1. Amalia Ripsraps iſt eigentlich mein
Name.
Derjenige Ort, wo ich zur Welt kame
Und das Tageslicht zuerſt geſehn,
Iſt die beruͤhmte Stadt N. N.
2. Mein
[156]2. Mein Vater war dort ein Advokate,
Welcher viele Prozeſſe zu fuͤhren hatte,
Sintemal er die Jura aus dem Grund
Und das Chikaniren verſtund.
3. Auch die allerverworrenſten Rechtsſachen
Wußte er noch weit verworrener zu machen,
Und durch manche Liſt und Rank
Zoge er kurze Prozeſſe lang.
4. Seine Geſchicklichkeit that erretten
Manchen guten Schelm von Galgen und
Ketten;
Und ein grade zu gehoͤriger Zeit
Von ihm angerathener falſcher Eid
5. Machte manchen muthwilligen Betruͤger
Ueber ſeinen ehrlichen Gegner zum Sieger,
Und half theils manchen aus harter Noth,
Theils manchen armen Teufel vom Brod.
6. Er haßte herzlich Frieden und Vertraͤge,
Und riethe viel lieber in alle Wege,
Auch bei der geringſten Kleinigkeit,
Zum Prozeſſe und Rechtsſtreit.
7. Seine Klienten ließ er immer tanzen
Durch alle moͤgliche rechtliche Inſtanzen,
Bis dann endlich ſelbige zuletzt
Ihren letzten Heller zugeſetzt.
8. Uebri-
[157]8. Uebrigens diente er mit moͤglichſten Treuen
Seinen ſich ihm anvertrauenden Partheien,
Jedoch nahm er auch dann und wann
Von der Gegenparthei Geſchenke an.
9. So erwarb er ſich ein ziemliches Vermoͤgen;
Was andern ein Fluch war, war ihm ein
Segen,
Und wenn andre gezankt und gekriegt,
Zog er den Vortheil und war vergnuͤgt.
10. Meine ſelige Mutter war die Tochter
Von einem ehmaligen reichen Pachter,
Der, weil er ſehr gerne geprozeſſirt,
Sich und ſein Vermoͤgen geruinirt.
11. Mein Vater hatte ihm als Advokate
Gedient mit ſeinem getreuen Rathe,
Und er truge dafuͤr zum Lohn
Die artige Tochter des Pachters davon.
12. Sie hatte ſchon viele ausgeſchlagen,
Welche ſich, ſie zu freien, angetragen,
Als ſich noch ihr Vater im Wohlſtand
Und bei gutem Vermoͤgen befand.
13. Jedoch als ſich die Aktien verſchlimmert,
Haͤt ſich keiner mehr um ſie bekuͤmmert;
Denn auch das ſchoͤnſte Maͤdchengeſicht
Reizt ohne Geld zum Eheſtand nicht.
14. In-
[158]14. Indeſſen hat es ihr doch gegluͤcket,
Daß ſie endlich meinen Vater beſtricket,
Denn hoͤchſt gruͤndlich verſtand ſie
Alle Kuͤnſte der Galanterie.
15. Mein Vater hatte ſie ſehr oft geſehen,
Und da iſt es dann, wie geſagt, geſchehen,
Daß er dieſelbige unbeſchwert
Von dem Pachter zur Frau begehrt.
16. Sie ſchmeckten zuſammen in ihrer Ehe
Vieles Vergnuͤgen und weniges Wehe,
Wenigſtens im erſten Vierteljahr,
Da ihnen die Ehe noch neu war.
17. Sie wußten von den prozeſſirenden Parthieen
Fuͤr die Kuͤche manchen Vortheil zu ziehen,
Denn die Frau Advokatin bekam,
Was etwa der Herr Advokate nicht nahm.
17. Auch zog ſie noch manche heimliche Gewinnſte
Durch ihr ſchoͤnes Geſicht und galante Kuͤnſte,
Wenn etwa eine verliebte reiche Parthie
Sich beſonderlich bewarbe um ſie.
18. Wenn der Herr Gemahl Akten geſchrieben,
So iſt ſie ſelten auch muͤßig geblieben,
Und ſie nahm in der Schlafſtube dann
Gemeiniglich geheime Audienz an.
20. Ob
[159]20. Ob ichs nun gleich eben nicht will wagen,
Drauf zu ſchwoͤren und als gewiß zu ſagen,
Daß juſt gedachter Advokat
Mein Vater geweſen in der That;
21. So habe ich doch niemals es gehoͤret,
Daß ſich derſelbe haͤtte beſchweret,
Als mich, nach ohngefaͤhr einem Jahr,
Meine Mutter zur Welt gebahr.
