Aufgemuntert durch die nachſichtsvollen und zum Theil
nicht unguͤnſtigen Urtheile des Publikums uͤber den
erſten Theil dieſes Voͤlkerrechts, wuͤrde ich nicht angeſtanden
haben, die uͤbrigen Theile nachfolgen zu laſſen, waͤre ich
nicht durch mancherley Zufaͤlle von einer Zeit zur andern
daran gehindert worden. Endlich ſehe ich mich im Stande,
hier wenigſtens den zweiten Theil zu liefern, der aus mehr
als einem Betracht gleicher Nachſicht bedarf. Meiner vor-
maligen Abſicht nach ſolte derſelbe die noch uͤbrigen Grundſaͤtze
des europaͤiſchen Voͤlkerrechts in Friedenszeiten in ſich faſſen
und dieſe Materie beſchlieſſen; ich ſehe mich aber durch die
Menge von Materialien genoͤthigt, noch einen dritten Theil
hinzuzufuͤgen, welcher die Ausfuͤhrung der einzelnen Hoheits-
rechte in Beziehung auf das Voͤlkerrecht enthalten ſoll. Ich
beſorge allerdings, daß mir von einigen der Vorwurf einer
zu groſſen Weitlaͤuftigkeit in Anfuͤhrung der Beiſpiele gemacht
werden duͤrfte; ich war auch mehr als einmal entſchloſſen,
mich weniger dabey aufzuhalten; allein die Betrachtung:
daß bey dem ſogenanten poſitiven Voͤlkerrechte das meiſte auf
Beiſpiele ankomme, und daß die Saͤtze deſſelben eigentlich
durch das Anerkentnis aller oder doch der meiſten und vor-
zuͤglichſten Nazionen Europens beſtaͤttigt werden ſolten, be-
ſtimte mich, von der bisherigen Methode nicht abzugehn,
* 2und
[]Vorerinnerung.
und ich hoffe, daß viele mir es im Gegentheil Dank wiſſen
werden, hier manches Beiſpiel anzutreffen, das ſonſt, be-
noͤthigten Falls, muͤhſam aufgeſucht werden muͤſte, zumal
da ich mich meiſt der eignen Worte der Vertraͤge und Staats-
ſchriften bedient habe.
Einige Erinnerungen, die man bey dem vorigen Theile
gemacht hat, habe ich beſtens zu benutzen geſucht. Dahin
gehoͤrt, daß ich den wuͤrklich nicht ganz angemeſſenen Aus-
druck: Halbſouverain ſowohl von Landen als von Regenten
gaͤnzlich aufgegeben und mich der, wie ich glaube, ſchickli-
chern Benennung von Landesherrn und landeshoheitlichen
Staaten bedient habe. Gegen andere Einwuͤrfe lieſſe ſich
manches ſagen, ich will mich aber bey deren Widerlegung
nicht aufhalten. Verſichern kann ich indes, daß mir iede
gegruͤndete und belehrende Anmerkung angenehm ſeyn wird.
Der dritte und letzte Theil ſoll baldmoͤglichſt nachfolgen.
Alsdann wird es von dem Wunſche des Publikums und von
meinen uͤbrigen Verhaͤltniſſen abhangen, ob die verſprochene
Ausarbeitung der uͤbrigen Voͤlkerrechts-Materien erſcheinen
ſoll und kann. Wenigſtens hoffe ich mit einem Auszuge
und der Fortſetzung des Georgiſchen Urkundenverzeichniſſes in
Abſicht des Voͤlkerrechts keine unnuͤtze Arbeit zu unternehmen.
Die eingeſchlichenen Druckfehler wird der Leſer groͤſtenteils
zu bemerken und zu verbeſſern im Stande ſeyn, da ich durch
Abweſenheit und andere Umſtaͤnde behindert worden, die
Bogen behoͤrig durchzuſehn. Dresden, am 28. April 1792.
Die Natur ſelbſt hat zwar den Nationen eben ſo
wenig, als einzelnen Menſchen einen beſtimmten
Theil von den Guͤthern der Erde angewieſen; doch hat
ſie ihnen in dem Geſetze der Erhaltung und Vervol-
kommung [1. Buch. 6. K. 2 — 6 §.] zugleich das
Recht zugeſtanden, ſich aller zu Erreichung dieſes End-
zwecks erforderlichen Dinge zu bemaͤchtigen, in ſofern
den gleichen Rechten der andern dadurch kein Eintrag
geſchieht. Das, was einzelne Menſchen und Fami-
lien im natuͤrlichen Zuſtande, oder, nach Entſtehung
Guͤnth. Voͤlk. 2. B. Ader
[2]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
der Staatsvereine, ganze Voͤlker auf dieſe Art an ſich
bringen, wird ihr Eigenthum, das ſie, mit Aus-
ſchlus aller uͤbrigen, nach ihrem Gefallen zu gebrauchen
berechtigt ſind.
Alle Dinge waren urſpruͤnglich ohne einen beſtimm-
ten Eigenthuͤmer, [res nullius] obſchon alle Menſchen
das Recht hatten, ſich derſelben ohne Unterſchied zu
ihrer Erhaltung und Vervolkommung zu bedienen.
Es war iedem ſelbſt uͤberlaſſen, ſo viel als er hierzu
noͤthig fand, an ſich zu nehmen. Wer eine Sache
zuerſt zu ſeinem Gebrauch ergrif, dem gehoͤrte dieſelbe,
ſo lange er ſich ihrer bediente, eigenthuͤmlich. Niemand
war befugt, ihn an dieſer Ergreifung zu hindern, weil
keiner ein mehreres Recht auf die Sache hatte. Es
war den andern frey, von den noch uͤbrigen Guͤthern
ſich ebenfalls das Noͤthige zu bemaͤchtigen. Dies war
die erſte urſpruͤngliche Erwerbungsart [acquiſitio origi-
naria.] Niemanden ſtand auch an der einmal zu
eigen gemachten Sache nun ein Recht weiter zu, ſie
muͤſte denn von dem erſten Eigenthuͤmer aufgegeben,
und wieder herrnlos geworden ſeyn, oder dieſer ſeine
Rechte einem andern foͤrmlich uͤberlaſſen haben [acqui-
ſitio derivativa.] Jedem gebuͤhrte der wilkuͤhrliche und
ausſchließliche Gebrauch, nicht nur der ſich eigenthuͤm-
lich angemaaſten Hauptſache, ſondern auch aller derſel-
ben anhangenden Nutzungen und kuͤnftigen Zuwuͤchſe
[acceſſiones.]
Jede Sache, woran niemand noch Eigenthum ge-
habt hat [res nunquam occupata], oder die durch Ver-
laſſung des erſten Eigenthuͤmers wieder in den natuͤrli-
chen Zuſtand zuruͤckgegangen iſt, [res derelicta] kann
daher
[5]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
daher durch bloſſe Beſitzergreifung zu Eigenthum ge-
macht werden. Dieſe Beſitznehmung erfodert nun zwar
eben keine beſtaͤndige koͤrperliche Innehabung, a] ſie
muß jedoch ſo beſchaffen ſeyn, daß der Wille, ſich eine
Sache zuzueignen, und ſie ausſchlusweiſe zu ſeinen Ge-
brauch zu behalten, daraus deutlich erhelle, und, daß
dieſe dadurch den Anmaaſſungen anderer entzogen wer-
de. Sie erfodert gewiſſe Thathandlungen, welche die-
ſes beides zu bewirken im Stande ſind. Der bloſſe
Wille und deſſen Erklaͤrung iſt eben ſo hinlaͤnglich, als
die Beſitzergreifung ohne Abſicht der Zueignung. Daß
die Sache, welche man ſich zueignen will, eines aus-
ſchließlichen Beſitzes faͤhig ſeyn, und niemanden da-
durch eine Beleidigung zugefuͤgt werden muͤſſe, bedarf
keines weitern Beweiſes. b]
Das Eigenthum beſteht theils in beweglichen, theils
in unbeweglichen Guͤtern, auch gewiſſermaaſſen in un-
koͤrperlichen Dingen, naͤmlich in Gerechtſamen; wozu
bei den Nazionen die Majeſtaͤtsrechte oder Regalien
und deren ausſchließlicher Gebrauch gehoͤren. a] Das
vorzuͤglichſte Eigenthum der Voͤlker, wovon die uͤbri-
A 3gen
[6]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
gen Rechte groͤſtentheils abhangen, beſteht in den un-
beweglichen Guͤthern derſelben, ihrem Territorium oder
Gebiete: und davon ſoll in dieſem Buche gehandelt
werden. Da dies wiederum theils aus feſtem Lande,
theils aus Waſſer und was beiden anhaͤngig, zuſammen-
geſetzt iſt, ſo will ich von dieſen verſchiedenen Gegen-
ſtaͤnden nunmehro in beſondern Abſchnitten handeln.
Es laͤßt ſich nicht wohl ein Volk ohne den Beſitz ei-
nes gewiſſen Erdſtriches denken, wenn er auch nur,
wie bey den herumziehenden Nazionen, eine Zeit lang
dauern ſolte. Die Voͤlker Europens haben laͤngſt ihre
beſtimten Wohnplaͤtze. Es ſey nun, daß dieſe Laͤnder
zuerſt von einzelnen Familien bewohnt worden, die
nachher in einen Staat ſich verbunden, oder, daß be-
reits ganze Voͤlker ſich derſelben bemaͤchtigt, und ſie un-
ter die Buͤrger vertheilt haben; ſo ſteht dem Volke
nicht nur das Eigenthum, ſowohl des ganzen Landes,
als gewiſſermaaſſen der Beſitzungen einzelner Buͤrger,
zu, ſondern es hat auch, was zum Weſen der Voͤl-
ker gehoͤrt, zugleich die Oberherrſchaft [Souverainetaͤt]
uͤber das ganze Land und uͤber alle in deſſen Umfange
befindliche, angebaute und unangebaute Oerter, Plaͤtze,
Waͤlder und andere Zwiſchenraͤume erlangt, dergeſtalt,
daß
[7]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
daß keinem andern Volk erlaubt iſt, ſich eines Eigen-
thums oder Herrſchaft uͤber irgend etwas darinn anzu-
maaſſen.
Vermoͤge des natuͤrlichen Rechts der Erhaltung
und Vervolkommung iſt es jedoch jeder Nazion er-
laubt, neue unbebaute Laͤnder aufzuſuchen, und in je-
ner Abſicht ſich mehreres Eigenthum, ohne Nachtheil
anderer, zu verſchaffen. Als die Vergroͤſſerungsbegier-
de der Voͤlker Europas in dieſem Welttheile keine hin-
laͤngliche Befriedigung mehr fand, fingen ſie, mittelſt
der immer mehr ausgebildeten Schiffahrt, an, auf
Entdeckung neuer Laͤnder auſſer demſelben auszugehn.
Portugal und Spanien waren bekantlich die erſten,
welche zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts ein ſol-
ches Unternehmen mit gluͤcklichem Erfolg ins Werk
ſetzten. Sie bedurften hierzu weiter keiner Einwilli-
gung oder Erlaubnis anderer Nazionen. Ganz uͤber-
fluͤſſig und widerrechtlich, aber den Vorurtheilen dama-
liger Zeiten angemeſſen, waren daher die Verguͤnſti-
gungen, a] welche dieſe Maͤchte ſich uͤber ihre Entdeckun-
gen und deren Beſitz von den Paͤbſten ertheilen lieſſen,
und worinn zugleich andere Nazionen von aͤhnlichen
Unternehmungen ausgeſchloſſen werden ſolten.
Wenn unangebaute und unbewohnte Gegenden, die
nicht in dem Gebiete eines andern Volks liegen, keinen
Eigenthuͤmer haben, ſo iſt kein Zweifel, daß ſich jede
Nazion derſelben nach Gefallen bemaͤchtigen und zueig-
nen koͤnne, und daß ſolche, da ſie alle gleiche Rechte
darauf haben, derjenigen gehoͤren, die ſie zuerſt in Be-
ſitz nimt, ohne daß eine andere ihr desfals Einhalt
thun koͤnte.
Ganz anders verhaͤlt ſichs aber, nach den Grund-
ſaͤtzen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts, mit den von Wil-
den bewohnten Laͤndern. Ein Land, das einmal be-
wohnt iſt, kann, weil es nicht mehr herrnlos [res
nullius] iſt, von Rechts wegen, ohne Bewilligung der
Bewohner, von keiner andern Nazion eigen gemacht,
und ihrer Herrſchaft unterworfen werden, deſſen Be-
wohner moͤgen auch noch ſo wild, roh und ohne Be-
griffe von Religion und Gottesdienſt ſeyn. Indes ha-
ben die europaͤiſchen Voͤlker hierinn allerdings ganz an-
dere Grundſaͤtze angenommen, und ſich, beſonders un-
ter dem Schein der Ausbreitung chriſtlicher Religion,
fuͤr berechtigt gehalten, nicht nur die Lande der Wil-
A 5den
[10]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
den in Amerika einzunehmen, ſondern auch ihre vorigen
Beſitzer nicht ſelten ganz zu vertilgen.
Um das Eigenthum dergleichen Lande, es ſey auf
welche Art es wolle, zu erlangen, iſt es nicht hin-
laͤnglich, ſie entdeckt zu haben, oder blos die Abſicht der
Bemaͤchtigung an den Tag zu legen. Sie muͤſſen auf
vorerwaͤhnte Weiſe [§. 3.] wirklich in Beſitz genommen
werden. Das beſitzergreifende Volk muß, z. B. auf
der Inſel ꝛc. wirklich landen, gewiſſe Grenzen abſte-
cken a] und ſie entweder gleich mit Mannſchaft beſetzen,
oder wenigſtens ſolche Veranſtaltungen zuruͤcklaſſen,
woraus andere, die nachher dahin kommen, ſogleich ab-
nehmen koͤnnen, daß ſie einen Eigenthuͤmer habe, und
nicht mehr herrnlos ſey. Die Anbauung muß nachher
auch wirklich erfolgen; denn wenn dieſes nicht ge-
ſchieht,
[12]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
ſchieht, ſo ſind andere Nazionen nicht verbunden, blos
durch das etwa aufgeſteckte Zeichen eines Kreuzes oder
eines andern Merkmals, b] daß bereits jemand da ge-
weſen, ſich von der wirklichen Beſitznehmung abhalten
zu laſſen, c] weil es unerlaubt iſt, ein Land, das man
ſelbſt nicht anbauen kann oder will, ſich zuzueignen,
blos um andere von deſſen Benutzung auszuſchlieſſen. d]
Es entſtehen nicht nur in den vorerwaͤhnten Faͤllen
daruͤber Streitigkeiten, daß zwey oder mehrere Nazio-
nen ein und daſſelbe Land in Beſitz nehmen, und ſich
zueignen wollen, ſondern verſchiedene europaͤiſche Maͤch-
te haben auch ſchon verlangt, daß keine Nazion weiter
ſich auf einer andern Gegend der naͤmlichen Kuͤſte ꝛc.
die ſie beſitzen, niederlaſſen, oder gewiſſer Laͤnder, auf
deren Beſitz ſie ſelbſt keine Anſpruͤche machen, ſich blos
darum nicht anmaaſſen ſolle, weil ſie durch die Naͤhe
dieſer Beſitzungen ihrem Handel ꝛc. leicht ſchaͤdlich
werden koͤnten. a] Wie ungerecht aber dieſes Verlangen
ſey, erhellet leicht aus dem Grundſatz, daß es keiner Na-
zion erlaubt ſey, ein Land blos aus der Urſach in Beſitz
zu nehmen, um andere von deſſen Nutzen auszuſchlieſ-
ſen, wenn es ſelbſt nicht im Stande iſt, daſſelbe zu
bebauen. b] Kein Volk hat ſeines eignen Nutzens wegen
zu dieſer Ausſchlieſſung ein Recht, wenn andere nicht
durch Vertraͤge ihrem natuͤrlichen Erwerbungsrechte
freiwillig entſagt haben, oder das algemeine Wohl
der
[17]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
der uͤbrigen Nazionen dergleichen nothwendig er-
fodert. c]
Wenn bey dergleichen Streitigkeiten uͤber das Ei-
genthum und den Beſitz zwiſchen mehreren Nazionen
kein Theil dem andern ſolche uͤberlaſſen will, ſo bleibt
nichts uͤbrig, als daß ſie das Land entweder in Ge-
meinſchaft beſitzen, oder es fuͤr neutral erklaͤren, we-
nigſtens ſo lange, bis das Eigenthumsrecht des einen
unterſucht und entſchieden worden.
