Dem
Vaterland.
Für Geschichte und Staatsrecht unsers
Vaterlandes, ist, nach groſsen und schwe-
ren Ereignissen, ein neuer Zeitraum ein-
getreten. Vor unsern Augen eröffnet sich
eine neue Ordnung der öffentlichen
Sachen, begründet, nach hartem Kampf,
durch Verjagung der fremden Herrschaft
aus Teutschland, und durch Stiftung des
Teutschen Bundes.
Mit Recht darf man nun, zu dem der
Geschichte und Rechtswissenschaft kundi-
gen oder beflissenen Theil der Teutschen,
vertrauen, er werde hierin eine kräftige
Aufforderung finden, die seit dem west-
phälischen Frieden mühsam errungene
[VI]Vorrede.
publicistische Cultur aufzufrischen, zu
erhalten und zu erhöhen. In der letzten
Zeit, unter dem Schwert Napoleons, hatte
sie bei den Regierten oben so wenig, als
bei den Regierenden, Fortschritte gemacht.
Auf öffentlichen Lehranstalten wäre sie,
bei längerer Dauer dieses gewaltsamen
Zustandes, vielleicht untergegangen, we-
nigstens napoleonisirt worden; wozu, hie
und da schon ein ziemlicher Anfang ge-
macht zu seyn schien.
Was der wissenschaftlichen Pflege in
dieser denkwürdigen Zeit abgieng, das
glaubten Manche durch Politisiren zu er-
setzen; wozu die groſsen Ereignisse, welche
in schnellem Wechsel über Europa einher-
stürzten, es nie an Stoff fehlen lieſsen.
Unstreitig kamen auf diesem Wege, schon
durch Vermittelung der gemeinen Tageblät-
ter, groſse politische und publicistische
Wahrheiten in allgemeinern Umlauf, und
es war ein wirksames Erwachen des Vol-
kes, zu dem Bewuſstseyn seiner wesent-
lichen Rechte, oft nur zu merkbar. Es
gieng dieses so weit, daſs man behaupten
könnte, es gebe, in Absicht auf die wich-
tigsten Lehren der Politik und des öffent-
[VII]Vorrede.
lichen Rechtes, in den cultivirten Staaten
von Europa keine Profanen mehr. Aber
eben so allgemein, verbreiteten sich hiemit
alle Gefahren und Nachtheile des Halbwis-
sens und der AfterCultur; hier der [Be-
achtung] um so werther, weil es eine An-
gelegenheit betrifft, welche nebst der Sit-
ten- und Gesundheitslehre, die wichtigste
des Menschen ist.
Daſs der positive Stoff, sowohl des
teutschen Bundesrechtes, als auch des
gemeinen Staatsrechtes der Bundesstaaten,
noch nicht in allen Theilen des einen und
des andern so reichlich vorhanden, oder
so ausgebildet ist, wie von der nahen
Folgezeit sich erwarten läſst, möchte der
Erscheinung dieses Werkes wohl nicht zu
gerechtem Vorwurf gereichen. Die Aus-
bildung des publicistischen Lehrbegriffs,
sollte zu keiner Zeit stillstehen. Sie würde
es aber, sobald man aufhören wollte au-
genblicklich in ihn aufzunehmen, was die
Zeit, was bessere Einsicht und vermehrte
Erfahrung für ihn darbieten.
Könnte auch ein Lehrbegriff des teut-
schen öffentlichen Rechtes, jetzt noch,
[VIII]Vorrede.
mehr nicht seyn, als Einleitung oder Vor-
bereitung zu einem künftigen, mehr und
besser ausgebildeten Bundes- und Staats-
recht wenn nicht aller, doch eines groſsen
Theils der Bundesstaaten, mehr nicht als
Begriff- und Formenlehre, eine geordnete
Uebersicht der verschiedenen Gegenstände,
Begriffe, Grundlagen, Kunstwörter und
Formen des öffentlichen Rechtes, womit
der ächte Rechtsgelehrte und Staatsmann
vertraut seyn, welche der Lehrling lernen
muſs, so würde eine solche Darstellung
darum nicht minder nützlich, ja unent-
behrlich seyn. Dem Kenner diente sie
wenigstens als Erregungsmittel für die
Schwungkraft zu dem Vorwärtsschreiten,
dem rechtsbeflissenen Theil der Studiren-
den zu Erweckung eines publicistischen
Bildungseifers, der auf teutschen Lehran-
stalten hoffentlich wieder erwachen wird.
Hiezu kommt, daſs die ersten und
ewigen Wahrheiten des öffentlichen Rech-
tes, ihrem Wesen nach keinem Wechsel
unterworfen sind, und daſs ein groſser
Theil des öffentlichen Rechtes aus der Zeit
des teutschen Reichs und des rheinischen
Bundes, nebst dazu gehörender Literatur,
[IX]Vorrede.
für die Gegenwart, und wahrscheinlich
noch lange hin, dem Staatsmann und
Rechtsgelehrten nicht bloſs nützlich, son-
dern unentbehrlich, folglich in frischem
Andenken zu erhalten ist. Nur die Träg-
heit, welcher jede Entschuldigung, jeder
Vorwand willkommen ist, möchte sich mit
dem Allerneuesten begnügen, und die
Wahrheit bestreiten, daſs der nach ächter
Bildung strebende Rechtsgelehrte und
Rechtsbeflissene des Alten nicht zu viel
lernen kann.
Wenn gleich die That selbst nicht ver-
kennen läſst, daſs die groſsen Lehren,
welche die Geschichte nicht ermüdet den
politischen Machthabern darzubieten, für
einen groſsen Theil derselben, trotz der
Vervollkommnungsfähigkeit des mensch-
lichen Geistes, zeither fruchtlos zu seyn
schienen, so sind sie es doch gewiſs weder
für die öffentliche Meinung, diese groſse
unaufhaltsam fortschreitende Macht unse-
rer Zeit, noch für die Theorie. Desto
nöthiger und nützlicher ist es aber auch,
dahin zu trachten, daſs bei der Nation,
um getrost und freudig in die Zukunft zu
sehen, ihre Pflichten nicht weniger als
[X]Vorrede.
ihre Rechte fortwährend in frischem An-
denken erhalten werden. Diese Betrach-
tung war für den Verfasser vorzüglich ein
Beweggrund, gegenwärtiges Werk öffent-
lich, und schon jetzt erscheinen zu lassen.
Das Vaterland hat einen Schatz ge-
wonnen von unschätzbarem Werth, durch
das Daseyn einer teutschen Bundesver-
sammlung von fortwährender Dauer, in
ihrem Schooſse Männer bewahrend, wel-
che die Nation ihren Edelsten beizählt.
Welche Hoffnungen erblühen nicht aus
dem Streben eines hohen Raths der Teut-
schen, der unlängst in dem Angesicht von
Europa das feierliche Gelübde ablegte:
«daſs er, eingedenk der hohen Bestim-
mung, zu der er berufen worden, und
der Vorschriften und Zwecke der Bundes-
Acte, sich durch keine ungleiche Beurthei-
lung eines einzelnen Bundesgliedes abhal-
ten lassen werde, innerhalb der ihm vor-
gezeichneten Schranken, selbst bedrängter
Unterthanen sich anzunehmen, und auch
ihnen die Ueberzeugung zu verschaffen,
daſs Teutschland nur darum mit dem Blute
der Völker von fremdem Joche befreit, und
Länder ihren rechtmäsigen Regenten zu-
[XI]Vorrede.
rückgegeben worden seyen, damit überall
ein rechtlicher Zustand an die Stelle der
Willkühr treten möge»!
Nächst der Bundesversammlung, müs-
sen die politischen Machthaber in den Bun-
desstaaten, gleich den Lehrern und Schrift-
stellern, stets des hohen Berufs eingedenk
seyn, von dessen Erfüllung das Vaterland
Heilung seiner zahllosen Wunden, und
einen fest und zweckmäsig geordneten
Rechtszustand des Gemeinwesens erwartet.
Diesen Beruf erwägend, und stolz auf ihn,
werden sie ihre Pflicht immer schärfer ins
Auge fassen, und in weisem Eifer für ihn
nie ermüden, wollen sie anders nicht sich
eine unauslöschbare Schuld aufbürden.
Wenn man in Form und Materie die-
ses Werkes, durchaus Aehnlichkeit und
oft Uebereinstimmung bemerkt, mit des
Verfassers «Staatsrecht des Rheinbundes»,
so liegt der Grund hievon theils in der
unveränderten Natur des Stoffes, theils in
fortwährender individueller Ansicht. Da-
gegen wird man die Beflissenheit, überall
wo es möglich war, Neues, Vollständigeres,
und Besseres zu geben, nicht weniger oft
[XII]Vorrede.
wahrnehmen. Ueber die Methode, ist in
dem Werk selbst (§. 14 f.) gesprochen.
An die Literatur des ältern, neuern
und neuesten öffentlichen Rechtes, hat
der Verfasser besonders den Lehrbedürf-
tigen erinnern zu müssen um so mehr ge-
glaubt, da dieselbe zu vollständiger Erken-
nung und Bewahrung vorzüglich dieser
Art von Rechtswahrheiten, und der dahin
gehörigen Thatsachen, unentbehrlich ist,
und ein verhältniſsmäsig zahlreicher Theil
des Publicums die öffentliche Bekannt-
machung einer längst druckfertigen Fort-
setzung von des Verfassers «Neuen Litera-
tur des teutschen Staatsrechtes», deren
Abdruck in dem Augenblick, wo Napo-
leon das teutsche Reich vernichtete, begin-
nen sollte, selbst wenn sie bis auf den jetzi-
gen Zeitpunct fortgeführt wäre, schwerlich
begünstigen würde. Controversen sind, in
Noten, nicht selten angedeutet, damit auch
der Verschiedenheit der Meinungen, selbst
Parteimeinungen, ihr Recht widerfahre.
Aber Polemik sucht man hier vergebens;
ein Lehrbuch ist kein Kampfplatz.
Ueber seine Grundsätze und die Unbe-
stechlichkeit seiner Wahrheitsliebe, hat der
[XIII]Vorrede.
Verfasser schon mehrmal sein Bekenntniſs
abgelegt, es hoffentlich auch überall durch
die That bekräftigt; namentlich in dem
ganzen traurigen Zeitraum des rheinischen
Bundes, in welchem weit nicht alle teut-
schen Staatsmänner, Rechtslehrer und
Schriftsteller, die Feuerprobe der Festig-
keit, des Starkmuths und der Uneigen-
nützigkeit bestanden. Wohlmeinend mit
den Fürsten, aber auch mit dem Volk nicht
minder, setzt er eine Ehre darin, als Pu-
blicist in keiner Beziehung einer politi-
schen oder kirchlichen Partei anzugehören.
Solche Denk- und Handlungsweise ist
selten ein Mittel, zu Hof- und Privatgunst
zu gelangen. Er hat aber auch die eine
und die andere, wenn sie nicht auf andern
Wegen erlangt ward oder zu erlangen war,
nie zu schätzen gewuſst, überzeugt, daſs
der ächte Publicist mit strenger Wahrheits-
liebe, mit reinem Wohlwollen und fester
Gemüthskraft, nicht weniger ausgerüstet
seyn müsse, als mit einem Schatz von Er-
fahrung und Kenntnissen.
Für die Uebelwollenden, für die, bei
welchen Unparteilichkeit schon verdäch-
tig oder verhaſst macht, möchte er nicht
[XIV]Vorrede.
geschrieben haben. Diese sind so wenig
zu versöhnen, als zu beseitigen. Dagegen
erkennt er jede besonnene Critik, für eine
ihm erwiesene Wohlthat. Die Wahrheit
kann durch sie nur gewinnen, und ihm
ist es nicht um Rechthaben zu thun, son-
dern um Rechtseyn und Rechtmachen.
Geschrieben in Teutschland, am 1.
Mai 1817.
Der Staat (civitas, respublica) ist eine
bürgerliche Gesellschaft, mit einem bestimm-
ten Landesbezirk, unter gemeinschaftlicher
Obergewalt, zu allerseitiger Sicherheita).
Nur in Verträgenb), ausdrücklichen oder
stillschweigenden, ist der rechtliche Ent-
stehungsgrund dieses Sicherheitbundes, die-
ser Schutzanstalt, zu suchen c). Solche Ver-
träge sind zu betrachten, wenn auch nicht
in jedem einzelnen Fall als erweisliche That-
sache, oder als in eine Magna-Charta zu Pa-
pier gebracht, doch als regulative Idee der
zur Staatsverbindung sich vernünftigerweise
bestimmenden Menschen d).
Der Mensch, ein sinnliches Vernunftwe-
sen, sucht in der Staatsverbindung Sicher-
heit, für sich und das Seinige, im innern
und äussern Verhältniſs, um seine höch-
sten Zwecke, seine physische, geistige und
sittliche Ausbildung, desto ungestörter ver-
folgen zu können a). Aber dieses ist kein
zureichender Grund, die Staatsverbindungen
als NaturProduct, als durch Naturnothwen-
digkeit entstanden b), zu betrachten; oder
die Verträge, durch welche sie entstehen,
[4]Einleit. I. Cap. Begriffe, Abtheilungen,
als absolut nothwendig, als hervorgehend
nicht bloſs aus Gründen der Klugheit und
der Sittenlehre, sondern aus dem reinen,
vollständig entwickelten Begriff des Rechtes c).
Staatsgewalt (Staatshoheit, höchste
Gewalt, potestas suprema) heiſst das Recht,
[5]Hülfwissenschaften, Methode.
die Mittel zu dem Zweck des Staates zu
wählen a). Die physische oder moralische
Person, welcher diese Wahl anvertraut ist,
wird genannt das Staatsoberhaupt oder das
regierende Subject (Souverain, Regent,
Oberherr, Inhaber der Staatsgewalt, Organ
oder Depositär und Vollzieher des allgemei-
nen Willens, Herrscher, auch personificirte
Staatsgewalt im engern Sinn, princeps, im-
perans, le souverain). Er ist Repräsentant
des Staates nach Aussen, Oberhaupt dessel-
ben im Innern. Sein Recht zu Vertretung
und Regierung des Staates, ist ursprünglich
begründet durch Uebereinkunft, aus-
drückliche oder stillschweigende b). Der
Staat selbst ist zu betrachten als eine mo-
ralische Person, mit eigenem Verstand
und Willen, mit eigenen Rechten und Pflich-
ten, zu Erreichung seines Zweckes; in An-
sehung seiner Dauer, der Regel nach c)
ohne Zeitbestimmung. Die Person des Ober-
hauptes im Staat, muſs rechtlich als stets
fortdauernd gedacht werden, das heiſst, un-
abhängig von dem Wechsel der physischen
Personen d).
I) Der moralischen Persönlichkeit der Ma-
jestät gegenüber, steht diejenige der Unter-
thanschaft. Nur für den Zweck des
Staates, ist der Staatsbürger (Staatsgenoſs,
civis, Citoyen) Unterthan. Daher die
bürgerliche Freiheita). II) Die Rechte
des regierenden und des untergeord-
neten Subjectes in dem Staat, sind wech-
selseitig und vollkommen. Beide er-
strecken sich weiter nicht, als die Pflicht
zu Erreichung des Staatszweckes durch ge-
rechte Mittel, sowohl in dem Innern b),
als auch ausserhalb des Staatsgebietes.
I) Unter öffentlichem Recht (jus pu-
blicum, droit public, droit politique), auch
Staatsrecht im weitern Sinn genannt, ver-
steht man den Inbegriff aller vollkommenen
Rechte der Staaten. So fern diese Rechte
1) bloſs auf das Verhältniſs eines Staates zu
andern unabhängigen Staaten oder Staaten-
vereinen sich beziehen, bilden sie zusam-
men das äussere öffentliche Recht oder
das Völkerrecht (§. 8). Dagegen heiſst
2) der Inbegriff der wechselseitigen, voll-
kommenen Rechte des regierenden und des
untergeordneten Subjectes in dem Staat,
inneres öffentliches Recht oder Staats-
recht in dem engern oder eigentlichen
[8]Einleit. I. Cap. Begriffe, Abtheilungen,
Sinn; und zwar, so weit es aus der Natur
der Staatsgesellschaft flieſst, allgemeines
oder natürliches Staatsrechta) (jus
publ. universale s. naturale), in dem Gegen-
satz des positiven. II) Das Staatsrecht
im engern oder eigentlichen Sinn, beschäf-
tigt sich theils mit der Grundverfassung des
Staates, theils mit der Staatsverwaltung.
Daher dessen Eintheilung, in Verfassungs-
recht und Verwaltungsrechtb). III)
Jede Staatsgewalt hat Grenzen, entweder
natürliche oder positive (verfassungsmäsige),
oder von beiden Arten. Daher muſs in je-
dem Staat ein Staatsrecht bestehen, und die-
sem ein blinder oder bloſs leidender Gehor-
sam (obedientia mere passiva) fremd seyn c).
Vertragmäsig kann noch ausdrücklich das
Recht des Volkes festgesetzt seyn, über sein
Interesse bei der Verfassung und Verwaltung
des Staates, auf bestimmte Art selbst zu
wachen.
I) An die Stelle des ehemaligen teutschen
Reichsstaates trat, für einen groſsen Theil
desselben, ein StaatenSystem (Systema ci-
vitatum foederatarum s. achaicarum), an-
fangs der rheinische Bund, nun, für
fast alle a) ehehin zu dem teutschen Reich
gehörige Staaten, der teutsche Bund;
dieser kein Bundesstaat b), sondern ein Ver-
ein teutscher SouverainStaaten. Ungeachtet
der Einheit dieses Staatenbundes, und des
[10]Einleit. I. Cap. Begriffe, Abtheilungen,
gemeinschaftlichen Bandes, welches
die einzelnen, verbündeten Staaten verei-
nigt, sind doch II) diese unter sich ge-
trennt, selbstständig und unabhängig. Je-
der von ihnen ist in dem Besitz der Sou-
verainetät oder unabhängigen Staatsge-
walt c) Diese teutschen Bundesstaaten, sind
theils monarchisch, theils republika-
nisch gebildet. Die monarchischen sind
Erbstaaten.
Das teutsche öffentliche Recht
überhaupt, ist ein Inbegriff der wechselsei-
tigen, vollkommenen Rechte, nicht nur der
Mitglieder des teutschen Bundes unter sich,
sondern auch der regierenden und der un-
tergeordneten Subjecte in den souverainen
Bundesstaaten, nebst gewissen vollkommenen
[11]Hülfwissenschaften, Methode.
Rechten gegen auswärtige Staaten. So fern
es 1) sich beschränkt auf das staatsrechtliche
Verhältniſs der Bundesgenossen, als solcher,
unter sich, heiſst es Bundesrechta); 2)
Staatsrecht der souverainen Bun-
desstaaten hingegen, so weit die wech-
selseitigen, vollkommenen Rechte der re-
gierenden und der untergeordneten Subjecte
in den SouverainStaaten des Bundes, sein
Gegenstand sind. Dieses kann sich entwe-
der auf die Bundesstaaten überhaupt be-
ziehen (gemeines, commune), oder nur
auf einen einzelnen derselben einschrän-
ken (besonderes, speciale).
Das Staatsrecht in dem engern Sinn (§.
5), ist wesentlich unterschieden von dem
Völkerrecht. Betrachtet man mehrere
unabhängige Staaten nach ihrem gegenseiti-
gen Verhältniſs, so führen sie den Namen
[12]Einleit. I. Cap.Begriffe, Abtheilungen,
freier Völker; sie werden als moralische
Personen angesehen, die unter sich den Stand
natürlicher Freiheit und Gleichheit anerken-
nen müssen. Der Inbegriff ihrer wechsel-
seitigen, vollkommenen Rechte, heiſst Völ-
kerrecht; und zwar I) so weit jene Rechte
aus der Natur ihrer gegenseitigen Verhält-
nisse fliessen, natürliches oder allge-
meines (jus gentium universale); II) so
fern solche auf ausdrückliche oder still-
schweigende Uebereinkunft sich grün-
den, positives (jus gentium positivum,
jus foederum); und III) wenn dieses auf
Europa sich einschränkt, positives (auch
practisches) europäisches Völker-
rechta) (jus gentium europaearum positi-
vum s. practicum).
IV) Das Völkerrecht des teutschen
Bundesa) begreift in sich, die wechsel-
seitigen vollkommenen Rechte, 1) theils der
SouverainStaaten des Bundes unter sich, nach
ihrem Bundesverhältniſs (Bundesrecht, im
engern Sinn, oben §. 7, Note a), 2) theils
des Bundes, in seiner Gesammtheit, gegen
fremde Staaten und StaatenSysteme. V) Das
Völkerrecht der teutschen Bundes-
staaten begreift unter sich, ihr völkerrecht-
liches Verhältniſs, 1) theils zu dem Bund,
2) theils zu andern, sowohl teutschen Bun-
desstaaten als auch fremden Staaten und Staa-
tenSystemen b), und zwar zu beiden in ande-
rer als teutscher bundesrechtlicher Beziehung.
VI) Die fortdauernden Rechte eines Staates
gegen den andern, verdienen im Staats-
recht nur so weit Erwähnung, als sie auf
die innern Staatsverhältnisse bedeutenden
Einfluſs haben c).
I) Der Unterschied zwischen dem Staats-
recht und dem Privatrecht a), als einem In-
begriff der wechselseitigen vollkommenen
Rechte der Einzelnen (ausser dem regieren-
den Subject, als solchem), ist objectiv und
wesentlich. II) Da aber Alles, was das ge-
sammte Volk, oder dessen Repräsentanten, als
solche, betrifft, öffentliche oder Staats-
angelegenheit ist, und hiebei auch Ein-
zelne ein unmittelbares Interesse haben kön-
nen; so kann dieselbe Sache, in verschiede-
ner Hinsicht, Staats- und Privatange-
legenheit seyn. III) Auch Angelegenhei-
ten der einzelnen Staatsbürger mit Aus-
wärtigen, sind Privatsachen. IV) So
wie auch ausser dem Staat ein Privatrecht
(das allgemeineb) Privat- oder bür-
[15]Hülfwissenschaften, Methode.
gerliche Recht) denkbar ist, eben so ist
in dem Staat ein positives Privatrecht
nicht nothwendig, aber gewöhnlich.
Eine Art des Privatrechtes ist das so
genannte PrivatFürstenrecht (Privat-
recht der Erlauchten, jus privatum illustrium
s. principum, jurisprudentia heroica a) ).
1) Es schränkt sich ein, auf die innern Fa-
milien-Privatangelegenheiten b) der Regen-
tenhäuser. 2) Nur in monarchisch ge-
formten Staaten kann es vorkommen. 3) Es
giebt allgemeine FamilienObservanzen der
[16]Einleit. I. Cap. Begriffe, Abtheilungen,
christlichen Regentenhäuser in Europa. 4)
Noch mehr besondere Privatrechte findet
man in den Familien der souverainen
Fürsten des teutschen Bundes, und
in gewisser Art auch noch in den Fami-
lien der Standesherrenc). 5) Selbst
dann, wenn Gegenstände des PrivatFür-
stenrechtes in Staatsgrundgesetzen bestimmt
wären, würden sie darum nicht aufhören,
Privatrecht zu seyn.
Verwandte und Hülfwissenschaf-
tena) des teutschen öffentlichen Rechtes
sind: 1) das allgemeine Staatsrecht b), das in
einem gewissen Fall auch Quelle ist; 2) das
Völkerrecht c), ebenfalls Quelle in einem ge-
wissen Fall; 3) das ehemalige teutsche Reichs-
und TerritorialStaatsrecht d), nebst dem
rheinischen Bundesrecht; 4) die Staats- und
KanzleiPraxis, mit Inbegriff der politischen
Unterhandlungskunst e); 5) das Privatrecht f),
welches oft Licht aus dem Staatsrecht er-
hält; 6) die Staatsgeschichte, mit Inbegriff
der Geschichte des teutschen öffentlichen
Rechtes g).
Ferner: 7) Geographie oder Erdbeschrei-
bung a), und 8) Staatskunde oder Statistik
der SouverainStaaten des teutschen Bundes b);
9) Diplomatik oder Urkundenlehre, nebst
der urkundlichen Chronologie oder Zeit-
kunde c); 10) Genealogie oder Geschlecht-
kunde d); 11) Heraldik oder Wappenkunde e);
12) Numismatik oder Münzenkunde, nebst
der Medaillen- (Schaumünzen-) und In-
schriftenkunde (Epigraphik) f); 13) Poli-
tik g) (Staatslehre, Lehre der Staatsweisheit
oder Staatsklugheit, Staatskunst, Politique,
Science de gouvernement, Political. Philoso-
phy); 14) Staatswirthschaft h) (National-
Oekonomie, Staats-, Finanz- und Polizeiwis-
senschaft); 15) Auslegungskunst i), u. a.
I) Das teutsche öffentliche Recht ist
keine rationale, sondern eine theils hi-
storische, theils rein positive Wissen-
schaft, worin nur Lücken aus dem natürlichen
Staats- und Völkerrecht auszufüllen sind. Es
sind also die rationalen Formen speculativer
Wissenschaften, hier nicht ganz anwendbar.
Bei einem so verschiedenartig zusammenge-
arbeiteten Stoff, würden, wie überhaupt in
dem positiven Recht, so genannte höchste
Principe miſslich seyn a) II) Um syste-
[22]Einleit. I. Cap. Begriffe, Abtheilungen,
matische Einheit des Ganzen möglichst zu
erreichen, sind die Grundsätze nach einem
überdachten Plan, einfach, zusammenhän-
gend, und mit Auswahl darzustellen, in
leichter, ungezwungener Ordnung, so weit
Eigenheit und Mannigfaltigkeit des Stoffs
es gestatten. Aber die Form der Darstel-
lung und die Methode werde, gleich der
Bestimmtheit und Deutlichkeit des Vortrags,
einzig auf Erleichterung der Ueber-
sicht und auf practische Anwendbar-
keit berechnet. Zweckwidrig wäre es, Deut-
lichkeit und natürlichen Zusammenhang der
Materie, dem bloſsen Systemgeist, einem
eitlen Formenspiel, sclavisch aufzuopfern;
über dem Aussinnen neuer Formen, einer
Wirkung des Einspinnens in subtile Theo-
rieen neuerer Scholastik, das Wesentliche,
die klare, bestimmte, vollständige Darstel-
lung der Sachen, zu vernachlässigen; in
Oeden der Speculation, die dem wahren
Genie fremd sind, herumzuirren, statt die Gei-
stesthätigkeit auf Rechtswahrheit und Kennt-
nisse zu leiten, die wohlthätigen Einfluſs
auf das wirkliche Leben haben; oder hinge-
rissen von der Sucht, neu oder geistreich
zu scheinen, sich, dem Gesetz der Verständ-
lichkeit entgegen, zu der Fassungskraft des
[23]Hülfwissenschaften, Methode.
Anfängers nicht herabzulassen. III) Die
dogmatisch-historische Lehrmethode,
ist der bloſs dogmatischen, noch mehr der
bloſs historischen, so auch der bloſs raison-
nirenden, vorzuziehen; und die Literatur,
auch die frühere, darf nicht vernachlässigt
werden. IV) Controversen, und Erläu-
terung durch merkwürdige Staatsvor-
fälleb), bleiben hauptsächlich dem münd-
lichen Vortrag vorbehalten c).
Verunstaltet wird der Lehrvortrag, ent-
ehrt die Wissenschaft, durch Partei- und
Sectengeist; durch Vorurtheil und
Hypothesensucht; durch Miſsbrauch
des allgemeinen Staatsrechtes, des Völker-
rechtes und der fremden Rechte, insonder-
[24]Einleit. II. Cap. CulturGesch. u. Literatur
heit des römischen; durch Schwanken in
Festsetzung und Anwendung des Rechtes.
Dagegen gewinnen beide, durch ächtphilo-
sophische und zweckmäsige historische Be-
arbeitung; durch Unbefangenheit und Nüch-
ternheit des Urtheils; durch anständige, edle
Freimüthigkeit a). Weises Miſstrauen, muſs
in dem Felde so practisch wichtiger Unter-
suchungen, mit der Festigkeit im Fortschrei-
ten immer gepaart seyn, und der Widerstand
gegen Andersdenkende, darf nie die Gesetze
der Humanität verletzen.
So lang die politische Wichtigkeit der
Päpste in Europa überwiegend war, so
[25]des teutschen öffentlichen Rechtes.
lang abentheuerliche Grillen von einem
dominio mundi und imperio Christianitatis der
römischen Kaiser, von einer besondern Hei-
ligkeit des römischen Reichs, von einer Ver-
wandlung des teutschen Reichs in das römi-
sche, practische Ungereimtheiten zur Folge
hatten, so lang man der Hülfe der Buch-
druckerkunst und der allgemeinen wissen-
schaftlichen Cultur entbehrte, konnte zweck-
mäsige [Bearbeitung] des allgemeinen
Staats- und Völkerrechtes kaum erfol-
gen. Einige Lichtfunken für das öffentliche
Recht, sprangen aus Reibungen zwischen
der päpstlichen und weltlichen Macht,
mehr noch aus Luthers und Zwingli’s
Reformation a). Lebhafte Erörterungen wi-
der den Miſsbrauch der Staatsgewalt, und
Macchiavelli’s treffende Schilderung des
Despotismus, wirkten mächtig. Schon hatte
Grotius die Sache der Menschheit verthei-
digt, als Hobbes, Graswinkel, Wan-
dalin, Houtwyn und Masius dawider
aufstanden. Aber Pufendorf, Sidney,
Becmann, Thomasius, Leyser, Mon-
tesquieu, Rousseau und Filan-
gieri, traten muthig dem Vorurtheil in
den Weg.
Staatsvorfälle, in Frankreich, Hol-
land, England, Dänemark und Teutschland,
weckten den Untersuchungsgeist zu theore-
tischer und practischer Behandlung der wich-
tigsten Gegenstände. Biblische Publi-
cisten und bloſse Empiriker, machten
wenig Glück mehr. Aber auch die Ra-
tionalisten veranlaſsten manche traurige
Erfahrung, über den Miſsbrauch der Spe-
culation. So fand der Synkretismus von
neuem Eingang. Friedrich II. und Jo-
seph II., jener durch Schriften, beide durch
Regentenhandlungen, verkündigten Wahr-
heit vom Thron herab. Die Preſsfreiheit
ward in mehreren Staaten begünstigt. Em-
pörungen in Nordamerika und Frankreich,
brachten wichtige Wahrheiten so zur Sprache,
daſs sie, ehehin Domäne der Gelehrten, auf-
fallend sich popularisirten. Eine Fluth von
Lehr- und Handbüchern, vorzüglich der
Engländer, Teutschen und Franzosen, haben,
seit Huber, Pufendorf, Böhmer und
[27]des teutschen öffentlichen Rechtes.
Wolf, das Reich der publicistischenWahrheit
zwar nicht sehr zu erweitern vermocht, aber
doch die Grundsätze des allgemeinen Staats-
rechtes, in mannigfaltiger Form, sehr in Um-
lauf gebracht a).
Auch durch sehr fleiſsige und vielfache
Bearbeitung des teutschen Reichs- und
Territorial-Staatsrechtes, und der
Staatsgeschichte, ward der wissenschaft-
lichen Cultur des heutigen teutschen öffent-
lichen Rechtes nicht wenig vorgearbeitet. Die
älteste Periode des teutschen Staatsrechtes
(bis auf das J. 600 n. C. G.), zeichnete sich
aus durch Barbarei, Nationalfreiheit und
Heidenthum a). Während der tausendjähri-
gen Nacht des Mittelaltersb), herrschten
Hierarchie, König- und römisches Kaiser-
thum, B[e]neficial-, Feudal- und Ritterwesen,
Miſsbrauch der fremden Rechte, historische
Irrthümer. Mit der aufkeimenden Cultur
des gesellschaftlichen Lebens, mit
der Aufhebung des Faustrechtes, mit
der Verbesserung der Rechtspflege,
[28]Einl. II. Cap. CulturGeschichte u. Literat.
brach die Morgenröthe für Ausbildung und ge-
lehrte Bearbeitung des Staatsrechtes an. Seit-
dem entwickelten sich die Systeme der gesell-
schaftlichen Ordnung oder des ewigen Land-
friedens, der kaiserlichen Wahlcapitu-
lation, der Reichsversammlung, der
Reichskreise, der Reichsgerichte, der
Landeshoheit, der kirchlichen Spal-
tung.
Die Errichtung des Reichskammer-
gerichtes (1495), vereinigt mit dem, durch
die Reformation geweckten Forschungs-
und Prüfungsgeist, und mit der Wiederbe-
lebung der humanistischen und allgemeinen
Gelehrsamkeit, wirkte sichtbar auf die Be-
arbeitung des teutschen Staatsrechtes. Der
westphälische Friede (1648), gab dem
teutschen Staatsgebäude, in seiner Gesammt-
heit und im Einzelnen, neuen Glanz, neue
Festigkeit. Secteneifer, Eitelkeit, Neuerungs-
[29]des teutschen öffentlichen Rechtes.
und HypothesenSucht einiger Schriftsteller,
vermochten nichts gegen Wetteifer, Critik
und unbefangenen Wahrheitsinn so vieler
andern. Die akademische Cultur des
Staatsrechtes, nach ächter Methode, die
fleiſsige Bearbeitung der Hülfmittel, des
Staatsrechtes des Mittelalters, der philosophi-
schen und humanistischen Wissenschaften,
die fleiſsige Benutzung ächter Quellen, und
der teutsche Sammlungsgeist, verbunden mit
Scharfsinn und Geschmack, hatten den Lehr-
begriff und Lehrvortrag des teutschen Staats-
rechtes, zu einem solchen Grad von Vollkom-
menheit gebracht, daſs solcher selbst von
Ausländern, insbesondere von Franzosen und
Engländern vorzugsweise geschätzt und ge-
sucht ward a).
In dem etwas mehr als siebenjährigen Zeit-
raum des rheinischen Bundes, machte
die Cultur des früheren öffentlichen Rech-
tes der Teutschen auffallende Rückschritte,
und diejenige des gleichzeitigen sehr geringe
[30]Einl. II. Cap. CulturGeschichte u. Literat.
Fortschritte. Zwar wurden für das letzte,
besonders in den ersten Jahren, verschie-
dene literärische Versuche gemacht. Aber, bei
dem von dem Stifter des Bundes vielfach
aufgelegten oder veranlaſsten Druck, bei
der Wandelbarkeit der von ihm und man-
chen teutschen Staatsregierungen aufgestell-
ten Grundsätze, bei der nicht seltenen Wahr-
nehmung, daſs sogar Bestimmungen der Bun-
desActe theils unerfüllt blieben, theils ein-
seitig durch die That selbst aufgehoben wur-
den, und bei den mannigfaltigen Gefahren,
womit die Freimüthigkeit der Schriftsteller
bedroht war, schienen die Teutschen den
Glauben an ein wirklich geltendes öffentli-
ches Recht, und mit ihm die Empfänglich-
keit für wissenschaftliche Bearbeitung des-
selben, fast verloren zu haben a). Die Wie-
dererweckung des einen und der andern, ist
von der nahen Folgezeit zu wünschen.
Nach den vorhandenen Vorarbeiten, läſst
sich mit höchster Wahrscheinlichkeit anneh-
[31]des teutschen öffentlichen Rechtes.
men, daſs, bei der Fortdauer und Fortbil-
dung des teutschen Bundes, das heutige teut-
sche öffentliche Recht, durch angestrengte,
nicht seltene Bemühung teutscher Staatsrechts-
gelehrten, durch akademischen Lehrvortrag,
und selbst durch Bestimmungen sowohl der
Bundesversammlung, als auch der Macht-
haber und Gesetzgeber in den Bundesstaaten,
einen hohen Grad von wissenschaftlicher Cul-
tur erreichen werde.
Den wichtigsten Einfluſs auf zweck-
mäsige Cultur des teutschen öffentlichen
Rechtes, hat man, neben der Cultur der
Wissenschaften überhaupt, zu erwarten, von
der heutigen vermehrten Thätigkeit der Macht-
haber und der Staatsgesetzgebung, von der
Publicität und öffentlichen Meinung, von
der frühern, sehr fleiſsigen Bearbeitung des
allgemeinen Staats- und Völkerrechtes, dann
des teutschen Reichs- und TerritorialStaats-
rechtes a), von dem akademischen Lehrvor-
trag, und von der literärischen Fruchtbar-
keit teutscher Schriftsteller. Staatsver-
träge und Staatsgesetze vermehren sich
[32]Einl. II. Cap. CulturGeschichte u. Literat.
nicht nur, sondern sie gewinnen auch im-
mer mehr an theoretischer und practischer
Wichtigkeit, an Reichhaltigkeit und plan-
mäsiger Anordnung des Inhaltes. Die Publi-
cität der Gegenstände des öffentlichen Rech-
tes, macht Fortschritte, und wie die Kraft
der Ereignisse Seyn und Nichtseyn der Staa-
ten, und ihre Ausbildung unwiderstehlich
bestimmt, also wirkt mächtig die öffent-
liche Meinung auf Ausbildung und An-
wendung der Grundsätze des öffentlichen Rech-
tes b).
Mit der Fortdauer des Bundes, mit den
von Zeit zu Zeit eintretenden, neuen Bestim-
mungen und Staatsvorfällen, werden die lite-
rärischen Hülfmittel zu dem teutschen öffent-
lichen Recht, immer zahlreicher und gehalt-
voller werden. Die Bibliographie oder
[33]des teutschen öffentlichen Rechtes.
Bücherkunde a) dieses Theils der positiven
Rechtswissenschaft, ist demnach wichtig für
das Studium desselben. Eben so, die Bio-
graphie (Schriftstellerkunde) der Publici-
sten b); insbesondere ihr Vaterland, persön-
licher Charakter, Talent, Religion, Erzie-
hung, wissenschaftliche Bildung, gleichzei-
tige politische Constellation, Dienstverhältniſs,
Wohnort, und der Schauplatz ihrer practi-
schen Thätigkeit. Nicht zu vernachlässigen
ist, auch jetzt noch, die Literatur eines
groſsen Theils des ehemaligen teutschen
Reichs- und Territorial-Staatsrech-
tesc), welches nicht nur historisch und theo-
retisch, sondern auch hie und da noch pra-
ctisch wichtig ist.
Der publicistische Büchervorrath, läſst sich
auf folgende Art ordnen: I) Literärische
Hülfmittel a) und Geschichte des Staatsrech-
tes (§. 12, Note g). II) Quellen, sowohl
Staatsverträge und Staatsgesetze, als auch
Staatsacten und Urkunden b). III) Compen-
diarische Schriften c). IV) Ausführliche Sy-
steme d) (Handbücher). V) Erläuterungs-
schriften (Commentare) über Staatsverträge
[35]des teutschen öffentlichen Rechtes.
und Staatsgesetze e). VI) Systematische Werke,
über einzelne Haupttheile des öffentlichen
Rechtes f). VII) Monographien g) (Disserta-
tionen und Tractate). VIII) Vermischte Samm-
lungen h). IX) Deductionen, Gutachten, Rechts-
fälle, rechtliche Erkenntnisse i). X) Lexico-
graphische Werke k). XI) Schriften über die
Hülf- und verwandten Wissenschaften l).
Zu einem hohen Grad von Bestimmtheit
und Vollständigkeit, war das staatsrecht-
[42]Einl. III. Cap. Auflös. der t. Reichsverbind.
liche System der teutschen Reichsverbin-
dung ausgebildet. Aber auffallend schwach,
zum Theil sich selbst widersprechend, war
der politische Charakter des teutschen
Reichs a) geworden, in dem innern und äus-
sern Staatsverhältniſs, auch in den Territo-
rien. Bei innerer Schwäche, bei der nicht
seltenen Ueberhebung mächtiger Beherrscher
teutscher ParticulärStaaten über die Gesetze,
bei dem AllianzSystem, welchem viele Lan-
desherren in der neuern Zeit den Vorzug
gaben vor dem verfassungsmäsigen Schutz der
Reichsverbindung b), bei der mindern Wirk-
samkeit des Reichs im Ganzen für kriege-
rische Verhältnisse, war ungeforderter Ein-
fluſs von Aussen nicht schwer. Entschei-
dend sogar für die Fortdauer der Reichsver-
bindung, konnte solcher wirken, sobald die
beiden teutschen Hauptmächte ihm zu wi-
derstehen verschmäheten, oder nicht ver-
mochten.
Erschüttert in seiner Grundfeste ward
das teutsche Reich, durch den ihm aufge-
drungenen Krieg mit Frankreich a) (22. März
1793—9. Febr. 1801); durch TrennungsPolitik,
insbesondere durch Separat-Friedensschlüsse
und Neutralität teutscher Fürsten b) (seit dem
5. April 1795); durch Streben Einzelner nach
Vergrösserung mit teutschen Landesbezirken c);
durch Abreissung der teutschen Staaten auf
der linken Rheinseite, in Folge des lüne-
viller Friedens (9. Febr. 1801); durch in dem-
selben Frieden festgesetzte, fast allgemeine
Secularisation der geistlichen ParticulärStaa-
ten, und ein weit greifendes Entschädigungs-
System, beides angenommen und ausgeführt
in dem, unter französisch-russischem Ein-
fluſs errichteten, ReichsdeputationsHaupt-
schluſs vom 25. Febr. 1803 d).
Nur scheinbar war die neue und ver-
mehrte Stärke, welche dem teutschen Reich,
nach Napoleons Versicherung a), durch den
ReichsdeputationsHauptschluſs sollte zu Theil
geworden seyn. Der Eroberer erneuerte und
vervielfältigte seine vorbereitenden Zerstö-
rungsversuche. Ruſslands Bemühung,
ihnen, durch ein von den nord-europäischen
und nord-teutschen Staaten mit ihm zu schlies-
sendes fortwährendes Bündniſs, Einhalt zu
thun b), waren fruchtlos. Napoleon bemäch-
tigte sich der hannöverischen Staaten (Jul.
1803). Er versicherte sich, durch Allianz-
Verträge, der Streitkräfte Baierns, Wirtem-
[45]Sriftung d rhein. u. d. teutsch. Bundes.
bergs und Badens c). Er hatte, nach einem
neuen Krieg mit Oestreich, in welchem er
das preuſsische neutrale Gebiet in Franken
durch unbewilligten TruppenDurchmarsch
verletzte, durch den presburger Frieden (26.
Dec. 1805) Oestreichs Macht abermal be-
deutend geschwächt, Baiern vergrössert, und
nicht nur den Kurfürsten von Baiern und
Wirtemberg die Königswürde, sondern auch
ihnen und dem Kurfürsten von Baden eine
relative Souverainetät d) verschafft.
Napoleon hatte Preuſsen genöthigt, gegen
Abtretung Ansbachs, Neufchatels, und des
[46]Einl. III. Cap. Auflös. der t. Reichsverbind.
clevischen Landesbezirks auf der rechten
Rheinseite, das Kurfürstenthum Hannover
von ihm anzunehmen a). Er hatte, ohne Wi-
derspruch von teutscher Seite, das Herzog-
thum Berg und die Reste des Herzogthums
Cleve auf der rechten Rheinseite, sogar mit
voller Souverainetät b), an seinen Schwa-
ger, den Prinzen und GroſsAdmiral von
Frankreich, Joachim Mürat, abgetreten. Er
hatte zu München (März 1806) Unterhand-
lungen mit Baiern, Wirtemberg und Baden
eingeleitet, um diese Staaten, mit gleichzei-
tiger Unterordnung aller benachbarten min-
dermächtigen Landesherren und Reichsun-
mittelbaren, sonach fast das ganze südliche
Teutschland, von Oestreichs politischem,
und von des Kaisers und Reichs staatsrecht-
lichem Einfluſs möglichst frei zu machen c).
Er hatte wichtige MilitärPuncte auf der rech-
ten Rheinseite, nämlich das Fort und Städt-
chen Kehl, Cassel (bei Mainz), Kostheim,
die ganze St. PetersInsel, und den militä-
rischen Theil der Festung Wesel, sich züge-
eignet d). Er hatte seinen Oheim, den Car-
dinal Fesch, zum Coadjutor und Regierungs-
Nachfolger des KurErzkanzlers und ersten
teutschen Reichsstandes ernannt e). Auch hatte
Schweden, als Herzog von Vorpommern,
[47]Stiftung d. rhein. u. d. teutsch. Bundes.
von der teutschen Reichstagsversammlung sich
abgesondert f). So — war das teutsche Reich,
durch die That schon, seiner Auflösung
nahe gebracht g).
Mächtig hatte schon seit 1793 Frankreich,
mächtiger noch (§. 27 f.) seit 1799, insbe-
sondere Napoleon, auf das Schicksal des
teutschen Reichs gewirkt. Nicht nur be-
herrschte dieser jetzt unmittelbar Frankreich
und das Königreich Italien, sondern er hatte
auch, seit dem presburger Frieden, zwei
seiner Brüder auf Königsthrone gesetzt, in
Neapel a) und in dem, durch ihn aus der
batavischen Republik in ein Königreich ver-
wandelten, Holland b); und ausserdem war
er noch in dem Besitz ansehnlicher födera-
[49]Stiftung d. rhein. u. d. teutsch. Bundes.
tiver Macht. — Auch hielten, selbst nach
dem presburger Frieden, zahlreiche fran-
zösische Heere einen groſsen Theil des süd-
lichen und nördlichen Teutschlandes, sogar
die östreichische Grenzfestung Braunau, be-
setzt, und ein AllianzVertrag hielt Preuſsen
mit Frankreich vereinigt c). Mehrere teutsche
Fürsten, überzeugt, daſs Kaiser und Reich
vor Frankreichs Macht sie nicht schützen
könne, wendeten sich, einzeln, um ihre
Existenz, und vielleicht Vergröſserung, an
Napoleon. — In solcher Lage hatte dieser
Kaiser der Franzosen (gegen die Mitte des
Jahres 1806), erwogen, daſs eine plötz-
liche Trennung des teutschen Reichs,
und die Verwandlung seiner meisten Parti-
culärStaaten in französische Schutz-
staaten, Oestreichs und Preuſsens Macht
bedeutend schwächen, die seinige beträcht-
lich mehren werde; auch werde, bei der so
eben vernommenen beharrlichen Weigerung
Ruſslands, abgesondert von dem mit ihm
alliirten England, Frieden mit Frankreich
zu schlieſsen d), bei der wahrgenommenen
Unentschlossenheit Oestreichs, die teutsche
Reichskrone an Frankreich abzutreten, die
Vertheidigung neuer, und zwar völlig ent-
scheidender, Schritte in Teutschland, ihm
(4)
[50]Einl. III. Cap. Auflös. der t. Reichsverbind.
nicht schwerer, eher leichter, fallen, als die
Behauptung dessen, was in Neapel, in Hol-
land, und anderswo von ihm schon gesche-
hen war. In dieser Lage der Dinge, erwachte
und reifte zugleich, ohne Unterhandlung, in
dem Geiste Napoleons, mitten unter riesen-
haften Entwürfen im raschesten Wechsel der
Begebenheiten, die Idee von gänzlicher
Vernichtung der teutschen Reichsverbin-
dung, und von Stiftung des rheinischen
Bundes, unter seinem Schutze), als Mittel
zu Erwerbung der von ihm beabsichtigten
Alleinherrschaft.
So empfieng das tausendjährige Reich
der Teutschen, in der rheinischen Bun-
desActea), sein Vernichtungsurtheil
aus Napoleons Hand. Verkündigt ward
solches, zuerst Abgeordneten der zu Bundesge-
nossen ernannten teutschen Reichsstände, zu
Paris am 12. Jul. 1806, in dem Namen des
eigenmächtig handelnden Protectors, von sei-
nem Minister der auswärtigen Angelegenhei-
ten, dann der teutschen Reichsversammlung,
am 1. Aug. 1806, in dem Namen des Pro-
tectors b) und der Bundesgenossen c). Ohne
Weigerung und unverweilt folgte, von dem
letzten Kaiser der Teutschen, Franz II., dem
vier und funfzigsten seit Carl dem Groſsen,
dem zwanzigsten aus dem habsburger Stamm
[52]Einl. III. Cap. Auflös. der t. Reichsverbind.
die Niederlegung der reichsober-
hauptlichen Würde und der damit ver-
bundenen Kaiserkroned). Die Einwei-
sung der Bundesfürsten in ihre neuen Staa-
ten, geschah durch französische Commissa-
rien e).
Durch zugenöthigte Absonderung von der
teutschen Reichsverbindung, verschafften sich
[53]Stiftung d. rhein. u. d. teutsch. Bundes.
die Bundesfürsten politische Selbsständigkeit,
unter dem Gebot Napoleons. Dieser erklärte
einen Theil der bisherigen teutschen Terri-
torialRegenten für souverain, einen andern
für unterworfen, der Oberhoheit einzelner
Bundesfürsten a). An die Stelle des teutschen
Reichs, trat, doch nur für die meisten b)
souverain gewordenen teutschen Fürsten, der
rheinische (französisch-rheinische, ger-
manische) Bund, einseitig und eigenmäch-
tig gebildet in dem französischen Cabinet,
in dem Augenblick der Mittheilung zu Paris
unbedingt angenommen von dort anwesen-
den Gesandten der zu Bundesgenossen von
dem Protector berufenen teutschen Fürsten.
Ueber dieses Alles ward eine Urkunde er-
richtet, BundesActe genannt, ihrem Wesen
nach einem militärischen Tagsbefehl ähnlich,
der Form nach ein Vertrag, zwischen dem
Kaiser. von Frankreich auf der einen, den
Bundesfürsten auf der andern Seite c), dann
auch zwischen den Bundesfürsten unter sich.
Anerkannt ward der Bund, selbst in An-
sehung der künftig noch hinzutretenden Sou-
veraine, von Ruſsland und Preuſsen,
in den Friedensschlüssen zu Tilsit vom 7.
und 9. Jul. 1807 d). Garantirt ward
die Integrität der rheinischen Bundesstaaten
[54]Einl. III. Cap. Auflös. der t. Reichsverbind.
von Ruſsland, in demselben Friedens-
schluſs e).
I) Die rheinische Conföderation, ur-
sprünglich, laut der BundesActe, nur für
SüdTeutschland gestiftet, erweiterte sich,
innerhalb zweier Jahre, bis an die Küsten
der Ost- und Nordsee. Vom Dec. 1806 bis
in den Oct. 1808, wurden zu den sechzehn
ursprünglichen rheinischen BundesSouverai-
nen, noch drei und zwanzig andere teutsche
Könige und Fürsten, einseitig von dem Pro-
[55]Stiftung d. rhein. u. d. teutsch. Bundes.
tector, in den Bund aufgenommen a). II) Mit
derselben Einseitigkeit und Willkühr, wo-
mit Buonaparte den Bund gestiftet und er-
weitert hatte, entzog er demselben wieder,
im Dec. 1810, die Herzogthümer Oldenburg
und Arenberg, und die Fürstenthümer Salm-
Salm und SalmKyrburg, indem er diese Lan-
der, so wie verschiedene Bezirke des König-
reichs Westphalen und des Groſsherzogthums
Berg, ihren Regenten entriſs und mit Frank-
reich vereinigte b).
I) Sieben Jahre lang, und etliche Mo-
nate, dauerte der rheinische Bund, der That
nach nicht als Bund teutscher, unter diesem
Namen vereinigter Fürsten unter sich, son-
dern als Bund Napoleons mit diesen Fürsten.
Dieser politische Abentheurer, der, unbe-
kümmert um Anderer Trümmer, wie Homers
Götter, mit drei Schritten am Ende der Welt
[56]Einl. III. Cap. Auflös. der t. Reichsverbind.
seyn wollte, bediente sich der Bundesform
als eines Vorwandes, die Streitkräfte der Staa-
ten jener Fürsten für seine nie endenden
Kriege, die ganze Staatenmasse für sein
abentheuerliches ContinentalSystem, und je-
den einzelnen Staat im Innern für seine sul-
tanische Launen zu benutzen. Unwidersteh-
lich waren seine Machtgebote in den teut-
schen Staaten, besonders seitdem er auch
Preuſsen und den gröſsten Theil Polens durch
die tilsiter Friedensschlüsse (7. und 9. Jul.
1807) seinem gebietenden Einfluſs unterwor-
fen, und Oestreichs Macht durch einen drit-
ten Krieg und den wiener Frieden (14. Oct.
1809) abermal bedeutend geschwächt hatte.
II) Eine Völkerschlacht bei Leipzig
(16. — 19. Oct. 1813), verjagte die Macht
des Tyrannen aus den Staaten der Bundes-
fürsten. Jeder dieser Fürsten, von der ihm
aufgedrungenen politischen Vormundschaft
befreit, entsagte nun, ausdrücklich oder
stillschweigend, dem so genannten rheinischen
Bund, diesem schmählichen Denkmal teut-
scher Unterjochung. Die Entsagung geschah
durch Verträge a) mit den verbündeten Mäch-
ten, durch Beitritt zu den Allianzen wider
Frankreich im Jahr 1813 b), und wider Buo-
naparte im Jahr 1815 c), durch Errichtung
[57]Stiftung d. rhein. u. d. teutsch. Bundes.
des teutschen Bundes. Diese Entsagung, und
mit ihr die gänzliche Vernichtung des
erzwungenen, widernatürlichen Bundes, er-
hielt ihre unwiederrufliche Bestätigung durch
die damit übereinstimmende Erklärung
der vier groſsen verbündeten Mäch-
ted) (Oestreich, Ruſsland, England und
Preuſsen), welche zu Wiedereroberung und
Erhaltung der Freiheit von Europa, sich mit
seltener Eintracht und festem Willen das
Wort gegeben hatten. In dem pariser
Frieden vom 30. Mai 1814, Art. 6, trat
auch Frankreich, frei von napoleonischer
Herrschaft, dieser Erklärung bei.
I) Nach Auflösung des rheinischen Bundes,
ward eine Wiederherstellug des teut-
schen Reichs und der Kaiserwürde,
selbst mit verbesserter Grundverfassung, nicht
für räthlich erachtet a). Vielmehr ward II) in
dem pariser Frieden vom 30. Mai 1814 b),
festgesetzt, daſs „die Staaten Teutschlands
unabhängig, und durch ein Föderativ-
Band vereinigt seyn sollten“. III) Für
Errichtung und Ausbildung dieses Staaten-
vereins, wurden auf dem wiener Congreſs,
1) von Oestreich und Preuſsen eine Reihe
von Entwürfen, zu einem Grundvertrag
des zu errichtenden Bundes, vorgelegt c);
es wurden 2) von den Bevollmächtigten fünf
teutscher Höfe (Oestreich, Preuſsen, Baiern,
Hannover, Wirtemberg) Vorberathschla-
gungen über den Inhalt des Grundvertrags
gehalten (Oct. und Nov. 1814), aber ohne
Erfolg d); endlich kam es 3) in den letzten
Wochen des Congresses, nicht ohne sicht-
bare Eile e), noch zu allgemeinen Be-
rathschlagungen der Bevollmächtigten
aller künftigen Bundesgenossen (Wirtemberg
und Baden ausgenommen f), über den zu
[59]Stiftung d. rhein u. d. teutsch. Bundes.
schlieſsenden Grundvertrag g); welche 4) die
Abfassung und Unterzeichnung der Bundes-
Acte vom 8. Jun. 1815 zur Folge hatten,
und mit solcher, für acht und dreiſsig teutsche
SouverainStaaten, die Errichtung des
teutschen Bundesh).
Das teutsche Reich war eine, aus un-
tergeordneten Staaten zusammengesetzte, sehr
eingeschränkte Wahlmonarchie. Die Reichs-
Staatsgewalt war organisirt, 1) auf einen
Kaiser (ein verfassungsmäsiges, wählbares
Oberhaupt), und 2) auf eine Corporation
von Reichsständen. Diese, in drei Col-
legien (das kurfürstliche, fürstliche und reichs-
städtische) abgetheilt, bildeten, nebst dem
Kaiser, die Reichsversammlung (Reichs-
tag) oder Kaiser und Reich. Dem Kaiser
und Reich stand die Reichsregierung
[61]des t. Reichs u. des rhein. Bundes.
zu; doch mit Ausschluſs gewisser Re-
servatrechte des Kaisers. Für Matricu-
larWesen, zu Vertheilung der Reichssteuern
und zu Aufstellung eines Reichskriegsheers,
für Münz- und Reichs Polizeiwesen, für Voll-
ziehung reichsgerichtlicher Erkenntnisse, und
für verschiedene andere Gegenstände, war das
Reich, geographisch-politisch, in Kreise
eingetheilt. Zu Handhabung der Reichsju-
stiz über Reichsunmittelbare, und in höch-
ster Instanz auch über Reichsmittelbare, wa-
ren zwei höchste Reichsgerichte be-
stimmt, das Reichskammergericht und der
Reichshofrath. In Ermangelung oder Ver-
hinderung des Kaisers, ward dessen Stelle
in der Reichsregierung gröſstentheils vertre-
ten durch zwei Reichsverweser (Reichs-
Vicarien), die Kurfürsten von der Pfalz und
von Sachsen, durch jeden besonders in einem
bestimmten Bezirk (VicariatBezirk), von bei-
den gemeinschaftlich auf der Reichsversamm-
lung und an dem Reichskammergericht.
In dem teutschen Reich war eine zwei-
fache Staatsgewalt; eine unabhängi-
ge und eine untergeordnete. Die erste
[62]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
erstreckte sich über den Reichsstaat, das
Reich im Ganzen; sie war dem Kaiser und
dem Corpus der Reichsstände anvertraut, und
hiese Reichs-Staatsg ewalt oder Reichs-
hoheit. Die andere beschränkte sich auf
die Grenzen eines jeden der besondern Staa-
ten, welche integrirende Theile des teut-
schen Reichs ausmachten; sie war dem re-
gierenden Subject eines solchen Particulär-
Staates anvertraut, und hieſs Territorial-
Staatsgewalt oder Landeshoheit (su-
perioritas territorialis). Diese Landesho-
heit war eine, der Reichshoheit unterge-
ordnete Staatsgewalt, über einen Particulär-
Staat des teutschen Reichs a)
Getrennt und unabhangig von einander,
vereinigten alle ParticulärStaaten, als Theile
[63]des t. Reichs u. d. rhein. Bundes.
sich zu einem Ganzen, dem Reichsstaat.
Diese Einheit begründete die Subordina-
tion Aller, unter die Reichshoheit. Den-
noch geschah die Ausübung der Landeshoheit,
in jedem besondern Staat nach eigenem
Recht, nicht administratorisch für Kaiser
und Reich Diese zweifache Staatsform ver-
anlaſste, in Absicht auf das Staats-Sub-
jections-Verhältniſs, eine Abtheilung
der tentschen Staatsbürger und ihrer Be-
sitzungen, in reichsunmittolbare und
mittelbare. Beide waren der Reichs-
hoheit unterworfen. Aber reichsunmit-
telbar war Alles, was einzig der Reichs-
hoheit, reichsmittelbar, was zunächst
einer Landeshoheit unterworfen war a).
So gebildet hatte sich die teutsche
Reichsverfassung, hauptsächlich durch die
goldne Bulle Carls IV. (1356), durch die
kaiserlichen Wahlcapitulationen seit Carl V.
[64]Einl. IV Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
(1519), durch den westphälichen Frieden
(1648), durch Reichsschlüsse, Reichsabschiede
und Reichsherkommen a). Als Stütze für sie,
sollte noch in der neuesten Zeit der teutsche
Fürstenbund (1784) gelten b).
Das teutsche Reichsarchiva), ist viel-
fältig noch jetzt brauchbar, für streitige und
nicht streitige Staats- und Privatrechte. Es
befand ich an vier Orten: I) Zu Wien,
das kaiserliche ReichsHofArchiv, bestehend:
1) aus der geheimen ReichsHofRegistratur,
teutscher und lateinischer Expedition, für
Staats-, Lehn-, Gnaden- und andere ausser-
gerichtliche Sachen, für Teutschland und
Italien; 2) aus der ReichshofrathsRegistratur,
hauptsächlich für streitige Rechts- und Lehn-
sachein; und 3) aus der Registratur des Reichs-
[65]des teutsch. Reichs u. des rhein. Bundes.
HofTaxamtes. II) Zu Wetzlar, für ältere
Sachen auch zu Aschaffenburg, das Ar-
chiv des kaiserlichen und ReichsKammerge-
richtes. III) Zu Regensburg, das Reichs-
tagsDirectorialArchiv b). IV) Zu Aschaf-
fenburg (vorhin zu Mainz), das erzkanz-
lerische ReichsHauptArchiv. — Die Ver-
waltung und Aufsicht über alle Abthei-
lungen des ReichsArchivs, und die Anstel-
lung der ArchivPersonen, gebührte dem Kur-
fürsten ReichsErzkanzler.
Aus den verschiedenen Abtheilungen des
ReichsArchivs, können noch jetzt von den
Interessenten die nöthigen Acten, Documents
und Notizen erlangt werden. Zu deren Ab-
lieferung, so wie zu Herausgabe der gericht-
(5)
[66]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
lichen Depositengelder und erledigten Revi-
sionsSporteln, ward, so viel Wien betrifft,
eine eigene HofCommission niederge-
setzt a). Die Verwahrung und Ablieferung
der reichskammergerichtlichen Acten
und Urkunden, an die nunmehr competen-
ten Behörden, so wie die Sorge für ver-
schiedene, dem Reichskammergericht anver-
traut gewesene Reichscassen, hatte, in dem
Zeitraum des rheinischen Bundes, der Fürst
Primas, als Souverain der Stadt Wetzlar,
übernommen b). Der Theil des Reichsar-
chivs zu Wetzlar, befindet sich jetzt in
königlich-preuſsischer, derjenige zu Aschaf-
fenburg, in königlich-baierischer Verwah-
rung.
Der rheinische Bund (confédération
du Rhin) war ein StaatenSystem, be-
stehend aus verbündeten teutschen Souverain-
Staaten unter einem Protector (Napoleon),
allerseits vereinigt nach Gesellschaftrecht;
der Theorie nach ohne, der That nach mit
durchaus entscheidender Obergewalt des
Protectors. Die B[u]ndesActea) verhieſs ein
FundamentalStatut und eine Bundes-
versammlung, mit einem königlichen und
einem fürstlichen Collegium, unter dem Vor-
sitz des zum Fürsten Primas des Bundes er-
nannten vormaligen Kurfürsten Reichserzkanz-
ers; die Bundesversammlung sollte zuglsich
Bundesgericht seyn, für alle Streitigkei-
ten, welche unter den Bundesfürsten ent-
stehen würden b). Aber weder jenes noch
diese, kamen je zu Stande. Gegen den kla-
ren Inhalt der BundesActe, nahm der Pro-
tector einseitig neue Mitgliederc) in den
Bund auf, und stieſs aufgenommene, ihrer
[68]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
Staaten sich bemächtigend, aus demselben
(§. 32).
Ein immerwährendes Kriegsbündniſs
des Bundes mit Napoleon, für alle beider-
seitigen ContinentalKriege, stellte die Streit-
kräfte der Bundesfürsten fortwährend zur Ver-
fügung des, nach Eroberungen und Allein-
herrschaft ohne Unterlaſs strebenden, Pro-
tectors. Die Stärke ihrer TruppenCon-
tingente, war bestimmt in der BundesActe
oder in ReceptionsVerträgen. Aber der Pro-
tector forderte, in jedem einzelnen Fall, nach
Belieben, und ohne der Bundesversammlung
die ihr bedungene Bestimmung, wieviel von
dem Contingent mobil zu machen sey, zu
überlassen a). Das Kriegs- und Bündniſs-
recht des Bundes und seiner Mitglieder,
ihr Recht TruppenDurchmärsche zu
[69]des t. Reichs u. d. rhein. Bundes.
bewilligen, das Recht Neutralität zu be-
obachten, Garantie zu leisten, oder sich
versprechen zu lassen, Kriegsdienste bei
Andern zu nehmen, SubsidienTractate
und Frieden zu schlieſsen, war theils durch
die Natur des Bundes, theils durch die Bun-
desActe eingeschränkt b), mehr noch durch
den Eigenwillen des allwaltenden Protectors.
Dem Gesandtschaftrecht des Bundes und
seiner Mitglieder, waren positive Schranken
nicht gesetzt c).
Die rheinische BundesActe begründete,
theils unmittelbar theils mittelbar durch nach-
gefolgte Verträge, für Bundesfürsten verschie-
dene, groſsentheils noch jetzt bestehende,
TerritorialVerhältnisse, die als zu dem
Bundesrecht gehörig betrachtet wurden. Von
dieser Art sind, 1) ausser einem allgemeinen
Verzicht der Bundesgenossen auf gegen-
wärtige Rechte, welche jeder von ihnen auf
[70]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
Besitzungen des andern haben, oder anspre-
chen könnte (unten §. 82), eine Reihe von
TerritorialCessionen, welche in der
BundesActe, in eigenen Tausch-, Cessions-
und PurificationsVerträgen, und in Friedens-
schlüssen festgesetzt wurden a). II) Mit aller
Sonverainetät und Proprietät, wur-
den einzelnen Bundesfürsten überlassen, die
Reichsstädte Nürnberg und Frankfurt,
die Reichsburg Friedberg, und die Be-
sitzungen des Teutschen Ordens und
des JohanniterOrdensb). III) Bloſs
der Souverainetät (in solchem Fall oft
Oberhoheit genannt) einzelner Bundes-
fürsten, wurden nebst ihren Besitzungen
unterworfen, eine groſse Anzahl reichs-
ständischer Fürsten und Grafenc), jetzt
Standesherren genannt, und alle Besitzer
reichsritterschaftlicher Güter d). Allen
diesen blieben ihre bisherigen Eigenthums-
rechte, mit gewissen Real- und PersonalVor-
rechten, deren Inbegriff man bei den ersten
Standesherrlichkeit, bei den letzten
Grundherrlichkeit nannte. Die stan-
desherrlichen und grundherrlichen Besitzun-
gen wurden, in Beziehung auf den Ober-
hoheitsherrn, vielfältig Oberhoheit- oder
SouverainetätsLande genannt, im Ge-
[71]des t. Reichs u. d. rhein. Bundes.
gensatz der übrigen Staaten derselben Lan-
desherren, die man in dieser Beziehung bis-
weilen Souverainetäts- und Eigen-
thumslande zu nennen pflegte e).
I) Ueber die standesherrlichen Be-
sitzungen, legte die BundesActe den Bundes-
fürsten folgende Oberhoheitsrechte bei:
Gesetzgebung, höchste Gerichtbarkeit, Ober-
Polizei, MilitärConscription, Recht der
(Staats-) Auflagen a). II) Dagegen sollten
den Standesherren, als Patrimonial- und
Privateigenthum, bleiben: 1) ihre Domainen;
2) alle grundherrlichen und Lehngerechtsame,
welche der Souverainetät nicht wesentlich
(„non essentiellement“) ankleben, und na-
[72]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
mentlich die Rechte der niedern und mitt-
lern Gerichtbarkeit, der Forstgerichtbarkeit
und ForstPolizei, der Jagd, der Fischerei,
der Berg- und Hüttenwerke, der Zehnten,
der LehnPrästationen (an den Standesherrn,
als Lehn-, Zins-, Erbzins- oder Grundherrn),
das Patronatrecht und andere ähnliche Ge-
rechtsame; nebst 3) den Einkünften von den
genannten Domainen und Rechten b). III)
Ueber den wahren Sinn mehrerer von die-
sen Rechtsbestimmungen, über die Grenze
der zum Vortheil der Standesherren aufge-
stellten Regel, und ihres SubordinationsVer-
hältnisses, über die Frage, für welchen von
beiden Theilen die Rechtsvermuthung
streite, entstanden vielfältig Zweifel und
Streitigkeiten. Darüber, so wie über
mehrere andere Gegenstände des wechselsei-
tigen Verhältnisses, fanden die meisten Ober-
hoheitsherren für gut, eigene Bestimmungen
zu machen, in mehr oder weniger umfas-
senden Declarationen und Edictenc).
IV) Freiere Hände zu Bestimmungen dieser
Art, hatte die BundesActe ihnen gelassen,
in Ansehung der ihnen unterworfenen vor-
maligen Güter und deren Besitzer d).
