitet und der
Darm ſeitlich herübergezogen, ſonſt aber die Eingeweide ſo ziemlich in ihrer natür-
lichen Lage. a die ſogenannte Poli’ſche Blaſe, der beutelförmige Centralſack des
Gefäßſyſtemes, das beſonders die Darmgefäße und die zu den Tentakeln gehenden
Gefäße abgibt; b der Schlundkopf; c die zu den Tentakeln (k) gehenden Gefäße;
d Längsgefäße der Haut, welche beſonders die Saugfüßchen verſehen; e vorderer
Theil des Darmes mit ſeinem Langsgefäße 1; f ein Seitengefäß zu dem Gefäßſtamme
der Darmlunge (i) gehend; g die große rückführende Darmvene, aus der Darm-
lunge zurückkehrend; h die Netze, welche ſie mit der Lungenarterie (i) bildet; k die
eingezogenen Tentakeln; l Längsgefäß des Darmes; m Cloake mit ihren Mus-
keln (q); nn die beiden Lungen, die obere die Hautlunge, die untere die Darm-
lunge; o ſeitliche Muskelbänder; p Muskelnäthe der Quermuskeln der Haut; q
Muskeln der Cloake; r Eierſtock in den Schlund mündend.


zum Theil in der Schwierigkeit der Beobachtung ſeinen Grund haben mag.
Außer den Blutgefäßen exiſtirt auch noch eine beſondere Waſſer-Circulation
im Innern des Körpers. Die Leibeshöhle aller Stachelhäuter iſt ſtets mit
Seewaſſer erfüllt, das durch Wimperhaare, welche ſämmtliche Eingeweide
der Thiere überziehen, in beſtändiger Bewegung erhalten wird. Bei vielen
Stachelhäutern hat man entweder Spalten oder einfache Löcher oder Röhr-
chen gefunden, durch welche das Waſſer in die Leibeshöhle eindringt,
und ſo die Organe umſpült. Außer dieſen aber kommen noch im
Körper Waſſer-Syſteme vor, welche aus geſchloſſenen Gefäßen beſtehen,
die beſonders mit den Saugfüßchen in Verbindung ſtehen und in wel-
chen das Waſſer ebenfalls durch Wimpern bewegt wird. Dieſe Waſ-
[151] ſergefäße entſpringen meiſt von einem Gefäßringe um den Mund und
ſenden Hauptſtämme in die Strahlen, welche auf der Bauchſeite ver-
laufen. Mit jedem Füßchen und mit jedem Mundfühler ſteht ein be-
ſonderes Bläschen in Verbindung, welches durch ein Aeſtchen des
Waſſergefäßes geſpeiſt wird. Auf dieſen innern Bläschen der Saug-
füßchen und der Mundfühler verbreiten ſich zahlreiche Blutgefäße, ſo
daß namentlich bei ſolchen Thieren, welche keine eigentliche Kiemen
beſitzen, dieſe Bläschen die Stelle der Athemorgane zu vertreten
ſcheinen. Zugleich dienen dieſe Bläschen aber auch zur Entfaltung
der Fühler ſelbſt, indem bei der Zuſammenziehung der Bläschen das
Waſſer von dem Bläschen aus in die Fühler hineingepreßt und die-
ſer vorgeſtreckt wird, während bei der Ausdehnung der Bläschen das
Waſſer aus den Fühlern zurückſtrömt. Abgeſonderte Athemorgane
kommen nur bei den eigentlichen Seewalzen und bei den Seeigeln vor.
Bei den letztern finden ſich auf der äußern Bauchfläche in dem Um-
kreiſe des Mundes baumartig verzweigte hohle Läppchen, welche frei
in das Waſſer hineinragen und deren innere Höhle mit der Leibes-
höhle in directer Verbindung ſteht, ſo daß das Gewebe dieſer Kiemen
innen und außen vom Waſſer umſpült iſt. Bei den Seewalzen ſind
die Kiemen oder Lungen im Innern des Körpers angebracht und beſtehen
aus einem zweiäſtigen hohlen Baume, der in eine Erweiterung des
Darmes, unmittelbar vor dem After, in eine Kloake mündet. Der eine Aſt
dieſer baumartigen Kieme liegt an dem Darme, der andere, die Hautlunge,
an der äußern Leibeswandung an. Die Aeſte und Zweige dieſer Kiemen,
welche innen mit dem lebhafteſten Flimmerüberzuge verſehen ſind, be-
finden ſich in ſteter wurmförmiger Bewegung, die ſelbſt tagelang nach
der Zerſtückelung des Thieres noch anhält. Das Waſſer, welches die
Kiemen anfüllt, wird durch den After eingeſogen und wieder ausge-
ſpritzt, oft mit ſolcher Gewalt, daß ein großer Theil der Eingeweide
mit hervor gepreßt wird.


Bei allen Stachelhäutern ſind die Geſchlechter getrennt. Es
giebt männliche und weibliche Individuen, die indeß äußerlich keine
kenntlichen Merkmale darbieten; auch in ihrer Struktur gleichen ſich
die männlichen und weiblichen Geſchlechtsorgane durchaus und laſſen
ſich nur in der Brunſt durch ihren Inhalt unterſcheiden. Sie
bilden traubige oder lappige Schläuche, welche meiſtens durch eigne
kurze Ausführungsgänge ſich nach außen öffnen. Die Eier gehen nach
ihrer Befruchtung einen vollkommenen Furchungsprozeß ein, in Folge
deſſen aus dem ganzen Dotter ſich ein mit Wimperhaaren beſetzter
Embryo bildet, welcher die Eiſchale durchbricht und frei bewegt im
[152] Waſſer umherſchwimmt. Bis zu dieſem Punkte iſt ſich die Entwicke-
lung aller Stachelhäuter gleich; von hieran aber laufen die Embryo-
nen ſo merkwürdige Veränderungen durch, die erſt in der neuern Zeit
aufgehellt wurden, daß wir dieſelben bei den einzelnen Ordnungen und
Familien näher betrachten müſſen.


Die Stachelhäuter leben in allen Meeren oft in großen Mengen
zuſammen, ſtets auf dem Boden und an den Küſten umherkriechend.
Ihre Reſte finden ſich gleichfalls in allen Schichten der Erde und in
merkwürdiger Aufeinanderfolge ihrer einzelnen Formen. Durch die
äußerſt mannigfaltigen Geſtaltungen der einzelnen Theile ihres Kalk-
ſkelettes, welche ſelbſt bis zu den Arten herab in jedem Täfelchen cha-
racteriſtiſch ſind, eignen ſich die Stachelhäuter vorzugsweiſe zur genau-
eren Beſtimmung und zur Paralleliſirung der einzelnen Schichten, ſo-
wie zur Anſchauung der Fortſchritte, welche der Plan der Strahl-
thiere im Laufe der Erdgeſchichte macht.


Die Eintheilung der Echinodermen ergibt ſich leicht durch die
äußere Form des Körpers, ſowie durch die Bildung des Skelettes,
das bald aus einzelnen Ringen, bald aus zuſammengefügten Täfelchen
beſteht. Bei zwei Ordnungen der Stachelhäuter iſt der Körper mehr
oder minder platt, ſcheibenförmig und in einzelne Strahlen getheilt,
bei einer dritten mehr kugelig, bei der vierten walzenförmig. In der
Ordnung der Seelilien (Crinoidea) beſteht das Kalkgerüſte aus ein-
zelnen Platten, welche mit einander zuſammenſtoßen, während bei den
Seeſternen (Stellerida) nur einzelne Panzerringe exiſtiren. Bei der
dritten Ordnung, den Seeigeln (Echinida) findet man wieder eine förm-
liche Schale aus einzelnen Kalkplatten gebildet und bei der vierten,
den Seewalzen, (Holothurida)nur einzelne in der Haut zerſtreute Kalk-
anſammlungen.


Die Ordnung der Seelilien (Crinoidea) iſt faſt ganz aus
der heutigen Schöpfung verſchwunden, während ſie in den frühern
einen ausgezeichneten Rang einnahm und in den älteſten Zeiten ganz
allein die Klaſſe der Stachelhäuter überhaupt repräſentirte. Die mei-
ſten dieſer Thiere ſaßen auf langen beweglichen Stielen feſt und
hatten in ihrer äußern Geſtalt viel Aehnlichkeit mit Polypen, ſo daß
ſie in der That von älteren Forſchern unter dieſe geſtellt wurden. Der
[153]

Figure 90. Fig. 140.

Pentacrinus europaeus.
Eine Gruppe von jungen Haarſternen, während ſie noch geſtielt ſind (Penta-
crinus europaeus
) auf einer Seepflanze ſitzend. Das Thierchen links hat ſeine
Arme ausgebreitet und die obere Mundfläche dem Beſchauer zugewendet; das mittlere
iſt ganz zuſammengezogen; das auf der rechten Seite ausgebreitet, von der Seite
geſehen. Um die Figuren nicht zu verwirren, hat man die Seitenſtrahlen (pinnulae)
der zehn Arme nur in der Figur links, nicht aber bei den beiden andern darge-
ſtellt. a der Stiel; b der Körper aus Täfelchen gebildet; c die Arme; d der fünf-
ſtrahlige Mund; e der After, am Urſprung des unparen Doppelſtrahles gelegen.


Körper iſt becherförmig, die untere dem Stiele zugewandte Fläche aus
einzelnen Kalktafeln gebildet, welche in der Mitte eine Höhle für die
Eingeweide laſſen. Die obere Fläche des Bechers iſt von einer leder-
artigen Haut überwölbt, in welcher ſich mitten der Mund und zur
Seite der After befindet. An dem Rande des Körpers ſtehen Arme,
welche von den Tafeln, die den Becher bilden, ausgehen, meiſt ſehr
beweglich ſind, entfaltet und zuſammengelegt werden können und zum
Ergreifen der Beute dienen. Dieſe Arme ſind aus vielen einzelnen
Stücken zuſammengeſetzt, und tragen oft wieder beſondere Aeſte,
Zweige und Ranken, die auf den einzelnen Gliedern der Arme einge-
lenkt ſind. Der Körper mit ſeinen zuſammengelegten Armen hat be-
ſonders bei einigen kurzarmigen Arten ganz die Form einer Lilien-
knospe auf langem Stengel.


Eine normale Seelilie kann man als zuſammengeſetzt aus vier
einzelnen Theilen anſehen: die Wurzel, womit das Thier an den
Boden befeſtigt iſt, wird von einer kalkigen Maſſe gebildet, ähnlich
der Grundmaſſe, an der die Polypen aufſitzen. Sie erſcheint meiſt als
eine Ausſchwitzung ohne weitere ſpecielle Ausbildung. Auf dieſer Wur-
[154] zel erhebt ſich der Stiel oder die Säule, zuſammengeſetzt aus ein-
zelnen, meiſt runden oder fünfeckigen Gliedern, welche gewöhnlich eine
mittlere centrale Oeffnung beſitzen, durch die ein Kanal nach unten ſich
erſtreckt, der hauptſächlich nur für die bewegende Faſermaſſe des Stieles
beſtimmt ſcheint. Die Täfelchen der Säule haben meiſt auf beiden
Seiten Kerben und Vorſprünge, die in einander greifen und oft die
Figur eines fünfſtrahligen Sternes bilden. Dieſe iſolirten Täfelchen,
die man auch Trochiten oder Entrochiten genannt hat, finden ſich
häufig in den Schichten der Erde vor, während wohlerhaltene Seelilien
in ganzer Geſtalt ſeltener ſind. Bei vielen Gattungen trägt der Stiel
ſeitliche Ranken, die andern fehlen; bei andern verkümmert er oder zeigt
ſich nur als knopfartiges Rudiment. Der Körper oder Becher der
Seelilie beſteht aus einzelnen Stücken, welche man je nach der Entfer-
nung oder der Nähe des Stieles und der Arme ziemlich unzweckmä-
ßigerweiſe Beckenglieder, Hüftglieder, Schulterglieder u. ſ. w. genannt
hat. Dieſe Täfelchen bilden mehrere über einander liegende, ſich er-
weiternde Kreiſe, auf deren äußerſtem die Arme eingelenkt ſind. Dieſer
ſind fünf oder zehne, die ſich aber oft noch vielfältig in Aeſte ſpalten.
Auf ihrer innern Seite zeigen die Arme eine Rinne, welche von der
weichen Hautbedeckung überzogen iſt und auf der die kleinen Saug-
füßchen angebracht ſind. Indeſſen haben nicht alle Familien in der
Ordnung der Seelilien die bezeichneten Theile des Körpers. Der Fa-
milie der Seeäpfel, die ſich nur in den älteſten Schichten der Erde
findet, fehlen die Arme durchaus und nur ein kurzer geringfügiger
Stiel iſt ausgebildet. Der Familie der Haarſterne, welche in unſern
Meeren häufig vorkommt, geht im erwachſenen Zuſtande der Stiel ab
und es exiſtirt nur ein ſcheibenförmiger Körper mit ſehr langen beweg-
lichen Armen verſehen.


Die Familie der armloſen Crinoiden oder die Seeäpfel (Cysto-

Figure 91. Fig 141. Fig. 142.

Sphaeronites.
Aus dem ſchwediſchen Uebergangsgebirge (Siluri-
ſches Syſtem). Fig. 141 ſtellt das Thier von der Seite,
Fig. 142 den Umriß von oben dar. a der ſehr kurze
Stiel. b Mund. c After. d fünfſtrahlige Genital-
platte mit den Geſchlechtsöffnungen.


crinida) haben einen eiförmi-
gen oder runden Körper, der
aus harten meiſt ſechseckigen
Täfelchen zuſammengeſetzt iſt
und durch einen kurzen bieg-
ſamen Stiel auf dem Boden
angeheftet iſt. Der kugelför-
mige Körper zeigt drei Oeff-
nungen; eine obere cen-
trale, der Mund, neben wel-
chem ſich eine zweite Oeff-
[155] nung befindet, die wahrſcheinlich die Afteröffnung iſt; — eine dritte
in der Nähe des Stieles befindliche, welche meiſtens noch durch be-
wegliche Platten verdeckt iſt, ſcheint eine Geſchlechtsöffnung geweſen zu
ſein. Es findet ſich dieſe Familie nur in den älteſten Schichten des
Uebergangsgebirges, in dem Unterſiluriſchen Kalke, und ſie ſtellen gleich-
ſam die Anfangsform des Typus der Seeigel und der Seelilien in
einander vereinigt vor. In der That zeigt ſich auch eine Gruppe,
welche inſofern den Uebergang vermittelt, als ſich auf ihrer Spitze
einige Platten zeigen, welche zur Durchlaſſung von Fühlern durch-
löchert ſind. Dieſe Fühlergänge ſind nach der Fünfzahl geſtellt, wäh-
rend bei den eigentlichen Seeäpfeln, welchen ſie fehlen, die Sechszahl
vorherrſchend iſt. Cystocrinus; Sphaeronites.


Die eigentlichen Seelilien (Encrinida) beſitzen alle einen Stiel,
einen becherartigen Körper, deſſen obere Fläche Mund und After neben-
einander zeigt, und Arme, die auf ihrer Innenfläche eine Rinne zur
Aufnahme der Füßchen zeigen. Sie kommen von den älteſten Schichten
an in ſtets abnehmender Zahl bis auf unſere Zeiten vor und erſchei-
nen in unſern jetzigen Meeren nur noch in zwei höchſt ſeltenen Gat-
tungen, während ſie in dem Uebergangs- und Kohlengebirge die große
Mehrzahl der Stachelhäuter ausmachten und in den juraſſiſchen Mee-
ren beſonders an den Korallenriffen blühten, welche ſich daſelbſt vor-
fanden. Von der einen lebenden Gattung dieſer Seelilien (Holopus)

Figure 92. Fig. 143.

Actinocri-
nus.
a
Der Stiel, b der
Kelch, c die Arme,
d die Zweige mit den
Ranken daran.


iſt bis jetzt nur ein einziges Exemplar, von einer an-
dern (Pentacrinus) nur 4 oder 5 nach Europa gebracht
worden. Beide wurden aus großer Tiefe in dem Meere
der Antillen hervorgezogen. Die foſſilen Seelilien hat
man in mehrere Gruppen (Unterfamilien) zerlegt,
welche indeß noch nicht ſo vollſtändig unterſucht ſind,
als es wohl wünſchenswerth wäre. Ich erwähne hier
als beſondere Typen der Gattung Caryocrinus, die
auf einem kurzen runden Stiele einen eichelför-
migen Körper mit ſechs Armen und aus ſechs-
ſeitigen Täfelchen gebildet trägt, die Actinocri-
niden
mit langer runder Säule, becherförmigem
Körper, deſſen einzelne Täfelchen nur wenig zu-
ſammenhalten, und langen mehrfach getheilten Armen,
welche auf ihrer innern Seite eine große Menge ar-
tikulirter aus einzelnen Kalkſtücken zuſammengeſetzter
Anhänge tragen, ſo daß der Arm einigermaßen dem
[156] Barte einer Feder ähnlich ſieht. Es kömmt dieſe Familie nur in den
älteren Schichten, aber hier auch äußerſt zahlreich vor; ſie wird er-
ſetzt in den juraſſiſchen Meeren durch die Gruppe der Pentacriniden,
welche ſich durch die feſte Verbindung ihrer Kelchplatten und durch die
Einlenkung ihrer Arme auszeichnet, die auf beſonderen, dem Stiele
aufſitzenden Stücken angeheftet ſind. Der Stiel iſt fünfeckig, zeigt
meiſtens viele Seitenausläufer und Ranken und an ſeinen einzelnen
Stücken ſehr complicirte Gelenkflächen, die fünfblättrige Figuren dar-
ſtellen. Der becherförmige Körper iſt einigermaßen zwiſchen dem Grunde
der Arme verborgen. Man hat berechnet, daß das Skelett eines ein-
zigen Thieres, bei der ungemeinen Verzweigung der Arme und
der zahlreichen Federchen, aus mehr als 150,000 einzelnen Kalk-
ſtücken zuſammengeſetzt iſt. Zu der Gattung Pentacrinus gehört
die jetzt lebende Art. Eine andere ſehr ausgezeichnete Gruppe,
die ebenfalls erſt nach den Uebergangsgebirgen auftritt und in
dem Muſchelkalke durch eine Gattung repräſentirt iſt, äußerſt zahl-
reich die juraſſiſchen Korallenbänke bewohnt und in der Kreide nur
noch ſpurweiſe erſcheint, iſt die der Apiocriniden, mit langem, meiſt
rundem Stiel, deſſen Täfelchen ſtrahlig gerippt ſind, ohne Seitenran-

Figure 93. Fig. 144.

Encrinus liliiformis
aus dem Muſchelkalke.
a der Stiel; b der aus
Platten zuſammenge-
fügte Körper; c die
Arme; d die getheilten
aus unzähligen Stück-
chen zuſammengeſetz-
ten Aeſte derſelben.


ken, mit dickem Körper, deſſen einzelne Stücke äußerſt
ſolid ſind und nur einen geringen Raum zwiſchen ſich
laſſen, und höchſtens einfach getheilten Armen, welche
ziemlich kurz ſind. Es gehören zu dieſer Abtheilung die
im Muſchelkalke ſo außerordentlich häufigen Seelilien
(Encrinus) und die Gattung Apiocrinus, welche be-
ſonders an den Korallenbänken des Jura vorkommt.
Es ſcheint dieſe Gruppe in der Jetztwelt durch die
höchſt eigenthümliche Gattung Holopus erſetzt, deren
Stiel ſelbſt einen Theil des Körpers ausmacht und
zum Theil die Körperorgane beherbergt. Das Thier
ſoll nur vier Arme haben, iſt übrigens bis jetzt nur
durch ein einziges bei Martinique aufgefiſchtes Exem-
plar bekannt.


Die [dritte] Familie der Seelilien, die Haarſterne,
(Comatulida) iſt aus Thieren gebildet, welche im er-
wachſenen Alter vollkommen frei ſind und häufig
noch jetzt in unſeren Meeren vorkommen. Die Haar-
ſterne haben einen abgeplatteten Körper, deſſen Rük-
kenfläche aus einzelnen Täfelchen zuſammengeſetzt iſt
[157] und auf deſſen Bauchfläche ſich zwei Oeffnungen zeigen, eine mittlere,
der Mund, eine ſeitliche warzig hervorſtehende, der After. Die zehn

Figure 94. Fig. 145.

Haarſtern. Comatula mediterranea.
Von der Mundfläche aus. Die dort ſitzenden Nebenſtrahlen
ſind weggelaſſen, um den Mund a und den After b ſehen zu laſſen.


Arme, welche dieſe
Thiere beſitzen, ſind
an dem Rande des
abgeplatteten Be-
chers eingelenkt und
aus Täfelchen zu-
ſammengeſetzt, auf
welchen zweizeilige
bewegliche Feder-
anhänge ſtehen.
Mittelſt dieſer Ar-
me und Anhänge
klettert der Haar-
ſtern ſehr geſchickt
an Meerpflanzen
umher, die er mit
ſeinen Armen um-
faßt, wobei ihm die
kurzen Fühler be-
hülflich ſind, welche
auf einer Rinne an der Bauchfläche der Arme ſtehen. Es gleichen
ſomit dieſe Thiere, wenn ſie die Arme gegen die Bauchfläche hin zu-
ſammenſchlagen, vollkommen einer Seelilie, deren auf der Rückenfläche
befindlicher Stiel verſchwunden iſt. Comatula; Alecto; Comaster.


In der That entdeckte man, daß die Haarſterne in der Jugend

Figure 95. Fig. 146.

Junge Haarſterne, Pentacrinus europaeus genannt.


[158] einen biegſamen Stiel beſitzen, durch welchen ſie an den Boden feſt-
geheftet ſind und daß ſie in dieſem Zuſtande vollkommen einer See-
lilie mit zehn Armen gleichen. Die frühern Entwicklungszuſtände der
Haarſterne ſind nicht bekannt. Wahrſcheinlich ſchwimmen die Larven,
wie diejenigen der übrigen Stachelhäuter, während einiger Zeit im
Meere umher, um ſich dann ſpäter feſtzuſetzen und die Seelilienform an-
zunehmen. Die jungen Haarſterne haben Anfangs einen ſtabförmigen
Körper, der knopfförmig endet und hier mit einigen kurzen Fortſätzen
(Fühler) verſehen iſt. Nun beginnt in dem Stiele die Kalkablagerung
der einzelnen Glieder, während zugleich der Becher ſich deutlicher aus-
bildet und die Arme hervorſproſſen. Bald ſieht man auf der Ober-
fläche des Bechers den mit fünf dreieckigen, klappenartigen Vorſprün-
gen beſetzten centralen Mund und am Rande den warzenartig vor-
ſpringenden After. Das ausgebildete Junge hat fünf doppelt getheilte
Arme, mit ſeitlichen Ranken beſetzt und am Stiele ebenfalls einen
Kranz von Ranken, der auch im ſpäteren Leben bleibt. Der Stiel
ſchwindet nun an der Anheftungsſtelle; die Thierchen reißen ſich end-
lich von ihren Stielen los und kriechen dann frei umher. Es zeigt
ſich durch dieſe Entwicklung eine merkwürdige Uebereinſtimmung in der
geologiſchen Ausbildung der Ordnung und der Entwicklung der am
höchſten ſtehenden Familie, indem die in den älteren Schichten vor-
kommenden Seelilien alle geſtielt ſind und die ungeſtielten Haarſterne
erſt in den juraſſiſchen Gebilden auftreten und ſich in ſtets zunehmen-
der Zahl bis in unſere Jetztzeit entwickeln.


Die Ordnung der Seeſterne (Stellerida) begreift nur platt-
gedrückte Thiere mit ſcheibenförmigem, fünfeckigem Körper und mehr
oder minder ausgezackten Armen, welche von der Körperſcheibe
nur unvollſtändig getrennt ſind. Der Mund befindet ſich auf der
Unterfläche der Scheibe im Mittelpunkte, der After, (wenn ein ſolcher
vorhanden iſt, denn bei vielen Gattungen fehlt er) ſtets gegenüber
auf der Rückenfläche. Die Körperhaut iſt lederartig; das Kalkſkelett
aus einzelnen, loſen Panzerringen zuſammengeſetzt, die eine große Be-
weglichkeit und Biegſamkeit des ganzen Körpers geſtatten; die Strah-
len dieſer Panzerringe beginnen an dem Munde und laufen fünfeckig
nach den Seiten aus. Auf der Unterfläche der Scheibe und, je nach
den Familien, auch der Arme ſind in den Strahlen entſprechende Rin-
nen angebracht, welche die Saugfüßchen beherbergen, die faſt ganz in
die Rinne zurückgezogen werden können. Außerdem bemerkt man bei
allen an irgend einer Stelle der Körperſcheibe eine eigenthümliche
ſchwammige Kalkplatte, die ſogenannte Madreporenplatte, welche wie wir
ſpäter ſehen werden, nebſt den ihr zugehörigen Gebilden ein Ueber-
[159] bleibſel aus der Embryonalzeit iſt. Die Entwicklung der Seeſterne iſt
in einigen ihrer Stadien ziemlich genau gekannt, da aber viel Ueber-
einſtimmung in dieſer Hinſicht mit den Seeigeln herrſcht, ſo werden
wir ſie erſt bei dieſen im Zuſammenhange abhandeln.


Die Ordnung der Seeſterne erſcheint zuerſt in dem Muſchelkalk
und läßt im Jura, in der Kreide, wie in den Tertiärgebilden einige,
wenn gleich ſehr wenig zahlreiche Arten erkennen. Sie gehört zu den-
jenigen Ordnungen, welche in ſtets zunehmender Häufigkeit ſich in der
Erdgeſchichte entwickeln. In unſeren Meeren kommt eine große Anzahl
dieſer Thiere und oft ungemein zahlreich vor, ſo daß z. B. an der Küſte
der Normandie einige Arten als Dünger auf dem Felde benutzt werden.


Man theilt die Ordnung in drei, ſehr leicht kenntliche Familien.
In der Familie der Sonnenſterne oder Meduſenhäupter (Euryalida)
ſind die Arme vollſtändig von der Scheibe abgeſetzt und ohne Rinne
auf der Bauchfläche. Die Körperorgane befinden ſich nur in der
Scheibe, welche rund iſt und auf ihrer Oberfläche keine Afteröffnung
zeigt. Der Mund befindet ſich auf der Mitte der Unterfläche; auf der-
ſelben Seite gegen den Rand hin die Madreporenplatte. Die Arme
ſind ſtets veräſtelt, äußerſt biegſam und meiſtens mit Ranken verſehen,
welche ſich ſpiralig aufrollen. Es finden ſich dieſe Meduſenhäupter be-
ſonders in den ſüdlichen Meeren, aber ſtets nur ſelten. Euryale;
Trichaster; Asteronyx.


Eine zweite Familie iſt die der Schlangenſterne(Ophiurida).

Figure 96. Fig. 147.

Ophiura.
Von der Rückenfläche. Die untere Figur
zeigt die Körperſcheibe von der Bauchfläche
mit dem centralen, fünfſtrahligen Munde.


Der Körper ſtellt eine rundliche
oder fünfeckige Scheibe dar, mit
fünf langen, ſtets unveräſtelten
Armen, wodurch ſie ſich weſent-
lich von der vorigen Familie
unterſcheiden; auch ihnen fehlt
ſtets ein After und die Madre-
porenplatte verſchwindet bei den
Erwachſenen faſt gänzlich. Die
langen Arme, welche keine Bauch-
furche haben, ſind meiſt mit
Stacheln oder Warzen in Quer-
reihen beſetzt und ſchlangenartig
biegſam. Sie ſind in allen Meeren
äußerſt häufig und von dem Jura an in den jüngern Schichten der
Erde repräſentirt. Ihre Entwicklungsgeſchichte iſt vorzugsweiſe der
Gegenſtand neuerer Unterſuchungen geweſen. Ophiura; Ophiocoma;
Ophiolepis.


[160]

In der Familie der eigentlichen Seeſterne(Asterida) iſt der

Figure 97. Fig. 148.

Asterias.


Körper zuweilen nur
fünfeckig oder in fünf
kurze Arme ausgezo-
gen, in welche Blind-
ſäcke des Magens
hineinragen, die ſich
oft noch veräſteln.
Nur ſelten ſind dieſe
Strahlen zahlreicher
und in dieſem Falle
wechſelt oft ihre An-
zahl oder läßt Ab-
weichungen von dem
Normaltypus Fünfer-
kennen. Die Ge-
ſchlechtstheile liegen
ebenfalls theilweiſe in
den Armen, die ſtets auf der Bauchfläche eine Rinne haben, in wel-
chen die Füßchen in doppelter oder vierfacher Reihe ſtehen. Bei der
ungemein großen Anzahl der Arten und Gattungen hat man beſonders
hiernach die Hauptgruppen der Familie unterſchieden. Von bedeutendem
Einfluß auf die Claſſification iſt ferner die Körperform, das Vorhandenſein
oder Fehlen eines Afters, ſowie die Stellung der Madreporenplatte, welche
in dieſer Familie mit einem eigenthümlichen Kanale in Verbindung ſteht,
der als ſchwammige Säule von der Rückenfläche ſich gegen den Mund
hin erſtreckt. Asterias; Astropecten; Stellaster; Solaster; Echinaster.


Die Ordnung der Seeigel (Echinida) iſt wohl die zahl-

Figure 98. Fig. 149.

Echinus.


reichſte unter den Stachel-
häutern, da ſie nicht nur
in ungeheuren Mengen
in unſern Meeren, ſon-
dern auch in allen Schich-
ten der Erde in ſtets
zunehmender Zahl ver-
treten iſt. Die Seeigel
haben einen rundlichen
oder abgeplatteten Kör-
per, welcher gänzlich aus
eingelenkten Täfelchen
zuſammengeſetzt iſt, die
[161] zwiſchen ſich nur zwei Oeffnungen, eine ſtets auf der Unterfläche ge-
legene für den Mund, eine zweite für den After laſſen. Man unter-
ſcheidet auf dieſer Schale ſelbſt fünf Hauptabtheilungen, welche theils
durch die Ecken des Mundes, theils aber ganz beſonders durch die
Fühlergänge angezeigt ſind. An beſtimmten Stellen nämlich zeigen
die einzelnen Platten ſehr charakteriſtiſch gebildete feine Oeffnungen,
welche zu dem Durchtritte der hauptſächlichſten Bewegungsorgane des
Seeigels, der Saugfüßchen oder Ambulakren beſtimmt ſind. Es ſtehen
dieſe Oeffnungen ſtets in Reihen, welche bald von dem Munde aus-
gehend nach oben gegen den Gipfel der Schale hin zuſammenfließen
und dort einen fünfſtrahligen Stern bilden, bald auch nur ſich auf
der oberen Fläche zeigen, wo ſie dann in einer fünfſtrahligen Roſette zu-
ſammenſtehen. Die gegenſeitige Stellung und Zahl dieſer feinen Löcher,
ihre Verbindung oder Iſolirung bieten ſehr wichtige Merkmale für die
Gattungen und Arten dar. Man unterſcheidet hiernach auf den Scha-
len, deren Theile ſich nach der Fünfzahl wiederholen, die Ambula-
kralfelder, welche dieſe Poren enthalten, und die dazwiſchen liegenden
Interambulakralfelder. Dem Munde gegenüber auf der Rückenfläche
des Seeigels befindet ſich meiſtens der After, welcher keinem einzigen
dieſer Thiere fehlt, und welcher dann den Mittelpunkt für die Roſette
oder den Stern der Fühlergänge bildet. Der After iſt meiſtens von
beweglichen Platten eingefaßt, welche bei den foſſilen Seeigeln leicht
ausfallen. Außerdem findet ſich in ſeinem Umkreiſe eine Roſette von
Platten, deren jede deutlich durchbohrt iſt, zum Durchtritte der Pro-
dukte der Zeugungsorgane. Selbſt in den Fällen, wo der After nicht
im Mittelpunkte der Scheibe liegt, ſondern mehr nach hinten gerückt
iſt, ſelbſt in dieſen Fällen bilden, nur mit Ausnahme einer einzigen
Gruppe, die Genitalplatten auf der Mitte des Rückens einen Mittel-
punkt mit 5 oder 4 Oeffnungen, von welchem die Fühlergänge aus-
gehen. Die Geſchlechtsorgane liegen nämlich bei den Seeigeln in
einem vier oder fünfſtrahligen Sterne von Traubenſäcken an dem
Rücken der Schaale und ihre Ausführungsgänge befinden ſich in den
erwähnten Genitalplatten. In den Ecken des Sternes, welcher durch
dieſe Platten gebildet wird, ſieht man meiſt noch andere feinere Oeff-
nungen, in welchen die rothen Augenflecken eingebettet ſind.


Auf den Täfelchen, welche die Schalen der Seeigeln zuſammen-
ſetzen, ſtehen noch zwei verſchiedene Gebilde, welche beſondere Beach-
tung verdienen. Dies ſind einerſeits die Stacheln, kalkige, bewegliche
Säulen, welche von der Dicke eines Haares bis zu der einer Nuß
wechſeln und durch Geſtalt, Struktur und Einlenkung äußerſt charak-
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 11
[162] teriſtiſch ſind. Es ſtehen nämlich dieſe Stacheln ſtets auf runden
Knötchen, welchen entſprechend ſie an dem untern Ende eine hohle
Gelenkfläche beſitzen, ſo daß ſie auf einem förmlichen Kugelgelenke ſich
drehen können. Im Umkreiſe dieſes Kugelgelenkes ſind faſerige Bän-
der entwickelt, welche den Stachel bewegen können. Je bedeutender
die Stacheln, deſto größer werden auch die Zapfenhöcker, welche ſie
tragen, ſo daß bei denjenigen Seeigeln, wo ſehr bedeutend große Sta-
cheln vorkommen, ſich auch auf der Oberfläche der Schale dicke Höcker
zeigen, welche meiſt noch einen beſonderen Gelenkknopf tragen und oft
auch auf ihrer Spitze ein Loch zur Befeſtigung mittelſt eines Sehnen-
bandes zeigen. Das Verhalten dieſer Höcker und der großen Stacheln
zu den kleinen, deren Höckerchen der Oberfläche der Schale nur ein
rauhes Ausſehen geben, alles dies wird mit Vortheil zur Beſtimmung
der Gattungen und Arten benutzt. Die zweite Art von eigenthüm-
lichen Organen, die Pedicellarien, die beſonders in der Umgebung
des Mundes ſtehen, wurden ſchon früher erwähnt.


Die Entwickelungsgeſchichte der Seeigel, Seeſterne und Schlangen-
ſterne iſt beſonders in der neueſten Zeit ſo umfaſſend beobachtet wor-
den, daß man im Allgemeinen wenigſtens die Grundzüge dieſer
Entwickelung angeben kann. Es beſtehen dieſe aber im Folgenden:

Figure 99. Fig. 150. Fig. 151. Fig. 152. Fig. 153.

Seeigel-Eier im Furchungsprozeſſe. Fig. 150. Das reife Ei. a Dotterhaut; b Dotter;
c Keimbläschen. Fig. 151. Zweitheilung. Fig. 152. Achttheilung. Fig. 153. Maulbeer-
form des Dotters.


Die Eier der Seeigel und Seeſterne zeigen eine deutliche Hülle, einen
meiſt gelblich oder röthlich gefärbten Dotter und ein ſehr deutliches
Keimbläschen mit Keimflecken, während die den Eierſtöcken ganz gleich geſtal-
teten männlichen Organe Samenthierchen mit rundlichem Körper und einem
Schwanzanhange erzeugen. Nach der Befruchtung und dem regel-
mäßigen Furchungsprozeſſe, welchen dieſe Eier durchlaufen, ent-
ſteht ein rundlicher Embryo, der mittelſt ausgebildeter Wimper-
haare nach Durchbrechung der Eiſchale frei in dem Waſſer um-
herſchwimmt. Nach und nach erhält dieſer Embryo die Geſtalt
einer vierſeitigen Pyramide, welche ſich mehr und mehr in die
[163]

Figure 100. Fig. 154. Fig. 155. Fig 156.

Larvenbildung des Seeigels.
Fig. 154. Kuglicher Embryo, ſchwimmend. g Innere Zellenſchicht;
f Aeußere Zellenſchicht; c Wimperhaare. Fig. 155. Ecſter Anfang;
Fig. 156. Ausbildung der ſtaffeleiförmigen Larve. a Mund; b Darm;
c Kalkſtäbe; e Wimperhaare.


Länge zieht und
auf der, der
Spitze gegen-
über ſtehenden
Baſis eine Oeff-
nung zeigt, wel-
che ſich als Mund
zu erkennen gibt,
der in einen wei-
ten Schlund und
einen ſackartigen
Magen führt.
Zugleich zeigen
ſich im Innern dieſes Körpers Kalkſtäbe, welche längs der Seite der Pyramide
hinlaufen und an der Spitze derſelben miteinander verbunden ſind. Da wo
die Kalkſtäbe an der Baſis der Pyramide auseinanderſtehen, bilden ſie
ſpitzenartige Verlängerungen, ſo daß die ganze Larve einem pyramidalen

Figure 101. Fig. 157.

Ausgebildete Seeigellarve.
a der Mund, b der Darm
mit dem links gelegenen After.
c Kalkſtäbe.


Uhrgehäuſe nicht unähnlich iſt. Die Wim-
pern ſind jetzt vorzugsweiſe längs der Kalk-
ſtäbe entwickelt, welche merkwürdiger Weiſe
vollkommen ſymmetriſch angeordnet und
meiſt in der Zahl von vier oder acht vor-
handen ſind. Bis zu dieſem Punkte hat
man die unmittelbare Ausbildung der Larve
der Seeigel aus den Eiern der Seeigel
ſelbſt verfolgt. Weitere Beobachtungen
machte man an Thieren, die man in der
See aufgefangen hatte und anfangs als
eigenthümliche Weſen unter dem Namen
Pluteus beſchrieb. Die geſtellartigen Formen
mit ſymmetriſchen Kalkſtäben und Wimper-
ſchnüren längs der Fortſetzungen dieſer Kalk-
ſtäbe, oder auch mit epaulettenartigen Räder-
organen zeichnen dieſe kaum eine halbe Linie
großen Thiere vor allen andern thieriſchen
Gebilden aus. Außerordentlich merkwürdig iſt indeß die weitere Ent-
wicklung dieſer ſeltſamen Larven, welche durchaus keinen ſtrahligen
Typus zeigen. Das eigentliche Strahlthier ſproßt nämlich aus dieſer
Larve ſelbſt hervor und ſteht anfangs in einem Verhältniſſe zu der-
ſelben, wie eine Knospe zu ihrem Mutterthier, während ſpäter im
11*
[164] Gegentheile die urſprüngliche Larve nur wie ein Schwimmapparat
erſcheint, der an dem Thiere ſelbſt befeſtigt iſt. Die Larven, welche
ſich aus dem urſprünglichen Ei der Seeſterne und Seeigel entwickeln,
ſtehen alſo zu dem zukünftigen Strahlthiere etwa in dem Verhältniſſe
einer Amme zu der ſich entwickelnden Knospe, doch mit dem Unter-
ſchiede, daß ſogar ein Theil ihrer Organe in die Organe der ſich ent-
wickelnden Knospe übergeht. Die Larve beſitzt nämlich einen Mund
und einen Schlund, welcher in den Magen des jungen Strahlthieres
überführt und, wie es ſcheint, iſt auch bei denjenigen Strahlthieren,
welche einen After beſitzen, die Larve mit einem ſolchen verſehen, während
der After bei den Larven fehlt, welche afterloſen Gattungen zugehören.


Die ſtaffeleiartigen Larven der Echinodermen finden ſich da, wo
die Mutterthiere häufig vorkommen, ebenfalls in großen Mengen frei um-
herſchwimmend im Meere. Man hat ihre weitere Entwickelung haupt-
ſächlich bei den Schlangenſternen beobachtet. Hier ſproſſen im Innern
des Thieres zur Seite des Mundes blindſackartige Figuren hervor,

Figure 102. Fig. 158.

Vollſtändige Larve eines Schlan-
genſternes vor dem Aufſproſſen des Sternes.


Die Bezeichnung iſt
für alle drei Figuren die
ſelbe. a der Mund, c die
Kalkſtäbe, h der afterloſe
Magen der Larve, i der
aufſproſſende Schlangen-
ſtern.


welche anfangs ganz in der Subſtanz
der Larve eingeſchloſſen ſind, ſpäter
aber über dieſelbe hinauswachſen, zuſam-
menſchießen und die Scheibe des Schlan-
genſternes darſtellen. Es hängt dieſe
Scheibe ſchief an der geſtellartigen
Larve, ſo daß die Fortſetzung der

Figure 103. Fig. 159.

Eine ähnliche Larve, bei welcher der
Schlangenſtern in Geſtalt von Blinddärmen aufſproßt.


[165]

Figure 104. Fig. 160.

Eine dritte Larve, bei welcher in
dem Schlangenſtern ſchon die gegitterte Kalk-
maſſe erſcheint.


Larvenaxe nicht in die Axe des neuen
Thieres fällt. Erſt nach einiger Zeit
bildet ſich für das eigentliche Thier
auch ein Mund, während es früher
durch den Mund der Larve ernährt
wurde. Später wenn die Larve ſich von
ihrer ausgebildeten Knospe losreißt, zeigt
dieſe an der Eintrittsſtelle eine Narbe,
welche durch die Madreporenplatte ge-
ſchloſſen wird. Dieſe Platte dient mit-
hin bei den erwachſenen Stachelhäutern
zur Bezeichnung der Stelle, an wel-
cher beide embryonale Gebilde zu-
ſammenhingen. Indem nun zugleich
an den Seiten der Scheibe die Arme
hervorſproſſen, zeigen ſich in dem Innern des jungen Thieres die
erſten Spuren des Kalkſkelettes in Form netzartig verzweigter Stäbchen,
die bald drahtförmig gegitterte Stäbe bilden. Nach der Bildung der
Stacheln ſproſſen auch die Füßchen hervor, anfangs nur in ſehr ge-
ringer Zahl und äußerſt plumper Form, wenn man ihr ſpäteres Ver-
hältniß zu den erwachſenen Thieren berückſichtigt. Je mehr nun der
junge Seeſtern wächſt, deſto geringfügiger wird die Larve in dem
Verhältniß zu demſelben, bis ſie endlich ganz abreißt und der junge
Schlangenſtern allein überbleibt. Dieſer ſchwimmt noch eine Zeitlang
durch Wimperhaare, welche ſpäter verſchwinden, wo ſich dann das
Thier kriechend bewegt.


Die Larven der verſchiedenen Ordnungen und Familien der
Stachelhäuter haben alle, ſoweit ſie bis jetzt bekannt ſind, einen über-
einſtimmenden Typus, wenn auch ſehr häufig eine ſehr verſchiedene
Form. So beſchrieb man unter dem Namen Bipinnaria asterigera
eine Larve mit außerordentlich langem Stiel und ſehr kurzen Fort-
ſätzen, welche einen Seeſtern trägt, und man lernte andere Arten
kennen, aus welchen ſich Seeigel hervorbilden, die mehr hut- oder
glockenförmig mit ſteifen Fortſätzen erſcheinen. Weitere Unterſuchungen
werden ohne Zweifel die noch übrigen dunkeln Punkte ſchnell aufklären.


Man theilt die Seeigel in vier große Familien ein, welche ſich
durch ſcharfe Charaktere von einander unterſcheiden. Bei den eigent-
lichen Seeigeln (Cidarida) iſt der Körper kugelig, der Mund in der
[166]

Figure 105. Fig. 161.

Echinus.


Mitte der Unterfläche in
einer bald ganz nackten,
bald mit Wärzchen be-
ſetzten Haut gelegen.
Der After liegt dem
Munde gegenüber auf
der Mitte des Rückens
in einer Roſette, welche
aus fünf Genitalplatten
gebildet iſt, die mit
fünf Augenplatten ab-
wechſeln. Die Madre-
porenplatte iſt mit der
unpaaren Genitalplatte verſchmolzen. Der Zahnapparat iſt äußerſt
complicirt und wird durch innere Vorſprünge der Schale an ſeinem
Platze gehalten. Die Fühlergänge ſind ſchmal und gehen von dem
Munde bis zu dem After, meiſt in etwas geſchlängelter Linie fort.
Auf den Feldern zwiſchen den Fühlern ſind große runde Höcker ange-
bracht, welche in Reihen ſtehen und die Stacheln tragen. Bei den
zahlreichen Gattungen, welche ſich in dieſer Familie finden, hat man
wieder mehrere Gruppen unterſchieden, ſo die Turbanigel (eigent-
liche Cidariden), (Cidaris; Salenia; Hemicidaris) bei denen auf einer
dicken Schale ſehr dicke auf dem Gipfel durchbohrte Höcker in je zwei
Reihen geordnet ſtehen, die ungemein große und lange, oft keulenförmige
Stacheln tragen, und die eigentlichen Seeigel (Echiniden), (Dia-
dema, Echinus, Echinometra
) die eine weit dünnere Schale beſitzen, mit
kleinern Höckern und dünnen ſpitzigen Stacheln. Es kommt dieſe Familie
von dem Kohlenkalke an in allen Schichten der Erde vor und ſcheint
ihre größte Entwicklung in den juraſſiſchen Gebilden zu erhalten.


Figure 106. Fig. 162.

Laganum.
Von oben. Daneben der Umriß der unteren Fläche, um die
Lage von Mund und After zu zeigen. a Mund. b After. c Un-
tere Fühlergänge. d Stern der obern Fühlergänge. e Mitt-
lere Platte mit den Geſchlechtsporen.


Die zweite
Familie, diejenige
der Schildigel
(Clypeastroida)
begreift Thiere
von meiſt ſcheiben-
förmiger Geſtalt,
deren Schale ſehr
dick und mit fei-
nen Höckerchen
beſetzt iſt, welche
ſehr dünne, kurze,
[167] haarartige Stacheln tragen. Dieſe Höckerchen ſind überall gleich. Der
Mund befindet ſich in der Mitte der Unterfläche und iſt mit fünf einfachen Zäh-
nen von pyramidaler Form bewaffnet; der After dagegen ſteht niemals auf
der obern Fläche des Scheitels, ſondern ſtets auf der untern Fläche mehr oder
minder näher dem Rande und dem mittleren Strahle entgegengeſetzt.
Die Fühlergänge bilden auf der Rückenfläche einen aus fünf breiten
Blättern zuſammengeſetzten Stern, dem die Madreporenplatte mit fünf
Geſchlechtsöffnungen als Mittelpunkt dient. Es iſt dieſe Familie haupt-
ſächlich neueren Urſprungs. Man findet ihre erſten Repräſentanten in den
Tertiärgebilden und die meiſten leben jetzt in den ſüdlichen Meeren.
Manche Gattungen zeigen durch Einſchnitte eine Hinneigung zur ſtrah-
ligen Form. Clypeaster; Laganum; Scutella; Echinocyamus.


Eine dritte Familie, die Nußigel (Cassidulida), hat einen rund-
lichen oder eiförmigen Körper, der meiſt ziemlich hoch iſt und ſehr
feine Stacheln, die auf zerſtreuten Höckerchen ſtehen. Die Fühlergänge
ſind bald blattförmig wie bei den Schildigeln, bald reihenförmig wie
bei den Seeigeln. Der Mund ſteht in der Mitte der Unterfläche oder
etwas mehr nach vorn, der After am Rande oder an der Unterfläche,
ſo daß bei der ſonſt eiförmigen Geſtalt des Thieres die Mittelaxe oft
ſehr deutlich wird. Der Mund iſt gänzlich unbewaffnet, was weſent-
lich zur Unterſcheidung von den vorigen Familien dient. Es erſcheint
dieſe Familie zuerſt in den juraſſiſchen Schichten und diejenige Gruppe,
welche blattförmige Fühlergänge hat, vermehrt ſich bis zu unſerer Zeit,
während die andere Gruppe in unſerer Zeit faſt ganz verſchwunden iſt.
Echinoneus; Discoidea; Galerites; Nucleolites; Cassidulus; Echinolampas.


Die vierte Familie, die Herzigel (Spatangida), hat eine herzför-

Figure 107. Fig. 163.

Spatangus.
Von oben. Auf der einen Seite
ſind die Haare und Stacheln gelaſ-
ſen, auf der andern weggenommen,
um die Platten des Panzers und die
Fühlergänge a zu zeigen.


mige Geſtalt, an welcher man beſonders
deutlich eine mittlere Axe unterſcheidet, die
den Körper in zwei ſymmetriſche Hälften
theilt; auch dieſer Familie fehlt wie der
vorigen jede Spur von Bezahnung. Der
Mund liegt ſelten in der Mitte, meiſt an
dem vordern Rande, der After an dem
hintern Rande der Unterfläche ihm gegen-
über, ſo daß auch hierdurch die Mittel-
linie ſehr deutlich angezeigt iſt. Die Füh-
lergänge ſind meiſtens auf dem Gipfel in
einer Roſette vereinigt, bei einer Gruppe aber
vollkommen getrennt. Der hintere unpaare
Fühlergang liegt meiſtens in einer tiefen Rinne, wodurch die herzförmige
Geſtalt erzeugt wird und unterſcheidet ſich in ſeiner Natur von den
übrigen. Meiſt finden ſich nur vier Genitalöffnungen und auch nur
[168] vier Eierſtöcke im Innern. Es erſcheint dieſe Familie zuerſt in dem
Jura mit Formen, welche den Nußigeln ähnlich ſehen und ihre Zahl
wächſt ſtets bis auf die heutige Zeit. Spatangus; Brissus; Hemiaster;
Schizaster; Holaster; Ananchytes; Dysaster.


Die letzte Ordnung der Stachelhäuter begreift die Seewalzen
(Holothurida)
, welche eine lederartige Haut mit ſparſam einge-

Figure 108. Fig. 164

Holothuria.


ſtreuten Kalkkörnchen
und eine walzen- oder
wurmförmige Geſtalt
beſitzen, die nur noch
durch einen Fühler-
kranz im Umkreiſe des
Mundes den ſtrahli-
gen Typus erkennen
läßt. Der After liegt
an dem hintern Theile
des Thieres und dient,
wie ſchon oben bemerkt, zugleich als Athemöffnung, durch welche das die
inneren Kiemen erfüllende Waſſer aus- und eingepumpt wird. Im Innern
des Körpers findet ſich um den Mund ein kalkiger Ring, an welchen die
Längsmuskeln ſich befeſtigen, welche beſonders zur Zuſammenziehung des
Körpers dienen. Man unterſcheidet in dieſer Ordnung zwei Fami-
lien, die ſich beſonders durch Anweſenheit oder Mangel von Saug-
füßen auszeichnen. Bei der erſten Familie, den Haftwalzen (Synap-
tida
), fehlen die Füßchen durchaus und ſind durch eigenthümliche

Figure 109. Fig. 165.

Synapta mit ausgebrei-
teten Fühlern. Daneben ein Kalkanker,
aus der Haut, ſtark vergrößert.


Kalkanker erſetzt, welche die Haut rauh
machen. Ebenſo fehlen innere Kiemen
oder eigene Reſpirationsorgane, indem
das Waſſer durch Spalten in die Leibes-
höhle tritt. Der Darmkanal iſt grade,
der After am entgegengeſetzten Leibesende.
Eine an den Küſten des Oceans lebende
Art, die ungemein genau unterſucht iſt,
dient als Typus der Familie, die ſonſt
meiſtens in ſüdlichen Meeren verbreitet iſt.
Chirodota; Synapta.


Die zweite Familie, die der See-
walzen
(Holothurida), hat kurze Saug-
füßchen, ganz denen der Seeigel ähn-
lich, welche meiſt in Reihen ſtehen und
durch Spalten der Haut hervorgeſtreckt
[169] werden können. Der Darmkanal im Innern iſt S förmig gewunden
und an ſeinem hintern Ende mit einer baumartig verzweigten Kieme
in Verbindung. In der Gefangenſchaft ziehen ſich dieſe Thiere oft
mit ſolcher Energie zuſammen, daß ſie einen großen Theil des Darm-
kanales mit der Kieme losreißen und durch den After entleeren. Es
ſollen ſich indeß dieſe Theile ſpäter wieder erzeugen. In den ſüdlichen
Meeren kommt eine Gattung vor, der Trepang, welcher in großen
Maſſen gefiſcht und beſonders nach China als ſtärkendes Reizmittel
verkauft wird. Die Seewalzen finden ſich in allen Meeren ungemein
häufig an dem Boden kriechend, wo ſie ſich beſonders von Schaal-
thieren nähren. Pentacta; Psolus; Holothuria; Bohadschia; Cladolabes.


Achter Brief.
Kreis der Würmer. (Vermes.)


Eine an Anzahl und Mannigfaltigkeit der Ausbildung dem
Kreiſe der Protozoen und Strahlthiere nicht nachſtehende Entwickelungs-
richtung iſt in den Würmern gegeben, welche durch die Geſtalt ihres
Körpers, durch die Anordnung und Ausbildung ihrer Organe einen
weſentlichen Unterſchied von allen übrigen Typen der niederen Thiere
darbieten und namentlich in ihren höheren Formen ſich bis in die
Nähe des Kreiſes der Gliederthiere erheben, zu welchen ſie in weit
näherer Beziehung ſtehen, als zu den Weichthieren. Meiſt dunkel in
ihrer Lebensweiſe, oft ſchmarotzend in andern Thieren und auf Koſten
derſelben, oder verborgen in Erdlöchern, unter Steinen und im Schlamme
der Gewäſſer lebend, wenig anziehend durch Form oder Farbe,
wurde dieſer Kreis anfangs von den Naturforſchern nur ſehr wenig
in Betrachtung gezogen, bis tiefere Blicke in ihre Organiſation und
ihren Haushalt Geheimniſſe entdecken ließen, die in nicht geringem
Grade die Wißbegierde anſpannen mußten. So ſind denn in unſerer
Zeit gerade die Würmer ein weſentlicher Gegenſtand der Forſchung
geworden und ſtellen ſich jetzt als denjenigen Kreis des Thierreichs
dar, in welchem die meiſten Reſultate erzielt werden und wo auch die
meiſten ferner dem umſichtigen Beobachter ſich darbieten. Umſomehr
iſt aber darauf hinzuweiſen, daß faſt überall unſere Kenntniſſe bis
jetzt nur fragmentariſch und demnach die ganze Behandlung des Ge-
[170] genſtandes eine mehr proviſoriſche iſt, die in jedem Augenblicke von
Grund aus durch neue Entdeckungen geändert werden kann. Die
verſchiedene Umgränzung des Begriffes, welchen man mit dem Worte
„Würmer“ überhaupt verbindet; die mannigfach verſchiedenen Verſuche
der Claſſification, welche von Zeit zu Zeit wiederholt werden, ſind
ſprechende Beweiſe für den Mangel an ausreichender Kenntniß in
dieſem Felde. Wir machen überall die Erfahrung, daß bei mangel-
haftem Material die perſönlichen Anſchauungen und Anſichten in’s
Unendliche wechſeln, während bei gehöriger Kenntniß der Thatſachen
die Discuſſionen von ſelbſt aufhören und ihre faktiſche Erledigung
finden.


Die Würmer zeichnen ſich dem Kreiſe der Strahlthiere gegenüber
durch eine weſentlich ſymmetriſche Anlage ihrer Organe aus.
Sie ſind vollkommen nach bilateralem Typus gebaut. Eine ſenkrechte
durch die Mittellinie gelegte Ebene theilt das Thier in zwei vollkom-
men gleiche Hälften. Die einfachen Organe liegen in der Mittellinie,
die mehrfach vorhandenen zu beiden Seiten meiſt in ſymmetriſcher
Folge. Zwar finden Abweichungen von dieſer Symmetrie ſtatt, doch
ſind dieſelben nur ſelten und betreffen meiſt nur den Darmkanal und
die Geſchlechtsorgane; zwei Organſyſteme, welche überhaupt auch bei
ſonſt ſymmetriſch gebauten Thieren leicht eine Ausnahme zu machen
pflegen. Der Körper der Würmer iſt bei dieſer Symmetrie der Or-
gane meiſtens lang geſtreckt und von oben abgeplattet, oft ſo ungemein
lang im Verhältniß zu der Breite, daß die Thiere wie ſchmale Bän-
der oder dünne Bindfaden ausſehen. In den niedern Typen herrſcht
meiſtens bei geringer Körperlänge mehr die Abplattung von oben vor,
ſo daß ſie eine eiförmige Umgränzung des Körpers zeigen, während
bei den höhern Typen noch ein zweites charakteriſtiſches Merkmal her-
vortritt, nämlich die Gliederung des Körpers in quere Ringe,
ſogenannte Zoniten, die ſich in faſt vollkommener Gleichheit oft
hundertfach wiederholen. Dieſe quere Gliederung, welche wir noch
bei einem andern Kreiſe des Thierreiches, bei den Gliederthieren, eben-
falls mit ſtrenger Symmetrie gepaart wahrnehmen, iſt entweder Reſultat
einer Art von embryonaler Knospung, wie namentlich bei den höheren Rin-
gelwürmern, oder die Folge einer unvollſtändigen Knospung, welche
während des ganzen Lebens fortdauert, wie dies namentlich bei den
Bandwürmern der Fall iſt. Aber auch in den höchſten Typen, bis
zu welchen ſich die dem Kreiſe der Würmer angehörenden Thiere auf-
ſchwingen, trägt die Gliederung des Leibes inſoferne den Stempel
der Unvollkommenheit, als die Glieder meiſtens unter ſich gleich ſind,
[171] dieſelben Organe enthalten, die mithin ſich vielfach wiederholen, wäh-
rend bei den Gliederthieren die einzelnen Ringel meiſt durchaus ver-
ſchiedenen Gehalt und Bedeutung zeigen. Die Anatomie eines einzigen
Bandwurmgliedes genügt beinahe, um die Zuſammenſetzung eines jeden
der tauſend und aber tauſend Glieder zu kennen, aus welchen ein
ſolches Thier zuſammengeſetzt iſt; ein Kieferwurm (Eunice) hat hun-
derte von Ringeln, welche ganz dieſelben Füße, Borſten und Kiemen
tragen. Dieſe öftere Wiederholung gleicher Organe, die zu derſelben
Function beſtimmt ſind, iſt ſtets ein Zeichen niederer Organiſation,
während die Sonderung beſtimmter Theile in vielfacher Zahl mit ver-
ſchiedener Function höheren Bildungsgrad anzeigt. So ſehen wir
auch nur bei den höchſten Typen der Würmer einen wirklich abge-
ſonderten Kopf ſich ausbilden, während bei den übrigen, auch bei
durchgreifender Ringelung des Körpers, der Kopf, als Träger der
Sinnesorgane und des Centralnervenſyſtems, oft nicht von dem übri-
gen Körper abgetrennt iſt.


Wie in den übrigen Kreiſen, ſo ſehen wir auch in dem Kreiſe
der Würmer eine allmählige Vervollkommnung von niederen zu höheren
Lebensformen. Dieſelbe ſpricht ſich nicht nur in der äußern Körper-
form, ſondern auch in der ſtufenweiſen Ausbildung der einzelnen Or-
gane aus. Das Nervenſyſtem, welches bei allen Würmern ohne
Ausnahme vorhanden, aber in den niederen Stufen nur rudimentär
iſt, und dann aus zwei unbedeutenden zu beiden Seiten des Schlundes
gelegenen Knötchen beſteht, welche zwei dünne Seitenäſte längs des
Körpers herabſenden, ſchwingt ſich ſtufenweiſe zu höherer Entfaltung
hervor, bis es bei den höchſten Würmern einen Schlundring mit vor-
zugsweiſe entwickelter oberer Hälfte (Gehirn) bildet und eine Aufein-
anderfolge von Knoten zeigt, welche längs der Mittellinie des Bauches
durch Längsſtränge verbunden ſich hinziehen und nach allen Seiten
hin Aeſte ausſenden. Die Sinnesorgane, welche den niederen
Typen fehlen, entwickeln ſich anfangs in großer Zahl, wenn auch mit
geringer innerer Ausbildung und gehen meiſt denjenigen Gattungen
und Familien ab, welche in dem Körper anderer Thiere oder in Röh-
ren leben. Auch die Bewegungsorgane entfalten ſich aufſteigend
in mannigfacher Weiſe, denn während bei den niederen Typen entwe-
der nur der ganze Körper durch abwechſelnde Zuſammenziehungen und
Ausdehnung die Bewegung vermittelt, oder höchſtens Haken, Rüſſel
und Saugnäpfe ſich ausbilden, zum Feſthalten an beſtimmten Orten,
ſo wird bei den höheren Typen die Fortbewegung durch beſondere
Borſten, Fußſtummel und Schwimmplatten bewirkt, welche zu beiden
[172] Seiten der Ringel und am ganzen Körper oft in ungeheurer Zahl
angebracht ſind. Indeß zeigen dieſe Bewegungsorgane niemals und
unter keinen Umſtänden die bei den Gliederthieren vorkommende Glie-
derung aus verſchiedenen in einander eingelenkten Stücken. Es ſind
ſtets nur einfache Hornſtücke, welche in muskulöſen Zwiebeln ſtecken
und durch dieſe bewegt werden können.


Nicht minder in die Augen fallend iſt der Fortſchritt der Ent-
wickelung in dem Blutſyſteme und den Athemorganen. Mit
Ausnahme einer Klaſſe, bei welcher die äußerſt geringe Körpergröße
die Kenntniß der gewiß farbloſen und dadurch unſichtbaren Blutſtrö-
mungen verhindert haben mag, kennt man jetzt bei allen Würmern
ein Blutgefäßſyſtem, das aus geſchloſſenen Röhren beſteht und deſſen
oft ſelbſt roth gefärbter Inhalt bei den höher ſtehenden Typen durch
contractile Gefäße und herzartige Erweiterungen derſelben in Bewe-
gung geſetzt wird. Auch die ſucceſſive Ausbildung der Athemorgane
läßt ſich deutlich nachweiſen, denn während dieſelben in den niederen
Typen ganz fehlen und die Function der Athmung wahrſcheinlich durch
die Haut übernommen iſt, ſo ſind bei den höheren Gliedern des Krei-
ſes oft ſehr vollſtändig ausgebildete Kiemen vorhanden, welche einzig
zu dem Zwecke der Athmung beſtimmt ſind und keine Nebenfunction
beſitzen.


Die Verdauungsorgane fehlen den niederen Typen durchaus,
ſie werden erſetzt durch ein bedeutendes Einſaugungsvermögen der
Haut; dann findet ſich nur ein Mund, welcher in einen mehr oder
minder verzweigten blindgeendeten Darmkanal führt, bis endlich bei
den höheren Typen ein an beiden Enden geöffneter Darmkanal exiſtirt,
der oft mit Zähnen, Kiefern und andern Vorrichtungen zum Fangen
und Zerkleinern der Beute bewaffnet iſt.


Geſchlechtsorgane ſind bei allen ausgebildeten Würmern
vorhanden, oft in außerordentlich vervielfältigter Zahl, ſo daß die
Produktion der Eier eine wahrhaft ungeheure iſt. Beſonders bei
denjenigen Gattungen, deren Erhaltung auf ſcheinbar außerge-
wöhnliche Zufälle ſich berechnet zeigt, ſteigt dieſe Erzeugung der Eier
ins Unendliche. Der Embryo entwickelt ſich ſtets aus dem
ganzen Dotter
, niemals findet ſich ein Gegenſatz zwiſchen einer
Keimanlage und einem Ernährungsdotter und wo man einen ſolchen
zu finden glaubte, irrte man ſich inſofern, als man die für den
Aufbau der innern Organe beſtimmten Zellen für den Dotter, die
äußeren Zellen für die Keimlage anſah. Die meiſten Embryonen ver-
laſſen das Ei als eine dem Mutterthiere höchſt unähnliche Larve,
[173] welche erſt durch ſucceſſive Metamorphoſe der Organiſation des er-
wachſenen Thieres nahe kommt. Außer dieſer Larven-Metamor-
phoſe
, welche oft nur durch die überraſchendſten Aenderungen des
Wohnortes möglich gemacht wird, ſind ſowohl Knospung als Quer-
theilung und Ammenzeugung bei den Würmern ungemein verbrei-
tet. Die letztere namentlich kommt beſonders bei denjenigen Ord-
nungen vor, welche in den Eingeweiden anderer Thiere leben, und
wird auch hier meiſtens durch Aenderung des Wohnortes mit bedingt.
Die Knospung findet faſt in allen Fällen an dem hintern Ende
des Leibes ſtatt und iſt bald eine unvollkommene, ſo daß die aus ihr
hervorgehenden Gebilde niemals zu einem ſelbſtſtändigen individuellen
Leben gelangen, theils eine vollſtändige, wo dann die Jungen eine
Zeitlang nur eine Fortſetzung des mütterlichen Leibes bilden, bis ſie
ſich gänzlich abſchnüren und frei werden. Eigentliche ſociale Formen,
wie ſie bei den Strahlthieren ſo häufig waren, kommen bei den Wür-
mern nur bei einer einzigen Familie vor, welche zudem noch nur
eine krankhafte Abänderung eines andern Typus darſtellt. Quer-
theilung
iſt zwar bei einigen Gattungen beobachtet; es fragt ſich
indeſſen, ob ſie nicht ſtets Folge mechaniſcher Verletzung und Repro-
duction der einzelnen Theile zu ſelbſtſtändigen Individuen war, oder
ob man nicht eine unvollſtändig beobachtete Knospung für eine Thei-
lung anſah.


Die größere Hälfte der Würmer lebt ſchmarotzend in den
Eingeweiden anderer Thiere, in welche ſie theils durch die natürlichen
Oeffnungen, beſonders der Verdauungs- und Luftwege gelangt, theils auch
mit Gewalt von außen ſich einbohrt. Viele bringen irgend eine Zeit ihres
Lebens als Schmarotzer, eine andere Zeit in der Außenwelt zu. Für
die meiſten dieſer Schmarotzer iſt die Wanderung von einem Thiere
zu dem andern eine Bedingung der Entwickelung. Von den frei leben-
den Würmern finden ſich die meiſten im Waſſer, wenige in der feuchten
Erde, einige in Röhren, welche ſie bald aus fremden Materialien zu-
ſammenkleben, bald durch Ausſchwitzung aus dem Körper bilden. Als
durchgreifendes Geſetz zeigt ſich hier, daß die ſchmarotzenden Gattun-
gen ſtets die niederen Stufen der Organiſation einnehmen, die frei
lebenden dagegen die höheren. Viele Eingeweidewürmer ſchließen ſich
in der Einfachheit ihrer ganzen Körgerorganiſation theils an die Pro-
tozoen, theils an die unterſten Strahlthiere an, während die höheren
Typen deutliche Annährungen an die Gliederthiere und an die Weich-
thiere gewahren laſſen. Selbſt bei denjenigen Thieren, welche einen
Theil ihres Lebens in der Freiheit, einen andern als Schmarotzer
[174] oder an den Ort gebunden als Röhrenbewohner zubringen, zeigt ſich
die Verwirklichung dieſes Geſetzes der verhältnißmäßig niederen Or-
ganiſation der Schmarotzer, indem die freien Thiere (meiſt die Jungen)
mit deutlichen Sinnesorganen und ausgebildeten Bewegungsorganen
verſehen ſind, welche allmählig beim Verluſt der freien Lebensart
ſpurlos verſchwinden. Noch deutlicher tritt dieſes Geſetz freilich bei
den Gliederthieren hervor, wo die Degradation der Organe oft ſo
bedeutend iſt, daß die Thiere verſchiedenen Alters in ganz verſchiedene
Klaſſen eingereiht wurden.


Wir theilen den Kreis der Würmer vorzüglich nach der äußern
Körpergeſtalt in vier größere Klaſſen: die Klaſſe der Plattwürmer
(Platyelmia)
mit plattem meiſt wenig verlängertem Körper; der
Rundwürmer (Nematelmia) mit meiſt

Figure 110. Fig. 166.

Diplostomum.


Figure 111. Fig 167.

Echinorhynchus.


Figure 112. Fig. 168.

Rotifer.


drehrundem, langem, fadenartigem Körper;
der Räderthiere (Ro-
tatoria
)
mit wim-
pernden Schwimm-
rädern am vorderen
Körperende; und der
Ringelwürmer
(Annelida)
, mit
deutlich geringeltem,
meiſt walzigem Kör-
per und ausgebilde-
tem Nerven-Syſtem.
So unbedeutend auch
die äußere Körper-
form im Allgemeinen
ſein mag, ſo ſteht ſie

Figure 113. Fig. 169.

Nereis.


doch mit tieferen
Organiſations-
verhältniſſen im
Zuſammenhang,
deren Einzelhei-
ten wir bei den
Klaſſen ſelbſt
begründen wer-
den. Unverträglich aber mit allen zoologiſchen Grundbegriffen hat es
uns geſchienen, die ſo verſchieden geſtalteten Eingeweidewürmer nur
aus Berückſichtigung ihrer Wohnung in einer einzigen Klaſſe zu laſ-
[175] ſen, während doch jeder Bearbeiter dieſer merkwürdigen Thiere offen
geſtehen mußte, daß es ihm unmöglich ſei, auch nur durch ein einziges in
der Organiſation begründetes Merkmal dieſe Klaſſe der Eingeweide-
würmer zu charakteriſiren. Man hatte hier Alles zuſammengeworfen,
was nicht mit äußerſter Evidenz andern Klaſſen angehörte und wagte
nicht, mit Trennungen vorzuſchreiten, welche alte Gewohnheiten be-
leidigen konnten, obgleich man aus andern Klaſſen viele reine Para-
ſiten kannte, die man trotz ihres Wohnſitzes nicht zu den Eingeweide-
würmern rechnete, da es zu evident war, daß ſie dem Kreiſe der
Würmer nicht angehörten.


Klaſſe der Rundwürmer. (Nematelmia.)


Figure 114. Fig. 170

Spul-
wurm (Ascaris)
Oben der Mund um
die drei knotigen Lix-
pen zu zeigen; unten
das Körperende des
Männchens mit
vorſtehender Ruthe.


Die ſämmtlichen Rundwürmer, mit Ausnahme einer
Familie, bringen die größte Zeit ihres Lebens ſchmarotzend
im Körper anderer Thiere zu, wo man ſie ſowohl in den
Eingeweiden als auch innerhalb ganz geſchloſſener Organe
findet, zu welchen ſie ſich meiſtens in der Jugend einen
Weg durch die Gewebe gebahnt haben. Der Körper
der Rundwürmer iſt meiſt cylindriſch, zuweilen gleich-
förmig an beiden Seiten zugeſpitzt, ſelten abgeplattet oder
mehr rundlich. Einzelne Gattungen derſelben erreichen
im Verhältniß zu ihrer Dicke eine ungeheure Länge, ſo
daß ſie wie dünne Faden oder Drähte erſcheinen; bei vielen iſt
das eine oder andere Ende des Körpers bedeutend verſchmä-
lert und ſtellt ſich wie ein Rüſſel oder feiner Schwanz-
anhang dar, während bei andern mancherlei Anhänge, wie Lippen,
Schwanzblaſen etc. das eine oder andere Körperende breiter oder ver-
dickt erſcheinen laſſen. Die Haut dieſer Thiere iſt ſtets derb und
bei den meiſten in zahlreiche Querrunzeln gefaltet, ſo daß der Körper
manchmal mehr oder minder geringelt erſcheint. Es verſchwinden dieſe
Runzeln leicht durch Einſaugung von Waſſer, wodurch ſich der Kör-
per oft bis zum Platzen füllt. Bei den meiſten Typen der Klaſſe
kann man außer der homogenen Oberhaut, eine aus Längs- und Quer-
faſern gewebte Lederhaut und außerdem noch eine Schicht von
Muskelfaſern unterſcheiden, durch welche die Zuſammenziehungen
und Ausdehnungen des Körpers bewirkt werden. Nur bei der nieder-
[176] ſten Ordnung, deren Stellung an dieſem Orte man wohl bezweifeln
dürfte, die ich aber nirgend beſſer unterzubringen wußte, bei den
Gregarinen, findet ſich eine einfache derbe Hautſchicht, welche zugleich
als Zellenwand gedeutet werden könnte und an der man noch keine
weitere Theilung hat wahrnehmen können.


Bei den meiſten Rundwürmern hat man das Nervenſyſtem
aufgefunden und zwar will man es bei den Kratzern in Geſtalt eines
centralen Haufens am Beginne des Schlundes geſehen haben, von
welchem aus die Nervenfäden ausſtrahlen ſollen. Indeß läßt die Form
dieſes Nervenſyſtems noch große Zweifel über ſeine richtige Deutung
zu. Zweifellos iſt aber das Nervenſyſtem bei den Spulwürmern in
Form zweier ſeitlicher Ganglien dargeſtellt worden, welche durch einen
ſehr feinen Schlundring miteinander verbunden ſind und von denen
aus zwei ſeitliche Nervenſtämme ausgehen, die man bis an das Hin-
terende des Körpers hin verfolgen kann. Bei der niedrigſten Ordnung
iſt keine Spur eines Nervenſyſtems vorhanden, und eben ſo vergebens
hat man es bei den Saitenwürmern geſucht. Sinnesorgane ſind
bei keinem dieſer Thiere entwickelt und nur zum Behufe des Taſtens
erſcheinen bei einzelnen Gattungen Knötchen oder Läppchen in dem
Umkreiſe des Mundes. Von manchen Gattungen werden dieſe
Knötchen auch zum Durchbohren der Gewebe benutzt und ſo
Wanderungen im Innern des Körpers bewerkſtelligt. Bei den Kratzern
findet ſich hierzu ein eigener einfacher walzenförmiger Rüſſel, der in
eine entſprechende, ringsum abgeſchloſſene, durch eigene Muskeln be-
wegte Scheide zurückgezogen und aus dieſem Sacke wieder hervorge-
ſtülpt werden kann. Es iſt dieſer Rüſſel in ſeinem ganzen Umfang
mit in Längsreihen geordneten, rückwärts gebogenen ſcharfen Haken
beſetzt und er dient dem Thiere beſonders zur Durchbohrung der
Darmhäute und zur Fixirung an einem beſtimmten Orte.


Das Verdauungsſyſtem iſt bei den Rundwürmern höchſt
einfach. Bei zwei Ordnungen, den Gregarinen und den Kratzern,
fehlt jede Spur eines Darmkanals. Die Thiere ernähren ſich nur
durch Einſaugung der ſie umgebenden Flüſſigkeiten mittelſt der Haut.
Bei den Saitenwürmern findet ſich wohl ein Darmkanal, der in dem
Körper hinläuft und auch eine Mundöffnung, aber kein After, wäh-
rend bei den Spulwürmern ſtets ein vollſtändig ausgebildeter Darm-
kanal mit endſtändiger Mund- und Afteröffnung vorhanden iſt. Bei
dieſen laſſen ſich auch öfter in dem Schlunde und dem Anfange des
Darmkanales hornige Zähnchen oder Wülſte unterſcheiden, die oft
[177] beſonders bewegt werden können und eine Bewaffnung des Darmein-
ganges darſtellen.


Ein Gefäßſyſtem iſt bei den höher ſtehenden Ordnungen be-
obachtet worden. Es entwickelt ſich hauptſächlich in der Haut und
beſteht aus höchſt feinen, meiſt wohl wandungsloſen Kanälen, in
welchen die Ernährungsflüſſigkeit durch die Bewegungen des Körpers
ſelbſt hin und hergetrieben wird. Eigene Athmungsorgane da-
gegen ſind noch bei keinem Rundwurme aufgefunden worden, während
man bei einigen Gattungen eigenthümliche Abſonderungsorgane
geſehen hat, deren Beſtimmung in der thieriſchen Oekonomie nicht ge-
nau bekannt iſt.


Mit Ausnahme der Gregarinen, bei welchen ſich nur, ähnlich
wie bei den Infuſionsthierchen, ein innerer Kern entdecken läßt, ſonſt
aber keine weiteren Leibesorgane vorhanden ſind, beſitzen die übrigen
Rundwürmer wohl ausgebildete Geſchlechtsorgane, welche ſtets
auf verſchiedene Individuen vertheilt ſind. Auch tritt uns bei ihnen zuerſt
der Geſchlechtsunterſchied äußerlich wahrnehmbar entgegen, indem die
Weibchen meiſt viel größer und die Männchen mit beſonderen Begat-
tungsorganen und Anhängen zum Feſthalten verſehen ſind. Die männ-
lichen Individuen ſind viel ſeltener als die weiblichen und von
einigen Gattungen nur in höchſt ſeltenen Fällen beobachtet worden.
Eine wirkliche Begattung ſcheint bei allen mit Fortpflanzungsorganen
verſehenen Rundwürmern vorzukommen und zuweilen iſt dieſelbe ſo
innig, und die beiden Individuen in dem ſehr lange andauernden Begat-
tungsakte ſo feſt mit einander verbunden, daß man ſchon ſolche Pärchen für
zuſammengewachſen anſah und als doppelleibige Thiere beſchrieb. Wir
werden bei den Ordnungen auf die Struktur der Geſchlechtsorgane
näher eingehen, ebenſo auf die Bildung und Entwickelung der Eier.
Dieſe letztere geht in der Art vor ſich, daß entweder eine Furchung
des Dotters auftritt, welche den ganzen Dotter nach und nach in
Zellen umwandelt, oder aber, daß ſich in dem Dotter erſt einige Zel-
len entwickeln, die nach und nach die übrige Dottermaſſe aufzehren.
Sobald die ganze Dottermaſſe in Embryonalzellen umgewandelt iſt,
ſo bildet ſich der Embryo, welcher dem Mutterthiere ſehr ähnlich iſt
und keine weitere Metamorphoſe durchläuft. Die jungen Thierchen
ſind außerordentlich dünn und fein und bohren ſich ſehr leicht durch die
Gewebe der Thiere, in welchen ſie ſchmarotzen. Sie gehen, wie es
ſcheint, mehrere Häutungen ein, bevor ſie ihre definitive Größe erlangt
haben und man kann ſtets die jungen, noch unentwickelten Thiere ſo-
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 12
[178] wohl an der ſtrukturloſen Körperhülle, wie an dem Mangel der Ge-
ſchlechtstheile unterſcheiden.


Wir theilen die Rundwürmer in vier, durch vielfache Unterſchiede
der Organiſation leicht zu beſtimmende Ordnungen. Bei der niederſten
Ordnung, die man der Einfachheit ihrer Bildung wegen auch zu den
Protozoen ſtellen könnte, bei den Gregarinen, fehlt jede Spur
innerer Organe; bei den Kratzern findet ſich ein Hakenrüſſel ohne
Darmkanal; bei den Saitenwürmern ein unvollſtändiger Darm
ohne After; bei den Fadenwürmern endlich vollſtändige Verdau-
ungsorgane, Geſchlechtsorgane und Nervenſyſtem.


Die Ordnung der Gregarinen (Gregarinea) beſteht aus
kleinen mikroſkopiſchen Thierchen, welche nur bis jetzt hauptſächlich

Figure 115. Fig. 181. 179. 177.


Figure 116. Fig. 182. 180. 178. 176. 175. 174. 173. 172. 171.

Fig. 171—182. Gregarina.
Fig. 171—182. Verſchiedene Arten von Gregarinen nebſt ihrer Entwickelung.
Fig. 171 u. 172. Einleibige Gregarinen, eine mit zwei Kernen. Fig. 173 u. 174. Dop-
pelleibige Gregarinen mit ſonderbaren vorderen Körperbildungen. Fig. 175. Zwei
zuſammengelegte Thiere. Fig. 176. Die Conjugation iſt inniger geworden. Fig. 177.
Beide Thiere bilden eine getheilte Zelle mit zwei deutlichen Kernen. Fig. 178. Die
Kapſel iſt gebildet, die Kerne fangen an zu verſchwimmen. Fig. 179. Die Kerne
ſind verſchwunden; die beiden Thierleiber in große Körner umgeſetzt. Fig. 180. Die
Körner werden kleiner. Fig. 181. Sie nehmen eine ſpindelförmige Geſtalt an.
Fig. 182. Die Scheidewand iſt verſchwunden, der Navicellenbehälter vollſtändig
hergeſtellt.


in Ringelwürmern, Kruſtenthieren, Tauſendfüßen und Inſekten, ſehr
ſelten in Weichthieren und anderen Würmern ſchmarotzend gefunden
wurden. Die ganze Ordnung iſt trotz vieler genauer Unterſuchungen
der Neuzeit nur ſehr unvollſtändig bekannt und dürfte ſpäter vielleicht
gänzlich aufgelöſt oder den Protozoen einverleibt werden. Die Geſtalt
dieſer Thiere iſt cylindriſch oder eiförmig, zuweilen mit abgeſchnürtem
Kopfende, an dem ſich weiche Fortſätze und Lappen entwickeln, ohne
daß ein wahrer Kopf vorhanden wäre. Das ganze Thier ſelbſt be-
ſteht aus einer glashellen, homogenen Körperhülle, auf welcher nur
[179] bei einigen Arten ſteifere Härchen, die aber unbeweglich ſind, oder
ſelbſt Flimmerhärchen ſich entwickeln. Die Thierchen bewegen ſich
äußerſt träge durch Zuſammenziehungen ihres Körpers, ſchwellen durch
Einſaugung von Waſſer an, haben ſichtlich ein gewiſſes Taſtgefühl,
welches ſie Hinderniſſe vermeiden läßt, zeigen aber in ihrem Innern
keinen weitern Inhalt als einen dunkeln Kern und eine eiweißartige
Flüſſigkeit, in welcher ſich Fettkörperchen befinden. Einige dieſer Thiere
ſcheinen einfache Zellen; andere ſind offenbar aus zwei Zellen zuſam-
mengeſetzt, deren jede einen Kern hat. Nach dieſen Unterſchieden, ſo
wie nach der äußeren Form, hat man mehrere Gattungen, ſelbſt Fa-
milien unter den Gregarinen aufgeſtellt, die indeß noch weiterer Be-
ſtätigung durch die Entwickelungsgeſchichte bedürfen.


Höchſt eigenthümlich iſt die Fortpflanzungsweiſe dieſer mikroſko-
piſchen Schmarotzer, die freilich erſt unvollſtändig [beobachtet worden] iſt.
Je zwei Gregarinen legen ſich mit gleichnamigen Stellen ihres Leibes
zuſammen und kleben anfänglich ſo feſt aneinander, daß ihre Tren-
nung unthunlich erſcheint. Nun bildet ſich um die beiden Körper eine
helle Kapſel, welche ſie vollſtändig einſchließt; — innerhalb dieſer Kapſel
verſchmelzen die beiden Körper vollſtändig in eine einzige Maſſe, welche
gekörnt erſcheint und durchaus keine Spur von weiterer organiſcher Aus-
bildung zeigt. Die ganze Kapſel ſieht nun gewiſſermaßen einem Ei mit
Dottermaſſe ähnlich. In dem Inhalte dieſer Kapſel bildet ſich aber allmäh-
lig eine große Maſſe von Keimkörnern aus, die eine kahnförmige Geſtalt
haben und in vielen Beziehungen den Navicellen gleichen, kleinen mi-
kroſkopiſchen Pflänzchen aus der Familie der Bacillarien, welche man
häufig zu den Infuſorien gerechnet hat. Man kannte dieſe ſoge-
nannten Navicellenbehälter ſchon ſeit langer Zeit beſonders aus den
Fortpflanzungsorganen des Regenwurms und hatte ſie ſogar theilweiſe
für Produkte der Geſchlechtsorgane dieſes Thieres, für Eier deſſelben
erklärt, bis man ſpäter dieſen Irrthum erkannte. Nach vollſtändiger
Ausbildung der Keimkörner gehen dieſe Behälter entweder ganz mit
dem Kothe des Wohnthieres ab oder ſie platzen vorher in dem Darme
deſſelben, ſo daß nur die Keimkörner entleert werden. Das weitere
Schickſal, die fernere Entwickelung der Keimkörner, die Art und Weiſe,
wie die Gregarinen wieder in die Thiere gelangen, deren Darmkanal
von ihnen bewohnt wird, iſt gänzlich unbekannt, weßhalb auch fer-
nere Beobachtungen gewiß noch bedeutenden Modificationen des jetzt
über die Gregarinen Bekannten bringen werden.


12*
[180]
Figure 117. Fig. 183.

Echinorhynchus.


Die Ordnung der Kratzer (Acanthoce-
phala
)
enthält nur eine einzige Gattung, Echinorhyn-
chus.
deren Arten aber ſehr zahlreich ſind und von welchen
die größte Art, ein Wurm, der zuweilen eine Länge von
1½ Fußen erreicht, in dem Darme der bei uns ein-
heimiſchen Schweine, der wilden wie der zahmen,
ziemlich häufig vorkommt. Die Kratzer haben einen
ſchlauchförmigen quergeringelten Körper, welcher vorne
einen Hakenrüſſel zeigt, der wie ſchon angegeben in
eine Scheide zurückgeſtülpt werden kann. Die in
Reihen geſtellten Häkchen ſind rückwärts gewendet und
dienen beſonders als Halter, ſo wie zum Durchboh-
ren der Darmwände und Gewebe des Körpers. Der
Rüſſel, ſowie ſeine Scheide werden von eigenen Mus-
keln bewegt. Zwiſchen der Oberhaut und der Leder-
haut liegt ein Netz weitmaſchiger, wandungsloſer Kanäle, die in einer
meiſt röthlich gefärbten weichen Maſſe ausgehöhlt ſind und hauptſäch-
lich die Einſaugung von Flüſſigkeiten zu vermitteln ſcheinen. Dieſe
ſcheint faſt gänzlich in dem Willen des Thieres zu liegen, denn man ſieht
die Kratzer ſich abwechſelnd vollſaugen und dann die Flüſſigkeit vielleicht
durch feine Oeffnungen der Haut wieder auspreſſen. Mit dieſem Sy-
ſteme einſaugender Kanäle ſtehen zwei bandförmige Organe, die ſo-
genannten Lemniscen, in Verbindung, welche von der Rüſſelſcheide
aus in die Leibeshöhle hineinragen und die ebenfalls von wandungs-
loſen Kanälen durchzogen ſind. Verdauungsorgane und ſonſtige innere
Organe fehlen durchaus. Die Geſchlechter ſind getrennt. Die klei-
neren Männchen haben ſtets zwei ovale Hoden, deren Ausführungs-
gänge durch eigenthümliche Drüſen hindurch in eine ſchiefe napfförmige
Taſche münden, welche ſich auf die weibliche Geſchlechtsöffnung bei
der Begattung aufkittet. Die großen Weibchen zeigen an der Rüſſel-
ſcheide ein frei herabhängendes Band, an welchem die Eierſtöcke her-
vorſproſſen, um ſich ſpäter loszulöſen und in die Bauchhöhle zu fallen.
In dieſen loſen Eierſtöcken entwickeln ſich die langen Eier, die meiſtens
eine faſerige Hülle beſitzen und dadurch ein eigenthümliches Ausſehen
erhalten. Die ausführenden Geſchlechtsorgane beſtehen aus einem, mit
trichterförmiger Mündung in die Leibeshöhle mündenden Schlauche,
welcher äußerſt beweglich iſt, die reifen Eier förmlich einſchluckt und
nach Außen befördert. Man hat in dieſen reifen Eiern auch ſchon
hie und da Embryonen wahrgenommen, die ſelbſt in einzelnen Fällen
einige Häkchen erkennen ließen, kennt aber über die weitere Entwicklung,
[181] ſowie über etwaige Wanderungen dieſer Kratzer durchaus noch keine
ſpeciellen Thatſachen. Bei den Menſchen ſchmarotzt kein Wurm dieſer
Ordnung, dagegen ſind ſie bei den Säugethieren nicht ſelten und am
häufigſten bei Fiſchen, wo ſie beſonders mit ihren Rüſſeln in der
Darmwand feſtgehakt ſitzen.


Die Ordnung der Saitenwürmer (Gordiacei) beſteht nur
aus einigen wenigen außerordentlich dünnen, ſehr lang gezogenen,
drahtähnlichen Würmern, die unter dem Namen der Waſſerkälber be-
kannt ſind. Die Haut dieſer Würmer iſt lederartig, ſchwärzlich und
ſaugt außerordentlich leicht Flüſſigkeiten ein. Der röhrenförmige
Darmkanal hat niemals einen After und bei dem eigentlichen Waſſer-
kalbe iſt der Mund kaum zu entdecken. Die Geſchlechtsorgane ſind
röhrenförmig, die Geſchlechtsöffnung am hintern Ende. Die Eier
werden in langen Schnüren in das Waſſer abgeſetzt. Die Männchen
haben an dem Ende des Hinterleibes eine Zange oder hornige Begat-
tungsglieder.


Das eigentliche Waſſerkalb (Gordius) ſchmarotzt in der Leibes-
höhle der verſchiedenartigſten Land- und Waſſerinſekten, vorzugsweiſe
aber in Heuſchrecken, wo dieſe im Verhältniſſe zu ihren Gaſtwirthen
rieſengroßen Würmer auf einen Knäuel zuſammengeballt liegen, ſo daß
oft die im Bauche gelegenen Organe dieſer Thiere ganz von ihnen
zuſammengedrückt ſind. Zur Zeit der Geſchlechtsreife wahrſcheinlich,
brechen dieſe Würmer zwiſchen den Ringen des Hinterleibes ihrer Gaſt-
wirthe durch, um in das Freie, in Gräben, Tümpel oder Brunnen
zu gelangen. Auf dem Trockenen können ſie nicht leben, ſie verſchrum-
pfen gänzlich und werden zerbrechlich, wie ein horniger Faden. In
dieſem Zuſtande aber bleiben ſie lange lebensfähig und erwachen wie-
der vollſtändig, ſobald ſie benetzt werden. So iſt es ihnen möglich,
auch wenn ſie beim Ausbrechen aus dem Inſekte in’s Trockene gelan-
gen, nach eingetretenem Regen geeignete Pfützen für ihre Brut zu
ſuchen. Wie dieſe ſpäter wieder in die Inſekten gelangt, wie ſie
namentlich in ſolche Raupen kommt, welche niemals das Waſſer be-
wohnen, iſt bis jetzt noch durchaus unbekannt, ſowie auch die Ent-
wickelung der Jungen in dem Ei zur Stunde noch nicht beobachtet iſt.
Mermis; Gordius.


Die Ordnung der Fadenwürmer (Nematoidei) iſt die
[182]

Figure 118. Fig. 184.

Der gewöhnliche Spulwurm
Ascaris lumbricoides.
Bei b ſieht man den
Mund von oben, mit den
drei harten, vorſpringenden
Wülſten, die ihn bei dieſer
Art umgeben; bei c das Hinter-
ende des Männchens mit den
beiden vorſtehenden hornigen
Begattungswerkzeugen (Spi-
cula.
)


zahlreichſte Ordnung der Rundwürmer und auch
diejenige, welche durch einige im Menſchen ſelbſt
vorkommende Schmarotzer am beſten bekannt
iſt. Die Fadenwürmer erreichen keine ſo unge-
meſſene Länge, wie die Saitenwürmer, erſchei-
nen aber dafür in ihren ausgewachſenen Indi-
viduen meiſt dicker und der Unterſuchung zu-
gänglicher. Ihre Haut iſt leicht in die Quere
gerunzelt, lederartig, ſtraff, mit bedeutender
Einſaugungsfähigkeit begabt, die indeß nicht von
dem Willen des Thieres beherrſcht wird, ſo
daß dieſelben ſogar, wenn man ſie aus dem
dichtern Darmſchleime in reines Waſſer bringt,
oft bis zum Berſten ſich vollſaugen. Ihre Be-
wegungen, welche durch eine gegitterte Mus-
kelſchicht unter der Haut bewirkt werden, ſind
meiſt lebhaft ſchlängelnd. Das Nervenſyſtem
iſt deutlich aus einem ſehr dünnen Schlund-

Figure 119. Fig. 185. Fig, 186.

Sclerostoma equinum
aus dem Darme des Pferdes.
Fig, 185. Das Männchen. Fig. 186. Das


ringe und zwei ſeitlichen Nerven-
ſtämmen gebildet. Der Mund befindet
ſich am vordern Ende des Körpers
und der davon ausgehende Ver-
dauungskanal
läuft meiſt grade
durch den Körper hindurch, um ſich
am entgegengeſetzten Ende zu öffnen.
Der Mund ſelbſt iſt meiſt mit Kno-
ten und Wülſten, ſelten mit Horn-
zähnen umgeben, der Schlund oft
ſehr lang und mit einem rund-
lichen Schlundkopfe verſehen. Zu-
weilen iſt der ganze Schlund und
der Schlundkopf mit einem feſten
hornigen Ueberzuge oder mit beweg-
lichen, hornigen, vorſpringenden
Wülſten innen beſetzt. Die Gefäße
ſind äußerſt geringfügig und beſte-
hen hauptſächlich aus zwei Längs-
kanälen, welche unmittelbar unter
der Körperhaut verlaufen. Die bei-
den Geſchlechter, welche überall vor-
kommen, ſind ſowohl durch ihre
[183]

Weibchen, beide von oben her durch einen
Längsſchnitt geöffnet und die Organe ſo
ausgebreitet, daß ſie möglichſt in natürlicher
Lage bleiben. a Der Mund, von einem
ſchwieligen Wulſte umgeben. b Schlund-
kopf. (Zwiſchen beiden ſieht man beim Männ-
chen Fig. 185 die zwei feinen, ſeitlichen Nerven-
knötchen). c Darm. d. Längsgefäß des Kör-
pers. e Hoden. f Samenblaſe. g Muskulöſe
Anheftungsfäden des Penis. h Schwanz-
blaſe des Männchens. k Drüſen. l After.
m Eierſtöcke. n weibliche Geſchlechtsöffnung.


Größe, als auch durch ihre äu-
ßere Geſtalt meiſt ſehr leicht zu
unterſcheiden. Bei den Weib-
chen befindet ſich nämlich die von
einem auffallenden Wulſte umge-
bene Geſchlechtsöffnung entweder
in der Mitte des Körpers oder ſelbſt
weiter nach vornen gegen den Mund
hin, während bei den Männchen
dieſelbe ſtets in der Mitte des Schwanzendes angebracht und oft
mit hornigen Begattungswerkzeugen verſehen iſt. Die inneren Ge-
ſchlechtsorgane
beſtehen bei dem Männchen aus einem einzigen röh-
renförmigen Hoden, der durch eine längere Röhre in das bald ein-
fache, bald doppelte hornige Begattungsorgan ausmündet und ſtets
unbewegliche Samenthierchen enthält. Bei den Weibchen findet ſich in
der Familie der Spulwürmer ein doppelter Eierſtock, bei den Pfahl-
würmern dagegen ein einfacher. In dieſen Eierſtöcken, welche meiſt
um den Darm herumgewunden ſind, erblickt man die Eier ſtets auf
ſtufenweiſer Entwickelung und häufig ſieht man in dem letzten erwei-
terten Theile des Eileiters, welcher nach außen mündet, und den man
oft auch Uterus genannt hat, ſchon ausgeſchlüpfte Junge, die ganz die
Geſtalt der erwachſenen Rundwürmer haben. Die weitere Ausbildung
dieſer Rundwürmer bietet manche merkwürdige Verhältniſſe dar. Zu-
weilen ſcheint ſich eine beſondere Wanderluſt der erwachſenen Indivi-
duen zu bemächtigen. Es brechen dann Spulwürmer (Ascaris) ſogar
durch die Darmwandungen hindurch, während die bei Kindern ſo
häufigen Spitzſchwänze (Oxyuris) durch den After auswandern. Es
ſcheinen dieſe Wanderungen mit der Reife der Eier und Jungen zu-
ſammenzuhängen, die entweder nach außen geſchafft, oder aber, wie
es ſcheint, in vielen Fällen ſogar in die Blutgefäße des Wohnthieres ab-
geſetzt werden. Die meiſten Fadenwürmer, welche man kennt, hat man
bis jetzt nur in erwachſenem Zuſtande geſehen. Die Jungen des ſo
häufig beim Menſchen vorkommenden Spulwurmes z. B. ſind gänz-
lich unbekannt. Dagegen hat man bei Fröſchen beobachtet, daß die
erwachſenen Fadenwürmer ihre Jungen in die Blutgefäße ſelbſt ab-
ſetzen und daß dieſe Jungen eine Zeitlang in den Blutgefäßen kreiſen,
bis ſie an irgend einem geeigneten Orte die feinſten Haargefäße durch-
brechen und ſich nun für einige Zeit verpuppen. Sie bilden ſich näm-
lich eine Anfangs ganz helle, ſpäter meiſt braun werdende Kapſel um,
in welcher ſie ſpiralförmig gerollt liegen und die ſie ſpäter ver-
[184] laſſen, um ihren im erwachſenen Zuſtande ihnen angewieſenen Aufent-
haltsort aufzuſuchen. Man findet dieſe eingekapſelten jungen Faden-
würmer ſehr häufig in den verſchiedenen Organen des Unterleibes der
Fröſche, im Gekröſe, in der Leber, in den Darmhäuten und kann ſich
beſonders an dem durchſichtigen Gekröſe kleinerer Thiere leicht über-
zeugen, daß ſie ſtets den Blutgefäßen entlang gereiht ſind. Dieſe ſo
verpuppten Fadenwürmer zeigen niemals Geſchlechtsorgane, welche ſich
erſt ausbilden, ſobald der Wurm die Puppenhülſe durchbrochen hat;
häufig aber verirren ſich die Würmchen an Orte, die ihrer Entwick-
lung nicht günſtig ſind. In ſolchen Fällen ſterben ſie meiſt in
ihren Puppenhülſen ab, die dann verkalken und als ſteinige Knötchen
im Gewebe zurück bleiben. Dies iſt namentlich der Fall bei
einem Wurme, den man in neuerer Zeit einigemale in unzähligen
Exemplaren in dem Muskelfleiſche des Menſchen ſelbſt gefunden und
mit dem Namen Trichina spiralis bezeichnet hat.


Wir theilen die Fadenwürmer in drei Familien. Bei den einen,
den Spulwürmern (Ascarida), findet man doppelte Eierſtöcke bei den
am häufigſten vorkommenden Weibchen. Hieher gehört der Spul-
wurm
(Ascaris) ſelbſt, welcher in dem Darmkanale des Menſchen
lebt und nur dann Beſchwerden verurſacht, wenn er in allzu großer
Zahl angehäuft iſt; der Fadenwurm der Tropengegenden (Filaria
medinensis
), welcher ſich in die Haut einbohrt und dort Geſchwüre
bildet, die endlich, wenn der Wurm ſeine Brut abſetzen will, aufbre-
chen. Man wickelt ihn dann durch höchſt langſames Aufwinden her-
aus und hütet ſich ſehr, ihn zu zerreißen, da ſeine Leibeshöhle eine
ätzende Flüſſigkeit enthält, welche auf das Geſchwür vergiftend ein-
wirkt. Zu dieſer Gruppe gehören ferner die in dem Maſtdarme der
Kinder ſo oft vorkommenden Pfriemenſchwänze (Oxyuris), von
denen man bis jetzt nur einmal die Männchen, ſonſt aber unzähliche
Weibchen vorgefunden hat.


Zur Familie der Pfahlwürmer (Strongylida) gehört der Rie-
ſenwurm (Strongylus gigas), welcher in den Nieren des Schweines
und auch, in höchſt ſeltenen Fällen, des Menſchen vorkömmt, eine
Länge von mehreren Fußen erreicht und durch ſeine Zerſtörung des
Organs ſtets den Tod des Individuums herbeiführt, ſo wie der ganz
unſchädliche Peitſchenwurm des Menſchen (Trichocephalus dispar),
deſſen vorderes Ende außerordentlich lang und dünn, das hintere
dagegen, in welchem die Geſchlechtsorgane liegen, etwas dicker iſt.


Die Familie der Aalwürmchen(Anguillulida) beſteht aus kleinen
rundlichen Fadenwürmchen mit ſpitzem, bei einer Gattung warzigem
[185] Schwanzende, die in großen Mengen in gährenden und faulenden
Stoffen vorkommen. Die weibliche Geſchlechtsöffnung liegt in der
Mitte des Körpers oder etwas mehr nach vornen; die männliche, mit
einem einfachen, hornigen Begattungsorgane verſehene, weit nach hin-
ten am Beginn des Schwanzendes. Der rundliche, endſtändige
Mund iſt unbewaffnet, der Darm gerade, meiſt mit einem zwiebelar-
tigen dickeren Schlundkopfe verſehen. Eierſtock und Hoden bilden
einen einfachen Schlauch. Die bekannten Eſſigälchen und Kleiſterälchen,
ſo wie die im Mutterkorn und im roſtigen Getreide vorkommenden
Würmchen gehören dieſer Familie an. Die Eier entwickeln ſich meiſt
im Leibe der Mutter, ſo daß ſie lebendige Junge gebären.


Klaſſe der Plattwürmer. (Platyelmia.)


Es zeichnen ſich die Thiere, welche wir in dieſer großen und

Figure 120. Fig. 187,

Diplostomum.
Von dem vorderen kleinen Saug-
napfe, der zugleich Mund iſt, geht
der anfangs einfache Darm aus, der
ſich dann theilt, die beiden großen
hinteren Saugnäpfe umfaßt und
gabelförmig blind hinten endet.


zahlreichen Klaſſe zuſammenſtellen, auf
den erſten Blick vor den übrigen Wür-
mern durch eine bedeutende Abplattung
ihres Körpers aus, die ſelbſt dann noch
bemerkbar iſt, wenn der Körper, wie bei
den Schnur- und Bandwürmern, eine
anſehnliche Länge erreicht. Die meiſten
Gattungen freilich haben eine mehr ellip-
tiſche platte Geſtalt, die zuweilen faſt
ſcheibenförmig wird. Wir erkennen unter
den Plattwürmern zwei große Abthei-
lungen, welche ebenſowohl durch ihren
äußern Charakter, wie durch ihre Lebens-
art ſich auszeichnen. Die Einen ſchma-
rotzen in andern Thieren und beſitzen
eine nackte, ſtets farbloſe Haut, in wel-
cher meiſt weiße undurchſichtige Kalkhörner
in Maſſe abgelagert ſind; ſie entbehren
höhere Sinnesorgane und leben nur
von Säften ihrer Wohnthiere; — die
andern leben frei in dem Waſſer, ſind meiſtens gefärbt und zeigen
[186]

Figure 121. Fig. 188

Planaria.
Anatomie einer Planarie.
Die Haut des Rückens iſt wegge-
nommen. a Schlundröhre. b Magen-
höhle, von welcher viele verzweigte Blind-
därme ausgehen, die nur auf der rechten
Seite gezeichnet ſind. c Nervenſyſtem, da-
hinter die Augenpunkte. d Männliche Ge-
ſchlechtsöffnung. e Hoden. f Weibliche
Geſchlechtsöffnung. g Eileiter. Auf der
linken Seite ſieht man den Eileiter mit
Eiern angefüllt, die außerdem im Gewebe
zerſtreut ſind.


auf der Oberfläche entweder über-
all oder nur an einzelnen Stellen
deutlich ausgeprägte Wimperorgane,
die ihnen beſonders beim Schwim-
men förderlich ſind, und weſentlich
als Bewegungsorgane dienen. Die
Haut der Plattwürmer hat niemals
jene derbe Beſchaffenheit wie die
der Rundwürmer, und bei einigen
frei lebenden Gattungen geht ſogar
dieſe Weichheit ſoweit, daß ſie bei
Mißhandlungen förmlich zerfließen,
in ähnlicher Weiſe wie die Infu-
ſorien.


Die neueren Unterſuchungen ha-
ben bei allen Plattwürmern ohne
Ausnahme ein Nervenſyſtem er-
kennen laſſen. Es beſteht daſſelbe
ſtets aus zwei ſeitlichen Knoten,
welche in den niedern Ordnungen
ſehr unſcheinbar ſind, in den höhern
aber zuweilen eine ziemliche Größe
erreichen und dann auch öfter aus
mehreren Knoten zuſammengeſetzt
erſcheinen. Es liegen dieſe Knoten
ſtets in der vordern Hälfte des
Körpers, meiſt ſogar ganz nahe an dem Kopfende, und ſie ſind durch
ein ſchmales Bändchen von Nervenſubſtanz, welches bei den Gattun-
gen mit endſtändigem Munde unter dem Schlund liegt, mit einander
verbunden. Oft rücken dieſe ſeitlichen Nervenknoten auch ſo nahe zu-
ſammen, daß ſie förmlich in der Mittellinie mit einander verſchmelzen
und nur einen einzigen zweiſchenklichen Knoten darſtellen. Von die-
ſem Knoten aus laufen zwei, meiſt ziemlich dünne Nervenſtämme zu
beiden Seiten des Körpers hinab, um ſich in die Körperſubſtanz zu
vertheilen, während von den Hauptnervenknoten einige weniger bedeu-
tende Fäden nach vorn ſtrahlen, die ſich an die Organe des Kopf-
endes veräſteln. Sinnesorgane kommen nur den freilebenden
Plattwürmern zu; ſie beſtehen in einer gewiſſen Zahl von Augen, die
ſich meiſt durch einen ſchwarzen Farbſtoff auszeichnen und ſymmetriſch
zu beiden Seiten an dem Kopfende vertheilt ſind. Man hat in dieſen
[187] Organen mit Beſtimmtheit einen runden lichtbrechenden Körper, eine
wahre Linſe wahrnehmen können und an vielen auch die Nerven-
fäden, welche darin endigen, dargeſtellt. Zuweilen ſitzen dieſe Au-
gen unmittelbar auf den Centralnervenknoten auf und werden von
der Körperhaut gänzlich überzogen und verdeckt. Die gefärbten Flecken,
welche man in dem Nacken mancher Larven ſchmarotzender Plattwür-
mer wahrnimmt, ſcheinen dieſer lichtbrechenden Körper zu entbehren
und können demnach nicht wohl als Augen angeſehen werden, wenn
ſie gleich als Rudimente oder Andeutungen ſolcher Organe gelten
können.


Bei den niedern Gattungen der ſchmarotzenden Plattwürmer ſind
die Bewegungen meiſt nur ſehr unvollkommen und träge und
werden durch die Zuſammenziehungen des ganzen Körpers ausgeführt,
zu welchem Zwecke unter der Haut ein maſchenförmiges, ſehr fein
faſeriges Muskelnetz angebracht iſt. Bei den höhern Gattungen laſſen
ſich meiſt förmliche Bündel unterſcheiden, die bei der Weichheit des
ganzen Körpergewebes zuweilen eine ſo außerordentliche Contractilität
bedingen, daß dieſe Thiere auf ein Zehntel ihrer urſprünglichen Länge
ſich zuſammenziehen können. Dieſer bedeutenden Zuſammenziehung
wegen werden auch die Plattwürmer meiſt beim Aufbewahren, ſei
dies nun in trockenem Zuſtande oder in Flüſſigkeiten, ſehr un-
kenntlich. Die freilebenden Plattwürmer gleiten mit großer Schnellig-
keit ſowohl an Flächen feſter Körper, als auch an der Oberfläche des
Waſſers fort, wobei, wie es ſcheint, ihre Wimperhaare eine nicht unbe-
deutende Rolle ſpielen. Die ſchmarotzenden Plattwürmer haben alle
mehr oder minder bedeutend ausgebildete Organe zum Feſthalten,
welche theils aus Saugnäpfen, theils aus einziehbaren Haken und
Hakenrüſſeln beſtehen. Die Saugnäpfe ſind ſchüſſelförmige Organe
von äußerſt muskulöſen Schichten gebildet, welche meiſt in grö-
ßerer Zahl vorhanden ſind; nur bei einigen Gattungen iſt ein mitt-
lerer vorderer Saugnapf zugleich der Mund, während ſonſt dieſe Or-
gane ſtets undurchbohrt ſind und nur zum Anheften dienen. Meiſt
ſind die Saugnäpfe einfach rund und ohne weitere Complication —
oft aber finden ſich gefranzte Ränder, Hornleiſten und ſelbſt ſehr ent-
wickelte Horn- und Hakengerüſte im Innern der Saugnäpfe ſelbſt,
welche das Feſthalten durch dieſelben unterſtützen. Außer dieſen Saug-
näpfen kommen auch einzelne Vertiefungen in der Leibeshaut vor,
welche man unter dem Namen von Sauggruben unterſchieden hat.
Zuweilen ſind dieſe Sauggruben noch außerdem durch oft ſehr com-
plicirte Horngerüſte unterſtützt und mit Haken und Stacheln beſetzt,
[188] wodurch ſich die Thiere mit äußerſter Hartnäckigkeit an den Organen
ihrer Gaſtwirthe feſtklammern können. Bei den Bandwürmern findet
man einfache oder doppelte Hakenkränze, die auf einem mehr oder
minder bemerkbaren, der Einſtülpung fähigen Fortſatze feſtſitzen und
an dem vordern Ende des Kopfes zwiſchen den Saugnäpfen ange-
bracht ſind. Jeder der nach rückwärts gekrümmten Haken iſt einzeln
für ſich beweglich und bei manchen Gattungen gehen dieſe Haken leicht
verloren, ſo daß frühere Beobachter ſie für unbewaffnet hielten. Ein
eigenthümlicher Typus der Bandwürmer, welcher wahrſcheinlich nur
ein Larvenzuſtand iſt, Vier-Rüßler, Tetrarhynchus, beſitzt vier, oft
ſehr lange, in eigene Scheiden zurückziehbare Rüſſel, die in ihrer
ganzen Länge mit außerordentlich vielen ſcharfen Hornhäkchen beſetzt
ſind und welche die Thiere mit großer Geſchicklichkeit zu benutzen
wiſſen, um durch das Körpergewebe ihrer Gaſtwirthe ſich einen Weg
zu bahnen.


Die Verdauungsorgane der Plattwürmer ſind nach ſehr
verſchiedenen Typen angeordnet. Bei den Bandwürmern ſieht man

Figure 122. Fig. 189.

Zwei Glieder eines Bandwurmes
(Taenia solium) vergrößert.
Man ſieht die ſeitlichen
Darmröhren, durch Queräſte
verbunden und die abwechſelnd
an den Seiten hervorſtehenden
männlichen Begattungsor-
gane. Im Gliede a iſt die
von dem vollen Eierſtocke ge-


zwei ſeitliche Längsgefäße, welche untereinander
durch Queräſte in Verbindung ſtehen, aber
überall geſchloſſen ſind, ſo daß weder ein Mund
noch ein After vorhanden iſt. Bei den Saug-
würmern und den Sohlenwürmern iſt ein Mund
vorhanden, aber kein After und bei den erſteren
führt dieſer Mund meiſt in zwei ſeitliche blind
endende Darmſchläuche, die oft äußerſt verzweigt
ſind, während bei den Sohlenwürmern zuweilen
die Verzweigung unmittelbar am Munde be-
ginnt, der mit einer langen, ſehr beweglichen
Schlundröhre verſehen iſt, welche zum Einſchlucken
der Nahrung hervorgeſtreckt wird. Bei den
Schnurwürmern endlich findet ſich ein meiſt
grader Darmkanal, welcher bei den höher ent-
wickelten Gattungen auch einen After zeigt und
noch außerdem oft mit einem unabhängigen
Taſt- und Greiforgan, einem bewaffneten Rüſ-
ſel, in indirecter Verbindung ſteht.


Das Gefäßſyſtem iſt überall erkannt,
bietet aber ſo große Unregelmäßigkeiten dar,
daß wir es bei den einzelnen Ordnungen näher
betrachten müſſen. Nirgends kann man ein
[189]

bildete Figur enthalten; im
Gliede b dagegen dieſelbe weg-
gelaſſen und dafür die Aus-
führungsgänge der männli-
chen Organe dargeſtellt.


eigentliches Herz unterſcheiden, nur bei den
höheren Familien findet man einzelne Ausbuch-
tungen der Stämme und meiſtens eine größere
Blaſe in der Umgebung des Central-Nerven-
ſyſtemes, ſo daß dieſes förmlich im Blute gebadet erſcheint. Bei die-
ſen Familien haben denn auch die Gefäßſtämme eine ſelbſtſtändige
Contractilität und die Ernährungsflüſſigkeit, das Blut, zeigt eine mehr
oder minder geſättigte rothe Färbung, während bei den niedern Fami-
lien die Ernährungsflüſſigkeit ungefärbt iſt und die Gefäße ſich nur
äußerſt ſchwierig unterſcheiden laſſen.


Bei allen Plattwürmern kommen Geſchlechtsorgane vor und
zwar ſind die Bandwürmer, die Saugwürmer und die Sohlenwürmer
Hermaphroditen, während bei den Schnurwürmern getrennte Geſchlech-
ter vorhanden ſind. Auch hier ſind die Typen äußerſt verſchieden, ſo
daß wir dieſelben bei den einzelnen Ordnungen behandeln müſſen,
ebenſo wie die Entwicklung der Eier und der Jungen, welche oft auf
die merkwürdigſten Zufälle angewieſen iſt. Man wurde erſt in der
neueſten Zeit auf die eigenthümlichen Larvenzuſtände und Wanderun-
gen, welche mit dieſen Larvenzuſtänden verbunden ſind, ſo wie auf
die Knospung und Ammenzeugung aufmerkſam, welche bei den ſchma-
rotzenden Plattwürmern eine ungemein große Rolle ſpielt. In Folge
dieſer, meiſt noch ſehr unvollſtändigen Beobachtungen, iſt zwar jetzt
ſchon die Klaſſifikation dieſer Würmer eine durchaus andere geworden,
es kann aber wohl nicht bezweifelt werden, daß die Vervollſtändigung
dieſer Entdeckungen noch manche große Aenderung hervorbringen
werde und daß wir viele jetzt noch weit von einander getrennte
Gattungen, die in ganz verſchiedenen Thieren hauſen, ſpäter als zu-
ſammen gehörende Entwicklungsſtufen eines und deſſelben Weſens
erkennen werden.


Wir theilen die Plattwürmer zuerſt in zwei große Unterklaſſen,
die ſich durch ihre Lebensart und die Beſchaffenheit der Haut weſent-
lich unterſcheiden: die ſchmarotzenden Plattwürmer und die
freien Plattwürmer, und jede dieſer Unterklaſſen wieder in zwei
Ordnungen, die Bandwürmer und die Saugwürmer einerſeits und
die Sohlenwürmer und Schnurwürmer andererſeits.


[190]

Die Bandwürmer (Cestoidea) haben meiſt einen ſehr langen

Figure 123. Fig. 190.

Der menſchliche Bandwurm (Taenia solium).
Man ſieht das vordere Ende mit dem feinen Kopfe, den unentwickelten Hals-
gliedern und den mehr entwickelten Mittelgliedern, an deren Seiten meiſt abwechſelnd
die Begattungsorgane hervorſtehen.


und aus einzelnen Gliedern zuſammengeſetzten Leib, welche durch un-
vollſtändige Knospung aus einem kopfähnlichen, oft deutlich abge-
trennten vordern Endgliede hervorſprießen. Die Haut der Band-
würmer iſt weich und zart, ihr Muskelſyſtem ſehr wenig entwickelt,
ihre Bewegungen äußerſt träge, theils auf die einzelnen Glieder, theils
auf abwechſelnde Zuſammenziehungen und Ausdehnungen des ganzen
Körpers beſchränkt. Das äußerſt unbedeutende, aus zwei zarten, durch
einen ſehr dünnen Verbindungsfaden vereinigten Knötchen beſtehende
Nervenſyſtem liegt in dem dünnen Kopfende und ſendet zwei ſehr
feine ſeitliche Nervenſtämme nach hinten, die ſich nur in dem vordern
Endgliede verfolgen laſſen. Die weitern Glieder, welche bei den ty-
piſchen Bandwürmern vorkommen, ſind um ſo vollkommener ausgebildet,
je weiter ſie von dem Kopfe abſtehen; aber auch bis zu dem Mo-
mente ihrer Reife, wo ſie ſich lostrennen, ſieht man niemals eine
Spur von Nervenſyſtem in ihnen entwickelt. Bei den jungen Indi-
viduen einiger Gattungen finden ſich im Nacken Pigmentflecken, die im
Alter verſchwinden.


Das Gefäßſyſtem der Bandwürmer beſteht aus Längsgefäßen,
welche ſich durch alle Glieder fortſetzen und unter denen ſich zwei auf
den Seiten neben den rudimentären Darmröhren beſonders auszeich-
nen, während zugleich zwei andere der Mittellinie ſich näher befinden.
Dieſe Gefäße ſind durch zahlreiche Queräſte mit einander verbunden,
welche ſich kaum veräſteln. Die Bewegung des farbloſen Blutes in
ihnen wird durch die Zuſammenziehungen des Körpergewebes hervor-
gebracht. Unabhängig von dieſen Gefäßen ſind diejenigen Längs-
kanäle, welche man für verkümmerte Darmröhren anſieht und
[191] die in jedem Gliede durch ein Quergefäß mit einander verbunden
ſind. Man glaubte früher, daß dieſe ſeitlichen Darmröhren mit den
Saugnäpfen in Verbindung ſtünden, deren ſich vier ins Kreuz ge-
ſtellt an dem äußerſt dünnen Kopfende der eigentlichen Bandwürmer
vorfinden. Dieſe Saugnäpfe ſind indeſſen nur ſchüſſelförmige Vertie-
fungen, welche undurchbohrt ſind und zwiſchen welchen der doppelte
oder einfache Hakenkranz ſich befindet, der meiſt auf einem kleinen
Vorſprunge ſich befindet und aus feinen, rückwärts gebogenen Häk-
chen zuſammengeſetzt iſt. Bei den ſogenannten Grubenköpfen ſind
dieſe Saugnäpfe durch eine längliche Sauggrube erſetzt und bei eini-
gen unvollſtändigen Bandwürmern fehlt jede Art von Bewaffnung.


Die Fortpflanzungsorgane ſind bei den eigentlichen Band-
würmern ganz ungeheuer entwickelt und in unendlicher Zahl vor-
handen. Es enthält nämlich ein jedes Glied ein weibliches und ein
männliches Geſchlechtsorgan. Abgeſehen von den übrigen Organen
könnte man nach den Geſchlechtsorganen jedes abgelöſte Glied eines
Bandwurmes für ein hermaphroditiſches Individuum, für einen aus-
gebildeten Plattwurm erklären, was um ſo thunlicher erſcheint, als
bei vielen Arten dieſe losgelöſten Glieder eine große ſelbſtſtändige Be-
weglichkeit beſitzen und nach der Loslöſung lange fortleben. Die Eier-
ſtöcke
bilden in jedem Gliede eine mehr oder minder verzweigte Maſſe,
welche in einer gewundenen oder graden Röhre nach außen mündet, ent-
weder mit einer beſondern Oeffnung oder in einer gemeinſchaftli-
chen Mündung mit den männlichen Geſchlechtsorganen. Dieſe be-
ſtehen aus einem vielfach gewundenen Hodenſchlauche, der in eine
Samenblaſe und von da in ein meiſt heraushängendes Begattungs-
organ übergeht. Die Eier ſind in einem einzigen Gliede ſchon in
außerordentlicher Anzahl aufgehäuft, mikroſkopiſch klein und ent-
weder von einer einfach braunen Eihülle umgeben, oder durch viel-
fache Kapſelhäute eingeſchloſſen, welche ihnen oft ein höchſt ſeltſames
Anſehen geben. Es widerſtehen dieſe Eier allen chemiſchen Agentien
mit außerordentlicher Hartnäckigkeit und es iſt daraus erklärlich, wie
ſie in faulenden Stoffen, in Dünger und Koth jahrelang ihre Lebens-
fähigkeit behaupten.


Eigenthümliche Erſcheinungen bietet die Fortpflanzungs-
weiſe
der Bandwürmer dar. Das kopfähnliche Endglied, welches in
der Darmhaut feſtſitzt, erreicht wahrſcheinlich ein ſehr hohes Alter.
An ſeinem hintern Ende ſproßt knospend ein Glied hervor und wäh-
rend dieſes wächſt, ſproßt ſtets wieder ein neues und abermals ein
neues, ſo daß der Wurm allmählig eine oft ungeheure Länge — man
[192] ſagt bis zu fünfzig Ellen und mehr bei den den Menſchen be-
wohnenden Arten — erreicht. Das jüngſte Glied iſt ſtets das un-
mittelbar am Kopfende befindliche, das älteſte das hinterſte Glied. Je
älter die Glieder werden, deſto mehr entwickeln ſich in ihnen die Ge-
ſchlechtsorgane. In reifen Gliedern ſind Eierſtöcke und Eileiter ſtrotzend
mit Eiern angefüllt, in denen ſich zuweilen ſchon die Embryone er-
kennen laſſen. In dieſem Zuſtande löſen ſich die Glieder ab, bei
den Bandwürmern einzeln, bei den Grubenköpfen in ganzen Reihen
und werden mit dem Kothe nach außen geführt. Die Abſtoßung der
Glieder, welche zur regelmäßigen Zeit wiederkehrt, iſt alſo ein wahres
Ausſäen einer ungeheuren Anzahl von entwicklungsfähigen Eiern,
welche in dem Gliede eingeſchloſſen ſind und auf irgend [eine] Weiſe
wieder in ein Thier hineinkommen müſſen, in deſſen Innern ſie
wohnen können. Millionen dieſer Eier gehen wahrſcheinlich zu Grunde,
ohne an einen ſolchen Ort zu gelangen; da aber bei einer jeden Ab-
ſtoßung von Gliedern auch Millionen von Eiern ausgeſäet werden, ſo
iſt dennoch die Erhaltung der Art auf dieſe Weiſe geſichert. Bei eini-
gen Arten von Bandwürmern haben die abgeſtoßenen Glieder eine
große Beweglichkeit, wodurch ſie gewiſſen Saugwürmern ſehr ähnlich
werden. In der That glaubten auch einige Naturforſcher dieſe losgeſtoße-
nen Bandwurmglieder als eigene Individuen anſehen und den Band-
wurm als ein zuſammengeſetztes Thier, ähnlich einem Polypenſtocke auffaſſen
zu müſſen. Andere betrachten das feſtſitzende Kopfende als eine Art Amme,
welche durch Knospung aus ſich die eigentlichen Thiere, die Bandwurm-
glieder entwickelt, welche dann durch geſchlechtliche Zeugung Eier und
Embryonen entſtehen laſſen. Auch dieſe Anſicht, ſo ſehr ſie eine An-
näherung an die Saugwürmer gewährt, hat den Umſtand gegen ſich,
daß dieſe abgeſtoßenen Glieder nie ein ſelbſtſtändiges Leben führen,
ſondern nur bewegte Kapſeln oder durch äußere Knospung erzeugte
unvollſtändige Ammen der Bandwurmeier ſind.


Man weiß noch nicht, auf welche Art die mit den abgeſtoßenen
Gliedern zerſtreuten Bandwürmer wieder an die Orte gelangen, wo
ſie ſich entwickeln können. Die Verbreitung des menſchlichen Gruben-
kopfes (Bothriocephalus latus) giebt hier freilich einen Fingerzeig.
Man findet denſelben mit faſt ſcharfer geographiſcher Abgrenzung in
der Schweiz, in Holland und in Polen und zwar in allen dieſen Län-
dern an einzelnen Orten ſo häufig, daß faſt jeder Menſch einen ſol-
chen Schmarotzer beherbergt, während in Deutſchland und Frankreich
nicht der Grubenkopf, ſondern der eigentliche Bandwurm (Taenia
[193] solium
) einheimiſch iſt. Deutſche und Franzoſen, welche in die Schweiz
kommen, holen ſich dort den Grubenkopf, nicht aber den in ihrem
Lande einheimiſchen Bandwurm und umgekehrt. In allen den Län-
dern aber, wo der Grubenkopf ſo häufig iſt, herrſcht die Sitte,
die Gartengewächſe unmittelbar mit Jauche aus den Abtritten zu
begießen und zu düngen. Es kann alſo keinem Zweifel unterliegen,
daß von den Millionen mikroſkopiſchen Eichen, welche durch die abge-
ſtoßenen mit dem Kothe fortgehenden Glieder in die Abtrittsjauche
gelangen, einige mit Salat oder andern ungekochten Kräutern, die man
genießt, hinabgeſchluckt werden und wieder in den Darmkanal gelan-
gen, wo ſie ſich entwickeln können.


Indeß iſt dies nur eine Hypotheſe; — über den Hergang der Ent-
wickelung ſelbſt kennen wir aber folgende Thatſachen. Die Embryo-
nen, welche ſich in den Eiern befinden, ſind äußerſt contractile Thier-
chen, welche ſich mit vieler Lebhaftigkeit ſtrecken und zuſammenziehen
und am vordern Ende ſechs hornige Häkchen ein- und ausſchieben
können. Man weiß nicht wie ſich dieſe Embryonen weiter ausbilden,
hat aber einige Fingerzeige dafür aufgefunden.


In der Lungenhöhle der gewöhnlichen Wegſchnecken kommen kleine
Cyſten, runde milchweiße Bälge vor, die nur 1/6 Linie groß ſind und
in ihrem Innern einen jungen Bandwurm enthalten, deſſen Kopf und

Figure 124. Fig. 192. Fig 191. Fig. 193.

Fig. 191. Die Kapſel mit dem zuſammengekugelten
Bandwurm darin. Fig. 192. Derſelbe ausgeſtreckt. Fig. 193.
Reifer Tetrarhynchus, im Wandern begriffen. Bei
allen Figuren bedeutet a Hakenrüſſel, b Saugnäpfe,
c Scheiden oder Höhle, worin die Rüſſel zurückgezogen
werden können, d Leib, e Undeutlich gegliederter Leibes-
anhang, f Kapſelhülle.


Schwanz ſo in dem aufgeblähten Leib zurückgezogen iſt, daß man
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 13
[194] einen Kopf eines Bandwurms in einem Saugwurmleibe zu ſehen
glaubt. Iſt der Wurm ausgeſtreckt, ſo zeigt er vier große ſeitliche
Sauglappen oder ovale Saugnäpfe, einen kegelförmigen Mund, der
in eine Höhle führt, worin der Saugrüſſel mit einem doppelten Hacken-
kranze liegt und einen undeutlich gegliederten Leib, in dem man zarte,
waſſerhelle Gefäße ſieht. Wie dieſe jungen Bandwürmer aus den in
den Eiern befindlichen Embryonen entſtehen, ob direkt durch Meta-
morphoſe, ob indirekt durch Knospung in ähnlicher Weiſe, wie bei
dem ſpäter zu erwähnenden Monostomum, iſt noch durchaus unbekannt.
Auch was ſpäter aus dieſen jungen, eingekapſelten Bandwürmern der
Schnecken wird, weiß man nicht — wahrſcheinlich bilden ſie ſich,
nachdem die Schnecken von andern Thieren gefreſſen wurden, in der
Weiſe aus, daß ſie die Kapſel verlaſſen, ſich feſtſetzen und hinten durch
Knospung Glieder entwickeln, in denen Eier ſich bilden. Für andere
Bandwürmer hat man gefunden, daß beſonders die Gattungen Scolex
und Tetrarhynchus, die man häufig in den Eingeweiden der Seefiſche
trifft, ſolche junge Kopfglieder ſind, die ſich ſpäter anſetzen und Glie-
der treiben, während ſie zugleich die Hakenrüſſel verlieren, die ihnen
beſonders zum Wandern durch die Eingeweide der Fiſche hindurch ſehr
nützlich ſind. Man glaubte bisher, daß dieſe Vierrüßler (Tetrarhyn-
chus
) auf dem Wege der Knospung innerhalb eines eingekapſelten
Saugwurmes entſtänden, indem man ihren aufgeblähten Leib, in wel-
chen Rüſſel und Schwanzende zurückgezogen waren, als ein beſonderes
Hüllenthier anſah. Wahrſcheinlich iſt auch bei dieſen Vierrüßlern eine
weitere Ueberpflanzung in andere Thiere nöthig, um vollſtändige
Bandwürmer entſtehen zu laſſen. Wenigſtens hat man ſolche Erſchei-
nungen anderwärts beobachtet. So findet ſich z. B. in den Stichlingen
äußerſt häufig ein Grubenkopf, welcher mittelſt Durchbrechen des Ge-
kröſes in die Leibeshöhle, ſeinen gewöhnlichen Wohnort, gelangt, aber
niemals Geſchlechtstheile erhält, ſo lange er in der Bauchhöhle der
Fiſche lebt. Werden aber die Stichlinge von Waſſervögeln gefreſſen,
ſo entwickelt ſich der Wurm im Darmkanale dieſer warmblütigen Thiere
vollſtändig und ſtößt mit reifen Eiern gefüllte Glieder aus, die mit
dem Kothe der Waſſervögel wieder an den Wohnort der Stichlinge
gelangen und wahrſcheinlich von dieſen verſchluckt werden, wenn nicht
die ausgeſchlüpften Embryonen von außen her in die Stichlinge ſich
einbohren.


Wir ſehen alſo, daß bei der ungemeinen Vermehrung der Keime,
wie ſie in den Bandwürmern vorkommen, weſentlich die Berechnung
der Zufälle mit als Faktor eintritt, welche das Thier bei ſeiner Ent-
[195] wickelung zu durchlaufen hat. Oder iſt es nicht ein Zufall zu nennen,
wenn ein Stichling von einem Tauchvogel gefreſſen wird, und dieſer
Raub erſt das Signal zu einer weitern Entwicklung des im Innern
des Stichlinges lebenden Bandwurmes geben muß? Schon bei den
Rundwürmern kamen ähnliche Verhältniſſe vor, ſie wiederholen in
noch ausgedehnterem Maße ſich bei eigenthümlichen krankhaften Ver-
hältniſſen der Bandwürmer, ſowie bei den Saugwürmern. Während
man früher glaubte, die Eingeweidewürmer müßten nothwendigerweiſe
zu Grunde gehen, ſobald ſie den Körper ihres Wohnthieres verließen,
ſo erſcheinen jetzt im Gegentheile dieſe Wanderungen behufs weiterer
Ausbildung als ein faſt allgemeines Geſetz, das ſtets auf mehr Gat-
tungen Anwendung findet, je mehr man ſich von dem alten Glauben
losmacht und die in einem beſtimmten Thiere vorkommenden Würmer
mit den Einwohnern derjenigen Thiere vergleicht, von welchen es ſich
nährt und denen es wieder zur Nahrung dient.


Wir unterſcheiden unter den Bandwürmern drei beſondere
Familien: die Nelkenwürmer(Caryophyllida) haben einen läng-
lichen Körper ohne Gliederung, deſſen eines Ende ſpitzig, das an-
dere breit und ſehr veränderlich in ſeiner Form iſt. Die Geſchlechts-
theile ſind nur einfach und münden in einer gemeinſchaftlichen, an
dem ſpitzeren Ende angebrachten Oeffnung. Das ganze Thier iſt
gleichſam nur ein einziges in Wurmform ausgezogenes Bandwurm-
glied und vielleicht ebenſo wie jene durch Knospung entſtanden. In
dieſem Falle kennt man die Kopfenden, welche dieſe Nelkenwürmer ent-
ſprießen laſſen, noch nicht mit Sicherheit und es würde dann die ganze
Familie eingehen, während zugleich die Betrachtungsweiſe der Band-
wurmglieder als unvollſtändige Ammen hierdurch eine neue Stärke
erhielte.


Eine zweite Familie bilden die Riemenwürmer(Ligulida),
lange, zuſammengedrückte, riemenartige Würmer, an welchen ſich kein
Kopf- noch Schwanzende unterſcheiden läßt und die namentlich in
Fiſchen vorkommen. Man ſieht keine Quertheilung an dieſen Geſchöpfen,
welche, ſo lange ſie in den Fiſchen bleiben, keine Geſchlechtsentwicklung
zeigen, aber alsbald eine ſolche wahrnehmen laſſen, wenn die Fiſche
von Vögeln gefreſſen ſind.


Die Familie der eigentlichen Bandwürmer(Taenida) iſt
leicht an der Querringlung des Körpers zu unterſcheiden. Nach
der Bewaffnung des Kopfes laſſen ſie ſich indeſſen wieder in zwei
Gruppen ſpalten. Bei den Grubenköpfen oder Bothriocepha-
len
ſieht man an den Seiten des dünnen Kopfes nur flache Saug-
13*
[196] gruben; die Glieder ſind meiſt mehr breit als lang und die Geſchlechts-
theile in der Mitte der Glieder angebracht, wo ſie eine Roſette bilden.
Die Grubenköpfe ſind äußerſt häufig, beſonders in Fiſchen und bei
dieſen grade hat man nachgewieſen, daß ſie im Jugendzuſtande vier
einziehbare Hakenrüſſel haben und daß die beiden Gattungen Scolex
und Tetrarhynchus nur ihre Larvenzuſtände ſind. Eine Art, der breite
Grubenkopf, bewohnt den Dünndarm des Menſchen, und iſt in Hol-
land, Polen und der Schweiz einheimiſch. Obgleich er eine fabelhafte
Länge erreichen kann, ſo iſt er doch niemals von ſo unangenehmen
Zuſtänden begleitet wie der eigentliche Bandwurm und läßt ſich leicht
durch Wurmmittel abtreiben. Die eigentlichen Bandwürmer
(Taenia)
haben mehr kürbiskernförmige, in die Länge gezogene Glie-
der. Die mit Eiern angefüllten Geſchlechtstheile bilden darin eine
baumartige Verzweigung und die Geſchlechtsöffnungen befinden ſich auf
der Seite der Glieder, nicht aber in der Mitte. Man unterſcheidet
die einzelnen Glieder leicht durch die ſeitlich heraushängenden Begat-
tungsorgane, während bei dem Grubenkopfe die Begattungsorgane
mitten aus dem Gliede hervortreten. Der Kopf der Bandwürmer trägt
ſtets einen doppelten oder einfachen Hakenkranz und vier Saugnäpfe
und iſt äußerſt ſchwierig zu entfernen.


Eine eigenthümliche Entartung der Bandwürmer iſt diejenige,
welche die ſogenannten Blaſenwürmer (Cystica) hervorbringt.
Man findet nämlich in vielen Thie-
ren, beſonders aber in ſonſt unzu-

Figure 125. Fig. 194.

Der gewöhnliche Finnenwurm (Cysticercus
cellulosae
) vom Schweine.
Bei a ſieht man das ganze Thier in
natürlicher Größe mit dem vierſeitigen
Kopfe, dem geringelten dünnen Halſe und
der Endblaſe. Bei b den Kopf vergrößert,
ſo daß der mittlere Hakenrüſſel und die
Sauggruben deutlich ſind.


gänglichen Theilen und ſtets in
Cyſten eingeſchloſſen, Würmer oder
Wurmkolonieen, welche Köpfe mit
Saugnäpfen und Hakenrüſſeln be-
ſitzen, die vollkommen den Köpfen der
Bandwürmer entſprechen. Es ſitzen
dieſe Kopfenden auf einem mehr
oder minder langen gegliederten
Halſe, der in eine mit dicklicher, ei-
weißhaltiger Flüſſigkeit gefüllte
Blaſe endigt. Nie und unter keinen
Umſtänden findet man bei dieſen
Blaſenwürmern, deren Köpfe meiſt
in die Blaſe zurückgezogen werden
können, eine Spur von Geſchlechtstheilen. Man hat dieſe Thiere früher
als eine eigene Ordnung betrachtet, hat aber jetzt eingeſehen, daß es
[197] nur auf ihren Wanderungen verirrte und krankhaft veränderte Band-
würmer ſind, die oft nur eines Zufalles harren, um ihre Weiterent-
wickelung zu beginnen. So befindet ſich in der Leber der Mäuſe und
Ratten ein meiſt ſehr langer Blaſenwurm mit dünner Endblaſe, deſſen
geſchlechtliche Ausbildung erſt dann beginnt, wenn die Mäuſe von
Katzen gefreſſen werden. In dem Darme dieſer Raubthiere angelangt,
verliert der Wurm ſeine Endblaſe, treibt neue Glieder und iſt nun
ein vollſtändiger Bandwurm, den man ſeit langer Zeit als beſondere
Art gekannt hat. Viele Blaſenwürmer bleiben indeſſen beſtändig
an dem Orte, wo ſie durch Verirrung hingekommen ſind, und ver-
mehren ſich alsdann, ſtatt durch Eier, durch Knospung. Bei dem
Finnenwurm (Cysticercus), der beſonders bei Hausthieren, nament-
lich dem Schweine, aber auch beim Menſchen vorkömmt, findet eine
ſolche Knospung nicht ſtatt. Bei dem Drehwurm der Schafe da-
gegen (Coenurus cerebralis) ſproſſen auf der innern Seite der Blaſe
eine Menge von Köpfen hervor, während die Blaſe ſtets zunimmt und
anfangs durch Druck auf das Hirn die Drehkrankheit, endlich aber
durch Verdrängung der Hirnſubſtanz den Tod herbeiführt. Bei dem
Echinococcus, der zuweilen beim Menſchen vorkommt, löſen ſich die
auf der innern Seite der Blaſe entſtandenen Köpfe ſpäter ab, ſo daß
die einzelnen Generationen in einander geſchachtelt ſtecken. Eine ſolche
Echinococcus-Kolonie bildet manchmal einen ungeheuren Sack, in wel-
chem die jüngern Generationen, die oft nur die Größe eines Nadel-
kopfes erreichen, ſich eingeſchloſſen befinden.


Die Ordnung der Saugwürmer (Trematoda) beſteht aus
abgeplatteten, meiſt elliptiſchen oder ſcheibenförmigen, im Verhältniß
zu den Uebrigen ſehr kurzen Würmern, die alle, wenigſtens während
einer gewiſſen Zeit ihres Lebens, in andern Thieren ſchmarotzen. Die
Haut iſt weich, ſehr dehnbar und in ihr finden ſich meiſt eigenthüm-
liche Kalkkörperchen von ſcheibenförmiger Geſtalt, die concentriſche
Ringe zeigen und oft für Eier erklärt worden ſind, mit welchen ſie
durchaus nichts gemein haben. Die Haut und der ganze Körper
ſind äußerſt contractil und von einem maſchenförmigen Muskelgewebe
gebildet. Zum Anheften beſitzen die Saugwürmer einen oder mehrere
[198]

Figure 126. Fig. 195 und 196.

Tristoma coccineum
auf den Kiemen von Seefiſchen lebend, in natürlicher
Größe. Fig. 195 Das unverletzte Thier von unten,
um die vorderen ſeitlichen Saugnäpfe mit dem röhren-
förmigen Munde dazwiſchen und den großen hinteren
Saugnapf mit dem ſternförmigen Horngerüſte darin
zu zeigen. Fig. 196 Das Thier vom Rücken her ge-
öffnet. Man hat nur den Darm und das zweiknotige
Nervenſyſtem dargeſtellt. a Der in ſich kreisförmig
zuſammenlaufende Darm. b vorderer, c hinterer Saug-
napf. d Mund.


Saugnäpfe, welche
oft noch von hornigen
Gerüſten und innern
Haken unterſtützt wer-
den, niemals aber ſolche
Hakenrüſſel, wie die
Bandwürmer haben.
Bei einigen Gattungen
enthält der am vordern
Ende des Leibes gele-
gene, meiſt kleinere Saug-
napf zugleich den Mund.
Die übrigen Saugnäpfe
ſind undurchbohrt, auf
der Bauchfläche oder an
dem Hinterende des Lei-
bes angebracht und manchmal ſelbſt in großer Anzahl vorhanden.
Dieſe hintern Saugnäpfe ſind dann zuweilen mit eigenthümlichen Horn-
gerüſten und Haken verſehen, die innerhalb der Saugnäpfe ſelbſt an-
gebracht ſind. Bei vielen Saugwürmern kommen auch nur Saug-
gruben vor, die zuweilen zu einem förmlich gegitterten Netze an der
Bauchfläche zuſammenfließen. Mittelſt dieſer Saugnäpfe und Horn-
gerüſte heften ſich die Saugwürmer ſowohl an den innern als an den
äußern Organen anderer Thiere ſehr feſt und entgehen dadurch auch
ziemlich leicht der Nachforſchung. Das Nervenſyſtem beſteht aus
zwei feinen, durch einen ſchmalen Faden vereinigten Knötchen und
liegt bei den Gattungen, die einen vordern Mund haben, auf der
Bauchſeite des Schlundes, bei den übrigen an der entſprechenden
Stelle. Die beiden Seitenfäden, welche nach hinten gehen, ſind nur
dünn und zart, laſſen ſich aber meiſt durch den ganzen Körper ver-
folgen. Sinnesorgane fehlen durchaus, nur bei einigen Larven
oder ammenartigen Weſen hat man Pigmentflecke geſehen, deren Be-
deutung als rudimentäre Augen indeß noch ſehr zweifelhaft iſt. Die
Verdauungsorgane der Saugwürmer ſind deutlich entwickelt. An
dem Vorderende des Leibes in der Mittellinie, meiſt etwas auf der
Bauchſeite, ſeltener am Rande, befindet ſich der Mund, der in einen
bald längeren, bald kürzeren meiſt graden, zuweilen geſchlängelten
Schlund übergeht; zuweilen findet ſich noch ein beſonderer muskulöſer
Schlundkopf, niemals aber ein eigentlicher Magen. Am Ende des
Schlundes theilt ſich nämlich der Darm in zwei gabelförmige Aeſte,
[199] die meiſtens blind endigen, bei den Einlöchern aber in der Mitte zu-
ſammenlaufen, ſo daß der Darmkanal einen förmlichen Kreis bildet.
Nur bei einigen wenigen und in ihrem ganzen Verhalten ſehr abwei-
chenden Saugwürmern findet ſich ein einfacher grader Darmkanal,
der aber ſtets afterlos iſt. In den meiſten Fällen ſind die gabelför-
migen Darmſchläuche einfache blinde Säcke von meiſt gleicher Weite,
oft aber gehen von den beiden Hauptſtämmen ſehr viele verzweigte
Nebenäſte aus, die ſich durch den ganzen Körper verbreiten und
ſehr verzweigte Gefäßbäume bilden, welche indeß überall blinde Enden
beſitzen. Das Gefäßſyſtem der Saugwürmer iſt jetzt von vielen
Gattungen bekannt. Es beſteht meiſtens aus zwei ſeitlichen Haupt-
ſtämmen, die ſich in der Mittellinie vereinigen und in ihrem Innern
Flimmerbewegungen zeigen. In den meiſten und häufigſten Fällen
bilden die Verzweigungen dieſer feinen Gefäße zuſammenmündende
Netze; bei einigen Arten will man einzelne kleine lebhaft flimmernde
Endbläschen geſehen haben, von welchen die feinſten Gefäßchen aus-
gehen. Auch hat man hier ein mittleres, an dem Hinterleibsende ge-
legenes Reſervoir gefunden, in welches die Stämme einmünden. Es
fragt ſich indeß, ob dieſe Beobachtung nicht auf einer Verwechslung
mit einem eigenthümlichen Drüſenorgane beruht, welches faſt bei
allen Saugwürmern ſich an dem hintern Ende öffnet, aus einem ein-
fachen gabelförmigen oder aus veräſtelten Schläuchen beſteht, und eine
waſſerhelle oder derbkörnige Abſonderung liefert, deren Zweck noch nicht
näher ermittelt iſt. Auch waſſerführende Gefäße, welche innen Flimmer-
bewegung zur Fortſetzung der Flüſſigkeit zeigen und an beſtimmten
Stellen nach Außen münden, offenbar alſo eine Art von Athemor-
ganen
darſtellen, hat man bei manchen Saugwürmern entdeckt.


Alle Saugwürmer, mit alleiniger Ausnahme einiger zweifelhaften
Gattungen, ſind Hermaphroditen und pflanzen ſich durch Knos-
pung und geſchlechtliche Zeugung fort. Die weiblichen Geſchlechts-
theile nehmen meiſtens den größten Theil des Leibes ein und haben
merkwürdiger Weiſe beſondere Bildungsſtätten für die einzelnen
Theile des Eies. Das Keimbläschen bildet ſich in einem mitten im
Leibe gelegenen eiförmigen Behälter, dem Keimſtocke, deſſen kurzer
Ausführungsgang in eine Erweiterung des ſchlauchförmigen Uterus
mündet; dorthin münden ebenfalls die Ausführungsgänge vielfach ver-
äſtelter traubenförmiger Blindſäcke, der Dotterſtöcke, in welchen die
Dotterſubſtanz gebildet wird. Dotterkörnchen und Keimbläschen treten in
dem ſchlauchförmigen Organe, dem ſogenannten Uterus, erſt zur Bildung
des eigentlichen Eies zuſammen. Der meiſt unregelmäßig gewundene Uterus-
ſchlauch mündet gewöhnlich an dem Vorderrande des Körpers hinter dem
[200] Munde und neben dem männlichen Begattungsorgane auf der Bauch-
ſeite nach außen. Jeder Saugwurm enthält außerdem zwei Hoden,
die meiſtens hintereinander liegen und von welchen zwei Samenleiter
abgehen; der eine in ein inneres Samenbläschen, welches in den
Grund des Uterusſchlauches mündet, die beiden andern in ein äuße-
res Samenbläschen, welches durch einen langen Gang in das Be-
gattungsglied ausmündet. Es iſt auf dieſe Weiſe ſowohl Begattung zweier
Individuen möglich, als auch die Selbſtbefruchtung der in einem Indivi-
duum erzeugten Eier hinlänglich gewahrt. Die Eier der Saugwürmer haben
nur eine hornige Schale, die zuweilen mit einem Deckel aufſpringt; ſie
ſind meiſt eiförmig, bräunlich, hart und bei einigen Gattungen ſo
unverhältnißmäßig groß, daß man ſie für beſondere Organe anſah.


Die Entwickelung der Eier geht faſt niemals vollſtändig an
denjenigen Orten vor ſich, wo die Saugwümer ſelbſt leben. Ein Ueber-
wandern nach andern Thieren ſcheint faſt eine Nothwendigkeit für die
Larven und Ammen, ſowie für die Jungen, welche ſich unmittelbar
aus den Eiern entwickeln. Hier entſtehen nämlich aus dem ganzen
Dotter platte Embryonen, welche meiſtens mit Wimperhaaren verſehen
ſind und bei einigen Gattungen einen Saugnapf beſitzen. Wahrſchein-
lich erhalten diejenigen Embryonen, welche eine Zeitlang in dem Waſſer
frei umherſchweifen müſſen, Wimperhaare, während ſie andern, die
ſtets als Binnenthiere leben, abgehen. Häufig entwickeln ſich dieſe
Embryonen ſo weit im Uterus, daß ſie dort ſchon die Eiſchale ver-
laſſen und lebendig geboren werden. Für die weitere Ausbildung be-
ſitzen wir bis jetzt nur eine einzige Beobachtung. Ein Wurm näm-
lich, welcher die Luftzellen vieler Waſſervögel bewohnt, das Monosto-
mum mutabile
, bringt Eier hervor, die noch im Innern ſeiner Ge-

Figure 127. Fig. 197. Fig 198. Fig. 199.

Ammenzeuguug des Monostomum mutabile.
Fig. 197 das Ei, Fig. 198 die freie Großamme, Fig. 199 die
freie Amme. a Eihäute, b Großamme, c Amme, d Augenpunkte.


ſchlechtstheile ſich
entwickeln, ſo
daß er zuletztſehr
lebhaft ſchwim-
mende Jungen
(Großammen)
gebiert, die in
dem Nacken ſo-
gar zwei Augen-
punkte haben und
in deren Innerem
ſich ein ſchlauch-
artiger Körper
[201] der ſich ſelbſtſtändig wurmartig bewegt, und ganz denjenigen Schläu-
chen gleicht, welche man in Waſſerſchnecken häufig als Ammen antrifft.
Höchſt wahrſcheinlich verlaſſen die Embryonen des Monostomum die
Luftwege der Vögel, während dieſe im Waſſer ſind und dringen dann
auf irgend eine noch unermittelte Art in die Weichthiere ein.


In unſern Waſſerſchnecken und Muſcheln findet man faſt conſtant
Schläuche, welche mehr oder minder ſelbſtſtändig bewegt ſind und zuweilen
ſelbſt vollſtändig entwickelte Thiere mit einem wahren Verdauungsapparate

Figure 128. Fig 211. 210. 209. 208. 207. 206. 205. 203. 202.
204. 201. 200.

Fig. 200 — 206. Keimſchläuche und Ammen. Fig. 207 — 211. Die daraus
entſtehenden Cercarien. Fig. 200. Keimſchlauch der in Fig. 209 gezeichneten Doppel-
ſchwänzigen Cercarie, Bucephalus polymorphus genannt, aus dem Eierſtocke der
gewöhnlichen Malermuſchel (Unio.) Fig. 201. Baumförmig verzweigte Keimſchläuche
aus den Eingeweiden der Bernſteinſchnecke (Succinea). Die vollſtändig entwickelten
Keimſchläuche bewegen ſich frei, haben einen langen Schwanz, wurmförmigen, hell-
grüngeſtreiften Körper und wurden in dieſer Form (Fig. 203) Leucochloridium
paradoxum
genannt. Die darin enthaltenen Cercarien (Fig. 210) haben einen
blaſenförmigen hohlen Schwanz, in den ſich der Körper des Thieres zurückſtülpt, ſo
daß es ausſieht, als ob dieſer Körper in einer Eihülle läge. Fig. 202. Veräſtelte
Keimſtöcke aus der Teichhornſchnecke (Lymnaeus). Fig. 204. Durchſichtiger, mit
Cercarien angefüllter Keimſchlauch aus der Kiemen-Sumpfſchuecke (Paludina vivi-
para
). Fig. 205. Lebhaft bewegte wurmförmige Ammen mit deutlichem Verdau-
ungskanal aus verſchiedenen Waſſerſchnecken. Die daraus hervorgehenden Cercarien
(Fig. 207) zeigen deutlich den gablichen Darm und haben, nebſt den aus den Keim-
ſchläuchen (Fig. 204) hervorgehenden Thieren (Fig. 208) die gewöhnlichſte Cer-
carienform. Fig. 211. Cercarie aus runden Keimſäcken, die in den Eingeweiden
der Malermuſchel liegen, ausgezeichnet durch den dicken, mit zickzackförmigen Muskel-
faſern erfüllten Schwanz (Distoma duplicatum genannt.)


darſtellen. Bei einigen Gattungen erſcheinen dieſe Schläuche als lange
Fäden, welche hie und da angeſchwollen ſind und in dieſen Anſchwel-
lungen durch Knospung eine Menge von Jungen erzeugen. Meiſt
ſind es mehr oder minder bewegliche cylindriſche, zuweilen ſelbſt ge-
ſchwänzte Körper, die ſich manchmal lebhaft bewegen, und oft
[202] förmliche Verdauungsorgane und eine ſo complicirte innere Bil-
dung zeigen, daß man manche dieſer Ammen für ſelbſtſtändig or-
ganiſirte Würmer halten muß. Von dem ſtarren, hie und da erwei-
terten Fadenſchlauche bis zu dieſen, den erwachſenen Saugwürmern ſelbſt
wieder ähnlichen lebendigen Keimſchläuchen kennt man alle Arten von
Zwiſchenſtufen. In allen dieſen Ammen bilden ſich aber die Jungen
auf folgende Art. Die Höhlung des Schlauches, oder bei den mit Ver-
dauungsorganen verſehenen Ammen nur ein Theil deſſelben, meiſtens der
hintere, füllt ſich mit körnigen Körperchen an, die niemals die Cha-
raktere eines Eies an ſich tragen und nach und nach zu einem wurm-
ähnlichen Weſen auswachſen, das man ſchon lange kannte und unter
dem Namen Cercaria bald den Infuſorien anreihte, bald ſelbſt mit
den Samenthierchen zuſammenbrachte. Es beſtehen nämlich die faſt
mikroſkopiſchen Cercarien nach ihrer vollſtändigen Ausbildung inner-
halb des Schlauches aus einem Vorderkörper, der meiſtens einen oder
zwei Saugnäpfe, Verdauungskanal, Waſſergefäße etc. beſitzt, zuweilen
vornen am Kopfe mit Hornſpitzen verſehen iſt und einen vollſtändigen
Saugwurmleib darſtellt, und einem ſchwanzförmigen Anhange, welcher
bei den meiſten einfach, bei einer bekannten Art doppelt iſt. Sobald
die Cercarien ſo weit entwickelt ſind, ſo brechen ſie aus ihrer Amme,
aus dem Keimſchlauche, hervor und ſchwimmen mit Hülfe ihres
Schwanzes in dem Waſſer umher, in welchem ſie ſich äußerſt lebhaft
unter den ſonderbarſten Krümmungen und Windungen umhertummeln.
Man braucht im Sommer nur einige Waſſerſchnecken in einem Glaſe
mit reinem Waſſer zu ſammeln, ihnen, zur Beförderung des Aus-
trittes der Cercarien, die Schale abzunehmen und ihre Haut an ver-
ſchiedenen Stellen einzuritzen, um bald lebhaft bewegte Wolken im
Waſſer zu ſehen, die unter dem Mikroſkope als Schwärme von Cer-
carien erſcheinen. Viele dieſer Thiere ſind nun darauf angewieſen,
ſich in Inſektenlarven, welche das Waſſer bewohnen, von Außen her
einzubohren und deren Leibeshöhle zu bewohnen. Man hat dieſen
Akt des Einbohrens ſelbſt beobachtet, wobei die ſpitzigen Stirnwaffen
den ſie beſitzenden Arten weſentliche Dienſte leiſten. Beim Hinüber-
ſchlüpfen in die Inſektenlarve verlieren die Cercarien ihren Schwanz-
anhang und erſcheinen nun ſchon in der Form von Saugwürmern.
Sie ziehen ſich nun zuſammen, ſchwitzen einen glashellen Stoff aus
und bilden ſich ſo eine Puppenhülſe, in welcher ſie ihrer weitern Aus-
bildung entgegen gehen. Gewiß erfolgt dieſe erſt, wenn die Larven
vollkommene Inſekten geworden ſind, oder auch dann, wenn ſie von
[203] Raubthieren, Fiſchen, Fröſchen und Vögeln gefreſſen wurden, inner-
halb der neuen Wohnthiere. Viele Cercarien gehen vielleicht auch un-
mittelbar aus den Weichthieren in Waſſervögel und andere Raubthiere über.
Die Cercarien ſind ſomit die Larven der Saugwürmer und es entſtehen
dieſe Larven als Knospen in einem Ammenſchlauche, welcher ſelbſt
wieder als Knospe in dem Leibe des aus dem Ei entwickelten Em-
bryo entſtand. Alle dieſe wunderbaren Wandlungsſtadien gehen in
ſo verſchiedenen Thieren vor ſich, daß man faſt ſagen möchte, ein ſol-
ches Doppelloch müſſe ſämmtliche Kreiſe des Thierreiches, Weichthiere,
Gliederthiere und Wirbelthiere durchwandern, um die Stufenfolge ſei-
ner Ausbildung zu durchlaufen.


Wir theilen die Saugwürmer nach der Natur, Stellung und
Beſchaffenheit ihrer Saugnäpfe in drei Familien: Die Doppellöcher
(Distomida) haben ein oder zwei Saugnäpfe, von welchen der vordere
als Mund dient, während der hintere meiſt größere, bald vorn, bald
mehr in der Mitte, bald hinten an dem Körperende liegt oder auch
ganz fehlt. Zu dieſer Familie, die in den Eingeweiden, ja ſelbſt
in den Augen und dem Gehirn vieler Thiere ſehr verbreitet iſt, gehört
namentlich der Leberegel(Distoma hepaticum), welcher beſonders in
den Gallengängen der Schafe außerordentlich häufig vorkommt. Die
zweite Familie iſt diejenige der Dreilöcher(Tristomida), bei welchen

Figure 129. Fig. 212 und 113.

Tristoma coccineum.


zu beiden Seiten des
Mundes zwei kleinere
Saugnäpfe, und an dem
hintern Ende ein gro-
ßer, meiſt runder Saug-
napf exiſtirt. Man findet
dieſe Würmer hauptſäch-
lich nur auf den Kiemen
von Fiſchen. Endlich die
Familie der Viellöcher
(Polystomida) hat ſtets hintere große Saugnäpfe, welche von einem
Horngerüſte oder ſelbſt von hornigen Stacheln unterſtützt ſind; mei-
ſtens fehlen die vorderen Saugnäpfe und wenn dieſelben vorhanden
[204]

Figure 130. Fig. 215.

Fig. 214.
Fig. 214. Polystomum integerrimum aus der Harnblaſe des gewöhnlichen
Froſches, ſtark vergrößert von der Bauchſeite, ſo daß man die ſechs großen Saug-
näpfe des Hinterleibes mit den Sternleiſten in ihrer Höhlung, ſowie die Hornhaken
dazwiſchen ſieht. a Vorderer kleiner Saugnapf mit der Mundöffnung. b Härterer
Schlundkopf. c Der getheilte, mit ſeitlichen Blinddärmchen verſehene Darmkanal, der ſich
hinten wieder vereinigt. d Theile des Geſchlechtsapparates. e Hintere Saugnäpfe. f Horn-
ſtacheln zwiſchen denſelben. Fig. 215. Diplozoon paradoxum von den Kiemen des Brach-
ſen (Abramis brama). Da die beiden Leiber des Thieres vollkommen gleich gebaut ſind,
ſo wurden in der rechten Leibeshälfte hauptſächlich die Geſchlechtstheile, in der linken der
Darmkanal gezeichnet. a Mundöffnung. b Schlundkopf. c Darmkanal mit ſeinen verzweig-
ten Blinddärmen. e Hintere Saugnäpfe, jeder mit vier queren Horngerüſten beſetzt, die
auf ihren Außenrändern Stacheln tragen. g Verdere kleine Saugnäpfe, deren jeder
eine ſchiefe Leiſte im Innern trägt. h Eileiter. i Ein ausgebildetes Ei, das bei die-
ſer Gattung unverhältnißmäßig groß iſt und an ſeinem Ende mit einem langen,
wie ein Ankertau aufgewundenen hornigen Spiralfaden verſehen iſt. k Oeffnung
der Geſchlechtsorgane nach Außen. Die ganze Figur iſt ebenfalls bedeutend ver-
größert.


ſind, erſcheinen ſie nur klein. Es gehören hieher die merkwürdigen
Doppelwürmer (Diplozoon), von denen mehrere Arten auf den Kiemen
der Weißfiſche leben und die ſich dadurch auszeichnen, daß jedes Indi-
duum aus zwei gleichen Wurmkörpern beſteht, welche gleich den ſia-
meſiſchen Zwillingen in der Mitte durch eine Brücke vereinigt ſind.


Viele Arten und Gattungen von Saugwürmern werden wahr-
ſcheinlich in Folge ſpäterer Unterſuchungen aus der Liſte der ſelbſtſtän-
digen Thiere geſtrichen werden. So wurde erſt neuerdings entdeckt,
daß ein zur Familie der Viellöcher gerechneter Wurm (Gyrodactylus),
der an den Kiemen vieler Süßwaſſerfiſche, beſonders der Weißfiſche
und Stichlinge lebt, nur eine Entwicklungsſtufe iſt, die ſich ſtets durch
Knospung fortpflanzt. Im Innern dieſes Wurmes, der einen gabli-
[205] chen Darm, Waſſergefäßſyſtem, kurz alle Organe der Saugwürmer
beſitzt, entwickelt ſich durch Knospung ein Junges, das faſt die Größe
des Mutterthieres erreicht und nach erfolgter Ausbildung dieſes durch
eine an der Bauchſeite befindliche Spalte verläßt. Noch während
das Junge in der Mutter ſich befindet, erzeugt ſich ſchon in ihm eben-
falls ein Junges auf demſelben Wege der Knospung, ſo daß ein ſol-
cher trächtiger Wurm Tochter und Enkelin in einander geſchachtelt im
Leibe trägt. Die weitern Schickſale dieſer Würmer ſind noch unbekannt.


Die zweite Unterklaſſe der Plattwürmer begreift diejenigen Fa-
milien, welche frei leben und auf dem ganzen Körper einen ausge-
zeichneten Flimmerüberzug beſitzen, der meiſtens ihre Bewegung im
Waſſer vermittelt.


Die erſte Ordnung dieſer Plattwürmer, die Sohlenwürmer
(Planarida)
, hat einen ſehr platten, meiſt ſcheibenförmigen oder ellipti-

Figure 131. Fig. 216.

Anatomie einer Planarie.
Die Haut des Rückens iſt wegge-
nommen. a Schlundröhre. b Magen-
höhle, von welcher viele verzweigte Blind-
därme ausgehen, die nur auf der rechten
Seite gezeichnet ſind. c Nervenſyſtem, da-
hinter die Augenpunkte. d Männliche Ge-
ſchlechtsöffnung. e Hoden. f Weibliche
Geſchlechtsöffnung. g Eileiter. Auf der
linken Seite ſieht man den Eileiter mit
Eiern angefüllt, die außerdem im Gewebe
zerſtreut ſind.


ſchen Körper, an welchem ſich manch-
mal einzelne lappige Anhänge zei-
gen und der eine außerordentliche
Contractilität beſitzt. Das Nerven-
ſyſtem
beſteht aus zwei enge zu-
ſammenliegenden, oft verſchmolzenen
Knoten, von welchen aus zwei
dünne Hauptnervenſtämme nach hin-
ten laufen, die keine Knötchen zu
beſitzen ſcheinen. An dem vordern
Ende des Körpers befindet ſich oft
eine große Anzahl von Augenpunk-
ten, die meiſt durch Pigment ſchwarz
gefärbt ſind und in denen man eine
runde Linſe unterſcheidet. Das Ver-
dauungsſyſtem
iſt deutlich ent-
wickelt, zeigt aber niemals einen
After. Der Mund befindet ſich an
der Bauchfläche, bald mehr nach
vorn, bald ſelbſt in der Mitte des
Körpers oder ſogar hinter derſelben.
Er führt bei der einen Familie in
einen muskulöſen dicken Schlundkopf,
in welchem eine äußerſt bewegliche
Schlundröhre verborgen liegt, die beim
Freſſen hervorgeſtreckt werden kann
[206] und oft länger als der Körper ſelbſt iſt. Bei den meiſten Gattungen
hat dieſe rüſſelartige Schlundröhre eine runde Oeffnung, bei andern
befinden ſich oft ſelbſt verzweigte Lappen daran, welche die Beute um-
faſſen. Dieſe Schlundröhre führt in eine mehr oder minder runde
Centralhöhle, die zuweilen gefäßartig verlängert iſt und von wel-
cher eine Menge baumartig veräſtelter blindendigender Zweige aus-
gehen, welche den ganzen Leib durchziehen. Bei der andern Familie
findet ſich nur ein einfacher gerader Darm ohne Schlundröhre und
After. Das Gefäßſyſtem beſteht aus einer das Gehirn umgebenden
contractilen Blaſe, von welcher aus feine Gefäße ſich in dem Körper
netzartig verbreiten. Alle Sohlenwürmer ſind Hermaphroditen
und zwar haben die im ſüßen Waſſer lebenden meiſt eine einzige ge-
meinſchaftliche, die im Meere lebenden dagegen geſonderte Oeffnungen
für die beiden Geſchlechtsorgane. Die Eier ſollen ſich im Gewebe des
Körpers ſelbſt entwickeln, wenigſtens hat man bis jetzt noch keinen be-
ſonders abgegrenzten Eierſtock wahrnehmen können. Sie gelangen in
zwei trompetenförmige Kanäle, die ſich in eine mittlere Begattungstaſche
vereinigen, welche hinter dem Munde nach Außen mündet. Die Hoden
beſtehen aus zwei langen gewundenen Schläuchen, deren Ausführungs-
gänge in eine Samentaſche münden, in welcher ſich ein einfaches Be-
gattungsorgan befindet.


Die Entwicklung der Eier weicht auf noch unerklärte Weiſe von
derjenigen der übrigen Thiere ab. Es bilden ſich nämlich im Dotter eigen-
thümliche Zellen, die ſehr ſonderbare ſelbſtſtändige Zuſammenziehun-
gen zeigen. Nach einiger Zeit hören dieſe Bewegungen auf, die Zellen
fließen hie und da zuſammen, bilden Inſeln von Dottermaſſen in unbe-
ſtimmter Zahl, die ſich allmählig abgrenzen, mit Wimperhaaren über-
ziehen und nun als ſelbſtſtändige Embryonen erſcheinen. Die Schlund-
röhre entwickelt ſich bei dieſen Embryonen zuerſt, verſchluckt die noch
übrigen Dotterzellen und nun plattet ſich der früher kugelförmige Em-
bryo allmählig ab und durchbricht endlich in einer dem Mutterthiere
ſehr ähnlichen Geſtalt die Eiſchale. Je mehr Embryonen ſich in einem
Ei bilden (wovon ihre Zahl abhängt iſt noch ein Räthſel), deſto
kleiner ſind die kleinen Sohlenwürmer, wenn ſie das Ei verlaſſen.


Wir unterſcheiden bei dieſer Ordnung zwei Familien. Die eine
Familie, die Schwarzwürmer(Rhabdocoela), beſteht aus mehren, meiſt
ſehr unvollſtändig gekannten Gattungen, die alle einen geraden, after-
loſen Darm, keine Neſſelorgane in der Haut und einen gleichförmigen
Wimperüberzug des kleinen Körpers beſitzen. Die Stellung des gro-
[207] ßen, mit keiner Schlundröhre verſehenen Mundes wechſelt ſehr. Die
Geſchlechtstheile ſind, wie bei der folgenden Familie, hermaphroditiſch.
Sie finden ſich im ſüßen Waſſer wie im Meere.


Die zahlreichen Gattungen der eigentlichen Sohlenwürmer(Pla-
narida s. Dendrocoela)
, die man beſonders nach den fühlerartigen
Anhängen des Körpers, ſowie nach Zahl und Stellung der Augen
unterſchieden hat, finden ſich ſowohl im Meere als in ſüßen Gewäſ-
ſern ſehr häufig auf Steinen und Waſſerpflanzen, wo ſie mit großer
Schnelligkeit einherkriechen und ſich von mikroſkopiſchen Thierchen und
Pflanzen nähren. Sie erreichen nur eine unbedeutende Größe und
die helleren Arten ſind oft nicht leicht zu finden, da ſie ſich zu einem
unſcheinbaren Klümpchen zuſammenziehen. Sie ſchwimmen ſehr ge-
ſchickt mit ſchlängelnden Bewegungen wie Blutegel und gleiten ebenſo
an der Oberfläche des Waſſers wie an feſten Gegenſtänden fort.


Die Ordnung der Schnurwürmer (Nemertina) begreift
meiſt ziemlich lang geſtreckte plattgedrückte Würmer, von welchen einige
Arten eine ungeheure Länge erreichen. Der Körper iſt platt wie eine
Schnur, glatt und durchaus mit flimmernden Wimpern bedeckt, ſeine
Contractilität außerordentlich groß. Das Nervenſyſtem beſteht bei
der höheren Familie aus zwei ſeitlichen, meiſt ziemlich bedeutenden
Knoten, die aus mehreren Anſchwellungen zuſammengeſetzt ſind und
durch einen breiten Verbindungsſtrang auf der Bauchſeite vereinigt
werden. Von dieſen Knoten aus ſtrahlen Nerven nach vorne und
zwei ziemlich bedeutende Hauptnervenſtränge laufen längs den Seiten
des Körpers nach hinten. Die ebenſo wie bei den Sohlenwürmern
gebauten Augen finden ſich am vorderen Ende des Kopfes und außer
ihnen ſtets noch zwei ſeitliche Gruben, welche mit größeren Wimper-
haaren verſehen ſind als die übrige Hautoberfläche, deren Bedeutung
für die Oekonomie des Thieres aber noch nicht enträthſelt iſt. Der
Verdauungsapparat erſcheint bei den beiden Familien dieſer Ord-
nung verſchieden gebildet; bei den Strudelwürmern führt der an der
Bauchfläche befindliche, bald mehr vorne, bald weiter hinten angebrachte
Mund in einen einfachen Darmkanal, der gerade nach hinten läuft
und am hinteren Ende in einen engen After endet. Bei den eigent-
lichen Nemertiden bildet der Mund eine Längsſpalte, die in einen ge-
räumigen Darmkanal führt, der ganz gerade verläuft, viele ringför-
mige Einſchnürungen beſitzt und ebenfalls nach hinten in einem After
endet. Bei dieſen Thieren iſt über dem Darme und unabhängig von
demſelben eine am vorderen Ende des Körpers geöffnete Röhre ange-
[208] bracht, welche einen oft bedeutend langen Rüſſel enthält, der nach
Außen hervorgeſtülpt werden kann und an deſſen Grunde ſich eine
dolchähnliche Waffe befindet, mit welcher wahrſcheinlich die Beute durch-
bohrt und dann ausgeſogen wird. Das Gefäßſyſtem beſteht aus
zwei ſeitlichen und einem mittleren, auf der Rückenfläche verlaufenden
Stamme, in denen eine lebhafte Flimmerbewegung bemerkt werden
kann und die ſich vorn und hinten durch Querſchlingen vereinigen.
Bei einigen Gattungen iſt das Blut, welches dieſe Gefäße führen, gelb oder
roth gefärbt. Die Geſchlechtsorgane ſind bei allen dieſen Würmern
noch ſehr ungenügend erforſcht, jedoch ſo weit bekannt, daß ſie nicht, wie die
Sohlenwürmer, Hermaphroditen, ſondern eingeſchlechtige Thiere ſind,
deren Geſchlechtstheile ſich meiſt periodiſch entwickeln. Bei den nieder-
ſtehenden rüſſelloſen Schnurwürmern bilden die Geſchlechtstheile einfache
Säcke, in denen ſich Eier oder höchſt ſonderbare Samenthierchen ent-
wickeln. Bei den eigentlichen Nemertiden ſcheinen ſie aus trauben-
artigen Blindſäcken zu beſtehen, die auf der äußern Fläche des Darm-
kanales aufſitzen und die bei dem einen Individuum Eier, bei dem
andern Samen erzeugen. Die entwickelten Eier fallen in ſeitliche Räume
und ſcheinen durch Oeffnungen an den Seiten nach Außen zu gelangen.
Begattungsorgane hat man noch nicht geſehen. Die Eier werden in
Schnüren gelegt und es entwickelt ſich in ihnen aus jedem Dotter,
deren oft mehrere gemeinſchaftlich in einer Gallerthülſe eingeſchloſſen
ſind, ein rundlicher, mit Wimpern verſehener Embryo, der nach eini-
ger Zeit die Gallerthülſe durchbricht. Dieſe Embryonen laſſen in ihrem
Inneren einen dunkleren Kern wahrnehmen, der ſich bald ſchärfer ab-
grenzt und eigene wurmförmige Bewegungen macht. Endlich durch-
bricht der Wurmkörper die flimmernde Hülle, die er verſchrumpft
zurückläßt, während er ſelbſt weiter zum Wurme auswächſt. Es zeigt
ſich alſo hier ein ganz ähnlicher Prozeß, wie bei den Embryonen der
Saugwürmer, nur mit dem Unterſchiede, daß dort innerhalb des in-
fuſorienartigen Embryo’s ein Keimſchlauch, hier aber der junge Wurm
ſich ausbildet, welcher dem Mutterthiere ähnlich wird. Außerdem
pflanzen ſich alle dieſe Würmer durch freiwillige Theilung fort, indem
der abgeſchnürte Körpertheil zu einem neuen Thiere auswächſt.


[209]
Figure 132. Fig. 217.

Microstomum lineare.
a
die mit ſtarken Wim-
perhaaren ausgekleideten
Flimmergruben, hinter
welchen die beiden Augen
ſtehen; b der Mund; c der
After; d Eier; e Neſſel-
organe der Haut.


Wir theilen die Schnurwürmer in zwei Fa-
milien. Die einen, die rüſſelloſen Schnurwür-
mer
(Microstomida), meiſt kleine ſchwimmende
Würmer, die übrigens durchaus noch nicht voll-
ſtändig unterſucht ſind, haben keinen vorſtreckbaren
Rüſſel, einen geraden Darm und in der Haut
zerſtreute Neſſelorgane ähnlich denen der Armpo-
lypen. Der ſehr ausdehnbare Mund liegt meiſt
ſeitlich am vorderen Körperende. Ihren Augen-
punkten fehlen brechende Medien; Nervenſyſtem, Ge-
fäßſyſten ſind kaum in Spuren entdeckt. Die
eigentlichen Schnurwürmer(Nemertida) hinge-
gen haben einen vorſchiebbaren Rüſſel und zei-
gen alle jene anatomiſchen Eigenthümlichkeiten
des Baues, deren wir bei der Ordnung erwähn-
ten. Unter dieſen giebt es Gattungen, wie die
Borlasia, die an den Küſten von England und
Frankreich vorkommt, welche eine Länge von 50
und mehr Fuß erreichen. Es halten ſich dieſe
großen Würmer tagsüber zuſammengeballt unter
Steinen auf, während ſie Nachts wie es ſcheint
ihrem Raube nachgehen.


Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 14
[210]

Klaſſe der Räderthierchen.(Rotatoria.)


Figure 133. Fig. 218.

Das gewöhnliche Kryſtallfiſchchen.
(Hydatina senta)
ſehr ſtark vergrößert. a die
im Kreiſe um den Mund ge-
ſtellten Räderorgane; b der
Schlundkopf; c der Magen;
d Cloake; e After; f Spei-
cheldrüſen; g Eierſtöcke; h
Falten der Haut, die für Ge-
fäße angeſehen wurden.


Ihrer mikroſkopiſchen Kleinheit wegen, (denn
die meiſten können nur noch bei günſtiger Be-
leuchtung als bewegte Punkte erkannt werden),
hat man dieſe Thiere früher allgemein zu den
Infuſorien geſtellt, bis man ihren ſo beſonders
eigenen Organiſationsplan genauer erkannt
hatte. Später entſtanden vielfache Zweifel über
ihre Stellung und manche Forſcher glaubten
ſogar, ſie den Kruſtenthieren beiordnen zu ſol-
len. Obgleich aber bei den meiſten Gattun-
gen ein ſchwanzförmiger Anhang des Leibes
exiſtirt, welcher gegliedert erſcheint, ſo iſt in-
deſſen doch dieſe Gliederung nur in der gewöhn-
lich bei den Würmern vorkommenden Form
vorhanden, indem die einzelnen Glieder des
Anhanges ſeitlich gebogen nnd wie ein Fern-
rohr ineinander geſchoben werden können, nicht
aber durch förmliche Gelenke mit einander ver-
bunden ſind. Eine Stellung unter den Glie-
derthieren, deren Bewegungsorgane ſtets wahre
Gelenke zeigen, iſt demnach ſchon aus dieſem
Grunde unſtatthaft. Ueberdem entfernt die
Entwickelung des Eies jede Aehnlichkeit mit den Gliederthieren, indem
der Embryo ſich aus dem ganzen Ei entwickelt, ohne daß jemals die
geringſte Spur eines dem Rücken zugewandten Dotters vorhanden wäre.


Der Körper der Räderthierchen hat meiſtens eine mehr oder
minder eiförmige oder ſpindelförmige Geſtalt, welche beſonders bei den
gepanzerten Arten etwas abgeplattet erſcheint. Er iſt genau ſymme-
triſch getheilt, und eine Rücken- und Bauchfläche meiſt ſehr wohl durch
die Stellung der Augen, der Athemröhren, des Mundes und Afters
unterſcheidbar. Die Haut des Körpers iſt äußerſt elaſtiſch und mit
Ausnahme der Räderorgane durchaus frei von Wimperhaaren oder
ähnlichen Anhängen. Bei vielen Arten ſieht man ſowohl auf dem
Körper als auf dem ſchwanzförmigen Anhange einzelne Ringel und
Querrunzeln, die von einzelnen Beobachtern für Gefäße gehalten
wurden, aber gewiß nur Falten der Haut ſind. Die Thiere können
ſich bei dieſer Ringelung der Haut außerordentlich zuſammenziehen,
[211] ſo daß ſie eine faſt kugelförmige Geſtalt annehmen. Bei einigen Gat-
tungen erſcheint die Haut wirklich als ein hornartiger, oft mit ſonder-
baren Spitzen verſehener Panzer, der entweder nur ein Rückenſchild
oder auch eine abgeplattete Büchſe darſtellt, in welcher das Thier wie
in einer Schildkrötenſchaale ſteckt und Kopf und Schwanz hereinziehen
kann; einige dieſer Thiere ſtecken auch ähnlich wie Polypen vereinzelt
oder gemeinſam in gallertartigen oder hornartigen cylindriſchen Büchs-
chen, in die ſie ſich gänzlich zurückziehen können.


Die Räderthiere haben ihren Namen von einem eigenthümlichen
Bewegungsapparate, welcher an dem vorderen Ende, dem Kopfe,
angebracht iſt und in den meiſten Fällen aus einer mehr oder minder
einziehbaren einfachen oder doppelten Scheibe beſteht, auf welcher ein
Kranz langer Wimpern ſich befindet, die nach Willkühr in Bewegung
geſetzt werden können. Zuweilen bildet dieſes Räderorgan, welches
zum Schwimmen wie zum Fangen der Beute durch den von ihm er-
regten Strudel dient, im ausgeſtülpten Zuſtande eine vollkommen runde
Scheibe, die manchmal nur eingekerbt iſt, bei andern aber in einzelne
geſonderte Räderorgane zerfällt. Dieſe Organe ſtehen dann bald zu beiden
Seiten des Kopfes auf zwei einſtülpbaren Fortſätzen, bald in einzelnen
Haufen, die meiſtens einen Kreis bilden, zuweilen auch ſind eigene
Stirnfortſätze mit einem ſolchen Räderorgane beſetzt. Am eigenthüm-
lichſten und abweichendſten ſind die Räderorgane in der Familie der
Blumenfiſchchen gebildet; hier erſcheinen ſie nämlich als lange Borſten,
die meiſt nur träge bewegt werden und bei der einen Gattung ſogar
auf fünf einzelnen Armen ſtehen, die von dem in einer Hülle lebenden
Thiere ganz wie die Fangarme eines Polypen benutzt werden. Ein
zweites Bewegungsorgan befindet ſich faſt bei allen Räderthieren an
dem hinteren Theile des Leibes und zwar auf der Bauchfläche, als
beweglicher Körperanhang, nicht als eigentlicher Schwanz, da der
After ſich ſtets auf der Rückenfläche des Anhanges befindet. Bei den
polypenartigen Räderthieren bildet dieſer Anhang einen förmlichen
Stiel, der an ſeinem hintern Ende mit einem Saugnäpfchen verſehen
iſt, mittelſt deſſen ſich die Thiere anheften; bei den übrigen Gattungen
iſt es meiſt eine mehr oder minder lange, fernrohrartige Verlängerung,
die an ihrer hintern Spitze oft eine gabelförmige Endigung trägt.
Dieſe Gabelzange dient den Räderthierchen zum Anheften während ſie
ihren Wimperkranz ſpielen laſſen, oder auch zum Kriechen und Fort-
ſchieben auf dem Grunde des Waſſers. Sie bewegen ſich dabei förm-
lich wie die Spannraupen, indem ſie bei eingezogenem Räderorgane
ſich abwechſelnd mit dem Kopfe anheften, den Gabelſchwanz nachziehen
14*
[212] und dann auf dieſen geſtützt den Körper ausdehnend fortſpannen. Bei
einigen Gattungen ſind einzelne oder ſelbſt Bündel von ſteifen Borſten
auf der Bauchfläche des Körpers angebracht, mittelſt deren ſich die
Thiere völlig ſchnellend und hüpfend im Waſſer fortbewegen. An der
Baſis der Räderorgane ſieht man meiſtens Faſermaſſen in Knollen-
geſtalt, welche offenbar zur Bewegung der Wimperorgane dienen, ſo
wie man auch im Innern des Körpers Längs- und Quermuskeln ſieht,
welche zur Zuſammenziehung beſtimmt ſind.


Obgleich das Nervenſyſtem noch nicht mit aller Deutlichkeit
ermittelt iſt, ſo iſt doch ſo viel ſicher, daß bei allen Räderthieren ein
Nervenknoten im Nacken exiſtirt, von welchem einzelne ſeitliche Aeſte
ausſtrahlen. Ebenſo unzweifelhaft ſind Augen, welche ſich meiſt
durch rothe Pigmentflecke kenntlich machen. Die gepanzerten Räder-
thiere beſitzen meiſt nur ein Auge, die übrigen zwei im Nacken gele-
gene; nur ſehr ſelten kommen drei oder vier Augenpunkte vor und bei
einigen feſtſitzenden Gattungen findet das auch in andern Klaſſen vor-
kommende Verhältniß ſtatt, daß die frei ſchwimmenden Jungen Augen
beſitzen, die bei den alten feſtſitzenden Thieren gänzlich verſchwun-
den ſind.


Figure 134. Fig. 220.
Fig. 219. Fig. 221.

Fig. 219. Diglena forcipata
ſtark vergrößert von der Seite. a das
Räderorgan, hinter welchem die zwei Nacken-
augen ſich zeigen; b der mit zwei ſcharfen


Das Verdauungsſyſtem
der Räderthiere bildet ſtets einen
geraden in der Mittellinie gelegenen
Darmſchlauch, der mit einem deut-
lichen Aſter an dem Grunde des
ſchwanzförmigen Anhanges endet.
In dem Verlaufe des Darmkanales
ſelbſt kann man folgende Abthei-
lungen unterſcheiden. Der Mund
liegt ſtets am vorderen Ende des
Körpers zwiſchen den Räderorganen
in ſolcher Weiſe angebracht, daß
der erregte Strudel gegen ihn hin-
geht. Zuweilen führt der Mund
in eine weite Rachenhöhle, an deren
Grunde ſtets ein kugeliger Schlund-
kopf angebracht iſt, der eine äußerſt
ſtarke Muskulatur beſitzt und in den
meiſten Fällen mit Zähnen bewaff-
net erſcheint, welche auf hornige
Kiefer aufgeſetzt ſind. Die Kiefer
[213]

ſpitzen Zähnen bewaffnete Schlundkovf; c
Magen und Darm; d After; e Eierſtock
f Gabelſchwanz. Fig. 220. Der Schlund-
kopf deſſelben Thieres ſtark vergrößert, von
oben her geſehen, um die beiden Zähne,
ihre Einſetzung in die Kiefer und die
rundliche Muskelmaſſe zu zeigen. Fig. 221.
Der Schlundkopf von Philodina citrina,
wo jede ovale Kauplatte zwei vorſtehende
quere Leiſten zeigt.


wirken ſtets von beiden Seiten ge-
geneinander und die Zähne ſelbſt
erſcheinen bald in Geſtalt horniger,
mit queren vorſtehenden Rippen
verſehener Kauplatten, bald als
förmliche, mehrſpitzige oder ein-
ſpitzige Gabelzangen, die an einem
Griffe befeſtigt ſind. Die Gabelzähne der letztern Art werden von
den Thieren zugleich als Greiforgane benutzt, indem ſie den Schlund-
kopf lebhaft aus der Mundöffnung hervorſtülpen und mit den ſcharfen
Zangen die Beute packen und durchbohren. Der Schlundkopf ſelbſt
iſt bei dem Wirbeln und Freſſen ſo ſehr in beſtändiger Bewegung,
daß frühere Beobachter ihn für ein Herz hielten. Von dem Schlund-
kopfe aus erſtreckt ſich der dickwandige, leberartig gekörnte, innen mit
Wimperhaaren beſetzte Darm nach hinten, indem er meiſt eine an-
fängliche Erweiterung, einen Magen, dann eine Verengerung und am
Maſtdarme eine zweite Erweiterung, eine Art von Kloake zeigt. Un-
mittelbar hinter dem Schlundkopfe münden bei allen Räderthieren zwei
dicke knollige Drüſen, die man als Speicheldrüſen betrachten kann,
in den Darm ein. Die Nahrung der Räderthiere beſteht bei den mit
kauenden Leiſten am Schlundkopfe verſehenen Gattungen gewöhnlich
aus pflanzlichen Stoffen, während die mit Gabelzähnen bewaffneten
arge Räuber ſind und meiſt gierig über Infuſorien und andere Rä-
derthiere herfallen.


Ein Gefäßſyſtem hat man bei den Räderthieren noch nicht
entdeckt; — was man für Gefäße anſprach, ſind nur Falten der
lederartigen Haut; dagegen kennt man ein inneres Athmungsſy-
ſtem
mit ziemlicher Genauigkeit. In der Nackengegend, meiſt in
einiger Entfernung hinter den Augen, befindet ſich eine Oeffnung, welche
bei vielen Gattungen auf einer ein- und ausziehbaren Röhre ſteht.
Nur höchſt ſelten iſt dieſe Röhre auf der Bauchſeite augebracht. Von
dieſer Athemröhre oder Athemöffnung aus, erſtrecken ſich zwei ſeitliche
Kanäle nach hinten und vereinigen ſich in der Nähe des Afters zu
einer lebhaft zuſammenziehbaren Blaſe, die oft durch die Afteröffnung
ihren waſſerklaren Inhalt im Strahl nach Außen ergießt. An dieſen
Kanälen ſelbſt ſieht man in größerer oder geringerer Zahl kurze
Seitengefäße, welche frei in die Leibeshöhle münden und an deren
Mündung ein wellenförmig zitterndes Wimperläppchen angebracht iſt,
welches faſt in ſeiner flimmernden Bewegung dem Flackern eines Flämm-
chens gleicht. Offenbar dienen dieſe Röhren mit ihren Zitterorganen
[214] dazu, Waſſer in das Innere der Leibeshöhle zu bringen und auf
dieſe Weiſe die Athmung zu unterhalten.


Die Räderthiere ſind Zwitter und zwar findet ſich bei ihnen
ein doppelter oder einfacher Eierſtockſchlauch, in dem man die Eier
mit ihren Keimbläschen ſehr wohl unterſcheiden kann. Dieſer Eierſtock
mündet in einen kurzen Eileiter, der ſich mit dem After nach Außen
öffnet. Die männlichen Geſchlechtstheile ſind noch nicht genügend er-
kannt, doch hat man die Samenthierchen frei in der Leibeshöhle ge-
funden und zwar bei ſolchen Thieren, welche zugleich Eier trugen, und
niemals eine Begattung oder eine Befruchtung der Eier durch ein
zweites Thier geſehen, was bei der ungemeinen Vermehrungskraft
dieſer Thiere um ſo eher geſchehen ſein müßte, als bei vielen die Eier
ſich noch im Leibe des Mutterthieres ſo weit entwickeln, daß man die
Hauptorgane des Embryo’s erkennen kann. Die ſtets elliptiſchen Eier
treten an der Afteröffnung hervor und werden von einigen Gattungen
am Leibe hängend umhergetragen, bei andern frei in das Waſſer ab-
geſetzt. Der Dotter geht in ſeiner Geſammtheit den auch bei andern
Thieren bekannten Furchungsprozeß ein und der Embryo entwickelt
ſich aus dem ganzen Dotter, in der Weiſe, daß man bei dem zuſam-
mengekugelten Thierchen zuerſt den Schlundkopf und das Auge und
dann die Räderorgane unterſcheidet. Der Embryo kommt aus dem
Ei ganz vollkommen ſo geſtaltet, wie das alte Thier, ſo daß alſo
weder eine Metamorphoſe noch eine Larvenperiode ſtattfindet.


Die Räderthiere kommen an allen Orten vor, wo man Infuſo-
rien findet und waren ſeit den älteſten Zeiten berühmt durch die
Eigenſchaft einiger Gattungen, nach langer Eintrocknung bei Zubringen
friſchen Waſſers wieder aufzuleben. Auch in Infuſionen finden ſich
einzelne Gattungen derſelben häufig.


Die Organiſation der Räderthiere iſt nach Ausſcheidung zweier
Gattungen, welche vielmehr den Strudelwürmern angehören, (Ichthy-
dium
und Chaetonotus) eine ſo übereinſtimmende, daß es ſchwer hält
Ordnungen zu unterſcheiden. Als erſte Ordnung trennen wir die
polypenartigen Räderthiere (Sessilia) ab, die meiſtens eine
ganze Wimperſcheibe beſitzen, die mehr oder minder eingekerbt iſt und
beim Wirbeln den Eindruck eines rollenden Rades macht. Bei einigen
erſcheint dieſes Rad in der Mitte an der Bauchſeite eingekerbt, bei
andern mehrfach geſpalten, bei andern endlich in Fortſätze oder ſelbſt
in Fangarme ausgezogen. Der glockenförmige Körper geht nach hin-
ten in einen langen Stiel über, der oft gegliedert erſcheint und an
ſeinem Ende eine ſaugnapfartige Höhlung trägt, mit welcher ſich die
[215] Thiere feſtſetzen. Die Familie der Blumenthierchen (Floscularida)
beſteht aus zwei Gattungen, die in gallertartigen Hülſen auf Waſſer-
pflanzen aufſitzen. Der Schlundkopf iſt mit gebogenen Zähnen be-
waffnet. Bei den eigentlichen Blumenthierchen(Floscularia)
ſitzen ſehr lange Borſten, die ſich nur träge bewegen, auf einziehbaren
Fortſätzen und bilden beim Zuſammenziehen einen langen ſteifen Bün-
del, der aus der Röhre hervorragt. Die jungen Thiere haben zwei
Augen, welche den Erwachſenen fehlen. Bei den Kronenthierchen
(Stephanoceros) ſind fünf förmliche Fangarme entwickelt, die in
Wirteln mit Wimperhaaren beſetzt ſind und förmlich zum Ergreifen
der Beute benutzt werden.