Das, was in dem Vorhergehenden feſtgeſetzt wor-
den, findet auch nicht nur in Abſicht Teuſchlands, als
eines ſouverainen Staats im Ganzen, ſondern auch
bey den einzelnen teutſchen Landesherrn und andern
blos mit Landeshoheit verſehenen Staaten Platz, wenn
ſie durch ihre Lage oder andere Umſtaͤnde beguͤnſtigt wer-
den, neue Entdeckungen zu unternehmen.
Da nach obigen Grundſaͤtzen das Volk, welches
einen Strich Landes in Beſitz nimt, das Eigenthum
und die Herſchaft uͤber alles erlangt, was in deſſen
gan-
[19]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
ganzem Umfange ſich befindet, ſo gehoͤren ihm ohne
Zweifel auch die vom Lande eingeſchloſſenen Gewaͤſſer,
groſſe und kleine, flieſſende oder ſtehende Landſeen,
Stroͤme, Fluͤſſe, Baͤche, Teiche ꝛc. mit ihrem Bette,
Ufern und Waſſer, ſamt deren Benutzung ausſchließ-
lich, dergeſtalt, daß keine andere Nazion berechtigt iſt,
ohne Erlaubnis ſich irgend etwas davon anzumaaſſen.
Sie machen einen Theil des Gebiets aus, und ein
Volk iſt leicht im Stande, ſich im Beſitz derſelben zu
erhalten, damit ſie nicht wieder in natuͤrlichen Zuſtand
zuruͤckfallen.
Ein Volk, welches ein noch unbewohntes Land in
Beſitz nimt, kan allerdings auch den an der aͤuſſerſten
Ausdehnung ſeines Gebiets etwa vorbeilaufenden Fluß
ganz ſich zueignen, wenn jenſeits nicht ſchon ein ander
Volk Rechte darauf erworben hat. Im Fall aber zwey
Nazionen von beiden Seiten zugleich das Land in Be-
ſitz nehmen, oder es wenigſtens von einem ſolchen zwey
Staaten trennenden Gewaͤſſer nicht zu erweiſen iſt, daß
der eine zuerſt den ganzen Fluß ſich zugeeignet habe, ſo
gehoͤrt jedem, weil ſie beide gleiche Rechte darauf ha-
ben, das Eigenthum deſſelben bis in die Mitte; wenn
ſie durch Vertraͤge, das beſte Auskunftsmittel in dieſem
B 2Stuͤcke,
[20]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
Stuͤcke, nicht ein anders feſtzuſetzen fuͤr gut finden. a]
In den meiſten Voͤlkervertraͤgen wird aber auch ge-
woͤhnlich die Halbſcheid angenommen, b] und nur ſel-
ten dem einen Volke der ganze Fluß eingeraͤumt. c]
Aendert ein Fluß, wie es zuweilen geſchieht, ploͤtz-
lich ſeinen Lauf, indem er ſich einen ganz andern Weg
macht, ſo behalten die daran liegenden Voͤlker eben
das Recht am Bette, welches ſie am Fluſſe hatten.
Gehoͤrte er beiden zur Haͤlfte, ſo gehoͤrt ihnen auch das
Bette bis in die Mitte; hatte einer das Eigenthum
allein, ſo bleibt ihm auch das verlaſſene Bette, weil
bey Scheidung des Eigenthums nicht ſowohl auf das
voruͤberflieſſende Waſſer, als auf das feſtgegruͤndete
Bette deſſelben Ruͤckſicht zu nehmen iſt. Anders ver-
haͤlt es ſich bey unmerklichen An- und Abſpielungen
auf der einen und der andern Seite, wovon in dem fol-
genden Abſchnitte bey den natuͤrlichen Anwuͤchſen, und
in dem Kapitel von den Grenzen des Gebietes noch et-
was zu ſagen ſeyn wird.
Weit mehrern Schwierigkeiten iſt die Beſtimmung
des Eigenthums und der Herſchaft der groͤſſern auf der
Oberflaͤche der Erde befindlichen Waſſermaſſen, die
man Meere und offene Seen nennt, unterworfen.
Dieſe wichtige Materie hat von ieher, ſowohl unter
den Schriftſtellern, als unter den Nazionen, mancher-
ley Streit verurſacht. a] Einige haben die voͤllige
Freiheit des Meeres uͤberhaupt von allem Eigenthum
und Herſchaft und den iedermann offenſtehenden Ge-
B 5brauch
[26]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
brauch deſſelben behauptet. b] Andere ſuchten das
Recht und die Moͤglichkeit von deſſen Beſitznehmung
zu erweiſen, und ſchrieben dieſem und ienem Volke das
Eigenthum und die Herſchaft des Meeres zu. c]
Die Gruͤnde der erſtern beſtehen darinnen: Sie
ſagen 1] der Nutzen und Gebrauch des Meeres ſey
unerſchoͤpflich, [inexhauſti vſus] es koͤnne ein ieder ſich
deſſelben bedienen, ohne daß dem andern dadurch etwas
entzogen oder er gehindert wuͤrde, auf dem Meere, z. B.
ebenfals zu ſchiffen, zu fiſchen ꝛc. ꝛc. die Abſicht der
ausſchließlichen Zueignung falle daher weg, und es ſey
nicht erlaubt, eine Sache der Gemeinſchaft zu entziehn,
die einen hinlaͤnglichen Nutzen und Gebrauch fuͤr alle
gewaͤhre. 2] Das Meer laſſe keine Grenzbeſtimmung
zu, welche doch Statt finden muͤſte, wenn mehrere ſich
das Eigenthum deſſelben anmaaſſen wolten. 3] Keine
Macht der Erde ſey, wegen des groſſen Umfangs der
offenbaren See, hinlaͤnglich, den zum Eigenthum er-
foderlichen Beſitz zu ergreifen, und mit Ausſchlus an-
derer zu behaupten.
Die Gegner erwidern: 1] Jede Sache, die kei-
nen Herrn habe, gehoͤre dem, der ſich derſelben zuerſt
bemaͤchtige. Dieſer Grundſatz ſey auf das Meer ſo-
wohl, als auf die Erde anwendbar. Dieſe ſey in ih-
rem Gebrauche ebenfals unerſchoͤpflich und doch ein Ei-
genthum einzelner Nazionen. 2] Das Meer koͤnne
allerdings durch die Kuͤſten, Klippen, Seebaͤnke, In-
ſeln, Vorgebuͤrge, durch den Kompas, durch die Gra-
de der Meereslaͤnge und Breite, Aequinoctialzirkel und
andere in der mathematiſchen Erdbeſchreibung angenom-
mene und in der Schifskunſt bekante Beſtimmungen
begrenzt werden. 3] Zum Eigenthum ſey eben nicht
ein beſtaͤndiger koͤrperlicher Beſitz erfoderlich; man koͤn-
ne auf einem Landesbezirke eben ſo wenig uͤberal ſeyn,
und ieden Fremden abhalten; genug, daß man ein
Recht
[27]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
Recht habe, ihn abzuweiſen, wenn man ihn finde.
Um dies auf dem Meere zu bewuͤrken, ſey die beſtaͤn-
dige Unterhaltung einer Flotte hinlaͤnglich.
Noch andere ſchlagen einen Mittelweg ein und ge-
ben zwar Eigenthum und Herſchaft des Meeres zu,
aber unter gewiſſen Einſchraͤnkungen, wenn naͤmlich
ein Volk ſolche durch Vertraͤge mit den uͤbrigen, ganz,
oder nach gewiſſen Theilen erlangt hat. d]
Was das Meer im Algemeinen betrift, haben nach
meinem Urtheile einzelne Nazionen weder Recht noch
Macht, das Meer, mit Ausſchlus der uͤbrigen, ſich zu-
zueignen. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß die Voͤlker,
ſo wie Anfangs einzelne Menſchen und Familien, von
Natur das Recht haben, durch Beſitzergreifung, die
Guͤter der Welt an ſich zu bringen, ſo lange ſie noch
herrnlos ſind. Sie haben an dem Meere ſo viel Recht,
als an der Erde. Aber nur iſt das erſtere nicht blos
als ein Anhang der letztern anzuſehn. e] Es ſind zwey,
auch in Anſehung des Nutzens, den ſie gewaͤhren, ganz
verſchiedene Hauptelemente, woraus unſere Weltkugel
beſteht. So viel Recht nun ieder auf den Gebrauch
der Erde hat, ſo viel Recht hat er auch auf das Meer:
und ſo wenig ein oder etliche wenige Menſchen oder
Voͤlker berechtigt ſind, ſich die ganze Erde ausſchließ-
lich zuzueignen, f] ſo wenig duͤrfen ſie es auch bey dem
Meere thun. Sie koͤnnen Erde und Meer ſich zueignen,
aber von iedem Elemente nur ſo viel als ſie zu ihrer
Erhaltung und Vervolkommung brauchen, und muͤſſen
andern auch das Noͤthige laſſen. Gewoͤhnlich ſehn die-
ienigen, welche einem oder einigen Voͤlkern das Eigen-
thumsrecht des Meeres zuſchreiben, das Meer als einen
unbetraͤchtlichen Theil der Erde an, der als Anhang
zu dem bereits beſitzenden Landesbezirke geſchlagen wer-
den koͤnne. Einige wenige Nazionen wuͤrden auch,
wenn ſie den Einfall haben ſolten, ſich des Meeres
Eigen-
[28]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
Eigenthum allein anzumaaſſen, eben ſo wenig im Stan-
de ſeyn, daſſelbe zu behaupten, als wenn bey Anfang
der Erdbevoͤlkerung einige Familien oder Voͤlker ſich
der ganzen Erde oder auch nur eines Welttheils allein
haͤtten bemaͤchtigen wollen.
Wenn das Meer rechtmaͤſſig zu Eigenthum gemacht
werden ſoll, ſo darf iede Nazion von dieſem mit der
Erde gleich wichtigen Elemente, wie gedacht, nur ſo viel
nehmen, als ſie noͤthig hat, und ihr ohne Nachtheil
aller uͤbrigen, die eben das Recht daran haben, ge-
buͤhrt. Da aber die hierzu erfoderliche Abtheilung und
Beſitznehmung unendlichen Schwierigkeiten unterwor-
fen, und kaum moͤglich iſt, ſo bleibt im Algemeinen
der gemeinſchaftliche Gebrauch des Meeres allerdings
beinah das einzige Mittel, denen bey der Eigenma-
chung unvermeidlichen Streitigkeiten auszuweichen.
Hierzu komt, daß der Gebrauch des Meeres keine wei-
tere Bearbeitung, als die Zueignung der Nutzungen,
die es gewaͤhrt, erfodert; daß folglich durch die Ge-
meinſchaft niemanden die Fruͤchte ſeines beſondern
Fleiſſes entzogen werden.
Das Hauptwerk hierbey komt darauf an, daß
man die offene See, oder das groſſe Weltmeer von
den einzelnen Theilen deſſelben, die an oder zwiſchen
die Laͤnder der Nazionen gehen, unterſcheide; wovon
in dem Folgenden gehandelt werden ſoll.
Einige ſind der Meinung, daß eine Nazion, wenn
gleich nicht das Eigenthum oder den alleinigen Beſitz
und Genus, doch wenigſtens die Herſchaft uͤber das
Meer erlangen koͤnne. a] Dieſes waͤren zwey ganz
verſchiedene Dinge, die beiſammen ſeyn, oder getrennt
werden koͤnten, indem ſich auch eine Herſchaft uͤber an-
derer Eigenthum oder uͤber Dinge, die noch in der ur-
ſpruͤnglichen Gemeinſchaft ſind, erwerben laſſe. Zu
dieſer Herſchaft des Meeres rechnen ſie das Recht das
Segelſtreichen zu verlangen, Schifszoͤlle anzulegen,
Schiffahrtsgeſetze zu geben, Verbrechen auf dem Meere
zu beſtrafen u. d. gl. Da aber die Geſetze der Natur
an
[33]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
an ſich keine Herſchaft erkennen, ſo raͤumen die Ver-
theidiger dieſer Meinung auch ein, daß eine ausdruͤck-
liche oder ſtilſchweigende Einwilligung derer hierzu er-
foderlich ſey, uͤber welche die Herſchaft behauptet wer-
den ſoll. Ich will hier nicht alle die Schwierigkeiten,
welchen die Herſchaft uͤber eine in Niemandes Eigen-
thum befindliche Sache unterworfen ſeyn muß, weit-
laͤufig anfuͤhren; b] aber man wird leicht einſehn, daß
zu Einraͤumung einer ſolchen Herſchaft nicht die Ein-
willigung eines oder mehrerer, ſondern aller Theilhaber
noͤthig ſey. Wenn alſo auch eine oder die andere Na-
zion einer dritten iene Herſchaftsrechte zugeſteht, ſo iſt
dies nicht ſowohl fuͤr eine Herſchaft uͤber das Meer,
als fuͤr eine perſoͤnliche Unterwerfung anzuſehn; denn
wenn das Meer nicht im Eigenthum einzelner Voͤlker,
ſondern im gemeinſchaftlichen Beſitz aller iſt, wie kann
die eine Herſchaft anerkennende Nazion den Theil be-
ſtimmen, der ihr gehoͤrt, oder andern etwas vergeben,
wenn ſie nicht eingewilligt haben? Die Herſchaft uͤber
das Meer ohne Eigenthum iſt daher allenfals denkbar,
aber deſto weniger ausfuͤhrbar, da die meiſten Voͤlker
in Europa, deren Beiſtimmung darzu noͤthig waͤre, alle
Herſchaft des Meeres zu bekaͤmpfen ſuchen.
So wenig das Meer einer wilkuͤhrlichen Begren-
zung unterworfen iſt, ſo hat doch die Natur ſelbſt es
in verſchiedene groͤſſere und kleinere Abtheilungen ge-
bracht, ie nachdem es hier und da durch nahgelegene
Lande beengt, oder wo dieſe fehlen, eine ungeheuere
Strecke ausgedehnt iſt, die iedoch meiſt alle zuſam-
menhangen. Die letztern heiſſen Ocean, offene See,
Welt- und aͤuſſere Meere. [Oceanus, maria vni-
uerſa, externa.] Die von Laͤndern umgebenen Meere
werden, nach Beſchaffenheit ihres Umfangs und in wie-
ferne ſie mehr oder weniger vom Lande eingeſchloſſen
ſind, geſchloſſene, a] innere Meere [Maria particu-
laria, clauſa, interna] genant. Das, was oben von
dem Eigenthum des Meeres im Algemeinen geſagt
worden iſt, leidet hauptſaͤchlich in Anſehung des Oce-
ans, oder des groſſen Weltmeeres ſeine Anwendung.
Die meiſten Gelehrten, ſelbſt viele von denen, welche
im uͤbrigen das Eigenthum und die Herſchaft der Meere
vertheidigen, ſind dahin einverſtanden, daß der Ocean
voͤllig frey, und weder dem Eigenthum noch der Her-
ſchaft, am wenigſten blos einer oder weniger Nazionen,
unterworfen ſey. b] Der vorzuͤglichſte Grund wird
von der Unmoͤglichkeit der Beſitznehmung und Erhaltung
genommen, doch muß, wie ſchon gedacht, auch noch
die
[35]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
die Unrechtmaͤſſigkeit einer ausſchließlichen Anmaßung
deſſelben in Erwaͤgung kommen. c]
Auſſer den ehemaligen Anſpruͤchen Portugals d]
und nachher gewiſſermaaſſen Spaniens e] hat auch in
neuern Zeiten kein Volk in Europa ausdruͤcklich ein
ausſchließliches Recht auf das Weltmeer behauptet,
obwohl einige Maͤchte der Krone Grosbritannien ein
Beſtreben nach Herſchaft darauf beigemeſſen haben. f]
Ob nun gleich die Freiheit der offenen See, oder
der groſſen aͤuſſern Weltmeere, von Eigenthum und
Herſchaft von ieher faſt durchgaͤngig anerkant worden,
ſo haben doch auch immer verſchiedene Nazionen ſich
der in Lande eingeſchloſſenen Abtheilungen des Meeres,
oder der, nach Verſchiedenheit der Laͤnder, mit beſon-
dern Namen belegten Particular-Meere anzumaaſſen
geſucht, und es hat ihnen wenigſtens nicht an Schrift-
ſtellern zu Behauptung ihrer Rechte gefehlt. Wenn
ſaͤmtliche Lande, welche einen ſolchen Theil des Meeres
umgeben, einem Volke gehoͤren, oder wenn, wo meh-
rere daran ſtoſſen, ſich erweiſen lieſſe, daß ein Volk
zuerſt denſelben in Beſitz genommen, und der Eingang
ſo beſchaffen waͤre, daß andere davon fuͤglich abgehal-
ten werden koͤnten, wie z. B. das mittlaͤndiſche Meer
ehemals unter der Roͤmer Herſchaft, ſo kan man die-
ſem Volke das Recht nicht abſprechen, ſich einen ſol-
chen Theil des Meeres zuzneignen: es wuͤrde auch leicht
im Stande ſeyn, theils vom Lande aus, theils mittelſt
einer Flotte ſich bey dem Beſitze zu erhalten und andere
von deſſen Gebrauch auszuſchlieſſen. Den uͤbrigen ge-
ſchieht dadurch kein Unrecht, weil ihnen noch Meer ge-
nug zur Benutzung uͤbrig bleibt. Ich will die vor-
zuͤglichſten Particularmeere kuͤrzlich durchgehn, und zei-
gen, in wie ferne ein oder das andere europaͤiſche Volk
ſich eines Eigenthums daruͤber angemaaſt habe, und
dann bemerken, welche dermalen gemeiniglich fuͤr frey
oder beherſcht gehalten werden.