I) In Absicht auf Staatsauflagen, soll-
ten die standesherrlichen Domainen
und Güter so behandelt werden, wie die
Domainen der Prinzen des Regentenhauses,
oder, in deren Ermangelung, wie die Güter
der am meisten privilegirten Classe a). II) Die
standesherrlichen Domainen und Rechte, soll-
ten nur an rheinische Bundesgenossen ver-
kauft, und eher nicht veräussert wer-
den dürfen, als bis sie dem inländischen
Souverain wären angeboten worden b). III) In
der Wahl ihres Wohnsitzes, waren die
Standesherren auf verschiedene Art be-
schränkt c); doch durften sie ihre Einkünfte
und Capitalien abgabenfrei an ihren recht-
[74]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
mäsigen Wohnsitz ziehen d). IV) Standes-
und Grundherren, welche östreichische
Unterthanen zu bleiben oder zu werden
gedachten, muſsten bis zu dem 1. Jul. 1811
sich erklären, und ihre Besitzungen in rhei-
nischen Bundesstaaten an ein als Unterthan
eintretendes Mitglied ihrer Familie, binnen
sechs Jahren (v. 1. Jan. 1810 an) abtreten,
oder solche vertauschen, oder nach Art. 27
der BundesActe verkaufen e) V) In pein-
lichen Fällen, sollten die Standesherren von
Austrägen (von ihres Gleichen) gerichtet
werden, und nicht mit VermögensConfis-
cation, wohl aber mit Sequestration
ihrer Einkunfte, bestraft werden dürfen f).
VI) In Ansehung der Pensionirung der
standesherrlichen Staatsdiener, der Mitglieder
der geistlichen Ritterorden, und der Reichs-
staatsdiener, der Schulden der Reichskreise
und der Oberhoheitslande, und der in dem
ReichsdeputationsHauptschluſs von 1803 fest-
gesetzten Rechte der Reichskreis- und
Staatsgläubiger, auch Pensionäre, wur-
den in der BundesActe verschiedene Bestim-
mungen gemacht g).
I) Ueber die activen und passiven Lehn-
verhältnisse der Bundesfürsten, waren in
der rheinischen BundesActe keine Bestim-
mungen gemacht. Aber die meisten Bun-
desfürsten nahmen einzeln Anlaſs, theils aus
der Auflösung der teutschen Reichsverbin-
dung, theils aus ihrem in der BundesActe
geleisteten Verzicht auf Rechte und Ansprüche,
die Jeder von ihnen damals an Besitzungen
eines andern Bundesgenossen haben, oder
ansprechen könnte (§. 82), als Grundsatz
anzunehmen, daſs die Lehnherrlichkeit über
Reichslehen deren Besitzer in Ansehung der-
selben ihnen unterworfen seyen, nunmehr
auf sie übergegangen sey; daſs jede Lehn-
verbindung zwischen Bundesfürsten, und
[76]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
auch jede Lehnherrlichkeit eines Standes-
herrn oder eines andern Unterthans, über
seinen dem Bund beigetretenen souverainen
Landesherrn, als aufgehoben zu betrachten
sey; und daſs jede auswärtige Lehnverbin-
dung inländischer PrivatBesitzungen, als
solche, unter den Bundesfürsten für aufge-
hoben, und auf denjenigen Bundesfürsten
übergegangen anzusehen sey, in dessen Ge-
biet das Lehn gelegen ist a). II) Auch wur-
den in der rheinischen BundesActe (Art. 2
u. 37) verschiedere StaatsServituten
theils bestätigt, theils neu bedungen b).
Indem I) die rheinische Bundes-
Acte, dieser Anfang einer neuen politischen
Schöpfung für Teutschland, die förmliche
Auflösung der teutschen Reichsverfassung ver-
anlaſste, begründete sie, mit Vernichtung der
[77]des teutsch. Reichs u. d. rhein. Bundes.
Reichshoheit, mehrere teutsche Souverain-
Staaten, deren Beherrscher von der Landes-
hoheit zu der Souverainetät emporstie-
gen, gleichviel, ob sie in rheinischer Bundes-
genossenschaft standen, oder nicht. II) Einem
Theil derselben wurden überdieſs, 1) theils
bisherige reichsunmittelbare Gebiete, Bezirke
und Besitzungen, mit den Rechten nicht
nur der Souverainetät sondern auch des Ei-
genthums, abgetreten, 2) theils bisherige
reichsständische Landesherren und andere un-
mittelbare Reichsangehörige, mit ihren Be-
sitzungen, untergeordnet, mit Verlust
eines groſsen Theils ihrer Landeshoheit, oder
reichsunmittelbaren TerritorialGerechtigkeit,
indem jene in Standesherrlichkeit, diese
in Grund- oder Unterherrlichkeit ver-
wandelt ward. III) Auch erfolgten verschie-
dene Territorial-Cessionen einzelner
Bundesfürsten unter sich a). IV) Dennoch
wurden manche Reste der teutschen Reichs-
und Territorial-Staatsrechtes, aus dem publi-
cistischen Schiffbruch gerettet, zum Theil
noch jetzt sichtbar in dem Staatsrecht der
souverainen Bundesstaaten, in dem gemeinen
wie in dem besondern. V) Die teutsche
BundesActe setzte an die Stelle des rhei-
nischen, den teutschen Bund, und begrün-
[78]Einl. IV. Cap. Oeffentl. Recht zur Zeit
dete eine wesentliche Verschiedenheit zwi-
schen der alten und neuen Bundesverfas-
sung. Aber viele während der teutschen
Reichsverfassung, sodann bei Stiftung des
rheinischen Bundes, und nachher entstande-
nen Staatsverhältnisse b), wurden bei Errich-
tung des teutschen Bundes nicht geändert,
sondern zum Theil nur naher bestimmt c).
VI) Daher ist das ehemalige teutsche Reichs-
und Territorial-Staatsrecht, und selbst das
öffentliche Recht des rheinischen Bundes,
noch jetzt ein wichtiges Hülfmittel
in dem teutschen öffentlichen Recht, sowohl
in dem Bundesrecht, als auch in dem Staats-
recht der Bundesstaaten d)
Durch Auflösung der teutschen Reichs-
verfassung, hatten 1) diejenigen Titel teur-
[80]Einl.V.Cap. Wirk.d.Auflös. d.t. Reichsverb.
scher Landesherren, welche in dieser Ver-
fassung ihren Grund hatten a), ihre ursprüng-
liche Beziehung verloren. Doch hinderte
dieses, an sich, die Fortführung derselben
nicht b). Aber die rheinischen Bundesfürsten
verzichteten, in der BundesActe (Art. 3),
auf diejenigen ihrer Titel, welche irgend
eine Beziehung auf das teutsche Reich aus-
drückten. Mehrere derselben vertauschten den
kurfürstlichen Titel entweder mit dem kö-
niglichen oder mit dem groſsherzöglichen, den
reichsfürstlichen mit dem herzoglichen, den
gräflichen mit dem fürstlichen c). II) Alle teut-
schen Landesherren, welche nicht von Napo-
leon andern ihres Gleichen als Standesher-
ren untergeordnet wurden, erlangten, mit
dem Verschwinden der Reichshoheit, poli-
tische Unabhängigkeit oder Souveraine-
tät. Ein Theil derselben kam in rheini-
sche Bundesgenossenschaft, die übri-
gen blieben bundesfreid).
I) Die Landesverfassungen der
teutschen Staaten, so weit sie im Ganzen
oder theilweise, durch die Fortdauer der
teutschen Reichsverbindung nicht klar be-
dingt waren, wurden weder durch die in
der rheinischen BundesActe enthaltene Auf-
hebung der Reichsgesetze, noch durch Auf-
lösung der Reichsverbindung und Stiftung
des rheinischen Bundes, stillschweigend auf-
gehoben a), und eben so wenig geschah die-
ses in der BundesActe ausdrücklich b). II) So
weit die Landesverfassung auf ausdrückli-
chen oder stillschweigenden Verträgen,
zwischen den Unterthanen oder ihren Stell-
vertretern und den Landesherrschaften, be-
ruhten, waren die letzten, selbst in Ueber-
einstimmung mit dem Protector des Bundes,
zu einseitiger Aufhebung oder Aenderung
derselben nicht berechtigt c). Die neu er-
langte Souverainetät schloſs in ihrem Ur-
sprung rechtlich mehr nicht in sich, als
Befreiung von der Reichshoheitd);
und eher waren die Unterthanen berechtigt
Ersatz zu fordern, für die durch wider-
rechtliche Aufhebung der Reichsverbindung
(6)
[82]Einl. V. Cap. Wirkung der Auflösung
erfolgte Entziehung oder Minderung man-
cher von ihren Rechten e), und für Entzie-
hung des Schutzes ihrer Rechte durch die
Reichshoheit. III) Nach diesen Grundsätzen
ist die, seit erlangter Souverainetät, in ver-
schiedenen teutschen Staaten erfolgte Auf-
hebung oder Aenderung der Landes-
verfassung, namentlich die Aufhebung
der Landstände, rechtlich zu beurtheilen.
Die rheinische BundesActe (Art. 2) er-
klärte alle teutschen Reichsgesetze
für nichtig und unwirksam, in An-
sehung der Bundesgenossen, ihrer Staaten
und Unterthanen. Es wurden aber I) da-
selbst zugleich zwei Ausnahmen von die-
ser Regel festgesetzt; in Ansehung derjeni-
gen Bestimmungen des Reichsdeputations
Hauptschlusses vom 25. Febr. 1803, welche 1)
die Rechte der Gläubiger und Pensio-
närea), und 2) den Octroi der Rhein-
schifffahrtb) betreffen. Auch ist II) den
allgemeinen Rechtsgrundsätzen gemäſs, daſs
jene Aufhebung der teutschen Reichsgesetze,
nicht bezogen werden konnte auf Staaten,
Personen und Rechte, über welche die
rheinischen Bundesgenossen zu verfügen nicht
befugt waren, und nicht auf Rechte, deren
Wirksamkeit durch die Fortdauer der [teut-
schen] Reichsverbindung nicht schlechthin
[85]der teutschen Reichsverbindung etc.
bedingt war. Also 1) nicht auf die von
dem rheinischen Bund frei gebliebenen
teutschen SouverainStaaten und deren
Unterthanen. Auch 2) nicht auf solche Rechte,
welche Einzelne durch Reichsgesetze oder
reichsgesetzliche Bestimmungen, unmittelbar
oder mittelbar (ex pacto tertii), schon erwor-
ben hatten c). 3) Nicht auf die Fortdauer
der durch Reichsgesetze begründeten oder
gebilligten Vertragsrechte, a) zwischen
rheinischen Bundesfürsten unter sich d); oder
b) zwischen ihnen und Dritten, namentlich
ihren Unterthanen e), der katholischen Kirche,
den evangelischen Kirchengesellschaften, und
Auswärtigen bei (etwa auch zugleich als
Reichsgesetze betrachteten) Staatsverträgen
des teutschen Reichs, in welchen ursprüng-
lich rheinische Bundesfürsten als MitPaci-
scenten anzusehen waren f); oder c) zwischen
Dritten, z. B. Katholiken und Evangelischen
in rheinischen Bundesstaaten.
I) Durch die in der rheinischen Bundes-
Acte festgesetzte Aufhebung der teutschen
[87]der teutschen Reichsverbindung etc.
Reichsgesetze, ward die Autonomie und
Gesetzgebungsfreiheit der Bundes-
fürsten weder aufgehoben, noch beschränkt.
Demnach war es ihrer Bundespflicht nicht zu-
wider, wenn sie freiwillig, ohne Meinung einer
aus der Zeit der Reichsverbindung noch
fortdauernden moralischen Nothwenigkeit,
reichsgesetzliche Vorschriften fer-
nerhin entweder selbst beobachteten, oder
solchen practische Gültigkeit für ihre
Staatsbehörden und Unterthanen, aus-
drücklich oder stillschweigend beilegten a).
II) Namentlich gilt dieses von Reichsge-
setzen, welche auf PolizeiGegenstände,
auf Münz- und Kalenderwesen, auf
peinliches und bürgerliches Recht
und Rechtsverfahrenb) sich beziehen.
In Ansehung dieser Gegenstände, konnte daher
den Reichsgesetzen, zwar nicht als solchen,
oder nach ihrer ursprünglichen Form, aber
doch nach ihrem Inhalt (materiell), mithin
zwar nicht mehr als gemeinem Recht (jus
commune), aber doch als angenomme-
nem Landrecht (jus receptum), practische
Gültigkeit in den vorhin zu dem teutschen
Reich gehörigen Staaten nicht versagt wer-
den, so lang und so weit sie durch eigene
Landesgesetze nicht abgeschafft oder
[88]Einl. V. Cap. Wirkung der Auflösung
abgeändert waren c); welches zu thun, der
Staatsregierung nunmehr, auch bei schlecht-
hin befehlenden oder verbietenden Reichs-
gesetzen, unverwehrt war, doch in der Regel,
ohne rückwirkende Kraft der neuen Gesetze d).
I) Hienach ist die Frage zu beantwor-
ten: ob und wie weit das auf teutsche
Reichsgesetze, so wie auf allgem eine teutsche
Rechtsgewohnheiten, gegründete gemeine
teutsche Privatrechta), durch Auflö-
sung der Reichsverbindung, und durch die
in der rheinischen BundesActe erfolgte Auf-
hebung der Reichsgesetze, in den teutschen
Staaten nunmehr auch als Landesrecht seine
practische Gültigkeit verloren habe? II) Dem
LandesPrivatrecht (vormaligem particu-
lärem teutschen Privatrecht) blieb seine Gül-
tigkeit nach wie vor, so weit es durch neuere
Gesetze oder Rechtsgewohnheiten nicht auf-
gehoben ward b). III) Auch die während,
der teutschen Reichsverbindung von Einzel-
nen erworbenen Privatrechte, namentlich
[90]Einl. V. Cap. Wirkung der Auflösung
die durch kaiserliche Privilegien erlangten,
blieben fernerhin bei Kraft c), da wohler-
worbene Rechte der Privatpersonen unab-
hängig sind von der Staatsverfassung. IV) Das-
selbe gilt insbesondere von rechtsgültig er-
worbenen Successionsrechtend).
Quellen I) des teutschen Bundesrech-
tes, sind: Fundamentalverträge des Bundes,
Staatsverträge der gesammten vereinigten
Bundesstaaten, Bundes- Fundamental- und
Staatsherkommen, Analogie, allgemeines
Staats- und Völkerrecht; neben welchen
auch verschiedene Nebenquellen und Erläu-
terungsmittel in Betrachtung kommen. II)
Das Staatsrecht der souverainen Bun-
[92]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
desstaaten hat, ausser jenen allgemeinen,
noch folgende besondere Quellen: Staats-
grundverträge, Staatsgesetze, Fundamental-
und Staatsherkommen, Analogie, allgemei-
nes Staatsrecht, Staatsverträge mit Auswär-
tigen.
I) Durch Grundverträge, wird das
Daseyn, der Zweck und die Form des Staa-
tenbundes bestimmt. Ihre verbindende Kraft,
liegt in der Uebereinkunft der Interes-
senten. Ausdrücklich errichtet, heissen sie
FundamentalVerträge oder Bundes-
grundgesetze: stillschweigend, Funda-
mentalHerkommen oder Observanz. II)
Ueberdieſs können Staatsverträge der
gesammten verbündeten Staaten, sowohl un-
ter sich, als auch mit einzelnen Bundes-
staaten, und mit auswärtigen Staaten, er-
[93]öffentlichen Rechtes.
richtet werden, für öffentliche Angelegen-
heiten, ausserhalb der BundesOrganisation.
Stillschweigend errichtet, heissen solche Ver-
träge Bundesherkommen, wenn sie auf
Bundesgenossen sich einschränken: Ge-
wohnheits Völkerrecht (droit des gens
coutumier), so fern sie mit auswärtigen Staa-
ten errichtet sind.
Der erste Grundvertrag des teutschen
Bundes, ist die teutsche Bundes Actea),
datirt Wien den 8. Jun. 1815. Die eilf er-
sten Artikel derselben, sind, in einer fran-
zösischen amtlichen Uebersetzung, der
SchluſsActe des wiener Congresses
(Art. 53—64) wörtlich einverleibt. Ueber-
dieſs ward die ganze BundesActe, nach dem
teutschen Urtext, daselbst (Art. 118) für ei-
nen Bestandtheil dieser SchluſsActe
erklärt, und zu dem Ende, als neunte Bei-
lage, derselben beigefügt. Hiemit ward ihr
zugleich die Gewährleistung derjenigen
europäischen Mächte zu Theil, wel-
che die SchluſsActe des Congresses unter-
[94]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
zeichnet haben. Nicht bloſs für das Bun-
desrecht, auch für das Staatsrecht der Bun-
desstaaten, enthält die BundesActe Bestim-
mungen. Zugleich verheiſst dieselbe b) noch
andere Grundgesetze des Bundes, und
Bestimmungen über die Einrichtung
des Bundes, in Hinsicht auf seine aus-
wärtigen, militärischen und innern Verhält-
nisse.
I) Eine wichtige Quelle des teutschen
Bundesrechtes, sind die Staatsverträge des
[95]öffentlichen Rechtes.
Bundes, geschlossen theils von den gesamm-
ten verbündteten Staaten unter sich, z. B.
die Beschlüsse der Bundesversamm-
lunga), theils mit einzelnen Bundesstaa-
ten b), theils mit auswärtigen Staaten.
II) Von dieser letzten Art, sind die Haupt-
und Nebenverträge, Friedensschlüsse,
Bündnisse, Handels- und Suosidien-
Verträge, welche der Bund mit auswär-
tigen Staaten schlieſst, welchen er durch
AccessionsVerträge beitritt, oder worin der-
selbe, mit seiner Zustimmung, für einen con-
trahirenden Theil erklärt wird. III) Vorzüg-
lich gehört dahin die Schluſs Acte des
wiener Congresses vom 9. Jun. 1816 c),
nebst allen darin bestätigten, ihr einverleib-
ten oder beigefügten Verträgen, Erklärun-
gen und Vorschriften, welcher, ausser den
beiden HauptMitcontrahenten Oestreich und
Preuſsen, alle Mitglieder des teutschen Bun-
des einzeln, durch eigene Beitrittver-
träge als Neben Contrahenten beigetreten
sind d).
IV) Als Rechtsquelle, für den teutschen
Bund, dienen sogar manche zwischen drit-
ten Mächten geschlossene Verträge. So
1) der pariser Friede vom 30. Mai 1814 a),
und 2) der pariser Hauptvertrag vom
20. Nov. 1815 b); beide wichtig, nicht nur
für den TerritorialRestand einzelner Bundes-
desstaaten, sondern auch für die Grenzen
zwischen ihnen und Frankreich, und der
erste auch wegen der darin enthaltenen An-
erkennung der Unabhängigkeit der Bundes-
staaten und der Uebereinkunft wegen der
Rheinschiffahrt und der Errichtung des teut-
schen Bundes. 3) Wichtig in seinen Folgen,
für den teutschen Bund, und einen beträcht-
lichen Theil der Bundesstaaten, ist noch jetzt
der lünéviller Friede, geschlossen von
Oestreich und dem vormaligen teutschen
Kaiser mit Frankreich, am 9. Febr. 1801 c),
[97]öffentlichen Rechtes.
und genehmigt durch den Reichsschluſs vom
10. März 1801 d). Veranlaſst ward durch
ihn, unter dem Einfluſs der vermittelnden
Mächte Frankreich und Ruſsland. 4) der
Reichsdeputations Hauptschluſs vom
25. Febr. 1803 e), welcher viele Secularisa-
tionen, TerritorialVeränderungen und andere
Staatsverhältnisse festsetzte, und dessen fort-
dauernde Gültigkeit, namentlich in Ansehung
der von Gläubigern, Rentenempfän-
gern und Pensionären durch ihn erwor-
benen Rechte, und des Octroi der Rhein-
schiffahrtg), in der BundesActe (Art. 15)
ausdrücklich anerkannt ist.
I) Auch das Herkommena), eine durch
stillschweigende Einwilligung der Interessen-
ten festgesetzte Norm, ist eine Quelle des teut-
schen Bundesrechtes. Es kann Grundverträge
(FundamentalHerkommen), und Staatsver-
träge im engern Sinn (StaatsHerkommen im
engern Sinn) enthalten. II) Es unterscheidet
sich 1) von dem Gerichtsgebrauch, und dem
so genannten Stylo curiae; 2) von dem Staats-
herkommen der einzelnen Bundesstaaten;
3) von der Verjährung; 4) von dem Besitz-
stand (jus et favor possessionis). III) Wie
zu Einführung des Herkommens, Einwil-
ligung der Interessenten erfordert wird, also
auch zu der Auslegung desselben, oder
zu der Entscheidung, wenn das Daseyn,
oder die Gültigkeit des Herkommens strei-
tig ist.
I) Ein Herkommen wird nie vermuthet.
II) Der Beweis desselben a) wird geführt,
[99]öffentlichen Rechtes.
durch glaubwürdige Anzeige älterer, gehörig
qualificirter Fälle (sprechender Handlungen)
derselben Art. III) Der Ablauf einer bestimm-
ten Zeit, ist hier eben so unwesentlich, als
eine Mehrheit der Fälleb); ein einzi-
ger, qualificirter Fall ist hinreichend c). IV)
Aber bloſse Facta, oder Non-Facta,
wenn sie gleich unwidersprochen geblieben,
haben keine Beweiskraft. Es wird die Mei-
nung moralischer Nothwendigkeit
der Handlung oder der Unterlassung d), auf
Seite der Handelnden erfordert e). V) Auch
wird vorausgesetzt, daſs eine wirklich gel-
tende, und fernerhin gelten sollende, hin-
längliche Bestimmung des Falles, in Grund-
oder Staatsverträgen nicht enthalten sey.
I) Durch Herkommen können 1) neue
verbindliche Bestimmungen eingeführt,
2) mangelhafte oder unvollständige ergänzt.
3) dunkle oder unbestimmte interpretirta)
werden. Nicht selten hat es 4) sogar abän-
dernde, oder aufhebende Wirkung b),
in Beziehung nicht nur auf ein älteres Her-
kommen, sondern auch auf Grund- und
Staatsverträge c). II) Aufgehoben wird
das Herkommen 1) durch entgegenge-
setzte Willenserklärung, in einem
abrogirenden oder derogirenden Grund- oder
Staatsvertrag, Gesetz oder Herkommen; 2)
durch Veränderung wesentlicher Um-
stände, z. B. der Staats- oder Bundesver-
fassung, so weit ihr Daseyn nothwendige
Bedingung des Herkommens war. 3) Bloſs
formale Aufhebung, liegt in der Verwand-
lung des Herkommens in ausdrücklichen Ver-
trag, oder in Gesetz. Nicht so liegt eine
Verwandlung dieser Art, in der bloſsen schrift-
[101]öffentlichen Rechtes.
lichen Aufzeichnung des Herkommens, oder
in einer schriftlichen Beziehung auf dasselbe,
geschähe sie auch von der Bundesversamm-
lung oder der Staatsgewalt selbst.
Zu den Quellen des teutschen Bundes-
rechtes, gehört auch die Analogiea); eine,
auf positive staatsrechtliche Bestimmungen
für ähnliche, oder für entgegenge-
setzte Fälle (auf Harmonie oder Disharmo-
nie vertragmäsiger, oder gesetzlicher Prin-
cipien, auf Argumente a simili aut contrario)
gebaute Norm b). Sie ist I) Quelle, für alle
Gegenstände jeder Art von positiven Bestim-
mungen des öffentlichen Rechtes. Doch ist
sie II) nicht anwendbar, so oft Verträge,
[102]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
Gesetze oder Herkommen, hinlängliche Be-
stimmung geben c). III) Durch sie können
1) neue verbindliche Bestimmungen festge-
setzt, und 2) mangelhafte oder unvollstän-
dige ergänzt werden: aber 3) derogato-
rische Wirkung hat sie nicht. Auch kann
sie 4) als Auslegungsregel dienen d).
IV) Nur mittelbar kommen, bei der Ana-
logie, staatsrechtliche Bestimmungen in An-
wendung e).
I) Die Analogie von Bestimmungen für
ähnliche Fälle (argumentum a simili) setzt
voraus, das Daseyn einer positiven Bestim-
mung für Fälle, die dem zu bestimmenden
Fall ähnlich (nicht gleich) sind a). Es wird
aber erfordert: 1) wahre (nicht scheinbare)
Aehnlichkeit (similitudo rationis); 2) daſs
kein heterogenes Verhältniſs der Perso-
nen oder Sachen vorwalte, für welche Vor-
schriften derselben Art nicht passen b); 3) daſs
Absicht und Ursache der in Beziehung
genommenen positiven Bestimmung, dem zu
bestimmenden Fall nicht entgegen seyen c).
4) Auch der Grad der Aehnlichkeit kommt
in Betrachtung. II) Die Analogie von Be-
stimmungen für entgegengesetzte Fälle d)
(argumentum a contrario) setzt voraus, das
Daseyn einer positiven Bestimmung für einen
andern Fall, mit welcher man in Wider-
spruch gerathen würde, wenn man den
zu bestimmenden Fall anders entscheiden
wollte c). Zwar wird jene positive Bestim-
[104]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
mung auf diesen Fall unmittelbar nicht an-
gewandt, aber sie leitet doch unbedingt das
Urtheil, Ungereimtheiten und Widersprüche
in der Staatsverfassung zu verhüten; man
schlieſst, daſs ein entgegengesetzter Grund,
entgegengesetzte Bestimmungen nach sich zie-
hen müsse.
Die Analogie findet subsidiarisch Anwen-
dung: 1) in öffentlichen Angelegenheiten,
nicht nur des teutschen Bundes im Ganzen,
sondern auch einzelner Theile desselben a);
2) in weltlichen und geistlichen Sa-
[105]öffentlichen Rechtes.
chen b). Insbesondere gelten 3) analogische
Schlüsse, nicht nur a simili, sondern auch a
contrario, von dem Bund überhaupt, auf
einzelne Theile desselben, damit zwischen
beiden kein Widerspruch entstehe c). 4) Wird
eine Regel des öffentlichen Rechtes, durch
Verträge oder Herkommen aufgehoben,
oder abgeändert, oder wird eine Aus-
nahme davon festgesetzt, so bestimmt die
Analogie, ob und wie fern andere ältere
Regeln, welche Beziehung auf jene haben,
noch fernerhin bestehen können d).
Richter, bei einem Streit über die An-
wendbarkeit der Analogie in einzelnen Fällen,
ist I) die Bundesversammlung, wenn
die streitenden Theile Bundesgenossen sind,
so fern der Streit durch gütliche Ueberein-
[106]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
kunft oder Compromiſs nicht gehoben wird a).
II) Ist aber die Sache rechtshängig vor der
competenten Justizbehörde eines Bundes-
staates, so gebührt dieser die Entscheidung b).
III) Bis zu der Entscheidung, muſs der Be-
sitzstand (Status quo, das Uti possidetis)
geachtet werden c).
Von der Analogie, unterscheidet sich der
Parallelismusa); eine Zusammenstellung
und Vergleichung solcher vertragmäsigen Be-
stimmungen, Gesetzstellen, Rechtsätze oder
Erklärungen, welche ganz oder zum Theil
gleichlautend oder gleichbedeutend sind, oder
sonst in gegenseitiger Beziehung stehen b). Er
bezieht sich bald bloſs auf Worte (verbalis),
bald auch auf Sachen (realis). Als erklä-
rendes Hülfmittel ist er, eingeschränkt
auf Rechtsverhältnisse derselben Art, auch im
[107]öffentlichen Réchtés.
öffentlichen Recht nützlich; zumal wenn dabei
auf die Gründe und Chronologie staats-
rechtlicher Bestimmungen Rücksicht genom-
men wird. Aber untauglich ist er, zu Bil-
dung allgemeiner Normen des öffentlichen
Rechtes, aus besondern Rechtsbestimmungen
einzelner Staaten.
I) Da der teutsche Bund eine völkerrecht-
liche Vereinigung unabhängiger Staaten ist,
so findet, in seinen innern und äussern öffent-
lichen Verhältnissen, auch das natürliche oder
allgemeine Völkerrecht Anwendung, wenn
positive Rechtsquellen (§. 8 f. III u. IV,
§. 54—64.) mangeln oder nicht zureichen.
II) Das allgemeine oder natürliche
[108]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
Staatsrecht a) (jus publicum universale s. na-
turale) findet, den Miſsbrauchb) ausge-
schlossen (§. 5, 12 u. 15), dann subsidia-
rische Anwendung, wenn, für den gehöri-
gen Fall, die positiven Quellen und das na-
türliche Völkerrecht keine, oder nicht hin-
längliche Bestimmung geben. Auch ist es ein
wichtiges Hülfmittel, bei der theoretischen
Cultur und dem Lehrvortrag des positiven
öffentlichen Rechtes.
I) Das politische Gleichgewichta),
in Europa, oder in dem teutschen Bund,
wesentlich unterschieden von dem rechtli-
chen Gleichgewicht (Suum cuique), ist eine
politische, unbestimmte Idee, unter dem Ein-
[109]öffentlichen Rechtes
fluſs der Convenienz (puissance d’envie). Es
hat daher, in dem Gebiet des öffentlichen
Rechtes, nicht die Natur einer Entschei-
dungsquelle b). II) Dasselbe gilt von der Po-
litik, selbst von der gesunden, als solcher,
deren Grundpfeiler Gerechtigkeit und Weis-
heit, die Erhaltungsmittel der Staaten, sind c).
Wichtig, wenn gleich nicht Quelle, sind
in dem Bundesrecht, zur Erläuterung und
zu Nebenbestimmungen: I) das Staatsrecht
der souverainen Bundesstaaten, so-
wohl das gemeine, als auch das besondere;
II) staatsrechtliche Verträge einzel-
ner BundesSouveraine; III) das Pri-
vatfürstenrecht (§. 11), insbesondere
Hausverträge und andere Verfügungen er-
lauchter Familien.
Bei Auslegung der BundesActe a), so
wie der übrigen vertragmässigen Bestim-
mungen des Bundes, ist Rücksicht zu neh-
men auf Zweck und Geist, auf Ursprung
und Veranlassung des Bundes, auf Zweck-
mäsigkeit und innere Güte, auf das Staats-
recht der Bundesstaaten, zuweilen auch auf
ehemaliges teutsches Reichs- und Territorial-
Staatsrecht, und selbst auf das öffentliche
Recht des rheinischen Bundes.
Der rechtliche Grund der Staatsgewalt
in den teutschen Bundesstaaten, liegt in
der Einwilligung des Staatsoberhauptes und
der Einwohner dieser Staaten, oder ihrer
Stellvertreter a). Das Bundesverhältniſs der-
selben, oder ihre Vereinigung zu einem
StaatenSystem, der Staatszweck, und die
Analogie ihrer Entstehungsgeschichte, be-
gründet für sie alle gemeinschaftlich,
gewisse staatsrechtliche Bestimmungen. An-
dere haben ihren Grund in der individuel-
len Verfassung der einzelnen Souverain-
[112]Einl. VI. Cap. Quellen des teutschen
Staaten. Daher sind die Quellen des Staats-
rechtes der souverainen Bundesstaaten, theils
gemeine, theils besondere. Jene allein
dienen dem gemeinen, diese nebst jenen dem
besondern Staatsrechte der souverainen Bun-
desstaaten (§. 7) zur Grundlage.
Die gemeinen Quellen des Staatsrechtes
der teutschen Bundesstaaten sind: Grund-
verträge, Staatsverträgea) und Her-
kommen des teutschen Bundes, so weit
sie Verfassung, Vertretung und Verwaltung
der Bundesstaaten betreffen; Analogie,
sowohl des Bundesrechtes (§. 61 ff.), als
auch der Staatsverfassung der Bundesstaaten
überhaupt; allgemeines Staatsrecht
(§. 69); positives Völkerrecht, sofern
dasselbe auf die innern Staatsverhältnisse
Einfluſs hat (§. 8 f.).
I) Das römische Staatsrecht ist in
Teutschland nie angenommen worden, am
wenigsten seit Errichtung des teutschen Bun-
des. Es kann daher, gleich dem subsidia-
risch oft noch angenommenen römischen
Privatrecht, hier als Quelle nicht dienen;
selbst bei zufälliger Uebereinstimmung ein-
zelner Sätze des römischen, und des Staats-
rechtes der souverainen Staaten des teutschen
Bundes. Doch findet eine Ausnahme
statt, in Ansehung der hie und da noch an-
genommenen römischen Lehre von der Fis-
calgerechtigkeit und etlichen andern Rega-
lien a). II) Das canonisch-päpstliche
Recht, findet nur noch in dem Kirchen-
staatsrecht der Katholiken einige Anwen-
dung b). III) So auch das langobardi-
sche Lehnrecht, nur subsidiarisch bei Le-
hen in teutschen Bundesstaaten c)
Besondere Quellen des particulären
Staatsrechtes der souverainen Staaten des
teutschen Bundes, sind: 1) Staatsgrund-
verträge und andere Staatsverträgea),
so auch, in einzelnen Ländern, eigene
Staatsgesetze. Zu dieser Classe gehö-
ren: vertragmäsig errichtete Staatsverfas-
sungsUrkunden, Landesgrundgesetze, Staats-
Constitutionen (ewige vertragmäsige Wil-
lensmeinungen des Staatsoberhauptes und
der Unterthanen), Landes- und Erbverglei-
[115]öffentlichen Rechtes.
che b), LandtagsRecesse, Erledigungen der
Landesgebrechen (resolutiones ad gravamina
ordinum provincialium), landesherrliche De-
clarationen, Reversalen und Assecurationen,
LandesCompactate, Accorde, Regiments-
ordnungen c); Recesse mit Landsassen, so-
wohl ganzen Classen, als auch einzelnen;
Privilegien der Landschaften überhaupt d),
und besonderer Classen derselben; landes-
herrliche Constitutions- und Organisations-
Edicte e), Patente oder Declarationen, ins-
besondere die staatsrechtlichen Verhältnisse
der Standesherren und Guts- oder Grund-
herren betreffend f). Manche Benennun-
gen dieser Rechtsquellen, trennen solche
nur scheinbar von der Classe der Verträge g).
Auch gehören dahin: manche landesherr-
liche Hausgesetze, Familienverträge und an-
dere gültige Dispositionen (z. B. über Erbfolge,
FamilienFideicommiſs, Schulden a) u. d.);
Staatsverträge mit auswärtigen Staaten, des
teutschen Bundes und andern b). Ausserdem
giebt es noch in einigen Ländern eigene
Staatsgesetze, die, der Landesverfassung
gemäſs, von dem Staatsoberhaupt, etwa unter
Mitwirkung der Landstände, errichtet wor-
den sind c). Die Kraft mancher Landesver-
träge, ist verstärkt durch Garantie aus-
wärtiger Staaten d); und durch den erklärten
Bundeszweck ist die Pflicht des teutschen
Bundes-begründet, die Aufrechthaltung der
Grundverfassung aller Bundesstaaten zu schir-
men e).
II) Das Staatsherkommen ist eben-
falls eine der besondern Quellen des parti-
culären Staatsrechtes der souverainen Bundes-
staaten a); wobei die oben (§. 58—60) bei
dem Herkommen des Bundesrechtes vorge-
tragenen allgemeinen Grundsätze, in ihrer
Art, Anwendung finden. III) Endlich die
Analogie des gedachten besondern Staats-
rechtes b), ebenfalls mit Anwendung der oben
(§. 61—64) vorgetragenen Grundsätze, un-
ter gehöriger Einschränkung. — Willkühr
(orientalisches Staatsrecht, Sultanismus), fin-
det hier überall nicht statt c).
Bemerkenswerth ist auch, daſs der ur-
sprüngliche Rechtstitel mancher Souve-
rainetäts-, Staatsvermögens- und grundherr-
lichen Rechte teutscher Landesherrschaften,
nicht nur in dem Erbrecht, und in Verträgen
mit Unterthanen, Landsassen, Landständen
und Auswärtigen, liegt, sondern auch in kai-
serlichen Verleihungen, z. B. Privilegien a)
und Reichslehnbriefen b), in rechtskräftigen
reichsgerichtlichen Erkenntnissen, die vorma-
lige TerritorialStaatsverfassung betreffend c),
(wodurch das streitige Recht unter den Par-
teien bestimmt ward, und welche, nach
Beschaffenheit des Gegenstandes, die Kraft
eines Landesgrundgesetzes hatten d) ), und
[122]Einl. VI. Cap. Quellen des öffentl. t. R.
in unvordenklicher Verjährung. Wichtig ist
dieses noch jetzt hie und da, sowohl für
die innere Staatsverfassung (§. 51 ff.), als
auch in Beziehung auf manche auswärtige
Staaten.
Die Staaten des teutschen Bun-
des, waren ehehin Bestandtheile des teut-
schen Reichs (imperium s. regnum ger-
manicum, corps germanique, empire ger-
manique, St. Empire), dem politischen Rang
nach des ersten, an Gröſse, bis 1801 des
dritten, von 1801 bis 1806 des fünften Staa-
tes in Europa a). In dem Zeitraum des
rheinischen Bundes (1806—1814), ge-
hörte ein groſser Theil derselben zu diesem
Staatenverein b). Der Flächeninhalt der
teutschen Bundesstaaten beträgt jetzt,
nach ungefährer Schätzung, zusammen 11,725
QuadratMeilen, die Volksmenge 29 Mil-
lionen 425,600 c).
Die Bundesstaaten fassen in sich, eine
ansehnliche Menge Städte, Marktflecken, Dör-
fer, Bauerschaften, Kirchspiele, Marken,
Schlösser, Rittergüter, Einzelhöfe, hin und
wieder auch noch Klöster a), desgleichen Land-
[126]Einl. VII Cap. Der teutsche Bund.
seen b); aber kein Meer. Doch stehen ins-
besondere den an Meere grenzenden Bun-
desstaaten, über diese und die übrigen freien
Meere, dieselben Rechte zu, welche andere
europäische Staaten genieſsen c). Weit der
gröſste Theil (gegen 24 Mill) der Bewoh-
ner der Bundesstaaten, gehört, nach Sprache
und Sitten, zu der teutschen Nation,
der zahlreichsten in Europa d). Der gröſste
Theil der übrigen Bewohner (ungefähr 4
Mill. 790,000), gehört zu der slawischen
Nation. Ausser diesen, leben in teutschen
Bundesstaaten e), Italiäner (127,000 in Tyrol
und den östreichischen Küstenländern), Fran-
zosen (ungefähr 70,000), Griechen, Juden
(diese ungefähr 182,000) etc.
I) Die souverainen Staaten des teutschen
Bundes, bestehen jetzt aus den kaiserlich-
östreichischen und königlich preuſsischen ge-
sammten, vormals zu dem teutschen Reich ge-
hörigen Staatsgebieten, ausKönigreichen, Groſs-
herzogthümern, einem Kurfürstenthum, Her-
zogthümern, Fürstenthümern und freien Städ-
ten. Jeder dieser Staaten, hat eigene geo-
graphisch-politische Eintheilungen, in Pro-
vinzen, Kreise, Landvogteien, Bezirke, Aem-
ter, u. d. II) Dagegen hat die alte Einthei-
lung Teutschlands in Gaue (pagos) und
Markgenossenschaften (vicos), die spätere in
Lande, sächsischen und fränkischen Rechtes
(Franken oder Schwaben und Sachsen, Ale-
mannia et Saxonia), und die neuere in Reich.-
[128]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
kreise, aufgehört; so wie auch die physische
Eintheilung in Nord- (Nieder-) und Süd-
(Ober-) Teutschland (Germania septentrio-
nalis et meridionalis), weder genau bestimmt,
noch von practischem Nutzen ista). III) Durch
die rheinische BundesActe und andere Staats-
verträge, kamen viele ehemalige reichs-
ständische ParticulärStaaten und andere
reichsunmittelbare Gebiete und Ort-
schaften des teutschen Reichs, unter die Staats-
hoheit rheinischer souverainer Bundesstaa-
ten b), und wurden diesen einverleibt. Die
teutsche Bundes Acte hat dieses Staatsver-
hältniſs zwar bestehen lassen, aber doch näher
und fester bestimmt.
Die sonverainen Staaten des teutschen
Bundes, sind theils monarchisch, theils
republikanisch geformt. Jene sind Erb-
staaten, und gröftentheils so genannte re-
präsentative Monarchien, d. h. Einherr-
[129]in geograph. u. politischer Beziehung.
schaften mit Stellvertretung des Volkes oder
landständischer Verfassung. Die ehemaligen
Passiv Lehnverhältnisse der meisten, haben
fast ganz aufgehört. Den TerritorialVer-
mischungen und Condominaten hat
man, so viel möglich, auszuweichen oder
sie aufzuheben gesucht. Daher sind die
Staatsgebiete, jetzt fast durchgehends ge-
schlossene (territoria clausa). Die Würde
des gesammten Landes (nobilitas s. digni-
tas realis), ist jetzt überall der persönli-
chen Würde des Beherrschers gleich. Ein
StaatsReligionsCharacter, eine Abtheilung
der Bundesstaaten, in Beziehung auf eine
so genannte herrschende oder Landes Reli-
gion, findet nicht statt; mithin keine po-
litische Eintheilung in katholische, evange-
lische (sowohl der A. C. verwandte, als
auch reformirte), und vermischte Staaten.
Ein Unterschied zwischen mächtigen und
mindermächtigen Bundesstaaten, ist, in
rechtlichem Sinn, unstatthaft.
Manche Bundesstaaten, sind aus mehre-
ren Staaten zusammengesetzt. Diese
(9)
[130]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
Vereinigung unter gemeinschaftlicher Ober-
herrschaft a), besteht entweder nur per-
sönlich, d. h. eingeschränkt auf die Per-
son des gemeinschaftlichen Regenten, oder
dinglich, wenn die Staaten selbst, un-
ter sich vereinigt sind. Sind die letzten
nach gleichem Recht vereinigt (coordi-
nirt), so wird ihre individuelle Souveraine-
tät hiedurch eben so wenig aufgehoben, als
im Fall einer bloſs persönlichen Vereinigung:
wohl aber, wenn die dingliche Vereinigung
nach so ungleichemb) Recht besteht,
daſs sie entweder den einen Staat der Ober-
herrschaft des andern unterordnet, oder
gar für den einen Staat eine Einverlei-
bung in sich schlieſst, d. h. den einen Staat,
mit Vernichtung jeder Art von politischer
Selbstständigkeit, in einen bloſsen Bestand-
theil des andern verwandelt c) (unio aequalis
incorporativa). Die dingliche Vereinigung
der Staaten, begründet die Eintheilung der
Staaten in einfache und zusammenge-
setzte.
I) Die vormaligen Prätensionen des
teutschen Reichsa), haben mit dessen
Auflösung aufgehört. II) Dagegen fehlt es
nicht an Territorial-, insonderheit Successions-
Ansprüchen, sowohl einzelner teutscher
Bundesstaaten, als auch ehemaliger reichs-
ständischer, nun als Standesherren unter-
geordneter Fürsten und Grafen. III) Auf
dem wiener Congreſs, ward von Bundesstaa-
ten hin und wieder auf bisherige Rechte
und Ansprüche verzichtet: wegen anderer
hingegen erfolgten Vorbehalte und Rechts-
[132]Einl. VII Cap. Der teutsche Bund.
verwahrungen b). IV) Die rheinischen
Bundesfürsten verzichteten, in ihrer
BundesActe (Art. 34), auf alle damaligen
Rechte, welche Jeder von ihnen haben, oder
ansprechen könnte, auf Besitzungen eines an-
dern Bundesgenossen, mit Ausnahme der
eventuellen SuccessionsRechte c) Aber An-
sprüche gegen bundesfreie Staaten, waren
hierunter eben so wenig begriffen, als erst
in der Folgezeit entstehende oder entstan-
dene Ansprüche. Eben so wenig wurden
standesherrliche SuccessionsAnsprüche,
selbst auf souveraine Bundeslande, durch
jenen Verzicht aufgehoben d).
V) Baierns Vorschlag auf dem wiener
Congreſs, der teutschen BundesActe einen
ähnlichen, noch bestimmteren Verzicht,
wie der so eben erwähnte in der rheinischen
BundesActe, einzuverleiben, ward nicht an-
genommen a). VI) In dem tilsiter Frieden b),
lieſs Frankreich sich und seinen Verbün-
deten von Preuſsen versprechen, daſs alle
TerritorialPrätensionen Preuſsens, auf Staa-
ten zwischen der Elbe und dem Rhein, so
wie ähnliche Prätensionen, welche Staaten,
die zwischen dem Rhein und der Elbe ge-
legen sind, auf der rechten Seite der Elbe
gelegene preuſsische Staaten haben könnten,
in dem tilsiter Frieden für immer erlo-
schen seyn sollten; eben so alle Conven-
tionen, Transactionen und AllianzVerträge,
welche Preuſsen mit einem auf der linken
Seite der Elbe gelegenen Staat, bis zu dem
tilsiter Frieden geschlossen hatte. Dagegen
lieſs Preuſsen, in seinem ZusatzArtikel c),
zu dem pariser Frieden vom 30. Mai 1814,
sich von Frankreich versprechen, daſs
der tilsiter Friede, so wie jeder andere seit
dem basler Frieden zwischen Frankreich und
[134]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
Preuſsen geschlossene Vertrag, in allen sei-
nen Artikeln aufhören solle verbindlich zu
seyn.
Teutschlands Grenzea) hat sich oft
verändert b). Noch bei Errichtung des rheini-
schen Bundes, war sie hie und da streitig.
In diesem Zeitpunct waren es: im Norden,
die Eider (der schleſswig-holsteinische Canal),
und die Ostsee (das baltische Meer); gegen
Osten, Preuſsen, (Schlesien,) Galizien, Un-
gern, Slavonien, Croatien; gegen Süden,
das adriatische Meer, Italien, die Schweiz;
gegen Westen, der Rhein (vorzüglich seit
1801), die batavische Republik, die Nord-
see.
Die Grenze rheinischer Bundesstaa-
ten, im Verhältniſs zu bundesfreien Nach-
barstaaten, ward mehrmal verändert. I) Vom
12. Jul. 1806 bis in den December 1810,
waren die Bundesstaaten, deren mehrere erst
zwischen dem Sept. 1806 und dem Oct. 1808
in den Bund aufgenommen wurden, umge-
ben von Frankreich, von königlichen Staa-
[136]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
ten von Holland a), Dänemark und Preus-
sen b), von Oestreich und der Schweiz, auch
von verschiedenen teutschen SouverainStaa-
ten; bis diese ebenfalls dem rheinischen Bund
beitraten. II) Vom December 1810 bis zu
der Auflösung des rheinischen Bundes, gren-
ten rheinische Bundesstaaten an napoleonisch-
kaiserliche Staaten von Frankreich (Empire
français), mit Inbegriff der seit dem Dec.
1810 mit Frankreich vereinigten Staaten von
Holland und Teutschland c), an königliche
Staaten von Dänemark d) und Preuſsen e),
an kaiserliche Staaten von Oestreich f), und
an die Schweiz g).
I) Den Territorial Bestand des, mit
eigenem Staatsgebiet nicht versehenen, teut-
schen Bundes, bilden, vermöge der Bundes-
Acte a), die Staaten der souverainen
Fürsten und freien Städte Teutsch-
lands, mit Einschluſs des Kaisers von Oest-
[138]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
reich, und der Könige von Preuſsen,
von Dänemark, und der Niederlande,
und zwar Oestreich und Preuſsen, beide
für ihre gesammten, vormals zu dem
teutschen Reich gehörigen Besitzungen b),
der König der Niederlande für das Groſsher-
zogthum Luxemburgc). II) Durch diese
Bestimmung der BundesActe, verbunden mit
dem pariser Frieden vom 30. Mai 1814, der
SchluſsActe des wiener Congresses vom 9.
Jun. 1815, und dem pariser Hauptvertrag vom
20. Nov. 1815, sind zugleich die Grenzen des
teutschen Staatenvereins, im Verhält-
niſs zu dessen Nachbarstaaten, festgesetzt.
III) Dem zufolge, grenzen teutsche
Bundesstaaten, an die Ostsee, an das
Königreich Preuſsen, an das Groſsherzog-
thum Posen, an die Königreiche Galizien
und Ungarn, an einen Theil des neuen König-
reichs Illyrien, an das adriatische Meer, an
das lombardisch-venetianische Königreich,
an die Schweiz d), an das Königreich Frank-
reich, an das Königreich der Niederlande,
an die Nordsee, an das Herzogthum Schles-
wig.
Gegen Frankreich — von jeher, dem
gefährlichsten Nachbar Teutschlands a) —
ward seit der Völkerschlacht von Leipzig,
die Grenze zweimal vertragmäsig festgesetzt.
I) Der pariser Friede vom 30. Mai 1814,
bestimmte als Grenze zwischen Frankreich
und den SouverainStaaten des zu errichten-
den teutschen Staatenbundes, den Thalweg
— das heiſst, die (wandelbare) Fahrbahn der
thal- oder abwärts fahrenden Schiffer b) —
des Rheinsc), von der Stelle an, wo der
Rhein die Schweiz verläſst, bis d) (oberhalb
Germersheim) an den Einfluſs desjenigen
Arms des Queichflusses, welcher an den zu
Frankreich gehörigen Dörfern Queichheim,
Merlenheim, Knittelheim und Belheim vor-
beiflieſst e). Von dieser Stelle des Rheins
an, bis an die Nordsee, zwischen Nieuport
und Dünkirchen, ward durch den pariser
Frieden von 1814 die vorige Grenze, wie sie
am 1. Jänner 1792 f) war, für Teutschland
und das jetzige Königreich der Niederlande
wieder hergestellt, nur mit etlichen Aus-
nahmen g).
II) Der pariser Hauptvertrag vom
20. Nov. 1815 a), erweiterte die so eben an-
gezeigte Grenze auf verschiedenen Puncten.
Er nahm die Grenze von 1790 zur Regel,
und fügte nähere Bestimmungen hinzu. Dem
[143]in geograph. u. politischer Beziehung.
zufolge, lauft jetzt die Hoheitsgrenze gegen
Frankreich, auf dem Thalweg des Rheinsb),
von dem Punct an, wo er die Schweiz ver-
läſst, bis an den Einfluſs der Lauter. Von
da auf der Lauter c), an dem Departement
Niederrhein hin, bis an das MoselDeparte-
ment. Dann zuerst auf dessen Grenze, und
von dieser auf der Westgrenze der ehema-
ligen Grafschaft Saarbrücken hin, bis Houvre.
Von hier über Pellweiler, Niederweiling,
Schardorf, Wallwich und Launsdorf (welche
sämmtlich mit ihren Feldmarken bei Frank-
reich bleiben), bis Perle, an der Kunststraſse
von Thionville nach Trier. Endlich von
da auf der Grenze, zwischen dem Departe-
ment der Ardennen (über Villers bei Orval)
und dem zu dem teutschen Bund gehörigen
Groſsherzogthum Luxemburg d), mit Inbe-
griff des ganzen Herzogthums Bouillon, bis
an die Maas.
I) Wiewohl der Thalweg als Souve-
rainetäts Grenzlinie, zwischen Frankreich
und den angrenzenden teutschen Bundesstaa-
ten (dem Groſsherzogthum Baden), angesehen
werden soll, so wird doch jetzt die ganze
Breite des Stroms (nicht auch dessen Fluſs-
bett), so viel Schiffahrt und Handlung
(nicht auch dessen übrige Benutzung) be-
trifft, als ein zwischen beiderseitigen Staa-
ten gemeinschaftlicher Strom betrach-
tet a). II) Auch soll die Schiffahrt auf
dem Rhein, von dem Punct an, wo er schiff-
bar wird, bis an das Meer, und umgekehrt,
frei seyn, so daſs sie Niemand unter-
sagt werden darf b). Auf dem wiener Con-
greſs, werden deshalb eigene Beistimmun-
gen gemacht c).
III) Daſs, so viel die Souverainetät
über die gröſsern und kleinern Rhein-
inseln betrifft, die zur linken Seite des
Thalwegs, zu Frankreich, die zur rechten
Seite, zu der teutschen souverainen Ufer-
herrschaft gehören, ist eine Folge der fest-
gesetzten SouverainetätsGrenze a). Da der
Thalweg wandelbar ist, so ist es auch diese
Hoheitsgrenze b). IV) Damit aber nicht auch
das Eigenthum der Inseln einer solchen
Wandelbarkeit unterworfen sey, so ist in
dem pariser Frieden von 1814, Art. 3, Num.
5, und in dem pariser Hauptvertrag vom
20. Nov. (Art. 1, Num. 2) festgesetzt, daſs
solches, welche Veränderungen auch künf-
tig in dem Lauf des Flusses eintreten mögen,
unverändert bleiben soll, so, wie das-
selbe nach einer neuen Besichtigung des
Fluſslaufs werde festgesetzt werden c), welche
von beiderseitigen, innerhalb dreier Monate
zu ernennender Commissarien vorzunehmen
sey d).
Jeder einzelne Staat des teutschen
Bundes, hat seine eigene Territorial-
Grenze, natürliche oder vermarkte.
Rechtlich gesichert ist dieselbe, durch Ver-
träge mit Nachbarstaaten, durch Herkom-
men und Besitzstand a). Bei einer Fluſs-
grenzeb), gilt im Zweifel die Mitte des
Flusses für die SouverainetätsGrenze. Doch
[148]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
ist in der neuern Zeit oft der Thalwegc)
dafür bestimmt, und auf Brücken die
Mitte derselben d). Zu Festsetzung und
Berichtigung der Grenzen, werden nicht sel-
ten von beiden Seiten GrenzCommissio-
nen ernannt.
Ueber den politischen Charakter des teut-
schen Bundes, und der ihn bildenden Staa-
ten, wird einst die Geschichte unparteyisch
richten. Unterdessen berechtigen Weisheit
der Herrscher, Pflicht der Staatsverwalter,
[149]in geograph. u. politischer Beziehung.
Cultur des Zeitalters, zu der Erwartung,
daſs in jedem Bundesstaat das Bestre-
ben der Regierung dahin gehen werde: den
Staat dem Bürger lieb, ehrwürdig
dem Auslande zu machena). Lieb ge-
winnen müssen ihn die Bürger, wenn die
Machthaber, mit einem GöttlichkeitsPrincip
im Herzen, persönliche Neigungen und Vor-
theile gefangen nehmen unter dem Wohl
Aller; wenn die Handlungen der Regierung
das Gepräge der Gerechtigkeit, der Ordnung
und Mäsigung, der landesväterlichen Sorge
für das Wohl des Landes, des Bestrebens
redlich zu bessern und fortschreitend zu ar-
beiten, tragen; wenn sie mit dem wahren
Gefühl, nur dem Gesetz zu gehorchen, und
nur zu dem Staatszweck regiert zu werden,
in ihrem Staat den Freiort des Menschen-
rechtes und der Rechtsgleichheit der Staats-
bürger sehen; wenn durch unzweideutige
Regentenhandlungen, sie überzeugt werden,
daſs kein TrugSystem mit ihnen spiele; wenn
nicht Vielregieren, keine Beglückungsgewalt
sie stört in dem lebhaften Bewuſstseyn ihrer
bürgerlichen Freiheit b); wenn nicht nach
militärischem Zuschnitt regiert wird, nicht,
nach einem herrschenden Princip des Miſs-
trauens, kostspielige Controlen auf Controlen
[150]Einl. VII. Cap. Der teutsche Bund,
gehäuft werden, nicht übertriebenes For-
menspiel, nicht zahllose Vorschriften eigene,
freie Kraft zum Handeln und Selbstdenken
ersticken, und die heilsame Grenze des ver-
nünftigen Ermessens vernichten, wenn nur
persönliche Würdigkeit, nur anerkannte Tu-
gend, Verdienst, Sachkunde, Talent und
Erfahrung, die einzigen Bestimmungsgründe
seyn werden in der Wahl der Staatsdiener,
auch der höhern Grade; wenn ein weises
und gerechtes Svstem allgemeiner Volksver-
tretung, die Staatsverfassung sichert, wenn
durch ein richtiges und gerechtes Abgaben-
System, ungefährlich der Sittlichkeit der Ab-
gabepflichtigen, durch kluge und gewissen-
hafte Staatswirthschaft gesorgt wird, für
zweckmäsige Benutzung und Verwaltung der
Staatskräfte; durch Gewissensfreiheit, durch
zeitgemäse Gesetzgebung, durch das Recht
der Bitt- und Beschwerdeschriften, durch
Verantwortlichkeit der obersten Staatsbeam-
ten für Zweckmäsigkeit, und, vor einer rich-
tenden Behörde, für Rechtmäsigkeit oder
Uebereinstimmung der Regentenhandlungen
mit der Verfassung und den Gesetzen des
Staates, durch Aufrechthaltung vernunftge-
mäser Preſsfreiheit, Unabhängigkeit der Ge-
richtshöfe, durch unparteyische, unverzögerte
[151]in geograph. u. politischer Beziehung.
Rechtspflege gegen Jeden, durch milde For-
men bei dem peinlichen Verfahren, durch
eine Habeas-corpus-Acte c), für Sicherheit
der Personen und ihres Eigenthums; durch
zweckmäsige Anstalten, für Bildung der Ju-
gend zu sittlich guten, vaterländisch gesinn-
ten und betriebsamen Bürgern, wie für Acker-
bau und Gewerbe, für Künste und Wissen-
schaften. So ist der Souverain, dem Staate
dienend d), der öffentlichen Meinung über
öffentliches Interesse e) gewiſs, und würdig
der Huldigung, die ein edles Volk seiner
Majestät bringt. So ist jeder Bürger treu dem
Fürsten, und, fordert es die Noth, Verthei-
diger des Vaterlandes. So ist der Staat nicht
genöthigt, sich entscheidendem Einfluſs von
Aussen bloſs zu stellen f).
Ehrwürdig muſs ein Bundesstaat dem
Ausland werden, wenn er, in der Unab-
hängigkeit fremder Staaten das Kleinod eige-
[153]in geograph. u. politischer Beziehung
ner Freiheit ehrend, seine Verpflichtungen
gegen sie treu erfüllt; wenn er mit Weis-
heit und Offenheit jene Mäsigung verbindet,
die, stets Gefährtin innerer Kraft, und Bürge
für die Dauer staatsgesellschaftlicher Ein-
richtungen, Charaktergröſse der Regierung
verkündigt; wenn er, bei Festigkeit und
Ruhe im Innern, in sicherem Besitz födera-
tiver Macht von Aussen, bei Friede und
Eintracht mit den Nachbarstaaten, fern von
Sucht durch Waffenruhm zu glänzen, und
meidend den sturmbewegten Ocean der Po-
litik, seine politische Wichtigkeit sichtbarer
wirken läſst in friedlichen, als in kriegeri-
schen Verhältnissen; wenn er durch streit-
fertige Kriegsmannschaft, angemessen den
Kräften und dem Bedürfniſs des Landes, und
durch fortwährende Bewaffnung der waffen-
fähigsten Staatsbürger, nicht nur das Vater-
land gegen innere und äussere Feinde sichert,
sondern auch kriegerischen Geist und vater-
ländische Gesinnung bei dem Volk erweckt;
wenn er, überzeugt, daſs nicht in das Zu-
greifen die höchste Weisheit, wie die höchste
Begierde, zu setzen sey, daſs nicht jeder
Zuwachs an Menschen oder Gebiet, wahre
Vermehrung der Macht eines Staates nach
sich ziehe, daſs vielmehr Friede, Freiheit,
[154]Einl. VII Cap. Der teutsche Bund.
Recht und Güte die groſsen Hebel zu dem
Emporsteigen der Staaten sind, sein Heil
nicht sucht in vermeintlich furchtbarer Ver-
gröſserung a).
Das klare Interesse seines Dasevns, ver-
pflichtet den teutschen Bund zu Gerech-
tigkeit und Weisheit, im Innern und Aeus-
sern. Demnach werden Rechtliebe, Staats-
weisheit, Wohlwollen und reger Eifer für
Gemeinwohl, die Bundesgenossen beleben.
Diese werden die Bundesversammlung wohl-
thätig leiten, und nicht zugeben, daſs die
Thätigkeit derselben in unnütze Geschäftig-
keit, in Blendwerk und Ceremoniendienst
sich auflöse. Ein weites Feld zu nützlichem
[155]in geograph. u. politischer Beziehung.
Wirken, steht dieser erhabenen Versammlung
offen. Bedeutende negative Vortheile sogar,
ist man von ihr zu hoffen berechtigt, so
fern schon der Blick auf sie, egoistisches
Wirken zum Nachtheil des Ganzen oder Ein-
zelnen zu hindern vermag. Sie wird nütz-
liche Mittheilungen unter den Bundesstaaten
erleichtern, vermehren und unterhalten. Auf-
merksam auf die Stimme der öffentlichen
Meinung, überzeugt, daſs, früher oder spä-
ter, Haſs und Verachtung den Unterdrücker
des Schwächern treffen müsse, huldigend
dem Grundsatz der politischen Einheit, Frei-
heit und Unabhängigkeit des Bundes, wird
durch Ehrgeiz, durch Streben nach Allein-
stehen, Machtspiel (Europäisiren und Puis-
sanciren) und Vergröſserung, durch Drohung,
aus der Verbindung zu scheiden, kein Bun-
desgenoſs trachten, sich über die Grenze der
Pflicht und Gleichheit zu erheben. Der ge-
meinschaftliche gleiche Einfluſs, wozu die
beiden mächtigsten Bundesstaaten sich be-
rufen finden a), wird für Teutschland eine
Gewährleistung der Ruhe, für Europa ein
Pfand des Friedens seyn, wenn er, ihren
Verheiſsungen treu, nie anders wirkt, als
einmüthig und wohlthätig. Das Verhältniſs
des Bundes und der Bundesstaaten nach Aussen,
[156]Einl. VIII. Cap. Subject u. Object des t.
fordert eine desto sorgfältigere Beachtung, da
Teutschand in politischer, wie in geogra-
phischer Hinsicht, der Mittelpunct von Eu-
ropa ist b).
I) Das Subject des teutschen öffentli-
chen Rechtes, stellen dar: in Absicht [...]) auf
die Substanz der öffentlichen Gewalt,
[157]öffentlichen Rechtes. Bundesgewalt etc.
a) in dem Bundesrecht, die Gesammt-
heit der Bundesstaaten, b) in dem
Staatsrecht der souverainen Bundes-
staaten, die einzelnen Bundesstaa-
ten; dann 2), so viel a) die Ausübung
der Bundesgewalt betrifft, die Bundes-
versammlung, b) in Absicht auf die Aus-
übung der Staatsgewalt in den sonverai-
nen Bundesstaaten, das Staatsoberhaupt,
mit Hinsicht auf diejenigen Bedingungen,
unter welchen ihm die Ausübung der Staats-
gewalt anvertraut ist. II) Das Object be-
steht in den wechselseitigen vollkommenen
Rechten, und zwar 1) der Bundesgenos-
sen, in dem Bundesrecht, 2) in dem
Staatsrecht der Bundesstaaten, der
regierenden und der untergeordneten Sub-
jecte; nebst gewissen vollkommenen Rech-
ten gegen Auswärtige (§. 9). Dahin gehören
die Hoheitsrechte, sowohl des Bundes,
als auch der souverainen Bundesstaaten.
Ihrem Wesen nach, ist die Bundes-
gewalt des teutschen Bundes, als eine ge-
sellschaftliche, ein Recht der Gesammt-
[158]Einl. VIII. Cap. Subject u. Object des t.
heit der Bundesstaaten. Es gilt dieses nicht
nur von den Verfassungsrechten, sondern
auch von allen übrigen Rechten des Bun-
des, sie seyen Vertragsrechte, oder Ho-
heitsrechte, deren Ausübung ihm, als einem
unabhängigen Staatenverein, nach dem Wil-
len der Bundesgenossen zusteht. Die aus-
übende Behörde, ist die Bundesver-
sammlung.
Die formale Entwickelung des Staats-
rechtes der zu Staatshoheit oder unab-
hängiger Staatsgewalt berechtigten, teutschen
Bundesstaaten, geht von zweifachem Ge-
sichtpunct aus; von der Grundverfas-
sung, und von der Verwaltung dieser
Staaten. I) Die Lehre von der Staats-
Grundverfassung (Staats Constitution),
das Staatsverfassungsrecht, umfaſst alle
Rechtsbestimmungen, welche auf die Staats-
forma) (forma civitatis s. reipublicae), das
heiſst, auf die öffentliche Persönlichkeit
des regierenden Subjectes, und das Rechts-
verhältniſs zwischen Oberherrschaft und Un-
terthanschaft im Allgemeinen, sich beziehen
[159]öffent. Rechtes. Bundesgewalt, etc.
II) Die Lehre von der Staatsverwaltung
(Staatsadministration), das Staatsverwal-
tungsrecht, umfaſst alle Rechtsbestim-
mungen, welche auf die Ausübungsart
der Staatsgewalt (modus administrandi
civitatems. rempublicam), in dem innern und
äussern Staatsverhältniſs, sich beziehen. III)
Die einzelnen Rechte, welche zusammen die
Staatshoheit bilden, und deren Ausübung, als
Mittel zu dem Zweck, zu der Staatsverwaltung
gehört, heiſsen Staats Hoheitsrechte
(Majestäts- oder SouverainetätsRechte b), Re-
gierungsrechte, Regalien, Gewalten, jura
majestatis s. regiminis, jura regia s, regalia,
pouvoirs). IV) Das Recht zur Staatsverwal-
tung, gebührt dem regierenden Subject. Der
Inbegriff der StaatsHoheitsrechte, in dem
Besitz des Regenten, heiſst seine Macht-
vollkommenheit, plenitudo potestatis c).
I) Eine zweckmäsige Uebersicht der
StaatsHoheitsrechtea), gewähren die ver-
schiedenen Eintheilungen derselben, in we-
sentliche und zufällige, in äussere und innere
(diese, entweder allgemeine oder beson-
dere, verleihbare oder unverleihbare), und in
eingeschränkte und uneingeschränkte b). II)
Ihrer Natur nach, sind die Hoheitsrechte
1) wesentliche (essentialia), wenn sie
schon in dem Begriff des Staates liegen, das
heiſst, durch die vorgesetzte Erreichung des
Staatszweckes unmittelbar bedingt sind; 2)
zufällige (accidentalia), wenn sie dem
Staat aus einem besondern Erwerbgrund, mit-
hin nur bedingungsweise oder unter beson-
ders festgesetzten Verhältnissen, zustehen c).
Die ersten werden von Einigen Hoheits-
(11)
[162]Einl. VIII. Cap. Staatsverfass. u. Staatsverw.
rechte, die andern Regalien, beides im
engern oder besondern Sinn, genannt d).
In Ansehung ihrer Gegenstände, sind
die StaatsHoheitsrechte zweifach: 1) Aeus-
sere (auswärtige, regalia transeuntia. s. ex-
terna), die sich auf das Verhältniſs des Staa-
tes gegen Auswärtige beziehen, auf ein
Verhaltniſs, in welchem das Oberhaupt be-
rechtigt ist, die moralische Persönlichkeit
des Staates nach Aussen zu vertreten a).
Dieses Rechtsverhältniſs begreift in sich, das
Kriegs- und Vertragsrecht; oder, mehr
vereinzelt, die Rechte des Kriegs (jus belli),
2) des Friedens (jus pacis), 3) der Ver-
[165]öffentl. Rechtes. StaatsHoheitrechte.
träge, insbesondere der Bündnisse (jus
pactorum et foederum), 4) der Gesandt-
schaften (jus legationum), 5) die Staats-
Servituten. II) Innere (regalia immanen-
tia s. interna sive domestica), die das Ver-
haltniſs des Staates im Innern betreffen,
ein Verhältniſs zwischen Oberherrschaft und
Unterthanschaft, Staatsoberhaupt und Volk.
Diese lassen sich nach drei Hauptgegen-
ständen (trias politica) unterscheiden:
1) höchste Oberaufsicht (jus inspectionis
supremae); 2) Gesetzgebung (potestas
leges ferendi); 3) höchste vollziehende
Gewalt im weitern Sinn (vollziehende oder
ausübende Gewalt, potestas exequendi su-
prema s. generaliter definita). Auf diese drei-
fache b) Weise sind zugleich die Formen
verschieden, unter welchen die Staatsgewalt
sich zeigen muſs, wenn sie sich äussert.
Werden die drei genannten allgemeinen
Hoheitsrechte (jura majestatica s. regiminis
generalia), als drei verschiedene Arten der
Wirksamkeit der höchsten Staatsgewalt, ein-
zeln, oder mehrere zusammengenommen, auf
gewisse besondere Gegenstände der Staats-
regierung angewandt; so entstehen daraus die
sogenannten besondern Hoheitsrechte (jura
majestatica s. regiminis specialia), die von
jenen abgeleitet, und ihnen untergeordnet,
nicht coordinirt, noch entgegengesetzt sind.
[167]öffentl. Rechtes. StaatsHoheitsrechte.
Dahin gehören a): 1) Justizhoheit, bür-
gerliche und peinliche. 2) Polizeigewalt.