22. Von meinen erſten Kinderjahren
Habe ich zwar nichts ſonderliches erfahren,
Doch liebten mein Vater und Mutter mich
Als ihr einziges Toͤchterlein zaͤrtelich.
23. Man ſparte auch gar keine Bemuͤhung
An meiner Bildung, Pflege und Erziehung,
Und ſchickte mich fruͤhe, da ich noch klein,
Fleißig zu lernen, in die Schule hinein.
24. Jedoch ſchonte man an mir in alle Wege
Vorwuͤrfe, herbe Verweiſe und Schlaͤge,
Und richtete in jeder Kleinigkeit ſich
Nach meinem Willen ſorgfaͤltiglich.
25. Als ich kaum zehn Jahr alt geweſen,
Fing ich ſchon an Romane zu leſen,
Und ward von der Liebe ſchon mehr gewahr,
Als andre Maͤdchen im achtzehnten Jahr.
26. Mit
[160]26. Mit muntern Juͤnglingen und artigen Knaben
Mochte ich herzlich gerne zu ſchaffen haben,
Und fing gar manchen prakt’ſchen Roman
In meinem dreizehnten Jahre ſchon an.
27. Vielleicht war es ein Fehler der Erzeugung,
Daß ich auch ſehr fruͤhe eine Neigung,
Die auch nachher niemals verſchwand,
Eine Neigung zum Stehlen empfand.
28. Meine Eltern, geſchlagen mit Blindheit,
Hielten dieſes fuͤr Triebe der Kindheit,
Und haben, wenn ich was boͤſes gemacht,
Nur uͤber ihr ſchlaues Toͤchterchen g’lacht.
29. Mein funfzehntes Jahr war kaum ver-
ſchwunden,
Als ſich ſchon Freier bei mir einfunden,
Denn bei meinem nicht haͤßlichen Geſicht
Fehlte es mir an Anbetern nicht.
30. Ob nun gleichwohl mancher von ihnen
Meinem Vater nicht verwerflich geſchienen,
So fande indeſſen meine Mutter jedoch
Vieles an ihnen zu tadelen noch.
31. Nur einen Mann von ſehr hohem Stande,
Allenfalls aus den Vornehmſten im Lande,
Beſtimmte ſie einzig [und] allein
Fuͤr mich, ihr artiges Toͤchterlein.
32. Es
[161]32. Es kam aber kein Mann von hohem Stande,
Der mich zur Frau zu machen rathſam befande,
Mir wurde indeſſen dabei recht bang,
Denn die Verzoͤg’rung fiel mir zu lang.
33. Ich ſuchte alſo und dergeſtalten
Mich anderweitig ſchadenfrei zu halten,
Und ließ zum geheimen Rendezvous
Manchen jungen artigen Herrn zu.
34. Aus Furcht, etwas Schlimmes zu erleben
Und daß es kuͤnftig moͤchte geben
In meiner Heirath ein Hinderniß,
Wenn ſie mir zu viel Freiheit ließ,
35. Fing die Mutter an ernſtlich drauf zu denken,
Meine Liebesſtreiche einzuſchrenken,
Und gab ſowohl bei Tag, als bei Nacht,
Auf meine Schritte und Tritte Acht.
36. Ward nun gleich dadurch meine Neigung ge-
hindert,
So ward ſie doch mehr vermehrt als vermin-
dert,
Denn eine ſtark verbotene Frucht
Wird nur deſto emſiger geſucht,
37. Und je groͤßer Hinderniß, je mehr Verlangen.
So iſt es auch mit meiner Neigung gegangen,
Denn ich ſuchte zu jeder Zeit
Sie zu befriedigen Gelegenheit.
Jobſiade 1r Th. L38. Des
[162]38. Des Nachts ließ ich oft durch mein Fenſter
Manche mit Fleiſch und Bein verſehene Ge-
ſpenſter,
Die dann meiſtens die halbe Nacht
Bis am Morgen bei mir zugebracht.
39. Auch konnte ich oft mir die Zeit vertreiben
Mit manchem erhaltenen Liebesſchreiben
Von ſo herzbrechendem Inhalt, als man
In jedem Romane leſen kann.