Figure 135. Fig. 222.

Melicerta ringens
von der Seite geſehen. a die Lap-
pen des Räderorgans; b der Mund;
c der mit zwei dreileiſtigen Kau-
platten bewaffnete Schlundkopf; d
Speicheldrüſen; e Magen; f After;
g Athemröhren im Nacken; h die
Panzerbüchſe, durchſichtig dargeſtellt;
i Stiel des Thieres; k Eier mit
mehr oder minder entwickelten Em-
bryonen, bei welchen man zum Theil
Augen ſieht, welche die Erwachſenen
nicht haben; l Waſſerfaden, woran
das Thierchen feſtſitzt.


In der Familie der Großräder
(Megalotrochida) findet ſich ein einfach
rundes, hufeiſenförmiges oder gelapptes
Räderorgan, welches lebhaft wirbelt und
ein mit Leiſten zum Kauen eingerichteter
nicht aber mit ſcharfen Gabelzähnen be-
waffneter Schlundkopf. Die Thiere ſind
entweder frei mit ihrem Schwanzende an
Waſſerpflanzen angeheftet, oder, bald ein-
ſam, bald geſellig in Gallerthülſen ver-
ſteckt. Bei einigen Gattungen (Ptygura,
Oecistes)
iſt das Räderorgan ganz rund,
bei andern (Megalotrocha, Limnias, La-
cinularia)
durch einen mittleren Einſchnitt
hufeiſen- oder nierenförmig, bei einer an-
dern Gruppe (Melicerta) ſelbſt vielge-
lappt; — die Jungen beſitzen meiſt zwei
Augen, welche den Erwachſenen öfters
abgehen.


Die Ordnung der ſchwimmenden
Räderthierchen (Natantia)
zeichnet
ſich durch einen meiſt ſpindelförmigen Kör-
per aus, an deſſen hinterem Ende ein
deutlich abgeſetzter, meiſt in eine Gabel-
ſpitze endender, fernrohrartiger Schwanz-
anhang ſich befindet. Man theilt ſie je
nach der Anordnung der Räderorgane in
zwei große Familien ab, welche wieder
nach der Beſchaffenheit der äußern Haut
zwei Unterfamilien bilden.


[216]
Figure 136. Fig. 223.

Hydatina.


Die Familie der Vielräderthiere(Poly-
trocha)
hat an dem vorderen Ende des Kopfes
eine größere Anzahl von einzelnen Räderorga-
nen, die auf zwiebelartigen Wülſten aufſitzen und
bei einzelnen Gattungen, wie z. B. beim Kry-
ſtallfiſchchen (Hydatina)
noch von einem
einfachen runden Wimperkranze umgeben ſind.
Zuweilen ſtehen dieſe einzelnen Räderorgane
auf einſtülpbaren Fortſätzen (Notommata), in
andern Fällen ſcheinen ſie in die Vorderfläche
des Kopfes angepflanzt. Der Schlundkopf iſt
bei dieſer ganzen Familie, welche die größten
Arten der Räderthiere enthält, mit ſpitzen Ha-
kenzähnen bewaffnet, die bei einigen eine Hechel
darſtellen, bei andern aber nur zwei außeror-
dentlich ſpitze Stacheln bilden, die aus dem Munde hervorgeſtreckt
werden, um die Beute anzubohren. Einige Gattungen, die ſtreng ge-
nommen wohl nicht zur Familie gehören dürften (Triarthra, Polyarthra),
haben vorn und hinten am Leibe lange ſtielartige Anhänge, womit ſie
faſt wie Flöhe ſpringen, und einen verſchieden gebildeten Schlundkopf
mit gerippten Kauplatten. Eine Unterfamilie wird durch diejenigen
Gattungen gebildet, welche einen lederartigen oder hornartigen Panzer

Figure 137. Fig. 224.

Rotifer.
a
Kopfende. b Rä-
der. c Schlundkopf.
d Eierſtock. e Darm.


haben, wie z. B. Euchlanis, Brachionus etc. Die
Gattungen dieſer Familie haben meiſt nur eine ein-
fache Athemöffnung im Nacken und ein oder zwei,
ſehr ſelten drei Augen Einige ſogar ſind Zeitlebens
blind.


Die Familie der Doppelräderthiere(Zygotrocha)
hat nur zwei ſeitliche, auf einſtülpbaren Fortſätzen
ſtehende Räder, zwiſchen welchen meiſt noch ein
Stirnrüſſel mit einem zärteren Wimperkranze an der
Spitze angebracht iſt. Sämmtliche Gattungen, (z. B.
Philodina) dieſer Familie haben einen Schlundkopf
mit gereiften Kauplatten, und eine Gattung (Pterodina)
einen härteren Panzer, während die übrigen voll-
kommen weich ſind.


[217]

Klaſſe der Ringelwürmer. (Annelida.)


Figure 138. Fig. 225.

Blutegel.


Die große Klaſſe der Ringelwürmer, deren Angehörige meiſtens
frei im Waſſer oder in feuchten Erdhöhlen leben und nur ſehr ſelten
ſchmarotzend vorkommen, beſteht aus meiſt langgeſtreckten, mehr oder
minder cylindriſchen Thieren, die nur ſelten abgeplattete oder eiförmige
Formen darbieten. Ihr Körper beſteht faſt immer aus einzelnen que-
ren Ringeln, die in den meiſten Fällen deutliche Körperabſchnitte bil-
den und nur bei den niederſten Gruppen mehr oder minder verwiſcht
ſind. Es ſind dieſe Ringel durchaus nicht zufällige Runzeln der
Haut, ſondern wahrhafte Gliederungen des Körpers, indem an ihnen
ſich äußerlich beſonders die Bewegungsorgane, innerlich aber verſchie-
dene Abtheilungen der Geſchlechtsorgane, des Nervenſyſtems, des Ge-
fäßſyſtems u. ſ. w. wiederholen. Die Zahl dieſer Ringel iſt meiſt
äußerſt unbeſtändig; — bei denjenigen Gattungen, welche eine große
Menge derſelben beſitzen, ſcheint das Thier durch Zugabe neuer Ringel
zu wachſen. Nur bei denjenigen Familien, wo eine ſehr geringe An-
zahl von Ringeln exiſtirt, iſt die Zahl derſelben im erwachſenen Zu-
ſtande conſtant.


Figure 139. Fig. 226.

Kopf
eines Schlangen-
wurmes (Nereis)
mit dem mittleren
Fortſatze, der die
Punklangen trägt,
den ſeitlichen Kopf-
fühlern und den
Füßen zu beiden
Seiten der Körper-
ringel.


Bei den höhern Ringelwürmern unterſcheidet man
einen deutlichen, von den übrigen Ringeln abgeſetzten
Kopf, welcher die Centralſcheide des Nervenſyſtems, die
Sinnesorgane, Augen, Fühler, Taſtwerkzeuge und die
Mundöffnung mit ihren Kauwerkzeugen trägt. Bei den
niedrigen Familien im Gegentheile iſt meiſtens das vor-
dere Ende des Körpers durchaus nicht abgeſetzt und
nicht als beſonderer Ringel, als eigentlicher Kopf, zu
unterſcheiden. Die äußern Anhänge, welche der Kör-
per trägt und die theils zum Taſten (Fühler), theils
zur Bewegung (Fußſtummel), zum Athmen (Kiemen)
und zur Vertheidigung (Stacheln und Borſten) beſtimmt
ſind, erſcheinen äußerſt wichtig für die Unterſcheidung
der Familien und Gattungen und werden bei dieſen
noch beſonders betrachtet werden.


[218]

Die Haut der Ringelwürmer beſteht aus einer mehr oder min-
der hornigen Oberhaut, welche niemals flimmert und aus einer meiſt
derben Lederhaut, deren gekreuzte Faſern durch die Brechung der Licht-
ſtrahlen oft ſehr ſchöne ſchillernde Farben hervorbringen. Bei vielen
Gattungen iſt dieſe Haut vollkommen nackt, bei andern mit mehr oder
minder langen hornigen Haaren beſetzt und bei den Seeraupen von häutigen
Schildern überdeckt, die oft mit den verfilzten Haaren eine förmliche
zweite Decke auf dem Rücken bilden. Viele dieſer Würmer bilden ſich
Röhren, in denen ſie entweder gänzlich hauſen oder nur zeitweiſe ver-
ſteckt ſind. In letzterem Falle ſind es Gallerien im Sand oder in
feuchter Erde, innen meiſt mit Schleim ausgekleidet; in erſterem aber leder-
artige oder kalkige Röhren, durch Ausſchwitzung aus der Haut entſtanden
und meiſt von charakteriſtiſcher Form für die einzelnen Gattungen und Arten.


Die Bewegungsorgane der Ringelwürmer ſind ſehr mannig-
faltig. Alle Würmer bewegen ſich durch ſchlangenförmige Windungen
des Körpers fort; — allein dieſe Windungen werden unterſtützt durch
verſchiedene Apparate. Bei den Egeln ſieht man ſtets einen hintern,
oft aber auch einen vorderen Saugnapf, mittelſt deren ſich dieſe
Thiere ſpannend fortbewegen. Bei den übrigen Ordnungen findet
man oft äußerſt ſonderbar geſtaltete Borſten, Stacheln und Haken, die

Figure 140. Fig. 227.

Fuß eines Kieferwurms (Eunice).
b die Kieme; e obere
Fühler; t Borſtenbündel;
ci unterer Fühler.


entweder nur loſe in Gruben der Haut oder
auf beſondern ſeitlichen Stummeln ſtehen, welche
ſich längs der Körperringel wiederholen und
Füße oder Fußſtummeln genannt werden.
Meiſtens unterſcheidet man an jedem Fußſtum-
mel einen oberen und unteren fleiſchigen Höcker,
den Rückenſtummel (ramus dorsalis) und
den Bauchſtummel (ramus ventralis), welche
nach allen Richtungen hin bewegt werden kön-
nen und außer einem fadenartigen Fühler
(cirrhus) einen Bündel von Borſten oder feinen

Figure 141. Fig. 228.

Querdurchſchnitt eines Schlangenwurms.
(Amphinome.)
d Rückenſeite; v Bauchſeite; rd Rückenſtummel;
rv Bauchſtummel; s Borſtenbündel; c Fühler.


Stacheln tragen. Die-
ſe Borſtenbündel leiſten
ſowohl beim Kriechen,
als beim Schwimmen die
weſentlichſten Dienſte.
Man hat je nach der
Form dieſer Borſten,
beſonders Pfriemen-
borſten
(festucae),
Stachelborſten von
[219] bedeutenderer Dicke (aciculae) und Hakenborſten (uncinuli) mit ge-
zähnten Haken- oder Ankerähnlichen Spitzen unterſchieden.


Das Nervenſyſtem der Ringelwürmer ſteht im Verhältniß zu
den übrigen Klaſſen deſſelben Kreiſes auf einer hohen Stufe der Ent-
wicklung. Es beſteht in allen Fällen aus einer vorderen, im Kopfe
über dem Schlunde gelegenen Anſchwellung, die man als Gehirn be-
zeichnen kann und die bald mehr, bald minder deutlich aus zwei ſeit-
lichen Hälften zuſammengeſetzt iſt. Von dieſen Anſchwellungen aus
gehen zwei ſeitliche Aeſte, die einen Ring um den Schlund bilden
und auf der Bauchfläche in eine Kette von Knoten zuſammenfließen,
welche in der Mitte der Körpers ſich nach hinten erſtreckt. In der
Regel liegt in jedem Ringel des Leibes ein Nervenknoten, der Aeſte
nach allen Seiten hin, beſonders an die Fußſtummeln ausſendet. Es
exiſtirt alſo bei der großen Mehrzahl der Ringelwürmer eine auf der
Rückenfläche des Schlundes gelegene Hirnanſchwellung, ein
Schlundring und ein auf der Bauchfläche gelegenes aus einzelnen
Anſchwellungen beſtehendes Bauchmark. Bei den meiſten Familien
iſt dieſes Bauchmark ſcheinbar einfach, wenn auch ſtets aus zwei
ſeitlichen Strängen gebildet, die in den einzelnen Knoten durch Gang-
lienmaſſe zuſammengeſchweißt ſind; bei andern ſind die Verbindungs-
ſtränge zwiſchen den Knoten getrennt und bei einigen niedern Typen
der Ordnungen kommt ſogar als Annäherung an die übrigen Klaſſen
der Würmer eine völlige Spaltung des Bauchmarkes in zwei ſeitliche
Stränge vor, welche der Mittellinie bald näher gerückt, bald gänzlich
auf beide Seiten hin geworfen ſind. Man hat dieſen Umſtand, wenn
auch wohl mit Unrecht, dazu benutzen wollen, die mit ſeitlichen Strän-
gen verſehenen Ringelwürmer von den übrigen loszutrennen und in
andere Klaſſen zu verſetzen.


Beſondere Sinnesorgane ſind als Augen, Taſtorgane und
vielleicht auch als Ohrenbläschen vorhanden. Vielen Würmern, be-
ſonders den Röhrenbewohnern, fehlen die Augen faſt durchaus und
ſind nur bei einigen wenigen Gattungen aufgefunden worden; bei den
Egeln finden ſie ſich zuweilen in ziemlicher Anzahl und beſtehen aus
einer gewölbten Hornhaut, die einen lichtbrechenden Körper enthält
und von ſchwarzem Pigmente umgeben iſt. Die höheren Ringelwür-
mer beſitzen meiſt nur zwei oder drei ſymmetriſch geſtellte deutliche
Augen; bei einigen gibt es deren ſogar am hinteren Ende, ſowie an
den Seiten des Körpers. Bei einigen Ringelwürmern hat man auch
auf den Gehirnknoten ſelbſt kleine runde Bläschen mit einem ſteinar-
tigen Inhalte gefunden, welche man für Gehörbläschen anzuſpre-
[220] chen berechtigt iſt. Die Taſtorgane bilden mehr oder minder lange
Fäden, welche entweder am Kopfe oder auch ſeitlich an den Fußſtum-
meln angebracht ſind. Die Gliedfäden (cirrhi) des Körpers ſte-
hen ſowohl auf den Rücken, als auf den Bauchſtummeln; da wo ein
deutlicher Kopf vorhanden iſt, ſind ſie nach vorn gerichtet und werden
dann mit dem Namen Kopffühler (antennae) bezeichnet. Bei
einigen Gattungen erſcheinen ſowohl die Gliedfäden als die Kopf-
fühler geringelt, ſo daß ſie den Fühlhörnern mancher Krebſe und
Inſekten nicht unähnlich ſehen. Sie unterſcheiden ſich aber ſtets von
den Antennen der Gliederthiere dadurch, daß ſie contraktil ſind und
daß keine eigentliche Gliederung mit eingelenkten Abſchnitten, ſondern
nur eine mehr oder minder deutliche Ringelung der Haut vor-
handen iſt.


Figure 142. Fig. 229.

Anatomie des Pieres.
(Arenicola piscatorum)
Der Wurm iſt von oben
der Länge nach aufgeſchlitzt, die


Der Verdauungsapparat der
Ringelwürmer beſteht in den meiſten Fällen
aus einem geraden Darmkanale, der von
dem am Vorderende angebrachten Munde
durch den ganzen Körper nach hinten ver-
läuft und ſich in einem endſtändigen After
öffnet, welcher meiſt ein wenig nach der
Rückenſeite zu angebracht iſt. Nur ſelten iſt
der After näher am Munde angebracht.
Der Mund iſt bei den Meiſten mit wulſtigen
Rändern verſehen und oft auch von ſchar-
fen Kiefern umſtellt, welche zum Durchboh-
ren der Beute oder zum Anbeißen ihrer
Haut und zum nachherigen Ausſaugen be-
hülflich ſind. Sehr oft wird die Aufnahme
feſter Nahrungsmittel auch durch einen mus-
kulöſen Schlund und das Fangen der Beute
durch einen Rüſſel unterſtützt, welcher aus
der Mundöffnung hervorgeſchoben werden
kann. Die meiſten Ringelwürmer ſind auch
in der That ſehr räuberiſche Thiere und
das Fangen der Beute wird bei denen, wel-
che Röhren bewohnen, oft noch durch die
ungeheuer langen Kopffühler unterſtützt,
welche zugleich als Schlingen benutzt werden.
An dem Darmkanale ſelbſt kann man meiſtens
einen Schlund, der bald länger bald kürzer
[221]

Eingeweide in ihrer natürlichen
Lage behalten. a Mund. b
Schlund. c zwei ſeitliche Blind-
därme am Anfange des Magens.
d herzähnliche contraktile Blaſe,
welche den Schlund umfaßt und
von welcher die Gefäßſtämme
ausgehen, von denen man hier
beſonders die Längsgefäße des
Darmes und die Quergefäße
ſieht, welche die Kiemen ſpeiſen.
e Darm. f After. g Leberar-
tige Blinddärmchen. h Kiemen.
i hinteres kiemenloſes Körperende.


iſt und den dünnhäutigen Darm unterſchei-
den, der durch ſeitliche Brücken von Zellſtoff,
manchmal auch durch ein förmliches Gekröſe
in ſeiner Lage erhalten wird. Meiſt hat
dieſer Darm einzelne knotenförmige Anſchwel-
lungen oder zuweilen förmliche Blindſäcke,
welche den einzelnen Ringeln entſprechen.
Bei einzelnen Gattungen hat man an dieſem
Darme theils Speicheldrüſen, theils einen
leberartigen Ueberzug von gelber, gekörnter
Maſſe unterſchieden.


Bei den meiſten Ringelwürmern laſſen ſich beſondere Athemor-
gane
unterſcheiden, welche in der Form baumartig veräſtelter Kiemen,
bald an dem Kopfe, bald an der Rückenfläche über den Rückenſtum-
meln ausgebildet ſind. Trotz der bedeutenden Entwickelung, welche
dieſe Kiemen bei vielen Würmern zeigen, fehlen ſie oft nahe verwand-
ten Familien, wo dann die Haut oder die innere Darmfläche die
Athemfunction zu übernehmen ſcheint. Bei den Erdwürmern und den
Egeln finden ſich innere Säcke oder Knäuel mit ſchleifenartigen Kanä-
len, in welchen eine ſehr lebhafte Flimmerbewegung exiſtirt und die
mit engen Oeffnungen nach Außen münden. Ob dieſe Kanäle wirk-
lich innere Waſſerkanäle und Athemorgane ſind, wofür man ſie an-
geſprochen hat, erſcheint ſchon um deßwillen zweifelhaft, weil man nie-
mals gefärbte Flüſſigkeiten in ſie hat eindringen ſehen, weßhalb auch
viele Forſcher dieſe Schleifen-Organe, vielleicht mit größerem Rechte,
für abſondernde Drüſen anſehen.


Das Gefäßſyſtem iſt bei allen Ringelwürmern bedeutend ent-
wickelt, ſeine geſchloſſenen Röhren laſſen ſich faſt überall leicht
nachweiſen, da ſich in ihnen ein meiſt roth, zuweilen auch gelb oder
grün gefärbtes Blut bewegt. Die Hauptgefäßſtämme pulſiren deutlich
ihrer ganzen Länge nach und oft exiſtiren noch einige beſonders ausge-
zeichnete pulſirende Anſchwellungen in Schlauch- oder Bläschenform,
die man mit Herzen vergleichen kann und die ſtets paarig in der Nähe
des Schlundes liegen. Gewöhnlich findet ſich ein mittleres Rücken-
gefäß, welches das Blut nach vorn und ein mittleres Bauchgefäß,
welches daſſelbe nach hinten treibt. Bei den Egeln ſind indeß zwei
ſeitliche Gefäße meiſt ſtärker entwickelt als die mittleren. Es werden
dieſe Gefäße durch zahlreiche Querbogen und Netze mit einander ver-
bunden und da wo Kiemen exiſtiren, erhalten dieſe ſtets einen zufüh-
renden und einen rückführenden Aſt von den Hauptgefäßen.


[222]

Geſchlechtsorgane ſind bei allen Ringelwürmern vorhanden,
entwickeln ſich aber meiſt nur periodiſch zu gewiſſen Jahreszeiten, ſo
daß oft die Thiere vollkommen geſchlechtslos erſcheinen. Außerdem
pflanzen ſich indeß viele derſelben entweder durch Theilung oder auch
durch Knospung fort. Die Theilung geſchieht in der Weiſe, daß bei
ſolchen Individuen, die noch keine Geſchlechtsorgane zeigen, etwa in
der Mitte des Leibes oder weiter hinten ein ſchärferer Einſchnitt ent-
ſteht, an welchem ſich ein neuer Kopf mit mehren Ringeln bildet.
Sobald nun der Wurm aus Vorderthier und Hinterthier beſteht, ſo
bemerkt man an dem Vorderthier, daß der vorletzte Ringel des Leibes
ſich mehr abſchnürt und daß aus dieſem ſichtlich getrennten
Ringel, während er noch continuirlich mit dem Vorder- und
Hintertheile des Thieres zuſammenhängt, nach vorne hin drei oder
vier Kopfringe, mit Augen und Fühlern, nach hinten hin Leibes-
ringe mit Fuß- und Seitenborſten hervorſproſſen. Iſt dieſe Sproſ-
ſung ſo weit gediehen, daß das neugebildete Thier ſich loslöſen will,
ſo beſteht alſo das Ganze von vorn nach hinten aus drei Stücken, dem
Vorderleibe des Mutterthieres, dem jungen, aus einem Ringel des
Mutterthieres entſtandenen Mittelthiere und dem mit einem Kopfe ver-
ſehenen Hinterleibe des Mutterthieres, deſſen Schickſal nach der end-
lichen Loslöſung noch unbekannt iſt. Das Vordertheil des Mutter-
thieres pflanzt ſich zuweilen noch mehrfach durch Theilung fort, bekommt
aber dann Geſchlechtstheile und legt dann nur noch Eier. Bei
dieſen Ringelwürmern findet auch noch die Eigenthümlichkeit ſtatt,
daß abgetrennte Stücke ſich wieder zu ganzen Individuen ausbilden. Von
der Theilung verſchieden iſt die Knospung, bei welcher an dem
Hinterende des Leibes meiſt zwiſchen dem letzten und vorletzten Rin-
gel ein Glied hervorſproßt, welches deutlich das Kopfende des neu
zu bildenden Individuums iſt; während dieſes nun auswächſt und
Ringel an Ringel reiht, entſteht wieder zwiſchen ihm und dem Mut-
terthiere eine neue Knospe, die ſich ebenfalls zu einem unabhängigen
Individuum ausbildet. Man hat auf dieſe Weiſe an einem Mutter-
thiere bis zu ſechs Knospen hängend gefunden, wovon die hinterſte,
älteſte, ſchon ein ſehr vollſtändig ausgebildetes Thier darſtellte, während
die vorderſte, jüngſte, nur erſt den Kopfringel zeigte. Es unterſcheidet
ſich die Knospung alſo dadurch weſentlich von der Theilung, daß bei
letzterer wirklich ein Theil des Mutterthieres (wenigſtens ein Ringel)
in das neue Inviduum übergeht, während bei erſterer dieſes ganz
neu gebildet iſt.


Die Egel und die Erdwürmer ſind Hermaphro diten und jedes
[223] Individuum mit männlichen und weiblichen Begattungsorganen ver-
ſehen, während die andern Ordnungen getrennte Geſchlechter beſitzen.
Bei den erſtern findet, wie es ſcheint, keine Metamorphoſe ſtatt, wohl
aber bei den Letztern, weßhalb wir die Zeugungs- und Entwickelungs-
verhältniſſe bei den einzelnen Ordnungen betrachten werden. So viel
ſei nur noch bemerkt, daß auch bei allen Ringelwürmern ohne Aus-
nahme der Embryo ſich aus der ganzen Maſſe des Dotters bildet und
daß diejenigen Beobachtungen, aus welchen man das Gegentheil er-
ſchließen wollte, irrig aufgefaßt wurden. Bei keinem Ringelwurme
findet ſich jemals während des Laufes der Entwickelung ein dem Dot-
ter gegenübergeſtellter Embryonaltheil und hierdurch, ſowie durch den
Mangel jedes gegliederten Bewegungsorganes trennen ſich die Ringel-
würmer weit ab von den Gliederthieren, mit welchen man ſie bis in
die neueſte Zeit in Beziehung bringen wollte. Es iſt aber dieſe Be-
ziehung nur ſtets eine äußerliche, durch die Ringelung des Körpers
und ſeine Theilung in gleichnamige Abſchnitte hervorgebrachte und
keineswegs zu vergleichen mit der ungleichnamigen Gliederung des
Leibes, die bei den eigentlichen Gliederthieren vorhanden iſt.


Aus der weichen Körperbeſchaffenheit der Ringelwürmer geht ſchon
hervor, daß ihre verſteinerten Reſte nur ſelten und unvollkommen er-
halten ſein können. Zwar findet man von den Urgeſteinen an oft in
ſchiefrigen Gebilden, welche ſich am Strande bildeten, Abdrücke, die
offenbar von Ringelwürmern herrühren, denen aber die charakteriſti-
ſchen Merkmale, die von den weichen Fühlern, Fußſtummeln, Kiemen
etc. hergenommen ſind, gänzlich abgehen, ſo daß ihre Beſtimmung und
Vergleichung mit den lebenden Arten unausführbar wird. Eine Aus-
nahme hiervon machen diejenigen Röhrenwürmer, welche ſich feſte
Kalkröhren bauen, die wohl erhalten bleiben und meiſt charakteriſtiſche
Merkmale bieten.


Wir theilen die Klaſſe der Ringelwürmer in fünf Ordnungen,
die ſich gewiſſermaßen in zwei Reihen gegenüberſtehen, indem die Egel,
die Stern- und Erdwürmer einerſeits und beſonders die Röhren- und
Schlangenwürmer anderſeits ſo viele Berührungspunkte zeigen, daß
letztere beide kaum von einander zu ſcheiden ſind.


[224]
Figure 143. Fig. 230.

Sanguisuga medicinalis. Der mediciniſche Blutegel.


Die Ordnung der Egel (Hirudinea) begreift meiſt lange,
ſchlanke, rundliche oder abgeplattete Würmer, die eine ſchlüpfrige
aber derbe Haut beſitzen und auf der Oberfläche ſehr viele Querrunzeln
zeigen, welche indeß den durch die inneren Organe angedeuteten Glie-
derungen nur in Ausnahmsfällen entſprechen. Der Körper iſt meiſt
nach vorn verſchmälert, nach hinten breiter und trägt an dem hintern
Theile ſtets einen breiten, muskulöſen Saugnapf, welcher zum Anheften
dient. Das dünnere Kopfende iſt niemals als eigentlicher Kopf abge-
ſetzt, zeigt aber bei den meiſten Gattungen ebenfalls einen runden oder
aus zwei ſeitlichen Lippen gebildeten Saugnapf, in deſſen Grunde ſich
der Mund befindet. Dem Körper fehlen alle ſonſtigen Bewegungs-
organe, namentlich jede Spur von Fußſtummeln oder Borſten; er be-
wegt ſich beim Kriechen nach Art der Spannraupen durch abwechſeln-
des Anheften der Saugnäpfe oder mittelſt ſchlängelnder Windungen
beim Schwimmen. Das Nervenſyſtem iſt ſehr entwickelt; — es
finden ſich ſtets zwei Stränge, welche die Knoten des Bauchmarkes
mit einander verbinden. Bei der am niedrigſten ſtehenden Familie
der Weichegel ſieht man indeſſen das Nervenſyſtem in ähnlicher Weiſe
wie bei den Saugwürmern angeordnet, indem nur zwei ſeitliche Kno-
ten exiſtiren, die durch eine dünne unter dem Schlund herziehende
Schlinge verbunden ſind und zwei ſeitliche Aeſte nach hinten ſchicken,
die keine Knoten zu beſitzen ſcheinen. Zum Taſten dient beſonders
das vordere Kopfende; Augen finden ſich bei allen frei lebenden
Egeln in der Zahl von zwei bis zehn, fehlen aber den ſchmarotzenden
Gattungen.


Die Egel leben hauptſächlich von dem Blute anderer Thiere und
beſitzen zu dieſen Endzwecke in der Mundhöhle meiſt hornige Waffen,
[225]

Figure 144. Fig. 231.

Anatomie des Blutegels.
(Hirudo s. Sanguisuga medicinalis.)
Das Thier iſt von der Bauch-
ſeite her durch einen Längsſchlitz ge-
öffnet und die Haut nach beiden
Seiten zurückgeſchlagen worden. Nur
die vordere Hälfte des Körpers iſt
dargeſtellt, ſo daß man beſonders die
Geſchlechtstheile, das Nervenſyſtem,
den ſchwarzen Darm, mit ſeinen un-
vollſtändigen, ſeitlichen Blindſäcken,
die Schleimdrüſen (Reſpirationsbla-
ſen) deutlich ſieht. a die 3 Kiefer.
b der muskulöſe Schlund. c der
Darm. d Ruthenblaſe. e Samen-
blaſe. f Hoden. g Uterus. h Eier-
ſtöcke. i Nervenſtrang (die ſeitlich
abgehenden Nerven wurden nicht
dargeſtellt. k Reſpirationsbläschen
(Schleimdrüſen) mit den ſchleifenför-
migen Flimmerkanalen. l Seitenge-
fäß. m unteres Längsgefäß.


Figure 145. Fig. 232.

A der vordere Saug-
napf eines Blutegels
mit den Kiefern m in
natürlicher Lage; B
ein Kiefer ſtärker ver-
größert; C einige Zäh-
ne deſſelben noch ſtär-
ker vergrößert.


womit ſie die Haut an-
bohren, um nachher zu
ſaugen. Bei den [Blut-
egeln]
findet man im
Grunde des vorderen
Saugnapfes drei harte
bogenförmige Kieferwül-
ſte, die auf ihrer Schneid-
fläche mit kleinen, hor-
nigen, knollenförmigen
Zähnen beſetzt ſind und
beim Anbohren ſo vor-
geſchoben werden, daß
ſie einen dreizackigen
Stern bilden. Jeder
Kiefer wirkt auf die
Haut wie eine Säge. Der Blutegel be-
wegt dieſe Bogenſägen unter beſtändigem
Aufdrücken ſo lange hin und her, bis er
die Haut durchbohrt hat, wo er dann die
Kiefer zurückzieht und das Blut durch
abwechſelnde Ausdehnung und Zuſammen-
ziehung des muskulöſen Schlundes auf-
pumpt. Bei den Kiemenegeln finden ſich
nur zwei Kiefer vor, bei den Rüſſelegeln
dagegen eine Schlundröhre ähnlich der-
jenigen der Sohlenwürmer. Der auf den
muskulöſen Schlund folgende Darm iſt
meiſtens durch mehr oder minder ſtarke
Einſchnürungen in einzelne Säcke getheilt
und zeigt noch außerdem in häufigen
Fällen im hintern Theile des Körpers
gelegene Blindſäcke, welche zuweilen ver-
äſtelt ſind. Der Maſtdarm iſt von dem
übrigen Darme meiſt durch eine enge
Klappe getrennt und öffnet ſich mit einem
engen After, unmittelbar vor dem Saug-
napfe des Hintertheiles an der Rückenfläche. In dem Blutgefäß-
ſyſteme
findet ſich bald rothes, bald farbloſes Blut und man unter-
ſcheidet als weſentliche contractile Stämme zwei ſeitliche Längsgefäße,
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 15
[226] ein Rücken- und ein Bauchgefäß, die vorn und hinten durch weite
Querbogen und in den Körperringeln durch feinere Zwiſchenäſte mit-
einander in Verbindung ſtehen. An den Seiten des Körpers ſieht
man meiſt eine ziemliche Anzahl von ſehr feinen Oeffnungen, welche
in rundliche Säcke, die mit ſchleifenförmigen lebhaft flimmernden Ka-
nälen in Verbindung ſtehen, einmünden. Die Bedeutung dieſer
Kanäle iſt noch nicht genauer feſtgeſtellt.


Sämmtliche Egel ſind, mit Ausnahme der Weichegel, Herma-
phroditen
und pflanzen ſich nur durch Eier, nicht durch Knospung
oder Theilung fort. Die Geſchlechtsöffnungen liegen auf der Bauch-
ſeite meiſt in der Nähe des Mundes unmittelbar hintereinander. Die
vordere männliche Oeffnung führt in ein zwiebelförmiges Säckchen, aus
welchem das lange fadenförmige Begattungsorgan hervorgeſtreckt wer-
den kann. In jedem Ringel des Vorderleibes liegt ein Paar Hoden,
welche mit langen, an den Seiten hinlaufenden Samengängen in Ver-
bindung ſtehen. Die weiblichen Geſchlechtsorgane beſtehen aus zwei
bohnenförmigen Eierſtöcken, die in einen kurzen Eileiter und einen
flaſchenförmigen, nach Außen mündenden Eibehälter ſich fortſetzen.


Die Entwickelung der Egel iſt höchſt eigenthümlich, gleicht indeſſen
in vieler Beziehung derjenigen der Sohlenwürmer, wie denn überhaupt
zwiſchen dieſen beiden Ordnungen ſich vielfache Beziehungen zeigen,
die vielleicht noch zu einer nähern Vereinigung führen dürften. Bei
den eierlegenden Egeln ſchwitzt am Vordertheile des Leibes ein gallert-
artiger Stoff aus, welcher eine Art Gürtel darſtellt. Der Wurm
legt die Eier in dieſen Gürtel, zieht ſich dann aus demſelben heraus,
die Oeffnungen des Gürtels ſchnurren zuſammen, und es iſt ſo eine
hornartige Eikapſel gebildet, welche an Waſſerpflanzen angeklebt wird,
und die man mit den Cocons der Seidenraupen verglichen hat. Die
Cocons der Blutegel ſind von bedeutender Größe und enthalten ſtets
viele Eier. In den Eiern ſelbſt ſcheint ſich nun der Embryo gewiſ-
ſermaaßen aus einzelnen Stücken zuſammenzuſetzen. Eine bewegliche
Schlundröhre bildet ſich zuerſt an dem mit Wimperhaaren überzogenen
Embryo. Dieſer Magenſchlauch tritt dann mit einem Saugnapfe in
Verbindung und ſchluckt, während ſich der Embryo fortentwickelt, die
noch übrigen Dotterzellen auf. Der Anfangs kugliche Embryo wird
nach und nach platt, länglich, verliert ſeine Wimperhaare und ſchlüpft
endlich in der Geſtalt des Mutterthieres aus dem Ei hervor. Es
findet alſo eine eigentliche Metamorphoſe nicht ſtatt, ebenſowenig wie
bei den Sohlenwürmern.


[227]
Figure 146. Fig. 233.

Malacobdella.


Wir theilen die Egel in drei Familien. Die
Weichegel(Malacobdellida) ſchließen ſich am Nächſten
den Saugwürmern an. Ihr Körper iſt abgeplattet,
vorn ſtumpf, hinten mit einem großen Saugnapfe
verſehen; der Mund weich, unbewaffnet, mit kleinen
Wärzchen beſetzt; der Darmkanal gerade, ohne Blind-
ſäcke und Verzweigungen; das Nervenſyſtem beſteht
aus zwei ſeitlichen Stämmen und zwei ſeitlichen Schlund-
knoten. Die Geſchlechter ſind getrennt — äußere
Begattungswerkzeuge fehlen ganz. Die Zeugungs-
ſtoffe entwickeln ſich in zelligen Kammern der Leibes-
höhle und dringen durch ſeitliche Oeffnungen derſelben
hervor. Die Körperhaut iſt halb durchſichtig und
läßt die Eingeweide im Innern erkennen. Es ſchma-
rotzen dieſe Egel, von welchen man nur eine Gattung
(Malacobdella) kennt, in der Mantelhöhle verſchiedener Meermuſcheln,
beſonders der Trogmuſcheln.


Figure 147. Fig. 234.

Clepsine hyalina.


Die zweite Familie, diejenige der Rüſſelegel
(Clepsinida) hat einen hinten breiten, vorne ſehr
ſchmalen Körper, mit einem breiten, hintern Saug-
napfe, einen vorſtreckbaren Rüſſel ohne Bewaffnung
und einen mit langen Blinddärmen verſehenen Darm-
kanal. Sie leben beſonders häufig in ſüßen Waſſern,
wo man ſie an Waſſerpflanzen kriechend antrifft und
nähren ſich vom Blute der Waſſerſchnecken. Clepsine.


Die Familie der Blutegel(Hirudinida) hat einen
mehr gleichförmig breiten Körper, zuweilen mit deut-
lichen Ringeln und außer dem großen hintern Saug-
napf einen vorderen Mundnapf, welcher bald per-
manent iſt, bald auch, wie bei dem mediziniſchen
Blutegel, durch Ausdehnung der lippenförmigen Um-
gebung des Mundes gebildet werden kann. Der Mund iſt ſtets ohne
Rüſſel, bei einigen mit Kiefern bewaffnet, bei andern nur mit einem
fleiſchigen Wulſte verſehen. Zu dieſer Familie gehört der gewöhnliche
Blutegel (Sanguisuga), in Mitteleuropa, Kleinaſien und Oſtindien
einheimiſch, der zum Blutſaugen am Menſchen benutzt wird; der Roß-
egel (Haemopis) und viele auf Fiſchen (Piscicola) und auf Krebſen
(Branchiobdella) ſchmarotzenden Würmer. Die meiſten Blutegel lauern
im Verſteck auf die Thiere, welche zur Tränke kommen, andere heften
15*
[228] ſich an die äußere Haut an und laſſen ſich ſo herumtragen. Eine
ganz augenloſe Gattung (Branchiobdella) lebt beſonders häufig an den
Kiemen der Flußkrebſe, und kann wegen der Durchſichtigkeit ihrer
Haut leicht zu mikroſkopiſchen Beobachtungen benutzt werden. Der
große Verbrauch des mediziniſchen Blutegels zu ärztlichen Zwecken iſt
bekannt. Man legt zu ſeiner Aufbewahrung eigene Zuchtteiche und
Tümpel an, deren Behandlung viele Sorgfalt erfordert und bezieht
jetzt die meiſten aus Oſtindien und Aegypten, da die ungariſchen und
polniſchen Sümpfe, welche ſie früher in ungeheurer Anzahl lieferten,
faſt erſchöpft ſind. Aulacostomum; Pentobdella.


Die Ordnung der Sternwürmer (Gephyrea) wird von

Figure 148. Fig. 235.

Sipunculus.
a
Der mit rückwärtsgebo-
genen in Querreihen ſtehen-
den Haken beſetzte Rüſſel;
b die Fühlwarzen; c der
durch die Körperhaut durch-
ſcheinende Darm; d der After.


einer höchſt eigenthümlichen Gruppe von Meer-
würmern gebildet, welche man bis jetzt großen-
theils als zu den Strahlthieren gehörig be-
trachtete, indem man ſie den Seewalzen an-
reihte. Der Körper dieſer Thiere iſt walz-
enförmig, drehrund, von einer derben leder-
artigen Haut umhüllt und meiſt nackt, doch
ſieht man bei einigen Gattungen ſteife, in die
Haut eingepflanzte, unbewegliche Borſten, oder
auch an dem Vorderende einige Haken, die zum
Feſthalten dienen. Alle dieſe Thiere leben im
Sande, in Löchern und in Höhlen in ähnlicher
Weiſe unter dem Waſſer, wie die Regenwür-
mer auf dem feſten Lande. Sie zeigen keinen
beſonders abgeſetzten Kopf und keine Sin-
nesorgane. Das Nervenſyſtem beſteht aus
einem Bauchmarke und einem Schlundringe,
an dem ſich ein unbedeutender Hirnknoten
erkennen läßt. Der Mund befindet ſich an
dem vordern Ende des Körpers und iſt
bei den meiſten Gattungen mit einem lan-
gen Rüſſel verſehen, welcher in ähnlicher
Weiſe wie bei den Kratzern, mit rückwärts ge-
bogenen Haken beſetzt iſt. Der Darmkanal er-
ſcheint bei den meiſten Gattungen gewunden, nur bei einigen grade
und öffnet ſich an dem hintern Ende des Körpers; nur bei einer Gat-
tung findet ſich der After auf der Bauchſeite in der vordern Hälfte
des Körpers. Es ſind dieſe Thiere meiſt noch ſehr unbekannt, ihre
Anatomie ſowie ihre Entwicklung bedarf noch vieler Aufklärung, bevor
[229] ihre Stellung mit Genauigkeit angegeben werden kann. Es gehören
zu dieſer Ordnung die Heberwürmer (Sipunculus), die Stachel-
würmer
(Echiurus) und einige andere Gattungen, welche man nur
dem äußern Anſehen nach kennt. Thalassema; Priapulus.


Die Ordnung der Erdwürmer (Scoleina) hat einen lan-
gen runden Körper, der nur undeutlich gegliedert erſcheint. Die Haut
iſt derb, zuweilen ſelbſt lederartig und auf beiden Seiten des Körpers
ſind Borſten in dieſelbe eingeſenkt, welche zur Unterſtützung der Be-
wegungen dienen. Es ſtehen indeß dieſe Borſten niemals wie bei den
folgenden Ordnungen auf eigenen Fußſtummeln, ſondern ſtecken viel-
mehr oft faſt gänzlich verborgen in paarigen Gruben der Haut. Man
unterſcheidet keinen deutlich abgeſonderten Kopf, wohl aber bei der
einen Familie zwei Nackenaugen, die den Regenwürmern abgehen.
Der Mund zeigt niemals Kiefer oder rüſſelförmige Organe, der Darm
läuft grade durch den Körper und läßt nur abwechſelnde, den Rin-
geln entſprechende Einſchnürungen, aber keine Blindſäcke wahrnehmen.
Das Blut iſt meiſt roth; es cirkulirt hauptſächlich durch zwei in der
Mittellinie des Bauches und des Rückens gelegene Längsgefäße,
welche durch Queräſte verbunden ſind, die bei den Regenwürmern na-
mentlich im vordern Leibesende perlſchnurartig geformt ſind und leb-
haft pulſiren. Man findet auch bei dieſen Thieren ähnliche ſchleifen-
förmige Kanäle mit innerer Wimperbewegung wie bei den Egeln und
iſt ebenſo wenig wie bei dieſen über ihre Bedeutung klar geworden.
Sämmtliche Erdwürmer ſind Hermaphroditen und haben auf der Vor-
derfläche des Bauches paarige Geſchlechtsöffnungen, welche zu beiden
Seiten der Mittellinie liegen, zum Unterſchiede von den Egeln, welche
nur je eine Geſchlechtsöffnung zeigen. Hoden und Eierſtöcke ſtecken
übrigens öfters ſo in einander, daß es unmöglich iſt, ſie zu trennen,
indem in dem ſchlauchförmigen Eierſtocke ſelbſt der Hodenſchlauch ein-
geſchachtelt iſt. Ueber die Entwicklung der Erdwürmer im Ei liegen
durchaus noch keine Beobachtungen vor; man weiß nur ſo viel, daß
die Jungen keine ſpätere Metamorphoſe mehr durchmachen, ſondern
vollkommen ausgebildet das Ei verlaſſen.


Die Familie der Regenwürmer (Lumbricida) beſteht aus
walzenförmigen, höchſt ungleich gegliederten Thieren ohne geſchiedenen
Kopf und ohne Augen, auf deren Bauchfläche in ſeitlichen Gruben,
welche nahe an der Mittellinie angebracht ſind, Packete gekrümmter
Borſten ſtehen, die gänzlich in dieſe Gruben zurückgezogen werden
können. Sie leben in Erdhöhlen, im feuchten Boden und ſcheinen be-
ſonders Nachts ihrem Raube nachzugehen. Daß ſie Pflanzenſtoffe, Wur-
[230] zeln und Schoſſen abfreſſen, iſt eine Fabel. Zur Brunſtzeit entwickelt
ſich bei dieſen Thieren hinter den Geſchlechtstheilen eine Anhäufung
von Drüſenbälgen, welche einen zähen klebrigen Schleim abſondern,
der beſonders zum Feſthalten bei der Begattung dient. Die Drüſen-
bälge ſelbſt ſchwellen zu dieſer Zeit an und bilden entweder einen auf
dem Rücken liegenden Sattel oder einen förmlichen Gürtel um den
Leib, welcher von Unkundigen meiſt für eine vernarbte Wunde gehal-
ten wird. Einige Gattungen dieſer Erdwürmer bauen ſich förmliche
Röhren, während die meiſten ſich begnügen, ihre Gallerieen mit Schleim
auszufüttern und ſie dadurch vor dem Zuſammenfallen zu ſchützen.
Lumbricus; Saenuris; Enchytraeus; Euaxes; Rhynchelmis; Sternaspis.


Die Familie der Waſſerſchlängel (Naidida) begreift kleine, un-

Figure 149. Fig. 236.

Nais (Stylaria) pro-
boscidea.
a
Rüſſelartiger
Fortſatz des Kopfes,
hinter dem man den
Anfang des Dar-
mes und die beiden
Augen ſieht. b
Schlund und Ma-
gen. c Darm,
durchſcheinend durch
den Körper.


deutlich gegliederte, außer den Borſtenbündeln am
Leibe auch noch mit einfachen Seitenborſten verſehene
Würmer, welche beſonders den Schlamm der ſüßen
Gewäſſer bewohnen und darin ſich Galerieen gra-
ben, aus denen ſie den ſtets lebhaft ſchlängelnden
Kopf hervorſtrecken. Einige Arten (Chaetogaster)
ſchmarotzen auch in der Mantelhöhle der Waſſer-
ſchnecken. Die meiſten haben zwei deutliche Augen.
Es pflanzen ſich dieſe Thiere unabhängig von der
geſchlechtlichen Entwicklung auch noch in der oben
beſchriebenen Weiſe durch Theilung fort und ihre
ausgezeichnete Reproductionskraft nach Verletzungen
iſt ſchon oft der Gegenſtand vielfacher Beobachtungen
geweſen. Nais; Chaetogaster; Stylaria; Proto; Aeo-
losoma.


Die Ordnung der Röhrenwürmer (Tubicola)
gehört ausſchließlich dem Meere an und bildet mit
der folgenden Ordnung eine natürliche Gruppe in
ähnlicher Weiſe, wie die Egel und die Erdwürmer
eine größere zuſammenhängende Gruppe darſtellen.
Alle dieſe Würmer wohnen in dem ausgewachſenen
Zuſtande in Röhren, welche eine ſehr verſchiedene
Beſchaffenheit zeigen. Bei den einen erſcheinen ſie
als vielfach gewundene Gallerieen aus fremden Kör-
[231]

Figure 150. Fig. 237.

Grupre von Röhren
des Meerpinſels (Serpula).
Der aus der einen Röhre
hervorgeſtreckte Wurm zeigt
den Kranz von Kopffühlern
und Kiemen; den mittleren zu
einem Deckel der Röhre ver-
dickten Fühler [und] die erſten
Leibesringel mit den ſeitlichen
Borſten.


pern, Sand, Steinchen, Schalenſtücken zuſam-
mengeklebt und im Innern mit einer ſeiden-
artigen Schicht verhärteten Schleimes ausge-
klebt; bei andern ſtellt ſich die Röhre perga-
mentartig oder ſelbſt hornig dar, und noch bei
andern Gattungen iſt ſie feſt und aus kohlen-
ſaurem Kalk gebildet. Die Windungen dieſer
Wurmröhren, ihre äußere Verzierungen ſind
in dieſem Falle meiſt ſo charakteriſtiſch, daß
man auch aus der leeren Röhre Gattung und
Art beſtimmen kann. Die Haut, der in dieſen
Röhren ſteckenden Würmer iſt meiſtens ziem-
lich weich und ihre Contractilität iſt ſehr be-
deutend. Zum Feſthalten in ihren Röhren
dienen ſeitliche, mit Borſten beſetzte Fußſtum-
meln, welche Büſchel von Haken und Horn-
ſpitzen, niemals aber bewegliche Anhänge tra-
gen. Es ſind dieſe Borſten meiſt hakenförmig
gekrümmt und ſo geſtellt, daß das Thier ſie
gegen die Röhre anſtemmen und gegen das
Hervorziehen einen bedeutenden Widerſtand leiſten kann. Durch die
Hakenborſten unterſcheiden ſich die meiſten Röhrenwürmer von den
Schlangenwürmern, welche niemals Hakenborſten beſitzen.


Man kann bei den [Röhrenwürmern] keinen geſonderten Kopf un-
terſcheiden. Sinnesorgane fehlen faſt immer; nur bei einigen Gattun-
gen hat man kaum bemerkbare Augen wahrgenommen. Ebenſo fehlt
ſtets irgend welche Bewaffnung des Vorderendes, Kiefer, Rüſſel oder
dergleichen. Dagegen finden ſich bei allen Röhrenwürmern an dem
Kopfende eigenthümliche Kopffühler, contractile Fäden, welche ſo-
wohl zum Taſten als auch zum Fangen der Beute dienen. Bei eini-
gen Gattungen erſcheinen dieſe Kopffühler in Form gefiederter An-
hänge, welche eine Art Federkrone in Trichter- oder Spiralform bil-
den und eine mehr ſteife Natur haben. Bei andern bilden ſie eine
Menge außerordentlicher dünner langer Fäden, welche eine wunder-
bare Beweglichkeit beſitzen und die man abgetrennt für ſelbſtſtändige
Würmer halten könnte. Mit dieſen Fäden, welche man früher irr-
thümlicher Weiſe für Kiemen hielt, angeln die Würmer beſtändig im
Waſſer umher und wenn irgend ein Umſtand ſie zwingt, ihre Röhre
zu verlaſſen, ſo bedienen ſie ſich auch häufig derſelben, um den Kör-
per daran nachzuziehen. Bei manchen Gattungen finden ſich nur zwei
[232] ſolcher Kopffühler, wovon der eine oftmals zu einer Art Pfropf um-
gewandelt iſt, mit welchem das Thier beim Zurückgehen ſeine Röhre
ſchließt.


Bei [den] Röhrenwürmern ſind die Hirnganglien ſtets ſehr
bedeutend, aber als eine Annäherung zu den niedern Klaſſen der Wür-
mer beobachtet man auch hier, daß die Verbindungsſtämme des Bauch-
markes aus einander weichen und zu beiden Seiten der Mittellinie mit
eigenen Knoten ſich hinziehen.


Der Darmkanal der Röhrenwürmer iſt deutlich in einen mus-
kulöſen Schlund, einen ſchlauchförmigen Magen und einen meiſt engern
Darm getheilt. Er verläuft zuweilen in ſeinem hintern Theile ſpira-
lig gewunden bis zu dem am Körperende liegenden After. Doch gibt es
einige Gattungen, bei welcher er auch mehrere ſchlingenförmige Win-
dungen macht. In dieſen Darm münden meiſt unmittelbar hinter dem
Kopfe zwei Speicheldrüſen ein.


Alle Röhrenwürmer beſitzen Kiemen, welche an dem Kopfe
in Form baumartig veräſtelter Anhänge, zuweilen aber auch zur Seite
oder ſelbſt auf dem Rücken angebracht ſind. Meiſt können dieſe Kie-
men nach Willkür ausgeſtreckt und eingezogen und auf dieſe Weiſe
die Circulation des Blutes in ihnen gehemmt oder gefördert werden.
Die Gefäße, welche dieſe Kiemen ſpeiſen, entſtehen aus dem Rücken-
gefäße, welches gewiſſermaßen das Kiemenherz repräſentirt und das
oftmal in zwei Stämme geſpalten iſt, wovon der eine unter der Haut,
der andere längs des Darmkanales läuft. Die Kiemen zeigen ſtets
eine ſehr lebhafte Flimmerbewegung und ſind immer ſo geſtellt, daß
nicht die ganze Blutmaſſe, ſondern nur ein Theil davon durch ſie hin-
durchgetrieben wird.


Alle Röhrenwürmer ſind getrennten Geſchlechts und pflanzen ſich
nur durch geſchlechtliche Zeugung fort. Die Geſchlechtstheile ent-
wickeln ſich periodiſch als innere Drüſenbälge, deren Inhalt nach der
Reihe durch Platzen in die Bauchhöhle entleert wird. Auf welche
Weiſe die zu gewiſſen Zeiten die Leibeshöhle ganz erfüllenden Pro-
dukte nach Außen geſchafft werden; ob durch Ablöſung des hintern
Körperendes, ob durch beſondere Oeffnungen am Kopfe oder an den
Seiten des Leibes, iſt bis jetzt noch unbekannt, doch iſt das Letztere
wahrſcheinlicher. Die meiſten Röhrenwürmer legen ihre Eier in
ſchleimigen Klumpen, welche an der Mündung der Röhre feſtgeklebt
ſind und dort leicht aufgefunden werden können.


[233]

Die Entwickelung der Röhrenwürmer wurde erſt in
neueſter Zeit bekannt und ließ noch mehr als alle andern Charaktere

Figure 151. Fig. 238. 239. 240. 241.

Erſte Entwickelung eines Röhrenwurmes (Terebella)
Fig. 238. Der reife Dotter. Fig 239. Ein Embryo,
welcher eben das Ei verlaſſen hat und mittelſt eines breiten
Wimperkranzes (e) wälzend einherſchwimmt. Fig. 240. Ein
weiter gebildeter Embryo, an dem ſich ein Kopfringel, ein be-
wimperter Halsringel, ein Körperringel und der gleichfalls be-
wimperte Endringel unterſcheiden läßt. Fig. 241. Ein noch
weiter ausgebildeter Embryo, an dem man mehrere Körperrin-
gel, Augen und die Anlage des Darms unterſcheidet. a Dot-
terhaut. b Dotter. c Kopfende. d Hinterende. e Bewimper-
ter Halskragen. f Hinterer Wimperkranz, letztes Körperglied.
g′ Vorletztes Körperglied, g″ Drittes Körperglied. h Augen.
i Darm.


die nahe Ver-
wandtſchaft zwi-
ſchen ihnen und
den umherſchwei-
fenden Ringel-
würmern, den
Schlangen-Wür-
mern, erkennen.
Man fand, daß
dieſe Jungen eine
vollſtändige Me-
tamorphoſe durch-
machen, und daß
ſie im Anfange
ganz auf dieſelbe
Weiſe wie die
Jungen der um-
herſchweifenden
Ringel-Würmer
gebildet ſind, ſo

Figure 152. Fig. 242. 243.

Weitere Entwickelungsſtufen deſſelben Wurmes.
Fig. 242. Von oben. Fig. 243. Von der
Seite geſehen. Der Darm hat ſich jetzt in einen


daß es ſchwer hält, dieſelben zu
unterſcheiden. Nach vollendetem
Furchungsprozeſſe verwandelt ſich
nämlich der Dotter im Ganzen
in einen faſt kugelrunden Embryo,
welcher dicht mit Wimperhaaren
beſetzt iſt. Das kugelförmige
Thier durchbricht nun meiſt die
Eihülle und ſchwimmt frei im
Waſſer umher. Die Larve wird
eiförmig, an dem vordern Ende
ſieht man zwei deutliche Augen-
punkte. Die Wimpern ziehen
ſich zuſammen und bilden un-
mittelbar hinter den Augen eine
Art Halskragen. Der Körper
verlängert ſich ſtets mehr, man
ſieht Querabtheilungen und an
[234]

Schlund (i′), Magen (i″) und Darm (i‴) getheilt,
die Wimperkränze fangen an zu ſchwinden, und
dafür die Fußborſten hervorzuſproſſen. Das Kopf-
ende iſt ſpitz geworden und eine deutliche Unter-
lippe (k) hervorgeſproßt. Bedeutung der Buch-
ſtaben wie in den vorigen Figuren.


Figure 153. Fig. 244. 245.

Terebella.
Fig. 244 u. 245. Der Wurm hat ſich
eine Röhre umgebildet und es ſproffen all-
mählig Fühler und Kiemen hervor. In Fig.
244. kommt der erſte Fühler in Geſtalt eines
Zapfens am Kopfende hervor; in Fig. 245.
zählt man ſchon acht Fühler (o) und die Kie-
men erſcheinen in der Nackengegend in Geſtalt
kleiner Stummeln. m Röhre. o Fühler.
p Kiemen; die übrigen Buchſtaben wie oben.


dem hinteren Ende des Körpers
einen zweiten Wimperkranz. Die
Larve ſchwimmt nun ſehr ſchnell
im Waſſer umher. Die Ringel
vermehren ſich und werden deut-
licher, die beiden Wimperkränze
verſchwinden allmählig, während
zugleich an den Seiten des Kör-
pers ſich einzelne Borſten zeigen.
So iſt allmählig aus der eiförmi-
gen Larve ein länglicher Wurm
mit deutlichem Kopfe, zwei Augen,
einem flimmernden Halskragen und
mehrfachen Körperringeln gewor-
den, welche mit Borſten beſetzt
ſind und dem Thiere beim Kriechen
dienen. Nun beginnt die Larve
ſich feſtzuſetzen und eine Röhre
umzubilden, während zugleich an
der Stelle des Halskragens die
Kiemen hervorſproſſen. Die Augen
verſchwinden, die Kopffühler ſproſ-
ſen an ihrer Statt hervor und bei
zunehmender Entwickelung bildet
ſich das Thier auf dieſe Weiſe
ſtets mehr und mehr zum erwach-
ſenen Röhrenwurm um, welchem
bekanntlich die Augen gänzlich feh-
len. Bei den Larven der umher-
ſchweifenden Ringelwürmer, welche Anfangs vollkommen mit den
beſchriebenen der Röhrenwürmer hinſichtlich ihrer Bildung überein-
kommen, ſchreitet dagegen die Entwickelung des Kopfes ſowohl wie
die des ſonſtigen Körpers in gleichem Maaße fort. Man kann
alſo mit vollem Rechte behaupten, daß die Röhrenwürmer und
[235]

Figure 154. Fig. 246

Terebella.
Der erwachſene Wurm aus der Röhre gezogen in natürlicher Größe. Die
feinen Fühler bilden einen Buſch geſchlängelter Fäden, die beſtändig umherangeln
und ſich deutlich von den baumartigen Kiemen p im Nacken unterſcheiden.


Figure 155. Fig. 247. 248. 249.

Drei verſchiedene Entwickelungsſtufen eines Schlangenwurmes
(Nereis.)
um die allmählige Verlängerung des Körpers durch Streckung
und Zuwachs neuer Ringe zu zeigen. In dem jungen
Embryo Fig. 247. beginnen die Kopffühler erſt zu ſproſ-
ſen; die Kiefer des Schlundkopfes ſind kaum angelegt, die


die Schlangenwürmer
zuſammen nur einen
Typus bilden und daß
die erſteren durch rück-
ſchreitende Metamor-
phoſe zu der ſitzenden
Lebensart umgebildet
werden, welche ſie im
erwachſenen Zuſtande
behaupten. Die Fixa-
tion eines Thieres an
einem beſtimmten Orte,
das Leben in Röhren
und Schalen, die feſt-
ſitzen, wirkt ſtets ganz
in ähnlicher Weiſe de-
[236]

Augen nur einfach, man unterſcheidet nur zwei Leibes-
ringe. In Fig. 248. haben ſich die Leibesringe vermehrt,
die Fühler ſind größer, die Augen ſind zweipaarig, die
Kiefer deutlich geworden. In Fig. 249. endlich ſind die
Fühler ausgebildet, ebenſo die Kiefer, die Füße der Lei-
besringe getheilt, das Ganze, bis auf die Länge, dem
Erwachſenen ähnlich. a Kopfende mit den Fühlern. b
Kiefer. c Hinteres Ende. d Leibesringel.


gradirend auf daſſelbe
ein, wie das Schma-
rotzerleben, indem bei
beiden Zuſtänden die
edleren Sinnesorgane
und die activen Bewe-
gungsorgane verkümmern, um Haftorganen und mehr oder minder
ausgebildeten Taſtwerkzeugen Platz zu machen.


Wir theilen die Ordnung der Röhrenwürmer nach der Lage der
Kiemen und der Form der Borſten in drei Familien. Bei den erſten,
den Auſternwürmern(Hermellida) ſtehen die Kiemen paarweiſe zu
beiden Seiten des Rückens, und an dem vordern Ende des Kopfes
ſieht man außer einem Haufen baumartig verzweigter Fühler zwei
dicke Wülſte, welche auch zum Schließen der Röhre dienen. Dieſe iſt
meiſt rund und aus Sandkörnern zuſammengeklebt. Arten dieſer Au-
ſternwürmer entwickeln ſich in ſo enormen Geſellſchaften auf den
Auſternbänken, das hierdurch das Wachsthum und die Ausbildung
derſelben vielfach beſchränkt wird. Hermella.


Figure 156. Fig. 250.

Gruppen von Röhren
des Meerpinſels (Serpula).


Die Familie der Meerpinſel(Sabellida)
hat die Kiemenbüſchel vorn am Kopfe, bald
in Form eines aus zwei Hälften gebildeten
Kreiſes von Federn, bald aus ſeitliche ver-
zweigte Bäumchen, bald auch als Kämme in
der Halsgegend. Diejenigen Gattungen, welche
kalkige Röhren beſitzen, bilden oft große Grup-
pen, welche ſich beſonders auf Muſcheln, Ko-
rallen u. ſ. w. feſtſetzen, während die, welche
Röhren aus Sand oder verhärtetem Schleime
beſitzen, mehr einzeln leben. Man hat Ge-
häuſe, welche meerpinſelartigen Thieren an-
gehören, faſt in allen Schichten der Erde von
den älteſten an gefunden, ohne daß indeß ihre
genauere Beſtimmung bis jetzt möglich geweſen
wäre. Manche Nöhren dieſer Würmer (Spirorbis) ſind vollkommen
ſchneckenartig gewunden; andere (Serpula) unregelmäßig geſchlängelt;
andere (Sabella) gerade und hautartig; noch andere (Terebella) aus
Steinchen zuſammengeklebt. Amphicora; Amphitrite; Pectinaria.


Den Uebergang zu den Schlangenwürmern bildet die Familie der
Grünwürmer(Chloraemida), die einen mehr oder minder deutlichen
Kopf beſitzt, an welchem die Kiemen ſtehen, während die Fußſtummeln
[237] ganz ſo gebildet ſind, wie bei den Schlangenwürmern, und durchaus
keine Hakenborſten tragen.


Die Ordnung der Schlangenwürmer (Errantia) begreift
alle diejenigen Ringelwürmer, deren Körper deutliche Quergliede-
rungen zeigt, welche mit Fußſtummeln verſehen ſind, und bei denen
meiſt ein deutlich abgetrennter Kopf mit entwickelten Taft- und Sinnes-
organen und Kiemen vorhanden ſind, die zu beiden Seiten des Rückens
in Büſcheln vertheilt ſtehen. Die Haut dieſer Thiere iſt ſehr
derb und aus gekreuzten Sehnenfaſern gewebt, welche die ſchön-
ſten Schillerfarben erzeugen. Der deutlich getrennte Kopf trägt
kurze contractile Kopffühler, deren oft nur zwei, oft aber mehrere
vorhanden ſind. Es dienen dieſe Organe zum Taſten, während zwei
ſeitliche einfache Augen das Sehen vermitteln.


Figure 157. Fig. 251.

Fuß eines Kieferwurms (Eunice).


Die Bewegungsorgane beſtehen ſtets aus
Fußſtummeln, die nur ſelten einfach oder ſo
mit einander verſchmolzen ſind wie bei den Röh-
renwürmern, vielmehr in der Weiſe doppelt
ſind, daß ſie in einem obern und untern Wulſt
enden, welche beide Borſtenbüſchel tragen, weß-
halb man ſie auch als Rückenſtummel und
Bauchſtummel unterſchieden hat. Außer den
Büſcheln verſchiedenartiger Borſten, welche
außerordentlich wechſelnde Formen beſitzen und
die Geſtalt von Pfeilen, Harpunen, gezähnelten Spieſen und Bayonetten
u. ſ. w., niemals aber Hakenform, wie bei den Röhrenwürmern, zei-
gen, tragen dieſe Füße faſt immer noch fadenförmige Körperfühler,
oder Cirrhen, die meiſt an dem Rückenſtummel angebracht ſind, über
welchem außerdem noch die baumförmigen Kiemen befeſtigt erſcheinen.


Figure 158. Fig. 252.

Der Kopf eines Schlangen-
wurmes (Glycere) mit entwickeltem
Rüſſel.
tr der Rüſſel; b der Mund;
m die daran liegenden Kiefer; t der
verhältnißmäßig ſehr kleine Kopf;
c die erſten Körperringel.


Im Gegenſatze zu den Röhrenwür-
mern zeigt der Mund der Schlangen-
würmer meiſt eine ausgezeichnete Bewaff-
nung, welche am häufigſten in einem
Rüſſel oder auch in hakenförmig gekrümm-
ten Kiefern beſteht. Der Rüſſel iſt meiſt
ungemein groß, rund, keilförmig, an
ſeiner Spitze durchbohrt und hier entwe-
der waffenlos oder mit ſcharfen gekrümm-
ten Kiefern verſehen. Es wirken dieſe
Kiefer ſtets von der Seite her gegen einander. Zuweilen ſtellen ſie
einfache Zangen dar, zuweilen auch ſind ſie vielfach gekerbt und in
[238] ungleicher Zahl auf beiden Seiten angebracht. Der übrige Verdau-
ungskanal, ſowie das aus einem Bauchmarke und deutlichen Hirn-
knoten beſtehende Nervenſyſtem, bieten keine weſentlichen Verſchieden-
heiten von den Röhrenwürmern dar. Das Gefäßſyſtem iſt au-
ßerordentlich entwickelt und namentlich das Rücken- und Bauchgefäß
von Bedeutung. Erſteres ſpeiſt die Kiemen, welche meiſt in Baum-
form zu beiden Seiten des Rückens angebracht, aber oft ziemlich
rudimentär ſind, während ſie bei andern Gattungen eine enorme
Entwickelung und Zahl erreichen. Die Geſchlechter ſind getrennt, die
Geſchlechtsorgane ganz ſo ausgebildet, wie bei den Röhrenwürmern.
Die Eier werden entweder an Steine oder Waſſerpflanzen gelegt oder,
in ſchleimige Säcke gehüllt, von der Mutter an dem Leibe mit herum-

Figure 159. Fig. 253. 254.
Fig 255.

Fig. 253. Ein Vielauge (Poly-
ophthalmus).
Man ſieht die ent-
wickelten wimpernden Kopflappen
und auf dem Leibe die ſeitlichen
Augen als weiße Punkte. Fig. 254.
A. Das Kopfende vergrößert. a die
Oberlippe mit dem Centralner-
venſyſteme; b die Räderlappen,
c der Leib. Fig. 255. B. Die
Bewegungsorgane. a die Fußbor-
ſten. b die beiden muskulöſen
Säckchen, in welchen ſie ſtecken. c
obere und untere Muskelbündel.


getragen. Die Entwickelung geſchieht
ganz in derſelben Weiſe wie bei den Röh-
renwürmern, nur mit dem Unterſchiede, daß
die Anfangs eiförmigen Larven den Hals-
kragen wie es ſcheint noch lange behalten
und daß die Gliederzahl, welche Anfangs
nur eine unbedeutende iſt, ſtets mehr und
mehr neben der Ausbildung des Kopfes
ebenfalls zunimmt.


Neben der geſchlechtlichen Zeugung
iſt auch bei einigen Schlangenwürmern
wahre Knospenbildung beobachtet worden,
und zwar in der Weiſe, daß die Jungen
an dem Hinterleibsende hervorſproſſen und
die neuen Knospen ſich ſchon entwickeln,
ehe noch die ältern ſich losgetrennt
hatten.


Unter den vielen Familien, in wel-
che ſich die Ordnung der Schlangenwür-
mer theilt, zeigen die Vielaugen (Poly-
ophthalmida
) eine merkwürdige Beziehung
zu den Räderthieren. An der Spitze des
Kopfes ſtehen nämlich zu beiden Seiten
eines kurzen, mit Wimpern beſetzten
rüſſelartigen Fühlers, zwei ſeitliche mit
langen Wimperhaaren beſetzte Wülſte, die
wie die Räder der Räderthiere eingezogen
und ausgeſtülpt werden können. Die Füße dieſer Vielaugen ſind
[239] denen der Regenwürmer ähnlich; die Fußborſten ſtecken in Gruben,
die auf kaum bemerkbaren Stummeln ſtehen. Außerdem haben dieſe
Würmer zu beiden Seiten des Leibes Reihen wohlgebildeter Augen,
zu welchen noch beſondere Kopfaugen kommen. An dem Bauchgefäß-
ſtamme findet ſich ein deutliches, aus einer mittleren und zwei ſeit-
lichen Abtheilungen beſtehendes Herz.


Figure 160. Fig. 256.

Arenicola piscatorum.


Die Familie der Piere oder Sandwürmer
(Arenicolida) wird von Würmern gebildet, die am
Strande des Meeres wohnen und in ihrem Aeußern
viele Aehnlichkeit mit den Regenwürmern haben. Das
Kopfende iſt gleichmäßig abgerundet und zeigt weder
Fühler noch Augen. Der vorſtreckbare Rüſſel iſt
kurz, napfförmig, unbewaffnet. Die nur an der
vorderen Körperhälfte angebrachten Fußſtummeln ſind
außerordentlich klein und mit Borſtenbüſcheln beſetzt.
Die großen baumartigen Kiemenbüſchel ſtehen zu bei-
den Seiten in der Mitte des Leibes, der Hinterleib
iſt nackt und quer gerunzelt. Die Thiere bohren
ſich Gallerieen in dem Sande, vorzugsweiſe in der
Region, welche von der Ebbe entblößt wird und es
wird ihnen an allen Küſten ſehr nachgeſtellt, da ſie
einen vortrefflichen Köder für den Fiſchfang bilden.


Die Familie der Seeraupen(Aphroditida) zeigt
einen nur rudimentären Kopf mit ſehr kurzen Füh-
lern und einen mehr oder minder breiten Körper,
der zuweilen ganz eiförmig erſcheint. Sie haben
einen fleiſchigen Rüſſel und ſehr deutliche Fußſtummeln,
welche meiſt ungeheure Stacheln und Borſten der
verſchiedenſten Geſtalt, ſowie Fühlerfäden tragen.
Die Kiemen ſind höchſt rudimentär und auf dem
Rücken angebracht. Vor allen andern Würmern iſt
indeß dieſe Familie dadurch ausgezeichnet, daß ihr
Rücken durch eigene Schilder geſchützt iſt, welche die
Geſtalt von Schuppen haben und paarweiſe in der Art auf den Ringeln
angebracht ſind, daß ſtets ein Ringel damit verſehen iſt, während
der nächſtfolgende ihrer entbehrt. Bei den eigentlichen Seeraupen
(Aphrodite) bilden die ſehr lebhaft gefärbten Haare und Borſten einen
Filz, unter welchen erſt die eigentlichen Deckſchuppen zum Vorſchein
kommen, während die mehr länglichen Gattungen (Hermione, Polynoe)
nackte, unverfilzte Rückenſchuppen tragen. Man findet dieſe Seeraupen
[240] wie die übrigen Schlangenwürmer hauptſächlich unter Steinen und
meiſt in ziemlicher Tiefe. Sigalion; Eumolpe.


Die Familie der ſchuppenloſen Seeraupen(Amphinomida) theilt
mit der vorigen die allgemeine Geſtalt des Körpers und die ſtarke Behaa-
rung, unterſcheidet ſich aber von ihnen durch den Mangel der Deck-
ſchuppen, ſo daß die Kiemen frei zu Tage liegen, während ſie bei den
Seeraupen durch die Rückenſchuppen verdeckt ſind. Amphinome; Chloeia;
Pleione; Euphrosyne.


Eine fünfte Familie wird durch ein nur in wenigen Exemplaren
vorhandenes Thier gebildet, welches Peripatus genannt wurde, zwei
geringelte Kopffühler, einen deutlichen Kopf, einen kleinen Rüſſel mit
ſeitlichen Hakenkiefern beſitzt, deſſen Fußſtummeln ſehr dick ſind, nur
Borſten und keine Fühler zeigen, und deſſen Nervenſyſtem merkwür-
digerweiſe aus zwei ſeitlichen Strängen beſteht, während alle übrigen
Schlangenwürmer ein mittleres Bauchmark haben.


Figure 161. Fig. 257.

Nereis


Figure 162. Fig 258

Kopf
eines Schlangen-
wurmes (Nereis).


Die Familie der Rankenwürmer(Nereida) hat meiſt nur un-
vollſtändig entwickelte Kiemen und einen deutlichen, mit Fühlern
und Augen verſehenen Kopf; der Rüſſel iſt entweder wehrlos oder
aber mit ein bis zwei Paar ſcharfen, hervorſtehenden Zangenkiefern
bewaffnet. Die Körperfühler ſind oft ſehr lang und bei einigen Gat-
tungen (Syllis) ſogar geringelt. Die Körpergeſtalt ſchlank, lang-
geſtreckt. Nereis; Lycoris; Aricia; Aonia; Cirrhonereis; Alciope;
Glycere.


In der Familie der Kieferwürmer(Eunicida) finden ſich 7 bis
9 gezähnelte, hakenförmige Kiefer auf einem langen Rüſſel und meiſt
ſehr deutlich entwickelte, gefiederte Kiemen vor. In den ſüdlichen Meeren
giebt es Gattungen dieſer Familie, welche ſelbſt 10 Fuß Länge erreichen
und einer kleinen Schlange nicht unähnlich ſehen. Eunice; Leodice.


[241]

Neunter Brief.
Kreis der Weichthiere. (Mollusca.)


Der außerordentlich zahlreiche und aus Thieren der verſchieden-
ſten Formen zuſammengeſetzte Kreis der Weichthiere läßt ſich kaum
durch ein genügendes Merkmal charakteriſiren, welches den verſchiede-
nen Klaſſen, die jener Kreis umſchließt, ganz eigenthümlich wäre.
Die einzelnen Klaſſen zwar laſſen ſich ſcharf trennen und unterſchei-
den; aber in ihrer Organiſation und den Beſonderheiten ihres
Baues zeigen ſich überall allmählige Uebergänge, wodurch ſich theils
die einzelnen Klaſſen, theils aber die Grenzen des Kreiſes bald hier,
bald dort, an andere Kreiſe anſchließen. Nirgends ſo wie bei den
Weichthieren kann man die Degradation eines jeden organiſchen Sy-
ſtemes bei den einzelnen Typen nachweiſen und begründen, nirgends
ſo wie hier verſchwindet nach und nach jeder vorſtechende Charakter,
je weiter man ihn nach den Grenzpunkten verfolgt, nirgends ver-
ſchwimmt ſo jedes charakteriſtiſche Merkmal allmählig in unbeſtimmten
Umriſſen und ſinkt nach und nach zur Unbedeutendheit herab, wo ſeine
vorzugsweiſe Berückſichtigung nicht mehr geſtattet ſein kann. Zu der
Schwierigkeit der Begrenzung, die aus dieſen, mannigfach wechſelnden
Verhältniſſen hervorgeht, tritt noch der Umſtand hinzu, daß man bei
den Weichthieren zwei Unterkreiſe unterſcheiden muß, welche durch ſehr
weſentliche und beſtimmte Charaktere, namentlich durch die Beſchaffen-
heit des Nervenſyſtemes und des Blutumlaufes, ſowie durch die An-
lagerung der Organe im Allgemeinen von einander getrennt ſind und
die man vielleicht mit eben ſo großem Rechte als unabhängige Kreiſe
betrachten könnte.


Die ſymmetriſche Anlagerung der Organe zu beiden
Seiten einer Mittelebene, welche wir bei den meiſten Würmern in ſo
hohem Grade entwickelt ſehen, iſt bei den Weichthieren bedeutend zurück-
geſunken und noch weniger läßt ſich eine ſtrahlenförmige Anordnung
um eine Mittelaxe erkennen. Bei vielen Weichthieren zwar erſcheinen
die äußeren Anhänge des Körpers, die Bewegungsorgane, die Taſt-
werkzeuge u. ſ. w. ſymmetriſch geordnet, allein dieſe Anordnung iſt
Vogt. Zoologiſche Briefe, I. 16
[242] weit entfernt, im übrigen Körperbau durchzugreifen und man findet
deshalb meiſt die inneren Organe, beſonders die Verdauungs- und
Geſchlechtswerkzeuge in höchſt unſymmetriſcher Lagerung. Bei einer
ganzen Klaſſe, den Bauchfüßlern, zeigt ſich die Tendenz, die Ebene, zu
deren Seiten die Organe vertheilt ſind, ſpiralig aufzurollen und ſo
die Geſtalt der Schneckenſchalen herzuſtellen. Das Nervenſyſtem
iſt bei den Unterkreiſen nach zwei verſchiedenen Typen entwickelt. Bei
den Molluskoiden findet ſich nur ein einziger, meiſt ziemlich anſehn-
licher Nervenknoten, der nach allen Seiten hin ſeine Aeſte ausſtrahlen
läßt. Bei den übrigen, den eigentlichen Weichthieren dagegen beſteht
das Nervenſyſtem aus zerſtreuten Knoten, welche durch Fäden mitein-
ander verbunden ſind und ziemlich unregelmäßig im Körper zerſtreut
umherliegen. Es bildet aber ein Theil dieſer Knoten mit ihren Ver-
bindungsfäden ſtets einen mehr oder minder weit ausgedehnten Ring um
den Schlund und bei den höhern Gattungen läßt ſich auch eine bedeu-
tendere Centraliſation zu förmlichen Hirnknoten über dem Schlunde
wahrnehmen. Die Anordnung der einzelnen Knoten im Körper iſt
indeß ſo mannigfaltig, daß wir ſie erſt bei den einzelnen Klaſſen und
Ordnungen behandeln können. Entſprechend dieſer Mannigfaltigkeit
ſind auch die Sinnesorgane angeordnet, die bald gänzlich fehlen,
bald in ziemlicher Ausdehnung vorhanden ſind. Beſondere Taſtor-
gane
ſind meiſt weniger entwickelt als bei den Würmern, indem die
ganze weiche Körperoberfläche gegen äußere Eindrücke ganz beſonders
empfindlich iſt; doch finden ſich bald Lippen, bald eigene um den Mund
geſtellte Lappen, Haare oder Arme, bald einziehbare Fühler, welche
beſonders zu dem Zwecke des Taſtens vorhanden ſind. Die Seh-
werkzeuge
ſind nicht überall vorhanden und bei vielen findet ſich
nur ein einziges, ziemlich rudimentäres Auge, während andere eine
große Menge unvollſtändiger Augen beſitzen, die nicht einmal in der
Nähe des Kopfendes liegen. In den höhern Klaſſen freilich, wo ſtets
nur ein Paar Augen vorhanden iſt, die an dem Kopfe angebracht ſind,
erſcheinen dieſe auch in bedeutendem Grade ausgebildet. Wir begegnen
bei den Weichthieren zum Erſtenmale faſt in allgemeiner Verbreitung
unverkennbaren Gehörorganen, runden Bläschen, welche meiſtens
dem Gehirnknoten unmittelbar aufſitzen oder doch nur einen kurzen aber
ziemlich bedeutenden Gehörnerven zeigen. Im Innern dieſer faſt ſtets
kugeligen Bläschen findet ſich eine klare Flüſſigkeit und eine feſte Con-
cretion von kohlenſaurem Kalke, die bald nur einen runden, bald
mehrere kryſtalliniſche Hörſteinchen bildet. Es ſcheint, als würden dieſe
[243] Hörſteinchen durch Flimmerhaare, welche die innere Fläche des Bläs-
chens auskleiden, in ſtets zitternder Bewegung erhalten.


Die Haut der Weichthiere iſt mehr oder minder derb, lederartig
und meiſt mit einem ſchleimigen, ſchlüpfrigen Ueberzuge verſehen; bei
den wenigſten nur iſt ſie glashell und durchſichtig, bei den meiſten
finden ſich noch außerdem feſtere Schutzgebilde, mehr oder minder ent-
wickelte Schalen, vor. Es ſind dieſe Schalen nach äußerſt verſchie-
denen Typen entwickelt, hier in Form von oft ſonderbar geſtalteten
Zellen mit oder ohne Deckel, dort in Geſtalt einer Büchſe oder einer
bald mehr graden, bald mehr gewundenen Röhre; in anderen Fällen
wieder als ſeitliche Klappen, welche wie die Pappdeckel eines Buches
den Leib des Thieres einſchließen. Die Anordnung dieſer Schalen
und ihrer einzelnen Theile, ihr Verhältniß zu dem übrigen Körper,
ihre Verzierungen u. ſ. w. bilden in vielen Klaſſen der Weichthiere
die wichtigſten Anhaltspunkte für die Unterſcheidung der Gattungen
und Arten. Das Weichthier, welches in dieſen Schalen ſteckt oder auch
frei iſt, wird meiſtens lax von ſeiner äußern Haut umhüllt, die faſt
immer eine doppelte Falte bildet und ſo eine Art Mantel darſtellt,
welcher um den Körper des Thieres geworfen iſt. Oft erſcheint dieſer
Mantel ſackartig, mit nur einigen Oeffnungen für Verdauungs-, Be-
wegungs- und Athemorgane; in andern Fällen bildet er nur eine
Kapuze, unter welcher ſich ein Theil des Körpers zurückziehen kann;
bei vielen endlich entſpricht er der Ausbildung der Schalen in ſoweit,
daß er zwei Blätter bildet, welche den Körper von beiden Seiten her
umfaſſen.


Viele Weichthiere ſitzen während der ganzen Zeit ihres Lebens
mit Ausnahme ihres Larvenzuſtandes am Boden feſt und können des-
halb keine andere Bewegung bethätigen als Zuſammenziehungen
ihres Körpers und Ausdehnungen der Fangorgane, welche ſie etwa
beſitzen. Viele kriechen mittelſt eines beſondern Organes, das aus
muskulöſen Faſern gewebt und auf der Bauchfläche angebracht iſt.
Die Fleiſchmaſſe, welche man Fuß nennt, hat die verſchiedenſten Ge-
ſtalten, iſt aber niemals weder geringelt, noch zeigt ſie ſolche Unter-
ſtützungen von Borſten und Haken, wie ſie bei vielen Würmern vor-
kommen. Viele Weichthiere ſchwimmen; die einen ſchlucken zu dieſem
Ende lebhaft Waſſer ein und indem ſie es durch eine lebhafte Zuſammen-
ziehung ihres Körpers wieder austreiben, werden ſie durch den Rück-
ſtoß fortgetrieben; andere haben eigenthümliche Schwimmorgane,
die bald in Reihen von Blättchen beſtehen, welche mit borſtenartigen
16*
[244] Härchen beſetzt ſind, bald in Schwimmlappen, welche entweder am
vordern Körperende oder an der Bauchfläche angebracht ſind.


Die Organe des vegetativen Lebens ſind äußerſt mannigfaltig
ausgebildet. Von einer einfachen Höhle an, welche nach hinten zu
gegen einen After ſich öffnet, bis zu einem äußerſt complicirten Ver-
dauungsſyſteme
mit wohlbewaffnetem Munde und Schlunde und
mit vielfachen Abtheilungen des langen Darmes, finden ſich alle Zwi-
ſchenſtufen in der langen Reihe der Weichthiere ausgebildet, die wir
bei den einzelnen Klaſſen näher betrachten werden. Beſonders bemer-
kenswerth iſt indeß in der Klaſſe der Weichthiere die bedeutende Ent-
faltung der Drüſengebilde und beſonders der Leber, welche bei man-
chen Klaſſen den größten Theil der Eingeweide ausmacht, während ſie
bei den Würmern nur eine unbedeutende Schicht der Darmwandungen
darſtellte. Ein After kömmt übrigens bei allen Weichthieren vor. Die
Form des Darmkanales, in welcher nur eine gemeinſchaftliche Mün-
dung für Aufnahme und Auswurf vorhanden war, iſt mit den Wür-
mern verſchwunden, um nicht mehr aufzutreten.


Der Kreislauf des Blutes iſt faſt bei allen Weichthieren
auf einer hohen Stufe der Ausbildung, ſo zwar, daß ein oft in meh-
rere Kammern getheiltes Herz, mit ab- und zuführenden Gefäßen,
welche ſich durch den ganzen Körper erſtrecken, vorhanden iſt. In
einigen Klaſſen aber iſt dieſe eigene Blutcirkulation, welche ſtets von
einem muskulös bewegten Mittelpunkte, dem Herzen, ausgeht, durch
Strömungen erſetzt, welche theils in der Leibeshöhle, theils in eigenen
Gefäßen vor ſich gehen und durch Flimmerbewegung bedingt werden.
Mit dieſer ſo verſchiedenen Ausbildung des Kreislaufes, geht auch
diejenige der Athemorgane Hand in Hand. Bei den niederſten
Klaſſen kommen keine ſpeciell für dieſen Zweck beſtimmte Organe vor;
bei den höhern erſcheinen ſie als Kiemen oder ſelbſt als Lungen, die
nur zum Einathmen der reinen atmoſphäriſchen Luft beſtimmt ſind.
Die ſtets lebhaft flimmernden Kiemen treten in der mannigfaltigſten
Form als gegitterte Säcke oder Röhren, als ſeitliche Blätter mit
Fächer und Schlitzen, als baumartig veräſtelte Anhänge auf und ſtehen
ſtets in nächſter Beziehung zu dem Blute, deſſen ganze Maſſe meiſt
durch die Gefäßnetze dieſer Athemorgane cirkulirt. Die Lungen, welche
uns zuerſt in der Thierwelt entgegen treten, bilden einen einfachen
beutelartigen Sack, auf deſſen innerer Fläche die Gefäße verzweigt ſind.


Im Allgemeinen überwiegt bei den Weichthieren die geſchlecht-
liche Zeugung
weitaus und in der Ausbildung der Fortpflanzungs-
organe ſind außerordentlich viele verſchiedene Formen entwickelt. In
[245] den niedern Klaſſen ſehen wir eine Annäherung an die Polypen durch
förmliche Knospenbildung, welche Polypenſtöcke hervorbringt, die man-
chen Korallentypen ſo ähnlich ſind, daß auch jetzt noch viele Schrift-
ſteller, trotz der Unähnlichkeit der Thiere, dieſelben zu den Polypen
ſtellen; bei einigen Ordnungen findet Ammenzeugung ſtatt und zwar
in der Weiſe, daß die Knospenzeugenden Ammen eben ſo hoch or-
ganiſirte Thiere ſind, als die geſchlechtlich zeugenden. Die mit Ge-
ſchlechtswerkzeugen verſehenen Individuen ſind meiſtens getrennten
Geſchlechts, oft aber auch Zwitter und meiſtens mit Begattungsor-
ganen ausgerüſtet, die oft äußerſt complicirt erſcheinen.


Die Entwicklung der Jungen aus dem Ei findet da, wo
ſie bekannt iſt, ſtets in der Weiſe ſtatt, daß der ganze Dotter ſich
ohne vorgängige Ausbildung eines Embryonaltheiles in das junge
Thier umwandelt. Bei allen bis jetzt bekannt gewordenen Klaſſen,
mögen nun die Mutterthiere ſich frei bewegen oder an dem Boden
gefeſſelt ſein, beſitzen die aus dem Ei ausgeſchlüpften Larven eigene
Bewegungsorgane, die bald in ſchwanzähnlichen Anhängen, bald in
wimpernden Lappen verſchiedener Geſtalt beſtehen und mittelſt deren
ſich die Larven entweder im Ei oder in einer gemeinſchaftlichen Kapſel
oder frei im Waſſer umher bewegen können. Die einzelnen zu den
Weichthieren gehörenden Klaſſen ſind im Durchſchnitte ſehr ſcharf durch
die Geſtalt ihrer Larven charakteriſirt, weshalb wir dieſelben bei den
Klaſſen ſelbſt in’s Auge faſſen werden.


Die meiſten Weichthiere leben im Waſſer, die niedern Klaſſen faſt
ausſchließlich im Meere und nur die höchſte Klaſſe beſitzt einige Gat-
tungen, welche das feſte Land bewohnen. Aber auch dieſe Landbe-
wohner bedürfen in gleicher Weiſe wie die Erdwürmer ſtets eines
feuchten Aufenthaltes und gehen bei vollkommener Trockenheit zu
Grunde. Sie halten ſich deshalb vorzugsweiſe an dumpfen, mo-
raſtigen Orten unter Steinen und Kräutern auf. Die kriechenden
Gattungen, welche das Meer oder das ſüße Waſſer bewohnen, lieben
beſonders die Unterfläche von Steinen und Waſſerpflanzen, viele bohren
ſich auch in den Sand oder Schlamm ein, ja ſelbſt Holz und
Kalkſteine werden vorzugsweiſe von gewiſſen Gattungen angefreſſen
und durchlöchert. Die eigentlichen Schwimmer bewohnen alle das
Meer und ſind oft weit hinaus in offener See anzutreffen.


Die Weichthiere gehören zu den erſten Bewohnern unſeres Erd-
balls und durch die Feſtigkeit ihrer Schalen, welche in Maſſen erhal-
ten ſind, gehören ſie zu den wichtigſten Gegenſtänden für die Ver-
[246] ſteinerungskunde. Ihre Entwicklung durch die verſchiedenen Schöpfungs-
perioden hindurch werden wir indeſſen erſt betrachten können, ſobald
wir die Klaſſen und Familien ſelbſt in ihren Einzelheiten kennen ge-
lernt haben.


Unterkreis der Molluskoiden.(Molluscoida.)


Die Molluskoiden zeichnen ſich unter den Weichthieren durch eine
im Allgemeinen höchſt unſymmetriſche Geſtalt und Lagerung ihrer Or-
gane aus, ſowie durch den Umſtand, daß ſtets nur ein einziger Ner-
venknoten exiſtirt, welcher meiſtens mit einem einzigen augenähnlichen
Organe, welches ihm unmittelbar aufſitzt, in Verbindung ſteht. Ein
geſonderter Kopf läßt ſich niemals erkennen und wenn auch, wie bei
einer Klaſſe, den Moosthieren, die Mundöffnung von einem Kranze
von Fühlern umgeben iſt, ſo führt doch die allgemeine Umgebung des
Mundes unmittelbar in den übrigen Körper über und läßt durchaus
niemals eine Abſchnürung zwiſchen dieſem Theile und dem übrigen
Körper wahrnehmen. In allen übrigen Stücken, in der Bildung der
äußeren Haut, der Bewegungsorgane, der Verdauungswerkzeuge, in
Athmung, Kreislauf und Fortpflanzung ſind die drei Klaſſen, welche
den Unterkreis der Molluskoiden bilden, ziemlich von einander ver-
ſchieden, ſo daß wir alle dieſe Eigenthümlichkeiten ihres Baues nur
bei den einzelnen Klaſſen betrachten können. Sämmtliche Molluskoi-
den bewohnen das Waſſer; aber nur ſehr wenige Gattungen einer
einzigen Klaſſe finden ſich in den ſüßen Gewäſſern, während zwei
Klaſſen, die Mantelthiere und die Rippenquallen nur in dem Meere
ſich vorfinden. Wir unterſcheiden in dieſem Unterkreiſe drei Klaſſen:
die Moosthiere (Bryozoa) ausgezeichnet durch polypenähnliche
Geſtalt des Körpers, der Fangarme und der ſocialen Formen; die
Rippenquallen (Ctenophora) mit gallertartigem Körper und
mit Reihen von Schwimmplättchen zur Fortbewegung im Waſſer ver-
ſehen; die Mantelthiere (Tunicata) von höchſt unſymmetriſchem
Bau in einen weiten Mantel gehüllt und ohne eigentliche Bewe-
gungsorgane.


[247]

Klaſſe der Moosthiere.(Bryozoa.)


In ihrem äußeren Verhalten, in der Geſtalt der Polypenſtöcke,

c b a
Fig. 259. Federbuſchpolypen. (Plumatella.)
a
Eine Gruppe in natürlicher Größe. b Einige Indivi-
duen vergrößert, wo das Individuum links in ſeine Zelle zurück-
gezogen iſt, während das mittlere ſich von hinten, von der
Afterſeite, das rechts ſich im Profile zeigt. c der After. Man
unterſcheidet ſehr wohl in allen Individuen den zwiſchen den
beiden Fühlerarmen liegenden Mund, den ſackförmigen Darm,
der ſich neben dem Munde im After c öffnet, die Leibeshöhle
zwiſchen Darm und Zellenwand und die darin angebrachten Mus-
keln zum Einziehen des Körpers. In dem mittleren Individuum
ſieht man noch unter dem Darme den Eierſtock im Grunde der
Leibeshöhle.


welche dieſe Thiere
ſtets bilden und in
der Form der Fang-
organe, welche
das Kopfende um-
geben, gleichen dieſe
Thiere ſo ſehr den
Polypen, daß ſie
jetzt noch von man-
chen Seiten mit
denſelben vereinigt
werden, obgleich
ſie in allen Ver-
hältniſſen der in-
neren Organiſa-
tion ſich von ihnen
verſchieden zeigen.


Die Moos-
thiere ſind kleine
polypenähnliche
Thiere, welche ſtets
Kolonieen bilden
und unter allen
Umſtänden von Zellen umgeben ſind, in welche ſich die Thiere bald
vollſtändig, bald nur theilweiſe zurückziehen können. Oft ſind dieſe
Zellen nur hornig oder biegſam wie Pergament, ja ſogar zuweilen
ſehr zarthäutig und gallertartig; oft ſtehen ſie auf eigenen Stielen,
welche ſich aus einem Netzwerke von Röhren erheben, das durch Aus-
läufer ſich weiter verbreitet und bald wie die Wurzelſtöcke gewiſſer
Pflanzen auf dem Boden hinkriecht, bald auch ſich erhebt und dann
[248] meiſtens baumartig veräſtelt ſich zeigt. In den meiſten Fällen aber und
namentlich bei den im Meere lebenden Moosthieren ſind die Zellen
kalkiger Natur und wiederholen dann namentlich die Formen der Or-
gelkorallen, der Seekorke und der Rindenkorallen. Gewöhnlich bleiben
die bald eiförmigen, bald in Geſtalt von Röhren gedehnten Zellen
ſoweit frei und unabhängig, als der eigentliche Körper des Thieres
reicht. Nur bei einzelnen Gattungen ſind ſie in ähnlicher Weiſe, wie
viele Stöcke ächter Polypen, durch eine Zwiſchenmaſſe mit einander
verbunden. Es finden ſich indeß in dieſen Zellen niemals Strahlen
oder innere Scheidewände, ähnlich denen, welche in den Korallen
vorkommen und in vielen Fällen ſieht man außen an denſelben Spi-
tzen, Stacheln und Hörner, welche ganz conſtant ſind, ſehr wohl zur
Unterſcheidung der Arten benutzt werden können und die den Korallen
ſtets fehlen. Bei einer Familie können ſogar die Zellen beim Rück-
zuge des Thieres durch einen klappenartigen beweglichen Deckel ge-
ſchloſſen werden, während bei denen, welche in lederartigen Zellen
ſtecken, bei dem Rückzuge des Thieres der vordere Theil der Zelle ſich
ſelbſt mit einſtülpt und ſo der vollſtändige Schluß bewerkſtelligt wird.
Die Zelle ſelbſt iſt ſtets von der Haut des Thieres in der Weiſe aus-
gekleidet, daß dieſes gewiſſermaßen einen doppelten Sack bildet, wo-
durch eine eigene Leibeshöhle hergeſtellt wird, welche mit den Fangarmen
im Zuſammenhange ſteht und in der der Darmkanal frei aufgehängt
erſcheint.


Da alle Moosthiere ohne Ausnahme zuſammengeſetzte Kolonieen
bilden, ſo kann von eigentlichen Ortsbewegungen keine Rede ſein.
Doch hat man bei einigen Süßwaſſermoosthieren, deren zuſammenge-
ſetzter Polypenſtock nicht feſtgewachſen iſt, ein ſehr langſames Fort-
gleiten des ganzen Stockes beobachtet. Die Bewegungen der
übrigen Moosthiere beſchränken ſich auf das Ausbreiten ihrer Fang-
arme, ſowie auf das Entfalten und das Zurückziehen ihres Körpers
in die Zelle. Zu dieſem letztern Zwecke ſind wohlausgebildete Muskel-
bündel vorhanden, welche an verſchiedenen Stellen der die Zelle aus-
kleidenden Leibeswandung entſpringen und ſich meiſtens am Halſe in
der Nähe des Fühlerkranzes feſtſetzen. Die Gegenwart dieſer Muskeln,
welche man ſowohl im zuſammengezogenen als im ausgedehnten Zu-
ſtande der Polypen ſehr leicht ſieht, unterſcheidet auf den erſten Blick
die Moosthiere von den eigentlichen Polypen.


Bei einigen im Meere lebenden Gattungen (Cellularia, Bicellaria,
Flustra, Telegraphina)
hat man höchſt eigenthümliche Organe entdeckt,
[249] deren Bedeutung noch durchaus unbekannt iſt. Es ſind Zangen oder
Greiforgane, die einem Vogelkopfe nicht unähnlich ſehen (ſiehe Fig. 260.
Cellularia) indem ſie einen ſtarken oberen und einen dünnen unteren
Zangenarm beſitzen. Bei einigen Gattungen haben dieſe Vogelkopf-
organe einen beſonderen Stiel, bei anderen nicht. Dieſe Organe ſind
in beſtändiger, pendelartig ſchwingender Bewegung, während zugleich
die Zange von Zeit zu Zeit geöffnet und geſchloſſen wird, was durch
deutliche Muskelbündel geſchieht. Offenbar ſind dieſe Vogelkopforgane
analog den Pedicellarien der Stachelhäuter. Die Bewegungen dauern
noch lange nach dem Tode des Moosthierchens fort. Bei der Gat-
tung Telegraphina finden ſich ſtatt dieſer Vogelkopforgane lange ſteife
Fäden am Rande der Zelle, die ebenfalls in ſteter ſchwingender Be-
wegung ſind.


Der Nervenknoten, welcher bei vielen Moosthieren erkannt
iſt, liegt in unmittelbarer Nähe des Mundes auf der Rückenfläche,
zwiſchen dieſem und dem After. Er iſt ſehr klein und ſcheint bei eini-
gen aus zwei ſeitlichen Hälften zuſammengeſetzt. Augen oder Ohren-
bläschen fehlen durchaus. Die Flecken, welche man bei einigen Gat-
tungen als Augen gedeutet hat, ſind keine Sehwerkzeuge.


An dem Vorderende der Körpers befindet ſich bei allen Moos-
thierchen ein Kreis lebhaft flimmernder Fangfäden, deren jeder eine
hohle, mit der Leibeshöhle in Verbindung ſtehende Röhre darſtellt, in
welcher durch innere Wimperbewegung die Flüſſigkeit, welche die Lei-
beshöhle erfüllt, auf- und niedergetrieben wird. Der Strudel, den
die äußeren, auf dieſen Fangarmen befindlichen Wimpern im Waſſer
erregen, treibt die Nahrungsſtoffe, kleine Thierchen u. ſ. w. im Grunde
des Fühlerkranzes zuſammen und nach dem dort befindlichen Munde
hin. Es ſind alſo dieſe Fühler weſentlich zum Haſchen der Nahrung
beſtimmt, wenn ſie auch nebenbei durch das ſtete Wechſeln des Waſ-
ſers auf der Oberfläche, mittelſt der Flimmerſtrömung, als Athem-
werkzeuge dienen können, die im Uebrigen den Moosthierchen ganz
abgehen. Zwiſchen dieſen Fangfäden, welche bald einfach in einem
Kreiſe ſtehen, bald auch von zwei ſeitlich angebrachten Armen getragen
werden, befindet ſich der Mund, der meiſt in eine weite flimmernde
Mundhöhle und von da in einen muskulöſen, oft kuglich verdickten
Schlund führt. Der Magen liegt im Grunde der Leibeshöhle und
ſtellt einen meiſt bündelartigen Sack dar, der ſich nach vorn in einen
Darm fortſetzt, welcher ſich in einem an dem vorderen Ende außer
[250] dem Fühlerkranze neben dem Munde befindlichen After öffnet. Der
Darmkanal bildet alſo eine förmliche Schlinge, deren beide Oeffnungen
ſich am vorderen Ende des Körpers befinden und unterſcheidet ſich
dadurch weſentlich von dem Darmkanale der eigentlichen Polypen und
der Quallenpolypen.


Die ganze äußere Fläche des in der Leibeshöhle aufgehängten
Darmſchlauches wird von der waſſerhellen Flüſſigkeit, welche dieſe
Höhle erfüllt, umſpült. Die äußere Fläche des Darmrohres ſowohl
wie die innere der Leibeswandung iſt mit Wimperhaaren beſetzt, welche
äußerſt lebhaft flimmern und eine beſtändige Strömung der Flüſſigkeit
erzeugen, die ſtets in derſelben Richtung vor ſich geht und ſich in die
Wurzelröhren der Kolonie fortſetzt. Dieſe Saftſtrömung dient ſtatt
eines eigentlichen Kreislaufes der Ernährungsflüſſigkeit.


Wie es ſcheint ſind alle Moosthiere getrennten Geſchlechts,
jedoch ſo, daß auf demſelben Stocke männliche und weibliche in ihrem
äußeren Verhalten nicht unterſcheidbare Individuen ſich vorfinden, deren
Zellen ſogar bei einigen Gattungen mit einander in Verbindung ſtehen
ſollen, ſo daß die Samenthierchen unmittelbar zu den weiblichen In-
dividuen hinüber ſchlüpfen können. Die Hoden und Eierſtöcke ſind
bandförmige, an dem Magen oder an der äußeren Leibeswand befeſtigte
Streifen, in welchen nur wenige Eier oder verhältnißmäßig ſehr
große Samenthierchen in Zellen ſich entwickeln. Die unreifen Eier,
ſowie die Samenthierchen brechen in die Leibeshöhle durch und wer-
den mit der allgemeinen Ernährungsflüſſigkeit durch die Wimperbewe-
gung hin und her getrieben. Die reifen Eier verlaſſen die Leibeshöhle
durch eine unmittelbar neben dem After befindliche Oeffnung. Sie
ſind meiſt glatt, oval und von einer Hülle umgeben, die Anfangs ſehr
nachgiebig iſt, ſpäter aber erhärtet und bei einigen Gattungen mit
ſonderbaren Stacheln und Widerhaken beſetzt iſt, durch welche ſich
die Eier an Waſſerpflanzen anheften können.


Die Entwickelung der Embryonen iſt bei einigen Gattun-
gen ziemlich genau beobachtet worden. Der ganze Dotter bildet ſich in
einen infuſorienartigen, über und über mit Wimperhaaren beſetzten Embryo
um, der ſich lebhaft im Ei bewegt. Bei einigen Gattungen ſcheint dieſer
Embryo in dieſer Geſtalt unmittelbar die Eiſchale zu durchbrechen und
eine Zeitlang umherzuſchwimmen; dann wird er becherförmig, die
Wimpern laſſen ſich beſonders am vorderen Rande deutlich erkennen,
der anfangs glatt erſcheint, ſpäter aber ſich mehr und mehr ausfranzt
[251] und die ſproſſenden Fühler erkennen läßt. Sobald dieſe ſich zeigen,
unterſcheidet man auch im Innern den Darmkanal und an dem hin-
tern Ende einen zapfenartigen Anhang, mit welchem ſich das junge
Moosthier feſtſetzt. Bei andern Gattungen iſt ein weit ſeltſamerer
Entwickelungsgang beobachtet worden. Es bildet ſich hier nämlich in
jedem Ei ein flimmernder Embryo, in deſſen Innern, während er noch
in der Eiſchale ſteckt, ſich zwei junge Moosthierchen entwickeln, deren
wirbelnde Fühler man deutlich unterſcheidet, ſo daß der urſprüngliche
Embryo die Amme dieſer neuen Weſen darſtellt. Nun durchbricht die
Amme die Eiſchale, ſchwimmt eine Zeitlang umher, ſetzt ſich feſt und
ſobald dies geſchehen iſt, durchbrechen ihrerſeits die beiden Jungen die
Haut der Amme, welche als Mantel, oder als erſte Grundlage der
Wurzeln des neuen Polypenſtockes zurückbleibt. Die Jungen können
ſich in dieſe geborſtene Haut, wie in eine Hülle zurückziehen und bald
ſproſſen zu ihrer Seite neue Individuen durch Knospenbildung hervor.


Die Knospenbildung iſt, wie ſchon aus der Formirung von
Kolonieen hervorgeht, bei den Moosthieren eine ſehr gebräuchliche
Art der Fortpflanzung. Es erheben ſich bald aus den Wurzelröhren,
bald neben den Zellen Knospen, in deren Innerem anfänglich die
Flüſſigkeit der Leibeshöhlung cirkulirt. An der innern Wand dieſer
Knospe entſteht ein Wulſt, der ſich nach und nach ablöst und Höcker
hervorſproſſen läßt, welche zu den Fangarmen auswachſen, während
in dem Innern der Darmkanal ſich aushöhlt. Endlich bricht die
vordere Mündung der Knospe auf und ſtellt ſo die Zelle dar, in
welcher das junge Thier ſteckt. Der Ort, wo die Knospen ſich ent-
wickeln iſt wie bei den Polypen ſtets ein beſtimmter, wodurch die
bald baumförmige, bald kruſtenartige Geſtalt des Polypenſtockes be-
dingt wird.


Die Polypenſtöcke der Moosthierchen, die meiſt ſehr klein und
unanſehnlich ſind, finden ſich änßerſt häufig in ſüßen Gewäſſern und
in Meeren, auf allen möglichen Gegenſtänden unter dem Waſſer. Nicht
minder häufig ſind ſie in den verſchiedenen Schichten der Erde, wo
ſie beſonders vom Jura an ſehr bedeutend zunehmen, während in den
Uebergangsgebilden nur ſeltene Repräſentanten dieſer Klaſſe vor-
kommen.


[252]
Figure 163. Fig. 260.

Cellularia.
Zwei Zellen von Cellularia
avicularia
mit den daran be-
findlichen Vogelkopf-Organen,
von welchen das obere geſchloſ-
ſen, das untere geöffnet iſt. a
Der Fühlerkranz; bei dem un-
teren Thiere in die Zelle zurück-
gezogen. b Hornartige Ver-
längerungen und Spitzen der
Zellen. c Schlund. d Magen.
e Darm. f Vogelkopforgane.


Wir theilen die Klaſſe nach der Stel-
lung der Fühler in zwei Ordnungen. Bei
den Kreiswirblern (Stelmalopoda)
ſtehen die Fühler in einem Kreiſe um den
Mund herum. Alle Gattungen, welche zu
dieſer Ordnung gehören, bewohnen das
Meer. Es ſind die Einzigen, welche theil-
weiſe kalkige Gehäuſe haben und deßhalb
im foſſilen Zuſtande gefunden werden. Hier-
nach, ſowie nach der Beſchaffenheit der Zel-
len kann man vier Familien unterſcheiden.
Die Familie der Tauſendwirbler (Millepo-
rida
)
zeigt kalkige, meiſt fingerartig oder
baumförmig veräſtelte Polypenſtöcke, bei wel-
chen die einfach runden Zellen durch eine
Verbindungsmaſſe ſo zuſammen verſchmolzen
ſind, daß höchſtens ein Theil ihrer vordern
Mündung frei auf der Oberfläche erſcheint.
Die Thiere ſelbſt ſind nur ſehr unvollſtän-
dig gekannt, ſcheinen ſich aber durch ihre
langen Fühler beſonders auszuzeichnen. Mille-
pora; Retepora
.


In der Familie der Röhrenwirbler
(Tubuliporida) erſcheinen die runden, röhren-
förmigen Zellen, die ebenfalls kalkiger Natur
ſind, faſt gänzlich frei und nur an ihrem
hinteren Ende in die allgemeine Maſſe ein-
gegoſſen. Sie finden ſich jetzt beſonders in
ſüdlichen Meeren und die verſchiedenen Gat-
tungen dieſer Familie ſind in allen Schichten
der Erde von den älteſten an vorgefunden wor-
den. Tubulipora; Cellularia; Crisia; Hornera.


Man unterſcheidet von ihnen ſehr leicht die Familie der Kruſten-
wirbler
(Escharida), deren meiſt bauchige oder eiförmige Zellen mit
einem beweglichen Deckel verſchloſſen werden, ſobald ſich das Thier
zurückzieht. Die Gattungen, welche zu dieſer Familie gehören, kom-
men ſehr häufig, ſowohl in unſern jetzigen Meeren als auch in frü-
heren Schichten vor und bilden meiſt dünne kalkige Ueberzüge, welche
ſehr feine, mit verſchiedenartigen Auswüchſen gezierte Zellen zeigen.
[253]Eschara; Flustra. Die Familie der Glockenwirbler(Lagunculida)
endlich begreift alle diejenigen Moosthierchen, welche mit einem Füh-
lerkranze nur lederartige Zellen beſitzen, die meiſt auf langen Stielen
ſtehen und auf beweglichen Wurzelſtöcken aufſitzen. Laguncula; Tendra;
Bowerbankia; Halodactylus
.


Die Ordnung der Armwirbler (Lophopoda) begreift nur

c b a
Fig. 261. Federbuſchpolypen. (Plumatella.)
a
Eine Gruppe in natürlicher Größe. b Einige Indivi-
duen vergrößert, wo das Individuum links in ſeine Zelle zurück-
gezogen iſt, während das mittlere ſich von hinten, von der
Afterſeite, das rechts ſich im Profile zeigt. c der After. Man
unterſcheidet ſehr wohl in allen Individuen den zwiſchen den
beiden Fühlerarmen liegenden Mund, den ſackförmigen Darm,
der ſich neben dem Munde im After c öffnet, die Leibeshöhle
zwiſchen Darm und Zellenwand und die darin angebrachten Mus-
keln zum Einziehen des Körpers. In dem mittleren Individuum
ſieht man noch unter dem Darme den Eierſtock im Grunde der
Leibeshöhle.


eine einzige Fami-
lie, diejenige der
Federbuſchwirb-
ler
(Plumatellida)
und zeichnet ſich
dadurch vor den
übrigen Moosthie-
ren aus, daß die
zahlreichen Fühler
auf zwei ſeitlichen
Fortſätzen oder Ar-
men ſtehen, welche
faſt die Form eines
Hufeiſens haben.
Alle dieſe Arm-
wirbler kommen in
ſüßen Gewäſſern
auf Steinen und
an der Unter-
fläche der Blätter
von Waſſerpflan-
zen ziemlich häufig
vor. Die Zellen,
in welchen ſie ſtecken, ſind lederartig und ebenſo wie die Röhren mei-
ſtentheils vollkommen durchſichtig. Man hat manche Gattungen unter
dieſen Federbuſchpolypen unterſchieden, die indeß nicht ſolche Verſchie-
denheit in ihrer Organiſation zeigen, daß man eigene Familien darauf
gründen könnte. Cristatella. Alcyonella. Plumatella. Paludicella.


[254]

Klaſſe der Rippenquallen.(Ctenophora.)


Die glasartig durchſichtigen Thiere von mehr oder minder ſym-
metriſcher Geſtalt, welche zu dieſer Klaſſe gehören und im Meere
ſchwimmend angetroffen werden, hat man bisher mit den Scheiben-
quallen und den Röhrenquallen in eine beſondere Klaſſe der Quallen
(Acalephae) vereinigt, obgleich ſie außer der glashellen Durchſichtig-
keit auch nicht einen Zug der Organiſation mit denſelben gemein haben.


Die Rippenquallen haben einen meiſt eiförmigen oder gurkenarti-
gen, zuweilen ſehr in die Breite gezogenen Körper, an deſſen vor-
derem Ende ſich der Mund, an dem hinteren der After befindet.
Die Bewegungsorgane und die Gefäße ſind meiſt ſo angebracht, daß
ſie wie Radien einer durch Mund und After gelegten Axe erſcheinen,
während Magen und Nervenknoten den bilateralen Typus herſtellen.
Bei manchen Rippenquallen wird der ſymmetriſche Typus noch deut-
licher, indem der Körper ſeitlich ausgezogen wird und zuweilen ſelbſt in
ein langes Querband ſich fortſetzt, in deſſen Mitte die Verdauungsor-
gane liegen.


Die Haut der Rippenquallen iſt ſtets nackt und zuweilen, ähn-
lich wie bei den Armpolypen, mit Haftorganen beſetzt, aus welchen
ein ſteifes Härchen hervorragt. Außer dieſen nur mikroſkopiſchen Or-
ganen zeigen ſich auf der Oberfläche des Körpers ſtets rippenartige
Linien, auf welchen die Schwimmorgane angebracht ſind. Dieſe
beſtehen aus langen, etwas ſteifen, in Querlinien aufgeſtellten Haaren,
die zuweilen an ihrer Baſis vereinigt ſind und wie eben ſo viel auf
der Rippe angebrachte Läppchen zum Schwimmen vor- und rückwärts
bewegt werden. Sie hängen ſowohl einzeln, als in ihrer Geſammt-
heit von dem Willen des Thieres ab. Es ſchillern dieſe ſchwingenden
Rippen bei der Bewegung des Thieres in den wunderſchönſten Regen-
bogenfarben und man ſieht deutlich, wie das Thier bei ſeitlichen Wen-
dungen und Drehungen bald dieſen, bald jenen Saum ſpielen, die
andern aber ruhen läßt. Die Thiere gleiten ſo mit großer Schnel-
ligkeit ohne weitere ſichtbare Bewegung ihres doch ziemlich contracti-
len Körpers durch das Waſſer fort.


[255]

Die Verdauungswerkzeuge der Rippenquallen ſind äußerſt

Figure 164. Fig. 262. 262a.
Fig. 262b.

Der Venusgürtel (Cestum Veneris).
Fig. 262 das Thier ſchwimmend, mit [ausgeſtreckten]
Fangarmen, ſtark verkleinert. (Es wird bis 4 Fuß breit.)
Man ſieht die oberen und unteren Schwimmplattenreihen,
die mittleren Waſſergefäße, den Nervenknoten. Fig. 262b
einige Schwimmplättchen, vergrößert. Fig. 262a ſenk-
rechter Querdurchſchnitt des Thieres, mitten durch den
Magen geführt, in natürlicher Größe. In allen Figu-
ren bezeichnen dieſelben Buchſtaben dieſelben Organe.
a Mund. b Fangfäden (bei Fig. 262 a in ihre Scheiden
zurückgezogen. c Magen. d Trichter. e Nervenknoten.
f vordere, g hintere Schwimmplättchen. h mittlere Waſ-
ſergefäße.


einfach. Der Mund be-
findet ſich in der Axe des
Körpers und führt ent-
weder unmittelbar oder
durch eine längere Ver-
engerung in eine weitere
Höhle, den Magen, wel-
cher nach hinten zu ſich
wieder verengert und
durch zwei ſeitliche Spal-
ten in eine trichterför-
mige Höhle ausmündet,
welche zugleich zur Auf-
nahme des Waſſers be-
ſtimmt iſt. Bei den mei-
ſten Rippenquallen iſt der
Mund mit zwei ſehr lan-
gen und äußerſt contrac-
tilen, veräſtelten Fang-
fäden
bewaffnet, die
meiſtens in beſonderen
Höhlen oder Scheiden
neben dem Magen lie-
gen und dort ſich in be-
ſtändiger, wurmförmiger Bewegung befinden. Dieſe Fangarme ſind
mit Neſſel- und Giftorganen beſetzt und werden, wie es ſcheint, nur
zum Taſten und Umſtricken der Beute benutzt.


Ueber dieſer trichterförmigen Höhle, auf der Brücke zwiſchen den
Spaltöffnungen des Magens, liegt der einfache Nervenknoten, von
welchem deutliche Aeſte nach allen Seiten ſtrahlen und auf dem ein
Bläschen aufſitzt, in welchem ein Haufen von kryſtalliniſchen Kalkkör-
perchen zitternd bewegt wird. Man muß demnach das Bläschen für
ein Rudiment eines Ohrbläschens halten. Sonſtige Nerven oder Sin-
nesorgane kommen nicht vor und namentlich kein Schlundring, wie
romantiſche Beobachter falſchen Analogien zu Liebe behauptet haben.
Von dem Trichter aus, worin der Magen mündet, entſpringen Ka-
näle, welche beſonders längs den Rippen der Schwimmblättchen hin-
laufen und in ihrem Innern Flimmerbewegung zeigen. Sie dienen
wahrſcheinlich zur Führung von Waſſer, ſind meiſt unveräſtelt, zeigen
[256] aber zuweilen auch baumartige blindgeendete Verzweigungen. Es ſchei-
nen dieſe Kanäle Vertreter der Athemorgane zu ſein, von denen
man eben ſo wenig wie von Kreislaufsorganen ſonſt eine Spur vor-
findet.


Die Rippenquallen ſollen Zwitter ſein, wenigſtens will man
längs den Rippen unter den Waſſergefäßen bandartige Streifen ge-
ſehen haben, welche abwechſelnd in demſelben Thiere Hoden oder Eier-
ſtöcke ſein ſollen; — eine Angabe, die ich bis zur weiteren Beſtätigung
ſehr bezweifeln muß. Daß man an den genannten Stellen Eier fin-
det, iſt ſicher, ob aber dieſelben dort entſtehen, oder die Waſſergefäße
nur zu ihrer Ausführung dienen, und ob ferner auf demſelben Indi-
viduum beide Geſchlechter vereinigt ſind, dürfte weniger glaubhaft ſein.
Ueber die Entwickelung der Rippenquallen iſt durchaus gar nichts bekannt.


Figure 165. Fig. 263.

Beroe.
Mit ausgeſtreckten
Fangfäden.


Die Organiſation dieſer Thiere, die man
häufig in Schwärmen in allen Meeren findet,
iſt ſo übereinſtimmend, daß man keine beſon-
deren Ordnungen aufzuſtellen nöthig hat. Wir
unterſcheiden zwei Familien: die Gurkenquallen
(Beroida) haben einen meiſt eiförmigen oder
rundlichen Leib mit weitem Maule, großer
Magenhöhle und acht Reihen Schwimmblätt-
chen, welche in regelmäßig geordneten Linien
vom Munde zum After laufen. Es ſind ſehr

Figure 166. Fig. 264.

Lesueuria vitrea
in doppelt natürlicher Größe von der Seite ge-
ſehen. Das Thier hat vier längere und vier kür-


agile und zugleich auch ſehr
gefräßige Thiere, welche be-
ſonders den übrigen Quallen
nachjagen. Beroe; Lesueuria;
Medea
.


Die Familie der Band-
quallen
(Callianirida) beſitzt
nur eine ſehr kleine Mund-
öffnung und einen äußerſt
engen Magen, dagegen mei-
ſtens Fangarme und oft ſeit-
liche Lappen, auf welchen die
Schwimmblättchen angebracht
ſind. Meiſt finden ſich vier
ſolcher Lappen vor; zuweilen
iſt der Körper von oben nach
unten zuſammengedrückt und
[257]

zere Schwimmplattenreihen, von denen man je
ein Paar ſieht, und größere und kleinere Seiten-
lappen, welche links zurückgeſchlagen ſind. Die von
dem Trichter ausgehenden Kanäle, welche zu bei-
den Seiten der Magenhöhle und am Rande der
Seitenlappen längs der Schwimmplattenreihen hin-
ziehen, ſind durch weiße Linien hervorgehoben.
a der Trichter. b Mundöffnung. c die lange cy-
lindriſche Magenhöhle. d größere Seitenlappen.
e kleinere Seitenlappen. f längere Schwimmplat-
tenreihen. g kürzere Reihen. h Reſervoir zwiſchen
Trichter und Magenhöhle, in welches die Kanäle
einmünden. Unmittelbar hinter dieſem Reſervoir
ſieht man den einfachen, weißen Nervenknoten.


bandartig nach der Seite aus-
gezogen. Zu dieſer Familie ge-
hört der bekannte Venusgürtel,
ein etwa drei Finger breites
Band, von 4 bis 5 Fuß Länge,
mit Schwimmrippen an allen
Rändern und mit einem engen
Munde in der Mitte dieſes in
den ſchönſten Farben ſchillern-
den Bandes.


Cestum; Callianira; Alcinoe; Cydippe; Eucharis; Mnemia.


Bei der gallertartig weichen Beſchaffenheit dieſer Thiere darf es
nicht Wunder nehmen, daß wir keine foſſilen Reſte derſelben mit Si-
cherheit kennen.


Vogt, Zoologiſche Briefe I. 17
[258]

Klaſſe der Mantelthiere.(Tunicata.)


Die Thiere, welche dieſe Klaſſe bilden, zeichnen ſich vor allen

Figure 167. Fig. 265.

Seitenanſicht eines einzelnen
Thieres von Amarucium,
aus der gemeinſamen Hülle
genommen und vergrößert.
a Einnahmeöffnung des Kie-
menſackes. b Auswurfsöff-
nung deſſelben, mit einer
zungenförmigen Klappe be-
deckt. Zwiſchen beiden Oeff-


andern durch einen höchſt unſymmetriſchen
Bau
aus. In den meiſten Familien iſt es
rein unmöglich, eine Mittellinie oder eine Axe
zu erkennen, um welche herum die Organe ent-
weder ſeitlich oder ſtrahlig angelagert wären;
nur bei den höhern Familien läßt ſich vielleicht
eine ſeitliche Symmetrie nachweiſen. Allein auch
dieſe wird beſonders durch die Lage der Ver-
dauungswerkzeuge und des Herzens getrübt.
Der Körper der Thiere iſt deshalb auch meiſt
unförmlich, unregelmäßig cylindriſch, ei- oder
warzenförmig, ohne alle äußere Anzeichen einer
Theilung in beſondere Regionen.


Die äußere Umhüllung des Körpers dieſer
Thiere wird ſtets von einer loſen, mehr oder
minder derben Hautſchicht gebildet, welche den
ganzen Körper wie ein Sack einſchließt und
nur zwei Oeffnungen, eine für die Aufnahme
der Nahrungsmittel und des Waſſers, die
andere für den Auswurf derſelben beſitzt. Die-
ſer Mantel, welcher bald mehr knorplich,
bald leder- oder gallertartig erſcheint, iſt merk-
würdiger Weiſe dem größten Theile ſeiner Maſſe
nach aus wirklicher Holzfaſer oder Cellulose
gewebt, alſo aus einer ſtickſtoffloſen Subſtanz,
welche ſich weder in Säure noch in Alkalien
löſt und dem größten Theile nach die harten
Beſtandtheile der Pflanzen bildet. Die innere
Struktur dieſes Mantels iſt ſehr genau er-
forſcht; er beſteht hauptſächlich aus einer hellen
Grundſubſtanz, in welcher Faſern und Zellen,
oft aber auch verſchiedenartig geformte kryſtal-
liniſche Anhäufungen von kohlenſaurem Kalke
ſich finden. Von den beiden Oeffnungen, welche
[259]

nungen liegt der Nervenknoten.
c Kiemenſack mit den gegit-
terten Kiemen. d Magen und
Leberdarm. e Afterdarm. f.
Samenleiter; er öffnet ſich
neben dem Afterdarm bei i
in die Kloake. g Eierſtock
mit mehr oder minder aus-
gebildeten Eiern. h Ein rei-
fes Ei mit ſchon entwickeltem
Embryo in der Kloake. k
Herz, ganz im Grunde der
Leibeshöhle gelegen. l Hode.
m Schwanzförmiger Anhang
des Thieres.


im Mantel vorhanden ſind, kann die eine vor-
dere als der Mund, die andere, die an ſehr ver-
ſchiedenen Stellen angebracht iſt, als der After
betrachtet werden. Man würde vielleicht der
Deutlichkeit wegen beſſer thun, ſie als Aufnahms-
öffnung und Auswurfsöffnung zu bezeichnen,
indem dieſe Oeffnungen des Mantels nicht
zugleich Oeffnungen des Darmkanals ſind, ſon-
dern vielmehr in die geräumige Mantelhöhle
führen, innerhalb welcher erſt der eigentliche
Körper des Thieres ſich befindet. Bei den gemein-
ſchaftlich lebenden Seeſcheiden fließt die äußere Mantelſchicht der ein-
zelnen Individuen zuſammen, ſo daß eine gemeinſchaftliche Gallert-
hülle gebildet wird, in welcher die einzelnen Thiere ſtecken und
aus welcher ſie ziemlich leicht gelöſt werden können. Die Auswurfs-
öffnungen ſind bei vielen dieſer Thiere ſo geſtellt, daß ſie in eine ein-
zige Cloake münden, während jedes ſeine beſondere Einnahmeöffnung
beſitzt.


Die letzteren Mantelthiere leben entweder in Kolonieen oder ver-
einzelt und meiſtens am Boden feſtgeheftet. Ihre einzige Bewegungs-
thätigkeit beſchränkt ſich in dieſem Falle auf Oeffnung und Schließung
der Oeffnungen ihres Mantels und meiſt nur geringe Zuſammenzie-
hungen deſſelben. Die Freilebenden ſind Schwimmer und bewerkſtel-
ligen dies auf eigenthümliche Weiſe. Sie ſchlucken nämlich das Waſſer
mit bedeutender Heftigkeit ein und indem ſie es mit eben ſo großer
Lebendigkeit wieder auspreſſen, werden ſie durch den Rückſtoß des
ausſtrömenden Waſſers vorwärts getrieben. Es werden dieſe Schluck-
bewegungen bei denjenigen Individuen, welche in Ketten vereinigt ſind,
gemeinſchaftlich ausgeführt und bei den Feuerzapfen wo viele Indi-
viduen gemeinſchaftlich in einem ſchwimmenden Mantel ſtecken, von
dieſem Mantel ſelbſt bewerkſtelligt.


Das Nervenſyſtem der Mantelthiere beſteht immer nur aus
einem einzigen größern Nervenknoten, welcher ſtets in der Nähe der
Einnahmeöffnung des Mantels auf der Rückenfläche ſich befindet. Bei
den Salpen ſitzt auf dieſem Nervenknoten, der faſt die Geſtalt eines
Keſſels hat, unmittelbar das einzige Auge auf, welches meiſt von
dunkelrothem Pigmente umgeben iſt. Bei manchen Seeſcheiden hat man
in der Umgebung der Mantelöffnungen, die durch einen Stern drei-
eckiger Franzen geſchloſſen werden können, ebenſo viel gelb gefärbte
Flecken wahrgenommen, als Franzen vorhanden ſind. Man hat zwar
17*
[260] dieſe Flecken für Augen erklärt, aber ohne dieſe Bedeutung näher
nachweiſen zu können. Andere Sinneswerkzeuge exiſtiren bei den
Mantelthieren nicht.


Der Darmkanal iſt bei den meiſten Mantelthieren nur unvoll-
ſtändig entwickelt. Die Einnahmeöffnung des Mantels führt in einen
ſehr geräumigen weiten Sack, welcher die Kiemen enthält. Ganz im
Hintergrunde dieſes Sackes findet ſich meiſt ziemlich verborgen die
einfache, ſchlitzartige, ſtets waffenloſe Mundöffnung, welche in einen
gewöhnlich dünnhäutigen Darm führt, der mehr oder weniger deut-
lich in einen Magen und einen ausführenden Darm zerfällt. Der
Darmkanal ſelbſt iſt meiſt mehrfach gewunden und öffnet ſich in die
Mantelhöhle, von wo aus die Excremente durch die Auswurfsöffnung
ausgeſtoßen werden. Die Endigung des Darmkanals, der eigentliche
After, befindet ſich auf dieſe Weiſe oft ziemlich weit von der Aus-
wurfsöffnung des Mantels und zwiſchen dieſen beiden Oeffnungen iſt
ein ziemlich weiter Raum, eine wahre Kloake, in welche außer den
Excrementen die Produkte der Geſchlechtstheile, Samen, Eier und
Junge, entleert, und ſpäter durch die Mantelöffnung ausgeworfen
werden.


Keinem Mantelthiere fehlt eine Leber, ſie iſt indeß in Verhältniß
zu den übrigen Weichthieren nur äußerſt gering entwickelt. Sie beſteht
meiſt nur in einer gelblichen oder bräunlichen Drüſenſchicht, welche
die Wandung des Darmkanals färbt; bei einigen indeß zeigt ſich ein
Packet kurzer Schläuche, die eine bräunlich-gelbe Farbe beſitzen und
als Leber angeſprochen werden.


Das Blutgefäßſyſtem der Mantelthiere iſt äußerſt entwickelt
und die Bewegung deſſelben ſtets von einem eigenen ſchlauchförmigen
Herzen vermittelt, welches entweder in der Nähe des Athemorganes
oder auch tief im Grunde des Körpers liegt. Von dieſem Herzen
aus gehen Blutſtrömungen, die entweder in Kanälen ohne Wandungen
verlaufen, oder auch ſich überall in den Zwiſchenräumen der Räume
und Organe verbreiten. Merkwürdig und eigenthümlich iſt aber der
Umſtand, daß bei allen Mantelthieren die Richtung des Blutſtromes
periodiſch wechſelt. Das Herz, welches ſich wurmförmig fortſchreitend
zuſammenzieht, macht eine gewiſſe Anzahl von Pulſationen in der
Richtung von hinten nach vorn, dann ſteht es plötzlich ſtill und be-
ginnt hierauf ſeine Pulſationen wieder, aber in der Richtung von vorn
nach hinten. So wechſelt es in unregelmäßigen Zwiſchenräumen, oft von
mehren Minuten, ab und in allen Gefäßen ſieht man das Blut abwech-
ſelnd von Links nach Rechts ſtrömen, dann ſtocken und hierauf die
[261] entgegengeſetzte Richtung befolgen. Bei den durchſichtigen Mantelthieren
kann man ſich ſehr leicht überzeugen, daß dieſe verſchiedenen Rich-
tungen des Blutſtromes lediglich vom Herzen angegeben werden, und
daß die Welle, welche von dem Herzen aus fortgeſchoben wird, ſich
nur nach und nach durch die Verzweigungen der Gefäße fortpflanzt.
Man kann alſo bei den Mantelthieren durchaus nicht von Arterien
und Venen, von ab- und zuführenden Gefäßen ſprechen, da die
Richtung des Blutſtromes in den Gefäßen ſtets wechſelt.


Die Athemwerkzeuge ſind bei den Mantelthieren in hohem
Grade entwickelt und nach zwei verſchiedenen Typen geſtaltet. Bei
den Seeſcheiden tritt das Waſſer durch die Aufnahmeöffnung des Man-
tels in einen weiten Kiemenſack, deſſen ganze innere Fläche von einem
Gitterwerke ausgekleidet iſt, das quere Maſchen zeigt und wo jede
Maſche mit äußerſt lebhaft ſchwingenden Wimperhaaren ausgekleidet
iſt. Der Wirbelſtrom, den dieſe Wimperhaare erregen, zieht das
Waſſer durch die äußere Oeffnung in den Kiemenſack herein. Jede
Maſche bildet einen Schlitz, durch den das Waſſer nach außen abfließt,
ſich in der Kloake ſammelt und durch die Auswurfsöffnung des Mantels
ausgeſtoßen wird. Bei den Salpen dagegen bildet der Kiemenſack den

Figure 168. Fig. 266.

Eine Salre von der Seite geſehen.
a Der Mund. o Das Auge mit dem Nervenknoten. m Die Muskeln
zur Zuſammenziehung der Kiemenhöhle. br Die Kieme. c Das Herz. p
Der After. f Der Eingeweideſack oder Kern (Nucleus).


größten Theil des Körpers und die Kieme hat die Geſtalt eines ſchie-
fen Balkens, der ſchräg von oben nach unten und von vorn nach
hinten in dem Sacke ausgeſpannt iſt. Die Wand des Kiemenſackes
iſt vollkommen glatt, der Kiemenbalken aber rundum mit flimmernden
Ritzen beſetzt und von einer großen Zahl von Gefäßen durchzogen.
[262] Das Waſſer wird vorn eingeſchluckt, umſpült die Kieme und wird
hinten wieder ausgeworfen.


Alle Mantelthiere ſind Zwitter, pflanzen ſich aber, außer durch
geſchlechtliche Zeugung, auch noch durch Knospen, theilweiſe ſelbſt durch
Ammenzeugung fort. Hoden und Eierſtöcke ſtellen beide bandartige Krauſen
dar, welche gewöhnlich an dem Darmkanal ſelbſt angeheftet ſind und
entwickeln ſich meiſt nur periodiſch, ſo daß es einer mikroſkopiſchen
Prüfung bedarf, um nach dem Inhalte die Organe zu unterſcheiden.
Begattungsorgane fehlen durchaus. Wie es ſcheint befruchtet
jedes Individuum ſeine eigenen Eier durch die von ihm hervorgebrach-
ten Samenthierchen. Die Entwicklung des Embryo’s ſo wie die Art
und Weiſe der Fortpflanzung iſt bei jeder einzelnen Ordnung ſo eigen-
thümlich, daß wir ſie bei dieſen behandeln werden.


Die Ordnung der Seeſcheiden (Ascidiae) beſteht aus völlig
unſymmetriſchen Thieren, deren beide Mantelöffnungen meiſt ſehr nahe
an einander gerückt ſind. Sie ſitzen alle entweder auf dem Boden
oder in einem ſchwimmenden Mantel feſt und bilden häufig Colonieen
von ſchwammartigem Anſehen, die oft mit den lebhafteſten Farben ge-
ziert ſind. Die Einnahmeöffnung des Mantels befindet ſich meiſt
an dem vordern Ende des Thieres und iſt faſt immer rund oder ei-
förmig; ſie kann durch zackenförmige Lappen geſchloſſen werden, die
gewiſſermaßen eine Art von Reuſe bilden, durch welche das in die
Kiemen eintretende Waſſer durchgeſeiht wird. Die Auswurfs-
öffnung
des Mantels liegt meiſt auf der Rückenfläche in geringer
Entfernung von der Aufnahmeöffnung; — zwiſchen beiden iſt der Ner-
venknoten angebracht. Die Aufnahmeöffnung des Mantels führt in
einen weiten, ringsum gegitterten Kiemenſack, deſſen Maſchen geſchlitzt
ſind und auf deſſen Grunde ſich die eigentliche Mundöffnung befindet.
Auf der Bauchfläche dieſes Kiemenſackes befindet ſich ein äußerſt leb-
haft flimmernder Halbkanal, welcher die Beſtimmung zu haben ſcheint,
die mit dem Waſſer in den Kiemen eintretenden Nahrungsſtoffe nach
dem eigentlichen Munde hinzuleiten. Der Darmkanal, der im Grunde
des Kiemenſackes beginnt, zeigt ſtets eine oder mehrere ſchlingenför-
mige Biegungen und öffnet ſich meiſt in einiger Entfernung von der
Auswurfsöffnung des Mantels in die Kloake. Hoden und Eierſtock
ſind meiſt mit einander verbunden und erſterer öffnet ſich häufig durch
einen längern gewundenen Kanal ebenfalls in die Kloake, wo auch
die Eier ſo lange verbleiben, bis die Larve in ihrem Innern
vollſtändig gebildet iſt. Das Herz liegt bei den Seeſcheiden bald tief
im Grunde des Körpers, bald mehr nach vorn, neben dem Kiemen-
[263] ſacke; es iſt an beiden Enden offen und treibt die farbloſe Ernäh-
rungsflüſſigkeit in allen Zwiſchenräumen der Organe umher, ohne daß
man beſondere Kanäle oder Gefäße unterſcheiden könnte.


Die [Fortpflanzung] der Seeſcheiden iſt beſonders bei den-
jenigen Familien beobachtet worden, welche gemeinſchaftliche Stöcke
bilden. Hier ſieht man die mehr oder minder entwickelten Eier, welche
aus einem meiſt gelblichen Dotter, einem hellen Keimbläschen und einer
dicken ſtrukturloſen Hülle beſtehen, neben den Auswurfsſtoffen in der
Kloake ſich ſammeln, wo ſie oft ſo groß werden, daß ſie eine Art
Bruchſack bilden. Der ganze Dotter ſpaltet ſich, bildet einzelne Zellen
und bald unterſcheidet man einen kugelförmigen Embryo, an deſſen

Figure 169. 267. 268 269.


Figure 170. Fig. 267.

Eine zuſammengeſetzte Seeſcheide (Amarucium Nordmanni)
von oben geſehen in natürlicher Größe. a Gemeinſchaftliche Auswurfs-
öffnungen (After) für die einzelne Thiere, welche in ſternförmigen Figuren
darum herumſitzen und nur ihre Einnahmeöffnungen zeigen. Fig. 268.
Ein reifer Embryo noch im Ei. Fig. 269. Derſelbe, frei im Waſſer
ſchwimmend. In beiden Figuren bezeichnet b den Körper, c den ſpäter
abfallenden Schwanz, d die Saugnäpfe der Embryonalmaſſe, e noch räth-
ſelhafte feſte Körperchen im Leibe des Embryo’s.


einer Seite ein langer Schwanz herumgebogen iſt. Dieſer Schwanz
löſt ſich nach und nach ab, und der Embryo beſteht nun aus einem
eiförmigen Körper, von einer glashellen Hülle, dem ſpätern Mantel,
umgeben, und einem langen Schwanze, in welchen hinein ſich die gelbe
Dotterſubſtanz fortſetzt. Durch peitſchenförmige Bewegungen dieſes
Schwanzes ſchwimmt der Embryo ganz in ähnlicher Weiſe wie dies
von den Cercarien früher beſchrieben wurde, im Waſſer umher.
Nun beginnt allmählig die weitere Ausbildung der inneren Maſſe;
[264]

Figure 171. 270. 271. 272. 273.

Fig. 270—273. Weitere Ausbildung der Embryonen von Amarucium,
nachdem ſie ſich feſtgeſetzt haben, während der Schwanz allmählig verkümmert. Die
Buchſtaben haben in alle Figuren dieſelbe Bedeutung. a Die Mantelhülle des
Körpers, b des Schwanzes. c Einnahmeöffnung. d Kiemenſack. e Hinterer
Körpertheil, Darm und Herz einſchließend. f Auswurfsöffnung. g Magen.
h Herz.


man unterſcheidet den helleren Kiemenſack und den dunkleren Leib,
welcher den Darmkanal und die übrigen Eingeweide enthält. Die
Bewegungen der Larve werden träger; — der Schwanz ſetzt ſich mehr
und mehr ab. Die in ihm enthaltene Dotterſubſtanz ſchwindet und
endlich fällt er ganz ab, während zugleich das junge Thier ſich feſt-
ſetzt und nun ganz der erwachſenen Seeſcheide ähnlich wird.


Dieſer Art iſt der Entwickelungsgang bei den einfachen und ge-

Figure 172. Fig 274. 275 276.

Fig 274—277. Entwickelung des Eies von Botryllus.
Fig. 274. Der in Bildungszellen zerlegte
Dotter. Fig. 275. Schwanz und Dotter ſind
differenzirt. Fig. 276. Die gemeinſchaftliche Kloake
und die einzelnen Thierchen herum ſind deutlich.
Fig. 277. Ausgebildeter im Waſſer ſchwimmender
Embryo. a Dotter. b Schwanz. c die einzel-
nen Thiere in Form von Warzen. d gemein-
ſchaftliche Kloake. e Mantelhülle des Ganzen.


Figure 173. Fig. 277.


[265] ſelligen Seeſcheiden. Anders verhält es ſich bei vielen zuſammenge-
ſetzten Seeſcheiden, wo viele Thiere gemeinſchaftlich unter einem
und demſelben Mantel ſtecken und ihre Auswurfsöffnungen in
gemeinſchaftliche Kanäle münden, in verzweigte Kloaken, die in
einer einzigen großen Oeffnung zuſammenfließen. Bei dieſen zu-
ſammengeſetzten Seeſcheiden ſtehen die einzelnen Thiere ſternförmig um
die gemeinſchaftliche Kloakenöffnung und dieſer Bildung entſprechend
entſteht in dem Eie aus dem einfachen Dotter nicht ein Embryo, ſon-
dern ein Kreis von Embryonen mit einer gemeinſchaftlichen Kloaken-
öffnung. Man ſieht den Dotter ebenſo wie bei den einfachen Eiern,
ſich ſpalten, Zellen bilden, dann findet man einen einfachen Dotter-
kern mit umgeſchlagenem Schwanz, der ſich bald ablöſt. In der Mitte
dieſes geſchwänzten Dotters, der ſich ebenſo bewegt, wie ein einfacher
Embryo, bildet ſich nun die hervorſtehende gemeinſchaftliche Kloaken-
öffnung, umgeben von einer gewiſſen Anzahl von Höckern oder Wärzchen,
deren jedes allmählig zu einem beſonderen Thiere auswächſt. Der
Embryo im Ei zeigt alſo ſchon die urſprüngliche geſellſchaftliche Kolo-
nie, welche ſich dann durch Sproſſenbildung weiter ausdehnt. In
ähnlicher Weiſe enthält bei den Feuerzapfen jedes ausgebildete Ei vier
Junge, welche gemeinſchaftlich im Stern um eine mittlere Axe herum-
ſtehen und die Grundlage des ganzen Zapfens darſtellen.


Außer der Fortpflanzung durch einfache oder zuſammengeſetzte
Embryonen kommt bei den geſelligen und zuſammengeſetzten Seeſcheiden
die Fortpflanzung durch Knospen ziemlich häufig vor. Es bilden ſich
an dem Grunde dieſer Thiere Ausläufer des Mantels in Form von
hohlen Wurzelfaſern, in welche hinein die Blutſtrömung ſich fortſetzt.
In den knopfförmigen Enden dieſer Wurzelfaſern ſammelt ſich eine
granulirte Maſſe an, welche immer mehr wächſt und bald die Form
einer Seeſcheide erkennen läßt, die mit dem mütterlichen Körper ver-
bunden bleibt.


Wir theilen die Seeſcheiden in vier Familien, wobei wir beſonders
ihr Zuſammenleben und ihre Bewegungsfähigkeit in das Auge faſſen.


Die zuſammengeſetzten Seeſcheiden(Ascidiae compositae) (S.
Fig. 267. Amarucium in natürlicher Größe und Fig. 265. ein ein-
zelnes Thier von Amarucium vergrößert.) bilden gemeinſame Stöcke
von meiſt ſchwammiger oder lederartiger Beſchaffenheit, welche wie ge-
färbte Gallertklumpen die Oberfläche der Körper in dem Waſſer über-
ziehen und meiſt ſich auf Steinen oder auf Seepflanzen feſtſetzen. Berührt
man einen ſolchen Klumpen, der wie eine lebloſe, halbweiche, lederartige
Maſſe erſcheint, ſo ſpritzen plötzlich aus einer Menge von Oeffnungen
[266] desſelben feine Waſſerſtrahlen empor. Betrachtet man nun den Klum-
pen genauer, ſo unterſcheidet man bald die einzelnen Aufnahmeöffnun-
gen der Thiere, welche meiſt ſternförmig um die gemeinſchaftlichen
Kloakenöffnungen gruppirt ſind, aus denen das Waſſer bei der Zu-
ſammenziehung hervorgeſpritzt wurde. Die Thiere ſtecken mehr oder
minder ſenkrecht in den ſchwammförmigen Maſſen und haben
meiſt eine cylindriſche oder ſpindelförmige Geſtalt, die gewöhnlich
von oben nach unten drei Abtheilungen erkennen läßt. Der obere
weitere Theil des Körpers enthält den Kiemenſack und die Kloake,
der mittlere die Schlinge des Darmkanales, der untere oft ſtabförmig
verlängerte Theil die Windungen der krauſenförmigen Geſchlechts-
theile und im tiefſten Grunde das Herz. Dieſe einzelnen oft wohl
geſchiedenen Abtheilungen ſchieben ſich indeß bei manchen Gruppen
von Gattungen ſo zuſammen, daß endlich das Thier nur eine einfache
eiförmige Maſſe darſtellt, in welcher an den Seiten und am Grunde
des Kiemenſackes, Darmſchlinge, Geſchlechtstheile und Herz zuſammen-
gedrängt ſind. Man hat die Gattungen beſonders nach der größeren
oder geringeren Zuſammenſchiebung der Körperabtheilung der Einzeln-
thiere, nach der Stellung derſelben um die gemeinſchaftlichen Kloaken-
öffnungen, ſowie nach Einzelheiten des Baues unterſchieden, auf die
näher einzugehen unſer Raum nicht geſtattet. Amarucium; Botryllus;
Polyclinum; Didemnum
.


Eine zweite Familie, welche den Uebergang zu den einfachen See-
ſcheiden bildet, umfaßt die geſelligen Seeſcheiden(Ascidiae sociales).

Figure 174. Fig. 278.

Eine Gruppe geſelliger Seeſcheiden.
t der gemeinſchaftliche Stamm. e Ma-
gen. i Afterdarm. Die Einnahme- (b) und
Auswurfs-Oeffnung (a) ſind bei der erſten
Figur durch Richtungspfeile angedeutet.


Der Körper dieſer Thiere iſt meiſt
keulenförmig, indem die Anſchwellung
der Keule von dem Kiemenſacke ge-
bildet, der dünnere Fuß aber von
der Darmſchlinge und den übrigen
Eingeweiden eingenommen wird.
Von dem Fuße gehen Wurzelaus-
läufer nach allen Seiten hin, auf
welchen ſich in der beſchriebenen
Weiſe Knospen bilden, die ſo nach
und nach eine Art Strauch oder
eine Pflanze nachahmen, welche
etwa wie die Erdbeerenpflanze
auf verzweigten Wurzelausläufern
Schößlinge, die einzelnen Thiere, treibt. Während die zuſammenge-
ſetzten Seeſcheiden meiſt wunderherrlich gefärbte Maſſen bilden, ſind
[267] dieſe gewöhnlich vollkommen ungefärbt und glasartig durchſichtig und
eignen ſich am Beſten zur Unterſuchung der Struktur. Clavelina.


Die dritte Familie wird von den einfachen Seeſcheiden(Ascidiae
simplices)
gebildet. Meiſt unförmliche warzige Körper von knorplicher
Härte, auf deren Außenfläche ſich alle mögliche Arten kleinerer Thiere
anſiedeln, ſo daß man oft Mühe hat, an der ſchwammigen Ungeſtalt
die beiden Mantelöffnungen und überhaupt die ganze thieriſche Natur
zu erkennen. In dem dicken Mantelſacke liegen die Eingeweide neben
dem weiten Kiemenſacke auf einen gemeinſchaftlichen Knäuel zuſammen-
gedrängt. Die einfachen Seeſcheiden bilden niemals Ausläufer oder
Knospen wie die geſelligen, ſondern pflanzen ſich nur durch Eier fort.
Ascidia; Cynthia.


Die vierte Familie bildet gewiſſermaßen einen Uebergang von
den zuſammengeſetzten Seeſcheiden zu der folgenden Ordnung. Es ſind
die Feuerzapfen (Pyrosomida). Man findet häufig in den ſüdlichen

Figure 175. Fig. 281. 280. 279.

Fig. 279. Ein Feuerzapfen (Pyrosoma) ſtark verkleinert. a die Oeffnung
des Zapfens. Fig. 280. Ein einzelnes Thier ſtark vergrößert, von der Seite ge-
ſehen. Fig. 281. Ein aus vier Einzelthieren zuſammengeſetzter Embryo von oben
geſehen. Die Bedeutung der Buchſtaben iſt in beiden Figuren dieſelbe. b Mund-
öffnung. c Nervenknoten. d Flimmerrinne. e Kiemenkorb. f Munddarm. g
Afterdarm; zwiſchen beiden der kugelförmige Magen. h die beſonders ſtark leuch-
iende Leber. i Eierſtock, worin ein Ei ſchon ſehr ausgebildet. k Herz. l After-
öffnung.


Meeren ſchwimmend, gallertartige, zuweilen fußlange Körper, welche
etwa die Geſtalt eines Tannzapfens haben und eine weite innere Höh-
lung zeigen, die eine kreisrunde Oeffnung an dem breiten Ende beſitzt.
Der Cylinder ſchwimmt langſam mit abwechſelnden Zuſammenziehun-
[268] gen, durch welche er das Waſſer aus ſeinem Innern herauspreßt.
Bei Nacht leuchtet er in hellem Glanze wie weißglühendes Eiſen. Das
Leuchten beginnt an einem kleinen Pünktchen und verbreitet ſich dann
zitternd über die Oberfläche des Zapfens bis er ganz in Gluth ſteht.
Unterſucht man einen ſolchen Zapfen genauer, ſo findet man, daß er
nur einen gemeinſchaftlichen Mantel darſtellt, daß ſeine innere Höhle,
die gemeinſchaftliche Kloake und ſeine Oeffnung die Kloakenöffnung für
eine ungemein große Anzahl kleiner Thiere iſt, die in dem Mantel
ſtecken und den Seeſcheiden ſehr ähnlich ſehen. Ihre Einnahmeöffnung
befindet ſich auf der Außenfläche des Cylinders, während der gerade
gegenüberſtehende After in die innere Höhlung des Zapfens einmündet.
Es beſitzen dieſe Thiere einen weiten gegitterten Kiemenſack, wie die
Seeſcheiden, an deſſen Grunde das Herz, der gewundene Darmkanal,
der ſehr große kugelige Eierſtock und eine aus roſettenartig zuſammen-
geſetzten Blindſäcken gebildete Leber liegt. In der Kloake ſieht man
häufig mehr oder minder ausgebildete Jungen, welche zu vieren zu-
ſammengeſtellt erſcheinen. Sehr deutlich iſt auf der Rückenfläche des
Kiemenſackes der große Nervenknoten mit einem aufſitzenden Auge.
Durch die Struktur ihres Kiemenſackes nähern ſich die Feuerzapfen
den Seeſcheiden, mit welchen ſie auch in der Fortpflanzungsweiſe über-
einkommen, während die ſchwimmende Ortsbewegung, der leuchtende
Eingeweideknoten (denn nur Leber, Darm und Eierſtock theilen dieſe
Eigenſchaft) die Gegenſtellung der Einnahme- und Auswurfsöffnung
und die Exiſtenz eines Auges ſie den Salpen anreihen.


Die Ordnung der Walzenſcheiden oder Salpen (Biphora)

Figure 176. Fig. 282.

Eine Salpe von der Seite geſehen.
a Der Mund. b das Auge mit dem Nervenknoten. m die Muskeln zur
Zuſammenziehung der Kiemenhöhle. br die Kieme. c das Herz. p der After.
f der Eingeweideſack oder Kern (Nucleus).


[269] begreift nur ſchwimmende Thiere von glasheller Durchſichtigkeit, welche
beſonders in wärmeren Meeren ſehr häufig vorkommen. Der größte Theil
des Körpers wird von einem länglichen, oft mit ſonderbaren Spitzen
und Anhängen verſehenen Kiemenſacke gebildet, der deutlich aus einer
äußeren Mantelſchicht und einer inneren Hautſchicht beſteht, in welcher
Bündel oder kranzweiſe Bänder von Muskelfaſern angebracht ſind.
Die Eingeweide ſind in einen kleinen runden Knoten zuſammengedrängt,
den man den Kern oder Nucleus nennt, und der meiſt eine rothe oder
gelbe, ſelten eine blaue Farbe hat und in der Nacht mit lebhaftem,
rothgelbem Lichte leuchtet. An dem vorderen Ende des walzenförmigen
Körpers befindet ſich eine quere, von beweglichen Lippen umgebene
Oeffnung, welche in den weiten Kiemenſack führt. Hinter dieſem Maule
auf der Rückenfläche iſt der meiſt runde Kiemenbalken angeheftet, der
ſich in ſchiefer Richtung durch den Kiemenſack nach unten gegen den
Kern hin ſpannt, wo ſeine hintere Anheftungsſtelle ſich befindet. Der
Kiemenbalken iſt eigentlich ein rundliches hohles Rohr, welches auf
ſeiner Außenfläche eine Menge von Querſchlitzen zeigt, die mit lebhaft
flimmernden Wimperhaaren beſetzt ſind. Auf der Rückenfläche und
zwar an der Anheftungsſtelle des Kiemenbalkens ſieht man ſehr deut-
lich den Nervenknoten mit ſeinen nach allen Seiten hin ausſtrahlenden
Nerven und dem unmittelbar darauf ſitzenden, von dunkelbraunrothem
Farbſtoffe eingehüllten Auge. Auf der Bauchfläche des Kiemenſackes
gewahrt man eine ähnliche Rinne mit Flimmerhaaren ausgekleidet,
wie wir ſie ſchon bei den Seeſcheiden erwähnten und noch außerdem
vorn an dem Maule eine meiſt ſchlingenförmig gewundene Flimmer-
furche, deren Bedeutung noch nicht weiter ergründet iſt.


Der meiſt runde, roth oder gelb gefärbte Eingeweideknäuel wird
von dem Darmkanal, der Leber, den Geſchlechtstheilen und dem Her-
zen gebildet. Der eigentliche Mund öffnet ſich in der Nähe der hin-
teren Auswurfsöffnung des Kiemenſackes als ein ovaler Schlitz und
führt in den einfachen Darmſchlauch, welcher überall von der Leber
und den Geſchlechtstheilen umgeben oder gleichſam in dieſelben einge-
graben iſt, ſo daß es ſehr ſchwer hält, dieſe einzelnen Eingeweide von
einander zu iſoliren.


Man findet die Walzenſcheiden ſchwimmend im Meere in zwei
verſchiedenen geſellſchaftlichen Zuſtänden. Meiſtens bilden ſie Ketten,
in der Art, daß lange Reihen von Individuen durch die Spitzenfort-
ſätze ihres Körpers oder mit den Seiten aneinander verklebt ſind, ſo
daß man in dem Meere ein langes Band ſchwimmen ſieht, welches
mit einer großen Anzahl rother Kerne in abwechſelnden Reihen beſetzt
[270]

Figure 177. Fig. 283. 284. 285.

Fig. 283. Salpa cordiformis mit einer Kette von Jungen, halb von der
Seite geſehen. — Fig. 284. Salpa maxima, ein Individuum aus einer
Kette, ebenfalls von der Seite geſehen. — Fig. 285. Salpa africana — das ver-
einzelte Individuum der Salpa maxima, von ihr durch Mangel der vorderen und
hinteren Spitzen, ſo wie durch ganz verſchiedene Anordnung der Muskelbündel, die
den Kiemenſack umſchließen, ſo verſchieden, daß man dieſe Salpen für eine eigene
Art, verſchieden von S. maxima, hielt, während ſie nur die einſamen, S. maxima
die verketteten Individuen derſelben Art ſind. Das hier abgebildete einſame Indi-
viduum der S. africana hat noch den Mutterkuchen (l) und den Oelkörper (m), iſt
alſo ein kaum losgelöſter Embryo. In allen Figuren haben die Buchſtaben dieſelbe
Bedeutung: a vordere Oeffnung. b hintere Oeffnung des Kiemenſackes. c Ner-
venknoten. d Kieme. e Eingeweideknäuel (Nueleus). f Herz. g Ausmündung
des Darmes in den Kiemenſack. h flimmernde Bauchfurche. i vordere Flimmer-
furche. k Muskelbündel des Kiemenſackes. l Mutterkuchen (Placenta). m Oel-
körper (Elaeoblast).


iſt. Alle Thiere, welche zu einer ſolchen Kette gehören ſchlucken im
Taktmaße Waſſer ein, um es durch die hintere Oeffnung wieder aus-
zutreiben, und ſo bewegt ſich die Kette ſtoßweiſe fort. Ein Thier,
welches einmal von der Kette getrennt iſt, kann ſich nicht mehr mit
derſelben vereinigen, denn es klebt mit ſeinen Genoſſen nur durch
verhärteten Schleim zuſammen. Außer dieſen zu Ketten verbundenen
[271] Individuen giebt es aber auch Walzenſcheiden, die niemals und unter
keinen Umſtänden zu Ketten verbunden gefunden werden und die in
ihrer Geſtalt nicht mit den verketteten Individuen übereinſtimmen.
Man hat aus dieſen eigene Arten gemacht, bis man in der neueren
Zeit entdeckte, daß verkettete und vereinzelte Individuen, wenn auch
oft ſehr verſchieden in ihrer äußern Form, dennoch nur ſehr verſchie-
dene Entwickelungszuſtände einer und derſelben Art ſeien. Man findet
nämlich bei allen Walzenſcheiden in der Nähe des Herzens eine Art
Knopf oder einen Zapfen, in welchem ein ſtarker Blutſtrom auf- und
abſteigt und der anfangs nur höchſt unbedeutend erſcheint. Nach eini-
ger Zeit bemerkt man auf dieſem Zapfen einige Erhabenheiten wie
Wärzchen, die nach und nach wachſen und nun einen Kreis von
Embryonen bilden, welche um den Zapfen herum gelagert ſind. Es
bildet alſo dieſer Zapfen einen wahren Ausläufer oder Stolo, beſtimmt
durch Knospung Junge zu erzeugen und es iſt dieſe Knospung äußerſt
produktiv, indem man oft drei oder vier hintereinander folgende Reihen
von Embryonen verſchiedenen Alters bei einem und demſelben Indi-
viduum um den knospentragenden Knopf geſchlungen ſieht. Dieſe
ſucceſſiven Generationen trennen ſich nach einiger Zeit, wenn ſie ihre
gehörige Größe erlangt haben, von dem Zapfen los und ſchwimmen
nun als Ketten umher. Es erklärt ſich leicht aus dieſer Art der
Entwickelung, warum in den Ketten, welche von Anfang an zuſammen-
hingen, die einzelnen Individuen alle dieſelbe Größe haben; — ſie
ſind Produkte derſelben gemeinſchaftlichen Knospenzeugung.


Die vereinzelten Individuen pflanzen ſich nur durch Knospenzeu-
gung fort und man wird deshalb ſelten ein ſolches Individuum tref-
fen, welches nicht eine oder mehrere Ketten von Embryonen an ſeinem
Knospenzapfen umhertrüge. Die verketteten Individuen dagegen
beſitzen außer der Kettenzeugung durch Knospung noch eine geſchlecht-
liche Zeugung, durch welche jedes Thier nur einen einzigen Embryo
erzeugt. Schon während der Zeit nämlich, wo die verketteten Thiere
noch in ziemlich unentwickeltem Zuſtande um den Knospenzapfen ge-
ſchlungen ſind, bildet ſich an ihrer Rückenfläche ein Ei aus, welches
nach und nach ſo ſehr anwächſt, daß es weit in die Kiemenhöhle
hineinragt. Neben dieſem Ei bildet ſich eine Art Mutterkuchen (pla-
centa)
aus, ein runder Körper, welcher einen lebhaften Blutzufluß
erhält und mit dem auf der andern Seite die Blutzirkulation des
werdenden Embryo’s in Verbindung ſteht. Neben dieſem Mutterkuchen
findet ſich im embryonalen Körper noch ein zweites räthſelhaftes Or-
gan aus einzelnen Oelzellen zuſammengeſetzt, das man den Oelkörper
[272](Elaeoblast) genannt hat und das während dem Auswachſen des
Embryo’s allmählig verzehrt wird. Die genauere Entwickelung des
Embryo’s ſelbſt iſt noch nicht im Einzelnen bekannt, obgleich man
häufig junge verkettete Seeſcheiden findet, welche Embryonen enthalten,
die noch durch den Mutterkuchen mit dem Mutterthiere verbunden
ſind. Ueberhaupt hat auch die Entſtehung und Befruchtung eines Eies
in noch nicht entwickelten Thieren manches Räthſelhafte.


Wie dem auch ſei, ſo iſt doch ſo viel feſtgeſtellt, daß jede Art
von Salpen aus zwei abwechſelnden Reihen von Individuen zuſam-
mengeſetzt wird: aus verketteten und vereinzelten Thieren. Jedes
vereinzelte Individuum erzeugt durch Knospung Ketten und jedes in
einer Kette befindliche erzeugt wieder einen vereinzelten Embryo, der
während ſeines ganzen Lebens vereinzelt bleibt. Die vereinzelten In-
dividuen können demnach gleichſam als Ammen angeſehen werden und
ſind auch in der That ihrer äußeren Erſcheinung nach meiſt ſehr von
den verketteten Individuen derſelben Art verſchieden.


Die Walzenſcheiden bilden nur eine Familie, in der vielleicht
mehrere Gattungen anzunehmen ſind, indem man einige Arten kennen
gelernt hat, welche zum Beiſpiel durch die Struktur ihres Darmkanals
oder durch die Erzeugung mehrerer Jungen in einem Kettenindividuum
von den übrigen Arten abweichen. Salpa.


Von der ganzen Klaſſe der Mantelthiere kennt man keine foſſilen
Repräſentanten.


Unterkreis der eigentlichen Weichthiere.(Mollusca.)


Die eigentlichen Weichthiere unterſcheiden ſich weſentlich dadurch
von den Molluskoiden, daß bei ihnen die Organe des Körpers zu
beiden Seiten einer Mittelebene mehr oder minder ſymmetriſch ange-
bracht ſind. Oft freilich iſt dieſe Symmetrie geſtört, zuweilen auch
erſcheint die Mittelebene des Körpers nicht gerade, ſondern mehr oder
minder ſchneckenförmig gewunden. Allein trotz dieſer häufigen Aus-
nahmsfälle läßt ſich doch immer dieſe Mittellinie recht wohl erkennen.
[273]

Figure 178. Fig 286.

Nervenſyſtem des Seehaſen (Aplysia).
l Vorderer Lippenknoten. c Hirnknoten,
über dem Schlunde gelegen. o Durch-
gangsloch für den Schlund. g Untere
Knoten des Schlundringes. v Eingeweide-
knoten.


Das Nervenſyſtem der Weich-
thiere beſteht unter allen Umſtänden
aus mehreren Knoten, die einen
mehr oder minder weitläufigen Ring
um den Schlund bilden und außerdem
noch im Körper zerſtreut liegen. Auch
dieſe Eigenthümlichkeit unterſcheidet
ſie von den Molluskoiden, bei wel-
chen, wie wir geſehen haben, nur
ein einziger Nervenknoten exiſtirt.
Bei den höhern Weichthieren ent-
wickelt ſich mit einer höheren Aus-
bildung des Nervenſyſtemes ein
wahrer Kopf, welcher vorzüglich
die Sinnesorgane trägt, während
die niedern Klaſſen durchaus kopf-
los ſind und die Sinnesorgane,
wenn ſolche vorhanden, an dem
Rande des Mantels angebracht ſind.
In den meiſten Fällen iſt der in
ſeiner Geſtalt außerordentlich wech-
ſelnde Körper dieſer Thiere von
einer Schale umgeben, welche in
den höheren Klaſſen eine mehr oder
minder aufgewundene Röhre dar-
ſtellt, während ſie bei den niederen
Klaſſen aus zwei Klappen beſteht,
welche wie die Deckel eines Buches
den Körper von der Seite her umſchließen und an dem oberen Rande
durch eine Art Charnier, welches man das Schloß nennt, miteinander
eingelenkt ſind. Der Darmkanal iſt meiſt ſehr ausgiebig entwickelt,
die Leber verhältnißmäßig ungeheuer und größer, als bei irgend
andern Thieren. Keinem Weichthiere fehlt ein Herz — die mei-
ſten beſitzen eine ſehr ausgebildete Cirkulation des Blutes, die aber
niemals in ganz vollſtändig geſchloſſenen Gefäßbahnen vor ſich geht und
beſondere oft ſehr entwickelte Athemorgane, meiſt in Form von
Kiemen, ſeltener Lungen. Die Bewegungsorgane dagegen ſind
nur äußerſt mangelhaft ausgebildet. Viele Weichthiere ſind auf eigen-
thümliche Weiſe an den Boden feſtgekettet, ſo daß eine Ortsbewe-
gung ihnen vollkommen unmöglich iſt; die andern kriechen, mittelſt
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 18
[274] eines fleiſchigen Fortſatzes, Fuß genannt, umher; nur ſehr wenige
können ſchwimmen. Meiſt indeß iſt das Bewegungsvermögen bei den
Weichthieren in ihrer Jugend ſtärker entwickelt und viele, welche im
Alter feſtſitzen, oder nur kriechend ſich bewegen können, ſind in der
Jugend geſchickte Schwimmer. Alle Weichthiere pflanzen ſich durch
geſchlechtliche Zeugung fort; Knospen- oder Ammenzeugung kommt bei
ihnen nicht vor. Manche ſind Zwitter, die Meiſten getrennten Ge-
ſchlechtes; — Alle entwickeln ſich als Ganzes aus dem Dotter, ohne
daß ein Gegenſatz zwiſchen einem Embryonaltheile und einem Dotter
beſtände. Sie unterſcheiden ſich hierdurch weſentlich von den Kopf-
füßlern, bei welchen ein ſolcher Gegenſatz vom erſten Beginn an
exiſtirt.


Die meiſten Weichthiere leben im Waſſer, die größte Anzahl iſt
ſogar gänzlich auf das Meer beſchränkt. Unter den Landbewohnern
athmen die Meiſten dennoch Waſſer durch Kiemen, nur wenige Luft
durch innere Lungenſäcke. Auch dieſe lieben vorzugsweiſe kühle, feuchte
Orte und ſind gewöhnlich nächtige Thiere, welche nach Thau und
Regen aus ihren Schlupfwinkeln ſich hervorwagen. Wir theilen die-
ſen Unterkreis in zwei große Klaſſen: Die Muſchelthiere oder
kopfloſen Mollusken
(Acephala oder Conchifera) mit zweiklappiger
Schale ohne deutlichen Kopf, und die Schnecken oder Kopfträger
(Cephalophora) mit meiſt deutlichem Kopf und einfacher röhrenförmiger
Schale. Jede dieſer Klaſſen hat wieder verſchiedene Unterklaſſen. Der
meiſt vorkommenden harten Schalen wegen, welche dieſe Thiere um-
hüllen und die ſich bei dem Verſteinerungsprozeſſe erhalten haben,
gehören dieſe Klaſſen mit zu den wichtigſten für die Geologie.


Klaſſe der Muſchelthiere.(Acephala oder Conchifera.)


Die Thiere, welche dieſer überaus zahlreichen Klaſſe angehören,
haben mit den Molluskoiden den Mangel eines geſonderten Kopfes
gemein, unterſcheiden ſich aber weſentlich von ihnen durch ein Nerven-
ſyſtem, welches aus mehren im Körper zerſtreuten Knoten zuſammen-
[275]

Figure 179. Fig 287.

Schalen der Perlmuſchel.


Figure 180. Fig. 288.

Schalen der Archenmuſchel


Figure 181. Fig. 289.

Schalen der Rieſenmuſchel.


geſetzt iſt und durch die Exiſtenz
zweier, meiſt kalkiger Schalen,
welche den platten Körper von
den Seiten her einſchließen, wie
die Deckel ein Buch. Da im
Uebrigen die beiden Unterklaſſen,
in welche dieſe Thiere zerfallen,
die Armfüßler (Brachiopoda)
und die Blattkiemer (La-
mellibranchia
) eine ziemlich ver-
ſchiedene Organiſation beſitzen,
ſo beſchränken wir uns hier auf
die Betrachtung der Schalen,
das Uebrige auf die Charak-
teriſtik der Unterklaſſen verſchie-
bend.


Die Schalen der Muſchel-
thiere ſind außerordentlich cha-
rakteriſtiſch für die ganze Klaſſe,
indem nur bei ihnen, aber auch
ganz allgemein, dieſe Schalen
aus zwei Klappen gebildet ſind,
welche den Körper von beiden
Seiten her einſchließen. Selbſt
bei denjenigen Muſchelthieren,
bei welchen ſpäter dieſe Anord-
nung ſich verwiſcht, findet man
in der Jugend dieſe beiden
Schalen vollkommen ausgebildet.
Das Studium der einzelnen Theile dieſer Schalen iſt beſonders wich-
tig für die Verſteinerungen, da ſie bei dieſen Thieren die einzigen
Theile ſind, welche erhalten bleiben. Faſt überall beſtehen dieſe bei-
den Kalkdeckel aus drei verſchiedenen Schichten, welche von außen
nach innen in folgender Ordnung ſich erkennen laſſen.


Die äußerſte Schicht der Schalen wird von einem zerreiblichen
Ueberzuge horniger Natur gebildet, der Oberhaut, welche offenbar
mit der den Mantel bedeckenden Oberhautſchicht in Beziehung ſteht.
Bei den meiſten Muſcheln reibt ſich dieſe Oberhautſchicht leicht ab, oder
wird ſelbſt künſtlich an den in Sammlungen bewahrten Thieren ent-
fernt. Auf dieſe Schicht folgt nach innen hin eine zweite, die aus
18*
[276] hornigen Säulchenzellen zuſammengeſetzt iſt, welche mit Kalkmaſſe ge-
füllt ſind. Es ſtehen dieſe Säulchenzellen meiſt gerade oder ſchief von
außen nach innen; — ihre Abſonderung, ſo wie diejenige des kohlen-
ſauren Kalkes, welcher ſie erfüllt, geht offenbar von dem verdickten
Rande des Mantels aus, und da ſie nicht beſtändig, ſondern periodiſch
ſtattfindet, ſo werden hierdurch einzelne Blätter gebildet, welche dach-
ziegelförmig übereinander liegen und concentriſche Kreiſe bilden, die
dem jeweiligen Umriß der Muſchel bei jeder Wachsthumsperiode ent-
ſprechen. Die Anwachsſtreifen, wie man dieſe durch die einzel-
nen Lamellen gebildeten Linien genannt hat, bieten manche Anhalts-
punkte für die Charakteriſirung der Arten insbeſondere. Oft ſtehen
ſie nämlich auf der Oberfläche der Muſchel mit ſcharfen Rändern her-
vor oder bilden auch hier und da Zacken, Spitzen und Röhrchen;
meiſt aber zeigen ſie ſich nur als feine Linien, die gewöhnlich dem
äußeren Umriſſe der Muſchel parallel laufen. In dieſer Lamellen-
ſchicht
ſind hauptſächlich die verſchiedenen Pigmente abgelagert, welche
manche Muſchel ſo herrlich färben. Die Ablagerung dieſer Farbſtoffe
machte es möglich zu beſtimmen, daß wirklich der Mantelrand allein
dieſe Schicht abſondere. Muſcheln nämlich, welche über dem Mantel-
rande verletzt wurden, erſetzen den Subſtanzverluſt ihrer Schalen
durch eine Maſſe, welche der ungefärbten Schichte der inneren Schale
entſpricht; geſchieht aber die Verletzung am Mantelrande, ſo erhält
die Erſatzſtelle die Farbe, welche der Mantelrand an der verletzten
Stelle beſitzt. Die dritte innerſte Schalenſchicht hat einen mehr blätte-
rigen Bau und eine gleichförmige Grundmaſſe, welche äußerſt fein
gefaltet erſcheint, und durch die Brechung des Lichtes den eigenthüm-
lichen Perlmutterglanz hervorbringt, welcher ſo vielen Muſcheln eigen-
thümlich iſt. Die Perlen ſelbſt ſind nur krankhafte Ausſchwitzungen
der äußeren Mantelfläche, welche dieſe Schicht hervorbringt, in der
nur ſelten Farbeſtoffe abgelagert werden.


Betrachtet man die Lagerung der Schalen in ihrem Verhältniſſe
zu dem Körper, ſo läßt ſich ſogleich entſcheiden, was oben und unten,
rechts und links, vorn und hinten ſei. Obgleich kein Muſchelthier
einen deutlichen Kopf beſitzt, ſo finden ſich doch faſt bei Allen Mund
und After an entgegengeſetzten Enden und bei den Freilebenden das
kielförmige Bewegungsorgan, der Fuß, auf der Unterfläche. Dieſe
drei Organe beſtimmen demnach bei allen Muſchelthieren die Benen-
nung der einzelnen Regionen. Der freie Rand der Schalen, durch
welchen der Fuß hervorgeſtreckt wird, iſt der untere Rand; der Schloß-
rand, wo die beiden Schalen zuſammengefügt ſind, der obere Rand;
[277] diejenige Seite, nach welcher hin der Mund gerichtet iſt, die vordere
Seite; die entgegengeſetzte, welche meiſt länglich ausgezogen erſcheint,
die hintere Seite der Muſchel. Stellt man die Muſchel ſo vor ſich
hin, daß ſie mit dem freien Schalenrande auf dem Tiſche ruht, wäh-
rend der Schloßrand nach oben ſchaut, und das vordere Ende von
dem Beſchauer ab, das hintere ihm zugekehrt iſt, ſo hat man
links die linke, rechts die rechte Schale. Die Länge der Muſchel
wird durch eine gerade von dem Mundende nach dem Afterende gehende
Linie gemeſſen; die Höhe von dem höchſten Punkte des Schloßrandes
bis zu dem niederſten Punkte des freien Schalenrandes; die Dicke
quer durch den Körper von der Wölbung einer Schale zur andern.
Man kann ſich das ganze Verhältniß auf die leichteſte Weiſe durch
ein Buch verſinnlichen. Die Deckel ſtellen die Schalen, die Blätter
den Körper des Muſchelthieres vor; der Rücken den oberen oder
Schloßrand; die freie Seite den unteren oder Mantelrand; der obere
Blattrand, wo die Seitenzahl ſteht, die vordere oder Mundſeite, der
untere Blattrand die hintere oder Afterſeite des Muſchelthieres. Stellt
man das Buch ſo vor ſich hin, daß es auf der Blattſeite ruht und den
Rücken nach oben kehrt, während der obere Blattrand von dem Be-
ſchauer ab-, der untere ihm zugekehrt iſt, ſo hat man das Buch in
der Stellung, in welcher wir uns die Muſchel denken und es wird
in dieſer Stellung der den Titel deckende Pappdeckel des Einbandes
der rechten, der dem Ende gegenüberſtehende Pappdeckel der linken
Schalenklappe der Muſchel entſprechen.


Man unterſcheidet regelmäßige und unregelmäßige Muſcheln und
bezieht dieſe Ausdrücke hauptſächlich auf die äußere Form, ſowie auf
das Verhältniß beider Schalen zu einander. So ſind die Auſtern und
Hammermuſcheln ſehr unregelmäßige, die Maler- und Herzmuſcheln ſehr

Figure 182. Fig. 290.

Hammermuſchel. (Malleus.)


Figure 183. Fig. 291.

Pectunculus.


[278] regelmäßige Muſcheln. Bei den meiſten Muſcheln ſind die beiden

Figure 184. Fig. 292.

Trogmuſchel. (Mactra.)


Figure 185. Fig. 293.

Lochmuſchel. (Terebratula.)


Klappen vollkommen gleich, ſie heißen
Gleichſchalige; bei andern hingegen wie
z. B. bei den Auſtern oder den Kamm-
muſcheln iſt die eine Schale kleiner als
die andere oder von verſchiedener Geſtalt,
ſie heißen Ungleichſchalig. Gleichſeitig
nennt man die Muſcheln, wenn das vor-
dere Ende dem hinteren vollkommen gleich
iſt, ſo daß ein querer, durch die Dicke
geführter Schnitt jede Schale in zwei voll-
kommen gleiche Hälften theilen würde.
Die Lochmuſcheln und Sattelmuſcheln bie-
ten hiervon Beiſpiele, während unſere
gewöhnlichen Malermuſcheln ungleichſeitig
ſind, indem das vordere Ende mehr zu-
gerundet, das hintere mehr ausgezogen
iſt. Bei den meiſten Muſcheln ſchließen
die beiden Schalenränder, die oft gezackt
und gefaltet ſind, vollkommen in einander,
ſo daß nirgends ein Zugang zu dem Körper ſtattfindet, es ſind ge-
ſchloſſene Muſcheln, wie z. B. unſere Teichmuſcheln. Andere können
die Schalen niemals vollkommen ſchließen, indem bald hinten bald
vorn ein bedeutender offener Raum bleibt; man nennt ſie klaffende
Muſcheln; die Sandmuſcheln und Meſſermuſcheln ſind in dieſem Falle.


Die Schalen der Muſchelthiere ſind in den meiſten Fällen in
einer größeren oder geringeren Erſtreckung längſt des Rückens anein-
ander geſchloſſen. Nur in ſehr wenigen Fällen iſt durchaus kein
Schloß vorhanden, und dann war die größere Schale unbeweglich
an den Boden geheftet und die kleinere bewegliche Schale ſpielte die
Rolle eines Deckels, welcher der größeren, die das Thier enthielt,
auflag. Die Betrachtung des Schloſſes und die Kenntniß ſeiner ein-
zelnen Theile iſt von der größten Wichtigkeit für die Kenntniß der
Gattungen und Arten. In den wenigſten Fällen bildet das Schloß
nur eine einfache Linie, eine Art Falz, in welchem ſich die beiden
Schalenklappen wie Flügel einer Thüre vereinigen. Meiſtens finden
ſich Vorſprünge, Leiſten und Zacken auf der einen Schalenklappe, wel-
chen dann Kerben, Gruben oder Einſchnitte auf der anderen Seite
entſprechen. Man hat dieſe Vorſprünge, wodurch die Ränder des
Schloſſes feſter ineinander greifen, ſehr unpaſſender Weiſe Zähne
[279] und die Vertiefungen Gruben genannt. Von dem Unterſchiede, der
in dieſer Beziehung zwiſchen den einzelnen Muſcheln herrſcht, kann
man ſich leicht eine Vorſtellung machen, wenn man nur unſere ge-
wöhnlichen Flußmuſcheln mit einander vergleicht. Die Teich- oder
Entenmuſcheln (Anodonta) haben ein vollkommen glattes Schloß ohne
eine Spur von Vorſprüngen, während die Malermuſcheln (Unio) auf
jeder Klappe zwei gekerbte Schloßzähne beſitzen, von welchen der eine
einen dreieckigen Vorſprung bildet, während der andere ſich längs des
hinteren Schloßrandes hinzieht. Früher legte man anßerordentlich
viel Gewicht auf Geſtalt und Anordnung dieſer Schloßzähne; ſeitdem
man ſich aber überzeugt hat, daß oft ſehr ähnliche Thiere Schalen
beſitzen, welche in dieſer Beziehung ungemein von einander abweichen,
wie gerade die Maler- und Entenmuſcheln, räumt man dieſen Charak-
teren nur eine untergeordnete Bedeutung ein.


Figure 186. Fig. 294.

Figure 187. Fig. 295. Fig. 296.

Schale der Venus verrucosa.
Fig. 294. Von oben. Fig. 295. Von der Seite. Fig. 296. Beide Schalen
von Innen. a oberer oder Schloßrand. b unterer oder Mantelrand. c vordere
Seite. d hintere Seite. e linke Schale. f rechte Schale. g Wirbel (umbones).
h Schildchen (area). i Hofraum (lunula). k Falz des Schloßbandes. l Schloß-
zähne. m Schloßgruben. n Muskeleindrücke. o Manteleindruck. p Ausſchnitt
(sinus) für die Athemröhre (sipho).


Ein weſentlicher Theil des Schloſſes, welcher indeß allen Arm-
füßlern abgeht und nur bei den Blattkiemern faſt allgemein vorkömmt,
[280] iſt das Schloßband (Ligamentum); eine halb ſehnige, halb knorp-
lige Maſſe, welche meiſt eine große Feſtigkeit und eine bedeutende
Elaſtizität beſitzt. In den meiſten Fällen ſind die elaſtiſchen Faſern
dieſes Bandes außen längs der Rückenfläche der Muſchel in einem
Falz oder einer Rinne angebracht und ſo von einer Schalenhälfte zur
andern hinübergeſpannt, daß bei dem Schließen der Schale die Faſern
gedehnt und gezerrt werden und durch ihre Elaſticität die Schalen
wieder aufſperren, ſobald die Wirkung der Schließmuskeln nachläßt.
Jede Schalenhälfte bildet bei dieſer Anordnung des Schloſſes einen
breiten Hebel, deſſen Stützpunkt der Schloßfalz iſt und wo das Schloß-
band an dem kurzen, die Schließmuskeln an dem langen Hebel wirkt.
In vielen Fällen iſt indeß das Schloßband auf der inneren Seite der
Schalen angebracht, wo es einen gekerbten Ausſchnitt oder viele ein-
zelne Gruben im Schloſſe erfüllt. In dieſem Falle werden die Faſern
des Schloßbandes beim Zuſammenſchließen der Schale wie Federn zu-
ſammengequetſcht und geſtaucht und ſuchen durch ihre Elaſtizität die
Schalen wieder auseinander zu treiben. In manchen Fällen findet
ſich ſogar das Schloßband halb Außen halb Innen, ſo daß beide
Effekte beim Oeffnen und Schließen der Schale vereinigt werden. Die
Wirkſamkeit dieſer elaſtiſchen Schloßbänder dauert auch nach dem Tode
des Thieres fort und da dann die Gegenwirkung der lebendig zuſam-
mengezogenen Schließmuskeln aufhört, ſo klaffen die Schalen der mei-
ſten Muſchelthiere nach dem Tode von einander.


Bei den meiſten Muſchelthieren beginnen die concentriſchen Wachs-
thumsſtreifen, welche auf der Oberfläche der Schale ſich zeigen, auf
der Mitte der Rückenſeite in zwei einander entſprechenden Erhöhun-
gen, welche man die Wirbel (Umbones) nennt. Meiſtens bilden
dieſe Wirbel einfache Erhöhungen, oft aber biegen ſie ſich nach Innen
zu ein, ſo daß ſie wie Haken oder ſelbſt wie Widderhörner gekrümmt
erſcheinen. Die Wirbel liegen ſtets ganz oder zum größten Theile
vor dem Schloßbande und man ſieht meiſt dieſes letztere von einem
beſonders abgegrenzten Raume umgeben, den man das Schildchen
(Area) genannt hat. Ein ähnlicher Raum findet ſich bei vielen Mu-
ſcheln vor den Wirbeln und wird dann der Hofraum (Lunula) ge-
nannt. Die Archen- und Venusmuſcheln können als die ausgezeich-
netſten Beiſpiele für die Entwicklung dieſer beiden Räume vor und
hinter den Wirbeln genannt werden.


Auch die innere Fläche der Schalen läßt bei genauerer Unterſu-
chung Eigenthümlichkeiten wahrnehmen, welche zur Unterſcheidung von
Familien, Gattungen und Arten vortreffliche Merkmale liefern. Die
[281] ſtarken Muskeln, welche bei den verſchiedenen Muſchelthieren die Scha-
len ſchließen, gehen meiſt quer von einer Schale zur andern und der
Raum, wo ſie angeheftet ſind, zeigt einen tiefen Eindruck, an dem
man oft noch die einzelnen Lagen, durch welche ſich die innere Scha-
lenſchicht verdickt, unterſcheidet. Bei den meiſten Armfüßlern kommen
mehrfache, zerſtreute Muskeleindrücke, bei den Blattkiemern ent-
weder zwei auf jeder Schale, die dann an dem vorderen und hinteren
Ende liegen (ſ. Fig. 296. n) oder nur einer vor, der dann mehr in der
Mitte der inneren Schalenfläche ſich zeigt. — Der Mantel, welcher
den Leib des Muſchelthieres einhüllt und zunächſt an den Schalen
anliegt, läßt ebenfalls einen Eindruck auf der Innenfläche, welcher
ſeinem Umriſſe im Leben entſpricht. Oft iſt dieſer Eindruck ganz —
bei vielen Muſchelthieren aber, bei welchen hintere Röhren (Siphonen)
exiſtiren, welche zur Athmung und zur Ausführung der Excremente
beſtimmt ſind, zeigt dieſer Manteleindruck einen hinteren Ausſchnitt
oder Sinus (ſ. Fig. 296. p), welcher in Form, Größe und Tiefe meiſt
ſehr charakteriſtiſch iſt und durch ſeine Erhaltung an foſſilen Muſcheln
mit Sicherheit auf die Anweſenheit eines Sipho bei denſelben ſchlie-
ßen läßt.


Alle Muſchelthiere ſind Waſſerbewohner und die meiſten nur einer
ſehr geringen Ortsbewegung fähig. Sämmtliche Armfüßler und viele
Blattkiemer ſind entweder unmittelbar durch eine ihre Schalen, oder
mittelbar durch ein eigenthümliches Faſergeſpinnſte, den Bart (Byssus)
an den Boden feſtgeheftet, was meiſtens Unregelmäßigkeiten in der
Ausbildung der Schalen zur Folge hat. Die freilebenden Muſchel-
thiere bohren ſich großentheils in den Schlamm und Sand des Ufers,
oft aber auch in Steine und Holz ein, oder kriechen mühſam und
unbehilflich mittelſt ihres Fußes auf dem Boden einher; bei wenigen
nur iſt dieſer Fuß geſchickt zum Klettern an Waſſerpflanzen oder glat-
teren Gegenſtänden, und nur bei einer einzigen Familie, bei den
Kammmuſcheln, hat man bis jetzt beobachtet, daß ſie wirklich ſchwim-
men, indem ſie die beiden Schalenhälften lebhaft auf- und zuklappen
und durch Austreiben des Waſſers ſich ſtoßweiſe fortbewegen.


Diejenigen Muſcheln, welche ſich einbohren, ſei es nun in den
weichen Boden oder in feſtere Gegenſtände, haben die Mundſeite ſtets
nach dem Grunde ihres Loches, die Afterſeite nach der Ausgangsöff-
nung deſſelben gerichtet, und wenn dieſe letztere (was meiſtens der Fall)
mit Röhren verſehen iſt, ſo ſtehen dieſe Röhren meiſt aus der Oeff-
nung der Löcher hervor in das freie Waſſer hinein. Diejenigen Mu-
ſcheln alſo, welche ſich auf dem Boden der Gewäſſer einbohren, haben
[282] während des Lebens eine ſenkrechte Stellung, den Mund nach unten,
den After nach oben; die Holz- und Steinbohrer dagegen, welche ihre
Löcher in ſenkrechte Wände eintreiben, ſtecken meiſt in horizontaler
Lagerung in ihren Gängen. Die angehefteten Muſcheln ruhen auf
der einen Schale, während die andere frei beweglich iſt, und die freien
Sandkriecher ſchleichen auf dem Mantelrande umher, den Schloß-
rand nach oben gerichtet, indem ſie mit dem aus den Schalen vor-
geſtreckten Fuße Furchen in den Sand ziehen. Die Berückſichtigung
dieſer verſchiedenen Stellungen, welche die Muſchelthiere während der
Zeit ihres Lebens einnehmen, iſt beſonders wichtig für die Geologen,
indem man daraus oft Schlüſſe auf die urſprüngliche Lagerung der
Schichten machen kann, in welchen die Muſchelthiere zur Zeit ihres
Abſatzes lebten, was in Beziehung auf etwaige nachträgliche Lagen-
veränderungen der Schichten von Intereſſe ſein kann. Jedenfalls
aber war es unrichtig, wenn man die gewöhnliche Station der Ufer-
muſcheln mit dem Munde nach unten und dem After nach oben als
Norm für die Bezeichnung der Schalen gebrauchen wollte und die
Afterſeite die obere, die Mundſeite die untere Schalenſeite nannte.


Die unmittelbare Anheftung der Schalen, wie ſie z. B. bei den
Auſtern vorkommt, hat den größten Einfluß auf die Geſtalt und Re-
gelmäßigkeit der Schalen, die ſich oft ihrer Unterlage anſchmiegen und
ſo die Geſtalt derſelben wiederholen. Weit weniger iſt dieſer Einfluß
bei der freieren Art der Anheftung durch Fadengeſpinnſte vorhanden.
Die Sehnenfäden, welche dieſe Anheftung bewirken, treten entweder
durch ein Loch oder durch einen Ausſchnitt der einen Schale, oder
durch eine Lücke zwiſchen beiden Schalen, die meiſt an der vorderen
Seite des Schloßrandes ſich befindet, hervor. Eine eigenthümliche
Drüſe, welche an der Baſis des Fußes liegt und die durch eine Rinne
mit dem zungenförmigen Fuße ſelbſt in Verbindung ſteht, liefert eine
glashelle, zähe Abſonderungsflüſſigkeit, die alsbald in Fäden gerinnt
und erhärtet. Die Blattkiemer, welche ſich durch ſolche Fäden feſt-
ſetzen, wozu namentlich die bekannten Miesmuſcheln gehören, drücken
den zungenförmigen Fuß an den Ort an, wo ſie ſich feſtſetzen wollen,
und ziehen durch drehende Bewegungen einen Faden nach dem andern,
bis die Anheftung geſichert erſcheint.