3) Finanzhoheit; wohin gerechnet wer-
den können: SteuerRegal (Staats Auflagen-
Regal, droit d’impôt), Straſsen- und Geleit-
Regal, CommerzRegal, MünzRegal, Post-
Regal, BergwerkRegal, Forst- und Jagd-
Regal, WasserRegal, IndustrieConcessions-
Regal b), LandesschutzRegal, Landesdienst-
Regal, Fiscalgewalt, Domanialrecht u. a. c).
4) Privilegiengewalt. 5) Aemter-,
Titel-, Decorations-, Rang- und
Standeserhöhungsrecht. 6) Erzie-
hungs- und UnterrichtRegal. 7) Kir-
chenhoheit. 8) Lehnhoheit. 9) Wehr-
und Waffenrecht. 10) Aeusserstes
Recht (jus eminens).
Die Substanz der Hoheitsrechte, ist un-
veräusserlich. Allein die Ausübung und
Benutzung solcher inneren Regalien, deren
Gebrauch, ohne Nachtheil des Staatszweckes,
ohne die Wirksamkeit der Staatsregierung
für solchen zu hindern, Andern überlassen
werden kann, die also nicht nothwendig von
dem Staat selbst, unmittelbar und ausschlies-
send, ausgeübt und benutzt werden müssen,
kann, mit Unterordnung gegen den Staat,
dessen Oberaufsicht, Gesetzgebung und voll-
ziehende Gewalt, an Andere abgetreten wer-
den. Regalien dieser Art können daher, auf
die angezeigte Art, namentlich von Unter-
obrigkeiten und Landsassen, insbesondere
von ansehnlichen Grundeigenthümern und
Gemeinheitena), durch Verleihung (Vertrag,
Privilegium) oder unvordenkliche Verjährung,
ganz oder zum Theil, erworben und beses-
sen werdenb). Sonach findet eine, mit oder
ohne Zeitbestimmung verliehene, unter-
geordnete Ausübung eines oder mehrerer
Zweige der Regierungsgewalt, in einem be-
stimmten Bezirk des Staatsgebietes, statt.
Daher die practisch merkwürdige Einthei-
[169]öffentl. Rechtes. StaatsHoheitsrechte.
lung der Regalien, in verleihbarec) (con-
cessibilia s. communicativa) und unverleih-
bare (inconcessibilia).
In souverainen Staaten des teutschen Bun-
des, können einzelne StaatsHoheitsrechte aus-
geübt werden, entweder nur unter Beobach-
tung gewisser positiven Einschränkungen,
namentlich unter verfassungsmäsiger Mitwir-
kung der Volksvertreter, oder ohne Ein-
schränkungen dieser Art. In jenem Fall sind
sie eingeschränkte, in diesem unein-
geschränkte. Für den letzten Fall streitet
die Rechtsvermuthung, auch in denen Bun-
desstaaten, in welchen Landstände sich be-
findena), denen eine verfassungsmäsige Mit-
wirkung oder Theilnahme (nicht Mitregent-
schaft) an bestimmten Gegenständen der Staats-
verwaltung zusteht.
Der teutsche Bunda) ist ein fortwäh-
render freier Staatenbundb), eine Ver-
einigung der unabhängigen Staaten Teutsch-
lands, zu einer völkerrechtlichen gleichen
Gesellschaft, für gemeinschaftliche Zweckec).
Da die Bundesstaaten allerseits nur völker-
rechtlich durch Gesellschaftrecht, nicht durch
Rechte einer Obergewalt, vereinigt sind; so
ist die Bundesgewalt eine politische So-
cial- oder Collegialgewalt, und es besteht
[172]I. Th. I. Cap. Begriff, Zweck und
für den Bund weder ein Protector, noch ein
Oberhauptd). Die BundesActe enthält Grund-
züge der Bundesverfassunge). Nie hatte
noch ein Staatenbund eine so groſse Anzahl
von Staaten umfaſst, wie jetzt der teutsche;
groſse, mittlere und kleine, monarchisch und
republikanisch geformtef). Den Charakter
des Bundes bezeichnen, als zwei gleich
feste Grundstützen, eines Theils die Rechts-
gleichheit der Bundesgenossen, andern
Theils das NationalBand, welches alle
Bundesstaaten wohlthätig umfassen sollg).
Den Zweck des teutschen Bundes, setzt
die BundesActea) in die Erhaltung theils der
äussern und innern Sicherheit Teutsch-
lands, theils der Unabhängigkeit und
Unverletzbarkeit der einzelnen teutschen
Staaten. Ausser diesen, werden als Beweg-
gründe zu Stiftung des Bundes, auch die
Vortheile angeführt, welche aus solchem für
die Ruhe und das Gleichgewicht von
Europa hervorgehen wurdenb). Demnach
ist der teutsche Bund, ein Sicherheits-
bundc). In seinem rechtmäsigen Wirkungs-
kreis, finden sich Mittel zu Unterdrückung
der Selbstständigkeit schwächerer Staaten eben
so wenig, als zu ausdrücklicher oder still-
schweigender Begünstigung staatsverderben-
der Willkühr in der Regierung und Vertre-
tung einzelner Bundesstaaten, zu Hemmung
nützlicher Fortschritte des teutschen Volkes
in jeder Art von Cultur, zu Beschränkung
freier, vernünftiger Meinungsäusserung, und
zu Beförderung selbstsüchtiger Absichten ein-
zelner Classen von Staatsbewohnern.
Bundesgenossen sind: die souverai-
nen Fürsten (ein Kaiser, Könige, Groſsher-
zoge, ein Kurfürst, Herzoge und Fürsten) und
die freienStädte Teutschlandsa). Nach dem
Alter ihrer Bundesgenossenschaft, theilen sich
die Bundesgenossen in zwei Classen: in ur-
sprüngliche, die Stifter des Bundes, welche,
an der Zahl sechs und dreiſsig, bei Errichtung
der BundesActe Mitglieder des Bundes wurden,
und aufgenommene, welche späterhinAuf-
nahme erlangt habena). Mitglieder der letz-
ten Art, sind Wirtemberg und Baden,
deren jedoch, in sicherer Erwartung ihrer
nachfolgenden Theilnahmeb), vorläufig schon
in der BundesActe als (künftiger) Bundesge-
nossen Erwähnung geschiehtc).
Die Bundesgenossen werden in der
BundesActe, und zwar in folgender Ord-
nung, jedoch unbeschadet ihres Ranges,
benannta): 1) der Kaiser von Oestreich,
2) der König von Preuſsen, beide für ihre
gesammten, vormals zu dem teutschen Reich
gehörigen Besitzungenb), 3) die Könige von
Sachsen, 4) Baiern, 5) Hannover, und
6) Wirtemberg, 7) der Groſsherzog von
Baden, 8) der Kurfürst von Hessen,
9) der Groſsherzog von Hessen, 10)
der Herzog von Holstein (- Glückstadt,
zugleich König von Dänemark) wegen Hol-
stein und Lauenburgc), 11) der Groſsher-
zog von Luxemburg (zugleich König der
[177]Mitglieder des teutschen Bundes.
Niederlande), 12) der Herzog von Braun-
schweig, 13) der Groſsherzog von Meck-
lenburg Schwerin, 14) der Herzog von
Nassau, 15) der Groſsherzog von Sachsen-
Weimar, 16) die Herzoge von Sachsen-
Gotha, 17) SachsenCoburg, 18) Sach-
senMeiningen, und 19) SachsenHild-
burghausen, 20) der Groſsherzog von
MecklenburgStrelitz, 21) der Herzogd)
von Holstein Oldenburg, 22) Die Herzoge
von AnhaltDessau, 23) AnhaltBern-
burg, 24) und AnhaltCöthen, 25) die
Fürsten von SchwarzburgSondershau-
sen, 26) Schwarzburg Rudolstadt,
27) HohenzollernHechingen, 28) Lich-
tenstein, 29) Hohenzollern Sigma-
ringen, 30) Waldeck, 31) Reuſs, älte-
rer Linie (ReuſsGreitz), 32) Reuſs, jünge-
rer Linie (ReuſsSchleitz, Lobenstein und Ebers-
dorf), 33) SchaumburgLippe, und 34)
Lippe (- Detmold), 35) die freien Städte,
Lübeck, 36) Frankfurt, 37) Bremen
und 38) Hamburge).
A) Der beständige Staatenverein der
unabhangigen Fursten und fieren Städte
Teutschlands, soll, vermöge der BundesActe,
den Titel teutscher Bund führena).
B) Die frühern Titel verschiedener Bun-
desgenossen wurden verändert, theils
[179]u. Rang d. Bundes u. der Bundesgenossen.
kurz vor Auflösung der teutschen Reichsver-
bindung, theils in der rheinischen Bundes-
Acte, oder späterhin bei der Aufnahme in
den rheinischen Bund, theils während des
wiener Congresses. I) Die Königswürde,
nebst einer relativen Souverainetät, hatten
die Kurfürsten von Baiern und Wirtem-
berg schon in dem presburger Friedenb)
erhalten. II) In der rheinischen BundesActe
erhielten, der Kurfürst von Baden (welcher
kurz vorher, nachdem der presburger Friede
(Art. 14) ihm eine relative Souverainetät
beigelegt, den Titel souverainer Kurfürst
angenommen hatte) und der Landgraf von
HessenDarmstadt, den Titel Groſsher-
zog, mit denen Rechten, Ehren und Vor-
zügen, welche mit der königlichen Würde
verbunden sindc) (honneurs royaux, honores
regii), und der Chef des fürstlichen Hauses
Nassau, den Titel Herzogd).
III) Späterhin erlangten, bei ihrer Auf-
nahme in den rheinischen Bund, der Kur-
fürst von Sachsena) die Königswürde,
die Fürsten von AnhaltDessau, Anhalt-
Bernburg und AnhaltCöthen den Titel
Herzogb), die Grafen von Reuſs und
SchaumburgLippe den Fürstentitelc).
IV) Die präsumtiven Nachfolger der Groſs-
herzoge führen, nach dem Vorgang in dem
Hause Baden von 1806, den Titel Erbgroſs-
herzogd) (grand-duc héréditaire).
V) Während des wiener Congresses, nahm
der Kurfürst von Hannover oder Braun-
schweigLüneburg den Königstitel ana);
der Herzog von SachsenWeimar den
Titel Groſsherzogb) von SachsenWeimar-
Eisenach. Der Kurfürst von Hessen,
verband mit seinem kurfürstlichen Titel das
Prädicat königliche Hoheitc). In der
SchluſsActe des wiener Congresses, erhielten
die groſsherzogliche Würde, die Her-
zoge von HolsteinOldenburg (welcher
bis jetzt von diesem neuen Titel keinen
Gebrauch macht), von Mecklenburg-
Schwerin u. Mecklenburg-Strelitzd),
und dem König der Niederlande ward solche
wegen Luxemburg beigelegte), welches
mit dem Königreich der Niederlande nur in
persönlicher Verbindung steht, und von dem
König auf Nachgebohrne seines Hauses über-
gehen kann. VI) Etliche Bundesfürsten setzten,
in ihrem Staatstitel, zu ihren übrigen Ti-
teln auch den groſsherzoglichen, von neu-
erworbenen Ländern, die zu dem teutschen
Bunde gehören. So nannte sich Preuſsen
Groſsherzog bei Rhein, Kurhessen Groſsher-
[182]I. Th. II. Cap. Titel, Wappen, Ceremoniel
zog von Fulda, Hessen Darmstadt Groſs-
herzog (von Hessen und) bei Rheinf). VII)
Sämmtlichen Bundesfürsten ward in der Bun-
desActe, nach einigen Erörterungen, das Prä-
dicat souverain beigelegtg). VIII) Die
Hansestädte, Hamburg, Lübeck und Bre-
men, und die Stadt Frankfurt, nahmen
den Titel freie Städte an.
I) Bei Festsetzung der dem teutschen
Bund zu gebenden, oder von ihm zu em-
pfangenden Courtoisie, ist Rücksicht zu
nehmen, theils auf den bisherigen Gebrauch
bei andern unabhängigen Staatenvereinena),
theils auf die verschiedenen Rangverhältnisse
sowohl seiner Mitglieder, als auch desjeni-
gen, mit welchem schriftlicher Verkehr statt
hatb). Was II) die Bundesgenossen be-
trifft, so erhalten die Groſsherzoge und der
Kurfurt von Hessen, welchen königliche Ehre
(honneurs royaux) gebührt (§. 107 u. 109),
von den Kaisern und Königen den Bruder-
titelc). Der Majestätstitel wird dem
Kaiser von Oestreich und den Königen ge-
gebend). Das Prädicat königliche Ho-
heit (Altesse royale), welches auch die kö-
niglichen Kronpriuzen erhalten, haben die
Groſsherzoge und der Kurfürst von Hessen
angenommene), das Prädicat Hoheit, die
Erbgroſsherzoge, so wie etliche nachgebohrne
und apanagirte Prinzen und Prinzessinnen
königlicherf) und groſsherzoglicher Hauserg);
das Prädicat Durchlaucht, die Fürsten
und die Prinzen fürstlicher, so wie manche
[184]I. Th. II. Cap. Titel, Wappen, Ceremoniel
Prinzen des königlichen wirtembergischen
Hausesh). In der Courtoisie der freien
Städte kommt in Betrachtung, theils der
Gebrauch während der teutschen Reichsver-
bindung, theils ihre jetzige Unabhängigkeit.
I) Die Bundesgenossen bestimmen selbst,
kraft ihrer unabhängigen Staatshoheit, ihre
Regenten- und Ländertitel, ihre Haus-
und Stamm- oder Familientitel, ihre
Erbschaft- oder Successions- und An-
spruch- oder Prätensions Titela), so auch
ihre Staats-, Familien-, Erbschaft-
und Anspruchwappenb), so fern sie nicht,
als Mitglieder höherer oder gleicher souverai-
ner Regentenhäuser, in Ansehung eines oder
des andern Titels oder Wappens, den Be-
stimmungen der gemeinschaftlichen Hausge-
setze oder des Familienhauptes zu folgen
verpflichtet sind. II) Das letzte gilt auch
von Bestimmung der Titel und Wappen, für
nicht regierende Herren der bundesfürst-
lichen Häuserc). III) Der teutsche Bund
ist berechtigt, ein eigenes Bundeswappen
festzusetzen und zu führen.
Das unter souverainen Staatenvereinen
und Staaten übliche Staats- und Völker-
[187]u. Rang des Bundes u. der Bundesgenossen.
Ceremoniela) (das persönliche, Kanzlei-,
Gesandschaft-, und KriegsCeremoniel), so-
wohl bei persönlichen Zusammenkünften,
als auch in Staatsschriften, in Staats- oder
Canzleischreiben (lettres de conseil, ou de chan-
cellerie), in Cabinet- oder Handschreiben,
und in eigenhändigen Schreiben b), findet in
der Regel statt, auch für den teutschen Bund,
und nicht nur unter den Bundesgenos-
sen unter sich, und in ihren eigenen Staa-
ten, sondern auch mit auswärtigen souverai-
nen Staaten.
Die natürlichen, vollkommenen Rechte der
Gleichheit, welche, ohne Rücksicht auf
Verschiedenheit der Zeit, des Raums, der
Volksmenge, der Macht, der Titel, der Cul-
tur, allen unabhängigen Staaten und Staaten-
vereinen zukommen a), gebühren auch dem
teutschen Bund, im Ganzen und in seinen
Theilen. Was durch positive Bestimmungen
[189]u. Rang des Bundes u. der Bundesgenossen.
des Völkerrechtes b), insbesondere des teut-
schen Bundesrechtes c), hierin nicht aufge-
hoben oder modificirt ist, muſs in dem in-
nern und äussern Verhältniſs des Bundes und
seiner SouverainStaaten gelten. Die Kang-
verhältnisse der Bundesstaaten, ausser-
halb der Bundesversammlung, sind von den
Bestimmungen der BundesActe, in dieser d)
ausdrücklich für ausgenommen erklärt: aber
für diejenigen in der Bundesversammlung,
enthält diese Acte eigene Bestimmungen, wo-
von in dem folgenden Capitel (§. 123).
I) Für zweckmäsige Ausübung der Social-
Rechte des teutschen Bundes, ist eine Bun-
desversammlung angeordnet a). Sie ist
eine immerwährende, allgemeine und regel-
mäsige Versammlung der bevollmächtig-
ten Abgesandten aller Bundesgenossen;
die einzige verfassungsmäsige Bundesbehörde,
für alle äusseren und inneren Verhältnisse
des Bundes. Sie ist keine Behörde für Grün-
dung der Verfassung oder für CentralVer-
waltung der Bundesstaaten, auch keine Na-
tionalStellvertretung, und bis jetzt eben so
wenig ein Gericht für Streitigkeiten zwischen
Einzelnen und Regierungen von Bundesstaa-
ten (§. 126). II) Die Bundesversammlung
hat ihren Sitz zu Frankfurt am Main b).
[191]Bundesversammlung.
Die Eröffnung derselben, war auf den
ersten September 1815 festgesetzt c), hatte
aber, nach etlichen Vor- oder Präliminar-
Conferenzen, erst am 5. November 1816
statt d). III) Für den Organismus der Bun-
desversammlung, wird eine eigene Bun-
destagsOrdnung errichtet e). Bis dahin,
ist eine vorläufige Geschäftordnung
(vom 30. Oct. 1816) durch Uebereinkunft
festgesetzt f).
I) Die Bundesversammlung ist bestän-
dig. Sie hat aber die Befugniſs, wenn die
ihrer Berathung unterzogenen Gegenstande
erledigt sind, auf bestimmte Zeit sich zu
vertagen; doch nicht auf länger als vier
[192]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
Monate a). II) Alle näheren Bestimmun-
gen, betreffend die Vertagung und die Be-
sorgung der etwa während derselben vor-
kommenden dringenden Geschäfte, sind der
Bundesversammlung, bei Abfassung der Ein-
richtungsgesetze, vorbehalten b).
I) Die Bundesversammlung theilt sich in
das Plenuma) (allgemeine, vollständige oder
PlenarVersammlung), und in die engere
Versammlung. II) Die letzte ist, in Hin-
sicht auf Betreibung der Geschäfte, die Regel,
das erste die Ausnahme b). III) In dem Ple-
num sind keine Gesammtstimmen, sondern
nur VirilStimmen, so daſs jedes Mitglied
darin allein und für sich Sitz und Stimme
hat. Es wird aber hiebei die politisch-geo-
graphische Ungleichheit der verschiedenen
Bundesstaaten dadurch beachtet, daſs den
kleineren nur eine, den gröſseren mehr
als eine Stimme gegeben ist. IV) Diesem
Grundsatz gemäſs, sind in dem Plenum neun
[193]Bundesversammlung.
und sechzig VirilStimmen unter acht
und dreiſsig Bundesgenossen, mit Ruck-
sicht auf das allseitige TerritorialVerhältniſs,
so vertheilt c), daſs 1) sechs Bundesgenos-
sen d), jeder mit vier, 2) fünf e), jeder mit
drei, 3) drei f), jeder mit zwei VirilStim-
men. 4) die übrigen vier und zwanzig, jeder
mit einer Stimme, bedacht sind g).
I) In der engern Versammlunga),
sind nur siebenzehn Stimmen. Diese sind
unter sämmtliche acht und dreiſsig Bundes-
glieder so vertheiltb), daſs eilf von ihnen
Viril Stimmen, alle übrigen überhaupt
secha CuriatStimmen haben. II) Die eilf
VirilStimmführer sind: Oestreich, Preuſsen,
Baiern, Sachsen, Hannover, Wirtemberg,
Baden, Kurhessen, Groſsherzog von Hessen,
Holstein (-Glückstadt), Luxemburg. III) Die
sechs CuriatStimmen, sind unter die übri-
gen sieben und zwanzig Bundesglieder ver-
theilt, wie folgt: 1) Sachsen WeimarEise-
nach, SachsenGotha, SachsenCoburg, Sach-
senMeiningen, SachsenHildburghausen; 2)
Braunschweig und Nassau; 3) Mecklenburg-
Schwerin und MecklenburgStrelitz; 4) Hol-
steinOldenburg, AnhaltDessau, AnhaltBern-
burg, AnhaltCöthen, SchwarzburgSonders-
hausen, SchwarzburgRudolstadt; 5) Hohen-
zollernHechingen, HohenzollernSigmaringen,
Lichtenstein, Reuſs, ältere und jüngere Linie,
SchaumburgLippe, Lippe, Waldeck; 6) die
freien Städte: Lübeck, Frankfurt, Bremen
und Hamburg.
I) Die Bundesversammlung bildet sich zu
einem Plenum, wenn es ankommt: 1) auf
Abfassung und Abänderung von Grundgesetzen
des Bundes; 2) auf Beschlüsse, welche die
BundesActe selbst betreffen; 3) auf orga-
nische (sic!) Bundeseinrichtungen; und 4)
auf gemeinnützige Einrichtungen sonstiger
Art a). II) Wie fern ein Gegenstand, nach
dieser Bestimmung, für das Plenum ge-
eignet sey, wird in der engern Versamm-
lung durch Stimmenmehrheit entschieden b).
Soll ein Gegenstand dem Plenum zur
Entscheidung vorgelegt werden, so muſs
[196]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
ein Entwurf des von demselben zu fas-
senden Beschlusses, in der engern Ver-
sammlung vorbereitet, und zu solcher
Reife gebracht werden, daſs er von dem
Plenum entweder angenommen, oder ver-
worfen werden kann a).
Die Beschlüsse der Bundesversamm-
lung, werden nach Mehrheit der Stimmen
gefaſst, nach absoluter oder relativer. Es
entscheiden nämlich, 1) in der engern Ver-
sammlung, die absolute Mehrheit, 2)
in dem Plenum, zwei Drittheile der
Stimmen, also eine relative Mehrheit, 3) bei
Gleichheit der Stimmen, in der engern
Versammlung, der Vorsitzendea).
Sowohl in der engern Versammlung, als
auch in dem Plenum, kann durch die vor-
hin erwähnte Stimmenmehrheit, ein
Beschluſs nicht zu Stande kommen, in
folgenden Fällen: 1) wenn es ankommt auf
Annahme oder Abänderung der Grundgesetze,
oder 2) auf Einrichtungen des Bundes, 3) auf
jura singulorum oder 4) ReligionsAngelegen-
heiten a). Eine nähere Bestimmung darüber,
was unter dem Ausdruck „jura singulo-
rum“ zu verstehen sey, ward der Bundes-
Acte nicht einverleibt b).
I) Für die Stimmordnung in der
engern Versammlung, ward in der Bundes-
Acte vorläufig diejenige Ordnung festge-
[199]Bundesversammlung.
setzt, in welcher oben (§. 117) die Inhaber
der Viril- und CuriatStimmen genannt sind.
Es ward aber nicht nur zugleich der Vor-
behalt hinzugefügt, daſs die Stimmberech-
tigten unbeschadet ihres Ranges in
dieser Ordnung stimmen sollten a), sondern
auch in dem achten wiener ConferenzPro-
tocoll, durch einen Beschluſs noch überdieſs
einem Jeden sein Recht in Ansehung des
Ranges, vorbehalten b). II) Für das Plenum,
ward auf dem wiener Congreſs vorlaufig der
Beschluſs gefaſst, daſs derjenige, welcher
zwei Stimmen zu führen hat, vor demje-
nigen genannt werden soll, welcher nur
eine hat c). Diesem gemäſs, wurden in der
BundesActe d) die Stimmen für das Plenum
einstweilen geordnet, und in so fern Aus-
nahmen von dem ehemaligen teutschen Co-
mitialRang gemacht e).
III) Zugleich ist in der BundesActe fest-
gesetzt, daſs in dem ganzen Zeitraum,
in welchem die B.V. (in dem Plenum) mit Ab-
fassung der Einrichtungsgesetze (§. 118)
beschäftigt seyn wird, 1) für die Abstim-
mungsOrdnung der Bundesglieder, kei-
nerlei Bestimmung gelte; daſs viel-
mehr 2) die zufällig sich fügende Ord-
nung, keinem der Mitglieder zum Nach-
theil gereichen, noch eine Regel begrün-
den solle a).
IV) Ferner ist festgesetzt a), daſs 1) nach
Abfassung der Einrichtungsgesetze, die Bun-
desversammlung die künftige, für bestän-
dig einzuführende Stimmordnung in Be-
rathung nehmen, und hiebei sich so wenig als
möglich von derjenigen Ordnung entfernen
werde, welche ehedem auf dem Reichstag,
namentlich in Gemäſsheit des Reichsdeputa-
tionsHauptschlusses von 1803, beobachtet
worden ist b); daſs 2) aber auch diese
[201]Bundesversammlung.
Stimmordnung auf den Rang der Bundes-
glieder überhaupt, und deren Vortritt aus-
ser den Verhältnissen der Bundesversamm-
lung, keinen Einfluſs ausüben soll. V)
Dieser mehrfachen Vorsicht ungeachtet, kam
es, schon in den wiener Conferenzen, zu
verschiedenen Erörterungen über den Rang
einzelner Bundesfürsten in der Bundesver-
sammlung c).
I) Die Bundesversammlung kann, für
bestimmte Angelegenheiten des Bundes, De-
putationen oder Ausschüsse aus ihrer
Mitte niedersetzen, auch Commissionen
ernennen a). II) Insbesondere ist ihr zur
Pflicht gemacht b), bei Streitigkeiten
der Bundesglieder unter sich c), 1) zu-
vörderst die Vermittlung derselben durch
einen Ausschuſs zu versuchen; und wenn
[202]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
dieser Sühnversuch fehl schlagen sollte, und
demnach 2) eine richterliche Entschei-
dung nothwendig würde, solche durch eine
wohlgeordnete AusträgalInstanzd)
zu bewirken, deren Ausspruch die streiten-
den Theile sich sofort zu unterwerfen
haben e).
I) Den Vorsitz in der Bundesversamm-
lung, sowohl in der engern als auch in dem
Plenum, hat Oestreicha), dessen Gesand-
ter, zu Verhütung jeder Stockung in der
Leitung der Geschäfte, für Verhinderungs-
fälle mit SubstitutionsGewalt versehen
ward b). II) Da ein Vorsitz, nach seinem na-
türlichen Rechtsbegriff, sich auf die Sitzun-
gen einer Versammlung beschränkt c), und
die Bundesversammlung auch ausser solchen
einer Leitung ihres Geschäftsganges bedarf;
so ist, in der künftigen Bundestagsordnung,
eine eigene genaue Bestimmung über den
Umfang des Wirkungskreises jenes Vorsitzes,
insbesondere über die Frage zu erwarten:
wie fern auch in Zukunft, mit dem Vorsitz
ein Directorium auf der Bunderversamm-
lung überhaupt verbunden seyn solle d)?
Der Bundesversammlung steht das Recht
zu, ein Archiv, eine Registratur und
eine Canzlei, für sich zu errichten und
zu unterhalten a). Die dabei angestellten
Personen, mit Inbegriff des Canzlei-
Directors, sind, auf den Vorschlag des
Präsidii b), von ihr zu ernennen, und dem
Bunde zu verpflichten, dem sie daher auch
mit Amtspflicht untergeordnet sind c). Die
Aufsicht über beide, steht jederzeit dem
Directorium oder Präsidium zu d). Zu Unter-
haltung der Canzlei, wird eine Casse durch
Beiträge der Bundesgenossen gebildet e).
I) Die Bevollmächtigten der Bun-
desgenossen bei der Bundesversammlung
(§. 114), sind als Gesandte zu betrach-
ten a), und genieſsen in dieser Eigenschaft
die gesandtschaftlichen Vorrechte und Be-
freiungen. II) Ihre Legitimation erfolgt
bei dem Präsidium oder Directorium der
Bundesversammlung, welches den übrigen
Bevollmächtigten amtliche Nachricht davon
zu ertheilen, und über die Zulänglichkeit
der Beglaubigung einen Beschluſs der Bun-
desversammlung zu veranlassen hat b). III) Für
Verhinderungsfälle, pflegt den Gesandten in
ihrer Vollmacht Substitutions Gewalt
ertheilt zu werden, kraft welcher sie sodann,
so oft es nöthig, Stellvertreter ernennen
und beglaubigen c). IV) Für das Ceremo-
niel in der Bundesversammlung, und der
Bevollmächtigten, sowohl unter sich als auch
[207]Bundesversammlung.
gegen Auswärtige, so wie V) über die Le-
gitimation und die Rechte der Lega-
tions Räthe, Secretarien und Canzli-
sten, welche insgesammt den Sitzungen
der B.V. nicht beiwohnen dürfen d), sind
positive Bestimmungen zu erwarten. VI) Nach
dem Todesfall eines Gesandten, geschieht
die Versiegelung seines Nachlasses, ins-
besondere seiner Papiere, von einer zu der-
selben Gesandtschaft gehörigen, hiezu er-
mächtigten Person, oder von dem beglau-
bigten Stellvertreter derselben oder des Ge-
sandten; in Ermangelung aller dieser, von
dem Präsidium der Bundesversammlung e).
Durch eine von der Bundesversamm-
lung an den Senat der Stadt Flankfurt
[208]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
im October 1816 erlassene Erklärung,
mit welcher der Senat im Allgemeinen sich
für einverstanden erklärte, hat dieselbe, in
Hinsicht auf ihr und der BundestagsGe-
sandten Verhältniſs zu der Stadt Fol-
gendes, mit Vorbehalt künftiger besonderer
Bestimmungen, festgesetzt a). I) Für solche
städtische Verhandlungen mit der B. V. oder
einzelnen BundestagsGesandten, welche in
den Geschäftkreis der städtischen Polizei-
und anderer obrigkeitlicher Stadtbehörden
einschlagen, besteht ausschliessend eine aus
der Mitte des Senats niedergesetzte Com-
mission, welche die Stelle des an Höfen
gewöhnlichen Ministeriums der auswärtigen
Angelegenheiten zu vertreten hat b). II) Die
B. V. empfängt von der Stadt fortwährend
Schildwachen, vor den Eingang zu ih-
rem Versammlungs- und ArchivOrt. Bei
ausserordentlichen Feierlichkeiten wird die
Wache verstärkt. Wegen der militäri-
schen Ehrenbezeugungen für die Bun-
destagsGesandten, soll weitere Eröff-
nung erfolgen c). III) Der Senat wacht, wie
über erlaubte und wohlthäige Preſsfrei-
heit, also auch über etwaige Miſsbräuche
derselben. Nur die von der B.V. für die
zu Frankfurt erscheinenden Zeitungen und
[209]Bundesversammlung.
periodischen Blätter eingesandten, oder
von ihr als amtlich anerkannten Artikel, sind
als officiell zu betrachten, und mit der
Aufschrift „officieller Artikel“ zu versehen d).
IV) Die Bundestags Gesandten, und die
sie begleitenden gesandtschaftlichen
Personen, genieſsen, für sich, ihre Fa-
milien und Dienerschaft, in Absicht auf
ihre Wohnungen völlige Exterritoria-
lität; sodann Befreiung von aller städti-
schen Civil-, Criminal- und Polizei-
Gerichtbarkeit, auch von Versiege-
lung bei Sterbfällen; desgleichen von städ-
tischen Steuern und Abgaben aller Art,
insbesondere von Sperr- und Chaussee-
geld, von Abgaben in Ansehung aller
Consumtibilien und (auch von Fremden
verfertigter) Mobilien, die sie zu ihrem,
(14)
[210]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
und der Ihrigen Gebrauch kommen lassen;
ferner, von aller Einquartierung, oder
deren Reluition, in Ansehung aller Woh-
nungen, welche von ihnen, oder von ihnen
angehörenden Personen, eigenthümlich oder
miethweise, besessen oder bewohnt werden;
endlich sind auch deren Erben frei von
Abzugsgeld, selbst dann, wenn die Erb-
schaft in andere als teutsche Bundesstaaten
ausgeführt würde a). V) In Absicht auf Ver-
haftung und Bestrafung der zu gesandt-
schaftlicher Dienerschaft gehörigen Personen,
im Fall eines Polizei- und Criminal-
Vergehens, so auch wegen Haussu-
chung iu der Wohnung eines Bundestags-
Gesandten, und zwar nur in dringenden Cri-
minalfällen, sind eigene Grundsätze aufge-
stellt, theils zu Schonung der gesandtschaft-
lichen Rechte, theils zu Wahrung der öffent-
lichen Sicherheit b).
VI) Die BundestagsGesandten ertheilen,
an nicht zu der Gesandtschaft gehörende
Personen, weder Schutzbriefe, für Auf-
enthalt oder Treibung eines Gewerbes, noch
in ihren Wohnungen einen Zufluchtort
(Asvl), gegen Verfolgung von Seite der Po-
lizei oder eines Gerichtes a). VII) Dagegen
bleibt der ge [...]ammten Bundesversamm-
lung die Befugniſs vorbehalten, in dazu ge-
eigneten Fällen, einzelnen Personen Schutz-
briefe für den Aufenthalt zu Frankfurt
zu ertheilen b); so wie VIII) einzelnen Bun-
destagsGesandten das Recht, Pässe zu
ertheilen, oder zu visiren, in allen Fällen,
in welchen solches, nach anerkannten Grund-
sätzen, den bei einem Staat accreditirten
Gesandten zusteht c). IX) Die Bundesver-
sammlung glaubt als einen Grundsatz an-
sehen zu müssen, daſs in Zukunft kein in
nexu civico der Stadt Frankfurt ste-
hendes Individuum zum Bundestags-
Gesandten, ausser für die Stadt selbst,
ernannt und angenommen werde d).
X) Die Verhältnisse des jedesmaligen Ge-
[212]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
sandten der Stadt zu derselben, bleiben
ihrer eigenen Bestimmung überlassen e).
Die Bundesversammlung ist befugt, und
es ist ihrer Würde gemäſs, von auswär-
tigen Mächten Gesandte, ordentliche und
ausserordentliche, anzunehmen a), und das
Ceremoniel zu bestimmen, welches sie
gegen dieselben beobachten will. Zwar ist,
bei Zulassung fremder Gesandten, die Bun-
desversammlung nicht zugleich zu betrach-
ten als ein europäischer Congreſs b): aber es
kann die Anwesenheit der Bevollmächtigten
europäischer Staaten, fast in dem Mittelpunct
[213]Bundesversammlung.
von Europa, in der freien Bundesstadt, un-
ter freie Wirksamkeit der Abgesandten be-
günstigenden örtlichen Umständen, ein er-
wünschter Anlaſs werden zu diplomatischen
Verhandlungen europäischer Mächte unter
sich, und mit teutschen Bundesstaaten, hie-
durch aber zu Erhaltung und Befestigung der
freundlich-gesellschaftlichen Bande, welche
die gebildeten Völker Europa’s, auch ohne
ausdrückliche Uebereinkunft, stets umschlin-
gen sollten c).
Anlaſs zu Verhandlungen erhält die Bun-
desversammlung, auf verschiedene Art. 1)
Manche Gegenstände sind ihr durch die Bun-
[214]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
des Acte vorgeschrieben, zur Berathung und
Festsetzung durch Beschlüsse. Die Bundes-
Acte macht ihr zur Pflicht, sich zuvör-
derst zu beschäftigen a), mit der Abfas-
sung von Grundgesetzen des Bundes,
und mit dessen Einrichtung, in Absicht
auf seine auswärtigen und innern Verhält-
nisse, auch die militärischen b). Ausser die-
sen, sind in der BundesActe c) noch ver-
schiedene andere Gegenstände ausdrücklich
zur Erledigung an die Bundesversammlung
gewiesen. II) Die Bundesversammlung
selbst, kann, von dem Zweck und den Be-
dürfnissen des Bundes, Anlaſs nehmen zu
Verhandlungen über bestimmte Gegenstände.
III) Auch jedes einzelne Bundesglied
ist befugt, unmittelbar oder durch seinen
[215]Bundesversammlung.
Bevollmächtigten, der Bundesversammlung
Anträge und Vorschläge zu machen, und in
Vortrag zu bringen. Geschieht solches durch
dessen Stimmführer, so muſs es schriftlich
geschehen, und der Antrag oder Vorschlag
wenigstens am Tage vor der Sitzung, in
welcher derselbe statt haben soll, dem Prä-
sidium schriftlich mitgetheilt werden. Der
Vorsitzende ist sodann verpflichtet, den An-
trag oder Vorschlag innerhalb vierzehn Ta-
gen, wenn die Bundesversammlung nicht
schon bei der ersten Anzeige eine frühere oder
spätere Vornahme sollte beschlossen haben,
zur Berathung zu übergeben a).
IV) Endlich können auch dritte Per-
sonen, moralische oder physische, nament-
lich Landstände und Unterthanen einzelner
Bundesstaaten, auswärtige Staaten und deren
Unterthanen, Anlaſs geben zu Verhandlun-
gen der Bundesversammlung. Anträge dieser
Art, müssen schriftlich übergeben werden.
[216]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
Sie gelangen zuerst in die Hände des Prä-
sidirenden, welcher davon in der nächsten
ordentlichen Sitzung Anzeige macht. Wer-
den solche, nach Form oder Gegenstand,
von ihm für gänzlich unstatthaft erachtet,
so geschieht die Anzeige bloſs in der näch-
sten vertraulichen Sitzung. Die Berathung
über zulässige Anträge, wird von dem Präsi-
dium innerhalb dreier Wochen in Vorschlag
gebracht, wenn nicht schon bei der ersten
Anzeige eine andere Bestimmung deſshalb
getroffen worden ist a). Anonyme Einga-
ben werden nicht angenommen b).
I) Alle Eingaben an die Bundesver-
sammlung, sind unter der Aufschrift: „An
die hohe teutsche Bundesversammlung“, bei
dem Präsidium einzureichen. Dieses schreibt
auf solche die Empfangzeit, und läſst ihrer,
wenn sie sofort für unzulässig nicht geach-
tet werden, nach Verschiedenheit ihres In-
haltes, entweder bloſs in dem Einreichungs-
Protocoll, oder auch in dem Verzeichniſs
der Vorschläge zu gemeinnützigen Anord-
nungen (Note a zu dem vorigen §.), unter
Numern, mit kurzer Anführung der Einsen-
der und des Gegenstandes, erwähnen a). II)
Eingaben bei der Bundesversammlung, wer-
den nur in teutscher Sprache angenom-
men, und den in einer andern Sprache ab-
gefaſsten Beilagen derselben, müssen teut-
sche Uebersetzungen beigelegt werden b).
III) Das Siegel, dessen die Bundesversamm-
lung sich vorläufig bedient, ist dasjenige
der östreichischen Gesandtschaft, mit der
Umschrift: Kaiserlich-östreichische Bundes-
PräsidialCanzlei“ c).
I) Wird ein Gegenstand von der engern
Bundesversammlung, nach gehaltener Um-
frage und vorläufiger Abstimmung a), für
geeignet gehalten, zu einer Erörterung, Be-
rathung, Abstimmung und Beschluſs-
nahme, oder auch zu einer Vorberei-
tung für Behandlung in dem Plenum
(§. 118 u 119); so wird von ihr entweder
sogleich, oder zu einer andern vorher nicht
genau bestimmten Zeit, dazu geschrit-
ten, oder es wird Verlaſs genommen,
das heiſst, eine Zeit festgesetzt, zu welcher
jene Verhandlungen statt haben sollen b).
II) Wird Einholung von Instructionen,
bei den Machtgebern der Gesandtschaften,
für nöthig erachtet, so darf die bis zu der
Abstimmung festzusetzende Zeitfrist, sechs
bis acht Wochen in der Regel nicht über-
schreiten c). In solchem Fall, kann eine ge-
[219]Bundesversammlung.
meinsame oder gleichlautende Be-
richtErstattung, für räthlich gefunden
werden. III) Der Zeit nach, kann man für
die Verhandlung oft drei Abschnitte un-
terscheiden: den ersten Antrag, die Erör-
terung, die Abstimmung und Fassung des
Beschlusses. Diese dreifache Verhandlung
beschäftigt die Versammlung, der Regel nach,
in nicht weniger als zwei, nach Beschaffen-
heit der Umstände aber auch in drei und
mehreren Sitzungen d). IV) Auch in Anse-
hung der Ordnung, in welcher die Ge-
schäfte in der Bundesversammlung vorgenom-
men werden sollen, von ihr Reihenfolge
genannt, kann von Zeit zu Zeit besondere
Uebereinkunft statt finden e).
I) Zuweilen wird einzelnen Gesandten, die
Erstattung eines Vortrags oder Berichtes
über den Gegenstand der Verhandlung, von
der Bundesversammlung aufgetragen a); wel-
chen die Versammlung anhört, auch dem
Protocoll als Beilage beifügen läſst. II) Die
über Privat Reclamationen in der Versamm-
lung zu erstattenden Vorträge, sind zu-
vörderst in vertraulichen vorbereitenden Pri-
vatBesprechungen vorzulesen, um sämmt-
lichen Gesandtschaften, zu eigener Einsicht
und näherer Prüfung der Eingaben, Gele-
genheit zu geben b).
I) Ordentliche Sitzungen, hält die
B. V. am Montag und Donnerstag jeder Wo-
che, Vormittags von 10 bis 1 Uhr: ausser-
ordentliche, so oft es, durch Abrede oder
[221]Bundesversammlung.
das Präsidium, für nöthig erachtet wird.
II) In beiden hat, allenfalls abwechselnd,
entweder förmliche oder feierliche Ver-
handlung der Geschäfte statt, oder nur ver-
trauliche Unterredung; diese, eine Art
von Vor- oder PrivatConferenz, von Vor-
besprechung und Vorberathschlagung, für
vorläufige Mittheilung wechselseitiger An-
sichten und Notizen, ohne amtliche Form
und Wirkung, ohne förmliche Abstimmung
und gemeinschaftliche Protocollführung. III)
In allen diesen Sitzungen und Verhandlungs-
Formen, wird durch die Natur des jedes-
mal vorkommenden Gegenstandes bestimmt,
ob die Versammlung sich als engere Bun-
desversammlung, oder als Plenum (§. 116
—118) damit zu beschäftigen habe. IV) Der
Vorsitzende ist befugt, die Sitzung zu er-
öffnen, sobald die bestimmte Stunde ge-
schlagen hat a).
I) Die Ansage zu den Sitzungen, auch
bei eintretender Verhinderung die Absage
derselben, gebührt dem Präsidium. Sie ge-
schieht, in der Regel, am Tage vor der
Sitzung; jedoch für ordentliche Sitzungen
nur dann, wenn die regelmäsige Haltung
derselben war unterbrochen worden. II)
Der Ansagezettel, enthält die Zeit und
Form der Versammlung, und die Adresse
des Gesandten; den Gegenstand der Berath-
schlagung nur dann, wenn ohne vorausge-
gangene Abrede, eine solche Beschluſsnah-
me beabsichtigt wird, wozu die BundesActe
Einstimmigkeit (unanimia) vorschreibt a)
(§. 121).
I) Ist ein stimmberechtigter Gesandter
verhindert, der Sitzung beizuwohnen, so
hat er solches, und den Namen des seine
Stelle etwa vertretenden Gesandten, dem
Vorsitzenden schriftlich anzuzeigen. II) Ist
[223]Bundesversammlung.
in Abwesenheit eines Gesandten, oder
eines Stellvertreters desselben, zu Protocoll
abgestimmt worden, so kann derselbe seine
Stimme noch in der nächsten Sitzung zu
Protocoll geben; ausserdem wird er für über-
einstimmend mit der Mehrheit oder mit
Allen geachtet, so fern nicht von ihm eine
längere Frist, aus erheblichen Gründen, bei
der Versammlung nachgesucht und erwirkt
worden ist. III) Nach dem Todesfall
eines Gesandten, bestimmt die B. V. die
Frist, innerhalb welcher sie die Ernennung
seines Nachfolgers oder Stellvertreters er-
warten, und diesem für alle Gegenstände,
worüber seit dem Todesfall abgestimmt wor-
den, das Protocoll offen behalten will a).
I) Ein Gesandter, welcher in dem Ple-
num, für mehrere Bundesstaaten Stim-
men abzulegen hat, muſs solche einzeln,
und in der für jeden dieser Staaten festge-
setzten Ordnung (§. 123), ablegen. II) In
[224]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
der engern Versammlung, darf für jeden
der zu einer Gesammtstimme vereinigten
Bundesstaaten, ein eigener Gesandter an-
wesend seyn; es darf aber die Gesammt-
stimme selbst, nur von Einem derselben
geführt werden a). III) Die Theilhaber ei-
ner Gesammtstimme in der engern Ver-
sammlung, können für die Führung dersel-
ben, eine bestimmte Abwechslung (Tur-
nus, Alternation) durch Uebereinkunft fest-
setzen. Dieses ist im J. 1816 geschehen,
von Braunschweig und Nassau b), und von
den vier freien Städten c).
I) In den Sitzungen der Bundesversamm-
lung, wird ein gemeinschaftliches Pro-
tocoll geführt, und hiezu nur ein Proto-
[225]Bundesversammlung.
collführer gebraucht a). Dieser wird von dem
Präsidium in Vorschlag gebracht, und, wenn
gegen dessen Person nichts zu erinnern ist,
angenommen, hierauf durch jenes dem Bund
verpflichtet b). III) Die Protocollec) ent-
halten die Anzeige der in der Sitzung an-
wesenden Gesandten, und die Verhandlun-
gen, namentlich die Vorträge, Anzeigen und
Anträge des Präsidii, einzelner Gesandten,
und der ernannten Referenten oder Bericht-
erstatter, die Abstimmungen und die Be-
schlüsse d).
IV) Diese Protocolle werden in den
Sitzungen selbst, förmlich nicht zu Stande
(15)
[226]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
gebracht, sondern erst nachher, dann späte-
stens am Tage vor der nächsten Sitzung, in
der Canzlei für die einzelnen Bundestags-
Gesandtschaften zur Einsicht niedergelegt,
hierauf aber, in der nächsten Sitzung, vor-
gelesen, wo es nöthig, berichtigt, und von
den anwesenden Gesandten unterschrieben a).
V) Jeder Gesandte kann seine Abstimmung
schriftlich übergeben, oder auch zur Ein-
rückung in das Protocoll, dictiren. Anträge
einzelner Gesandten, einen Gegenstand in
Berathung zu nehmen, so auch Vorträge
oder Berichterstattungen einzelner Gesandten,
Ausschusse oder Commissionen, werden dem
gehörigen Protocoll als Beilagen beige-
fugt b). VI) Schreiben, Denkschriften und
andere Eingaben, welche an die Bundes-
versammlung gelangen, werden in dem Ein-
reichungsProtocoll (Protocollum rerum
exhibitarum) verzeichnet, welches von Zeit
zu Zeit in den Sitzungen vorgelesen und
vorgelegt wird c).
Die Dictatur, das heiſst, die amtliche
Mittheilung der geschriebenen oder gedruck-
ten Eingaben und Verhandlungen, nament-
lich der Protocolle, an sämmtliche Bundes-
tagsGesandtschaften, im Namen des Präsidii,
geschieht, in dem DictaturZimmer, an die-
jenigen Individuen, deren die einzelnen Ge-
sandten zu diesem Zweck, insbesondere zu Fer-
tigung der Abschriften, sich bedienen wollen.
Diese Individuen, welche in wirklichen
Staatsdiensten stehen müssen, sind verpflich-
tet, sich hiezu, durch schriftliche Zeugnisse
der sie hiezu ermächtigenden Gesandten, in
der Canzlei zu legitimiren a).
I) Die Abstimmung geschieht, in der
festgesetzten Ordnung (§. 122), auf Um-
[228]I. Th. III. Cap. Bundesversammlung.
frage des Präsidii a). II) Das Präsidium
kann eine wiederholte Umfrage vor-
nehmen, um Zweifel über einzelne Abstim-
mungen zu heben, oder um die Zählung der
einzelnen Stimmen, für die eine oder die
andere Meinung zu berichtigen b). III) Die
vorläufige Stimmgebung kann münd-
lich geschehen. Bei endlicher Abstim-
mung werden die Stimmen, sobald für jene
eine Frist festgesetzt war, entweder schrift-
lich eingegeben, oder zu dem Protocoll
dictirtc).
I) Nach geendigter Umfrage, können ein-
zelne Gesandte, einer oder mehrere, wenn
gleich sie ihre Stimmen schon abgelegt haben,
um Aufschub der Festsetzung des Be-
schlusses ersuchen; sey es wegen neuer
Gründe in spätern Stimmen, oder zu Auf-
klärung von Miſsverständnissen, u. d. Be-
[229]Bundesversammlung.
willigt die Versammlung den Aufschub, so
erfolgt hierauf weitere Erörterung a). II) Die
ohne Vorbehalt abgelegten Stimmen der be-
vollmächtigten Gesandten, bedürfen einer
nachfolgenden Genehmigung ihrer Gewalt-
geber nicht. III) Ob und wie weit aber sub
spe rati, Stimmen abgelegt, wohl gar Be-
schlüsse gefaſst werden dürfen; ob und wie
weit folglich sub spe rati abgelegte Stim-
men, bei Bildung des Beschlusses zu zäh-
len seyen; ob und in welchen Fällen bei
der Abstimmung Interloquirenb) zuläs-
sig sey; ob und mit welchen Rechten zwei
und mehr Gesandte eines Stimmberech-
tigten in den Sitzungen, insbesondere bei
der Stimmgebung, zuzulassen seyen; ob und
wie weit Erinnerungen, in Absicht auf
Uebereinstimmung der Beschlüsse mit dem
Inhalt der Protocolle, nach erfolgter Unter-
zeichnung der letzten, zulässig, wie solche
vorzubringen seyen, und mit welchem Er-
folg; über Alles dieses, sind eigene Bestim-
mungen noch zu erwarten.
I) Nach vollständig geendigter Abstim-
mung, schreitet das Präsidium, in derselben
oder in der folgenden Sitzung, in gehöriger
Art (§. 120 u. 121), zu der Festsetzung des
Beschlussesa). II) Dieser bedarf, wenn
gegen seine verfassungsmäsige Uebereinstim-
mung mit dem Inhalt der Abstimmung ge-
gründete Erinnerungen nicht vorgebracht wor-
den, in der Regel keiner Genehmigung,
von Seite einzelner Gesandten oder ihrer
Gewaltgeber b). III) Die Bundesversammlung
bestimmt, ob, wie weit, und in welcher
Art, ein Beschluſs, so wie das Protocoll,
bekannt zu machen sey c). Die Bekannt-
machung der Bundestagsverhandlungen durch
(öffentlichen) Druck, hat sie als Regel
festgesetzt, und sich für jeden einzelnen
Fall vorbehalten Ausnahmen hievon zu
[231]Bundesversammlung.
machen d). IV) Auf Eingaben und Schreiben,
ausser den Anträgen der Bundesglieder, ant-
wortet die Bundesversammlung durch Zu-
sendung von Auszügen aus dem Proto-
coll, mit oder ohne Anführung der Gründe e).
Das Rechtsverhältniſs des teutschen Bun-
des zu den Bundesgenossen, und ihren
zu dem Bund gehörigen Staaten, wird
begründet, theils durch die Natur und den
Zweck der bestehenden Staatenvereinigung,
theils durch Grundverträge des Bundes, und
ihnen gemäſs errichtete Beschlüsse der Bun-
desversammlung. Die Ausübung der in die-
ser Hinsicht dem Bund zustehenden Rechte,
so wie die Erfüllung der ihm obliegenden
Pflichten, ist der Bundesversammlung
übertragen, als dem Inhaber d[e]r Bundesge-
walt, und dem stellvertretenden Pflichtträger
der Gesammtheit.
Zu diesem Rechtsverhältniſs gehören:
Unterhaltung einer beständigen Bundesver-
sammlung, Beschützung der Bundesstaaten
gegen jeden Angriff, Garantie des Besitzes
und der politischen Selbstständigkeit ihrer
in der Bundesvereinigung begriffenen Staa-
ten, Gewährleistung der rechtmäsigen Grund-
verfassung in den Bundesstaaten, Vermittlung
der unter den Bundesgenossen entstehenden
Streitigkeiten durch einen Ausschuſs der Bun-
desversammlung, und richterliche Entschei-
dung derselben durch eine wohlgeordnete
AusträgalInstanz, actives und passives Ge-
sandtschaftsrecht; die Pflichten der Bundes-
glieder in Absicht auf verschiedene Gegen-
stände der Staatsverfassung und der Staats-
verwaltung, auf das VertheidigungsSystem
des Bundes, namentlich die dem Bund in
Ansehung der Bundesfestungen zustehenden
StaatsServituten, auf Bundeskriege, auf eigene
Kriege und Bündnisse a).
Das Rechtsverhältniſs des teutschen Bun-
des zu auswärtigen souverainen Staa-
ten und Staatenvereinen, ist begrün-
det, theils durch die Natur der politischen
Unabhängigkeit und Einheit des Bundes, theils
durch Verträge. In diesem Verhältniſs stehen
dem Bund alle Rechte zu, deren Ausübung
ihm, in solcher Beziehung, nach dem ange-
nommenen Grundsatz der politischen Einheit
sämmtlicher Bundesstaaten, von den Bundes-
genossen übertragen sind und welche das
Völkerrecht einem freien Staatenverein, als
dem Vertreter der unter ihm vereinigten
SouverainStaaten, allgemein, oder nach dem
Inhalt besonderer Verträge, einräumt.
Demnach steht dem teutschen Bund, im
Verhältniſs zu auswärtigen souverainen Staa-
ten und Staatenvereinen, das Vertrag- und
Kriegsrecht, insbesondere das Recht zu,
1) rechtmäsigen Krieg zu führen a), 2) Frie-
den, und 3) andere Verträgeb), nament-
lich Bündnisse zu schliessen, und Ga-
[235]des teutschen Bundes.
rantie zu versprechen, oder sich verspre-
chen zu lassen c), 4) Neutralität zu be-
obachten, und sich dabei zu schützen d),
Gesandte jeder Art anzunehmen und zu
schicken e), auch 6) seine Mitglieder und
deren Unterthanen, in Ansehung ihrer
Rechte und Ansprüche gegen Auswärtige,
zu vertretenf), und 7) StaatsServi-
tuteng) auszuüben, oder zu gestatten, so
weit er als Bund dazu berechtigt, oder ver-
pflichtet ist.
Zu dem VertheidigungsSystem des
teutschen Bundes gehört: 1) das Recht eine
Matrikel zu errichten, für Mannschaft-
stellung und Geldbeiträge der Bundesgenos-
sen, zum Zweck der Rüstung und Verthei-
digung des Bundes und der einzelnen Bun-
desstaaten a); 2) das Recht, in gleicher Ab-
sicht die Bundesstaaten in MilitärKreise
oder Bezirke abzutheilen b); 3) Bundesfe-
stungen zu errichten und zu unterhalten,
wofür Mainz, Luxemburg und Lan-
dau schon erklärt sind, und weſshalb die
Erbauung einer vierten Bundesfestung be-
schlossen ist c). Diese Bundesfestungen dür-
fen, von den in Zeiten der Gefahr sie be-
setzt haltenden Bundesgenossen, anders nicht
behandelt werden, als in der Eigenschaft
von Bundesfestungen. Diese und andere
Gegenstände der MilitärVerfassung des
Bundes, erwarten noch nahere Bestimmun-
gen d).
I) Der teutsche Bund ist kein Staat,
sondern ein Staatenverein. Er hat, als
[238]I. Th. V. C. Rechtsverh. d. Bundesg. als solcher.
solcher, kein Gebiet. Nur die Bundesge-
nossen, sind mit Staatsgebiet versehen. Der
Inbegriff dieser verschiedenen Staatsgebiete,
deren jedes für sich souverain ist, bildet,
insbesondere in dem Verhältniſs des Bundes
zu Auswärtigen, den geographisch-politi-
schen TerritorialBestand des teut-
schen Bundes. II) Aus der Vereinigung
der Bundesgenossen mit diesen Staatsgebie-
ten zu einem Staatenbund, entspringen für
sie insgesammt nicht nur Pflichten, son-
dern auch Rechte, in Hinsicht auf den
Bund, auf andere Souverain Staaten
und Staatenvereine, und auf Verfassung,
Verwaltung und Vertretung ihrer eigenen
Staaten. Der ganze Inbegriff dieser Rechte
und Pflichten, gehört zu dem Bundes-
recht; obwohl einem beträchtlichen Theil
derselben, unter particuläre Gesichtpuncte
gestellt, auch in dem Völkerrecht und in
dem Staatsrecht der Bundesstaaten eine Stelle
gebührt.
I) Als Mitglied des teutschen Bundes.
ist jedes Oberhaupt eines teutschen Bundes-
staates nach Gesellschaftsrecht verpflichtet,
die Grundverträge des Bundes, und die
ihnen gemäſs errichteten Beschlüsse der
Bundesversammlung, pünctlich zu beobach-
ten a). II) Alle Bundesglieder haben, als
solche, gleiche Rechteb); so, daſs Ti-
tel, Staatsform, Macht, Landes-
gröſse und Religionc), in den wesent-
lichen Bundesverhältnissen keine Rechtsver-
schiedenheit begründen.
III) Dem teutschen Bund, steht ober-
herrliche Gewalt über die Bundesgenos-
sen und Bundesstaaten nicht zu a); nament-
lich IV) keine gesetzgebende Gewalt.
Die Grundgesetze und die Einrichtungs- oder
so genannten organischen Gesetze des Bun-
des b), so wie alle Beschlüsse der Bundes-
versammlung, wurden und werden vertrag-
weise errichtet. Sie sind also nicht ober-
herrliche, sondern Vertragsgesetzec).
V) Richterliche Gewalt ist 1) dem
Bund, in gewisser Art, über die Bundesglie-
der eingeräumt; doch nur für ihre Streitig-
keiten unter sich, deren richterliche Ent-
scheidung die Bundesversammlung, nach
fruchtlos versuchter Vermittlung, durch eine
[241]Bundesgenossen zu dem Bund.
wohlgeordnete AusträgalInstanz zu bewirken
hat, deren Rechtspruch die streitenden Theile
sich sofort unterwerfen sollen (§. 125). Da-
gegen besteht 2) kein Bundesgericht,
für Rechtshändel der Unterthanen in den
Bundesstaaten unter sich, oder mit Angehö-
rigen fremder Staaten, auch nicht in höch-
ster Instanz; und eben so wenig für Strei-
tigkeiten der Unterthanen, aller oder einzel-
ner Classen, oder der Landstände, mit der
Landesherrschaft a), nur mit Ausnahme der
über Errichtung und Handhabung der Con-
stitution der freien Stadt Frankfurt etwa
entstehenden Streitigkeiten b).
Auch fehlt, bis jetzt, 3) eine ausdrück-
liche a) Bestimmung für die Frage: ob und
wie weit die Bundesversammlung, in dem
Fall eines Recurses der Landstände oder
der Unterthanen eines Bundesstaates an die-
selbe, sich wirksam zu erzeigen berechtigt
sey b). Gewiſs ist jedoch, daſs, auch ohne
ausdrückliche Bestimmung, der Bund we-
sentlich interessirt sey, bei Handhabung
der Verfassung (§. 164), gehöriger Rechts-
pflege, und ungestörter Fortdauer der in-
nern Ruhe, in jedem Bundesstaat; daſs
folglich, in den dahin wesentlich gehörigen
Fällen, Beschwerdeführung bei der Bun-
desversammlung, so wie deren Befugniſs zu
Verwendung und andern zweckdienlichen
Maasregeln, für unstatthaft nicht zu achten
sey c). 4) Ueberdieſs sind die Interessenten
befugt, bei der Bundesversammlung auf ge-
ziemende Weise zu begehren, sowohl un-
gesäumte vollständige Festsetzung oder
Vollziehung, als auch pünctliche Be-
obachtung desjenigen, was durch die
[243]Bundesgenossen zu dem Bund.
SchluſsActe des wiener Congresses, durch
die BundesActe und durch Bundestagsschlüsse
ausdrücklich, oder durch den erklärten Bun-
deszweck (§. 104) stillschweigend verheiſsen
oder festgesetzt ist. V) Damit aber, bei
Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze
auf einzelne Fälle, jeder Zweifel im Voraus
möglichst beseitigt werde, so steht förm-
liche und ausdrückliche Festsetzung richtiger
und erschöpfender Grundsätze noch bevor,
über den Umfang der Wirkungsbefug-
niſs der Bundesversammlung (Competenz-
Ordnung), in Hinsicht auf bei ihr ange-
brachte Forderungen und Beschwer-
dend); einer von denjenigen Prüfepuncten,
bei welchen klar werden muſs, was und
wieviel der Bund dem Vaterlande seyn werde.
VI) Jeder Bundesstaat ist berechtigt, von
dem Bunde Schutz, gegen jeden Angriff,
so wie VII) Garantie seiner sämmtlichen,
unter dem Bund begriffenen Besitzungen,
zu fordern a). VIII) Zwar hat jeder Bundes-
staat das Recht der Bündnisse aller Art,
aber er ist verpflichtet, in keine Verbindun-
gen einzugehen, welche gegen die Sicher-
heit des Bundes, oder einzelner Bun-
desstaaten, gerichtet wären b).
IX) Die Bundesglieder sind verpflichtet,
einandera) unter keinerlei Vorwand zu
bekriegen, noch X) ihre Streitigkei-
ten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie
bei der Bundesversammlung anzubrin-
gen b). Dieser gebührt dann Vermittlung
durch einen Ausschuſs, und, wenn solche
[245]Bundesgenossen zu dem Bund.
nicht gelingt, richterliche Entschei-
dung durch eine wohlgeordnete Austrä-
gallnstanz (§. 125 u. 157).
XI) Bei einmal erklärtem Bundeskriega),
darf kein Mitglied des Bundes, 1) einsei-
tige Unterhandlungen mit dem Feind
eingehen, 2) noch einseitig Waffenstill-
[246]I. Th. V. Cap. I. Abth. Rechtsverhältniſs
stand, oder 3) Frieden schlieſsen b). Dem-
nach ist 4) auch kein Bundesgenoſs, im Fall
eines Bundeskriegs, zu einseitiger Abrufung
seiner Contingent Truppen von dem
Bundesheer c), oder 5) zu Neutralitätd)
berechtigt, in Ansehung seiner unter dem
Bund begriffenen Besitzungen e).
XII) In Absicht auf auswärtigen Staats-
und Gutsbesitz, XIII) in Ansehung der
Befugniſs, in auswärtige Staatsdienste
zu treten, und XIV) nach der eigenen Lan-
desverfassung gültige Veräusserungen des
Staatsgebietes, der Staatsgüter, und
des Rechtes zur Staatsvertretung und
Staatsregierung vorzunehmen, sind den
Bundesgenossen, von dem Bund ausdrückliche
Einschränkungen nicht gesetzt a).
Jeder teutsche Bundesstaat hat, in seinem
Verhältniſs nach Aussen, sowohl zu teut-
schen Bundesstaaten, als auch zu Souverai-
nen, welche dem teutschen Bund nicht an-
gehören, und zu andern Staatenvereinen, die
Rechte unabhängiger Staaten a). Doch
können Pflichten, welche seine Vereinigung
mit dem teutschen Bund ihm auflegt, in
der Ausübung mancher von diesen Rechten
ihn beschränken. Nicht nur der erklärte
Zweck des Bundes (§. 104) überhaupt, son-
dern auch die ausdrücklichen Bestimmungen
der BundesActe b) über das Kriegs-, Frie-
dens- und Bündniſsrecht der Bundes-
genossen, begründen Einschränkungen dieser
Art. Den Fall wahrer Nothwehr oder ab-
genöthigter unaufschieblicher Selbsthülfe aus-
genommen, könnte ein bloſs mit teutschen
Bundesstaaten versehener Souverain, ohne Zu-
[249]zu and. souv. Staaten u. St. Vereinen.
stimmung des Bundes, zu einer Kriegs-
erklärung gegen auswärtige Mächte, oder
zu Kriegsbündnissen mit ihnen, sich
nicht für berechtigtigt halten c).
Die Bundesgenossen und ihre Untertha-
nen sind berechtigt, von dem Bund zu for-
dern, daſs er ihre Staatsverfassung schirme.
Denn durch den erklärten Bundeszweck a)
ist der Bund, mithin auch, als Stellvertreter
der Gesammtheit, die Bundesversammlung,
[250]I. Th. V. Cap. 3. Abth. Rechtsverhältn. der
verpflichtet, für Aufrechthaltung der recht-
mäsigen Grundverfassung in den Bundesstaa-
ten, das heiſst, der verfassungsmäsigen wech-
selseitigen Rechte und Pflichten des Staats-
oberhauptes und der Unterthanen, Sorge zu
tragen; also verpflichtet zu Gewährlei-
stungb) der Staatsverfassung, selbst
dann, wenn Garantie derselben bei dem
Bund ausdrücklich nicht verlangt, oder von
ihm nicht zugesagt wäre c).
In der eigenen Staatsverfassung und
Staatsverwaltung, sind die Bundesge-
[251]Bundesgenossen zu ihren eigenen Staaten.
nossen, als solche, durch den Bund der
Regel nach nicht beschränkt; vielmehr
wird ihre Souverainetät oder unabhängige
Staatsgewalt in der BundesActe ausdrücklich
anerkannt a). Aber ausnahmsweise haben
sie, auch in dieser Hinsicht, in der Bundes-
Acte zu gewissen Einschränkungen und
Normen sich verpflichtet b), deren Ver-
mehrung durch bundesvertragmäsig errichtete
Beschlüsse, noch fernerhin statt haben kann.
I) „In allen Bundesstaaten, wird eine
landständische Verfassung statt fin-
den a)“. II) „Diejenigen Bundesglieder, deren
Besitzungen nicht eine Volkszahl von 300,000
Seelen erreichen, werden sich mit den ihnen
verwandten Häusern, oder andern Bundes-
[252]I. Th. V. Cap. 3. Abth. Rechtsverhältn. der
gliedern, mit welchen sie wenigstens eine
solche Volkszahl ausmachen, zu Bildung eines
gemeinschaftlichen obersten Ge-
richtes vereinigen b).“ Schon bestehende
Gerichte dritter Instanz, in Staáten, de-
ren Volksmenge unter 300,000, aber über
150,000 ist, werden in ihrer bisherigen Eigen-
schaft erhalten c). „Den vier freien Städ-
ten steht das Recht zu, sich, unter ein-
ander, über die Errichtung eines (für sie
allein bestimmten) gemeinschaftlichen ober-
sten Gerichtshofes zu vereinigen d)“. — „Bei
den solchergestalt errichteten gemein-
schaftlichen obersten Gerichtshöfen, soll
jeder der Parteien gestattet seyn, auf Ver-
schickung der Acten auf eine teutsche
Facultät, oder an einen Schöppenstuhl, zu
Abfassung des Endurtheils anzutragen e)“.
Sämmtliche Bundesgenossen kamen in der
BundesActe überein, ihren Unterthanen,
ausser den vorhin schon genannten Verfas-
sungsrechten, noch verschiedene andere Rechte
zuzusichern a). Etliche von diesen Rechten
gelten für alle Unterthanen b), andere für
gewisse Classen derselben. Alle Unter-
thanen sollen das Recht haben, III) aus-
ländisches Grundeigenthum zu er-
werben und zu besitzen, ohne deſshalb in
dem fremden Staat mehreren Abgaben und
Lasten unterworfen zu seyn, als dessen eigene
Unterthanen c). IV) Die Befugniſs des freien
Wegzugs aus einem Bundesstaat in den
[254]I. Th. V. Cap. 3. Abth. Rechtsverhältn. der
andern, der erweislich sie zu Unterthanen
annehmen will; doch unter Vorbehalt, daſs
MilitärPflicht gegen das bisherige Vaterland
nicht im Wege stehe d).
Auch sollen alle Unterthanen V) das
Recht haben, in Civil- und Militär-
Dienste eines andern Bundesstaates zu tre-
ten; dieses jedoch, so wie den oben genann-
ten freien Wegzug, nur, in so fern keine
Verbindlichkeit zu dem MilitärDienst gegen
das bisherige Vaterland im Wege steht a).
So auch VI) Freiheit von aller Nach-
steuer (jus detractus et gabella emigratio-
[255]Bundesgenossen zu ihren eigenen Staaten.
nis), so fern das Vermögen in einen andern
teutschen Staat übergeht, und mit diesem
nicht besondere Verhältnisse durch Freizugig-
keitsVerträge bestehen b); eine Bestimmung,
welcher auch die zu Erhebung der Nach-
steuer bis dahin berechtigten Privaten, z. B.
PatrimonialGerichtsherren, Städte und andere
Communen, unterworfen sind c).