40. Ich ging grade im zwanzigſten Jahre,
Als ich einſtens auf einem Balle ware;
Da ward ich mit einem Herren bekannt,
Herr Baron von Hogier genannt — —
41. Hier fiel ihr Hieronimus ins Wort ploͤtzlich:
„Herr von Hogier? — — das iſt entſetzlich!
„Sein Name ſowohl, als ſein eigentlicher
Stand
„Iſt mir, mein Seele! nicht unbekannt;
42. „Herr von Hogier war ein Baͤrenhaͤuter!“
Ja, das war er, ſprach Amalia weiter,
Und Sie ſollen, lieber Hieronimus! ſehn,
Was zwiſchen mir und ihm iſt geſchehn.
43. Herr von Hogier hat mir dazumalen
Von Perſon und Weſen hoͤchlich gefallen,
Denn ſein reiches Kleid und große Perruͤck
Nahm mich ſchon ein, im Augenblick.
44. Er
[163]44. Er that mir hoͤchſt verliebte Antraͤge
Und mir gefielen ſeine Vorſchlaͤge,
Um deſto mehr, da er hoch und theuer ſchwur:
Ich ſey ſeine einzige Goͤttin nur.
45. Auch ſprach er viel von ſeinen Guͤtern und
Vermoͤgen,
Welche im Lande Sachſen waͤren gelegen,
Ob er gleich bishero nur ſo
Reiſete durch die Welt inkognito.
46. Er that mir auch deutlich proponiren,
Er wolle mich gerne von Hauſe entfuͤhren,
Ich moͤchte nur mit vielen Juwelen und
Geld mich verſehn auf die beſtimmte Stund.
47. Als mich nun Nachtes nichts verhindert,
Hab ich zu Hauſe Kiſten und Kaſten gepluͤndert;
Steckte, was ich da bekam, zu mir
Und entfloh mit dem Herrn von Hogier.
48. Wir eilten, bis wir uns endlich befanden
Faſt an den aͤuſſerſten Graͤnzen der ſchwaͤbi-
ſchen Landen,
Und haben in den erſten vier Tagen faſt
Keine zwoͤlf Stunden ausgeraſt’t.
49. Was wohl die Eltern gedacht, als ſie gefunden
Ihre Kaſten leer und die Tochter verſchwunden,
Und wie ſie geweinet, geflucht und geſchmaͤhlt,
Das bleibt an ſeinen Ort geſtellt.
L 250. Als
[164]50. Als wir endlich in X. angekommen,
So haben wir uns einmal vorgenommen,
Einige Tage da auszuruhn
Und uns etwas zu Gute zu thun.
51. Wir blieben da alſo ruhig liegen,
Lebten in Wonne und Vergnuͤgen,
Und der Herr Baron von Hogier
Stellte ſich zaͤrtlich gegen mir.
52. Ich hielte mich nun in meinem Sinne
Gluͤcklicher als eine Prinzeſſinne,
Und gedachte an nichts als Freud,
Luſt, Liebe und Ergoͤtzlichkeit.
53. Doch war nunmehro mein Ungluͤck nahe;
Denn ehe ich es mir verſahe,
Hat ſich einſt heimlich in der Nacht
Herr von Hogier, per Poſt, davon gemacht.
54. Auch mein Geld, lieber Hieronimus! denk Er!
Nebſt meinen Juwelen waren zum Henker,
Auch alle Koſtbarkeiten allzumal,
Welche ich vorher meinen Eltern ſtahl.
55. Nun ſah ich alſobald offenbare,
Daß Herr von Hogier ein Spitzbube ware,
Und daß es nicht allzurichtig ſtand
Mit ſeinen Guͤtern im Sachſenland.
56. Es
[165]56. Es iſt alſo leichtlich zu gedenken,
Wie ſehr mich dieſe Sache mußte kraͤnken,
Denn ich haͤtte von dem Herrn von Hogier
Nie eingebildet den Streich mir.
57. Einſam nunmehr und von allen verlaſſen
Konnte ich vor Betruͤbniß mich kaum faſſen,
Und ich wußte nicht, wohin und woher
Fuͤr mich eine ſichere Zuflucht waͤr.
58. Wieder nach meinen Eltern zu gehen,
Das durfte unmoͤgelich geſchehen;
Denn es waͤre da ſicherlich
Gar nicht gut gegangen fuͤr mich.
59. Indeſſen waren zu allem Geluͤcke,
Noch vier und zwanzig Dukaten zuruͤcke,
Welche ich mit aller Vorſichtigkeit
Geneht hatte in mein Unterkleid.