Die Muſchelthiere erſcheinen in den früheſten Schichten der Erde
und zwar die Armfüßler zu gleicher Zeit mit den Blattkiemern. Beide
Klaſſen zeigen aber eine weſentliche Verſchiedenheit in ihrem Verhalten; —
denn während die Armfüßler maſſenhaft an Zahl der Individuen, Arten
und Gattungen auftreten, allmählig aber zurückſinken und in unſerer
[283] Epoche faſt bis auf wenige Repräſentanten verſchwunden ſind, bleiben
die Blattkiemer etwa in demſelben durchgreifenden Verhältniſſe von
Anfang bis zu Ende, und man kann nicht ſagen, daß die Vertheilung
ihrer Familien in den älteren Zeiten weſentlich verſchieden wäre von
derjenigen, welche wir jetzt ſehen. Während alſo die Armfüßler einen
Typus darſtellen, der im Laufe der Zeit ſeinem allmähligen Unter-
gange entgegen ging und von dem unſere jetzige Schöpfung nur einige
wenige, gleichſam zerſtreute Nachzügler aufzuweiſen hat, zeigen die
Blattkiemer eine ganz entgegengeſetzte geſchichtliche Entwickelung, in-
dem ihr Typus ohne merkliche Veränderung ſeines Verhältniſſes zu
der übrigen Schöpfung, ſich weſentlich in derſelben Art und Zahl, wie
er von Anfang an auftrat, erhalten hat.


Unterklaſſe der Armfüſzler. (Brachiopoda.)


Die Thiere, welche dieſer Klaſſe angehören, ſind verhältnißmäßig
nur ſehr ſelten in unſern jetzigen Meeren, ſpielen aber eine deſto grö-
ßere Rolle in den Schöpfungen der ältern Periode der Erde, wo ſie
um ſo häufiger und zahlreicher an Gattungen und Arten werden, je
älter die Schichten ſcheinen. Der Körper dieſer Thiere iſt ſtets von einer

Figure 188. Fig. 297.

Eine Terebratel, deren
eine Schale weggenommen
iſt, um die beiden Fangarme
zu zeigen, von welchen der
eine zurückgezogen und gänz-
lich aufgerollt, der andere
(a) ausgedehnt und vorge-
ſtreckt iſt.


zweiklappigen Schale umſchloſſen und entweder
durch eine Schale oder durch einen bald ſehnigen,
bald fleiſchigen Stiel an dem Boden angeheftet.
Es ſind alſo die Armfüßler wahre Muſcheln,
die aber durch mehrere höchſt merkwürdige Ei-
genthümlichkeiten ihres Körper- und Schalen-
baues weſentlich von den übrigen Muſcheln ab-
weichen. Die beiden Schalenhälften ſind nie-
mals einander vollkommen gleich und ſelbſt in
denjenigen Fällen, wo ihr äußerer Umriß faſt
identiſch erſcheint, zeigen ſie im Innern ver-
ſchiedenartige Eindrücke und Leiſten, durch die
ungleiche Anheftung der Schließmuskeln und
das Armgerüſte hervorgebracht. In bei weitem
den meiſten Fällen ſind aber die Schalen ſo vollkommen durch ihre
Form von einander unterſchieden, daß man ſie leicht auf den erſten
Blick erkennt. Hieraus iſt namentlich für die Beſchreibung der Scha-
len eine große Verwirrung erwachſen, indem man rein willkürlich,
[284] ohne nur im Mindeſten auf die Structur der in den Schalen einge-
ſchloſſenen Thiere zu achten, die eine Schale als Rückenſchale, die
andere als Bauchſchale bezeichnet hat und trotz aller beſſeren Einſicht
noch immer bezeichnet. In der That ſind bei dieſen wie bei allen
andern Muſchelthieren eine rechte und eine linke Schale vorhanden
und nur die Eigenthümlichkeit ausgeprägt, daß in den meiſten Fällen
die vordere und die hintere Seite des Thieres vollkommen gleich aus-
gebildet erſcheinen.


Der Körper der Armfüßler iſt, ſoweit dieſe Thiere bekannt ſind,

Figure 189. Fig. 298.

Anatomie der Entenmuſchel (Lingula anatina).
Man ſieht die Muſchel in natürlicher
hängender Stellung mit ihrem Stiel an
Felſen befeſtigt. Die linke Schale und


innerhalb der Schalen von zwei
aus ſehnigen und contractilen Fäden
gewebten Blättern eingefaßt, welche
nach unten zu frei ſind, nach oben
hin aber einen Sack bilden, in wel-
chem die Eingeweide eingeſchloſſen
ſind. Die freien Blätter dieſes
Mantels, welche dem äußern Um-
riſſe der Schale nachgebildet ſind und
unmittelbar an der Innenfläche der-
ſelben anliegen, beſtehen aus zwei
an einander liegenden Lamellen,
von welchen die äußere, den Scha-
len zugekehrte am Rande mit ſprö-
den ſteifen Borſten beſetzt iſt, wäh-
rend die innere zahlreiche blaſige
Gefäßverzweigungen trägt und of-
fenbar ein Kiemenblatt dar-
ſtellt. Schlägt man dieſe Mantel-
blätter zurück, ſo entdeckt man zu-
erſt zwei eigenthümliche Arme, von
denen der eine vor, der andere hin-
ter dem Munde angebracht iſt.
Dieſe Arme, welche der ganzen
Klaſſe den Namen gegeben haben,
ſind meiſtens ſpiralförmig aufge-
rollt und beſtehen aus einer mus-
kulöſen Röhre, die nach beiden En-
den hin geſchloſſen und während
des Lebens mit Flüſſigkeit erfüllt
iſt. Durch die Zuſammenziehung
[285]

das linke Mantelblatt ſind weggenommen
und die Organe in ihrer gegenſeitigen
Lage in der Schale belaſſen. a der Stiel.
b die rechte Schale. c Fangarme, zu-
ſammengerollt, wie ſie das Thier bei ge-
ſchloſſener Schale hält. d rechtes inneres
Mantelblatt mit den Athemblaſen. e
äußeres Mantelblatt mit den darin einge-
pflanzten feinen Hornſtacheln. f Schließ-
muskeln, an ihrer Anheftungsſtelle durch-
ſchnitten g die beiden Herzen mit den
gefalteten Vorkammern darüber. h der
Darm. i der After. k die Leber. l Spei-
cheldrüſen.


der Muskelfaſern, welche dieſe an
beiden Enden geſchloſſene Röhre
bilden, wird die Flüſſigkeit gegen
die Spitze getrieben und der ſpiral-
förmig gewundene Arm entfaltet,
ſo daß er die Schalen auseinander
treibt und ſich aus ihrer Oeffnung
hervorſtreckt. Auf der Außenſeite
ſind dieſe Arme mit außerordent-
lich vielen contractilen Fühlfäden
beſetzt, welche wahrſcheinlich während des Lebens eine bedeutende
Flimmerbewegung beſitzen. Der Raum zwiſchen den freien Mantel-
blättern wird gänzlich von dieſen Armen, die bei verſchiedenen Gattun-
gen verſchiedene Länge und Aufrollung zeigen, ausgefüllt.


In der Mittellinie des Körpers neben dem Punkte, wo die Wur-
zeln der beiden Arme zuſammenſtoßen, befindet ſich der nach unten
gerichtete Mund, welcher nach oben in einen nur kurzen Schlund
ſich fortſetzt, der innerhalb des Eingeweideſackes in einen meiſt nur
geringen Magen anſchwillt und dann in einen gleichmäßig weiten
Darmkanal ſich fortſetzt, welcher zwiſchen den Lebermaſſen inner-
halb des Eingeweideſackes eine oder mehrere Windungen macht und
dann auf der hinteren Seite zwiſchen den Mantellappen nach Außen
zu ſich öffnet. Es zeigt dieſe Oeffnung des Darmkanales wie bei den
übrigen Muſchelthieren ſo auch hier die hintere Axe des Körpers an.
Die Lebermaſſen ſind ſehr bedeutend und meiſt in mehrere Abthei-
lungen geſpalten, welche ſich mit beſondern Ausführungsgängen in den
Darmkanal öffnen.


Höchſt eigenthümlich iſt die Ausbildung des Kreislaufes bei
den Armfüßlern. Bei allen bis jetzt unterſuchten Armfüßlern finden
ſich nämlich ſtets zwei große, mehr oder minder ſchlauchförmige Her-
zen, die vorn und hinten in dem Eingeweideſacke liegen und von wel-
chen aus bedeutende Gefäße ſowohl nach dem Eingeweideſacke als auch
namentlich nach dem Mantel abgehen, um ſich auf der innern Lamelle
derſelben zu verzweigen. Meiſtens finden ſich auf dieſer Lamelle bla-
ſenartige Anſchwellungen, die offenbar als Kiemenblaſen gelten können
und in welchen ſich die Gefäße verzweigen. Von dieſen Kiemenblaſen
aus kehrt das Blut durch weite Kanäle zurück und ergießt ſich frei in
die Höhle des Eingeweideſackes, der alſo zugleich die Rolle eines
Blutbehälters ſpielt. An jedem Herzen befindet ſich ein krauſenartig
gefaltetes Bläschen, der Vorhof, welcher eine weite Oeffnung gegen
[286] den Eingeweideſack hin hat und auf der andern Seite in das Herz
einmündet. Ohne Zweifel wird durch dieſen Vorhof das die Einge-
weide umſpülende Blut aufgenommen und in das Herz hineingetrie-
ben, und es werden bei dieſen Thieren die rückführenden Venen durch
die gemeinſame Höhle des Eingeweideſackes erſetzt.


Da bis jetzt noch kein Anatom friſche Exemplare von Armfüßlern
beobachten konnte und die ganze Unterſuchung lediglich auf Weingeiſt-
exemplare beſchränkt war, ſo iſt man über die Verhältniſſe der Ge-
ſchlechtstheile
noch ſehr im Unklaren. Es finden ſich in dem Ein-
geweideſacke, außer der Leber, Drüſenmaſſen, welche bei einigen Gat-
tungen ſich ſogar bis auf den Mantel hin erſtrecken und die wohl je
nach ihrem Inhalte, entweder männliche oder weibliche Geſchlechts-
drüſen ſein dürften, allein weiteres über die Verhältniſſe dieſer Theite,
ſowie über die Fortpflanzung der Armfüßler iſt durchaus nicht
bekannt.


Die Schalen der Armfüßler ſind alle kalkiger Natur und mei-
ſtens, wenigſtens bei den lebenden Arten, ziemlich dünn und ſelbſt eini-
germaßen biegſam. Bei mikroſkopiſcher Unterſuchung unterſcheidet man
ſelbſt an dieſen dünnen Schalen die zwei obenerwähnten Schichten, von
welchen die äußere aus ſchiefſtehenden Säulchenzellen gebildet iſt, welche
im Innern mit Kalkablagerungen erfüllt ſind, die man durch Säure
ausziehen kann, wo dann die leeren hornigen Zellen zurückbleiben;
die innere Schicht der Schale hingegen blätterig und bei einigen
Gattungen ſo porös erſcheint, daß ſie bei der Verſteinerung zuweilen
verſchwunden iſt. Die Schalenſubſtanz ſelbſt wird entweder nur in
ihrer innern Schicht oder in ihrer ganzen Dicke von eigenthümlichen
Kanälen durchzogen, welche äußerſt eng und wie es ſcheint mit Kalk-
ablagerungen erfüllt ſind. Bei der ungemein großen Verbreitung
der Armfüßler in den Schichten der Erde, bei der Häufigkeit einzelner
Arten hat man auf die äußere Form und Geſtaltung dieſer Schalen
beſonders viele Rückſicht genommen und zu ihrer Beſchreibung ver-
ſchiedene Kunſtausdrücke gebraucht, deren Kenntniß durchaus noth-
wendig iſt.


Zuerſt iſt es von Wichtigkeit, das Vorn und Hinten, Rechts und
Links, Oben und Unten zu beſtimmen, eine Beſtimmung, die nicht
leicht iſt bei Thieren, welche keinen Kopf und keine regelmäßige Stellung
beſitzen. Viele Armfüßler ſind nämlich mit der einen Schale befeſtigt,
ſo daß die angeheftete Schale die untere, die freie die obere wäre;
andere dagegen hängen an einem Stiele feſt, der in der Nähe des
Schloſſes, wo beide Schalen zuſammengefügt ſind, hervortritt. Hier
[287] würde je nach der Anheftung der Schloßrand bald der obere, bald
der untere Rand; die eine Schale bald die linke, bald die rechte
ſein. Offenbar können ſo wechſelnde Verhältniſſe nicht zur Grund-
lage der Beſchreibung genommen werden und nur die Lagerung des
Thieres in den Schalen ſelbſt kann als Richtſchnur dienen. Wir nen-
nen deshalb, übereinſtimmend mit den übrigen Muſchelthieren und
aus der oben auseinandergeſetzten Bezeichnungsweiſe, diejenige Seite, auf
welcher der After ſich öffnet die hintere, die entgegengeſetzte die vordere,
obgleich dieſe beiden Seiten bei allen Armfüßlern einander vollkommen
gleich ſind. Uebereinſtimmend hiermit bezeichnen wir den Schloßrand
der Armfüßler als den oberen, den freien Schalenrand, wo die Arme
hervortreten, als den unteren Rand und haben demnach hier, wie bei
den andern Muſchelthieren, eine rechte und eine linke Schale.


Bei den meiſten Armfüßlern iſt die linke Schale größer als die
rechte und dient entweder unmittelbar oder durch den Stiel, welchen
ſie hindurch läßt, zur Anheftung des Thieres. Zu dieſem letztern
Zwecke hat dieſe größere linke Schale, welche man auch die Rücken-
ſchale
genannt hat, bei den meiſten Gattungen eine ſchnabelförmige
Verlängerung, welche oft wie ein Haken über den Schloßrand her-
übergebogen iſt und einen Ausſchnitt trägt, der zum Durchlaſſen des
Stieles beſtimmt iſt. Bei vielen Gattungen wird dieſer Ausſchnitt
von dem Schloßrande durch ein oder zwei bewegliche Stücke abge-
trennt, die man das Deltidium genannt hat. Oft ſchließen die
beiden Hälften des Deltidiums in der Mitte zuſammen, ſo daß dann
der Ausſchnitt im Schnabel zu einem förmlichen runden Loche ver-
vollſtändigt wird, wie dies namentlich bei der Gattung Terebratula
der Fall iſt; in andern Fällen begrenzen die beiden Hälften des Del-
tidiums, die wie Thürflügel auseinander ſtehen, eine mittlere Spalte.
Den Raum zwiſchen dem Schnabel einerſeits und dem Schloßrande
andererſeits, der meiſt eine dreieckige Geſtalt hat, hat man das
Schloßfeld (Area) genannt. Die rechte Schale (Bauchſchale von
Vielen genannt) iſt meiſtens die kleinere und erſcheint bei manchen
Gattungen nur wie ein Deckel, der auf der größeren Schale aufliegt.
Beide Schalen ſind in den meiſten Fällen durch ein Schloß mit ein-
ander verbunden, an welchem innen von der großen Schale her zwei
Vorſprünge, ſogenannte Zähne, in zwei Einſchnitte eines auf der in-
neren Seite der kleinen Schale vorſpringenden Blattes eingreifen.
Von demſelben Blatte entſpringen bei vielen Gattungen höchſt eigen-
[288] thümliche Kalkgerüſte, welche den Armen als Stützpunkte dienen. Die

Figure 190. Fig. 299.

Rechte Schale einer Lochmuſchel
(Terebratula) von innen geſehen,
mit dem von dem Schloſſe ausge-
henden Gerüſte zum Tragen der
Arme.


einzelnen Theile des Schloſſes greifen bei
den meiſten Gattungen ſo genau in ein-
ander, daß die Schalen nur wenig ge-
öffnet werden können und da bei allen
Armfüßlern ohne Ausnahme jenes ſehnige
Schloßband fehlt, welches bei den übri-
gen Muſchelthieren durch ſeine Elaſticität
die Oeffnung der Schalen bewirkt, wäh-
rend hier die Oeffnung durch die leben-
dige Thätigkeit der Arme bedingt wird,
ſo findet man auch meiſt die verſteinerten
Armfüßler, nicht wie die übrigen Muſcheln
mit klaffenden, ſondern mit vollkommen
geſchloſſenen Schalen. Die Schließung der Schalen wird bei allen
durch mehrfache Muskelbündel bewirkt, welche, den Eingeweideſack
in verſchiedenen Richtungen durchſetzend, ſich an der innern Fläche der
Schalen anheften und hier verſchiedene Eindrücke bilden, die zuweilen
für die Beſtimmung der Arten von Wichtigkeit ſind.


Die Armfüßler kommen beſonders in der älteren Schichte der
Erde in ungemeiner Häufigkeit vor und ihre Zahl nimmt umſomehr
ab, jemehr wir uns der lebenden Schöpfung nähern. In dem Ueber-
gangsgebirge zählen ſie für ſich allein mehr als die Hälfte ſämmtlicher
Weichthiere, wenn man die Arten berückſichtigt, während ſie jetzt kaum
ein halbes Prozent derſelben ausmachen; und während in den älteren
Schichten die Individuen einzelner Arten ſo häufig ſind, daß ſie ganze
Bänke bilden, ſo gehören ſie jetzt zu den ſeltneren Arten, die nur
hie und da vereinzelt vorkommen. Vielleicht indeß beruht dieſe ver-
hältnißmäßige Seltenheit zum Theil auch auf dem Umſtande, daß die
Armfüßler meiſt nur ſehr große Tiefen bewohnen, wo ſie weniger zu-
gänglich ſind.


Wir theilen die Klaſſe der Armfüßler in zwei Ordnungen, welche
hauptſächlich durch die Struktur ihrer Schalen ſich von einander un-
terſcheiden. Die Ordnung der Rudiſten (Rudista) wird von
großen, ſchweren Schalen gebildet, die meiſtens ſehr ungleich in ihrer
Entwickelung ſind und die Zuſammenſetzung aus zwei Schichten außer-
ordentlich deutlich zeigen. Die äußere Schicht der Schale iſt dicht,
blätterig oder faſerig, die innere porös und äußerſt leicht zerſetzbar,
ſo daß ſie oft zu Grunde geht. Allen Rudiſten fehlt ein Schloß, ſie
ſitzen mit der dickern Schale unmittelbar auf dem Boden feſt und zeigen
[289] niemals eine Durchbohrung zum Durchlaſſen eines Stieles, wie die
meiſten übrigen Armfüßler. Es giebt keine lebenden Repräſentanten
dieſer Ordnung und ſie finden ſich verſteinert einzig nur in der Kreide
und hauptſächlich nur in den unteren Schichten derſelben, wo ſie durch
ihre Vereinigung in Bänken eigenthümliche Zonen bilden, die zur Ver-
folgung der Schichten äußerſt werthvoll ſind. Wir unterſcheiden in
dieſer Ordnung zwei Familien.


Die Roßmuſcheln (Hippurida) ſind ſtets aus zwei ungleichen
Schalen zuſammengeſetzt, die beide eine kegelförmige Geſtalt haben.
Die untere Schale iſt bei weitem die größte, unten und oft auch an
der Seite in der Art feſtgewachſen, daß die Spitze des Kegels auf
dem Boden aufſitzt, während die hohle Baſis nach oben gewendet
iſt. Die obere Schale iſt mehr oder minder flach, deckelartig; ein
Schloß fehlt durchaus, ebenſo ein Band, und der Deckel ſcheint
nur durch ſeine Schwere auf der Höhlung der unteren Schale fixirt.
Die Schalen ſind ungemein dick, ihre äußere Form höchſt unregel-
mäßig, wie dies bei allen angehefteten, Bänke bildenden Muſcheln vor-
kömmt, die ſich in ihrem Wachsthume nach dem gerade vorhandenen Raume
richten müſſen. Die Struktur der Schalen iſt zellig; die inneren Höh-
len, worin das Thier lebt, einigermaßen der coniſchen Geſtalt der
Schale entſprechend. Nicht ſelten finden ſich die Schalen mehr oder
minder zerſtört, und nur die Geſteinsmaſſe, welche die inneren Höh-
len erfüllte, erhalten. Dieſe Steinkerne erſcheinen dann aus zwei
ungleichen Kegeln zuſammengeſetzt, welche mit ihrer Baſis an einander
ſtehen und früher als beſondere Gattungen unter den Namen Biros-
trites
und Sodamia aufgeführt wurden. In den unteren Theilen der
Schalen zeigen ſich zuweilen mehr oder minder vollſtändige Querwände,
die man mit den Kammern der Cephalopoden verwechſelte. Da man
keine lebenden Mollusken kennt, welche den Rudiſten ähnlich ſehen,
ſo wurden die mannigfachſten Anſichten über ſie ausgeſprochen, indem
die Einen ſie in die Nähe der Seeſcheiden oder der Rankenfüßer, die
Anderen ſie zu den Polypen ſtellten. Da man indeſſen bei wohl er-
haltenen Exemplaren nicht nur mehrfache Muskeleindrücke, ſondern
auch Spuren von halbmondförmig gebogenen Armen ſieht, ſo kann
jetzt wohl über ihre Stellung kein Zweifel mehr obwalten. Hippuri-
tes; Sphaerulites; Radiolites.


Die Familien der Ziegenmuſcheln (Caprinida), welche ebenfalls
nur in der Kreide vorkommt, unterſcheidet ſich von den Roßmuſcheln
dadurch, daß die beiden Schalen nicht coniſch, ſondern ſpiralig einge-
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 19
[290] wunden ſind, wodurch ſie zwei Bockshörnern nicht unähnlich ſehen.
Caprina; Caprotina.


Auf die Ordnung der regelmäßigen Armfüßler (Brachio-
poda)
, welche allein Repräſentanten in der jetzt lebenden Schöpfung
zählt, kann alles dasjenige bezogen werden, was wir oben von den
Thieren dieſer Klaſſe überhaupt ſagten. Die Schalen ſind in dieſer
Ordnung allgemein dünn, oft ſelbſt hornartig und das Mißverhältniß
zwiſchen beiden gleicht ſich allmählig aus, ſo daß bei den Zungen-
muſcheln nur noch eine ſehr geringe Verſchiedenheit zwiſchen beiden
Klappen wahrgenommen wird. Die Geſtalten der Muſcheln nähern
ſich weit mehr denjenigen der gewöhnlichen Muſchelthiere und zeigen
meiſt eine Linſen- oder Eiform. Wir unterſcheiden nach der Art und
Weiſe ihrer Anheftung, in dieſer äußerſt zahlreichen Ordnung drei
Familien.


Die Kreismuſcheln (Orbiculida) ſind mit einer kleinen flachen
Schale unmittelbar an den Boden feſtgeheftet, während die rechte freie
Schale größer iſt und die Geſtalt eines flachen Kegels beſitzt. Die
Schalen beſitzen niemals ein Schloß; ihre Ränder paſſen nur aufein-
ander und ſie trennen ſich deßhalb ſehr leicht, ſo daß man lange Zeit
von einer Gattung nur die obern loſen Schalen kannte. Die eigent-
lichen Kreismuſcheln (Orbicula) zeigen in der Mitte der angehefteten
Schale einen Schlitz, der den Todtenkopfmuſcheln(Crania) ab-
geht. Beide Gattungen leben noch jetzt, aber nur ſelten, in unſern
Meeren.


Die große Familie der Lochmuſcheln(Terebratulida) zeichnet ſich
durch zwei freie Schalen aus, die durch ein Schloß mit einander ver-
bunden ſind, in deſſen Nähe ſehnige Fäden austreten, welche die Mu-

Figure 191. Fig. 300.

Terebratula.


ſchel an den Boden befeſtigen. In den mei-
ſten Fällen, wie namentlich bei den eigent-
lichen Lochmuſcheln (Terebratula), die allein
noch lebend vorkommen, bilden dieſe Sehnen
einen Büſchel, der durch ein Loch der Schloß-
felder hervortritt. Selten nur fehlt dieſes
Loch gänzlich und die Fäden treten durch
Kerben an dem Schloßrande hervor. Das
Schloß iſt ſehr ſtark mit eingreifenden Dop-
pelzähnen verſehen, die nur eine ſehr geringe Oeffnung geſtatten. Die
Arme werden durch eigenthümliche Kalkgerüſte getragen, die der kleine-
ren rechten Schale angeheftet ſind. Die zahlreichen Gattungen dieſer
Familie waren namentlich in den älteren Schichten entwickelt; und
[291] von ihrer Häufigkeit in den verſchiedenen Schichten kann man ſich da-
durch einen Begriff machen, wenn man erwägt, daß man von der
Gattung Terebratula weit über hundert foſſile und nur etwa ein
Dutzend lebende Arten kennt. Spirifer; Pentamerus; Stry-
gocephalus; Leptaena; Productus; Chonetes; Orthis;
Thecidea; Calceola.
*)


Die Familie der Zungenmuſcheln(Lingulida) unterſcheidet ſich
von der vorigen Familie dadurch, daß ihre faſt vollkommen gleiche
Schalen kein eigentliches Schloß beſitzen, ſondern nur mit ihren Rän-
dern aneinanderpaſſen und nach oben auseinander weichen, wo ſie
einem dicken, fleiſchigen Stiel zum Anſatz dienen, an dem die Muſchel
befeſtigt iſt. Dieſer Stiel beſteht aus einer äußeren biegſamen Scheide,
welche einen kräftigen Muskelcylinder in ſich ſchließt. Man kennt nur
eine dieſer Familie angehörige Gattung, von welcher Arten in allen
Schichten bis in die jetzigen Meere, aber überall nur vereinzelt vor-
gefunden werden. Lingula.


Unterklaſſe der Blattkiemer.(Lamellibranchia.)


Von den älteſten Zeiten der Erdgeſchichte an bilden die Blatt-
kiemer eine bedeutende Proportion der in den Gewäſſern lebenden
thieriſchen Organismen, und ſo verſchieden auch die Geſtalt und die
Ausſchmückung ihrer Schalen ſein mag, ſo kann man doch behaupten,
daß es wohl wenige Klaſſen des Thierreiches geben mag, welche ſo
viele Uebereinſtimmung in der Struktur ihres Körpers zeigen, als
gerade dieſe.


Sämmtliche Blattkiemer ſind von einer zweiklappigen Schale um-
ſchloſſen, deren Eigenthümlichkeiten wir ſchon oben auseinandergeſetzt
haben. Innerhalb dieſer Schalen liegt der platte von der Seite her
zuſammengedrückte Körper, für deſſen Beſchreibung wir wieder genau
dieſelben Beſtimmungen annehmen, wie für diejenigen der Schalen.
Dieſer Körper wird zuerſt eingeſchloſſen von zwei ſeitlichen Blättern,
welche hart an der inneren Fläche der Schale anliegen und der Man-
tel
genannt werden. In den meiſten Fällen ſind die beiden Mantel-
19*
[292]

Figure 192. Fig. 301.

Anatomie einer Trogmuſchel (Mactra).
Schale, Mantel und beide Kiemenblätter der linken Seite ſind weggenommen,
der Eingeweideſack geöffnet und die Eingeweide etwas auseinandergelegt worden.
co die rechte Schalenklappe; m rechte Mantelhälfte, nach hinten in die Athemröhre
ti und in die darüberliegende Afterröhre ts übergehend. ma vorderer, mp hinterer
Schließmuskel der Schale. b Mundöffnung. t Mundlappen, hier ſehr lang und
ſchmal. e Magen. e’ Blinddarm des Magens. i Darm, vielfach zuſammenge-
knäuelt und theilweiſe in der Leber f verſteckt. r Maſtdarm, mitten durch das Herz
co hindurch gehend. a After. p Fuß. br Kiemenblätter der rechten Seite. n
Niere. ga vordere Nervenknoten, über dem Munde gelegen, mit den nach vorn
ausſtrahlenden Nerven ne. ng hintere Nerven, zum hinteren Nervenknoten gp ge-
hend. np Nerven, die von dieſen ausgehen und ſich beſonders an die Siphonen
vertheilen.


blätter nach unten hin frei, während ſie an dem Schloßrande der
Schale und an dem Sacke, welcher die Eingeweide umhüllt, ange-
wachſen erſcheinen. Die Ränder eines ſolchen freien Mantels ſind faſt
ſtets mit Fortſätzen, Zäpfchen oder Wärzchen beſetzt, welche ſehr ver-
ſchiedene Geſtalten annehmen und oft zu langen Fühlfäden auswachſen,
die in mehrfachen Reihen den Mantelſaum bekleiden. In der Regel
ſind dieſe Fühlfäden in der Gegend des Afters, dann auch des Mun-
des am ausgiebigſten entwickelt und ſelbſt dann an dieſen Stellen vor-
handen, wenn ſonſt der freie Mantelſaum glatt iſt. Am After nament-
lich fehlen ſie wohl keinem Muſchelthiere und es mag dies mit der
Tendenz zur Verwachſung der beiden Mantelhälften zuſammenhängen.
Bei vielen Muſchelthieren nämlich vereinigen ſich die beiden Mantel-
hälften mit ihren untern freien Rändern auf eine größere oder geringere
[293]

Figure 193. Fig. 302.

Das Thier einer Gienmuſchel (Chama)
aus der Schale genommen und von
dem faſt ringsum geſchloſſenen Man-
tel eingehüllt. p der Fuß, welcher
aus dem ihm entſprechenden Schlitze
hervorgeſtreckt iſt. r die Athemöff-
nung, zur Einführung des Waſſers
beſtimmt. e die Auswurfsöffnung.
m die beiden Schließmuskeln der
Schale.


Strecke und es bleiben dann nur einige
Schlitze übrig, welche für den Mund und
den Zutritt des den Athemorganen be-
ſtimmten Waſſers, für das Durchlaſſen
des Bewegungsorganes oder Fußes und
für den After beſtimmt ſind. Bei denje-
nigen Muſcheln, welche ſich in Schlamm,
Sand oder Steine einbohren, ſchließt ſich
der Mantel noch mehr, ſo daß er völlig
ſackförmig den Körper umſchließt, keinen
vorderen Mundſchlitz hat, ſondern nur
nach hinten in zwei, mehr oder minder
lange Röhren (Siphones) ſich auszieht, von
welchen die eine, die Athemröhre, das für
die Kiemen beſtimmte Waſſer und damit
auch die Nahrungsſtoffe einzieht, die an-
dere, die Afterröhre, dieſes Waſſer mit
dem Unrathe wieder austreten läßt. Beide
Röhren ſind zuweilen in eine einzige
Doppelröhre mit einander verwachſen und
ihre Länge ſteht mit der Länge der Bohr-
löcher, welche die Thiere ſich machen, in Verhältniß. Die Taſtwärz-
chen und Fühler ſtehen in ſolchen Fällen bei mehr oder minder ge-
ſchloſſenem Mantel nur an den Rändern der Schlitze oder an der
Mündung der Röhren.


Die Struktur des Mantels ſelbſt iſt nicht vollkommen erörtert.
Die Hauptmaſſe der dünnen, an den freien Rändern verdickten Man-
telblätter beſteht aus mannigfach gekreuzten Sehnen und Muskelfaſern,
die von vielen Gefäßen und Nerven durchzogen werden. Auf ſeiner
inneren Fläche iſt der Mantel von ſtets flimmernden Wimpern beſetzt,
die ſich überhaupt auf faſt allen Oberflächen, inneren wie äußeren
der Muſchelthiere vorfinden und für das Athmen und Ernähren der-
ſelben von der größten Bedeutung ſind. In dem Mantelrande finden
ſich drüſige Bildungen, welche zur Abſonderung der Stoffe dienen,
aus denen die Schale zuſammengeſetzt iſt. Man findet deßhalb zu den
Zeiten, wo die Schalenbildung beſonders lebhaft iſt, eine milchige
Flüſſigkeit in dem Mantelrande, die mit Säuren aufbrauſt und vielen
Niederſchlag von kohlenſaurem Kalke enthält. Die Umriſſe des Man-
tels zeigen ſich bei den meiſten Muſcheln ſehr deutlich auf der innern
[294] Fläche der Schalen und dienen weſentlich zur Erkenntniß der einzelnen
Arten und Familien.


Die Bewegungsorgane der Blattkiemer ſind zweierlei Art.

Figure 194. Fig. 302.

Anatomie der gewöhnlichen Auſter (Ostrea edulis).
Die rechte Schale, welche bei der Auſter den Deckel
bildet und bei weitem kleiner iſt als die linke, iſt mit
dem rechten Mantelblatte weggenommen, der Eingeweide-
ſack aber uneröffnet gelaſſen worden. a innere Fläche
der großen Schale, in welcher das Thier wie in einer
Schüſſel ruht. b Schloß mit tiefer, dreieckiger Höhle,
für das Schloßband. c linke Mantelhäfte, am freien
Rande verdickt und zottig. d die vier Mundlappen zu
beiden Seiten des Mundes. e der Afterdarm. f Le-
ber. g das Herz. h der einzige Schließmuskel. i der
Eingeweideſack. k die 4 Kiemenblätter. Ein Fuß fehlt
gänzlich.


Man findet bei ihnen
beſondere Muskelbündel
zum Schließen der Scha-
len und ein an der
Bauchſeite gelegenes Be-
wegungsorgan, den Fuß.
Die Schließmuskeln
gehen quer durch den
Eingeweideſack von einer
Klappe der Schale zur
andern, und ihre Anhef-
tungsſtelle läßt ſich ſehr
leicht an der inneren
Mantelfläche als ein
mehr oder minder tiefer
Eindruck wahrnehmen.
Bei mehreren Familien,
wie bei den Auſtern und
Kammmuſcheln findet ſich
nur ein einziger Schließ-
muskel, der mehr in die
Mitte der Schale ge-
rückt iſt; bei den meiſten,
wie namentlich bei un-
ſeren gewöhnlichen Ma-
lermuſcheln, gibt es
dagegen zwei ſolcher
Muskeln, von welchen der eine mehr vorn über dem Munde, der
andere mehr hinten über dem After liegt. Mittelſt dieſer Mus-
keln, die meiſtens außerordentlich kräftig ſind, ſchließen die Muſchel-
thiere ihre Schalen mit großer Kraft zuſammen, ſobald ſie irgend wie
beunruhigt werden. Die Gegenwirkung dieſer Muskeln oder die Oeff-
nung der Schalen wird, wie ſchon bemerkt, von einem ſtarken Seh-
nenbande ausgeübt, durch deſſen Elaſtizität die Schalen aus einander
geſperrt werden. Die Wirkung dieſes Bandes iſt gänzlich von dem
Willen des Thieres und ſelbſt von ſeinem Leben unabhängig, und
ſobald die Schließmuskeln nicht mehr wirken, ſo tritt dieſes elaſtiſche
[295] Federband in ſeine Wirkung ein. Deßhalb klaffen todte Muſcheln,
während lebende ihre Schalen hartnäckig geſchloſſen halten. Man hat
früher den Umſtand, daß ein oder zwei Schließmuskeln vorhanden
waren, zur Eintheilung der Muſchelthiere benutzt, indem man ſie in
einmuskelige und zweimuskelige eintheilte; eine Eintheilung die manches
Schwankende hat, da es einige Familien giebt, bei welchen man darüber
im Zweifel ſein könnte, ob zwei Hälften eines Muskels oder zwei
einander genäherte Muskeln vorhanden ſind.


Figure 195. Fig. 305. Fig. 304.

Anatomie der gewöhnlichen Miesmuſchel (Mytilus edulis).
In Fig. 304. iſt nur die linke Schale abgenommen, ſonſt aber das Thier
in ſeiner natürlichen Lage gelaſſen worden, in Fig 305. dagegen hat man die
linke Mantelhälfte, die Mundlappen zurückgeſchlagen und die linken Kiemen-
blätter etwas abgezogen, um den Fuß und die Byſſusdrüſe in ihrer ganzen
Länge zu zeigen. a die rechte Schalenhäfte. b der Bart oder Byssus, womit
die Muſchel befeſtigt war, aus der an der Fußwurzel angebrachten Byſſusdrüſe
hervorſtehend. c der Fuß. d die linke Mantelhälfte. e der mit Wärzchen
beſetzte Afterſchlitz. f Schließmuskel der Schale. g Mundlapven, hier ſehr
groß, ſpiralig aufgerollt, den Kiemenblättern ſehr ähnlich. h Kiemenblätter.


Das Organ der Ortsbewegung, der Fuß, iſt ſtets auf der
Bauchſeite der Muſchel und meiſtens in ſolcher Größe ausgebildet, daß
er zwiſchen den Schalen hervorgeſtreckt werden kann. Bei denjenigen
Muſcheln, welche ſich anheften, iſt dieſe frei bewegliche Muskelmaſſe
nur ſehr rudimentär oder fehlt auch gänzlich, während ſie bei andern,
die im Sande kriechen, oft eine bedeutende Größe erreicht. Meiſtens
iſt der Fuß beilförmig und bildet die vordere Schneide des Einge-
weideſackes, an deſſen Seiten ſeine Sehnenfäden hinaufſteigen, um ſich
in der Nähe des Schloſſes an die Schalen feſtzuſetzen;— zuweilen iſt er
dünn, lang, zungenförmig oder hakig gekrümmt, in andern Fällen
[296] wieder dick, walzenförmig und mit einer Art von Scheibe verſehen.
Es hängt dieſe Form des Fußes weſentlich mit ſeiner näheren Beſtim-
mung für das Thier zuſammen. Die beilförmige oder zungenförmige
Geſtalt findet ſich bei ſolchen Blattkiemern, die, wie unſere Flußmu-
ſchel, im Sande kriechen; die Muſcheln mit knieförmig eingebogenem
Fuße ſchnellen ſich ſogar mit demſelben, wie mit einer Feder, ſpringend
fort. Löffelförmige oder ähnliche Geſtalt, wie bei der Miesmuſchel,
dient weſentlich zum Spinnen des Bartes, womit ſich die Muſcheln
anheften. Bei ſolchen Thieren findet ſich am Grunde des zungen-
förmigen Fußes eine Grube, deren Boden durch eine Menge weicher,
aufrechtſtehender Lamellen quer gefurcht erſcheint und ſo eine Menge
von Rinnen darſtellt, in welchen die weiterhin zerfaſerten Hornblätter
des Bartes feſtſitzen. Von dieſer Grube geht eine, ebenfalls drüſig
ausſehende Furche an dem löffelförmigen Fuße hinauf, deſſen Spitze
beſonders als Taſtorgan dient. Der Stoff der Byſſusfäden iſt an-
fangs klebrig, erhärtet aber dann zu einem hornartigen Gewebe, das
man ſogar bei einigen Muſcheln, wie z. B. der Steckmuſchel, zum
Spinnen eines ſeidenartigen Stoffes benutzt.


Eine ganz entgegengeſetzte Form des Fußes zeigen die eigentlichen
Bohrmuſcheln (Pholas, Saxicava, Teredo, Gastrochaena etc.). Viele
dieſer Thiere bohren in Holz, ſelbſt in Eichenholz und Mahagoni,
andere in Stein und zwar meiſtens Kalkſtein oder Schiefer, tiefe
röhrenartige Gänge, in denen ſie Zeitlebens ſtecken bleiben. Sie haben
meiſt einen wurmförmigen Körper und ſackartig geſchloſſenen Mantel,
der nur vorn für den Fuß geöffnet und hinten in lange Athemröhren
ausgezogen iſt. Man hat ſich vielfach bemüht, die Art und Weiſe
dieſes Bohrens zu ergründen, und hat bald behauptet, daß die Thiere
mit ihren oft feinen oder gerippten Schalen die Löcher gleichſam aus-
feilten, bald daß ſie eine Säure abſonderten, welche beſonders die
Steine auflöſe. Beide Anſichten ſind entſchieden falſch — niemand
hat ein ſolches Auflöſungsmittel oder eine Abnützung der Schalen
durch das Feilen geſehen. Da die Oberfläche des ganzen Thieres
mit Wimpern, die ſtets in beſtimmten Richtungen flimmern, beſetzt iſt,
ſo glaubte man durch dieſe ſteten, kleinen Waſſerſtröme das Bohren
erklären zu können. In neuerer Zeit hat man indeſſen gefunden, daß
bei allen dieſen Bohrmuſcheln der breite, runde, ſtempelähnliche Fuß,
der vorn zwiſchen den klaffenden Schalen vorgeſtreckt wird und meiſt
genau in das vordere Ende des Bohrloches paßt, ſowie die verdickten
Theile des Mantels da, wo er von keinen Schalen bedeckt iſt, mit
kieſeligen Kryſtallkörpern beſetzt ſind, die das Licht ſehr ſtark brechen,
[297] durch Druck in ſcharfeckige Stücke zerſpringen und ebenſo ſcharfe Winkel
zeigen. Offenbar dienen dieſe unzähligen, ſcharfen Kieſelkryſtalle in
den ſehr muskulöſen Theilen wie ebenſoviel Griffel, und der ganze
Fuß oder Mantel ſtellt ſo eine Reibſcheibe dar, deren Wirkung man
mit derjenigen des Schachtelhalmes oder einer Schmirgelſcheibe ver-
gleichen kann. Geringe, wurmförmige Bewegungen dieſer Theile rei-
chen hin, Steine und Holz anzuſchleifen und die mikroſkopiſchen Späne
dieſer Bohrarbeit werden von den Flimmerſtrömen der Oberfläche ſtets
fortgeſchafft, ſo daß ſelbſt eine ſchnelle Wirkung möglich iſt.


Kein Muſchelthier beſitzt einen eigentlichen Kopf; die Mundſpalte
befindet ſich an dem vorderen Ende des Körpers und nirgends ſieht
man in ihrer Nähe beſondere Sinnesorgane oder eine Abſchnürung,
welche einen Kopf herſtellte. Das Nervenſyſtem beſteht aus ein-
zelnen Ganglien, die durch Stränge mit einander verbunden ſind und

Figure 196. Fig. 306.

Nervenſyſtem der Meſſerſcheide. (Solen).
a Schlundknoten, b Bauchknoten, in eine einzige Maſſe verſchmolzen.


von denen man in der Regel drei Paar unterſcheiden kann. Ein Paar
ſolcher Knoten liegt unmittelbar neben dem Munde auf der oberen
Seite des Schlundes und iſt durch einen Querſtrang über den Schlund
hinüber brückenartig mit einander verbunden. Von dieſem Schlundkno-
tenpaare gehen zwei Hauptverbindungsſtränge ab, die einen nach unten,
um ſich mit einem Paar Knoten zu vereinigen, die in dem Fuße un-
mittelbar unter den Eingeweiden liegen, die andern nach hinten, wo
in der Nähe der Kiemenblätter ebenfalls ein Paar von Hauptnerven-
knoten liegt. Zuweilen verſchmelzen die Bauch- oder Fußnervenknoten,
zuweilen auch die Kiemenknoten in eine einzige Maſſe, ſo daß hier-
durch, ſowie durch die wechſelnde Lage der Knoten eine ziemliche
Mannigfaltigkeit in die Anordnung des Nervenſyſtemes gebracht wird.
Die Schlundknoten verſorgen die Umgebung des Mundes, den vorde-
ren Theil des Mantels und die vordern Schließmuskeln; die hinteren
Knoten die Kiemen, die hintere Mantelhälfte und deren Röhren; das
Fußpaar den Fuß mit Nervenfäden.


[298]

Sinnesorgane finden ſich bei vielen Blattkiemern und zwar
ſowohl Gehörorgane als Augen. Die Gehörorgane beſtehen aus
runden durchſichtigen, aber ziemlich feſten Kapſeln, die eine Flüſſigkeit
einſchließen, in welcher ein durchſichtiger, kryſtalliniſcher Kern von
kohlenſaurem Kalk, durch die Wirkung von Flimmerhaaren, hin und
her getrieben wird. Es liegen dieſe beide Gehörkapſeln unmittelbar
vor den Nervenknoten des Fußes, mit denen ſie meiſt nur durch einen
ſehr kurzen Gehörnerven verbunden ſind, und ſie kommen wohl allen
Muſchelthieren ohne Ausnahme zu.


Weniger verbreitet ſind die Augen, welche man beſonders bei
den Kammmuſcheln als runde, wie Edelſteine glänzende Punkte an
den Mantelränden erkannte. Bei genauerer Unterſuchung erſcheinen
dieſe braun, grün oder roth gefärbten kugelförmigen Augen, welche
meiſtens auf kurzen Stielen ſtehen, deutlich aus einer durchſichtigen
Hornhaut, einer Pigmenthaut, die zuweilen ſelbſt eine Iris bildet, aus
einem lichtbrechenden Körper zuſammengeſetzt. Viele Bedeutung für
das Thier mögen dieſe Augen wohl nicht haben, da ſie den meiſten
übrigen Blattkiemern abgehen, wenigſtens konnten die Augen, welche
ein höchſt genau ſein wollender Beobachter bei Auſtern und ähnlichen
Muſcheln beobachtet haben wollte, von ſpäteren Forſchern durchaus
nicht gefunden werden.


Die Verdauungsorgane der Blattkiemer ſind äußerſt ein-
fach. Zu beiden Seiten des Mundes befinden ſich faſt immer zwei,
nur ſelten ein Paar, meiſt dreieckiger Läppchen, die ſogenannten Mund-
lappen
, welche in ihrer Structur den Kiemen gleichen, und mit einem
äußerſt lebhaften Wimperüberzuge verſehen ſind. Dieſe Mundlappen,
welche nur bei ſehr wenigen Gattungen verkümmert erſcheinen, oft aber
ſehr lang, riemenförmig oder ſpiralig gewunden ſind, vereinigen ſich
zu einer Rinne, die zu dem Munde hinführt und in welche durch die
Wimperbewegung die fein zertheilten Futterſtoffe zuſammen getrieben
werden. Außerdem dienen dieſe Lappen wohl noch ohne Zweifel als
Taſtorgane in ähnlicher Weiſe wie die Mantelränder.


Die Mundöffnung der Blattkiemer iſt ſtets unbewaffnet und
zeigt namentlich nie eine Spur von Kiefern, Zähnen oder einer Zunge;
ſie führt entweder unmittelbar oder mittelſt einer kurzen Speiſeröhre
in einen geräumigen Magen, der ebenſo wie der ſchlauchförmige, bald
mehr bald minder gewundene Darmkanal in der Maſſe der Leber,
theilweiſe ſelbſt des Eierſtockes, vergraben liegt. Der Maſtdarm wen-
det ſich bei allen Muſchelthieren mehr nach oben gegen das Schloß der
Schale hin, durchbohrt meiſtens das Herz und öffnet ſich in dem hin-
[299] teren Winkel der Schale, entweder auf einer kurzen Warze oder in
die Afterröhre des Mantels. Die Leber iſt bedeutend groß und
läßt ſich meiſt nur ſchwierig von den Windungen des Darmes
trennen.


Das Herz aller Blattkiemer iſt einfach und ſtets in der Rücken-
gegend in der Nähe des einfachen oder, wenn zwei Schließmuskeln
vorhanden, in der Nähe des hinteren Schließmuskels gelegen; es iſt
deutlich von einem Herzbeutel umſchloſſen, der eine ſchleimige Flüſſig-
keit enthält, und beſteht aus einer Kammer und zwei ſeitlichen Vor-
höfen, die weit dünnere Wände haben. Die Herzkammer wird faſt
bei allen Muſchelthieren ihrer ganzen Länge nach von dem Maſt-
darme durchbohrt; — ein Verhalten, von welchem hauptſächlich nur
die Archenmuſcheln eine Ausnahme machen. Von der Herzkammer
aus gehen faſt überall zwei große Blutgefäßſtämme, von denen der
eine nach hinten, der andere nach vorn ſich erſtreckt und hauptſächlich
in den Mantel und die Eingeweide ſich vertheilt. Von hier aus kehrt
das Blut durch wandungsloſe Gefäße zurück, indem zugleich der ganze
Eingeweideſack als Behälter für das rückkehrende Blut dient. Auch
in den Kiemen ſtrömt das Blut, welches vollkommen farblos iſt, in
durchaus wandungsloſen Kanälen und es erhalten die Kiemen haupt-
ſächlich ihre Zufuhr aus einem meiſt ſchwärzlichen mit drüſigen Wan-
dungen verſehenen Sack, welcher hinter dem Herzen liegt und offen-
bar das erſte Rudiment einer Niere darſtellt.


Die Athemorgane ſind bei allen Muſchelthieren ohne Aus-
nahme aus blättrigen Kiemen gebildet, welche unmittelbar unter dem
Mantel, zu beiden Seiten des Eingeweideſackes ſich befinden. Faſt
überall finden ſich auf jeder Seite zwei Kiemenblätter, von denen das
äußere, welches dem Mantel anliegt, meiſt etwas kleiner iſt als das
innere. Nur in höchſt ſeltenen Ausnahmen (Lucina) iſt ein Paar
dieſer Kiemenblätter verkümmert und auf jeder Seite nur ein Blatt
vorhanden. Nach unten hin ſind die Kiemenblätter überall frei, ver-
wachſen aber zuweilen an ihrem hintern Ende; — nach oben ſind ſie
an dem Eingeweideſacke befeſtigt. Die Structur dieſer Kiemenblätter iſt
äußerſt merkwürdig; durch knorpliche Fäden ſind ſie in Längsfelder ge-
ſchieden, die wieder durch Querbalken in einzelne ſchmale Fächer ge-
theilt ſind. Da nun jedes Kiemenblatt aus einer doppelten Lamelle
beſteht, ſo entſtehen eben ſo viele Taſchen mit Querfalten, welche alle
in die Mantelhöhle ausmünden. Die Ränder der Falten und Taſchen
ſind mit außerordentlich großen und äußerſt lebhaft ſchwingenden
Wimperhaaren beſetzt, welche beſtändig den Zuſtrom des Waſſers er-
[300] neuern. Eine Abweichung von dieſem Typus findet ſich beſonders bei
den Kammmuſcheln und den Archenmuſcheln, wo die einzelnen Knorpel-
fäden iſolirt ſind und ſo das Kiemenblatt aus einer Reihe einzelner,
oft hakenförmig gekrümmter, palliſadenartig nebeneinander ſtehender
Bläschen gebildet wird.


Die meiſten Blattkiemer ſind getrennten Geſchlechtes und
vielleicht ſind die wenigen Ausnahmen, welche man bis jetzt zu kennen
geglaubt hat, auf irriger Anſchauung begründet. Die Eierſtöcke oder
Hoden ſind übrigens im Aeußeren ganz gleich gebildet, und nur durch
mikroſkopiſche Unterſuchung kann man ihren Inhalt genauer unter-
ſcheiden. Sie bilden eine bedeutende Maſſe unter und hinter der Le-
ber, die theilweiſe die Windungen des Darmkanales umhüllt und bei
einigen ſogar in die Mantelblätter vordringt. Die Eier haben meiſt
eine gelbliche oder ſelbſt rothe Farbe, während der Same milchweiß
erſcheint, und die Ausführungsgänge der einzelnen Drüſenlappen ver-
einigen ſich zuletzt in einem Schlitze, der entweder neben dem Schlitze
der Niere ſich befindet oder ſelbſt mit dieſem gemeinſchaftlich mündet.


Die Entwicklung der Eier iſt bis jetzt nur bei höchſt wenigen
Arten und auch hier nur unvollſtändig beobachtet. Die Eier, in wel-
chen man anfangs eine eiweißartige Dotterhülle, einen körnigen Dot-
ter, ein großes Keimbläschen, welches ſtets zwei Keimflecke enthält,
deutlich unterſcheidet, treten aus dem Schlitze hervor und werden mei-
ſtens in die Fächer der äußeren Kiemen aufgenommen und dort aus-
gebrütet. Dieſe Fächer ſind zur Fortpflanzungszeit ſtrotzend mit Eiern
erfüllt und bei manchen Gattungen erſcheinen die Schalen der weib-
lichen Individuen behufs der Aufnahme der Eier in die Kiemenblätter
bauchiger als die der männlichen, ſo daß es möglich iſt, an den Scha-
len das Geſchlecht zu unterſcheiden. Während dieſes Aufenthaltes in
den Kiemenblättern geht die ganze Umbildung des Eies zu einer völ-
ligen Larve vor ſich, welche in vieler Beziehung von dem erwachſenen
Thiere ſehr verſchieden iſt.


Die Zerklüftung des Dotters bis zur vollſtändigen Bildung der
Zellen, welche den Körper des Embryo’s zuſammenſetzen, geht ganz
in der gewöhnlichen Weiſe vor ſich. Aus der Zellenanhäufung geht
ein kugelförmiger Embryo hervor, der auf ſeiner ganzen Oberfläche
mit Wimperhaaren bedeckt iſt und ſich beſtändig innerhalb des Eies
um ſeine Axe herumdreht. Allmählig wächſt eine Schale heran, die
[301]

Figure 197. Fig. 307.
Fig. 308. Fig. 309.

Fig. 307 — 309. Larven des Pfahlwurmes (Teredo fatalis).
Fig. 307. Eine noch junge, im Kiemenblatte geborgene Larve, bei welcher
außer dem Wimperſegel und der Schale noch keine weiteren Theile ſich unter-
ſcheiden laſſen. Die Larve iſt vom Schloßrande aus geſehen. Fig. 308 Eine
etwas ältere Larve, weit ſtärker vergrößert, mit ausgeſtrecktem Wimperſegel
und zurückgezogenem Fuße von der Seite geſehen. Fig. 309. Eine ausgebil-
dete Larve in dem Zuſtande, wie ſie die Brutſtätte in den Kiemen des Mutter-
thieres verläßt, um frei umherzuſchwimmen und ſich einen geeigneten Ort zur
Einbohrung zu ſuchen. Die Schale iſt ganz kugelförmig, der lange zungen-
förmige Fuß aus der Schale hervorgeſtreckt. a die Schale. b das Wimper-
ſegel. c der Fuß. d das Schloßband. e der Mund. f der After. g die
Ohrblaſe. h Muskeln zum Zurückziehen des Wimperſegels.


ziemlich allgemein aus zwei biegſamen, dreieckigen Hälften beſteht,
welche mit einem graden Schloßrande an einander ſtoßen und An-
fangs wie ein Sattel auf der Embryonalmaſſe aufliegen. Die Scha-
len wachſen mehr und mehr und die Flimmerbewegung, welche anfangs
auf der ganzen Oberfläche beſtand, concentrirt ſich nach und nach auf einen
wulſtförmigen Theil, der dem Schloßrande gegenüber hervorgeſtreckt
und zurückgezogen werden kann. Dieſes Wimperſegel iſt mit langen
Flimmerhaaren beſetzt und dient dem Embryo, der es willkürlich be-
wegen kann, zum Schwimmen. Bald unterſcheidet man auch die bei-
den Hälften des Mantels und einen anfangs einfachen Muskel, der
durch zuckende Zuſammenziehungen die Schale zu ſchließen ſucht, ſo wie
längere zum Zurückziehen des Wimperſegels beſtimmte Muskelmaſſen.
[302] Aus der Tiefe erhebt ſich ein kurzer Cylinder, aus welchem ein lan-
ger ſpiralförmiger Faden hervorragt. Man hielt bisher dieſen Faden
für ein Analogon jenes Organs, welches bei vielen Muſcheln zur
Anheftung dient und der Bart (Byssus) genannt wird; neuere Beob-
achter widerſprechen aber dieſer Annahme. Die Geſtalt der Schalen
iſt zu dieſer Zeit ſo außerordentlich verſchieden von derjenigen der er-
wachſenen Individuen, daß man die Jungen unſerer Süßwaſſermuſcheln
lange Zeit für Schmarotzerthiere hielt, welche in den Kiemenfächern
ihren Wohnſitz hätten. Die Ausbildung der inneren Organe bei den
jungen Muſcheln geht nun in der Art weiter, daß die inneren Maſſen
ſich trennen und anfangs ſolide Zellenhaufen bilden, welche der Leber,
dem Magen und dem Darme entſprechen. Dieſe Maſſen höhlen ſich
allmählig aus und bald öffnet ſich auch Mund und After nach Außen,
beide mit Wimperhaaren beſetzt, die den Anblick eines rollenden Rades
erzeugen und ſehr nahe neben einander gelegen. Später ſieht man
die Gehörorgane als helle runde Bläschen mit deutlichem innerem
Steinkerne, der ſich rotirend bewegt. Dann erſcheint hinter dem Wim-
perſegel der Fuß, der allmählig an Größe zunimmt. In dieſem Zu-
ſtande verlaſſen die jungen Larven meiſt die Kiemenhöhle der Mutter
und ſegeln in Schwärmen auf dem Waſſer umher, bis allmählig das
Wimperſegel zurückgeht, wo ſie ſich dann zu Boden ſenken und ihnen
bald nur der Fuß als einziges Bewegungsorgan bleibt. Im Allge-
meinen gleichen ſich die Larven der verſchiedenen Arten, welche man
bis jetzt unterſucht hat, in hohem Maße, wenn auch durch ſpätere
ungleiche Ausbildung des Körpers eine große Verſchiedenheit erzeugt
wird. So ſind die Larven unſerer gewöhnlichen Teichmuſchel in der
erſten Periode kaum zu unterſcheiden von den oben abgebildeten des
Pfahlwurmes, während die erwachſenen Thiere einander ſo wenig
gleichen, daß frühere Naturforſcher den Pfahlwurm ſogar ſeiner lang-
geſtreckten Geſtalt wegen für einen Wurm hielten.


Wir theilen die Klaſſe der Blattkiemer, beſonders in Berückſich-
tigung der Regelmäßigkeit ihrer Schalen und der daraus hervor-
gehenden Lagerung, ſowie der Anordnung ihres Mantels, in drei
Ordnungen, deren Grenzen freilich nicht vollkommen ſcharf herzuſtellen
ſind. Die Seitenmuſcheln (Pleuroconcha) haben eine meiſt
unregelmäßige und ſtets ungleichklappige Schale und lagern auf einer
ihrer Seiten, welche meiſtens unmittelbar oder durch Sehnenfäden an
den Boden befeſtigt iſt; ihr Mantel iſt ſtets offen und bei den meiſten
findet ſich nur ein einziger Schließmuskel, der quer von einer Schale
zur andern geht. Der Fuß iſt in Folge der Anheftung meiſt nur ſehr
[303] rudimentär oder fehlt auch ganz. Mit Ausnahme einer einzigen Fa-
milie, die nur wenig verbreitet iſt, kommen alle dieſe Muſcheln im
Meere vor, wo ſie oft Bänke bilden, in denen ſich eine große Anzahl
einzelner Individuen derſelben Art zuſammenhäufen.


Die Familie der Auſtern(Ostreida) wird von meiſt ſchweren,

Figure 198. Fig. 310.

Das Thier der Auſter (Ostrea edulis) in ſeiner Schale.


dicken Schalen gebildet,
die gewöhnlich ſehr un-
regelmäßig und ungleich-
ſchalig ſind. Die Mu-
ſcheln haben eine meiſt
platte Linſengeſtalt und
die meiſten Gattungen
ſind mit der linken tie-
feren Schale angeheftet,
während die rechte flache
Schale als Deckel dient.
Das Thier iſt im Ver-
hältniß zu den Schalen
meiſt nur klein und hat
entweder wie bei den
eigentlichen Auſtern gar
keinen Fuß oder nur
einen höchſt rudimentä-
ren. Die Mantelränder
ſind in ihrem ganzen Umfange frei; die Kiemen dagegen an ihrem
äußeren Rande mit einander verwachſen. Der Schließmuskel iſt ſehr
groß, in der Mitte des Thieres gelegen und deutlich aus mehreren
Abtheilungen zuſammengeſetzt, die bei einer Gattung ſogar ſo ſehr ge-
trennt ſind, daß ſie drei deutliche, nebeneinander liegende Eindrücke
auf der einen Schale hinterlaſſen. Das Schloß iſt klein, dreieckig und
zahnlos oder höchſtens aus zwei im Winkel zuſammenlaufenden Leiſten
gebildet; das Schloßband liegt innerlich. Die Familie der Auſtern
ſchließt ſich am nächſten an die Armfüßler durch die Gattung Anomia
an, bei welcher die untere flache Schale von einem knorpeligen Fort-
ſatz der mittleren Abtheilung des Schließmuskels durchbohrt wird,
welcher Fortſatz zum Anheften an Felſen dient. Bei den meiſten Gat-
tungen dieſer Familie ſind die Schalen äußerſt blättrig, etwa wie bei
der gewöhnlichen Auſter. Dieſe, welche faſt an allen europäiſchen
Küſten vorkömmt und bekanntlich eine leckere Speiſe bildet, ſiedelt ſich
auf dem Boden des Meeres oft auf weite Strecken hin in bedeutenden
[304] Maſſen, ſogenannten Auſternbänken an. Sie wird mit eigenthümlichen
Schleppnetzen aufgefiſcht, welche mit einem eiſernen Rechen verſehen
ſind, den man auf dem Meeresgrunde hin und her ſchleift. Man
reißt auf dieſe Weiſe die Auſtern ab, die man dann, um ſie mit allerlei
Stoffen, Abgängen aus Schlachthäuſern etc. zu mäſten, in eigene durch
Meerwaſſer geſpeiſte Behälter bringt, welche man Auſternparks nennt,
und von wo ſie dann wohl verpackt, lebend verſendet werden. Durch
den vollkommenen Schluß ihrer Schalen behalten die Thiere eine
große Quantität von Meerwaſſer, das zur Unterhaltung ihrer Ath-
mung dient und laſſen ſich auf dieſe Weiſe lange am Leben erhalten.
Die foſſilen Auſtern kommen hauptſächlich häufig in den juraſſiſchen
Schichten vor und hier namentlich mit Arten, welche eine ſehr tiefe
längliche Schale beſitzen, deren Wirbel hakenförmig eigebogen iſt, wäh-
rend die andere freie Schale deckelförmig und abgeplattet erſcheint.
Ostrea; Gryphaea; Placuna; Anomia.


Die Familie der Kammmuſcheln(Pectinida), welche den Auſtern

Figure 199. Fig. 311.

Schale einer Kammmuſchel
(Pecten opercularis),


am nächſten ſteht, unterſcheidet ſich
von ihnen auf den erſten Blick durch
die faſt regelmäßige, beinahe gleich-
klappige Schale, die meiſtens auch
faſt gleichſeitig iſt und durch die
Feſtigkeit der Struktur, welche keine
ſolche Blätter zeigt, wie bei den
Auſtern. Faſt alle Schalen dieſer
Familie zeigen auf ihrer äußeren
Oberfläche Fächerfalten, die von
den Wirbeln nach dem freien Scha-
lenrande ausſtrahlen. Die Thiere
ſind im Verhältniß zu der Schale
weit größer als die Auſtern, im
Uebrigen aber denſelben außerordentlich ähnlich. Der Mantelrand
iſt vollkommen frei, meiſtens aber mit ſehr langen und dicken Fühl-
fäden beſetzt, zwiſchen welchen zahlreiche oft ſmaragdglänzende Augen
ſitzen. Der ſtets vorhandene Fuß iſt nur klein und kann höchſtens
zum Spinnen von Byſſusfäden, nicht aber zum Kriechen benutzt wer-
den. Die meiſten Gattungen dieſer Familie ſitzen auf der einen Schale
oder mit Byſſusfäden feſt, welche bei einigen durch eine Ausbucht,
oder ſelbſt durch einen tiefen Einſchnitt der einen Schale hervortreten.
Die eigentlichen Kammmuſcheln (Pecten) ſind die einzigen Blattkie-
mer, welche durch lebhaftes Auf- und Zuklappen ihrer Schale ziemlich
[305] raſch ſchwimmen können und die man auch deßhalb, ſowie wegen ihrer
lebhaften bunten Farben, oft die Schmetterlinge des Meeres genannt
hat. Die Kammmuſcheln treten ſchon in der früheſten Periode der
Erdgeſchichte auf, ſind aber vornehmlich ausgezeichnet in dem Jura
durch häufige und große Arten. Pecten; Lima; Spondylus; Plicatula;
Pedum; Hinnites.


Die Familie der Flußauſtern(Etherida) kommt nur in einigen
Flüſſen der ſüdlichen Zone, wie namentlich in dem Nile vor. Die
Schalen ſind ungleichſchalig, blätterig und von ſehr unbeſtimmter
Geſtalt, da die eine gänzlich an dem Boden feſtgeheftet iſt; das Schloß
zahnlos, wie bei unſeren Teichmuſcheln; das Thier groß und weſent-
lich von den vorigen dadurch unterſchieden, daß es zwei Schließmus-
keln, einen vorderen und einen hinteren, und einen dicken fleiſchigen Fuß
beſitzt, der aus der Schale hervorgeſtreckt werden kann. Etheria.


Die Schmalmuſcheln(Malleida) haben meiſt gleichſchalige aber

Figure 200. Fig. 312.

Gemeine Hammermuſchel.
Malleus vulgaris.


ſehr unregelmäßige Muſcheln,
bei welchen der Höhedurchmeſſer
von dem Wirbel zum Schalen-
rande bedeutend über den Längs-
durchmeſſer überliegt. Das Schloß
iſt meiſtens in die Länge gezogen,
ſo daß es einen oder zwei flü-
gelförmige Fortſätze bildet; — oft
iſt der ganze Schloßrand mit
Kerben verſehen, in welchen viele

Figure 201. Fig. 313.

Perna.


kleine Schloßbänder verborgen ſind, bei andern
exiſtirt nur eine einzige mittlere dreieckige
Grube für das Schloßband. Meiſt findet ſich
an einer oder an beiden Schalen vor dem Schloſſe
eine Ausbucht zum Durchtritte des Byſſus.
Die Thiere ſind ſchmal, der Mantel groß und
nach vorn [und] hinten in die flügelförmigen Schloß-
fortſätze hinein verlängert; der Schließmuskel ein-
fach; der Fuß klein, ſchmal mit einem fadenförmigen
Anhange. Die bizarren Schalen, welche man
den polniſchen Hammer genannt hat, und wo die beiden Flügelfort-
ſätze des Schloſſes den Hammer, die ſehr hohen und ſchmalen Schalen
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 20
[306] den Stiel bilden, gehören in dieſe Familie. Malleus; Vulsella; Perna;
Crenatula; Gervillia.


Figure 202. Fig 314.

Thier einer Chama, aus der
Schale genommen.


Die Gienmuſcheln(Chamida) beſte-
ſtehen aus dickſchaligen, ungleichſeitigen,
blätterigen, meiſt ungemein großen und
ſchweren Muſcheln, die gewöhnlich ein
ſehr ſtarkes und feſtes, mit ſtark inein-
ander vorſpringenden Zähnen und Gruben
verſehenes Schloß beſitzen. Die Schalen
ſind ungleichſeitig, die Wirbel treten ſtark
hervor und ſind meiſt hakenförmig um-
gebogen, oder ſelbſt hornförmig gewun-
den. Sie ſind entweder mit der einen
Schale oder mit einem Byſſus feſtgeheftet,
der bei einigen Gattungen durch einen
Ausſchnitt des Hofraumes hervortritt.
Das Thier iſt groß, der Mantel ringsum geſchloſſen, aber mit drei
Schlitzen verſehen, wovon einer für den kleinen Fuß, ein zweiter für
die Kiemen und den Mund, und ein dritter für den After beſtimmt iſt.

Figure 203. Fig. 315.

Rieſenmuſchel (Tridaena).


Zu dieſer Familie gehören die
Taufbecken oder Rieſenmuſcheln
(Tridacna), welche im indiſchen
Ocean vorkommen, eine Länge
von mehreren Fußen erreichen
und bis zu 500 und mehr
Pfunden ſchwer werden. Die
Seeleute behaupten, daß eine
ſolche Muſchel beim Schließen
der Schalen ein Ankertau zer-
ſchneiden könne. In den juraſſiſchen Oceanen lebte eine Gattung
dieſer Familie, die Zweihörner (Diceras), welche durch ihre hornartig
gekrümmten Wirbel beſonders bemerkenswerth iſt. Chama; Isocardia;
Tridacna; Hippopus.


Die Ordnung der Geradmuſcheln (Orthoconcha) zeichnet
ſich von den Seitenmuſcheln durch ihre gleichen Schalen aus und durch
einen mehr oder minder offenen Mantel, der niemals einen Sack
bildet, von den Röhrenmuſcheln. Alle Geradmuſcheln haben zwei
Schließ muskeln, die vollkommen von einander getrennt ſind. Sie
ſind niemals ſo befeſtigt, daß ſie auf der Seite liegen, wenn ſie auch
[307] oft ein ſtarker Bart an den Boden feſſelt. Ihre Familien ſind weit
zahlreicher als diejenigen der Seitenmuſcheln.


Figure 204. Fig. 316.

Die ächte Perlenmuſchel (Meleagrina
margaritifera).


Die Perlenmuſcheln(Aviculida)
zeigen gleichſchalige, außen blätterige, in-
nen ſehr glatte Schalen, in welchen die
Lamellenſchicht ſo ſtark iſt, daß ſie als
ächte Perlenmutter verarbeitet werden
kann. Die Muſcheln ſind gleichſchalig
und gleichſeitig, die Wirbel nach vorn
geneigt, das Schloß gerade, linienförmig,
entweder ganz zahnlos oder nur mit einem
ſehr unbedeutenden Vorſprunge verſehen.
Das Schloßband liegt faſt außen in
einem Falze des Schloßrandes, der un-
mittelbar vor den Wirbeln einen Ausſchnitt für den Durchtritt des
Bartes zeigt. Der Körper iſt meiſt ſehr dünn, platt und klein im
Verhältniß zu dem großen Mantel, der an ſeinem ganzen Rande frei
iſt. Der Fuß iſt klein, rundlich und der hintere Muskel ſo überwie-
gend gegen den vorderen, deſſen Eindruck oft gar nicht bemerkbar iſt,
daß man manche Gattungen für einmuskelig hielt. Die Mundlappen
ſind groß, liegen aber weit nach hinten in ziemlicher Entfernung von
dem Munde. Dieſe Muſcheln heften ſich mit ihrem Barte äußerſt feſt
an, oder ſtecken ſelbſt mit den vorwärts gerichteten Wirbeln tief in
dem Boden, ſo daß nur ihre klaffenden Schalenränder hervorſchauen.
Man zählt zu dieſer Familie die ächte Perlenmuſchel (Meleagrina),
welche ſich hauptſächlich im perſiſchen Meerbuſen, um Ceylon und in
dem ſüdlichen Theile des rothen Meeres findet und deren Fiſcherei
dort einen weſentlichen Erwerbzweig bildet. Die ächten Perlen ſind
krankhafte Erzeugniſſe und aus concentriſchen Schichten derſelben Sub-
ſtanz gebildet, aus welcher die innere Lamellenſchicht der Schale zu-
ſammengeſetzt iſt. Die Perlenfiſcherei wird durch Taucher betrieben,
welche mit Gewichten beſchwert, mit einem Sack am Gürtel und einem
Eiſen zum Ablöſen der Muſcheln bewaffnet, ſich auf den Boden hin-
ablaſſen und dort die Muſcheln abſtoßen. Der großen Haifiſche wegen,
welche in dieſen ſüdlichen Meeren vorkommen, erſcheint das Taucher-
geſchäft ziemlich gefährlich, auch iſt für jeden Taucher wenigſtens ein
Mann beſtimmt, der auf ein gegebenes Zeichen ihn mit der größten
Geſchwindigkeit in die Barke hinaufziehen muß. Ein Taucher läßt
ſich etwa vierzig bis fünfzig mal im Tage hinab, und ſoll an günſtigen
Orten bis zu mehreren Tauſend Muſcheln in dieſer Zeit ſammeln
20*
[308] können. Die geſammelten Muſcheln werden an die Sonne gelegt, wo
ſie bald abſterben, klaffen und in Fäulniß übergehen. Man ſucht nun
aus den verfaulten Muſcheln die Perlen aus, reinigt und polirt ſie
mit zerſtoßener Perlenmutterſubſtanz und liefert ſie dann in den Han-
del. Meleagrina; Avicula; Posidonia; Pinna.


Figure 205. Fig. 318. Fig. 317.

Fig. 317 und 318.
Das Thier der eßbaren Miesmuſchel (Mytilus edulis).


Die Miesmuſcheln(Mytilida) ſtehen durch die Form ihrer Scha-
len, das zahnloſe Schloß, die vorwärts geneigten Wirbel, den ſchmalen
zungenförmigen Fuß und den an ſeinem Grunde befindlichen Bart,
ſowie durch die ungleichen Schließmuskeln der vorigen Familie ſehr
nahe, unterſcheiden ſich aber dadurch, daß hinten in dem Mantel eine
beſondere Oeffnung für den After ſich befindet, unter welchem eine kurze, mit
verdickten Taſtfranzen verſehene Röhre den Athemſchlitz bildet. Die
in den europäiſchen Meeren ſo häufig vorkommende eßbare Miesmuſchel,
ſowie die Steindattel, welche die Strandfelſen des Mittelmeeres an-
bohrt, gehören zu dieſer Familie. Mytilus; Modiolus; Lithodomus;
Dreissena.


Die Flußmuſcheln(Najades) bewohnen alle das ſüße Waſſer
und ſind beſonders in der gemäßigten Zone Nordamerika’s in äußerſt
zahlreichen Arten vorhanden. Unſere Teich- und Malermuſcheln liefern
die beſten Typen dieſer Familie, die ſich durch ihre regelmäßigen,
gleichſchaligen und faſt gleichſeitigen Muſcheln auszeichnet, die meiſtens
ziemlich dick ſind und eine dicke Perlenmutterſchicht, ſowie eine hornige
Oberhaut beſitzen, welche ſich leicht abſchülfert. Die Wirbel liegen faſt
[309] in der Mitte des Schloſſes, das bald zahnlos, bald mit ſtark vor-
ſpringenden gekerbten Zähnen verſehen iſt, die einen vollſtändigen
Schluß gewähren. Das Schloßband liegt außen, die beiden Schließ-
muskeln liegen nahe an dem Vorder- und Hinterrande der Schale
und ſind faſt gleich ſtark. Das Thier iſt groß und kriecht langſam
im Sande oder im Schlamme auf dem langen kielförmigen Fuße. Der
Mantel iſt ſeiner ganzen Länge nach vollkommen frei und an ſeinem
hinteren, meiſt etwas verlängerten Ende mit ſtumpfen Taſtwarzen be-
ſetzt. Die Kiemenblätter ſind jederſeits hinter dem Fuße miteinander
verwachſen, die Eier meiſt hochroth oder gelb und die äußeren Kie-
menblätter zur Fortpflanzungszeit ſtrotzend mit ihnen angefüllt. Ano-
donta; Unio; Hyria; Iridina.


Die kleine Familie der Dreieckmuſcheln(Trigonida) kommt haupt-
ſächlich im verſteinerten Zuſtande vor. Nur eine einzige Art iſt bis
jetzt in der Nähe von Neuholland lebend gefunden worden, wäh-
rend die Schalen beſonders häufig im Salzgebirge, im Jura und in
der Kreide vorkommen. Dieſe Muſcheln ſind dickmit ſtarker Perlen-
mutterſchicht, regelmäßig und vollkommen gleichſchalig, aber ungleich-
ſeitig, indem die vordere Hälfte abgeſtutzt erſcheint; die Wirbel ſind
hoch, hakenförmig eingebogen, das Schloßband äußerlich; — das
Schloß ſelbſt bildet ein ſo feſtes Charnier, daß die Muſcheln im Tode
ſelbſt nicht klaffen. Auf der rechten Schale befinden ſich zwei große,
im Winkel geſtellte Zähne, die auf beiden Seiten gekerbt ſind und
welchen auf der linken Seite ein mittlerer dreieckiger Vorſprung und
zwei gekerbte Seitenzähne entſprechen, ſo daß das zuſammengefügte
Schloß etwa eine Figur bildet, wie wenn man mit den drei mittleren
Fingern der linken Hand den eingeknickten Zeige- und Mittelfinger der
andern Hand umfaßt. Die Leibesmaſſe des Thieres iſt unbedeutend,
der Mantel groß, am Rande verdickt, mit feinen Fühlfäden beſetzt und
größtentheils offen, der Fuß ſehr lang, ſchmal, zungenförmig und in
der Mitte wie ein Knie gebogen. Der vordere umgebogene Theil kann
in eine Rinne des geraden Theiles, wie eine Meſſerklinge in die Scheide
zurückgeſchlagen werden. Die Mundlappen ſind klein, die Schließ-
muskeln groß und von gleicher Größe. Trigonia.


Die Archenmuſcheln(Arcida) haben dickſchalige, gleichklappige,
aber meiſt ſehr ungleichſeitige Muſcheln, die bald eine mehr rundliche,
[310]

Figure 206. Fig. 319.

Archenmuſchel (Arca).


bald eine ziemlich unregelmäßige
Form haben. Die Wirbel ſind deut-
lich entwickelt und umgebogen, meiſt
durch ein breites Schloßfeld von
einander getrennt. Das Schloß
der Schale iſt äußerſt charakteriſtiſch:
es beſteht aus einer großen Anzahl
von abwechſelnden Erhöhungen und
Vertiefungen, welche in einander

Figure 207. Fig. 320.

Kämmchen (Pectunculus.)


greifen und die bald auf einer geraden
Linie, bald auf einem Bogen, bald in
einem Winkel ſtehen. Das Thier iſt groß,
dick, der Mantel in ſeinem ganzen Um-
fange offen und keine Spur von Röhren-
bildung am hinteren Theile. Der Fuß
iſt ſehr groß und auf ſeiner unteren Fläche
mit einer Rinne verſehen, die ihm einen
doppelten Kiel giebt. Die Kiemenblätter
ſind in paliſſadenartige Reihen von ein-
zelnen Fäden zerlegt; die Mundlappen
nur klein und rudimentär. Die Archen-
muſcheln leben meiſt in ziemlich bedeutender Tiefe und kommen ſchon
in den älteſten Schichten der Erde vor, von wo ſie ſich ohne Unter-
brechung bis in die heutige Schöpfung durchgezogen haben. Arca;
Pectunculus; Nucula.


Die Herzmuſcheln(Cardida) haben eine gleichſchalige, meiſt faſt
gleichſeitige, überall ſchließende, dickſchalige Muſchel mit vorſtehenden,
meiſt umgebogenen Wirbeln, die von vorn oder hinten betrachtet, faſt
die Geſtalt eines Kartenherzens bieten. Die Schloßzähne ſind ſtark,
unregelmäßig, das Ligament äußerlich. Das große und dicke Thier
hat einen geſchloſſenen Mantel, deſſen Umriß indeß überall dem äu-
ßeren Schalenrande folgt, ſo daß der Manteleindruck auf den Scha-
len keine Bucht zeigt. Der geſchloſſene Mantel hat vorn einen Schlitz
zum Durchtritt des langen, ſchmalen, mit ſcharfer Schneide verſehenen
Fußes, der in der Mitte knieförmig gebogen iſt und mit welchem das
Thier ſchnellend auf dem Boden einherſpringt. Nach hinten iſt der
Mantel in zwei kurze Röhren verlängert, die nach Willkür ein- und
ausgezogen werden können. Die Schalen dieſer ausgebreiteten Familie,
welche nur in dem Meere lebt, ſind in zahlreichen Gattungen und
[311] Arten von der älteſten Zeit an [in] den Schichten der Erde vorhanden.
Cardium; Opis; Crassatella; Cypricardium; Corbis; Lucina.


Ihnen ſehr ähnlich ſind die Erbſenmuſcheln(Cyclasida) mit dün-
ner Schale, welche mit einer dicken runzeligen Oberhaut bedeckt iſt
und außer den Hauptzähnen am Schloſſe auch noch Seitenzähne be-
ſitzt. Die Thiere haben ebenſo wie die Herzmuſcheln zwei kurze hintere
Mantelröhren, aber nur einen einfachen kielförmigen Fuß ohne Knie-
beugung. Sie leben im Schlamm der ſüßen Gewäſſer, wo ſie ſich
einbohren und die Röhre nach oben in das Waſſer herausſtrecken.
Nach den bis jetzt angeſtellten Unterſuchungen ſollen dieſe Muſchel-
thiere Zwitter ſein; eine Ausnahme, die allerdings viel Auffallendes
hat. Cyclas; Pisidium; Cyrene.


Die Trogmuſcheln(Mactrida) entſprechen in der Form, der

Figure 208. Fig. 321.

Trogmuſchel (Mactra).


Bezahnung des Schloſſes, der meiſt voll-
ſtändigen Schließung der Schalen, den
Herzmuſcheln; entfernen ſich aber von
ihnen durch die bedeutende Größe und
Länge der After- und Athemröhre, an
welchen ſehr bedeutende Muskeln zum Zu-
rückziehen befeſtigt ſind. Es ſetzen ſich
dieſe Muskeln an einem ausgeſchweiften
Rande innen an der Schale an, ſo daß

Figure 209. Fig. 322.

Tellina, mit ausgedehntem Thiere.
p der Fuß. r Athemröhre. e Af-
terröhre.


Figure 210. Fig. 323.

Venerupis.


der Mantelein-
druck der Schale
auf der hinteren
Seite eine ſtarke
Ausbuchtung zeigt.
Alle dieſe Muſcheln
graben ſich mit ih-
rem ſtarken, meiſt
dreieckigen Fuße in
den Boden ein; viele auch bohren ſich Löcher in die Felſen, in denen
ſie zeitlebens ſtecken bleiben, da der Eingang des Loches, den ſie als
junge Thiere bohrten, der ſpäteren Größe des erwachſenen Thieres
nicht mehr entſpricht. Mactra; Venus; Tellina; Cythera; Venerupis;
Petricola; Donax; Corbula.


Die Klaffmuſcheln(Pylorida) zeigen die Ausbildung der Röhren
in noch weit höherem Maße, als die vorige Familie. Der Mantel iſt
[312]

Figure 211. Fig. 324.


Figure 212. Fig. 325.

Meſſerſcheide (Solen).
Fig. 323. Die Schalen. Fig. 324. Das herausgenommene Thier.
a vorderer Schlitz zum Durchtritt für den Fuß p. t hintere Röhre. Der
Mantel iſt ſonſt überall geſchloſſen.


ringsum geſchloſſen und hat ganz vorn einen Schlitz zum Durchtritt des
meiſt kurzen, aber maſſiven Fußes, der aus dem vorderen klaffenden Ende
der Muſchel hervorgeſtreckt wird. Die hinteren Mantelröhren ſind nur
ſelten, wie bei den Meſſerſcheiden, ſehr kurz, bei den meiſten ungeheuer
lang und zuweilen in eine einzige Doppelröhre verwachſen. Die Muſcheln
ſind gleichſchalig, gleichſeitig und ſtets an beiden Enden klaffend; oft
ſogar in ſo bedeutender Weiſe, daß die äußeren Ränder ſich kaum
berühren. Das Schloß iſt unregelmäßig, entweder gar nicht oder
nur ſchwach gezähnt; die beiden Schließmuskeln aber, ſowie der tiefe
Ausſchnitt des Mantels deutlich an ihren Eindrücken auf den Schalen
zu erkennen. Die zahlreichen Gattungen und Arten dieſer Klaffmuſcheln,
welche alle im Schlamme und Sande ſich einbohren, haben zu allen
Zeiten der Erdgeſchichte den Strand der Meere bewohnt und bieten
deßhalb ſchätzbare Erkennungszeichen für den Geologen bei Beſtim-
mung der einzelnen Schichten. Mya; Lutraria; Solemya; Solen; Pho-
ladomya; Solecurtus; Sanguinolaria; Psammobia; Glycimeris.


Die Ordnung der Röhrenmuſcheln (Inclusa) begreift eine
geringe Anzahl von Familien und Gattungen, die indeß durch ihr
Verhalten und die abweichende Form ihres Körpers äußerſt merkwürdig
erſcheinen und gewiſſermaßen einen Uebergang zu den höheren Klaſſen
bilden. Der Mantel iſt bei dieſen Thieren zu einem vollſtändigen,
langen Sacke geſchloſſen, der nach allen Seiten hin die Muſchel be-
deutend überragt, ſo daß das Thier die Geſtalt eines rundlichen Wur-
mes hat. Meiſt iſt dieſer Mantel nach hinten in eine lange Röhre
[313] ausgezogen und zuweilen ſondert er auf ſeiner ganzen Oberfläche eine
dünne Kalklage ab, die eine Röhre bildet, in welcher das Thier ſteckt.
Die Schalen dieſer ſämmtlichen Thiere ſind ſehr dünn, gerippt und
haben meiſtens kein deutliches Schloß; ſie klaffen nach allen Seiten
hin und bei vielen Gattungen erſcheinen ſie nur als unbedeutende An-
hängſel des Thieres oder der Kalkröhre, von welcher daſſelbe einge-
ſchloſſen iſt.


Figure 213. Fig. 326.

Der Pfahlwurm
(Teredo navalis).


Die Familie der Bohrmuſcheln(Teredida) beſitzt
ſtets zwei ſehr deutliche, unregelmäßige, gleiche Schalen,
die an dem Schloſſe durch einen löffelförmigen Fortſatz
miteinander vereinigt ſind. Der wurmförmige Mantel
iſt frei, ebenſo die Schalen, und wenn die Thiere eine
Kalkröhre bilden, ſo kleidet dieſelbe die Gallerie, welche
ſie bohren, aus, ohne dem Mantel ſelbſt anzuhängen.
Bei den eigentlichen Bohrmuſcheln(Pholas) iſt die
Schale noch ziemlich groß und in einer ziemlichen Strecke
am Schloſſe durch einen löffelförmigen Fortſatz verbun-
den. Der Fuß iſt kurz, dick und rund, die hintere
Röhre einfach, aber durch eine innere Scheidewand ge-
theilt. Die Bohrmuſcheln bohren ſich in einer gewiſſen Tiefe
unter dem Waſſerſpiegel, am liebſten in kalkige ſenkrechte
Felsmaſſen wagerecht ein, verſchmähen aber auch Ko-
rallen und ſelbſt Schlamm nicht. Ihre Galerieen ſind
äußerſt glatt, gleichſam polirt und bieten beſonders an ſteini-
gen und felſigen Ufern durch die conſtante Höhe unter
dem Waſſerſpiegel, in welcher ſie ſich einbohren, ein
ganz vortreffliches Kennzeichen für alte Strandlinien
und frühere Höhe des Meeresſpiegels. Bei den Bohr-
muſcheln ſtehen die eigenthümlichen Kieſelkryſtalle, welche
ihnen zum Bohren und Abſchleifen der Felſen dienen,
beſonders auf dem runden zapfenförmigen Fuße, wäh-
rend ſie bei den Pfahlwürmern über den ganzen Man-
tel, beſonders aber über deſſen vorderen Wulſt, der von
dem Pfahlwurme bedeutend aufgebläht werden kann,
zerſtreut ſind.


Die Pfahlwürmer(Teredo), welche ebenfalls
zu dieſer Familie gehören, ſind bekannt durch die unge-
heueren Verheerungen, die ſie in Häfen und Werften an dem unter
Waſſer befindlichen Holze anrichten. Das Thier hat etwa die Dicke
und Länge eines Regenwurmes und endet nach hinten in zwei lange,
[314] zuletzt getrennte Röhren. Die Schälchen am vorderen Ende ſind
außerordentlich klein, dünn und unregelmäßig in ihrer Geſtalt. Am
hinteren Ende des Körpers, wo die Röhren anfangen, finden ſich
zwei ſchaufelförmige knorpelige Anhänge, durch welche das Thier mit
der Kalkröhre, mit der es ſeine Galerie auskleidet, verwachſen iſt.
Sie zernagen alles Holz, ſelbſt das feſteſte ohne Unterſchied und durch-
bohren es mit Millionen ſich ſo ſehr durchkreuzender Gänge, daß
es vollkommen unhaltbar wird und zuſammenbricht. Die Jungen
werden in dem Mantelſacke ausgebrütet und beſitzen als Larven zwei
große, faſt dreieckige Schalen, die den Körper vollſtändig umſchließen
und aus denen ſie ein lappenförmiges, mit lebhaft ſchwingenden Wim-
perorganen beſetztes Schwimmorgan hervorſtrecken können. Später wird
dieſes durch einen langen zungenförmigen Fuß erſetzt, der bei dem er-
wachſenen Thiere ebenfalls vollſtändig verſchwunden iſt. Teredo; Fis-
tulana; Gastrochaena.


Die Siebmuſcheln(Aspergillida) haben ebenfalls einen wurm-
förmigen Körper mit vollſtändig geſchloſſenem Mantel, der hinten zwei
Oeffnungen für Athem- und Afterröhre, vorn einen feinen Schlitz für
den Durchtritt des höchſt rudimentären Fußes beſitzt. Der wurmför-
mige Mantel ſondert in ſeiner ganzen Länge eine Kalkſchale ab, welche
eine lange wurmförmige Röhre bildet, an deren vorderem Ende die
meiſt ſehr kleinen rudimentären Schälchen eingeſchloſſen ſind. Die
Röhren, in welchen die Thiere leben, ſtecken ſenkrecht im Schlamme
oder in Felſen, ſind unten offen und haben oben meiſt ſiebförmig
geſtellte Oeffnungen zum Durchtritte des Waſſers für die Athemröhren.
Clavagella; Aspergillum.


Betrachtet man die Geſchichte der Blattkiemer während der zoo-
logiſchen Epochen, ſo zeigt ſich im Ganzen eine große Gleichförmigkeit.
Die Seitenmuſcheln erſcheinen in den älteſten Formationen ſchon mit
faſt allen Familien, die auch jetzt noch vorkommen und zeigen nur
wenige ausgeſtorbene Gattungen; — einige Familien, wie z. B.
diejenige der Auſtern, erreichen in der juraſſiſchen Periode ihren
Höhepunkt, indem ſie zu dieſer Zeit ebenſo bankbildend und gehäuft
vorkommen, wie jetzt. Unter den Geradmuſcheln ſind beſonders die
Familien mit weit ausgeſchnittenem Mantel und langen Röhren häufig
und reich an Arten und Geſchlechtern in der Uebergangs- und Koh-
lenperiode und zeigen einige Gattungen (wie z. B. Pholadomya), die
[315] jetzt faſt gänzlich verſchwunden ſind. Die übrigen Geradmuſcheln zei-
gen etwa die nämlichen Verhältniſſe, wie heut zu Tage. Die Röhren-
muſcheln dagegen ſind entſchieden ſpäteren Urſprunges; ſie beginnen
erſt ſpärlich in der Kreide und zeigen dort ſowohl, wie in der Ter-
tiärperiode weder ſo viele Arten, noch ſo große Häufung der Indivi-
duen, wie in der Jetztwelt.


Klaſſe der Schnecken.(Cephalophora.)


Dieſe überaus zahlreiche Klaſſe der Weichthiere läßt ſich, ſo ver-
ſchiedenartig die bei ihr

Figure 214. Fig. 327.

Teichhornſchnecke (Lymnaeus stagnalis).


vorkommenden Formge-
ſtalten auch ſein mögen,
dennoch leicht umſchrei-
ben und charakteriſiren,
da ſie weſentlich von der
vorigen Klaſſe abweicht.
Die Schnecken unter-
ſcheiden ſich von den
Muſchelthieren haupt-
ſächlich durch das Vor-
handenſein eines mehr
oder minder getrennten deutlichen Kopfes, der nur in den niederſten
Anfängen der Klaſſe fehlt und durch eine einfache Schale, welche von
der Geſtalt eines flachen Deckels an alle möglichen Formen gewun-
dener Röhren durchläuft und jene Gehäuſe bildet, die wir alle unter
dem Namen Schneckenhäuſer kennen. Manche Schnecken freilich ſind
im erwachſenen Alter nackt und haben dann jede Spur einer Schale
verloren, während ſie doch als Larven eine ſolche beſaßen. Allein
auch dann dient der Mangel einer zweiklappigen Schale, welche doch
den Muſchelthieren ganz allgemein zukommt, auf den erſten Blick zur
Unterſcheidung von dieſen.


Die Haut der Schnecken iſt im Allgemeinen derb, lederartig und
mit einer ſchlüpferigen Oberhaut überzogen, welche beſonders an den
zur Bewegung dienenden Stellen mit Wimperhaaren beſetzt iſt; nur
[316] bei einigen im Meere lebenden Schnecken iſt die Haut, trotz aller
Derbheit und Feſtigkeit, glashell durchſichtig und entbehrt dann auch
jener Schleimabſonderung, die bei den übrigen in ſo reichem Maße
vorkommt. Bei den meiſten Schnecken bildet die den Körper überall
umſchließende Haut eine Falte im Nacken, welche beim Zurückziehen
des Körpers wie eine Kapuze über den Kopf weggeſchoben werden
kann, vor dem ſie ſich dann zuſammenſchließt. Meiſtens finden ſich in
der Höhlung, welche durch dieſe Kapuze gebildet wird, die Athemor-
gane, ſowie die Oeffnungen der Geſchlechtsorgane und des Verdau-
ungsapparates. Man hat die Hautfalte, welche dieſe Höhlung bildet,
in die ſich das Thier zurückziehen kann, den Mantel genannt, und
in der That iſt es auch dieſe Falte und beſonders der wulſtige Rand
derſelben, der Mantelſaum, welcher die Kaltſchale abſondert, die bei
den meiſten Schnecken das Thier einſchließt. Es befinden ſich nämlich
auf dieſem wulſtigen Mantelſaume eine Menge kurzer Drüſenſchläuche
in faſt ſenkrechter Stellung, in deren großen Drüſenzellen ſich ein
feinkörniger Kalkniederſchlag bildet, der zum Weiterbau der Schale
verwendet wird. Der Mantelrand, welcher der äußeren Mündung
der Schale hart anliegt, ſetzt in einzelnen Blättchen eine zähe, zur
hornigen Maſſe erhärtende Subſtanz ab, welche allmählig feſter wird,
mehr und mehr Kalk in ſich aufnimmt und ſo zu fortwachſenden Scha-
lenſchichten ſich umgeſtaltet. Betrachtet man das Gehäuſe einer Gar-
tenſchnecke z. B. genauer im Sommer, wo ſie neue Schichten anſetzt,
ſo ſieht man an der Mündung der Schale einen feinen, durchſichtigen,
hornig biegſamen Vorſtoß, welcher die in Bildung begriffene Scha-
lenlamelle iſt. Da dieſe Bildung nicht gleichmäßig, ſondern periodiſch
vor ſich geht, ſo ſieht man auch auf den Schneckenſchalen häufig ſolche
Anwachsſtreifen, wie wir ſie auch bei den Muſchelſchalen kennen ge-
lernt haben, ſowie größere Wülſte oder Vertiefungen, welche Zeiten
bedeutenderen Wachsthums, oder längerer Unterbrechung darin ent-
ſprechen. Die Struktur der Schneckenſchalen ſelbſt iſt weit einfacher
als die der Muſchelſchalen, denn ſie beſtehen nur aus der einzigen
Lamellenſchicht, welche durch die äußerſt mannigfaltigen Faltungen
ihrer Blätter den eigenthümlichen Perlenmutterglanz zeigt. Die Farb-
ſtoffe, welche in dieſer Schicht abgelagert werden, ſind oft äußerſt
glänzend und in regelmäßigen Streifen und Flecken vertheilt, deren
Stellung mit dem Wachsthume der Schalen ſelbſt im Verhältniſſe
ſteht. Durch Faltungen des Mantelſaums entſtehen oft Biegungen
dieſer Lamellen, die bei einigen Schalen zu Wülſten, Spitzen, Hör-
[317] nern und ähnlichen Verzierungen auswachſen und dadurch weſentliche
Charaktere zur Unterſcheidung einzelner Arten bieten.


Die Geſtalt der Schalen iſt ſchon um deßwillen äußerſt wichtig,
weil man zur Beſtimmung der verſteinerten Reſte ſich nur an dieſe
halten kann. Man hat deßhalb hier eben ſo wie bei den Muſcheln
behufs der Beſchreibung gewiſſe Kunſtausdrücke angenommen, deren
Kenntniß nöthig iſt.


Faſt alle Schnecken kommen aus dem Ei mit einer dünnen, horn-
artigen Schale, welche die Geſtalt eines Napfes oder einer Freiheits-
mütze hat. Indem nun das Thier weiterwächſt und eine Seite über
die andere ein gewiſſes Uebergewicht erhält, entſteht eine ſpiralförmige
Drehung des Körpers, an welcher die feſte Kalkröhre, welche das

Figure 215. Fig. 328.

Eine thurmförmige Schale,
ſenkrecht durchſchnitten, um
ihre innere Struktur zu zei-
gen. b Mundöffnung der
Schale (apertura). c Spin-
delrand (labium). c’ Lippen-
oder Außenrand (labrum).
i
Spindel (columella). s
Windungen (spira). p Spitze
(apex).


Thier umkleidet, ebenfalls Antheil nimmt. Die
Schale erſcheint alſo bei den meiſten Schnecken
ſpiralförmig gewunden, und da das Thier ſtets
wächſt und an Umfang zunimmt, ſo ſind die
letzten Windungen der Schale weiter als die
vorhergehenden, die oft gänzlich von der letz-
ten Windung verdeckt und eingeſchloſſen werden.
Zuweilen erfolgt dieſe Windung der Schalen-
röhre in derſelben Ebene, ſo daß das Gehäuſe

Figure 216. Fig. 329.

Tellerſchnecke (Planorbis).


Figure 217. Fig. 330.

Kreiſelſchnecke (Turbo).


ganz flach erſcheint und in der Mitte als An-
fangspunkt der ganzen Schneckenwindung die
urſprüngliche, aus dem Ei mitgebrachte Schale
erſcheint. Die gewöhnlichen Tellerſchnecken
(Planorbis), welche man ſo häufig in allen un-
ſeren Bächen findet, liefern von dieſer Anord-
nung ein leicht zugängliches Beiſpiel. In den
meiſten Fällen aber iſt die Spirallinie um eine Axe in die Höhe ge-
wunden und bildet ſo eine warhrhafte Schnecken- und Schraubenlinie;
[318] je nachdem die Form des Gehäuſes hierdurch modifizirt wird, nennt
man dieſes kreiſelförmig, thurm-, ſpindelförmig u. ſ. w. Bei dieſen
ſchneckenartig gewundenen Schalen entſteht durch die Aneinanderlage-
rung der inneren Seite eine Axe im Inneren des Gewindes, welche
man die Spindel(columella) nennt und die man beim Aufbrechen
einer Schale, z. B. einer Weinbergsſchnecke, deutlich im Innern als
eine Säule gewahrt, um welche die Windungen ſich herumziehen. Mei-
ſtens legen ſich die inneren Seiten der Röhre nicht ganz vollkommen
aneinander, ſo daß, wenn auch eine Spindel gebildet wird, dieſe
dennoch im Innern hohl iſt und dieſe Höhlung ſich mit einer Mün-
dung nach Außen öffnet. — Man nennt dieſe Mündung den Nabel
(umbilicus). Berühren ſich die einzelnen Windungen der Schale gar
nicht, wie z. B. bei den Wendeltreppen, ſo iſt begreiflicherweiſe dieſer
Nabel verhältnißmäßig ſehr weit, aber dieſe Weite nimmt umſomehr
ab, je ſolider die Spindel ſelbſt wird. So hat z. B. die gewöhn-
liche Weinbergsſchnecke einen kaum merklichen Nabel, der noch dazu
von dem umgeſchlagenen Randſaume des Gehäuſes faſt gänzlich über-
deckt wird. Die Oeffnung, durch welche das Thier aus der Schale
hervorſchaut, heißt die Mündung oder Mundöffnung (apertura);
und man kann an derſelben ſtets zwei Ränder unterſcheiden, den äu-
ßeren oder Lippenrand(labrum), welcher die Convexität der Schale
bildet, und den inneren oder Spindelrand(labium), welcher der Axe
des Gehäuſes zugewendet iſt. Meiſt ſind dieſe beiden Ränder ſcharf von
einander getrennt, indem die Oeffnung mehr oder minder länglich oder
ſelbſt ſpaltenartig erſcheint, welches letztere namentlich dann der Fall iſt,

Figure 218. Fig. 331.

Kegelſchnecke (Conus).


Figure 219. Fig. 332.

Kreiſelſchnecke mit ganzem
Mundſaum.


wenn, wie bei den Ke-
gel- oder Porzellanſchne-
cken, die letzte Windung
die vorherigen einſchließt,
ſo daß dieſe kaum oder
gar nicht ſichtbar ſind.
Gehäuſe dieſer Art hat
man eingerollte Scha-
len genannt. In man-
chen Fällen indeß, wie
namentlich bei den Krei-
ſelſchnecken, verſchmelzen beide Ränder vollſtändig zu einer faſt runden
Oeffnung, und man ſagt dann, daß das Gehäuſe einen ganzen
Mundſaum
(peristomium) beſitze. Bei vielen Schnecken iſt der
Mundſaum und namentlich der äußere Lippenrand ſchwielig, verdickt,
[319] mit Falten und Vorſprüngen verſehen, die dann beim periodiſchen
Weiterwachſen als Leiſten und Vorſprünge oder Wülſte auf der Schale
zurückbleiben. Es gibt namentlich einige Seeſchnecken, welche von Zeit
zu Zeit ſich einen ſehr ſtark wulſtigen Mundſaum bilden, der dann
als Ring auf den Windungen ſich darſtellt.


Die Beſtimmung der Richtung, in welcher ſich eine Schnecke win-
det, geſchieht uneigentlicher Weiſe in der Art, daß man ſich die Schale
ſo gelagert vorſtellt, wie ſie die Schnecke auf dem Rücken trägt, mit
der Mündung nach unten und der Spitze nach oben. Betrachtet man
die Schnecke auf dieſe Weiſe, ſo liegt bei den links gewundenen der
Lippenrand links, der Spindelrand rechts und das Gehäuſe iſt auf
die rechte Seite geneigt. Bei den rechts gewundenen liegt der Lippen-
rand rechts, der Spindelrand links und das Gehäuſe neigt ſich auf
die linke Seite. So ſind die meiſten unſerer Weinbergſchnecken z. B.
links gewunden; doch findet man zuweilen bei ihnen Abweichungen
von dieſer Regel, wo die Eingeweide ſämmtlich ihren Platz gewechſelt
haben. Jede Schnecke hat ſo eine eigenthümliche Richtung ihrer Win-
dung, welche normal für ſie erſcheint.


Die Bewegungsorgane erſcheinen bei den drei Unterklaſſen,
welche wir unter den Schnecken annehmen, in ſehr verſchiedener Weiſe
geſtaltet. Die Floſſenfüßer und die Kielfüßer ſchwimmen auf offenem
Meere meiſt in ungemein zahlreichen Schwärmen und haben zu dieſem
Endzwecke platte Hautlappen, welche ruderartig bewegt werden. Bei
den Floſſenfüßern ſtehen dieſe Hautlappen, welche paarig ſind, zu
beiden Seiten des Kopfes oder des Leibes, während bei den Kielfüßern
an der Bauchſeite nur ein mittlerer Ruderlappen angebracht iſt, mit-
telſt deſſen die Thiere ihren Körper etwa in ähnlicher Art fortbewegen,
wie man ein Boot mittelſt eines am Hintertheile angebrachten Raders
durch Wirbeldrehungen vorwärts bewegt. Bei den Bauchfüßern iſt

Figure 220. Fig 333.

Voluta
kriechend, mit vorgeſtrecktem Rüſſel, ent-
wickelten Fühlern und im Nacken vorſte-
hender Athemröhre.


das weſentliche Bewegungsorgan eine
fleiſchige Sohle, der Fuß, welcher mit
vielfach ſich durchkreuzenden Faſern
durchwebt und auf der Bauchſeite
des Thieres angebracht iſt. Mit-
telſt dieſes Fußes gleiten die Bauch-
füßer auf den glatteſten Flächen
nach allen Richtungen hin, und wiſ-
ſen ihn auch meiſtens zum Schwim-
men an der Oberfläche des Waſſers
zu gebrauchen. Durch Aushöhlung
[320] ſeiner Unterfläche, nachdem ſie ihn vorher feſt angedrückt haben, kön-
nen ſie auch dieſen Fuß zum feſten Anſaugen benutzen, und namentlich
die Arten mit napfförmigen Schalen beſitzen dieſe Fähigkeit in ſo hohem
Grade, daß man vergebens verſuchen würde, ein Seeohr oder eine
Schüſſelſchnecke mit den bloßen Händen vom Felſen loszureißen. Beim
Zurückziehen der Schnecke dient der Fuß meiſtens dazu, die Mündung
des Gehäuſes zu verſtopfen, und zu dieſem Endzwecke iſt häufig an
ſeinem hinteren Ende ein eigener Deckel(operculum) angebracht,
welcher in die Oeffnung des Gehäuſes paßt und dieſelbe vollſtändig
verſchließt. Dieſer beſtändig vorhandene Deckel, welcher weſentlich
mit zur Charakteriſtik der einzelnen Gattungen dient, hat bald eine
hornige, bald eine kalkige Beſchaffenheit und iſt ſtets aus concentriſchen
Schichten gebildet, welche zuweilen ſogar ebenfalls eine ſpiralige An-
ordnung haben. Nicht zu verwechſeln mit dieſem permanenten Deckel
ſind diejenigen vorübergehenden, aus unregelmäßiger Kalkmaſſe
gebildeten Deckel, womit unſere Landſchnecken im Winter ihr
Gehäuſe ſchließen und die mit dem Beginne des Frühjahres beim
Aufhören des Winterſchlafes von ihnen ſelbſt wieder abgeſtoßen werden.
Geſtalt und Ausbildung des Fußes ſind außerordentlich verſchieden
und können als gute Unterſcheidungszeichen benutzt werden; genauer
betrachtet iſt derſelbe nur eine bedeutendere lokale Entwickelung der
Hautmuskelſchicht, welche überall um den ganzen Körper der Schnecken
ſich vorfindet und die auch namentlich die Mantelfalte, ſowie die übri-
gen Theile des Körpers ſo äußerſt contractil macht.


Das Nervenſyſtem der Schnecken variirt in ſeiner ſpecielleren
Anordnung ungemein, bleibt ſich aber darin gleich, daß ſtets ein
Schlundring entwickelt iſt, mit welchem verſchiedene, in dem Körper
zerſtreute Ganglien in Verbindung ſtehen. Bei allen Schnecken, welche
einen deutlichen, mit Augen und Fühlern verſehenen Kopf beſitzen, ſind
an dieſem Schlundringe zwei obere, dicht aneinandergedrängte, oft in
mehrere Abtheilungen getrennte, zuweilen aber auch zu einem einzigen
Knoten verſchmolzene Ganglien zu erkennen, welche man als Gehirn
bezeichnen kann. Die unteren Knoten, welche den Schlundring com-
plettiren, ſowie die Verbindungsſtränge zwiſchen beiden Hälften, zeigen
eine beſonders große Mannigfaltigkeit in Größe und Anordnung.
Bei den Kielfüßern ſind die Verbindungsſtränge ähnlich wie bei den
Muſcheln ſehr lang und die unteren Knoten ſehr weit nach hinten
gerückt. Bei denjenigen Schnecken hingegen, wo Augen und Fühler
[321]

Figure 221. Fig. 335.

Nervenſyſtem des Seehaſen (Aplysia).
1 Vorderes Lippenganglion. c Oberer
Hauptknoten, über dem Schlunde gelegen
(Hirnknoten). g Unterer Knoten, mit vo-
rigem den Schlundring o bildend, durch
den der Schlund tritt. v Hinterer Einge-
weideknoten.


Figure 222. Fig. 336.

Schlundring einer Schwimmſchnecke
(Janthina),
wo die beiden oberen Knoten des Schlund-
ringes (a) ſehr klein und von einander
entfernt — die unteren (b) weit größer,
aber ebenfalls von einander entfernt ſind.


Figure 223. Fig. 337.

Schlundring einer Wegſchnecke.
(Limax).
Die beiden obern Hirnknoten (c)
ſind verbunden; ſtatt zweier unterer Knoten
exiſtirt nur ein einziger (o).


fehlen, ſind hauptſächlich nur die unteren Knoten entwickelt und die
oberen durch einen einfachen Verbindungsſtrang erſetzt, während bei
manchen Arten, wo der Fuß nur geringe Entwickelung zeigt, die un-
teren Knoten rudimentär werden. Von den Hauptnervenknoten des
Schlundringes werden beſonders die Sinnes- und Mundorgane, die
Haut und der Fuß, ſowie einzelne Eingeweide verſorgt. Alle Nerven
entſpringen aus den Ganglien ſelbſt, niemals aus den Verbindungs-
ſträngen derſelben und außerdem findet ſich noch ein aus äußerſt dün-
nen Nerven und Knötchen zuſammengeſetztes Eingeweidenervenſyſtem,
welches indeß bei den meiſten Gattungen ſich ſchwer verfolgen läßt
und namentlich die Verdauungsorgane, ſowie die Geſchlechtstheile mit
ſeinen Fäden verſorgt.


Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 21
[322]

Sinnesorgane ſind bei den meiſten Schnecken vorhanden.
Beſondere Taſter oder Fühler ſitzen faſt bei allen an dem Kopfe

Figure 224. Fig. 338.

Anatomie einer Kreiſelſchnecke. (Turbo pica.)
Die Schale iſt abgenommen und die Kiemenhöhle nebſt dem Eingeweideſacke in
ſeinem vorderen Theile geſpalten und zurückgeſchlagen, ſonſt aber das Thier in ſeiner
natürlichen Stellung belaſſen. p Der Fuß, auf deſſen hinterem Theile der Deckel (o) auf-
ſitzt, der beim Zurückziehen die Schale ſchließt. t Der Rüſſel. ta Fühlhörner. y Augen,
auf kurzen Stielen an der Baſis der Fühler ſtehend. f Freier Mantelſaum, der den
Schlitz begrenzt, welcher in die Kiemenhöhle führt. m Aufgeſchlitzter Rand des Mantels,
der zurückgeſchlagen wurde und wodurch im Nacken, hinter den Augen, der Hirnknoten,
die körnige Speicheldrüſe und der Anfang des Darmes ſichtbar wurden. b Kieme. vb Kie-
menvene, die das Blut nach hinten, zum Herzen c führt, das im Grunde des Kiemen-
ſackes liegt. ab Kiemenarterie. a Afterdarm und After, in die Kiemenhöhle ausmündend,
ebenſo wie der Eileiter ov. i Hintere Darmſchlinge. e Der im hinteren Theile des ge-
wundenen Gehäuſes liegende Körpertheil, der den Magen, den vorderen Theil des Dar-
mes, die Leber und den Eierſtock nebſt den zu den Geſchlechtstheilen gehörigen Drüſen
enthält.


und können meiſt willkürlich aus- und eingezogen werden. Es haben
dieſe Fühlhörner oder Tentakeln die verſchiedenſten Geſtalten, bald wie
ein feiner Faden, bald wie eine Röhre, die ſich wie ein Handſchuh-
finger aus- und einſtülpt, bald wie ein zugeſpitztes oder eingerolltes
Blatt, oder wie eine breite Platte, die durch Verſchmelzung der beiden
Fühler im Nacken entſteht. Meiſt kommt nur ein Paar ſolcher Fühler
vor. Nur unſere Landſchnecken und einige Fadenſchnecken haben zu-
weilen zwei Paar. Die Taſtnerven, welche in dieſe Organe treten,
ſind verhältnißmäßig ſehr dick und das Gefühl in den Organen äußerſt
fein. Außer ihnen dienen noch öfters beſondere Mundlappen und weiche
Lippen um den Mund den Schnecken zum Taſten.


[323]

Augen ſind faſt überall vorhanden und zwar ſtets nur in der
Zahl von zweien. Nur der niederſten Unterklaſſe, den Floſſenfüßern
und einigen wenigen Bauchfüßern, fehlen die Sehorgane. Es ſitzen
dieſelben entweder im Nacken oder an verſchiedenen Stellen der Füh-
ler, bald an dem Grunde, wie bei unſern Teichſchnecken, bald in der
halben Länge, bald auch an dem vorderſten Ende der Fühler, wie bei
unſern Gartenſchnecken. Jeder Augapfel iſt von einer feſtern Haut
umgeben, welche nach vorn durchſichtig iſt und bis zu dieſer durch-
ſichtigen gewölbten Stelle innen mit dunklem Farbſtoffe ausgekleidet
iſt. Der Sehnerv durchbohrt von hinten her die äußere Augenhaut
und breitet ſich auf der inneren Fläche derſelben zu einer Netzhaut
aus, deren Höhlung von einem Glaskörper und einer Linſe erfüllt
wird. Die Sehnerven ſind meiſt ziemlich voluminös, fehlen aber bei
manchen Schnecken faſt ganz, ſo daß die Augen dem Gehirne unmit-
telbar aufſitzen.


Gehörorgane kommen wohl allen Schnecken ohne Ausnahme
zu, und trotz der niedrigen Stufe ihrer Entwicklung ſcheinen ſie von
großer Bedeutung für die Oekonomie der Thiere, da ſie bei den Em-
bryonen ſehr früh erſcheinen. Sie ſitzen meiſt unmittelbar auf dem
Gehirne auf oder zeigen nur einen kurzen Hörnerven, welcher nur
bei einigen wenigen Kielfüßlern bedeutend verlängert iſt. Es beſtehen
dieſe Gehörorgane nur aus einer runden oder länglichen Kapſel, in
welcher entweder ein kugelförmiger oder viele kryſtalliniſche Gehör-
ſteinchen ſtecken, welche durch Wimpern in ſteter zitternder und wäl-
zender Bewegung gehalten werden.


Die Verdauungswerkzeuge ſind bei den meiſten Schnecken
in weit höherem Grade entwickelt, als bei den Muſcheln und beſonders
zeichnen ſich ſehr viele durch eine ſtarke Bewaffnung des Mundein-
ganges aus. Bei den meiſten Schnecken finden ſich zwei ſeitliche oder
ein mittlerer, in die Decke der Mundhöhle eingeſenkter Kiefer, deren
Muskeln mit denen der Zunge einen ſtarken fleiſchigen Schlundkopf
bilden, welcher meiſt unmittelbar hinter der Mundöffnung liegt und
ſehr oft, beſonders bei Meerſchnecken, ſelbſt an einem mehr oder min-
der langen hervorſtreckbaren Rüſſel angebracht iſt. Die ſeitlichen Kie-
fer ſind Wülſte, welche oft mit Hornplatten, in andern Fällen mit ſcharfen,
aus Kieſelerde beſtehenden Leiſten ausgekleidet ſind und horizontal
gegeneinander wirken. Zuweilen indeß ſind dieſe ſeitlichen Kiefer ver-
kümmert und dafür in der Decke der Mundhöhle ein halbmondför-
miges, mit Leiſten und Vorſprüngen verſehenes, hartes Blatt ange-
bracht, gegen welches die Zunge gerieben werden kann. Dieſe beſteht
21*
[324] meiſtens aus einer riemenförmigen, ſehr beweglichen, mit langen Mus-
keln verſehenen Hautleiſte, welche zuweilen viel länger als der Körper
iſt, und in einer eigenen Taſche vor oder neben dem Schlundkopfe
eingerollt liegt. Dieſe Zunge, welche ein eigentliches Greif- und Schöpf-
organ iſt, kann aus dem Munde hervorgeſtülpt und zum Faſſen und
Zermalmen der Beute benutzt werden. Zu dieſem Endzwecke iſt ſie auf
ihrer Außenfläche entweder mit queren gezähnelten Platten, deren
Zähne in Längsreihen ſtehen, oder mit zwei Reihen langer und ſpitzer
Zähne verſehen, welche zum Anſpießen und Zerreiben der Beute die-
nen. Viele Schnecken nähren ſich von Polypen und dieſe kratzen meiſt
mittelſt der ſtacheligen Zunge die Polypenſtöcke förmlich ab; andere
bohren Schnecken und Muſchelthiere mittelſt ihrer ſcharfen Kiefer an
und freſſen ſie aus. Die Wenigſten nur ernähren ſich von Pflanzen-
ſtoffen, welche ſie mit Zunge und Kiefern zernagen. Die meiſten ſind
nächtliche Thiere, welche Tags über ſtill ſitzen und nur Nachts ihrem
Raube nachgehen.


Der Darmkanal, in welchen ſich die ſo ſtark bewaffnete Mund-

Figure 225. Fig. 339.

Anatomie der Weinbergſchnecke. (Helix pomatia.)
Die Lungenhöhle und der mittlere Theil des Leibes
ſind aufgeſchlitzt und der Mantel zurückgeſchlagen, ſo daß
man die innere Fläche des Lungenſackes und den Anfang
des Darmes ſieht. pi Der Fuß. t Die eingezogenen Fühl-
hörner, die nur noch warzenartig vertreten. d—e Der
Magen. f Die Leber mit der ſich darin verzweigenden
Körperarterie ar. o Der Eierſtock, theilweiſe noch in der
ſehnigen Haut eingeſchloſſen, welche an der letzten Win-
dung des Körpers belaſſen iſt. p Die aufgeſchlitzten und
zurückgeſchlagenen Wandungen der Lungenhöhle, auf wel-
cher ſich die Lungenarterie ap verzweigt. c Das Herz,


höhle fortſetzt, iſt mei-
ſtens ſehr einfach gebil-
det. Eine mehr oder min-
der lange Speiſeröhre,
die meiſt mit Längsfalten
ausgekleidet iſt, führt in
einen Magen, der ge-
wöhnlich dünnwandig,
bei einigen Gattungen
aber ſogar auf ſeiner
innern Seite mit harten
Leiſten oder ſelbſt hor-
nigen Zähnen beſetzt iſt.
Von hier aus windet ſich
ein ſehr dünnwandiger
Darm durch die Maſſen
der Eingeweide, beſon-
ders der Leber, hindurch
und öffnet ſich meiſt an
der rechten Seite des
Körpers in der Nähe der
[325]

am Grunde des Lungenſackes neben der Niere v gelegen.
r Der Afterdarm, der neben dem Ausführungsgang der
Niere cv hinläuft und ſich neben dieſem vorn im Lun-
genſacke im After a öffnet.


Athemwerkzeuge. Die
Stellung des Afters wech-
ſelt ganz außerordent-
lich. Meiſtens liegt er vorn auf der rechten Seite, oft unmittelbar
hinter dem rechten Fühler, bei andern liegt er links, noch bei andern
auf der Rücken- oder Bauchfläche, bald weiter hinten, bald näher
am Kopfe.


Speicheldrüſen, welche in den Schlundkopf und Zungenſack
münden, fehlen faſt keiner Schnecke, ebenſowenig die Leberorgane,
welche freilich zuweilen eigenthümlich entwickelt ſind. Während nämlich
bei den meiſten Schnecken eine wohlgebildete Leberdrüſe vorhanden iſt,
die aus einzelnen Lappen beſteht, welche den Darm umhüllen, ſo finden
ſich bei manchen Bauchfüßern mehr oder minder verzweigte Blind-
gänge, die meiſtens in zwei gabelförmige Kanäle ausmünden, welche
mit dem Magen in Verbindung ſtehen und oft ganz das Anſehen des
baumförmig verzweigten Darmkanales haben, welchen wir bei den
Saugwürmern und den Sohlenwürmern kennen lernten. Die ver-
zweigten Aeſte dieſer Gänge enden blind auf dem Rücken des Thieres
faſt immer in eigenthümlichen fingerförmigen Anhängen, welche wahr-
ſcheinlich zugleich als Athemorgane dienen. Die Wandungen dieſer
blinden Kanäle, in welche ganz ohne Zweifel auch die Nahrungsſtoffe
eintreten, ſind mit eigenthümlichen Zellen ausgekleidet, deren Inhalt
ſie als Leberzellen erkennen läßt. Es ſind alſo dieſe verzweigten Ka-
näle gleichzeitig veräſtelte Darmröhren und Lebergänge, und in den
Fällen, wo ihre Enden in beſonderen Anhängen frei auf dem Rücken
ſtehen, mögen dieſelben auch noch eine beſondere Beziehung zur Ath-
mung haben. Man wurde erſt in neuerer Zeit auf dieſe eigenthümlichen
Verhältniſſe des Darmes und der Leber bei einigen Familien kleiner
Meerſchnecken aufmerkſam und hielt ſie anfangs für wichtig genug,
um darauf eine eigene Ordnung, die Darmgefäßler (Phlebenterata)
zu gründen, die aber bald wieder aufgegeben wurde.


Eigentliche Athemorgane fehlen nur den wenigſten Schnecken,
wo dann einzelne Stellen der Haut die Function derſelben überneh-
men. Dies ſcheint namentlich der Fall bei den meiſten Floſſenfüßern
und bei einigen Bauchfüßern, bei welchen die ſonſt gewöhnlichen Kör-
peranhänge in einer blattartigen Maſſe verſchmolzen ſind. Im Uebri-
gen ſind die Athemorgane dem Aufenthalte der Thiere entſprechend
entweder in der Form von Kiemen oder auch als Lungen
entwickelt. Die Kiemen beſtehen aus federartig geſtellten oder
baumartig veräſtelten Blättchen, welche meiſtens in einer eigenthüm-
[326] lichen Höhle des Mantels im Nacken verborgen ſind und durch einen
Schlitz oder durch ein Loch die nöthige Zufuhr erhalten. Häufig iſt
ſogar der Zugang zu der Kiemenhöhle in eine mehr oder minder
lange Röhre ausgezogen, welche in einem Ausſchnitte oder in einer
ſchnabelartigen Verlängerung des Spindelrandes der Mündung gele-
gen iſt, ſo daß, wenn auch das Thier die Oeffnung der Schale voll-
kommen mit ſeinem Deckel ſchließt, dennoch der Zugang zu der Kiemen-
höhle durch dieſe Röhre oder den Ausſchnitt geöffnet erſcheint und die
Athmung unterhalten werden kann. Die Lagerung der Kiemen wechſelt
außerordentlich; — ſehr ſelten nur ſind ſie ſymmetriſch auf dem hin-
teren Theile des Rückens oder im Umkreiſe des Körpers unter einer
Mantelfalte angebracht. Bei den meiſten liegen ſie unſymmetriſch bald
auf der rechten, bald auf der linken Seite, wo denn ihre Lagerung
zugleich diejenige des Herzens, ſowie des Afters und der Geſchlechts-
mündung bedingt.


Die Lungen, welche ſich nur bei Land- und Süßwaſſerſchnecken
vorfinden, bilden einen meiſt auf der rechten Seite geöffneten, gewöhn-
lich in der Nackengegend gelegenen Sack, deſſen innere Fläche mit
einem äußerſt zierlichen erhabenen Netze von Lungengefäßen überzogen
iſt, welche ſich gewöhnlich in einen einzigen Hauptvenenſtamm ſam-
meln, der ſich unmittelbar in den Vorhof des am Lungenſacke gelege-
nen Herzens ergießt. Bei unſeren Garten- und Weinbergsſchnecken
öffnet ſich dieſer Lungenſack unter dem Mantelwulſte auf der rechten
Seite, wo man ſehr leicht die abwechſelnde Oeffnung und Schließung
des Athemloches beobachten kann.


Ein Herz iſt wohl bei allen Schnecken vorhanden und ebenſo
ein geregelter Blutkreislauf, der indeſſen das Eigenthümliche hat, daß
entweder die ganze Venenbahn oder ein großer Theil derſelben durch
wandungsloſe Kanäle erſetzt iſt und daß die Eingeweidehöhle in dieſen
Kreis mit eingeſchloſſen iſt. Das Blut ſelbſt iſt farblos, opaliſirend
und gerinnt kaum. Das Herz beſteht immer aus einer einfachen, dick-
wandigen, lebhaft pulſirenden Kammer mit einer einfachen oder dop-
pelten Vorkammer, die nur äußerſt dünne Wände beſitzt und die beide
meiſt in einem beſonderen Herzbeutel an der Baſis der Kieme oder
des Lungenſackes liegen. Von der Herzkammer geht unmittelbar die
große Körper-Schlagader aus, die ſich meiſt nach kurzem Verlaufe in
zwei Aeſte trennt, von welchen der eine den Kopf und deſſen Theile,
der andere die mehr nach hinten gelegenen Eingeweide verſorgt. Die
ſehr zierlichen Verzweigungen dieſer Aeſte laſſen ſich bei unſern Weg-
ſchnecken auf dem meiſt braunen Darme ſehr leicht durch ihre milch-
[327] weiße Farbe erkennen. Allmählig verlieren ſich die Wandungen dieſer
Gefäße; das Blut ſtrömt durch die Zwiſchenräume der Körperorgane
durch die Eingeweidehöhle und ſammelt ſich dann wieder in einzelne
Kanäle, welche es zu den Kiemen oder den Lungen hinleiten und von
da durch die Kiemenvenen dem Herzen zuführen. Ob außer dieſen
Zwiſchenräumen noch eigene Waſſergefäße den Körper und nament-
lich den Fuß durchziehen, iſt noch nicht genauer erörtert.


Neben dem Herzen und meiſtens in Verbindung mit ihm einer-
ſeits und dem Maſtdarme andererſeits liegt faſt bei allen Schnecken
ein eigenthümlicher Drüſenſack von blätteriger Structur, welcher offen-
bar eine Niere iſt, da die Flüſſigkeit, welche er ausſondert, deutli-
chen Gehalt an Harnſäure erkennen läßt. Bei vielen Seeſchnecken
namentlich iſt dieſe Abſonderungsflüſſigkeit bläulich-roth gefärbt und
wurde von den alten Griechen und Römern als ächter Purpur zum
Färben benützt.


Sproſſen- oder Knospenbildung, ſowie Ammenzeugung kommen
bei den Schnecken nicht vor. Alle haben Geſchlechtsorgane, deren Bau
oft äußerſt complicirt erſcheint. Die meiſten ſind getrennten Geſchlechts,
manche aber auch, wie namentlich unſere Landſchnecken, Zwitter in
der Weiſe, daß vollſtändige männliche und weibliche Geſchlechtsorgane
bei demſelben Individuum vorhanden ſind und gegenſeitige Befruch-
tung zweier Individuen ſtattfindet. Die Entwirrung der verſchiedenen
Theile, aus welchen die meiſt höchſt unſymmetriſchen Geſchlechts-
organe
zuſammengeſetzt ſind, hat die Anatomen außerordentlich viele
Mühe gekoſtet und die Schwierigkeit der Entſcheidung wurde beſonders
dadurch vergrößert, daß man unſere Wegſchnecken und Gartenſchnecken,
welche die complicirteſten Zwitterorgane haben, zum Ausgangspunkte
der Unterſuchung wählte. Bei den Schnecken mit getrennten
Geſchlechtswerkzeugen
findet man ſtets in der hinteren Abthei-
lung des Eingeweideſackes, meiſt zwiſchen den Windungen der Leber
verborgen, eine Drüſe, welche je nach dem verſchiedenen Inhalte, ſich
als Eierſtock oder Hode zu erkennen gibt. Von dieſer Drüſe geht
ein gewundener Ei- oder Samenleiter aus, der ſich nach vorn begibt
und meiſt neben dem After nach außen mündet. Der Eileiter hat vor
ſeiner Ausmündung eine ſchlauchartige Erweiterung, welche einen ei-
weißartigen Saft abſondert, der ſicher die Hüllen und Kapſeln bildet,
in welche die Eier der Schnecken oft eingeſchloſſen ſind. Dieſe Kap-
ſeln, welche man beſonders häufig an Waſſerpflanzen oder Steinen
findet, haben manchmal eine ſehr ſonderbare Geſtalt und ſind mit
eigenthümlichen Deckeln verſehen, welche oft erſt durch die erwachſenen
[328] Larven aufgeſprengt werden. Bei den männlichen Schnecken getrennten
Geſchlechts ſetzt ſich der Samengang in eine meiſt lange, mehr oder
minder gekrümmte, zungen- oder hakenförmige Ruthe fort, die meiſt
hinter dem rechten Fühler hervorgeſtülpt werden kann oder auch in
der Falte des Mantels zurückgeſchlagen getragen wird.


So einfach dieſe Anordnung der Geſchlechtstheile bei den einge-
ſchlechtigen Schnecken erſcheint, ſo verwickelt iſt die Bildung bei den
Zwittern. Doch läßt ſich im Allgemeinen folgender Typus der Bil-
dung erkennen. In dem Grunde des Eingeweideſackes liegt eine Drüſe,
welche aus in einander geſchachtelten Blindſäcken verſchiedener Natur
beſteht, die etwa in ähnlicher Weiſe ineinanderſtecken, wie die Finger
zweier Handſchuhe, die man über dieſelbe Hand gezogen hat. In dem
inneren Drüſenbalge entwickeln ſich die Samenthierchen, in dem äu-
ßeren die Eier. Es iſt alſo eine förmliche Zwitterdrüſe vorhanden.
Die ſämmtlichen Drüſenbälge vereinigen ſich zuletzt zu zwei geſonder-
ten, aber ebenfalls in einander geſteckten Ausführungsgängen, von welchen
der äußere der Eileiter, der innere eingeſchloſſene der Samenleiter iſt.
Im weiteren Verlaufe trennen ſich dieſe beiden Röhren mehr oder
minder von einander und erhalten beide die verſchiedenartigſten Zuſätze
durch Drüſengebilde aller Art, welche oft höchſt merkwürdige, aber ſehr
vielfach wechſelnde Geſtalten zeigen, Schleim- und Eiweißdrüſen, Säcke,
in welchen eigenthümliche Kalkconcremente ſich bilden, welche wie es
ſcheint, zur Reizung bei der Begattung benutzt werden (die ſogenann-
ten Liebespfeile), eine meiſt ſehr lange cylindriſche, mit einem geiſel-
artigen Fortſatze verſehene Ruthe, welche hervorgeſtülpt oder in die
Leibeshöhle zurückgetragen werden kann, vermehren die Maſſe dieſer
Geſchlechtstheile, welche den größten Theil der Eingeweide ausmachen.
Die Geſchlechtsöffnungen ſelbſt ſind bei dieſen Zwittern ſtets doppelt
und meiſtens auf der rechten Seite angebracht. Gewöhnlich liegen
beide Oeffnungen in einer gemeinſchaftlichen Kloake und zwar ſo, daß
die Ruthenöffnung unmittelbar vor der Scheideöffnung ſich befindet,
zuweilen aber auch trennen ſich beide und dann rückt die Oeffnung,
aus welcher die Ruthe hervorgeſtülpt wird, mehr nach vorn gegen den
rechten Fühler hin, wobei ſie meiſt mittelſt einer Rinne mit der hin-
teren weiblichen Geſchlechtsöffnung verbunden bleibt. Die Begattung
geſchieht bei den Zwitterſchnecken wechſelſeitig, ſo daß jedes Individuum
gleichzeitig befruchtet und befruchtet wird; doch ſind auch unzweifel-
hafte Beiſpiele bekannt, wo einſam gehaltene Zwitterſchnecken ſich ſelbſt
befruchteten und entwicklungsfähige Eier hervorbrachten.


Die Eier der meiſten Schnecken enthalten nur einen verhältniß-
[329] mäßig kleinen Dotter gegenüber der großen Menge von Eiweiß, welche
die Hauptmaſſe des Eies ausmacht. Außerdem finden ſich oft noch
Kalkſchalen, die wieder in gallertartigen Schnüren, hornartigen Kap-
ſeln und mancherlei ſeltſamen Umhüllungsgebilden eingeſchloſſen ſind.
Die Entwicklung der Eier zeigt bei verſchiedenen Abtheilungen
einige Verſchiedenheit. Da ſie bis jetzt nur bei den Bauchfüßern unter-
ſucht iſt und auch hier nur bei ſehr wenigen Arten, ſo werden wir erſt
bei dieſen die Entwicklung der verſchiedenen, bis jetzt bekannten Typen
genauer in das Auge faſſen. So viel ſteht feſt, daß alle Schnecken
mit dem ganzen Körper aus dem Eie entſtehen und daß niemals eine
Spur von Gegenüberſtellung eines eigentlichen Embryonaltheiles und
eines von dieſem verſchiedenen Dotterſackes vorhanden iſt, ſo wie daß
die meiſten Schnecken eine Larvenperiode durchmachen, während wel-
cher ſie eigenthümliche Schwimmapparate beſitzen, die ihnen geſtatten,
frei in dem Waſſer umherzuſchweifen, während ſie ſpäter nur lang-
ſam kriechen können.


Wir theilen die Schnecken hauptſächlich nach ihren Bewegungs-
organen in drei Unterklaſſen ab, von welchen die letzte die zahl-
reichſte und entwickeltſte iſt.


Unterklaſſe der Floſſenſüſſer. (Pteropoda.)


Dieſe beſteht aus nur wenigen und unzulänglich gekannten Weich-
thieren, welche ſich alle dadurch auszeichnen, daß vorn am Kopfe
flügelartige Fortſätze angebracht ſind, die man früher für Kiemen hielt,
die aber nur Schwimmorgane und aus einer unendlichen Anzahl ge-
kreuzter Muskelfaſern gebildet ſind. Die meiſt ſehr kleinen Thiere
treiben ſich mittelſt dieſer Schwimmlappen auf der Oberfläche des
Meeres umher und werden nur ſelten durch Verſchlagen in der Nähe
des Strandes angetroffen. Sie ſind alle Nachtthiere, heben ſich erſt
mit der Dämmerung aus der Tiefe des Meeres in zahlloſen Schwär-
men herauf und ſinken mit dem Morgenlichte wieder hinab. Tags
über trifft man keine Spur von ihnen und manche Arten kommen nur
[330] in ganz finſteren Nächten an die Oberfläche. Die Schwimmlappen
ſind auch bei ruhigem Schweben in ſteter ſchwingender Bewegung,
ähnlich den Flügeln eines Schmetterlings; bei der geringſten Gefahr,
die ſie merken, ziehen ſie die Ruderlappen ein und ſinken in die dunkle
Tiefe hinab. Die meiſten von ihnen beſitzen eine ſehr dünne, oft nur
hornige Schale von ſehr wechſelnder Geſtalt, die den ganzen Körper
des Thieres umſchließt und nur den Mund mit den Schwimmfloſſen
hervortreten läßt. Einige dieſer Thiere ſind ganz nackt und dann
von einer feſteren Haut umgeben.


In allen Körperorganen ohne Ausnahme zeigt ſich der niedere
Stand der Organiſation dieſer Thiere. Den meiſten fehlt ein eigent-
licher Kopf und damit auch Fühler und Augen. Bei dem Schlund-
ringe
ſind die oberen Ganglien meiſt durch einen einfachen Verbin-
dungsfaden erſetzt, während nur die unteren Schlundganglien entwickelt
ſind. Nur zwei Gattungen beſitzen Augen, den übrigen fehlen ſie,
während die Gehörorgane ziemlich allgemein entwickelt ſind. Der
Mund iſt meiſt unbewaffnet, höchſtens von kurzen Fortſätzen umſtellt,
welche zuweilen Saugnäpfe tragen. Er führt in einen muskulöſen
Schlundkopf, in welchem bei manchen eine ſtachelige, mit rückwärts
gewendeten Hakenzähnen beſetzte Zunge ſich findet. Die Afteröff-
nung
des gewundenen Darmkanales befindet ſich meiſt auf der rechten
Seite, zuweilen aber auch auf der Bauchſeite in der Mittellinie, oder
etwas mehr nach links angebracht. Die Leber iſt aus einzelnen Schläu-
chen zuſammengeſetzt, welche unmittelbar in den Darm münden. Das
Herz ſcheint einigen zu fehlen, bei andern nur unvollſtändig entwickelt
zu ſein, und jedenfalls iſt der Blutkreislauf nur ſehr unvollkommen
hergeſtellt. Athemorgane fehlen bei einigen Gattungen ganz, wäh-
rend andere eine geräumige Mantelhöhle haben, in welcher eine fächer-
artige Kieme verborgen liegt. Die Floſſenfüßer ſollen Zwitter ſein,
jedoch ſind alle Unterſuchungen über die Geſchlechtsorgane zu frag-
mentariſch, als daß man hierüber, ſowie über ihre Entwickelung,
irgend beſtimmte Angaben machen könnte. Ihre Anatomie, ſo wie ihre
Entwicklungsgeſchichte ſind noch zu wenig bekannt, als daß man grö-
ßere Unterſchiede aufſtellen könnte, wonach man Ordnungen in dieſer
Unterklaſſe anerkennen müßte.


Wir unterſcheiden zwei Familien. Die eine, die Kryſtallſchnecken
(Hyalida), beſitzen eine bald ſpindelförmige, bald ſchuhförmige, zuweilen
[331]

Figure 226. Fig. 340.

Hyalea.
a
Der zwiſchen den Schwimm-
lappen liegende Mund. bb
Die ausgebreiteten Schwimm-
lappen. c Die durchſichtige
Schale.


ſelbſt ſpiralige Schale von äußerſter Dünne
und Zerbrechlichkeit, welche deßhalb von Lieb-
habern meiſt theuer bezahlt wird; Fühler, Au-
gen fehlen durchaus, wie denn überhaupt kein
deutlicher Kopf zu ſehen iſt. Die Mundöffnung
befindet ſich zwiſchen den beiden Schwimmlap-
pen, welche horizontal zu beiden Seiten ſtehen
und meiſtens in die Schale zurückgezogen wer-
den können. Sie leben in allen Meeren und
ſteigen namentlich Abends in Schwärmen an
die Oberfläche, um ſich ſpäter zu verſenken.
Schalen, welche dieſer Familie angehören, hat
man in den tertiären Schichten gefunden. Ob
die ſogenannten Conularien, welche ſich in den
Uebergangsgebilden in ziemlich großer Anzahl
finden, dann aber verſchwinden, wirklich dieſer
Familie angehören, dürfte wohl noch zweifelhaft ſein. Hyalea; Li-
macina; Cymbulia; Cleodora; Eurybia
.


Die Familie der Wallfiſchſchnecken (Clioida) unterſcheidet ſich von
der vorhergehenden durch den Mangel einer Schale und den Beſitz

Figure 227. Fig 341. Fig. 342. Fig. 343.

Clio borealis.
Fig. 341. Von der Rückenſeite. Fig. 342. und 343. Von der Bauchſeite.
Bei Fig 341. ſieht man die Augen im Nacken, bei Fig. 342. alle äußere Or-
gane ausgebreitet. a Kopfkegel, mit Saugwarzen dicht beſetzt. b Fühler. c
Halskragen mit ſeinen Zipfeln. d Schwimmlappen. e Männliche Ruthe. f
Hinterleib. g Kopfkutte, die über Fühler und Kopfkegel herübergeſtülpt wird.


[332] eines eigentlichen Kopfes, der deutlich von dem Körper getrennt iſt
und meiſtens Fühler, bei einer Gattung ſogar Augen trägt. Die
Gattungen, welche beſonders in den Polarmeeren der Nord- und
Südſee wohnen, dienen hauptſächlich den Wallfiſchen zur Speiſe, und
da das ganze Thierchen kaum einen Zoll lang iſt, ſo kann man leicht
ermeſſen, welche ungeheuere Maſſen von ihnen nöthig ſind, um ihre
rieſigen Feinde zu ernähren. Es nähert ſich dieſe Familie durch La-
gerung des Afters und der Geſchlechtsöffnung an der rechten Seite
des Halſes ſchon mehr den eigentlichen Schnecken. Clio; Pneumoderma.


Unterklaſſe der Kielfüſzer. (Heteropoda.)


Dieſe Unterklaſſe begreift ebenfalls nur ſehr wenige ſchwimmende
Thiere mit ſpindelförmigem Körper, der ganz glasartig durchſichtig
erſcheint und zuweilen eine zierliche, kleine Schale beſitzt, in welcher
aber nur die Haupteingeweide verborgen ſind. Das Schwimmorgan
beſteht aus einer kielartig zuſammengedrückten Floſſe, welche in der
Mittellinie auf der Bauchſeite angebracht iſt. Beim Schwimmen wen-
den die Thiere dieſe Floſſe nach oben, während die Rückenfläche nach
unten gedreht iſt. Der Kopf iſt deutlich, mit mehr oder minder aus-
gebildeten Fühlern verſehen, und trägt meiſtens zwei große Augen
und einen langen Rüſſel, an deſſen vorderem Ende die mit Stacheln
beſetzte Zunge eingerollt liegt. Die oberen Ganglien des Nervenringes
ſind meiſt bedeutend entwickelt, die unteren weit nach hinten ge-
ſchoben und liegen in der Nähe des Eingeweideknäuels, welcher bei
den meiſten Gattungen ſich auf dem Rücken befindet. Die kammför-
migen Kiemen liegen mit dem Herzen, der Leber und den Geſchlechts-
werkzeugen zuſammen in dieſem Knäuel. Wir unterſcheiden drei Fa-
milien. Die Atlantiden (Atlantida) beſitzen eine ſchneckenartig gewundene
Schale, in welche ſich das Thier vollſtändig zurückziehen kann. Der
mit Fühlern, Augen und einem kurzen Rüſſel verſehene Kopf ſitzt auf
einem verlängerten Halſe, auf deſſen Bauchſeite der lanzettförmige,
mit einem Saugnapfe verſehene Schwimmlappen und noch ein zungen-
[333] förmiger Fortſatz ſtehen, welcher letztere einen dünnen Deckel trägt,
mit dem das Thier beim Zurückziehen die Schalenöffnung verſchließen
kann. Die Kiemen liegen im Inneren der Schale verborgen. Der
trichterförmige After ragt in Geſtalt einer Trompete aus der Schalen-
öffnung hervor. Atlanta.


Figure 228. Fig. 344.

Eine Kielſchnecke (Carinaria) aus dem Mittelmeere
in anatomiſch richtiger Stellung. Beim Schwimmen iſt die Floſſe nach oben,
die Schale nach unten gekehrt. p Der Ruderlappen mit einer daran angebrach-
ten, ſaugnapfartigen Vertiefung v. b Der kurze Rüſſel mit der Mundöffnung.
f Fühlhörner mit den Augen y an der Baſis. e Der durchſchimmernde Darm.
c Die mützenartige Schale, die den Eingeweideknäuel enthält und aus welcher
nur bei f die Leber und am unteren Rande die Kiemen (br) hervorſehen. Bei
a befindet ſich der After.


Die Familie der Kielſchnecken (Firolida) iſt entweder nackt, oder
hat nur eine kleine, mützenförmige Schale, welche den Eingeweide-
knäuel einſchließt. Der Körper iſt lang, oft bis zu dem Maaße eines
Fußes, ſpindelförmig und ſo durchſichtig, daß man alle Einzelnheiten
der Organiſation bei dem unverletzten Thiere verfolgen kann. Die
Thiere erſcheinen ſchon in dem Mittelmeere zuweilen in großen Schwär-
men an der Oberfläche des Meeres, doch iſt ihre Schale ihrer großen
Zerbrechlichkeit wegen nur ſelten unverletzt zu erhalten. Carinaria;
Firola; Pterotrachea
.


Nur proviſoriſch ſtellen wir als dritte Familie, die nur eine ein-
zige Gattung enthält, hierher die Pfeilſchnecken (Sagittida), kleine
Thiere von ſpindelförmiger Geſtalt, mit deutlich abgeſetztem Kopfe
und zugeſpitztem Schwanzende, welche man bis jetzt nur im Mittel-
[334]

Figure 229. Fig. 346.


Figure 230. Fig. 345. Fig. 347.

Sagitta.
Fig. 345. Das ganze Thier von oben.
Fig. 346. Der Kopf von oben, ſtärker ver-
größert. Fig. 347. Der Kopf von unten.
a Kopf. b Vordere, c mittlere, d hintere
Schwimmfloſſe. e Hinterer Nervenknoten. f
After, davor die weiblichen, weiter hinten die
männlichen Geſchlechtsöffnungen. g Haken-
kiefer. h Hirnknoten. i Augen. k Mund.


meere und der Nordſee gefun-
den hat. Der Kopf iſt deutlich
iſolirt und unter einer kapuzen-
artigen Verlängerung der ſonſt
durchſichtigen Haut verborgen.
An den Seiten des Körpers fin-
den ſich mehr in der Mitte und
nach hinten hin zwei Paar hori-
zontaler Schwimmlappen, und
das Schwanzende ſelbſt iſt von
einem Schwimmlappen umgeben,
welcher etwa die Geſtalt des Fe-
derbartes an einem Pfeile hat.
Der Mund iſt mit jeitlichen Ha-
kenkiefern bewaffnet und auf dem
Kopfe ſieht man in dem Nacken
zwei wenig entwickelte Augen und
Fühler, während der After in
der Mittellinie der Bauchfläche,
und die Ausführungsgänge der
zwitterartigen Geſchlechtstheile
paarweiſe auf der Rückenſeite ſich
öffnen. Die Schnelligkeit der Be-
wegungen dieſer Thiere iſt be-
deutend. Sagitta.


Unterklaſſe der Bauchfüſzer. (Gasteropoda.)


Die dritte, bei weitem größte Unterklaſſe der Schnecken wird von
den Bauchfüßern (Gasteropoda) gebildet. Sie unterſcheiden ſich von
den beiden vorhergehenden Unterklaſſen durch Form und Weſen ihres
Bewegungsorganes, welches nur zum Kriechen eingerichtet iſt und eine
meiſt breite und platte Muskelſcheibe darſtellt, auf welcher das Thier
ruht und vorwärtsgleitet. Von den Bauchfüßlern gilt weſentlich
[335] Dasjenige, was wir von den Schnecken überhaupt ſagten. Wir theilen
ſie, nach der Bildung ihrer Athemorgane, in zwei Ordnungen, die
Kiemenſchnecken (Branchiata) und die Lungenſchnecken (Pul-
monata
)
, welche wieder durch andere Organiſationsverhältniſſe in
kleinere Unterabtheilungen zerfallen.


Die große Ordnung der Kiemenſchnecken (Branchiata),
welche hauptſächlich das Meer bewohnen, zeichnet ſich außer der Struk-
tur ihrer Athemorgane, auch noch ganz beſonders durch die Entwick-
lung ihrer Jungen aus. Alle, ohne Ausnahme, durchlaufen nämlich
einen Larvenzuſtand, während deſſen ſie durch bewimperte Kopflappen
zum Schwimmen befähigt ſind. Nachdem die Furchung des Dotters
vorüber iſt, entwickeln ſich zwei Schichten verſchiedener Zellen an dem-
ſelben, von denen die äußere, hellere den Mantel, die Haut und den
Kopf, die innere, dunklere die Eingeweide bildet. Der ganze neu ge-
bildete Embryo gleicht nach der Ausbildung dieſer Schichten einem
Kuchen, an deſſen einer Hälfte ſich Flimmerhaare von mehr oder

Figure 231. Fig. 348. Fig. 349.

Der Embryo einer Sternſchnecke (Doris)
im Beginne ſeiner Entwickelung und noch im Eie eingeſchloſſen. Fig. 348. Vom
Rücken geſehen. Figur 349. Von der Seite. Die Schale hat ſich eben gebil-
det und umfaßt napfförmig nur den hinteren Theil des Embryo’s. Man
ſieht noch die urſprüngliche Theilung der Embryonalmaſſen in hellere die äu-
ßere Schicht bildende Zellen und dunklere innere Maſſen, die ſich zu Darm
und Leber zu ſondern beginnen. Die Gehörſteine ſind gebildet; der Fuß noch
ſehr kurz und warzenartig vorſtehend; die Wimperſegel ſchon mit langen Haa-
ren verſehen. a Die Eiſchale. b Die Schale des Embryo’s. c Wimperſegel.
d Gehörbläschen. e Fuß.


minder bedeutender Länge entwickeln. Der Embryo, deſſen Flimmer-
haare anfangs in beſtändiger Bewegung ſind und eine ſtete Drehung
um die Axe bewirken, zeigt ſich nun aus zwei Regionen zuſammen-
geſetzt; einem hinteren kugelförmigen Theile, der bald von einer äußerſt
[336] zarten Schale in Geſtalt eines Napfes umſchloſſen wird, und aus einem
vorderen Theil, auf deſſen Rückenfläche die Flimmerhaare, auf der
Bauchfläche hingegen ein zungenförmiger Fortſatz ſich befindet, der
ſich allmählig zum Fuße ausbildet, während man zugleich im Inneren
dunklere Zellenhaufen wahrnimmt, welche die Entwickelung des Darms
und der Leber vorbereiten. Bei fortſchreitender Entwickelung des jun-
gen Thieres bilden ſich alle ſo angelegten Organe nach und nach aus.
Die Stelle im Nacken, wo die Flimmerhaare ſich befinden, wächſt zu
zwei häutigen Segeln aus, die meiſt mit außerordentlich langen Wim-
perhaaren beſetzt ſind, nach Willkühr ein- und ausgeſtülpt werden
können und ein ſehr wirkſames Schwimmorgan für die freigewordenen
Thierchen bilden. Die Schale wird mützenartig und ſo groß, daß
das ganze Thier ſich in ſie zurückziehen und mit einem an der Hin-
terfläche des Fußes angebrachten Deckel die Oeffnung derſelben ſchlie-
ßen kann. Von den inneren Organen ſieht man zuerſt die Gehör-
organe mit den in ihnen befindlichen Gehörſteinen erſcheinen, dann
den gewundenen Darmkanal, deſſen Mundöffnung ſich zwiſchen den
Wimperſegeln befindet, während der After auf der rechten Seite in
der Nackengegend ſich zeigt. Erſt lange nach den Gehörorganen er-
ſcheinen die Augen und zuletzt von allen inneren Organen das Herz,
ſo daß bei faſt allen dieſen Schnecken die ganze embryonale Entwicke-
lung ohne Dazwiſchenkunft eines Herzens, alſo eines Blutlaufes, zu
Stande kommt. Indeſſen fehlt auch bei den Embryonen ein Umtreiben
der die Leibeshöhle erfüllenden Flüſſigkeit nicht. Es blähen ſich nämlich
abwechſelnd der Fuß und die Nackengegend auf und ziehen ſich wieder
zuſammen, ſo daß auf dieſe Weiſe ein unregelmäßiges Wogen der
Flüſſigkeit von vorn nach hinten und umgekehrt Statt findet. Die
ausgebildete Larve iſt ein äußerſt lebhaftes, kleines Thierchen, wel-
ches mit großer Schnelligkeit, mittelſt ſeiner Wimperſegel umher-
ſchwimmt und meiſtens auch in dieſem Zuſtande die Kapſeln oder Ei-
ſchläuche durchbricht, in welchen die Eier ſich befanden. Zuweilen
(Paludina) geſchieht dies Durchbrechen ſchon im Eileiter der Mutter,
ſo daß die Schnecke lebendige Junge gebiert. Haben ſich dieſe einige
Zeit im freien Waſſer umhergetummelt, ſo beginnt die Rückbildung
der Schwimmorgane. Diejenigen Schnecken, welche im ſpäteren Alter
nackt ſind, werfen die Schale ab, während bei den anderen ſie ſich
nach und nach zu ihrer bleibenden Form geſtaltet. Hinter den Segeln,
welche allmählig einſchrumpfen und endlich vollſtändig verloren gehen,
ſproſſen die Fühler hervor und der Fuß entwickelt ſich mehr und mehr
als einziges Bewegungsorgan. Aus einem lebhaften Schwimmer iſt
[337]

Figure 232. Fig. 351. Fig. 350.

Vollſtändig ausgebildete freiſchwimmende Larven derſelben Sternſchnecke (Doris).
Fig. 350. Von der Seite, mit taſtend ausgeſtreckten Wimperhaaren, zuſammengezogenem
Fuße und aufgeblähter Nackengegend. Fig. 351. Von vorn, ſchwimmend. Die Schale
iſt nun ſo groß, daß das Thier ſich völlig darein zurückziehen kann. Der Fuß iſt an
ſeiner unteren Fläche mit einem dünnen Deckel verſehen, womit die Schale beim Zurück-
ziehen geſchloſſen werden kann. Der runde Magen, die Leber, der ſchlingenförmig gebo-
gene Darm, die Mantelhaut des Körpers, die Muskeln ſind deutlich geworden. b bis
e haben dieſelbe Bedeutung, wie in den vorigen Figuren. f Mund. g Magen. h Schlin-
genförmig gebogener Darm. i After. k Leber. l Muskel, der den vorderen Theil des Thieres
in die Schale zurückzieht. m Der am Fuß angebrachte Deckel. n Aufgeblähte Rückenhaut.


Figure 233. Fig. 252.

Kreislaufsorgane einer Sternſchnecke (Doris).
Die Gefäße, welche arterielles Blut führen,


eine langſam kriechende Schnecke ge-
worden. Die Größe und Ausbil-
dung der Wimperſegel, die Geſtalt
und das Verhältniß der Schale
bilden die weſentlichſten Unterſchiede
zwiſchen den Embryonen jener Thiere,
welche im erwachſenen Alter ſo außer-
ordentlich verſchieden ſind.


Nach der Lage der Athemor-
gane, hauptſächlich im Verhältniße
zum Herzen, unterſcheiden wir zwei
größere Unterordnungen. Bei den
Rückenkiemern (Opistho-
branchia
)
ſtrömt das Blut von
den auf dem Rücken gelegenen Kie
men her gegen das Herz zu und die
Vorkammer befindet ſich in Folge
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 22
[338]

ſind durch einfache Linien angegeben, die
Venen ſind ſchattirt. a Die Herzkammer.
b Die große Körperarterie, welche aus der
Herzkammer entſpringt und das Blut zu
den Organen des Körpers bringt. c Die
hinter der Kammer gelegene Vorkammer
des Herzens, welche das von den Kie-
men herkommende Blut durch die kreis-
förmige Kiemenvene d erhält und es dem
Herzen zuſendet. f Die Hauptkörpervene,
welche das Blut aus den Organen ſam-
melt und es den Kiemen zuführt. t Die
Fühler der Schnecke.


dieſer Lagerung hinter der eigent-
lichen Herzkammer. Die Kiemen
bilden Büſchel oder einzelne An-
hängſel, welche mehr oder minder
unbedeckt auf dem Rücken oder an
den Seiten liegen; faſt niemals fin-
det ſich ein eigentlicher Mantelum-
ſchlag in Geſtalt einer Kapuze, welche
eine Kiemenhöhle in der Nackenge-
gend bildet. Alle zu dieſer Abthei-
lung gehörigen Schnecken ſind Zwitter und die meiſten von ihnen
haben nur eine ſehr dürftig entwickelte Schale, oder ſind im erwach-
ſenen Alter vollkommen nackt.


Die Familie der Blaſenſchnecken (Bullida) beſteht aus Gattun-

Figure 234. Fig. 353.

Das Thier der Bulla hydatis
aus der Schale genommen.
p Die vorderen ſeitlichen Flügel-
fortſätze des Fußes. v Die von den
verwachſenen Fühlern gebildete Platte.
c Leib, von der Schale bedeckt. p‘
Hinterer Theil des Fußes. a After.


gen, welche ſich den Flügelfloſſern noch
am meiſten nähern. Die blattartigen
Fühler ſind entweder nur ſehr unvoll-
ſtändig entwickelt und auf dem Rücken
zu einer Hautplatte verwachſen, oder ſie
fehlen auch gänzlich und der Kopf zeigt
ſich nur als ein vorderer Knopf, in
welchem die breite, mit Querplatten be-
ſetzte Zunge eingerollt liegt. Zuweilen
verſchwinden die mittleren Platten, ſo
daß die Zunge dieſer Thiere nur mit
hakenförmigen Seitenplatten beſetzt iſt.
Viele ſind ganz nackt, andere haben eine dünne, bauchige, mit geringer
Spiralwindung verſehene Schale, welche ſehr dünn und zerbrechlich
iſt, und theilweiſe oder ganz in den Mantel eingelaſſen erſcheint. Bei
den meiſten iſt der Fuß nach den Seiten hin blattartig ausgedehnt,
zuweilen ſo bedeutend, daß er zwei förmliche Schwimmlappen bildet,
welche dem Thiere auch wirklich zu dieſer Art von Ortsbewegung die-
nen. Die Kiemen liegen an der hinteren Seite des Thieres rechts nach
dem Rücken zu unter einer Mantelfalte verborgen und beſtehen meiſt
nur aus einer einzigen Feder. Die Thiere ſind Zwitter; After und
weibliche Geſchlechtsöffnung finden ſich nebeneinander auf der rechten
Seite hinter der Kieme und letztere ſteht durch eine Rinne mit der
Oeffnung für die Ruthe in Verbindung, welche ganz vorn am Kopfe
hinter dem rechten Fühler hervortritt. Die Schnecken dieſer Familie
wohnen hauptſächlich in wärmeren Meeren, vom Mittelmeere an ſüd-
[339] lich und ihre Schalen finden ſich ſowohl in den juraſſiſchen Schichten,
als in den Tertiärgebilden. Bulla, Bullaea, Doridium, Gasteropteron.


Figure 235. Fig. 354.

Gewöhnlicher See-
haſe (Aplysia depilans).


Figure 236. Fig. 355.

Umriß des Seehaſen
von oben mit zurückgeſchlage-
nem Mantel.
tt Vordere und hintere
Fühler. y Augen. m Der
zurückgeſchlagene Mantel.
b Kiemen.


Die Familie der Seehaſen (Aplysida), der
vorigen ſehr ähnlich, wird von großen, oft fuß-
langen, faſt gänzlich nackten Schnecken gebildet,
die in der Geſtalt viele Aehnlichkeit mit un-
ſeren nackten Landſchnecken haben. Der Körper
iſt nach hinten breiter, nach vorn halsartig
verſchmälert, und der Kopf mit zwei Paar
Fühlern verſehen, von welchen die vorderen
breit und blattartig, die hinteren rund und
ſpitz ſind. Vor dieſen liegen die beiden Augen.
Der Fuß iſt ziemlich ſchmal, der Mantel dage-
gen breit und ſeine freien Ränder werden meiſt
nach oben zurückgeſchlagen, ſo daß ſie den Rücken
größtentheils decken. Die Kiemen befinden
ſich hinten und rechts unter einer zweiten Man-
telfalte, in welcher eine dünne hornartige Schale
verborgen iſt. After und Geſchlechtsöffnung ver-
halten ſich wie bei der vorigen Familie. Der
Mund iſt mit einer breiten, mit vielen gezäh-
nelten Querplatten beſetzten Zunge bewaffnet.
Die Thiere ſondern, wie es ſcheint zu ihrer
Vertheidigung, aus den ſeitlichen Lappen des
Mantels eine dunkelröthliche Flüſſigkeit ab, die
das Waſſer färbt und für giftig gehalten wird.
Sie kriechen hauptſächlich unter den Tangen an
der Küſte umher und finden ſich manchmal ſo
zahlreich, daß man bei ſtarker Ebbe den Strand
ganz damit beſäet findet. Aplysia, Lophocercus,
Lobiger, Dolabella.


Die Fadenſchnecken (Eolida) bilden eine
höchſt merkwürdige Familie nackter Seeſchnecken,
welche beſonders in den neueren Zeiten viel-
fach unterſucht worden iſt. Der längliche Kör-
per gleicht faſt dem einer gewöhnlichen Weg-
ſchnecke und trägt meiſtens auch vier Fühler,
die oft blattartig eingerollt ſind. Auf dem Rücken
finden ſich gewöhnlich eigenthümliche cylindriſche
Anhänge, oft in großer Anzahl, in welche ſich
22*
[340]

Figure 237. Fig. 356.

Eolidia.


die verzweigten Lebergänge hinein erſtrecken. Meiſt
ſind dieſe Anhänge an der Spitze mit einem Drüſen-
kopfe verſehen, aus welchem Neſſelorgane hervorgepreßt
werden können, und in den Röhren, welche mit Leber-

Figure 238. Fig. 357.

Glaucus.


körnern belegt, ſich in dieſe
Anhänge erſtrecken, ſieht man
häufig Nahrungsſtoffe cirkuli-
ren. Der After liegt bald mehr
nach vorn, bald mehr nach
hinten meiſt auf der rechten
Seite des Thieres, vor ihm
auf der rechten Seite die Ge-
ſchlechtsöffnung und in der
Nähe des rechten Fühlers die
Oeffnung für die Ruthe. Die
Fadenanhänge des Rückens
ſpielen offenbar auch die Rolle von Kiemen, da zwiſchen ihrer glashellen
Haut und dem darin enthaltenen Lebergange ein bedeutender Raum iſt,
worin das Blut cirkulirt. Bei einigen Gattungen ſind dieſe Anhänge
zu beiden Seiten auf Fortſätze geſtellt und dienen zugleich als Ruder-
lappen zum Schwimmen auf dem hohen Meere, bei anderen ſind ſie
ſämmtlich in zwei breite Lappen verwachſen, welche meiſt auf dem
Rücken zuſammengeſchlagen getragen werden (Actaeon). Die kleinen
Thiere, deren Anatomie und Entwicklungsgeſchichte man jetzt ziemlich
genau kennt, kriechen vorzüglich am Seetang umher. Es finden
ſich unter ihnen Gattungen, welche durch die Stellung des Afters
hinten auf dem Rücken den Uebergang zu der folgenden Familie bil-
den. Eolidia, Janus, Glaucus, Actaeon, Tergipes.


Die Sternſchnecken (Dorida) ſind ebenfalls meiſt kleine Thiere

Figure 239. Fig. 358. Fig. 359.

Doris tuberculata.
Fig. 358 von oben, Fig. 359 von unten. a Der


von lebhafter Färbung
mit vier Fühlern, wo-
von zwei auf dem Nack-
en, zwei andere vorn
am Kopfe ſtehen. Der
After befindet ſich an
dem hinteren Theile des
Rückens in der Mittel-
linie und iſt von einem
Sterne baumartig ver-
äſtelter Kiemen umge-
ben. Die Geſchlechtsöff-
[341]

Mund. c Der After. d Die Kiemen. e Eine daneben
gelegene Drüſenöffnung. f Lippenfühler. t Nackenfüh-
ler. g Fuß.


nungen liegen auf der
rechten Seite unter dem
Mantelrande. Doris, Eu-
plocamus, Idalia.


Die Segelſchnecken (Tritonida) unterſcheiden ſich von den Vo-
rigen nur dadurch, daß die Kiemen in zwei Reihen an den Seiten
des Rückens angebracht ſind und der After auf der rechten Seite hin-
ter den Geſchlechtsöffnungen liegt. Bei einer Gattung iſt der Kopf
von einem breiten gefranzten Segel umgeben, welches offenbar ein
Ueberreſt der bei den Larven vorhandenen Wimperſegel iſt. Tritonia,
Scyllaea, Thetis.


Figure 240. Fig. 360.

Diphyllidia ocellata von der
Seite.
a Der Mund. b Die Geſchlechts-
öffnung. c Die Afteröffnung. d Die
Kiemen. t Die Fühler.


Die Blättchenſchnecken (Phylli-
dida
) enthalten eine geringe Anzahl
nackter Schnecken mit breiter Sohle
und kurzem dickem Kopfe, bei welchen
die blattartigen Kiemen zu beiden Sei-
ten des Körpers in einem Falze zwi-
ſchen dem Mantel und dem Fuße lie-
gen. Die Geſchlechtsöffnung befindet
ſich ſtets rechts, der After bald auf
dem Rücken, bald auf der rechten Seite
hinter der Geſchlechtsöffnung. Die
Gattungen leben hauptſächlich in ſüdlichen Meeren. Phyllidia, Di-
phyllidia.


Figure 241. Fig. 361.

Pleurobranchus Peroni.
Die [Buchſtaben] haben dieſelbe Be-
deutung wie bei Diphyllidia.


Die Seitenkiemer (Pleurobran-
chida
) ſind äußerſt zierliche, oft halb
durchſichtige breite Schnecken von ſchild-
förmiger Geſtalt, welche auf der rech-
ten Seite unter dem Mantel in einem
Falze eine federartige Kieme tragen,
die oft noch von einer dünnen, im
Mantel verborgenen oder freiliegenden
Schale gedeckt wird. In dem Seiten-
falze liegt vor der Kieme der After und vor dieſem die Geſchlechtsöffnung.
Der Mund iſt zu einem Rüſſel verlängert und mit einer breiten viel-
plattigen Zunge bewaffnet. Die Gattungen ſind im Mittelmeere und
an den Küſten des Oceans nicht ſelten. Pleurobranchus, Pleurobran-
chaea, Umbrella.


Der vorigen Familie entſprechen in den ſüßen Gewäſſern unſerer
Gegend die Flußnäpfe (Ancylida), kleine Schneckchen mit dünner,
mützenförmiger Schale, bei welchen die einfach blattartige Kieme auf
[342] der linken Seite unter dem Mantel angebracht iſt. Die Geſchlechtsöff-
nung befindet ſich mit dem After rechts auf der entgegengeſetzten Seite
des Thieres. Ancylus.


Die zweite große Abtheilung der Kiemenſchnecken, welche wir die
Halskiemer (Prosobranchia) nennen, iſt bei weitem zahlrei-
cher, als die vorhergehende und beſitzt mehrere Charaktere, durch welche
ſie ſich leicht unterſcheiden läßt. Alle dieſe Thiere haben im erwachſe-
nen Zuſtande eine meiſt gerollte Schale, in welche ſie ſich vollſtändig
zurückziehen können. Der Mantel bildet an der vorderen Hälfte des
Körpers im Nacken einen weiten Umſchlag, unter deſſen Wulſt der
Kopf zurückgezogen werden kann. In dieſer Kammer des Mantels
liegen die kammförmigen Kiemen, ſo wie die Geſchlechts- und After-
öffnung. Das Blut, welches aus den Athemorganen kömmt, ſtrömt
nach hinten zu gegen das Herz hin, deſſen Vorkammer nach vorn
liegt. Alle Individuen ſind getrennten Geſchlechtes und die Ruthe liegt
bei den Männchen meiſt auf der rechten Seite, zurückgeſchlagen in einer
Falte des Mantels. Die meiſten Familien dieſer überaus zahlreichen
Ordnung leben in dem Meere und ſind durch dicke und feſte Schalen
ausgezeichnet.


Die Familie der Schüſſelſchnecken (Patellida) bildet gewiſſer-

Figure 242. Fig. 362.

Eine Schüſſelſchnecke (Patella) von
unten.
t Der Kopf mit den am Grunde der
Fühler angebrachten Augen und dem rüſ-
ſelförmigen Munde. c Der gezackte Scha-
lenrand. m Die Mantelfalte. b Die Kie-
men, welche den ganzen Körper umgeben.
p Der kreisförmige Fuß.


maßen den Uebergang von der
vorigen Ordnung zu dieſer.
Die ſchüſſelförmige Schale hat
die Geſtalt eines flachen Ke-
gels, von deſſen Spitze meiſt
ſtrahlig Leiſten nach unten
herablaufen. Die innere Höh-
lung dieſes Kegels iſt glatt,
ohne vorſpringende Leiſten und
Falten. Das Thier füllt dieſe
Höhlung faſt ganz aus und
ſaugt ſich mit dem breiten,
kreisförmigen Fuße ſo feſt an,
daß die Schale wie ein Schröpf-
kopf auf dem Felſen aufſitzt.
Der Kopf iſt rüſſelförmig vor-
gezogen, mit zwei langen dün-
nen Fühlern beſetzt, an deren
Grund die Augen ſtehen. Die
[343] ſtachelige Zunge iſt meiſt länger, als der Körper und liegt oft mehr-
fach gewunden in der Leibeshöhle. Die blattartigen Kiemen finden ſich
im Kreiſe um den Körper in der rinnenartigen Vertiefung zwiſchen
dem Fußrande und dem Mantel. Sie ſind häufig in allen Meeren
und dienen beſonders der ärmeren Klaſſe der Bevölkerung zur Nah-
rung. Die Thiere ſitzen äußerſt feſt an den Felſen und manche Arten
höhlen ſich ſogar ihren Sitzplatz aus, zu welchem Zwecke Fuß und
Mantelrand ebenſo, wie bei den bohrenden Muſcheln, mit Kieſelkry-
ſtallen beſetzt ſind. Bei einer in Peru vorkommenden Gattung findet
ſich außer den ſeitlichen Kiemen in einer Mantelfalte des Nackens,
noch eine Blätterkieme ganz in der Weiſe, wie ſie bei den übrigen
Halskiemern vorkommt. Acmaea, Patella.


Die Familie der Zahnſchnecken (Dentalida) beſteht aus einer

Figure 243. Fig. 363. Fig. 364. Fig. 365.

Dentalium entalis.
Fig. 363. Die Schale iſt oben etwas zerbrochen, um
das vordere Ende des ganz zuſammengezogenen Thieres zu
zeigen. Man ſieht nur das hakenförmige Ende des Fußes,
welches aus der zuſammengezogenen Oeffnung des Mantels
hervorſteht. Fig. 364. Das Thier aus der Schale genommen,
von der Bauchſeite. Aus der Krauſenöffnung des Mantels
ſchaut der hakenförmige Fuß hervor; in der Mitte ſchimmert
durch den Mantel die fingerförmig verzweigte Leber, weiter
hinten der Darm und der Eierſtock durch. Der After liegt
am hinteren Ende des Thieres in einer blaſenartigen Erwei-
terung. Fig. 365. Der Mantel iſt durch einen Längsſchnitt
dem Rücken nach geöffnet und auf die Seite geſchlagen, ſo
daß man den auf dem Fuße aufliegenden Kopf und die fa-
denartigen Kiemen ſieht. a Der Fuß; b der ſackförmige
Mantel; c die Leber; d der After; f die Kiemen; e der Kopf.


höchſt ſonderbaren
Gattung, deren we-
nig gebogene, ſpitz
zulaufende, an bei-
den Enden offene
Schale etwa die
Geſtalt eines Stoß-
zahnes vom Ele-
phanten nachahmt.
Ehe man das Thier
kannte, reihte man
dieſe Schalen unter
die Röhrenwürmer;
und in der That iſt
das Thier ſo ab-
weichend gebaut, daß
man ſeinen Platz
nur unſicher beſtim-
men kann, und in
ihm einen Uebergang
von den Röhren-
muſcheln zu den
Schnecken erkennen
muß. Der Körper
iſt lang, wurmför-
mig, von einem dün-
nen Mantel einge-
[344] hüllt, der über dem Kopfe einen glockenförmigen Umſchlag bildet, ſonſt
aber das ganze Thier ſo einhüllt, daß nur die hakenförmige Spitze
des Fußes aus der vorderen Oeffnung hervorſchaut. Der Kopf ſelbſt
iſt ſehr klein, mit Lippenfäden beſetzt und liegt gleichſam nur als An-
fang auf dem cylindriſchen, langen, fleiſchigen Fuße, der weit nach
vorn über den Kopf hervorragt und, da das Thier verkehrt im
Sande ſteckt, zum Aufwühlen dieſes Sandes dient. Hinter dem Kopfe
liegen in einer geräumigen Höhle des Mautels zu beiden Seiten die
fingerförmig veräſtelten Kiemen, während der After ſich an dem hin-
teren Theile des Körpers in einem Schlitze öffnet. Sie finden ſich in
allen Meeren verbreitet und kommen ſchon in den Uebergangsſchichten
vor, von wo aus ſie ſich etwa in gleichem Verhältniſſe bis auf unſere
jetzige Schöpfung fortſetzen. Dentalium.


Figure 244. Fig. 366.

Das Thier des Vermetus gigas
aus der Schale genommen.


Die Wurmſchnecken(Ver-
metida)
ſind in der Geſtalt des
Körpers einigermaßen den vor-
hergehenden ähnlich. Der Fuß
iſt ebenfalls keilförmig, rund, aber
bei weitem kleiner und an ſeinem
gerade abgeſchnittenen Vorderende
mit einem hornigen Deckel verſe-
hen, welcher beim Zurückziehen das

Figure 245. Fig. 367.

Die Schale des Vermetus.


Gehäuſe ſchließt. Dieſes
bildet eine lange, meiſt
nach unten ſpitz zulau-
fende Röhre, die gewöhn-
lich wie ein Schrauben-
zieher gewunden und wie eine Wurmröhre an Steinen und Korallen
feſt geklebt iſt. Das Thier, welches dieſe Schale nicht verlaſſen kann,
hat einen kleinen Kopf mit längeren Lippenfühlern und kleinen, platten,
dreieckigen Nackenfühlern, an deren äußerem Grunde die Augen ſtehen.
Der Mantel bildet um den Nacken einen ſehr langen Umſchlag und
eine tiefe Höhle, in welcher linkerſeits die kammförmige Kieme, rechts
der After und die Geſchlechtsöffnung liegen. Der Mund iſt mit zwei
ſeitlichen ſchwachen Kiefern und einer breiten Zunge bewaffnet, auf
welcher ſieben Längsreihen von gezähnelten Hornleiſten ſtehen. Einige
Gattungen, die zu dieſer Familie gehören, bilden in der Jugend eine
regelmäßige Spiralſchale, welche erſt im Alter unregelmäßiger wird.
Vermetus; Siliquaria; Magilus.


[345]
Figure 246. Fig. 368.

Calyp-
traea
von oben.
Man ſieht von
dem Thiere nur
den Kopf mit den
Fühlern.


Die Mützenſchnecken(Capulida) gleichen in der
Form ihrer Schale weſentlich den Schüſſelſchnecken, doch
mit dem Unterſchiede, daß der Gipfel dieſer Schale meiſt
excentriſch nach hinten ſteht, Spuren einer beginnenden
Windung zeigt und innen eine gebogene Kalkplatte be-
ſitzt, welche zuweilen die Oeffnung der kegelförmigen
Schale mehr oder minder verſchließt. Die Thiere ſelbſt
ſind einigermaßen denen der Schüſſelſchnecken ähnlich,
aber weſentlich dadurch verſchieden, daß ſie die fein
gefederten Kiemen in einer tiefen, auf dem Nacken angebrachten Höhle
tragen und eine bandförmige, mit ſieben Längsplattenreihen beſetzte
Zunge beſitzen. Sie ſitzen eben ſo feſt an einem Orte, wie die Schüſ-
ſelſchnecken und einige Gattungen zeichnen ſich dadurch aus, daß ſie
eine Kalkplatte an dem Fuße ausſchwitzen, die eine förmliche feſthaf-
tende Schalenhälfte bildet, ſo daß das Ganze etwa einer Kreismuſchel
(Orbicula) ähnlich ſieht. Die Schale iſt niemals ausgeſchnitten oder
durchbohrt, ein Charakter, der zu ihrer Unterſcheidung von andern
Familien dient. Calyptraea; Pileopsis; Capulus; Hipponyce.


Die Napfſchnecken (Sigaretida) zeichnen ſich durch den ungemein
großen Fuß aus, der nach beiden Seiten weithin hervorragt und
durch eine tiefe Querfalte, welche von einem Lappen überragt iſt, von
dem kleinen oft undeutlichen Kopfe getrennt wird. Die flache, gewun-
dene Schale, die eine ſehr große Mündung beſitzt, wird zum Theil
im Mantel eingeſchloſſen. Die Fühler ſind ſehr kurz, klein und tra-
gen die Augen am äußeren Rande ihrer Baſis. Die Kiemenhöhle
liegt oben im Nacken und öffnet ſich zuweilen durch einen Ausſchnitt
des Mantels nach außen. Die ſeitlichen Kiefer ſind aus moſaikarti-
gen Stücken zuſammengeſetzt, welche in regelmäßigen Reihen ſtehen
und gegen die eine mit ſieben Längsreihen von Platten beſetzte Zunge
reibt. Sigaretus Natica.


Figure 247. Fig. 369.

Paludina.


Die Sumpfſchnecken(Paludinida) ſind die einzige
Familie dieſer Ordnung, deren Angehörige ſich in ſüßen
Gewäſſern vorfinden. Das Gehäuſe dieſer Schnecken
iſt meiſtens ſehr dünn, von faſt hornartiger Beſchaffen-
heit und wechſelt hinſichtlich der Form ſeiner Windun-
gen von der Scheibenform bis zu thurmförmiger Erhe-
bung. Der Mundſaum dieſes Gehäuſes iſt ſtets vollſtän-
[346]

Figure 248. Fig. 370.

Valvata.


dig und kann durch einen meiſt hornigen, ſelten kalki-
gen Deckel gänzlich geſchloſſen werden. An dem
Grunde der fadenförmigen Fühler, von welchen nur
zwei vorhanden ſind, ſtehen die Augen. Die weite
Kiemenhöhle öffnet ſich nach außen durch einen kleinen
Kanal, welcher durch Einrollung des Mantelſaumes bedingt iſt. Einige
Gattungen ſtrecken die federförmigen Kiemen aus der Oeffnung her-
vor, wenn ſie im Waſſer kriechen; andere behalten die Eier ſo lange
in einer Erweiterung des Eileiters, bis die Larven ihre Metamor-
phoſe durchgemacht haben, ſo daß ſie lebendige Jungen gebären.
(Paludina). Die Wimperſegel ſind bei dieſen Larven zwar klein, aber
dennoch rudimentär entwickelt. Sie leben ziemlich häufig in ſumpfigen
und ſtehenden Gewäſſern. Ihnen ſehr nahe ſtehen die Strandſchnecken

Figure 249. Fig. 371.

Littorina.


Figure 250. Fig. 372.

Turritella.
m Der Mantel. t Die Fühler.
p Der Fuß.


(Littorinida), deren Thier ſich im Alter
kaum von demjenigen der Sumpfſchnecken
unterſcheiden läßt, in der Jugend aber
mit großen Schwimmlappen verſehen
iſt. Die ſehr oft lang ausgezogenen
oder ganz platt gedrückten Gehäuſe die-
ſer Strandſchnecken ſind wie die Scha-
len aller Meerſchnecken weit dicker, als
die ihnen entſprechenden Landſchnecken-
ſchalen. Sie finden ſich theils in den
europäiſchen Meeren, theils in den ſüd-
lichen Oceanen in großer Menge. Val-
vata; Paludina; Melania
im ſüßen Waſ-
ſer; Littorina; Turritella; Rissoa; So-
larium
im Meere.


Die Nadelſchnecken(Cerithida) haben ein ſehr in die Länge ge-
zogenes, thurmförmiges Gehäuſe, deſſen Lippenrand breit ausgezogen
iſt, während an dem ſchwielig verdickten Spindelrade ein kurzer Aus-
ſchnitt zur Aufnahme einer kleinen Athemröhre ſich findet. Der Rüſſel
des Thieres, an welchem nur rudimentäre Kiefer angebracht ſind, iſt
ziemlich lang, die Fühler dünn und meiſt ſtehen die Augen etwa in
der Mitte ihres Außenrandes zuweilen an einem ſeitlichen Anhange. Die
Kiemen ſind ziemlich groß und in doppelte Reihen geſtellt. Sie kommen
beſonders in den Tertiärgebilden ſehr häufig verſteinert vor. Cerithium.


[347]
Figure 251. Fig. 373.

Strombus scorpio
von oben.


Figure 252. Fig. 374.

Rostellaria.


Die Flügelſchnecken(Strombida) zeichnen ſich
auf den erſten Blick durch ihr ſtarkes längliches
Gehäuſe aus, deſſen Gewinde ziemlich ſpitz iſt und
nach unten an dem Spindelrande in einen kurzen
gebogenen Kanal für die Athemröhre ausläuft.
Der Lippenrand der Mündung zeigt vorn eine
bedeutende Bucht, in welcher der Kopf liegt und
iſt dann flügelartig ausgebreitet, ſo daß die Mund-
öffnung der Schale ungeheuer groß erſcheint, wäh-
rend ſie, abgeſehen von dieſer flügelartigen Aus-
breitung, doch nur eine ſchmale Spalte bildet. Das
Thier, welches dieſe Schalen bewohnt, hat eine
ſehr bizarre Geſtalt. Der Rüſſel iſt ſehr groß und
dick, geringelt und weit vorſtreckbar; er füllt be-
ſonders die erwähnte Bucht des Lippenrandes aus.
Die Fühler ſind nur klein, die Stiele dagegen,
welche die Augen tragen, ungemein groß und ſtark,
und neben denſelben ein eigenthümlicher zungen-
förmiger Fortſatz des Fußes angebracht, welcher
den ſchmalen ſpitzen hornigen Deckel trägt, der zur
Schließung der Schale beſtimmt iſt. Sie kommen
hauptſächlich in ſüdlichen Oceanen vor, und finden ſich in den älteren
Schichten ziemlich zahlreich. Die Gattungen unterſcheidet man haupt-
ſächlich nach der Geſtalt des Lippenrandes, der bei einigen ganzrandig
iſt, bei anderen die ſonderbarſten fingerförmigen Fortſätze trägt. Ro-
stellaria; Pterocera; Strombus.


Figure 253. Fig. 375.

Oliva.


Die Eiſchnecken (Ovulida) haben ein meiſt eiför-
miges Gehäuſe, deſſen letzte Windung die früheren ganz
verhüllt, ſo daß man nur höchſtens an der einen Seite
die Spitze des ſpiraligen Gewindes ſieht. Die Mündung
bildet einen langen ſchmalen Spalt, von dem bald beide
Ränder, bald nur einer wulſtig und gezähnelt iſt. Meiſt
findet ſich ein Ausſchnitt an der Spindel zur Einlage-
rung der kurzen Athemröhre. Das Thier hat einen
kurzen Rüſſel, lange rundliche Fühler, welche in der
Mitte ihres Außenrandes, meiſt auf einem Vorſprunge
die Augen tragen. Der Fuß iſt breit, blattförmig und
ſeine beiden Hälften werden beim Zurückziehen in die
enge Schalenöffnung in der Mitte zuſammengeſchlagen.
Der Mantel beſteht aus einem oder zwei ſehr dünnen
[348] Blättern, welche ſobald ſich das Thier entwickelt und kriechen will,
über die Schale herüber gezogen werden, ſo daß dieſe gänzlich von
dem Mantelblatte bedeckt iſt. Die Glätte der dicken und ſchweren
Schalen, welche meiſt mit lebhaften Farben geziert ſind, wird durch den

Figure 254. Fig. 376.

Porzellanſchnecke (Cypraea)
kriechend mit vorgeſtreckten Fühlern, an deren
Seiten die Augen ſtehen. Der mit Fortſätzen
beſpickte Mantel iſt halb über die Schale ge-
zogen.


Abſatz neuer Kalkſchichten auf
der Außenfläche der urſprüng-
lichen Schale, der von dieſem
überziehbaren Mantelblatte
ausgeht, bewirkt. Die Por-
zellanſchnecken, welche zu die-
ſer Familie gehören, ſind hin-
länglich bekannt als Zierrath
unſerer Möbel, ſo wie durch
das dumpfe Brauſen, welches
ſie, vor das Ohr gehalten, vernehmen laſſen. Oliva; Cypraea; Ovula.


Figure 255. Fig. 377.

Conus.


Die Kegelſchnecken(Conida) ſtehen durch die
Form ihrer Schale den vorigen am nächſten. Das
Gehäuſe iſt kegelförmig, das regelmäßig gerollte Ge-
winde an dem dickeren Ende des Kegels ſichtbar; die
Oeffnung ſpaltförmig, nach unten hin etwas erwei-
tert und meiſt an der Spindel etwas ausgeſchnitten
für den Durchtritt der langen Athemröhre; der Lip-
penwand der Schale iſt gerade, dünn und ſcharf und
ſo wie der Spindelrand ohne alle Zähne oder Fal-
tungen. Das Thier hat einen breiten Fuß, einen
ſtumpfen Rüſſel, der mit zwei Reihen langer, hohler, zuweilen wider-
hakiger Zähne bewaffnet iſt und womit es empfindlich ſtechen kann.
Einige Kegelſchnecken ſtehen der Wunden wegen, welche ſie mit dieſem
Rüſſel verſetzen, ſogar im Verdachte der Giftigkeit. Sie kommen haupt-
ſächlich in ſüdlichen Meeren vor, und bildeten früher bei Sammlern
einen ähnlichen Gegenſtand der Liebhaberei wie die Tulpen, ſo daß
für eine einzige ſeltene und ſchön gefärbte Schale zuweilen ſelbſt Tau-
ſende von Gulden bezahlt wurden. Conus.


Bei allen Familien der Kiemenſchnecken, welche wir von jetzt an
folgen laſſen, beſitzt das Thier einen langen vorſtreckbaren Rüſſel, der
mit kleinen ſeitlichen Kiefern und einer ſchmalen Zunge bewaffnet iſt,
auf der höchſtens drei Längsreihen von Platten ſtehen, deren Mittel-
platte breit und mit ſcharfen Zähnen bewaffnet iſt. Sie bohren mittelſt
dieſes Rüſſels meiſt andere Schalthiere an, die ſie ausſaugen, und
[349] einige Gattungen ſind ſogar gefürchtet wegen der giftigen Wunden,
die ſie damit verſetzen ſollen. Außerdem haben dieſe Thiere ſtets eine
Athemröhre und meiſt nur zwei runde Fühler, an deren Außenrande
bald näher an der Baſis, bald gegen die Mitte zu die Augen ſtehen.
Wir unterſcheiden folgende Familien:


Figure 256. Fig. 378.

Voluta.


Figure 257. Fig. 379.

Voluta
kriechend, mit vorgeſtrecktem Rüſſel, ent-
wickelten Fühlern und im Nacken vorſte-
hender Athemröhre.


Die Faltenſchnecken (Volutida)
haben ein ſchweres, meiſt thurmför-
miges oder eiförmiges Gehäuſe mit
plattem Lippenrande und wulſtigem
Spindelrande, an dem einige ſtark
vorſpringende ſchräge Falten ſich
befinden; der Fuß iſt meiſt ſehr breit
ohne eine Spur eines Deckels, der
Kopf klein, die Fühler klein und
meiſt platt, der Rüſſel oft unge-
heuer lang und der Saft der Pur-
purdrüſe ätzend, ſtickend und wie
behauptet wird, ſelbſt giftig. Die
Arten dieſer Familie kommen haupt-
ſächlich nur in den ſüdlichen Oceanen
vor. Voluta; Mitra; Cymbium; Mar-
ginella.


Figure 258. Fig 380.

Pleurotoma babylonia
mit dem Thiere.
a Die Schale. b Der
Kanal, in dem man die Athem-


Die Thurmſchnecken (Pleurotomida) haben
ein ſehr langes thurmförmiges Gewinde und
einen außerordentlich langen geraden Kanal
am unteren Ende zur Bergung der Athemröhre,
ſo daß die ganze Schale die Geſtalt einer lang
geſtreckten Spindel hat, deren größte Dicke im
Niveau der letzten Mündung liegt. Die Mund-
öffnung der Schale iſt eiförmig, der Außenrand
glatt und ſcharf und nahe an der vorletzten
Windung mit einem Einſchnitte verſehen, in
dem eine Falte des Mantels liegt. Die Thiere
haben einen breiten walzenförmigen Fuß, rund-
liche, kurze Fühler, an deren Baſis die Augen
ſtehen, und eine außerordentlich dicke und lange
Ruthe, welche ſie ſeitlich hervorhängen laſſen.
Sie unterſcheiden ſich von den Thieren der
nachfolgenden Familie hauptſächlich dadurch,
[350]

röhre eingebettet ſieht. c Der
ſeitliche Einſchnitt der Schale,
in den ein Falz des Mantel-
randes d paßt. e Fühler.
f Der Fuß. g Der an ſei-
nem Ende befeſtigte Deckel.
h Die Ruthe.


daß die Zunge, womit ihr Rüſſel bewaffnet iſt,
keine breiten Platten, ſondern eben ſo ſpitze Zähne
trägt, wie diejenige der Kegelſchnecken. Sie le-
ben hauptſächlich nur in heißen Meeren, einige
Arten indeß hoch in der Nordſee. Pleurotoma.


Die Familie der Spindelſchnecken(Fusida) unterſcheidet ſich von
der vorigen durch ein kürzeres Gewinde, an dem ein ſehr langer
Kanal ſitzt, ſo daß die Schalen zuweilen die Geſtalt einer Birne zei-
gen. Der Außenrand iſt ſtets ſcharf ohne Ausſchnitte, niemals ge-
wulſtet; der Spindelrand entweder glatt oder mit niedrigen Falten
verſehen. Der ſehr lange Rüſſel des Thieres iſt wie bei den folgen-
den Familien, und zum Unterſchiede von der vorhergehenden, mit ge-
zähnten Querplatten beſetzt. Die Thiere finden ſich hauptſächlich nur
in ſüdlichen Meeren. Fusus; Pyrula; Columbella; Fasciolaria.


Figure 259. Fig. 381.

Murex.


Ziemlich verſchieden in der Bildung
der Schale, aber ſehr ähnlich hinſichtlich
der Thiere, ſind der Familie der Spindel-
ſchnecken die Felſenſchnecken (Muricida).
Der Außenrand der Schale iſt wulſtig
und umgeſchlagen, zuweilen zackig ge-
faltet oder ſelbſt ſtellenweiſe in Dornen
ausgezogen. Die Schale bekömmt dadurch
auf ihrer Außenſeite Reihen von Knoten,
Stacheln oder Zacken, welche den Gehäu-
ſen oft ein ſonderbares Ausſehen geben.
Die elliptiſch gebildeten Deckel, welche die
Thiere am Fuße tragen, wurden in In-
dien als Räucherwerk benutzt. Die Thiere,
welche ſich von denen der vorhergehenden
Familie nicht unterſcheiden, und häufig
gegeſſen werden, leben in allen Meeren. Murex; Ranella; Tritonium.


Figure 260. Fig. 382.