Auch einzelnen Classen von Untertha-
nen der Bundesstaaten, sind von dem Bund
bestimmte Rechte zugesichert. So ist VII) in
Absicht auf die Unterthanen christli-
cher Religion festgesetzt, daſs die Ver-
schiedenheit der christlichen Religions-
[256]I. Th. V. Cap. 3. Abth. Rechtsverhältn. der
Parteien (Verschiedenheit des christlichen
Glaubensbekenntnisses), in dem Genuſs der
bürgerlichen und politischen Rechte keinen
Unterschied begründen soll a).
Auch ist VIII) das Rechtsverhältniſs der
ehemaligen, nun teutschen Bundesfürsten un-
tergeordneten reichsständischen Landesherren,
von fürstlichem oder gräflichem Stande, der
jetzigen Standesherren, sowohl zu dem
teutschen Bund und sämmtlichen Bundesstaa-
ten, als auch zu denen Bundesstaaten, zu
welchen dieselben jetzt gehören a), so wie
IX) dasjenige des ehemaligen unmittel-
baren Reichsadels, der vormaligen un-
mittelbaren Reichsritterschaft b), auch auf
der linken Rheinseite, zu den Bundesstaa-
[257]Bundesgenossen zu ihren eigenen Staaten.
ten c), theils in der BundesActe bestimmt,
theils von der Bundesversammlung noch zu
bestimmen.
Endlich X) ist, in Hinsicht auf die Juden
in den Bundesstaaten, festgesetzt a), daſs 1)
die Bundesversammlung in Berathung
nehmen solle, a) wie, auf möglichst über-
einstimmende Weise, die bürgerliche
Verbesserung der Juden zu bewirken sey,
und b) wie insonderheit denselben der Ge-
nuſs der bürgerlichen Rechte, gegen
Uebernahme aller Bürgerpflichten, in den
Bundesstaaten verschafft, oder gesichert wer-
den könne. Jedoch sollen 2) den Juden,
(17)
[258]I. Th. V. Cap. 3. Abth. Rechtsverhältn. der
bis dahin, die denselben vonb) den ein-
zelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten
Rechte erhalten werden.
XI) Diejenigen Rechte, welche durch den
ReichsdeputationsHauptschluſs vom 25. Febr.
1803 festgesetzt sind, in Ansehung 1) der
auf den RheinschiffahrtOctroi ange-
wiesenen, directen und subsidiarischen Ren-
tena), 2) des Schuldenwesens der ehe-
maligen Reichskreise, der Landesherren und
Länder b), und 3) der Pensionen geistli-
cher und weltlicher Individuen c), dauern
unverändert fort d), indem solche von dem
Bunde garantirt werden e). Doch sollen XII) die
Pensionen für die überrheinischen
[259]Bundesgenossen zu ihren eigenen Staaten.
Bischöfe und Geistlichen, auf die Be-
sitzer der Länder auf der linken Rheinseite
übertragen werden, und es soll die Reguli-
rung der (in dem R.Dep.Hauptschluſs, §. 68
festgesetzten) SustentationsCasse und
der Pensionen für diese Bischöfe und Geist-
lichen, binnen Jahresfrist von der Bundes-
versammlung geschehen, bis dahin aber die
Bezahlung jener Pensionen auf die bisherige
Art fortgesetzt werden f).
XIII) Die Mitglieder des Teutschen
Ordens sollen ebenfalls, nach den in dem
ReichsdeputationsHauptschluſs von 1803 für
die Domstifte festgesetzten Grundsätzen, Pen-
sionen erhalten, so fern sie ihnen noch
nicht hinreichend waren bewilligt worden.
Diejenigen Fürsten, welche eingezogene Be-
[261]Bundesgenossen zu ihren eigenen Staaten.
sitzungen des Teutschen Ordens erhalten ha-
ben, sollen diese Pensionen bezahlen, nach
Verhältniſs ihres Antheils an den ehemaligen
Ordensbesitzungen a). XIV) Die zu dem ehe-
maligen teutschen GroſsPriorat des Johan-
niter Ordens gehörenden Mitglieder dieses
Ordens, machen Anspruch auf Ausdehnung
des 15. Art. der BundesActe auf sie, auf
Erhaltung des Ordens, und auf Zurückgabe
der noch unveräusserten Ordensgüter b). XV)
Die Mitglieder der ehemaligen Dom-
und freien Reichsstifte, haben die Be-
fugniſs, die durch den Reichsdeputations-
Hauptschluſs von 1803 festgesetzten Pen-
sionen, ohne Abzug, in jedem mit
dem teutschen Bund in Frieden stehenden
Staat zu verzehren c). XVI) Eine eigene Be-
stimmung, über den Unterhalt verschiedener,
bei dem ehemaligen kaiserlichen Reichs-
Kammergericht angestellt gewesenen Per-
sonen, ist von der Bundesversammlung zu
erwarten d).
XVII) Dem fürstlichen Hause Thurn
und Taxis soll der, durch den Reichsde-
putationsHauptschluſs von 1803, oder durch
spätere Verträge bestätigte Besitz und Ge-
nuſs der Posten, in den verschiedenen
Bundesstaaten bleiben, so lang nicht etwa
anderweite Verträge geschlossen werden. In
jedem Fall, versichert die BundesActe dem-
selben, in Folge des §. 18 des erwähnten
DeputationsSchlusses, seine auf Belassung
der Posten, oder auf angemessene Ent-
schädigung gegründeten Rechte und An-
sprüche. Dieses soll auch da statt finden,
wo die Aufhebung der taxischen Posten,
[264]I. Th. V. Cap. 3. Abth. Rechtsverhältn. der
seit 1803, gegen den Inhalt des Deputa-
tionsSchlusses bereits geschehen wäre, in so
fern diese Entschädigung durch Verträge nicht
schon definitiv festgesetzt ist a).
Damit nicht durch Verschiedenheit ge-
setzlicher Vorschriften, ein ungleichartiges,
für einzelne Bundesstaaten nachtheiliges Ver-
hältniſs entstehe, soll die Bundesversamm-
lung bei ihrer ersten Zusammenkunft sich
beschäftigen, mit Abfassung gleichför-
miger Verfügungen, 1) über Militär-
Pflichtigkeit der Unterthanen a); 2) über
bürgerliche Verbesserung der Juden
(§. 171); 3) über Handel und Verkehr
zwischen den Bundesstaaten b), wohin auch
möglichste Gleichförmigkeit in Münzfuſs,
Maas und Gewicht gehört; 4) über Schif-
fahrt, nach Anleitung der auf dem wiener
Congreſsangenommenen Grundsätze c); 5) über
[265]Bundesgenossen zu ihren eigenen Staaten.
Preſsfreiheitd); und 6) über Sicherung
der Rechte der Schriftsteller und Verleger
gegen Büchernachdrucke). — Zu wün-
schen ist, daſs, ausser den hier genannten,
die Bundesversammlung ihre Wirksamkeit
noch über manche andere Rechtsverhältnisse
verbreiten möge f).
I) Der politische Charakter eines
teutschen Bundesstaates, ist zweifach. Er
hat die Eigenschaft eines Mitgliedes des
teutschen Bundes, und diejenige eines
unabhängigen Staatesa). II) Jedem
[268]II. Th. I. Cap. Der Staat
teutschen Bundesstaat gebührt die Staats-
hoheit oder unabhängige Staatsge-
walt (Souverainetätb) im weitern Sinn),
der Inbegriff aller Rechte, welche einem un-
abhängigen Staat in Hinsicht auf den Staats-
zweck zustehen. Hierunter sind begriffen:
1) die politische Unabhängigkeit
(Souverainetät im engern Sinn), das Recht
politischer Persönlichkeit oder Selbstständig-
keit, im Verhältniſs zu jedem andern Sub-
ject; 2) die Staatsgewalt (im engern Sinn),
die Gewalt zu dem Zweck des Staates. III)
Der rechtliche (nicht überall auch der
historische) Entstehungsgrund der Staats-
hoheit in den Bundesstaaten, ist zu suchen
in Unterwerfung durch Vertrag, ausdrück-
lichen oder stillschweigenden c).
1) Der Regent eines teutschen Bundes-
staates, ist berufen zu dessen Vertretung
und Verwaltung. Ihm, als Inhaber der
Staatshoheit, gebührt: 1) die Majestät,
die erhabenste Würde, 2) die Vertretung
des Staates, in dessen Verhältniſs nach Aussen;
3) die Staatsregierung, die Ausübung
der Staatsgewalt im Innern, für den Zweck
des Staates a). II) So fern in der Vertretung
oder Regierung des Staates, oder in beiden,
dem Regenten positive Schranken gesetzt
sind, ist dieser ein verfassungsmäsiger
(constitutioneller) Regent, das heiſst, zu
Beobachtung der durch die Staatsverfassung
ihm vorgeschriebenen Einschränkungen voll-
kommen verpflichtet.
I) In den freien Städten, steht die
Staatshoheit der Gesammtheit der
stimmfähigen Bürger, die Ausübung der-
selben dem Senat (Bürgermeister und Rath)
zu a); diesem, für gewisse Gegenstände, un-
ter verfassungsmäsiger Mitwirkung
der als Stellvertreter der Bürgerschaft
verordneten Behörde. II) Unter dieser Be-
schränkung, gebührt dem Senat die Vertre-
tung der Stadt nach Aussen, und die Staats-
verwaltung im Innern. III) In Absicht auf
die Stadt Frankfurt, ist der Bundesver-
sammlung ein Entscheidungsrecht über-
tragen, für Streitigkeiten, welche über Er-
richtung und Handhabung ihrer Verfassung
etwa entstehen c).
I) Alle a) SouverainStaaten des teutschen
Bundes sind jetzt allodial. II) Sie sind
theils auf ein monarchisches Oberhaupt
(eine einzelne physische Person, monokra-
tisch), theils republikanisch organisirt.
III) In allen monarchischen Bundesstaaten, ist
jetzt die ordentliche Thron- oder Re-
gierungsfolge eine erbliche (jure san-
guinis), nach dem Rechte der Erstgeburtb).
Sie kann bestimmt seyn, durch Staats- und
Familiengesetze c) oder Vertrage, auch durch
andere rechtsgültige Willenserklärung d). IV)
Ausserordentliche Thronfolge für
solche, die durch Geburt entweder gar nicht,
oder doch nicht allein, dazu berechtigt sind,
kann subsidiarisch statt finden, vermöge eines
[273]und das Staatsoberhaupt.
Erbvertrags e), oder einer andern rechtsgül-
tigen Willenserklärung, auch einer ältern
rechtmäsigen Mitbelehnung, Anwartschaft,
oder EventualBelehnung f). V) Die Throu-
oder Regierungsfolge in den teutschen sou-
verainen Erbstaaten, ist jetzt überall als
wahre StaatsSuccession zu betrachten g).
VI) Zu Bestimmung der Thronfolge,
ist der Souverain in der Regel nicht, auf
jeden Fall aber nur in so weit berechtigt,
als dadurch Rechte Dritter nicht verletzt
werden h).
I) Bei andern Familienrechten der Mit-
glieder des RegentenHauses, kann die ge-
meinrechtliche (bloſs nach der Nähe
der Verwandtschaft, und ohne Unterschied
des Geschlechtes), oder eine besondere
SuccessionsOrdnung statt finden, z. B. Se-
niorat, Majorat, Minorat a), auch eine Se-
cundogenitur b), und selbst Tertiogenitur.
II) Für den PrivatNachlaſs des Souve-
rains, können beaondere Bestimmungen gel-
ten c); staatsrechtliche, lehnrechtliche, Fa-
milienfideicommiſs-rechtliche, vertragmäsige,
letztwillige des Erblassers, und, in deren
Ermanglung, das Recht der bürgerlichen
IntestatErbfolge.
I) Bei der erblichen Thronfolge nach
Erstgeburtrecht, wird das Successionsrecht
abgeleitet von dem ersten Erwerber,
doch nur für seine dazu geeigneten Nach-
kommen (successio singularis, ex pacto et
providentia majorum, nach Geding und Für-
sorge der Altvordern); nicht von dem letz-
ten Regenten, von dessen Willen dasselbe
sonach unabhängig ist. II) So fern der Wei-
berstamm nicht ganz von der Regierungs-
folge ausgeschlossen ist a), haben die Agna-
ten den Vorzug vor den Cognaten; auch
ohne ausdrücklichen Verzicht der letzten.
III) Abstammung aus ungleicher oder
nicht standesmäsiger (standesungleicher)
Ehe (matrimonium ratione status seu ordi-
nis personarum inaequale), ist, der Regel
nach, kein rechtsgültiger Grund zu Aus-
schlieſsung von der Thronfolge. Doch kön-
nen durch Staats- oder Familiengesetze a),
gewisse Arten von Ehen, in Hinsicht auf
Thronfolgefähigkeit ihrer Abkömmlinge, für
Miſsheurath (disparagium) erklärt seyn b).
IV) Morganatische, uneheliche und
Adoptiv Nachkommen, sind nicht succes-
sionsfähig c). V) Auch solche nicht, die mit
einem Körper- oder Geistesfehler be-
haftet sind, mit welchem gänzliche Unfähig-
keit zu Führung des Regentenamtes verbun-
den ist d). VI) Geistlicher Stand, bei
Katholiken, verträgt sich, in Erbstaaten nicht
wohl mit der weltlichen Regentenwürde,
er ist aber, ohne besondere Bestimmung,
kein gültiger Grund zur Ausschlieſsung e).
In der erblichen Einherrschaft, tritt der
verfassungsmäsige Thronfolger, nach dem Ab-
gang seines Vorfahrs, von Rechtswegen
(ipso jure), mithin unmittelbar, an dessen
Stelle. Er tritt daher, nach erledigtem Thron,
sofort die Regierung an a). Er verkün-
digt solches den Unterthanen, erklärt sich
für verpflichtet zu Handhabung der
Staatsverfassungb), schwört, wo es
nöthig, den Regierungseidc), und nimmt
die Staatshuldigungd) ein (§. 207. u. 208).
Auch den SuccessionsBerechtigten wird zu-
gleich die vorläufige oder EventualHul-
digung geleistet e). Ueberdem kann eine
Feierliche Inauguration, Einzug und
Krönung, vorkommen f).
Das regierungsfähige Alter des Thron-
folgers ist staats-, oder familiengesetzlich,
oder vertragmäsig bestimmt a). Bis zu Er-
reichung desselben, wenn dem Thronfolger
die Succession angefallen ist, und auch, wenn
nach dem Regierungsantritt, durch einen
Körper- oder Geistesfehler, oder durch Ab-
wesenheit (z. B. Gefangenschaft) des Regen-
ten, Regierungsunfähigkeit erfolgt b),
desgleichen bei erloschener Thronfolge, tritt
— wie in Wahlstaaten in dem Fall einer
Zwischenregierung (Interregnum) — eine aus-
serordentliche Staatsverwaltung, eine
Regentschaft ein; eine vormundschaft-
liche oder InterimsRegierung, Reichs- oder
[282]II. Th. I. Cap. Der Staat
Regierungsverwesung, Vicariat, Staatsvor-
mundschaft c). Der Regent, das interimistisch
regierende Subject, führt die Staatsregierung,
in der Regel, allein. Er erhält, in dieser
Hinsicht, besondere Ehrenbezeugungen und
Einkünfte. Die Regentschaft hört auf,
sobald die gewöhnliche oder ordentliche Re-
gierung wieder eingetreten ist, das heiſst,
wenn der Souverain das gehörige Alter er-
reicht, oder den gehörigen Körper- oder
Gemüthszustand wieder erlangt hat, oder
wieder anwesend, oder der Thron wieder
besetzt ist. Bei erloschener Thronfolge
oder Thronerledigung, gebührt die
Wiederbesetzung des Throns, im Zweifel,
dem Volk, oder dessen Stellvertretern d).
Die Gemahlin des Souverains, obgleich
dessen Staatshoheit, insbesondere seiner Ge-
richtbarkeit untergeben a), und zu Theil-
nahme an der Staatsregierung nicht befugt,
führt, in der Regel, Prädicat, Titel und
Wappen ihres Gemahls b), und es wird
ihrer in dem Kirchengebet erwähnt. Sie
genieſst, im Verhältniſs zu den Gemahlinnen
anderer Souveraine, den Rang, welcher der
Würde ihres Gemahls angemessen ist c), und,
vermöge der Hofetiquette, den Vorrang vor
der Witwe des vorigen inländischen Sou-
verains. Es werden ihr bestimmte Ein-
künfted), und, für den Fall ihres Witwen-
standes, ein Witwengehalte) ausgesetzt.
Meist hat sie einen eigenen Hofstaat.
Gewisse Verbrechen gegen sie, werden be-
straft wie Majestatsverbrechen, oder
Felonief). DamenOrden stiftet, oder
ertheilt sie, nur mit Bewilligung ihres Ge-
mahls. Wegen ihres Ablebens, findet eine
bestimmte öffentliche Trauer statt. Die
Witwe des Souverains, behält Wappen,
Prädicat und Titel, auch das Recht einen
eigenen Hofstaat zu haben.
Die nachgebohrnen, successionsfahigen
Mitglieder des Regentenhauses, stehen un-
ter der Staatshoheit und Gerichtbarkeit des
Souverains a), und seine Kinder ausserdem
noch unter seiner väterlichen Gewalt b); in
welcher Hinsicht Emancipation statt fin-
det c), so wie Bestellung einer Vormund-
schaftd). Dem Souverain, als Stamm- oder
Familienhaupt, können, nach der Haus-
[286]II. Th. I. Cap. Der Staat
verfassung, über die Nachgebohrnen noch be-
sondere Rechte zustehen e). Die Bestimmung
des Titels und Wappens der Nachgebohr-
nen hängt, in der Regel, von ihm ab f).
Den Nachgebohrnen wird, zu ihrem Unter-
halt, eine Apanage (Deputat, Alimenten-
gelder) ausgesetzt a). Dieselbe besteht bald
[287]und das Staatsoberhaupt.
in einem bestimmten Jahrgeld, oft verbunden
mit Naturalien (apanagium proprium), bald
in dem Besitz und Genuſs eines Landesbezirks,
verbunden mit manchen Hoheitsrechten unter
der Oberhoheit des regierenden Herrn b) (pa-
ragium, apanagium improprium). Ein apa-
nagirter oder paragirter Vater, vererbt die Apa-
nage auf seine rechtmäsigen, ebenbürtigen
Nachkommen. Nach deren Abgang fällt solche,
in der Regel, an den regierenden Herrn zu-
rück. Bei merklicher bleibender Vermeh-
rung des Staatseinkommens, aus Quellen die
zu der StaatsSuccession gehören, ist Erhö-
hung der Apanage billig und recht c).
Von dem Willen des Souverains hängt ab,
die Wahl seiner Residenza), die Errichtung
[288]II. Th. I. Cap. Der Staat
und Einrichtung seines Hofstaatesb), nebst
Trabanten-, Leib- und Schloſsgardee),
oder MilitärHofstaat, die Errichtung neuer
Erzämter und Erblandhofämterd),
eigener Ehrenordene), die Bestimmung
des Staats- und HofCeremonielsf), des
Haus- und Staatstitelsg) und Wap-
pensh), der MajestätsSymbole, Staats-
Insignien und Kleinodieni), des Krö-
nungs- und FestOrnats, auch wohl der
Staatsheiligthumer oder Reliquien (lip-
sana imperii). Die Festsetzung einer Civil-
Liste, auch (Kosten der) Haushaltung des Re-
genten genannt, das heiſst, die Bestimmung des
Quantums der jährlichen Einnahme, welche, in
monarchischen Staaten, der Regent für sei-
nen und der Seinigen Unterhalt, mit Inbe-
griff des Hofstaates, aus der Staatscasse zu
beziehen hat, ist dem Souverain dann über-
lassen, wenn sie nicht schon in den Staats-
oder Familiengesetzen enthalten ist, oder
der Einwilligung der Landstände bedarf k).
Der ewige Staat spricht durch jeden Regen-
ten. Bloſse Umwandlung in der physischen
oder moralischen Person des regierenden Sub-
jectes, kann daher auf Verpflichtungen des
Staates, entkräftenden Einfluſs nicht haben.
(19)
[290]II. Th. I. Cap. Der Staat
Deſswegen ist jeder Regent verbunden a), die
Staatshandlungen seiner Vorfahren an-
zuerkennen, so fern diese unwiederruflich,
ohne Ueberschreitung der verfassungsmäsigen
Befugniſs, unternommen wurden b). Jede an-
dere Handlung des Staatsvorfahrs, ist als
Privathandlung anzusehen, weſshalb der
Staat nur aus dem Grunde nützlicher Ver-
wendung c), der Staatsfolger nur als Privat-
mann, aus besondern Gründen, zu Leistung
oder Entschädigung verpflichtet seyn kann d),
Nach denselben Grundsätzen, sind Anwart-
schaften zu beurtheilen e).
I) Vermöge des UnterwerfungsVertrags be-
hält das Volk, der Inbegriff der Staatsbürger,
ausserhalb des Staatszweckes seine Selbsstän-
[292]II. Th. I. Cap. Der Staat
digkeit; und der Regent hat die Oberherr-
schaft, nur unter der Bedingung pflichtmäsiger
Wahl der Mittel zu Erreichung jenes Zweckes.
Es kann also 1) das Volk von dem Regenten
als bloſses Mittel für andere Zwecke (Tyran-
ney, Sultanismus, Macchiavellismus a)) nicht
behandelt werden (Recht des gewaltsamen
Widerstandes, jus resistendi b)); und 2) das
Recht zu der Oberherrschaft kann, ohne ge-
hörige Anwendung der Mittel zu dem Staats-
zweck, nicht bestehen. So oft das regierende
Subject anders als dem Staatszweck gemäſs
denkt oder handelt, thut es solches als Mensch,
nicht als Regent, und es steht ihm der Un-
terwerfungsVertrag entgegen c). Unter allen
Umständen, ist die Erhaltung des Staates,
ein Recht und eine Pflicht, welchen, bei
dem Regierenden nicht weniger als den Re-
gierten, alle andern weichen müssen. Aber
willkührliche Widersetzung des Volkes, gegen
Verfügungen des Staatsoberhauptes, wäre wi-
derrechtlich; noch mehr willkührliche Re-
gierungsEntsetzung des Regenten d), von Seite
des Volkes, einer Partei desselben, oder eines
Dritten. Selbst im rechtmäsigen Fall, ist
die Heiligkeit der Person des Regenten, zu
unterscheiden von der Widerrechtlichkeit
seiner Handlung; so auch in Erbstaaten, das
[293]und das Staatsoberhaupt.
persönliche Recht des Regenten, und das Recht
seiner Familie zur Regierung.
II) Da der Staatsoberherr durch Vertrag zu
der Staatsvertretung und Staatsregierung sich
verpflichtet hat, so ist er zu willkührlicher
Abdankung, zu einseitiger willkührlicher Auf-
hebung seiner vertragmäsigen Verbindlich-
[294]II. Th. II. Cap.
keit, nicht berechtigt a). Eben so wenig zu
willkührlicher Veräusserung der Staatsvertre-
tung und Staatsregierung, auf welche ihm
nur ein bloſs persönliches (jus personalissi-
mum), wenn gleich auf seine Nachkommen
übergängliches, Recht zusteht b).
In dem Innern des Staatsvereins, steht dem
Staatsoberhaupt gegenüber, der Inbegriff der
Staatsbürger, das Volk. Durch den Unter-
werfungsvertrag ist jenem fortwährend das
Recht übertragen, in Staatsangelegenheiten
den allgemeinen Willen verfassungsmäsig fest-
[295]Die Staatsbürger und Unterthanen.
znsetzen und auszuführen. In dieser Hin-
sicht (§. 4), sind alle Staatsbürger oder
Mitglieder des Staates, physische und mora-
lische a), dem Willen des Staatsoberherrn
unterworfen b). Daher heiſsen sie, in solchem
Verhältniſs zu ihm, Unterthanenc).
Eine Ungleichheit der Stände, nichts
weniger als Bedingung des Staatszweckes a),
hat sich auch in Teutschland, schon in dem
ersten bekannten Zeitraum b), in die Staats-
verfassung eingeschlichen, und sogar Un-
gleichheit der Rechte erzeugt. In dieser
Hinsicht bildete sich, nach und nach, eine
dreifache Abtheilung (Standesclassen).
Die erste, als der eigentlich sogenannte Un-
terschied der Stände, bezieht sich auf
Staatsbürgerschaft überhaupt; die an-
[296]II. Th. II. Cap.
dere auf Beschäftigung, Lebensart,
Gewerbe, Wohnort und Eigenthum;
die dritte bezog sich auf die bürgerlichen
Unterordnungs Verhältnisse gegen das
teutsche Reich. Diese theilte alle Reichs-
unterthanen in Reichsunmittelbare und
Mittelbare (§.37); mit der teutschen Reichs-
verfassung hat sie aufgehört. Die Rechte,
welche von der Standesverschiedenheit
abhängen, sind in einzelnen Staaten mehr
oder weniger gesetzlich bestimmt c).
Nothwendig und natürlich ist die Ab-
theilung der Staatsgenossen, in dem weitern
Sinn, in Souverain und Volka), dieses
als Inbegriff der Bürger, in dem Verhältniſs
zu dem Oberherrn. Die einzelnen Bürger,
sind Unterthanen; und die Masse aller
Einwohner des Staatsgebietes, bildet die Na-
tion. Das Staatsinteresse läſst zu, daſs,
in Erbstaaten, die Mitglieder des Regenten-
hauses als eine höhere Classe ausgezeich-
net werden. Im übrigen erkennt es, mit
Verschmähung jeder Art von Aristokratis-
mus, nur den Adel des persönlichen
Verdienstes, bei den gleich gebohrnen
Staatsgenossen; indem „es dem Kind nicht
„verleiht, was dem Vater, der Träghait nicht,
„was dem Fleiſs, dem Vorurtheil nicht, was
„dem Genie, das heiſst, dem privilegirten
„Welt- und Naturadel gebührt, der an Racen
„und Kasten nicht gebunden ist“ b). Das
allgemeine Recht fordert Rechts-
gleichheit (Isonomie) aller Untertha-
nen, und wenn bevorrechtete Geburtstände
an sich schon nichts weniger als nothwen-
dige Uebel sind c), so ist gewiſs, daſs wer
[299]Die Staatsbürger und Unterthanen.
jetzt anders urtheilt, wenigstens sein Jahr-
hundert nicht versteht d). In Teutschland
hat die Staatsgesetzgebung dieses, hin und
wieder, schon mehr oder weniger anerkannt e).
Dagegen sind in manchen Bundesstaaten diese
Rechtsverhältnisse entweder anders, oder noch
nicht, wenigstens nicht durchaus bestimmt f).
Eben so verschieden sind die Beispiele, in den
zu dem teutschen Bund nicht gehörigen
Staaten g).
In Absicht auf die Staatsbürgerschaft
überhaupt, unterscheidet man noch, in
teutschen Bundesstaaten, drei Haupt-
stände. Der erste ist der Adela), ein
Geburtstand b), womit erbliche Vorrechte
vor Mitgliedern der übrigen Standesclassen
verbunden sind c). Diese Vorrechte erhalten
ihre nähere Bestimmung, nach den verschie-
denen Classen des Adels, durch das Recht,
theils des teutschen Bundes, theils der ein-
zelnen Bundesstaaten. Bloſs persönli-
cher oder nicht erblicher Adel (Amts-,
Dienst-, Chargen-, Kriegs- oder Glocken-
Adel), gehört zu den Ausnahmen von der
Regel, und findet nur da statt, wo er durch
Staatsgesetze begründet ist d). Unterschie-
den von dem staatsbürgerlichen, giebt es in
sittlicher Hinsicht nur VerdienstAdele),
Seelen- oder Tugendadel, unabhängig von
Zufall und Verleihung.
Der Adel ist, in Ansehung der Art wie
Jemand selbst ihn erlangt hat: 1) Geburts-
adela) (Geschlechts- oder Stammadel, no-
bilitas gentilitia), wenn er ihm von dem
Vater b), durch Erzeugung in rechtmäsiger
[303]Die Staatsbürger und Unterthanen.
Ehe c), mitgetheilt ist; 2) Briefadeld)
(Bullenadel, nobilitas codicillaris s. diploma-
tica), wenn ihm solcher von dem Staats-
oberhaupt, oder von einem andern zu der
Adelung Berechtigten e), durch ein Privile-
gium (Adelsbrief, Diplom oder Patent) ver-
liehen ist. Durch Adoption, Legitimation
(vermittelst nachfolgender Ehe, oder landes-
herrlichen Rescriptes), Ritterguts- oder Rit-
terlehnsErwerb, und Erbeinsetzung mit der
Bedingung den adelichen Namen des Erb-
lassers zu führen, kann der Adelstand, ohne
ein hiezu berechtigendes oberherrliches Pri-
vilegium, weder erlangt noch Andern mit-
getheilt werden.
Als Standesclasse betrachtet, theilt
sich der Adel in hohen und niederna).
1) Der hohe Adel (HerrenStand, no-
bilitas superior, Erlauchte, illustres), ob-
jectiv betrachtet, ist ein Inbegriff bürger-
licher erblicher Vorrechte, die ehehin ih-
[305]Die Staatsbürger und Unterthanen.
ren Grund hatten, entweder in einem, der
Familie, wegen eines Reichslandes, zuste-
henden Sitz- und Stimmrecht auf der all-
gemeinen Reichsversammlung, oder in der
erblichen reichsfürstlichen Würde b), jetzt
in einer ausdrücklichen oder stillschwefgen-
den Willenserklärung des Souverains. Er
begriff unter sich, die ErbKurfürsten und
Erbfürsten, dann die mit dinglicherc)
Reichsstandschaft versehenen Reichsgrafen, und
ihre allerseitigen ebenbürtigen Familien Mit-
glieder. Jetzt gehören meist dahin, die Mitglie-
der des Regentenhauses (so fern diese jetzt nicht
ausschliessend eine eigene Classe bilden) und
die Standesherren d). 2) Der niedere Adel
(auch geradehin der Adel, Edelleute, nobili-
tas inferior), ist ein Inbegriff von bürgerli-
chen erblichen Vorrechten, womit der Rang
zwischen den Personen des hohen Adels
einer Seits, und denen von dem Bürger-
stande anderer Seits, verbunden ist e).
Jede Classe des Adels hatte, während der
teutschen Reichsverfassung, verschiedene
Stufen. A) Die Stufen des hohen Adels
waren: 1) der ErbKurfürstenstand (Erz-
fürsten a)); 2) der weltlicheb) Reichs-
fürstenstand, Herzoge, Markgrafen, Pfalz-
[307]Die Staatsbürger und Unterthanen.
grafen, Landgrafen u. Burggrafen mit Fürsten-
würde, eigentlich so genannte Reichsfürsten,
und gefürstete Grafen c) (Fürstenmäsige d));
3) der Reichsgrafenstand, so weit er
mit dinglicherReichsstandschaft versehen war;
4) der Dynastenstand, in der alten Bedeu-
tung des Wortes e). B) Der niedere Adel
hatte folgende Stufen f): 1) Titular- oder
nicht-reichsständische (ungefürstete) Gra-
feng), wohin einige auch die reichsgräfli-
chen Personalisten rechneten; 2) Freiher-
ren oder Barone h); 3) Edle- und Banner-
Herren; 4) des heil. röm. Reichs Rit-
ter; 5) Edle von; 6) gemeiner Adel-
stand, mit dem Prädicat von.
I) In den teutschen Bundesstaaten,
dauern die während der teutschen Reichs-
verfassung erlangten Adelsbenennungen noch
fort; nur überall mit Weglassung des Prä-
dicates „Reichs“ (§. 48). Der Kurfürsten-
Titel hat nur bei Kurhessen sich erhalten
(§. 109). II) Bei neuer Adelung, sind in den
meisten Bundesstaaten, für den niedern
Adelstand nur drei Stufen noch in Gebrauch:
Graf, Freiherr, und gemeiner Adel-
stand mit dem Prädicat von. In Baiern
sind vier Stufen a). und in Oestreich
alle vormaligen noch üblich.
Der zweite Hauptstand ist der Bürger-
standa) (Bürgerliche, civici, burgenses, bour-
geoisie), eine zahlreiche Classe b), welche alle
Freien unter sich begreift, die weder zu dem
Adel, noch zu dem Bauerstande gerechnet
werden können c). Eine Abtheilung derselben
[310]II. Th. II. Cap.
(der geehrtere Bürgerstand), wird Honora-
tioren (vornehme Bürger) genannt d).
I) Der dritte, auch ehrenwerthe, Stand ist
der Bauerstand (Landbauer, rustici, ruri-
colae), wie die zahlreichste, also auch die
nützlichste Classe von Staatsbürgern; wohin
die gehören, deren unmittelbare Hauptbe-
schäftigung in Landwirthschaft besteht, so
fern sie nicht durch Adelstand, Amt, oder
besondere Rechte, von diesem Stand ausge-
nommen sind a). II) Leibeigene (Hörige,
Eigenbehörige, homines proprii), die entwe-
der für ihre Person in erblicher Leibeshaft
(Halseigene), oder wegen ihrer Güter in ding-
licher Erbhörigkeit, erblicher Gutspflicht oder
Gutsunterthänigkeit (Dienstbauern), den un-
freien Bauerstand ausmachen b), sind in dem
heutigen Teutschland nur noch als Ausnah-
me von derRegel zu betrachten. III) Ausserdem
unterscheidet man auch Adel und Nicht-
adel, und rechnet zu dem letzten den Bürger-
und Bauerstand; der, in dem Gegensatz des
Adels und der Geistlichkeit, auch der dritte
[312]II. Th. II. Cap.
Stand (Tiers-état) genannt wird. IV) Der
Pöbel, det hohe und niedere, eine Ausge-
burt dei Nation, sich sträubend gegen recht-
liche Ordnung, bildet keinen Stand; er fin-
det sich in allen Ständen c).
I) In Hinsicht auf Beschäftigung, Le-
bensart, und Gewerbea), unterscheidet
man: Staatsbeamte, abgetheilt in Civil- und
Militär- (Wehr-) Stand; Geistlichkeit b),
Hofleute, Gelehrte c), Künstler, Kauf- und
Handelslente, Fabricanten und Manufactu-
risten, Handwerker oder Professionisten, Land-
wirthe (Handels-, Gewerb- und Bauerstand),
Taglöhner und Gesinde. II) Von allen diesen
[314]II. Th. II. Cap.
unterscheiden sich die Rentenzehrer (rentiers),
eine bloſs consumirende und genieſsende Classe
(Kostgänger des Staates), und die Armen und
Arbeitlosen d), (Freizehrer). III) Auf den
Wohnort beziehen sich die Abtheilungen,
1) in Städter und Landleute oder Bewohner
des platten Landes; 2) in solche, die für
immer, oder nur als Fremde für die Zeit
ihres Aufenthaltes in dem Staatsgebiet, ihren
Wohnsitz in diesem haben (subditos perpe-
tuos et temporario); 3) in inländische und
auswärtige (forenses) Güterbesitzer, je nach-
dem diese zugleich ihren Wohnsitz, oder
nur Grundeigenthum in dem Staatsgebiet
haben. IV) Alle Einwohner, das heiſst alle,
die ihren beständigen Aufenthalt in dem Staats-
gebiet haben (ihr Inbegriff ist die Nation),
sind entweder Grundeigenthümer, Ei-
genthümer einzelner Theile des Staatsgebietes,
oder Beiwohner. (Landeigner oder Nicht-
Landeigner.) V) In Hinsicht auf National-
Oekonomie, unterscheidet man Produ-
centen und Consumenten. Die ersten
heiſsen so, so weit sie sich mit UrProdu-
ction, oder mit industrieller oder commer-
zieller Production, beschäftigen.
Alle Unterthanen, als solche, sind dem
Staat unmittelbar unterworfen. Aber in
Absicht auf die Ausübung mancher Hoheits-
rechte, unterscheidet man, in manchen Staaten,
Immediat- und MediatUnterthanen a); je
nachdem die Unterthanen, in Ansehung der
Ausübung aller Hoheitsrechte, den admini-
strirenden Staatsbehörden unmittelbar, oder,
in Ansehung gewisser Hoheits-, auch guts-
herrlicher oder Patrimonialrechte, einer, der
Staatshoheit untergeordneten Grundobrigkeit
unterworfen sind (Gutsunterthanen, Unter-
oder Hintersassen). — Die Unterthänigkeit
[316]II. Th. II. Cap.
wird nicht aufgehoben durch Standeserhöhung,
durch Befreiung von gewissen Staatslasten,
durch Erwerb eines oder mehrerer verleihba-
rer Regalien (§. 101), der Standesherrlichkeit,
der subalternen Landeshoheit, u. d.
Die Unterthänigkeit wird, in teutschen
Staaten, auch bezeichnet durch das Prädicat
landsässig. I) Daher heiſsen alle Unter-
thanen Landsassena) in dem weitern
Sinn b). Der Inbegriff der ihnen in diesem
Verhältniſs zukommenden besondern Rechte c),
wird Activ Landsassiat (Landsasserei)
genannt; in dem Gegensatze des Passiv Land-
sassiats, eines Inbegriffs der den Landsassen
obliegenden Staatspflichten, oder derjenigen
Staatsbefugnisse, welche der Landesherrschaft
über sie und ihre in dem Lande befindliche Ver-
mögensSubstanz zukommen d). II) In dem
engern Sinn versteht man unter Landsas-
sen, die höhere oder privilegirte Classe der
Landesunterthanen e). III) So fern der Land-
[317]Die Staatsbürger und Unterthanen.
sassiat, insbesondere die TerritorialGericht-
barkeit, gegen auswärtige Besitzer inlandi-
schen Grundeigenthums (forenses), bloſs auf
das in dem Land gelegene Grundeigenthum
eingeschränkt wird, heiſst er unvollstän-
dig (eingeschränkt, nicht voll, minus ple-
nus): vollständig (uneingeschränkt, voll,
plenus) hingegen, wenn er auch auf die per-
sönlichen Verhältnisse der Forensen ausge-
dehnt wird f). Dieser wird jetzt in den
meisten teutschen Staaten geltend gemacht g).
Gutsbesitz, Wohnsitz und Dienstverhält-
niſs, begründen die persönlichea) Unter-
würfigkeit: bürgerliche Subjection des Grund-
eigenthums unter die Staatshoheit, die ding-
liche Unterwürfigkeit. I) Die dingliche
wird beurkundet durch den Beweis, daſs die
Sache Theil oder Zugehör des Staatsgebie-
tes, oder wenigstens von dem Eigenthümer
wirklich und rechtmäsig dafür anerkannt
worden sey. II) Das einzige, wahre und
[319]Die Staatsbürger und Unterthanen.
sichere Merkmal der persönlichen Unter-
würfigkeit gegen den Staat, ist die unzwei-
deutige, rechtmäsige Anerkennung der
Staatshoheit. Diese kann auf zweifache
Art geschehen: ausdrücklich, durch aus-
drücklichen UnterwerfungsVertrag, der ge-
wöhnlich in einen HuldigungsAct eingekleidet
wird; stillschweigend, indem man die
Ausübung der Staatshoheit sich gefallen läſst.
Der Beweis der persönlichen Unter-
würfigkeit gegen den Staat, kann also zwei-
fach geführt werden: einmal, durch Beglau-
bigung einer rechtmäsig geschehenen aus-
drücklichen Anerkennung der Staatsho-
heit a), insbesondere einer wahren Staatshul-
digung; anderns, durch Beglaubigung still-
schweigend geschehener Anerkennung, also
durch glaubwürdige Anzeige solcher Hand-
lungen, aus welchen hervorgeht, daſs die
Ausübung der wesentlichen und allgemeinen
Hoheitsrechte rechtmäsig und wirklich sey
anerkannt worden. Die letzte Beweisart, ob-
[320]II. Th. II. Cap.
wohl specifisch, ist nicht minder kräftig, als
die erste b). Inzwischen ist, vorzüglich bei ihr,
vielfältig nicht bloſs über das factische, son-
dernn auch über das rechtliche Verhältniſs,
besonders über die Beweiskraft mancher, als
Merkmale der Unterwürfigkeit angegebener
Rechte, gestritten worden c). Daher folgen
hier Grundsätze über die merkwürdigsten,
öffentlich zur Sprache gebrachten Beweis-
gründe d). Nach den neuern TerritorialVer-
änderungen und Ausgleichungen, sind Strei-
tigkeiten, wo diese Grundsätze in Anwendung
kommen, seltener, aber doch nicht überall
unvermeidlich.
I) Bewiesen wird die Staatshoheit, durch
die Thatsache unzweideutiger a) und rechtmä-
siger b), ausdrücklicher oder stillschweigender
(21)
[322]II. Th. II. Cap.
(wovon §. 209) Anerkennung derselben.
Eine ausdrückliche Anerkennung, liegt in
der Staatshuldigungc) (homagium, tes-
sera subjectionis civilis), einem feierlichen,
meist eidlichen, Versprechen der Unterthan-
pflicht. Sie ist entweder vollständig oder
allgemein (homagium plenum s. universale),
oder unvollständig oder particulär (mi-
nus plenum s. particulare), je nachdem sie
entweder in Ansehung der Person und des
Grundeigenthums zugleich, oder bloſs in Hin-
sicht auf den Gutsbesitz in dem Staatsgebiet,
geleistet wird d). Sie unterscheidet sich von
andern Verpflichtungsarten, die z. B. auf
Lehn-, Schutz-, Cent, Gerichts- oder Guts-
herrlichkeit (Ablegung der Lehnpflicht, Lehn-
huldigung oder vassallagium der Vassallen,
Patrimonial- oder Erbhuldigung der
Patrimonialpflichtigen, und Erbeid oder Erb-
pflicht, junamentum assecurationis, der
Eigenhörigen), oder auf Bürgerpflicht (Bür-
gereid) sich beziehen e). Die vorläufige
oder Eventual Huldigung, wird den Succes-
sionsBerechtigten, z. B. dem RegierungsNach-
folger, Mitbelehnten, Erbverbrüderten, An-
warter u. d., für seinen künftigen Successions-
Fall geleistet f). Sie ist also kein Merkmal
der gegenwärtigen Unterwürfigkeit.
Die Staatshuldigung a) wird geleistet, dem
Staatsoberherrn, 1) bei dem Regierungsantritt,
von allen Unterthanen, wenigstens von den
Familienhäuptern, auch von den Staatsbeamten
und von der Geistlichkeit b); 2) während der
jedesmaligen Regierung, von den neuen Bür-
gern, Unterthanen, Schutzverwandten, Staats-
beamten u. s. w., bei ihrer Annahme; in
[324]II. Th. II. Cap.
denen Staaten, wo der volle Landsassiat gilt
(§. 204), auch von den TerritorialVassallen,
bei Ablegung ihrer Lehnpflicht.
Der Beweis stillschweigend gesche-
hener Anerkennung der Staatshoheit, bedarf
sprechender Handlungen. Dahin gehört: 1)
die Agnition der Ausübung der StaatsHo-
heitsrechte, wovon unten (§. 210 u. ff.)
das Nähere; 2) die Ausübung der Landstand-
schaft, durch Erscheinen mit Sitz- und Stimm-
recht auf landständischen Versammlungen a);
3) die Niederlassung in dem Staatsgebiet,
indem man daselbst seinen beständigen Wohn-
sitz nimmt, auch wohl zugleich Grundeigen-
thum erwirbt b). 4) Nicht immer liegt eine
Anerkennung der Staatshoheit, in dem Kir-
chengebetc) (preces publicae); in der Feier
öffentlicher Freudenfested) (laetitia pu-
blica); in der öffentlichen Trauere) (luctus
publicus).
II) Der qualificirte Besitz aller allgemeinen
und wesentlichen Hoheitsrechte (§. 98, 100 u.
206, Note b), ist ein sicheres Merkmal der
Staatshoheit a). III) Der Besitz der beson-
dern Hoheitsrechte (§. 100), einzeln be-
trachtet, beweiset die Staatshoheit nicht b);
aber er vermehrt die Kraft des Beweises, der
[326]II. Th. II. Cap.
durch die übrigen Beweisthümer geführt wird.
Daher beweisen, 1) die StaatsServituten
nicht für eine allgemeine Staatshoheit des
Berechtigten c), z. B. Blutbann, Cent oder
Fraisch in fremdem Gebiet d); denn Staats-
dienstbarkeiten sind Ausnahmen von der Re-
gel, und das Ganze der Staatshoheit, als un-
theilbares Recht e), kann einem Souverain in
einem fremden Staatsgebiet nicht zustehen f).
2) Verleihbare Regalien, verliehen an
Landsassen, insbesondere ansehnliche Grund-
eigenthümer, oder Gemeinheiten, mit Sub-
ordination gegen die Staatshoheit (§. 101),
begründen nicht eine Staatshoheit der Pri-
vilegirten g).
IV) Der Besitz zufälliger oder ausser-
wesentlicher Hoheitsrechte (§. 98) bewei-
set nicht für, und der Mangel derselben
nicht wider die Staatshoheit a). V) Rechte,
die zu den Hoheitsrechten in keiner Beziehung
gehören, sind untauglich zu dem Beweis der
Staatshoheit b); z. B. Lehnherrlichkeit c), un-
terschieden von der Lehnhoheit d), das bloſse
Eigenthum des Ortes e), manche Arten der
Vogtei f), das Patronatrecht g), die westphä-
lische freie Stuhlgerichtbarkeit h).
VI) Der Beweis, daſs eine Sache Bestand-
theil, oder Zugehör des Staatsgebietes sey,
begründet die Staatshoheit. VII) Aber die Be-
weiskraft des Grundes von der Lage inner-
halb des Staatsgebietes, und des geogra-
phischen Zusammenhanges (Contigui-
tät, argumentum a situ), hängt ab von der
Evidenz der Eigenschaft eines geschlos-
senena) und richtig vermarkten b) Landes
(territorii clausi). VIII) Auch Verträge und
andere gültige Verfügungen c), dienen zu dem
Beweis der Staatshoheit d).
In Absicht auf den bürgerlichen Recht-
stand, sind die Unterthanen des Staates auch
noch zu betrachten, in Ansehung 1) ihrer
Religion (unten Cap. XVI), 2) ihrer bür-
gerlichen Ehre, 3) ihrer ehelichen,
4) elterlichen, 5) vormundschaftli-
chen, 6) partrimonial- und leibpflich-
tigen, und 7) ihrer Vermögens Verhält-
nisse; alles gröſstentheils Gegenstände der
Privatrechtswissenschaft.
Landständea) sind Personen, physische
oder moralische, die als Grundeigenthümer,
[332]II. Th. III. Cap.
oder als Gewerbtreibende, wohl auch bloſs
als Männer von bewährter Einsicht (Vertre-
tung des Grundeigenthums, der Industrie, und
der Intelligenz), kraft der Staatsverfassung
zur Stellvertretung des Volkes bei dem Re-
genten dergestalt berufen sind, daſs dieser
nicht nur ihre Beschwerden und Wünsche
anzuhören, und darauf zu beschlieſsen, son-
dern auch in bestimmten Staatsangelegen-
heiten, zu Einholung ihrer Einwilligung, oder
ihres Rathes, verpflichtet ist. Landstand-
schaft, ist Sitz- und Stimmrecht auf land-
ständischen Versammlungen.
Eine Landschaft (NationalStellvertre-
tung, allgemeine landständische Corporation),
noch jetzt in den meisten teutschen Bundes-
staaten ein Hauptbestandtheil der Staatsver-
fassung, obgleich nirgend noch das, was
das Parlament für England ist, gegründet
auf den Grundsatz allgemeiner Volksver-
tretung, und versehen mit wesentlichen,
die Dauer der Staatsverfassung und die Zweck-
und Gesetzmäsigkeit der Staatsverwaltung
sichernden Rechten, erhöht, als wahrer
Landesvertreter an der Seite des Fürsten,
als Wächter der Regierung, ihrer gesetzge-
benden und vollziehenden Macht, besonders
der Finanzgewalt, das Glück der Nation a).
Als Vermittler zwischen Regenten und Volk,
erleichtert sie jenem das schwere Amt des
Regierens, diesem die Pflichten des Gehor-
sams. Durch sie wird die Staatsverfassung
[334]II. Th. III. Cap.
fähig, fortwährend das Bessere aufzunehmen,
welches fortschreitende Einsicht und Erfah-
rung darbieten, und das Neue, welches ver-
änderte Verhältnisse gebieten. In Form und
Handlung, trägt sie das Gepräge des allge-
meinen Willens b), ist nicht bloſs berathend,
auch nicht Stellvertreter nur eines Theils
der Staatsbürger, und eben so wenig Deck-
mantel eines KryptoAristocratismus, zu An-
hänfung und Bewahrung staatszweckwidriger
Auszeichnung und Vorrechte. Denn unge-
recht wäre eine Capitulation des Regenten,
mit Einer Classe von Unterthanen, wodurch
die andern Classen und das Wohl des Gan-
zen beeinträchtigt würden.
I) Ueber den Ursprung der Landstände a),
welchen einige bestimmt in das zwölfte b),
andere in das dreizehnte c), noch andere in
das funfzehnte d), und wieder andere zwischen
das vierzehnte und siebenzehnte e) Jahrhun-
dert setzen, läſst sich, mit historischer Treue,
im Allgemeinen wenig sagen. Die Geschichte
der einzelnen Staaten f), muſs die nähere
Bestimmung geben. Auch zeigen sich meist
Stadien in der formalen Ausbildung land-
schaftlicher Verfassung. II) Dem Wesen nach,
bemerkt man landständische Verfassung schon
in dem Geist der alten teutschen Staatsver-
fassung nicht weniger, als in der teutschen
Territorial Verfassung des Mittelaltersg).
III) Der heutige Zeitgeist, in seiner Rein-
heit, will auch in den teutschen Staaten
eine durch Grundverträge bestimmte Ver-
fassung des Regiments, mit Volksver-
tretung; und die Denker erkennen, ein-
[336]II. Th. III. Cap.
stimmig ohne Uebereinkunft, diese Forde-
rung wie für rechtlich begründet, also auch
für heilsam zu wahrer Staatenbildung.
I) Die teutsche BundesActe a) stellt den
Grundsatz auf: „in allen Bundesstaaten wird
eine landständische Verfassung statt
finden“. II) Dem zufolge ist zu erwarten:
1) daſs in denen Bundesstaaten, wo land-
ständische Verfassung nicht schon aus der
(22)
[338]II. Th. III. Cap.
früheren Zeit fortdauert, wieder ein-
geführt, oder neu errichtet ist, solche
ohne langen Verzug werde eingeführt
werden; 2) daſs überall den Landständen
wesentliche Rechte werden gelassen,
oder eingeräumt werden; 3) daſs diese Ver-
fassung allenthalben, wo sie es nicht schon
ist, nicht nur zu einem vertragmäsigenb)
Hauptbestandtheil der Grundverfas-
sung des Staates werde erhoben, sondern
auch 4) im Innern zweckmäsig werde ge-
sichert, und unter die Gewähr des teut-
schen Bundes gestellt wtrden c). Sogar von
auswärtigen Mächten, sind zuweilen die
Rechte teutscher Landstände garantirt wor-
den (§. 74). III) In denen Bundesstaaten,
wo früher schon landständische Verfassung
staatsgrundgesetzlich begründet war,
ist solches unabhängig von dem Fall der
teutschen Keichsverbindung (§. 49).
Sieht man auf die Verhältnisse der land-
ständischen Verfassung in der jüngern Vor-
zeit und in der Gegenwart, so sind bis
heute (1. März 1817) folgende Verschieden-
heiten zu bemerken. I) In den freien
Städten, vertrat früher schon, und vertritt
jetzt wieder ein Ausschuſs der Bürger-
schaft, unter verschiedenen Benennungen,
an der Seite des Senats, die Stelle der in
andern Bundesstaaten bestehenden, oder noch
einzuführenden Landstände a). II) Was die
monarchisch geformten Staaten des teut-
schen Bundes betrifft, so dauert 1) in dem
gröſseren Theil derselben, die während der
[340]II. Th. III. Cap.
teutschen Reichsverfassung schon bestandene
landständische Verfassung entweder unver-
ändert, oder mit nicht sehr bedeu-
tender Veränderung fort, oder sie ist
in solcher Art, nach einer während der feind-
lichen französischen Occupation statt gehab-
ten Unterbrechung, wieder hergestellt
worden. In diese Classe gehören: Oestreich b),
Königreich Sachsen c), Hannover d), Kurhes-
sen e), Braunschweig f), MecklenburgSchwe-
rin und MecklenburgStrelitz g), Sachsen-
Gotha h), Coburg i), Meiningen k), und Hild-
burghausen l), AnhaltDessau, Bernburg und
Cöthen m), SchwarzburgSondershausen und
Rudolstadt n), Waldeck o), Reuſs ältere und
jüngere Linie p), Lippe q).
2) In andern Bundesstaaten, ist eine ganz
neue landständische Verfassung ein-
geführt worden; es sey nun unmittelbar an
die Stelle der vorigen, oder ohne früheres
Beispiel in dem gesammten Lande, oder in einem
beträchtlichen Theil desselben, oder lang nach
einer früheren ähnlichen Verfassung. Hieher
gehören: Sachsen Weimar Eisenach a), Nas-
sau b), SchaumburgLippe c). 3) In etlichen
Bundesstaaten, hat man die Einführung oder
Wiedereinführung einer landständischen Ver-
[343]Die Landstände.
fassung bereits verheiſsen, und ist entwe-
der damit beschäftigt, oder läſst solches
wenigstens hoffen. So in Preuſsen d), Wir-
temberg e), Holstein f), Baiern g), Baden h).
4) Aus andern Bundesstaaten ist von Ein-
führung oder Wiedereinführung landständi-
scher Verfassung, öffentlich bis jetzt nichts
bekannt worden; aus den Groſsherzog-
thümern Hessen und Luxemburg, aus dem
Herzogthum HolsteinOldenburg, aus den Für-
stenthümern HohenzollernHechingen und Sig-
maringen, und aus dem Fürstenthum Lich-
tenstein.
III) Im übrigen ist bemerkenswerth, daſs
1) die landständische Verfassung in etlichen
teutschen Ländern, in den Jahren 1803 und
1804, in Folge der neueren Staatsverände-
rungen, ganz aufgehört hatte a); daſs
2) in andern dieselbe, in den Jahren 1805
und 1806, von dem Souverain förmlich
war aufgehoben worden b); daſs 3) in
etlichen neu zusammengesetzten Staaten, in
den Jahren 1806, 1807 und 1808, Ver-
suche einer neuen landständischen
Verfassung waren aufgestellt worden c).
1) Schon in der Natur einer Volksvertre-
tung liegt, daſs diese unmittelbar von
dem Volk ausgehen müsse. Aber auch das
Staatswohl fordert die Organisation der Land-
stände, nach dem Grundsatz allgemeiner
Volksvertretung a). Dessen ungeachtet hatte
die zahlreichste Classe der Unterthanen, der
Bauerstand, bis auf die neueste Zeit in
den wenigsten teutschen Staaten, wo Land-
stände waren, eigene unmittelbare Reprä-
sentation auf dem Landtage b). II) Die Land-
standschaft der Mitglieder einer Land-
schaft, beruht bald auf landtagsfähigem Guts-
besitz, bald entweder auf CorporationsRecht
oder auf StandesclassenRecht, beides durch
besondere Rechtstitel begründet, bald auf
[349]Die Landstände.
einer besondern Ernennung oder Verleihung
von Seite des Regenten. III) Die auf dem
Landtag erscheinenden Stimmführer, sind
theils gebohrne, theils erkohrne (Erb- oder
Wahlstände); diese, entweder durch Wahl der
stimmberechtigten Gesammtheit, oder der von
ihr hiezu ernannten Wahlmänner (Deputirte),
oder durch Bevollmächtigung von Seite
eines stimmberechtigten Einzelnen (Bevoll-
mächtigte), oder durch Ernennung. IV) Bei
den RittergutsBesitzern werden, ausser
dem landtagsfähigen Gutsbesitz, zu der Stimm-
fähigkeit zuweilen noch besondere persön-
liche Eigenschaften erfordert c), z. B. Erb-
adel, Ahnenprobe d), Indigenat.
I) In manchen Staaten gab es ehedem,
laut der landschaftlichen Matrikeln, nur
eine, in andern zwei, drei oder vier Clas-
sen (Curien, Bänke) der Landstände a). Jetzt
findet man in teutschen Bundesstaaten, nach
Verschiedenheit der angenommenen Grund-
lage der Landstandschaft, bald zwei Cals-
sen, bestehend z. B. aus Ritterschaft und
Städten b), oder aus einer Herrenbank und
aus Landes Deputirten; bald drei Classen,
bestehend theils aus Fürsten, Grafen und
Herren, theils aus Ritterschaft, theils aus
Städten c), oder aus Geistlichen (Prälaten,
und zwar in dem Königreich Sachsen mit
[351]Die Landstände.
Inbegriff der Fürsten, Grafen und Herren),
Ritterschaft und Städten d), oder aus Depu-
tirten der Ritterschaft, Städte und Bauern e);
bald vier Classen, bestehend aus Herren,
Prälaten, Ritter- und Mannschaft, und Städ-
ten f), oder aus Prälaten, Ritterschaft, Städ-
ten und Bauern g). II) Auf dem Landtage
berathschlagen und beschlieſsen diese ver-
schiedenen Classen entweder alle zusam-
men (in Pleno), oder getrennt in bestimmte
Abtheilungen, z. B. in zwei oder meh-
rere Kammern, eine Art von Ober- und
Unterhaus h).
I) In Absicht auf Landstandschaft, ver-
ordnet die teutsche BundesActe, 1) daſs
die Häupter der standesherrlichen Fa-
milien, die ersten Standesherren (Land-
stände) desselben Staates seyn a), und 2) daſs
die (landtagsfähig) Begüterten aus dem
ehemaligen unmittelbaren Reichsadel,
Antheil an der Landstandschaft haben sol-
len b). II) Dagegen fanden die auf dem wiener
Congreſs gemachten Anträge, die teutschen
katholischen Bischöfe und Domka-
pitel, mit liegenden Gründen auszustatten,
und in allen Bundesstaaten als Landstände,
und zwar als die ersten, anzuerkennen,
keinen Eingang c); so wenig als der Vor-
schlag, die katholische und evangeli-
sche Geistlichkeit, als solche, an der
ständischen Verfassung Theil nehmen zu las-
sen d). III) Wohl aber sind, in mehreren
Bundesstaaten, geistliche Stiftungen und
Corporationene), wohin auch Univer-
(23)
[354]II. Th. III. Cap.
sitätenf) gerechnet zu werden pflegen,
wegen landtagsfähigen Güterbesitzes zu Land-
standschaft berechtigt.
I) Das Volk hat ein vertragmäsiges In-
teresse, nicht nur an der Verfassung des
Staates, sondern auch an dessen Verwal-
tung durch die Staatsregierung. Die Aus-
übung der in dieser Hinsicht ihm zuste-
henden Rechte, gebührt, in der Regel, sei-
nen Vertretern bei dem Regenten, den
Landständen. II) In den Verhandlungen, welche
auf dem wiener Congreſs, der Errich-
tung des teutschen Bundes vorausgiengen,
sprachen die Stifter des Bundes, mit Aus-
nahme sehr weniger, ihre Ueberzeugung dahin
aus a), daſs das Minimum der Rechte
der landständischen Corporationen, in allen
Bundesstaaten bestehen müsse: 1) in Mitwir-
kung bei der Gesetzgebung; 2) in der
Nothwendigkeit ihrer Einwilligung zu
Festsetzung öffentlicher Abgaben, ver-
bunden mit der hievon untrennbaren Mit-
aufsicht auf deren Verwendung, we-
nigstens Kenntniſs von der bevorstehenden
oder geschehenen Verwendung; 3) in dem
Recht der Beschwerde führung über
Miſsbräuche oder Mängel in der Lan-
desverwaltung, insbesondere in dem Recht,
[356]II. Th. III. Cap.
gesetzmäsige Bestrafung schuldiger Staats-
diener zu fordern.
III) Die nähere Bestimmung der den
Landständen eines einzelnen Bundesstaates
zustehenden Rechte, ist einer der wichtig-
sten Gegenstände des Staatsrechtes des-
selben Landes a). IV) Die allgemeine
Grundlage teutscher landständischer Ver-
fassung. ist: Theilnahme des Volkes durch
Abgeordnete, mittelst Berathung und Ein-
willigungb), zuweilen oder in gewissen
Fällen auch mittelst bloſser Berathung,
1) an der Gesetzgebungc), und 2) an
[357]Die Landstände.
Bestimmung der Staatsauflagen. V) Der
Begriff der Selbstbesteuerung des Volkes
durch Landstände, am besten durch selbst-
gewählte Deputirte, kann umfassen, nicht
nur das Erkenntniſs über Rechtmäsig-
keit, Art und Summe der Staatsanflagen,
sondern auch das Recht der Mitaufsicht
oder Controle in der Verwendung, wohl
gar das Recht der Umlage und des Ein-
zugs in eine abgesonderte Cassed), die
landschaftliche oder SteuerCasse, unterschie-
den von andern StaatsCassen, namentlich von
der Kammer- oder DomainenCasse.
I) Die verfassungsmäsige Mitwir-
kung der Landstände, bei Ausübung be-
simmter Hoheitsrechte, in einzelnen Staa-
ten auf verschiedene Art modificirt, schlieſst
eine Mitregentschaft nicht in sich a) II) Ihrer
ursprünglichen und wesentlichen Bestimmung
nach, gebuhrt den Landständen, so weit ihre
Befugnisse reichen, allgemeine Vertre-
tung bei dem Regenten b), in Hinsicht auf
[359]Die Landstände.
die Gesammtheit der Unterthanen. III) Aus-
ser den oben angezeigten landschaftlichen
FundamentalRechten, streitet die Rechts-
vermuthung, gegen die rechtliche Noth-
wendigkeit einer landständischen Mitwirkung
oder Theilnahme an der Staatsverwaltung, so
fern nicht eine entgegenstehende besondere
Rechtsvermuthung landesgrundgesetzlich be-
gründet ist c). IV) Vorschläge oder Vor-
stellungen, Bitten und Beschwer-
dend), das Staatswohl betreffend, unauf-
gefordert vor die Landesherrschaft zu brin-
gen, steht den Landständen, wie allen Un-
terthanen, frei. V) Wegen Miſsbrauchs
ihrer verfassungsmäsigen Rechte, sind Land-
stände verantwortlich.
I) Den Landständen, als einer eigenen,
für sich bestehenden Corporation, steht,
in der Regel, das Recht zu, unter landes-
herrlicher Oberaufsicht, ihre collegiali-
schen Angelegenheiten nach Gutfin-
den zu bestimmen a), und die nöthigen
landschaftlichen Diener zu bestellen b).
II) Willkührliche Zusammenkünfte
(PrivatConvente) werden ihnen, in den mei-
sten Staaten, nicht mehr gestattet c). III) In
manchen Staaten sind, für gewisse Geschäfte,
landständische Deputationen angeordnet,
zuweilen ein weiterer oder grösserer, und
ein engerer Ausschuſs d). IV) Einseitige
Aufnahme neuer Mitglieder findet, in
der Regel, nicht statt: wohl aber landes-
herrliche Erhebung eines Gutes zu einem
landtagsfähigen.
Nach Verschiedenheit der Landesverfas-
sung und der Umstände, werden, unter ver-
fassungsmäsiger Mitwirkung des Regenten,
ordentliche und ausserordentliche
Landtage, allgemeine Land agsver-
sammlungen, und engere, Ausschuſs- oder
Deputationstage, gehalten a); in der landes-
herrlichen Residenz, oder an einem andern,
bestimmten, oder beliebigen Ortb). Die
Ausschreibung der ordentlichen Landta-
ge (Convocation), geschieht von dem Re-
genten c), entweder zu bestimmter Zeit,
oder nach Gutfinden, allenfalls auch auf
Ansuchen der Landstände d).
Unter Beobachtung des gehörigen Cere-
monielsa), erfolgt: die Eröffnung des
Landtags b), und die Propositionc) (Po-
stulat); die Berathschlagung, allgemeine,
oder abgesonderte, nach den Classen der
Landstände d), auch, für gewisse Angelegen-
heiten, des Ausschusses, meist ohne Beiseyn
des Regenten oder seiner Commissarien; die
Verabredung und Entwerfung der Landes-
[364]II. Th. III. Cap.
beschwerdene), Desiderien oder Landes-
gebrechen, der Vortsellungen, Vorschläge
und Bitten; die Fassung der Beschlusse
nach der Stimmenmehrheit der Einzelnen,
oder der Curien in der Landschaft, der Ein-
zelnen in den Curien, in den zu solcher
qualificirten Fällen f); das Gutachten der
Stände; die landesherrliche Resolution;
der LandtagsAbschiedg), auch der De-
putationsAbschied; die landesherrliche
Entschliessung oder Resolution auf die
ständischen Beschwerden (Erledigung der
Landesgebrechen); die Entlassung der
Landstände, meist mit Feierlichkeit.
I) Standesherrena) sind bevorrechtete
Grundeigenthümer vom Herrenstande (§. 197),
vormals teutsche reichsständische b) Landesher-
ren von fürstlichem oder gräflichem Stande,
welche bei dem Fall der teutschen Reichs-
verbindung, oder späterhin, der Staatshoheit
teutscher Souveraine untergeordnet wurden c).
II) Die Standesherrlichkeit oder der
Rechtszustand der Standesherren als solcher
(§. 31 u. 43 — 45), nicht nur für ihre Per-
[366]II. Th. IV. Cap.
son und Familie, sondern auch für ihre
standesherrlichen Besitzungen, bezeich-
net den Inbegriff ihrer besondern Rechte;
namentlich ihre Vorrechte vor der Person
und dem Grundeigenthum, sowohl der Patri-
monial- oder Grundherren, als auch der übri-
gen Staatsunterthanen. III) Der Rechts-
zustand der Standesherren, ist theils all-
gemein durch die teutsche BundesActe,
theils besonders, in einzelnen Bundes-
staaten staatsgesetzlich, und zwar bis
jetzt noch groſsentheils auf verschiedene Weise,
bestimmt. Von beiden Arten von Bestim-
mungen, ist hier abgesondert zu handeln.
Die teutsche BundesActea) bestimmt
den künftigen Rechtszustand derjenigen Stan-
desherren, welche vormals Reichsstände waren,
auf folgende Art. I) In Absicht auf ihr
[368]II. Th. IV. Cap.
unmittelbares Verhältniſs zu dem
teutschen Bund, ward festgesetzt, daſs
die Frage: ob die Standesherren einige
CuriatStimmen, in dem Plenum der
Bundesversammlung, haben sollen? in
Erwägung zu ziehen sey, bei Berathung der
Einrichtungsgesetze des Bundes b). II) In Hin-
sicht auf das Verhältniſs der Standesher-
ren zu den Bundesstaatenc), vereinigten
sich die Bundesstaaten, um ihnen, in Ge-
mäſsheit der damaligen Verhältnisse, in allen
Bundesstaaten einen gleichförmig blei-
benden Rechtszustand zu verschaffen,
dahin, daſs A) im Verhältniſs zu sämmt-
lichen Bundesstaaten, 1) die Standes-
herren in Teutschland zu dem hohen Adel
gehören sollen, und daſs 2) das Recht der
Ebenbürtigkeit, nach dem bisherd)
damit verbundenen Begriff, ihnen bleiben
soll.
B) Im Verhältniſs zu denen Bundes-
staaten, zu welchen die einzelnen Stan-
desherren gehören, sollen, so viel A A) ihren
persönlichen Rechtszustand betrifft, 1) die
Häupter der standesherrlichen Familien,
die ersten Standesherren (Landstände) des-
selben Staates seyn. 2) Sie und ihre Fa-
milien, bilden daselbst die privilegir-
testea) Classe, insbesondere in Ansehung
der PersonalBesteuerung, und genieſsen 3)
unbeschränkte Freiheit, ihren Aufenthalt
in jedem zu dem Bund gehörenden, oder
mit demselben in Frieden lebenden Staat zu
nehmen; desgleichen 4) privilegirten
Gerichtstand, und 5) Befreiung von
MilitärPflichtigkeit. Jedoch sind die-
selben 6) den Landesgesetzen unterworfen.
BB) In Absicht auf den Rechtszustand
der standesherrlichen Besitzungen, ge-
bühren den Standesherren, 1) bürgerliche
und peinliche Gerichtbarkeit, in
erster, und, wo die Besitzung groſs genug
ist, auch in zweiter Instanz; 2) Forst-
Gerichtbarkeit; 3) Orts Polizei; 4)
Aufsicht in Kirchen- und Schulsa-
chen, auch über milde Stiftungen. Je-
doch sind 5) alle diese Gerechtsame auszu-
üben, a) nach Vorschrift der Landesge-
setze, und b) unter Oberaufsicht der Re-
gierungen. 6) Ihre Besitzungen sind der
MilitärVerfassung unterworfen. 7) In
Absicht auf RealBesteuerung, sind die
Standesherren die privilegirteste Classe,
und 8) auch in RealStreitigkeiten genieſsen
sie einen privilegirten Gerichtstanda).
