Dem
Magnifico,
Hoch-Edelgebohrnen Herrn,
Herrn
Gottfried Langen/
vornehmen JCto,
Sr. Koͤnigl. Maj. in Pohlen
und Churfuͤrſtl. Durchl. zu Sachſen
hochbeſtalten Hof- und Juſtitien-
Rath, des Ober-Hof-Gerichts, des
Conſiſtorii und Schoͤppen-ſtuhls in
Leipzig hochverordneten Aſſeſſori,
der Stadt Leipzig hochanſehnlichen
Buͤrgermeiſter, und des groſſen
Fuͤrſten-Collegii Colle-
giato, \&c.
Meinem Hochzuehrenden
Herrn,
[] Wie auch
Dem Hoch-Edelgebohrnen
Herrn,
Herrn Jacob Born,
vornehmen JCto,
Sr. Koͤnigl. Maj. in Pohlen und
Churfuͤrſtl. Durchl. zu Sachſen hochbe-
ſtalten Appellations-Rath, des Ober-
Hof-Gerichts Aſſeſſori, der Stadt
Leipzig hochverdienten
Stadt-Richter, ꝛc.
Jngleichen
Dem Hoch-Edlen, Veſten und
Hochweiſen Herrn,
Herrn
Joh. Ernſt Kregeln,
hochverdienten Baumeiſter und
Fuͤrnehmen des Raths zu Leipzig, auch
fuͤrnehmen Kauf- und Handels-
Herrn daſelbſt,
Meinen Hochzuehrenden
Herren.
EW. Magnificence, Hoch-
Edelgebohrnen und
Hoch-Edlen Herrlig-
keiten, gegenwaͤrtiges
werckchen zuzueignen,
habe kein bedencken ge-
tragen, da mir theils eine allgemeine
ſchuldigkeit ſchon fuͤrlaͤngſt auferleget,
Erlauchte und Hochverdiente Haͤupter
zu verehren, theils gantz beſondere pflich-
ten, welche, wann ich ſie erzehlen wolte,
uͤber die graͤntzen einer zuſchrift giengen,
mich zu dieſem unternehmen ins beſon-
dere verbinden. Es iſt zwar dieſe art
der verehrung allezeit mit einiger kuͤhn-
heit, und zuweilen gaꝛ zu groſſen freyheit
vergeſellſchaftet: Doch haben leute von
)( 3ho-
[] hohem range und veꝛdienſten, ſolche kuͤhn-
heit leichter vergeben und genehm gehal-
ten, als diejenigen, welche mit ihren weni-
gen faͤhigkeiten, ſo zu reden, noch vor den
hafen der gehoften ruhe laviret, ſelbige
begangen. Jch ſchmeichle mir mit die-
ſen eines gleichen gluͤcks, und da ich die eh-
re habe, Ew. Magnificence, Hoch-Edelge-
bohrnen, Hoch-Edlen Herrligkeiten/ alle
arten vom wohleꝛgehen zum aufnehmen
des gemeinen beſten und zu dem hohen
vergnuͤgen Dero hoch-anſehnlichen Fa-
milien anzuwuͤnſchen: So erſuche Die-
ſelben unteꝛthaͤnig, dieſe blaͤtter als gerin-
ge fruͤhlings-bluͤthen nicht zu verſchmaͤ-
hen, ſondern hochgeneigt anzunehmen,
und mich ſo lange Dero hohen wohlge-
wogenheit zu wuͤrdigen, biß ich durch
vollkommene fruͤchte zeigen koͤnne, mit
was fuͤr beſonderer tieffen ergebenheit
ich ſey
Ew. Magnificence,
Hoch-Edelgebohrnen, Hoch-Edlen
Herrligkeiten
gehorſamſt-ergebenſter diener
Der auctor.
EJne vorrede iſt einem buche ſo noͤthig,
als einem prieſter der kragen, einem
profeſſor der mantel und einem ſtu-
denten der degen, denn ſie ſoll dem
buche das anſehen und die rechte
kraft geben, auch wider die vermuth-
lichen anfaͤlle es zum voraus verthaͤidigen. Dieſes
hat der herr auctor reiflich in erwegung gezogen;
nachdem er aber ſeine zeit lieber auf andere dinge
als auf vorreden wendet: ſo hat er mich erſuchet, ihn
der muͤhe zu uͤberheben, und ich habe auch ohne be-
dencken ihm gewillfahret, und ſtatt ſeiner die muͤhe
eines vorredners uͤber mir genommen. Wann du
aber von mir erwarteſt, daß ich dir dieſe arbeit an-
preiſe, und mit geſchminckten und geſchwaͤntzten no-
ten erheben ſolle, ſo wirſt du dich betrogen finden.
Jch ſchicke mich zu nichts weniger, als zu einem pa-
negyriſten, und es wird auch weder dir noch dem
auctori/ welcher den fehler an ſich hat/ daß er von
ſeinen ſachen immer zu wenig haͤlt, damit gedienet
ſeyn. Alſo will ich dir nur eins und andeꝛs, was du
wider dieſes buch einwenden koͤnteſt, unter den fuß
geben, du magſt heꝛnach ſehen, ob ich recht habe, und
die boltzen vollends verſchieſſen. Da der herr au-
ctor eine Oratorie ſchreibet, ſo ſcheint er die menge
derſelben zu vermehren, und wir haben bereits der
Metaphyſicken, Logicken und Rhetoricken ſo viel,
daß wir iemand bitten moͤchten, einen vorſchlag zu
thun, wie man die anzahl derſelben verringerte.
)( 4Nun
[]Vorrede.
Nun wird er zwar wohl einwenden, daß er ſich hier
der allgemeinen freyheit bedienet/ welche einem ie-
den erlaubet, ſo gut er kan, ſein weniges vermoͤgen
zum dienſt des gemeinen beſten anzuwenden: Al-
lein er haͤtte dich doch billich, mein leſer, erſt um er-
laubniß bitten ſollen/ mit ſeinen ſchlechten ſachen
herfuͤrzutreten. Weiter habe ich anfangs mich
verwundert, warum er es eine Philoſophiſche
Oratorie genennet? Denn ich ſehe ja, daß es
auf alle arten von reden gerichtet iſt, was er hier
fuͤrbringet. Vielleicht meinet er, die Philoſophie
ſey die univerſelle gelehrſamkeit, und weil er ſein
werck auf Philoſophiſche, das iſt, nach ſeiner mei-
nung, auf gelehrte gruͤnde bauet, ſo ſey es auch eine
Philoſophiſche Oratorie. Wann du nun mein-
teſt, auch auf dieſe weiſe Theologiſche, Juridiſche
und Mediciniſche Oratorien zu ſchreiben, ſo koͤnteſt
du es verſuchen, aber du wuͤrdeſt es vielleicht nach
ſeinem concept nicht treffen, dann er wuͤrde ſpre-
chen, daß auch dieſe philoſophiſch/ das iſt, gelehrt,
muͤſten geſchrieben weꝛden, und in dieſen ſtreit will
ich mich weiter nicht mengen, dann es kaͤme da wohl
auf kein raiſonniren ſondern auf die probe ſelber an.
Bey dem werck ſelbſt hat der herr auctor ſeine lehr-
ſaͤtze ziemlich frey fuͤrgetragen, aber mit noch frey-
ern noten erlaͤutert. Erſtlich handelt er von ein-
richtung der gedancken, nachgehends von dem aus-
druck derſelben, und endlich von der diſpoſition
derſelben. Da gehet er von andern ab, welche die
elocution zuletzt ſparen, er handelt nirgends von
denengeneribus dicendi, demonſtratiuo, deliberatiuo,
Judiciali,ohngeachtetM.Uhlmann zum troſt aller
rhetorum dasdidaſcalicumnoch erfunden. Hin-
gegen dringet er uͤberall darauf, daß man der natur
des obiecti nachgehen, und wie ein mahler dabey
ſich auffuͤhren muͤſſe/ welcher eine ſache nach der
natur fuͤrſtellet, allenthalben die regeln der pro-
portion/ der Perſpectiv, des wohlſtandes beobach-
tet,
[]Vorrede.
tet, ſein obiectum zuweilen ausputzet, ſtarcke lichter,
ſtarcke ſchatten, und die doch mit einander in einer
guten harmonie ſtehen, und in einander zu flieſſen
ſcheinen, anbringet. Deßwegen hat er auch den
Apellem auf das kupferblat ſetzen laſſen, wie der-
ſelbe bemuͤhet iſt, dem Alexandro die urſachen ſeiner
Mahlerey zu entdecken. Nun laß ich alles dieſes
dahin geſtellet ſeyn, wo man ſonſt ſo viel hinzuſtel-
len pfleget, und muß erwarten, ob ich dem herrn
auctori recht prophezeiet, da ich ihm zuvoraus ge-
ſagt, daß er einige mit ſeiner ſchreibart beleidigen,
und vielleicht denen gelehrten regiſtratoribus, wel-
che mit anderer leute fehlern geld verdienen, in die
haͤnde fallen werde: Oder ob er recht gehabt, da
er mir geantwortet, daß er nicht vermuthe, die
feindſchaft vernuͤnftiger leute auf ſich zu laden;
wolten hingegen die unvernuͤnftigen boͤſe werden,
ſo ſey ihm ſolches gar lieb, denn es wuͤrde albern
ſeyn/ wenn er ſich etwas leid ſeyn lieſſe, das er doch
nicht aͤndern koͤnne. Jch moͤchte nur in ſeinem nah-
men den geneigten leſer bitten, daß er, ehe er boͤſe
werden wolte, zuvor die umſtaͤnde uͤberlegte, die
antecedentia und conſeqventia der ſtelle wohl be-
trachtete, womit er ſich etwa beleidiget zu ſeyn
glaubte, und lieber einer gelinden auslegung derſel-
ben, als einer uͤbereilten gehoͤr gaͤbe. Er ſetzte hin-
zu, daß er ſich auch fuͤr denen urtheilen derienigen
nicht fuͤrchtete, welche ſelbige oͤffentlich an den tag
legten, wohl aber fuͤr dieienigen, welche gleich de-
nen ſchmeißfliegen, gantz in der ſtille, auch auff die
reinſten ſtellen ihre excrementa ingenii ſetzten, und
ohngeachtet ſie ziemlich ſtranguriam empfaͤnden,
in ihrer ſatyriſchen vena, dennoch aus verborgenen
winckeln auf andere ihren gifftigen unflath gar zu
gerne ſpritzten. Denn, ſagte er, wer ſeine gedan-
cken uͤber meine arbeit publiciret, der unterwirfft
ſich dem urtheil der gantzen welt, die etwas davon
zu ſehen bekommt: iſt er nun vernuͤnftig in ſeinem
)( 5ur-
[]Vorrede.
urtheil, ſo lerne ich ia etwas von ihm/ und bekuͤm-
mere mich wenig oder nichts darum, ob ihm die
liebe zur wahrheit und tugend oder der neid, darzu
anlaß gegeben, iene ſchuͤtzet man mehrentheils fuͤr,
und dieſer iſt das rechte principium movens. Jſt
er unvernuͤnftig, ſo wirds ihm gehen wie dem Alex-
andro, da er von des Apellis gemaͤhlde unrecht rai-
ſonnirte, und die mahleriungen ihn auslachten;
denn es werden auch die anfaͤnger der beredſamkeit
ihn fuͤr einen ungeſchickten raiſonneur halten.
Jſt er endlich gar grob/ ſo fehlt mirs nicht an hertz,
auch nicht an der faͤhigkeit, ihm gehoͤriger weiſe zu
begegnen. Meines orts laſſe ich, wenn du es an-
ders auch zufrieden biſt, geneigter leſer, dem herrn
auctori darinne ſeine freyheit, und kan ers halten
nach ſeinem gefallen. Nur muß ich dich erinnern,
daß du nicht, wenn du ihn etwan wenig oder gebro-
chen reden hoͤreſt, daraus ſchluͤſſe macheſt: denn er
redet nur wenig oder gebrochene worte gegen ein-
zele perſonen, denen er nicht trauet, und die er nicht
kennet. Sonſt halte ich ihn fuͤr ſo complaiſant, daß
er niemand ſeine meinung aufdringet, abeꝛ ſich nicht
gerne eines andern meinung ebenfalls aufdringen
laͤſt, ohngeachtet er keine ſchwierigkeit macht, allen
leutenſuo modorecht zu geben, aber nicht von dir
praͤtendiret, daß du ihm in allem beyfallen ſolteſt, da
du vielleicht mit deinem geſchmack ſelbſt noch nicht
einig biſt. Zwey dinge muß ich doch noch beruͤh-
ren, einmahl die allegirten auctores und heꝛnach die
beygebrachten exempel. Bey ienem ſcheints, als
wann der herr auctor wenig ſtaat darauf machte,
denn er fuͤhrt ſie ſoquaſi aliud agendoan. Jch habe
ihm treuhertzig gerathen, er ſolle etwan ſehen, wie
er einen gelehrten fuhrmann wo auftriebe, der ihm
vorſpann gebe, und die auctores brav zuſammen
peitſchete, ich habe ihm auch etliche fuͤrgeſchlagen,
welche, ohngeachtet ſie ſo wenig Frantzoͤiſch als
Rabbiniſch verſtehen, doch gantze buͤcher mit Fran-
tzoͤi-
[]Vorrede.
tzoͤiſchen und Rabbiniſchen noten heraus geben.
Allein er meinte, was es denn noͤthig waͤre, anderer
leute zeugniſſe anzufuͤhren, da die ſache ſelbſt redete,
er habe noch gantze millionen auctores, die er alle
anfuͤhren wolle, wo man ihn der allegatorum we-
gen boͤſe machte. Bey den exempeln die er ſelbſt
gemacht/ [denn mit anderer leute arbeit habe ich ie-
tzo nichts zu thun] habe ich ihn gefraget, ob er nicht
in ſorgen ſtuͤnde, wann etwa Herr Luͤnig ſolte auf
die gedancken kommen, die reden kleiner herren
heraus zu geben, daß man auch da ſeine arbeit fin-
den moͤchte: allein er ſchien deßwegen gantz ge-
ruhig zu ſeyn, und meinte, wenn ihn etwa die natur
ſo kuͤnſtlich zubereitet haͤtte, daß der kopff auf die
huͤften relegiret waͤre, das geſichte bey dem kinne
eben ſo hoch in die hoͤhe ſtuͤnde, als bey der ſtirn, die
naſe gleich dem hoͤltzernen pferde auf einem gepfla-
ſterten marckte herfuͤr ragete, und der mund die
zaͤhne nicht mehr bedeckte, oder damit er deſto ferti-
ger alle leute taxiren koͤnte, immeꝛ offen ſtuͤnde, auch
ſonſt die gantze laͤnge ſeines coͤrpers nur etliche
ſpannen betruͤge, da moͤchte er freylich die ehre ha-
ben, daß man ihn unter die kleinen herrn einſchalte-
te; Aber da ihn der guͤtige himmel groͤſſer gemacht,
als ihm lieb ſey, ſo wuͤrde man ſeinetwegen ſich wohl
nicht bemuͤhen duͤrffen. Ubrigens hat er mir befoh-
len, denenienigen hohen Patronis, wertheſten Goͤn-
nern und freunden gehorſamſten ſchuldigſten erge-
benſten danck abzuſtatten, welche ihm theils durch
ihre lehren, theils durch ihren wohlgemeinten auf-
richtigen u. freyen rath, theils durch com̃unicirung
vieler buͤcher, theils durch ihre gemachte gelehrte
einwuͤrffe, bey verfertigung dieſes werckes, beyge-
ſtanden. Wann auch du, geneigter leſer, etwas fin-
deſt, das verdiente beygebracht zu werden, ſo bittet
er dich, daß du ihm ſolches nicht mißgoͤnnen wolleſt,
er wird dir gleichen groſſen danck abſtatten; wuͤn-
ſchet dir darneben alles wohlergehen, wie ich dann
gleich-
[]Vorrede.
gleichfalls dir will angewuͤnſchet haben. Sonſt
nimm dir unbeſchwert die muͤhe und corrigire fol-
gende druckfehlerpag. 2. l. 11. ließ: eintheilung.p. 8.
l. 11. ließ:program. IIII. §. 7. 14. p. 9. l. 20. ließ: den
anhang, undl. 29. ließ: unten den anhang.p. 17. l. 29.
ließ: Qvinctilianus.p. 23. l. 9. ließ:Part. III. cap. 3.
p. 35. l. 24. ließ: naturale.p. 47. l. 19. communium.
p. 62. l. 26. ließ: wollen.p. 72. l. 16. ließ: Hiſtoriſche.
p. 76. l. 4. ließ: im dritten capitel.p. 82. l. 27. ließ:
Apophthegmata.p. 84. l. 4. ließ: moͤglichkeit nicht
unterſcheiden.p. 86. l. 27. ließ: daraus.p. 99. l. 4.
ließ: zur.p. 105. l. 2. deutlichkeit.p. 190. l. 16. de
Germaniſmis falſo ſuſpectis, de amplificatione verborum
\& totius locutionis, p. 177. l. 33. ließ:Micraelii.und an-
dere, welche der herr auctor viellsicht bey dem aca-
demiſchen gebrauch, dem dieſe arbeit gewiedmet,
bemercken wird. Lebe wohl. Jch bin dein
ergebenſter
M. L. v. S.
Hiemit wolte des Herrn Autoris, ſeines ehemali-
gen wehrten Auditoris, Philoſophiſche Ora-
torie der Studiren den Jugend beſtens
recommendiren,
D. IOHANNESSchmid,Prof. Publ.
und der Leipzigſchen Univerſitaͤt Senior.
WAs die Oratorie ſey? §. 1. Worinn das weſen
der wahren beredſamkeit beſtehe? § 2. Wel-
ches der rechte endzweck der beredſamkeit? §. 3.
Daß ſich die beredſamkeit auch in der con-
verſation zeigen muͤſſe, §. 4. Von dem nutzen
der Oratorie, §. 5. Daß die Oratorie deßwe-
gen nicht zu verwerffen, weil ſie weltlich, weil man ſie
von natur beſitze oder mißbrauchen koͤnne, §. 6. Wor-
inn die Oratorie von der Logick unterſchieden? §. 7.
Was zu einem redner erfodert werde und ob er ein
polyhiſtor ſeyn muͤſſe? §. 8. Was zu einem redner
gehoͤre in anſehung des leibes? §. 9. Jn anſehung
des verſtandes? §. 10. Jn anſehung des willens?
§. 11. Was er fuͤr wiſſenſchaften hauptſaͤchlich verſtehen
muͤſſe? §. 12. Von der klugheit des redners uͤderhaupt,
§. 13. Von der klugheit des redners, in anſehung
Ader
[2]vernuͤnftige anleitung
der ſache davon er redet, §. 14. Jn anſehung ſeiner
eignen perſon, §. 15. Jn anſehung ſeines zuhoͤrers,
§. 16. Jn anſehung der aͤuſſerlichen umſtaͤnde, §. 17.
Von der hiſtorie der Oratorie uͤberhaupt §. 18. Von
der Oratorie vor der ſuͤndfluth und nach derſelben bey
den Barbarn, §. 19. Bey den Phoͤniciern, Hebraͤern
und Griechen, §. 20. Bey den Roͤmern, §. 21. Bey
den Teutſchen, §. 22. Bey den Frantzoſen, §. 23. Bey
den Engellaͤndern, §. 24. Bey den Jtaliaͤnern, §. 25.
Bey den Spaniern, §. 26. Bey denen uͤbrigen Natio-
nen, §. 27. Von [der eintheilung] der Oratorie, §. 28.
§. 1.
DJe Oratoriea) iſt eine vernuͤnftige
anweiſung! zur beredſamkeit, das iſt,
zu der geſchicklichkeit, ſolche woͤr-
ter zugebrauchen, welche mit un-
ſern gedancken genau uͤberein kommen,b)
und in ſolcher ordnung mit ſolcher art: ſeine
gedancken fuͤrzuſtellen, daß in denen die unſere
worte hoͤren oder leſen, eben die gedancken und
regungen entſtehen, die wir ihnen beybringen
wollen, damit die gluͤckſeeligkeit des menſchli-
chen geſchlechts befoͤrdert und der umgang un-
ter ihnen angenehm gemacht werde.
§. 2. Alſo beſtehet das weſen der beredſamkeit
in dem accuraten ausdruck der gedancken, und
es irren dieienigen, welche ſolches in der men-
ge leerer worte,a) in pedantiſchen formuln, in
figuren, in argutien,b) in der gleichheit mit
andern beruͤhmten rednern, in dem klange der
rede,c) in der kunſt den leuten was weiß zu
machen,d) in der fertigkeit von ſachen pro- und
contra zu ſchwatzen,e) und in andern der-
gleichen kleinigkeiten ſuchen.
§. 3. Die beredſamkeit hat einen doppelten
endzweck, einen allgemeinen und einen gantz
beſondern. Den allgemeinen hat ſie mit der
gantzen gelehrſamkeit, auch ſo gar mit der ſpra-
che gemein, nemlich die gluͤckſeeligkeit und das
vergnuͤgen der menſchlichen geſellſchaft zu be-
foͤrdern. Der beſondere endzweck aber iſt,
durch geſchickten ausdruck ſeiner gedancken in
andern eben die gedancken und regungen erwe-
cken, die man ſelbſt bey ſich hat und empfindet
und in andern rege zu machen ſuchet. a)
§. 4. Aus dieſem flieſſet von ſelbſten, daß
die
[5]zur beredſamkeit.
die beredſamkeit ſich auch im umgange zeigen
muͤſſe, weil eben daſelbſt die meiſte gelegenheit
ſich zeiget, die gluͤckſeeligkeit und das vergnuͤ-
gen der menſchlichen geſellſchaft zu befoͤrdern,
und ſeine gedancken auszudrucken. Zumahl
da man im umgange mit andern bey dem fuͤr-
trag ſeiner gedancken leicht wiederſpruch findet,
dafuͤr man bey oͤffentlichen declamationibus
ſicher iſt.
§. 5. Da uns nun die Oratorie zu einer ſol-
chen beredſamkeit vernuͤnftige anweiſung
giebt, ſo iſt ſie gewiß eine der noͤthigſten und
nuͤtzlichſten wiſſenſchaften. Alles unſer den-
cken und wiſſen wuͤrde vergraben liegen, und
die menſchliche geſellſchaft wuͤrde kaum beſte-
hen, noch von den thieren koͤnnen unterſchieden
werden, wann wir nicht die faͤhigkeit haͤtten
unſere gedancken durch worte an den tag zu le-
gen und zu reden. Allein alle unſere conver-
ſation und wiſſenſchaft, wuͤrde ein rechtes Ba-
bel ſeyn, wann wir nicht durch die Oratorie,
zum vernuͤnftigen ausdruck unſerer gedancken
angefuͤhret wuͤrden und alſo durch vernuͤnfti-
ges reden uns von unvernuͤnftigen menſchen
und albernen waͤſchern unterſcheiden koͤnten.
§. 6. Jch weiß alſo nicht ob es eine heilige
oder naͤrriſche einfalt ſey, wenn man die Ora-
torie fuͤr eine ſache haͤlt, welche weil ſie welt-
lich, das iſt, nicht aus der offenbahrung ent-
ſprungen, einen nothwendigen zuſammenhang
mit der ſuͤndlichen welt habe.a) Dieienigen
welche ſonſt der Oratorie gram, erklaͤren ſich
auch fuͤr feinde der wahren beredſamkeit, und
unterſcheiden nicht eine vernuͤnftige Oratorie,
von einem Scholaſtiſchen woͤrterbuch,b) oder
wollen lieber uͤbelreden, als auf einen vernuͤnf-
tigen ausdruck ihrer gedancken bedacht ſeyn,
oder halten ihre fertigkeit im plaudern fuͤr be-
redſamkeit, wie dieienigen thun, welche ſich ein-
bilden von natur beredt zu ſeyn,c) oder ſte-
hen ſonſt in albernen vorurtheilen.d)
§. 7. Wie die Oratorie zur beredſamkeit
anfuͤhret, alſo muß hingegen die Logick zum
vernuͤnftigen dencken anweiſung geben. Und
A 4zwar
[8]vernuͤnftige anleitung
zwar muß dieſe billich vorangeſetzet werden,a)
denn die Oratorie giebt keine anweiſung, von
ſachen, die man nicht verſtehet, und davon man
keine oder unordentliche gedancken hat, viel
worte zu machen. Hierinn iſt aber zugleich
der rechte unterſchied der Oratorie und Logick
zu ſuchen, und nicht in prolixitate expreſſio-
nis.b)
§. 8. Wer alſo ein vernuͤnftiger redner und
kein locutulejus oder affectiꝛender unnuͤtzer waͤ-
ſcher ſeyn will, muß von der natur gute gaben
und faͤhigkeiten erhalten, und dieſe faͤhigkeiten,
durch die kunſt und cultur, zu fertigen guten ge-
ſchicklichkeiten gemacht haben. von nichts reden
als was er verſteht, und auch von dem was er
verſteht, nicht eher reden als es noͤthig iſt. Wor-
aus erhellet, daß er eben kein polyhiſtor ſeyn
muͤſſe.a)
§. 9. Es werden aber zu einem redner fol-
gende dinge erfordert, und zwar in anſehung
des leibes, daß er nichts wiederwaͤrtiges und
ver-
[9]zur beredſamkeit.
verdrießliches in ſeiner perſon, geſichte und
aͤuſſerlichen weſen habe, uͤber ſeine minen air
und geſtus ohne affectation diſponiren koͤnne,
auch ſeine ſprache zu moderiren wiſſe und im
uͤbrigen mit geſunden organis zum reden aus-
geruͤſtet ſey. a)
§. 10. Jn anſehung des verſtandes, muß er
ordentlich, gruͤndlich, deutlich, artig gedencken,
alles muß von einem geſauberten iudicio dirigi-
ret werdena) das ingenium und memorie
muͤſſe nicht zu hefftig wuͤrcken, aber auch nicht
gar zu ſchwach ſeyn.b)
§. 11. Jn anſehung des willens, muß er
eine durch kunſt und klugheit zu wege gebrachte
gleichguͤltigkeit beſitzen,a) aufrichtige und red-
liche abſichten haben,b) und uͤber ſeine nei-
A 5gun-
[10]vernuͤnftige anleitung
gungen einiger maſſen diſponiren koͤnnen,
nicht furchtſamc), aber auch nicht verwegen
ſeyn.
§. 12. Von wiſſenſchaften ſind ihm ei-
nige ſchlechterdings noͤthig, einige koͤnnen ihm
nur zuweilen nuͤtzen. Die noͤthigen ſind:
Logicka), Moralb), insbeſondere die kunſt
der menſchen gemuͤther zu erkennen,c) die
hiſtorie derer dinge, die nahe um ihn ſind,d)
und die principia der ſache, davon er reden
wille), ingleichen eine erkaͤnntniß der ſprache,
darinn er redet.f) Alle uͤbrige gelehrte wiſ-
ſenſchaften, insbeſondere die alte und neue
Hiſtorie, koͤnnen ihm nach ſeinen unterſchie-
denen abſichten bald mehr, bald weniger
nuͤtzen.
§. 13. Jn den regeln der klugheit muß ein
vernuͤnfftiger redner wohl erfahren ſeyn, dann
hiedurch erlangt er eine geſchicklichkeit, nach
den
[14]vernuͤnftige anleitung
den unterſchiedenen beſchaffenheiten der per-
ſonen und ſachen, damit er umgehet, ſeine ge-
dancken einzurichten und fuͤrzutragen, wel-
ches die hoͤchſtnoͤthige prudentia oratoria iſt.
§. 14. Bey der ſache, davon er redet, hat
er zu ſehen, ob es eine theoretiſche, alte, un-
ſtreitige, beliebte, traurige, geiſtliche, ꝛc. oder
practiſche, neue, wahrſcheinliche, bittere, luſti-
ge, weltliche, ꝛc. ſache ſey, da eine iede von ietzt-
erzehlten, andere einrichtung, ausfuͤhrung und
ſtellungen erfordert.
§. 15. Unter denen perſonen, muß er ei-
nes theils ſich ſelbſt pruͤfen, andern theils ſei-
ne zuhoͤrer, oder wahrſcheinliche leſer. Bey
ſeiner eigenen perſon hat er entweder ſeine in-
nerlichen beſchaffenheiten, oder ſeine aͤuſſerli-
chen umſtaͤnde zu beobachten. Jene betrach-
tung fuͤhret ihn auf die kraͤfte ſeines verſtan-
des, und auf die neigungen ſeines willens,
dieſe aber auf das eigentliche decorum ora-
torium.
§. 16. Bey denenienigen, welchen er etwas
fuͤrtraͤget, muß er ihren verſtand, willen, al-
ter, geſchlecht, ſtand, vermoͤgen, und andere
umſtaͤnde in erwegung ziehen, ob ſie wahr-
heiten annehmen, vertragen oder mißbrau-
chen koͤnnen und dergleichen.
§. 17. Letzlich muͤſſen alle andere umſtaͤn-
de, der zeit, des orts, der gelegenheit, des
wohlſtandes uͤberhaupt, fuͤrnemlich die regeln
der gerechtigkeit und honnettete, ſorgfaͤltig in
be-
[15]zur beredſamkeit.
betrachtung gezogen werden, widrigenfalls
wird man vergebens reden, ihm ſelbſt und
andern ſchaden, und ſtatt eines geſcheuten
redners ein unnuͤtzer waͤſcher werden, ja
wohl gar ein thoͤrichter und ſchaͤdlicher menſch
heiſſen.
§. 18. Die hiſtorie der Oratorie giebt ei-
ne nachricht von denenienigen, welche anwei-
ſungen zur beredſamkeit geſchrieben, oder ih-
re proben der beredſamkeit der gelehrten welt
mitgetheilet. Ferner, was die Oratorie und
beredſamkeit fuͤr zufaͤlle gehabt, was fuͤr
veraͤnderungen ſie unterworffen geweſen, und
ſo fort an.
§. 19. Jn den zeiten vor der ſuͤndfluth,a) und
gleich nach derſelben bey den Barbarn, b)
Scythen,c)Chaldaͤern, Jndianern und
andern voͤlckern, findet man von der Orato-
rie nichts. Jnzwiſchen moͤgen doch wohl
beredte leute unter ihnen geweſen ſeyn, die
theils auf einen accuraten ausdruck geſehen,
theils ihn durch gute regeln feſte zu ſtellen ſich
bemuͤhet haben, damit ein vernuͤnftiger ge-
brauch der rede unter denen menſchen einge-
fuhret wuͤrde.
§. 20. Bey den Phoͤniciern, Hebraͤern,
und andern Orientaliſchen voͤlckern, hat ſich
ieder-
[17]zur beredſamkeit.
iederzeit eine ſehr heftige und lebhafte imagi-
nation, wegen ihres hitzigen climatis, in einer
ſehr fruchtbaren erfindung und reichem aus-
druck gewieſen, wie man ſolches an denen
ſchriften altes Teſtaments zum theil wahr-
nimmt. Doch iſt uns ſonſt nicht viel uͤbrig
blieben, von dem, was ſie etwan in der Ora-
torie und beredſamkeit herfuͤrgebracht. Die
Griechen aber haͤlt man fuͤr die erſten, ſo
durch die wohlredenheit beruͤhmt worden, da-
zu ihnen die form ihrer republicken anlaß gege-
ben. Jns beſondere haben Ariſtotelesa) mit
ſeiner Rhetorick, Jſocratesb) und Demo-
ſthenesc) mit ihren reden, ihren guten cre-
dit, biß auf unſere zeiten, fuͤr allen andern
behauptet.
§. 21. Die beredſamkeit der Roͤmer fieng
in ihrer republick gar ſpaͤte an ſich zu zeigen,
ſtiege bald zu dem allerhoͤchſten gipfel, und fiel
nach und nach wieder, nachdem ſie ſich in al-
len arten fuͤrtreflich gewieſen. Jn der theo-
rie dienen uns noch Cicero und Quincilianus,
und in der praxi haben wir vollkommene mu-
ſter an Cicerone, Quinctiliano. Seneca, Pli-
nio, und vielen andern.
§. 22. Die alten Teutſchena) bemuͤheten
ſich mehr durch tapfere thaten, als trefliche
reden beruͤhmt zu werden, biß endlich Ru-
dolph von Habſpurgb) durch einfuͤhrung
der Teutſchen ſprache bey ein und andern ge-
richtlichen handlungen, und die fruchtbrin-
gende Geſellſchafft,c) dieſe Nation erinner-
ten, an die cultur der Teutſchen ſprache und
beredſamkeit zu gedencken, darin ſie ietzo, wo
nicht alle Nationen uͤbertrifft, doch von kei-
ner uͤbertroffen wird. Wolte man die hiſtorie
der Teutſchen beredſamkeit ausfuͤhrlich be-
ſchreiben, wuͤrde man auf die Schleſiſche d)
Meißniſche,e)Niederſaͤchſiſchef) und
fraͤnckiſcheg) wohlredenheit, ins beſondere
zu ſehen haben. Uberhaupt ſind in der theorie
zu ruͤhmen: Huͤbner. h)Lange, i)Menan-
tes,k)Muͤller, λ)Talander, l)Uhſe, m)
Weiſe,n) und andere. Jn der praxi aber kan
man ſich Abſchatz *)Beſſers, o)Boͤhmers, p)
Canitzens,q)Franciſci, r)Geyers, ſ)Gry-
phii.t)Hoffmannswaldaus, u)Roͤnigs-
dorffs,w)Lohenſteins, †)Maͤyers, x)
Muͤllers,y)Neukirchs z)Neumanns, a)Pritii, b)Riembergs, c)Seckendorffs, d)
Treuers,*)Thomaſii, e)Weiſens, f)Zieg-
lers,
[19]zur beredſamkeit.
lers g)der reden groſſer Herren und fuͤr-
nehmer Miniſter,h) ꝛc. mit nutzen bedienen.
Zugeſchweigen, daß Buchner, i)Cellarius, k)
Schurtzfleiſch,l)Schuppius, m)Jacob
Thomaſius,n) und andere in der Lateiniſchen
ſprache, mit ihrer beredſamkeit groſſe ehre
eingelegt.
§. 23. Die Frantzoſen machen ihre bered-
ſamkeit groͤſſer, als ſie in der that iſt, doch ſind
als theoretici zu loben: Rapin a)Lámi, b)
Conrart,c)\&c. Als practici aber ſind Boſ-
ſvet,d)Flechier, e)Bourdaloue, f)Balzac,
g)Boileau, h)Voiture, i)Pays, k)Buſſi
Rabutinl)Fenelon m)Scuderi, n)\&c. in
groſſen ruhm. Uberhaupt iſt in der Frantzoͤi-
ſchen beredſamkeit mehr bel-eſprit und artig-
keit,
[27]zur beredſamkeit.
keit, als gruͤndliche ſcharfſinnigkeit anzutref-
fen.o)
§. 24. Von der Engellaͤnder beredſam-
keit iſt mir nur etwas weniges bekannt, nem-
lich dieſes, daß ſie ihre reden mit groſſem fleiß
und nachſinnen ausarbeiten, und fuͤrtrefliche
proben ihrer wohlredenheit herfuͤrbringen, daß
endlich ihre ſachen, wann ſie in das Teutſche
uͤberſetzet, wegen ihrer ſchoͤnen realien und
ſcharfſinnigen gedancken, ungemein wohl ge-
leſen und gebraucht werden.
§. 25. Der Spanier beredſamkeit, iſt nach
dem genie dieſer nation, praͤchtig, ſpruchreich,
tief-
[29]zur beredſamkeit.
tiefſinnig, wie man ſolches an des Gracians
lobredea) auf Ferdinandum Catholicum, die
Lohenſtein uͤberſetzet, wahrnimmt. Es iſt
auch ſonſt dieſe Nation, bey den kennern der
Spaniſchen ſprache und Hiſtorie, in groſſen
credit.
§. 26. Denen Jtaliaͤnern, fehlt es nicht an
guten rednern in ihrer ſprache.a) Es zeigt ſich
aber ihre beredſamkeit mehr in der Poeſieb)
und lateiniſchen reden.c) Jn der letztern art
haben ſie ſolche proben die Ciceronianiſch
ſind gegeben.
§. 27. Es wuͤrde muͤhſam und weitlaͤuftig,
doch nicht gar zu nuͤtzlich ſeyn, aller voͤlcker be-
redſamkeit hiſtoriſch zu unterſuchen. Die Eu-
ropaͤiſchen, deren noch nicht erwehnung geſche-
hen, a) haben ſich nicht ſonderlich ſignaliſiret
in ihren mutterſprachen und nur eintzeln, in La-
teiniſcher ſprache, ihre beredſamkeit gewieſen,
wie dann Europa in den neuern zeiten, an La-
teiniſchen rednern fruchtb arer geweſen, als an
rednern die ihre eigne mundart cultiviret haͤttẽ.
b) Und aus den andern theilen der welt, kom-
men zuweilen proben der beredſamkeit zum
vorſchein, darinn ſchoͤne und lebhaffte ſtriche
einer
[30]vernuͤnftige anleitung
einer natuͤrlichen faͤhigkeit und grotesque al-
berne ideen, aus mangel ſattſamer cultur im-
mer miteinander abwechſeln.c)
§. 28. Wofern unſere Oratorie hinlaͤng-
lich ſeyn ſoll, eine gruͤndliche und artige bered-
ſamkeit herfuͤrzubringen, werden wir allezeit
erſtlich auf die erfindung der gedancken, zwey-
tens auf den ausdruck derſelben durch worte,
und drittens auf den fuͤrtrag ſelbſt, die dabey
noͤthige ordnung und andere umſtaͤnde zu ſehen
haben. Auf welche theile auch folgende
anweiſung beruhet.
WAs erfinden eigentlich ſey? §. 1. Was die erfin-
dung in der Oratorie ſey? §. 2. Wie vielerley
dieſe erfindung in der Oratorie? §. 3. Von der erfin-
dung der materie zumreden, §. 4. Von der erfindung
eines thematis, oder von dem, was man will im re-
den ausfuͤhren, §. 5. Von denen thematibus natu-
ralibus und was dabey zu mercken, §. 6. Von denen
thematibus artificialibus, §. 7. Wie die themata
artificialia zu erfinden? §. 8. Was bey denen thema-
tibus artificialibus in acht zunehmen? §. 9 Von denen
lahmen erfindungs-mitteln, als der Lulliſterey, dem
pathetiſchen weſen, dem Oratoriſchen enthuſiaſmo
der cahbala, der topic, dem buchſtaben-ſpielen, in-
uentione analogica ꝛc. §. 10. Vondenen ſo von der
erfindung geſchrieben. §. 11.
§. 1.
DJe erfindung aller dinge, ſo weit ſelbige
in die graͤntzen menſchlicher erkaͤnntniß
eingeſchloſſen, beruhet auf eine fertig-
keit desingenii, ſachen nach der moͤglichkeit zu-
ſammen zu verbinden oder aus einander zu ſe-
tzen.a) Die ſchoͤnheit des ingenii, kommt auf die
tref-
[32]von der erfindung
treflichkeit des dabey herfuͤrleuchtenden iudicii
an, und die rechte beſchaffenheit des iudicii, auf
eine gute erfahrung und vernunft-lehre. Wer
alſo dieſes bey einander beſitzet, kan gut erfin-
den.
§. 2. Jn der Oratorie heiſt erfinden ſoviel, als
bey denen gelegenheiten, welche uns gebieten
zu reden, gedancken faſſen, wie man die ge-
ſammlete wiſſenſchaft und erfahrung in reden
anbringen moͤge, damit man ſeinen endzweck
erhalten koͤnne.
§. 3. Man gedencket alſo, ehe man redet, an
das wovon man reden oder was man in reden
ausfuͤhren will, und hernach an die art und
weiſe, wie man davon reden wolle, ienes heiſt
inuentio thematis, dieſes inuentio argumen-
torum.
§. 4. Die materie zum reden, geben uns al
le dinge, davon wir gedancken haben oder faſ-
ſen koͤnnen. Die gelegenheit aber der zeit des
orts, und anderer umſtaͤnde oder begebniſſe,
giebt uns freyheit und erfodert auch wohl von
uns, unſere gedancken auszudrucken, und alles
was wir davon wiſſen und gedencken anzu-
bringen.
§. 5. Dieſe gelegenheit wird genennet ca-
ſus, und der kurtze inhalt meiner gedancken,
darauf die rede gebauet wird, heiſt die propoſi-
tio, das thema.a) Zuweilen kan man nur
einen eintzigen concept zum grunde legen,b)
mehrentheils aber verbindet man zwey conce-
pte in dem dritten,c) und formiret alſo einen
ordentlichen ſatz, ia zum oͤftern muß man viele
ſaͤtze mit einander verbinden und davon re-
den.d)
§. 6. Bleibt man ſchlechterdings bey dem ca-
ſu, und zieht das thema gleich heraus, ſo be-
kommt man ein thema datum oder naturale.a)
Dabey muß man zufoͤderſt auf die regeln der
vernunft-lehreb) hernach auf die regeln der
klugheit,c) und nach anleitung derſelben auf
alle umſtaͤnde genau acht haben. Wenn man
nun durch artige, nicht gar zu bekannte, einfaͤl-
le, muthmaſſungen, vergleichungen, anmer-
ckungen, ausſchweiffungen ein thema natura-
le wohl ausfuͤhret, ſo wird man mit einem the-
ma naturali eben ſo weit kommen als irgend
ein anderer mit ſeinem themate artificiali.
§. 7. Zuweilen iſt man nicht geſchickt ein thema
nalurale recht zu tractiren, oder man will damit
nicht zu frieden ſeyn, ſo ſuchet man durch eine
meditation, und alſo durch die kunſt etwas bey
dem caſu zu erſinnen, damit man das thema
naturale verknuͤpfen koͤnne, das vielleicht bey
dem erſten anblick nicht iedermann in die ſinne
faͤllt und dieſes heiſt hernach ein thema artifi-
ciale.
§. 8. Solches nun zu finden, reſolvirt man
den caſum in ſeine umſtaͤnde, bey iedem um-
ſtande ſuchet man allerhand moͤgliche einfaͤlle,
muthmaſſungen, urſachen, und andere gedan-
cken zu faſſen, dieſe ſchlieſſet man in kurtze pro-
poſitiones ein, ſo hat man viel themata artifi-
cialia.a) Die umſtaͤnde ſind entweder ge-
nerales, oder ſpeciales oder ſpecialiſſimae,b)
bey deren auſſuchung und ausfuͤhrung wie bey
allen thematibus artificialibus das thema na-
turale zum grunde muß geleget werden.
§. 9. Sonſt muß ich bey einem themate ar-
tificiali allezeit erwegen, ob ich nicht beſſer thaͤ-
te, wann ich beym naturali bliebe? wie ich es
kurtz, doch nicht dunckel und zweydeutig ab-
faſſen muͤſſeb) wie es mit dem themate natu-
rali auf eine ungezwungene und angenehme
art zu verknuͤpfen,c) ob etwan ein affect da-
bey anzudeuten und wie?d) und endlich daß
weder in der abfaſſung und putz noch in der
ausfuͤhrung deſſelben etwas paradoxes mit
unterlauffe.e)
§. 10. Jch koͤnte mehr anfuͤhren von erfin-
dung der thematum, wann meine abſicht waͤ-
re aus der Oratorie einen pontem aſinorum
zu machen, daraus auch dieienigen, denen es an
den hauptſtuͤcken ſo zur wohlredenheit gehoͤren,
fehlet, von ſachen die ſie nicht verſtehen, viel
erfindungen und worte machen lernten. Viel-
leicht iſt aber dieſes die abſicht derer, welche
mit der arte Lulliana,a) der topica,b) der
inuentione analogica,c) der cabbala,d)
dem buchſtaben ſpielen e) und dergleichen, wie
iener Kaͤyſer mit denen an den Brittanniſchen
kuͤſten aufgeraften und in triumph gefuͤhrten
mu-
[41]der gedancken.
muſchelſchaalen ein groſſes geraͤuſch machen,
oderdie lehr-begierigen auf ein pathetiſches we-
ſen Oratoriſchen enthuſiaſmum und andere
ſtaffeln zur waͤſcherey und narrheit verweiſen.
§. 11. Von der erfindung haben geſchrie-
ben Ariſtoteles, a)Cicero, bBoëthius, c)
Quinctilianus,d)Rud. Agricola, e)Petrus
Ramus,f)Beccherus, g)Cardanus, h)
Raymundus Lullus.i)Alſtedius, k)Kir-
cherus,l)Caſp. Knittel, n)Eman. The-
ſaurus,o)Janus Gerhardus Bucholdianus,
p)Caecil. Frey, q)Jord. Brunus, r)Owe-
nus Gunther,ſ)Val. Thilo, t)Nic. Cauſſi-
nus,u)Creſollius, w)Voſſius, x)Maſe-
nius,y)Keckermannus, z)Weiſius, a)
Fran-
[44]von der erfindung
Franciſcus Pomey, b)Eraſmus, c)Balbinus,
d)Radau, e)Vincentius Placcius, f)M.
Dauid Vlmann,g)Ludov. Granatenſis, h)
Leibniz,i)Morhoffius, k)Hede ich, l)
Wentzelm)\&c. Alle die gantze Rhetori-
cken heraus gegeben haben, ſind gleichfalls be-
muͤhet geweſen, die lehre von der erfindung zum
gebrauch zu aptiren, wiewohl nicht alle mit
gleichen gluͤck. Man kan dieſe leſen, wenn
man ſonſt will und muſſe hat, aber ich glaube
ſo lange, daß man wenig nutzen davon haben
werde, als es wahr iſt, daß ein mit guten na-
tuͤrlichen faͤhigkeiten begabter, durch eine rech-
te Logick gebeſſerter, durch wiſſenſchaften und
erfahrung bereicherter verſtand, die beſte quelle
guter erfindungen ſey.
WAs in der Oratorie ein argumentum ſey? §. 1.
Ob ein argumentum in der Oratorie unterſchie-
den von einem argumento logico, und worinn? §. 2.
Wie vielerley die argumenta? §. 3. Aus was fuͤr
quellen dieſelbe zu nehmen? §. 4. Was die klugheit
bey erfindung der argumentorum erfordere? §. 5.
Wie und in was fuͤr ordnung ſie anzubringen uͤber-
haupt? §. 6. Was realia ſeyn? §. 7. Wie man
ſich einen vorrath von allerhand fontibus zu argu-
mentis anſchaffen koͤnne und von excerptis? §. 8. Von
der fertigkeit allezeit argumenta zu haben, und nichts
ohne raiſon zu ſagen. §. 9.
§. 1.
WEnn der redner feſtgeſetzet, wovon er
reden wolle, ſo muß er auch darauf
bedacht ſeyn, wie er von der ſache re-
den wolle, dabey muß er auf alles gedencken,
was ſeinen endzweck befoͤrdern kan, hingegen
ſich bemuͤhen dasienige aus dem wege zu raͤu-
men, was ihm daran hinderlich iſt, und alles
was er zu dem ende beybringt, heiſſet man in
der Oratorie ein argumentum.
§. 2. Weil nun durch daſienige was man
ſeinen endzweck zu erhalten beybringt, das the-
ma zugleich erweitert wird, ſo nennt man auch
die argumenta oratoria, amplificationes. Und
da dem redner freyſtehet, im nothfall,a) nach
den
[49]der argumentorum.
den regeln der klugheit, allerhand beyzubrin-
gen, was zur erhaltung ſeines endzwecks dien-
lich, ſo duͤrffen auch ſeine argumenta nicht eben
allezeit nach der Logicaliſchen ſchaͤrffe einge-
richtet ſeyn. Denn in der Logick heiſt man
das ein argument, womit man etwas entweder
auf eine unſtreitige oder wahrſcheinliche art be-
weiſet, und hierinn unterſcheiden ſich die argu-
menta Logica von denen Oratoriis.
§ 3. Dieſer argumentorum zehlet man ſonſt
eine groſſe menge, man hat argumenta realia
und perſonalia, die realia theilet man in do-
centia und perſuadentia, die perſonalia in con-
ciliantia und commouentia. Zu den docen-
tibus rechnet man explicantia, probantia, il-
luſtrantia, applicantia und ſo fort an.a) Al-
lein mir duͤnckt man koͤnne ſie am fuͤglichſten zu
dieſen dreyen arten zehlen, wenn man die argu-
menta eintheilet in probantia, illuſtrantia und
pathetica.
§. 4. An argumentis kan es dem redner
nie-
[51]der argumentorum.
niemahls fehlen, wann er eine gute Logick inne
hat, die ſache davon er reden ſoll verſteht oder
die diſciplin dahin dieſelbe gehoͤret,a) durch
lectur und erfahrung einen guten ſchatz geſam̃-
let, und endlich die regeln einer vernuͤnftigen
Moral anzubringen weiß. Und dieſe an-
gefuͤhrte dinge ſind die allgemeinen fontes
woraus alle argumenta flieſſen.
§. 5. Wenn man nun aus dieſen fontibus
argumenta nehmen will, ſo muß man zuvor
die ſache davon man redet und die beſchaffen-
heit ſeines auditoris in betrachtung ziehen. a)
Bey abſtracten ſachen muß ich mehr die diſci-
plinen, bey ſinnlichen wahrheiten mehr die er-
fahrung conſuliren.b) Bey einem zuhoͤrer der
in anſehung der ſache, die ich ihm fuͤrtrage in-
different iſt, kan ich der naturder ſache nach-
gehen, wo nicht, muß ich ſehn ob er vermoͤgend,
ſich durch gruͤndliche raiſons uͤberzeugen zu laſ-
ſen, oder ob er durch ſeinen eignen affect,
ſchwaͤche des verſtandes, oder des willens ein-
zunehmen.c) Uberhaupt muß man die fon-
tes und argumenta nicht miteinander vermi-
ſchen, und ſonſt gedencken, daß es mehr auf
die wichtigkeit und nachdruck der argumento-
rum, als auf die menge derſelben ankomme.d)
§. 5. Nach beſchaffenheit der ſache und des
zuhoͤrers, muß auch die ordnung derer argu-
mentorum eingerichtet werden, dahero es nicht
eben allemahl rathſam die ſtaͤrckſten oder die
ſchwaͤchſten voranzuſetzen. Soll die ſache be-
wieſen werden, faͤngt man von probantibus
an, ſoll ſie deutlich gemacht werden, muͤſſen
D 3illu-
[54]von der erfindung
illuſtrantia die fuͤrnehmſten ſeyn, ſoll ſie in die
uͤbung gebracht werden, muß man zufoͤrderſt
pathetica gebrauchen. Doch muͤſſen alle dieſe
nach der capacitaͤt des zuhoͤrers ordentlich und
deutlich angebracht werden, und es iſt zuweilen
noͤthig, ehe man ſie beybringt, das gemuͤth des
zuhoͤrers zu tingiren, damit ſie nicht fruchtloß
abgehena)
§. 7. Man iſt ſonſt bemuͤhet geweſen, ſo ge-
nannte realia in ſeinen reden anzubringen,
man hat aber nicht allezeit den rechten begrif
von ſolchen realibus. Vor dieſen hielte man
exempla und teſtimonia auch wohl emblemata,
ſimilia, medaillen, ꝛc. fuͤr realia. Heut zu
tage hat ſich der geſchmack geaͤndert, und man
glaubt, daß das reelle einer rede, in einem
gruͤndlichen und nach der klugheit angebrach-
ten raiſonnement beſtehe.
§.8. Wer gute natuͤrliche faͤhigkeiten durch
unterricht, nachſinnen, lectur, erfahrung und
uͤbung gebeſſert und vollkommen gemacht, der
wird alle univerſelle ſontes argumenta zu fin-
den bey ſich haben. Da aber das gedaͤchtniß
bey allen dieſem ein guter promus condus ſeyn
muß, ſo ſucht man dieſem durch gute excerptaa)
zu ſtatten zu kommen. Dieſemnach haben
excerpta allerdings groſſen nutzen, allein man
muß nicht meinen, daß es bloß und lediglich
darauf ankomme.
§.9. Damit man aber allezeit argumenta
in bereitſchaft und auch die fontes und die ex-
cerpta, welche man ſich angeſchaft gluͤcklich
treffe und parat habe, ſo muß man ſeinen ver-
ſtand bey allen was man ſiehet, erfaͤhret, hoͤ-
ret, lieſet, excerpiret und empfindet, alſo gewoͤh-
nen, daß er allezeit nachdencke, wie man es
nutzen und wieder an den mann bringen koͤnne.
Jm uͤbrigen muß man nichts thun und nichts
reden, wovon man nicht wenigſtens allezeit
zweyerley raiſons anzugeben wiſſe, eine wahr-
haftige und eine ſchein-raiſon.a) Jch glau-
be nicht, daß es einem auf die weiſe, an ar-
gumentis fehlen koͤnne.
Was eigentlich beweißgruͤnde ſeyn? §.1. Wie vie-
lerley dieſelben? §.2. Von den unſtreitigen
beweiß gruͤnden? §. 3. Wie vielerley dieſelben? § 4.
Beweißgruͤnde fuͤr die moͤglichkeit, §. 5. Fuͤr die
ſinnlichen unſtreitigen wahrheiten, §. 6. Fuͤr die
abſtracten unſtreitigen wahrheiten, § 7. Wo die-
ſelben herzunchmen? §. 8. Wie dieſelben einzurich-
ten und anzubringen? § 9. Von denen beweißgruͤn-
den fuͤr die wahrſcheinlichkeit, §. 10. Wie vielerley
die-
[57]und derſelben erfindung.
dieſelben? §. 11. Beweißgruͤnde fuͤr die Hiſtoriſche
wahrſcheinlichkeit, §. 12. Fuͤr die Phyſicaliſche
wahrſcheinlichkeit, §. 13. Fuͤr die Moraliſche
wahrſcheinlichkeit, §. 14. Fuͤr die wahrſcheinlich-
keit der zukuͤnfftigen dinge, § 15. Fuͤr die wahr-
ſcheinlichkeit im auslegen, §. 16. Wie ſolche argu-
menta zu erfinden und anzubringen? §. 17. Von
den beweißgruͤnden in der Philoſophie, §. 18. The,
ologie, §. 19. Juriſprudentz, § 20. Medicin, §. 21.
Mathematick, §. 22. Jm gemeinen leben, §. 23.
Von der krafft dieſer beweißgruͤnde, §. 24. Von de-
nen eigentlich ſo genannten Oratoriſchen beweiß-
gruͤnden oder vom fuco oratorio, §. 25. Von teſti-
moniis. § 26. Von apophthegmatibus, prouerbiis,
ſententiis, §. 27. Von exemplis, fictionibus, §. 28.
Von ſimilibus, emblematibus, comparatis ꝛc. §. 29.
Von medaillen, wapen, inſcriptionibus, epitaphiis,
ꝛc. §. 30. Von der benennung, ety mologie, antiphraſi,
tropo, allegorie. ꝛc. §. 31. Von den argumentis ab
inſinuatione, meditatione, conſectar[u]s, loco communi,
argutiis ꝛc. §. 32. Wie man ſolche geſchickt gebrau-
chen koͤnne? §. 33. Wenn noͤthig ſey zu beweiſen
daß die gegenſeitige meinung irrig? oder vom argu-
men to a contrario, §. 34. Was man dazu fuͤr be-
weißgruͤnde habe, § 35. Wie man ſich in anwen-
dung derſelben aufzufuͤhren. §. 36. Was dem iuſto,
honeſto, §. 37. Und den regeln der klugheit gemaͤß
bey den beweißgruͤnden, §. 38. Die beweißgrunde
ſind nicht mit einander ohne noth zu verwechſeln. §. 39.
§. 1.
EJn argumentum probans oder beweiß-
grund iſt ein richtiger ſchluß, wodurch
ich die wahrheit eines ſatzes, aus ſeinen
gehoͤrigen gruͤnden darthue, um den menſchli-
chen verſtand gruͤndlich davon zu uͤberzeugen. a)
§. 2. Da alle wahrheit entweder unſtrei-
tig oder wahrſcheinlich iſt, ſo muͤſſen auch die
ſchluͤſſe, wodurch ich die wahrheit meines obie-
cti beweiſen will, anders beſchaffen ſeyn, bey
denen unſtreitigen, und anders bey denen
wahrſcheinlichen wahrheiten. Alſo hat man
zweyerley argumenta probantia uͤberhaupt,
demonſtratiua und probabilia.
§. 3. Unſtreitige beweiß-gruͤnde ſind ſolche
argumenta, welche den ſich ſelbſt gelaſſenen
verſtand, alſo von der wahrheit einer ſache
uͤberzeugen, daß er ihm ſolche nicht anders fuͤr-
ſtellen, und auch keinen zweiffel ferner dabey
haben kan.
§. 4. Und da die ſinne der urſprung und
kennzeichen aller wahrheiten ſind, und ins be-
ſondere die unſtreitigen wahrheiten, alſo aus
denſelben entſpringen, daß ſie entweder unmit-
telbar oder mittelbarer weiſe mit denſelben
zuſammen verknuͤpft ſind, ſo hat man auch
zweyerley arten von argumentis demonſtra-
tiuis, nemlich ſenſualia und abſtracta.
§. 5. Ehe eine ſache als wahr behauptet
wird, iſt ſie bloß moͤglich. Weil aber alles
in der welt moͤglich, oder wenigſtens von uns
nicht fuͤr unmoͤglich kan ausgegeben werden,a)
ſo
[59]und derſelben erfindung.
ſo hat man auch noch nichts bewieſen, wenn
man nur die moͤglichkeit der ſache dargethan
hat.b) Folglich hat man ſich um beweiß-
gruͤnde fuͤr die moͤglichkeit nicht ſonderlich zu
bekuͤmmern. Wenn man aber doch die moͤg-
lichkeit einer ſache darthun wolte, ſo haͤtte man
nur zu ſehen, ob ſchon davon ein exempel fuͤr-
handen, welches ſo dann die moͤglichkeit der
ſache ſattſam beweiſen wuͤrde.c) Waͤre kein
exempel davon fuͤrhanden, ſo koͤnte man durch
allerhand gleichniſſe ſuchen die moͤglichkeit be-
greiflich zu machen.d) Und endlich wird al-
les moͤglich wann man zeiget, daß GOtt alles
koͤnne wann er wolle, und daß kein menſchli-
cher verſtand ſeine allmacht abmeſſen, noch
ſeinen willen ergruͤnden koͤnne.e)
§. 6. Mit ſinnlichen unſtreitigen beweiß-
gruͤnden, beweiſt man alle dieienigen dinge,
welche unmittelbarer weiſe in die ſinne fallen,
und
[61]und derſelben erfindung.
und dabey man weiter nichts gebraucht, als
nur dieſe unmittelbarer weiſe von den ſinnen
entſtandene begriffe, mit geſchickten worten
auszudrucken. Hieraus koͤnte man zu einer
rechten topic [...], den erſten locum uniuerſalem
machen, nemlich experientiam.a) Und weil
entweder wir, oder andere, die wahrheit der
dinge unmittelbar aus den ſinnen empfunden,
ſo bekommt man zweyerley ſinnliche unſtreiti-
ge arten zu beweiſen, nemlich experientiam pro-
priam und experientiam alienam.b)
§. 7. Dieienigen ſaͤtze welche mittelbar aus
denen finnen herkommen und unſtreitig ſind
werden durch gelehrte begriffe bewieſen, nem-
lich durch die definitionesa) und diuiſiones,b)
und durch den zuſammenhang des ſubiecti und
praedicati.c) Bey denen definitionibus hat
man auf das genusd) und differentiam,e)
bey dem ſubiecto und dem praedicato, auf die
propriaf) conceptus inferioresg) und ſupe-
rioresh) und oppoſita,i) in der Moralins-
beſondere auf den endzweck und die verhaͤltniß
der mittel zu denſelben,k) in der Phyſic auf
die urſachen deroſelben verhaͤltniß zu den
wuͤrckungen, fleiſſig zu ſehen.l) Die rechte
kraft aber der hierausgezogenen ſchluͤſſe, wird
man ſich am allerbeſten aus der Logick ſelbſt
bekannt machen muͤſſen.
§. 8. Die unſtreitigen beweiß-gruͤnde bey
den ſinnlichen wahrheiten aus eigener erfah-
rung, giebt uns unſre empfindung und erkaͤnnt-
niß. Aus anderer leute erfahrung kan man
beweiß-gruͤnde haben, wann man entweder
ihre muͤndliche oder ſchriftliche erzehlungen ſich
bekannt macht, und ſonſt verſichert iſt, daß ſie
nicht aus einfalt ſich ſelbſt, aus boßheit andere
zu betruͤgen bemuͤhet ſind. Es muͤſſen aber
alle beweiß-gruͤnde aus der erfahrung, ſo ein-
gerichtet ſeyn, daß entweder niemand da-
ran zweiflen darf, oder daß iedermann die
wahrheit derſelben ohne weitlaͤuftigkeit ſelbſt
empfinden koͤnne.a) Die beweiß-gruͤnde zu
den unſtreitigen abſtracten gelehrten wahr-
heiten, geben uns quoad materiam die diſci-
plinen, quoad formam die Logick und eignes
nachſinnen.b).
§. 9. Alle dieſe unſtreitige beweiß-gruͤnde.
werden als unſtreitige ſchluͤſſe nach den regeln
der Logick eingerichtet. Bey denen ſinnlichen
argumentis, darf ich nicht viel kuͤnſteln, ſondern
nur behutſamkeit und klugheit gebrauchen.
Bey denen abſtractis aber iſt nur dieſes zu
mercken, daß ich ſie weder in der genauen Lo-
gicaliſchen ordnung, noch mit denen Logicali-
ſchen kunſt-woͤrterna) anbringe, es muͤſte
dann ſeyn, daß es beſonders von mir erfodert
wuͤrde. b)
§. 10. Wahrſcheinlich eine ſache beweiſen,
heiſt die wahrheit derſelben, aus der uͤberein-
ſtimmung der dabey fuͤrhandenen ſinnlichkei-
ten
[71]und derſelben erfindung.
ten und umſtaͤnde, unter ſich und mit der hy-
potheſi welche man erwehlet, darthun. Alle
dieienigen wahrheiten, welche durch definitio-
nes und unmittelbare begriffe nicht koͤnnen
ausgemacht werden, muß man demnach uͤber-
haupt alſo beweiſen, daß man die davon fuͤr-
handenen phaenomena und umſtaͤnde oder
ſinnlichkeiten, mit der hypothefi, welche man
angenommen, zuſammen haͤlt, und derſelben
genaue verbindung fuͤr augen leget.
§. 11. Wahrſcheinliche argumenta theilen
ſich uͤberhaupt alſo ein, daß man entweder
vergangene oder gegenwaͤrtige oder zukuͤnftige
dinge beweiſet. Und weil das gegenwaͤrtige nur
in einem augenblick beſtehet, bey dem vergan-
E 4genen
[72]von den beweiß-gruͤnden,
genem unſere klugheit nichts mehr vermag, ſo
begreift man beydes unter den nahmen der
theoretiſchen wahrſcheinlichkeit zuſammen, hin-
gegen die wahrſcheinlichkeit wegen des zukuͤnf-
tigen, wobey die klugheit am meiſten geſchaͤf-
tig, heiſſet man die practiſche. Jene iſt ent-
weder Hiſtoriſch oder Phyſicaliſch oder Mo-
raliſch wann ſie auf ſachen gehet, oder Herme-
nevtiſch wann ſie mit worten und auslegen zu
thun hat.
§. 12. Hiſtoriche ſachen werden wahrſchein-
lich aus der uͤbereinſtimmung und guͤltigkeit
der davon fuͤrhandenen zeugniſſe und zeugen.
Hieher gehoͤren alſo alle geſchehene dinge, und
alle nachrichten, die wir andern von ſinnlichen
dingen geben, oder von ihnen bekommen. Die
guͤltigſten zeugen ſind, verſtaͤndige leute, wel-
che bey einer ſache ihre ſinne, augen, gegenwaͤr-
tig gebrauchet: Hierauf folgen leute, welche
zwar gegenwaͤrtig geweſen aber keine ſonder-
liche penetration haben: Ferner, welche es
von denen die gegenwaͤrtig geweſen gehoͤret:
Weiter, welche es von hoͤren ſagen haben, aber
zu der zeit zugleich gelebt haben: Die ſchlech-
teſten ſind die es nachher bloß von hoͤren ſagen
erfahren. Jhre zeugniſſe ſind entweder ge-
ſchriebene oder muͤndliche und bekommen von
ihnen
[73]und derſelben erfindung.
ihnen den werth. Wenn man hier nun die un-
terſchiedenen gradus wohl erweget, die beſchaf-
fenheit der perſonen und ſachen zu huͤlffe nim̃t,
ſo kan man gnugſame argumenta einen hiſto-
riſchen ſatz zu beweiſen anfuͤhren.
§. 13. Bey Phyſicaliſchen dingen, ſuche
ich aus denen phaenomenis oder natuͤrlichen
wuͤrckungen und zufaͤllen, welche unmittelba-
rer weiſe in die ſinne fallen, die verborgenen
urſachen und ſubſtantzen, wahrſcheinlich zu
machen. Und da muß unter der hypotheſi
und denen phaenomenis eine ſolche uͤberein-
ſtimmung gewieſen werden, daß dieſe aus ie-
ner ungezwungen zu flieſſen ſcheinen.
§. 14. Bey der Moraliſchen oder ins beſon-
dere der Politiſchen wahrſcheinlichkeit, ſuche
ich die abſichten eines menſchen, die beſchaffen-
heit ſeines gemuͤths und verſtandes zu bewei-
ſen. Daher iſt es hier noͤthig, eine gruͤndliche
E 5er-
[74]von den beweiß-gruͤnden,
erkaͤnntniß des menſchlichen verſtandes und
willens zu haben, und nachgehends aus denen
umſtaͤnden nnd verrichtungen eines menſchen
einen ſatz zu formiren, deſſen wahrſcheinlich-
keit durch die genaue uͤbereinſtimmung mit des
menſchen verrichtungen und umſtaͤnden darge-
than wird, und mich von ſeinen abſichten be-
ſchaffenheit des willens und verſtandes unter-
richtet.
§. 15. Um zukuͤnftige dinge bekuͤmmern
ſich die menſchen am meiſten und begierigſten,
dannenhero iſt es kein wunder, wann man ih-
nen dabey die meiſtẽ unwahrheiten aufhenget,
da die wenigſten ſo ſcharfſichtig ſind, das zu-
kuͤnftige einzuſehen. Kluge leute halten das
fuͤr zukuͤnftig wahrſcheinlich, wovon ſie gegen-
waͤrtig eine uͤbereinſtimmung Phyſicaliſcher
und Moraliſcher urſachen, mit dem von der zu-
kuͤnftigen zeit und ſache gefaͤlletem urtheile ſe-
hen, und eben auf die weiſe kan man zukuͤnf-
tige dinge beweiſen.
§. 16. Die wahrſcheinliche meinung eines
redenden oder ſcribenten, beweiſet man aus
ſeinen vorhergehenden und nachfolgenden ſaͤ-
tzen und worten, dabey man die ſprache, die
umſtaͤnde der zeit und des orts, die kraͤfte des
verſtandes und willens, desienigen der da re-
det oder ſchreibet, unterſuchet, und aus deren
uͤbereinſtimmung untereinander die wahr-
ſcheinliche meinung darthut.
§. 17. Will man nun wahrſcheinliche argu-
menta zum beweiß einer ſache finden, ſo muß
man ſich die ſache nach allen ihren umſtaͤnden
fuͤrſtellen, alle dabey befindliche ſinnlichkeiten
und zufaͤlle in erwegung ziehen, hernach moͤg-
liche hypotheſes formiren, aus dieſen moͤglichen
hypotheſibus dieienige ausſuchen, welche mit
allen umſtaͤnden genau uͤberein kommt. Bey
der ausfuͤhrung ſetzt man zufoͤderſt die hypothe-
ſin deutlich fuͤr augen, hernach fuͤhret man alle
umſtaͤnde nacheinander an, zeiget wie ſie in
der hypotheſi zuſammenhaͤngen, und nachdem
der auditor beſchaffen, traͤgt man dieienigen
phaenomena zuerſt oder zuletzt fuͤr, welche am
genaueſten mit der hypotheſi connectiren, da-
bey man ſorgfaͤltig moͤglichkeiten, unſtreitige
und wahrſcheinliche wahrheiten auseinander
ſetzen muß.
§. 18. Alle ietztan gefuͤhrte gruͤnde gehoͤren zur
gelehrſamkeit uͤberhaupt und ſind alſo Philo-
ſophiſch. Nachgehends bekommen ſie bey der
anwendung unterſchiedene benennungen, von
den obiectis und diſciplinen bey welchen ſie ge-
brauchet werden. Sie behalten aber den nah-
men der Philoſophiſchen gruͤnde in den theilen
der Philoſophie, und da beweiſt man in der Lo-
gick und Metaphyſick aus denen conceptibus
Logicis alles auf unſtreitige art: Jn der Phy-
ſick aus den phaenomenis wahrſcheinlich, die
phaenomena ſelbſt auf ſinnliche unſtreitige art:
Jm Jure naturae aus dem principio Juris na-
turae auf gelehrte unſtreitige art: Jn den re-
geln der klugheit bald aus dem endzweck und
mitteln auf unſtreitige, bald aus der natur des
obiecti auf wahrſcheinliche art.
§. 19. Jn denen Facultaͤten und uͤbrigen
wiſſenſchaften, werden angefuͤhrten beweiß-
gruͤnden, die nahmen derer Facultaͤten und
wiſſenſchaften beygeleget. Alſo hat man in
der Theologie entweder die klaren worte der
h. ſchrift, dieſe beweiſen Theologiſche ſaͤtze auf
eine unſtreitige art: Oder man muß aus denen
umſtaͤnden bibliſcher ſpruͤche wahrſcheinlich
den rechten ſenſum ſchlieſſen, dabey man alle-
zeit
[77]und derſelben erfindung.
zeit wann man gruͤndlich beweiſen will, die hi-
ſtorie der bibliſchen ſpruͤche, den rechten ſedem
materiae, die loca parallela, den grund-text,
die analogiam fidei, die von denen orthodoxen
Theologis recipirten meinungen,a) ins beſon-
dere die libros ſymbolicos und confeſſiones pu-
blicas, zu rathe ziehen und die prudentiam
Theologicam beobachten muß. Und dieſe
Theologiſchen gruͤnde gelten uͤberall, wo man
als ein Chriſt oder als ein Theologus etwas zu
beweiſen hat.
§. 20. Jm Jure publico ſuchen wir bey uns
beweiß-gruͤnde, aus denen Reichs-Abſchieden,
der guͤldnen Bulle, dem Landfrieden, dem Re-
ligions frieden, dem Weſtphaͤliſchen frieden, de-
nen kaͤyſerlichen Capitulationibus, denen pa-
ctis und dem Reichsherkommen. Jm Jure
ciuili beweiſet man aus den legibus ciuilibus
und ſtatutis publicis, aus denen conſuetudini-
bus, contractibus, und mit teſtibus. Bey de-
nen legibus ſiehet man auf intentionem ratio-
nem und applicationem legis, dazu gebrauche
ich interpretationem hiſtoriam und prudenti-
am. Die conſuetudines wann ſie beweiſen
ſollen, muͤſſen notoriſch ſeyn, und durch viele
actus, die den geſetzen nicht zuwieder, und in
dem caſu unverruͤckt geſchehen ſind, guͤltig ge-
macht
[78]von den beweiß-gruͤnden
macht werden. Aus denen contractibus be-
weiſet man trifftig wann ſie wohl ausgedruckt,
in ihrer natur richtig, und dazu durch obrigkeit-
lichen conſens bekraͤftiget worden. Von de-
nen teſtibus ſiehe §. 8. not. a und §. 12. oben.
§. 21. Was ich in der Medicin beweiſen
ſoll, iſt entweder eine ſinnliche wahrheit, oder ei-
ne Phyſicaliſche hypotheſis, oder eine propor-
tionirung der urſachen zu den wuͤrckungen.
Von allen dieſen habe ich §. 7. 8. und 13. ſoviel
hier noͤthig iſt angefuͤhret, wo man ſich deßfalls
raths erholen kan.
§. 22. Jn der Mathematick beweiſt’man alles
auf unſtreitige art, aus den eigenſchafften der
groͤſſen, ſetzt definitiones, axiomata, poſtulata,
theoremata, problemata und conſectaria nebſt
denen ſcholiis.
§. 23. Jm gemeinem leben will es nicht
allezeit mit ietzt erzehlten gruͤnden gluͤcken, daß
ſie den andern von der wahrheit einer ſache con
uinciren ſolten. Da wird man alſo nach be-
ſchaffenheit deſſen, mit dem wir zu thun haben,
ſeine argumenta einrichten muͤſſen. Ubri-
gens ſind hier die argumenta a poſteriori, κατ’
ἄνϑρωπον und alle ſinnliche demonſtrationes
mehrentheils beſſer zu gebrauchen, als a priori,
κατ’ ἀλήϑειαν und die ſehr abſtract ſind.
§. 24. Es ſiehet iedermann, daß alle dieſe
beweißgruͤnde unterſchiedene gradus haben,
und daß ſie leute fodern, welche faͤhig ſind rai-
ſon anzunehmen; Wo der verſtand des audi-
toris oder leſers alſo rein iſt, und von keinen
neigungen verdorben und die ſache iſt bloß the-
oretiſch, da wird man ihn kraͤfftig uͤberzeugen
mit dieſen gruͤnden. Wo aber nicht, da muß
man es auf dieſe argumenta nicht ankommen
laſ-
[80]von den beweiß-gruͤnden,
laſſen, ſondern pathetica zu huͤlffe nehmen und
illuſtrantia.
§ 25. Denn wenn alle leute weiſe waͤren,
oder auch nur nicht feinde der weißheit, duͤrffte
man an keine andere beweißgruͤnde gedencken,
als welche die wahrhaffte beſchaffenheit der
ſache an die hand giebt und daran die Logick
gearbeitet. Da dieſes aber nicht iſt, muß
man vielfaͤltig wind machen, und der wahrheit
zum beſten denen vorurtheilen und affecten
nachzugeben ſuchen, ſie zu uͤberwinden, und
ſolches iſt der rechte fucus oratorius.
§. 26. Die andern dinge alſo, welche man
in denen Oratoriſchen buͤchern als aetiologien
und beweiß-gruͤnde recommandiret, muͤſſen
theils zu angefuͤhrten gruͤnden, theils unter den
fucum oratorium gerechnet werden. Z. e. Te-
ſtimonia haben ihre kraft eigentlich in der Hi-
ſtoriſchen wahrſcheinlichkeit, ſiehe oben §. 12.
Jn den uͤbri gen gehoͤren ſie zum fuco oratorio.
a) Und hier dienen ſie, wann man leute fuͤr
ſich hat, die in dem vorurtheil menſchlichen an-
ſehens ſtehen, und ſich von iemand den man an-
fuͤhret, lauter wahrheiten verſprechen, oder die
ein groß gedaͤchtniß, wenig iudicium haben.
Ferner wann es ſcheinet, als ob man neuerun-
gen fuͤrbraͤchte, ſo kan man ſich hinter die te-
ſtimonia, angeſehener leute verſtecken und ſeine
meinung mit ihren worten fuͤrtragen. Geld-
geitzigen und aberglaubiſchen leuten, gefallen
teſtimonia auch ſehr wohl. Doch iſt es auch
nicht verboten teſtimonia zum putz und ausdeh-
nung einer rede anzufuͤhren. Weil die mei-
ſten allegata, teſtimonia ſeyn ſollen, ſo hat es
mit denſelben faſt gleiche bewandniß.b)
§. 27. Apohthegmata oder ausſpruͤ-
che angeſehener leute, ſymbola, ſenten-
tzen, und ſpruͤchwoͤrter (adagia, prouer-
bia) oder ſaͤtze welche durch viele erfahrung
beſtaͤrcket und bey dem gemeinen volck fuͤr
wahrheiten gehalten werden, ohngeachtet ſie
halb wahr und halb falſch ſind, koͤnnen eben-
falls wie teſtimonia angebracht werden, und
werden zur noth fuͤr beweiß-gruͤnde paſſiren.
bey
[83]und derſelben erfindung.
bey leuten die im praeiudicio auctoritatis ſte-
hen, geldgeitzig argwoͤhniſch furchtſam ſind,
uͤberhaupt keinen rechten begrif von wahrheit
haben, oder wann die ſache in dem ſchlechteſten
grad der wahrſcheinlichkeit beruhet und dabey
groſſe behutſamkeit muß gebrauchet werden.
§. 28. Exempel beweiſen an und vor ſich
nichts als nur die moͤglichkeit eines dinges, da-
von oben §. 5. gehandelt, und in Hiſtoriſchen
ſachen, ſind ſie denen teſtimoniis gleich zu ſchaͤ-
tzen, ſiehe oben §. 12. Man koͤnte hieher auch die
erdichteten exempel rechnen und alſo fabeln pa-
rabolas, apologos, ꝛc. Man wird aus den
vorhergehenden leichtlich abnehmen, daß der-
gleichen ob ſie ſchon nicht buͤndig beweiſen, doch
F 2denen
[84]von den beweiß-gruͤnden,
denen beweiß-gruͤnden dienlich ſind, und end-
lich ſo werden exempel und fabeln, eins wie
das ander, bey leuten die wahrheit und moͤg-
lichkeit unterſcheiden, keine abſtracta begreif-
fen koͤnnen, ſinnlich gewoͤhnet ſind, ſich vom
ſtudio imitandi und aemulatione fuͤhren laſſen,
und ſonſt in vorurtheilen ſtecken oder affecten
haben, fuͤr tuͤchtige beweiß-gruͤnde paſſiren.
Zugeſchweigen, daß man ſie auch zum zierrath
einer rede und dieſelbe auszudehnen und ange-
nehm zu machen, nicht unbillich anfuͤhret. Wie
ſie als illuſtrantia zugebꝛauchen ſiehe im folgen-
den capitel.