60. Dieſe uͤbrige vier und zwanzig Dukaten
Kamen mir diesmal recht gut zu Statten,
Denn ſie waren nun, um und um,
Mein ganzes Vermoͤgen und Reichthum.
61. Ich wollte nun nicht laͤnger verweilen
Dem Herren von Hogier nachzueilen,
Sondern jug gleich am ſelbigen Tag
Ihm ebenfalls mit der Poſt nach.
62. Denn
[166]62. Denn ich hatte im Poſthauſe vernommen,
Daß er da Extrapoſt bekommen,
Und daß er alſo im Schwabenland
Sich noch vermuthlich reiſend befand.
63. Haͤtte ich ihn unterweges attrapiret,
So waͤre er ſogleich arretiret,
Und ſo haͤtte ich gewiß alsdenn
Meine Sachen wieder bekommen.
65. Mein Lieber! es war grade dieſe Reiſe,
Als ich auf die bewußte Weiſe
Sie auf dem Poſtwagen traf an,
Wo unſre Bekanntſchaft zuerſt begann.
65. Uebrigens iſt es mir niemals gegluͤcket,
Daß ich Herrn von Hogier haͤtte erblicket,
Und ich habe auch niemals nachher
Gehoͤret, wo er geblieben waͤr — —
66. Hier iſt Hieronimus abermalen
Der Amalia in die Rede gefallen:
„Potz tauſend! ich weiß es, wo der Dieb,
„Der Herr von Hogier, der Schurke, einſt
blieb!
67. „Kurz vor unſrer Bekanntſchaft, liebe Amalie!
„Hatte mich Herr von Hogier, die Kanaille,
„Im Wirthshaufe um vieles Geld
„Mit ſeinem falſchen Spiele geprellt;
68. „Dies
[167]68. „Dies war die Urſache meines Kummers
„Und meines melancholiſchen Schlummers,
„Den ich endlich bei Ihnen vergaß,
„Als ich damals auf dem Poſtwagen ſaß.
69. „Auch war Herr von Hogier einer der beiden
„Angetroffenen verkleideten Kaufleuten,
„Welche im Wirthshauſe hernachmal’n,
„Mir den Beutel mit dem Gelde ſtahl’n.
70. „Auch der Raͤuber, den ich getoͤdtet,
„Als ich jenen Herrn mit der Dame gerettet,
„War wahrlich, von Perſon und Geſicht,
„Kein andrer als dieſer Boͤſewicht.
71. „Sie koͤnnen ſich alſo zufrieden geben,
„Der Spitzbube iſt nicht mehr am Leben,
„Und ich habe uns alſo mit Recht
„Fuͤr alle Betruͤgereien geraͤcht.
72. Amalie verſetzte: dieſe Geſchichten,
Welche Sie, mein Lieber! mir da berichten,
Sind wahrhaftig recht ſehr kurios,
Und meine Verwunderung drob iſt groß!
73. Das Spruͤchwort: was auch gar klein
geſponnen,
Kommtdoch endelich an die Sonnen,
Trifft auch gewiß hier haarklein
Bei dem Schurken von Hogier ein.
74. Doch,
[168]74. Doch, um im Erzaͤhlen fortzufahren,
Als wir damalen getrennet waren,
Setzte ich wegen der Sackuhr
Meinen Weg fort, doch zu Fuß nur.
75. Gleich drauf mußte es ſich zutragen,
Daß ein alter Herr mit ſeinem Wagen
Grade auch dieſe Straße kam,
Und er mich, da gehend, wahrnahm.
76. Er noͤthigte mich durch ſein freundlich Bezei-
gen,
In ſeinen Wagen bei ihm einzuſteigen;
Und weil ihm meine Perſon gefiel,
Gab er mir der guten Worte viel:
77. Immer bei ihm als Kammerjungfer zu bleiben
Und ihm die Zeit angenehm zu vertreiben;
Denn er waͤre mit Leib und Seel
Unbeweibt und noch Junggeſell.
68. Nun ware es eines Theils gefaͤhrlich,
Andern Theils, wie ich itzt dachte, auch thoͤrlich
Gehandelt und gethan von mir,
Ferner zu ſuchen den Herrn von Hogier.
79. Was mir der alte Herr angetragen,
Wollte ich alſo nicht ausſchlagen,
Obgleich ſein Alter und graues Haar
Mir ſo recht nicht anſtaͤndig war.
80. Ich
[169]80. Ich bin alſo bei ihm geblieben,
Habe ihm die Zeit gut vertrieben,
Und ich betrug mich gegen ihn,
Als waͤre ich ſeine Gemahlin.