Unter dem britanniſchen Meere verſteht man nicht
nur, im engern Verſtande, einen Theil des atlanti-
ſchen Meeres, den ſogenanten Kanal zwiſchen den gros-
britanniſchen und franzoͤſiſchen Kuͤſten, von den In-
ſeln Queſſant, bis an die Meerenge von Calais, ſon-
dern auch, in einer weitlaͤuftigern Bedeutung, das
ganze Meer, welches England, Schottland und Irr-
land und die dazu gehoͤrigen Inſeln umfließt. Ueber
beide hat Grosbritannien mehrmalen ein Eigenthum
C 4und
[40]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
und die Herſchaft behaupten wollen, iſt aber beſonders
mit den vereinigten Niederlanden oͤfters daruͤber in
Irrungen und Krieg gerathen. Es ſtuͤtzt ſich auf die
gewoͤnlichen obangefuͤhrten Eigenthumsgruͤnde des
Meeres uͤberhaupt, vornaͤmlich auf einen undenklichen
Beſitz vor Julius Caͤſars Zeiten her: ia es will ſogar
aus dem Namen, den es zum Zeichen des brittiſchen
Eigenthums erhalten haben ſoll, ein Recht herleiten.
Andere europaͤiſche Nazionen, beſonders Frankreich,
haben dieſes Recht aber keinesweges anerkant, und ge-
gen die letztere Behauptung erinnert, daß die Benen-
nung nicht ſowohl von den Britten, als von der itzi-
gen franzoͤſiſchen Landſchaft Bretagne herruͤhre, wie-
wohl die vereinigten Niederlande der Krone Grosbri-
tannien in verſchiedenen Vertraͤgen mancherley Vorzuͤ-
ge in Abſicht auf das britanniſche Meer eingeraͤumt
haben. a]
Das Eigenthum der Nordſee oder des teutſchen
Meeres, [mare Germanicum] welches zwiſchen Gros-
britannien, den vereinigten Niederlanden, Teutſchland
und Daͤnemark hineingehet, und, mittelſt des Paſſes
von Calais, ſich mit dem Kanal oder eigentlich ſoge-
nanten britanniſchen Meere vereinigt, iſt von Gros-
britannien, den vereinigten Niederlanden und Daͤne-
C 5mark
[42]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
mark verlangt und beſtritten, aber keiner Nazion von
andern zugeſtanden worden.
Die Oſtſee, oder das baltiſche Meer [mare Balti-
cum] iſt eigentlich ein groſſer Meerbuſen zwiſchen Daͤ-
nemark, Schweden, Rußland, Polen, Preuſſen und
Teutſchland. Auf derſelben ſchreiben ſich Schweden
und Daͤnemark vorzuͤgliche Rechte zu, a] und letztere
Krone hat beſonders in aͤltern Zeiten beinah eine aus-
ſchließliche Herſchaft daruͤber ſich angemaſt, dem aber
Schweden, Polen und die uͤbrigen angrenzenden Na-
zionen widerſprochen haben. Wenn auch Neyrons
Vorgeben gegruͤndet waͤre, daß Schweden, Daͤnemark
und Rußland, in einem Vertrage zwiſchen den letztern
beiden Maͤchten, 1730. das baltiſche Meer unter ſich ge-
theilt haͤtten, b] ſo koͤnte doch dieſes einſeitige Unter-
nehmen den uͤbrigen Nazionen nicht nachtheilig ſeyn. c]
Ueber das mitlaͤndiſche Meer, eines der groͤſten,
welches die Lande verſchiedener europaͤiſcher Nazionen
von Aſien und Afrika trennt, und, mittelſt der Meer-
enge von Gibraltar, mit dem atlantiſchen Meere zu-
ſammenhaͤngt, hat, ſeit dem die Herſchaft der Roͤmer,
welche alle daran gelegenen Lande beſaſſen, ein Ende
erreicht, a] im Ganzen eben kein Volk ein ausſchließli-
ches Recht behauptet; auſſer was etwa einige Schrift-
ſteller dieſem oder ienem zuzuſchreiben fuͤr gut gefunden
haben. b] Indes iſt in neuern Zeiten daruͤber geſtrit-
ten worden, ob es fuͤr ein geſchloſſenes Meer zu ach-
ten. c] Auf einzelne Stuͤcke deſſelben hingegen, die
ihren beſondern Namen fuͤhren, z. B. das adriatiſche,
das liguſtiſche Meer, machen mehrere europaͤiſche Voͤl-
ker Anſpruch.
Das Eigenthum und die Herſchaft uͤber das adria-
tiſche Meer, [Mare Adriaticum, Golſo di Venezia] wel-
ches aus einem groſſen Meerbuſen des mitlaͤndiſchen
Meeres zwiſchen den Kuͤſten von Dalmatien, Iſtrien
und Italien von Otranto und gegenuͤber Valona bis
Venedig beſteht, hat beſonders zwiſchen der Republik
Venedig und dem Hauſe Oeſterreich, als Beſitzern des
Koͤnigreichs Dalmatien, dann auch den Koͤnigen von
Neapolis und Sicilien, ingleichen dem Papſt heftige
Streitigkeiten und blutige Kriege veranlaßt. Am leb-
hafteſten verfolgt Venedig, an deren Gebiete dieſes
Meer groſſentheils ſtoͤßt, ihre vermeintlichen Rechte,
und ſucht die Herſchaft dadurch zu erhalten, daß der
Doge, wie bekant, iaͤhrlich mit dieſem Meere, durch
Hineinwerfung eines Ringes, ſich feierlich vermaͤhlt. a]
Die Republik haͤlt ihre Occupation fuͤr ſo rechtmaͤſſi-
ger, weil ihr paͤpſtliche Schenkungen und Verguͤnſti-
gungen b] und dann ein vieliaͤhriger Beſitz zu Statten
kaͤmen, indem iene Feierlichkeit allemal in Gegenwart
von Geſandten der meiſten Voͤlker in Europa geſchaͤhe,
noch keiner aber einen Widerſpruch dagegen vorgebracht
habe. Allein oͤſterreichiſcher Seits erklaͤrt man alles
fuͤr widerrechtliche Anmaaſſungen.
Ein anderes anſehnliches Stuͤck des mitlaͤndiſchen
Meeres iſt das Liguſtiſche [mare Liguſticum] bei dem
Gebiete der Republik Genua und der Inſel Corſica,
deſſen Eigenthum die erſtere ſich zuſchreibt, und paͤpſt-
liche ſowohl, als kaiſerliche Verguͤnſtigungen, inglei-
chen einen langwierigen Beſitz fuͤr ſich anzieht; aber
andere Nazionen, zumal die daran gelegenen, geſtehn
ihr nichts zu.
An das mitlaͤndiſche Meer ſchlieſſen ſich noch das
aͤgeiſche [mare Aegeum] oder der Archipelagus, wel-
ches mittelſt des Helleſponts, mit dem Mar di Mar-
mora [Propontis] zuſammenhaͤngt, durch den Bosporus
Thracicus geht, und dann das ſchwarze Meer [Pon-
tus
[48]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
tus Euxinus] formirt, von welchem das aſovſche [Pa-
lus Moeotis] noch ein Anhang iſt. Da alle dieſe Mee-
re im Gebiete der ottomanniſchen Pforte liegen, ſo be-
hauptet dieſe auch das Eigenthum daruͤber.
Eben ſo iſt es mit den uͤbrigen kleinern Theilen des
Meeres, Meerengen und Meerbuſen, ſie moͤgen Bayen
oder Buchten ꝛc. ꝛc. ſeyn, beſchaffen. Wenn einem
Volke die ſaͤmtlichen Kuͤſten oder Geſtade gehoͤren,
wie z. B. Schweden an dem finniſchen Meerbuſen,
oder der Pforte an dem Helleſpont und Bosphorus,
oder wenn es ſich unter mehrern zuerſt in Beſitz geſetzt
hat, und ſie ſo beſchaffen ſind, daß es andere davon
abzuhalten vermag, ſo kan ihm das Eigenthum derſel-
ben niemand ſtreitig machen.
Wenn aber die Kuͤſten eines mit Land umgebenen
Theils des Meeres verſchiedenen Nazionen zugehoͤren,
und keine davon dieſen Theil zuerſt in Beſitz genom-
men hat, oder der Umfang deſſelben auch ſo beſchaffen
iſt, daß ein Volk denſelben ausſchlusweiſe zu behaup-
ten nicht im Stande iſt; ſo gehoͤrt iedem anſtoſſenden
Volke ſo viel von dem Meere, als es von den Kuͤſten
aus
[49]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
aus ſich zuzueignen im Stande iſt: das uͤbrige bleibt
blos den anliegenden Nazionen gemeinſchaftlich, wenn
ſie andern den Eingang verwehren koͤnnen, oder, wo
dieſes nicht ſtatt findet, iſt es auch allen andern er-
laubt, ſich des nicht in Beſitz genommenen Theils frey
zu bedienen. Ueberſchreitet der Theil des Meeres, z. B.
eine Meerenge, welche zwiſchen den Landen zweier Na-
zionen durchgeht, die Breite eines groſſen Fluſſes nicht,
ſo hat, wie bey dieſen, iede ein Recht bis auf die
Haͤlfte. a]
Auch von dem offenen Meere, das nicht ins Land
hineingeht, iſt es iedem Volke erlaubt, ſich an den
Kuͤſten, die ihm gehoͤren, ſo viel zuzueignen, als es be-
haupten kan. b] Dieſe Zueignung iſt rechtmaͤſſig und
moͤglich. Es war ieder Nazion von der Natur ver-
ſtattet, von dem Meere, ſo wie von dem Lande, einen
Theil in Beſitz zu nehmen, ſo viel naͤmlich ihre Erhal-
tung und Vervolkommnung erfordert. Sie thut daher
niemanden Unrecht, wenn ſie ſich des ihr zunaͤchſtgele-
genen Meeres ausſchließlich bedienet, und nicht geſtat-
tet, daß andere ihr den ſo nahen Nutzen entziehn. Die
uͤbrigen Voͤlker koͤnnen ſich der offenen See bedienen.
Die Sicherheit und das Wohl des Staats uͤberhaupt
erfordern auch, fremde Schiffe in einiger Entfernung
von den Kuͤſten zu halten, um ſich nicht einem unver-
mutheten Ueberfall auszuſetzen, der hier, wo alles of-
fen, unendlich eher zu befuͤrchten iſt, als bey Nazio-
nen, die mit andern Landen graͤnzen. Die Behauptung,
daß in allen dieſen zu eigen gemachten Theilen des
Meeres, wenigſtens die Schiffahrt, des Handels ꝛc.
wegen, frey bleiben muͤſſe, iſt nach den Grundſaͤtzen
zu beurtheilen, welche weiter unten in Anſehung des
Durchzugs und des Handels durch die Lande eines an-
dern Volks uͤberhaupt vorgetragen werden ſollen.
Moͤglich iſt die Beſitznehmung und Behauptung
des an die Kuͤſten ſtoſſenden Meeres auch, weil theils
durch Unterhaltung einer Flotte, theils durch Anſtalten
von den Kuͤſten aus, die Schiffe anderer Nazionen
von deſſen Gebrauche fuͤglich abgehalten werden koͤn-
nen. c]
Wie weit von den Kuͤſten aus ins Meer hinein
das Eigenthum ſich erſtrecke? war beſonders ehedem
eine ſehr ſchwer zu beſtimmende Frage. Die Antwort:
ſo weit man daſſelbe zu behaupten im Stande, war
damals ein ſehr unzuverlaͤſſiger Maasſtaab zur Grenz-
ſcheidung. Jtzt, nachdem das grobe Geſchuͤtz erfunden
worden, hat man das Eigenthum faſt durchgaͤngig ſo
weit angenommen, als das Meer von den Kuͤſten aus
mit Kanonen beſtrichen werden kann. d]
Von den meiſten neuern Voͤlkerrechtslehrern, ſo
wie von den heutigen europaͤiſchen Nazionen ſelbſt,
wird beinah allein uͤber dieſen an die Kuͤſte ſtoſſenden
Theil des Meeres ein Recht des Eigenthums zugeſtan-
den. e]
Nach den heutigen Grundſaͤtzen der Voͤlker in
Europa ſind von den vorgedachten Meeren einige ganz
frey, andere beherſcht und uͤber noch andere wird
geſtritten.
I] Im Eigenthum und beherſcht iſt 1) alles
Meer an den Kuͤſten einer ieden Nazion, ſo weit es
mit Kanonen beſtrichen werden kann. Von ganzen
Meeren, Meerengen ꝛc. 2) das ſchwarze Meer. 3)
Das aͤgeiſche Meer. 4) Das mar di Marmora nebſt
den Meerengen. 5) Der Helleſpont, und 6) Bospo-
rus thracicus, ſaͤmtlich von der ottomanniſchen Pforte.
Die drey Meerengen zwiſchen Daͤnemark und Schwe-
den naͤmlich 7) der Oreſund, 8) der groſſe und 9) der
kleine Belt, welche aus der Nordſee in die Oſtſee fuͤh-
ren, gehoͤren der Krone Daͤnemark a] 10) der bothni-
ſche Meerbuſen von der Oſtſee, der Krone Schweden,
11) der Kanal St. George [mare hibernicum] eine
D 3Meer-
[54]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
Meerenge zwiſchen Schottland und Irrland, der Kro-
ne Grosbritannien; den vereinigten Niederlanden 12)
die Suͤderſee, ein Meerbuſen aus der Nordſee im Ge-
biete der Republik; endlich dem Koͤnige von Neapolis
13) die Meerenge zwiſchen Sicilien und Calabrien [fre-
tum ſiculum, auch il Fano di Meſſina.]
II] Frey ſind, ausgenommen den Theil an den
Kuͤſten, 1) der Ocean oder das groſſe Weltmeer nach
allen ſeinen Haupttheilen; vom atlantiſchen Meer,
welches von den Laͤndern, an die es ſtoͤſt, verſchiedene
Benennungen naͤmlich, 2) das luſitaniſche Meer b]
bey Portugal [mare Luſitanicum] 3) das ſpaniſche und
biscayiſche bey Spanien [mare hiſpanicum] 4) das
aqvitaniſche an den Grenzen von Frankreich [mare gal-
licum] erhaͤlt; 5) die Nordſee 6) das weiſſe Meer,
ein groſſer Meerbuſen des Nordmeers, 7) das mitlaͤn-
diſche Meer, und 8) die Meerenge oder ſogenannte
Straſſe von Gibraltar.