Cassis kriechend.


Die Helmſchnecken (Cassida) haben
ein kurzes eiförmiges Gehäuſe von be-
deutender Dicke, deſſen letzte Windung die
früheren ziemlich einſchließt. Der Außen-
rand iſt dick, wulſtig, meiſt etwas gefaltet,
der Spindelrand umgeſchlagen, zuweilen
mit undeutlichen Falten verſehen. Der
Athemkanal nach außen und rückwärts
[351] gebogen; das Thier im Uebrigen demjenigen der Felſenſchnecke ähnlich.
Die Mündung der größeren Arten mit dicker Schale, welche innen
lebhaft roth gefärbt ſind, wird von Steinſchneidern zu Cameen benützt.
Cassis.


Figure 261. Fig. 383.

Buccinum undatum.


Figure 262. Fig. 384.

Buccinum prisma-
ticum.


Figure 263. Fig. 385.

Harpa,
kriechend mit ausgeſtreckten Athemröhre.


Die Tritonshörner (Buccinida) unterſcheiden ſich von den vor-
hergehenden Familien weſentlich dadurch, daß ihre Schale keinen Ka-
nal, ſondern nur einen Ausſchnitt an der Spindel zum Durchtritte der
Athemröhre zeigt. Der Spindelrand iſt ſtets glatt, meiſtens umge-
ſchlagen; der Außenrand ſcharf, die Mündung der Schale weit, das
Thier mit einem breiten Fuße verſehen. Sie kommen in allen Mee-
ren und in zahlreichen Gattungen vor. Buccinum; Nassa; Purpura;
Harpa; Dolium.


Bei den nachfolgenden Familien ſtehen auf der Zunge mehr als
ſieben Längsreihen von Platten und außerdem ſchmale, fächerartig
über einander gelegte Blättchen. Die Kiemen beſtehen aus freien Fä-
den, die nur an ihrem Grunde angewachſen ſind, ſonſt aber frei flot-
tiren. Wir zählen hier folgende Familien:


Figure 264. Fig. 386

Nerita sanguinea.


Die Mondſchnecken (Neritida) mit kurzem,
meiſt ungenabeltem Gehäuſe, das in ſeinen Formen
ſich einigermaßen den Mützenſchnecken nähert. Der
Spindelrand iſt umgeſchlagen und ſeine nach außen
gewandte Seite ſo verdickt, daß ſie wie eine hori-
zontale Platte in die Mündung hineinragt, deren
Außenrand ſehr verdickt und meiſt gezähnelt iſt.
Der Deckel der ſchweren Schale iſt kalkig, ſeitlich
ausgezogen; das Thier hat einen breiten Fuß, ſehr lange cylindriſche
Fühler, an deren Baſis die Augen auf beſonderen Stielen ſtehen. Eine
Gattung kömmt in unſeren ſüßen Gewäſſern vor. Nerita; Neritina;
Navicella.


[352]
Figure 265. Fig 387.

Trochus.


Die Kreiſelſchnecken (Trochida) ha-
ben ein dickes kegelförmiges Gehäuſe, mit
meiſt ſehr deutlichem Nabel und faſt rund-
licher Mundöffnung, deren Saum nur
ſelten ganz, meiſt unterbrochen iſt. Die
Fühlfäden ſind ſehr lang, die Augen meiſt
geſtielt, der kurze Rüſſel mit einer ſehr
kurzen Zunge bewaffnet. Die Gattungen
ſind äußerſt mannichfaltig und in allen
Meeren häufig. Delphinula; Trochus;
Turbo; Scalaria; Phasianella.


Figure 266. Fig. 388.

Delphinula.


Figure 267. Fig. 389.

Turbo roseus.


Figure 268. Fig. 390.

Trochus magus.


Figure 269. Fig. 391.

Scalaria.


Figure 270. Fig. 392.

Haliotis kriechend.


Figure 271. Fig. 393.

Fissurella kriechend.
o Die obere Oeffnung der Schale für
den After und die Kiemenhöhle. m Der
Mantel. p Der Fuß.


Die Familie der Seeohren
(Haliotida) begreift eine Menge
verſchiedener Gattungen, von wel-
chen viele in ihrer Geſtalt den
Napfſchnecken ſehr nahe kommen,
andere flach und ohrförmig ge-
wunden erſcheinen. Die Schalen
haben entweder am äußeren Rande
einen Ausſchnitt oder längs des
Randes eine Reihe von Löchern
oder ſelbſt auf dem Gipfel der
Schale ein Loch, durch welche
Oeffnungen das Waſſer eindrin-
gen und an die Kiemen treten
kann. Die Kiemenhöhle, welche
zwei federartige Kiemen enthält,
liegt auf dem Rücken, zuweilen
nach der linken Seite hin. Die Fühler ſind meiſt lang, der Mantel
in ſeinem Umkreiſe gefranzt. Bei einigen Gattungen geht der Maſt-
darm in ähnlicher Weiſe, wie bei den Muſchelthieren durch das Herz hin-
durch. Die Thiere ſitzen wie die Schüſſelſchnecken feſt an den Felſen an,
und verlaſſen nur ſelten ihre Stelle. Haliotis. Fissurella; Emarginula.


[353]
Figure 272. Fig. 394.

Janthina communis auf dem Meere ſchwimmend.
a Der Rüſſel mit dem Maule am Ende. t Die Fühler, deren vier ſind.
b Die Kiemen, die aus der Schale c hervorgeſtreckt ſind. p Der Fuß. f Die
Schwimmblaſe, an deren unteren Fläche die Eikapſeln o hängen.


Die Familie der Quallenboote (Janthinida) hat eine durchſich-
tige, faſt hornige Schale, die derjenigen einer gewöhnlichen Baumſchnecke
ſehr ähnlich iſt. Das Thier beſitzt einen langen Rüſſel, dünne kurze
Fühlfäden und federartige Kiemen, welche es meiſt aus der Schale
hervorſtreckt, und zeichnet ſich aus durch einen höchſt eigenthümlichen
Schwimmapparat, welcher eigentlich nur eine Modification des Deckels
iſt. Der Fuß nämlich bildet nur einen kurzen Stummel, an dem mit-
telſt eines Stieles eine ſpindelförmige, lange Blaſe hängt, die aus
dünner Hornſubſtanz beſteht und etwa einer Schaumblaſe gleicht. An
die Unterfläche dieſer Schwimmblaſe kleben die Thiere ihre birnför-
migen Eikapſeln. Sie erſcheinen in zahlreichen Schwärmen ſchwimmend
auf der Oberfläche des Meeres. Im Mittelmeere ſind ſie nicht ſelten.
Santhina.


Die Ordnung der Lungenſchnecken (Pulmonata), welche
einen höheren Typus in der geſammten Ausbildung darſtellt, unter-
ſcheidet ſich weſentlich von allen vorhergehenden eben durch dieſe Lun-
genhöhle, welche das Thier fähig macht, unmittelbar Luft zu athmen.
Viele Schnecken dieſer Ordnung leben zwar ſtets im Waſſer und gehen
außerhalb deſſelben zu Grunde, ſie ſind aber in ähnlicher Weiſe, wie
die Wallfiſche und andere im Waſſer lebende Säugethiere gezwungen,
von Zeit zu Zeit an die Oberfläche zu kommen, um wieder Luft einzu-
athmen. Die Lungenhöhle liegt meiſt in dem Nacken des Thieres in
einer ähnlichen Kammer, wie die Kiemen und öffnet ſich gewöhnlich
gemeinſchaftlich mit dem After und den Geſchlechtswerkzeugen auf der
rechten Seite. Die meiſten Lungenſchnecken ſind Zwitter, indeſſen giebt
es auch viele, welche getrennten Geſchlechtes ſind. Faſt alle haben
eine Schale, die indeß bei manchen nur als ein dünnes Plättchen vor-
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 23
[354] handen iſt, welches in dem Mantel ſelbſt verborgen liegt, während
die meiſten ſich vollſtändig in die Schale zurückziehen und einige ſelbſt
dieſelbe mit einem Deckel verſchließen können. Mit dieſem Unterſchiede,
ſowie mit dem Baue der Geſchlechtstheile hängen auch weſentliche
Verſchiedenheiten in dem Baue der Mundtheile zuſammen, die wir bei
den einzelnen Unterordnungen betrachten werden.


Die Entwickelung der Lungenſchnecken im Eie weicht in manchen
Punkten ſehr von derjenigen der Kiemenſchnecken ab. Die Wimpern,
welche bei dieſen hauptſächlich nur an der Stelle der Kopfſegel erſchei-
nen und dort eine ſo außerordentliche Länge erhalten, breiten ſich hier
im Anfange über den ganzen Embryo aus, und wenn ſie gleich in
der Stirngegend ſich am kräftigſten entwickeln und ſo gewiſſermaßen
einen Erſatz für die Segel bilden, ſo werden ſie doch niemals bedeu-
tend genug, um jene Bildung von Schwimmſegeln, wie ſie bei den
Kiemenſchnecken vorkömmt, veranſchaulichen zu können. Im Uebrigen
hat die Bildung der innern Theile viel Aehnlichkeit mit derjenigen
der Kiemenſchnecken, indem auch hier der Dotter ſich gewiſſermaßen in
zwei Theile theilt, von welchen der vordere den Kopf, die Sinnesor-
gane und den Fuß, der hintere die übrigen Eingeweide in ſich ent-
wickelt. Die Schale bildet ſich ſehr bald, iſt Anfangs napfförmig,
bekömmt aber dann allmählig die Windungen, welche ihr eigenthüm-
lich ſind. Eine beſondere Larvenperiode machen demnach unſere Lun-
genſchnecken nicht durch; ſie verlaſſen das Ei in einer Geſtalt, welche
vollkommen derjenigen des Mutterthieres entſpricht.


Figure 273. Fig 395.

Der Embryo einer Wegſchnecke (Limax).
in dem Stadium, wo ſich das Herz bildet,
von der Seite geſehen. a Die großen Fühler
mit dem Auge, die noch eine Warzenform ha-
ben. b Der Mund mit den Lippenfühlern.
c Der untere Gehirnknoten, über dem das Ohr-
bläschen liegt und der nach vorn mit dem
oberen Gehirnknoten in Verbindung ſteht.
d Die Nackenblaſe, aus Zellen zuſammenge-


Eine auffallende Ausnahme
von allen übrigen Weichthieren
machen unſere nackten Wegſchnecken.
Auch hier bilden ſich anfangs
die beiden gegenüberſtehenden
Theile des Körpers aus, allein
zwiſchen beiden bleibt ein mit
großen Zellen beſetzter Raum des
Dotters übrig, welcher bei fort-
ſchreitender Entwickelung zu einer
hellen Blaſe wird, die im Nacken
liegt und ſich durch ihre lebhaf-
ten Zuſammenziehungen auszeich-
net. An dem Hinterende des
[355]

ſetzt. e Das obere Mantelſchild, in welchem
man das Rudiment der Schale und darunter
das Herz f ſieht. g Der Darm. k Die End-
blaſe des Fußes i.


Leibes bildet ſich zu gleicher Zeit
eine andere, ſehr durchſichtige Blaſe
aus, welche ebenfalls lebhafte Zu-
ſammenziehungen macht und mit der vorderen Nackenblaſe in Wechſel-
wirkung ſteht. Dieſe beiden Blaſen pulſiren nun abwechſelnd und
regelmäßig, ſo daß beſtändig die Flüſſigkeit der Leibeshöhle hin und
her, aus einer Blaſe in die andere getrieben wird. Sobald das Herz
entſteht, nehmen dieſe beiden Blaſen an Wirkſamkeit ab, ſchrumpfen
ein und verſchwinden endlich ſpurlos. Die Ausbildung dieſer beiden
Blaſen, von denen man die im Nacken liegende fälſchlich für eine
Dotterblaſe angeſehen hat, ſtellt offenbar eine weitere Entwickelung
jener wechſelnden Aufblähung des Fußes und der Nackengegend dar,
welche bei den Kiemenſchnecken erwähnt wurde.


Wir theilen die Lungenſchnecken in zwei Unterabtheilungen, die
ſich leicht von einander unterſcheiden laſſen. Die einen ſind Zwitter
und in ähnlicher Weiſe wie die Rückenathmer mit doppelten Geſchlechts-
organen und Begattungswerkzeugen verſehen. Sie ſind entweder nackt
oder beſitzen eine Schale ohne Deckel. Der Mund iſt mit einem hor-
nigen Oberkiefer bewaffnet, der meiſt ſtarke Längsfalten zeigt; die Zunge
hingegen iſt nur klein, häutig und in regelmäßigen Längs- und Quer-
reihen mit kleinen Zähnen beſetzt. Nur eine Familie, welche ſich durch
den gleichzeitigen Beſitz von Lungen und Kiemen auszeichnet, lebt
im Meere, alle übrigen entweder in ſüßem Waſſer oder auf dem
Lande und zwar meiſtens in feuchten Orten und Schlupfwinkeln, die
ſie nur bei Nacht oder bei naſſem Wetter verlaſſen. Alle ſind Pflan-
zenfreſſer und manche von ihnen durch ihre Menge und Gefräßigkeit
ſehr unangenehme Gäſte in unſeren Gärten. Wir theilen ſie in fol-
gende Familien:


Die Warzenſchnecken(Onchidida) ſind nackte rundliche, am ro-
then Meere und in Oſtindien vorkommende Schnecken, welche wahre
Doppelathmer ſind. Das Thier hat zwei kleine rundliche Fühler, an
deren Spitze die Augen ſitzen, und einen vollkommen nackten Körper
ohne Spur einer Schale. Die warzige Rückenhaut iſt mit fingerartig
veräſtelten Kiemen bedeckt, welche entfaltet und wieder eingezogen
werden können. Im hinteren Theile des Leibes befindet ſich eine Lun-
genhöhle, in welcher auch der After ſich öffnet, während die weibliche
Geſchlechtsöffnung in der Nähe des Afters auf der rechten Seite, die
Ruthenöffnung ſich vorn am rechten Fühlerende befindet. Die Thiere
leben vollkommen amphibiſch am Strande des Meeres. Kriechen ſie
23*
[356] auf dem Trockenen, ſo ziehen ſie die Kiemen ein und öffnen die hin-
ten gelegene Lungenhöhle, während ſie im Waſſer die Kiemen entfalten
und die Lungenhöhle ſchließen. Onchidium.


Die Spitzhornſchnecken(Lymnaeida) haben, wie alle übrigen

Figure 274. Fig 396.

Teichhornſchnecke (Lymnaeus stagnalis).


Figure 275. Fig 397.

Physa.


Figure 276. Fig. 398.

Tellerſchnecke (Planorbis).


Familien dieſer Unter-
ordnung, nur eine Lun-
genhöhle ohne Spur von
Kiemen. Ihre Gehäuſe
ſind bald thurmförmig,
bald nur in einer Ebene
gewunden, meiſt ziemlich
dünn und zerbrechlich und
von horniger Beſchaffen-
heit. Sie haben nur zwei
Fühler, die bald dreieckig
breit, bald lang, ſpitz
und dünn ſind und an
deren Grunde an dem
inneren Rande die Au-
gen ſitzen. Sie leben ſtets
im Waſſer, an deſſen
Oberfläche ſie meiſt her-
um ſchwimmen und da-
bei mittelſt des aufge-
ſperrten Athemloches Luft
ſchöpfen. Lymnaeus;
Physa; Planorbis; Chilina; Amphipeplea
.


Figure 277. Fig. 399.

Ohrſchnecke, Auricula.


Ihnen ſehr nahe ſtehen die Ohrſchnecken(Au-
riculida)
, welche meiſt in ſüdlichen Ländern vorkom-
men und nicht im Waſſer, ſondern an feuchten Or-
ten, beſonders im Mooſe leben. Die Thiere ſind
den vorigen ſehr ähnlich, die Schalen aber dick,
ſchwer, eiförmig und der umgeſchlagene Spindelrand
mit Falten und Vorſprüngen verſehen. Meiſtens iſt
der Außenrand glatt, zuweilen aber hat er ebenfalls
auf ſeiner innern Seite vorſpringende Leiſten. Au-
ricula; Scarabus; Carychium
.


[357]
Figure 278. Fig. 400.

Schale von Succinea
amphibia
.


Figure 279. Fig. 401

Pupa.


Die Schnirkelſchnecken (Helicida) bilden eine
überaus zahlreiche Familie von Landſchnecken, als
deren Typus unſere gewöhnlichen Weinbergſchnecken
oder Baumſchnecken dienen können. Die Thiere die-
ſer Familie haben vier Fühler, von welchen die klei-
neren oft ziemlich rudimentären neben am Munde,
die größeren, welche an ihrer Spitze die Augen tra-
gen, vorn am Kopfe ſtehen. Die Gehäuſe, welche
dieſe Thiere umſchließen, ſind ſehr verſchiedener Ge-
ſtalt, bald nur dünn und durchſichtig, bald ziemlich
dick und ſchwer und mit ſchönen Farben geziert. Bei
der einen Gattung ſind ſie faſt in einer Ebene ge-
wunden, bei einer andern ſehr lang und ſpitz, faſt
von der Geſtalt eines Pfriemen. Bei manchen ſind
die Ränder der Oeffnung ſcharf geſchieden, bei an-
dern iſt ein vollſtändiger Mundſaum vorhanden;
hier iſt die Mündung glatt, dort Lippenrand oder
Spindelrand oder auch beide zugleich mit vorſprin-
genden Leiſten verſehen. Die überaus zahlreichen
Gattungen und Arten, welche in allen Zonen vorkommen, laſſen ſich
oft nur ſehr ſchwierig unterſcheiden. Helix; Bulimus; Succinea; Pupa;
Clausilia; Chondrus; Achatina; Vitrina
.


Die Wegſchnecken (Limacida) ſind entweder vollkommen nackt

Figure 280. Fig. 402

Testacella.


oder haben nur ein
kleines unbedeutendes
Schälchen, welches
entweder in dem Man-
tel ſelbſt verborgen iſt,
oder wie ein kleines Schildchen an dem Hinterende des Körpers auf-
ſitzt. Der ganze Rücken oder nur der vordere Theil desſelben, wo
die Lungenhöhle und die Afteröffnung liegen, iſt mit einem fleiſchigen
Schilde bedeckt. Das Thier hat vier Fühler, die ganz wie diejenigen
der vorhergehenden Familie geſtaltet ſind. Bei den mit einer äußeren
Schale verſehenen Gattungen liegen After und Lungenhöhle unter die-
ſer Schale am hinteren Ende des Körpers. Limax; Arion; Testa-
cella; Vaginulus
.


Eine andere Gruppe der Lungenſchnecken wird von einigen klei-
nen Familien gebildet, welche ein meiſt thurmförmiges Gehäuſe haben,
deſſen Oeffnung mit einem am Fuße angebrachten Deckel vollkommen
geſchloſſen werden kann. Die Thiere dieſer Gruppe ſind getrennten
[358] Geſchlechtes, der Mund liegt auf einer vorſtreckbaren Schnautze, ohne
daß er zu einem Rüſſel ausgezogen wäre und iſt mit einer Zunge
bewaffnet, auf welcher ſieben Längsreihen gezähnelter Platten ſtehen.


Die Familie der Fauſtſchnecken(Ampullarida) entſpricht den

Figure 281. Fig. 403.

Das Widderhorn,
(Ampullaria cornu arietis) kriechend.
a Die langen Fühler, an deren Baſis die Augen ſte-
hen. b Die zu den Athemorganen führenden Röhren. c Der
Deckel.


Warzenſchnecken der
vorigen Abtheilung.
Die Schalen ſind meiſt
groß, dick, die letzte
Windung ſehr bauchig,
die Mündung eiför-
mig, die Ränder glatt.
Das Thier hat vier
fadenförmige Fühler,
von welchen die hin-
teren ſehr lang ſind
und an ihrem Grunde
auf beſonderen Vor-
ſprüngen die Augen
tragen. Sie ſind Dop-
pelathmer. In dem Nacken liegt eine weite Höhle, in der die kam-
merartigen Kiemen befeſtigt ſind, und von welcher aus eine Oeffnung
in eine darüber liegende Lungenhöhle führt, die durch eine Klappe
geſchloſſen werden kann. Der ganze Athemapparat öffnet ſich durch
eine kurze Röhre nach außen, die aus der Schale hervorgeſtreckt wer-
den kann. Es finden ſich dieſe oft fauſtgroßen Schnecken häufig in
den Flüſſen der heißen Zone, wo ſie zuweilen monatlang im Schlamme
vertrocknet leben, ja es iſt vorgekommen, daß in Kiſten, welche von
Aegypten aus nach Städten des Feſtlandes Monate lang unterwegs
geweſen waren, die darin eingepackten Fauſtſchnecken ſich vollkommen
am Leben erhalten hatten. Ampullaria; Lanister.


Figure 282. Fig. 404.

Cyclostoma.
o
Der Deckel.


Eine zweite Familie, die Thürſchnecken(Cyclo-
stomida)
, wiederholt gewiſſermaßen in dieſer Gruppe
der Lungenſchnecken die Familie der Schnirkelſchnecken,
doch mit dem Unterſchiede, daß die Thiere nur zwei
Fühler beſitzen, an deren Grunde die Augen ange-
bracht ſind. Die Gehäuſe dieſer Schnecken, welche
ſowohl bei uns, als in heißen Ländern vorkommen,
haben eine runde oder halbkreisförmige Mündung, die mit einem Deckel
vollſtändig verſchloſſen werden kann. Sie athmen aber nur durch
[359] Lungen und ſind vollſtändig getrennten Geſchlechtes. Cyclostoma;
Helicina
.


Als Anhang haben wir noch eine merkwürdige Gruppe zu be-
trachten, welche gewiſſermaßen den Uebergang von den Bauchfüßern
zu den Ringelwürmern und namentlich zu der Familie der Seeraupen
bildet. Es ſind dies die Käferſchnecken(Chitonida). Dieſe Thiere

Figure 283. Fig. 405.

Chiton von oben.


ſind von ovaler, zuweilen etwas länglicher,
plattgedrückter Geſtalt und zeigen auf der Un-
terſeite einen ovalen Fuß, zwiſchen welchem und
dem Mantelrande, der den Fuß weit überragt,
blattartige Kiemen liegen. Auf dem Rücken des
Mantels ſind acht kalkige Schuppenſtücke einge-
fügt, welche entweder dachziegelförmig überein-
anderliegen oder auch ſo weit von einander
entfernt ſind, daß ſie nicht einmal ſich berüh-
ren. Der Mantel iſt ſonſt mit Stacheln, Haaren,
Borſtenbüſcheln oder kleinen Schüppchen meiſt
über und über bedeckt, eine Bekleidung, welche
bei keiner anderen Schnecke vorkommt und ſehr derjenigen der See-
raupen ähnlich iſt. Der Kopf iſt klein, rundlich, ohne Augen und
Fühler, von einem Hautſegel überdeckt. In den inneren Organen
zeigen ſich weſentliche Annäherungen zu den Gliederthieren und Ver-
ſchiedenheiten von den übrigen Schnecken. So ſind die Geſchlechtsor-
gane zu beiden Seiten der Mittellinie ſymmetriſch vertheilt und zwei
ſeitliche Geſchlechtsöffnungen vorhanden, wie ſie ſonſt bei keiner ande-
ren Schnecke vorkommen. Der After liegt genau am Ende des Kör-
pers in der Mittellinie. Das Herz läuft oberflächlich am Rücken
längſt der Mittellinie fort und gleicht ziemlich dem Rückengefäße, wel-
ches bei den meiſten Gliederthieren vorkommt. Alle dieſe Eigenſchaf-
ten, ſowie die quere Ringelung des Körpers, welche durch die einzelnen
Deckplatten angedeutet iſt, nähern das Thier in der That den Ringel-
würmern ſehr, und es bedürfte genauer Forſchungen über die Ent-
wickelungsgeſchichte dieſer Thiere, welche zur Zeit noch ganz fehlen,
um zu entſcheiden, welchen von beiden Kreiſen ſie angehören. Chiton;
Chitonella
.


Die telluriſche Geſchichte der Schnecken zeigt etwa dieſelben Ver-
hältniſſe, wie die der Blattkiemer. Sie haben zwar an abſoluter, wie
[360] an relativer Zahl in den einzelnen Formationen zugenommen, aber
ohne daß deßhalb die Familien und Gattungen weſentliche Verände-
rungen erlitten hätten. In den Uebergangsgebirgen kommen wenig-
ſtens eben ſo viel Arten noch lebender Gattungen vor, als ſolche, die
untergegangenen Gattungen angehören und auffallend verſchiedene Typen
finden ſich kaum, mit Ausnahme der Gattung Bellerophon, die aus
ſymmetriſchen, in einer Ebene aufgerollten Schalen beſteht, deren letzte
Windung ſehr weit iſt, einen halbmondförmigen, ſchneidenden Mund-
rand hat, der in der Mitte geſchlitzt iſt und deſſen Schlitz ſich als
Kiel auf der äußeren Seite der Schale fortſetzt. Man hat dieſe Scha-
len bald in die Nähe der Blaſenſchnecken, meiſt aber zu den Floſſen-
füßern in die Nachbarſchaft der Atlanten geſtellt, mit denen ſie auch
in der That die meiſte Aehnlichkeit haben. Die Rückenkiemer ſind nur
durch die Blaſenſchnecken (Bulla) und zwar erſt von den juraſſiſchen
Schichten an repräſentirt; eine Erſcheinung, die nicht auffallen kann,
da ſie meiſtens nackt find. Unter den Halskiemern erſcheinen die
Schüſſelſchnecken (Patellida) ſchon in dem Uebergangsgebirge, eben ſo
wie die Zahnſchnecken (Dentalium), die Mützenſchnecken (Capulida), die
Napfſchnecken (Sigaretida), die Strandſchnecken (Litorina, Turritella),
die Nadelſchnecken (Cerithida), die Tritonshörner (Buccinida), die
Mondſchnecken (Neritida), die Kreiſelſchnecken (Trochida), die See-
ohren (Haliotida), während die Flügelſchnecken (Strombida), die Ke-
gelſchnecken (Conida) erſt im Jura, die Faltenſchnecken (Volutida) in
der Kreide, die Eiſchnecken (Ovulida), Thurmſchnecken (Pleurotomida),
Spindelſchnecken (Fusida) und Felſenſchnecken (Muricida) erſt in der
Tertiärzeit zu voller Entwickelung gelangen. Die Lungenſchnecken,
welche faſt alle dem ſüßen Waſſer oder dem feſten Lande angehören,
beginnen erſt in der bekannten Wälderformation, jener lokalen Süß-
waſſerbildung der unteren Kreide, ſind aber dann in allen Süßwaſſer-
ablagerungen zahlreich vertreten.


[361]

Zehnter Brief.
Kreis der Kopffüßer. (Cephalopoda).


Figure 284. Fig. 406.

Ein Pulpe (Octopus)
kriechend, in natürlicher Stellung, den Kopf nach unten gerichtet.


Eine höchſt merkwürdige, nach einem ganz eigenen Plane gebaute
Abtheilung des Thierreiches wird von einer geringen Anzahl von
Thieren gebildet, die in allen Meeren vorkommen und eine Menge von
Vorfahren in den älteren Schichten der Erde zählen. In der That
erſcheinen die Kopffüßler, welche in unſeren jetzigen Meeren leben,
gleichſam nur als die letzten Ausläufer einer außerordentlich zahlreichen
und in ihren Formen äußerſt mannigfaltigen Bevölkerung, welche um
ſo bedeutender ausgebildet war, je weiter wir in der Erdgeſchichte zu
früheren Perioden zurückgehen.


[362]

Die Kopffüßler tragen ihren Namen von der eigenthümlichen An-
ordnung ihrer verſchiedenen Körpertheile. Im Weſentlichen beſtehen
ſie aus einem großen, meiſt länglichen oder rundlichen Eingeweideſacke,
auf welchen nach einer mehr oder minder deutlichen Einſchnürung der
Kopf folgt, der mit gewaltigen, im Kreiſe geſtellten Armen umgeben
iſt, die eine Art Trichter bilden und in deren Grunde der Mund ſich
befindet. Der Leib ſelbſt iſt von einem beutelförmigen Mantel um-

Figure 285. Fig. 407.

Ein Pulxe (Octopus) von der Bauchſeite.
Der Mantel iſt der Mittellinie nach geſpal-
ten und auf der einen Seite zurückgeſchlagen, ſo
daß man die dort gelegene Kieme ſieht. a Die
Einſchnürung unter dem Kopfe. t Der Trichter
zum Ausſprützen des Waſſers. b Die ſeitliche
Oeffnung zum Einlaſſen des Waſſers. o Die
linke Kieme.


ſchloſſen, der nur auf der
Bauchſeite nach vorne geöffnet
iſt und hier die Zugänge zu
der Kiemenhöhle zeigt. Zwi-
ſchen und vor dieſen Oeffnun-
gen ſieht man eine trichterför-
mige Röhre, durch welche das
Waſſer, welches zur Athmung
gedient hat, ausgeworfen wird.
Zur Seite des Kopfes ſtehen
zwei große, meiſt vorgequollene
Augen, deren Structur hin-
ſichtlich ihrer Complication in
keiner Weiſe derjenigen der
höheren Thiere nachſtehen
dürfte. Die Arme ſelbſt, wel-
che um den Mund ſtehen, ſind
muskulöſe Fortſätze, die ſowohl
zur Ortsbewegung als auch
zum Fangen der Beute dienen
und häufig mit Saugnäpfen
oder Haken beſetzt ſind. Mittelſt dieſer Arme kriechen die Cephalopo-
den theils in umgekehrter Stellung umher, theils bedienen ſie ſich
derſelben zur Unterſtützung des Schwimmens, welches vorzugsweiſe
durch die Athembewegung vollbracht wird. Nur wenige der jetzt leben-
den Kopffüßler haben eine Schale, die indeß höchſt eigenthümlich ge-
bildet iſt. Viele beſitzen einen inneren, in der Rückenwand des Man-
tels gelegenen Knochen, der oft verſteinert erhalten wurde und keine
entbehren aller feſteren Theile, da bei allen ein ſolider, meiſt aus meh-
reren Stücken zuſammengeſetzter Kopfknorpel exiſtirt, in welchem das
Gehirn eingeſchloſſen iſt.


Die Haut der Kopffüßler iſt meiſtens derb, lederartig und mit
[363] einer zarten Oberhaut verſehen, welche nirgends Wimperhaare trägt.
In dieſer Haut ſind eigenthümliche Zellen eingeſchloſſen, welche eine
ſehr dehnbare elaſtiſche Haut haben und während des Lebens durch in der
Haut gelegene Faſern abwechſelnd ausgedehnt und zuſammen gezogen
werden. Dieſe Zellen (Chromatophoren genannt) ſind mit blauen,
violetten, rothen, gelben oder braunen Farbenſtoffen gefüllt, die bei
der Ausdehnung der Zelle ſehr verdünnt und über einen großen Raum
ausgebreitet erſcheinen und deßhalb faſt verſchwinden, während ſie bei
der Zuſammenziehung der Zelle durch ihre Anhäufung ihre Tinte in-
tenſiv vortreten laſſen. Jede ſolche Zelle enthält nur einen Farbeſtoff; —
die Zellen verſchiedener Farben liegen aber regellos nebeneinander, ſo
daß bei den abwechſelnden Zuſammenziehungen und Ausdehnungen an
einem beſtimmten Punkte bald dieſe, bald jene Farbe hervortritt. Die
Kopffüßler zeigen ſo während ihres Lebens ein herrliches Farbenſpiel
von blauen, rothen und gelben Tönen, die ſchillernd über den Körper
hinweglaufen und beſtändig mit einander abwechſeln. Es hält dieſes
Farbenſpiel mehrere Stunden nach dem Tode noch an und dient deß-
halb auf den Märkten der Küſten, wo man die Thiere ißt, zum Zei-
chen ihrer Friſche. Man hat eine ähnliche Organiſation der Haut
noch bei keinem anderen Thiere gefunden und iſt nach unſerem jetzigen
Standpunkte der Kenntniß vollkommen berechtigt, jedes Thier, bei wel-
chem man eine ſolche findet, als zu der Klaſſe der Kopffüßler gehörig
anzuſehen. Der Farbenwechſel ſelbſt und das abwechſelnde Spiel der
Farbenzellen ſtehen übrigens offenbar unter dem Einfluſſe des Nerven-
ſyſtemes und können durch Reizung der Haut geweckt und lebhafter
gemacht werden.


Die Schalen, welche manche Kopffüßler beſitzen, ſind nach abwei-
chenden Typen geſtaltet und können nicht mit denen der Schnecken
verwechſelt werden. Sie ſind ſtets im Verhältniſſe ihrer Größe, dünn
und zerbrechlich, laſſen aber bei zwei verſchiedenen Typen eine ſehr ver-
ſchiedene Structur erkennen. Der eine Typus wird durch das Pa-
pierboot (Argonauta) dargeſtellt, ein Thier, das ſich häufig in dem
ſüdlichen Mittelmeere findet und ein bootförmiges, ſehr leichtes, dünnes,
[364]

Figure 286. Fig. 408.

Ein Paxierboot (Argonauta) in ſeiner Schale.
Man ſieht von dem Thiere nur die Arme, von welchen die beiden hinteren
ſegelförmigen ihre äußere, die Schale abſondernde Fläche zeigen, den röhrenartig
hervorgeſtreckten Trichter und das Auge, welches durch die Schale durch-
ſchimmert.


hinten ſpiralig eingerolltes, quer gereiftes Gehäuſe bewohnt, das
im Inneren keine Scheidewände hat und an dem das Thier ſo wenig
anhängt, daß manche Naturforſcher noch bis in die neueſte Zeit be-
haupteten, es halte ſich nur als Schmarotzer in dieſer Schale auf, die
das Werk einer noch unbekannten Schnecke ſei. Es werden aber dieſe
Schalen offenbar nicht von dem Mantel des Thieres, welcher nirgends
damit zuſammenhängt, ſondern von den beiden ſegelartig ausgebrei-
teten, hinteren Armen des Thieres gebildet, welche nach unten zurück-
geklappt getragen werden und auf ihrer netzartig gegitterten Außenfläche
[365] die Subſtanz dieſes Gehäuſes abſondern, die hauptſächlich hornartig
iſt und die Kalkmaſſe in kleinen rundlichen Haufen abgelagert enthält.
Die Thiere ſind, entgegen dem bei den Schnecken geltenden Geſetze,
im Eie vollkommen nackt und erhalten dieſe Schale erſt ſpäter um-
gebildet.


Weit wichtiger für uns erſcheinen diejenigen Schalen, die nach
einem Typus gebaut ſind, von welchen das ſogenannte Perlboot oder
Schiffsboot den Typus bildet. Alle dieſe Schalen ſind gekammert,

Figure 287. Fig. 409.

Die Schale eines Perlbootes (Nautilus)
der Länge nach durchſägt, um die
Einrollung und die Kammern zu
zeigen. a Letzte Kammer, die ein-
zig vom Thiere bewohnt iſt. b Die
erſte Scheidewand, welche die nach-
folgenden Kammern c abtrennt. s
Der Sipho, welcher die Kammern
in Verbindung ſetzt.


d. h. durch eine Menge von Scheide-
wänden in einzelne Abtheilungen zerlegt,
welche ſich meiſt in regelmäßigen, vom
inneren Ende der Schale an allmählig
zunehmenden Abſtänden beim Aufbrechen
der Schale erkennen laſſen. Dieſe Schei-
dewände ſind nie ganz vollſtändig, ſon-
dern an irgend einer Stelle durchbohrt,
ſo daß bei todten Schalen jede Kammer
mit der andern durch ein Loch der Schei-
dewand in Verbindung ſteht. In den
meiſten Fällen ſetzt ſich das Loch nach
hinten zu in eine mehr oder minder lange
zapfenförmige Kalkröhre fort, welche be-
ſonders in den foſſilen, mit Steinmaſſe
erfüllten Schalen deutlich iſt und die man den Sipho ge-
nannt hat. Bei den todten Schalen ſcheint ſo jede vorhergehende
Kammer nach hinten in die folgende geöffnet; unterſucht man aber die
Sache bei einem lebenden Thiere, ſo zeigt ſich der Sipho durch einen
Faſerſtrang ausgefüllt, der durch alle Kammern hindurchgeht, von dem
hinteren Theile des Eingeweideſackes entſpringt und das Thier an die
Schale befeſtigt. Ehe man das Thier, von dem erſt in der neueren
Zeit einige wenige wohlerhaltene Exemplare nach Europa kamen, ge-
nauer kannte, glaubte man, daß dieſer Sipho in der Oekonomie des
Thieres eine ſehr wichtige Rolle ſpiele. Das Thier ſollte durch dieſe
Verbindungsröhre die einzelnen, von ihm nicht bewohnten Kammern
nach Belieben mit verdichteter Luft oder mit Waſſer füllen können,
um ſo nach Willkür in die Höhe ſteigen, oder ſich wieder auf den
Boden ſenken zu können. In der That bewohnt das Thier nur die
letzte Kammer ſeiner Schale und alle hinteren Kammern erſcheinen
[366]

Figure 288. Fig. 410.

Das Perlboot (Nautilus) in ſeiner Schale.
Das Thier iſt unverſehrt, in natürlicher Lage belaſſen, die Schale der
Länge nach halbirt, um die Kammern und den durch die Kammern laufenden
Faſerſtrang zu zeigen. a Die hinteren Kammern. s Der Punkt, wo ſich der
Faſerſtrang des Sipho an den Eingeweideſack des Thieres feſtſetzt. w Ein
querer Wulſt des Mantels, wodurch das Thier an der Wand der letzten Kam-
mer befeſtigt iſt. o Das Auge. e Der zum Ausſprützen des Athemwaſſers
beſtimmte Trichter. t Die Tentakeln. p Eigenthümliche fleiſchige Deckklappe
des Nackens. m Fortſatz des Mantels, der einen Theil der letzten Windung
umfaßt.


vollkommen leer, aber ſie bilden durch dieſe Leere nur einen hydro-
ſtatiſchen Apparat, gleichſam eine von Kalkwänden eingeſchloſſene
Reihe von Schwimmblaſen, die das ſpecifiſche Gewicht des Thieres
wahrſcheinlich demjenigen des Waſſers ziemlich gleich machen. Da
alle dieſe gekammerten Schalen nur einer Ordnung der Kopffüßler,
den Vierkiemern angehören, ſo werden wir ihre beſonders für die
Geologie ſo äußerſt wichtigen Formgeſtaltungen erſt bei der Charak-
teriſirung der Ordnungen näher betrachten, und in gleicher Weiſe hin-
ſichtlich der inneren Schalen verfahren, welche der andern Ordnung
der Armfüßler, den Zweikiemern, eigenthümlich ſind.


Außer den verſchiedenen Schalenſtücken beſitzen die Kopffüßler ein
beſonderes inneres Skelett, welches ſtets aus Knorpelſtücken beſteht,
und hauptſächlich zur Deckung des Gehirnes und der Sinnesorgane
beſtimmt iſt. Die Hauptmaſſe dieſes inneren Skelettes wird von einem
Kopfknorpel gebildet, der rund um den Schlund herum liegt und als
ein hohler Ring erſcheint. Auf der Rückenſeite ſchließt dieſer Ring
[367] das Gehirn und die Gehörorgane ein und nach der Seite ſchickt er
zwei becherartige Fortſätze aus, welche den inneren Theil des Aug-
apfels in ähnlicher Weiſe umfaſſen, wie der Fruchtbecher die Eichel.
Geſtalt und Ausbildung der einzelnen Theile dieſes Kopfknorpels
weichen bei den einzelnen Gattungen ziemlich von einander ab, indem
bald der Rückentheil des Hohlringes nicht ganz geſchloſſen, bald der
Bauchtheil mehr entwickelt iſt, und die Augenbecher dann gänzlich feh-
len. Außer dieſem Kopfknorpel, der durch ſeine Beſtimmung vollkom-
men dem knorplichen Schädel mancher Wirbelthiere entſpricht, findet
man nur bei einzelnen Gattungen, bald in der Rückenſeite des Man-
tels, bald an dem Trichter, bald an der Baſis der Arme, vereinzelte
Knorpelſtücke von geringerer Bedeutung, die beſonders zur Herſtellung
feſter Punkte für die Wirkung der Muskeln dienen.


Die Bewegungsorgane der Kopffüßler beſitzen förmliche
Muskeln, die ſich in einzelne, wohlgeordnete Bündel trennen laſſen
und hauptſächlich im Mantel und den Armen entwickelt ſind. Der
Mantel iſt ſeiner Hauptmaſſe nach aus Ringfaſern gebildet, wodurch
beſonders die Kiemenhöhle ſehr kräftig zuſammengezogen und das in
ihr befindliche Waſſer mit einiger Gewalt herausgepreßt werden kann.
Der Trichter, welcher über dem Kiemenſacke ſteht und deſſen Wan-
dungen ebenfalls ſehr fleiſchig ſind und eigene Muskeln beſitzen, kann
ſich eben ſo kräftig zuſammenziehen. Auf dieſem Apparate beruht
hauptſächlich das Schwimmen der Kopffüßler. Sie öffnen die Man-
telſpalte, welche in die Kiemenhöhle führt, dehnen dieſe letztere weit
aus und füllen ſie gänzlich mit Waſſer; — ſobald dies geſchehen, preſ-
ſen ſie durch Zuſammenziehung der Ringmuskeln die beiden Lippen
der Mantelſpalte aneinander, ſo daß nur die Oeffnung des Trichters
zum Austritte des Waſſers offen bleibt, und indem ſie nun durch
kräftige Zuſammenziehung des Mantels das Waſſer durch die enge
Oeffnung des Trichters nach vorn hin im Strahle ausſpritzen, wird
der Körper durch den Rückprall rückwärts fortbewegt. Die Armfüßler
ſchwimmen alſo alle rückwärts, die hintere Spitze des Eingeweideſackes
voran, und ſie ſind meiſt um ſo beſſere Schwimmer, je ſpitzer und
langgeſtreckter ihr Körper und je weiter ihre Kiemenhöhle iſt. In die-
ſer Bewegung werden viele von ihnen unterſtützt durch zwei ſeitliche
Hautlappen oder Floſſen, welche bald mehr hinten am Körper in
Dreiecksform, bald mehr nach der Mitte zu angebracht ſind und offen-
bar nur zur Erhaltung des Körpers in horizontaler Stellung be-
ſtimmt ſind.


Die Arme, welche um den Kopf im Kreiſe geſtellt und beſonders
[368] zum Anklammern, Kriechen, zum Faſſen der Beute beſtimmt ſind, be-
ſtehen aus einem fleiſchigen Cylinder, außen aus Ringmuskeln, innen
aus Längsmuskeln gebildet, durch deſſen Axe die Gefäße und Nerven
in die Höhe ſteigen. Es ſind dieſe Arme nach zwei verſchiedenen
Typen geſtaltet und in verſchiedenartiger Weiſe bewaffnet. Bei den
Perlbooten nämlich ſind die Arme in großer Anzahl vorhanden und
beſtehen aus kurzen geringelten Fäden, welche vollſtändig in die Baſis
des Armes zurückgezogen werden können, und außerdem noch büſchel-
weiſe unter einem fleiſchigen Deckel ſich bergen, deſſen äußere Fläche,
wie es ſcheint, auch zum Kriechen benutzt werden kann. Bei den übri-
gen Kopffüßlern ſind die Arme mit einfachen oder doppelten Reihen
von Saugnäpfen auf ihrer inneren, dem Munde zugewandten Fläche
beſetzt, womit ſich die Thiere äußerſt feſt anſaugen können. Jeder
Saugnapf bildet einen rundlichen Becher, der bald unmittelbar, bald
mittelſt eines deutlich abgeſetzten Stieles auf der inneren Armfläche
aufſitzt. Der Becher ſelbſt iſt in ſeiner Wandung von Ringsfaſern
und ſtrahlig geſtellten Muskelfaſern gebildet, und ſeine Mündung meiſt
mit einer hornigen Haut verſchloſſen, die in der Mitte ein Loch hat,
in welches ein fleiſchiger Wulſt des Bechergrundes eingeſchoben und
wie ein Stempel nach dem Anpaſſen des Saugnapfrandes zurückge-
zogen werden kann. Jeder Saugnapf bildet auf dieſe Weiſe einen
Schröpfkopf, in welchem der leere Raum in ähnlicher Weiſe hergeſtellt
wird, wie in einer Pumpe oder Spritze durch Aufziehen des Stem-
pels. Bei vielen Gattungen ſind an dem Rande des Saugnapfes
hornige Zähnchen entwickelt, und bei einigen iſt der innere Wulſt,
welcher aus dem Grunde des Saugnapfes hervorſchaut, mit einem
hornigen Häkchen beſetzt. Dieſer Haken entwickelt ſich dann oft un-
gemein, während der Wall des Saugnapfes, der ihn umgibt, zurück-
ſinkt, und es erſcheint dann der Arm mit einer oder mehreren Reihen
von Krallen bewaffnet. Bei einer ganzen Familie ſind nicht alle Arme
gleichmäßig ausgebildet, ſondern zwei derſelben ſehr lang und nur an
ihrer Spitze verbreitert und mit Saugnäpfen verſehen, während ihre
Stiele vollkommen glatt und dünn ſind. Es können dieſe Arme mei-
ſtens in eigene Scheiden, die zu beiden Seiten des Kopfes angebracht
ſind, zurückgezogen werden.


Das Nervenſyſtem der Kopffüßler erreicht einen Grad der
Ausbildung, wie wir bis jetzt bei keinem Thiere zu ſehen die Gelegen-
heit hatten. In den erwähnten Knorpelring eingeſchloſſen, umgiebt es
unmittelbar den Schlund und kann hier in zwei Hauptmaſſen, ein
Gehirn und einen unteren Theil, unterſchieden werden. Die obere
[369] Markmaſſe, welche etwas unbedeutender iſt, entſendet nur wenige feine
Nerven zu den Mundtheilen, während die untere Nervenmaſſe die
dicken Sehnerven, die Geruchs- und Gehörnerven, ſowie ſämmtliche
Nerven zu den Armen, dem Mantel und den Eingeweiden entſendet.

Figure 289. Fig. 411.

Nervenſyſtem eines Tintenfiſches (Sepia), von
oben geſehen und gänzlich iſolirt. a Das rundliche
kleine Loch, durch welches der Schlund mitten durch
die Nervenmaſſe durchtritt. Sein Verlauf iſt mit-
telſt einer durchgeſteckten Borſte bezeichnet. b Zwei
große ſeitliche, mit der unteren Nervenmaſſe zuſam-
menhängende Nervenknoten, von welchen die Nerven
der zehn Arme entſpringen. c Obere Nervenmaſſe,
das Gehirn. Nach vorn entſpringen aus dieſem
herzförmigen Knoten zwei Nerven, welche ſich in
einen großen runden Knoten vereinigen. Aus die-
ſem Knoten gehen wieder zwei vordere Aeſte ab,
die einen zweiten Ring um den Schlund bilden
und ſich unter demſelben zu einem viereckigen Lip-
penganglion vereinigen. g Die untere Nervenmaſſe,
aus welcher vorn die Augennerven o entſpringen,
an deren Urſprung ein kleiner Knoten t aufſitzt.
Außer den Sehnerven treten aus dieſer unteren

Figure 290. Fig. 412.

Nervenſyſtem des Perlbootes
(Nautilus). c Das Gehirn, aus
dem die Sehnerven o ſeitlich ent-
ſpringen. g Untere Nervenmaſſe,
in einen vorderen und hinteren
Halbring geſchieden. t Seitliche
Knoten des vorderen Halbringes,
aus welchem die Nerven der hinte-
ren Tentakeln p entſpringen. Nach
vorn gehen von dieſer Nerven-
maſſe zwei Paar Nerven ab; die
äußeren, dickeren ſchwellen in zwei
Knoten a und d an und jeder die-
ſer Knoten giebt Nerven b und f,
die zu den vorderen Fühlfäden gehen.
Das innere, dünnere Nervenpaar e
geht zum Trichter. Von der hin-
teren, unteren Nervenmaſſe g ſtrah-

Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 24
[370]

Nervenmaſſe noch die Mantelnerven m hervor,
welche hart an der Spaltöffnung des Kiemenſackes
jederſeits ein ſtarkes ſternförmiges Ganglion e bil-
den und ferner in der Mitte der große Eingeweide-
nerv v, der ſich in zwei Aeſte theilt, die alle Ein-
geweide und beſonders die Kiemen mit Zweigen
verſorgen.

len unmittelbar die Mantelfäden m
und die beiden großen Eingeweide-
nerven v aus, die in ihrem Ver-
laufe zu einem bedeutenden Ganglion
gv anſchwellen.

Die Armnerven erſcheinen in ihrer ganzen Länge in einzelne Knoten
angeſchwollen, deren jeder einem Saugnapfe entſpricht und in dieſen
feine Nervenfäden ſendet. Die beiden ſeitlichen Mantelnerven ſchwel-
len ebenfalls am Eingange der Kiemenhöhle zu einem bedeutenden
Ganglion an, das nach allen Seiten Nerven ausſtrahlen läßt und
unmittelbar unter der Haut liegt, ſo daß man es ſehr leicht erkennt,
ſobald man nur die Kiemenhöhle aufgeſchnitten hat. Außer dieſen be-
deutenden peripheriſchen Nervenäſten exiſtirt auch noch ein eigenes Ner-
venſyſtem, welches mit dünnen Fäden vom unteren Hirnknoten ent-
ſpringt und mancherlei Knötchen und Netze bildet, die auf Schlund
und Magen aufliegen und nach den verſchiedenen Eingeweiden Zweige
ſenden. Die Verſchiedenheit in der Anordnung des Nervenſyſtems ſelbſt
iſt indeſſen bei den verſchiedenen Kopffüßlern bedeutend. So iſt bei
den Perlbooten der Schlundring weit größer, das Gehirn aus zwei
Knoten zuſammengeſetzt u. ſ. w.


Dem Nervenſyſteme entſprechend, ſind die Sinnesorgane aus-
gebildet. Wenn die mit Saugnäpfen und Haken beſetzten Arme vieler
Gattungen weniger zum Taſten geeignet erſcheinen dürften, ſo haben
doch gewiß die einziehbaren Fäden auf dem Kopfe der Perlboote die-
ſen Zweck, für den ſie ganz geeignet erſcheinen. Die Augen ſind bei
den meiſten Kopffüßlern außerordentlich entwickelt, ſie ſtehen, wie ſchon
erwähnt, zu beiden Seiten des Kopfes, meiſt mit ihrem Grunde in
einer kapſelartigen Verlängerung des Kopfknorpels eingeſenkt und zei-
gen eine äußerſt zuſammengeſetzte Struktur. Bei den meiſten iſt der
Augapfel von einer Kreisfalte der Haut umgeben, welche die Rolle
von Augenlidern ſpielt. Zwiſchen dieſen Lidern iſt die Haut verdünnt
und bildet eine durchſichtige Hornhaut, hinter welcher der faſt freie
Augapfel liegt, der nach vorn nicht geſchloſſen iſt. Der Augapfel ſelbſt
beſteht zunächſt aus einer Knorpelhaut, welche von dem Sehnerven
durchbohrt wird, der innerhalb derſelben eine wahre Netzhaut bildet,
in welcher eine Schicht von rothbraunen Farbenzellen abgelagert iſt.
Die Linſe, welche von dieſen Häuten umſchloſſen wird, hat die Geſtalt
einer Doppelkugel, mit einem mittleren eingeſchnürten Falze, in welchen
ein von dem Auge ausgehendes Band paßt, welches die Linſe in ihrer
Stellung zurückhält. Es iſt dieſes um ſo nöthiger, als bei vielen Kopf-
[371] füßlern ſogar die Hornhautſchicht der äußeren Haut fehlt und ſtatt
ihrer ein Loch oder eine Spalte exiſtirt, ſo daß die Linſe unmittelbar
mit dem Seewaſſer in Berührung kommt.


Die Gehörwerkzeuge der Kopffüßler beſtehen aus einem birn-
förmigen Säckchen, welches einen unregelmäßigen, aus einzelnen Kry-
ſtallen zuſammengeſetzten Hörſtein enthält und in zwei rundlichen Höh-
len eingegraben liegt, die in der unteren Hälfte des Kopfknorpels
ausgehöhlt ſind. Außerdem finden ſich an der vorderen Fläche des
Kopfes, neben den Augen, zwei Höhlen, von Hautwülſten umgeben,
aus deren Grunde ſich ein weißes Wärzchen erhebt, das offenbar als
das erſte Rudiment eines Riechorganes angeſehen werden muß. Da
nun außerdem noch in dem Eingange der Mundhöhle ein fleiſchiger
Vorſprung ſich befindet, der ziemlich bedeutende Nerven erhält und
auf ſeiner Oberfläche mit weichen Zotten beſetzt iſt, alſo ſicher die Be-
deutung einer Zunge hat, ſo ſind die Kopffüßler mit allen jenen Sin-
nen ausgeſtattet, welche auch die höchſten Wirbelthiere beſitzen.

Figure 291. Fig. 413.

Eingeweide eines Pulpen (Octopus). Der Mantel iſt auf der Bauch-
ſeite der Länge nach aufgeſchlitzt, zurückgeſchlagen und dann der Einge-
weideſack geöffnet. j Der Vormagen, unmittelbar unter dem Kopfknorpel
gelegen. gs Die Sveicheldrüſen. t Der Trichter, aufgeſchlitzt und zurückge-
ſchlagen. f Rundliche Maſſe, gebildet durch die Leber und den Tinten-
beutel, die noch von ihrer beſonderen Hülle umgeben ſind. e Ausführungs-
gang des Tintenbeutels, in den Trichter einmündend. br Die beiden Kie-
men, die rechte in ihrer natürlichen Lage, die linke herabgezogen. m Der
aufgeſchlitzte zurückgeſchlagene Mittelrand, o Eileiter. as Eingeweidearterie.
v Hohlvenen, mit den eigenthümlichen zottigen Anhängen beſetzt. c Das mittlere


24*
[372]

Körperherz, welches das durch die Kiemenvenen vb aus den Kiemen zu-
rückkehrende Blut aufnimmt und es durch die Arterien a in den Körper
vertheilt. cb Das linke Kiemenherz, an der Baſis der Kieme gelegen. Beide
erhalten das rückkehrende Körperblut durch die Hohlvenen v und treiben es in
die Kiemen. bd Sehnenſtreif, mit welchem die Kieme am Mantel befeſtigt iſt.
i Der abgeſchnittene Afterdarm.


Die Verdauungsorgane der Kopffüßler beginnen mit einer
kreisförmigen, von einer gefranzten Lippe umgebenen Mundöffnung,
hinter welcher unmittelbar ein ſtarker muskulöſer Schlundkopf ange-
bracht iſt, der mit zwei gekrümmten, einem Papagaiſchnabel nicht un-
ähnlich ſehenden Hornkiefern bewaffnet iſt. Dieſe Kiefer ſtehen nicht
horizontal, wie bei den Weichthieren, ſondern ſenkrecht einander gegen-
über, und beſtehen jeder aus zwei flügelartigen Seitenäſten, die ſich
vorn in einer hakenförmig umgebogenen Spitze vereinigen. Beide
paſſen ſo ineinander, daß bei dem Schließen der beiden Kiefer der
Oberkiefer den Unterkiefer umfaßt. Zwiſchen den Aeſten des Unter-
kiefers liegt die fleiſchige, äußerſt nervenreiche Zungenwarze. Von dem
muskulöſen Schlundkopfe, welcher die Bewegungen der Kiefer vermit-
telt, ſteigt nun ein dünner Schlund nach unten in den Eingeweideſack,
der zuweilen in eine Art Vormagen oder Kropf anſchwillt, in andern
Fällen aber ohne Erweiterung bis zu dem breiten muskulöſen Magen-
ſacke ſich fortſetzt. Der Magen bildet einen Blindſack, aus welchem
der Darmkanal in der Richtung nach vorn hervorgeht, und bald nach
ſeinem Austritte noch einen Blindſack abſendet, der zuweilen ſpiralig
gewunden erſcheint. Nach Abgabe dieſes Blindſackes ſteigt der ziem-
lich enge, dünnhäutige Darmkanal meiſt in gerader Linie nach vorn
in die Höhe und öffnet ſich in dem Grunde des Trichters mit einem
meiſt franzig begrenzten After nach Außen. Die Drüſenorgane, welche
an dieſem Darmkanale ſich befinden, ſind ungemein groß und zahlreich,
denn meiſt ſind zwei Paar von Speicheldrüſen entwickelt, wovon das
eine am Schlundkopfe, das andere am Kropfe liegt, und außerdem
eine Leber, die zuweilen in mehrere Abtheilungen zerfällt und von
einer beſonderen Kapſel umgeben iſt.


Die Athmung geſchieht bei den Kopffüßlern durch Kiemen, welche
in der Mantelhöhle zu beiden Seiten hervortreten, und aus krauſigen
Blättchen beſtehen, die mit ihrer Baſis aufgewachſen ſind, mit dem
gekrauſten Rande aber frei hervorſtehen. Bei den gewöhnlichen Kopf-
füßlern findet ſich nur eine Kieme auf jeder Seite, bei den Perlboo-
ten dagegen zwei unmittelbar untereinander, alſo vier im Ganzen.
[373]

Figure 292. Fig. 414.

Athemorgane und Cirkulationsapparat eines Tintenfiſches (Sepia), vollkommen iſolirt.
c Das mittlere Körper- oder Aortenherz, welches ſich nach oben in die
große Körperarterie oder obere Aorte as fortſetzt, welche das Blut an die obe-
ren Körpertheile, Kopf und Arme vertheilt, während nach unten die untere
Aorta a, an ihrer Baſis angeſchwollen, ſich durch ihre Aeſte av an die Ein-
geweide vertheilt. vc Die große Körpervene oder Hohlvene, neben der oberen
Aorta herabſteigend, um nach beiden Seiten hin das Blut zu den ſogenannten
Kiemenherzen cb zu bringen. Sie iſt überall von zottigen Anhängen, den
ſchwammigen Venenkörpern cs bedeckt. br Die beiden Kiemen. Auf der lin-
ken Seite iſt der Verlauf der Kiemenvene vb dargeſtellt, welche jederſeits an
der Baſis der Kieme zu einem zwiebelartigen Bulbus b anſchwillt, bervor ſie
in das Aortenherz eintritt. Von dem ſogenannten Kiemenherzen cb aus gehen
die Kiemenarterien ab aus, die an ihrem Urſprunge ebenfalls eine zwiebel-
artige Erweiterung s beſitzen. vv Eingeweidevenen, die ſich in die ſ. g. Kie-
menherzen ergießen.


An der Baſis einer jeden Kieme liegt ein weiter pulſirender Sack,
welcher das von den Kiemen zurückkehrende Blut, das blaßroth oder
violet gefärbt iſt, in das in der Mittellinie gelegene Herz treibt. Dieſes
bildet einen bald mehr runden, bald mehr länglichen Schlauch, von dem aus
ein großes Hauptgefäß längs des Magens und Schlundes nach dem
Kopfe zu verläuft, das auf ſeinem Wege Leber, Magen und Schlund und
den ganzen Kopf mit Zweigen verſieht. Eine kleinere untere Arterie
verſorgt die übrigen Eingeweide. Das Blut, welches durch dieſe Ge-
fäße vom Herzen weggetrieben wird, ſammelt ſich in einzelnen Räumen
des Körpers und ſelbſt in der Eingeweidehöhle an, und geht dann in
rückführende Gefäße über, welche endlich eine große Mittelvene bilden,
die neben der Aorta herläuft, und ſich im Grunde des Eingeweide-
[374] ſackes in zwei ſeitliche Aeſte theilt, welche das Blut nach beiden Sei-
ten hin zu den Kiemen führen. Es iſt alſo auch bei dieſen Thieren
der Kreislauf nicht vollſtändig geſchloſſen, ſondern ſtatt eines Haar-
gefäßſyſtemes zwiſchen den Arterien und Venen ein Syſtem von Räu-
men eingeſchoben, die wie es ſcheint wandungslos ſind und zwiſchen
den Organen ſich hinziehen. Außerdem ſcheint noch ein Waſſergefäß-
ſyſtem zu exiſtiren, deſſen Oeffnungen an verſchiedenen Theilen, beſon-
ders an der Kiemenhöhle ſich finden, deſſen Scheidung von dem Blut-
gefäßſyſteme aber noch nicht gehörig bewerkſtelligt iſt.


Außer den erwähnten Organen beſitzen die Kopffüßler noch zwei
höchſt eigenthümliche Abſonderungsorgane, von welchen das eine durch
ſeinen Inhalt ſogar für die Verſteinerungen Wichtigkeit erlangt hat.
Die beiden Hohlvenen, welche das Blut nach den Kiemen hinführen,
ſind mit eigenthümlichen zottigen oder ſchwammigen Knollen beſetzt,
welche Hohlräume bilden, auf deren Außenfläche die Abſonderung ge-
ſchieht. Die abgeſonderte Maſſe enthält Harnſtoff und Harnſäure,
es müſſen deßhalb dieſe ſchwammigen Venenkörper gewiß als Nieren
angeſehen werden. Außerdem liegt aber in einem gemeinſchaftlichen
Sacke mit der Leber ein birnförmiger Beutel, deſſen kurzer Ausfüh-
rungsgang unmittelbar neben dem After in den Trichter mündet und
der ſtets mit einer bräunlich ſchwarzen Flüſſigkeit erfüllt iſt, welche
durch den Trichter entleert werden kann und das Waſſer in weitem
Umfange dunkel färbt. Es findet dieſe braun-ſchwärzliche Maſſe
als Farbeſtoff, beſonders in der Malerei vielfache Anwendung, und
iſt unter dem Namen Sepia bekannt. Bei foſſilen Körpern hat man
häufig dieſen Tintenbeutel mit ſeinem ſchwarzen Inhalte vollkom-
men wohl erhalten gefunden, und daraus bedeutende Schlüſſe für die
räthſelhafte Natur mancher Körper entnehmen können.


Alle Kopffüßler ſind getrennten Geſchlechtes und pflanzen ſich nur
durch befruchtete Eier fort; während aber bei vielen Gattungen dieſer
Klaſſe Männchen und Weibchen genau dieſelbe Geſtalt zeigen und ſich
erſt durch die Unterſuchung ihrer inneren Geſchlechtstheile von einan-
der unterſcheiden laſſen, kommt bei andern Gattungen die höchſt eigen-
thümliche Merkwürdigkeit vor, daß die Männchen außerordentlich ver-
kümmern und ihren Weibchen ſo unähnlich ſehen, daß man ſie bis in
die jüngſte Zeit für Schmarotzerthiere der Weibchen, für Eingeweide-
würmer hielt und nicht im Entfernteſten ahnte, daß die kleinen Ge-
ſchöpfe, welche von dem Weibchen in der Mantelhöhle herumgetragen
werden, die verbildeten Männchen ihrer Beherberger ſeien. Die
[375] Geſchlechtsorgane der unverkümmerten Thiere ſind nun in folgender
Weiſe gebildet: Bei den Weibchen findet ſich ein großer einfacher

Figure 293. Fig. 415. Fig. 416.

Fig. 415. Weibliche Geſchlechtsorgane des Tintenfiſches (Sepia).
a Die Eier noch im Ovarium und umhüllt von den dünnen gefäßreichen
Kapſelhäuten, in denen ſie ſich bilden. b Die äußere Haut des Eierſtocks. c Eier,
welche aus ihren Kapſelhäuten ausgetreten ſind und nun die Höhle des Eier-
ſtocks erfüllen. d Der Eileiter, deſſen äußere Hülle eine unmittelbare Fort-
ſetzung der Eierſtockshülle iſt. e Drüſen am Ende des Eileiters, aus vielen
übereinander gelegenen Blättchen zuſammengeſetzt. f Mündung des Eileiters
an der Baſis des Trichters. g Neſtdrüſen, ähnlich gebildet, wie die Eileiter-
drüſen e. h Andere aus gewundenen Schläuchen beſtehende Neſtdrüſen, deren
Ausführungsgänge in diejenigen der Drüſen g einmünden. i Theile des
Darms. k After. Fig. 416. Eier des Tintenfiſches, in Traubenform an
Waſſerpflanzen hängend.


Eierſtock, der von einer derben ſehnigen Hülle eingeſchloſſen iſt, welche
ſich unmittelbar in den Eileiter fortſetzt. In dem Eierſtocke wachſen
die Eier zu einer ſolchen Größe heran, daß endlich bei den reifen
Eiern das ganze Eierſtocksgewebe nur noch dünne, häutige, gefäßreiche
Kapſelüberzüge über die Eier bildet, welche ſpäter platzen und die
reifen Eier in den Eileiter übertreten laſſen, der entweder einfach
oder doppelt iſt und gewöhnlich im Grunde des Trichters ausmün-
det, wo er meiſt von einer Drüſe umgeben iſt. Außer dieſer Eileiter-
drüſe kommen bei den meiſten Kopffüßlern noch eigenthümliche Neben-
drüſen oder Neſtdrüſen vor, welche ebenfalls in den Trichter ausmün-
den und wahrſcheinlich den Stoff zu den einzelnen Hüllen bilden, von
[376] welcher die gelegten Eier umgeben ſind. Die Eier ſelbſt nämlich ha-
ben meiſt eine mit netzartigen, nach innen vorſpringenden Falten ver-
ſehene Dotterhaut und ſtecken ſelbſt wieder in einer hornigen Schale,
die zuweilen ſchwärzlich gefärbt iſt. Viele ſolcher Eier werden nun von
den einzelnen Gattungen wieder in eigenthümlich charakteriſtiſcher Weiſe
zu Maſſen vereinigt. So bilden die gewöhnlichen Tintenfiſche birn-
ähnliche Flaſchen, welche traubenartig zuſammengehäuft an Meerpflan-
zen angeheftet werden, und unter dem Namen Meertrauben bekannt
ſind. Die Kalmare erzeugen lange Stränge, die zuſammengeklebte
Haufen bilden. Die Papierboote ſpinnen an jedem Ei einen langen
Faden aus, den ſie mit denen der andern Eier zuſammenwickeln,
und ſo einen traubenartigen Haufen bilden, welchen ſie an ihrer Schale
angeheftet mit ſich herumtragen.


Figure 294. Fig. 419

a.


Figure 295. Fig. 417. Fig. 418. Fig. 419

Fig. 417. Männliche Geſchlechtsorgane des Tintenfiſches (Sepia). Die
Organe von der Bauchſeite geſehen. a Der einfache Hoden, zum Theil von
ſeiner Umhüllungshaut b befreit. c Samenleiter. d Samenblaſe, mehrfach
gewunden. e Fortſetzung der Samenblaſe gegen die Needham’ſche Taſche hin.
f Acceſſoriſche Drüſe. g Needham’ſche Taſche, mit Samenmaſchinen gefüllt.
h Ausführungsgang derſelben (Ruthe). i Aeußere Oeffnung.
Fig. 418. Eine einzelne Samenmaſchine vergrößert, aber noch ganz un-
verändert. Fig. 419. Eine andere, welche oben geplatzt iſt und die Samen-
maſſe hervorſchleudert. In beiden Figuren haben die Buchſtaben dieſelbe Be-
deutung. a Die feſte Scheide der Samenmaſchine. b Die innere Höhle der-
ſelben. c Das vordere Ende. d Die Maſſe der in eine feine Hülle einge-
ſchloſſenen Samenthiere. e Verbindungsfaden, der zu dem Schleuderſtoffe f
hingeht.
Fig. 419a. Einzelne Samenthierchen, ſehr ſtark vergrößert.


[377]

Die männlichen Geſchlechtsorgane ſind bei denjenigen
Kopffüßlern, deren Männchen vollkommen ausgebildet ſind, aus einem
einfachen Hoden gebildet, welcher an der Stelle des Eierſtockes liegt
und aus einer Menge veräſtelter Drüſenſchläuche beſteht, die ſich in
einer mittleren Höhle vereinigen. Die Samenmaſſe gelangt von hier
aus durch einen vielfach gewundenen Samenleiter und eine gewundene
Samenblaſe in einen weiten, mit Längsfalten verſehenen Samenſack,
die ſogenannte Needham’ſche Taſche, aus welcher ein ſchlauchförmiger
Ausführungsgang, der in der Mantelhöhle frei hervorſteht, die Sa-
menmaſſe nach außen leitet. Dieſe ſelbſt iſt indeß bei den meiſten
Kopffüßlern in höchſt eigenthümlicher Weiſe gebildet. Die ganze Sa-
menmaſſe beſteht nämlich in der erwähnten Needham’ſchen Taſche aus
eigenthümlichen großen cylindriſchen Schläuchen, Spermatophoren oder
Samenmaſchinen, welche einen ſehr ſonderbaren Bau haben. Jeder
Schlauch ſtellt ein glashelles Rohr dar, in deſſen hinterem Ende eine
ſehr zarthäutige Blaſe voll Samenthiere ſich befindet, die auf einem
meiſt ſpiralförmig gedrehten Bande ruht, welches bis an das Vorder-
ende des Schlauches verläuft und hier von einer eigenthümlichen Maſſe,
einem Schleuderſtoffe, umgeben iſt, welcher durch Einſaugung von Waſſer
außerordentlich anſchwillt. Sobald dieſe Samenſchläuche aus der
Needham’ſchen Taſche, in der ſie dicht gedrängt neben einander liegen,
in das Waſſer kommen, ſo ſaugt der glashelle Schlauch Waſſer ein,
ſchwillt an ſeinem Vorderende auf und platzt endlich, wobei die innere
Schwellmaſſe herausgeſchleudert wird und an dem ſpiraligen Bande
das mit Samenthierchen gefüllte Säckchen aus dem Schlauche heraus-
zieht. Man weiß jetzt, daß dieſe Samenſchläuche von den Männchen
in die Mantelhöhle der Weibchen gebracht werden, wo dann durch
ihr Platzen der Samen in den Eileiter übergeführt und die Eier im
Eierſtocke ſelbſt befruchtet werden. Die Samenthierchen ſelbſt haben
die gewöhnliche Form.


[378]
Figure 296. Fig 420.

Hectocotylas.
Tremoctopodis
.
Das Thier von der
Bauchſeite geſehen. a Kie-
men. b Saugnäpfe. c Sa-
menſack. d Ruthenſcheide.
e Ruthe.


Die verkümmerten Männchen, welche
man bis jetzt nur bei der Familie der achtfüßi-
gen Papierboote geſehen hat, haben etwa die
Geſtalt eines Wurmes, deſſen Körper zu beiden
Seiten mit einer Menge von Saugnäpfen be-
ſetzt iſt. Man hat ſie bis jetzt nur in der
Mantelhöhle oder in dem Trichter, ſelten nur
auf der inneren Fläche der Arme der Weibchen
ſitzend gefunden, wo ſie lebhaft mit ihren Saug-
näpfen umherkriechen, oder ſelbſt mit ſchlängeln-
den Bewegungen im Waſſer ſchwimmen. Sie
waren bisher ganz allgemein für Eingeweidewür-
mer gehalten und unter dem Namen Hectocotylus
unter die Saugwürmer eingereiht worden, bis
man bei näherer Unterſuchung die wahre Na-
tur dieſer Thiere erkannte, und ſich davon
überzeugen mußte, daß in der That bei ſchein-
bar ſehr nahe ſtehenden Thieren die einen voll-
kommen entwickelte, die anderen gänzlich ver-
kümmerte Männchen haben können. An dem wurmförmigen Körper
dieſer Männchen fallen zuerſt die Saugnäpfe in die Augen, welche
faſt an der ganzen Länge des Körpers zwei Reihen längs der Bauch-
fläche bilden. Ihre Structur iſt vollkommen dieſelbe, wie diejenige der
Saugnäpfe der Kopffüßler ſelbſt, ſo daß man auch nicht mit Unrecht
das Ausſehen des Männchens mit demjenigen eines abgeriſſenen Arm-
endes von einem gewöhnlichen Thiere verglichen hat. Die beiden Saug-
napfreihen ſtehen mehr auf der Bauchſeite, während die Rückenſeite in zwei
Dritteln ihrer Länge mit zwei Längsreihen von Kiemen beſetzt iſt, die aus
vielen langen weichen Zöttchen zuſammengeſetzt ſind. Am Ende des mit
Saugnäpfen beſetzten Körpers ſieht man einen runden, etwas blaſenförmi-
gen Theil, der meiſt von ſilberglänzender Farbe iſt und mit Samenthierchen
gefüllt erſcheint. Von dieſem geht ein auf der Bauchfläche gelegenes, mus-
kulöſes Rohr aus, das nach vorn zu eine Oeffnung hat, aus welcher
die fadenförmige Ruthe hervortritt. Die inneren Organe ſind noch
nicht mit ſolcher Genauigkeit erforſcht, als es wohl wünſchenswerth
wäre. Die Haut iſt mit denſelben Farbenzellen beſetzt, deren Spiel
in der Haut der Armfüßler wir oben erwähnten. Auf der Rücken-
ſeite, unmittelbar unter der Haut ſoll das Herz liegen; zu beiden
Seiten laufen Gefäße, unter welchen man Arterien und Venen un-
terſchieden hat. Vielleicht iſt ein Darm vorhanden. In dem Kör-
[379] per verläuft nämlich, der ganzen Länge nach und ſeine Axe ein-
nehmend, ein hinten blind endendes Rohr von durchaus gleicher Weite,
welches vielleicht an dem Vorderende des Körpers mit einer ſehr fei-
nen Oeffnung nach außen mündet, und dann wohl als Darmrohr
angeſprochen werden dürfte. Der im Hintertheile des Körpers gele-
gene Hode beſteht aus einem einzigen ſehr langen, in einen Knäuel
gewundenen Faden, der aus innig mit einander zuſammenhängenden
Samenthierchen gebildet iſt und in den Samenleiter eintritt, welcher
durch ein muskulöſes Rohr in die Ruthe ſich fortſetzt. Die Männ-
chen anderer Arten ſcheinen noch mehr verkümmert, indem ihnen ſogar
die Kiemen fehlen, und die Geſchlechtswerkzeuge einen noch größeren
Raum einnehmen, ſo daß ſie faſt nur als eine mit Saugnäpfen verſehene
Samenmaſchine erſcheinen, die ganz dem abgelöſten Arme eines Achtfüßlers
gleicht. Die Hectocotylen, welchen die Kiemen fehlen, ſind vielleicht nur abge-
löſte Arme, die ſich bei gewiſſen Arten zu Befruchtungsmaſchinen ausbilden,
in ähnlicher Weiſe, wie die Palpen der Spinnenmännchen. Neuere Be-
obachtungen ſcheinen auf eine Structur dieſer Art hinzudeuten — es wären,
ſollten ſich dieſe erwahren, die Hectocotylen dann nicht verkümmerte Männ-
chen, ſondern abgeriſſene Befruchtungsarme ausgebildeter Männchen.


Die Entwickelung der Kopffüßler in dem Eie bietet viele Momente
dar, welche ſie von allen übrigen Abtheilungen des Thierreiches weſent-
lich unterſcheiden. Auf dem Dotter des Eies, der vorher durch netz-
förmige, nach innen vorſpringende Falten der Dotterhaut ein eigen-
thümliches Anſehen erhält, erſcheint auf einer beſtimmten Stelle die

Figure 297. Fig. 421. 422. 423. 424.

Fig. 421 bis 424. Eier des Tintenfiſches (Sepia). Fig. 421. Ein Ei aus der
Periode, wo die Dotterhaut netzförmige Falten bildet. Fig. 422. Ein ganzes Ei mit
beginnender Furchung der Keimſtelle, von der Seite geſehen. Fig. 423. Daſſelbe von
der Fläche. Die Keimſtelle iſt in vier Theile getheilt. Fig. 424. Die Furchung iſt
fortgeſchritten. Acht-Theilung.
Bei dieſen, wie bei allen folgenden, auf die Entwickelung von Sepia ſich beziehen-
den Figuren haben die Buchſtaben dieſelbe Bedeutung. a Dotter. b Fangarme. c Au-
gen. d Körper des Embryo’s. e Schwimmfloſſen. f Keimſtelle. g Mantel. h Kie-
men. i Trichter. k Dotterſack. l Mund. m Darm. n Kiemenherz.


[380] Embryonalanlage, die aus anfangs undeutlich abgegrenzten Furchungs-
kugeln beſteht, welche ſich nach und nach zu Zellen umbilden. Die
übrige Dottermaſſe erſcheint bei dieſer Bildung des Embryonaltheiles
vollkommen unbetheiligt. Der Embryonaltheil breitet ſich allmählig
weiter aus; die einzelnen Zellen legen ſich zuſammen und es erſcheinen
nun nach und nach die verſchiedenen Organe des Embryos, zuerſt in
der Form von Wülſten und zwar in der Lagerung, daß der Kopf-
theil des Embryos dem Dotter zugewendet, das Hintertheil des Bauch-
ſackes von ihm abgewendet erſcheint und dieſer auch vor den übrigen

Figure 298. Fig. 425.


Figure 299. Fig. 426.

Fig. 425 und 426. Entwickelung des Tinten-
fiſches. Fig. 425. Der entſtehende Embryo liegt
noch flach und ſcheibenförmig auf dem Dotter. Der
Mantel, die Augen und der aus zwei ſeitlichen Hälf-
ten entſtehende Trichter ſind durch flache Wülſte an-
gedeutet, ebenſo der Mund durch eine rundliche Oeff-
nung. Fig. 426. Die Entwickelung iſt weiter fort-
geſchritten, der Mantel nebſt dem Embryo hat ſich
emporgehoben, die Trichterhälften ſich unter dem Man-
tel, der hutförmig verwächſt, genähert, die Augen
und Kopflappen ſich geſondert. Man ſieht die erſten
warzenartigen Vorſprünge, welche zu Fangarmen aus-
wachſen. Der Dotterſack breitet ſich aus, um den
Dotter einzuſchließen.


Theilen ſich ausbildet. An-
fangs ſitzt der Embryo
gleichſam wie eine flache
Scheibe auf dem Dotter auf,
der unverhältnißmäßig groß
iſt, dann hebt er ſich mehr
ab und der Eingeweideſack
erhält allmählig ſeine beu-
telförmige Geſtalt. Eine
vom Embryo ausgehende
Hautſchicht umwächſt all-
mählig den Dotter und bil-
det einen wahren Dotter-
ſack. Während der Dotter
immer kleiner wird und der
Embryo ſtets mehr auf ſeine
Koſten auswächſt, bleibt die
gegenſeitige Lagerung dieſer
beiden Theile ſtets dieſelbe.
Der Embryo erfaßt mit ſei-
nen, nun hervorgeſproßten
Armen den Dotter, welcher
ſeinem Kopfe gegenüberliegt.
Der Dotterſack ſteht zu kei-
ner Zeit des Embryonal-
lebens mit irgend einem
Theile des Darmkanales in Verbindung; er bildet ſtets einen für ſich
abgeſchloſſenen Sack, deſſen Stiel hart neben dem Munde in die Lei-
beshöhle eindringt, ſo daß man früher glaubte, er gehe aus dem
Munde ſelbſt hervor, oder ſtehe weiter innen mit dem Darmkanale in
Verbindung. Beides iſt unrichtig; auch in der Leibeshöhle iſt der
[381] Dotterſack völlig abgeſchloſſen und ſein Inhalt wird nur durch Aus-
ſaugung mittelſt eines ſehr entwickelten Gefäßnetzes, das überall ge-
ſchloſſene Wandungen hat, dem Embryo zugeführt.


Die Entwickelung der einzelnen Organe iſt mit großer Genauig-
keit verfolgt worden. Zuerſt entſteht der Mantel in der Mitte, als
ein flacher Wulſt, zu deſſen beiden Seiten die ſpäter zuſammenwach-
ſenden Hälften des Trichters und nach vorn zu die Augen als zwei
ſchmale Wülſte ſich erkennen laſſen. Während ſich nun der Mantel
vom Dotter abhebt, erſcheinen nach einander die verſchiedenen Paare
der Arme als flache, unbedeutende Höker, Mund und After an einan-
der gegenüberſtehenden Stellen noch flach auf dem Dotter aufliegend,
die Kiemen mit ihren Venenherzen und dem dazwiſchen liegenden Aor-
tenherz, während die zugleich vom Embryo ausgehende Umhüllung des
Dotters denſelben mehr und mehr umwächſt. Der Embryo iſt jetzt

Figure 300. Fig. 427, 428. 429.

Fig. 427. Ein weiter entwickelter Embryo von der Bauchſeite aus geſehen. Der
Mantel iſt abgetragen, ſo daß man die Kiemen mit dem Kiemenherzen daran, den End-
theil des Darms mit dem Tintenbeutel darüber deutlich ſieht. Der Körper hat ſchon
Schwimmlappen; die beiden längeren Fangarme laſſen ſich unterſcheiden. Fig. 428.
Derſelbe Embryo vom Rücken aus in natürlicher Größe. Fig. 429. Derſelbe von der
Seite.


noch immer 4 bis 5 mal kleiner als der Dotter, flimmert auf ſeiner
ganzen Oberfläche und dreht ſich bei denjenigen Gattungen, bei wel-
chen viel Eiweiß und ein kleiner Dotter vorhanden iſt, während er bei
den andern weder Kraft noch Raum beſitzt, dieſe Umwälzungen zu
bewirken. Alle einzelnen Organe bilden ſich nun mehr und mehr aus,
indem namentlich der Bauchtheil des Embryo’s ſein früheres Mißver-
[382] hältniß gegen den ungeheuren Kopf ausgleicht. Sobald Dotterſack
und Embryo etwa gleich groß ſind, haben ſchon

Figure 301. Fig. 430.

Faſt reifer Embryo
von der Rückenſeite.


die Embryonen faſt ganz die Geſtalt des zukünf-
tigen Thieres und bewegen ſich auch ziemlich
raſch in dem Ei, oder nach ihrer Herausnahme
aus den Eihüllen, die ſie jedoch nicht eher ver-
laſſen, als bis der Dotterſack gänzlich geſchwun-
den, und der junge Kopffüßler in allen Thei-
len vollkommen dem Erwachſenen ähnlich ſieht.


Man ſieht aus dieſer Darſtellung des Ent-
wickelungsganges der Kopffüßler, daß hier we-
ſentlich zwei Momente ins Auge gefaßt werden
müſſen. Während bei allen übrigen Thieren,
die wir in den vorigen Abtheilungen betrachte-
ten, der Embryo ſich ſtets aus dem ganzen Eie
entwickelt und von Anfang an ſämmtliche Theile
des Eies bei der Bildung der Organe intereſſirt ſind, erſcheint hier
Anfangs nur eine kleine Embryonalanlage, welche allmählig den Dot-
ter überwächſt und zur Bildung ihrer Organe verwendet. Das zweite
Moment iſt die Lagerung des Dotters in der Axe des Körpers dem
Kopfe gegenüber, wo er von den trichterförmig umſtellten Armen um-
faßt wird, und mit einem Stiele neben dem Munde in die Leibeshöhle
eindringt, — eine Lagerung, welche gänzlich von der verſchieden iſt,
die wir bei den ſpätern großen Gruppen des Thierreiches finden wer-
den, wo der Dotter entweder wie bei den Gliederthieren auf der
Rückenfläche, oder wie bei den Wirbelthieren auf der Bauchfläche des
Embryo’s ſich befindet. Beide Momente laſſen keinen Zweifel darüber,
daß trotz der geringen Anzahl von Armfüßlern, welche wir in unſerer
jetzigen Schöpfung beſitzen, dennoch dieſer Typus in Berückſichtigung
ſeiner Eigenthümlichkeiten und ſeiner ungemein großartigen Entwicke-
lung, in früheren Perioden der Erdgeſchichte mit den anderen großen
Abtheilungen des Thierreiches auf eine Stufe geſtellt werden müſſen.
Namentlich bei dieſer Klaſſe kann man mit vollſtändiger Gewißheit
das große Unrecht derjenigen nachweiſen, welche in ihren Syſtemen
nur die jetzt lebende Schöpfung berückſichtigen, die frühere aber als
nicht in ihren Kreis gehörig zur Seite ſtellen möchten. —


Wir theilen den Kreis der Kopffüßler, der nur eine Klaſſe ent-
hält, nach der Beſchaffenheit der Fangarme und der Kiemen in zwei
Ordnungen. Bei den Einen, den Vierkiemern, (Tetrabranchiata),
welche den andern in der Erdgeſchichte vorangehen, ſtehen zwei Kie-
[383] men auf jeder Seite und die Fangarme ſind in eine große Anzahl
einzelner Tentakel aufgelöſt, während bei den Zweikiemern (Di-
branchiata
) nur zwei Kiemen im Ganzen ſich finden und die Fang-
arme, deren höchſtens zehn ſind, mit Saugnäpfen oder Haken be-
ſetzt ſind.


Die Ordnung der Vierkiemer (Tetrabranchiata) hat
nur noch einen einzigen genügenden Repräſentanten in der jetzt leben-
den Schöpfung, deſſen Schalen ſehr häufig in allen Sammlungen zu
finden waren, während das Thier erſt in neueſter Zeit durch einige
wenige nach Europa gekommene Exemplare bekannt und näheren Un-
terſuchungen unterworfen wurde. Um ſo häufiger ſind die Schalen
dieſer Thiere in den älteſten Schichten namentlich, wo ſich auch die
mannigfaltigſten Formen derſelben zeigen.


Sämmtliche Vierkiemer beſitzen vielkammerige Schalen, indem das

Figure 302. Fig. 431.

Die Schale eines Perlbootes (Nautilus)
der Länge nach durchſägt, um die
Einrollung und die Kammern zu
zeigen. a Letzte Kammer, die ein-
zig vom Thiere bewohnt iſt. b Die
erſte Scheidewand, welche die nach-
folgenden Kammern c abtrennt. s
Der Sipho, welcher die Kammern
in Verbindung ſetzt.


Gehäuſe durch Abtheilungen zerlegt iſt, deren
letzte verhältnißmäßig viel größer, als die
vorhergehenden iſt und dem Thiere allein zur
Wohnung dient. Bei zunehmendem Wachs-
thume vergrößert dieſes ſeine Schale nach
vorn, läßt aber zugleich nach hinten eine
Strecke der Schale, welche ihm zu eng
geworden iſt, frei und bildet ſich eine neue
Scheidewand, welche die Wohnkammer
nach hinten abſchließt. Die Structur die-
ſer Scheidewände ſelbſt iſt ſehr mannig-
faltig. Bei dem lebenden Perlboote und
der ganzen Familie der Perlboote (Nau-
tilida
) überhaupt, ſind dieſe Scheidewände
einfach ausgeſchweift und ihre Convexität
nach hinten, ihre hohle Seite nach der Mündung der Schale hin ge-
richtet. Bei den geraden Schalen, welche beſonders in den Ueber-
gangsgebirgen vorkommen, gleicht deßhalb das ganze Gehäuſe einer
Reihe aufeinandergeſetzter Unterſchalen von Taſſen, die allmählig an
Größe zunehmen. Bei der gänzlich ausgeſtorbenen Familie der Am-
monshörner (Ammonitida) dagegen ſind die Ränder der Scheidewände
mehr oder minder eingebogen und oft vielfältig ausgezackt, ſo daß
man an den verſteinerten Schalen, wo meiſtens die dünne Schale fehlt
und nur der Steinkern vorhanden iſt, dieſe Scheidewände als mannig-
fach verzweigte Figuren auf der Außenfläche erblickt. Geſtalt und An-
ordnung dieſer Einbiegungen haben in mannigfacher Weiſe zur Unter-
[384] ſcheidung der Arten und Gattungen, ſowie einzelner Gruppen in der
Familie ſelbſt dienen müſſen.


Eine zweite Eigenthümlichkeit dieſer gekammerten Schalen iſt, wie
ſchon oben bemerkt, die Exiſtenz eines Sipho, einer mehr oder minder
unterbrochenen Röhre, welche durch alle Kammern der Schale ſich fort-
ſetzt, oft aber auch nur aus einzelnen Löchern beſteht, welche die Scheide-
wände an correſpondirenden Stellen durchbohren. Durch dieſe Röhre
oder durch die entſprechenden Löcher erſtreckt ſich ein ſehniger Strang,
welcher das Thier an der Schale befeſtigt. Bei dem lebenden Perl-
boote, ſowie bei den foſſilen verwandten Gattungen, liegt der Sipho
in der Mitte, bei andern oft ganz an dem äußeren oder inneren
Rande der Schale.


Figure 303. Fig. 432.

Das Perlboot (Nautilus) in ſeiner Schale.
Das Thier iſt unverſehrt, in natürlicher Lage belaſſen, die Schale der
Länge nach halbirt, um die Kammern und den durch die Kammern laufenden
Faſerſtrang zu zeigen. a Die hinteren Kammern. s Der Punkt, wo ſich der
Faſerſtrang des Sipho an den Eingeweideſack des Thieres feſtſetzt. w Ein
querer Wulſt des Mantels, wodurch das Thier an der Wand der letzten Kam-
mer befeſtigt iſt. o Das Auge. e Der zum Ausſprützen des Athemwaſſers
beſtimmte Trichter. t Die Tentakeln. p Eigenthümliche fleiſchige Deckklappe
des Nackens. m Fortſatz des Mantels, der einen Theil der letzten Windung
umfaßt.


Der Kopffüßler ſelbſt, welcher dieſe Schalen bewohnt, hat eine
kurze cylindriſche Geſtalt und iſt größtentheils von ſeinem ſackförmigen
Mantel eingeſchloſſen, der ſich überall genau an der letzten Kammer
[385] der Schale anlegt. Das Thier liegt ſo in dieſer Kammer, daß ſeine
Rückenſeite der Spindel, ſeine Bauchſeite dem äußeren Rande der Schale
zugekehrt iſt. Die Geologen, welche ſich hauptſächlich mit der Be-
ſchreibung der gekammerten Schalen abgaben, haben in ihrer glücklichen
Unkenntniß der Organiſationsgeſetze gerade eine umgekehrte Bezeich-
nung der Schalen angenommen und Rückenſeite den äußeren, Bauchſeite
den inneren Rand dieſer Schalen genannt. Der Mantel bildet nach
hinten einen Fortſatz, welcher auf der Windung der Schale aufliegt,
und zeigt auf der Rückenſeite einen breiten, dreieckigen Flügellappen,
welcher theils zum Schluß der Schale, theils auch zum Kriechen zu
dienen ſcheint. Auf der Bauchſeite liegt der der Länge nach geſpaltene
Trichter und zwiſchen ihm und dem ſogenannten Fuße eine Menge
von Armen, welche keine Saugnäpfe tragen, ſondern ſchwach geringelt
ſind und in eine Scheide zurückgezogen werden können. Zwiſchen
dieſen Fühlfäden liegt der mit zwei hornigen Kiefern bewaffnete Mund
und unter ihnen auf jeder Seite ein großes geſtieltes Auge. Außer vielen
anderen Eigenthümlichkeiten in der Anatomie dieſes Thieres zeigt ſich
beſonders die, daß auf jeder Seite zwei Kiemen vorhanden ſind, welche
ein einziges Arterienherz ſpeiſen, und daß der Dintenbeutel, welcher
die übrigen Kopffüßler ſo auszeichnet, hier gänzlich fehlt. Wahrſchein-
lich iſt es auch, daß die Männchen der Thiere, welche zu dieſer Ord-
nung gehören, verkümmert ſind und eine ebenſo abweichende Geſtalt
haben, wie diejenigen, welche man bei den Papierbooten kennt. We-
nigſtens hat man in der Nähe mancher foſſilen Ammonshörner und
ſehr oft in der vorderen Kammer derſelben höchſt eigenthümliche
Schalen gefunden, die man unter dem Namen Aptychus bezeichnet und
die offenbar innere Schalen von Kopffüßlern ſind, welche vielleicht ver-
kümmerten Männchen angehörten, die ebenſo, wie die verkümmerten
Männchen mancher Achtfüßer, die Hectocotylen, von den Weibchen in
ihrer Mantelhöhle mit herum getragen wurden.


Wir theilen die Ordnung der Vierkiemer in zwei Familien. Die-
jenige der Perlboote(Nautilida) beſitzt einfache ausgeſchweifte, höchſtens
S förmig oder in einfachem Zickzack gebogene Scheidewände und ſehr
verſchieden aufgerollte Schalen. Sie ſetzen ſich von den älteſten Schich-
ten an bis in die neueſte Zeit fort, wo der einzige Repräſentant in
der Südſee meiſt nur auf hohem Meere vorkömmt. Die leeren Kam-
mern der Schale, welche bei allen dieſen Thieren ſehr dünn war,
dienen offenbar, wie eine feſte Schwimmblaſe, zur Erleichterung des
ſpecifiſchen Gewichtes des Thieres. In den älteſten Schichten kommen
Nautiliden vor, welche vollkommen gerade ſind und keine Spur von
Vogt, Zoologiſche Briefe I. 25
[386] Aufrollung zeigen (Orthoceratites); andere, welche etwa die Geſtalt
eines Biſchofsſtabes (Lituites) haben; noch andere, welche unvollkom-
men eingerollt erſcheinen (Phragmoceras), während von den mittleren
Schichten des Jura an und auch ſchon früher ächte Perlboote (Nauti-
lus
) mit vollkommen eingerollten Schalen ſich finden. Nach der La-
gerung des Sipho und der Einknickung der Scheidewände hat man
viele ausgeſtorbene Gattungen unterſchieden. Clymenia.


Die Familie der Ammonshörner(Ammonitida) unterſcheidet ſich

Figure 304. Fig. 433

Ammonites aus dem Lias.


von der vorigen durch eingebogene und
gezackte Scheidewände, welche entweder
in Zickzacklinien geknickt oder gänzlich
ausgezackt und ſogar wie eine Krauſe
gefaltet erſcheinen. Der Sipho liegt bei
ihnen ſtets an dem Außenrande der Schale,
während er bei der Familie der Perlboote
in der Mitte oder dem Innenrande nahe
liegt. Die Ammonshörner ſind gänzlich
ausgeſtorben, kommen dagegen in den
älteren Schichten außerordentlich zahlreich
vor und zeigen gewiſſermaßen eine umgekehrte Geſchichte wie die Perlboote.
Die älteſten Ammonshörner nämlich bis zu der Kreide, mit welcher dieſe
Familie gänzlich aufhört, ſind alle in einer Ebene gewunden, während in
der Kreide ſelbſt ſich alle jene Formen von geraden (Baculites), halbgewun-
denen (Scaphites), hakenförmig gebogenen (Hamites) Schalen vorfinden,
welche bei den Perlbooten in der älteſten Geſchichte ſich zeigten und ſogar
noch ſchneckenförmig gewundene Formen (Turrilites) vorkommen. Man hat
nach dieſen Formen der Aufrollung, ſowie nach der Geſtalt der Scheide-
wände, verſchiedene große Gattungen unterſchieden und es iſt hier aller-

Figure 305. Fig. 434.

Ceratites nodosus aus dem
Muſchelkalke.


dings merkwürdig, daß in den älteren
Schichten bis zum Muſchelkalke hin, nur
Ammonshörner vorkommen, welche zickzack-
förmig gebogene, ungezähnelte Scheidewän-
de haben (Goniatites), daß bei den im Mu-
ſchelkalke vorkommenden Arten (Ceratites)
nur die nach hinten ausgebogenen Lappen der
Scheidewände, welche man die Loben ge-
nannt hat, gezähnelt, die nach vorn gerichte-
ten (die Sättel) hingegen, glatt ſind, wäh-
rend bei denjenigen Gattungen, welche
vom Muſchelkalk an aufwärts in den
[387] Schichten des Jura und der Kreide gefunden werden, alle Ausbie-
gungen der Scheidewände, Sättel und Loben durchaus gezähnelt und
gezackt ſind. Ammonites; Hamites; Scaphites; Turrilites.


Die Ordnung der Zweikiemer (Dibranchiata), welche
weit zahlreicher in unſern Meeren vertreten iſt, in der Erdgeſchichte
aber auch erſt viel ſpäter mit den unterſten Juraſchichten auftrat,
unterſcheidet ſich von der vorigen dadurch, daß ſtets eine beſtimmte
Anzahl von Armen und zwar höchſtens zehn vorhanden ſind,
alle mit Saugnäpfen oder Hornhaken bewaffnet, und daß man
außerdem in der Mantelhöhle nur zwei Kiemen vorfindet. Dieſe
Thiere haben niemals eine vielkammerige Schale, deren letzte Kammer
ſie bewohnen und in welche ſie ſich zurückziehen können, ſondern wenn
eine ſolche exiſtirt, was bei einer Gattung der Fall iſt, ſo ſteckt ſie
zum Theile in dem Mantel des Thieres, von welchem ſie eingehüllt
wird. Viele haben dagegen innere Schalen, die in dem Rückenblatte
des Mantels eingeſenkt und ſehr eigenthümlich zuſammengeſetzt ſind. Dieſe
Rückenſchalen beſtehen nämlich aus einem vorderen hornigen Blatte,
welches entweder nackt, ſehr dünn, biegſam und durchſichtig iſt, oder
auf beiden Flächen mit ſucceſſiven poröſen Kalkſchichten belegt erſcheint,
in deren Zwiſchenräumen ſich eine gallertartige Sulze befindet. Nach
hinten zu iſt an dieſem Hornblatte eine feſte, derbe Spitze aus Kalk-
maſſe angebracht. Dieſer ganze Rückenknochen liegt in einer Höhle
der Mantelfalte eingeſchloſſen, die von einer dünnen ſehnigen Haut
ausgekleidet iſt. Es iſt jetzt zur Gewißheit geworden, daß die ſoge-
nannten Belemniten oder Donnerkeile, welche man von den unterſten
Schichten des Jura bis in die oberſten der Kreide ſo häufig verſtei-
nert findet, nur ſolche innere Knochen waren. Wir unterſcheiden in
dieſer Ordnung folgende Familien:


Figure 306. Fig. 437.


Figure 307. Fig. 435. Fig. 436.

Spirula Peronii.
Fig. 435. Das Thier. a Der Kopf mit


Die Familie der Poſt-
hörnchen
(Spirulida) iſt nur
durch eine einzige Gattung
bekannt, deren Schale aus
vielen Kammern beſteht und
in einer Ebene ſo gewunden
iſt, daß ſich die Windungen
nicht vollſtändig berühren.
Der Sipho liegt auf der in-
neren Seite der Kammern,
die Scheidewände ſind einfach
vertieft. Von dem Thiere
25*
[388]

den Fangarmen und dem Auge. b Der Mantel.
c Die aus dem unteren Theile hervorragende
Schale. Fig. 436. Eine ganze Schale. Fig. 437.
Eine Kammer von innen, um die Lage des Sipho
zu zeigen.


weiß man nur ſo viel, daß
es einen langen Körperſack
hat, der nach hinten mit zwei
ſeitlichen Lappen die Schale
umfaßt, ſo daß dieſe faſt ganz verborgen iſt. Der aus dieſem Man-
telſacke hervorſtehende Kopf hat zehn mit kleinen Saugnäpfen beſetzte
Arme, von denen zwei länger und dicker ſind, als die übrigen. Das
Thier ſchwimmt in der Südſee verkehrt, mit dem Kopfe nach unten,
iſt aber noch nie ganz unbeſchädigt aufgefunden worden, während man
die Schalen ſehr häufig ausgefreſſen, auf der Oberfläche treibend, an-
trifft. Aehnliche foſſile Gattungen hat man bis jetzt noch nirgends
aufgefunden.


Figure 308. Fig. 438.

Loligopsis Veranii.


Die Familie der Tintenfiſche
(Sepida) beſteht aus nackten Thie-
ren, mit meiſt länglichem abgeplat-
tetem Körper, an deſſen Seiten zwei
mehr oder minder bedeutende Haut-
floſſen ſitzen. Die Thiere haben
zehn Arme, von denen acht kürzer
ſind, ſpitzig zulaufen und ihrer gan-
zen Länge nach Saugnäpfe tragen,
während die zwei anderen Arme
oft unverhältnißmäßig lang ſind
und aus rundlichen Stielen beſte-
hen, die ſich an der Spitze lanzett-
artig ausbreiten und hier erſt Saug-
näpfe oder Krallen tragen. Dieſe
langen Arme können in eigene

Figure 309. Fig. 439.

Kalmar. Loligo
vulgaris
.


Scheiden, die am Kopfe liegen, zurückgezogen
werden. Alle haben ein inneres Skelettſtück in
der Rückenhaut des Mantels, doch kann man
nach deſſen Beſchaffenheit mehrere Gruppen in
der Familie unterſcheiden. Bei den eigentlichen
Tintenfiſchen nämlich iſt dieſes Rückenſtück kal-
kig, der Körper mehr breit, die Floſſenhäute
ziemlich ſchmal und die Saugnäpfe ſitzen un-
mittelbar auf der Fläche der Arme auf, wäh-
rend bei den Kalmaren (Loligida) der Körper-
ſack mehr lang ausgezogen iſt, die dreieckigen
Floſſenhäute nur hinten am Körper ſich befin-
[389]

Figure 310. Fig. 440.

Ein Belemnit, wie
man ſie gewöhnlich findet,
mit einem Reſt der Al-
reole und dem darin ſte-
ckenden Phragmoconus.


den und das feſte Rückenblatt nur ſehr ſchmal iſt und
eine hornige Beſchaffenheit hat. Die Saugnäpfe ſind
bei dieſer Unterfamilie geſtielt und zuweilen durch Horn-
haken erſetzt. Loligo; Loligopsis; Sepia; Sepiola; Ony-
chotheutis.


Die Familie der Donnerkeile(Belemnitida)
kommt nur noch in ihren foſſilen Reſten vor, doch
hat man in einzelnen ſehr feinkörnigen Geſteinen ſo
wohl erhaltene Abdrücke der Thiere gefunden, daß
man ſie faſt vollſtändig reſtauriren konnte. Das Thier
beſaß acht gleiche Arme, welche an ihrem inneren
Rande mit einer Reihe ſcharfer Haken beſetzt waren.
Der Körper war ſehr in die Länge gezogen, nach hinten
zugeſpitzt und ſeitlich mit zwei großen halbmondförmigen

Figure 311. Fig. 441. Fig. 442. Fig. 443.

Fig. 441. Das Thier der Belemniten nach Abdrücken aus dem Lias-
ſchiefer reſtaurirt und ſo dargeſtellt, daß man die in den Foſſilen erhaltenen


[390]

Theile, den Rückenknochen oder Belemniten und den Tintenbeutel ſieht. Fig.
442. Ein vollſtändiger Belemnit mit allen Theilen, von hinten. Fig. 443.
Derſelbe von der Seite. a Das Hornblatt. b Der Kegel (Phragmoconus).
c Der Körper oder die Endſpitze des Knochens. d Der Tintenbeutel. e Schwimm-
floſſen. f Trichter. g Mund. h Mit Hornzacken beſetzte Arme.


Schwimmfloſſen beſetzt. Der Tintenbeutel, welchen man ſehr oft wohl
erhalten findet, war birnförmig, ziemlich lang und von anſehnlicher
Größe. Das auffallendſte Organ der Thiere war die Rückenſchale
oder der ſogenannte Belemnit. Ein vollſtändiger Belemnit iſt aus
drei Stücken zuſammengeſetzt, von denen man aber meiſt nur das
untere, den Schnabel oder Körper, erhalten findet, der, wie ſchon be-
merkt, cylindriſch und ſolid iſt. Das obere Ende dieſes Körpers des
Belemniten bildet eine coniſche becherförmige Höhle, in welcher die
Alveole oder der Phragmoconus ſteckt; eine wahre gekammerte Schale
mit Luftkammern, die wie Uhrgläſer aufeinander geſchichtet ſind, und
durch welche ein Sipho hindurchgeht, der an der Seitenwand der Al-
veole anliegt. Der hintere Theil der Alveole endlich ſetzt ſich in ein
blattartiges Gebilde fort, das wahrſcheinlich, wie bei den Kalmaren,
hornartig war, und deshalb das Hornblatt genannt wird. Das Horn-
blatt iſt nur ſehr ſelten erhalten; die Alveole meiſt von dem Körper
oder Schnabel getrennt und dieſer noch außerdem meiſt oben zerbro-
chen. Aus der geſtreckten Körperform dieſer Thiere und der gewal-
tigen Beſchützung ihres Hintertheiles darf man ſchließen, daß ſie ſehr
ſchnelle Schwimmer waren, welche ſich meiſtens an dem Strande auf-
hielten. Belemnites; Belemnitella.


Figure 312. Fig. 444.

Gemeiner Pulpe (Octopus vulgaris), kriechend.


Die Familie der Achtfüßer(Octopodida) beſitzt nur acht gleich
lange Arme und einen meiſt rundlichen Körperſack ohne alle Seiten-
[391] floſſen und ohne eine Spur eines Rückenknochens. Die Saugnäpfe
auf den acht Füßen ſtehen bald in einer (Eledone), bald in zwei Längs-
reihen (Octopus). Der Körper iſt nur bei einer Gattung, dem Papier-
boote, in einer ungekammerten, wenig gebogenen Schale eingeſchloſſen,

Figure 313. Fig. 445

Das Papierboot (Argonauta Argo) in ſeiner Schale, ſchwimmend.


welche von der äußeren Fläche der Arme abgeſondert wird, wovon
zwei zu dieſem Endzwecke flügelartig erweitert ſind und die Schale
umklammern. Das Thier gebraucht indeß die Arme nicht wie Segel,
wie man oft erzählt hat, um auf der Oberfläche des Waſſers einherzu-
ſchiffen, ſondern es ſchwimmt ganz wie andere Kopffüßler durch Ein-
ziehen von Waſſer und Ausſtoßen deſſelben aus dem Trichter.


Bei den meiſten Gattungen der Achtfüßer ſind die Männchen den
Weibchen vollkommen gleich, ſo daß es unmöglich iſt, ſie ohne Zer-
[392] gliederung zu unterſcheiden (Octopus; Eledone); bei den Argonauten
aber, ſowie bei einer nackten Gattung, Tremoctopus, finden ſich die
verkümmerten Männchen, deren wir oben gedachten, und die es wahr-
ſcheinlich machen, daß auch die Nautilen und die ihnen verwandten
foſſilen Gattungen ähnliche verkümmerte Männchen beſaßen.


Eilfter Brief.
Kreis der Gliederthiere. (Articulata.)


Für ſich allein umfaßt dieſer Kreis eine bei weitem größere An-
zahl von Thieren, als das ganze übrige Reich zuſammengenommen,
ſowohl wenn man die Zahl der Individuen, als auch die Man-
nigfaltigkeit der in Gattungen und Arten repräſentirten Formen in
das Auge faßt. Deßhalb ſind es die Thiere dieſes Kreiſes auch haupt-
ſächlich, welche trotz der verhältnißmäßigen Kleinheit ihres Körpers —
denn nur wenige Gliederthiere können ſich hierin mit den kleineren
Wirbelthieren meſſen — den einzelnen Strichen und Zonen der Erde
eine beſtimmte Phyſiognomie aufdrücken, indem ſie eben ſowohl die Luft,
als das Waſſer mit ihren unzähligen Schwärmen erfüllen und durch
ihr maſſenhaftes Auftreten und den Schaden, den viele von ihnen
ſtiften, ſelbſt weniger aufmerkſameren Beobachtern in die Augen fallen.


So mannigfaltig auch die äußeren Formen der Krebſe, Spinnen,
Tauſendfüßler und Inſekten ſein mögen, welche dieſen Kreis bilden,
ſo läßt ſich doch auf der andern Seite nicht läugnen, daß die Orga-
niſation der genannten einzelnen Glieder des Kreiſes viele und höchſt
weſentliche Berührungspunkte miteinander gemein hat und daß ein
engeres Band dieſelben umſchlingt, als wir bei den bisherigen Kreiſen
zu finden gewohnt waren. Die Gliederthiere bilden in der That eine
in ſich wohl geſchloſſene Gruppe, die auf einem gemeinſamen Organi-
ſationsplane beruht, deſſen einzelne Modificationen in ſtreng geſetz-
mäßiger Weiſe ſich allmählig aneinander reihen, ohne ſchroffe Ab-
grenzungen zu zeigen. Dieſe Geſetzmäßigkeit des Baues geht ſo weit,
[393] daß, bis in die kleinſten Einzelheiten der Organiſation hinein und bei
höchſt abweichender Form der einzelnen Theile, man dieſelben dennoch
ſtets nach Zahl und Lagerung wieder erkennen und ihnen die im all-
gemeinen Plane vorgeſehene Bedeutung zuweiſen kann.


Die Gliederthiere bieten vor allen andern die größte Symmetrie
in der ſeitlichen Anlagerung ihrer Körpertheile zu beiden Seiten einer
ſenkrechten Ebene, welche durch die Längsaxe des Körpers gelegt iſt.
Man denke ſich einen Käfer, einen Krebs ſenkrecht durchſchnitten; —
auf jeder Seite des Schnittes wird man genau dieſelbe Zahl von
Organen und die einfach vorhandenen Organe, wie Herz, Bauchmark,
Darm, in zwei genau gleiche Hälften zerlegt finden. Zuweilen macht
freilich der Darm durch mehrfache Krümmungen innerhalb der Leibes-
höhle eine Ausnahme von dieſer Regel allgemeiner Symmetrie; zu-
weilen auch findet man an den äußeren Organen eine ungleiche Ent-
wicklung der ſeitlichen Theile, wie z. B. der Scheeren bei gewiſſen
Krebſen, oder ſogar des ganzen Körpers bei einigen Schmarotzerkrebſen.
Alle dieſe Ausnahmen ſind indeß entweder unbedeutend, oder auf eine
ſo geringe Anzahl von Typen eingeſchränkt, daß man bei der bei
weitem größten Anzahl mit vollem Rechte behaupten kann, der Bau
ihres Körpers ſei bis in die kleinſte Einzelheit ſtreng ſymmetriſch ge-
ordnet.


Eine zweite Eigenthümlichkeit der Gliederthiere beſteht in der
queren Abtheilung ihres Körpers in mehrere Ringe, ſo-
genannte Zoniten, die faſt überall aus den gleichen Grundtheilen
zuſammengeſetzt ſcheinen, aber dennoch meiſtens ſehr verſchiedene Aus-
bildung zeigen. Die niederen Formen der Gliederthiere, ſowie die
erſten Stufen, welche die höheren Formen in ihrer Entwicklung durch-
laufen, ſchließen ſich durch die Ringelung ihres lang geſtreckten Körpers
und durch die Gleichmäßigkeit dieſer Ringel, welche ſich vielfach in
derſelben Weiſe wiederholen, nah an die Ringelwürmer an, ſo daß
man oft ſelbſt verſucht hat, ſie mit denſelben in eine aufſteigende Linie
zu ſetzen und die Würmer als zu demſelben Grundtypus gehörig zu
betrachten. Läßt man die höchſt verſchiedene Entwicklungsweiſe, ſowie
den Umſtand außer Auge, daß die Ringelwürmer mit den andern
Klaſſen ihres Kreiſes in der nächſten Beziehung ſtehen, ſo hat eine
ſolche Betrachtungsweiſe allerdings ſehr viele Gründe für ſich und
der Abſtand von einer Raupe zu einem Ringelwurm z. B. erſcheint
dann bei weitem nicht ſo bedeutend, als derjenige zwiſchen einem durch
ſchmarotzende oder feſtſitzende Lebensweiſe zurück gebildeten Krebſe und
einem Weichthiere, obgleich dieſe letztere Beziehung doch ſo innig iſt,
[394] daß die jetzt zu den Krebſen gerechneten Rankenfüßer noch bis in die
neueſte Zeit, ehe man ihre Entwicklungsgeſchichte kannte, zu den Weich-
thieren geſtellt wurden. Mit dieſer Erkenntniß der Beziehungen, in
welchen die Kreiſe der Würmer, Weichthiere und Gliederthiere mittelſt
ihrer Durchgangsgruppen ſtehen, hängt der oft wiederholte Streit
über die gegenſeitige Rangordnung zuſammen, den diejenigen Natur-
forſcher mit einander führten, welche das Thierreich in eine einzige
aufſteigende Reihe geordnet wiſſen wollten. Die Einen räumten den
Weichthieren, die Andern den Gliederthieren den höheren Rang un-
mittelbar unter den Wirbelthieren ein. Beide waren im Unrecht —
eben weil das Thierreich ſich nicht in aufſteigender Linie aufbaut, ſon-
dern ſich nur nach mannigfach zerſtreuten Gruppen ordnen läßt, die
nach allen Seiten Beziehungen zu einander haben.


Die Ringelung des Körpers, welche wir bei allen Gliederthieren
gewahren, wird bei den meiſten Typen eine ungleichartige, ſo daß ver-
ſchiedene Regionen des Körpers, Kopf, Bruſt und Bauch
ſich unterſcheiden laſſen. Jede dieſer Körperabtheilungen beſteht aus
einer gewiſſen Anzahl von Ringeln, die bald mehr, bald minder mit
einander verſchmolzen ſind. Bei den höheren Formen iſt die Trennung
dieſer drei Körperabtheilungen vollſtändig durchgeführt und jede der-
ſelben hat eine eigenthümliche Beziehung zu der Geſammtorganiſation,
indem der Kopf die Sinnesorgane, das Gehirn und die Mundtheile,
der Rumpf oder Thorax die Bewegungsorgane, der Hinterleib die
Hauptorgane des vegetativen Lebens und die Fortpflanzungswerkzeuge
trägt. Bei den niederen Formen iſt bald die eine, bald die andere
dieſer Körperabtheilungen verkümmert oder mit den andern zu einer
Maſſe verſchmolzen. So findet man bei den eigentlichen Spinnen
und Krebſen Kopf und Bruſt zu einem einzigen Theile, der Kopfbruſt
(Cephalothorax), verſchmolzen, während bei manchen Kruſtenthieren
nur der Kopf getrennt, Bruſt und Hinterleib aber miteinander ver-
einigt, und bei den Milben ſogar alle drei Abtheilungen in eine einzige
rundliche Leibesmaſſe zuſammen gefloſſen ſind.


Betrachten wir den allgemeinen Plan, nach welchem der Bau der
verſchiedenen Organe des Körpers bei den Gliederthieren durchgeführt
[395]

Figure 314. Fig. 446.

Nervenſyſtem eines
Gliederthieres.


iſt, ſo finden wir in dem Nervenſyſteme eine we-
ſentlich charakteriſtiſche Anordnung, die auf dem Typus
fußt, welchen wir bei den höheren Ringelwürmern
ausgebildet fanden. Ein knotiger Strang, deſſen
meiſt doppelte Verbindungsfäden oft ſeitlich ausein-
ander weichen, zieht ſich in der Mittellinie des Kör-
pers an der Bauchfläche fort, und entſendet aus ſei-
nen einzelnen Knoten die Nerven der verſchiedenen
Organe. Je länger geſtreckt der Körper erſcheint,
je gleichartiger die verſchiedenen Ringel ſind, in deſto
gleichmäßigeren Abſtänden folgen ſich die Knoten
dieſes Bauchnervenmarkes, während beim Zuſammen-
ſchmelzen der Ringel, ſowie der Körperabtheilungen,
auch die einzelnen Knoten miteinander in größere
Maſſen verſchmelzen. Das ganze Bauchmark nimmt
ſeinen Urſprung von einem oder mehreren beträcht-
lichen Hirnknoten, welche in dem Kopfe über dem
Schlunde liegen und zwei Verbindungsfäden nach
unten ſchicken, die ſich in den erſten Bauchknoten vereinigen. Es iſt
alſo ein förmlicher Schlundring vorhanden, der ſich aber nach hinten
in ein ſtreng ſymmetriſches, in der Mittellinie des Körpers gelegenes
Bauchmark fortſetzt. Wichtig erſcheint die Lagerung dieſes Bauch-
markes unter allen Eingeweiden unmittelbar an der Innenfläche der
äußeren Bauchbedeckungen, die der Lage des Centralnervenſyſtemes
bei den Wirbelthieren gerade entgegen geſetzt iſt.


Ein weſentlicher Unterſchied der Gliederthiere von allen übrigen
Typen der Thierwelt beſteht in der Bildung der Bewegungs-
organe
und in der Art und Weiſe, wie die bewegenden Muskeln
ſich zu den feſteren Theilen, zum ſtarren Gerüſte des Körpers und der
Glieder verhalten. Bei allen Gliederthieren iſt die äußere Haut ver-
hältnißmäßig weit härter und feſter, als die übrigen Theile des Kör-
pers, und bildet ſo für den Körper ſowohl, wie für die Bewegungs-
organe eine Folge hohler Ringe, welche bei größerer Ausdehnung
förmliche Röhren darſtellen, in denen die Organe eingeſchloſſen ſind.
Die bewegenden Muskeln ſetzen ſich auf der Innenſeite dieſer Röhren
an, ſind alſo im Innern der Hebel eingeſchloſſen, deren Bewegung
ſie bewirken ſollen. Die Glieder ſelbſt beſtehen aus einzelnen ſtarren
Stücken, welche durch Gelenke miteinander verbunden ſind und nur
durch dieſe Gelenke die ihnen zukommende Biegſamkeit beſitzen. Durch
dieſe eigenthümliche Anordnung der Bewegungsorgane, die man z. B.
[396] an dem erſten beſten Beine eines Käfers oder einer Fliege beſtätigen
kann, (noch geeigneter erſcheint vielleicht die Scheere eines Krebſes)
unterſcheiden ſich die Gliederthiere weſentlich von den Wirbelthieren,
bei welchen zwar eingelenkte, ſtarre Hebel für die Bewegungen vorkommen,
die Muskeln aber auf der äußeren Fläche dieſes zu bewegenden Hebels
angebracht ſind, während ſie bei den Gliederthieren auf der inneren
Fläche der Hebel liegen. Nicht minder unterſcheiden ſich die Glieder-
thiere von den bisher behandelten Kreiſen, die entweder gar kein ſtar-
res Hautſkelett und keine Bewegungshebel beſitzen, oder, wenn der-
gleichen ſtarre Theile in Form von Borſten, Stacheln etc. vorhanden
ſind, niemals eingelenkte Glieder und durch Gelenke verbundene Hebel
zeigen. Die Gelenke, welche die verſchiedenen Theile der Glieder mit
einander und mit der Bedeckung des Körpers einigen, ſind häufig
außerordentlich complicirt und weit mannigfaltiger in ihren Formen,
als bei den Wirbelthieren, ſchon wegen der Form des Hohlcylinders,
den die einzelnen Stücke der Glieder beſitzen. Indeſſen laſſen ſich dieſe
vielfachen Gelenkformen doch meiſt auf zwei Typen, denjenigen des
Nußgelenkes und denjenigen des Charnieres reduziren. Auch die Art
der Bewegungsorgane iſt äußerſt mannichfaltig, und namentlich bei
den weniger entwickelten Typen begegnet man noch oft jenen Kenn-
zeichen der niederen Ausbildung, die theils in der öfteren Wiederho-
lung gleichartiger Anhänge, wie z. B. vollkommen gleich gebildeter
Füße, theils in dem Umſtande zu ſuchen ſind, daß ein und daſſelbe
Organ mehreren verſchiedenen Zwecken dient, während bei den höher
ausgebildeten Formen die verſchiedenen Funktionen auch verſchiedenen
Organen zufallen. So ſind jene Bildungen, die zugleich als Schwimm-
füße und Kiemenblätter, oder als Kauwerkzeuge und Gehfüße dienen,
gewiß ein Zeichen niederer Organiſation. Wir begegnen in dieſer
Hinſicht den mannigfaltigſten Stufen ſtets höher ſteigender Vervoll-
kommnung. Während wir bis dahin nur ſolche Thiere kennen lern-
ten, welche entweder an den Boden gefeſſelt ſind, oder höchſtens durch
Zuſammenziehung des Körpers und beſonderer weicher Theile deſſelben
kriechen und ſchwimmen können, ſo finden wir in dem Kreiſe der Glie-
derthiere nicht nur jede Art von Fortbewegung im Waſſer und auf
der Erde, das Schwimmen, Laufen, Hüpfen und Springen, ſondern
auch namentlich ganze Ordnungen und Klaſſen, welche faſt allgemein
durch Flügel in die Lüfte ſich erheben können. Hierdurch, ſo wie durch
die Uebergänge der einzelnen Arten von gegliederten Anhängen, die
zum Auffaſſen von Sinneseindrücken, zur Ernährung und Bewegung die-
nen, iſt eine außerordentliche Mannigfaltigkeit der Formen dieſer Or-
[397] gane hervorgerufen, deren Einreihung unter allgemein leitende Normen
nur ſchwer zu finden iſt. Wir können hier nur einzelne Andeutungen
in dieſer Beziehung geben.


Nur bei der höchſten Entfaltung des Typus der Gliederthiere
finden ſich auch an der Rückenfläche des Körpers, an der oberen
Hälfte der Körperringe gegliederte Anhänge, welche zu der Bewegung in
der Luft dienen und mit dem Namen der Flügel bezeichnet werden.
Die Inſekten ſind die einzige Klaſſe, bei welcher dieſe Art Rücken-
ſtändiger Anhänge zur Entwicklung kommt, und auch bei ihnen nur
in Folge der Metamorphoſe nach längerem oder kürzerem ſelbſtſtändi-
gem Leben, weßhalb auch die verwandlungsloſen Inſekten niemals
Flügel erhalten und alle Inſekten derſelben bei dem Ausſchlüpfen aus
dem Eie gänzlich entbehren. Alle übrigen Anhänge gehören der unte-
ren Fläche, der Bauchfläche des Körpers, an welcher das Nervenſyſtem
liegt, an, und ſelbſt für diejenigen Anhänge, welche oft auf die obere
Fläche des Körpers rücken, wie namentlich für die Fühler, gilt dies
Geſetz, denn bei dem Embryo liegen dieſelben ſtets deutlich an der
Unterfläche und werden erſt durch ſpätere Umbildung auf die Stirn
oder ſelbſt auf den Scheitel des Kopfes geſchoben.


Das gegenſeitige Verhältniß dieſer unteren gegliederten Anhänge
zu einander bei den verſchiedenen Klaſſen und Ordnungen zu beſtim-
men, hält ſchon um deßwillen ſehr ſchwer, weil ihre Zahl, Form,
Beſtimmung und Lage ausnehmend wechſelt und häufig bei den ein-
zelnen hervorragenden Bildungstypen die Zwiſchenſtufen der Abän-
derungen fehlen, durch welche geleitet, man mit Sicherheit von der
einen Form zum Verſtändniß der andern vorſchreiten könnte. Be-
trachtet man z. B. ein vollkommenes Inſekt, eine Heuſchrecke, einen
Käfer, ſo ſcheinen die Anhänge ſcharf getrennt in Form, Lage und
Beſtimmung. Vorn an dem Kopfe die Fühler zur Aufnahme von
Sinneseindrücken, ſei es zum Taſten, zum Kriechen oder Hören be-
ſtimmt und darnach gebaut; dann, im Kreiſe um den Mund, verſchie-
dene Kauwerkzeuge, theils zum Zerkleinern oder Betaſten der Nahrungs-
mittel, zum Fangen und Durchbohren der Beute, theils zum Schließen
des Mundes beſtimmt; dahinter, von den Bruſtringen abhängig, die
Beine, reine Bewegungswerkzeuge und nur zu dieſem Zwecke ausge-
bildet. Welcher Abſtand von hier zu einem Krebſe, wo die Zahl der
Fühler, der Kiefer, der Beine ſich vermehrt und man kaum mehr weiß,
welcher Beſtimmung den Vorzug zu geben, indem derſelbe Anhang, den
wir hier als Bein und reines Bewegungswerkzeug erkennen, dort als
Kauwerkzeug, hier als Greiforgan, an einem dritten Thiere als Kie-
[398] menblatt und an einem vierten als Taſtwerkzeug ſich wiederfindet!
Welcher Abſtand zwiſchen den Giftklauen einer Spinne, den Scheeren
eines Galeoden, den Fühlern eines Krebſes oder Inſektes, die doch
alle nur verſchiedene Formen ſind, unter welchen ein und derſelbe An-
hang in die Erſcheinung tritt! Die meiſten und ſicherſten Anhalts-
punkte gewähren in dieſem Labyrinthe die gegenſeitige Lagerung der
Theile, ihr Verhältniß zu einander und zu den Körperringen, von
welchen ſie abhängen.


In größter Zahl entwickelt, werden dieſe Anhänge aus folgenden
Gruppen zuſammengeſetzt:


Figure 315. Fig. 447.

Der Flußkrebs (Astacus fluviatilis)
von unten. a Innere Fühler. b Aeußere Füh-
ler. c Augen. d Gehörorgan. e Letztes Paar
der Kaufüße, die übrigen Mundwerkzeuge faſt
deckend. f Erſtes Beinpaar. g Letztes Beinpaar.
h Bauchfüße. j After. i Schwanzfloſſe.


Figure 316. Fig. 448.

Die Kauwerkzeuge
beſonders auseinander gelegt.
a Kiefer. b Erſtes Kinnla-
denpaar. c Zweites Kinnla-
denpaar (die getrennte Unter-
lippe). d, e, f Die drei Kau-
fußpaare.


1. Aus zwei Paar Fühlern (antennae), einem vorderen und
einem hinteren, die meiſt ſo neben einander ſtehen, daß die vorderen
als innere Fühler, die hinteren als äußere bezeichnet werden. Bei
einigen Klaſſen iſt nur ein Paar Fühler entwickelt, bei anderen fehlen
ſie ſcheinbar und ſind in Greif- oder Beißorgane umgewandelt. Sie
ſtehen ſtets vor, meiſt über dem Munde auf der Stirnfläche und ſind
[399] gewöhnlich aus einem mehrgliedrigen Stiele oder Schafte und einer
Geiſſel gebildet, die höchſt mannigfache Formen annehmen.


2. Die Gruppe der ausgebildeten Kauwerkzeuge beſteht ur-
ſprünglich aus vier ſeitlichen Kieferpaaren, von welchen aber das erſte
immer, das letzte meiſtentheils in der Mittellinie ſo zuſammen ver-
wachſen iſt, daß es eine deckelartige Lippe darſtellt. So kommen denn
gewöhnlich eine Oberlippe (Labrum), ein erſtes Kieferpaar, meiſt
ſcharf, einfach, ein Paar Oberkiefer, Kiefer (mandibulae), ein
zweites, weit zuſammengeſetzteres Paar, die Unterkiefer, Kinn-
laden
oder Laden (maxillae, mâchoires) und eine ebenfalls ſehr zu-
ſammengeſetzte Unterlippe (Labium) am Eingange der Mundhöhle
vor. Während die Oberkiefer meiſt nur aus einem einzigen mächtigen,
ſtarken Hornſtücke beſtehen, zeigen Kinnladen und Unterlippenhälften
meiſt eine analoge Zuſammenſetzung, indem jeder dieſer Theile aus
einem Schaft oder Körper, einem inneren, meiſt zum Kauen oder Decken
beſtimmten Theile, der Lade, und einem äußeren gegliederten Anhange
beſteht, dem Taſter oder der Geiſſel (palpus), welcher weſentlich zum
Betaſten der Nahrungsmittel dient und durch ſeine vielfachen Form-
änderungen genaue Charaktere zur Unterſcheidung bietet.


3. An dieſe Gruppe der eigentlichen Kauwerkzeuge ſchließt ſich
beſonders bei denjenigen Gliederthieren, deren Bruſttheil ganz oder
theilweiſe mit dem Kopfe verwachſen iſt, eine Gruppe von Anhängen
an, die man mit dem Namen der Kaufüße oder Kieferfüße
(pates-mâchoires) belegt, und die ſich bis zur Zahl von drei Paaren
vermehren können. Es zeigen dieſe Theile, die bei den Inſekten z. B.
durchaus fehlen, in ihrer Bildung die merkwürdigſten Uebergänge von
wahren Bewegungs- oder Greiforganen, kurz von wirklichen Füßen
zu förmlichen Kauwerkzeugen, und liefern dadurch den Beweis, daß
die eigentlichen Kauwerkzeuge ihrer Anlage nach dem Typus der Füße
angehören und eigentlich nur die Füße der Kopfringel ſind, welche zu
beſonderen Zwecken ſich umgeſtaltet haben.


4. Hierauf folgt erſt die Gruppe der eigentlichen Beine oder
Füße (pedes), der weſentlichſten Bewegungsorgane auf der Erde, wie
im Waſſer, deren Zahl wenigſtens drei Paare beträgt, aber außeror-
dentlich vermehrt werden kann. Die wohl ausgebildeten Füße be-
ſtehen immer aus einem, meiſt kugelichen oder cylindriſchen Hüftge-
lenke
(coxa), an das gewöhnlich ein unbewegliches Stück, der
Schenkel- oder Hüftknorren (trochanter), angewachſen iſt, aus
einem Schenkel (femur), einer Schiene (tibia) und einem Endtheile,
dem Fuße (tarsus), der meiſt aus mehreren Gliedern beſteht. Die
[400] Modificationen der Form, wodurch die Beine oft ihrer urſprünglichen
Beſtimmung entfremdet und zu Taſtorganen, Greifwerkzeugen etc. um-
geſtaltet werden, ſind eben ſo mannigfaltig als diejenigen, welche ſie
innerhalb ihres urſprünglichen Beſtimmungskreiſes erleiden, wo ſie je
nach der Art der Bewegung zu Schreit-, Lauf-, Spring-, Grab-,
Schwimmbeinen etc. ſich geſtalten.


5. Eine letzte Gruppe gegliederter Anhänge, welche hinter den
Beinen an den Ringeln des Hinterleibes befeſtigt ſind, findet ſich
nur bei den Kruſtenthieren und iſt dort unter dem Namen der
falſchen Füße, Bauchfüße oder Afterfüße (pedes spurii; fausses-
pates
) bekannt. Meiſt ſind es blattförmige Organe, bald zum Schwim-
men oder Strudeln beſtimmt, in anderen Fällen zu Athemorganen
(Kiemenblättern) umgewandelt, oder zum Tragen der Eier, zu Deck-
platten etc. entwickelt; ſelten nur bilden ſie ſich zu wirkſamen Be-
wegungsorganen heran. Den Inſekten und Arachniden fehlen dieſe
Anhänge des Hinterleibes durchaus und bei den Tauſendfüßern dürfte
es noch zweifelhaft ſein, ob die vielfältige Wiederholung der gleichför-
migen Ringe, welche bei ihnen Beine tragen, eher der Bruſt oder dem
Hinterleibe angehört.


Von den gegliederten Anhängen der Rückenfläche, den Flügeln,
die nur bei der höchſten Klaſſe, den Inſekten, vorkommen, wird bei
dieſen die Rede ſein.


Die inneren Organe, die beſonders dem vegetativen Leben vor-
ſtehen und in denen ſich namentlich die Erhebung aus dem Waſſer
zur Luft als Maßſtab höherer Entfaltung kund giebt, werden wir bei
den einzelnen Klaſſen betrachten. Doch dürfen wir hier nicht uner-
wähnt laſſen, daß noch bei keinem Gliederthiere Wimper- oder Flim-
merorgane
entdeckt worden ſind, die doch bei den bisher betrachteten
Klaſſen eine ſo große, bedeutende Rolle ſpielen, und daß manche der
Funktionen, welche dieſe Wimperhaare in anderen Kreiſen übernehmen,
hier durch ſelbſtſtändig bewegte, von willkürlichen Muskeln beherrſchte
Organe ausgeübt werden. Wahrſcheinlich hängt dieſes gänzliche Feh-
len der Wimperorgane mit der ſtofflichen Zuſammenſetzung der äuße-
ren Körperhüllen zuſammen, deren Grundlage aus einem eigenthüm-
lichen Stoffe, dem Chitin, gebildet iſt, das in ſeinen chemiſchen Eigen-
ſchaften der Holzfaſer ſehr nahe kommt, ſich aber durch einen bedeutenden
Gehalt von Stickſtoff von dieſer unterſcheidet.


Mit der hohen Entwicklung, welche die inneren Organe, beſon-
ders aber das Nervenſyſtem, bei den Gliederthieren erreichen, ſteht die
bedeutende, geiſtige Ausbildung, welche von vielen dieſer Thiere erreicht
[401] wird, in nächſter Beziehung. Nicht nur jene Triebe, welche die Er-
haltung des Lebens und die Fortpflanzung betreffen, ſind oft erſtaunlich
ausgebildet, ſo daß ſie zu Ketten von Handlungen führen, denen man
einen hohen Grad von Ueberlegung nicht abſprechen kann; bei den
höheren Typen finden wir ſelbſt Aeußerungen berechnender und über-
legender Geiſtesthätigkeit, welche ſie auf eine weit höhere Stufe erheben,
als ſogar viele dem Menſchen nahe ſtehende Wirbelthiere zeigen, und
nur einen gradweiſen Unterſchied von den menſchlichen Fähigkeiten er-
kennen laſſen. Auf alle dieſe Gegenſtände, auf die wir bei Behand-
lung der Klaſſen näher eingehen werden, können wir einſtweilen nur
aufmerkſam machen, müſſen aber noch ein weſentliches Unterſcheidungs-
merkmal, das allen Gliederthieren gemeinſam und in der Entwicklung
begründet iſt, beſonders hervorheben.


Bei allen Gliederthieren zeigt ſich vom erſten Beginne der Ent-
wicklung im Eie
an ein deutlicher Gegenſatz zwiſchen der Keim-
anlage, aus welcher der Embryo hervorgeht, und dem Dotter; und
zwar iſt die gegenſeitige Anlagerung dieſer beiden Theile ſtets ſo be-
ſchaffen, daß der ſich ausbildende Embryo mit dem Rücken dem Dot-
ter zugewandt iſt und daß die Bildung der Organe von der Bauch-
fläche aus gegen den Rücken hin fortſchreitet. Der Körper des Em-
bryo ſelbſt ſchließt ſich zuletzt in der Mittellinie des Rückens ab,
während bei den Wirbelthieren gerade die umgekehrte Lagerung ſtatt-
findet und der Embryo mit ſeiner Bauchfläche dem Dotter zugewandt
iſt. Die näheren Erſcheinungen der Ausbildung des Embryo, ſo wie
die Verwandlungen, welche viele Gliederthiere erleiden, gehören der
ſpecielleren Betrachtung der Klaſſen an.


Faſſen wir die einzelnen hier aufgezählten Unterſcheidungsmerk-
male der Gliederthiere zuſammen, ſo können wir ſie kurz als Thiere
charakteriſiren von bilateralem Körpertypus, mit ſtreng ſymmetriſcher
Anlagerung der Organe, welche gegliederte Bewegungsorgane beſitzen,
aus hohlen, eingelenkten Röhren gebildet, in deren Innern ſich die
bewegenden Muskeln befinden und die als Embryonen einen Rücken-ſtän-
digen Dotter haben, der dem Bauchmarke diametral entgegengeſetzt iſt.


Sehr lehrreich erſcheinen die Verhältniſſe, unter welchen der Kreis
der Gliederthiere in der Geſchichte der Erde auftritt. In den älteſten
Zeiten, mit dem erſten Beginne der Schöpfung, treten eigenthümliche
krebsartige Thiere auf, deren Typus bald verſchwindet, um den Ver-
wandten der Bildungen der Jetztwelt Platz zu machen; erſt in den
ſpäteren Schichten der Kohlenperiode erſcheinen die übrigen typiſchen
Klaſſen der Inſekten und Arachniden, und nur in der Jetztwelt der
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 26
[402] abweichende Typus der Tauſendfüßer, dem nur eine geringe Be-
deutung geziemt.


Wir theilen die Myriaden der Gliederthiere in vier Klaſſen,
deren Angehörige ſich meiſt leicht unterſcheiden laſſen:


Figure 317. Fig. 449.

Flohkrebs (Talitrus).


1. Kruſtenthiere (Crustacea)
mit Fühlhörnern, Waſſerathmung
und gegliederten Anhängen an Kopf,
Bruſt und Hinterleib.


2. Tauſendfüßer (Myriapoda)
mit Fühlern, Luftathmung und

Figure 318. Fig. 450.

Scolopendra.


gleichartigen gegliederten Füßen an den Ringeln des Körpers, die ſich
nicht in Bruſt und Leib trennen laſſen.


Figure 319. Fig. 451.

Vogelſpinne (Mygale).


3. Spinnenthiere (Arach-
nita
) ohne Fühler, mit vier Fuß-
paaren, meiſt verſchmolzenem Kopf
und Bruſt und anhangsloſem
Hinterleib.


Figure 320. Fig. 452.

Schlupfwespe (Ichneumon).


4. Inſekten (Insecta) mit
Fühlern, Luftathmung, getrennten
Körperregionen, anhangsloſem
Hinterleib, drei Fußpaaren und
meiſt mit Flügeln verſehen.


[403]

Klaſſe der Kruſtenthiere. (Crustacea.)


Die Kruſtenthiere erſcheinen weſentlich als die das Waſſer be-
wohnenden Gliederthiere; ſie bevölkern bis in große Tiefen hinab
unſere Meere und ſüßen Gewäſſer und ſind faſt alle auf Bewegung

Figure 321. Fig. 453.

Languſte (Palinurus).


und Athmung im Waſ-
ſer angewieſen. Es
hält indeſſen ſchwer,
bei der außerordent-
lichen Mannichfaltig-
keit der Formen und
bei der mannichfachen
Degradation, welche
die verſchiedenen Ty-
pen in dieſer Klaſſe
erleiden, allgemeine
Kennzeichen aufzufinden,
welche auf alle
Thiere derſelben ohne
Ausnahme paſſen, zu-
mal da ſich in ihr eine
unzweideutige Ent-
wickelung von tieferen
Formen zu höheren
Geſtaltungen kund-
giebt, die ſo bedeu-
tend iſt, daß die An-
fänge der Klaſſe in
ihren verkümmerten
Formen bald den
Weichthieren oder den
Eingeweidewürmern, die höheren den eigentlichen Inſekten zugewieſen
wurden. Bei keiner Klaſſe zeigt ſich der Einfluß des Schmarotzer-
lebens und des Feſtſitzens am Boden in ſeinen verderblichen Einflüſſen
ſo klar und deutlich wie bei den Kruſtenthieren, und bei keiner geht
26*
[404] die Erniedrigung, die Herabwürdigung von dem vorgeſteckten Ziele,
die Rückbildung der in freier Bewegung ſich tummelnden jungen Thiere
zu alten Hockern, ſo weit als gerade bei dieſer Klaſſe. Alle jene Or-
gane, auf deren Verhalten man allgemeine Charaktere ſtützen könnte,
verkümmern durch die erwähnten verderblichen Einflüſſe. Die harte,
in Ringel getheilte Schale wird bei dem Schmarotzer, den der Leib
des Thieres deckt, welches er bewohnt, ein unförmlicher weicher Sack; —
die mächtigen Glieder, welche eine ſchnelle Fortbewegung im Waſſer
vermitteln, wandeln ſich zu kaum bemerklichen Hakenkrallen um; die
Fühler, die Taſtwerkzeuge, die Augen, die Sinnesorgane überhaupt
werden zurückgebildet und gehen ſelbſt gänzlich zu Grunde. So bleibt
am Ende von einem frei beweglichen jungen Thiere nur ein erwach-
ſenes Individuum zurück, das zwar zur Fortpflanzung der Art fähig
iſt, aber ſonſt alle jene Theile verloren oder verbildet hat, wodurch
ein Gliederthier als ſolches ſich zu erkennen giebt. Sämmtliche Cha-
raktere, welche man von der Klaſſe der Kruſtenthiere angeben kann,
beziehen ſich deßhalb nur auf die größere Mehrzahl derſelben und er-
leiden bald hier bald dort bedeutende Ausnahmen.


Der Körper der Kruſtenthiere hat meiſt eine mehr oder minder
ſpindelförmige Geſtalt, die ſich indeſſen bei manchen Familien zuweilen

Figure 322. Fig. 454.

Garneele (Palaemon)
von der Seite, um die verſchiedenen Körperanhänge zu zeigen. as Aeußere
Fühler. ai Innere Fühler, mit einem blattförmigen Anhange l an der Baſis.
r Vordere Spitze des Kopfbruſtſchildes (rostrum). y Augen. p m Kaufuß.
p’ p” Erſtes und zweites Beinpaar. fp Bauchfüße. n Schwanzfloſſe des in
Ringe getheilten Hinterleibes.


bedeutend zuſammenſchiebt und mehr kugel- oder ſcheibenförmig wird.
Die Bewegungsorgane, die bei den Embryonen und Larven niemals
fehlen, bei den erwachſenen Thieren dagegen, zuweilen in ſonderbarer
[405] Weiſe, verkümmert ſind, ſtehen ſtets auf der Bauchſeite des Körpers
in beſtimmter Beziehung zu den Ringeln, aus welchen derſelbe zuſam-
mengeſetzt iſt, und können an allen Abtheilungen des Körpers vor-
kommen, ſo daß man Kopffüße, Bruſtfüße und Bauchfüße unterſcheiden
kann. Meiſtens zeigt ſich der Körper auch in dieſe drei Abtheilungen,
in Kopf, Bruſt und Hinterleib, getheilt, und jeder dieſer Theile

Figure 323. Fig. 455.

Aſſel (Oniseus)
von oben. c Kopf. t1 er-
ſter Bruſtring. t7 ſiebenter
und letzter Bruſtring. p bis
pp Die ſieben Beinpaare der
Bruſt. ab Hinterleib.


wieder aus eigenen Ringeln zuſammengeſetzt,
die mehr oder minder deutlich von einander
abgetrennt ſind. Sehr häufig erſcheinen Kopf
und Bruſt in eine einzige Maſſe, in das Kopf-
bruſtſtück
(Cephalothorax) zuſammengefügt,
ſo daß dann der Körper, wie bei unſerem Fluß-
krebſe nur aus zwei Abtheilungen beſteht, dem
Kopfbruſtſtücke, welches Sinnesorgane, Kau-
werkzeuge und die weſentlichſten Füße trägt und
einem hinteren gegliederten Theile, den man
uneigentlicher Weiſe den Schwanz nennt, der
aber, da er den Darm und die Fortſetzung
des Bauchmarkes enthält und eigenthümliche
Schwimmfüße trägt, als Hinterleib bezeichnet
werden muß. Meiſt zeigt ſich in allen den Fällen, wo der Kopf deut-
lich von der Bruſt getrennt iſt, dieſe letztere ſowie der Hinterleib
deutlich aus einzelnen Ringen zuſammengeſetzt, die nur in ſeltenen
Fällen vollſtändig ſind, aber ſtets aus zwei gleichen ſymmetriſchen
Hälften beſtehen. Bei gleichmäßiger Entwickelung dieſer Ringe in
allen ihren Theilen zeigen ſich dieſelben aus folgenden Stücken zuſam-
mengeſetzt. Die obere Decke bilden zwei Rückenſtücke, welche meiſt in
der Mittellinie miteinander verſchmolzen und zu einem einzigen Stücke
verwachſen ſind; zwei ähnliche Stücke, ebenfalls in der Regel in der
Mittellinie zuſammengewachſen, decken von unten her den Bauch und
werden das Bauchſtück (Sternum) genannt. Die Seiten werden von
Stücken gedeckt, welche oft beweglich mit den Rückenſtücken und Bauch-
ſtücken verbunden ſind. Bei vollkommener Ausbildung findet man ein
Paar oberer Seitenſtücke, welche an die Rückenſtücke anſtoßen, und ein
Paar unterer Seitenſtücke, welche ſich an die Bauchſtücke anlegen. Die
Bewegungsorgane ſind ſtets nur den unteren Seitenſtücken und den
Bauchſtücken angefügt, niemals aber, wie das öfters bei den Inſekten
geſchieht, den oberen Stücken des Ringes.


Aus der Verſchmelzung der einzelnen Ringe gehen die größeren
Abtheilungen des Körpers hervor, indem die bald mehr bald minder
[406] vollſtändigen Ringe entweder im Ganzen oder in ihren einzelnen
Theilen miteinander verwachſen. Durch Vergleichung der mannigfa-
chen Abänderungen, welche in dieſer Hinſicht vorkommen, hat man
gefunden, daß bei der bei weit größten Zahl der Kruſtenthiere eine
normale Zahl von 21 Ringen vorhanden iſt, von welchen die drei
vordern die Sinnesorgane tragen, alſo den Kopf bilden, die übrigen
in wechſelnder Zahl der Bruſt und dem Bauche anzugehören ſcheinen.
Alle dieſe Ringe können auf der Bauchſeite gegliederte Bewegungsor-
gane tragen, während auf der Rückenſeite jeder gegliederte Anhang
fehlt. Oft erſcheinen ſie auch nach ihrer Verſchmelzung noch durch
Nähte kenntlich, welche ſich zuweilen durch Behandlung mit Säure
von einander trennen laſſen.


Was nun die gegliederten Anhänge ſelbſt betrifft, welche in
der Unterfläche dieſer Ringe eingelenkt ſind, ſo ſind dieſe der verſchie-
denſten Art, und die Funktion der einzelnen Anhänge eines Ringes
wechſelt eben ſo ſehr als ihre äußere Form und Geſtalt. Der erſte
Kopfring iſt nur bei wenigen Kruſtenthieren frei, bei den meiſten mit
den nachfolgenden verſchmolzen; er trägt, wenn überhaupt Anhänge
an ihm entwickelt ſind, die Augen auf Stielen, welche beweglich
ſind, und meiſtens zurückgezogen werden können. An dem zweiten und
dritten Kopfringe ſind die gegliederten Fühlorgane befeſtigt, die inne-
ren oder vorderen Fühler
(antennulae) ſind meiſtens kleiner und
meiſtens ſtehen auf einem kurzen Stiele ein oder zwei fadenförmige An-
hänge, welche man die Geißeln genannt hat. Die äußeren Fühler,
(antennae), welche ſehr ſelten mehr als eine Geißel haben, ſind ge-
wöhnlich bei weitem größer und dienen dem Thiere vorzugsweiſe zum
Betaſten fern liegender Gegenſtände. Zuweilen ſind dieſe Fühler zu
breiten Blättern umgeſtaltet, in anderen Fällen veräſtelt und dienen
dann als Bewegungsorgane.


Die Anhänge der folgenden Ringe ſind meiſtens als Hilfsorgane
des Mundes entwickelt, und da ſie bei vielen Krebſen zugleich Bewe-
gungsorgane ſind und allmählig in wahre Füße ſich umgeſtalten, ſo
hat man entweder alle, oder wenigſtens die letzten Paare als
Kaufüße oder Kieferfüße bezeichnet. Am auffallendſten erſcheint
dieſe doppelte Eigenſchaft bei dem großen Schildkrebſe der Molucken
(Limulus), wo das Anheftungsglied der Gangfüße eine knieförmige Beu-
gung gegen den Mund hat und hier mit harten Zähnen beſetzt iſt,
die zum Zermalmen der Beute dienen.


[407]
Figure 324. Fig. 456.

Die Kauwerkzeuge
beſonders auseinander gelegt.
a Kiefer. b Erſtes Kinnla-
denpaar. c Zweites Kinnla-
denpaar (die getrennte Unter-
lippe). d, e, f Die drei Kau-
fußpaare.


Betrachtet man als Beiſpiel die ver-
ſchiedenen Anhänge, welche man bei unſerem
gewöhnlichen Flußkrebſe zu beiden Seiten
des Mundes findet, ſo zeigen ſich zuerſt zwei
harte nach innen gezähnelte Stücke, die
Oberkiefer(mandibulae), auf welchen ein
kleiner zweigliedriger Taſter (palpus) einge-
lenkt iſt. Hinter dieſen Oberkiefern ſtehen
der Reihe nach zwei Paar Unterkiefer,
oder Kinnladen(maxillae), jeder aus
mehreren Stücken zuſammengeſetzt, die blatt-
artig und mit ſteifen Haaren beſetzt ſind,
und hauptſächlich als Bürſten zu wirken
ſcheinen. Auf dieſe Kinnladen oder Unter-
kiefer folgen drei Paar eigentlicher Kau-
füße
, welche mehr und mehr die Geſtalt
wahrer Füße annehmen, und von welchen
faſt jeder einen äußern Geißelanhang trägt.
Es ſind dieſe Kaufüße in beſtändiger taſten-
der Bewegung, und ſie ſcheinen vorzüglich
zum Feſthalten der Nahrung und Vorſchie-
ben derſelben in den Mund beſtimmt zu ſein.
Erſt jetzt folgen bei dem Krebſe die eigent-
lichen Füße, wovon das erſte Paar die Scheeren trägt, während bei
den Heuſchreckenkrebſen z. B. der zweite Kaufuß des Krebſes ſich zu
einem gewaltigen Zangenfuße ausbildet, der die Beute ergreift, und
der dritte Kaufuß einem mit einem Haken bewaffneten Fuße entſpricht.
Bei dem Flußkrebſe findet man fünf Paar eigentlicher Beine oder
Gangfüße, welche alle aus einem rundlichen Einlenkungsſtücke der Hüfte
(coxa), einem Oberſchenkelſtücke (femur), einem Schienbeinſtücke (tibia),
einem Fußwurzelſtücke (tarsus) und dem Endgliede, welches die Scheere
iſt, zuſammengeſetzt ſind. Die Zahl dieſer Gangfüße wechſelt außeror-
dentlich bei andern Krebſen; ebenſo die Ausbildung ihrer einzelnen
Theile und namentlich des Endgliedes, welches bald mit Scheeren,
bald mit Klauen bewaffnet iſt. Zuweilen ſind dieſe Gangfüße in blatt-
artige Schwimmfüße umgewandelt, oder auch nur zu Klammerorganen
verkümmert. Bei dem Flußkrebſe folgen auf dieſe Gangfüße, welche
unter dem Kopfbruſtſtücke eingelenkt ſind, fünf Paar von geglieder-
ten Anhängen, die unter den Ringen des Hinterleibes ſtehen, und
[408] welche man mit dem Namen der falſchen Füße oder der Bauch-
füße
bezeichnet. Die analogen Gebilde ſind bei andern Kruſtenthie-
ren hauptſächlich in blattartiger Form, beſonders zur Deckung der
Kiemen oder der Eier entwickelt, und auch bei den weiblichen Fluß-
krebſen dienen dieſe Anhänge zur Befeſtigung der Eiertrauben bis zum
Auskriechen der Jungen. Das letzte Paar von Anhängen endlich
bildet bei dem Krebſe die ſeitlichen Theile, welche mit dem blattartig
erweiterten Schwanzſtücke jenes mächtige Ruder zuſammenſetzen, wel-
ches für den Krebs das hauptſächlichſte Schwimmorgan iſt. Die Mo-
dificationen, welche dieſe einzelnen Anhänge bei den verſchiedenen Ord-
nungen und Familien erleiden, können wir bei dieſen erſt genauer in’s
Auge faſſen, da ſie zu ſehr ins Einzelne führen würden.


Die Bewegungen der Kruſtenthiere, zu deren Ausführung ſie
ſich ihrer gegliederten Anhänge bedienen, ſind äußerſt mannichfaltig.
Die meiſten leben im Waſſer und haben dann wie der Krebs Schwimm-
und Gehörgane zugleich. Bei den guten Schwimmern, die ſich zugleich
ſchnell fortbewegen, trägt der Hinterleib ſtets eine ſolche breite Floſſe
wie beim Krebſe und das Thier bewegt ſich auf die Weiſe rückwärts
fort, daß es den Hinterleib lebhaft unter die Bruſt krümmt und ſo
das Waſſer wiederholt mit dem breiten Schwanzruder ſchlägt. Bei
andern Schwimmern ſind die Füße geißelförmig und mit langen Käm-
men von Borſten beſetzt, die als mächtige Ruder dienen, während
wieder bei andern die Schwimmfüße ſich blattartig ausbreiten. Mit
vieler Geſchicklichkeit wiſſen ſich die meiſten Kruſtenthiere ihrer Gang-
füße zu bedienen. Viele im Waſſer lebende Arten haben nur ſolche
Gangfüße zur Bewegung, mittelſt deren ſie auf dem Grunde umher-
kriechen, oder ſich beim Nahen von Gefahren mit großer Schnelligkeit
in Schlamm und Sand einwühlen. Bei manchen entwickeln ſich die
hinteren Bauchfüße zu langen griffelartigen Borſten, die als ſchnellende
Stützen beim Sprunge dienen; und einige Arten, welche den Meeres-
ſtrand oder das trockene Land bewohnen, können ſo ſchnell und mit
ſo viel Ausdauer laufen, daß ein Menſch ihnen zu folgen kaum im
Stande iſt.


[409]
Figure 325. Fig. 457.

Nervenſyſtem einer Krabbe (Maja).
ca Das ringsum geöffnete Kopfbruſtſchild.
a Aeußere Fühler. y Augen. e Magen. c Hirn-
knoten. no Sehnerven. na Fühlernerven.
eo Schlundring. ns Eingeweidenerven. gt Bruſt-
knoten. np Beinnerven. na Rudimentäres Bauch-
mark des verkümmerten Hinterleibes.


Das Nervenſyſtem der
Kruſtenthiere zeigt ſehr ver-
ſchiedene Stufen der Ausbil-
dung, beſteht aber bei allen
aus einem knotigen Bauch-
marke, welches durch einen
Schlundring mit einer mehr
oder minder verwickelten Ge-
hirnmaſſe in Verbindung ſteht.
Dieſe Gehirnmaſſe, welche
hauptſächlich die Sinnesor-
gane, die am Kopfe liegen,
Augen, Ohren und Fühler
mit Nerven verſieht, ſchwindet
mit der Ausbildung dieſer
Sinnesorgane und wird end-
lich bei denjenigen Schma-
rotzern, die im erwachſenen
Zuſtande gar keine Sinnes-
organe beſitzen, vollſtändig vermißt. Zahl und Größe der Bauchkno-
ten richtet ſich beſonders nach der Unabhängigkeit der einzelnen Ringe,
ſowie nach der Entwickelung ihrer Anhänge. Bei den lang geſtreck-
ten Kruſtenthieren zählt man mehrere und gleichmäßig ausgebildete
Knoten des Bauchmarkes, während bei den Gattungen mit mehr run-
dem Leibe, wie z. B. bei den Krabben die Bruſtknoten in eine einzige
Maſſe verſchmolzen erſcheinen und das Bauchmark gänzlich rudimen-
tär wird. Bei ſtarker Entwickelung der Anhänge ſind auch die ent-
ſprechenden Knoten, ſowie die von ihnen abgehenden Nerven verhält-
nißmäßig ſtärker und kräftiger.


Figure 326. Fig. 458.

Augenkrabbe (Podophthalmus) mit
ungemein langen Augenſtielen.


Die Augen der
Kruſtenthiere fehlen zwar
im erwachſenen Zuſtande
einigen ſchmarotzenden
oder ſonſt feſtſitzenden
Familien, kommen aber
im jugendlichen Zuſtande
gewiß bei allen ohne Aus-
nahme vor. Sie ſtehen
auf ſehr verſchiedener
Stufe der Ausbildung,
[410] indem bald nur einfache unbewegliche Augen, bald ſehr zuſammengeſetzte
auf langen beweglichen Stielen getragene vorhanden ſind. Die ein-
fachen Augen
kommen hauptſächlich bei den niederen Ordnungen und
bei den Embryonen der Schmarotzer vor und finden ſich hier oft
ſogar auch nur in der Einzahl, wo dann dieſes Auge mitten auf dem
Kopfe ſteht. Ein ſolches Auge beſitzt ſtets eine gewölbte Hornhaut,
hinter welcher eine runde oder eiförmige Linſe liegt, deren hinterer
Theil von einer becherförmigen Ausbreitung der Sehnerven und einer
Anhäufung ſehr dunkel gefärbten Pigmentes umgeben wird. Das ein-
fache Auge derjenigen Larven, welches ſpäter beim Schmarotzerleben
verloren geht, iſt meiſt in dieſer Weiſe gebildet, auch kommen oft zwei
ſolcher Augen auf beiden Seiten des Kopfes vor. Ein Fortſchritt der
Ausbildung geſchieht nun dadurch, daß mehrere ſolcher einfachen Au-
gen ſich gegen einen Punkt hin zuſammendrängen, wobei indeß noch
immer jedes derſelben vollkommen für ſich geſondert und mit eigener
Hornhaut verſehen iſt. Bei einem weiteren Grade der Ausbildung
verſchmelzen die Hornhäute miteinander. Man findet dann nur eine
einzige, durchſichtige höckerige Haut, hinter deren Höckern eine größere
oder geringere Anzahl von einzelnen Linſen liegt, deren jede von
ihrem eigenen Pigmentbecher umgeben und von einem beſonderen
Zweige der Sehnerven verſehen wird. Man nennt dieſe Art von
Augen die gehäuften Augen. Zuweilen treten zwei ſolcher ge-
häufter Augen in der Mittellinie zu einem einzigen zuſammen, welches
dann meiſtens von beſonderen Muskeln umgerollt werden kann. Bei
manchen Kruſtenthieren entwickeln ſich dieſe gehäuften Augen noch wei-
ter; man findet außen eine glatte Hornhaut, unter dieſer aber eine
zweite durchſichtige gefenſterte Haut, welche in einzelnen Facetten ge-
ſchliffen iſt und wo jede Facette einer kegelförmigen Linſe entſpricht,
deren abgeſtutzte Grundfläche an der Facette liegt, während ihre Spitze
in einem Pigmentbecher ſteckt. Endlich die letzte Form von Augen
bildet die wirklich zuſammengeſetzten facettirten Augen, wie
ſie etwa beim Flußkrebſe und den übrigen höheren Kruſtenthieren vor-
kommen. Hier exiſtirt nur eine einzige gemeinſchaftliche, in rundliche,
ſechseckige oder viereckige Facetten geſchliffene Hornhaut und hinter
jeder Facette liegt eine kegelige Linſe, die mit ihrer Spitze in einem
becherförmigen Glaskörper ſteckt, welche wieder von einer beſonderen
Hautausbreitung des Sehnerven und einem Pigmentbecher umfaßt
wird. Es ſtehen dieſe Augen faſt ſtets auf ſehr beweglichen Stielen
und ſie ſind, wie man ſieht, eigentlich nur ſtark zuſammengehäufte ein-
[411] fache Augen, welche unter einer gemeinſchaftlichen Hornhaut ange-
bracht ſind.


Die Hörorgane kommen wahrſcheinlich allen Kruſtenthieren zu,
ſind aber bis jetzt nur bei den zehnfüßigen Krebſen genauer nachge-
wieſen worden. Hier findet man, wie z. B. bei unſerem Flußkrebſe
an der Einlenkungsſtelle des äußeren großen Fühlhornes einen mehr
oder minder langen cylindriſchen Vorſprung, mit einem wallartigen
Rande, der eine Vertiefung umgiebt, welche von einer dünnen Haut,
einem Trommelfell überſpannt wird. Meiſt iſt dieſes Trommelfell von
einem Schlitze durchbohrt; hinter ihm liegt in einer Höhle ein Bläs-
chen, das ſich nach innen in eine geräumige Blaſe fortſetzt, die einen
eigenen Nerven erhält und mit waſſerheller Flüſſigkeit erfüllt iſt. An
dieſer Gehörblaſe hängt noch eine eigenthümliche grüne, aus einem
gewundenen Schlauche gebildete Drüſe, deren Bedeutung nicht näher
bekannt iſt.


Außer dem Gehörorgane kommen wenigſtens bei den Krebſen auch
noch Geruchsorgane in Form flacher, mit einer ſchleimigen Haut
ausgekleideter Höhlen vor, die ſich an dem Grunde des inneren Füh-
lerpaares finden. Ein beſonderer Nerv tritt vom Gehirn zu dieſen
Riechgruben, deren ſpaltenförmige Oeffnung meiſt von feinen Borſten
umſtellt iſt.


Die Verdauungsorgane der Kruſtenthiere ſind meiſt in ho-
hem Grade entwickelt und nur ſelten zeigen ſich ſolche rudimentäre
Formen, wie wir früher zu finden gewohnt waren. Die Mundwerk-
zeuge ſind, wie ſchon aus der obigen Analyſe der Anhänge des Kreb-
ſes hervorgeht äußerſt mannigfaltig und hauptſächlich nach zwei
Grundrichtungen hin ausgebildet. Die meiſten Kruſtenthiere haben
kauende Mundtheile; ſie zerkleinern ihre Nahrung mittelſt harter Kie-
fer, welche von der Seite her gegeneinander wirken und wovon uns
in dem Flußkrebſe ein Beiſpiel gegeben war. Bei anderen Kruſten-
thieren aber wird durch theilweiſe Verkümmerung oder Verwachſung
der kauenden Mundtheile ein Saugapparat hergeſtellt, der meiſt rüſſel-
förmig verlängert iſt, und oft nebenbei eigene ſpitze Waffen trägt,
womit die Thiere ihre Beute anbohren, um ſie nachher ausſaugen zu
können. Die eigenthümlichen Modificationen, wodurch die kauenden
Mundtheile allmählig zu ſaugenden degradirt werden, ſind ſehr man-
nichfaltig ausgeprägt und werden uns bei der genaueren Betrachtung
der Schmarotzerkrebſe noch beſonders beſchäftigen.


[412]
Figure 327. Fig. 459.

Anatomie einer Krabbe (Cancer.)
fo Leber. e Magen. m Muskeln des Magens. ao Körperarterie (Aorta).
p Haut, welche die entfernte Rückenſchale innen auskleidet. g Eierſtöcke; zwei-
ſchen ihnen und dem Magen liegen die gewundenen Eileiter. f Geißelanhang
des Kaufußes, der die Kiemenhöhle innen ſchließt. b Kiemen, links in natür-
licher Lage, rechts umgeſchlagen. c Herz. aa Hintere Körperarterie (Bauch-
Aorta). fl Unterer Boden der Kiemenhöhle.


Das Darmrohr ſelbſt verläuft bei den meiſten Kruſtenthieren
in gerader Linie, von dem Munde bis zu dem am Schwanzende be-
findlichen After und bei vielen laſſen ſich ſogar nicht einmal einzelne
Abtheilungen unterſcheiden. Nur ſelten zeigt der Darm ſchlingenför-
mige oder ſchraubenartige Biegungen, und nur bei einer einzigen
Ordnung, bei den Rankenfüßern, endet er in ziemlich bedeutender Ent-
fernung von dem Schwanzende. Bei den höheren Formen laſſen ſich
meiſtens Schlund, Magen, Mitteldarm und Afterdarm unterſcheiden.
Der Magen iſt ſehr häufig auf ſeiner inneren Fläche nicht nur mit
hornigen Borſten und Haaren, ſondern auch mit förmlichen Zahnleiſten
bewaffnet, welche durch beſondere Muskeln gegeneinander bewegt und
zum Zerkleinern der Nahrung benutzt werden können. Dieſe Hornbe-
waffnung des Magens zieht ſich als feiner meiſt aus Haaren beſtehender
Ueberzug durch den ganzen Verlauf des Darmrohres fort und wird auch
bei der jährlichen Häutung gewechſelt, wo dann die abgeſtoßenen Stücke
theils aus dem Munde, theils aus dem After hervorgezogen werden.


Die meiſten Kruſtenthiere beſitzen keine Speicheldrüſen, dagegen eine
ſehr deutliche Leber, welche bald in Form veräſtelter Blindſchläuche, bald
[413] als ſehr bedeutende Drüſenmaſſen auftreten, deren röhrige Structur ſich deut-
lich erkennen läßt und deren Ausführungsgänge meiſt unmittelbar hinter dem
Magen in den Darmkanal einmünden. Gewöhnlich ſind dieſe Drüſenmaſſen
gelb gefärbt und füllen einen beträchtlichen Theil der Leibeshöhle aus.


Die Athemorgane ſämmtlicher Kruſtenthiere ſind auf Waſſer-
athmung berechnet und demnach als Kiemen ausgebildet. Manchen nie-
deren Ordnungen fehlen indeß dieſe Kiemen durchaus und es ſcheint hier
die Athmung lediglich durch die äußere Haut bewerkſtelligt zu werden.
Bei den meiſten Kruſtenthieren hingegen finden ſich eigene Kiemen, die
entweder frei an dem Körper und zwar an der Baſis der Glieder-
anhänge angebracht ſind, oder in beſonderen Höhlen unter dem Kopf-
bruſtſchilde liegen. Bei vielen Kruſtenthieren ſind theils an den Bauch-
füßen, theils an den vorderen Körperanhängen beſondere Fortſätze
entwickelt, welche in ſteter Bewegung erhalten werden und einen leb-
haften Strudel erzeugen, der das Waſſer an der Unterfläche des Kör-
pers und in der Umgebung der Kiemen beſtändig wechſelt. Die Kie-
men ſelbſt ſind entweder baumartig veräſtelt, oder von einfachen oder
zuſammengeſetzten Blättern gebildet, die von wandungsloſen Gefäßen

Figure 328. Fig. 460.

Limnadia von der Seite, nach
Wegnahme der halben Schale. Man ſieht
unter dem Bauche die zahlreichen Kie-
menblättchen.


durchzogen werden. In der einfa-
cheren Form zeigen ſich dieſe Kie-
men beſonders bei den Blattfüßern
und den ihnen nahe ſtehenden Ord-
nungen, wo oft eine große Anzahl
breiter Blätter entwickelt iſt, welche
an der Unterfläche des Leibes über-
einanderliegen und beſtändig auf-
und zugeklappt werden. Meiſtens
ſind hier noch eigene Deckel ent-
wickelt, welche dieſe mit äußerſt zar-
ter Haut überzogenen Kiemenblättchen vor Unbilden ſchützen. Die

Figure 329. Fig. 461.

Heuſchreckenkrebs (Squilla) von der Seite.
y Augen. a Fühler. p Greiffüße. p″ Kaufüße.
p‴ Bruſtfüße. pa Bauchfüße, an denen die Kiemen b
hängen. g Schwanzfloſſe.


wandungsloſen Kanäle,
in welchen das Blut
ſtrömt, ziehen ſich zwi-
ſchen den beiden hart an
einander liegenden dün-
nen Lamellen dieſer Kie-
menblättchen hin. Bei
anderen Ordnungen wie
namentlich beiden Maul-
füßern, hängen die baum-
[414] artig veräſtelten, zarten, röhrigen Kiemen frei an der Unterfläche des
Bauches, während ſie bei den Zehnfüßern, wie namentlich bei unſerem
Flußkrebſe zu beiden Seiten unter dem Kopfbruſtſchilde in eigenen

Figure 330. Fig. 462.

Kiemenapparat einer Garneele (Palaemon).
a
Spitze des Kopfſchildes. b Kopfbruſtſchild. Das Seitentheil deſſelben,
das die Kiemenhöhle deckt, iſt weggenommen, ſeine Erſtreckung aber durch die
punktirte Linie g angedeutet. c Fühler. d Hinterleibsringe. e Füße, abge-
ſchnitten. f Kiemen. h Halbkanal zum Ausführen des Waſſers, in dem die
Klappe des Kaufußes i ſpielt. j Mündung des Kanals neben dem Munde.


Höhlen verborgen ſind. Dieſe Kiemenhöhlen werden durch eigene
Scheidewände von der Eigeweidehöhle getrennt, von dem Kopfbruſt-
ſchilde überwölbt und haben zwei Zugänge, einen ſpaltförmigen längs
dem freien Rande des Kopfbruſtſchildes, durch welchen das Waſſer
eindringt und einen vorderen Halbkanal, der ſich zur Seite des Mun-
des öffnet und zum Austritte des Waſſers beſtimmt iſt. In dieſem
Halbkanale ſpielt der Taſter des hinteren Kaufußes wie eine Klappe
oder wie ein Pumpenſtängel hin und her, und bewirkt ſo die ſtete
Erneuerung des Waſſers. Bei manchen Kruſtenthieren, welche auf
dem Lande leben, können die ſpaltförmigen Zugänge der Kiemenhöhle
vollſtändig abgeſchloſſen werden, und da außerdem bei dieſen Thieren
die innere Fläche der Wandung der Kiemenhöhle netzartig oder ſchwam-
mig entwickelt iſt, ſo können ſie das zur Befeuchtung der Kiemen nö-
thige Waſſer lange Zeit auch auf dem trockenen Lande bewahren. Die
Kiemen ſelbſt, welche in dieſen Kiemenhöhlen verborgen ſind, wechſeln
ſehr an Zahl und bilden meiſt ſpitze, dreiſeitige Pyramiden, die mit
ihrer Baſis an den Kaufüßen feſtgewachſen ſind und mit der Spitze
nach oben ſehen. An der inneren Seite dieſer Pyramiden findet ſich
eine Art Schaft, in dem die Kiemengefäße aufſteigen, und an welchen
die horizontalen Kiemenblättchen angewachſen ſind, die nach der Spitze
zu allmählig an Größe abnehmen.


[415]

Bei einigen Landaſſeln finden ſich außer den Kiemen noch beſon-
dere Höhlen, welche offenbar zur Luftathmung dienen und die wir
bei den Familien ſelbſt genauer betrachten werden.


Das Blut der Kruſtenthiere iſt meiſtens farblos oder ſchwarz-
röthlich oder violett gefärbt; — die Blutkörperchen, welche ſtets farb-
los ſind, erſcheinen als rundliche rauhe, feinkörnige Körperchen, die
oft einen ziemlich großen Kern zeigen. Der Kreislauf ſelbſt iſt
zwar regelmäßig, aber inſofern unvollſtändig, als eigene rückführende
Gefäße gänzlich fehlen und die Blutflüſſigkeit ſich durch die Zwiſchen-
räume der Organe einen Weg zum Herzen zurückbahnen muß. Ein
Herz fehlt keinem Kruſtenthiere; es liegt ſtets in der Mitte des
Rückens, meiſt unmittelbar unter der Schale und hat bei den Gattun-
gen mit länger geſtrecktem Körper eine Schlauchform, während es bei
denen mit kürzerem Kopfbruſtſtücke einen kurzen, meiſt in ſeitliche Zipfel
ausſtrahlenden Sack darſtellt. Bei den niederen Familien der Kru-
ſtenthiere, wie namentlich bei den Schmarotzerkrebſen, ſtellt das Herz
einen an beiden Enden offenen Schlauch dar, welcher die in wan-
dungsloſen Räumen herzuſtrömende Blutmaſſe in ſeine hintere Oeff-
nung aufnimmt und durch die vordere wieder austreibt. Meiſtens
finden ſich hier in der Nähe des Herzens größere Lückenräume, in
welchen das Blut ſich ſammelt, um dann bei dem nächſten Herzſchlage
in den Schlauch hinüber zu treten. Bei dieſem Typus des Kreis-
laufes exiſtiren mithin keine Gefäße und in der That ſieht man bei
Bewegungen der durchſichtigen Thiere, daß das vom Herzen getriebene
Blut bald hier bald dort durch die entſtehenden Lücken ſeinen Weg
ſucht. Bei den höheren Stufen der Kruſtenthiere finden ſich Arterien,
welche vom Herzen ausgehen, dünne häutige Röhren, welche ſich all-
mählig veräſteln, aber nach mehr oder minder kurzem Verlaufe ſpurlos

Figure 331. Fig. 463.

Durchſchnitt der Kopfbruſt eines Krebſes,
um den Blutlauf zu verſinnlichen.
b Kieme. ve Kiemenvene, die das Blut aus
der Kieme ſammelt und dem Herzen c zuführt.
f Bruſtſchild. vb Körpervenenräume, die das
Blut in die großen Hohlräume s führen. va Kie-


verſchwinden. Das Blut ver-
breitet ſich nun in den Zwi-
ſchenräumen der Organe, kehrt
nach dem Herzen zurück, ſam-
melt ſich aber in mehreren
größern Höhlen, die meiſtens
an dem Grunde der Beine an-
gebracht ſind, und von welchen
aus es ſofort in die Kiemen
ſtrömt. Von den Athemor-
ganen zurückkehrend ſammelt
es ſich dann in einem äußerſt
[416]

menarterie, das Blut aus den Hohl-
räumen s in die Kiemen führend
p Baſis der Füße. ce Räume der Ein-
geweide.


Figure 332. Fig. 464.

Die Kiemenhöhle einer
Krabbe (Maja) von der Seite geöffnet.
f Seitenwand der Eingeweide-
höhle. b Kiemen. s Venöſe Si-
nus an der Baſis derſelben. p Füße.
c Herz.


dünnhäutigen Sacke, der wie ein Herz-
beutel das Herz von allen Seiten um-
giebt. Dieſes ſchwimmt alſo im eigent-
lichen Sinne des Wortes im Blute,
welches in den venöſen Behälter zu-
rückkehrt und durch feine Schlitze bei
der Ausdehnung des Herzens in deſſen
Höhlung eintritt. Meiſt finden ſich 4 bis
8 ſolcher Schlitze an dem Herzen der hö-
heren Kruſtenthiere und ſie haben die
Einrichtung, daß ſie bei der Zuſammen-
ziehung vollſtändig ſchließen, ſo daß das
Blut durch die Röhren der Arterien aus-
ſtrömen muß, während ſie bei der Aus-
dehnung des Herzens aufklaffen und das ringsum ergoſſene Blut ein-
ſtrömen laſſen.


Mit Ausnahme der Rankenfüßer, welche Zwitter ſind, kommen
bei allen übrigen Kruſtenthieren männliche und weibliche Individuen vor,
die in den meiſten Fällen ſich nicht nur durch die Form der äußeren
Geſchlechtstheile, ſondern auch durch die Körpergeſtalt unterſchei-
den. Faſt allgemein ſind die Weibchen weit größer als die Männ-
chen, und dieſe Verkümmerung geht ſoweit, daß bei einigen Schma-
rotzerkrebſen das Männchen, welches unendlich viel kleiner iſt, eine
abweichende Geſtalt hat und ſtets an dem Weibchen angeklammert
hängt, für einen Schmarotzer des Weibchens gehalten werden könnte.
Bei einigen niedern Gruppen der Kruſtenthiere ſind übrigens männ-
liche Individuen ſo ſelten, daß viele Beobachter ſie gänzlich läugneten
und in der That eine einzige Befruchtung mehrere auf einander folgende
Generationen von Weibchen zeugungsfähig zu machen ſcheint.


Die männlichen inneren Geſchlechtsorgane zeigen alle
möglichen Zwiſchenformen von der Geſtalt eines einfachen, blindgeen-
deten Schlauches an, bis zu einer förmlichen Hodendrüſe, die aus einem
Knäuel enger Kanälchen zuſammengeſetzt iſt und zuletzt in zwei Aus-
führungsgänge übergeht, die ſich nach außen öffnen. Meiſt ſind zwei
zu beiden Seiten der Mittellinie liegende Hoden vorhanden, die aber
oft auch miteinander verſchmelzen und ſo nur einen einzigen Drüſen-
körper darſtellen. Die männlichen Geſchlechtsöffnungen finden ſich
ſtets an dem Bauche, oft nur als zwei feine ſeitliche Schlitze, wäh-
rend bei den höheren Krebſen förmliche Ruthen vorhanden ſind, deren
Einbringung in die weiblichen Geſchlechtsöffnungen oft noch durch
[417] ſecundäre Anhänge unterſtützt wird, die von den erſten Paaren der
falſchen Füße gebildet werden. Außer dieſen Hilfsorganen der Begat-
tung finden ſich häufig bei den Männchen noch eigenthümliche Umge-
ſtaltungen einzelner Körperanhänge, beſonders der Fühler und der
Füße, wodurch dieſelben geſchickt werden, die Weibchen zu umklammern
und feſtzuhalten. Die Samenmaſſe der Kruſtenthiere unterſcheidet ſich
meiſt weſentlich von derjenigen aller andern Thiere, indem ſtatt be-
weglicher, fadenartiger oder keulenförmiger Samenelemente, rundliche,
ſtarre, unbewegliche Körper ſich vorfinden, die zellenartig ſind und
meiſtens in ſtarre Strahlen auslaufen, welche ebenfalls keine Beweg-
lichkeit zeigen. (Siehe S. 57. Fig. 20. e vom Hummer.) Dieſe
Zellen haben bald die Geſtalt einer Doſe, bald die einer rund-
lichen Tonne, zuweilen ſelbſt erſcheinen ſie in der Mitte eingeſchnürt,
bald nur einfach kugelig und mit einem kleinen Spitzchen verſehen.
Bei vielen Krebſen ſind dieſe Samenelemente auch in Form von
langen, borſtenartigen Haaren entwickelt, welche zuweilen die Ge-
ſtalt gewöhnlicher Samenfäden haben, aber ſtets ſtarr und unbeweglich
ſind. Bei manchen Gattungen werden auch die Samenelemente in
Schläuche ähnlicher Art eingeſchloſſen, wie ſie bei den Kopffüßern zu
finden ſind, wenn ſie auch jene Complication der Bildung nicht haben.


Die weiblichen Geſchlechtstheile erſcheinen im Weſentlichen
in ähnlicher Form wie die männlichen, ſo daß oft nur durch den In-
halt die Natur der inneren Geſchlechtstheile erſchloſſen werden kann.
Bei vielen Kruſtenthieren hängen die Eileiter mit aus Blinddärmen
gebildeten Kittorganen zuſammen, welche die Eier beim Heraustreten
miteinander verkleben; — bei anderen vereinigen ſich die Eileiter jeder-
ſeits in ein birnförmiges Säckchen, welches wahrſcheinlich zur Auf-
nahme des bei der Begattung ergoſſenen Samens beſtimmt iſt, alſo
die Bedeutung einer Samentaſche hat. Die Geſchlechtsöffnungen ſind
faſt ſtets doppelt, eine auf jeder Seite, und finden ſich meiſt an der
Wurzel des Hinterleibes, an dem letzten Fußpaare der Bruſt, oder
noch unter dem Kopfbruſtſchilde ſelbſt. Die Fußpaare, welche ſich un-
ter dem Hinterleibe befinden, ſind faſt bei allen weiblichen Kruſten-
thieren in eigenthümlicher Weiſe zur Aufnahme der gelegten Eier
beſtimmt, die mittelſt eines klebrigen Stoffes an die Blätter oder
Borſtenhaare dieſer Füße in Geſtalt von Trauben oder Haufen be-
feſtigt werden. Meiſt ſind in dieſen Fällen die vorderen Afterfüße
breit und blattartig, ſo daß ſie förmliche Deckel über dieſe unter dem
Schwanze geborgenen Eierhaufen bilden. In den niederen Reihen
der Kruſtenthiere werden auch häufig die Eier von den Weibchen bis
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 27
[418] zur vollſtändigen Entwickelung der Larven, in mehr oder minder lan-
gen, durchſichtigen Schläuchen getragen, die zu beiden Seiten am Leibe
befeſtigt ſind.


Die Eier der Kruſtenthiere haben meiſt einen dunkeln, körnigen Dotter
von brauner, rother oder gelber Farbe, auf welchem ſich nach der Befruchtung
durch theilweiſe Furchung an einem beſtimmten Orte eine ſcheibenförmige

Figure 333. Fig. 465. Fig. 466.

Fig. 465 — 472. Entwickelung des Flußkrebſes
(Astacus fluviatilis).
Bei allen Figuren gelten dieſelben Buchſtaben:
a Dotter. b Kopfbruſtſchild. c Auge. d1d5 Die
fünf Beinpaare. e Der Hinterleib. f Das Herz. g
Die Leber. h Die Kiemen. i Innere Fühler. k Gei-
ſelanhang. l Aeußere Fühler. m Embryonalſcheibe. n
Oberkiefer (mandibula). o Kaufüße.
Fig. 465. Die ſcheibenförmige Embryonalanlage.
Fig. 466. Die Embryonalſcheibe hat ſich ausgedehnt;
auf ihrer Mitte ſieht man die erſte Anlage der Organe,
Augenſtiele, Fühler, Kiefer, Hinterleib und Kopfbruſtſchild.


Figure 334. Fig. 467. Fig. 468.

Fig. 467. Ein ganzes Ei mit dem weiter ent-
wickelten Embryo, der ſchon die Gruppen der Kaufüße,
der Beine und das Herz gewahren läßt. Fig. 468. Ein
etwas älterer Embryo von der Bauchſeite. Der Hinter-
leib iſt heruntergeklappt, um die an ſeiner inneren Fläche
ſproſſenden falſchen Füße zu zeigen. Auf der einen Seite


Embryonalanlage bildet.


Auf dieſer ſcheiben-
förmigen Embryonalan-
lage hebt ſich bei dem
Krebſe, den wir hier als
Typus annehmen, zuerſt
eine mittlere Erhöhung
ab, an welcher man bald
eine ſternförmige Figur,
die einzelnen Anhänge
des Kopfbruſtſchildes,
den Hinterleib und den
umgeſchlagenen Rand des
Schildes ſelbſt erkennt.
So erſcheinen zuerſt als
flache Wülſte auf der
unteren Fläche der Em-
bryonalſcheibe die Augen-
ſtiele, die inneren und
äußeren Fühler und die
Kiefer, welche zuſammen
um den zukünftigen Mund
als Mittelpunkt ſtehen.
Bald breitet ſich die Em-
bryonalanlage weiter
aus; der Rand des
Kopfbruſtſchildes wird
deutlicher, wie ein dicker,
umgeſchlagener Saum
umgiebt er die ſämmt-
lichen Körpertheile, die
ſich nun deutlicher mar-
kiren. Der Hinterleib
löſt ſich ganz los, zeigt
[419]

ſind die vier hinteren Beinpaare entfernt, ſo daß man
den Kiemenanhang des erſten Fußpaares, der zu ſproſ-
ſen beginnt, ſehen kann.


deutliche Ringel, bleibt
aber ſo über die Mittel-

Figure 335. Fig. 469. Fig. 470.

Fig. 469. Ein älterer Embryo in ſeiner natürlichen
Lage mit eingezogenen Beinen von der Seite geſehen, um das
Verhältniß des Kopfbruſtſchildes zum Dotter zu zeigen.
Fig. 470. Derſelbe Embryo. Das Seitenſchild iſt weg-
genommen, ſo daß man die an der Baſis der Füße befeſtigten
Kiemen ſehen kann, der Hinterleib zurückgeklappt, Beine und
Fühler abgezogen und ausgebreitet.


linie des ſcheiben-
förmigen Embryos
herübergeſchlagen,
daß man ſeine Rü-
ckenfläche ſieht und
man ihn umklap-
pen muß, um die
an ſeiner Innen-
fläche ſproſſenden
falſchen Füße zu
ſehen. Die übri-
gen Kauwerkzeuge,
die Kaufüße, die
eigentlichen Gang-
beine erſcheinen all-
mählig gruppen-
weiſe — Alle an-
fangs in Geſtalt unförmlicher Wülſte, die erſt nach und nach Ein-
ſchnürungen zeigen und ſo ihre einzelnen Glieder zeigen. Alle dieſe
Anhänge liegen anfangs platt auf der platten Embryonalſcheibe als
Wülſte auf, trennen ſich dann los und knicken ſich bei fortgeſetztem

Figure 336. Fig. 471. Fig. 472.

Fig. 471. Ein reifer Embryo in ſeiner natürlichen Lage mit eingeſchla-
genem Hinterleibe und eingezogenen Beinen und Fühlern von unten geſehen.


27*
[420]

Die Seitentheile des Kopfbruſtſchildes ſind entfernt und die Kiemen hervorge-
zogen worden, um ihr Verhältniß zur Baſis der Beine zu zeigen.
Fig. 472. Derſelbe Embryo entwickelt; der Hinterleib iſt zurückgeſchlagen,
die Kaufüße der einen Seite ausgebreitet worden. Man vergleiche dieſe Fi-
gur mit Fig. 447., S. 398., die den erwachſenen Flußkrebs von der Bauch-
ſeite darſtellt.


Wachsthume nach innen ein, ſo daß ihre Spitzen ſich in der Mittel-
linie berühren. Der Saum des Kopfbruſtſchildes wächſt ſtets mehr
nach oben über den Dotter zuſammen und an ſeinem Rande oder
zwiſchen ihm und dem Dotter entſtehen nun allmählig die Organe des
vegetativen Lebens, Herz, Leber, Darm, Kiemen, während die An-
hänge ſtets mehr und mehr auswachſen und ihre definitive Form an-
nehmen. In der letzten Periode des Embryonallebens ſchließt ſich
endlich das Kopfbruſtſchild ganz über dem Dotter, der allmählig ſchwin-
det und der Embryo liegt nun zuſammengekugelt, mit eingeſchlagenem
Hinterleibe, angezogenen Beinen und Fühlern in der Eiſchale, die er
bald durchbricht, um ein ſelbſtſtändiges Leben zu beginnen.


Die Entwickelung ſämmtlicher Kruſtenthiere, wie überhaupt aller
Gliederthiere ſtimmt in den Hauptpunkten mit den oben auseinander
geſetzten Thatſachen überein. — Die Bildung des Embryo’s geht ſtets
von der Mittellinie der Bauchfläche aus, wo das Nervenſyſtem liegt;
die Anhänge ſproſſen zuerſt auf der unteren Fläche und zeigen Anfangs
plumpe unausgebildete Formen. Aber nicht alle Kruſtenthiere kommen
in einer, dem erwachſenen Alter ſo ähnlichen Geſtalt aus dem Eie,
wie dieß bei dem Flußkrebſe der Fall iſt. Die meiſten durchlaufen als
junge Thiere eine Reihe von Metamorphoſen, deren Kenntniß um ſo
wichtiger iſt, als die urſprünglichen Geſtalten der Jungen oft außer-
ordentlich von der Form des zeugungsfähigen Alters abweichen und
ganze Reihen im Alter höchſt verſchieden geſtalteter Thiere ſich durch
die Uebereinſtimmung ihrer Jugendzuſtände als Sproſſen eines und
deſſelben Stammbaumes ausweiſen.


Die Klaſſe der Kruſtenthiere erſcheint mit einer Menge eigen-
thümlicher Formen mit dem erſten Beginne organiſchen Lebens auf
der Erde und repräſentirt in den Schichten des Uebergangsgebirges
für ſich allein den ganzen Kreis der Gliederthiere. In den juraſſiſchen
Meeren zeigt ſie beſonders eine bedeutende Fülle verſchiedener Formen
und faſt alle weſentlichen Typen, die noch heute unſere Gewäſſer
bevölkern.


Die Eintheilung der Kruſtenthiere wird außerordentlich erſchwert
durch die ungemein zahlreichen Uebergänge, welche mittelſt allmähliger
Umgeſtaltung der Körperform, wie der einzelnen Anhänge zwiſchen
[421] den verſchiedenen Haupttypen hergeſtellt werden. Kaum iſt es möglich
irgendwo feſte Grenzlinien zu ziehen, ſo ſehr verſchwimmen die ein-
zelnen Charaktere in einander, oder verbinden ſich in ſeltſam abwei-
chender Weiſe, wodurch Gattungen entſtehen, die man faſt nach
Belieben zu der einen oder anderen Hauptgruppe ziehen könnte. Wir
erkennen in dieſer zahlreichen Klaſſe vier Unterklaſſen, deren Umgren-
zung indeſſen hier und da aus den angegebenen Gründen zweifelhaft
erſcheinen dürfte. Wir unterſcheiden: 1) Die Unterklaſſe der Haut-
krebſe (Entomostraca)
mit gewöhnlich dünnhäutiger oder dünn-
horniger Körperbedeckung, die ſich bald zu einem breiten Schilde, bald
ſelbſt zu einer zweiklappigen Schale ausbildet, und mit meiſt ſcheeren-
loſen Füßen, die bald zum Anklammern mit Haken, bald zum Schwim-
men mit langen Borſten beſetzt ſind, oder ſich ſelbſt zu eigenthümlichen
Rauken und ſonderbaren fleiſchigen Anhängen ausbilden. Die Fühler
ſind gewöhnlich bei den Embryonen und Larven, ſowie bei vielen er-
wachſenen Thieren zu Schwimmorganen oder Klammerwerkzeugen um-
gebildet. Die meiſten dieſer Thiere ſitzen in ihrem zeugungsfähigen
Alter auf dem Boden oder als Schmarotzer an anderen Thieren feſt;
die freilebenden finden ſich großen Theils in den ſüßen Gewäſſern,
nur wenige im Meere, und gehören zu den kleineren Gattungen der
ganzen Klaſſe. Die Embryonen der Hautkrebſe ſind im Ganzen nach
einem ſehr übereinſtimmenden Plane gebaut, und zeigen gewöhnlich
bei dem Hervorkommen aus dem Eie zwei Paar langer, mit Borſten
verſehener Fühler, die zu Schwimmfüßen ausgebildet ſind, mittelſt deren
ſie ſich ſehr hurtig im Waſſer umherbewegen können; ſpäter vermehrt
ſich die Zahl der Schwimmfüße oder ſie verſchwinden ſogar, je nach
der Ausbildung des vollkommenen Thieres zu einem Schmarotzer oder
einem frei lebenden Weſen. Wir begreifen in dieſer Klaſſe ſechs Ord-
nungen: Die Rankenfüßer (Cirrhipedia), Thiere, welche im Alter
feſt ſitzen, deren Füße ſich zu gegliederten Ranken umbilden, und die
ſich mit Schalen umgeben, deren Form ſo eigenthümlich iſt, daß man
ſie bis in die neueſte Zeit, ehe man ihre Entwickelung kannte, zu den
ſchalentragenden Weichthieren zählte, oder eine beſondere Zwiſchenklaſſe
zwiſchen Weich- und Kruſtenthieren aus ihnen machte. Die Schma-
rotzerkrebſe
(Parasita) bilden die zweite Ordnung, in der wir
Thiere finden, die durch die gänzliche Zurückbildung aller Sinnes-
und Bewegungsorgane während der Periode ihres Schmarotzerlebens
ſich ſo ſehr von dem Typus der Gliederthiere entfernen, daß man ſie
theilweiſe den Eingeweidewürmern zuzählte. Weit höher erhebt ſich
die Organiſation in der Ordnung der Krebsflöhe (Copepoda),
[422] freiſchwimmenden, kleinen Thierchen mit borſtentragenden Schwimm-
füßen und meiſtens einem Auge, das durch Muskeln beweglich iſt und
mitten auf der Stirne ſteht. Die Ordnung der Blattfüßer (Phyl-
lopoda
), welche wir hierauf folgen laſſen, zeichnet ſich durch eine große
Anzahl blattförmiger Füße aus, die zugleich zum Schwimmen und
zum Athmen dienen. Ihnen am nächſten ſteht die Ordnung der Tri-
lobiten
oder Paläaden (Trilobita), die vollkommen ausgeſtorben
iſt, und nur in den älteſten Schichten der Erde vorkommend, dort
die ganze Klaſſe der Kruſtenthiere vertritt. Als letztes Glied in dieſer
Unterklaſſe betrachten wir die Ordnung der Muſchelkrebſe (Ostra-
coda
), welche mit einer den Krebsflöhen ähnlichen Fußbildung den
Beſitz einer zweiklappigen Schale verbinden.