.29. Bey denen ſimilibus, comparatis, em-
blematibus, ſymbolis und aller gegeneinander-
haltung meines obiecti mit andern dingen,
wird wohl niemand auf die gedancken gera-
then, daß ſie zum beweiß-gruͤnden zu rechnen,
ſondern daß ſie vielmehr als illuſtrantia anzu-
ſehen, (ſiehe folgendes cap.) und als dinge wel-
che dienlich eine rede auszudehnen und auszu-
putzen. Doch deucht mir, daß leute die viel
ingenium haben, gerne bildern und phantaſi-
ren, dergleichen als beweiß-gruͤnde anneh-
men, wenn man zumahl den willen durch aller-
hand dabey gebrauchte argumenta pathetica
zugleich rege zu machen ſuchet.
§. 30. Medaillen und uͤberhaupt muͤntzen,
wapen, antiquitaͤten, inſcriptiones, marmora,
epitaphia, beyſchrifften, ꝛc. koͤnnen mit denen
daraus genommen umſtaͤnden und merckmah-
len, in der Hiſtoriſchen wahrſcheinlichkeit eini-
gen nutzen haben, muͤſſen aber an und fuͤr ſich
erſtlich ſelbſt wahrſcheinlich ſeyn, ehe und be-
vor ich daras etwas zum beweiß tuͤchtiges an-
fuͤhren will.
§. 31. Hier muß ich auch derienigen beweiß-
gruͤnde gedencken, welche man von der benen-
nung eines dinges, und denen dabey fuͤrkom-
menden nahmen, a notatione alſo, ab etymo-
logia, homonymia, ſynonymia, genio lin-
guae, tropo, vſu vocis, definitione nomina-
li, aequiuocatione, coniugatis, allegoria, an-
tiphraſi, interpretatione und dergleichen no-
minal-concepten hernimmt: Wann man
nemlich ſaͤtze beweiſen ſoll, die bloß die benen-
nung des dinges angehen, kan man aus dieſen
fontibus allerdings gruͤndliche beweiſe fuͤhren,
weiter aber erſtreckt ſich ihre kraft nicht. Doch
ſind ſie in gewiſſen faͤllen, die in vorhergehenden
§. §. beſtimmt worden, nicht ohne nutzen.
§. 32. Endlich ſind einige dinge zu beruͤhren,
welche gleich denen vorhergehenden ſchein-
gruͤnden, in denen ebenfalls beruͤhrten faͤllen,
gelegenheit zu beweiß-gruͤnden an die hand bie-
ten, oder doch bey denen rhetoribus nicht recht
ausgemacht ſind und mit denen rechten Logi-
caliſchen theils vermiſcht, theils ihnen unrecht
entgegen geſetzt werden, theils auch zu ſehr nach
der ſcholaſtiſchen ſtrohſchneiderey ſchmecken.
Solches ſind die argumenta, a materia, a for-
ma [...], a subiecto, ab adiuncto, a partibus, a
circumſtantiis, a repugnantibus, oppoſitis,
diſparatis, diſſimilibus, inſinuatione, medita-
tione, conſectariis, loco communi, argutiis,
paralleliſmo, tempore, \&c. Wann ſie aber
etwas gutes an ſich haben, ſo iſt ſolches im vor-
hergehenden ſchon angefuͤhret, wie fern es zum
beweiſen nuͤtzlich, oder wird ſich bey denen illu-
ſtrantibus und patheticis, die nothwendig
ſorgfaͤltig von den probantibus zu unterſchei-
den, vollends zeigen. Ubrigens kan man ihrer
ſicher entbehren.
§. 33. Uberhaupt muß man ſich der Orato-
riſchen ſchmincke mit der groͤſten klugheit bedie-
F 5nen,
[90]von den beweiß-gruͤnden,
nen, ſie nicht gaͤntzlich verwerffen, doch auch
nicht ohne unterſcheid, nicht zu haͤuffig, nicht an
den unrechten ort, oder ſonſt auf pedantiſche uñ
abgeſchmackte art anbringen. Dabey iſt es
noͤthig, ſie nach den geſchmack des zuhoͤrers oder
leſers auszuleſen, ſeinen vorurtheilen dabey
nachzugeben, ſeinen affect dabey zu intereſſi-
ren, und ſich zu huͤten daß man nicht ungegruͤn-
dete gedancken zugleich dabey rege mache, oder
den leuten die waffen wieder die wahrheit in die
haͤnde gebe. Man bekommt bey ihrer anfuͤh-
rung zugleich gelegenheit, an die auctores zu
gedencken, wo man ſie gefunden, ſie zu erklaͤren
zu billigen oder zu verbeſſeꝛn, und allerhand ein-
faͤlle mit anzubringen.
§. 34. Man kan ſich begnuͤgen laſſen, wann
man die wahrheit eines ſatzes recht ausgefuͤh-
ret, und kan ſicher glauben, daß man durch ſol-
che vorſtellung die gehofte wuͤrckung erhalten
koͤnne. Doch iſt zuweilen noͤthig die entgegen
geſetzten meinungenund gꝛuͤnde zu wiederlegen,
wann nemlich wuͤrcklich contraire ſaͤtze von ei-
nigen vertheidiget werden, wann dieſelben ei-
nen groſſen anhang haben, und dennoch in an-
ſehung des verſtandes und des willens groſſen
ſchaden thun, und wenn man glauben darf, es
werde ihre anfuͤhrung und gezeigte bloͤſſe, den
zuhoͤrer auf die rechte meinung fuͤhren, darinn
bekraͤftigen und alſo von einigen nutzen ſeyn.
Und dieſes heiſſet man argumenta a contra-
rio, von deren gebrauch in der erlaͤuterung ſiehe
folgendes capitel.
§. 35. Man wiederleget bey ſo beſtallten ſa-
chen, anderer leute der unſern entgegen geſetzte
meinung, entweder nach der wahrheit, aus de-
nen von uns feſtgeſtellten und ausgemachten
gruͤnden, es moͤgen nun dieſe gruͤnde von dem
gegner angenom̃en werden oder nicht:a) Oder
aus denen grund-ſaͤtzen welche wir zu beyden
theilen, annehmen und deren zuſam̃enhang mit
unſers
[93]und derſelben erfindung.
unſers gegners meinung wir dennoch laͤug-
nen:b) Oder aus des gegners eignen ſaͤtzen,
deren unrichtigkeit wir ebenfalls darthun koͤn-
nen:c) Oder aus denen augenſcheinlich fal-
ſchen, abgeſchmackten und paradoxen ſchluͤſſen,
welche daraus folgen. d) Bey unſtreitigen
ſaͤtzen, unterſuchen wir des gegentheils unrich-
tige verbindung des ſubiecti und praedicati,
ſtellen die unrichtige art zu ſchlieſſen, die uͤbel-
geordneten begriffe und definitiones, die natur
der idearum oppoſitarum fuͤr. Bey wahr-
ſcheinlichen, zeigen wir den ſchlechten zuſam̃en-
hang der ſenſionum unter ſich und mit der
hypotheſi, durch anfuͤhrung der wiederſpre-
chenden ſenſionum, und ſchwierigkeiten, und die
uͤbelausgeſuchte hypotheſin. Da dann die
wahrheit ſich in einer deutlichen leichten und
natuͤrlichen ordnung praeſentiret, wann ſich
hingegen die falſchheit mit dunckeln verworre-
nen erdichteten uͤberſteigenden begriffen und
ſaͤtzen von ſelbſten verraͤth.
§. 36. Bey der wiederlegung ſelbſt, bemuͤhe
man ſich ſo viel moͤglich, mit aller gelaſſenheit
mehr durch gruͤndliche ſchluͤſſe, als leere worte,
ſophiſtereyen, figuren, affecten, ingenioͤſe ein-
faͤlle und anderes laͤppiſches zeug, ſein wieder-
part zu uͤberzeugen. Man erwege, daß nicht alle
leute ihnen von ieder ſache einerley begriffe mit
unſern machen, und praͤtendire alſo nicht, auf
eine impertinente art, daß ieder die ſache ſo be-
greiffe, wie wir ſelbige begriffen haben, zumahl
wann auf beyden ſeiten vielleicht gleiche ſtaͤrcke
und ſchwaͤche oder dunckele begriffe waͤren.
Uberhaupt uͤberlege man erſtlich die oben §. 34.
beygebrachten umſtaͤnde, und gedencke, daß ein
weiſer mann viele wahrheiten wiſſe, die er
nicht einmahl fuͤrtrage, geſchweige andern auf-
zudringen ſuche.
§. 37. Jedoch was iſt es noͤthig, daß ich die-
ſes hier ſo ſor gfaͤltig erinnere, habe ich doch be-
reits in der vorbereitung §. 11. uͤberhaupt
einem redner und redenden aufrichtige und red-
liche abſichten angeprieſen. Jſt es doch bey
allen beweiß-gruͤnden inſonderheit noͤthig, daß
man nicht falſche ſaͤtze als wahre beweiſe, nicht
dem aberglauben, atheiſterey, dem aſotiſchen
und ſauertoͤpfiſchen weſen, den irrthuͤmern,
vorurtheilen, naſeweißheit und verderbten nei-
gungen damit an die hand gehe, nicht laſter und
boͤſe menſchen lobe, nicht tugend und rechtſchaf-
fene leute verachte, nicht boßhafter weiſe an-
derer leute gemuͤths-ruhe ſtoͤhre, nicht die
wahrheit zum deckel der boßheit und als einen
grif gebrauche andern tort zu thun und ſein
muͤthgen zu kuͤhlen und dergleichen. Allein es
kan dieſes nicht genug wiederholet werden, da
die galante welt die laſter in guͤldnen ſtuͤcken
einzuhuͤllen, und der tugend den bettelſtab in
die haͤnde zu geben ohnedem gewohnt iſt, hin-
gegen der menſchlichen geſellſchaft und der re-
publick mehr durch honnette redner als ge-
ſchickte redner gedienet wird. Alſo werde
auch davon im andern theil noch ausfuͤhrli-
cher handeln.
§. 38. Die rechte klugheit eines redners,
ſetzet billich den endzweck der beredſamkeit,
und die bey denen beweiß-gruͤnden noͤthige re-
geln der honnetete, des rechts der natur, und
der wahrheit nicht aus den augen, und bemuͤ-
het
[96]von den beweiß-gruͤnden, ꝛc.
het ſich nur die mittel dazu zu uͤberkommen
und wohl anzuwenden. Sie pruͤfet ſolche
nach ihren innerlichen und aͤuſſerlichen werth,
nach der beſchaffenheit des thematis das zu
beweiſen iſt, nach der faͤhigkeit und haupt-nei-
gung des zuhoͤrers, nach dem geſchmack des
ſaeculi, nach der gelegenheit der umſtaͤnde, und
ſuchet lieber ſolche aus, welche ietztbenannten
ſtuͤcken gemaͤß ſind, als ſolche dadurch ſie ihren
endzweck nicht erhaͤlt und ſich noch wohl dazu
feinde macht.
§. 39. Fuͤrnemlich huͤtet ſie ſich eine μετά-
βασιν ἔις ἄλλογένος zu begehen, die fontes pro-
bandi und die daraus genommene gruͤnde mit
einander zu vermiſchen, und quid pro quo an-
zufuͤhren, welches ein fehler iſt, den wenig
wiſſen, geſchweige zu vermeiden ſuchen. Jed-
wede wahrheit hat ihre eigene fontes, daraus
ſie entſpringt, und daraus ſie muß hergeleitet
und bewieſen werden, es muͤſte dann ſeyn, daß
eine reiffe uͤberlegung foderte hievon abzuge-
hen.
WAs erlaͤutern oder illuſtriren heiſſe? §. 1. Was
der endzweck und nutzen der erlaͤuterungen
ſey? §. 2. Wie vielerley dieſelben? §. 3. Von erklaͤ-
rungen der woͤrter, §. 4. Von erlaͤuterung der ſachen
durch worte, §. 5. Erlaͤuterung der ſache aus ih-
rem weſen, §. 6. Durch beſchreibungen und einthei-
lungen, §. 7. Durch grundſaͤtze. §. 8. Durch dar-
aus gezogene ſchluͤſſe, §. 9. Durch allerhand ein-
faͤlle, §. 10. Erlaͤuterung der ſache durch andere
dinge ſo auſſer dem weſen derſelben, §. 11. Durch ex-
empel, §. 12. Durch teſtimonia, §. 13. Durch gleich-
niſſe, §. 14. Durch dißimilia, §. 15. Was bey denen
exempeln zu beobachten, § 16. Bey denen teſtimo-
niis §. 17. Bey denen gleichniſſen, §. 18. Bey de-
nen dißimilibus, §. 19. Was hiebey der honnetete
gemaͤß, §. 20. Was hierbey die regeln der klugheit
erfodern, §. 21.
§. 1.
ERlaͤutern oder illuſtriren heiſt, die ſache
welche man fuͤr ſich hat, auf ihre prin-
cipia zuruͤck fuͤhren, nach allen ihren
theilen auseinander legen, zuſammen ſetzen
und beſchreiben, daß ſie denen zuhoͤrern recht be-
greiflich werde, und ſie auch wohl auf der ſeite
beleuchten, da wir wollen, daß ſie der zuhoͤrer
oder leſer anſehen ſolle, oder mit ſolchen farben
fuͤrbilden, welche mit unſern abſichten gemaͤß
dieſelbe bemercken.
§. 2. Alſo kan man bey erfindung dieſer
Gargu-
[98]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
argumentorum eine gedoppelte abſicht haben,
einmahl die ſache deutlich klar und begreiflich
zu machen, und hernach ſie nach den genom-
menen abſichten begreiflich zu machen, daß ſie
nemlich der zuhoͤrer oder leſer in der geſtalt
und auf der ſeite ihm recht deutlich fuͤrſtelle, wel-
che wir ihm fuͤrzeigen.a) Mehrentheils ſucht
man beydes zugleich zu bewerckſtelligen, zuwei-
len aber kommt es mehr auf die eine als ande-
re abſicht an.b)
§. 3. Dannenhero hat man auch zweyer-
ley arten von argumentis illuſtrantibus, da
die eine art die ſache bloß erlaͤutert, ſie auf ihre
principia zuruͤckfuͤhret, nach allen ihren thei-
len und umſtaͤnden zerleget, zuſammenſetzet,
und beſchreibet, die andere art hingegen zu-
gleich die ſache, nach unſern abſichten, erlaͤutert
und fuͤrbildet. Ferner iſt eine andere art der
er-
[99]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
erlaͤuterungen, welche aus dem weſen und na-
tur der ſache ſelbſt genommen, und eine andere,
welche auſſer der ſache von andern dingen her-
geholet wird, iene dienet mehr zu deutlichkeit
und iſt ein werck des iudicii, dieſe nutzet ſonder-
lich meinen abſichten und kommt fuͤrnemlich
auf eine fertigkeit des ingenii an, iene erlaͤu-
tert theils worte, theils ſachen, dieſe nur ſa-
chen.
§. 4. Wir legen unſere gedancken durch
worte an den tag, wenn alſo dieſe einer er-
klaͤrung benoͤthiget, ſo finde ich dazu gelegen-
heit durch die beſchreibung des worts, des da-
rinn liegenden tropi, der haupt und neben idee
deſſelben, des urſprungs, hiſtorie, vielerley be-
deutung, zweydeutigkeit, gebrauchs deſſelben,
durch anfuͤhrung gleichvielbedeutender woͤrter
und redens-arten, wovon ſich im folgenden an-
dern theil von dem ausdruck der gedancken,
mehrere nachricht zeigen wird.
§. 5. Wenn man aber die gedancken oder
ſache ſelbſt, deutlich und nach ſeinen abſichten
fuͤrmahlen ſoll, ſo ſuchet man zu ende ſolche
worte aus, welche nicht nur in ihrer hauptidee,
ſondern auch in ihrer neben-idee, ia in ihrem
fall und klange, in ihren buchſtaben, die ſache
nach ihren eigenſchaften in dem gemuͤth des
zuhoͤrers oder leſers bilden, man erwehlet ſol-
che beywoͤrter, welche das haupt-wort, entwe-
der mit deutlich machen, oder deſſen inbegrif
determiniren, man wiederholet ein wort etliche
mahl, man fuͤhret ausdruckungen an, die zwar
eben das bedeuten aber etwas von der iedee ſo
wir bereits davon gemacht, abnehmen, oder
hinzuſetzen, oder dieſelbe corrigiren, oder auf
etwas bekanntes kurtz fuͤhren, oder ich ſpreche
G 3die
[102]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
die ſache artig aus, daß der zuhoͤrer oder leſer
ſich genoͤthiget ſiehet, dabey ſtehen zu bleiben
und ſelbige recht einzunehmen, von welchen
allen in folgenden andern theil ausfuͤhrlich zu
handeln.
§. 6. Dieſes was ich von erlaͤuterungen
bißher angefuͤhret, gehoͤrt bloß zur erklaͤrung
bloſſer worte oder zur erlaͤuterung der worte,
damit man eine ſache bemercket, und alſo alles
zum ausdruck der gedancken, welche ich im fol-
genden theile abgehandelt. Damit ich aber
zum haupt-werck nemlich zur erlaͤuterung der
ſache ſchreite, ſo findet ſich in ihrem weſen
ſelbſt die vollkommenſte gelegenheit zu denen
erlaͤuterungs-gruͤnden. Welches niemand
unbekannt ſeyn kan, der aus der Philoſophie
gelernet, was methodus analytica und ſynthe-
G 4tica
[104]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
tica ſey, denn nach ienem, fuͤhre ich die ſache
auf ihre principia zuruͤck, auf die ſinne, zur rech-
ten deulichkeit, nach dieſem aber, fuͤhre ich die
ſchluͤſſe aus ihren principiis her, und fange al-
ſo von denen principiis an, biß ich alles was
daraus flieſſet, dargethan, durch welche beyde
wege, man denn gewiß von einer ſache deut-
liche begriffe bekommen wird. Und weil eine
ſache entweder wahrſcheinlich, oder unſtreitig,
oder bloß moͤglich, oder gar falſch iſt, ferner ent-
weder ſinnlich, oder abſtract, hiſtorie, oder rai-
ſonnement iſt, und enldich nach beſchaffenheit
der diſciplinen, dahin ſie gehoͤret, vielerley ſeyn
kan, ſo iſt es noͤthig, hiebey was im vorigen
capitel ausgefuͤhret, ihm bekannt zu machen
und im uͤbrigen Logick und diſciplinen zu rathe
zu ziehen.
§. 7. Die wichtigſte art der erlaͤulerung,
iſt hier die beſchreibung und die verſchiedenen
eintheilungen und einſchraͤnckungen eines din-
ges.
[105]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
ges. Bey denen unſtreitigen ſachen, bringe
ich eine deulichkeit herfuͤr, durch definitiones,
deſcriptiones, diuiſiones, diſtributiones, limi-
tationes und exceptiones. Bey wahrſchein-
lichen dingen, erzehle ich nur alle ſenſiones und
obſeruationes, die bey einer ſache gemacht wor-
den, und lege die hypotheſes mit deutlichen ſaͤ-
tzen fuͤr augen, bediene mich dabey deutlicher
worte und der guten natuͤrlichen ordnung, ſo
wird alles deutlich werden. Miſche ich nach
meinen abſichten, allerhand ſtriche und aus-
druckungen meines affects mit unter, erhoͤhe
und erleuchte die ſtuͤcke, welche den leſer oder zu-
hoͤrer am meiſten ruͤhren ſollen, und verſchwei-
ge hingegen, verdunckele, oder ſtreiche dasienige
gleichſam anders an, was meinen abſichten
zuwieder lauffende ſentiments bey ihm erre-
gen koͤnte, ſo kan ich auch dieſe ſtuͤcke brau-
chen, die ſache nach meinem endzweck fuͤrzu-
bilden.
§. 8. Jch kan eine ſache erlaͤutern, wann
ich die abſtracten und generalen begriffe, die
man von einer ſache machen kan, zuſammen
nehme, und als grund-ſaͤtze anſehe, daraus
mein ſatz oder obiectum flieſſet, und dieſes heiſ-
ſet man illuſtrationem a loco communi.
§. 9. Jngleichen iſt dieſes eine art der erlaͤu-
terung, wann ich aus einem ſatze ſchluͤſſe ziehe.
und alſo dadurch deutlich die wuͤrckungen und
application einer ſache fuͤrſtelle, wodurch ich
zugleich dieſelbe nach meinen abſichten beleuch-
ten kan, und dieſes bemercket man mit der illu-
ſtratione a conſectario.
§. 10. Endlich kan man auch eine ſache deut-
lich machen, oder ihr nach ſeinen abſichten ver-
ſchiedene geſtalten geben, wann man allerhand
moͤglichkeiten dabey erdencket, betreffend die
umſtaͤnde, urſachen, wuͤrckungen, guͤte und an-
dere einfaͤlle, welche man bey einer ſache ha-
ben kan, und dieſes haben die rhetores bißher
mit einem gar zu generalen worte illuſtratio-
nem a meditatione genennet.
§. 11. Auſſer dem weſen der ſache, finden
ſich viel dinge, deren gleichheit oder ungleichheit
mit meinem obiecto kan gezeiget werden, ſel-
biges dem zuhoͤrer deutlich, oder nach meinen
abſichten, fuͤrzuſtellen. Zeige ich die gleichheit,
ſo finde ich ſelbige entweder in meinungen, oder
exempeln, oder gleichniſſen, rede ich aber von
der ungleichheit meines obiecti mit andern ſa-
chen, ſo iſt die ungleichheit entweder ab oppoſito,
oder a diſpari herzunehmen. Es iſt hievon in
dem vorigen cap. bereits etwas angefuͤhret.
§. 12. Exempel ſind ſpecies oder indiuidua,
das iſt, mehr ſinnliche als abſtracte begriffe,
welche ich mit denen abſtractis, darunter ſie
ſtehen, gegen einander halte, damit aus dieſer
zuſammenhaltung, die ſache den ſinnen naͤher
kom-
[110]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
komme, und nach meinen abſichten, deſto leich-
ter und deutlicher begriffen werde. Sie wer-
den aus der hiſtorie und erfahrung hergenom-
men, und wohl erſtlich an und fuͤr ſich nach ih-
ren umſtaͤnden erlaͤutert und bewieſen, hernach
aber auf das fuͤrhabende obiectum appliciret,
oder auch nur kurtz in wenig worten, ohne ap-
plication fuͤrgetragen.
§. 13. Jch kan meine meinung durch al-
lerhand teſtimonia erlaͤutern, wann ich die
gleichheit eines ſatzes mit andrer leute mei-
nung, ausſpruͤchen, ſpruͤchwoͤrtern und derglei-
chen darthue, und dabey dieienigen umſtaͤnde
bemercke, worinn ſie miteinander genau uͤber-
einkommen, oder von einander unterſchieden.
S. hiebey das vorige capit. §. 26.
§. 14. Ein ſimile iſt, wann ich eine idee
oder ſatz mit dem andern vergleiche, und ohn-
geachtet beyde ein ander nichts angehen, den-
noch ein oder mehr eigenſchaften und ideen be-
mercke, darinn ſie einander gleich kommen,
ſolche idee oder eigenſchaft nennet man ſo dann
das tertium comparationis. Man kan die
gleichheit eines dinges mit dem andern durch
ein wort oder bild bemercken, durch etliche ei-
genſchaften durchfuͤhren, die gleichheit ſo wohl
als ungleichheit inſonderheit andeuten, und
beyder verhaͤltniß gegen einander abmeſſen,
auch wohl iedwede abſonderlich ausfuͤhren.
§. 15. Die ungleichheit eines dinges kan ich
zeigen, mit denen ihm entgegen geſetzten ideen
und ſaͤtzen, welche entweder bloß diſparata
ſind, oder contraria und contradictoria. Bey
ienen iſt nicht viel zu erinnern, indem alle ſimi-
lia auch diſſimilia ſeyn und von ſolchen in vori-
gen §. geſagt worden, dieſe aber heiſſen eigent-
lich oppoſita und in ſaͤtzen obiectiones, und
dienen dazu, daß man durch die regeln einer
guten eintheilung und oppoſition finde, was
dem vorhabenden obiecto koͤnne entgegen ge-
ſetzet
[113]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
ſetzet werden, ſelbiges damit zuſammen halte
uñ den mercklichen unterſchied zeige, damit man
aller confuſion und unrichtigen concepten, bey
dem leſer oder zuhoͤrer fuͤrkom̃en, und in fuͤrbil-
dung des obiecti ſeine einbildung praͤoccupiren
moͤge.
§. 16. Bey denen exempeln iſt noch dieſes
zuerinnern, daß ich mich ſonderlich nach ihnen
umthun muͤſſe, wann die ſache ſo abſtract, pa-
radox, unglaublich, und trocken zu ſeyn ſchei-
net, das man ſelbige ſchwerlich begreiffet, und
wann es noͤthig ihr eine ſolche tour zu geben, die
meinen abſichten gemaͤß bey dem zuhoͤrer oder
leſer einen eindruck machen kan. Und nach
dieſen beyden abſichten, welche man bey exem-
peln haben kan, muß man ſich auch in der
wahl und anfuͤhrung der exempel richten.
§. 17. Teſtimonia, apophthegmata, pro-
uerbia, und dergleichen fuͤhre ich an, wann et-
wa andere, meine ſaͤtze durch recht nachdruͤckli-
che und deutliche worte exprimiret haͤtten. Und
wann ich ſie nach der beſchaffenheit des zuhoͤ-
rers oder leſers und der ſache ſelbſt artig aus-
ſuche, ſo kan ich auch vermittelſt derſelben einen
ſolchen concept den leuten von der ſache ma-
chen, als ich intendire.
§. 18. Gleichniſſe muß ich beybringen, wann
die ſache dunckel iſt und leicht mit andern augen
kan angeſehen werden, als ich wuͤnſche, daß
man ſie betrachten ſolle. Alſo muͤſſen ſie an
ſich ſelbſt deutlich ſeyn und nicht mit meinen ab-
ſichten ſtreiten. Sie tragen auch vieles zum
putz meines obiecti bey, und daß der zuhoͤrer
oder leſer ſeine aufmerckſamkeit ſonderlich auf
den umſtand wende, welchen ich mit einem
gleichniſſe diſtinguire. Hiebey iſt zu mercken,
daß
[115]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
daß nicht die beyden comparata als zwey
ſubſtantiua leicht zuſammen geſetzt werden,
und daß auch in dem gleichniſſe ſelbſt, auf der
ſeite des termini improprii nichts wiederſpre-
chendes ſey, endlich daß es nicht uͤber das ter-
tium extendiret werde.
§. 19. Diſſimilia, oppoſita, repugnantia
und dergleichen, fuͤhre ich an, wo zu beſorgen
iſt, es moͤchte der zuhoͤrer oder leſer, etliche din-
ge miteinander vermiſchen, oder ſich von ie-
nem einbilden, was ich gerne wolte, daß er von
dem andern dencken ſolte. Hier kan ich zu-
gleich dieienigen erlaͤuterungen bey dem oppo-
ſito ſelbſt anwenden, welche aus dem weſen
deſſelben flieſſen und darzu oben §. 5. 6. 7. 8.
9. 10. anweiſung gegeben worden. Doch
muß ich mich huͤten, daß mich die leute nicht bey
der illuſtration ab oppoſito fuͤr einen paß-
quillanten anſehen.
§. 20. Die argumenta illuſtrantia haben
groſſe gewalt und oͤfters groͤſſere als die pro-
bantia ſelbſt, nachdem der zuhoͤrer nemlich
mehr duꝛch die phantaſie, als gruͤndliche ſchluͤſſe
zu convinciren. Dañenhero hat man ſorgfaͤltig
dahin zu ſehen, daß man nicht der wahrheit
zum nachtheil ſelbige anbringe, oder der tugend
und honnetete damit ſchade, hingegen den la-
ſtern und unwahrheiten den weg bahne.
§. 21. Die klugheit erfodert hiebey, daß
ich zufoͤrderſt ſehe, ob die ſache auch wolle illu-
ſtriret ſeyn oder nicht, hernach daß ich mich
nach einem guten vorrath a) von dieſer art ar-
gumentis umſehe und aus demſelben nach be-
ſchaffenheit derſelben, nach den begriffen und
neigungen meines zuhoͤrers oder leſers illu-
ſtꝛantia ausſuche, und ob ſie ſich zu meiner diſpo-
ſition ſchicken, erwege. Alſo muͤſſen ſie nicht gar
zu unbekannt, weithergeholet, gezwungen,
verhaſt, obſcoͤn, dunckel, zweydeutig, laͤppiſch
gar zu bekannt, und ſonſt meinen abſichten zu-
wieder ſeyn, nicht ungegruͤndete, aͤrgerliche,
uͤbele, gedancken zugleich mit rege machen,
nicht zu weitlaͤuftig, in gar zu groſſer menge,
und gar zu ſehr gekuͤnſtelt, oder am unrechten
ort, z. e. praͤchtige bey ſchlechten dingen, oder
umgekehrt, angebracht werden,b) hingegen
unter ſich ſelbſt, mit der ſache, und allen ihren
umſtaͤnden in guter harmonie ſtehen, welches
alles denn, wegen vieler dabey fuͤrfallenden
umſtaͤnde, nicht eigentlich kan determiniret
wer-
[119]von den erlaͤuterungs-gruͤnden.
werden, ſondern einer geſchickten anfuͤhrung
fleißigen uͤbung, und eignem nachſinnen zu
uͤberlaſſen.
WAs argumenta pathetica ſeyn? §. 1. Wie ſel-
bige eingetheilet werden? §. 2. Was conci-
liantia ſeyn? §. 3. Wie vielerley dieſelben? §. 4.
Wodurch ſich der redner beliebt mache? §. 5. Wo-
durch er ſich in auctoritaͤt ſetze? §. 6. Wodurch er
die attention des zuhoͤrers erhalte? §. 7. Was die
regeln der klugheit bey anbringung dieſer argumento-
rum erfodern? §. 8. Was eigentlich commoventia
ſeyn? §. 9. Wie vielerley dieſelben? §. 10. Wie
denen geldgeitzigen beyzukommen? §. 11. Denen
ehrgeitzigen? §. 12. Denen wolluͤſtigen? §. 13.
Denen gemiſchten temperamenten? §. 14. Wie die
affecten rege zu machen? §. 15. Wie ſie fuͤrzuſtel-
len? §. 16. Wie ſie zu unterdruͤcken? §. 17. Wie
die pathetica probantia und illuſtrantia mit einander
zu verbinden? §. 18. Was hierbey den regeln der
honetete, §. 19. und den regeln der klugheit gemaͤß?
§. 20. Vollkommene Topic oder fuͤrſtellung aller
argumentorum §. 21.
§. 1.
OBige arten von argumentis, gehen
nicht directe auf den willen, ſondern
vielmehr auf die einrichtung des ver-
ſtandes und deſſen uͤberzeugung. Dieienigen
aber, womit man bemuͤhet iſt, ſich der neigun-
gen
[121]von bewegungs-gruͤnden.
gen des zuhoͤrers oder leſers, bey ſolchen ſachen,
die in die uͤbung muͤſſen gebracht werden, zu be-
meiſtern, heiſſet man ins beſondere argumen-
ta commoventia, oder beſſer: pathetica, be-
wegungs-gruͤnde.
§. 2. Hier zeiget ſich alſo die rechte kunſt
zu uͤberreden,a) und dieſe fuͤhret mich auf die-
ienigen gruͤnde, wodurch theils die perſon des
redners dem zuhoͤrer angenehm gemachet,
theils die ſache demſelben nach ſeinen haupt-
neigungen, appetitlich fuͤrgelegt wird, theils
aber auch allerhand regungen des willens, zum
vortheil des redners, aufgebracht und einge-
richtet werden.
§. 3. Die gruͤnde, wodurch der redner ſei-
ne perſon dem zuhoͤrer angenehm macht, heiſſen
H 5ar-
[122]von bewegungs-gruͤnden.
argumenta conciliantia. Sie ſind von nicht
geringer wichtigkeit, doch darf man nicht den-
cken, daß ſie einem lebens-regeln fuͤrſchreiben,
wodurch man die gewogenheit der leute in ſei-
ner auffuͤhrung an ſich ziehe ſolle, ſondern ſie ge-
ben nur mittel an die hand, wie man im reden
den leuten gefallen koͤnne, worauf bey der
kunſt zu uͤberreden alles ankommt.
§. 4. Wer alſo im reden gefallen will, muß
auf die beſchaffenheit derer, die ihn hoͤren, ſon-
derlich ſein abſehen richten, da fehlt es denen
zuhoͤrern bald an liebe und vertrauen, wenn ſie
zumahl geldgeitzig ſind, bald an hochachtung
gegen ihm, wann ſie ehrgeitzig, bald aber an
aufmerckſamkeit, wañ ſie wolluͤſtig und flatter-
haftig, und alſo muß er ſich um ihre gewogen-
heit, hochachtung und aufmerckſamkeit,
moͤglichſten fleiſſes bewerben.
§. 5. Die gewogenheit des zuhoͤrers ge-
winnet man, wenn man auf eine ungezwun-
gene und anſtaͤndige art, dem zuhoͤrer ſagt,
was er gerne hoͤret; ihn ohne verdaͤchtige
complimente lobet; ſich ohne niedertraͤchtig-
keit ihm weit nachſetzet: ſich allezeit ſo fuͤr-
ſtellet, daß ſich der zuhoͤrer einen begrif von uns
mache, wie man eine aufrichtige liebe zu ihm
habe; ſehr honnet ſey; ſich der wohlfarth des
gemei-
[123]von bewegungs-gruͤnden.
gemeinen weſens, dem nutzen des zuhoͤrers,
dem intereſſe unſchuldiger mitleidens-wuͤrdi-
ger perſonen, ohne eigennutz aufopfere; die
falſchheit haſſe; die aufrichtigkeit hochhalte,
und ſich derſelben befleißige; wenn man alle
ruhmraͤthige, ſatyriſche einfaͤlle und invectiven
in den zuhoͤrer meidet; ſich nicht leicht uͤber et-
was moquiret, oder wann man etwas tadelt,
es in ſehr frembden exempeln thut, oder in
prima perſona plurali redet; wenn man die
wiedrigen gedancken des auditoris unver-
merckt beſtreitet; niemahls der orthodoxie
und recepten doctrin zu nahe tritt; dem audi-
tori nicht offentlich wiederſpricht; die ſache
feinem eignen urtheil uͤberlaͤſt; ſolche illuſtran-
tia anfuͤhret und lobet, die dem auditori ge-
fallen; ſich ſo viel moͤglich mit demſelben ſym-
pathiſiret; alles nach deſſen geſchmack und
begrif einrichtet ꝛc.
§. 6. Sich in auctoritaͤt zu ſetzen, muß der
redner gruͤndliche, iudicioͤſe, ſcharfſinnige, nuͤtz-
liche dinge fuͤrbringen; zeigen daß Gott und
goͤttliche dinge daran theil nehmen; der groͤſten
leute meinung mit ſeiner uͤberein komme; daß
man ſich dennoch nicht durch aberglauben und
vorurtheile hinreiſſen laſſe; ſondern die warheit
und tugend liebe, und auch zu ſeinem ſchaden
verthaͤidige; da muß man alle gemeine, mit
abiecten laͤcherlichen ideen, verbundene reden
weglaſſen; keine laͤppiſche exempel, gleichniſſe,
ſpielen in worten, eitle zierrathen einbringen;
zuweilen von den gemeinen methoden abge-
hen; an ſtatt der wege und affecten, die der
auditor zu hoͤren meinet, andere erwehlen;
von ſich und ſeinen meriten wenig, mit groſſer
modeſtie, ohne oſtentation und affectation
reden, und allezeit zu verſtehen geben, daß man
bey dem zuhoͤrer mehr vermuthe; nicht mer-
cken laſſen, daß man auctoritaͤt ſuche; doch
aber zu keiner familiaritaͤt anlaß geben; ꝛc.
§. 7. Aufmerckſamkeit erreget man bey
dem zuhoͤrer, durch einen ordentlichen, deutli-
chen, kurtzen, leichten, angenehmen fuͤrtrag;
wann man erinnert, daß man wichtige ſachen
zu proponiren habe, die des zuhoͤrers wohlfarth
und intereſſe betreffen: daß man rechte ge-
heimniſſe, kunſtgriffe, res momentoſas, die
man ſonſt nicht ſo gemein mache, fuͤrbringen
wolle; wenn man ſeine ſachen in bildern
gleichniſſen, exempeln, argutien, ungewoͤhn-
lichen figuren, wuͤnſchen, bitten einſchlieſt;
wann man gleichſam die gedancken des zuhoͤ-
rers aufſuchet, ſelbige zu errathen meinet,
zweiffelhaftig machet; die rede auf gantz ſpe-
cielle umſtaͤnde fuͤhret, die der zuhoͤrer nicht
leicht vermuthet; alſo nicht zu ſubtile, weither-
geholte weitlaͤuftige, dunckele, verworrene, mit
limitationibus, propoſitionibus incidentibus,
digreßionibus diſtrahirte ſachen, fuͤrtraͤgt; noch
einen ſchlaͤffrigen ſtilum und fuͤrtrag gebrau-
chet ꝛc.
§. 8. Die regeln der klugheit erfodern, daß
man angefuͤhrte argumenta mit unterſchied
und nicht an dem unrechten ort anbringe.
Denen geldgeitzigen fehlt es uͤberhaupt an der
menſchenliebe, alſo muß man ſich wohl etwas
muͤhe geben ihre gewogenheit zu gewinnen,
und eben dieſe muß man zu erhalten ſuchen,
bey leuten, welche etwa wieder unſern fuͤrtrag,
durch allerhand vorurtheile moͤchten einge-
nommen ſeyn, oder wo unſre perſon und ſache
vielleicht etwas an ſich haͤtte, daß der phan-
taſie und dem affect des zuhoͤrers unangenehm
fuͤrkommen koͤnte. Ehrgeitzige, hohe, einge-
bildete gemuͤther, entziehen leicht allen ihre
hochachtung, weil ſie zu viel fuͤr ſich ſelbſt ha-
ben muͤſſen, alſo muß man bey dieſen ſchon
mehr fleiß anwenden, bey ihnen eſtimiret zu
werden, wenn ſie zumahl ſich nichts ſonderli-
ches verſpraͤchen von dem redner, da er ihnen
unbekannt, unerfahren, furchtſam, iung und
uͤbel beruͤchtiget fuͤrkaͤme, oder wann dieſache,
dem erſten anſehen nach, von geringer wichtig-
keit ſchiene. Wolluͤſtige leute ſind wie Soſia
beym Terentio: amis de tout le monde, und
gehen auch mit ihrem eſtim ſehr verſchwende-
riſch um, aber flatterhaftig ſind ſie, alſo daͤch-
te ich, man haͤtte wohl urſach, ihren mercurium
zu figiren, und ſie attent zu machen. Eben
dieſes iſt auch noͤthig, wann der zuhoͤrer die ſa-
che
[128]von bewegungs-gruͤnden.
che fuͤr bekannt, obſcur, unnuͤtze, ihm contrair,
anſiehet, oder wann ſie an ſich etwas trocken
und ernſthaft iſt. Doch muß man bey allen,
ſich nicht mercken laſſen, wie man eben ihre ge-
wogenheit oder hochachtung oder aufmerck-
ſamkeit, durch ſolche griffe zu gewinnen ſuche.
§. 9. Mit dieſen argumentis haben die ei-
gentlich ſo genannten com̃oventia, eine genaue
verwandſchaft, vermittelſt welcher man den
zuhoͤrer zu uͤberreden bemuͤhet iſt, daß die ſache
nicht nur an ſich ſelbſt gut und ſo beſchaffen ſey,
wie ſie der zuhoͤrer wuͤnſchet, ſondern daß ſie
auch ins beſondere, dem zuhoͤrer zutraͤglich ſey.
Dabey man alſo die aͤuſſerſte kraft zugebrau-
chen,
[129]von bewegungs-gruͤnden.
chen, ſich der neigungen des zuhoͤrers zu be-
maͤchtigen, und ſeinen willen zu annehmung
und ausuͤbung der fuͤrgetragenen wahrheit,
ohne ſchwierigkeit zu diſponiren.
§. 10. Der menſch hat drey bona abſoluta
und dabey ſonderlich drey bona reſpectiua, da
denn dieſe zwar aus ienen entſtanden, aber
doch verſtand und willen mehr occupiren als
iene, und alſo drey hauptneigungen zeugen
nemlich geldgeitz, ehrgeitz, wolluſt.a) Will
der redner nun auch ſeine ſache dem auditori
angenehm machen, und ihn zur ausuͤbung der
fuͤrgetragenen wahrheit uͤberreden, ſo muß er
hauptſaͤchlich ſuchen zu zeigen, daß ſein fuͤr-
trag, zu erhaltung derer neben- und ſchein-guͤ-
ter diene. Dannenhero ſich hier dreyerley
gruͤnde dem redner darbieten, welche mit et-
was ſchwanckenden concepten, die argumen-
ta ab utili, honeſto, und iucundo, genennet
werden.b)
§. 11. Denen geldgeitzigen ſagt man: es ſey
eine rechte profitable ſache; man koͤnne ſich da-
bey etwas machen; ſie ſey gewiß zu erhalten;
ohne die geringſten koſten; von treflicher dauer;
mit Gottes ſeegen verknuͤpft; fodere nichts als
arbeit; man koͤñe dabey ſeinen neidern und fein-
den trotz bieten; ſich uͤber den wind der ehrgei-
tzigen und wolluͤſtigen moquiren; es waͤren viel
gute anzeigungeu dabey, daß es gluͤcklich, gehen
werde; es ziehe viele vortheile nach ſich; man
werde alt, ſtarck, begluͤckt, vermoͤgend dabey,
ohne anderer leute danck, indem man ſich auf
die weiſe zugleich formidable mache; ꝛc.
§. 12. Den ehrgeitzigen ſchwatzt man vom
honeſto fuͤr; daß ſie auf ſolche art, falls ſie
unſern fuͤrſtellungen gehoͤr geben, andern ei-
nen concept ihrer gottesfurcht, honnettete,
klugheit, und daher beſondere veneration fuͤr
ſie, inſpiriren wuͤrden; daß es allezeit ein zei-
chen von etwas groſſem ſey, ſo ſie verewige; bey
allen in guten andencken ſetze; nur etwas geld
koſte und ſolches doch reichlich wieder einbrin-
ge; vieler anderer bemuͤhung uͤbertreffe; ſie
formidable und angeſehen mache; bloß ihren
verdienſten, hertzhaftigkeit, geſchicklichkeit, con-
duite, wiſſenſchaft ꝛc. zugeſchrieben werde; ꝛc.
§. 13. Denen wolluͤſtigen redet man von
lauter delicaten, charmanten, angenehmen,
ſuͤſſen ſachen fuͤr; wie unſer obiectum leib und
gemuͤth ergoͤtze; alle ſinnen vergnuͤge; uns
beliebt, galant, geſund, immer friſch, ſtarck,
ſchoͤn, biß zu einem hohen alter, ohne muͤhe ar-
beit und ſorgen, in ruhe und frieden erhalte;
uns viel freunde mache; uns in den ſtand ſetze
unſern endzweck zu erhalten auf allerhand wei-
ſe, ohne die geringſte ſchwierigkeit; uns zu di-
vertiren; andern armen leuten zu dienen;
danckbar zu ſeyn; in allerhand angenehme
converſation zu kommen; ꝛc.
§. 14. Zuweilen habe ich mit einem men-
ſchen zu thun, der ſelbſt nicht weiß, was er will,
oder der ein gemiſchtes temperament hat. Zu-
weilen aber ſoll ich an eine gantze verſamm-
lung reden, da faſt ein ieder anders geſinnet,
als der andre. Jn dem erſten fall muß ich die
miſchung des temperaments, vor allen dingen,
durch die moraliſche wahrſcheinlichkeit heraus-
gebracht haben, und denn nach beſchaffenheit
derſelben, aus obigen fontibus argumenta her-
aus ſuchen.a) Jn dem andern fall, ſehe ich,
was fuͤr ein affect unter den auditoribus her-
ſche, und welchen die meiſten zugethan, da ich
mich dann leichte auch im reden, nach ſolchen
richten kan.b)
§. 15. Aus den benannten haupt-affecten
entſpringen allerhand neben-affecten und re-
gungen des willens, deren natur und beſchaf-
fenheit aus der Moral und erfahrung man ſich
bekannt zu machen. Jm reden iſt es noͤthig
ſelbige entweder rege zu machen oder fuͤrzuſt el-
len oder zu unterdrucken. Jeden affect re ge
zu machen, muß man uͤberlegen, ſeine Morali-
ſche und Phyſicaliſche beſchaffenheit, wie er
ſich zu unſerer ſache und uͤbrigen umſtaͤnden
ſchicke, ins beſondere, wie ſich der zuhoͤrer dazu
diſponiret befinde; nachgehends ſucht man
nicht eben allemahl grade auf den affect durch-
zudringen, und ihn zu erregen, ſondern man
macht ſich etwan zufoͤrderſt an die mit ihm ver-
bundene neben-affecten; man ſucht den zuhoͤ-
rer immer bey der ſache zu erhalten, ſeiner auf-
J 3merck-
[134]von bewegungs-gruͤnden
merckſamkeit ſich zu verſichern; den verſtand,
von deſſen fuͤrſtellung die regungen des willens
zum oͤftern, wo nicht allemahl dependiren, mit
bildern nach unſern abſichten zu occupiren; in
den willen den affect ſelbſt lebhaft anzuneh-
men; hernach durch den ausdruck aller ſeiner
eigenſchaften lebhaft und nachdruͤcklich fuͤr-
zuſtellen; man miſcht allerhand contraire af-
fecten, daß ſie untereinander geſchwaͤcht und
wir meiſter werden; dabey laͤſt man den ange-
nommenen affect ſelbſt reden, der ſich durch al-
lerhand ausdruckungen ohne zwang in der re-
de von ſelbſten zeiget, welche manieren man
hernachmahls figuren nennet.
§. 16. Weil hierbey das meiſte darauf an-
kommt, daß man den affect lebhaft fuͤrſtelle,
und alſo durch die einbildung in das gemuͤth
des zuhoͤrers wuͤrcke, ſo muß man wohl uͤber-
legen, worinn der grund des affects beſtehe,
was er fuͤr regungen und kennzeichen habe und
in was fuͤr ordnung dieſe kennzeichen zum vor-
ſchein kommen. Wenn man nun den affect
in ſeiner ſeele angenommen, und den ſtrichen,
die der affect fuͤrgezeichnet, auch in ſeinem aus-
druck folget, ſich dabey der obenangefuͤhrten il-
luſtrationen, aus dem weſen der ſache bedienet,
und den affect nach ſeinen manieren reden laͤſt,
alles
[135]von bewegungs-gruͤnden.
alles aber, was ſich zu dem affect nicht ſchickt,
verſchweiget, oder ihm eine andere farbe giebt,
ſo kan es nicht anders ſeyn, man muß den af-
fect nette und lebhaft fuͤrſtellen koͤnnen.
§. 17. Den affect bey einem zuhoͤrer zu un-
terdruͤcken, kommt es darauf an, daß man das
obiectum, darauf er gerichtet und gegruͤndet,
unvermerckt mit andern gruͤnden, in dem ge-
muͤthe des zuhoͤrers fuͤrſtelle, anfaͤnglich ihn
nur etwan zweiffelhaft und argwoͤhniſch
mache, hernach ſeine aufmerckſamkeit immer
mehr auf die ſchlimme ſeite des affects fuͤhre
und hingegen bey der betrachtung der guten
J 4ſei-
[136]von bewegungs-gruͤnden.
ſeite diſtrahire, zuweilen dem affect nachgebe,
unter der hand zeige, wie er den fuͤrnehmſten
abſichten des zuhoͤrers zuwieder, auf ſchlechten
gruͤnden ruhe, ꝛc. Dabey man, was vorhin
angefuͤhret, mit zu huͤlffe nehmen muß.
§. 18. Alle menſchen laſſen ſich vermittelſt
ihrer affecten fuͤhren, wo man ſie hin haben
will, ſie muͤſten dann zu einem groſſen grad der
weißheit geſtiegen ſeyn, niemand aber will das
anſehen haben, als wann er es ohne raiſon
thue. Alſo da zumahl iedermann ſich einbil-
det recht zu raiſonniren, muß man niemahls
den affect attaquiren, ohne zugleich, inſon-
derheit wo einige theorie noͤthig iſt, den ver-
ſtand zugleich nach unſern abſichten zu diſpo-
niren. Dieſemnach muͤſſen die argumenta
probantia allezeit den grund legen, die illu
ſtrantia ſonderlich die imagination und das
gedaͤchtniß occupiren, und nachgehends die pa-
thetica denen probantibus und illuſtrantibus
den nachdruck geben.a)
§. 19. Weil man aber hierdurch, ſonderlich
durch die pathetica, die kraͤfte des menſchen in
bewegung ſetzet, ſo erfodert die gerechtigkeit,
daß man niemals malhonnette abſichten habe,
und wieder die wahrheit und tugend ſtreite, oder
den auditorẽ ohne noth beunruhige. Man muß
auch nicht zu weit gehen, ſondern ſich allezeit in
denen ſchrancken halten, da man fuͤr uͤbeln fol-
gerungen ſicher iſt, und alſo kan man die rege-
machung und unterdruckung der affecten, als
etwas indifferentes anſehen, welches, wofern
wir honnette abſichten haben, allezeit unſerer
freyen diſpoſition uͤberlaſſen wird.
§. 20. Die regeln der klugheit erfodern,
daß man ſolche mittel, ſich der menſchen gemuͤ-
ther zu bemaͤchtigen, ergreiffe, welche nicht ei-
ne contraire wuͤrckung herfuͤrbringen, ſich im
uͤbrigen aber zu den umſtaͤnden des auditoris,
der ſache, und des redners ſchicken, auch in ih-
rem aͤuſſerlichen ſchein, die approbation der
honnetten welt erhalten koͤnnen.
§. 21. Hier wird man alſo verhoffentlich
einen ſattſamen vorrath von argumentis zu-
ſammen bringen, und wofern man nur ein we-
nig iudicium practicum beſitzet, ohne vermi-
ſchung und uͤbelſtand ſolchen vorrath anwen-
den und nutzen koͤnnen. Da ich oben im 3.
cap. §. 6. einer rechten topic erwehnung ge-
than, ſo will ich hier zu einer vollkommenen to-
pic, einen kurtzen entwurff geben, welcher zu-
gleich eine wiederhohlung der abgehandelten
materie ſeyn kan.
Und da alle argumenta, entweder probantia oder
illuſtrantia oder pathetica ſeyn, ſo ſind ins be-
ſondere wiederum nach dem dritten capitel:
Illuſtrantia ſind nach dem vierdten capitel entweder
nominalia nuda oder (§. 4.)
realia und dieſe ſind
Pathetica ſind nach dem fuͤnften capitel:
Was ſich ausdrucken heiſſe? §. 1. Wie vielerley
dieſes? §. 2. Vou der vulgairen expreßion,
§. 3. Von der gelehrten elocution, §. 4. Von der
formirung der rede, §. 5. Von den ſprachen, §. 6.
Von den buchſtahen, §. 7. Von denen woͤrtern, § 8.
Von denen ſaͤtzen, §. 9. Von denen periodis, §. 10.
Von denen urſachen welche den ausdruck veraͤndern,
§. 11. Von den allgemeinen ſprachrichter dem ge-
brauch, §. 12. Von dem gemeinen gebrauch, §. 13.
Von dem gelehrten gbrauch, §. 14. Von dem galan-
ten gebrauch, §. 15. Von der verhaͤltniß der gedan-
cken zu dem ausdruck, §. 16. Von dem ausdruck
durch die tropos, §. 17. Von dem ausdruck der affe-
cten durch die figuren, §. 18. Von denen vielerley
arten der figuren und derſelben rechten gebrauch, § 19.
ALles was in unſerm gemuͤthe fuͤrge-
het, es moͤgen nun gedancken ſeyn,
die wir im verſtande von einem ob-
iecto faſſen, oder regungen, welche wir in un-
ſerm willen dabey empfinden, koͤnnen wir
durch ſinnliche zeichen, mit welchen die idee der
ſache durch den gebrauch verknuͤpfet, und un-
ter welchen ſie bekannt iſt, von uns geben und
andern menſchen, mit denen wir umgehen,
mittheilen. Wann wir auf dieſe weiſe nun
bemuͤhet ſind, die in unſerm gemuͤthe entworf-
fene bildungen, in das gemuͤth anderer einzu-
praͤgen, ſo heiſt dann dieſes bey denen menſchen
der ausdruck der gedancken.a)
§. 2. Da ſich alles unſerm verſtande durch
aͤuſſerliche ſinnliche zeichen darſtellet, und durch
ſelbige in uns gedancken und neigungen erreget,
ſo koͤnnen wir auch alles, ſo bald uns nur ſolche
ſinnliche zeichen bekannt werden, ausdrucken.
Die gantze natur druckt ſich ſelbſt durch ſinnli-
che zeichen aus und die mahlerey folgt ihrer art,
durch nachmachung der an ihr befindlichen zei-
chena) Die belebten creaturen, haben uͤber
dieſes, ein vermoͤgen, durch ihre bewegung und
einen beſondern laut, die ſinnliche zeichen der
natur auszudrucken und auch die bey denen ſa-
chen inihnen entſtandene ꝛegungen fuͤꝛzuſtellen.
b) Der menſch hat endlich eine fuͤrtrefliche faͤ-
higkeit, durch die ſtimme und rede, alle ſinnliche
zei-
[143]der gedancken.
zeichen der natur, ſeine in ihm ſelbſt entſtandene
wuͤrckungen des veꝛſtandes und willens, oͤffent-
lich an den tag zu legen, und dieſe theilet ſich
uͤberhaupt in expreßionem vulgarem und elo-
cutionem eruditam.
§. 3. Wer ſich bloß damit begnuͤgen will,
daß er ſich ſeiner faͤhigkeit ſeine gedancken und
neigungen auszudrucken bedienen koͤnne, es
gerathe wie es wolle, und alſo mit der vulgai-
ren expreßion zufrieden ſeyn kan, dem rathe
ich, daß er die Oratoriſchen regeln, und alſo
auch dieſes buch, ungeleſen laſſe. Er wird an
mutter, ammen, mademoiſellen, junge maͤg-
den, laquaien, handwercksleuten, bauern
und dem gantzen poͤbel, was ſeine mutter-ſpra-
che betrift, die treflichſten ſprachmeiſter finden,
und
[145]der gedancken.
und zu den fremden, insbeſondere denen tod-
ten ſprachen, kan ihm ein fuͤrchterlicher Gram-
maticus oder pedantiſcher ſprach-richter, die
ſicherſte anleitung geben. Gedenckt er durch
nachahmung guter exempel, gluͤcklich oder un-
gluͤcklich, wie es kommt, zu empyriſiren, ohne
daß er raiſon von ſeinen reden angeben koͤnne,
ſo wird ihm zu ſolcher gluͤckſeeligkeit, ohne eine
vernuͤnftige anleitung, der weg offen ſtehen.
§. 4. Hier will ich ietzo einen verſuch thun,
ob ich zur gelehrten elocution, einige vernuͤnf-
tige regeln ertheilen koͤnne, nachdem ich von
der erfindung ſo viel als noͤthig beygebracht.
Und dieſe iſt eine geſchicklichkeit, eine ſache,
welche wir in unſerm gemuͤth klar, deutlich,
gruͤndlich, artig und ordentlich, nach ihren be-
ſchaffenheiten entworffen, mit denen daruͤber
in uns entſtandenen gedancken und regungen,
durch ſolche worte fuͤrzuſtellen, die mit der ſache
ſo ſie fuͤrbilden und unter ſich ſelbſt eine genaue
proportion und uͤbereinſtimmung haben, ſich
zu denen begriffen des zuhoͤrers oder leſers ſchi-
cken, und alſo vermoͤgend ſind, bey andern
eben die gedancken und regungen zu erwecken,
welche wir intendiren.
§. 5. Die natur des menſchen hat ſeinen
leib mit beſondern organis ausgeruͤſtet, daß er
nicht
[147]der gedancken.
nicht nur einen laut von ſich geben, ſondern
auch vermittelſt der verſchiedenen anwendung
der organorum,a) den laut auf vielfaͤltige art
veraͤndern, dieſe veraͤnderungen zuſammen
ſetzen, ſolche zuſammenſetzung mit unterſchie-
denen ſtellungen und zufaͤllen fuͤrſtellen und
alſo eine foͤrmliche rede herfuͤrbringen kan,
welche als das geſchwindeſte bequemſte und
vollkommenſte mittel, ſeine gedancken und re-
gungen auszudrucken, von allen menſchen uͤber-
haupt beliebet worden.b)
§. 6. Der gebrauch hat unter gantzen voͤl-
ckern, beſondere arten der veraͤnderung und
zuſammenſetzung des lauts eingefuͤhret, daher
ſind unterſchiedene ſprachen entſtanden.a) Jn
denen ſprachen ſind von gewiſſen laͤndern, ia
auch wohl gewiſſen oͤrtern und lebens-arten be-
ſondere arten zu ſprechen beliebet worden, da-
hero ſo vielerley dialecti entſprungen,b) wor-
aus man die menge der ſprachen,c) die unter-
ſchiedenen veraͤnderungen,d) den reichthum
einer ieglichen,e) den unterſcheid derſelben,f)
die harmonie derſelben,g) und die beſondern
eigenſchaften einer ieden,h) abnehmen, aber
kaum uͤberſehen, determiniren, und gnugſam
bewundern kan.
§. 7. Ein vernuͤnftiger redner, bekuͤmmert
ſich ſonderlich um die erkaͤnntniß der ſprache,
darinn ihm die meiſte gelegenheit zu reden fuͤr-
kommen moͤchte. Und da die beſondere an-
wendung eines ieden organi, bey dem laut,
gewiſſe buchſtaben herfuͤr bringet, welche, ſo
zu reden, die erſten elementa und principia der
ſprache werden;a) ſo ſiehet auch ein klu-
ger redner, auf die natuͤrliche beſchaffenheit
ſolcher buchſtaben, damit er bey dem ausdruck
der gedancken, den zuſammenfall, klang und
maſſe der buchſtaben, dem obiecto gemaͤß mit
anbringen moͤge.b) Doch huͤtet er ſich da-
bey, fuͤr allem zwang, und andere paradoxe
und alberne gloſſen.c)
§. 8. Aus buchſtaben und ſylben werden
endlich worte zuſammen geſetzt. Ein wort iſt
nichts anders, als ein articulatus und aus vie-
len veraͤnderungen des lauts zuſammen geſetz-
ter ſchall, womit der willkuͤhr der erſten erfin-
dera) unb der gebrauch der menſchen,b) eine
gedancke und begrif von einer ſache, beleget
und ausdrucket. Der redner unterſcheidet
alſo ſorgfaͤltig, die haupt- und neben-idee eines
worts,c) die haupt- und neben-woͤrter oder
epitheta,d) den grammaticaliſchen unter-
ſchied der woͤrter,e) die vulgairen und kunſt-
woͤrter,f) ſubiectum und praͤdicatum,g) uni-
voca, aͤquivoca und ſynonyma,h) die eigentli-
che bedeutung eines worts und die tropiſche,i)
und dergleichen zufaͤllige veraͤnderung der
woͤrter,k) und bemuͤhet ſich nicht nur einen
vorrath von worten zu haben, ſondern auch aus
dieſem vorrath, die convenableſten woͤrter zur
ausdruckung ſeines obiecti heraus zu ſuchen
und nach dem genie der ſprache und aller an-
dern umſtaͤnde, im reden anzubringen, wozu
im folgenden einige anleitung gegeben wird.
§. 9. Aus worten werden endlich gantze ſaͤ-
tze formiret, wenn man nemlich zwey ideen in
der dritten verbindet, und mit gehoͤrigen wor-
ten ausdrucket. Bey dieſen beobachtet der
redner, alle dabey fuͤrfallende umſtaͤnde, ob ſie
aus vulgairen oder gelehrten begriffen beſtehen
a) ob ſie mit der eigentlichen oder tropiſchen be-
deutung der worte zu bemercken,b) ihren
ſyntax, urſprung, ordnung,c) ob ſie beia-
hend oder verneinend,d) vniverſal oder par-
ticular, oder limitirt zu concipiren,e) ob da-
bey die connexion des ſubiecti und praͤdicati
unſtreitig oder wahrſcheinlich oder gleichniß-
weiſe fuͤrzuſtellen,f) aus was fuͤr diſciplinen
und Facultaͤten ſelbige genommeng) ob ſie
bloß theoretiſch oder auch zugleich pathetiſch
auszuſprechen,h) ꝛc.
§. 10. Alle dieſe eigenſchaften der ſaͤtze, in-
gleichen die zuſammenſetzung verſchiedener ſaͤ-
tze, geben von ſelbſten, ohne muͤhe, anlaß,
gantze periodos zu machen. Ein periodus iſt
nichts
[163]der gedancken.
nichts anders alſo, alseine haupt-propoſition,
welche mit ihren eigenſchaften und neben-pro-
poſitionibus vollkommen ausgedrucket und in
einer gewiſſen zeit da die ſtimme ſteigen, ruhen
und fallen kan, ausgeſprochen wird.a) Er
iſt entweder explicativa,b) oder determina-
tiva,c) ſimplex oder compoſita,d) probans,
illuſtrans, oder pathetica,e) ꝛc. Dabey ſie-
het man auf die deutlichkeit, f) reinlichkeit, g)
den numerum, h) die ſymmetrie und rechte
maſſe deſſelben,i) ingleichen auf die veraͤn-
derung, welche man damit fuͤrnehmen kan.k)
§. 11. Und dieſes waͤren die elementa, und
der natuͤrliche grund aller ſprachen. Es koͤn-
nen aber dieſe principia, ſo vielerley zufaͤlle ha-
ben, auf ſo mancherley weiſe veraͤndert werden,
daß man faſt ſo vielerley arten des ausdrucks
findet, als menſchen ſind. Die urſachen ſol-
L 4cher
[168]von dem ausdruck
cher veraͤnderungen ſind, die einrichtung des
verſtandes,a) die miſchung der temperamen-
te,b) die auferziehung,c) das clima,d) die
lebens-art,e) der genie eines ieden ſaͤculi, e)
der ort, g) die materie welche man ausdruckt,
h) die affectation der leute,i) die imitation
angeſehener perſonen,k) die natuͤrliche be-
ſchaffenheiten bey der pronunciation,l) das
alter,m) ꝛc. welche dinge ſo gar in einer ein-
tzigen ſprache unzehliche veraͤnderungen herfuͤr
bringen, und ſich doch niemahls gern unter
das ioch der kunſt bequemen, ſondern mehren-
theils lieber von der natur dependiren wollen.
§. 12. Daraus ſolte man faſt ſchlieſſen, als
wann es unmoͤglich, von der ſchoͤnheit und ac-
curateſſe des ausdrucks, regeln zu geben, und ſo
vielerley dinge, einer herrſchaft der kunſt zu un-
terwerffen; eben ſo, wie es ſchwer, den ge-
ſchmack der leute, durch diſputiren auszuma-
chen und durch regeln zu determiniren. Allein
zu geſchweigen, daß es hier nicht bloß auf der-
gleichen natuͤrliche zufaͤlle, oder auf eine bloſſe
empfin-
[172]von dem ausdruck
empfindung ankomme, ſo wirft ſich der ge-
brauch, ſo zu reden, zu einem allgemeinen
ſprachrichter auf, und tyranniſiret dergeſtalt,
daß man auch durch die regeln der vernunft
kaum vermoͤgend iſt, ihn einiger maſſen im
zaum zu halten. Und dieſer iſt eine gleichfoͤr-
migkeit oder uͤbereinſtimmung einer gewiſſen
nation oder ſocietaͤt, in dem ausdruck, betref-
fend die worte, redens-arten, und derſelben be-
deutung und anwendung.
§. 13. Dieſer gebrauch ſiehet entweder bloß
auf die worte, ſo iſt es ein Grammaticaliſcher
concept, und leget den grund zur Grammatick,
a) oder er ſiehet auf die idee, welche mit einem
worte ausgedruckt wird, ſo iſt er das funda-
ment der Rhetorick, und gehoͤrt hieher. Er
iſt aber ſo dann univerſel, wann er bey einer
gantzen nation, in einer gantzen ſprache, ein-
gefuͤhret, oder particular, wann er von einem
gewiſſen theil der nation, durch einhelligen con-
ſens angenommen worden. Der univerſelle
gebrauch, herrſchet ſonderlich bey ſenſuellen
dingen. erfindet ſelbige auszudrucken woͤrter
und fuͤhret ſie ein,b) macht die ſtamm-woͤr-
ter nach der phantaſie der erfinder, bindet die
ideen an die worte und veraͤndert ſie auch
wohl nach und nach, wird daher uͤberall im
gemeinen leben beobachtete) und auch als
der grund des particularen angeſehen. Jhn
zu erkennen und zu appliciren braucht man
weiter nichts als die erfahrung und memorie.
§. 14. Weil aber der univerſelle gebrauch
ſich mehr um den ausdruck ſenſueller dinge, und
um die hauptidee der worte, als um abſtracta
und um die neben ideen bekuͤmmert, ſo haben
gelehrte und polite leute, von demſelben abge-
hen, und einen particularen gebrauch unter
ſich einfuͤhren muͤſſen, und daher iſt der gelehr-
te und der galante gebrauch entſtanden. Der
gelehrte gebraucha) iſt alſo eine uͤberein-
ſtimmung der gelehrten,b) in dem ausdruck
derer abſtracten dinge,c) und zeiget ſich ent-
weder in erfindung neuer kunſt-woͤrterd) oder
in determinirung der bereits erfundenen, aber
ſchwanckenden und unrichtigen woͤrter.e)
Dieſen zu erkennen und zu appliciren, muß
man den univerſellen gebrauch und die medi-
tation, doch dieſe mehr als ienen zu rathe zie-
hen.
§. 15. Der galante gebrauch, iſt endlich
eine uͤbereinſtimmung derer politen leute,a)
in der vermeidung ſolcher woͤrter, die dem De-
coro zuwiderlauffende neben-ideen haben,b)
und in anwendung ſolcher, welche, nach be-
ſchaffenheit des durch die fuͤrnehmſten in der
republick eingefuͤhrten wohlſtandes,c) artige
neben-ideen haben.d) Damit man auch
dieſen recht erkenne und applicire, muß man
den univerſellen gebrauch und die eingefuͤhrte
regeln des wohlſtandes gegeneinander halten
und in obacht nehmen. Und wann man end-
lich von einer ſprache und derſelben ſchoͤnheit
urtheilen will, ſo muß man den gelehrten und
politen gebrauch zur richtſchnur ſetzen, nicht
aber den univerſellen.e)
§. 16. Auſſer dem allgemeinen ſprachrich-
ter dem gebrauch, hat ein redner zugleich die
verhaͤltniß der gedancken und worte, als eine
richtſchnur ſeines ausdrucks anzuſehen, und
zwar ſo, daß er ſich ihrer herrſchaft aus ſchul-
digkeit gern unterwerffe, da er mehrentheils
aus noth dem gebrauch nachgeben, und der
tyranney deſſelben weichen muß. Es iſt aber
dieſe zu beobachten unter den worten und ge-
dancken, unter den gedancken und der ſache
ſelbſt, unter den worten und der idee des zu-
hoͤrers, und endlich unter denen worten gegen-
einander. Und hievon iſt im folgenden 2. cap.
ausfuͤhrlicher zu handeln, hier aber nur ſo viel
zu gedencken, daß dieſe verhaͤltniſſe vollkommen
auszudrucken, faſt keine ſprache reich genug an
worten ſey, zumahl da bey dem groſſen reich-
thum der ſprachen, dennoch der verſtand mehr
gedancken faſſen, und der wille mehr regungen
M 4em-
[184]von dem ausdruck
empfinden kan, als der gebrauch, worte ſelbige
auszudrucken, eingefuͤhret.
§. 17. Dannenhero iſt man genoͤthiget
worden, an ſolche ſache zu gedencken, welche
mit dieſen verhaͤltniſſen einige verwandſchafft
und ihre eigene worte haben, damit man durch
die von ihnen entlehnten worten ausdrucken
moͤge, wozu man keine eigene finden koͤnnen,
und ſolche nennet man tropos. Nachgehends
hat man auch wohl ohne noth, zur zierde der re-
de, und den ausdruck nach ſeinen abſichten
einzurichten, tropos angewendet, und auſſer
dieſen faͤllen iſt es thoͤricht, tropos gebrau-
chen.a) Ubrigens iſt die verwandſchafft der
ſache, von welcher wir die worte entlehnen, mit
derienigen, ſo wir dadurch ausdruͤcken wollen,
entweder natuͤrlich oder kuͤnſtlich, iene koͤnte
man uͤberhaupt metonymiſch oder iudicioͤs, die-
ſe metaphoriſch oder ingenioͤs nennen, und ih-
ren urſprung in denen erlaͤuterungs-gruͤnden
ſuchen.b)
§. 18. Die regungen des willens druckt
die natur faſt von ſelbſten, und ohne zwang in
der rede aus, dadurch, daß ſie denen redens-ar-
ten und worten, durch beſondere ſtellung und
ausſprache, gewiſſe neben-ideen anhengt, dar-
aus man die verhaͤltniſſe des affects zu der ſa-
che, durch eine ſympathetiſche kraft abnehmen
und in dem andern erregen kan, und ſolche
merckmahle nennt man figuren. Da nun
dieſe die ſprache der affecten ſind, ſo muß man
wuͤrcklich nicht nur in dem gemuͤth affecten ha-
ben, ſondern es muͤſſen auch dieſe ſich zu dem
obiecto reimen, und in denen argumentis pa-
theticis gegruͤndet ſeyn. Da aber auch die af-
fecten niemahls ohne heftigkeit ſind, und als re-
gungen des willens, aufunzehliche weiſe ſich veꝛ-
aͤndern koͤnnen, ſo nim̃t der affect alle argumen-
ta, alle gedancken und worte, alle eigentliche uñ
tropiſche ausdruckungen, und bedienet ſich der-
ſelben ohne regeln, auf ſo vielfaͤltige art, daß es
ein-
[190]von dem ausdruck
einmahl unnoͤthig, hernach auch nicht wohl
moͤglich, alle ſolche arten zu determiniren.
§. 19. Jnzwiſchen, da es doch mode wor-
den, in der Oratorie eine lange reihe figuren,
mit fuͤrchterlichen nahmen und beſondern be-
ſchreibungen, nach einander her zu zehlen, indem
ia alle Rhetoricken damit geſpicket ſind, ſo ſehe
ich mich genoͤthiget, auch hier ein regiſter der-
ſelben, dem leſer zu liefern, ob es wohl wegen
der vielen verworꝛenen unꝛichtigen und ſchwan-
ckenden concepten nicht wenig unangenehm.
Jch will dabey zugleich alles, was ſonſt unter
dem nahmen der figuren im reden bekannt iſt,
anfuͤhren, alſo finde ich erſt Gramma-
ticaliſche, hernach Rhetoriſche figuren; die
Grammaticaliſchen ſind entweder Orthogra-
phiſch,
[191]der gedancken.
phiſch,a) oder Etymologiſch,b) oder Syn-
tactiſch,c) oder Proſodiſch, d) die Rhetori-
ſchen ſind entweder dictionis in worten, oder
ſententiae in ſachen; iene beſtehen entweder
im mangele) oder im uͤberflußf) oder in
wiederholung einerleyg) und gleichfoͤrmiger
h) worte, dieſe ſind entweder probatoriae,i)
oder amplificatoriae,k) oder affectuoſae,l)
oder diſpoſitionism) und connexionis.
WAs der ſtilus ſey? §. 1. Wie vielerley derſelbe?
§. 2. Von den eigenſchaften des ſtili, §. 3. Von
den natuͤrlichen zierrathen, §. 4. Der ſtilus muß ſich
nach dem obiecto nach der perſon des redners und des
zuhoͤrers richten, §. 5. Von dem adaͤquaten aus-
druck, anbringung der neben-ideen und beywoͤrter,
§. 6. Von der reinlichkeit, §. 7. Von der deutlich-
keit, proprietaͤt, §. 8. Von der iunctur, ordnung der
woͤrter, §. 9. Von der periodiſchen ſtructur, inter-
punction, und dem numero oratorio, §. 10. Wie
man egal und ungezwungen ſich ausdrucken muͤſſe,
§. 11. Von den kuͤnſtlichen zierrathen, §. 12. Von
der lebhaftigkeit im ſtilo, §. 13. Von den tropis und
figuren, §. 14. Von denen falſchen zierrathen,
§. 15.
§. 1.
WEnn der ausdruck unſerer gedancken,
mit allen ſeinen theilen und verhaͤlt-
niſſen, a) in eine ſolche form gebracht
N 4wird
[200]von dem ſtilo
wird, welche mit denen abſichten des redners
in einer guten harmonie ſtehet, und da alles
conſpiriret, dem zuhoͤrer die gedancken beyzu-
bringen, und die affecten rege zu machen, wel-
che man intendiret zuerwecken, ſo heiſt dieſes,
wann man zumahl darinn zu einiger fertigkeit
elanget iſt, der ſtilus.b)
§. 2. Dieſer iſt ſo vielen veraͤnderungen un-
terworffen, daß es faſt nicht moͤglich ſolche
in gewiſſe claſſen zu bringen, und alſo die vie-
lerley
[201]und deſſelben eigenſchaften.
lerley arten des ſtili zu determiniren. Doch
ſind die fuͤrnehmſten nach denen hauptſaͤchlich-
ſten verhaͤltniſſen und momentis leicht zu mer-
cken. Alſo iſt der ſtilus in anſehung des obie-
cti, entweder ſimplex oder eruditus; entweder
humilis oder mediocris oder ſublimis; entwe-
der theoreticus oder patheticus; entweder
Theologicus oder Juridicus oder Medicus
oder Philoſophicus und Mathematicus oder
Hiſtoricus: Jn anſehung der gedancken ent-
weder iudicioſus oder ingenioſus oder memo-
rialis: Jn anſehung der hauptneigungen der
menſchen, entweder terſus oder magnificus
oder floridus: Jn anſehung der ſprache und
worte, entweder Lateiniſch oder Teutſch oder
Griechiſch und ſo vielerley als ſprachen ſind;
entweder naturalis oder artificialis, iener ent-
weder ſimplex oder proprius oder ordinarius,
dieſer hingegen entweder declamatorius oder
tropicus oder figuratus, der declamatorius ent-
weder oratorius oder theatralis; entweder
Aſiaticus oder Atticus oder Laconicus; ent-
weder luxurians und diffuſus, oder rotundus
oder conciſus und ſententioſus: Jn anſehung
des redenden, entweder ſerius oder iocoſus;
entweder candidus oder ironicus; entweder
recitativus oder relativus; entweder vehe-
mens oder temperatus: Jn anſehung desieni-
gen, der meine worte annimmt, entweder fami-
liaris oder galant oder caͤrimonioſus; entweder
dialogiſticus oder epiſtolaris; entweder dog-
maticus oder polemicus, ꝛc.
§. 3. Ohngeachtet nun ſo viele arten vom
ſtilo zu erdencken, ſo hat doch ein ieder ſeine be-
ſondere eigenſchaften, dadurch er ſich von an-
dern unterſcheidet und welche man keinesweges
zu negligiren. Jnzwiſchen iſt es zufoͤrderſt
noͤthig, daß man ſich um die allgemeinen eigen-
ſchaften bekuͤmmere, welche man als weſentli-
che ſtuͤcke eines ieden ſtili, als die natuͤrlichen
zierrathen deſſelben und als den grund zu den
beſondern eigenſchaften eines ieglichen anzu-
ſehen.
§. 4. Dieſe allgemeine eigenſchaften, wel-
che den ſtilum uͤberhaupt ausmachen und zie-
ren, ſind nichts anders als richtige verhaͤltniſſe
aller derienigen theile, darauf der ausdruck be-
ſtehet. Folglich beſtehen ſie in einer guten pro-
portion der gedancken, zu dem obiecto, der per-
ſon des redners und zuhoͤrers, in einer genauen
uͤbereinſtimmung des ausdrucks mit den ge-
dancken und regungen des redners, in der rein-
lichkeit, deutlichkeit, guten verbindung der wor-
te und ſaͤtze, damit ſie der zuhoͤrer gerne hoͤre
und leicht begreiffe, und endlich in einer har-
monie des vorhergehenden mit dem nachfol-
genden oder in der gleichheit des ausdrucks an
ſich ſelbſt.