CC) Ueberdieſs sollen 1) nach den Grund-
sätzen der früheren teutschen Verfassung, a)
die noch bestehenden standesherrlichen
FamilienVerträge aufrecht erhalten wer-
den, und b) die standesherrlichen Familien
befugt seyn, über ihre Güter und Fami-
lien Verhältnisse verbindliche Ver-
fügungen zu treffen; doch müssen solche
dem Souverain vorgelegt, und bei (und von)
den höchsten Landesstellen zur allgemeinen
Kenntniſs und Nachachtung gebracht werden.
c) Alle bisher dagegen (gegen die stan-
desherrliche FamilienVerfassung) erlassenen
Verordnungen, sollen für künftige
Fälle nicht weiter anwendbar seyn. 2) Ueber-
haupt sollen den standesherrlichen Häusern,
in Rücksicht ihrer Personen, Familien
und Besitzungen, alle diejenigen Rechte
und Vorzüge zugesichert werden, oder
bleiben, welche a) aus ihrem Eigenthum
und dessen ungestörtem Genuſs herrühren,
und b) nicht zu der Staatsgewalt und
den höheren Regierungsrechten ge-
hören.
Ueberdieſs ist in der teutschen Bundes-
Acte festgesetzt, daſs als Basis und Norm,
a) bei der näheren Bestimmung der an-
geführten Befugnisse sowohl, wie b) über-
haupt, und in allen übrigen Punc-
ten, zu weiterer Begründung und Feststel-
lung eines in allen Bundesstaaten über-
einstimmenden Rechtszustandes der mit-
telbar gewordenen (der, teutschen Bundes-
fürsten untergeordneten, vormaligen reichs-
standischen) Fürsten, Grafen und Herren,
die in diesem Betreff erlassene königlich-
baierische Verordnung von 1807 a) un-
terlegt werden soll b).
I) Durch vorstehende Bestimmungen, fan-
den die Standesherren ihre Hoffnungen und
Erwartungen so wenig befriedigt a), daſs
sie auf dem wiener Congreſs durch förm-
liche Rechtsverwahrug, den Umfang
ihrer Rechte, wie ihn der Besitzstand von
1805 bezeichne, sich, ihren Nachkommen
und Unterthanen, für ewige Zeiten vorbe-
hielten b). II) Verschiedene von Napoleon,
theils bei Errichtung des rheinischen Bun-
des, theils später in Standesherrlichkeit ver-
setzte, und theils dem Groſsherzogthum Berg,
theils Frankreich unterworfen gewesene Für-
sten und Grafen c), deren Besitzungen in dem
ehemaligen westphälischen Kreise gelegen
sind, suchten insbesondere, wiewohl ver-
gebens, auf dem Congreſs den Grundsatz
geltend zu machen, daſs sie, nach Vertrei-
bung der ihnen aufgedrungenen fremden Herr-
scher, in ihre vorigen Rechteipso jure
wieder eingetreten seyen d). III) Noch
andere bestrebten sich auf dem Congreſs,
durch freiwillige Unterwerfung unter
Preuſsen, Erleichterung und einen ge-
[374]II. Th. IV. Cap.
sicherten Rechtszustand zu erlangen e); ein
Schritt, welcher jedoch eine Absonderung
ihres Schicksals von demjenigen der übrigen
Standesherren, nicht zur Folge hatte.
I) Schon die rheinische Bundes-
Actea), hatte den Rechtszustand der von
ihr geschaffenen Standesherren, im Wesent-
lichen, vertragmäsig b) bestimmt (oben, §.
43 — 45). II) Sinn, Umfang und Auslegung
ihrer Bestimmungen, so wie die wichtige
Frage: für Wen (den Oberhoheitsherrn, oder
die Standesherren,) in zweifelhaften Fällen
[375]Die Standesherren.
die Rechtsvermuthung streiten müsse? waren
fast nirgend ausser Streit geblieben c). Auch
vermiſste man, in derselben BundesActe,
noch verschiedene nähere Bestimmungen über
jenen Rechtszustand, welche zu Vermeidung
aller Ungewiſsheit des Rechtes, so wie zur
Gleichförmigkeit der Standesherrlichkeit in
allen Bundesstaaten, für nothwendig erach-
tet wurden. III) Durch diese zweifache Be-
trachtung, glaubte man in einzelnen Bun-
desstaaten sich veranlaſst und befugt, zu
eigener staatsgesetzlicher Festsetzung
des Rechtszustandes der inländischen Stan-
desherren, für ihre Personen, Familien, und
standesherrlichen Besitzungen, mittelst ober-
landesherrlicher Declarationen, Orga-
nisationen, Verordnungen, Edicte,
Resolutionen, Erläuterungen, u. d. d).
I) Die vorhin genannten staatsgesetzli-
chen Bestimmungen, werden in einzelnen
Bundesstaaten, nicht immer ohne Widerstreit
mit den Vorschriften der teutschen Bundes-
[378]II. Th. IV. Cap.
Acte (§. 231 ff.), noch jetzt mehr oder we-
niger in Anwendung gebracht. II) Ob-
gleich schon früher aus ihnen, als bloſs
particulären Bestimmungen, allgemeine
Grundsätze nicht zu bilden waren, so ge-
währt doch eine summarische Darstellung
ihres Inhaltes a), namentlich ihrer wichtig-
sten Eigenheiten, eine Uebersicht nicht
bloſs der Absichten, Grundsätze und Ver-
fahrungsweise einzelner Staatsregierungen,
sondern auch desjenigen, worauf man bei
der bevorstehenden Erforschung und näheren
Festsetzung eines in allen Bundesstaaten
übereinstimmenden staats- und privatrecht-
lichen Verhältnisses der Standesherren (§. 235),
die Aufmerksamkeit zu richten habe.
I) Dabei wird jedoch nicht zu übersehen
seyn, daſs in dem Streit über Sinn, Umfang
und Auslegung der rheinischen BundesActe,
so wie über Rechtsvermuthung, die Ober-
hoheitsherren selbst, oft für eigenen Vor-
theil, zur Entscheidung geschritten seyen,
und daſs in ihren staatsgesetzlichen Willens-
erklärungen, der Rechtszustand der Standes-
herren, dessen allgemeine Gleichförmigkeit
selbst die rheinische BundesActe beabsich-
tigte, nicht selten auf ganz verschiedene
Weise, hie und da sogar wider den klaren
Inhalt jener BundesActe, bestimmt worden
sey. Durch welches Alles II) die Standes-
[380]II. Th. IV. Cap.
herren zu vielfach geäusserten Beschwer-
den sich berechtigt hielten a). III) Endlich
ward auch, in dem Zeitraum des rheinischen
Bundes, in etlichen Bundesstaaten Stan-
desherrlichkeit an ansehnliche Grund-
herrschaften durch Privilegium gegeben b).
Seit Errichtung des teutschen Bundes,
hat Preuſsen, durch ein Edict vom 21.
Jun. 1815 a), den Rechtszustand der Stan-
desherren in den preuſsischen Staaten, so
bestimmt, daſs die in dem 14. Artikel der
BundesActe enthaltenen Bestimmungen nicht
nur namentlich auf dieselben angewandt, son-
dern auch theils näher bestimmt, theils er-
weitert wurden.
I) Die Grund- oder Patrimonial-
Herren sind Grundeigenthümer, adeliche
oder nicht adeliche, physische oder mora-
lische a) Personen, welche sowohl für ihre
Person, als auch für ihre grundherrlichen
Besitzungenb), besondere Rechte genies-
sen; theils weniger, theils geringere, als die
Standesherren c). II) Der Inbegriff dieser beson-
dern Personal- und Realrechte, heiſst Grund-,
Guts- oder PatrimonialHerrlichkeitd).
III) In mehreren Bundesstaaten, findet man
verschiedene Arten von Grundherren:
1) in Bundesstaaten auf der rechten Seite
des Rheins, a) theils solche, die bei Auf-
lösung der teutschen Reichsverbindung, nebst
[383]Die Grundherren.
ihren Besitzungen schon landsässig oder
reichsmittelbar, b) theils solche, die damals,
nebst ihren Besitzungen, zwar nicht mit
Reichsstandschaft versehen, aber doch reichs-
unmittelbarc) waren; 2) in Bundesstaa-
ten auf der linken Rheinseite, a) solche,
die vor der durch den lünéviller Frieden
(1801) erfolgten Abtretung an Frankreich,
landsässig, und b) andere, welche da-
mals reichsunmittelbar waren. IV) Der
Rechtszustand der Grundherren ist fest-
gesetzt, theils allgemein (dieses für die
vormals reichsunmittelbaren Grundher-
ren, theils auf der rechten, theils auf der
linken Rheinseite,) durch die teutsche Bun-
desActe, theils besonders, in ein-
zelnen Bundesstaaten staatsgesetzlich,
zum Theil auch vertragmäsig, und zwar
nicht selten auf verschiedene Weise. Von
beiden Arten von Bestimmungen, ist hier
zu handeln.
Die teutsche BundesActea) bestimmt,
allgemein, den Rechtszustand der jetzigen,
vormals reichsunmittelbaren Grund-
herren auf der rechten Rheinseite, und
zwar in der Regel nur derjenigen, welche,
nebst ihren Besitzungen, der Matrikel der
Reichsritterschaft einverleibt waren b),
auf folgende Art. I) In Absicht auf ihr per-
sönliches Verhältniſs, soll ihnen zustehen:
1) unbeschränkte Freiheit, ihren Auf-
enthalt in jedem zu dem Bund gehören-
den, oder mit demselben in Frieden leben-
den Staat zu nehmen; 2) privilegirter Ge-
richtstand.
II) In Ansehung ihrer grundherrlichen,
vormals reichsunmittelbaren Besitzungen,
soll ihnen zustehen: 1) Antheil der (land-
tagsfähig) Begüterten an Landstandschaft;
2) PatrimonialGerichtbarkeit; 3) Forst-
gerichtbarkeit; 4) OrtsPolizei; 5)
KirchenPatronat, jedoch so, daſs alle
diese Rechte nach Vorschrift der Landesge-
setze auszuüben sind; 6) privilegirter
Gerichtstand, in RealStreitigkeiten.
Endlich sollen, III) in Absicht auf ihre
vermischten Verhältnisse, nach den Grund-
sätzen der frühern teutschen Verfassung, 1)
ihre noch bestehenden FamilienVerträge
aufrecht erhalten werden. Auch soll 2) ihren
Familien die Befugniſs zustehen, über ihre
Güter verbindliche Verfügungen zu treffen;
doch müssen solche dem Staatsoberhaupt vor-
gelegt, und bei (und von) den höchsten Lan-
desstellen zur allgemeinen Kenntniſs und Nach-
achtung gebracht werden. 3) Alle bisher
dagegen (gegen die vormalige reichsadeliche
(25)
[386]II. Th. V. Cap.
Familien Verfassung) erlassenen Verordnun-
gena). sollen für künftige Fälle nicht wei-
ter anwendbar seyn.
I) Die Anwendung vorstehender Grund-
sätze, auf denjenigen ehemaligen reichs-
unmittelbaren (reichsritterschaftlichen)
Adel, welcher auf der linken Rheinseite
begütert ist, verordnet die BundesActe a) nur
in gewisser Art. Sie setzt fest, daſs hiebei
1) Beschränkungen statt finden sollen,
und zwar 2) diejenigen, welche die dort
bestehenden besondern Verhälnisse b) noth-
wendig machen c). Zugleich 3) erkennt
sie hiedurch, stillschweigend, an, die Wie-
derherstellung des, durch französische
Gesetze vernichtet gewesenen, niedern
Adelstandes, für jene Gutsbesitzer und
deren Familien d). II) Diese Vorschrift der
BundesActe, setzt nachfolgende nähere Be-
stimmungen des Rechtszustandes der ge-
nannten Gutsbesitzer voraus, welche, da sie
der Bundesversammlung nicht vorbehalten
[387]Die Grundherren.
worden, den neuen Landesherren überlassen
sind e).
I) Der Rechtszustand der Grundherren,
der ehehin landsässigen und reichsunmittel-
baren, ist überdieſs in einzelnen Bundesstaa-
ten staatsgesetzlich, hie und da zum
Theil auch vertragmäsig, und zwar nicht
[388]II. Th. V. Cap.
selten auf verschiedene Weise bestimmt a).
II) Zu staatsgesetzlichen Bestimmungen, in
Ansehung der, bei Auflösung der teutschen
Reichsverbindung, einzelnen Bundesfürsten
untergeordneten, vormaligen reichsunmittel-
baren Güter und deren Besitzungen, hatte
die rheinische BundesActe diesen Bundes-
fürsten freiere Hände, als bei den Standes-
herren, gelassen b).
I) Eine summarische Uebersicht der-
jenigen wichtigsten Bestimmungen, welche
in einzelnen Bundesstaaten für die Grund-
herren bestehen a). mit Andeutung der vor-
züglichsten Abweichungen, ist in mehr als
einer Hinsicht belehrend; wiewohl auch hier
jede Schluſsfolge von dem Besondern auf
das Allgemeine, sorgfältig zu vermeiden ist.
II) Dabei ist als bloſse Ausnahme von
der Regel zu betrachten, wenn etlichen Grund-
herrschaften, welche ehehin zwar in gewis-
ser Art zu der unmittelbaren Reichsritter-
schaft gehörten, aber doch zugleich einen
höhern Standpunct hatten, als die reichs-
ritterschaftlichen Ortsherrschaften, von dem
Oberlandesheran entweder Standesherrlich-
keit b), oder eine Art von Mittelstand zwi-
schen Standesherren und Grundherren c) ver-
lichen worden ist.
I) Jeder Staat hat nicht nur das Recht
der Oberherrschaft (imperium s. potestas
[392]II. Th. VI. Cap. Oberherrschaft
publica), den Inbegriff der oberherrlichen
Rechte zu dem Zweck des Staates a), son-
dern er ist auch fähig, Eigenthum zu
erwerben und zu besitzen (capax dominii).
II) Staatseigenthumsrecht (jus in pa-
trimonium reip.) ist die Befugniſs des Staa-
tes, alle Auswärtigen (Staaten und Einzelne)
von der Zueignung und dem Gebrauch des
Staatsgebietes und der darin befindlichen Sachen
auszuschlieſsen b). Gegenstände dieses Staats-
eigenthumsrechtes sind: nicht nur 1) das
Vermögen der staatsbürgerlichen Gesammt-
heit, das Staatsvermögen oder Staatsgut
in dem eigentlichen Sinn c) (patrimonium
reip. publicum), ein Inbegriff von Sachen,
deren Eigenthum dem Staat zusteht, so daſs
ihr eigenthümlicher Gebrauch, nach Art des
Privateigenthums, ausschlieſsend für den Staats-
zweck bestimmt ist; sondern auch 2) das
Vermögen der Privatpersonen, als solcher,
das Privatvermögen (patrimonium priva-
tum), welches als mögliches Mittel für den
Staatszweck, unter dem Schutz des Staates,
auch gegen Auswärtige, steht d); und selbst
3) die innerhalb des Staatsgebietes befindli-
chen herrenlosen Sachen (adespota).
Die letzten sind als nicht occupirt anzu-
sehen, nur in Ansehung des Staates und sei-
[393]und Staatseigenthumsrecht etc.
ner Bürger: in Hinsicht auf alle Auswär-
tigen, sind sie fremd oder occupirt c).
Das Staatseigenthumsrecht, in dem
oben angegebenen Sinn, ist, 1) kein Grund-
und Bodeneigenthum des regierenden
Subjectes oder seiner Familie, an dem ihm
unterworfenen Staatsgebiet a). Auch besteht
dasselbe 2) nicht in der Staatsgewalt
selbst, etwa als Eigenthum einer Indi-
vidualPerson oder Familieb), wie in
so genannten PatrimonialStaaten. Es ist viel-
mehr 3) ein Ausfluſs der Staatshoheit,
doch wesentlich unterschieden von der Ober-
herr chaft über Personenc). 4) Ob-
gleich keine Quelle von Hoheitsrech-
ten, wirkt es doch, daſs Auswärtige (Alle,
welche Mitglieder dieses Staates nicht sind)
das Staatsgebiet nach allen seinen Theilen,
und alle darin befindlichen Sachen, gleich-
viel ob solche Privat- oder Staatsvermögen,
oder Adespota sind, als schon occupirt, mit-
hin als fremd ansehen müssen, und in Hin-
sicht auf solche, ohne Erlaubniſs des Staates,
keine Art des Gebrauchs sich erlauben
dürfen.
I) Was der Regent, durch irgend einen
Rechtstitel, von Staatswegen erwirbt, wird
sofort Eigenthum des Staates, und gehört
zu dem Staatsvermögen a). Sind es Landes-
bezirke mit Souverainetät, so erfolgt ihre
Vereinigung mit dem Staatsgebiet in der
Regel ipso jure, und sie treten dann mit
solchem, im Zweifel, in volle Rechtsge-
meinschaft (§. 253, Note c). II) Da durch
den UnterwerfungsVertrag der Regent nur
die Vertretung und Regierung des Staates,
nach Erforderniſs des Staatszweckes, erhalten
hat, auch sein Recht, wie nach dem Natur-
recht jedes Vertragsrecht, bloſs persönlich,
und er nur dazu befugt ist, wozu er zugleich
auch verpflichtet ist; so steht ihm, den nicht
[397]und Staatseigenthumsrecht etc.
zu vermuthenden Fall eines PatrimonialStaa-
tes ausgenommen, wie eine willkührliche
Veräüsserung der Staatsvertretung und Staats-
regierung (§. 191), also auch eine willkühr-
liche Veräusserung des Staatsgebie-
tesb), ganz oder zum Theil, nicht zu c).
Es ist vielmehr das Einwilligungsrecht der
Unterthanen, oder ihrer Repräsentanten, in
Veräusserungsfällen dieser Art gegründet d).
So fern ein teutscher Bundesstaat ein Pa-
trimonialStaat wäre a), könnte dem Re-
genten die Befugniſs, sein Recht auf die Rechts-
vertretung und Regierung des Staates zu ver-
äussern, nach den Bedürfnissen des Staates
nicht abgesprochen werden b); vorbehalten
jedoch die Einwilligung derer, welchen ein
vertragmäsiges SuccessionsRecht zusteht c).
Ein wichtiger Bestandtheil des Staatsver-
mögens, sind die Domänena), Kron-,
Staats- oder Kammergüter, Grundeigen-
thum des Staates, zum Theil verbunden mit
grundherrlichen Gerechtsamen b), dessen Er-
trag zu dem Staatsaufwand bestimmt ist c).
Sie unterscheiden sich wesentlich, nicht
nur von Privat- oder ChatoulieGütern des
Regenten d), sondern auch von Hoheitsrech-
ten, auch den einträglichen, und von dem
FiscusGut e) (§. 258). Die Einkünfte der
Domänen, gehören zu dem Staats ein-
kommen f).
Die Substanz der Domänen ist, in der
Regel, unveräusserlich a). Wo sie aber, kraft
des particulären Staatsrechtes, Eigenthum des
Regenten b), oder fideicommissarisches Fami-
lien Eigenthum des Regenten Hauses c) sind,
gesetzt auch, daſs etwa, aus andern Grün-
den, einem Dritten SuccessionsRechte darauf
gebührten, steht der Verausserung kein Hin-
derniſs im Weg d), sobald dieselbe dem Staats-
zweck nicht entgegen ist, und in dem zwei-
ten Fall Einwilligung der SuccessionsBe-
rechtigten hinzukommt e). Wider unrecht-
mäsige Veräusserung, steht dem Nachfolger
[403]und Staatseigenthumsrecht etc.
in der Regierung die RevocationsBefugniſs
zu f).
Privatgut ist Alles, dessen Eigenthum
Privatpersonen, als solchen, zusteht. Dahin
gehört in dem Staatsgebiet das Vermögen,
welches Eigenthum physischer oder morali-
scher Privatpersonen ist, namentlich das Kir-
chen- und fromme Stiftungsgut, auch das
Privat-, Patrimonial- oder ChatoulleVermö-
gen des Regenten. Mittelbares Staatsver-
mögen, nennen Einige das Vermögen der
städtischen und BauerGemeinheiten, auch das-
jenige der milden oder frommen Stiftungen
für Religion, geistige Cultur, oder Wohl-
thätigkeit gegen Hülfbedürftige a); so daſs,
bei zweckmäsiger Verwaltung, das Vermö-
gen der ersten zu den Kosten der örtlichen
Rechts- und Polizeipflege, dasjenige der letz-
ten, welches stets als heilig und unantast-
bar sollte behandelt werden, zu Lehr-, Er-
ziehungs- und UnterrichtAnstalten, mitver-
wendet zu werden pflegt.
I) Landesherrliches Privat-, Patrimo-
nial oder ChatoulleGuta), denkbar auch
in einer erblichen Monarchie, heiſst das Pri-
vateigenthum des Regenten. Dieser hat deſs-
halb, der Regel nach, Eigenschaft und Rechte
eines Privatmannes. Zu Veräusserung, auch
[407]und Staatseigenthumsrecht etc.
Lehnreichung der ChatoulleGüter, bedarf
er reichs- oder landständischer Einwilligung
nicht b); der agnatischen, und auch der lehn-
herrlichen, nur dann, wenn sie Familien-
Fideicommiſs, oder lehnbar sind c). Die lan-
desherrliche Chatoulle (principis ratio) ge-
nieſst, nach Vorschrift der römischen Ge-
setze, und nach teutschem Gerichtsgebrauch,
jura fiscid). So auch die Chatoulle der
landesherrlichen Gemahlin und des Thron-
folgerse) (Augustae et Caesaris ratio). Das
Privatgut des Regenten, ist bei seinem Ab-
leben als PrivatNachlaſs zu behandeln
(§. 180). II) Auch die RegentenFami-
lie kann eigene FamilienGüter besitzen f),
mit oder ohne Fideicommiſs- oder Lehn-
verbindung, abgesondert von den Staats-
Domänen und von dem Privatvermögen des
Regenten.
I) Das Staatsgebiet und jede Sache, welche
sich darin befindet, sind, wegen des darauf
sich beziehenden Staatseigenthumsrechtes (§.
248, 249), in Ansehung aller Auswärti-
gena) als fremd oder occupirt zu be-
trachten. Das Meiste hievon ist entweder
Privateigenthum (§. 254, 255), oder Staats-
vermögen (§. 248, 252). Was keines von
beiden ist, heiſst herrenloses Gut (ἀδέσ-
ποτον) b). Adespota sind also Sachen, in-
nerhalb eines Staatsgebietes, die weder zu
dem Privateigenthum, noch zu dem Staats-
vermögen gehören. Sie sind als nicht occu-
pirt anzusehen, nur in Ansehung des Staa-
tes und seiner Bürger, nicht in Hinsicht auf
Auswärtige. II) Sie unterscheiden sich von
Niemand gehörigen Dingen (rebus nul-
lius), als nicht occupirten Sachen ausserhalb
eines Staatsgebietes; und III) von so genann-
tem erblosem oder vacantem Gut oder
Nachlaſs (ledig Gut, bona vacantia), wel-
ches der Staat, kraft eines positiven subsi-
diarischen Erbrechtes, sich zueignet.
I) Adespota, die als Zuwachs (jare
accessionis) zu dem Privateigenthum, oder
zu dem Staatsvermögen im eigentlichen Sinn,
kommen, sind als der Hauptsache einverleibt,
als Bestandtheil derselben zu betrachten; es
findet also forthin ein OccupationsRecht deſs-
halb nicht statt. II) Gleiche Befugniſs zur
Occupation der Adespoten, haben, wenn
das particuläre Staatsrecht keine andere Be-
stimmung giebt a), die einzelnen Bürger,
und der Staatb); dieser, weil er des Erwerbs
auf gleiche Art, wie jene, fähig ist, beide, weil
eine besondere Zueignung dieser Sachen, in-
nerhalb des Staatsgebietes, noch nicht erfolgt
ist. III) Auswärtige sind nicht befugt,
Adespota sich zuzueignen c) (§. 266).
IV) In Absicht auf Niemand gehörige
Sachen (res nullius), hat jeder Staat, jedes
physische oder moralische Individuum, glei-
ches OccupationsRecht. Es entscheidet also
das Zuvorkommen (res cedit primo occupanti).
V) Auf vacantes Gut oder so genannten
erblosen Nachlaſs (bona vacantia), wozu
[412]II. Th. VI. Cap. Oberherrschaft
ein ordentlicher Erbe (Intestat-, Testament-
oder Vertragserbe) nicht vorhanden ist, eig-
nen die heutigen Staaten dem Fiscus ein sub-
sidiarisches oder ausserordentliches Erbrecht
zu a), so wie VI) ein ausschlieſsendes Occu-
pationsRecht in Hinsicht auf verlassene
Sachen b) (res derelictas). VII) Alles, was
das particuläre Staatsrecht dem Fiscus zueig-
net, heiſst FiscusGutc) (bona fiscalia), z. B.
lediges, verlassenes, verwirktes Gut (bona
vacantia, derelicta, ereptitia), Schätze, ge-
fundene Sachen, was das Meer auswirft, Bern-
stein, schiffbrüchige Güter (wo das Strand-
recht, die Grundruhr gilt), Perlen und Gold-
sand in Privatwasser, u. d. d).
I) Der reine Bestand des Staatsvermögens
ergiebt sich, nach Abzug der Staatsschul-
den. Eigentlich so genannte Landesschulden a),
Kammerschulden b), Landschaftschulden, da
wo Landstände sind, subsidiarisch auch Schul-
den, welche StaatsInstitute unter Garantie
des Staates contrahirt haben, gehören in die
Classe der Staatsschulden c); nicht so Privat-
und Familienschulden des Regenten d), auch
nicht Aemter- und Gemeindeschulden. II)
Staatsschulden werden, vermöge der Regen-
tenpflicht, gültigerweise contrahirt, aus recht-
fertigender Ursache c), mit Beobachtung der
in der StaatsverfassungsUrkunde, oder in den
Hausgesetzen des Regenten vorgeschriebenen
Förmlichkeit f). Rechtfertigende Ursache
ist jedes wahre, unmittelbare Staatsbedürfniſs.
Dahin gehören: 1) unzweifelhafte, bleibende
Landesverbesserung; 2) Tilgung rechtmäsiger
Staatsschulden; 3) Rettung des Staates, des
Regenten, oder seines vermuthlichen Nach-
folgers, aus groſser Gefahr oder Beschädi-
gung. III) Staatsschulden werden errichtet,
[414]II. Th. VI. Cap. Oberherrschaft
bald auf bloſsen Staatseredit (unfundirte Staats-
schulden), bald mit General- oder Special-
Hypothek, auf bestimmte Staatsgüter, Pro-
vinzen, Aemter, Cassen oder Staatseinkünfte,
die den Staatsgläubigern zu sicherer Bezah-
lung des Capitals und der Zinsen dienen
sollen g) (fundirte Staatsschulden).
IV) Bei Staatsschulden, lautet die Ver-
briefung (Staatsobligation, Staatspapier,
Banknote), entweder auf einen namentlich
darin angegebenen Gläubiger, oder auf jeden
Inhaber (au porteur, Papiergeld). V) Die
Zahlunga) wird gestellt, auf Sicht; auf
bestimmte Zeit nach Sicht; auf Capitalfuſs
(nach Ablauf der stipulirten Zeit, nach Maas
und Münze, wie die Anleihe geschah); auf
Anticipationen oder Abtragung des ganzen
Capitals nebst Zinsen, von einem bestimm-
ten Einkommen des Staates, binnen kurzer
Frist; auf Jahrgefälle (Annuitäten, Zeitren-
ten, Renten, die nur während einer be-
stimmten Reihe von Jahren bezahlt werden,
ohne Rückzahlung des Capitals); auf Leib-
renten; auf Tontinen; auf Lotterie, u. d. d).
VI) Der Staat hat, in der Regel, dieselben
Rechte und Pflichten wie ein Privatgläubi-
ger. VII) Von der Verbindlichkeit des Re-
gierungsfolgers, die Schulden seiner Vorfah-
ren zu bezahlen, wird oben gehandelt (§. 189).
I) Die Staatsverwaltung (administratio
reip.) besteht in rechtmäsiger und zweckgemäser
Ausübung der StaatsHoheits- und Eigenthums-
rechte, nach dem innern und äussern Verhältniſs
des Staates. II) Die Staatsform (forma civi-
ratis s. reipublicae, §. 07) ist in den Erb-
staaten des teutschen Bundes monarchisch
(monokratisch), in den freien Städten repu-
blikanisch (§. 177—179). III) Die Verwal-
tungsform (forma administrationis), die
Art der Staatsverwaltung (Verwaltungsord-
(27)
[418]II. Th. VII. Cap.
nung, Administration), ist nicht überall
dieselbe. IV) Wo Landstände sind, ge-
bührt diesen eine verfassungsmäsige Mitwir-
kung bei Ausübung bestimmter Hoheitsrechte
(§. 226).
In jeder mit Volksvertretung versehener,
also verfassungsmäsig eingeschränkter Monar-
chie, sollte, wie in England, das Staats-
Ministerium und, so viel seinen Wir-
kungskreis betrifft, Jeder von den ober-
sten Staatsbeamten, nicht bloſs der Per-
son des Regenten, sondern auch den Stell-
vertretern des Volkes, gesetzmäsig verant-
wortlich seyn, sowohl für Zweckmä-
sigkeit, als auch, und zwar vor einer
richtenden Behörde, für Gesetzmäsig-
keit oder Uebereinstimmung der Regenten-
handlungen (sowohl Begehungs- als auch
Unterlassungshandlungen), mit der Verfassung
und den Gesetzen des Staates a). Mit Hülfe
dessen, [b]efindet sich dann der Monarch,
der Mittelpunct der Macht und Majestät der
Nation, in eine Art von Allerheiligstem ver-
setzt, unerreichbar für den Stoſs politischer
Bewegungen.
I) Die oberste Leitung der Staats-
verwaltung, liegt in der Hand des Sonve-
rains, dessen Subjectivität hier vorzüglich
in Betrachtung kommt a). II) Er ernennt
Staatsbeamte; denen, bald einzeln, bald
in StaatsCollegien vereinigt (Administra-
tion durch Einzelne, und CollegialAdministra-
tion durch Haupt-, Neben- und FilialColle-
gien), die Staatsgeschäfte, inländische
und auswärtige, nach bestimmter Einrich-
tung der Staatsverwaltung, übertragen wer-
[420]II. Th. VII. Cap.
den. III) In der Art, wie die Besorgung
der Staatsgeschäfte den Staatsbehör-
den obliegt, unterscheidet man 1) Col-
legial System, das heiſst, Behandlung der
Staatsgeschäfte durch Collegien, in welchen
die Beschlüsse, nach gemeinschaftlicher Be-
rathung, durch Stimmenmehrheit gebildet
werden; 2) Einheit- oder Büreau System,
das heiſst, Behandlung der Staatsgeschäfte nach
dem Willen Einzelner (en bureau), deren Ge-
hülfen bloſs berathende Stimmen eingeräumt
sind b); 3) Mittelweg oder zweckmäsige
Vereinigung beider Systeme, indem manche
Arten von Staatsgeschäften durch colleginlisch
berathende und bestimmende, andere durch
einzeln ausführende Staatsdiener behandelt
werden, damit Reife und Sicherheit der Be-
urtheilung mit zweckmäsiger Beschleunigung
der Geschäfte verbunden werde c).
In einem gröſsern Staat, kann folgende
[...]theilung der Staatsbehörden statt
finden.
Der Souveraina),
umgeben von
Ministern StaatsSecretärenb).
Unter
Seinem Vorsitz
versammelt sich, zur Berathschlagung über
die wichtigsten Staatsangelegenheiten,
der Staatsrath.
I) Die verschiedenen Zweige der Staats-
verwaltung sind: 1) die auswärtigen,
2) die innern Staatsverhältnisse. Zu den
ersten gehören alle Verhandlungen mit an-
dern Staaten, in friedlichen und kriegerischen
Verhältnissen. Zu den letzten gehören: Ge-
setzgebung, Staatswirthschaft mit Inbegriff
der Finanzen, innere Sicherheit und Wohl-
fahrt, bürgerliche und peinliche Rechts-
pflege, Lehn- und ReligionsSachen. Dem-
nach sind die ordentlichen Staatsbe-
hördena), folgende:
II) In gröſsern Staaten, bisweilen auch
in verhältniſsmäsig kleinern, sind für die ver-
schiedenen Zweige der Staatsverwaltung, als
oberste Staatsbebörden folgende Staats-
Ministerien angeordnet b): 1) der aus-
[424]II. Th. VII. Cap.
wärtigen Angelegenheiten; 2) der Justiz;
3) der Finanzen; 4) des Innern (im ein-
geschränkten Sinn); 5) des Kriegs. Hiezu
kommen, in manchen Staaten, noch eigene
StaatsMinisterien für die Polizei und für
die geistlichen oder CultAngelegenheiten;
das letzte etwa mit Inbegriff des öffentlichen
Unterrichtes und Erziehungswesens, welche
ausserdem entweder dem PolizeiMinisterium
oder dem Ministerium des Innern, so wie
die Lehnsachen demjenigen der Justiz,
anvertraut werden. III) Ein StaatsMini-
sterium besteht gewöhnlich, aus einem
StaatsMinister, einem GeneralDirector, meh-
reren MinisterialRäthen, einem GeneralSe-
cretär, u. s. w.
I) Einheit und Uebersicht, Zeit- und
Kostenersparniſs fordern, daſs die Staatsver-
[427]StaatsVerwaltungsform.
waltung gerade nur in so viel Abthei-
lungen getrennt, und unter so viel Colle-
gien und Einzelne vertheilt werde, als zu
ordentlicher und schleuniger Bearbeitung
nöthig sind a). Zu groſse Vervielfältigung
der Staatsbehörden, vermehrt die Verwicke-
lung der Verhältnisse in der Staatsverwaltung.
Uebertriebene Centralisirung, hindert oder
erschwert die Aufsicht über die Unterbehör-
den. Zu weit getriebene Trennung und Ab-
grenzung der einzelnen Verwaltungszweige,
vervielfältigt ohne Noth die Mittheilungen,
folglich die Geschäfte. II) In kleinern
Staaten, oft auch in gröſsern, können, müssen
daher mehrere, höhere und niedere Staats-
behörden vereinigt seyn b) (vermischte
oder cumulative Behörden). Doch ist
nicht rathsam, Justizbehörden mit Regie-
rungs- und Finanzbehörden zu vereinigen.
Reine Absonderung, findet sich am allge-
meinsten bei Militärbehörden. III) Auch kön-
nen, ausser den permanenten Behörden,
für einzelne Aufträge oder Geschäftzweige,
ausserordentliche und provisorische
Behörden verordnet seyn.
Für manche Staatsangelegenheiten, werden
zuweilen ein für allemal, beständige Com-
missionen, auch Neben- oder Filial Col-
legien, angeordnet. Für einzelne, vorüber-
[429]StaatsVerwaltungsform.
gehende Angelegenheiten, werden Commis-
sionen in dem eigentlichen Sinn, ernannt a),
mit oder ohne Subdelegations Recht.
Die Commissionen sind bestimmt, bald für
Justizsachen, bald für andere Gegenstände
der Staatsverwaltung; in dem ersten Fall,
entweder von Amtswegen, oder auf Begeh-
ren einer, oder beider Parteien; es sey für
die ganze Sache, oder für einzelne Verhand-
lungen. Auch unterscheidet man, hin und
wieder, Hof- und LocalCommissionen. Meh-
rere Commissarien für denselben Gegenstand,
werden entweder als gemeinschaftlich bestellt,
oder mit der Clausel: sammt und sonders,
oder: sammt oder sonders.
I) Wichtig für die öffentliche Gesohäft-
führung, sind die StaatsArchivea) (charto-
phylacea, tabularia s. chartaria publica), unter
Auctorität des Staates errichtete Gebäude oder
Gemächer, für Aufbewahrung der Urkunden
[430]II. Th. VII. Cap.
und Acten, unter Aufsicht verpflichteter Ar-
chivare. II) Dem Regenten allein steht das
Archivrechtb) (jus archivi) zu, die Be-
fugniſs, öffentliche Archive zu haben, ihnen
öffentliches Ansehen zu verleihen, und für
die darin aufbewahrten, an sich unverdäch-
tigen Urkunden, die Rechtsvermuthung der
Aechtheit zu verordnen c). III) Auch land-
ständischen und andern Corporationen. Stadt-
und Grundobrigkeiten, kann dieses Recht,
untergeordnet, in bestimmter Art verliehen
werden d).
IV) Meist hat ein Staat mehrere Archive,
ein General- oder HauptArchiv, und meh-
rere Particulär- oder NebenArchive, Pro-
vinzial-, Kreis-, Regierungs-, Kammer- u. d.
Archive. Für alle hat man hie und da eigene
ArchivOrdnungena), worin der Archiv-
Plan, die äussere und innere Einrichtung b),
die Pflicht der Archivare, u. d. bestimmt
sind c). V) Von den Archiven unterscheiden
sich die öffentlichen Registraturen oder
Reposituren (ältere, und laufende oder cur-
rente) der LandesCollegien und LocalBehör-
den, auch der städtischen, der Landschaften,
Universitäten, Standes- und Grundherren, u. a. d).
Uneigentlich werden solche zuweilen Ar-
chiv genannt, z. B. Amts-, Kloster- u. d.
Archiv.
I) Eine Wirkungs- oder Geschäft-
Bezirkordnung (Abgrenzung des Ge-
schäftkreises, Competenz- oder RessortRegle-
ment) bestimmt den Dienstkreis, das heiſst,
den Umfang der amtlichen Wirkungsbefug-
niſs der höhern Staatsbehörden, in Ansehung
sowohl der Gegenständea). als auch der
Amtsuntergebenen. II) Einzelne Staats-
beamte und niedere Behörden, erhalten eine
Dienstordnung oder Verwaltungs Vor-
schrift (Instruction); wobei der Kleinig-
keitsgeist, welcher in regierungsreichen Zeiten
und bei Regierungssüchtigen leicht überhand
nimmt, zu vermeiden ist, damit die Selbst-
thätigkeit, das freie, nützliche Wirken des
Geistes, bei dem Staatsdiener nicht gehin-
dert werde. III) Alle Staatsdiener sind der
Aufsicht des Souverains unterworfen, in
Hinsicht auf Erfüllung der Amtspflicht, auch
auf Privatleben, so fern dieses auf Amtsan-
sehen und Amtstreue nachtheilig wirken
könnte. Bestimmte Amtsgeschäfte, können
fortwährend einer Controle unterworfen
werden b). Diese, so wie die periodische
Revision und Visitation, ist so einzu-
(28)
[434]II. Th. VII. Cap.
richten, daſs wechselseitiges Vertrauen und
Ehrgefühl dabei bestehen können. Militä-
rische Behandlung, verträgt sich nicht mit
dem intellectuellen Staatsdienst, und pedan-
tische Uebertreibung der formalen Pünct-
lichkeit schadet der Sache. IV) Auf das
heiligste und einfachste, selbst wider den
Regenten, sey gesichert, die Verantwort-
lichkeit pflichtvergessener (§. 262), und
die Unverletzlichkeit pflichtgetreuer
Staatsbeamten. V) Wider Miſsbräuche und
Bedrückungen der Staatsbeamten, dient der
Recurs an die höhern Staatsbehörden, auch
an den Regenten.
In der Staatsgewalt ist begriffen, die Be-
fugniſs, nicht nur I) das Ceremoniel und
Titulaturwesen in dem öffentlichen Ge-
[435]StaatsVerwaltungsform.
schäftsgang zu bestimmen (§. 112), sondern
auch II) über den Gebrauch einer bestimm-
ten Sprache oder Sprachform, in schrift-
lichen und mündlichen Verhandlungen zu
verfügen a) (SprachenRegal, jus idiomatis, jus
principis circa linguam). Dahin gehören Ver-
ordnungen über die Sprache, welche in Staats-
verhandlungen, von oder bei Staatsbehörden,
bei dem öffentlichen Unterricht, bei der
öffentlichen Gottesverehrung, an dem Hof,
in Handelsbüchern u. d. gebraucht werden
soll b), Entscheidung erheblicher Streitigkei-
ten der Sprachlehrer und Sprachforscher, u. d.
Zu dem Zweck der Staatsverwaltung, die-
nen eigene TerritorialEintheilungen
oder geographisch-politische Abtheilungen
des Staatsgebietes, z. B. in Provinzen, Kreise,
Oberämter, Ober- oder Landvogteien, Land-
gerichte, Aemter, Gerichte, Städte, Flecken,
Dörfer, Bauerschaften; oder in Departemente,
Districte, Cantone und Municipalitäten a);
desgleichen in Immediat- und MediatBezirke,
z. B. standesherrliche und grundherrliche; auch
in Städte und plattes Land b).
Der Grund der StaatsHoheitsrechte, als
der Mittel zu dem Zweck, ist die unab-
hängige Staatsgewalta) (§. 97 ff.). Durch
diese wird der wesentliche Charakter der
StaatsHoheitsrechte bestimmt, und der Um-
fang derselben begrenzt. Wenn man aber,
in teutschen Staaten, unter den so genann-
ten lucrativen oder Kammer Regalien
einige bemerkt, die eigentlich nur Patri-
monialRechte sind, und ursprüglich bloſs
Ausflüsse des Eigenthums waren, so haben
sie den Namen Regalien, sobald sie in den
Händen des Staates sich befinden, durch Ver-
wechslung der Begriffe erhalten, und verjähr-
ter Gebrauch, selbst der Regierungen, hat den
Besitzstand des Wortes gesichert. Wiewohl
man solche Rechte, in dem System eines posi-
[438]II. Th. VIII. Cap. Verhältniſs zwischen
tiven Staatsrechtes, nunmehr in der Reihe
der Hoheitsrechte nicht vermissen darf, so
ist doch, vorzüglich bei ihnen, eine richtige
Bestimmung der Grenze zwischen Staats-
Hoheit und PrivatEigenthum wichtig b).
I) Alle wahren Hoheitsrechte flieſsen aus
der Staatsgewalt (§. 97 u. 273), nie aus
dem Grundeigenthum a). II) Die Herrenlo-
sigkeit einer Sache, begründet an sich nicht
die Regalität derselben b). III) Da der Name
die Sache zu ändern nicht vermag, so treten
Privatrechte, die bei Verleihung oder
[439]StaatsHoheits- u. Eigenthumsrechten.
Vertheilung des Privateigenthums, von dem
Staat vorbehalten wurden, darum nicht
in die Classe der Regalien. IV) Die Hoheits-
rechte erstrecken sich über das ganze
Staatsgebiet, über alle darin befindlichen Per-
sonen und Sachen, auch die Privatgüter des Re-
genten (§. 255). V) In Ansehung der unverleih-
baren Hoheitsrechte, ist der Regent allein an
die Grundsätze des Staatsrechtes gebun-
den. VI) Alle Einkünfte von Hoheitsrechten,
gehören zu dem Staatseinkommen. VII) Un-
bedingte Verleihung oder Veräusserung
der Hoheitsrechte, findet nicht statt (§. 101).
I) Die aus dem Grundeigenthum flies-
senden Rechte, unterscheiden sich, wesent-
lich von der Einwirkung der Staatshoheit
auf dieselben, und von den darauf haften-
den öffentlichen Abgaben und Dien-
sten, welche der Staatszweck nöthig macht a).
[440]II. Th. VIII. Cap. Verhältniſs zwischen
II) Die Rechtsvermuthung streitet wider
den Regenten und den Fiscus, und es liegt
diesem der Beweis ob, wenn derselbe wahre
Ausflüsse des Privateigenthums, oder
Gerechtsame, welche in die natürliche Frei-
heit der Staatsbürger eingreifen, als Staats-
Hoheitsrecht, als Staatsvermögen, oder als
landesherrliches Privateigenthum in Anspruch
nimmt b).
III) Die Anzeige des Rechtstitels,
kann der Regent, oder in seinem Namen der
[441]StaatsHoheits- u. Eigenthumsrechten.
Fiscus, von jedem Staatsbürger fordern, wenn
die Rede ist von einem unverleihbaren
StaatsHoheitsrechta) (§. 101). IV) Nicht so
bei verleihbaren Regalien (§. 101), oder
an sich zulässigen Immunitäten, in deren
ruhigem und untadelhaftem Besitz ein Staats-
bürger sich befindet b). Vielmehr kann dieser
deſshalb, in dem Fall einer Besitzstörung,
gegen den Fiscus, die Kammer, die Privat-
güterVerwaltung (die Chatoulle), sich aller
Possessorischen Rechtsmittel bedie-
nen c). V) Verleihbare Regalien und
Immunitäten, können durch unvordenk-
liche Verjährung erworben werden d).
I) Die Eigenthums Verhältnisse des
Staatsvermögens, so wie des Privateigenthums
[443]StaatsHoheits- u. Eigenthumsrechten.
des Regenten und seiner Familie (§. 255),
sind, in der Regel, nach dem gemeinen Pri-
vatrecht des Staates zu beurtheilen. II) Strei-
tigkeiten darüber gehören, als Privatsachen,
vor die competenten LandesJustizbehörden.
III) Ist die Verwaltung jenes Eigenthums,
derselben Behörde übertragen, welche
StaatsHoheitsrechte zu verwalten hat, so ist
dieselbe, bei der Mehrheit ihrer Repräsen-
tation, in jedem einzelnen Fall nur nach
demjenigen ihrer Verhältnisse zu beurtheilen,
oder zu behandeln, in welchem sie handelt,
oder in Anspruch genommen wird. IV) Alle
grundherrlichen Berechtigungen des
Staates, so auch des Regenten und seiner
Familie, nach ihren Privatverhältnissen, ins-
besondere PatrimonialDienste und Patrimo-
nialAbgaben, sind Privatrechte.
Höchste Oberaufsicht des Staates a),
die oberaufsehende Gewalt (potestas inspiciendi
suprema, jus supremae inspectionis), ist das
Recht fortwährender wirksamer Aufmerksam-
keit auf Alles, was auf den Zweck des Staa-
tes Einfluſs haben kann b). Beobachtend, muſs
sie jeder Anordnung und Vorschrift voraus-
gehen, und deren Vollziehung und Erfolg
begleiten.
Begriffen ist darunter: 1) das Recht, dem
Zweck gemäſs, von Allem Kenntniſs zu
nehmen, was in Absicht auf Erreichung
des Staatszweckes wichtig ist a). Diesem Recht
entspricht die Pflicht der Unterthanen, zu
Mittheilung der in jener Hinsicht nöthigen
Nachrichten, aufgefordert oder nicht; 2) das
Recht zu billigen, zu genehmigen, zu
bestätigenb), was dem Staatszweck gemäſs,
3) zu miſsbilligen, aufzuschieben, zu
hintertreiben, zu untersagen, zu ver-
nichten, was ihm zuwider befunden wird,
besonders das, was die Sicherheit Aller, oder
Einzelner bedroht. 4) Zu veranlassen,
was mittelbar oder unmittelbar zu Erreichung
des Staatszweckes dienen kann c).
I) Nur da, wo sie Pflicht dazu hat, ist
die Regierung zu Ausübung dieses allgemei-
nen Hoheitsrechtes befugt a). II) Ueber Ge-
bühr darf, durch Ausübung desselben, die
natürliche Freiheit der Bürger nicht be-
schränkt werden, besonders in Privat- und
FamilienAngelegenheiten b), in Religionssa-
chen, in Sachen der Autonomie c). III) Auch
Gesellschaften, öffentliche d), private,
geheime e), gleichviel ob diese nur ihren
Zweck, oder auch ihr Daseyn verheimlichen,
auch religiöse f), und milde StiftungsSocie-
täten g), dürfen der Aufsicht und Prüfung
des Staates sich nicht entziehen, wenn sie
auf Duldung und Schutz Anspruch machen.
Der zweite allgemeine Bestandtheil der
Staatsgewalt, ist die gesetzgebende Ge-
walt a) (potestas leges ferendi), die Befugniſs,
Normen dem Staatszweck gemäſs festzu-
setzen, für Alles, was der Staatsgewalt unter-
worfen ist. Bestimmungen dieser Art, heiſsen
Gesetzeb). Sie sind so mannigfaltig, als
die innern besondern Gegenstände der Staats-
gewalt. Ihr verbindender Grund, liegt
in dem von Staatswegen erklärten Gebot
des Staatszweckes c). Auch stillschwei-
gend, kann diese Erklärung geschehen; in
welchem Fall die durch die That als ver-
bindlich angenommene Norm, Rechtsge-
wohnheit (consuetudo), und das daraus
entspringende Recht. Gewohnheitsrecht
(jus consuetudinarium) heiſst d).
Die Kraft der positiven Gesetze, ist einge-
schränkt auf die Grenze des Staatsgebietes a).
Aber die von dem Regenten erklärte Aufnah-
me fremder Gesetze, gilt für eigene Gesetz-
gebung b). Die Verbindlichkeit der Ge-
setze fängt an, mit ihrer öffentlichen Be-
kanntmachungc) (Promulgation), und
dauert, bis eine Aufhebung oder Abände-
rung d), ausdrücklich oder stillschweigend,
erklärt wird. Bestimmende (authentische)
Auslegung der Gesetze, gebührt allein dem
Gesetzgeber. Unbeschadet der Befugnisse und
der Rechte Dritter, können Corporationen
und Einzelne, durch Willenserklärung, in
Absicht auf Personen und Eigenthum, rechts-
gültige Bestimmungen machen e) (Autono-
[451]gesetzgebende, vollziehende Gewalt.
mie). Ob und wie fern Landstände, bei
der Gesetzgebung mitzuwirken haben? be-
stimmt die Landesverfassung (§. 226).
Allgemeinheit der Gesetze a), gleiche
Berechtigung und gleiche Verpflichtung aller
Unterthanen in gleicher Lage, ist Regel b).
So weit der Grund der positiven Privatgesetze
auf den Regenten Anwendung findet, ist
auch er zu deren Beobachtung verpflichtet c),
und seine DispensationsBefugniſs berechtigt
ihn nicht zu unbedingter Gesetzlosigkeit. Eine
solche, kann nicht Mittel seyn zu Erreichung
des Staatszweckes; wofür im Gegentheil der
Regent selbst, die positiven Privatgesetze
erklärt.
I) Die Befugniſs, zu Ausführung und An-
wendung der, dem Staatszweck gemäſs, fest-
gesetzten Normen, die nöthige Anordnung
zu machen, heiſst höchste vollziehende,
vollstreckende, ausübende, zwingende Ge-
walta) (vollziehende Gewalt in dem weitern
Sinn, potestas exequendi suprema s. genera-
liter definita, pouvoir exécutif). II) Die höchste
[455]gesetzgebende, vollziehende Gewalt.
ExecutivGewalt beschränkt sich auf die
allgemeine Veranstaltung und Sorge, daſs
fortwährend die Bestimmungen der gesetz-
gebenden Gewalt zur Ausführung kommen,
daſs nicht nur rechtskräftig das Verhältniſs
einzelner Fälle zu dem Gesetz bestimmt werde,
sondern auch in den einzelnen Fällen dasjenige
geschehe, was das Gesetz bestimmt. Die
Politik räth, selbst in monarchischen Staa-
ten, die Trennung der gesetzgebenden
und der vollziehenden Gewalt b).
In Hinsicht auf einzelne Fälle, wird den
hiezu bestimmten Staatsbehörden, die Voll-
ziehungs- oder ExecutionsBefugniſs
(vollziehende Gewalt in dem engern Sinn,
untergeordnete vollziehende Gewalt, potestas
exequendi subordinata s. specialiter definita)
[456]II. Th. X. Cap.
innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises
übertragen. Durch diesen Theil der Regen-
tenGewalt, wird das Ansehen der Gesetze
(auctoritas legum) erlangt. Demselben ent-
spricht, die Pflicht der Unterthanen zu bür-
gerlichem Gehorsam (obsequium civile).
I) Zu Verhütung der Eigenmacht und
Selbsthülfe, zu Untersuchung der Rechtshän-
del und Verbrechen, zu Bestimmung des strei-
tigen Rechtes, und zu Bestrafung der Ver-
brechen, auch zu Verhütung möglicher Rechts-
verletzungen und Streitigkeiten. die nöthigen
Anstalten, Verfügungen und Vorkehrungen
zu machen, ist die Befugniſs der Justiz-
hoheita) (potestas judiciaria suprema seu
sublimis). II) In dem weitern Sinn, wird
auch das Recht, Gesetze für Rechtsachen
[457]Justizhoheit.
zu geben, darunter begriffen. In diesem Sinn,
heiſst Civil Justizhoheit das Recht, Civil-
Gesetze zu geben, und die Rechtspflege in
Sachen der bürgerlichen, sowohl contentiosen
als auch freiwilligen Gerichtbaikeit anzuordnen
und zu verwalten: heiſst CriminalHoheit
oder CriminalGewalt das Recht, peinliche Straf-
gesetze zu geben, und die Strafgerechtigkeits-
pfloge anzuordnen und auszuüben. III) Die Aus-
übung der Justizhoheit, ist eingeschränkt auf das
Inlandb). Aber die Wirksamkeits rechts-
kräftiger Erkenntnisse des gehörigen
Richters, sollte, wie diejenige rechtsgültiger
Verträge, allenthalben anerkannt werden c).
IV) Den Fall einer nothwendigen Proroga-
tion, oder auswärtiger, fortwährender oder
vorübergehender, Unterthanverhältnisse ab-
gerechnet, ist ein Staat nicht schuldig zu
leiden, daſs seine Unterthanen, als Beklagte,
vor auswärtige Gerichte gezogen werden
(jus de non evocando).
I) Zu der Justizhoheit gehören: die An-
ordnung der Gerichte, in mehrern In-
stanzen a); die Aufsicht über die Gerichte,
sowohl über die dabei angestellten Personen, als
auch über die gesetzmäsige Rechts- u. Geschäft-
pflege; die Bestimmung der untergeordneten
richterlichen Gewalt oder der Gericht-
[459]Justizhoheit.
barkeitb) (potestas judiciaria subordinata,
s. subalterna, jurisdictio). II) Alles dieses,
in bürgerlichen streitigen Rechtssachen c)
(CivilGerichte und CivilGerichtbarkeit, juris-
dictio civilis contentiosa); in peinlichen
Sachen (CriminalGerichte und Gerichtbarkeit,
jurisdictio criminalis); in nicht streitigen
Sachen, in Sachen der so genannten frei-
willigen Gerichtbarkeit (Rechtspolizei, ju-
risdictio civilis voluntaria), zu Verhütung
möglicher Rechtsverletzungen und Streitig-
keiten.
Die Gerichtbarkeit wird verwaltet a), 1) ent-
weder vermöge eines von dem Regenten er-
haltenen Auftrags, als Amtspflicht, von lan-
desherrlichen JustizCollegien oder Justizbe-
amten (jurisdictio administratoria), 2) oder
kraft landesherrlicher Verleihung, aus-
drücklicher oder stillschweigender, als eigen-
thümliches immerwährendes Vorrecht, von
ansehnlichen Grundeigenthümern, theils phy-
sischen Individnen, theils Gemeinheiten (Erb-
gerichtbarkeit, Hofmarkgerechtigkeit, juris-
dictio patrimonialis, praediatoria, in gewis-
sen Fällen auch dotalis). Diese wird jeder-
zeit als einer Realität anklebend betrachtet b).
Der Gerichtsherr verwaltet sie in eigenem
Namen, entweder, bei gehöriger Qualifica-
tion, in Person c), oder durch einen Gerichts-
halter d) oder Justitiar (jurisdictio mandata).
Die PatrimonialGerichtbarkeita)
ist jetzt eine dingliche Befugniſs, das Rich-
teramt (das bürgerliche allein, oder auch das
peinliche) durch gehörig qualificirte Personen,
nach den Gesetzen des Staates b), unter dessen
Oberaufsicht, in erster Instanz, innerhalb eines
bestimmten Bezirkes c) zu verwalten. Be-
grenzt wird sie, durch die höchste Aufsicht,
die gesetzgebende und höchste ExecutivGe-
walt des Regenten, so auch durch eine höhere
landesherrliche JurisdictionsBefugniſs. Es wird
dazu ein besonderer Rechtstitel erfordert,
und, als Ausnahme von der Regel, ist sie
einschränkend zu erklären. Wegen Miſs-
brauchs, kann die Privation verfügt werden d).
Derjenigen Gerichtbarkeit, welche den Mit-
gliedern des Regentenhauses auf ihren Paragien,
und den Standesherren in ihren standes-
herrlichen Bezirken zusteht, sind meist minder
[462]II. Th. X. Cap.
enge Grenzen gesetzt, als der gemeinen Pa-
trimonialGerichtbarkeit. In der neuern Zeit,
besonders seit Auflösung der teutschen Reichs-
verbindung, wurden, in verschiedenen teut-
schen Staaten, der PatrimonialGerichtbarkeit
engere Grenzen gesetzt; in etlichen ward
sie ganz aufgehobene).
Ehehin a), so wie noch jetzt hie und da,
ward unter örtlichem Gerichtzwang, Ge-
richt oder Vogteilichkeit, meist etwas
mehr verstanden als die Ausübung der Ge-
richtbarkeit in dem eigentlichen Sinn. Mit
Ausschluſs der peinlichen Gerichtbarkeit, ver-
[464]II. Th. X. Cap.
stand man darunter eine locale obrigkeit-
liche Gewalt, eine untergeordnete Regie-
rungsgewalt (Gebot und Verbot, Herrlich-
keit), bürgerliche Ordnung zu erhalten, und
die höhern Befehle auszuführen. Den Patri-
monialGerichtshalter betrachtete man wie eine
Orts- oder Unterobrigkeit, für Rechtshändel
und örtliche Polizei. Vorzüglich war dieses
der Fall bei der Dorf- und Gemeinde-
herrschaft, insbesondere in Condominat-
oder vermischten Orten b).
Neben der ordentlichen Gerichtbarkeit, wird
hie und da die Gerichtbarkeit über beson-
dere Classen von Personen oder Sa-
chen, durch ausserordentliche Gerichte
verwaltet a). Dahin gehören: die Lehn-,
Militär-, Universitäts-, Hofmarschallamts-,
Juden-, Gast-, Handels-, Wechsel-, Zunft-,
Holz-, Forst- und Jagd-, Bergwerks-, Was-
ser-, Fischer-, Gemeinheits- und Märker-,
Erbzins-, Feld-, Go- und RügeGerichte, siedeste
Gerichte b) u. d.; auch die so genannten Bauer-
gerichte c), welche der Aufsicht des Staates
unterworfen, und deren Sentenzen, in der
Regel, appellabel sind d). Die Competenz
dieser Gerichte, ist nicht von gleichem Um-
fang. Einige dürfen sich nur mit gewissen,
ausgenommenen und befreiten Rechtssachen
beschäftigen; andere mit allen bürgerlichen,
wohl auch peinlichen Rechtssachen ihrer Ge-
richtsUntergebenen.
I) Auch gehört in diese Clässe die geist-
liche oder kirchliche Gerichtbarkeit, in dem
heutigen engern Sinn a), die Rechtspflege in
geistlichen Sachen b). II) Das kirchliche Ge-
sellschaftsrecht, allgemein betrachtet, begrün-
det in dem Staat für die Kirchengesellschaft
eine [eigene Gerichtbarkeit] nicht: wohl aber die
[467]Justizhoheit.
Hierarchie der römisch-katholischen Kir-
che, sich stützend auf göttliche Einsetzung c).
III) Wiewohl der Lehrbegriff der augs-
burgischen ConfessionsVerwandten
eine eigene kirchliche Gerichtbarkeit nicht
in Anspruch nimmt d), so wird eine solche
doch noch oft, gemäſs den frühern Ideen
von ihrer Begründung durch die Kirchenge-
walt, eigenen Gerichtshöfen, den Consisto-
rien, übertragen e). Doch sind diese nicht
nothwendig. In jedem Fall sind sie der
Justizhoheit des weltlichen Regenten unter-
worfen, und bedürfen nicht geistlicher Mit-
glieder f).
Der competente Richter ist befugt und
verpflichtet, zu ordnungsmäsiger Untersu-
chung und Entscheidung der Rechtshän-
del; meist auch zu Vollziehung der rechts-
kräftigen Urtheile (jus cognoscendi, decidendi
et exequendi). Einmischung einer andern
Staatsbehörde in den Rechtsgang einer Sache a),
findet nur statt, so fern solche von Ober-
richter Amtswegen, nach Vorschrift der
Gesetze, oder bloſs zu Beförderung der Rechts-
hülfe, auf Beschwerde wegen versag-
ter oder verzögerter Justiz, von der
gehörigen Stelle geschieht b). Wahrheit und
Gerechtigkeit müssen überall, von dem
gehörigen Richter, mit Beobachtung der ge-
hörigen Form, gehandhabt werden. Darum
[469]Justizhoheit.
wären, in einzelnen Justizsachen, Verfügun-
gen oder Rechtspflege von Cabinetswegen
(CabinetsInstanz), unzulässig c).
Wer durch das Verfahren, oder die Ent-
scheidung des Richters sich beschwert glaubt,
kann durch gesetzliche, suspensive und devo-
lutive, oder bloſs suspensive Rechtsmittel,
durch Nichtigkeit Beschwerde, auch in
gewissen Fällen durch Recurs (Cassations-
Gesuch) an die gesetzgebende Gewalt, ge-
[470]II. Th. X. Cap.
setzmäsige Prüfung und Erledigung gegrün-
deter Beschwerden veranlassen a).
I) Angelegenheiten, welche die Staats-
regierung, insonderheit die Ausübung un-
verleihbarer Hoheitsrechte, unmittelbar be-
treffen (RegierungsSachen), sind kein
Gegenstand gerichtlicher Erörterung und Ent-
scheidung a). II) Justizsache hingegen ist
es, wenn die Rede ist von Verletzung wohl-
erworbener Privatrechte eines Staatsgenossen;
namentlich von streitiger Ausübung verleih-
barer Regalien, von streitigen persönlichen
oder dinglichen Privatrechten des Staates, von
contentiosen Privatsachen des Regenten b)
(§. 259). Der Begriff einer Justizsache, ist
unabhängig von allen übrigen Verhältnissen
des Gegenstandes.
I) Die peinliche Gerichtbarkeit a) (hohe
oder Obergerichtbarkeit, Halsgericht, Male-
fizobrigkeit, jurisdictio criminalis s. alta),
die Strafgerechtigkeitspflege gegen Verbrecher,
ist ein Theil der Justizhoheit — in dieser
Hinsicht auch Criminalhoheitb) genannt,
wovon §. 286 —, da das Strafrecht des Staa-
tes durch den Staatszweck begründet wird.
II) Die Grenzen der hohen Gerichtbarkeit,
insbesondere welche Straffälle, als geringe
Frevel, zu der Civil, Unter oder Nieder-
gerichtbarkeit (jurisd. bassa) zu rechnen seyen,
bestimmt das particuläre Recht c). Ausserdem
pflegt man die peinlichen Falle nach der
Quantität der Strafen zu bestimmen, indem
man dahin alle Verbrechen rechnet, auf welche
Lebens-, Leibes-, oder diesen gleich geach-
[472]II. Th. X. Cap.
tete Strafen gesetzt sind d) (poena in thesi).
Der Gegensatz sind die Civil-, Polizei-
und fiscalischen Strafene). III) Die
peinliche Gerichtbarkeit wird oft zugleich
durch die ordentlichen Civilgerichte, mit
Zuziehung von Schöppen, nicht selten aber
durch eigene beständige Criminalgerichte
verwaltet.
I) Nicht selten ist die peinliche Gericht-
barkeit, mit oder ohne die bürgerliche, Grund-
obrigkeiten verliehen (§. 288 f.), unter-
geordnet der Criminalgewalt des Staates. Sel-
tener steht, oder stand sie einem fremden
Staat als Staatsdienstbarkeit zu a), oder
einer inländischen Gerichtsherrschaft in einem
fremden JurisdictionsBezirk desselben Staates.
In beiden Fällen, führt sie oft den Namen
Cent, Fraiſs, Fraiſslichkeit, Fraisch, fraiſs-
liche oder malefizische Obrigkeit b). II) Diese
ist entweder uneingeschränkt (centena
illimitata, omnimoda, universalis), oder ein-
geschränkt (limitata, specialis), z. B. auf
die vier hohen Verbrechen c) (Wrogen, Rügen
oder Wände), oder auf geringere Verbrechen,
oder auf das Recht der Vollziehung schwerer
peinlicher Strafen d) (Blutbann), oder auf
die peinliche Gerichtbarkeit mit Ausschluſs
dieses Vollziehungsrechtes (hohe Gericht-
barkeit oder Halsgericht in dem engern Sinn).
III) In keinem Fall ist die Staatshoheit darunter
begriffen (§. 210).
I) Das Recht der Strafverwandlung,
der Begnadigung, der Abolition, der
Restitution und der Asylea) (Recht der
[475]Justizhoheit.
Freiung, Freistätte), bleibt heut zu Tage der
Staatshoheit vorbehalten b). II) So auch das
Bestätigungsrecht bei Todesurtheilen,
der Recurs, die Nichtigkeitbeschwerde,
die Supplication, die Berufungc). III)
Die Kosten der Peinlichkeit, insbeson-
dere des StrafApparates d), hat meist der
Gerichtsherr zu tragen. Von den Gerichts-
untergebenen können solche nur aus einem
besondern Rechtsgrund, ganz oder zum Theil,
erhoben werden e), z. B. das Henkergeld,
Zuchthausbeitrag, u. d. IV) Hingegen das
Recht und die Pflicht, Zuchthäuser zu
errichten und zu erhalten, ist, in der Regel,
mit der höchsten Staatspolizei verbunden f).
Nicht nur für gegenwärtige Streitigkeiten,
sondern auch zu Verhütung möglicher
Rechtsverletzungen und Streitigkeiten, ist der
Regent berechtigt, Verfügungen zu machen;
Verfügungen für die Vollziehungsart mancher
Rechtsgeschäfte unter obrigkeitlicher Mitwir-
kung, und für Vormundschaften. Die Befug-
[477]Justizhoheit.
niſs zu der gesetzlichen Verfahrungsweise in
Angelegenheiten dieser Art, bald mit, bald
ohne Prüfung der Umstände (causae cognitio),
heiſst freiwillige Gerichtbarkeit a) (Ge-
richtbarkeit in nicht streitigen Sachen, Rechts-
polizei, jurisdictio civilis voluntaria), in dem
Gegensatz der contentiosen. Meist ist sie den
ordentlichen Civilgerichten übertragen b). Doch
sind zu Verwaltung der Obervormund-
schaftc) (tutela regia, sublimis s. suprema),
hie und da eigene Behörden, Pupillen-, Tu-
telar- oder WaisenCollegien, bestellt d).
In den Staatsbefugnissen liegt die Polizei-
gewalta), das Recht der besondern Sorge
für Sicherheit, für bürgerliche Ordnung, Cal-
tur und Wohlstand der Staatsgenossen, aus-
serhalb der zu andern besondern Hoheitsrech-
ten gehörigen Fälle b). Die Polizei (πολιτεία),
sich beziehend auf alle Zweige der Staatsre-
gierung, ist von eben so groſsem Umfang,
als Einfluſs auf den Staatszweck und das
Wohlseyn der Staatsgenossen c).
Die Staatspolizei, entgegengesetzt der
PrivatConventionalPolizei für Privat-
gesellschaften, hat zwei Hauptgegenstände a):
[481]Polizeigewalt.
Sicherheit und Wohlfahrt oder Ver-
vollkommnung der Staatsgenossen. Die Si-
cherheitsPolizeib) dient wider Rechts-
verletzungen und schädliche Ereignisse, die
von der Natur, oder sonst veranlaſst wer-
den c). Die Bestimmung der Wohlfahrt-
oder VervollkommnungsPolizei ist, Erlangung
und Erhöhung des physischen, sittlichen und
geistigen Gesellschaftwohls. Die erste ist,
Staats Polizei in dem engern Sinn, wegen
ihrer unmittelbaren Beziehung auf den Staats-
zweck: die andere, Staatsgesellschaft-
Polizei, wegen ihres mittelbaren Verhältnis-
ses zu dem Staatszweck, und ihrer unmit-
telbaren Beziehung auf das Wohl der all-
gemeinen Gesellschaft der Einwohner in dem
Staat, wobei der Regent indirect, als Ueber-
nehmer der GesellschaftsDirection, zu han-
deln befugt und verpflichtet ist d).