Eine zweite Unterklaſſe finden wir in den 2) Pfeilſchwänzern
(Xyphosura s. Poecilopoda), die mit einem harten, unge-
theilten kalkigen Kopfbruſtſchilde, einem ungetheilten Bauchſchilde und
einem ſpießförmigen Schwanzſtachel verſehen ſind und in der Bildung
ihrer Füße in ſo fern eine höchſt charakteriſtiſche Eigenthümlichkeit
zeigen, als ihre wahren Gangfüße zugleich Kaufüße ſind und durch
ihre gezähnten Baſalglieder durchaus die mangelnden Mundwerk-
zeuge erſetzen. Die großen, unbeholfenen Thiere, welche dieſe Unterklaſſe
bilden, gehören nur einer einzigen Gattung an.


Die Unterklaſſe der 3) Stielaugen (Podophthalma) begreift
die eigentlich typiſchen Kruſtenthiere mit ungetheiltem Kopfbruſtſchilde,
vor dem zuweilen noch ein beweglicher Augenring ſteht, geringeltem
Hinterleibe, geſtielten, zuſammengeſetzten Augen und baumartig veräſtel-
ten oder blättrig pyramidaliſchen Kiemen, die neben den eigentlichen
Füßen exiſtiren. Wir unterſcheiden in dieſer Unterklaſſe zwei Ordnun-
gen: die wenig zahlreiche der Mundfüßer (Stomapoda) mit freien,
baumartigen Kiemen und frei beweglichem Augenringe, und die ſehr
zahlreiche der Zehnfüßer (Decapoda) mit vollſtändigem Kopfbruſt-
ſchilde, unter welchem die Kiemen in beſonderen Höhlen verborgen
liegen, und fünf Fußpaaren, deren erſtes meiſt, die andern zuweilen
Scheeren tragen. Dieſe zahlreichſte Ordnung theilt ſich wieder je nach
der Ausbildung des Hinterleibes in mehrere Unterordnungen.


Die vierte Unterklaſſe wird von den 4) Ringelkrebſen (Edri-
ophthalma
)
gebildet. Bruſt und Kopf zeigen ſich bei ihnen ſtets
in ähnlicher Weiſe, wie bei den Inſekten gegliedert und deutlich von
einander getrennt, während zugleich die Augen ſtiellos in dem Kopf-
ſchilde feſtſitzen. Wir unterſcheiden hier wieder drei Ordnungen: die
Knopfkrebſe (Laemipoda) mit ganz rudimentärem Hinterleibe; die
[423]Flohkrebſe (Amphipoda) mit entwickeltem Hinterleibe, an welchem
ſich meiſt Anhänge finden; und endlich die Aſſeln (Isopoda) mit
flachem Rumpfe, anhangloſem Hinterleibe und nageltragenden Füßen.


Unterklaſſe der Hautkrebſe. (Entomostraca.)


Ordnung der Rankenfüßer (Cyrrhipedia). Die Thiere,

Figure 337. Fig. 473. Fig. 474. Fig. 475.

Entenmuſcheln (Anatifa laevis).
Fig. 475. Von vorn. Fig. 474. Von der Seite.
Fig. 473. Ebenfalls, nach Wegnahme der Schalenklappe.
a Stiel. b Schale. c Eierſtock. d Mantel. e Kör-
per. f Kiemen. g Mund. h Rankenfüße. i Hinterleib.


welche dieſer höchſt ab-
normen Ordnung ange-
hören, ſitzen im erwach-
ſenen Alter ſtets am
Boden, zuweilen auch
ſchmarotzend auf der
Haut großer Seethiere
feſt und ſind in ein aus
mehreren Stücken beſte-
hendes Gehäuſe ein-
geſchloſſen, das ſie beim
Zurückziehen vollſtändig
verſchließen können, und
das meiſtens ein kalkiges
Gefüge hat. Dieſes Ge-
häuſe ſitzt bald unmit-
telbar, bald mittelſt eines
beweglichen Stieles feſt,
und enthält das Thier
in ſolcher Lage, daß es
mit dem gewölbten Theile
des Rückens oder eigentlich der Kopfbruſt nach unten gegen die Baſis
des Gehäuſes gewendet iſt, und der Mund ganz in der Tiefe deſſelben
verborgen liegt. Die Schale ſelbſt iſt verſchieden geſtaltet, weßhalb
wir ſie erſt bei den einzelnen Familien betrachten werden. Auf ihrer
Innenfläche wird ſie von einem Mantelſacke ausgekleidet, der ſtark
muskulös iſt, und auf der unteren Seite einen Schlitz zeigt, aus wel-
chem die eigenthümlichen rankenartigen Fußpaare und der röhrenför-
[424] mige Hinterleib hervortreten. Die Grundlage des Mantels wird aus
Chitinblättern gebildet, und die ganze Oberhaut, nebſt der den Kör-
per und die Ranken überziehenden Haut ganz in ähnlicher Weiſe ge-
wechſelt, wie auch die Krebſe von Zeit zu Zeit ihren Schalenpanzer
abwerfen, während die Schale ſelbſt niemals der Häutung unterworfen
iſt, und mithin ein Gebilde darſtellt, welches auch durch dieſe Eigen-
thümlichkeit ſich außerhalb des gemeinſamen Organiſationsplanes der
Kruſtenthiere ſtellt Die Bewegungsorgane beſtehen aus ſechs
Paaren äußerſt vielgliedriger, mit Borſten beſetzter Anhänge, deren
ſich jeder alsbald in zwei Ranken ſpaltet, ſo daß auf jeder Seite des
Körpers zwölf ſolche gegliederte Ranken durch die Mantelſpalte her-
vortreten können. Die dem Munde zunächſt liegenden Ranken ſind die
kleineren und dienen als Taſtorgane; die weiter entfernten größeren
werden hauptſächlich zum Ergreifen der Beute und zur Erzeugung
eines Strudels benutzt, der friſches Waſſer in die Mantelhöhle führt.
Ein eigentlicher Kopf fehlt durchaus; der Mund liegt in der Tiefe
des Mantelſchlitzes und zeigt ein Paar ſeitlicher kurzer Kiefer, die auf
ihrer Innenfläche gezähnelt ſind und zum Kauen in einandergreifen.
Außer dieſen Kauwerkzeugen bemerkt man keine Spur von Organen
irgend welcher Art an dem Kopfe oder an dem meiſt rundlichen, beu-
telförmigen Vorderkörper, der in der Tiefe des Mantelſackes verbor-
gen iſt. Fühler, Augen u. ſ. w. fehlen gänzlich. Die gegliederte
Röhre, welche zwiſchen dem äußerſten Paare der Rankenfüße, als
Fortſetzung des Körpers ſich zeigt, läßt an ihrem Anſatzpunkte den
After und an ihrer Spitze die Oeffnung des Samenleiters gewahren.


Unterſucht man die innere Organiſation dieſer Thiere, ſo findet
man einen faſt geraden Darmkanal, der nach einem kurzen Schlunde
einen unbedeutenden Magen bildet und dann in gerader Richtung bis
zu dem, zwiſchen dem letzten Rankenfußpaare an der Baſis des Schwanz-
anhanges angebrachten After vorläuft. Der Magen zeigt äußerlich
ein warziges Anſehen, das von ſehr kurzen Leberſchläuchen hervorge-
bracht iſt, welche unmittelbar in den Magen einmünden. Der Blut-
lauf iſt nur wenig unterſucht, doch findet ſich ein längliches, ſchlauch-
förmiges Herz, welches der Wölbung des Körpers entlang läuft und
nach verſchiedenen Seiten Aeſte ausſendet, namentlich in die Ranken,
in welchen man ſie bis zur Spitze hin verfolgt hat. Beſondere Kie-
men
ſind vorhanden, und bald in Form zarter ſpitzer Blättchen aus-
gebildet, welche an dem, dem Munde zunächſt gelegenem Rankenpaare
feſtſitzen, bald in Geſtalt zarter Hautvorſprünge entwickelt, die an der
inneren Fläche des Mantels hängen, und in ähnlicher Weiſe, wie bei
[425] den Muſchelthieren mit zur Aufnahme der Eier beſtimmt ſind. Jeden-
falls iſt die Thätigkeit dieſer Kiemenorgane nur eine ſehr geringe zu
nennen, da viele Rankenfüßer ſich an dem Meeresſtrande ſogar über
der gewöhnlichen Fluthgrenze anſiedeln, wo ſie außer bei Stürmen
und Regen oft wochenlang vom Waſſer nicht berührt werden. Das
Nervenſyſtem der Rankenfüßer iſt übereinſtimmend mit dem gewöhn-
lichen Typus der Gliederthiere aus einer Reihe von Knoten gebildet,
welche auf der Bauchſeite zwiſchen den Rankenfüßen hinlaufen und
durch doppelte Verbindungsſtränge vereinigt werden. Da ein eigent-
licher Kopf gar nicht entwickelt iſt und beſondere Sinnes- und Taſt-
werkzeuge fehlen, ſo fehlt auch ein beſonderer Hirnknoten, und die
dem Munde zunächſt gelegenen Knoten des Bauchmarkes ſind nur
durch eine einfache Fadenbrücke über den Schlund herüber mit einan-
der verbunden.


Alle Rankenfüßer ſind Zwitter, in der Weiſe, daß vollſtändig
ausgebildete männliche und weibliche Organe ſich auf denſelben Indi-
viduen ausgebildet finden. Die Eierſtöcke liegen ſtets zwiſchen dem
Körper und dem Mantel, und zwar bei den geſtielten Gattungen in
der Höhle des Fußes ſelbſt, bei den ungeſtielten zwiſchen den Lamellen
des Mantels als einzelne Blindſchläuche. Nach der Befruchtung ge-
langen die Eier in die Höhle des Mantels und werden dort ſo weit
ausgebrütet, bis die Embryonen die Eiſchale durchbrochen haben und
fähig ſind, ſich ſelbſtſtändig fortzubewegen, in welchem Zuſtande ſie
dann bei den Athembewegungen in Haufen ausgeworfen werden. Die
männlichen Geſchlechtstheile liegen in Geſtalt knäuelförmiger,
veräſtelter Hodenſchläuche zu beiden Seiten des Darmkanales und
ſetzen ſich in gewundene Samenleiter fort, welche ſich in der Nähe
des Afters vereinigen, und dann als gemeinſchaftlicher Samengang
den ſchwanzförmigen gegliederten Anhang durchlaufen, um ſich an der
Spitze desſelben zu öffnen. Offenbar befruchten die Rankenfüßer ihre
Eier ſelbſt, indem ſie dieſen gegliederten Anhang in die Höhle des
Mantels zurückbiegen.


Obgleich die Entwickelungsgeſchichte der Rankenfüßer noch nicht
vollſtändig bekannt iſt, ſo ſind doch die Embryonen derſelben und ihre
Metamorphoſen ſo weit unterſucht, um mit Sicherheit ihre äußerſt
nahe Beziehung zu den übrigen Krebſen dieſer Unterklaſſe darzuthun.
[426]

Figure 338. Fig. 476. 478. 477.

Larven von Cineras vittatus.
Fig. 476. Eben aus dem Eie ausgeſchlüpfte Larve. Fig. 477 Mittel-
ſtadium. Fig. 478. Ausgebildete Larve. a Auge. b Seitenhörner des Schil-
des. c Fühler. d Schwimmfüße. e Schwanz.


Die jungen Embryonen verlaſſen das Ei und die Mantelhöhle der
Mutter in einer Geſtalt, welche derjenigen der jungen Krebsflöhe ſo
ſehr ähnelt, daß kaum ein Unterſchied wahrzunehmen iſt. Der Körper
dieſer jungen Thierchen iſt birnförmig, nach hinten zugeſpitzt, und trägt
in der Nähe des Stirnrandes ein einziges, wohl charakteriſirtes Auge,
das ſpäter gänzlich verſchwindet. Auf der Unterfläche des Körpers
ſieht man drei Paar gegliederter Anhänge, von welchen die erſten, die
Fühler, einfach, die beiden anderen gegen das Ende hin doppelt ge-
theilt ſind. Die ſchildförmige Haut, welche den Körper deckt, geht nach
hinten in zwei ſeitliche, am Leibe liegende Hornfortſätze aus, die ſich
nach und nach ablöſen und in rechtem Winkel abſtehen, während zu-
gleich auch der ſchwanzförmige Anhang ſich theilt, und die geglieder-
ten Anhänge nach und nach längere Schwimmhaare entwickeln, ſo daß
das Junge nun ſehr geſchickt in dem Waſſer umherſchwimmt. Später
ſetzt es ſich feſt; die vorderen Hornanhänge, welche die äußeren Füh-
ler darſtellen, dienen zur Befeſtigung, indem ſie Anfangs eine zwei-
klappige Schale bilden, während ſich zugleich auf dem Rücken eine
lederartige Schale entwickelt, die ſich nach und nach vergrößert; das
Auge hat ſich getheilt, und die beiden aus ſeiner Theilung hervorge-
gangenen Hälften ſitzen an der Baſis der umgewandelten Fühler; die
[427] drei Fußpaare erſcheinen viel kürzer im Verhältniß zum Körper. Mit
jeder Häutung des feſtſitzenden Jungen ſproſſen nun neue Füße her-
vor, die Anfangs gegliedert erſcheinen und mit Borſten beſetzt ſind
und erſt ſpäter, wenn die Zahl der ſechs Paare voll iſt, ſich zu der
eigenthümlichen Rankenform umgeſtalten. Augen und Fühler ſind wäh-
rend dieſer Periode ſchon längſt verloren gegangen, und aus dem
lebhaften Schwimmer iſt ein feſtſitzendes, augen- und kopfloſes Thier
geworden, das zum Erſatz für ſeine Bewegungs- und Sinnesorgane
die Fähigkeit erhalten hat, ſich fortzupflanzen.


Man theilt die Rankenfüßer in Uebereinſtimmung mit ihrer ge-
ſammten Organiſation in zwei Familien: die Entenmuſcheln(Lepadida)

Figure 339. Fig. 479. Fig. 480. Fig. 481.

Entenmuſcheln (Anatifa laevis).


beſitzen einen fleiſchigen,
zuſammenziehbaren Stiel,
in deſſen Höhlung die
Eierſtöcke liegen, und auf
dem der eigentliche Kör-
per aufſitzt, der gewöhn-
lich eine zuſammenge-
drückte, ſpitz-dreieckige
Geſtalt hat, und bald
nur von Knorpelſubſtanz,
bald auch von mehreren
Schalen umgeben wird,
die kalkiger Natur ſind.
Gewöhnlich beſteht die-
ſes Gehäuſe auf jeder
Seite aus zwei dreiecki-
gen, durch Knorpelhaut
mit einander verbunde-
nen Kalkſtücken, denen auf der Rückſeite ein mittleres unpaares Stück
als Schlußſtück dient, ſo daß die ganze Schale aus fünf Schalenſtück-
chen zuſammen geſetzt iſt. Die Länge des Stieles, ſo wie die Form
des Körperſtückes iſt vielfach verſchieden und hat zu mancherlei Gat-
tungsmerkmalen geführt. Sie leben in allen Meeren, und heften ſich
beſonders gern an Holz, ſo wie an die Schiffe an, durch welche ſie
oft in andere Gegenden fortgepflanzt werden. Lepas; Anatifa; Ci-
neras; Otion; Pollicipes.


[428]

Die Familie der Meereicheln(Balanida) zeichnet ſich dadurch von
der vorigen Familie aus, daß der Stiel gänzlich

Figure 340. Fig. 482.

Schale einer Meereichel
(Balanus).


verſchwunden, und durch eine röhrenförmige Schale
erſetzt iſt, die gewöhnlich aus ſechs verwachſenen
Stücken beſteht, oben offen iſt, und den ganzen
Körper einſchließt. Es hat dieſe Schale einen
eigenthümlichen röhrigen Bau und iſt meiſtens un-
ten durch eine quere Kalkplatte oder Faſermaſſe
geſchloſſen, mit welcher die Thiere auf fremden Kör-
pern feſtſitzen. Die aus mehreren Stücken zuſammengeſetzte Schale
der Entenmuſcheln iſt hier zu einem kleinen Deckelapparate zuſammen-
geſchmolzen, der aus mehreren dreieckigen Stückchen beſteht, welche beim
Zurückziehen der Thiere die Schale vollkommen ſchließen können. Ei-
nige Gattungen dieſer Familie (Tubicinella; Coronula) leben ſchma-
rotzend auf der Haut der Wallfiſche, in welche ihre Schale oft zolltief
eingeſenkt iſt. Balanus; Pyrgoma; Clisia; Creusia.


Die Rankenfüßer erſcheinen erſt in den Schichten der Kreide mit
wenigen geſtielten Arten, und die Familie der Meereicheln findet ſich
ſogar nur in den Schichten der tertiären Periode mit Arten, welche
noch jetzt lebenden Gattungen angehören.


Die Ordnung der Schmarotzerkrebſe (Parasita) beſteht aus

Figure 341. Fig. 485.


Figure 342. Fig. 483. 486. 484.

Die Barſchlaus (Achtheres percarum).
Fig. 483. Das Weibchen vom Rücken aus. Fig. 484. Daſſelbe von
der Seite. Fig. 485 und 486 das Männchen vom Rücken und von der Seite.
a Saugnapf. b Klammerfüße. c Kopfbruſt. d Hinterleib. e Eierſäcke.
f Kaufüße.


[429] einer großen Anzahl von Gattungen, die faſt alle auf Fiſchen und
zwar namentlich auf den Kiemen derſelben ſchmarotzen, wo ſie ſich ge-
wöhnlich mit eigenen Klammerfüßen und ſonderbaren Körperanhängen
feſthaken. Der Körper dieſer Thiere zeigt die ſeltſamſten Geſtalten
und außerordentlich vielfache Zwiſchenſtufen von einer wurmförmigen,
veränderlichen weichen Körpergeſtalt, bis zu einer ziemlich feſten Con-
ſiſtenz und einer durchgreifenden Ringelung des ganzen Leibes, an
dem ſich dann bald zwei Haupttheile, Kopfbruſt und Hinterleib,
oder ſogar drei unterſcheiden laſſen, indem die Kopfbruſt ſich mehr
oder minder vollſtändig theilt. In keiner Ordnung laſſen ſich,
ſo wie hier, die Degradationen der Fühler, der Augen und der Be-
wegungswerkzeuge in ſolch ausgedehntem Maße und in der Art nach-
weiſen, daß die Entwickelung derſelben ſtets mit der mehr oder min-
der paraſitiſchen Natur in Verbindung ſteht. Bei denjenigen Gattun-
gen, die ſich nur zeitlich fixiren, im Uebrigen aber ſich ziemlich freier
Bewegungen erfreuen, findet man wohl ausgebildete Schwimmfüße
mit langen Borſten und außerdem noch Saugnäpfe oder Klammer-
füße zum Anheften. Bei anderen finden ſich nur noch wenig beweg-
liche Klammerfüße, die zuweilen ſelbſt von beiden Seiten her zu einem
Ringe zuſammenwachſen, der in das Fleiſch des Wohnthieres einge-
ſenkt iſt. Bei denjenigen Gattungen, die am meiſten zurückgeſunken
ſind, ſieht man ſelbſt gar keine gegliederte Anhänge mehr, und ſtatt
aller Bewegungswerkzeuge nur einige auf Warzen ſtehende Haken oder
weiche Fortſätze am Kopfende, mittelſt deren die unförmlichen Weſen
in die Subſtanz ihres Wohnthieres eingegraben ſind. Fühler kom-
men noch bei den meiſten dieſer Schmarotzer vor; gewöhnlich ſind ſie
nur kurz, borſtenförmig, zuweilen auch zuſammengedrückt und ziemlich
platt; Augen fehlen den meiſten und kommen nur bei den höher ſte-
henden Typen in Form zweier ſeitlichen, der Mittellinie ziemlich nahe
gerückten gehäuften Augen vor.


Die Mundwerkzeuge ſind bei allen dieſen Thieren nach einem
gemeinſchaftlichen Plane gebaut, und unterſcheiden ſich von denen aller
anderen Kruſtenthiere dadurch, daß ſie nicht zum Kauen, ſondern zum
Saugen geeignet ſind; — ſie beſtehen aus einem meiſt kurzen, kegel-
förmigen Saugrüſſel, der eine Röhre darſtellt, welche aus der Ver-
wachſung der Ober- und Unterlippe hervorgegangen iſt. In dieſer
Röhre, die zuweilen ziemlich lang iſt und dann wie ein Fernrohr
ein- und ausgeſchoben werden kann, ſpielen gewöhnlich zwei ſpitze
Stücke, welche zum Anſtechen der Wohnthiere dienen und offenbar
die umgewandelten Kiefer ſind. Die eigentlichen Kieferfüße, welche
[430] bei den übrigen Kruſtenthieren vorkommen und dort theils zum Faſſen,
theils zum Zerkleinern der Nahrung dienen, ſtehen hier meiſt weiter
vom Munde entfernt, und ſind zu Klammerorganen umgewandelt.


Die Ausbildung des Nervenſyſtems ſteht in ſehr genauer Be-
ziehung zu der Entwickelung des Kopfes und der Sinnesorgane. Bei
den niederſten Formen finden ſich nur zwei ſeitliche, faſt knotenloſe
Nervenſtränge, die bei anderen Gattungen Knoten erhalten und in
einem Bruſtganglion zuſammenlaufen, vor welchem ein Hirnknoten
gänzlich fehlt. Die Verbindungsfäden der einzelnen Knoten ſind dann
ſtets doppelt und ziemlich weit von einander getrennt; — bei
noch höher ſtehenden Formen findet ſich ein Hirnknoten, und ein aus
gehäuften Knoten beſtchender Bauchſtrang. Der Darmkanal
verläuft ganz gerade von der Mundöffnung aus gegen die am
Ende des Körpers gelegene Afteröffnung, ohne daß man beſon-
dere Magenerweiterungen unterſcheiden könnte. Beſondere Athem-
organe
fehlen in dieſer Ordnung faſt durchaus; nur bei einigen
Gattungen finden ſich blattförmige Anhänge, welche vielleicht Kiemen
genannt werden dürften. Bei allen übrigen Gattungen iſt ohne Zwei-
fel die Haut ſelbſt Athemorgan, und namentlich treten bei denjenigen
Familien, bei welchen die Körperhaut blattartig ausgebreitet iſt, lebhafte
Blutſtrömungen in dieſen Blättern auf, unter denen das Waſſer durch
ſtete ſtrudelnde Bewegung der Füße erneuert wird. Der Kreislauf
iſt bei den meiſten nur unvollſtändig beobachtet; von dem ſchlauchför-
migen, dünnhäutigen Herz aus ſtrömt das Blut in wandungsloſen
Kanälen durch alle Theile und ſammelt ſich dann gewöhnlich an der
Baſis der Füße in eigene Behälter, aus welchen es durch die ſeitli-
chen Spaltöffnungen des Herzens in deſſen Höhlung eingeſogen wird.


Sämmtliche Schmarotzerkrebſe haben deutlich geſchiedene Geſchlech-
ter
, und meiſtens iſt ſogar die Verſchiedenheit der Männchen und
Weibchen außerordentlich groß. Die Männchen ſind gewöhnlich ver-
hältnißmäßig ſehr klein und hängen, wie Schmarotzerthiere, während
ihres ganzen Lebens an der Geſchlechtsöffnung ihrer rieſenhaften Weib-
chen feſt, die meiſtens zwei einfache Eierſtocksſchläuche beſitzen, welche
ſich an dem Ende des Hinterleibes und an der Baſis des Schwanzes
öffnen, wo ſich noch beſondere Kittdrüſen befinden, durch welche die
Eier in Schnüre verbunden werden, die bis zum Ausſchlüpfen der
Embryonen am Hinterleibe der Weibchen hängen bleiben. Die männlichen
Geſchlechtstheile ſind noch wenig unterſucht, ſcheinen aber in ihrer
Geſtalt mit denen der Weibchen übereinzukommen.


[431]
Figure 343. Fig 488.

Figure 344. Fig. 487. Fig. 489.

Fig. 487. Erwachſenes Weib-
chen von Tracheliastes mit anhän-
genden Eierſäcken.
Fig. 488. Eben ausgeſchlüpfte
Junge mit zwei Paar Schwimm-
beinen.
Fig. 489. Aelteres Junge mit
Fühlhörnern, drei Paar Klammer-
füßen und zwei Paar hinteren
Schwimmbeinen.


Die Entwickelung der Schma-
rotzerkrebſe iſt bei vielen Gattungen
beobachtet und im Allgemeinen vollkom-
men übereinſtimmend befunden worden.
Die Jungen kommen gewöhnlich mit zwei
Paaren von Schwimmfüßen und einem
einfachen Stirnauge in derſelben Geſtalt,
wie die jungen Rankenfüßer, nur mit kür-
zerem Leibe zur Welt; bei jeder ſpäteren
Häutung ändern dieſe lebhaft umherſchwim-
menden Thierchen ihre Form; die urſprüng-
lichen Schwimmfüße wandeln ſich zu den
Fühlern und zu Kieferfüßen um, wäh-
rend der Hinterleib ſich gliedert, und an-
fänglich neue Schwimmfüße an dieſem
Leibestheile hervorſproßen, die ſpäter, ſo-
bald das Thierchen ſich feſtgeſetzt hat, ſich
wieder in der verſchiedenſten Weiſe um-
wandeln. — Foſſile Schmarotzerkrebſe hat
man noch nicht gefunden.


Die Familie der Hörnerläufe (Penellida) zeigt die meiſte Annä-
herung in ihrer Geſtalt zu der Wurmform und die bedeutendſte Um-
geſtaltung der Füße, an deren Statt meiſt nur ungegliederte Lappen
oder hie und da Klammerhaken zum Feſthalten vorhanden ſind. Auch
dieſe Klammerhaken kommen nur bei den Männchen vor, das faſt
kugelförmig iſt, einen kurzen Rüſſel beſitzt und zwei Paar warziger
Klammerfüße, mit denen es ſich an dem Weibchen feſthält. Dieſes,
von vollkommen wurmförmiger Geſtalt, weich und ohne eine Spur
von Abtheilung in verſchiedene Ringel, dringt mit ſeinem ganzen Vor-
dertheile in die Subſtanz des Thieres ein, auf welchem es wohnt,
und heftet ſich dort mit unregelmäßigen ſeitlichen Auswüchſen des
Kopfendes an, die eine hornige Beſchaffenheit haben und gleich Wi-
derhaken das Thier in ſeiner Lagerung zurückhalten. Der Mund des
Weibchens, das ſo eingebohrt iſt, trägt nur zwei kleine kurze Haken,
die zum Aufwühlen des Fleiſches der Fiſche dienen, in welche ſie ſich
bis zur halben Körperlänge einbohren. Die Eierſäcke ſind meiſt ſehr
lang und dünn, und bei einigen Gattungen gerade, bei anderen auf
einen Knäul zuſammen gewickelt. Penella; Lernaea; Lernaeocera.


[432]
Figure 345. Fig. 490.

Chondracanthus mer-
lucci
von der Seite mit
anhängenden Eierſchnü-
ren.


Der vorigen Familie ſehr nahe ſteht die Familie
der Stockfiſchläuſe(Chondracanthida), deren Weib-
chen ſich mittelſt kleiner hakenförmiger Klammern be-
feſtigen, die vorn an dem Kopfe ſtehen, und offenbar
Kieferfüße darſtellen; der oft breite oder unförmliche
Kopf iſt gewöhnlich deutlich von dem wurſtförmigen
Leibe getrennt, und trägt gewöhnlich ein Paar ru-
dimentärer Fühler und zwei Paar der erwähnten,
klammerartigen Kieferfüße. Der mit kleinen, zuwei-
len gezähnelten Kiefern bewaffnete Mund ſteht bei
einigen Arten, namentlich den Männchen ſehr weit
nach hinten; die Bruſtfüße ſind bei den Weibchen
in fingerförmige oder wurſtähnliche Anhänge umge-
wandelt, deren Zahl wechſelt, während bei den eiför-
migen, dickaufgeſchwollenen Männchen gewöhnlich
vier Paar ſtummelartiger Füße vorkommen, von denen
die vorderen Klammerhaken, die hinteren einige Borſten als Andeutung
ihrer früheren Ausbildung in Form von Schwimmfüßen tragen.
Chondracanthus; Peniculus; Cycnus; Aethon; Clavella.


Die Familie der Barſchläuſe (Achtherida) hat mit den vorigen

Figure 346. Fig. 493.


Figure 347. Fig. 491. 494. 492.

Die Barſchlaus (Achtheres percarum).
Fig. 491. Das Weibchen vom Rücken aus. Fig. 492. Daſſelbe von
der Seite. Fig 494 und 493 das Männchen vom Rücken und von der Seite.
a Saugnapf. b Klammerfüße. c Kopfbruſt. d Hinterleib. e Eierſäcke.
f Kaufüße.


[433] das ungegliederte Bruſtſtück gemein, zeigt aber doch ſchon Körperfor-
men, welche deutlich das Gliederthier verrathen. Der Körper iſt auch
noch weich oder mit halbknorpliger Haut bekleidet, in eine ungeglie-
derte Kopfbruſt und einen gegliederten Hinterleib geſchieden, und an
dem Stirnrande mit zwei Paar Fühlern beſetzt, deren äußeres Paar
zuweilen zu Klammerhaken ſich ausbildet. Zum Feſthalten dienen in-
deß hauptſächlich ein Paar hinterer Füße, welche ſeitlich vom Rand
der Kopfbruſt ausgehend, beim Männchen eine handförmige Scheeren-
klammer tragen, beim Weibchen aber bogenförmig zuſammenwachſen
und an ihrer Vereinigungsſtelle einen Saugnapf tragen, der in das
Fleiſch eingeſenkt iſt. Zwiſchen dieſen großen Klammerfüßen ſteht noch
ein Paar kleinerer, die mit Haken bewaffnet ſind. Der Mund findet
ſich am vorderen Ende des Körpers und bildet eine Art kurzen Rüſſels,
der innen mit hakenförmigen Kiefern und außen mit zwei Paar Kinn-
laden bewaffnet iſt. Die Metamorphoſe der Jungen iſt ziemlich ge-
nau bekannt; beim Ausſchlüpfen aus dem Eie haben ſie zwei Paar
vorderer, mit langen Borſten verſehener Füße, und einen eiförmigen
Leib ohne Spur von Gliederung; nach der erſten Häutung dagegen
beſitzen ſie ein Paar borſtiger Fühler, eine eiförmige Kopfbruſt, an
deren Mitte drei Paar hakiger Klammerfüße, und am Ende zwei Paar
getheilter Borſtenfüße ſich finden, während zugleich ein gegliederter
Hinterleib ſich zeigt. Achtheres; Tracheliastes; Basanistes; Lernaeo-
poda; Anchorella
.


Die Familie der Störläuſe(Dichelestida) zeigt eine kurze, dicke

Figure 348. Fig. 495.

Die Störlaus
Dichelestium sturionis.


Kopfbruſt, an welcher zwei Paar Fühler ſtehen, von
denen die äußeren ſchnurförmig, die inneren größeren
meiſt mit Haken oder handförmigen Scheeren zum
Feſthalten verſehen ſind. Der Hinterleib iſt gewöhn-
lich lang, deutlich gegliedert, zuweilen mit ſchuppenarti-
gen Deckblättern verſehen. Unter dem Kopfbruſtſchilde
findet man den kurzen Rüſſel, in dem zwei gezähnelte
Kieferklingen verborgen ſind, und zu deſſen Seiten
drei Paar Kaufüße ſtehen, von denen das zweite
vorn gezähnelt, das dritte mit einem ſcharfen Haken
verſehen iſt. Am hinteren Theile der Kopfbruſt ſte-
hen noch zwei Paar breiter Schwimmfüße, die mit
Borſten verſehen ſind. Bei einer Gattung zeigt ſich
auch im Alter ein mittleres, rothes Stirnauge, wel-
ches die übrigen nur in der Jugend beſitzen. Diche-
lestium; Lamproglena; Anthosoma
.


Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 28
[434]

Die Familie der Hechtläuſe(Ergasilida) zeigt eine gewöhnlich
birnförmige Kopfbruſt, die ſich nach hinten in einen zugeſpitzten, geglie-
derten Hinterleib fortſetzt. Die Thiere haben vorn an der Stirn ein
Paar borſtiger Fühlhörner, zwiſchen denen ein mittleres oder zwei
ſeitliche Augen ſtehen, und auf die gewöhnlich ein Paar äußerer Füh-
ler folgt, die vorn Haken tragen und zu Klammerorganen umgeſtaltet
ſind. Auf der Unterſeite der Kopfbruſt ſtehen drei Paar klammerar-
tiger Kieferfüße, und weiter nach hinten mehrere Paare breiter, zwei-
äſtiger, mit Borſten beſetzter Schwimmfüße. Eine Gattung, die Hum-
merlaus (Nicothoë), zeichnet ſich durch höchſt ſeltſame ſeitliche Fortſätze
der Kopfbruſt aus, die ihr das Anſehen eines Hufeiſens geben, ſich
aber erſt im Alter entwickeln, da die Jungen durchaus keine Spur
davon zeigen und vollkommen den ſchon bei den früheren Familien
beſchriebenen Jungen gleichen. Ergasilus; Bomolocus; Nicothoë.


Bei der Familie der Haifiſchläuſe(Pandarida) iſt wie bei allen
folgenden Familien der Schmarotzerkrebſe die Kopfbruſt zu einem brei-
ten, meiſt rundlichen Schilde erweitert, unter welcher die übrigen
Ringe theilweiſe verborgen ſind. Vorn an dem Kopfſchilde ſtehen die
kleinen Fühler, und unter demſelben der Mund, der gewöhnlich mit
drei Paar klammerartiger Kaufüße verſehen iſt. Bei den Haifiſchläu-
ſen ſind die Ringe des Hinterleibes mit eigenthümlichen, ziegelartig
übereinander liegenden Deckſchuppen verſehen, deren man zuweilen bis
auf drei Paare zählt. An dem Hinterleibe ſtehen kleine fußartige
Stummeln auf breiten Platten, die ganze kurze Gliederanhänge zeigen
und mit Stacheln verſehen ſind, offenbar zurückgebildete Schwimm-
füße. Pandarus; Cecrops; Laemargus.


Die Familie der Flunderläuſe(Caligida) iſt weit genauer unter-

Figure 349. Fig. 496.

Caligus.


ſucht, als die vorige. Das Kopfbruſtſchild iſt
dreit, rundlich, die äußeren Fühler, an deren
Grunde die Augen ſtehen, unter demſelben ein-
gelenkt. Neben dem röhrenförmigen Saugrüſſel
finden ſich zwei Paar ſtechender Kiefer, und
außerdem drei Paar Kieferfüße, die verſchiedene
Formen annehmen; — die drei Paar Schwimm-
füße, welche hierauf folgen, tragen lange ge-
fiederte Borſten, und ebenſo ſind zwei Blättchen
am Hinterleibe mit Schwimmborſten beſetzt;
am erſten Leibesringe iſt ein Paar wahrer Geh-
füße eingelenkt. Die Thiere tragen ihre Eier
in Säcken und können ſchwimmen, freilich mit
einiger Unbeholfenheit. Caligus; Trebia; Nogagus.


[435]

Die Familie der Karpfenläuſe(Argulida) ſtellt nebſt der folgen-

Figure 350. Fig. 497.

Die Karpfenlaus (Argulus
foliaceus)
von unten.
Auf der einen Seite ſind die
verſchiedenen Anhänge des Körpers
gezeichnet, auf der andern aber weg-
gelaſſen worden, um die Verzwei-
gungen des Darmkanales in dem
Körperſchilde zu zeigen. a Stech-
rüſſel, am Grunde der Mund. b Füh-
ler zu gegliederten Klammerhaken
umgewandelt. c Auge. d Saug-
fuß. e Kaufuß. f Schwimmfüße.
g Verzweigungen des Darmkanales.
h Blättchen des Schwanzendes.


den Familieden höchſten Grad der Aus-
bildung bei den Schmarotzerkrebſen dar.
Das Kopfbruſtſchild iſt ungemein groß,
nach den Seiten hin ausgedehnt, dünn,
biegſam und von vielfachen Blutſtrömun-
gen, ſo wie von veräſtelten Blindſäcken
des Magens durchzogen. Statt des zwei-
ten Paares der Kieferfüße findet ſich ein
Paar großer, geſtielter Saugnäpfe, mit-
telſt deren ſich die Thiere anheften. Der
dritte, hinter den Saugnäpfen ſtehende
Kaufuß dient beſonders zum Putzen der-
ſelben und zum Halten der Beute. An
dem hinteren Theile des Leibes ſieht man
vier Paar bedeutend großer zweiäſtiger,
langgefiederter Schwimmfüße und an dem
Hinterende des Schwanzes zwei Blättchen,
die eine beſondere Beziehung zur Athem-
funktion zu haben ſcheinen. Die Thiere
ſchwimmen mit großer Schnelligkeit umher,
heften ſich nur zeitweiſe an die Fiſche an
und plagen dieſelben mittelſt eines langen,
gegliederten Stechrüſſels, der wie ein Fernrohr ein- und ausgeſchoben
werden kann, und an deſſen ſäulenförmiger Baſis ſich der Mund be-
findet. Die Männchen ſind bei dieſer, wie bei den vorigen, mit einer
ſchildförmigen Kopfbruſt verſehenen Familien, in ihrer Geſtalt nicht ſo
abweichend gebaut, als bei den anderen Schmarotzerkrebſen, aber um
ein Bedeutendes kleiner, als die Weibchen. Die Eier werden nicht in
Schnüren mit umhergetragen, ſondern an Waſſerpflanzen angeklebt.
Die Jungen haben eine der Geſtalt der jungen Barſchläuſe ähnliche
Bildung und weder Saugnäpfe noch die ſchildförmige Kopfbruſt.
Argulus.


28*
[436]

Die Familie der Sternläuſe(Myzostomida) iſt bis jetzt nur in

Figure 351. Fig. 498.

Myzostomum.
Auf der einen Seite ſind die
Füße und die Saugſcheiben, auf
der andern die Verzweigungen des
Darms und die männlichen Ge-
ſchlechtsorgane (?) dargeſtellt. a
Rüſſel. b Darm. c Nervenknoten.
d Geſchlechtstheile. e Saugnäpfe.
f Füße. g After.


einer einzigen Gattung auf Haarſternen
(Comatula) angetroffen worden, und hat
mit der vorigen das breite Schild gemein,
in welchem ſich blinde Magenanhänge
verzweigen. Hier deckt aber dieſes faſt
kreisrunde Schild den ganzen Körper,
und trägt an ſeinem Rande fünf Paar
kurzer, zangenförmiger Gehfüße, in denen
gekrümmte Hornhaken geborgen ſind, mit
welchen das Thierchen ſehr ſchnell auf
der Oberfläche der Haarſterne umherläuft.
Die Mundwerkzeuge beſtehen nur aus
einem langen fleiſchigen Rüſſel, der in
gewiſſer Beziehung der Schlundröhre der
Sohlenwürmer gleicht. Das Thier wurde
bisher zu den Eingeweidewürmern ge-
rechnet, und ſoll doppelte Geſchlechtstheile,
männliche und weibliche, beſitzen, die bei-
derſeits am Rande der Körperſcheibe
münden.


Die Ordnung der Krebsflöhe (Copepoda) ſteht in der

Figure 352. Fig. 499.

Monokel (Cyclops).


engſten Beziehung zu der vorher-
gehenden Ordnung, ſo daß man ſie
gewiſſermaßen als freiſchwimmende
Schmarotzerkrebſe, als den eigent-
lichen unverkümmerten Typus der
vorigen Ordnung, ſo wie derjeni-
gen der Rankenfüßer betrachten kann.
Sie finden ſich in großen Mengen theils in den ſüßen Gewäſſern,
theils in dem Meere, und wurden ihrer ſchnellen, ſchießenden Bewe-
gung wegen von den älteren Beobachtern meiſt Waſſerflöhe genannt,
unter dieſem Namen aber auch mit Thieren anderer Ordnungen ver-
wechſelt. Der Leib dieſer Thiere zeigt gewöhnlich drei deutliche Ab-
theilungen, eine vordere Kopfbruſt, welche die Fühler, Augen und
Kaufüße trägt, einen gewöhnlich viergliedrigen Leib, mit vier Paaren
von Schwimmfüßen ausgerüſtet, und einen gegliederten Hinterleib, an
dem Ende mit Schwimmborſten verſehen und an ſeiner Baſis die
Eierſäcke tragend. Das vordere Fühlerpaar iſt meiſt lang, borſten-
[437] förmig, das hintere kleiner, zuweilen rudimentär, oder zu einem
Schwimmfuße umgewandelt. Die Mundorgane ſind zum Kauen
eingerichtet und tragen ein Paar hakiger Kiefer, und ein oder zwei
Paar blattförmiger, mit Borſten verſehener Kinnladen. Die Kaufüße,
deren zwei oder drei Paare vorhanden ſind, ſcheinen ſtets mit langen
Borſten beſetzt und dienen als Strudelorgane, welche durch ihre be-
ſtändige Bewegung der Unterſeite des Körpers friſches Waſſer zufüh-
ren; die Schwimmfüße ſind ſtets kurz, zweiäſtig und mit langen
Borſten beſetzt. Die Sinnesorgane ſind durch ein einfaches, aus
mehreren gehäuften Kryſtallkegeln zuſammengeſetztes bewegliches Auge,
oder durch zwei einfache, nahe zuſammenſtehende Augen repräſentirt.
Der Darmkanal iſt vollkommen gerade, in ſeinem Verlaufe durch-
aus gleich weit; das Herz dünn, ſchlauchförmig, nur vorn und hinten
geöffnet; beſondere Athemorgane ſind durchaus unbekannt; wie es
ſcheint, verſieht die geſammte Haut des Körpers dieſe Funktion. Die
Eierſtöcke bilden einen doppelten Schlauch, der an der Baſis des
Hinterleibes nach außen mündet; der Hoden der Männchen iſt nur
einfach und der Samenleiter nach hinten erweitert. In dieſem Theile
des Samenleiters bilden ſich um die aus haarförmigen unbeweglichen
Samenthierchen beſtehende Maſſe eigenthümliche Samenſchläuche, in
welchen, ähnlich wie bei den Samenmaſchinen der Kopffüßler, ſich ein
beſonderer Stoff befindet, der durch Einſaugung von Waſſer auf-
ſchwillt, den Samenſchlauch endlich zum Platzen bringt und die Sa-
menmaſſe hervorſchleudert. Die Männchen der Krebsflöhe verfolgen
die Weibchen, packen ſie mit ihren langen Fühlern, deren Spitze zu
dieſem Endzwecke oft ein beſonderes Gelenk hat, ſo daß ſie ſich haken-
förmig umſchlagen können, und ziehen dann einen Samenſchlauch her-
vor, den ſie dem Weibchen an die Geſchlechtsöffnung anhängen, wo
er ſich durch Platzen entleert und die Eier befruchtet. Die Eier wer-
den bis zum Ausſchlüpfen der Jungen in langen Säcken am Hinter-
leibe vom Weibchen herumgetragen. Die ausgeſchlüpften Larven

Figure 353. Fig. 500. Fig. 501. Fig. 502.

Larven von Cyclops.
Fig. 500 beim Ausſchlüpfen aus dem Eie;
Fig. 501 nach der erſten, Fig. 502 nach
der zweiten Häutung.


beſitzen Anfangs einen linſenförmi-
gen, ungegliederten Leib, mit einem
einzigen brennend rothen Stirn-
auge und einem unteren Fortſatze,
vor welchem ſich der Mund befindet;
unter dem Leibe ſtehen drei Paar
kurzer, unförmlicher, vorn getheilter
Borſtenfüße, von denen das vordere
ſich zu den Fühlern, die hinteren
[438] ſich zu den Schwimmfüßen umwandeln, indem ſie ſich bei ſpäteren
Häutungen theilen, wo dann auch nebſt den anderen Anhängen der
gegliederte Hinterleib allmählig hervorſproßt.


Man hat dieſe Ordnung, von der man keine foſſilen Repräſen-
tanten kennt, in zwei Familien getheilt, die ſich nur durch die An-
ordnung der Augen unterſcheiden, indem bei den Meerflöhen(Pon-
tida)
zwei Augen nahe der Mittellinie ſtehen (Pontia; Saphirina;
Hersilia.)
während bei den Cyclopen oder Monokeln (Cyclopida) nur
ein einziges mittleres Auge vorhanden iſt, das zwiſchen den beiden
großen Fühlern auf der Stirn ſteht. (Cyclops; Cyclopsine).


Die Ordnung der Muſchelkrebſe oder Schalenkrebſe (Ost-
racoda)
wird aus meiſt kleinen Gattungen zuſammengeſetzt, welche

Figure 354. Fig. 503.

Schalenfloh (Cypris)
von der Seite geſehen. o
Auge. p Schwimmfüße.


faſt nur die ſüßen Gewäſſer bewohnen, und
ſich von den meiſten übrigen Kruſtenthieren
durch die Exiſtenz einer zweiklappigen Schale
unterſcheiden, die den ganzen Körper einſchließt
und auf dem Rücken zuſammengeheftet iſt. Die
Form dieſer Schalen, ihre Struktur, die An-
wachsſtreifen, welche ſich auf ihrer Oberfläche
finden, alles dieß ſtimmt ſo vollkommen mit den
Schalen der gewöhnlichen Muſchelthiere überein,
daß man verſucht ſein könnte, leere Gehäuſe dieſer Kruſtenthierchen
für Muſchelſchalen anzuſehen, wenn nicht ſowohl ein eigentliches Schloß,
wie auch jede Spur eines Schloßbandes gänzlich fehlten. Die Scha-
len werden durch den Körper ſelbſt, der an der Rückengegend mit
ihnen durch einen Muskel verwachſen iſt, zuſammengehalten. Die
Bildung der Fühler und Füße iſt nach den Familien ziemlich verſchie-
den, indem bei den einen das erſte, bei den anderen das zweite Füh-
lerpaar hauptſächlich zur Bewegung dient. Der Kopf der Thiere hängt
frei zwiſchen den Schalen und trägt bei den meiſten ein einziges Auge,
welches bei der einen Familie feſtſitzt, bei der anderen durch einen
ziemlich bedeutenden Muskelapparat nach allen Seiten hin be-
wegt werden kann. Die eigentlichen Füße, welche an dem freien
Hinterleibe auf der Bauchſeite befeſtigt ſind, ſind in mehrfacher Zahl
vorhanden und an dem Rande mit Borſten beſetz, zuweilen auch
blattförmig erweitert; ſie dienen nicht ſowohl zur Ortsbewegung, als
vielmehr weſentlich in der Eigenſchaft von Strudelorganen, welche
dazu beſtimmt ſind, ſtets friſches Waſſer und Nahrungsſtoffe zwiſchen
die Schalenblätter einzuführen. Der Hinterleib iſt gewöhnlich frei,
[439] oft ſchwanzartig verlängert, oder auch gegen den Rücken aufwärts
gebogen und durch eine ſtumpfe Spitze geendet. Die Anatomie der
Thiere iſt nur wenig bekannt, da die Schalen meiſt undurchſichtig und
die Thiere zur Anatomie zu klein ſind; der Darmkanal iſt ganz gerade,
beſitzt aber bei einigen Gattungen an ſeiner vorderen Seite zwei ziem-
lich bedeutende Blindſäcke; eigentliche Athemorgane exiſtiren nirgends,
denn auch in den kammartig ausgeſchnittenen Blättern, die bei einigen
Gattungen vorkommen und als Kiemen angeſehen wurden, kann man
durchaus keine Blutzirkulation wahrnehmen.


Die Geſchlechter ſind getrennt, wie bei allen übrigen Kruſtenthieren
mit Ausnahme der Rankenfüßer, und die inneren Geſchlechtstheile außer-
ordentlich einfach. Bei einer Familie hat man trotz ihrer Häufigkeit
die Männchen noch nicht entdecken können; bei einer anderen ſind ſie
bekannt, und die Begattung geſehen worden. Die Jungen kommen
aus dem Eie in derſelben Geſtalt wie die Alten und durchlaufen keine
Art von Metamorphoſe, was ſie beſonders von den vorigen und nach-
folgenden Ordnungen trennt. Wahrſcheinlich ſind die Stadien, welche
der Embryo innerhalb der Eiſchale von ſeiner erſten Bildung an
durchläuft, den Metamorphoſen analog, welche die Larven der ſcha-
lenloſen bisher betrachteten Ordnungen außerhalb des Eies durch-
machen; über dieſen Punkt fehlen indeß genauere Erfahrungen. Wir
theilen die Ordnung in zwei Familien.


Die Familie der Schalenflöhe(Cyprida) beſitzt eine vollkommen
ſchließende Schale mit Andeutung eines Schloſſes und zwei Paar

Figure 355. Fig. 504.

Cypris
von der Seite, nach Wegnahme der einen Schale.
a Vordere (innere) Fühler. b Hintere (äußere)
Fühler. c Auge. d Durchſchnittener Schalenmuskel.
e Eier. f Schwanz. g Letztes Fußpaar. h Vorletz-
tes, in die Höhe geſchlagenes Fußpaar. i Strudelorgan
der Kinnlade.


Fühler, von welchen die
vorderen dünn-borſten-
förmig, nach vorn ge-
richtet, die hinteren breit
knieförmig gebogen und
mit langen Borſten be-
ſetzt ſind, ſo daß ſie als
das hauptſächlichſte Be-
wegungsorgan dienen.
Dieſe Fühler tragen lan-
ge Borſten und Stacheln
und treten an dem un-
teren Schalenrande her-
vor. Der vorſpringende
Mund, der in der Mitte
zwiſchen dieſem großen
Fühlerpaare liegt, zeigt
[440] eine Ober- und Unterlippe, ein Paar Kiefer und zwei Paar Kinn-
laden. An der Baſis dieſer Mundwerkzeuge finden ſich blattförmige
Lappen, unter denen die des erſten Kinnladenpaares beſonders groß,
ringsum mit Borſten beſetzt und an den Seiten in die Höhe geſchla-
gen ſind; ſie wurden vorzugsweiſe als Kiemen betrachtet, ſind aber
offenbar nur Strudelorgane. Unter dem Leibe findet man zwei Paar
Füße; die hinteren ſind nach unten gekrümmt, mit einem Haken be-
waffnet, die vorderen gabelförmig in die Höhe geſchlagen, zur Stütze
des dort liegenden Eierſtockes. Der Hinterleib endigt in zwei ſpitze,
ſchwanzartige Stacheln, die nebſt dem vorderen Fußpaare und den
beiden Fühlerpaaren die einzigen Organe ſind, welche aus der Schale
hervortreten. Bis jetzt ſind die Männchen in dieſer Familie unbe-
kannt; die Eier werden in einem eigenen Raume zwiſchen Schale und
Hinterleib geſammelt, aber ſehr bald an Waſſerpflanzen gelegt. Die
im Meere lebenden Gattungen tragen zwei ſeitliche Augen faſt mitten
auf dem Rücken, nahe der Mittellinie, die im Süßwaſſer wohnenden
mehr auf der vorderen Seite. Man hat ſchon in den Schichten der
Kohlenperiode, dann aber namentlich in denen der Kreide und der
tertiären Gebilde oft in Maſſen angehäufte kleine Schalen gefunden,
die durch ihre Geſtalt, ſowie durch die Erhöhungen für die Augen ſich
als Ueberreſte vorweltlicher Schalenflöhe ausweiſen und zum Theile
beſonderen ausgeſtorbenen Gattungen (Cyprella, Cypridella) angehören.
Cypris; Cypridina; Cytherea.


Die Familie der Büſchelkrebſe(Daphnida), die auf unſere jetzige

Figure 356. Fig. 505.

Daphnia
von der Seite, nach abgenommener Schale.
a Vordere Fühler. b Darm. c Auge. e Eier.
f Geißelfortſatz zur Stütze der Eier. g Herz. h
Bauchfüße. i Hinterleib. k After. l Spitze der Schale.


Schöpfung beſchränkt iſt,
hängt nur mit einem ge-
ringen Theile des Rü-
ckens mit ihren Schalen
zuſammen, ſo daß Kopf
und Leib ziemlich frei
ſind. Der Kopf trägt
ein rundes bewegliches
Auge, einen ſchnabelför-
migen Mund und zwei
Paar Fühlhörner. Die
vorderen Fühlhörner ſind
ſehr klein, ſtets unter
der Schale geborgen, die
hinteren dagegen ſehr
[441] groß, äſtig, mit langen Büſcheln beſetzt, und faſt das einzige Bewe-
gungsorgan. Der Mund zeigt eine große Oberlippe, ſtarke, haken-
förmige Kiefer, horizontale, mit hakenförmigen Dornen beſetzte Kinnladen.
Die vier vorderen Fußpaare ſind breit, abgeplattet, mit langen Haa-
ren beſetzt, und dienen nur als Strudelorgane; das fünfte Paar trägt
einen geißelförmigen Fortſatz, der nach oben gerichtet iſt und die Eier
in der Bruthöhle umfaßt. Der Hinterleib iſt kurz, endigt in zwei
nach unten gerichtete Haken, und trägt auf der Rückenfläche mehrere
nach oben gerichtete Warzen, die durch ihre Anlagerung an die Schale
einen bedeutenden Raum zwiſchen dieſer und dem Hinterleibe abſchlie-
ßen, der als Bruthöhle dient. Während des Sommers werden in
dieſer Höhle die Eier nur wenige Tage hindurch ausgebrütet, gegen
den Herbſt hin aber bildet ſich in der Bruthöhle ein eigenthümlicher
ſattelförmiger Apparat von dunkler Farbe, welcher weſentlich aus zwei
Klappen beſteht, die in ihrem Inneren beſondere Kapſeln enthalten; —
man hat dieſen Apparat das Ephippium genannt. Jede der beiden
Kapſeln dieſes Apparates enthält ein oder mehrere Eier, die bei der
letzten Häutung vor dem Herbſte mit Kapſeln und Klappen aus der
Bruthöhle ausgeſtoßen werden. — Die Thiere gehen den Winter über
zu Grunde; die in den beſchriebenen zweiklappigen Kapſeln gelegten
Eier aber harren den Winter hindurch aus und entwickeln ſich im
nächſten Frühjahre. Daphnia; Lyncaeus; Polyphemus; Evadne;
Acanthocercus
.


Die Ordnung der Blattfüßer (Phyllopoda) umfaßt Thiere

Figure 357. Fig. 506.

Limnadia
von der Seite nach abgenommener Schale.


von bedeutenderer Körpergröße, die
ſich vor allen anderen Ordnungen
durch die große Anzahl ihrer Leibes-
ringe und der unter ihnen ange-
brachten blattförmigen Füße aus-
zeichnen, die zugleich als Bewe-
gungsorgane und als Kiemen dienen.
Der Körper dieſer Thiere iſt bald
vollkommen nackt, bald von einem
breiten, einfachen Schilde, bald auch
von einer dünnen, zweiklappigen Schale umgeben; der Kopf gewöhn-
lich frei, mit zwei großen, zuſammengeſetzten Augen, zuweilen auch
noch mit einem mittleren, unpaaren, einfachen Auge und zwei Fühler-
paaren verſehen, die oft ſeltſame Umgeſtaltungen erleiden; der Mund
iſt ſtets mit Kiefern oder Kinnladen bewaffnet; hinter ihm ſtehen die
[442] Füße, welche vielfache Reihen gezähnelter oder behaarter Platten dar-
ſtellen, die während des Lebens in beſtändiger Bewegung ſind. Der
Hinterleib iſt ſtets frei, mehrgliedrig, gewöhnlich mit langen, fadenför-
migen Anhängen verſehen; die Schilder und Schalen, welche bei den
gepanzerten Arten den Körper decken, ſind ſehr dünn, durchſichtig
und hornartig.


Das Nervenſyſtem der Blattfüßer iſt meiſtens nur zart und
beſteht aus einem viereckigen Hirnknoten, deſſen hintere Winkel die
Verbindungsfäden zu dem erſten Bruſtknoten abgeben. Die das Bauch-
mark zuſammenſetzenden Knoten liegen an zwei ſeitlichen Strängen
und ſind Anfangs durch doppelte Querfäden, dann durch einfache mit
einander verbunden, bis zuletzt das Ganze zu einem einzigen, kno-
tigen Strange verſchmilzt. Die zuſammengeſetzten Augen bieten eine
eigenthümliche Modifikation dar, indem unter ihrer äußeren, glatten
Hornhaut eine zweite, fazettirte Hornhaut ſich befindet, hinter deren
Fazetten bald nur einfache, kegelförmige Glaskörper, bald noch außer-
dem rundliche Linſen ſich befinden, die, wie dieß bei den zuſammen-
geſetzten Augen gewöhnlich iſt, in kegelförmigen, von dunklem Farb-
ſtoffe umgebenen Ausbreitungen der einzelnen Nervenfäden ſitzen. Der
Verdauungsapparat bietet nichts Beſonderes dar; das Herz iſt
ſchlauchförmig, nimmt die Mittellinie des Rückens ein, und zeigt viele
ſeitliche Spaltöffnungen, durch welche das aus dem Körper zurück-
kehrende Blut in die Kammern des Herzens eintritt; — beſondere
Gefäße entdeckt man nirgends; das Blut ſtrömt in wandungsloſen
Kanälen, beſonders innerhalb der blattförmigen Kiemenfüße, die oft
bei dem Stocken des Blutes während des Abſterbens der Thiere ſich
ſo füllen, daß ſie beutelförmigen Anhängen gleichen. Die weiblichen
Geſchlechtsorgane ſind verſchieden geſtaltet; bei den einen ſind die
Eierſtöcke vielfach veräſtelt, bei den anderen einfach ſchlauchartig.
Meiſtens finden ſich beſondere Eibehälter vor, welche bald an einem
beſtimmten Fußpaare, bald unter dem Schwanze angebracht ſind und
in denen die dicken, hartſchaligen Eier herumgetragen werden. Bei den
mit einer zweifachen Klappe verſehenen Gattungen dient die Schale
als Eibehälter. Von einigen Gattungen kennt man die Männchen
noch gar nicht, bei anderen ſind ſie mit eigenthümlichen Klammeror-
ganen verſehen, mit welchen ſie ſich an den Weibchen feſthalten kön-
nen. Die aus dem Eie kriechenden Jungen gleichen außerordentlich
den Jungen der Krebsflöhe, und haben wie dieſe zwei oder drei Paar
[443] langer, mit büſchelförmigen Haaren verſehener Schwimmfüße, von
welchen die beiden erſten Paare ſich ſpäter zu Fühlern umgeſtalten.
Auch beſitzen dieſe Jungen beim Ausſchlüpfen nur ein mittleres Stirn-
auge, zu welchem ſich erſt bei ſpäteren Häutungen die ſeitlichen zuſam-
mengeſetzten Augen geſellen. Die Gliederung des Leibes iſt bei den
ausgeſchlüpften Larven kaum angedeutet und entwickelt ſich mit den
blattförmigen Kiemenfüßen erſt bei den ſpäteren Häutungen. Foſſile
Ueberreſte dieſer Ordnung kommen wahrſcheinlich gar nicht vor; wenig-
ſtens ſcheinen die Verſteinerungen aus dem Kohlengebirge, die man den
Gattungen Nebalia und Apus hat zutheilen wollen, noch viel zu un-
vollſtändig gekannt, um ſie mit Sicherheit hier einreihen zu können.


Die Familie der Blattkrebſe(Apusida) trägt eine ungemein große
Anzahl von Kiemenfüßen, welche faſt den ganzen unteren Raum des
Schildes ausfüllen, das bald ein großes, einfaches Kopfbruſtſchild,
bald eine zweiklappige Schale bildet, die dann nur mit einem geringen
Punkte des Rückens zuſammenhängt. Bei den gewöhnlichen Blattkreb-
ſen iſt der Körper ſo mit dem Schilde verwachſen, daß nur die Augen
auf der oberen Fläche hervorſtehen. Mundwerkzeuge und Fühler muß
man auf der unteren Fläche ſuchen. Die Mundwerkzeuge beſtehen aus
einer ſehr großen, viereckigen Oberlippe, neben welcher die kurzen,
dreigliederigen Fühler ſtehen, aus einem Paar ſtarker, dicker, gezäh-
nelter Kiefern, und zwei Paar blättriger Kinnladen; der Hinterleib
iſt frei und trägt gewöhnlich ziemlich lange, fadenförmige Anhänge.
Die Thiere dieſer Familie erſcheinen zuweilen plötzlich in ſüßen Ge-
wäſſern und Pfützen und verſchwinden wieder beim Eintrocknen der-
ſelben, indem ſie ſich mit ihren Larven in den feuchten Schlamm des
Bodens eingraben. Apus; Limnadia; Nebalia.


Die Familie der Kiemenfüße(Branchipida) wird von einigen
wenigen, langgeſtreckten Gattungen gebildet, deren Körper vollkommen
frei und in eine bedeutende Anzahl von Ringen zerfällt iſt. Die Augen
ſind geſtielt, die vorderen Fühlhörner oft zu hakenförmigen Organen
umgewandelt, während die hinteren fadenförmtg ſind. Es finden ſich
[444]

Figure 358. Fig. 507.


Figure 359. Fig 508. Fig. 509.

Der gemeine Kiemenfuß (Branchipus stagnalis).
Fig. 507. Erwachſenes Weibchen von der Seite dargeſtellt, um die ſon-
derbaren Hakenfühler, das große, zuſammengeſetzte Auge, die blattförmigen
Kiemenfüße und den Eierſack zu zeigen. Fig. 508. Eben ausgeſchlüpfte Larve
mit einfachem Stirnauge, borſtigen Fühlern, zwei Paar Schwimmfüßen und
ungegliedertem Hinterleibe. Fig. 509. Weiter entwickelte Larve mit drei Augen
und gegliedertem Hinterleibe, an dem ſich die Blattfüße zeigen, von der
Bauchſeite.


ſtets eilf Paare blattförmiger Kiemenfüße, und bei den Weibchen hinter
denſelben die eigenthümlichen Eierſäcke, die mit ſtarken Muskeln ver-
ſehen ſind, durch deren Zuſammenziehung die Eier beſtändig hin und
hergeworfen werden. Die Thiere ſchwimmen wie die der vorigen Fa-
milie auf dem Rücken, den Bauch nach oben gekehrt, und finden ſich
ſowohl in Pfützen, als auch in ſalzigen Wäſſern, namentlich in den
Salzſoolen, ſelbſt bei einem bedeuteuden Grade ihrer Concentration.
Branchipus; Artemia; Eulimena.


Mit der Ordnung der Blattfüßer jedenfalls ſehr nahe verwandt
iſt die Ordnung der Trilobiten oder Paläaden (Trilobita),
welche nur in den älteſten Erdſchichten vorkommt, und dort faſt für ſich
allein die ganze Klaſſe der Kruſtenthiere repräſentirt. Es finden ſich
die Ueberreſte dieſer Ordnung einzig und allein in dem Uebergangs- und
[445]

Figure 360. Fig. 510.

Phacops arachnoides.
a Kopfſchild. b Schwanzſchild. c
Kopfbuckel (glabella). d Augen.


Kohlengebirge vor, und ſind ſchon
in dem letzteren ſelten, in ſpäteren
Schichten aber durchaus nicht mehr
anzutreffen. Es iſt daher begreif-
lich, daß über ihre Organiſation
noch jetzt vielfache Zweifel herrſchen,
die um ſo mehr erhalten werden,
als man die Thiere meiſt nur von
der Rückenſeite ſieht und die wich-
tigen Theile, welche auf der Unter-
ſeite liegen, noch jetzt faſt durchaus
unbekannt ſind.


Die Trilobiten bieten im Gan-
zen die Form eines mehr oder
minder länglichen Schildes dar, an
welchem man drei einzelne Abthei-
lungen unterſcheiden kann, die
man gewöhnlich mit dem Namen
Kopfſchild, Bruſt oder Thorax, und Schwanzſchild(pygidium)
belegt hat, wovon indeß offenbar das Kopfſchild eine Kopfbruſt dar-
ſtellt, gebildet aus der Verwachſung des Kopfes und des vorderen
Theiles der Bruſt, während das Schwanzſchild der eigentliche Hinter-
leib iſt. Das Kopfſchild hat gewöhnlich eine halbmondförmige oder
halbeiförmige Geſtalt, mehr oder minder nach vorn abgeſtutzt oder
zugeſpitzt, und oft nach hinten in lange Spitzen und Dornen ausge-
zogen. In den meiſten Fällen unterſcheidet man auf dem Kopfſchilde
einen mittleren erhöhten Wulſt, den Kopfbuckel(glabella) und zwei
ſeitliche Ausbreitungen, die eigentlichen Kopfſchilde. Gewöhnlich ſtehen
auf der Gränze zwiſchen dem Kopfbuckel und den Schilden auf einer
Nath, welche ſich dort hinzieht, zwei große, hervorgequollene, zuſam-
mengeſetzte Augen von halbmondförmiger Geſtalt, deren Convexität
nach Außen ſchaut. Genauere Unterſuchungen haben gelehrt, daß dieſe
Augen urſprünglich den Bau der Augen des Kiemenfußes beſaßen
und ſomit eine glatte äußere Hornhaut hatten, hinter welcher eine
zweite fazettirte Hornhaut lag. Bei manchen Gattungen ſind dieſe
Augen bis auf einen äußerſt kleinen Streif zuſammengeſchwunden, der
oft ſehr ſchwierig zu entdecken iſt.


Die vertieften Linien, welche den Kopfbuckel von den ſeitlichen
[446] Schilden trennen, ſetzen ſich gewöhnlich weiter nach hinten über die
Ringel des Thorax und über das Schwanzſchild weg, ſo daß der
ganze Körper der Länge nach ebenfalls in drei Abtheilungen ge-
theilt erſcheint, einen mittleren erhöhten Wulſt und zwei ſeitliche fla-
chere Parthien. Die Zahl der Ringe des Thorax iſt ſehr verſchieden
und ſcheint von zwei bis zwanzig etwa zu wechſeln; ſie ſind ſtets ſehr
kurz, bedeutend breiter als lang, und oft ſeitlich in Spitzen oder
Dornen ausgezogen. Bei vielen Gattungen gehen dieſe Bruſtringe
nach und nach in die Ringe des Schwanzſchildes über, ſo daß ſich
keine ſichere Gränze ziehen läßt; bei anderen aber beſteht das Schwanz-
ſchild aus einem Stücke, das oft fächerförmig geſtreift, oder mit Dor-
nen beſetzt iſt, und dann gewöhnlich mehr der minder die Geſtalt des
Kopfſchildes wiederholt.


Die äußeren Bedeckungen der Trilobiten waren hornig und be-
ſtanden aus zwei Schichten, von denen die dünnere äußere, die eine
körnige Beſchaffenheit hatte, bei der Verſteinerung meiſt verloren ge-
gangen iſt. Ueber die Mundwerkzeuge und die Füße hat man nur
höchſt unvollſtändige Beobachtungen; doch hat man an der Unterfläche
der Thiere kleine rundliche, am Rande ausgezackte Läppchen geſehen,
welche offenbar die Geſtalt und Bildung der bei den Blattfüßern vor-
kommenden Kiemenfüße haben. — Viele Gattungen der Trilobiten
konnten ſich in ähnlicher Weiſe, wie die Aſſeln, zu einer Kugel zuſam-
menrollen, wobei Kopf und Schwanzſchild mit ihren Unterflächen an
einander gelegt wurden. Frühere Beobachter wollten ſie deßhalb und
wegen der Körperform auch den Aſſeln näher bringen, eine Meinung,
die wegen des Mangels von gegliederten Fühlhörnern und Füßen
nicht ſtichhaltig erſcheint. Die Trilobiten lebten ohne Zweifel, wie
unſere jetzigen Blattfüßer, an ſeichten Stellen des Strandes und in
wenig tiefen Meeresbuchten, und zwar meiſtens in Schwärmen zuſam-
men. Sie waren faſt alle verhältnißmäßig kleine Thiere, doch giebt
es einige rieſenhafte Arten, welche beinahe zwei Fuß Länge erreichten.
Ihre Ueberreſte finden ſich beſonders häufig in Böhmen, Schweden,
Nordamerika und Rußland, weniger zahlreich in dem rheiniſchen Ueber-
gangsgebirge, in England und in der Bretagne. Man hat ſie nur
hauptſächlich nach der äußeren Körperform in mehrere Familien
zerlegt.


Die Familie der Battiden (Battida) begreift hauptſächlich kleine,
[447]

Figure 361. Fig. 511.

Battus pisiformis.
a
Kopfſchild. b Schwanz-
ſchild.


Figure 362. Fig. 512.

Calymene Blumenbachi.


Figure 363. Fig. 513.

Asaphus caudiger.


oft kaum hirſekorngroße Arten, deren Kopf- und
Schwanzſchild halbkreisförmig, faſt gleich groß,
und von ſo ähnlicher Bildung ſind, daß man
ſie leicht mit einander verwechſeln kann. Zwi-
ſchen dieſen beiden großen Schildern finden
ſich nur ſehr wenige Bruſtringe, deren Zahl
von zwei bis fünf wechſelt. Auf der Mitte des
Kopfbuckels ſollen einfache, glatte Augen ſtehen,
woraus man geſchloſſen hat, daß die Thiere,
welche dieſe Familie bildeten, eigentlich nur den
Jugendzuſtand der gewöhnlichen Trilobiten dar-
ſtellten. Battus; Agnostus; Cyclus.


Man kann unter den übrigen Trilobiten
zwei Hauptgruppen unterſcheiden; — die einen
beſitzen die Fähigkeit, ſich kugelförmig aufzurol-
len, den andern geht dieſelbe ab. Zu der
erſteren Gruppe gehören folgende Familien:
die Calymeniden mit granulirt höckeriger Schale,
vielgliederigem Thorax und ſtark hervorgeho-
benem Körperwulſt, der auf dem Schwanzſchilde
zugeſpitzt ausläuft. Die Augen ſind groß, ſtark
vorſpringend, das Schwanzſchild ganzrandig,
deutlich von den Bruſtringen getrennt. Zu
dieſer Familie gehören die größten bekannten
Gattungen. Calymene; Homalonotus; Cyph-
aspis; Phacops
. Ihr ſehr nahe ſteht die Fa-
milie der Aſaphiden, deren Körperaxe ſich nach
hinten nicht zuſpitzt, die meiſt weniger als zehn
Bruſtringe beſitzen und deren Schale keine Gra-
nulationen zeigt. Asaphus; Illaenus; Arche-
gonus
.


Die übrigen Familien können ſich nicht
rollen, ſondern bleiben gerade ausgeſtreckt; hier-
her gehören die Ogygiden mit großem, nach
hinten in lange Spitzen ausgezogenem Kopf-
ſchilde, einfachem Schwanzſchilde, das ebenſo
lang iſt oder länger, als der Thorax, und horizontalen Bruſtringen,
die ſeitlich in lange, nach hinten gerichtete Spitzen auslaufen. Ogy-
[448]

Figure 364. Fig. 514.

Paradoxides bohemicus.
a
Kopfſchild. b Schwanz-
ſchild. c Kopfbuckel (gla-
bella). d
Augen.


gia; Trinucleus. Von ihnen unterſcheiden ſich
die ſonſt ganz ähnlich geſtalteten Odontopleu-
riden
nur durch ein kleines, aus wenigen Rin-
gen beſtehendes Schwanzſchild, (Odontopleura;
Arges; Brontes
.) und die Oleniden durch ein
größeres Schwanzſchild, welches in eine grö-
ßere Anzahl von Ringen getheilt iſt. Paradoxi-
des; Olenus; Triarthrus
.


Als letzte Familie dieſer Gruppe hat man
die Campylopleuriden unterſchieden, bei wel-
chen die Ringe des Thorax, die an ihrer Spitze
abgerundet ſind, ſich von dem mittleren Körper-
wulſte an nach unten umkrümmen, während
ſie bei den vorhergehenden Familien ſich faſt
horizontal erſtrecken. Conocephalus; Ellipro-
cephalus; Harpes
.


Unterklaſſe der Pfeilſchwänzer. (Xiphosura s. Poecilopoda.)


Die merkwürdige Gattung der Mollukkenkrebſe (Limulus), welche

Figure 365. Fig. 515.

Limulus, von der Bauchfläche.
p Scheerenfühler über dem Munde.


für ſich allein dieſe Unterklaſſe bildet,
ſtellt ein merkwürdiges Uebergangs-
glied zwiſchen der eben betrachteten
Unterklaſſe und derjenigen der eigent-
lichen ſtieläugigen Krebſe dar, unter-
ſcheidet ſich aber von beiden durch
beſondere Eigenthümlichkeiten der
Organiſation.


Der Körper dieſer Thiere,
die mit zu den größten Krebſen ge-
hören, beſteht aus drei Abtheilungen,
einem halbmondförmigen Kopfbruſt-
ſchilde, deſſen Convexität nach vorn
gerichtet iſt, während die zwei
Spitzen nach hinten ſchauen, einem
ungleichſeitig ſechseckigen Bauch-
ſchilde, deſſen drei vordere Seiten
von dem Einſchnitte der Kopfbruſt um-
[449]

b Mund, umgeben von den fünf Fußpaa-
ren. a b Bauchfüße. c Kopfſchild. q
Schwanzſtiel. r Bauchſchild.


faßt werden, und einem langen, ſtiel-
förmigen, ungegliederten Schwanz-
ſtachel, der an ſeinem hinteren Ende
ſcharf zugeſpitzt iſt. Kopf- und Bauchſchild bilden zuſammen eine faſt
rundliche Scheibe, ſo daß das Ganze der äußeren Körpergeſtalt einem
zum Werfen des Federballes beſtimmten Schlagnetze nicht unähnlich
ſieht. Das gewölbte Kopfſchild zeigt auf der Mitte der Rückenſeite
eine Leiſte, an deren knopfförmigem Ende zwei ſehr kleine, erhabene
Nebenaugen ſtehen und zwei Seitenleiſten, zu deren Seiten ſich die
halbmondförmigen, gewölbten, zuſammengeſetzten Augen zeigen, die
mithin ganz dieſelbe Stellung einnehmen, wie die Augen der Trilobi-
ten. Das Bauchſchild iſt mit dem Kopfſchilde auf einer queren Linie
eingelenkt, die ſich zwiſchen den Leiſten erſtreckt, an deren Seiten die
Augen ſtehen. Die beiden hintern Seitenränder des Bauchſchildes ſind
mit gefiederten und beweglichen Stacheln beſetzt; der in der Mitte ein-
gelenkte Schwanzſtachel iſt nach allen Seiten hin beweglich. Betrachtet
man das Thier von der unteren Seite, ſo ſieht man in der Mitte
des Kopfbruſtſchildes den einfachen Mund, an deſſen Rand unmittel-
bar die mit Scheeren bewaffneten Gehfüße eingelenkt ſind. Ueber dem
Munde ſtehen in der Mittellinie, mit der Baſis einander genähert,
zwei Fühler, die nur klein und zweigliedrig ſind und deren Endglied
eine Scheere trägt. Hierauf folgen die fünf eigentlichen Fußpaare,
die einen höchſt eigenthümlichen Bau zeigen; — ſie beſtehen nämlich
aus ſechs Gliedern, von denen das erſte groß, breit und auf ſeiner
inneren Fläche mit einem feſten Hornblatte verſehen iſt, das ſtarke
Stacheln trägt, und beim Kauen gegen dasjenige der andern Seite
wirken kann. Die übrigen Glieder ſind cylindriſch und enden in eine
dünne, ſchwache Scheere. Der fünfte Fuß hat ein ſehr großes Baſal-
glied, welches nach innen zu ebenfalls eine ſtark gezähnte Platte, eine
wahre Kinnlade trägt, nach außen hin aber mit einem geißelförmigen
Anhange beſetzt iſt. Dieſe fünf Fußpaare ſtellen demnach den voll-
endetſten Typus von Kaufüßen dar, indem ſie wirklich durch ihre
Endglieder die einzigen Bewegungsorgane ſind, während ihre An-
fangsglieder die einzigen Werkzeuge bieten, deren ſich das Thier zum
Kauen und Zerkleinern der Beute bedienen kann.


Die untere Fläche des Bauchſchildes trägt eine andere Art von
Anhängen, welche den Kiemenfüßen der Blattfüßer analog gebaut ſind.
Es beſtehen dieſe falſchen Füße aus ſechs ſchildförmigen Platten-
paaren, von welchen das erſte die andern deckelförmig überragt und
keine Kieme trägt, während die fünf hinteren Paare auf ihrer Hinter-
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 29
[450] fläche mit einer großen Anzahl von Kiemenlamellen beſetzt ſind, die
eine quere Stellung haben. Unmittelbar hinter dieſen Kiemenfüßen
liegt an der Baſis des ſtachelförmigen Schwanzes, der durchaus keine
Eingeweide birgt, der After.


Die Anatomie dieſer Thiere bietet manches Bemerkenswerthe dar.
Der Schlund ſteigt aus der Mundöffnung zuerſt gerade nach vorn
und öffnet ſich dann in einen vorn im Kopfſchilde gelegenen Magen,
der mit vorſpringenden Hornfalten ausgerüſtet iſt, und nach hinten in
einen geraden, überall gleich weiten Darm übergeht. Das Nerven-
ſyſtem beſteht aus einem maſſiven Schlundringe, von deſſen unterer
Hälfte ein dicker Nervenſtrang abgeht, der erſt an ſeinem hinteren Ende
einige Anſchwellungen zeigt. Das Herz iſt lang, ſchlauchförmig, mit
ſieben Paar Seitenſpalten verſehen, durch welche das zurückkehrende
Blut eindringt. Die veräſtelten Eierſtöcke vereinigen ſich zu zwei Ei-
leitern, die an der Baſis des deckelförmigen erſten Kiemenfußes nahe
an der Mittellinie auf der oberen Fläche ausmünden, und denen die
Hoden und Samenleiter an Geſtalt wie an Ausmündung vollkommen
entſprechen. Ueber die Entwickelung ſind noch keine Unterſuchungen
gemacht; man weiß nur, daß die aus dem Eie ſchlüpfenden Jungen
ſchon Bruſt und Hinterleib, Fühler und Kaufüße vollſtändig erkennen
laſſen, daß ihnen aber der Schwanzſtachel gänzlich fehlt und nur die
beiden vorderen Kiemenfußpaare vorhanden, das dritte aber vollkom-
men rudimentär iſt. Die einzige Gattung dieſer Unterklaſſe, welche
jetzt noch lebt, bewohnt hauptſächlich die heiße Zone der nördlichen
Erdhälfte und geht nur an den Küſten Amerika’s über dieſelbe hinaus,
bis etwa zum 40ſten Grade nördlicher Breite. Verwandte Arten und
Gattungen hat man vereinzelt im Uebergangsgebirge, in der Kohle,
im Muſchelkalke, namentlich aber in den lithographiſchen Schiefern von
Sohlenhofen gefunden.


Unterklaſſe der Stielaugen. (Podophthalma.)


Die Kruſtenthiere, welche wir dieſer Unterklaſſe zurechnen, unter-
ſcheiden ſich in vielen weſentlichen Punkten von den vorhergehenden,
wie von den nachfolgenden Unterklaſſen, und bieten gewiſſermaßen den
[451] Typus der Klaſſe in ſeiner Reinheit und ohne Hinneigung zu anderen
Klaſſen der Gliederthiere dar. Ihr Körper beſteht ſtets aus zwei
wohlgetrennten, in ihrer äußeren Geſtalt, wie durch ihre Anhänge ge-
ſonderten Abtheilungen, die ſich auf der Rückenſeite beſonders kenntlich
machen, nämlich aus einer Kopfbruſt, welche die Sinneswerkzeuge, den
Mund und die ihn umgebenden gegliederten Anhänge, ſo wie die we-
ſentlich zum Gehen und Greifen beſtimmten Füße trägt, und einem
Hinterleibe, welcher ſtets aus einer größeren oder geringeren Anzahl
von Ringeln zuſammengeſetzt iſt. So mannichfach auch die Linien und
Zeichnungen des Kopfbruſtſchildes ſein mögen, welche darauf hindeuten,
daß dasſelbe urſprünglich aus einzelnen Ringen zuſammengeſetzt iſt,
ſo zeigt ſich doch dasſelbe ſtets als ein ganzes Schild ohne irgend wei-
tere Abtheilungen; nur bei einigen Gattungen, wie z. B. den Heu-
ſchreckenkrebſen (Squilla), ſteht vor dieſem Schilde noch ein beſonderer
Ring, welcher die Augen und die vorderen Fühler trägt, und den man
zuweilen als Kopfring bezeichnet hat, als welcher er ſchon um deſſen-
willen nicht betrachtet werden kann, weil weder das Gehirn, noch die
Mundöffnung in dieſem Ringe liegen. Bei denſelben Gattungen iſt
auch das Kopfbruſtſchild nach hinten weniger ausgedehnt, ſo daß einige
Paare von Füßen, die wirklich der Bewegung dienen, nicht unter die-
ſem Schilde, ſondern an beſonderen Ringen befeſtigt ſind, welche ſich
zwiſchen der Kopfbruſt und dem Hinterleibe einſchieben und dem hin-
teren Theile der Bruſt angehören; — aber trotz dieſer Verkleinerung
der Kopfbruſt trägt dieſe dennoch die weſentlichſten, zu Greiforganen
umgeſtalteten Füße. Ein Hauptkennzeichen der ganzen Unterklaſſe be-
ſteht darin, daß die Augen, welche ſtets zuſammengeſetzte, mit fazet-
tirten Hornhäuten verſehene Augen ſind, auf beſonderen beweglichen
Stielen ſitzen, die zuweilen eine bedeutende Länge erreichen und ge-
wöhnlich in eigene Gruben zurückgezogen werden können. Die Mund-
werkzeuge
ſind immer zum Kauen eingerichtet und aus einer Oberlippe,
einem Paare Kiefer und mehreren Paaren von Kinnladen zuſammen-
geſetzt; meiſt finden ſich auch noch einige beſondere Paare von Kau-
füßen, ſo daß das Ganze eine höchſt verwickelte Zuſammenſtellung
verſchiedener gegliederter Organe zeigt, welche bald zum Kauen, bald
zum Bürſten, Betaſten und Reinigen der Nahrungsmittel beſtimmt ſind.
Die eigentlichen Füße ſind faſt immer in der Zahl von fünf Paaren
vorhanden, was eben ſo, wie das Fehlen einer Unterlippe, ein leichtes
Kennzeichen zur Unterſcheidung von der folgenden Unterklaſſe abgiebt.
Die Füße ſelbſt ſind meiſtens cylindriſch, und entweder zum Gehen,
29*
[452] Schwimmen oder Greifen eingerichtet, wonach namentlich ihre End-
glieder ſehr verſchiedene Formen zeigen.


Eine fernere weſentliche Auszeichnung der ſtieläugigen Kruſten-
thiere wird durch den Bau der Athemorgane gegeben. Während
in allen übrigen Unterklaſſen entweder die Füße ſelbſt, oder ein Theil
derſelben zu meiſt blättrigen Anhängen umgewandelt ſind, welche der
Athmung vorſtehen, findet man hier eigene Athemorgane, Kiemen, von ge-
fiedertem oder blättrigem Baue, die gewöhnlich in einer eigenen Höhle
unter dem Kopfbruſtſchilde geborgen ſind, zuweilen aber auch frei an
der Unterfläche des Körpers, an den Bauchfüßen angeheftet getragen
werden. Nur bei einigen wenigen Gattungen, die durch ihre übrigen
Charaktere indeſſen dieſer Unterklaſſe angehören, ſcheinen dieſe ſpeziellen
Kiemen zu fehlen, während ſie bei keiner anderen Unterklaſſe der Kru-
ſtenthiere vorkommen, ſo daß man ihre Exiſtenz wenigſtens unbedingt
als Beweis annehmen darf, daß das Thier zu der Unterklaſſe der
Stielaugen gehöre. Alle übrigen Charaktere würden keine ausſchließen-
den Merkmale darbieten, daher wir dieſelben bei den Ordnungen ſelbſt
in die Augen faſſen werden. Wir theilen die ganze Unterklaſſe in zwei
Ordnungen, leicht kenntlich durch die Bildung ihrer Kiemenorgane.
Bei den Mundfüßern (Stomapoda) ſtehen die fadenartigen Kiemen
frei an dem Hinterleibe, an der Wurzel der Bauchfüße, oder fehlen
gänzlich, während bei den Zehnfüßern (Decapoda) die Kiemen ſtets
in beſonderen Höhlen unter der Kopfbruſt geborgen ſind.


Die Ordnung der Mundfüßer (Stomapoda) beſteht aus
einigen wenigen, ſehr eigenthümlichen Familien, welche verſchiedene
Anknüpfungspunkte zu den Blattkiemern, den Zehnfüßern, ja ſogar zu
den höheren Typen der Schmarotzerkrebſe zeigen. Es ſind weſentlich
ſchwimmende Thiere mit meiſt langem Körper und kurzem Kopfbruſt-
ſchilde, von dem gewöhnlich der Augenring vollkommen getrennt iſt.
Dieſer trägt dann die lang geſtielten, fazettirten Augen und die vier
Fühler, und zuweilen iſt er ſelbſt noch in zwei Ringe geſpalten, von
denen dann der hintere den Einlenkungspunkt der Fühler giebt. Die
Ausdehnung der Kopfbruſt iſt ſehr verſchieden, denn bald läßt ſie drei
oder vier mit eigentlichen Füßen beſetzte Ringe unbedeckt, bald über-
zieht ſie alle Bruſtringe ſo vollſtändig, daß die Anſetzpunkte ſämmtlicher
Füße von oben gedeckt ſind, wobei indeſſen doch die Ringe auf der
unteren Seite erkenntlich bleiben. Die Bildung der Füße und des
Hinterleibes wechſelt außerordentlich bei den verſchiedenen Familien.
Die inneren Fühler ſind gewöhnlich ziemlich lang, frei, und durch
[453] mehrere vielgliedrige Fäden geendigt, die äußeren einfach, an ihrer
Baſis mit einem großen gefiederten Blatte und am Ende mit einem
vielgliedrigen Faden verſehen.


Die Mundwerkzeuge ſind ziemlich einfach, aus einer Ober-
lippe, einem Paar Kiefer und zwei Paar Kinnladen, die keine beſon-
deren Anhänge zeigen wie bei der folgenden Ordnung, zuſammengeſetzt.
Auf die Kinnladen folgt ein einziges Paar Kaufüße, die aber zuweilen
ganz fehlen, oder zu Schwimmfüßen umgewandelt ſind, und ſieben bis
acht Paar eigentlicher Füße, die oft ganz gleich geſtaltet ſind und
meiſtens einen taſterartigen Anhang, ſo wie an der Baſis eine weiche
blattförmige Erweiterung tragen. Die hinteren Füße ſind gewöhnlich
Schwimmfüße, die vorderen Greiforgane, dann aber niemals mit einer
Scheere, ſondern ſtets nur mit einer Klaue bewaffnet, welche wie eine
Klinge gegen das vorhergehende Glied eingeſchlagen werden kann.
Meiſtens werden alle dieſe Fußanhänge gegen den Mund hin einge-
ſchlagen, woher die Ordnung ihre Namen bekommen hat. Die Bauch-
füße, welche unter den Hinterleibsringen ſtehen, ſind blattartig und
tragen an ihrer Baſis gewöhnlich die büſchelförmigen, aus veräſtelten
Fäden gebildeten Kiemen, nur bei wenigen Gattungen ſind dieſe freien
Büſchelkiemen an der Baſis der Bruſtfüße befeſtigt, aber niemals in
einer eigenen Höhle eingeſchloſſen.


Die Körperbedeckung der Mundfüßer iſt ziemlich dünn und horn-
artig, zuweilen ſelbſt vollkommen durchſcheinend, ſo daß man bei eini-
gen kleineren Thieren der Ordnung faſt alle Organe durch die
Körperbedeckung hindurch erkennen kann. Das Nervenſyſtem iſt
je nach der Körperform verſchieden angeordnet, indem bei den lang-
leibigen Heuſchreckenkrebſen ein langer Strang mit vielen Knoten
exiſtirt, während bei den kurzleibigen die Verbindungsringe zwiſchen
Hirnknoten und erſtem Bruſtknoten ſehr lang, die Bauchknoten dagegen
zu einer Maſſe verſchmolzen ſind. Der Mund liegt gewöhnlich ſehr
weit nach hinten und führt durch einen kurzen Schlund in einen feſten
Magen, der mit Hornplatten und regelmäßigen Reihen von Haaren
dicht beſetzt iſt. Von da aus geht der Darmkanal gerade nach hinten
und iſt auf beiden Seiten während ſeiner ganzen Erſtreckung von den
Büſcheln der Leber umgeben, die an verſchiedenen Stellen in ſeine
Höhle einmünden. Das Herz iſt ſchlauchförmig, lang, über die ganze
Mittellinie des Rückens hingezogen, giebt eine Menge ſeitlicher Gefäße
ab und hat viele obere Spalten, durch welche das rückkehrende Blut
in die Höhlung des Herzens eindringt. Alle Mundfüßer ſind getrenn-
[454] ten Geſchlechts; die weiblichen Organe beſtehen aus einer Menge ver-
äſtelter Lappen, welche den Hinterleib ausfüllen und ſich in einen
langen Schlauch vereinigen, der nach vorn drei ringförmige Fort-
ſätze hat, die wieder mit einander verbunden ſind und ſich in der
Mittellinie des Bauches an dem erſten Vorderleibsringe öffnen; —
die Hoden ahmen in ihren Umriſſen die Form der Eierſtöcke nach,
öffnen ſich aber an der Baſis des hinterſten Fußpaares in zwei dort
befindliche hornige Ruthen. Ueber die Entwickelung der Embryonen
dieſer Thiere ſind nur wenige Beobachtungen gemacht, welche indeſſen
zu beweiſen ſcheinen, daß die Geſtalt derſelben nur wenig von der-
jenigen der Erwachſenen verſchieden iſt. Man hat bis jetzt nur in
den Schichten des Monte Bolca, die zu den unteren Tertiärgebilden
gehören, Ueberreſte von Mundfüßern und zwar von ächten Heu-
ſchreckenkrebſen (Squilla) gefunden.


Die Familie der Flachkrebſe (Phyllosomida) beſteht aus außer-
ordentlich flachen Krebsthieren mit dünner, durchſichtiger Schale, deren

Figure 366. Fig. 516.

Phyllosoma.


Körper ſo ſehr abgeplat-
tet iſt, daß kaum ein
Raum für die Einge-
weide zwiſchen der obe-
ren und unteren Scha-
lenhälfte übrig bleibt.
Das Kopfbruſtſchild iſt
gewöhnlich breit oder
länglich und hängt nur
in der Mitte an den
Bruſtringen an, wäh-
rend es ſonſt nach allen
Seiten frei iſt und von unten her mit einem zweiten zuſammen-
hängenden Schilde bekleidet erſcheint, ſo daß man dieſe Thiere auch
die doppeltgepanzerten (Bipeltata) genannt hat. Die Augen ſind groß,
auf dünnen Stielen getragen, die inneren Fühler am Ende geſpalten,
die äußeren bald borſtig, bald blattartig. Der Mund liegt weit hin-
ter den Fühlern zurück, und hinter ihm beginnt das Bruſtſchild, an
deſſen Rand die ſieben oder acht Paar Füße ſehr weit von der Mit-
tellinie eingelenkt ſind. Das erſte Fußpaar iſt gewöhnlich verkümmert,
die anderen lang, dünn, geſpalten, zum Schwimmen eingerichtet. Die
Kaufüße und die falſchen Füße des Hinterleibes ſind rudimentär, der
Hinterleib wenig entwickelt, aber mit einer fünfblättrigen Schwimm-
[455] floße verſehen. Die Kiemen fehlen in dieſer Familie ganz; wahr-
ſcheinlich dient das dünne, breite Körperſchild als Athemorgan. Die
Thiere ſind Schwimmer und werden nur auf der hohen See, meiſt in
ſüdlichen Meeren angetroffen. Phyllosoma; Amphion.


Die Familie der Heuſchreckenkrebſe(Squillida) bietet die größten
Arten der ganzen Ordnung dar. Der Augenring iſt deutlich getrennt,

Figure 367. Fig. 517.

Heuſchreckenkrebs (Squilla) von der Seite.
y Augen. a Fühler (äußere). p′ Kaufuß. p″ Hin-
tere Kaufüße. p‴ Bruſtfüße. pa Bauchfüße. b Kiemen.
g Schwanzfloſſe.


die Augen rundlich oder
nierenförmig, kurzge-
ſtielt; die inneren Füh-
ler lang, mit drei End-
borſten verſehen, die
äußeren einfach und an
der Baſis mit einer
ovalen gewimperten
Platte beſetzt. Das
Kopfbruſtſchild iſt klein,
länglich und läßt noch
wenigſtens drei Ringe der Bruſt unbedeckt, an welchen drei Paare
kurzer, cylindriſcher, vorn abgeplatteter Füße ſtehen, die keine Klauen
tragen und nur zum Schwimmen beſtimmt ſind. Der Mund liegt
ziemlich weit nach hinten, iſt mit Kiefern, zwei Paar Kinnladen und
fünf Paar Kieferfüßen bewaffnet, von denen das erſte Paar ſtielförmig
und die drei letzten Paare mit einem blaſenförmigen Anhange verſehen
ſind und ſtets auf der Mundöffnung dicht aufliegen. Das zweite Paar
dieſer Kieferfüße iſt außerordentlich groß, ſtark und zu einem Raub-
fuße umgeſtaltet; ſein letztes, gewöhnlich mit Stacheln bewaffnetes
Klauenglied ſchlägt ſich wie eine Klinge gegen das vorhergehende
Glied ein, das zu ſeiner Aufnahme an der äußeren Seite einen ver-
tieften, oft ebenfalls geſtachelten Falz beſitzt. Der Hinterleib iſt lang,
ſehr ſtark und kräftig, und das hauptſächlichſte Schwimmorgan. Er
trägt fünf Paar blattartiger, falſcher Füße, an deren Wurzel die ge-
fiederten Kiemen befeſtigt ſind, und iſt an ſeinem hinteren Ende mit
zwei Paar ſeitlicher, langer, gegliederter Platten verſehen, welche die
Oberfläche dieſer Floſſe bedeutend vergrößern. Die räuberiſchen Thiere
finden ſich in der Nähe des Strandes, aber meiſt in ziemlicher Tiefe.
Squilla; Gonodactylus; Squillerichthys.


Den Uebergang zu der nächſten Ordnung macht die Familie der
Geißelkrebſe (Mysida), deren Körpergeſtalt und Fußbeſchaffenheit ſo
ſehr derjenigen der Garneelen gleicht, daß man ſie früher zu denſel-
[456] ben ſtellte. Der Körper iſt dick, ſeitlich zuſammengedrückt, der Augen-
ring mit der Kopfbruſt verſchmolzen, die Bruſtringe ſämmtlich von dem
Schilde der Kopfbruſt bedeckt, der Hinterleib lang, gebogen, mit einer
mächtigen, fünfblättrigen Schwimmfloße verſehen, die Bruſtfüße alle
untereinander gleich, an Zahl wechſelnd, meiſt mit einem langen, ge-
gliederten Anhange verſehen. Die Kiemen fehlen bald gänzlich, bald
ſitzen ſie in Büſchen an den fünf Paaren der Bauchfüße, oder an den
Bruſtfüßen, aber ohne von dem Bruſtſchilde eingeſchloſſen zu ſein.
Die Thiere ſchwimmen in Schwärmen im hohen Meere, und einige
Arten ſollen hauptſächlich dem Wallfiſche als Futter dienen. Mysis;
Thysanopus; Leucifer
.


Die außerordentlich große und zahlreiche Ordnung der Zehn-
füßer (Decapoda)
umfaßt alle Kruſtenthiere mit geſtielten Augen,
die eine ungegliederte Kopfbruſt beſitzen, unter welcher in einer eige-
nen Höhle die Kiemen angebracht ſind. Es erſcheint dieſe Ordnung
zuerſt in dem Muſchelkalke mit Arten, die alle den Langſchwänzern
und zwar beſonders der Familie der Languſten angehören, und es er-
reichen dieſe Langſchwänzer in den juraſſiſchen Schichten eine bedeu-
tende Höhe der Ausbildung an Form und Zahl. Erſt in der Kreide
geſellen ſich die Krabben zu ihren Vorgängern, ſo daß auch hier eine
ähnliche Art der Ausbildung vorherrſcht, wie bei den Embryonen und
Larven der höheren Typen, indem, wie wir ſehen werden, die Larven
der Krabben anfänglich langſchwänzigen Krebſen gleichen und erſt
ſpäter durch mannichfache Metamorphoſen den verkümmerten Hinterleib
erhalten, der ſie in dem Alter charakteriſirt. Wir theilen ſie in drei
Unterordnungen, die ſich hauptſächlich durch die Entwickelung des
Hinterleibes unterſcheiden.


Die Unterordnung der Krebſe oder Langſchwänzer (Ma-
crura
)
begreift langgeſtreckte Thiere mit kräftig entwickeltem Hinter-
leibe, deren Bruſtſchild meiſt viel länger als breit iſt, und ſich ſeitlich
kaum über die Baſis der Füße hinaus verbreitet. Gewöhnlich läuft
dieſes Schild, deſſen ſeitliche Theile ſich über die Kiemen hinab nach
unten wölben, nach vorn in eine zwiſchen den Augen ſtehende Spitze
(rostrum) aus, während es nach hinten ausgeſchweift iſt und mit dem
erſten Hinterleibsringe ſich einlenkt. Auf der unteren Fläche findet
man zwiſchen den Füßen nur eine dünne, ſchmale Leiſte als Bruſt-
bein, die nach innen vielfache Vorſprünge zeigt und den Füßen, ſo
wie deren Muskeln zum Anſatzpunkte dient. Die Fühler ſind gewöhn-
lich ſehr entwickelt und ſtehen meiſt auf derſelben Linie; die inneren
[457] ſind ſtets fadenförmig, oft getheilt, und können niemals in eine Grube
zurückgelegt werden, die äußeren wechſeln vielfach in ihrer Geſtalt,
tragen aber gewöhnlich an ihrer Baſis eine horizontale Platte. Die
Mund werkzeuge, die in einer vertieften Grube liegen, ſind ſehr com-
plicirt, und beſtehen aus einer Oberlippe, einem Paare Kiefer, welches
gewöhnlich einen Taſter trägt, zwei Paar Kinnladen und drei Paar
Kaufüßen, von welchen das erſte blättrig iſt, und die alle drei ſowohl
einen Taſter, als auch gewöhnlich noch außerdem einen geißelförmigen
Anhang tragen, welcher in dem Ausführungsgange der Kiemenhöhle
verborgen liegt und dort durch ſeine Bewegung das Ausſtrömen des
Waſſers regulirt und befördert. Auf dieſe Kaufüße folgen die fünf
Paare eigentlicher Füße, die gewöhnlich einfach und zum Gehen ein-
gerichtet ſind und deren erſtes Paar meiſtens eine Scheere trägt, wäh-
rend die übrigen mit einfachen Klauen bewaffnet ſind. Die relative
Ausbildung dieſer Füße wechſelt ſehr und es iſt unmöglich, eine be-
ſtimmte Regel aufzuſtellen, wonach dieſe Modifikationen ſich ausbilden.
Der Hinterleib iſt ſtets mächtig entwickelt, meiſt nach unten gebo-
gen, und aus ſieben Ringen zuſammengeſetzt, von welchen die fünf
vorderen bald blattförmige, bald cylindriſche Afterfüße tragen, wäh-
rend der ſechſte Ring zur Seite ein Paar Blätter trägt, die ſich an
die Endfloße des letzten Gliedes anlehnen und mit dieſer eine fächer-
förmige Schwimmfloße bilden, die das weſentlichſte Bewegungsorgan
iſt. Die Krebſe ſchlagen den Hinterleib heftig nach unten ein und
bewegen ſich ſo mit großer Schnelligkeit rückwärts durch das Waſſer.


Das Nervenſyſtem der Krebſe beſteht aus einem langgeſtreckten
Bauchmarke, das gewöhnlich zwölf Knoten zeigt, die durch doppelte
Längsfäden mit einander verbunden werden und von denen die ſechs
vorderen, der Bruſt angehörigen, am bedeutendſten entwickelt ſind.
Der Hirnknoten iſt meiſt ziemlich bedeutend, quer geſtellt und durch
zwei lange Schlundfäden mit dem erſten Bruſtknoten verbunden. Die
Hörorgane bilden an der Baſis des äußeren Fühlerpaares einen
ſtumpfen Vorſprung, deſſen rundliche Oeffnung durch ein Trommelfell,
das in der Mitte meiſtens einen Schlitz hat, geſchloſſen iſt; hinter
dieſem Trommelfelle liegt eine dünnhäutige, mit waſſerheller Flüſſigkeit
gefüllte Blaſe, deren vorderer Hals bis an das Trommelfell vorragt
und nach hinten mit einem eigenthümlichen, grünen Drüſenſchlauche in
Verbindung ſteht. An der Baſis der inneren Fühler finden ſich die
grubenartigen Geruchsorgane. Der Schlund ſteigt von der
Mundöffnung aus ſenkrecht nach oben und öffnet ſich in einen rund-
lichen, geräumigen Magen, auf deſſen Innenfläche bedeutende, ge-
[458] zähnelte Hornplatten oder auch nur Hornhaare ſtehen, die offenbar
zur Zerkleinerung der Nahrungsmittel beitragen; von dem Magen aus
erſtreckt ſich der Darmkanal gerade nach hinten und öffnet ſich an der
Baſis der Schwanzfloſſe auf der unteren Fläche des Hinterleibes. Die
Leber iſt bedeutend groß und beſteht jederſeits aus einem Bündel
feiner veräſtelter, gelber Blindſchläuche, die hinter dem Magen in den
Darm münden. Das Herz liegt unmittelbar unter dem hinteren
Theile des Rückenſchildes in der Mittellinie und zeigt eine vieleckige
Geſtalt, welche durch die austretenden Arterien bedingt iſt; das rück-
kehrende Blut wird gewöhnlich durch ſechs, obere, untere und ſeitliche
Spalten aufgenommen, die indeß oft nicht ganz leicht wahrzunehmen
ſind. Die meiſt in bedeutender Zahl vorhandenen Kiemen beſtehen
aus einem Schafte, der auf dem Boden der Reſpirationshöhle feſtge-
heftet iſt und an der Seite zarte Cylinder oder Blättchen trägt, welche
ſich nach oben immer mehr verjüngen, ſo daß jede ſolche Kieme die
Geſtalt einer Pyramide hat. Die Seitenflügel des Kopfſchildes bilden
die Wandung der Kiemenhöhle und laſſen unten nur an der Baſis
der Beine einen Schlitz zum Eintritte des Waſſers, welches dann
nach vornen durch den Kanal ausgeſtoßen wird, in welchem die Klappe
des zweiten Kinnladenpaares ſpielt. Die Eierſtöcke ſind lang, röh-
renförmig, gewunden, liegen zu beiden Seiten unter dem Kopfbruſt-
ſchilde, oder vereinigen ſich auch in der Mitte, ſenden aber ſtets zwei
gewundene Eileiter aus, welche ſich an der Baſis des dritten Fuß-
paares nach außen öffnen; die meiſt braun oder roth gefärbten Eier
haben eine ziemlich dicke Schale und werden mittelſt eines klebrigen
Ueberzuges traubenartig an die Afterfüße des Hinterleibes gehängt,
wo ſie das Weibchen bis zum Ausſchlüpfen der Jungen mit ſich herum-
trägt. Die Hoden bilden bald einen einfachen, bald einen doppelten
Drüſenkörper, welcher mit einem erweiterten Samengange jederſeits
an dem Hüftgelenke des letzten Fußpaares nach außen mündet, ohne
daß hier beſondere Ruthen wahrgenommen werden könnten; dagegen
ſind bei den Männchen die Afterfüße des erſten Hinterleibsringes in
eigenthümliche Stiele verlängert, die offenbar in Beziehung zur Be-
gattung ſtehen. Die jungen Krebſe haben beim Ausſchlüpfen aus dem
Eie eine ſo wenig von den alten abweichende Geſtalt, daß man früher,
wo man hauptſächlich nur ihre Entwickelung beobachtet hatte, die Me-
tamorphoſe der anderen Unterordnungen gänzlich in Abrede ſtellte.


Wir theilen die Ordnung der Krebje, deren größere Arten ein
beliebtes Nahrungsmittel darſtellen, und ſogar an manchen Seeküſten
[459] einen bedeutenden Handelsartikel bilden, in vier Familien ein, die
ſich durch folgende Charaktere von einander unterſcheiden.


Figure 368. Fig. 518.

Garneele (Palaemon)
von der Seite, um die verſchiedenen Körperanhänge zu zeigen. as Aeußere
Fühler. ai Innere Fühler, mit einem blattförmigen Anhange l an der Baſis.
r Vordere Spitze des Kopfbruſtſchildes (rostrum). y Angen. p m Kaufuß.
p’ p” Erſtes und zweites Beinpaar. f p Bauchfüße. n Schwanzfloſſe des in
Ringe getheilten Hinterleibes.


Die Familie der Garneelen(Carida) beſteht aus meiſt kleinen
Krebſen mit dünner, hornartiger Körperbedeckung, deren Rumpf ge-
wöhnlich von der Seite zuſammengedrückt und oben mit einem ſchar-
fen Kiele verſehen iſt, welcher nach vorn in einen langen, oft gezahn-
ten Stachel ausläuft. Die äußeren Fühler ſind tiefer eingelenkt als
die mittleren, und mit einem großen Blattfortſatze verſehen, welcher
den Stiel des Fühlers nicht nur bedeckt, ſondern meiſt auch überragt.
Die Füße ſind dünn, lang und ein oder zwei Paare derſelben ge-
wöhnlich mit Scheeren bewaffnet; der Hinterleib iſt lang, vorn dick,
nach hinten zugeſpitzt, gewöhnlich ſtark gebogen und mit einer ſehr
großen Schwanzfloſſe verſehen, deren äußere Blätter aus zwei ver-
wachſenen Stücken beſtehen. Die Thiere leben alle in der See, meiſt
geſellig an den Küſten, ſind gewöhnlich nur klein, dienen aber dennoch
allgemein zur Nahrung. Die Familie der Garneelen zeigt beſonders
viele Repräſentanten in den juraſſiſchen Schichten, die zum Theile ſehr
eigenthümlichen Gattungen angehören. Crangon; Alpheus; Caridina;
Palaemon; Peneus; Sergestes; Antrimpos; Aeges.


Die Hummerkrebſe(Astacida) begreifen diejenigen Krebſe, welche
[460]

Figure 369. Fig. 519.

Der Flußkrebs (Astacus fluviatilis)
von unten. a Innere Fühler. b Aeußere Füh-
ler. c Augen. d Gehörorgan. e Letztes Paar
der Kaufüße, die übrigen Mundwerkzeuge faſt
deckend. f Erſtes Beinpaar. g Letztes Beinpaar.
h Bauchfüße. j After. i Schwanzfloſſe.


unſerem gewöhnlichen Fluß-
krebſe nahe ſtehn, und ſich
durch eine harte Schaale,
eine große ungekielte Kopf-
bruſt und einen mehr plat-
ten Hinterleib auszeichnen.
Die beiden Fühlerpaare ſind
auf derſelben Querlinie
eingelenkt, die inneren zwei-
ſpaltig, die äußeren einfach,
bedeutend verlängert, und
an ihrer Baſis mit einer
ſpießförmigen Platte ver-
ſehen, welche niemals die
Größe erreicht, wie bei der
vorigen Familie. Der Hin-
terleib iſt groß, in ſeiner
ganzen Länge faſt gleich
breit, nicht zugeſpitzt; die
äußeren Blätter der
Schwimmfloſſe durch ein
queres Gelenk getheilt; das
vorderſte Fußpaar iſt ſtets
weit größer als die übrigen,
und immer mit einer bedeutenden Scheere bewaffnet. Die Kiemen ſind
ſehr zahlreich und aus cylindriſchen Fäden gebildet, während ſie bei
der vorigen Familie aus horizontalen Blättern zuſammengeſetzt ſind.
Die größeren, in der See lebenden Arten dieſer Familie, wie nament-
lich die Hummer, bilden bekanntlich einen bedeutenden Handelsartikel
mancher Küſten. Astacus; Homarus; Nephrops; Glyphea; Eryma;
Megachirus.


In der äußeren Körperform ſtehen die Gryllenkrebſe(Thalassi-
nida)
den vorigen ſehr nahe, ſchließen ſich aber durch ihren langen
Hinterleib und die hornige Körperſchale mehr an die Garneelen an,
denen ſie auch durch die zuſammengedrückte, ſcharfgekielte Kopfbruſt
gleichen. Die Augen ſind klein, die inneren Fühler doppelfiedrig, die
äußeren einfach und nie mit jenem Blattanhange verſehen, der die
vorigen Familien auszeichnete; die Vorderfüße ſind ſehr groß, mit
Scheeren bewaffnet, die Kiemen aus bürſtenförmigen Cylindern ge-
bildet und außer den unter dem Bruſtſchilde eingeſchloſſenen Kiemen
[461] bei einer Gattung noch Kiemenanhänge an den Bauchfüßen entwickelt.
Die Familie iſt, wie die vorige, beſonders in den lithographiſchen
Steinen von Sohlenhofen, die dem oberen Jura angehören, häufig
vertreten. Thalassina; Axia; Callianassa; Callianida; Brisa; Magila.


Die letzte Familie der Krebſe wird von den Languſten (Palinu-

Figure 370. Fig. 520.

Languſte (Palinurus).


rida) gebildet, meiſt
großen, breiten, ſehr
hartſchaligen Krebſen
mit kurzem, plattem
Hinterleibe und plat-
tem Kopfbruſtſchilde,
das nach hinten be-
ſonders ſehr breit iſt.
Die inneren Fühler
ſind kurz, gewöhnlich
am Ende zweifiedrig,
die äußeren bald ſehr
lang und borſtenför-
mig, bald in eine
breite, kruſtenartige
Platte verwandelt.
Die Bildung der Füße
wechſelt, doch hat das
erſte Paar nur ſelten
eine Scheere und die
anderen niemals, das
fünfte Paar iſt oft
rudimentär; die
Schwanzfloſſe iſt breit,
aus fünf Lappen ge-
bildet, von denen die
äußeren ſtets, der mittlere häufig faſt in ſeinem ganzen Umfange häu-
tig iſt. Die meiſt großen und ſchweren Thiere leben an den Küſten
in ziemlicher Tiefe und ſind theilweiſe ebenſo, wie die Hummer, ein
bedeutender Handelsartikel. Beſonders charakteriſtiſche Repräſentanten
dieſer Familie finden ſich in dem Muſchelkalke und ſpäter in den juraſ-
ſiſchen Schichten. Palinurus; Scyllarus; Eryon; Galathea; Grimothea;
Pemphix; Prosopon.


Die Unterordnung der Halbſchwänzer (Anomura) wird
[462] von einigen Familien gebildet, die eine förmliche Stufenfolge von
Uebergängen von den langſchwänzigen Krebſen zu den kurzſchwänzigen
Krabben bieten, und ſtets die Charaktere der einen, wie der anderen
dieſer Unterordnungen ſo miteinander vereinigen, daß die Thiere keiner
von beiden Ordnungen zugezählt werden können. Die allgemeine
Körperform erinnert bei den einen an die Krebſe, während ſie bei
den anderen derjenigen der Krabben ſo gleich iſt, daß erſt eine ge-
nauere Unterſuchung beide ſcheiden läßt. Das Kopfbruſtſchild iſt ſtets
ſehr anſehnlich und weit entwickelter, als der Hinterleib, welcher nie-
mals, ſo wie bei den Krebſen, durch eine breite, fächerförmige Floſſe und
gewaltige Muskulatur das hauptſächlichſte Schwimmorgan abgiebt, ſondern
entweder, wie bei den Krabben, unter den Leib gebogen und rudimentär,
oder beutelförmig und von weicher Beſchaffenheit iſt. Die inneren
Fühler ſind groß und gewöhnlich frei, wie bei den Krebſen, nur bei
einer Familie können ſie in beſondere Gruben des Stirnrandes zurück-
geſchlagen werden, wie dies allgemein bei den Krabben der Fall iſt.
Die Struktur der Bruſt wechſelt ungemein; gewöhnlich iſt ihr letzter
Ring nicht mit dem vorigen verwachſen, ſondern nur eingelenkt, und
das Bruſtſchild bald ſchmal, bald breit, aber niemals mit einer mitt-
leren Naht und einer darauf entwickelten inneren ſenkrechten Platte
verſehen. Die drei erſten Fußpaare ſind ſtets vollkommen ausgebildet
und das erſte häufig mit einer großen Scheere verſehen, während das
fünfte immer und das vierte gewöhnlich rudimentär iſt, und dann als
ſcheinbar überflüſſiger Anhang auf dem Rücken getragen, oder zum
Anklammern in den Wohnungen benutzt wird. Der in ſeiner Form
ſo ſehr wechſelnde Hinterleib trägt niemals falſche Füße, wie bei der
vorigen Ordnung, ſondern höchſtens an ſeinem vorletzten Ringe ein
Paar unbedeutender Anhänge von verſchiedener Geſtalt. Endlich findet
man ein unterſcheidendes Kennzeichen von den Krabben darin, daß
ſich die Eileiter ſtets in derſelben Weiſe, wie bei den Krebſen, auf dem
Wurzelgliede des dritten Fußpaares und niemals auf dem Bruſtſchilde
nach außen öffnen.


Das Nervenſyſtem bietet einen mittleren Typus zwiſchen den
Krebſen und den Krabben dar. Bei den langleibigen Anomuren beſteht
es nur aus wenigen Knoten und einem mittleren, doppelten Nerven-
ſtrange in dem Hinterleibe, der in der Nähe des Afters ſich zu einem
Knoten vereinigt; bei den krabbenartigen dagegen iſt die ganze Ner-
venmaſſe des Leibes zu einem mittleren Knoten verſchmolzen, der nach
hinten einen einfachen Nerven für den rudimentären Hinterleib ab-
giebt. Der Magen iſt, wie bei den Krebſen, mit inneren Hornhaaren
[463] beſetzt, die Leberorgane bei einigen ſehr bedeutend entwickelt, und zu
beiden Seiten des Darmes ein langer Gallengang ausgebildet, der
nach vorn gegen den Magen hinläuft. Das Herz iſt vieleckig, die
Kiemen ſtets blätterig und in ziemlich großer Anzahl vorhanden; die
Eierſtöcke und Eileiter ſind wie bei den Krebſen angeordnet und na-
mentlich fehlen die ſackförmigen Samentaſchen, welche bei den Krabben
ganz allgemein entwickelt ſind. Die männlichen Geſchlechtsorgane ſind
bei den langleibigen nach der Weiſe der Krebſe, bei den kurzſchwän-
zigen in der Art der Krabben gebildet, und namentlich kommen bei
dieſen letzteren zwei röhrenförmige hohle Ruthen vor, die auf dem
Hüftgelenke des letzten Fußpaares ſtehen. So weit die Entwickelung
der Jungen bekannt iſt, ſo zeigen dieſelben auch bei den langleibigen
Gattungen die charakteriſtiſche Embryonenform der jungen Krabben,
die wir ſpäter beſchreiben werden, und die ſich durch ein langes ge-
krümmtes Horn auf der Mitte des Rückenſchildes und durch einen
langen, dünnen Hinterleib ganz beſonders auszeichnet.


Den langſchwänzigen Krebſen ſteht am nächſten die Familie der
Bernhardinerkrebſe(Pagurida), deren Kopfbruſt die geſtreckte Form

Figure 371. Fig. 522. Fig. 521.

Der Bernhardinerkrebs (Pagurus Bernhardus).
Fig. 521. Das Thier in der Schneckenſchale ſitzend. Fig. 522. Das-
ſelbe herausgenommen.


der Krebſe hat, während der Bauch vollkommen weich iſt, und keine
Floſſe am Hinterende trägt. Die Kopfbruſt iſt gewöhnlich durch eine
quere Furche in eine hintere und vordere Abtheilung zerlegt; die vor-
[464] derſten Füße ſehr groß, gewöhnlich ungleich und mit einer Scheere bewaffnet,
die beiden folgenden nur mit einer Kralle verſehen, aber ſonſt wohl ent-
wickelt und zum Gehen geeignet, das vierte und fünfte Paar rudimentär,
gewöhnlich mit zwei ſchwachen Fingern geendet, dient meiſt nur zum
Stemmen und Feſthalten. Der Hinterleib iſt nackt, weich, beim Männchen
auf der linken Seite gewöhnlich mit Haltorganen verſehen. An der
Spitze des Hinterleibes befinden ſich zwei Hornblättchen, die ein Paar
Anhänge tragen, welche meiſtens unſymmetriſch entwickelt ſind. Die
meiſten Thiere dieſer Familie kriechen mit ihrem weichen Hinterleibe
in leere Schneckenſchalen, deren Bewohner ſie wahrſcheinlich vorher
auffreſſen, und klammern ſich mit ihren hinteren Füßen und mit den
Anhängen des Leibes in den Schalen feſt, die ſie beſtändig mit
ſich herumſchleppen. Eine gewaltig große Art (Birgus latro) lebt an
den Küſten der Inſeln Südaſiens in Erdlöchern, klettert Nachts auf
die Kokosbäume, und kneipt mit ihren ſtarken Scheeren die Nüſſe auf.
Foſſile Repräſentanten der Familie ſind mit Sicherheit nicht bekannt.
Pagurus; Cenobita; Birgus.


Die Familie der Sandkrebſe(Hippida) beſteht aus einer Gruppe

Figure 372. Fig. 523.

Hippa.


ſehr ſonderbarer Krebſe mit faſt eiförmigem,
ſehr gewölbtem Rückenſchilde, das auf der Seite
ſich blattförmig nach unten biegt und die Baſis
der Füße deckt. Der Hinterleib iſt ziemlich breit,
in der Mitte gewölbt, ſeitlich häutig, und meiſt
unter die Unterfläche des Körpers zurückgeſchla-
gen; bald ſind die äußeren, bald die inneren
Fühler verlängert, und oft mit ſeitlichen Bor-
ſtenbüſcheln beſetzt; das Bruſtſchild iſt linien-
förmig, und die Füße nur unbeholfen; das
vorderſte Paar gewöhnlich mit einem Haken
bewaffnet, die nächſtfolgenden mit einer End-
platte verſehen, welche ſie zum Graben geſchickt
macht; die hinterſten Füße ſind meiſt rudimen-
tär und an der Bruſt nach vornen eingeſchlagen. Das vorletzte
Hinterleibsglied trägt ein Paar Anhänge, welche indeſſen nach vorn
gerichtet ſind und niemals mit dem letzten Gliede eine Floſſe bilden.
Die Thiere leben vergraben im Sande, meiſtens in ſüdlichen Meeren,
ſind aber bis jetzt noch wenig unterſucht. Hippa; Remipes; Albunea.


Die Familie der Porzellankrebſe (Porcellanida) beſteht aus klei-
nen Kruſtenthieren, welche ganz die Form der Krabben haben, und
[465] deren Vorderfüße auch, wie bei dieſen, mit einem Paare gewaltiger
Scheeren bewaffnet ſind. Die äußeren Fühler ſind indeſſen ſehr lang
und die inneren können nicht in eine Grube geborgen werden, wie bei
den Krabben. Das fünfte Fußpaar iſt rudimentär, der dünne und ſchmale
Hinterleib unter die Bruſt gebogen, wie bei den Krabben, aber merkwür-
digerweiſe nichts deſto weniger mit einer Endfloſſe verſehen, wie bei
den Krebſen. Die kleinen Arten leben im Sande vergraben an unſe-
ren Küſten. Porcellana; Aeglea.


Die Familie der Rückenfüßer(Notopoda) ſchließt ſich am nächſten
an die eigentlichen Krabben an, und zeigt wie dieſe ein breites Bruſt-
ſchild, welches dem gewöhnlich runden Rückenſchilde entſpricht, und an
deſſen Seiten die Füße eingelenkt ſind. Der Hinterleib iſt ſtets dünn,
ſchmal und unter die Bruſt zurückgeſchlagen, die Füße ſehr verſchieden
geſtaltet, bald lang und dünn, mit langen Endkrallen zum Gehen,
bald wieder kurz und breit, mit blattförmigen Anhängen zum Schwim-
men eingerichtet. Das vorderſte Fußpaar trägt ſtets Scheeren, das
hinterſte iſt immer verkümmert, bald fadenförmig, bald breiter, und
wird entweder unter den Leib geſchlagen, oder als Anhang auf dem
Rücken getragen. In ihrer Jugend haben dieſe Thiere, ſoweit ſie be-
kannt ſind, einen bedeutend entwickelten Hinterleib mit einer Floſſe
und blattförmigen falſchen Füßen, wodurch ſie ſich dann ſehr den
Krebſen annähern. Sie ſind die einzigen Angehörigen der Halb-
ſchwänzer, von welchen auch foſſile Repräſentanten, aber nur in den
Tertiärſchichten und zwar ſelten gefunden werden. Ranina; Pactolus;
Hela; Homola; Lithodes; Dromia.


Die Unterordnung der Krabben oder Taſchenkrebſe (Bra-
chyura)
bildet diejenige Abtheilung der Kruſtenthiere, welche bei
äußerſt mannigfaltiger Modification der äußeren Körpertheile dennoch
die größte Uebereinſtimmung in ihrer Organiſation zeigt. Von oben
geſehen bietet der Körper dieſer Thiere nur eine einzige, bald mehr
runde, bald nach vorn zugeſpitzte Maſſe dar, welche von dem Kopf-
bruſtſchilde durchaus bedeckt wird; dieſes iſt meiſt ebenſo breit, oder
noch breiter als lang, nach vorn zuweilen ſchnabelförmig ausgezo-
gen, meiſt aber abgeſtutzt oder im Bogen gerundet und häufig durch
Furchen, die aber niemals durchgehen, in verſchiedene Felder getheilt. An
dem vorderen Stirnrande geht dieſes Schild über den Augenring hinaus und
verbindet ſich nach unten mit einer Fortſetzung des zweiten Ringes, ſo daß
der Augenring ganz innerhalb des Schildes liegt, und die auf beweglichen
Stielen ſtehenden Augen gänzlich in die Höhlungen unter der Stirn zurück-
gezogen werden können. Die inneren Fühler ſind ſtets ſehr kurz und ſte-
Vogt. Zoologiſche Briefe, I. 30
[466] hen zwiſchen den Augen an der Mittellinie in der Weiſe angebracht, daß
ſie gänzlich in Quergruben des Stirnrandes zurückgezogen werden können.
Die äußeren Fühler ſind ebenfalls kurz, aber nicht zurückziehbar. Das
Bruſtſchild biegt ſich von allen Seiten nach unten um, und läßt auf der un-

Figure 373. Fig. 524.

Das Vordertheil der Kopfbruſt einer Krabbe
(Maja) von unten geſehen.
ai Innere Fühler. a Aeußere Fühler.
y Augen. o Gehörorgan. m Letzter Kau-
fuß, die übrigen Mundwerkzeuge deckend.
p Baſalglied des vorderen Scheerenfußes.
s Bruſtſchild. r Athemſpalt, durch den
das Waſſer in die Kiemenhöhle eindringt.
b Mundöffnung.


teren Fläche nur einen geringen leeren
Raum, den Mundrahmen, in
welchem die Kauwerkzeuge angebracht
ſind, und in deſſen vorderen Ecken
ſich die ausführenden Kanäle der
Kiemenhöhlen öffnen; — nach hin-
ten zu ſchlägt ſich das Rückenſchild
auf der Seite ſo ein, daß es die
ganze Kiemenhöhle deckt, und nur
einen ſchmalen Schlitz zum Eintritte
des Waſſers in die Kiemenhöhle
läßt. Betrachtet man eine Krabbe
von unten, ſo ſieht man vorn in
dem Mundrahmen des umgeſchla-
genen Kopfbruſtſchildes die Kauwerkzeuge, und weiter nach hinten
ein breites, bald eiförmiges, bald mehr rundes Schild, das Bruſt-
bein
oder Bauchſchild, an deſſen äußeren Rändern die Beine ein-
gelenkt ſind, während in der Mitte in einer vertieften Rinne der un-
tergeſchlagene, rudimentäre Hinterleib eingelagert iſt. Bei den
Weibchen iſt derſelbe meiſt weit breiter, als bei den Männchen und
trägt mittelſt langer, dünner, ſtabförmiger Anhänge am zweiten bis
fünften Ringe die Eier, welche unter dem Bauche feſtgehalten ſind.
Schlägt man den Hinterleib zurück, ſo ſieht man bei dem Männchen
an ſeinem Grunde die röhrenförmigen Ruthen, während bei dem
Weibchen die Oeffnungen der Eileiter etwa der Mitte des Hinterleibes
genüber in der Rinne deſſelben auf dem Bauchſchilde angebracht ſind.
Die Kauwerkzeuge, welche in dem Mundrahmen des umgeſchlage-
nen Bruſtſchildes ſtehen, ſind förmlich aufeinander gehäuft, ſo daß
ein hinteres Paar von Anhängen ſtets das vorhergehende verbirgt
und das dritte und letzte Kaufußpaar mit ſeinen verbreitetern Glie-
dern die ganzen Kauwerkzeuge wie mit zwei Flügelthüren deckt. Es
beſtehen übrigens dieſe Werkzeuge aus drei Paar Kaufüßen von meiſt
ſehr complicirter Geſtalt, zwei Paar Kinnladen und einem Paar Kie-
fern. Alle Krabben haben fünf einfache, an den Rändern des Bauch-
ſchildes eingelenkte Fußpaare, die ſtets alle wohl ausgebildet ſind
und von denen das erſte immer eine Scheere trägt, während die an-
[467] deren vier Paare gewöhnlich nur mit einer Klaue oder mit Schwimmplatten
enden. Viele Krabben ſind geſchickte Schwimmer, die anderen aber
gute Läufer, die indeß dadurch überraſchen, daß ſie faſt niemals vor-
wärts, ſondern ſtets nach der Seite laufen, was einen ziemlich komi-
ſchen Anblick gewährt.


Bei allen Krabben iſt die Centraliſation des Nervenſyſtems
mit der gedrungenen Körperform übereinſtimmend. Sie haben eine
Gehirnmaſſe, welche nach hinten zwei ziemlich dünne Fäden abgiebt,
die ſich in den großen, rundlichen, einzigen Körperknoten einſenken,
aus welchem nach hinten ein einfacher, knotenloſer Nervenſtamm durch
den rudimentären Hinterleib entſendet wird. Der Magen iſt, wie
bei den vorigen Unterordnungen der Zehnfüßer, innen mit Hornzäh-
nen oder Haaren ausgerüſtet, und ſetzt ſich dann in den geraden
Darm fort, welcher an der Spitze des eingeſchlagenen Hinterleibes
nach außen mündet. Die Lebermaſſen erfüllen die Seitentheile des
Körpers zwiſchen den Kiemen einerſeits und dem Magen anderer-
ſeits. Das Herz iſt ſternförmig unter dem hinteren Theile des Rücken-
ſchildes in der Mitte gelegen, ſonſt aber nicht verſchieden in Bau
und Anordnung von demjenigen der Krebſe. Die Kiemen haben
ſtets eine pyramidale Geſtalt, und ſind aus einzelnen Blättchen zu-
ſammengeſetzt. Ihre Zahl iſt weit geringer, als bei den langſchwän-
zigen Krebſen und namentlich iſt ſtets der Raum über den beiden
letzten Fußpaaren vollkommen kiemenlos. Die Eierſtöcke ſind lange,
gewundene Röhren, die theils vorn, theils hinten in der Körper-
ſcheibe liegen, und ſich jederſeits zu einer kurzen Scheide verbinden,
die, wie ſchon bemerkt, auf dem Bauchſchilde ausmündet; vor der Aus-
mündung befindet ſich an jeder Scheide eine birnförmige Samentaſche,
in welcher nach der Begattung der Samen aufbewahrt wird und die
vorbeiſchlüpfenden Eier befruchtet. Die aus ſehr engen Röhrchen zu-
ſammengewundenen Hodenknäuel nehmen bei den Männchen dieſelbe
Lagerung ein, wie die Eierſtöcke bei den Weibchen; dagegen öffnen
ſich die Samenleiter in zwei röhrenförmige, am Bauchſchilde befeſtigte
Ruthen, welche von dem Hinterleibe in der Ruhe bedeckt werden.


Die Eier werden von den weiblichen Krabben, wie ſchon be-
merkt, unter dem Bauche getragen, und die Embryonen ſchlüpfen in
Geſtalt großäugiger Krebschen aus, welche in der Geſtalt viele Aehn-
lichkeit mit den langſchwänzigen Krebſen zeigen, ein längliches Rücken-
ſchild und einen bedeutenden Hinterleib beſitzen, mit dem ſie ſehr
30*
[468]

Figure 374. Fig. 525. Fig. 526.

Larvenzuſtände einer Krabbe (Carcinus maenas).
Fig. 525. Erſter Zuſtand (Zoëa) von der Seite geſehen, um die großen
Augen, Rücken- und Schnabelſtachel, Schwimmfüße und langen Hinterleib zu
zeigen. Fig. 526. Die Larve nach mehreren Häutungen, als langſchwänziger
Krebs mit Schwimmfloſſen am Hinterleibe (Megalops).


lebhaft herumſchwimmen. Bei der erſten Häutung erhalten dieſe
Thierchen mitten auf dem gewölbten Rückenſchilde einen unverhältniß-
mäßig langen, hornartig gekrümmten Stachel, während zugleich der
vordere Schnabel des Schildes einen zweiten, nach unten gekrümmten
Stachel bildet, der dem Rückenſtachel an Länge Nichts nachgiebt.
Die Augen ſind ungeheuer groß und ſtehen auf beweglichen Stielen;
die Anhänge der Füße wechſeln ſehr in Geſtalt und Form, da alle
dieſe Thierchen gewöhnlich verſchiedenen Entwickelungszuſtänden ange-
hören, die man früher unter dem Gattungsnamen Zoëa zuſammen-
faßte. Der Hinterleib dieſer Larven iſt ſehr entwickelt und am Ende
mit bedeutenden Floſſenborſten verſehen. Nach wiederholten Häutun-
gen erlangen dieſe Larven eine weitere Form, welche man ebenfalls
als beſondere Gattung unter dem Namen Megalops beſchrieben hat.
In dieſer Geſtalt haben die Thiere die beiden gekrümmten Horn-
ſtacheln verloren; die beiden Fühlerpaare ſind deutlich, das Rückenſchild
hat eine länglich leyerförmige Geſtalt, die fünf Fußpaare ſind voll-
ſtändig da, das vorderſte mit Scheeren bewaffnet, nur der Hinterleib
iſt noch ſehr lang und mit falſchen Füßen beſetzt, welche Floſſenborſten
tragen; dieſe brauchen nur verloren zu gehen und der rudimentäre
Hinterleib unter das ſchon bedeutend breite Vauchſchild untergeſchlagen
zu werden, ſo iſt die junge Krabbe auch in der Geſtalt ihren Eltern
[469] ähnlich. Die erſten foſſilen Repräſentanten der Krabben erſcheinen
in der mittleren Kreide; häufig werden ihre Ueberreſte erſt in der Ter-
tiärzeit gefunden; in der Jetztwelt bilden ſie an wechſelnden Formen
die bei Weitem zahlreichſte Gruppe der Kruſtenthiere.


Figure 375. Fig. 527.

Spinnenkrabbe (Maja).


Die Familie der Spinnenkrabben(Oxyrhyncha) hat ein gewöhn-
lich dreieckiges nach vorn zugeſpitztes Rückenſchild, welches meiſt rauh
und mit Stacheln, Warzen oder Knoten dicht beſetzt iſt. Die Stirn
bildet gewöhnlich einen einfachen oder doppelten ſchmalen Schnabel,
die Augenhöhlen ſind ſchief nach außen gerichtet und oft ſo klein, daß die
Augenſtiele nicht vollſtändig darin zurückgelegt werden können. Die
inneren Fühler ſind gewöhnlich klein, ihre Gruben von den Augen-
höhlen vollſtändig getrennt; die äußeren Fühler dagegen groß und an
ihrer Baſis mit der inneren Wand der Augenhöhle verſchmolzen. Die
äußeren Kaufüße liegen ganz in dem Mundrahmen verborgen, ihr
erſtes Glied iſt ſehr groß und dient als Klappe vor dem Eingange
der Kiemenhöhle. Das Bauchſchild iſt faſt kreisrund, die Füße von
ſehr verſchiedener Entwickelung. Das vordere Scheerenpaar iſt meiſt
auf beiden Seiten gleich und die Scheere gewöhnlich nicht ſehr ſtark.
Die vier Gehfüße ſind gewöhnlich lang und dünn, oft von einer ganz
unverhältnißmäßigen Länge, ſo daß die Thiere faſt wie Weberſpinnen
ausſehen; — niemals ſind dieſe Füße zum Schwimmen abgeplattet,
ſondern ſtets nur einfach zugeſpitzt oder höchſtens mit einer Andeutung
von Scheerenbildung verſehen. Die Ruthenkanäle ſtehen auf der Baſis
des hinteren Fußpaares, wie dieß auch bei den anderen Krabben mit
[470] Ausnahme einer Familie gewöhnlich iſt. Der Hinterleib wechſelt ſehr,
gewöhnlich zeigt er ſieben Ringe, oft aber findet man bei den Weib-
chen dieſe Zahl bis auf vier reducirt. Die Krabben dieſer Familie
wohnen alle im Meere und die meiſten in bedeutenden Tiefen; keine
Gattung lebt an dem Ufer, und die meiſten ſterben ſehr bald, nach-
dem man ſie aus dem Waſſer hervorgezogen hat. Leptopodius; Ste-
norhynchus; Inachus; Hyas; Maja; Leucippe; Eurynome; Parthenope.


Die Familie der Rundkrabben (Oxystomata) hat einen mehr
oder minder kreisförmigen Rückenſchild, der bald mehr nach hinten,
bald mehr nach vornen verſchmälert iſt, aber niemals einen vorſprin-
genden Stirnſchnabel zeigt. Der Mundrahmen iſt gewöhnlich drei-
eckig und vorn bis zwiſchen die Augen hin vorgezogen. Die äußeren
Kaufüße decken ihn nie vollſtändig, ſo daß an ſeiner vorderen Spitze
eine Oeffnung zum Durchtritte des Waſſers für die Kiemenhöhle exiſtirt,
während der ſonſt bei den Krabben vorkommende Spalt an der Baſis
der Kiemenhöhle fehlt. Die Exiſtenz des erwähnten Kanales iſt der
weſentlichſte Charakter dieſer Familie, deren Hinterfüße vielfach wech-
ſeln, indem ſie bald mit breiten Schwimmlappen, bald mit Krallen
endigen. Die vorderen Scheerenfüße ſind indeß im Allgemeinen ſehr
kurz, bogenförmig gekrümmt, dick und maſſiv und meiſtens von vorn
nach hinten zuſammengedrückt, ſo daß ſie oben und unten einen ſchar-
fen Kamm zeigen und oft ſo an den Stirnrand der Schale angelegt
werden können, daß man ſie von oben im zuſammengezogenen Zuſtande
nicht ſehen kann. Calappa; Matuta; Leucosia; Ilia; Corystes; Dorippe.


Die Familie der Bogenkrabben (Cyclometopa) haben ein Rücken-
ſchild, welches ſtets breiter als lang iſt, und namentlich vorn dieſe

Figure 376. Fig. 528.

Pupart-Krabbe (Cancer pagurus).


bedeutende Breite beſitzt, wo es einen
regelmäßigen Bogen bildet, während
es hinten quer abgeſtutzt iſt. Der
vordere Bogenrand iſt bald glatt,
bald mit Zacken und Spitzen beſetzt,
aber niemals in einen mittleren
Schnabel ausgezogen; die Ränder
des ganzen Schildes ſind gewöhn-
lich ſcharf, die Augenhöhlen tief,
nach vorn und oben gerichtet, die
Augenſtiele zuweilen ungeheuer lang
[471]

Figure 377. Fig. 529.

Augenkrabbe (Podophthalmus).


und ſehr beweglich. Die
Scheerenfüße ſind im-
mer ſehr entwickelt, die
Scheeren ſehr kräftig,
hart und innen gezähnt;
das hintere Paar der
anderen Füße iſt bald
zum Schwimmen abge-
plattet, bald zum Gehen
mit einer Kralle ausge-
rüſtet. Hiernach wechſelt
denn auch die Lebensart der Gattungen, welche dieſer Familie ange-
hören, indem die einen, die Schwimmer, mehr das hohe Meer ſuchen,
die anderen an den Küſten leben und oft ſo hoch am Strande, daß
ſie bei der Ebbe auf das Trockene gerathen, wo ſie ſich dann im
Sande eingraben. Oethra; Cancer; Eryphia; Carcinus; Portunus;
Podophthalmus; Polybia.


Die Familie der Landkrabben (Catometopa) zeichnet ſich im All-
gemeinen durch die Dicke ihres Körpers aus. Das Rückenſchild iſt

Figure 378. Fig. 530.

Flußkrabbe (Telphusa).


gewöhnlich länger als breit, faſt
viereckig, ſein Vorderrand gerad-
linig oder wenig gebogen, die Sei-
tenränder deutlich abgeſetzt und nicht
wie bei den Rundkrabben, mit der
Bogenlinie des Vorderrandes ver-
ſchwommen. Die Augenſtiele er-
ſcheinen meiſt lang und dünn, die
Fühlergruben häufig mit der Augen-
höhle verſchmolzen, die äußeren
Fühler ſehr kurz, der Mundrahmen
faſt immer vierſeitig, niemals bis zwiſchen die Augen vorgeſchoben.
Das Bauchſchild iſt meiſt breiter als lang, nach vorn zugeſpitzt, die
Scheerenfüße ſehr wechſelnd, ſehr häufig ungleich auf beiden Seiten,
in anderen Fällen maſſiv, aber dafür faſt immer kürzer als die Geh-
füße, welche ſtets mit Krallen am Ende beſetzt ſind. Die Männchen
unterſcheiden ſich auf den erſten Blick von denen aller übrigen Fami-
lien dadurch, daß die Oeffnungen ihrer Samenleiter nicht, wie bei den
übrigen Krabben, auf dem letzten Fußpaare, ſondern vielmehr auf
dem Bauchſchilde ſelbſt angebracht ſind. Mehrere Gattungen dieſer
Familie bewohnen nur das Meer in bedeutender Tiefe, und eine
[472] (Pinnotheres) iſt ſogar von Alters her berühmt, weil ſie nur als
Schmarotzer innerhalb der Schalen großer Muſcheln, beſonders der
Steckmuſchel, ihre Wohnung aufſchlägt. Die meiſten Gattungen be-
wohnen den Meeresſtrand, gewöhnlich in Erdlöchern oder im Sande
vergraben, und jagen bei Nacht nach ihrem Raube umher, wobei ſie
mit außerordentlicher Geſchwindigkeit auf dem Sande laufen; andere
bewohnen die ſüßen Gewäſſer ſüdlicher Gegenden, und die eigentlichen

Figure 379. Fig. 531.

Turluru (Gecarcinus).


Landkrabben endlich, welche
ſich nur in den tropiſchen
Zonen finden, leben vollſtän-
dig auf dem Feſtlande, beſon-
ders an den Abhängen der
Gebirge, wo ſie feuchte Zu-
fluchtsſtätten finden, die ſie
Nachts verlaſſen, um ihrer
Nahrung nachzugehen. Die Kiemenhöhlen dieſer Landkrabben, die in
ungeheuren Mengen gefangen und verſpeiſt werden, ſind ſehr geräu-
mig und mit einer Menge faltiger Blätter beſetzt, in welchen die
Feuchtigkeit ſich ſehr lange erhält. Einmal im Jahre ziehen dieſe
Krabben in großen Schaaren von ihren Zufluchtsorten, die oft mei-
lenweit vom Strande entfernt ſind, dem Meere zu, um dort ihre Eier
abzulegen, worauf ſie wieder in das Innere des Landes zurückkehren.
Thelphusa; Uca; Cardisoma; Gecarcinus; Pinnotheres; Ocypoda;
Gelasimus; Gonoplacus: Macrophthalmus; Grapsus
.


Unterklaſſe der Kruſtenthiere mit Sitzaugen. (Edriophthalma).


Dieſe unterſcheidet ſich weſentlich von den vorhergehenden Unterklaſſen
durch die Eintheilung ihres Körpers, der ſowohl einen geſonderten Kopf,
als auch getrennte Bruſtringe beſitzt und niemals jene Verwachſungen
dieſer einzelnen Theile zu einer Kopfbruſt zeigt, welche wir bei den
vorigen Unterklaſſen antrafen. Der Kopf trägt ſtets die Fühler, die
Mundwerkzeuge und die Augen, welche niemals auf einem beweglichen
Stiele ſitzen, ſondern in die Schale ſelbſt eingelaſſen ſind und bald
aus gehäuften Nebenaugen zuſammengeſetzt, zuweilen aber auch mit
[473] fazettirten Hornhäuten verſehen ſind. Die Mundwerkzeuge ſind in
dieſer Unterklaſſe gewöhnlich weit einfacher geſtaltet, als bei der vor-
herigen, und namentlich iſt meiſt nur ein einziges Paar von Kau-
füßen vorhanden, welches in der Mittellinie zu einer Art von Unter-
lippe zuſammengewachſen iſt. Gewöhnlich finden ſich ſieben Fußpaare,
die bei den meiſten Gattungen in ihrer Form vollkommen gleich ge-
ſtaltet ſind, bei anderen aber auch vielfache Abweichungen zeigen.
Hinſichtlich der Reſpirationswerkzeuge finden ſich die ſeltſamſten Ver-
ſchiedenheiten, indem bei den einen dieſelben ganz fehlen, bei anderen
an der Baſis der Füße beſondere Kiemenplatten exiſtiren, und bei einer
dritten Gruppe die Bauchfüße im Ganzen zu Athemplatten umgeſtal-
tet ſind. Bei einigen Gattungen ſind ſogar eigenthümliche Luftröhren
in dieſen Platten entwickelt, welche hinſichtlich der Athmung einen An-
ſchluß an die höheren Klaſſen der Gliederthiere vorbereiten. Die
Entwickelung der Jungen hat bei dieſer ganzen Klaſſe viele Aehnlich-
keit mit derjenigen der Arachniden und Inſekten. Der Embryo bildet
zuerſt eine ſchmale, lange Platte, welche mit der Rückſeite über den
gefärbten Dotter herübergekrümmt iſt und Anfangs nur die Andeu-
tungen der einzelnen Ringel gewahren läßt; allmählig ſproſſen Füh-
ler, Augen und Füße hervor, während ſich zugleich der Anfangs
gliederloſe Hinterleib unterſcheiden läßt; der Embryo bleibt noch lange
mit ſeiner Rückſeite um den Dotter herumgekrümmt, deſſen Reſte ſich
ſogar bei dem Ausſchlüpfen noch erkennen laſſen. Das junge Thier,
welches das Ei verläßt, weicht nur hinſichtlich der Proportionen ſei-
ner einzelnen Körpertheile, vielleicht auch nach der Zahl der Füße,
welche unter dem Bauche befeſtigt ſind, von den erwachſenen Thieren
ab, beſteht alſo keine eigentliche Metamorphoſe, wie einige Unterord-
nungen der zehnfüßigen Krebſe.


Wir theilen dieſe Unterklaſſe hauptſächlich nach der Ausbildung
des Hinterleibes und der Füße in drei Ordnungen, von denen die
letzte mit ihren erdbewohnenden Gattungen, die förmliche Luftathmung
beſitzen, ſich auf das engſte an die Klaſſe der Tauſendfüße anſchließt.


Die Ordnung der Kehlfüßer (Laemodipoda) beſteht nur
aus wenigen Gattungen, die ſich auf den erſten Blick durch den gänz-
[474]

Figure 380. Fig. 532.

Wallfiſchlaus (Cyamus ceti).


lich verkümmerten Hinterleib unterſchei-
den, der meiſt nur durch einen kaum
bemerkbaren, knopfförmigen Anhang dar-
geſtellt wird. Der Kopf dieſer Thiere
iſt cylindriſch zuſammengedrückt und noch
mit dem erſten Bruſtringe verwachſen, ſo
daß er das erſte Fußpaar trägt; eine
Bildung, welche offenbar den Uebergang
zu der vorigen Unterklaſſe macht, wo der
Kopf mit der ganzen Bruſt verwachſen
war. Es ſind ſtets vier Fühler vorhan-
den, die immer eine cylindriſche oder bor-
ſtenförmige Geſtalt haben. Die Mund-
werkzeuge beſtehen aus einer faſt kreisförmigen Lippe, einfachen, ſtark
gezähnelten Kiefern, zwei Paar blättrigen Kinnladen und einem Paare
großer Kaufüße, die lange Taſtergeißeln tragen. Die Normalzahl
der Füße iſt ſieben, zuweilen aber ſind ſtatt des dritten und vierten
Fußpaares eigenthümliche Blaſen entwickelt, welche die Athemwerkzeuge
vervollſtändigen und meiſt auch an dem zweiten Ringe vorkommen.
Die übrigen Füße ſind gewöhnlich mit ſcharfen, klingenförmig ein-
ſchlagbaren Haken, niemals mit Scheeren bewaffnet.


Das Nervenſyſtem beſteht aus acht Knoten, von denen die
beiden vorderſten in dem gemeinſchaftlichen Kopfbruſtringe liegen,
während die Verbindungsfäden der hinteren nahe zuſammen gerückt
ſind. Die Augen haben eine glatte Hornhaut, hinter welcher eine
Menge einzelner, lichtbrechender Kegel ſteht. Der Magen, der übri-
gens nicht bedeutend iſt, trägt innen ſeitliche gezähnte Hornleiſten.
Die Leber beſteht aus langen, gewundenen Drüſenſchläuchen, die den
geraden Darmkanal auf ſeinem Wege umgeben. Ueber den Blut-
kreislauf
ſind keine ſicheren Beobachtungen vorhanden. Die Kie-
men beſchränken ſich auf bald birnförmige, bald lange, cylindriſche
Schläuche, welche theils an der Baſis der Füße, theils an den fuß-
loſen Abſchnitten ſitzen, niemals aber die Zahl von vier Paaren
überſchreiten. Die Eierſtöcke bilden zwei einfache Schläuche, deren
Eileiter ſich an der inneren Seite des fünften Fußpaares öffnen und
aus welchen die Eier in eine eigene Bruttaſche übergehen, die aus
mehreren Blättern gebildet wird, welche an den fußloſen, kiemen-
tragenden Leibesringen befeſtigt ſind. Die männlichen Geſchlechtstheile
gleichen in der Form ganz den weiblichen, nur finden ſich ihre Oeff-
[475] nungen weiter hinten am Körper, neben dem After, auf zwei weichen,
warzenartigen Ruthen.


Die kleine Ordnung zerfällt in zwei Familien. Die Wallfiſch-
läuſe
(Cyamida), welche die erſte dieſer Familien bilden, leben als
Schmarotzer auf der äußeren Haut der Wallfiſche und haben einen
breiten, quer gegliederten Körper, auf dem ein rundlicher, kleiner Kopf
mit großen, viergliedrigen Fühlern aufſitzt. Die mittleren Fühler, ſo
wie die am Kopfringe befeſtigten Füße ſind ſehr klein, dagegen das
zweite Fußpaar, welches an dem erſten Bruſtringe befeſtigt iſt, gewaltig
groß und mit ſcharfen Klauen bewaffnet iſt; — die zwei folgenden
Bruſtringe tragen keine Füße, ſondern lange ſchlauchförmige Kiemen
und bei dem Weibchen auf der Bauchfläche die großen Schuppen der
Bruttaſche; die drei hinteren Fußpaare ſind, wie das zweite, ſehr
maſſiv und mit ſcharfen Krallen ausgerüſtet. Cyamus.


Die Familie der Geſpenſtkrebſe(Caprellida) zeigt einen langen,
fadenförmigen Körper, mit dünnen, langen Ringeln und zwei Paaren
vorderer Raubfüße. Bei einer Gattung ſind ſieben vollſtändige Fuß-
paare vorhanden, bei einer anderen fehlt das dritte und vierte und
iſt durch birnförmige Kiemenſäcke erſetzt; die beiden Fühlerpaare ſind
faſt gleichmäßig entwickelt. Die kleinen, ſtabförmigen Thierchen ſitzen
meiſt angeklammert auf Tangen und Meerpflanzen. Caprella; Lep-
tomerus
.


Die Ordnung der Flohkrebſe (Amphipoda) begreift eine
größere Anzahl kleinerer Thiere, welche ſich gewöhnlich durch die

Figure 381. Fig. 533.

Crevettine (Talitrus).


außerordentliche Schnelligkeit ihrer Be-
wegung auszeichnen, theilweiſe aber auch
ſchmarotzend in anderen Seethieren ſich
aufhalten. Keines der zu dieſer Ord-
nung gehörigen Thiere mag die Länge
von 2 Zollen überſchreiten. Ihr Kopf
iſt vollkommen von dem erſten Bruſtringe
getrennt, nicht, wie bei der vorigen Ord-
nung, mit demſelben verſchmolzen, und
trägt ſtets zwei ziemlich bedeutende, ge-
häufte Augen, denen zuweilen ſelbſt eine gemeinſchaftliche Hornhaut
abzugehen ſcheint, während in anderen Fällen unter der glatten Horn-
haut eine zweite fazettirte ſich findet. Gewöhnlich ſind vier Fühler
vorhanden, die auf den Seiten des Kopfes unter einander ſtehen und
[476] oft eine ſehr bedeutende Länge erreichen. Die Mundwerkzeuge beſtehen
aus einer Oberlippe, einem Paare gezähnter Kiefer, die einen Taſter
tragen, zwei Paar Kinnladen und einem Paare Kaufüße, die in der
Mitte zu einer Art Unterlippe verwachſen. Die Bruſt iſt ſtets in
ſechs oder ſieben Ringe getheilt, die ſich auf den Seiten hinabkrümmen
und hier eigene Deckſchilde für die Baſis der Füße bilden, die ge-
wöhnlich einfach ſind und meiſt an ihrem Grunde eine große häutige
Kiemenblaſe tragen. Die Weibchen zeigen oft an der Baſis ihrer
Füße eigene cylindriſche Anhänge, welche dazu beſtimmt ſind, die Eier
feſtzuhalten, die ſie unter dem Bauche tragen. Der Hinterleib iſt ſehr
entwickelt und meiſt mit vielfachen Anhängen verſehen; die drei erſten
Paare der Bauchfüße geſtalten ſich zu Schwimmorganen und tragen
lange, hornige, ſtark behaarte Endblätter; die hinteren Paare ſind
gänzlich an das Ende des Leibes gerückt, und bald blättrig, ſo daß
ſie eine Schwimmfloſſe bilden, bald auch in Form langer, ſtielförmiger
Griffel ausgezogen, auf die ſich die Thiere bei untergeſchlagenem Bauche
ſtützen, und die ihnen ſo gewiſſermaßen als Springſtangen dienen.


Das Nervenſyſtem der Flohkrebſe zeigt einen meiſt ziemlich
bedeutenden Hirnknoten und zehn bis zwölf Knoten des Bauchmarkes,
die durch doppelte Längsfäden mit einander verbunden ſind und von
denen die vorderen größer ſind, als die hinteren, die in dem Verlaufe
des Bauches liegen. Der Magen iſt klein, ohne hornige innere Aus-
kleidung, die Leberſchläuche lang und gewunden, das Herz röhren-
förmig, der Mittellinie des Rückens entlang ausgeſtreckt, die Eierſtöcke
in Schlauchform ausgebildet und die Oeffnungen der Eileiter an dem
fünften Fußpaare angebracht; die Hoden gleichen in ihrer Geſtalt ſehr
den Eierſtöcken und die Samenleiter öffnen ſich vor dem erſten Bauch-
fußpaare in der Nähe der Mittellinie. Wir unterſcheiden folgende
Familien, die beide im foſſilen Zuſtande, aber nur in den jüngeren
Tertiärſchichten vertreten ſind.


Die Familie der Quallenflöhe(Hyperida). Sie zeigen einen
dicken, großen Kopf, an deſſen Seiten die großen Augen ſich auszeich-
nen, deren einzelne Linſen ziemlich weit von einander ſtehen; der
Körper iſt breit, gedrungen, der Hinterleib im Ganzen wenig ent-
wickelt, die Fühler entweder rudimentär, kaum entwickelt, oder ziemlich
ausgebildet, dann aber gewöhnlich von ſonderbar bizarrer Form; die
Kaufüße ſind ſehr klein, die von ihnen gebildete Unterlippe unbedeu-
tend und ermangelt gänzlich der Taſter; die Bruſt iſt zuweilen nur
aus ſechs Ringen zuſammengeſetzt, die Füße gewöhnlich nach außen
[477] umgebogen, ungleich und einige Paare derſelben oft zu höchſt ſonder-
baren Greiforganen mit einſchlagbaren Hornklingen ausgebildet. Der
Hinterleib bildet eine Schwimmfloſſe, die gewöhnlich aus mehreren
ſeitlichen Blättern zuſammengeſetzt iſt. Die Thiere dieſer Familie
ſchwimmen im Allgemeinen gut, können aber nicht ſpringen und heften
ſich gewöhnlich an Quallen und ähnliche gallertartige Seethiere an,
in deren Inneres ſie eindringen, um die Körperſubſtanz zu verzeh-
ren. Hyperia; Tyro; Lestrigon; Phronimus; Typhis.


Die Familie der Flohkrebſe (Gammarida) kommt ſowohl im ſüßen
Waſſer, als beſonders häufig im Meere an dem Strande vor, wo ſie
zu Tauſenden in Schwärmen umher hüpfen, oder mit ihren langen
Fühlern den Schlamm aufklopfen, um die darin verborgenen Würmer
aufzuſuchen. Der Kopf dieſer Thierchen iſt weit kleiner, als in der
vorigen Familie, zugerundet und mit zwei Paaren gewaltig großer
Fühler beſetzt, die unter einander ſtehen. Die Kaufüße ſind ſehr groß,
die Unterlippe bedeutend entwickelt und an ihrer Seite zwei lange
geißelförmige Taſter angebracht. Die Bruſt hat ſtets ſieben Ringe
und die zwei vorderen Fußpaare ſind gewöhnlich am ſtärkſten und
zum Greifen der Beute oder zum Aufwühlen des Bodens geeignet;
die Seitenſtücke der Rückenſchilde ſteigen gewöhnlich ſehr tief herab
und bilden ſo eine Art tiefer Rinne, in welcher ſich die Füße faſt nur
von hinten nach vorn bewegen können. Je nach der Organiſation
des Hinterleibes hat man zwei Gruppen unterſchieden; bei der einen
(Erichthonius, Corophia) iſt der Hinterleib nur mäßig gebogen und
die letzten falſchen Fußpaare gehen in kurze Blätter aus, die eine Art
Floſſe darſtellen; die Thiere dieſer Gruppe ſpringen nicht, ſondern
laufen nur mit großer Schnelligkeit, oder wühlen auch im Sande;
bei der Gruppe der eigentlichen Flohkrebſe hingegen (Talitrus, Orchestia,
Gammarus, Leucothoë
) iſt der Hinterleib ſtark gebogen, ſeitlich zuſam-
mengedrückt und die hinteren Afterfüße in lange Springborſten umge-
wandelt. Eine Gattung dieſer Gruppe, die ſtets auf der Seite
ſchwimmt, kommt in unſeren ſüßen Gewäſſern vor und ſoll, in Menge
genoſſen, die röthliche Färbung des Fleiſches der Forellen hervor-
bringen.


Die letzte Ordnung dieſer Unterklaſſe, welche zugleich die höchſt
organiſirten Kruſtenthiere enthält, die ſich am nächſten den Tauſend-
füßen anſchließen, iſt die Ordnung der Aſſeln (Isopoda), in der
[478]

Figure 382. Fig. 534.

Kelleraſſel (Oniscus).
c Kopf. t1 bis t7 Bruſtringe.
ab Hinterleib. p—pp Fuß-
paare.


man eine förmliche Reihe, von ſchmarotzen-
den Formen an, deren Organiſation faſt
gänzlich unkenntlich wird, bis zu hoch orga-
niſirten, luftathmenden Landthieren verfolgen
kann.


Der Körper der Aſſeln iſt gewöhnlich
platt, von oben nach unten zuſammengedrückt,
bald mehr länglich, bald eiförmig, oder
ſelbſt der Kreisform ſich nähernd; ihr Kopf
iſt klein, aber ſtets deutlich von dem erſten
Bruſtringe getrennt; die gewöhnlich gehäuf-
ten, ſeltener zuſammengeſetzten Augen rund,
zuweilen von bedeutender Größe; die Fühler
von mäßiger Länge, gewöhnlich quer nach Außen geſtellt, die vorderen
zuweilen rudimentär; die Mundwerkzeuge ſind wohl ausgebildet, die
Kiefer ſtark, gezähnelt, die Kaufüße ſehr groß, aber von wechſelnder
Form; die Bruſt beſteht aus ſieben Ringen, deren Seitenränder meiſt
blattartig vorragen; jeder Bruſtring trägt ein Paar Füße, die faſt
immer von gleicher Form ſind und am Ende eine ſcharfe Klaue, nie-
mals eine Scheere haben; an ihrer Baſis tragen dieſe Füße bei den
Weibchen eine breite Platte zur Aufbewahrung der Eier, niemals aber
ſolche Kiemenblätter, wie bei den vorhergehenden Ordnungen. Der
Hinterleib iſt wohl ausgebildet, urſprünglich aus ſechs Ringen zuſam-
mengeſetzt, die aber zuweilen mit einander verſchmolzen ſind. Die
Bauchfüße tragen jeder zwei große, häutige, eiförmige Blätter, deren
inneres Blatt ſehr zart iſt und als Kiemenblatt fungirt; das ſechſte
Bauchfußpaar dagegen weicht von den vorhergehenden in ſeiner Bil-
dung ab und zeigt ſich gewöhnlich in Geſtalt eines deckelartigen Flü-
gels, der ſich über die anderen Kiemenblätter hinüberklappen kann;
zuweilen auch bilden dieſe letzten Bauchfüße eine Art ſtielförmigen
Schwanzes oder eine Floſſe.


Das Nervenſyſtem der Aſſeln beſteht aus einem ziemlich großen
Hirnknoten, aus ſieben, gewöhnlich gleichmäßig großen Bruſtknoten,
die durch Längsfäden mit einander verbunden ſind und auf die zu-
weilen noch mehrere kleine Hirnknötchen folgen. Der Magen iſt in-
nen mit gezähnten Hornleiſten beſetzt und das Herz erſtreckt ſich über
die ganze Länge des Rückens. Die oben beſchriebenen Kiemenblätter
erleiden bei den Landaſſeln bemerkenswerthe Modificationen, die wir
bei dieſer Familie betrachten werden. Eierſtöcke und Hoden gleichen
ſich in ihrer Geſtalt und bilden ſeitliche Blindſchläuche, die ſich bei
[479] den Weibchen an der Baſis des fünften Fußpaares, bei den Männ-
chen auf dem letzten Bruſtringel, entweder auf doppelten, warzenarti-
gen Ruthen, oder in einer einzigen kurzen Ruthe öffnen, welche durch
zwei lange Stiele, die von dem zweiten Bauchfußpaare ausgehen, noch
unterſtützt wird. Wir unterſcheiden folgende Familien, von welchen
nur zwei in älteren Schichten vertreten ſind: die Waſſeraſſeln vom oberen
Jura an, die Landaſſeln dagegen erſt in den jüngeren Tertiärſchichten.


Die Familie der Lausaſſeln (Bopyrida) wird nur von einer

Figure 383. Fig. 535. Fig. 536.

Bopyrus.
Fig. 535. Weibchen des Bopyrus
squillarum,
von der Bauchfläche geſehen,
um die Eier, die Klammerfüße, die fal-
ſchen Füße und den unſymmetriſchen Bau
zu zeigen. Fig. 536. Das Männchen
von oben.


einzigen Gattung (Bopyrus) gebil-
det, welche ſchmarotzend in der Kie-
menhöhle der Garneelen lebt. Das
Männchen hat einen langgeſtreckten
Körper mit ſchmalen, ausgezackten
Bruſtringen, verſchmolzenem Hin-
terleibe und kleinen, mit Krallen
verſehenen Füßen; das Weibchen iſt
etwa ſechsmal größer und bildet ein
breites, verkehrt eiförmiges Schild,
das ſtets unſymmetriſch iſt, auf der
Rückſeite nur die Furchen der ver-
ſchmolzenen Ringe, und auf der
Unterſeite die vierzehn hakenförmigen
Klammerfüße zeigt. Der Kopf iſt gänzlich untergeſchoben und augen-
los, der Hinterleib innen mit häutigen Platten verſehen. Die Jun-
gen dieſer Thiere ſollen beim Ausſchlüpfen aus dem Eie den jungen
Waſſerflöhen ähnlich ſehen, was, wenn es ſich erwahren ſollte, unbe-
dingt die Stellung dieſer Familie von den Aſſeln weg zu den eigent-
lichen Schmarotzerkrebſen bedingen würde.


Die Familie der Fiſchaſſeln (Cymothoida) lebt ebenfalls ſchma-

Figure 384. Fig. 537.

Fiſchaſſel (Anilocrus).


rotzend, aber meiſtens auf Fiſchen, an deren
Schwanz ſie ſich beſonders gern anklammern;
ihr Körper iſt gewöhnlich länglich eiförmig,
abgeplattet, der Kopf klein, die beiden Fühler-
paare kurz; die kurzen Füße, welche unter den
wohlgetrennten Bruſtringen ſtehen, ſind kräftig,
gekrümmt und mit Haken verſehen; die Haken
der drei erſten Fußpaare ſind ſtets ſehr ſtark
und einſchlagbar, ſo daß ſie förmliche Klammern
bilden. Die fünf erſten Hinterleibsringe ſind
ſchmal, aber deutlich geſchieden, der letzte breit,
blattförmig und zu einer Schwimmfloſſe umge-
[480] ſtaltet. Beim Ausſchlüpfen aus dem Eie haben die Thiere nur ſechs
Füße, und ihr Hinterleib bildet eine breite Floſſe, mit der ſie leicht
ſchwimmen; in der ſpäteren Schmarotzerperiode geht dieſe Fähigkeit faſt
ganz verloren. Doch finden mancherlei Unterſchiede hinſichtlich der Fixi-
rung dieſer Thiere ſtatt, indem die einen, welche nur Klammerfüße
beſitzen, ſich für immer feſthaken, während die anderen, deren hintere
Bruſtfüße zum Gehen eingerichtet ſind, ſich weniger feſt an einem be-
ſtimmten Orte fixiren. Serolis; Cirolanus; Aega; Nerocilus; Anilocrus;
Cymothoë; Jone
.


Die Familie der Kugelaſſeln (Sphaeromida) zeigt einen breiten,

Figure 385. Fig. 538.

Kugelaſſel (Sphaeroma).


ſchildförmigen Körper, großen queren Kopf,
mit ſeitlich geſtellten, einander ſehr genäherten
Fühlern, deren Füße ziemlich kurz, aber dünn
und nur zum Gehen eingerichtet ſind. Die
fünf erſten Hinterleibsringe ſind mit einander
verwachſen, der letzte aber ſehr groß und
ſchildförmig. Die Thiere können ſich zuſam-
menkugeln, wobei dieſes Hinterleibsſchild theil-
weiſe den Kopf in ſeine flache Höhlung auf-
nimmt. Sie leben frei im Meere, beſonders an felſigen Küſten.
Sphaeroma; Cymodoce; Cerceis.


Die Familie der Schachtaſſeln (Idotheida) lebt ebenfalls nur im

Figure 386. Fig. 539.

Schachtaſſel (Idothea).


Meere und unterſcheidet ſich durch ihre lange
geſtreckte Körperform, die kleinen inneren und
die ſehr bedeutend entwickelten äußeren Fühler,
auf deren äußerer Seite die kleinen, rundlichen
Augen ſitzen. Die ſieben Fußpaare ſind bei
den verſchiedenen Gattungen verſchieden geſtal-
tet, indem ſie bei den einen vollkommen gleich,
kurz und dünn ſind, nur zum Gehen tauglich,
während bei anderen Gattungen nur die hin-
teren Paare lange Gehfüße darſtellen, während
die vorderen zu pinſelartigen Schwimmfüßen
umgewandelt ſind. Die vorderen Hinterleibs-
ringe ſind deutlich geſchieden, der letzte aber groß, lang, ohne Anhänge,
und auf ſeiner Innenfläche mit zwei großen Klappen verſehen, die
wie zwei Flügelthüren den ganzen Kiemenapparat decken können. Die
Thiere leben ſämmtlich frei im Meere, zeigen aber nichts Auffallendes
hinſichtlich ihrer Lebensart. Arcturus; Idothea.


Die Familie der Waſſeraſſeln (Asellida) ſchließt ſich ſehr eng
[481] an die vorhergehende an, unterſcheidet ſich aber von derſelben durch
die Exiſtenz von ſtielförmigen Anhängen, welche an dem ſchildförmigen
Gliede des Hinterleibes befeſtigt ſind. Der Körper iſt meiſtens ziem-
lich lang, die inneren Fühler ſehr klein, die Füße entweder einander
gleich, oder die vorderen zu Greiforganen ausgebildet. Die Thiere
leben theils im ſüßen Waſſer, theils in dem Meere, und eine Art der
letzteren (Limnoria) richtet durch Anfreſſen des Holzwerkes in manchen
Häfen großen Schaden an. Asellus; Limnoria; Jaera; Apseudes;
Tanais; Lygia
.


Die Familie der Landaſſeln (Oniscida) zeigt einen meiſt eiförmigen

Figure 387. Fig. 540.

Kelleraſſel (Oniscus).


Körper, deſſen wohl aneinander ſchließende
Ringe überall genau von einander getrennt ſind.
Die äußeren Fühler ſind gewöhnlich einzig
ſichtbar, die inneren höchſtens zweigliedrig und
ſo zwiſchen die äußeren geſtellt, daß man ſie
nur bei der Anſicht von unten an ihrer Baſis
ſieht. Der Hinterleib dieſer Thiere beſteht im-
mer aus ſechs deutlichen Ringen, von welchen
der letzte, im Gegenſatze zu den vorigen Fami-
lien, nur ſehr klein iſt und manchmal kaum
ſich entdecken läßt, zumal da er gewöhnlich von den ſeitlichen ſtielför-
migen Anhängen überragt wird. Die meiſten dieſer Thiere leben auf
dem Lande an feuchten, ſchattigen Orten, unter Steinen, im Mooſe,
in Mauerritzen und Gewölben, und ſind zu dieſem Zwecke mit eigenen
Organen zur Luftathmung verſehen; die Kiemenblättchen der hinteren
Bauchfüſſe ſind nämlich ſehr rudimentär, die der vorderen dagegen
bedeutend entwickelt und an ihrer Baſis mit einer engen Spalte ver-
ſehen, welche in eine gefäßartig verzweigte Höhle führt, die zwiſchen
den Lamellen der Platten ſich hinzieht und ſtets mit fein zertheilter
Luft gefüllt iſt, die ſich leicht hervorpreſſen läßt. Offenbar ſtellen dieſe
Blätter den erſten Anfang zur Ausbildung ſolcher luftathmender Or-
gane dar, wie wir ſie ſpäter namentlich bei den Spinnen in einem
weit höheren Grade der Ausbildung finden werden. Oniscus; Porcel-
lio; Armadillo; Tylos
.


Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 31
[482]

Klaſſe der Tauſendfüße. (Myriapoda.)


Figure 388. Fig. 541.

Polydesmus.


Die Anzahl der Thiere, welche dieſe eigenthümliche Klaſſe zu-
ſammenſetzen, iſt im Verhältniß zu den übrigen Klaſſen der Glieder-
thiere nur außerordentlich klein, weßhalb man auch vielfach verſucht
hat, ſie als beſondere Ordnung anderen Klaſſen anzureihen, ohne in-
deß in dieſer Beziehung glücklich zu ſein, da die verſchiedenen Charaktere,
welche ſie in ſich vereinigen, ſie einerſeits von den Inſekten, anderſeits
von den Kruſtenthieren entfernen, zu welchen man ſie noch neuerdings
gezählt hat. Die äußere Körperform dieſer Thiere iſt gewöhnlich
die eines langgeſtreckten, bald walzenförmigen, bald mehr abgeplat-
teten Wurmes mit deutlich abgeſetztem Kopfe und einer großen Anzahl
von gegliederten Füßen, die zu beiden Seiten des Körpers ſeiner
ganzen Länge nach ſtehen; — nur wenige Arten ſind platt, breit,
etwa von der Geſtalt der Kelleraſſeln, mit welchen ältere Naturforſcher
ſie zuweilen verwechſelten. Der rundliche, platte Kopf trägt ſtets ein
Paar fadenförmiger, meiſt vielgliedriger Fühler, welche ganz in der-
ſelben Weiſe, wie die Fühlhörner der Inſekten, vorn auf der Stirn
eingelenkt ſind; gewöhnlich ſind dieſe Fühler nur kurz, ſelten erreichen
ſie die Länge des Körpers. Hinter den Fühlern ſtehen auf der Seite
die Augen, welche bei einigen Gattungen fehlen, und immer aus ge-
häuften einfachen Augen beſtehen, welche in mehr oder minder großer
Zahl zu einer Gruppe zuſammengeſtellt ſind. Die Mundwerkzeuge,
welche der Kopf auf ſeiner unteren Fläche trägt, ſind eigenthümlich
gebildet und zeigen bedeutende Verſchiedenheiten bei den einzelnen
Gattungen. Die Oberlippe iſt ſehr klein und meiſtens mit dem Kopf-
ſchilde verwachſen; unter ihr liegen zwei längliche, gegliederte, quer
gezähnelte und harte Hornſtücke, welche offenbar zum Kauen tauglich
ſind, und die man den Kiefern der Inſekten zur Seite ſtellen muß.
Hinter dieſen Kiefern findet man zwei andere gegliederte Stücke, die
weicher ſind und eine taſterartige Beſchaffenheit haben; an ihrer Baſis
[483] ſind ſie mit zwei ſpitzen, langen Hornſtücken verbunden, welche in
die Mundöffnung hineinſtehen und offenbar die Kinnladen (maxillae)
der Inſekten darſtellen. An dieſen Laden iſt noch ein zweites Paar
von Taſtern eingelenkt, die an ihrer Spitze mit einer kleinen Klaue
bewaffnet und wohl dem inneren Ladentaſter der Laufkäfer ana-
log ſind. Die Unterlippe iſt bei den Tauſendfüßen das weſentlichſte
Organ zum Ergreifen der Beute und zum Beißen geworden. Die
Lippe ſelbſt iſt nämlich tief geſpalten, hart, hornig und auf der In-
nenſeite mit ſtarken Zähnen beſetzt; auf ihr eingelenkt ſtehen die Lip-
pentaſter, welche hier zwei ſtarke, gegliederte Haken darſtellen, die wie
eine ſcharfe Kneipzange gegeneinander wirken und bedeutend verletzen
können, ſo ſelbſt daß der Biß der großen Arten in ſüdlichen Gegen-
den für eine gefährliche Verwundung gilt. Nicht bei allen Gattungen
ſind indeß die Kauwerkzeuge in dieſer Weiſe ausgebildet, ja es gibt
ſelbſt welche, bei denen die Lippentaſter und Kiefer gänzlich zurückſin-
ken und die Lippe ſich zu einer Art Scheide ausbildet, ſo daß gewiſſer
Maßen ein Saugrüſſel hergeſtellt wird.


Der Körper der Tauſendfüße läßt niemals eine Abtheilung von
Bruſt und Hinterleib erkennen. Er beſteht aus einzelnen Ringen,
deren Zahl oft in die Hunderte ſteigt, und die einander um ſo ähn-
licher ſind, je bedeutender ihre Zahl iſt. Jeder dieſer Ringe trägt
entweder ein oder ſelbſt zwei Paar Füße, an welchen man ſtets deut-
lich die beſonderen, mit Krallen bewaffneten Fußglieder unterſcheiden
kann, während die übrigen Glieder des Fußes meiſt durchaus von
derſelben Größe ſind und keine weiteren Formeigenthümlichkeiten zei-
gen. Auffallend iſt die Beſonderheit, welche nur bei der Familie der
Doppelfüßer in dieſer Klaſſe und ſonſt bei keinem Gliederthiere vor-
kommt, daß die Körperringel je zwei Paare von Beinen tragen, die
hinter einander ſtehen.


Der innere Bau der Tauſendfüße entſpricht ganz demjenigen
der Inſekten. Der Hirnknoten iſt ziemlich groß, in zwei Hälften ge-
theilt, das Bauchmark lang geſtreckt, aus vielen faſt gleichmäßig gro-
ßen in einer Reihe längs des Körpers geſtellten Knoten zuſammenge-
ſetzt, die bald durch doppelte Längsfäden verbunden ſind, bald un-
mittelbar aneinander ſtoßen. Der Schlund iſt kurz; auf ihn folgt ein
langgeſtreckter Chylusmagen, der mit einem körnigen Leberüberzuge
verſehen iſt und in deſſen Ende die ſehr einfachen, wenig zahlreichen
Harngefäße einmünden. Die Athemorgane ſind ſehr deutlich und be-
ſtehen aus büſchelförmig veräſtelten Luftröhren, die ganz wie dieje-
nigen der Inſekten gebaut ſind, und von Stigmen ihren Urſprung
31*
[484] nehmen, die meiſt ſpaltenförmig gebaut, zuweilen aber auch rund und
von einer ſiebförmigen Hornplatte gedeckt ſind. Dieſe Luftlöcher ſtehen
meiſt paarweiſe neben den Fußwurzeln und entſprechen nicht immer
den einzelnen Ringen, ſondern wechſeln gewöhnlich in unregelmäßigen
Verhältniſſen ab. Das Herz bildet einen langen, cylindriſchen Schlauch,
welcher der Rückenſeite entlang läuft, eine Menge Arterien abgibt,
und gegen den Kopf hin ſich in eine Aorta fortſetzt, deren beiden Aeſte
den Schlund umfaſſen und ſich auf der Bauchſeite wieder vereinigen,
um ein längs der Nervenkette hinlaufendes Bauchgefäß zu bilden.
Die Arterien endigen mit offenen Mündungen; das in die Leibeshöhle
ergoſſene Blut ſammelt ſich in der Umgegend des Herzens, und tritt
durch viele ſeitliche Spalten in die Herzkammern ein.


Alle Tauſendfüße ſind getrennten Geſchlechtes und pflanzen
ſich nur durch geſchlechtliche Zeugung fort; ſie haben ſtets nur einen
einzigen, weiten, ſchlauchförmigen Eierſtock, der ſich bald vorn unter
dem dritten, bald hinten an dem letzten Leibesringel durch zwei kurze
Eileiter öffnet, und mit dem gewöhnlich birnförmige Samentaſchen in
Verbindung ſtehn. Die Männchen haben bald einen, bald zwei Ho-
denſchläuche, zuweilen ſelbſt mehre, welche gewöhnlich in der vorderen
Leibesgegend in eine oder zwei kurze warzenförmige Ruthen ausmün-
den. Die Entwickelung der Embryonen in den Eiern iſt noch durch-
aus unbekannt; nur ſo viel weiß man, daß die Thiere, wenn ſie aus
dem Ei ſchlüpfen, gewöhnlich nur drei Fußpaare beſitzen, oder auch
ganz fußlos ſind, und daß bei jeder folgenden Häutung eine gewiſſe
Anzahl von Füßen neu entſteht.


Die Tauſendfüße leben meiſt auf der Erde unter Steinen, Moos,
niedrigen Pflanzen, oder auch unter Baumrinden verborgen. Einige
graben ſich in die Erde ein. Die meiſten laufen ebenſo ſchnell rück-
wärts, als vorwärts, und rollen ſich in Gefahr ringförmig ein. Wir
theilen die ganze Klaſſe in zwei Familien.


Die Familie der Doppelfüßer (Diplopoda) beſteht aus gewöhnlich

Figure 389. Fig. 542.

Julus.


wurmförmigen oder ſtark abgeplatteten Thieren mit Ringen, welche
die bei den Kruſtenthieren gewöhnliche Härte erreichen. Die Fühler
ſind kurz, ſiebengliedrig, der Leib aus unter ſich gleichen Ringen zu-
[485] ſammengeſetzt, deren jeder zwei Paare kurzer Füße trägt, die aus ſechs
Gliedern beſtehen und eine kleine einfache Kralle tragen. Die weib-
lichen Thiere haben einen von vorn nach hinten verlaufenden Eier-
ſchlauch, deſſen Oeffnungen am vorderen Leibesende ſich befinden. Die
Kauwerkzeuge ſind verſchieden geſtaltet, die großen hakenförmigen
Klauentaſter der Unterlippe nur rudimentär. Pollyxenus; Glomeris;
Polydesmus; Julus; Polyzonium
.


Die Familie der Einfüßer(Chilopoda) beſteht aus ſtets glattge-

Figure 390. Fig. 543.

Scolopendra.


drückten Tauſenfüßen mit meiſt dachziegelförmigen Ringen, langen
Fühlhörnern, die wenigſtens vierzehn Glieder haben, und deren Mund-
werkzeuge jene Ausbildung zeigen, welche wir oben von der Klaſſe
überhaupt beſchrieben. Der Eierſchlauch der Weibchen läuft von vorn
nach hinten, und öffnet ſich unmittelbar vor dem After. Die Ringe
des Körpers, die gewöhnlich gleich, zuweilen aber auch abwechſelnd

Figure 391. Fig. 544.

Lithobius.


ungleich ſind, beſtehen aus zwei
Halbbogen, die an der Seite
häutige Verbindungen haben.
Jeder Ring trägt nur ein ein-
ziges Beinpaar, die oft eine be-
deutende Entwickelung und große
Länge erreichen. Der Biß der
großen Arten, welche in den heißen Zonen vorkommen, wird für gif-
tig gehalten, ohne daß man bis jetzt beſondere Giftorgane hätte ent-
decken können. Scutigera; Lithobius; Scolopendra; Geophilus.


Man kennt nur wenige foſſile Reſte von Tauſendfüßern. Ihre
Exiſtenz in den juraſſiſchen Schichten, dürfte, wenn auch angezeigt,
doch bezweifelt werden — dagegen ſind unverkennbare Ueberreſte im
Bernſtein gefunden worden, die beiden Familien angehören.


[486]

Klaſſe der Arachniden. (Arachnida.)


Figure 392. Fig. 545.

Galeodes araneoides.


Eine Klaſſe, deren Angehörige faſt durchgängig ein Gegenſtand
des Ekels oder des Abſcheues ſind, und die man deßhalb früher außer-
ordentlich vernachläſſigte, während man ſich jetzt mit den mannigfalti-
gen Organiſations-Verhältniſſen, die man bei ihr findet, näher ver-
traut zu machen geſucht hat.


Die Umgränzung der Arachniden als beſondere Klaſſe wird be-
ſonders durch die Stellung und Zahl der gegliederten Anhänge beſtimmt,
welche der Bewegung dienen. Wir haben geſehen, daß bei den Kru-
ſtern ſolche gegliederte Anhänge an Kopf, Bruſt und Hinterleib in
meiſt ungleicher Form vorkommen können, daß bei den Tauſendfüßern
an allen Ringeln des Leibes ſich gleichmäßig ausgebildete Anhänge
finden, und daß ihre Zahl bei beiden Klaſſen durchaus keinem be-
ſtimmten Geſetze folgt; wir werden bei den Inſekten uns überzeugen,
daß die Bewegungswerkzeuge nur an der Bruſt ſtehen, und daß im-
mer, unter allen Umſtänden nur drei Paar Füße und höchſtens zwei
Paar Flügel vorhanden ſind. Bei den Arachniden kommt ein mittle-
res Verhältniß vor; Kopf und Bruſt ſind hier gewöhnlich zu einem
Stücke verſchmolzen und tragen die Bewegungsorgane, welche im aus-
gebildeten Zuſtande ſtets aus vier Paar Füßen beſtehen, während der
Hinterleib niemals Bewegungsorgane trägt. So ſetzt ſich die Klaſſe
ſcharf von den Kruſtern und Tauſendfüßern, wie von den Inſekten
ab, von welchen letzteren ſie ſich noch weſentlich durch den Mangel
von eigentlichen Fühlhörnern unterſcheidet. Es unterliegt zwar wohl
keinem Zweifel mehr, daß die Organe, welche man bei den Spinnen
[487] in Form von Kiefern oder Giftzangen findet, wirkliche Repräſentan-
ten der Fühler ſind; allein trotzdem haben ſie niemals weder Geſtalt
noch Function der wahren Fühler, welche ohne Ausnahme allen In-
ſekten zukommen.


Die drei Körperregionen ſind bei den Arachniden niemals voll-
ſtändig getrennt; bei vielen nieder ſtehenden Formen bildet der unge-
gliederte Körper nur eine einzige mehr oder minder rundliche Maſſe,
an welcher vorn die Mundwerkzeuge, weiter gegen die Mitte zu die
Beine, und hinten After und Geſchlechtsöffnungen angebracht ſind, ſo
daß alſo ſämmtliche Theile des Körpers gänzlich in einander geſteckt
ſind. Bei den übrigen Arachniden ſind Kopf und Bruſt ſtets zu einer
einzigen Maſſe, der Kopfbruſt (cephalothorax), verſchmolzen, der

Figure 393. Fig. 546.

Senkrechter Längsdurchſchnitt der Kopfbruſt einer
Vogelſpinne (Mygale).
ab Anſatzpunkt des Hinterleibes. ct Kopfbruſt-
ſchild. e Magen. c Hirnknoten. no Sehnerven.
y Augen. ca Verbindungsfaden des Bruſtknotens t
zum Bauchknoten. œ Schlund. b Mund. ma Kau-
platte des Taſters. m Baſalglied, g Klaue des Kiefer-
fühlers.


Hinterleib dagegen mehr
oder minder deutlich ab-
geſetzt; doch zeigt ſich
bei den höher ſtehenden
Ordnungen ſchon inſo-
fern eine weitere Ent-
wicklung, als bei ihnen
die Kopfbruſt gegliedert
und in deutliche Ringe
abgeſetzt erſcheint, von
denen jeder ein Paar
Füße trägt, und daß nur
der vorderſte Ring, an
welchem das erſte der
vier Fußpaare befeſtigt
iſt, mit dem Kopfe zu
einem Ganzen verſchmolzen iſt. Vielfache Unterſchiede finden ſich in
der Bildung des Hinterleibes, indem dieſer bald gegliedert, bald un-
gegliedert iſt.


Die Grundlage der Haut beſteht aus Chitin, das meiſt weich,
haut- oder lederartig erſcheint, und nur in wenigen Fällen eine größere
Härte oder ſelbſt eine glasartige Sprödigkeit erhält. Trotz ihrer
großen Dehnbarkeit, die ſich beſonders nach reichlichen Mahlzeiten oder
während der Entwickelung der Eier kundgibt, beſitzt dennoch dieſe Haut,
deren Struktur ſehr wenig unterſucht iſt, keine Spur von Contrak-
tionsfähigkeit; nur ſelten iſt ſie über den ganzen Körper nackt; meiſt
finden ſich Haare, Borſten oder auch ſehr ſonderbar gegliederte An-
[488] hänge und Schuppen auf dieſer Haut, unter welcher in Form von
Körnchen und Bläschen die Farbſtoffe abgelagert ſind, welche vielen
Arachniden ihre ſchönen Färbungen verleihen.


Die Beine der Arachniden beſtehen in ihrer höheren Ausbildung
aus denſelben Theilen, welche man mit ſo feſtem Typus bei den In-
ſekten hergeſtellt findet; ein rundliches Hüftglied (coxa), an welches
ſich ein kurzer Hüftknorren (trochanter) anſchließt, dient zur Einlen-
kung des Beines an der Kopfbruſt; hierauf folgt gewöhnlich ein
ziemlich kräftiger Schenkel (femur) und dann eine langgeſtreckte
Schiene (tibia), an welche ſich ein gewöhnlich zweigliedriger Tarſus
anreiht, an deſſen Ende eine oder mehrere Krallen befeſtigt ſind. Bei
den Milben fällt es häufig ſehr ſchwer, an den meiſt in gleiche Ab-
ſchnitte getheilten Beinen dieſe verſchiedenen Abtheilungen herauszu-
ziffern, und bei den langbeinigen Weberſpinnen erſcheint die Zahl der
Tarſalglieder oft ſo ſehr vermehrt, daß die genauere Beſtimmung
ebenſo ſchwierig wird. Gewöhnlich gleichen die drei hinteren Bein-
paare einander, während das vordere Beinpaar ſehr mannigfache
Formen annimmt und ſich hierdurch, wie durch ſeine Annäherung an
die Mundwerkzeuge, als einen eigentlichen Kieferfuß darthut, der mehr
dem Syſteme des Kopfes angehört. Außerordentlich verſchieden iſt
dann ferner die Bewaffnung des letzten Tarſalgliedes; bei manchen
ſchmarotzenden Milben ſind die Fußkrallen durch geſtielte Haftlappen
erſetzt; bei den übrigen, welche ihre Füße nur zum Laufen oder zum
Haſchen der Beute brauchen, finden ſich gewöhnlich eine oder zwei
einfache Krallen; bei den meiſten ſpinnenden Arachniden hingegen ſind
dieſe Krallen auf der inneren Seite mit Kämmen oder Borſtenreihen
beſetzt, die offenbar zur Handhabung des Fadens in Beziehung ſtehen,
und denen oft noch eine dritte kleinere Kralle gegenüber ſteht.


Die Mundwerkzeuge der Arachniden ſind zwar nach demſelben

Figure 394. Fig. 547.

Mundwerkzeug einer
Kreuzſpinne (Epeira.)
p Taſter. g Klaue,
m Baſalglied des Kiefer-
fühlers. ma Kauplatte des
Taſters. s Bruſtring. l Un-
terlippe.