§. 5. Wer nun ſeinen ausdruck in eine gu-
te form bringen, und einen rechten ſtilum an-
nehmen und gebrauchen will, der betrachtet
gleich anfangs das obiectum davon er reden
ſoll, nach allen ſeinen umſtaͤnden und eigen-
ſchaften, damit er demſelben gemaͤſſe gedan-
cken faſſen und anſtaͤndige regungen in ſich er-
wecken koͤnne.a) Hiernaͤchſt ſiehet er auf
die umſtaͤnde, begriffe und neigungen des zu-
hoͤrers, und ſuchet ebenfalls darnach die von
dem obiecto gefaſte gedancken und regungen zu
bilden,b) und endlich erweget er bey ſich ſei-
ne eigene diſpoſition, ſo wohl zum obiecto und
dem zuhoͤrer, als auch zur ausfuͤhrung des fuͤr-
geſetzten endzwecks bey ſeinem ausdruck.c)
§. 6. Nach dieſem iſt man auf den aus-
druck der gefaſten gedancken und neigungen be-
dacht, und da iſt es noͤthig, daß man ſolche woͤr-
ter und redens-ausſuche, welche nicht mehr und
nicht weniger ſagen, als die gedancken und re-
gungen bey dem obiecto leiden. a) Dabey hat
man achtung zu geben, daß nicht nur die haupt-
idee
[205]und deſſelben eigenſchaften.
idee richtig zu treffe, ſondern auch inſonder-
heit die neben-idee wohl ausgeſucht und ange-
bracht ſey.b) Weilen auch die beywoͤrter
am allermeiſten dazu beytragen, daß man adaͤ-
quat rede und ſchreibe, ſo iſt bey ſolchen eben-
falls zu unterſuchen, ob ſie bey denen haupt-
woͤrtern einen rechten effect haben und ſelbige
entweder gehoͤrig erklaͤren oder einſchraͤncken,
und alſo nicht vergebens ſtehen, ſondern ſich zu
den abſichten, die man bey dem ausdruck hat,
ſchicken.c)
§. 7. Die reinlichkeit in dem ausdruck ge-
bietet, daß man zwiſchen der gar zu groſſen cri-
tic
[208]von dem ſtilo
tic der Zeſianer,a) Ciceronianer und derglei-
chen ſprach-richter, und zwiſchen der groſſen
nachlaͤſſigkeit der galanten ſprach-verderber,
die mittelſtraſſe halte, daß man den gelehrten
und galanten gebrauch wohl beobachte, alte
verlegne, neuerfundene worte,b) idiotiſmos
anderer ſprachen und dialectorum,c) ver-
worrene conſtructiones, verſetzung der ſchluß-
woͤrter,d) einmiſchung frembder ſprachen,e)
und dergleichen vermeide, und im uͤbrigen nicht
wieder die regeln welche eine ſprache nach
der Grammatick zum grunde hat, verſtoſſe.f)
§. 8. Mit der reinlichkeit iſt die deutlichkeit
im ſtilo gar genau verbunden, denn wo man
dieſe erhalten will, da muß iene nothwendig
beobachtet werden. Auſſer dem aber iſt zur
deutlichkeit noͤthig, daß man zweydeutige
worte und redens-arten, viele propoſitiones
incidentes, gar zu haͤuffige limitationes, epi-
theta, participia, verwerffung der woͤrter, un-
noͤthige ausdehnung und allzukurtze verfaſſung
der periodorum vermeide, die tropos und figu-
ren nicht zu haͤuffig und wieder die natur des
obiecti, oder weit hergeholt, unbekannt und zu
weit getrieben anbringe, welches alles wofern
man ſonſt nur im kopfe deutliche begriffe hat,
leicht ins werck zu richten.
§. 9. Bey der iunctur und ordnung der
woͤrter iſt zu mercken, daß man hiebey die be-
ſchaffenheit der ſache und die eigenſchaften der
ſprache zum voraus erwegen muͤſſe, denn nach
dieſem iſt die iunctur und ordnung der woͤrter
einzurichten, hernach vermeidet man ſorgfaͤltig,
daß nicht die natuͤrliche ordnung der ſachen
durch die woͤrter verworffen werde, daß nicht
gar zu viel vocales, nicht gar zu viel conſonan-
tes zuſammen kommen, daß nicht gar zu viel
gleichlautende ſylben, zu viel einſylbige oder
zweyſylbige woͤrter auf einander folgen, oder
auch ein conſonans oder vocalis zu ofte hinter-
einander wiederholet werde, und endlich daß
keine reime, termini klappantes oder wuͤrckliche
verſe fuͤrkommen.
§. 10. Eine ſehr noͤthige und angenehme ei-
genſchaft des ſtili iſt, die periodiſche ſtructur,
welche nicht nur der deutlichkeit fuͤrtreflich zu
ſtatten kommt, ſondern auch dem ſtilo eine be-
ſondere annehmlichkeit giebt. Es beruhet aber
dieſelbe auf die interpunction und den ſo ge-
nannten numerum oratorium, iene zeiget, wie
man einen periodum, durch commata, cola, ſe-
micola und puncta unterſcheiden, und alſo der
ſtimme zum ſteigen, ruhen und fallen, gehoͤrige
zeit geben muͤſſe,a) dieſer aber iſt eine gewiſſe
maſſe des gantzen periodi, dadurch derſelbe in
einer
[211]und deſſelben eigenſchaften.
einer gewiſſen zeit, mit bequemer reſpiration
und dem obiecto gemaͤß, leicht auszuſprechen,
und mit einer vergnuͤgung anzuhoͤren iſt.b)
§. 11. Endlich iſt auch eine hauptſaͤchliche
eigenſchaft des ſtili, daß alle ſeine theile gegen
einander in denen vorhergehenden und folgen-
den ſtuͤcken, in einer guten harmonie und ver-
haͤltniß ſtehen, und uͤberall ſaͤtze mit ſaͤtzen, peri-
odi mit periodis auf eine ungezwungene art zu-
ſammenhaͤngen. Jenes heiſt man die egalite
oder gleichheit im ſtilo, dieſes die connexion und
verbindung, und ſucht, zumahl in einer gan-
tzen rede, nothwendig beyde, auf alle weiſe ge-
ſchickt anzubringen. Die gleichheit richtet
alles in einer rede nach der beſchaffenheit des
obiecti, nach denen davon entſtandenen ge-
dan-
[213]und deſſelben eigenſchaften.
dancken und regungen, und nach der einmahl
angenommenen form zu reden, gleichſtimmig
ein, a) und ob ſchon zuweilen veraͤnderungen
in der rede fuͤrfallen, ſind ſie doch nur in dem
aͤuſſerlichen putz derſelben zu ſpuͤren, und re-
ſolviren ſich endlich, wie die in der Muſick an-
gebrachte diſſonantien.b) Die connexion
der periodorum, beruhet auf der verbindung
und ordentlichen diſpoſition der gantzen rede,
und iſt entweder verbalis oder realis,c) wel-
che beyde nur darinn unterſchieden, daß bey
iener die verbindung zugleich durch worte aus-
gedruckt wird.d)
Das buch welches ich ſo oft bereits von Euch
verlanget, habt Jhr mir endlich einmahl zu-
kommen laſſen, weßwegen ich denn anietzo
ſchuldigen danck abſtatte. Vor acht tagen war
der ehrliche Curtius bey mir, und beſuchte mich
in meinem neuen logis, welches mir ein be-
ſonders vergnuͤgen verurſachte, da ich ihn in
langer zeit nicht geſehen. Monſieur Sauſe-
wind fuͤhret ſich ietzo recht unbaͤndig auf, daß
alle leute davon zu reden wiſſen. Er verſpielt
dem vater das geld, und wann er kein geld
mehr hat, ſo ſchreibt er wechſel, ſolche nach des
vaters tode zu bezahlen, ia er wuͤnſcht deßhal-
ben recht ſehnlich, daß unſer herre Gott den
alten holen moͤge. Bey der iungfer Hippo-
craſſen liegt er gantze halbe tage, und wann er
nicht bey ihr ſeyn kan, daß etwan ein andrer
galant ſein rendezvous hat, ſo ſteht er in dem
hauſe gleich gegen uͤber, und charmiret bald die
fenſter-ſcheiben entzwey. Neulich hatte er
einen ſolennen ſchmauß bey ſich, da ließ er
auftragen, daß die tiſche knackten, und weil
O 4faſt
[216]von dem ſtilo
faſt zehnerley weine fuͤrhanden waren, er auch
keine complimente und aufmunterungs-gruͤn-
de ſparete, ſo kame niemand ohne einen ziemli-
chen ſchwindel nach hauſe. Herr Broſius
hatte bey der gelegenheit im heimgehen mit
denen ſaͤnftentraͤgern haͤndel, weil er die fenſter
in der ſaͤnfte gantz illuminiret, und nachge-
hends da ſie ihre durchſichtigkeit verlohren, als
unbrauchbar entzwey geſchmiſſen, aber daruͤ-
ber die haͤnde ziemlich bleſſiret. Die iungfer
Machmitten iſt ietzo eine braut, und wird ehe-
ſtens mit Hrn. Schoͤpschriſteln hochzeit halten.
Jch weiß nicht ob ich Euch bereits gemeldet,
daß Mr. Fanfaron Euch fuͤr ſehr eigenſinnig
halte, er hat ſich gegen mir ohnlaͤngſt etwas da-
von mercken laſſen, vielleicht hat er Euch etwan
auf der naſe ſpielen und zum beſten haben wol-
len, Jhr aber ſeyd nicht diſponiret geweſen,
es treuhertzig zu leiden. Gemeiniglich ma-
chen es dergleichen wohlgezogne herrlein ſo, ſie
wollen iedermann auf dem maule trummeln,
und mit ihren Quichotiſchen ſtreichen, betruͤge-
reyen und windmachereyen allen leuten eins
anhaͤngen, wer es nun nicht ſo gleich verſtehn
und mit einem tieffen reverentz annehmen will,
den beſchuldigen ſie einer eigenſinnigen und
verdrießlichen auffuͤhrung. Jhr werdet euch
darnach zu richten wiſſen. Jch bin
Vôtre tres fidele ami,
Als ich unlaͤngſt die ehre hatte, in dero ge-
ſellſchaft zu ſeyn, und mich aus dero converſa-
tion zu erbauen, ſo geriethen wir unter andern
auf die kennzeichen der rechten philoſophen,
und brachten derſelben eine ziemliche anzahl
zum vorſchein. Jch habe nachher dieſer ſache
noch ein wenig nachgedacht, und gefunden daß
man zu denen, derer wir neulich erwehnet, noch
hinzu ſetzen koͤnnen. Mir deucht ein rechter
Philoſophe habe inſonderheit dieſes an ſich,
dadurch er ſich von denen andern unterſchei-
det, daß er niemahls ſecten zu machen ſuchet,
oder ſich wohl gar ſelbſt an die ſpitze einer ſol-
chen ſecte ſtellet, die von ihm koͤnte benennet
werden. Jch dencke dieſes ſey ebenfalls ein
merckmahl eines guten Philoſophen, daß er nie-
mahls befehlsweiſe ſeine gedancken fuͤrtrage
und uͤber die begriffe der menſchen herrſchen
wolle, ſondern bloß ihnen ſeine gedancken als
einen guten rath mittheile. Jch glaube auch
dieſes ſeyen kennzeichen eines Philoſophen, daß
er nicht praͤtendire alles zu wiſſen, daß er ſich
mehr nach andere leute bequeme, als ſeine eige-
ne ehre nutzen, und commoditaͤt ſuche, daß er
niemand verketzere, daß er ſich der ſtreitſchrif-
ten enthalte, oder ſelbige doch mit aller ſanft-
muth gelaſſenheit und hoͤflichkeit gegen ſein
wiederpart verfertige (wovon man bey groſ-
O 5ſen
[218]von dem ſtilo
ſen ſtaats- und hofleuten aber nicht bey ſchul-
fuͤchſen, lebendige exempel findet) daß er ſeine
begierde zu wiſſen nicht zu weit treibe, daß er
mehr in der ausuͤbung als in der theorie ſeine
gute erkaͤnntniß zeige, und endlich daß er nie-
manden fuͤr ſo gar ſchlimm anſehe, daß er auch
das gute an ihm nicht eſtimiren ſolte. Jch
weiß nicht ob ich in dieſen ſtuͤcken recht gedacht.
Dero kuͤnftige zeilen werden mich deßfalls
beſſer unterrichten, welche ich mit verlangen er-
warte als
Dero
ergebenſter Diener.
Elabor: Si quid vmquam, homini bene
nato \& educato, vtile eſt \& neceſſarium, il-
lud bonarum artium, litterarum, humanita-
tisque ſtudium eſſe, firmiſſime mihi perſua-
deo. Studiis parantur verae illaeopes ani-
mi, quae non furto eripi, non incendio ab-
ſumi, non naufragio abſorberi poſſunt, quae-
quae certam rectamque viam commonſtrant
ad perſequendum id bonum quo cetera
omnia continentur.
Elabor: Jch duͤrffte zwar vielen wieder-
ſpruch erfahren muͤſſen, wann ich ſagte: Da-
vid ſey nach ſeiner natuͤrlichen gemuͤths-nei-
gung, in ſofern er nicht vom H. Geiſt erleuch-
tet, im hoͤchſten grad wolluͤſtig geweſen; ich
dencke aber nicht daß man mich deßwegen zum
ketzer machen und eines gefaͤhrlichen irrthums
uͤberfuͤhren werde. Die wahrheit meines ſa-
tzes erhellet aus ſeinem gefuͤhrten lebens-wan-
del, ohne allen zwang gantz offenbahr. Furcht,
geilheit, viele klagen, neugierigkeit, beliebung
zur Muſick, weichhertzigkeit, mitleiden, thraͤnen,
bemuͤhung nach freundſchaft, appetit zu guten
eſſen und trincken, ſind die kennzeichen eines
wolluͤſtigen, und alledieſe finde ich an David.
Furchtſam war er als er fuͤr Saul und Abſo-
lon flohe, als Seba einen aufruhr erregte, ia
aus bloſſer zaghaftigkeit ſtrafte er den drey-
fachen moͤrder Joab nicht. Seine geilheit
zeigte er in der begebenhenheit mit der Bathſe-
ba, da er ſoviel weiber hatte und ohngeachtet
der groſſen menge die zu ſeinen dienſten ſtun-
den, doch nach andrer leute weiber griffe.
Nichts als klagen hoͤrte man von ihm, da
Saul und Jonathan iener als ſein ſchwieger-
vater, dieſer als ſein hertzens-freund gefallen
war, da er ſeinen ungerathenen ſohn von der
eiche
[220]von dem ſtilo
eiche, und das in unehren mit der Bathſeba
erzeugte kind, von dem ſchoße ſeiner mutter,
in das reich der todten laſſen muſte. Jch weiß
nicht, ob nicht eine kleine neugierigkeit ihn in
das lager getrieben, da er bißher nur ſeiner
heerde lager und huͤrden wahrgenommen; Ob
nicht das blut der helden, aus neugierigkeit und
luͤſternheit gewaget worden, da er des waſſers
aus dem brunnen unter dem thor zu Bethle-
hem trincken wollen; Ob nicht aus bloſſer cu-
rioſitaͤt vielleicht, gantz Jſrael von Dan biß gen
Berſeba, gezehlet worden. Mit ſeiner harffe
ſtillte er ofte die wut des melancholiſchen
Sauls, ia ich glaube daß er auch ſeiner
gar vergnuͤgten Bathſeba eines aufgeſpielet.
Seine freundſchafts-liebe hat gar zu merck-
wuͤrdige proben herfuͤrgebracht, als daß man
ſelbige fuͤrbeygehen und daran zweiffeln koͤnte.
Haͤtte er nicht auch zu guten eſſen und trincken
belieben getragen, er wuͤrde ſich vielleicht nicht
eben zu der zeit, da Nabal ſein ſchaͤffer feſt be-
gieng, bey ihm zu gaſte gebeten, oder denen
prieſtern ihre ſchau-brodte abgeborget haben,
welche freylich beſſer ſchmeckten, als die brodte
der gemeinen Juͤden ꝛc.
Elaboratio: Wer die gar beſondern und
mannigfaͤltigen veraͤnderungen, welche das
gluͤck mit denen armen ſterblichen fuͤrnimmt, in
reiffe uͤberlegung ziehet, der wird befinden,
daß dieienigen, welche ihre knie fuͤr den Baal
der laſter nicht beugen, ſondern ſich vielmehr
der tugend gaͤntzlich aufopfern, am allermeiſten
von demſelben angefeindet und verfolget wer-
den. Die goͤttliche allmacht, hat in dem ver-
wunderns-wuͤrdigen reiche der natur, es alſo
mehrentheils verordnet, daß ſich die beſte kraft
der fruͤchte, die ſuͤſſeſten kerne, unter harte, bitte-
re, und ſtachlichte ſchaalen verbergen, und von
ihnen eingeſchloſſen, ihre rechte annehmlichkeit
uͤberkommen muͤſſen. Die ſchoͤnſten roſen,
wachſen in den gefaͤhrlichſten dornen, ein
Myrrhenbaum giebt reichlicher ſeinen ſaft, ie
heftiger er von denen winden beſtuͤrmet wor-
den, und eine rechte tugend muß ſich unter de-
nen bittern ſchalen eines ſcheinbaren elendes,
unter den ritzenden dornen des ungluͤcks, und
unter denen daher brauſenden ſturm-winden
ihrer verfolger, der innerlichen guͤte ſuͤſſigkeit
und fuͤrtreflichkeit getroͤſten. Lohenſtein ſagt
gar artig:
Oft zeucht das ungeluͤcke,Das ſchon gezuckte beil von hals und bruſt zu-
ruͤcke,Wenn es die tugend ſieht mit ſtarren augen
an.
Er thut zugleich einen blick in die alte Hi-
ſtorie, auf den beruͤhmten Roͤmiſchen Marium.
Als nemlich die zu Minturnum einen Gallier,
ihm das leben zu nehmen, beordert, dieſer aber
indem er den Marium erkennet, ſich zugleich
der tapferkeit des Marii ſo er in dem Cim-
briſchen kriege gegenwaͤrtig als gemeiner ſolda-
te mit angeſehen, erinnerte, ſo entgieng ihm
gleichſam alle kraft dem aufgetragenen be-
fehl ein genuͤge zu leiſten, daß er auch das be-
reits gezuckte gewehr voller beſtuͤrtzung und
verwirrung von ſich werffen, und ſo gar den
Mario zur erhaltung ſeines lebens dienen mu-
ſte. Aber o ſeltzames gluͤck! haͤtteſt du dich
mit der tapferkeit des Marii verbinden wollen,
warum ſuchteſt du nicht vielmehr ihn fuͤr der-
gleichen umſtaͤnde zu bewahren, darinn er alle
augenblick den letzten ſtreich erwarten, und
bloß durch eine hoͤhere ſchickung abhalten kon-
te. Wilſt du der tugend deine annehmlich-
keiten zu koſten geben, ſo erwarte doch nicht
eine zeit da ihnen der geſchmack, ia alle ſinne be-
reits vergangen!
Jhr habt mir abweſend ein kennzeichen Eurer
freundſchaft, in uͤberſchickung des bewuſten
buches, zu meinem groſſen vergnuͤgen gegeben.
Was wuͤrde ich nicht erſt fuͤr eine freude bey
mir empfinden, wann ich die ehre haben ſolte
Euch gegenwaͤrtig zu kuͤſſen? Eine ſolche freu-
de hat mir neulich der ehrliche Curtius gemacht,
da er nach einer langen abweſenheit mich in
meinen neuen logis beſuchet. Was meint ihr
hingegen wie mir zu muthe ſey, wañ Mr. Sau-
ſewind mit ſeinen ungezognen manieren mich
uͤberfaͤllt, und mir meine koſtbare zeit, am mei-
ſten aber meine ſtille ruhe, mit ſeinen incompre-
henſibilitaden und unverſchaͤmten weſen rau-
bet. Gewiß wann der unbaͤndige kerl auf reiſen
geht und nach Franckreich kommt, da wird er
ſich fuͤr les petites maiſons huͤten muͤſſen, wo
nicht kuͤnfftige hundstage ihm etwas fatales
begegnet; ſein geld verſpielt er gantz in cognito,
uñ dazu die helfte von ſeines vaters vermoͤgen.
Seine ehre und zeit vertaͤndelt er mit der Jfr.
Hippocraſſen, und damit auch ſein eignes logis
merckmahle von ſeinen thorheiten bekomme,
ſo ſchmauſet er fleißig, und laͤſtden wein aus de-
nen bouteillen in die maͤgen und aus den maͤ-
gen in die ſtube ſchuͤtten, daß bediente, maͤgde,
ſaͤnfftentraͤger, haͤſcher und mit dieſen die gan-
tze ſtadt ſeine ſchwelgerey und ſeiner gaͤſte auf-
fuͤhrung zu ruͤhmen haben. Jch moͤchte wohl
wiſſen, ob er klug werden koͤnne, wann man
ihm
[224]von dem ſtilo
ihm eine frau geben wird, denn man glaubt ia
ſonſt das viel maͤnner durch ihre weiber klug
werden. Herrn Schoͤpschriſteln dem es an ei-
ner andern art der klugheit fehlet, wird die Jfr.
Machmitten aus eben der urſach in die ſchule
fuͤhren, denn ſie werden naͤchſtens hochzeit hal-
ten, und weil alle leute von ihrer klugheit uͤber-
zeuget ſind, ſo zweifle ich nicht die zucht werde
wohl angewendet ſeyn, wenigſtens ſchicken ſie
ſich ſehr wohl zuſammen, und machen ein voll-
kommen paar, da ſie zu viel und er hingegen
bißher zu wenig raffiniret. So viel als ich ge-
mercket wuͤrdet ihr und Mr. Fanfaron euch
wohl nicht ſo gut zuſammenſchicken, denn er
haͤlt Euch fuͤr eigenſinnig, und Jhr glaubt er
ſey geſchoſſen. Vielleicht hat er gedacht, ve-
xatio dat intellectum, und hat euch wollen
klug machen, Jhr aber habts umgekehrt und
Eurem meiſter lection gegeben. Jnzwiſchen
koͤnt ihr hieraus von mir, ohne in die ſchule zu
gehen, lernen, wie er gegen euch geſinnet. Von
mir wiſſet Jhr ſonſt mehr als zu wohl, daß ich
iederzeit, mit aller aufrichtigkeit ſey
Vôtre tres fidele ami.
Nachdem es dem hoͤchſten gefallen, mei-
nen bruder durch einen ſeeligen tod aus dieſer
zeitlichkeit abzufodern: So kan ich nicht um-
hin,
[225]und deſſelben eigenſchaften.
hin, ſolches demſelben zu hinterbringen. Und
gleichwie ich vielfaͤltig ſeine aufrichtige freund-
ſchaft verſpuͤret: Alſo hoffe, Er werde mir
auch ietzo eine probe ſehen laſſen, und zur lei-
chenbegaͤngniß erſcheinen. Jmmaſſen ich
denn verſichere, daß mir ſolches zum ſonderba-
ren troſt gereichen werde. Jm uͤbrigen wuͤn-
ſche in froͤlichen faͤllen Jhm dafuͤr meine er-
kaͤnntlichkeit zu zeigen, der ich verharre
Deſſelben
dienſtwilligſter.
Daß der hoͤchſte Deſſen geliebteſten bruder
zu ſich genom̃en, und alſo Sein hauß mit einer
trauer beleget: Solches habe ich mit nicht ge-
ringem beyleid aus Deſſen zeilen erſehen. Da
ich nun von Demſelben ſo guͤtig zu dem leichen-
begaͤngniß des ſeel. herrn bruders eingeladen
werde; auch uͤber dieſes meine freundſchaft
gegen Demſelben erfodert ſolchen liebes-dienſt
willigſt uͤber mir zu nehmen: Als habe ich be-
ſchloſſen zu Jhm zu kommen und gegenwaͤrtig
mit mehrern meine condolence abzulegen. Ge-
ſtalt ich dann mich gleich nach verſiegelung
dieſes auf den weg machen werde. Verblei-
be inzwiſchen nebſt beygefuͤgter verſicherung
meiner ergebenheit, Deſſen
dienſtergebenſter.
Zu dergleichenconnexion hat Kemmerich l. c. aus
dem Weiſen gantze modelle gegeben, welche ich
Pfuͤr
[226]von dem ſtilo
fuͤr leute die ſonſt nicht ordentlich gedencken und
verbinden koͤnnen gar dienlich erachte, fuͤr ande-
re moͤchte es wohl etwas zu kindiſch ſeyn.
Thema: Otto der III. hatte eine unkeuſche
gemahlin; ihre liebe fiel auf einen iungen gra-
fen von Modena; er wiederſetzte ſich ihreman-
ſuchen; ſie verklagte ihn als ob er ihr etwas
ſchaͤndliches zugemuthet; er wurde hingerich-
tet; ſeine gemahlin bewieß durch anruͤhrung
eines gluͤenden eiſens ſeine unſchuld; die kaͤy-
ſerin bekennete ihre uͤbelthat und wurde ver-
brannt. (Jch habe dieß exempelin meiner
iugend gemacht, da ich meinte, es waͤre eine
wahre hiſtorie, ietzo bin ich anders geſinnet
und wuͤrde es auch beſſer machen. Doch
exemplorum non requiritur veritas,und ich
kan kein beſſers ſo gleich finden.)
Elaboratio: Eitelkeit und laſter ſind ſo er-
ſchrecklich, daß ſie auch in die pallaͤſte der maͤch-
tigſten potentaten, deren winck unzehliche men-
ſchen gehorſamen, fuͤr deren thron ſich uner-
meßliche reiche demuͤthigen, ungeſcheut eindrin-
gen und ihren hohen beſitzern mit laſterhaften
feſſeln zu draͤuen, kein bedencken tragen. Die
gemahlin des occidentaliſchen monarchen Ot-
tonis des dritten, kan die unumſtoͤßliche wahr-
heit meines ſatzes mit ihrem ungluͤckſeeligen
exempel ſattſam bekraͤftigen. Jedermann
der
[227]und deſſelbigen eigenſchaften.
der einige faͤhigkeit beſaß, menſchliche vollkom-
menheiten zu beurtheilen, muſte ſie fuͤr die Ve-
nus des praͤchtigen regenten-himmels halten,
und die ſonne des Roͤmiſchen Reichs Otto kon-
te die ſtrahlen ſeiner hoheit und tapferkeit nicht
ſoweit ſchieſſen, als der glantz ihrer ſchoͤnheit ſich
in dem groͤſten theile der welt blicken ließ.
Groſſen ſchoͤnheiten pfleget die wolluſt, als ei-
ne zauberiſche Circe, am meiſten nachzuſtellen,
und ihre annehmlichkeit am erſten, durch an-
hengung eines garſtigen laſters, in eine thieri-
ſche ungeſtalt zu verwandeln; die kaͤyſerin aber
war kein Ulyſſes welcher dieſem zaubergifte
kluͤglich haͤtte entgehen koͤnnen. Sind die
neigungen ſturmwinde, ſo iſt die wolluſt gewiß
der heftigſte, und da die kaͤyſerin ihre auffuͤh-
rung, wie ein kluger ſchifmann das ſchif, nicht
wohl zu regieren wuſte, ſondern ſich vielmehr
derſelben freywillig preiß gabe, ſo wurde ſie
endlich auf die klippen der unkeuſchheit geworf-
fen, und muſte daran mit ihrem gaͤntzlichen un-
tergange zu ſcheitern. Dabey gienge ſie nicht
allein zu grunde und in das verderben, ſondern
ihr fall, oder daß ich recht ſage, ihre boßheit,
riſſe einen von der unſchuld ſelbſt bekroͤnten
grafen von Modena, elendiglicher weiſe zugleich
in den abgrund. Dieſer hatte bißhero in den
dienſten des maͤchtigen Ottonis, tapferkeit,
treue, und klugheit, ſeinem allerdurchlauchtig-
ſten oberhaupte gewiedmet, und es waren
auch ſeine verdienſte, durch die kaͤyſerliche gna-
P 2de
[228]von dem ſtilo
de, nicht nur gebilliget, ſondern auch erhoͤhet
worden. Sein edler und tugendhafter geiſt,
hatte denen innerlichen vollkommenheiten, eine
aͤhnliche und anſtaͤndige wohnung auserleſen,
und da ihn die natur mit einem wohlgebildeten
angeſichte und maieſtaͤtiſcher ſtatur begabet, ſo
traf es bey ihm ein, daß in einem ſchoͤnen leibe
ein ſchoͤner geiſt zu wohnen pflege. Hatte ſich
aber tugend und natur gegen ihm guͤtig erwie-
ſen, ſo ſchien es, als wann dadurch die eyfer-
ſucht des gluͤcks erreget worden, daß dieſes auch
ſich zu raͤchen es alſo gefuͤget, damit das hertz
der kaͤyſerin durch geile flammen entzuͤndet, den
unſchuldigen grafen, ſeiner eyferſuͤchtigen wut
aufopfern muͤſſen. Denn wie in geilheit ent-
brannte ſeelen, weder goͤttliche noch menſchliche
geſetze ſcheuen, die feſteſten baͤnder zertrennen,
und auch mit der aͤuſſerſten lebens-gefahr ihre
brennende begierden, in dem meere der luͤſte
abzukuͤhlen ſuchen, ſo ſuchte auch hier die feuri-
ge liebe der kaͤyſerin, theils durch die blitze eines
ſochtenden auges, theils durch die mit ſchmach-
tenden lippen ſehnlichſt herfuͤrgebrachten wor-
te, theils durch alle nur erſinnliche liebes-bezeu-
gungen, das hertz des grafens zu erweichen, und
in eine gleichfoͤrmige, obſchon verbotene glut zu
ſetzen. Sind nun ſonſt die liſtigen verſtellun-
gen einer lockenden Sirene, und der ſchmeichel-
hafte mund einer luͤſternden Evaͤ vermoͤgend,
alles zu ſclaven und unmoͤgliche dinge moͤglich
zu machen: So waren ſie doch hier, gegen das
geſetzte
[229]und deſſelben eigenſchaften.
geſetzte gemuͤth des tugendhaften grafens, un-
nuͤtze waffen. Waren der kaͤyſerin holdſeelige
blicke, pfeile, ſo war ſein hertz ein felſen, auf ſol-
chem muſten ſie zuruͤcke prallen, waren ihre
liebreitzende worte bande, ſo wurden ſie an den
haͤnden dieſes Simſons wie verſengte faden.
Er hatte gelernet, man muͤſſe am hofe bey ge-
wiſſen faͤllen mit ſehenden augen blind, und mit
hoͤrenden ohren taub ſeyn, weil die am beſten
ſingenden, am erſten zu fangen, und die am
liebreichſten ſcheinenden, am begierigſten zu
freſſen pflegen. Alſo war er ein Salaman-
der, in den flammen dieſer unkeuſchen, und ein
Joſeph, welcher ſeinen Gott fuͤr augen, die tu-
gend im hertzen, und die ſeiner gemahlin ge-
ſchworne treue in unverwelcklichen andencken
hatte, was wunder dann, daß er das ungezie-
mende anſinnen, der kaͤyſerlichen gemahlin, be-
ſtaͤndig abſchlug. Die einer wolluͤſtigen da-
me verſagte liebe, iſt ein unbetrieglicher vorbo-
te, der gewiß erfolgenden rache, und wie man
ſich fuͤr denen im heiſſeſten ſommer auf ſteigen-
den gewittern, am meiſten zu fuͤrchten, alſo
kanſtu bey deiner tugend ungluͤckliche graf,
von der, durch deine abſchlaͤgige antwort er-
zuͤrnten kaͤyſerin, nichts als blitz und donner-
ſchlaͤge vermuthen. Der grafnachdem er ei-
ne ſolche gelegenheit großmuͤthig ausgeſchla-
gen, welche von andern aͤngſtiglich geſuchet
wird, muſte in weniger zeit erfahren, daß die
keuſchheit denen grauſamſten verfolgungen
P 3aus-
[230]von dem ſtilo
ausgeſetzet, und daß laſterhafte gemuͤther den
ſpiegel, welchem ſie ihre ſchandflecken gewieſen,
gemeiniglich zerbxechen. Verlaͤumbdungen
haben nicht geringe macht, und ich werde
durch die ungluͤcklichen begebenheiten, ſo dieſes
laſter anrichtet, leicht auf die gedancken ge-
bracht, daß kein ungeheuer und raſende teuf-
fels-brut, dem menſchlichen geſchlecht ſo nach-
theilig und ſchaͤdlich ſey, als eben verlaͤumb-
dungen. Dieſe waren es auch, deren ſich die
kaͤyſerin als werckzeuge ihrer rache bediente,
und ſie durfte nur bey ihrem gemahl ſich bekla-
gen der graf habe ihr unzucht angemuthet, ſo
waren alle gute eigenſchaften deſſelben, in den
augen des durch die eyferſucht geblendeten und
aufgebrachten kaͤyſers, und alle dem kaͤyſerli-
chem ſcepter geleiſtete dienſte, bemuͤhungen, der
kaͤyſerin liebe zu erzwingen. Kurtz ſein todt
war eine wuͤrckung der abgeſchlagenen liebe,
und die kaͤyſerin ſahe mit freuden ſeinen, der
unſchuldigen ſeele beraubten, leib, unter den
haͤnden des henckers. Allein, triumphire
nicht unkeuſche moͤrdeꝛin. Tugend und unſchuld
wird gar leicht unterdruckt, aber ſie bleibt nicht
lange unterdruckt, oder findet wenigſtens, mit-
leiden, freunde ia wohl gar ſcharffe raͤcher. Die
gemahlin des erwuͤrgten grafens, wird durch
das um rache ſchreyende blut, ihres unſchuldi-
gen ehe-herrns bewogen, mit einer damahls
uͤblichen feuer-probe, durch unverletzte beruͤh-
rung
[231]und deſſelben eigenſchaften.
rung eines gluͤenden eiſens, ſeine unſchuld an
den tag zu legen und zu bewaͤhren. Zu dieſem
fuͤgte ſich die unruhe eines geaͤngſteten und auf-
wachenden gewiſſens. Solches iſt die aͤrgſte
tortur boßhaft geweſener menſchen, und wer
dieſes in der ſeele hat, iſt weit ungluͤcklicher, als
derienige, welcher eine ſchlange im buſen traͤgt,
und deſſen begleiter ein allzeit fertiger hencker
iſt, und eben dieſes folterte dieſe printzeſſin al-
ſo, daß ſie lieber ihre uͤbelthat und des grafen
unſchuld bekennen, als ſich einer irdiſchen hoͤl-
le aufopfern wolte. Darauf folgte eine er-
ſchreckliche ſtraffe, und es ſchien als wann mehr
die vereinigung ſo vieler geiſtlichen flammen,
dieſe ungluͤckſeelige, endlich in aſche verwan-
delt haͤtte, als der bey Modena aufgerichtete
ſcheiterhauffen, auf welchem ſie ihr leben mit
einem entſetzlichen ende iaͤmmerlich beſchlieſſen
muſte. Die nachwelt aber kan aus ihrer aſche
leſen: Hohen haͤuptern werde am gefaͤhrlich-
ſten von denen laſtern nachgeſtellet, und den-
noch ihre miſſethaten am ſchrecklichſten heimge-
ſuchet, wann die Goͤttliche allwiſſende Maie-
ſtaͤt, mit raͤchenden arme, was im finſtern be-
gangen, an die ſonne herfuͤrziehet.
§. 12. Und dieſes waͤren dieienigen eigen-
ſchaften des ſtili, ohne welche derſelbe, ein un-
formlicher miſchmaſch zuſammen gehaͤufter
worte bleibt, und welche hingegen wann ſie
wohl in acht genommen und angebracht, als
die wahrhaftigen und natuͤrlichen zierrathen
P 4deſſel-
[232]von dem ſtilo
deſſelben anzuſehen. Zu dieſen kommt nach-
gehends die kunſt, und bemuͤhet ſich den ſtilum,
durch allerhand arten von tropis und figuren,
durch lauter wohl ausgeſuchte argumenta illu-
ſtrantia und pathetica, ohngeachtet die natuͤr-
liche expreſſion dergleichen eben nicht nothwen-
dig erfoderte, lebhaftig, ſinnreich, hoch und an-
genehm zu machen. Doch iſt bey dieſen zu
mercken, daß ſie nicht am unrechten ort, nicht
wieder die natuͤrliche eigenſchaften des ſtili,
nicht zu haͤuffig, und nicht alsdann ſchon ange-
bracht werden, wenn man noch nicht die natuͤr-
lichen eigenſchaften recht beobachtet hat.
§. 13. Da nun durch ſelbige alle theile der
expreſſion erhoͤhet, die gedancken nachdruͤckli-
cher, die regungen heftiger und die worte mit
denen dazu ſorgfaͤltig ausgeſuchten neben-
ideen bald maieſtaͤtiſcher bald anmuthiger
werden, ſo entſtehet daher eine beſondere leb-
haftigkeit des ſtili, welche das gemuͤth des zuhoͤ-
rers im nachſinnen unterhaͤlt, ſeine einbildung
beluſtiget, ſeine neigungen auf eine angenehme
art erreget, und das gehoͤr inſonderheit ergoͤtzet,
aber eben deßwegen nicht gar zu gemein zu ma-
chen, noch uͤberall anzubringen iſt.a)
§. 14. Jnſonderheit iſt es noͤthig, daß man
mit denen tropis und figuren, vernuͤnftig um-
zugehen wiſſe, und ſelbige nicht ungeſchickt aus-
P 5theile
[234]von dem ſtilo
theile.a) Beyde muͤſſen in der natur des ob-
iecti und der gedancken davon gegruͤndet ſeyn,
und denen eigenſchaften des affects ſich con-
formiren, denn wo dieſe hauptſtuͤcke fehlen, da
iſt auch die anbringung der troporum und figu-
ren ein fehler. Alſo ſind alle dieſe kuͤnſtliche und
gute zierrathen billich zu verwerffen, wañ man
ſie bey keinen hohen und pathetiſchen obiectis
anbringet,b) wann ſie monſtroͤſe ideen rege
machen,c) alle ſo wohl natuͤrliche als morali-
ſche capacitaͤt uͤberſchreiten, d) keine natuͤrli-
che ſchoͤnheit zum grunde haben und dannen-
hero mehr fuͤr eine laͤppiſche ſchmincke, e) als
angenehmen putz zu halten.
§. 15. Wo man dieſe hier beygebrachte
cautelen negligiret, den ſtilum gar zu ſehr kuͤn-
ſtelt, mit fleiß und ohne noth ungebraͤuchlich
redet, allzu ſinnreich und erhaben ſprechen will,
ſo entſtehet ein pedantiſcher, phantaſtiſcher,
aufgeblaſener und abgeſchmackter ſtilus, wel-
cher bey geringen dingen die praͤchtigſten zier-
rathen
[236]von denen unterſchiedenen arten
rathen verſchwendet, und deren veraͤchtlichkeit
nur noch mehr dadurch an den tag bringet;
welcher von auſſen allerley unnuͤtzen pracht
herbey holet, ohne das weſentliche ſchoͤne zu
conſideriren; welcher bey dem putz auf nieder-
traͤchtige, gezwungene und laͤppiſche kleinigkei-
ten verfaͤllt, und an ſtatt ſolider gedancken, kin-
diſche einfaͤlle fuͤrtraͤget.
VOm ſtilo in anſehung des obiecti, § 1. und zwar
vom ſtilo humili, §. 2. Vom ſtilo mediocri, §. 3.
Vom ſtilo ſublimi, §. 4. Vom theoretico und pathe-
kico, §. 5. Vom erudito und zwar vom Theologico,
§. 6 Vom Juridico, und curiaͤ, §. 7. Vom Medi-
co, Philoſophico, Mathematico, §. 8. Vom Hiſto-
rico, §. 9. Vom ſtilo in anſehung der gedancken, §. 10.
Vom ſtilo ingenioſo und arguto, §. 11. Vom ſtilo ſa-
tyrico, §. 12. Poetico 13. Vom Butlesque, §. 14.
Vom ſtilo in anſehung der ſprachen, §. 15. Vom La-
teiniſchen, §. 16. Vom Teutſchen, §. 17. Vom de-
clamatorio, §. 18. Vom theatrali, §. 19. Vom lu-
xurianti, §. 20. Vom conciſo, ſententioſo, §. 21. Vom
ſtilo rotundo, §. 22. Vom ſtilo in anſehung des re-
denden, §. 23. Jn anſehung des hoͤrenden, §. 24.
Vom ſtilo familiari, dialogiſtico, §. 25. Vom galan-
ten
[237]des ſtili inſonderheit.
ten ſtilo, §. 26. Vom caͤrimonioſo, §. 27. Vom
epiſtolari, §. 28. Vom dogmatico und polemico, ꝛc.
§. 29.
§. 1.
D Je mancherley zufaͤlligen dinge, welche
bey dem ſtilo die weſentliche eigenſchaf-
ten deſſelben, vielfaͤltig bey der anwen-
dung modificiren, und die verhaͤltniß ſeiner thei-
le in etwas veraͤndern, bringen auch verſchie-
dene arten des ſtili herfuͤr.a) Die wichtigſte
veraͤnderung entſtehet, von den unterſchiede-
nen obiectis, deren iedes einen beſondern ſtilum
erfodert. Jſt das obiectum ſinnlich, ſo bekom̃t
man ſtilum ſimplicem, der ſicy auf den univer-
ſellen gebrauch gruͤndet; iſt es abſtract, ſo ent-
ſteht der ſtilus eruditus, nach dem gelehrten ge-
brauch; bey niedrigen obiectis iſt der ſtilus hu-
milis; bey hohen, der ſublimis; bey mittel-
maͤßigen, der mediocris zugebrauchen; gehet es
den verſtand allein an, erfordert es ſtilum theo-
reticum; gehet es den willen an, erfodert es
patheticum u. ſ. f.
§. 2. Unter dieſen iſt der ſtilus humilis der
geringſte in anſehung des obiecti, aber der
ſchwerſte und nothwendigſte in anſehung ſeines
gebrauchs. a) Seine groͤſte kraft zeiget er in
dem adaͤquaten ausdruck, daß er von niedrigen
dingen, zwar dem obiecto aͤhnliche, aber deßwe-
gen nicht abiecte gedancken, ohne heftige be-
wegung, mit deutlichen, natuͤrlichen worten
fuͤrtrage, ſelbige in einen flieſſenden numerum,
maͤßige periodos, gelinde iunctur, mit deutli-
chen connexionibus zuſammenfuͤge, und hin-
gegen die kuͤnſtliche zierrathen als tropos und
figuren ſo viel moͤglich vermeide.
Quocumque demum me in hac rerum
vniuerſitate vertam, Auditores, ingemiſcen-
tes
[240]von denen unterſchiedenen arten
tes audio \& vociferantes hominum turbas:
O Deus in quae nos reſeruaſti tempora! Ea
enim eſt humani generis conditio, vt qui-
dem in tempore viuat, ſed nunquam tempo-
re in quo viuit, contentum viuat. Puericonti-
nuis in votis habent, vt ex ephebis excedant,
aetatem iuuenilem adepti virilem cupiunt,
illam ſi conſequantur, anxie non ſolum con-
iugia deſiderant, ſed ſimul voto expetunt vo-
luptates, diuitias, honores, quando demum
vlterius aetate prouehi nequeunt, praete-
ritam repetunt, atque maiorum tempora
laudibus tantum non in uidendis extollunt.
Rationibus ſe deſtitui neutiquam patientur,
ſed quibus ſint muniti, dudum innotuit ho-
minibus recta ratione rite inſtructis. Eſt
quidam neglectus ſapientiae, qui loco ſum-
mi boni virtutis atque inde propullulantis
tranquillitatis animi, affectuum nebulis ho-
min um animos occoecantibus, iis bona re-
latiua obiicit, quae pro ſummo paſſim am-
plectuntur. Accedit huic neglectui rectae
rationis, affectuum in aeui praeſentis ho-
mines dominium, dum quidquid recta ra-
tio de bonis eiusmodi relatiuis ſummo poſt-
ponendis dicat, ſurdae pulſantur aures, ipſi
vero affectus non vt decebat ſuffocati, ſed
magis magisque in altum elati in infinitum
tendunt, animosque perpetuis curarum \&
votorum procellis agitant, vt ſemper alia
aliaque tempora exſpectent, \& tandem in
repeten-
[241]des ſtili inſonderheit.
repetendis maiorum temporibus deſinant.
Egregiae ſane, quibus ſua muniunt vota ho-
mines huius ſaeculi, rationes! Sed ne iniu-
rius ſim in eos, ipſorumque famae aliquid
detrahere videar, adducam quae reſtant, ſi
vobis ita videbuntur Auditores, alicuius
momenti rationes, quas votis ſuis praetexunt
laudatores temporis acti, \& quas ob cauſſas,
maiorum tempora exoptanda forent, mon-
ſtrabo. Id quidem praeſenti tempore maxi-
me negotium mihi datum eſſe duxi, vbi cir-
cum voluente anno, votorum atque gratu-
lationum ſtrepitu, omnia reſonare audi-
mus, vbi \& mea mouet religio pectora, vt
parentibus atque patronis, pro huc vsque
plane ſingularibus praeſtitis beneficiorum
generibus, debitas perſoluens gratias, fau-
ſtum noui anni initium ipſis apprecer. Si
ergo dignam hoc tempore materiam, ſi di-
gnum filio iudicatis orationis meae finem,
Auditores, fauentes aures mihi haud detre-
ctate. Sic comte ſatis \& erudite hac de re
diſſeruero, ſic optatum attingere ſcopum
potero longe facilius.
Atque vt inde exordiar, vnde in rebuspu-
blicis noſtris agendi\& omittendi principia in
ſubiectos influunt, accuratius tempora ma-
iorum inſpicienti, oculis ſeſe animi obiici-
unt, iuſti Ariſtides, Juſtiniani, fortes bello
Cæſares, Scipiones, benigni atque clemen-
tes Auguſti, Veſpaſiani, ſtudia rerumpubii-
Qcarum
[242]von denen unterſchiedenen arten
carum decus promouentes atque colentes
Caroli. Frequens ſane fuit antiquum aeuum
principibus, ex voluntate Dei ſalutem ſubdi-
torum in libertate vel ſecuritate confirman-
tibus, \& ſi vel maxime tulit vnum alterum-
ve officia boni principis negligentem, non-
dum abſoluta erat vt hodie imperantium
vis, ſed certis limitibus circumſcripta, nec
populo aut animus aut facultas deerat, trans-
gredientem limites ad carceres \& ſupplicia
rapere, \& ſucceſſori documentum ſtatuere.
Si vero non conceſſum erat, imperantes, li-
centia regniabutentes, penitus ſupprimere,
ſubditos defeciſſe vt plurimum docent hiſto-
ricorum monumenta. Sceptra capeſſebant,
populi, penes quem ſumma poteſtas eſt, au-
ctoritate \& voluntati ſurrogati. Sicelectio-
ne, non ſucceſſione, ſummum in republica
dignitatis faſtigium conſcendentes, non po-
terant non, populi amorem ſibicomparan-
di deſiderio ardentes, optima quaeque ſuſci-
pere, cumantea, vt ſuffragia omnium, ad di-
gnitates viam ſternentia, obtinerent, vitae
ac morum integritate conſpiciendos ſe
praebere non deſiiſſent. Ceteroquin po-
ſterioris aeui principibus non amor populi,
non vigor intellectus, non morum integri-
tas, non in ſtudia \& bonas quascumque ar-
tes propenſio, non bello exercitata manus,
ſed, quod ferme pudet dicere, patris cum
matre libidinoſa coniunctio, vnice vniceque
pote-
[243]des ſtili inſonderheit.
poteſtatem \& ius ad faſces imperii arripien-
dos conceſſit. Hinc illae lacrimae, hinc il-
la ſuſpiria ob calamitatem temporum prae-
ſentium, hinc illa temporum praeteritorum
deſideria. Nati quidem in purpura, raro
tamen \& ferme per miraculum digni impe-
rio euadunt. Fidei eiusmodi hominum
committuntur, qui dum ipſi recte viuendi
rationem nondum didicere, id tantum agunt
vt puero principi ad affectuum liberiorem
excurſionem portam adaperiant, dum fre-
na quidem laxare, non reſtringere ſciunt ne
aliquando gratia futuri principis excidant.
Inde gaudete quis canibusque, fertur impetu
quodam in ſequiorem ſexum, geſtit miniſtros
exagitare, ſubditos variis artibus ludibrio
exponere \& operoſe diuexare. Monitori-
bus aſperum, ſtudiis inimicum, religionis ir-
riſorem, veritatis impatientem ſe ſe gerit,
\& quodlibet audendi ſibi facultatem éſſe re-
lictam ſoli, credit. Tandem ſolium pater-
num ſcandens, qui ipſe ſibi imperare non-
dum didicerat, \& humanas \& diuinas vili-
pendet leges, patrum legens veſtigia, vitiis
magis quam virtutibus clara, ſubditos liber-
tate exuit, nec damnum in ſecuritate ſtabili-
enda reponit. Arcana dominationis pri-
marium ſuarum actionum ponit finem, ſe-
cundarium vt fines imperii latius extendens,
multis licet iniuſtis acceſſionibus id augeat.
Priuilegia \& iuramenta negligit, \& vt ipſe
Q 2affe-
[244]von denen unterſchiedenen arten
affectibus ſuccumbere ſueuit ita ſubditos va-
riis ſuis \& vagis affectibus obedientiam iu-
raſſe ſibi perſuadet. Quis vmquam antiquis
temporibus tanta facinora ex circumſcripta
imperantium vi \& electione timuit, quanta
hodie ex ſucceſſione \& illimitata principis
voluntate ſentimus. Nolo vlterius progredi,
\& ex antiqua Germanorum hiſtoria de mon-
ſtrare, quam felix fuerit eorum aetas quam
fortunata, dum plane imperantibus deſtitu-
ti, nihilominus virtutem ſectari, fidem da-
tam ſeruare, fortitudine inclareſcere, ami-
citiam colere, non intermiſerunt. Vnicum
addendum eſſe exiſtimo, ex peruerſa ſum-
morum principum vitae conditione, vitia
quoque trahere alios, imperantium perſo-
nas gerentes. Princeps dum ſtudia negli-
git, nec dignos muneribus publicis admouet,
nec indignos remouet, ſed eius generis ho-
mines, qui cum principe vel Baccho, vel
Veneri, vel Marti, litare ſibi gloriae ducunt,
vel quouis modo pro amplianda dignitate,
aut corradendis principi pecuniae ſummis,
nati videntur. Olim virtute duce, officiis
intromiſſi, etiam virtutibus iis praeeſſe ſa-
tagebant, virtutibus deſtituti, virtutum ta-
men ſimulacris ſuffulti atque conſpicui vi-
debantur; nec ibi ſanguinis aut diuitiarum
habebatur ratio, ſed ſcientiae, experientiae
atque virtutis, quibus ſolis homines caput
ſupra
[245]des ſtili inſonderheit.
ſupra vulgus efferunt. Statu politico im-
medicabili vulnere laborante, quid de eccle-
ſiaſtico exſpectabimus? Arcta hi duo inter
ſe connexione iuncti, conſpiratione quadam
quaſi inita, nonnunquam quidquid ad rei-
publicae tranquillitatem referri poterat, de-
ſtruunt. Mirabimini, Auditores, me tam li-
bere de ſtatu noſtrorum temporum perdito
declamare, ſed ne paradoxa vobis proponere
me iudicetis, maiorum quaeſo noſtrorum
tempora euoluite atque imagines ſacrorum
virorum, quo decet, animo tantiſper remiſ-
ſo, intuemini. Quem, quaeſo inter noſtros
hodie monſtrabimus Chryſoſtomum, Mar-
tinum, Ambroſium, Auguſtinum, Macari-
um, Taulerum, Thomam a Kempis, Luthe-
rum, Melanchthonem, Arndtium. Non
dico plane nos carere viris ſacris muneri-
bus admotis, piis, eruditis, vitae \& doctri-
nae puritate conſpicuis, ſed non tam fre-
quentes eos inter nos eſſe, vti antiquiſſi-
mis temporibus, hoc eſt quod dolemus. Hoc
palmarium viro ſacro, miniſtro eccleſiae
eſſe duco, vt officia hominum \& obligatio-
nes ex lege diuina explicet, \& exemplo ſuo
rudiores, quibus rationes percipere natura
nouerca interdixit, dirigat. Ethoc palma-
rium ſibi olim putabant verbi diuini inter-
pretes, cum aut nullis aut ligneis inſtructa
templis eccleſia, aureis niteret ſacerdotibus.
Non ſane, quod plerumque obſeruamus,
Q 3variis
[246]von denen unterſchiedenen arten
variis machinationibus \& captionibus oc-
culte directis, ſacras prouincias auide arri-
pere tentabant, ſed vel oblatas recuſabant,
ſecum habitantes, ſuam expendentes imbe-
cillitatem, ſacri muneris vero dignitatem.
Introductinon gazophylazia ſua augere, va-
riis ventrem deliciis infarcire, ciſtas auro
argentoque implere, affectus titillare, ſtude-
bant, ſed fame ac ſiti premi, immo ad ſuppli-
cia rapi, leue quoddam huius vitae incom-
modum aeſtimabant, ſi hac ratione audito-
rum erigi in Chriſtum fidem aut corroborari
poſſe intelligebant. Noſtris interdum ho-
minibus ſatis eſt, per aliquot horas in vm-
bone ſacro balbutiiſſe, ita vt non immerito
quis cum Knittelio dixerit: Ecce iterum
verbum Domini loquitur per aſinam Balaa-
mi. Reliqua, quae munus exigere videtur
eccleſiaſticum, ceu opus operatum finiiſſe
gaudent, ac ſibi plaudunt, crumena probe
diſtenta exinde rediiſſe, de cetero imperare
potius auditoribus \& conſcientias illimitato
dominio crudeliter coërcere, quam iis ſer-
uire \& infirmitatibus pie ac moderate ſuc-
currere ſciunt. Principi aliisque reipubli-
cae curam ſiniſtre gerentibus, tantum abeſt
vt admonitionibus, tam publicis quam pri-
uatis, officia boni imperantis infulciant, vt
potius quidquid imperantes facinoris perpe-
trent, ſub ſpecie prudentis conſilii ac ſingu-
laris plane actionis ſubditis commendent,
ne
[247]des ſtili inſonderheit.
ne forſan S. Joh. Baptiſtae aut Chryſoſtomi
a[d]uerſa fata ſubire cogantur. Qualis rex,
talis grex, quales paſtores, tales oues. In
corpore vbi nec cor nec caputſana ſunt, ce-
tera membra male ſe neceſſario habent
omnia. Antiqua tempora \& bonis ciuibus
\& multitudine ſapientum \& optimis Chri-
ſtianis conſpicua, quid noſtris in hac re deſit
per hiſtoricos ſatis loquuntur. Portenta
inter Athenienſes fortitudinis atque erudi-
tionis, inter Romanos fidei \& honeſtatis, in-
ter Germanos magni animi, frugalitatis, a-
moris ſocialis, nouimus. De Chriſtianis
ſaeculorum primorum vel tantum circa re-
ſurgentis purioris doctrinae tempora, quan-
ta quaeſo pietatis, deuotionis, conſtantiae,
caritatis, fidei in Chriſtum exempla audiui-
mus. Noſtra aetas, nec ſtudia, nec pietatem,
nec honeſtatem, nec bonas artes colit. Inde
eſt, quod ſtudiis ſacrati in falſa eruditione
ſubſiſtant, \& ſaltem de pane lucrando cogi-
tent, ſic praeiudiciis auctoritatis atque prae-
cipitantiae plane immerſi, nil niſi patrum
effata, vel noua penitus omnia inuenta, cre-
pant. Et liberalium \& illiberalium artium
ſtudioſi, non eapropter omnes intendunt
neruos, vt omnium vtilitati conſulant, qui
proprius eſt ſcientiarum finis, ſed vt ſuam
praecipue mediis licitis pariter ac illicicis
promouere queant. Nolo criminibus in-
ſurgere, vtpote quae ferro \& igne, armata
Q 4magi-
[248]von denen unterſchiedenen arten
magiſtratus manu neceſſario reprimuntur,
ſed potius vitiis, quae late, quamuis occulte,
ſerpere ſentio. Officia coniugibus obſer-
uanda, parentibus liberisque exhibenda, do-
minis \& ſeruis inculcanda, neglecta apud
nos hodie atque diſcuſſa, maiori ſane pon-
dere publicam deprimunt tranquillitatem,
quam bella, quibus crebro quaſſantur respu-
blicae. Quod ſi vnquam de qua aetate vi-
luit illud Horatianum;
in noſtram conuenit. Atque ita fontes de-
texi, vnde oriantur tam infinita mala. mor-
bi, diſſidia, vulnera, furta, rapinae, lenocinia,
ſcortationes, adulteria, calumniae, iurgia, \&
neſcio, quae, quibus noſtrae dilacerantur res-
publicae, quae tamen omnia in capita ea-
rum recidunt. Quis non inde animum ad
reuocanda maiorum tempora inducat, vel
vt rectius dicam, quis non deſideret, vt vir-
tutes illae quarum memoria ex priſcis tem-
poribus hodienum viget, noſtram quoque
colluſtrent aetatem. Non autem vota noſtra
tanti ſunt, vt id efficere valeant, ſed labor
improbus, intellectus aſſiduo cultu perpoli-
tus, voluntatis atque affectuum indefeſſa \&
in infinitum repetita correctio. Si votis
interim aliquid efficiendum cenſetis, Audi-
tores,
[249]des ſtili inſonderheit.
tores, mea veſtris iungo, \& memor eius,
quod ſub exordium orationis meae promi-
ſeram, Deum veneror, qui in hunc vsque
diem, per tam miſera temporum noſtrorum
diſcrimina, ſoſpites vos ſeruauit atque inco-
lumes. Inprimis grates, quas mens humana
concipere poteſt maximas, Deo decerno,
quod TE Pater ad cineres omni amoris, cul-
tu proſequende, anno, quem iam egimus, ſal-
uum, atque ab omni vitae vel ſanitatis vel
fortunae detrimento liberum, ſuſtinuit. Tibi
autem, qua par eſt humanitate ac obſeruan-
tia gratias perſoluo, qui facultatem conces-
ſiſti ſtudiis incumbendi \& de emendatione
temporum cogitandi. Det Deus, vt qui ſe-
quitur, anno \& pluribus qui ſequentur, mihi
Tuis, meis, ciuitati, amicis, bonis omnibus,
viuas, vigeas, floreas, \& non niſi tempora
videas Saturnina. Sic quid poſſit filii deuo-
tus ac pius immo gratus animus, multis Ti-
bi nominibus innoteſcet, \& vt ſpero \& expe-
to non Tibi deerit cupiditas, paternis me cu-
mulare beneficiis \& ornare. Seruet Deus
\& vos, Patroni atque Fautores, omni hono-
rum genere proſequendi, vt inpoſterum pro
more veſtro laudatiſſimo in reſtituendis pa-
trum virtutibus \& in ſubleuandis veſtris fa-
miliis operam nauare, ſine vlla remora poſſi-
tis. De cetero meam tenuitatem, Vobis com-
mendatam eſſe precor, \& cum beneuola ve-
ſtra attentione me dignati ſitis, in praeſen-
Q 5ti
[250]von denen unterſchiedenen arten
ti commendatam fore ſpero. Credatis ve-
lim, me vobis ad quaeuis officiorum genera
promptum \& ſacratum.
Unbeſtaͤndig ſeyn iſt ohnſtreitig ein weſentli-
cher begrif, welchen man von allen denenjeni-
gen ſachen, ſo die weiſe hand des allgemeinen
ſchoͤpfers, auf den erdboden dargeſtellet, haben
muß. Am allermeiſten aber iſt dasjenige der
veraͤnderung unterworfen, welches in ſeinem
zu oder abnehmen, und in allen ſeinen umſtaͤn-
den, von den haͤnden der menſchen gefuͤhret
wird, und aus ſeinem munde befehle erwarten
muß. Das menſchliche auge verlanget im-
mer etwas neues zu ſehen, wuͤrden nun die ir-
diſchen dinge, ſich ſtets in einerley geſtalt dem-
ſelben fuͤrbilden, ſo vergienge dadurch die beſte
gelegenheit, den gemuͤthern der menſchen, einen
empfindlichen eindruck zu machen, daß ſie die
weißheit ihres meiſters zu bewundern, und ſei-
nen willen in heiliger nachfolge zu verehren,
ſchuldig waͤren. Der menſch iſt mit recht die
kleine welt zu nennen, und alles was der inbe-
grif der groſſen in ſich ſchlieſſet, muß zu ſeinem
dienſte ſich gebrauchen laſſen. wie kan es alſo
anders ſeyn, alles was etwas iſt, muß ſo wohl
nach dem geſetze der groſſen als kleinen welt un-
beſtaͤn-
[251]des ſtili inſonderheit.
beſtaͤndig heiſſen. Dieſer unaufhoͤrliche wech-
ſel wird dennoch an der zeit als an einem maß-
ſtabe abgemeſſen, dannenhero ſind einige auf
die gedancken gerathen, ob nicht vielleicht die
zeit, die groſſe zeuge mutter ſo vieler unbeſtaͤn-
digkeiten, koͤnne genennet werden. Hat nun
der beſtaͤndige unbeſtand ſolche wuͤrckungen
herfuͤrgebracht, welche denen neigungen der
menſchen wohlgefallen, ſo iſt man bemuͤhet ge-
weſen, guldne zeiten zu erdichten und alſo de-
nen iahren und tagen zuzuſchreiben, wozu man
billich andere urſachen haͤtte ſuchen ſollen.
Sind hingegen verdruͤßliche zufaͤlle aufgeſtoſ-
ſen, welche den verhoften honig mit wermuth
vermiſchet, ſo hat man die zeiten angeklagt, da
man vielmehr ſeine eigne verrichtungen haͤtte
beſſer oder kluͤger einrichten koͤnnen. Eine
wuͤrckung dieſes vorurtheils iſt es, daß man im-
mer ſich mit der hofnung beſſerer zeiten ge-
ſchmeichelt, und dabey die gelegenheit verſaͤu-
met, die urſachen ſeines eigenen elendes zu
heben und ſeine wohlfahrt auf beſſern grunde
zu ſetzen. Denn die ſuͤſſe hoffnung pflegt
mehrentheils auch die wachſamſten gemuͤther
einzuſchlaͤffern, biß der gift zu weit um ſich ge-
griffen und der gegengift zu ſpaͤt ankommen.
Die zeit aͤndert ſich niemahls, aber wer in der
zeit lebt und der zeit ihre benennungen mitthei-
let, aͤndert ſich unaufhoͤrlich. Alſo ſolte man
nicht die guͤldnen zeiten der vorfahren wiede-
rum zu erleben wuͤnſchen, ſondern daß ihre tu-
genden
[252]von denen unterſchiedenen arten
genden aus dem grabe herfuͤrſchienen, und den
lebenden einen ſichern pfad zur gluͤcklichen
nachfolge zeigen moͤchten. Mein vorgaͤnger
hat Jhnen zwar H. und H. A. die vorzuͤge der
alten zeiten fuͤr den unſern gewieſen, allein nicht
in der abſicht einem lebloſen dinge ſolche leb-
hafte wuͤrckungen zuzuſchreiben, aber wohl die
urſachen zu zeigen, warum man dergleichen
wuͤnſche zu thun pflege, und auch einigermaſ-
ſen zu thun befugt ſey. Dabey hat er geſucht,
naͤhere gelegenheit zu bekommen, Jhnen bey
ietzigem iahres-wechſel, die fruͤchte ſeiner ſchul-
digkeit darzureichen. Eben dieß hat auch mich
bewogen, von der zeit zu reden, und zwar von
den vorzuͤgen unſerer zeiten fuͤr denen zeiten un-
ſerer vorfahren, wann ich meinem vorgaͤnger
nicht gaͤntzlich wiederſpreche und ihn vollkom-
men wiederlege, wird doch die eitelkeit desieni-
gen wunſches deſto klaͤrer werden, worinn man
nach dem vergangenem ſeufzet, damit man des
gegenwaͤrtigen vergeſſen moͤge. Sie erlau-
ben mir demnach, H. und H. A. Daß ich in
Dero Hochgeehrten verſamlung, ſo viel von
dieſer ſache rede, als meine ſtamlende zunge
und ungeuͤbter verſtand zulaͤſt, und ihnen die
zeichen meiner ergebenheit, gleichfalls in einem
gluͤckswunſche darbiete, ſo werde daran ab-
nehmen, ob ich die guͤtige erlaubniß habe, mich
ins kuͤnftige als dero diener aufzufuͤhren.
So lange die welt ſtehet und menſchen ge-
ſellſchaftlich leben werden, wird man nicht auf-
hoͤren,
[253]des ſtili inſonderheit.
hoͤren, ſich fuͤr den ſcepter gekroͤnter haͤupter zu
demuͤthigen, leute welche ſich der goͤttlichen
wahrheit befleißigen zu verehren, und ſich im
haußſtande zu gewiſſen pflichten verbindlich zu
machen, alſo wuͤrde es was ungereimtes ſeyn,
ſich dem obrigkeitlichem ioche, der anhoͤrung
goͤttliches willens, denen haͤußlichen pflichten
mit gewalt gaͤntzlich entziehen wollen. Aber
wuͤnſchen, daß alles, ſo viel die menſchliche
ſchwachheit leidet, nach den befehlen einer ge-
ſauberten vernunft eingerichtet werde, iſt nichts
unbilliches. Ob wir nun bereits dergleichen
zeiten erlebet, oder ietzo darinnen ſtehen, oder
noch ins kuͤnftige zu erwarten, ſolches iſt eine
frage, welche ohne groſſe behutſamkeit nicht
leicht zu beantworten. Solte es nach den ge-
dancken derer gehen, welche nur die fehler unſe-
rer, und die tugenden der vergangnen zeiten zu-
ſammen halten, ſo wuͤrden wir glauben muͤſ-
ſen, die zeiten waͤren bereits voͤlligverſtrichen,
da man der vernunft williges gehoͤr verſtat-
tet. Sie haben auch bereits, H. und H. A.
ſo viel die kuͤrtze der zeit leiden wollen, von
meinem vorgaͤnger gehoͤret, worinn man die
vergangenen zeiten denen unſern vorzuziehen
pflege: Dennoch finde ich urſachen genung,
welche mich bewegen koͤnten, denen unſern die
groͤſten vorzuͤge zuzueignen und ihn zu wieder-
legen, wenn ich mir ſelbſt wiederſprechen, und
einem lebloſen dinge ſolche lebendige wuͤrckun-
gen zuſchreiben wolte. Beruhete die ſache
bloß
[254]von denen unterſchiedenen arten
bloß darauf, daß uns die geburt den purpur zu
verehrenauferlegte, da die freye wahl bey den al-
ten nur wohl verdienten die kronen aufgeſetzet,
ſo moͤchte ich wiſſen, wer unter uns zum regieren
tuͤchtige perſonen ausſuchen ſolte. Es muͤ-
ſten ſolches ohnfehlbar leute ſeyn, welche eben-
falls nicht die geburt oder reichthum, ſondern
die weißheit von andern unterſchieden haͤtte,
und die muͤſten wiederum von denen aufgeſu-
chet werden, welche keinen geringen grad der
weißheit erſtiegen, dieſe von ebenfalls weiſen
leuten. Auf ſolche art wuͤrde man von dem
gantzen menſchlichen geſchlecht etwas fodern,
welches man nur im ſtande der unſchuld bey
demſelben gefunden, und welches nur in ienem
leben vollkommen zu hoffen, nemlich eine all-
gemeine weißheit. Wen das recht der nach-
folge auf den fuͤrſtlichen ſtuhl geſetzet, hat ohne
dem eben ſo viel urſachen, ſich durch fuͤrſtliche
tugenden dem volcke beliebt zu machen als wen
die freye wahl dazu erhoben. Jn den alten
zeiten muſten ſich unzehliche laͤnder zu den
fuͤſſen eines eintzigen legen, und ſeinen neigun-
gen faſt blinden gehorſam leiſten; bey uns
haͤlt die groſſe anzahl der zugleich regierenden
haͤupter, ſie ſelbſt untereinander in den gehoͤ-
rigen ſchrancken der billichkeit, und hat ia die
uͤble auferziehung das gute, welches man
von einem printzen erwarten konte, in der bluͤ-
te der iahre zum theil erſticket, ſo iſt der kluge
rath getreuer miniſter, die furcht fuͤr auswaͤr-
tiger
[155[255]]des ſtili inſonderheit.
tiger macht, die geſchloſſene verbindniſſe, er-
theilte freyheiten, friedens-handlungen, com-
mercien-ſorge genung denen unterthanen die
angenehmſten zeiten zu ſchencken. Die we-
nigſten ſind ſo ſcharfſichtig die geheimniſſe des
ſtaats einzuſehen, und doch unterſtehet ſich ie-
dermann davon zu urtheilen. Erfodert nun
zuweilen des landes wohlfarth, der untertha-
nen ruhe, daß printzen ihnen eine kleine unruhe
machen um groͤſſern uͤbel fuͤrzubeugen, ſo meint
der unterthan gnugſames recht zu haben, wo-
durch ſeiner neigung nur zu viel geſchehen, von
ſich abzukehren und wofern es ihm hierinnen
nicht gluͤcken will, die ungerechtigkeit ſeines
printzen anzuklagen. Haͤtten die geſchicht-ſchrei-
ber der alten, ohne ihren zeiten zu ſchmeichlen,
alles ausgedruckt, woruͤber ſich auch vernuͤñf-
tige unterthanen unter ihren fuͤrſten zu bekla-
gen urſach gehabt, ſo wuͤrden wir bald ſehen,
ob den unſern oder den alten zeiten, in anſe-
hung der regenten der vorzug beyzulegen. Und
wo werden wir von denen monarchen unſerer
zeit, ſolche thorheiten aufzeichnen koͤnnen, als
wir von denen alten mit den groͤſten erſtaunen
aufgezeichnet finden. Es prangen auch unſe-
re zeiten mit ſolchen Landes-vaͤtern deren
denckmahle bey unſern nachkommen weit dau-
erhaftiger ſeyn werden, als bey uns die ſaͤulen
Auguſti, Traiani, Hadriani, und anderer.
Nicht minder verdienen die lehrer unſer zeiten,
daß ihrer mit beſſern lobe gedacht werde, als
ins-
[256]von denen unterſchiedenen arten
insgemein der von ſeinen neigungen getriebene
poͤbel von ihnen zu urtheilen pfleget. Einen
wohlgeſaͤttigten eckelt auch fuͤr den niedlich-
ſten ſpeiſen, und wer unter tauſend edelgeſtei-
nen von gleicher koſtbarkeit den beſten ausſu-
chen ſolte, wuͤrde ſie entweder alle fuͤr koͤſtlich
oder alle fuͤr nichtswuͤrdig anſehen. So ge-
het es unſern zeiten, in anſehung der ihnen fuͤr-
geſtellten diener des goͤttlichen worts, indem
der zuhoͤrer daran keinen mangel unter uns
findet, nachdem ihm die ohren iuͤcken, ſo achtet
er dieſes uͤberfluſſes nicht, wie er wohl thun
wuͤrde, wann es ihm daran fehlete. Und ein
ieder der etliche predigten mit fluͤchtigen ge-
dancken angehoͤret, oder in die Homiletiſchen
buͤcher mit hungriger begierde eingeſehen, mei-
net berechtiget zu ſeyn, ieden lehrenden in der
gemeine Gottes, durch ungleiche urtheile in die
muſterung zu fuͤhren. Es wird dannenhero
nach geendigten Gottesdienſt, wohl dieſe frage
ohn unterlaß gehoͤret: Wie hat ers gemacht?
an ſtatt daß man fragen ſolte: Was habt ihr
zu eurer beſſerung gemercket? Die zeiten der
alten haben freylich im Chriſtenthum ſolche
lehrer aufzuweiſen, die man mit den nahmen
der heiligen beehret, und welche gewiß in un-
vergeßlichen andencken zu verehren. Selbſt
die heydniſchen prieſter unterſchieden ſich von
andern, durch wiſſenſchaften, eingezogenheit,
verachtung des irdiſchen und andere ſchein-
tugenden. Allein hierinn wuͤrden ſie alsdann
nur
[257]des ſtili inſonderheit.
nur einen vorzug fuͤr unſere zeiten haben, wann
es uns hierinn mangelte. Daß einige ihrem
h. amt ſich nicht gemaͤß auffuͤhren wollen oder
koͤnnen, ſolches wird ſich niemand befrembden
laſſen, der da weiß, daß ein menſch, wann er
auch mit noch ſo herrlichen gaben ausgeruͤſtet,
dennoch nicht aufhoͤre, ein menſch zu ſeyn. Jch
gehe noch weiter, und ſage, daß unſere zeiten
ſich eines groſſen vorzugs, wegen des geiſtli-
chen ſtandes, fuͤr den zeiten der alten ruͤhmen
duͤrfen. War es ſonſt kaum erlaubt die bloſſe
erzehlung goͤttlicher wahrheiten anzuhoͤren, ſo
koͤnnen wir durch die woche etliche mahl, nicht
nur die bloſſen wahrheiten ſelbſten, ſondern
auch die geſchickteſten auslegungen in denen
praͤchtigſten kirchen-gebaͤuden davon hoͤren.
Kein ort iſt ſo gering, keine gemeine ſo enge ein-
geſchrenckt, die ſich nicht eines ſeelſorgers freue-
te. Das Chriſtenthum hat ſich durch die gan-
tze welt ausgebreitet, und das licht der Evan-
geliſchen wahrheit ſuchet allenthalben durch
die finſterniß zu brechen, mit huͤlfe getreuer leh-
rer. Raubt der todt ein glied aus dem geiſt-
lichen orden, ſo iſt eine ſolche menge derieni-
gen, die ſich dazu wuͤrdig befinden, daß man
kaum in iahres-friſt den geſchickteſten darun-
ter ausſuchen kan, weil ſie alle gleiches vermoͤ-
gen ſelbigen getreulich fuͤrzuſtehen beſitzen. Die
alten verſpuͤrten an allen dieſen nicht geringen
mangel. Von der erkaͤnntniß der ſprachen und
anderer hoͤchſtnoͤthigen wiſſenſchaften, derer
Rſich
[258]von denen unterſchiedenen arten
ſich unſre lehrer, bey ſo maͤchtig angewachſener
gelehrſamkeit ruͤhmen, nichts zu gedencken.
Die ordnung des heyls wird in den ſyſtemati-
bus und ſymboliſchen glaubens-buͤchern mit der
ſchoͤnſten art fuͤrgetragen, da man vor dieſem
hier und dar ein ſtuͤck aus der Bibel reiſſen und
zu ſeinen glaubens-articuln zehlen muſte. Wer
ergoͤtzet ſich nicht an den ungemeinen einrich-
tungen des Gottesdienſtes, an die artigen erfin-
dungen die hiezu gehoͤrigen diener Gottes zu
unterhalten, an die von allen aberglauben und
unanſtaͤndigkeit geſauberten kirchen-gebraͤu-
che. Uberhaupt werden wir uns nicht ſchaͤmen
duͤrfen, wann ſonderbahre verdienſte in die ie-
tzigen zeitbuͤcher unſere nahmen einſchreiben.
Ein weiſer mann muß mit allen umſtaͤnden
der zeit, des orts, zu frieden ſeyn, wann ers nicht
aͤndern kan, oder ſich zum wenigſten huͤten, daß
er nicht oͤffentlich, durch unanſtaͤndiges klagen,
die ſchwaͤche ſeines verſtandes in der klugheit
zu leben, an den tag lege. Was im gemeinen
leben unſre ruhe zu ſtoͤhren ſcheinet, iſt alſo be-
ſchaffen daß es nur von denen verderbten nei-
gungen herruͤhret und auch ſelbigen wiederum
eintrag thut. Wer wolte alſo dieſerwegen
die gegenwaͤrtigen zeiten verfluchen, oder die
zeiten der alten zu erleben wuͤnſchen. Sonſt
iſt es eine ausgemachte ſache, daß zu unſern zei-
ten die wiſſenſchaften auf den gipfel der voll-
kommenheit zu ſteigen, einen begluͤckten an-
fang gemacht, da die alten ſelbige nur auf der
unter-
[259]des ſtili inſonderheit.
unterſten ſtuffen dazu zugelangen, erblickten.
Wie reich ſind nicht unſere zeiten an denen herr-
lichſten erfindungen und nuͤtzlichſten kuͤnſten
fuͤr denen alten? Die handlungen ſind gewiß
das bequemſte band gantze voͤlcker in vergnuͤg-
ter einigkeit zu verbinden, und wir koͤnnen uns
dieſes vorzugs billich fuͤr andern fuͤr den alten
ruͤhmen. Zwar olte es ſcheinen, als ob nur
eitelkeiten dadurch unter uns eingefuͤhret, und
alſo der menſchlichen geſellſchaft mehr geſchadet
als genutzet wuͤrde. Allein zu geſchweigen,
daß hiezu ein groſſer beweiß gehoͤret, ſo kan
doch dieſes nicht ſtreitig gemachet werden, daß
die handlungen ein groſſes wo nicht das meiſte
zu der galanten und civilen lebens-art unſerer
leute beytragen ſolten. Wuͤrden die alten in
ihrer einfaͤltigen kleidung und ungeſchlachten
ſitten wieder aufſtehen, und ſehen wie artig
unſer umgang, wie geſchickt unſere kleidung, wie
zierlich unſere ſprache in denen complimenten,
wie wohlanſtaͤndig unſer gantzes weſen, ſie
wuͤrden ihnen gantz beſondere und fuͤrnehme
gedancken von unſern artigkeiten machen. Jch
wuͤnſche mir alſo nicht beſſere zeiten zu erle-
ben, ich ſehne mich nicht nach den zeiten der al-
ten, aber dieſes wuͤnſche ich, daß ich und ein ie-
der, der weißheit und tugend zu ſeinen leitſtern
erkohren, ſich der gegenwaͤrtigen ſo bedienen
moͤge, daß ihm die zukuͤnftigen die angenehm-
ſten vergnuͤgungs-roſen zu brechen erlauben
muͤſſen. Doch ich haͤtte bald, von denen an-
R 2nehm-
[260]von denen unterſchiedenen arten
nehmlichkeiten unſerer zeiten und deren be-
trachtung entzuͤckt, vergeſſen, daß ich ſchlieſſen
muͤſſe, und daß ich Jhnen vorher, H. und H.