III] Man beſtreitet 1) dem Koͤnige von Grosbri-
tannien das Eigenthum des britanniſchen Meeres, be-
ſonders des Kanals; 2) der Republik Venedig, das
adriatiſche; 3) der Republik Genua, das liguſtiſche
Meer: 4) auch das Eigenthum des baltiſchen Meeres
iſt unter ſaͤmtlichen Theilhabern noch unentſchieden. c]
In vorigen Zeiten maaſten ſich die roͤmiſchteutſchen
Kaiſer, vermoͤge ihrer eingebildeten Herſchaft uͤber die
Welt, auch vorzuͤgliche Rechte nicht nur uͤber das an
Teutſchland ſtoſſende Meer, ſondern auch uͤber andere
Meere in Europa an. Daher lieſſen verſchiedene euro-
paͤiſche Nazionen, als ſie noch in genauerer Verbin-
dung mit dem teutſchen Reiche ſtanden, ſich von ihnen
beſondere Verguͤnſtigungen uͤber das Meer ertheilen. a]
Die meiſten der oben erzaͤhlten Eigenthumspraͤtenden-
ten haben dergleichen fuͤr ſich aufzuweiſen. Nachdem
man von ienem Irthum zuruͤckgekommen, maßt ſich
der Kaiſer heutzutage keiner beſondern Oberher-
ſchaft uͤber die Meere weiter an; iedoch ſtehen dem
teutſchen Reiche alle dieienigen Rechte daruͤber zu, wel-
che andere Voͤlker in Europa genieſſen. Dieſe Rechte
aber werden, ſeit begruͤndeter Landeshoheit der Reichs-
ſtaͤnde, nicht vom Kaiſer, ſondern von den einzelnen
Landesherrn ausgeuͤbt, deren Gebiet am Meere liegt;
und zwar nach allen obigen Grundſaͤtzen. b]
Dieſe finden auch zwiſchen den teutſchen Landesherrn
untereinander, z. B. bey dem an den Grenzen von
Teutſchland und der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft
gelegenen, an das Gebiet verſchiedener Reichsſtaͤnde
des ſchwaͤbiſchen Kraiſes ſtoſſenden Bodenſee [mare
Sueuicum, Lacus Bodamicus] ſtatt. Zwar hat das
D 4Haus
[56]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
Haus Oeſterreich ſich verſchiedene Vorrechte, ia ſelbſt
eine Oberherſchaft uͤber dieſes ſogenante teutſche Meer
anmaaſſen wollen; aber die uͤbrigen Mitſtaͤnde haben
ſich iederzeit darwider geſetzt. Jeder Landesherr be-
hauptet das Eigenthum und die Herſchaft uͤber den an
ſein Land ſtoſſenden Theil des Sees, und zwar nach
den dort hergebrachten Grundſaͤtzen, ſo weit vom Ufer
in den See hinein, als man leicht Grund faßt, oder
wie es dort heißt, auf den Gruͤnden und Haldinen.
Der Schweb aber, oder die tiefe, weite und freye
See, iſt gemeinſchaftlich. Da dieſe Gruͤnde nicht
uͤberall gleich weit hineingehen, ſo erſtreckt ſich auch das
Eigenthum des einen Landesherrn zuweilen weiter als
des andern. Nur die Stadt Lindau eignet ſich, unter
andern Vorrechten, dieſen See bis in die Mitte zu c].
Laͤnder, welche am Meere oder andern Gewaͤſſern
liegen, ſind, durch die Gewalt des Waſſers, mancher-
ley zufaͤlligen Veraͤnderungen der Abnahme und Ver-
groͤſſerung unterworfen. Was dem einen entriſſen wird,
waͤchſt gemeiniglich dem andern zu. Dieſer Zuwachs
[acceſſio] iſt auf verſchiedene Art moͤglich. Wenn
das Waſſer nach und nach von einem Lande das Erd-
reich unvermerkt wegnimt, und anderswo anſetzt, ſo
heißt es Anſpielung [alluvio]; ein Anwurf [appul-
ſio, coalitio] hingegen, wenn auf einmal ein betraͤcht-
liches Stuͤck [cruſta] getrennt, und einem andern
Lande zugefuͤhrt wird. Zuweilen ſetzt das abgeſonderte
Erdreich ſich nicht an ein anderes Land, ſondern es haͤuft
ſich im Waſſer und macht, wenn es uͤber daſſelbe her-
vorragt, eine Inſel. Ein abgeriſſenes Stuͤck Land,
welches ſich noch nicht feſtgeſetzt hat, ſondern im Waſ-
ſer, beſonders auf dem Meere herumſchwimmt, wird
eine ſchwimmende Inſel genannt. Die Zueignung
aller dieſer Anwuͤchſe rechnet man zu den urſpruͤnglichen
Erwerbungsarten, weil ſie von der Natur ſelbſt dem
Hauptlande zugefuͤhrt werden.
So wie ein Volk, welches durch zweckmaͤſſige Vor-
kehrungen ſich dagegen nicht ſchuͤtzt oder ſchuͤtzen kan,
es ſich gefallen laſſen muß, wenn durch natuͤrliche Zu-
faͤlle das Waſſer von ſeinem Grund und Boden das
Erdreich nach und nach wegſpielt, ſo gehoͤrt ihm dage-
gen auch der Zuwachs eigenthuͤmlich, welcher anders-
woher ſeinem Gebiete wieder zugefuͤhrt wird, oder ſonſt
in den ihm gehoͤrigen Waͤſſern entſteht. Es iſt bey al-
maͤligen Anſpielungen nicht zu beſtimmen und zu erwei-
ſen, wem die nach und nach angeſetzten Theile zugehoͤrt
haben; keine Nazion kann ſie daher zuruͤckfodern, oder
ſonſt einigen Anſpruch darauf machen.
Wenn ein betraͤchtliches Stuͤck Erdreich durch irgend
einen gewaltſamen Zufall von einem Gebiete abgeriſſen
und dem andern zugefuͤhrt wird, ſo iſt der vorige Eigen-
thuͤm-
[59]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
thuͤmer zwar eher in Erfahrung zu bringen; nach dem
ſtrengen Rechte der Natur erwirbt aber demungeachtet
dasjenige Volk, an deſſen Territorium es ſich anſetzt,
das Eigenthum daran, indem es aus rechtmaͤſſiger
Ueberzeugung [bona fide] ſich dieſes Zuwachſes bedient,
da es nicht wiſſen kan, ob es wuͤrklich einen Eigenthuͤ-
mer gehabt und ob dieſer nicht ſein Recht daran frei-
willig aufgegeben habe. Das Wiederfoderungsrecht
kan nach dem natuͤrlichen Rechte nur gegen einen un-
rechtmaͤſſigen Erwerber eines andern Eigenthums, und
welcher es mit dem Bewuſtſein der Unrechtmaͤſſigkeit
innehat [malae fidei poſſeſſor] ſtattfinden, a) das Ei-
genthum uͤberhaupt auch nicht laͤnger dauern als der
Beſitz. Der erſte Beſitzer, der ſein Eigenthum durch
einen ſolchen Zufall verliert, hat es, wenn er dem Los-
reiſſen nicht zuvorzukommen, oder das Losgeriſſene ſo-
gleich wieder an ſich zu bringen geſucht hat, entweder
ſeiner Nachlaͤſſigkeit, oder dem Schickſale zuzuſchrei-
ben. Er hat kein Recht des andern Waſſer oder Ge-
biet zu betreten und das, was die Natur demſelben zu-
fuͤhrte, wieder loszureiſſen.
Die roͤmiſchen Rechtslehrer haben dieſen Grundſatz
des ſtrengen Naturrechts etwas zu mildern geſucht, und
erlauben dem vorigen Eigenthuͤmer ſo lange das Wie-
derfoderungsrecht, als die auf dem angeſetzten Stuͤck
Erdreich etwa befindlichen Baͤume und Streicher ꝛc.
nicht Wurzel gefaſt haben b]. Viele Natur- und Voͤl-
kerrechtslehrer haben dieſe allerdings billigere und den
geſelſchaftlichen Verbindungen angemeſſenere, aber blos
wilkuͤhrliche Meinung als einen in der Natur gegruͤn-
deten Satz vorgetragen c].
Einige glauben, daß zu Erlangung des Eigen-
thums an dieſem natuͤrlichen Anwuchſe eine beſondere
Beſitzergreifung noͤthig ſey; d] ſie ſcheint mir aber uͤber-
fluͤſſig, weil ſolcher als ein mit dem Hauptlande ver-
bun-
[60]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
bundener Theil anzuſehen iſt, und nach obigen Grund-
ſaͤtzen niemand anders ſich irgend eines Theils des von
einem Volke einmal beſitzenden Hauptlandes als unzu-
geeignet [res nullius] anmaaſſen kan e].
Die Inſeln im offenen Meere oder ſonſt einem in
Niemandes Eigenthum befindlichen Gewaͤſſer gehoͤren
nach den im erſten Abſchnitt feſtgeſtelten Grundſaͤtzen
dem erſten Beſitznehmer. Entſtehn dergleichen aber
in einem ſchon eigengemachten Waſſer, ſo gehoͤrt die-
ſer
[61]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
ſer Zuwachs dem Volke, deſſen Eigenthum das Waſ-
ſer iſt. Geſchieht es in dem an den Kuͤſten beſitzenden
Theile des Meeres oder in einem ihm allein zuſtehenden
Fluſſe, ſo iſt die Inſel ihm allein eigen. Dies findet
auch in dem Falle ſtatt, wenn der Fluß bis in die
Mitte einer Nazion zugehoͤrt und an ihrer Seite derglei-
chen anwaͤchſt. Von einer in der Mitte eines getheil-
ten Gewaͤſſers entſtehenden Inſel gehoͤrt jeder ſoviel,
als eine durch die Mitte des Fluſſes gezogene Linie ihr
zutheilt. Iſt das Waſſer ganz gemeinſchaftlich, ſo
wird auch die Inſel ein gemeinſchaftliches Eigenthum;
es muͤſte denn in allen dieſen Faͤllen durch Vertraͤge et-
was anders beliebt werden a].
Es bedarf auch hier keiner weitern Beſitzergreifung:
doch muͤſſen ſchwimmende Inſeln, die von ſelbſt ſich
nicht feſtſetzen, allerdings ergriffen und befeſtigt wer-
den, wenn ein Volk das Eigenthum daran erwerben
will; ſonſt gehoͤren ſie ihm nur ſo lange, als ſie in ſei-
nen Gewaͤſſern ſich befinden.
Auf aͤhnliche Art iſt auch der Fall zu beurtheilen
wenn zwiſchen zwey Nazionen ein See oder ander Waſ-
ſer, welche der einen allein eigenthuͤmlich gehoͤren, ſich
in das Gebiete der andern ausdehnen. Wird blos
nach und nach unvermerkt von dem Erdreich derſelben
etwas weggenommen und das Waſſer dadurch vergroͤſ-
ſert, ſo komt dies freilich ienem Volke zu gute. Allein
der Beſitzer des Waſſers kan keinen Anſpruch auf das
Land des Nachbars machen, welches durch zeitige Ueber-
ſchwemmung unter Waſſer geſetzt wird, a] oder die
Buchten und Bayen ſich zueignen, welche bey ſolchen
Gelegenheiten etwa in des andern Landen von ſeinem
Gewaͤſſer entſtehen und mit demſelben zuſammenhaͤngen.
Dieſe bleiben dem Eigenthuͤmer des Hauptlandes, wo
der weniger veraͤnderliche Theil, das Bette, entſtan-
den iſt. b].
Alle dieſe Grundſaͤtze ſind auch auf die teutſchen Lan-
desherrn, ſowohl in Ruͤckſicht auswaͤrtiger Nazionen
als unter ſich anwendbar, wenn ſie nicht ganz beſon-
dere Verguͤnſtigungen vom Kaiſer oder andere rechtliche
Titel vor ſich haben. Die algemeinen Belehnungen
mit den Inſeln in einigen Gewaͤſſern ſind, wie beim
Eigenthum der Fluͤſſe uͤberhaupt erinnert worden, der-
malen blos nach den Grundſaͤtzen der Landeshoheit zu
beurteilen a]. Mehrere Landesherrn eignen ſich zwar
in verſchiedenen Fluͤſſen ꝛc. alle entſtehende Inſeln ꝛc.
mit Ausſchlus der benachbarten zu, z. B. Pfalz im
Rhein, Mainz im Mayn ꝛc. ꝛc. aber die uͤbrigen ſind
gewoͤnlich damit nicht einverſtanden b]. Vertraͤge c]
oder beſonderes Herkommen d] geben auch hier der Sa-
che den Ausſchlag.
Wenn der Eigenthuͤmer den Beſitz eines Landes von
ſelbſt aufgiebt und aufhoͤrt es weiter zu benutzen, ohne
es iedoch auch einem andern zu uͤbertragen [derelictio
praecedens] ſo wird daſſelbe wieder herrnlos [res nul-
lius] und kan daher, nach allen obigen Grundſaͤtzen
von iedem, der zuerſt ſich deſſen von neuem bemaͤchtigt,
in Beſitz genommen und zu eigen gemacht werden a].
Nur iſt zuweilen ſchwer zu beſtimmen, ob etwas fuͤr
auf-
[65]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
aufgegeben zu halten ſey? Komt eine ausdruͤckliche
Erklaͤrung desfals hinzu, ſo iſt die Sache freilich auſſer
Zweifel b]. Sobald indes eine Nazion freiwillig derge-
ſtalt aufhoͤrt ein Land wuͤrklich zu beſitzen und zu benu-
tzen, daß dadurch zugleich alle Merkmale eines fortdau-
ernden Eigenthums verlohren gehen; c] ſo iſt dasjenige
Volk, welches ſich deſſen anmaaſſet, allerdings fuͤr
einen redlichen Beſitzer zu halten, von dem es der vori-
ge Eigenthuͤmer nicht zuruͤckfodern kann d]. Denn ſo wie
zu Erwerbung eines Eigenthums, auſſer der Beſitzer-
greifung nicht eben die ausdruͤckliche Erklaͤrung der
Zueignung erforderlich iſt, wenn dieſe Abſicht ſchon
aus den auf die fortdauernde Benutzung abzweckenden
Thathandlungen erhellet, [§. 3.] ſo iſt auch hier dieſe
Erklaͤrung nicht unumgaͤnglich noͤthig. Der neue Be-
ſitzer eines offenbar verlaſſenen Landes erlangt alsbald
mit der Ergreifung das Eigenthum und bedarf der Ein-
willigung des vorigen Eigenthuͤmers nicht: ſonſt wuͤrde
eben ſo wenig irgend iemand ſeines Beſitzes gewis ſeyn
koͤnnen, als wenn der erſte Beſitzergreifer auf die Ein-
willigung aller uͤbrigen warten ſolte. Die Handlung
ſelbſt legt ſchon den Willen genug am Tage. Dieſe
Erwerbungsart gehoͤrt unter die urſpruͤnglichen, weil
die aufgegebene Sache, vor Erlangung eines andern
Eigenthuͤmers, wieder in ihren natuͤrlichen Zuſtand zu-
ruͤckgeht.
Niemand kann in der Regel wider Willen gezwun-
gen werden, ſein Eigenthum aufzugeben, und es iſt
eine offenbare Beleidigung der Eigenthumsrechte, wenn
ein Volk auf ſolche Art von dem Beſitz eines Landes
verdraͤngt wird a]. Jedoch ſind verſchiedene Voͤlker-
rechtslehrer der Meinung, daß wenigſtens ein nachher
erfolgtes Aufgeben [derelictio ſuperveniens] zu ver-
muthen ſey, wenn der vorige Eigenthuͤmer den unrecht-
maͤſſigen Erwerber viele Jahre im ruhigen und ungeſtoͤr-
ten Beſitz laͤßt b]. Sie nehmen eine ſolche vermuthliche
Auflaſſung [derelictio praeſumta] des Eigenthums
als den Grund der Erwerbung durch die ſogenannte Ver-
iaͤhrung an c]. Da aber in dieſem Falle die, wenn
auch nur ſtilſchweigende, Einwilligung des vorigen Be-
ſitzers noͤthig iſt, wenn der neue ein rechtmaͤſſiges Ei-
genthum erlangen ſoll, die urſpruͤnglichen Erwerbsar-
ten hingegen weiter nichts, als die Beſitzergreifung er-
fodern; ſo gehoͤrt der Erwerb durch langwierigen Be-
ſitz
[71]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
ſitz und Veriaͤhrung, wenn er anders ſtattfindet, mehr
zu den abgeleiteten Arten, wovon in dem folgenden
Kapitel gehandelt werden ſoll d].
Es komt bey den vorerwaͤhnten Faͤllen hauptſaͤchlich
auf Entſcheidung der ſo oft, beſonders zwiſchen Byn-
E 4kershoeck
[72]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
kershoeck und Titiusa] beſtrittenen Frage an: ob
nach dem Naturrechte das Eigenthum mit Endigung
des Beſitzes einer Sache verlohren gehe, und ob daher
beide gewiſſermaſſen fuͤr gleich zu achten, oder ob das
Eigenthum auch ohne Beſitz fortdauere? Ungeachtet
die meiſten Rechtslehrer der letztern Meinung beitreten, b]
ſo iſt mir die erſtere doch einleuchtender.