Typus ausgebildet, allein in ſo verſchiedenen
Richtungen entwickelt, daß es ſchwierig hält,
ſie im Allgemeinen zu ſchildern. Mit Aus-
nahme einer einzigen Familie ſind ſämmtliche
Arachniden fleiſchfreſſende Thiere, die meiſtens
ihre Beute mit Liſt oder Gewalt überfallen
und ausſaugen, nachdem ſie ihr eine vergiftete
Wunde beigebracht haben. Die beiden Haupt-
waffen an dem Munde werden von den um-
gewandelten Fühlern gebildet, die bald Stilett-
[489] artig, oder wie Meſſerklingen vorgeſchoben werden können, bald zu
Scheeren ausgebildet ſind, und in anderen Fällen wieder einen dicken,
kurzen Fortſatz darſtellen, auf dem ſich eine ſcharfe Klaue, wie die
Klinge eines Meſſers bewegen läßt; hinter dieſen Kieferfühlern
ſtehen erſt die eigentlichen Kiefer, welche bald ſcheerenartig ſind, bald
wirkliche vielgliedrige Taſter darſtellen, an deren Baſis ſich nur eine
Platte befindet, die aber auch kaum zum Beißen oder Kauen benutzt
werden kann. Außer dieſen mannigfach wechſelnden Kiefertaſtern fin-
det man gewöhnlich nur noch ſehr weiche wulſtige Lippen, die bei dem
Saugen an die Wundöffnung der Beute angedrückt werden. Bei vielen
Milben ſtehen die Mundwerkzeuge auf einem beſonderen verlängerba-
ren Rüſſel, deſſen Baſis oft ſo angeſchwollen iſt, beſonders bei jungen
Thieren, daß man einen beſonderen, vom Leibe abgeſetzten Kopf ver-
muthen ſollte, ein Irrthum, der ſich leicht durch die Beobachtung der
Augenſtellung aufklären läßt.


Das Nervenſyſtem der Arachniden zeigt, übereinſtimmend mit

Figure 395. Fig 548.

Anatomie einer Vogelſpinne
(Mygale.). Die Bruſt und die rechte Bauch-
hälfte ſind von unten her geöffnet.


m Kieferfühler, hier zu Beißklauen
umgewandelt. p Taſter. pa Erſtes Fußpaar abgeſchnitten, wie die folgenden.
t Bruſtknoten. a Bauchknoten des Nervenſyſtems. l Lungen-Blättchen. s Schlitz-
öffnung des Lungenſackes. ma Unterleibsmuskeln. ov Eierſtock. f Spinn-
drüſen. an After. or Geſchlechtsöffnung. po Lungenſäcke. ab Hinterleib. ct
Kopfbruſt.


der Verſchmelzung der einzelnen
Körpertheile, auch meiſtens einen
ſehr hohen Grad der Concentration.
Bei den einleibigen Milben exiſtirt
nur ein einziger Bauchknoten, und
ſtatt eines Hirnknotens nur ein ein-
faches Band über den Schlund her-
über, während bei den Spinnen ein
ungeheurer Bruſtknoten ſich fin-
det, der faſt unmittelbar in das Ge-
hirn übergeht, ſo daß in der Ner-
venmaſſe nur ein kleines Loch zum
Durchtritte des Schlundes bleibt.
Am Anfange des Hinterleibes fin-
det ſich dann noch ein verhältniß-
mäßig kleiner Bauchknoten, der in-
deſſen öfter auch fehlt, während bei
den langleibigen Skorpionen eine
den Ringeln des Hinterleibes ent-
ſprechende Bauchknotenkette exiſtirt.


[490]

Von Sinnesorganen hat man bis jetzt außer einfachen Augen keine
Spur entdecken können, obgleich man gewiß den Arachniden um ſo weniger
Geruch und Gehör abſtreiten darf, als man namentlich hinſichtlich des letz-
teren bei der Zähmung von Spinnen die Beobachtung gemacht hat, daß ſie
auf muſikaliſche Zeichen herbeikamen und das ihnen beſtimmte Futter in Em-
pfang nahmen. Die einfachen Augen der Arachniden beſtehen aus
einer becherförmigen Ausbreitung der Sehnerven, die von einer dun-
kel gefärbten Pigmenthaut umgeben iſt und nach innen einen kegel-
förmigen Glaskörper umhüllt, in deſſen nach außen gerichteter Baſis
die kugelförmige Linſe ſteckt, welche von einer rundlichen Hornhaut
überwölbt wird. Die Zahl dieſer Augen wechſelt von zwei bis acht,
und meiſtens ſitzen ſie ſeitlich, oder noch häufiger in einer Gruppe
vorn auf der Kopfbruſt, oder ſelbſt mitten auf dem Rücken des unge-
gliederten Leibes auf. Gewöhnlich iſt die Größe dieſer Augen ebenſo
verſchieden, wie ihre Stellung und Richtung, ſo daß alle dieſe Ver-
ſchiedenheiten ganz vortreffliche feſte Merkmale zur Unterſcheidung der
Gattungen und Arten bilden.


Der Darmkanal der Arachniden beginnt gewöhnlich mit einem
dünnen, knieförmig gebogenen, anfangs hornigen, dann ſehr muskulö-
ſen und angeſchwollenen Schlunde, der bei den Skorpionen und den
übrigen, kruſtenartigen Arachniden in einen geraden Darmſchlauch ſich
fortſetzt, welcher ohne weitere Beſonderheiten in ſeinem Verlaufe zu
zeigen, am Ende des Hinterleibes ſich in einen ſpaltenartigen After
öffnet. Bei allen übrigen Arachniden dagegen bildet der Magen ent-
weder einen mittleren Sack, oder gar einen hohlen Ring, von welchem
aus oft ſehr lange Blindſäcke entſpringen, die bald auf die Kopfbruſt
und den Leib beſchränkt ſind, oft aber auch weit in die Beine und
Kiefertaſter hinein ſelbſt bis in die Nähe des Klauengliedes ſich er-
ſtrecken. Von dieſem vielfach verzweigten Magen aus entſpringt nach
hinten ein Darmkanal, der meiſtens unmittelbar vor dem After eine
kloakenförmige Ausſackung beſitzt. Speicheldrüſen kommen faſt überall
vor; die Leber erſcheint bei den niederen Typen nur als körniger
Ueberzug über den Darm, während ſie bei den höheren eine anſehn-
liche lappige Maſſe bildet, die aus kurzen Blindſäcken beſteht. Die
Harnorgane exiſtiren in Form dünner, meiſt unveräſtelter Röhrchen,
die unter dem Magen in den Darm einmünden.


Beſondere Athemorgane fehlen mehreren niederſtehenden Ara-
chniden durchaus, während bei den höheren bald Luftröhren, bald aus
[491] einer eigenthümlichen Modifikation dieſer Luftröhren hervorgehende
Lungen vorhanden ſind. Die Luftröhren ſind äußerſt zart, mehr oder
minder veräſtelt und entſpringen von Athemlöchern, Stigmen, die
meiſtens ſehr verſteckt und paarig angebracht ſind. Bei den Spinnen
kommen ganz platte Luftröhren vor, welche die Luft ſehr fein zertheilt
enthalten und den Uebergang zu den ſogenannten Lungen bilden.
Dieſe beſtehen aus rundlichen Säcken, die ſich auf der Bauchfläche des
Unterleibes befinden, durch eine Querſpalte nach außen öffnen, und in
ihrem Innern eine gewiſſe Anzahl von Platten in ähnlicher Weiſe
geſtellt, wie die Blätter eines Buches, enthalten; jedes dieſer Blättchen
ſtellt eigentlich eine Reihe plattgedrückter Luftröhrenſtämme dar.


Die Arachniden, welche keine beſonderen Athemwerkzeuge beſitzen,
entbehren auch jeder Spur eines Kreislaufes, während bei den

Figure 396. Fig. 549.

Umriß d. s Hinter-
leibes einer Spinne mit dem
Herzen.
ar Körperarterie. v von
den Lungen kommende Ge-
fäße. c Herz. a Umriß
des Hinterleibes.


anderen ſich ein wohl ausgebildetes Herz findet,
das meiſtens eine ſchlauchförmige Geſtalt beſitzt.
Dieſes Herz iſt in mehrere Kammern abge-
ſchnürt, die auf ihren Seiten Spaltöffnungen
zeigen, während das Herz ſelbſt eine große
Anzahl von ſehr feinen Arterien ausſendet, die
ſich in dem Körper verzweigen und ohne Zwei-
fel mit offenen Mündungen endigen, da nir-
gends rückführende Gefäße exiſtiren. Das Blut
ſoll nach der Behauptung neuerer Beobachter
ſich zwiſchen die Häute der Athemorgane, ſeien
dieſe nun Lungen oder Luftröhren, in wan-
dungsloſen Kanälen ergießen, und von da aus
bald durch ein Syſtem beſonderer Gefäße, bald
durch wandungsloſe Kanäle nach dem Herzen
zurückkehren.


Faſt alle Arachniden ſind mit beſonderen Giftorganen ausge-
ſtattet, welche bei den meiſten an dem Kopfe liegen und mit den Mund-
werkzeugen in Verbindung ſtehen, bei den Skorpionen aber an der
Spitze des Hinterleibes angebracht ſind. Gewöhnlich bilden dieſe Gift-
drüſen paarige gewundene Drüſenſchläuche, die dünne Ausführungs-
gänge entſenden, welche in den hakenförmig gebogenen, ſcharfen Klauen
der Kieferfühler oder in dem gekrümmten Schwanzſtachel der Skor-
pione nach außen münden. Bei größeren Spinnen kann man leicht
beobachten, wie in dem Augenblicke, wo die Haken der Kieferfühler in
den Körper eines gefangenen Inſektes geſchlagen werden, ein Tröpf-
[492] chen heller Flüſſigkeit aus der Spaltöffnung der Klaue in die Wunde
fließt, und den augenblicklichen Tod des Inſektes herbeiführt. Für
uns hat dieſes Gift nicht einmal die Folge, wie dasjenige, welches
der Stachel einer Wespe liefert; und der Biß der größten Vogelſpin-
nen führt nach dem Zeugniſſe der Reiſenden in den heißen Klimaten
Südamerika’s höchſtens vorübergehendes Fieber mit einiger Geſchwulſt
des gebiſſenen Theiles herbei. Von manchen Gattungen heißer Län-
der, deren Biß von den Eingebornen für giftig gehalten wird, fehlen
durchaus alle konſtatirten Beiſpiele, und die Geſchichten, welche man
von der Tarantel, einer in Südeuropa einheimiſchen Art von Wolfs-
ſpinnen, oder von der Malmignatte erzählt, ſind inſofern reine Fabeln,
als zwar die ſogenannte Tarantelkrankheit, eine eigenthümliche Art
von Nervenkrämpfen, exiſtirt, ihre Urſache aber niemals in dem Biſſe
der unſchuldigen Spinne liegt, welcher ſie zugeſchrieben wird. Ge-
fährlich iſt aber allerdings der Stich der großen Skorpione, welche
die Tropen bewohnen, und man kennt unzweifelhafte Beiſpiele tödtlicher
Verwundung von Menſchen durch dieſe Thiere. Von den Spinn-
drüſen, welche bei den eigentlichen Spinnen in ſo ausgezeichnetem
Grade entwickelt ſind, wird bei dieſen ſelbſt die Rede ſein.


Mit Ausnahme einer Familie, deren Geſchlechtstheile indeſſen noch
einer genaueren Unterſuchung bedürfen, ſind alle Arachniden getrenn-
ten Geſchlechtes, und pflanzen ſich nur durch geſchlechtliche Zeugung
fort. Vor einigen Jahren lief ein abgeſchmacktes Mährchen von der
Erzeugung einer gewiſſen Milbenart mittelſt der Elektricität durch alle
ſogenannten wiſſenſchaftlichen Discuſſionen der öffentlichen Blätter,
wurde aber bald auf ſeinen wahren Gehalt reduzirt.


Die weiblichen Geſchlechtstheile beſtehen aus traubigen
Eierſtocksſchläuchen, die zuweilen eine Röhrengeſtalt haben und mit
kurzen Eileitern in die Scheide einmünden, welche ſich gewöhnlich an
dem Vordertheile des Hinterleibes in der Nähe der Wurzel deſſelben
öffnet. Unmittelbar an dem Ausgange der Scheide liegen zwei hornige,
birnförmige Samentaſchen, und ſehr oft zeigt ſich eine Legeröhre, die
ziemlich weit aus dem Leibe hervorgeſtreckt werden kann. Die männ-
lichen Geſchlechtstheile
ſind im Durchſchnitt ſehr ungenügend
bekannt, obgleich man die Geſchlechtsunterſchiede, welche viele dieſer
Thiere in Größe, Farbe und namentlich in der Geſtalt ihrer Kiefer-
taſter zeigen, ſchon lange erkannt hat. Die Hoden ſtellen bald ein-
fache Schläuche, bald vielfach gewundene Blinddärme, bald trauben-
förmige Bläschen dar, welche gewöhnlich an der Baſis des Hinterleibes
[493] in einer einfachen Querſpalte ſich öffnen. Bei einigen Milben, ſowie
bei den Weberſpinnen, exiſtirt eine lange, meiſt hornige Ruthe, und
bei den Männchen gewöhnlich beſondere Stacheln und Haftapparate.
Am merkwürdigſten ſind die Begattungsorgane der männlichen Spin-
nen, die gewöhnlich weit kleiner ſind, als die Weibchen, und oft nur
mit großer Gefahr ihre Brunſt befriedigen können, indem bei vielen
Gattungen, wie z. B. den Kreuzſpinnen, die Weibchen, wenn ſie keine
Luſt zur Begattung haben, oder auch unmittelbar nach derſelben über
die ſchwächeren Männchen herfallen und ſie ohne weiteres auffreſſen.
Bei anderen Gattungen freilich herrſcht Eintracht zwiſchen beiden Ge-
ſchlechtern, ſo daß Männchen und Weibchen benachbarte Netze oder
ſelbſt eine Zeit lang nur ein Netz gemeinſchaftlich bewohnen. Bei den
männlichen Spinnen ſind die Kiefertaſter verdickt und enthalten in
ihrem letzten ausgehöhlten Gliede einen weichen, ſpiralig aufgerollten
Körper, zu dem ſich meiſtens noch höchſt ſeltſame hornige Stücke ge-
ſellen, die bald wie Haken, bald wie Schüſſeln oder Schalen ausſehen,
und einen äußerſt komplicirten Apparat darſtellen, vermittelſt deſſen
die Männchen vor der Begattung die aus ihrer Geſchlechtsöffnung
tropfenweiſe hervortretende Samenfeuchtigkeit auftupfen, und dann in
die weibliche Geſchlechtsöffnung hineinbringen. Man hatte dieſe eigen-
thümliche Art der Begattung früher ſchon öfter beobachtet, aber da
man die Structur der Geſchlechtstheile nicht hinlänglich genau kannte,
und namentlich auch die mikroſkopiſche Analyſe der Flüſſigkeit in den
Taſtern vernachläſſigte, ſo hatte man dieſen Akt nur für ein Vorſpiel
gehalten, dem die eigentliche Begattung erſt folgen ſollte.


Die meiſten Arachniden legen Eier, nur einige Milben und die
Skorpionen machen hiervon eine Ausnahme, indem bei ihnen die Eier
ſich innerhalb der Eileiter ſoweit entwickeln, daß ſie lebendige Jungen
gebären. Die Eier haben gewöhnlich eine rundliche Form, zuweilen
auch eine bedeutende Größe, und laſſen das Keimbläschen nebſt dem
einfachen Keimflecke in den Eileitern deutlich wahrnehmen. Die Ent-
wickelung des Embryo’s hat ſich überall, ſo weit ſie genau beobachtet
iſt, in der den Gliederthieren eigenthümlichen Weiſe gezeigt. Auf dem
meiſt lebhaft gefärbten, aus großen Dotterkörpern beſtehenden Dotter
erhebt ſich eine durchſichtige Keimſchicht, an welcher ſich zuerſt die Rin-
gelabſchnitte des Leibes erkennen laſſen. Dieſe Keimſchicht wächſt nach
hinten über, und indem ſie nach und nach den Dotter überzieht, laſſen
ſich an ihrer unteren Fläche die hervorſproſſenden Beine, Kiefer, Füh-
ler und Taſter wahrnehmen, die Anfangs nur wie Wülſte ausſehen,
ſich aber allmählig durch Einſchnürung gliedern. Die Entwickelung
[494] der einzelnen Organe im Innern des Leibes läßt ſich wegen der großen
Dottermaſſe, die ſelbſt bei den ausgeſchlüpften jungen Thieren noch
einen bedeutenden Theil des Leibes erfüllt, nur ſchwierig verfolgen.
Die meiſten Thiere der Klaſſe, beſonders die den höheren Typen an-
gehörenden, kommen durchaus in derſelben Form aus dem Eie heraus,
welche ſie ſpäter behalten werden, und die ganze Aenderung, welche ſie
erleiden, bezieht ſich auf unbedeutende Farbenveränderungen während der
mehrfachen Häutungen; — die niederſtehenden Arachniden dagegen,
wie die Krebsſpinnen und die übrigen Milben erleiden verſchiedenar-

Figure 397. Fig. 550. Fig. 551. Fig. 552.

Fig. 550. Ausgebildetes Ei. Fig. 551. Larve. Fig. 552. Vollſtändig ent-
wickeltes Thier der Muſchelmilbe (Limnochares Anodontae).
a Dotter. b Kieferfühler. c Augen. d Füße.


tige Metamorphoſen, indem ſie entweder nur mit ſehr unentwickelten
Füßen, denen die Glieder fehlen, oder mit wenigen Fußpaaren zur
Welt kommen. Die unentwickelten Milben haben gewöhnlich nur drei
Fußpaare, zuweilen ſelbſt nur zwei, und oft eine ſehr abweichende
Geſtalt, indem ihr Körper länger geſtreckt und der Vordertheil, wel-
cher die hakigen Kieferfühler trägt, knopfartig angeſchwollen iſt. Ge-
wöhnlich wird das mangelnde Fußpaar bei der erſten Häutung erſetzt;
bei einer ſchmarotzenden Familie aber, den Zungenwürmern (Lingua-
tula
), gehen die Füße im ſpäteren Leben gänzlich verloren und bei
einigen Waſſermilben ſetzen ſich die ſechsbeinigen Jungen feſt, meiſtens
an andere Waſſerinſekten, indem ſie ſich mit ihrem vorderen Schna-
bel einbohren, und machen einen förmlichen Puppenſchlaf durch, wäh-
rend deſſen ſich das vierte Fußpaar ausbildet und die ſackförmige Haut
der Larve als Puppenhülſe dient.


Wir erkennen in der Klaſſe der Arachniden zwei verſchiedene Rei-
hen von Typen, welche ſich gewiſſermaßen gegenüber ſtehen. In der
Reihe der ſpinnenartigen Arachniden verfolgen wir von Stufe
[495] zu Stufe die allmälige Ausbildung des Hinterleibes, ſeine anfängliche
Verſchmelzung mit der Kopfbruſt, ſeine Trennung von derſelben, und
auf der höchſten Stufe ſogar die deutliche Trennung der Bruſt von
dem eigentlichen Kopfe, welcher freilich noch fußartige Anhänge trägt.
In dieſer ganzen Reihe finden wir gewöhnlich eine weiche Körperbe-
deckung und ſtets einen mit Blindſäcken verſehenen Darmkanal, deſſen
Aeſte oft bis in die Füße hineinreichen. Bei der zweiten Reihe, den
kruſtenartigen Arachniden, ſehen wir eine harte, dem Panzer
der Krebſe ähnliche Körperbedeckung, einen geraden Darmkanal und
gewöhnlich ſcheerenartige Kieferfühler.


Die beiden Reihen der Arachniden treten gleichzeitig in den Koh-
lenſchichten, alſo einer ziemlich alten Formation, mit einigen Skorpio-
nen und Spinnen auf. Auch in dem Jura ſo wie in den Tertiärge-
ſteinen hat man einige, in dem Bernſtein aber eine große Anzahl von
Spinnen entdeckt, die großentheils noch lebenden Gattungen angehören,
aber alle von den Arten der Jetztwelt ſich verſchieden zeigen.


In dem Meere findet man unter Steinen, zuweilen auch an Fi-
ſchen und Krebſen hängend, kleine ſpinnenartige Thiere, welche man
unter dem Namen der Krebsſpinnen (Pycnogonida) bald unter die

Figure 398. Fig. 553.

Weibliche Ammothoe, ſo dargeſtellt,
daß man den Darm ſieht, der ſeine
Blindſäcke bis in die Spitzen der Füße
ſchickt. Zwiſchen den Mundwerkzeugen
und dem erſten Fußpaare ſtehen die ta-
ſterartigen falſchen Füße, welche die Eier
tragen.


Arachniden, bald unter die Kruſten-
thiere geſtellt hat, ein deutlicher Be-
weis, daß ſie zwiſchen beiden eine
Art Uebergangsglied bilden. Ihr
Körper beſteht regelmäßig aus vier
mittleren Ringen, deren jeder ein
Paar Beine trägt, und die mit ein-
ander zu einer Kopfbruſt verſchmol-
zen ſind, auf deren vorderem Rande
vier kleine einfache Augen auf einem
mittleren Höcker ſtehen. Dieſe Au-
gen ſitzen unmittelbar auf dem Hirn-
knoten auf, von dem aus ein kur-
zer Schlundring nach hinten geht,
an welchen ſich vier breite Nerven-
knoten ohne Verbindungsringe an-
ſchließen. Vor der Kopfbruſt ſteht
eine meiſt kegelförmige Spitze, welche
man als Kopf betrachtet hat, die
aber nur eine Art ſteifen Schnabels iſt, an deren Spitze ſich die
[496] Mundöffnung befindet. Der Hinterleib beſteht nur aus einem klei-
nen knotenartigen Anhange, der den After trägt. Die vier Fuß-
paare
ſind meiſtens ungeheuer lang, dünn, vielgliedrig und an ihrem
Ende mit einer großen gebogenen Kralle bewaffnet, neben welcher oft
noch kleine, krallenartige Dornen ſtehen. Bei manchen Gattungen
dieſer merkwürdigen Familie kommen weiter durchaus keine Mund-
werkzeuge vor, als der erwähnte ſteife Schnabel, während bei anderen
auf dem erſten Ringe der Kopfbruſt ein aus mehreren Gliedern ge-
bildeter Kieferfühler ſitzt, der am Ende eine wohl ausgebildete Scheere
trägt. Bei den Weibchen iſt auf dem erſten Kopfbruſtringe ein Paar
falſcher Füße befeſtigt, welche fünf bis zehn Glieder haben und zum
Tragen der Eier beſtimmt ſind. Die innere Anatomie dieſer Thiere
iſt ziemlich genau erforſcht; beſondere Athem- und Kreislaufsorgane
fehlen ihnen vollſtändig und die inneren Geſchlechtstheile ſind bis jetzt
noch unbekannt. Am auffallendſten iſt der Verdauungsapparat gebil-
det, indem die Blindſäcke, welche der Magen ausſchickt, ganz ungemein
lang ſind, und faſt bis in die Klauenglieder vordringen. Die Jungen,
welche aus dem Eie kommen, beſitzen nur vier ſehr kurze zwei- oder
dreigliedrige Beine, die mit langen Fäden beſetzt ſind, und einen voll-
kommen ungegliederten Leib, ſo daß ſie alſo bedeutende Metamorpho-
ſen durchmachen müſſen, deren Einzelnheiten noch nicht bekannt ſind.
Nymphon; Phoxichilidium; Ammothoë; Pycnogonum.


Die Familie der Bärthierchen (Tardigrada) beſteht aus kleinen

Figure 399. Fig. 554.

Macrobiotus Hufelandi
vom Rücken aus geſehen.
a Stechapparat. b Au-


Thierchen mit weichem, walzenförmigem Leibe,
die ſich faſt überall im Mooſe, im Sande der
Dachrinnen und in ſüßen Gewäſſern finden.
Bei den meiſten zeigen ſich nur undeutliche An-
deutungen einer Ringelung in der ſehr weichen
und dehnbaren Haut; bei einer einzigen Gat-
tung (Emydium) findet man eine feſtere Haut-
beſchaffenheit und ſchildartige Ringel von un-
beſtimmter Zahl. Die acht Beine, welche dieſe
Thiere beſitzen, ſind ſehr kurz, ſtummelartig,
kaum deutlich gegliedert und gewöhnlich mit
vier großen, bald gleichen, bald ungleichen
Krallen bewaffnet. Das letzte dieſer Fußpaare
ſitzt immer ganz hinten an dem Körper, faſt
wie ein getheilter Schwanzanhang, ſo daß alſo
ein eigentlicher Hinterleib gänzlich fehlt. Nach
vorn erſcheint der Körper ſchmäler, zugeſpitzt
[497]

gen. c Magen. d Eier-
ſtock mit der durchſichtigen
Samenblaſe vom hinteren
Ende. e Hinterfüße.


oder abgerundet, ohne daß man einen eigent-
lichen Kopf unterſcheiden könnte. Man ſieht
vorn auf dieſem Kopfe zwei ſeitliche einfache
Augen. Die Mundwerkzeuge dieſer Thiere beſtehen aus einem
kurzen röhrenförmigen Rüſſel, in deſſen Innerem ein Stechapparat
angebracht iſt, der aus zwei kurzen ſpitzen Klingen beſteht, die zuſam-
mengelegt einen dolchartigen Stachel bilden und durch mächtige, im
Schlundkopfe angebrachte Muskeln vor- und rückwärts bewegt werden
können. Der Darmkanal läuft gerade durch den Körper hindurch,
hat aber eine Menge traubiger Anhänge an allen Seiten. Beſondere
Athemwerkzeuge und Kreislaufsorgane fehlen gänzlich. In dem
kurzen Eierſtocke, der unpaarig ſcheint und auf den nach hinten zu
eine Samenblaſe folgen ſoll, (die aber wahrſcheinlich nur eine Sa-
mentaſche iſt) entwickeln ſich ſtets nur wenige Eier zu gleicher Zeit.
Die Thierchen legen ihre Eier bei der Häutung in die abgelegte Haut
ſelbſt, welche ihnen ſo zum Schutze dient. Die ausgeſchlüpften Jun-
gen ſind den Alten vollkommen ähnlich, nur bei einer Gattung fehlt
ihnen ein Paar Füße. Die Arten, welche im Mooſe und im Sande
der Dachrinnen leben, können beim Austrocknen deſſelben Jahre lang
im ſcheintodten Zuſtande verharren, und werden beim Zutritt von
Waſſer aufs Neue wieder zum Leben erweckt. Emydium; Milnesium;
Macrobiotus; Arctiscon
.


Die zahlreiche Ordnung der Milben (Acarina) begreift eine
große Anzahl kleiner Thierchen, welche gewöhnlich ſchmarotzend ſich
umhertreiben, und durch die Einfachheit ihres ungegliederten Körpers
ſich auszeichnen. Kopf, Bruſt und Hinterleib ſind ſtets in eine ein-
zige Maſſe verſchmolzen, auf deren Unterſeite die acht Beine eingelenkt
ſind, die bei einer ſchmarotzenden Familie, ſogar im ausgebildeten Zu-
ſtande, gänzlich fehlen. Die Körperbedeckung dieſer winzigen Thier-
chen, deren größte Arten nur einige Linien Länge erreichen, iſt ge-
wöhnlich außerordentlich weich, nur bei einer einzigen Familie zeigt
ſie eine faſt gläſerne Sprödigkeit. Die Mundwerkzeuge beſtehen
gewöhnlich aus einem Rüſſel, in welchem zwei ſcharfe klingenartige
Stacheln verborgen ſind, die zum Verwunden der Beute dienen. Zu-
weilen iſt der Rüſſel, welcher dieſe Waffen trägt, förmlich gegliedert,
und kann wie ein Fernrohr aus- und eingeſchoben werden. Der
Darmkanal, welcher auf dieſen Rüſſel folgt, hat ſtets vielfache ſeit-
liche Anhänge, die meiſtens ſchon von Außen durch die Nüançen der
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 32
[498] Farbe erkannt werden können. Vielen Milben, beſonders denen, welche
unter der Haut anderer Thiere ſchmarotzen, fehlen die Augen; bei
den meiſten ſind ſie in der Zweizahl vorhanden, und ſtehen dann ſeit-
lich auf dem vorderen Theile der Kopfbruſt. Zu beiden Seiten des
Rüſſels ſind bei den meiſten zwei taſterartige Organe eingelenkt, welche
ſehr verſchiedene charakteriſtiſche Formen annehmen können und ge-
wöhnlich fünf Glieder beſitzen. Bei der einen Familie erſcheinen dieſe
Taſter klappenartig, innen bezähnt, in ähnlicher Weiſe zum Fangen
der Beute eingerichtet, wie die Raubfüße der Heuſchreckenkrebſe; bei
anderen dient das einſchlagbare Glied dieſes Taſters, das mit einem
Haken bewaffnet iſt, als Anker zum Feſthalten unter dem Waſſer; in
anderen Fällen ſind die Taſter ſpindelförmig oder einfach borſtenförmig,
noch in andern klappenartig und mehr oder minder mit dem Rüſſel
ſelbſt verwachſen. Die Füße wechſeln außerordentlich an Ausbildung,
Länge und Geſtalt, ſo daß man von durchaus fußloſen Gattungen
bis zu der höchſten Ausbildung von Schreit- oder Schwimmfüßen
alle möglichen Zwiſchenſtufen findet. Bei den höher entwickelten Fa-
milien der Ordnung hat man eigene Athemorgane gefunden, welche
aus Röhren beſtehen, die unveräſtelte Büſchel bilden und von zwei
ſeitlichen Luftlöchern entſpringen, die gewöhnlich zwiſchen den Beinen
angebracht ſind. Ein Herz hat man noch bei keiner Milbe entdeckt.


Die meiſten Milben legen Eier, — einige wenige gebären le-
bendige Jungen; alle machen während der Jugend einen Larvenzu-
ſtand durch, in dem ſie ſich durch die Exiſtenz von nur ſechs Beinen
auszeichnen. Die ſechsfüßigen Larven wurden meiſtens als eigene
Gattungen beſchrieben, bis man ſpäter erkannte, daß ſie auch einen
wahren Puppenzuſtand durchleben, indem ſie ſich bald unter Steinen
und an anderen geſchützten Orten, bald an lebenden Inſekten anheften
und innerhalb ihrer Larvenhaut ſich vollſtändig ausbilden. Während
dieſes Entwickelungsprozeſſes ziehen ſich die Mundtheile und Beine
allmählig aus den Scheiden heraus, welche die Larvenhaut für ſie
bildete, ſo daß dieſe gegen das Ende des Puppenlebens ſich nur in
Form eines Sackes darſtellt. Manche dieſer Puppen behalten die
Fähigkeit, ſich zu bewegen, während ihre Mundöffnung vollkommen
geſchloſſen iſt, und ſie unfähig erſcheinen, Nahrung zu ſich zu nehmen.


Wir theilen die Ordnung der Milben in folgende Familien ein:
[499] Familie der Zungenwürmer(Linguatulida), eine Gruppe von

Figure 400. Fig. 555.

Ausgewachſene Lingua-
tula
.


Thieren, die man bis auf die neueſte Zeit allgemein
für Eingeweidewürmer gehalten hat, und die in den
Stirnhöhlen, den Lungen der Säugethiere, oder in
den Lungen verſchiedener Eidechſen und Schlangen
gefunden werden. Die ausgebildeten Thiere haben
einen wurmförmigen, bald rundlichen, bald abgeplat-
teten Körper mit vielen deutlichen Ringeln, und ohne
eine Spur von Sinneswerkzeugen, Füßen oder an-
deren gegliederten Anhängen. Am vorderen Ende
des Körpers befindet ſich der Mund und zu beiden
Seiten deſſelben zwei Paar krummer, beweglicher,
ſcharfer Haken, welche zur Befeſtigung des Thieres
an ſeinen Aufenthaltsort dienen und früher für
Oeffnungen gehalten wurden, woher der unrichtige
Name Pentastoma, den man der Gattung gab. Das
Nervenſyſtem beſteht weſentlich aus einem dicken Bruſt-
knoten, der mit einem einfachen Schlundringe in Ver-
bindung ſteht. Die Geſchlechter ſind getrennt. Ehe man die Ent-
wickelung der Eier kannte, mußte man dieſe Thiere nothwendig zu den
Eingeweidewürmern ſtellen, obgleich ihre Organiſation vieles Abwei-
chende von dieſen bot; — ſeitdem man aber in den Eiern die freilich

Figure 401. Fig. 556. Fig. 557. Fig. 558.

Embryonen der Linguatula.
Fig. 556. Das Ei gedrückt, um die verſchiedenen Hüllen und den Embryo
in ſeiner Lage zu zeigen. Fig. 557. Der Embryo von unten. Fig. 558. Von
der Seite. a Aeußere, b innere Eiſchale. c Kopfſtachel. de Erſtes und zweites
Fußpaar.


noch unentwickelten Embryonen gefunden hat, die einen birnförmigen
Körper beſitzen, welcher in der Mitte zwei Paar gegliederter, kurzer,
32*
[500] mit Doppelkrallen verſehener Füße und vorn einen Stechapparat trägt,
der aus einer mittleren Klinge und zwei ſeitlichen ſpitzen Klappen be-
ſteht; — ſeit dieſer Zeit iſt es unmöglich, in den Zungenwürmern
etwas anderes zu erkennen, als Gliederthiere, welche im ausgebildeten
Zuſtande durch das Schmarotzerleben eine Rückbildung erleiden, die
den urſprünglichen Typus bis zum Unkenntlichwerden verwiſcht. Die
Geſtalt der Embryonen nähert ſich viel mehr den Milben, als der
Gruppe der Schmarotzerkrebſe, zu denen man ſie hat bringen wollen,
und die geſtreckte Form des Körpers, welche dieſe Thiere in der ſpä-
teren Zeit erhalten, kann um ſo weniger auffallen, als dieſelbe bei
der folgenden Familie ebenfalls vorkommt. Linguatula. (Pentastoma).


Die Balgmilben (Simonida) finden ſich in ziemlich großer An-
zahl, beſonders in den Haarbälgen des Geſichtes beim Menſchen und

Figure 402. Fig. 559.


Figure 403. Fig. 560.


Figure 404. Fig. 561. Fig. 562

Balgmilbe des Menſchen (Simo-
nea (Demodex) folliculorum
),
in verſchiedenen Stadien der
Entwickelung.
Fig. 659. Sechsbeinige
Larve. Fig. 560—562. Acht-
beinige Thiere mit ſtets kürzer
werdendem Hinterleibe.


namentlich in den
ſogenannten Mit-
eſſern, die bei vie-
len auf der Naſe
vorkommen. Die
Thiere haben höch-
ſtens die Länge
einer Zehntellinie
und beſtehen aus
einem wurmförmi-
gen Leibe, der ſich
bei zunehmendem
Alter mehr und
mehr verkürzt und
aus einer breite-
ren, weichen Kopf-
bruſt, welche bei
den jüngeren, lang-
leibigen Indivi-
duen drei Paar, bei den älteren, kurzleibigen vier Paar kurzer, mit
drei Krallen bewaffneter Fußſtummel trägt. Die Mundwerkzeuge
beſtehen aus einem mittleren Rüſſel, in welchem zwei ſcharfe Klingen
ſtecken, und aus zwei kurzen, zweigliedrigen Taſtern, die eine kegel-
förmige Geſtalt haben. (Simonea (Demodex)).


[501]

Die Familie der Krätzmilben(Acarida) beſteht aus meiſt kugel-
förmigen, weichen, ungefärbten Milben, welche als Schmarotzer auf

Figure 405. Fig. 563.

Menſchliche Krätzmilbe (Sar-
coptes scabiei
) von der Bauch-
ſeite.


der Haut anderer Thiere, auch des Menſchen,
leben, dort Gänge graben, und durch den ſteten
Reiz, welchen ſie ausüben, jene Ausſchlagskrank-
heiten erzeugen, die man unter dem Namen der
Krätze kennt. Andere Arten leben freilich in
faulenden Pflanzen- und Thierſtoffen, wie na-
mentlich eine ſehr häufig in altem Käſe, welche
von geſchickten Betrügern den Unkundigen zuwei-
len als die ächte Krätzmilbe vorgezeigt wird. Die
Milben dieſer Familie ſind alle ſehr klein, durch-
aus blind und mit meiſtens kurzen, unförm-
lichen Füßen verſehen, die wurſtförmig geglie-
dert erſcheinen und ſehr weit von der Mittellinie
nach Außen eingelenkt ſind. Außer einer kurzen,
feinen Kralle tragen dieſe unvollkommenen Füße
meiſt noch einen an einem langen Stiele be-
feſtigten Haftlappen und lange bewegliche Fäden, die wie Peitſchen-
ſchnuren umherhängen. Der Rüſſel iſt lang, dick, kegelförmig; die
Klingen ſcheerenförmig, dick; die Taſter klein und mit dem Rüſſel ſelbſt
verwachſen. Die Jungen haben nur ſechs Füße, ſonſt aber die Kör-
perform der ausgebildeten Thiere. Sarcoptes; Acarus; Pteroptus;
Tyroglyphus; Melichares
.


Die Familie der Zecken (Ixodida) beſteht aus ziemlich großen,
platten Milben, deren vorderer Kör-

Figure 406. Fig. 564. Fig. 565.

Die Igelzecke (Ixodes Erinacei) von der
Rücken- und Bauchſeite.


pertheil auf dem Rücken mit einem
harten, hornigen Schilde bedeckt iſt,
während der hintere Theil des Hin-
terleibes ſehr ausdehnbar iſt und
außerdem meiſt gefaltet erſcheint.
Die Füße ſind kurz, aus gleichför-
gen, roſenkranzartigen Gliedern ge-
bildet, am Ende mit einer Kralle
[502]

Figure 407. Fig. 566.

Mundwerkzeuge derſelben Zecke.
a Rüſſel. b Taſter. c Kopfſchild.


und einem ungeſtielten Haftlappen
verſehen; der Rüſſel iſt bedeutend
groß, vorſtehend, die Taſter ſchei-
denartig an ihn angelegt, die Un-
terlippe hervorgezogen, in Form
einer Halbkehle ausgebildet und mit
rückwärts gewandten Zähnen be-
ſetzt; die Klingen ſind kurz, dick,
dreigliedrig, das äußerſte Glied
ebenfalls gezähnelt und ſcharf. Die
augenloſen Thiere lauern in Wäl-
dern und Gebüſchen auf vorüber-
gehende Säugethiere, bohren den aus der Vereinigung der Unterlippe
und der Klingen gebildeten Rüſſel in die Haut ein und ſaugen ſich ſo
voll Blut, daß ſie manchmal die Größe einer Bohne erreichen.
Ixodes.


Die Familie der Käferläuſe(Gamasida) hat einen meiſt läng-
lichen, niedergedrückten, zuweilen ſchildförmigen Körper und Füße von
wechſelnder Länge, deren Glieder gewöhnlich unter ſich gleich ſind und
an der Spitze mit zwei kleinen Krallen und meiſtens noch mit einem
Haftlappen beſetzt ſind. Die Taſter ſind frei, mäßig lang, aus faſt
ſtets gleichen Gliedern zuſammengeſetzt, fadenförmig; die Mundwerk-
zeuge ziemlich verſchieden, die Klingen ſcharf und zum Bohren einge-
richtet, aber nicht mit jenen Widerhaken verſehen, welche die Zecken
auszeichnen. Die blinden, augenloſen Thiere leben als Schmarotzer
auf Käfern, Vögeln und Reptilien und zwar haben ſie meiſt in der
Nähe der Ruheplätze dieſer Thiere ihre Schlupfwinkel, von denen
aus ſie bei Nacht ihre Angriffe machen. Die Larven ſind ſechsfüßig,
die Puppen beweglich, mit acht Füßen verſehen, von denen die hinte-
ren ſehr klein ſind, und mit eigenthümlichen Saugnäpfen am Hinter-
ende beſetzt. Sie wurden früher als eigene Gattung unter dem Na-
men Hypopus beſchrieben. Dermanyssus; Gamasus; Uropoda; Argas.


Die Familie der Waſſermilben (Hydrachnida) begreift verhält-
nißmäßig ſehr große, zuweilen mehrere Linien lange Milben mit kug-
lichem oder eiförmigem Körper und langen, meiſt behaarten oder
beſtachelten, am Ende mit zurückziehbaren Klauen beſetzten Füßen, die
zum Schwimmen tauglich erſcheinen. Die Taſter ſind lang, die bei-
den erſten Glieder meiſt dick, die letzten hornig gekrümmt und wie
[503]

Figure 408. Fig. 567. Fig. 568. Fig. 569.

Fig. 567. Ei. Fig. 568. Sechfüßige Larve. Fig. 569. Ausgebildetes
Thier der Muſchelmilben (Limnochares Anodontae). Der von der Seite
geſehene Embryo im Eie zeigt die wurſtförmigen Taſter und Beine, ſowie
den dunkeln, rückenſtändigen Dotter, der auch bei der Larve ſich noch in
doppelter Halbmondform zeigt. Beim ausgebildeten Thiere ſchimmern die
Blinddärme durch die Haut durch. a Dotter. b Kieferfühler. c Augen.
d Füße.


eine Klinge nach unten einſchlagbar. Die Augen ſtehen auf dem Schei-
tel meiſt zu zweien oder vieren, zuweilen auch ſo gehäuft, daß das
ſcheinbar einfache ſeitliche Auge aus zweien zuſammengeſetzt iſt; der
Schnabel iſt bald verborgen, bald vorſtehend. Die Thiere leben im
Waſſer und beſitzen Luftröhren, kommen aber niemals an die Ober-
fläche, um Luft zu ſchöpfen, ſo daß es ſcheint, als ob dieſe Luftröhren
geeignet wären, mittelbar aus dem Waſſer die in ihnen enthaltene Luft
abzuſcheiden, in ähnlicher Weiſe, wie dies bei den Kiementracheen vie-
ler Inſektenlarven der Fall iſt. Die jungen ſechsfüßigen Larven zeigen
ſehr weſentliche Unterſchiede von den alten Thieren, indem ſie einen
ganz eiförmigen Körper beſitzen, an dem vorn die Mundwerkzeuge
kopfartig hervorſtehen; — ſie heften ſich an verſchiedene Waſſerinſekten
an, bohren den Schnabel ein und bilden ſich als ſchmarotzende Puppen
vollſtändig aus. Man hat dieſe Puppen, deren ſechs Füße meiſt durch
die Reibung der Inſekten verloren gehen, und die dann nur einen
eiförmigen Sack bilden, in dem das junge Inſekt eingeſchloſſen iſt,
früher als beſondere Milben unter dem Namen Achlysia beſchrieben.


Die freiſchwimmenden Waſſermilben haben wie die meiſten übri-
gen freilebenden Milben gewöhnlich eine ſchöne rothe oder gelbe Farbe.
Hydrachna; Limnochares; Eulais; Atax; Arrenurus.


Die Familie der Pflanzenmilben(Oribatida) ſteht als eine merk-
würdige Ausnahme inſofern da, als es die einzige Familie in der
ganzen Klaſſe iſt, welche ſich nur von Pflanzenſtoffen nährt. Die
[504] Körperbedeckung dieſer Thiere iſt außerordentlich feſt und ſpröde, ſo
daß ſie beim Druck, wie Glas in Stücke ſpringt. Gewöhnlich läuft
eine Furche quer über den Körper und theilt ihn ſo, daß die zwei
vorderen Beine der vorderen, die anderen der hinteren Hälfte ange-
hören. Der Unterkörper iſt ebenfalls mit einem harten Schilde be-
deckt, das nur zwei Oeffnungen läßt, für den After und die Ge-
ſchlechtstheile. Bei Gefahr kugeln ſich dieſe Thiere zuſammen. Ihre
Beine ſind kurz, ſtark, mit Haaren und zwei ſcharfen Klauen am Ende
beſetzt; Taſter und Mundwerkzeuge ganz unter dem vorderen Schilde
verborgen, ſo daß man ſie nur von unten erblicken kann. Die Taſter
ſind kurz, ſpindelförmig, die Scheerenfühler aus- und einſchiebbar und
hinter ihnen noch ein Paar beſonderer, gezähnelter, zum Kauen ein-
gerichteter Kiefern angebracht. Die Thiere leben in Neſtern zuſammen,
nähren ſich von Moosblättern und haben ſechsbeinige Larven, die
ihnen im Uebrigen ſehr ähnlich ſehen. Oribates; Hoplophora; Pelops.


In der Familie der Erdmilben (Bdellida) begreift man einige

Figure 409. Fig. 570.

Bdella vestita.


meiſt roth oder gelb gefärbte, ziem-
lich träge Thiere, die in feuchter
Erde unter dem Mooſe leben, mit
den übrigen Milben den weichen
Körper, mit der vorigen Familie
aber die Theilung des Körpers in
zwei Theile gemein haben. Der
Schnabel iſt ſehr lang, vorſtehend,
die darin verborgenen Klingen meiſt
ſcheeren- oder hakenförmig. Die
Fühler ſtehen zu beiden Seiten des
Schnabels eingelenkt, ſind ziemlich
lang und borſtenförmig; die Füße
mäßig lang und dünn, der vordere
abgeſchnürte Theil des Körpers gegen den Schnabel hin zugeſpitzt, ſo
daß die ganze Körpergeſtalt eine gewiſſe Aehnlichkeit mit derjenigen
eines Rüſſelkäfers hat. Bdella; Scirus; Molgus.


Die Familie der Laufmilben (Trombidida) wird von einer gro-
ßen Anzahl kleiner, meiſt rother oder gelber Milben gebildet, die
meiſtens ſehr lange, dünne, behaarte, mit ſpitzen Krallen beſetzte
Lauffüße haben, und deren Taſter geknickt und mit ſtumpfem
[505]

Figure 410. Fig. 571.

Trombidium Phalangii.


Endgliede verſehen ſind, ſo daß ſie wie
Raubfüße zum Fange benutzt werden kön-
nen. Ihr Körper iſt ſehr weich, meiſt
dicht behaart, zuweilen gleichförmig, in
anderen Fällen quer getheilt, die Augen
ſehr verſchieden; bei einigen fehlen ſie
ganz, bei andern finden ſich zwei, vier,
ſelbſt ſechs Augen, die meiſt auf der
Seite, zuweilen ſogar auf eigenen Stie-
len außerhalb der Taſter ſtehen. Die
Thiere ſind gewöhnlich lebhaft, laufen
ſehr ſchnell und ſpinnen kleine Zelte
über ihre Eier und Neſter. Die ſechs-
beinigen Jungen, deren Geſtalt von der-
jenigen der Alten oft ſehr verſchieden iſt, leben als Schmarotzer ge-
wöhnlich auf Inſekten, und wurden unter mehrfachen Gattungsnamen
früher beſchrieben. Trombidium; Rhaphignathus; Tetranychus; Rhyn-
cholophus; Smaridia; Erythraeus
.


Figure 411. Fig. 572.

Weberſpinne (Kanker) (Phalangium opilio).


Die Weberſpinnen (Opilionida) beſtehen aus kurzleibigen Thieren,
die ſich meiſt durch ihre ungeheuer langen und dünnen Füße auszeich-
nen. Die Kopfbruſt, welche vier enorme Fußpaare trägt, iſt
[506] gewöhnlich ſo breit als der Hinterleib, welcher in allen Fällen geglie-
dert erſcheint und dadurch ſich weſentlich von dem Hinterleibe der
Milben unterſcheidet. Die Mundtheile ſind eigenthümlich gebildet; —
nach außen ſtehen die Taſter, welche gewöhnlich fünfgliederig ſind,
eine einfache, borſtenförmige Geſtalt haben. Zwiſchen dieſen Taſtern,
die etwas mehr nach hinten eingelenkt und offenbar die verwandelten
Kiefer ſind, finden ſich die eigentlichen Kieferfühler, welche hier aus
drei Gliedern beſtehen, deren erſtes ſehr dick und groß, und das letzte
als Scheere geſtaltet iſt. Dieſe Organe werden meiſtens nach unten
eingeſchlagen getragen, ſo daß nur das dicke Baſalglied vor dem
Kopfe in Form eines ſtumpfen Fortſatzes vorragt. Der Magen der
Weberſpinnen hat außerordentlich viele kleine Blindſäcke, und die
Centralganglienmaſſe eine ſehr ſonderbare Geſtalt, indem ſie flügelar-
tige, ſeitliche Fortſätze darbietet, von welchen die Nerven entſpringen.
Das Luftröhrenſyſtem iſt ſehr entwickelt, die Stigmen unter den
hinterſten Beinen angebracht und zwiſchen denſelben die Geſchlechts-
öffnung, aus welcher beim Männchen eine außerordentlich lange, ge-
gliederte, vorn mit Borſten beſetzte Ruthe hervorgeſtreckt werden kann.
Es ſind meiſt nächtliche Thiere, welche ſich von kleinen Inſekten näh-
ren. Phalangium; Eusarcus; Gonoleptes.


Die zahlreiche Ordnung der eigentlichen Spinnen (Araneida)
umfaßt die wahrhaft typiſchen Thiere der ganzen Klaſſe, die überall
durch ihre eigenthümliche Lebensweiſe und Induſtrie wohl bekannt
ſind. Der Körper der eigentlichen Spinnen beſteht immer aus zwei
verſchiedenen Abtheilungen, aus der einfachen, ungegliederten, gewöhnlich
härteren Kopfbruſt, und dem rundlichen oder länglichen, ſelten mit
Höckern oder Auswüchſen gezierten, kurz geſtielten Hinterleibe, an
deſſen hinterem Ende die eigenthümlichen Spinnwarzen ſitzen. Die
ſechs oder acht einfachen Augen ſtehen ſtets vorn an dem Rande der
Kopfbruſt in einer eigenthümlichen Gruppe, ſind nicht immer gleich
groß, und bieten durch ihre Stellung ganz vortreffliche Charaktere
zur Unterſcheidung der Gattungen dar. Vorn an dem Kopfe ſind
ſeitlich, dem erſten Fußpaare genähert, die langen Taſter eingelenkt,
welche gewöhnlich fünfgliedrig ſind und bei dem Männchen ein ange-
ſchwollenes Ende tragen, das, wie früher bemerkt wurde, als Begat-
tungsglied dient. Bei einigen Gattungen ſind dieſe Taſter zu einem
förmlichen rudimentären Fußpaare mit Klaue und Sohle an der un-
teren Fläche umgewandelt. Nach innen von dieſen Taſtern, die offen-
bar das erſte verwandelte Kieferpaar vorſtellen, liegen die Kiefer-
fühler
, die hier zu eigenthümlichen Waffen umgewandelt ſind. Sie
[507] beſtehen aus einem außerordentlich dicken, angeſchwollenen Vaſalgliede,
in welchem die Giftdrüſe liegt, und aus einem ſcharfen, hakenförmigen
Endgliede, einer Klaue, die gewöhnlich nach innen, ſelten nur nach
unten eingeſchlagen wird, und an ihrer Spitze von dem Kanal der
Giftdrüſe durchbohrt iſt. An der Baſis der Taſter und unter den
eben beſchriebenen Kieferfühlern finden ſich zwei ſeitliche, haarige Lap-
pen, unter denen eine einfache Platte als Unterlippe die Mundöffnung
ſchließt.


Die Anatomie der Spinnen wurde ſchon bei der Beſchreibung
der Klaſſe überhaupt zu Grunde gelegt; alle haben Lungen, und zwar
die meiſten nur zwei ſeitliche Luftſäcke, während eine Familie deren
viere hat. Einige Spinnen beſitzen ſtatt der beiden hinteren Lungen
zwei weite Luftröhrenſchläuche, die ſich büſchelweiſe verzweigen und faſt
bei allen findet ſich an der Spitze des Hinterleibes eine Querſpalte,
von welcher vier platte, bandartige Luftröhren ausgehen, die ſich durch
den Hinterleib hinziehen. Einen höchſt merkwürdigen Apparat beſitzen
ferner die Spinnen in den Spinndrüſen und Warzen, mittelſt
deren ſie ihre Gewebe anfertigen. Die Spinnwarzen, deren ſich
meiſtens drei, ſelten nur zwei Paare an der unteren Spitze des Hin-
terleibes befinden, haben die Geſtalt ſtumpfer, meiſt zwei- oder drei-
gliedriger, oben abgerundeter Kegel, deren jeder auf ſeiner Spitze, ein
von einem Borſtenkranze umgebenes nacktes Feld trägt, auf welchem
erſt die eigentlichen Spinnröhrchen ſtehen, deren Zahl bei den größe-
ren Spinnen oft über tauſend beträgt. Jedes dieſer Spinnröhrchen
läßt bei dem Spinnen den zähen, glashellen Stoff vortreten, welcher
augenblicklich an der Luft zu einem außerordentlich feinem Faden ver-
härtet; — mittelſt der Fußklauen, zu denen oft noch eigenthümliche,
kammartige Vorrichtungen treten, werden dieſe vielfachen Fäden zu
einem einzigen vereinigt. Durch dieſe Fäden, welche ſie überall hin
ankleben, können ſich die Spinnen ſogar in die Luft erheben, und ſie
dienen ihnen hauptſächlich, um jene Gewebe zu verfertigen, die theils
ihre Wohnungen bilden, theils auch zum Fange der Beute dienen.
Die Drüſen, welche dieſen Klebſtoff abſondern, haben ſehr verſchiedene
Geſtalten, meiſt aber eine ſchlauchförmige, veräſtelte Form.


Die Spinnen ſcheiden ſich nach ihrer Lebensart in zwei große
Gruppen; die einen bedienen ſich ihrer Seide nur zum Tapezieren
ihrer Wohnungen, zum Einhüllen der Eier in beſondere Cocons,
welche bei jeder Gattung eine eigenthümliche Geſtalt haben, und deren
Fäden man ſogar, wenn auch ohne Erfolg, in der Induſtrie zu ver-
wenden verſucht hat, ſowie zum Feſthalten bei ihren Bewegungen; —
[508] die anderen aber benutzen außer zu den erwähnten Zwecken ihre Seide
auch zur Anfertigung von Geweben, in welchen ſich die Inſekten fan-
gen, verwickeln und ausgeſogen werden. Die Geſtalt dieſer Netze iſt
äußerſt verſchieden; — bald bilden ſie förmliche ſenkrechte Kreiſe mit
radiären Strahlen und äußerſt regelmäßigen Zwiſchenräumen; in
anderen Fällen erſcheinen die ebenfalls ſenkrecht angelegten Netze un-
regelmäßig; andere, wie unſere gewöhnlichen Hausſpinnen, machen
ſehr dichte Gewebe, die wie eine Hängematte horizontal ausgeſpannt
ſind. Die meiſten Spinnen bauen ſich eigene Wohnungen in der Nähe
ihrer Gewebe, welche oft mit großer Kunſt angelegt ſind und in denen
die Cocons mit den Eiern verborgen werden; andere ſchleppen ſogar
dieſe Eier in einem eigenen Sacke mit ſich herum.


Wir unterſcheiden in der Ordnung der Spinnen zwei Familien,
von denen die eine, weit zahlreichere, in mehrere hundert Gattungen
zerfällt, die man, freilich mit wenigem Glücke, in mehrere Unterfami-
lien zu zerlegen verſucht hat.


Die eigentlichen Spinnen (Araneida) beſitzen ſechs Spinnwarzen,
einfache Taſter, die nicht als Füße dienen, ſonſt aber ſehr an Geſtalt
wechſeln, und Kieferfühler, bei welchen die Klauen nach der Seite
zu eingeſchlagen werden. Man kann unter ihnen füglich drei Unter-
abtheilungen unterſcheiden. Bei den Webeſpinnen (Sedentaria)

Figure 412. Fig. 573.

Hausſpinne (Tegenaria domestica).


Figure 413. Fig. 574.


Figure 414. Fig. 575.

Fig. 574 u. 575.
Augenſtellungen einiger
Webeſpinnen.


[509] ſtehen die Augen in zwei geraden oder gekrümmten Querreihen, die
bald in gleicher Entfernung von einander, bald an den Enden einan-
der genähert ſind. Die Webeſpinnen fangen alle ihre Beute entweder
in förmlichen Netzen, oder in unregelmäßigen Fäden, in deren Nähe

Figure 415. Fig. 576.

Theridion malmignatta.


ſie ihre Wohnung haben. Die gewöhnlichen
Kreuzſpinnen (Epeira), unſere Hausſpinnen
(Tegenaria) und eine im ſüdlichen Europa
ziemlich gefürchtete Art, die Malmignatte, ge-
hören zu dieſer Gruppe. Segestria; Dysdera;
Tegenaria; Clubiona; Theridium; Epeira; Tho-
misus
. — Eine zweite Gruppe wird von den
Waſſerſpinnen (Argyronetida) gebildet, ei-
gentlichen Gewebeſpinnen, die aber im Waſſer
ſelbſt ihr Netz ausſpannen, und ſich unter dem
Waſſer zur Wohnung eine dichte Glocke weben,
die ſie mit Luft füllen, und unter welcher ſie
auf ihre Beute lauern. Sie haben in ähnlicher Weiſe, wie einige
auf dem Lande lebende Gattungen, außer den Lungen noch zwei ſeitliche
Spalten, die in weite Luftröhrenſchläuche führen, welche ſich im ganzen
Körper verzweigen. Argyroneta. Die dritte Gruppe endlich wird von den
Jagdſpinnen (Lycosida) gebildet, und zeigt in unſerem Klima meiſt
nur kleine, in ſüdlichen Gegenden aber bedeutend große, den Vogel-
ſpinnen nahe kommende Gattungen, zu denen auch die berühmte Ta-
rantel (Lycosa tarantula) gehört. Ihre Augen ſtehen in drei Reihen
hintereinander; — die Thiere machen kein Gewebe, ſondern heften
ſich nur mit Fäden zur Vorſorge gegen das Ausgleiten und Fallen
an, ſchweifen Tags über nach Beute umher, welche ſie im Sprunge
haſchen. Lycosa; Dolomedes; Salticus.


Die Familie der Vogelſpinnen (Mygalida) umfaßt die größten
aller Spinnenarten, die mit ausgeſpannten Füßen oft einen handgro-
ßen Raum einnehmen. Sie kommen nur in wärmeren Ländern, die
nördlichſten an den Ufern des Mittelmeeres vor, ſind meiſtens dick
behaart und unterſcheiden ſich von allen übrigen Spinnen durch den
Bau ihrer Taſter, ihrer Kieferfühler und die Zahl ihrer Spinnwarzen,
deren nur vier ſind, während die eigentlichen Spinnen alle ſechs
Spinnwarzen haben. Die Taſter ſind lang, fußartig, in ähnlicher
Weiſe wie die Füße, vorn mit einer Klaue bewaffnet und am letzten
[510]

Figure 416. Fig. 577.

Vogelſpinne (Mygale avieularia).


Gliede unten mit einer Sohle
verſehen, ſo daß ſie alſo förm-
liche Kieferfüße darſtellen, wie
ſie bei den Krebſen gewöhnlich
ſind. Die gewaltigen Kieferfüh-
ler haben eine große, gebogene
Klaue, die nicht, wie bei den
übrigen Spinnen nach innen, ſon-
dern nach unten eingeſchlagen
wird. Die meiſt dunkelbraun
oder ſchwärzlich gefärbten Thiere
wohnen in Erdlöchern oder in
Spalten, in deren Nähe ſie un-
regelmäßige Fäden ſpannen;
meiſt jagen ſie in Sprunge und
ſollen ſich ſogar kleiner Vögel
bemächtigen können. Die in
Südeuropa einheimiſche Art
ſchließt ihr mit Seide ausgeklei-
detes Erdloch mittelſt eines ſehr

Figure 417. Fig. 578.

Neſt der Mygale (Cteniza) caementaria.


künſtlichen Deckels, in den ſie Erde ver-
webt und den ſie mit vieler Kraft feſt-
halten kann, ſobald man ihn zu öffnen
verſucht. Mygale; Cteniza; Oletera;
Sphodros; Filistata
.


Die Familie der Skorpionſpinnen
(Solpugida) beſteht aus nur wenigen,
meiſt großen, ſpinnenartigen Thieren, die
ſich weſentlich von den eigentlichen Spin-
nen durch die Gliederung des ganzen

Figure 418. Fig. 579.

Galeodes araneoides.


[511] Körpers unterſcheiden. Man bemerkt deutlich drei Abtheilungen, eine
vordere, welche man mit vollem Rechte den Kopf nennen kann und
die außer den Mundwerkzeugen und den Augen noch zwei Paar fuß-
artiger Anhänge trägt; eine mittlere, die Bruſt, aus drei Ringen
beſtehend und drei Paar eigentlicher Füße tragend; und einen geglie-
derten, meiſt birnförmigen oder walzigen Hinterleib. Die Mund-
werkzeuge beſtehen aus zwei gewaltig großen Kieferfühlern, die
eine Scheere darſtellen, welche ſich nach unten öffnet; unter dieſen
Scheeren, auf deren oberem Kamme ein dünner, geißelartiger Anhang
ſitzt, ſteht noch ein kleineres, ſcheerenförmiges Werkzeug, welches offenbar
den eigentlichen Kiefern der Inſekten entſprechen dürfte. Hierauf
folgen die ſehr langen, vielgliederigen Taſter, welche ſich von den
drei Hinterfußpaaren nur dadurch unterſcheiden, daß ſie keine Krallen
am Ende tragen, und die ebenſo, wie die eigentlichen Füße, beim
Gehen dienen. Ein weiteres Paar von Anhängen, den vorigen voll-
kommen gleich, ebenfalls ohne Krallen, das man gewöhnlich als das
erſte Fußpaar zählt, entſpricht offenbar den Kieferfüßen der Krebſe,
und iſt, wie das Taſterpaar, unter dem Kopfringe angebracht, welcher
die zwei großen kugelförmigen Augen an ſeinem oberen Vorderrande
trägt. Die drei ächten, mit Doppelkrallen verſehenen Fußpaare,
von welchen das hintere eigene, lappenartige Anhänge an Schenkel
und Schienen trägt, ſitzen an den Bruſtringen feſt. Zwiſchen dem er-
ſten und zweiten Fußpaar befinden ſich ſeitliche, und an der Unterfläche
des Hinterleibes noch zwei mittlere Spaltöffnungen, welche in die
Luftröhren führen. Die Skorpionſpinnen ſind äußerſt gefräßige,
nächtliche Thier, welche ſelbſt Eidechſen und kleine Vögel anfallen und
in ihrem Vaterlande für äußerſt giftig gelten, beſonders die Art, welche
in den Steppen der Wolga vorkommt, obgleich man keine conſtatirten
Beweiſe für dieſe Volksmeinung hat. Galeodes (Solpuga).


Die Reihe der krebsartigen Spinnenthiere beſteht im Gan-
zen nur aus wenigen Gattungen, welche indeſſen ſich durch ſehr be-
ſtimmte Charaktere in verſchiedene Familien zerfällen laſſen. Sie zeich-
nen ſich, wie ſchon früher bemerkt, beſonders durch einen einfachen
Darmkanal, ſowie dadurch aus, daß ihre Taſter bald ſcheerenförmig,
bald klauenartig ſind, ſtets aber Greiforgane darſtellen. Wir unter-
ſcheiden bei ihnen folgende Familien:


Die Bücherſkorpione(Obisida) ſind kleine Thierchen mit meiſt
[512]

Figure 419. Fig. 560.

Bücherſkorpion (Chelifer)
vergrößert.


walzenförmigem Körper, der viel-
gliederig erſcheint, und vier Paar
gleichmäßiger Füße, ſo wie ein ſehr
langes Taſterpaar trägt, deren vier-
tes Glied in eine deutliche Scheere
endigt. Zwei oder vier Augen ſitzen
deutlich auf der Seite der vorderen
Abtheilung der Kopfbruſt. Die
Mundwerkzeuge ſind aus zwei klei-
nen, ſcheerenförmigen Kieferfühlern
gebildet, welche nach vorn gerichtet
zwiſchen den Scheerentaſtern ſtehen.
Auf der Bauchſeite der beiden erſten
Hinterleibsringe befindet ſich ein
Paar ſeitlicher Stigmen, von welchen
aus unverzweigte Luftröhren den
Körper durchziehen. Die nächtlichen Thiere ſchweifen beſonders an
trockenen Orten, unter alten Büchern, in Häuſern u. ſ. w. umher.
Chelifer, Obisium.


Die Familie der Skorpione(Scorpionida) iſt ſchon aus alten

Figure 420. Fig. 581.

Europäiſcher Skorpion (Scorpio europaeus).


Zeiten wegen ihrer gif-
tigen Eigenſchaften be-
rühmt und lange Zeit
mit den Krebſen zuſam-
mengeworfen worden,
mit welchen ſie auch in
der That durch die maſ-
ſiven Scheeren, die
ſchildförmige Kopfbruſt
und den gegliederten,
walzenförmigen Hinterleib, der von der Kopfbruſt nicht abgeſchnürt iſt,
einige Aehnlichkeit hat. Die ganze Familie iſt auf die ſüdlichen Zonen
beſchränkt und nur eine kleine Art kommt auf dem Südabhange der
Alpen in Europa vor.


Die ſchildförmige Kopfbruſt der Skorpione trägt auf dem Vorder-
rande in der Mitte zwei große Augen, die auf einem Hügel ſtehen
und zwei bis fünf ſeitliche Paare an dem Vorderrande. Die Taſter
ſind groß, vielgliederig, ihr äußerſtes Glied bildet eine breite, hand-
förmige Scheere, die ſich aber von einer Krebsſcheere auf den erſten
Blick dadurch unterſcheidet, daß der äußere Finger beweglich iſt und
[513] der innere feſtſteht, während bei der Krebsſcheere der umgekehrte Fall
eintritt. Zwiſchen dieſen beiden großen Scheeren ſtehen vorn an dem
Kopfſchilde die kleinen, ebenfalls ſcheerenförmigen Kieferfühler. Be-
trachtet man die Unterſeite eines Skorpions, ſo ſieht man hinter den

Figure 421. Fig. 582.

Leib eines Skorpiones von unten.
a Scheerenförmige Kieferfüh-
ler. b Anfang der großen Scheeren
(Taſter). c Erſtes und letztes Fuß-
paar. e Geſchlechtsöffnung. f
Kämme. d Stigmen.


vier gleichgeſtalteten, mit Doppelkrallen
endenden Füßen, welche auf die Scheeren
folgen, und deren Baſalglieder ſo hart
aneinander ſtehen, daß ſie zum Zerreiben
der Nahrung dienen können, zwei eigen-
thümliche kammartige Organe, deren Be-
deutung noch nicht bekannt iſt, zwiſchen
denen ſich aber die Geſchlechtsöffnung be-
findet. Die vier erſten Ringe des ange-
ſchwollenen Hinterleibes tragen auf der
Unterfläche die paarweiſe geſtellten Schlitze,
welche in die Lungenſäcke führen. Der
ſchwanzartig verlängerte Hinterleib endigt
mit einem etwas angeſchwollenen Gliede,
das einen krummen, ſehr ſcharfen und
harten, hakenförmigen Stachel trägt, an
deſſen Spitze die Oeffnung der Giftdrüſe
ſich befindet. Beim Gehen tragen die
Skorpione dieſen Theil des Schwanzes
nach oben gebogen, ſo daß ſie ſtets zum
Stechen bereit ſind. Sie nähren ſich von Inſekten, die größeren ſüd-
lichen Arten auch von kleinen Reptilien und ähnlichen Thieren, die
ſie mit den Scheeren packen und dann mit dem Giftſtachel tödtlich
verwunden. Das Gift der größeren, ſüdlichen Arten, welche die Länge
eines gewöhnlichen Flußkrebſes erreichen, kann ſogar für den Menſchen
tödtlich werden. Scorpio; Buthus; Androctonus; Centrurus.


Die Geißelſkorpione(Phrynida) wiederhohlen in gewiſſer Hin-
ſicht in der Reihe der krebsartigen Arachniden die Skorpionſpinnen,
indem ſie ebenfalls nur drei ächte Fußpaare beſitzen, während die
Vorderfüße zu taſterartigen Organen umgewandelt ſind. Die Kopf-
bruſt dieſer Thiere iſt ſchildförmig, der deutlich abgeſetzte, geringelte
Hinterleib bald rundlich, bald länger und dann in eine vielgliederige
Borſte endigend. Die Taſter ſind außerordentlich dick, ſtark, nach
Vogt. Zoologiſche Briefe.I. 33
[514]

Figure 422. Fig. 583.

Phrynus reniformus.


innen gebogen und mit einer hakenförmigen, ſcharfen Kralle bewaffnet,
alſo förmliche Greiforgane, gewöhnlich mit Stacheln oder ſcharfen Vor-
ſprüngen beſetzt. Zwiſchen ihnen ſtehen die kleinen Kieferfühler, die bald
hakenförmig, wie bei den Vogelſpinnen, bald ſcheerenförmig ſind, wie
bei den Skorpionen. Die Thiere haben acht Augen, von denen zwei
mitten und je drei ſeitlich auf der Kopfbruſt ſtehen. Es finden
ſich bei ihnen nur zwei Paar Lungenſäcke, deren Spalten in den Zwi-
ſchenräumen der drei erſten Bauchringe liegen. Die wenigen Arten
kommen nur in der heißen Zone vor, und gelten, vielleicht ihrer Aehn-
lichkeit mit Skorpionen wegen, für giftig. Phrynus; Thelyphonus.


Klaſſe der Inſekten.(Insecta.)


Die zahlreichſte aller Klaſſen des ganzen Thierreiches an Arten,
wie an Individuen iſt ohne Zweifel die der Inſekten; und dieſer Um-
ſtand ſowohl, wie die mannigfaltigen äußeren Formen und oft herr-
lichen Farben, die wunderbaren Verhältniſſe ihres Haushaltes und
die eigenthümlichen Verwandlungen, welche die meiſten Thiere dieſer
Klaſſe während ihres Lebens eingehen, haben ihr von jeher eine große
Anzahl von Sammlern, wie von Beobachtern zugeführt, die oft ihr
ganzes Leben allein den Inſekten oder nur einzelnen Ordnungen wid-
[515] meten. Wir haben die allgemeinen Charaktere, wodurch ſie ſich von
den übrigen Klaſſen der Gliederthiere unterſcheiden laſſen, ſchon an-
geführt; — ſie beſtehen weſentlich in der Exiſtenz von nur ſechs Bei-
nen und in der Luftathmung, welche allen vollkommenen Inſekten zu-
kommt, auch wenn dieſe ihren beſtändigen Aufenthalt in dem Waſſer
haben ſollten. Außerdem ſind Flügel, wenn ſie vorhanden ſind, ein
unbedingtes Unterſcheidungszeichen der Inſekten, das freilich mancher
Gattung während ihres ganzen Lebens abgeht.


Der Bau des Körpers aus einzelnen Ringeln, welcher allen

Figure 423. Fig. 584.

Eine Heuſchrecke in ihre einzelnen Ringel zerlegt.
a Der Kopf mit den Augen b und den Fühlern c.
t
Die Bruſt, beſtehend aus dem Vorderbruflringel d, wel-
cher die Vorderfüße e trägt; der Mittelbruſt f, an wel-
cher die Flügeldecken g und das Mittelfußpaar h befeſtigt
ſind; und der Hinterbruſt i mit den daran angehefteten
Hinterflügeln j und den Hinterbeinen, deren Schenkel (k)
zum Springen verdickt, die Schienen (l) beſtachelt und die
Tarſen (m) mit Endklauen beſetzt ſind. ab Der Hinter-
leib.


Gliederthieren ge-
meinſam iſt, läßt ſich
auch bei den Inſekten
ſtets nachweiſen, ob-
gleich nicht ſelten Bei-
ſpiele vorkommen, daß
einzelne dieſer Rin-
gel entweder im Gan-
zen oder nur in be-
ſtimmten Stücken mit
einander verwachſen
und verſchmolzen ſind.
Gewöhnlich laſſen ſich
indeß drei Abtheilun-
gen unterſcheiden, de-
nen zufolge dieſe ein-
zelnen Ringel grup-
pirt ſind, Kopf, Bruſt
und Hinterleib. Nur
bei einigen flügelloſen
Schmarotzern erſchei-
nen Bruſt und Hin-
terleib mit einander
verſchmolzen; bei vie-
len hängen die drei
Körper-Abtheilungen
in ihrer ganzen Breite zuſammen; bei andern wieder iſt die Verbin-
dung nur durch dünne Stiele vermittelt, ſo daß die drei Theile auf
den erſten Blick in die Augen fallen. Der Kopf trägt unter allen
Umſtänden die Fühler und die Mundwerkzeuge, meiſtens auch zuſam-
mengeſetzte Augen und einfache Nebenaugen; ‒ an den drei Ringen der Bruſt
33*
[516] ſetzen ſich auf der unteren Seite die drei Fußpaare, auf der oberen die Flü-
gel an; der Hinterleib zeigt ſtets die Ringelung am deutlichſten, trägt aber
niemals Füße, und nur höchſt ſelten eigenthümliche acceſſoriſche Bewe-
gungsorgane, während ſein hinteres Ende oft mit Apparaten ausgeſtattet
iſt, die zu dem Fortpflanzungsgeſchäfte in der nächſten Beziehung ſtehen.


Die Fühler(antennae), welche meiſt vorn auf dem Kopfe, auf

Figure 424. Fig. 585. 586. 587. 588. 589.

Verſchiedene Formen von Fühlern.
Fig. 585. Borſtenförmig. Fig. 586. Gezähnt.
Fig. 587. Fächerförmig. Fig. 588. Keulenförmig mit
abgeſetzten Gliedern. Fig. 589. Geblättert.


der Stirn oder mehr zu
beiden Seiten eingelenkt
ſind, zeigen äußerſt wech-
ſelnde Formen, die ſich
indeß weſentlich auf zwei
Grundtypen reduziren
laſſen. Gewöhnlich ha-
ben ſie die Geſtalt einer
einfachen Borſte, einer
Keule oder eines Kegels
und erſcheinen dann aus
einzelnen Ringeln oder
Gliedern zuſammengeſetzt, welche ziemlich gleiche Beſchaffenheit und
Structur zeigen. Unterſucht man nämlich die Fühler unter einer hin-
reichend ſtarken Vergrößerung, ſo ſieht man die äußere Fläche dieſer gleich-
artigen Fühler mit Ausnahme der Gelenkglieder überall mit feinen Gru-
ben beſäet, deren Grund mit einer dünnen, zarten Haut verſchloſſen iſt,
welche mit ſehr zarten Flaumhaaren dicht beſetzt erſcheint. Bei den
ungleichartigen Fühlern, wo ſtets ein beſonderer Schaft oder Stiel
exiſtirt, ſind dieſe eigenthümlichen Poren und Gruben nur auf den
kammförmigen Zacken, Zähnen, Aeſten und Fiederblättchen der Fühler
angebracht, während der Stiel die gewöhnliche Beſchaffenheit der übri-
gen äußeren Körperhaut zeigt. Es iſt zwar jedenfalls anzunehmen,
daß dieſer eigenthümliche Bau der Fühler zur Funktion derſelben in
der engſten Beziehung ſteht, allein man geht dennoch offenbar zu weit,
wenn man mit einigen neueren Beobachtern behaupten wollte, dieſer
Bau liefere den ſtrikten unumſtößlichen Beweis für eine ſchon öfter
verfochtene Anſicht, daß nämlich die Fühlhörner Riechorgane und zwar
nur Riechorgane ſeien. Wir glauben, daß dieſe mit feinen Haaren
ausgefüllten Gruben beide Funktionen, die des Taſtens und des Rie-
chens, in ſich vereinigen. Denn auf der einen Seite unterliegt es
keinem Zweifel, daß viele Inſekten, wie namentlich die Ameiſen, die
Gryllen und andere mehr, ihre Fühler beſtändig zum Taſten und zum
Erkennen der Gegenſtände benutzen, und daß beſonders die nächtlichen
[517] Thiere der Klaſſe ein äußerſt feines Gefühl in dieſen Organen bethätigen,
während freilich andere, die doch zum Theil durch Geſtalt und Größe
ſehr ausgezeichnete Fühler haben, wie z. B. die Bockkäfer, niemals
einen ſolchen Gebrauch von ihren Fühlern machen; — auf der anderen
Seite kennt man keine anderen Geruchswerkzeuge bei den Inſekten,
und alle Verſuche, den Sitz ihres oft ſo feinen Geruches zu entdecken,
ſind durchaus fruchtlos geblieben. Und doch finden viele Inſekten-
Männchen oft auf ſtundenweite Entfernung ihre Weibchen, die ſie un-
möglich ſehen können, nur durch den Geruch; andere Arten, wie na-
mentlich die Käfer, welche von Aeſern leben, werden nur durch den
Geruch zu dieſen hingeleitet, und von manchen Fliegen, deren Larven
auf faulenden Stoffen leben, iſt es bekannt, daß ſie durch den Geruch
getäuſcht, ihre Eier auf ähnlich riechende Pflanzen legen, auf denen
die Larven, für welche ſie ſorgen wollten, einem elenden Hungertode
preisgegeben ſind. Die Form der Fühler, welche demnach bald vor-
wiegend Taſtorgane, bald vorwiegend Riechwerkzeuge ſein mögen, ihre
Größe und Stellung, ſo wie die Geſtalt und Zahl ihrer einzelnen
Glieder bieten ſehr werthvolle Unterſcheidungszeichen für die Kenntniß
der einzelnen Gruppen und Arten.


Das zweite wichtige Sinnesorgan, welches der Kopf trägt, ſind
die Augen, die nur außerordentlich ſelten fehlen und gewöhnlich in

Figure 425. Fig. 590.

Kopf einer Schabe
(Blatta) von vorne geſehen.
a Lefze (labrum) auf einer
beſonderen Platte eingelenkt.
b Kiefer (mandibulae).
c
Kinnladen (maxillae).
d
Die geſpaltene Unterlippe
(labium). e Lippentaſter
(palpi labiales). f Fühler
(antennae). g Netzaugen
(oculi). h Punktaugen
(stemmata). i Ladentaſter
(palpi maxillares).


zwei Formen ſich darſtellen: als zuſammenge-
ſetzte Netzaugen(oculi) oder als einfache
Punkt- oder Nebenaugen(stemmata). Oft
kommen die Punktaugen allein vor, und dann
ſind ſie meiſtens gehäuft und ſtehen in Grup-
pen an den Seiten des Kopfes auf eigenen
Wülſten von verſchiedener Geſtalt und Größe.
Sind die Nebenaugen zugleich mit den zuſam-
mengeſetzten Augen vorhanden, ſo findet man
meiſt nur zwei oder drei dieſer Organe oben
auf dem Scheitel, wo ſie gewöhnlich dem Hirn-
knoten ſo nahe aufſitzen, daß ihr Sehnerve nur
ein kurzes Wärzchen bildet. Es beſtehen dieſe
einfachen Augen ſtets aus einer becherförmigen
Netzhaut, welche von einem dunklen Farbſtoffe
umgeben iſt, und in deren Höhlung eine rund-
liche Linſe liegt, die von einer vorſtehenden
Hornhaut überwölbt iſt. Der Zweck der Ne-
[518] benaugen erſcheint namentlich bei den Gattungen, welche außerdem
noch zuſammengeſetzte Augen haben, durchaus unergründet, und der
Bau ihrer ſtark gewölbten Hornhaut und Linſe ſcheint den Verſuchen
derjenigen Beobachter zu widerſprechen, welche in den Punktaugen
hauptſächlich Organe der Fernſicht zu finden glaubten. Die zuſam-
mengeſetzten Augen
bilden meiſt hügelartige Hervorragungen auf
beiden Seiten des Kopfes, die meiſt rundlich, nierenförmig, zuweilen
auch ſehr tief ausgeſchnitten ſind, manchmal ſo ſehr anwachſen, daß
ſie auf dem Scheitel zuſammenſtoßen, zuweilen auf unbeweglichen
Stielen ſitzen und oft mehrere Tauſend Facetten zählen, die nicht

Figure 426. Fig. 591.

Männliche Honigbiene (Drohne)
mit zuſammenſtoßenden Augen.


Figure 427. Fig. 592.

Brillenfliege (Diopsis)
mit geſtielten Augen.


immer gleich groß an demſelben Auge ſind. Jede dieſer Facetten bil-
det eigentlich die mit den benachbarten Hornhäuten verſchmolzene Horn-
haut eines winzigen Auges, hinter welcher eine pyramidenförmige
Linſe ſitzt, deren nach Innen gerichtete ſtumpfe Spitze in einem becher-
förmigen Glaskörper ſteckt, welcher von einer tutenförmigen Ausbrei-
tung des Sehnerven und eines dunklen Pigmentes umgeben wird.
Da die Augen unbeweglich ſind, ſo hat jede dieſer Hornhäute nur ein
ſehr kleines Sehfeld, und es iſt für uns vollkommen unbegreiflich, wie
aus den vielen tauſend verſchiedenen Bildchen, welche dieſe einzelnen Au-
genkegel liefern müſſen, das Inſekt ſich ein Bild ſeiner Umgebung
machen kann.


Die Mundwerkzeuge, welche der Kopf ſtets an ſeiner unteren
oder vorderen Fläche trägt, ſind bei allen Inſekten nach demſelben
Grundtypus angeordnet, wenn ſie auch in Form, Beſchaffenheit und
relativer Ausbildung unzählige Modifikationen erleiden, und je nach
der Nahrung der Inſekten bald mehr zum Kauen, bald mehr zum
[519]

Figure 428. Fig. 595.


Figure 429. 594.


Figure 430. 593.


Figure 431. Fig. 596. 597.

Kopf und Mundwerkzeuge einer Libelle (Aeschna) dreifach vergrößert.
Fig. 593. Der Kopf von vorne. Fig. 594. Von der Seite. Fig. 595. Halb
von unten mit geöffnetem Maule. Fig. 596. Der Kiefer (mandibula) iſolirt.
Fig. 597. Die Kinnlade (maxilla) iſolirt und beide ſtärker vergrößert. a Die
großen, nierenförmigen Netzaugen. b Fühlhörner. c Nebenaugen. d Vorgeſicht.
e Oberlippe. f Kiefer. g Kinnlade. h Seitentheile der Unterlippe (Taſter). i Mit-
teltheile der geſpaltenen Unterlippe. k Zunge. l Schlundöffnung.


Saugen eingerichtet ſind. Die Erkenntniß dieſes allgemeinen Planes
in der Organiſation ſo höchſt verſchiedener Theile bildet eine der ſchön-
ſten Errungenſchaften der neueren Wiſſenſchaft. Da die einzelnen
Theile bei den kauenden Inſekten am meiſten ausgebildet ſind, ſo ge-
hen wir zuerſt auf dieſe ein, um ihnen die Analogieen der ſaugenden
Mundtheile, bei welchen einzelne dieſer Werkzeuge mehr oder minder
verkümmert ſind, entgegenſtellen zu können. Man findet bei einem
Käfer oder einem Geradflügler, indem man von oben nach unten geht,

Figure 432. Fig. 598.

Mundwerkzeuge einer Schnarrſchnecke (Acridium).
a
Oberlippe. b Kiefer. c Kinnlade. d Lap-
pen oder Helm (galea). e Ladentaſter. f Un-
terlippe mit den Lippentaſtern.


zuerſt einen unpaaren Deckel,
die Oberlippe oder Lefze
(labrum), dann zwei ſeitliche
meiſt hakenförmige Hornſtücke,
die Kiefer, Oberkiefer oder
Kinnbacken(mandibulae)
unter dieſen zwei andere ſeit-
liche Stücke, die Kinnladen
oder Unterkiefer (maxillae), und
endlich als unteren Schluß ein
wie die Oberlippe von oben nach unten bewegliches Stück, die Un-
[520] terlippe
oder Lippe(labium), die man auch als ein in der Mitte
verwachſenes, drittes ſeitliches Kieferpaar betrachten könnte. Kinnladen
und Unterlippe tragen gewöhnlich ſeitliche gegliederte Anhänge, die
Ladentaſter(palpi maxillares) und die Lippentaſter(palpi la-
biales).
Die normalen Mundwerkzeuge beſtehen alſo aus zwei unpaa-
ren Lippen, zwei Paar Kiefern und zwei Paar Taſtern.


Die Oberlippe beſteht meiſtens aus einem mehr oder minder
großen Vorſprunge, der wie eine Klappe an der Unterfläche des Kopfes
beweglich iſt und gewöhnlich die Kiefer deckt oder wenigſtens auf ihrem
Urſprunge aufliegt. Zuweilen iſt die Oberlippe unbeweglich mit dem
hornigen Skelette des Kopfes verwachſen, und bei manchen ſaugenden
Inſekten ſucht man vergebens nach einer Spur von ihr.


Die Kiefer ſind bei den kauenden Inſekten ſtets aus zwei hohlen
Hornſtücken gebildet, die zu beiden Seiten durch ein Charniergelenk ſo
mit dem Kopfe verbunden ſind, daß ſie ſich nur gegen einander bewe-
gen können. Sie ſind meiſtens hakenförmig, krumm gebogen, gewöhn-
lich ſehr feſt und hart, bei den Fleiſchfreſſern ſpitz gezähnt, bei den
Pflanzenfreſſern mehr mit meiſelartigen oder ſtumpfen Vorragungen
zum Kauen verſehen: in vielen Fällen ragen ſie weit über den Kopf
hervor, und haben oft bei den verſchiedenen Geſchlechtern derſelben
Gattung eine verſchiedene Form, wie z. B. bei den bekannten Hirſch-
käfern, wo das Männchen große geweihartige, mit mehrfachen Zacken
beſetzte Kiefer beſitzt, während ſie bei dem Weibchen nur kurze Haken
darſtellen. Je mehr die Aufnahme feſter Nahrungsmittel zurückſinkt,
deſto unſcheinbarer werden die Kiefer, und bei den ächten Saugern
fehlen ſie entweder ganz, oder ſind auf zwei hornige Borſten reduzirt,
welche gewöhnlich zum Stechen benutzt werden.


Weit komplizirter an Geſtalt und Zuſammenſetzung ſind die Un-
terkiefer oder Kinnladen, die niemals einen ſo offenen Winkel, wie
die Kiefer zu bilden im Stande ſind, und nur ſelten dieſen an Härte
und Schärfe ihrer Zähnlungen gleich kommen. Die Kinnladen ſtehen
der Unterlippe ſehr nahe und erſcheinen zuweilen mit ihrer Baſis ſo
mit der Lippe verwachſen, daß man ſie für einen Theil derſelben hal-
ten könnte; — ſie beſtehen meiſt aus mehreren einzelnen Stücken, die
man in einen Schaft oder Stiel und einen freien Theil, die Lade
oder den Helm, theilen kann; der Stiel iſt meiſtens aus einem que-
ren Gelenkſtücke, der ſogenannten Angel(cardo) und dem eigentlichen
Stiele(stipes) zuſammengeſetzt, der an der inneren Seite die Laden
oder Lappen (malae), an der äußeren Seite die Ladentaſter(palpi
[521] maxillares)
trägt, und an der Spitze oft hakenförmig umgebogen und
gehärtet oder ſelbſt mit ſpitzen Hornzähnen, ähnlich wie der Kiefer,
beſetzt iſt.


Das Ende der Laden wechſelt namentlich ſehr in ſeiner Form,
indem es bald breit, blattförmig iſt und von der Seite her wie ein
Helm (galea — bei den Geradflüglern) die übrigen Kauwerkzeuge
decken kann, bald einen beweglichen Nagel oder ſelbſt einen taſterför-
migen Anhang darſtellt. Die Kinnladen ſind meiſt auf ihrer Innen-

Figure 433. Fig. 599.

Kauwerkzeuge eines
Laufkäfers (Carabus).
a
Oberlippe. b Kiefer.
c Kinnladen, an denen man
unten die quere Angel, den
hakigen, mit Borſten beſetz-
ten Stiel, die zu einem in-
neren zweigliedrigen Laden-
taſter ausgebildete Lade und
den äußeren eigentlichen vier-
gliedrigen Ladentaſter unter-
ſcheidet. d Unterlippe mit
ihren Taſtern.


Figure 434. Fig. 600.

Kopf einer Biene (Anthophora)
von vorn geſehen. Auf dem Scheitel ſieht
man die drei Punktaugen, zur Seite die
großen Netzaugen.
a Fühler. b Kiefer. c Lefze.
d Ladentaſter. e Kinnladen. f Lip-
pentaſter. g Zunge. h Neben-
zungen (paraglossae).


Figure 435. Fig. 601.

Kopf eines Schmetterlings.
a Fühler. b Die zu
einem Spiralrüſſel zu-
ſammengelegten Kinn-
laden. d Ladentaſter.
o Auge. t Scheitel.


fläche mit Haaren oder Borſten beſetzt, und dienen hauptſächlich zum
Betaſten und Halten der Nahrungsmittel. Bei den ſaugenden Inſek-
ten erleiden ſie mannigfaltige Modifikationen, indem ſie bald in ähn-
licher Weiſe, wie die Kiefer, zu Stechborſten umgewandelt werden, wie
dieß namentlich bei den Zweiflüglern und den Halbflüglern der Fall
iſt, oder aber, indem ſie ſcheidenartige Klappen darſtellen, wie bei den
Hauptflüglern, oder endlich ſelbſt das Saugorgan werden, indem ſie
ſich zu langen, ſpiralig aufgerollten Halbkehlen umformen, die durch
Zuſammenlegen eine Röhre oder einen Rüſſel bilden, wie dieß bei den
Schmetterlingen geſchieht. Die Ladentaſter, welche nur in ſeltenen
Fällen fehlen, ſind gewöhnlich viel kürzer, als die Fühler, aber län-
ger als die Lippentaſter, und ihre Gliederzahl hat gewöhlich für jede
[522] Inſektenordnung ein beſtimmtes Geſetz, wie z. B. vier für die Käfer,
fünf für die Geradflügler u. ſ. w.


Die Unterlippe beſteht außer den Lippentaſtern, welche in
Form und Größe meiſtens den Ladentaſtern ähnlich ſind, noch aus
mehreren verſchiedenen Theilen. Gewöhnlich ſitzt ſie auf einer abge-
ſetzten Platte auf, mit der ſie in einem Klappengelenke verbunden iſt,
und welche man das Kinn(mentum) genannt hat. Sehr häufig iſt
die Lippe in ihrer Mitte gekerbt, eingeſchnitten oder ſelbſt faſt gänzlich
geſpalten und in zwei Theile getheilt, eine Andeutung ihrer urſprüng-
lichen Zuſammenſetzung aus zwei ſeitlichen in der Mittellinie verwach-
ſenen Kinnladen; oft iſt ſie glatt, gewöhnlich aber mit Haaren beſetzt;
ſie ſchließt die Mundöffnung nach unten und trägt auf ihrer inneren
Fläche meiſt einen häutigen weichen Vorſprung, den man die Zunge
(lingula) genannt hat. Gewöhnlich iſt dieſe Zunge im Munde ver-
borgen, zuweilen ſtehen neben ihr noch eigene ſelbſtſtändige Vorſprünge,
die ſogenannten Nebenzungen(paraglossae). Unterlippe und
Zunge zeigen nicht nur merkwürdige Formverſchiedenheiten, ſondern
auch ſehr eigenthümliche Modifikationen ihres Baues. Bei vielen
ſaugenden Inſekten und zwar namentlich bei den Halbflüglern

Figure 436. Fig. 602. 603. 604.

Fig. 602. Kopf einer Baumwanze von vorn, um
die ſcheidenartige, zu einem dreigliedrigen Schnabel
umgewandelte Unterlippe zu zeigen. Fig. 603. Die Un-
terlippenſcheide iſt weggenommen, man ſieht die Ober-
lippe und die Stechborſten zuſammengelegt, Fig. 604.
Die Stechborſten auseinandergelegt; — die äußeren, ge-
krümmten ſind die Kiefer, die inneren die Kinnladen.


Figure 437. 605.

Einzelne Mundtheile einer
Biene. a Oberlippe. b Kie-
fer. c Kinnlade. d Unter-
lippe, auf der die lange Zunge
mit zwei ſchuppenförmigen
Nebenzungen am Grunde und
zwei Lippentaſtern ſteht.


und den Zweiflüglern hat ſich die Unterlippe außerordentlich verlän-
gert, und bildet eine oben offene rüſſelartige Scheide, in welcher die
zu Stechborſten verwandelten Kiefer und Kinnladen eingeſchloſſen lie-
[523] gen. Bei den Halbflüglern iſt die zum Schnabel gewordene Unter-
lippe noch obenein aus mehreren Gliedern zuſammengeſetzt, während
ſie bei den Zweiflüglern einen häutigen, weichen Schlauch, einen Saug-
rüſſel
bildet, der meiſtens gänzlich zurückgezogen werden kann. Die
oft ganz rudimentäre Zunge wird ſchon bei manchen Käfern ſo groß,
daß ſie ſtets aus dem Munde hervorragt, und bei den Hautflüglern
erreicht ſie den höchſten Grad ihrer Entwicklung, indem ſie zu einem
langen, gegliederten Schöpfrüſſel wird, der weſentlich zur Ernäh-
rung dieſer Thiere und zum Aufſammeln des Honigs beiträgt.


Durch die vielfachen Reduktionen einzelner dieſer Mundwerkzeuge
bei vorherrſchender Ausbildung anderer iſt eine unendliche Mannigfal-
tigkeit vorbereitet, die durch den Wechſel der Geſtalt bei den einzelnen
Theilen noch erhöht wird. Es gibt manche Inſekten, welchen im voll-
kommenen Zuſtande die Mundwerkzeuge gänzlich abgehen, andere, bei
welchen einzelne Theile gänzlich fehlen; bei den meiſten aber ſind die
Hauptſtücke, welche wir erwähnten, alle vorhanden, und ihre relative
Lagerung zu einander und zu der Mundöffnung bietet bei genauerer
Unterſuchung den Faden, an dem man zu ihrer richtigen Erkenntniß
ſich leiten kann.


Die Bruſt (thorax ſiehe Fig. 578) trägt, wie wir ſchon oben
bemerkten, in allen Fällen die Bewegungsorgane, indem an der Ober-
fläche ihrer drei Ringe die Flügel, an der Unterfläche die Füße ein-
gelenkt ſind. Die Bruſt iſt im Ganzen gewöhnlich die größte der
drei Körperabtheilungen, was freilich bei denjenigen Inſekten, die harte
Flügeldecken beſitzen, (wie z. B. den Käfern) nur auf der Unterfläche
erkannt werden kann, indem dann die Flügeldecken über die Mittel- und
Hinterbruſt ſich ausdehnen. In den meiſten Fällen iſt es leicht, die
drei Ringe, welche man mit dem Namen der Vorderbruſt(pro-
thorax),
der Mittelbruſt(mesothorax) und der Hinterbruſt
(metathorax) unterſcheidet, trotz ihrer häufigen Verwachſungen zu er-
kennen; und ebenſo kann man ſehr häufig die einzelnen Stücke unter-
ſcheiden, aus welchen jeder einzelne dieſer Ringe wieder zuſammenge-
ſetzt iſt. Bei den Beſchreibungen werden meiſt nur die Unterfläche
der Bruſt, das ſogenannte Bruſtbein(sternum), und die Rücken-
fläche in das Auge gefaßt, ſo daß wir über die weitere Zuſammen-
ſetzung der einzelnen Bruſtringe, die äußerſt complicirt iſt, hier hin-
weggehen können. Sehr verſchieden ſind die gegenſeitigen Verhältniſſe
der einzelnen Ringe, da ihre Entwicklung beſonders in Beziehung ſteht
zu den Funktionen der Bewegungswerkzeuge, die an ihnen befeſtigt
[524] ſind. So iſt die Vorderbruſt bei den Käfern, den Geradflüglern und

Figure 438. Fig. 606.

Der Leichenkäfer (Hister.)
Der kleine Kopf ſteckt bis
an die Augen unter der ſehr
breiten Vorderbruſt oder dem
Halsſchilde.


Figure 439. Fig. 607.

Ein Hautflügler (Foenus.)
Die Vorderbruſt bildet nur
einen ſchmalen Stiel zwiſchen
Kopf und Mittelbruſt, die hoch-
gewölbt iſt.


Halbflüglern meiſt
ganz bedeutend ent-
wickelt, frei beweg-
lich, und trägt dann
den Namen des
Halsſchildes,
(thorax; corselet)
während ſie bei an-
deren, beſonders flie-
genden Inſekten, wie
bei den Schmetter-
lingen, den Haut-
und Zweiflüglern
gewöhnlich nur die
Form eines ſchmalen
Ringes oder eines dünnen Stieles hat, welcher den Kopf mit der Bruſt
vereint; zuweilen iſt der Kopf gänzlich geborgen unter der ſchildför-
migen Vorderbruſt, manchmal ſogar ſo, daß in dem Rande derſelben
Löcher angebracht ſind, um den Augen einigen Spielraum nach oben
zu gewähren. Die Vorderbruſt trägt ſtets nur das erſte Paar der
Beine, aber niemals Flügel auf der Rückſeite.


Die Mittelbruſt erſcheint beſonders bei denjenigen Inſekten
vorzugsweiſe entwickelt, bei welchen die Vorderflügel die weſentlichſten
Flugorgane bilden, wie namentlich bei den Haut- und Zweiflüglern,
während bei denjenigen Inſekten, wo die Vorderflügel als Flügeldecken
dienen, die Mittelbruſt entſprechend auch nur eine unbedeutende Aus-
bildung zeigt, und oft gar nicht, oft nur mit einem kleinen Theile auf

Figure 440. Fig. 608.

Fiſchkäfer (Hydrophilus).
Zwiſchen den Flügeldecken tritt
das dreieckige Schildchen hervor.


der Oberfläche ſichtbar iſt, den man das
Schildchen (scutellum) genannt hat. Die
Hinterbruſt endlich, welche bei den
vorzugsweiſe fliegenden Inſekten nur we-
nig entwickelt iſt, bildet ſich da beſonders
aus, wo die Hinterflügel das weſentlichſte
Flugorgan geworden ſind, oder wo die
Hinterbeine zu Springfüßen benutzt wer-
den und zu dieſem Endzwecke mächtige
Muskeln erhalten. Die Bruſtringe im
Ganzen enthalten im Innern faſt nur die
mächtigen Muskelmaſſen, welche zur Be-
[525] wegung der Flügel und Füße dienen, wozu ſich noch der Schlund,
die meiſt bedeutend großen Bruſtknoten und die vielfachen Luftgefäße
und Blaſen geſellen, die beſonders bei den guten Flügern ſtark aus-
gebildet ſind.


Die Flügel, welche ſtets auf der Rückenfläche der Mittel- und
Hinterbruſt eingelenkt ſind, wechſeln außerordentlich an Geſtalt und
Bildung. Sie fehlen ganz bei der Ordnung der Flügelloſen, ſo wie
bei vielen einzelnen Gattungen von Käfern, Gradflüglern, Halbflüglern

Figure 441. Fig. 609. 610.

Johanniswürmchen (Lampyris).
Fig. 609. Geflügeltes Männ-
chen. Fig. 610. Flügelloſes Weib-
chen.


und Zweiflüglern, und häufig gehen ſie den
Weibchen ab, während die Männchen damit
verſehen ſind; — ſo ſind auch bei den in
Geſellſchaft lebenden Inſekten zuweilen die
unvollkommen ausgebildeten geſchlechtsloſen
Individuen die Arbeiter flügellos, während
Männchen und Weibchen mit Flugorganen
verſehen ſind. Viele Inſekten, wie nament-
lich die Ordnung der Dipteren, beſitzen nur

Figure 442. Fig. 611. 612.

Ameiſe (Formica.)
Fig. 611. Geflügeltes Weibchen. Fig. 612. Ungeflügel-
ter Arbeiter.


zwei ausgebildete
Flügel, wobei das
andere Paar zu
eigenthümlichen
ſchwingenden Kölb-
chen verkümmert iſt,
und zwar ſind es
bei den Zweiflüg-
lern die Hinterflü-
gel, bei den Strep-
ſipteren die Vorderflügel, welche in dieſer Weiſe verkümmert ſind. Da,
wo vier Flügel vorhanden ſind, findet man ſie oft von ungleicher
Bildung, indem die Vorderflügel mehr lederartig, oder hornartig feſt
ſind und nur als Flügeldecken(Elytrae) benutzt werden, ohne am
[526]

Figure 443. Fig. 613.

Ein Käfer mit ausgebreiteten Flügeln.
a Flügeldecken. b Flügel.


Figure 444. Fig. 614.

Kothwanze (Reduvius) mit Halb-
beckflügeln, die hinten häutig ſind.


Fluge ſelbſt einen weſentlichen Antheil
zu nehmen. Manchmal ſind dieſe Flü-
geldecken ſogar ſo verwachſen, daß ſie
durchaus unbeweglich erſcheinen; in
andern Fällen iſt nur ein Theil der
Vorderflügel lederartig und zur Decke
beſtimmt, während der übrige Theil
ebenſo wie die Hinterflügel häutig er
ſcheint. Die Flügel ſelbſt ſind eigentlich
nur Duplikaturen des Hautſkelettes,
deren beide Membranen ſehr dicht an-
einander liegen und nur an den
Orten, wo Luftadern und Gefäße
ſie durchziehen, von einander wei-
chen. Jeder Flügel bildet ſo eine
aus zwei Blättern beſtehende häu-
tige Platte, die je nach den Gat-
tungen von mehr oder minder aus-
gebildeten Adern oder Nerven
durchzogen iſt. Bei Inſekten, welche
eben aus der Puppe hervorkriechen,
und bei denen die Flügel noch voll-
kommen unausgebildet ſind, kann
man nicht nur dieſe Zuſammenſetzung
der Flügel aus zwei Blättern beob-
achten, ſondern auch ſehen wie An-
fangs durch die Gefäße und Luft-
röhren Blut und Luft in die Flügel
vordringt und dieſe ausdehnt. Bei den meiſten Inſekten ſind die
Flügel nackt, einfach häutig, höchſtens mit dünnen Härchen beſetzt, und
haben dann jene eigenthümliche ſchillernde Färbung dünner, durchſich-
tiger Blättchen; — oft aber ſind ſie mit beſonderen Schuppen bedeckt,
welche ihre Färbung bedingen. Zuweilen iſt ihre Fläche noch durch
lange Haare vermehrt, die an ihrem Rande ſtehen. Die Vertheilung
der Adern oder Nerven auf den Flügeln und der zwiſchen ihnen be-
findlichen bald offenen, bald geſchloſſenen Zellen erſcheint von großer
Wichtigkeit für die beſchreibende Naturgeſchichte, da dieſe Vertheilung
bei den natürlichen Gruppen ſtets übereinſtimmend iſt. Man unterſcheidet
[527]

Figure 445. Fig. 615.

Waſſerjungfer (Aeschna) mit Netzflügeln.


Figure 446. Fig. 616.

Blattwespe (Cimbex) mit Aderflügeln.


beſonders Netzflügel und
geaderte Flügel; — es
würde indeß zu weit füh-
ren, hier auf die ſpeciel-
lere Bildung der Adern,
Zellen und Felder der
Flügel einzugehen, da
namentlich auch in der
Bezeichnungsweiſe dieſer
einzelnen Theile eine un-
ſägliche Verwirrung
herrſcht, indem faſt jeder
Monographe andere Na-
men zu gebrauchen ſich
bemüßigt ſieht. Die Art
und Weiſe, wie die Flü-
gel in der Ruhe getra-
gen und zuſammengelegt
werden, iſt gewöhnlich
ſehr bezeichnend für die
natürlichen Gruppen,
ja ſelbſt für die Ord-

Figure 447. Fig. 617.

Unterflügel eines
Käfers in der Ruhe.


nungen der Inſekten. So knicken alle Käfer
die Unterflügel ein, um ſie unter die Flügel-
decken zu ſchieben, während die Geradflügler
ſie fächerartig zuſammenlegen, die Tagſchmet-

Figure 448. Fig. 618.

Eine fliegende Heuſchrecke.
Die Unterflügel ſind fächerartig gefaltet.


Figure 449. Fig. 619.

Ein Tagſchmetterling (Morphe
Helenor)
ſitzend.


[528] terlinge aber ſie nach oben zuſammenſchlagen. Der Flug der Inſek-
ten iſt begreiflicherweiſe je nach der Beſchaffenheit und Ausbildung der
Flügel außerordentlich verſchieden, beruht aber im Weſentlichen darauf,
daß der Flügel beim Aufheben der Luft eine geringere Fläche darbietet,
als beim Niederſchlagen, wodurch ſich der zwiſchen den Flügeln ange-
brachte Körper erhebt. Die Flugkraft vieler Hautflügler, Adlerflügler
und Zweiflügler überſteigt alles, was wir an anderen Thieren kennen.
Eine Bremſe iſt fähig, beim ſchnellſten Fahren einer Eiſenbahn den
Wagen Meilen weit zu verfolgen und während der Fahrt die Reiſenden
beſtändig in Kreiſen zu umſchwärmen, mithin den Weg, welchen der
Wagen in gerader Linie macht, in Radlinien zu beſchreiben.


Die Beine der Inſekten ſind trotz der verſchiedenen Ausbildung
nach demſelben Grundgeſetze gebaut, und enthalten ſelbſt bei ihrer Ver-
kümmerung gewöhnlich dieſelbe Zahl von einzelnen Theilen. Die Hüfte
(coxa), mittelſt welcher das Bein in die Gelenkgrube des betreffenden
Ringes eingelenkt iſt, bildet meiſtens einen drehrunden oder länglichen
Gelenkknopf, mit dem ein zweites Hornſtück, der Schenkelanhang
oder Trochanter, unbeweglich verbunden iſt. Gewöhnlich können dieſe
beiden Hüftſtücke zuſammen in dem Gelenke in ähnlicher Weiſe bewegt
werden, wie unſer Oberarm, in anderen Fällen iſt die Rollung un-
vollſtändiger. An den Hüftſtücken ſitzt ebenfalls durch ein unvollſtän-
diges Kugelgelenk mit ihnen verbunden, der Schenkel(femur), der
faſt immer eine walzenförmige Geſtalt hat, oft beſtachelt oder bezähnt
iſt und an den Hinterbeinen der ſpringenden Inſekten gewöhnlich be-
deutend verdickt erſcheint. Mit dem Schenkel ſteht ein zweites, meiſt
längeres und dünneres Stück durch ein Charniergelenk in Verbindung,

Figure 450. Fig. 620.

Fünfgliedriger
Fuß (Tarsus)
eines Käfers mit
erweiterten Glie-
dern und Bürſten-
haaren.


das man die Schiene(tibia) nennt, und das an ſeinem
Ende den Fuß(tarsus) trägt. Dieſer letztere beſteht nur
ſehr ſelten aus Einem, meiſt aus mehreren, gewöhnlich aus
fünf Gliedern, die oft erweitert und auf ihrer Unterfläche
mit beſonderen Ballen, Bürſten oder Wärzchen zum An-
halten an glatten Oberflächen beſetzt ſind. Das letzte Tar-
ſalglied trägt an ſeinem Ende gewöhnlich zwei, ſeltener
eine gekrümmte, meiſt ſcharfe Hornklaue, die nur in äußerſt
ſeltenen Fällen gänzlich fehlt. Weſentliche Modifikationen erleiden die
Beine häufig durch ihre Beziehungen zur Lebensart der Inſekten. So
beſitzen Manche breite, quergeſtellte Vorderbeine, die zum Aufwühlen
der Erde geſchickt erſcheinen, ſogenannte Grabfüße. Bei den Spring-
[529]

Figure 451. Fig. 621.

Maulwurfsgrille. Die Vorderbeine ſind breite Grabfüße.


Figure 452. Fig. 622.

Heuſchrecke mit hinteren Springbeinen.


Figure 453. Fig. 623.

Waſſerkäfer (Dytiscus) mit
Schwimmbeinen.


Figure 454. Fig 624.

Weinhähnel (Mantis) mit Raubfüßen.


Figure 455. Fig 625.

Hirſchkäfer (Lucanus) mit Schreitfüßen
und geweihartig verlängerten Kiefern (maudibulae).


beinen ſind die hinteren Schenkel
verdickt und verlängert; bei den
Schwimmbeinen die einzelnen Glie-
der abgeplattet, die Beine nur in
wagrechter Richtung beweglich und
mit ſteifen Haaren, die ihre Ober-
fläche vergrößern, beſetzt. Bei man-
chen Inſekten ſind die Vorderbeine
zangenförmig und können zum Fan-
gen der Beute wie ein Taſchen-
meſſer eingeklappt werden — Raub-
füße; — bei den meiſten endlich ſind
ſie alle gleichmäßig entwickelt und nur
zum Gehen und Klettern geſchickt —
Geh- oder Schreitfüße.


Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 34
[530]

Der Hinterleib(abdomen) der Inſekten zeigt ſtets die Ringe-
lung weit deutlicher, als die beiden anderen Hauptabſchnitte des Kör-
pers. Die Hinterleibsringe ſind faſt immer aus zwei Bogen, einem
oberen und einem unteren zuſammengeſetzt, die an den Seitenrändern
durch elaſtiſche Häute mit einander verbunden ſind, ſo daß der Hin-
terleib hierdurch ſowohl, wie durch die ſchuppige Anordnung der Ringe,
bedeutender Volumsveränderungen fähig iſt, die namentlich durch die
Entwicklung der Eier bei den Weibchen, ſo wie durch das Einpumpen
von Luft vor dem Auffliegen bedingt werden. Zuweilen geht dieſe
ſchuppige Lagerung der Ringe, die durch ausdehnbare Bänder verei-
nigt ſind, ſo weit, daß der Hinterleib förmlich, wie die Röhre eines
Perſpectives, ein- und ausgeſchoben werden kann. Die Normalzahl
der Hinterleibsringe ſcheint neun zu ſein, indeſſen wechſelt dieſelbe
außerordentlich entweder durch Verwachſungen oder dadurch, daß die
letzten Ringe in die Bauchhöhle ſelbſt hineingeſchoben und dort als
Deckſchuppen der Begattungswerkzeuge angebracht ſind. Eigentliche
Bewegungsapparate trägt der Hinterleib nur bei einigen flügelloſen
Inſekten, bei welchen die ſonſt unbeweglichen Borſten und Haare, die
oft an ihm angebracht ſind, zu Springorganen umgewandelt ſind.


Die äußere Umhüllung des Körpers, die Haut, deren Härte und
Conſiſtenz ungemein wechſelt, iſt ſtets aus jenem eigenthümlichen, un-
löslichen Stoffe gebildet, den man Chitin genannt hat. Da dieſer
Stoff nur äußerſt ſchwer zerlegbar iſt, ſo erhalten ſich auch die mei-
ſten Häute und Körperſchalen der Inſekten ſehr lange Zeit vollkommen
unzerſtört, ſelbſt wenn ſie noch ſo zart und dünn ſein ſollten. Der
Bau dieſes Hautſkelettes ſeinen weſentlichen Formbeſtandtheilen nach
iſt noch durchaus nicht hinlänglich erforſcht. An vielen Stellen er-
ſcheint es vollkommen gleichartig, ſtrukturlos und nur da, wo die Maſſe
dicker gehäuft iſt, laſſen ſich zuweilen Schichten und netzförmige Figu-
ren unterſcheiden, zwiſchen welchen oft prachtvolle Farbſtoffe abgelagert
ſind. Auf der äußeren Oberfläche dieſes Hautſkelettes kommen viel-
fache Anhänge in Form von Stacheln, Borſten, Haaren oder Schup-
pen vor, welche bald ziemlich ſtark befeſtigt ſind, bald auch nur ſehr
loſe in eigenen Grübchen der Haut ſitzen, und bei der leiſeſten Berüh-
rung ſich loslöſen. Oft ſind dieſe Stacheln und Haare noch außerdem
mit Widerhaken beſetzt, ſo daß ſie kleine gefährliche Waffen bilden, die
einmal eingebohrt ſtets weiter vordringen. Die Mägen mancher Rau-
penfreſſenden Vögel wie z. B. des Kukuks, ſind auf ihrer Innenfläche
mit einem ſo dichten Ueberzuge ſolcher verfilzter in die Magenhaut
eingeſtochener Haare bedeckt, daß lange lebhafter Streit über die Frage
geführt wurde, ob dieſe Filzüberzüge zu dem Bau des Magens dieſer
[531] Vögel gehören oder von den verſchluckten Raupen herrühren. Nach
innen zu zeigt das Hautſkelett, das im Ganzen betrachtet eine Samm-
lung von hohlen Walzen und Ringen darſtellt, zuweilen Vorſprünge,
Leiſten und Spitzen, welche den verſchiedenen Muskeln zu Anſatzpunk-
ten dienen. Die äußeren Umriſſe des Hautſkelettes ſtehen überhaupt
in weſentlicher Beziehung zu der inneren Ausbildung des Muskelſyſte-
mes, und ſtets findet man da, wo mächtige Muskeln zur Bewegung
gewiſſer Theile vorhanden ſind, auch entſprechend das Hautſkelett auf-
gebläht, wie z. B. einen breiten Kopf bei ſtarken Beißwerkzeugen,
hohe dicke Bruſt bei bedeutendem Flugvermögen u. ſ. w. Die Mus-
keln
, welche ſtets ſehr ausgebildet ſind, und ſo wie die willkürlichen
Muskeln der höheren Thiere ſehr deutliche Querſtreifen zeigen, ſtehen im
Verhältniß zur Ausbildung der Bewegungsorgane und der Kauwerk-
zeuge, zeigen aber im Verhältniß zu ihrer Maſſe eine ungemeine Kraft
und Energie, die ſich beſonders bei den Arbeiten der Inſekten kund
giebt. Die meiſten Käfer tragen mit Leichtigkeit das zehn- oder zwan-
zigfache ihres Gewichtes auf dem Rücken; Ameiſen ſchleppen in ihren
Kiefern, alſo mit ungünſtigem Kraftmomente, weit größere und ſchwerere
Gegenſtände, als ſie ſelbſt ſind, fort, und eine Grabwespe oder Maul-
wurfsgrille höhlt in einer Stunde einen Gang aus, der wenigſtens
zehn bis zwölfmal ihre eigene Länge beträgt, wobei ſie noch obenein
die aufgewühlte Erde aus dem Gange herausſchafft, und die Wände
desſelben vor dem Zuſammenfallen ſichert! Und ſolche Arbeiten werden
nicht einmal bei außerordentlichen Gelegenheiten verrichtet, ſondern
halten tagelang ohne Unterbrechung an, und ohne daß man dem Thiere
einige Ermüdung anmerkte.


Das Nervenſyſtem der Inſekten beſteht unter allen Umſtänden
aus einer Reihe von Knoten, welche unmittelbar auf der inneren

Figure 456. Fig. 626.

Das Nervenſyſtem eines Lauf-
käfers in ſeiner Lage von oben
geſeben nach der Wegnahme al-
ler übrigen Organe.


Fläche der unteren Hautbedeckung aufliegen
und meiſt durch doppelte Längsfäden mit ein-
ander verbunden ſind. In dem Kopfe, über
dem Schlunde liegt eine Gehirnmaſſe, welche
die Fühlernerven und die Sehnerven abgiebt
und nach unten zwei dickere Fäden um den
Schlund herum ſchickt, die ſich in einem unter
dem Schlunde gelegenen Knoten vereinigen
und ſo einen förmlichen Schlundring bilden.
Von dem unteren Knoten aus gehen Längsfä-
den nach hinten, die meiſtens getrennt, zuwei-
len aber auch zu einem einzigen Faden ver-
34*
[532] ſchmolzen ſind und an denen ſich von Zeit zu Zeit den einzelnen Rin-
gen entſprechend, Knoten befinden, von welchen die Nerven der Organe
ausſtrahlen. Bei den Larven und den langleibigen Inſekten liegen

Figure 457. Fig. 627.

Iſolirte Nervenſyſteme verſchiedener Inſekten nebeneinander geſtellt.
A Von dem Ohrwurme (Forficula); B von einer Heuſchrecke (Locusta);
C
vom Hirſchkäfer (Lucanus); D von einer Baumwanze (Pentatoma).
a Hirnknoten. b Fühlernerven. c Augennerven. d Bruſtknoten. e Hin-
terleibsknoten.


dieſe Knoten gewöhnlich weit von einander, während da, wo die ein-
zelnen Körperringe mehr mit einander verſchmolzen und unbeweglich
geworden ſind, die einzelnen Knoten auch näher aneinander rücken,
und oft gänzlich mit einander verſchmelzen. Man findet ſo die man-
nigfaltigſten Uebergänge von einem Bauchmarke, das in ſeiner ganzen
Länge aus gleichmäßigen Knoten zuſammengeſetzt iſt, die ſich in regel-
mäßigen Abſtänden folgen, bis zu faſt gänzlich verſchmolzenen Maſſen, die
kaum noch ihren Urſprung gewahren laſſen; und man kann dieſe allmählige
Concentration des Nervenſyſtemes auch bei denjenigen Arten verfolgen,
die als Larven eine langeſtreckte Ganglienkette, als vollkommene In-
ſekten dagegen ein verſchmolzenes Bauchmark beſitzen. Außer dem
Bauchmarke läßt ſich noch ein beſonderes Eingeweidenervenſyſtem nach-
weiſen, welches als zwei paarige und ein unpaarer Nerv an Schlund
und Magen hinläuft, und dieſe mit Zweigen verſorgt.


Wir haben ſchon oben bei Gelegenheit der Fühler über den Sitz
[533] des oft außerordentlich feinen Geruchſinnes, ſo wie bei den Augen
über den Bau der Sehwerkzeuge geſprochen. Der Taſtſinn, welchem
die Antennen vieler Inſekten unzweifelhaft in hohem Grade dienen,
findet außerdem noch in den Taſtern der Kauwerkzeuge, in den Spitzen
der ſaugenden Mundwerkzeuge, in der Legeröhre vieler Weibchen, ſo
wie ſehr häufig auch in den Tarſen der Füße ausgezeichnete Organe.
Weniger leicht gelingt es, ſich über den Geſchmack und das Gehör
der Inſekten Aufklärung zu verſchaffen. Was erſteren betrifft, ſo kann
man nicht verkennen, daß manche Inſekten in Bezug auf ihre Nah-
rung ſehr wähleriſch ſind; und es mögen wohl beſonders die weiche
Zunge, wenn eine ſolche vorhanden iſt, oder die weichen Taſter und
Kinnladen Sitz des Geſchmacks ſein. Hinſichtlich der Gehörwerk-
zeuge
waltet faſt noch größeres Dunkel, indem man nur bei ſehr
wenigen Geradflüglern wahre Ohren entdeckt hat, bei allen übrigen
Inſekten aber durchaus kein Organ für dieſen Sinn hat finden kön-
nen, obgleich Tonbildung bei ihnen nichts ſeltenes iſt, und ſogar oft
in Beziehung namentlich zu ihren Geſchlechtsfunctionen ſteht. So
locken manche Holzkäfer ihre Weibchen dadurch, daß ſie mit dem har-
ten Kopfe oder Hinterleibe mit großer Heftigkeit auf das Holz auf-
pochen; die Schnarrſchrecken geigen mit ihren Hinterbeinen an dem
Außenrande der Flügeldecken; die Heuſchrecken und Gryllen reiben den
harten und ſcharfen Rand der Wurzel der einen Flügeldecke gegen
eine gerippte Hornleiſte an der Wurzel der anderen Flügeldecke, und
bringen dadurch den ſchrillenden Lockton hervor. Viele Käfer und
Wanzen zirpen, indem ſie die Vorderbruſt gegen den Mittelrücken oder
den Hinterleib gegen die Flügeldecken reiben. Die Singeikaden brin-
gen ihren unleidlichen ſogenannten Geſang mittelſt einer trockenen
Trommelhaut hervor, welche an dem erſten Hinterleibsringe in ähn-
licher Weiſe, wie das Fell eines Tamburins in einem runden Ringe
ausgeſpannt iſt, durch einen eigenen Muskel geſpannt und plötzlich
wieder losgeſchnellt wird. Alle dieſe Töne beziehen ſich auf die Ver-
einigung der beiden Geſchlechter, und vielleicht ſteht auch das Summen
vieler fliegenden Inſekten, welches offenbar durch die abwechſelnde
Spannung und Erſchlaffung des Bruſtkaſtens während der Flugbe-
wegung und der dieſelbe begleitenden zahlreichen Muskelcontractionen
erzeugt wird, hierzu in einiger Beziehung. Dennoch iſt es noch nicht
gelungen, bei anderen Inſekten als Heuſchrecken, Gryllen und Schnarr-
ſchrecken ein Ohr nachzuweiſen. Bei den Schnarrſchrecken (Acridida)
liegt dieſes Ohr am Hintertheile der Hinterbruſt, und ſtellt eine mit
einem Trommelfelle geſchloſſene Grube dar, hinter welcher ein zartes
[534] Bläschen liegt, zu dem ein eigener, aus dem dritten Bruſtknoten ent-
ſpringender Hörnerve geht. Bei den eigentlichen Gryllen (Gryllida)
und den Heuſchrecken (Locustida) findet man gar unter dem Kniege-
lenke der beiden Vorderſchienen Gruben, welche durch Trommelfelle
geſchloſſen ſind und hinter denen die Luftröhre des Beines eine Blaſe
bildet, zu der ſich ein eigener Gehörnerve begiebt.


Der Verdauungskanal der Inſekten iſt ſtets darmartig, aber

Figure 458. Fig. 628.

Verbauungsapparat eines Laufkäfers (Carabus).
a Mundwerkzeuge. b Kopf mit Füh-
lern und Augen. c Schlund. d Kropf.
e Kaumagen. f Der zottige Chylusmagen.
g Harngefäße. h Krummdarm. i Maſt-
darm (Cloake). k Afterdrüſen. l After.


von ſehr wechſelnder Länge, und
zeigt ſich immer aus mehreren Häu-
ten zuſammengeſetzt, deren innerſte
an dem oberen und unteren Ab-
ſchnitte des Darmes mit dem Haut-
ſkelette in Verbindung ſteht, und
auch bei Häutungen mit demſelben
gewechſelt wird. Bei den fleiſch-
freſſenden Inſekten, ſowie bei den
Saugern iſt der Darmkanal im All-
gemeinen weit kürzer, als bei den
Pflanzenfreſſern, wo er oft viele
ſchlingenförmige Biegungen im Hin-
terleibe bildet, die niemals durch
ein Gekröſe, ſondern ſtets nur durch
vielfache Verzweigungen der Luft-
röhren in ihrer Lage erhalten wer-
den. Gewöhnlich kann man drei
Hauptabſchnitte und folgende ein-
zelne Theile unterſcheiden: Von der
Mundhöhle an zieht ſich durch die
Bruſt zwiſchen den Muskelmaſſen
derſelben hindurch eine dünne, aber
ſtark muskulöſe Speiſeröhre oder
Schlund, der nach hinten oft in
einen häutigen, mehr oder minder
gefalteten Kropf und dann in
einen meiſt runden Kaumagen
ſich erweitert, deſſen innere Fläche
gewöhnlich mit hornigen Leiſten,
Borſten und ſtumpfen Zähnelungen
beſetzt iſt. Zuweilen auch, und zwar bei den Saugern findet ſich neben
dem Schlunde noch eine dünnhäutige Blaſe, die durch einen längeren
[535] oder kürzeren Stiel mit ihm in Verbindung ſteht und als Saugma-
gen
functionirt. Häufig ſind an dieſer erſten Abtheilung des Darm-
kanals noch beſondere röhrige oder traubige Speicheldrüſen ent-
wickelt, die meiſtens in dem Kopfe verborgen liegen zuweilen aber ſich
weit in den Leib hinab erſtrecken. Die zweite größere Abtheilung des
Darmkanals wird von dem ſogenannten Chylusmagen gebildet,
und erſtreckt ſich von der Einmündung des Schlundes bis zur Inſertion der
Harngefäße in äußerſt verſchiedenen Formen und Geſtalten. Gewöhnlich
zeigt dieſe Abtheilung eine bedeutendere Breite als die anderen und vielfache
Längs- oder Querfalten; ſehr oft iſt ſie bald in ihrer ganzen Länge, bald nur
in ihrer oberen Hälfte mit kurzen Drüſenſchläuchen beſetzt, welche ihr ein zot-
tiges Anſehen geben. In das hintere Ende dieſes Chylusmagens münden die
Nieren ein, welche ſtets eine röhrige Form haben, die im Allgemei-
nen den Drüſenorganen der Inſekten überhaupt zukommt. Die ſehr
dünnen und langen Harngefäße, deren Zahl ſehr wechſelt, haben
entweder blinde Enden, oder gehen am Ende bogenförmig in einander
über, und umgeben meiſt in vielfachen Windungen und Schlängelungen
den Darmkanal. Der gelbliche oder röthliche Harn, welchen dieſe
Gefäße abſondern, hat gewöhnlich eine breiige Konſiſtenz und ſammelt
ſich während des Puppenſchlafes in bedeutender Menge in dem hinte-
ren Theile des Darmes an, wo er dann, von den ausgeſchlupften In-
ſekten oft in großer Menge entleert, zu Sagen von Blutregen Veran-
laſſung gegeben hat. Die hintere Abtheilung des Darmes hat im
Anfange ſtets eine geringere Weite als der Chylusmagen, bläht ſich aber
dann oft wieder bedeutend auf, ſo daß man einen engeren Krumm-
darm,
einen kloakenförmigen Dickdarm, und einen kurzen musku-
loſen Maſtdarm deutlich unterſcheiden kann. In dem Dickdarme finden
ſich ſtets eigenthümliche durchſichtige Drüſenwülſte, die oft eine ungemein
große Zahl erreichen und in das Innere der Höhlung vorragen. Sehr
häufig zeigt ſich an dieſem kloakenförmigen Dickdarme noch ein mehr
oder minder ausgebildeter Blinddarm, der zuweilen eine anſehnliche
Länge erreicht. Der After iſt ſtets an dem letzten Körperringel an-
gebracht und ſehr häufig münden unmittelbar vor ihm in den Maſt-
darm beſondere Drüſenſchläuche, Afterdrüſen, die eine ätzende oder
ſtinkende Flüſſigkeit abſondern, welche von den Thieren zu ihrer Ver-
theidigung hervorgeſpritzt wird. Zuweilen finden ſich auch ſolche eine
ähnliche Flüſſigkeit liefernde Drüſen an anderen Stellen des Körpers,
wie zum Beiſpiel bei den Maiwürmern (Meloë) an den Gelenken der
Beine oder bei den Wanzen an der Unterfläche der Bruſt. In eigen-
thümlicher Beziehung zu dem Verdauungsgeſchäfte und deſſen Organen
[536] ſteht dann ferner noch der Fettkörper, eine Maſſe von meiſt weiß-
lichen oder gelblichen Fettzellen, die bei den vollkommenen Inſekten
nur eine geringe Ausdehnung beſitzt, bei den Larven aber gewöhnlich
alle Zwiſchenräume der Organe erfüllt und während des Puppenlebens
zum Aufbau der Organe verwendet wird.


Alle Inſekten beſitzen in allen Zuſtänden ihres Lebens einen
eigenthümlichen Kreislauf des Blutes, der durch ein in der

Figure 459. Fig. 629.

Skizze einer Eintagsfliege (Ephemera) zur Erläuterung des Blutlaufes.
Auf der einen Seite ſind nur die Flügel, auf der andern nur die Beine
gezeichnet. Die punktirten Linien zeigen die Blutſtrömungen, die Pfeile deren
Richtung an. a Rückengefäß mit ſeinen Kammern. b Seitenſtrömung des
Leibes.


Mittellinie gelegenes ſchlauchförmiges Herz vermittelt wird. Dieſes
Herz, das man auch unter dem Namen des Rückengefäßes kennt,
liegt unmittelbar unter der Haut des Rückens und beſteht aus meh-
reren einzelnen Kammern, die an den Einſchnürungsſtellen durch
klappenartige Vorſprünge der inneren Haut getrennt werden, welche
[537]

Figure 460. Fig. 630.

Anatomie einer weiblichen Heuſchrecke.
Die Decke des Rückens iſt weggenom-
men, die Speicheldrüſen, das Rückengefäß
und der rechte Eierſtock nach rechts, Darm-
kanal und übrige Organe nach links ge-
zogen, ſo daß man das Nervenſyſtem am
Platze ſieht. a Fühlhörner. b Kropf. c
Kaumagen. d Magen. e Hinterer Theil
des Chylusmagens. f Harngefäße, abge-
ſchnitten. g Dickdarm. h Eierſtöcke. i
Samentaſche. k Kittdrüſe. l Legeröhre.
m Speicheldrüſen. n Rückengefäß.


dem Blute eine Strömung von
hinten nach vorn gegen den Kopf
anweiſen. Die einzelnen Kammern
ſind durch dreieckige Muskelbündel
an die Hinterleibsringe befeſtigt,
und zeigen jederſeits in ihrer vor-
deren Hälfte eine Längsſpalte, durch
welche das Blut von außen nach
innen in das Herz eindringen kann.
Gewöhnlich hat das Herz acht Kam-
mern und ſomit ſechszehn Seiten-
ſpalten, deren Klappen der ange-
deuteten Richtung gemäß angebracht
ſind. Durch Bruſt und Kopf ſetzt
ſich das Herz mittelſt einer in der
Mittellinie gelegenen Körperader
fort, welche plötzlich mit einer oder
mehreren offenen Mündungen endigt.
Dieß iſt der ganze Gefäßapparat,
welchen die Inſekten beſitzen. Be-
trachtet man bei einem ſolchen Thiere,
deſſen Rückenhaut durchſcheinend ge-
nug iſt, z. B. bei der Seidenraupe,
das Herz in ſeiner Thätigkeit,
ſo ſieht man, daß die Kammern
deſſelben ſich wellenartig von hinten
nach vorn zuſammenziehen, und ſich
bei der Ausdehnung wieder füllen.
Das Blut kreiſet im beſtändigen
Strome durch das Herz und ver-
theilt ſich dann in den Zwiſchen-
räumen der Körperorgane, wo ſich
wandungsloſe Kanäle finden, in denen es ſtets nach beſtimmten Rich-
tungen läuft. Die ganze Blutmenge ſammelt ſich dann im Hinterleibe
in der Umgebung des Herzens an, das mithin förmlich im Blute
ſchwimmt, und bei der Ausdehnung ſich mit dieſer Flüſſigkeit füllt, die
es durch ſeine Zuſammenziehung weiter treibt. Man ſieht alſo, daß
der ganze Körper gleichſam ein Reſervoir für die Ernährungsflüſſig-
keit bildet, deſſen Inhalt durch eine angebrachte Saugſpritze, das Herz,
in Thätigkeit verſetzt wird. Das Blut ſelbſt iſt gewöhnlich vollkom-
men farblos und enthält nur ſehr wenige meiſt ungefärbte Blutkügel-
[538] chen, ſo daß es oft ſehr ſchwer fällt, auch in ganz durchſichtigen In-
ſekten unter dem Mikroſkope die Blutſtröme zu ſehen.


Alle Inſekten athmen zu jeder Zeit ihres Lebens Luft, und zwar

Figure 461. Fig. 631.

Athemwerkzeuge einer Waſſerwanze (Nepa).
a Umriß des Kopfes mit den Augen. b Die
abgeſchnittenen Vorderbeine. c Stelle der Vor-
derflügel. d Hinterflügel. e Hinterbeine. f Stig-
men. g Seitliche Hauptluftröhrenſtämme. h Luft-
röhrenblaſen.


meiſtens durch beſondere Oeff-
nungen, die man Stigmen
(Stigmata) genannt hat, und
die bei allen vollkommenen
Inſekten ohne Ausnahme vor-
kommen. Dieſe Stigmen ſind
kleine, rundliche oder längliche
Spaltöffnungen, die ſich paar-
weiſe zu beiden Seiten des
Körpers finden, und ſehr oft
durch eine beſondere Färbung
ihrer Umgebung ausgezeichnet
ſind. Meiſt ſind ſie mit einem
beſonderen Hornringe einge-
faßt und können durch eigene
Muskelchen geöffnet und ge-
ſchloſſen werden. Das Ein-
und Auspumpen von Luft
geſchieht durch Ausdehnung
oder Verſchiebung der Hinter-
leibsringe und man kann na-
mentlich bei ſolchen Inſekten,
welche ſchwer fliegen, deutlich
beobachten, wie ſie ſich zu der
Erhebung in die Luft durch
Einpumpen von Luft vorbe-
reiten. Die Stigmen ſind in
der Regel in den Verbindungs-
häuten der einzelnen Körper-
ringe angebracht, oft ſo ver-
ſteckt, daß ſie bald unter den Flügeldecken, bald unter den Ringen des
Körpers aufgeſucht werden müſſen. Ihre Zahl richtet ſich bei den
vollkommenen Inſekten gewöhnlich nach der Zahl der ſichtbaren Kör-
perringe; jedoch haben der Kopf und der letzte Hinterleibsring nie-
mals eine Spur von Stigmen, und an der Bruſt finden ſich höchſtens
nur zwei Paare. Von den Stigmen aus ſetzen ſich eigene Luftröh-
ren
oder Tracheen in das Innere des Körpers nach allen Richtungen
[539] hin fort, alle Organe mit Aeſten und Zweigen verſehend. Es zeichnen
ſich dieſe Luftröhren meiſt, wenn man ſie bei einem lebenden Inſekte
unter Waſſer unterſucht, durch ihre ſilberglänzende oder milchweiße
Farbe aus, welche ſich verliert, ſobald Waſſer oder Weingeiſt in die
Röhren eingedrungen ſind und die Luft verdrängt haben. Der Bau
dieſer Luftröhren iſt ſehr einfach; die größeren Stämme ſind aus zwei
Häuten zuſammengeſetzt, zwiſchen denen ein horniger Faden ſpiralför-
mig aufgewunden liegt. Den blaſenförmigen Erweiterungen, welche
an den Luftröhren vieler Inſekten vorkommen, fehlen die Spiralfäden
und ebenſo verſchwinden ſie nach und nach in den feineren Aeſten und
Zweigen der Röhren, wo zuletzt nur noch eine einfache, ſtrukturloſe

Figure 462. Fig. 632. Fig. 633. Fig. 634.

Anatomie der Schmeißfliege (Musca vomatoria).
Fig. 632. Die Fliege iſt vom Rücken her geöffnet und die Decken von
Kopf, Bruſt und Hinterleib ſo weit weggenommen, daß man die Eingeweide
in ihrer natürlichen Lage ſieht. Die Luftgefäße, ſowie das Rückengefäß ſind
beſonders ſchwarz gehalten.
a Die Fühler mit ihrer Borſte. b Die Augen. c Erſtes Fußpaar.
d Deckſchuppe des Schwingkolbens e; f zweites; g drittes Fußpaar. h Spitze
des Hinterleibs. i Tracheenblaſen im Kopfe. k Die großen Tracheenblaſen
des Hinterleibs. l Tracheenſtämme, die mit dem erſten Luftloche der Bruſt in
Verbindung ſtehen. m Tracheenſtämme des zweiten Bruſtſtigma’s. n Das
Rückengefäß. o Hirnknoten. p Magen mit den geſchlängelten Speicheldrüſen.
zu beiden Seiten. q Darm mit den Gallengefäßen daneben. r Eierſtöcke.
Fig. 633. Das Nervenſyſtem iſolirt. a Hirnknoten. b Knoten unter
dem Schlunde. c Vorderbruſtknoten. d Hinterbruſtknoten. e Hinterleibsknoten.
Fig. 634. Die Verdauungsorgane iſolirt. a Schlund. b Kropf. c
Magen. d Saugmagen. e Darm. f Gallengefäß der einen Seite. g Maſt-
darm. h After.


[540] Membran übrigbleibt. Bei vielen Inſekten veräſteln ſich die Luftröhren
mit ſtets dünner werdenden Zweigen allmählig, indem ſie zahlreiche
Verbindungen unter einander eingehen. Bei anderen dagegen erwei-
tern ſie ſich oft zu vielfachen Luftblaſen, die namentlich bei den durch
raſchen und kräftigen Flug ausgezeichneten Thieren oft eine ungemeine
Größe erreichen, und manchmal einen großen Theil des Hinterleibes
ausfüllen. In der Anordnung der Stämme kann man zwei weſent-
liche Modificationen unterſcheiden. Gewöhnlich laufen zu beiden Sei-
ten des Bauchmarkes zwei große, weite Stämme hin, in welche die
von den Stigmen herkommenden queren Luftſtämme einmünden und
von welchen aus die Luftröhren an die verſchiedenen Organe des
Körpers ſtrahlen; — bei der anderen, weniger häufig vorkommenden
Form veräſteln ſich die aus dem Stigma hervortretenden Luftröhren
unmittelbar an die Körperorgane, jedoch nicht ohne ſeitliche Verbin-
dungsſtämme zu einander zu ſchicken. Die Rollen von Blut und Luft
verhalten ſich demnach bei den Inſekten durchaus anders, wie bei
den luftathmenden Wirbelthieren. Hier vertheilt ſich das Blut durch
Gefäße an alle Organe des Körpers; die Luft tritt in einem beſon-
deren, beſchränkten Organe hinzu, und wird durch den Blutſtrom in
alle Theile des Körpers geführt. Bei den Inſekten hingegen umſpült
das Blut frei alle Organe des Körpers, und die Luft wird mittelſt
eigener Gefäße durch die Blutflüſſigkeit hindurch zu den Organen
geführt.


Mit Ausnahme der Blattläuſe, bei welchen während des Som-
mers eine geſchlechtsloſe Zeugung durch eigene Ammenindividuen vor-
kommt, die ohne vorgängige Befruchtung lebendige Junge gebären,
gibt es bei den Inſekten nur Männchen und Weibchen, die zur
Erzeugung von Nachkommenſchaft ſich begatten müſſen. Bei einigen
in Geſellſchaften lebenden Inſekten kommen freilich ſogenannte Ge-
ſchlechtsloſe
vor, die aber ſtets nur verkümmerte Weibchen ſind,
deren Eierſtöcke und Begattungswerkzeuge auf derjenigen Stufe der
Entwicklung ſtehen geblieben ſind, welche ſie in dem Larvenzuſtande
hatten. Bei den weiblichen Inſekten finden ſich ſtets zwei aus Röh-
ren zuſammengeſetzte Eierſtöcke, die mittelſt kurzer Eileiter in die
Scheide einmünden. Die Eierſtocksröhren zeigen äußerſt mannigfal-
tige Verhältniſſe hinſichtlich ihrer Länge, Zahl und Gruppirung, und
die Eier bilden ſich bei den meiſten Inſekten in ſehr eigenthümlicher
Weiſe. Die Keimbläschen ſind zuerſt vorhanden und umgeben ſich
dann mit Dottermaſſe, ſo daß man deutlich die Keimbläschen mit
[541] ihren Dotterhöfen unterſcheidet. Zwiſchen dieſen Dotterhöfen entſtehen
nun große Zellen, die ſich ſtets mit dem darunterliegenden Ei verei-
nigen, über welche Vereinigung dann die äußere Eihaut nach und
nach herumwächſt. Nur bei den Geradflüglern und den meiſten Kä-
fern bilden ſich die Eier in der gewöhnlichen Weiſe, indem ſich die
Dotterhaut allmählig im Umfange des Dotters conſolidirt. An der
Scheide befinden ſich meiſtens eigenthümliche Anhänge, gewöhnlich in
Form birnförmiger Beutel, von welchen der eine, die Begattungs-
taſche
, bei dieſem Akte die männliche Ruthe aufnimmt, während der
andere meiſt höher gelegene Behälter die Samenthierchen beherbergt,
die nach der Befruchtung in dieſe Samentaſche hinüberwandern,
in welcher ſie ſich Monate lang lebend erhalten. Beſonders bei den-
jenigen Inſektenweibchen, die nach der Begattung überwintern und
erſt im Frühjahre Eier legen, iſt dieſe Samentaſche, die nur ſelten fehlt,
häufig in Geſtalt großer doppelter Spiralröhren entwickelt. Die Sa-
menthierchen erhalten ſich in dieſen Taſchen Monate lang friſch und
lebendig, ſo daß durch eine einmalige Begattung das Weibchen fähig
wird, während ſeines ganzen Lebens befruchtete Eier zu legen. Außer
dieſen beiden Taſchen finden ſich meiſt unmittelbar vor der Geſchlechts-
öffnung in mannigfacher Weiſe ausgebildete Drüſen, welche offenbar
die Stoffe abſondern, aus denen die äußeren Eiſchalen aufgebaut wer-
den, und die man deßhalb mit dem Namen der Kittorgane be-
zeichnet hat.


Die männlichen Geſchlechtsorgane beſtehen aus zwei röh-
rigen oder traubigen Hoden, deren Formen außerordentlich mannig-
faltig ſind, und die zuletzt in zwei, oft vielfach gewundene Samen-
gänge einmünden, die zuweilen mit ſeitlichen Samenblaſen beſetzt ſind.
An der Stelle wo beide Samenleiter zu einem einzigen Samengange
zuſammenmünden, ſenken ſich meiſtens zwei Drüſenſchläuche ein, deren
Abſonderung offenbar dazu dient, die Menge der Samenflüſſigkeit zu
vergrößern. Dieſe beſteht weſentlich aus haarförmigen Samenthier-
chen, die im Waſſer ſogleich erſtarren und ſich oft in höchſt eigen-
thümlicher Weiſe innerhalb der Samenleiter in Fäden, Federn oder
Bündeln gruppiren. Bei einigen Inſekten werden dieſe Samenthier-
gruppen noch beſonders von ſtarren Schläuchen eingeſchloſſen, welche
vielleicht eine ähnliche Rolle ſpielen, wie die früher erwähnten Sa-
menmaſchinen mancher niederen Thiere.


Die Begattung iſt bei einer großen Zahl von Inſekten der einzige
Zweck ihrer Exiſtenz im vollkommenen Zuſtande. Viele Arten nehmen durch-
aus keine Nahrung während dieſes Abſchnittes ihres Lebens zu ſich; — bei
[542] den meiſten ſtirbt das Männchen unmittelbar oder kurze Zeit nach der
Begattung, und das Weibchen, nachdem es die Eier gelegt hat. Die Be-
gattungswerkzeuge ſelbſt aber ſind von ſehr verwickelter Geſtalt. Meiſt iſt
der Eingang der Scheide durch Hornleiſten von eigenthümlicher Geſtalt,
deren Form bei jeder Art eine andere iſt, klappenartig beſetzt, und
ſehr oft geſellen ſich bei den Weibchen zu dieſen Klappen noch beſon-
dere Hornſtücke, die bald eine gerade, bald eine ſäbelförmig gekrümmte
Legeſcheide darſtellen, durch welche die Eier tief in die Erde hin-
ein geſenkt werden können. Bei vielen Weibchen ſind die verſchiede-
nen Hornſtücke, welche durch ihr klappenartiges Zuſammenlegen dieſer
Legeſcheide bilden, zum Anfeilen der Blätter oder zum Bohren von
Löchern gezähnelt, ſo daß ſie eine wahre Legeſäge bilden; bei ande-
ren ſind die Stücke fein zugeſpitzt, ſo daß ſie damit verwunden und
bei der Verwundung ein Ei durch den Legeſtachel in das Loch glei-
ten laſſen können; noch bei anderen endlich hat dieſer Apparat nur
ſeine verwundende Eigenſchaft beibehalten und iſt ein wahrer Gift-
ſtachel
geworden, der mit einer beſonderen Drüſe in Verbindung
ſteht. Bei den männlichen Inſekten iſt die meiſt röhrenförmige Ruthe
oft von ſehr ſonderbaren Leiſten, Klappen und Zangen umſtellt, deren
eigenthümliche Vorſprünge denjenigen der harten Theile an den weib-
lichen Geſchlechtsorganen genau entſprechen und auf dieſe Weiſe ge-
wiſſermaßen die Bürgſchaft für die unveränderte Erhaltung der Art
bilden. Wir gehen bei den einzelnen Ordnungen genauer auf dieſe
Organe ein.


Die Geſchlechtsverſchiedenheiten ſind bei den Inſekten
außerordentlich groß, und nur ſelten wird man beide Geſchlechter voll-
kommen übereinſtimmend finden. Die Männchen ſind faſt immer be-
deutend kleiner als die Weibchen, und häufig geflügelt, während die
Weibchen flügellos ſind. In anderen Fällen iſt die Zahl der Ringel
an den Fühlern oder dem Hinterleibe verſchieden. Verſchiedene Kör-
pertheile haben oft bei den Männchen eigenthümliche Auswüchſe, Hör-
ner und Dornen, von denen bei den Weibchen keine Spur zu ſehen
iſt. Hier ſind bei den Männchen die Kiefer ungeheuer entwickelt, dort
die Fühlhörner durchaus anders geſtaltet; bei dieſen die Füße mit beſon-
deren Haftorganen verſehen, oder mit Spitzen und Dornen beſetzt,
die den Weibchen gänzlich abgehen. Die Farben ſind bei den Männ-
chen meiſt weit lebhafter und oft ſo verſchieden vertheilt, daß man
aus den verſchiedenen Geſchlechtern ſehr häufig verſchiedene Arten
machte, bis die Beobachtung der Begattung das Richtige kennen lehrte.
Die Sorge für die Eier und die Nachkommenſchaft iſt ſtets den Weib-
[543] chen allein überlaſſen und hier entwickeln die meiſten derſelben eine
Sorgſamkeit, welche oft über die Grenzen des Inſtinktes hinausgeht.
Viele Arten freilich legen die Eier nur einfach dahin, wo ſie vor Fein-
den ſoviel als möglich geſchützt ſind und wo die auskriechenden Lar-
ven ihren Lebensunterhalt finden können; andere aber bauen für die
zukünftige Larve oft mit großer Anſtrengung beſondere Zufluchtsorte,
und tragen dort den Proviant zu, deſſen das junge Thier während
der Larvenzeit bedarf. Die Arten, deren Larven ſchmarotzend im
Inneren anderer Thiere wohnen, wiſſen oft mit ungemeiner Schlauig-
keit und Umſicht die vielfachen Gefahren zu vermeiden, welche ihnen
von den durch ſie bedrohten Thieren bereitet werden. Bei den höchſten
Stufen finden wir eine mütterliche Sorgfalt, welche von keiner andern
Klaſſe übertroffen wird, indem die jungen Larven und Puppen in
gemeinſchaftlichen Wohnungen erhalten, gefüttert und gepflegt, und mit
äußerſter Hingebung gegen ihre Feinde vertheidigt werden. Dieſe
Sorgfalt geht ſelbſt ſo weit, daß einzelne Arten den jungen Larven
bei Verfertigung ihrer Puppen helfen und zur rechten Zeit wieder
dieſe Puppen öffnen, um dem ausgebildeten Inſekte ſeine Freiheit zu
verſchaffen.


Die Eier der Inſekten haben ſehr verſchiedene Formen und Far-
ben; doch findet man meiſtens die Eiform oder Cylinderform vorwie-
gend. Zuweilen haben dieſe Eier eigenthümliche Fortſätze, Stiele oder
Haken, welche meiſtens dazu dienen, ſie an irgend einer Fläche feſtzu-
halten, ihr weiteres Einſinken im Schlamme z. B. zu verhindern. Bei
den in Haufen oder Geſellſchaften lebenden Arten werden auch meiſt
die Eier ſchon im Beginn zuſammengelegt, und durch einen Kitt in
beſtimmter Art vereinigt. Oft ſind mehrfache Hüllen vorhanden, die
beſonders bei den im Freien ausdauernden Eiern zuweilen eine bedeu-
tende Härte zeigen und namentlich auch die Eier vor dem Einfluſſe
des Froſtes auf das Kräftigſte zu ſchützen ſcheinen. In dem gelegten
Eie zeigt ſich ſtets nur ein körniger, mehr oder minder gefärbter
Dotter; das Keimbläschen und der Keimfleck, welche bei den inner-
halb der Eierröhren befindlichen unreifen Eiern ſo deutlich waren,
ſind in den reifen Eiern vollkommen verſchwunden.


Die Entwickelung der Eier geht nach dem bei den Glieder-
thieren allgemein herrſchenden Typus in der Art vor ſich, daß auf dem
durchaus homogenen Eie an einer beſtimmten Stelle ſich ein oberfläch-
licher Furchungsproceß einleitet, aus welchem ein beſchränkter Keim
[544]

Figure 463. Fig. 635. 636 638. 637.
Fig 639. 640. 641. 642. 643.

Fig. 635—643. Entwickelung eines Käfers, der Donacia crassipes, im Eie.
Fig. 635. Das eben gelegte Ei. Der fettreiche, undurchſichtige, auf ſchwarzem
Grunde weiß erſcheinende Dotter erfüllt das ganze Ei, das von einer zarten Dot-
terhaut umgeben iſt. Fig. 636. Das Ei, nach der Bildung der Keimſchicht, die den
ganzen Dotter umgiebt. Bei den folgenden Figuren geben ſtets zwei zuſammenge-
hörende die Anſicht deſſelben Eies und zwar Fig. 637, 639 und 641 von der Rück-
ſeite, 638, 640 und 642 von der Seite, wobei die Rückenfläche dem Beſchauer
links, die Bauchfläche rechts ſteht. Fig 637 und 638. Die Embryonalanlage iſt
gebildet. Der Dotter hat, von der Seite geſehen, eine Flaſchenform und bildet ein
freies Querband über den Rücken. Fig. 639 und 640. Man ſieht die Gliederung
des Körpers und die Fußpaare, auf dem Dotter liegend. Fig. 641 und 642. Die
Füße ſind frei geworden, am Kopfe mehrere Wülſte, Augen, Palpen, Kiefer, Lip-
pen deutlich abgegränzt. Fig. 643. Ein reifes Ei von der Bauchſeite. Der mit
Stacheln beſetzte Hinterleib iſt umgeſchlagen, der Kopf auf die Bruſt geneigt. a
bezeichnet in allen Figuren den Kopf; 1, 2 und 3 die drei Fußpaare.


hervorgeht, der Anfangs eine rundliche Scheibe darſtellt, ſpäter aber
eine mehr und mehr längliche Form annimmt. An dieſer Keimſchicht,
die ſtets mehr und mehr um den Dotter herumwächſt und durch ihre
Durchſichtigkeit von dem gefärbten Dotter ſehr abſticht, laſſen ſich bald
Einkerbungen entdecken, die den einzelnen Ringen der Körperabthei-
lungen entſprechen. Die Keimſchicht wächſt immer weiter um den Dot-
ter herum, und während die Ringel ſich deutlicher abſcheiden, ſieht
man in der Mittellinie eine Anhäufung feſterer Subſtanz, welche dem
Bauchmarke entſpricht. Zugleich heben ſich nun die Beine, die Fühl-
hörner, die Augen und die Mundwerkzeuge auf der unteren Fläche
der Embryonalſcheibe deutlicher hervor; und man kann ſich nun über-
zeugen, daß der Dotter der Rückenfläche des werdenden Inſektes ent-
ſpricht, und daß die Embryonalſcheibe von unten nach oben wachſend
den Dotter allmählig umſchließt. Der Embryo iſt deßhalb Anfangs,
wo die Dottermaſſe noch überwiegt, rücklings um dieſelbe herumge-
bogen. Die den Dotter unmittelbar umſchließende Schicht des Em-
[545] bryonaltheiles bildet ſich nun zum Darmkanale aus, in der Weiſe,
daß der ganze Dotter von dieſem Darmkanale umſchloſſen wird und
niemals ein eigener Dotterſack exiſtirt. Der Dotter zehrt ſich nun
raſch auf, während der Embryo ſich mehr und mehr ausbildet und
nach und nach ſtatt der auf den Rücken gebogenen Lage gerade die
entgegengeſetzte Krümmung einnimmt. Die Füße und Kauwerkzeuge,
ſowie die Fühler, welche anfänglich warzenförmigen Fortſätzen glichen,
gliedern ſich nach und nach durch Einſchnürungen und ſchlagen ſich
ſo ein, daß ſie an der gekrümmten Bauchfläche hart neben einander
liegen. Das Rückengefäß entſteht erſt ſehr ſpät an der Stelle, wo
ſich die Embryonalſchicht über dem Dotter geſchloſſen hat. Das junge
Thier verläßt das Ei gewöhnlich mit dem Augenblicke, wo die ſämmt-
liche Dottermaſſe aufgezehrt iſt.


Nur bei wenigen Inſekten zeigt das aus dem Eie geſchlüpfte We-
ſen ſchon bis auf wenige Verſchiedenheiten Form und Verhältniſſe des
ausgewachſenen Thieres; in dieſem Falle ſind aber dann auch die Unter-
ſchiede nicht größer, als diejenigen, welche man zwiſchen einem neugebornen
Kinde und Erwachſenen findet. Das Inſekt wächſt nun bis zu der ihm be-
ſtimmten Größe aus, indem es ſich von Zeit zu Zeit häutet und mit jeder
Häutung eine dem vollendeten Zuſtand mehr genäherte Form annimmt.
Jede dieſer Häutungen iſt eine Art kritiſcher Periode für das Thier,
das vorher ſich ſichtlich unwohl fühlt, und nach überſtandener Häutung
mit verdoppeltem Appetite frißt. Gewöhnlich ſpringt die alte Körper-
haut nach wiederholten Anſtrengungen des Thieres in der Nähe des
Nackens, und das Thier, deſſen neue Haut noch weich iſt, zieht ſich
allmälig aus dieſer Spalte hervor und läßt die alte leere Haut zu-
rück, an der man oft auch die innere Auskleidung des Anfangs der Luft-
röhrenſtämme, ſowie des Schlundes und des Maſtdarmes hängen
ſieht. Nach der letzten Häutung pflanzt ſich das Thier fort und ſtirbt
gewöhnlich kurze Zeit nachdem es den Fortbeſtand der Art geſichert hat.
Die Inſekten, welche dieſen Umlauf des Lebens zeigen, ſtehen auf der
unterſten Stufe in dieſer großen Klaſſe, und werden Inſekten ohne
Verwandlung
(Ametabola) genannt.


Eine zweite große Gruppe von Inſekten, welche die Ordnungen
Vogt, Zoologiſche Briefe I. 35
[546]

Figure 464. Fig. 644. Fig. 645.

Fig. 644. Halbnymphe. Fig. 645. Bild einer Waſſerjungfer
(Agrion).
Man ſieht bei erſterer die unvollſtändigen Flügelſcheiden.


der Halbflügler und der
Geradflügler umfaßt,
zeigt ſchon eine größere
Verſchiedenheit zwiſchen
den Zuſtänden des aus
dem Eie kriechenden Thie-
res und des vollkomme-
nen Inſektes. Indeſſen
bezieht ſich dieſe Ver-
ſchiedenheit nicht ſo ſehr
auf die allgemeine Form
des Körpers, die etwa
nur in denſelben Grän-
zen abweicht, wie bei der vorigen Gruppe, als vielmehr namentlich
auf die Ausbildung der Flügel und der übrigen gegliederten Anhänge
des Körpers. Die aus dem Eie kriechenden Thiere haben keine Spur
von Flügeln, und zeigen oft weniger Ringe an den Fühlern, andere
Formen der Füße und ähnliche ſolche Verſchiedenheiten. Man hat
dieſe unvollkommenen Thiere auch Halblarven genannt. Bei den

Figure 465. Fig. 646. Fig. 647.

Fig. 646. Halblarve. Fig. 647. Bild einer Florfliege
(Perla).


Häutungen zeigen ſich
nach und nach Flügel-
ſcheiden, die unbeweglich
ſind, anwachſen, und aus
denen endlich bei der letz-
ten Häutung das Thier
die ausgebildeten Flügel
hervorzieht. Die mit
Flügelſcheiden verſehene
Entwickelungsſtufe hat
man auch die Puppen
genannt. Das Thier
frißt zu jeder Zeit ſeines
Lebens und bewegt ſich
ſowohl als Halblarve
wie als Puppe mit derſelben Leichtigkeit, wie als vollkommenes Inſekt.
Man nennt dieſe Gruppe Inſekten mit unvollkommener Ver-
wandlung
(Hemimetabola).


Bei der dritten, größten Gruppe hält es faſt unmöglich, in dem
Weſen, welches das Ei verläßt, das vollkommene Inſekt wieder zu
[547] erkennen. Man unterſcheidet bei dieſen Thieren drei verſchiedene,
ſcharf abgegränzte Zuſtände, als Larve (larva), Puppe (pupa) und
vollendetes Inſekt oder Bild (imago). Während der Larvenzeit

Figure 466. Fig. 648.


Figure 467. Fig. 649. Fig. 650.

Fig. 648, 649 und 650. Larve, Puppe und Bild eines Tagſchmetterlings
(Nymphalis Jasius).


beſchäftigt ſich das Thier einzig mit der Ernährung; es frißt und
wächſt, indem es ſich meiſtens mehrmals häutet; als Puppe verharrt
es in meiſt regungsloſem Zuſtande, ohne Nahrung zu ſich zu nehmen;
als vollkommenes Inſekt pflanzt es ſich fort und ſtirbt, nachdem es für
ſeine Nachkommenſchaft geſorgt hat.


Die Larven haben meiſtens die Geſtalt eines rundlichen Wur-
mes mit mehr oder minder deutlichen Abtheilungen; viele ſind
durchaus fußlos, andere beſitzen nur ſechs kurze Füße, welche denen
des vollkommenen Inſekts entſprechen, noch andere (ſogenannte Rau-
pen) haben außer dieſen noch falſche Füße, die an den übrigen Kör-
perſegmenten ſtehen und bei der Puppe vollkommen verſchwinden.
Die Körperſubſtanz der Larven iſt gewöhnlich weich, verhältnißmäßig
viel weicher, als diejenige des vollkommenen Inſektes, und die Haut
oft mit den mannigfaltigſten Anhängen und Auswüchſen verſehen.
Viele ſind durchaus glatt, andere ſind mit Haaren, Stacheln oder
35*
[548]

Figure 468. Fig. 652.


Figure 469. 654.


Figure 470. 657.


Figure 471. Fig. 651. 653. 655. 656. 658.

Fig. 651 — 658. Verſchiedene Käferlarven, meiſt von der Rückenſeite geſehen.
Fig. 651. Von Cicindela campestris, beſonders ausgezeichnet durch die
großen, gezähnelten Kinnbacken, die drei Punktaugen, welche an den Seiten
des Kopfes an der Stelle der zuſammengeſetzten Augen ſtehen und den achten
Leibring, der breiter und höher als die übrigen und mit zwei Hornhaken auf
dem Rücken bewaffnet iſt. Fig. 652. Dieſelbe Larve von der Seite. Fig. 653.
Larve von Cassida equestris. Fig. 654. Von Buprestis manca, fußlos.
Fig. 655. Fußloſe Larve von Scolytes destructor (Borkenkäfer). Fig. 656.
Kurzfüßige Larve von Tenebris molitor (Mehlwurm). Fig. 657. Langfüßige
Larve von Staphylinus olens. Fig. 658. Mit Schwimmfüßen und hinteren
Athemröhren verſehene Larve von Dytiscus marginalis.


Figure 472. Fig. 659.


Figure 473. Fig. 660.

Fig. 659 u. 660. Mit falſchen Füßen verſehene Larven
verſchiedener Schmetterlinge (Raupen).


Hörnern beſetzt, manche
haben ſeitliche Anhänge,
die beweglich ſind und
entweder zum Gehen,
oder zum Schwimmen
dienen; im letzteren Falle
ſind es meiſt Borſten-
büſchel, welche die Ober-
fläche der Bewegungs-
organe vermehren. Der
Kopf der Larven iſt
zuweilen, namentlich bei
den Zweiflüglern ebenſo
weich und der Ausdeh-
nung fähig, wie die
übrigen Körperringe,
beſitzt hingegen bei den
[549] übrigen eine hornige Beſchaffenheit, und trägt bei allen die Mund-
werkzeuge
, die indeſſen oft verkümmert erſcheinen. Im Allgemeinen
ſind Kauwerkzeuge die Regel, Saugwerkzeuge die große Ausnahme bei
den Larven; denn nicht nur die Larven aller kauenden Inſekten dieſer
Gruppe, ſondern auch diejenigen der Schmetterlinge und der meiſten
Zweiflügler, die als Bilder ſaugen, kauen während ihres Larvenzu-
ſtandes; nur bei einigen kopfloſen Fliegenlarven und bei einigen Haut-
flüglern, die im Larvenzuſtande ſchmarotzen, zeigt ſich eine von weichen
Wärzchen umgebene Mundöffnung, die hauptſächlich nur zum Schlür-
fen von Flüſſigkeit geeignet erſcheint. Von den früher beſchriebenen
Mundwerkzeugen kommen die Kiefer faſt durchgängig in ähnlicher
Geſtalt vor, wie bei dem vollkommenen Inſekte, und namentlich un-
terſcheidet man ſehr leicht die Kiefer der pflanzenfreſſenden Larven durch
ihre breite Geſtalt und ihre inneren Zähnelungen von den ſcharfen
Hakenkiefern der Fleiſchfreſſer. Bei einigen Larven, die zu der letzten
Gruppe gehören, ſind die Kiefer bis zu ihrer Spitze durchbohrt und
keine eigentliche Mundöffnung vorhanden. Die Larven ſchlagen die
hakenförmigen Kiefer in den Leib ihrer Opfer und ſaugen dann durch
die Kieferkanäle die Körperflüſſigkeit derſelben ein. Die Oberlippe
fehlt öfter, hat aber ſonſt die Form, die ſie bei dem vollendeten In-
ſekte zeigt. Die Kinnladen ſind gewöhnlich vorhanden, meiſt aber nur
kegelförmig und ohne Lappen; die Unterlippe iſt beſonders bei denje-
nigen Larven ausgebildet, welche ſich eine Puppenhülſe ſpinnen, da
ſie in den meiſten Fällen die Oeffnung der Spinndrüſen trägt. Die
Taſter ſowohl der Kinnladen, als der Lippe ſind gewöhnlich nur ſehr
klein, kegelförmig und zweigliedrig. Die Fühler ſcheinen weit häufiger
zu fehlen und ſtehen gewöhnlich dem Munde weit näher, als bei dem
ausgebildeten Inſekte; ſie haben meiſt nur wenige Glieder und in allen
Fällen weniger als bei dem Bilde, und können bei vielen Larven will-
kürlich aus- und eingezogen werden, was keinem ausgebildeten Inſekte
möglich iſt. Keine Larve beſitzt zuſammengeſetzte Augen; viele ſind
gänzlich blind und die meiſten haben nur wenige einfache Augen,
welche gehäuft zu beiden Seiten des Kopfes ſtehen, und aus denen
ſich ſpäter die zuſammengeſetzten Augen des Bildes entwickeln.


Faſt alle Larven, beſonders aber die Pflanzenfreſſenden, beſitzen
einen ſehr großen und weiten Darmkanal, welcher faſt die ganze
[550]

Figure 474. Fig. 661.

Längenburchſchnitt der Raupe des Rheinweidenſchwärmers (Sphinx ligustri), um die
Organe in ihrer Lagerung zu zeigen.
a Hirnkno[t]en. b Schlundring. c Unterſchlundknoten. d Bauchmark.
h Mundöffnung. k Chylusmagen. l Harngefäße. m Krummdarm. n After.
o p q Hornfüße. vf Falſche Füße. t Erſter Bruſtring. u Horn. s Rücken-
gefäß.


Figure 475. Fig. 662.

Längendurchſchnitt des Schmetterlings (Sphinx ligustri) zur Vergleichung.
a Hirnknoten. b Bruſtknoten. d Bauchmark. e Rüſſel. f Schlund.
g Chylusmagen, über dem der Saugmagen liegt. h Krummdarm. i Maſt-
darm. k Rückengefäß. l After. mno Füße. p Hoden und Samengang.
q Fühler.


Höhle des Körpers ausfüllt. Der Chylusmagen iſt davon der größte,
der Krummdarm der unbedeutendſte Theil. Bei den Fleiſchfreſſern iſt
der Darmkanal im Ganzen demjenigen der erwachſenen Inſekten ähn-
lich, und wird es noch mehr während des Puppenlebens, wo er ſich
allmählig der bei dem Bilde vorkommenden Form annähert. Die
Speicheldrüſen und Harngefäße ſind bei den Larven meiſtens in der-
ſelben Weiſe, wie bei den Bildern angeordnet; außerdem aber zeichnen
ſich die Larven, welche ſich eine Puppenhülſe ſpinnen, oder ſich nur
mit einigen Fäden befeſtigen, durch eigenthümliche Spinndrüſen
aus, welche aus zwei langen gewundenen Schläuchen beſtehen, die
durch ein feines Löchlein in der Unterlippe ausmünden, und beſonders
gegen das Ende des Larvenlebens in bedeutendem Grade entwickelt
ſind. Der klebrige Stoff, welchen dieſe Drüſen abſondern, erhärtet
an der Luft ſogleich zu einem feinen Seidenfaden, den die Larve durch
Drehungen und Wendungen des Kopfes ſo zu verweben weiß, daß
[551] das Gewebe die Puppe mehr oder minder einhüllt. Jedes Larven-
geſpinnſte beſteht demnach nur aus einem einzigen Seidenfaden, der
abgeſponnen werden kann, aber zu induſtriellen Zwecken viel zu fein
iſt. Außer dieſen beiden Hauptorganen der Larven, dem Darmkanale
und den Spinndrüſen, findet man noch das Rückengefäß meiſt
in höherem Grade entwickelt, als bei dem Bilde, und das langge-
ſtreckte Bauchmark aus einzelnen diſtanzirten Knoten von faſt gleicher
Größe zuſammengeſetzt. Die Geſchlechtsorgane ſind in höchſt
rudimentärem Zuſtande vorhanden, und beſtehen hauptſächlich nur
aus den inneren, keimbereitenden Organen, die noch außerordentlich
klein und ſchwer aufzufinden ſind. Die meiſte Verſchiedenheit von
dem Bilde zeigen die Athemorgane vieler Larven, welche im Waſſer
leben. Die an freier Luft lebenden Larven haben ſtets Stigmen und
einfach verzweigte Luftröhren ohne blaſenförmige Erweiterungen; —
zuweilen ſind die Stigmen unter Falten verdeckt, in anderen Fällen
mit einer ſiebartig durchlöcherten Hornplatte verſchloſſen; — bei vielen

Figure 476. Fig. 663.

Larve einer Schnacke
(Culex).
t Die Athemröhre.


Figure 477. Fig. 664.

Larve einer Eintagsfliege
(Ephemera)
mit ſeitlichen Tracheen-
kiemen, die zugleich als
Ruder dienen.


im Waſſer oder im Schlamme lebenden Larven iſt
der Hinterleib zu einer Athemröhre ausgezogen, welche
von den Larven an die Oberfläche des Waſſers ge-
bracht wird, ſo daß ſie von dort her unmittelbar
Luft ſchöpfen. In dem Puppenzuſtande werden dieſe
am Hinterleibe angebrachten Athemröhren meiſt in die
Nackengegend verſetzt. Die mit ſolchen Athemröhren
verſehenen Larven und Puppen müſſen begreiflicher
Weiſe die Oeffnungen derſelben ſtets an die Ober-
fläche bringen, um Luft ſchöpfen zu können, während
dieß bei den Larven nicht nöthig iſt, welche ſoge-
nannte Tracheenkiemen beſitzen. Es ſind dieſe
Organe zarte Hautfortſätze in Form von Büſchel-
haaren, Federn oder Blättchen, welche zu beiden
Seiten des Leibes ſtehen, und in denen unter der
zarten Hautbedeckung ſich ſehr dünne, geſchloſſene
Luftröhren vielfach verzweigen. Bei anderen Larven
iſt ſogar die ganze, dünne Hautoberfläche gleichſam
der Repräſentant dieſer Kiementracheen, während be-
ſondere Anhänge dieſer Art fehlen. Offenbar geht
die Athmung mittelſt dieſer nach Außen geſchloſſenen
Luftröhren in der Weiſe vor ſich, daß die Luft durch
die dünnen Hautüberzüge hindurch aus dem Waſſer
abgeſchieden wird und nun in den Luftröhren cirkulirt.


[552]

Bei einigen Larven ſind dieſe Tracheenkiemen ſogar in dem wei-
ten Maſtdarme verſteckt, der durch beſondere Klappen befähigt iſt, ab-
wechſelnd Waſſer einzunehmen und wieder von ſich zu geben.


Gegen das Ende des Larvenlebens, das bei vielen Arten nur
wenige Tage oder Wochen, bei anderen aber viele Jahre dauert, wie
denn namentlich die im Holz und in der Erde lebenden Larven viel
länger leben, als diejenigen, die ſich in faulenden Stoffen aufhal-
ten; — gegen das Ende des Larvenlebens, ſage ich, bereitet die Larve
ihre Umwandelung zur Puppe vor. Sie frißt nicht mehr, entleert
den Darmkanal und ſucht die zur Verpuppung geeignete Stelle auf.
Die Einen ſpinnen ſich eine Hülle, die Andern bohren einfach Löcher
in die Erde, oder verbergen ſich in Mulm und unter faulenden
Stoffen; viele bleiben noch eine Zeit lang in ihrer Hülle, die ſie als
Larve beſaßen, bei anderen ſpringt die Larvenhaut unmittelbar auf,
und die härtere Puppe tritt hervor. Vielen Puppen dient die eigene
ſtarre Larvenhaut als Hülle. Die Form der Puppe ſelbſt iſt ſehr
verſchieden, und ebenſo ihre Beziehung zu dem künftigen Inſekte. Bei
den meiſten Zweiflüglern findet man die ſogenannten Tönnchen-
puppen
mit harter Bedeckung in Form eines Faſſes oder eines
Schiffchens, und ohne die mindeſte Beziehung zu der Geſtalt des Bil-
des. Der Körper des Inſektes, welcher ſich in dieſer Tonne ausbildet,
erſcheint meiſt ungemein zuſammengepreßt, ſo daß die ausgekrochene
Fliege kaum zur kleinen Puppe zu gehören ſcheint und ſichtlich nach
dem Ausſchlüpfen durch Einpumpen von Luft anſchwillt. Bei anderen
erſcheint die Puppe hart, eckig, aus hornigen Ringeln zuſammenge-
ſetzt, gewöhnlich mit undeutlicher Sichtbarkeit der Füße und Flügel.
Bei den am höchſten ſtehenden Inſekten endlich ſieht man unter der
zärteren Puppenhaut alle Theile des Bildes vollkommen ausgeprägt,
ſo daß das Ausſchlüpfen des vollkommenen Inſektes gleichſam nur
eine Entfaltung der in der Puppe zuſammengelegten Organe darſtellt.
Während des Puppenlebens, deſſen Dauer verſchieden iſt, aber doch
wohl ſelten die eines Jahres überſteigt, bilden ſich auf Koſten des
Fettkörpers der Larven insbeſondere die Geſchlechtstheile aus, ſo daß
die meiſten Bilder faſt unmittelbar nach ihrem Ausſchlüpfen befruch-
tungsfähig ſind. Die früher geſtreckte Ganglienkette des Bauchmarkes
verkürzt ſich bei denjenigen Gattungen, welche verſchmolzene Knoten
beſitzen, und der Darmkanal, ſowie die Mundwerkzeuge bilden ſich
aus der Larvenform zu derjenigen des Bildes um. Dieſes erſcheint
endlich, indem es die Puppenhülſe ſprengt, in ſeiner definitiven Ge-
[553] ſtalt, anfangs mit weichen, verkrumpelten Flügeln, welche durch Ein-
tritt von Blut und Luft ſich ſtrecken und erhärten.


Die geiſtigen Eigenſchaften, welche die vollkommenen In-
ſekten nun zeigen, ſind von Beobachtern wie von Philoſophen äußerſt
verſchieden gedeutet worden. Während die Einen alle Handlungen
nur als nothwendige Ausflüſſe des Inſtinktes, d. h. eines durch die
Structur des Körpers bedingten Naturgeſetzes betrachten und darin
einen Unterſchied vom Menſchen finden wollten, dem ſie freie Ueber-
legung zuſchreiben, ſo behaupteten die Andern, daß man hier Eigen-
ſchaften und Handlungen finde, welche die Inſekten wenigſtens dem
Menſchen gleichſtellten, wenn nicht gar ſie über ihn erhöben. Letztere
Behauptung iſt entſchieden unrichtig, die erſtere aber nicht minder
falſch, wenn man von der Anſicht ausgeht, daß dem Menſchen noch
andere geiſtige Eigenſchaften zukämen, als diejenige, welche ein Aus-
fluß der Structur ſeines Körpers und namentlich ſeines Nervenſyſte-
mes ſind. Wer eine Grenzlinie ziehen will zwiſchen Inſtinkt und
Verſtand, oder Verſtand und Vernunft, giebt dadurch allein ſchon das
beſte Zeugniß ab, daß er niemals mit prüfendem Blicke das Leben
und Treiben der Thiere und namentlich der Inſekten beobachtet habe.
Von der geringſten geiſtigen Aeußerung in dem niederſten Thiere an,
bis zu der hohen Ausbildung des Menſchen findet man die verſchie-
denſten gradweiſen Abſtufungen; und zwar zeigt jeder größere Kreis
des Thierreiches eine eben ſolche ſtufenweiſe Fortbildung in ſeinen
Geiſtesfähigkeiten, wie wir dies auch in dem Körperbau beobachten.
So ſtehen die ausgebildetſten Weichthiere oder Ringelwürmer in geiſti-
ger Hinſicht weit über den niedrigeren Inſekten, während die höheren
Typen dieſer Klaſſe den bedeutendſten Vorſprung vor jenen Weich-
thieren und Würmern erreichen, und ebenſo die niedrigen Anfänge
der höher ausgebildeten Wirbelthiere überragen, wie dieſe wieder in
ihrer Endkrone, dem Menſchen, ihnen vorangehen. Wenn auch deß-
halb die niederen Fiſche z. B. einem entwickelungsfähigeren Typus
angehören, dem der Wirbelthiere, der als letztes Glied den Menſchen
erzeugt, ſo kann doch kein Zweifel darüber ſein, daß die Endſpitzen
eines weniger entwickelungsfähigen Typus der Gliederthiere, die In-
ſekten, weit alle niederen Wirbelthiere überragen und geiſtige Fähig-
keiten und daraus entfließende Handlungen zeigen, die ſie in geiſtiger
Beziehung dem Menſchen in bedeutende Nähe bringen. Es genügt,
um dieſen Satz zu beweiſen, unzweideutige Beobachtungen hinzuſtellen,
welche für die Inſekten unzweifelhaft eine vollkommen freie Ueberlegung
darthun, in ähnlicher Weiſe, wie man ſie dem Menſchen ſelbſt zutrauen
[554] könnte. Wir ſchließen hier alle jene Handlungen aus, welche ſich in
typiſcher Regelmäßigkeit bei allen Inſekten derſelben Art wiederholen,
mögen ſie auch noch ſo wunderbar ſein und aus einer Reihe von
Operationen beſtehen, in denen man eine Kette von Urtheilsſchlüſſen
und daraus abgeleiteten Handlungen erkennen ſollte. Wir wollen ſelbſt
des Umſtandes nicht erwähnen, daß die höher ſtehenden Inſekten un-
zweifelhaft eine Sprache beſitzen, mag dieſe nun in Zeichen oder Tö-
nen beſtehen, und daß ſie einander gegenſeitige Mittheilungen machen
können über Dinge, welche ſie intereſſiren. Die Ballenbiene (Halictus),
welche eine Goldweſpe (Chrysis) erblickt, die neben ihrem Neſte lauert,
um ein Ei hineinzulegen, ruft durch ängſtliches Summen ſo viele ihrer
Genoſſen herbei, bis ſie ſich ſtark genug glaubt, um auf den Feind
ihrer Nachkommenſchaft einſtürzen zu können. Der Todtengräber
(Necrophorus), welcher die Leiche eines Thieres findet, die ihm zu groß
iſt, um ſie allein einſcharren zu können, der Miſtkäfer (Geotrupes),
deſſen Kothballen in eine Vertiefung gefallen iſt, aus welcher er ihn
mit aller Anſtrengung nicht weiter rollen kann, fliegen fort und keh-
ren nach einiger Zeit zurück, von Genoſſen gefolgt, welche ihnen die
Arbeit vollbringen helfen. Die Ameiſen wiſſen ſich ohne Zweifel Pläne
und Wege nach Futterſtoffen oder den Ort mitzutheilen, an den ſie
ſich begeben müſſen, um eine drohende Gefahr abzuwehren. Ich
theile hier noch zwei Beobachtungen mit, welche, wie mir ſcheint, jede
andere Erklärung, als die einer wohlberechneten Ueberlegung, von vorn
herein abweiſen.


Eine Goldweſpe (Hedychrum regium) legt ihre Eier in die Neſter
der gewöhnlichen Mauerbiene (Osmia muraria), die oft in bedeutender
Höhe an alten Mauern angebracht ſind und von der Erbauerin mit
Honig und Blumenſtaub verproviantirt werden. Dieſe Nahrung,
welche die Mauerbiene für ihre Larve ſammelt, wird von den ſchma-
rotzenden Larven der Goldwespen vorweg verzehrt, wenn es dieſen
gelingt, ihre Eier in das Neſt hineinzubringen. Eine Goldwespe
hatte das Neſt einer ſolchen Mauerbiene ausgekundſchaftet und war
eben im Begriffe, rückwärts gehend, ihren Hinterleib in die Zellenöff-
nung zu ſtecken, und ein Ei hineinzulegen, als die Mauerbiene mit
einer Ladung Blumenſtanb ankam, ſich mit eigenthümlichem Summen
auf den Feind warf und ihn mit ihren ſcharfen Kiefern packte. Die
Goldweſpe kugelte ſich nach der Weiſe dieſer Thiere augenblicklich zu-
ſammen. Die Mauerbiene verſuchte vergebens, ſie durch den harten
Panzer hindurch zu verwunden und als ihre Anſtrengungen in dieſer
Beziehung fruchtlos blieben, biß ſie endlich der Goldweſpe die vier
[555] Flügel an der Wurzel ab, und ließ ſie dann zur Erde fallen, worauf
ſie mit ſichtlicher Aengſtlichkeit ihr Neſt unterſuchte und als ſie kein Ei
darin fand, auf’s Neue zum Einſammeln wegflog. Die Mauerbiene
mußte ohne Zweifel der Ueberzeugung ſein, daß ſie der Goldweſpe
die Möglichkeit benommen habe, ohne Flügel auf’s Neue an ihr Neſt
zu gelangen. Allein dieſe Berechnung war irrig. Die an der Erde
liegende Goldweſpe entrollte ſich, ſobald die Mauerbiene ihr Neſt ver-
laſſen hatte, kroch in gerader Linie zu dem Neſte hinauf und legte ihr
Ei in daſſelbe.


Einer meiner Freunde machte folgende Beobachtung. Die Amei-
ſen fraßen ihm die Früchte eines Kirſchbaumes weg. Um ſie ab-
zuhalten, beſchmierte er den Stamm ringsum in der Breite eines Zolles
mit dickem Tabaksſchmante, den er zu dieſem Behufe geſammelt hatte.
Die Ameiſen, welche in Schaaren den Baum hinaufzogen, kehrten an
dem übelriechenden klebrigen Ringe um: die, welche von dem Baume
zurückkehren wollten, wagten nicht den Ring zu überſchreiten, ſondern
kletterten wieder hinauf und ließen ſich von den Aeſten zur Erde fal-
len. Der Baum war bald von ſeinen Gäſten befreit. Nach kurzer
Zeit aber marſchirten die Ameiſen in Schaaren an dem Stamme hin-
auf. Jede trug in ihren Kiefern ein Stückchen Erde, und mit äu-
ßerſter Vorſicht wurde ein Bällchen neben das andere auf den Tabaks-
ſchmant gelegt und ſo nach und nach eine wahrhafte gepflaſterte Straße
hergeſtellt, welche die Thiere mit großer Emſigkeit befeſtigten und
verbreiteten, bis ihr Durchmeſſer etwa einen halben Zoll betrug. Nun
konnte ihre Colonne auf’s Neue mit Sicherheit den Baum hinauf-
klettern, der auch in der That bald mit Näſchern bevölkert war. Wo
iſt nun, dürfen wir wohl gegenüber ſolchen Beobachtungen fragen,
die Gränze zwiſchen Inſtinkt und Verſtand?


Bei der ungeheueren Anzahl der Inſekten und den ſo verſchieden-
artigen Modificationen ihrer Typen iſt ihre Eintheilung eine ſchwierige
Aufgabe. Man hat vielfach bald die Flügel, bald die Kauwerkzeuge,
bald die Art der Verwandelung als erſtes Hauptmoment der Einthei-
lung angenommen. Für uns erſcheint die zahlreiche Klaſſe aus drei
Unterklaſſen zuſammengeſetzt, die wir in den Inſekten ohne Verwand-
lung, mit unvollkommener Verwandlung und mit vollkommener Ver-
wandlung finden. Indem wir dann die Mundwerkzeuge, ſowie die
Beſchaffenheit der Flügel in zweiter Linie betrachten, erhalten wir
folgendes Schema:


[556]

Unterklaſſe der Inſekten ohne Verwandlung.
(Ametabola)
.


Sie enthält nur eine Ordnung:


Die Flügelloſen (Aptera), deren Mundtheile gewöhnlich ver-
kümmert und je nach den verſchiedenen Familien bald mehr zum
Kauen, bald mehr zum Saugen eingerichtet ſind.


Unterklaſſe der Inſekten mit unvollkommener Ver-
wandlung. (Hemimetabola)
.


Sie enthält zwei Ordnungen:


Figure 478. Fig. 665.

Pentatoma.


Die Halbflügler (Hemiptera) mit
vier oft ungleichen Flügeln und einem ge-
gliederten Saugſchnabel; und


Figure 479. Fig. 666.

Tetrix.


Die Geradflügler (Or-
thoptera
) mit vier meiſt unglei-
chen Flügeln und wohl ausge-
bildeten kauenden Mundtheilen.


[557]

Unterklaſſe der Inſekten mit vollkommener Ver-
wandlung. (Holometabola)
.


Sie enthält zwei Ordnungen mit ſaugenden Mundtheilen:


Figure 480. Fig. 667.

Schwebfliege (Bombylus).


Die Zweiflügler (Diptera)
mit zwei häutigen Flügeln, hinteren
Schwingkölbchen und einem aus der
Unterlippe gebildeten, niemals ge-
gliederten Saugrüſſel und


Figure 481. Fig. 668.

Erebus.


Die Schmetterlinge
(Lepidoptera) mit vier großen
beſchuppten Flügeln und einem
Saugrüſſel, der aus der Ver-
wandlung der beiden Kinnla-
den hervorgegangen iſt.


Die mit rein kauenden
Mundtheilen ausgeſtatteten In-
ſekten dieſer Unterklaſſe bilden
drei Ordnungen:


Figure 482. Fig. 669.

Stylops.


Die Kolbenflügler (Strepsiptera) mit
verkümmerten Vorderflügeln und fächerförmigen
Hinterflügeln,


Figure 483. Fig. 670.

Ameiſenlöwe (Myrmeleon).


die Netzflügler (Neu-
roptera
) mit vier gleicharti-
gen, netzförmig gegitterten
Flügeln und


[558]
Figure 484. Fig. 671.

Mormolyce.


Die Käfer (Coleoptera) mit zwei hornigen Flügeldecken und zwei
häutigen Hinterflügeln.


Als letzte und höchſte Ordnung endlich ſtehen
die Hautflügler (Hymenoptera), welche vier häutige geaderte Flügel

Figure 485. Fig. 672.

Weſpe.


beſitzen und bei denen zu entwickelten Kau-
werkzeugen noch eine zu einem Schöpfrüſſel
verlängerte Zunge kommt, ſo daß ſie kauende
und ſaugende Mundtheile, beiderſeitig vollendet,
vereinigen.


Verſteinerte Inſekten ſind im Allgemeinen ſelten und meiſt nur in
feinkörnigen Schichten anzutreffen, die entweder im ſüßen Waſſer ſelbſt
ſich ablagerten und die darin lebenden Larven und vollkommenen Thiere
einſchloſſen, oder in ſtillen Meeresbuchten am Ufer ſich bildeten und
die dort hinein geſchwemmten Thiere aufnahmen. Die erſten Spuren
von Inſekten und zwar von Käfern, Gradflüglern und Netzflüglern
[559] zeigen ſich in der Steinkohle; im Jura und zwar namentlich in den
lithographiſchen Steinen von Sohlenhofen iſt eine reiche Lagerſtätte,
in welcher ſchon faſt alle Ordnungen repräſentirt erſcheinen; die be-
deutendſten Fundgruben aber lieferten in der Tertiärzeit die Süßwaſ-
ſerkalke von Aix, Oeningen und Radoboj in Croatien, ſo wie der
Bernſtein. Alle Arten, die man bis jetzt verſteinert gefunden hat, ſind
genau verſchieden von jetzt lebenden und zeigen im Allgemeinen auch
in den letzten Tertiärſchichten auf tropiſche Climate in Europa hin,
in welchen beſonders die Holzfreſſenden und die von Moder oder
Raube lebenden Inſekten vorzugsweiſe entwickelt waren. So iſt na-
mentlich in den tertiären Ablagerungen die Zahl der Termiten und
ähnlicher Zerſtörer warmer Gegenden ungemein groß im Verhältniße
zu andern Gattungen.


Unterklaſſe der Inſekten ohne Verwandlung. (Ametabola.)


Die Ordnung der flügelloſen Inſekten (Aptera) begreift
mehrere Familien, die zwar im Uebrigen ſehr verſchieden von einander
erſcheinen, dagegen in zwei weſentlichen [Charakteren] mit einander über-
einkommen, indem ſie alle während der ganzen Zeit ihres Lebens in
beiden Geſchlechtern durchaus ohne Spuren von Flügeln bleiben und
überhaupt von dem Ausſchlüpfen bis zum Tode durchaus keine Ge-
ſtaltveränderung zeigen, die man mit dem Namen einer Metamorphoſe
belegen könnte. Es dient dieſe letztere Eigenſchaft weſentlich zur Un-
terſcheidung von einigen Schmarotzerinſekten, welche ebenfalls wäh-
rend ihres Lebens ungeflügelt bleiben, aber durch das Eingehen wahrer
Metamorphoſen ſich als zu den Zweiflüglern gehörig darſtellen.


Die drei Hauptabſchnitte des Körpers, welche bei allen übrigen
Inſekten ſo leicht von einander unterſchieden werden, Kopf, Bruſt und
Hinterleib, laſſen ſich bei den Flügelloſen nur mit einiger Aufmerkſam-
keit erkennen; am häufigſten iſt noch der Kopf mehr oder minder ab-
geſetzt, gewöhnlich aber Bruſt und Hinterleib in eine einzige Maſſe
verſchmolzen, die aus ziemlich gleichgeformten Ringeln zuſammengeſetzt
iſt, von denen die drei erſten ſich nur dadurch als Bruſtringel doku-
mentiren, daß ſie auf ihrer Unterſeite die Füße tragen. Der Hinter-
[560] leib dieſer Thiere erſcheint in den meiſten Fällen aus weit weniger
Ringeln zuſammengeſetzt, als bei den übrigen Inſekten; gewöhnlich
zählt man nur ſieben.


Der Kopf der Flügelloſen, der meiſt frei, zuweilen aber ganz
in den erſten Halsring eingelaſſen erſcheint, trägt ein Paar Fühler,
welche in den meiſten Fällen nur kurz ſind, und ſtets eine borſten-
förmige Geſtalt haben. Wahre, zuſammengeſetzte Augen kommen bei
den Flügelloſen nicht vor, wohl aber ſtehen gewöhnlich mehrere ein-
fache Augen ſymmetriſch zu beiden Seiten des Kopfes, auf beſonderen
Wülſten und Erhöhungen. Die Mundwerkzeuge ſind ſehr verſchie-
den geſtaltet und meiſt nur höchſt rudimentär; bei einigen Schmarotzern
beſtehen ſie aus einem zurückziehbaren Rüſſel; — bei anderen ſind ſie
zum Kauen eingerichtet und zeigen zuweilen ſcharfe Kiefer und gezäh-
nelte Kinnladen, die zum Zerkleinern der Beute dienen; eigene Lippen-
oder Kiefer-Taſter fehlen ſehr oft. Die Füße der Flügelloſen ſind
nach zwei verſchiedenen Typen geſtaltet; bei den Schmarotzern meiſt
kurz, kräftig, mit ſcharfen Krallen zum Anklammern an Haaren und
Federn verſehen; bei den frei lebenden hingegen meiſt ſchlank, lang
und dünn, und zu lebhafter Fortbewegung tauglich.