A zu den antritt des neuen iahres ergebenſt
gluͤck zu wuͤnſchen mir auferleget haͤtte. Jch
verehre Sie allerſeits, theils mit kindlicher
pflicht, theils unter den nahmen naher ver-
wandſchaft, theils weil ich mir von dero ver-
dienſten wie ſchuldig einen groſſen begrif ma-
che. Wie kan ich alſo anders als mich er-
freuen, da ich bey Jhnen meine ſchuldigkeit ab-
ſtatten und Sie insgeſamt im erwuͤnſchten
wohlſeyn antreffen kan. Wie kan ich anders,
da ich Jhnen zum theil fuͤr Dero vaͤterliche un-
ermuͤdete fuͤrſorge, zum theil fuͤr die von Jhnen
genoſſene vielfaͤltige zeichen einer ungefaͤrbten
freundſchaft, zum theil fuͤr Dero wohlgewogen-
heit, damit ich mir ſchmeichele, unendlich ver-
bunden bin, wie kan ich anders ſage ich, als
mich fuͤr dem throne Goͤttlicher maieſtaͤt demuͤ-
thigen uñ Jhnen allen geiſtlichen und leiblichen
ſeegen von oben herab ausbitten. Der Hoͤch-
ſte bekroͤne meinen wunſch mit erfreuender fol-
ge, ſo wird mir wie ich hoffe erlaubt ſeyn, ferner-
hin Dero mir geneigtes wollen zu ruͤhmen und
an Dero vergnuͤgen theil zu nehmen, da ich
nicht ablaſſen werde, in tiefſter ergebenheit Sie
allerſeits zu verehren.
§. 3 Nach dieſem iſt der ſtilus mediocris
der gebraͤuchlichſte und angenehmſte.a) Er fo-
dert ein mittelmaͤßiges obiectum,b) demſelben
gemaͤſſe
[261]des ſtili inſonderheit.
gemaͤſſe gedancken, muntere regungen und affe-
cten, (wofern das obiectum nicht bloß theore-
tiſch,) hat die freyheit tropos und figuren zum
ausputz des ausdrucks zu gebrauchen, beobach-
tet in der iunctur und dem numero einige zier-
lichkeit, wechſelt mit denen connexionibus ab,
hat alſo mehr freyheit als der humilis, und
auch mehr lebhaftigkeit.
Der erdkreiß ſcheinet nur darum auch ohne
pfeiler ſo feſte gegruͤndet, und der himmel auch
ohne
[263]des ſtili inſonderheit.
ohne bogen ſo unbewegl. gewoͤlbet zu ſeyn, da-
mit beyde mit gewiſſern grunde, den beſtaͤndi-
gen unbeſtand und wechſel ihrer einwohner
uns fuͤr augen ſtellen. Dieſer iſt ſo maͤchtig,
daß er nicht nur uͤber dinge, deren weſen wir
wuͤrckl. empfinden, ſondern davon wir auch
nur einige moͤglichkeit erdencken koͤnnen, ſeine
unumſchraͤnckte herrſchafft ausuͤbet. Bald muß
ſich der heydniſche Jupiter unter allezeit ande-
rer geſtalt als ein verliebter ſchmeichler, bald als
ein mit donner-keilen um ſich werffender wuͤte-
rich von ſeinen verehrern abbilden laſſen. So
offt als die Gratien ihren reyen veraͤndern, er-
ſcheinen ſie in anderer ſtellung, die von einer
iñiglichen freude oder hertzfreſſenden betruͤbniß
ihren urſprung nehmen. Kaum hat die ſonne
ihre angenehme ſtrahlen dieſem runde gegoͤn-
net, ſo kan eine regen-ſchwangere wolcke licht
und freude in dunckelheit und ſchatten verſetzen,
und wird ſie von den Perſern angebetet, ſo muß
ſie ſich von den Mohren verfluchen laſſen. Den
mond werden wir niemals in der geſtalt auf-
gehen ſehen, in welcher wir ihn bey ſeinem un-
tergang angetroffen, und die ſterne ſcheinen al-
gemach auf unſern wirbel zu ſteigen, welchen ſie
nach wenigen ſtunden wieder verlaſſen. Hat
das feuer vor kurtzer zeit mit den helleſten
flammen geſpielet, ſo erblicket man gleich dar-
auf entweder ſchwache funcken oder graue
aſche. Der goldfuͤhrende Tagus bietet der
natur bald einen ſpiegel an, bald wird man
R 4ihn
[264]von denen unterſchiedenen arten
ihn von einem leimichten boden von ferne kaum
unterſcheiden koͤnnen. Nach dem winck des
allgewaltigen ſchoͤpfers fuͤhret ſich das erdreich
ietzt wie eine guͤtige zeuge mutter ſo vieler be-
wunderns wuͤrdiger kraͤuter auf, ietzt wie ein
mit ſtahl und eiſen uͤberzogener magnet-ſtein.
Nachdem willen eines halb erfrornen wandeꝛs-
mannes, muß ſich die lufft zur erwaͤrmung der
erſtarreten glieder gebrauchen laſſen, welche
er gleich darauf heiſſe ſpeiſen damit abzukuͤh-
len anwendet. Ein unnuͤtzer irwiſch iſt, wie
ich glaube, doch dazu nuͤtze, daß er zu einem bilde
der in die abwechſelung verliebten welt dienen
kan. Steine aus einem felſen gehauen, muͤſ-
ſen ſich ſo wohl zu einem verachteten pflaſter
als prahlenden fronton ſchicken. Die zeit
bauet mit erſtaunender bemuͤhung ſolche wer-
cke auf, von welchen man meinen ſolte, daß ſie
der unbeſtaͤndigkeit allen vortheil abgelauffen
haͤtten, und eben dieſelbige belehret uns nach
wenig verfloſſenen iahren, was ſie dabey fuͤr
ein abſehen gehabt, nemlich in der aſche und
uͤberbleibſeln von ſolchen koſtbarkeiten mit le-
bendigen buchſtaben zuſchreiben: es ſey alles
wandelbahr. Das ungemein harte ſtahl
hat noch kein mittel funden zu verhindern, daß
man es nicht in allerhand geſtalten zu unter-
ſchiedenen gebrauche zwinge. Die baͤume
fangen gegen den ſommer an ſich in gruͤnende
blaͤtter zu verſtecken und laſſen ſelbige gegen den
winter fallen, da dieſe ihnen alsdenn, wo nicht
noͤthi-
[265]des ſtili inſonderheit.
noͤthiger, doch eben ſo noͤthig zur bedeckung
waͤren. Alles was uns in die ſinne faͤllt, wuͤr-
de ſo zu reden faſt unerkaͤntlich ſeyn, wenn wir
nicht bereits den allgemeinen begrif davon haͤt-
ten, daß es der unbeſtaͤndigkeit unterworffen.
Man mercket als etwas beſonders an, bey dem
Oſt-Jndiſchen vor-gebuͤrge Commyrin eine ge-
gend gefundẽ zu haben, in welcher man in einer
halben ſtunde aus dem winter in den ſommer
uͤberſchiffen und die rauhe nord-luft mit ei-
nem erquickenden weſtwinde vertauſchen kan.
Haͤtte man den uͤberall ſich ereigenden wech-
ſel genauer in betrachtung gezogen, ich zweiffe-
le daß man dieſe gegend unter beſondere merck-
wuͤrdigkeiten wuͤrde gezehlet haben. Allein
ſo mancherley merckmahle des herrſchenden un-
beſtandes man antrift, ſo viele ſpuhren findet
man der weißheit unſers groſſen Schoͤpfers,
ſo viele urſachen zeigen ſich ſeine geſchoͤpfe zu be-
wundern. Denn wuͤrde er ſelbigen nicht die
geſetze der veraͤnderung unbeweglich eingepraͤ-
get haben, wuͤrden ſie ihrer groͤſten anmuth
mit welcher ſie die aufmerckſamkeit natur-lie-
bender gemuͤther an ſich ziehen, beraubet ſeyn,
und alles was ſeine wuͤrckende weißheit auf die
ſchaubuͤhne dieſer welt geſtellet, iſt ſeinem eben-
bildern zum nutzen aus nichts etwas worden.
Viel 100 ja 1000derley veraͤnderungen, ſo
in allen dieſen einzelen anzutreffen ſind, ſcheinen
in dem menſchlichen weſen ihren mittel-punckt
und groͤſte wichtigkeit zufinden, und dieieni-
R 5gen
[266]von denen unterſchiedenen arten
gen welche den menſchen die kleine welt nennen,
thun es gewiß mit dem groͤſten rechte. Er
bezeugt ſich nicht nur beſchaͤftigt durch ſchau-
ſpiele und kuͤnſtliche vorſtellungen, ſich als ei-
nen affen der wanckelbahren natur aufzufuͤh-
ren, ſondern iſt auch in der that und eꝛnſthaftigẽ
verrichtungen, ein inbegrif der groſſen welt, das
iſt ein ſchauplatz, alwo man umſonſt nach den
graͤntzen der unbeſtaͤndigkeit ſuchet. Jn ſei-
nem gemuͤthe treffen wir die herrſchaft an,
welche keine andere befehle, als ſolche die von
einer immerwaͤhrenden abwechſelung zeigen
austheilet. Denn ſonſt hat er nichts beſtaͤn-
diges, als daß er unaufhoͤrliche proben der un-
beſtaͤndigkeit an den tag leget. Jch habe
mir vorgenommen, Hoͤchſt und H. A. in Dero
H. und hochgeehrten gegenwart von dieſer un-
beſtaͤndigkeit menſchlicher gemuͤther etwas zu
reden, nicht daß ich mir die ſtrafbare freyheit
naͤhme, ihnen in ſo gemeinen ſachen deutliche
begriffe zu machen, da ſie weit mehrers ſchon
laͤngſtens ſcharfſinnig eingeſehen haben, ſon-
dern damit denen unveraͤnderlichen geſetzen
Dero gelehrten verſammlung, durch meine un-
beſtaͤndigkeit kein eintrag geſchaͤhe. Sie ha-
ben mir nur neulich oͤffentlich Dero beſtaͤndi-
ges wohlwollen zuerkennen gegeben, wofuͤr
mich Jhnen beſtaͤndig verpflichtet ſchaͤtze; alſo
habe das gewiſſe vertrauen, ſie werden durch
die ungeſchicklichkeit meiner fluͤchtigen gedan-
cken, ſich ietzo darinn nicht veraͤndern laſſen,
ſondern
[267]des ſtili inſonderheit.
ſondern meinen ſchwanckenden worten beſtaͤn-
dig geneigte aufmerckſamkeit erlauben. So
vieles ſich auch unſern gedancken auf den ſchau-
platz der groſſen welt als veraͤnderlich abbildet,
ſo will es doch nicht ohne urſach dafuͤr gehalten
ſeyn, und nach derſelben urſachen beſchaffen-
heit, folgen auch ſo mannigfaltige und widri-
ge wuͤrckungen. Wird der Menſch, wie ich
bereits oben erwehnet, mit groſſem recht die
kleine welt genennet, ſo iſt fuͤr ſich klar, daß der-
ienige erſt gluͤcklich von ſeinen veraͤnderungen
urtheilen koͤnne, welcher die urſachen ſeines
wechſelnden gemuͤths, und daher wuͤrcklich
entſtehende folgerungen in reiffere uͤberlegung
ziehet. Geldliebe, ehrſucht, wolluſt, ſind 3.
winde, welche unaufhoͤrlich das meer des
menſchlichen gemuͤthes beunruhigen, und
wenn ſie heftig geruͤhret werden, einen ſturm
nach den andern in demſelbigen erregen. Hier-
aus duͤrfte man vielleicht ſchlieſſen, daß ſolches
eines von denen groͤſten verdruͤßlichkeiten der
ſterblichen ſey. Jch will ſolches zugeben, allein
nur alsdann, wann einem naͤrriſchen Miſeno,
ich meine der verderbten einbildung, die
regierung uͤber ſolche, unbedachtſamer weiſe,
anvertrauet wird. Denn iſt ein weiſer Aeo-
lus oder die verbeſſerte vernunft, welcher das
regiments-ruder eigentlich zukommt, ein be-
herrſcher davon, ſo iſt die bewegung derſelben
vielmehr nuͤtzlich als ſchaͤdlich. Waſſer wel-
che in verachteten thaͤlern immer ſtille ſtehen
und
[268]von denen unterſchiedenen arten
und von keinem winde erreget werden, fangen
endlich an zu faulen und zu ſtincken, und
menſchliche gemuͤther, welche von keiner
vergoͤnnten bemuͤhung nach gelde, von keiner
arbeit nach dem gipfel der ehre, von keiner an-
nehmlichkeit gerechter wolluſt veraͤndert wer-
den, geben in ihren verrichtungen an den tag,
daß ſie ſich eher zu ſtummen ſtatuen auf die
haͤuſer, als vernuͤnftigen creaturen auf den erd-
boden geſchickt haͤtten. Alſo kommt es bloß
auf die bewegungs kraft der neigungen an.
Wie der koͤnig beſchaffen, ſo ſind ſeine unter-
thanen. Maſſet ſich die verderbte einbildung
der herrſchaft unbeſonnener weiſe an, ſo werden
entweder naͤrriſche oder ſchaͤdliche veraͤnderun-
gen die wuͤrckung davon ſeyn. Theilet aber
die zum regieren verordnete vernunft welche
durch unablaͤßiges verbeſſern zur vernunft
worden, die befehle aus, da werden dieſe regun-
gen alſo abwechſeln, daß man ſie zu einer zeit
vor noͤthig zur andern vor nuͤtzlich erkennen
muß. Welchen der mangel ſattſamer unter-
ſcheidungs-kraft, aus verderbter einbildung,
zum unverſtaͤndigen ſclaven des mammons
ausgeſondert, beurtheilet alle andere nach der
in ihm herrſchenden begierde, und hingegen
mangelnden liebe gegen ſeines gleichen. Des-
wegen glaubt er, daß er mit brennenden eyffer
ſich nach dem mittel ſeiner beſchuͤtzung umzuſe-
hen habe. Wer vor eigner vermeinten uͤber-
groſſen faͤhigkeit und unſtreitigen vorzug fuͤr
andern
[269]des ſtili inſonderheit.
andern, ſeinen eignen ſchatten bewundert, mei-
net gleichfalls er muͤſſe auf diejenigen ſtuffen
treten, welche ihn vor andern in die hoͤhe fuͤh-
ren. Ein anderer der vor der Veneri die knie
beuget oder dem Baccho altaͤꝛe aufrichtet, oder
ſeine Freunde vor den grund ſeiner vergnuͤgung
haͤlt nach dem trieb der blinden einbildung,
ſucht gleichfalls andere mittel herfuͤr, ſich in ſei-
nem elemente zu erhalten. Ja ſelbſt wer durch
die vernunfft ſeine begierden in zaum und zuͤgel
fuͤhret, haͤlt es fuͤr eine thorheit immer auf einer
leyer ſpielen und bey allen veraͤnderungen ſich
wie einen unbeweglichen klotz zu erweiſen.
Wenn man durch dieſe gruͤnde den wechſel
menſchliches gemuͤthes einzuſehen bemuͤhet iſt,
ſo wird man viel einen vollkommern begrif
ihm von denen ſo ſo ſehr unterſchiedenen wuͤr-
ckungen machen koͤnnen. Warum iſt ein
mann, welcher fuͤr weniger zeit iedermann
die groͤſten hoͤflichkeiten erwieſen, ietzo ſo
ſchwuͤlſtig, daß er meinet, die gantze welt muͤſ-
ſe ihm zu fuſſe fallen? Aus keiner andern urſa-
che, als weil ihm ein blindes gluͤck die kaſten
gefuͤllet, und vermoͤgend gemacht in ſeinen pal-
laͤſten armer leute huͤtten zuverſchlucken. Denn
Lutheri worte ſind noch heute zu tage fuͤr wahr
zu halten, wenn er ſpricht: Ein bauer der 10.
rthl. hat, bruͤſtet ſich und weiß nicht ob er auf
dem kopfe oder fuͤſſen gehen ſoll. Man ver-
ſuche es und gehe mit verſilberten haͤnden ihm
unter augen, im augenblick werden alle ehren-
bezeu-
[270]von denen unterſchiedenen arten
bezeugungen herfuͤrgeſucht, und uns angethan
werden, wenn ſie uns auch ſchon nicht zu-
kommen. Hat er etwas mit der mutter milch
in der jugend eingeſogen, welches ihm ein un-
geſchickter lehrmeiſter nicht zu benehmen ge-
trachtet, da ſcheint er wieder allen guten unter-
terricht unbeweglicher als ein berg darauf
donner und blitz loß ſtuͤrmen. Bringet man
ihm aber die hofnung eines gewinſtes bey, da
ſind 1000. eyde nicht genung, ihn auch bey den
loͤblichſten vorſaͤtzen zu verbinden. Jtzo ſucht
er alle kleinigkeiten mit der groͤſten ſorgfalt
zuſammen, und bald verſchlaͤudert er auch die
wichtigſten ſachen, weil er etwa dadurch meh-
rers zugewinnen trachtet, oder zum wenig-
ſten ſich in einem ſtande zuſeyn glaubet, da er
niemahls banqueroutiren koͤnne. Was er
dieſe ſtunde fuͤr ein geheimniß des ſtaats gehal-
ten, wird in der andern ohne weitlaͤuftigkeit
ausgeſchuͤttet, wenn die verfluchte mißgunſt
dem geitze die zunge loͤſet. Bald eilet er mit
furchtſamen ſchritten in die verborgenſten win-
ckel und ſcheinet fuͤr menſchlicher geſellſchafft ei-
nen abſcheu zu tragen, bald aber will er in allen
verſamlungen gegenwaͤrtig ſeyn, und mit ieder-
mann bekanntſchafft aufrichten, damit er dort
auf anderer unkoſten zehren, hier aber ſeine
ducaten vermehren, in beyden aber veraͤcht-
lich von andern ſprechen koͤnne. Wer den
Baal des ehrgeitzes fuͤr ſeinen abgott haͤlt, iſt
ein rechter Prometheus, welcher ſich bald wie
einen großmuͤthigen loͤwen, bald wie einen feu-
er-
[271]des ſtili inſonderheit
erſpeynden drachen, bald wie ein in der ebene
flieſſendes waſſer, bald wie eine an die wolcken
ſteigende flamme fuͤrſtellet. Ein ſolcher haͤlt
dasjenige fuͤr eitel, worinnen der Mammons
diener ſein leben ſuchet, und liebet das, was
jener als leere winde verlachet. Seines wun-
ſches theilhaftig zu werden, ſpahret er keine ehr-
bezeugungen, er will ein unterthaͤnigſter diener
von allen ſeyn. Wirft ihm endlich das gluͤck
eine ehren-decke um, ſo meinet er, es ſey ihm
damit zugleich alle darzu gehoͤrige geſchicklich-
keit mitgetheilet, da werden die vorher gar zu
hoͤflichen minen ietzo mit einem angemaſten an-
ſehen ſo ſehr vermindert, daß ſie kaum ein ſchat-
ten der vorigen zu nennen. Alle verrichtungen
werden mit ſonderbahrer ſtellung des leibes an-
gefangen und auch auf der gaſſe werden die
fuͤſſe gezwungen, alle auf den tantz-boden er-
lernete artigkeiten oͤffentlich zu zeigen Wo-
mit er augenſcheinlich zu verſtehen giebt, daß
die erhaltene ehre zu groß fuͤr ſeiner engbruͤſti-
gen ſeele ſey. Er iſt ſelber nicht vermoͤgend ſeinen
hochmuth von einem hauſe zum andern zu tra-
gen, deßwegen bedienet er ſich der gutſche und
pferde. Ein ander will mit gewalt alle ehre
zu verachten ſcheinen. Allein Diogenes mag
noch ſo ſehr Platonis kleider mit fuͤſſen treten,
iedermann glaubt daß ers mit groͤſſern hoch-
muth thue, und daß auch unter ſeinen ſchmutzi-
gen rocke eine aufgeblaſene Seele wohne. Func-
cius verwechſelt zu ſeinen ungluͤck, den ſeiner
mei-
[272]von denen unterſchiedenen arten
meinung nach verachteten prediger-ſtand mit
einer rathsbeſtallung aus lauterm hochmuth.
Jetzo umfaſſet er ſeine verehrer mit der groͤſten
liebe, und ein einziges wort, welches ſeine ehre
zu ruͤhren ſcheinet, iſt gnug, alle zornige fluthen
und rache auch auf den unſchuldigſten auszu-
ſchuͤtten. Ein alberner Carneades diſputiret
heute oͤffentlich, daß die gerechtigkeit ein gedich-
te muͤßiger leute ſey, und morgen iſt er beſchaͤff-
tiget das gegentheil zu behaupten, ſeine gelehr-
ſamkeit zu zeigen. Was fuͤr andaͤchtige ge-
berden zeiget nicht der ehrgeitz in dem geſichte
eines ſelbſt erwehlten heiligen, welcher doch
wohl nicht nur in dem innerſten ſeines hertzens,
ſondern auch ſeines hauſes denen laſtern, ſanf-
te kuͤſſen unterleget. Mancher verfluchet die
fehler geringer leute ohn aufhoͤren, und hinge-
gen die laſter erhabner und geehrter leute, wol-
te er lieber vor tugenden halten, da doch der
koth heßlich bleibt, ob er ſchon in chryſtallinen
gefaͤſſen aufgehoben wird, und die laſter gar-
ſtig zu nennen ſind, wenn ſie ſchon in ſammt
und guͤldene ſtuͤcken eingehuͤllet werden. Das
maͤchtigſte, ſo unſern fuß von den wege der be-
ſtaͤndigkeit verruͤcket iſt die wolluſt, und die ein-
bildung eines vergnuͤgens in verbotener belu-
ſtigung der ſinne. Dieſe iſt die zauberiſche
Circe, welche den menſchen bald in ſchweins-
bald in pfauen-geſtalt veraͤndert, bald mit af-
fen-bald mit hunde-geſichte fuͤrſtellet. Wie
wechſelt nicht ein verliebter narre die kleider
da-
[273]des ſtili inſonderheit
mit er ſeiner liebſten gefallen moͤge, uͤberall
wird man ihn mit baͤndern prahlen ſehen. Je-
tzo gehet er mit fluͤchtigen ſchritten, wo er aber
irgend von ferne das ihm angenehme ſchim-
mern ſiehet, werden gleich die glieder in eine
liebreitzende ſtellung gezwungen, augen und
haͤnde muͤſſen ihre bewegung nach einen gewiſ-
ſen tact einrichten. Und eben das was ihm
heute goͤttlich und uͤbermenſchlich vorgekom-
men, iſt morgen das verachteſte. Da wird
man inſonderheit wahr zu ſeyn befinden was
Seneca uͤberhaupt von der menſchlichen auf-
fuͤhrung urtheilet; Aliud ex alio placet, vexat,
nos fluctuamus, petita relinquimus, relicta
repetimus, alternae inter cupiditatem n -
ſtram \& poenitentiam vires ſunt. Wer zu
des Bacchi geſellſchaft ſich haͤlt, wie veraͤndert
der nicht ſein gemuͤthe, und nach der beſchaffen-
heit des gemuͤthes ſeine lebens art. Bald
fuͤhret er ſich wie eine raſende unruhe auf, wel-
che alles zernichtet alles zerſchaͤndet, alle erbar-
keit aus dem augen ſetzet. Bald will er alles
aus ſonderbahr angenommener aufrichtigkeit
und treuhertzigkeit, mit unaufloͤßlichen freund-
ſchafts banden feſſeln. Wer endlich die tu-
gendhafte vernunft zur fuͤhrerin ſeiner neigun-
gen auserſehen, wird ſich keinem baume ver-
gleichen laſſen, welcher von der winde gewalt,
weil er nicht weichen gelernet, zertruͤmmert
wird. Nach der zeiten lauf, wird er ſeinen
gang ietzt ſo, ietzt auf eine andere art einrichten,
Sund
[274]von denen unterſchiedenen arten
und den geſetzen der abwechſelungen ſein ge-
muͤth niemahls entziehen. Einem Jndianiſchen
hunde kommt es nur zu, den einmahl gefaſten
loͤwen ſo feſte mit den zaͤhnen zu halten, daß ihm
auch die ſchmertzhafle abhauung der fuͤſſe nicht
davon abbringet. Democritus und Heraclitus
werden bey uns faſt fuͤr ſchalcks-narren gehal-
ten, weil wir uns bereden laſſen, jener habe im-
mer gelacht, dieſer unaufhoͤrlich geweinet.
Man ruͤhmet die klugheit des Roͤmiſchen kaͤy-
ſeꝛs Marci Antonini Philoſophi noch bey unſereꝛ
ſpaͤten nach-welt in den beygelegten nahmen
des weltweiſen: Allein ich zweiffele. daß ihm
die rechte welt weißheit iemahls dieſe lehre ge-
geben, welcher er doch ſo eyfrig nachgelebet,
daß man niemahls von iugend auf, weder
durch die haͤrteſte betruͤbniß, nach angenehm-
ſten freuden-poſten ſein gemuͤth veraͤndeꝛn muͤſ-
ſe. Leute zwar welche den vorurtheilen der
Stoiker gehoͤr geben, werden das fuͤr die groͤſte
weißheit halten, heute eben dieſes wollen, was
man geſtern gewuͤnſchet. Ein beleſener Lipſius
aber, hat uns bereits ihre thorheit gezeiget, weñ
er ſaget: Welche ihre meinung mit ſtahl und
eiſen in dem gemuͤthe als in marmor gegraben,
ſind nicht faͤhig, geſchickte urtheile und wohlge-
gruͤndete rathſchlaͤge anderer, ihnen zu nutze zu
machen. Haͤtte Theſeus bey ſeiner gluͤckli-
chen zuruͤckkunft an ſtatt des ſchwartzen ſeegels
auf ſeinem ſchif, ein weiſſes aufzuſtecken nicht
vergeſſen, wuͤrde ſeines abgelebten vaters Ae-
gei
[275]des ſtili inſonderheit.
gei gemuͤth nicht in ſolche bekuͤmmerniß gera-
then ſeyn, daß er in dem unergruͤndlichen meere
einen grund ſeiner leidenſchaft geſuchet. Und
derienige iſt ohnſtreitig unter die klugen zu rech-
nen, welcher nach den befehlen der vernunft,
ſich bald ſo, bald anders auffuͤhret. Alſo ſcheint
zwiſchen der bewegungs kraft des gemuͤthes
durch die verderbte einbildung, und durch die
verbeſſerte vernunft der groͤſte unterſchied da-
rinn zubeſtehen, daß iene durch die menſchliche
neigungen, theils naͤrriſche theils ſchaͤdliche
wuͤrckungen herfuͤrbringet, dieſe hingegen,
durch eben ſelbige, unumgaͤnglich noͤthige und
nuͤtzliche veraͤnderungen verurſachet. Beyde
ſind alſo bewegende urſachen des menſchlichen
gluͤcks und ungluͤcks, nur daß iene dem gluͤcke
mehrentheils unterlieget, oder an ſtatt eines
balles mit dem menſchen zu ſpielen pfleget, dieſe
aber auch dem gluͤcke befehlen und mitten un-
ter den moͤrdlichſten waffen uñ feindſeligkeiten
dennoch triumphiren kan. Mehr redete ich,
mehr haͤtte ich zu reden, allein ich beſorge, H.
und H. A. meine ſtammlende zunge werde ver-
moͤgend ſeyn, Dero beſtaͤndig geneigtes auf-
mercken, in einen wiederwillen zu veraͤndern.
Redete ich alſo mit leuten, welche nur den nah-
men von dem Chriſtenthum entlehnet, ſo wuͤr-
de ich zum beſchluß mich bemuͤhen muͤſſen, ihre
gemuͤther von den irrdiſchen wandelbahren
thaͤlern, auf die unbeweglich ſtehende berge
Jſraelis zu fuͤhren. Denn wer da ſtehet darf
S 2ſich
[276]von denen unterſchiedenen arten
ſich keiner veraͤnderung befuͤrchten, denn wenn
es blitzt und donnert, ſo blitzt und donnert es
unter ſeinen fuͤſſen, und ihm ſchenckt die ſonne
der gerechtigkeit die angenehmſten ſtrahlen.
Jch wuͤrde die unbeſtaͤndigkeit des Ecebolii ver-
fluchen, welcher unter den kaͤyſern Conſtantino
Conſtantio, Juliano, Jouiano ſeine religion
zu einer mode machte, welche bald ſo bald an-
ders, nach dem geſchmack der welt koͤnte einge-
richtet werden. Jch wuͤrde die unbeſtaͤndigkeit
des creutz-vogels Loxiae veraͤchtlich fuͤrſtellen,
welcher alle winter ſeine farbe veraͤndert. Jch
wuͤrde es eine thieriſche veraͤnderung nennen,
wenn man in ſeiner bekehrung dem wolffe
nachahmen wolte, und zwar die haare, aber
nicht den rauberiſchen ſinn aͤnderte. Redete
ich endlich mit ungelehrten, ſo wuͤrde meine
groͤſte ſorgfalt dahin gehen muͤſſen, zu zeigen,
wie gefaͤhrlich es ſey, einem unbeſonnenen
Phaethonti die regierung ſeiner affecten anzu-
vertrauen, und wie vergnuͤglich es hingegen, der
vernunft den zuͤgel davon zuuͤbergeben. Jch
muͤſte darthun wie eine kluͤgliche abwechſelung
des gemuͤthes, eine mutter der meiſten tugen-
den ſey. Man glaubt daß in ein hauß, da
man bey ploͤtzlich entſtandenen ungewitter feu-
er anzuͤndet, ſo leicht kein donnerkeil einen er-
ſchreckenden ſchlag thue. Es iſt aber leichter
zu glauben, daß in eine ſeele, wo vernunft und
tugend ihr feuer und heerd haben, kein wiedri-
ges ſchickſaal eindringen und verwirrung an-
rich-
[277]des ſtili inſonderheit.
richten koͤnne. Jch muͤſte anfuͤhren, was den
Jcarum der fluͤgel beraubet, und ihn aus der
gemeinſchaft der geſtirne in den tiefſten ab-
grund geſtuͤrtzet, nehmlich ſeine von abge-
ſchmackter einbildung verurſachte veraͤnde-
rung. Sie erlauben mir alſo H. und H. A.
nur noch dieſes hinzuzufuͤgen, daß der gezie-
menden veraͤnderung des gemuͤthes, vor dem
poͤbel, als welchem der glantz der wichtigſten
wahrheiten nur die augen zu blenden u. ihn zum
haß zu veraͤndern pfleget, eine decke kluger auf-
fuͤhrung und verſchwiegenheit muͤſſe fuͤrgehan-
gen werden. Denn unter denenjenigen wel-
che mit ihrem verſtande unwiſſenheit und vor-
urtheile uͤberwunden, iſt es eine ausgemachte
ſache, daß die beſtaͤndigkeit zwar eine der
vornehmſten tugenden, allein haͤrte und halß-
ſtarrigkeit des gemuͤthes ein weit groͤſſeres la-
ſter ſey.
Dixi.
§. 4. Endlich iſt der hohe ſtilus der praͤch-
tigſte, aber auch der gefaͤhrlichſte.a) Er iſt
nur bey hohen obiectis zugebrauchen, davon
man nur die ideen der hoheit zuſammen ſucht,
b) ſelbige durch lauter tropos und figuren, oder
mit worten und redens-arten, welche die neben-
ideen einer hoheit haben, mit dazu genom-
menen emphatiſche beywoͤrtern, ausdrucket,
die iunctur der rede durch den zuſammenfall
der conſonantium und langer vocalium etwas
maieſtaͤtiſch, und den numerum donnernd und
S 3praſſelnd
[278]von denen unterſchiedenen arten
praſſelnd machet, auch meiſt realiter connecti-
ret, dannenhero die groͤſte tugend dieſes ſtili
darinn beſtehet, daß alle theile die hoheit des
obiecti vor augen zu legen, mit groſſem fleiß
zuſammen geſetzt ſind und conſpiriren. Das
abgeſchmackte, geſchwuͤlſtige, gar zu weit ge-
triebene weſen, iſt hier ſorgfaͤltig zu vermei-
den.c)
Fuͤrſten welche den ſcepter durch tugend er-
hoͤhen, uñ den thron mit tapferkeit unterſtuͤtzen,
muͤſſen eben ſo wohl den grauſamen geſetze des
todes unterworffen ſeyn, als diejenigen, welche
ihren purpur mit laſtern beflecken und ihren
hoff zu einen beſtaͤndigen ſitz, aller boßheiten
machen. So wohl ein die liebe der gantzen
welt an ſich ziehender Titus welcher den tag
fuͤr verlohren ſchaͤtzet, an welchen er niemanden
eine wohlthat erzeiget, als ein ungeheuer der
natur und raſende baͤrenbrut Nero, muß er-
fahren, daß die ſterblichkeit uͤber ihn herſche.
Wenceslaus und Guſtavus Adolphus wer-
den beyde in ihre erbbegraͤbniſſe eingeſencket,
obſchon dieſer als ein muthiger vor kirch und
vater
[281]des ſtili inſonderheit.
vaterland ſtreitender loͤwe ſeinen heldmuͤthigen
geiſt auffgiebt und iener mitten unter voͤllerey
un faulheit als ein anderer Sardanapalus hin-
geriſſenwird. So eine unſtreitige wahrheit nun
dieſes iſt, daß das allgemeine verhaͤngniß, ohne
anſehen, fuͤrſtliche ſtuͤhle umſtuͤrtzet: So ge-
wiß bleibt es doch hingegen, daß ein unendlich
groſſer unterſcheid unter dem erblaſſen eines
frommen Auguſti oder tapfern Germanici
und unter dem ableiben eines grauſamen Tibe-
rii oder verzagten Caligulae, Jch will ietzo
nicht ſagen von der art zu ſterben, ob es wohl
ausgemacht iſt, daß blutduͤrſtige tyrannen
gemeiniglich der wut erzuͤrnter unterthanen,
oder dem wurm eines nagenden gewiſſen, bey
ihren ende preiß gegeben werden: Jch will
auch nichts gedencken, von dem ort, welcher
nach ihrem tode den unſterblichen geiſtern, in
der langen ewigkeit an gewieſen wird: Son-
dern ich will nur von den allerdauerhaftigſten
und von keinem roſt und moder der zeit zu be-
ſiegenden denckmahle in ſo viel tauſend ſee-
len etwas erwehnen, woraus dieſer unter-
ſchied ſonnen-klar ſich darſtellen wird. Wie
gerne verbannete nicht, ein durch den todt von
dem wuͤterich Tiberio befreyetes Rom, das
gedaͤchtniß ſeiner verfluchten regierung, wuͤn-
ſchete, da es ſeinen erblaſſeten coͤrper der be-
graͤbniß unwuͤrdig, in die Tiber, werffen wol-
te, daß es hiemit zugleich alle merckmahle ſei-
ner tyranney in den abgrund der vergeſſenheit
S 5verſen-
[282]von denen unterſchiedenen arten
verſencken koͤnte. Wie gerne wuͤrde das von
einem mordgierigen Herode erloͤſete Judaea
unter 1000 erley freudens bezeugungen ſeines
todes und ungeheuren thaten vergeſſen haben,
wenn nicht das zu einem blut-urtheil gemachte
teſtament ihnen auferleget, ſein vermaledey-
tes andencken unter lauter fluch und rache auf
die nachwelt beyzubehalten. Denn auch die
nahmen ſolcher unbemenſchten menſchen ver-
dienen nicht aufgezeichnet zu werden, als zu
dem ende, daß man bey nennung derſelben aus-
ſpeyen, und die menſchliche natur bey erzeh-
lung ihrer ſchandthaten fuͤr ſolche ungeheuer
zu erſchuͤttern urſach habe. Die tugend hin-
gegen, ob ſie ſchon mit keinen goͤttlichen eigen-
ſchafften pranget, und ihre beſitzer neben ſich
der ſterblichkeit entreiſſen noch verewigen kan,
ſo ſchencket ſie ihnen doch die hertzen ſo vieler
1000 nachkommen, welche aus danckbarkeit
ſelbige zu behaͤltniſſen ihres glorwuͤrdigſten
gedaͤchtniſſes machen. Auguſtum ſetzet man
an den ort, welcher nur von goͤttern durtfe be-
ruͤhret werden. Germanici todt verurſachet
ein ſolches ungewitter der traurigkeit in den
gemuͤthern ſeiner verehrer, welches endlich ge-
heiligte tempel und altare einreiſſet, ihm ſelber
aber ein unſterbliches andencken ſeiner ta-
pferkeit daraus aufrichtet. Alles wodurch
Agricola die liebe und verwunderung aller an
ſich gezogen, ſagt Tacitus, iſt in dem anden-
cken der menſchen, wie in ertz und marmel ge-
graben,
[283]des ſtili inſonderheit.
graben, ſelbſt die zeit und das geruͤcht, werden
ſtuͤtzen dieſes denckmahls ſeyn. Und haben
die roͤmer ein ehren-mahl aufgerichtet, muͤſſen
die worte dabey ſtehen: Die nachwelt be-
wundere, was ſie nicht nachahmen kan. Jn-
dem ich mich unterwunden H. und H. A. die
geheiligte aſche des groſſen Fr. W. Ch. z. B.
in meiner rede Jhnen zu zeigen, ſo thue nichts
anders als daß ich der tugend ihr gebuͤhren-
des opfer auf demaltar meiner ſchuldigkeit dar-
lege, und indem ich ſeiner ungemeinen hel-
den-thaten abdruck ihnen fuͤrſtellen will, ſo
erblicken ſie zugleich merckmahle desjenigen
unterſcheides, womit ſich tugendhafte und
tapfere printzen, von denienigen bey ihrem
abſterben unterſcheiden, welche als ſclauen
aller laſter in der unterwelt, ſich aufgefuͤhret
haben. Alexander welchen ſeine thaten groß
gemacht, will nur vom Apelle gemacht und
vom Lyſippo in ſtein gehauen ſeyn, ein krie-
geriſcher Ageſilaus, will nur von den beruͤhin-
teſten meiſtern Griechenlandes ſein bildniß ver-
fertigen laſſen, und Achilles kan nur vom
Homero beſungen werden. Hier moͤchte mich
nun iemand einer hoͤchſtſtrafbaren vermeſſen-
heit beſchuldigen, daß ich unangeſehen mei-
ner ſchwachen zunge, vermoͤge deren ich unter
den rednern unſers Teutſchlandes, wie ein lal-
lendes kind unter fertigredenden leuten ſtam-
mere, mich dennoch unterſtanden, den nah-
men eines ſo groſſen helden und fuͤrſten, in dero
werthe-
[284]von denen unterſchiedenen arten
wertheſten verſamlung zu verehren. Allein,
Alexander wuͤnſcht nur darum ſein leben vom
Homero beſchrieben der nachwelt zu ſchencken,
damit eine fabelhaffte feder ſeinen thaten
gleichſam ein vergroͤſſerungs-glaß geben moͤ-
ge und Auguſtus hat nur darum ein gefallen
an der Aeneis Virgilii, weil er ihn darinn zum
anverwandten der goͤtter zu machen bemuͤhet
iſt. Und ich habe mit fleiß den groſſen Fr. W.
zum inhalt meiner rede erkieſet. Fehlt es mir
ſonſt an artigen erfindungen, ſo nehme ich an
deren ſtatt die thaten und tugenden dieſes
theureſten hauptes, finde ich einen mangel
bey mir wohlausgeſuchter worte, ſo darf ich
nur ſein glorwuͤrdigſtes leben durchgehen, ſo
werde an praͤchtigredenden gedancken einen
uberfluß haben. Billich beklagen ſich die be-
redteſten redner, wenn ſie von goͤttern auf er-
den reden wollen, daß es ihnen gehe, wie den
ſchnecken, die weder hertz noch zunge haben,
denn ſie wollen loben, ich will nur erzehlen.
Sie machen es wie Zeuxis, welcher wenn er
die Venerem mahlen ſoll, alle ſchoͤnheiten des
gantzen griechen-landes ſamlet, und von einer
ieden etwas goͤttliches ſeinen gemaͤhlde einver-
leibet. Sie ſuchen die tugenden anderer po-
tentaten auf, und wenden ſolche zu ihren ge-
brauch an. Jch darf nur wenn ich vom groſſen
Fr. W. reden will, den groſſen Fr. W. be-
trachten, denn an ihm finde ich alle fuͤrſtliche
tugenden, und was ich an ihm finde, ſind
fuͤrſt-
[285]des ſtili inſonderheit.
fuͤrſtliche tugenden. Ubrigens wird deſſen im-
mergruͤnender lorbeer dadurch nicht verwel-
cken, wenn ich ſolchen mit unreiner hand be-
ruͤhre, und ſein bild mit etwas ungeſchick-
ten farben und zitternden ſtrichen zu entſchat-
ten, mich erkuͤhne, wo mich H. A. von dero
geneigten aufmercken und urtheil in meinem
unternehmen begleitet ſehe. Die in allen
menſchlichen verrichtungen ihre befehle aus-
theilende unbeſtaͤndigkeit, hat auch der maͤch-
tigſten ſtaaten nicht geſchonet. Und ich ver-
wundere mich nicht, wenn die alten behauptet,
daß nach dem bilde der faſt circulrunden er-
den, alle ſachen und reiche circulsweiſe, nach-
dem das wanckende gluͤck das unbeſtaͤndige
rad drehet, ihren lauf fuͤhreten, die erfahrung
giebet ihnen beyfall. Jch rede nicht von dem
gaͤntzlichen untergehen alter und friſchem auf-
gehen neuer reiche, ſondern nur von denen
veraͤnderungen die in bereits eingerichten ſtaa-
ten ſich zutragen. Bald muß ſich das freye
Portugall zu dem Spaniſchen ioche beque-
men, da es kurtz vorhero unter eignen koͤnigen
Mohren und Spaniern getrotzet: Bald aber
entlaſtet es ſich deſſelben, u. beginnet zu voriger
hoheit zu ſchreiten. Unter denen regenten ſelbſt
findet ſich ein beſtaͤndiger wechſel. Wie an
dem ſtern-himmel, ſterne welche kurtz vorher
ihr funckelndes licht unſerm geſichts-kreiß ge-
wieſen, endlich ſich zum untergange neigen,
und wie ſich bey denen reineſten fixſternen, bald
aus-
[286]von denen unterſchiedenen arten
ausſchweiffende planeten, bald auch erſchre-
ckende cometen einfinden, alſo wird man an
den regenten-himmel groſſer laͤnder beydes
wahrnehmen. Scufzete ehemahls religion
und freyheit Britanniens, unter einer paͤbſti-
ſchen Maria: So folget gleich eine tapfere
Semiramis und großmuͤthige Zenobia die
Eliſabeth, welche ihr land mit bluͤhenden zei-
ten, ihre unterthanen mit ſieges-kraͤntzen, ſich
ſelber aber mit einem unſterblichen ruhme be-
zeichnet. Hatte hingegen Carolus der V. die
Spaniſche Monarchie, auf den hoͤchſten gip-
fel der vollkommenheit getrieben, ſo verlieret
ein ungluͤcklicher Philippus unter ſeinen
nachfolgern, die meiſten und koſtbarſten edel-
ſteine aus ſeiner krone, durch die von ſeinem rei-
che geſpaltene provinzen. Der Branden-
burgiſche adler ſcheinet in beyden ſtuͤcken, et-
was goͤttliches, und fuͤr andern ſonderbahres
an ſich zu haben. Unter ſeinen beſitzern findet
ſich in 900. iahren, ſo lange ſie unter die Teut-
ſchen printzen gezehlet worden, keiner, der nicht
wuͤrdig geweſen waͤre kronen gold zu tragen,
und ein herr unzehlicher laͤnder zu ſeyn, ob ſchon
das verhaͤngniß ſolches biß in die letzten zeiten
fuͤr ihnen geſparet. Keiner von ſeinen durch-
laͤuchtigſten Churfuͤrſten, hat unter den geſetzen
der vormundſchaft regieren gelernet, weil auch
die iuͤngſten hiezu geſchickt waren. Und ein
kluger Frid.II. ſchlaͤgt gar 2 ihm angebotene
kronen, die Pohlniſche und Boͤhmiſche groß-
muͤ-
[287]des ſtili inſonderheit.
muͤthigſt aus. Sein durchlauchtigſter ſtaat
iſt deshalben von dem himmel mit ſo guͤtigen
augen angeſchauet worden, daß er in dieſer
langen zeit, keine ungluͤckliche zufaͤlle erfahren,
ſondern in beſtaͤndigen wachsthum, biß dieſe
ſtunde ſeinen glantz erhalten. Sonderlich iſt
der gluͤckliche nahme Friederich demſelbigen
ein beſtaͤndiges merckmahl zuwachſender ho-
heiten und ſich vermehrender laͤnder geweſen:
Ob ſchon auch ein tapferer Albertus mit den
degen ſeinen nahmen in das buch der ewigkeit
als ein Teutſcher Achilles angeſchrieben, und
ein weiſer Joachimus durch den nahmen eines
Teutſchen Neſtoris ſich verewiget. Viele
potentaten wiſſen auch was ihnen ſonſt nicht
zukoͤm̃t, mit blut und todt draͤuenden ſchwerdte
ihnen zuzueignen: Brandenburg allein, hat
meiſtens unter den friedlichen palmen, ſeiner
gerechtigkeit belohnung, in ſo erwuͤnſchten zu-
wachſe gefunden. Und aus dem Branden-
burgiſchen gluͤcks-topfe, haben auch andere die
fuͤrtreflichſtẽ loſe gezogen. Rudolph von Habs-
burg ſtamm-vater des maͤchtigſten Oeſter-
reichiſchen hauſes, hat die kaͤyſerliche wuͤrde am
meiſten einen Brandenburgiſchen Friederich
zu dancken, welchem die danckbare nachwelt
den nahmen eines edlen beygeleget. Und eben
dieſer erwarb auf dem Reichs-tage zu Acken,
fuͤr ſich und ſeine durchlauchtigſte erben das
Burggrafthum Nuͤrnberg. Carolus der IIII.
hatte es niemand anders zuzuſchreiben, daß er
den
[288]von denen unterſchiedenen arten
den koͤniglich Boͤhmiſchen mit dem kaͤyſerlichen
reichs-apfel vertauſchen konte, als einem
Brandenburgiſchen Friedrich, welches er
ſelbſt erkannte, wenn er die hoͤchſte gewalt der
Chriſtenheit bey ſeiner abweſenheit in deſſen
haͤnde uͤberlieferte, und deſſen wapen durch den
beſitz vieler ſtaͤdte vergroͤſſerte. Ein andrer
Friderich ſtuͤtzte die durch krieg und unruhe er-
ſchuͤtterte krone auf dem haupte Sigismundi,
und ſetzte dafuͤr den churhut ſeiner Hohenzolle-
riſchen Familie auf, welcher mit dem Bran-
denburgiſchen ſcepter vergeſellſchaftet, koͤni-
glichen kronen den rang nunmehro zweiffelhaf-
tig machte. Die meiſten von den vor-eltern
unſers groſſen Fr. W. will ich andern anzu-
fuͤhren uͤberlaſſen, denn ich habe bereits dar-
gethan, daß er die weiſeſten und tapferſten
printzen Europae, unter ſelbigen zehle und daß
es wahr ſey, das adler nur adler zeugen koͤnnen.
Nur des durchlaͤuchtigen vaters, des großmuͤ-
thigen Georg Wilhelm muß ich erwehnung
thun, welcher bey der tauffe, unſers groſſen
Fr. Wilhelms nicht zugeben wolte, daß deſſen
hohe pathen ihm das ſo genannte pathen-geld
einbinden ſolten, um gleichſam zu verſtehen zu
geben, es wuͤrde derſelbe einmahl von keinem
andern die federn leihen duͤrfen, ſeinen adler
auszuſchmuͤcken. Er war der einzige printz in
welchem die tugenden aller durchlaͤuchtigſten
vorfahren ſich geſamlet und die hofnung ſo vie-
ler laͤnder beruhete. Denn es war nicht noͤ-
thig
[289]des ſtili inſonderheit.
thig daß er geſchwiſter hatte, weil die glor-
wuͤrdigſten eltern ſchon alles in ihm dem groſ-
ſen Teutſchen Reich, ia gantz Europae gege-
ben hatten. Doch weder die verdienſte der el-
tern, noch die gluͤckverheiſſende geburts ſtun-
de iſt vermoͤgend, den ſchaden zu erſetzen, wenn
eine verderbte auferziehung die bluͤten der tu-
gend in dem blute der iahre erſticket, und Ti-
berius ziehet an dem Caligula der ſtadt Rom
eine giftige ſchlange, und der welt einen unbe-
ſonnenen Phaͤeton auf. Fridrichs W. hoher
geiſt brauchte zwar nicht, auf den tugend-weg
geleitet zu werden, wozu er ſelbſt einen innern
trieb fuͤhlete, doch kan ich nicht leugnen, daß die
kluge aufſicht, des um ſeine auferziehung ſich
hoͤchſt verdientmachenden Joh. v. der Burg
und deſſen geſchickte unterweiſung, ein merck-
liches beygetragen, die in ihm gelegte faͤhigkeit
des verſtandes vollkommen zu machen, und die
herliche begierde zur tugend zu vergroͤſſern. Hie-
durch wurde er geſchickt dem Auguſto nachzu-
ahmen, und den regiments-ſtab im 20ſten iah-
re ſeines alters, als der großmuͤthige Georg
Wilhelm aus der welt gieng, beydes zu ergreif-
fen und kluͤglich zu fuͤhren, denn dadurch eroͤf-
nete ihm das guͤtige ſchickſahl die thuͤre, zu ei-
ner faſt 50 iaͤhrigen regierung. Und hie weiß
ich nicht, ob ich erſt ſeinen ſo weißlich gefuͤhr-
ten ſcepter, oder ſeinen den feinden er-
ſchrecklichen, freunden aber erfreulichen,
degen, oder ſein wohlbeſtelltes fuͤrſt-
Tliches
[290]von denen unterſchiedenen arten
liches hauß und geſegnete ehen ſoll fuͤrſtellig
machen. Viele welchen geburt und gluͤck
fuͤrſtliche huͤte aufſetzet wiſſen zwar wohl ihre
unterthanen zu regieren, allein nicht ſo wohl
ihren feinden einen blitzenden ſebel zu zeigen.
Andere ſind nur zum kriegen gebohren, und
ſind geſchickt den harniſch, nicht aber ſo wohl
die regierungs laſt zu tragen. Wieder an-
dere, koͤnnen ſo wohl denen feinden als ihren
unterthanen geſetze fuͤrſchreiben, ſind aber in
ihren vermaͤhlungen ungluͤcklich, oder koͤnnen
ihre reiche mit tuͤchtigen nachfolgern nicht ver-
ſehen. Allein in unſerm theureſten Fr. W.
finde ich alles, was zu kluger einrichtung der
regierung ſeiner laͤnder, zu den eigenſchaften ei-
nes ſo tapfern als gluͤcklichen feldherrns, und
zur ausbreitung ſeiner durchlauchtigſten Fami-
lie kan gerechnet werden. Die gottes-furcht iſt
die vornehmſte, ia die mutter aller regierungs-
tugenden, als welche von ihr abſtammen, und
wer derſelben ſein hertz zur behauſung ange-
wieſen, iſt dem Cocos-baum gleich, welcher
nicht nur mit gruͤnenden blaͤttern, ſondern mit
nutzbaren fruͤchten, ſeinen ſtamm durch das
gantze iahr zieret. Und unter den nachfolgern
Rudolphi Habſpurgici ſind dieienigen am
gluͤcklichſten, und haben ihnen die meiſten ſie-
geskraͤntze geflochten, welche der gottes-furcht
am meiſten ergeben geweſen. Unſern gottes-
fuͤrchtigen Fr. W. finden wir in denen gehei-
ligten wohnungen des hoͤchſten, als einen an-
daͤch
[291]des ſtili inſonderheit.
daͤchtigen und fleißigen zuhoͤrer goͤttlicher
wahrheiten. Denn es wird nicht nur unter
die tugenden gemeiner leute, ſondern auch
fuͤrſtlicher perſonen gezehlet, gottes wort mit
gebuͤhrender aufmerckſamkeit beehren. Und
da es nicht nur denen geiſtlichen ſeelſorgern zu-
koͤmmt, ihr hertz zu einem bet-altar dem hoͤch-
ſten zu wiedmen, ſondern vielmehr gekroͤnten
haͤuptern geziemet, fuͤr den geſegneten wohl-
ſtand ihres hauſes und unterthanen, mit goͤttli-
cher maieſtaͤt zu berathſchlagen, ſo erblicken
wir unſern Fr. W. nicht nur in ſeinem bet-zim-
mer, ſondern auch im felde, als einen andaͤch-
tigen beter, und ich zweiffele, ob er mehr durch
ſeinen tapfern arm oder eyfriges gebet die
feinde fliehen heiſſen. Der todt ſeiner hoͤchſt-
geliebten gemahlin, ſeines printzen CarlAemils,
auf welchen die frohen unterthanen bereits
ihre hofnungs-augen gerichtet hatten, ia ſeiner
andern durchlaͤuchtigſten printzen und prinzeſ-
ſinnen, welches ſolche dinge ſind, die auch das
hertzhafteſte gemuͤthe beugen koͤnnen,
werden von ihm mit ſtandhafter gelaſ-
ſenheit in den willen gottes ertragen. Bezeu-
get die wahrhafte feder kluger geſchichtſchrei-
ber vom Alberto dem V. marggrafen zu Bran-
denburg, daß man durch ſein gantzes leben ihn
nicht fluchen oder ſchweren hoͤren, ſo wird wer
Fr. W. leben beſchreiben will, eben dieſes von
ihm hineinzuſetzen nicht vergeſſen muͤſſen.
T 2Man
[292]von denen unterſchiedenen arten
Man lieſet nicht minder vom Fr. W. als
vom AlbertoI. herzog in Preuſſen daß ſie die
diener des hoͤchſten in ſonderbahren ehren ge-
halten. Und hat er zwar nicht 1000. kirchen der
Marien zu ehren, wie Jacobus der I. in Arra-
gonien, erbauet, und ſo viel ſchulen als buch-
ſtaben im A B C. wie Carolus M. ſo hat er
doch unzehliche in bluͤhenden ſtande erhalten
und verbeſſert; Denn es iſt eine groͤſſere kunſt
etwas wohlgeſtiftetes unterhalten, als etwas
ſtiften. (In omni genere impenſarum, pleri-
que noua opera fortius auſpicantur, quam
tuentur perfecta. Colum. Lib. IIII. cap III.)
Die fuͤrſtliche gerechtigkeit iſt eine tochter der
gottesfurcht, und ein ſtern welcher von derſel-
ben angezuͤndet, den boͤſen zum grabe, den lo-
bens-wuͤrdigen zu belohnungen leuchtet. Und
es ſcheinet der allerdurchlauchtigſte nachfolger
und erbe, ſo wohl der reiche als tugenden Fr.
W. habe keine tugend ſo ſehr an ſeinen durch-
lauchtigſten vater zu bewundern gehabt als
dieſe, da er die worte zu ſeinen koͤniglichen
denckſpruch erwehlet: Einem ieden das ſeine.
Denn gewiß, iſt etwas, welches den ruhm
fuͤrſtlicher tugenden biß an die ſterne zu erhoͤ-
hen vermoͤgend iſt, ſo iſt es die gerechtigkeit.
Sie ſchencket denen unteꝛthanen die angenehm-
ſte ruhe, denen veraͤchtern goͤttlicher und menſch-
licher ausſpruͤche, und ruhmwuͤrdigen ge-
muͤthern theilet ſie ihre gehoͤrige belohnungen
aus, ienen zwar dieſteln und dornen dieſen
palmen
[293]des ſtili inſonderheit.
palmen und roſen, feinden ſelbſt iaget ſie ein
Paniſches erſchuͤttern ein. Was chur-fuͤrſt
Joh. Georg einer von Fr. W. durchlaͤuchtig-
ſten ahnen, zu ſeinem ihn um recht und huͤlffe
anflehenden unterthanen ſagte: Wenñ du hey-
de und Tuͤrcke waͤreſt ſolte dir geholffen wer-
den, geſchweige da du mein unterthan biſt:
Das erfuͤllete er in ſeinen verrichtungen. Fa-
bricius der edle Roͤmer, offenbahret dem tap-
fern Pyrrho großmuͤtig, wie er eine giftige
natter in ſeinem buſen hege, indem ihn ſein leib-
artzt umbringen wolte, und dieſer konte nicht
anders, als in dieſe worte ausbrechen: Jch
wolte ehe glauben, daß die ſonne von ihrem
lauffe, als der tugend-liebende Fabricius von
ſeiner gerechtigkeit abzubringen ſey. Ein ge-
rechter Fr. W. verachtet nicht minder das an-
erbieten eines verraͤtheriſchen Frantzoſen, wel-
cher durch die abſchlachtung ſeines feld-herrn
des beruͤhmten Turenne, ihm eine fette Heca-
tombe zu opfern gedencket, ſondern beſtraffet
auch ſolches durch uͤberliefferung dieſes boͤſe-
wichts zur gehoͤrigen rache, und er verdienet
mehr lobes-erhebungen als der Roͤmiſche buͤr-
germeiſter. Denn iener will nicht, daß maͤch-
tige laͤder ihres koͤniges und unzehliche ſolda-
ten ihres oberhauptes, verraͤtheriſcher weiſe be-
raubet werden, ſondern er vielmehr uͤber einen
lebendigen Pyrrhum triumphiren koͤnne, und
Fr. W. verlanget auch nicht durch den hinter-
liſtigen todt eines generals, auf welchen bey
T 3wei-
[294]von denen unterſchiedenen arten
weiten nicht ſo viel beruhete, und dergleichen
Fꝛanckreich mehr hatte, ſeinen ſieg zu befoͤrdeꝛn.
Nicht nur Arcadius und Honorius, ſondern
auch Fr. W. ſind nicht allein fuͤr ſich tugend-
haft, ſondern laſſen auch keinen an ihren hoͤ-
fen zu befoͤrderungen und ehren-ſtellen gelan-
gen, der nicht die tugend an ſtatt des adels-
briefes aufweiſen kan. Und dieſes iſt eines der
vornehmſten kennzeichen, der hohen gaben ei-
nes regenten, wenn er tugendhafte diener auf-
ſuchet und erhoͤhet. Titus hielt es vor eine ſeinen
thron ſtuͤtzende maxime: kein unterthan muͤſſe
von demſelbigen mit betruͤbten gemuͤthe und
verduͤſterten geſichte zuruͤck kommen. Maxi-
milianus R. K. ſagte: die ertzherzoge von Oe-
ſtereich haben mehr durch freygebigkeit erwor-
ben, als durch kargheit. Die freundliche gut-
thaͤtigkeit und fuͤrſtliche milde Fr. W. hat ſei-
nen landen nicht geſchadet, ſondern ſie viel-
mehr bevoͤlckert, die handlungen vergroͤſſert,
und die manufackturen in ſolchen ſtand ge-
ſetzt, darinnen ſie allen andern nationen
trotz bieten koͤnnen. Die fuͤr der Frantzoͤiſchen
dragoner bekehrung fliehende Hugenotten
und in das iaͤmmerlichſte elend verbannete
Reformirte, finden unter den fluͤgeln des frey-
gebigen Brandenburgiſchen adlers, nicht nur
ſchutz, ſondern auch ihre zerſtoͤrte tempel, ihre
verbrandte wohnungen und ihre geraubte
guͤter reichlich und praͤchtig wieder. Und dieſe
ſo viel 1000 ihrer ſeyn, muͤſſen aufrichtige
zeug-
[295]des ſtili inſonderheit.
zeugniſſe abgeben, der ungemeinen liebe und
freundlichkeit Fr. W. ob ſie wohl ſelbige nicht
ſo lange genieſſen koͤnnen, als die eingebohrnen
unterthanen. Ja verhaſte feinde muͤſſen die
angebohrne gnade des huldreichen Fr. W.
bewundern, da er an ihnen keine rache uͤbet,
ob er ſie ſchon in ſeinen haͤnden hat. Viele
fuͤrſten, ja was ſage ich fuͤrſten, die meiſten
privat-perſonen, wiſſen ihre zeit, ich will nicht
ſagen mit unzulaͤslichen dingen, ſondern mit
unnuͤtzlichen kleinigkeiten zu verſchleudern:
Und ein in gantz Griechen-land fuͤr weiſe ge-
haltener Plato, muß in ſeinem alter die uͤble
verſchwendung ſeiner zeit beſeufzen. Fr. Wil-
helms langes leben, weiß von keiner uͤbelan-
gewandten ſtunde. Miſſet einer von ſeinen
durchlauchtigſten ſtamm-vaͤtern, der weiſe
churfuͤrſt Johannes, ſeine tage ſo ab, daß
nicht eine minute vergebens angewandt wird,
ſo thut er es ihm hierinne gleich. Die ſtun-
den des tages, welche ihm von denen unter-
redungen mit GOtt und goͤttlichen verrich-
tungen uͤbrig bleiben, werden einer preißwuͤr-
digen ſorge und liebe der unterthanen, denen
von unſerm groſſen Fr. W. hoͤchſtgeliebten
ſtudiis, der wohlfahrt des gantzen Teutſchen
Reiches, ja des weiten Europae aufgeopfert.
Denn er konte als ein vater, vermehrer, und
maͤchtiger beſchuͤtzer, von allen angeſehen wer-
den. Printzen welche geſetz-geber und ſtadt-
halter des hoͤchſten geſetz-gebers in der unter-
T 4welt
[296]von denen unterſchiedenen arten
welt ſind, haben zwar nicht noͤthig, ihren fuͤrſt-
lichen purpur, durch die geſetze einſchrencken zu
laſſen. Doch wenn ſie in ſelbige einen verwege-
nen eingriff thun, muß ſolcher zu einer quelle
unzehlicher ungluͤcklicher zufaͤlle werden. Un-
ſer groſſe Fr. W. brauchte es ebenfals nicht
ihm gewiſſe regeln zu ſtecken: Doch er war
ein lebendiges geſetze ſeinen unterthanen und
ein heller ſpiegel, woraus andere eine fuͤrſtli-
che auffuͤhrung mit offnen augen leſen ſolten.
Jn ſeiner reſidentz wird man keinen altar dem
Baccho aufgerichtet finden, und folglich wird
ihr die unkeuſche Venus keinẽ winckel zueignen
duͤrffen. Denn dieſe beyde haben ſich ver-
ſchworen, allezeit mit geſamter hand, die woh-
nungen der maͤßigkeit und keuſchheit, und die
ſuͤſſe ruhe menſchlicher gemuͤther zu zerſtoͤren.
Allein was gewinnet er dadurch ſonderbah-
res, fuͤr denenienigen, welche ihnen wie den
beſoffnen Pacuvio faſt taͤglich koͤnten zuruf-
fen laſſen: vixit? dieſes, daß ihn die durch
maͤßigkeit erhaltene natur, ſeine jahre, biß
an das vom Moſe dem ſterblichen leben vor-
geſetzte ziel, hinanzehlen laͤſſet und die ehrlie-
bende nach-welt den ſchimmer ſeines gantzen
allerdurchlauchtigſten hauſes, welches ſich
durch dieſe tugenden inſonderheit von vielen
andern unterſchieden, in ihm allein kaum gnug-
ſam bewundern kan. Er konte wie Auguſtus,
als er das 43 jahr ſeiner hoͤchſtloͤblichen regie-
rung zehlete, das groſſe ſtuffen jahr, menſch-
liches
[297]des ſtili inſonderheit.
lichen alters ungehindert uͤberſteigen, und in
ſeinem 67 jahre ſeiner armee ſich zu pferde zei-
gen. Wie die roſen ihren purpur ſo wohl, als
angenehmen geruch und blaͤtter verlieren,
wenn ein ungeſtuͤmer platz-regen ſie uͤberfaͤllet,
hingegen allezeit durch einen maͤßigen thau
veriuͤngen koͤnnen; alſo behalten die wangen
ihre farbe, die menſchliche natur ihre kraͤfte,
wenn man ſolche fuͤr gewaltſamer unmaͤßig-
keit bewahret. Die ſtrahlen der ſonne ſind
ſo durchdringend, und ihre waͤrme ſo kraͤftig,
daß man in allen dingen ihre nutzbare wuͤr-
ckung ſpuͤhret, doch iſt eine regenſchwangere
wolcke gnug, beydes zuverhindern und die erde
in kalte ſchatten zu ſtellen. Und alle hohe be-
gabniſſe einer fuͤrſtlichen ſonne, koͤnnen durch
unmaͤßigkeit, in dunckeln flor eingehuͤllet wer-
den. Nun verwundere man ſich nicht, wenn
er das aufmercken der vernuͤnftigen welt, ia
verwegner barbaren auf ſich und ſeine tapfern
thaten gezogen. Jndem ich ſeiner anderer hel-
den uͤberſteigende verrichtungen mich erinnere,
und einen blick in die mit ſeinen ſieges-zeichen
bedeckte felder thue, ſo werde den beruͤhmteſten
kuͤnſtlern nachahmen, welche nur groſſe ſchlach-
ten und begebenheiten, abzuſchildern belieben
tragen. Sonſt wuͤrde es ihnen H. und H. an-
weſende nicht an geduld, mir auch nicht an
wort und ſachen, wohl aber an der zeit fehlen,
denn hier fallen uns mit ſeinen heldenmuͤthi-
gen bemuͤhungen, alle hochfuͤrſtliche tugenden
T 5unſers
[298]von denen unterſchiedenen arten
unſers groſſen Fr. W. in die augen. Die
nachkommen haben nicht nur an den muͤntzen
ein gedaͤchtniß ſeiner tapferkeit, auf welchen
man ihn: Electorem regibus parem, Achil-
lem Germánicum, Patrem caſtrorum, be-
nennet, ſondern gantze laͤnder und voͤlcker ſind
lebendige muͤntzen, in welchen er mit blutigen
ſtahle eben dieſes gepraͤget. Das unbaͤndige
Pohlen, das rauhe Schwedẽ, das ſtoltze Franck-
reich, die Ottomaniſche pforte, haben dieſes
mehr als einmahl erfahren. Denn er gieng
nur wieder dieienigen zu felde, welche zugleich
ſeine und des Teutſchen Reichs, ſeines vaterlan-
des feinde ſeyn wolten. Antonini wahlſpruch
war: Malo ſeruare ciuem vnum, quam mil-
le hoſtes perdere, und was des groſſen Fr.
W. ſinn hiebey geweſen, koͤnnen wir auff der
muͤntze leſen, welche uns ihn in voͤlliger ruͤ-
ſtung mit bekraͤntzten haupte und die-
ſer umſchrifft zeiget: Ob cives ſerva-
tos. Sein allerdurchlaͤuchtigſter Herr va-
ter uͤberließ ihm das ſteuerruder der
regierung, da gantz Teutſchland von den wuͤ-
tenden krieges-wellen erbaͤrmlich erſchuͤttert
und ſeine laͤnder von unzehlichen feindlichen
winden beſtrichen wurden, doch ſo bald es ſeine
tapfere fauſt ergriffen, konte man ſagen: Noli
timere nauta caeſarem vehis. Es wurde
zwar bald nach ſeiner angetretenen regierung
eine ungemeine ſtille, durch den Weſtphaͤliſchen
friedens-ſchluß, und die Martis ſoͤhne ſteckten
ihre
[299]des ſtili inſonderheit.
ihre blutige ſchwerdter ein. Doch dieſer war
nicht anders anzuſehn, als ein vorbote eines
ebenfallß groſſen ungewitters, und erſchreckli-
chen darauf erfolgten krieges. Der ungluͤck-
liche Pohlniſche Joh. Caſimir, haͤtte bey nahe
hierinne kron und ſcepter, land und leute ein-
gebuͤſſet, als der mit dem Schwediſchen loͤwen
verbundene Brandenburgiſche adler, ihn gantz
erzuͤrnet anfiel. Die Warſchauiſche felder
ſind nicht minder als die Catalauniſchen be-
ruͤhmt worden, weil in dieſen ein nichtiger ehr-
geitz das commando fuͤhrte und beyde theile
einander faſt gleich waren: Jn ienem aber der
tapfere Fr. W. mit einem geringen volcke, al-
len Pohlniſchen adel, die groͤſten horden er-
grimmter Tartarn, und die wilden trouppen
gepanzerter Huſaren, auf einmahl vor ſich her
fliehen ſahe. Ein Brandenburgiſcher muſte wie-
der 6. feindliche armee kaͤmpfen, denn der un-
erſchrockene Fr. W. frug niemahls wie ſtarck
der feind waͤre, ſondern wo er ſich aufhielte.
Die groſſe anzahl der feinde machte den krieg
ſchwer, aber den ſieg deſto groͤſſer und die fruͤch-
te deſſelben deſto vollkommener. Er ſchreckte
die Polniſche republique alſo, daß ſie ihm die
oberherꝛſchaft von Preuſſen freywillig uͤberlieſ-
ſe. Eine ſache, welche ſie vordem mit blut
und todt, gantz verſtockt zu behaupten gewoh-
net war. Und ehe er noch ſeine ſieghafte pal-
men in oliven kraͤntze verwandeln konte, wieſe
er einer dem Teutſchen Reiche ungetreuen kro-
ne,
[300]von denen unterſchiedenen arten
ne, daß Fr. W. nicht nur uͤber
fluͤchtige Pohlen, ſondern auch ſonſt feſt
ſtehende Schweden triumphiren koͤnne.
Er war allezeit bey ſeiner armee gegenwaͤr-
tig, da ſonſt andere printzen, und nicht un-
billich, ihre geheiligte perſon denen feindlichen
kugeln ſelten bloß geben. Wolte alſo dem
erſten Achilli ſeines hauſes Alberto nichts
nachgeben, welcher wie ein grimmiger loͤwe ein-
ſten durch die feindliche glieder drang und ihre
hauptfahne mit dieſen worten ergrif: Jn der
welt iſt kein ſo ruͤhmlicher ort, da ich meines le-
bens ende ſuchen kan, als hier. Nur thut es
Fr. W. mit dem unterſcheid, nicht daß er wie
iener ſeine leute von der flucht zum ſiegen brin-
get, ſondern damit ſein heldenmuth auch uͤber
die ſeinen ſich ergieſſe, und er ſelbige zu einer zeit
anruͤcken und die feinde fliehen heiſſen koͤnne.
Doch wieder den erb-feind Chriſtliches nah-
mens, hat er ſeine geheiligte perſon nicht be-
muͤhet, denn es war genung, daß er ſeine waf-
fen dem tapfern Schoͤning liehe, fuͤr welche die
barbarn eben ſo wohl flohen, als die verzweif-
felten Troianer fuͤr dem Patroclo, welcher
dem Achilli ſeinen panzer und ſchild abgebor-
get. Vereinigte ſeine hohe gegenwart, ſeine
und des Reichs voͤlcker wieder das hochmuͤthige
Franckreich, ſo war er ein ſarder, welcher der
naturkuͤndiger bericht zu folge, die furcht ver-
treibt. Der ſtaat der vereinigten Niederlaͤn-
der, waͤre nimmermehr zu ſeinen verlohrnen
ſtaͤdten
[301]des ſtili inſonderheit.
ſtaͤdten gelanget, ia haͤtte vielmehr ſeine ande-
re welt Amſterdam uͤber dieſe hingegeben,
wenn nur nicht Fr. W. großmuͤthige gewohn-
heit waͤre geweſen, bedraͤngten huͤlfreichbeyzu-
ſpringen. Denn Fr. W. bemuͤhungen mach-
ten es, daß die in den Niederlanden aufgehende
Galliſche after-ſonne ſo bald untergehen
muſte, als ſie aufgegangen ware. Hiebey ſcheu-
ete er nicht den unerſetzlichen ſchaden, worinn er
ſeine laͤnder ſetzen muſte, denn er glaubte, daß
es beſſer ſey, ſelbige auf eine kurtze zeit in gefahr
laſſen, als in langwieriges ungluͤck ſtuͤrtzen,
und dieſes letztere waͤre unfehlbar erfolget,
wenn er zugegeben haͤtte, daß die um ſich greif-
fenden Bourbonier ſeine naͤchſte nachbarn wor-
den waͤren. Was hat nicht ſein eyffer fuͤr
Leopoldi thron, und die Teutſche freyheit vor
wunder dinge ausgerichtet, wenn er als ein ge-
treuer Reichs-patriote, den harniſch wieder
eben dies unruhige Franckreich angeleget?
Den groſſen Ludwig welcher Teutſchlande
unaufhoͤrlich mit ſeinen veraͤchtlichen feſ-
ſeln drohete, trieb er alſo in die enge, daß
er ſich nach fremder potentaten huͤlffe
aͤngſtiglich umſehen muſte. Schweden
ſolte der tapferkeit des groſſen Fr. W. zum
falle werden, und indem es in die Branden-
burgiſchen laͤnder fiel, dem beaͤngſtigten
Franckreich huͤlffe ſchaffen. Allein hier machte
der himmel erſt recht einen bewundernswuͤrdi-
gen anfang die Brandenburgiſchen waffen zu
ſegnen
[302]von denen unterſchiedenen arten
ſegnen. Es war als wenn ſie erſt ietzo be-
haupten ſolten, daß wie die Teutſchen unter
allen voͤlckern, die Brandenburger unter den
Teutſchen, welches den Roͤmern ſchon eine un-
ſtreitige wahrheit hieß, alſo Fr. W. unter
ſeinen Brandenburgern der edelſte und tapfer-
ſte waͤre. (ſiehe des Herrn von Beſſers ſchrif-
ten p. 69) hatte der groſſe Fr. W. bißher als
ein behutſamer Fabius, die Teutſchen ſachen
am Rheinſtrome zu vorigen kraͤften gebracht,
ſo bewieß er nun an der Oder, daß er ein blitzen-
der Marcellus ſey. Die Schwediſche loͤwen-
brut hatte ihn kaum geſehen, als er ſie geſchla-
gen. Denn wenn ſie geglaubt haͤtten, Fr. W.
lebte noch, wuͤrden ſie ſich nimmermehr, als
eine unertraͤgliche laſt ſeinen unterthanen auf-
gebuͤrdet und den adler in ſeinen ſitz beunruhi-
get haben. Fehrbellin wird uns noch ietzo
die gegend weiſen, welche er mit feindlichen lei-
chen beſaͤet hat, nachdem er allein mit ſeiner
abgematteten reuterey, das ausgeruhete und
in ſeinem vortheil ſtehende Schwediſche heer,
behertzt angegriffen und gluͤcklich geſchlagen.
Hierauf wurde in dreyen tagen ſein land von
den feinden geſaͤubert, der krieg in ihr eigen
land geweltzet, und in jahres-friſt ſahe man
den beſten theil davon in den haͤnden des
groſſen chur-fuͤrſten. Ein kuͤhner hertzog von
Friedland beaͤngſtiget Stꝛalſund gantzeꝛ 4 wo-
chen lang, und meint es zu erobern, wenn es
auch mit ketten am himmel angeheftet waͤre,
muß
[303]des ſtili inſonderheit.
muß aber dennoch beſchaͤmt davon ziehen, ein
tapfferer Fr. W. braucht nur 24 ſtunden, ſo
bringt man ihm die ſchluͤſſel entgegen. Ja als
der Schwediſche Horn das entlegene Preuſſen
beunruhigen will, muß dem tapfern beſitzer deſ-
ſelben, der harte winter eine eißbruͤcke uͤber
das groſſe meer legen, damit er ohne ſaͤumniß
ſeine bedraͤngten unterthanen erloͤſen, und
ſeine ſoldaten auf geſchwinden ſchlitten zu ih-
ren ſieges kraͤntzen eilen koͤnnen. So weiß
der erzuͤrnte himmel unrechtmaͤßigen friedens-
bruch zu beſtraffen, und hingegen die gerechten
waffen kriegeriſcher printzen zu bekroͤnen.
Will man hierauf nach dem verderblichen blut-
vergieſſen die feindſchaft verbannen, und der
erden eine angenehme ruhe ſchencken, ſo achtet
er die belohnung ſeiner tapferkeit, die mit dem
degen eroberte laͤnder nicht, dieſelbe gleichfals
zu befoͤrdern. Laͤnder welche ihn ſonſt erblich
zu gehoͤrten, und ihn ietzo zum andernmahl als
ihren uͤberwinder und beſitzer angenommen
hatten, waren ihm nicht ſo angenehm, als die
bloſſe hoffnung dasienige zu erhalten, woruͤ-
ber der todt erſt ſprechen ſolte, weil er hiedurch
die ruhe des Reichs wiederherſtellete. Hier be-
mercken wir billig die großmuth des groſſen
Fr. W. mit welcher er erdultet, daß ihn die-
ienigen unbilliger weiſe verlieſſen, deren wohl-
fahrt aus dem verderben zu reiſſen er
ſeine eigene in die ſchantze geſchlagen. Al-
lein der groͤſte triumph wird alsdenn bil-
lich
[204[304]]von denen unterſchiedenen arten
lich angeſtellet, wenn man ſich ſelbſten beſieget,
und dem groſſen Fr. W. werden es hierinn
wenig gleich, keiner aber zuvorthun koͤnnen.