Die Wohlfahrt- oder Staatsgesell-
schaft Polizei, hat drei Abtheilungen:
1) Bevölkerungs- und Gesundheits-
Polizei, zu Vermehrung und Erhaltung der
Einwohner, und zu Abwehrung der physi-
schen Hindernisse ihres Wohlseyns. 2) Die
Sitten-, Erzichungs- und Unterricht-
[483]Polizeigewalt.
Polizei, zu Beförderung der sittlichen, gei-
stigen und artistischen Cultur a). 3) Ge-
werb- oder Industrie Polizei (Polizei
der StaatsNationalWirthschaft), zu Erleich-
terung und Vermehrung der Erwerbmittel.
Dahin gehört: die ökonomische Polizei,
zu Beförderung aller hervorbringenden Ge-
werbe b) (Polizei der Landwirthschaft oder
UrProduction); die Manufactur Polizei,
zu Beförderung aller verarbeitenden oder form-
gebenden Gewerbe (Polizei der Fabriken,
Manufacturen und Handwerke, oder der in-
dustriellen Production); die Handlungs-
Polizei, zu Beförderung des Umsatzes und
Vertriebs der einheimischen und verarbeite-
ten Erzeugnisse, und zu Leitung der Lie-
ferung fremder Waaren, zu dem gemeinen
Besten.
I) Die hohe Staats Polizei (jus politiae
sublimis), ist überall dem Souverain vorbehal-
ten, die niedere (jus politiae subordinatae)
oft Grundobrigkeiten, Standes- oder Grund-
herren, auch städtischen Corporationen a) ver-
lichen, sonst aber, in der Regel, Staatsbe-
amten von dem Regenten unmittelbar über-
tragen. II) Die Staatspolizei erstreckt sich
bald über das ganze Staatsgebiet (allge-
meine, bald nur über einen Theil dessel-
ben (particuläre), z. B. Provinzial-, Kreis-,
Departement-, Amt-, Stadt-, Dorfpoli-
zei, u. d. b). III) Viele Gegenstände gehören
der StaatsPolizei ausschlieſsend (privative)
an: andere schlagen zugleich, mehr oder
weniger, in andere Hoheitsrechte ein
(cumulative, vermischte), z. B. in die Cri-
minalpolizei, welche die Wirksamkeit der
Criminalgewalt unterstützt, Kirchenpolizei,
Rechtspolizei (§. 299), u. a.
I) Die höhere PolizeiGesetzgebunga),
ist Sache der gesetzgebenden Gewalt b). Ein-
zelne Verfügungen, zumal provisorische, zu
erlassen, gehört meist zu der Befugniſs der
provinzialen und localen Polizeibehörden.
II) Gewöhnlich sind Städte c) und andere Cor-
porationen d), Standes- und Grundherren, de-
nen die niedere Polizei verliehen ist, befugt,
innerhalb der Grenzen ihres Geschäftkreises,
PolizeiVerordnungen zu geben.
Es ist Pflicht der SicherheitsPolizei,
durch Gesetze und Anstalten auf Erschwerung
[487]Polizeigewalt.
der Verbrechen, Entdeckung der Verbrecher,
Vermeidung solcher Gelegenheiten, und Un-
terlassung solcher Handlungen hinzuarbeiten,
die leicht zu Rechtsverletzungen führen. Hand-
lungen, welche bloſs durch Polizeigesetze
bei Strafe verboten sind, heiſsen Polizei-
Vergehen, und die von der Polizei, den
Gesetzen und Vorschriften gemäſs, zu ver-
fügenden Strafen, PolizeiStrafena).
I) Natürliche Freiheit und wohl-
erworbene Rechte der Einwohner, sind
einer Einschränkung, durch Gebot oder Ver-
bot der Polizeigewalt, nur so weit unter-
worfen, als bei der SicherheitsPolizei der
Staatszweck, bei der WohlfahrtPolizei die
im Voraus, oder gleichzeitig ertheilte, aus-
drückliche oder stillschweigende Einwilligung
[488]II. Th. XI. Cap.
der StaatsgesellschaftGenossen es gestattet a).
II) Unter gewissen Umständen, kann bei
Polizei Verfügungen Pflicht zur Entschä-
digung, gegen den Einzelnen eintreten b).
III) Alle Einwohner, auch temporäre Unter-
thanen c), sind den Staats- und LocalPolizei-
gesetzen unterworfen. Berufung auf den pri-
vilegirten Gerichtstand, findet in Po-
lizeisachen nicht statt d). IV) Eingriffe
der Polizei in andere Hoheitsrechte, sind
rechtswidrig e).
Zu Verwaltung der Polizei, werden eigene
Polizeibehörden angeordnet, centrale,
[489]Polizeigewalt.
provinziale und locale, höhere und niedere;
PolizeiMinister, PolizeiCollegien, Magistrate,
Intendanten, Directoren a), Beamte, Asses-
soren, Polizeimeister, Quartiermeister, Stras-
sen- oder PolizeiAnsreiter, Polizeidiener. Bis-
weilen sind, für die Ortspolizei in Städten,
eigene PolizeiCommissionen oder De-
putationen b) aus mehrern LocalBehörden zu
sammengesetzt, um alle Stände und Einwoh-
ner einem gemeinschaftlichen PolizeiForum
zu unterwerfen, weil Einheit des Willens,
Leichtigkeit in der Ausführung, die Seele guter
Polizei ist c). Nicht selten ist die höhere
Polizei einer höhern LandesAdministrativ-
Behörde, die niedere irgend einer LocalBe-
hörde, z. B. dem Stadtmagistrat, Justiz- oder
Kammeramt, Gerichtshalter, Dorfschultheis-
sen, u. d. mitübertragen d).
I) Das Polizeirecht, unterschieden von
der Polizeiwissenschaft, einem Haupttheil der
Cameralwissenschaften, ist der Inbegriff der
gesetzlich feststehenden PolizeiBestimmun-
gen a). II) Zu Untersuchung, Beurtheilung,
und Ahndung polizeiwidriger Handlungen,
auch unaufgefordert, ist die Polizeige-
richtbarkeit bestimmt b), weſshalb bis-
weilen die aufsehenden und verwaltenden
Polizeibehörden von den richtenden getrennt
sind c). III) Summarische, oft schleu-
nige Erörterung und Vollziehung, mit pra-
ctischer Gewandheit, Menschenkenntniſs, Con-
sequenz und Energie, Vermeidung unnützer
Förmlichkeiten, zumal in geringfügigen, oder
dringenden Sachen, ist dem Zweck der Po-
lizei gemäſs.
Ist das Verhältniſs der Polizeigewalt zu der
Justrzgewalta), durch positive Gesetze
anders nicht bestimmt b), so ist I) Einmi-
schung des Richters unzulässig, in eigent-
lichen Polizeisachen, der Gegenstand sey mehr
oder weniger erheblich c). II) Bloſser Wi-
derspruch eines Unterthans, und dessen
Einrede gegen Zweck und Mittel,
kann die Polizei Eigenschaft einer Sache
nicht ändern.
III) Das Wesentliche des Unterschiedes
zwischen Justiz- und Polizeisachen, liegt
darin, daſs jene das unmittelbare Interesse
einzelner Unterthanen, diese auch das un-
mittelbare Interesse des Staates, oder der all-
gemeinen Gesellschaft der Einwohner in dem
Staat (§. 301) angehen. IV) Es kann daher
dieselbe Sache, nach verschiedener Rück-
sicht, Justiz und Polizeisache seyn a), auch
aus einer Polizeisache in Justizsache sich ver-
wandeln (§. 311). V) In dem Fall unver-
meidlicher Collision zwischen Privat- und
dringendem StaatsInteresse, wird in einer
vermischten Sache, der Arm des Richters
[493]Polizeigewalt.
durch die Regierung gelähmt b); doch Ent-
schädigung vorbehalten, für den, der um des
gemeinen Besten willen leidet (§. 306).
VI) Zu gerichtlicher Erörterung quali-
ficirt sich eine Polizeisache, wenn sie durch
die vorgebrachte Einrede einer Rechtsver-
letzung, durch Klage über Verletzung wohl-
erworbener Rechte, durch Anfechtung eines
Polizeigesetzes aus dem Grund wohlerwor-
bener Rechte, durch Klage über unrichtige
Anwendung der Polizeigesetze, oder Ueber-
schreitung der Amtsgewalt, oder durch ge-
richtlich verfolgte Befugnisse eines Dritten,
in Justizsache sich verwandelt hat a).
[494]II. Th. XI. Cap.
Doch hat dieses, in Absicht auf den Polizei-
Punct, in der Regel, nur devolutive Wirkung b).
VII) Daher findet auch in Polizeisachen, weder
Apellation, noch ein anderes suspen-
sives Rechtsmittel, gegen die Verfügungen
oder das Verfahren der Polizei statt c); doch
Beschwerde, oder gerichtliche Klage.
Die Polizeigewalt unterstützt die Crimi-
nalgewalt, mittelbar durch Beförderung
der geistigen und sittlichen Cultur, unmittel-
bar durch SicherheitsAnstalten, zu Verhütung
der Verbrechen, auch zu schleuniger Ent-
deckung und Herbeischaffung der Uebelthä-
ter. Beide unterscheiden sich, in Rücksicht
der Gegenstände, der Wirkungsart, der Mit-
tel zu ihren Zwecken, der Anwendung die-
ser Mittel, und der Verfahrungsart a).
I) Das Staatseinkommen, gröſsten-
theils ein Theil des NationalEinkommens a),
flieſst aus Sachen, Rechten und Diensten b).
II) Der Inbegriff der Staatsbefugnisse auf
zweckmäsige Festsetzung, Vertheilung, Er-
hebung, Verwaltung und Verwendung des
Staatseinkommens, heiſst Finanzhoheitc)
(Cameralhoheit d), Staatsökonomie- oder
Staatswirthschaft Hoheit e), potestas came-
[497]Finanzhoheit.
ralis). III) Die Nation muſs jährlich auf-
bringen, was die Staatsanstalt nothwendig
kostet, so weit die Kosten aus andern recht-
mäsigen Finanzquellen nicht erlangt wer-
den können. Mehr darf dem National-
Vermögen durch Auflagen nicht entzogen
werden; denn diese sind nur ein nothwen-
diges Mittel zu Erreichung desjenigen Zwe-
ckes, weſshalb die Menschen in bürgerlicher
Gesellschaft leben. IV) Aus jener Pflicht
entspringt das Recht des Staates, die Fi-
nanzverwaltung anzuordnen (jus ordi-
nandi et administrandi aerarium reip), und
die Staatsauflagen, ordentliche und
ausserordentliche, zu bestimmen (Recht der
Staatsauflagen oder Staatslasten, jus onerum
s. tributorum reip., jus collectandi, droit
d’impôt).
Das Staatseinkommen, so weit es aus
dem NationalEinkommen flieſst, muſs, in
dem Verhältniſs zu diesem, so bestimmt
und behandelt werden, daſs ein Gleichge-
wicht entsteht zwischen rechtmäsiger Ein-
nahme und nothwendiger Ausgabe des Staa-
tes. Wegen dieser wesentlichen Bedingung
seiner Erhaltung und seines Wohlstandes,
ist, in einer weisen StaatsOrganisation, die
Finanzverwaltung, weder ein isolirter Ap-
pendix, noch die Magd der übrigen Ver-
waltungszweige a), sondern wahrer Mittel-
[500]II. Th. XII. Cap.
punct der ganzen Staatsverwaltung b). Das
Recht, dieselbe anzuordnen, ist daher eines
der wichtigsten Hoheitsrechte, die Aufgabe,
eine der schwersten, die Handhabung, das
allernothwendigste.
I) Die Staats Finanzwissenschaft
lehrt die Art und Weise, wie die zu Be-
streitung des Staatsaufwandes nöthigen Gü-
termassen, auf eine dem allgemeinen Wohl-
stand möglichst angemessene Weise aufzu-
bringen, zu verwalten und zu verwenden
[501]Finanzhoheit.
sind. II) Die Grenzen, welche die Finanz-
hoheit nicht überschreiten darf, sind: das
wahre Bedürfniſs des Staates, die Kräfte des
Volkes, und die moralische Scheu, Mittel
zu ergreifen, welche auf irgend eine Art
die guten Sitten gefährden, die Ordnung im
häuslichen Leben stören, und den stillen
Gang der Natur unterbrechen a).
Staatsauflagen machen nöthig, theils
der Unterhalt des Regenten und sei-
ner Familie, theils die allgemeinen und
besondern, ordentlichen und ausserordentli-
chen Kosten der Staatsverwaltunga),
insonderheit der Rechts- und Polizeipflege,
des Erziehungs- und UnterrichtRegals. des
Verkehrs mit auswärtigen Staaten, der Schutz-
und VertheidigungsAnstalten gegen Auswär-
[502]II. Th. XII. Cap.
tige, der Finanzverwaltung selbst, auch die
Staatsschulden (§. 259 f.), die Errich-
tung und Unterhaltung einer Dispositions-
Casseb), aus den Bestandgeldern der Cen-
tral- oder GeneralCasse, und die Sammlung
eines verhältniſsmäsigen Schatzesc), als
Nothpfennigs, eines eisernen oder Reserve-
Fonds, des reinen oder NettoErtrags der
Staatsanstalt, gemäſs der Staatsrechnungs-
Bilanz.
I) Zu jeder Staatsauflage gehören: Recht-
mäsigkeit, in Absicht auf die Art der
Festsetzung; Nothwendigkeit, in Hin-
sicht auf wahres Staatsbedürfniſs; Gerech-
tigkeit, in Ansehung der besteuerten Sa-
che oder Person, auch der Vertheilung und
Gröſse der Auflage, und der Zeit der Ent-
richtung. II) Das Abgaben System sey
berechnet auf das Einkommen, in seiner
[503]Finanzhoheit.
wahren und eigentlichen Gestalt, nicht auf
das Vermögen der Abgabepflichtigen a). Nur der
Ertrag von den Elementen des NationalReich-
thums (von Land, Arbeit oder Gewerbe, Geld-
capital), ist der wahre Gegenstand der Be-
steuerungb); nur die Producenten sind
die wahren unmittelbar Steuerpflichtigen.
III) Von allen Arten der Production (der
UrProduction, der industriellen und der
commerziellen) werde, so viel möglich, nur
das reine oder Netto Einkommen be-
steuert. IV) Die blossen Consumenten
seyen unmittelbar stenerfrei, weil sie den
steuerpflichtigen GewerbClassen die vorge-
schossene Steuer in dem Preis der Producte
wieder erstatten, also mittelbar steuern. Bei
einer allgemeinen EinkommenSteuer, würden
sie doppelt in die Steuer gezogen; unmit-
telbar dureh die eigene Anlegung, mittel-
bar durch Erstattung der von Andern be-
zahlten Steuer in dem Preis der Producte.
Mathematisch scharf und gleich, läſst sich
keine Steuer für den concreten Fall bestim-
men, aber grobe, den NationalWohlstand
[505]Finanzhoheit.
auffallend störende Fehler, lassen sich, auch
ohne gehässige inquisitorische Formen und
lästige Förmlichkeiten, vermeiden. V) Ein
AbgabenSystem, welches als Mittel dient zu
Beförderung der Gerechtigkeit, der Sittlich-
keit, der Wohlthätigkeit, und zu möglich-
ster Entwicklung der menschlichen Kräfte,
ist eines der edelsten Ideale des menschli-
chen Geistes a). VI) Verwerflich, in sittli-
cher und politischer Hinsicht, sind die mei-
sten so genannten indirecten Abgaben b),
aber von Vielen wenigstens als Neben-
steuer in Schutz genommen, da wo die
Grund- und Gewerbsteuer nicht jeden Steu-
erpflichtigen treffen kann, oder doch nicht
so, wie es dem Besten des Staates am ge-
mäsesten wäre. Bei Zoll und Accise,
trifft der Vorwurf am häufigsten, theils die
Erstreckung auf Gegenstände, deren Befrei-
ung das wahre Staatsinteresse gebietet, theils
die Uebertreibung und schlechte Erhebungs-
art, so wie die groſse Anzahl von demora-
lisirten und demoralisirenden, für Erhebung
und Aufsicht Angestellten.
I) Die zweckmäsige Festsetzung, Bestim-
mung, Vertheilung, Erhebung und Verwen-
[507]Finanzhoheit.
dung der Staatsauflagen, erfordert die Er-
richtung eines jährlichen Finanzge-
setzes, eines GeneralFinanzEtats oder Vor-
anschlags der zu erwartenden Staatseinnahme
und Ausgabe a) (Budget), welches alle, für
das folgende Rechnungsjahr, in dem Staats-
haushalt als gewiſs oder wahrscheinlich denk-
bare Einnahme und Ausgabe, nach Erfah-
rung und Wahrscheinlichkeit, zum Theil so-
gar für unvorhergesebene Fälle, möglichst
genau und systematisch im Voraus bestimmt,
und zu gesetzter Zeit, vor dem Anfang
des Rechnungsjahres, neu errichtet wird,
mit Bestimmungen, wie solche die jedes-
malige Lage des Staates nothwendig macht.
II) Die Pflicht, für genaue Befolgung des
Finanzgesetzes zu wachen, macht, ausser den
nöthigen SpecialEtats, nicht nur zweck-
mäsige Anstalten nothwendig, für Erhebung
und Verwendung der Staatseinkünfte, nament-
lich eine EtatsCuratel und eine Rech-
nungskammer, sondern erfordert auch be-
stimmte Instruction für Geschäftordnung,
insbesondere Casse- und Rechnungs-
wesen, und Einrichtung der nöthigen und
nützlichen Special- und GeneralFinanzAuf-
sicht oder Controleb). III) Oeffent-
lichkeit in Finanzsachen, zu Gewinnung
[508]Th. XII. Cap.
des höchst nöthigen Vertrauens, ist mit Ver-
stand zu üben c). Aber es gebe keine Ab-
gabe, welche die Stellvertreter des Volkes
nicht bewilligt haben, welche nicht unver-
meidliche Ausgabe zum Gegenstand hat, nicht
von denen allein getragen wird, denen sie
vortheilhaft ist, und in dem möglichst rich-
tigen Verhältniſs ihres Betrags zu diesem
Vortheil. Die Abgabepflichtigen müssen be-
stimmt erfahren, wieviel, wovon und
wann sie zu bezahlen haben.
Das Miſsverhältniſs zwischen Ausgabe und
Einnahme, der Ausfall (Deficit), muſs in
dem Finanzgesetz solid, d. h. nach Rechts-
[510]II. Th. XII. Cap.
gesetzen und mit Erhaltung des Staatscredits,
gedeckt werden a), am besten durch Minder-
Ausgabe, ausserdem durch MehrEinnahme b),
oder durch beide; nicht durch Vorausnahme
des Staatseinkommens (Anticipation), nicht
durch Auflagen, die der Sittlichkeit der Un-
terthanen, oder ihrer Betriebsamkeit, ihrem
Wohlstand, der sichersten Grundlage der Staats-
Finanzen, gefährlich werden c) (RuinAnstal-
ten), und durch ein Heer von Einnehmern
und Aufpassern zu kostspieliger Verwaltung
nöthigen, zumal wenn der Staat mehr Grenze
als Binnenland besitzt, nicht durch Lotto,
Papiergeld, u. d. Die Gerechtigkeit for-
dert ein einfaches, zweckmäsiges, gerechtes
SteuerSystem (§. 317 f.), folglich allge-
meine SteuerRevision und billige Aus-
gleichungd), groſse Vorsicht bei Steuer-
Erhöhungen und neuen Grundabgaben, ein
gründliches ErsparungsSysteme), und
Vermeidung des Finanztrugs durch chimä-
rische und poetische FinanzProjecte, unweise
Experimente, eitle Plusmacherei, Künstelei,
und Täuschung der Abgabepflichtigen. Pri-
vatGewerbe, so lang es an PrivatUnter-
nehmern nicht fehlt, treibe der Staat selbst
nicht, da er in der Regel sie schlecht treibt,
[511]Finanzhoheit.
und durch seine Concurrenz den Privatfleiſs
drückt f).
Minderung der Zinsen von Staats-
schulden, wird gerechterweise nur durch
Uebereinkunft erlangt; wozu strenges Wort-
halten, und allgemein verbreitete Ueberzeu-
gung von der Sicherheit des Capitals, den
Weg bahnen. Tilgung des Capitals wird
solid a) bewirkt, in der stipulirten Art (§.
259 f.), durch richtige Verwendung des zu
Capital- und Zinsenzahlung verschriebenen
Staatseinkommens, durch zweckmäsig ver-
anlaſsten, oder zufälligen Ueberschuſs der
[513]Finanzhoheit.
StaatsCassen, durch richtigen SchuldenEtat,
durch feste Einhaltung eines consequenten
SchuldenTilgungsplans, und einen diesem an-
gemessenen TilgungsFonds b) (Amortisations-
Casse): nicht durch Vorausnahme des Staats-
einkommens (Anticipation), durch Veräus-
serung des nöthigen Staatsvermögens, eigen-
mächtige Herabsetzung der Zinsen, Capita-
lisirung der ZinsenRückstände, Herabsetzung
der Staatsschulden auf eine Quote ihres wah-
ren NominalBetrags, veranlaſstes Sinken und
Einhandeln der StaatsObligationen, Prägung
geringhaltiger Münze, Lotto, Papiergeld c),
Verrufung des Papiergeldes, u. d. Gezwun-
gene Anleihe, auch Sistirung der Zinsen-
zahlung, ist nur erlaubt, wenn der Staat in
Gefahr der Auflösung kommt d). Eine libe-
rale und gerechte Regierung verschmäht Fi-
nanzkünste, welche nicht bestehen können
mit Rechtsgesetzen, mit wechselseitiger Ach-
tung zwischen Regierung und Unterthanen.
Steuera), ein Beitrag der Einzelnen zu
dem Staatseinkommen, wird auf verschie-
dene Art entrichtet, gefordert, bewilligt, be-
nannt. I) Ordentliche oder bleibende Steuer
ist, nach Quantität und Erhebungszeit, ein
für allemal bestimmt b): ausserordent-
liche oder vorübergehende wird entrichtet
in ungewöhnlichen Fällen, nach jedesmali-
ger Bestimmung der Quantität und Erhe-
bungszeit c). II) Bei der directen Steuer
ist die Quantität bestimmt, welche von jedem
steuerpflichtigen Individuum, Person oder
Sache, innerhalb eines gewissen Zeitraums
erwartet wird d): bei der indirecten Steuer e)
ist die Quantität unbestimmbar, welche von
den Steuerpflichtigen, binnen einem ange-
nommenen Zeitraum, eingehen muſs f). III)
Man könnte auch, in mehreren Ländern, die
Staatsabgaben in Haupt- und Nebensteuern
abtheilen.
IV) Nothwendig sind diejenigen Stenern,
deren Einrichtung den Unterthanen zur Pflicht
gemacht wird; freiwillig bringen gutge-
sinnte Staatsbürger, insbesondere unter ausser-
ordentlichen Umständen, ein Opfer auf den
Altar des Vaterlandes a). V) Die meisten
Steuern sind heut zu Tage allgemein, für
das ganze Land; doch giebt es zu Zeiten,
oder hie und da, auch particuläre, die
nur in einzelnen Bezirken des Staatsgebietes
entrichtet werden. VI) Benannt werden
die Steuern, bald von dem besteuerten Ge-
genstandb) (Person oder Sache), bald von
der Ursache, dem Zweck, der Verwen-
dungc).
I) Eine Art der Steuer ist der Zolla)
(Mauth, Aufschlag, Land- und Wasserzoll,
vectigal, jetzt auch Licent, Impost), eine
Abgabe an den Staat, oder die von ihm
hiezu Berechtigten, von ein-, aus-, oder
durchgehenden b) Waaren, sowohl Producten
als auch Manufacturen. II) Man unterschei-
det, meist in der Quantität der Abgabe, bis-
weilen auch in der Benennung, oder in an-
derer Hinsicht, die Abgabe von Einfuhr
(Importations- oder ConsumoZoll), Aus-
fuhr (Exportations- oder EsitoZoll), und
Durchfuhr (TransitoZoll). Unter der ersten,
ist meist eine Verzehrung- oder Consumtion-
Steuer, nicht selten eine LuxusSteuer, be-
griffen. III) Nicht bloſs als Quelle der
Staatseinkünfte ist der Zoll zu betrach-
ten c), sondern vorzüglich als Mittel der
Aufmunterung, die dem Handel und dem
Gewerbfleiſs des Volkes gebührt. Indem die
Einfuhr fremder Producte und Waaren theils
verboten, theils beschränkt wird, muſs der
Grundsatz vorwalten, daſs auf der einen
Seite die inländische Industrie sich erheben
können, auf der andern immer noch die zu
[521]I. Abschn. SteuerRegal.
Belebung der Gewerbe nöthige Concurrenz
und Nacheiferung übrig bleibe. Auch kann
die Erschwerung der Ausfuhr roher inlän-
discher Producte, indem sie für die Fabri-
cation nützlich ist, für die Production so
nachtheilig seyn, daſs jener Nutzen durch
diesen Nachtheil weit überwogen wird d).
IV) Der Hauptzoll wird auf den Zoll-
stätten der gewöhnlichen Straſsen entrichtet,
der Wehrzolla) (vectigal subsidiarium, s.
secundarium) auf einer Nebenstraſse, haupt-
sächlich zu Verhütung des Unterschleifs b).
V) PersonalZölle kommen, seit Aufhe-
bung des JudenLeibzolles, nicht leicht vor.
VI) Zollbefreiungc) wird jetzt selten er-
theilt. Verleihung, Erhöhung, Verle-
gung des Zolles steht, in der Regel, dem
Regenten zu. VII) Selten ist jetzt der Zoll,
als StaatsServitut, eine Berechtigung in
fremdem Gebiet d). VIII) Bisweilen wird mit
der WasserZollgerechtigkeit, das Kranrecht
(jus geranii) verbunden e).
I) Nur was das wahre Staatsbedürfniſs
unvermeidlich erfordert, darf den Untertha-
nen aufgelegt werden (§. 313). II) Die Staats-
pflicht ist bei allen Unterthanen, als solchen,
dieselbe. Daher gilt, bei Vertheilung der
Steuer, das Princip der Gleichheita), ohne
Unterschied, ob die Rede ist von Auflegung
neuer Steuern, von Erhöhung oder Ausglei-
chung der ältern (§ 320), von ordentlichen
oder ausserordentlichen. III) Für jeden Steuer-
[524]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
pflichtigen ist ein richtiges SteuerCapital
festzusetzen, d. h. eine Verhältniſszahl, nach
welcher er von seinem steuerpflichtigen Ver-
mögen zu denjenigen Summen beizutragen
hat, die nach dem Steuerfuſs unter die Staats-
bürger vertheilt werden b).
I) Steuerfreiheita), ganz oder zum
Theil, ist nach allgemeinen Rechtsgrund-
sätren, nur dann zulässig, wenn der Staats-
zweck solche gebietet b). II) Ob und wie
fern Steuerfreiheit der StaatsDomänen c), der
standesherrlichen Kammergüter, der Ritter-
güter d), der StadtkämmereiGüter e), der geist-
[525]I. Abschn. SteuerRegal.
lichen Güter f), der Güter frommer oder
milder Stiftungen, so weit sie als Erleich-
terungs- oder UnterstützungsCassen für den
Staat zu betrachten sind g), der Forensen h),
statt finde? ist aus der Verfassung eines jeden
Landes, zum Theil aus Individual- und Lo-
calVerhältnissen, zu beurtheilen. III) Die
wichtige Frage von EntschädigugsBe-
rechtigung, bei Aufhebung der Steuer-
freiheit, ist jetzt mehr theoretisch i), als
practisch. In den meisten Staaten des teut-
schen Bundes, ist die ehemalige Steuerfrei-
heit aufgehoben, ganz oder theilweise k).
IV) Verwendung der Staatsauflagen zu
einem andern als dem Staatszweck, wäre
widerrechtlich. V) Concurrenz der Land-
stände, bei Auflegung, auch wohl Erhe-
bung und Verwendung der Steuern, kann
nach der Staatsverfassung nothwendig seyn
(§. 224. ff.).
I) Das Straſsen- oder WegeRegala)
(jus viarum regium s. sublime), das Recht
der Oberherrschaft über alle Wege in
dem Staatsgebiet, gebührt dem Staat; nament-
lich das Recht der höchsten Aufsicht, der
Gesetzgebung, der Gerichtbarkeit und Po-
lizei. II) Weder die Eigenthumsver-
hältnisse der verschiedenen Arten von We-
gen, noch die Eigenschaft eines Kunstwegs,
einer Chaussée, Kunst- oder Dammstraſse,
eines Straſsendammes, welche allen Arten
der Landwege beigelegt werden kann, än-
dern oder beschränken diese Rechte der
Oberherrschaft.
III) Die neue Anlegung öffentlicher
Wege a), der Straſsenbau, die Verlegung
derselben, so fern solches mit dem wohl-
erworbenen Recht eines Dritten vereinbar
ist b), auch die Wegbesserungc), und
die Bestimmung einer Vergütung für den
Gebrauch der Wege, des Weg-, Pflaster-
oder Chauséegeldes d), auch des Brückengel-
des e), und des Fährgeldes f) bei öffentlichen
Wasserstraſsen, hängt von der Staatsregie-
rung ab. IV) So auch die Straſsenge-
richtbarkeitg), die Bestimmung des Weg-
maases oder der Meilenh), und die Ein-
richtung der Weg- und ChauséeOrdnungen.
V) Die Straſsengerechtigkeit kann einem frem-
den Staat, als Staatsdienstbarkeit zu-
stehen i).
I) In Ansehung des Eigenthums der
Wege, sind heut zu Tage zu unterscheiden a):
1) Landstraſsen, worunter die Heerstraſsen
(für regelmäsige Durchzuge der Kriegsheere
und ihres Zugehörs), die Handels- oder Com-
merzial Straſsen, die Poststraſsen und die
Geleitstraſsen (viae publicae, regiae, milita-
res, communes, ordinariae) begriffen sind;
[531]II. Abschn. Straſsen- u. GeleiteRegal.
2) Communal-, d. h. Stadt- und Dorf-
wege (viae urbicae et vicanae, Communi-
cations-, Neben- oder Richtwege), welche
zunächst für den Verkehr zwischen Städten
und Dörfern, oder mit den Landstraſsen,
bestimmt sind; 3) Flur- oder Feldwege
(viaeagrariae), für landwirthschaftlicheZwecke
innerhalb einer Stadt- oder Dorfmarkung,
für die Genossen derselben zunächst bestimmt;
4) Nachbarwege (viae vicinales), bestimmt
für einzelne Haus- oder Feldnachbarn, ent-
weder unter sich, oder auch zu ihren wech-
selseitigen Grundbesitzungen; 5) Gutswege
(viae praediales), bestimmt für den Allein-
gebrauch eines Grundeigenthümers; 6) Wald-
wege, für Benutzung der Wälder bestimmt.
II) Die ersten, so wie in der Regel auch die
Wasserstraſsen auf Flüssen, Seen und
Canälen, sind Staats eigenthum. Die zwei-
ten sind es nicht immer, sondern oft Ge-
meinheits Eigenthum. Die dritten sind ent-
weder Gemeinheits Eigenthum, oder Ge-
sammteigenthum derjenigen Mark-, Flur-
oder Feldgenossen, zu deren Grundbesitzun-
gen sie führen. Die vierten sind, in der
Regel, entweder Gesammt- oder Alleineigen-
thum der Haus- oder Feldnachbarn. Die
fünften sind Alleineigenthum des Grundbe-
[532]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
sitzers. Die sechsten gehören, in der Regel,
zu dem Waldeigenthum.
Das Geleiterechta) (jus conducendi),
die Befugniſs, den Reisenden und dem Waa-
renTransport auf der Geleitestraſse, gegen eine
Abgabe (Geleitegeld), Sicherheit zu verschaf-
fen, ist ein Regal; ehehin nicht selten eine
Staatsdienstbarkeit b). In dem letzten Fall
hat der Geleiteherr, im Zweifel, keinen An-
spruch auf das übrige WegeRegal c). Leben-
diges Geleite zu nehmen, hängt ab, in der
Regel, von der Willkühr der Interessenten:
[533]II. Abschn. Straſsen- u. GeleiteRegal.
todtes oder schriftliches (Geleitepaſs oder
Zeichen) sind die Geleitepflichtigen zu lösen
schuldig, bei Strafe d). In verschiedenen Län-
dern ist jetzt das Geleite abgeschafft e).
Eines der wichtigsten Hoheitsrechte, in
Absicht auf innern Wohlstand und Staats-
Finanzen, ist das CommerzRegal (jus
commerciorum regium), das Recht des Staa-
tes auf Leitung und Benutzung aller Arten
des Handels zu dem Staatszweck a). Nicht
nur die Oberaufsicht und Gesetzge-
bung über das gesammte Handelsgewerbe,
zu Wasser und zu Lande, ist darunter be-
griffen, sondern auch die Leitung und
Beförderung des Handels, auch des aus-
ländischen, so daſs bei diesem, wo möglich,
die HandelsBilanz stets zu dem Vortheil des
Inlandes ausfalle b). Zu diesem Zweck dient,
unter anderm, die Schlieſsung vortheilhafter
Handels- und SchiffahrtVerträge mit
andern Staaten c).
Zu den Gegenständen des CommerzRegals
gehört auch: die Anlegung der Messen,
Jahr- und Wochenmärktea), mit Meſs-
und Marktfreiheit; die Ertheilung der Han-
delsPrivilegienb) (jus emporii) für Ge-
meinheiten, Societäten und Einzelne, der
[536]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Vorkauf (jus propolii), die Lagerhaus- oder
Niederlagegerechtigkeit, die Wagegerechtig-
keit, das Kranrecht (§. 325), die Stapelge-
rechtigkeit, zu gezwungener temporärer Feil-
bietung aller, oder bestimmter Waaren, der
Straſsenzwang, das Recht des Alleinhandels c)
(Monopolien), die Errichtung der Kaufmanns-
gilden und Krämerinnungen, der Giro-, De-
posital- oder UmsatzBanken, der Zettel-,
Wechsel- oder Circulations Banken d), der
CreditCassen, der Pfand- oder Leihhäuser e)
(Lombards), u. d.
Ferner gehört dahin: die Anordnung zweck-
mäsiger Handelspolizeia), die Beförde-
rung der inländischen Gewerbe, zu Vermeh-
rung, Veredlung und Verarbeitung der Lan-
desProducte, Bestimmungen für Maas, Elle
und Gewicht b), auch Waarenpreise, die Ver-
hütung des Schleichhandels bei unbedingtem
oder bedingtem Verbot der Ein-, Aus-, oder
Durchfuhr gewisser Waaren c); die Aufsicht
[538]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
und Gesetzgebung über das Assecuranz-,
Bodmerei- und GroſsAventüreWesen; Be-
stimmung des Verhältnisses der Fremden,
in Hinsicht auf den inländischen Handel d);
Errichtung eigener Handels- und Wech-
selgerichte, zu Erlangung schleuniger
Rechtshülfe e), u. d. m.
Jeder teutsche Bundesfürst ist, als Sou-
verain, zu Ausübung des MünzRegalsa),
nach dessen ganzem Umfang, innerhalb sei-
nes Staatsgebietes, ausschlieſsend b) berechtigt.
Der allergröſste Theil des Geldes, welches
jetzt in den teutschen Bundesstaaten in Um-
lauf ist, ward vor Auflösung der teutschen
Reichsverbindung geprägt; sonach ist der-
selbe nach der gleichzeitigen teutschen Reichs-
Münzverfassung zu beurtheilen. Aber auch
seit Aufhebung der teutschen Reichsverfas-
sung, betrachtete man bis jetzt, wo nicht
in allen, doch in den meisten teutschen
Staaten, jene ältern Normen groſsentheils, als
solche, zu deren fortwährender Befolgung
[540]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
jetzt noch eigenes Interesse nöthige. Daher
ist eine zwar gedrängte, aber doch möglichst
vollständige Abhandlung dieser so wichtigen
und practischen Materie, nach der vormali-
gen ReichsMünzverfassung, historisch-poli-
tisch wichtig, und publicistisch nöthig.
I) Die Münzgerechtigkeit, das Recht
Geld zu prägen, war noch in der neuesten
Zeit der teutschen Reichsverfassung, kein
[541]IV. Abschn. MünzRegal.
Bestandtheil der Landeshoheit, sondern kai-
serliches Reservata). Jeder Münzherr
bedurfte kaiserlicher Verleihung, oder un-
vordenklicher Verjährung b). II) Der Kaiser
unmittelbar, pflegte das MünzRegal nicht mehr
auszuüben c), obgleich er ursprünglich dieses
ausschlieſsend gethan hatte d). III) Münz-
privilegien konnte der Kaiser, in neuern
Zeiten, nicht ertheilen, ohne Einwilligung
der Kurfürsten, und ohne vorher den Kreis
zu hören, worin der Münzstand gesessen war.
Dasselbe galt von der Münzverleihung an Mit-
telbare; wobei überdem die Mitinteressirten
zu vernehmen waren e). IV) Schon in der
frühern Periode des Mittelalters, erfolgten
etliche kaiserliche Münzverleihungenf);
dann andere an die Kurfürsten g), nach und
nach häufiger auch an andere Reichsstände h),
vorzüglich geistliche; sogar an landsässige
Reichsstände, an nichtreichsständische Reichs-
unmittelbare i), an mittelbare Fürsten, Bi-
schöfe, Aebte, Grafen, Edellente und Städte k),
jedoch vielfältig mit Einschränkung l), und
reichslehnbar. V) Die Reichsvicarien,
waren zu Ertheilung des Münzrechtes nicht
befugt m).
I) Geld, in dem weitern Sinn, be-
zeichnet eine Masse von Gütern oder Genuſs-
mitteln. Geld, in dem engern Sinn (pe-
cunia), ist eine Sache, deren Tauschwerth
allgemein als Maasstab des Werthes und
Preises der übrigen Sachen dient; als Tausch-
mittel, als Mittel der VermögensAusgleichung
[544]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
und als Schätzungsmittel (Werth- oder Vor-
stellungszeichen, repräsentirendes Medium,
signe réprésentatif.) II) Münze (moneta)
ist eine Sache, mit einem von der Staats-
gewalt beglaubigten Maasstab für den Tausch-
werth der Dinge a). Reelle Münze, Real-
geld (numéraire effectif) ist ein unter Staats-
berechtigung geprägtes, d. h. mit Zeichen
seines wahren Tauschwerthes versehenes Geld-
stück; gewöhnlich von Metall (klingende
Münze, aus Silber, Gold oder Kupfer, Me-
tallgeld), sonst auch von Waaren anderer
Art (Waarenmünze). Nominale oder sym-
bolische Münze ist eine Staatsurkunde, welche
für jeden Inhaber, eine Anweisung auf reelle
Münze enthält, z. B. Papiermünze (§. 342).
ehehin Ledermünze. Fingirte, idealische
oder Rechnungsmünzen, Idealgeld, mon-
noies de compte b), sind ein unkörperlicher
Maasstab für den Tauschwerth der Dinge,
mithin auch der reellen Münzen c), z. B.
Reichs- oder rheinische, fränkische und meiſs-
nische Gulden, Thaler, Reichsthaler, Mark, u. d.
I) Bei reellen Münzen, kommt in Be-
trachtung: 1) die Form; insonderheit das
(35)
[546]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Gepräge, welches den Zahlwerth (Valuta),
Jahrzahl, Namen, Titel und Wappen, auch
wohl das Bildniſs des Münzherrn a) enthält;
wo die Wappenseite die Kehr- oder Rückseite
(Revers), die andere die Hauptseite (Avers),
heiſst; 2) die Materie; jetzt die drei Münz-
metalle, Gold, Silber, Kupfer. Silber wird
mit Kupfer, Gold mit Silber, oder Kupfer,
oder beiden-legirt oder beschickt (zusam-
mengeschmolzen). II) Diese Mischung oder
zusammengeschmolzene Masse, das edle Me-
tall nebst der Zuthat, nennt man das Korn,
d. i. Gehalt, Feinheit, Feingehalt, Beschaf-
fenheit oder Bestandtheile der Münze: das
Gewicht einer Münzsorte (Metallgewicht),
heiſst ihr Schrotb). Der Werth der Münze
wird geschätzt, nach dem Korn und Schrot
(quali et quanto). Bei der Fabrication,
muſs daher nicht nur für die Richtigkeit
des Gehaltes, sondern auch, so viel mög-
lich, für Gleichheit in dem Gewicht der indi-
viduellen Stücke einer Münzsorte, gesorgt
werden.
Der Münzfuſs, ist eine Bestimmung für
Korn, Schrot und Kaufwerth einer Münze.
I) In Silber, sind jetzt provisorisch, bis zu
einer völligen Gleichförmigkeit, oder andern
Bestimmung, vorzüglich gangbar, vier ver-
schiedene Münzfüſse a): der Achtzehngul-
den- oder Leipziger Fuſs von 1690 b); der
[549]IV. Abschn. MünzRegal.
Zwanziggulden- oder Conventions-
Fuſs seit 1753 c); der Einundzwanzig-
gulden- (kurbrandenburgische oder grau-
mannische) Fuſs, seit 1750 und 1764 d);
und der Vierundzwanziggulden Fuſse).
II) In Gold, sind vier Münzfüſse üblich:
der rheinische Goldguldenfuſs f); der Du-
caten Fuſsg); der Pistolen- oder Louisd’or-
Fuſs h); der Severinen- oder Souveraind’or-
Fuſs i). III) In Kupfer, werden nur hie und
da geringe Scheidemünzen geprägt k). IV) In
dem Königreich Westphalen war das neu-
französische Münz-, Maas- und Gewicht-
System eingeführt l). V) Das Staatsinteresse
gebietet, in dem geographischen Umfang des
teutschen Bundes, so viel möglich, Ein-
heit in Münzform und Münzfuſs m).
I) Das gegenseitige Verhältniſs in dem
Werth der Münzmetalle, ist nicht unver-
änderlich; mithin eben so wenig der
Münzfuſs a). II) Aus dér Veränderlichkeit
[552]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
des Preises der Münzmetalle, dann aus der
Seltenheit, aus der vermehrten Ein- und Aus-
fuhr, aus der augenblicklichen, mehrern oder
mindern Brauchbarkeit gewisser Geldsorten,
aus der übertriebenen Erhöhung des Nenn-
oder NominalWerthes mancher Münzen über
ihren innern oder reellen, u. d. m., erklärt
und rechtfertigt sich der kaufmännische
Geldcurs (unterschieden von dem Wechsel-
curs und dem Curs der Staatspapiere); ein
besonderer Werth der Münzen, gemeinig-
lich von dem Münzfuſs abweichend, wobei
der freie Handelswerth der Münze, wie bei
Gold- und Silberwaaren oder Stangen, mit-
hin das Geld als Waare, nicht als Staats-
oder Nationalgeld, sondern als Weltgeld
betrachtet wird b). Dasselbe gilt von dem
Agio oder Aufwechsel. III) Die in dem
Lande übliche Rechnungsart in dem Geld-
verkehr, heiſst Währung (valor), z. B.
rheinische, sächsische, preuſsische, wiener,
fränkische, lübische, u. d. d).
Von den eigentlichen, so auch von den
allgemeinern Münzen, sind zu unterscheiden,
die so genannten Landmünzen, welche bloſs
zu inländischem Umlauf in einem ein-
zelnen Staate bestimmt sind. Schon wäh-
rend der teutschen Reichsverbindung, durfte
nur ein Münzberechtigter sie prägen; doch
nicht mehr, als zu dem inländischen Verkehr
erforderlich waren; und auch dabei waren,
in Scheidemünzen, in Münzen vom ge-
ringsten Werth, die zunächst zu Beförderung
des Kleinhandels und des übrigen kleinen
[554]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Verkehrs bestimmt sind, und in groben
Sorten, in Schrot und Korn, die Reichsge-
setze und MünzConventionen zu beobachten a).
I) Die symbolische Münze (Staats-
geldzeichen), insonderheit das Papiergeld
(papier-monnoie, Papiermünze, Surrogat des
Metallgeldes, meist eine Art von Nothgeld),
enthält nur eine Anweisung auf reelle Münze,
für jeden Inhaber (§. 337). Sie ist eine Staats-
urkunde., eine Art von StaatsSchuldscheinen
oder Verbriefungen, mit oder ohne Zinsen,
[555]IV. Abschn. MünzRegal.
(bisweilen zu Beförderung des inländischen
Verkehrs) auf den Staatscredit, unter dem
Versprechen der Entschädigung, als gangbare
Münzzeichen für Jedermann errichtet, mit-
hin lautend auf jeden Inhaber (payable au
porteur); z. B. StaatsBanknoten, CassenBil-
lets, Tresor- oder Steuerscheine, Staatspa-
piere, Bons, Pfandbriefe, Transportzettel,
u. d. a). II) So fern eine gewaltsame Finanz-
Operation unter dem Papiergeld nicht ver-
borgen, und eine sichere Anweisung auf
reelle Münze darin enthalten ist, so daſs
der Staat solches zu gehöriger Zeit, in wahrer,
vollgültiger Münze, oder deren Werth, al
Pari realisirt, auch ihm bei alen Zahlungen
an StaatsCassen, völlig gleichen Werth mit
baarem Geld einräumt, oder hinreichende
AuswechslungsAnstalten errichtet, steht sol-
ches nicht in Widerspruch mit der Gerech-
tigkeit. III) Staatswirthschaftlich betrachtet,
kann die Einführung der Papiermünze nur
dann räthlich seyn, wenn sie ohne Zweideu-
tigkeit als Wohlthat für die Unterthanen
erkannt wird b). Gewöhnlich aber ist sie
ein eben so gefährliches als leichtes Mittel,
womit man der StaatsCasse auf kurze Zeit
aus der Noth hilft, und auf lange empfind-
lich schadet. Ihr gangbarer Werth beruht
[556]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
einzig auf dem Grad von Zutrauen, welchen
das Publicnm auf die Zusage des Ausstellers
setzt, jeden Inhaber vollständig zu ent-
schädigen. IV) Von einem Münzfuſs kann
dabei die Rede nicht seyn; eben so wenig
V) von einem Zwangrecht gegen andere
Staaten, das diesseitige Papiergeld anzuneh-
men, oder frei cursiren zu lassen. VI) Aber
dessen Ausfertigung, wird als Ausfluſs des
MünzRegals betrachtet.
III) Nothmünzen oder Nothklippen,
die als bloſse MünzSymbole für Nothfälle,
z. B. während einer Belagerung (moneta ob-
sidionalis), auf Kriegsschiffen, u. d. geprägt
werden, gelten, meist als gezwungene, un-
verzipsliche Staatsanleihe, nur für die Zeit
der Noth, und mit Vorbehalt der Eigenthums-
[558]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
und Entschädigungsrechte a). Auch dürfen
sie, in der Regel, unter dem Stempel eines
fremden Münzherrn nicht geprägt wer-
den b). IV) Medaillen, Schau-, Preis-,
Denk- oder Gedächtniſsmünzen, Jettons,
Zahl-, Spiel- und Rechenpfennige, haben
keinen bestimmten Münzwerth. Ihre Fabri-
cation kann bürgerliches Gewerbe seyn, unter
landesherrlicher Concession, Censur und po-
lizeimäsiger Einschränkung. Nicht leicht wird
dazu der Gebrauch eines Streckwerks, Schneide-
werks und Anwurfs erlaubt c).
I) Die neueste ReichsMünzordnung
von 1559 a), bestimmte das Verhältniſs zwi-
schen Gold und Silber, wie 1 zu 11½ b), so
daſs die Mark fein in Silber zu 10 Fl. 13½kr.
in den groben Sorten ausgeprägt werden sollte;
welches jetzt der alte Reichsfuſs heiſst.
II) Man bemerkte bald, daſs jenes Verhält-
niſs nicht ganz angemessen sey. Es enstand
mannigfaltige Münzveränderungc) und
Verwirrungd). Endlich ward, vach viel-
fachen ComitialVerhandlungene) und
Reichsgesetzenf), insbesondere von 1566
bis 1576, und 1667 bis 1689, III) durch die
Reichsschlüsse v. 15. Apr. 1737 und 1. Sept.
1738 g) der leipziger Münzfuſs (s. folg. §),
in Ansehung der Gold- und groben Silber-
sorten zu einem allgemeinen ReichsMünz-
fuſs provisorisch erhoben; doch so, daſs
unter die groben Silbersorten auch die hal-
ben, die Achtel-, Viertel- und Zwölftel-
[560]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Thaler gehören sollten. Allein dieser Münz-
fuſs, ward nur in sehr wenigen Territorien
wirklich eingeführt; nicht einmal erfolgte die
in den Wahlcapitulationen, seit 1742, festge-
setzte einstweilige Verkündigung jener beiden
Reichsschlüsse, durch Münzverordnungen
und ValvationsTabellen. Und eben so wenig
wurden einige andere, zu reichsgesetzlicher
Bestimmung ausgesetzte Puncte erledigt h).
Daher hielt kein Münzherr sich verpflichtet,
nach dem leipziger Münzfuſs zu münzen;
und eine übernommene Verbindlichkeit, in
reichsconstitutionsmäsigen Münzsor-
ten zu zahlen, war im Zweifel auf den leip-
ziger Fuſs nicht einzuschränken i). IV) Die,
während des siebenjährigen Kriegs,
überhand genommene Münzverwirrung, ver-
anlaſste ein kaiserl. MünzEdict v. 13.
Aug. 1759; eine compendiarische Wiederho-
lung und Erneuerung der bisherigen Reichs-
münzgesetze k), gröſstentheils ohne Erfolg.
Durch Kreis- und TerritorialMünz-
Conventionena) und Verordnungen, wur-
den verschiedene, von der ReichsMünzord-
nung abweichende Münzfüſse eingeführt. Die
merkwürdigsten sind: I) der leipziger
Münzfuſs von 1690, durch einen Receſs zwi-
schen den Häusern Sachsen, Brandenburg und
Braunschweig Lüneburg festgesetzt b); dem
nachher Schweden wegen seiner teutschen
Lande c), und gewissermasen auch Mainz,
Trier, Pfalz und Frankfurt beitraten, Er sollte
sogar ReichsMünzfuſs seyn (§. 344). Aber
selbst die ursprünglichen Paciscenten befol-
gen ihn nicht mehr durchgehends (§. 339).
Es ist ein AchtzehnguldenFuſs, das Ver-
hältniſs des Goldes zu Silber, wie 1 zu 15,
die feine Mark, in ⅔ und ⅓ Stücken, zu 12
Thaler oder 18 Gulden, die Scheidemünzen
[563]IV. Abschn. MünzRegal.
hingegen zu 13 Thaler, den Thaler zu 2
Gulden oder 120 Kreuzer gerechnet d).
II) Der eigentlich so genannte Conven-
tions Fuſs ward festgesetzt, durch eine
MünzConvention von 1753, zwischen Oest-
reich und Baiern a). Es ist ein Zwanzig-
guldenFuſs, das Verhältniſs des Goldes zu
Silber, wie 1 zu 14, höchstens 14 11/72, oder
circa 1415/100; die feine Mark in allen Sorten,
von dem SpeciesThaler bis zu dem Groschen
herab, zu 20 Gulden oder 13⅓ Reichsthaler;
die kölnische Mark feinen Goldes zu 283 Fl.
[564]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
5 kr. 347/71 Pf.; also den Ducaten zu 4 Fl.
10 kr., deren 67 St. auf die rauhe, und
6767/71 auf die feine Mark, den SpeciesThaler
zu 2 Fl., mithin deren 10 auf die feine
Mark. Auch Salzburg trat dieser Convention
bei b). Aber Baiern kündigte dieselbe schon
1754, und Salzburg 1755 auf c). Dagegen
erklärte der schwäbische Kreis sich beifäl-
lig d); und die drei Kreise Franken, Baiern
und Schwaben e) vereinigten sich 1761, mit
Verwerfung des leipziger Fuſses, zu dem
ConventionsFuſs; jedoch, in Ansehung des
äuſsern Werthes, provisorisch mit dem Un-
terschied wie 5 zu 6, daſs nämlich dem
ConventionsThaler der äussere Werth zu 2
Fl. 24 kr, dem Ducaten zu 5 Fl., und so
nach Verhältniſs bei den übrigen Gold- und
Silbersorten, beigelegt werden soll. So auch
1761 die Kreise Kurrhein und Oberrhein f).
Die Reichsgesetze billigten diesen Conven-
tionsFuſs, indem sie die Entrichtung der
Kammerzieler nach demselben, geboten g).
III) Die Ueberzeugung von einem gleichzei-
tig richtigern Verhältniſs zwischen Gold und
Silber (wie 1 zu 1311/13), veranlaſste den kur-
brandenburgischen oder preuſsischen
(graumannischen) Münzfuſs, seit 1760 und
1764, welcher ein Ein und zwanziggulden.
[565]IV. Abschn. MünzRegal.
Fuſs ist, die feine Mark Silber zu 14 Tha-
ler h). IV) Endlich billigte der oberrhei-
nische Kreis, durch ein MünzEdict vom
29. April 1793, indem er den brabanter
Thaler auf 2 Gulden 42 kr. hob, einen 2454/100
Guldenfuſs i).
Jedem Souverain des teutschen Bundes
gebührt, auch in Münzsachen: I) die Ober-
polizeia) und Gesetzgebung, die sich
wirksam zeigt in MünzEdicten und Paten-
ten, in Bestimmung des Münzfuſses, in dem
Verbot des Aufgeldspiels (Agiotage), des Ein-
gangs fremder, und der Ausfuhr guter Münz-
sorten, in Erhöhung oder Herabsetzung ihres
Zahlwerthes (ValvationsTabellen), in Ver-
rufung und Einrufung schlechter Münzsor-
ten, Einschränkung des Gold- und Silberver-
kaufs, Bestimmung, wie es bei Bezahlung
der Geldschulden, nach einer Münzverände-
rung, soll gehalten werden b), u. d. m. II) Die
richterliche Gewalt, in bürgerlichen und
peinlichen Sachen der bei dem Münzwesen
angestellten Personen, in Münzstreitigkeiten
und Münzverbrechen c). III) Auch steht es
in dem Willen des Souverains, auslän-
dischen Münzen, Staatspapieren und Papier-
geld, auch Land- und Scheidemünzen, in
seinem Lande Curs zu gestatten, oder zu
versagen d). IV) Zu einem Iucrativen Re-
gal (Mercanzei), sollte das MünzRegal nir-
gend gemacht werden; doch mit Vorbehalt
[567]IV. Abschn. MünzRegal.
des Präge- oder Schlagschatzes und
des Remediumse).
I) Posta). in dem allgemeinen Sinn, ist
eine Anstalt, schriftliche Nachrichten, Per-
sonen, oder Sachen, fortwährend von einem
bestimmten Ort (Station) nach einem andern
zu bringen. Station beiſst ein Ort, wo die
Postpferde gewechselt, Reisende aufgenom-
men, Briefe und Effecten auf- und abge-
geben werden. II) Man unterscheidet, öffent-
liche und PrivatPostb). Eine Art der öffent-
lichen Post, ist die Staatspost, welche
[569]V. Abschn. PostRegal.
ausschlieſsend zu dem unmittelbaren Gebrauch
des Staates bestimmt ist; wohin meist auch
die Fernschreiber oder Telegraphen ge-
hören. III) Ordentliche Landkutschen sind
privilegirte Fuhrwerke, die zu dem Trans-
port der Personen, Effecten und Waaren, von
einem bestimmten Ort zu einem andern, fort-
während bestimmt sind c). In der Regel be-
finden sich für sie, zwischen den beiden
Endpuncten ihrer ReiseRoute, keine Statio-
nen. Auch ist gemeiniglich für sie ein eige-
nes Boten- oder Kutschenamt (Botenmeister,
Schaffner, Botenschreiber etc.) bestellt. IV) Das
öffentliche Postwesen war in Teutschland
von jeher Regald), doch verleihbar; so,
daſs unter dem PostRegal lange Zeit nur
das Recht der Concession zu Errichtung
und Betreibung einer öffentlichen Postanstalt
verstanden ward, bis die Finanzkunst man-
cher Staaten Anlaſs gab, die öffentliche Post
in eigene Verwaltung zu nehmen. Selbst
Landkutschen, obgleich vielfältig nur Privat-
gewerbe, bedürfen oberherrlicher Concession.
Privat Post, bloſs zu eigenem Gebrauch,
ohne sie als Gewerbe (Nebenpostiren) und
zu unerlaubten Zwecken zu benutzen, kann
Jeder errichten.
Vor Errichtung des rheinischen Bundes,
unterschied man Reichs- u. TerritorialPosten.
I) Das ReichsPost Regal war dem fürstli-
chen Hause Thurn und Taxis, seit 1615 als
Reichsmannlehn, seit 1621 als Mann- und
subsidiarisches Weiberlehn, unter dem Titel
eines kaiserlichen ReichsGeneralErbPostmei-
steramtes über die Posten in dem Reich,
anvertraut. II) Zwar beginnt die Geschichte
des ReichsPostwesens schon mit dem Jahr
1563, aber erst in dem Jahr 1595 wurden
eigene Reichsposten errichtet, und in dem
Jahr 1615 ward das ReichsPostgeneralat erb-
lich und reichslehnbar a). III) Das Reichs-
GeneralErbpostamt, stand unter dem beson-
dern Schutz des Kaisersb). Ausserdem
war noch das Reichspostwesen, der Pro-
tection und Direction des ReichsErz-
kanzlers vorlängst empfohlen. IV) Zuletzt
garantirte noch der Reichsdeputations-
Hauptschluſs v. 25. Febr. 1803, § 13,
den Status quo des thurn- und taxischen
Reichspostwesens, in seiner ganzen Vollstän-
digkeit, so wie es, der Ausübung und
[572]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Ausdehnung nach, in dem Zeitpunct des
lunéviller Friedens (als Entscheidungs-
tags) constituirt gewesen war. Zugleich übergab
derselbe diese Reichsanstalt, um sie desto mehr
zu sichern, dem besondern Schutz des
Kaisers und des kurfürstlichen Collegiums.
Sonach ward der vielseitige practisch wich-
tige Streit, über Eigenschaft und Umfang
des Reichspostwesens, gesetzlich beseitigt.
V) Ueberdieſs hatte der Fürst von Thurn und
Taxis seine Rechtsverhältnisse gesichert, durch
Postverträge, Vergleiche und Com-
binationsRecesse mit einzelnen teut-
schen c), und selbst mit auswärtigen d) Staaten.
Ungeachtet vielen Landesherren anfangs
die Einführung der Reichsposten in ihren
Ländern nicht unangenehm gewesen war,
manche von ihnen dieselbe sogar gesucht
und begünstigt hatten, und Einheit der
Postanstalt für das teutsche Publicum
sehr ersprieſslich wäre: so reizte doch der
bemerkte Postertrag hie und da zu Einfüh-
rung eigener Territorial Posten. I) Der
Kaiser selbst gab, in dem gröſsten Theil
seiner teutschen Erbstaaten, das erste
Beispiel a). II) Die nächsten folgenden Ver-
suche dieser Art machten, schon in dem letzten
Viertheil des XVI. Jahrhunderts, Kursachsen,
Braunschweig und Wirtemberg b), deren Po-
sten jedoch zum Theil während des dreiſsig-
[576[575]]V. Abschn. PostRegal.
jährigen Krieges wieder eingiengen. III) Aber
seit dem westphälischen Frieden, wurden noch
mehr TerritorialPosten, zum Theil in Län-
dern von minderm Umfang, eingeführt, z. B.
in kurbrandenburgischen, kursächsischen, kur-
braunschweigischen, salzburgischen, hessen-
casselischen und darmstädtischen, mecklen-
burgischen, vorpommerischen, holsteinischen
und oldenburgischen, osnabrückischen, münste-
rischen, gothaischen und altenburgischen,
herzogl. braunschweigischen u. a. Staaten c).
IV) Etliche dieser TerritorialPosten erstreck-
ten sich sogar, kraft besonderer Ueberein-
kunft, als StaatsServituten, über oder durch
benachbarte Territoriend), wiederruf-
lich oder unwiederruflich, ohne oder neben
Reichs- oder inländischen TerritorialPosten;
ja es bestanden zuweilen, sogar im Inlande,
neben ihnen noch Reichsposten. V) Die Ein-
führung dieser TerritorialPosten, veranlaſste
nicht selten Widersprüche des Reichspost-
Generalats e).
I) In Reichsstädten waren Reichs-
postena), hie und da, namentlich zu Ham-
burg, Frankfurt und Bremen, auch fremde
TerritorialPosten, eingeführt. Indeſs
galten bei Reichsstädten in Ansehung des
PostRegals, in der Regel, dieselben Grund-
sätze, wie bei andern Landesherrschaften.
II) Ordentliche, gehende, reitende oder
fahrende Boten in entfernte Gegenden zu
senden, war mehrern Reichsstädten, meist
schon seit dem Mittelalter, durch Herkom-
men oder Verträge gestattet b). III) Diese Boten,
so auch die gemeinen ordentlichen
Landboten und Landkutscher, soll-
(37)
[578]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
ten jedoch unterwegs weder Briefe und
Packete. noch Personen mitnehmen oder ab-
setzen. auch keine Pferde wechseln c). Miſs-
bräuche und Collision dieser städtischen und
andern Boten mit den Reichsposten, veran-
laſsten Streitigkeiten d), Verordnungen e) und
Visitationen f).
In diesem Zustand befand sich in Teutsch-
land das Postwesen, diese für das Publicum
und das öffentliche Wohl so wichtige Staats-
anstalt, als der pre burger Friede drei Reichs-
ständen (Baiern, Wirtemberg und Baden) eine
relative Souverainetät ertheilte, auch bald
nachher die ReichsConstitution, und mit ihr
die ReichsPostverfassung aufgelöset ward. Mit
der Souverainetät erlangten die rheinischen
Bundesfürsten auch das PostRegal, nach
seinem ganzen Umfang a). Es erfolgten nun
mannigfaltige Veränderungen. I) Die schon
vorhin eigene TerritorialPosten ge-
habt hatten, lieſsen solche fortdauernb),
jetzt ohne fernern Widerspruch von Seite
des fürstlichen Hauses Thurn und Taxis.
II) Andere, unbekümmert um die Vorschrift
des ReichsdeputationsHauptschlusses von 1803
(§. 349), errichteten, ganz für eigene Rech-
nung in Selbstverwaltung, neue Landes-
posten, mit Aufhebung der bisherigen fürst-
lichen thurn- und taxischen Posten, z. B. Wir-
temberg c), der König von Westphalen d), der
Groſsherzog von Berg e); auch Baiern, seit
1808 f), und Baden seit dem 1. Aug 1811 g),
III) Die meisten, welche vorhin eigene
Landesposten nicht gehabt hatten, verwan-
delten die bisherigen taxischen Reichspo-
sten in Landesposten, und gaben dem
fürstlichen Hause Thurn und Taxis das Erb-
landPostmeisteramt zu Lehn, zum Theil
mit der Verpflichtung, einen jährlichen
Canon zu entrichten, und eine inländische,
von einer auswärtigen taxischen Postbehörde
[581]V. Abschn. PostRegal.
(möglichst) unabhängige PostDirection anzu-
ordnen. Dieses thaten: Baiern a), doch nur
bis 1808, der Fürst Primas, nahher Groſs-
herzog von Frankfurt. Baden b), bis zu dem
1. Aug. 1811, der Groſsherzog von Hessen c),
der Groſsherzog von Wirzburg d), Nassau,
die Herzoge von Sachsen e), die Fürsten von
Reuſs und Schwarzburg. Der Fürst Primas
hob die hessen-casselische Post auf, welche
zu Frankfurt am Main bestanden hatte f).
IV) Einige gestatteten vertragweise auswär-
tige Posten in ihrem Lande g), zum Theil
unentgeldlich. V) Etliche hatten, wie vor-
hin, weder taxische noch andere Post h).
VI) Das Königreich Sachsen, hatte 1807 von
Preuſsen eine eigene Transito-Postroute durch
Schlesien, von und nach dem Herzogthum
Warschau, als Staatsdienstbarkeit erhalten i).
VII) Einzelne Bundesstaaten schlossen, theils
unter sich, theils mit auswärtigen Staaten,
Postverträge, insonderheit Combina-
tionsRecessek). VIII) In demjenigen Theil
des nördlichen Teutschlandes, welchen Na-
poleon im Dec. 1810 mit Frankreich ver-
einigt hatte (§. 32), ward französische Post-
verwaltung eingeführt.
I) Durch das, zum gröſsten Nachtheil des
Publicums, auch in dem Postwesen einge-
rissene TerritorialIsolirungsSystem,
war es so weit gekommen, daſs am 1. Dec.
1810, auf der Grundfläche des ehemaligen
teutschen Reichs, weniger nicht als drei und
vierzig verschiedene TerritorialPostanstalten
gleichzeitig arbeiteten; sieben kleinere abge-
sonderte nicht gerechnet a). Fast eben so
verhielt es sich, als die teutsche Bundes-
Acte errichtet ward b), nachdem an die Stelle
der eingegangenen französischen, königlich-
westphälischen und groſsherzoglich-bergi-
schen Posten, wieder andere TerritorialPosten
[584]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
getreten waren. II) Die teutsche Bundes-
Acte beachtete nicht den Mangel einer höchst
wünschenswerthen Einheit der Postanstalt,
wenn nicht in allen, doch in dem gröſsten
Theil der Bundesstaaten, und eben so wenig
die unbeschränkte Trennung in der techni-
schen und finanziellen Verwaltung der ver-
schiedenen Landesposten, III) Sie beschränkte
sich auf bestätigende Anerkennung der Rechts-
ansprüche des fürstlichen Hauses Thurn
und Taxis. Dieses Haus soll in dem durch
den ReichsdeputationsHauptschluſs von 1803
(oben § 349), oder in späteren Verträgen
bestätigten Besitz und Genuſs der Posten
bleiben, so lang nicht etwa durch freie Ueber-
einkunft anderweite Verträge abgeschlossen
werden. In jedem Fall wurden demselben,
in Folge des §. 13 jenes Hauptschlusses, seine
auf „Belassung der Posten, oder auf eine
angemessene Entschädigung gegründeten
Rechte und Ansprüche versichert“ c).
I) Diese Bestimmungen der BundesActe
abgerechnet, ist, nach dem Grundsatz der
für die innere Staatsverwaltung in der Regel
geltenden Unbeschränktheit, kein Bundes-
staat in der Ausübung des PostRegals von
Aussen her positiv beschränkt. Jeder Bun-
desstaat übt dasselbe aus; etliche wenige aus-
genommen, deren eingeschränkte Gebietver-
hältnisse es nicht gestatten (§. 353, Note h.)
II) Die Postverwaltung, abgesondert von
der Posthoheit, läſst 1) der bedeutendste
Theil der Bundesstaaten, für eigene Rech-
nung führen a). 2) Andere Bundesstaaten,
haben solche Andern für deren Rechnung
überlassen; und zwar a) entweder andern
Bundesstaaten, durch besondere Ueberein-
kunft, gegen bedungene Vortheile b); b) oder
dem fürstlichen Hause Thurn und Taxisc),
theils vermöge der durch den Reichsdeputa-
tionsHauptschluſs und die BundesActe, zum
[586]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Theil auch durch neu hinzugekommene Lehn-
oder andere Verträge begründeten Rechte des-
selben, theils durch freie Uebereinkunft.
3) Etliche Bundesstaaten haben mehrfache
Postverwaltung nebeneinander (cumulativ);
entweder eigene und fremde d), oder bloſs
fremde e).
Die StaatsPostanstalt steht jetzt unter der
staatsoberhauptlichen Leitung jedes teutschen
Bundesstaates. Dieser ist befugt und ver-
pflichtet, durch Aufsicht, Polizeia) und
Gerichtbarkeitb), insbesondere durch
Postordnungenc), das Institut zu dem ge-
meinen Besten zu leiten, zu vervollkomm-
nen und zu schützen, auch gegen Eingriffe
fremder Staaten. Insbesondere gehören dahin:
die nöthigen Bestimmungen über Präsenta-
tion oder Ernennung, über Bestätigung oder
Bestellung, und über Verpflichtung der Post-
beamten, über Postwappen und Siegel, über
PostUniform und Livrée, über Privilegien
für die Posthäuser und PostOfficianten, über
Befreiung der ordentlichen, reitenden und
fahrenden Posten von Chausée-, Wege-,
Pflaster-, Brücken-, Fähr- und Sperrgeld,
über PostTarif und Postfreithum, über das
Verfahren bei Beschwerden der Reisenden,
u. d. m.