In anatomiſcher Hinſicht zeigen die Flügelloſen nur wenige Ei-
genthümlichkeiten. Das Bauchmark beſteht je nach der größeren
oder geringeren Länge des Körpers bald aus vielen, bald aus weni-
gen Nervenknoten, welche durch doppelte Verbindungsſtränge vereinigt,
oder ſelbſt nahezu verſchmolzen ſind. Der Verdauungskanal iſt
meiſt nur wenig gewunden; der Magen ſchlauchförmig; die Speiſe-
röhre am Ende kropfartig erweitert; der eigentliche Darm iſt ſtets
ſehr kurz, die Harngefäße mäßig lang, in der Zahl von vier bis
ſechs vorhanden. Die Luftröhren vereinigen ſich meiſt zu zwei
großen ſeitlichen Stämmen, aus denen die Luftadern der einzelnen
Organe entſpringen. Die weiblichen Geſchlechtsorgane beſtehen
aus Eierſtöcken, deren jeder aus vier bis fünf kurzen Eierröhren ge-
bildet iſt, die theils büſchelförmig, theils hintereinander in Reihen in
die kurzen Eileiter einmünden; Samen- und Begattungstaſche ſcheinen
zu fehlen, ebenſo ein eigner complicirter Begattungs- oder Legeap-
parat. Die männlichen Flügelloſen beſitzen theils zwei, theils mehrere
Hodenpaare und eine einfache Ruthe ohne weitere beſondere Klam-
merorgane.


Die Eier der Flügelloſen haben eine einfache rundliche Geſtalt
und ſtecken zuweilen noch in länglichen Kapſeln. Die Jungen ver-
laſſen das Ei meiſt in ſehr kurzer Zeit in einer Geſtalt, welche derje-
[561] nigen der erwachſenen Thiere außerordentiich ähnelt. Wir theilen dieſe
in vier Familien, von welchen zwei als Schmarotzer auf warmblütigen
Thieren leben, während die anderen im Freien unter Steinen und
in den Ritzen der Baumrinden anzutreffen ſind.


In die Familie der Läuſe(Pediculida) gehören einige Gattungen
mit durchſcheinendem breitgedrücktem Körper, an dem Bruſt und Hin-

Figure 486. Fig. 673.

Die Kopflaus (Pediculus capitis).
a Eier (Niſſe), an einem Haare
hängend.


terleib nur undeutlich oder gar nicht ge-
trennt ſind und die nur auf Säugethieren
ſchmarotzen. Der Kopf iſt deutlich abgeſetzt,
dreieckig, kuglich oder eiförmig; die Fühl-
hörner kurz, meiſt ſchwach behaart, aus
fünf beinahe gleichgroßen Gliedern zu-
ſammengeſetzt; — die Augen ſehr klein,
jederſeits hinter den Fühlern bemerklich; —
die Mundwerkzeuge beſtehen aus einem
Rüſſel, der ganz in den Kopf zurückge-
zogen werden kann und aus einer wei-
chen, unten erweiterten Scheide zuſam-
mengeſetzt iſt, in welcher vier Stechborſten
ſpielen, die das eigentliche Stilett zuſam-
menſetzen; die Scheide ſelbſt hat an ihrer Spitze eine doppelte Reihe
von feinen Häkchen. Die Bruſt läßt ſich bei den meiſten Gattungen
nicht deutlich von dem Hinterleibe unterſcheiden; ſie trägt drei kurze,
kräftige Klammerfußpaare, deren letztes Glied mit einer ſtarken, ge-
krümmten Klaue bewaffnet iſt, die ſich gegen einen Ausſchnitt einklappen
und ſo das Haar wie eine Zangenſcheere faſſen kann.


Die verſchiedenen Gattungen und Arten dieſer Familie leben
ſchmarotzend nur auf dem Menſchen und auf Säugethieren, deren
Haut ſie anſtechen, um ihr Blut zu ſaugen. Die Eier oder ſogenann-
ten Niſſe werden an die Haare angeklebt und ſchlüpfen in wenigen
Tagen aus. Jede Art von Säugethieren hat eine beſondere Art von
Läuſen, und der Menſch allein nährt vier Arten, die zwei verſchie-
denen Gattungen angehören. Pediculus; Phthirius; Haematopinus.


Auf den meiſten Vögeln, ſowie auf einigen Säugethieren kommen
eigenthümliche lausartige Inſekten vor, welche man früher wohl mit
den eigentlichen Läuſen zuſammenwarf, jetzt aber als beſondere Fa-
milie unter dem Namen der Vogelläuſe(Nirmida) unterſcheidet. Dieſe
Inſekten haben im Allgemeinen die Geſtalt der Läuſe, zeigen aber ſtets
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 36
[562] einen deutlich abgeſetzten Kopf von dreieckiger oder halbrunder Geſtalt,
der oft mit ſonderbaren Spitzen beſetzt iſt. Die Fühler ſind ebenfalls
fünfgliedrig, die Mundwerkzeuge aber zum Kauen eingerichtet. Sie
haben nämlich zwei deutliche, hakenförmige Kiefer, welche von oben
und unten durch zwei breite Lippen bedeckt ſind. Bei einigen Gat-
tungen ſind außerdem noch dünne, ſchwache Kinnladen mit kurzen,
zweigliedrigen Taſtern vorhanden; anderen Gattungen fehlen nur die
Taſter, oder auch die Kinnladen ſelbſt. Die Füße ſind meiſt ſchlank,
gewöhnlich mit kurzen, einfachen Krallen bewaffnet. Die Thierchen
laufen ſehr ſchnell zwiſchen den Federn und Haaren ihrer Wohnthiere
umher; ſie nähren ſich niemals von Blut, ſondern freſſen den feinſten
Flaum und die jungen ſproſſenden Haare ab; nach dem Tode des
Vogels ſammeln ſie ſich meiſtens an den nackten Körperſtellen um
Schnabel und Augen an und verlaſſen den Leichnam beim Erkalten.
Man hat beſonders auf den Vögeln eine ungemein große Anzahl von
Gattungen und Arten dieſer Familie gefunden. Philopterus; Nirmus;
Goniodes; Trichodectes; Liothaeum; Gyropus.


Die Familie der Gabelſpringer (Podurida) vereinigt eine Anzahl
kleiner, meiſt ſchlanker, flügelloſer Inſekten, die man an feuchten, ſchat-

Figure 487. Fig. 674.

Podura, im Augenblicke, wo ſie ſich
zum Sprunge vorbereitet.


tigen Orten, auf dem Waſſer und ſelbſt
auf Schnee und Eis in großen Haufen
zuſammenfindet. Der Kopf iſt ſtets deut-
lich abgeſetzt, abgerundet, dreieckig oder
etwas länglich und mit deutlichen, borſten-
förmigen, kurzen, meiſt viergliedrigen
Fühlern verſehen, hinter denen auf vor-
ragenden Wülſten jederſeits ſechs bis acht
einfache Augen zu einer Gruppe vereinigt ſtehen. Die Mundwerkzeuge
werden von zwei großen Lippen gebildet, welche die Mundöffnung
gänzlich ſchließen und die eigentlichen Kauwerkzeuge bedecken; — dieſe
beſtehen aus zwei ſtarken, gezähnelten Kiefern und zwei hakig ge-
krümmten, ebenfalls gezähnelten Kinnladen, mittelſt deren die Thiere
ihre Nahrung, zarte Pflänzchen und faulende Pflanzenſtoffe, zerkleinern;
Taſter fehlen durchaus. Der ganze Körper iſt mit einzeln ſtehenden
Haaren und ſehr feinen, oft metallglänzenden Schüppchen bedeckt, die
ſich ſehr leicht abſtreifen. Die Füße ſind meiſt ſchlank und behaart.
Außer ihnen beſitzen aber die meiſten Gabelſpringer ein höchſt eigen-
thümliches Bewegungsorgan, in Geſtalt zweier, gabelförmig geſtellter
Borſten, die an dem hinterſten Gliede des Unterleibes auf einem
[563] beſonderen Gelenkknopfe ſtehen. Gewöhnlich wird dieſe Springgabel
beim Gehen wagrecht nach hinten geſtreckt; ſobald aber das Thier
ſpringen will, ſo ſchlägt es die Gabel unter den Bauch, und indem
es ſie plötzlich wie eine Feder losſchnellen läßt, ſchleudert ſich das
Thierchen oft fußweit fort. Außer dieſer Springgabel, die nur ſehr
wenigen Arten fehlt, beſitzen manche dieſer Inſekten noch ein eigen-
thümliches Haftorgan, das in Form eines klebrigen Knopfes oder
zweier langer, beweglicher Schläuche aus der Unterfläche des Hinter-
leibes hervortritt, und zum Anheften an glatten Flächen dient. Po-
dura; Smynthurus; Desoria; Orchesella; Achorutes; Lipura
.


Den vorigen nahe verwandt iſt die Familie der Zuckergäſte

Figure 488. Fig. 675.

Springfiſchchen (Machilis),
vom Rücken aus, um die
langen Fühler und die lan-
gen Taſter dazwiſchen, ſo
wie die hinteren Spring-
borſten zu zeigen.


(Lepismida), kleine, meiſtens ſilberglänzende
Thierchen von ſpindelförmiger Geſtalt, deren Kör-
per über all dicht mit feinen mikroſkopiſchen Schüpp-
chen bedeckt iſt und ſtets aus vierzehn deutlichen
Ringeln beſteht. Der Kopf iſt meiſt klein, tief
unter dem erſten Halsringe verborgen, die
Bruſtringe in der Geſtalt nicht von den Rin-
gen des Hinterleibes verſchieden. Die Fühler
ſind lang, borſtenförmig, aus vielen Gliedern
zuſammengeſetzt; die einfachen Augen in bedeu-
tender Zahl auf zwei ſeitlichen Haufen vereinigt.
Die Mundwerkzeuge beſtehen aus zwei kleinen,
hakenförmigen Kiefern, kleinen, dünnen Kinn-
laden, die aber ſehr lange, vielgliedrige, wie
ein zweites Paar Fühlhörner vor dem Kopfe
vorſtehende Taſter tragen, und einer Unterlippe
mit kurzen viergliedrigen Taſtern. Am Hinter-
leibe der Thiere befinden ſich vielfach geringelte,
lange Borſten, mittelſt deren eine Gattung in
ähnlicher Weiſe, wie die vorige Familie, ſpringt.
Die Thiere finden ſich unter dem Mooſe, auf
Steinen und auch in den Häuſern, ſchweifen
aber beſonders bei Nacht umher. Lepisma;
Machilis
.


Man kennt keine foſſilen Repräſentanten der flügelloſen Inſekten.


36*
[564]

Unterklaſſe der Inſekten mit unvollkommener Verwandlung.
(Hemimetabola).


Die Ordnung der Schnabelkerfe oder Halbflügler (Rhyn-
gota
s. Hemiptera) bietet in der Unterklaſſe der Inſekten mit
unvollkommener Verwandlung das einzige Beiſpiel ſaugender Mund-
theile, ſonſt aber mancherlei wechſelnde Formen, die eine ſtets zu grö-
ßerer Vollkommenheit anſtrebende Reihe darſtellen.


Man unterſcheidet bei ihnen ſtets deutlich die drei Abtheilungen

Figure 489. Fig. 676.

Pentatoma von unten,
mit angezogener, zwi-
ſchen den Hüften lie-
gender Schnabelſchei-
de. Die Beine ſind
abgeſchnitten.


des Körpers. Der Kopf iſt klein, oft breit, meiſt
aber ſchmal, dreieckig, vom Halsſchilde deutlich abge-
ſetzt und nach unten in einen Schnabel (rostrum)
verlängert, der bald mehr an der Spitze des Kopfes,
bald mehr nach hinten entſpringt und an der Unter-
fläche des Leibes, zwiſchen den Einlenkungen der Beine,
zuweilen ſelbſt in einer Rinne verborgen liegt. Man
unterſcheidet an dieſem Schnabel, ſobald er vollſtän-
dig ausgebildet iſt, folgende Theile: Die Hauptmaſſe
bildet eine gegliederte, von vornher tief ausgehöhlte
Halbröhre, deren Rinne vorn offen iſt und die mei-
ſtens aus drei oder vier zuſammengelenkten Abthei-
lungen beſteht. Dieſe Schnabelſcheide geht oben

Figure 490. Fig. 677.

a Kopf einer Pentatoma von vorn,
mit unverſehrter Schnabelſcheide. b Die
Schnabelſcheide iſt weggenommen, ſo daß
man die Oberlippen und die vier zum
Stilett vereinigten Borſten ſieht. c Die
Borſten iſolirt.


aus der Unterhaut des Kopfes her-
vor und iſt offenbar die ausgewach-
ſene, quergegliederte Unterlippe.
In ihr liegen vier feine Horn-
borſten
, die an ihrem Urſprunge
im Kopfe ſpindelförmige Muskeln
haben, wodurch ſie bewegt werden
und neben der Mundöffnung her-
vortreten. Die äußeren dieſer Bor-
ſten ſind meiſt an der Spitze etwas
umgebogen, ſtärker, leichter zu tren-
nen, es ſind die verwandelten Kie-
fer
oder Mandibeln. Die inneren
Borſten liegen feſter zuſammen —
es ſind die Kinnladen oder
Maxillen. Zuſammen bilden die
[565] Borſten ein in der Schnabelſcheide verborgenes Stilett, womit die
meiſten dieſer Inſekten empfindlich ſtechen. Am Anfange der Schnabel-
ſcheide liegt über dem Beginne der Hohlrinne eine ſchmale, zungenför-
mige Decke — die Oberlippe — ſo daß alſo der Schnabel aus
den Hauptmundwerkzeugen, Oberlippe, zwei Kieferpaaren und Unter-
lippe, freilich in faſt unkenntlicher Weiſe modificirt und aller Taſter
beraubt, zuſammengeſetzt iſt. — Die Fühler ſind meiſt fadenförmig,
ſonſt aber ſehr wechſelnd; die Augen klein, rundlich, vorſtehend;
Nebenaugen fehlen oft.


Die Flügel ſind ſehr verſchieden. Meiſt in der Vierzahl vor-
handen, zeigen ſich die Vorderflügel bald

Figure 491. Fig. 678.

Pentatoma mit ausgeſtreckten Flügeln,
um beſonders das Rückenſchildchen
und die halb lederartigen Vorder-
flügel zu zeigen.


ganz, bald theilweiſe hornig und dann
mit einem häutigen, geaderten Theile ver-
ſehen; bei andern wieder lederartig, eben-
falls nur zum Theile; bei noch andern
gänzlich den Unterflügeln im Baue gleich.
Dieſe letzteren ſind meiſt kleiner als die
in der Ruhe ſich kreuzenden Oberflügel,
glashell und mit Netzadern verſehen. Die
Bruſt zeigt meiſt ein deutliches Halsſchild
und oft iſt zwiſchen den Flügeln noch ein mehr
oder weniger großes Rückenſchildchen
(Scutellum) ausgebildet. Bei den meiſten
finden ſich Gangfüße, aber nie mit mehr als drei Tarſalgliedern;
bei einigen ſind die Vorderbeine zu Raubfüßen, oder die Hinterbeine
zu Schwimmfüßen umgeſtaltet.


In anatomiſcher Hinſicht zeichnen ſich die Schnabelkerfe durch fol-
gende Eigenthümlichkeiten aus: Meiſt finden ſich nur zwei Bruſt-
knoten
, von denen der hintere der größere iſt und die oft getrennten
Seitenſtränge des Bauchmarkes ſendet, das bei einigen Landwanzen
faſt in eine einzige Maſſe verſchmolzen iſt. Der Schlund iſt meiſtens
eng, der Chylusmagen dagegen ſehr weit und vielfach gewunden
und in mehrere Abſchnitte getheilt: in einen drüſigen Vormagen, einen
darmartigen Mittelmagen, der ſich ſchlingenartig zurückbiegt und ſogar
bei den Zirpen unter der Muskelhaut des Vormagens eine Strecke
lang verläuft, und einen gewundenen Hintermagen, in den zuweilen
Blindſchläuche einmünden. Der Darm ſelbſt iſt meiſt kurz, birnför-
mig. Die Speicheldrüſen, welche den Blattläuſen fehlen, ſind bei
den übrigen Schnabelkerfen ſehr groß, in zwei Abtheilungen getrennt
[566] und mit je zwei Ausführungsgängen verſehen, von welchen der eine
ſogar bei einigen Arten in die Bauchhöhle hinabſteigt, um dann wie-
der umzubiegen und im Schlunde zu münden. Offenbar ſondern
die ſo zuſammengeſetzten Speichelapparate die Flüſſigkeit ab, welche den
Stich der meiſten Wanzen für andere Inſekten unbedingt tödtlich, für
uns ſchmerzhaft macht. Es finden ſich ſtets vier Harnkanäle. Die
Tracheen ſind ſehr verſchieden angeordnet; bei den fliegenden Zir-
pen und Wanzen aber oft mit großen, blaſigen Erweiterungen ver-
ſehen.


Die Eierſtöcke beſtehen bei den meiſten aus vier bis acht quirl-
förmig geſtellten Röhren, die nur wenige Kammern enthalten; nur
die Blattflöhe und Zirpen haben ſehr viele, auf verzweigten Eileitern
büſchelförmig ſtehende Eiröhren. Die Samentaſche iſt meiſt einfach,
lang, gewunden oder birnförmig hornig; eine Begattungstaſche fehlt
oft; Kittorgane ſind wenig ausgebildet. Die männlichen Fort-
pflanzungsorgane
ſind höchſt mannichfaltig, die Hoden aus ſchlauch-
förmigen Röhren in ſehr wechſelnder Zahl gebildet, die Ausführungs-
gänge meiſt lang, gewunden und mit verſchiedenen Drüſenröhren be-
ſetzt. Die Ruthe iſt einfach röhrenförmig.


Bei der Begattung ſitzen viele Schnabelkerfe nebeneinander. Aus
den Eiern kommen Larven, die in Form, Gewohnheit, Lebensart,
Nahrung den erwachſenen Thieren ſehr gleichen, aber ſtets flügellos
und meiſt mit zartem, ſeidenartigem Flaum bedeckt ſind. Nach mehr-
facher Häutung zeigen ſich endlich die Flügelſcheiden und ſpäter die
vollſtändig ausgebildeten Flügel.


Alle Schnabelkerfe ſaugen Säfte, entweder von lebenden Inſekten
oder auch von Blättern. Die von Pflanzenſäften lebenden wohnen
meiſt in Haufen zuſammen und verurſachen durch ihre Stiche krank-
hafte Entartungen der Gewächſe.


Der Typus der Schnabelkerfe erſcheint unter den foſſilen Inſekten
als einer der früheſten. Im Jura finden ſich große Waſſerwanzen,
einige Landwanzen und Singzirpen, alſo im Ganzen mehr Familien
ſüdlicher Gegenden, die Wälder und ſtehende Gewäſſer bewohnen.
Die Kreide zeigt Blattläuſe auf; die Binnenſee’n und Sümpfe der
Tertiärzeit Singzirpen, Schaumzirpen (Cercopis), und zahlreiche
Landwanzen, die denen der jetzigen Schöpfung ſehr nahe treten.


[567]

Wir theilen die Ordnung der Schnabelkerfe in folgende Fa-
milien:


Schildläuſe(Coccida). Die meiſten dieſer Thiere wohnen in

Figure 492. Fig. 679. Fig. 680.

Coccus cacti, die ächte Cochenille.
Geflügeltes Männchen und flügelloſes Weib-
chen; beide ſtark vergrößert.


wärmeren Zonen, alle paraſitiſch
auf Gewächſen, die ſie ſelten ver-
laſſen. Ihre Geſtalt, beſonders die
der Weibchen, iſt ſo abweichend,
daß man lange von einigen Arten
bezweifelte, ob ſie wirklich Thiere
ſeien. Die Männchen ſind ſtets
geflügelt, ſchlank, mit wagerechtem
Kopfe, langen borſten- oder ſchnur-
förmigen Fühlern, die meiſt behaart
ſind, und ſehr kleinen Augen, die
aus gehäuften einzelnen Nebenaugen
beſtehen. Die Mundwerkzeuge die-
ſer Thierchen, die im vollkommenen
Zuſtande nur ſehr kurze Zeit leben
und keine Nahrung zu ſich nehmen,
ſind gänzlich verkümmert, ſo daß nur ein Paar Knötchen ſtatt ihrer
wahrgenommen werden. Flügel ſind gewöhnlich nur zwei vorhanden,
ſehr ſelten findet man Hinterflügel, meiſt ſtatt ihrer nur Schwing-
kolben oder verkümmerte Stummeln; ſie ſind ſehr zart und häutig.
Die Weibchen ſind durchgängig flügellos; ihr ganzer Körper ſchild-
förmig, oben gewölbt, unten hohl; die Beine ſehr kurz; der Kopf
gar nicht unterſchieden, die Körperringe oft undeutlich. Die weiblichen
Thiere ſitzen wie flache Warzen an den Gewächſen, in deren Ge-
webe ihr mit ſehr langen Borſten verſehener Schnabel permanent
eingeſenkt iſt, und ſind meiſt von einem feinen Flaum zarter Wachs-
fäden bedeckt. Sie verlieren oft in dieſem Zuſtande die Beweglichkeit
gänzlich und legen nach der Begattung die Eier unter ſich, ſo daß
ſie dieſelben mit dem ſchildförmigen Körper decken. Nach dem Eier-
legen ſterben ſie und der todte Körper bildet nun eine feſte, ſchildför-
mige Decke über den Eiern, die demnächſt ausſchlüpfen. Die Larven
ſind bewegliche, muntere Thierchen, deren Geſchlechtsunterſchied ſich
meiſt nur an der Breite des Leibes erkennen läßt; auch die männ-
lichen Larven haben einen kurzen Schnabel. Die männlichen Larven
verwandeln ſich in eine bewegliche, umherkriechende Puppe mit freien
Gliedern und anliegenden Fühlern und Flügeln, während die weib-
lichen Puppen ſich nur durch größere Breite von den Larven und
[568] durch längere Beine von den Weibchen unterſcheiden. Die meiſten
Schildläuſe führen in der Körperhaut ein ſchön rothes Pigment, die
Cochenille oder Kermeslack. Man züchtet zur Gewinnung dieſes
Farbſtoffes beſonders in Mexiko die Cactus-Laus (Coccus cacti), in-
dem man trächtige Weichen in beſondere Neſtchen auf die Blätter der
Pflanzen ſetzt und die Larven, bevor ſie ſich feſtgeſogen haben, auf
dieſen Pflanzen vertheilt. Man ſammelt die todten Männchen nach der
Begattung und tödtet diejenigen trächtigen Weibchen, deren man nicht
zur Nachzucht bedarf, auf erhitzten Blechen, worauf man ſie getrocknet
in den Handel bringt. Vor der Ausbeutung von Amerika benutzte
man zu gleichem Zwecke eine Schildlausart, die beſonders in Nord-
deutſchland und Polen auf den Wurzeln von Seleranthus perennis
vorkommt. Coccus; Aspidiotus; Porphyrophora.


Blattläuſe (Phytophthiria). Kurze Thierchen mit ſchmalem Kopfe,
dreiringeliger Bruſt und flaſchenförmigem, dickem Hinterleibe, die ſtets
auf Gewächſen leben und dort oft durch ihre Stiche Gallen und
ähnliche Auswüchſe verurſachen. Die Fühler ſind faden- oder borſten-
förmig, länger als der Körper; die Augen meiſt mittelgroß, rundlich
vorſtehend, die Fühler zwiſchen ihnen eingeſetzt. Nebenaugen fehlen.
Der Schnabel iſt meiſt lang, dünn, entſpringt an der unteren Seite
des Kopfes weit nach hinten hin und wird unter den Kopf zurück-
geſchlagen getragen; die Schnabelſcheide iſt dreigliedrig; Flügel meiſt
vorhanden, öfter bei den Weibchen fehlend; Vorderflügel ſtets viel
größer; Beine lang, dünn; Tarſen zweigliedrig, mit zwei Klauen
verſehen.


Bei den eigentlichen Blattläuſen (Aphidida) ſtehen auf

Figure 493. Fig. 681.

Geflügelte Roſenblattlaus (Aphis rosarum).


dem Hinterleibe zwei gerade Röh-
ren, aus denen ein ſüßer Zucker-
ſaft quillt, nach dem die Ameiſen
beſonders ſehr begierig ſind. Jeder
Ameiſenſtock hat gewiſſermaßen eine
Domäne von Bäumen, Sträuchen
und Kräutern, auf deren Vlät-
tern und Wurzeln Blattlaus-
colonieen ſitzen, die von den
Ameiſen ſorgſam gepflegt, oft ſelbſt
von einem Orte zum andern getra-
gen werden. Man ſieht, wie die
Ameiſen dieſes ihr Melkvieh lieb-
koſen, ſanft mit den Fühlhörnern
[569]

Figure 494. Fig. 682.

Flügelloſe Amme derſelben Art.


ſtreicheln und klopfen, bis ſie den Honigſaft aus
den Röhren laſſen, welchen die Ameiſen gierig
einſchlucken. Die Fortpflanzungsweiſe dieſer
Thiere iſt eigenthümlich. Im Herbſte giebt es
geflügelte Männchen und Weibchen, die ſich be-
gatten, wonach das Männchen ſtirbt, das
Weibchen ſeine Eier in Rinden legt oder auch
unter der Erde an Wurzeln fortlebt. Im
Frühjahre kriechen die Jungen aus — flügel-
loſe Weibchen oder vielmehr Ammen, deren
Eierſtöcke vielkammerige Eiröhren beſitzen und
kurze Eileiter ohne Samentaſche, Begattungs-
taſche oder Kittorgane. Dieſe Ammen bringen
ohne Begattung durch innere Knoſpung Eier hervor, die noch im
Eileiter ausſchlüpfen, ſo daß ſie lebendige Larven gebären, die nach
mehrmaliger Häutung wieder auf dieſelbe Art Junge erzeugen. So
folgen ſich den ganzen Sommer hindurch acht bis zehn, unter günſti-
gen Umſtänden ſelbſt zwanzig und mehr Generationen ungeſchlechtiger,
durch Knospung ſich fortſetzender Ammen, bis zuletzt eine Erzeugung
von Männchen und eierlegenden Weibchen, die ſich begatten, die Reihe
ſchließt. Dieſe eierlegenden Weibchen haben lange Kittdrüſen, eine
Samentaſche, was beides den Ammen fehlt, und einkammerige Eiröh-
ren. Viele Blattläuſe bedingen durch ihre Stiche Rollungen und
Auswüchſe der Blätter, in denen ſie mit ihrer Brut leben. Rhizo-
bius; Chermes; Aphis; Aleyrodes
.


Die Blattflöhe (Psyllida) unterſcheiden ſich von den vorigen

Figure 495. Fig. 683.

Blattfloh der Binſen
(Livia juncorum).


durch einen mehr rückwärts eingelenkten Stachel,
kürzere Fühler, die nie die Länge des Leibes errei-
chen und an der Spitze geſpalten ſind, und verdickte,
zum Springen eingerichtete Hinterſchenkel. Beide Ge-
ſchlechter ſind ſtets geflügelt. Sie leben ebenfalls
auf Blättern, ſpringen aber bei der geringſten Be-
wegung ab. Die Weibchen haben eine Legeſäge,
mittelſt deren ſie die Eier in die Knospen der Blät-
ter einſenken. Livia; Psylla.


[570]

Die Familie der Zirpen(Cicadida) beſteht aus dickleibigen Thie-

Figure 496. Fig. 684.

Große Singzirpe (Cicada perla).


ren mit großem querem Kopfe, die nur
ſehr kurze, borſtenförmige Fühler von drei
bis ſechs Gliedern, runde vorgequollene,
mittelgroße Augen und meiſt auch Neben-
augen beſitzen, die indeſſen oft fehlen,
oder nur zwei, ſehr ſelten drei ſind. Der
Schnabel iſt kurz, dick, ſehr nach hinten
gezogen, ſo daß er zwiſchen den Vorder-
füßen zu entſpringen ſcheint. Der Vorder-
rücken hat oft auffallende Fortſätze, Ver-
längerungen und Dornen, ebenſo die
Stirn, welche zuweilen blaſig vorgequol-
len iſt. Flügel ſind ſtets in der Vierzahl
vorhanden, meiſt glashell, die vorderen
zuweilen mehr lederartig, die hinteren
weicher, beide mit Netzadern durchzogen.
Die Hinterbeine ſind meiſt Springbeine,
die Tarſen dreigliedrig, die Krallen breit. Sie leben alle auf Pflan-
zen, deren Saft ſie ſaugen, ſind lebhaft und ſpringen oder fliegen,
während die Larven oft unbeweglich ſitzen. Man unterſcheidet folgende
Unterfamilien:


Schaumzirpen (Cercopida). Körper meiſt kurz; Fühler drei-
gliederig, vor den Augen eingelenkt; zwei Nebenaugen. Kopf hori-
zontal geſtellt, Stirn nach vorn gewendet, Rückenſchildchen unbedeckt.
Die Larven laſſen ihren flüſſigen Koth in Blaſen aus dem After her-
vortreten und bedecken ſich ſo mit einem Tröpfchen Speichel, dem ſ. g.
Kuckuksſpeichel. Tettigonia; Cercopis; Aphrophora.


Buckelzirpen (Membracida). Der Kopf ſteht ſenkrecht, die
Stirn iſt nach unten, der Scheitel nach vorn gerichtet; der Vorderrü-
cken mit großen Dornen, Fortſätzen, Buckeln u. ſ. w. verſehen, die
oft den ganzen Leib bedecken und wodurch die Thiere ein abenteuer-
liches Anſehen erhalten. Vorderflügel meiſt häutig, mit parallelen
Adern. Centrotus; Membracis; Darnis; Bocydium.


Leuchtzirpen (Fulgorida). Die Fühler ſind unter den Augen
neben den Wangen eingelenkt und meiſt unter einer Leiſte, welche die
Wangen von der Stirn trennt, verborgen. Der Kopf iſt ſcharfkantig,
oft in eine Spitze oder Blaſe vorgezogen, mit ſcharfen Leiſten bedeckt;
[571]

Figure 497. Fig. 685.

Der urinam’ſche Laternenträger (Fulgora laternaria).


Flügel meiſt gefärbt, ziemlich gleich. Man glaubte von einigen Arten,
dem Laternenträger aus Surinam, Fulgora laternaria, insbeſondere, die
hohle Stirn leuchte, was aber unrichtig iſt. Tettigometra; Cixia;
Pseudophana; Fulgora; Issus
.


Singzirpen, eigentliche Cicaden, Cicadida. Die Fühler ſtehen;
vor den Augen, ſind drei- bis viergliedrig, Augen groß; drei Neben-

Figure 498. Fig. 686.

Ulmenzirpe (Cicada ulmi).


augen. Kopf breit, meiſt vorne
ein Kreisſegment bildend. Schna-
bel lang, Flügel ungleich, die
vorderen länger. Die Larven
leben mehrere Jahre, ſind plump
und dick und graben ſich zum
Ueberwintern in die Erde. Die
Weibchen bohren ihre Eier in
die Rinde der Gewächſe mit
einem Legeſtachel. Die Männchen haben an der Unterſeite des erſten
Hinterleibsringels zwei tiefe, weite Stimmhöhlen, in deren Grunde
eine gefaltete, trockene, elaſtiſche Haut ausgeſpannt iſt, welche ein
ſtarker Muskel nach innen zieht. Das Losſpringen dieſer Trommel-
haut erzeugt einen ſcharfen, ſingenden, lauten Ton, der wirklich noch
unangenehmer bei den ſüdlichen großen Arten iſt, als das Schrillen
der Heimchen oder Gryllen unſerer Gegenden, aber unbegreiflicher
Weiſe von den ſonſt ſo äſthetiſchen Griechen als ſchöne Muſik geprieſen
wurde. Cicada.


Familie der Waſſerwanzen(Hydrocores). Kopf meiſt groß; Au-
gen ſtets deutlich, ſtark hervorragend. Fühler drei- oder viergliedrig,
[572] ſehr klein, unter den Augen verſteckt, meiſt in einer Rinne liegend.
Schnabel kurz, dick, im Knie gebogen, ſo daß er höchſtens bis auf
die Mitte der Bruſt reicht. Flügel ungleich, die oberen pergament-
artig, deckend, die unteren dünn, waſſerhell mit wenigen Längsadern.
Füße ſehr verſchieden, die vorderen meiſt Raubfüße, die hinteren
Schwimmfüße mit langen Borſtenhaaren beſetzt. Tarſen ein- bis drei-
gliedrig, mit oder ohne Krallen. Alle Arten leben in ſüßen Gewäſſern
und die meiſten haben zu dem Zwecke der Athmung am Hinterleibe
zwei längere Athemröhren. Sie leben ſämmtlich vom Raube anderer
Inſekten, die ſie mit den Raubfüßen ergreifen und mit dem ſtarken
Schnabel durchbohren und ausſaugen. Die meiſten ſtechen ſehr em-
pfindlich. Man unterſcheidet zwei Unterfamilien:


Ruderwanzen, Notonectida. Kopf ſehr breit, kurz; Schnabel
bis auf die Mitte der

Figure 499. Fig. 687.

Gemeine Ruderwanze (Notonecta glauca).


Bruſt reichend. Vorder-
füße krallenartig gebo-
gen, Hinterfüße ſehr lang,
quer nach den Seiten in
der Ruhe gerichtet, platt-
gedrückt, mit langen
Schwimmborſten an
Schienen und Tarſen,
die zweigliedrig ſind.
Bauch flach, behaart, Rücken gewölbt. Schnelle geſchickte Schwimmer,
die aber beim Schwimmen den Bauch nach oben, den Rücken nach un-
ten kehren, alſo verkehrt ſchwimmen. Corixa; Notonecta; Nauco-
ris; Ploa
.


Waſſerſkorpione, Nepida. Kopf meiſt klein, rundlich; Schna-

Figure 500. Fig. 688.

Waſſerſkorpion (Nepa cinerea).


Figure 501. Fig. 689.

Linienwanze (Ranatra linearis).


[573] bel ſehr kurz, bogenförmig nach unten gerichtet, nur bis zum Anfange
der Bruſt reichend. Beine kahl, meiſt lang; die Hinterbeine zuweilen
mit Borſten beſetzt, aber nicht breitgedrückt und in Ruderform umge-
wandelt; Vorderbeine kräftig, gebogen, zum Fangen eingerichtet, eini-
germaßen den Scheeren der Skorpione ähnlich, woher der Name.
Hinterleib mit langen Athemröhren. Kriechen meiſt langſam auf dem
Grunde der Gewäſſer, kommen aber Nachts hervor, um ſelbſt umher-
zufliegen. Nepa; Ranatra; Belostoma; Galgulus.


Familie der Landwanzen(Geocores). Körper meiſt breit, platt;
Kopf kleiner als bei den Rückenſchwimmern. Fühler faden- oder bor-
ſtenförmig, frei vorſtehend, mit deutlichen cylindriſchen Gliedern, ſtets
länger als der Kopf. Der Rüſſel entſpringt an der Spitze des Kopfes,
wird knieförmig umgebogen und reicht höchſtes bis ans Ende der
Bruſt. Oberflügel ſtets von den Unterflügeln verſchieden, lederartig,
ganz oder nur zur Hälfte hörnig und dann ganz den Flügeldecken
der Käfer ähnlich. Unterflügel häutig. Gehbeine, in ihrer Bildung
ſtets gleich, oft mit ſonderbaren Erweiterungen und Dornen verſehen.
Die meiſten haben einen ſehr unangenehmen, ekelhaften Geruch, der
lange haftet. Viele ſind mit ſchönen Farben geziert. Man hat viele
Unterfamilien unterſchieden. Bei den folgenden iſt die Schnabelſcheide
dreigliedrig und die Füße haben keine Haftlappen.


Waſſerläufer, Hydrometrida. Körper meiſt lang geſtreckt, lie-
neariſch; Fühler lang; viergliedrig; Schnabel bis auf die Vorderbruſt

Figure 502. Fig. 690.

Gemeiner Waſſerläufer
(Hydrometra stagnorum.)


reichend, dicht angedrückt; Scheide dreigliedrig.
Nebenaugen fehlen. Flügel meiſt verkürzt oder
ſelbſt ganz fehlend, ſelten vollſtändig und dann
die Flügeldecken ganz lederartig ohne häutigen
Anhang. Beine ſehr lang, dünn; die hinteren
meiſt länger als die vorderen. Krallen in einem
Ausſchnitt des letzten Tarſalgliedes verſteckt.
Der ganze Körper iſt mit feinen, weichen, fet-
tigen Härchen bedeckt, die das Waſſer abhalten.
Die Thiere laufen und ſpringen mit großer Behendigkeit auf der Ober-
fläche beſonders ſtehender Gewäſſer und nähren ſich von kleinen In-
ſekten. Eine Gattung, Halobates, iſt das einzige Meerinſekt; ſie lebt
auf hoher See in tropiſchen Zonen. Hydrometra; Velia; Limnobates;
Leptopus
.


[574]

Kothwanzen, Reduvida. Kopf rundlich oder länglich, hinter

Figure 503. Fig. 691.

Höckertragende Kothwanze
(Reduvius tuberculatus).


den Augen halsförmig zuſammen-
geſchnürt. Schnabel kurz, meiſt ab-
ſtehend. Fühler lang, dünn; Augen
groß. Flügeldecken wenig geadert.
Beine meiſt lang; Schenkel oft ver-
dickt, mit Stacheln und Borſten be-
ſetzt. Sie nähren ſich alle von
anderen Inſekten, die ihr, auch dem
Menſchen ſehr empfindlicher Stich
augenblicklich tödtet; ſind nächtliche
Thiere, die Tags über im Moos,
unter Baumrinden, in Ritzen der
Wohnungen lauern und in der Dun-
kelheit ihrem Raube nachgehen. Lar-
ven meiſt dicht behaart, flaumig, mit
Moder und Kehricht bedeckt. Redu-
vius; Gerris; Emesa; Nabis; Pygolampis; Cimbus
.


Weichwanzen, Acanthida. Kopf und Leib flach, horizontal.

Figure 504. Fig. 692.

Bettwanze (Acanthia lectularia.)


Augen klein. Schnabel kurz, in einer Rinne
unter der Kehle verſteckt. Fühler knopf- oder
keulenförmig, kurz, nur auf die halbe Bruſt
reichend. Flügel dünn, geadert, zuweilen gänz-
lich fehlend. Vorderrücken, Flügeldecken und
Hinterleib oft mit ſonderbaren blaſigen und
häutigen Fortſätzen verſehen. Beine zart, dünn,
zuweilen die vorderen zu Raubfüßen geſtaltet
und verdickt. Der ganze Körper weich. Leben
meiſt im Graſe, unter Baumrinden, aber vom Raube. Eine Art, die
Bettwanze (Acanthia lectularia), iſt gänzlich flügellos und lebt nur
vom Blute des Menſchen. Sie hält ſich beſonders in Fugen und
Ritzen des Holzwerkes auf, erſtarrt in der Kälte und kann in dieſem
Zuſtande Jahre ohne Nahrung zubringen. Syrtis; Tingis; Aradus.


Bei den folgenden Unterfamilien iſt die Schnabelſcheide vierglie-
drig und neben den Tarſalkrallen zwei kleine Haftlappen angebracht.


Blindwanzen, Capsida. Kopf dreiſeitig, Augen klein, Neben-
augen ganz fehlend. Fühler lang borſtenförmig, das zweite Glied
oft verdeckt; Körper meiſt länglich, weich; Flügeldecken lederartig ohne
Adern, mit zwei ungleichen Zellen; fehlen zuweilen ganz. Beine dünn,
fallen leicht ab. Leben meiſt in Geſellſchaft im Graſe, an Baumſtäm-
[575] men und auf Schirmpflanzen. Capsus; Miris; Phytocoris; Pyrrhocoris;
Halbicus
.


Randwanzen, Coreida. Körper meiſt länglich; Kopf klein,
mit zwei deutlichen vorſtehenden Nebenaugen. Fühler viergliedrig,
meiſt dick. Rüſſel gerade, kurz, höchſtens mit dem erſten Gliede in
einer Rinne gelegen, dicht an den Leib gepreßt. Rückenſchildchen klein,
unbedeckt; Flügeldecken lederartig. Im Gebüſche, im Graſe und auf
Baumſtämmen, leben vom Raube, fliegen zum Theil gut. Coreus;
Corizus; Anisoscelis; Lygaeus; Pachymeris; Geocoris
.


Schildwanzen, Pentatomida. Körper breit, oval, hart. Füh-

Figure 505. Fig. 693.

Blaue Schildwanze
(Scutellera
signata
.)


Figure 506. Fig. 694.

Graue Baum-
wanze (Pentatoma grisea).


ler fünfgliederig. Das Schildchen
des Rückens iſt ſehr groß, bedeckt
wenigſtens den halben, oft den gan-
zen Hinterleib, ſo daß die Thiere
von oben her Käfern ſehr ähnlich
ſehen. Kopf klein, dreieckig; Hals-
ſchild breit, oft verlängert, mit ſchar-
fen Ecken. Leben vereinzelt auf
Gewächſen und Blumen vom Raube.
Scutellera; Tetyra; Callidea; Cyd-
nus; Cimex; Pentatoma; Acanthosoma; Aelia
.


Die Ordnung der Geradflügler (Orthoptera)


begreift eine große Anzahl von kauenden Inſekten, die nur eine unvollkom-
mene Verwandlung beſitzen, und deren Larven und Puppen ſich von dem
vollkommenen Inſekt hauptſächlich nur durch die größere oder gerin-
gere Entwickelung der Flügelſcheiden, der Augen und durch andere
Proportionsverhältniſſe der einzelnen Körpertheile unterſcheiden. Man
begränzte bis in die neueſte Zeit die Ordnung gegenüber derjenigen
der Netzflügler in ganz anderer Weiſe, indem man die mit netzförmi-
gen Flügeln verſehenen Familien von den Geradflüglern abtrennte
und den Neuropteren zutheilte, wenn gleich dieſe eine ruhende Puppe
und ganz anders geſtaltete Mundtheile beſitzen; erſt jetzt, wo man der
Verwandlung eine größere Berückſichtigung zugeſtehen muß, wurden
die Netzflügler enger gefaßt und die ihnen früher zugetheilten Gattun-
gen ohne Verwandlung zu den Geradflüglern geſtellt.


Man unterſcheidet ſtets deutlich die drei großen Körperabthei-
lungen, Kopf, Bruſt und Bauch und an der Bruſt meiſt mit Sicherheit
[576] die drei Ringe derſelben. Die Körperbedeckung iſt weich, lederartig,
oft nur ſehr zart, bei andern aber, wenn auch dünn, ſo doch horn-
artig feſt.


Der Kopf iſt meiſt groß, breit, die Augen mit wenigen Aus-

Figure 507. Fig. 695.

Kopf einer Schabe (Blatta)
von vorn geſehen.
a Oberlippe. b Kinn-
backen. c Kinnladen. d Ge-
ſpaltene Unterlippe. e Lip-
pentaſter. f Die abgeſchnitte-
nen Fühler. g Augen. h Ne-
benaugen. i Kinnladentaſter.


nahmen ſtark hervortretend und mit einer gro-
ßen Anzahl Facetten verſehen. Die Fühler ſind
ſtets vorhanden und faſt immer faden- oder
borſtenförmig, oft von bedeutender Länge, bei
andern ſehr kurz und auf eine kleine Haarborſte
reducirt. Sie ſtehen ſtets zwiſchen den Augen,
die bei manchen Familien ungeheuer groß ſind,
ſo daß ſie auf einer bedeutenden Strecke des
Kopfes einander berühren, während ſie bei
andern, beſonders den Schrecken, oft nur ziem-
lich klein ſind und vielen Larven gänzlich feh-
len. Die Nebenaugen ſcheinen oft gänzlich zu
fehlen oder ſind ſo klein, daß ſie ſich nur mit
Mühe entdecken laſſen; wenn ſie vorhanden,
ſtehen ſie im Dreieck auf dem Scheitel.


Figure 508. Fig. 696.

Kauwerkzeuge einer Schnarrſchrecke (Acridium).
a
Oberlippe. b Kinnbacken. c Kinnlade.
d Helm. e Palpe der Kinnlade. f Unterlippe.


Die Mundwerkzeuge
der Geradflügler ſind ſtets
zum Kauen eingerichtet und
nur bei wenigen Familien,
deren Bilder kaum einige
Stunden zu leben haben, ver-
kümmert; — bei den meiſten
übrigen ſehr ſtark und an Zu-
ſammenſetzung keiner andern
Ordnung nachſtehend. Die
Oberlippe iſt meiſt groß, breit; die Kinnbacken breit, innen gezähnelt,
bei den fleiſchfreſſenden Arten ſtark hakig gekrümmt und ſpitz; bei den
Pflanzenfreſſern mehr breit und ſchneidend. Die Kinnladen zeigen
faſt bei allen Familien einen gezähnelten Hauptaſt, ſo wie deutliche
mehrgliederige Palpen und außerdem noch ein mittleres Stück, welches
mannigfach wechſelnde Beſchaffenheit zeigt. Bei den Geradflüglern im
engeren Sinne (Ulonata) iſt dieſer Mittelaſt blattartig gebogen, nach
vorne zu breiter und bildet eine Schuppe, die von beiden Seiten her
die übrigen Mundtheile in ähnlicher Weiſe deckt, wie die Lippen von
oben und unten her, weßhalb man ſie auch den Helm (galea; galète)
[577] genannt hat. Bei den übrigen, mit vier Netzflügeln verſehenen Fa-
milien iſt dieſer Theil der Kinnladen nur fadenförmig. Die Unter-
lippe iſt ſtets anſehnlich entwickelt, breit und in der Mitte bald gekerbt,
bald durch einen tiefen Spalt oft bis auf den Grund getrennt; —
ein weſentliches Unterſcheidungszeichen von den ächten Netzflüglern, die
ſtets eine ganze Unterlippe haben. Die Lippentaſter ſind bald faden-
förmig mehrgliedrig, bald breit, blattförmig und dann in ähnlicher
Weiſe, wie der Helm, zum ſeitlichen Schutz der Mundtheile geeignet.
Auf der Unterlippe liegt im Innern des Mundes eine weiche, meiſt
knopfförmige Zunge.


Die Flügel ſind nach verſchiedenen Normen gebildet. Die
Unterflügel zeigen ſtets netzförmiges Geäder und werden in der Ruhe
entweder ausgebreitet und dann meiſt ſenkrecht aufgeſchlagen, oder in
Art eines Fächers zuſammengefaltet und unter die Flügeldecken gebor-
gen, in welchem Falle dann die Vorderflügel mehr oder minder häutig
erſcheinen und die Rolle von Flügeldecken ſpielen. Zuweilen fehlen
beiden Geſchlechtern die Flügel ganz, in andern Fällen ſind nur die
Weibchen flügellos.


Keine Ordnung der Inſekten dürfte ſo viele Modificationen im
Bau der Füße aufzuweiſen haben, als gerade dieſe; wir werden ſie
bei den einzelnen Familien aufführen. Der Hinterleib iſt meiſt
lang, dünn; bei vielen mit einem Legeſäbel oder einer Legeröhre, mit
eigenen Zangenapparaten beim Männchen, am hinteren Ende verſehen.


Die anatomiſche Struktur der Geradflügler geht im Ganzen
ziemlich nahe an die der Käfer heran, wenn ſie auch nicht eine ſolche
Mannigfaltigkeit der Formen bietet. Das Nervenſyſtem iſt ſtets
lanngeſtreckt, die drei Bruſtknoten, ſechs bis ſieben Bauchknoten deut-
lich geſchieden und durch doppelte Längsfaden mit einander verbunden.
Die Gradflügler ſind die einzigen Inſekten, bei welchen mit Sicher-
heit ein Gehörorgan nachgewieſen wurde, welches, merkwürdiger
Weiſe, nicht in dem Kopfe, ſondern bei den Schnarrſchrecken an der
Bruſt, bei den Heuſchrecken und Gryllen an den Schienen der Vor-
derbeine liegt. Bei erſteren befindet ſich hinter einem Trommelfelle
ein häutiges Bläschen, das Labyrinth, bei letzteren findet man Gruben
Vogt, Zoologiſche Brief I. 37
[578]

Figure 509. Fig. 697.

Anatomie einer Heuſchrecke (Locusia).
Die Decke des Rückens iſt weggenom-
men, die Speicheldrüſen, das Rückengefäß
und der rechte Eierſtock nach rechts, Darm-
kanal und übrige Organe nach links ge-
zogen, ſo daß man das Nervenſyſtem am
Platze ſieht. a Fühlhörner. b Kropf. c
Kaumagen. d Magen. e Hinterer Theil
des Chylusmagens. f Harngefäße, abge-
ſchnitten. g Dickdarm. h Eierſtöcke. i
Samentaſche. k Kittdrüſe. l Legeröhre.
m Speicheldrüſen. n Rückengefäß.


oder Höhlen, zwiſchen denen ein
Trommelfell und dahinter eine Tra-
cheenblaſe liegt, längs welcher der
ſpezifiſche Gehörnerve ſich ausbrei-
tet. Die Speiſeröhre iſt weit,
kropfartig; der Kaumagen, der
darauf folgt, im Inneren mit ge-
zähnelten Hornplatten beſetzt, der
eigentliche Chylusmagen ſchla[u]ch-
förmig; am oberen Ende des Ma-
gens finden ſich zwei oder mehrere
Blindſäcke in die Speicheldrüſen
eingebettet. Der Darm ſelbſt iſt
faſt gerade, die Harngefäße in
großer Anzahl vorhanden. Das
Tracheenſyſtem iſt ungemein
entwickelt und zwar in der Art,
daß aus jedem Stigma viele weite
Stämme entſpringen, die unmittel-
bar ſich an die Organe verzweige[n]
und ſehr viele netzartige Verbin-
dungen eingehen, die oft blaſig auf-
getrieben ſind. Die Eierſtöcke
ſind aus vielen, ziemlich langen,
büſchelartig oder einzeilig in die oft
langen und gewundenen Eileiter
einmündenden Röhren zuſ[am]menge-
ſetzt; die Samentaſche iſt birnförmig
oder auch in Geſtalt zweier Blind-
ſchläuche entwickelt. Eine Begat-
tungstaſche haben nur die Libellen,
ein Kittorgan nur die Heuſchrecken,
Gryllen und Geſpenſtſchrecken. Außer den gewöhnlichen Seitenklappen
der Geſchlechtsöffnung findet ſich bei vielen Geradflüglern ein Lege-
ſäbel
oder eine Legeſäge vor, die bald frei, bald im Hinterleibe
verborgen iſt. — Die Hoden ſind aus Blindröhren zuſammengeſetzt,
die meiſt büſchelförmig zuſammentreten; die Samenleiter ſind oft nur
ſehr kurz, zuweilen aber ſehr lang, ſpiralig [gewunden] und die Drü-
ſenapparate manchmal ſehr bedeutend entwickelt. Der Penis iſt von
doppelten Hornſcheiden, die bei der Begattung als Zangen zum Feſt-
[579] halten der Weibchen dienen, umgeben; — ſeine Lage zeigt eine merk-
würdige Ausnahme bei den Libellen, wo er vorn an der Bruſt, ohne
Zuſammenhang mit den übrigen Geſchlechtstheilen, angebracht iſt.


Die ausgebildeten Inſekten leben alle auf der Erde, in freier
Luft; keines in oder auf dem Waſſer; auch giebt es keine Schmarotzer
unter dieſer Ordnung. Die meiſten leben von Pflanzenblättern, Blu-
menſäften oder trockenen Pflanzen und Thierſtoffen und manche wer-
den durch ihre Zahl und Gefräßigkeit außerordentlich ſchädlich. Nur
wenige ſind Räuber, die ſich von andern Inſekten nähren, welche ſie
im Fluge oder Sprunge haſchen. Eine einzige Familie lebt geſellig
in beſtimmten ſozialen Beziehungen, alle andern, wenn auch oft in
ungeheuren Schwärmen, vereinzelt für ſich.


Die Larven finden ſich meiſt auf dem Lande, wenige Familien
nur im Waſſer; dieſe haben dann oft ſeitliche Tracheenkiemen, mittelſt
deren ſie athmen. Kauwerkzeuge, Füße und Leib dieſer Larven ſind
denen des Bildes ſehr ähnlich, nur fehlen die Flügel durchaus. Bei
der zweiten Häutung, nach welcher die Thiere als freſſende Puppe
erſcheinen, in welcher Form ſie oft von den ausgebildeten Weibchen
nur ſchwer zu unterſcheiden ſind, kommen die Flügel in Geſtalt kurzer
Stummeln zum Vorſchein, die dann ſpäter ſich vollſtändig entwickeln.
Die Larven überwintern gewöhnlich als ſolche, während im Frühjahre
die Nymphen und meiſt erſt im Hochſommer die Bilder erſcheinen.


Wir theilen die Geradflügler in folgende Familien, welche ſich
durch beſondere Charaktere in einzelne größere Gruppen ſcheiden
laſſen.


Eine größere Gruppe zeigt verſchiedene Flügel, indem das vor-
dere Paar lederartig, zu Flügeldecken, das zweite hautartig iſt und
ſich fächerartig faltet.


Familie der Ohrwürmer(Forficulida). Der Körper iſt langge-

Figure 510. Fig. 698.

Gemeiner Ohrwurm
(Forficula auricularia),
laufend.


ſtreckt, ſchmal, der Hinterleib nur im Anfange
von den kurzen Flügeldecken bedeckt. Der Kopf
rundlich oder dreieckig; die Fühler ziemlich lang
fadenförmig, aus 12 bis 40 Gliedern zuſam-
mengeſetzt; die Augen klein, kreisrund, die
Nebenaugen fehlen. Der ſchief nach vorn ge-
richtete Mund zeigt eine halbrunde Oberlippe,
dreieckige, innen ſcharfe, vorn mit zwei Haken-
zähnchen beſetzte Kiefer; ſchwache, zweizähnige
Kinnladen mit ſchmalem Helm und fünfgliede-
37*
[580]

Figure 511. Fig. 699.

Derſelbe mit ausgebreiteten Flügeln.


rigen Taſtern, deren erſte beide Glieder
ſehr kurz ſind und eine bis zum Grunde
geſpaltene Unterlippe mit dreigliederigen
Taſtern. Die Flügel ſind ſo eigenthüm-
lich gebildet, daß viele Naturforſcher eine
eigene Ordnung (Dermoptera, Labidura)
aus der Familie machten. Die Flügel-
decken ſind nur kurz, lederartig; die Un-
terflügel beſtehen aus einem ſchmalen,
lederartigen Stück, etwas länger als die
Flügeldecken, an welchem ein großes,
halbkreisförmiges, von durchſichtiger Haut
gebildetes Stück befeſtigt iſt. Dieſes häu-
tige Flügelſtück legt ſich fächerartig zuſammen und zwar ſtoßen die
Falten am äußeren Ende des Lederſtückes zuſammen; ſo daß alſo dieſe
Faltung ganz der bei den Ulonaten gewöhnlichen gleich iſt. Der ge-
faltete Fächer knickt ſich aber noch einmal quer in der Mitte ein, wie
dies bei den Käfern geſchieht und der ſo eingeknickte Flügel wird nun
unter das Lederſtück des Unterflügels geſchoben, ſo daß der Unterflü-
gel in der Ruhe ein dreifach zuſammengeknicktes Packet bildet, das den
größten Theil des Hinterleibes frei läßt und ganz unter der Flügel-
decke ſteckt. Die Beine ſind ſchwach, die Tarſen dreigliedrig, das
Endglied mit zwei Krallen, zuweilen auch mit einem kleinen Ballen
verſehen. Der Hinterleib der Männchen hat neun gleichgroße, der
des Weibchens ſieben große und zwei rudimentäre Ringe und iſt am
Ende mit einer gebogenen Zange bewaffnet, die beim Männchen meiſt
länger und gezähnelt iſt.


Die Ohrwürmer ſind ſehr unſchädliche Thiere, die gern dunkle
Schlupfwinkel aufſuchen, ſich von Früchten, ſüßen Pflanzenſäften näh-
ren und erſt Abends lebhaft werden. Die Mutter ſchützt mit ihrem
Leibe ſowohl die Eier, als auch die Larven, die den Alten bis auf
die fehlenden Flügel ſehr ähnlich ſehen. Forficula; Forficesila.


Die folgenden Familien haben lederartige Flügeldecken, einfach
fächerartig gefaltete Unterflügel und einen Helm an der Kinnlade.
(Ulonata).


Die Schaben oder Kakerlacken(Blattida) haben einen abge-
platteten, rundlichen oder linſenförmigen Körper und einen kleinen
[581]

Figure 512. Fig 700.

Deutſche Schabe (Blatta
germanica).


herzförmigen Kopf, der ſenkrecht unter der
Vorderbruſt ſteht und meiſt ganz von ihr bedeckt
wird. Fühler ſehr lang fadenförmig; Augen
klein; Nebenaugen zwei, kaum bemerkbar. Kie-
fer ſehr ſtark, breit, mit vier bis ſechs Zäh-
nen am Innenrande; Kinnladen behaart, Helm
oval; Ladentaſter fünfgliedrig; Unterlippe ganz
geſpalten, Lippentaſter fünfgliedrig, Bruſt
ſchildförmig, faſt dreieckig, Vorderflügel ſehr
breit, dünn, mit dünnerem Innenrande; Unter-
flügel groß, dreieckig; beide meiſt ſehr verſchie-
den bei beiden Geſchlechtern. Eine Gattung
(Polyzostera) iſt ganz flügellos; bei andern
(Heterogamia) haben nur die Männchen Flü-
gel. Füße — Schreitfüße — alle gleich; Tar-
ſen fünfgliederig, mit zwei Krallen und Fußballen dazwiſchen. Am
Hinterleibe ſeitlich gegliederte, ſtachelartige Anhänge. — Unangenehme,
nächtliche Thiere von ſchwärzlicher Farbe, die ſehr ſchnell laufen, das
Licht fliehen, äußerſt gefräßig ſind und ſich von trockenen Pflanzen-
ſtoffen, beſonders aber von allen Arten trockener Nahrungsvorräthe
für Menſchen ernähren. Sie ſuchen deßhalb vorzugsweiſe Häuſer und
warme dunkle Schlupfwinkel auf. — Einige Arten haben ſich über
die ganze Erde verbreitet. Die Eier werden noch im Leibe der Mutter
zu vierzig und mehr von einem beſonderen lederartigen Cylinder ein-
geſchloſſen und in dieſe Hülle gelegt. Blatta; Corydia; Blabera.


Familie der Schrecken(Sallatoria). Die Schrecken haben einen
dreieckigen oder rundlichen Kopf mit ſenkrecht nach unten gerichtetem
Maule. Die Fühler ſind meiſt lang fadenförmig, ſelten kurz oder
gar keulenförmig, die Augen rund, vorſtehend; Nebenaugen oft deut-
lich in der Dreizahl, zuweilen ſehr verwiſcht. Die Kauwerkzeuge ſind
ſtets ſehr mächtig; die Oberlippe groß; die Kiefer ſcharf, breit, innen
gezähnt; die Kinnladen meiſt gezähnelt, ihre Palpen ſtets fünfgliederig,
der Helm ſchmal; die Lippe tief geſpalten, ihre Taſter dreigliederig.
Die Flügeldecken ſind lang, horizontal oder dachförmig in der Ruhe
gelegt, und bei den verſchiedenen Unterfamilien verſchieden geſtaltet,
da ſie bei einigen als Toninſtrument dienen. Die Schenkel der Hin-
terfüße ſind verdickt und zum Springen tüchtig; bei einigen von un-
gemeiner Länge. Man unterſcheidet mehrere Unterfamilien.


[582]

Gryllen(Gryllida). Die Fühler ſind ſehr lang, fein, borſten-
förmig, in Höhlen eingelenkt; das mittlere Nebenauge verſchwom-
men, die beiden ſeitlichen deutlich; die Vorderflügel liegen in der
Ruhe horizontal auf dem Hinterleib auf und ſind weit kürzer als die
Flügel, welche meiſt breit aber ungefärbt ſind und riemenförmig oder
in Spiralform aufgerollt auf dem Leibe liegen. Den Ameiſenheimchen
(Myrmecophila) fehlen die Flügel durchaus. Die Füße ſind ſehr ver-
ſchieden geſtaltet, obgleich ſtets mit dreigliederigen Tarſen verſehen.
Bei den Einen ſind die Vorderfüße gewöhnlich, bei den andern ſind
ſie außerordentlich verbreitet, kurz, dick, ſchief nach Außen geſtellt und
zu mächtigen Grabwerkzeugen umgeſtaltet; bei Einigen ſind die Hinter-
füße außerordentlich lang und unübertreffliche Springwerkzeuge (Tri-
dactylus),
bei andern ſchwächer. Die Männchen haben auf der Rück-
ſeite der Flügeldecken vorſtehende unregelmäßige Rippen, welche ſie
heftig aneinanderreiben, wodurch das laute Geſchrille der Thiere ent-
ſteht. Alle dieſe Schrecken nähren ſich von Pflanzen und leben in
Erdlöchern, Ritzen und Spalten. Die Maulwurfsgrylle(Gryllo-
talpa; Courtillière;
Werre; Riedwurm) gehört hierher. Das Weibchen

Figure 513. Fig. 701.

Gemeine Werre (Gryllotalpa vulgaris).


legt ſeine Eier im Juni ½ Fuß tief unter die Erde in Wieſen; die
Larven, die kleinen Ameiſen gleichen, bleiben Anfangs zuſammen und
zeigen ihre Gegenwart durch rundliche, gelbe Flecken an, wo ſie die
Graswurzeln zerfreſſen haben; ſie überwintern zerſtreut und vollenden
ihre Entwickelung im Mai des nächſten Jahres. Die Heimchen (Gryllus)

Figure 514. Fig. 702.

Das Hausheimchen (Gryllus domesticus).


Figure 515. Fig. 703.

Die Ameiſenſchrecke
Myrmecophila.


[583] im Felde und in Häuſern, die Ameiſenheimchen (Myrmecophila) in
Ameiſenhaufen.


Die Laubſchrecken, Heupferde, (Locustida) unterſcheiden ſich

Figure 516. Fig. 701.

Das grüne Heupferd (Locusta
viridissima).


von den Gryllen durch einen weit längeren
Körper, durch ihre ſehr feinen und lan-
gen Fühlhörner, durch die langen Flügel-
decken, welche nicht horizontal, ſondern dach-
förmig in der Ruhe liegen und die Unterflügel
faſt ſtets gänzlich decken, ſo wie durch die vier-
gliederigen Tarſen, die mit breiten, herzförmi-
gen doppelten Fußballen verſehen ſind. Beide
Geſchlechter ſind gleich groß; die Männchen
haben in dem aufliegenden Theile der rechten
Flügeldecke einen rundlichen durchſichtigen Spie-
gel, von einem ringartigen erhabenen Nerven
umgeben und im linken Flügel, der meiſt auf
dem rechten liegt, an der entſprechenden Stelle
ſtark vorſpringende Rippen. Beide Theile
werden mit großer Schnelligkeit aufeinander
gerieben und erzeugen ſo das Singen. Die
Weibchen haben einen langen, meiſt gekrümm-
ten Legeſäbel. In Wäldern und Gebüſchen,
auf trockenen Wieſen; ſpringen weit beſſer als
die vorigen; brauchen die Flügel meiſt nur als Fallſchirme; freſſen
Laub und Gräſer, werden aber ſelber durch ihre Zahl ſchädlich. Lo-
custa; Decticus; Gryllacris; Phyllopterus; Ephippiger.


Die Schnarrſchrecken, Feldheuſchrecken (Acridida). Körper

Figure 517. Fig 705.

Die Wanderſchrecke (Acridium migratorium)


kürzer, gedrängter; Fühler kurz,
ſtets kürzer als der Körper.
Die Punktaugen ſind meiſt ſehr
deutlich; die Stirn dreieckig, oft
zwiſchen den Augen ſpitz vorſte-
hend. Das Gehörorgan, wel-
ches bei den beiden vorigen Unter-
Familien in den Schienen der
Vorderbeine liegt, findet ſich hier
[584]

Figure 518. Fig. 706.

Naſenſchrecke (Truxalis nasuta).


am erſten Bauchringe
dicht über den Hüften.


Die Legeſcheide des
Weibchens beſteht nicht
aus ſeitlichen, ſondern
zwei oberen und zwei
unteren Stücken. Die
Tarſen ſind dreigliedrig;

Figure 519. Fig. 708.

Proscopia gigas.


die Sprungbeine
meiſt ſehr ſtark;
die Flügel groß,
mächtig, häufig
ſchön gefärbt; die
Stimme wird da-
durch hervor ge-
bracht, daß die

Figure 520. Fig. 707.

Feldheuſchrecken mit ausgeſpannten
Flügeln.


Figure 521. Fig. 709.

Schildſchrecke (Tetrix) mit ausge-
ſpannten Flügeln.


Männchen mit den rauhen Hinterſchenkeln am Außenrande der Flü-
geldecken geigen. Die Thiere fliegen meiſt gern und leicht und ver-
einigen ſich oft in Schwärmen. Zu ihnen gehört die Wanderheuſchrecke
(Acridium migratorium) der ſüdlichen Gegenden, deren Heere wolken-
artig heranziehen und durch ihre unſägliche Gefräßigkeit und zahlloſe
Menge ſo vielen Schaden anrichten. Proscopia; Truxalis; Tetrix;
Gomphocerus; Oecipoda; Acridium.


[585]

Die Familie der Geſpenſtſchrecken(Phasmida). Thiere mit ſehr

Figure 522. Fig. 710.

Das trockene Blatt (Phyllium siccifolium).


langgeſtrecktem, ſtabför-
migem Leibe, von ſeltſam
ſparrigem ungelenkem
Anſehen, meiſt von be-
deutender Größe. Kopf
eirund, nach vorn ge-
richtet; Augen klein aber
ſtark vorſtehend, kugelig;
Nebenaugen meiſt un-
deutlich. Oberlippe groß,
tief ausgeſchnitten; Kie-
fer klein, gezähnelt;
Unterlippe viertheilig,
bis auf den Grund ge-
ſpalten; Lippentaſter
groß, dreigliedrig; Kinn-
ladentaſter fünfgliedrig.
Fühler fadenförmig, ſtets
kürzer als der Leib.
Flügel fehlen oft gänz-
lich; obere faſt ſtets ſehr kurz, ſo daß die Unterflügel noch immer ein
oberes lederartiges Deckfeld haben. Beine meiſt lang und dünn, alle
zum Gehen eingerichtet; die hinteren Schenkel ſind nicht dicker als
die vorderen, oft aber alle mit blattartigen Lappen und Leiſten ver-
ziert. Die flügelloſen Larven zeigen meiſt dieſe Anhänge und Stacheln
weit ſtärker entwickelt. Tarſen fünfgliederig. Träge Inſekten der
tropiſchen Gegenden, die ſich in Gefahr ſteif machen und nur von
Pflanzen leben. Bacillus, Bacteria (ganz ungeflügelt); Cladoxerus
(Weibchen ungeflügelt); Haplopus; Phasma; Phyllium.


Figure 523. Fig. 711.

Das Weinhähnel (Mantis religiosa).


Fangheuſchrecken(Mantida). Körper langgeſtreckt; Kopf klein,
ſenkrecht geſtellt; drei deutliche Nebenaugen; Augen ſehr vorſtehend;
[586] Fühler meiſt fadenförmig oder ſelbſt doppelt gekämmt. Kiefer klein,
aber ſehr ſtark und vielfach gezähnt. Unterlippe vierlappig. Der
merkwürdigſte Theil des Körpers iſt die Vorderbruſt, die meiſt ſehr
lang, dünn, dachförmig iſt und halb aufgerichtet getragen wird, indem
an ihrem vorderen Theile die Greiffüße ſitzen. Flügel meiſt groß, den
Hinterleib ganz deckend. Füße ſehr verſchieden geſtaltet; das erſte
Paar iſt ſehr groß, die Hüfte ſehr lang; der Schenkel lang, dünn,
hoch; an ſeiner hinteren Seite mit einem Falze verſehen, an dem
Stacheln ſitzen und in welchen die ebenfalls gezähnelte und geſtachelte
Schiene wie eine Taſchenmeſſerklinge eingeklappt werden kann. Die
Füße werden beim Gehen ſtets erhoben und eingeſchlagen getragen, ſo
daß man glaubte, die Inſekten gingen in betender Stellung einher.
Sie leben aber nur vom Raube, beſchleichen ihre Beute oder verfol-
gen ſie im Fluge und fangen ſie zwiſchen den Scheeren der Greiffüße,
worin ſie auch das Thier beim Freſſen halten. Die Fangheuſchrecken
ſind ſehr gefräßig, zornig, greifen ſogar kleine Eidechſen und ähnliche
Thiere, ſowie einander ſelbſt mit äußerſter Wuth an und ſind beſon-
ders ausgezeichnet durch ihren beweglichen Kopf, den ſie beſtändig
nach allen Richtungen hin drehen, um nach Beute zu ſpähen. Meiſt
in ſüdlichen Gegenden — nur eine Art, das Weinhähnel, Gottesan-
beterin (Mantis religiosa) geht nördlich in Deutſchland bis zur Main-
linie. Mantis; Empusa; Blepharis; Harpax.


Bei den folgenden Familien ſind die Vorderflügel den Hinterflü-
geln in ihrem Baue gleich, wenn auch oft in Form und Anſehen ſehr
verſchieden. Beide ſind durchſichtig mit netzförmig gegitterten Adern
durchzogen und die Unterflügel werden niemals fächerförmig gefaltet.


Familie der Termiten oder weißen Ameiſen(Termitida). Be-
wohner der warmen Länder, die in Geſellſchaften, ähnlich denen der
Bienen und Ameiſen leben, deren Lebensart und Verhältniſſe aber
noch nicht ſo genau ermittelt ſind. Die vollkommenen Inſekten, welche
geflügelt ſind, haben einen runden Kopf mit vorſtehenden Augen, drei
Nebenaugen, kurzen, roſenkranzartigen Fühlern und Kauwerkzeugen,
die beſonders durch die vierſpaltige, bis auf den Grund getrennte
Lippe denen der vorhergehenden Familien entſprechen. Die Flügel
ſind äußerſt zart, dünnhäutig, mit ſchwachen Längsadern durchzogen,
[587]

Figure 524. Fig. 712.


Figure 525. Fig. 713. Fig. 714. Fig 715.

Fig. 712 — 715. Termiten.
Fig. 712. Männchen mit ausgebreiteten Flügeln. Fig. 713. Trächtiges
Weibchen. Fig. 714. Arbeiter. Fig. 715. Soldat.


ſtehen auf kurzen Stummeln und fallen bei beiden Geſchlechtern leicht
ab. Die Tarſen ſind viergliedrig. Die männlichen Individuen haben
einen länglichen Hinterleib, ebenſo die jungfräulichen Weibchen. Nach
der Begattung ſchwillt der Leib der letzteren unverhältnißmäßig an
und bildet endlich einen ungeheuren Eierſack, der hunderttauſende von
Eiern nach und nach ablegt. Die geflügelten Männchen und Weib-
chen verlaſſen zu gewiſſen Zeiten in Schwärmen den Stock, und be-
gatten ſich außen; die befruchteten Weibchen werden zurückgebracht,
und zwar hat jede Wohnung nur ein ſolches Weibchen in beſonderer
Zelle, während die Männchen zu Grunde gehen. Außerdem finden
ſich in den Wohnungen Hunderttauſende von Larven, deren Körper-
geſtalt derjenigen der Männchen (ohne Flügel) gleicht und die beſon-
ders zum Arbeiten taugen. Dieſe Arbeiter haben einen runden Kopf
mit deutlichen Augen und wenig vorſtehenden Kiefern. Sie zeigen je
nach ihrem Alter, mehr oder weniger deutliche Flügelſtummeln. End-
lich eine vierte Art von Individuen, von denen man noch nicht recht
weiß, ob es Geſchlechtsloſe oder Larven ſind, haben einen großen cy-
lindriſchen Kopf ohne Augen, mit ſpitzer Schnauze und langen, ſchar-
[588] fen, ſtark gekreuzten Hakenkiefern. Sie ſind weit weniger zahlreich,
als die Arbeiter, deren Thätigkeit ſie zu beaufſichtigen ſcheinen. Sie
vertheidigen beſonders die Wohnung, weßhalb man ſie auch Soldaten
genannt hat und beißen ſich mit wüthender Energie feſt, ſo daß man
ſie zerſtückeln kann, ohne daß ſie losließen.


Die Termiten ſind weit kleiner als unſere Ameiſen, aber weit
zahlreicher in ihren Wohnungen. Sie arbeiten beſtändig unter der
Erde oder bauen ſich dunkle Galerieen, die von den Wohnungen aus
nach den Orten ihrer Thätigkeit führen. Sie nagen Alles an, beſon-
ders aber trockene Pflanzenſtoffe, Holz, etc. und zerſtören dieſelben
von innen heraus, ſo daß man erſt beim Zuſammenbrechen der voll-
ſtändig ausgehöhlten Stämme und Möbeln etc. bemerkt, daß dieſe
ſchädlichen Nager ſich eingeniſtet haben. Ihre Neſter und Wohnungen

Figure 526. Fig. 716.

Wohnungen von Termiten. Die kegelförmigen Neſter, von denen das
vordere ſenkrecht durchſchnitten iſt, gehören dem Termes bellicosus; — das
eiförmige Neſt auf dem Baume, von welchem ein geſchlängelter Kanal nach
der Erde führt, dem Termes arborum an.


bauen ſie alle von gekauter Erde, die ſchnell erhärtet. Meiſt bilden
ſie kegelförmige Erhöhungen, die oft Mannshöhe erreichen. Zuweilen
werden die Neſter auch auf Baumäſten angelegt, wo dann bedeckte
Galerien zur Erde führen. Im Innern dieſer ungeheuren Neſter
findet man eine große halbrunde Zelle, die von dem befruchteten
Weibchen bewohnt wird und deren Zugänge ſo eng ſind, daß das
Weibchen ſie nicht verlaſſen kann. Es wird dort von den Arbeitern
[589] gefüttert und die von ihm gelegten Eier ſogleich in benachbarte Zel-
len geſchafft, wo ſie von den Arbeitern beſorgt werden. Die Zellen
für die Eier und jungen Larven beſtehen aus gekautem und zuſam-
mengeklebtem Holz. Im Umkreis ſind die Wohnzellen für Arbeiter
und Soldaten und von hier aus gehen die Galerieen nach Außen,
anfangs ſchief abwärts und oft von einem Fuß Durchmeſſer nach allen
Seiten hin, bis ſie in großer Entfernung an der Oberfläche vertheilt
auslaufen. Die Termiten ſammeln ebenſowenig wie die Ameiſen Vor-
räthe ein. Termes.


Der vorigen Familie ſtehen ſehr nahe die Embiden (Embida),
vereinzelt lebende ſüdliche Inſekten mit feſthaftenden Flügeln, die auf
keinem Stummel ſtehen, angeſchwollenen Füßen, dreigliederigen Tarſen
und nur zweiſpaltiger Unterlippe. Embia.


Die Bücherläuſe (Psocida) haben einen breiten Kopf, vorquel-
lende Augen, borſtenförmige, kurze Fühler und im Dreieck ſtehende
Nebenaugen. Die Flügel ſind entweder ſehr groß, häutig, durchſich-
tig, mit wenig netzartigen Adern durchzogen, oder fehlen ganz. Hin-
terleib kurz; Füße dünn, lang; Tarſen nur zweigliedrig. Die Kau-
werkzeuge ſind ſchwach, die Kiefer hornig; die Kinnladenpalpen dick,
cylindriſch, fünfgliedrig; die Lippentaſter ſehr dünn. Kleine, weiche,
ſchnelle Inſekten, die an dunklen Orten leben; — unter Rinden, in
alten Büchern und Sammlungen werden beſonders die Larven häufig
gefunden. Psocus; Troctes; Thyrsophorus.


Die Familie der Blaſenfüße (Physopoda) beſteht aus kleinen,
höchſtens eine Linie langen Inſekten, die meiſt auf Blumen, Blättern,
Baumrinden leben, ſchnell und gewandt umherlaufen und ziemlich be-
hend ſpringen, indem ſie den umgeſchlagenen Hinterleib in ähnlicher
Weiſe wie die Poduren ihre Springgabel als Schnellfeder benutzen.
Der Leib iſt lang, ſchmal, flach; der Kopf ſenkrecht geſtellt, der Mund
nach unten gerichtet; die Fühler achtgliederig, fadenförmig; hinter
ihnen ſtehen drei im Dreieck geſtellte Nebenaugen; die Augen ſind
groß, vorragend. Mundtheile im Ganzen einen dreieckigen Rüſſel
bildend; Oberlippe dreieckig; Kiefer borſtenförmig; Kinnladen klein,
an die große Unterlippe feſtgewachſen; Lippen- und Laden-Taſter
2 — 3 gliedrig. Flügel ſchmal, lanzettförmig, am Rande mit feinen
langen Haaren beſetzt; Vorder- und Hinterflügel ganz gleich, durch-
ſichtig, nur mit parallelen Längsadern. Beine kurz, die Tarſen nur
zweigliederig und das letzte Glied mit einem runden Saugnapf ver-
[590] ſehen; ohne Spur von Klauen. Sie nagen beſonders die Oberhaut
der Pflanzen und Blumenblätter ab. Phloeothrips; Heliothrips; Me-
lanothrips; Thrips.


Die Larven der folgenden Familien leben im Waſſer:


Die Florfliegen (Perlida) haben einen großen, breiten Kopf,

Figure 527. Fig. 717.

Blaſſe Florfliege (Perla pallida).


Figure 528. Fig. 718.

Larve von Perla.


vorſtehende Augen, lange
borſtenförmige, weit von
einander auf der Stirn
eingelenkte Fühler; ſehr
ſchwache Kauwerkzeuge,
häutige kleine Kiefer,
dagegen lange vorragen-
de innere und äußere
Kinnladenpalpen und
Lippentaſter. Die Flügel
werden in der Ruhe ge-
faltet und übereinander
gelegt, ſo daß das In-
ſekt ſehr ſchmal ausſieht;
ſie haben mehr Netzadern als bei den vorhergehenden Familien. Die
Füße ſind lang, fein, die Tarſen nur dreigliedrig, mit einem Ballen
zwiſchen den Klauen verſehen. Der Hinterleib trägt zwei mehr oder
minder lange Anhänge. Die vollkommenen Inſekten leben von Blu-
menſäften; die Larven halten ſich beſonders gern in fließenden Ge-
wäſſern unter Steinen auf, haben große hakige Kiefer und ſeitliche
haarförmige Tracheenkiemen an den Seiten des Hinterleibes, die bei
einer Gattung (Pteronarcys) ſogar bei dem vollkommenen Inſekte als
ſeitliche Fäden überbleiben. Perla; Nemura.


Bei den Eintagsfliegen (Ephemerida) ſind die Kauwerkzeuge faſt

Figure 529. Fig. 719.

Swammerdamm’s Eintagsfliege (Ephemera Swammerdammi).


gänzlich verkümmert, ſo
daß ſie kaum zu erken-
nen ſind — namentlich
fehlen die Kiefer gänz-
lich. Die Thiere leben
kaum einen Tag als
Bilder und freſſen wäh-
[591] rend dieſer Zeit niemals, ſondern häuten ſich noch einmal nach dem
Verlaſſen der Puppe, begatten ſich dann Abends, wo ſie oft in un-
gemein zahlreichen Schwärmen an den Gewäſſern erſcheinen, legen

Figure 530. Fig. 720.

Larve einer Ephemera.


ihre Eier und ſterben am nächſten Morgen. Die
Fühler ſind ſehr kurz, dreigliedrig, borſtig; die Vor-
derflügel, weit größer als die Hinterflügel, werden
in der Ruhe aufrecht getragen; die Vorderfüße ſehr
lang, dünn; die Tarſen viergliederig. Der ſehr weiche
Hinterleib trägt zwei oder drei ſehr lange Haarbor-
ſten. Die Larven leben zwei bis drei Jahre im
Waſſer, haben deutliche hornige Kiefer und zu bei-
den Seiten große Büſchel von Tracheenkiemen, die
zugleich als Ruder dienen. Die freſſenden Nymphen
unterſcheiden ſich von den Larven nur durch die Ru-
dimente der Flügel. Ephemera; Chloe.


Die letzte Familie dieſer Ordnung iſt die der Waſſerjungfern

Figure 531. Fig. 721.

Libellula indica, mit ausgebreiteten Flügeln.


(Libellulida), bekannt
wegen ihrer ſchlanken Ge-
ſtalt und den meiſt ſchö-
nen, durchſichtigen Schil-
lerfarben, welche ihre
Flügel zieren. Der
Kopf iſt groß, breit; die
Augen ungeheuer, meiſt
in großer Ausdehnung
auf dem Scheitel genähert.
Die Fühler ſind kurz,
borſtenförmig, kürzer
als der Kopf, meiſt ſie-
bengliedrig, zwiſchen oder vor den Augen eingeſetzt; an ihrer Baſis
ſtehen drei Punktaugen. Die Kauwerkzeuge ſind ungemein entwickelt
und äußerſt ſcharf gezähnt, in Uebereinſtimmung mit der räuberiſchen
Lebensweiſe der Thiere. Die Oberlippe iſt groß; die Kiefer dick, kurz,
oben hakig, weiter hinten gezähnelt; die Kinnladen innen haarig, an
der Spitze mit einem krummen Hornzahne und darunter mit fünf in
[592]

Figure 532. Fig. 724.


Figure 533. 723.


Figure 534. 722.


Figure 535. Fig. 725. 726.

Kopf und Mundwerkzeuge einer Libelle (Aeschna) dreifach vergrößert.
Fig. 722. Der Kopf von vorne. Fig. 723. Von der Seite. Fig. 724. Halb
von unten mit geöffnetem Maule. Fig. 725. Der Kiefer (mandibula) iſolirt.
Fig. 726. Die Kinnlade (maxilla) iſolirt und beide ſtärker vergrößert. a Die
großen, nierenförmigen Netzaugen. b Fühlhörner. c Nebenaugen. d Vorgeſicht.
e Oberlippe. f Kiefer. g Kinnlade. h Seitentheile der Unterlipve (Taſter). i Mit-
teltheile der geſpaltenen Unterlippe. k Zunge. l Schlundöffnung.


zwei Reihen geſtellten langen Hornzähnen bewaffnet (deßhalb rannte
man dieſe Familie auch Odonata); Kinnladentaſter dick, borſtig. Un-
terlippe groß, fein geſpalten; die beiden Lippentaſter in zwei häutige
Seitenflügel umgewandelt, welche die Kauwerkzeuge von der Seite
decken. Mittelbruſt groß, hoch, faltig; Flügel lang, durchſichtig, fein gegit-
tert, in der Ruhe aufgeſchlagen. Beine kurz, ſchlank, überall mit Dornen
beſetzt. Hinterleib lang, ſchmal mit eigenen Anhängen verſehen. Die Ge-
ſchlechtstheile dieſer Thiere ſind höchſt eigenthümlich gebildet. Die Ruthe
des Männchens, die mit einer offenen Samenblaſe in Verbindung ſteht,
iſt außer aller Verbindung mit den Geſchlechtstheilen am Anfang des
Hinterleibes unter der Bruſt gelegen, ſo daß die Männchen, deren
Samenleiter am Ende des Leibes, am After, münden, erſt die Samen-
blaſe füllen müſſen, um ſich begatten zu können. Sie faſſen, ſobald
[593]

Figure 536. Fig. 727.

Larve einer Waſſer-
jungfer (Agrion).


dies geſchehen iſt, mit der Zange ihres Hin-
terleibes die Weibchen im Nacken, die dann ihren
Hinterleib gegen die Bruſt des Männchens und die
dort befindliche Ruthe krümmen. Die Larven

Figure 537. Fig. 728.

Der Zangenſchneider (Aeschna forcipata),
Männchen.


Figure 538. Fig. 729.

Waſſerjungfer (Agrion virgo).


leben im Waſſer und zeichnen ſich
durch eine höchſt eigenthümliche
Bildung der Unterlippe aus, welche
wie eine Maske das ganze Geſicht
von unten her bedeckt, aber wie ein
Storchſchnabel auseinandergeklappt
und vorgeſchoben werden kann, um
als Fangwerkzeug zu dienen. Die
vollkommenen Inſekten fliegen meiſt
ſehr ſchnell und ſind gefährliche Räuber kleinerer Inſekten. Aeschna;
Gomphus; Libellula; Agrion; Heterophlebia
(foſſil im Jura); Lestes;
Sterope
(foſſil).


In den untergegangenen Schöpfungen ſpielen beſonders die Li-
bellen und Termiten eine Hauptrolle. Die erſteren beginnen ſchon im
Lias und zeigen beſonders in den Solenhofer Schiefern, die dem obe-
ren Jura angehören, prächtige, große Arten, die meiſt den Gattungen
Aeschna und Gomphus angehören. In den Sümpfen der Tertiärzeit,
beſonders in Oeningen, gehören die Libellenlarven zu den gemeinſten
Verſteinerungen. Die Termiten, dieſe Bewohner tropiſcher Wälder,
beginnen im Jura, und finden ſich in der Kreide wie in der Tertiär-
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 38
[594] zeit ſehr häufig mit großen, ſchönen Arten, was auf eine reiche ſüdliche
Wäldervegetation in der jetzigen gemäßigten Zone zu jener Zeit ſchlie-
ßen läßt. Ueberhaupt ſind aber die Geradflügler die älteſten Inſekten,
denn Schaben, Schnarrſchrecken und Laubſchrecken finden ſich ſchon in
der Kohlenperiode und von da an ununterbrochen in allen Formatio-
nen mit mehr ſüdlichen Arten.


Unterklaſſe der Inſekten mit vollkommener Verwandlung.
(Holometabola.)


Die Ordnung der Zweiflügler (Diptera) iſt vielleicht die
zahlreichſte unter den Inſekten, ſelbſt die der Käfer nicht ausgenommen,
wenn ſie gleich weit weniger gekannt iſt und namentlich die Arten des
Auslandes unverhältnißmäßig wenig unterſucht ſind. Es ſind meiſt
kleine, zarte Inſekten, deren Aufbewahrung ziemliche Schwierigkeiten,
beſonders für Reiſende, mit ſich bringt.


Man unterſcheidet bei den Zweiflüglern, wie bei faſt allen Inſek-
ten, die drei größeren Körperabſchnitte — Kopf, Bruſt und Bauch —
namentlich iſt der erſtere häufig durch einen dünnen Hals von der
Bruſt getrennt. Nur bei einigen paraſitiſchen, ungeflügelten Gattun-
gen ſcheint der Kopf entweder nur ſehr klein oder ſelbſt in ähnlicher
Weiſe, wie bei den Spinnen, mit der Bruſt faſt zu einer Maſſe ver-
ſchmolzen. Die allgemeine Körperbedeckung iſt weich, häutig dehnbar;
obgleich man, namentlich am Hinterleibe, noch immer die einzelnen
härteren Ringel mit zwiſchenliegenden weicheren Hautfalten unterſchei-
den kann, ſo zeigt ſich doch nie jene Härte der Bedeckungen, welche
bei manchen andern Ordnungen, beſonders den Käfern, zu finden iſt.


Die Fühler ſind bei den Zweiflüglern faſt ſtets vorn auf dem
Kopfe, an der Stirn, zwiſchen den Augen eingelenkt und mit ihrer
Baſis einander genähert. Sie zeigen zwei ſehr verſchiedene Typen,
wonach man auch die ganze Ordnung in zwei Unterordnungen,
Langhörner und Kurzhörner, zerfällt hat. Bei den letzteren iſt der
Fühler ſtets kürzer als der Körper und nie aus mehr als drei Glie-
dern zuſammengeſetzt. Das oder die beiden erſten Glieder ſind cy-
lindriſch, ſtielförmig, das letzte hingegen breit, ſpindelförmig oder
ſchwammartig und einzig mit jenen feinen Riechgruben verſehen, die
[595]

Figure 539. Fig. 730.


Figure 540. Fig. 733.


Figure 541. Fig. 731.


Figure 542. Fig. 731. Fig. 732.

Fig. 730. Kopf eines Langhorns (Asindulum), von der Seite geſehen.
a Fühlhörner. b Nebenaugen (stemmata). c Auge. d Rüſſel. e Palpe. —
Fig. 731. Die Mundtheile einer Schnake (Culex pipiens) und Fig. 732. die-
jenigen der Ochſenbremſe (Tabanus bovinus), auseinandergelegt. Die gleichen
Buchſtaben haben in beiden Figuren dieſelbe Bedeutung. a Unterlippe. b
Kinnbacken (mandibulae). c Kinnladen (maxillae). d Unterlippe. e Palpe.
f Anfang des Fühlers. Fig. 733. Schwingkolben (halter) einer gemeinen
Stubenfliege (musca). a Kolbiges Ende. b Stiel. Fig. 734. Fühlhorn eines
Kurzhornes (Dolichopus). a Erſtes, b zweites Stielglied. c Drittes, großes
Glied. d Fühlerborſte (stylus).


auf den Gliedern der Handhabe ganz fehlen. Bei dieſen Kurzhör-
nern ſteht dann meiſt auf dem dritten Gliede noch eine kurze, gerade
Borſte (stylus), die zuweilen ſelbſt Gliederung zeigt. Bei den nie-
derſten paraſitiſchen Familien ſchwinden die Fühler zu einem unbedeu-
tenden gliederloſen Knötchen; bei den Langhörnern dagegen ſind ſie
ſtets aus mehr als ſechs Gliedern zuſammengeſetzt, oft ſelbſt länger
als der Körper und zeigen ſehr mannigfaltige Geſtalten, Federn, Fe-
derbüſche, Cylinder, Kolben, Faden.


Die Augen ſind meiſt von zweierlei Art, zuſammengeſetzte und
einfache: erſtere ſind oft ungeheuer groß, ſeitlich gerückt und ſcheinen
manchmal faſt den ganzen Kopf einzunehmen. Beſonders zeichnen ſich
die Männchen durch die Größe dieſer Organe aus und bei vielen
Gattungen bildet das Zuſammenſtoßen der Augen auf der Stirn für
das Männchen und ihre Trennung für das Weibchen einen conſtan-
ten Geſchlechtsunterſchied. Zuweilen ſind dieſe zuſammengeſetzten Au-
gen über und über mit langen Haaren beſetzt, die in den Zwiſchen-
räumen der einzelnen Facetten wurzeln; oft ſind die Facetten der
38*
[596] oberen Augenhälfte größer als die der unteren. Die Nebenaugen
ſtehen meiſt in einem Dreieck auf der Höhe der Stirn zwiſchen den
Augen; gewöhnlich iſt die Zahl drei, ſelten finden ſich nur zwei oder
gar keine.


Die Mundwerkzeuge der Zweiflügler ſind ſtets zum Saugen
eingerichtet, theilweiſe ſelbſt bei den Larven und zwar iſt es beſon-
ders die Lippe, welche zum Rüſſel (proboscis; trompe) umgewan-
delt iſt. Der Rüſſel iſt meiſtens knieförmig in der Mitte eingeknickt,
bald ſenkrecht, bald horizontal unter den Kopf geſtellt und kann mei-
ſtens zwiſchen die Backen zurückgezogen werden. Seine untere Spitze
iſt gewöhnlich verbreitert, verdickt, in Form einer rundlichen oder ova-
len Platte ausgebildet, welche größere oder kleinere Querfurchen zeigt
und oft mit Haaren beſetzt iſt. Die eigentliche Mundöffnung befindet
ſich über dieſer Platte in dem Knie des Rüſſels an dem Ende einer
meiſt tiefen Furche. An der Mundöffnung ſtehen zwei Taſter (palpae),
die bei den Kurzhörnern meiſt nur ein- bis zweigliedrig, bei den
Langhörnern vier- bis fünfgliederig, lang, und oft in ähnlicher Weiſe
wie die Fühlhörner, buſchig ſind. Unterſucht man [den] Rüſſel genauer,
ſo findet man, daß ſeine fleiſchige oder häutige mit der Platte verſe-
hene Röhre nur eine Hülle bildet, in welcher beſondere ſteife Horn-
borſten ſtecken, die offenbar den Kinnbacken und Kinnladen der kauenden
Inſekten entſprechen. Es ſind ſtets wenigſtens zwei ſolcher Borſten
vorhanden, die meiſt mit den Palpen in Verbindung ſtehen und offen-
bar die umgewandelten Kinnladen (maxillae) darſtellen. Bei einigen
Familien ſind außerdem noch zwei weitere Borſten vorhanden, welche
den Kiefern (mandibulae) analog ſind. Die ſämmtlichen in dem Rüſ-
ſel eingeſchloſſenen Borſten werden in ihrer Vereinigung der Sauger
(haustellum, suçoir) genannt. Außer dieſen Borſten findet ſich noch
am Grunde des Rüſſels die Oberlippe, meiſt dreieckig, zuweilen vorn
zugeſpitzt, hornig oder häutig und auf ihrer Unterſeite mit einer Mit-
telrinne verſehen, worin die ſehr feine, zugeſpitzte, kurze Zunge liegt.
Sind dieſe beiden Organe bedeutend in die Länge gezogen, ſo ſcheint
der Rüſſel ſechs Borſten einzuſchließen. Nicht immer indeß ſind dieſe
Mundorgane vollſtändig — es finden ſich ſogar manche Dipteren, wie
z. B. Henops, wo dem ausgebildeten Thiere jede Spur von Mund-
werkzeugen, ja die Mundöffnung ſelbſt fehlt und nur die Begattung
ſein einziger letzter Lebenszweck iſt. Die Hornborſten, in welche Kinn-
backen und Kinnladen umgewandelt ſind, dienen zum Durchbohren der
Haut, während der äußere Rüſſel eigentlich nur zur Bedeckung und
Fixirung des Saugers beſtimmt iſt. Die Säfte, welche aufgeſogen
[597] werden, ſteigen zwiſchen den Hornborſten in die Höhe. Der Raum
zwiſchen dem Rüſſel und den Augen wird das Untergeſicht (hypo-
stoma
) genannt; er iſt meiſtens durch zwei vorſtehende mit ſteifen
Borſten verſehene Backen ausgefüllt, welche der Knebelbart (my-
stax
) heißen.


Die Bruſt der Zweiflügler beſteht nur aus einem Hornſtücke,
deſſen urſprüngliche Zuſammenſetzung aus drei Ringen durch Quer-
furchen oder vertiefte Linien mehr oder minder deutlich angegeben iſt.
Nur bei einigen Gattungen zeigt ſich eine deutliche Scheidung der
Vorderbruſt. An der Unterfläche der Bruſt ſieht man nie mehr als
vier Luftlöcher — zwei vorn in der Nähe des Kopfes, zwei ganz
hinten, unmittelbar bei den Schwingkölbchen.


Es finden ſich nie mehr als zwei Flügel, die den Vorderflü-
geln der vierflügeligen Inſekten entſprechen. Sie ſind ſtets häutig
durchſichtig, zuweilen nur mit ſehr feinen häutigen Schüppchen beſetzt.
Meiſt ſind dieſe Flügel mächtig, groß, von langgeſtreckter Form, leb-
haft in Regenbogenfarben ſchillernd; die Flugkraft der Inſekten ſehr
bedeutend und anhaltend, ihre Schnelligkeit im Fluge groß — nur
bei wenigen Gattungen ſinken die Flügel in ihrer Ausbildung zurück,
beſonders bei den Weibchen, und bei einigen ſchmarotzenden Gattungen
fehlen ſie gänzlich. Die Rippen oder Adern der Flügel ſind meiſt ſehr
deutlich und ausgebildet; weſentlich ſind nur Längsrippen und wenige
Queradern vorhanden, ſo daß die langgeſtreckten Zellen meiſt nach
außen geöffnet ſind. Meiſt findet man fünf Haupt-Längsrippen, von
denen die beiden erſten dem Vorderrande des Flügels ſehr nahe an-
liegen.


Eigenthümliche Organe ſind die Schwingkölbchen (halteres, ba-
lanciers
), zwei kleine bewegliche Körperchen, aus einem mehr oder
minder langen Stiel und einem runden Knöpfchen beſtehend, die an
dem Hintertheile der Bruſt ſtehen, faſt in beſtändiger vibrirender Be-
wegung ſind und meiſt von zwei Paar häutigen Schuppen (aile-
rons
oder cuillerons) bedeckt ſind. Die Form dieſer Schwingkolben
gleicht ziemlich den mit Netzen durchflochtenen Raketten, die man beim
Federballſpiel zum Schlagen des Balls gebraucht — ihr Nutzen iſt
durchaus unbekannt.


Die Füße der Zweiflügler ſind meiſt lang, dünn, aber ſonſt aus
den gewöhnlichen Theilen zuſammengeſetzt. Der Tarſus hat immer
fünf Glieder; das Endglied trägt zwei, meiſt einfache, zuweilen ge-
ſpaltene oder gezähnelte Klauen, die nur bei wenigen Gattungen ſtark
vortreten; meiſtens befinden ſich zwiſchen den Klauen zwei oder drei
Fußballen (arolia; pelottes), die mit Grübchen oder Leiſten dicht
[598] beſetzt ſind, bei einigen ſogar eine klebrige Flüſſigkeit ausſchwitzen
ſollen und den Inſekten als Haftorgane dienen, womit ſie ſich an
glatten Oberflächen, ſelbſt in umgekehrter Stellung leicht feſthalten
können.


Der Hinterleib der Zweiflügler iſt meiſt ſchmal, länglich, zu-
weilen auch breit und eiförmig. Er ſitzt bald mit ſeiner ganzen Breite
an der Bruſt feſt, bald iſt er durch einen Stiel mit ihr verbunden.
Er zeigt meiſt 6 — 9 ſichtbare Ringe und endet bei den Weibchen oft
in eine Spitze, die aus mehreren, in einander verſchiebbaren Ringen
beſteht, welche wie ein Fernrohr aus- und eingezogen werden können.


In anatomiſcher Hinſicht zeichnen ſich die Zweiflügler durch fol-
gende Eigenthümlichkeiten aus. Das Nervenſyſtem erſcheint in der

Figure 543. Fig. 735. Fig. 736. Fig. 737.

Anatomie der Schmeißfliege (Musca vomatoria).
Fig. 735. Die Fliege iſt vom Rücken her geöffnet und die Decken von
Kopf, Bruſt und Hinterleib ſo weit weggenommen, daß man die Eingeweide
in ihrer natürlichen Lage ſieht. Die Luftgefäße, ſowie das Rückengefäß ſind
beſonders ſchwarz gehalten.
a Die Fühler mit ihrer Borſte. b Die Augen. c Erſtes Fußpaar.
d Deckſchuppe des Schwingkolbens e; f zweites; g drittes Fußpaar. h Spitze
des Hinterleibs. i Tracheenblaſen im Kopfe. k Die großen Tracheenblaſen
des Hinterleibs. l Tracheenſtämme, die mit dem erſten Luftloche der Bruſt in
Verbindung ſtehen. m Tracheenſtämme des zweiten Bruſtſtigma’s. n Das
Rückengefäß. o Hirnknoten. p Magen mit den geſchlängelten Speicheldrüſen.
zu beiden Seiten. q Darm mit den Gallengefäßen daneben. r Eierſtöcke.
Fig. 736. Das Nervenſyſtem iſolirt. a Hirnknoten. b Knoten unter
dem Schlunde. c Vorderbruſtknoten. d Hinterbruſtknoten. e Hinterleibsknoten.
Fig. 737. Die Verdauungsorgane iſolirt. a Schlund. b Kropf. c
Magen. d Saugmagen. e Darm. f Gallengefäß der einen Seite. g Maſt-
darm. h After.


[599] Regel um ſo geſtreckter, je länger die Leibesringe ſind, um ſo kürzer
und gedrängter, je runder der Hinterleib ſich darſtellt. Deßhalb haben
die Langhörner wenigſtens fünf oder ſechs Bauchknoten; während bei
den eigentlichen Fliegen mit bedeckten Schwingkolben, den Musciden,
Pupiparen, Oeſtriden gar keine, bei den übrigen Kurzhörnern je nach
der Länge ihres Leibes ein bis ſechs Bauchknoten vorhanden ſind.
Auch hinſichtlich der Verſchmelzung der Bruſtknoten von drei bis eins
herrſchen ähnliche Verhältniſſe. Der Verbindungsſtrang zwiſchen den Kno-
ten iſt ſtets einfach. Die Verdauungsorgane ſind einfach. Der dünne Schlund
führt in einen kurzen Kropf und einen langen Magen, dem zur Seite durch
einen bald längeren bald kürzeren Stiel ein blaſenförmiger oder herz-
blattartig ausgeſchnittener Saugmagen anhängt. Der Magen ſetzt ſich
faſt ohne Abſatz in den Darm und dieſer in den kurzen, breiten Maſt-
darm fort. Einfache Speichel- und Lebergänge in Form dünner Röhr-
chen. Das Rückengefäß verhältnißmäßig ſehr dünn und langkam-
merig. Das Tracheenſyſtem aus zwei ſeitlichen in der Bruſt längs
dem Magen hinlaufenden Hauptſtämmen zuſammengeſetzt, in welche
die Stämme von den Luftlöchern her einmünden und in deren Verlauf
ſich beſonders zwei kleinere Luftblaſen im Kopf, zwei oft ungeheuer
große im Hinterleib auszeichnen.


Die weiblichen Fortpflanzungsorgane beſtehen aus zwei
Eierſtöcken, die aus einer Unzahl kurzer Röhrchen gebildet ſind, deren
jedes drei bis vier Eier erzeugt. Die Eileiter ſind nur kurz; der
Samentaſchen meiſt mehrere, gewöhnlich drei vorhanden, von höchſt
mannigfaltig wechſelnder Form, meiſt hornig bräunlich. Die Scheide,
ohne Begattungstaſche, meiſt oben erweitert zu einem Eierbehälter, in
welchem oft die Eier ſo lange bleiben, bis die Larven aus der Eiſchale
gekrochen ſind, ſo daß ſolche Fliegen lebendig gebärend erſcheinen.
Bei den Pupiparen, deren Eier und Eileiter ebenfalls abweichend ge-
ſtaltet ſind, werden ſogar die Larven in dieſem Behälter durch das
Sekret eigener, bedeutender Drüſen ernähert und erſt nach ihrer Ver-
puppung innerhalb des Behälters von der Mutter geboren. — Die
männlichen Geſchlechtsorgane beſtehen aus zwei einfachen,
meiſt gelblichen oder bräunlichen Hoden von birnförmiger Geſtalt,
kurzen Samenleitern und einer meiſt kurzen Ruthe, die von zwei hor-
nigen, ſcheidenartigen Seitenklappen eingeſchloſſen wird, welche oft eine
ſonderbare Geſtalt haben.


Die Zweiflügler leben als vollkommene Inſekten meiſt nur kurze
Zeit; die Männchen ſterben gewöhnlich nach der Begattung, die Weib-
chen nachdem ſie für ihre Brut geſorgt haben. Sie finden ſich meiſt
geſellig in großen Schwärmen, in Wäldern und Gebüſchen, auf Blu-
[600] men und Blättern, wo es etwas zu naſchen und zu ſaugen gibt.
Einige ſind kühne Räuber, fallen ſelbſt weit größere Inſekten an, um
ſie tod zu ſtechen und auszuſaugen; andere leben paraſitiſch von dem
Blute größerer Thiere, doch ſind es ſtets nur die Weibchen, welche
ſtechen und Blut ſaugen, niemals die Männchen. Das Tanzen und
Schwärmen der Mücken und Schnaken iſt das Vorſpiel zum Begat-
tungsakte, der meiſt im Fluge, bald in der grellſten Mittagshitze, bald
mehr in der Dämmerung vorgenommen wird. Die Eier, welche meiſt
rundlich ohne auffallende Formgeſtaltungen ſind, werden an die Orte
gelegt, wo die Larven leben; in Form zuſammengeklebter ſchwimmen-
der Flöße auf das Waſſer, in den Schlamm, feuchte Erde, auf Keime
und Blätter der Pflanzen. Die Raubfliegen legen ihre Eier in die
Neſter der Bienen, deren Larven von ihrer Nachkommenſchaft getödtet
werden, zwiſchen die Blattläuſe, auf die Haut größerer Thiere, wo
ſie abgeleckt werden, um ſich im Darm zu entwickeln u. ſ. w.


Figure 544. Fig. 742.

Figure 545. 743.

Figure 546. 744.

Figure 547. Fig. 738. 739. 740. 741.

Fig. 738 — 744. Larven und Puppen verſchiedener Zweiflügler.
Fig. 738. Larve, Fig. 739. Puppe von Culex in natürlicher Stellung
im Waſſer. Die Larve zeigt die lange, ſeitlich am Hinterende angebrachte
Athemröhre, die zum Schwimmen dienenden Seitenborſten, den mit haa-
rigen Palpen verſehenen abwärts gerichteten Kopf. Die Puppe hängt mit
den beiden im Nacken angebrachten Athemröhren an der Waſſerfläche. Fig. 741.
Larve einer in Schwämmen lebenden Tipulide (Macrocera). Der Kopf trägt
zwei Fühlhörner; die Athemlöcher und die Tracheenſtämme ſind beſonders her-
vorgehoben. Fig. 741. Puppe derſelben Larve von der Seite mit beſonders
deutlichem Auge und Flügelſcheide. Hinten hängt noch der leere Kopf der
Larve. Fig. 742. Käſemade (Larve von Piophila) im Augenblicke, wo ſie mit
den beiden hornigen Hakenkiefern das Hinterende packt und ſich kreisförmig
krümmt, um ſich fortzuſchnellen. Fig. 743. Larve von Stratiomys, in natür-
licher (verkehrter) Stellung im Waſſer, die lange hintere Athemröhre nach oben
gekehrt. Fig. 744. Puppe deſſelben Thieres, um zu zeigen wie die eigentliche
Puppe im Inneren der als Cocon dienenden Larvenhaut liegt. a bezeichnet
überall das Kopfende.


[601]

Die Larven der Zweiflügler ſind alle fußlos, höchſtens mit
Wärzchen an deren Stelle verſehen und nach zwei verſchiedenen Typen
geſtaltet. Die Einen haben einen weichen häutigen Kopf, der mit
kurzen Saugorganen verſehen iſt — hierhin gehören die meiſten para-
ſitiſchen oder in faulenden Stoffen lebenden Larven. Einige in Erde
oder ſolchen Materien lebenden Larven haben indeß ſchon einen hor-
nigen Kopf, womit außerdem alle im Waſſer lebenden Larven verſe-
hen ſind. Dieſe haben dann oft noch deutliche hornige, zum Beißen
geeignete Kiefer mit Palpen, ſeitliche gefranzte Anhänge die zugleich
als Floſſen und als Tracheenkiemen fungiren und meiſt neben dem
Schwanze eine mehr oder minder lange, mit einem Borſtenſterne ver-
ſehene Athemröhre, durch die ſie die Luft einziehen. Sie hängen ſich
zu dieſem Endzwecke verkehrt in das Waſſer, indem ſie den Borſten-
ſtern an der Oberfläche ausbreiten.


Alle Zweiflüglerlarven verwandeln ſich in eine ruhende Puppe
und zwar dient den meiſten die eigene Larvenhaut als äußere Puppen-
ſchale. Dieſe Haut verhärtet ſich zu einer ovalen Hülſe, in welcher
das vollkommene Inſekt ſich ausbildet und endlich nach Sprengung
der Hülſe hervorgeht. Bei andern aber, namentlich bei den im Waſſer
lebenden Schnakenlarven, wird die Larvenhaut abgeſtreift, und eine
oft ſehr in ihrer Geſtalt von der Larve abweichende Puppe erſcheint,
die nicht wie die Larve, durch eine Afterröhre, ſondern durch zwei kurze,
an der Bruſt angebrachte Röhren athmet.


Wir theilen die Zweiflügler nach der Organiſation ihrer Fühl-
hörner, des Rüſſels und ihrer Lebensweiſe in mehre Unterordnungen
und Familien ab, deren vollſtändige Aufzählung bei der ungeheuren
Anzahl der Gattungen uns weit über die Gränzen dieſes Werkes
hinausführen würde.


Die Unterordnung der hüpfenden Dipteren (Aphaniptera)
umfaßt nur die einzige Familie der Flöhe (Pulicida.) Der Kopf die-
ſer Thiere iſt ſehr klein, vorgebeugt und nur mit einfachen ſeitlichen

Figure 548. Fig. 745.

Pulex irritans.
Der Menſchenfloh.


Augen, nicht aber mit zuſammengeſetzten verſe-
hen. Die Ringe der Bruſt ſind deutlich ge-
trennt, aber in ihrer Geſtalt ſehr wenig von
denen des Hinterleibs geſchieden, der linſenför-
mig, hoch und von der Seite her zuſammen-
gedrückt iſt. Die Körperbedeckungen ſind feſt,
hornig. Neben an dem Kopfe ſtehen zwei kurze,
kolbige dreigliedrige Fühler, in einer Rinne
[602] hinter den Augen verſteckt, meiſt zurückgeklappt. Der Rüſſel zeigt eini-
ges Abweichende von den übrigen Zweiflüglern; er liegt ſenkrecht
unter der vorſtehenden Kopfplatte und beſteht aus einer zweiklappigen,
gegliederten Scheide (Unterlippe) mit fünfgliedrigen Taſtern, aus einer
mittleren Hornſpitze, der Zunge, und zwei ſeitlichen, dieſe umfaſſenden
Spitzen, den Kinnbacken, welche mit der Zunge zuſammen den Stachel
bilden. Zur Seite finden ſich noch zwei gegliederte Palpen, die den
Kinnladen angehören. Die Beine ſind lang, die Schenkel dick und
beſonders die Hinterbeine zum Springen tüchtig. Alle Flöhe ſind
Schmarotzer, aber nur die Weibchen ſtechen und ſaugen Blut. Die
Larven finden ſich in modernden, fauligen Stoffen, in den Ritzen der
Dielen etc., ſind madenartig, fußlos, ſpringen indem ſie ſich im Kreiſe
biegen und haben einen hornigen Kopf. Nach zwölf Tagen ſpinnen
ſie ſich einen kleinen Cocon aus Seide, woraus ſie nach etwa zwölf
Tagen wieder als vollkommene Inſekten hervorgehen.


Die Flöhe der Hunde, Katzen etc. ſind ſpecifiſch verſchieden von
denen des Menſchen, ebenſo der Sandfloh (Chique), deſſen Weibchen
ſich in heißen Gegenden unter die Nägel der Zehen eingräbt und dort
ſeine Brut abſetzt, die vorher den Hinterleib ungeheuer auftreibt.


Die Unterordnung der Puppengebärer (Pupipara) umfaßt
eine kleine Anzahl merkwürdiger paraſitiſcher Inſekten, die beſonders
auf Vögeln und Säugethieren leben und zum Theil ungeflügelt, zum
Theil aber auch geflügelt ſind. Statt der zu einer Rüſſelſcheide um-
gewandelten Unterlippe haben dieſe Inſekten zwei ſeitliche Hornklappen,
die wahrſcheinlich umgewandelte Palpen ſind. Zwiſchen dieſen Klappen
liegen auf einem kleinen Vorſprung zwei ſtarke ſchuppige Hornborſten,
die zum Stechen dienen. Die Fühler ſind ſehr verſchieden geſtaltet,
bald in Form eines Knötchens, bald wie eine haarige Platte; ſie ſtehen
meiſt mit dem Rüſſel auf einem deutlichen Vorſprung des Kopfes,
hinter dem die Augen einen markirten Abſatz bilden. Die Füße ſind
lang, ſtark, mit großen Krallen am Ende verſehen, womit ſich die
Thiere in den Haaren und Federn ihrer Wohnunggeber feſthaken.
Einige haben Flügel und Schwingkolben, andere ſind durchaus flügel-
los. Der Hinterleib zeigt keine deutlichen Ringel, ſondern nur eine
weiche ſehr dehnbare Haut.


Die Art und Weiſe der Fortpflanzung dieſer Thiere iſt ſehr merk-
würdig. Die Eierſtöcke ſind ſehr kurz und mit wenigen Eiröhren
verſehen; die Eier ſelbſt kommen nach der Befruchtung in den unte-
ren, beutelartig ausgedehnten Theil der Scheide, wo ſich die Embryo-
[603] nen ausbilden und ausſchlüpfen. Die Mutter behält die Larven in
demſelben Sacke, wo ſie durch das Sekret einer eigenen Drüſe ernährt
werden und ſich endlich verpuppen. Die Puppen, wenn ſie geboren
werden, haben beinahe die Größe des Hinterleibs der Mutter, ſind
anfangs weich und bläulich, erhärten dann und ſpringen endlich, beim
Ausſchlüpfen der Fliege, mit einem Deckel auf.


Wir unterſcheiden zwei Familien. Die Fledermausläuſe (Nycte-
ribida
) ſind vollkommen flügellos. Kopf ſehr klein, vertikal geſtellt,

Figure 549. Fig. 746.

Nycteribia Westwoodi.


Bruſt und Bauch zu einer Maſſe verſchmolzen; Fühler fehlen oder
ſind nur in Form kleiner Knötchen vorhanden. Die Beine ſehr lang,
haarig. Die Thiere gleichen kleinen Spinnen, haben aber nur ſechs
Beine und leben auf Fledermäuſen. Nycteribia.


Die Hautläuſe (Hippoboscida), haben einen breiten, platten Kör-

Figure 550. Fig. 747.

Grüne Vogellausfliege
(Ornithomyia viridis).


per, mittelmäßig großen Kopf, deutlich getrennt
von der Bruſt, die wieder vom ungeringelten
Hinterleibe abgeſetzt iſt; längliche, zuſammen-
geſetzte Augen; dicke kurze Füße, das fünfte
Tarſalglied ſehr lang; zwei gezähnelte Krallen
[604]

Figure 551. Fig. 748.

Schaflaus.
(Melophagus ovinus).


am Endgliede. Einige (Hippoboscus) haben
Flügel; anderen (Melophagus) fehlen ſie gänz-
lich. Die Geflügelten fliegen ſchlecht und we-
nig. Hippoboscus (auf Pferden); Ornithomyia;
Olfersia; Ornithobia; Anapera; Stenopteryx

(alle auf Vögeln); Leptotena (auf Hirſchen);
Melophagus (auf Schafen).


Die dritte Unterordnung, bei Weitem die zahlreichſte an Fami-
lien, Gattungen und Arten iſt die der Kurzhörner (Brachycera)
der eigentlichen Fliegen. Der Körper dieſer Thiere iſt meiſt breit,
ſelten länglich; der Kopf halbkugelförmig oder queroval, von der

Figure 552. Fig. 749.

Kopf einer Schweb-
fliege (Syrphus.)
a Fühlhorn. tr Rüſſel.
t Scheitel.


Breite der Bruſt; der Hinterleib breiter; der
Rüſſel iſt bald kurz, dick, fleiſchig, in welchem
Falle er meiſt ganz in eine Vertiefung am Vor-
derkopfe zurückgezogen werden kann, bald lang,
vorſtehend dünn, lederartig. Das weſentlichſte
Kennzeichen beſteht in den Fühlern, die höch-
ſtens aus drei Gliedern beſtehen, von welchen
zwei klein und ſtielartig, das dritte dick, knopfartig iſt. Auf dieſem
dritten ſteht eine Geißel oder Borſte (stylus). Die Fühler können
meiſt in eine Rinne am Kopfe eingelegt werden. Flügel fehlen nur
in einigen Ausnahmefällen, ſonſt ſind ſie ſtets vorhanden.


Familie der Daſſelfliegen (Oestrida). Körper dicht behaart.

Figure 553. Fig. 750. Fig. 751.

Daſſelfliege des Pferdes (Oestrus
equi
.) Daneben die Larve.


Der Rüſſel fehlt meiſt ganz, ſo daß die ausge-
bildeten Thiere keine Nahrung zu ſich nehmen
können oder iſt nur ſehr klein und der Mund-
ſpalt dann ſehr eng. Palpen undeutlich. Füh-
ler ſehr kurz in einer Rinne des Kopfes gele-
gen; drittes Glied kuglich, die dicke, kahle Borſte
auf ſeinem Rücken eingefügt. Deckſchuppen der
Schwingkolben meiſt ſehr groß. Flügel ausge-
breitet, in der Ruhe vom Leibe abſtehend.


Die ausgebildeten Inſekten leben nur ſehr kurze Zeit, fliegen
raſch und ſchnell mit ſcharfem, aber leiſem Summen und legen ihre Eier
an verſchiedene Stellen auf die Haut grasfreſſender Säugethiere. Die
Larven, welche aus dieſen Eiern hervorgehen, ſind eiförmig, ihr Mund
meiſt mit Wärzchen oder auch mit zwei harten, gebogenen Haken ver-
[605] ſehen. Auf dem Leibe ſtehen Querreihen kurzer Stacheln, die nach
hinten gerichtet ſind. Die beiden Luftlöcher ſind am Hinterende der
Larven angebracht. Einiger dieſer Larven bohren ſich in die Haut
der Thiere und eine Art in Südamerika auch in die der Menſchen
ein und verurſachen dort große Eiterbeulen, in welchen ſie mit dem
Vorderende nach innen ſtecken, während das Hinterende gegen die
Oeffnung des Eiterſackes (Daſſelbeule) zum Luftſchöpfen gerichtet iſt.
Dieſe Daſſelbeulen werden oft in heißen Ländern ſo zahlreich, daß die
Häute faſt werthlos werden. Unter den Landleuten herſcht der irrige
Glaube, daß die Larven dieſer Daſſelbeulen ſich in die Viehbremſe
(Tabanus) verwandeln. Zur Zeit der Verpuppung kriechen die Lar-
ven aus der Eiterbeule heraus und laſſen ſich zur Erde fallen. Ihre
äußere Haut bildet die Schale der Puppe (Cuterebra; Hypoderma;
Oedemagus
auf Haſen, Ochſen, Rennthieren.) Andere Larven leben
in den Stirnhöhlen der Schafe und Hirſcharten — die Mutter legt
die Eier an den Eingang der Naſenhöhlen, von welchen aus die Lar-
ven hinaufkriechen (Cephenemyia; Cephalemyia); noch andere endlich
legen ihre Eier auf die Schultern der Pferde, wo die Thiere ſie ab-
lecken, hinabſchlucken, die Larven ſich im Magen oder Darm mit ihren
Hornhaken feſtſetzen, zur Zeit der Verpuppung loslaſſen und mit dem
Kothe abgehen, um ſich im Dünger zu entwickeln. (Oestrus.)


Ueberaus zahlreich iſt die Familie der Fliegen (Muscida), welche
etwa zweihundert Gattungen zählt, die eine ſolche Menge von Ueber-
gängen in den einzelnen Charakteren zeigen, daß ſich kaum andere,
als die von den Kurzhörnern überhaupt angegebenen Merkmale an-
geben laſſen. Man hat drei Unterfamilien, beſonders nach der Be-
ſchaffenheit der Deckſchuppen und der Schwingkolben angenommen.


Dungfliegen, Acalyptera. Deckſchuppen fehlen ganz oder ſind

Figure 554. Fig. 752.

Dungfliege (Scato-
phaga stercoraria
.)


nur rudimentär. Die Stirn iſt bei beiden Ge-
ſchlechtern breit, die Fühlerborſte deutlich aus
einem oder zwei Gliedern gebildet. Der Kör-
per iſt länglich, der Kopf halbkugelig, die Flü-
gel ſchwächer als bei den übrigen Fliegen. Man
findet die ausgebildeten Inſekten meiſt in ſchat-
tigen Gehölzen, im Raſen und auf Waſſerpflanzen. Ihr Flug iſt lang-
[606]

Figure 555. Fig. 753.

Brillenfliege (Diopsis ichne umonides)


ſam, ſchwach. Die Larven
ſind wurmartig, mit häutigem
veränderlichem Kopfe und leben
theils in Moder und verwe-
ſenden Stoffen, theils auch in
Pflanzen, wo ſie zuweilen Gall-
äpfel und ähnliche Auswüchſe
hervorbringen. Die Brillen-
fliegen (Diopsis), Dungfliegen (Scatophaga), die Fettfliegen (Piophila),
deren Larven in Pöckelfleiſch, im Käſe (die bekannten Käſemaden) leben,
und durch Zuſammenringelung ihres Körpers und nachheriges Los-
ſchnellen ſpringen, gehören hierher. Ortalis; Sepsis; Loxocera; Teta-
nocera; Dichanta; Borborus etc.


BlumenfliegenAnthomycida. Deckſchuppen klein, die Schwin-
ger nicht bedeckend. Fühler zurückgelegt, drittes Glied länglich. Augen

Figure 556. Fig. 754.

Blumenfliege (Anthomyia.)


auf der Stirn nahe gerückt, berühren ſich meiſt
beim Männchen. Körper länglich, Kopf halb-
kugelich; Flug langſam. Die meiſten leben in
Gebüſchen an hellen Tagen auf Blumen und
Waſſerpflanzen — die Männchen bilden große
Schwärme in der Luft — die Larven haben
meiſt zwei Mundhaken und leben in allen Arten
pflanzlicher, beſonders verweſender Stoffe. Einige Larven bohren ſich
Gänge im Gewebe der Blätter von Kräutern. Aricia; Anthomyia;
Tegomyia; Hydrophoria
.


Die Fleiſchfliegen (Calyptera oder Creophila) haben meiſt
einen gedrungenen Körperbau, rundlichen Hinterleib, breite Bruſt,
queren Kopf und große Deckſchuppen, welche die Schwingkolben gänzlich
überragen. Die Fliegen haben einen raſchen und anhaltenden Flug,
halten ſich meiſt auf Blumen oder auf verweſenden Stoffen und in
Häuſern auf. Die Larven leben im Kothe, in Aas und verweſendem
Fleiſche (Schmeißfliege, Sarcophaga) oder auch paraſitiſch in Raupen
von Schmetterlingen und in anderen Inſekten, beſonders ſolchen, welche
von Grabwespen und anderen Hymenopteren zur Proviantirung ihrer
Brut benutzt werden. (Schnellfliege, Tachina). Im letzteren Falle
legen die Mutterfliegen die Eier auf die Raupen etc. in demſelben Au-
genblicke wo die Mutter Grabwespe ihre Beute in das Loch zieht,
worin ſie auch ihr Ei legt. Die eben ausgeſchlüpften Würmchen boh-
ren ſich ins Innere ein, wo ſie ſich beſonders vom Fettkörper nähren
[607] und ſo den Grabwespenlarven ihre Proviſion vorweg nehmen, ſo daß
dieſe zuweilen vor Hunger umkommen. Die Fliegenmaden ſelbſt ver-
puppen ſich zu kleinen Tönnchen und die Fliegen brechen oft erſt aus
der Puppe ſtatt eines Schmetterlings hervor. Eine große Raupe kann
bis Hundert ſolcher Schmarotzer nähren. Einige dieſer Fliegen ge-
bären lebendige Larven. Dezia; Musca; Ocyptera; Gymnosoma; Thasia;
Sarcophaga; Tachina; Stomoxys; Siphona
.


Familie der Augenfliegen (Conopida). Alle Fliegen dieſer Fa-
milie haben lange, mächtige Flügel, die in der Ruhe auf dem Hinter-

Figure 557. Fig. 755.

Dickkorffliege (Conops.)


leib aufliegen und denſelben weit
überragen. Der Kopf iſt ſehr breit,
oft blaſig aufgetrieben oder ſelbſt
kugelrund, die Augen groß; der Hin-
terleib länglich, aus 6 bis 8 Rin-
gen zuſammengeſetzt. Die Schwin-
ger ſind unbedeckt, die Schuppen
rudimentär oder fehlen ganz. Man
hat mehrere Gruppen unterſchieden:
die Dickkopffliegen (Conopsida) mit vorgeſtrecktem ſtarrem, geknie-
tem Rüſſel, winkligen Fühlern, dickem aufgeblaſenem Kopfe. Ihre
Larven leben paraſitiſch in den Hummeln, ſind aber noch wenig unter-
ſucht und die aller übrigen Augenfliegen gänzlich unbekannt. Conops;
Myrpa; Zodion
. — Die Großaugen (Tipunculida) mit kugelrundem
faſt nur aus Augen beſtehenden, fadenförmigen Hinterleibe und ver-
borgenem Rüſſel; die Scenopiden, mit flachen, achtringelichem Hinter-
leibe, in der Ruhe einander ganz deckenden Flügeln und walzenförmi-
gem Endgliede der Fühler; Scenopinus; die Lonchopteriden, mit kuglichem
Endgliede; die Platypeziden, mit langen Füßen, vorgeſtreckten Fühlern,
mit langer, kahler Endborſte und ſpitzem Hinterleibe. Platypeza;
Callomyia
.


Die Familie der Kurzrüſſler (Brachystoma) begreift eine Anzahl
von Gattungen, bei welchen die Rüſſelſcheide kurzhäutig, mit dickem
Rüſſelkopfe verſehen iſt, welcher deutlich in zwei Lippen geſpalten iſt.
Der Sauger beſteht aus vier ſtarken Hornborſten, nicht wie bei den
vorigen Familien nur aus zwei. Die Fühler haben drei Glieder, das
dritte Glied iſt einfach, meiſt in Form einer Scheibe oder kegelförmig;
die Borſte ſteht auf ſeiner oberen Fläche. Der Hinterleib aus fünf
Ringen zuſammengeſetzt, koniſch oder auch abgeplattet. Es ſind mei-
ſtens große ſtarke Fliegen, von welchen viele von Honig, einige aber
[608] auch vom Raube leben. Die Larven ſind verſchieden, bald mit wei-
chem, bald mit hornigem Kopf — einige leben in Mulm und Moder,
andere vom Raube. Man unterſcheidet einige Unterfamilien.


Dolichopida. Glänzende Fliegen mit metalliſch grünen oder blauen
Farben, langem beim Männchen nach unten eingeklapptem Hinterleibe,
und blättrigen Anſätzen, die zur Begattung dienen, dickem Kopfe und
vorſtehenden Augen, die beim Männchen faſt zuſammenſtoßen. Rüſſel
vorſtehend, Palpen mit breitem häutigem Endgliede, das die Rüſſel-
wurzel deckt. Die Füße ſind ſehr lang, dünn; die drei Fühlerglieder
deutlich, lang, die Borſte ſehr verlängert, meiſt einfach. Lebhafte Flie-
gen auf Blumen und Blättern im Sonnenſcheine; ſaugen Honig oder
kleine Inſekten, die ſie anbohren. Die Larven leben in der Erde, ha-
ben einen weichen Kopf mit knopfartigen Wärzchen und in der Mitte
eine harte Spitze, die vielleicht als Saugſtachel dient. Am Hintertheile
ſitzen zwei krumme Haken. Dolichopus; Rhaphium; Corphyrops; Psi-
lopus; Chrysotus; Sybistroma
.


SchwebfliegenSyrphida. Große, lebhafte, meiſt dickleibige
Fliegen, oft mit ſchönen, metalliſchen Farben geziert. Stirn vorſtehend;

Figure 558. Fig. 756.

Hummelfliege
(Volucella bombyleus.)


Oberlippe breit, gewölbt, ausgerandet. Rüſſel
zurückgezogen. Drei Punktaugen. Leben auf
Blumen; die einzelnen Gattungen erſcheinen,
wenn dieſe blühen. Man findet ſie meiſt ein-
ſam ſchwärmend, abſatzweiſe vorſchießend und
dann lange an demſelben Platze ſchwebend.
Ihre Larven, die einen weichen häutigen Kopf
haben, leben meiſt in der Erde, im Miſte, im Mulm oder in Zwie-
belgewächſen (Merodon). Andere Larven, obgleich blind und fußlos,
ſaugen die Blattläuſe aus, nachdem die Eier in deren Neſter gelegt
wurden (Syrphus), und ſind zu dieſem Endzwecke mit einem dreiſpitzi-
gen Stachel verſehen; andere (Volucella) leben in Neſtern der Hor-
niſſen, Wespen und Hummeln und ſaugen deren Larven aus; noch
andere endlich in flüſſigem Kothe und ſchmutzigem Waſſer (Cristalis)
und ſind mit einem langen perſpectivartigen Athemrohre am Hinter-
leibe verſehen, während zu beiden Seiten des Leibes häutige Haken-
fortſätze ſich finden, die zur Bewegung dienen. Syrphus; Volucella;
Merodon; Psarus; Cristalis; Helophilus; Milesia; Cheilosia
.


Die Stilettfliegen (Therevida) mit vorgeſtreckten Fühlern, die
am Grunde genähert ſind, zurückgezogenem Rüſſel, keulenförmigen ver-
borgenen Palpen, kegelförmigem Hinterleibe aus 7 Ringen, drei Punkt-
[609] augen, grauen oder ſchwärzlichen Farben. Sie leben in Schwärmen
auf Blumen, oder vom Raube kleinerer Inſekten; die Larven haben
einen hornigen kleinen Kopf und langen Leib mit 20 Ringeln und
leben im Mulm. Thereva; Chiromyza.


Die Schnepfenfliegen (Leptida). Rüſſel vorſtehend, Rüſſel-
kopf verlängert; Fühler tief am Grunde des Kopfes eingelenkt; die
beiden Hinterfußpaare mit Stacheln an den Schienen; das Endglied
des Tarſus mit drei Fußballen verſehen. Flügel abſtehend; Hinterleib
lang zugeſpitzt. Die ausgebildeten Inſekten nehmen nur ſelten Nah-
rung zu ſich, die aus Blumenſaft oder kleinen Inſekten beſteht;
ſie ſitzen meiſt ruhig in der Sonne mit ſenkrecht aufgerichtetem Hinter-
leibe. Die Larven leben in der Erde; eine im ſüdlichen Europa
vorkommende Gattung (Vermileo) macht ſich im Sande einen Trichter,
in dem ſie hineinfallende kleine Inſekten fängt. Ihr Körper iſt ſehr
lang, wurmartig; der Kopf hornig, kegelförmig. Leptis; Vermileo;
Atherix; Clinocera
.


Die Familie der Dornrücken (Notacantha) hat einen kurzen, zu-
rückgezogenen Rüſſel mit dickem, getheiltem Endknopfe und meiſt drei-
gliederigen Palpen, deren Endglied oft kugelförmig iſt. Die Fühler
ſind dreigliedrig, ihr Endglied geringelt, die Borſte fehlt oft gänz-
lich. Das Halsſchild hat meiſt Spitzen, die nach hinten gerichtet ſind;
der rundliche Hinterleib beſteht aus fünf deutlichen Ringeln. Drei
Fußballen am Endgliede der Tarſen. Man unterſcheidet beſonders
zwei Gruppen die Holzfliegen (Xylophaga) mit langem Hinterleib:
aus ſieben Ringeln, achtringeligem Endgliede der Fühler, eingezogenem
Rüſſel, aufliegenden Flügeln, in Wäldern und auf Baumſtämmen;
die hornkopfigen Larven im Mulm — und die Waffenfliegen

Figure 559. Fig. 757.

Grüne Waffenfliege (Stratiomys
cameleo
).


(Stratiomyda) mit breitem Körper, dreigliede-
rigen abſtehenden Fühlern, deren Endglied
fünfringelig und mit einer Borſte verſehen iſt.
Die Augen haben oben größere Facetten, als
unten. Sie haben zuweilen lebhafte Metall-
farben, ſchwärmen auf Blumen; die Larven
beſitzen einen hornigen Kopf, verwandeln ſich
in ihrer Larvenhaut und leben entweder im
Mulm oder im Waſſer und haben im letzteren Falle eine mit einem
Borſtenkranz umgebene Athemröhre. Stratiomys; Oxycera; Platyra;
Cyclogaster; Pachygaster; Sargus; Clitellaria; Nemotelus
.


Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 39
[610]
Figure 560. Fig. 758.

Nemestrina longirostris.


Die Familie der Langrüſſler (Ta-
nystoma
) begreift eine große Anzahl
meiſt kräftiger Fliegen, die alle einen
langen, oft dünnen, lederartigen, vor-
ſtehenden Rüſſel haben, deſſen Knopf
und Endlippen meiſt wenig ausgeprägt
ſind. Das dritte Glied der Fühler iſt
einfach, die Borſte an ſeinem Ende ein-
gefügt, doch fehlt ſie zuweilen. Der Kopf
iſt halbkugelig, ſo breit wie die Bruſt,
nur bei einigen Gattungen ſehr klein;
der Hinterleib breit, ſelten länglich. Es
ſind meiſt ſtarke Fliegen von räuberiſchen
Gewohnheiten — ihre Larven ſind nur
wenig bekannt, aber die beobachteten
hatten alle einen hornigen Kopf mit
deutlichen kauenden Mundwerkzeugen und
lebten in der Erde.


Man unterſcheidet viele Gruppen.


Trauerfliegen (Anthracida). Kopf vorn rund; Rüſſel kurz,

Figure 561. Fig. 759.

Gelber Trauerſchweber (Anthrax
flavus
).


meiſt verborgen, nach vorn gerichtet;
Endlippen des Knopfes deutlich; Palpen
eingliedrig, an der Baſis des Rüſſels.
Augen getrennt. Bruſt eben; Füße dünn,
Fußballen rudimentär. Flügel ſehr groß,
ſeitlich ausgebreitet. Meiſt ſchwarz mit
weißen Linien und Binden. Sie ſchwe-
ben langſam in Gebüſchen und auf Blu-
men. Ihre Larven ſind unbekannt. An-
thrax; Lomatia; Mulio
.


Schwebfliegen (Bombylida). Kopf kleiner als die Bruſt. —
Rüſſel dünn, lang, nach vorn gerichtet; Oberlippe ſehr lang.
[611]

Figure 562. Fig. 760.

Gefleckter Wollſchweber (Bombylus pictus).


Palpen eingliedrig, Fühler lang,
nahe bei einander; Borſte kurz oder

Figure 563. Fig. 761.

Gabelfliege (Usia furcata).


fehlend. Bruſt buckelig. Füße dünn; Flügel lang ausgebreitet. Meiſt
ſehr behaarte Fliegen, die äußerſt ſchnell mit tiefem Summen fort-
ſchießen und über Blumen ſchwebend Honig ſaugen. Bombylus; Usia;
Ploas; Phthiria; Nemestrina; Xestomyza
.


Mundhornfliegen (Acrocerida). Kopf ſehr klein, unter der
buckeligen Bruſt verborgen, faſt nur von den Augen gebildet. Fühler
ſehr klein oben auf der Stirn; Borſte fehlend. Der Rüſſel und die
Mundöffnung fehlen oft gänzlich. Flügel in der Ruhe dachförmig
zuſammengelegt. Hinterleib ſehr dick, durchſichtig, gewölbt, fünfglie-
derig. Sie leben auf Blumen, fliegen ſchlecht. Panops; Henops;
Acrocera
.


Tanzfliegen (Empida). Kopf klein, kugelig. Rüſſel dünn,
lang, gerade nach unten gerichtet. Palpen zweigliedrig. Fühler drei-
gliedrig, das erſte Glied ſehr undeutlich. Bruſt hoch, gewölbt; Hin-
terleib ſtets dünn, lang, ſchmäler als die Bruſt. Füße lang, dünn.
Sie ſchweben und tanzen Abends in ungeheuren Schwärmen über
Hecken und Gebüſchen, leben von Blumenſaft und dem Raube kleinerer
Inſekten und meiſt gelingt dem Männchen die Begattung nur, wäh-
rend das Weibchen mit dem Ausſaugen ſeines Raubes beſchäftigt iſt,
den es im Fluge oder im Laufe fängt. Die Larven ſind unbekannt.
Empis; Hilara; Rhamphomyia; Tachydromia; Hemerodromia; Drapetes.


Buckelfliegen (Hybotida). Kopf klein, gerade vorgeſtreckt,
kugelig. Bruſt ſehr hoch gewölbt, faſt kugelig. Leib lang, geſtreckt;
Rüſſel kurz, horizontal. Fühler kurz, erſtes Glied rudimentär.
Schwinger unbedeckt. Füße ſehr lang, Schenkel oft verdickt, ſtachelig.
Fliegen ſchnell und jagen andere Inſekten. Hybos; Oedalea; Ocy-
dromia
.


39*
[612]

Raubfliegen (Asilida). Kopf groß, Stirn eingedrückt, Augen
ſeitlich ſehr vorragend. Rüſſel kurz, wagerecht, Endlippen des Rüſ-
ſelknopfes vorſpringend; Lippe kurz; Fühler kurz, abſtehend; Borſte
oft fehlend. Das Geſicht ſehr haarig, Knebelbart ſtark. Hinterleib
cylindriſch oder rundlich. Schwinger unbedeckt. Schienen und Tar-
ſen ſtachelig. Flügel groß, ſtark. Kühne Räuber, die an trockenen,
ſonnigen Orten ſelbſt weit größere Inſekten überfallen, anſtechen und
ausſaugen. Die Larven leben in der Erde, haben einen hornigen
Kopf und ſtarke, gekrümmte Kinnbacken. Asilus; Dasypogon; La-
phria; Dioctria; Rhopalogaster; Megapus
.


Mordfliegen (Mydasida), die Raubfliegen ſüdlicher Zonen.
Die größten und ſtärkſten Fliegen mit ſtarkem, kurzem Rüſſel, ſtarkem
Knebelbart, eingedrückter Stirn, vorſtehenden Augen, langen, fünfglie-
derigen Fühlhörnern, dadurch den Uebergang zu den Langhörnern
machend, ohne Nebenaugen, mit ſehr ſtarken ſtacheligen Hinterbeinen.
Leben nur vom Raube anderer Inſekten, aber in ſüdlichen Gegenden.
Mydas; Cephalocera.


Die Familie der Bremſen (Tabanida) unterſcheidet ſich von allen

Figure 564. Fig. 762.

Ochſenbremſe (Tabanus bovinus).


übrigen Kurzhörnern durch die Or-
ganiſation ihres Rüſſels, der ganz
demjenigen der Schnaken analog
gebaut iſt. Der ganze Körper iſt
breit, platt, ſtark; der Kopf breit,
zuſammengedrückt; die Augen groß,
meiſt grünlich ſchillernd; der Rüſſel
vorſtehend, kurz, dick; die Mittel-
ſchienen mit zwei Spitzen, die Tarſen mit drei Fußballen verſehen.
Das dritte Fühlerglied iſt lang, cylindriſch, 4 — 8 gliederig; Flügel
ſtark, dachförmig. Sie ſtechen ſehr empfindlich, ſaugen das Blut der
Säugethiere, fliegen außerordentlich ſchnell und lang, ohne zu ermü-
den und haben ein leiſes, ſcharfes Summen. Die Männchen lauern
in ſonnigen Waldwegen und Schneiſen auf die Weibchen, indem ſie
eine Zeit lang ſchweben, dann plötzlich an das andere Ende des Weges
ſchießen und dort wieder ſchwebend lauern. Sie ſtürzen ſich im Fluge
auf die Weibchen, packen ſie und erheben ſich dann hoch in die Luft.
Die Larven leben in der Erde, haben einen hornigen, mit hakigen
Kiefern bewaffneten Kopf. Die Puppen ſind haarig. Tabanus; Pan-
gonia; Chrysops; Haematopota; Hexatoma; Silvius
.


[613]

Die vierte und letzte Unterordnung der Zweiflügler iſt diejenige
der Langhörner (Nemocera). Der Körper dieſer Thiere iſt
dünn, langgeſtreckt; der Kopf klein, die Bruſt meiſt kurz, aber hoch-
gewölbt. Der Rüſſel iſt bald kurz, bald lang. Die Palpen lang,
wenigſtens fünfgliederig, oft federbuſchartig. Die Fühler lang, dünn,
fadenförmig, wenigſtens aus ſechs Gliedern zuſammengeſetzt, oft bu-
ſchig oder gefiedert. Die Füße ſind lang, dünn; die Flügel meiſt lang
und ſchmal.


Wir unterſcheiden zwei Familien:


Figure 565. Fig. 763.

Mondſchnake (Tipula lunata).


Die Mücken (Tipulida) haben
einen kurzen, dicken, vorſtehenden
Rüſſel mit zwei deutlichen Endlip-
pen und nur zwei Hornborſten
(Kinnbacken) im Inneren; die Ta-
ſter hängen oder ſind eingebogen
und haben fünf Glieder. Einige
ſtechen, die meiſten aber ſind völlig
wehrlos. Sie tanzen meiſt Abends
in ſo zahlloſen Schwärmen, daß
man ſie oft ſchon für Rauchſäulen
gehalten hat. Man hat mehrere
Gruppen unterſchieden.


Blumenmücken (Bibionida).
Fühler vorgeſtreckt, walzenförmig
an der Spitze zuweilen geknöpft.
Körper dick, fliegenartig. Palpen viergliederig. Fühler meiſt weniger als
zehn Glieder. Punktaugen gleich groß, drei. Langſame Mücken, auf
Blumen. Ihre Larven leben in der Erde oder im Miſt und haben
ſtarke ſeitliche Haarborſten, die ihnen zum Anſtemmen in ihren Gale-
rieen dienen. Stechen nicht. Bibio; Dilophus; Apistes; Rhyphus;
Icothopse
.


Griebelmücken, Mosquitos, (Simulida). Fühler vorſtehend,
an der Spitze dünner, eilfgliederig. Punktaugen fehlen. Rüſſel vor-
ſtehend. Flügel breit. Taſten beim Gehen beſtändig mit den Tarſen.
Stechen ſehr empfindlich; nähren ſich aber außerdem von ſüßen Pflan-
zenfäften. Sind beſonders in heißen Gegenden eine Plage für Men-
ſchen und Vieh, da ihr Stich leicht zu bösartigen Geſchwüren Ver-
anlaſſung giebt. Simulia.


[614]

Pilzmücken (Fungicola). Kopf rund, Rüſſel kaum vorſtehend.
Fühler fadenförmig, kurz gebogen, meiſt 16 gliederig. Augen getrennt,
rund oder halbmondförmig. Drei im Dreieck geſtellte Punktaugen,
zuweilen das mittlere rudimentär. Bruſt gewölbt; Hinterleib lang,
zuſammengedrückt, 7 gliederig. Füße kurz; Schenkel lang; Flügel
horizontal. In dumpfen, ſchattigen Wäldern, ſehr behende in ihren
Bewegungen. Die Larven in Schwämmen, mit hornigem Kopfe, Fühl-
hörnern, zuweilen mit fußähnlichen Warzen. Sie ſpinnen ſich einen
dünnen Cocon und verwandeln ſich im Schwamme ſelbſt. Bolitophilus;
Mycetophilus; Dixa; Sciophila; Mycetobia; Sciara
.


Gallmücken (Gallicola). Kopf kugelig, Rüſſel wenig vorſte-
hend. Fühlhörner lang, roſenkranzartig, mit Haaren in Wirteln,
12 — 24 gliederig. Augen nierenförmig — keine Punktaugen. Leib
8 ringelig, lang. Flügel plan oder dachförmig. Sie legen ihre Eier
auf die Knospen verſchiedener Gewächſe. Die Larven freſſen ſich in
die jungen Knospen ein, wodurch Gallen gebildet werden, in denen
ſie wohnen und ſich einpuppen. Lasioptera; Cecidomyia.


Erdmücken (Terricola). Kopf kugelig, vorn in eine kurze
Schnauze ausgezogen. Taſter gekrümmt, viergliederig. Fühler lang,
faden- oder borſtenförmig, mit wirtelſtändigen Haaren oder gekämmt,
13 — 16gliederig. Augen ganz oval. Keine Punktaugen. Bruſt mit
einer Bogennath, Mittelbruſt hochgewölbt, Füße lang, Schienen ge-
ſpornt. Schwärmen meiſt am Waſſer; die Larven leben in feuchter
Erde. Eine Gattung, Chionea, iſt flügellos und lebt im Norden auf
dem Schnee. Tipula; Limnophila; Limnobia; Trichocera; Ctenophora;
Erioptera; Ptychoptera
.


Buſchmücken (Tanypida). Fühler federbuſchig oder ſtark haa-
rig, lang, gekrümmt. Augen halbmondförmig; ohne Punktaugen. Flügel
ſehr ſchmal. Bruſt gewölbt mit drei Erhöhungen. Sie nähern ſich ſehr den
Schnaken in Form und Bildung; auch die Larven ſind den Schnakenlarven
ähnlich. Die Eier werden in ſtehende Waſſer gelegt. Die Larven
leben darin, haben einen hornigen Kopf, hakige Kiefer und meiſt ſeit-
liche Schwimmlappen. Einige bauen ſich eigene Gänge unter modern-
den Blättern, wo ſie in Geſellſchaft leben. Chironomus; Choretra;
Tanypus; Ceratopogon
.


[615]

Die Familie der Schnaken(Culicida) hat einen langen, dünnen,

Figure 566. Fig. 764.

Stechſchnake (Culex pipiens)
vergrößert.


geraden Rüſſel mit vier deutlichen
Borſten; fünfgliedrige Palpen, die
meiſt länger ſind als der Rüſſel,
14gliederige Fühler, lang, buſchig
bei den Männchen, borſtig bei den
Weibchen. Die Flügel ſind längs
den Adern mit haarförmigen Schup-

Figure 567. Fig. 765

Die Larve.
t Die Athemröhre.


pen beſetzt. Nur
die Weibchen ſte-
chen. Die Larven
leben im Waſſer,
haben einen hor-
nigen Kopf mit
zwei gefiederten
Kinnbacken, die
einen ſteten Stru-
del unterhalten
und eine lange
Athemröhre, die
ſchief vom Leibes-
ende abſteht und einen Borſtenſtern hat. Die Puppe iſt kurz gedrun-
gen und athmet mit zwei an der Bruſt liegenden kurzen Röhren.
Culex; Anophales.


Unter den foſſilen Zweiflüglern treten zuerſt die Langhörner auf
und behalten auch in den jüngſten Formationen ein bedeutendes nu-
meriſches Uebergewicht über die Kurzhörner — ein Verhältniß, das
jetzt gerade umgekehrt iſt, ſich aber leicht erklärt, wenn man bedenkt,
daß die Larven der Langhörner mehr in Sümpfen und ſtehenden Ge-
wäſſern, in faulenden Pilzen und Mulm und die erwachſenen Fliegen
in Wäldern nnd Büſchen leben, während die Larven der Kurzhörner
in der Erde und in Pflanzen, die Fliegen auf Blumen und Kräutern
leben. Die Bibioniden ſind von denjenigen Kurzhörnern, deren Lar-
ven in der Erde oder im Moder leben, noch die zahlreichſte Familie.
Auch finden ſich in der Tertiärzeit ſchon Raubfliegen (Asilida), nicht
aber ſolche Kurzhörner, die das Blut warmblütiger Thiere ſaugen.


[616]

Ordnung der Schmetterlinge (Lepidoptera).


Die ſchimmernden Farben, die Zierlichkeit der Form haben von
jeher die Schmetterlinge zu Lieblingen des ſammelnden Publikums
gemacht, während auf der anderen Seite nirgends der Dilettantis-
mus der Sammler ſchlechtere Früchte getragen hat, als gerade bei
dieſer Ordnung.


Der Kopf der Schmetterlinge iſt meiſt ſehr klein, und in den
häufigſten Fällen ſo in das Bruſtſchild eingeſenkt, daß nur die großen,
gewölbten Augen mit den Taſtern und Fühlern hervorragen.


Die Fühler ſind gewöhnlich verhältnißmäßig kurz, ſehr ſelten
länger als der Körper und von wechſelnder Geſtalt, am häufigſten
borſtenförmig oder gegen das Ende hin knopfförmig verdickt, zuweilen
bei Nachtſchmetterlingen und namentlich bei Männchen kammförmig
oder gefiedert; ſie haben meiſt ſehr viele Glieder, die eng an einander
liegende Ringe bilden.


Die Augen ſind meiſt ſehr groß, vorſtehend, rund oder halb-

Figure 568. Fig. 766.

Der Kopf eines
Schmetterlings von der Seite
geſehen.
t Der Kopf. a Die Ba-
ſis des abgeſchnittenen Füh-
lers. b Der ſpiralig einge-
rollte Rüſſel. d Die Lippen-
taſter der linken Seite. o Das
Auge.


rund, mit außerordentlich vielen Facetten ver-
ſehen; die Nebenaugen fehlen meiſtens oder ſind
ſo unter den Haaren und Schuppen des Schei-
tels verdeckt, daß man ſie erſt nach Entblößung
deſſelben auffinden kann. Die Mundwerk-
zeuge
ſind einzig zum Saugen eingerichtet
und beſtehen hauptſächlich aus den beiden außer-
ordentlich verlängerten Kinnladen, welche die
Form einer Halbkehle haben, ſo daß ſie beim
Zuſammenlegen einen hohlen Kanal, einen
Rüſſel bilden, der gewöhnlich ſpiralig einge-
rollt, an der Unterfläche des Kopfes getragen
wird. Zuweilen erreicht dieſer Rüſſel eine un-
gemeine Länge, wie namentlich bei den Abend-
ſchwärmern, welche im Fluge tiefe Kelchblumen
auszuſaugen im Stande ſind; nur in wenigen Fällen fehlt er ganz,
und die vollkommnen Inſekten leben dann nur wenige Tage, einzig
mit der Fortpflanzung beſchäftigt. Die Oberlippe der Schmetterlinge
wird durch eine äußerſt kleine dreieckige oder rundliche Hautfalte re-
präſentirt, welche oben auf dem Urſprunge des Rüſſels aufliegt; —
[617] die Kiefer ſind zu zwei kleinen Höckerchen eingeſchrumpft, die über und
über behaart ſind. Zu beiden Seiten der röhrenförmigen Kinnladen
ſtehen zwei äußerſt kleine Ladentaſter, die gänzlich von den großen
behaarten Lippentaſtern bedeckt werden, welche meiſtens dreigliedrig,
ſelten nur zweigliedrig ſind, und den Rüſſel im aufgerollten Zuſtande
zwiſchen ſich nehmen; — die Unterlippe ſelbſt iſt nur ein ſehr
kurzer häutiger Vorſprung, an dem dieſe großen Lippentaſter einge-
fügt ſind.


Die Bruſt, welche faſt immer behaart iſt, läßt meiſt nur eine
ringförmige Vorderbruſt wahrnehmen, hinter welcher Mittel- und
Hinterbruſt zu einem Stücke verſchmolzen ſind. Zu beiden Seiten der
Vorderbruſt und an der Baſis der Vorderflügel eingelenkt liegen zwei
häutige Lappen der Rückſeite auf, welche man die Flügelſchuppen
(Pterygoda) genannt hat. Die Flügel ſelbſt ſind ſtets in der Vier-
zahl vorhanden, und im Verhältniß zum Körper bedeutend groß; ſie
ſind ſtets dicht mit mikroſkopiſchen Schuppen bedeckt, welche oft ſon-
derbare Formen haben, mit einer dünnen Wurzel in einer Vertiefung
der Flügelhaut ſtecken, dachziegelförmig übereinander liegen und öfters
durch erhabene Rippen das auffallende Licht ſo brechen, daß ein eigen-
thümlicher, je nach der Anſicht in andern Farben ſchillernder Glanz
entſteht. Nur bei wenigen Gattungen ſind die Flügel theilweiſe nackt
und durchſichtig, bei anderen zum Theile geſpalten und die Rippen
federartig mit Haaren beſetzt. Die Geſtalt der Flügel wechſelt außer-
ordentlich, und liefert ebenſo konſtante Kennzeichen für die Unterſchei-
dung der einzelnen Arten, als die Färbung und namentlich die Zeich-
nung, welcher zu Folge die Farben vertheilt ſind. Der Umriß der
Hinterflügel iſt ſehr verſchieden und beſonders bei vielen Tagſchmetter-
lingen in lange Zacken nach hinten ausgezogen. Die Adern der Flü-
gel ſind wenig zahlreich und bilden nur eine geringe Anzahl von
Zellen, deren Form und Größe für die Unterſcheidung der einzelnen
Gruppen oft von Wichtigkeit iſt. In der Ruhe werden die Flügel
ſehr verſchieden getragen. Die Tagſchmetterlinge ſchlagen ſie meiſt
ſenkrecht in die Höhe; die Nachtſchmetterlinge legen ſie dachförmig
über den Leib, ſo daß die Vorderflügel die hinteren decken, oder breiten
ſie ganz aus. Einige Spinner, ſogenannte Glucken, legen die oberen
Flügel in der Ruhe dachförmig, während ſie die unteren ausbreiten.
Bei manchen Motten und Spinnern ſind die Weibchen vollkommen
ungeflügelt, während die ſehr verſchieden geſtalteten Männchen Flügel
[618]

Figure 569. Fig. 767.

Die Eichenglucke (Bombyx quercifolia).


Figure 570. Fig. 768.

Ein Tagſchmetterling, Morphe
Helenor
, fitzend mit zuſammengeſchlagenen
Flügeln. Die Vorderfüße ſind gänzlich ver-
kümmert; man ſieht nur die beiden Hin-
terfüße.


beſitzen. Die Füße der Schmetterlinge ſind wie bei den übrigen voll-
kommenen Inſekten gebildet, behaart oder beſchuppt, die Tarſen fünf-
gliedrig und an der Spitze mit zwei Klauen bewaffnet, zwiſchen denen
meiſt noch ziemlich bedeutende Haftlappen ſtehen. Bei vielen Tag-
ſchmetterlingen iſt das vordere Fußpaar klein, zum Gehen untauglich,
oder ſelbſt gänzlich verkümmert, ſo daß ſie nur eine Art behaarter
Platten bilden, welche an der Seite der Bruſt hinaufgeſchlagen wer-
den. Der Hinterleib iſt ſtets länglich, walzenförmig, aus ſieben
deutlichen Ringen zuſammengeſetzt, niemals mit einem Stachel oder
einer Legeröhre verſehen, dagegen manchmal mit eigenthümlichen Be-
gattungswerkzeugen ausgeſtattet.


Das Bauchmark der Schmetterlinge beſteht aus zwei großen

Figure 571. Fig. 769.

Senkrechter Durchſchnitt eines Abendſchwärmers (Sphinx ligustri), um die Theile in ihrer natürlichen
Lage zu zeigen.
a Hirnknoten. b Bruſtknoten. d Bauchmark. e Rüſſel. f Schlund g Ma-
gen, darüber der Saugmagen. h Darm. i Maſtdarm. k Rückengefäß. l After. m, n,
o
Füße. p Hoden mit dem gewundenen Samengange. q Fühler.


[619] Bruſtknoten und fünf Bauchknoten, deren Verbindungsſtränge ſo mit-
einander verſchmolzen ſind, daß ſie nur einen einzigen Faden darſtel-
len. Die Verdauungswerkzeuge beſtehen aus einem langen engen
Schlunde, in deſſen unteres Ende ein rundlicher dünnwandiger Saug-
magen mit einem kurzen Stiele ſich einſenkt. Der Magen iſt ſchlauch-
förmig, der Darm dünn, mehrfach gewunden, der Maſtdarm meiſt
blaſig aufgetrieben, zuweilen ſelbſt zu einem Blinddarme erweitert,
und im Innern mit vielfachen Drüſenwülſten beſetzt, deren Bedeutung
noch nicht bekannt iſt. Die Harngefäße ſind frei und meiſt ſechs an
der Zahl, die Speichelgefäße oft ſehr lang und zuweilen ſelbſt in die
Bauchhöhle hinabſteigend. Die Athemröhren vereinigen ſich zu
zwei ſeitlichen Hauptſtämmen und zeigen in ihrem Verlaufe vielfache
blaſige Erweiterungen, die beſonders bei den Schwärmern bedeutend
entwickelt ſind. Die Eierſtöcke der weiblichen Schmetterlinge ſind
aus vier langen ſpiralig aufgewundenen roſenkranzförmigen Eierröhren
zuſammengeſetzt, die in eine kurze Scheide münden, an welcher eine
große, birnförmige Samentaſche und weiter unten eine zweihornige
Kittdrüſe einmünden. Die birnförmige Begattungstaſche, die mit einem
beſonderen Ruthenkanal in Verbindung ſteht, mündet der Samentaſche
gegenüber durch einen beſonderen Kanal ebenfalls in die Scheide ein.
Die männlichen Geſchlechtstheile beſtehen aus zwei rundlichen
Hodenſchläuchen, welche meiſt verſchmolzen und in einer einzigen mitt-
leren kugelförmigen Hodenkapſel eingeſchloſſen ſind, deren ſehnige Hülle
eine ſchöne grüne oder rothe Farbe beſitzt. Aus dieſer Hodenkapſel
entſpringen zwei Samenleiter, welche ſich bald zu einem langen ge-
wundenen Ausführungsgange vereinigen, der die röhrenförmige Ruthe
ausmündet.


Die Eier der Schmetterlinge ſind meiſt rundlich, ziemlich feſt
und werden von der Mutter an ſolchen Orten abgelagert, daß die
ausſchlupfenden Räupchen ſogleich die ihnen zukommende Nahrung
finden. Man hat vielfach behauptet, daß einzelne Schmetterlinge auch
unbefruchtet Eier legten, aus welchen Räupchen hervorkämen. Alle
hierin einſchlagenden Beobachtungen aber ſind entweder ohne die Kennt-
niß eigenthümlicher Organiſationsverhältniſſe, die wir ſpäter berühren
werden, oder nur in unvollſtändiger Weiſe gemacht worden. Viele
Schmetterlingsmännchen wiſſen in der That ihre Weibchen in einer
Entfernung von mehreren Stunden zu finden, und begatten ſich mit
ihnen ſogar, wenn die letzteren ſchon an der Nadel angeſpießt ſind.
Die Eier der Schmetterlinge können eine ſehr große Kälte ertragen
[620] und in der That überwintern die meiſten Gattungen als Eier oder
als ruhende Puppen, während ſie im Sommer als Raupen und Schmet-
terlinge ſich zeigen.


Die Larven der Schmetterlinge, die allgemein unter dem Namen

Figure 572. Fig. 770.

Raupe eines Tagſchmetterlings (Nymphale Jasius.)


der Raupen bekannt
ſind, haben meiſt eine
cylindriſche, geſtreckte Ge-
ſtalt, und zeigen ſtets
außer dem hornigen
Kopfe zwölf Ringe mit
neun Luftlöchern auf jeder Seite und wenigſtens zehn, höchſtens ſechs-
zehn Fußpaaren. Der Kopf der Raupen läßt weder Fühler, noch
Augen gewahren. Die Mundwerkzeuge ſind zum Kauen eingerichtet
und beſtehen aus zwei kräftigen, hornigen Kiefern, zwei Kinnladen,
mit ſehr kleinen Ladentaſtern, zwei kleinen Lippentaſtern und einer
warzenförmigen Unterlippe, deren Spitze von dem Ausführungsgange
der Spinndrüſen durchbohrt iſt. Die drei erſten Ringe des Raupen-
körpers tragen die ächten oder hornigen Füße, welche mit kleinen
Krallen beſetzt ſind, und den Füßen des vollkommen Inſektes ent-
ſprechen; ſie ſind gewöhnlich nur ſehr kurz, und dienen hauptſächlich
zum Umklammern der Zweige, während die falſchen Füße oder Bauch-
füße, die an den hinteren Körperringen ſtehen, weſentlich zum Gehen
dienen und meiſt die Form von Schröpfköpfen haben, die noch obenein
oft mit kleinen Haken beſetzt ſind. Der vierte, fünfte, zehnte und eilfte
Ringel der Raupen beſitzen niemals falſche Füße. Bei den eigentli-
chen Spannraupen kommen nur vier an das hintere Körperende ge-
ſtellte Paare falſcher Füße vor, weßhalb ſie beim Fortſchreiten den
Raum gleichſam ausmeſſen, indem ſie ſich erſt mit den Vorderfüßen
anklammern und dann den Hinterleib nachziehen. Manchen Spinnern
fehlt das hintere Paar der Bauchfüße ganz, oder iſt durch zwei lange
Faden erſetzt. Einige Raupen von Tagſchmetterlingen beſitzen ganz
ſonderbare Fühlfäden im Nacken, die hervorgeſtülpt werden können.
Die Körperbedeckung der Raupen iſt äußerſt mannigfaltig; viele ſind
nackt, andere über und über mit langen Haaren beſetzt, welche leicht

Figure 573. Fig. 771.

Raupe des Schwalbenſchwanzes. (Papilio Machaon.)


Figure 574. Fig. 772.

Dornraupe des Tag-
pfauenauges (Vanessa Urticae.)


[621] abbrechen, ſich in die Haut einſpießen und eine Art Neſſelſucht veran-
laſſen können; noch andere ſind mit Dornen, Hörnern, oder biegſamen
Fortſätzen bedeckt, die ihnen ſogar zuweilen beim Klettern behülflich
ſind. Die Farben ſind äußerſt mannigfaltig und ändern ſehr oft durch
die wiederholten Häutungen, welche während des Wachsthums der
Raupe ſtattfinden. Die meiſten Raupen verpuppen ſich gegen den
Herbſt hin; — nur einige verfallen im Spätſommer in eine Art Win-
terſchlaf, aus dem ſie erſt im Frühling erwachen. Sie nähren ſich
meiſt von Blättern und grünen Pflanzentheilen, wenige bohren in
Holz oder in Wurzeln; — einige leben geſellig in Neſtern und wan-
dern in Colonnen von einem Baume zum andern; die meiſten ſind
einſam und ohne weiteren beſonderen Inſtinkt.


Zur Verpuppung ſucht die Raupe einen ſicheren, geſchützten Ort,
meiſt an der Unterſeite der Blätter und Zweige, in Spalten und
Ritzen, unter dem Mooſe oder in der Erde. Die meiſten ſpinnen
entweder eine förmliche Hülſe von Seide, zu welchem Zwecke ſie den
Faden mehr oder minder regelmäßig ſchlingen, oder ſie bleiben nackt,
und hängen ſich dann bald einfach an dem Schwanzende auf, bald
ſchlingen ſie ſich einen Faden um die Mitte der Bruſt, ſo daß ſie in
wagerechter Stellung ſich befinden. Die Puppen ſind hornig, vorn

Figure 575. Fig. 773.

Eckige Puppe des Tag-
pfauenauges (Vanessa urticae.)


dicker, hinten geringelt und zugeſpitzt, und laſſen
meiſt von außen die Flügel, die Füße und oft
auch den Rüſſel erkennen. Durch mannigfal-
tige Hörner, Auswüchſe, Stacheln u. ſ. w. er-
halten dieſe Puppen oft ein höchſt bizarres An-
ſehn. Die meiſten Tagſchmetterlinge, ſo wie
die kleinen Nachtſchmetterlinge bleiben nur vier-
zehn Tage, bis einen Monat in der Puppe,
während die größeren Nachtſchmetterlinge und
die Schwärmer meiſtens als Puppe überwin-
tern. Manche Puppen, welche in der Erde oder im Innern von Ge-
wächſen in Gängen ſich befinden, die von der Raupe gebohrt wurden,
klettern gegen das Ende ihres Puppenſtandes mittelſt eigener Stacheln
an den Ringen in die Höhe bis an die Oberfläche, ſo daß der aus-
kriechende Schmetterling beim Sprengen der Puppenhaut unmittelbar
in das Freie gelangt; — andere Puppen zerſtören ſelbſt mittelſt ihrer
ſcharfen Fortſätze und Hörner die von der Raupe geſponnene Hülle,
und bei noch anderen erweicht der Schmetterling dieſelbe, und durch-
bricht ſie dann, bevor ſeine Flügel hart geworden ſind.


[622]

Wir theilen die Schmetterlinge in zwei Unterordnungen: Tag-
ſchmetterlinge oder Keulenhörner (Rhopalocera), und Nachtſchmetter-
linge (Heterocera), welche ſich wieder in mannigfaltige Familien und
Unterfamilien ſcheiden.


Die Unterordnung der Nachtſchmetterlinge (Heterocera)
zeigt Fühler von der verſchiedenſten Beſchaffenheit, meiſt zwar borſten-
förmig, aber ſonſt doch von allen Formen bis zu derjenigen eines
vollkommenen Federbuſches. Die Schmetterlinge ſchlagen niemals die
Flügel in der Ruhe ſenkrecht zuſammen, ſondern tragen ſie bald ho-
rizontal, bald dachförmig, bald wie eine Glucke. Gewöhnlich befindet
ſich am vorderen Rande des Unterflügels eine Borſte, welche ſich an
den Oberflügel anlegt und ſo ein feſtes Zuſammenhalten der Flügel
bewirkt. Die meiſten dieſer Schmetterlinge fliegen Abends oder Nachts,
obgleich dies Geſetz durchaus nicht ausſchließlich iſt.


Die Familie der Federmotten (Pterophorida), hat borſtenförmige,

Figure 576. Fig. 774.

Orneodes hexadactyla.


Figure 577. Fig. 775.

Pterophorus pentadactylus.


ziemlich lange Fühler, zugeſpitzte,
wenig behaarte Taſter, nierenför-
mige, nach hinten ausgeſchnittene
Augen, lange mit ſpitzen Sporen
beſetzte Beine und einen langen,
dünnen Hinterleib. Sie zeichnen
ſich vorzüglich durch eine Spaltung
der Flügel aus, indem die Hinter-
flügel ſtets, die Vorderflügel mei-
ſtens in einzelne fingerartige Theile
zerlegt ſind, welche wie Federn auf
beiden Seiten mit Haaren beſetzt
ſind, und ſo das Anſehen eines Vo-
gelflügels geben. Die Raupen die-
ſer niedlichen Thierchen ſind klein,
nackt, haben ſechszehn Füße, und
verwandeln ſich in eine nackte, mit
Höckern beſetzte Puppe, um die nur ſelten eine Seidenhülle geſponnen
wird. Orneodes; Pterophorus.


[623]

Die Familie der Motten (Tineida) beſteht aus meiſt ſehr kleinen

Figure 578. Fig. 776.

Kleidermotte (Tinea pellionella.)


Schmetterlingen mit fadenförmigen
Fühlern, die zuweilen länger als
der Körper ſind, und ſchmalen ver-
längerten Oberflügeln, welche zu-
weilen an der Spitze einen Ausſchnitt
zeigen. Die Unterflügel ſind ſtets
breit, der Länge nach gefaltet, die Taſter gewöhnlich ſehr lang und
ihr letztes Glied oft nackt und zugeſpitzt; — bei einigen treten auch
die Kiefertaſter deutlich in die Erſcheinung. Die Räupchen der Mot-
ten haben ſechszehn Beine, ſind ſtets nackt und bilden ſich von den
Stoffen, von welchen ſie leben, eine Röhre, die entweder beweglich iſt,
ſo daß ſie dieſelbe überall mit ſich herumſchleppen können, oder die
feſtſitzt und ihnen bei drohender Gefahr hinreichende Zuflucht gewährt.
Viele dieſer Raupen leben im Innern von Zweigen und Knospen,

Figure 579. Fig. 777.

Getreidemotte (Oecophorus)


in dem grünen Gewebe der Blät-
ter, wo ſie gewundene Gänge zwi-
ſchen den beiden Oberhautſchichten
graben; andere leben in trockenen
Pflanzen- und Thierſtoffen, wo ſie
uns oft, wie die Pelz- und Kleider-
motten und die Getreidemotten, großen
Schaden anrichten. Zur Verpup-
pung ſchließen ſie ihre Röhren mit
Deckeln von Seide. Tinea; Yponomeuta; Adela; Aglossa.


Die Familie der Blattwickler (Tortricida) zeigt kurze, faden-

Figure 580. Fig 778.

Neſt und Raupe des Eichenwicklers
(Tortrix viridissima.)


förmige Fühler, verlängerte, vorge-
ſtreckte Taſter, deren letztes Glied
dicht beſchuppt iſt, dachförmige auf-
liegende Flügel und einen weit dicke-
ren, kürzeren Leib, als die Motten,
mit denen ſie ſonſt in ihrem Ver-
halten viele Aehnlichkeit haben. Ihre
Raupen haben ſechszehn Beine und
verfertigen ſich dadurch eine ſchützende
Röhre, daß ſie die Blätter vom Rande her aufrollen, und mit Sei-
denfäden förmlich zu einer Röhre zuſammennähen, innerhalb welcher
ſie ſich ſpäter verpuppen, wobei ſie ſich einen Cocon von reiner Seide
ſpinnen. Sie werden ebenſo, wie die folgende Familie, durch ihre
Verheerungen an Gewächſen zuweilen ſchädlich. Tortrix.


[624]

Die Familie der Zünsler (Pyralida) beſteht aus mottenartigen
Schmetterlingen, deren Fühler bei

Figure 581. Fig. 779.

Rebenblatt mit verſchiedeneu Zuſtänden des
Rebenzünslers (Pyralis vitana).
4 Das Männchen, ruhend; 4a das
Weibchen, fliegend; 4b erwachſene Raupe;
4c Eierhaufen; 4d und 4e Puppen.


den Männchen meiſt gekämmt oder
gefiedert und deren Kiefertaſter ſtets
ſehr deutlich ſind. Die Flügel ſind
lang, ſchmal und bilden in der
Ruhe ein Dreieck, deſſen lang aus-
gezogene Spitze der Kopf iſt; die
Beine ſind ſehr lang, ſtark ge-
ſpornt; die Raupen nur vierzehn-
beinig, haarig und ſpinnen ſich eigene
Cocons meiſtens auf der Unterſeite
der Blätter; manche Arten richten
an Obſtbäumen und Weinbergen
große Verwüſtungen an. Pyralis;
Botys; Pyrausta; Hermidia.


Die Familie der Sackträger
(Psychida) beſteht nur aus einigen
kleinen Schmetterlingen, deren
Männchen gefiederte Fühler und
ſtark behaarte Flügel beſitzen und welche beſonders durch ihre Lebens-
art im Raupenzuſtande, ſowie durch ihre eigenthümliche Fortpflan-
zungsweiſe die Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen haben. Ihre Raupen,
die meiſt nach Geſchlechtern getrennt, eigene Futterplätze haben, bilden
ſich nämlich aus Grashalmen, Steinchen und anderen Stoffen einen
langen Sack oder vielmehr eine walzenförmige Röhre, die je nach
den Geſchlechtern verſchieden iſt, ſo daß man ſchon an der Form der
Säcke die männlichen und weiblichen Raupen unterſcheiden kann. Die
Raupen, welche in dieſen Säcken ſtecken, zeigen nur das erſte ächte
Fußpaar vollkommen entwickelt, während die anderen rudimentär ſind.
Der Sack iſt hinten offen, und bei der Verpuppung ſpinnt die Raupe
ihn mit dem vorderen Ende irgendwo an, dreht ſich aber dann her-
um, ſo daß das Kopfende der Puppe der hinteren Oeffnung des
Sackes entſpricht. Die männlichen Puppen ſind ſehr lebhaft und be-
wegen ſich in dem Sacke hin und her, die weiblichen dagegen liegen
ſtill. Das Weibchen, welches aus dieſen ſtillen Puppen auskriecht,
iſt faſt vollkommen fußlos, madenförmig und zeigt keine Spur von
Flügeln. Die Weibchen der einen Gattung (Psyche) verlaſſen den
Sack niemals, ſondern werden innerhalb deſſelben von dem Männchen,
[625] das ſeinen Hinterleib, der ſich wie ein Perſpectiv außerordentlich verlängern
kann, in den Sack hineinſchiebt, innerhalb des Sackes befruchtet, wäh-
rend die Weibchen einer anderen Gattung (Telaephoria) ſich außen am Sacke
feſtklammern und dort befruchten laſſen. Die befruchteten Weibchen legen
ihre Eier in die von ihnen verlaſſene Puppenhülſe, welche ſie ſo voll-
ſtändig mit Eiern ausſtopfen, daß ſie das Anſehen einer unausge-
ſchlüpften Puppe erhält. Auch bei Gefahr flüchten ſich manche dieſer
Weibchen wieder in die leere Puppenhülſe hinein. Die Mißkennung
dieſer Verhältniſſe hat ſchon oft behaupten laſſen, daß die Sackträger-
weibchen auch ohne Befruchtung lebensfähige Eier legten. Psyche;
Telaephoria
.


Familie der Spanner (Geometrida). Die Schmetterlinge dieſer

Figure 582. Fig. 780.

Herminia.


Familie haben große, breite Flügel,
welche ihnen viele Aehnlichkeit mit den
Tagſchmetterlingen geben. Die Füh-
ler ſind bei den Männchen gekämmt
oder gefiedert, die Taſter gewöhnlich
kurz, der Körper ſchlank; die Flügel
werden in der Ruhe ausgebreitet. Die
Raupen ſind lang, dünn, walzenför-
mig, nackt oder ſehr ſparſam behaart
und gleichen meiſt dürren Baumzweigen; ſie haben gewöhnlich nur
zehn Paar Beine und ſpannen deßhalb beim Schreiten, da der ganze
Mittelleib keine Füße trägt; in der Ruhe halten ſie meiſt den Vorder-
körper aufrecht, indem ſie ſich nur mit den falſchen Füßen anklammern,
und manchmal beharren ſie ſtundenlang unbeweglich in dieſer ermü-
denden Stellung. Die Puppen ſind nackt und meiſt nur mit wenigen
Fäden angeheftet. Acaena; Herminia; Ennomus; Fidonia; Zerene.


Die Familie der Eulen(Noctuida) umfaßt Nachtſchmetterlinge

Figure 583. Fig. 781.

Noetuella.


von meiſt dunklen Farben, aber mit
ſehr conſtanten Zeichnungen, die oft
eine ſehr bedeutende Größe errei-
chen, ſtets nur borſtenförmige oder
höchſtens gekerbte Fühler beſitzen,
und deren Lippentaſter nur kurz ſind
und mit einem kleinen, dünnen
Gliede endigen; der Rüſſel iſt meiſt
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 40
[626]

Figure 584. Fig. 782.

Erebus limax.


lang, der Hinterleib ke-
gelförmig, dünn behaart,
meiſt nur mit eng an-
liegenden Schuppen be-
kleidet. Die Raupen
ſind lang, geſtreckt, oft
abgeplattet, kurz behaart
und meiſt von den Baum-
rinden, an denen ſie ſitzen,
ſchwer zu unterſcheiden;
ſie haben gewöhnlich ſechszehn Füße und beſonders lange Nachſchieber;
ihre Puppen ſind in einen laxen, ſchlecht gearbeiteten Cocon ein-
geſchloſſen. Noctua; Noctuella; Erebus; Triphaena; Catocala; Plusia;
Cucullia
.


Die Familie der Harpyen (Cerurida) beſteht aus Nachtſchmetter-
lingen mittlerer Größe mit meiſt dicht behaartem, dickem Leibe, zottig
haarigen Füßen, gekämmten Fühlern, deren Fiederhärchen oft ſehr
lang ſind, und breiten, auf der Oberſeite dicht behaarten Flügeln, die
in der Ruhe dachförmig zuſammengelegt werden. Die Raupen ſind
höchſt eigenthümlich geſtaltet; der Kopf iſt klein und kann ganz in die
folgenden Ringel zurückgezogen werden; die ächten Füße ſind meiſtens
ziemlich lang, die vier falſchen Mittelfußpaare ſehr ſtark und kräftig,
die Nachſchieber fehlen ganz und ſind durch zwei zangenartige Fäden
am Hinterende des Körpers erſetzt. In der Ruhe halten ſich die
dicken und kurzen Raupen meiſt nur auf den vier Mittelfußpaaren
und heben den Hinterleib ſowohl, wie den Vordertheil des Körpers
in die Höhe, was ihnen ein höchſt ſonderbares Ausſehen giebt. Die
Puppe iſt in einen Cocon eingeſchloſſen, der mit abgenagten Holz-
theilchen durchwebt iſt. Harpyia; Cerura.


Die Familie der Holzſpinner (Hepiolida) umfaßt einige große,
dickleibige, dichtbeſchuppte Nachtſchmetterlinge mit geſägten oder ge-
zähnelten Fühlern, harten, ſchweren Flügeln, kurzem Rüſſel und meiſt
unſcheinbaren, ſchmutzigen Farben. Die langen, lederartig harten,
nackten, plattgedrückten Raupen bohren im Holz, oder nagen Wurzeln
ab, und können hierdurch bedeutenden Schaden anrichten; ſie bilden
ein feſtes, grobes Geſpinnſte, in welches zernagte Pflanzentheile einge-
webt ſind. Cossus; Hepiolus.


Die Familie der Spinner (Bombycida) umfaßt eine große An-
[627]

Figure 585. Fig. 783.

Kleines Nachtpfauenauge (Saturnia carpini).


zahl von Nachtſchmet-
terlingen, deren Männ-
chen ſtets kammförmige
Fühler beſitzen, die oft
ſehr ausgezeichnet gefie-
dert ſind. Die Taſter
ſind ſtets kurz, der Rüſſel
ſehr kurz und zuweilen
gänzlich verſchwunden;
Bruſt und Leib ſind gewöhnlich dicht behaart und ziemlich dick, die
Flügel groß, abgerundet. Die Raupen haben alle 16 Beine, und
zeigen hinſichtlich ihrer Bekleidung alle Zwiſchenſtufen von gänzlicher
Nacktheit bis zu der dichteſten Behaarung und Bewaffnung mit langen,
ſpitzen Borſten, die bei der Berührung abbrechen. Alle dieſe Raupen
ſpinnen ſich zur Verpuppung ein mehr oder weniger dichtes Gehäuſe
von reiner Seide, das bei mehreren Arten zu induſtriellen Zwecken

Figure 586. Fig. 784.

Seidenraupe (Bombyx mori).


benutzt wird. Die Sei-
denraupe iſt die einzige
Art, welche in Europa
cultivirt wird. Es würde
zu weit führen, wollten
wir hier auf die Be-
dingungen der Seiden-
züchterei näher eingehen,
in welcher man die Rau-
pen ſo lange nährt,
bis ſie ſich vollkommen
eingeſponnen haben.


Figure 587. Fig. 785.

Seidenſchmetterling (Bombyx mori).


Jeder Cocon beſteht nur aus einem
einzigen Faden, und da der Schmet-
terling beim Ausſchlüpfen denſelben
vielfach durchbricht und zerſtört, ſo
daß man ihn nicht mehr abſpinnen
kann, ſo tödtet man die Puppen
in den Cocons durch Hitze, und
läßt nur ſo viele am Leben, als
zur Nachzucht nöthig ſind. Bombyx; Saturnia; Sericaria; Eupre-
pia; Orgyia; Lithosia
.


Die Familie der Abendſchwärmer (Sphingida), meiſt ziemlich
große Schmetterlinge, mit langem, walzenförmigem, hinten zugeſpitz-
40*
[628]

Figure 588. Fig. 786.

Großer Weinſchwärmer (Sphinx elpenor).


tem Leibe, der mit eng
anliegenden Schuppen
bedeckt iſt, und kurzen
Fühlern, die gegen die
Spitzen hin etwas ver-
dickt ſind und oft mit
einer dünnen, gewöhn-
lich hakenförmig umge-
bogenen Borſte abſchlie-
ßen. Zuweilen ſind dieſe
Fühler auf der Innen-
ſeite geſägt oder mit abwechſelnden Haarbündelgruppen beſetzt. Der
Rüſſel iſt gewöhnlich ſehr lang, oft viel länger, als der Körper, nur

Figure 589. Fig. 787

Abendpfauenauge (Smerinthus ocellatus).


ſelten kurz; die Flügel lang und ſchmal, beſonders die Vorderflügel,
und in der Ruhe dachförmig übereinander gelegt. Die Schmetterlinge
ſchwärmen meiſtens mit lautem Summen nach Sonnenuntergang, und
ſaugen im Fluge Honig; die Raupen ſind ſtets nackt, walzenförmig,
mit ſechszehn Füßen und einem Horne auf dem vorletzten Ringel ver-
ſehen, das nur ſelten durch eine Platte erſetzt iſt; ſie verpuppen ſich
meiſt in der Erde und erſcheinen im nächſten Frühjahre als vollkom-
mene Thiere. Acherontia; Sphinx; Smerinthus; Macroglossa.


Die Familie der Widderhörnchen(Zygaenida) beſteht aus meiſt

Figure 590. Fig. 788.

Zygaena syntomis.


kleinen Schmetterlingen mit dickem,
walzenförmigem Leibe und ſchmalen,
abgerundeten Flügeln, die nur ſehr
ſparſam mit Schuppen bedeckt ſind,
ja bei einigen faſt ſo glashell und
durchſichtig erſcheinen, wie die Flü-
gel der Hautflügler. Die Fühler
ſind meiſt ziemlich lang, gegen das
[629]

Figure 591. Fig. 789.

Sesia.


Ende hin verdickt, an der Spitze
hornförmig umgebogen; ſie ſind
ſtark beſchuppt, bei den Männchen
oft gezähnt, oder doppelt gekämmt;
der Rüſſel fein und dünn. Die
kurzen, ſparſam behaarten, ſechs-
zehnfüßigen Raupen ſpinnen ſich in
einen länglichen Cocon ein, der
eine pergamentartige Conſiſtenz hat.
Die Schmetterlinge fliegen meiſt nur bei brennendem Sonnenſcheine.
Zygaena; Sesia; Atycha.


Die Unterordnung der Tagſchmetterlinge oder Keulenhör-
ner (Ropalocera)
umfaßt nur ſolche Schmetterlinge, welche
einzig bei Tage fliegen und in der Ruhe die Flügel aufrecht zuſam-

Figure 592. Fig. 790.
Fig. 791. Fig 792.

Fig. 790, 791 und 792. Raupe, Puppe und Schmetterling eine Tagfalters
(Nymphalis Jasius).


menſchlagen. Die Fühlhörner beſtehen aus einer Menge ringförmiger
Glieder, die gegen das Ende hin in eine Keule anſchwellen, an
welcher meiſt noch ſich eine umgebogene dünne Spitze befindet; die
Unterflügel zeigen niemals eine Borſte zur Befeſtigung an die Ober-
[630] flügel, wie dieß bei den vorherigen Familien der Fall war. Die
Raupen haben ſehr viele wechſelnde Formen, oft ſehr ſonderbare
Auswüchſe, und bilden faſt immer nackte Puppen, die nur ſelten in
ein Geſpinnſt eingeſchloſſen ſind. Wir unterſcheiden beſonders nach
Art der Anheftung der Puppe drei Familien.


Die Familie der Dickköpfe (Hesperida), kleine Schmetterlinge
mit kurzem, dickem, gedrängtem Körper und dickem Kopfe, deren Füh-
ler ſeitlich weit von einander bei den Augen eingelenkt ſind; die Flü-
gel werden in der Ruhe nur halb aufgerichtet, die Füße ſind alle
vollkommen ausgebildet, und die Hinterſchienen mit zwei Seitenſtacheln
bewaffnet. Die Raupen haben einen dicken, queren Kopf, dünnen,
walzenförmigen, nackten Körper; die Puppen ſind walzenförmig, ohne
Ecken und ruhen in einem Gewebe, das aus zuſammengewickelten
Blättern beſteht. Hesperia.


Figure 593. Fig. 793.

Figure 594. Fig. 794.

Figure 595. Fig. 795.
Figure 596. Fig. 796.

Fig. 793—795. Raupe, Puppe und Schmetterling des Tagpfauenauges (Vanessa Jo).
Fig. 796. Der Schmetterling ſitzend, um die Füße zu zeigen.


Familie der Hängefalter (Suspensa). Bei den Tagfaltern dieſer
Abtheilung, wie der folgenden, ſtehen die Fühler auf dem Kopfe ſehr
nahe zuſammen; dagegen ſind die Vorderfüße bei den Männchen im-
mer und bei den Weibchen größtentheils nur rudimentär und unfähig
[631]

Figure 597. Fig. 797.

Satyrus Balder.


zum Gehen. Die meiſt dornigen,
haarigen, oder mit eigenthümlichen
Fortſätzen beſetzten Raupen hängen
ſich bei der Verpuppung ſenkrecht
an der Schwanzſpitze auf und bil-
den eine nackte, meiſt eckige Puppe.
Die Gattungen ſind ſehr zahlreich.
Vanessa; Satyrus; Pieris; Colias.


Figure 598. Fig. 798.

Figure 599. Fig. 799.

Figure 600. Fig. 800. Fig. 801.

Fig. 798—800. Raupe, Puppe und Schmetterling des Schwalbenſchwanzes (Papilio Machaon).
Fig. 801. Der Schmetterling ſitzend, um die ſechs vollkommen ausgebildeten Füße zu zeigen.


Die letzte Familie der Schmetterlinge, diejenige der Edelfalter
(Papilionida), unterſcheidet ſich von der vorigen Familie im Zuſtande
der vollkommenen Inſekten nur ſehr wenig, da auch bei ihnen einige
Gattungen ſich finden, die nur vier ausgebildete Füße beſitzen, wäh-
rend indeß doch die meiſten ſechs vollſtändige Füße haben. Die ver-
ſchieden geſtalteten Raupen ſind meiſtens träge und befeſtigen ſich bei
der Verpuppung in eigenthümlicher Weiſe, indem ſie ſich mit der
Schwanzſpitze feſthängen, ſich aber dann noch einen Faden über die
Bruſt ziehen, in dem die Puppe wie in einer Schlinge hängt. Die
größten und ſchönſten Tagfalter gehören dieſer Gruppe an, zu welcher
[632]

Figure 601. Fig. 802.

Papilio Arjuna.


beſonders die herrlich gefärbten Fal-
ter der ſüdlichen Zonen gehören,
welche durch die langen Schwänze
der Hinterflügel ſich auszeichnen,
ſo wie die vielfach geſprenkelten
Scheckenfalter (Thais), deren Zickzack-
zeichnung eine Eigenthümlichkeit der
Gattung iſt. Einige Raupen dieſer
Familie zeichnen ſich beſonders durch
die kurze, plattgedrückte, ſchildför-
mige Geſtalt, und die Schmetterlinge

Figure 602. Fig. 803.

Thais Hypsipyle.


Figure 603. Fig. 804.

Das Birkenhähnchen
(Polyommatus betulae).


durch die ſehr verſchieden gefärbten Flügel aus, indem die Oberfläche
meiſt einfarbig, goldig oder blau, die Unterfläche mit vielfachen kleinen
Augenflecken beſetzt iſt. Papilio; Polyommatus; Parnassius.


Foſſile Schmetterlinge ſcheinen erſt mit der Tertiärzeit aufgetre-
ten zu ſein; die Spuren, die man im Jura hat finden wollen, gehö-
ren wahrſcheinlich anderen Ordnungen an.


Ordnung der Strepſipteren (Strepsipteras. Rhipiptera).


Dieſe ſehr kleine Ordnung beſteht nur aus einigen wenigen, auf
verſchiedenen Wespengattungen ſchmarotzenden winzigen Thierchen, die
aber durch die merkwürdig verſchiedene Bildung der beiden Geſchlech-
ter im vollkommenen Zuſtande, durch die eigenthümlichen Larvenzu-
ſtände und durch die Organiſation ihres Körpers ſich von allen übri-
gen Inſekten entfernen und eine eigene Ordnung darſtellen.


[633]

Lange Zeit kannte man nur die ausgebildeten Männchen, kleine

Figure 604. Fig. 805

Männchen von
Stylops Melittae.


kaum eine Linie lange, geflügelte Thierchen, die
man ſelten auf dem Hinterleibe von Wespen
flatternd antrifft. Der Kopf iſt breit, kurz,
die Augen ſehr groß, kugelförmig vorgequollen,
gehäuft. Die Fühler ſind kurz, geſpalten, ſo
daß ſcheinbar vier Fühler vorhanden ſind oder
auch bei einer Gattung mit wenigen langen
Kammblättern verſehen. Die Mundwerkzeuge beſtehen aus zwei ſäbel-
förmig gekrümmten, dünnen Kiefern, blattartigen Kinnladen mit drei-
gliedrigen Taſtern — die indeß von dem Thierchen gewiß nie gebraucht
werden, da ſie nur wenige Stunden leben und während dieſer Zeit
mit der Begattung beſchäftigt ſind. Die Füße ſind kurz, die Tarſen
viergliederig; die Flügel höchſt eigenthümlich. Die Mittelbruſt trägt zwei
kurze häutige, ſonderbar verdrehte, kolbige Anhänge, welche einiger-
maßen den Schwingkolben der Zweiflügler gleichen, aber auch als
rudimentäre Flügeldecken betrachtet werden können; an der Hinterbruſt
ſtehen zwei häutige große, dreieckige Flügel die nur wenige fächerartige
Falten haben. Es genügen dieſe Flügel aber trotz ihrer Größe nicht
zum freien Fluge der Thierchen — ſie flattern nur tanzend auf dem
Leibe der Wespen und vielleicht auch in den Neſtern derſelben umher,
bis ſie ein Weibchen gefunden haben, mit dem ſie ſich begatten. Zu
dieſem Ende tragen ſie an dem zugeſpitzten Hinterleibe einen hornigen
Hakenpenis, der nach der Seite zu eingeſchlagen iſt und deutlich mit
den Samenleitern in Verbindung ſteht.