Das Eigenthum beſteht in dem ausſchließlichen
Rechte an einer Sache, vermoͤge welchem man dieſelbe
nach Gefallen gebrauchen oder auch einem andern wie-
der uͤberlaſſen kan. Es gehoͤren zu deſſen Erwerbe zwey
weſentliche Erforderniſſe: der Wille der Zueignung und
die wuͤrkliche Beſitzergreifung. So lange beides, der
Wille und der Beſitz fordauern, ſo lange waͤhrt auch
das Eigenthum. Wenn aber eins, und beſonders das
Hauptſaͤchlichſte, der Beſitz fehlt, ſo hoͤrt auch das
Eigenthum auf: der Wille allein vermag nichts. Es
iſt ſonderbar, daß die Gegner dieſer Meinung zum
Verluſt des Eigenthums, ſo wie zu deſſen Erwerbe,
beides, die Aufgebung des Beſitzes und des Willens
fuͤr noͤthig halten, da doch iede Sache der ein weſent-
liches Stuͤck mangelt, aufhoͤrt dieſelbe zu ſeyn. Wie
will man auch etwas, das man nicht im Beſitz hat,
mit Ausſchlus anderer gebrauchen, oder es andern uͤber-
tragen? welches gleichwohl mit dem Begriffe des Ei-
gemhums verbundene Folgen ſind. Das Eigenthum
geht daher, meiner Meinung nach, mit dem Beſitze
verlohren.
Dies iſt auf doppelte Art moͤglich. Der bisherige
Eigenthuͤmer hoͤrt entweder von ſelbſt freywillig auf
zu beſitzen — nicht blos koͤrperlich, ſondern, wie bey
der Beſitzergreifung, durch Aufhebung der Merkmale
und Unterlaſſung der Thathandlungen, welche eine
Sache von den herrnloſen unterſcheiden, — ohne iedoch
den Beſitz einem andern zu uͤbergeben, ſo hat auch das
Eigen-
[73]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
Eigenthum ein Ende: ieder kann ſich durch neue Beſitz-
ergreifung die wieder herrnlos gewordene Sache zueig-
nen ohne ſtilſchweigende und vermuthliche Einwilligung
des vorigen Eigenthuͤmers. Sein Beſitz iſt treulich
und rechtlich und dieſer kan ſie auf keine Art wieder
fodern. Wenn er den Beſitz einem andern ausdruͤcklich
uͤbertraͤgt, iſt desfals noch weniger Zweifel vorhanden.
Wird der Eigenthuͤmer hingegen im zweiten Falle,
wider ſeinen Willen, indem er naͤmlich die Sache noch
beſitzt, ſeines Beſitzes beraubt, ſo geht das Eigenthum
allerdings auch’verloren, denn er kan daruͤber nicht
mehr nach Wilkuͤhr ſchalten; allein er hat ohnſtreitig
das Recht Genugthuung deshalb von dem Beleidiger
und unrechtmaͤſſigen Beſitzer zu fodern. Es iſt ihm
auch erlaubt, dieſem die Sache, wo moͤglich, wieder
abzunehmen. Auch der laͤngſte Beſitz kann ihn, wie
in der Folge gezeigt werden ſoll, gegen dieſe Genug-
thuungsfoderung nicht ſchuͤtzen. Nur iſt dies eben keine
Folge eines dem erſtern Beſitzer annoch zuſtehenden Ei-
genthums, ſondern der ihm zugefuͤgten Beleidigung.
Wenn ein anderer die Sache von dem unrechtmaͤſſigen
Beſitzer, ohne ſich des Unrechts auf irgend eine Art
theilhaftig zu machen, rechtmaͤſſig erlangt, ſo kann
der erſte Eigenthuͤmer, dem die Sache wider Willen
entzogen worden, ſie eigentlich von dieſem letztern nicht
wiederfodern, ſondern er muß blos an den Beleidiger
ſich halten.
Nach dieſen Grundſaͤtzen bedarf es weder der ſo
ſchwankenden und in den Rechtsbeſtimmungen gar nicht
zulaͤſſigen vermeintlichen Dereliction, noch der ge-
woͤnlich darauf gegruͤndeten Praͤſcription. Wer den
Beſitz von ſelbſt ausdruͤcklich oder ſtilſchweigend auf-
giebt verliert das Eigenthum auf eine rechtmaͤſſige Weiſe:
wem der Beſitz wider Willen genommen wird verliehrt
es unrechtmaͤſſig und kan die Sache von dem Beleidi-
E 5ger
[74]Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
ger iederzeit zuruͤck- und Genugthuung fodern, wenn
er ihm ſolche nicht nachher ausdruͤcklich oder ſtillſchwei-
gend uͤberlaͤßt.
Die in unſerer heutigen Rechtswiſſenſchaft dagegen
aufgenommenen Lehren ſcheinen mir blos wilkuͤhrliche
Grundſaͤtze zu enthalten: und in denen Faͤllen, wo die
Fortdauer eines Eigenthums ohne Beſitz ſich etwa ia
noch annehmen lieſſe, liegen lediglich beſondere Ver-
traͤge zum Grunde. Indes erhellet aus den oben hier
und da vorgekommenen Behauptungen der europaͤiſchen
Nazionen, daß ſie geneigter fuͤr dieſe Abweichungen
ſind.
Alles was ein Volk an Land und Gewaͤſſer a] in
einer zuſammenhangenden Strecke, oder in verſchiede-
nen Weltgegenden eigenthuͤmlich beſitzt, und woruͤber
es die Oberherrſchaft ausuͤbt, macht deſſen Territo-
rium oder Gebiete aus b]. Dasienige wo es ſeinen
eigentlichen und urſpruͤnglichen Wohnſitz hat, wird das
Hauptland, die uͤbrigen auswaͤrtigen Beſitzungen aber
werden
[75]und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
werden Nebenlaͤnder genannt. Was in Anſehung
der erſtern Rechtens iſt, gilt in der Regel auch von den
letztern: ob ſie gleich nicht beiſammen liegen, ſo hat
es doch gleiche Bewandnis mit ihnen c]. Je nachdem
eine Nazion ein blos in feſtem Lande beſtehendes Terri-
torium beſitzt, oder auch einen Theil des Meeres unter
ſein Gebiet rechnet, und durch ihre Lage zum Seehan-
del ingleichen zu Unterhaltung einer Flotte, beſonders
von Kriegsſchiffen, beguͤnſtigt wird d] giebt man ihr
den Namen einer Land- oder Seemacht. In Europa
werden hauptſaͤchlich Grosbritannien, die vereinigten
Niederlande, Spanien, Portugal, Sicilien, Daͤne-
mark, Schweden, die Pforte, Venedig und ſeit eini-
ger Zeit auch Frankreich und Rußland, in einem noch
vorzuͤglichern Sinne aber von ieher beſonders die beiden
erſten, weil ihre groͤſte Staͤrke im Seeweſen beſteht,
unter Benennung der Seemaͤchte verſtanden.
Die Rechte des Eigenthums erlauben dem rechtmaͤſ-
ſigen Beſitzer einer Sache nicht nur ſich derſel-
ben nach Gefallen zu ſeinem Nutzen zu bedienen, ſon-
dern ſie auch, wenn er es gut oder noͤthig findet, einem
andern eigenthuͤmlich wieder zu uͤberlaſſen. Da aus
dieſem letztern Rechte fuͤr andere dieienigen Erwerbungs-
arten entſpringen, welche man abgeleitete nennt, ſo-
will ich, um die Materie von dem Eigenthumserwerbe
im Zuſammenhange zu vollenden, zuerſt hiervon han-
deln, und dann in der Folge die Benutzung des Eigen-
thums vortragen.
Wenn ein Volk ſein erlangtes Eigenthum eines
Landes — wovon hier hauptſaͤchlich die Rede iſt —
einem andern uͤbertraͤgt, ſo heißt die Handlung des
erſtern eine Veraͤuſſerung [alienatio] und dieſe Art
zum Eigenthum zu gelangen ein abgeleiteter Erwerb
[acquiſitio derivativa]. Bey dieſem Erwerbe von an-
dern kommen daher zwey Stuͤck in Betrachtung: der
Erwerbungsgrund [titulus] und die Uebertragung
[modus] dahingegen bey dem urſpruͤnglichen beyde in
der bloſſen Beſitzergreifung zuſammentreffen.
Die Frage iſt nicht, ob und in wie ferne dem Re-
genten eines Staats, nach Beſchaffenheit der Lande,
die er erb- und eigenthuͤmlich [Patrimonialreiche] oder
nicht beſitzt, das Recht der Veraͤuſſerung, vermoͤge der
innern Verhaͤltniſſe, zuſtehe? Dies muß nach den Vor-
ſchriften der verſchiedenen Staatsgrundgeſetze und Ver-
faſſungen eines ieden Staats uͤberhaupt, auch allenfals
nach den Grundſaͤtzen des algemeinen Staatsrechts be-
urteilt und entſchieden werden; a] ſondern es komt hier
darauf an: ob, wenn dieienigen, welchen es nach der
innern Staatsverfaſſung zukomt, eine Landesveraͤuſſe-
rung vornehmen wollen, andere Nazionen ſich derſelben
widerſetzen koͤnnen? Da ieder mit ſeinem Eigenthum
nach Gefallen alle moͤgliche Handlungen vornehmen
kann und niemand befugt iſt, ſich in dieſelbe zu miſchen,
wenn ihm kein Unrecht dadurch geſchieht, ſo iſt auch
kein Zweifel, daß ein freies Volk wilkuͤhrlich uͤber ſeine
eigenthuͤmlichen Lande ſchalten und ſie, nach Gutbefin-
den, wie und an welche Nazion es will, veraͤuſſern
koͤnne, es muͤſte denn durch Vertraͤge ſich ſeines natuͤr-
lichen Rechts uͤberhaupt, b] oder auch nur in Abſicht
gewiſſer Nazionen c] begeben, oder einem Volke ein
beſonderes Vorrecht eingeraͤumt d] oder endlich andere
Voͤlker ſonſt ein gegruͤndetes Recht zum Widerſpruch
erlangt haben e].
Mit dem Rechte der Veraͤuſſerung ſteht auf der an-
dern Seite das Recht der Erwerbung in der genauſten
Beziehung: wenn dem einen verwehrt iſt zu veraͤuſſern,
ſo kann der andere auch nicht erwerben. Doch geſchieht
es auch, daß man zwar ienem die Veraͤuſſerung aber
dieſem nicht die Erwerbung zugeſtehn wuͤrde. So wie
an ſich iedes Volk die Freiheit hat, durch urſpruͤngliche
Erwerbungen ſeinen Zuſtand zu vervolkomnen, ſo kann
auch in der Regel keinem verwehrt werden, von andern
mehrere Beſitzungen und Laͤnder auf rechtmaͤſſige Art zu
erwerben, wenn nicht die im vorhergehenden Paragra-
phen angefuͤhrten Hinderniſſe eintreten und ein Volk
durch Vertraͤge ſich dieſes Rechts begeben hat a] oder
andere Nazionen aus hinlaͤnglichen Urſachen befugt ſind,
ſich einer ſolchen Erwerbung entgegen zu ſetzen b]. Um
allen Widerſpruͤchen zuvorzukommen bedingt zuweilen
ein Volk ſich von andern, von welchen es dergleichen
beſorgt, die Freiheit ſowohl der Veraͤuſſerung als der
Erwerbung c].
Zu dem abgeleiteten Erwerbe iſt die Einwilligung
beider Theile noͤthig, desienigen der ſein Eigenthum
veraͤuſſern, und desienigen der es erwerben will, folg-
lich ein foͤrmlicher Vertrag a]. Eine blos einſeitige
Bemaͤchtigung anderer Eigenthums kann nie als recht-
maͤſſig angeſehen werden, wenn deren Genehmigung
nicht dazukomt. Da dieſe Einwilligung, wie bey an-
F 3dern
[86]Von Erwerbung des Eigenthums von andern
dern Vertraͤgen, entweder ausdruͤcklich oder ſtillſchwei-
gend geſchehen kann, ſo flieſſen daraus auch, wie wir
in der Folge ſehn werden, verſchiedene Gattungen des
Erwerbes.
Die wuͤrkliche Einraͤumung des Beſitzes d. i. die
Handlung, wodurch etwas von einem in die Gewahr-
ſame und Gewalt eines andern gebracht wird [traditio]
halten Grotiusa] und verſchiedene Rechtslehrer nach den
Geſetzen der Natur und alſo unter freien Voͤlkern zu
Erlangung des Eigenthums von andern nicht fuͤr noth-
wendig, ſondern glauben, daß die Uebereinkunft wegen
Ablaſſung eines Eigenthums dem neuen Erwerber ſchon
das Recht zum Beſitz, als eine weſentliche Folge des
Eigenthums zugeſtehe, und den vorigen Eigenthuͤmer
zu Einraͤumung des Beſitzes verbinde. Cocceji und an-
dere b] hingegen ſehen die Uebergabe fuͤr noͤthig an,
weil ienes Verſprechen zwar eine Verbindlichkeit zur
Ueberlaſſung, aber noch nicht die Erwerbung des Eigen-
thums ſelbſt bewuͤrke. So wie der urſpruͤngliche Er-
werb
[87]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
werb des Eigenthums eine Beſitzergreifung erfordere,
ſo gehoͤre auch die Beſitzeinraͤumung zu deſſen Uebertra-
gung auf andere, da ohne ſie keine Benutzung moͤglich
ſey. Puffendorfc] macht einen Unterſchied zwiſchen
Eigenthum ohne Beſitz und mit demſelben, zu welchem
letztern er blos die Uebergabe erfodert. Schrodtd]
glaubt hierbey noch richtiger unter Eigenthumsrecht und
deſſen Ausuͤbung unterſcheiden zu muͤſſen: das erſtere
koͤnne man durch bloſſe Vertraͤge, die letztere erſt durch
Beſitzeinraͤumung erlangen. Mir ſcheint die zweite
Meinung die richtigſte und die Uebernahme des Beſitzes
zu Erlangung des Eigenthums von andern in der Re-
gel allerdings nothwendig zu ſeyn. Ohne Beſitz kann,
wie die Gegner ſelbſt nicht in Abrede ſind, e] keine aus-
ſchließliche Benutzung einer Sache, noch das Vermoͤ-
gen daruͤber nach Wilkuͤhr zu ſchalten, folglich kein
Eigenthum Statt finden. Waͤre die bloſſe beiderſeitige
Einwilligung dazu hinlaͤnglich, ſo muͤſte auch bey der
urſpruͤnglichen Erwerbung der alleinige Wille ein Eigen-
thum verſchaffen; denn der Grund, welchen man an-
fuͤhrt, daß die Uebergabe unnoͤthig ſey, wo der Wille
der Ablaſſung zu Tage liegt, iſt darauf ebenfals an-
wendbar. Das Verſprechen des bisherigen Eigenthuͤ-
mers wegen Ueberlaſſung einer Sache giebt dem andern
ohnſtreitig ein Recht auf das Eigenthum, daß er die
Einraͤumung des Beſitzes fodern, oder ſich ſolchen al-
lenfals ſelbſt verſchaffen kann, aber das volkomne Ei-
genthum erlangt derſelbe nicht eher, als bis er ſich in
deren Beſitz befindet f]. Die Zuſage der Regenten
macht natuͤrlicherweiſe keine Ausnahme von dieſer Re-
gel g]. Wahrſcheinlich haben die durch wilkuͤhrliche
Uebereinkunft eingefuͤhrten Abweichungen von dem ur-
ſpruͤnglichen Naturrechte bey den Lehns- Pfand- und
aͤhnlichen Vertraͤgen, wo auch demienigen, welcher
nicht im Beſitz iſt, dennoch gewiſſe Eigenthumsrechte
F 4zuge-
[88]Von Erwerbung des Eigenthums von andern
zugeſtanden werden, die gegenſeitigen Irthuͤmer und
beſonders den von Puffendorf, Schrodt und andern
angenommenen Unterſchied veranlaßt. Allein in dieſen
beſondern Eigenthumsbeſtimmungen ſind, wie weiter
unten gezeigt werden ſoll, entweder die Eigenthums-
rechte nur geteilt, dergeſtalt, daß beide Theile zuſam-
men erſt ein volkomnes Eigenthum ausmachen, und
weder der Beſitzer allein, noch der, welcher nur gewiſſe
Eigenthumsrechte hat, als volkomner Eigenthuͤmer an-
geſehen werden kann, oder es wird in den Faͤllen, wo
dem Beſitzer ganz kein Eigenthum zukomt, z. B. bey
der Hinterlegung, Verpachtung ꝛc. der Beſitz, durch
Vertrag blos im Namen des Eigenthuͤmers von einem
andern fortgeſetzt. Die Voͤlker ſelbſt ſcheinen auch der
Beſitzeinraͤumung allerdings einigen Werth beizulegen h].