81. Er hat mich deswegen hochgehalten,
Ließ mich im Hauſe ſchalten und walten,
Und uͤber Geſinde, Maͤgde und Knecht’,
Hatte ich zu befehlen ein Recht.
82. Ich durchſah Stuben, Kuͤche und Keller,
Scheunen, Kammern, Boden und Soͤller,
Beſorgte die Waͤſche, Tiſche und Bett
Und was ſonſt noch vorfallen thaͤt.
83. Von allen Kaſten hatte ich die Schluͤſſel;
Jedes Geſchirre bis zur kleinſten Schuͤſſel,
Sogar Silbergeraͤthe und Leinewand,
Stunde alles unter meiner Hand.
84. Auch von manchem Abend bis zum Morgen
Trug ich fuͤr den alten Herrn alle Sorgen
Und beruhigte ihn, wenn er allerhand
Gewiſſe geheime Beduͤrfniſſe empfand.
85. Denn der gute alte Herre thate
Nicht das mindeſte ohne meinen Rathe,
Und nichts geſchahe uͤberall
Ohne meinen gegebenen Beifall.
86. Ich
[170]86. Ich bekam, wie leicht zu gedenken,
Von ihm viel anſehnliche Geſchenken,
Stahl auch uͤberdieß von Zeit zu Zeit
Noch heimlich manche Kleinigkeit.
87. Obs nun gleich aͤuſſerlich an nichts fehlte,
So war doch noch etwas, welches mich quaͤlte,
Und mir fiele deswegen im Anfang
Bei dem alten Herren die Zeit lang.
88. Zwar in der Folge war der Hausſchreiber
Zuweilen wohl mein Zeitvertreiber,
Doch weil er ſich meiſt kraͤnklich befand,
So war ſein Umgang nicht intereſſant.
89. Es gereichte mir alſo zum wahren Vergnuͤgen,
Nach ſeinem Tode einen neuen Hausſchreiber
zu kriegen,
Und Sie, mein Lieber! waren juſt der
Damals neu angeſetzte Sekretaͤr.
90. Sie gefielen mir gleich, da ich Sie geſehen,
Ich muß es Ihnen offenherzig geſtehen,
Und dieſes war dann die Urſach,
Warum ich fuͤr Sie ſo kraͤftig ſprach.
91. Uebrigens iſt Ihnen von den Dingen allen,
Welche damals unter uns vorgefallen,
Bis er Sie Nachts einſt bei mir fand,
Lieber Hieronimus! nichts unbekannt.
92. Als
[171]92 Als er ſie damals dimittiret,
Hat mich Ihr Abſchied ſehr geruͤhret,
Er fuhr aber noch deſtomehr
Ueber mich mit Verweiſen her.
93. Faſt haͤtte ich ebenfalls muͤſſen reiſen,
So zornig that er ſich beweiſen,
Und gewiß mit ſehr vieler Muͤh
Befriedigte ich ihn mit Kareſſen noch hie.
94. Indeſſen war doch ſeit dieſen Stunden
Seine Neigung zu mir ſehr verſchwunden,
Weil eine junge neue Kuͤchenmagd
Ihm beſſer als meine Perſon behagt.
95. Um nun meinen Kummer und Melancholeyen
Wegen Ihrer Abweſenheit zu zerſtreuen,
Lebte ich nachhero etwas frei
Mit des alten Herren Lakei.
96. Als er aber unſre Vertraulichkeit geſehen,
Da half mir kein weiter Bitten noch Flehen,
Sondern ich mußte alſofort,
Mit Sack und Pack, wandern von dort.
97. Da ich nun mit Geld ziemlich verſehen,
Entſchloß ich mich ſo lange durch die Welt zu
gehen,
Bis eine neue Gelegenheit ſich
Zeigte zum kuͤnft’gen Unterhalt fuͤr mich.
98. Auf
[172]98. Auf meiner Reiſe durch dieſe Lande
Stieß ich auf eine Schauſpielerbande,
Und auf meine Bitte nahm man
Mich als eine neue Aktrice an.
99. Schon hab ich mich bei ihnen ſolchergeſtalten
Einige Monate lang aufgehalten,
Und geſpielet ſehr gut und wohl
Jede mir aufgegebene Roll.
100. Uebrigens iſt’s mir eine große Freude,
Daß uns das Schickſal nunmehr beide
Wieder hat ſo geſund und vergnuͤgt
Zum drittenmale beiſammengefuͤgt.