Die Weibchen dieſer Thierchen, die durch ihre Organiſation
den Käfern am nächſten ſtehen, bleiben das ganze Leben hindurch in
einem larvenähnlichen Zuſtande ſchmarotzend im Hinterleibe der Wes-
pen und wurden bis in die neuere Zeit ſtets für die Larven der Strep-
ſipteren angeſehen. Man nennt die Wespen, welche ſolche Gäſte be-
herbergen, kurzweg ſtylopiſirt. Bei den fortpflanzungsfähigen
Weibchen iſt der Leib weich, geringelt, wurmartig, weiß; Kopf und
Bruſt dagegen ſind in ein plattes, linſenförmiges Schild zuſammenver-
ſchmolzen, das eine braune Farbe und hornige Beſchaffenheit hat.
Unter dem Vorderrande dieſes Schildes ſieht man die kleine, halb-
mondförmige Mundöffnung, die in einen weiten, geraden, blind geen-
deten Darm führt, und neben welcher zwei faſt unbewegliche hornige
Stummeln die Reſte der verkümmerten Kauwerkzeuge darſtellen. Mit
[634]

Figure 605. Fig. 806. 807. 808. 809. 810. 811. 812.

Weibchen, Larven, Maden u. Puppen von Xenos Rossii. Fig. 806. u. 807. Das Weibchen
von der Bauchſeite und von der Seite. Man ſieht den dunkeln Brutkanal und die
durch ihn durchſchimmernden Röhren. Fig. 808. Die ſechsbeinige Larvenbrut von der
Bauchſeite, um beſonders die Füße mit ihren Haftlappen zu zeigen. Fig. 809. Erwach-
ſene männliche Made von der Bauchſeite. Fig. 810. u. 811. Männliche Puppe, vom
Bauch und von der Seite her. Das runde Stigma am Ende des Kopfſchildes und der
abſpringende vordere Deckel zeigen ſich deutlich. Fig. 812. Weibliche Made, ausge-
wachſen.


dieſem Kopfſchilde ſteckt das Weibchen zwiſchen den Hinterleibs-
Ringen der Wespen in der Weiſe eingeklemmt, daß der wurmförmige
Leib in die Hinterleibshöhle frei hineinragt, der Vorderrand des Kopfes
aber nach außen ſchaut. Die Thiere ſcheinen ganz unbeweglich. Un-
terſucht man ihren Bau genauer, ſo findet man in der Leibeshöhle
außer dem blinden Darme eine Menge von Eiern zerſtreut zwiſchen
dem Fettkörper, und längs der Bauchſeite einen platten, breiten, hinten
geſchloſſenen Kanal, der nach vorn in das Kopfſchild übergeht und
mit einer ſchlitzartigen breiten Oeffnung, die weit größer als die Mund-
öffnung iſt, unter dieſer ſich nach außen öffnet. Auf dieſem Kanal
ſtehen drei bis fünf etwas gebogene Röhren, die einerſeits mit einer
trompetenartig ausgeweiteten Mündung ſich frei in die Leibeshöhle
öffnen, anderſeits in den Kanal, den wir den Brutkanal nennen,
münden. Offenbar dient die unter dem Munde befindliche Schlitzöff-
nung dieſes Kanals, die zwiſchen den Hinterleibsringen der Wespen
hervorſteht, als Begattungsöffnung, durch welche das Männchen ſein
hakenförmiges Glied von außen einführt.


Die in der Leibeshöhle des Weibchens frei befindlichen Eier ent-
wickeln ſich in dieſer Leibeshöhle und es erzeugen ſich darin Larven,
die innerhalb der Mutter auskriechen, ſo daß oft der ganze Leib des
Weibchens mit ausgekrochenen Larven erfüllt iſt. Dieſe Larven ſind
ſehr klein, ſehr lebendig, von ſchieferblauer Farbe, weßhalb man ſie
durch die Bauchwände des Weibchens durchſchimmern ſieht. Sie krie-
[635] chen ſo lange im Leibe der Mutter umher, bis ſie eine der erwähnten
Röhren des Brutkanales finden, durch welche ſie dann in den Brut-
kanal klettern, den ſie oft ſtrotzend erfüllen. Durch die vordere Oeff-
nung deſſelben kriechen ſie dann hinaus auf den Leib der Wespen,
auf dem ſie munter einherlaufen. Die Larven der Strepſipteren
haben in dieſem Zuſtande einen mehr oder minder ſchlanken, mit Bor-
ſten beſetzten, geringelten Körper, einen halbrunden Kopf, zu deſſen
beiden Seiten Häufchen von Nebenaugen ſtehen und ſechs Füße, von
denen die beiden erſten Paare mit runden oder länglichen Haftlappen
verſehen und anders als das hintere Paar geſtaltet ſind. Sie laufen
ſehr behende und einige ſpringen auch ebenſo wie die Gabelſchwänze
mit Hülfe zweier Borſten, die ſie am Ende des Hinterleibs tragen
und unter den Leib biegen und losſchnellen können. Dieſe munteren
Thierchen, die man früher für Schmarotzer der für Larven gehaltenen
Strepſipteren-Weibchen anſah, die aber in der That nur der erſte Lar-
venzuſtand ſelbſt ſind, laſſen ſich von den Wespen in ihre Neſter tra-
gen und bohren ſich dort in die fußloſen weichen Larven der Wespen
ein, zu welchem Zwecke ſie einige harte Hornſtücke (undeutliche Kau-
werkzeuge) am Kopfe haben.


In dem Leibe der Wespenlarven gehen die ſechsbeinigen Strep-
ſipteren-Larven eine rückſchreitende Metamorphoſe ein. Sie werfen
ihre Haut ab, verlieren die Füße und verwandeln ſich in eine wurm-
ähnliche, fußloſe, weiche Made mit neun Körperringeln, deutlicher
Mundöffnung, die in einen blinden Darm führt, und verkümmerten
Kauwerkzeugen. An der Geſtalt des Kopfes, ſo wie des letzten Hin-
terleibsringels kann man ſchon das Geſchlecht dieſer Maden erkennen;
der Kopf der männlichen Larven iſt kegelförmig gewölbt, der der weib-
lichen platt, ſchuppenförmig. Dieſe Maden bewegen ſich ſehr träge
in der Leibeshöhle der Wespen herum. Kommt die Zeit ihrer letzten
Verwandlung, ſo bohren ſie den Kopf zwiſchen den Leibesringen der
Wespen durch, bis ſie dort eingeklemmt ſind. Bei den weiblichen
Maden beſteht nun die ganze Verwandlung darin, daß ihr Kopfſchild
hart und braun wird und die Oeffnung des Brutkanals erhält. Bei
den männlichen Maden erhärtet zwar auch der Kopf, aber die ganze
Madenhaut dient, wie bei vielen Fliegen, zugleich als Puppenhülle,
und in ihr bildet ſich die männliche Puppe, an der man ſchon die
Theile des ausgebildeten Inſekts zuſammengeſchlagen erkennt. Iſt das
Männchen zum Ausſchlüpfen reif, ſo ſpringt die Spitze des hartge-
wordenen Kopfendes der Madenhaut wie ein Deckel ab, und das vollen-
dete Inſekt arbeitet ſich mit Mühe hervor. Die ſtylopiſirten Wespen
[636] fliegen mit dieſen Puppen, ſeien ſie nun ausgeſchlüpft oder nicht, mun-
ter umher, ohne Unwohlſein zu verrathen. Man erkennt die Puppen
leicht, wenn man mit der Lupe den Hinterleib aufmerkſam unterſucht
und die Falzen der Ringe betrachtet. Füttert man die ſtylopiſirten
Raubwespen (Ammophila; Melitta; Miscus; Polistes etc., die am
häufigſten dieſe Schmarotzer beherbergen), in Behältern mit Zucker, ſo
gelingt es oft leicht, die ſonſt ungemein ſeltenen Thierchen zu erhal-
ten. Man hat mehrere Gattungen unterſchieden, deren Lebensweiſe
aber ſehr übereinſtimmt. Xenos; Stylops; Elenchus; Halictophagus.


Ordnung der Netzflügler (Neuroptera).


Dieſe Ordnung wiederholt in der Reihe der Inſekten mit voll-
kommener Verwandlung die Ordnung der Geradflügler, die wir in
der Reihe mit unvollkommener Verwandlung finden, und ſie ſteht na-
mentlich den Geradflüglern mit gegitterten Flügeln ſo nahe, daß ſie
früher mit denſelben vereinigt wurde.


Die Netzflügler ſind meiſt weiche langleibige Inſekten von ge-
ſtrecktem Körperbau, mit kleinem rundlichen Kopfe, vorgequollenen Au-
gen, deutlich abgeſetzter Bruſt und Hinterleib. Die Fühler ſind ſtets
deutlich, meiſt borſtenförmig, nur ſelten geknopft, kolbig oder geſägt,
meiſt länger als der Leib. Nebenaugen ſind bald vorhanden, bald
fehlen ſie. Die Mundtheile wechſeln ſehr nach der Lebensart der In-
ſekten; doch ſind ſie nie ſo kräftig wie bei den Geradflüglern, von
denen ſich ein weſentliches Unterſcheidungsmerkmal darin zeigt, daß
die Unterlippe ſtets ganz, höchſtens am Rande gekerbt, aber niemals
in zwei Hälften geſpalten iſt. Die Kiefer und Kinnladen ſind bei
manchen Familien verkümmert, letztere zuweilen mit einander in der
Mitte verwachſen; die Kiefer nie ſehr ſtark und meiſt nur ſchneidend,
niemals vielfach gezähnt. Palpen ſind ſtets vorhanden, wenigſtens in
der Zahl von vier; bei einer Familie finden ſich ſelbſt äußere und
innere Ladentaſter.


Die Flügel ſind ſtets gleich im Bau, netzförmig gegittert, groß
im Verhältniß zum Körper. Sie werden meiſt in der Ruhe geſtreckt
oder aufrecht getragen; nur wenige falten die Unterflügel, um ſie un-
ter den dachförmigen Oberflügeln unterzubringen. Die Füße ſind dünn,
fein, oft mit Stacheln beſetzt; die Tarſen 4 bis 5gliedrig. Der Hin-
terleib lang, geſtreckt, bei einigen mit zangenartigen Anhängen oder
beim Weibchen mit einer Legeröhre verſehen.


[637]

In anatomiſcher Hinſicht zeichnen ſich die Netzflügler nur
wenig von den übrigen langleibigen Inſekten aus. Das Nerven-
ſyſtem iſt langgeſtreckt, meiſt aus drei Bruſtknoten und acht Hinter-
leibsknoten zuſammengeſetzt und (namentlich zum Unterſchiede von den
falſchen Netzflüglern, die wir ihrer unvollkommenen Verwandlung we-
gen zu den Geradflüglern ſtellten), die beiden letzten Bauchknoten un-
verſchmolzen. Der Schlund iſt lang, nach hinten blaſig aufgetrieben,
oft noch mit einem ſeitlichen Saugmagen verſehen; der Chylusmagen
quer geringelt; der Darm gerade und meiſt gleich weit. Die Spei-
cheldrüſen ſind ſtark entwickelt, zuweilen mehr bei den Männchen als
wie bei den Weibchen (Panorpida). Das Tracheenſyſtem iſt einfach,
weſentlich aus zwei ſeitlichen Hauptſtämmen beſtehend; die Harnkanäle
nur in geringer Zahl, aber ſehr lang und gewunden, zum Unterſchiede
von den Geradflüglern, die meiſt viele Harngefäße haben. Die Röh-
ren der Eierſtöcke ſind zahlreich, vielkammerig und bald in Quirlen,
bald einzackig, bald an der äußeren Seite der weiten Eileiter ange-
bracht. Die Samentaſche iſt gewöhnlich ſehr zuſammengeſetzt, indem
bald mehrere gewundene Drüſenröhren, bald ſelbſt geſtielte Blaſen und
ähnliche Abſonderungsorgane in ſie einmünden. Kittdrüſen ſind eben-
falls oft in ausgezeichneter Form vorhanden, die äußeren Begattungs-
organe aber ſehr einfach. Bei den Männchen ſind die Hoden eiför-
mig oder büſchelförmig aus Schläuchen zuſammengeſetzt, die Samen-
leiter kurz, am Ende mit zwei ſeitlichen acceſſoriſchen Drüſenbälgen
verſehen und die Begattungsorgane aus zwei Paar Klappen gebildet,
die den Penis ſcheidenartig umgeben und als Zangen dienen.


Die Larven der Netzflügler leben größtentheils im Waſſer, einige
auf dem Lande, die meiſten von Raub, wozu ſie zum Theil mit kräf-
tigen Beißwerkzeugen ausgerüſtet ſind. Einige findet man auf dem
Lande, wo ſie durch ihre ſonderbare Lebensart ſchon längſt die Auf-
merkſamkeit auf ſich gezogen haben. Die vollkommenen Inſekten leben
meiſt nur kurze Zeit und fliegen beſonders gerne an ſonnigen Tagen
in Wäldern, Büſchen und am Ufer des Waſſers. Wir unterſcheiden
folgende Familien.


[638]

Die Familie der Schmetterlingsfliegen (Phryganida), hat einen

Figure 606. Fig. 813.

Geaderte Schmetterlingsfliege (Phryganea venata.)


kleinen, etwas gebeugten
Kopf, lange borſtenför-
mige Fühler, mittelgroße
Augen und drei Neben-
augen, von denen zwei
zwiſchen den Augen, eines
zwiſchen den Fühlern
ſteht. Die Kauwerkzeuge
ſind ſtets verkümmert;
die Kiefer fehlen ganz; die Kinnladen ſind in der Mitte verwachſen,
tragen aber große, meiſt fünfgliedrige Taſter beim Weibchen, während
das Männchen oft nur drei oder vier Glieder daran hat. Die Un-
terlippe iſt ſchmal gekerbt, die Lippentaſter kurz und dreigliedrig. Die
Flügel ſind groß, ſtets am Rande behaart, mit feinen Längsadern ver-
ſehen, die keine netzartige Verzweigung zeigen; die hinteren werden
fächerartig gefaltet; die oberen bilden in der Ruhe ein Dach, ſo daß
die Thiere manchen kleineren Nachtſchmetterlingen entfernt ähneln.
Füße fein, Tarſen fünfgliedrig. Am Hinterleibe der Weibchen findet
ſich eine rundliche, ziemlich bedeutende, mit hornigen Klappen umge-
bene Grube, worin ſie Eierpakete herumtragen. Die Larven leben

Figure 607. Fig. 814. 815. 816.

Larven von Schmetterlingsfliegen.
Fig. 814. Die Larve in ihrem Ge-
häuſe. Fig. 815. Das Gehäuſe einer an-
dern Art von der Seite. Fig. 816. Die
Larve aus dem Gehäuſe genommen.


im Waſſer, haben einen weichen
rundlichen Leib mit ſeitlichen Haken
am Ende, ziemlich lange behaarte
Füße, einen hornigen Kopf und
bauen ſich aus Steinchen, Muſchel-
chen, Holzſtückchen eine Röhre, die
ſie beſtändig mit ſich herumſchleppen
und worin ſie ſich ganz zurückzie-
hen können. Zur Verpuppung ſpin-
nen ſie auf beiden Seiten der Röhre
einen gegitterten Deckel und wan-
deln ſich in eine ruhende Puppe um,
die aber wieder ſehr lebendig wird, wenn die Fliege auskriechen ſoll.
Die Puppen ſprengen dann den Deckel, kriechen an Waſſerpflanzen in
die Höhe und kommen ſelbſt ganz auf’s Trockne, um auszuſchlüpfen.
Phryganea; Limnephila; Mystacida; Trichostoma; Sericostoma; Hy-
dropsyche.


Familie der Sumpflibellen (Sialida), kleine Netzflügler mit klei-
nem Kopf ohne vorſpringenden Mund; borſtenförmigen Fühlern, deut-
[639] lichen Kiefern, die innen noch einen ſchwachen Nebenzahn haben; ſchar-
fen Kinnladen mit kurzen viergliedrigen Taſtern und einfacher, dreieckig
gekerbter Unterlippe, die nur ſehr kurze Taſter trägt. Die Flügel ſind
faſt gleich; die Tarſen fünfgliedrig. In Amerika giebt es rieſenhafte
Gattungen (Corydalis); hier nur kleine Thiere, deren Larven im Waſſer
leben, ſeitliche Büſchel von Tracheenkiemen tragen und aus Eiern
hervorkommen, die in braunen Plattenhaufen abgelegt werden. Sia-
lis; Semblis; Corydalis; Chauliodes.


Familie der Erdlibellen (Hemerobida), Kopf klein, breit, Augen

Figure 608. Fig. 817.

Gemeine Erdlibelle (Hemerobius perla.)


vorgequollen; Fühler
ſehr lang, fadenförmig;
Nebenaugen fehlen. Kör-
per ſehr zart und weich,
Flügel fein gegittert, mit
zarten Härchen beſetzt.
Kiefer klein, ſchneidend.
Füße dünn; Kinnladen-
taſter ziemlich lang. Sie
fliegen ſchlecht und ſchwer,
verbreiten meiſt einen un-
angenehmen Kothgeruch,
der lange an den Fingern haftet. Ihre Larven leben auf Blättern,
namentlich von Blattläuſen, die ſie mit ihren ſtarken hakenförmigen
Kiefern durchbohren. Vielleicht leben die Larven einer Gattung (Si-
syra)
in Süßwaſſerſchwämmen und zeichnen ſich durch eine ſonderbare
Bildung der langen Kiefer aus, die ähnlich wie die kurzen Kiefer der
Ameiſenlöwen ſcharfe Saugröhren ſind. Hemerobius; Sisyra.


Familie der Ameiſenlöwen (Myrmeleontida). Die Bilder glei-
chen in Form und Geſtalt ſehr den Waſſerjungfern, unterſcheiden ſich

Figure 609. Fig. 818.

Punktirter Ameiſenlöwe (Myrmeleon punctatus.)


aber auf den erſten Blick durch
die kurzen keulenförmigen (Myr-
meleon),
oder langen geknopf-
ten Fühler (Ascalaphus). Der
Kopf iſt groß, quer, die Au-
gen vorgequollen, die Kiefer
einfach hakig; die Kinnladen
mit kleinen doppelten Taſtern,
die einfache ganzrandige Lippe
mit dreigliedrigen, großen
Taſtern verſehen, deren zweites und drittes Glied ſehr lang ſind. Die
[640] Flügel ſind fein gegittert, die Tarſen fünfgliedrig. Die platten kurz-
leibigen Larven leben im Sande vom Raube; die des Ameiſenlöwen,

Figure 610. Fig 819.

Larve des Ameiſenlöwen


Figure 611. Fig. 820.

Die Larve in ihrem Sandtrichter mit
aufgeſperrten Kiefern lauernd.


deren Kopf und Vorder-
bruſt ſehr klein ſind, wäh-
rend die beiden Hinter-
ringe der Bruſt mit dem
breiten Leibe verſchmol-
zen ſind, legt ſich an einem
vor Regen geſchützten
Orte, beſonders unter
Dachtraufen und Stei-
nen im Sande ein kegel-
förmiges Loch an, in deſſen Grunde ſie mit aufgeſperrten Kiefer-
zangen lauert; kleine Inſekten, welche hineinfallen, werden augenblicklich
erfaßt und ihr Sturz noch dadurch beſchleunigt, daß ihnen der Amei-
ſenlöwe eine Ladung Sand von unten her mit den Kiefern anwirft.
Die Kiefer haben an der Spitze eine feine Oeffnung, die ſich in einen
Kanal fortſetzt, der im Kopfe ſich mit dem der andern Seite zum
Schlunde vereinigt; dem Opfer werden die beiden Kneifzangen in den
Leib geſchlagen und dann daſſelbe ausgeſogen. Die Larven gehen rück-
wärts. Myrmeleon; Ascalaphus.


Die Schnabelfliegen(Panorpida) haben einen kleinen ſchnabel-

Figure 612. Fig 821.

Egyptiſche Schnabelfliege (Panorpa aegyptiaca.)


förmig verlängerten
Kopf, borſtenförmige
meiſt kurze Fühler,
die zuweilen federar-
tig ſind, drei Neben-
Augen, ſchneidende
Kinnladen und vier
Taſter, von denen die
Ladentaſter vier- bis
fünfgliedrig, die Lip-
pentaſter zwei- bis
dreigliedrig ſind. Füße und Flügel wechſeln ſehr in dieſer Familie;
erſtere haben zwar ſtets fünf Tarſalglieder, ſind aber bald ſehr lang
und ſtachlich, wodurch die Thiere den Schnaken ähnlich ſehen; bald
kurz und haarig; die Flügel ſind meiſt nur wenig geadert und einan-
[641]

Figure 613. Fig. 822.

Schnakenjungfer (Bittacus tipularides.)


Figure 614. Fig. 823.

Balancirfliege (Nemoptera.)


der gleich, zuweilen aber ſehr ungleich, die hinteren lang ausgezogen;
ja es giebt Gattungen, wo die Weibchen ganz ungeflügelt ſind. Bor-
eus; Panorpa; Bittacus; Nemoptera.


Familie der Kameelfliegen (Raphidida), Kopf eiförmig, klein;
vorn breiter, hinten ſchmäler; Augen groß, vorgequollen; Fühler kurz,
borſtenförmig; Kiefer ſtark, ſpitz, krumm gebogen, mit zwei ſcharfen
Zähnen am Innenrande unter der Hakenſpitze; Ladentaſter kurz, vier-

Figure 615. Fig. 824.

Mantispa.


gliedrig. Vorderbruſt ſehr lang,
ſchmal, halsförmig ausgezogen; trägt
bei einer Gattung Raubfüße, die ganz
in ähnlicher Weiſe gebaut ſind, wie
die der Fangheuſchrecken und der
Squillen; Flügel gleich, fein gegit-
tert, faſt von gleicher Größe. Die
Larven ſind äußerſt behend, leben
an Baumrinden vom Raube und
ſpinnen ſich eine Art Cocon. Raphidia; Mantispa.


Foſſile Netzflügler ſind im Ganzen ſehr ſelten — man will Reſte
von Phryganiden in den Wälderthonen Englands gefunden haben.
Häufiger kommen ſie dagegen im Bernſteine und in den tertiären Süß-
waſſerablagerungen vor.


Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 41
[642]

Ordnung der Käfer (Coleoptera).


Dieſe Ordnung bildet unter den Inſekten mit vollkommener
Metamorphoſe die zahlreichſte und am beſten gekannte Gruppe. Die
Mannigfaltigkeit der Formen, welche dieſe Thiere bieten, die Schönheit
ihrer Farben, die Härte ihrer äußeren Theile, welche ihre Erhaltung
leicht machen, haben dieſer Ordnung von jeher die Vorliebe der
Sammler und Liebhaber geſichert. Weit weniger, als die vollkom-
menen Inſekten, ſind die Larven und deren Haushalt bekannt; weniger
ſelbſt, als bei den Schmetterlingen, wo das Intereſſe, unverſehrte
Exemplare zu erhalten, zur Zucht der Raupen und Puppen auf-
forderte.


Man unterſcheidet bei den Käfern ſtets deutlich die drei Hauptab-
theilungen des Körpers, Kopf, Bruſt und Hinterleib. Der meiſt
rundliche oder dreieckige Kopf, der oft ſchildförmig erweitert iſt, ſteht
meiſtens horizontal vor und iſt oft durch eine Art Hals von dem
erſten Bruſtringe getrennt, zuweilen aber ganz in denſelben eingefügt
oder ſelbſt unter ihm verborgen. Die Augen, welche nur in ſehr ſel-
tenen Fällen bei einigen unter der Erde lebenden Arten (Claviger)
fehlen, ſind ſtets zuſammengeſetzt und mit mehr oder minder großen
Facetten verſehen. Sie ſtehen auf der Seite des Kopfes, ragen oft
wie kleine Halbkugeln hervor, ſind aber auch oft nierenförmig und
zuweilen ſo tief ausgeſchnitten, daß ſie in zwei hintereinandergelegene
Theile getrennt ſind. Bei manchen Gattungen ſpringt von oben her
eine trennende Hornleiſte in das Auge vor, bei den Taumelkäfern
(Gyrinus) exiſtiren gar zwei zuſammengeſetzte, übereinander liegende
Augen auf jeder Seite, von denen die höheren nach oben, die niederen
nach unten in das Waſſer gerichtet ſind. Kein Käfer hat einfache
Nebenaugen. Die Fühler ſtehen auf der Oberſeite des Kopfes oder
am Stinrande und haben meiſt 9 bis 11 Glieder, deren Formen
außerordentlich wechſeln und oft ſehr charakteriſtiſch für viele natür-
liche Abtheilungen ſind.


Alle Käfer haben beißende Mundtheile, die ſtets aus den nor-
[643]

Figure 616. Fig. 825.

Mundtheile eines
Laufkäfers (Carabus)
auseinandergelegt, aber in
ihren natürlichen Stellun-
gen zu einander belaſſen. a
Oberlippe. b Kiefer. c Kinn-
laden. d Unterlippe.


malen ſechs Haupttheilen, der Oberlippe, den
Kiefern oder Mandibeln, den Kinnladen oder
Maxillen, und der Unterlippe zuſammengeſetzt
ſind. Die Oberlippe iſt meiſt ein kleines,
querlängliches Hornſtück, das oft nur ſehr ru-
dimentär iſt, aber ſonſt wenige charakteriſtiſche
Kennzeichen hat. Die Kiefer ſind faſt immer
gekrümmte, feſte Hornhaken, die oft weit vor
dem Kopfe vorſtehen und bei den Raubkäfern
mehr ſäbelförmig ſcharf und ſpitz gezähnt, bei
den Pflanzenfreſſern kurz, dreieckig und innen
mit ſtumpfen Fortſätzen, die oft in einander
paſſen, verſehen ſind. Bei einigen, die ſich von
Honig und Blumenſtaub nähren, werden die
Kiefer ſelbſt ganz oder nur am Innenrande
häutig. Sie beſtehen aus einem Stücke, während die Kinnladen
oder Unterkiefer ſtets zuſammengeſetzt ſind und zwar aus einem que-
ren Gelenkſtücke, der Angel (cardo), auf welcher ein ſtielförmiges
Stück, der Stiel (stipes) und auf dieſem das eigentliche Beißſtück der
Kinnlade (mala) eingelenkt iſt. Dieſes letztere iſt meiſt hakig oder
häutig, oft mit Haaren beſetzt und der Länge nach in ein äußeres
und inneres Blatt getheilt. Auf jeder Kinnlade iſt wenigſtens ein,
bei den Fleiſchfreſſern aber zwei Ladentaſter (palpi maxillares) einge-
lenkt, die meiſt borſtenförmig ſind und aus vier oder drei Gliedern
beſtehen. Die querlängliche Unterlippe zeigt außen das Kinn (mentum),
innen darauf liegend die Zunge und ſtets zwei ſeitliche, neben der
Zunge eingelenkte, 2 — 4 gliederige Lippentaſter (palpi labiales),
ſo daß alſo jeder Käfer wenigſtens vier, die Fleiſchfreſſer aber ſechs
Taſter im Ganzen beſitzen.


Hinter dem Kopfe zeigt ſich bei allen Käfern der Vorderbruſtring
in Geſtalt eines feſten Schildes, das der Halsſchild (thorax —
corselet
) genannt wird und deſſen Formen, Verzierungen und Umfang
äußerſt mannigfaltig und für Gattungen und Arten ſehr bezeichnend
ſind. An ſeiner Unterfläche, der Vorderbruſt (Prosternum) iſt das
erſte Fußpaar eingelenkt. Der zweite Bruſtring, der die Flügeldecken
trägt, iſt meiſt, ſo wie die weiteren hinteren Ringe, von dieſen bedeckt
oder zeigt nur zwiſchen den Anſatzſtellen der Flügeldecken einen kleinen,
mittleren, meiſt dreieckigen Raum, den man das Schildchen (Scu-
41*
[644]

Figure 617. Fig. 826.

Geotrupes stercorarius.
c
Das Schildchen zwi-
ſchen der Baſis der Flügel-
decken.


tellum) nennt. Der zweite Bruſtring trägt
oben die hornigen feſten Flügeldecken (Elytra),
die in der Mitte mit dem Nathrande zuſam-
menſtoßen, ſo daß ſie eine gerade Längslinie
bilden. Sie bedecken gewöhnlich den ganzen
Leib bis zu ſeiner hinteren Spitze, ſo daß der
Käfer, von oben geſehen, nur drei Abtheilungen
bildet, Kopf, Halsſchild und Flügeldecken. Nur
bei einigen Käfern ſind die Flügeldecken abge-
ſtutzt, ſo daß ein mehr oder minder bedeutender
Theil der Hinterleibsringel frei liegt. Die

Figure 618. Fig. 827.

Ein Käfer in fliegender Stellung.
a Flügeldecken. b Unterflügel.


Flügeldecken werden beim Fluge nur
gehoben, aber nicht bewegt. Die
Flügel, welche der dritte Bruſt-
ring trägt, ſind häutig, von Längs-
adern durchzogen und werden, um
unter die kürzeren Flügeldecken ge-
borgen werden zu können, in der

Figure 619. Fig. 828.

Unterflügel eines Käfers, halb zuſammengelegt.


Mitte quer geknickt, eine Art der Zuſammenlegung, die den Käfern
eigenthümlich iſt. Nur ſelten ragen ſie in der Ruhe über die dann
verkürzten Flügeldecken hervor.


Betrachtet man einen Käfer von unten, ſo ſieht man außer den
drei Bruſtringen, welche die Beine tragen, die hornigen Ringe des
Hinterleibes, deren Normalzahl neun iſt, die ſich aber durch Ver-
wachſungen vermindern kann. Auf jedem Ringe befindet ſich jederſeits
am Rande ein Athemloch.


Die Beine ſind beſonders wichtig. Das Gelenkſtück beſteht aus
zwei, unbeweglich mit einander verbundenen Stücken, einem inneren,
das ſich in der Pfanne des Bruſtringes bewegt, der Hüfte (coxa),
und einem äußeren, dem Schenkelknorren (trochanter). Beide Theile
ſind oft ſehr charakteriſtiſch geſtaltet. In dem Knorren iſt der meiſt
ſtabförmige Schenkel (femur) und am Ende dieſes die ebenfalls ſtab-
förmige Schiene (tibia) eingelenkt. Der Fuß (tarsus), der das Ende
[645]

Figure 620. Fig. 829.

Fuß mit fünf
Gliedern.


das Beines bildet, beſteht aus drei bis fünf Gliedern,
deren letztes nur ſehr ſelten eine, faſt ſtets zwei Horn-
klauen trägt. Schienen und Hüften ſind oft mit Stacheln,
die Tarſen oft mit Haaren beſetzt und die Zahl der Tar-
ſenglieder verdient beſondere Beachtung, da ſie ſogar als
Haupt-Eintheilungsgrund benutzt wurde. Bei den meiſten
Käfern ſind die Beine einfache Gehbeine; bei einigen ſind
die Vorderbeine zu Grabfüßen, bei andern die Hinterbeine zu Spring-
beinen mit angeſchwollenen Schenkeln oder zu platten Schwimmfüßen
umgewandelt.


Figure 621. Fig. 831.

Der Darmkanal eines Laufkäfers (Carabus)
iſolirt.
a Die Kiefer und Taſter, von oben ge-
ſehen. b Der Kopf mit den Fühlern und
den halbkugeligen Augen. c Der Schlund.
d Der gefaltete Kropf. e Der Kaumagen.
f Der Chylusmagen. g Die Harngefäße.
h Der Darm. i Die Cloake. k Die
Afterdrüſen. l Der After.


Der innere Bau der Käfer
zeigt eine große Mannigfaltigkeit
der Anordnung. Das Nervenſy-
ſtem beſteht entweder aus getrennten

Figure 622. Fig. 830.

Nervenſyſtem eines Carabus.


Knoten, die ſtets durch doppelte
Längsſtränge miteinander verbunden
ſind, oder nur aus einem Hirn-
knoten und drei dicht aneinander
gereihten Anſchwellungen, von de-
nen die erſte den Knoten des Hals-
ſchildes, die zweite die beiden hin-
teren Bruſtknoten, die dritte die
verſchmolzenen Hinterleibsknoten
darſtellt, von der aus alle Nerven
des Hinterleibes ausſtrahlen. Der
Schlund, der ziemlich kurz iſt, geht
in einen meiſt kurzen und gefalteten
Kropf über, hinter welchem bei den
[646] Fleiſchfreſſern ein runder Kaumagen folgt, der den übrigen Käfern fehlt.
Der Chylusmagen iſt kurz, auf ſeiner ganzen Fläche oder nur dem vorde-
ren Theile mit zottigen Blinddärmen beſetzt, der Darm meiſt kurz, dünn,
hinten zu einer Cloake erweitert. Die Harnkanäle ſind dünn, lang, nie
mehr als vier oder ſechs; meiſt finden ſich am After noch beſondere, zuwei-
len traubige Abſonderungsorgane, die manchmal ein ſehr flüchtiges
Sekret liefern, das bei dem Austreten aus dem After zu Gas ver-
pufft. Die Luftröhren ſind ſtets ſehr entwickelt, oft mit vielen Luft-
blaſen beſetzt und ſo angeordnet, daß ſie ſich unmittelbar von den Luft-
löchern aus an die Organe veräſteln, zugleich aber ſtarke, oft dop-
pelte Communicationsröhren unter ſich zeigen. Die Eierſtöcke ſind
büſchelförmig geſtellte, meiſt dreifächerige Eiröhren, deren Zahl von 5
bis 41 wechſelt; die Eileiter kurz; die Samentaſche beſteht meiſt aus
einer keulenförmigen Kapſel, die einen langen Stiel und meiſt noch
einen gewundenen Anhang beſitzt. Außerdem kommt noch gewöhnlich
eine dicke, blinde Begattungstaſche und eine lange gewundene Scheide
vor. Die Hoden variiren ungemein in ihrer Form; die Samenleiter
ſind meiſt kurz, und ſtets ſind noch acceſſoriſche Drüſen vorhanden.
Die Begattungsorgane beſtehen aus einer breiten, platten, durchbohr-
ten Ruthe, welche in einer Kapſel liegt und mit dieſer durch vielfache
Muskeln weit hervorgeſchoben werden kann. Die Eier haben keine
ausgezeichneten Formen.


Die Larven der Käfer ſind, wie ſich dies bei den ſo mannig-

Figure 623. Fig. 832. Fig. 833. Fig. 834.

Fig. 832 — 834. Larve, Puppe und Käfer von
Calosoma sycophanta.


faltigen Formen der
Ordnung erwarten ließ,
ebenfalls ziemlich wech-
ſelnd in Geſtalt und
Anordnung ihrer einzel-
nen Theile, doch aber
wieder ſo eigenthümlich,
daß nicht leicht eine Ver-
wechſelung mit Larven
anderer Inſektenordnun-
gen Statt finden kann.


[647]
Figure 624. Fig. 836.

Figure 625. 838.

Figure 626. 841.

Figure 627. Fig. 835 837. 839. 840. 842.

Fig. 835 — 842. Verſchiedene Käferlarven, meiſt von der Rückenſeite geſehen.
Fig. 835. Von Cicindela campestris, beſonders ausgezeichnet durch die
großen, gezähnelten Kinnbacken, die drei Punktaugen, welche an den Seiten
des Kopfes an der Stelle der zuſammengeſetzten Augen ſtehen und den achten
Leibring, der breiter und höher als die übrigen und mit zwei Hornhaken auf
dem Rücken bewaffnet iſt. Fig. 836. Dieſelbe Larve von der Seite. Fig. 837.
Larve von Cassida equestris. Fig. 838. Von Buprestis manca, fußlos.
Fig. 839. Fußloſe Larve von Scolytes destructor (Borkenkäfer). Fig. 840.
Kurzfüßige Larve von Tenebrio molitor (Mehlwurm). Fig. 841. Langfüßige
Larve von Staphylinus olens. Fig. 842. Mit Schwimmfüßen und hinteren
Athemröhren verſehene Larve von Dytiscus marginalis.


Der Körper dieſer Thiere iſt ſtets geſtreckt, meiſt wurmförmig,
oft beinahe drehrund; in den meiſten Fällen aber von oben nach un-
ten abgeplattet. Zuweilen erſcheint er durchgehends weich; meiſt iſt
indeſſen der Kopf hornig und nur der Hinterleib mit weicher Haut
bekleidet. Bei den wenigſten wird auch dieſer mit feſtem Horne bedeckt.
Dieſe feſten Larven ſchweifen meiſtens frei nach Raub umher. Der
Kopf iſt meiſt flach gedrückt, platt, rundlich, von Linſengeſtalt und
horizontal nach vorn oder nach unten gerichtet; bei einigen pflanzen-
freſſenden Larven (Blätterhörner, Rüſſelkäfer, Borkenkäfer) iſt er
rundlich und ſenkrecht geſtellt, ſo daß der Mund der Bruſt genähert
iſt. — Zuſammengeſetzte Augen kommen bei den Larven nie vor —
ebenſowenig einfache Stirnaugen; oft, beſonders bei den Holzbohrern,
fehlen die Augen gänzlich, wenn ſie aber vorhanden, ſo ſtehen 1 — 6
einfache Augen auf jeder Seite und zwar dann meiſt auf einem ge-
wölbten Buckel, der ſich während des Puppenlebens in das zuſam-
mengeſetzte Auge des Käfers umwandelt. Die Fühler fehlen zuwei-
[648] len, beſonders bei Holzbohrern — ſie ſind ſtets einfach faden-
oder kegelförmig, haben nie mehr als vier Glieder und ſtehen faſt
immer ſeitlich am Kopfrande über den Kiefern, ſelten auf der Stirn-
fläche.


Die Mundwerkzeuge ſind, je nach der Nahrung, verſchieden
geſtaltet. Oft dient als Decke der ganzen Theile ein bewegliches, an
der Stirn eingelenktes Kopfſchild, das indeß eben ſo oft fehlt. Das-
ſelbe begegnet oft der Oberlippe, die manchmal deutlich abgeſetzt, be-
weglich, zuweilen mit der Stirn verwachſen iſt oder ganz fehlt, wo
dann der Stirnrand zugleich den Mundrand bildet und die übrigen
Freßwerkzeuge ganz frei vor dem Kopfe ſtehen. Dieß iſt bei vielen,
vom Raube lebenden Larven (Cicindelida, Carabida, Histerida, Lam-
pyrida, Hydrophylida, Staphylinida
) der Fall und dann iſt die Mund-
öffnung außerordentlich fein und nur mit Mühe nachzuweiſen. Die
ſcharfen Kiefer dienen ſolchen Raublarven zum Anbeißen der Beute,
zum Durchbohren der Haut und zum Zerfleiſchen der Eingeweide,
deren flüſſige Beſtandtheile dann von der feinen Mundöffnung auf-
geſaugt werden. Bei den Waſſerkäferlarven (Dytiscida) iſt ſogar
durchaus keine Mundöffnung vorhanden, ſondern beide Kiefer ſelbſt
von Kanälen durchlaufen, welche ſich an der Spitze der Kiefer ſpalt-
förmig öffnen und durch die der Saft der Beute eingeſogen wird.
Kiefer ſind ſtets vorhanden; — bei den Räubern ſäbel- oder ſichel-
förmig, ſcharf und ſpitz, meiſt über den Kopf vorragend und über-
einandergreifend; bei den Pflanzenfreſſern kurz, derb, dreieckig, oft mit
ſtumpf gezähnten Kau- und Schneideflächen, die gegeneinander paſſen.
Die Kinnladen haben meiſt dieſelben Theile, wie beim vollkomme-
nen Käfer — eine Angel (cardo), die zuweilen ſtielförmig wird und
dann den Haupttheil des Ganzen ausmacht — eine Lade, die meiſt
verwachſen, zuweilen gezähnelt, ſelten eingelenkt iſt, und einen Taſter,
der fadenförmige Geſtalt und drei Glieder hat. Die Unterlippe
iſt oft verwachſen, ſtets klein, ihre Taſter zweigliederig, die Zunge
meiſt nur rudimentär.


Vielen holzbohrenden Käferlarven fehlen die Beine durchaus, bei
anderen ſind ſie nur durch borſtentragende Warzenvorſprünge ange-
deutet. Wenn ſie vorhanden ſind, ſo ſtehen ſie an den drei erſten,
[649]

Figure 628. Fig. 843.

Holzſtück mit einer Gallerie des grauen Holz-
bockes (Lamia vomicosa).
a Eierhaufen. b Ausgewachſene, fuß-
loſe Larve. c Puppe.


dem Kopfe folgenden Körperringeln
an der Unterfläche und beſtehen
meiſt aus fünf Gelenken, von wel-
chen das letzte dem Tarſus ent-
ſpricht und bei den Larven der
Fleiſchfreſſer mit zwei, bei den Mai-
wurmlarven (Meloida) mit drei, bei
allen übrigen mit nur einer Klaue
bewaffnet iſt. Die Länge der Beine
ſteht meiſt mit der Lebhaftigkeit und
der Beuteluſt der Larven im Ver-
hältniß. Der Leib beſteht hinter
den Beinetragenden Ringeln aus
neun Ringeln, ſo daß alſo außer
dem Kopfe im Ganzen zwölf Seg-
mente vorhanden ſind, eine Regel,
wovon indeß die Waſſerkäferlarven
eine Ausnahme machen, deren Leib
nur eilf Segmente zählt. Ein Paar
Athemlöcher ſteht an der Bruſt, acht
Paare an den acht erſten Hinter-
leibsſegmenten. Der After tritt
meiſt röhrenförmig oder warzenför-
mig hervor und wird zum Nach-
ſchieben des Körpers benutzt, da
ſolche Afterfüße und Nachſchieber, wie Schmetterlings- und Holzwespen-
Raupen ſie beſitzen, den Käferlarven gänzlich abgehen.


Die raubenden Käferlarven leben meiſt in Erdlöchern, im Miſte,
unter Baumrinden, im Mulme, in Gängen und Neſtern anderer In-
ſekten, deren Larven ſie beſonders heimſuchen. Nur wenige überraſchen
ihre Beute im Schuſſe oder Sprunge, indem ſie vorher darauf lauern
(dies thun beſonders die Larven der Sand- und Waſſerkäfer), die
meiſten freſſen fußloſe oder träge Thiere und namentlich Larven, zu-
weilen auch Weichthiere (Schnecken) an. Die Holzfreſſer bohren ſich
Gänge, oft in dem härteſten Holze, meiſt aber in den weicheren
Theilen, im Marke, dem Splinte und Baſte und unter den Rinden.
Viele freſſen faulende oder verweſende Stoffe — einige werden uns
beſonders ſchädlich durch Zerſtörung der Wurzeln, die ſie unter der
Erde aufſuchen.


[650]

Alle Käferlarven verwandeln ſich nach einiger Zeit in eine ruhende
Puppe. Die Lebensdauer mancher Larven ſcheint mehre Jahre zu
dauern; die der Maikäfer z. B. wie man aus den Flugjahren ſchlie-
ßen kann, drei Jahre; manche Holzbohrer ſcheinen ſogar ſechs, zehn
und mehr Jahre als Larven zu leben. Zur Verwandlung ziehen ſich
die meiſten nur an einen geſchützten Ort zurück; einige wenige ſpinnen
ſich aus grober Seide einen Cocon; viele machen ſich aus Erde, Holz,
Miſt etc. das ſie mit einem klebrigen Stoffe zuſammenleimen, einen
hohlen Klumpen, der erhärtet und in deſſen Innerem die Puppe liegt.
Dieſe gleicht dem vollkommenen Inſekt, nur mit dem Unterſchiede, daß
der Körper verkürzt und eingebogen, die Fühler unter die Bruſt ge-
ſchlagen, die Flügeldecken ſehr kurz, die Füße nach innen eingezogen
ſind, während zugleich oft noch beſondere Anhänge exiſtiren oder auch
ſolche des vollendeten Inſektes fehlen. Der Puppenſchlaf dauert meiſt
einen Winter hindurch.


Bei der ungemein großen Anzahl von Gattungen und Arten der
Käfer, die einen geordneten Ueberblick ſehr erſchwert (man zählt jetzt
etwa 30,000 bekannte und beſchriebene Arten), war man von Anfang
an bemüht, Unterſcheidungszeichen für größere Gruppen oder Unter-
ordnungen zu finden. Alle dieſe Verſuche mißglückten indeſſen an
der Unbeſtändigkeit einzelner Charaktere in ſolchen Familien, deren
ſonſtige Verwandtſchaft nicht zu läugnen war, und an den Uebergän-
gen, welche man vielfach entdeckte. Die Geſtaltung und Ausſtattung
der Larven mit Füßen, welche Einige zur Grundlage ihrer Einthei-
lung nehmen wollten, ſcheiterte an der verhältnißmäßig ſehr unvoll-
kommenen Kenntniß der Käferlarven — die Fühlhörner, Flügeldecken etc.
welche Andere zu benutzen ſuchten, zeigten ſo mannigfache Uebergänge,
daß man ungewiß werden mußte, wo die Gränze ziehen. Am meiſten
hat ſich noch die Eintheilung von Latreille erhalten, welcher nach der
Zahl der Tarſenglieder an den Füßen die Käfer in 4 Abtheilungen
bringt: Pentamera: Tarſen überall mit fünf Gliedern; Heteromera:
Tarſen der Vorderbeine mit fünf, die der beiden Paare der Hinter-
beine mit vier Gliedern; Tetramera: Tarſen überall mit vier Gliedern;
Trimera: Tarſen überall mit drei Gliedern.


Es läßt ſich nicht läugnen, daß dieſe Eintheilung viele natürliche
Gruppen richtig trennt, wie z. B. die Heteromeren eine ſehr wohl mit
einander verbundene Reihe bilden; auf der anderen Seite aber würde
ſie, bei ſtrenger Durchführung, ſelbſt einzelne Familien in ſich zer-
ſpalten und in verſchiedene Unterordnungen werfen, während ſie an-
derwärts nahe verwandte Familien von einander trennen würde. So
[651] kommen in den Familien der Staphyliden und der Aniſotomen Pen-
tamere, Heteromere, Tetramere und Trimere Tarſen vor; während
bei vielen Rüſſelkäfern ein fünftes kleines Tarſalglied verſteckt ſich
findet, und ähnliche Beiſpiele mehr.


Berückſichtigt man die auch für die andern Abtheilungen des
Thierreiches geltenden Grundſätze, wonach freie Beweglichkeit, thieriſche
Nahrung, beſonders Raub und Vernichtung lebender Thiere ſtets mit
einer höheren Organiſation verknüpft ſind, während Pflanzennahrung,
geringere Beweglichkeit, Entfernung von Licht und Luft eine geringere
Stufe der Organiſation bedingen; bedenkt man ferner, daß eine gra-
duelle Entwicklung der Typen ſowohl in unſerer Lebenwelt, als in
den untergegangenen Schöpfungen ſich darſtellt, eine Entwicklung,
deren Reflex die Claſſification darſtellen ſoll — ſo wird man, bei
genauerer Anwendung dieſer Punkte, auch bei den Käfern auf ver-
ſchiedene Reihen geführt, die von gewiſſen Grundtypen ausgehend ſich
in ähnlicher Weiſe fortentwickeln, wie die Reihen, die wir bei den
Kruſtenthieren wahrnehmen. Wir ſehen die Käfer in den geologiſchen
Epochen erſt ſpät, in dem Jura auftreten und zwar mit holzbohren-
den, pflanzenfreſſenden Familien, deren Larven theils fußlos, theils
nur mit unſcheinbaren Füßen verſehen ſind. Erſt ſpäter geſellen ſich
Blätterfreſſer, von Unrath oder Raub lebende Familien hinzu. Ver-
gleicht man mit dieſen Urfamilien der Käfer die jetzigen Typen, ſo
zeigt ſich bald, daß jede derſelben an der Spitze einer Reihe ſteht, die
ſich größerer Freiheit in der Bewegung als Larve wie als vollkom-
menes Thier, ſo wie umfaſſenderen Nahrungsbedürfniſſen entgegen bildet,
ſo daß ſich allmähliche Uebergänge bis zu Blätter- und Blumenfreſſen-
den, oder ſelbſt bis zu Fleiſchfreſſenden Gattungen finden, wodurch
auch eine Charakteriſirung dieſer Reihen ziemlich ſchwer hält.


Erſte Reihe. Viergliederige Holzbohrer.


Familie der Rüſſelkäfer(Curculionida). Die Käfer dieſer Fa-

Figure 629. Fig. 844.

Wein-Rüſſelkäfer (Rhynchites Bacchus).


milie haben meiſt einen elliptiſchen
Leib und einen mehr oder weniger
rüſſelförmig verlängerten Kopf, an
deſſen Seiten die Fühler ſtehen.
Die Mundöffnung befindet ſich vorn
an der Spitze des Rüſſels; die
Freßwerkzeuge ſind nur ſehr klein,
die Taſter unbedeutend, kegelförmig,
[652] ohne Zergliederung kaum ſichtbar; die Kiefer ſehr ſcharf, beilartig,
oft gezähnelt. Die Fühler ſtehen bei den Gattungen mit deutlichem,
langem Schnabel meiſt in der Mitte deſſelben oder etwas weiter nach
vorn und ſind entweder gekniet oder einfach fadenförmig. Bei den
geknieten Fühlern iſt das erſte Glied ungemein lang, ſtabförmig, die
andern Glieder kurz, zuweilen geſägt oder binſenförmig, das oder
einige letzte Glieder oft zu einem Knopfe verdickt. An den Seiten
des Rüſſels ſieht man dann eine ſchiefe Furche, die Fühlergrube, die
meiſt zu den Augen hinzieht und in die das erſte Glied des geknieten
Fühlers eingelegt werden kann. Die an der Baſis des Rüſſels ſte-
henden Augen ſind klein, zuweilen ausgeſchnitten; das Halsſchild vier-
eckig, hinten breiter, die Flügeldecken gerippt oder gekörnt und ſo hart,
daß viele dieſer Käfer nur ſchwer mit einer Nadel geſpießt werden
können. Die Tarſen ſind viergliederig; — nur ſelten findet ſich ein
ſehr kleines, fünftes Glied in einer Höhlung des Schienbeins ver-
borgen. Das vorletzte Tarſalglied meiſt herzförmig, zweigelappt; das
letzte mit doppelter Klaue.


Die Larven dieſer Käfer haben weder Füße noch Augen; ſie
bohren im Inneren von Bäumen, Wurzeln, Früchten und Samen
und ſpinnen ſich bei der Verpuppung eine Hülle aus feiner Seide.
Die Larven ſowohl, wie die Käfer richten große Verheerungen in
Pflanzungen und Fruchtvorräthen an.


Man hat mehre Gruppen unter den zahlreichen Gattungen unter-
ſchieden: Curculionida mit langem Rüſſel und geknickten Fühlern. Zu

Figure 630. Fig. 815.

Der Palmenkäfer (Calandra
palmarum
).


Figure 631. Fig. 816.

Der Haſelnußkäfer (Balaninus
nucum
).


ihnen gehört die Gat-
tung Calandra, von wel-
cher eine Art, C. granaria,
ihre Eier in das reife
Getreide legt. Die Larve
(der ſchwarze Korn-
wurm) hölt das Korn
aus. Eine andere Art
hölt die Palmſtämme;
ihre drei Zoll lange
Larve gilt als Lecker-
biſſen. Die Larven an-
derer Gattungen leben in Erbſen, Haſelnüſſen, Apfel- und Birn-
blüthen etc. Curculio; Cleonus; Lixus; Balaninus.


[653]

Einer anderen Gruppe fehlt die Fühlergrube. Sie hat einen kür-

Figure 632. Fig. 847.

Brenthus.


zeren Rüſſel und einfache Fühler. Hierhin gehört
der Rebenſtecher (Rhynchites bacchus), der Käfer frißt
die jungen Sproſſen und ſticht die Blätter an, um
die Eier hineinzulegen. Die Larven ſchaben die
Blätter ab; — der rothe Kornwurm (Apion fru-

Figure 633. Fig. 848.

Erbſenkäfer (Bruchus pisi).


mentarius); Ap. pomonae der
Apfelwurm. Magdalis; Rhynchites.


Bei einer dritten Gruppe
iſt der Kopf kurz, kaum ſchnabel-
förmig, flach; die Palpen deut-
licher, die Augen quer. Sie leben
meiſt in angebohrtem Samen —
der Erbſenkäfer (Bruchus pisi).
Anthribus.


Eine vierte Gruppe, die der Mycteriden, hat einen kurzen Rüſſel
oder einen nur dreieckigen platten Kopf, fadenförmige an der Spitze
etwas verdickte Fühler, an den Vorderfüßen fünf, an den Hinterfüßen
vier Tarſalglieder und kuglige Hüften der Vorderbeine. Die kleinen
Käfer leben unter Baumrinden und auf Blumen; die Larven im Holz
und perennirenden Kräutern. Mycterus; Rhinosimus; Salpingus.


Familie der Borkenkäfer(Bostrychida). Die Käfer haben einen
länglichen platten Leib, ſind meiſt nur klein und weniger hart, als
die Rüſſelkäfer; der Kopf iſt kurz, platt, ohne Rüſſel, die Fühler kurz,
mit einem großen, derben, meiſt geringelten Endknopfe verſehen, der
meiſt die Hälfte der Fühler beträgt. Das breite Halsſchild deckt oft
einen Theil des Kopfes, der darunter zu hängen ſcheint. Die Füße
haben ſtets vier Tarſalglieder; die hinteren ſtehen weit von den übri-
gen ab; bei einigen ſind die Schienen gezähnelt. Die Larven ſind
augenlos und ihre Füße ſo kurz und unſcheinbar, daß ſie manchen
Beobachtern entgingen. Käfer und Larven dieſer Familie bohren in
lebenden Bäumen und zwar vorzugsweiſe an Baſt und Splint, wo-
durch die Saftcirculation gehindert wird und die Bäume verdorren.
Der Buchdruckerkäfer (Bostrychus typographus), der eigenthümliche,
verſchlungene, arabiſchen Buchſtaben ähnliche Gänge bohrt, hat beſon-
ders im Harz öfter ungeheure Verheerungen in den Nadelholzwäldern
angerichtet. Man nennt die Krankheit der Bäume, die er verurſacht,
die Wurmtrockniß. Einige, etwas abweichende Gattungen dieſer Fa-
milie wohnen in Schwämmen. Mycetophagi; Lathridium.


Familie der Plattkäfer (Platysoma). Die Käfer ſind länglich,
[654] aber ſehr flach und dünn; der Kopf rundlich, ſtets deutlich vom
Halsſchild getrennt, nicht zurückziehbar; die Fühler nicht kolbig, ſon-
dern fadenförmig und kaum bei einigen Gattungen an der Spitze
verdickt; die Füße einfach, ſtets mit vier Tarſalgliedern verſehen, deren
keines erweitert iſt.


Die Larven haben ſechs kurze, dreigliederige Füße, einen flachen
Kopf, aber keine Augen und bohren, wie die Käfer, in altem Holze
oder unter Rinden, zuweilen auch in Samen. Die Larve von Trogo-
sita caraboides
z. B. benagt beſonders in der Provence die Getreide-
vorräthe Cucujus; Colydium.


Zweite Reihe. Fünfgliederige Holzbohrer.
Sägehörner. (Serricornia.)


Alle Käfer dieſer Reihe beſitzen gemeinſchaftliche Charaktere in

Figure 634. Fig. 849.

Fühler von Sägehörnern:
a Roſenkranzartiger, b Ge-
ſägter, c Gekämmter Fühler.


ihren Fühlhörnern und Füßen. Die erſteren
werden nach vorn zu dünner und ſind meiſt
kammartig gezähnt oder förmlich zu Kämmen
ausgebildet; die Füße ſind ſtets fünfgliederig
und die oberen Tarſalglieder oft gelappt und
erweitert. Die Reihe erhebt ſich bis zu Thieren,
deren Larven von Aas und andern Larven
ſchmarotzen.


Spitzbrüſte. (Sternoxia).


Die Familie der Prachtkäfer (Buprestida) iſt zwar in unſern

Figure 635. Fig. 850.

Großer Prachtkäfer (Buprestis gigas).


Gegenden nur durch wenige kleine
Gattungen, um ſo häufiger und
rieſenmäßiger aber in den heißen
Zonen repräſentirt. Die Käfer
ſchillern meiſt in den lebhafteſten
Metallfarben, haben eine längliche
Geſtalt und ausgezeichnet harte Flü-
geldecken. Der Kopf iſt meiſt brei-
ter als lang, die Fühler kurz, ſtark
geſägt, die einfachen Palpen kurz,
ihr letztes Glied cylindriſch. Das
Halsſchild breit, die hinteren Ecken
gerade; die Vorderbruſt nach hinten
[655] in einen Fortſatz ausgezogen, der zwiſchen die Schenkel der Mittel-
füße reicht, aber abgeplattet iſt und nicht in eine Vertiefung paßt.
Die Füße ſind kurz, deutlich fünfgliederig und die vorletzten Tarſal-
glieder ſtark erweitert und ſchwammig. Die Käfer laufen ſchlecht,
fliegen aber gut mit ſchnurrendem Geräuſche.


Die Larven ſind augenlos, mit ganz kurzen warzenartigen Füßchen
verſehen; der Kopf iſt ſehr klein, fleiſchig; der zweite Ringel aber
breit, aufgetrieben und der Kopf kann in daſſelbe zurückgezogen wer-
den. Die Fühler ſind ſehr klein; Lippentaſter fehlen ganz. Die Kiefer
ſind, wie bei den meiſten holzbohrenden Larven, kurz, faſt innen
ſtumpf gezähnt. Sie bohren beſonders in trockenem Holze und leben
ſehr lange, da vollendete Käfer zuweilen aus Möbeln herauskommen,
die ſchon Jahre hindurch im Gebrauche waren. Buprestis; Melasis;
Aphanisticus.


Die Familie der Schnellkäfer(Elaterida) hat mit der vorigen

Figure 636. Fig. 851.

Schnellkäfer (Elater).


die Form der Fühlhörner, der Füße, die
harten Flügeldecken, die ſonderbare Bildung
der Vorderbruſt gemein; nur iſt der Fort-
ſatz derſelben noch weiter nach hinten aus-
gezogen, von beiden Seiten zuſammengedrückt,
ſo daß er eine Dolchgeſtalt beſitzt. Er paßt
in eine Furche der Mittelbruſt. Legt man
die Thiere auf den Rücken, ſo ſteifen ſie
den Körper, ziehen Fühler und Füße an
und ſtoßen dann mit Gewalt die Spitze der
Vorderbruſt gegen den Rand des Loches in
der Mittelbruſt, ſo daß der Körper mehre
Zoll hoch in die Luft geſchleudert wird. Die
Larven der Schnellkäfer ſind denen der Prachtkäfer nicht ſehr ähnlich;
ſie ſind drahtförmig, hart, haben keine Oberlippe, dagegen ganz ſeit-
lich gelegene Kinnladen, eine ſehr lange faſt unbewegliche Unterlippe
und ſehr kurze Füße; ſie leben vorzugsweiſe in moderndem Holze und
in Wurzeln, während die Käfer beſonders auf Blumen, im Raſen
und im Getreide ſich umhertreiben. Einige Arten leuchten; eine ſüd-
amerikaniſche (Elater noctilucus — der Cucujo) ſo ſtark, daß ſie als
Leuchte benutzt wird. Die leuchtenden Theile ſind zwei runde Punkte
am Halsſchild Eucnemis; Synaptus; Xylobius; Cerophytum.


Die Familie der Holzbohrer (Xylotroga). Der Körper dieſer
Thiere iſt länglich, ziemlich weich; die Flügeldecken meiſt geſchloſſen,
[656] bei einigen Gattungen aber klaffend und ſelbſt unvollſtändig. Der
rundliche Kopf bald frei, bald mehr oder weniger unter dem Hals-
ſchilde verſteckt; die Fühler kurz, weniger geſägt, als in der vorigen
Familie; die Kinnladen ſtark, kurz, gezähnt; die einfachen Palpen
meiſt am Ende verdickt; die Füße ziemlich lang, ſchwach, ohne ſchwam-
mige Sohlen, durchgehends fünfgliedrig. — Die Larven haben alle
nur kurze Füße und keine Augen, bohren in trockenem Nutzholz oder
in trockenen Thierkörpern und ſind wegen ihres großen Schadens be-
rüchtigt. Man unterſcheidet zwei Unterfamilien. Die Bohrkäfer
(Ptinida) haben einen kürzeren eiförmigen feſten Körper, geſchloſſene
Flügeldecken, kürzere Füße und den Kopf halb in das Halsſchild ein-
geſenkt; ſie leben beſonders in Sammlungen und altem Holze. Der

Figure 637. Fig. 852.

Die Todten-
uhr (Anobium pertinax.)


gewöhnliche Bohrkäfer (Ptinus fur) greift nebſt der
Larve trockne Thierkörper und Herbarien an; die
Todtenuhr (Anobium pertinax) in altem Nutzholze,
lockt durch Pochen mit den Kiefern, ſtellt ſich bei der
Berührung todt und läßt ſich ſelbſt durch empfind-
liche Martern nicht zur Bewegung verleiten. Ptilinus.


Figure 638. Fig. 853.

Der Schiffswerftbohrer
(Lymexylon navale.)


Figure 639. Fig. 854.

Atratocerus necydaloides.


Die Werftbohrer(Limexy-
lida)
mit langem weichem Körper,
klaffenden Flügeldecken, längeren
Füßen und freiem Kopfe — die Lar-
ven bohren beſonders in trockenem
Eichenholz und richten in den Vor-
räthen der Schiffswerfte großen
Schaden an. Lymexylon; Atrac-
tocerus; Hylecaetus.


Familie der Weichflügler(Malacodermata). Der Körper iſt meiſt
lang geſtreckt, flach, weich, die Flügeldecken lederartig biegſam, oft
verkümmert oder nur beim Männchen vorhanden; der Kopf nach un-
ten geſenkt, im Halsſchilde verborgen, die Fühler bald ausgezeichnet
geſägt und gekämmt, bald linienförmig. Die ziemlich langfüßigen, mit
ſehr ſcharfen Sichelkiefern bewaffneten Larven leben in weichen Früch-
ten oder vom Raube, ſind äußerſt gefräßig und ſehen den flügelloſen
Weibchen ſehr ähnlich. Sie haben nur ein einfaches ſeitliches Auge.
Wir unterſcheiden vier Unterfamilien.


[657]
Figure 640. Fig. 855.

Cebrio rufus.


Cebrionida. Körper mehr oder minder
geſtreckt, weich, biegſam; Kopf geduckt; Ober-
kinnladen kurz, einfach; Halsſchild quer, hin-
tere Ecken zuweilen ausgezogen; Fühler lang,
ausgezeichnet geſägt. Leben meiſt auf Sumpf-
und Waſſerpflanzen; ihre Larven ſind unbe-
kannt. Cebrio; Sandalus; Scyrtes; Cyphon;
Nycteus.


Figure 641. Fig. 856.

Lycus.


Malachida. Körper lang, ſchmal; Kopf
nur hinten von dem platten Halsſchilde bedeckt,
das viereckig oder länger als breit iſt; Ober-
kinnladen ſehr lang; Füße einfach ohne Schwämm-
chen; die Haken des letzten Tarſalgliedes innen
mit einem Zähnchen oder einer Haut verſehen.
Die Käfer finden ſich auf Blumen und Blät-
tern; laufen ſchnell und fliegen gern; die Lar-
ven in ſaftigen Früchten oder auch vom Raube
lebend. Dasytes in Himbeeren; Malachius; Melyris; Lycus.


Lampyrida. Körper lang, ſchmal; Kopf faſt ganz in das platte

Figure 642. Fig. 857. 858.

Das Johanniswürmchen (Lampy-
ris noctiluea.)

Männchen und Weibchen.


Halsſchild eingeſenkt; Oberkinnladen kurz, ſehr
ſpitz. Vorletztes Tarſalglied erweitert, zwei-
lappig, die Klauen einfach. Die Weibchen ſind
oft ungeflügelt. Die Käfer ſtellen ſich bei der
Berührung todt; die Larven nähren ſich vom
Raub und ſind meiſt ſchwärzlich. Lampyris
noctiluca
, das Johanniswürmchen. Das un-
geflügelte Weibchen im Graſe, leuchtet ſtark;
Männchen und Larve ſchwächer. Drilus, das Weibchen ebenfalls un-
geflügelt; die Larve verzehrt die gewöhnliche Baumſchnecke (Helix ne-
moralis)
und puppt ſich in dem leergefreſſenen Gehäuſe ein. Sie trägt
zu beiden Seiten Borſtenbündel. Telephorus; Omalisus.


Clerida. Körper langgeſtreckt ſchmal, meiſt haarig; Kopf kurz,
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 42
[658]

Figure 643. Fig. 859.

Clerus Alvearius.


ſehr breit, oft breiter als das oblonge Hals-
ſchild; Fühler geſägt, oft gegen das Ende knopf-
förmig verdickt; die Augen ausgerandet; Kinn-
laden gezähnt; Palpen keulenförmig; vorletztes
Tarſalglied zweigelappt. Die ſchönen, meiſt
quer gebänderten Käfer auf Blumen und alten
Bäumen; die roſenrothen, behaarten Larven in
Bienen- und Wespenneſtern, in Schwämmen
und im faulen Holze, wo ſie andere Larven
aufſuchen und nur von dieſen leben. Sie ſind ziemlich langbeinig
und ſehr lebhaft. Clerus apiarius, der Bienenwolf — die Larve lebt
in Bionenſtöcken und frißt die Bienenlarven; Clerus alvearius — die
Larve in den Zellen der Mauerbienen (Osmia), deren Nachkommen-
ſchaft ſie verzehrt. Necrobia — auf Cadavern. Tillus; Axina.


Dritte Reihe.


Familie der Bockkäfer (Longicornia). Die zu dieſer Familie ge-

Figure 644. Fig. 860.

Monochama tridens.


hörigen, meiſt großen und ſchönen
Käfer haben einen länglichen Kör-
per, deſſen Rückenſeite meiſt flach,
die Bauchſeite dagegen ſtark gewölbt
iſt. Der Kopf iſt vorgeſtreckt, frei,
meiſt ſchmäler als das kleine, vier-
eckige Halsſchild, das oft mit Spitzen
und Zacken verziert iſt. Augen läng-
lich, nierenförmig ausgeſchnitten, in
dem Ausſchnitte iſt meiſt das Fühl-
horn eingelenkt. Fühler fadenför-
mig, meiſt wenigſtens eben ſo lang
als der Körper, oft noch bedeutend
länger, ſehr ſelten kürzer. Zunge
häutig ausgeſchnitten, zweiſpaltig;
Unterkinnlade einfach, ſpitzig. Füße
lang, deutlich viergliedrig; das
Klauenglied an der Wurzel mit einem
kleinen Knöpfchen verſehen, ſo daß
die Füße eigentlich fünf Glieder ha-
ben; vorletztes Tarſalglied ſtets, das
[659]

Figure 645. Fig. 861.

Holzſtück mit einer Gallerie des grauen Holz-
bockes (Lamia vomicosa).
a
Eierhaufen. b Ausgewachſene, fuß-
loſe Larve. c Puppe.


zweite häufig herzförmig ausgeſchnit-
ten, ſchwammig. Die Käfer hal-
ten ſich in Wäldern und am Holze
auf; die oft ſehr großen Larven
bohren alle in Holz, beſonders im
Stamme lebender Bäume, haben
einen flachen rundlichen Kopf ohne
Augen und entweder gar keine
oder nur ſehr kleine, kaum Ge-
lenke zeigende Füße. Ihre Kiefer
ſind, wie die aller andern Holz-
bohrer, kurz, aber ſehr ſtark und
ſchneidend. Die meiſten Käfer die-
ſer Familie geben durch Reiben des
Halsſchildes an den Flügeldecken
einen knarrenden Ton von ſich.


Bei der großen Anzahl der
Gattungen hat man mehrere Ab-
theilungen unterſchieden.


Prionida. Fühler in einer
tiefen Augenbucht, verhältnißmäßig
kurz; Kopf bis an die Augen im
Halsſchilde ſteckend; Körper platt;
Halsſchild ſcharf gerandet; Oberlippe rudimentär. Zunge nicht ge-
ſpalten; Kinnladen meiſt ungemein groß und ſtark. Meiſt ſehr große
Käfer; eine ausländiſche Art (Macrodontia cervicornis) erreicht faſt
die Länge einer Hand. Prionus; Spondylis.


Figure 646. Fig. 862.

Moſchusbock (Callichroma moschatum.)


Cerambycida. Fühler ſehr
lang; Körper gewölbt; Halsſchild
ohne ſcharfen Rand; Oberlippe
deutlich; Kinnladen kleiner; Unter-
geſicht vorſpringend aber klein;
Mund ſchräg nach vorn gerichtet.
Eigentliche Holzböcke.


Cerambyx; Callidium; Calli-
chroma; Clytus.


42*
[660]
Figure 647. Fig. 863.

Grauer Holzbock (Lamia vomicosa.)


Von ihnen unterſcheiden
ſich die Lamiden nur durch
einen ſenkrecht geſtellten Kopf
mit großem Untergeſicht, ſo
daß der Mund nach unten
gerichtet erſcheint.


Lamia; Saperda; Spon-
dylus.


Necydalida. Flügel-
decken ungenügend, entweder
ganz kurz oder zu ſchmal; Füße
lang; Schenkel und Schien-
beine keulenförmig angeſchwollen. Necydalis; Molorchus.


Lepturida. Unterſcheiden ſich von allen vorigen dadurch, daß
die Fühler nicht in einer Augenbucht ſtehen. Der Kopf iſt beim Ein-
tritt ins Halsſchild ſtark zuſammengeſchnürt. Leptura; Rhagium.


Familie der Lilienkäfer (Criocerida). Körper oval, ſelten ſo lang

Figure 648. Fig. 864.

Rother Lilienkäfer
(Crioceris 12 punctata.)


geſtreckt, wie bei den vorigen, ſtets länger als
die Fühler; Kopf meiſt faſt ſo breit als das
oblonge Halsſchild, das ſtets viel ſchmäler als
die Flügeldecken iſt. Fühler fadenförmig; Zunge
ausgeſchnitten; Palpen klein. Füße vierglie-
drig; vorletztes Tarſalglied herzförmig. Beine
zuweilen keulenförmig, ſpringen dann. Meiſt
kleine Käfer, die auf Blumen und Blättern leben.
Die Larven haben deutliche, aber kurze Beine
und leben entweder in den markigen Stengeln von Waſſerpflanzen
(Donacia), oder auf den grünen Blättern verſchiedener Gewächſe. Im
letztern Falle machen ſie ſich eine Decke aus ihrem eigenen Kothe, den
ſie über den Rücken hinüber vorwärtsſchieben. Donacia; Lema; (Crio-
ceris); Auchenia; Orsodacne.


Familie der Schwammkäfer(Endomychida). Körper oval; Kopf
klein; Halsſchild in Form eines Trapezes. Fühler länger als Kopf
und Halsſchild zuſammen genommen, an der Spitze meiſt knopfartig
verdickt. Das Halsſchild viel ſchmäler als die Flügeldecken gerandet.
Palpen nicht beilförmig endend. Hinterfüße weit von einander ab-
ſtehend. An den Tarſen nur drei Glieder; das vorletzte meiſt lappig.
Meiſt kleine Käfer, die in Pilzen und Schwämmen leben, worin ſich
[661] auch die kurzbeinigen Larven finden. Endomychus; Lycoperdina;
Eumorphus.


Familie der Rundkäfer (Cyclica). Körper mehr oder minder
rund, kreisförmig, hochgewölbt oder platt. Kopf ſehr klein, meiſt ganz
unter dem Halsſchilde verborgen; Fühler fadenförmig, oft gegen das
Ende hin keulenartig verdickt, kurz. Aeußere Lappen der Kinnladen
taſterartig; Zunge viereckig oder oval. Halsſchild an der Baſis meiſt
ſo breit als die Flügeldecken; Füße kurz, überall mit vier Tarſalglie-
dern, von denen die drei erſten ſchwammig und das vorletzte herzför-
mig iſt.


Die Larven ſind mehr oder minder langbeinig, meiſt ſchon von
ähnlich runder Form, wie das vollkommene Inſekt. Sie leben ent-
weder im Parenchym der Blätter oder auf denſelben, wo ſie ſich mei-
ſtens Röhren oder Dächer von ihrem eigenen Kothe bilden. Man
theilt ſie in mehrere Gruppen:


Erdflöhe, Galerucida. Körper etwas länglich; Fühler zwiſchen
den Augen nahe an der Mittellinie unmittelbar vor dem Munde ein-
gelenkt; die Palpen enden mit zwei kegelförmigen, mit den ungleich-
namigen Enden aneinandergefügten Gliedern. Viele beſitzen verdickte
Springbeine. Die Larven leben im Parenchym der Blätter und freſſen
dieſes aus. Galeruca; Haltica, Erdfloh.


Goldkäfer, Chrysomelida. Körper ſchildförmig, faſt rund. Füh-
ler weit auseinander, neben den Augen eingelenkt; Kopf hängend,
halb in das Halsſchild eingeſenkt. Träge Thiere, die meiſt ein ſchar-
fes Oel bei der Berührung von ſich geben. Larven langhaarig, frei
oder in einer geſponnenen Röhre, freſſen Blätter. Chrysomela; Eu-
molpus; Cryptocephalus.


Schildkäfer, Cassidida. Kopf klein, gänzlich unter dem breiten
Halsſchilde verborgen. Fühler genähert, kurz. Körper ſchildförmig.
Beine kurz. Sehr träge Thiere, die faſt ſtets ruhig auf Blättern
ſitzen. Larven rundlich, ſehr langhaarig; richten den After nach oben
und bauen ſich ein Dach von ihrem eigenen Kothe, den ſie ſtets über
den Rücken nach vorn ſchieben. Cassida.


Familie der Blattlausfreſſer (Coccinellida). Körper rund, hoch-
gewölbt, unten platt; Kopf klein, frei; Fühler kurz, fadenförmig oder
gering keulenförmig; Vordertaſter groß, mit beilförmigem Endgliede.
[662] Halsſchild breit, kurz; Füße kurz, dreigliedrig; vorletztes Tarſal-
glied tief gelappt. Beim Berühren laſſen ſie einen ſcharfen gelben
Saft aus den Fugen der Beine hervortreten. Lebendige Käfer, die
gern fliegen und ſich wie die langbeinigen, langhaarigen, röhrigen
Larven, von Blattläuſen nähren, die ſie in Menge vertilgen. Cocci-
nella
, Marienkäfer. Coccidula; Scymnus.


Als Anhang zu dieſer Reihe dürfte ſich noch die Familie der
Haarflügler (Trichopterygida) darſtellen; kleine, winzige Käferchen
von höchſtens ⅓ Linie Länge, mit dünnen, fadenförmigen, ſeitlich un-
ter der Stirn eingelenkten Fühlern, die an der Spitze knopfförmig
verdickt ſind, und dreigliedrigen Tarſen, von denen die erſten Glieder
ſo klein ſind, daß ſie kaum ſich erkennen laſſen. Das Klauenglied trägt
zwiſchen den beiden Klauen einen geſtielten Ballen. Die Beine ſind
lang; einigen unter Baumrinden lebenden Arten fehlen die Augen.
Am merkwürdigſten ſind die Flügel gebaut; ſie beſtehen aus einem
langen, doppelt geknickten, mittleren Hornſchafte, der wie eine Feder
auf beiden Seiten mit langen ſchmalen Borſten beſetzt iſt, und nach
dem Fluge in zwei Abſätzen unter die Flügeldecken zurückgezogen wird.
Im Getreide, auf Miſt und unter Baumrinden. Ptilium; Trichopte-
ryx; Ptenidium.


Vierte Reihe. Heteromeren.


Faſt alle Käfer dieſer Reihe haben an den Vorderfüßen fünf, an
den Hinterfüßen dagegen nur vier Tarſalglieder, und leben auf Pflan-
zen. Die Larven ſchmarotzen oder freſſen Pflanzenſtoffe.


Familie der Blaſenkäfer (Meloida). Körper länglich; der quere

Figure 649. Fig. 865.

Der Maiwurm, Meloe pro-
scarabeus.


Figure 650. Fig. 866.

Fuß einer ſpaniſchen
Fliege.


Figure 651. Fig. 867.

Spaniſche Fliege
Lytta vesicatoria.


Figure 652. Fig. 868.

Mylabris vesicans.


[663] Kopf und das oblonge Halsſchild ſchmäler als die Flügeldecken. Letz-
tere ſehr weich, lederartig, biegſam, bei einigen Gattungen verkümmert,
ſo daß ſie nur den halben Leib decken, in welchem Falle die Flügel
gänzlich fehlen. Fühler fadenförmig oder geſägt. Die beiden Klauen
des letzten Fußgliedes ſind der Länge nach in zwei ungleiche Hälften
geſpalten, ſo daß an jedem Fuße zwei größere und zwei kleinere
Klauen vorhanden ſcheinen. Alle Käfer dieſer Familie enthalten
einen ſcharfen blaſenziehenden, ätzenden Stoff und werden auch an
ihren Wohnorten als Blaſenmittel benutzt. Die rührigen ſechsbeini-
gen Larven haben mittellange Füße mit drei Klauen und einen haa-
rigen Körper — ſie ſchmarotzen auf Bienen und Erdhummeln, von
deren Larven ſie ſich wahrſcheinlich nähren.


Meloe (Maiwurm), Lytta (Spaniſche Fliege), Mylabris (Cantharis
der Alten); Zonitis; Cerocoma.


Familie der Spindelkäfer (Mordellida). Körper ſpindelförmig
hinten zugeſpitzt; Kopf klein, gebückt unter dem Halsſchild bis zur Hälfte
der Augen verborgen. Halsſchild ſo breit wie die Flügeldecken. Füh-
ler fadenförmig, kaum geſägt. Hinterſchenkel meiſt etwas verdickt.
Beine lang. Laufen hüpfend mit großer Schnelligkeit und ſtellen ſich
bei Berührung todt. Die Larven, welche ſehr kurze Füße haben und
den Larven der Holzwespen ſehr ähnlich ſehen, leben im Marke von
Bäumen und Kräutern; die Käfer auf grünen ſaftigen Blättern.


Mordella; Rhipiphorus; Scraptia; Anthicus.


Familie der Cardinalkäfer (Pyrochroida). Körperform der vori-

Figure 653. Fig. 869.

Rother Cardinalkäfer
(Pyrochroa coccinella.)


gen Familie, aber ohne die hintere Spitze.
Kopf gerade, wenig vorgeſtreckt, Halsſchild zu-
weilen ſchmäler als die Flügeldecken. Fühler
fadenförmig oder gekämmt; beim Männchen oft
ſelbſt wedelartig. Vordertaſter ſehr verlängert
mit verdicktem Endgliede. Flügeldecken oft be-
deutend nach hinten verbreitert. Füße lang;
vorletztes Tarſalglied gelappt — Klauen ein-
fach, ungezähnt. Die Käfer auf Pflanzen; die
mittelbeinigen Larven unter Baumrinden, im
Mulm abgeſtorbener Stämme. Pyrochroa; Melandrya; Serropalpa;
Lagria; Dircaea.


Familie der Kegelhähnchen (Cistelida). Körper oval, oft ziem-
[664]

Figure 654. Fig. 870.

Helops.


lich breit; Halsſchild meiſt ſo breit als die
Flügel. Mund vorgeſtreckt, oft ſelbſt rüſſelar-
tig verlängert, ſo daß ſich die Kopfform der-
jenigen der Bruchiden nähert. Fühler borſten-
förmig, kaum geſägt, zuweilen von Körperlänge.
Füße ſehr lang, dünn, die Schenkel oft anſehn-
lich verdickt, ſo daß die auf Blumen lebenden
Käfer gut ſpringen. Die Vorderhüften ſtehen
dicht zuſammen. — Die Larven leben in Mulm
und gleichen ſehr denen der folgenden Familie. Cistela; Oedemera;
Helops; Mycetocharis.


Familie der Schwarzkäfer(Melasomata). Körper länglich oder

Figure 655. Fig. 871.

Der Todtenkäfer
(Blaps mortisaga.)


Figure 656. Fig. 872.

Pimelia.


Figure 657. Fig. 873.

Diaperis.


oval, ſtark gewölbt; Halsſchild ſelten ſchmäler als der Leib. Aeußere
Decken meiſt ziemlich hart und feſt. Fühler kurz, perlſchnurartig un-
ter dem Kopfrande eingeſetzt. Oberkiefer zweiſpaltig; Unterkiefer mit
horniger Klaue an der Innenſeite. Vielen Käfern fehlen die Hinter-
flügel gänzlich und die Flügeldecken ſind mit einander verwachſen. Die
Käfer ſind ſchnelllaufende Nachtthiere von ſchwarzer Farbe, die ſich
Tags über an dunklen Orten aufhalten und Nachts umherſchweifen.
Die mittelbeinigen, drahtförmigen, mit abgeſetztem Kopfſchild verſehe-
nen Larven in Mulm, Mehl, Brod. Tenebrio molitor (Mehlwurm);
Blaps mortisaga (Todtenkäfer); Opatrum; Uloma; Crypticus; Diaperis;
Pimelia.


Familie der Knäuelkäfer (Anisotomida). Kleine ovale oder rund-
liche Käfer, in ihrer Form oft den Schildkäfern ähnlich. Fühler keu-
lenförmig; Füße kurz und ſehr wechſelnd in der Zahl ihrer Tarſal-
glieder. Die Käfer leben auf Schwämmen und im Mulm und kugeln
ſich bei der Berührung zuſammen. Agathidium; Anisotoma; Tetra-
toma; Coleris; Agaricophagus.


[665]

Fünfte Reihe.


Familie der Blatthörner (Lamellicornia). Die größten bekann-
ten Käfer gehören dieſer ſehr zahlreichen ausgezeichneten Familie an.
Ihr Körper iſt meiſt oval oder rundlich, dick, auf beiden Seiten ſtark
gewölbt; der Kopf klein, der Stirnrand oft ausgebreitet oder horn-
artig verlängert; das Halsſchild meiſt ſo breit als die Flügeldecken,
oft ebenſo wie der Kopf mit ſonderbaren Fortſätzen, Spitzen und Hör-
nern geziert. Die Fühler ſitzen in einer tiefen Grube unter den Seiten

Figure 658. Fig. 874.

Fühler des männli-
chen und weiblichen Maikäfers.
(Melolontha vulgaris).


des Stirnrandes und können meiſt ganz in die-
ſer Grube geborgen werden; ſie ſind kurz, geiſ-
ſelförmig; die untern Glieder knopfartig, die
vorderen blattförmig nebeneinander geſtellt, ſo
daß die ſich wie die Blätter eines Buches öff-
nen und ſchließen laſſen und einen Kamm oder
Wedel bilden. Die Füße ſind ſtark, ſchwer, der Außenrand der Schie-
nen gezähnt; die Tarſen ſtets fünfgliedrig, die Endkrallen ſtark. Beide
Geſchlechter unterſcheiden ſich oft ſehr bedeutend im Aeußeren, indem
das Männchen größer iſt, eigenthümliche Hörner und Dornen und oft
ungeheure Kiefer beſitzt, die dem Weibchen abgehen.


Die Käfer leben von Blättern, faulenden Pflanzenſtoffen, Miſt
und andern Excrementen, haben einen ſchwerfälligen Gang und einen
ungelenken Flug, bei dem ſie laut ſchnurren. Die Larven ſind wal-

Figure 659. Fig. 875.

Larve des Miſtkäfers
(Copris).


zenförmig, weich, weißlich, mit ſackförmigem un-
tergebogenem Endtheile, hartem gelbem horni-
gem Kopfe, der wie bei den Raupen, vertikal
ſteht, ſechs langen harten Füßen, aber ohne Au-
gen. Der bekannte Engerling liefert das beſte
Bild einer ſolchen Larve. Sie leben mehrere
Jahre in der Erde von Miſt, Wurzeln, Pflan-
zenſtrünken und verpuppen ſich dann in einem durch Schleim zuſam-
mengeklebten Erdballen.


Man unterſcheidet mehrere Gruppen in dieſer zahlreichen Familie.


Blumenkäfer, Cetonida. Körper glatt, ohne Zacken, Vor-
ſprünge und Hörner, von oben flach, metalliſch glänzend; Kopf klein;
[666]

Figure 660. Fig. 876.

Goldkäfer. (Cetonia aurata.)


Halsſchild faſt dreieckig, vorn viel
ſchmäler als hinten; Seitenſtücke der
Mittelbruſt vor den Flügeldecken von
oben ſichtbar; Fühler mit fächeri-
gen oder dutenartig in einander ge-
ſteckten Blättchen; Kinnbacken und
Oberlippe faſt völlig häutig, bieg-
ſam; Unterkinnlade pinſelartig; Hin-
terende des Körpers von oben ſicht-
bar. Die Käfer auf Blumen, flie-
gen gerne; die Larven in Mulm
oder Ameiſenhaufen, wo ſie von den
Trichius; Goliathus.


Miſtkäfer, Coprophagida. Körper ſtark gewölbt, breit; Kopf
und Halsſchild meiſt mit Vorſprüngen, Leiſten und Hörnern geziert;
Halsſchild breit; Mittelbruſt und Hinterleib gänzlich von den Flügel-
decken bedeckt. Fühler wie bei den vorigen; Kinnbacken außen hornig,
innen mit häutigem Saume. Käfer und Larven leben beſonders in

Figure 661. Fig. 877.

Miſtkäfer (Copris lunata.)


Figure 662. Fig. 878.

Mumienkäfer (Ateuchus sacer.)


Figure 663. Fig. 879.

Kuhfladen-
käfer (Geotrupes strecorarius.)


Kuhfladen, unter welchen ſie tiefe, ſenkrechte Löcher in die Erde boh-
ren, ſo wie in Miſthaufen. Die Weibchen ballen aus feuchtem Miſte
eine Kugel zuſammen, in welche ſie ein Ei legen und rollen dann die
Kugel, rückwärtsgehend, fort, bis ſie an geeigneter Stelle ſie eingra-
ben. Aphodius; Copris; Ateuchus sacer (der heilige Käfer der alten
Aegypter); Scarabaeus (Geotrupes); Onthophagus.


Hornkäfer, Dynastida. Die größten Käfer. Kopf und Hals-
ſchild mit Hörnern und Vorſprüngen. Fühler, Füße, wie die vorigen,
aber die Kinnbacken ganz hornig, Kinnladen kurz und abgerundet be-
wimpert. Unterlippe fehlt meiſt; Vorderrand des meiſt ſtachlichen
Kopfſchildes bewimpert. Larven und Käfer in Mulm, Lohe und alten
[667] Baumſtämmen. Bei uns nur Oryctes nasciornis, der Nashornkäfer —
in ſüdlichen Gegenden viele Gattungen: Dynastes (hercules), Atlas etc.


Aaskäfer, Trogida. Den vorigen ähnlich, aber die Kinnladen
hornig und das Kopfſchild unbewimpert. Kopf und Halsſchild ohne
Stacheln. Körper ſehr hoch gewölbt; Käfer und Larven in Aas, be-
ſonders in ſandigen Gegenden. Trox; Aegialia.


Laubkäfer, Melolonthida. Kopf und Halsſchild unbewaffnet,
glatt. Körper gewölbt, eiförmig. Kinnbacken ſtark, hornig, dick, ge-
zähnt. Kinnladen hornig und gezähnt. Lefze hornartig. Füße dünn,
ſchwach. Die Käfer leben von Blättern, zeigen ſich aber nur kurze
Zeit, um ſich zu begatten, Eier zu legen und zu ſterben; die Larven
leben mehrere Jahre in der Erde von Wurzeln. Engerlinge. Melo-
lontha
(Maikäfer); Amphimallum (Junikäfer); Anisoplia.


Figure 664. Fig. 880.

Männlicher Hirſchſchröter (Lucanus cervus.)


Hirſchkäfer, Lucanida.
Große, platte, nach unten gewölbte,
ovale Käfer mit breitem Halsſchild,
das deutlich vom Leibe abgeſchieden
iſt; Fühler mit 3- bis 4blättrigen
Endgliedern. Kinnbacken ſehr groß,
ſtark, beim Männchen oft geweih-
artig verlängert; Lippen pinſelar-
tig. Lecken beſonders Pflanzenſäfte;
Larven in Mulm und hohlen Bäu-
men; puppen ſich in der Erde in
einem Thonkloße ein. Lucanus
cervus
(Hirſchſchröter); Platicerus;
Sinodendron.


Familie der Keulenhörner(Clavicornia). Körper länglich oder

Figure 665. Fig. 881.

Fühler eines
Keulenhorns.


eiförmig; Hintertheil oft nicht ganz von den abgeſtutzten
Flügeldecken bedeckt. Kopf meiſt weit kleiner als das
Halsſchild, das hinten meiſt die Breite der Flügeldecken
hat. Die Fühlhörner ſtehen nicht, wie bei der vorigen
Familie, in einer Grube, ſondern frei am Rande des Kopfes
zeigen einen nackten aus einfachen Gliedern beſtehenden
Stiel und am Ende eine knopfartige oder keulenförmige
Anſchwellung, die meiſt aus 4—5 einzelnen Gliedern be-
ſteht, welche ſich blättern, ohne indeß einen Kamm zu
[668] bilden wie bei den vorigen. Die Füße ſind ſtets fünfgliederig, zum
Laufen geſchickt, die Tarſalglieder ganz.


Die Käfer nagen faulende Pflanzen und Thierſtoffe, fliegen gut
und laufen ſehr ſchnell. Einige leben im Waſſer, haben aber keine
Schwimmfüße, ſondern klettern am Ufer und an Waſſerpflanzen umher.
Die Larven haben einen cylindriſchen wurmförmigen, aber geraden
Körper, ſechs ziemlich lange Beine und deutliche Augen, was ſie leicht
von der vorigen Familie unterſcheidet. Sie leben in Mulm, beſon-
ders aber in thieriſchen Stoffen, trockenen wie faulenden, ſind ſehr
munter und agil und oft ſtark behaart.


Wir theilen die zahlreiche Familie in mehrere Unterfamilien:


Pelzkäfer. Dermestida. Körper eiförmig, gewölbt, hart,

Figure 666. Fig. 882.

Speckkäfer (Dermestes lardarius).


die Beine können angezogen werden, aber nicht
vollſtändig, indem die Tarſalglieder frei blei-
ben. Kopf klein, zur Hälfte, bis an die Augen,
in das Halsſchild eingeſenkt; Fühler kurz, End-
keule nur dreigliederig, aber das Endglied oft
ſehr groß und lang; Oberkinnladen dick, kurz
gezähnt. Die Käfer leben beſonders in Pelz-
werk und trockenen Thierſtoffen, in Muſeen und
zoologiſchen Sammlungen, zuweilen auf Blumen; die haarigen Larven,
an denſelben Orten, richten große Verwüſtungen an, da ſie meiſt im
Verborgenen arbeiten. Sie verpuppen ſich in der eigenen Larvenhaut,
die als Hülle für die Puppe dient. Dermestes; Byturus; Attagenus;
Anthrenus.


Von dieſer Familie ſcheidet ſich als kleine Gruppe durch voll-
kommen zurückziehbare Beine, breite Unterſchenkel und Verwachſung
der drei vorderen Leibesringe, die Gruppe der Pillenkäfer,
Byrrhida,
deren Larven, Lebensart etc. ganz analog der vorigen iſt.
Die Käfer, die meiſt an ſandigen Orten leben, kugeln ſich zuſammen
und ſtellen ſich todt. Byrrhus.


Catopida. Körper länglich, mäßig gewölbt; Kopf klein, unter
das Halsſchild zurückgezogen bis an die Augen, Fühler nur allmählich
verdickt, nicht knopfförmig geendet; Halsſchild nach dem Tode nach
vorn geneigt; Beine dünn, lang. Die Käfer laufen ſehr ſchnell,
ſtellen ſich beim Berühren todt. Choleva; Scydmaenus; Scaphidium;
Colon; Catops; Agyrtes.


[669]

Stutzkäfer. Histerida. Körper breit, flach, nach dem Tode

Figure 667. Fig. 883.

Aaskäfer (Hister eadaverinus).


wenig gekrümmt, ungemein hart. Kopf klein,
tief in das Halsſchild eingeſenkt. Fühlhörner
elfgliederig, mit feſtem Knopfe, ſtark gekrümmt;
Kinnladen ſtark, gezähnt; die Hinterhüften ſtark
ſeitlich geſtellt; Vorderhüften der Mittellinie
genähert. Füße ſtark bedornt, ſchwerfällig.
Käfer in Aas, Miſt und faulenden Subſtanzen,
die kurzfüßigen nackten augenloſen Larven eben-
daſelbſt. Hister; Saprinus; Platysoma.


Neſtkäfer. Nitidulida. Körper flach, mit ſcharfen Rändern;
Kopf zurückgezogen. Halsſchild breit. Flügeldecken am Anfang durch
ein dreieckiges Schildchen getrennt. Fühler gerade, geknopft, zwiſchen
Augen und Kinnbacken eingeſetzt. Lefze abgeſtutzt. Ein nach rückwärts
ſtehender Fortſatz der Mittelbruſt ſchiebt ſich zwiſchen die Hinterhüften
ein, die auseinander ſtehen. Beine nicht einziehbar. Die Käfer leben
im Aas, im faulenden Safte, der aus kranken Bäumen ausläuft etc.
Nitidula; Peltis.


Stinkkäfer. Silphida. Körper flach, ſcharfrandig, meiſt be-

Figure 668. Fig. 884.

Todtengräber (Necrophorus ves-
pillo).


haart; Flügeldecken gewöhnlich hinten abgeſtutzt,
ſo daß mehrere Ringe des Hinterleibes ſichtbar
ſind. Fühlhörner keulenförmig über den Kinn-
backen eingeſetzt. Schildchen zwiſchen den Flü-
geldecken groß. Lefze ausgeſchnitten. Fortſatz
der Mittelbruſt nach hinten nur ſehr klein.
Hüften einander genähert. Geſtalt nach dem
Tode ſehr gebückt. Die ſchnell und gut lau-
fenden und fliegenden Käfer ſtinken ſehr, geben
beim Ergreifen ſtinkenden, flüſſigen Koth von
ſich und nähren ſich von Aas und Leichen, die ſie meiſt mit großer
Schnelligkeit in den Boden eingraben, um als Vorrath für ihre Larven
zu dienen, die ſehr gefräßig ſind, mäßig lange Füße haben und ſechs
Augen auf jeder Seite beſitzen, von welchen vier an der gewöhnlichen
Stelle hinter der Einlenkung des Fühlers und zwei unter dem Fühler
nach unten gerückt ſtehen. Necrophorus; Silpha.


Familie der Ameiſenkäfer(Clavigerida). Sehr kleine Käferchen
mit ſchmalem Kopfe, ohne Augen, kurzen Fühlhörnern, die nur aus
ſechs Gliedern beſtehen und deren letztes Glied beſonders groß, lang
[670] und cylindriſch iſt. Palpen klein, einfach, an der Spitze mit doppel-
tem Häckchen. Halsſchild rundlich; Flügeldecken ſehr kurz, ſo daß die
halbe Länge des Hinterleibes unbedeckt iſt. Füße lang, dünn; Tarſen
nur dreigliederig und das Endglied nur mit einer Kralle verſehen.
Die Käferchen leben nur in Ameiſenhaufen und werden von dieſen,
ſonſt ſo ausſchließlichen Thieren gepflegt, gefüttert und bei Gefahr
ſelbſt fortgeſchleppt. Claviger.


Familie der Taſtkäfer(Pselaphida). Körper im Ganzen birn-
förmig; Kopf länglich, frei, Augen ſtark vorragend; Fühler lang,
meiſt haarig, am Ende geknopft oder keulenförmig, elfgliederig. Palpen
meiſt ſehr groß, vorſtehend, blätterig. Halsſchild länglich elliptiſch,
Bauch rundlich, von den quergeſtutzten Flügeldecken nur halb bedeckt.
Füße lang, ſchwach; Tarſen nur dreigliederig, Endglied mit zwei
Klauen. Kleine Käferchen träger Natur, die meiſt Tags über ſtill im
Graſe ſitzen, Abends und Nachts aber nach Raub umherſchleichen.
Pselaphus; Bryaxis; Bythinus; Tyrus.


Familie der Raubkäfer(Staphylinida). Die Käfer dieſer äußerſt

Figure 669. Fig. 885.

Stinkender Raubkäfer
(Staphylinus olens).


zahlreichen Familie haben einen langen, meiſt ſpindel-
oder wurmförmigen Körper und ſtets ſehr rudimen-
täre, meiſt quer geſtutzte Flügeldecken, die den hornigen,
feſten Hinterleib nur theilweiſe decken, aber die Flü-
gel, die zuweilen fehlen, ganz umſchließen. Die Fühler
ſind zehn oder meiſt elfgliederig, kurz, fadenförmig
oder ſchwach geſägt, nur ſelten geknopft; die Kiefer
bedeutend groß, hackig, ſpitz, meiſt ungezähnt; die
Laden lederartig oder häutig; die Palpen einfach. Halsſchild ſehr
verſchieden; Hinterleib lang, oben hart, wird beim Gehen nach oben
gekrümmt und zeigt am Hinterende zwei blaſenförmige Warzen, die
willkürlich hervorgeſtreckt werden. Die Füße ſind lang, kräftig, bald
mit Dornen bewaffnet, bald wehrlos und die Zahl ihrer Tarſalglie-
der außerordentlich wechſelnd, ſo daß man alle Latreille’ſchen Unter-
ordnungen, Pentameren, Heteromeren, Tetrameren und Trimeren in
dieſer Familie vertreten findet. Die Larven ſehen den vollkommenen
Käfern ähnlich, haben ſtarke vortretende Kiefer, vier deutliche Augen,
ſechs lange Füße mit einfachen Klauen und einen platten hornigen
Körper. Käfer und Larven ſind äußerſt lebhafte kühne Räuber, die
beſonders andere Inſekten jagen und dieſen im Miſt, unter Baum-
rinden etc. nachſtellen. Die meiſten haben einen unangenehmen Geruch.
Staphylinus; Quedius; Oxyporus; Omalius; Tachinus; Tachyporus;
Lomechusa; Stenus; Bledius; Oxytelus.


[671]

Sechste Reihe.


Familie der Uferkäfer(Heterocerida). Körper länglich, ſchmal,
flach; Kopf klein, bis an die Augen in das Halsſchild eingeſenkt, das
meiſt von der Breite der Flügeldecken iſt. Fühler kurz, fadenförmig,
geſägt oder ſelbſt geknöpft; Oberkiefer ſpitz, nicht gezähnt. Füße von
mittlerer Länge, gewöhnlich Gangbeine, meiſt behaart oder bei eini-
gen mit Stacheln beſetzt. Die Tarſen haben bei einigen vier, bei an-
dern fünf Glieder. — Das Endglied iſt meiſt viel länger, als die
vorderen und mit zwei ſtarken großen Klauen bewaffnet. Die ſchnell-
laufenden Käfer, ſo wie ihre ziemlich langbeinigen Larven halten ſich
meiſt am Ufer der Gewäſſer, im Sande oder im Schlamme auf, ſind meiſt
unter dem Waſſer, können aber nicht ſchwimmen, ſondern kriechen nur
am Boden [...]und an Waſſerpflanzen umher. Heterocerus; Parnus; Elmis;
Georyssus.


Familie der Fiſchkäfer(Hydrophilida). Körper oval oder mehr

Figure 670. Fig. 886.

Fiſchkäfer (Hydrophilus spinipes).


Figure 671. Fig. 887.

Sphaeridium scarabeoides.


rundlich, platt, Kopf, Halsſchild und Leib
eng aneinander geſchloſſen, meiſt groß.
Fühler kurz, keulenförmig, durchblättert,
mit langem Stielgliede, einigermaßen denen
der Blätterhörner ähnlich. Vordertaſter
meiſt ſo lang oder ſelbſt länger als die
Fühlhörner, zurückgeſchlagen. Beine ver-
ſchieden geſtaltet, ſtets aber mit fünf Tar-
ſalgliedern. Bei den auf dem Lande, be-
ſonders im Miſte lebenden Gattungen
(Sphaeridium; Cyclonotum) ſind alle Füße
Gangfüße und die Schienen mit Dornen
bewaffnet; bei den im Waſſer ſchwimmen-
den dagegen (Hydrophilus; Hydrochus;
Laccobius)
ſind die beiden Paare der Hin-
terfüße lang ausgezogen, platt und durch
ſteife Haare zu Schwimmfüßen umgeſtal-
tet, während die Vorderfüße Gangbeine
geblieben ſind. Die Käfer dieſer Abtheilung ſchwimmen ſchnell und
gut, fliegen ſchwerfällig mit Geſumſe am Abend und kommen oft an
die Oberfläche, wo ſie Luft unter die Flügeldecken nehmen, zu welchem
Ende ſie nur die Spitze des Hinterleibes etwas über die Waſſerfläche
emporſtrecken. Die Käfer ſelbſt nähren ſich von faulenden Pflanzen-
ſtoffen; die Larven dagegen, welche ebenfalls im Waſſer leben, ſind
[672] arge Räuber, die mit dem platten wurmförmigen nach hinten zuge-
ſpitzten Leibe ſehr ſchnell ſchwimmen und allen Arten von Waſſer-
thieren, ſelbſt jungen Fiſchen, eifrig nachſtellen. Ihre ſtarken Kiefer
ſind kürzer als die Palpen; die dünnen Füße von mittlerer Länge.
Die Larven verpuppen ſich in der Erde und bilden eine ovale Puppe,
an deren Hinterende man noch die beiden Athemröhren ſieht, durch
welche die Larve Luft ſchöpfte. Der große Fiſchkäfer (Hydrophilus
piceus)
iſt der größte Waſſerkäfer unſerer Gegenden.


Familie der Taumelkäfer(Gyrinida). Käfer klein, eiförmig, platt,

Figure 672. Fig. 888.

Taumelkäfer
(Gyrinus co-
lymbus).


wie alle Waſſerkäfer. Kopf klein, bis an die Augen in
das Halsſchild eingeſenkt; Fühler klein, kurz, zwiſchen den
Augen eingelenkt und ganz dorthin zurücklegbar; zweites
Glied derſelben mit einem dutenförmigen Fortſatze verſehen,
in welchem das wurſtförmige, geringelte Ende des Fühlers
ſteckt; die Augen horizontal halbirt, ſo daß jederſeits zwei
Augen ſtehen, von denen das eine nach unten, das andere
nach oben gerichtet iſt; Vorderfüße gewöhnliche Gangfüße, dünn, lang;
Hinterfüße ſehr kurz, hakenartig gekrümmt, platt; Tarſus im Ganzen
dreieckig, erſtes Glied ſehr groß, die übrigen ſehr klein, mit ſteifen
Haaren beſetzt. Die Käferchen ſchwimmen ſtets in drehender Be-
wegung auf der Oberfläche ſtehender Gewäſſer. Larven im Waſſer,
lang, flach; athmen durch ſeitliche Kiemenbüſchel und haben, wie alle
folgenden, den eigentlichen Fleiſchfreſſern angehörige Käferlarven, zwei
Klauen an den Füßen. Gyrinus; Orcetochilus.


Familie der Waſſerkäfer(Hydrocantharida). Körper abgeplattet,
platt eiförmig, Kopf breit, meiſt bis an die Augen in das Halsſchild

Figure 673. Fig. 889.

Dytiscus latus.


eingeſenkt. Fühler borſtenförmig,
dünn, meiſt länger als Kopf und Hals-
ſchild [zuſammengenommen]. Kinn-
laden dünn, ſcharf, innen gewimpert,
außen mit zwei Palpen beſetzt, von
denen die äußeren viergliederig, die
inneren zweigliederig ſind, ſo daß
mit den Kinnladen-Taſtern im
Ganzen ſechs Palpen vorhanden
ſind. Vorderfüße Gangbeine; bei
den Männchen ſind die drei erſten
Tarſalglieder in eine breite Saug-
ſcheibe erweitert, womit ſie ſich ſehr
feſt anheften können. Hinterfüße
[673] lang, plattgedrückt, mit Schwimmborſten beſetzt. Die Käfer leben alle
im Waſſer; ſchwimmen ſchnell [und] fliegen Abends mit Geſumſe; ſie
ſind ſehr räuberiſch und fallen alle Arten ſchwächerer Waſſerthiere an.
Die Larven ſind lang, ſchmal, platt, mit deutlich abgeſetztem, rundem
Kopfe. Die ungemein großen Hakenkiefer, die weit hervorſtehen,
ſind an der Spitze durchbohrt und Kanäle führen aus ihnen in die
Speiſeröhre. Der Mund fehlt dieſen Larven ganz; ſie ſchlagen die
Haken in den Leib lebender Thiere und ſaugen die Säfte durch die
Kiefer ein. Sie haben lange, gewimperte Schwimmfüße, zwei kurze
Athemröhren am Hinterleibe, ſchießen pfeilſchnell auf ihren Raub los
und gelten ſelbſt in Fiſchteichen für verderblich. Dytiscus; Colymbe-
tes; Pelobius; Noterus; Hyphydrus; Haliplus; Hydroporus.


Familie der Laufkäfer(Carabida). Körper länglich, meiſt ſtark

Figure 674. Fig. 890. Fig. 891. Fig. 892.

Fig. 832 — 834. Larve, Puppe und Käfer von
Calosoma sycophanta.


gewölbt, hart. Kopf
klein, ſchmal, meiſt weit
ſchmäler als das Hals-
ſchild. Augen vorſte-
hend. Fühler von mitt-
lerer Länge, borſten- oder
fadenförmig. Kinnbacken
ſcharf, ganzrandig, ſtark
gekrümmt, meiſt ziemlich
vorſtehend. Kinnladen
ganz hakig mit doppel-
ten Taſtern, wie in der
vorigen Familie. Füße
lang, dünn, ſtets mit
fünf Tarſalgliedern, die
meiſt bei den Männchen verbreitert ſind. Flügeldecken, den Hinter-
leib meiſt ganz bedeckend. Die Käfer dieſer zahlreichſten unter allen
Käferfamilien ſind alle gute Läufer, die meiſten auch vortreffliche Flie-
ger. Sie ſchweifen, die Einen mehr bei Tag, die Andern mehr nächt-
licher Weile, überall nach Beute umher, die beſonders aus anderen
Inſekten beſteht. Die meiſten haben einen unangenehmen Geruch;
viele laſſen in Gefahr aus dem Hinteren eine ſtinkende, braune, ätzende
Flüſſigkeit. Die Larven ſind meiſt etwas abgeplattet, hornig, mit
ſtarkem, oben flachem Kopfe, ſechs langen Beinen und ſechs einfachen
Augen auf jeder Seite, die auf einer gewölbten Beule ſtehen; ſie haben
ebenfalls ſtark vorſpringende, ſichelförmige, ſpitze Kiefer und leben vom
Vogt, Zoologiſche Briefe I. 43
[674] Raube, meiſt in verſteckten Aufenthaltsorten. Einige, wie die Calo-
ſoma-Larven, jagen ſelbſt ihre aus Raupen beſtehende Beute auf Bäu-
men. Man hat, um die ungemein große Anzahl der Gattungen über-
ſchauen zu können, mehrere Untergruppen aufgeſtellt.


Figure 675. Fig. 893.

Omophron marginatum.


Subulipalpa. Endglied der Hauptpal-
pen ſpitz, dünn, kurz, das vorhergehende lang,
ſo daß die Palpen pfriemenförmig ſind. Vor-
derfüße ausgeſchnitten. Leben meiſt am Ufer
der Gewäſſer. Bembidium; Omophron; Ta-
chypus.


Figure 676. Fig. 894.

Goldener Laufkäfer (Carabus
auratus).


Carabida. Vorderſchienen mit zwei Dor-
nen, ohne Ausſchnitt. Lefze zweilappig oder
gefurcht. Körper gedrungen; Augen vorſtehend;
Kiefer ſtark; Flügeldecken ganz. Palpen ziem-
lich groß; Endglied ſtumpf, größer und breiter
als das vorhergehende. Spritzen einen ſehr
ätzenden Saft aus dem After gegen ihre Ver-
folger; ſtellen ſelbſt anderen Inſekten eifrig
nach. Die Larven einiger (Calosoma) in Rau-
penneſtern. Carabus; Calosoma; Cychrus; Ne-
bria; Procrustes.


Sämmtliche folgende Gruppen zeigen am Innenrande der Vor-
derſchienen einen tiefen Einſchnitt.


Figure 677. Fig. 895.

Lebia.


Brachinida. Flügeldecken geſtutzt, ſo
daß die Spitze des Hinterleibes von oben ſicht-
bar iſt. Tarſen der Männchen kaum verbrei-
tert. Der Bombardierkäfer, der bei der Ver-
folgung ſeinem Feinde einen ätzenden, blauen
Dunſt mit hörbarem Knalle aus dem After

Figure 678. Fig. 896.

Fuß
eines Chlaenius.


entgegenpufft, gehört hierher. (Brachinus crepitans).
Außerdem Lepia; Dromius; Cymindis; Odacantha.


Licinida. Flügeldecken ſtark abgerundet; Halsſchild
ſchmal. Füße lang; die Tarſalglieder beim Männchen ſchüſ-
ſelförmig erweitert und mit ſchwammigen Polſtern und
Haaren beſetzt. Licinus; Loricera; Badistes; Chlaenius.


[675]
Figure 679. Fig. 897.

Harpale.


Harpalida. Flügeldecken ſpitzig; Vor-
derſchienen eingeſchnitten, aber ohne Zähne.
Halsſchild unmittelbar an die Flügeldecken ſto-
ßend. Die Tarſalglieder ſind bald mehr, bald
weniger erweitert und unten mit Bürſten ver-
ſehen. Harpale; Mormolyce; Feronia; Amara;
Pterostichus; Cephalotes; Trechus.


Figure 680. Fig. 898.

Mormolyce phyllodes.


Figure 681. Fig. 899.

Scarites.


Scaritida. Vorderſchienen ſehr ſtark aus-
geſchnitten, in einen ſtarken Dorn ausgehend,
innen und außen gezähnt. Halsſchild von den
Flügeldecken abgeſetzt; Flügeldecken abgerundet.
Tarſalglieder des Männchens nicht erweitert.
Scarites; Clivina; Dyschirius.


Familie der Sandkäfer(Cicindelida). Körper länglich. Kopf
breiter als das dünne, meiſt verlängerte Halsſchild. Fühler faden-
43*
[676]

Figure 682. Fig. 900.

Cicindela campestris.


Figure 683. Fig. 901.

Kinnlade einer Cicindele.


förmig, von mittlerer Länge, vor
den Augen eingelenkt. Dieſe ſehr
groß, vorſtehend. Kiefer vorſtehend,
groß, ſtark, ſehr ſcharf, innen meiſt
mehrfach gezähnt. Kinnladen ge-
bogen, an der Spitze mit einem be-
weglichen Zahne und doppelten Pal-
pen. Lippentaſter ſtark behaart.
Beine lang, ſtets fünfgliederig, ohne
Zähne oder Einſchnitte an den

Figure 684. Fig. 902.

Tricondylus apterus.


Schienen und ohne Erweiterung der Tarſal-
glieder. Unermüdliche Räuber, die meiſt auf
trockenem, ſandigem Boden jagen und viel flie-
gen. Die Larven leben in Löchern im Sande,
haben einen dicken, breiten Kopf mit vorſtehen-
den Augen auf jeder Seite, ſichelförmig gebo-
gene, ſcharfe Kiefer, ſechs lange Beine mit
zwei Krallen und zeichnen ſich dadurch aus, daß
der erſte und ſiebente Körperring ſtark ange-
ſchwollen und letzterer mit zwei vorſtehenden
Hornhaken verſehen iſt, was ſie beim Auf- und
Abſteigen in ihren Löchern benutzen. Sie
lauern auf ihre Beute, auf die ſie losſchießen,
indem ſie mit dem Kopfe genau die Oeffnung des Loches ſchließen.
Einige ausländiſche Gattungen haben verwachſene Flügeldecken und
ermangeln der Flügel. Cicindela; Collyris; Manticora; Tricondylus.


Nur wenige Käfer haben ſich im foſſilen Zuſtande erhalten und
auch dieſe meiſt nur in ſchwer erkennbaren Bruchſtücken. Sie treten
zuerſt im Jura auf und zwar nur mit holzbohrenden Gattungen, die
zu den Familien der Rüſſelkäfer, der Prachtkäfer und der Bockkäfer
gehören, Familien, welche an der Spitze unſerer drei erſten Reihen
ſtehen. Die Prachtkäfer dominiren in allen tertiären Epochen weit
über die Schnellkäfer, die ihnen am nächſten ſtehen und in der Ter-
tiärzeit ſind ſie ſogar die zahlreichſte Familie unter den Käfern über-
haupt. In der Kreide treten zu den erwähnten Familien des Jura
die Fiſchkäfer (Hydrophiliden), die auch in der Tertiärzeit weit über
die anderen Waſſerkäfer, die Hydrocantharen, dominiren, während in
der jetzigen Schöpfung das umgekehrte Verhältniß ſtattfindet. Erſt in
der Tertiärzeit treten Blätterhörner (Lamellicornia), Keulenhörner
[677](Clavicornia) und Laufkäfer (Carabida) auf, ſo daß alſo erſt in der
uns zunächſt liegenden Periode die wahren Fleiſchfreſſer unter den
Käfern ſich zeigen, während Anfangs nur Holzbohrer, ſpäter erſt auch
Blätterfreſſer ſich zeigen.


Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera).


Die Inſekten, welche dieſer Ordnung angehören, laſſen alle deut-
lich die drei großen Abtheilungen des Körpers, Kopf, Bruſt und Hin-
terleib, und meiſt ſelbſt in der Art getrennt wahrnehmen, daß dieſe
Stücke durch Stiele miteinander verbunden ſind. Der Kopf iſt meiſt
viel breiter, als lang, und ſo geſtellt, daß die Mundwerkzeuge ſenk-
recht nach unten ſchauen; die Fühler ſind von mittlerer Länge, wohl
niemals länger, als der Körper, meiſt borſtenförmig oder gekniet,
ſelten keulenförmig und nur bei wenigen Gattungen gekämmt oder ge-
ſägt. Die zuſammengeſetzten Augen ſtehen ſtets an der Seite des
Kopfes, und ſind meiſtens bei den Männchen viel größer, als bei den

Figure 685. Fig. 903.

Kopf einer Biene (Anthophora) von vorn geſehen,
ſo daß man die großen ſeitlichen Augen,
die drei Nebenaugen, die Fühler und Mund-
werkzeuge in ihrer natürlichen Lage ſieht.
a Fühler. b Kiefer. c Oberlippe. d Die kur-
zen Kinnladentaſter. e Die verlängerten La-
den. f Die ſeitlichen verlängerten Lappen
der Unterlippe. g Der mittlere Lappen
(Zunge) zum Rüſſel umgeſtaltet. h Die
ſehr verlängerten Lippentaſter.


Figure 686. Fig. 904.

Die Mundwerkzeuge einer Honigbiene (Apis)
auseinandergelegt.
a Die Oberlippe. b Der gekrümmte
und gezähnelte Kiefer. c Die lange, dünne,
ſäbelförmige Kinnlade mit dem kleinen
Taſter im Gelenke. d Die Unterlippe
mit den ſeitlichen Lappen und der mittle-
ren Zunge.


[678] Weibchen, ſo daß ſie ſich manchmal auf dem Scheitel berühren. Auf
der Stirn, in dem Raume zwiſchen den Fühlern und den Augen ſte-
hen drei kleine kuglige Nebenaugen, welche nur äußerſt ſelten bei un-
geflügelten paraſitiſchen Gattungen fehlen. Die Mundwerkzeuge
beſtehen bei allen Hautflüglern aus einer ziemlich kleinen Oberlippe
und aus zwei ſtarken in ihrem ganzen Umfange hornigen Kiefern,
welche meiſtens auf ihrer inneren Fläche gezähnelt ſind und zwar in
der Weiſe, daß die Zähne in einander paſſen. Die Kinnladen ſind
meiſt ſchwach, häutig, oft ſo ſehr verlängert, daß ſie eine Art Scheide
um die dann gleichfalls verlängerte Zunge bilden; ihre Taſter ſind
ſtets deutlich, oft ſtielförmig verlängert. Die Unterlippe iſt ſtets groß,
ihre Taſter deutlich und in den meiſten Fällen erſcheint ſie doppelt
geſpalten und ihr mittlerer Theil, die Zunge, mehr oder minder ver-
längert und beweglich. Die meiſten Hautflügler bedienen ſich dieſer
Zunge und der daran angelegten Kinnladen, als eines Schöpfrüſſels,
um füße Pflanzenſäfte, namentlich Honig aus den Blumen zu ſaugen,
und man hat deßwegen auch wohl geſagt, daß bei ihnen die Zunge
zum Saugorgane umgewandelt ſei. Indeß ſcheint ein wahrhaftes Sau-
gen durch Herſtellen eines luftleeren Raumes in der That bei den
Hautflüglern nicht ſtatt zu finden; — ſie gebrauchen vielmehr ihre
Zunge etwa in ähnlicher Weiſe zum Schlappen, wie die Hunde ſich
der ihrigen beim Saufen bedienen. Die Mundwerkzeuge ſtehen alſo
bei den Hautflüglern auf einer Stufe der Ausbildung, wie bei keinem
anderen Inſekte, indem ihnen eines Theiles das Zerkleinern ſelbſt der
härteſten Subſtanzen durch ihre mächtigen Kiefer möglich gemacht wird,
während ſie andererſeits zugleich im Stande ſind, flüſſige Subſtanzen
aufzunehmen.


Die Bruſt beſteht immer aus drei deutlichen, eng mit einander
verbundenen Ringen, von denen indeſſen der erſte meiſt nur ſehr klein,
der zweite nur ſelten verlängert oder mit Spitzen bewaffnet iſt. Die
vier Flügel ſind in ihrer Struktur gleich, oft von ſehr zierlichen, netz-
förmigen Adern durchzogen, die aber in manchen Fällen den Unter-
flügeln gänzlich, und den Vorderflügeln bis auf einige Rudimente
fehlen. Die Vorderflügel ſind ſtets weit größer, als die Hinterflügel.
Bei vielen Gattungen fehlen den Weibchen, oder den Geſchlechtsloſen
die Flügel gänzlich; — bei anderen fallen ſie nach dem Begattungs-
geſchäfte ab, oder werden ſogar von den Thieren ſelbſt entfernt. Die
Füße ſind meiſt ſchlank und dünn, die Tarſen ſtets aus fünf Glie-
dern zuſammengeſetzt, und meiſt zwiſchen den beiden Endklauen ein
[679] kleiner mittlerer Fußballen wahrnehmbar. Der Hinterleib iſt ge-
wöhnlich walzenförmig, mehr oder minder geſtreckt, und ſitzt entweder
mit ſeiner ganzen Fläche, oder nur mit einem dünneren Stiele, der
zuweilen ſehr verlängert iſt, an dem hinteren Ende der Bruſt; bei
manchen Gattungen iſt ſogar dieſe Einlenkungsſtelle weit oben auf den
Rücken verſetzt, ſo daß es manchmal ſcheint, als wäre der Stiel der
Mittelbruſt eingepflanzt.


Die Weibchen ſämmtlicher Hautflügler ſind an dem hinteren
Ende des Leibes mit einem eigenthümlichen Apparate verſehen, welcher
je nach beſonderen Modifikationen ſeiner Struktur bald als Legeſäge
(terebra), bald als Stachel (aculeus) bezeichnet wird, indeſſen ſtets
nach demſelben Typus gebaut iſt. Es beſteht derſelbe im Weſentlichen
aus einem mittleren, bei den Legeſägen meiſt geraden und ziemlich ge-
räumigen, bei den Stacheln ſäbelförmig gekrümmten Halbkanale, der
mit dem Ende des Eileiters in Verbindung ſteht, und in deſſen Rinne
zwei ſcharfe, meiſt an ihrem Ende gezähnelte Spitzen auf und nieder
bewegt werden können. Mit dieſem Stilett ſtehen verſchiedene Horn-
ſtücke in Verbindung, welche ſattelartig das Ende des Maſtdarms und
des Eileiters umgeben und ſtarken Muskeln zum Anſatz dienen, die
theils zur Bewegung des Stiletts im Ganzen, theils zum Hin- und
Herziehen der innern Borſten beſtimmt ſind. Bei den eigentlichen
Stacheln ſind dieſe Hornſtücke ſtets nur kurz und im Innern des
Leibes verborgen; — bei den Legeröhren aber ſenden ſie meiſtens Fort-
ſätze nach hinten, die eine zweiklappige Scheide um das Stilett bilden.
Zuweilen ſind dieſe Theile, das Stilett wie ſeine beiden Klappen, län-
ger als der Körper, oft aber können ſie gänzlich zurückgezogen wer-
den und treten nur dann hervor, wenn das Thier verwunden, oder
behufs des Ablegens ſeiner Eier ein Loch bohren will. Die eigentlich
verwundenden Theile, durch deren Hin- und Herziehen auch das Sä-
gen oder Bohren bewerkſtelligt wird, ſind die beiden inneren Stachel-
borſten, während die Halbrinne des Stiletts, ſo wie die äußeren Klap-
pen, nur zu Firation des ganzen Apparates dient.


Das Nervenſyſtem beſteht meiſt aus dem Gehirne, zwei Bruſt-
knoten und fünf bis ſechs Bauchknoten, deren beide letzteren oft mit-
einander verſchmolzen ſind. Der Verdauungskanal iſt meiſtens
ſehr einfach; — der lange Schlund zeigt meiſtens eine dünnwandige
Erweiterung, die ſich zuweilen zu einem förmlichen Saugmagen ab-
ſchnürt, der mittelſt eines kurzen Stieles in den Schlund einmündet;
[680] Magen und Darm ſind bei denjenigen Hautflüglern, welche lange leben,
vielfach gewunden, bei den anderen faſt gerade; die Harngefäße ſind ſehr
zahlreich und meiſtens vielfach gewunden, die Speicheldrüſen meiſt ziem-
lich veräſtelt, traubenförmig und oft gänzlich in dem Kopfe verborgen.
Die Luftröhren vereinigen ſich in zwei ſeitlichen Hauptſtämmen,
aus welchen die Aeſte an die Körperorgane ausgehen, zeichnen ſich
aber durch vielfache blaſige Anſchwellungen aus, die beſonders oft in
dem Hinterleibe eine ungemeine Größe erreichen. Die Zahl der Eier-
röhren
wechſelt von einer einzigen bis zu hundert und mehr auf
einer Seite, und ſtets ſind dieſe Eierröhren mehrkammerig, ſo daß
manche Weibchen eine ungemeine Fruchtbarkeit entwickeln können. Die
Samentaſche iſt ſtets vorhanden und bei denjenigen Weibchen, welche
nach einer einmaligen Begattung zuweilen ſelbſt ein Jahr hindurch
befruchtete Eier legen, ziemlich groß. Die Samenthierchen erhalten
ſich lange Zeit in der Samentaſche unverändert am Leben. Durch
dieſe Einrichtung wird der Fortbeſtand und die Erneuerung der jähr-
lichen Geſellſchaften, welche bei vielen Hautflüglern vorkommen, einzig
ermöglicht, indem die Weibchen ſich im Herbſte begatten, dann in irgend
einem Schlupfwinkel überwintern, und dennoch durch die in ihrer Sa-
mentaſche aufgeſpeicherte Samenmaſſe fähig ſind, im Beginn des Früh-
jahres befruchtete Eier und damit den Grund einer neuen Geſellſchaft
zu legen. In der nächſten Beziehung zu den weiblichen Geſchlechts-
theilen ſteht bei den ſtacheltragenden Hautflüglern eine meiſt aus ge-
wundenen Schläuchen beſtehende Drüſe, welche waſſerfreie Ameiſenſäure
abſondert, die ſich in einer eigenen Giftblaſe ſammelt, und durch
die Halbrinne des Stachels beim Stechen in die Wunde ergoſſen wird.
Die männlichen Geſchlechtstheile beſtehen aus zwei, meiſt trau-
benförmigen Hoden, in deren Ausführungsgänge noch zwei Nebendrü-
ſen einmünden. Die röhrenförmige Ruthe wird von zwei Paar Horn-
klappen, die den Scheiden der Legeröhre analog ſind, eingeſchloſſen.
Giftdrüſe und Stachel fehlen allen männlichen Hautflüglern durchaus.


Mit Ausnahme der Blatt- und Holzwespen, deren Larven durch
den Beſitz von ſechs ächten und vielen falſchen Füßen den Raupen
ähnlich ſehen, haben alle Hautflügler fußloſe Larven mit einem wurm-
förmigen Körper und hornigem oder ſelbſt weichem Kopfe, an deſſen
Ende meiſt zwei ſtarke, gekrümmte Kiefer und kurze Kinnladen mit
Taſtern hervorſtehen. Die Larven puppen ſich alle nach kurzer Zeit
ihres Lebens ein und ſpinnen ſich zu dieſem Ende eine gewöhnlich un-
regelmäßige Hülle von Seidenfaden. Da ſie alle fußlos ſind, ſo ſor-
[681] gen die Mütter für das Emporkommen der hilfloſen Würmchen ent-
weder durch Verproviantirung ihres Neſtes, wonach ſie das Ei ſeinem
vorgeſchriebenen Entwickelungsgange überlaſſen, oder ſie füttern auch
die Larven täglich mit Nahrung, die ſie für die Nachkommenſchaft
ſammeln. Gewöhnlich werden die Larven der in Geſellſchaft lebenden
Hautflügler gefüttert, während die Einſamen ihre Larven ein für alle
Mal mit Nahrung verſehen. Der eingetragene Proviant beſteht theils
aus Honig und Blumenſtaub, theils aus lebenden, durch einen Stich
gelähmten Inſekten. Wir werden weiter unten die merkwürdigen Er-
ſcheinungen näher in das Auge faſſen, welche bei dieſer Sorge für
die Jungen beobachtet wurden.


Die Geſellſchaften, deren wir ſo eben erwähnten, beſtehen weſent-
lich nur zu dem Zwecke der gemeinſchaftlichen Auferziehung der Jun-
gen. Ihre Einrichtungen, die man oft mit den ſtaatlichen Einrich-
tungen der Menſchen verglichen hat, ſind verſchiedener Art. Die
jährlichen Geſellſchaften werden in unſerem Klima von
den eigentlichen Wespen und den Hummeln gebildet und jedes-
mal im Beginne des Frühjahres neu von einem einzigen im Herbſte
befruchteten Weibchen begründet, welches an irgend einem geſchütz-
ten Orte überwintert hat. Dieſe Geſellſchaften beſtehen ſtets nur
aus Männchen und Weibchen, die aber merkwürdiger Weiſe zwei
Raçen bilden, indem man ſtets kleinere und größere Individuen
beider Geſchlechter darin vereinigt findet. Die kleinen Weibchen
ſollen nach der Behauptung einiger Beobachter nur ſolche Eier
legen, aus denen Männchen hervorkommen, und nur die großen
Weibchen ſollen fähig ſein, zu überwintern und neue Kolonien
zu gründen. Die Hummeln bauen die unregelmäßigſten Neſter.
Das befruchtete Weibchen gräbt eine Vertiefung in die Erde, die
breit und wenig tief iſt, und überwölbt dieſe Höhlung mit einer Moos-
decke, welche ſie innen mit einer dünnen Wachsſchicht auskleidet. So-
bald dies Neſt einige Ausdehnung erlangt hat, ſo trägt die Hummel
Honig und Blumenſtaub ein, den ſie zu einem Teige verarbeitet und
zu unregelmäßigen Kugeln ballt; — in dieſe Maſſe legt ſie die Eier,
und während die bald ausgeſchlüpften Larven innen freſſen, fügt das
Weibchen von außen ſtets neue Maſſen von Futter hinzu, ſo daß der
unregelmäßige Haufen einer Trüffel nicht unähnlich ſieht. Die Lar-
ven verpuppen ſich nun, indem ſie ſich Zellen ſpinnen, welche einem
Fingerhute nicht unähnlich ſehen; aus den Puppen kommen kleine
Weibchen hervor, welche ihrer Mutter ſogleich in den Arbeiten helfen,
[682] indem ſie die unterdeß herangewachſenen Larven füttern, und die übri-
gen leergewordenen Fingerhutzellen mit Honig füllen. Aus den ge-
fütterten Larven entſtehen kleinere Männchen, und Weibchen, die ſich
begatten und von denen nachher die Weibchen ebenfalls bei den Ar-
beiten helfen; erſt gegen das Ende des Sommers werden diejenigen
Eier gelegt, aus denen die Männchen und Weibchen der großen Raçe
hervorkommen, welche beſtimmt ſind, die Art über den Winter fortzu-
pflanzen. Sobald die Individuen dieſer größeren Raçe ſich begattet
haben, und die Kälte beginnt, ſo löſ’t ſich die Geſellſchaft auf; — die
noch vorhandenen Larven und Puppen werden aus den Zellen heraus-
geriſſen und umgebracht; die Individuen der kleineren Raçe ſo wie
die Männchen kommen vor Hunger und Kälte um, und die überblei-
benden Weibchen der größeren Raçe gründen im Frühjahre eine neue
Geſellſchaft. Ganz in derſelben Weiſe verhalten ſich die Geſell-
ſchaften der Wespen
, die nur in Beziehung auf den Bau ihres
Neſtes einen höheren Kunſttrieb zeigen. Die Neſter beſtehen aus Zel-
lenreihen, ſogenannten Kuchen, die bald ſenkrecht, bald horizontal an
einander gereiht, und von einer äußeren Hülle umgeben ſind, welche
ſie gegen die Unbilden der Witterung ſchützt. Alle dieſe Neſter ſind
von Papier verfertigt, das von der Wespe aus gekautem Holze ge-
bildet wird, und wovon ſie Stückchen für Stückchen anklebt, und dann
mit der Zunge glättet. In dem Neſte der gewöhnlichen Wespe, das
in einer geräumigen Höhle unter der Erde angelegt wird, während
die Horniſſe das ihre in hohle Bäume, andere Arten es ganz frei an
einem Stiele aufhängen, — in den Neſtern der gewöhnlichen Wespe, ſage
ich, finden ſich vier bis zehn horizontale Kuchen, aus einer einzigen
Schicht ſechseckiger ſenkrechter Zellen gebildet, während bekanntlich in
den Bienenſtöcken die ſenkrechten Waben aus zwei Schichten horizon-
taler Zellen beſtehen, die mit den Böden aneinander ſtoßen. In den
Wespenneſtern ſind die horizontalen Waben durch leere Zwiſchenräume
getrennt, welche den Wespen geſtatten, überall umherzugehen, und die
Feſtigkeit des Ganzen wird durch Pfeiler hergeſtellt, welche hie und
da die einzelnen Waben mit einander verbinden.


In einem gewiſſen Gegenſatze zu den jährlichen Geſellſchaften
ſtehen die dauernden Geſellſchaften, welche von den Honig-
bienen und den eigentlichen Ameiſen gebildet werden. Die Wohnun-
gen, welche von dieſen Thieren errichtet werden, dienen nicht nur zur
Erziehung der Jungen während des Sommers, ſondern auch zur Her-
berge der ganzen Geſellſchaft während des Winters. Die Geſell-
[683] ſchaften der Bienen
beſtehen immer aus einem einzigen Weib-
chen, der ſogenannten Königin, aus ſechshundert bis tauſend Männ-
chen, den Drohnen, und aus fünfzehn- bis dreißigtauſend verkümmer-
ten Weibchen, den Arbeiterinnen, welche die Sorge für die Jungen und
für das Einſammeln der Vorräthe allein tragen. Auch hier wird die
Geſellſchaft, welche ſich neu bildet, ſtets nur von dem einzigen Weib-
chen gegründet, das aber ſogleich von einer verhältnißmäßigen Anzahl
Männchen und Arbeiter begleitet wird. Die neuen Bienengeſellſchaf-
ten entſtehen im Laufe des Sommers, indem eine gewiſſe Anzahl von
Männchen und Arbeitern, mit einem Weibchen an der Spitze, den
Mutterſtock verlaſſen; — man nennt dieß das Schwärmen. Der erſte
Schwarm, welchen eine Geſellſchaft liefert, wird von den urſprüngli-
chen Bewohnern des Stockes gebildet, die darin überwinterten, alſo
von einem befruchteten Weibchen und einer Anzahl Arbeiter; ſie ver-
laſſen den Stock, um ihrer Nachkommenſchaft Platz zu machen, und
fliegen, in dickem Haufen der Königin folgend, ſo lange umher, bis
dieſe ſich irgendwo niederläßt. Die wilden Bienen wählen zu ihrer
Anſiedlung die Löcher hohler Bäume; bei den zahmen benutzt man
die Niederlaſſung der Königin, um ſie in einen neuen Stock zu faſſen.
Sobald die Königin ſich fixirt hat, ſo beginnen unmittelbar die Ar-
beiten. Zuerſt werden alle Ritzen und Zugänge bis auf ein kleines
Flugloch mit einem klebrigen Stopfwachſe (propolis) zugeklebt, und
dann die Waben begonnen, die aus doppelten Schichten ſechsſeitiger
Zellen beſtehen, welche mit den Böden aneinander ſtoßen. Die Wa-
ben ſind an der Decke des Stockes ſenkrecht aufgehängt, und durchweg
aus Wachs gebaut, welches ſich in dünnen Blättchen zwiſchen den
Schienen des Hinterleibes bildet und von der Biene mittelſt der Kie-
fer und der Füße verarbeitet wird. Zugleich mit dem Bau der Wa-
ben beginnt das Eintragen des Honigs, den die Biene in ihrem Saug-
magen nach Hauſe bringt, und durch Erbrechen in die Zellen entleert,
und des Blüthenſtaubes, der in der Form von Höschen an den Hin-
terbeinen getragen wird, und innerhalb des Stockes zu einer eigen-
thümlichen Maſſe, dem ſogenannten Bienenbrode, verarbeitet wird,
und beſonders zur Nahrung der Larven dient. Sobald die Waben
und ihre Zellen einigermaßen im Baue vorgerückt ſind, ſo beginnt die
Königin, die noch von dem vorigen Jahre her befruchtet iſt, das Eier-
legen. In jede Zelle wird ein Ei an den Boden geheftet; — anfangs
legt die Königin nur Arbeitereier, nach einiger Zeit aber werden Zel-
len gebaut, welche um zwei Drittel größer ſind, als die gewöhnlichen
Vorraths- und Arbeiterzellen, und in denen die Drohnen ſich ent-
[684] wickeln. Nach den Drohnenzellen erſt bauen die Arbeiter einige we-
nige Zellen, höchſtens ſechs bis zehn, von der Form einer Flaſche oder
einer langgeſtreckten Birne, die irgendwo an die Waben angeklebt
werden, ſenkrecht mit der Oeffnung nach unten ſchauen, und zur Er-
ziehung von Königinnen beſtimmt ſind. Eine einzige ſolche Zelle ent-
hält etwa ſoviel Wachs, als hundert Arbeiterzellen. Die Königin
legt zuletzt in jede dieſer Zellen ein weibliches Ei und ſtirbt dann.
Die Eier entwickeln ſich mit verſchiedener Schnelligkeit. Die ganze
Entwicklungszeit von dem Legen des Eies an bis zum Ausſchlüpfen
der vollkommnen Biene beträgt für eine Königin ſechszehn Tage, für
eine Arbeiterin zwanzig Tage, für eine Drohne vier und zwanzig
Tage. Während der Larvenzeit werden die fußloſen weichen Würm-
chen von den Arbeiterinnen ſehr ſorgſam gefüttert, und die Zelle, ſo-
bald ſie ſich verpuppen, mit einem Wachsdeckel geſchloſſen. Die erſte
der auskriechenden Königinnen tödtet ſogleich nach ihrer Geburt die
noch in der Zelle eingeſchloſſenen weiblichen Puppen und bleibt fortan
an der Spitze der Geſellſchaft; — ſchlüpfen mehrere Weibchen zugleich
aus, ſo kämpfen ſie ſo lange unter einander, bis eine überbleibt; iſt
aber unglücklicher Weiſe die alte Königin ſo lange am Leben geblie-
ben, bis die jungen Königinnen ausſchlüpfen, ſo werden dieſe letzteren
von ihr ohne Gnade umgebracht, ohne daß die Arbeiter ſich wider-
ſetzen. Da die alte Königin aber dann unfähig iſt, ferner noch Eier
zu legen, ſo zerſtreut ſich die Geſellſchaft entweder bei ihrem Tode,
oder aber die Arbeiter bilden ſich dadurch eine neue Königin, daß ſie
eine Arbeiterlarve, die noch nicht drei Tage alt iſt, in eine königliche
Zelle bringen und mit königlichem Futter nähren; — in dieſem Falle
entwickeln ſich die Geſchlechtstheile, während dieſelben bei dem gewöhn-
lichen Arbeiterfutter rudimentär bleiben. Die junge Königin verläßt
bald nach ihrer Geburt in Begleitung der Drohnen den Stock, be-
gattet ſich, wie dieß die meiſten Hautflügler thun, hoch oben in der
Luft, kehrt dann in den Stock zurück und legt nun Eier in derſelben
Reihenfolge, zuerſt Arbeitereier, dann Drohneneier, zuletzt Eier für
Königinnen. Die Puppen der letzten werden aber zur Zeit des Aus-
ſchlüpfens von den Arbeitern beſchützt, und die Königin von ihrer
Tödtung zurückgehalten. Sobald ſie dieß bemerkt, verläßt ſie mit den
älteren Arbeitern den Stock, und bildet einen neuen Schwarm, indem
ſie während des ganzes Jahres nur Arbeitereier legt, bis zum näch-
ſten Frühjahre, wo derſelbe Kreislauf der Erſcheinungen beginnt, den
wir bisher beſchrieben. Während des Winters hören die Arbeiten in
[685] den Bienenſtöcken auf; — vorher aber, im Monate Auguſt, werden
ſämmtliche Drohnen, die der Geſellſchaft angehören, von den Arbeitern
umgebracht.


Die Geſellſchaften der Ameiſen haben einen noch verwickel-
teren Haushalt, als die der Bienen. Die meiſten dieſer Thiere bauen
ſich unter der Erde an, indem ſie Gänge, Zellen und Kammern aus-
höhlen und mit verhärtetem Lehm überwölben. Auch diejenigen Woh-
nungen, welche über der Erde, hauptſächlich aus Holz zuſammengetragen
ſind, beſitzen einen unterirdiſchen Theil, in welchen ſich die Ameiſen
bei drohender Gefahr oder im Winter zurückziehen. Alle Geſellſchaf-
ten beſtehen aus geflügelten Weibchen, kleineren Männchen und noch
kleineren ungeflügelten Arbeitern; meiſtens unterſcheidet man bei die-
ſen letzteren zwei Raçen, eine größere, welcher die Vertheidigung der
Wohnung obliegt, und eine kleinere, der die ſpeziellen Arbeiten des
Haushaltes zufallen. Bei den amerikaniſchen Wanderameiſen beſtehen
die zahlreichen Truppen, die in langen Colonnen marſchiren, nur aus
kleineren Arbeitern; die Individuen der größeren Raçe marſchiren
ganz in ähnlicher Weiſe wie Offiziere zur Seite der Colonnen, und
man ſieht ſie häufig auf überragende Zweige oder Blätter klettern,
und von dieſem erhöhten Standpunkte aus den Zug der Truppen auf-
merkſam beobachten.


Die Ameiſen ſammeln durchaus keine Vorräthe ein, ſondern fallen
im Winter in eine Art Schlaf, während deſſen ſie keine Nahrung zu
ſich nehmen. Während der Sommerszeit nähren die Arbeiter nicht
nur ſich, ſondern auch die Larven, die Weibchen und die Männchen,
welche alle unthätig ſind, mit allen möglichen organiſchen Stoffen, be-
ſonders aber mit ſüßen Pflanzenſäften, die ihnen namentlich durch die
Blattläuſe verſchafft werden. Wir haben ſchon bei dieſen Thieren
erwähnt, daß ſie auf dem Hinterleibe zwei Röhren beſitzen, aus wel-
chen von Zeit zu Zeit ein ſüßer Honigſaft quillt, welchen die Ameiſen
ſehr begierig auflecken. Die Blattläuſe werden von den Ameiſen mit
der größten Sorgfalt behandelt, von abgeſtorbenen Zweigen und
Sproſſen auf friſche, lebende Blätter verſetzt, und mit den Fühlhör-
nern ſo lange geliebkoſet, bis ſie Honigſaft von ſich geben. Die mei-
ſten Arten von Ameiſen bauen von ihrem Neſte aus bedeckte Wege,
wahre Kunſtſtraßen, nach den Bäumen und Sträuchern, auf denen
ſich die Colonieen ihres Melkviehes befinden; andere bringen ſelbſt
ſolche Blattläuſe, welche an Wurzelſtöcken hauſen, in ihre Neſter, wo
[686] ſie ſie des Winters über halten. Außer der Sorge für die Nahrung
und Fütterung der übrigen Glieder der Geſellſchaft beſtehen die haupt-
ſächlichſten Beſchäftigungen der Arbeiter-Ameiſen noch beſonders in
der Wartung der Puppen, der ſogenannten Ameiſeneier, welche ſie
beſtändig zwiſchen ihren Kiefern umherſchleppen, um ſie bald an die
Sonne, bald tiefer hinab in die Gänge zu tragen, ſowie in der Sorge
für das Haus, deſſen Zugänge am Morgen geöffnet, am Abend aber
regelmäßig geſchloſſen werden.


Einige Arten von Ameiſen zeigen noch verwickeltere Verhältniſſe
in ihrem Haushalte. Die geſchlechtsloſen Individuen der blutrothen
und der röthlichen Ameiſe, welche in unſeren Gegenden vorkommen,
arbeiten ſelbſt nicht, ſondern machen nur förmliche Kriegszüge, um
die Stöcke anderer Ameiſen zu überfallen und die Puppen der Ar-
beiter daraus zu rauben. Meiſtens iſt ihre Taktik die, daß ſie plötz-
lich einen benachbarten Ameiſenhaufen überfallen, und wenn ſeine
Bewohner ſich zur Wehre ſtellen, mit der Hauptmaſſe eine förmliche
Schlacht liefern, während detachirte Haufen die Flügel des Feindes
umgehen und den Stock deſſelben ausplündern. Das Schlachtfeld iſt
nach einem ſolchen Kampfe mit Leichen bedeckt, beide Theile beißen
ſich mit der größten Erbitterung herum; die Verwundeten und Kampf-
unfähigen werden von ihren Freunden aus dem Getümmel an ſichere
Orte zurückgeſchleppt. Die geraubten Puppen entwickeln ſich ſpäter
in der Wohnung der Räuber und verſehen dort förmliche Sclaven-
dienſte, indem ſie allein alle Arbeiten des Haushaltes übernehmen,
ihre unthätigen Räuber füttern und deren Larven beſorgen. So ent-
ſtehen jene gemiſchten Ameiſengeſellſchaften, in welchen viererlei Indi-
viduen exiſtiren: Männchen, Weibchen und kriegführende Individuen
(ſogenannte Amazonen) der einen Art und arbeitende Sclaven einer
anderen Art.


Die Gründung neuer Ameiſengeſellſchaften geſchieht in folgender
Weiſe: Im Auguſt verlaſſen ungeheuere Schwärme geflügelter Männ-
chen und Weibchen am Nachmittage die Stöcke und begatten ſich in
der Luft. Die Männchen ſterben faſt unmittelbar nach der Begattung;
die meiſten Weibchen werden von den Arbeitern eingefangen und in
den Stock zurückgebracht, wo ſie beſonders im nächſten Frühjahre
Eier legen. Die nicht eingefangenen befruchteten Weibchen reißen ſich
zuerſt ſelbſt die Flügel aus, welche ſehr loſe auf Stummeln ſtehen,
und höhlen dann einen Gang in der Erde aus, dem ſie Kammern
beifügen, in welche ſie Arbeitereier legen. Sobald dieſe ſich entwickelt
[687] haben, helfen ſie ihrer Mutter bei ihren Arbeiten, überwintern mit
ihr und führen dann im nächſten Frühjahre die Wirthſchaft weiter,
während das Weibchen ganz in ähnlicher Weiſe, wie bei den Bienen,
ſich nur noch mit Eierlegen beſchäftigt, und auch dieſelbe Reihenfolge
beibehält, indem es erſt Arbeitereier, dann männliche und weibliche
Eier legt. —


Spuren verſteinerter Hautflügler finden ſich zuerſt im oberen
Jura, dann aber in großer Menge in den Süßwaſſerſchichten der
Tertiärgebilde. Die Ameiſen ſpielen in dieſen Schichten eine weſent-
liche Rolle — man findet oft Schieferplatten in Oeningen, die förm-
lich mit Abdrücken von Ameiſen überdeckt ſind und viele Arten zu
gleicher Zeit erkennen laſſen. Es läßt ſich daraus, wie aus der gro-
ßen Zahl von Termiten, die man an den gleichen Orten findet, ein
Schluß auf die tropiſche Vegetation der tertiären Periode machen,
welche ſolche unzählige Maſſen zerſtörender Inſekten ernährte. Auch
jetzt gehört noch in den Tropengegenden die Bodenfläche weſentlich den
Ameiſen und Termiten an, wie dies damals in unſeren Gegenden der Fall
war. Weit ſparſamer ſind die Reſte der übrigen Hautflügler, nament-
lich der Honigſammler, was mit der geringen Entwickelung krautar-
tiger Gewächſe und Blumen zur Tertiärzeit in Zuſammenhang ſteht.


Wir erkennen in der Ordnung der Hautflügler vier Reihen, de-
ren Entwickelung in ähnlicher Weiſe, wie in der Ordnung der Käfer,
zu vollkommnerer Geſtaltung vorſchreitet, die ſich ſowohl in der Aus-
bildung des vollkommnen Inſektes und der Larven, als auch nament-
lich in der geiſtigen Ausbildung erkennen läßt, indem die höher
ſtehenden Typen dieſer Ordnung in geſellſchaftlichen Beziehungen leben,
und in der Sorge für ihre Nachkommenſchaft, ſowie für die Erhaltung
ihrer Geſellſchaft einen Grad geiſtiger Ausbildung bethätigen, den man
bei allen andern Thieren vergebens ſuchen dürfte.


Die erſte Reihe wird von den Gallwespen, den Schlupfwespen
und den Holzwespen gebildet, und enthält meiſt paraſitiſche Inſekten,
die theils auf Koſten von Pflanzen, theils auf die anderer Inſekten
leben und niemals geſellſchaftliche Formen irgend welcher Art zeigen,
noch ſich um die Auferziehung ihrer Larven bekümmern. Die Weib-
chen haben ſtets eine Legeröhre, niemals einen wahren Stachel, wie
die übrigen Hautflügler. Eine zweite Reihe wird von den Wespen,
eine dritte von den Bienen, eine vierte von den Ameiſen gebildet, und
[688] überall ſchreitet in dieſen Reihen die Entwickelung in der Art vor
ſich, daß bei den Niedergeſtellten die Larven zwar von der Mutter
mit Proviant verſehen, dann aber ſich ſelbſt überlaſſen werden, wäh-
rend bei den Höheren die Larven als Angehörige der Geſellſchaft auf-
erzogen und während der Periode ihrer Unbehülflichkeit entweder von
den Müttern ſelbſt, oder von den verkümmerten Weibchen ernähert
und gepflegt werden.


Erſte Reihe. Hautflügler mit Legeröhre.


Die Familie der Gallwespen (Cyniphida) beſteht aus einer An-

Figure 687. Fig. 904.

Wespe der Färbergalle
(Cynips gallae tinctoriae).


zahl meiſt ſehr kleiner, träger Inſekten, die
durch eine ungemeine Entwickelung des Bruſt-
ſtückes buckelig erſcheinen. Der Kopf iſt klein,
quer geſtellt, die Bruſt breit, hoch, eiförmig,
der Hinterleib gewöhnlich rund und durch einen
kurzen Stiel mit dem Bruſtſtücke verbunden.
Meiſt iſt der Leib an ſeinem hinteren Ende zu-
ſammengedrückt, und endet dort in zwei Klap-
pen, welche die außerordentlich dünne und feine
Legeröhre einſchließen. Die Fühler ſind gerade,
mitten auf der Stirn eingelenkt, aus dreizehn bis fünfzehn Gliedern
zuſammengeſetzt, kürzer bei den Weibchen; die Oberlippe ſehr klein;
die Kiefer kurz, dick, am Rande gezähnelt; die Kinnladen am Ende
mit einem großen, häutigen Lappen verſehen; Kiefertaſter kurz, fünf-
gliederig, Lippentaſter rudimentär. Die Flügel ſind ſehr zart und
durchſichtig und zeigen nur ſehr wenige, unbedeutende Adern, die ſogar
bei einigen Gattungen gänzlich fehlen.


Die Gallwespen legen ihre Eier unter die Oberhaut der Pflanzen,
in das Zellengewebe derſelben, indem ſie mit ihrer Legeröhre, die aus
einer einfachen Halbſcheide und zwei darin verborgenen gezähnelten
Borſten beſteht, ein Loch in die äußere Hülle ſägen, in welches ſie
dann ihr Ei einſchieben. Die Verwundung erzeugt bei den Gewäch-
ſen eine hohle, meiſt harte Geſchwulſt, in deren Inneren dann die
fußloſen Larven leben und ſich von dem Marke des Gallapfels näh-
ren. — Zuweilen verpuppen ſich die Larven im Innern der Galläpfel
ſelbſt; Andere bohren ſich hervor, und verpuppen ſich in der Erde.
In den meiſten Galläpfeln lebt nur eine Larve; es giebt indeſſen
[689] auch Arten, wo man mehrere Hunderte von Larven, Puppen oder
Fliegen in derſelben Pflanzengeſchwulſt antrifft. Andere Hautflügler
mit langer Legeröhre bringen oft ihre Eier in dieſe Galläpfel hinein,
und die daraus entſtehenden Larven freſſen die rechtmäßigen Bewoh-
ner derſelben auf und entwickeln ſich auf Koſten derſelben. Die Gall-
äpfel der Eichen, welche von einer beſonderen Art (Cynips gallae
tinctoriae
) hervorgebracht werden, dienen ihres großen Gehaltes an
Gerbeſäure wegen beſonders zur Herſtellung ſchwarzer Farbe. Figi-
tes; Eucoila: Cynips; Allotria; Ibalia
.


Wir können die folgenden Familien unter dem gemeinſamen Na-
men der Schlupfwespen zuſammenfaſſen, da ſie alle eine gemein-
ſame Lebensart und ähnliche Induſtrie beſitzen. Die Weibchen legen
nämlich ihre Eier entweder in die Neſter oder unter die Haut anderer
Inſekten, und die Larven nähren ſich paraſitiſch von der Körperſub-
ſtanz der Thiere ſelbſt, welche ſie bewohnen. Beſonders häufig ſind
die Larven anderer Inſekten, die Raupen der Schmetterlinge z. B.
den Angriffen der Schlupfwespen ausgeſetzt. Das Ei wird von dem
Weibchen mittelſt der ſpitzen Legeröhre in einem Nu unter die Haut
der Raupe geſchoben, und die auskriechende fußloſe Larve nährt ſich
beſonders von dem Fettkörper der Raupe, ohne die zum Leben nöthi-
gen Organe anzugreifen. So kommt es denn häufig, daß die Raupen,
welche nicht allzuviele Bewohner dieſer Art beherbergen, noch Lebens-
kraft genug beſitzen, um ſich in Puppen zu verwandeln; daß die Pa-
raſiten ſich dann im Inneren der Puppe ebenfalls verwandeln, und
daß endlich ſtatt eines Schmetterlings eine oder mehrere Schlupfwes-
pen aus der Puppe hervorbrechen. Indeß werden nicht nur die Rau-
pen der Schmetterlinge, ſondern auch Larven, Puppen und vollſtändige
Inſekten aller Ordnungen von den Schlupfwespen angegriffen; ja man
kennt einzelne Gattungen, deren Larven ſogar auf Koſten ſchon para-
ſitiſch lebender Larven ſich ernähren. So legt die Gattung Hemiteles
ihre Eier nur in die Larven von Schlupfwespen, welche ſchon im
Inneren von Schmetterlingsraupen ſchmarotzen, namentlich ſolcher aus
der Familie der Braconiden; und während die Braconidenlarve den
Fettkörper der Raupe verzehrt, wird ihr eigener Fettkörper wieder
von der Larve des Hemiteles aufgefreſſen. In ähnlicher Weiſe ſticht
das Weibchen von Chrysolampus nur ſolche Blattläuſe an, in denen
ſchon die Larve eines Aphidius ſchmarotzt und weiß mit ſeiner Lege-
röhre den Schmarotzer in der Blattlaus ſo zu treffen, daß das Ei
im Inneren ſeines Körpers abgelagert wird. Alle die ſchmarotzenden
Vogt. Zoologiſche Briefe. I. 44
[690] Larven dieſer Schlupfwespen ſind wurmförmig, weich, weißlich, durch-
aus fußlos oder höchſtens mit fleiſchigen Wärzchen ſtatt Füßen ver-
ſehen; ſie bilden nackte Puppen im Inneren der Thiere, auf deren
Koſten ſie lebten, und nur wenige Gattungen ſpinnen ſich eine Art
Hülſe, zu welcher ſie meiſt Stücke der Raupenhaut verwenden.


Familie der Springwespen (Chalcidida). Meiſt ſehr kleine
Schlupfwespen, mit ſchmalem, querem Kopfe und kurzen Fühlern von
wechſelnder Gliederzahl und Geſtalt, die aber ſtets gebrochen oder ge-
knickt, am Ende keulenförmig geſägt oder gefiedert ſind und deren
erſtes, ſtielartig verlängertes Glied in einer Querfurche der Stirn
geborgen werden kann. Die Mundorgane ſind denen der vorigen
Familie ſehr ähnlich, mit Ausnahme der Unterlippe, welche lang und
ſchmal iſt und mit einem breiten runden Lappen endigt; — die Bruſt
iſt meiſt hoch gewölbt und buckelig, der Hinterleib rund und mit einem
kurzen Stiele an der Bruſt befeſtigt. Die Flügel haben meiſt gar
keine Nerven, oder nur einen kurzen Randnerven, der quer in die
Flügelfläche hineingeht und plötzlich endet. Bei den meiſten Gattun-
gen ſind die Hinterſchenkel ſehr verdickt und oft mit Spitzen und Dor-
nen verſehen; einige Weibchen ſind vollkommen flügellos; ihre Lege-
röhre iſt meiſtens ziemlich lang, gerade und wird bei den meiſten in
dem Bauche verborgen, bei anderen aber ſäbelartig über die Rücken-
fläche des Hinterleibes gelegt. Die Inſekten ſind meiſt faſt mikroſkopiſch
aber mit lebhaft glänzenden Metallfarben geziert, und entwickeln ſich
oft zu Hunderten und Tauſenden, ſelbſt in den Eiern anderer Inſekten.
Chalcis; Perilampus; Torymus; Pteromalus; Encyrtus; Platygaster;
Leucopsis; Eurytoma; Callimome; Spalangia
.


Die Familie der Schwanzwespen (Proctotrupida) beſteht eben-

Figure 688. Fig. 906.

Bethylus.


falls zum größten Theil aus ſehr
kleinen, faſt mikroſkopiſchen Inſekten,
welche durch den Mangel der Flü-
gelnerven und die häufig verdickten
Beine, ſo wie durch die Struktur
der Mundtheile der vorigen Familie
nahe ſtehen, ſich aber von ihnen
durch die geraden, niemals geknick-
ten Fühler, den Mangel einer Furche
vorn an dem Kopfe und die meiſt
[691] matten, dunklen Farben des Körpers unterſcheiden. Die Legeröhre kann
nur bei wenigen zurückgezogen werden, während ſie bei den meiſten
Gattungen frei hervorſteht; die Larven leben beſonders in Eiern von
anderen Inſekten, ſowie in den Larven von Zweiflüglern. Diapria;
Sparasion; Platygaster; Proctotrupes; Dryinus; Labeo; Bethylus;
Megaspilus; Ceraphron
.


Außerordentlich zahlreich iſt die Familie der eigentlichen Schlupf-
wespen
(Ichneumonida), die meiſt einen langen, ſchmalen Körper,

Figure 689. Fig. 907.

Ichneumon.


kleinen, queren Kopf, ovale Bruſt und
langen Hinterleib haben, der bald ſehr
dünn geſtielt iſt, bald auch mit ſeiner gan-
zen Breite aufſitzt. Die Fühlhörner ſind
meiſt ſehr lang, borſtenförmig, ſelten ge-
zähnelt oder keulenförmig und bei dem
lebenden Inſekte faſt beſtändig in lebhaft
vibrirender Bewegung; die Mundtheile
laſſen ſich nur ſchwierig unterſcheiden, die
Kiefer ſind dick und zweizähnig, die Unterlippe ſehr klein, ihre Taſter
viergliederig, während die Ladentaſter fünf Glieder haben, von denen
das zweite breit und dreieckig iſt; die Flügel beſitzen ſehr wohl aus-
gebildete Netzadern, und die Füße ſind meiſt ſehr lang, dünn, aber
niemals zum Springen tauglich. Die Legeröhre wechſelt außerordent-
lich in ihrem Verhältniß zum Körper; — bei einigen Gattungen iſt
ſie kaum ſichtbar, bei anderen, welche beſonders ihre Eier in die Lar-
ven geſelliger Hautflügler legen und hierzu die Neſthüllen derſelben
durchbohren müſſen, ungemein lang, ja ſelbſt länger, als der ganze
Körper. Sie beſteht ſtets aus zwei hornigen Scheiden und einem mittle-
ren Stilett, welches ſelbſt wieder aus einer Halbrinne und zwei gezähnel-
ten Stachelborſten zuſammengeſetzt iſt, die das eigentliche Bohrinſtru-
ment bilden. Man hat in dieſer überaus zahlreichen Familie, welche
nur in Deutſchland mehrere tauſend Arten zählt, einige Unterfamilien
unterſchieden, indem die eigentlichen Ichneumoniden (Ichneumon;
Tryphon; Bassus; Metopius; Ophion; Pimpla; Acaenites; Cryptus
)
einen fünfringeligen Hinterleib und an den Oberflügeln zwei rücklau-
fende Nerven beſitzen, während die Braconiden (Bracon; Vipio;
Aphidius; Microdus; Agathis; Ichneutes; Microgaster
) bei gleicher Zu-
ſammenſetzung des Hinterleibes nur einen zurücklaufenden Nerven in
den Oberflügeln beſitzen, und die Alyſiden (Alysia; Sigalphus;
44*
[692]Chelonus; Rogas; Helcon) an dem Hinterleibe höchſtens drei deutliche
Ringel zeigen, unter welche die anderen unkenntlichen eingeſchoben ſind.


Figure 690. Fig. 908.

Foenus jaculator.


Figure 691. Fig. 909.

Aulacus.


Die Familie der Hungerwespen (Evanida) umfaßt eine Gruppe
meiſt ſehr ſchlanker Schlupfwespen mit langem, dünnem, oder ſelbſt ganz
verkümmertem Hinterleibe, deſſen Stiel oben auf der Hinterbruſt meiſt
unmittelbar hinter dem Mittelbruſtſchilde eingelenkt iſt. Die Fühler
dieſer Wespen ſind lang, dünn, nur bei einigen Gattungen etwas dicker,
und im Anfange etwas gekniet. Die Ladentaſter ſind ſechsgliederig; die
Lippentaſter viergliederig; die Oberflügel meiſt vollkommen geadert und
mit geſchloſſenen Zellen verſehen. Die Legeröhre iſt ſehr lang, ſo
daß von manchen Arten der Leib beim Fluge in ſenkrechter Stellung
getragen werden muß. Evania; Foenus; Brachygaster; Pelecinus;
Stephanus; Megalyra; Aulacus
.


Die Familie der Goldwespen (Chrysida) beſteht aus kurzen,

Figure 692. Fig. 910.

Goldwespe (Chrysis).


dickleibigen Wespen, deren runder Hin-
terleib meiſt abgeplattet und auf der un-
teren Fläche ſo ausgehöhlt iſt, daß das
Inſekt ihn, wie ein Schild unter die Bruſt
ſchlagen und auf dieſe Weiſe ſich förm-
lich zuſammenkugeln kann. Der ſo gebil-
dete Hinterleib ſcheint nur aus drei Rin-
geln zuſammengeſetzt, da die übrigen hin-
teren Ringel nach innen eingeſchoben ſind. Die Fühler der Gold-
[693] wespen ſind gekniet und aus dreizehn Gliedern zuſammengeſetzt, von
denen das erſte ſehr lang iſt und den Stiel der Geißel bildet. Die
Adern der Flügel ſind meiſt ſehr unvollſtändig entwickelt; die Lege-
röhre iſt nur kurz, aber dick und ſtark, ſo daß die Thiere empfindlich
damit ſtechen können; — da ſie aber nicht in Verbindung mit einem
Giftbläschen ſteht, ſo iſt auch dieſer Stich bei weitem nicht ſo em-
pfindlich oder bösartig, als derjenige der eigentlichen ſtacheltragen-
den Hautflügler, zu welchen die Goldwespen den Uebergang bilden.
Die Larven der Goldwespen, ſoweit man ſie bis jetzt beobachtet hat,
leben hauptſächlich in den Neſtern der Grabwespen und der einſamen
Bienen, deren Larven ſie auffreſſen. Die Goldwespen ſchleichen ſich
in dieſe Neſter ein, indem ſie den Augenblick abpaſſen, wo die Biene
oder Grabwespe ſich entfernt, um Proviſion zu holen; die Gold-
wespe legt dann ihre Eier an Stellen, wo ſie von der heimkehrenden
Erbauerin des Neſtes nicht leicht entdeckt werden können; oft indeß
werden ſie bei dieſem Geſchäfte von jener überraſcht und mit äußer-
ſter Wuth angegriffen, wo ihnen dann die Fähigkeit, ſich zuſammen
zu kugeln, ein vortreffliches Vertheidigungsmittel bietet. Chrysis; He-
dychrum; Parnopes; Stilbum; Pyria
.


Die Holzwespen, welche wir hier folgen laſſen, obgleich ſie,
genauer genommen, wohl eine Reihe für ſich bilden dürften, da ſo-
wohl die Bildung des vollkommenen Inſektes, als namentlich diejeni-
gen der Larven, ſehr bedeutend von den Typen der übrigen Haupt-
flügler abweicht, zeichnen ſich durch einen langen, geſtreckten Körper
aus, an welchem der Hinterleib ſich unmittelbar als eine Fortſetzung
der Bruſt darſtellt und niemals einen Stiel zeigt. Die Larven dieſer
Thiere haben wenigſtens ſechs Füße, meiſt aber noch eine große An-
zahl von falſchen Bauchfüßen, wodurch ſie Schmetterlingsraupen ſo
ähnlich werden, daß einige ältere Beobachter ſie wirklich dafür an-
ſahen, und die aus den Puppen hervorgehenden Holzwespen für
Schmarotzer hielten, die in ähnlichem Verhältniſſe zu den Raupen
ſtünden, wie die Schlupfwespen. Wir unterſcheiden zwei Familien.


Die eigentlichen Holzwespen (Urocerida) haben einen beinahe
runden Kopf, der meiſt der Bruſt unmittelbar aufſitzt, und einen cy-
lindriſchen Körper, an deſſen hinterem Ende die ſehr ſtarke, ſägeför-
mige Legeröhre hervorſteht. Die Fühler ſind ſehr lang, borſtenförmig,
aus vielen kleinen Gliedern zuſammengeſetzt und oft in der Form von
Widderhörnern gekrümmt. Die Mundwerkzeuge beſtehen aus zwei
[694] dreieckigen, ſtarken, innen gezähnelten Kiefern, ſehr rudimentären Kinn-
laden mit kurzen zweigliederigen Taſtern und einer ſchmalen Unter-
lippe, die längere, viergliederige Taſter trägt. Die Flügel ſind ſtark-
zellig, die vorderen weit größer als die hinteren, und die Legeröhre
der Weibchen außerordentlich ſtark und gezähnelt, ſo daß ſie tiefe
Löcher in das feſteſte Holz bohren können. Die Larven der Holz-
wespen ſind cylindriſch, geſtreckt, mit hartem, hornigem Kopfe und
ſechs kleinen gegliederten Füßen verſehen, ſo daß ſie faſt ganz das
Anſehen von Käferlarven haben; ſie bohren in lebendem Holze, und
verwandeln ſich nach einigen Jahren, nachdem ſie ſich einen loſen
Seidencocon geſponnen haben. Sirex; Xiphydria.


Die Familie der Blattwespen (Tenthredinida) iſt der vorigen
in dem erwachſenen Inſekte ſehr ähnlich, unterſcheidet ſich aber haupt-
ſächlich durch die oft ſonderbar geſtalteten Fühler, die bald keulen-

Figure 693. Fig. 911.

Tenthredo.


Figure 694. Fig. 912.

Cimbex.


förmig, bald ausgezeichnet kammartig geſtaltet ſind, ferner durch die
ſechsgliederigen Kinnladentaſter und die weit kürzere Legeröhre, welche
indeß ebenſo ſtark und ſägeartig gezähnelt iſt, als diejenige der vori-
gen Familie. Die meiſten Blattwespen ſägen die Blätter oder ſafti-
gen Stengel mit dieſer Legeröhre an, worauf ſich dieſe meiſt einrollen
und ſo der jungen Larve Schutz gewähren; die Larven ſelbſt haben
einen hornigen Kopf und ſechs hornige Bruſtfüße, ſo wie falſche
Bauchfüße, wodurch ſie den Schmetterlingsraupen ſehr ähnlich ſehen;
ſie unterſcheiden ſich aber von dieſen gerade durch die Zahl der After-
füße, indem ſie wenigſtens deren zwölf haben, ja ſelbſt ſechzehn haben
können, während die Schmetterlingsraupen nur acht und höchſtens
zehn falſche Füße beſitzen. Außerdem haben dieſe Afterraupen,
wie man ſie genannt hat, zwei einfache Augen auf der Stirn und
zwei ſehr kleine kegelförmige Fühler, die ebenfalls den ächten Raupen
[695] abgehen; ihre Kiefer ſind ſehr dick und ſtark gezähnt; in der Ruhe
rollen ſie ſich meiſt ſpiralförmig auf und ſpritzen, ſobald man ſie be-
rührt, einen unangenehm riechenden Saft aus feinen, ſeitlichen Oeff-
nungen, die unter den Luftlöchern liegen. Alle dieſe Larven ſind
äußerſt gefräßig, und manche richten an den Blättern der Bäume und
Kräuter große Verheerungen an. Die meiſten ſpinnen ſich in der
Erde, oder unter abgefallenen Blättern ein, und manche bleiben ſehr
lange Zeit als Larven in ihren Geſpinnſten. Tenthredo; Lophyrus;
Lyda; Xyela; Cephus; Cimbex; Hylotoma; Schizocera; Dolerus;
Selandria
.


Sämmtliche Hautflügler, die wir jetzt folgen laſſen, ſind im
weiblichen Geſchlechte nicht mit einer Legeröhre, ſondern mit einem
Giftſtachel bewaffnet, der mit einer eigenen Drüſe und einer Blaſe
in Verbindung ſteht, welche im Momente des Stiches das Gift in die
Wunde abfließen läßt, das nach neueren [Beobachtungen] allgemein aus
waſſerfreier Ameiſenſäure beſtehen ſoll. Der Stachel iſt übrigens genau
aus denſelben Theilen zuſammengeſetzt, wie die Legeröhre, und nament-
lich unterſcheidet man ſtets eine gezähnelte, feine Halbrinne, in welcher
zwei dünne, ebenfalls gezähnelte Stachelborſten vorgeſchoben werden
können. Auch die verkümmerten Weibchen, welche zur Fortpflanzung
untauglich ſind, haben dieſen Stachel, der den Männchen ganz allge-
mein abgeht, und der beſonders deßhalb für den Haushalt dieſer In-
ſekten von Wichtigkeit erſcheint, weil diejenigen Arten, deren Larven
ſich von lebenden Inſekten nähren, ſich des Stachels zur Lähmung
ihrer Beute bedienen.


Reihe der Wespen.


Wir unterſcheiden unter den Wespen vor allen eine Gruppe,
deren Lebensart viele gemeinſame Eigenthümlichkeiten hat, weßhalb
wir ſie mit dem gemeinſchaftlichen Namen der Grabwespen be-
zeichnen. Alle dieſe Thiere leben einſam, niemals in Geſellſchaft;
beide Geſchlechter ſind vollkommen geflügelt, und die Weibchen tragen
Sorge, den an einem geſchützten Orte lebenden Larven die bis zu
ihrer Einpuppung nöthige Nahrung beizugeben, welche immer aus
lebenden Inſekten beſteht. Die meiſten dieſer Thiere bohren zu dieſem
Zwecke Gänge in der Erde, oder im Holze, wo ſie der Larve nebſt
ihrem Proviante ein Neſt bereiten; andere mauern ſelbſt mit Sand
[696] und Mörtel förmliche Zellen auf, in welchen die Larve verborgen iſt.
Der Proviant, welchen dieſe Thiere ihren Larven beigeben, beſteht
aus lebenden Inſekten und Larven aller Ordnungen, ſowie auch aus
Spinnen, welche in dem Neſte aufgeſchichtet und allmählich von der
ſich entwickelnden Wespenlarve verzehrt werden. Eine jede Grab-
wespe verproviantirt ihr Neſt nur mit einer beſtimmten Art von
Thieren, und während die einen ſich mit leichter Mühe der Raupen
oder Larven bemächtigen, die ihnen keinen Widerſtand entgegen
ſetzen können, ſo koſtet es den anderen oft einen harten Kampf,
bevor ſie eine Biene, eine Spinne oder gar eine Küchenſchabe über-
wältigt haben. Meiſt ſiegen dieſe Wespen durch Ueberraſchung,
indem ſie plötzlich auf ihre Beute losſtürzen, die im erſten Schrecken
regungslos ſtehen bleibt und ehe ſie ihre Flucht bewerkſtelligen kann,
von den ſcharfen Kiefern der Wespe an dem Kopfe gepackt wird.
In demſelben Augenblicke biegt die Grabwespe ihren ſchlanken Hin-
terleib unter den Bauch der Beute und bohrt den Stachel an irgend
einer weichen Stelle ein. Die Verwundung hat unmittelbar eine
eigenthümliche Lähmung des Getroffenen zur Folge; das geſtochene
Thier kann meiſtens noch ſeine Beine ſchwach bewegen, iſt aber ſonſt
in einem Zuſtande, wie wenn es in tiefen Schlaf verſunken wäre, ſo
daß es ihm unmöglich iſt, zu ſtehen, zu gehen, oder irgend eine will-
kührliche Bewegung auszuführen. In dieſem gelähmten, willenloſen
Zuſtande bleiben die getroffenen Thiere nicht nur Tage, ſondern
Wochen und Monate lang am Leben und erhalten ſich friſch und
weich, ohne einzutrocknen, ſo daß die Larve, welche ſie verzehren ſoll,
die gehörige Nahrung aus ihnen ziehen kann, während ſie doch un-
fähig ſind, dem unbehülflichen, fußloſen Wurme, welcher ſie auffrißt,
auch nur den mindeſten Widerſtand entgegen zu ſetzen. Es würde zu
weit führen, wollten wir auf die Einzelnheiten eingehen, welche in
großer Menge bekannt ſind, und die, natürlich je nach der Art der
Beute und den Vertheidigungsmitteln, die ſie der Wespe entgegenſetzen
können, außerordentlich wechſeln, während ſie in den allgemeinen
Zügen, wie wir ſie eben mitgetheilt haben, übereinſtimmen.


[697]

Die Familie der Gartenwespen(Scolida), die hauptſächlich in

Figure 695. Fig. 913.

Gartenwespe (Scolia hortorum,)


wärmeren Gegenden ſehr verbreitet
iſt, bildet gewiſſermaßen den Ueber-
gang von den Schlupfwespen zu
den eigentlichen Grabwespen durch
die Art und Weiſe, wie ſie für ihre
Larven ſorgen. Die einzige Art
nämlich, deren Haushalt bis jetzt
beobachtet wurde, ſucht die Larve
des Nashornkäfers, welche hauptſächlich in Gartenerde lebt, an ihrem
Wohnorte auf und klebt ihr, aber ohne ſie zu ſtechen, ein Ei auf den
Rücken, aus dem ſpäter die Larve hervorgeht, welche den Engerling
des Nashornkäfers auffrißt, der ſo groß iſt, daß er zwei Larven der
Gartenwespe genügende Nahrung bieten könnte. Die vollkommnen
Inſekten ſind groß, ſtark behaart, namentlich an den kurzen dicken
Beinen, und haben kurze, an der Spitze verdickte Fühler, die beſon-
ders beim Weibchen ſehr kurz ſind. Der Stiel des eiförmigen Hin-
terleibes erſcheint ſo kurz, daß beſonders beim Männchen der Hinter-
leib unmittelbar an der Bruſt angefügt ſcheint. Scolia.


Die Sandwespen (Sphegida) ſind ſchlanke Thiere mit lang-

Figure 696. Fig. 914.

Pompilus.


geſtieltem eiförmigem Hinterleibe und ſehr langen
Hinterfüßen, die meiſtens an den Schienen geſtachelt
ſind und ſehr geſchickt zum Auswerfen des Sandes
benutzt werden. Die Fühler ſind lang, dünn, faden-
oder borſtenförmig, die Vorderbruſt klein und ring-
förmig; die langen ſcharfen, innen gezähnten Kiefer
ſtehen bei einigen Gattungen noch weit über den
Kopf hervor. Sie verproviantiren ihre Larven beſonders mit Spinn-
raupen, mit Spinnen oder mit Heuſchrecken und Schaben, deren ſie
ſich oft erſt nach hartem Kampfe bemeiſtern. Sphex; Ammophila;
Pompilus; Pelopaeus; Dolichurus; Chlorion; Calicurgus; Anoplius;
Pepsis
.


Die Schnabelwespen (Bembecida) unterſcheiden ſich von den vori-
gen hauptſächlich durch den ſehr kurzen Stiel des Hinterleibes, ſo wie
durch den Bau der Mundwerkzeuge, indem die Kiefer ſchmal, dünn
und faſt unbezähnelt, die Oberlippe kurz, dagegen die Kinnladen ſehr
lang und fadenförmig, und die Unterlippe ebenfalls außerordentlich
verlängert und an ihrer Spitze geſpalten iſt. Die Vorderbruſt iſt nur
[698] ſehr klein und bildet einen dünnen Ring hinter dem Kopfſtiele. Die
Schnabelwespen ſind alle ſehr lebhafte, ſchnellfliegende Thiere, die ihre
Löcher im Sande graben, und die Larven mit lebenden Fliegen ver-
proviantiren. Bembex; Monedula; Stizus.


Die Silberwespen (Crabronida) haben einen meiſt zugeſpitzten

Figure 697. Fig. 915.

Sapyga.


Hinterleib, der mit einem dicken kurzen Stiele
an der Bruſt hängt. Der Kopf iſt breit; die
Vorderbruſt nur ſehr klein und ringförmig;
die Mundwerkzeuge gedrängt, Laden und Un-
terlippe im Gegenſatz zu der vorigen Familie
nur ſehr kurz und mit einem rundlichen Lap-
pen geendet. Ihre Larven werden beſonders
mit Käfern und Blattläuſen, die der größeren Gattungen aber nament-
lich auch mit Honigbienen verproviantirt, denen ſie eifrig nachſtellen.
Crabro; Cerceris; Sapyga; Larra; Astata; Lyrops; Nysson; Oxyte-
lus; Pemphredon; Trypoxylon
.


Die Familie der eigentlichen Wespen (Vespida) unterſcheidet ſich

Figure 698. Fig. 916.

Papierwespe (Polistes nidulans)


von den vorhergehenden Familien, die alle
einſam für ſich leben, durch ihre Geſellig-
keit in Wohnung und Neſtbau. Es kom-
men bei ihnen nur fruchtbare Weibchen
und Männchen, keine ſogenannten Ge-
ſchlechtsloſen vor, wie bei den Bienen
und Ameiſen, während ſie ſonſt hinſicht-
lich ihrer Arbeiten in ähnlicher Weiſe ſich
vereinigen, wie die eben genannten Familien. Die meiſten nähren ihre
Jungen und füttern die Larven gemeinſchaftlich mit Honig auf; es
finden ſich indeß auch darin Uebergänge zu den Grabwespen, daß
einige Gattungen (Odynerus; Masaris; Synagra) die gemeinſchaftlich
gebauten Neſter mit lebenden Inſekten verproviantiren. Der Kopf
der Wespen iſt meiſt breit; die Fühler kurz, nach dem Ende hin etwas
verdickt; die Kiefer kurz, aber ſehr kräftig, faſt ebenſo breit als lang,
ſchief abgeſtutzt, und mit vier Zähnen verſehen; die Zunge kurz, bei-
nahe herzförmig; die Augen ausgeſchnitten; die Schienen der Hinter-
beine geſtachelt, die Tarſen aber ohne irgend welche Erweiterung. Die
Oberflügel werden der Länge nach in der Ruhe gefaltet, ein Charak-
ter, welcher nur dieſer Familie zukommt. Die Geſellſchaften der Wes-
pen gehören, wie diejenigen der Hummeln, zu den Sommergeſellſchaf-
[699] ten, die ſich im Winter auflöſen und im Frühjahre von den befruchteten
Weibchen, welche die Kälte in irgend einem Schlupfwinkel überſtanden
haben, neu begründet werden. Die Neſter der Wespen ſind ſtets aus

Figure 699. Fig. 917.

Neſt der gewöhnlichen Wespe (Vespa communis.)


zerkautem Holze verfer-
tigt, das ſie mittelſt ih-
rer ſtarken Kinnbacken
zerſplittern und durch
ihren klebrigen Speichel
zu einer Art mehr oder
minder feinen Papieres
zuſammenleimen. Das
Neſt ſelbſt wird in hoh-
len Bäumen, an geſchütz-
ten Orten angebracht,
oder auch einfach in der
Weiſe an Pflanzenſten-
gel aufgehängt, daß es
dem Regen unzugänglich
iſt. Es enthält ſtets nur
wenigen Vorrath von
Honig, da die Larven
unmittelbar mit dem ge-
füttert werden, was die Wespen von ihren Ausflügen heimbringen.
Dieſe ſammeln gewöhnlich Honig, oder Stücke von ſüßen Früchten,
greifen aber auch gern ſolche Inſekten an, die Honig ſammeln, wie
namentlich Bienen und Fliegen; in der Noth begnügen ſie ſich indeß
auch mit anderen Inſekten und ſonſtigen halbfaulen Stoffen, beſonders
Fleiſch, welches ſie ihren Larven zutragen. Dieſe haben im Gegenſatze
zu den Bienenlarven ſtarke Kiefer, welche denen der vollkommnen In-
ſekten ähnlich ſind, und mit welchen ſie an den Wänden ihrer Zellen
kratzen, ſobald ſie Hunger empfinden. Vespa; Polistes; Eumenes;
Odynerus; Synagra; Masaris
.


[700]

Reihe der Bienen. (Apida).


Es iſt kaum möglich, in dieſer Reihe einzelne Familien zu unter-
ſcheiden, da alle Charaktere, welche man dafür hat aufſtellen wollen,
ſo allmählig in einander übergehen, daß ſich nirgends ſcharfe Grenz-
linien zeigen. Die Bienen zeigen einen gemeinſamen Charakter in der
Struktur der Hinterfüße, an welchen das erſte Glied der Tarſen be-

Figure 700. Fig. 918.

Hinterfuß einer Arbeitsbiene.


deutend verbreitert iſt, und eine bald länglich
viereckige, bald mehr dreieckige Platte darſtellt,
die oft noch mit Haaren oder Bürſten verſehen
iſt, und zum Eintragen des Blumenſtaubes
dient. Die Kauwerkzeuge der Bienen ſind ſehr
verſchieden von denen der Wespen; die Ober-
lippe iſt klein, ſchildförmig, die Kiefer mehr
oder minder hakenförmig, innen ſcharf und
entweder glatt, oder nur mit einem Zahne ver-
ſehen; die Kinnladen, meiſt außerordentlich
verlängert, ſchwach, oft ſäbelförmig, ihre Taſter klein, meiſt ſechsglie-
drig; die Lippe gewöhnlich ungemein lang, fadenförmig, am Grunde
mit zwei Schuppen und mit langen Taſtern verſehen; ſie bildet einen
Schöpfrüſſel, womit der Honig aufgeſaugt wird. Die Flügel ſind
meiſt ungleich, die vorderen weit größer, als die hinteren, der Leib
an vielen Stellen behaart, was zur Sammlung des Blumenſtaubes
benutzt wird, der bei den einen an den Hinterfüßen (Apis; Bombus;
Anthophora; Centris; Xylocopa
), bei anderen an dem Bauche (Osmia;
Megachilus; Anthocopa; Anthidium
), bei anderen an der Bruſt (Pa-
nurgus; Andrena; Halictus; Ancyla; Colletes
) geſammelt, geballt und
ſo nach Hauſe getragen wird. Bei allen einſam lebenden Bienen fin-
den ſich nur zweierlei Individuen, Männchen und Weibchen, während
bei den geſelligen verkümmerte Weibchen, Geſchlechtsloſe oder Arbeiter
vorkommen, welchen hauptſächlich die Einſammlung der Vorräthe und
die Sorge für die Jungen obliegt.


Die Lebensart der verſchiedenen Bienen zeigt ſehr wechſelnde
Verhältniſſe. Es giebt eine Gruppe (Psithyrus; Phileremus; Melecta;
Nomada
), deren Larven auf Nahrung von Honig und Blumenſtaub
angewieſen ſind, ohne daß die Mütter im Stande wären, dieſen zu
ſammeln und einzutragen. Die zu dieſer Gruppe gehörigen Gattun-
[701] gen legen ihre Eier in ähnlicher Weiſe, wie die Goldwespen, in die
Neſter der übrigen Bienen, beſonders der einſam lebenden, und die
daraus entſtehenden Larven, die ſich weit ſchneller entwickeln, als der
rechtmäßige Bewohner, zehren die für denſelben beſtimmte Nahrung
auf und weihen ihn dadurch dem Hungertode. In einer anderen
Gruppe (Eulaema; Anthophora; Macrocera; Meliturga), bauen die
Weibchen eigentliche Neſter, die aus einem Haufen von Zellen beſtehen,
deren jede zum Wohnſitze einer Larve beſtimmt iſt. Jede dieſer Zellen
wird mit einem eigenthümlichen Brei, der aus Honig und Blumen-
ſtaub zuſammengeknetet iſt und der Larve bis zu ihrer Entwickelung
hinreichende Nahrung bietet, angefüllt. Die Zelle wird dann, nachdem
ein Ei hineingelegt iſt, geſchloſſen, und die Larve ihrer weiteren Ent-
wickelung überlaſſen. Die meiſten dieſer Neſter werden in der Erde
oder in Mauern angelegt (Colletes; Andrena; Megachilus; Panurgus;
Halictus
) und die Zellen aus einem erhärteten Teige gebaut, den die
Bienen zuerſt mit ihren Kinnbacken durcharbeiten und dann mit den
Beinen und dem Munde formen. Andere Gattungen, die man Mauer-
bienen
genannt hat (Chalicodoma; Osmia; Heriades; Chelostoma),
benutzen zu ihren Neſtern den Mörtel der Mauern, und fertigen außer-
ordentlich harte klumpenartige Gehäuſe an, welche etwa wie Schwal-
benneſter an Mauern und Wänden angeklebt werden und wo zuweilen
die Zellen mit zierlich zugeſchnittenen Pflanzenblättern ausgefüttert
werden. Megachila.


Figure 701. Fig. 919.

Holzbiene (Xylocopa).


Figure 702. Fig. 920.

Das Neſt einer Holzbiene.
Man ſieht den runden Eingang und fünf
Zellen mit Proviant und mehr oder minder
entwickelten Larven gefüllt.


Noch Andere (Centris; Xylocopa) bohren in altem Holze einen
Gang, an deſſen Ende ſich die in verſchiedenen Stockwerken übereinan-
der liegenden Zellen befinden.


[702]

Die geſellig lebenden Bienen (Apis; Melipona; Bombus)
ſind die einzigen, welche ein wahres Körbchen an dem erſten Tarſal-
gliede des Hinterfußes beſitzen, in welchem die ſogenannten Höschen,
d. h. die in einen Klumpen geballte Ladung von Blumenſtaub nach
Hauſe getragen werden. Ihre Geſellſchaften ſind bald jährig, wie

Figure 703. Fig. 921.

Hummel (Bombus).


Figure 704. Fig. 922.

Arbeitsbiene.


Figure 705. Fig. 923.

Männchen der Honigbiene
(Drohne).


diejenigen der Hummeln, bald dauernd, wie die der Honigbienen, und
ihre Neſter zeichnen ſich ſtets dadurch aus, daß die für die Larven
beſtimmten Zellen nur aus einem eigenthümlichen Abſonderungsſtoffe,
dem Wachſe, gebildet werden. Dieſes Wachs wird in dünnen Blättchen
zwiſchen den Schienen des Hinterleibes an beſtimmten Stellen abge-
lagert, dort hervorgezogen und mittelſt des Speichels erweicht und
verarbeitet.


Bei beiden Arten von Geſellſchaften kommen ſtets dreierlei Indi-
viduen: Männchen, größere fruchtbare Weibchen, und kleinere un-
fruchtbare Weibchen, oder Arbeiter vor; es herrſcht aber der Unter-
ſchied, daß in den Sommergeſellſchaften die Weibchen ebenſo thätig
arbeiten, als die Arbeiter ſelbſt, während bei den ausdauernden Ge-
ſellſchaften der Honigbienen nur ein einziges Weibchen in jeder Ge-
ſellſchaft exiſtirt, das nur allein dem Fortpflanzungsgeſchäfte obliegt.


Reihe der Ameiſen.


In der Familie der Schmarotzerameiſen (Mutillida) kommen nur
zwei Arten von Individuen vor, geflügelte Männchen und ungeflü-
gelte Weibchen, die mit einem ſtarken Stachel bewaffnet ſind und ſehr
[703] empfindlich ſtechen. Die Fühlhörner ſind meiſt kurz, borſtenförmig,
die Kiefer vorſtehend, gekrümmt. Die ziemlich ſchlanken Beine dicht
zuſammengeſtellt, der Hinterleib ſehr kurz geſtielt, ohne Schuppe oder
Knoten an dieſem Stiele. Die meiſten Gattungen leben in heißen
Ländern; die in hieſigen Gegenden vorkommenden in den Neſtern der
Hummeln. Ihr weiterer Haushalt iſt durchaus unbekannt. Mutilla;
Dorylus; Labydus; Myrmosa
.


Umſo beſſer iſt derjenige der Ameiſen (Formicida) durch ausge-

Figure 706. Fig. 924.

Weibliche rothe Ameiſe.


Figure 707. Fig. 925.

Arbeiterin (Formica rufa).


zeichnete Beobachter aufgeklärt. Die Ameiſen leben in ſtändigen Ge-
ſellſchaften, welche aus ſtets geflügelten Männchen, aus zur Begat-
tungszeit geflügelten Weibchen und aus ſtets ungeflügelten Arbeitern
zuſammengeſetzt ſind. Der Kopf dieſer Thiere iſt dreieckig, durch einen
Stiel von der Bruſt geſchieden, mit ſcharfen, maſſiven, auf der inneren
Fläche gezähnelten Kiefern verſehen; die Augen ſind klein, meiſt rund;
die Fühler geißelförmig geknickt, das erſte Glied lang und gerade,
das Ende aus vielen kleinen Gliedern zuſammengeſetzt. Die Bruſt
erſcheint lang, zuſammengedrückt; der Hinterleib beſtielt, und zwar iſt
dieſer Stiel entweder aus einer Schuppe, oder aus einem bald ein-
fachen, bald doppelten Knoten gebildet. Viele Ameiſen beſitzen einen
Stachel, andern aber geht derſelbe ab, und ſie beſitzen dafür die Fä-
higkeit, die in der Giftblaſe enthaltene Flüſſigkeit, waſſerfreie Ameiſen-
ſäure, ein Strecke weit zu ſpritzen. Wir haben den Haushalt dieſer
merkwürdigen Thiere, die an geiſtiger Ausbildung ohne Zweifel am
höchſten unter allen Inſekten ſtehen, ſchon früher näher betrachtet.
Formica; Ponera; Myrmica; Atta.


[[704]]

Appendix A Verbeſſerungen im erſten Bande.



[[705]]

Appendix B Syſtematiſches Inhaltsverzeichniß
des erſten Bandes.



Ende des erſten Bandes.

[][][][]
Notes
*)
Ein eigenthümlicher unlöslicher Stoff, der bei den Gliederthieren vorkömmt.
*)
Die geſperrt gedruckten Gattungen kommen nur foſſil vor.