Der erzuͤrnte himmel wolte ihn darum der un-
danckbahren welt nicht mehr goͤnnen, ſondern
zur ruhe bringen, und der 29 April des 1688 jah-
res war der tag, da der unſterbliche Fr. W.
den chur-hut ſeinem durchlaͤuchtigſten Fridrich
den weiſen aufſetzte, und von der hand des hoͤch-
ſten die himliſche krone erlangte. Eben zu ei-
ner ſolchen zeit da das bundbruͤchige Franck-
reich den Teutſchen boden mit feuer und
ſchwerdt barbariſcher weiſe betrat, und nur
durch die Brandenburgiſchen adler konte ge-
ſchrecket werden. Jch wolte zwar wuͤnſchen
daß der tag ſeines todes aus den jahr-buͤchern
getilget wuͤrde, allein hierdurch wuͤrde ich der
tugend des groſſen Fr. W. zu nahe treten,
indem er eben denſelben mit dem groͤſten ſiege
bezeichnet. Die wegen ihrer erfahrung in der
ſtern-wiſſenſchafft uͤberall beſchriene Aegyptier
haben geurtheilet, daß die leuchtende ſterne
im aufgange eine ſonderbare vermehrung ih-
rer kraͤfte ſpuͤhreten, hingegen mit ihrem un-
tergange licht und glantz verloͤhren. Sie
haben hierinnen gewaltig geirret, und dieie-
nigen irren noch mehr, welche vermeinen un-
ſer glorwuͤrdigſter Fr. W. habe ſein tapferes
leben mit keinem großmuͤthigen tode verſie-
gelt. Er hatte in ſo viel gewonnenen ſchlach-
ten, die letzte ſtunden ſeines lebens ihm zur
gnuͤge
[305]des ſtili inſonderheit
gnuͤge vor augen geſtellet, da an ſeiner ſeiten die
treflichſten leute durch gewaltſame ſtuͤckkugeln
weg, und aus dem lande der lebendigen hin-
geriſſen worden: Alſo war ihm dieſelbe als ei-
ne vorher laͤngſt bekanteſchantze, leicht zu uͤber-
ſteigen. Denn er leget mit der groͤſten gelaſ-
ſenheit den fuͤrſtlichen purpur ab, uͤberreichet
ſeinem erb-printzen den Brandenburgiſchẽ ſcep-
ter, theilet ihm den kern vaͤterlicher und fuͤrſt-
licher erinnerungen mit, und wird alſo indem
er dem tode nachgiebt ein ſieger uͤber denſel-
ben. Darum ſtirbt er nicht, ſondern veraͤn-
dert nur ſeine durchlauchtigſte perſon in dem
glorwuͤrdigſten nachfolger. Und die weiß-
heit Friderichs des 3. iſt allein geſchickt, ſo
vielen Brandenburgiſchen unterthanen, wenn
ſie uͤber den hoͤchſtſeeligſten abſchied des ihnen
unentbehrlichen Fr. W. in thraͤnen zerflieſſen
wollen, die augen abzutrocknen. Denn es
bleibt doch wohl feſt geſtellet, wenn der mund
der wahrheit uns verſichert, wo ein tugend-
hafter ſohn des vaters ſtelle erſetze, da empfin-
de man daß erblaſſen deſſelben nicht. Der
groſſe Fr. W. haͤtte keinen tuͤchtigern erben ſei-
nen vermehrten laͤndern geben koͤnnen, als,
denienigen der ſich bereits zum beſitzer aller
vaͤterlichen tugenden gemacht hatte. Es wird
auch deßwegen nicht nur wer ein Brandenbur-
giſch, ſondern auch Teutſch geſinntes gemuͤthe
heget, aus ſchuldigſter danckbarkeit ehren-tem-
pel dem klugen Fr. W. aufzurichten ſich bear-
Ubeiten.
[306]von denen unterſchiedenen arten
beiten. Nimmermehr wuͤrde das weitlaͤufti-
ge Spanien, in deſſen reichen die ſonne nie-
mahls untergehet, nach ſo vielen ſtroͤmen ver-
goſſenen bluts endlich doch unter die ſclaverey
der Frantzoͤiſchen lilien gerathen ſeyn, wenn
es ſeinem Carolo nicht an erben gemangelt
haͤtte. Brandenburg ſiehet ſeinen thron mit
vielen erben unterſtuͤtzet, und hat nichts von
dieſem harten ungluͤcke gekoſtet. Der unſterb-
liche Fr. W. iſt auch hierinn groß und begluͤckt.
Er ſtellet zur ſicherheit ſeiner laͤnder, aus der
erſten ehe mit einer ſchoͤnen Louiſa Henrietta
Oraniſchen und koͤniglichen gebluͤts 6 zeugen
ſeiner durchlaͤuchtigſten ehelichen verbindung
dar, aus der andern mit einer behertzten und
ihren groſſen Fr. W. auff dem Pommeriſchen
kriegs-platz begleitenden Dorothea 7. Cedern
muͤſſen nur mit cedern vergeſellſchaftet ſeyn
und das ſchaͤtzbare gold laͤſt ſich mit veraͤchtli-
chen bley nicht vermiſchen, man kan alſo leicht
abnehmen was dieſes vor himmliſche Princes-
ſinnen geweſen, welche das immer zu ſiegen ge-
wohnte hertz des groſſen Fr. W. beſieget, und
wie wohl dem lande bey dieſen fruchtbaren
landes-muͤttern gerathẽ Der groſſe nachfolger
des groſſen Fr. W. iſt aus erſterer ehe entſproſ-
ſen. Jn ſeiner geſeegneten regierung hat er
dasienige, was die Aegyptier unter die ſterne
verſetzt, und der kluge Friedrich der andere
wohlbedaͤchtig ausgeſchlagen, ſeinem chur-hau-
ſe zuwege gebracht, ich nenne kron und ſcepter.
Und
[307]des ſtili inſonderheit.
Und Preuſſen konte als denn erſt ungehindert
anfangen mit kronen-golde zu prangen, nach-
dem ihm der ſieghafte Fr. W. den weg durch
die eroberte ſouuerainitaͤt hiezu gebahnet. Frie-
drich der weiſe erſter koͤnig der chriſtlichen
Preuſſen, iſt nicht minder wie ſein durchlauch-
tigſter herr vater gluͤcklich und weiß wohl zu
regieren. Er eꝛhaͤlt in ruhigem frieden duꝛch ſeine
klugheit, was iener durch ſeine kriege und tap-
ferkeit bekraͤntzet, nur daß er im anfang ſeiner
regierung, den groſſen Ludwigen zwinget das
geraubte Bonn und Kaͤyſers-werth und andere
veſtungen auszulieffern. Unſchifbare fluͤſſe
muͤſſen ſich, durch ſeine klugheit gezwungen,
ietzo beſchiffen laſſen. Und das gantze Bran-
denburgiſche land wuͤrde noch ietzo ſein abſter-
ben und auch in ihm den groſſen Fr. W. be-
ſeuftzen, wenn er ihnen nicht einen andern
Friedrich Wilhelm hinterlaſſen, welcher die
klugheit ſeines großmaͤchtigen vaters und
die tapferkeit ſeines allerdurchlauchtigſten
groß-vaters beſitzet. Er iſt wie der groſſe
Fr. W. zum kriegen, alſo auch zum ſiegen ge-
bohren, und faͤnget bereits an auf eben den
feldern ſeine ſieges-zeichen aufzuſtecken, da die
ſaͤulen ſeines durchlaͤuchtigſten herrn groß-va-
ters noch gantz unverſehrt, wie neuaufgerich-
tet ſtehen. Er ſuchet auch hierin den ruhm des
unerſchrockenen Fr. W. und die nachwelt
wird nicht minder ihn, als ſeinen durchlaͤuch-
tigſten hln. groß-vater, mit unſterblichem an-
U 2dencken
[308]von denen unterſchiedenen arten
dencken zu verehren wiſſen. Dieienigen wel-
che von dem Hercules abſtammen wolten, wur-
den nicht vor aͤcht erkannt, wenn ſie nicht hertz-
haft waren, und die Brandenburgiſche adler
zeugen nur ihres gleichen an tapferkeit. Hat
man unter ſeinen durchlaͤuchtigſten vorfahren
an Fr. den erſten einen ſieghaften, an Fr. den
andern einen eiſernen an Alberto einen Achil-
lem und Ulyſſem, an Joachim den I. einen
Neſtor, an Joachim den andern einen Hector
und an Fr. W. den groſſen alles dieſes beyſam-
men, ſo wird die nachwelt erfahꝛen, daß der him-
elmit ſeinem nahmen, auch ſeinen geiſt auf deſ-
ſengroßmaͤchtigſten enckel geleget habe. Rief-
fen die Roͤmer ihren neuerwehlten kaͤyſern zu:
[...]is felicior Auguſto melior Traiano, ob ſie
wohl wuſten, daß es allen vermuthen nach kei-
ner von ihren nachfolgern dieſen beyden gleich
thun koͤnne: So ſchreyet dem enckel des groſ-
ſen Fr. W. und nachfolger Ftiedrichs des
weiſen, nicht der Brandenburgiſche unterthan
allein, ſondern gantz Teutſchland zu: Sey
gluͤcklicher und ſieghafter wie der groſſe Fr. W.
ſey beſſer denn Fr. der weiſe. Seiner Maieſtaͤt
allerdurchlaͤuchtigſte und bewundernswuͤrdige
gemahlin Sophia Dorothea, beſitzt die voll-
kommenheiten ihrer allerdurchlauchtigſten
ſchwieger mutter der ſchoͤnẽ Sophia Charlotte
gemahlin Friedrichs des I. Koͤnigs in Preuſſen,
und den muth der durchlaͤuchtigſten Dorothea
gemahlin des groſſen Fr. W. Billich iſt der in-
bruͤn-
[309]des ſtili inſonderheit.
bruͤnſtige wunſch eines Bꝛandenburgiſchen her-
tzens, daß ſie beyder nahmen zu gluͤcklicher vor-
bedeutung nicht ohne urſach tragen moͤge. Sie
wird bereits wie eine andere Sophie Char-
lotte bewundert, da ſie eines koͤniges tochter,
eines koͤniges gemahlin und eines ob wohl zu-
kuͤnftigen koͤnigs mutter iſt, und die zeit-regi-
ſter werden ſie kuͤnftig-hin, als eine andere Do-
rothea und fruchtbare landes-mutter bemer-
cken. Auf den guͤtiger himmel, haſt du zum
troſt der Preußiſchen provinzen den verluſt des
groſſen Fr. Wilhelms und weiſen Friedrichs
reichlich erſetzet, ſo fahre fort zu erweiſen, daß
du das Brandenburgiſche hauß zum beſtaͤndi-
gen ſeegen geſetzet habeſt. Kroͤne die tap-
fere und fuͤr die ruhe des vaterlandes, wieder
einen unruhigen koͤnig ſtreitende fauſt, mit ſieg-
haften lorbern und endlich erwuͤnſchten frie-
dens-palmen. Seegne ſeine koͤnigliche re-
gierung mit beſtaͤndigem gluͤck ſeine allerdurch-
laͤuchtigſte familie mit unveꝛaͤnderlichen wachs-
thum und die menge ſeiner unterthanen mit
dem ſchatz geiſtlicher und leiblicher guͤter. So
werden dieſe des Saturni guͤldne zeiten erle-
ben, die ſtudia den waffen zu trotz bluͤhen, und
unſer hochgeliebtes vaterland, ia die ruhe von
gantz Europa einen maͤchtigen ſchutz-enge[l]
an ihm haben. Sie koͤnnen H. und H. an-
weſende, was meine muͤde zunge von dem lobe
ſeines durchlauchtigſten groß-vaters vergeſſen,
ſelbſten an ihm erblicken, denn er iſt ein lebendi-
U 3ger
[310]von denen unterſchiedenen arten
ger abriß des groſſen, weil die welt ſtehet in
unverwelckten andencken lebenden und aller-
glorwuͤrdigſten Friedrich Wilhelms.
§. 5. Der ſtilus theoreticus und patheticus,
richtet ſein abſehen ebenfalls auf die beſchaf-
fenheit des obiecti. Jſt das obiectum bloß
theoretiſch und nur auf die uͤberzeugung und
den unterricht des verſtandes zu diſponiren,
ſo hat man auch nur auf den adaͤquaten deutli-
chen ausdruck, und die natuͤrliche eigenſchaften
des ſtili zu ſehen, ſolches wird der theoretiſche
ſtilus ſeyn, welcher mit dem ſtilo humili meh-
rentheils einerley. Jſt das obiectum eine ſa-
che die den willen angeht, muß auch der ſtilus
mit tropis und figuren, nach beſchaffenheit
des affects, nachdruͤcklicher gemacht werden,
daher heiſt er nachgehends patheticus, und iſt
mehrentheils zugleich mediocris, oder ſublimis.
Die heftigſten affecten, als, zorn, liebe, freude,
traurigkeit, unterſcheiden ihn am meiſten, dar-
nach auch alle ſeine theile zu diſponiren ſind,
uͤbrigens braucht er keine beſondere regeln.
§. 6. Der unterſchied des obiecti, macht
wiederum einen unterſchied unter den ſtilum
ſimplicem und eruditum, bey ienem iſt es ſinn-
lich, bey dieſem abſtract. Der ſtilus
ſimplex hat in ſo fern er nur von ſinnlichen ob-
iectis handelt, nichts beſonders, ingleichen der
gelehrte ſtilus uͤberhaupt. Jn ſo fern aber
dieſer ins beſondere auf Theologiſche materien
appliciret wird, iſt es noͤthig daß alle ſeine thei-
le
[311]des ſtili inſonderheit.
le etwas ernſthaftiges und anſehnliches an ſich
haben, auf der catheder richtet er ſich nach
dem gelehrten gebrauch, auf der cantzel ent-
lehnt er ſeine worte und redens-arten aus der
bibel, nimt auch daher alle ſeine argumenta,
kan ſonſt bald theoretiſch, bald pathetiſch, bald
humilis, bald mediocris, bald ſublimis ſeyn.
§. 7. Jn ſo fern er auf Juriſtiſche materien
appliciret wird, iſt er entweder im iure privato
oder publico gebraͤuchlich, und alſo entweder
bloß unter rechtsgelehrten, oder unter fuͤrſten
und rechtsgelehrten, oder unter fuͤrſten oder
ſonverains allein, in dem erſten fall heiſt er ein
Juriſtiſcher ſtilus, der im foro recipiret, in dem
andern faͤllen aber der ſtilus curiaͤ, cantzley-ſti-
lus, cammerſtilus, ſtilus Juris publici. Er
druckt ſein obiectum durch viele kunſt-woͤrter,
nachdruͤckliche beywoͤrter und beſondere for-
muln aus, conſtruiret auf eine von den ordent-
lichen conſtructionibus abgehende art, conne-
ctiret durch ausgedruckte connexiones mit be-
ſondern particuln und wird am beſten aus dem
gebrauch ſelbſt gelernet.
§. 8. Jn ſofern er auf Mediciniſche, Phi-
loſophiſche und Mathematiſche materien ap-
pliciret wird, hat er wiederum nichts beſon-
ders, auffer daß bey einem Mediciniſchen obie-
cto die kunſtwoͤrter den ſtilum mercklich veraͤn-
dern, und da alles wahrſcheinlich iſt, was man
von dieſer materie fuͤrtraͤgt, ſo iſt inſonderheit
bey denen daraus gezogenen folgerungen, in
gewiſſen faͤllen, nichts als unſtreitig auszudru-
cken.a) Bey dem Philoſophiſchen, in ſo fern
er nur Logicaliſche, und Moraliſche lehrſaͤtze
proponiret, hat man ſich nach dem gelehrten
gebrauch zu richten, und hauptſaͤchlich auf die
deutlichkeit und adaͤquaten ausdruck zu ſehen,
dem alle andere eigenſchaften weichen
muͤſſen.b) Jn der Mathematick iſt gleich-
falls bey dem ſtilo die deutlichkeit und ordnung
das fuͤrnehmſte requiſitum.c)
§. 9. Endlich iſt der ſtilus Hiſtoricus, we-
gen ſeines obiecti hieherzuziehen. Auſſer de-
nen pflichten, welche einem Hiſtorico fuͤr an-
dern ſcribenten und rednern obliegen, daß er
nemlich die wahrheit ohne affecten und par-
theylichkeit ſchreibe, daß er gnugſame und ſi-
chere nachrichten habe, daß er die Hiſtoriſche
wahrſcheinlichkeit wohl verſtehe, ſo iſt es was
ſeinen ſtilum anbetrift noͤthig, daß er deutlich
und ordentlich die ſache fuͤrtrage, ohne groſſe
weitlaͤuftigkeit und affectation, daß er ſorgfaͤl-
tig die umſtaͤnde, welche zu beſſerer einſicht in
die abſichten der agirenden perſonen dienen,
mit ausdruͤcke, welches durch ſcharfſinnige ur-
theile und meditationes geſchehen kan, daß er
alſo lieber im ſtilo humili oder zum hoͤchſten
U 5im
[314]von denen unterſchiedenen arten
im mediocri, als ſublimi, lieber im ſtilo theore-
tico als pathetico ſchreibe, ſonſt einen flieſſen-
den numerum und nette connexiones anbrin-
ge.
§. 10. Jn anſehung der beſondern einfaͤlle
und gedancken welche man bey dem obiecto
hat, oder vielmehr in anſehung des verſtandes
welcher die gedancken herfuͤr bringet, iſt der ſti-
lus entweder iudicioſus oder ingenioſus oder
memorialis. Bey dem iudicioſo und memo-
riali iſt nichts beſonders zu erinnern, indem
billich alle arten von ſtilis, vom iudicio des
verfaſſers und dem guten gedaͤchtnis deſſelben
proben ablegen ſolten:a) Der ingenioſus
aber wird, nach den unterſchiedenen abſichten
des der ihn gebrauchet, bald argutus, bald ſa-
tyriſch, bald poetiſch, bald laͤcherlich, von wel-
chen etwas weniges zu gedencken.
§. 11. Der ſtilus argutus druckt alles nach-
ſinnlich aus,a) verbindet zu dem ende vermit-
telſt einer fertigkeit des ingenii,b) durch eine
artige tour, ſachen, welche entweder garnicht
oder. ſehr wenig zuſammen zu gehoͤren ſcheinen,
c) und gruͤndet, ſich uͤberhaupt auf die argu-
menta illuſtrantia, als meditationes,d) ex-
empla, e) comparata,f) diſparatag) und
oppoſita, h) bedienet ſich dabey der figuren
und troporumi) und faſſet alles kurtz mit ar-
tigen epithetis, in einen kurtzen unmerum zu-
ſammen,k) connectiret meiſt realiter, muß
dannenhero nach denen cautelen, ſo bey den ar-
gumentis illuſtrantibus gegeben worden,l)
und nach denen eigenſchaften eines guten ſtili
uͤberhauptm) beurtheilet werden.
Denck-mahl
uͤber
die grab-ſtaͤte,
der
nimmer vergraben zuſeyn wuͤrdigen Frauen,
Frauen Rahel verwittibten Jaͤgerin,
gebornen Stegerin,
der verſtorbenen zum ruhme,
den lebenden zum vorb [...]de,
den verwandten zur ſchmertz-ſtillung,
ſich ſelbſt zur vergnuͤgung ſeiner ſchuldigkeit,
aus ungefaͤlſchtem mitle[i]den
den tag ihrer beerdigung,
den
[319]des ſtili inſonderheit.
den 8. julii 1679.
aufgerichtet
von
J. B.
Wer hier voruͤber gehet, gehe zuvor in ſich.
Er verlaſſe dis grab, mit verlaſſung der menſchlichkeit.
Er lerne von einer verſtorbenen/
was keine lebende lehren koͤnnen:
die vergaͤngligkeit des lebens,
in dem tode der vergaͤnglichen.
denn die leichen ſind hierin viel treuere lehr-meiſter
als alle welt-weiſen.
die vergaͤngligkeit nennen wir zwar,
aber wir kennen nicht ihre behaͤndigkeit.
wir haſſen ſie in dem gegenwaͤrtigen,
und laſſen ſie doch in dem zukuͤnftigen nicht.
denn wir glauben ohne furcht,
und fuͤrchten ohne glauben:
daß dieſes ſchoß-kind der menſchen ſeine eigene
mutter toͤdte.
das leben ſo wir lieben, uͤben wir nicht recht.
iſt es ein traum?
ſo iſt der ſchlaf die zeit,
und wir traͤumen weil wir ſchlafen:
iſt es eine fabel?
ſo betruͤgen wir uns auch.
der nebel,
den es mit verkehrten buchſtaben ausdruͤckt,
blendet das geſichte,
ſo lange wir zuſehen.
aber die ſterbenden oͤfnen uns die augen,
wenn wir ſie ihnen zudrucken.
was das leben ſey,
erkennen wir aus den todten, gruͤften.
ſuchteſt du wohl Pilgram,
unter dieſem lebloſen marmor,
das muſter weiblichen geſchlechts,
einen adler von adlern gezeuget,
die
[320]von denen unterſchiedenen arten
die gebohrne STEGERJN,
und verehligte JaͤGERJN?
mit deiner verwunderung findeſt du hier:
eine RAHEL dem namen,
ein ſchaaf der that und deutung nach.
eine tochter Jeptha den eltern,
eine Paulina dem eh-manne,
eine Cornelia den kindern,
eine gluͤckſeligkeit den freunden.
in ſchoͤnheit eine Helena;
in großmuͤthigkeit eine Debora;
in klugheit eine Penelope;
in gednld eine Suſanna;
in Gottesfurcht eine Judith.
mit kurtzem:
eine vollkommene unter der menge der unvollkom̃enen;
ein engel unter menſchen
die zwar auch ihre menſchlichkeiten,
wie die ſonne mackeln,
und der mond ungleichheiten gehabt;
aber ſonder ihre verſtellung.
die dunckele ſchattirungen machen die guͤte eines kunſt-
gemaͤhldes nur ſo viel kentlicher.
hier ſind ihre gaben verſtecket.
und ihre leiche lehret dich:
fuͤr der vergaͤngligkeit iſt nichts unvergaͤngliches.
fuͤr der unbeſtaͤndigkeit nichts unbeſtaͤndiges.
was iſt nun ſchoͤnheit?
ein apfel von Sodom, der ſeine aſche in ſich naͤhrt.
eine frucht dem wurm-ſtiche der zeit, wie der kuͤrbs
Jonas unterworffen.
eine blume, die auf uns ſelbſt erſtirbt,
und den leib zur baare brauchet.
was iſt die gluͤckſeligkeit der geburt und guͤter?
die hohen ſand-berge verſtiebet der wind am ehſten.
Prometheus hat allen grund-zeug ſeiner gebildeten
menſchen mit zehren angefeuchtet.
die perlen ſelbſt ſind thraͤnen der erzuͤrnten ſee;
die
[321]des ſtili inſonderheit.
die rubinen? geronnene bluts-tropfen.
die erde kan auch, von ein ſcharrung der erden,
uns erde nicht loßkauffen.
klugheit, großmuͤthigkeit, gedult, gottesfurcht,
und alle tugenden
ſind zwar waffen fuͤr dem ewigen,
nicht aber dem zeitlichen tode.
der duͤrre menſchen-wuͤrger hat kein empfinden.
ſein ohr kein gehoͤr; ſein auge kein geſicht;
ſein hertze kein mitleiden.
die alles einaͤſchernde eitelkeit laͤſt ſich durch keine
liebliche lippen erbitten.
o elend! o unerbitliches verhaͤngniß!
was heiſt nun leben?
in ſteter gefahr des todes ſchweben.
kaͤyſer Juſtinus fraget nach der ſtunde des tages,
und beſchleuſt die letzte ſeines lebens.
eine STEGERJN fehlet ihres ſteges nicht, und
faͤllt doch von demſelben.
ſie verbluͤbet mit bluͤhenden jahren
und erblaſt mit purpurnen wangen.
lerne denn mein pilgram an dieſem tode ſterben.
An dieſem falle keiner jugend trauen.
wer wird bleiben wenn ſolche vergehen?
die tauſend geſchicklichkeiten begreiffende JaͤGERJN
hat zur grabe-ſchrifft:
ich bin erjagt.
der tod iſt der jaͤger, die kranckheit das netze, das
wild ſie ſelbſt.
von ihrer lebhaftigkeit iſt nichts mehr uͤbrig.
was ſie ſie geweſt, iſt nun nicht mehr.
die eltern haben ihren troſt;
die verwandten ihr verlangen:
die freunde ihre vergnuͤgung;
die feinde ihre aufmunterung;
Leipzig aus ſeiner gemeine was ungemeines,
aus wenigem ein vieles verlohren.
kroͤnen nicht alle ſie mit dieſem nach-ruhm?
Xein
[322]von denen unterſchiedenen arten
ein menſch hat goͤnſtige und mißgoͤnſtige.
So wiſſe zur nachricht:
daß der fpiegel der welt, ſich dem ſpiegel der Smirne
tempel vergleiche,
welcher die ſchoͤnen leute garſtig zeiget.
ſie war wie das Parrhaſiſche gemaͤhlde,
von welchen man mehr kunſt durch den verſtand be-
greiffen muſte, als den augen der unverſtaͤndigen
gemahlet war.
glaube den unpartheyiſchen, und betruͤge dich in
einer warhafften ſache nicht.
waͤre dir vergunt: der entſeelten gebeine vor ihrer
vermoderung zu beſchauen,
ſo wuͤrdeſt du auch aus der abgelegten leibes
ſchale ſchlieſſen lernen,
was die huͤlſen vor einen kern gehabt.
denn ſolche todten ſind wie die mohnen-knuͤpfel,
welche wenn ſie ihre blaͤtter verlieren, dennoch
die krone behalten.
preſſet dir dieſes zehren aus, ſo weine bitterlich.
ſetze dich mit der Ceres eine zeitlang auff den ſtein,
darauff niemand lachen koͤnnen.
die aſche tugendhaffter weiber, verdienet auch
thraͤnen der helden, wie Siſigambens des
groſſen Alexanders.
aber beſchwere den ſeligen leichnam mit keiner
uͤbermaſſe.
wir haben ſie verlohren doch nicht auff ewig.
ihr ſchmertzhaffter tod, fuͤhret ſie zur ſuͤßigkeit des
Lebens.
die ſonne iſt am kaͤltſten bey ihrem aufgange
die Perſiſchen koͤnige trincken bey antretung ihrer
regierung einen trunck ſauren milchs.
wenn du desfals der verſtorbenen zum an-
gedencken,
und ihrem geſchlechte zu ehren,
den leichenſtein, mit deiner beſſerung, mitleidend
genetzet haſtꝛ
ſo
[323]des ſtili inſonderheit.
ſo troͤſtet dich die vernunfft mit dreyen worten:
Nicht zu viel
Die andere iſtLateiniſch, (welche ſprache we-
gen der haͤuffigen wortſpiele die man darinn
anbringen und weil man die gedancken kurtz
ausdrucken kan, gar geſchickt iſt zum ſtilo argu-
to) und auf die praͤadamiten gemacht, wird
vom Seldeno inotiis theologicisp. 70. aus
des Dietericiantiquitatibus biblicis angefuͤh-
ret:
Weil ich einmahl uͤber die inſeriptiones ge-
rathen bin, will ich annoch folgende aus meiner
geringen ſammlung anfuͤhren:
I.Als die Engellaͤnder mit Franckceich anno
1713. einen particulier-frieden ſchloſſen, ver-
fertigte ein Oeſterreichiſch-geſinneter folgen-
des:
Scire velim,
quid fuerint, quid ſint Angli?
Angli Germanorum olim fuerunt Angeli:
Lemures enim Gallicos exSueuorum aedibus expulerunt:
Suesque ſimul Bauaricos a lemuribus his ſimul obſeſſos,
(multis haud dubie in Danubium præcipitatis)
ex Sueuorum agris.
Auſtriacorum \& Batauorum ſpiritus fuere familiares.
Omnium arcanorum principes arbitri.
Genii fideles Caroli,
quem feliciter deportarunt in ſinum Barcinonis.
Angli [denique] quotiescunque cum hoſte congreſſi ſunt,
ſemper egerunt
angelos percuſſores, vaſtatores, depopulatores,
Primo mane, die medio, primo veſpere, nocte concubia,
\& mari \& terra.
Hoſtibus terrori fuere, perniciei, moleſtiae, tormento.
Boni itaque fuere, boni multis iuſte dicti ſunt tempe-
ſtatibus angeli,
Angli,
pro meliori acriter ſtantes cauſſa,
foedus, quod ſanxerant, ſancte colentes,
bonitatemque eam, iuſto hoc bello comprobatam, quam
ſaepiſſime, firmiter retenturos eſſe,
putauimus,
\& in bono iam ita confirmatos credidimus Anglos,
vt excidere prorſus non poſſint.
Putauimus, credidimus,
\& heu!
falſo!
Angli enim heu! nunc foedifragi facti angeli.
principio foederis
cadem qua foederati ceteri
inte-
[325]des ſtili inſonderheit
integritate, ſeueritate, iuſtitia,
Eademque fidei conſtantia, zelique probi obteſtatione
ad Caeſarem conuerſi,
a Caeſare \& caeſarianis ſubdole nunc auerſi,
hoſtium amici, amicorum hoſtes clancularii facti ſunt,
Nam qui nobiſcum non ſunt, contra nos ſunt.
Angli,
angeli tam boni olim, tam eandidi, tam niuei,
quam mali nunc ſunt, quam nigri, quam atri, quam pieei!
Angli perfide a foederatis foederisque ſanctitate
digreſſi,
in grande vitium lapſi.
Paucis:
angeli hi Callorum iam nuno ſuecubi ſunt
in caſſes Gallorum illapſi.
Digni qui ſemper ſint.
Digni, qui olim in tyrrannidis Gallicae
abyſſum praecipitentur \& concludantur,
Sed quoniam dixiſti a bonitate ſua defeciſſe Anglos.
quae cauſſa fuerit defectionis, quaeſo
refer?
Res digna relatu:
audi, ſile!
Angeli mali olim feminam,
hio, femina Anglos a bonitate abſtraxit:
Vnde vero hoc ipſum probas?
Vtinam nequeam!
Sed in hune maxime modum clamitat totus orbis
Auſtriacus,
Anna in veritate non ſtetit,
Anna in veritate non ſtante,
ex angelis denuo facti daemones, cacodaemones,
non in coelo, ſed in orbe, ſed in Anglia!
At manum de tabula.
II.Ohngefaͤhr anno 1694. kame folgendes auf
die Pietiſten aus einem antipietiſtiſchen ge-
hirn zum vorſchein.
Heran ihr frommen!
Schauet hier eine neue art der froͤmmigkeit!
Wolte GOtt, wir haͤtten die alte noch!
Der alte GOtt, der alte glaube, die alte pietaͤt ſind
immer die beſten.
Zwar,
indem ſie die alte ſuchen,
Dringen ſie uns eine neue auf.
Wer denn?
Die Herren Pietiſten.
Du erſtauneſt, da du ſie nennen hoͤrſt:
Was wuͤrdeſt du nicht erſtlich thun, wenn du ſie reden
hoͤrteſt?
Du wuͤrdeſt ihnen nicht nur geneigtes gehoͤr geben,
ſondern ſie gar vertheidigen.
Denn ſie wiſſen meiſterlich
den ſchein des guten anzunehmen,
und den ſchalck zu verbergen.
Du ſolteſt ſchweren,
es waͤren heilige engel.
Wann du nicht wuͤſteſt, daß ſich der teuffel in einem
engel des lichts verſtellen koͤnte.
Fraͤgſt du nach ihrer lehre,
ſo wiſſe,
daß ſie keine und doch alle haben.
Auͤſſerlich paradiren ſie mit der h. ſchrifft,
ins geheim ſind das ihre glaubens-articul, was ihnen
traͤumt und gut deucht,
und die rechten glaubens-articul halten ſie fuͤr zanck-
aͤpffel.
Sie verwerffen die Philoſophie, und treten ſie mi[t]
fuͤſſen,
Damit ja niemand ſchlau werde ihre thorheiten
einzuſehen.
Sie ſchreiben Theologien,
Deren ſich ein Theologus ſchaͤmet.
Sie
[327]des ſtili inſonderheit.
Sie leſen die heilige ſchrifft wider die h. ſchrifft,
ſie ruͤhmen ſich einer heiligkeit,
und haſſen doch den ſtifter derſelben.
Sie halten conventicula, und verſammlen ſich in den
winckeln.
well ſie das licht ſcheuen.
Sie ſind bruͤder des ordens der unwiſſenheit,
Ritter, ſo die krancke froͤmmigkeit in das h. grab
bringen.
Die ihnen folgen,
ſind
baͤrtige weiber und ohnbaͤrtige juͤnglinge.
Jenen lernen ſie reden,
Denn es iſt doch gar zu lange ſeint Pauli zeiten,
daß ſie ſchweigenmuͤſſen;
Dieſen lernen ſie ſchweigen,
Denn indem ſie ſelbige ohne die wiſſenſchafften zu
beruͤhren,
auf die hohe GOttes-gelahrtheit fuͤhren,
(wie Chriſtus auf die zinnen des tempels gefuͤhret
wurde)
ſo ſetzen ſie ſelbige in die innere beſchaulichkeit,
in ein tieffes ſtillſchweigen,
als auf den hoͤchſten grad des gelahrten nichts.
Von GOtt
haben ſie gar zu viel im munde,
aber deſto weniger im hertzen.
Chriſtum
lieben ſie ſo ſehr,
daß ſie weder um die vergebung der ſuͤnden, noch bey
ſeinem h. abendmahl ihn incommodiren wollen.
Den H. Geiſt
verehren ſie nach ihrer art,
damit er ſie nicht zu fromm, ſondern zu inſpirirten ma-
chen moͤge.
Heiliger GOtt!
rechne mir eine freye ſchreib-art nicht zu,
X 4aber
[328]von denen unterſchiedenen arten
aber bekehre diejenigen,
welche noch viel freyer deine heiligkeit beleidigen,
als es mund und feder beſchreiben kan!
Dieſe ſeltzame heiligen
lieben ihren naͤchſten,
aber nur, wenn er weibliches geſchlechts iſt, geld hat,
und ihnen die fuͤſſe kuͤſſet.
Sie ſind demuͤthig,
aber nur fuͤr den leuten in minen und geberden,
ſie gehen ſchlecht bekleidet,
damit man ihre beſchmutzte heiligkeit deſto beſſer
erkennen moͤge,
ſie eſſen und trincken wenig,
denn ſie ſind ſatt von ihren eignen verdienſten,
und es moͤchte etwan das feuer verleſchen,
welches fuͤr den leuten ſcheinet,
und von der verſtellung angezuͤudet iſt.
Sie ſind ſehr religioͤs,
indem ſie alle religionen fuͤr gerecht halten.
Sie widerſprechen auch keinem ketzer,
weil ſie ſelbſt das widerſprechen nicht vertragen
koͤnnen.
Aber ihre diſputir-kunſt wird privatißime ausgeuͤbet,
wo ſie alle praͤſides ſind,
ohne reſpondenten und opponenten,
durch hand-briefgen.
Der grund-ſatz iſt allezeit: Dieſer iſt nicht unſer:
und der ſchluß: Ergo wollen wir ihn druͤcken.
Sie halten viel auf die bruͤder,
aber noch mehr auf die ſchweſtern,
daß ſie auch
wann etwan eine zur betruͤbten kinder-mutter
werden ſoll,
lieber gleich denen Juden einen neuen Meßiam von
ihr erwarten,
als ſie verdammen.
Deß-
[329]des ſtili inſonderheit.
Deßwegen ſchleichen ſie umher in die haͤuſer,
da haben ſie die betten zum knie-beugen nicht weit,
und fuͤhren die weiblein gefangen,
oder
Sie ſpaziren wie iener clericus in einen gruͤnen wald.
Auf ſolche weiſe feyren ſie alle tage ihren ſabbath,
und ſind doch niemahls muͤßig.
Warum ſolten ſie denn in die kirche gehen?
Zumahl, da ſie nicht wollen von menſchen
gelehret ſeyn?
Sie ſind geiſtliche prieſter,
ia gar Paͤpſte:
Warum ſollen ſie denn die prediger verehren?
Sie ſind viel ſcharf-ſichtiger als Bileam:
Warum ſolten ſie dann erſt
daß ſie die boten GOttes ſehen,
durch den honig des goͤttlichen worts, wie Jonathan,
ihre angen wacker machen?
Jhre collecte faͤngt ſich allezeit alſo an:
Gold haben und einen ſamtnen hut,
oder daß ich mich nicht verſpreche,
Gedult haben und einen ſanfften muth,
iſt mir fuͤr allen andern gut.
Sie ſind propheten,
deßwegen kommen ſie in ſchaafs-kleidern:
Denn von wem ſolte der ſpruch wohl am beſten zu
verſtehen ſeyn als von ihnen:
Thut meinen propheten kein leid.
Und wie ſolten ſie nicht denen boͤſes prophezeyen
koͤnnen,
denen ſie uͤbel wollen,
und denen gutes,
denen ſie weder ſchaden koͤnnen noch duͤrfen.
Sie ſind koͤnige:
Doch halt!
Koͤnige haben lange haͤnde:
ich muß aufhoͤren:
X 5Sonſt
[330]von denen unterſchiedenen arten
Sonſt werde ich von dieſen prieſtern geopfert,
von dieſen paͤbſten in bann gethan,
von dieſen propheten wie Micha tractiret,
und von dieſen koͤnigen
wie die baͤume von dem dornſtrauch verzehret.
Jch will nur alſo zum beſchluß
Euch
die alte treu, den alten glauben, die alte froͤmmigkeit
anwuͤnſchen.
Damit ihr aber nicht
durch dieſer leute pietaͤt in die impietaͤt verfallet,
ſo huͤtet euch,
nicht fuͤr der pietaͤt,
ſondern
fuͤr den pietiſten.
§. 12. Wird der ſtilus argutus insbeſonde-
re auf die laſter appliciret, daß man ſelbige
durchziehet und mit einer artigen und ange-
nehmen manier ridicul zu machen ſuchet, ſo
heiſt er eine ſatyriſche ſchreib-art. Er hat al-
ſo fuͤr den arguten nichts beſonders, und ſeine
groͤſte annehmlichkeit beſtehet in der freyheit
des geiſtes und in luſtigen einfaͤllen, dadurch
er nur thorheit und laſter mit einem beiſſen-
den ſchertz verſpottet.
§. 13. Der poetiſche ſtilus beobachtet zwar
die natuͤrlichen guten eigenſchafften des ſtili
uͤberhaupt, ingleichen die regeln der gantzen
beredſamkeit, hat doch aber in einigen davon
abzugehen gewiſſe freyheiten, und unterſchei-
det ſich von denen andern arten des ſtili,
daß er eine ſache durch beſondere worte und
beywoͤrter, durch haͤuffige figuren ausdrucket,
daß er dabey vermittelſt einer fertigkeit des in-
genii alle beſondere umſtaͤnde zuſammen ſu-
chet, welche vielleicht nur moͤglich ſind, aber
doch die ſache heftiger und nachdruͤcklicher zu
machen dienen, ia daß er zuweilen die worte
in eine ordentliche maſſe der ſylben in gleicher
zahl und in reimendungen zwinget.
ſtridens aquilone procella
velum
[333]des ſtili inſonderheit.
velum aduerſa ferit fluctusque ad ſidera tollit.
Franguntur remi, tum prora auertit \& vndis
Dat latus: inſequitur cumulo praeruptus aquae mons.
Hi ſummo in fluctu pendent, his vnda dehiſcens
Terram inter fluctus aperit furit aeſtus arenis.
ꝛc.Es ſchuͤttete die HandDes grimmen himmels dach, blitz hagel, ſchloſſen,
regen,Auf meine maſten aus mit vielen donnerſchlaͤgen,Die flotte ward zerſtreut, die ſeegel umgekehrt,Die ſeile gantz verwirrt, die ruder nichts mehr
werth,Die ſteuer theils zerſchellt, die ancker abgeriſſen,
§. 14. Zuweilen geht das ingenium in ſei-
nen einfaͤllen gar zu weit und verfaͤlt auf pa-
radope, laͤcherliche dinge. weil es entweder
von dem iudicio nicht gnugſam unterſtuͤtzet
wird, oder weil man mit fleiß woruͤber ſcher-
tzet, und einding ridicul zu machen ſuchet, als-
dann druckt man ſich theils durch alte verle-
gne woͤrter und redens-arten aus, theils
durch
[334]von denen unterſchiedenen arten
durch dergleichen, welche bey dem poͤbel ge-
braͤuchlich und viel applauſum finden, ia man
nimt ſich die freyheit, eben dadurch ein ge-
laͤchter zu erwecken, wann man den regeln der
beredſamkeit auf eine ſo merckliche art zuwie-
derhandelt, daß auch gemeine leute es erken-
nen und daruͤber lachen, und dieſes heiſt dictio
ludicra, burlesque, ein laͤcherlicher ſtilus, wo-
zu man keine regeln gebraucht als dieſe, daß
er entweder gar nicht, oder ſehr ſelten, bey gantz
beſondern faͤllen, zu gebrauchen.
§. 15. Jn anſehung der ſprache, worte und
derſelben beſchaffenheit, damit man ſeine ge-
dancken fuͤrtraͤgt, iſt der ſtilus einmahl ſo vie-
lerley, als man ſprachen hat; hernach entwe-
der naturalis oder artificialis, ienerheiſt ent-
weder ſimpler, weil er von ſinnlichen, theore-
tiſchen, familiairen dingen handelt und iſt
mit
[335]des ſtili inſonderheit.
mit dem humili meiſt einerley, oder propri-
us, weil er keine tropos, oder ordinarius weil
er keine figuren braucht, und hat in dieſen faͤllen
nichts beſonders: Dieſer der artificialis
heiſt tropicus weil er tropos, und figuratus,
weil er figuren braucht, dabey ebenfals nichts
mehr zu erinnern, er heiſt aber auch declama-
torius weil er gewiſſe ſolennitaͤten erfordert
und hievon iſt etwas zu gedencken.
§. 16. Doch ehe ich davon etwas beybrin-
ge, muß ich von dem ſtilo in anſehung der
ſprache etwas ſagen, und zwar von dem Latei-
niſchen, weil ſolches die ſprache der gelehrten
und vom Teutſchen, weil dieſes unſere mutter-
ſprache iſt. Jene iſt fuͤr allen andern excoli-
ret worden, dannenhero findet man darinn
gewiſſere regeln und vollkommenere, oder
wenigſtens haͤuffigere exempel, ſo zu anbrin-
gung der guten eigenſchaften des ſtili den weg
bahnen.a) Es hat aber dieſe ſprache darinn
die groͤſte freyheit, daß ſie die woͤrter nach ge-
fallen verſetzen kan, und den vorzug, daß ſie
was die reinlichkeit anbetrift, gleichſam in
poſſeßione iſt, und ſich nicht leicht, durch ein-
miſchung fremder woͤrter, darinn turbiren laͤſt.
im uͤbrigen braucht ſie keiner beſondern regeln,
und wegen der eintheilungen in den Juliani-
ſchen, Muretianiſchen, Ciceronianiſchen, und
Curtianiſchen ſtilum,b) ingleichen in die aucto-
res unterſchiedener alter,c) darf man ſich
auch keine groſſe muͤhe geben.
§. 17. Man kan ſonſt im Lateiniſchen alle
arten vom ſtilo haben, und eben dieſe eigen-
ſchaft hat ſie mit der Teutſchen ſprache gemein,
von welcher bereits in der vorbereitung §. 22.
erwehnet, daß man entweder den Schleſiſchen
oder Meißniſchen oder Nieder-Saͤchſiſchen
oder Fraͤnckiſchen ſtilum, darinn obſervire.
a) Doch in keiner mund-art und in keiner
art von ſtilo iſt man befugt, die eigenſchaften
des guten ſtili uͤberhaupt, aus den augen zu
ſetzen, und wo man dieſe geſchickt anzubringen
weiß, und ſorgfaͤltig den genium dieſer ſpra-
che beobachtet, wird man auch einen guten
Teutſchen ſtilum ſchreiben. b)
Es vergliech iemand nicht uneben, dieſe vier ar-
ten von Teuſchen ſtilis, mit vier frauenzimmern,
da die eine ſich immer mit demanten gold und
ſilber heraus putzete und als eine hof-dame al-
lezeit in galla erſcheinen wolte; die andere,
gleich einem academiſchen frauenzimmer artig,
compaſant und liebreitzend waͤre, allen ge-
fallen, niemand lieben, zuweilen fuͤr beſſer gehal-
ten und mehr geehret ſeyn wolte als ihr zukaͤme;
die dritte wie eine geſchaͤftige haußwirthin, nicht
ſonderlich auf den aͤuſſerlichen putz hielte, ohnge-
achtet es ihr darã nich fehlete, auch nicht eben die
leute zu charmiꝛen ſuchte, ſondeꝛn vielmehr auf ih-
re verrichtungen daͤchte, inzwiſchen doch durch das
ungezwungene weſen, die herfuͤrleuchtende red-
lichkeit, und kluge wirthſchaft, allen gefiele; und
endlich die vierdte uͤberall die augen der leute
Yauf
[338]von denen unterſchiedenen arten
auf ſich ziehen wolte durch lichte und bunte far-
ben, ſchminckpflaͤſtergen, affectirten gang, ge-
borgte demante viele baͤnder, und allerhand klei-
nigkeiten. Doch will ich ihm nicht gaͤntzlich
beyfallen, ſondern vielmehr zum exempel einige
proben anfuͤhren, welche man conferiren mag:
ſonſten geſtehe ich, daß ich bey dieſer eintheilung
ebenfalls keinen rechten grund ſehe. Es mag
alſo zur probe des Schleſiſchen ſtili, der an-
fang der lob-rede dienen, welche der Herr
von Koͤnigsdorf auf Leopoldum gehalten,
der alſo lautet:
Der erdkreiß iſt niemahls in eine groͤſſere be-
ſtuͤrtzung geweſt, als er ſich in gegenwaͤrtigen
zeiten befindet. Die regierſucht hat faſt alle
voͤlcker erreget, und die koͤnigreiche wider ein-
ander geſtoſſen, und wolte gern aus derſelben
zertruͤmmerung ſich ein reich aufbauen, deſſen
beherrſcher die Borbonier und ihre untertha-
nen das menſchliche geſchlecht ſeyn ſollen Eu-
ropa rauchet allenthalben von dem angelegten
feuer, ſelbſt America haben die um ſich freſſen-
den flammen angezuͤndet, und das weite meer
hat nicht gnugſam waſſer ſolches zu loͤſchen.
Europa ſoll eine neue, und America die alte
oder vielmehr noch eine neuere welt werden;
ſo gar ſind die laͤnder verwuͤſtet, und die ſtaͤdte
umgekehret, daß die erde ihre vorige geſtalt ver-
lohren, und den inwohnern nichts als das all-
gemeine elend uͤbrig verblieben. Die waſſer
ſiehet man von blut aufgeſchwellet, und der
ocean wird dem rothen meere ſeinen nahmen
zweifelhaftig machen. Seine fluthen ver-
ſchlin-
[339]des ſtili inſonderheit.
ſchlingen gantze flotten, dadurch wird der ab-
grund ſeichte, auch in den hafen verurſachet
der ſchreckliche ſturm ſchif-bruͤche. Die ge-
fahr haͤlt allen das meer verſchloſſen, nur dem
verderben und untergang ſtehet es offen. Bey
dieſen bekuͤmmerniſſen iſt das empfindlichſte
ungluͤck, daß der ſtarcke Atlas, welcher die fal-
lende welt aufgehalten, der groſſe Leopoldus
(pleniſſimis titulis) mein im leben geweſener
allergnaͤdigſter Herr, durch den todt entkraͤftet
worden ꝛc.
Wenn ſelbſt der purpur ſeinen glantz verſtel-
let, uñ ſtatt deſſen nur truͤbe blicke u. einen zwei-
felhaften ſchein von ſich geben will, und wañ die
ſchoͤnſte morgen-roͤthe ſich in eine dunckle nacht
verwandelt, und aus heitern himmel blitz und
donner herfuͤrbrechen: ſo iſts kein wunder,
wenn ein ohne dem unberedter mund, an ſtatt
einer wohlgeſetzten rede, fuͤr beſtuͤrtzung nur
lauter gebrochene worte und einen unver-
ſtaͤndlichen laut herfuͤr bringet. Und da ich
mich anietzo eben in ſolchen umſtaͤnden be-
finde, ſo wuͤrde mein fehler keine entſchuldi-
gung verdienen, daß ich mich fuͤr ihnen, hoͤchſt-
und hoch geehrteſte auweſende, herfuͤr zu treten
erkuͤhne, wenn nicht eine loͤbliche univerſitaͤt,
bey dem gegenwaͤrtigen, alle ihre glieder durch-
Y 2drin-
[340]von denen unterſchiedenen arten
dringenden ſchmertzen, nur fuͤr vergeblich ge-
halten, zu ablegung ihres ergebenen danckes,
einen beredten redner auszuſuchen; zugleich
aber es ihrer gegenwaͤrtigen pflicht nicht un-
gemaͤß befunden, die betruͤbniß vielmehr, als
die kunſt, das wort fuͤhren zu laſſen.
Die allgemeine freude des gantzen landes,
ſo mit worten kaum auszudruͤcken, wohl aber
in aller getreuen unterthanen augen kan gele-
ſen werden, erinnert billig dieſe Julius-univer-
ſitaͤt ihrer unterthaͤnigſten pflicht, und verbin-
det dieſelbe, durch ein oͤffentliches denckmahl,
die gluͤckſeeligkeit dieſer zeit, nach dem maaß
ihres vermoͤgens, zu verehren. Das vergnuͤ-
gen, ſo man nach vorher ausgeſtandenen har-
ten trauer- und ungluͤcks-faͤllen, erlebet, iſt weit
groͤſſer und empfindlicher, als wenn einem nie-
mahls etwas widriges begegnet. Es iſt das
licht nimmer angenehmer, als nach einer groſ-
ſen finſterniß. Nach einem groſſen ungewit-
ter und platz-regen, ſcheinet uns die ſonne weit
lieblicher, und man beluſtiget ſich ſo dann weit
mehr an ihren ſtrahlen, als wenn wir ihren
ſchein, eine geraume zeit, ohne unterbruch ge-
noſſen, wenn ihr glantz unſerem geſichte ſich
lange
[341]des ſtili inſonderheit.
lange nicht entzogen. So bitter und ſchmertz-
haft der ausgang des zweyten monaths dieſes
jahres uns geweſen; ſo erfreulich und ange-
nehm iſt hingegen der anfang des letzt-abgewi-
chenen worden. Jener beraubete uns einer
tugendhaften und hochbegabten Fuͤrſtin, und
erweckte durchgehends bey iedermann ein ſon-
derbares beyleid, und ungemeine betruͤbniß:
Dieſer hingegen erſetzet den verluſt: ia was
wir unwiederbringlich verlohren zu haben ver-
meinten, erlangen wir in der groͤſſeſten voll-
kommenheit wieder. ꝛc.
Wie die ſonne den ſchatten, ſo hat wahrheit
die verlaͤumdung zum gefaͤhrten, wenn ſie, wi-
der die ſchwaͤrmende unwahrheit kaͤmpffet:
Und wie mancher ſchoͤnen Fuͤrſtin ein ſchwar-
tzer mohr, alſo folget dieſer heldin gern ein pech-
ſchmutziger laͤſterer auf den ferſen. Der, wel-
cher die wahrheit ſelber, und dazu gebohren iſt,
daß er die wahrheit zeuge, hat ſelbſt dafuͤr einen
dornen-krantz zu lohn bekommen: Derhalben
muͤſſen dieienigen, welche die toͤchter des luͤ-
gen-vaters, nemlich ketzerey und falſche verfuͤh-
riſche lehre, nicht kuͤſſen wollen, ſondern dieſel-
be verſchmaͤhen, bekoͤrben, und mit dem licht
der wahrheit beſchaͤmen, ſich nicht befremden
laſſen, daß der ſatan, ihnen allerley kletten, ia
ſcorpionen, kroͤten, und ſpinnen in die haare zu
Y 3werf-
[342]von denen unterſchiedenen arten
werffen trachtet, durch ſolche ſeine creaturen,
welche ottern-gifft unter ihren lippen, und peſti-
lentz in ihren federn haben; indem er, durch
ſolches mittel, den ketzeriſchen irrſalen, als be-
foͤrderern ſeines reichs, ein beſſeres anſehen
und credit zu erſpinnen hoft, wohl wiſſend, daß
die beruß- und ſchwaͤrtzung des rechtglaͤubigen,
den wahn-glaͤubigen zur ſchmincke diene: ꝛc.
§. 18. Von dem ſtilo declamatorio nun-
mehro zu reden, ſo wird derſelbe hauptſaͤchlich
deßwegen in etwas zu erwegen ſeyn, weil bey
ſeinem aͤuſſerlichen fuͤrtrag gewiſſe ſolennitaͤ-
ten,a) wie bereits erwehnet, zugleich fuͤrfallen,
darauf man bey der ausarbeitung und an-
wendung aller arten von ſtilis fuͤr andern all-
hier zu ſehen. Wird er bey ernſthaften bege-
benheiten gebrauchet, ſo kan man ihn den ei-
gentlichen ſtilum oratorium nennen, weil die-
ſer faſt der eintzige iſt, davon die anweiſun-
gen
[343]des ſtili inſonderheit.
gen zur beredſamkeit nachricht zu geben ſich
bearbeiten. Er fodert ſo dann, daß man
nicht nur alle gute eigenſchaften des ſtili an-
bringe, ſondern auch ſo anbringe, daß es recht
mercklich ſey, wie man bey ihrer anbringung
ſorgfaͤltig geweſen, wie man mit groſſem fleiß,
reine, deutliche, nachdruͤckliche, angenehme,
worte und redens-arten aufgeſucht, eine nette
iunctur und klingenden numerum genau beob-
achtet, u. uͤberall kunſt u. wiſſenſchaft, doch ohne
affectation, zu zeigen, ſich bemuͤhet habe.c)
§. 19. Ziehet man ihn auf das theatrum
zum ſchauſpielen, da hat er allerdings groͤſſere
freyheiten, und da der Oratorius niemahls das
burlesqve leidet, ſo kan man hier in gewiſſen
faͤllen, ſolches ſehr wohl gebrauchen. Wie
aber die groͤſte annehmlichkeit aller ſchauſpiele
darinn beſtehet, daß alles recht wahrſcheinlich
fuͤrgeſtellet werde, ſo iſt auch die groͤſte tugend
des ſtili theatralis, daß er mit dem caracter der
perſonen, die da reden, gar genau uͤberein ſtim-
me, und doch auch nicht gar zu ſehr uͤber die re-
geln des guten ſtili u. des wohlſtandes ſchreite.
§. 20. Die abfaſſung der periodorum bey
dem ausdruck, macht den unterſchied unter
den ſtilum luxuriantem oder diffuſum den ro-
tun-
[345]des ſtili inſonderheit.
tundum und concinnum, und unter den conci-
ſum und ſententioſum. Den erſten hieſſen die
alten Aſiaticum, den andern Atticum, und den
dritten Laconicum. Der luxurians, diffuſus,
Aſiaticus ſtilus iſt in ſeinẽ ausdruck weitlaͤuf-
tig, mit vielẽ beywoͤrtern bereichert, gebrauchet
lange worte, redens-arten, lange periodos,
nimt alle determinationes und umſtaͤnde einer
ſache mit, leidet viel propoſitiones incidentes,
ausſchweiffungen und beſchreibungen, auch
viel tropos und figuren, iſt zum oͤftern mit
dem ſublimi, mediocri, und pathetico verbun-
den, und beobachtet auch alſo die von dieſen
gegebene regeln, allezeit aber iſt er Oratorius.
§. 21. Der rotundus, concinnus, Atticus
ſtilus maͤßiget den Aſiaticum, und gehet zwi-
ſchen dieſen, und den folgenden Laconicum,
die mittel-ſtraſſe, faſſet alſo ſeine periodos et-
was kuͤrtzer ab, ſetzet nicht eben lange worte
und redens-arten, auch keine haͤuffige propo-
ſitiones incidentes, und giebt denen tropis und
figuren eine gleiche proportion, kan ſich zu-
gleich bey dem humili, mediocri, ſublimi, theo-
retico, pathetico, erudito, hiſtorico, und andern
arten des ſtili finden, bleibt doch meiſtentheils
Oratorius.
§. 22. Endlich zeiget ſich der ſtilus Laconi-
cus, conciſus, ſententioſus, in einer gantz kur-
tzen verfaſſung, mit kurtzen periodis, laͤſſet
weitlaͤuftige beſchreibungen und einſchraͤnckun-
gen aus, redet gerne mit ſententzen und ſprich-
woͤrtern, (weil dieſe immer reicher an gedan-
cken als worten, und da ſie auf etwas anders
zielen, als der eigentliche wort-verſtand mit
ſich bringet, allezeit ein gedoppeltes nachden-
cken bey einem kurtzem ausdruck verurſachen)
verbindet meiſt realiter, ſucht aber deſto nach-
druͤcklichere worte auf, und iſt meiſtentheils
mit dem arguto verbunden, ſetzt doch niemahls
die guten beſchaffenheiten des ſtili bey ſeite.
§. 23. Jn anſehung desienigen, der da re-
det, und ſeiner abſichten, iſt der ſtilus entwe-
der ſerius, wenn man ernſthafte worte hat,
und dieſer hat nichts beſonders, als daß er die
familiaͤren reden und ſchertzenden gedancken
meidet, oder iocoſus, wann man ſchertzet, die-
ſer hat vieles mit dem ſatyriſchen und burle-
ſque gemein, iener heiſt auch candidus, wann
er es ſo meinet, als er redet, dieſer ironicus,
wann er was anders und wohl gar das ge-
gentheil verſtehet: Ferner iſt er entweder re-
citativus, und erzehlet anderer leute worte,
wie ſie von ihnen ausgeſprochen, oder relati-
vus, und veraͤndert nur die Grammaticaliſche
form der temporum, beyde gehoͤren zum Hiſto-
rico:
[349]des ſtili inſonderheit.
rico: Letzlich vehemens, wann der redende im
affect ſtehet, und temperatus, wann er von
keinem ſonderlichen affect gereitzet wird, iener
hat viel mit dem pathetico, dieſer mit dem theo-
retico gemein.
§. 24. Endlich in anſehung des hoͤrenden,
iſt der ſtilus gar mancherley; doch verdienen
nur der familiaris und dialogiſticus, der ga-
lante, caͤrimonioſus, der epiſtolaris und letz-
lich der dogmaticus, und polemicus, einige
anmerckungen, welche ich kurtz beyfuͤgen will,
da dieſes capitel wider vermuthen ſchon faſt
die graͤntzen einer rechten maſſe uͤberſchritten.
§. 25. Den familiaͤren ſtilum braucht man
im gemeinen leben, zu dem ausdruck ſeiner
gedancken, welche man mehrentheils von ſinn-
lichen dingen gefaſſet, und gegen leute, bey
denen man nicht noͤthig hat, viele caͤrimonien
zu machen, da ſie unſeres gleichen oder wohl
geringer als wir, und gute freunde von uns
ſeyn. Man braucht deßwegen nur ſeine ge-
dancken, durch reine, deutliche, adaͤquate wor-
te auszudrucken, wird nicht an einen periodi-
ſchen numerum gebunden, vielweniger darf
man ſich mit tropis und figuren breit machen.
Bleibt er nur bey unterredungen, ſo heiſt er
auch ſtilus dialogiſticus, doch richtet er ſich
alsdann nach dem begrif des hoͤrenden und
uͤberhaupt nach der beſchaffenheit des obiecti
und dem character der perſonen.
§. 26. Eben dieſen ſtilum veraͤndern unter-
ſchiedene abſichten des redenden, daß er bald
liebkoſend nnd verbindlich, bald hoͤflich und
angenehm wird, alsdann koͤnte man ihn den
galanten ſtilum nennen. Er entlehnet ſo dann
etwas von dem arguten und ſchertzenden ſtilo,
richtet ſich nach dem galanten gebrauch, dru-
cket den affect der wohlgewogenheit und erge-
benheit, durch etwas ſchmeichlende worte aus,
bedienet ſich eines angenehmen leicht flieſſen-
den numeri, laͤſt zwar keine kunſt und ausge-
ſuchte zierlichkeit mercken, gehet doch aber nicht
zu weit davon ab, ſteigt nur biß zum ſtilo me-
diocri, und erfodert daß man ſonderlich die
perſonen nach ihren geſchlecht und ſtande be-
obachte, wann man ihn anbringen will.
§. 27. Von dieſen gehet der ſtilus in etwas
ab, welchen man im gemeinem leben gegen
hoͤhere gebrauchet. Denn ob zwarhier eben-
fals der galante gebrauch fuͤr andern zu con-
ſuliren iſt, ſo wird doch der ſtilus etwas ernſt-
hafter, man beobachtet fuͤr allen dingen den ſti-
lum
[351]des ſtili inſonderheit.
lum curiaͤ, man bezeuget ſeine ſubmißion durch
verbindliche worte, welche keine neben-ideen
einer familiaritaͤt haben, huͤtet ſich fuͤr aller
affectation einer kuͤnſtlichen ausarbeitung faſ-
ſet ſeine gedancken kurtz und beobachtet ſorg-
faͤltig die regeln des wohlſtandes. Daher
wird dieſes der ſtilus caͤrimonioſus genennet.
§. 28. Werden ietztangefuͤhrte ſtili ſchrift-
lich abgefaſſet und in briefen gebrauchet, ſo
entſteht daher der ſtilus epiſtolaris. Dieſer
bekommt alſo, nachdem er familiaͤr oder galant
oder caͤrimonioͤs iſt, auch unterſchiedene ge-
ſtalten, und muß aus vorheraehenden para-
graphis beurtheilet werden. Zuweilen fuͤhrt
man in briefen gantze propoſitiones aus, und
ſchreitet alſo uͤber die graͤntzen einer rede im ge-
meinen leben, ſo dann heiſſen es Oratoriſche
briefe, und bekommen nach denen noͤthigen
eigenſchaften des ſtili, eine recht Oratoriſche
form und Oratoriſchen ſtilum, welcher ſich mit
allen pathetiſchen, weitlaͤuftigen, hohen, und
ſinnreichen, auch andern arten von ſtilis ver-
binden laͤſſet, und deſſen oben §. 18. gedacht
worden.
§. 29. Alle dieſe arten des ſtili, mag der-
ienige
[352]von denen unterſchiedenen arten
ienige unterſchied des ſtili beſchlieſſen, welcher
daher entſtehet, wann der redende den andern
zu unterrichten, oder ihn zu wiederlegen bemuͤ-
het iſt. Jener heiſt der ſtilus dogmaticus,
dieſer der polemicus. Jener kommt mit dem
humili, theoretico, erudito, Philoſophico,
familiari, dialogiſtico, groͤſtentheils uͤberein,
ſiehet nur auf den unterricht des verſtandes,
laͤſt alſo den deutlichen und adaͤquaten ausdruck
ſein hauptwerck ſeyn. Dieſer beobachtet, weil
er mit eineꝛ etwas unangenehmen ſache zu thun,
ſonderlich den galanten ſtilum und einiger maſ-
ſen den ſtilum dogmaticum, bekuͤmmert ſich
im uͤbrigen mehr um den deutlichen und adaͤ-
quaten ausdruck, um die rechte fuͤrſtellung
ſeiner meinung, und der gruͤnde darauf ſelbi-
ge beruhet, ingleichen um den rechten begrif
von des gegner meinung und ſeinen gruͤnden,
als um die uͤbrigen zierrathen des ſtili, vermei-
det alſo das ſatyriſche weſen und den pracht
der troporum und figuren.b)
VOn den mitteln zum guten ſtilo uͤberhaupt, und
ins beſondere dem naturell, §. 1. Vom unter-
richt, §. 2. Von der lectur, §. 3. Von der uͤbung
und zwar durch die uͤberſetzung, §. 4. Durch die va-
riationes, §. 5. Durch imitationes, § 6. Durch
eigne zuſammenſetzung mit periodis, §. 7. Mit aller-
ley arten von argumentis, §. 8. Mit allerhand arten
von reden, §. 9.
§. 1.
DAß man zu einer fertigkeit im ſtilo
gelangen, und nicht nur die guten ei-
genſchaften des ſtili uͤberhaupt, ſon-
dern auch eines ieden inſonderheit recht an-
bringen koͤnne, muß man einmahl von der
natur mit guten faͤhigkeiten ausgeruͤſtet ſeyn,
hernach durch eine gute anfuͤhrung nach gruͤnd-
lichen und deutlichen regeln, auch durch die le-
ctur vollkommeneꝛ exempel aufgemuntert wer-
den, und endlich durch eignen fleiß und oft wie-
derholte uͤbung, zu der gehoͤrigen fertigkeit
kommen.a) Was hiezu die natur beytraͤgt,
iſt zwar an ſich nicht eben den regeln unter-
worffen, dann iudicium, ingenium und memo-
rie und einen lebhaftigen geiſt, kan man ſich
nicht ſelbſten geben, aber doch wird man durch
die Philoſophie und nachdencken das iudicium,
durch leſung der Poeien das ingenium, durch er-
lernung der ſprachen und Hiſtorie die memorie,
und
[355]zum guten ſtilo.
und endlich durch eine freye converſation das
gemuͤth ziemlich aufwecken, und zur fertigkeit
im ſtilo diſponiren.
§. 2. Der unterricht iſt bey nahe das fuͤr-
nehmſte, wenigſtens das bequemſte mittel fuͤr
denienigen, welcher den ſtilum lernen will, ob
es wohl dem lehrenden, wann er es redlich
meinet, nicht geringe muͤhe und ſchwierigkeiten
verurſachen kan. Denn von dieſem wird
erfodert, daß er den Grammaticaliſchen grund
der ſprache und der Oratorie, durch leichte
deutliche und gruͤndliche regeln zeige, anfaͤng-
lich mit kurtzen exempeln erlaͤutere, nachge-
hends zu dem leſen der auctorum ſchreite, und
endlich dem lernenden zu allerhand arten der
uͤbung anleitung gebe, auch dahinbringe, daß
er ſelbſt ein vernuͤnftiges urtheil, von den ſchrif-
ten ſo zur beredſamkeit gerechnet werden, faͤllen
koͤnne.
§. 3. Wer ſich der lectur recht bedienen
will, muß erſt bey ſich uͤberlegen, ob der auctor,
den er zu leſen gedencket, etwas zu ſeinen ab-
ſichten beytrage, ſich zu ſeinem genie ſchicke,
oder ſolches beſſere, und alſo die hiſtorie von
dem auctore, deſſelben abſichten, und eigen-
ſchaften, auch die urtheile der gelehrten von ihm
ſich bekannt machen. Nachgehends wendet
er ſich zum leſen des auctoris ſelbſt, ſiehet zufoͤ-
derſt auf die gedancken, wie er ſolche durch wor-
te fuͤrſtellet, ziehet aus denen periodis die
haupt-propoſition, beobachtet die ausfuͤhrung
derſelben durch argumenta, determinationes,
erklaͤrungen, bemercket die woͤrter, derſelben
haupt- und neben-ideen, die bey-woͤrter, die
reinlichkeit, deutlichkeit, iunctur derſelben, den
numerum, tropos, und figuren, lieſet alle tage
etwas darinn, und faͤllt nicht leicht von einem
auf den andern, denckt bey dem leſen auf die
moͤgliche application, und excerpireta) was er
ſchoͤnes findet, wenn er ſeinem gedaͤchtniß nicht
viel zutrauet, bemuͤhet ſich aber mehr, alles gu-
te recht ihm eigen zu machen, als ſeinem ex-
cerpten buch anzuvertrauen.
§. 4. Hernach ſchreitet man zu denen uͤbun-
gen und greift die ſache ſelbſt an. Man kan bey
denen uͤberſetzungen anfangen, und erſtlich
aus dem Lateiniſchen etwas ins Teutſche, aus
dieſem wiederum in das Lateiniſche uͤberſetzen,
hernach ſeine letzte uͤberſetzung gegen den aucto-
rem, daraus man zuerſt uͤberſetzet, ſelbſt halten,
und ſeine arbeit nach denſelben verbeſſern.
Ferner kan man aus einem Poeten etwas in
ungebundene reden uͤberſetzen, das Poetiſche
weglaſſen, und ſeiner arbeit die noͤthigen ei-
genſchaften eines guten ſtili zu geben ſuchen.
Will man ſich durch uͤberſetzungen gantzer au-
ctorum, der gelehrten welt zeigen, ſo muß man
freylich mehr geſchicklichkeit beſitzen als zu die-
ſer bloſſen uͤbung erfodert wird.
§. 5. Darauf kan man allerhand varia-
tiones fuͤr die hand nehmen. Man variiret
die worte, die redens-arten, die ſtructur der
periodorum, macht aus kurtzen periodis lan-
ge, aus langen kurtze, veraͤndert einen perio-
dum durch alle arten von ſtilis, man variiret
die ſaͤtze durch tropos und figuren, die worte
durch die caſus und durch die differentias
grammaticas, ia man variiret die gantze
connexion einer rede durch allerhand arten zu
verbinden.
§. 6. Weiter kan ſich ein lernender uͤben
durch allerhand arten der imitation. Man
nimmt eines auctoris wohlgerathene arbeit,
unterſucht ihn nach denen im 3. §. beruͤhrten
ſtuͤcken, und bemuͤhet ſich hernach die gedan-
cken eines auctoris, auf andere dinge zu appli-
ciren, durch veraͤnderung einiger umſtaͤnde,
man ſucht ſeine geſchicklichkeit im ausdruck, in
der wahl der worte, in dem numero und an-
dern eigenſchaften des ſtili nachzumachen, ia
man bearbeitet ſich ſeine verbindungen, ord-
nung der ſaͤtze und ſeinen gantzen character
und
[359]zum guten ſtilo.
und ſtilum bey andern gelegenheiten anzubrin-
gen doch ſo daß dabey nichts gezwungenes fuͤr-
komme, oder man eines plagii koͤnne beſchuldi-
get werden.
§. 7. Doch die eigne arbeit und zuſammen-
ſetzung thut endlich das beſte, und dieſe kan an-
geſtellet werden mit ſaͤtzen, daß man nemlich
ſelbige in eine periodiſche ſtructur und nume-
rum einſchlieſſet. Man ſuchet, dieſes zu be-
werckſtelligen, die einſchraͤnckungen und erklaͤ-
rungen, des ſubiecti ſowohl als des praͤdicati,
in einem ſatze zuſammen und ſuchet alſo noͤthi-
ge beywoͤrter, geſchickte redens-arten, anſtaͤn-
dige tropos und figuren darinn anzubringen,
doch daß nichts unnuͤtzes und uͤberfluͤſſiges mit
einflieſſe.
§. 8. Dieſem fuͤget man nachgehends al-
lerhand argumenta bey, welche ebenfalls in ei-
ne gehoͤrige periodiſche ſtructur und geziemen-
den numerum eingeſchloſſen, auch mit ihrem
hauptſatz durch eine gute verbindung verknuͤpf-
fet werden.
§. 9. Endlich ſchreitet man zur ausarbeitung
gantzer reden, uñ uͤbet ſich in ſyllogiſimis, chrien,
complimenten, declamationibus und was man
ſonſt fuͤr gattungen von reden haben mag, zu
deren voͤlligen einrichtung, folgender dritter
Z 4theil
[360]moraliſche betrachtung
theil dieſer Oratorie, kurtze, doch hinlaͤngliche
nachricht und anleitung geben wird. Hier iſt
nur noch dieſes zu gedencken, daß man zuvor
ehe man etwas ausarbeitet, in einem ſolchen
auctore leſe, welcher den ſtilum fuͤhret, darinn
man etwas einkleiden will, hernach leget man
ihn weg, und wird ſo dann ſein gemuͤth leichter
diſponiret finden, zu der verlangten ſchreib-art,
als ohne ſolche vorbereitung.
ZUſammenhang mit dem vorigen, §. 1. Von dem
recht zu reden und zu ſchweigen, §. 2. Von de-
nen einſchraͤnckungen deſſelben, §. 3. Durch die re-
geln der gerechtigkeit, §. 4. Durch die regeln der
honnetete, §. 5. Durch die regeln der klugheit, §. 6.
Durch die regeln des wohlſtandes, § 7. Von den
ſchuldigkeiten des zuhoͤrers, §. 8. Von der klugheit
aus der rede zur urtheilen, §. 9.
§. 1.
ES iſt nunmehro bey dem ausdruck
nichts mehr uͤbrig als daß ich von dem-
ienigen endzweck der beredſamkeit bey
dem
[361]des ausdrucks.
dem ausdruck, etwas gedencke, welchen ich
in der vorbereitung, §. 3. den allgemeinen ge-
nennet. Und da ich bißhero, wie man den be-
ſondern erhalten muͤſſe, weitlaͤuftig gezeiget,
der beſondere aber in anſehung des ausdrucks,
ſich ebenfals auf den allgemeinen beziehet, ſo
iſt es noͤthig, daß ich von dieſen etwas weni-
ges beybringe.
§. 2. Der allgemeine endzweck der gantzen
gelehrſamkeit, alſo auch der beredtſamkeit und
des ausdrucks unſerer gedancken, iſt, die
gluͤckſeligkeit und das vergnuͤgen der menſchli-
chen geſellſchaft zu befoͤdern. Weil auch ein
ieder menſch ein mitglied dieſer geſellſchafft iſt,
ſo hat er das recht, ſich des ausdrucks, damit
er ſeine eigene wohlfahrt und vergnuͤgen wuͤr-
cke und behaupte, nach ſeinen vermoͤgen zu
bedienen, zu welchem recht ihn die natur durch
die organa und ſprachen den weg bahnet, und
welches ihm durch keine willkuͤhrliche macht
anderer kan entzogen werden.
§. 3. Damit aber niemand in dem ge-
brauch ſeines rechts zu weit gehe, und den zweck
deſſelben uͤberſchreite, bey dem ausdruck ſeiner
gedancken, ſo ſind den menſchlichen neigungen
gewiſſe ſchrancken geſetzet, welche aber eben
aus dieſem endzweck herzuleiten. Solche be-
fehlen, daß die nothwendige unterhaltung, der
menſchlichen geſellſchafft nicht unterbrochen
werde, daß auch das vergnuͤgen derſelben
nicht geſtoͤhret werde, daß man nicht andern
hiezu gelegenheit gebe, und endlich daß man
ſich ſelbſt, bey beobachtung dieſer einſchraͤn-
ckun-
[363]des ausdrucks.
ckungen, durch den ausdruck ſeiner gedancken,
andern angenehm zu machen wiſſe. Das
erſte dependiret von den regeln der gerechtig-
keit, das andere von den regeln der honnetete,
das dritte, von den regeln der klugheit, und
das letzte von den regeln des wohlſtandes.
§. 4. Die regeln der gerechtigkeit zu wel-
chen die reguln des Chriſtenthums mit gehoͤ-
ren, gebieten, daß man nicht rede wenn eines
menſchen leben, geſundheit, ehre, vermoͤgen,
und wohlfarth ohne noth, geſchweige noch ei-
ner gantzen ſocietaͤt, durch unſer reden ruiniret
wird, daß man im gegentheil nicht ſchweige,
wo man eines menſchen leben, geſundheit, eh-
re, vermoͤgen, und wohlfarth retten koͤnne.
§. 5. Nach den regeln der honnetete iſt man
verbunden nicht zu reden, wo man etwan des
andern ſeine gemuͤths-ruhe ſtoͤhren koͤnne, oder
ihm die erhaltung ſeiner geiſt- und leiblichen
guͤter, beſchwerlich, verdrießlich, koſtbar und
unangenehm machen moͤchte, im gegentheil iſt
man verpflichtet nicht zu ſchweigen, wo unſere
worte zu der gemuͤths-beruhigung des andern,
zu ſeiner commoditaͤt, vergnuͤgen, und uͤber-
haupt zur freundſchaft und zur guten uͤberein-
ſtimmung der menſchlichen gemuͤther, etwas
beytragen koͤnnen.
§. 6. Die klugheit verbindet uns denen re-
geln der gerechtigkeit und honnetete mit gu ter
manier ein gnuͤge zu leiſten, und wenn man
dieſe beobachtet, ſo gewoͤhnet ſie uns, nie-
mahls ohne vernuͤnftige abſichten zu reden und
zu ſchweigen, ſondern allezeit auf die urſachen
dieſer abſichten zu gedencken, und die wuͤrckun-
gen davon zu uͤberlegen, den ausdruck nach des
andern ſeinen vorurtheilen und neigungen, ſo
viel die regeln der gerechtigkeit und honnetete
erlauben, zu temperiren, bißweilen von den re-
geln des ausdrucks und den guten eigenſchaften
des ſtili abzugehen, mit einer guten art ſchaͤdli-
che wahrheiten zu verbergen, und nuͤtzliche un-
wahrheiten fuͤrzubringen, ꝛc.
§. 7. Mit dieſen ſind die regeln des wohl-
ſtandes genau verbunden, denn ſelbige zeigen
uns, wie wir alle aͤuſſerliche umſtaͤnde, auch
diegeringſten kleinigkeiten, nach dem geſchmack
derer, denen wir zu gefallen urſach haben, ein-
richten muͤſſen, und nach dieſem wird zuweilen
von uns erfodert, daß wir nicht reden, zuweilen.
daß wir nicht ſchweigen, daß wir bey dem aus-
druck in der ſprache, minen, air und geſtibus
uns den leuten angenehm machen, uns durch
keine affectation ridicul, durch keine familiaire
reden verachtet, durch keine hyperboliſche, thra-
ſoniſche, ſatyriſche redens-arten verhaſt, und
durch die verachtung der vorhin angefuͤhrten
regeln der gerechtigkeit honnetete und klugheit,
den leuten zu keinem ſcheuſal machen.
§. 8. Doch ich muß hier auch denen zuhoͤ-
rern eine erinnerung geben, daß ſie ſich, wann
ſie iemand hoͤren, einmahl bemuͤhen, ſelbigen
recht zu verſtehen, und hernach von ſeinen ge-
dancken und ausdruck ein vernuͤnftiges urtheil
zu faſſen. Zu ienem iſt noͤthig, daß ſie die
ſprache, darin geredet wird, recht inne haben,
genau aufmercken, und kein wort vorbey laſ-
ſen, des redners ſtand und andere umſtaͤnde, ſo
viel moͤglich, in betrachtung ziehen, wenn ſie in
einem gemiſchten auditorio ſind, nicht dencken,
daß der redner ihnen allein zu gefallen rede,
ihn nicht mit vorgefaſten meinungen und blin-
den affecten, ſondern gehoͤriger gelaſſenheit
anhoͤren, auf ſeine haupt-propoſition achtung
geben, ſeine abſichten recht bemercken, und
wohin die ſache gehoͤret, erwegen, nicht hoͤren
und zugleich urtheilen wollen. Koͤnnen ſie
aber bey ſich ſelbſt gewiß ſeyn, daß ſie den
redner recht verſtanden, ſo muͤſſen ſie doch
noch, ehe ſie zum urtheilen ſchreiten, bey ſich
uͤberlegen, ob ſie auch die diſciplin, dahin die
von ihm fuͤrgetragene ſache gehoͤret, recht be-
griffen, ob ſie den character des redenden und
hoͤrenden in ihren gedancken recht formiret,
und alsdann koͤnnen ſie ein urtheil faſſen, wo-
bey ſie ſorgfaͤltig, ſich fuͤr den betrug der vor-
urtheile und neigungen, zu huͤten, und alle
regeln
[368]moraliſche betrachtung
regeln der beredſamkeit ibnen bekannt zu ma-
chen haben.