Die Arten und Bewegurſachen der Veraͤuſſerungen
und Erwerbungen koͤnnen mancherley ſeyn. Man uͤber-
laͤßt einem etwas entweder ohne irgend eine andere
Verguͤtung, oder gegen aͤhnliche und andere Dinge,
oder auch gegen Erfuͤllung ſonſt eines Verlangens; es
geſchieht theils im Leben, theils auf den Todesfall ꝛc.
zuweilen freiwillig oft auch gezwungen ꝛc. daher giebt
es verſchiedene Arten des abgeleiteten Eigenthumser-
werbes, welche den Namen Schenkung, Tauſch, Kauf,
Abtretung, Erbfolge u. d. g. fuͤhren. Ich will die vor-
zuͤglichſten davon nunmehr durchgehen.
Die aͤlteſte Erwerbung eines Eigenthums von an-
dern geſchah, in Ermangelung des Geldes, wohl durch
Tauſch. Es iſt auch noch heutzutage unter den Nazio-
nen ſehr gewoͤhnlich, daß eine der andern tauſchweiſe
ein Stuͤck Landes gegen ein anderes uͤberlaͤßt, mehren-
teils um die aus deren Lage herruͤhrenden Unbequemlich-
keiten oder Irrungen zu heben. Dergleichen Austau-
ſchungen, beſonders kleiner Portionen, kommen unter
benachbarten Voͤlkern faſt in allen Grenzvertraͤgen ſo
haͤufig vor, daß es hier wohl keines Beiſpiels bedarf.
Sie werden in Friedensſchluͤſſen, bey Abtretung der
Lande und in andern Vertraͤgen zuweilen ausdruͤcklich
bedungen a]. Auch ſind ſchon ganze Reiche, wie mit
Sicilien
[93]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
Sicilien und Sardinien in der Quadrupelallianz, gegen
einander ausgetauſcht worden.
Der Fall, daß eine Nazion fuͤr eine Summe Gel-
des ganze Stuͤcke Landes an eine andere uͤberlaͤßt, ge-
ſchieht, beſonders in neuern Zeiten, zwar ſeltener,
doch finden ſich verſchiedene Beiſpiele davon in der Ge-
ſchichte. So verkaufte die Koͤnigin Johanna von
Neapolis 1358. das Gebiet von Avignon und die
Grafſchaft Venaiſſin um 84000 Livres an den Papſt
Klemens VI. ob ſie aber die Kaufſumme wuͤrklich erhal-
ten habe zweifelt man a]. Ludewig XIV. Koͤnig von
Frankreich kaufte 1662. von Koͤnig Karl III. in Eng-
land die Stadt Duͤnkirchen, Mardyck ꝛc. um 5 Mil-
lionen Livres b]. Kaiſer Karl VI. uͤberließ im Jahre
1713. das aus der ſpaniſchen Verlaſſenſchaft an ihn
gekommene Marqviſat Finale kaͤuflich der Republick
Genua fuͤr 1200000 Gulden c].
Zuweilen ſieht ein Volk oder deſſen Regent ſich ver-
anlaßt aus ſonſtigen Ruͤckſichten und Beweggruͤnden
einem andern ein Stuͤck Landes freywillig abzutreten,
um dadurch gewiſſe Anſpruͤche oder Foderungen zu be-
friedigen. Dergleichen Ceſſionen pflegen hauptſaͤchlich
bey Friedensſchluͤſſen vorzukommen, wiewohl dieſe letz-
tern mehr zu den unwilkuͤhrlichen Veraͤuſſerungen gehoͤ-
ren. Doch findet man auch auſſerdem mehrere Bei-
ſpiele davon. Portugal trat an Spanien 1777 in dem
Neutralitaͤts- und Handelsvertrage vom 11. Maͤrz die
Inſeln Annobon und Ferdinando del Po ab, um
letzterer Krone den Negerhandel an den Africaniſchen
Kuͤſten zu erleichtern a]. Im Jahre 1784. trat Frank-
reich der Krone Schweden, wegen des ihm eingeraͤum-
ten freien Gebrauchs des Hafens von Gothenburg und
anderer Handelsvortheile die Inſel St. Barthelemy
in Weſtindien ab b]. Der Ueberlaſſung von Landen
als Heirathsgut wird weiter unten gedacht werden.
Oftmals tritt eine Nazion der andern blos ihr Recht
oder ihre Anſpruͤche an ein Land ab, und uͤberlaͤßt es
dieſer, ſolche geltend zu machen c].
Schenkungen ganzer Lande waren in vorigen Zeiten
ebenfals gewoͤhnlicher als dermalen. Beſonders waren
die Paͤpſte ſehr freigebig in Austheilung ſolcher Laͤnder
die ſie weder beſaſſen, noch ſonſt mit Recht in Anſpruch
nehmen konten. Dies geſchah, aus dem damaligen
Wahne einer vorgeblichen Weltherſchaft, vorzuͤglich
unter dem Deckmantel der chriſtlichen Religionsausbrei-
tung, mit den Landen der Wilden und anderer rohen
Voͤlker. Die paͤpſtlichen Schenkungen an Portugal
und Spanien, deren ich ſchon oben [1. Kap. §. 6.
Anmerk.] gedacht habe, gingen nicht nur auf die neuen
amerikaniſchen Entdeckungen, ſondern auf alle Koͤnig-
reiche und Laͤnder der Unglaͤubigen in Africa ꝛc. ꝛc. a],
weshalb auch Ferdinand der Katholiſche von Arrago-
nien verſchiedene Eroberungen daſelbſt vornahm. Die
Inſel Sardinien wurde im Jahre 1004. von Papſt
Johann XVIII. dem, der ſie den Arabern entreiſſen wuͤr-
de geſchenkt, von Papſt Bonifaz VIII. aber 1297.
nebſt Korſika dem Koͤnig Jakob II. von Arragonien ein-
geraͤumt b]. Auf dieſe Art konten ſie die anſehnlichen
Erwerbungen leicht vergelten welche ihnen, groſ-
ſenteils durch eine gutmuͤthige Freigebigkeit zu Theil
wurden. Die angeblichen Schenkungen der fraͤnkiſchen
Koͤnige Pipin und Karls des Groſſen, die Schenkung
und Erbſchaft der reichen Marggraͤfin Mathilde und
unzaͤhlige andere kleine Schenkungen ſind theils zu be-
kant, theils zu weitlaͤuftig, als daß ich ihnen hier
einen Platz einraͤumen koͤnte.
Sonſt ſchenkte noch die Koͤnigin Charlotte von Cy-
pern dies Koͤnigreich 1485. an Herzog Karl I. von
Savoyen, c] Kaiſer Karl V. die Inſel Maltha 1530
an den Johanniterorden d]. Durch Schenkung erwarb
Frankreich 1349. Dauphiné ꝛc. ꝛc. e].
Die Wahl eines Regenten in bloſſen Wahlreichen,
beſonders wo man ſich auch nicht einmal an eine gewiſſe
Familie zu halten hat, iſt lediglich ein Perſonalwerk
und an ſich weder fuͤr den waͤhlenden Staat, noch fuͤr
das Volk, deſſen Regent zum Beherſcher eines ſolchen
Wahlreichs gerufen wird, ein Land-Erwerbungsmittel;
doch
[97]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
doch kann ſie Gelegenheit dazu geben, wenn die Nazion
einen Regenten waͤhlt, welcher eigene Erblande beſitzt
und ihn vermoͤgen kann, ſolche dem Wahlreiche einzu-
verleiben, wie die Polen durch die Wahl des Herzogs
Jagello 1386 die Verbindung Litthauens mit der Krone
bewuͤrkten a].
Eine dergleichen Erwerbung durch Wahl kann auch
noch in dem Fall geſchehen, wenn in Erbreichen, nach
gaͤnzlichem Abgang des regierenden Hauſes, die Staͤnde
ſich genoͤthigt ſehn ein neues Oberhaupt zu erkieſen.
So waͤhlten in Daͤnemark, nach Abſterben des koͤnig-
lichen Mannsſtamms mit Waldemar III. im Jahre
1375., die Staͤnde GlavIV., Waldemars Enkel von
ſeiner Tochter Margarethe, welcher bald drauf von ſei-
nem Vater das Koͤnigreich Notwegen nebſt den Anſpruͤ-
chen auf Schweden erbte. Dieſe letztern wurden nach-
her von der Koͤnigin Margarethe ausgefuͤhrt und als-
dann dieſe drey Reiche durch die bekante kalmariſche
Union vereinigt b]. Durch die in Portugal, nach Ab-
gang des Mannsſtammes mit Koͤnig Heinrich 1580.,
von den Staͤnden unter den Praͤtendenten vorgenom-
mene Wahl Koͤnig Philip II. von Spanien erfolgte
gleichfals auf eine Zeitlang die Vereinigung dieſer bei-
den Koͤnigreiche c].
Durch Heirath kann ein erblicher Regent auf ver-
ſchiedene Art ſeinem Reiche neue Lande erwerben. Ehe-
Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. Gdem
[98]Von Erlangung des Eigenthums von andern
dem geſchah es nicht ſelten, daß die Prinzeſſinnen ein
Heirathsgut an Landen und Provinzen erhielten und
ihren Gemalen zubrachten a]. Alphons III. Koͤnig von
Portugal bekam mit der natuͤrlichen Tochter Koͤnig Al-
phons X. von Kaſtilien, Beatrix das Koͤnigreich Al-
garve zum Heirathsgut b]. Philip III. Koͤnig von
Frankreich erwarb mit ſeiner Gemalin Iſabelle von Ar-
ragonien die Grafſchaften Carcaſſonne und Bezier und
erweiterte damit die franzoͤſiſchen Beſitzungen c].
Es iſt auch eine Erwerbung und Vereinigung meh-
rerer Reiche moͤglich, wenn ein Regent eine Gemalin
nimt, die ſelbſt Beherſcherin von Reichen und Landen
iſt. Philip IV der Schoͤne von Frankreich hatte die
Koͤnigin Johanna von Navarra zur Gemalin und
brachte dadurch dies Koͤnigreich wenigſtens eine Zeitlang
an Frankreich. Nachdem es in der Folge wieder eige-
ne Koͤnige gehabt hatte, gelangte nach Karls III. des
letzten Tode deſſen Tochter Blanka zur Regierung.
Dieſe war an Koͤnig Johann II. von Arragonien ver-
maͤlt, welcher daher 1425. das Koͤnigreich Navarra
mit ſeiner Krone verband. Die beiden Koͤnige von
Frankreich Karl VIII. und Ludwig XIII. hatten nach
einander die Herzogin Anna von Bretagne zur Ehe,
durch welche dieſes Herzogthum an Frankreich kam d].
Sind die Beſitzungen des Gemals geringer, ſo wer-
den dieſe auch wohl dem groͤſſern Reiche der Gemalin
einverleibt. So geſchah 1137. die Vereinigung der
Grafſchaft Katalonien mit dem Koͤnigreich Arragonien
da Koͤnig Ramiro II. von Arragonien ſeine Tochter Pe-
tronella an den Grafen Raymund V. von Barcellona
oder Katalonien verheirathete und ihr das Koͤnigreich
zum Heirathsgut uͤberließ e].
Zuweilen haben Prinzeſſinnen ihren Gemalen blos
gewiſſe Anſpruͤche und Rechte auf Laͤnder zugebracht und
dadurch uͤber kurz oder lang dem andern Reiche einen
Zuwachs
[99]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
Zuwachs verſchaft. Koͤnig Franz I. von Frankreich
verſprach im Frieden zu Noyon 1516. ſeine Tochter Lu-
dovica dem Koͤnige Karl von Kaſtilien und zum Hei-
rathsgut alle Rechte und Anſpruͤche die er an das Koͤ-
nigreich Neapel hatte f].
Auch auf den Fall, wenn die verabredete Heirath
durch Verſchulden des einen oder des andern Theils
nicht volzogen wuͤrde hat man einander ſchon gewiſſe
Lande zur Entſchaͤdigung verſprochen. Dies geſchah
z. B. in den verſchiedenen Heirathsvertraͤgen zwiſchen
den Koͤnigen von Frankreich und Spanien in Abſicht
einer Vermaͤlung des ſpaniſchen Prinzen Karls, nach-
maligen Kaiſers unter dem Namen Karls V., mit
einer franzoͤſiſchen Prinzeſſin; wiewohl alles unerfuͤlt
blieb g].
Am haͤufigſten aber wird noch heutzutage durch Ver-
maͤlung den Regenten anderer Reiche ein Recht verſchaft,
fuͤr die Zukunft, bey einem nach der Staatsverfaſſung
ſich ereignenden Falle, durch Erbfolge, mehrere Laͤnder
zu erwerben h], das ihnen mitunter in den Ehevertraͤ-
gen ausdruͤcklich zugeſichert zu werden pflegt i].
Die bisher angefuͤhrten Erwerbungen der Voͤlker
und ihrer Beherſcher durch freiwillige Veraͤuſſerung an-
derer beziehen ſich auf die im Leben [inter vivos] ge-
woͤnlich vorkommenden Veraͤnderungen: nun ſind noch
dieienigen zu erwaͤhnen uͤbrig, welche auf den Todesfall
zu
[101]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
zu geſchehen pflegen. Auf die Voͤlker ſelbſt laſſen ſich
dieſe, wie Ickſtatt a] ganz richtig erinnert, eigentlich
zwar wohl nicht anwenden, weil dergleichen moraliſche
Perſonen erſt mit voͤlliger Aufloͤſung ihres ganzen geſel-
ſchaftlichen Bandes ein Ende nehmen; da aber in mon-
archiſchen Staaten die Regierung nur durch eine ein-
zige Perſon beſorgt und die ganze Nazion durch den
Regenten dargeſtelt wird, nach deſſen Tode, durch
Wahl oder Erbfolge, iedesmal ein anderer eintreten
muß, ſo kann dieſer Fall, wie ich ſchon bemerkt habe,
oͤfter eine Gelegenheit zum Landeserwerb fuͤr andere
Nazionen werden.
Es iſt freilich unter den Natur- und Voͤlkerrechts-
lehrern eine annoch unentſchiedene Frage: ob die Natur
ſelbſt gewiſſen Perſonen uͤberhaupt oder wenigſtens
denen, welche der Verſtorbene ernannt hat, ein vor-
zuͤgliches Recht auf deſſen hinterlaſſene Guͤter zugeſtehe? b]
Mit dem Tode, ſagen viele, hoͤrt im Naturſtande das
Eigenthum auf, die Guͤter des Verſtorbenen werden,
weil ſie iedem nur zu Befriedigung ſeiner eignen Be-
duͤrfniſſe von der Natur eingeraͤumt waren, wieder
herrnlos, ſo daß ſie, ohne Auswahl, von dem erſten
Beſitzergreifer wieder eigen gemacht werden koͤnnen.
Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, den man ſich
ohne eheliche und alle andere geſelſchaftliche Verbindung
folglich ohne Kinder, Verwandten ꝛc. denkt, c] hat
dieſe Behauptung alsdenn allerdings ſeine Richtigkeit,
wenn iemand ohne ſeinen Willen zu erklaͤren verſtirbt.
Grotius glaubt hingegen mit andern d] es ſey, was
der Fall anlanget, da der Beſitzer ohne einen Nachfol-
ger zu ernennen [ab inteſtato] verſtorben, nicht zu
vermuthen, daß er ſeine Guͤter nach dem Tode habe
Preis geben, ſondern wahrſcheinlicher, daß er ſie denen,
welchen er die meiſte Liebe ſchuldig, z. B. ſeinen Kin-
dern, Verwandten ꝛc. habe laſſen wollen; zumal da
G 3aus
[102]Von Erlangung des Eigenthums von andern
aus einer iedermann erlaubten Beſitzergreifung eine
Menge ſchaͤdlicher Unordnungen in Abſicht auf die To-
desfaͤlle entſtehen wuͤrden e]. Allein aus einer ſolchen
bloſſen Vermuthung iſt wohl kein beſtimtes Recht her-
zuleiten: ich glaube vielmehr, daß es, nachdem auf
unſern bewohnten Erdſtrichen alles bereits zu Eigen-
thum gemacht iſt, Nothwendigkeit ſey, wenigſtens den
Kindern und Nachkommen ſeine Guͤter zu hinterlaſſen,
weil dieſe ſonſt, nach der Eltern Tode des nothduͤrf-
tigen Unterhalts und Eigenthums groͤſtentheils wuͤrden
entbehren muͤſſen f]. Die Erbfolge anderer Perſonen
in Ermangelung der Kinder und Nachkommen hinge-
gen beruht ohnſtreitig auf wilkuͤhrliche Beſtimmung
theils des Sterbenden theils der Landesgeſetze.