I) Das Ganze des Postwesens wird geleitet,
von einer inländischen obersten Staats-
behörde. Dieser ist, in den gröſsern Bun-
desstaaten, unmittelbar untergeordnet eine
inländische oberste Postbehörde, welche die
Benennung General- oder Oberdirection
der Posten, Haupt-, oder OberPostamt
u. d. führt. II) Die beiden Zweige der Ge-
neralPostverwaltung sind: das Brief- und
Extra Postwesen, und das fahrende
Postwesen (Postwagen). 1) Für jenes
sind theils OberPostämter, theils diesen
coordinirte, dirigirende Postämter (die
letzten für kleinere Bezirke) angeordnet; wel-
chen, jedem in seinem Bezirk, (Unter-)
Postämter, Postverwaltungen, (Briefpost-)
Expeditionen, PostSecretäre, PostStallmeister
und Post(Pferde)haltereien untergeordnet sind,
in Official-, Jurisdictional-, Rechnungs- und
Polizeisachen. 2) Das fahrende Post-
(wagen) wesen wird durch die OberPostäm-
ter, oder durch eigene OberPostCom-
missariate dirigirt, welchen die Haupt-
Expeditionen und übrigen Expeditio-
nen fahrender Posten, die Posthalter,
[590]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Conducteure und Postpacker, in Ansehung
der ordinären Fahrtgebühren und ihrer Amts-
verrichtungen, untergeordnet sind. 3) Oft
ist jedoch, an kleinern Orten, nicht nur das
Brief- und Extrapostwesen, sondern a[u]ch das
fahrende Postwesen, einer Person anver-
traut b).
Das Publicum hat gegen die Postanstalt
gerechten Anspruch auf Treue, Verschwie-
genheit, Rechtlichkeit, Billigkeit
(billige Preise) und Geschwindigkeit. Da
Einheit der Postanstalt in Teutschland, und
Verwaltung derselben durch Privatunterneh-
mer unter strenger Staatsaufsicht, wahrschein-
lich frommer Wunsch bleiben wird; so sollten
[591]V. Abschn. PostRegal.
wenigstens alle Bundesstaaten sich verpflich-
tet halten, durch Uebereinkunft feste Bestim-
mungen zu errichten über Gleichförmig-
keit in der Verwaltungsart sämmtlicher
LandesPostanstalten, insbesondere in Absicht
auf gehörigen Zusammenhang der PostRouten,
ununterbrochenen Lauf der reitenden und
fahrenden Posten, und billigen Tarifa).
Auch ist jeder Staat verpflichtet, die Un-
verletzlichkeit der, der Post anvertrau-
ten Briefe und Effecten (das Briefgeheimniſs,
im Gegensatz des so genannten Postgeheimnis-
ses, secret de la poste, oder des willkührlichen
Manipulirens der Briefe), staatsverbrecherischen
Verkehr ausgenommen, zu handhaben und
zu achten b). Ueberhaupt sollte eine für
Staats- und Privatverkehr, für Cul-
tur und Handel so höchst wichtige Anstalt,
von den Staaten stets nach gerechten und
liberalen Grundsätzen behandelt, auch
zu etwas Besserm benutzt werden, als
für unmittelbaren Finanzgewinn und geheime
Polizei c).
Auch in Ansehung der ordentlichen,
gehenden, reitenden und fahrenden Boten,
aus nahen oder entfernten Gegenden, der
gemeinen Landboten, Landkutschen,
Hauderer und Frachtfuhrleute, ist
jeder Bundesstaat befugt die nöthigen Be-
stimmungen zu machen a).
In den Souverain Staaten des teutschen
Bundes, gilt die Regalität des Berg-
(38)
[594]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
bauesa). Warum? und wie weit? ist eine
Aufgabe, jetzt b) mehr für Gelehrte c), als
für die Staatsregierung d). I) Jene suchen
die Regalität zu begründen, theils durch die
Voraussetzung einer Begrenzung des Privat-
Grundeigenthums mit der Oberfläche der Erde,
und einer Theorie von Adespoten e), theils
durch die Polizei Absicht einer Sicherung des
Publicums gegen Münzbetrügerei f), theils
durch die Betrachtung, daſs vollständiger Be-
trieb des Bergbaues unmöglich wäre, sollte
er von der Oberfläche des Grundes und Bo-
dens abhängig seyn g).
II) Wie weit die Regalität des Berg-
baues sich erstrecke a)? und welche Metalle,
Mineralien und Fossilien, als dem Privat-
Grundeigenthum angehörig zu betrach-
ten seyen? ist in den einzelnen teutschen
Staaten auf verschiedene Weise bestimmt b).
Gold- und Silberbergwerke, die Gewinnung
der vornehmsten Münzmetalle bezweckend,
sind jetzt überall Regal c). Rechtsgelehrte
und Kameralisten rechnen nicht selten dahin,
auch alle unedlen Metalled), Kupfer-,
Zinn-, Blei- und Eisen-, auch Arsenik-,
Spieſsglas oder Antimonial-, Wismuth-, Zink-,
Quecksilber- und Kobolt- oder FarbeBerg-
werke, ja alle Fossilien, Seen und Quel-
len, die wegen ihres medicinischen, tech-
nologischen, oder merkantilischen Nutzens,
Gewinn geben, oder hoffen lassen.
Insbesondere rechnet man hie und da, doch
nicht immer ohne Widerspruch, zu dem Berg-
werksRegal: Steinkohlen a), Torf b), Salpe-
ter c), Edelsteine, Marmor d), Alabaster, Agt-
stein, Schiefer, Feuersteine, gemeine Stein-
brüche e), namentlich auf Mühlsteine, ge-
brannte Steine und Kalk f), die Halbmetalle,
Alaun, Schwefel und Vitriol; ferner Salz-
quellen, Salzseen und Salzbergwerke g), Sauer-
und Gesundbrunnen, Badquellen h), Bern-
stein i), Perlen k), Goldsand l) (Waschgold,
Goldwäsche), Schwefel, Zinnober, Farberde,
Thon oder Töpfer-, Walker- und Porzellan-
Erde, Mergel, Kreide, Lehm, Streusand,
wohl auch gemeinen Sand m), fossile Kno-
chen. Schätze gehören nicht zu dem Berg-
Regal n).
1) Der regale Bergbau, wie weit er
sich erstrecken mag, gehört zu den verleih-
baren Regalien a); auch die Salinenb). Bei
der Verleihung wird dem Staat meist vor-
behalten, das Recht des Bergzehntenc)
und des Vorkaufsd) bei der Ausbente,
nebst einer RecognitionsAbgabee) (Qua-
tember- oder Receſsgeld). II) Das Recht,
unter gewissen Einschränkungen nach Erz
zu schürfen und zn Tage einzuschla-
gen, wird durch Schürfscheine verliehen f).
Die Findung eines Ganges, giebt das Alter
(Seniorat) in dem Felde oder den Vorzug in
der Muthung der Zeche, zu deren Bau der
Muther durch den Muthzettel berechtigt wird,
nicht nur bei dem Bau der Eigenlehner oder
Einspännigen, sondern auch bei dem Gesel-
lenbau und der Gewerkschaft g). Ueberall
ist der Bergbau zu treiben, mit gehöriger
Sorgfalt und Entschädigung der Grundeigen-
thümer.
Das Recht der Berghoheit (jus metal-
lifodinarum et salinarum sublime), erstreckt
sich über jede Art des Bergbaues, auch die,
welche einem Unterthan aus irgend einem
Rechtsgrund zusteht a). Abhängig hievon ist
die Verleihung der Bergfreiheiten, Bergpa-
tente und Privilegien, die Errichtung der
Berggesetze, der Berg-, Hütten-, Hammer-,
Haal-, Thal-, Bente-, Salz- und Pfänner-
ordnungen b), die Verleihung der BergGe-
richtbarkeit c) und OberBergpolizei d).
Forst Regal oder Forsthoheita)
(forstliche Herrlichkeit oder Obrigkeit, su-
perioritas forestalis), ist der Inbegriff der aus
der Staatsgewalt flieſsenden Befugnisse, über
die in dem Staatsgebiet befindlichen Forsten b).
Es ist darunter begriffen, das Recht der höch-
sten Aufsicht über das gesammte Forstwesen c),
der ForstGesetzgebung d), der ForstPolizei e)
und ForstGerichtbarkeit f). Es erstreckt sich
über die Staats- oder Domanial-, und alle
PrivatWaldungen, die CommunWaldungen
unter diesen mitbegriffen. Wesentlich von sol-
chem, als Staatsbefugniſs, unterscheiden sich
die Rechte des Forst- oder Waldeigen-
thumsg).
Die niedere Forstgerechtigkeit, die
Holzanweisung unter Führung eigener Wald-
axt a), die Bestellung der niedern Forstbe-
amten b), auch die Ausübung der Forstge-
richtbarkeit und Beziehung der Forststrafen c),
alles untergeordnet der Staatsgewalt, ist ein
verleihbares Regal, nicht nur für Wald-
eigenthümer, sondern auch für andere Unter-
thanen. So fern eigene Forst- und Holz-
gerichted), landesherrliche, patrimonial-
herrliche, oder Märkerdinge, nicht angeord-
net sind, gehört die Gerichtbarkeit in
Forstsachen dem ordentlichen LocalRichter e).
Den Standesherren, ist die Forstgerech-
tigkeit und Forstgerichtbarkeit geblieben.
I) Ein unstreitiges Regal ist die Jagdho-
heita), das Recht der Oberherrschaft in
Jagdsachen. Oberaufsicht, Gesetzgebung b)
und OberPolizei, über alle Jagdberechtigun-
gen in dem Staatsgebiet, nebst der Gericht-
barkeit in Jagdsachen, sind darunter begrif-
fen. II) Die Regalität der Jagdgerech-
tigkeit, der Befugniſs, jagdbare wilde
Thiere aufzusuchen und sich zuzueignen,
— obgleich nicht gegründet in dem allge-
meinen Staatsrecht c), in der Natur der
Jagd und des Grundeigenthums, in dem äl-
testen, gröſstentheils auch in dem mittlern
teutschen Staatsrecht d), wie in dem römi-
chen, — gilt jetzt in allen teutschen Bun-
desstaaten. In einigen wird alle Jagd in dem
ganzen Staatgebiet e), in andern, auf grund-
herilichen JagdRevieren, auch wohl auf städti-
[607]VII. Abschn. Forst- u. JagdRegal.
schen, nur die hohe Jagd f), oder bloſs die
Mitjagdg), als Regal, doch als verleih-
bares, angesehen. Den Standesherren ist,
in ihren standesherrlichen Bezirken, die hohe
und niedere Jagd geblieben. Auch bei den
Grundherren sind die vormaligen Jagd-
berechtigungen meist geblieben.
I) Die Ausübung der Jagdgerechtigkeit,
ganz oder zum Theil, gebührt bald dem
Staat, bald einem Privatberechtigten,
auf eigenem, oder fremdem Wald- und
Grundeigenthum, auch wohl einem frem-
den Staat als StaatsServitut a). Freie
Pürsch ist, wo sie in neuern Zeiten noch
galt, jetzt fast überall abgeschafft b). II) Eins
Jagdverleihung giebt, im Zweifel, unwie-
derrufliche und privativec) Berechtigung.
Daher wird bloſse Revers- oder Gnaden-
jagdd), oder ein Recht des Verleihers zu
der Vorjagd oder Vorhatze, zu der Mit-
und KoppelJagd, nicht vermuthet e).
III) Seit Einführung der Regalität, und der
Eintheilung in hohe und niedere Jagd, ist,
bei neuern Jagdverleihungen, nur für die nie-
dere Jagd zu präsumiren f).
IV) Forstgerechtigkeit und Wald-
eigenthum, sind unter einer Jagdverlei-
hung nie zu verstehen. Auch, im Zweifel,
nicht die Gerichtbarkeit in Jagdsachen.
V) Die Grenzen der hohen (auf Hochwild)
und niedern Jagd a), wozu in einigen Län-
dern noch die mittlere kommt b), sind in
den einzelnen Staaten verschieden bestimmt.
VI) Eben so die Frage: ob der Jagdherr, bei
Verminderung des Wildes, berechtigt sey,
von den Grundeigenthümern des JagdReviers,
Entschädigung zu fordern c)? VII) Die
Verbindlichkeit der Unterthanen zu Jagd-
folgen, flieſst aus der Staatspflicht, zu Jagd-
frohnen aus der Patrimonialpflicht d). VIII) Zu
Erhaltung, Aufstockung oder Atzung der
Jagdhunde, können Unterthanen nur durch
besondern Rechtstitel verpflichtet seyn e).
IX) Die Wildfolge, Verfolgung des an-
(39)
[610]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
geschossenen Wildes in fremdes Gebiet oder
JagdRevier, kann nur durch Verträge gerecht-
fertigt werden f). X) Die Staatsregierung ist
verpflichtet, dem Miſsbrauch der Jagd-
gerechtigkeit, namentlich der zu groſsen Ver-
mchrung des Wildes entgegenzuarbeiten g).
Das WasserRegala) besteht in dem
Rechte der Oberherrschaft, über das in dem
Staatsgebiet befindliche Wasser und dessen
Zugehör. Es erstreckt sich nicht nur über
alles öffentliche, oder zu dem öffentlichen
Vermögen des Staates gehörige Wasser, wohin
fast alle gröſsern Flüsse und Seen gehören,
sondern auch über alles Privatwasser und des-
sen Zugehör b); über Meerbusen c), Seen,
Teiche, Lachen, Feldwasser, Quellen, Ströme,
Flüsse, Bäche, Canäle, mit ihren Betten,
Ufern, Inseln (Werdern), Anlagen u. d. d).
Ueberall sind hiebei, die aus dem Privatei-
genthum und aus der natürlichen Frei-
heit flieſsenden Rechte, von den Rechten
der Staatsgewalt sorgfältig zu unterscheiden,
so weit nicht auch jene, ganz oder zum Theil,
durch das positive Staatsrecht erweislich e) zu
[612]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
den Regalien gezogen sind. Eben so unter-
scheidet sich davon das Verhältniſs des Staa-
tes zu andern Staaten, in Ansehung der
GrenzStröme, Seen, und Accessionen, der
Anspülung, des Anwurfs, der Inseln, der
schwimmenden Inseln, u. d. f).
Das WasserRegal bezieht sich, nach Erfor-
derniſs des Staatszweckes, I) auf den Ge-
brauch des Wassers a). Dahin gehören: Was-
serstraſsen und Schiffahrt b), Canäle, Schleus-
sen c), Brücken d), Fähren e), Flöſsen f),
Mühlen und andere GewerbAnstalten an oder
auf dem Wasser g), Wässerung h), Brunnen i).
II) Auf die, in und unter dem Wasser
befindlichen Sachen, lebendige und leblose.
Dahin gehören: die Fische und die Fischerei-
gerechtigkeit a), welche, in der Regel, kein
Regal, sondern Wirkung des Wasser- oder
Fluſseigenthums ist b); die Wassergewächse,
Sand c) und Steine, Salz, Perlen (§. 362),
Bernstein (§. 362), das Strandrecht d), (Grund-
ruhr, jus littoris), welches jetzt nur noch
gegen Seeräuber, Schleichhändler, Schiffer
auf verbotenen Fluſs-, oder Seegegenden,
an den dänischen Ufern der Elbe e), und
retorsionsweise ausgeübt wird.
III) Auf den Grund und Boden, wel-
chen das Wasser zu seinem Bett hat, oder
umschlieſst, oder zunächst berührt. Dahin
gehören: das Fluſsbett a), das Ufer oder
Gestade b), die Inseln (Werder) und Anla-
gen c) (Anspülung, Anwurf, Alluvionen),
die Dämme oder Deiche d), die Häfen e),
Landungs-, Aus- und Einladplätze, Buch-
[616]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
ten und Ankerplätze, der Kai (quai), die
Leinpfade, Treppelwege oder Trödel f).
Ueber alle diese Gegenstände, gebührt
dem Staat die höchste Aufsicht, Gesetzge-
bung, Polizei, Gerichtbarkeit und Finanz-
hoheit; das Recht, Wasser-, Schiffahrt-,
Ufer-, Deich-, Damm-, Dünen-, Fischer-,
Brunnen-, Strand- u. d. Ordnungen zu er-
[617]VIII. Abschn. WasserRegal.
richten; das Recht zu Anstalten a) gegen
Hindernisse der Schiffahrt, Wasserschaden,
Miſsbrauch des Wassers und der Schiffahrt,
das Rang- und Marktschiffwesen, das Schif-
fer- und FischerZunftwesen, die Schiffbar-
machung der Flüsse, Anlegung der Canäle
u. d.; die Errichtung eigener Wasser-, Deich-,
Mühlen- und Fischergerichte b), in deren
Ermangelung Wassersachen vor den ordent-
lichen Richter gehören; die Bestimmung der
Abgaben für die Verleihung oder den Ge-
brauch des öffentlichen Wassers, der Schif-
fahrt und Wasseranstalten, z. B. Wasser-
und Mühlenzins, Wasserzoll, Fluſs-, Damm-
und Uferbaugeld, Hafen-, Fähr-, Floſs-,
Schleussen- und Brückengeld, u. d. c).
I) Der Staat ist, vermöge der Pflicht, die
Gewerbe seinem Zweck gemäſs zu leiten
und den Erwerbzweigen gehörige Aufsicht
zu widmen, befugt, Verwilligung oder Con-
cession, oder auch Empfehlung zu er-
theilen, für nützliche Unternehmungen, Ge-
werbe, Handlungen und Befugnisse, vorü-
bergehende und fortwährende, welche eine
Quelle des Privateinkommens sind, aber
wegen des Staatsinteresse, der Willkühr eines
Jeden nicht überlassen werden a). II) Diese
Gegenstände werden oft zugleich als Quelle
des Staatseinkommens betrachtet, in-
dem davon bestimmte ConcessionsEmo-
lumente, ConcessionsGelder, Pachtgelder,
oder GewerbRecognitionen b), ein für alle-
mal, oder fortdauernd zu gesetzter Frist
(Gewerbsteuer), erhoben werden. III) Manche
Concessionen dieser Art, beziehen sich auf
PolizeiEinschränkungen, zu dem Be-
sten des Ganzen oder eines Theils dessel-
ben. Diese sind, nebst dem Ertrag, nicht
[619]IX. Abschn. IndustrieConcessionsRegal.
selten den mit der niedern Polizei ver-
sehenen Grundobrigkeiten und städtischen
Gemeinheiten überlassen c). IV) Unterge-
ordnet sey die Ausübung dieses Regals, der
Pflicht des Staates zu Beförderung freier
Kraftäusserung der Staatsbürger.
Hieher wird gerechnet, theils in allen,
theils in mehrern Staaten, die Concession
für Gesellschaften a), insbesondere der Octroi
für groſse Assecuranz- und Handelsgesell-
schaften b), kaufmännisches Gewerbe, Allein-
handel c), Patentwaaren, Marktverkauf, Hau-
siren d), Pferdverkauf e), Kalender- und
SpielkartenVerkauf f), Apotheken g), Arznei-
mittel, chirurgische Werkzeuge und Opera-
[620]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
tionen (AugenOperateure, Bandagisten, Zahn-
ärzte), Arcana h), Buchdruckereien, Fabri-
ken, Manufacturen, Potaschensiedereien,
Kalk- und Ziegelbrennereien (§. 362 Note f),
Seidenwürmer und MaulbeerPlantagen i), Bier-
brauerei k), Branntweinbrennerei l) (wovon
der Blasenzins), Gastwirthschaft-, Garkü-
chen- und Schankgerechtigkeit, Kaffeeschen-
ken, Billard m), Zünfte und Freimeister-
schaft n), Heurathen (HeurathConsensgelder).
Auch gehört in diese Classe, die Conces-
sion für Glückshäfen a), Zahlen- und Clas-
senLotterien b) und WettComtoire oder Win-
kelLotterien c) Hazardspiele, öffentliche Lust-
barkeiten d) (Musikpacht, Musik- und Tanz-
zettel, TanzAnlage), Schauspiele, gymnasti-
sche, auch Taschenspieler- u. d. Künste, Vor-
zeigen sehenswürdiger Dinge, seltener Men-
schen, Thiere, Natur- und Kunstproducte,
Scharfrichterei, Wasenmeisterei e) (Abdeckerei,
[622]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Cavillerei), Caminfegen, Schweinschneiden
(Viehschnitt), Scheerenschleifen, Zinngieſsen,
Pfannen- und Kesselflicken f), Haarschnei-
den, Roſshaar-, Aschen-, Knochen- und Lum-
pensammeln, u. d. Auch manche Zwang-
oder Bannrechte werden hieher gezogen g).
Die Ertheilung des Landesschutzes,
ist ein Regal, welches bald unmittelbar von
der höchsten Landesbehörde, bald mittelbar
durch landesherrliche Unterbehörden, oder
durch Standesherren, städtische oder grund-
herrliche Unterobrigkeiten ausgeübt wird. Es
gehört dahin: I) die Aufnahme neuer Lan-
desunterthanen, Bürger, Bauern, Colonisten,
Burg- und Freisassen, Beiwohner, Beisassen,
Schutzverwandten, Zettelleute, Unter- oder
Hintersassen und Erbgesessenen a).
Ferner gehört dahin, II) die Ertheilung
des Judenschutzesa), die Aufnahme der
Juden, und die Festsetzung ihrer bürger-
lichen Rechte b). Vermöge der teutschen
BundesActe (Art. 16), wird die Bundesver-
sammlung in Berathung ziehen, wie, auf
möglichst übereinstimmende Weise, die bür-
gerliche Verbesserung der Juden in
Teutschland zu bewirken, und ihnen der
Vollgenuſs der bürgerlichen Rechte zu ge-
statten sey (§. 171). Zu dem Judenschutz kön-
nen Standesherren, Grundherren und städtische
Gemeinheiten durch Privilegien, Verträge
oder unvordenkliche Verjährung berechtigt
seyn c).
III) Auswärtige Besitzer inländischen
Grundeigenthums (forenses), genieſsen nicht
nur, für ihr in dem Staatsgebiet befindli-
ches Grundeigenthum, den dinglichen, son-
dern auch, in dem Fall ihres Aufenthaltes
in dem Lande, den persönlichen Staats-
schutz a). IV) Fremde, durchreisende und
andere, die sich für bestimmte, oder unbe-
stimmte Zeit, erlaubterweise in dem Staats-
gebiet aufhalten, erlangen, für die Zeit ihres
Aufenthaltes, den temporären Landesschutz,
ausdrücklich oder stillschweigend b). V) Ange-
nommene Gesandte eines fremden Staates,
genieſsen, für die Dauer ihrer Gesandtschaft,
(40)
[626]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
nicht nur auszeichnenden Landesschutz (Un-
verletzlichkeit), sondern auch für sich, ihr
Gefolge und das GesandschaftQuartier, die
Exterritorialität und Quartierfreiheit c).
VI) Die Ertheilung des Indigenatsa),
des LandesBürger- oder Beiwohnerrechtes
(Heim- oder Heimathrechtes, Einwohner-,
Insassen- oder Einzöglingrechtes, Incolats),
des vollständigen oder unvollständigen, mit
den davon abhangenden Rechten b), durch
ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung,
unbeschadet der LocalRechte, gebührt dem
Souverain. VII) Der Ertrag des Landes-
schutzRegals, das Receptions-, Ein- und
Ueberzug[s]geld, das Schutz- und Schirmgeld,
Beisitzergeld, u. d., gehört in der Regel, der
Landesherrschaft c). VIII) Die Aufsuchung,
Verfolgung, Aufgreifung und Vertreibung der
Schutzlosen, der Landstreicher (Vagabun-
den), Gauner, Zigeuner d), u. d., liegt den
Polizeibehörden ob. IX) Die Auswanderung
oder das freie Wegziehen, in schuldloser
Absicht, aus einem Bundesstaat in den andern,
der erweislich sie zu Unterthanen annehmen
will, ist eine Befugniſs, welche die Bundes-
Acte allen Unterthanen der teutschen Bun-
desstaaten beilegt e).
I) Auch Dienstleistung, positive Handlun-
gen, Staatsdienstea) (Landfolgen, fun-
ctiones publicas, s. regales, operas territo-
riales, ursprünglich den Reihedienst), ist der
Staat von seinen Unterthanen, dem Staats-
zweck gemäſs, zu fordern befugt b). II) Diese
Dienste, Geldes werth, gehören zu dem Staats-
einkommen c). III) Die Verpflichtung dazu,
findet sich bei allen Unterthanen, und bei
allen, in der Regel, unter gleichen Umstän-
den, auf gleiche Artd). IV) Sie haftet
auf der Person, auf dem Grundeigen-
thum, oder auf beiden (persönliche, ding-
liche, vermischte Dienste). V) Die noth-
wendigen Staatsdienste, sind zum Theil
eingeschränkt auf eine bestimmte Quantität
oder Qualität, und in so fern sind es gemes-
[630]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
sene Dienste. Ungemessen sind sie, so weit
dringendes Staatsbedürfniſs solches fordert e).
Zu dem persönlichen Staatsdienst ge-
hören, ausser den intellectuellen Diensten:
die MilitärDienste, die Heerfahrt, Reiſs,
oder Heerfolge a) (sequela armata), zu der
wirklichen b), oder vorsorglichen Landesver-
theidigung, in der Gestalt von stehenden
oder LinienTruppen, von Landwehr-
männern und von Landsturm, zu wel-
chem Ende die Conscription oder Recruten-
Aushebung, die CantonEintheilung, Landes-
musterung oder Heerschau veranstaltet, Ver-
fügung gegen die Waffenscheuen (réfractaires)
getroffen, ein Cordon gezogen wird, u. d.;
die Nacheilec) oder eilende Folge, zu
Verfolgung derer, welche gegen die öffent-
liche Sicherheit gefrevelt haben; die Gericht-
und Centfolge, Einziehung und Bewachung
der Verbrecher, Centwacht d); das Streifene)
auf heimath- und gewerbloses, herumsch wei-
fendes Gesindel, u. d.; die Jagdfolgef),
welche sich wesentlich unterscheidet von
Jagdfrohnen g) (§. 369); Fuſsdienste oder
Botengehen.
Zu den dinglichen Diensten g[e]hören:
Spanndienste, Vorspann, Militar- und Krie-
gerfuhren a), Burgfesten b), zu Erbauung, Un-
terhaltung oder Herstellung der Festungen,
Burgdienste, zu dem Vortheil landesherrli-
cher Schlösser oder Burgen e), Dienste zu
landesherrlichen Dicasterial-, Canzlei- und
Amtsgebäuden d), Hofdienste oder Hoffolgen,
Hoffuhren e), zu Fortbringung landesherrli-
cher Effecten und Victualien, und des Hof-
staates, Dienste zu dem Deich-, Damm-,
Straſsen- und Brückenbau, zu Wegräumung
des Schuttes und Ausbesserung, bei Verhee-
rungen durch Feuer, Erdbeben, Erdfälle,
Ueberschwemmungen, u. d. f). Zu den ver-
mischten Diensten gehören manche Hand-
und Fuſsdienste, Schanzarbeit, Feuerreuten u. a.
I) Sowohl der intellectuelle, als auch der
mechanische Staatsdienst, setzt Fähigkeiten
oder Fertigkeiten voraus, die nicht bei Jedem
sich finden. Daher muſs der, welchen die
Dienstpflicht trifft, wenn ihm jene fehlen,
oder rechtmäſsige Hindernisse ihn abhalten,
und die Natur des Dienstes, oder das Staats-
interesse einen Stellvertreter nicht gestattet a),
statt des Naturaldienstes Vergütung leisten.
II) Aber in der Regel kann, statt des
Dienstes, Geld weder gefordert, noch
aufgedrungen werden b). III) Hingegen ge-
bührt Entschädigung (Besoldung, Hono-
rar, Lohn) dem, dessen Staatsdienst seinen
individuellen Pflichttheil übersteigt. IV) Bei
[635]XI. Abschn. LandesdienstRegal.
Verrichtung mancher mechanischer Staats-
dienste, wird jedesmal ein bestimmtes Quan-
tum Lebensmittel verabreicht c); doch ist
eine Verpflichtung hiezu, im Zweifel nicht
zu vermuthen d).
I) Unentgeldliche Befreiung Einzelner
von dem Staatsdienst, mit Vermehrung der
Last für Andere, wäre widerrechtlich a) II) In
CollisionsFällen, gehen die Staatsdienste
allen andern Arten von Diensten vor b) III) Zu
Auflegung neuer Staatsdienste, kann, den
Nothfall ausgenommen, die Einwilligung der
Landstände nöthig seyn c). IV) Durch blos-
sen Nichtgebrauch, erlischt das Recht
zu irgend einer Art von rechtmäsigen Staats-
diensten nicht d).
I) Die FiscalGewalta) oder Fiscal-
Gerechtigkeit (jus fisci), ein Ausfluſs der
Staatsgewalt, nicht bloſs der Justizhoheit b),
bezweckt nicht nur Wahrung und Verfolgung
der Rechte des Staates gegen Einzelne, son-
dern sie verschafft auch mehrere, verschie-
denartige c) Quellen des Staatseinkommens.
II) Wie weit, oder wie eng man auch den
Begriff des Staats Fiscus fassen mag d), so
darf solcher doch auf andere StaatsCassen
nicht ausgedehnt werden, z. B. auf das Aetar e),
die Steuer- oder LandschaftCasse, die Kriegs-
Casse, u. d., auch nicht auf die Domänen-
[637]XII. Abschn. FiscalGewalt.
Casse. Diesen gebühren daher auch nicht,
in Ermangelung besonderer gesetzlicher Be-
stimmungen, die Rechte oder Privilegien des
StaatsFiscus f) (jura fisci). III) Noch weni-
ger gehören das landesherrliche Privat- oder
ChatoulleVermögen, obgleich in dem römi-
schen Recht versehen mit den Vorrechten des
Fiscus (§. 255), das so genannte mittelbare
Staatsvermögen (§. 254. 277), und der Lehn-
Fiscus (fiscus feudalis), zu dem Staats- oder
TerritorialFiscus.
Zu Vermeidung des, durch Uebertreibung
der FiscalGerechtigkeit entstehenden Unrech-
tes a), dienen folgende Grundsätze. I) Der
Fiscus ist nur solche Sachen sich zuzueignen
befugt, zu deren Zueignung entweder die
Staatsgewalt überhaupt, oder klare Gesetze
oder Herkommen den Souverain verpflichten
und berechtigen b). II) Die FiscalAngelegen-
heiten sind, in der Regel, nach dem gemei-
nen Privatrecht des Staates zu beurtheilen c)
(§. 276 f.). III) Der Fiscus kann, in eigener
Sache, nicht Richter seyn d); und es finden
[639]XII. Abschn. FiscalGewalt.
in Confiscations- und andern fiscalischen Sa-
chen, die gewöhnlichen Rechtsmittel statt e).
IV) Das römische jus fisci, hauptsäch-
lich zu dem römischen Staatsrecht gehörig,
ein Inbegriff von Vorzugsrechten und Pri-
vilegien des Fiscus a), ist in teutschen Staa-
ten nur so weit anwendbar, als dessen An-
nahme oder rechtmäsiger Gebrauch keinem
gegründeten Zweifel unterworfen ist b).
V) Nicht immer sind Unterthanen schuldig,
dem Fiscus ihren Rechtstitel anzuzeigen
(§. 276). VI) FiscusSachen, können durch
vierzigjährige Verjährung erworben werden c).
VII) Unächte, von Privatgelehrten erson-
nene Vorrechte des Fiscus (privilegia fisci
spuria), sind verwerflich (§. 391).
I) Als Berechtigungen und Bestandtheile
des Fiscus, sind anzusehen: die gewöhnli-
chen Strafnutzungen a), insonderheit der Con-
fiscutionsErtrag b), bei Defraudation der
Staatsauflagen oder andern Verbrechen (ver-
wirktes Gut), und diejenigen Güter, welche,
ausser jenen, vermöge der Gesetze dem Fis-
cus heimfallen, sowohl ledige, insbesondere
erblose c), als auch andere, z. B. Bastarderbe,
Schätze d), der Ertrag des Heimfallrechtes e)
(juris albinagii, droit d’aubaine), des Wild-
fangrechtes f), des Abzugs- und Nachsteuer-
rechtes g), des Hagestolzenrechtes h), des
Vorkaufrechtes bei der Ausbeute der Berg-
werke (§. 363), schiffbrüchige Güter (bona
naufragorum) vermöge des Strandrechtes
(§. 372), die Gerade bei ermangelnder Ge-
radeErbin i), oder wegen Retorsion k), u.
a. d., so fern diese Rechte noch üblich sind.
II) Ein Rott-, Neubruch- oder Noval-
Zehntrechta), und ein Successions-
Recht, bei Privatlehen, oder inländischen Ac-
tivlehen auswärtiger Staaten, in das nutzba-
re Eigenthum, namentlich der Erblehen, bei
dem Mangel lehnfähiger SuccessionsBerech-
tigten b), oder in das allodiale Oberei-
genthum, in dem Fall einer Erlöschung
der lehnherrlichen Familie c), gebührt dem
StaatsFiscus, in der Regel, nicht. III) Vor-
rechte, welche der Fiscus anspricht, müs-
sen gesetzlich bestimmt seyn (390).
I) Die Verwendung der FiscalGefälle,
als eines Theils des Staatseinkommens, muſs
zu dem Vortheil der Staatsbedürfnisse ge-
schehen a). II) Zu Wahrung und Verfolgung
der FiscalRechte, zu Verwaltung der Fiscal-
Einkünfte, werden fiscalische Staats-
beamte angestellt, Fiscale, FiscalAnwälte,
KammerProcuratoren, Provisoren des Fiscus
u. d. b). III) Den Gerichten ist zuweilen
eine eigene Verfahrungsweise, in fisca-
lischen Sachen, gesetzlich vorgeschrieben c).
IV) Mit eigener Gerichtbarkeit versehenen
Unterobrigkeiten, Standesherren, Grund-
herren, städtischen Magistraten u. d., ist oft
eine unvollständige und eingeschränkte Fis-
calGerechtigkeit überlassen d), deren Um-
fang in jedem Fall besonders auszumitteln ist.
Der Begriff und die Eigenthum-
verhältnisse der Domänen oder Kammer-
güter, eines Bestandtheils des Staatsvermö-
gens, und einer wichtigen Quelle des Staats-
einkommens, sind oben (§. 252 f.) angege-
ben a). Die Domänen können bestehen b)
aus Herrschaften, Aemtern, Städten, Dör-
sern, Weilern, Landgütern, Vorwerken,
Bauerhöfen, Gebäuden, Fabriken, Waldun-
gen oder Forsten, Gärten, Aeckern, Wein-
bergen, Wiesen, Weiden oder Triften, Quel-
len, Flüssen, Bächen, Seen, Fischteichen,
u. d., nebst Grundgerechtigkeiten, Zehnten,
[646]II. Th. XII. Cap. Finanzhoheit.
Gutspachten, Gülten, Zinsen, Frohndien-
sten, Jagdnutzungen, u. d.
I) Der Erwerb der Domänen, ist theils
ursprünglich, theils derivativ, durch verschie-
dene Rechtstitel, auch Heimfall und Con-
fiscation a). II) Der Ertrag derselben ist
Staatseinkommen, und bestimmt, nicht bloſs
zu dem persönlichen Anfwand des Regen-
ten, sondern vorzüglich auch zu dem Staats-
aufwand (§. 252). III) Die Verwaltung
der Domänen, und der lucrativen oder so
genannten KammerRegalien, wenigstens die
[647]XIII. Abschn. Domänenrecht.
Aufsicht über diese Verwaltung, ist eigenen
Collegien übertragen, Kammern, Rent- oder
DomänenKammern b).
I) Die Benutzung der Domänen a) ge-
schieht theils durch eigene Bewirth-
schaftung, theils durch Zeitpachtb),
oft aber auch, da beides eigenthümliche
Gebrechen hat, durch Zerschlagung und Ver-
äuſserung zu Erbzins oder Erbpachtc).
Die letzte Art ist bei Landgütern meist vor-
zuziehen d), mit Ausnahme der Forsten e)
bis zu einem gewissen Quantum. II) Nicht
in allen teutschen Bundesstaaten, sind die
Domänen steuerfrei (§. 327).
I) Die landesherrliche Domänenverwal-
tung wird, in ihren streitigen Rechtsachen,
in der Regel, nach dem gemeinen Pri-
vatrechte des Staates beurtheilt a). Daher
kann II) nicht nur das Possessorium
summariissimum, selbst von Unterthanen,
[649]XIII. Abschn. Domänenrecht.
gegen dieselbe mit Erfolg gebraucht werden
(§. 276), sondern es findet auch III) vier-
zigjährige Verjährung gegen dieselbe statt,
so fern die Veräusserung und der Erwerb
der Kammergüter nicht gesetzlich verboten
ist b). IV) Auch ist dieselbe nicht befugt,
wegen ihrer verjährbaren Rechte und Güter,
von dem Besitzer derselben die Anzeige
seines Rechtstitels zu begehren (§. 276).
I) Aus dem allgemeinen Hoheitsrecht der
Gesetzgebung, flieſst das Privilegien-
Regala), die Befugniſs des Gesetzgebers,
dem Staatszweck gemäſs, Ausnahmen von all-
gemeinen Rechten zu verfügen, theils für ein-
zelne Personen (physische oder moralische),
oder Sachen, theils für gewisse Classen der-
selben b). II) In dem letzten Fall, heiſsen
sie besondere Rechte (jura singularia,
beneficia legis), uneigentliche Privilegien.
In dem ersten Fall, heiſsen sie Privilegien
in dem eigentlichen Sinn, wenn sie für alle
oder mehrere gleichartige Fälle, hingegen
Dispensationen oder Freisprechungen von
einzelnen Gesetzen, wenn sie für einen ein-
zelnen Fall ertheilt werden c). III) Man un-
terscheidet persönliche und dingliche,
[651]PrivilegienRegal.
afirmative und negative, auch aus-
schlieſsende und cumulative Privile-
gien d), IV) Nicht selten sind Privilegien und
Dispensationen, eine Quelle von Staats-
einkommene).
I) Die Rechtmäsigkeit eines Privi-
legii hängt ab, von der Befugniſs des Er-
theilers, von der Erwerbfähigkeit des Privi-
legirten, und von gefährdeloser Erlangung
desselben a). II) Die heutige Gültigkeit älte-
rer Privilegien wird beurtheilt, in der Re-
gel, nach den, der Ertheilung gleichzeiti-
gen staatsrechtlichen Grundsätzen b). III) Die
Wirksamkeit der Privilegien schränkt sich
ein, auf das Staatsgebiet des Ertheilers c);
wo auch Ausländer solche anerkennen
müssen d). IV) Ein Privilegium enthält zu-
gleich eine HandlungsNorm für andere
Unterthanen e); weſshalb verhältniſsmäsige
Bekanntmachung desselben nöthig oder nütz-
lich seyn kann. V) Unwirksam ist es
gegen das wohlerworbene Recht eines Drit-
tenf); überhaupt, so oft es die Staatspflicht
der Nichtprivilegirten überschreitet. Daher
kann, vor Ertheilung mancher Privilegien,
Vernehmung der Interessenten rathsam seyn.
I) Privilegien in dem eigentlichen Sinn,
auch Dispensationen, haben die Kraft eines
Vertrags zwischen dem Ertheiler und Pri-
vilegirten; gleichviel ob sie auf Wiederruf,
oder für immer, unentgeltlich oder gegen
[654]II. Th. XIII. Cap.
Vergeltung, ertheilt sind. II) Daher darf, in
der Regel, Wiederrufa), Minderungb),
Veränderungc), authentische Ausle-
gungd), einseitig nicht geschehen. III) In
der Regel, sind sie einschränkend zu
erklären, können nicht vermuthet, und nicht
ad exemplum gezogen, auch kann, in der
Regel, kein Privilegirter zu deren Ausübung
genöthigt werden e). Landständische
Concurrenz, kann bei Ertheilung solcher
Privilegien nöthig seyn, welche in Hoheits-
rechte einschlagen, bei deren Ausübung land-
ständische Mitwirkung durch die Staatsver-
fassung begründet ist f). IV) Bei Standes-
herren, Grundherren und städtischen
Magistraten, wird das Recht, Privilegien,
auch geringere, zu ertheilen, nicht vermuthet,
sondern es ist, für jede Art von Privilegien,
zu erweisen. Zuweilen ist ihnen ein ein-
geschränktes Verleihungsrecht (jus privilegio-
rum minus vel minimum) eingeräumt.
Zu den Privilegien gehören, unter andern:
Stadt- a), Schloſs- und Marktrecht, Handels-
privilegien (§. 333), insbesondere Monopo-
lien und BücherPrivilegien, akademische Pri-
vilegien, Moratorien b) (doch nur Gnaden-
Indulte), Titel-, Adels- und WappenErthei-
lung (§. 401. 409 ff.), Asylrecht (§. 298),
Volljährigkeits Erklärung c) (venia aetatis),
Legitimation unehelicher Kinder d), Salve-
garde e), Bannrechte oder Zwanggerechtig-
keiten f), u. a. m., auch Verleihung solcher
Rechte, deren Ausübung der Privatwillkühr
nicht überlassen zu werden pflegt (§. 375 ff.).
I) Staatsämtera), fortwährende Auf-
träge zu bestimmten Staatsgeschäften, statt
eines Reihedienstes aller Staatsbürger, sind,
in nothwendiger Anzahl, Bedürfniſs eines
Staates. Daher das Hoheitsrecht der
Staatsämter (jus munerum publicorum).
Der Regent steht an der Spitze der Staats-
beamten. Alle sind ihm untergeordnet. Meh-
rere Staatsbeamte, für Staatsgeschäfte blei-
bend vereinigt, bilden ein Landes- oder
StaatsCollegium, eine Staatsbehörde oder
Landesstelle. II) Mit einem Staatsamt sind
verbunden: 1) eine bestimmte, anständige
(42)
[658]II. Th. XIV. Cap. Aemter-, Titel,
und verhältniſsmäsige Entschädigung für
Leistung der Staatsdienste b) (Amtseinnahme
oder Dienstertrag (§. 385), insonderheit Be-
soldung, Salarium, und Accidentien, Emolu-
mente); 2) eine Amts- oder Dienstehre
(Dignität, Würde, honos cum vi); 3) ein
AmtsCharakter (Titel).
Der Regent führt im Staat den Stempel
der Ehrenmünze, deren Gepräge verschie-
dene Formen darbietet. I) Geburtsstand
und Standeserhöhung, geben Standes-
ClassenEhre a) (Castenehre). II) Titular-
Würden oder TitularChargen, bei welchen
die Bestimmung zu Staatsgeschäften fehlt,
geben fingirte oder scheinbare Dienstehre.
(honos sine vi). III) Ehrenzeichen (De-
corationen, honoris ornamenta) sind privi-
[659]Ehrenzeichen-, Rang- u. Standeserh. Recht.
legirter Leibesschmuck, von dem Herrscher
verliehen. IV) Hofbeamte und Hofdie-
ner (Domestiken oder Hofgesinde des Re-
genten), allerseits Diener des Fürsten, sind
unterschieden von eigentlichen Staatsbeam-
ten b). V) Rangc) (praecedentia), ein Vor-
zug in der von mehreren zu beobachtenden
Ordnung, ist ein Theil der Dienst-, Stan-
des- (Casten), Titular-, oder Decorations-
Ehre. Er wird meist bestimmt durch förm-
liche Rangordnungend) Unter Personen
derselben RangClasse, entscheidet gewöhn-
lich das Dienstalter (ancienneté). Rang-
streitigkeiten sind nicht immer Justiz-
sachene).
I) Das Staatsoberhaupt ist zu Bestellung
des Landes- Militär-, Civil- und Hof-
Etats berechtigt a); hie und da etwa nur
mit Ausnahme landständischer, dann gewis-
ser Hof- und Landgerichts-, auch Munici-
palBeamten, Schul- und Kirchenlehrer, u. d.
II) Indeſs können, in manchen, wenn gleich
souverainen Staaten, Gebrauch, Politik und
politische Machtverhältnisse gewisse Schran-
ken setzen, bei Ertheilung wirklicher und
TitularChargen; zumal wenn man auf Ach-
tung und HofEtiquette, auch Rangverhält-
nisse mit Bundes- und auswärtigen Staaten,
Rücksicht nimmt b). III) Auch Indigenat
(§. 381) und Religion kommen bisweilen
in Betrachtung c). IV) So genannte adeliche
Chargen sind, bei Staatsämtern, wider die
Regel, und, gleich den Sinecuren (Aem-
tern mit Dienstgehalt, ohne Amtsverrich-
tung) und dem Diensthandeld), ausser
dem Staatszweck e), also gegen die Natur
des Staatsdienstes.
I) Staatsämter a) werden von dem Sou-
verain verliehen, entweder unmittelbar, oder
mittelbar durch hiezu ermächtigte Staatsbe-
hörden oder Privilegirte b); allenfalls auch
mittelst Bestätigung oder Ernennung der von
Andern Präsemirten. II) Persönliche Fä-
higkeit und Würdigkeit, Geist, Kennt-
nisse, Herz und Charakter, müssen die Wahl,
[664]II. Th. XIV. Cap. Aemter-, Titel-,
und die nothwendige stufenweise Beförde-
rung der Staatsbeamten bestimmen. Schon
darum sind ErbStaatsämter, gebohrne
Beamte, so auch erhandelte und so ge-
nannte SchürzenAemter, nicht zu dul-
den; wohl Erbhofämter. Adjunctionen
und Substitutionen können nützlich, so-
gar nothwendig seyn c). Anwartschaf-
ten (Expectanzen) sind, in der Regel, unzu-
lässig. Nepotismus ist Staatssünde; so
wie Besoldung ohne Arbeit. III) Zwingen
kann der Staat seine Bürger zu intellectuel-
len Staatsämtern, in der Regel, nicht d).
I) Die ehemaligen Ober- und Unter-
Comitive (Palatinate), die Aemter, Wür-
den und Befugnisse der kaiserlichen Ober-
und UnterHofpfalzgrafen (comitum pa-
latinorum, majorum et minorum, comitum
sacri palatii Lateranensis), sind mit der teut-
schen Reichsverfassung erloschen a). II) Eben
so das Amt der kaiserlichen Notarienb).
Doch sind Handlungen, welche diese wäh-
rend der Reichsverfassung gültigerweise un-
ternommen hatten, fortwährend gültig. Jeder
Bundesstaat ist jetzt befugt, eigene Terri-
torialNotarien zu creiren, d. h. Männer,
die zu öffentlicher Beglaubigung der von
ihnen, meist in Gegenwart einer bestimmten
Anzahl requirirter Zeugen, bemerkten Erfah-
rungsGegenstände, unter landesherrlicher Au-
ctorität bestellt, und obrigkeitlich verpflichtet
sind c). III) Auch die akademischen
Würden, können jetzt nur allein unter
landesherrlicher Auctorität ertheilt werden d)
(§. 416).
Die wechselseitigen Rechte zwischen dem
Staat und dem Staatsbeamten a), sind zu-
vörderst zu beurtheilen aus den Stipulationen
[667]Ehrenzeichen-, Rang- u. Standeserh. Recht.
des Dienstvertragsb); dann, aus den,
die Stelle einer solchen Uebereinkunft ver-
tretenden Staatsgesetzenc); zuletzt, aus
der Natur des gegenseitigen Verhältnisses.
In dem letzten Fall findet, so wie, in der
Regel, kein Zwang zu Annehmung intellec-
tueller Staatsämter, also auch, auf beiden Sei-
ten, kein Zwang zu Fortsetzung des Dienst-
verhältnisses statt. Daher ist I) eine, nicht
zur Unzeit und ohne Gefährde erfolgende
Aufkündigung, Niederlegung des Amtes
oder Resignation des Dieners d), eben so er-
laubt, als II) eine Entlassung oder Ver-
abschiedung (dimissio honesta) desselben, die
in Gnaden und ohne Anführung einer, für
seine Ehre nachtheiligen Ursache geschieht e).
IV) Dasselbe gilt von einer Versetzung
oder Translocation des Dieners, mit oder ohne
Vortheil auf seiner Seite a). V) Auch ist nicht
widerrechtlich, die Zuruhesetzung (Jubi-
lirung, Quiescirung, Versetzung in den Ruhe-
oder QuiescentenStand) eines Dieners, dessen
Dienste dem Staat überflüssig geworden sind,
oder der zu Verwaltung des Amtes, ganz
oder zum Theil, unfähig geworden ist. VI) Ist
dieses ohne des Dieners Verschulden gesche-
hen, so pflegt, mit Beibehaltung des vori-
gen Ranges und Titels, eine verhältniſsmäsige
[671]Ehrenzeichen-, Rang- u. Standeserh Recht.
jährliche Pension (Ruhe- oder Versorgungs-
Gehalt, Pension de retraite) gegeben zu wer-
den b). War der Staatsdienst selbst, die un-
mittelbare Ursache der Unfähigkeit, so ist
volleEntschädigung desDieners Zwang-
pflicht. VII) In allen diesen Fällen, legt
die Heiligkeit des Staatszweckes beiden
Theilen wesentliche Pflichten auf c): dem Staat,
die Entlassung, Versetzung, oder Zuruhe-
setzung, nur nach der Forderung des Staats-
zweckes, mithin nach Pflicht, zu ver-
fügen; dem Diener, bei einer Aufkün-
digung nach untadelhaften Gründen
(nicht nach bloſser Willkühr) zu verfahren,
zu deren Beurtheilung zwar vorzüglich ihm
die Data gegeben sind, die er aber dem Staat
anzuzeigen in einzelnen Fällen verpflichtet
seyn kann d). VIII) In der neuern Zeit, hat
man in Hinsicht auf Entschädigung
solcher Staats- und Hofdiener, auch Pen-
sionisten, welchen eine eingetretene Staats-
veränderung den Verlust ihrer Stellen
und Amtsvortheile, oder Pensionen, entwe-
der androhte oder zugefügt hatte, billige
Bestimmungen eintreten lassen e).
IV) Cassation, Bestrafung eines Staats-
dieners, wegen Dienstvergehen oder anderer
Verbrechen, durch Amtsentsetzung (remotio),
so wie X) Suspension oder temporäre Ent-
(43)
[674]II. Th. XIV. Cap. Aemter-, Titel-,
fernung eines Staatsdieners von seinem Amt,
während der Untersuchung eines ihm zur
Last gelegten Verbrechens, mit oder ohne
Beibehaltung aller, oder bestimmter Amts-
nutzungen a), kann in der Regel nur von
dem Richter verfügt werden b). Widrigen-
falls hat der Diener von dem Richter ein
Erkenntniſs auf Restitution und Ablieferung
des rückständigen Gehaltes zu erwarten c).
Dagegen steht dem Dienstherrn nachher frei,
ihm eine anständige Entlassung zu ertheilen d).
XI) Bei bloſsen Hausdienern, Gesinde
und Dienstboten, so auch bei Hofbeam-
ten und Hofdienern (§. 402) e), ist die
wechselseitige Aufkündigungsfreiheit am we-
nigsten bestritten. XII) Ob und wie weit
die Witwe eines Staatsdieners, Witwen-
gehalt zu fordern berechtigt sey? beruht
auf vertragmäsiger, oder staatsgesetzlicher
Bestimmung f).
I) Die Errichtung eigener Erzämter
und Erblandhofämtera), der höhern und
niedern Hofämter, und der Hof- und
Leibgarden b), so auch die Bestimmung des
eigenen Staats- und HofCeremonielsc),
ist dem zweckmäsigen Ermessen eines jeden
Staatsoberhauptes überlassen. Eben so ist
dasselbe berechtigt, II) zu Ertheilung bloſser
Titel und Prädicate, namentlich der
Excellenzd), III) auch zu Wappenver-
leihunge), und IV) zu Bestimmung des
Ranges am Hofe, in dem Civil- und Mili-
tärDienst f), so wie V) der militärischen und
andern Ehrenbezeugungen.
I) Die Wahl und der Gebrauch eigener
Staats-, Haus- und Standeszeichen,
bei Landes-, Familien-, und Hoffeierlichkei-
ten, auch auf Wappen, z. B. der Königs-
krone, des Fürstenhuts und der Fürstenklei-
dung, der Insignien (Krone, Scepter, u. d.),
nach dem Stande des Souverains, hängt von
desselben Gutbefinden ab a). II) Auch zu Stif-
tung und Verleihung bestimmter Ehren-
zeichen oder Decorationen b), insonderheit
der Ehrenordenc), der Haus-, Hof-, Jagd-
und Ritter-, auch militärischer und Civil-
Verdienstorden (§. 185. 188.), ist das Staats-
oberhaupt berechtigt. Mit Ertheilung eines
Ordens ist, in der Regel, Standeserhöhung
nicht verbunden d). Die Annehmung und das
Tragen auswärtiger Orden, bedarf landes-
herrlicher Genehmigung e). Soll ein Pri-
vatorden, z. B. ein Gesellschaftsorden, von
einem Souverain bei seinen Unterthanen ge-
duldet und anerkannt werden; soll er öffent-
liche und obligatorische Existenz, und ein
[679]Ehrenzeichen-, Rang- u. Standeserh.Recht.
Verbietungsrecht gegen alle Ungenossen in
demselben Staat genieſsen; so wird hiezu ein
Privilegium, wenigstens Bestätigung des Sou-
verains, erfordert f).
I) Das Recht, Standeserhöhung,
allenfalls mit neuem, verändertem oder ver-
[681]Ehrenzeichen-, Rang- u. Standeserh.Recht.
mehrtem Wappen und einem höhern Prädi-
cat in dem CanzleiCeremoniel, zu ertheilen a),
eignet sich, in den teutschen Bundesstaaten,
jeder Souverain, in seinem Staatsgebiet, der
Regel nach ausschlieſsend b) zu; nach allen
Stufen des hohen und niedernAdelsc), und zwar
des ersten, so weit es dem eigenen politi-
schen Rangverhältniſs des Bundesfürsten an-
gemassen ist. II) Zuweilen wird die. Stan-
deserhöhung per saltum ertheilt d), auch
wohl bloſs mit dem Erstgeburtrecht
verbunden. III) Dem Rechte dritter Per-
sonen, insbesondere der SuccessionsBerech-
tigten, anderer Familien und Souveraine,
kann durch Standeserhöhung kein Eintrag
geschehen. IV) Auch die mit dem Brief-
adel geschenkten Ahnen sind, in der
Regel, ohne Wirkung e). V) Die, seit Auf-
hebung der teutschen Reichsverfassung hie
und da statt gehabte, Ertheilung der stan-
desherrlichen Würdef), giebt 1) für die
Person, theils den hohen Adelstand, wenn
diese nicht vorhin schon damit begabt war,
theils die persönlichen Vorrechte der inlän-
dischen Standesherren, 2) für die standes-
herrlichen Besitzungen, die diesen in dem-
selben Lande zukommenden dinglichen Vor-
rechte.
V) Die AdelsTaxea) bestimmt der Sou-
verain. VI) Landesunterthanen wird nicht
gestattet, ohne landesherrliche Erlaubniſs,
Standeserhöhung bei einem fremden Staat
zu suchen, oder von demselben anzuneh-
men, oder sich solcher zu bedienen, wenn
sie ihm von demselben aus eigener Bewe-
gung war verliehen worden b). VII) Aus-
ländischer Adel, erlangt die Rechte des
inländischen, durch Bestätigung des Sou-
verains, wobei gemeiniglich gewisse Taxen
zu entrichten sind. In verschiedenen Bun-
desstaaten ist eine Adelsmatrikel einge-
führt, in welcher jeder nicht bloſs tempo-
räre Landesunterthan, der in dem Lande
sein AdelsPrädicat führen und anerkannt wissen
will, nach vorhergegangener Adelsprobe, mit
dem ihm zukommenden adelichen Prädicat
eingetragen seyn muſs c). VIII) Obgleich selbst
die ehemaligen rheinischen Bundesfürsten auf
[684]II. Th. XIV. Cap. Aemter-, Titel-,
diejenigen ihrer Titel verzichteten, welche
eine Beziehung auf das teutsche Reich aus-
drückten c), und unter den teutschen Bun-
desSouverainen nur Kurhessen noch seinen
auf die ehemalige Reichsverfassung sich be-
ziehenden Titel fortführt (§. 48 u. 109); so
läſst man doch die, unter ehemaliger
kaiserlicher und ReichsAuctorität
erlangten Standeserhöhungen der Untertha-
nen teutscher Bundesstaaten noch fortdauern
(§. 52); nur muſs die, auf das teutsche
Reich sich beziehende Nebenbenennung (z. B.
Reichsfürst, Reichsgraf, Reichsfrei-
herr, u. d.) unterbleiben (§. 48).
Nützliches Wissen, Aufklärung
und — eine Folge wahrer Aufklärung a) —
Tugend, geistige und gesellige Cul-
tur der Staatsbürger, sind Bedürfniſs des
Staates. Zu Erreichung dieses Hülfzweckes,
kommt der Staat, durch Wissenschaft-
pflege, durch Erziehungs- und Unter-
richtanstalten, für sittliche und intel-
lectuelle Bildung der Staatsbürger b), den Ein-
zelnen und Familien zu Hülfe c); denn nicht
[686]II. Th. XV. Cap.
alle von diesen können Hauslehrer halten,
gute Subjecte dieser Art sind in erforder-
licher Zahl nicht anzutreffen, zu häuslicher
Bildung und Jugenderziehung findet sich
nicht in allen Familien gute und hinlängliche
Gelegenheit, und auf Ideen und Sitten ver-
mag der Staat am meisten zu wirken d).
Dem zufolge errichtet der Staat öffent-
liche Anstalten, 1) für Volksunterricht,
vorzüglich in den untern und mittlern Men-
schenclassen; 2) für gelehrte und arti-
stische Bildung, höhere und niedere; 3) für
Sittenbildung, um Sittenverderbniſs und
Charakterlosigkeit entgegenzuarbeiten a). Alle
diese, auch ähnliche Privat Anstalten b), sind
der Gesetzgebung, Aufsicht, Gerichtbarkeit
und Polizei des Staates untergeordnet c), wel-
cher dadurch die Mehrung der Vollkom-
menheiten seiner Bürger zu befördern
strebt d).
I) Für Industrie-, Kunst- und Wis-
senschaftpflege überhaupt, ohne unmit-
telbare, wenigstens ausschlieſsende, Bestim-
mung für den Jugend Unterricht, werden
Industrie-, Kunst- und gelehrte Ge-
sellschaften (Institute, Akademieen der
Künste, Wissenschaften, u. d.), auch Lese-
Anstalten, von dem Staat errichtet, oder
bestätigt a), auch II) öffentliche Biblio-
[689]Erziehungs- und UnterrichtRegal.
theken, Kunst-, Naturalien- u. a.
Sammlungen angelegt und unterhalten b).
III) Für den JugendUnterricht in Pflich-
ten, Künsten und Wissenschaften, werden
niedere und höhere Lehranstalten,
unmittelbar von dem Staat, oder unter dessen
Auctorität und Aufsicht, errichtet. Zu den
niedern gehören die Volks-, Real- und
TrivialSchulenc), die Gymnasien,
Pädagogien, und Lyceend). IV) Die
höhern Lehranstalten (Akademieen in
dem weitern Sinn), so fern sie für Unter-
weisung in allen Wissenschaften gestiftet,
und auf Ertheilung der akademischen Wür-
den in allen Facultäten privilegirt sind, heiſsen
Universitäten: hohe Schulen, wenn
sie zu Verleihung der akademischen Würden
nur zum Theil e), Akademieen in dem
engern Sinn, wenn sie dazu gar nicht be-
rechtigt sind. V) Die Gesetzgebung, Gericht-
barkeit, Disciplin und Polizei, diese Insti-
tute betreffend, hängt von dem Souverain ab f).
I) Nur zu Ertheilung der akademischen
Würden, und zu Ausübung gewisser accesso-
rischen Rechte mancher Universitäten, z. B.
der Comitiv, bedurfte es, in dem teutschen
Reich, der kaiserlichen Auctorität a).
Zu dem Ende verschaffte ein Landesherr,
bei Errichtung einer Universität, sich ein
kaiserliches akademisches Privilegium b).
Päpstliche Bestätigung ward, wenigstens
bei protestantischen Universitäten, nicht mehr
erfordert c). Seit Auflösung der teutschen
Reichsverfassung, können akademische Pri-
vilegien nur von dem inländischen Staats-
oberhaupt ertheilt werden. II) Die akade-
mischen Würden, der Grad eines Doctors,
Licentiaten, Baccalaureus, Magisters, gekrön-
ten Poëten, konnten ehehin aus der Reichs-
kanzleid), zum Theil auch, doch mit ge-
ringerm Erfolg, von kaiserlichen Hofpfalz-
grafene), erlangt werden, sie wurden aber
meist, und werden, seit Auflösung der teut-
schen Reichsverbindung, ausschlieſsend von
Universitäts Facultäten, unter landesherr-
licher Auctorität, ertheilt f); wobei die ge-
hörigen Prüfungen und Förmlichkeiten ge-
[692]II. Th. XV. Cap.
wissenhaft zu beobachten sind. III) Die
Rechte und Vorzüge der Graduirten,
sind in Staatsgesetzen oder Herkommen ge-
gründet g); z. B. der höhere Gerichtstand, die
Fähigkeit zu Beisitzerstellen in höhern Lan-
desJustizCollegien und UniversitätsFacultäten,
zu der Advocatur und Procuratur, zu gewis-
sen Kirchenpfründen, u. d.
I) Das BücherRegala), das Recht,
Kunst- und Buchhandlungen, Buch-
druckereienb) und Bücher zu privile-
giren, II) das Recht der Bücher- und
LeseCensurc), III) die Bestimmung der
Druck- und Preſsfreiheitd), (der öffent-
lichen Gedanken- oder NotizenMittheilung),
unter gesetzlicher genauer Bezeichnung und
Untersagung des Miſsbrauchs, auch IV) die
Lesefreiheit (unterschieden von Denk,
Rede und Schreibfreiheit), V) die literä-
rische Polizei überhaupt, die Oberauf-
sicht, Gesetzgebung e) und Gerichtbarkeit in
Büchersachen, steht dem Staatsoberhaupt zu.
VI) Vernünftige Oeffentlichkeit (Publi-
cität), das Ansehen der öffentlichen Meinung
und Preſsfreiheit, dieses rechtlichen Gemein-
guts der gebildeten Menschheit, ist ein Schirm-
dach, unter welchem sich der Nationalgeist
entwickelt, und jede Art nützlicher Auf-
klärung und Mittheilung sich verbreitet; zu-
gleich für die Staatsregierung ein wichtiges
Mittel, die Gebrechen der Staatsverwaltung
zu erfahren, und die Volksstimme zu ver-
nehmen f). In mehreren Staaten ist daher
[695]Erziehungs- und UnterrichtRegal.
die BücherCensur abgeschafft, als Usur-
pation über die natürlichen Rechte der Ver-
nunft. Dagegen macht man, mit Recht, den
Schriftsteller, und in gewisser Art auch
den Buchhändler und Buchdrucker,
verantwortlich, wegen Verletzung der
Rechte des Staates, des Regenten, und der
Privatpersonen.
I) Unter Büchernachdrucka) versteht
man jede Vervielfältigung schriftlicher oder
[698]II. Th. XV. Cap.
bildlicher Geisteswerks, gegen Willen und
Absicht ihrer Urheber, oder deren Rechts-
nachfolger; es sey durch Schreib-, Buch-
drucker-, Steinschreiber-, Formschneide-,
Kupferstecher-, oder irgend eine andere bil-
dende Kunst. Immer unbillig, sehr oft schäd-
lich, obwohl ohne positive Einschränkung
nicht wider das strenge Recht, verdient er,
zugleich aber auch die Festsetzung und Hand-
habung billiger Bücherpreise, eine ge-
setzliche Bestimmung b), übereinstimmend,
wo möglich, für alle Bundesstaaten und auch
für Nachbarstaaten. Die teutsche Bundes-
Acte c) verweiset die Abfassung gleichför-
miger Verfügungen, über Preſsfreiheit
und Sicherstellung der Rechte der Schrift-
steller und Verleger gegen den Nachdruck,
an die Bundesversammlung. II) Als parti-
culäres d) Schutzmittel gegen Büchernach-
druck, werden in einzelnen Fällen landes-
herrlicheBücherPrivilegien, gesucht, und
meist auch ertheilt. Die wirksamsten sind
jetzt, wegen der leipziger Messen, die könig-
lich-sächsischen e).
I) Kirche ist eine Gesellschaft, welche
zu sittlicher Vervollkommnung der Einzelnen,
und zu gemeinschaftlicher äusserer Gottes-
verehrung, nach einem bestimmten Lehr-
begriff, vereinigt ist. II) Als Gesellschaft
bedarf eine Kirche, zu ihrem rechtlichen
Daseyn in dem Staat, der Billigung des
Staates. Sie muſs sich Bedingungen dieses
Daseyns gefallen lassen, welche dem Staats-
zweck angemessen sind. Diese Bedingungen
sind theils natürlich, theils positiv, je
nachdem sie aus der Natur des beiderseiti-
gen Verhältnisses flieſsen, oder auf willkühr-
lichen Bestimmungen beruhen. III) Der In-
[701]Kirchenhoheit.
begriff der Rechte des Staates, über die
Kirchen in dem Staatsgebiet, heiſst Kir-
chenhoheit (jus majestaticum circa sacra).
IV) Der Inbegriff der, in dieser Hinsicht,
zwischen beiden statt findenden vollkomme-
nen Rechte, heiſst KirchenStaatsrechta);
natürliches, oder positives.
I) Ueber das Rechtsverhältniſs der Kir-
chengesellschaften zu dem Staat, sind, in teut-
schen Bundesstaaten, eigene Staatsgesetze
theils erschienen a), theils zu erwarten. II) Wäh-
rend der teutschen Reichsverfassung, wurden,
in Absicht auf die StaatsReligionsverfassung,
verschiedene Staatsverträge errichtet, wo-
bei zum Theil jetzige teutsche Bundesstaa-
ten MitPaciscenten waren b). III) Auch wer-
den neue Concordatec) mit dem Papst,
allgemeine oder particuläre, erwartet, welche
für das Verhältniſs nicht nur zwischen den
Bundesstaaten und der katholischen Kirche,
sondern auch zwischen dem Papst und der
teutschen katholischen Kirche, vertragmäsige
Bestimmungen festsetzen sollen, wie sie dem
vernünftigen Geist der Zeit, und dem we-
sentlichen Verhältniſs beider Theile gemäſs
[704]II. Th. XVI. Cap.
erachtet werden d). IV) Auf dem wiener
Congreſs, ward die schon beschlossen ge-
wesene Einrückung eines Artikels in die
teutsche BundesActe, hintertrieben, in
welchem der katholischen Kirche in
Teutschland, unter der Garantie des Bundes,
eine ihre Rechte, und die zu Bestreitung
ihrer Bedürfnisse nothwendigen Mittel sichernde
Verfassung, verheiſsen, und die Aufrecht-
haltung der Rechte der Evangelischen in
jedem Bundesstaat, in Gemäſsheit der Frie-
densschlüsse, Grundgesetze, oder anderer gül-
tigen Verträge, festgesetzt werden sollte e).
Es lieſs sogar der päpstliche Hof feier-
liche Protestation einlegen, wider alle
Verfügungen des wiener Congresses, welche
er der römisch-katholischen Kirche über-
haupt, sodann dem Interesse der katholischen
Kirche Teutschlands, wie auch den Terri-
torialAnsprüchen und Gerechtsamen des hei-
ligen Stuhls insbesondere, für nachtheilig
hielt f).
Aus dem natürlichen Verhältniſs zwischen
Staat und Kirche, flieſst der Hauptsatz: eine
[707]Kirchenhoheit.
Kirche ist nicht Staat im Staat. Unter-
geordnet ist sie der Staatsgewalt a). Mit Recht
fordert man von ihr, daſs sie nur unter
Auctorität des Staates, in dem Staatsgebiet
existire, und daſs sie demselben nicht bloſs
unschädlich b), sondern, als sittlich-religiöser
Verein, nützlich sey. Antagonismus zwischen
beiden, darf nicht statt finden c). Das gött-
liche Siegel eines Glaubens ist, wenn er
wohlthätig wirkt, wie die Gottheit.