§. 9. Es iſt ein beſonderes kunſt-ſtuͤck der
klugheit, aus dem ausdruck von der gemuͤths-
beſchaffenheit des menſchen zu urtheilen, wel-
ches aber wegen der vielen dinge, welche hier
zuſammen genommen werden muͤſſen, nicht
ſo leicht iſt, als man meinet, hingegen auch
denenienigen, welche die hier zuſammen lauf-
fende wiſſenſchaften und geſchicklichkeiten be-
ſitzen, nicht ſauer ankommt. Jn der rede und
dem ſtilo eines menſchen kommen viele ſolche
ſtriche fuͤr, daruͤber der menſchliche willkuͤhr
nicht diſponiren koͤnnen, und alſo zeigt ſich da
die natuͤrliche bloͤſſe: Nur muß man ſo ſcharf-
ſichtig ſeyn ſelbige zu erkennen und recht zu be-
mercken, und man wird daraus theils die be-
ſchaffenheit des verſtandes, theils des willens
ziemlich abnehmen koͤnnen, wann man ſich
nur beſcheidet, daß es keine unſtreitige, ſon-
dern eine wahrſcheinliche ſache ſey. Es er-
fodert aber dieſe ſcharf-ſichtigkeit, die kaͤnntniß
der Moral, inſonderheit der menſchlichen affe-
cten, der lehre von der politiſchen wahrſchein-
lichkeit, der beſchaffenheit des menſchlichen
ver-
[369]des ausdrucks.
verſtandes, der regeln des ſtili, der Hiſtorie
des redenden, der Hermeneutiſchen wahrſchein-
lichkeit, und endlich eine gute lectur und er-
fahrung.
VOn der diſpoſition und der damit verbundenen
elaboration, §. 1. Von der diſpoſition und aus-
arbeitung eines ſatzes und periodi, §. 2. Von
der diſpoſition, verbindung und ausarbeitung
vieler ſaͤtze und periodorum, §. 3. Durch einen
ſyllogiſmum, §. 4. Durch die chriam rectam,
§. 5. Durch chriam inverſam, §. 6. Durch eine
gantze oration, §. 7. Vom exordio, §. 8. Von
der propoſition, §. 9. Von der tractation, §. 10.
Von der concluſion, §. 11. Beſchluß dieſes capi-
tels, §. 12.
§. 1.
WEr an gedancken und worten einen gu-
ten und auserleſenen vorrath geſamm-
let, dem iſt nun nichts mehr noͤthig, als daß er
A a 2bey
[372]von der diſpoſition uͤberhaupt.
bey gegebener gelegenheit zu reden, die gedan-
cken in eine gute und natuͤrliche ordnung zuſam-
men fuͤge nachgehends dieſe zuſammen gefuͤg-
ten gedancken und theile durch hinzuthuung ih-
rer determinationen und erklaͤrungen gleich-
ſam uͤberkleide, und alſo ſeiner rede nach den
regeln der vernunft-lehre, des ausdrucks, der
klugheit, dieienige form gebe, wodurch er den
endzweck der beredſamkeit und ſeine abſichten
zu erhalten gedencket. Die zuſammenfuͤgung
heiſt diſpoſitio, und die uͤberkleidung elaboratio.
§. 2. Man hat alſo nicht nur auf eine gan-
tze rede uͤberhaupt zu ſehen, wenn man ge-
ſchickt
[373]von der diſpoſition uͤberhaupt.
ſchickt diſponiren und elaboriren will, ſondern
auch auf die kleineſten theile derſelben, nemlich
auf die ſaͤtze und periodos, aus welchen nachge-
hends gantze reden erwachſen. Man muß
dabey entweder bloſſe ſaͤtze in eine periodiſche
ſtructur bringen, odeꝛ einen ſatz alſo fort mit
ſeinem argumento zugleich, als einen perio-
dum einrichten, in ienem fall ſiehet man auf
das ſubiectum, praͤdicatum und deren verbin-
dung, in dieſem auf den ſatz nicht allein, ſon-
dern auch auf das argument, welches damit
ſoll verknuͤpfet werden, zu welchem oben be-
reits P. II. Cap. I. §. 9. 10. einige anleitung
gegeben.
§. 3. Auf dieſe weiſe wird ein ieder ſatz zu
einem periodo, und wenn viele ſaͤtze zuſammen
kommen, werden viele periodi, welche aber al-
le in einer connexione reali ſtehen muͤſſen, die
zu zeiten mit der verbali ausgedruckt wird.
Und da hat man entweder einen ſatz mit ſeinen
argumentis, oder viele ſaͤtze mit ihren argu-
mentis untereinander zu verbinden. Sol-
ches gluͤcklich zu bewerckſtelligen, muß man
aus der Logick verſtehen, was methodus ſyn-
thetica und analytica ſey, was definitiones
und ſchluͤſſe ſeyn, was unſtreitig und wahr-
ſcheinlich muͤſſe tractiret werden, was man
general-ſpecial- und individual-concepte nen-
ne, was eigentliche, weſentliche und zufaͤllige
begriffe, was diverſa, oppoſita und derglei-
chen. Man muß die arten von argumentis
A a 3nach
[374]von der diſpoſition uͤberhaupt.
nach den regeln der klugheit auszuſuchen wiſ-
ſen, nach der natur der ſache, wie ſolches die Lo-
gick anweiſet, die ſaͤtze mit ihren argumentis
ordentlich rangiren und entwerffen, nachge-
hends iedweden ſatz, iedwedes argument, nach
den regeln des ausdrucks uͤberkleiden, ſo wird
man ordentlich diſponiret und elaboriret ha-
ben.
Das ſo kuͤnſtlich zuſammengefuͤgte gebaͤu-
de unſeres leibes, beſtehet aus einem zuſam-
menhang unterſchiedener gliedmaſſen, und den
coͤrper eines gemeinen weſens zieren die unter-
ſchiedenen ſtaͤnde und bemuͤhungen, durch
welche die ſterblichen ſuchen gluͤckſeelig zu wer-
den. Wie nun bey dem natuͤrlichen coͤrper
immer ein glied dem andern den vorzug ſtrei-
tig zu machen ſcheinet, da gebrauch und nutzen
eines erhebet das andere erniedriget; alſo ſind
bey einem Moraliſchẽ coͤrpeꝛ, die ſtaͤnde deꝛ men-
ſchen niemahls von einerley hoheit. So depen-
diret zum exempel von einer angenehmen durch-
dringenden beredſamkeit, und ruͤhmlich gefuͤhr-
ten kriegẽ das wohl gantzer reiche und zung und
degen ſind dieienigen werckzeuge, wodurch man
die gluͤckſeligkeit der laͤnder behauptet. Doch
halte ich gaͤntzlich dafuͤr, daß wie die ſonne dem
mond, dashaupt denen fuͤſſen, alſo die bered-
ſamkeit blutigen kriegen, an einem ſtaats coͤr-
per, weit fuͤrzuziehen ſey. Eben da ich heute
in dieſer anſehnlichen redner geſellſchafft das
erſte mahl zu reden die ehre habe, bin ich ent-
A a 4ſchloſſen,
[376]von der diſpoſition uͤberhaupt.
ſchloſſen, mit dero guͤtigen erlaubniß die vor-
zuͤge der beredſamkeit fuͤr grauſamen kriegen
zu zeigen. Jch hoffe nicht ungeſchickt zu ver-
fahren, wann ich meinem fuͤrſatz ein gnuͤge zu
leiſten, und darzuthun, worinnen dieſe vorzuͤ-
ge eigentlich beſtehen, beyder natur und eigen-
ſchafften, ſo viel mir meine wenige einſicht
und ungeuͤbte zunge erlauben, gegen einander
halte und ſelbige ihnen H. und H. A. in den
erſten lineamenten fuͤrbilde. Jch will durch
eine maͤnnliche beredſamkeit, nicht etwa einen
uͤberfluß leerer und ausgekuͤnſtelter worte,
oder eine menge pedantiſcher realien verſtan-
den wiſſen, durch welche einige dieſelbe auf
den hoͤchſten grad ihrer vollkommenheit ver-
meinen getrieben zu haben: ſondern einen leb-
haften ausdruck vernuͤnftiger gedancken, wo-
durch man dieienigen zu denen man redet,
nach ſeinen vortheil zu bewegen, und zu einer
nuͤtzlichen uͤbereinſtimmung ihrer meinung
und ihres verlanges mit dem ſeinigen, auf eine
plauſible und angenehme art gleichſam zu noͤ-
thigen, geſchickt iſt. Und dieſe beredſamkeit
allein iſt dieienige mutter, welche die ſchoͤnſten
kinder unſerer ſeelen, nemlich vernuͤnftige ge-
dancken, zum nutz der gantzen republik zur
welt gebieret. Was wird man ſich nicht alſo
fuͤr einen fuͤrtreflichen begrif von der beredſam-
keit machen, welche uns zugleich gewoͤhnet der
zeit, dem ort, dem zuhoͤrer und der ſache ge-
maͤß reden. Die beredſamkeit iſt gewiß ein
merck-
[377]von der diſpoſition uͤberhaupt.
merckmahl eines aufgeweckten geiſtes, ein et-
was, ſo uns bey iedermann beliebt machet,
damit man hertzen feſſelt. Sie iſt e in ange-
nehmer wiederſchall, welcher aus den inner-
ſten bewegungen des hertzens entſtehet und ein
untadelhafter zeuge daß wir ordentlich geden-
cken, ſcharfſinnig nachdencken und die hertzen
anderer, ſo wie unſere eigene, in haͤnden haben.
Da im gegentheil der krieg, nichts anders als
ein hitziges fieber der reiche, und peſt des ge-
meinen weſens, weil er auch in ſeiner groͤſten
vollkommenheit und gluͤckſeligkeit, ſtaͤdte zer-
ſtoͤret, laͤnder einaͤſchert, und menſchen um-
bringet. Ein feuer, welches denienigen der
es ernaͤhret verbrennet, eine ſaͤugamme aller
laſter, eine tochter der grauſamkeit, und es
ſchicket ſich niemand beſſer zum kriegen, als
wer ſich unter die zahl derienigen befindet, von
denen der bekannte vers ſaget: Nulla fides pie-
tasque viris, qui caſtra ſequuntur. Jm
kriege werden die menſchen gezwungen, alle
ſanftmuth und liebe zu verbannen, grimmiger
als panther und tieger zu ſeyn, und als feuer-
ſpeyende drachen andern den tod anzudraͤuen.
Die beredſamkeit hat ihren urſprung dem him-
mel und der allmaͤchtigen hand des ſchoͤpfers
zu dancken, der uns fuͤr andern creaturen, eine
vernehmliche ſtimme ihn zu loben, und eine ge-
ſchickte zunge, unſere vernuͤnftige gedancken
in menſchlicher geſellſchafft deutlich und leb-
haft zu erkennen zu geben, anerſchaffen hat.
A a 5Der
[378]von der diſpoſition uͤberhaupt.
Der krieg nimmt ſeinen anfang in der hoͤlle,
von dem geiſte der uneinigkeit und des mordes,
dem fuͤrſten der ſuͤnde und der finſterniß, und
glaube ich gewiß daß dieſer liſtige geiſt, die
menſchen in den abgrund zu ſtuͤrtzen, nichts
beſſers haͤtte erfinden koͤnnen, als eben den
krieg. Er iſt nichts anders als eine verſam-
lung zur ſuͤnde, und ein weg zur hoͤlle. Die
beredſamkeit erfodert einen gebeſſerten willen
und unumſchraͤnckte herrſchaft uͤber unſere nei-
gungen, denen doch der krieg den zuͤgel allzu-
weit ſchieſſen laͤſt. Jene iſt das leben eines
aufgeklaͤrten geiſtes, und die bemuͤhung einer
geſchickten zunge, und dieſer iſt eine verrichtung,
welche auch die ungeſchicklichkeit ſelbſt uͤber ſich
nimmt, nachdem ihr zorn und haß die arme
geſtaͤrcket und rachgierde und neid den degen
fuͤhren lernen. Ja die beredſamkeit iſt der
vernunft und eines menſchen, der krieg aber
der wildniß und grimmigen thiere eigenſchaft.
Solte aber wohl die menſchliche geſellſchafft
beſtehen koͤnnen, wo ſie nicht, durch die unzer-
trennlichen ketten der geprieſenen beredſam-
keit, ſo feſt verknuͤpfet waͤre? wuͤrden wir
nicht dem beliebten umgang die ſchoͤnſten gaͤr-
ten verſchlieſſen, und faſt alles zieraths berau-
ben, dafern wir ihm das vergnuͤgende geſchen-
cke des himmels die beredſamkeit entzoͤgen.
Sie beſchuͤtzet oͤfters thron und ſcepter, mit
beſſern nachdruck, als eine menge donnern
der carthaunen. Den feind haͤlt ſie meiſten-
theils
[379]von der diſpoſition uͤberhaupt.
theils mit groͤſſeꝛn voꝛtheil von den gꝛaͤntzen ab,
und die republick bey ihrer ordnung und gluͤck-
ſeeligkeit, als viel tauſend gezuckte ſchwerdter.
Ja das kleine glied die zunge, iſt das ſteuer-
ruder, womit fuͤrſten das groſſe ſchif der reiche
mit geringer muͤhe wenden und lencken, in
dieſem beruhet ehre und ſchmach, heyl und ver-
derben, ia leben und todt der unterthanen.
Wer wolte mich wohl einer unwahrheit uͤber-
fuͤhren, wann ich ſagte, daß man durch nichts
mehr, als durch eine wohlgeſetzte rede, zur tu-
gend ermuntert werde, weil ſie uns dieſelbe
ſo angenehm fuͤrſtellet, daß es faſt ohnmoͤglich
iſt, nicht auch zugleich ein verlangen darnach
zu haben, welches uns zu deren ausuͤbung an-
treiben ſolte. Sie iſt das band welches gan-
tze nationen verbindet, und durch welche gan-
tze voͤlcker ſich beruͤhmt gemacht. Allein haͤtte
man das ehemals bedraͤngte Teutſchland ge-
fraget, was hat deine ſtaͤdte dem erdboden
gleich gemacht, deine doͤrfer verwuͤſtet und
deine fruchtbaren aͤcker durchwuͤhlet? ſo wuͤr-
de es mit bebenden lippen und klaͤglicher ſtim-
me geantwortet haben; der krieg. Was
hat deine fuͤrſten gekraͤncket, die unterthanen
ruiniret, deine iungfrauen geſchaͤndet, den
kern deiner mannſchaft erwuͤrget, deine zar-
ten kinder getoͤdtet? der krieg. Was hat
die tugend veriaget, die freyen kuͤnſte des lan-
des verwieſen, die gerechtigkeit zu boden ge-
worffen, deine richterſtuben mit raube und
unſchul-
[380]von der diſpoſition uͤberhaupt.
unſchuldigen blute gefuͤllet? der krieg.
Was hat dich endlich ins aͤuſſerſte ver-
derben geſtuͤrtzet? der krieg. Jch bin ge-
wiß verſichert, daß noch viele bekriegte
reiche, wo ſie dieſes alles nicht laͤngſt werden
geklaget, dennoch erlitten haben. Der wich-
tigſte krieg, wenn er am gluͤcklichſten gefuͤhret
wird und aufs hoͤchſte geſtiegen, muß ſich doch
durch gewiſſe geſetze bemeiſtern laſſen, welche
nicht anders als durch die beredſamkeit koͤn-
nen fuͤrgetragen und verdolmetſchet werden.
Die geſetze theilen alſo in ihrer genauen verei-
nigung, der beredſamkeit die helfte ihrer herr-
ſchaft uͤber den krieg mit. Wer will ihr dem-
nach den vorzug ſtreitig machen? Sie iſt der
koſtbarſte ſchmuck eines printzen, die unetbehr-
liche geſchicklichkeit eines hofmannes, und die
ſchoͤnſte zierde eines groſſen capitains, wie die
ſonne und mond den himmel, ſo zieren die be-
redſamkeit und tapferkeit einen officirer und iſt
es ihm nicht wenig ehre, wann er ſeine worte
ſo geſchickt ſetzen, als ſeine mannſchaft ſtellen
kan. Es ſuchet demnach billich ein iedweder,
der als ein vernuͤnftiges mitglied der menſchli-
chen geſellſchaft leben will, ſich einer wahren
beredſamkeit zu befleißigen, und iſt gewiß ver-
ſichert, daß wie der ſchweiß den fleiß, alſo die be-
lohnung die bemuͤhung begleiten werde. Gewiß
der muß mit niedertraͤchtigem gemuͤthe, die
warhafte hoheitunſersgeiſtes, wie eine eule das
licht verabſcheuen, welcher in dieſem ſtuͤck nicht
ſuchet
[381]von der diſpoſition uͤberhaupt.
ſuchet einige vollkommenheit zu erlangen. Jch
kan nicht laͤugnen, daß ich zu dieſer gluͤckſeelig-
keit zu gelangen, laͤngſtens gewuͤnſchet, doch
habe niemahls ein bequemeres mittel, als die-
ſe redner-geſellſchaft angetroffen, weswegen
ich als ein mitglied in dieſelbe aufgenommen
zu werden geſucht, und meines wunſches ge-
waͤhret worden. Jch kan ohne den fehler ei-
ner ſchmeicheley zu begehen, aufs gewiſſeſte
verſichern, daß ich biß anhero in derſelben, ſo
wohl von denen ſaͤmmtlichen mitgliedern die-
ſer anſehnlichen redner-geſellſchaft, als haupt-
ſaͤchlich dem ſo gelehrt als beredten herrn praͤſi-
de durch geſchickte reden, zu einer freudigen
nachahmung gar ſonderlich bin angefriſchet
worden. Wobey ich mich doch iedesmahl
nach art der ſchiffer verhalten werde, welche
bey wiedrigem winde und mangel der kraͤfte,
dennoch ſolte es auch nur mit wiederholten
wuͤnſchen geſchehen, den bereits eꝛblickten Pha-
ros zu erreichen, ſich eyfrigſt bearbeiten.
§. 4 Die Rhetores geben die arbeit der
diſpoſition leichter zu machen, verſchiedene mo-
delle, darnach man ſeine gedancken im reden
ordnen kan, als z. e. den ſyllogiſmum und vie-
lerley arten der chrien. Der ſyllogiſmus fo-
dert einige erkaͤnntniß der unſtreitigen arten
zu ſchlieſſen, nach der ſyllogiſtick, und beſteht aus
dem ſatz oder der concluſion, dem beweiß-
grunde oder grundſatz und der verbindung
unter beyden oder der minori propoſitione,
und
[382]von der diſpoſition uͤberhaupt.
und alſo aus drey ſaͤtzen, welche ſechsmahl
verſetzt, mit andern argumentis, wenn es noͤ-
thig, erweitert, aber auch enge zuſammen ge-
zogen werden koͤnnen, ſo daß man wohl gar die
minorem weg laͤſt. Kommen zu denen ſaͤtzen
argumenta, ſo wird ein epichirema daraus,
bleiben dieſe weg, iſts ein bloſſer ſyllogiſmus,
bleibt minor weg, heiſts enthymema, ia es fin-
det auch hier der ſorites ſtatt, bey mehr als
drey propoſitionibus, wenn immer eine aus
der andern flieſſet.
§. 5. Solchen fuͤget man die chrien bey,
welche nichts anders ſind, als ein ſatz mit ſei-
nen argumentis, und heiſſen entweder Aphtho-
nianiſche oder Oratoriſche chrien. Die Aphtho-
nianiſchena) finden ietzo wenig liebhaber,
nachdem Weiſe die Oratoriſchen gluͤcklich er-
funden und artig gewieſen hat. Zu iedweder
chrie ſind alſo zwey hauptſaͤtze noͤthig, der
grundſatz oder das thema, und ſein beweiß-
grund oder die aͤtiologie, und zu dieſen koͤnnen
dienliche erlaͤuterungs-gruͤnde gefuͤget werden.
Es
[385]von der diſpoſition uͤberhaupt.
Es ſind aber der chrien zweyerley, entweder
recta oder inverſa, iene ſetzet den hauptſatz mit
ſeinem beweiß-grund, in der natuͤrlichen ord-
nung, b) dieſe ſetzt das argument vor den
haupt-ſatz, oder das ende einer rede in unſerer
meditation, zu anfang in der ausarbeitung. c)
§. 6. Die chria inverſa ſetzt entweder eine
aͤtiologie voran, oder ein argumentum illu-
ſtrans, in ienem fall heiſt ſie: chria per ante-
cedens und conſequens, in dieſem aber: chria
per theſin und hypotheſin. Die chria per an-
tecedens und conſequens hat alſo zwep haupt-
ſtuͤcke, den beweiß-grund und das thema, hie-
zu koͤnnen noch kommen, die verbindung des
beweiß-grundes mit dem themate, rationes
dubitandi und decidendi zu dem beweiß-grun-
de, und zu allen, auch accidentellen ſaͤtzen,
allerhand argumenta.a) Die chria per theſin
und hypotheſin ſetzt ebenfals zwey hauptſtuͤcke
das argumentum illuſtrans und das thema,
zu beyden thut ſie allerhand argumenta, auch
wohl argumentorum argumenta hinzub)
§. 7. Aus verſchiedenen chrien wird end-
lich eine gantze rede oder vollſtaͤndige oration
zuſammen geſetzet,a) oder wenigſtens koͤnnen
in einer gantzen oration, alle hauptheile der-
ſelben, wie die chrien, diſponiret und ausgear-
beitet werden, wiewohl wañ man zu einer chrie
eine formulam initialem zu anfangs, und zu
ende die finalem ſetzt, ſo iſt es auch ſchon eine
vollſtaͤndige oration, nemlich eine ausfuͤhrung
eines haupt-ſatzes, durch ſeine noͤthige argu-
menta, welche man in eine ſolche form ge-
bracht, daß ſie nach denen regeln des wohlſtan-
des dem zuhoͤrer angenehm und zu unſern ab-
ſichten dienlich ſey. Es ſind aber die theile ei-
ner rede folgende: Exordium, propoſitio,
tractatio und concluſio, von deren ieglichen
insbeſondere noch etwas zu gedencken.
Di ſeruate, precor, matri ſua vota patrique,Audiat ut natum Regulus illa duos.
GOtt hoͤr des vaters wunſch, erfuͤll der mutterfreude,Dem vater gieb den ſohn, der mutter alle beyde.
§. 8. Die neigungen des auditoris, erlauben
dem redner gar ſelten, ſeinen ſatz gleich anfangs
zu proponiren dannenhero muß er ſich vorhero
bemuͤhen, des zuhoͤrers gemuͤth zu praͤpariren,
und ſolches geſchicht im exordio. Es iſt alſo
noͤthig, daß er darinn die argumenta conci-
liantia am ſtaͤrckſten anbringe, es von denen
general-concepten ſeines thematis, denen aͤuſ-
ſerlichen umſtaͤnden, argumentis illuſtrantibus
und probantibus, auch wohl patheticis her-
nehme, mit welchen die propoſition ſo unge-
C c 2zwun-
[404]von der diſpoſition uͤberhaupt.
zwungen verbunden ſey, daß ſie aus demſel-
ben zu flieſſen ſcheine. Der ausdruck muß mit
den uͤbrigen theilen der rede wohl uͤbereinſtim-
men, viele heftige affecten darf man nicht zei-
gen, es auch nicht weit ausdehnen, denn es iſt
beſſer, wann der affect mit der rede nach und
nach, iedoch dem obiecto gemaͤß, waͤchſt und
ſteiget, und die diſpoſition kan nach angefuͤhr-
ten arten eingerichtet werden.
§. 9. Die propoſition oder der fuͤrtrag des
thematis ſelbſt, drucket den gantzen inhalt der
rede, in kurtzen, entweder deutlichen oder ver-
bluͤmten worten aus, welche gar genau nach
den regeln der klugheit einzurichten. Es iſt
ſchlechterdings noͤthig, daß ein ieder der da
reden will, einen ſatz oder auch wohl nur eine
idee zum grunde lege, damit er nicht durch vie-
le concepte verwirret und diſtrahiret werde,
ſondern wiſſe worauf alle ſeine gedancken und
worte abzielen, ſo wird man verhoffentlich ſo
deutlich reden, daß der zuhoͤrer alles leicht ver-
ſtehen und von dem gantzen gebaͤude einen
richtigen begrif behalten wird, welches die
groͤſte tugend eines oͤffentlichen redners und
der fuͤrnehmſte zweck der propoſition, ia auch
der partition iſt, denn die erklaͤret nur die thei-
le des thematis und drucket aus, auf wie viel
momenta man bey der propoſition zu refle-
ctiren habe.
§. 10. Jn der tractation oder ausfuͤhrung
des thematis, kommen alle argumenta fuͤr,
welche
[405]von der diſpoſition uͤberhaupt.
welche man nach obigen vielfaͤltig gegebenen
regeln, fuͤr dienlich erachtet anzufuͤhren. Und
dieſe iſt billich der mittel-punct zu nennen, wo
ſich alle geſchicklichkeiten des redners, im erfin-
den und ausdrucken, concentriren. Sie wird
diſponiret nach angegebenen regeln, und leidet
vielfaͤltige zuſaͤtze, nach beſchaffenheit der ſache,
des auditoris, und des redners, durch gehends
aber muß ſie wohl connectiren, und zu den
uͤbrigen theilen eine gute verhaͤltniß haben,
doch ſo daß ſie unter allen am laͤngſten ſey.
§. 11. Aus der tractation muß die conclu-
ſion flieſſen, und ſo eingerichtet ſeyn, daß dem
zuhoͤrer, gleichſam als in einem bilde alles was
fuͤrgetragen worden, wieder fuͤrkomme. Dan-
nenhero ſchickt ſich am beſten ein conſectarium,
oder wohl etliche, eine kurtze wiederholung, eine
application, oder weil hier der affect nunmeh-
ro aufs hoͤchſte ſteigt, ein wunſch, allerhand
figuren, und argumenta pathetica, nach dem
der redner am beſten den endzweck der conclu-
ſion zuerhalten vermeinet.
§. 12. Alle und iede reden, ſie moͤgen nah-
men haben wie ſie wollen, beſtehen aus dieſen
theilen, und beruhen auf denen nunmehro an-
gefuͤhrten gruͤnden und regeln. Alſo koͤnte
ich hier fuͤglich ſchlieſſen, ohne daß ich beſorgte
etwas ausgelaſſen zu haben, welches zu erfuͤl-
lung meines fuͤrhabens dienete. Jedoch die
mode erinnert mich eines theils und andern
theils die nothwendigkeit, von einigen uͤbli-
C c 3chen
[406]von der diſpoſition uͤberhaupt.
chen gantz ſpeciell en reden etwas zu erinnern,
welches in folgenden capiteln geſchehen wird.
Die exempel welche ich [i]n dieſem capitel gegeben,
ſind nicht meine eigene arbeit, alſo will ich weder
an der chre der erfindung, noch verbeſſerung der-
ſelben theil nehmen. Damit ich aber auch eins
von meiner art beyfuͤ[g]e, daran ſich der leſer in
ſeinem affect gegen mir erholen moͤge, ſo mag
folgendes hier platz nehmen, welches eine diſpo-
ſition zu einer antrits-rede in einer gewiſſen red-
ner geſellſchaft iſt und zum themate hat:
VOn reden im gemeinen leben uͤberhaupt, §. 1.
Von complimenten und diſcourſen, §. 2. Von
reden mit allerhand arten von leuten, §. 3. Von bit-
ten, §. 4. Von danckſagen, §. 5. Von lehren, ra-
then, vermahnen, §. 6. Von entſchuldigungen, §. 7.
Von allerhand nachrichten, §. 8. Von wuͤnſchen, con-
dolencen, und gratulationlbus, §. 9. Von allerhand
andern reden, §. 10. Von briefen, §. 11. Derſelben
invention, §. 12. Elocution, §. 13. Diſpoſition, §.
14. Von der titulatur, §. 15. Von der uͤberſchrift
und unterſchrift, §. 16. Von der zuſammenlegung,
verſtegelung und aufſchrift, §. 17.
§. 1.
WJr reden am allermeiſten im gemeinen
leben, alſo brauchen wir dazu eine
Oratorie am allernoͤthigſten, und ob
man zwar wohl meinen ſolte, es gaͤbe ſich der-
gleichen von ſelbſten, ſo finden ſich doch dabey
ſo viele fehler, daß es nicht unnoͤthig, auch hie-
von einige anmerckungen zu geben. Jch rechne
aber hieher, alle dieienigen kurtzen reden, welche
man im taͤglichen umgange, ohne groſſe vor-
bereitung, von allerhand fuͤrfallenden materi-
C c 5en,
[410]von reden im gemeinen Leben.
en, zur erhaltung ſeiner abſichten und vergnuͤ-
gung der menſchlichen geſellſchaft fuͤrbringet.
Die erfindung geben alle fuͤrfallende umſtaͤn-
de der converſation, der ausdruck iſt nach dem
ſtilo familiari, dialogiſtico, dem galanten, caͤ-
rimonioſo, epiſtolari, curiaͤ, einzurichten, die
diſpoſition iſt allezeit ie natuͤrlicher ie beſſer,
und die connexio meiſt verbalis, wozu hier noch
inſonderheit die accidentalis kommt.
§. 2. Sie koͤnnen eingetheilet werden in
complimente, diſcurſe, und Briefe. Durch
complimente werden kurtze, hoͤfliche, und ga-
lante reden verſtanden, mit welchen man dem
andern hauptſaͤchlich ſeine hochachtung und zu-
neigung zu verſtehen giebt, damit man ſich
und ihn vergnuͤgt machen moͤge.a) Diſcurſe
ſind unterredungen, da einer mit andern ſeine
gedancken conferiret entweder noͤthige geſchaͤf-
te und nuͤtzliche ſachen auszumachen, oder die
zeit zu verkuͤrtzen, dabey bißweilen compli-
mente mit einflieſſen koͤnnen.b) Briefe ſind
endlich wann man ſeine complimente, und
was man in diſcurſe etwan ſagen koͤnte, zu
papier bringet, und dem andern, weil er ab-
weſend iſt, communiciret.c)
§. 3. Die allermeiſte reflexion iſt auf den-
ienigen zu machen, bey dem man ſeine worte
anbringet, denn ſolcher iſt entweder hoͤher,
oder geringer, oder unſeres gleichen, er ſtehet
entweder im affect oder iſt ruhig, entweder
hat er vorurtheile oder nicht. Hoͤhern bege-
gnet man ehrer-bietig, nach dem caͤrimoniel
und wohlſtand, mit wenig worten, aber die
mit bedacht ausgeſprochen; ſeines gleichen
begegnet man hoͤflich, galant; geringern
freundlich und liebreich mit deutlichen, und
ſich zu ihren umſtaͤnden ſchickenden worten.
Wie man denen affecten und vorurtheilen zu
begegnen, iſt zur gnuͤge aus obigen zu ſehen.
§. 4 Die materie dieſer reden, iſt ebe[n]fals
zu beobachten, daß man die manieren, da-
mit man ſelbige fuͤrtraͤgt, darnach einrichten
koͤnne. Wann man iemand warum bittet,
ſo iſt die groͤſte behutſamkeit dabey anzuwen-
den, damit das unangenehme, welches dabey
iſt, verſuͤſſet werde, dahin gehoͤren empfehlun-
gen, einladungen und allerhand der gleichen
kurtze
[412]von reden im gemeinen Leben
kurtze reden, darinn man von dem andern ei-
ne gnade oder gewogenheit oder dienſt ſich
ausbittet.
Es iſt unnoͤthig, dieſes weiter auszufuͤhren,
weil es gar leicht iſt, wofern nur was in die-
ſem gantzen werck zum grund geleget iſt, ſorg-
faͤltig nach den regeln der klugheit appliciret
wird. Es iſt auch dasienige, was man bittet,
nach dem 5ten cap. des andern theils zu erwe,
gen.
§. 5. Bey dem danckſagen, iſt es ſchon nicht
ſo ſchwer, die dazu gehoͤrigen manieren zu be-
obachten, es ſchadet auch hier nicht, wann
man ſchon ein wenig zu freygebig mit ſeinem
dancke iſt. Man bezeuget dabey, wie man
die erwieſene guͤte wohl erkenne, recht eſtimi-
re, dagegen ſeine erkaͤnntlichkeit zeigen wolle.
§. 6. Einige reden ſind mit der neben- idee
der hoheit und des anſehens verknuͤpfet als
lehren, rathgeben, vermahnen, ſtraffen, war-
nen, verweiß-geben, und dabey muß man
entweder ſich ſehr extenuiren und demuͤthigen,
oder ſeine begierde die man habe, dem andern
zu dienen, hochheben, oder auch wohl zeigen,
daß man mit auctoritaͤt nicht nur gravitaͤtiſch
ſprechen, ſondern auch denen worten durch die
that einen nachdruck geben koͤnne, alles nach
beſchaffenheit deſſen mit dem, und darinn man
zu thun hat, ia man thut auch wuͤnſche und
ſeuftzer hinzu, wenn der affect, wo es noͤthig,
groß wird.
§. 7. Man entſchuldiget ſich im gemeinen
leben,
[413]und von briefen
leben, entweder wegen eines begangenen ver-
ſehens, oder wegen etwas zukuͤnftigen, wel-
ches dem andern vielleicht nicht angenehm
ſeyn moͤchte, da man ihm etwas ab-
ſchlaͤgt, ꝛc. Jn ienem fall erkennet man ſein ver-
ſehen, macht es entweder kleiner oder groͤſſer,
ſchuͤtzt entweder unwiſſenheit, oder uͤberei-
lung, oder unmoͤglichkeit, oder wohl keine ur-
ſach fuͤr, in dieſem beklagt man ſein unver-
moͤgen, verhinderniſſe, ungluͤck, allerhand
zufaͤlle, in beyden ſucht man das unangeneh-
me durch bitten, verſprechen und wuͤnſchen
zu verſuͤſſen.
§. 8. Man giebt allerhand nachrichten,
warnungen, recommendations, bey allerhand
faͤllen, wann man an einen orte ankommt,
wieder geſund wird, fuͤr den andern zu ver-
richten gehabt, ihn fuͤr boͤſen warnet, und das
gute recommendiret, dabey die deutlichkeit
und accurateſſe das beſte, auch ſonſt nach be-
ſchaffenheit der umſtaͤnde viel klugheit und be-
hutſamkeit zu gebrauchen.
§. 9. Man macht endlich allerhand wuͤnſche,
trauer- und freudens-bezeugungen, ꝛc. bey
welchen allen die kuͤrtze, die artigkeit der ge-
dancken, die lebhafte fuͤrſtellung des affects,
deutlich und nette, ohne affectation, nach den
allgemeinen regeln der beredſamkeit der klug-
heit und des wohlſtandes, geſchickt anzubrin-
gen.
§. 10. Sonſt kommen noch allerhand an-
dere
[414]von reden im gemeinen Leben
dere arten von reden im gemeinen leben fuͤr,
als anwerbungs- viſit-bewillkommungs- ab-
ſchieds- ſchertz-freundſchafts-haußwirths-re-
den, ꝛc. Ja es erforderten die diſcurſe, in an-
ſehung ihrer materialien, noch viele regeln, al-
lein man mag ſie aus angefuͤhrten ſelbſt ler-
nen einrichten, ſonſt wann ich mich auf eine
voͤllige abhandelung derſelben einlaſſen, und
ihre moralitaͤt, nebſt derſelben hiſtorie hin-
zuthun wolte wuͤrde vielleicht ein foliante,
mit leichterer muͤhe davon geſchrieben, als
von andern geleſen werden.
§. 11. Jch gehe alſo zu denen briefen, wel-
che faſt mehr geſchicklichkeit erfodern, als alle
andere arten von reden, denn auſſer dem, daß
man die grund-regeln der beredſamkeit wohl
inne
[415]und von briefen.
inne haben und anwenden muß, erfodern ſie
auch eine beſondere natuͤrliche faͤhigkeit, und
geſchwinde expedition, dazu eine fleißige uͤ-
bung und erfahrung behuͤlfflich iſt.
§. 12. Die erfindung iſt bey denen briefen
ſehr leicht, denn die urſach, warum ich ſchrei-
ben muß, und die gelegenheit zum ſchreiben,
wird mein thema, oder die propoſition des
briefes. Habe ich mehr propoſitiones, ſo
muß ich die connexiones erfinden, oder ich
kan auch dieſelben weglaſſen, und die propo-
ſitiones bloß hinſetzen, wann ich an familiai-
re freunde ſchreibe. Die ausfuͤhrung geſchicht
kurtz, und deutlich in wenigen und gantz na-
tuͤrlichen argumentis, ohne allen zwang und
groſſe kunſt.
§. 13. Die ſchreib-art muß alſo ſo natuͤr-
lich ſeyn, als wann man redete, dennoch fin-
det auch, nach beſchaffenheit der ſache, der ar-
gute ſtilus ſtatt. Und weil doch hier die worte
geſchrieben werden, und nicht ſo leicht ver-
ſchwinden, als in diſcurſen, ſo muß man auch
in ſetzung derſelben etwas behutſam verfah-
ren. Am gebraͤuchlichſten iſt hier alſo der ga-
lante, caͤremonioͤſe familiaire ſtilus, welcher
hier der ſtilus epiſtolaris heiſſet.
§. 14. Die diſpoſition iſt ſehr leicht, man
entwirft kurtz, erſtlich ſeine propoſitiones und
argumenta, ſo natuͤrlich als es moͤglich, nach
vorhergehendem capitel, ſetzt dazu eine for-
mulam initialem, a) und finalem,b) arbei-
tet hernach alles dieſes in einer guten conne-
rion aus, und leget das concept bey ſeit, da-
mit es aufgehoben ſey, zur eignen nachricht,
bey allerhand faͤllen, ia es iſt wohl gethan,
wann man alle ſeine briefe in ein beſonderes
buch erſtlich ausarbeitet, und daraus abſchrei-
bet, welches unglaublichen groſſen nutzen hat,
§. 15. Bey den reden im gemeinen leben
iſt ſonſt mehr als iemahls auf die titulatur
zu ſehen, fuͤrnemlich aber in brie[fen], ſelbige
dependiret von dem wohlſtand, und dem ga-
lanten gebrauch, und man geht dabey am ſi-
cherſten, wenn man leute, die den eingefuͤhr-
ten gebrauch wiſſen, zu rathe zieht, und die
mittel-ſtraſſe behaͤlt, ſo daß man weder zu
hoch noch zu niedrig ſteige.
§. 16. Bey den briefen iſt die uͤberſchrift
und unterſchrift ſonderlich zu beobachten, wel-
che im Lateiniſchen, im Teutſchen und Fran-
tzoͤiſchen ſehr veraͤndert. Die Lateiniſchen
kan man nach der alten art an ſeines gleichen
und an geringere einrichten, an hoͤhere muß
man den ſtilum curiaͤ, in den worten, und der
manier zu ſchreiben behalten, doch geſtehe ich,
daß ich den Lateiniſchen calender, wenn ich
das datum der unterſchrift gegen uͤber ſetzen
ſoll, niemahls gerne gebrauche. Bey dem
Teutſchen und Frantzoͤiſchen, muß nur uͤber-
und unterſchrift einander aͤhnlich ſeyn, und
bey dieſer erſt der nahme des ſchreibers, und
gegen uͤber der ort und die zeit zu ſtehen kom-
men.
§. 17. Letzlich leget man die briefe zuſam-
men, verſiegelt ſie, und macht die aufſchrift
darauf. Bey dem zuſammen legen muß man
alle affectation vermeiden, und es iſt am be-
ſten, couverte zu machen. Die beſiegelung
geſchicht, wenn man den brief uͤber land
ſchickt, mit einem wapen oder verzogenen
nahmen, ſchickt man ihn aber nur von einem
hauſe zum andern, kan es auch wohl mit ei-
ner deviſe geſchehen. Wird der brief mit der
poſt
[419]und von briefen.
poſt geſchickt, macht man mehrentheils nur
eine Frantzoͤiſche aufſchrift, welche den nah-
men, (nicht aber den fuͤrnahmen) die aͤmter
und bedienungen, (ohne bey-woͤrter und an-
dere kennzeichen der anverwandſchaft und
des affects) desjenigen, an dem er gerichtet,
den ort, da der brief hin ſoll, und die addreſ-
ſe ausdrucket, das uͤbrige iſt unnuͤtze: Wird
er eingeſchlagen, kan man Teutſch oder La-
teiniſch, den nahmen und fuͤrnahmen mit
bey woͤrtern und elogiis, die aͤmter, den ort,
ohne addreſſe und andere kleinigkeiten ſetzen.
Welche kurtze regeln verhoffentlich nicht oh-
ne nutzen und grund beobachtet werden, ohne
daß man ſich um mehrere zu bemuͤhen haͤtte.
VOn ſolennen ſchul-reden, §. 1. Von gemeinen
ſchul-reden, §. 2. Von ſchriftlichen ſchul reden,
§. 3. Von allerhand buͤrgerlichen reden, §. 4. Von
inſcriptionibus und lebens lauffen, §. 5. Von paren-
tationibus, §. 6. Von Gluͤckwuͤnſchungs empfah-
und bewillkommungs-reden, §. 7. Von vermaͤh-
D d 2lungs-
[420]von allerhand ſchul-
lungs und gevatterſchafts reden, §. 8. Von huldi-
gungs lehns-reichs-kreiß-land- und ſtifts tags reden,
§. 9. Von reden in religions-regierungs-iuſtitz- und
kammer-ſachen, §. 10. Von hof-ritter-ordens-ſtaats-
kriegs geſandſchafts-reden, §. 11. Von condolentz-
und trauer-reden, §. 12.
§. 1.
HChul- und politiſche reden erfodern et-
was mehr vorrath und zubereitung,
als die reden im gemeinen leben, am
meiſten aber die ſolennen ſchul-reden, als, de-
clamationes, oͤffentliche reden, gantze actus
Oratorii, panegyrici, gedaͤchtnis-reden, inve-
ctiv-reden, und dergleichen Jch wuͤſte bey
allen dieſen nichts ſonderliches mehr zu erin-
nern, als dieſes daß man hier, die gantze
kraft ſeiner beredſamkeit, im erfinden, ausdru-
cken, diſponiren, und ausarbeiten ſehen zu laſ-
ſen ſchuldig ſey, denn was die materialia anbe-
trift, ſo laſſen ſich ſolche theils aus der bloſſen
benennung ſchlieſſen, theils nicht gar wohl de-
terminiren.
§. 2. Gleichergeſtalt iſt bey denen gemei-
nen ſchul-reden, als allocutionibus, proluſio-
nibus, praͤlectionibus, und andern nichts be-
ſonderes hier zu gedencken, und was man et-
wan davon nuͤtzliches ſagen moͤchte, iſt entwe-
der zu weitlaͤuftig, als daß es in die engen
ſchrancken einer Rhetorick ſolte koͤnnen ver-
faſſet werden, theils wuͤrde es vielleicht nicht
nach dem geſchmack des leſers ſeyn, und duͤrfte
ich
[421]und politiſchen reden.
ich alſo fuͤr meine muͤhe wenig erkaͤnntlichkeit
und gewogenheit zu hoffen haben.
Jndem ich die ehre habe, gegenwaͤrtige loͤb-
liche redner-geſellſchaft, mit Dero geneigten
wohlwollen, unter meiner anfuͤhrung zu eroͤf-
nen: ſo erinnere mich billich desienigen end-
zwecks, welchen ſie ihnen dabey ruͤhmlichſt
fuͤrgeſetzet. Sie wollen nemlich durch oft
wiederhohlte, vernuͤnftige uͤbung, als den ſi-
cherſten weg zur vollkommenheit, ſcharfſinnige
geſchickte, und artige redner werden. Sie ſind
vollkommen uͤberzeuget, die rede mache uns zu
menſchen, aber eine vernuͤnftige rede, zu ver-
nuͤnftigen menſchen. Ein reiner und gleicher
ſchlag der unruhe an einer wohlgemachten
uhr, giebt unſerm gehoͤr, ſo fort zuerkennen,
daß die feder alles in einer ordentlichen bewe-
gung, von innen her treibe, und auch die zeiger
daran die zeit genau bemercken: So glau-
ben ſie, daß eine wohlgewoͤhnte und geuͤbte
zunge, von einer guten ordnung der gedancken,
und tugendhaften klugen auffuͤhrung zeuge.
Da es ausgemacht iſt, daß gedencken, thun,
und reden, eben ſo noͤthige und wichtige eigen-
D d 3ſchaf-
[422]von allerhand ſchul-
ſchaften eines menſchen, als an einer uhr, feder,
zeiger und unruhe ſind. Meine ſchuldigkeit erfo-
dert, Dero auf meine faͤhigkeit geſetztẽ vertrau-
en, mit bereitwilliger aufrichtigkeit zu bege-
gnen, und mit ihnen dahin zu arbeiten, daß der
fuͤrgeſetzte endzweck von ihnen leicht und ge-
wiß erhalten werde. Da ſie nun anietzo eben
deswegen gegenwaͤrtig, damit ich hiezu den
anfang machen moͤge, ſo erlauben ſie mir daß
ich ihnen zum voraus, das bild eines vollkom-
menen redners, mit lebendigen farben in etwas
entwerffe. Jch wuͤrde vergebens reden, wann
ich das bild eines vollkommenen redners in ſol-
cher bildung abſchildern wolte, daß er einem
buͤrger aus der Platoniſchen republick aͤhnlich
ſehe. Jch wuͤrde auch eben ſo ungeſchickt han-
deln, wann ich ihn mit ſchwuͤlſtigen worten und
hochtrabenden gedancken, ihnen fuͤrmahlete,
als die albern mahler, welche da ſie der natur
folgen ſolten, in ihren ſchildereyen, ſelbige hin-
gegen verguͤlden und verſilbern, alſo will ich
ſchlechterdings der natur nachgehen. Dieſe
ruͤſtet einen redner mit der faͤhigkeit zu geden-
cken, zu wollen, und zu reden aus, und alle die-
ſe faͤhigkeiten der ſeele, kleidet ſie in einen
menſchlichen coͤrper ein. Waͤre die bloſſe
kraft, gedancken zu faſſen, hinlaͤnglich, einen
redner zu machen, ſo waͤren alle menſchen red-
ner, folglich waͤre die beredſamkeit keine kunſt,
die man durch regeln und uͤbung erlernen muͤ-
ſte, indem ſo gar die kinder in der wiegen, auf
die
[423]und politiſchen reden.
die weiſe, ſo groſſe redner waͤren, als Cicero
pro roſtris. Demnach wird man dieſe faͤhig-
keit zu gedencken, durch die regeln der vernunft-
lehre zu beſſern und vernuͤnftig einzurichten
urſach haben, wofern man in ſeiner bered-
ſamkeit das gewaͤſch der alten weiber uͤber-
treffen will. Denn ſo wenig die kinder tantzen
lernen, ehe ſie gehen koͤñen, ſo wenig kanman ge-
ſchickt reden, ehe man vernuͤnftig dencken geler-
net. Vernuͤnftig gedencken, erfodert, daß man
ordentlich wiſſen, artig erfinden, gruͤndlich
ſchlieſſen koͤnne. Alles wiſſen, iſt nicht moͤg-
lich, viel wiſſen iſt nicht allezeit nuͤtzlich, und
ein mit vielen wiſſen angefuͤlltes gedaͤchtniß,
iſt einem redner oͤfters ſo dienlich, als ein mit
denen delicateſten ſpeiſen uͤberladener magen.
Aber wiſſen, wovon man reden will, die
grund-ſaͤtze derjenigen wiſſenſchaft inne haben,
dahin der kern unſerer rede gehoͤret, iſt ſchlech-
terdings noͤthig, und zwar in einer ſolchen
ordnung, daß man auch wiſſe. wie und was
man wiſſe. Artig erfinden, heiſt nicht gluͤck-
lich ſeyn im erfinden. Midas, ein koͤnig in
Phrygien, erhielte durch einen gluͤcks-fall
groſſen reichthum, allein Apollo ſetzte ihm
nichts deſto weniger eſels-ohren an. Hinge-
gen Thales, erwirbt durch ſeine klugheit viel
vermoͤgen, und behaͤlt doch dabey mit ver-
groͤſſerten ruhm, den nahmen eines weiſen.
Gewiß ein gluͤcklicher einfall, kan einem red-
ner nicht ſchaden, aber wann ein redner ſich
D d 4bloß
[424]von allerhand ſchul-
bloß mit gluͤcklichen einfaͤllen bereichern und
begnuͤgen will, wird ſeine erfindungs-kraft
zu einem tollhauſe oder wenigſtens zu einer
comoͤdianten-kammer werden, da ſie ein wohl
ausgeruͤſtetes zeughauß ſeyn ſollte. Alſo muß
die beurtheilungs-kraft das beſte thun, dieſe
ordnet und pruͤfet alles wiſſen, unterſuchet al-
le erfindungen, und ſcheidet von den unnuͤtzen
ſchlacken das aͤchte gold, das rechte weſen von
den aberwitzigen traͤumen, und die brauchba-
ren waffen des redners von denen larven.
Dieſe beurtheilungs-kraft ruͤſtet einen redner
aus mit der kunſt, ſeinen zuhoͤrern ins hertz
zu ſehen, und ſich deſſelben zu bemeiſtern. Sie
fuͤhret ihn durch die erfahrung auf die hiſtorie
derer dinge, die um ihn ſind, und lehret ihn
alles zu ſeinem nutzen anzuwenden. Wo-
hin die gedancken gehen, dahin neiget ſich das
hertz, und dieſes muß bey einem redner keine
behauſung unreiner geiſter ſeyn, welche die
wahrheit, als ein licht, das ihre augen blen-
det, verabſcheuen, welche der tugend fall-ſtri-
cke legen, welche ohne aufhoͤren als freche
moͤrder in dem hertzen rennen, und ſelbiges mit
tumult beziehen, nachdem ſie die geſetze der
geſunden vernunft, der offenbahrung, und
der buͤrgerlichen geſellſchaft, unter die fuͤſſe
getreten. Es muß auch kein behaͤltniß eines
ungeſchmackten waſſers ſeyn, welches aus
mangel der bewegung ſtinckend worden. Son-
dern es muß von ſolchen neigungen getrie-
ben
[425]und politiſchen reden.
ben werden, die ſelbſt leben, die denen gedan-
cken und worten geiſt und leben mittheilen,
und doch ſich niemahls dem joch der geſunden
vernunft entziehen. Kurtz ein redner muß
mit lebhaften neigungen etwas wollen, doch
nichts malhonnettes wollen, und ſich ſeiner
neigungen als ein herr ſeiner unterthanen be-
dienen. Dieſes iſt die innere beſchaffenheit
eines vollkommenen redners, und wenn es mit
dem inwendigen ſeine richtigkeit hat, ſo zeigen
ſich nunmehro gedancken und regungen in
auserleſenen worten. Viel worte ſind nicht
allemahl ein zeichen eines guten iudicii, viel
ſchoͤne worte wollen auch das werck nicht aus-
machen, und eine rede, deren verfaſſer ſo viel
gold und ſilber, diamanten, moſch, zibeth,
ambra, purpur, perlen, muſcheln, geflammte
ſaͤulen, ſinn - bilder einmiſchet, gleichet meh-
rentheils einem bettlers-mantel, welcher die
bloͤſſe des verſtandes dennoch nicht bedecken
will. Aber ſachen, die das hertz ruͤhren, und
ſich in denen worten kurtz uñ doch deutlich, rein-
lich und doch ungezwungen, angenehm und
doch in ihrem weſen fuͤrſtellen, ſind ein kenn-
zeichen, wodurch ein redner ſich hauptſaͤchlich
unterſcheidet. Er redet allezeit nach beſchaf-
fenheit des vorhabenden obiecti und doch von
ſchlechten ſachen niemahls niedertraͤchtig, von
praͤchtigen dingen maieſtaͤtiſch, aber niemals
aufgeblaſen, von geiſtlichen andaͤchtig, und
doch nicht myſtiſch oder heuchleriſch. Er ſchwa-
D d 5tzet
[426]von allerhand ſchul-
tzet einem armen unerfahrnen niemals von
den ſchaͤtzen des groſſen Mogols etwas fuͤr.
Erzehlet auch nicht dem frauenzimmer, was fuͤr
geheimniſſe in der Metaphyſick verborgen. Sei-
ne beredſamkeit laͤſt ſich in keine hoͤltzerne und
ſteinerne machinen einſchlieſſen, ſondern zeiget
ihre kraft uͤberall im menſchlichen leben, wo
es nuͤtzlich und noͤthig iſt. Endlich ſtellet uns
auch ſein leib, eine lebendige beredſamkeit vor
augen. Alles redet an ihm, geſicht, augen,
haͤnde, ſtellungen, alles redet mit der ſache.
Bey traurigen dingen zeugen alle bewegun-
gen ſeines leibes, von einer innerlichen betruͤb-
niß, und bey froͤlichen dingen wird er gewiß
nicht thraͤnen vergieſſen. Er beobachtet den
wohlſtand, ohne daß er daraus einen abgott
mache. Er redet mit hertzhaftigkeit, denn
wer wie die ſchnecken, weder hertz noch zunge
hat, ſchickt ſich zu keinem redner, allein ſeine
freymuͤthigkeit iſt mit vieler ſittſamkeit gemaͤſ-
ſiget. Er redet nicht wie des Alberti Magni
ſtatue, welche bey ihren reden ſich nicht be-
wegte, aber man darf ihn auch nicht fragen,
wie viel ſchritte er peroriret. Capiſtranus,
ein Paͤbſtiſcher knecht, welcher zu denen Creutz-
zuͤgen durch ſeine predigten die leute bere-
den ſollte, konte auch diejenigen, ſo ihn nicht
hoͤreten, ſondern nur ſahen alſo ruͤhren, daß
ſie bitterlich weineten. Gewiß aller geſchick-
ten redner aͤuſſerliche ſtellung trift die her-
tzen der zuhoͤrer. H. A. Dieſes iſt das bild
eines
[427]und politiſchen reden.
eines vollkommenen redners, welches ich kurtz
mit denen erſten linien fuͤrgezeichnet, wo iſt
nun das weſen? waͤren bloſſe figuren, viele
complimente, pedantiſche formulen, wortſpie-
le, ſinn-bilder, ungeheure worte, und derglei-
chen nichts-wuͤrdige kleinigkeiten, diejenigen
kennzeichen, woran man vollkommene redner
bemercken muͤſte, ſo wuͤrden wir viel redner
haben. Ja, waͤre es nur eine unumgaͤngliche
nothwendigkeit, daß die geſchicklichkeit regeln
zu geben, allezeit einen vollkommenen redner
bezeichnete, ſo getrauete ich mir leicht origina-
lia von meiner gegebenen copie anzutreffen.
So aber da dieſes nicht iſt, will ich ihnen
ſelbſt zu beurtheilen uͤberlaſſen, ob ich das
bild eines vollkommenen redners recht aus-
gedruͤcket, oder ob wir ſelten ſo gluͤcklich das
original davon zu finden. Jnzwiſchen hoffe,
man werde mit der zeit, an ihnen ſelbſt viel-
leicht originalia von meinem gemachten be-
griffe autreffen. Und damit ſie erkennen, daß
ich nicht ohne urſache hoffe, ſo will ich dieſen
platz demjenigen einraͤumen, welcher aus ih-
rer geſellſchaft zuerſt eine probe ſeiner bered-
ſamkeit ablegen wird. Jch wuͤnſche, daß un-
ſere loͤbliche redner-geſellſchaft, und alle mit-
glieder derſelben, ihre uͤbungen zu unſer aller
vergnuͤgen verrichten, und daß ihnen hernach
insgeſammt, allezeit ſolche gelegenheiten zu
reden vorfallen moͤgen, da ſie in gluͤckwuͤn-
ſchungen ihre beredte zungen zu gebrauchen,
urſach
[428]von allerhand ſchul-
urſach haben. Bin ich dero wohlgewogen-
heit und guͤtigen vertrauen verſichert, ſo glau-
be meine wenige faͤhigkeit und aufrichtige er-
gebenheit Jhnen zu dienen vollkommen gut
anzubringen.
§. 3. Fodern aber die muͤndlichen ſchulre-
den groſſe application, ſo wollen gewiß die
ſchriftlichen, mit nicht geringern fleiſſe ausge-
arbeitet ſeyn, als dedicationes, diſputationes
programmata, und buͤcher. Bey denen de-
dicationibus, kommen auſſer denen regeln
der beredſamkeit, und gelehrſamkeit, auch die
regeln des wohlſtandes hauptſaͤchlich in be-
trachtung, indem die hier begangenen fehler
nicht ſo leicht verziehen werden.a) Bey denen
diſputationibus, kommen geſchriebene ſachen
und muͤndliche reden zugleich zum vorſchein,
iene erfodern mehr gelehrſamkeit,b) dieſe
mehr hoͤflichkeit,c) beyde eine vernuͤnftige an-
wendung der geſamleten Philoſophiſchen und
Oratoriſchen ſchaͤtze. Programmata werden
vonſolchen leuten geſchrieben, zu deren lehrer ich
mich nicht aufwerffe,d) und die buͤcher ſchrei-
berey hat ſich wie die Leiptziger meſſe meinen
wenigen urtheilen laͤngſt entzogen. e)
Jch habe ſelbſt bey einer andern gelegenheit
dergleichen kurtz in folgenden terminis entworf-
fen, welches wegen anverwandſchaft der ma-
terien, hier einzuruͤcken, kein bedencken trage:
P. P.
Es iſt auſſer ſtreit und die erfahrung zehlet
es bereits zu den veriaͤhrten dingen, daß ein
Teutſcher mehr beliebung trage, auswaͤrtige
huͤlſen zu benagen, als den kern der koſtbar-
keiten, welche ihm ſein vaterland darbeut, zu
ſchmecken. Wir muͤſſen ſelbſt geſtehen, daß
wir ienem ſtern-ſeher zuvergleichen, welcher
ſich durch die betrachtung des entfernten Ca-
pricorni am himmel abhalten ließ, was in ſei-
nem eignen hauſe vorgieng, in obacht zu neh-
men. So iſt unſere auffuͤhrung beſchaffen
in hundertfachen zufaͤllen, ſo iſt ſie ſonderlich
in dem fleiß zeit und unkoſten, ſo wir auf ſpra-
chen wenden. Wir bearbeiten uns mit er-
ſtaunender muͤhe zu ergruͤnden, ob Cicero
quoque oder coque geſprochen, ob die aͤlte-
ſten Griechen oi wie ein i oder wie einen dop-
pelt-lautenden buchſtaben ausgeredet. Wenn
wir aber unſre gedancken, nur gegen unſere
diener eroͤfnen ſollen, ſo begehen wir ſoviel
fehler als man worte zehlet. Und haben wir
ia durch fleißige leſung der Pſalmen und Evan-
gelien oder in den kram-buden gelernet adiecti-
uum
[445]und politiſchen reden.
uum und ſubſtantiuum zuſammen zuſetzen, ſo
meinen wir nunmehro mit recht, meiſter der
Teutſchen ſprache zu ſeyn. Fangen wir an
unſere reden zu einem vernuͤnftigen und ange-
nehmen gebrauch zu bereiten, ſo koͤnnen wir
uns kaum halten, daß nicht aus unſerer bered-
ſamkeit eine waͤſcherey, aus der reinlichkeit der
rede eine unnuͤtze critik, aus der zierlichkeit der-
ſelben, ein praͤchtiger, obwohl papierner bil-
der-kram werden ſolte. Als ich dieſes uͤber-
leget, habe ich beſchloſſen denen Herrn Com-
militonibus von 10. biß 11. uhr mittwochs und
ſonnabends meine grund-ſaͤtze einer vernuͤnf-
tigen beredſamkeit mitzutheilen, und zu erklaͤ-
ren, ob ich vielleicht, ſolte es auch etwas weni-
ges ſeyn, zu Dero nutzen hierinn beytragen
koͤnte. Kuͤnftigen ſonnabend werde den an-
fang machen, und meine arbeit wird nichts be-
lohnen als Dero gegenwart und beſtaͤndige
gewogenheit.
§. 4. Die andern politiſchen reden haben
ſchon etwas mehrere freyheit, was die Orato-
riſche form anbetrift, hingegen wollen ſie mit
deſto groͤſſerer behutſamkeit, was anbetrift die
curia-
[446]von allerhand ſchul-
curialien, abgehandelt ſeyn. Sie kommen
entweder am hofe oder in republicken vor, an
beyden orten iſt eine beliebte kuͤrtze, nette ſcharf-
ſinnige tour der gedancken, gute natuͤrliche
ordnung, genaue beobachtung des redenden,
hoͤrenden, und der umſtaͤnde, das angenehmſte
und wichtigſte. Doch leiden unter ihnen die
inſcriptiones, lebens-lauffe, und parentationes
noch am meiſten putz.
§. 5. Die inſcriptiones ſind ſchriften, wel-
che man verfertiget, daß ſie auf ſaͤulen triumph-
bogen, ſtatuen, medaillen, grab-ſteine, und
dergleichen, koͤnnen geſetzet werden, alſo ſolten
ſie billich kurtz ſeyn, doch leidet auch dieſes ſeine
ausnahme. Es ſind ihrer zweyerley, einmahl
gemeine, hernach argute, iene halten kurtz die
hiſtoriſche erzehlung deſſen, bey welcher gele-
genheit ſie aufgerichtet worden, in ſich, dieſe
aber ſind nach dem arguten ſtilo abzufaſſen,
von dem obiecto darauf ſie verfertiget.a) Mit
denen lebens-lauffen hat es was die verfaſſung
betrift, faſt gleiche bewandnis, doch werden ſie
nur auf verſtorbene und nach dem uͤblichen
wohlſtand eingerichtet.b)
Wandersmann! ſteh und rechne!
ſiebenmahl ſieben
iſt
49.
und das fatale ſtufen-jahr
da
[447]und politiſchen reden.
da
eine boͤſe ſieben
auf denen ſtaffeln der wolluſt,
in dieſes grab fiel,
nachdem ſie
allezeit die ſiebende zahl heilig gehalten.
Sieben jahr
war ſie ein kind und auch eine kuplerin;
denn der mutter
trug ſie die briefgen,
holte die amanten,
hielte das licht,
ſtund ſchild wacht
und
half den vater kroͤnen.
damit ſie lernete,
was ſie ſieben jahr darauf verſtehen wolte,
nehmlich
vierzehen jahr alt
eine alamode jungfer
zu ſeyn.
hier exercirte ſie ſich in dem was ſie
ſieben jahr darauf ſeyn wolte,
nehmlich
mit experientz und geſchicklichkeit
ein und zwantzig jahr alt
eine hure.
ſo meiſterlich daß ſie ſich
zur ruhe
und da ſie heyrathete
ihren mann in unruh ſetzte,
und wurde
ſieben jahr darauf
acht und zwantzig jahr
eine hahnreh-macherin.
Da ſie in der kunſt zu, und an ſchoͤnheit
abnahm,
zahlte ſie aus des mannes beutel
was
[448]von allerhand ſchul-
was ihr ſonſt bezahlet wurde,
und wurde binnen ſieben jahren,
fuͤnf und dreißig jahr,
eine ſtipendiaten-halterin.
Da der mann ſtarb,
und mit ihm der erhalter,
ohne welchen die ſtipendia
mitten im ſtecken ins ſtecken geriethen,
hielt ſie
42. jahr alt
ihrer jungfer tochter,
ſieben jahr
das zahl-brett,
und ward wieder was ſie zuvor geweſen,
in ihrem alter ein kind und kuplerin,
ſieben jahr darauf
in dem 49. jahre,
nachdem ſie mehr als
ſiebenmahl ſieben und ſiebenzigmahl ſiebenmahl
auf den ſtaffeln ihres lebens
ihre ſeele zu falle gebracht,
fiel ſie in ihrem ſtuffen-jahr
mit dem in ſuͤnden gefallenen leibe
in dieſes grab.
Denn
ſiebenmahl ſieben
iſt
neun und viertzig.
Gehl denn nun haſtu die
boͤſe ſieben ausgerechnet,
vor welche du mehr
als vor iene ſieben ſo aͤrger waren als er
dich in acht zu nehmen!
Gebohren werden, leben und ſterben, ſind
dinge, in welchen alle ſterbliche einander gleich
kommen, doch iſt nichts mehr, worinn man ei-
nen von dem andern beſſer unterſcheiden koͤn-
ne, als eben gebohren werden, leben, und ſter-
ben. Wenn wir des nunmehro in die hoͤch-
ſte ruhe eingegangen H. H. v. D. (tit. tot.)
hochadeliches herkommen, chriſtlich-gefuͤhrten
lebens-wandel und hochſeeliges erblaſſen, an-
ietzo mit hinzufuͤgen, werden dieienigen merck-
mahle, womit der hoͤchſte durch die geburt ihn
von andern unterſchieden, zum preiſe ſeiner
allmaͤchtigen fuͤhrung herfuͤr ſcheinen: Die
tugenden, womit der hochſ. den lauf ſeines ed-
len lebens, fuͤr andern ausgezieret, werden ihm
ſelbſt zum ſchuldigſten nachruhm, andern zu
kluger nachfolge in das gemuͤthe ſtrahlen.
Die letzte ſtunde, in welcher er den tauſch des
zeitlichen mit dem ewigen getroffen, wird von
ſeinem behertzten und ſtandhaften ſiege fuͤr an-
dern uͤber die bitterkeit des todes zeugen und
denen hochadel. hinterlaſſenen und betr eine
nicht geringe ermunterung, die haͤupter aus
dem trauren zu erheben, andern aber auf glei-
che nachfahrt zu dencken, an die hand geben.
Was alſo den eintritt in dieſe ſterblichkeit des
nunmehro in die ſeel. unſterblichkeit getretenen
F fhoch-
[450]von allerhand ſchul-
hochſeel. (tit.) betrift, ſo hat das beruͤhmte
Leipzig ihm zu ſeiner geburts-ſtadt, im iahr
1640. am 24. Novemb. dienẽ muͤſſen. Hier wird
zugleich deſſen hochadelichen ſtam̃-hauſes muͤſ-
ſen erwehnung gethan werden, ob es ſchon uͤ-
berfluͤßig ſcheinen moͤchte, da daſſelbe bereits
durch die laͤnge der iahre, zu eins von den aͤl-
teſten, und durch die menge tugendhafter ah-
nen, zu eines von den anſehnlichſten unter den
hochadelichen haͤuſern dieſes landes gemacht,
und alſo ſattſam ruͤhmlichſt bekannt worden.
Jn demſelben zehlen ſich zu vaͤterlicher linie un-
ſers hochſeel. verſtorbenen, ſein herr vater
Hans v. D. (tit. tot.) die frau mutter Maria
Sophia von Rixleben, (tit. gentis) der herr
groß-vater Otto v. D. (tit, tot.) die [f]rau
groß-mutter frau Eliſabeth v. Pflugin, ꝛc.
der herr aͤlter-vater herr Hans v. D. ꝛc. die
frau aͤlter-muter frau Catharina v. Pflu-
gin, ꝛc. Zu der muͤtterlichen ſeite zehlen ſich,
der herr groß-vater Georg Friedrich von Rix-
leben, ꝛc. Die frau groß-mutter Fr. Agnes
von Einſidel, ꝛc. Der herr aͤlter-vater Cor-
nelius v. Rixleben, ꝛc. Die frau aͤlter-mut-
ter Frau N. von Breitenbach, ꝛc. So hatte
das abſtammen von fuͤrtreflichen ahnen, und
das anſehen ſeiner hochadelichen eltern, ihn be-
reits von vielen andern unterſchieden. Allein
die leibliche geburt war nicht geſchickt, ihn von
der gemeinſchaft unwiedergebohrner abzuſon-
dern, und zu einem mitglied derienigen zu ma-
chen,
[451]und politiſchen reden.
chen, welche da ſie den geiſtlichen adel haben, in
der that den hoͤchſten adel beſitzen. Dannen-
hero war die erſte ſorge ſeiner hochadelichen el-
tern eine h. ſorge, ihn nemlich durch die h.
tauffe aus dem unſeeligen ſtande, in die gemein-
ſchaft der kinder Gottes zu verſetzen, zum denck-
mahl deſſen wurde ihm der nahme Otto Frie-
drich beygeleget. Wer den tugend-weg zu
betreten angefangen, und ſich bereits unter die
zahl der nachfolger Chriſti einſchreiben laſſen,
braucht nichts ſo noͤthig, als eine gute erkaͤnnt-
niß des rechten weges, und eine ſattſame un-
terſcheidungs-kraft des wahren von dem fal-
ſchen. Die hochadelichen eltern bemuͤhten
ſich alſo alles ernſts, dieſe zarte pflantze zu ei-
ner ſolchen vollkommenheit zu bringen, darinn
ſie mit wachſenden iahren beſtaͤndig bleiben,
und ſich von der unbeſtaͤndigkeit der eitlen ab-
ſondern moͤchte. Doch kaum hatten ſie einen
rechten anfang ihrer heiligen bemuͤhung ge-
macht, als ein fruͤhzeitiger todt bereits darinn
aufzuhoͤren, ihnen auferlegte. Denn die hoch-
adeliche Frau mutter wechſelte das ewige mit
dem zeitlichen, da ſie kaum ſechs iahr ihr theu-
reſtesp pfand, mit einer mehr als muͤtterlichen
vorſorge, gefuͤhret, und der Hr. vater folgete ihr
zwey iahr hernach. Die zarte iugend unſers
hochſeel. verſtorbenẽ herrn v. D. beweinete da-
mahls das abſterben ſeiner ſo vielgeliebten el-
tern mit kindlichen thraͤnen, wuͤrde aber, bey
mehrern zuruͤckgelegten iahren, mit der zaͤrte-
F f 2ſten
[452]von allerhand ſchul-
ſten empfindlichkeit, weit heftiger ſolches ge-
than haben, wenn nicht die getreue vorſorge
Carls v. D. (tit. tot.) den durch doppelten
trauer-fall erſchreckten hochſeel. in ſeine auf-
ſicht genommen, und biß in das 18. iahr, in
denen anfangs-gruͤnden der vernunft und
ſchrift, auch anderer hochadel. wiſſenſchaften,
haͤtte unterrichten laſſen. Denn hieſelbſt fand
er dasienige, was ihm, durch den hintritt ſeiner
hochſeeligen eltern, war entzogen worden. Hier
legte er den grund zu demienigen, welches ei-
nem nicht nur vom gebluͤte, ſondern auch gemuͤ-
the edelgebohrnen zukommt, wozu ſeine hoch-
adeliche eltern, nur den erſten ſtein beygetra-
gen hatten, und nachdem der grund wohlgele-
get, konte er ſicher darauf zu bauen ſuchen. Es
iſt bekannt, das frembde laͤnder beſehen, vieles
zu der vollkom̃enheit eines cavallieꝛs darreichen
kan, allein nuralsdann wann man in ſeinem ei-
genen vaterlande wohl und kluͤglich zu leben
gelernet. Unſer hoch-ſeel. Herr v. D. hatte
die regeln kluger auffuͤhrung zu hauſe wohl
auszuuͤben gewuſt, deßwegen wurde auch ſein
Herr vormund bewogen, ihn in die entfern-
ten laͤnder zu ſchicken, um ſelbige auch an an-
dern oͤrtern zu zeigen und vollkommen zu ma-
chen. Er gieng alſo in die vereinigte Nieder-
lande, beſahe ſelbige, und ſetzte ſich in Mathe-
matiſchen wiſſenſchaften feſte, damit er von
dar etwas nuͤtzliches zuruͤck braͤchte. Wie er
denn auch darinn nachgehends, noch im alter
ſeine
[453]und politiſchen reden.
ſeine beluſtigung geſucht, und durch viele ver-
fertigte riſſe, ſeine erkaͤnntniß in der bau- und
befeſtigungs-kunſt, zur gnuͤge bewieſen. Jn
Engelland hat er ſich zwar nur 4. monath
aufgehalten, allein ſeine geſchicklichkeit konte
durch die kuͤrtze der zeit nicht verhindert wer-
den, auch daſelbſt die Engliſche ſprache wohl
zu faſſen, welche er nachgehends in leſung der
ſchoͤnſten Engliſchen buͤcher zu ſeinem vergnuͤ-
gen angewendet, auch ſelbige wohl geredet.
Von da begab er ſich nach Franckreich, all-
wo er ſprache und uͤbungen, um welche allein
andere dieſes reich beſuchen, ſehr wohl gefaſ-
ſet, daß er beydes hernach im vaterlande ge-
ſchickt anzubringen gewuſt. Nachdem er
aber nun ſeinen ruͤhmlichſt-fuͤrgenommen
zweck voͤllig erhalten, hat er ſich wieder nach
hauſe verfuͤget, die vaͤterlichen guͤter in beſitz
genommen, und ſolche in kurtzer zeit in weit
beſſern ſtand geſetzet, als er ſie gefunden. Die-
ſe aber mit tuͤchtigen beſitzern, ſich ſelbſt, mit, in
ſeine fußſtapffen tretenden, erben zu verſorgen
hat er ſich vermaͤhlet mit Fr. Urſulen v. Schi-
ckau, ꝛc. Und ob er zwar nicht mehr, als eine Fꝛl.
Tochter gezeuget, ſo iſt doch ſeine ehe nicht we-
nig begluͤckt und vergnuͤgt geweſen. Dieſe
hat er an den Hoch-wohlgebohrnen Herrn
Joh. Adolph von Ponickau (tit. tot.) vermaͤh-
let, und auf dieſer ehe hat der vaͤterliche ſee-
gen geruhet, daß man neun angenehme ehe-
pfaͤnder aus ſelbiger geſehen, wovon 4. dem
hrn. groß-vater vorangegangen in die ewig-
F f 3keit,
[454]von allerhand ſchul-
keit, 5. aber noch am leben, als 4. herren
ſoͤhne und eine fraͤulein tochter. Am meiſten
haben wir urſach, der gottesfurcht des hoch-
ſeel. bey ſeinem erblaßten coͤrper, uns zu erin-
nern. Denn dieſe iſt eine ſo fruchtbare mut-
ter, daß, wer dieſelbe beſitzet, zugleich fuͤr ei-
nen beſitzer der uͤbrigen tugenden mit recht ge-
halten wird. Sie leuchtete darinn herfuͤr,
daß er mit der groͤſten ſorgfalt nicht nur oͤf-
fentlich die verſammlung der glaͤubigen be-
ſuchte, ſondern auch ſein gantzes hauß zu glei-
chem eyfer anhielte. Die diener des Hoͤch-
ſten hoͤrete er nicht nur alſo oͤffentlich mit nu-
tzen, ſondern ſuchte auch in geheim, aus hertz-
licher geneigtheit zu ihnen, mit ſelbigen um-
zugehen, und aus dieſem umgange ſich zu er-
bauen. Die fruͤchte davon waren eine ey-
frige bemuͤhung, alles in dem nahmen goͤttli-
cher maieſtaͤt anzufangen, und die ſeegen-rei-
che hand derſelbigen, bezeugte mit erwuͤnſch-
tem ausgange, worauf ſeine verrichtungen an-
gefangen. Seine geſchicklichkeit war ein
mittel, welches die gnade groſſer Herren der-
maſſen auf ihn lenckte, daß ſie oͤfters geſuchet,
ſich ſeiner klugen erfahrung, in allerhand com-
mißionen, ia gar in hohen ehren-ſtellen zu des
gemeinen beſten zu gebrauchen. Nun hat er
zwar dieſe allezeit mit der groͤſten klugheit von
ſich abgelehnet, allein in ienen um ſo viel
mehr zu verſtehen gegeben, daß er zwar ent-
ſchloſſen, in ſeinem ſtande GOtt und dem
naͤchſten zu dienen, aber doch vermoͤgen und
willen,
[455]und politiſchen reden.
willen habe, auch oͤffentlich die wohlfahrth
des gemeinen weſens zu befoͤrdern. Man hat
dieſes auf denen allgemeinen land-taͤgen
wahrgenommen, und um eben dieſer urſache
willen, gar zeitig ihn zu einem hochanſehnli-
chen mittglied des weitern, hernach des en-
gern ausſchuſſes aufgenommen. Jn beyden
wird man ihm, den ruhmwuͤrdigſten nahmen
eines aufrichtigen patrioten, iederzeit beyle-
gen. Die von hohen haͤuptern ihm aufge-
tragenene verrichtungen ſind niemahls, ohne
begluͤckter erhaltung des geſuchten endzwecks,
von ihm zu ende gefuͤhret worden. Zu hauſe
aber hat er ſich alſo gewieſen, daß haͤnde und
vermoͤgen, fuͤr unrecht erworbenen gute ſtets
verſchloſſen, arme, kirchen und ſchulen hinge-
gen zu bereichern, allezeit eroͤfnet geweſen. Alſo
beweinen nunmehro, ſein obwohl ſeeligſtes
abſterben, nicht nur iene, ſondern fuͤrnehmlich
ſeine unterthanen, welche bey ihm erwuͤnſchten
rath und huͤlfe niemahls veꝛgebens geſuchet ha-
ben. Wir wolten ein mehrers erzehlen, doch
da der todt die wuͤrckliche fortſetzung eines ſo
loͤblich gefuͤhrten wandels unterbrochen, mit
nichten aber deſſelben glantz verloſchen, ſo ſind
wir gleichfalls genoͤthiget, unſere erzehlung
zu ſchlieſſen, und mit wenigen ſeines hochſee-
ligen abſchieds zu gedencken. Jn ſeiner le-
bens-zeit hat er die ſchmertzhafteſten kranckhei-
ten uͤberſtanden, und iſt inſonderheit vom po-
dagra ziemlich beunruhiget worden, doch iſt
ietzo die todes-urſache maraſinus ſenilis cum
F f 4cum
[456]von allerhand ſchul-
febri lenta geweſen, welche auch vermocht
das band der ſeelen und des leibes zu trennen,
am 14. februarii nachmittags um 4. uhr.