Nach eingefuͤhrten Staatsverbindungen laͤßt ſich
wenigſtens nicht mehr annehmen, daß die Guͤter der
Verſtorbenen herrnlos wuͤrden. Hier pflegt die Erb-
folge gewiſſer Perſonen durch Geſetze beſtimt zu ſeyn,
im unbeerbten Fall aber das Obereigenthum des Staats
einzutreten. Eben ſo wenig kann ein Volk, nach Ab-
ſterben des Regenten in monarchiſchen Staaten als
erledigt fuͤr ieden andern betrachtet werden, weil wenn
die Regentenfolge nicht in voraus beſtimmt iſt, alle
Gewalt auf das Volk ſelbſt zuruͤckfaͤlt.
Wenn nun eine Nazion die Oberherſchaft einem
Regenten und ſeiner ganzen Familie aufgetragen hat,
oder dieſer ſonſt ſogenante eigenthuͤmliche Lande beſitzt,
uͤber die er wie uͤber Privateigenthum ſchalten kann,
ſo dient vorzuͤglich entweder die in den Grundgeſetzen
etwa vorgeſchriebene oder die ſonſt herkomliche Erbfolgs-
art dabey zur Norm. Bey entſtehenden Zweifeln aber
komt es, da die Natur auſſer der Nachfolge der Kin-
der ꝛc. nichts beſtimt, im erſtern Falle hauptſaͤchlich
auf die Entſcheidung des Volks, im letztern hingegen,
wenn guͤtliche Vereinigung nicht Statt findet, noch
mehr
[103]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
mehr auf den Ausſchlag der Waffen unter den Praͤten-
denten an g].
Die verſchiedenen Gattungen der Erbfolge, die
Theilnahme des weiblichen Geſchlechts daran und deren
gewoͤhnliche Verzichtleiſtungen ſind hier kein Gegenſtand
der Unterſuchung. Bey der Materie von der Regie-
rungsfolge wird noch etwas davon zu ſagen ſeyn, das
weitere gehoͤrt groͤſtenteils in das Staatsrecht. Uebri-
gens iſt dieſe Erbfolge, ſowohl die ſogenante agnati-
ſche, von Seiten der maͤnlichen Verwandten, als
auch die cognatiſche, von weiblicher Seite, eine der
gewoͤnlichſten Arten mehrere Laͤnder zu erwerben, aber
auch die reichhaltigſte Quelle mannichfaltiger Streitig-
keiten unter den Voͤlkern. Beiſpiele hiervon wuͤrden
unnoͤthig ſeyn, da die Geſchichte faſt aller europaͤiſchen
Staaten dergleichen in Menge darbietet, unter andern
auch die weitlaͤuftigen Erbfolgsſtreitigkeiten wegen der
ſpaniſchen und oͤſterreichiſchen Lande in dieſem Jahrhun-
dert gewis iedem Leſer nicht unbekant ſind h].
Auch die natuͤrliche Guͤltigkeit des letzten Willens
[teſtamentum] durch welchen der Erblaſſer allein, ohne
Wiſſen und Einwilligung des Erben erklaͤrt, wer nach
ſeinem Tode zum Beſitz der hinterlaſſenen Guͤter gelan-
gen ſoll, ziehen viele in Zweifel, nicht nur aus den
vorhin angefuͤhrten Gruͤnden, ſondern auch darum,
weil aus einem einſeitigen Willen keine Verbindlichkeit
entſtehe, zu der Zeit aber, wo die Einwilligung des
Erb-
[105]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
Erbfolgers hinzukomt, der Verſtorbene den Beſitz
nicht mehr uͤbergeben koͤnne. Das Teſtament ſey alſo
ein unvolkomnes Geſchaͤft, welches blos durch wilkuͤhr-
liche buͤrgerliche Geſetze ſeine Kraft erhalten a]. Allein
da der Eigenthuͤmer einmal das Recht hat nach Wil-
kuͤhr mit ſeinen Guͤtern zu ſchalten und ſolche im Leben
andern zu uͤberlaſſen, ſo verdient die Meinung derer
wohl den Vorzug, welche behaupten, daß auch nach
dem Rechte der Natur die Uebertragung ſeines Eigen-
thums an andere durch einen ſogenanten letzten Willen
gegruͤndet ſey b]. Ohne die Einwilligung des Erben
kann es freilich nicht geſchehn; aber es iſt eben nicht
noͤthig, daß dieſe beiden Willenserklaͤrungen zuſam-
mentreffen. Zur Vollendung der Erwerbung gehoͤrt
zwar auch die Erlangung des Beſitzes, dieſen kan der
Erbe ſich iedoch fuͤglich ſelbſt verſchaffen.
Indes leidet der Gebrauch und die Guͤltigkeit der
Teſtamente unter den Regenten freier Voͤlker, wenn
ſie ſonſt die nach den Staatsgrundgeſetzen erfoderlichen
Eigenſchaften haben, keinen Zweifel, wie die Beiſpiele
mehrerer durch letzte Willen an andere Nazionen gekom-
mener Laͤnder bezeugen. Auch hier verdient das Teſta-
ment Koͤnig Karls II. von Spanien von 1700 woraus
die vorerwaͤhnten Erbfolgsſtreitigkeiten groͤſtenteils ent-
ſtanden, angefuͤhrt zu werden.
Am wenigſten laͤßt ſich gegen eine Erbfolge einwen-
den, welche durch foͤrmliche Vertraͤge, die man Erb-
folgsvertraͤge, Erbverbruͤderungen ꝛc. [pacta ſuc-
ceſſoria, confraternitates etc.] nennt, zwiſchen den
Regenten zweier Staaten, auf einen gewiſſen Todes-
fall oder nach Erloͤſchung eines ganzen Hauſes, entwe-
der wechſelſeitig oder einſeitig ausdruͤcklich bedungen
wird: vorausgeſetzt, daß ſolche nicht zum Nachtheil
anderer, welche ein gegruͤndetes Recht auf den Nach-
las haben, eingegangen werden. Hier kann der Ver-
ſtorbene auch nicht mehr den Beſitz ſelbſt einraͤumen,
gleichwol ſpricht man dieſen Vertraͤgen deshalb die
Guͤltigkeit nicht ab. Durch eine dergleichen Erbver-
aͤnderung erhielt Koͤnig Ludwig I. von Ungarn 1370
das Koͤnigreich Polen a]. Merkwuͤrdig iſt unter andern
auch der Vertrag zu Troyes 1420. zwiſchen Koͤnig
Karl VI. von Frankreich, oder vielmehr ſeine Gemalin
und dem Koͤnig Heinreich V. von England, vermoͤge
welchem dieſer des erſtern Tochter zur Ehe erhielt und
gleichſam an Sohnes ſtatt, zum Nachtheil des Dau-
phins mit der Bedingung angenommen wurde, daß er
die Krone Frankreich erben ſolte, welches auch geſcha-
he;
[107]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
he; wiewohl dieſe Erbſchaft durch Kriege bald wieder
verlohren ging b].
Hieher kan man auch rechnen, wenn in oͤffentlichen
Vertraͤgen, Friedensſchluͤſſen ꝛc. einem Hauſe der An-
fall gewiſſer Laͤnder zugeſtanden wird, wie z. B. 1713
im Utrechter Frieden zwiſchen Grosbritannien und Spa-
nien Art. 14. und zwiſchen Spanien und Savoyen
Art. 6. bedungen wurde, daß nach Abgang des Hauſes
Savoyen das Koͤnigreich Sicilien an Spanien fallen
ſolte. Darauf that Spanien zwar im Wiener Frieden
1725. Art. 5. u. 7. Verzicht, doch wurde ihm die
Erbfolge in Sardinien vorbehalten.
Zu den Vertraͤgen wegen der Erbfolge gehoͤrt auch
die Schenkung auf den Todesfall [donatio mortis
cauſſa] weil hier der Erbfolger noch bey Lebzeiten des
Erblaſſers ſeinen Willen erklaͤrt ob das voͤllige Eigen-
thum gleich erſt nach deſſen Tode an ihn gelangt. Fuͤr
eine ſolche Schenkung duͤrfte z. B., wenigſtens nach
den Begriffen des natuͤrlichen Rechts, dieienige anzu-
ſehen ſeyn, welche Herzog Karl III. von Lothringen
mit den Herzogthuͤmern Lothringen und Bar an Koͤnig
Ludwig
[108]Von Erlangung des Eigenthums von andern
Ludwig XIV. von Frankreich 1662 vornahm a] wiewohl
dieſelbe nicht in Erfuͤllung ging.
Eine moͤgliche, obgleich ſeltene Erwerbungsart
kann auch vorkommen, wenn ein Volk, das bisher
einen eigenen Staat ausgemacht hat, ſich, weil es ſeine
Freiheit nicht laͤnger behaupten kan, oder aus andern
Gruͤnden, einen politiſchen Tod zufuͤgt, freiwillig,
und mit Einverſtaͤndnis derer, die ein Recht dabey
haben, die Souverainete aufgiebt und ſich vertragsweiſe
einer andern Nazion als eine Provinz unterwirft a].
Dies war gewiſſermaſſen der Fall als 1396. die Re-
publik Genua ſich der Oberherſchaft der Krone Frank-
reich unterwarf: doch that es mehr blos die Guelfiſche
Parthey, der Staat wurde auch nachher durch die Gi-
bellinen wieder in Freiheit geſetzt b].
Da bey den Erwerbungen von andern ein beider-
ſeitiges. Einverſtaͤndnis erfoderlich iſt [§. 4.] ſo kann
wider
[109]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
wider Willen keine Nazion in der Regel gezwungen
werden, ihr Eigenthum einer andern auf irgend eine
Art zu uͤberlaſſen a]. Doch giebt es allerdings Aus-
nahmen wo in Nothfaͤllen z. B. zu Beendigung eines
Krieges, oder wenn das algemeine Wohl oder die Er-
haltung eines Staats es ſonſt unumgaͤnglich erfodert,
das andere Volk zur Einwilligung genoͤthigt werden
kan. So lange aber dieſe noch fehlt kann die Erwer-
bung als beſtaͤndig nicht angeſehn werden. Zuweilen
muß ein Staat, durch beſondere Umſtaͤnde veranlaßt,
ſich in voraus verbindlich machen, kuͤnftig eine ver-
langende Veraͤuſſerung unter gewiſſen annehmlichen
Bedingungen einzugehn b].
Hieraus folgt von ſelbſt, daß es andern Nazionen
eben ſo wenig erlaubt ſey, uͤber die Lande eines dritten
Volks
[110]Von Erlangung des Eigenthums von andern
Volks, ohne deſſen Wiſſen und Willen, Verabredun-
gen zu nehmen und deren Abtretung und Vertheilung
zu bedingen; es muͤſte denn gleichfals die aͤuſſerſte Noth
und das Wohl des Ganzen es erfodern. Indes haben
die europaͤiſchen Nazionen freilich ſchon mehrmalen aus
minder wichtigen Urſachen eine ſolche Uebereinkunft fuͤr
erlaubt angeſehen a]. So gingen unter andern im
Jahre 1500 die Koͤnige Ferdinand von Spanien und
Ludwig XII. von Frankreich, welche beide Anſpruͤche auf
das Koͤnigreich Neapel machten, einen Vertrag ein,
wie ſie daſſelbe durch Krieg an ſich bringen und unter
ſich theilen wolten b]. Koͤnig Karl II. von England
errichtete mit Frankreich 1670. ein Buͤndnis gegen die
Vereinigten Niederlande worinne man ſich wegen der
kuͤnftigen Theilung ihrer Lande verglich c]. Hierher
gehoͤren auch die bekanten Theilungstractaten wegen der
ſpaniſchen Monarchie von 1698. und 1700 d]. In
dem Wormſer Vertrage 1743. kamen Grosbritannien,
Sardinien und Oeſterreich uͤberein, daß die Republik
Genua das von Kaiſer Karl VI. 1713. erkaufte Mar-
qviſat Finale gegen eine feſtzuſetzende Summe an Sar-
dinien uͤberlaſſen ſolte, vermoͤge der Anſpruͤche, welche
Oeſterreich darauf zu haben glaubte und welche es an
Sardinien abtrat e]. Nicht weniger kann man hierher
die zwiſchen Rußland, Preuſſen und Oeſterreich 1772.
verglichene Theilung verſchiedener Lande der Krone Po-
len, die ſie mit Vorlegung ihrer darauf machenden
Anſpruͤche in Beſitz nahmen, rechnen.
Andern Maͤchten, welche etwa die Garantie ſolcher
Lande uͤbernommen haben, oder wenn ſonſt das alge-
meine Wohl es erfodert, ſteht allerdings das Recht
zu, ſich dergleichen Maasregeln zu widerſetzen, zumal
wenn ſie darum angeſprochen werden. Von Seiten
der Krone Polen bot man zwar auch alles auf, dieſe
Theilung zu hintertreiben; man proteſtirte dagegen,
ſuchte
[111]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
ſuchte Huͤlfe bey andern Nazionen, beſonders den Ga-
rants der Friedensſchluͤſſe zu Oliva, Wehlau und Kar-
lowitz; aber es war alles ohne Erfolg, ſo, daß ſie
am Ende ſich doch bequemen muſte f].
Eine der vorzuͤglichſten Gattungen dieſer abgenoͤ-
thigten Erwerbsart ſind die Eroberungen im Kriege und
darauf in den Friedensſchluͤſſen erfolgte Abtretungen,
wogegen andere Nazionen eigentlich nichts zu ſagen
haben, ſie muͤſten denn durch Vertraͤge oder andere hin-
laͤngliche Urſachen, wozu auch die Erhaltung des
Gleichgewichts gezaͤhlt wird, berechtigt ſeyn a]. Die
umſtaͤndliche Eroͤrterung dieſes Gegenſtandes gehoͤrt
iedoch zur Materie des Voͤlkerrechts in Kriegszeiten.
Es geſchieht aber auch wohl in Friedenszeiten, daß
eine Nazion es fuͤr noͤthig oder zutraͤglich haͤlt, einer
Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. Handern
[114]Von Erlangung des Eigenthums von andern
andern ein Stuͤck Landes wegzunehmen und ſich deſſen
Beſitzes zu bemaͤchtigen. Sind die Urſachen dazu nicht
ſehr triftig, ſo iſt dies eine offenbare Beleidigung der
Eigenthumsrechte a]. Auſſer der bereits erwaͤhnten
Theilung von Polen giebt die ruſſiſche Einnahme der
Krim eins der neuſten Beiſpiele hiervon. Dieſe ſolte
iedoch, dem Vorgeben nach, nicht aus Vergroͤſſerungs-
ſucht, ſondern aus Nothwendigkeit die Grenzen des
Landes zu ſichern, geſchehen ſeyn, weil ſolche von einer
Rotte Raͤuber bewohnt wuͤrde, die wider alles Voͤlker-
recht Raͤubereyen und Mordthaten in der Nachbarn
Land zu treiben fuͤr Pflicht hielten b].
Eine Nazion kann auch ein Stuͤck Landes verlieren,
wenn eine Provinz durch Empoͤrung ſich losreißt und
entweder einen neuen Staat bildet, [wovon im erſten
Kapitel des erſten Buchs §. 4. bereits gehandelt wor-
den] oder ſich einem andern Volke und Regenten un-
terwirft und dadurch deren Lande erweitert a]. So
wenig eine dergleichen rebellirende Provinz, wenn ſie
einen eignen abgeſonderten Staatskoͤrper bilden will,
eher fuͤr ein freies Volk anzuſehn und zu behandeln iſt,
als bis der vorige Oberherr ſie von dem ihm ſchuldigen
Gehorſam losgezaͤhlt und als frey erkant hat, eben ſo
wenig kann eine Erwerbung auf dieſe Art als recht-
maͤſſig angeſehen werden, bevor die erſtere Nazion ihre
Einwilligung dazu gegeben hat. Ob ſolche Trennun-
gen wohl den uͤbrigen Maͤchten ſelten gleichguͤltig ſeyn
koͤnnen b]
[115]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
koͤnnen b], ſo finden ſich doch in der Geſchichte meh-
rere Beyſpiele von Abfaͤllen und Unterwerfungen, wo-
bey eine und die andere Nazion kein Bedenken getragen
hat, die Unterwerfung gut zu heiſſen, ſie wohl gar zu
veranlaſſen c], oder doch zu beguͤnſtigen um dadurch
auf laͤngere oder kuͤrzere Zeit ihre Lande zu erweitern.