I) Die Kirchenhoheit wird begrenzt,
natürlich, durch das Reich des Gewissens a)
und die SocialGewalt der Kirche b), positiv,
durch Uebereinkunft. II) In ihr ist begrif-
[709]Kirchenhoheit.
fen c): das ReformationsRecht (jus refor-
mandi) oder Majestätsrecht der bürgerlichen
Religionsduldung, das Recht der Aufnahme,
Zulassung oder Gestattung religiöser Gesell-
schaften d); das Schutz- oder Schirm-
recht (jus protectionis s. advocatiae secu-
laris) über die aufgenommenen Religions-
Gesellschaften, in Hinsicht auf moralische
Persönlichkeit und Eigenthum derselben; die
Oberaufsicht (jus supremae inspectionis),
ein negatives Recht (Veto), damit diese
ethischen Vereine, durch Lehre und Cultus,
dem Staatszweck nicht hinderlich werden.
I) Ursprünglich steht die Social- oder
Kirchengewalt (potestas ecclesiastica)
nur der Kirchengesellschafta) zu, ohne
Unterschied des religiösen Lehrbegriffs, so-
wohl der beiden christlichen, in Teutsch-
land befindlichen HauptGlaub [...]nsparteien b),
als auch der übrigen, christlichen und nicht
christlichen, GlaubensParteien und Secten c).
II) Das Recht zu Ausübung dieser Gewalt,
das Kirchenregiment (regimen societatis
ecclesiasticae), kann von der Gesellschaft
selbst, ihrem Zweck gemäſs, bestimmt wer-
den, in Absicht auf Anordnung, Vollziehung
und Aufsicht; doch so, daſs die Festsetzung
oder Anordnung des kirchlichen Lehrbegriffs
(§. 426 f.), als seiner Natur nach von frem-
dem Willen schlechthin unabhängig, unter
das Kirchenregiment nicht gezogen werden
kann.
III) In der römisch-katholischena)
Kirche galt zeither, in dieser Hinsicht, das
Princip der Einheit (Pontificat), nach wel-
chem die Verfassung der Kirche monarchisch,
auf ein physisches geistliches Oberhaupt, mit
unveräusserlicher Bind- und Lösekraft, und
[713]Kirchenhoheit.
mit allgemeinem Recht auf Gesetzgebung,
Leitung und Verwaltung in Kirchensachen,
organisirt ist, und alle religiösen Gemein-
heiten zusammen eine (allgemeine) Kirche
bilden. IV) Nicht so in der evangeli-
schenb) oder protestantischen c) Kirche, so-
wohl nach der augsburgischen Confes-
sion d), als auch nach dem Glaubensbekennt-
niſs der Reformirtene); wiewohl auch
hier mehrere einfache Kirchengesellschafter,
z. B. alle in demselben Staatsgebiet, oder
in einem Theil desselben, eine zusammen-
gesetzte Kirche bilden können. V) Dasselbe
gilt von der jüdischen Kirche f).
VI) Wie auch die Organisation einer Kirche
und ihrer SocialGewalt, oder der Inhalt ihres
Lehrbegriffs seyn mag, so dürfen solche
doch die natürlichen Bedingungen ihres
Daseyns in dem Staat nicht ändern; auch
nicht die etwa vorhandene Uebereinkunft
(Concordat) über das wechselseitige Verhält-
niſs zwischen Staat und Kirche. VII) Nach
der Lehre und Verfassung der katholischen
Kirche, kann ein weltlicher Regent zu
dem Kirchenregiment auf keine Weise be-
[716]II. Th. XVI. Cap.
fugt seyn. Hiedurch und durch das staats-
rechtliche Verhältniſs der Kirche zu dem Staat
überhaupt (§. 423), bestimmt sich der Um-
fang der Gerechtsame weltlicher Re-
genten, katholischer und evangelischer,
über die katholische Kirche in ihren
Staaten a). VIII) Evangelischeb) Regen-
ten befinden sich, über evangelische Un-
terthanen, gewöhnlich in dem Besitz des
Kirchenregimentes. Der Grund hievon c) wird
gesucht, bald in einem Episcopal- oder
DevolutionsSystem d), bald in dem Terri-
torialSystem e), bald in dem Collegial. f),
wenigstens Collegial Episcopal- oder ver-
mischteng) System. Nach Verschieden-
heit des Grundes der Kirchengewalt, ist der
Umfang der unter ihr begriffenen Rechte
verschieden. Ein bestimmtes Mitwirkungs-
recht kann einer kirchengesellschaft-
lichen Behörde zustehen, z. B. einer Sy-
node, die General- oder ProvinzialSynode
seyn kann, den Landständen, als Vertretern
der Kirchengesellschaft, u. d. IX) Auch den
Standesherren und Grundherren, stehen be-
stimmte Gerechtsame in Kirchensachen zu.
I) Da die Staatsgewalt begrenzt wird,
durch das Reich des Gewissens (§. 422),
und da der Staat nicht weniger, als die
Kirche, ein Verein ist, welcher das Empor-
streben der Menschen zu einem vollendeten
Zustand befördern soll; so ist der Staat ver-
pflichtet, die Gewissensfreiheit, die
Selbstständigkeit der moralischen Urtheils-
kraft, anzuerkennen und zu schützen, folg-
lich Ausbrüchen der Unduldsamkeit und
des Fanatismus wirksam zu begegnen. Er
muſs wollen, daſs Liberalität in dem Forschen
und Mittheilen der ReligionsIdeen, das Glück
der Staatsgenossen erhöhe. II) Diesem ge-
[719]Kirohenhoheit.
mäſs, bleiben alle religiösen Dogmen
und Maximen, der freien Ueberzeugung
der Individuen a), die Bestimmung des kirch-
lichen Lehrbegriffs oder Symbolsb),
der Kirche überlassen c). Bei jenen und diesem,
ist Abänderung, Mehrung und Min-
derung zulässig; und die Befugniſs hierzu,
kann von Niemand, auch durch Vertrag der
Interessenten nicht, aufgehoben werden d).
III) Bloſs negativ wird die Autonomie
der Kirche, in Bestimmung ihres Lehrbe-
griffs, beschränkt a), durch ihre Unterord-
nung gegen den Staat. Dieser ist befugt
und verpflichtet, zu verhüten und zu hin-
dern, daſs die Kirche ihre Wirksamkeit
über ihre Gesellschaftgrenzen aus-
dehne; folglich, daſs sie durch Lehre und
Handeln dem Staatszweck hinderlich falle b),
daſs sie sich dem unnatürlichen Streben nach
(von der Gottheit verschmähter) Glaubens-
einheit (Proselytismus) hingebe, sondern eher
für Einigkeit des Geistes der Staatsbewoh-
[721]Kirchenhoheit.
ner arbeite, daſs sie sich über andere Kir-
chengesellschaften irgend eine Art von Herr-
schaft, Zwang oder Verfolgung an-
maſse c), und daſs der Friede im Innern
der Kirche gestört werde.
Demnach sind alle kirchlichen An-
ordnungen, Verfügungen und Lehr-
sätze, auch die gröſseren Kirchenstrafen
und die Ausschlieſsung aus der Kirchenge-
sellschaft, die Einführung und Erhaltung des
Mönchthums aller Art, namentlich der Jesuiten,
zumal in Verbindung mit einem auswärtigen
General, welcher unmittelbar unter der römi-
schen Curie steht, der Prüfung und Ge-
nehmigung des Staates, in politischer Hin-
sicht, unterworfen. Nichts dieser Art darf
vor ihm geheim gehalten werden. Insbeson-
dere bedarf jedes Kirchengesetz, jede neue
Bestimmung der Kirchenverfassung, jede Ver-
mehrung, Veränderung, nähere Bestimmung
oder Verminderung kirchlicher Glaubensleh-
ren, bevor solche zur Vollziehung kommt,
der Zustimmung des Staatsober-
hauptesa) (placetum regium seu territo-
riale, litterae pareatis seu exequatur); sie
geschehe durch Social-, oder Synodal-, Presby-
terial-, Synedrial- u. d. Schlüsse, oder durch
Verfügungen, Verordnungen, Erklärungen und
Bescheide kirchlicher Obern, Behörden und
Congregationen, namentlich durch päpstliche
[723]Kirchenhoheit.
Rescripte, Bullen, Breven, Befehle oder Con-
silia an die Kirchenlehrer, Beichtväter oder
Kirchenvorsteher, u. d. Nach bloſser Will-
kühr, kann die staatsoberhauptliche Zustim-
mung nicht versagt werden; doch ist der
Regent nicht verbunden, Gründe seiner Miſs-
billigung anzugeben. Einmal ertheilt, kann
jene Zustimmung nur bei dringender For-
derung des Staatszweckes zurückgenommen
werden.
I) Verbunden ist der Staat, die Kirche
zu schützen, bei den von ihm genehmig-
ten Anordnungen und Lehrsätzen, bei der
öffentlichen und PrivatGottesverehrung, und
bei ihrer Verfassung. II) Er ist befugt,
nicht nur willkührliche und staatszweckwi-
[724]II. Th. XVI. Cap.
drige Herrschaft der geistlichen Obern
zu verhindern, den Clerus auf seinen
geistlichen Beruf zu beschränken, und
zu fordern, daſs derselbe den staatsbür-
gerlichen Verhältnissen sich nicht ent-
ziehe, sondern auch staatsgefährliche Spal-
tungen und Streitigkeiten in der Kirche
zu verhüten und zu entfernen, doch ohne
der Gewissensfreiheit der Einzelnen zu nah
zu treten a). III) KirchenVersammlun-
gen dürfen ohne sein Vorwissen, und ohne
Mitvorsitz seiner Abgeordneten, in dem Staats-
gebiet nicht gehalten werden b). IV) Ein
Recht der Kirche auf Gerichtbarkeit in
geistlichen Sachen, findet ohne Bewilligung
des Staates nicht statt (§. 292).
I) Ort, Zeit und Form der gemein-
schaftlichen Gottesverehrung (Litur-
gie, Ritual, Ceremoniel), auch Discipli-
narSachen, sind zunächst der Bestimmung
[725]Kirchenhoheit.
der Kirche überlassen; doch vorbehalten
dem Staat, theils die Befugniſs, Abstufun-
gen festzusetzen, in Absicht auf Reception
und Toleranz a), und auf die Art der äus-
sern Religionsübung b), theils dieselben Rechte,
welche ihm in Absicht auf den kirchlichen
Lehrbegriff zustehen c) (§. 426 f). II) Abän-
derung oder Aufhebung schon bestehender,
Einführung neuer kirchlicher Einrich-
tungen, den äussern Cultus betreffend,
ist der Regent zu fordern befugt, so oft
er durch den Staatszweck sich dazu verpflich-
tet erachtet. Besonders gilt dieses von der
Zeit und Zahl der Feiertage, von öffentli-
chen, der Gottesverehrung gewidmeten Oer-
tern, Gebäuden und Symbolen, von Kirch-
höfen und Begräbniſsörtern, von Processio-
nen und Wallfahrten, von geistlichen Orden,
Verbindungen und Brüderschaften, auch von
dem Asylrecht geistlicher Oerter (§. 298),
welches ohne genehmigende Bewilligung der
weltlichen Macht nicht fortbestehen, ohne
ihre Verleihung oder Zustimmung nicht er-
langt werden kann.
I) Das kirchliche Lehr-, Seelsorger-
und Priester Amt, der ReligionsUnterricht
(Predigtamt), die Seelsorge, die Besorgung
der kirchlichen Gottesverehrung, die Ver-
richtung der religiösen Gebräuche, auch die
Bestellung und Direction der Kirchenbe-
amten für weltliche Geschäfte der Kirchen-
gesellschaft, ist abhängig von der Kirchen-
Gesellschaft a). II) Dem Staat sind die bei
der Kirche angestellten Personen, nur in bür-
gerlicher Hinsicht unterworfen (§. 426 ff.).
Der Staat, als solcher, und wenn oder so
weit ihm die SocialGewalt der Kirche von
dieser nicht übertragen ist, hat über jene
[727]Kirchenhoheit.
Personen, in ihrem kirchenamtlichen Ver-
hältniſs, keine andern Rechte, als über die
Kirche selbst b) (§. 422). III) Das Patro-
natrecht, ein von der Kirchengewalt ab-
hängiges Recht, gebührt also dem Staats-
oberhaupt, als solchem, allgemein und nach
Art eines Regals, bei den Kirchen seines
Landes nicht c). Es kann ihm aber durch
besondere Rechtstitel, ganz oder zum Theil,
zustehen. Namentlich gilt dieses von Er-
nennung eigener Landesbischöfe, und von
der bischöflichen DiöcesanEinrichtungd).
IV) Durch ein päpstliches Breve, datirt aus
Paris vom 1. Febr. 1805, ward, in Folge
der durch den lünéviller Frieden und den
Reichsdeputations Hauptschluſs von 1803,
§. 25, geschehenen Verfügungen, obgleich das
Breve ihrer nicht erwähnt, die Cathedral-
Kirche zu Regensburg zu einer erz-
bischöflichen, mit einem dabei zu errich-
tenden MetropolitanCapitel, erhöhet;
und in dem ReichsdeputationsHauptschluſs
war zugleich der Erzbischof von Regensburg
zum Primas von Teutschland erklärt e).
I) Die Religion der Staatsgenossen, sollte,
in der Regel, weder auf ihre bürgerlichen
Rechte a), noch, durch politische Trennung,
[730]II. Th. XVI. Cap.
auf die Staatsverfassung und Staatsverwal-
tung Einfluſs haben. Bloſs als Staatsgenoſs,
nicht als Bekenner eines bestimmten Glau-
bens, der nicht Gegenstand äussern Zwan-
ges seyn kann, ist der Einwohner von dem
Staat zu behandeln. II) Nie sollte eine in
dem Staat recipirte Religion, noch weniger
eine Glaubenspartei, als herrschend, oder
irgend ein Glaubensbekenntniſs als Staats-
religion betrachtet werden b). III) Allen
aufgenommenen Glaubensparteien gebühren,
als solchen, im Zweifel, gleiche Rechte c),
insbesondere an demselben Ort gleichbe-
rechtigte, namentlich öffentliche, Got-
tesverehrung oder Simultaneum.
IV) Auch darf die bloſse Verschieden-
heit des christlichen Glaubensbe-
kenntnisses, nach Vorschrift der teut-
schen BundesActe, in den Ländern und Ge-
bieten des teutschen Bundes keinen Un-
terschied der Staatsgenossen in dem Ge-
nuſs der bürgerlichen und politischen
Rechte begründen d); also namentlich nicht
in Absicht auf Schutz, Rechtspflege, bür-
gerliche Ehre und Vortheile, Gewerbe, Ver-
kehr, Erbschaften, Begräbniſs u. d. V) In
neuern Zeiten, haben in Teutschland die
verschiedenen christlichen Glaubensparteien,
[731]Kirchenhoheit.
über einen gleichen Festkalender sich
verglichen e).
I) Die Frage: wem die Entscheidung
zustehe: welcher Religion Jemand zuge-
than sey? und von dem Recht zu Ausschlie-
ſsung aus der Kirchengesellschaft (§. 428), ist
mit Unterschied zu beantworten a). II) Anzüg-
liche und Schmähausdrücke, Spott- und
SectenNamen, z. B. Ketzer, Papisten, Luthe-
raner, Calvinisten, sind rechtswidrig b). Jeder
bekenne in aller Freimüthigkeit, seine Ueber-
zeugung: aber er glaube und ehre auch,
daſs jeder Andere gleiche Ueberzeugung
für seine Glaubensform fühle. III) Die
Preſsfreiheit in Religionssachen, beson-
ders in Absicht auf die symbolischen
[734]II. Th. XVI. Cap.
Bücher c), eineGlaubenspartei hängt zunächst
ab von der Bestimmung des Regenten d).
Es ist aber hierin keine Religionspartei vor
der andern zu begunstigen.
I) Die persönliche Religionsänderung
des Regentena), oder die von der Reli-
gion der vorigen Regenten verschiedene Re-
[735]Kirchenhoheit.
ligion des Nachfolgers in der Regierung,
darf den Regierungs- und SuccessionsBefug-
nissen keinen Eintrag thun b). II) Insonder-
heit kann der, von dem ersten Erwerber
abstammende, oder sonst mit einem wohl-
erworbenen SuccessionsRecht versehene Re-
gierungs-, Stamm-, oder Lehnfolger,
durch Hausverträge, oder andere Verfügun-
gen, zu einer bestimmten Religion nicht
verbunden, noch der Religion wegen, von
der Succession ausgeschlossen werden c).
Ausnahmen von der Rechtsgleichheit
der verschiedenen Glaubensgenossen, kön-
nen, aus besondern Gründen, statt finden.
I) Dieſs ist der Fall, wenn eine Glaubens-
partei mit Einschränkungen in dem
Staat recipirt, oder tolerirt ist, z. B.
nur für PrivatReligionsübung, oder
Hausandacht; II) oder wenn particuläre
oder locale Rechte, in Absicht auf den Ge-
nuſs bürgerlicher Rechte, Ausnahmen
oder Einschränkungen begründen, z. B. bei
nicht christlichen Glaubensgenossen, in An-
sehung der Fähigkeit zu dem vollen Bür-
gerrecht, zu Staats-, Stadt-, oder Dorfäm-
tern, zu dem Erwerb liegender Gründe,
zu dem Genuſs milder Stiftungen, u. d.
III) Das Kirchengut (Schul- und Kir-
chenfonds) gebührt, als Privatgut, ausschlies-
send demjenigen Religionstheil, welcher sol-
[737]Kirchenhoheit.
ches durch irgend einen Rechtstitel erwor-
ben hat a); wohin auch der Besitz in dem,
durch den westphälischen Frieden festgesetz-
ten EntscheidungsZiel b) gehört c) IV) Auch
ist ausser Zweifel, daſs Rechte, welche ihrer
Natur nach, eine bestimmte Religion des
Berechtigten voraussetzen, aufhören, sobald
dieser zu einer andern Religion sich be-
kennt d).
I) Das Kirchengut ist Privatgut der
Kirche (§. 254 u. 435), folglich an sich un-
terworfen, weder der Verfügung noch der
Verwaltung des Staates; wohl aber dessen
(47)
[738]II. Th. XVI. Cap.
Oberaufsicht, auch in Absicht auf Erhaltung
und zweckmäsige, insbesondere stiftungs-
mäsige Verwaltung, zum Vortheil der Got-
tesverehrung, des Unterrichtes und der Wohl-
thätigkeit a). II) Hienach ist, im Allgemei-
nen, die Frage von der Befugniſs, sowohl
der Kirche als auch des Staates, zu Ver-
wandlung des geistlichen oder Kirchen-
guts in weltlichesb), Staats- oder Privat-
gut (Verweltlichung, Secularisation) zu
beurtheilen c). Zu Verletzung des Eigen-
thumsrechtes, ist hiebei auch der Staat,
in der Regel (§. 456 f.), nicht befugt.
I) Auch zu Einziehung des Kirchen-
guts, oder des Vermögens frommer oder
[741]Kirchenhoheit.
milder Stiftungen, zu unmittelbarer
Verwaltung durch eine landesherrliche Finanz-
oder CameralBehörde, ohne förmliche Ver-
wandlung oder Aufhebung seiner bisherigen
Eigenthumseigenschaft a) (Incameration),
könnte der Staat, ohne Verletzung des Eigen-
thumsrechtes, nicht schreiten b); selbst dann
nicht, wenn er den ganzen reinen Ertrag zu dem
stiftungsmäsigen Zweck verwenden wollte.
Das eine wie das andere Gut, darf, unbe-
schadet der dem Staat gebührenden Ober-
aufsicht, seiner stiftungsmäsigen Verwaltung
eben so wenig, als der stiftungsmäsigen Ver-
wendung, entzogen werden c) (§. 254). II) Von
der Secularisation und Incameration, ist jedoch
die Reformation des Kirchenguts wesent-
lich verschieden. Sie erfolgt, erlaubterweise,
wenn eine Kirchengesellschaft, nach ihrem
Uebergang zu einer andern Religion, ihrem
Kirchengut eine Bestimmung giebt, welche
ihren neuen ReligionsGrundsätzen gemäſs ist d).
III) Der übermäsigen Vermehrung des Kir-
chenguts, können, durch Amortisations-
Gesetzee), Schranken gesetzt werden.
I) Theoretisch wird gestritten a), ob das
Vermögen aufgehobener geistlicher
Corporationen, insonderheit aufgehobe-
ner Klöster, 1) fortwährend als Kirchen-
gut b), oder 2) als zurückgefallen an die
Stifter, oder deren Nachkommen c), so weit
es geschenktes Gut ist, oder, wenn nicht 3)
als gemeinschaftliches Eigenthum des Staates
und der geistlichen Corporationen (§. 254),
welches jener in Alleineigenthum verwandle d),
doch 4) als lediges Gut zu betrachten sey e),
welches dem StaatsFiscus heimfalle? Auch
ob, in solchem Fall, das auswärtige Ver-
mögen untrennbar sey von der inländischen
Hauptstiftung f)? Oder ob der StaatsFiscus
berechtigt sey zu der Occupation inländi-
[744]II. Th. XVI. Cap.
scher Besitzungen, Renten und Rechte aus-
wärtiger secularisirter geistlicher Stiftun-
geng)? II) Die bürgerlichen Verhältnisse der
Religiosen aufgehobener Stifte und
Klöster, beiderlei Geschlechtes h), und selbst
die bürgerlichen und klösterlichen Verhält-
nisse der Mitglieder nicht aufgehobener
Klöster i), sind hie und da durch eigene
Staatsgesetze bestimmt.
Damit das LehnInstitut dem Staatszweck
nicht widerstreite, vielmehr übereinstimmend
mit demselben wirke und geleitet werde,
gebührt jedem teutschen Bundesstaat, über
alle in seinem Gebiet befindlichen Lehnver-
bindungen, die Lehnhoheita) (imperium
civile circa feuda, potestas feudalis sublimis,
jus circa feuda majestaticum). Ihre Wirk-
samkeit zeigt sich hauptsächlich bei Lehn-
gesetzen, Lehndiensten und Lehngerichtbar-
keit b). Die Lehnherrlichkeit wird,
rechtlich, dadurch mehr nicht beschränkt,
als der Staatszweck fordert.
Ueber auswärtige Staatslehen (feuda
extra curtem), so weit dergleichen noch
vorkommen, steht die Lehnhoheit dem
Lehnherrn, ganz oder zum Theil, nur
dann zu, wenn solche als Staatsdienstbar-
keit begründet ist. So fern der Vassall
selbst, in Absicht auf das Lehn, in dem
Besitz der Souverainetät sich befindet,
gehört auch ihm die Lehnhoheit a).
Theils die Auflösung der teutschen Reichs-
verbindung überhaupt, theils die in der rhei-
nischen BundesActe geschehene wechselsei-
tige Verzichtleistung aller Bundesfürsten, auf
jedes wirkliche oder gegenwärtige Recht,
[748]II. Th. XVII. Cap.
welches Jeder von ihnen haben oder an-
sprechen könnte, auf Besitzungen der übri-
gen Mitglieder des Bundes (§. 82), ward
von den Bundesfürsten, in Beziehung auf
das Lehnverhältniſs in den rheinischen
Bundesstaaten, zu verschiedenen Bestimmun-
gen a) benutzt, welche gröſstentheils noch
jetzt wirksam, und nur hie und da, seit
Vernichtung des rheinischen Bundes, abge-
ändert worden sind. Von dem einen und
von dem andern, ist hier zu handeln.
In Hinsicht auf die vormaligen Reichs-
lehena), sind mannigfaltige Veränderun-
gen eingetreten. I) Bei vielen hat die Lehn-
verbindung gänzlich aufgehört. Es sind
nämlich 1) solche Reichslehnverbindungen,
sowohl wegen Vorderlehen als auch wegen
Afterlehen, deren Gegenstand durch Auflö-
sung der teutschen Reichsverbindung ver-
schwand (z. B. Reichsämter), oder durch die
rheinische BundesActe, oder nachfolgende
Machtgebote, dem Vassallen entzogen ward
(z. B. manche Regalien jetziger Standesher-
ren), als erloschen anzusehen b). Dasselbe
gilt 2) von der Lehnverbindung wegen sol-
cher Reichs Vorderlehen, deren noch fort-
dauernder Gegenstand, der Staatshoheit
eines Bundesstaates nicht unterwor-
fen ist c). Auch hat 3) diejenige Lehnpflicht,
womit die meisten der jetzigen teutschen
Bundesstaaten selbst, wegen bestimmter
Grundbesitzungen oder Territorial Gerecht-
[750]II. Th. XVII. Cap.
same, dem Kaiser und Reich zugethan waren,
bei Auflösung der Reichsverbindung ganz
aufgehört, durch Appropriation. Endlich
4) hörte auch, schon durch die rheinische
BundesActe, die Lehnverbindung wegen sol-
cher Keichs Afterlehen gänzlich auf, welche
ein rheinischer Bundesfürst von einem
andern Bundesfürsten bis dahin empfan-
gen hatte (§. 82. IV).
II) Bei andern vormaligen Reichslehen,
ist, unter Fortdauer der Lehnverbindung,
nur in Ansehung des Lehnherrn eine Ver-
änderung eingetreten. Es wird nämlich
1) bei denjenigen Reichs Vorderlehen, deren
Besitzer, wegen solcher lehnbaren Besitzun-
gen, jetzt der Staatshoheit eines Bun-
desstaates unterworfen sind, die Lehn-
hoheit dergestalt als fortdauernd behandelt,
[751]Lehnhoheit und Lehnverbindung.
daſs der Inbegriff der lehnherrlichen Rechte
nunmehr demjenigen Bundesstaat zusteht,
in dessen Staatsgebiete das Lehen sich besin-
det a). 2) Reichs Afterlehen, welche in dieser
Eigenschaft vorhin schon von einem Bun-
desstaat, als ReichsAfterlehnherrn, ver-
liehen wurden, haben sich, nach Erlöschung
der Reichslehneigenschaft, in unmittel-
bare oder Vorder Activlehen, und zwar
desjenigen Bundesstaates (§. 82, IV) verwan-
delt, in dessen Staatsgebiet sie gelegen sind.
Auch ist 3) bei solchen Reichs After-
lehen, welche ein ehemaliger rheinischer
Bundesfürst von einem solchen reichsstän-
dischen, durch Auflösung der Reichsverbin-
[752]II. Th. XVII. Cap.
dung souverain gewordenen Landes-
herrn empfieng, welcher zu dem rheini-
schen Bund nicht gehörte, die Lehnver-
bindung durch die rheinische BundesActe
für aufgehoben nicht, sondern das Lehn,
nach Erlöschung der Reichs Lehneigenschaft,
nunmehr für ein Vorderlehn zu achten a).
Dasselbe gilt 4) von solchen Reichs After-
lehen, welche, während der Reichsverbin-
dung, von jetzt als Standesherren unterge-
ordneten ehemaligen reichsständischen Lan-
desherren von fürstlichem oder gräflichem
Stande, an nachher zu dem rheinischen Bund
nicht gehörige Staaten, gleichviel ob diese
zu dem teutschen Reich gehörten oder nicht b),
oder an solche Reichsunmittelbare,
welche nach Auflösung der Reichsverbindung
rheinischen Bundesfürsten untergeordnet wur-
den c), oder an ehemalige Reichsmittel-
bared), verliehen wurden.
Dieser Veränderungen ungeachtet, ist
I) rechtlich anzunehmen, daſs die vormaligen
ReichslehnSuccessionsRechte, nebst der
SuccessionsOrdnung, gleichviel, ob sich
dieselben gründen auf die Abstammung von
dem ersten Erwerber (jus sanguinis), oder
auf Mitbelehnschaft, oder auf gesetzmäsig
erlangte EventualBelehnung oder Anwart-
schaft a), oder auf andere gültige Vertrag-
bestimmung oder Willenserklärung, unver-
ändert fortdauern (§. 52); nicht nur bei
den vormaligen, jetzt appropriirten, Reichs-
lehen der teutschen Bundesfürsten selbst, son-
dern auch bei denjenigen Reichslehen, die
nach Auflösung der Reichsverbindung in
Staatslehen rheinischer Bundesfürsten verwan-
delt wurden, und jetzt von teutschen Bun-
desfürsten releviren b). Bei diesen letzten,
bleiben überdem II) nach wie vor, so wie
die ursprünglichen Rechtsbestim-
mungen (lex investiturae) überhaupt, also
auch namentlich die besondern Eigen-
schaften oder Improprietäten, unverändert
gültig.
In Ansehung der während der teutschen
Reichsverfassung bestandenen teutschen Ter-
ritorialLehen, blieb, bei Auflösung der
Reichsverbindung, I) jede bisherige inlän-
dische TerritorialLehnverbindung, bei wel-
cher vorhin schon dem jetzigen Bundes-
fürsten die Lehnherrlichkeit gebührte, ohne
Veränderung in der Person des Lehnherrn
und seiner Rechte; aber späterhin erfolgten,
in etlichen Bundesstaaten, Lehnvererbungen
(§. 447). II) Was aber die auswärtige
Lehnverbindung inländischer Privatbesitzun-
gen (feuda extra curtem), betrifft a), so ward
solche 1) von mehreren rheinischen Bundes-
fürsten b), als unter den rheinischen
Bundesstaaten aufgehoben und auf den-
[755]Lehnhoheit und Lehnverbindung.
jenigen Bundesfürsten übergegangen bè-
trachtet, in dessen Staatsgebiete das Lehn
sich befindet; dem zufolge auch, in dem
künftigen Fall einer Eröffnung des Lehns,
der vorige Lehnherr zu der Consolida-
tion des Lehns nicht berechtigt ist c). Da-
gegen haben 2) andere rheinische Bundes-
staaten, entgegengesetzte Grundsätze
aufgestellt d). III) Jede Lehnverbindung, welche
unmittelbar zwischen rheinischen Bun-
desfürsten bisher bestanden hatte, ward
als aufgelöset betrachtet e). IV) Und eben
so die Lehnherrlichkeit eines, nunmehr als
Standesherrn untergeordneten, vormaligen
reichsständischen Landesherrn, über einen
souverainen Bundesfürstenf). V) Jede
Lehnverbindung Oestreichs mit Baiern,
Wirtemberg und Baden, ward wechsel-
seitig aufgehoben g).
VI) In dem Zeitraum des rheinischen Bun-
des ward, in verschiedenen Bundesstaaten,
die Allodification der TerritorialLehen,
zum Theil auch der Privatlehen (§. 448),
durch landesherrliche Verordnung verfügt a);
welches, nach Vernichtung jenes Bundes,
von der wieder eingesetzten rechtmäsigen
Landesherrschaft, theils, so fern die Allodi-
[758]II. Th. XVII. Cap.
fication bereits erfolgt war, anerkannt b),
theils allgemein für nichtig erklärt ward c).
Dagegen sind VII) seit Auflösung der teut-
schen Reichsverbindung, in mehrern Bundes-
staaten neue Staatslehen entstanden d).
VIII) Aber gestattet wird nicht, daſs Jemand
inländische Besitzungen einem auswärtigen
Souverain zu Lehn auftrage, oder von
ihm inländische Privatgüter oder Einkünfte
zu Lehn nehmee). IX) Auch wird einem
fremden Souverain, inländischer Lehnbesitz
nicht leicht erlaubt f). X) Lehnähnliche
Institute, fast wie auswärtige Staatslehen (feuda
publica extra curtem), waren, seit 1806, in
verschiedenen teutschen Staaten, die kaiser-
lich-französischen Schenkungs- und
MajoratDotationsGüter und Jahrren-
ten. Sie wurden, etwa mit einer Aus-
nahme g), vernichter, durch die geheimen
Artikel des pariser Friedens von 1814.
Anlangend die inländischen Privat-
lehen, so war bei diesen 1) die Lehnver-
bindung mit auswärtigen Privatlehnher-
ren, in den ehemaligen rheinischen Bundes-
staaten, für aufgehoben, durch die rhei-
[760]II. Th. XVII. Cap.
nische BundesActe, nicht zu achten; sie
ward aber fernerhin nicht überall geduldet.
2) Die Lehnverbindung mit inländischen
Privatlehnherren, ist in verschiedenen Bun-
desstaaten aufgehoben, in den meisten
aber dauert diese Lehnverbindung unver-
ändert fort a), doch mit Unterordnung unter
die inländische Staatshoheit. 3) Zu dieser
Classe, gehören jetzt auch die noch beste-
henden inländischen ActivLehen inländischer
Standes-b) und PatrimonialHerrenc),
die, wenn sie vorhin ReichsAfterlehen oder
TerritorialLehen waren, sich aus solchen in
Privatlehen verwandelt haben d).
In Ansehung solcher PrivatPassivLehen,
welche, während der teutschen Reichsver-
bindung, ein nunmehriger Bundesfürst von
eigenen Unterthanen empfieng, ward in
[762]II. Th. XVII. Cap.
dem Königreich Baiern, abweichend von der
bisher in Teutschland bestandenen Lehnsitte,
der Grundsatz aufgestellt: daſs kein rheini-
scher BundesSouverain fernerhin Vassall
eigener Unterthanen seyn könne, son-
dern daſs alle Lehen dieser Art als allodifi-
cirt zu betrachten seyen; jedoch gegen Ent-
schädigung der Lehnherren, so weit sie da-
durch an wirklichen Einkünften ver-
lieren a).
Jedem teutschen Bundesstaat gebührt das
Wehr- und Waffenrechta) (Recht der
Armatur, Militärgewalt, jus armorum, po-
testas militaris), das Recht, Schirm- und
Wehranstalten zu errichten und zu un-
terhalten, insbesondere bewaffnete Macht
fortwährend zu unterhalten und anzuwenden,
zu dem Schutz der Rechte des Staates, na-
mentlich für Vertheidigungskriege. Zu die-
sem Zweck, ist jeder Bundesstaat befugt:
I) zu Kriegsgesetzgebungb), und II) zu
KriegsPolizeic).
Ferner, III) zu Anstellung und Unterhal-
tung jeder Art von nöthiger Kriegsmann-
schaft, nach den verschiedenen Graden,
nebst den dazu gehörigen Befehlshaberna)
und Kriegsbeamten. Dahin gehören:
1) das stehende ordentliche Kriegs-
heer, sowohlHof- oder Haustruppen (Kriegs-
oder MilitärHofstaat, HofMilitär, maison mi-
litaire), als auch LinienTruppen (Linienheer)
und PolizeiSoldaten b) (Gensdarmerie, Land-
Dragoner); 2) das stehende ausseror-
dentliche Kriegsheer oder die Land-
wehrc), bestehend in der Regel aus Fuſs-
[765]Wehr- und Waffenrecht.
volk, wohl geübt, schlagfertig, aber im
Friedenstand nur für die nothwendige Uebungs-
zeit unter den Waffen, und während eines
Kriegs auch ausserhalb Landes zu dienen
verpflichtet; eine Hülfanstalt, zu Sicherung
des Vaterlandes gegen innere und äussere
Feinde d).
Ferner gehören dahin: 3) der Land-
sturma) oder die Volksbewaffnung, als
ausserordentliches Kriegsheer, bloſs
[767]Wehr- und Waffenrecht.
für den Nothfall, gegen innere und äussere
Feinde; ein Aufgebot derjenigen vorzüglich
wehrbaren (erstes Aufgebot), oder aller (erstes
und zweites Aufgebot) derjenigen waffenfä-
higen Unterthanen, welche in dem ordent-
lichen und ausserordentlichen stehenden Heer
nicht begriffen sind b), begründet durch das
Recht der Heerfolgec) (Reiſs und Folge,
jus sequelae); 4) die LehnMiliz, ebenfalls
als ausserordentliches Kriegsheer, ein Aufgebot
der milizpflichtigen LandesVassallen, in den
nach dem Lehnrecht zugelassenen Fällen d). 5)
Für den aüssersten Nothfall, kann allgemeine
Volkswehr geboten, das heiſst, das ge-
sammte Volk, ohne Unterschied des Ge-
schlechtes, Alters und Standes, selbst ohne
regelmäsige Bewaffnung und Einrichtung, zur
Wehr gegen den ungerechten Feind aufge-
fordert werden.
IV) Das stehende, sowohl ordentliche als
auch ausserordentliche, Kriegsheer wird zu-
sammengebracht: 1) durch vorschriftmäsige
Aushebunga) (Conscription, Recrutirung
oder Enrôlement) kriegsdienstpflichtiger Mann-
schaft (der Milizpflichtigen oder Cantonisten),
worüber die Bundesversammlung gleichför-
mige Verfügungen zu treffen hat (§. 176).
[769]Wehr- und Waffenrecht.
2) Durch Werbungb) (Anwerbung) und
Annahme Freiwilliger c).
V) Auch ist jeder Bundesstaat befugt, zu
jeder Art von ordentlichen und ausserordent-
lichen Anstalten und Auflagen, welche
der Zweck des Wehr- und Waffenrechtes
(49)
[770]II. Th. XVIII. Cap. Wehr- u. Waffenrecht.
gebietet. Namentlich gehören hieher: 1)
Festungen und andere Befestigungs-
arten (Fortificationen) für Landesverthei-
digung; 2) Stückgieſsereien, Waffen-,
Salpeter- und PulverFabriken, Zeug-
häuser und Waffenplätze; 3) mili-
tärische Bildungsanstalten; 4) Ein-
quartierung und Service; 5) Militär-
Steuerna); 6) Heerschau oder Landes-
Kriegsmusterung und Waffenübungen;
7) Verbot, ohne besondere Erlaubniſs
oder gesetzmäsige Ermächtigung in fremde
Kriegsdienste zu treten b).
Die Staatsgewalt hat natürliche Einschrän-
kungen. I) Nur zu Erreichung und Be-
förderung des Staatszweckes, kann sie
ausgeübt werden a). Sie berechtigt das
regierende Subject nur dazu, wozu sie dasselbe
verpflichtet, auf daſs nie der Schleier des
Staatswohls Handlungen bloſser Willkühr be-
decke. Der Gegensatz wäre Sultanismus, Ver-
brechen der beleidigten Menschheit. II) Die
Staatslasten müssen, wie die Vortheile
der Staatsverbindung, unter die Staatsgenos-
sen, so viel möglich, gleich vertheilt wer-
den b). III) Nur gerechte Mittel sind der
Wahl des Regenten überlassen (§. 4). IV) Jedem
muſs sein wohlerworbenes Recht un-
gekränkt gelassen werden c).
Ausgenommen hievon ist der einzige Fall,
wenn bei evidenter, dringender Noth
des Staates, unvermeidliche Collision
zwischen Gemeinwohl und Privatwohl ein-
tritt a), so daſs die Verletzung der Rechte
Einzelner, absolute Bedingung zu Erhaltung
des Staates ist, folglich das (eiserne) Noth-
recht der Selbsterhaltung sich aufdringt. Hier
[773]und Einschränkungen der Staatsgewalt.
kann, wenn die Berechtigten ihre Einwilli-
gung versagen, die Staatsgewalt, selbst auf
Kosten der Persönlichkeit, der Geistes-
und Körperkraft (äusserste Gewalt, po-
testas eminens), und des Eigenthums
(Obereigenthumsrecht des Staates, do-
minium eminens) Einzelner ausgeübt wer-
den. Dieser Nothbehelf (favor necessi-
tatis), dieser Collisions Fall, genannt das
äusserste Rechtb) (jus s. imperium emi-
nens, jus extremae necessitatis, vis potesta-
tis), Staatsnothrecht, Staatsraison
(ratio status, soil. extraordinarii), hat auch
in Teutschland keine positiven Grenzen c).
Es darf dieses traurige, so genannte Recht,
anders nicht als nach vorhergegangener stren-
ger Prüfung seiner Anwendbarkeit auf den
vorliegenden Fall, und dann nur mit äus-
serster Schonung ausgeübt, auch muſs der
[775]und Einschränkungen der Staatsgewalt.
leidende Theil, nach dem Grundsatz der recht-
lichen Gleichheit, so weit es möglich, ent-
schädigt werden a). Bloſser Vortheil,
Convenienz, oder Bequemlichkeit des
Staates b), insbesondere des Fiscus, oder die
so genannte Beglückungsgewaltc), so
auch PrivatInteresse, oder Privatlust
des Souverains d), berechtigten auf keine Weise
zu Anwendung desselben e).
I) Nur in solchen Fällen, wo die Aus-
übung des äussersten Rechtes durch die Um-
stände begründet ist (§. 456 f.), kann der
Regent unmittelbar, mit Abweichung
von den sonst anwendbaren, gewöhnlichen
Entscheidungsquellen, die Entscheidung
eines Rechtsstreites ertheilen, oder, auf
seinen SpecialBefehl, von Staatsbehör-
den ertheilen lassen. Eine solche Entschei-
dung heiſst, in dem eigentlichen Sinn,
Machtsprucha) (sententia vi juris eminen-
tis lata). II) Sie unterscheidet sich wesent-
lich, 1) nicht nur von dem Eingreifen,
Aufgreifen oder Durchfahren b) (abruptio cau-
[777]und Einschränkungen der Staatsgewalt.
sae) des Richters, sondern auch 2) von
dem Durchgreifen (decisio pro auctori-
tate, secundum arbitrium vel legislatoris vel
judicis), welches bald von dem Gesetz-
geber selbst, bald von dem Richter ge-
schieht c); noch mehr 3) von bloſs will-
kührlicher Entscheidung oder Be-
handlung eines Rechtshandels, von Seite
des Regenten oder des Richters d), und 4)
von willkührlicher Einmischung des
Souverains, oder einer andern Staatsbehörde,
in den Rechtsgang eines vor einem Gerichts-
hof anhängigen Rechtshandels e).
Ausser diesen natürlichen Einschränkun-
gen der Staatshoheit, finden noch positive
statt, auch in teutschen souverainen Bundes-
staaten. Ein Theil derselben ist in der Bun-
desverfassung gegründet (§. 154 ff. 163 u.
164 ff.); andere sind es in der individuellen
Verfassung des Landes (§. 224 f.); noch an-
dere in Verträgen mit andern Staaten.
Da jedem teutschen Bundesstaat, in sei-
nem Verhältniſs nach Aussen, unter den durch
den Bund gesetzten Beschränkungen, die
Rechte unabhängiger Staaten zukommen
(§. 163); so gebühren ihm auch, in so weit,
die äusseren StaatsHoheitsrechte.
Namentlich gebührt das Recht, Gesandte
für Staatsangelegenheiten zu schicken und
anzunehmen (jus legationum), in seinem
ganzen Umfang a), allen teutschen souverainen
Bundesstaaten; nicht nur unter sich, und
auf der Bundesversammlung, sondern auch
in dem Verhältniſs zu auswärtigen Staaten b).
Eben so sind die teutschen Bundesstaa-
ten, unter den oben (§. 159—161 u. 163)
angezeigten Einschränkungen, befugt, die
Rechte des Staates durch Repressaliena),
und selbst durch Krieg (Vertheidigungskrieg)
zu verfolgen (jus belli, potestas bellica), als
Haupttheile und als Alliirte. Auch sind sie,
unter denselben Einschränkungen, berechtigt,
Durchmärsche zu gestatten, oder zu ver-
weigern, und in Kriegen anderer Mächte
Neutralität (§. 161) zu beobachten b).
Das Becht, Retorsion zu verfügen c), ist
in der völkerrechtlichen Gleichheit und Selbst-
ständigkeit unabhängiger Staaten gegründet.
Das Vertragrecht mit Auswärtigen, so-
nach das Recht Kriegs- und Friedens-
verträgea), Bündnisse oder Allianzen b),
SubsidienTractatec), um Hülftruppen
in Bereitschaft zu halten und zu schicken,
und Handelsverträge (§. 332), für ge-
rechte Zwecke zu schlieſsen, Vermitte-
lung bei Streitigkeiten souverainer Staaten,
und auch Garantie oder Gewährleistung ihrer
Rechte, Stipulationen und Staatsgebiete d) zu
übernehmen, oder sich versprechen zu las-
sen e), ist teutschen Bundesstaaten unbenom-
men, wenn dabei die oben (§. 159—161 u.
163) angeführten Schranken nicht überschrit-
ten werden. In der teutschen BundesActe f),
garantirten alle Bundesgenossen einander, gegen-
seitig, ihre sämmtlichen unter dem Bund be-
griffenen Besitzungen.
I) StaatsServituta) ist ein, auf be-
sondern Rechtstitel gegründetes Recht eines
Staates oder Staatenbundes, wodurch zu des-
sen Vortheil, die Freiheit eines andern Staates
oder Staatenbundes, in desselben Gebiet, un-
abhängig von seiner Staats- oder Bundes-
hoheit, eingeschränkt wird. II) Activ ist
diejenige StaatsServitut, welche ein Staat oder
Staatenbund in dem Gebiet eines andern aus-
zuüben berechtigt ist: passiv ist diejenige,
deren Ausübung er in seinem Gebiet einem
andern Staat oder Staatenbund zu gestatten
verpflichtet ist b).
Denkbar sind, in dem teutschen Bund,
zwei Arten von StaatsServituten: 1) Bun-
des Servituten, d. h. die entweder dem teut-
schen Bund gegen auswärtige Staaten, oder
diesen gegen jenen, oder auch dem Bund
gegen einzelne Bundesstaaten a) zukommen;
2) Territoríal Servituten, d. h. die ent-
weder teutschen souverainen Bundesstaaten
gegen auswärtige Staaten b), oder diesen ge-
gen jene c), oder einem teutschen Bundes-
staat gegen den andern d) zustehen.
I) Die Unabhängigkeit des Berech-
tigten, in Ansehung seiner Befugniſs, von
dem belasteten Staat, ist wesentlicher Cha-
rakter einer StaatsServitut a). II) Beide Theile
müssen unabhängige Staaten seyn b).
III) Alle Staatsdienstbarkeiten sind, auf bei-
den Seiten, dinglichc). IV) Nicht nur
Hoheitsrechte, sondern auch Privatrechte,
verbunden mit der Staatshoheit darüber, kön-
nen Gegenstand der StaatsServituten seyn d).
Hingegen sind bloſse Privatrechte, stün-
den sie auch einem auswärtigen Regenten,
oder einer fremden landesherrlichen Kammer
zu, z. B. Grundeigenthum, Renten, Trift-
gerechtigkeit, untergeordnet der inländischen
Staatshoheit, nie StaatsServitut e). V) Rechte,
auch hoheitliche, und Befreiungen, welche
das Staatsrecht eines einzelnen Bundesstaates,
einzelnen Unterthanen, oder einer gewissen
PersonenClasse, in dem Staatsgebiet beilegt,
gehören nicht in die Reihe der StaatsSer-
vituten f).
VI) Eine StaatsServitut muſs immer auf
einen besondern Rechtstitel gegründet
seyn a). Daher ist die Regel oder Rechts-
vermuthung, jedesmal für den einheimischen
Staat b). VII) Jede StaatsServitut ist, als Aus-
nahme von der Regel, einschränkend zu
[788]II. Th. XXI. Cap. StaatsServituten.
erklären c). VIII) Sie erreicht ihr Ende, durch
aufhebende Verträge, Untergang der Sache,
Consolidation, Ablauf der festgesetzten Zeit d).
IX) Seit Auflösung der teutschen Reichsver-
bindung, sind der StaatsServituten weniger,
indem die meisten ältern aufgehoben wur-
den e). Aber diese Lehre hat dadurch an
practischer Wichtigkeit nicht verloren. Merk-
würdig, als StaatsServitut, unter mehrfachem
Gesichtpunct, war seit 1804 der Rheinschiff-
fahrtOctroi f), und sind es jetzt verschiedene
Bestimmungen, welche auf dem wiener Con-
greſs, in Hinsicht auf Schiffahrt und Han-
delsverkehr auf gewissen Flüssen, errichtet
wurden.
In Gemäſsheit des pariser Friedens von
1814 (Art. 5), wurden auf dem wiener Con-
greſs, für Schiffahrt und Handelsver-
kehr auf solchen Flüssen, welche ver-
schiedene Staaten scheiden oder
durchströmen, folgende Bestimmungen
festgesetzt a), die als Grundlagen dienen
sollen für nähere Bestimmungen über den-
selben Gegenstand, welche die Beherrscher
jener Staaten durch versammelte Commis-
sarien, gemeinschaftlich festzusetzen haben b).
I) Die Schiffahrt auf den genannten
Flüssen, in ihrem ganzen schiffbaren Lauf,
soll durchaus frei, und, in Hinsicht auf
den Handel, Niemand untersagt seyn; jedoch
unter Beobachtung der Vorschriften über die
SchiffahrtPolizei, welche, übereinstimmend
für Alle, und für den Handel aller Nationen
so günstig wie möglich, sollen errichtet wer-
den a). II) Das System, welches für Er-
hebung der Abgaben und für Handhabung
der Polizei einzuführen ist, soll, so viel
möglich, für den ganzen Lauf des Flusses
dasselbe seyn. Es soll, so fern nicht be-
sondere Umstände widerstreiten, auch auf
diejenigen seiner Arme und Zusammenflüsse
sich erstrecken, welche, in ihrem schiffbaren
[791]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
Lauf, verschiedene Staaten trennen oder durch-
strömen b).
III) Die Abgaben für die Schiffahrt,
sollen gleichförmig, unwandelbar und mög-
lichst unabhängig von der verschiedenen Be-
schaffenheit der Waaren festgesetzt werden,
damit eine ins Einzelne gehende Untersu-
chung der Ladung nur wegen gesetzwidriger
Handlungen nöthig werde. Der Betrag dieser
Abgaben, welcher denjenigen vom Junius
1815 in keinem Fall übersteigen darf, ist
nach öffentlichen Verhältnissen zu bestim-
men. Belebung des Handels durch Erleich-
terung der Schiffahrt, muſs hiebei zur Richt-
schnur dienen, und der RheinschiffahrtOctroi
kann annäherungsweise zum Maasstab ge-
nommen werden. Der einmal festgesetzte
Tarif, kann nur gemeinschaftlich von den
Uferstaaten erhöhet, und die Schiffahrt darf
mit irgend andern, als den in der Schiffahrt-
[792]II. Th. XXII. Cap.
ordnung (Règlement) festgesetzten, Abgaben
nicht beschwert werden a). IV) Die Erhe-
bungsbehörden, so wenige als möglich,
bestimmt die Schiffahrtordnung. Nur gemein-
schaftlich, kann darin Aenderung getroffen
werden; es wollte denn ein Uferstaat, die
Anzahl der ihm ausschlieſsend zugehörigen
vermindern b).
V) Die Unterhaltung der Leinpfade
oder Treppelwege (chemins de halage), und
die Besorgung der für ungehinderte Schiff-
fahrt in dem Fluſsbett nöthigen Arbei-
ten, liegt jeder Uferherrschaft ob. Für den
Fall, wenn die einander gegenüber stehen-
den Ufer verschiedenen Landesherrschaf-
ten gehören, bestimmt die zu errichtende
Schiffahrtordnung die Art, in welcher die
Uferstaaten zu jenen Arbeiten mitzuwirken
haben a). VI) Stapelrecht (droit d’étape)
und gezwungener Umschlag oder Sta-
tionenrecht (droit de relâche forcée et d’échelle
[793]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
ou de rompre charge) durfen nirgend einge-
führt werden. Wo sie schon bestehen, sollen
sie nur so weit fortdauern, als die Ufer-
staaten, ohne Rücksicht auf Interesse des
Orts oder des Landes, solche für die Schiff-
fahrt oder den Handel im Allgemeinen für
nothwendig oder nützlich erachten werden b).
VII) Die Zölle der Uferstaaten, sollen nichts
gemein haben mit den Schiffahrtabgaben.
Durch Verordnungen ist dafür zu sorgen,
daſs die Schiffahrt durch Amtsverrichtungen
der Zollbeamten nicht gehindert werde; doch
ist durch strenge Polizei an dem Ufer, wider
Zollunterschleife zu wachen, welche die Ein-
wohner mit Hülfe der Schiffleute begehen
könnten c). VIII) Ueber dieses Alles, und
was sonst noch nöthig seyn möchte, ist
eine gemeinschaftliche Schiffahrt-
ordnung zu errichten d).
I) Diese allgemeinen Bestimmungen wur-
den auf dem wiener Congreſs sofort ange-
wandt, theils auf den Rhein, theils auf
die Flüsse Neckar, Main, Mosel, Maas
und Scheldea). II) Desgleichen auf die
Fluſs- und Schiffahrtverhältnisse zwischen
Preuſsen und Sachsen, namentlich auf die
Elbe, und so viel das Flöſsen, sowohl des
verbundenen als auch des losen Holzes be-
trifft, auf die Gewässer, welche die Namen
Elsterwerdaer Floſsgraben, Schwarze
und Weiſse Elster führen, so wie auf
den Floſsgraben, der aus der letzten ab-
geleitet ist b). III) Auch wurden späterhin
dieselben Grundsätze für künftig anwendbar
erklärt, auf diejenigen Flüsse, wehe östrei-
chische und angrenzende baierische Staa-
ten durchströmen oder scheiden c). IV) End-
lich wurden auf dem wiener Congreſs Be-
stimmungen errichtet, für Beförderung der
Schiffahrt und des Handels preuſsischer und
hannöverischer Unterthanen mittelst der Ems,
und der ersten in der Stadt und dem Hafen
von Emden, so wie für die Schiffahrt der
[795]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
hannöverischen Unterthanen auf dem Canal
der Stecknitzd). V) In der teutschen
BundesActe e) behielten sich die Bundes-
glieder vor, bei der ersten Zusammenkunft
der Bundesversammlung in Frankfurt, wegen
des Handels und der Schiffahrt, nach
Anleitung der auf dem wiener Congreſs an-
genommenen Grundsätze, in Berathung zu
treten. VI) Nicht anwendbar sind jedoch
die Bestimmungen des wiener Congresses,
auf solche Flüsse, welche in ihrem schiff-
baren Lauf verschiedene Staaten nicht schei-
den oder durchströmen f).
I) Seit einer Reihe von Jahrhunderten,
war der Rheina), in Absicht auf Schiffahrt
und Handelsverkehr b), ein hochwichtiger
Gegenstand theils von Streitigkeiten der Ufer-
staaten, theils von reichs- und territorial-
gesetzlichen und von vertragmäsigen Bestim-
mungen c). II) Seit 1648 zugleich wieder,
abwechselnd mehr oder weniger, Grenzfluſs
zwischen Frankreich und teutschen Staaten d),
wird, vermöge des lüneviller Friedens von
1801, Art. 6, und des Reichsdeputations-
Hauptschlusses von 1803, §. 39, so wie nach
dem pariser Frieden von 1814 und dem
pariser Hauptvertrag vom 20. Nov. 1815
(oben § 87—90), dessen Thalweg als Sou-
verainetätsGrenze, der ganze Strom
hingegen so viel Schiffahrte) und Hand-
lung betrifft, als zwischen beiderseitigen
Staaten gemeinschaftlich betrachtet f).
III) Nicht nur die mannigfaltigen und
beträchtlichen Rheinzölle, sondern auch
alle andern auf die TransitoSchiffahrt sich
beziehenden Abgaben, z. B. Licent, Transito,
[799]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
Accise, Abgabe von Halfleuten und Half-
pferden, u. d., wurden aufgehoben; doch
mit Vorbehalt der Eingangsgebühren und Zölle
in den Uferstaaten a). IV) Dagegen ward von
dem teutschen Reich und Frankreich, mit-
telst eines Vertragsb), ein gemeinschaft-
licher RheinschiffahrtOctroi, eine
GesammtAnstalt und Ordnung für Schiff-
fahrt und Handlung auf dem Rhein, und
für die von beiden zu entrichtenden Ab-
gabenc), genannt Recognition und Octroi-
Gebühr, eingeführt, in Absicht auf Berg-
und Thalfahrt; doch nur von Strasburg bis
an die niederländische Grenze, in einer Strecke
des Fluſslaufs von 130 Wegstunden oder
ungefähr 335,750 Toisen d).
I) Der pariser Friede von 1814 a) und
der wiener Congreſsb), giengen auch bei
dem Rhein von den oben (§ 469 — 471) an-
geführten Hauptbestimmungen aus. Der Con-
greſs erneuerte, bestätigte und erweiterte ver-
schiedene der in der OctroiConvention von
1804 enthaltenen Bestimmungen. II) Eine Cen-
tral Commission, zu welcher jeder Ufer-
staat ein Mitglied zu ernennen hat, soll in
jedem Jahr am 1. Nov. zu Mainz sich ver-
sammeln, um über Beobachtung der Rhein-
schiffahrtOrdnung und das gemeine Beste
der Schiffahrt und Handlung zu wachen, den
Bericht der Inspectoren über ihre Verwal-
tung zu vernehmen, und für Verhandlungen
zwischen den Uferstaaten, vorzüglich in Hin-
sicht auf die Schiffahrt, zu dienen c).
I) Eine fortwährende Verwaltungs-
behörde, welche den Erhebungs Büreaux
vorgesetzt ist, mit den übrigen LocalBehör-
den der Uferstaaten zu verhandeln, und für
Handhabung der Schiffahrtordnung, auch wäh-
rend der Abwesenheit der CentralCommis-
sion, Sorge zu tragen hat, und an welche
zu jeder Zeit der Handelstand und die Schiffer
sich wenden können, soll bestehen aus einem
OberInspector und drei UnterInspecto-
ren. Der erste soll von der CentralCom-
mission ernannt werden, und zu Mainz woh-
nen, die drei andern sind bestimmt für den
Ober-, Mittel-, und Unterrhein; den einen
ernennt Preuſsen, den andern abwechselnd
Frankreich und der König der Niederlande,
den dritten die übrigen teutschen Fürsten,
welche Uferstaaten beherrschen. II) Bei jedem
ErhebungsBüreau, hat der dortige Uferstaat
eine richtende Behörde erster Instanz zu
bestellen; für Rechtshändel, die nach der
Schiffahrtordnung zu entscheiden sind. In
zweiter und letzter Instanz, können die Appel-
lanten sich entweder an die CentralCommis-
[803]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
sion, oder an ein hiezu ernanntes Oberge-
gericht desselben Uferstaates wenden b).
I) Für Einnahme, Ausgabe und Berech-
nung der Abgaben, sollen eigene Erhe-
bungsBüreaux bestehen; zwischen Stras-
burg und der niederländischen Grenze nicht
über zwölf, und überdieſs, in verhältniſs-
mäsigen Zwischenräumen und nach gleichen
Grundsätzen, diejenigen zwischen Basel und
Strasburg und in den Niederlanden, über
deren Einrichtung man übereinkommen wird.
Jeder Uferstaat kann die Anzahl der ihm
ausschlieſsend bewilligten ErhebungsBüreaux
vermindern, nicht aber ohne Einwilligung
der übrigen Uferstaaten vermehren, oder deren
Wohnsitz ändern a). II) Die OctroiSchiffe
und Nachen, führen die Flagge derjenigen
Uferstaaten, wozu sie gehören, jedoch mit
Beifügung des Wortes Rlienus b).
I) Die OctroiGebühr (§. 474. Note c)
für Waaren, darf, für die ganze Strecke
zwischen Strasburg und der niederländischen
Grenze, mehr nicht betragen, als bei der Berg-
fahrt zwei Franken, bei der Thalfahrt einen
Franken und 33 Centimen, auf den Centner;
und sie darf, in demselben Verhältniſs, auch auf
die Strecken zwischen Strasburg und Basel,
und von der niederländischen Grenze bis
an die Mündungen des Flusses a) ausgedehnt
werden b). II) Die Recognition (§. 474,
Note c) bleibt, wie sie in der OctroiCon-
vention von 1804, Art 94, bestimmt ist;
doch darf die stufenweise Erhöhung der
Abgabe anders festgesetzt werden, so daſs
auch die Fahrzeuge von 2500 bis 5000 Cent-
ner Ladungsfähigkeit darin begriffen seyen,
in demselben Verhältniſs der oben erwähn-
ten Strecken c). III) Dieser Tarif kann nur
durch allseitige Uebereinkunft der Ufer-
staaten, und aus den gerechtesten und drin-
gendsten Ursachen, erhöhet, und es darf
die Schiffahrt unter keinerlei Namen oder
Vorwand mit irgend einer andern Ab-
gabe beschwert werden d). IV) Di-
[805]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
Zölle in den Uferstaaten, bestehehen für
sich e) (§. 471).
I) Die Erhebung der Abgaben, ge-
schieht in jedem Uferstaat für dessen Rech-
nung, und durch desselben Beamte. Aber
das Ganze der erhobenen Abgaben, wird auf
gleiche Weise, nach Verhältniſs der Landes-
strecke eines jeden, unter die Uferstaaten
vertheilt; namentlich auch dann, wenn ein
Büreau sich über zwei oder mehrere Ufer-
staaten erstreckt, oder wenn die einander
gegenüberstehenden Ufer zu verschiedenen
[806]II. Th. XXII. Cap.
Staaten gehören a). II) Verpachtung der
SchiffahrtAbgaben, findet zu keiner Zeit
statt b). III) Jeder Uferstaat ist verpflichtet
zu Unterhaltung der in seinem Bezirk be-
findlichen Leinpfade, und zu Veranstal-
tung der in dem Fluſsbett nöthigen Arbei-
tenc).
I) Keine Schiffergildea), noch weni-
ger ein zur Schiffahrt ermächtigter Einzel-
ner, da wo keine Gilde besteht, ist aus-
schlieſsend zu der Schiffahrt auf irgend einem
Theil des Flusses berechtigt; und Untertha-
nen des einen Uferstaates, können Mitglie-
der der in einem andern bestehenden Gilde
bleiben b). II) Die Unterthanen der Ufer-
staaten am Neckar, am Main und an der
Mosel, haben in Ansehung der Rheinschif-
fahrt dieselben Rechte und Pflichten, wie
[807]Schiffahrt und Handelsverkehr etc.
die Unterthanen der Uferstaaten am Rhein c).
III) Für die Rechte des Handels und der
Schiffahrt auf dem Rhein, soll eine eigene
Schiffahrtordnung (Règlement définitif)
errichtet werden d).
I) In dem Fall eines Kriegs zwischen
den Uferstaaten, soll die Erhebung der Octroi-
Abgaben ungehindert ihren Fortgang haben.
Die Schiffladungen und OctroiBeamten, ge-
nieſsen alle Rechte der Neutralität, und die
[808]II. Th. XXII. Cap.
Büreaux und Cassen erhalten Souvegarden a).
II) Das im Jahr 1804 aufgehobene Stapel-
recht (der Städte Cöln und Mainz; diese
gezwungene Feilbietung der Waaren, für
bestimmte Zeit) bleibt aufgehoben b). II) Auch
findet ein gezwungener Umschlag oder
ein Stationenrecht (§. 471) der Städte Mainz
und Cöln, nicht mehr statt c). IV) Kran-,
Kai- und Magazingeld, da wo Einrich-
tungen dieser Art bestehen oder errichtet
werden, sollen gleichförmig durch die Schiff-
fahrtordnung bestimmt, und dürfen einseitig
nicht erhöhet werden d).
I) Der ReichsdeputationsHauptschluſs von
1803, hatte auf die teutsche Hälfte des
Ueberschusses in dem reinen Ertrag des
RheinschiffahrtOctroi, nach Abzug der dem
Kurfürsten Reichserzkanzler bestimmten jähr-
lichen Summe von 350,000 Gulden, ver-
schiedenen teutschen Fürsten und Grafen
Anweisung gegeben zu immerwährenden
Jahrrenten, theils unbedingt oder prin-
cipal a), theils bedingungsweise oder subsi-
diarisch, für den Fall, wenn nach Bezah-
lung jener, für diese ein hinreichender Ueber-
schuſs sich ergebe b); alle diese Renten je-
derzeit ablöslich, gegen ein Capital zu 2½
Procent, oder mittelst jeder andern Ueber-
einkunft der Interessenten c). II) Der wie-
ner Congreſs setzte fest d), daſs jene direct
(unbedingt) angewiesenen Renten fernerhin
bestehen sollen. Demnach liege 1) den teut-
schen Uferherrschaften deren Bezahlung ob,
mit Vorbehalt der Einlösung zu 2½ Procent,
oder nach anderer Uebereinkunft. Doch
[810]II. Th. XXII. Cap.
sollen 2) von dieser Zahlungspflicht ausge-
nommen seyn, diejenigen Fälle, wo dem
Recht, jene Renten zu fordern, besondere
gesetzmäsige Einreden entgegenstehen. 3)
Die Entscheidung über diese Einreden, so-
dann 4) über den Grundsatz, ob die jetzi-
gen Uferherrschaften zu deren Bezahlung ver-
pflichtet seyen, so wie über dessen Anwen-
dung auf die einzelnen Rückständforderun-
gen, ward von einer hiezu niedergesetzten
Commission ertheilt e), und zwar bejahend
für den Grundsatz sowohl, als auch, im
Allgemeinen, für die Rückstände. III) We-
gen der subsidiarischen Renten, setzte
die teutsche BundesActe f) fest, daſs die
Fortdauer derselben, so wie der directen,
von dem Bund garantirt werde.
I) Mit Aufhebung der Art. 73 bis 78
der OctroiConvention von 1804, für die
Zukunft, ist die Sorge für Ruhegehalte
der OctroiBeamten, und für Unterstü-
tzung ihrer Witwen und Waisen, je-
dem Uferstaat insbesondere überlassen. Die
CentralCommission wird sich angelegen seyn
lassen, theils die Auseinandersetzung mit
Frankreich, wegen Herausgabe des in Ge-
mäſsheit des 73. Art. der OctroiConvention
gesammelten PensionFonds, theils die ver-
tragmäsige Anwendung desselben. Die vori-
gen OctroiBeamten, welche bei der neuen
Einrichtung nicht wieder angestellt werden,
oder aus gültigen Ursachen keine Anstellung
annehmen, sollen nach dem 59. Art. des
ReichsdeputationsHauptschlusses von 1803
pensionirt und behandelt werden a). II) Auch
die Fortzahlung der Pensionen, so-
wohl an ehemalige Angestellte bei den durch
den R.Deput.Hauptschluſs von 1803 aufge-
hobenen Rheinzöllen, als auch an diejeni-
gen, welchen solche seit Einführung des
RheinschiffahrtOctroi rechtmäsig bewilligt
worden sind, ist festgesetzt b).
I) Dieselbe Freiheit der Schiffahrt, wie
sie für den Rhein festgesetzt ist, soll auch
auf dem Neckar, auf dem Main, auf der
Mosel, Maas und Schelde statt finden a).
II) Was ausserdem noch in Ansehung der
Schelde festzusetzen seyn möchte, soll
definitiv (zwischen Frankreich und den Nie-
derlanden) so bestimmt werden, wie es für
Schiffahrt und Handlung am günstigsten ist,
und mit der für den Rhein eingeführten
Ordnung am meisten übereinstimmt b). III)
Stapelrecht und gezwungener Umschlag
auf dem Neckar und Main, sind aufge-
hoben; jedem qualificirten Schiffer steht
die Freiheit der Schiffahrt überall auf die-
sen Flüssen auf dieselbe Art zu, wie sie
auf dem Rhein eingeführt ist c).
IV) Die Zölle auf dem Neckar und
Main dauern fort, doch nicht über den
Tarif von 1802, und neue Auflagen von
irgend einer Art finden nicht statt; auch
sollen die Uferherrschaften sich über einen
Tarif vereinigen, welcher mit dem Rhein-
schiffahrtOctroi so viel möglich überein-
stimmt a). V) Auf der Mosel und Maas,
sollen die im Jahr 1815 üblichen Abgaben
nicht erhöhet, vielmehr, so fern sie im
Ganzen die für den Rhein festgesetzten über-
steigen, vermindert, überhaupt aber Ein-
richtungen, wie auf dem Rhein, getroffen
werden b). VI) Auf der Maas sollen die
preussischen Unterthanen dieselben Rechte
geniessen, wie die Unterthanen der Ufer-
staaten c). VII) Die Uferstaaten an allen die-
sen Flüssen, sind verpflichtet zu Unterhal-
[814]II. Th. XXII. Cap.
tung der Leinpfade, und zu den in dem
Fluſsbett nöthigen Arbeiten d).
Vorstehende beschränkende Bestimmun-
gen abgerechnet, bleiben den souverainen
Uferherrschaften ihre StaatsHoheits-
rechte über die genannten Flüsse a), na-
mentlich die Oberaufsicht, Gesetzgebung,
Polizei, Gerichtbarkeit und Strafgewalt, des-
gleichen das Benutzungsrecht der
Flüsse und ihrer Uferb), so weit dadurch
der Schiffahrt und Handlung auf solchen,
nach Inhalt vorstehender Bestimmungen, kein
Eintrag geschieht. Wo der Fluſs, der Länge
nach, zugleich die Staatsgrenze bildet,
da erstrecken sich diese Hoheitsrechte nur
bis an diese; es sey die Mitte, oder der
Thalweg c) des Flusses (§. 91).