Davon der Hoͤchſte, die zum ſterben, durch
genieſſung des h. abendmahls und andaͤchti-
ges gebet, wohl bereitete ſeele zu ſich gezogen,
der erblaſte leichnam aber dem Hoch-adeli-
chen begraͤbniß anvertrauet, nachdem beyde ſo
lange beyſammen gewohnet, daß das leben
unſers hoch-ſeel. O. F. v. D. auf 76. jahr, 2.
monath, und 20. tage geſtiegen. Uns iſt bey
ſeiner geburt, die erinnerung unſers vergan-
genen eingangs zum irdiſchen leben; bey ſei-
nem lob-wuͤrdigen lebens-wandel, eine fuͤr-
ſtellung und unterſuchung unſeres eigenen ge-
genwaͤrtigen weſens und wandels gegeben;
und endlich bey ſeinem erblaſſen, ein blick in
unſern zukuͤnftigen ſarg uͤbrig gelaſſen wor-
den, dazu der HErr der heerſchaaren uns
ſelbſt unſer hauß beſtellen helfe, auf daß wir
die verklaͤrte ſeele des hochſeel. Herrn v. D.
in iener frohen ewigkeit in der hand GOttes
antreffen, und unſere leiber gleich dem ſeini-
gen eine ſanfte ruhe in dem ſchooß der erden
finden moͤgen.
§. 6. Parentationes ſind politiſche reden,
welche man bey beerdigung eines verſtorbe-
nen haͤlt, um denſelben bey denen zuhoͤrern
in gutes andencken zu ſetzen, und denen leichen-
begleitern zu dancken.a) Solche recht zu
verfertigen, muß man zufoͤrderſt den lebens-
lauf durchgehen, darnach das lob, die bedau-
rung
[457]und politiſchen reden
rung, den troſt, und den danck an die leichen-
begleiter, abmeſſen und einrichten,b) endlich
entweder das thema naturale oder artificiale
ordentlich diſponiren, ſo daß dieſes uͤberall auf
den verſtorbenen wohl appliciret, und der an-
fang mit einer guten meditation gemacht wer-
de,c) und letzlich den ausdruck mit der aus-
arbeitung nach den umſtaͤnden angenehm und
artig einrichten, wozu die gegebenen regeln
ſchon hinlaͤnglich.
Die geburt ſtellet uns alle auf den ſchauplatz
der unterwelt, das leben macht uns alle da-
ſelbſt zu ſpielenden perſonen, aber die noth-
wendigkeit zu ſterben, heiſſet uns alle beſchlieſ-
ſen. Da uns nun geburt und leben etwas
ſinn-
[459]von politiſchen reden
ſinnliches ſchencken, hingegen der todt uns al-
les deſſen beraubet, ſo iſt es kein wunder daß
der menſchlichen natur, nichts ſo erſchrecklich
und unertraͤglich fuͤrkommt, als eben die
nothwendigkeit zu ſterben. Jedoch wann
man die ſache nach der wahrheit unterſuchet,
ſo muß man geſtehen, daß eben dieſe noth-
wendigkeit, mehr angenehmer, als fuͤrchter-
lich ſeyn muͤſſe, und daß der todt, zumahl
bey tugendhaften, mehr den nahmen einer
geburt und des anfangs zum leben, als des
todes und endlichen beſchluſſes unſerer jahre
verdiene. Es iſt bekannt, daß die allerfuͤr-
treflichſten artzeneyen, die allerkoſtbarſten din-
ge, durch nichts anders gezeuget werden, als
durch den todt. Die taͤgliche erfahrung leh-
ret, daß leute, welche dem gemeinen weſen
noch ſo fuͤrtreflich gedienet, welche ihrem ne-
ben-menſchen noch ſo vernuͤnftig, chriſtlich,
und aufrichtig begegnet, dennoch nicht ſon-
derlich geachtet, beneidet, und bald auf dieſe
bald auf eine andere weiſe verfolget werden.
Kaum aber legen ſie ſich auf das ſterbe-bette,
ſo faͤngt man an ſie zu bedauren, der neid zieht
gantz beſchaͤmt zuruͤcke, und alle angeſtellte
verfolgungen fallen auf ihre eigne anſtifter
zuruͤck. Denn ſo lange ſie leben, ſind ihre
verdienſte in etwas eingehuͤllet, welches in die
aͤuſſerlichen ſinne foͤllet, und vielleicht mit vie-
len ſinnlichen ſchwachheiten vermiſchet iſt.
Nimmt aber der todt dieſe huͤlle hinweg, ſo
dringen
[460]von allerhand ſchul-
dringen allein die verdienſte, und beſondere
gute eigenſchaften ſolcher leute, in das gemuth
anderer, woſelbſt ſie etwas ihnen aͤhnliches
ſuchen und finden, und auf die weiſe fangen
tugendhafte erſt an zu leben wann ſie ſterben.
Ach wie ſehnlich wuͤnſchet doch ein unſterbli-
cher geiſt, daß ihm durch den todt die thuͤr zum
leben moͤge aufgethan werden, wann er er-
weget, wie viel tauſend verhaſte ungluͤcks faͤl-
le, ihm den weg zur zeitlichen gluͤckſeeligkeit
enge machen, und mit diſteln und dornen be-
ſaͤen, wann er bedencket, wie ſo gar leicht
auch das bereits eriagte kleinod zeitlicher gluͤck-
ſeeligkeit, ihm aus den haͤnden koͤnne gewun-
den werden Sie allerſeits H. und h. anwe-
ſende wiſſen als chriſten, daß das ſterben nichts
anders ſey, als ein gang zu der unſterblichkeit
und daß wir eben deswegen daß verweßliche
ablegen, damit wir das unverweßliche in der
ſeeligen ewigkeit anziehen moͤgen, und alſo
werden ſie mit mir einſtimmen, daß ein ſterbli-
cher menſch durch den todt, zu einen glorwuͤr-
digen, ſicherern, ia ewigen leben, wiederge-
bohren werde. Dieſe gedancken habe bereits
zu anderer zeit geheget, daß ich aber ſelbige
ietzo in dero hochgeſchaͤtzten verſammlung er-
oͤffne, dazu giebt mir dieienige pflicht gelegen-
heit, welche uns anietzo befiehlet, zu guter-
letzt, des hoch- und wohl-edlen hoch- und
wohlgelahrten Herrn, Herrn Johann Jm-
manuel Muͤllers der Philoſophie Magiſtri,
und
[461]und politiſchen reden.
und der gottesgelahrtheit beflieſſenen, chriſt-
liches und ruhmwuͤrdiges andencken, in einen
leichenbegaͤngniſſe zu verehren. Jch habe an
den ſeelig- verſtorbenen kein todtes, ſondern
vielmehr ein lebendiges exempel, deſſen was
ich zuvor angefuͤhret, daß nemlich der zeitliche
todt kein todt, ſondern vielmehr eine geburt zu
einem neuen leben zu nennen ſey. Wir wer-
den hinfuͤhro an den ſeelig-verſtorbenen ge-
dencken als an einem menſchen, welcher zwar
durch die geburt von ehrlichen eltern ein ſterb-
liches leben, aber durch den todt ein unſterb-
liches erhalten. Wir erinnern uns deſſelben,
als eines vernuͤnftigen menſchen, welcher ſich
im leben ſo viel moͤglich, nunmehro aber durch
das abſterben, vollkommen von der eitelkeit
abgeſondert. Der ſich iederzeit, durch die
erkaͤnntniß ſeiner ſchwachheit mehr vollkom-
men gemacht, als daß er durch eine ſchwuͤlſti-
ge fuͤrſtellung ſeiner verdienſte und praͤſumti-
on von ſich ſelbſt ſich in ein thoͤricht nichts
haͤtte verwandeln ſollen. Wir ſtehen bey
ſeinem grabe als den ruhe-kaͤmmerlein eines
chriſten, der hier in der zeit, mehr die nahrung
fuͤr ſeine ſeele geſuchet, und ſeinen leib caſtey-
et, als den alten adam gepfleget, und den
neuen menſchen verſchmachten laſſen; eines
chriſten, deſſen ſtiller und eingezogener gott-
gelaſſener wandel ihn mehr unter die zahl der
ſtillen im lande und gott angenehmen ſeelen
verſetzet, als in den wirbel der ſchwaͤrmenden
welt-
[462]von allerhand ſchul-
welt-kinder hingeriſſen; eines chriſten, der
hier den befleckten rock des fleiſches abgeleget,
und an dieſen orte, nunmehro ſeine verweßli-
che kleider verwahren laͤſſet, weil er bey der
hochzeit des lammes in Chriſti blut und gerech-
tigkeit bekleidet, ſich einſinden muͤſſen. Wir
haben von ihm ein bild in unſerm gedaͤchtniß,
als eines beflieſſenen der gottes-gelahrheit,
welcher den kern der goͤttlichen weißheit, mehr
in einer lebendigen ausuͤbung, als in einer uͤ-
berſteigenden betrachtung, geſuchet. Wir
verehren endlich ſein andencken, als eines
Magiſtri der gelehrſamkeit, welcher es dahin
gebracht, wohin wenig ſtudieꝛende gedencken, die
allerwenigſten kommen, nemlich daß er mit
dem geſamleten ſchatz aͤchter gelehrſamkeit,
Gott, andern, und ihm ſelbſt dienen koͤnnen.
Da wir wiſſen, daß er damit bereits maͤn-
nern, welche unſere Philyrea, als theure lehrer
hochhaͤlt, und ſeinem vaterlande gedienet,
auch den buͤcher-ſchatz einer hochloͤblichen uni-
verſitaͤt, zum theil beſorget. Alles dieſes hat
man mehrentheils bey des ſeelig-verſtorbenen
lebzeiten gewuſt, aber man hat es verſchwie-
gen, da es theils die beſcheidenheit des wohl-
ſeeligen nicht erlaubt haͤtte zu ſagen, theils, da
man ſich ſelten muͤhe giebt, ein gegenwaͤrtiges
gut, wegen dẽr aͤuſſern ſchale darunter es ſteckt,
zu unterſuchen, biß man genoͤthiget wird, wenn
der todt die aͤuſſern huͤlſen zubricht deſſen fuͤr-
trefflichkeiten zu erkennen. Nunmehro da er
erblaſſet, lebet nicht nur der unſterbliche geiſt
in
[463]und politiſchen reden.
in der unbegreiflichen freude der ſeeligen e-
wigkeit, ſondern es wird auch das andencken
des wohlſeeligen herrn M. bey ihnen allerſeits
h. und h. A. und bey denen die ihn kennen
hinfuͤhro leben. Jedoch, es iſt dieſes anden-
cken mit etwas unangenehmen verknuͤpfet,
fuͤr dieienigen, welche dabey ſich erinneren,
was ihnen entzogen. Es iſt durch ſein ab-
ſterben, ein aufgehender ſtern ſeiner familie,
verdunckelt. Die republick hat ein nuͤtzliches
mitglied verlohren, welches derſelben vielleicht
wichtigere fruͤchte in der ſtille gebracht haͤtte,
als dieienigen, welche μεταπολλης φαντασιας
unſere augen blenden, und doch wohl unwiſ-
ſenheit und den unflat der laſter in guͤldenen
oder chryſtallinen gefaͤſſen herum ſchleppen.
Die zahl der zukuͤnftigen arbeiter in Chri-
ſti weinberge, und unſere geiſtliche redner-ge-
ſellſchaft, hat einen aus ihren mittel ein-
gebuͤſſet. Demnach werden die bekuͤmmer-
ten freunde, die betruͤbten angehoͤrigen,
wer fromme und gelehrte leute recht zu ſchaͤ-
tzen weiß, freylich den verluſt bedauren, wel-
cher ſie durch den ſeeligen hintritt des herrn
M getroffen hat, und ſie verlangen vielleicht
lieber, ſelbigen zu ſehen, als an ihn zugeden-
cken. Allein wie der magnet ſeine kraft ver-
liert, wann er mit einem diamant verbunden,
alſo glaube ich werde die ſehnſucht und das
verlangen der betruͤbten leidtragenden, nach
den wohlſeeligen, ſich ſtillen, mithin dieſes be-
kla-
[464]von allerhand ſchul-
klagen ein ende nehmen, wann ſie erwegen, was
fuͤr ein unſchaͤtzbares kleinod dem wohlſeeligen
beygeleget worden. Die ſterne leiden keine
verdunckelung, und dieſen ſtern, welcher ietzo
den aͤuſſerlichen ſinnen nur entzogen worden,
werden wir dermahleinſt in groͤſſerer klarheit
ſehen, wann wir in ienem leben, wie auser-
wehlte ſonnen leuchten. GOtt wird die ab-
gefallene bluͤte, mit reiffen fruͤchten erſetzen.
Der Herr des weinberges, wird es an treuen
arbeitern nicht fehlen laſſen. An ſtatt daß
der wohlſeelige, hier in unſerer geſellſchaft nur
lallen lernen, von den guͤtern der unerſchoͤpfli-
chen quelle alles reichthumes, wird er anietzo
den fuͤrtreflichſten lob-redner derſelben voll-
kommen fuͤrſtellen. Und wenn man auch den
ſeelig verſtorbenen, aus der unſterblichkeit
wieder zuruͤck rufte, wuͤrde man in der that
wieder die regeln der wahren klugheit und
freundſchaft handeln, denn man wuͤrde ihn aus
den leben wieder in todt zuruͤck ziehen, und
wieder ſterben heiſſen, man wuͤrde mehr auf
ſeinen nutzen, als das vergnuͤgen des wohl-
ſeeligen dencken. Alſo wollen wir vielmehr,
dem unſterblichen geiſt, die gluͤckſeeligkeit des
ewigen lebens goͤnnen. Wir wollen vielmehr
ſein andencken bey uns ruhmwuͤrdig, als be-
truͤbt ſeyn laſſen. Sein ſtilles weſen, ſeine
demuth und was er gutes an ſich gehabt, ſoll
uns zum exempel dienen und ſein uͤbergang in
die unſterblichkeit der kuͤnftigen nachfolge er-
innern.
[465]und politiſchen reden
innern. So wird er dann zu bekraͤftigung
deſſen, was ich anfaͤnglich behauptet, da er er-
blaſſet, uns nicht als ein todter, ſondern le-
bendiger im gedaͤchtniß bleiben. Dero aller-
ſeits anſehnliche verſammlung h. u. h. anwe-
ſende, ia dero hochgeneigte aufmerckſamkeit
bezeuget, ich habe die wahrheit geredet, wann
ich gemeint, der wohlſeelige herr M. M. ſey
durch den todt zum leben wiedergebohren,
und es muͤſſe vielmehr der todt, von tugend-
haften zumahl, unter den nahmen einer neuen
geburt, fuͤr etwas angenehmes, als bitteres
gehalten werden. Da ſie nun zugleich ihre
hochachtung hiebey, gegen den wohlſeeligen
herrn M. und deſſen betruͤbte angehoͤrige hie-
mit an den tag geleget, ſo ſind ihnen dieſelben
fuͤr dieſes zeichen Dero gewogenheit, und ich
fuͤr Dero guͤtigen beyfall unendlich verbunden.
Sie und ich werden uns gluͤcklich ſchaͤtzen, weñ
wir ihnen h. u. h. anw. die fruͤchte unſerer er-
kaͤnntlichkeit, als wohlſchmeckend und ange-
nehm, gluͤckwuͤnſchend und nicht als bittere
ſchlehen uͤberlieffern koͤnnen. Jch verlaſſe
dieſen ort, wann ich zuvor dem wohlſeeligen
herrn M. zum lebendigen denckmahl, folgende
grabſchrift beygefuͤget:
§. 7. Die beſchaffenheit der uͤbrigen reden,
welche bey denen ſolennitaͤten des hofes und
der republicken fuͤrkommen, lernet man am
beſten aus denen exempeln, welche herr Luͤnig
zuſammen getragen, unter dem titul: Groſſer
herren, vornehmer miniſter, und anderer be-
ruͤhmten maͤnner gehaltene reden.a) Ja
eben dieſem fleißigen manne, haben in dieſem
ſtuͤck, die Politici wann ſie Lateiniſch perori-
ren,b) oder auch nur die ſprache des Teut-
ſchen reichsc) verſtehen und lernen wollen,
die groͤſte verbindlichkeit. Jn denen erwehn-
ten reden findet man von gluͤckwuͤnſchungs-
empfah-bewillkommungs-lob-reden, die exem-
peld)Tom. I.Frieſens, Beichlings, Alvens-
lebens, Bodenhauſens, Roſenhahns, Fuchs,
Huldeberg, Leſts, Kuͤhleweins, Sittingers,
Bernſteins, Kochens, von Baudiß, Tieffen-
bachens, Salla, Fockhi, Senft von Pilſach,
III.Seckendorfs, Gersdorfs, Nieſemeuſels,
Schertzers, Borns, Rochaus,V.Ritters,
einiger Frantzoſen (als des Flechier) Pohlen
und Engellaͤnder, Noſtitzens, Oberlaͤnders,
Fabricii,VII.Oxenſtirns, Pritii, Boͤhmers,
Koͤnigsdorfs, Voigts, Riembergs, Schrey-
vogels, Bergues, Schroͤers, Boͤttigers,
Gundlings, Riemenſpergers, Haldens,
Orths
[467]und politiſchen reden.
Orths,VIIII.Schlevogts, Ancillons, Kot-
tulinsky, Liths, Riembergs, Huldenbergs,
Schweinitzens, Jerins, Venedigers, Pauli,
Schluͤtterns, Teckmanns, Hallmanns,XI.
Flemmings, Canitzens, Unverfaͤhrts, Re-
chenbergs, Menckens, Degenfelds, Peils,
Alefelds, Becks, und anderer.
§. 8. Von vermaͤhlungs-geburts- und ge-
vatterſchafts-reden trift man exempel an im
Tom. I. II. von Stein, Frieſen, Schwerin,
Perband, Leſt, Opel, Alvensleben,III.Ein-
ſiedel, Kuͤhlewein, Huldeberg, Niemen,
Treuer.V.Fabricii, Obernitz,VII.Hulde-
berg,VIIII.Zeitzken, Cramm, Bredelo,XI.
Flemmingen, Canitzen, und andern.
Jndem es unſere ſchuldigkeit erfordert, der
weyland (tit. tot.) Fraͤulein N. N. ihr letz-
G g 2tes
[468]von allerhand ſchul-
tes ehren-gedaͤchtniß zu begehen, nachdem die-
ſelbe ſich in verwichener nacht mit dem (tit. tot.)
herrn N. N. in eine ſcharffe rencontre einge-
laſſen, und dabey ſo ungluͤcklich geweſen, daß
ſie daß alleredelſte und koſtbahreſte was ſie ge-
habt, eingebuͤſſet; So wird mir hoffentlich
erlaubet ſeyn, meine wenige gedancken, ſo mir
bey dieſer begebenheit beygefallen in etwas zu
eroͤfnen. Sonder allen zweiffel hat wohl
nichts anders, als die liebe dieſen unſchaͤtzba-
ren und unerſetzlichen verluſt verurſachet, da-
bey iſt mir eingefallen, ob nicht die liebe mit
dem kriege vollkommen veꝛglichen werden koͤn-
te. Wann uͤberhaupt der krieg mehr erfah-
rung als wiſſenſchaft erfordert, ſo bin ich vor-
aus verſichert, daß beyde verliebte dieſe nacht
mehr empfindung werden gehabt haben, als
ſie uns erzehlen wollen. Will der krieg mit
groſſer application gefuͤhrt ſeyn, und erfordern
inſonderheit die belagerungen ſehr groſſe bemuͤ-
hung, hilf himmel wie ſauer wird es unſerm
neuen paar worden ſeyn, er geſtehe mir nur
offenhertzig neuer herr ehemann mit was gro-
ſer muͤhe er approchiret hat, bis er die trenche-
en, eroͤffnen koͤnnen, wie vielmahl er avan-
ciret iſt, und wie vielmahl er repousſiret wor-
den, auch man ihn zugeruffen, runde vorbey.
Es iſt aus denen geſchichten des vorigen ſeculi
bekannt, daß in dem Niederlaͤndiſch. kriege die
Spanier den tapfern Naßauiſchen Printzen
Mauritium ſpott weiſe den A. B. C. ſchuͤtzen
genen-
[469]und politiſchen reden
genennet, nachdem er ihnen aber nach der zeit
eine feſtung nach der andern eingenommen,
ließ er ihnen wieder zum poſſen das a. b. c. auf
ſeine ſtuͤcke gießen, und fragte wie ihnen dieſes
gefiele? Unſere neue junge frau wird ausder
erfahrung am beſten zu ſagen wiſſen, ob ſie
dergleichen A. B. C. ſchuͤtzen in der liebe vor
ſich gehabt, oder ob ſie chamade geſchlagen
und capituliret habe. Man ſolte zwar ver-
muthen, wir wollen es ihr auch zu trauen, ſie
werde das ihr ſo theuere anvertraute kleinod
aufs euſſerſte defendiret haben, ja ſich erinnert
haben, daß ſie eines braven Generals toch-
ter und eines groſſen Capitains niece ſey, und
aus einem hochberuͤhmten geſchlechte herge-
kommen, welches ſich jederzeit vor andern
durch tapfere actiones diſtinguiret, und ſeinen
feinden nur einen ſchritt zu weichen, niemahls
gewohnt geweſen, allein was thut die liebe
nicht, und ſie wird auch ihres orts nunmeh-
ro bekennen muͤſſen, was der groſſe koͤnig
Guſt: Adolphus von ſich zu ſagen pflegte, daß
ſie eine eiſerne ſeele in einen glaͤſernen und alſo
zerbrechlichen leibe getragen hat. Jſt ferner
bey dem krieg groſſe gefahr auszuſtehen, ſo
wird auch dieſes neue paar uns ſo viel davon
vorzuſagen wiſſen, daß man ihnen wohl zu-
ruffen moͤchte: Dulce bellum in expertis
Entweder er hat roſen brechen wollen, ſo
iſt er ſonder zweiffel geſtochen worden, oder
G g 3er
[470]von allerhand ſchul-
er hat ſich als einen liebhaber der inſtrumental
muſic aufgefuͤhrt, ſo wird er entweder was
vor ſich gefunden haben, das gleich einen thon
und geſchrey ſo bald man es anruͤhret, giebet,
und beyde werden ihm dieſe lection geben:
Noli metangere. Sie aber die neue frau
welche etwas verlohren, das ſie niemahls
wieder bekommen wird, kan nunmehro
mit recht einem glaſe verglichen werden,
daruͤber jener die bedencklichen worte ſchrie-
be: Dum tangitur frangitur Dum con-
cipit concidit Dum generat degenerat.
Jedoch es iſt nunmehro geſchehen, und gleich
wie der krieg einer beſtaͤndigen abwechſelung
des gluͤcks unterworffen iſt, alſo hat ſich auch
bey ihnen eine ſolche veraͤnderung zu ge-
tragen die mit nichts in der welt erſetzt werden
kan: Sollen wir dieſen verluſt nicht ſchmertz-
lich beklagen, doch Rerum irreparabilium felix
oblivio, gluͤckſeelig iſt, der da vergiſt,
was nun nicht mehr zu aͤndern iſt. Wir
wollen vielmehr die entſeelte von der wahl-
ſtadt zu ihrer ruhe bringen, und uns dabey
der eitelkeit, nichtigkeit und vergaͤnglichkeit
aller ding, ewelche mehrentheils in der menſch-
lichen einbildung beſtehen, erinnern, dem hei-
ligen vater in Rom ſeine bey der kroͤnung ge-
woͤhnliche aſche abborgen, dieſelbe auf dieſe
iungferſchaft ſtreuen, und auf ihr grabmahl
ſetzen:
[471]und politiſchen reden
ſetzen: Sic transit gloria mundi. Wir
wollen uns aber auch damit troͤſten, daß
wir zwar geſtern ein fraͤulein verlohren,
aber heute eine junge frau wieder gefunden
haben, und daß aus dieſer aſche ein neuer
phoͤnix auf ſtehen, und ſie jenem gewaͤch-
ſe in Weſt-Jndien gleich ſeyn werden, welches
nach untergangener ſonne die ſchoͤnſten bluͤten
hervor zu bringen pfleget: Wie dann vor ei-
ner halben ſtunde unſerm groſſen Capitain das
gluͤck wiederfahren, daß er zugleicher zeit
hochzeit und kindtauffe machen kan, worauf
man appliciren moͤchte: Unius corruptio
eſt alterius generatio. Wo eine iungfer-
ſchaft vergeht, bald eine neue auferſteht.
Nicht ohne beſondere verwunderung habe
ich verwichene nacht wahr genommen, daß
eben zu der zeit, da vermuthlich das treffen am
hitzigſten geweſen, ein groſſer ſturm entſtanden,
welcher aber ſo fort mit einem ſanften und
fruchtbaren regen begleitet worden, zu einer
gluͤckſeeligen vorbedeutung daß unſer ne ues
paar mit vollen und favorablen wind ihre
ſeegel ſtreichen, in den hafen der gluͤckſeelig-
keit einlauffen, und mit fruchtbaren re-
gen befeuchtet werden ſoll, welches dann der
guͤtige himmel nebſt 1000. andern ihnen an-
gewuͤnſchten gluͤckſeeligkeiten erfuͤllen wolle.
G g 4Nur
[472]von allerhand ſchul-
nur rathe ich, mein lieber junger Hr. ehemann
wolle ſich zwar nicht auf einmahl aus den oden
fechten, dabey aber wohl erinnern, daß er in
ſeinem wapen eine gerſten-aͤhre fuͤhre, welche
wann ſie gut wachſen und hervor kaͤumen ſoll,
das erdreich fleißig und wohl nicht aber nur
quatember-weiſe beduͤnget und beſtellet wer-
den muß. Denen theureſten eltern von beyden
theilen, wuͤnſchen wir, daß ſie vor dieſe liebe
kinder und kindes-kinder viel alte thaler ſam̃-
len moͤgen, woraus ſie aus der erfahrung ſelbſt
die worte ſagen koͤnnen: Wohl dem,
der freude an ſeinen kindern erlebet.
Unſern groſſen N. aber, qui nobis hæc otia
fecit, ſagen wir davor gehorſamſten danck,
und weil wir ſeine gewoͤhnliche und natuͤrli-
che neigung mehr als zu wohl kennen, ver-
moͤge derſelben er zwar groſſe dinge verrich-
tet, deßwegen aber nicht gelobet ſeyn will, ſo
will ich meinen wunſch kuͤrtzlich dahin con-
centriren, daß gleichwie ehemahls einer von
ſeinen anherren wegen ſeiner groſſen merite
das licht von N. genennet wurde, alſo auch
er das licht von N. mit wohl verdientem recht
noch lange jahre bleiben, und dadurch ſein
nahme und preißwuͤrdiges gedaͤchtniß bey uns
verewiget werden moͤge. Jhnen allerſeits
ſchoͤnen begleiterinnen, ſoll ich zwar im nah-
men des neuen paares fuͤr dieſen letzten liebes-
und ehren-dienſt gehorſamſten danck abſtat-
ten,
[473]und politiſchen reden.
ten, darbey aber auch wohl meinend nicht
verhalten, daß ſie nebſt mir ihren ietzigen zu-
ſtand recht hertzlich beklagen, denn ob ſie wohl
ſcheinen, dieſe niedergelegte unſchuld heimlich
zu belachen, ſo koͤnnen ſie doch verſichert ſeyn,
daß ihnen vielleicht gar bald ein gleiches be-
gegnen werde. Jch nehme mir dahero die
freyheit ihnen zu wuͤnſchen, das ihre bereits
angegangene innerliche kriege, bald in eine
dergeſtaltige offenbare flamme ausbrechen
moͤgen, daß ſie zu der ihnen ſo hoch benoͤ-
thigten ruhe gelangen koͤnnen. Ja wollen ſie
mir nicht trauen, ſo belieben ſie ſich nur der
worte zu erinnern, die ſie ſeit einigen jahren
ſo fleißig geſungen haben:
Ehe ich aber noch dieſe ſtelle verlaſſe, muß ich
zum wohl verdienten nach-ruhm, und nach
wohl-hergebrachter gewohnheit unſerer wer-
theſten Fraͤulein N. noch dieſe grab-ſchrift
ſtellen:
§. 9. Huldigungs-Reichs-Kriegs-Land-
Stifts-tags-reden ſind daſelbſt Tom. I. II.
von Koͤnigen, Kochen, Jena, Schwerin,
Bick, Seyffarthen, Fuchs, Schulenburg,
Schardio, Cortreio, Muͤnchhauſen, Sy-
dow, Born, Jacobi, Faͤrbern, Schleinitz,
Bodenhauſen, Gersdorf, Hoͤrnigk, Haͤberl,
Metternich, Martini, Schauern, Wallen-
ſtein, Limbach, Oberg, Huldeberg, Calen-
berg, Ahlemann, Boſen, Senfts, Schoͤn-
berg, Kuͤhlewein, Alvensleben, Schmids,
III.Leſt, Stegern, Gersdorf, Bergern,
Pfautzen, Rotenburg, Zech, Ahlemann,
Jmhof, Reventlau, Mylio, Troyer, Schra-
der, Einſiedel, Windiſchgraͤtz, Meer, Loͤ-
wenſtein, Stratemann, Bucelini,V. Eini-
gen Frantzoſen, Engellaͤndern und Pohlen,
Metternich, Winneberg, Bartholdi, Hul-
deberg, Sintzendorf, verſchiedenen hohen,
haͤuptern, VII.Heber, Riemenſpergern,
Tonnauern, Wackerbart, Heiniſch, Wald-
burg, Lamberg, Franckenberg, Schrey-
vogel, Sanders, Schoͤnborn, Siegmann,
Huldeberg, Schuͤtz, Goͤrne, Printzen,
Sen-
[475]und politiſchen reden.
Senning, Oſtau, Wallenrad, Kurtzen,
Reichenbach, Alemann, Oexel, Sintzen-
dorf, Traun, einigen Engellaͤndern, VIIII.
Thomaͤ, Zißler, Schemel, Zech, Huldeberg,
Sintzendorf, einigen Frantzoſen und Engel-
laͤndern, Harrach,XI.Arnim, Lyncker,
Marſchall, Stein, Hauniſch, Harras, Ho-
gius, Mylius, Canitz, Schlevogt, Sintzen-
dorf, Harrach, ꝛc.
§. 10. Religions-Jntroductions-Regie-
rungs-Juſtitz-Cammer-reden haben gehalten:
I.Fuchs, Stoͤſſer, Berchem, Leſt, Valcke-
nier, Jena, Schwerin, Windiſchgraͤtz,
Schmidt, Seckendorf, Boſe, Helldorf,
Koͤtteritz, Platz, Kuͤhlewein,III.Wylich,
Muͤller, Schoͤnleben, Kuͤhlewein, Durrius,
Gersdorf, Ducker, Steinbach, Wildhau-
ſen, Alvensleben, Fabricius, Senft v. Pil-
ſach, verſchiedene Durchlauchtigſte Prin-
tzen, Einſiedel, Heldorf, Schmidt, Dieß-
kau, Kuͤhlewein, Steger, Eſcher, Schoͤn-
born, Schwartzenberg.V. verſchiedene
Paͤbſte, Frantzoſen, Engellaͤnder, Portugie-
ſen, Pohlen, Boſe, Taſſo, Eſcher,VII.Loͤ-
ſer, Oſſelin, Printzen, Jablonsky, Gerhard
Abt zu Loccum, Riemberg, Kuͤpfender,
Senft, Kuͤhlewein, Jtaliaͤner, Frantzoſen,
Engellaͤnder, John, Mertloch, Ponickau,
Schreyvogel, Poͤllnitz, Canitz, Maͤyer,
VIIII.Aidinger, verſchiedene Frantzoſen,
Pabſt ClemensXI.Ebner, Loͤben, Calen-
berg,
[476]von allerhand ſchul-
berg, Kaltſchmidt, verſchiedene Engellaͤnder,
Flemming, Hartmann,XI.Canitz, Papſt
ClemensXI.Poͤlnitz, etliche Frantzoſen, Al-
than, Gersdorf, Schacher, Spohr, Falck-
ner, Chriſt, Creutz, Seeligmann, Broͤſicken,
Schuͤtz, Buͤnau, hohe Haͤupter ꝛc.
§. 11. Hof-Ritter-Staats-Kriegs-Ge-
ſandſchafts-reden ſiehet man von II.Fuchs,
Doͤlau, Jacob, Zehmen, Miltitz, Leſt, Op-
pel, Valckenier, Heimburg, Dona, Brandt,
Boſen, Trautmannsdorf, verſchiedenen
Durchlauchten Haͤuptern, IIII.Schlieben,
Schoͤnebeck, Fuchs, Reiboldt, Helldorf,
Schoͤnleben, Leſt, Dießkau, Ebels-bach,
Braſſer, Altheim, Heerwarth, etlichen
Printzen, VI.Oppeln, Pernſtein, Pohlen,
Frantzoſen, Jtaliaͤner, Engellaͤnder, den Sia-
miſchẽ abgeſandten, Caunitz, Lichtenſtein, den
Algierſchen abgeſandten, Lamberg, Jordan,
Schweden, Daͤnen, von vielen Souverains,
VII.Senft, Loſſen, Spanheim, verſchiede-
ner Nationen Abgeſandten und Printzen.
VIIII.Zanthier,XI.Wolframsdorf, Mar-
ſchall, Boſe, Gersdof, einigen groſſen Prin-
tzen, Engellaͤndern, Frantzoſen, Schweitzern,
Jtaliaͤnern, Tuͤrcken, Moſcovitern, ꝛc.
§. 12. Die condolentz-lob-trauer-reden
ſind abgelegt vom II.Canitz, Schmidt,
Boſen, Leſt, Thomaſio, Wedeln, Nitzſch-
witz, Oleario,IIII.Leſt, Koͤnigsdorf, Po-
ſadowsky, Dießkau, Rondeck, Strauſſen,
Len-
[477]und politiſchen reden.
Lentzen, Loſſen, Neitzſchtz, Koßboth,
Huldeberg, Miltitz, Gersdorf, Born,
Senft, Heidenreich, Rex, Sydow, Hof-
mannswaldau, Lohenſtein, Graͤfen,
Krantzen, Pritio, Pippingen, Neukirch,
Boſe, (D. Auguſt) von Boſe,VI.Ritter,
Buͤnau, Soͤlenthal, Lichnowsky, Planitz,
bey gewaltſamen todes-faͤllen von verſchiede-
nen, VIII. Eben dergleichen von verſchiede-
nen, andere von Muͤllern, Franckenberg,
Boͤhmern, Schwartzenfelß, Vettern. Hul-
deberg, einigen Frantzoſen, Koͤnigsdorf,
ClemensXI.,Dewitz, Riemberg, Acken,
Zanthier, Dießkau,X.Zetzke, Slevogt,
Wentzel, Maͤyer (D. Joh. Friedr.) Proͤck,
Boͤhmern, Zanthier, Neukirch, Jablonsky,
Krakewitz, Haſſen, Boͤhmern, Leipzigern,
Eiſenfeld, Spoor, Hallmann, Lange, Hu-
nold, (Menantes) Born, Baudis,XII.Buͤ-
nau, Nolten, Schramm, Koſchenbahr,
Canitz, Bruͤmſe, ꝛc.
VOn Juridiſchen reden und ſchriften uͤberhaupt,
§. 1. Von muͤndlichen reden der gerichts-perſo-
nen, §. 2. Pflegung der guͤte, §. 3. Admonitionibus bey
vernehmungen, iuramentis in cauſa civili, §. 4. Jn
cauſa criminali, §. 5. Der zeugen vernehmung, §. 6.
Von ſchriftlichen reden der gerichts-perſonen, cita-
tioni-
[478]von Juridiſchen reden
tionibus, notificationibus, huͤlfs, und immißions-
praͤceptis, ꝛc. §. 7. Von regiſtraturen, §. 8. Eydes-
notuln, §. 9. Zeugen und inquiſitional-artickuln, §.
10. Zeugen-rotulis, §. 11. Confrontations-puncte. §. 12.
Urtheils-fragen, §. 13. Urtheilẽ, abſchieden u. weiſungen,
§. 14, Berichten, §. 15. Subhaſtations-patenten, §. 16.
Von muͤndlichen reden auf ſeiten der advocaten und
partheyen, bey der guͤte, §. 17. Bey reden mit inqui-
ſiten, §. 18. Von provocationibus, einbringen, ant-
wort auf die klage, anbringung der exceptionen, pro-
ſecution der leuterung, iuſtification der appellationen,
§. 19. Zeugen-productiones, §. 20. Bey ſchwerungs-
terminen, §. 21. Von ſchriftlichen reden der advoca-
ten und partheyen, als contracten, §. 22. Klagen,
ſuppliquen, denunciationibus, §. 23. De- und rela-
tiones iuramentorum, §. 24. Beweiß, beſcheinigung,
beybringen, zeugniß-artickel, interrogatoria, §. 25.
Product-weiſe rechtliches verfahren, §. 26. Leutera-
tionen, apellationen, §. 27. Defenſions-ſchriften, §.
28. Fragen zu informat-urtheilen und alten extra-
hiren, §. 29.
§. 1.
UNter denen lebens-arten, welche einer
vernuͤnftigen bredſamkeit am meiſten
benoͤthiget, ſind ſonderlich die beyden
hohen Facultaͤten, Jurisprudentz und Theo-
logie, indem beyde, gantze ſtaaten mehrentheils
mit worten regieren, und alles was dahin ge-
hoͤret, ausmachen. Jch will von iener zuerſt
gedencken, welche als eine klugheit angeſehen
wird, ſolche mittel zu erfinden und anzubrin-
gen, dadurch die ruhe der buͤrgerlichen geſell-
ſchaft, nach den regeln der gerechtigkeit, er-
halten werde. Doch vermeine ich nicht de-
nen-
[479]und ſchriften.
nenjenigen lehren zu geben, von denen ich
ſelbſt unterrricht bereitwilligſt anhoͤren wuͤrde,
ſondern nur denen anfaͤngern, aus der Ora-
torie, als einem ſtuͤck der univerſellen gelehr-
ſamkeit, einige kleine erinnerungen mitzuthei-
len, damit dieſer wiſſenſchaft kein eintrag ge-
ſchehe.
§. 2. Der grund dieſer Facultaͤt iſt in dem
Recht der natur, denen goͤttlichen und buͤrger-
lichen rechten zu ſuchen, und alſo in der legali-
taͤt. Die klugheit muß darauf bauen, und
die gewohnheit hat zu genauerer beobachtung
derſelben, die umſtaͤnde der zeit, der perſonen,
und anderer dinge, in gewiſſe ſchranckẽ geſchloſ-
ſen, das ſind formalia und fatalia, damit habe
ich ietzo nichts zu thun. Aber die beredſam-
keit iſt das mittel, dadurch alles dieſes ſeine
kraft erlanget, denn da muß man theils muͤnd-
lich, theils ſchriftlich reden, da muͤſſen theils
richter theils partheyen und advocaten ihre
worte fuͤrbringen.
§. 3. Das muͤndliche reden der gerichts-
perſonen, iſt erſtlich bey pflegung der guͤte am
noͤthigſten, da der richter entweder ex officio,
oder auf anhalten einer parthey, beyde in der
guͤte zu vergleichen ſucht. Mir deucht nach
mei-
[480]von Juridiſchen reden
meiner wenigen einſicht, daß hier das rechte
mittel ſteckt, die proceſſe nicht nur zu verkuͤrtzen,
ſondern gar zu verringern. Denn wer
wuͤrde wohl ſich in einen weitlaͤuftigen pro-
ceß einlaſſen,, wann ein beredter richter beyde
partheyen fuͤr ſich foderte, ihnen die weitlaͤuf-
tigkeit, koſtbarkeit, uͤble folgerungen, ungewiß-
heit des proceſſes fuͤrſtellete, mittel zum ver-
gleich fuͤrſchluͤge, ſie ſelbſt mit einander reden
lieſſe, ihnen bedenckzeit gaͤbe iedem insgeheim,
entweder die ſchwachen gruͤnde ſeines rechts,
oder die ungewißheit des ausſchlags fuͤrbildete,
doch ſo daß er ſich nicht in den verdacht der par-
theylichkeit, oder den andern in groͤſſere animo-
ſitaͤt ſetzte, wenn ſage ich ein beredter richter mit
triftigen gruͤnden, pathetiſchen ausdruck, kurtz,
deutlich, dieſes alles fuͤrtruͤge, ia zuweilen, wo
es rechtens ſeine auctoritaͤt zu huͤlffe naͤhme,
wer wuͤrde luſt haben zu proceßiren?
§. 4. Es reden ferner gerichts-perſonen bey
vernehmung der partheyen, ſonderlich wo ie-
mand ſchweren ſoll, da der richter nach beſchaf-
fenheit des vorgeladenen ſeine rede einrichtet
und ihn de vitando periurio erinnert, durch
anfuͤhrung der praͤſumtionen, welche wieder
ihn ſtreiten, was gegentheil wieder ihn beyge-
bracht und dargethan, doch huͤtet er ſich fuͤr al-
lotria, und unbillige verfaͤngliche fragen und
praͤtenſiones, es wird auch wohl in ſchwerungs-
terminen, wo etwa wichtige momenta fuͤrfal-
len,
[481]und ſchriften.
len, die beredſamkeit eines geiſtlichen zu huͤlfe
genommen.
§. 5. Sonderlich aber geſchicht dieſes letztere
in caußis criminalibus, bey purgatoriis. Uber-
haupt muß dem ſchwerenden, der haupt-punckt,
weßwegen er ſchweren ſoll, deutlich rund und
nachdruͤcklich herausgeſagt werden, damit er
ſich nicht mit reſervationibus mentalibus helf-
fen koͤnne. Sonſt hat der richter bey verneh-
mungen der inquiſiten, ſeine worte behutſam
einzurichten, damit des inquiſiten auſſage,
nicht ex capite nullitatis angefochten werde,
er hat auch dabey die gerechtigkeit ſorgfaͤltig zu
beobachten und unpartheyiſch, nicht nur dasie-
nige zu conſideriren, was den delinqvenden
graviren, ſondern auch exculpiren koͤnne,
denn es iſt nicht ſchwer auch einem unſchuldi-
gen, durch eine falſche beredſamkeit dahin zu
bringen und ſo zu verwirren, daß er eines laſters
ſich ſchuldig geben muß, das er niemahls be-
gangen.
§. 6. Denen zeugen wird der zeugen-eyd fuͤr-
gehalten, erklaͤret, und ſie vermahnet die wahr-
heit zu ſagen. Die interrogatoria werden
kurtz, deutlich, im ſtilo ſimplici abgefaſſet, wo
ſie dunckel ſind erklaͤret, die umſtaͤnde wohl
ausgedruckt, von ihnen eine deutliche, ſo viel
moͤglich categoriſche antwort gefodert, und ſie
nicht mit vielen nebendingen verwirret, wel-
ches alles kluge und verſtaͤndige richter, mehr
als zu wohl, zumahl in unſern landen, da gott-
lob unteꝛ der geſeegneten regierung unſers groſ-
H hſen
[482]von Juridiſchen reden
ſen oberhaupts, iedweden durchgaͤngig genaue
juſtice wiederfaͤhret, beobachten.
§. 7. Schriftliche reden der gerichts-perſo-
nen ſind citationes, notificationes, huͤlffs- und
immißions-praͤcepta, auflagen ſub \& ſine
comminationibus, monitoria, inhibitiones,
welche ſaͤmtlich erfordern den nahmen des
richters und der partheyen, auf ſeiten dieſer ein
expediendum, meiſtentheils auch ein einge-
raͤumtes ſpatium legale, die citationes noch
locum iudicii, \& diem certum profeſtum, ſ.
iuridicum; ratione der citation zur einlaſſung
und antwort auf die klage, oder in Proceſſu
executiuo, zur recognition des documents,
ſo muͤſſen auch vermoͤge der proceß-ordnung die
partheyen zur guͤtlichen handlung citiret wer-
den. Alle dieſe fodern den ſtilum Juridicum
und curiaͤ, ſind ſonſt kurtz und deutlich abzu-
faſſen.
§. 8. Die regiſtraturen werden uͤber das-
ienige, was im gerichte gehandelt und fuͤrge-
tragen wird, zu des richters und der partheyen
nachricht verfertiget und aufgezeichnet, alſo iſt
noͤthig, daß ſie genaumit den ſachen die fuͤrfal-
len, uͤbereintreffen, auch wohl gar der parthey-
en eigne worte beybehalten, deutlich und kurtz
ſeyn, ſonderlich bey inquiſitionibus, da todt
und leben, ehre und gut des inquiſiten, an des
actuarii feder hanget.
§. 9. Die eydes notuln ſind mittel die wahr-
heit heraus zubringen, da ein ieder der die ſchul-
dig-
[483]und ſchriften.
digkeit auf ſich hat, die wahrheit zu bekennen,
durch einen ſchwur bey ſeinem GOTT (alſo
auch Juden, bey dem GOtt Abrahams, Jſa-
acs und Jacobs ꝛc.) bekraͤftigen ſoll, daß er
die wahrheit ſage, alſo muͤſſen ſie deutlich ſeyn,
den ſtatum controuerſiae recht bemercken, in
civil-ſachen aus der partheyen eignen worten,
ihre dismembration aus der litis-conteſtation,
in criminal-ſachen aus dem eingeholten urtheil
genommen werden.
§. 10. Zeugen und inquiſitional-artickel
werden ebenfalls, abgefaſſet, die dem richter
ſo noͤthige wahrheit zu verſchaffen, denn wann
ſie kurtz, deutlich, zur ſache gehoͤrig, ordentlich da
im̃er einer aus den andern flieſſet, damit man
dem pruritui negandi fuͤrbeuge, ſo kan der rich-
ter wann er nur die lehre von der wahrſchein-
lichkeit inne hat, und die hiſtorie des menſchen
uͤberhaupt und inſonderheit, aus einer guten
Moral und erfahrung gelernet, leicht hinter die
wahrheit kommen, es mag der befragte ant-
worten wie er will.
§. 11. Die zeugen-rotuli entſtehen aus die-
ſem zum theil, muͤſſen den nahmen des gerichts,
der zeugen, daß ſie richtig geſchworen, die zeit,
den ort, ihre antwort bey iedem artickel, die un-
terſchrifft und beſiegelung, nach iedwedes iu-
dicii ſtilo und obſervantz in ſich faſſen.
§. 12. Bey der confrontation, muͤſſen in
einem inquiſitional proceß, die zeugen oder
complices ihre auſſagen, dem inquiſiten ins
H h 2ge-
[484]von Juridiſchen reden
geſicht ſagen, alſo muͤſſen dieſelben deutlich den
inquiſitional-artickeln conform ſeyn, ieder con-
frontations-punckt enthaͤlt nur einen umſtand
gehet nicht auf nebendinge, die noch nicht aus-
geſaget, auch nicht auf andere delicta, weilen die
confrontation ein actus praeiudicialis und in-
quiſitionis ſpecialis iſt, zu welchen abſque in-
diciis legitimis nicht zu ſchreiten.
§. 13. Urtheils-fragen ſind ein ſchreiben, in
welchen der richter ein dicaſterium um ſeinen
rechts-ſpruch erſuchet, ſich entweder auf die
acta beziehet, oder ſpeciem facti dem petito
praͤmittiret, ſich aber aller refutation und ne-
ben dinge enthaͤlt.
§. 14. Urtheile, abſchiede und weiſungen
ſind reſolutiones, dadurch der richter die ſtrei-
tigkeiten der partheyen decidiret. Urtheile wer-
den als briefe an dem richter aus dem dicaſte-
rio, da er ſie eingeholet, geſchickt, enthalten
kurtz und deutlich das vorbringen der parthey-
en, und den darauf abgefaſten rechtsſpruch.
Abſchiede werden vom richter an die partheyen
geſtellet, und weiſungen als bloſſe reſolutiones
in regiſtraturen ad acta gebracht, uͤberall iſt
die abſicht denen partheyen deutliche entſchei-
dung ihrer ſtreitigkeiten zu geben, wobey die
eingefuͤhrten opiniones und gewohnheiten bil-
lich der gerechtigkeit weichen muͤſſen.
§. 15. Berichte ſind ebenfals ſchriftliche re-
den des richters, da er entweder auf befehl,
oder eingewandte appellation, in einem ſchrei-
ben
[485]und ſchriften.
ben an den iudicem ſuperiorem, die ſpeciem
facti, gelegenheit zur berichts-erſtattung, des
parths gravamina erzehlet, dieſelben refutiret
und alles des iudicis ſuperioris deciſion un-
terwirft. Sind reverential-apoſtel ertheilet
worden, wegen guͤltig-gehaltener appellati-
on, bleiben die gravamina und derſelben refu-
tation weg, alles im ſtilo ſimplici kurtz und
deutlich.
§. 16. Subhaſtations-praͤcepta ſind endlich
wann der richter nach erzehlung, wie es zu
dieſem extremo gekommen, eine gewiſſe ſache,
die er nach der wahrheit und ihrem werth be-
ſchreibet, zu iedermanns kauf, mit determi-
nirung der noͤthigen umſtaͤnde, oͤffentlich feil
bietet.
§. 17. Dieſes waͤren die meiſten reden auf
ſeiten des richters. Advocaten ſind in ihrem
gewiſſen verbunden, die ſtreitigkeiten auf
billige wege entweder zum vergleich, oder
durch den weg rechtens zu ende zu bringen.
Bey ienem haben ſie muͤndlich denen par-
theyen zur guͤte zu rathen, ſie keinesweges
durch allerhand empfindliche worte in einan-
der zu hetzen und zu verbittern, ſondern viel-
mehr bey pflegung der guͤte kurtz und deutlich,
ieder die vortheile und das vermeinte recht
der partheyen fuͤrzutragen, ihren clienten
aber insgeheim, vor den termin zur guͤte, mit
nachdruͤcklichen fuͤrſtellungen, die wahrheit zu
ſagen, und ſie zu praͤpariren.
§. 18. Reden ſie mit inquiſiten, welches
mehrentheils in beyſeyn des richters oder a-
ctuarii geſchicht, ſo ſind ſie zwar nicht verbun-
den, ihn zum geſtaͤndniß zu uͤberreden, doch
auch nicht befugt, ihn zu verſtocken, und alſo
wahrheiten zu unterdrucken, miſſethaten zu
vertuſchen, ſondern nur ihm den zuſtand ſei-
ner ſache aufrichtig zu eroͤfnen, und ihn um
die media \& momenta defenſionis umſtaͤnd-
lich zu befragen.
§. 19. Jhre vornehmſte arbeit iſt das ein-
bringen, dadurch ſie ihre rechte gegen einan-
der ſetzen, dem ſchreiber dictiren, und dem
richter uͤberlaſſen zum ausſpruch. Solches
muß kurtz und deutlich mit ſattſamer anfuͤh-
rung der umſtaͤnde und ausfuͤhrung ihrer ge-
rechtſame, ohne zaͤnckerey und ſatyriſche
ſchreib-art geſchehen. Denn hier ſind die
ſpitzigen federn, piquanten worte und derglei-
chen, nur kennzeichen der noch wallenden hitze
der jugend, und daß man mit dem erſten
ſchwerdte fechte. Mit denen provocationi-
bus wird der anfang gemacht, da ſie ihr fuͤr-
bringen, woruͤber termin ausgebracht, wie-
derholen, und gegentheilen zu dem, wozu er
citiret, auffodern. Gegentheil antwortet
auf die momenta und worte der klage, von
punct zu punct, kurtz, entweder quoad facta
propria, mit affirmat, oder negat, und quoad
facta aliena mit neſcit, oder wie er will. Hin-
ten haͤngt er ſeine ausfluͤchte und exceptio-
nes
[487]und ſchriften.
nes an, weil es nicht erlaubt ſolche mitten
einzuſtreuen. Will beklagter litem affirma-
tive conteſtiren, und klaͤgern ſeine ſaͤmtliche
exceptiones ins gewiſſen ſchieben, werden ſie
per ſpeciem facti kurtz, deutlich und buͤndig
eingebracht, einlaſſung hierauf gefodert, und
die eydes-delation angehaͤngt. Leuterungs-
proſecutionen und appellations-iuſtificationen
ſind hieher zu rechnen, geſchehen ſo wohl quoad
formalia, da man deduciret, wie man fatalia,
inſchriften und dergleichen beobachtet, als auch
quoad materialia, durch richtiger und deut-
licher anfuͤhrung der gravaminum und mo-
mentorum cauſſae.
§. 20. Wenn ſie zeugen produciren, wer-
den ſolche dem richter zur vereydung und ver-
nehmung dargeſtellet, und zwar abſentes
tanquam praeſentes, damit nicht die deſertion
des zeugen zu befuͤrchten.
§. 21. Jn ſchwerungs-terminen ſtellet der
advocat den juraturum zum eyde dar, und bit-
tet kuͤrtzlich, ihn zu admittiren. Dabey er
dem richter, und auch wohl dem geiſtlichen,
wann ſie bey ihren admonitionen excediren,
einhalt thun kan. Haben die partheyen ſelbſt
bey dieſem allen zu reden, ſo geſchicht es alles
kurtz und deutlich, ohne einmiſchung vieler ne-
bendinge, und mit gehoͤrigem reſpect, fuͤr dem
richter, als welchem die hohe landes-herr-
ſchaft einen theil ihrer maieſtaͤt zu ſolchen ge-
richts-uͤbungen allergnaͤdigſt verliehen, und
ihn dabey ſchuͤtzet.
§. 22. Schriftliche reden der advocaten re-
commendiren ſich durch ihre kurtze deutlichkeit,
gruͤndlichkeit und buͤndige ſchluͤſſe, dahin gehoͤ-
ren contracte, oder in ſchriften verfaßte hand-
lungen, derer, die pacta unter ſich aufrichten,
damit durch ſolche, dieſe handlungen zur gnuͤ-
ge koͤnnen erwieſen werden. Alſo muͤſſen ſie
die in Rechten determinirten requiſita an ſich
haben, davon die Jurisprudentz regeln giebt,
ferner deutlich ohne zweydeutigkeit, und mit
ſattſamer bemerckung aller umſtaͤnde abge-
faſt werden.
§. 23. Es gehoͤren hieher klagen, welche
als der grundſtein des proceſſes deutlich, facti
ſpeciem, medium concludendi und petitio-
nem congruam an den richter, in ſich halten,
davon alle proceß-einleitungen nachricht ge-
ben. Ferner ſuppliquen, welche ebenfalls
ſtatum cauſſae praͤmittiren, momenta juris
loco connexionis, anfuͤhren, und mit dem
petito ſchlieſſen, bey welchen allen die formalia
billig zu beobachten, und der ſtilus Juridicus
und curiaͤ, auch was oben von briefen erin-
nert, zum theil mit zu obſerviren. Denun-
ciationes brauchen gleiche aufmerckſamkeit,
dabey ich nichts zu erinnern, als daß nur das
uͤberfluͤßige wegzulaſſen, welches mit derſelben
abſicht ſtreitet, und daß ſie ſich nicht auf ein ſa-
gen und wiederſagen und hoͤrenſagen gruͤnden.
§. 24. Delatio iuramenti ſtellet dem ge-
gentheil das gelaͤugnete factum zur eydlichen
eroͤf-
[489]und ſchriften.
eroͤfnung, relatio ſchiebet ſolches gegnern, in
ſo weit es zulaͤßig, zuruͤck. Beyde muͤſſen
deutlich determiniren, warum und in wie weit
ſie unternommen, nach beſchaffenheit der fa-
ctorum ſich richten, und die formalia richtig
beybehalten.
§. 25. Beweiſen, beſcheinigen, beybrin-
gen geſchicht zur behauptung einer ſache, da
es denn ſchlecht um den advocaten ausſehen
wuͤrde, wann er den unterſchied der beweiß
gruͤnde nnd die kraft zu ſchlieſſen aus der Lo-
gick und Oratorie nicht wuͤſte. Bey den zeug-
niß-artickeln und interrogatoriis kan, was
oben §. 10. und 11. etwan angefuͤhret, mu-
tatis mutandis hier wieder appliciret werden
§. 26. Bey den product-weiſe rechtlichen
verfahren, werden die gegen einander gehal-
tenen gruͤnde, in ſchriften, als ſalvations-ex-
ceptions-ſchriften, repliquen, dupliquen, tri-
pliquen, von neuen ordentlich wiederholet und
deduciret. Man kan hieher was oben §. 9.
gemeldet, wieder appliciren. Die momenta
Juris und formalia ſind in der Jurisprudentz
ſelbſt zu ſuchen, der ſtilus iſt Juriſtiſch, die
ordnung natuͤrlich, und gehet was im proceß
bereits fuͤrgefallen, von punct zu punct, kuͤrtz-
lich durch, dabey zwar die argumenta triftig,
aber nicht pathetica ſeyn duͤrffen.
§. 27. Leuterationes und appellationes ſu-
ſpendiren die urtheile und abſchiede von ihrer
rechts-kraft, erzehlen ſententiam grauantem,
H h 5die
[490]von Juridiſchen reden
die grauamina und die intention des leute-
ranten, oder appellanten, mit beobachtung
der formalien.
§. 28. Am allermeiſten zeiget ſich der ad-
vocat als einen guten redner in defenſionibus,
da er nicht die wahrheit unterdruͤcken, ſondern
entweder die unſchuld eines inquiſiten, oder
wenigſtens, daß er durch die beygebrachten
dinge, nach den rechten, noch nicht zu verdam-
men, zeigen ſoll. Da beſchreibt er ſpeciem
facti unter der hand nach ſeinen abſichten,
das corpus delicti, die gravirenden zeugen-
auſſagen, momenta defenſionis, vitam ante-
actam, unzulaͤnglichkeit der indiciorum und
grauantium, macht die zeugen ſuſpect, und
ſtellet ihnen defenſional-zeugen entgegen, oh-
ne bibliſche ſpruͤche, exclamiren, lerm-blaſen,
und vieles allegiren, ſondern vielmehr durch
gute ordnung, deutlichen ausdruck und ſcharf-
fe gruͤnde, welche von der erfahrung ihres er-
finders in der Logick, ins beſondere der wahr-
ſcheinlichkeit, und der Oratorie zeugen.
§. 29. Endlich iſt auch von fragen zu in-
format-urtheilen und acten extrahiren zu ge-
dencken. Jene faſſen eine ſpeciem facti, dar-
uͤber angeſtellte frage, und bitte um einen
Rechts-ſpruch, kurtz, deutlich, ordentlich im
Hiſtoriſchen und Juridiſchen ſtilo auch wohl
unter erdichteten nahmen in ſich. Dieſes rich-
tet ſich nach der abſicht des excerpirenden, ſetzt
kurtz die haupt-momenta der ſache auf, und
druͤckt
[491]und ſchriften.
druͤckt den ſinn der ſchriften aus. Und hie-
mit mag auch dieſe abhandlung beſchloſſen
ſeyn, da verhoffentlich, der nutzen der Ora-
torie, in dergleichen reden, zur gnuͤge daraus
erhellet. Doch muß man ſich unter der Ora-
torie, keine figuren-kraͤmerey und waͤſcherey
einbilden, noch ingenioͤſe und ſatyriſche re-
dens-arten, denn dergleichen iſt hier ſorgfaͤl-
tig zu vermeiden.
VOn geiſtlichen reden und predigten, §. 1. Was
dazu erfodert werde, §. 2. Von dabey fuͤrfal-
lenden fehlern, §. 3. Von dem text, §. 4. Von der
propoſition, §. 5. Von der tractation, §. 6. Von
dem exordio, §. 7. Und der concluſion, §. 8. Von
der invention, elocution, diſpoſition, und ausarbei-
tung, §. 9. Von andern geiſtlichen reden, §. 10.
§. 1.
JCh gehe nun fort zu den geiſtlichen oder
Theologiſchen reden, bey welchen ich
ebenfalls, nur denen unerfahrnen, ei-
nige Oratoriſche anmerckungen mittheilen
will. Geiſtliche oder Theologiſche reden nenne
ich alle diejenigen reden, welche auf die heil.
ſchrift, und die lehr-ſaͤtze der Theologorum
nach
[492]von Theologiſchen
nach iener gebauet ſind, und einen daraus
einzurichtenden caſum praͤſupponiren. Die
fuͤrnehmſten hierunter ſind die predigten, wel-
che man beſchreibet als geiſtliche reden, die an
ein gemiſchtes auditorium gerichtet werden,
ſelbigem den inhalt des goͤttlichen wortes,
betreffend die pflichten des zuhoͤrers, nach den
regeln des chriſtenthums, fuͤrzutragen, zu er-
klaͤren, und ſie zur ewigen ſeeligkeit daraus zu
erbauen.
§. 2. Wo iemand als ein redner mittel in
haͤnden hat, nachdruͤcklich ſeinen zuhoͤrern an
das hertz zu greifen, ſo hat ſie ein prediger;
denn er traͤgt ein wort fuͤr, das felſen zerſchmeiſ-
ſet, ſeel und geiſt durchſchneidet, die verheiſ-
ſung hat nicht leer wieder zu kommen, und
ſeine perſon iſt durch privilegia, ſo ihm GOtt,
der Landes-HErr und die opinion der leute
beygeleget, in die bequemſten umſtaͤnde geſe-
tzet, ſein amt recht zu fuͤhren, und ſeinen end-
zweck zu erhalten. Es wuͤrde alſo eine ſchan-
de ſeyn, wann er ſeines orts nichts hiezu bey-
tragen wollte, durch gebet, erkaͤnntniß der h.
ſchrift und ihres verſtandes, erkaͤntniß der
glaubens- und lebens-lehren des chꝛiſtenthums,
gruͤndliche einſicht in die Logick und Moral,
und vollkommene wiſſenſchaft der grund-re-
geln einer vernuͤnftigen beredſamkeit.
§. 3. Hieraus ſiehet man leicht wie uͤbel es
mit denienigen beſchaffen, welche ſich zu fruͤh
aufs predigen legen, und dieſes ihr hauptwerck
ſeyn laſſen; welche weder natur und gnade,
nach die pflichten eines menſchen, buͤrgers und
Chriſten aus einander zuſetzen wiſſen; welche
nur ihre memorie fuͤllen, unnoͤthige ſchaͤtze von
diſpoſitionibus, concordantzen, collegiis, und
predigen ſamlen und poſtillen-reuter werden;
welche es nur aufs ſpielende ingenium ankom-
men laſſen; welche bloß theoretiſch predigen
und nur erklaͤrungen fuͤr den verſtand, keine
bewegungen fuͤr den willen anbringen; wꝛlche
nur den willen hingegen beſſern wollen ohne
den verſtand zu unterrichten; welche gar zu
wenig affect zeigen und mit groſſer kaltſinnig-
keit alles obenhin tractiren; welche gar zu hef-
tige
[494]von Theologiſchen
tige affecten, ohne alle modeſtie und modera-
tion blicken laſſen; welche meinen mit einer
profanen wiſſenſchaft und ſchwuͤlſtigen neuer-
lichen geiſt gotteswort gleichſam bey den haa-
ren uͤber ihre eitle leiſten abzupaſſen; welche
im gegentheil ihre grobe unwiſſenheit mit dem
heiligen mantel der ſcheinheiligkeit bedecken
und alle natuͤrliche mittel, deren ſich doch Gott
und die propheten und apoſtel ſelbſt fuͤrtreflich
zu bedienen gewuſt, mit einem paͤbſtiſchen
hochmuth unter die fuͤſſe treten und verbannen
a) ꝛc. Daß ich von den fehlern der zuhoͤrer
nichts gedencke.b)
§. 4. Die predigten haben dieſes beſonders
an ſich, daß ſie eine geiſtliche rede aus der h.
ſchrift
[496]von Theologiſchen
ſchrift zum grunde legen, welche man den text
nennet, und die entweder zum unterricht oder
beſſerung des auditorii dienet. Dieſen muß
der geiſtliche redner fuͤr ſich, nach der Gram-
matick, Logick und Oratorie zu reſolviren wiſ-
ſen, zur erſten muß er den grund-text, die verſi-
onen, die commentarios, wo es noͤthig und
nuͤtzlich, zuhuͤlfe nehmen, zur andern muß ihm
die Logick, nach der hermeneutiſchen probabili-
taͤt, die Theologia exegetica, analogia fidei,
Theologia dogmatica und moralis, den rech-
ten ſinn zu ergruͤnden behuͤlflich ſeyn, zur letz-
ten wird ihm die Oratorie, den ausdruck recht
zu unterſuchen, helfen.
§. 5. Nach dieſer arbeit iſt das erſte, daß
man den grundſtein zum gantzen gebaͤude einer
predigtlege, und ſolches geſchicht in erwehlung
eines thematis oder der propoſition, dabey
man alles was von erfindung der thematum
oben geſagt worden, hier wieder anwenden kan.
Uberhaupt ſind die themata hier ebenfalls ent-
weder naturalia oder artificialia, iene ſind ein
kurtzer inhalt des textes oder des ſtuͤcks aus dem
text, darauf man ſeine predigt bauet, dieſe aber
allerhand meditationes im Logicaliſchen ver-
ſtande, welche man bey einem text anſtellet,
und in eine propoſition faſſet, bey ienen reſol-
viret man den text und gehet von principiis zum
ſchluͤſ-
[497]oder geiſtlichen reden.
ſchluͤſſen, bey dieſen faͤngt man an von dem
ſchluͤſſen und geht auf die principia zuruͤck, in
beyden thut die Logick de meditatione ſynthe-
tica \& analytica gute dienſte.
§. 6. Auf die propoſition folgt die einthei-
lung, welche nach den regeln einer guten diviſi-
on einzurichten, daß ſie die fuͤrnehmſten mo-
menta, ſo man abzuhandeln gedencket, anzeige.
Die abhandlung ſelbſt, beweiſt, erklaͤrt, die
vorhabende ſache und wendet ſie zum nutzen des
auditorii an, nach denen dabey fuͤrfallenden
umſtaͤnden. Alſo erklaͤret ſie den text und die
darausgezogene propoſition, und ſuchet da-
raus den zuhoͤrer entweder am verſtande oder
willen zu beſſen. Jenen zwar durch bewei-
ſung der rechten lehre, und wiederlegung der ir-
thuͤmer und vorurtheile, dieſen aber durch ver-
mahnung zum guten und warnung fuͤr boͤſen,
dazu noch der troſt gezogen wird.a) Durchge-
hends werden die noͤthigen argumenta, nach
J ibe-
[498]von Theologiſchen
beſch affenheit des textes beygebracht, und es
koͤnnen auch hier die oben gegebene lehren von
argumentis nutzen.
§. 7. Die gantze predigt bekommt ein exor-
dium generale, welches mit denen exordiis an-
derer reden gleiche abſicht, und einrichtung hat,
alſo wird es kurtz und mit argumentis concili-
antibus fuͤrgetragen, ohne weitlaͤuftiges exege-
geſiren. Etliche haben auch ein exordium ſpe-
ciale und ſpecialißimum, da denn das generale
eine praͤparation zum text, das ſpeciale zur pro-
poſition, und das ſpecialißimum zur tractation
iſt. Man kan auch hier, was oben vom exor-
dio gedacht, anbringen.
§. 8. Die concluſion hat hier eben den end-
zweck, den ſie anderwerts hat bey andern
reden, beſteht alſo in einer wiederholung, bitte,
wunſch, gebet, pruͤfung und und andern practi-
ſchen argumentis, welche aus dem text und
deſſen abhandlung flieſſen.
§. 9. Bey allen predigten iſt in der erfin-
dung der text das erſte, aus dieſem die propoſi-
tio, hieraus die partitio, und tractatio, zu die-
ſer die argumenta probantia, illuſtrantia, und
pathetica, welche letztern aus der h. ſchrifft
genommen werden, und aus dieſen argumen-
tis beſtehn auch das exordium und concluſio.
Der ausdruck iſt Theologiſch, wo es noͤthig
pat-
[499]oder geiſtlichen reden.
pathetiſch auch wohl ſublimis, uͤberall nach
beſchaffenheit der meiſten zuhoͤrer des redners
und des textes, Oratoriſch und dem heiligen
vorhaben gemaͤß. Jn der diſpoſition und aus-
arbeitung folgt auf dem wunſch oder das ge-
bet und die anrede an das auditorium, das
exordium generale und deſſen verbindung mit
der propoſition, welches mit einem gebet be-
ſchloſſen wird. Hierauf folget der text, das
exordium ſpeciale, doch iſt dieſes nicht alle-
mahl noͤthig, weiter die propoſition a) und
partition und der wunſch oder ein gebet. Fer-
ner kommt die tractatio, nach den theilen der
partition, und denen fuͤr ſich aufgeſetzten ſub-
diuiſionibus, welcher auch wohl koͤnte ein ex-
ordium ſpecialißimum praͤmittiret werden.
Endlich die concluſion, das gebet und der
ſchluß, bey welchen allen, die Oratorie, das
exempel guter und beliebter prediger, und der
von ihnen eingefuͤhrte wohlſtand, zu rathe zu
ziehen, auch die zeit, ſo zu einer predigt geſetzt,
nicht zu uͤberſchreiten. Von dem vortrag ſelbſt
kan folgendes capitel nachgeleſen werden.
GEbet und danckſagung ſind der Chriſten opfer,
wenn ſie fuͤr dem thron der goͤttlichen maie-
ſtaͤt erſcheinen, und an beyden erkennet man ſie
als geiſtliche prieſter fuͤr Gott ihrem himmliſchen
vater. Es verbindet ſie aber zu dieſer gedoppel-
ten heiligen bemuͤhung, der ausdruͤckliche befehl,
welchen der herr der herrſchaaren aus ſeinem hei-
lig-
[501]oder geiſtlichen reden.
ligthum durch den mund des pſalmiſten ſeines he-
roldes, an ſie ergehen laͤſſet, da es im 50 Pſalm
heiſſet: Ruffe mich an, in der zeit der noth,
ſo will ich dich erretten und du ſolſt mich
preiſen. Das menſchliche hertz wird alſo abge-
bildet, daß es nur mit einer ſpitzen ſich zur erden
ſencket, hingegen oben getheilet und mit zweyen
huͤgeln himmel an gerichtet iſt. Das hertz der
Chriſten eriũert ſich ſeiner geiſtlichen und leiblichen
noth, wann es ſich gegen die erde neiget. Allein
es iſt ein gedoppelter altar, auf welchen einerſeits
dem allerhoͤchſten helfer in aller noth im glauben
und hofnung angeflammte opfer des gebets ge-
bracht werden, auf der andern ſeite aber die er-
kaͤnntliche liebe ſchuldige danckopfer, dem herrn
zu einen ſuͤſſen geruch, anzuͤndet. Das irdiſche
leben iſt ein edles kleinod, welches uns die goͤttli-
che allmacht durch die leibliche geburt mitgethei-
let, aber es iſt billich einer roſe zu vergleichen, wie
dieſe mit lauter dornen, alſo iſt ienes mit angſt
und noth umgeben. Noth iſt verhanden, wenn
der wiederſacher des menſchlichen geſchlechts, der
fuͤrſt der finſterniß, umhergehet, und wie ein
bruͤllender loͤwe uns zu verſchlingen ſuchet. Noth
iſt verhanden, wenn die im argen liegende welt,
uns mit ihren veraͤchtlichen feſſeln, der augenluſt,
fleiſches-luſt und hoffaͤrtigen leben, mit ihren
banden der truͤbſal und verfolgung drohet. Noth
iſt verhanden, wann unſer eignes verderbtes ſuͤnd-
liches blut in unſern adern tobet, und das ver-
fuͤhreriſche fleiſch durch boßhafte neigungen, uns
J i 3der
[502]von Theologiſchen
der wut unſrer feinde verratheriſcher weiſe auf-
zuopfern gedencket. Solte da nicht noth verhan-
den ſeyn, wenn die regierungs-ſonnen ſich in blut
verwandeln, wenn an dem kirchen-himmel mond
und ſterne verdunckelt werden, wenn man die
pflichten eines ieden ſtandes, denen zerbrochenen
taffeln Moſis gleich macht und unter die fuͤſſe
tritt? Solte da nicht die zeit der noth verhan-
den ſeyn, wenn das brauſende meer des krieges,
unſere graͤntzen uͤberſchwemmet, wenn die ſich
aufthuͤrmende wellen der kranckheit, den abgrund
zum verderben eroͤffnen, wenn die waſſerwogen
der boͤſen rotte daher rauſchen, und unſere wege
beunruhigen? Wenn der heuchler und falſche
freund, ſich buͤckt, unſern fuͤſſen netze zu legen.
Und ſehet meine freunde, alles dieſes ſind dinge
welche ſo genau mit dem menſchlichen leben ver-
geſellſchaftet, daß uns immer eins nach den an-
dern erſchuͤttert und in eine furchterweckende be-
trachtung ſetzet. Wenn nun alle welt ſeufzet:
Mitten wir im leben ſind, mit dem todt um-
fangen, wen ſuchen wir der huͤlffe thu,
Daß wir guad erlangen? ſo gedencken
rechtſchaffene Chriſten an Gott und ſprechen:
Das thuſt du herr alleine. Wenn die gan-
tze welt aͤngſtiglich ſchreyet:
So antworten Chriſten: Zu dir, zu dir herr
Chriſt
[503]oder geiſtlichen reden.
Chriſt alleine. Er iſt der GOtt Jſraelis, wel-
cher ihnen ſelbſt den weg bahnet, und die huͤlff-
reiche hand bietet, wann er ſpricht: Ruffe mich
an, in der zeit der noth. Der nahme des Herrn
iſt ein feſtes ſchloß, der gerechte laͤuft dahin und
wird beſchirmet. Dahin laͤuft David, wenn er
ſpricht: Wenn mir angſt iſt, ſo ruffe ich den
Herrn an, und ſchreye zu meinen GOtt; ſo
erhoͤret er meine ſtimme von ſeinem heiligen tem-
pel, und mein geſchrey koͤmmt fuͤr ihm zu ſeinen
ohren. Zwar als dorten Jonaͤ ſchiff denen ſtuͤr-
menden wellen preiß gegeben war und ſeinen
ſchiffern zu einem grabe werden wolte, ſchrien
dieſe ein ieglicher zu ſeinem GOtt, und wenn
die menſchen in noth gerathen, ſo faͤllt ein iegli-
cher ſeinem GOtt, den er ihm ſelbſt gemacht zu
fuͤſſen. Einige verlaſſen ſich auf menſchen, und
halten fleiſch fuͤr ihren arm, andere machen ih-
re eigne klugheit zu ihrem abgott, andere beugen
ihre knie fuͤr den Baal des ehrgeitzes ſprechen
zum goldklumpen: du biſt mein troſt, oder opfern
ſich auch wohl ihren eignen luͤſten auf. Allein:
Kein vernuͤnftiger ſchifmann wirft den ancker
auf trieb-ſand aus, kein kluger baumeiſter gruͤn-
det ſein hauß auf einem falſchen boden, ſondern
J i 4viel-
[504]von Theologiſchen
vielmehr auf einen felſen. Alſo lauffen Chriſten
den herrn an, der iſt ihnen ein ſichrer hafen, ſie
gruͤnden ſich auf den felß und hort Jſraelis, ſo
werden ſie wohl bleiben. Sie heben ihre augen
auf zu den bergen, von welchen ihnen huͤlfe
kommt, und ſiehe ihre huͤlfe kommt von dem
Herrn, der himmel und erden gemacht hat. Sie
heben ihre augen auf zu dir, der du im himmel
ſitzeſt, ſiehe wie die augen der knechte auf die haͤn-
de ihrer herren ſehen, wie die augen der magd
auf die haͤnde ihrer frauen, alſo ſehen der Chriſten
glaubens-augen auf den Herrn unſern Gott, und
der Herr der nahe iſt allen die ihn anruffen, allen
die ihn mit ernſt anruffen, der thut was die gotts-
fuͤrchtigen begehren, und hoͤret ihr ſchreyen,
und hilfet ihnen. Denn der iſts, der nicht al-
lein geſprochen: Ruffe mich an, in der zeit der
noth, ſondern der auch hinzu geſetzt: So will
ich dich erretten. So ſehen ſich dann recht-
ſchaffene Chriſten, wieder die anlaͤuffe der feinde,
mit dem ſchilde der goͤttlichen allmacht bedecket.
So koͤnnen ſie unter den ſchatten und fluͤgeln des
hoͤchſten ſicher wohnen. Er wird ihre huͤlfe in
der noth, ihr artzt in kranckheit, ihr leben im
tode, ihr labſal in truͤbſal, ihre ſtaͤrcke, in ſchwach-
heit, ihr reichthum in armuth, ihre ſonne im
ungewitter, und wenn es blitzt und donnert, ſo
blitzt und donnert es unter ihren fuͤſſen, ſie aber
ſtehen auf den bergen Jſraelis und ihnen ſchei-
net die goͤttliche gluͤcks und gnaden-ſonne. So er-
[i]nnern ſie ſich dann der worte Davids: es iſt ein koͤſt-
lich
[505]oder geiſtlichen reden.
lich ding dem Herrn dancken, und deinem nahmen
lobſingen du hoͤchſter; und haben ſie anfaͤnglich
dem befehl der goͤttlichen barmhertzigkeit ein ge-
nuͤge geleiſtet, und ihn angeruffen in der zeit der
noth, ſo veraͤndert ſich ihr gebet endlich in ein
ſchuldiges danckopfer und ſie preiſen ihren er-
retter. Da heiſt es nachgehends: Dancket dem
herrn, denn er iſt ſehr freundlich, und ſeine guͤte
waͤhret ewiglich. Preiſet Jerufalem den Herrn
lobe Zion deinen Gott. Herr wer iſt die gleich un-
ter den goͤttern? wer iſt dir gleich? der ſo maͤch-
tig, heilig, ſchrecklich, loͤblich und wunderthaͤtig
ſey. Heilig heilig heilig iſt unſer Gott der herre
zebaoth alle lande ſind ſeiner ehren voll. Alleluja.
Jch zweifle nicht, meine freunde, es werden auch
unſre hertzen, nach dem befehl des hoͤchſten, in
heiliger andacht entzuͤndet werden, unſerm Gott
die ſchuldigen opfer des gebets und des danckes in
ſeinem heiligthum zu bringen. Und da nach ei-
nem vollkommenen muſter, durch die nachah-
mung, ein vollkommenes gegenbild kan verferti-
get werden, ſo oͤffnet ſich in unſerm Evangelio
ein ſchauplatz, auf welchen wir feurige beter und
inbruͤnſtige danckbarkeit vergeſellſchafet antref-
fen. Damit aber nicht unſere eigene blindheit,
als die hoͤchſte ſeelen-noth, uns an betrachtung
dieſer heylſamen exempel hindern moͤge, ſo erin-
nere mich billich bey dieſer gelegenheit, da meiner
ſeelen und allen die mich hoͤren, huͤlfe noth iſt,
deines befehls dreyeiniger GOtt. Jch ruffe
dich an, um den beyſtand deines guten geiſtes,
J i 5um
[506]von Theologiſchen
um deine gnade zum reden hoͤren und vollbrin-
gen. Jch ruffe dich an, in und mit dieſer ge-
meine, im ungezweiffelten vertrauen, auf das
verdienſt Chriſti, in dem gebet, welches er uns
ſelbſt gelehret, zu erhoͤren verheiſſen hat, und
[...]nge zuvor:
Textus Luc. 17. v. II. 19.
Und man ſahe an ihnen die zungen zerthei-
let als waͤren ſie feurig. So redet der Ev-
angeliſt Lucas im 2 ſeiner Apoſtelgeſchicht von
denen apoſteln, wenn er die ſichtbahre ausgieſ-
ſung des h. Geiſtes ausfuͤhrlich beſchreibet, und
ſetzet dadurch alle die es hoͤren und leſen in eine
heilige verwunderung. Jch will mich ietzo nicht
einlaſſen, die geheimniß-volle eigenſchaft, der da-
mahls erſt mit dem h. Geiſt ausgeruͤſteten
Apoſtel, weitlaͤufftig zu entdecken. Vielmehr
ruffe ich dabey aus mit den Apoſtel Paulo: O
welch eine tieffe des reichthums, beyde der weiß-
heit und der erkaͤnntniß Gottes, wie gar unbe-
greiflich ſind ſeine gerichte und unerforſchlich ſei-
ne wege. Wenn ich aber betrachte, daß alle
rechtſchaffene Chriſten Gott gebet und danck im
bruͤnſtigen eyfer zu opfern ſchuldig ſind, ſo er-
blicke ich uͤberall und insbeſondere bey gelegen-
heit des angehoͤrten evangelii
Denn da ſehe ich, wie der erſte theil:
Der andere: Jnbruͤnſtig dancket, und dabey
ſeuftze ich:
Daß ich mir die zungen der glaͤubigen als zerthei-
let und feurig fuͤrſtelle, und zwar wie ſie eines
theils feurig beten, dazu bieten mir die im Ev-
angelio auftretende auſſaͤtzige, ſichere gelegenheit.
Sie ſind elende leute, ſie erkennen ihr elend, ſie
ſuchen rath und huͤlfe, und da bricht die angſt
ihres hertzens, in lichte flammen aus, wenn ſie
ruffen: JEſu liebſter meiſter erbarme dich un-
ſer. Endlich wird auch ihr gebet durch eine
wunderthaͤtige errettung verſiegelt. Elende leu-
te ſind ſie, denn ſie ſind auſſaͤtzig, und in der elen-
deſten beſchaffenheit. Der auſſatz iſt eine, denen
morgenlaͤndern bekannte, unheilbare, abſcheuli-
che kranckheit. Wen dieſes gift entzuͤndet, der
wurde ſo fort gleichſam unter die todten verban-
net, und aus aller menſchlichen geſellſchaft aus-
geſchloſſen. Das geſetz, als ein ſtrenger zucht-
meiſter, legte ihm bey ſeinem ungluͤckſeeligen zu-
ſtande, ſo viel unertraͤgliche buͤrden auf, da-
runter auch wohl ein ſtarcker geſunder haͤtte zu
boden ſincken moͤgen. Bey dieſen allen ſaht
man den auſſatz an, als eine derienigen ſtraffen,
womit
[508]von Theologiſchen
womit dir raͤchende hand des gerechten richters,
die freventlichen uͤbertreter des geſetzes, als zum
exempel: Miriam, Vſiam, und andere zu
ſchlagen pflegte. So daß die mit dem auſſatz
behaftete urſache fanden, zu ſeuftzen: Herr es
iſt nichts geſundes an meinem leibe fuͤr deinen
draͤuen, und iſt kein friede in meinen gebeinen fuͤr
meiner ſuͤnde. Denn meine ſuͤnde gehen uͤber
mein haupt, wie eine ſchwere laſt ſind ſie mir zu
ſchwer worden. Meine wunden ſtincken und ei-
tern fuͤr meiner thorheit. Meine lieben freun-
de ſtehen gegen mir und ſcheuen meine plage, und
meine naͤchſten treten ferne. Urtheilet nun
ſelbſt, meine freunde, ob dieſe auſſaͤtzige nicht mit
rechte elende leute zu nennen? Jedoch ſie erken-
nen ſelbſt ihr elend, denn ſie ſtehen von ferne.
Was fuͤr eine hertzens angſt mag nicht in ihrer
ſeelen geweſen ſeyn, wann ſie ſich als ein ſcheu-
ſaal der welt, ihrer aͤuſſerlichen kranckheit wegen,
nicht unterſtehen duͤrffen iemand unter die augen
zu treten? was fuͤr brennende regungen moͤgen
ſie nicht empfunden haben, wenn ſie ſich ihrer
geiſtlichen unreinigkeit, als bloß und entdecket fuͤr
den augen Gottes, als ein greuel fuͤr den augen
der heiligſten maieſtaͤt erinnert. Jch meine ia,
daß ſie urſach gehabt, von ferne zu ſtehen, wie
der zoͤllner, und ihre augen nicht aufzuheben gen
himmel, ſondern an ihre bruſt zu ſchlagen, und
zu ſeufzen: GOtt ſey uns armen ſuͤndern gnaͤdig.
Allein ihre erkaͤnntniß iſt eine heylſame erkaͤnnt-
niß, denn ſie fuͤhret ihre fuͤſſe auf den himmels-
weg,
[509]oder geiſtlichen reden.
weg, zu dem herrn den artzt Jſraelis, ſie wird
ihnen zu einer feuer-ſeule in der nacht, und zu ei-
nem weg-weiſer in der wuͤſten. Denn ſie begeg-
nen Chriſto, ſie heben ihre ſtimme auf und ſchrey-
en: JEſu liebſter meiſter erbarme dich unſer!
Koͤnten ſie auch wohl einen beſſern meiſter zu helf-
fen aufgeſucht haben, und koͤnten ſie ein vollkom-
mener brandopfer, als dieſes feurige gebet, JE-
ſu angezuͤndet haben: JEſu lieber meiſter er-
barme dich unſer. Sie ſetzen alle ihre kraͤfte zu-
ſammen, und concentriren die kraft aller gebete
in wenig worte, welche hingegen als ein blitz,
durch glauben und andacht entzuͤndet, in das
hertz JEſu eindringen. Jeſu ſagen ſie, und er-
inneren damit gleich anfangs, den in die welt ge-
kommenen Meßiam, daß er ein ſeeligmacher der
menſchen, aber auch ihr ſeeligmacher ſey. Unſer
hertz haͤlt dir fuͤr dein wort, ihr ſolt mein antlitz
ſuchen, darum ſuchen wir auch herr dein antlitz,
und ruffen: JEſu lieber meiſter. Hiebey legen
ſie zugleich ihr bekaͤnntniß ab, und nennen JE-
ſum ihren herrn und meiſter. Sie entſagen hie-
mit aller andern herrſchaft, reiſſen ſich loß von
dem ioch der ſuͤnden und des ſatans und werfen
ſich zu den fuͤſſen des Herren aller Herren, des
meiſters zu helfen, des rechten beyſtehers. Die-
ſen nehmen ſie an, als den verheiſſenen heyland,
und ſchreyen: erbarme dich unſer. Wir ſind elend
und iaͤmmerlich, du aber biſt der hoheprieſter,
der da ſoll ein mitleiden haben, mit unſrer ſchwach-
heit. Nun dann da wir dich anruffen in der
noth,
[510]von Theologiſchen
noth, und du verheiſſen haſt uns zu erretten, ſo
erbarme dich unſer, laß unſer gebet fuͤr dir tuͤgen
wie ein rauchopfer, heile, errette, hilf uns, laß
dein hertz gegen uns brechen und erbarme dich
unſer. JEſu lieber meiſter erbarme dich unſer.
Wie ſolte denn der das ohr gemacht hat, nicht der
elenden feuriges und glaͤubiges gebet hoͤren? O
ia er hoͤrets, er ſchauet auf ihr elend, daß er ih-
re ſeele errette vom tode und bey ihm iſt hoͤren,
ſehen, und helfen ſo fort auf eine goͤttliche und
wunderthaͤtige art mit einander verknuͤpfet: Ge-
het hin, heiſt es, und zeiget euch den prieſtern,
damit dem geſetz meines vaters ein gnuͤge geſche-
he, und da ſie hingiengen wurden ſie rein. Sind
das nicht feurige zungen die dieſes gebet ausge-
ſprochen: JEſu lieber meiſter erbarme dich un-
ſer. Und hoͤret meine freunde, eben dieſes iſt
die ſprache der glaͤubigen, eben dieſes iſt das ge-
bet, welches ſie mit einer feurigen zunge fuͤr Gott
bringen Glaͤubige kinder Gottes haben auch
ihre noth, welche ihnen innerlich und aͤuſſerlich
den weg zum leben, mit diſteln und dornen be-
ſaͤet. Zwar ſpricht ein aufgeblaſener ſchriftge-
lehrter, ein in ſeinen luͤſten erſoffenes welt-kind,
was fehlet mir noch? Aber Chriſten ſeuftzen:
Mir mangelt zwar ſehr viel, doch was ich ha-
ben will, iſt alles mir zu gute erlangt mit Chri-
ſti blute, dadurch ich uͤberwinde, todt teuffel
hoͤll und ſuͤnde. Die kirche Chriſti iſt ein ſchiff,
welches die gewalt der wellen hin und her wirft,
und in den abgrund zu reiſſen ſich bemuͤhet, ſolten
denn
[511]oder geiſtlichen reden.
denn Chriſti Juͤnger nicht ſchreyen: Herr hilf
uns wir verderben. Chriſten ſind die heiligen
und geliebten Gottes, aber auch unter ſeinen hei-
ligen iſt keiner ohne tadel, ſie muͤſſen leider mit
Paulo klagen, ich weiß, daß in mir, daß iſt in
meinem fleiſche, wohnet nichts gutes, wollen ha-
be ich wohl aber vollbringen das gute finde ich
nicht. Und ein mann, deſſen gleichen JEſus in
gantz Jſrael nicht funden an glauben, muß ſa-
gen: Herr ich bin nicht werth, daß du unter mein
dach geheſt. Endlich ſo iſt leibliche noth creutz
und ungluͤck der Chriſten taͤglicher gefaͤhrte.
Wenn aber andere, durch den ſchlaf der ſicherheit,
unter die todten zu rechnen, wenn ſie verblendet
ſind durch finſterniß und blindheit ihres hertzens.
die in ihnen iſt, wenn ſie in der ſatans ſchule ſo
fuͤhl-loß gemacht, daß ſie ihr elend nicht empfin-
den, ſo fuͤhlen glaͤubige Chriſten ſich ſelbſt und
ſorgen fuͤr ihre ſeele. Wenn ſie nun ihre leibes
und ſeelen noth fuͤhlen, ſo gehen ſie nicht mit
den boten des Koͤnigs Ahaſiaͤ, und fragen Baal-
Sebub den gott zu Ekron, ob ſie von ihrer
kranckheit geneſen koͤnnen, ſondern ſie treten in
die geſeegneten fußſtapfen Davids, Hißkiaͤ, Hi-
obs, ia der auſſaͤtzigen. Denn da dieſe elende
rieffen, da hoͤrete der Herr und half ihnen aus
aller noth. So erheben ſie denn ihre ſtimme im
eyfrigem gebet, in brennender andacht, mit feuri-
ger zunge: JEſu lieber meiſter erbarme dich
unſer. Wir ſchreyen mit unſerer ſtimme zu
GOtt, zu GOtt ſchreyen wir und er erhoͤretuns.
Jn
[512]von Theologiſchen
Jn der zeit der noth ſuchen wir den Herrn, un-
ſere hand iſt des nachts ausgereckt und laͤſt
nicht ab, denn unſere ſeele will ſich nicht troͤſten
laſſen, als nur durch dich, der du der eintzige mitt-
ler und fuͤrſprecher biſt:
Dabey ergreiffet der glaube das verdienſt ſeines
heylandes, die liebe ſtellet alles in der gottheit
allerheiligſten wohlgefallen, denn Gott erhoͤret
das glaͤubige gebet allezeit, er hilft, aber er hilft
nicht wenn wir wollen, oder auf eine ſolche art,
wie wir wollen, ſondern nach ſeinem unerforſch-
lichen rath. Die hofnung aber wartet der rechten
zeit, was Gottes wort zuſaget, und richtet das
bekuͤmmerte hertz mit goͤttlichen troſt auf, biß
ein ſo feuriges gebet das hertz des himmliſchen
vaters erweichet, und die huͤlffe aus Zion uͤber
Jſrael herfuͤrbricht. Nach dieſem laͤſſet ſich
auch gleichſam der glaͤubigen zertheilte und feuri-
ge zunge mit ihrem andern theil in bruͤnſti-
ger danckſagung hoͤren. Habe ich nun, meine
ſreunde, zehen auſſaͤtzige, als ein beyſpiel feuriger
beter angefuͤhret, aus unſerm evangelio, ſo muß
ich leider, nur einen eintzigen, als ein muſter
bruͤnſtiger danckbarkeit aus demſelben fuͤrſtellen.
Der nothleidenden beter iſt eine groſſe menge.
Denn Herr wenn truͤbſal da iſt, ſo ſuchet man dich,
und wenn du ſie zuͤchtigeſt, ſo ruffen ſie aͤngſtiglich.
Hinge-
[513]oder geiſtlichen reden.
Hingegen iſt die danckbarkeit eine der ſeltenſten
tugenden, und es verraͤth ſich auch hier die boß-
heit des menſchlichen hertzens, daß es ſich lieber
des boͤſen als des guten erinnert. Was wun-
der denn, daß von zehen auſſaͤtzigen nur einer
danckbarkeit ausuͤbet, da man bey der heutigen
welt unter tauſend kaum einen antrift, der dem
danckenden Samariter gleich komme. Jedoch
ie ſeltener ein kleinod, ie fuͤrtreflicher iſt es, und
die vollkommenheit desienigen muſters, welches
uns unſer Evangelium von einer danckbaren
zunge anffuͤhret, iſt ſo herrlich, daß wir dabey der
undanckbaren uͤbrigen fuͤglich vergeſſen und hin-
gegen den eintzigen danckbaren Samariter zur
nachfolge beybehalten koͤnnen. Dieſer ſiehet
und erkennet, daß er geſund worden, er kehret
um, faͤllt auf ſein angeſicht, zu den fuͤſſen JEſu,
preiſet GOtt und dancket ſeinem erloͤſer, welcher
auch dieſes danckopfer liebreich annimt. Jch weiß
meine freunde, ſeine erkaͤnntniß war eine lebhaf-
te uͤberzeugung, daß JEſus ſeyn lieber meiſter
ſich ſeiner erbarmet, da er ſich ploͤtzlich veriuͤnget
ſahe wie einen adler, und da er empfand, daß
eine heylſame aͤnderung an ſeinem leibe vorgegan-
gan war. Wieaber eine lebhafte uͤberzeugung,
und eine lebendige erkaͤnntniß, auch zugleich ei-
nen kraͤftigen eindruck in den willen verurſachet,
ſo folgen auch bey ihm dieſer erkannten wahrheit
gemaͤſſe thaten. Er kehret alſo um, und ſon-
dert ſich damit von denen undanckbaren gefaͤhr-
ten ab, er tritt nunmehro nicht von ferne, ſondern
K kfaͤllt
[514]von Theologiſchen
faͤllt JEſu zu fuͤſſen, und die feurige zunge wel-
che ſich zuvor mit einem eyfrigen beten und ſchrey-
en um huͤlfe hatte hoͤren laſſen, wird nunmehro
getheilet, dem helfenden JEſu, ein bruͤnſtiges
danckopfer zu bringen. Wundert euch nicht, mei-
ne freunde, daß uns der Evangeliſt zwar das ge-
bet der auſſaͤtzigen aufgezeichnet, hingegen die
worte mit welchen der danckbare Samariter die
groſſen thaten Gottes geprieſen, nicht aufge-
ſchrieben. GOtt verlanget zwar feurige und
ernſtliche gebete, aber weil unſere noth endlich und
zeitlich iſt, ſo ſind wir auch vermoͤgend mit kur-
tzen worten ſelbige dem groſſen GOtt fuͤrzutra-
gen. Allein die uns von der hoͤchſten goͤttlichen
Maieſtaͤt erzeigte gnade, iſt etwas unendliches
und ewiges, und das lob, welches wir dafuͤr ſchul-
dig ſind, waͤhret ſo lange wir leben, biß in die ſee-
lige ewigkeit, ohne aufhoͤren, in unzehlichen wor-
ten. Und wie ſolten wir geſchickt ſeyn die worte,
deren ſich der arme Samariter zum preiſe ſeines
leiblichen und geiſtlichen artztes bedienet, in un-
ſer gedaͤchtniß zu faſſen, da er vielleicht fuͤr in-
brunſt ſeines hertzens nicht worte genug, nicht
nachdruͤckliche worte genug finden koͤnnen, mit
welchen er die ihm erzeigte wohlthat haͤtte ausdruͤ-
cken koͤnnen. Denn wer kan die groſſen thaten des
Herrn ausreden und alle ſeine loͤbliche wercke prei-
ſen. Zudem ſo will der wohlthaͤtige GOtt, daß wir
vielmehr in der that und wahrheit, als mit bloſ-
ſen worten unſere danckbarkeit bezeugen ſollen.
Es iſt genug, er preiſete GOtt mit lauter ſtim-
me,
[515]oder geiſtlichen reden.
mel, denn der koͤnige und fuͤrſten geheimniſſe ſoll
man verſchweigen, aber gottes geheimniſſe und
wunderthaten ſoll man oͤffentlich ruͤhmen. JE-
ſus laͤſt ſich ſein lallen ſo angenehm ſeyn, daß er
ihm antwortet und ſpricht, ſind ihr nicht zehen
rein worden? wo ſind aber die neune? hat ſich
ſonſt keiner funden der umkehre und gebe GOtt
die ehre, denn dieſer frembdlinger? ſtehe auf,
gehe heim, dein glaube hat dir geholfen. Ja
du gluͤckſeeliger Samariter, dein glaube hat dir
geholfen, dein glaͤubiges und feuriges gebet hat
deinem JEſu das hertz geruͤhret, daß er dich wun-
derbarlich geheilet, dein glaͤubiges und inbruͤn-
ſtiges danckopfer, da du GOtt die ehre gegeben,
iſt die urſach, daß wir dich nicht als einen Sa-
mariter, nicht als einen frembdlinger, ſondern
als einen Chriſten, als ein muſter eines glaͤubi-
gen Chriſten anſehen. Denn eben die feurige
zunge, welche wir an dir erblicken in einem bruͤn-
ſtigen dancke, fuͤr die deiner ſeelen und deinem
leibe erzeigten wohlthaten, erblicken wir auch
an allen glaͤubigen kindern GOttes. Dieſe er-
kennen ebenfals, was GOtt an ihnen gethan,
wenn ſie mit Jacob ſprechen: Herr wir ſind zu ge-
ring aller barmhertzigkeit und aller treue, die du
an deinen knechten gethan haſt. Wie alle ihre
tugend aus dem glauben an Chriſtum kommet, ſo
entbrennet auch eben dieſe erkaͤntniß, aus einem
ſo heiligen feuer, und dieſe zuͤndet ferner GOtt
ein danckopfer nach dem andern in ihrem hertzen
an, ſie ſondern ſich auf ſolche weiſe ab von dem
K k 2undanck-
[516]von Theologoiſchen
undanckbahren haufen der welt-kiuder, ſie keh-
ren um von dem breiten wege, werfen ſich zu
JEſu fuͤſſen, und treten in ſeine fußſtapfen,
daß man von ihnen ſagen kan:
Und wie dem Jeſaia durch eine gluͤende kohle vom
altar, bey ſeinem groſſen geſichte die zunge geruͤh-
ret und geheiliget wurde, alſo wird auch ihre zunge
durch den h. Geiſt im glauben geruͤhret, entzuͤn-
det, und geheiliget, daß ſie dem HErrn, der uͤber
die Seraphinen ſitzet, ein dancklied nach dem an-
dern anſtimmen, daß ihre ſeele den HErrn erhebt
und ihr geiſt ſich freuet ihres heylandes. Biß ſie
in der ſeeligen ewigkeit, ihre lob-geſaͤnge mit dem
heilig, heilig, heilig, der Cherubim und Sera-
phim verſtaͤrcken, und alſo dem Hoͤchſten auf die
allervollkommenſte art danck opfern, und ihre ge-
luͤbde bezahlen. Nun, meine freunde, es iſt
der goͤttliche befehl: Ruffe mich an in der
zeit, ſo will ich dich erretten, und du ſolt
mich preiſen, und wir erblicken dieſem zu-
folge, an allen glaͤubigen, feurige und zer-
theilte zungen, welche eines theils feurig
beten, andern theils inbruͤnſtig dancken.
Gehoͤren wir nun unter die zahl dererienigen,
welche ihre luſt haben an dem geſetz des HErrn,
ſind wir glaͤubige Chriſten, maͤnner GOttes, ſo
ſprechen wir billig mit Elia: Es falle feuer vom
him-
[517]oder geiſtlichen reden.
himmel, und entzuͤnde die erkalteten hertzen, die
ſchweren zungen, welche ſich ſo ſchwerlich zum
gebet und lobe des Allerhoͤchſten bewegen, derer-
ienigen, welche aus einer geiſtlichen unempfind-
lichkeit, ihre noth nicht erkennen, und ſprechen:
Wir ſind reich und haben gar ſatt, und duͤrffen
nichts, und wiſſen nicht, daß ſie ſind elend iaͤm-
merlich blind und bloß. Der barmhertzige va-
ter locket uns, wie eine henne ihre kuͤchlein un-
ter ſeine fluͤgel, daß wir glaͤuben ſollen, er ſey
unſer rechter vater, und wir ſeine rechte kinder,
auf daß wir getroſt und mit rechter zuverſicht ihn
bitten ſollen, wie die lieben kinder ihren lieben
vater. Und dennoch ſind die menſchen ſo blind
und taub, daß ſie ſich nicht entſchlieſſen koͤnnen,
hinzuzutreten mit freudigkeit zu dem gnaden-
ſtuhl, auf daß ſie barmhertzigkeit erlangen, und
gnade finden, auf die zeit, da ihnen huͤlfe noth
ſeyn moͤchte. Wenn aber der zuchtmeiſter der
truͤbſal kommt, ſo erinnern ſie ſich der gnaden-
thuͤr, kommen und klopfen an, aber, da ſie ſo
lange nicht an GOtt gedacht, und jetzo nur mit
den lippen an ihn gedencken, und ſich zu ihm na-
hen, ſo bleibet ihnen die gnaden-thuͤre verſchloſ-
ſen, und es erſchallet die donner-ſtimme in ihren
ohren: Jch habe euch noch nie erkannt, weichet
alle von mir, ihr uͤbelthaͤter. Andere bewegen zwar
wohl ihre zunge zum gebete, aber das hertz iſt
nicht dabey, es iſt kein feuriges gebet, das in ei-
nem zerknirſchten bußfertigen hertzen durch den
rechten glauben angezuͤndet waͤre. Zuweilen
K k 3heiſt
[518]von Theologiſchen
heiſt uns die eingefuͤhrte gewohnheit ein gebet-
buch ergreiffen, und unſere aͤuſſere geſtalt ſchei-
net einem betenden nicht ungleich, aber das hertz
iſt mit ſo vielen ſchweren eitelkeiten umgeben, daß
es ſich zu GOtt nicht heben kan, oder wir legen
wohl mit dem ergriffenen gebet-buche alle regun-
gen der gottesfurcht zugleich von uns. Solte
da nicht der Hoͤchſte klagen: Dies volck nahet ſich
zu mir mit ſeinen lippen, aber ihr hertz iſt ferne
von mir, vergeblich dienen ſie mir, dieweil ſie
Lehren ſolche lehre, die nichts denn meuſchen-
gebote ſind. Nadab und Abihu bringen fremd
feuer fuͤr dem HErrn, aber das feuer fuhr aus
von dem HErrn, und verzehrete ſie. Was fuͤr
ein feuer-eyfer drohet nicht denenjenigen, welche
mit fremden gedancken fuͤr dem HErrn kom-
men, mit einem hertzen, das entfremdet iſt von
dem leben, das aus GOtt iſt, welche auf ein
fremdes verdienſt ſich gruͤnden, auch wohl auf
ihre ſelbſt-erwehlte heiligkeit trotzen, da doch nur
allein Chriſtus ſpricht, was ihr den Vater bitten
werdet in meinem nahmen, das wird er euch ge-
ben, und da die Chriſtliche kirche ſingt:
Wir wollen uns von dieſem ungluͤckſeeligen hauf-
fen abſondern, meine freunde, zu Chriſto kommen
und mit ſeinen iuͤngern ſeufzen: HErr, lehre uns
beten, verbinde hertz und zunge in heiliger andacht,
im wahren glauben auf dein verdienſt, damit wir
recht feurig beten moͤgen, damit wir ohne unterlaß
beten moͤgen, damit wir als tempel dir lebenslang
geheiliget, unſere hertzen als rechte altaͤre, dir ge-
faͤllige opfer des gebets bringen moͤgen. Bey
ſolchen umſtaͤnden werden wir der ſichern hof-
nung leben koͤnnen: Es werde unſer gebet ia, a-
men und erhoͤret ſeyn, und der HErr werde das
opfer unſerer lippen anſehen, wie das opfer des ge-
rechten Abels, und es von uns gnaͤdig annehmen.
Denn wir haben einen GOtt, der da hilft, und ei-
nen HErrn HErrn, der vom tode erloͤſet, von
dem alle gute gaben und alle vollkommene gaben
von oben herab kommen, der uns gute gaben, ia
den heiligen geiſt geben will, wann wir ihn dar-
um bitten. Auf ihn koͤnnen wir alſo durch das
gebeth in aller noth unſer anliegen werfen, und zu
ihm ſchreyen: Abba lieber vater, Kyrie eleiſon,
Chriſte eleiſon, JEſu, lieber meiſter, erbarme
dich unſer. Das gebet iſt der Chriſten geiſtli-
cher ancker und panacee, darum ruffet uns die
gemeine der glaͤubigen zu: Befiehl du deine
wege, und was dein hertze kraͤnckt, der allertreu-
ſten pflege, des, der den himmel lenckt, der wolcken,
luft und winden giebt wege, lauf und bahn, der
wird auch wege finden, da dein fuß gehen kan.
Dem HErren muſt du trauen, wann dirs ſoll
K k 4wohl-
[520]von Theologiſchen
wohlergehn, auf ſein werck muſt du ſchauen,
wann dein werck ſoll beſtehn, mit ſorgen und mit
graͤmen, und mit ſelbſt eigner pein, laͤſt GOtt
ihm gar nichts nehmen, es muß erbeten ſeyn. Ja
du helfer in aller angſt, und noth, du liebſter
Heyland JEſu Chriſte: So oft ich nur gedenck
an dich, all mein gemuͤth erfreuet ſich, wann
ich mein hofnung ſtell zu dir, ſo fuͤhl ich freud
und troſt in mir. Wann ich in noͤthen bet nnd
ſing, ſo wird mein hertz recht guter ding, dein
geiſt bezeugt das ſolches frey des ewgen lebens
vorſchmack ſey. Und wenn dort, HErr JEſu,
wird fuͤr deinem throne auf meinem haupte ſtehn
die ehren-krone, da will ich dir, wenn alles wird
wohl klingen, lob und danck ſingen. Moſes kla-
get zwar uͤber den undanck der halsſtarrigen kin-
der Jſrael, wenn er ſaget: Danckeſt du alſo dem
HErrn deinem GOtt, du toll und thoͤricht volck,
iſt er nicht dein vater und dein HErr, iſts nicht
er allein, der dich gemacht und bereitet hat? Aber
ob GOtt will, meine freunde, ſo ſoll uns dieſer
harte vorwurf nicht treffen, wir wollen vielmehr
unſere ſchuldige danck-opfer dem Hoͤchſten brin-
gen in der that und in der wahrheit. Jn der
that zwar, daß wir der dreyeinigen Maieſtaͤt uns
gantz und gar zu eigen widmen. Daß auch un-
ſer hertz in vollkommener liebe erbrenne gegen un-
ſern naͤchſten, daß wir barmhertzig ſind, gleichwie
unſer vater im himmel gegen uns barmhertzig iſt,
und daß wir unſern naͤchſten mit bruͤnſtiger liebe
umfaſſen, gleichwie JEſus Chriſtus uns geliebet
hat
[521]oder geiſtlichen reden.
hat bis in den todt, dabey wollen wir nicht auf-
hoͤren hier in dieſer zeit die groſſen thaten GOt-
tes zu verkuͤndigen, und zu preiſen mit bruͤnſtiger
zunge, was GOtt an uns gethan, biß wir in der
frohen ewigkeit mit allen heiligen und auser-
wehlten anſtimmen werden: Heilig iſt unſer
GOtt, heilig iſt unſer GOtt, heilig iſt unſer
GOtt, der HErre Zebaoth, alle lande, ia aller
himmel himmel ſind ſeiner ehre voll, Alleluja.
§. 10. Auſſer denen predigten kommen
geiſtliche reden fuͤr, bey introductionibus, or-
dinirungen, trauungen, taufena) im beicht-
ſtuhl,b) in den richter-ſtuben, bey admonitio-
nibus, c) mit delinquenten, d) im hauſe bey
krancken, betruͤbten und ſterbenden. ꝛc. Zu
welchen allen man keine beſondere regeln noͤ-
thig, da man theils aus den nahmen dieſer
reden gleich ſiehet, worauf es ankomme, theils
die ailgemeinen regeln der Oratorie dabey
hinlaͤnglich. Jm uͤbrigen hat ſich der geiſt-
liche redner, bey allen dieſem zu huͤten, daß
man ihn fuͤr keinen atheiſten, naturaliſten
und irrglaͤubigen frey-geiſt, oder ketzer halte,
aber auch nicht eines aberglaubens, heuchle-
riſchen papentzenden weſens, ignorantz und
grobheit beſchuldigen koͤnne.
P. P.
Die wunderbare freygebigkeit und mil-
digkeit des allerliebſten Heylandes JEſu
Chriſti, welche er nach dem inhalt des mor-
genden Evangelii an den leiblich hungrigen
erwieſen, erinnert auch meine hungrige ſeele
des brods des lebens, welches mir mein hey-
land im abendmahl fuͤrgeſetzet, und ich wer-
de begierig zuſehen und zu ſchmecken, wie
freundlich der HErr ſey. Zwar komme ich
gleich ienem verlohrnen ſohn, welcher ſeine
geiſtlichen guͤter in Adam verlohren, ſich her-
nach mit den traͤbern dieſer welt gefaͤttiget,
und ſein Laͤtare in den irrdiſchen luͤſten geſu-
chet, auch nunmehro aller kleider ſeine ſuͤnd-
liche bloͤſſe zu decken ſich beraubet ſiehet. Al-
lein ich ſeufze auch mit ienem verlohrnen ſohn:
Vater, ich habe geſuͤndiget im himmel und fuͤr
dir, ich bin fort nicht werth, daß ich dein kind
heiſſe: Jedoch ſiehe an das blut und verdienſt
deines gehorſamſten ſohnes, deſſen gehorſam
biß zum todt am creutz uns die ietzige zeit fuͤr-
haͤlt, ſiehe, wie auch ich mit ſeinem blute be-
ſprenget und abgewaſchen, und mit ſeiner ge-
rechtigkeit, die ich glaubens-voll ergreife, be-
klei-
[523]oder geiſtlichen reden.
kleidet. So zweiffele ich denn nicht, es wer-
de Mhhr. Paſtor auf ſolche meine bekaͤntniß
mich zu dem tiſch des HErren fuͤhren, und da-
mit ich daſelbſt wuͤrdig erſcheine, an GOttes
ſtatt von meinen ſuͤnden loßſprechen. Jch ge-
lobe Jhnen hiemit an, fuͤr GOttes angeſicht
mit des h. Geiſtes beyſtand JEſum hinfuͤhro
als meinen HErrn und Koͤnig zu erwehlen,
und deſſen befehlen in meinem kuͤnftigen leben
mich willig und ſchuldig zu unterwerffen. Am.
VOm ſchriftlichen fuͤrtrage und deſſen einrich-
tung, §. 1. Von der Steganographie, §. 2. Von
der orthographie der Lateiner, §. 3. der Teutſchen,
§. 4. Vom muͤndlichen fuͤrtrage. §. 7. Von der mine
und dem air, §. 8. Von denen geſtibus, §. 9. Von
andern dabey zu obſervirenden dingen, §. 10. Be-
ſchluß des gantzen wercks, §. 11.
§. 1.
NUnmehro iſt nichts mehr uͤbrig, als
daß ich von dem wuͤrcklichen fuͤrtra-
ge der rede in ſchriften und ausreden
etwas beybringe. Bey allem ſchriftlichen
fuͤrtrage, iſt einmahl dahin zu ſehen, daß man
leicht und geſchwinde ſeine ſachen zu papier
bringe,a) hernach daß man es auch ſo zu pa-
pier bringe, daß andere leute leicht und be-
quem unſere worte leſen, und ohne kopfbre-
chen heraus bringen, was wir geſchrieben
haben.b) Auf beyden ſeiten muͤſſen die re-
geln des wohlſtandesc) die Orthographie und
beſchaffenheit der ſache den ausſchlag geben.
§. 2. Es iſt eine beſondere kunſt, ſo zu
ſchreiben, daß nur gewiſſe perſonen unſere
fchriften leſen koͤnnen, mit welchen wir des-
falls ein verſtaͤndniß haben, dazu bedienet
man ſich der buchſtaben, der ziffern, verſchie-
dener
[526]von aͤuſſerl. umſtaͤnden im fuͤrtrage
dener characteren, und anderer mittel. a)
Doch wie es etwas gefaͤhrliches ſich derglei-
chen zu bedienen, das leicht verdacht und un-
angenehme unterſuchung nach ſich ziehet, ſo
hat man auch dieſer kunſt eine andere entge-
gen geſtellet, welche alles, was ſo verborgen
geſchrieben, entdecken kan. b)
§. 3. Die Orthographie hat man am ſorg-
faͤltigſten zu beobachten, ſo wohl im Lateini-
ſchen als Teutſchen, welches die bey uns uͤb-
lichen ſprachen, und was die Orthographie
betrift, doch am ſtreitigſten ſind. Bey iener
hat man ſich zu bekuͤmmern, um die auctores,
welche davon geſchrieben,a) um die buchſta-
ben, derſelben unterſchied in groſſe und kleine,
curſiv- und ſtehende, und derſelben rechten ge-
brauch, daß man keine frembde einbringe,
keine auslaſſe und zuſetze, um die ſylben, ihre
theilung, um die woͤrter, um die zahlen, um
die diſtinctiones, und daß man nicht bald ſo,
bald anders ſeine ſchreiberey einrichte, auch
ſonſt, was oben §. 1. erinnert, nicht aus den
augen ſetze.
§. 4. Bey der Teutſchen Orthographie hat
man ebenfalls die auctores, ſo davon geſchrie-
ben,a) zu mercken, den unterſchied der groſſen
und kleinen buchſtaben,b) der langen und
kurtzen,c) die verdoppelung derſelben,d) daß
man nicht uͤberfluͤßige ſetze, e) nicht frembde
einmiſche, f) nicht einen fuͤr den andern ge-
brauche,g) bey den ſylben, daß man ſie recht
theile und zuſammen ſetze, nicht zuſammen
ziehe,h) daher eine uͤble ausſprache entſtehet,
bey gantzen woͤrtern, daß man ſie, wo ſie in
die Teutſche conſtruction geflochten werden,
auch mit Teutſchen buchſtaben ſchreibe,i) daß
man ihre endungen wohl unterſcheide, k) den
artickel recht anbringe,l) den unterſchied der
woͤrter, die unterſchiedene bedeutungen haben,
wo moͤglich, auch im ſchreiben unterſcheide,m)
die coniugationes recht formire, n) die praͤ-
poſitiones mit den rechten caſibus verbinde, o)
die diſtinctiones obſeruire, p) und uͤberhaupt
die bequemlichkeit fuͤr dem ſchreiber und dru-
cker, die deutlichkeit und den wohlſtand fuͤr
den leſer, und einerley art der Orthographie,
immer fuͤr augen habe.
§. 5. Bey dem muͤndlichen fuͤrtrage hat
man zu ſehen, auf eine bequeme und der ſache
gemaͤſſe ausrede, auf eine gute diſpoſition des
geſichts, auf die bewegungen des leibes nach
den affecten, und nach den argumenten, auf
die regeln des wohlſtandes, die beſchaffenheit
des zuhoͤrers und anderer umſtaͤnde, welche
alle miteinander, die ohnedem kraͤftige bered-
ſamkeit des leibes vollkommen machen, und
von allen unanſtaͤndigkeiten abhalten.
§. 6. Damit man hier deſto gluͤcklicher fort-
kommen moͤge, iſt es noͤthig, alles was man
fuͤrbingen will, in einem fertigen gedaͤchtnis zu
haben. Dazu ſind die ſogenannten mnemoni-
ſchen kuͤnſte die ſchlechteſten mittel, und ma-
chen den redner mehr zu einer redenden ſtatue,
als vernuͤnftigen und klugen redner. Hin-
gegen iſt es beſſer, wenn man bey reden im
gemeinen leben nichts ohne uͤberlegung fuͤr-
bringet,a) und in oͤffentlichen declamationi-
bus ein ordentliches ſyſtema ſeiner gedancken,
nach einer iudicioͤſen diſpoſition, im kopfe hat,
und bey der ausrede mehr auf die gedancken,
als worte dencken darf, als welche man durch
eine gute uͤbung, leicht und wohl ex tempore
ſetzen lernet.b)
§. 7. Bey der ſprache muß man zwiſchen
der geſchwindigkeit und langſamkeit, zwiſchen
der ſtaͤrcke und ſchwaͤche, zwiſchen der erhebung
und erniedrigung derſelben, allezeit die mittel-
ſtraſſe halten, damit man nach belieben dieſel-
be veraͤndern koͤnne, in keine verdrießliche mo-
notonie falle, kein graͤßliches geſchrey und ler-
men, dabey die ſtimme uͤberſchnappt, mache,
nicht pfeiffe oder bruͤlle, und unverſehens von
einem extremo ins andere gerathe,a) ſondern
ohne zwang die argumenta, zumahl die pathe-
tica, wo die rechte neben-idee des affects iſt,
durch den accent wohl unterſcheiden moͤge.b)
Jn geſellſchaft und in reden gegen hoͤhere, muß
die ſtimme, ſo viel ſich thun laͤſt, moderiret
werden.
§. 8. Das geſicht muß von dem inwendi-
gen affect des redners am meiſten zeugen, da-
mit auch der zuhoͤrer gemuͤth, welche dem red-
ner gemeiniglich ins geſicht ſehen, dadurch ge-
ruͤhret werde. Man muß alſo ſeine augen ſo
wenden, daß nichts flatterhaftiges noch ſtarres
darinn wahrgenommen werde, und doch ein
ieder von den zuhoͤrern ſagen koͤnne, daß man
ihn angeſehen, und alſo mit ihm geredet habe.
Die mine, welche man mehrentheils von natur
hat, muß durch ein ungezwungenes air, nach
beſchaffenheit des obiecti, eingerichtet werden,
und von einer freymuͤthigen ſittſamkeit zeugen.
§. 9. Die bewegungen der haͤnde und fuͤſ-
ſe, ja des gantzen leibes, muͤſſen ſich nach be-
ſchaffenheit der ſache und der ſtatur des red-
ners
[537]dem ſchreiben und ausreden.
ners richten, und man muß wiſſen unter einem
theatraliſchen aufzuge, einer pathetiſchen rede
und ſtillen familiàren diſcours einen unter-
ſcheid zu machen. Denn das ſchlagen mit den
haͤnden, das ſtampfen mit den fuͤſſen, und
wenn man fragen kan, wie viel ſchritte der red-
ner peroriret, iſt bey oͤffentlichen reden eben ſo
wenig nutze, als wenn man in allen geſellſchaf-
ten peroriren wolte.a) Uberhaupt muß man
ſich hier die muſter vernuͤnftiger leute fuͤrſtel-
len, und ihnen das angenehme, wodurch ſie ſo
wohl in oͤffentlichen reden, als familiaͤren di-
ſcourſen und complimenten, die hertzen der zu-
hoͤrer an ſich ziehen, und welches in weitlaͤuf-
tige regeln zu faſſen, viel muͤhe, wenig nutzen
haben wuͤrde, abzulernen ſuchen.
§. 10. Sonſt muß man bey dem fuͤrtrag ſei-
ner gedancken, durch ausreden allezeit ein geſetz-
tes gemuͤthe zeigen, ſich dannenheꝛo die moͤglich-
keiten in etwas fuͤrſtellen, welche einen etwa er-
ſchrecken, verwirren und diſtrahiren koͤnten, und
ſich einiger maßen darwieder gefaſt machen.
L l 5Man
[538]von aͤſſerl. umſtaͤnden im fuͤrtrage
darf auch die regeln des wohlſtandes und einer
guten conduite dabey nicht eben aus den augen
ſetzen, da es ausgemacht iſt, daß die heutige welt
mehr die ſchalen als den kern, mehr den aͤuſſer-
lichen glantz als den iñerlichen werth beobach-
te, und auch wohl dieſen nach ienen beurtheile.
§. 11. Und dieſes waͤre alſo, was zu einer
gelehrten und galanten beredſamkeit zu wiſſen
noͤthig. Was dabey verſehen, wird die zeit
beſſern, was daran fehlet, wird ein reiffes nach-
ſinnen erſetzen, und was daran gutes iſt, wird
eine fleißige uͤbung vollkommen machen, da
die beredſamkeit zu denenjenigen wiſſenſchaf-
ten gehoͤret, welche nicht in einer uͤberſteigen-
den betrachtung, ſondern vernuͤnftigen
ausuͤbung beſtehen.
ENDE.
Qua Cabala quiuis ex quouis fingere quoduis,
Et ſibi pro lubitu dicere fata queat,
Haccine pro certo promitti maſcula proles
Imperio poſſit Caeſareoque throno?
Oma-
[43]der gedancken.
Omagnas nugas magnis conatibus actas!
Quas puerum \& ſuperent vtilitate nuces!
Optetis ſtulti! ſperetis, Cetra tacete.
Nam cabala haec fieri fabula forte poteſt.
Dieſes iſt mancherley, z. e. durch verſetzung in
anagrammatibus als z. e. Calepinus, verſetzt Pe-
licanus, Leopoldus: Pello duos, ſiehe Morhoff
Polyh. l. VII. III. 6. der Herr von Beſſer in ſei-
nen unvergleichen gedichten hat unter andern
folgendes auf einen anagrammatiſten:
Was hat doch auf den Helicon,
Ein anagrammatiſt davon,
Daß er der woͤrter ordnung ſtoͤhret?
Nichts dann daß er den kopf ſich ſtoͤhrt,
Und wie die woͤrter er verkehrt,
So ſein gehirn ſich mit verkehret.
Es gehoͤren hieher alle luſus verborum; der
poeten technopaegnia; wenn man aus ieden
buchſtaben eines wortes ein beſonders wort
macht, z. e. iener ſagte, er wolte ein friſch weib
nehmen, das iſt: fromm, reich, iung, ſchoͤn,
chriſtlich und haͤußlich; wenn man aus der
gleichheit zweyer woͤrter gelegenheit zu reden
nimmt, u. ſ. f.
a Cauſſa:Denn ſie iſt eine frucht der gebeſſer-
ten vernunfft, eine gabe Gottes;\& effectu:
Denn ſie iſt urſach, daß man ſeinen verſtand
recht gebrauchen lernet, das haben die ſtiffter
der ſchulen und univerſi[t]aͤ[t]en wohl einge-
ſehen, derwegen haben ſie lehrer und Profeſ-
ſores der Logick beſtellet, und man ſehe doch
ei-
[64]von den beweiß-gruͤnden,
einen menſchen der gar keine Logick verſteht,
was macht ein ſolcher nicht fuͤr alberne ſchluͤſ-
ſe und laͤppiſche gloſſen und wie martert er
ſich nicht eine ſache und wiſſenſchafft recht zu
begreiffen.
Es mag dieſes ſtatt eines exempels gut genung
ſeyn, ſo man aus dem ſtegreiff gegeben. Es iſt
dabey nicht die meinung daß man alle ſolche be-
weiß-gruͤnde bey einem ſatze nacheinander her-
beten ſolle, ſondern man ſiehet leicht, daß das
argumentum probans a definitione der grund
und mittelpunckt der uͤbrigen ſey.
Du biſt den ketten gleich in wohlbeſtallten uhren,Durch die von innen her die feder alles treibt:
Man
[155]der gedancken.Man ſieht nicht ihren gang; doch zeigen ihre ſpuren,Daß iedes rad durch ſie in ſeiner ordnung bleibt.
Es ſtimmet mit mir ein, die ſtimme ſo wir hoͤren,Das praßlende geſchluͤrf, fließt aus den erden roͤh-
ren,Und liſpelt durch den kieß; der klatſch und platſcher
thon,Spricht ſonder fleiß und kunſt faſt allen ſprachen
hohn.Das ſum und brum geſauß, das ſchnarren, murren,
marren,Kan andrer zungen kraft in ſchroffen ſand ver-
ſcharren.Es rollt mein donner-wort es ruͤllt, bruͤllt, brauſt,
zerſplittert,Daß durch die luft und gluft die hein und ſtein er-
ſchuͤttert ꝛc.
Und da nennen ſie 1. 2. 3. 4. 5. ſynecdochen, 6. 7. an-
tonomaſiam, 8. metalepſin, 9. enallagen, oder
ins beſondere antimeriam 10. heteroſin, und
zuweilen antiptoſin 11. aequipollentiam, 12. hyper-
bolen und dieſe bald meioſin, oder tapinoſin, bald
auxeſin, bald litoten, bald heteroſin, bald cata-
chreſin, bald bloß hyperbolen, 13. 14 ſchlechtweg
metonymiam, da denn noch hypallage drunter
begriffen. Jch dencke, man habe ſich mehr um
die fontes, und den gebrauch, als um die nahmen,
welche bißweilen undeutlich und ſchwanckend
concipiret, zu bekuͤmmern. Als fontes koͤnnen
alle dieienigen ideen angeſehen werden, welche
mit unſerm obiecto verknuͤpfet, zu welchen uns
die natur und meditation gantz ungezwungen
fuͤhren, und der gebrauch iſt nach der abſicht die
man hat, und nach denen im erſten theil cap. 4.
angefuͤhrten regeln, anzuſtellen und zu beurthei-
len.
[188]von dem ausdruck
len. Die metaphoriſche oder ingenioͤſe ver-
wandſchaft, gruͤndet ſich auf die argumenta il-
luſtrantia, welche auſſer dem weſen der ſache
ſind, daher kan man ſetzen:
Hievon wird 1.metaphora genennet, wenn das ſimi-
le durch etliche eigenſchaften gut durchgefuͤhret
wird, heiſt es allegoria, fuͤhrt es einen gelin-
dern concept ein als man ſich vom obiecto ſonſt
macht, heiſt es euphemiſmus. Wenn 2. kurtz
angefuͤhrt wird heiſt es alluſio, ſonſt bleibt es ein
ordentliches argumentum illuſtrans. Und end-
lich 3. iſt die ironia. Die fontes dazu und was
bey dem gebrauch zu beobachten, ſiehe oben P. l.
c. IIII. Das hauptſaͤchlichſte iſt, daß man nicht
gar zu unbekannte und von dem weſen der ſache
gar zu weit entfernte dinge nehme, und daß man
nicht in der ausfuͤhrung ſich uͤbelreimender ideen
und worte bediene. Z. e er iſt ein rechter Philipp
freyherr von Winneberg, an ſtatt: er liebt ſeine
freunde beſtaͤndig, oder: er iſt ein rechter
Ecebolius, an ſtatt: er iſt unbeſtaͤndig in der
religion, denn das wiſſen nicht alle leute, daß ie-
ner geſagt: er befinde ſich am beſten bey alten
kleidern und bey alten freunden, und daß die-
ſer ſeine religion zu anfang des vierdten ſaͤculi
nach
[189]der gedancken.
nach der religion der Kaͤyſer gerichtet. Jn
ſchriften pflegen ſich die leute, ſo hiewieder pecci-
ren, mit noten zu helffen. Ubel connectiret die-
ſes: Was ſolte wohl dieſer fuchs nicht thun,
ia ich mercke es ſchon, er ſey zwar von auſſen
ein ſchaf, aber inwendig ſind die wolffs klau-
en ziemlich groß (beym Maͤnnling in ſeinem
expediten redner. Franckfurt und Leipzig 1718.
8. p. 212.) Dann er faͤngt beym fuchſe an und
hoͤrt beym wolffe auf. Wie ſich der affect mit den
tropis ausdrucke, laͤſt ſich von ſelbſten ſchlieſſen,
und wird im folgenden 19. §. gewieſen werden.
Jn dieſer heiſſet man das thema protaſin das ar-
gument aetiologiam. z. e.
Diſpoſ. per chriam ordinariam oder
rectam:
Z. e. folgende antritts-rede,
Diſp. per chriam inverſam:
Z. e. Diſpoſitio einer rede per anteced. \&
conſequens bey uͤberreichung eines
gedichts und abend-muſick:
Z. e. I. Diſpoſitio einer trauungs-rede per
theſin \& hypotheſin.
Tibi
Serenisſime Clementisſime
Princeps
Subiectisſimus
humillimus
auctor.
Alſo kommt es dabey auf eine gelehrte diſpoſi-
tion und ausarbeitung an, ich will zur diſpoſi-
tion in folgenden exempel anleitung geben:
Der
in Leipzig
ſtudirenden iugend
eroͤfnet ſeine
Collegia die von Trinitatis 1708.
ſollen gehalten werden,
D.Gottfried Lange,
Maj. Princip. Colleg.
Collegiatus.
JCh habe es vor noͤthig gehalten auf einem beſon-
dern blate meine collegia zu melden, welche mit
Gottes huͤlfe dieſen ſommer uͤber ſollen gehalten wer-
den. Denn, weil wenig univerſitaͤten in Teutſchland
ſeyn werden, welche an menge der leſenden Leipzig
gleich kommen ſolten, ſo koͤnte es gar leicht geſche-
hen, daß auch dieſes mahl unter dem hauffen, ſo vieler
andern meine nachricht von collegiis verlohren gien-
ge, oder die leſenden mit ſolcher aufmerckſamkeit ſich an
die uͤbrigen und vielleicht beſſern zettul attachirten,
daß meine ſchrift, die eine zeitlang allhier unbekannt
worden iſt, von den wenigſten geſehen wuͤrde.
Mein abſehen aber iſt vornehmlich denienigen zu
dienen, welche collegia Oratoria von mir verlanget ha-
ben, wofern wir nur allerſeits einander recht verſtehen,
und uns unter der Oratorie nichts anders einbilden,
als was ſie eigentlich ſeyn, und von rechtswegen heiſ-
ſen ſoll. Denn, gewiß, wer ſich in die verbluͤmten
redens-arten verliebet, und in den gedancken ſtehet, er
habe was gutes verrichtet, wenn niemand ohne ſeine
ſteingen und creutze verſtehet, was in der obſcuren
ſchrift verborgen iſt, wer ferner in exclamationibus
und interrogationibus den anfang und das ende der
Oratoriſchen kuͤnſte zu finden vermeinet, oder ſich
damit am beſten zu helfen gedencket, wenn er das
Franzoͤiſche Lexicon fein oft gebrauchen, und ſeine re-
den den kleidern aͤhnlich machen kan, die aus vielen un-
E eter-
[434]von allerhand ſchul-
terſchiedenen zeugen zuſammen geſetzet ſind, der duͤrf-
te bey mir gar ſchlecht getroͤſtet werden.
Die zeiten ſind vorbey, da man der zukuͤnftigen
vergeſſenheit zu gefallen fleißig war, und ſich uͤber
einer ſache den kopf verderbte, welche nirgends an-
ders als auf ſchulen bewundert wurde. Heut zu
tage, da unter ſo vielen wiſſenſchaften nicht allein die
uͤberfluͤßigen von den noͤthigen muͤſſen unterſchieden,
ſondern auch dieſe letztern nach der rechten art erlernet
werden, iſt alles in einem gantz andern ſtand gera-
then, und ich doͤrfte bald ſagen, der gantze plunder,
aus welchem ſonſt die Oratorie beſtehen ſolte, wird
itzund nur als eine zugabe bey derſelben angehenckt,
und auch dieſe zugabe iſt nichts anders als confect,
welchen man ſehr maͤßig gebrauchen muß, wenn ſei-
ne delicateſſe nicht zum eckel anlaß geben ſoll.
Wer meine einleitung zur Oratorie geleſen, wird
wohl wiſſen, wie ich denen, die mich hoͤren und leſen
wollen, zweyerley gerne beybringen moͤchte, nemlich
ordnung und zierlichkeit Wenn eines von beyden
fehlen ſolte, wiewohl keines fehlen muß, ſo koͤnte nach
meinem urtheile das letzte am ehſten wegbleiben. Die-
ſes aber wird von denen, die ſich in die figuren verwi-
ckeln, umgekehret: Und alſo darf man ſich nicht wun-
dern, warum etliche, die doch ſonſt alles wiſſen wollen/
nicht allein ſelbſt bey verſaͤumung dieſes hoͤchſt-noͤthi-
gen ſtudii in einer gantz loͤdlichen unwiſſenheit zu ſte-
cken vermeinen, ſondern auch andern die federn aus
den haͤnden reiſſen, wenn ſie dieſelben zu einer klugen
und geſchickten art gewoͤhnen wollen.
Wiewohl, es iſt gar leicht zu errathen, was ihnen zu
einem ſo ſchaͤdlichen unternehmen anlaß giebet. Pfle-
get man von den Poeten zu ſagen, daß ſie nicht gemacht,
ſondern gebohren werden, ſo laͤſt ſich ſolches gewiſſer
maſſen auch auf die redner deuten. Wer ſich dabey
zwingen will, der ſiehet nicht viel anders aus als
ein unhoͤflicher, wenn er freundlich zu thun genoͤ-
thiget wird, oder, wie ein frauenzimm er, welchesden
Bas
[435]und politiſchen reden.
Bas ſingen, und ohne cadanz die inſtrumente ſpielen
will. Wo nun eine ſo ungluͤckliche natur vollends mit
einer uͤblen und ungegruͤndeten anweiſung verwirret
wird, ſo ſoll dieſes hernach das beſte mittel ſeyn, wann
man das gantze werck auf einmahl verachtet, und die
allzuſchweren regeln vor unnuͤtzlich und uͤberfluͤßig
ausgiebet.
Wer mit dieſer entſchuldigung nicht fortkommen
kan, nimmt eine andere zu huͤlfe, und meinet, das
naturel muͤſſe alles thun, mit ſtudiren und kuͤnſteln ſey
hier wenig auszurichten, zumahl da man heut zu tage
faſt an allen groſſen hoͤfen die leute am liebſten reden
hoͤret, die nach der natuͤrlichen ordnung ohne allen
zierrath ihre propoſitiones zu machen wiſſen. Doch
ich habe in einem andern programmate auf dieſen
einwurf ſehr weitlaͤuftig geantwortet, und mag mich
dergeſtalt nicht ſelbſt allhier ausſchreiben Wem
GOtt die gnade giebet, daß er ein wenig tief in die
welt ſehen, und von der gelegenheit urtheilen kan,
durch welche ſich die meiſten ſo hoch geſchwungen ha-
ben, der wird bald mercken, daß ihnen die unver-
gleichlichen reden nicht aus dem ermel gefallen ſind.
Wer bey der erlangten vollkommenheit nicht mehr
ſtudiret, muß ſolches doch thun, ehe er vollkom̃en wird,
faſt eben auf den ſchlag, wie ein geſchickter ſchrei-
ber ſich des lineals nicht mehr bedienet, ob er gleich
ſeine zeilen ſchwerlich ſo gleiche machen wuͤrde, wo
ihm daſſelbe gleich vom anfange ſeines fleiſſes haͤtte
mangeln ſollen. Reden wir nicht alle weitlaͤuftig,
ſo muͤſſen wir doch weitlaͤuftig ſchreiben, und mit der-
gleichen ſaͤtzen, wie man ſie zu nennen pfleget, wird
meiſtentheils der erſte grund zu unſerm gluͤcke geſetzet,
welche dergeſtalt wohl verdienen, daß man ein wenig
zeit auf dieſelben wendet. Zumahl, da der geſchrie-
bene buchſtabe nicht bloß zum beweiſe deſſen, was
aufs papier gebracht iſt, dienet, ſondern auch die
geſchicklichkeit und ſchwaͤche eines menſchen eben ſo
E e 2wohl
[436]von allerhand ſchul-
wohl als ſein diſcurs verrathen kan. Jm uͤbrigen
iſt dieſes dabey die groͤſte kunſt, daß man keine
kunſt mercken laͤſſet: Gleichwie dieſes die kluͤgſten
ſchmeicheleyen ſind, welche gleichſam unter der ma-
ſque eines ernſthaften und aufrichtigen geſichtes an-
gebracht werden.
Hierbey aber kan ich ſelbſt nicht leugnen, wie un-
ſere Oratorie dadurch gar ſchwer gemacht wird, weil
man von allen dingen, welche dazu noͤthig ſind, ohn-
moͤglich regeln geben kan. Denn wer will die Ca-
ſus erzehlen, welche unzehlich ſind, und wenn ſolches
auch geſchehen koͤnnte, was wuͤrde uns die ausar-
beitung anderer leute helfen, da man immer was
neues erfinden, und den beyfall der zuhoͤrer und le-
ſer dadurch am meiſten verdienen muß, wenn etwas
geredet oder geſchrieben wird, das ſie zuvor weder ge-
hoͤret noch geſehen haben?
Weil ferner zum reden und ſchreiben, wie oben all-
bereit geſaget worden, vornehmlich ordnung erfor-
dert wird, die ordnung aber viel ſachen praͤſuppo-
niret, welche ſie rangiren kan, ſo folget vors erſte,
daß die Oratorie kein werck vor kinder, ſondern vor
erwachſene und ſolche leute ſey, die nicht allein ihr
judicium wohl zugebrauchen, ſondern auch aus den
diſciplinen, vornehmlich aus der Moral und Hiſto-
rie ihre beweißthuͤmer und amplificationes herzu-
nehmen wiſſen: Es folget ferner, daß man ohne
dieſe huͤlfs-mittel zwar die praͤcepta Oratoria aus-
wendig lernen, aber deſſentwegen doch keine gelehr-
te rede verfertigen koͤnne: Und drittens folget auch,
daß die leute, welche noch gar nichts im kopfe ha-
ben, nothwendig ungedultig werden, und davon
lauffen muͤſſen, wenn ſie ſich in ſchreiben und reden
uͤben ſollen.
Darzu koͤmmt noch, daß der ſtilus ſo ſehr unter-
ſchieden, und dergeſtalt mancher, der doch ſonſt gute
wiſſenſchaften hat, dennoch immer zweifelhaftig iſt,
[437]und politiſchen reden.
ob er mit einer hohen, mitteln, oder niedrigen
ſchreib-art am meiſten ausrichten koͤnne. Es hilft
etwas, wenn man hierbey auf die Facultaͤten ſie-
het, und die bewegung der affecten nebſt allem, was
darzu gehoͤret, einem Theologo mehr als einem Ju-
riſten recommendiret, welcher letztere das meiſte lob
verdienet, wenn er ſeine ſachen ſchlecht, deutlich und
ordentlich vorſtellen kan: Es iſt auch nicht ohne, daß
man auf das naturel und die uͤbrigen eigenſchaftẽ der
redner ſelbſten verfallen muß, indem der ſtylus ſen-
tentioſus einem menſchen, der ſeine ausſprache nach
der geſchwinden poſt einzurichten pfleget, uͤbel an-
ſtehen ſolte, andere hingegen, die einen gantzen tact
bey iedweder ſylbe aushalten, den zuhoͤrern ſchreibe-
tafeln in die haͤnde geben muͤſten, wofern ſie bey
dem ende eines langen periodi das mittel und den
anfang nicht vergeſſen ſolten: Es iſt ferner eine aus-
gemachte ſache, daß man in einem panegyrico an-
ders als in einem briefe ſchreiben, und die ſo genann-
ten geſtudirten reden kuͤnſtlicher als kurtze Oratio-
nes einrichten muͤſſe, welche nur complimente bedeu-
ten, und ohne weitlaͤuftiges nachdencken von dem
munde und aus der feder flieſſen ſollen: Gleichwie
endlich niemand wird zu leugnen begehren, daß wir
gar oͤfters nach dem goût ſolcher leute, die uͤber un-
ſer gluͤcke zuͤ diſponiren haben, reden, und manche
ſchlimme redens-art mit einmiſchen muͤſſen, weil
ſie ihnen gefallen hat: Doch bey dieſem allen iſt
mehr zu bedencken, als ſich mancher einbildet, und
die erfahrung bezeuget es mit manchem traurigen
exempel, wie bißweilen ein eintziger terminus, wel-
cher unrecht angebracht, oder dem ſtylo curiaͤ zu-
wider iſt, manchen redner zum ſpotte vieler hochge-
ſchaͤtzten anweſenden dargeſtellet hat.
Was ſoll ich endlich von der Teutſchen ſprache an
ſich ſelbſt ſagen, mit welcher wir heut zu tage un-
ſere kuͤnſte meiſten theils zu marckte fuͤhren muͤſſen?
E e 3Die
[438]von allerhand ſchul-
meiſten geſtehen wohl, daß ſie noͤthig ſey, aber ſehr
wenig geben ſich die muͤhe dieſelbe zu erlernen. Weil
es unſere mutter-ſprache heiſt, ſo wollen wir auch von
den muͤttern alles begreiffen, was uns davon zu
wiſſen noͤthig iſt. Rechtſchaffene leute, welche der
jugend darinnen zu dienen gedencken, muͤſſen ſich
veraͤchtlich tractiren laſſen, und die meiſten alten
ſchul-monarchen finden alle ihre intereſſe dabey, daß
ſie von der Teutſchen Oratorie nicht viel weſens ma-
chen. Denn bey den gewoͤhnlichen Rhetoricken gie-
bet es vielerley auswendig zu lernen, und wer nach
dieſer art ſeine information einzurichten gedencket,
kan gar leicht einen halben Julium Caͤſarem abge-
ben, und zu gleicher zeit vor andere und ſich ſelbſt
arbeiten: Da hingegen bey einer rechten anfuͤhrung
in dieſem ſtudio gar wenig auf das auswendig ler-
nen ankoͤmmt, ſondern bey nahe alles durch immer-
waͤhrendes fragen und elaboriren muß ausgerichtet
werden.
Als im vorigen ſeculo die Frantzoſen unter der
direction des Cardinals Richelieu an efangen hatten
ihre ſprache zu verbeſſern, ſo wolte man wie in an-
dern, alſo auch in dieſem ſtuͤcke den auslaͤndern in
Teutſchland nachgehen, und das werck am allereh-
ſten durch geſellſchaften heben, darinnen ſich alle
glieder einen beſondern nahmen geben und durch
buͤcher-ſchreiben ihre landes-leute nach und nach zu
der liebe ihrer eigenen ſprache gewoͤhnen ſolten. Wie
nun hierbey das abſehen der durchlauchtigſten Stif-
ter gar ſehr zu loben, auch der nutzen vielleicht in
einem und dem andern ſtuͤcke zu erkennen war: So
muſte man hingegen beklagen, daß etliche nicht
zeit, andere, die ſich mit gewalt mit einmiſchen wol-
ten, nicht capacite genug hatten das werck zu heben,
die letztern aber, welche gar zu ſehr affectiren, und
gleichſam einen ſchoͤppenſtuhl vor die Teutſchen woͤr-
ter aufrichten wolten, denſelben mehr ſpott als nu-
tzen
[439]und politiſchen reden.
tzen zuzuziehen vermochten, und dadurch alle gute
intention auf einmahl uͤber den hauffen ſchmiſſen.
Daher geſchahe es auch, daß wir eher gute ver-
ſe, als gute ungebundene reden in unſere ſprache
hatten, und da man von rechtswegen durch die Ora-
torie zur Poêſie haͤtte gelangen ſollen, ſo wieſen im
gegentheile die zwey unvergleichliche maͤnner:
Opitz und Hofmanswaldau den rednern die rechten
wege, indem ſich faſt niemand, der nur ein wenig
feuer hatte, enthalten konte ihre unvergieich[l]iſche
ſchriften zu leſen, und denſelben wo nicht in verſen,
doch zum wenigſten in der zierlichkeit ihrer ausrede
nachzugehen.
Wenn wir nun behaupten wollen, daß nach ver-
flieſſung einer ſo langen zeit alles nach und nach beſ-
ſer und vollkommener bey derſelben worden ſey, ſo
duͤrfen wir uns die einwuͤrfe, ſo in den vorherge-
henden gemacht worden, nicht zur unzeit irre ma-
chen laſſen. Denn die ſachen, von welchen man
keine regeln geben kan, beſtehen in den curialien
und ſind freylich an einem hofe anders als an dem an-
dern. Doch mir deucht, wer nur in ſeinem funda-
mente richtig iſt, der wird ſich hernach durch einige
nachrichten gar leichte in das uͤbrige finden lernen.
Wir koͤñen uns bey der kaufmannſchaft ein gleichniß
vorſtellen. Da werden die gewoͤlber nicht nach ei-
nerley facon angeleget, auch die buͤcher nicht nach
einerley art gefuͤhret, und dennoch kan ſich einer,
der was gruͤndliches davon begriffen hat, gar leicht
in alles ſchicken
Was die noth mit den ſo genannten realien an-
belanget, ohne welche bey dieſem ſtudio nicht wohl
fortzukommen iſt, ſo will ich bey dieſer gelegenheit
gantz offenhertzig meine gedancken davon eroͤfnen.
Es iſt erſtlich ein ſchaͤdliches praͤjudicium, daß wir
die realia nur allein in exemplis und teſtimoniis
ſuchen, und wenn dieſe ſollen angebracht werden,
E e 4zu
[440]von allerhand ſchul-
zu den collectaneis als unſerer eintzigen zuflucht ge-
hen wollen. Denn ohngeachtet ich nicht zu leugnen
begehre, daß man ſich allerdings mit denſelben in
verfertigung einer rede treflich helfen, auch exempel
und zeugniſſe anderer auctorum uͤberaus wohl anwen-
den kan: So giebt es doch auſſer dieſen noch viel rea-
lia von gleichnuͤſſen, contrariis, meditationibus, locis
communibus ꝛc. Welche eben ſo gut, ja gewiſſer
maſſen noch beſſer als die vorhergehenden ſind, weil
ſie bloß von unſerm nachdencken herruͤhren, und
dergeſtalt an ſtatt des weitlaͤuftigen buͤcher-krahms
nur ein faͤhiges und geuͤbtes ingenium erfo-
dern: Vors andre laſſen ſich alle reden und ſchrif-
ten gar fuͤglich in zwey claſſen eintheilen, davon
ich die eine gekuͤnſtelt, die andere ungekuͤnſtelt nen-
nen koͤnte. Zu der erſten wird viel erfordert, aber ſie
iſt auch die allernoͤthigſte nicht. Denn es geſchiehet
gar ſelten, daß man auf der catheder gantze ſtun-
den lang peroriret, und auſſer dieſem giebet es, wenn
ich die eintzigen Parentationes ausnehme, heutiges
tages ſehr wenig caſus, abſonderlich vor politicos
bey welchen die collectanea unentbehrlich waͤren.
Jhre gluͤckwuͤnſche, und condolenzen, ihre huldi-
gungs antrits-landtags und andere reden gehoͤren
in die claſſe, wo nichts gekuͤnſteltes gelitten wird,
und wer ſich mit ſeinen allegatis aus dem Julio Caͤſa-
re, Curtio, und andern dergleichen buͤchern gar zu
breit dabey machen, auch zur unzeit philoſophiren
wolte, duͤrffte den verhoften beyfall derer, die ihn
hoͤren, wohl ſchwerlich erhalten.
So iſt endlich wegen des ſtyli dieſes wohl der ſi-
cherſte rath, daß man ſo ſchreiben lernet, wie es der
nutzen und die hergebrachte gewohnheit bey den can-
tzeln und cantzeleyen haben will. Weil nun dieſe
insgeſamt mit den hochtrabenden figurirten redens-
arten ordentlicher weiſe nicht viel zu ſchaffen haben,
ſo ſiehet auch ein iedweder gar leichte, worauf ſein
fleiß
[441]und politiſchen reden
fleiß in dieſem ſtuͤcke am allermeiſten muͤſſe gerichtet
werden
Unterdeſſen, wie ich dieſes ihrer vielen zum troſte
will geſchrieben haben, welche ſich das ſtudium Ora-
torium gar zu ſchwer einbilden, und bey ihrem maſ-
ſigen vorrathe der erudition bey nahe zweifeln wol-
len, ob ſie auch mit einigen nutzen ein collegium da-
ruͤber hoͤren koͤnten: So duͤrfen hingegen andere
nicht meinen, als ob in meinen lectionibus nur das
leichteſte ſolle beruͤhret, das andere hingegen auſſen
gelaſſen werden. Sondern wie meine einleitung auf
alles gerichtet, ein auditorium auch meiſtentheils
mit vielerley leuten angefuͤllet iſt, die zwar einerley
hoͤren, aber ſolches mit der zeit nicht auf einerley
weiſe anzuwenden gedencken, ſo werde ich auch von
anfange bis zum ende alles [durchgehen], die praxin
mit erklaͤrung der regeln beſtaͤndig verbinden, und
durch vielfache neue caſus ſonderlich denen dienen,
die ſich entweder ſelbſt noch weiter uͤben, oder mit
der zeit andre informiren wollen.
Niemand darf ſich dabey ſcheuen in gegenwart
vieler andern ſeine elaborationes abzuleſen, wiewohl
ſolches ohnedem iedweden zu ſeinen eigenen belie-
ben anheim geſtellet wird. Denn, ich weiß mich
gar wohl zu beſinnen, daß diejenigen oͤfters beym
beſchluſſe eines collegii die beſten geweſen ſind, wel-
che man beym anfange deſſelben vor die ſchlimſten
halten muſte. Allenfals aber kan dieſer noth durch
ein collegium privatißimum, dazu ich mich gleichfals
offerire, abgeholfen werden. Wie ſich denn freylich
wohl zu einem collegio welches bloß auf die praxin
gerichtet iſt, kein allzu groſſer und unbekannter Nu-
merns ſchicket.
Mit dieſer arbeit gedencke ich II. gar fuͤglich ein
COLLEGIUM HISTORICUM zu verbinden. Denn
die collectanea heben des werck bey den amplifi-
cationibus alleine nicht, die meiſten titul muͤſſen in
E e 5unſern
[442]von allerhand ſchul-
unſern kopfe ſtehen, und koͤnnen durch nichts beſſer
als die hiſtorie in ordnung gebracht werden. Weil
nun die neuſten exempel ohne zweifel die beſten ſind,
weil man ſich dabey nicht befuͤrchten darf, daß in den
gemeinen troͤſtern das meiſte davon ſchon werde ent-
halten ſeyn, ſo iſt auch mein vorſatz nach einleitung
des Herrn von Pufendorf die letztern zeiten mit al-
len dazu gehoͤrigen genealogien fleißig durchzuge-
hen. Vielleicht wird dieſes, wie ehmahls ſchon
allhier geſchehen, ein collegium perpetuum, daß
diejenigen, ſo es einmahl bezahlt, daſſelbe hernach
mehr als einmahl hoͤren koͤnnen.
Man theilet ſonſt die hiſtorie in antiquam, mediam,
und novam ein; Jch aber halte es vor noͤthig noch
eine ſpeciem zu nennen, welche novisſima heiſſen
muß, und in den zeitungen enthalten iſt. Wie ich
aber durch zeitungen nicht allein die gewoͤhnlichen
blaͤtter, ſo in Leipzig und andern orten zum drucke
befoͤdert werden, ſondern vornehmlich die nachricht
von den wichtigen affairen ſo zu Regenſpurg vor-
gehen, verſtehe: Als wird wohl niemand zu leug-
nen begehren, das dieſelben bey jungen leuten eine
erklaͤrung hoͤchſtvon aoͤthen haben. Denn wer will
mir ohne dieſelbe zum exempel ſagen, worinn die
ſtreitigkeiten zwiſchen den aſſeſſoribus in ber Kaͤy-
ſerlichen Cammer zu Wetzlar beſtehen, worauf ſich
die ſo genannte Erbmaͤnner ſache in Muͤnſter gruͤnde,
was es mit der introduction des Boͤhmiſchen Voti in
das Churfl. collegium vor eine bewandtniß habe,
warum die reichs-armee noch bis dato in keinen
rechten ſtand komme? u. d. g. m. Jch hoffe der-
geſtalt gar ein loͤbliches werck zu verrichten, wenn
ich woͤchentlich zwey ſtunden zu dieſer arbeit ausſe-
tze, und erſtlich denen zu gefallen, die nicht gerne
viel leſen, aber doch etwas wiſſen wollen, die noͤ-
thigſten ſachen, ſo in den Teutſchen und Frantzoͤi-
ſchen nouvellen enthalten ſind, kuͤrtzlich referire, her-
nach
[443]und politiſchen reden
nach aber die memoriale ſo ohnlaͤngſt von mir zum
drucke ſind befoͤdert worden, vor die hand nehme,
und bey denſelben einen diſcurs formire, welcher et-
was tieffer in den ſtaat und das jus publicum gehet.
Es iſt ohne dem zu beklagen, daß viel tauſend
Teutſche, welche doch gelehrt heiſſen wollen, nicht
einmahl wiſſen, wie es im Teutſchen reiche zugehet.
Daher geſchiehet es anch, daß etliche in den geſell-
ſchaften, wo man nicht beſtaͤndig von ihren hand-
wercke redet, mit ziemlicher angſt ſtille ſchweigen,
andre mit noch groͤſſer proſtitution reden und noch
andre welche ſich doch durch dergleichen ſtudia am
meiſten heben, und den weg zur rechten befoͤrde-
rung bahnen ſolten, ihr unvermoͤgen meiſtentheils
zu einer zeit erkennen und beklagen, da ihnen weiter
nicht kan geholfen werden. Da nun ohne dem mein
vorſatz iſt III. durch ein Collegium GRATUITUM
den anfang in meinem leſen dieſes mahl zu machen,
ſo wil ich den zuſtand des H. Roͤmiſchen reiches Teut-
ſcher nation in ſeinen geſchichten, gewohnheiten und
rechten, denen, die mich von 1. biß 2. uhr nachmit-
tags hoͤren wollen, gruͤndlich und deutlich vorſtellen,
und meine einleitung zum grunde legen, weil ſie der
herr verleger, ob gleich die erſten zwey theile aller-
erſt fertig ſind, auf mein erſuchen allbereit zu ver-
kauffen gedencket. Und indem es ein collegium iſt,
welches alle ſtudioſt von allen facultaͤten beſuchen
und zu ihren nutzen anwenden koͤnnen, ſo hoffe ich
wenig leere baͤncke zu behalten, obgleich dieſe ſtunde
ſonſt ordentlicher weiſe mehr der ruhe als der arbeit
beſtimmet iſt, und wil kuͤnftigen monrag g. g. als
den 4. Jun. anfangen, auch bald darauf von den uͤbri-
gen collegiis dazu IV. das MORALE uͤber Buddei ele-
menta philoſophiæ moralis gehoͤret, die ſtunden mel-
den.
GOtt laſſe dieſes vorhaben auf allen ſeiten geſe
gnet ſeyn, und gebe, daß Leipzig, den ruhm, ſo [eſ]
ins
[444]von allerhand ſchul-
in andern ſtuͤcken bey den entlegenſten nationen ver-
dienet, auch vornehmlich wegen ſeiner univerſitaͤt zu
allen zeiten behalte.
Gegeben den 30. Maͤy 1708.
Einen catalo[g]um derſelben ſiehe beym Hede-
richl. c. p. 89. ſqq.