So befreite 1282. Sicilien ſich durch die ſicilianiſche
Veſper von dem franzoͤſiſchen Druck und ergab ſich dem
Koͤnig Peter von Arragonien d]. Preuſſen riß ſich
1454 von dem teutſchen Orden, weil er ihm nicht
Schutz genug gegen ſeine Feinde gewaͤhren konte, los
und unterwarf ſich der Krone Polen e], dagegen fielen
von dieſer 1654 die Koſaken ab und begaben ſich theils
unter ruſſiſche theils unter ottomanniſche Herſchaft f].
Die Provinzen Katalonien und Rouſſillon gingen 1641.
von Koͤnig Philip IV. in Spanien an Frankreich uͤber g].
Die noͤthige Einwilligung bey dieſen abgeleiteten
Erwerbarten kann, ſchon oben erinnertermaaſſen, wie
bey andern Vertraͤgen, von beiden Seiten ohnſtreitig
auch ſtilſchweigend durch Thathandlungen geſchehen.
Wenn eine Nazion auf vorgedachte eigenmaͤchtige Weiſe
der andern ein Stuͤck landes abnimt oder ſich den aus-
ſchließlichen Beſitz eines Landes anmaaßt, das ſie fuͤr
herrnlos und aufgegeben haͤlt, da es doch noch einen
Eigenthuͤmer hatte, ſo iſt an deren Abſicht der Zueig-
nung wohl nicht zu zweifeln. Sie erlangt nach den
im vorigen Kapitel angefuͤhrten Grundſaͤtzen des natuͤr-
lichen Rechts allerdings auch ein Eigenthum an dem-
ſelben, allein es iſt in Ruͤckſicht des vorigen Beſitzers
ein unrechtmaͤſſiges Eigenthum, zu deſſen Beſtande
wenigſtens ebenfals eine ſtilſchweigende Einwilligung
und Aufgabe ſeines vormaligen Eigenthumsrechts [de-
relictio ſuperveniens] erfolgen muß. Fuͤr nichts an-
ders kann man es aber fuͤglich anſehen, wenn der vo-
rige Eigenthuͤmer, unterrichtet von der unrechtmaͤſſigen
Innehabung, ſolche Handlungen, beſonders mit dem
gegenwaͤrtigen Beſitzer ſelbſt vornimt, welche eine An-
erkennung des Eigenthums nothwendig vorausſetzen a];
z. B. Vertraͤge mit ihm uͤber das Land eingeht, die von
dem andern Volke deshalb angenommenen Titel und
Wappen
[117]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
Wapen anerkennt, oder wohl gar deſſen Garantie gegen
einen dritten uͤbernimt, oder durch hinlaͤngliche Ver-
wahrung, wenigſtens doch fortwaͤhrenden Gebrauch des
Titels und Wapens ꝛc. b] die gegentheilige Abſicht we-
gen Vorbehalt ſeiner Rechte an den Tag zu legen.
Wo ſolche Merkmale der Einwilligung vorhanden ſind,
bedarf es weiter keines Verlaufs von vielen oder wenig
Jahren.
Eine der wichtigſten aber auch zugleich der beſtrit-
tenſten Fragen im Voͤlkerrecht iſt die: ob durch ſoge-
nante Veriaͤhrung [vſucapio, praeſcriptio a] irgend
ein Recht oder auch der Beſitz und das Eigenthum eines
Landes verloren und von dem andern erworben werden
koͤnne? Die Hauptſchriftſteller des Natur- und Voͤl-
kerrechts, Grotius, Puffendorf, Ickſtatt, Wolf,
Vattel, Real und mehrere b] beiahen, andere hinge-
gen als Vasqvius, du Puy, Aubery, Glafey,
H 3Achen-
[118]Von Erlangung des Eigenthums von andern
Achenwall ꝛc. ꝛc. c] verneinen ſie und halten die Ver-
iaͤhrung blos fuͤr eine Vorſchrift der Privatgeſetze.
Das Dunkle und Widerſprechende, welches man bey
ſehr vielen in den Grundſaͤtzen und dem Vortrage die-
ſer Materie antrift, ruͤhrt groͤſtenteils von den unrich-
tigen Begriffen her, die ſie ſich von der Voͤlkerveriaͤh-
rung machen, indem ſie dieſelbe mit der ſtilſchweigen-
den Einwilligung durch Handlungen und dem undenk-
lichen Beſitz entweder fuͤr eins halten, oder wenigſtens
vermiſchen d]. Unter der Veriaͤhrung wovon hier die
Rede iſt verſtehe ich dieienige Erwerbungsart, welche
blos durch langwierigen Beſitz aus der Vermu-
thung entſpringt, daß der vorige Eigenthuͤmer durch
bloſſes Stillſchweigen ſeine Rechte aufgegeben und
eingewilliget habe e]. Auſſer einer zum Veriaͤhren taug-
lichen Sache erfodern f] ihre Vertheidiger hierzu haupt-
ſaͤchlich das Stilſchweigen des vorigen Eigenthuͤmers g]
den vieliaͤhrigen, laͤngſtens Menſchengedenken uͤberſtei-
genden Beſitz h) und, beſonders bey Veriaͤhrungen
kuͤrzerer Zeit, auch eine rechtmaͤſſige Ueberzeugung von
Seiten des Erwerbenden i]. Sie glauben daß eines
Theils daraus die Vermuthung entſtehe, der vorige
Beſitzer habe die Sache voͤllig aufgegeben, weil er ſie
ſonſt wahrſcheinlich ſo lange nicht vernachlaͤſſigen und
ſeine Rechte daran, bey vorgekommener Gelegenheit,
bemerklich zu machen gewis nicht unterlaſſen wuͤrde,
andern Theils ſey ein ſo nachlaͤſſiger Eigenthuͤmer, der
das Seinige in den Haͤnden eines andern weiß, ſeines
Rechts billig fuͤr verluſtig zu erklaͤren, weil die alge-
meine Sicherheit und Ruhe eine Gewisheit des Eigen-
thums verlange, welches aber auſſerdem ſtets zweifel-
haft bleiben, und nach ſo langen Jahren ſchwerlich zu
erweiſen ſeyn, folglich beſtaͤndige Zwiſtigkeiten und
Kriege veranlaſſen, auch uͤberhaupt mit einer geringern
Sorgfalt behandelt werden wuͤrde.
Bey genauerer Unterſuchung iſt iedoch die Unzu-
laͤnglichkeit dieſer Gruͤnde ſofort einleuchtend. Es iſt
keine Urſach vorhanden, warum das gaͤnzliche Stil-
ſchweigen mehr fuͤr ein Zeichen der Genehmigung als
des Widerſpruchs angeſehen werden ſolte. Die Zeit
an ſich bewuͤrkt eben ſo wenig und kann eine von An-
fang unrechtmaͤſſige Handlung nicht rechtfertigen k].
Aus bloſſen Vermuthungen, die doch eben ſo ſtark und
wohl noch ſtaͤrker fuͤr die Beibehaltung des Eigenthums
ſind, laͤßt ſich kein kraͤftiger Beweis gegen ein gegruͤn-
detes Recht hernehmen, welches durch den nachherigen
Anſpruch dargethan werden kan l]. Bey der im natuͤr-
lichen Zuſtande herſchenden Freiheit und Gleichheit un-
ter den Menſchen und Voͤlkern fehlt es auch an der
Verbindlichkeit, ihre Rechte gegen den dermaligen Be-
ſitzer zu verwahren, zumal wenn Furcht der Uebermacht
oder andere Umſtaͤnde ſie daran hindern m]: eben ſo
wenig ſind andere befugt, die vermeintliche Nachlaͤſſig-
keit durch Entziehung des Eigenthums zu beſtrafen n].
So wie die Natur Sicherung der oͤffentlichen Ruhe
durch Gewisheit des Eigenthums verlangt, ſo will ſie
auch nicht, daß iemanden das Seine von andern blos
durch vieliaͤhrige Vorenthaltung entzogen werde o].
Der Nutzen allein ſchließt die Nothwendigkeit noch nicht
in ſich. Solchergeſtalt laͤßt ſich die Veriaͤhrung nach
dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nicht behaupten.
Grotius fuͤhlte ſelbſt die Schwaͤche der aus einer
blos vermuthlichen Auflaſſung hergenommenen natuͤr-
lichen Gruͤnde, und ſucht daher der Veriaͤhrung meh-
rere Kraft beizulegen, daß er ſolche als zu dem frei-
willigen Voͤlkerrecht gehoͤrig anſieht a]. Ueberdies
werden von ihm und andern eine Menge Beiſpiele aus
der iuͤdiſchen, griechiſchen, roͤmiſchen und andern aͤl-
tern und neuern Geſchichten angefuͤhrt, welche, be-
ſonders die erſtern, als von dem Volke Gottes herge-
nommen, ein algemeines Anerkentnis der Veriaͤhrung
durch wilkuͤhrliche Einwilligung der Nazionen beweiſen
ſollen b].
Was die Guͤltigkeit der Veriaͤhrung nach dem frei-
willigen Voͤlkerrechte anlanget, ſo laͤßt ſich wohl
kaum mit Grunde behaupten, daß ſie zur geſelſchaftli-
chen Verbindung der Voͤlker ſo weſentlich gehoͤrte, daß
dieſe ohne ſolche Gefahr laufen wuͤrde. Die angefuͤhr-
ten Beiſpiele zeigen zwar, daß einige beſonders aͤltere
Nazionen dem langwierigen Beſitz einige Kraft beige-
legt haben, ſie machen aber keinesweges eine algemeine
auch noch dermalen unter den europaͤiſchen Nazionen
verbindliche zu dem wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechte gehoͤrige
Uebereinſtimmung aus.
Dieſe laͤßt ſich auch in Anſehung der letztern nicht
erweiſen. Einige kleinere Maͤchte haben zwar darinn
einige Zuflucht zu finden geglaubt und ſich zuweilen auf
die Veriaͤhrung bezogen c]; auch wohl die groͤſſern,
wenn es ihr Vortheil erfoderte d] und verſchiedene ha-
ben ihre Rechte gegen alle Veriaͤhrung ausdruͤcklich ver-
wahrt e], woraus iedoch noch nicht folgt, daß ſie die-
ſelbe
[127]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
ſelbe fuͤr zulaͤſſig angeſehen, ſondern eben ſo gut, daß
ſie ſich nur noch mehr, auch gegen dieſes Vorurtheil
haben verwahren wollen. Von vielen iſt im Gegen-
theil erweislich, daß ſie ſich gegen die Guͤltigkeit der
Veriaͤhrung, zumal wenn der Beſitzer in keiner recht-
maͤſſigen Ueberzeugung iſt, deutlich erklaͤrt haben f].
Von der Veriaͤhrung, welche nach richtigen Begriffen
blos eine lange, hoͤchſtens Menſchengedenken uͤberſteigende
Zeit erfodert, iſt der undenkliche Beſitz, d. i. ein ſol-
cher, deſſen Unrechtmaͤſſigkeit, wenn er gleich ſeinem
Urſprunge nach nicht alle erfoderliche Eigenſchaften ge-
habt haben ſolte, ſich weder durch Zeugen noch Urkun-
den erweiſen laͤßt, gar ſehr unterſchieden a]. Faͤlſch-
lich erfodern verſchiedene Voͤlkerrechtslehrer einen ſol-
chen Beſitz bey der Veriaͤhrung b]. Wo dieſer vorhan-
den iſt bedarf es der Veriaͤhrung und vermeintlichen
Aufgabe nicht: es komt auch dabey weder auf einen
rechtmaͤſſigen Titel noch auf eine rechtliche Ueberzeugung
an. Dieſe werden vorausgeſetzt, weil das Gegentheil
ſich nicht erweiſen laͤßt. Ueberhaupt iſt der undenkliche
Beſitz nicht ſowohl eine beſondere Erwerbungsart, als
nur ein Beweis des Eigenthums, der gegen alle andere
Anſpruͤche ſchuͤtzt, indem der Mangel an Nachrichten
die Unmoͤglichkeit in ſich ſchließt, ein gegruͤndeteres
Recht darzuthun.
Wenn man dieſe drey Erwerbsarten und Beſitz-
ſtaͤnde, der ſtilſchweigenden Einwilligung, der
Veriaͤhrung und des undenklichen Beſitzes gehoͤrig
von einander unterſcheidet, ſo wird es, glaube ich,
nicht ſchwer ſeyn, iede derſelben nach ihren vorange-
fuͤhrten eignen Grundſaͤtzen zu beurteilen und deren
Werth unter den Voͤlkern zu beſtimmen.
Zu wuͤnſchen waͤre es freilich, daß die Nazionen
uͤber dieſen ſo wichtigen Gegenſtand eine Richtſchnur
J 2feſt-
[132]Von Erlangung des Eigenthums von andern
feſtſetzen moͤchten, wodurch die aus den oft ſehr weit-
hergeholten Anſpruͤchen entſtehenden Streitigkeiten und
Kriege, zum Beſten der algemeinen Ruhe, um vieles
vermindert werden wuͤrden. Aber dies wird wohl ein
frommer Wunſch bleiben!
Noch verdient eine Erwerbsart angemerkt zu wer-
den, wie Nazionen nicht von andern Voͤlkern, ſondern
durch ihre eigene Unterthanen gewiſſermaaſſen den Be-
ſitz ſouverainer Lande erlangen koͤnnen. Eine unab-
haͤngige Privatperſon, die ihr Vaterland, gezwungen
oder freiwillig, auf rechtmaͤſſige Weiſe verlaſſen hat,
kan, wie Vattel lehrt a], ohnſtreitig auf Entdeckungen
ausgehn und wenn es ihr gluͤckt, in einem herrnloſen
Lande ein unabhaͤngiges Eigenthum und deſſen Ober-
herſchaft erlangen, die niemand ihm zu entziehen befugt
iſt. Ob aber wuͤrkliche Unterthanen eines Volks durch
dergleichen auswaͤrtige Entdeckungen und Beſitznehmun-
gen zugleich ein mit Oberherſchaft verbundenes Eigen-
thum daran erwerben koͤnne, oder ob erſtere ihren Sou-
verainen gebuͤhre? iſt eine Frage die nach den Grund-
ſaͤtzen
[133]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
ſaͤtzen des Staatsrechts beurteilt werden muß. Hier
bemerke ich nur ſo viel, daß ſeit den amerikaniſchen
Entdeckungen einige europaͤiſche Nazionen ihren Unter-
thanen, beſonders ganzen Geſelſchaften, zuweilen der-
gleichen Beſitzungen mit einer Art von Oberherſchaft
verſtattet oder nachgeſehen haben. Das von Spanien
den Jeſuiten verſtattete Reich in Paraguay und die Be-
ſitzungen der grosbritanniſchen oſtindiſchen Kompagnie ꝛc.
koͤnnen zum Beiſpiel dienen b].
Wo nun ſolche Beſitzungen in den Haͤnden der Un-
terthanen ſich befinden, kann der Staat ſie von ihnen
entweder durch Vertraͤge, oder, nach Beſchaffenheit
der Umſtaͤnde, durch Einziehung erwerben. Das
Schickſal des ieſuitiſchen Reichs c], die ehemaligen
Abſichten Grosbritanniens, die Beſitzungen der oſtin-
diſchen Kompagnie zur Krone zu ziehen, weil ſolche
in den Haͤnden einer Handelsgeſelſchaft ungebuͤhrlich
und gefaͤhrlich waͤren ſind bekant d].
Daß dergleichen Lande, durch Abtretung oder Weg-
nahme in die Gewalt anderer Nazionen gelangten, wer-
den die Voͤlker, deren Glieder die Beſitzer ſind, ſchwer-
lich zugeben.
Wenn beide Theile in den Bedingungen der Ver-
aͤuſſerung und des Erwerbes einig ſind, ſo muß ſchon
gedachtermaaſſen die veraͤuſſernde Nazion der andern,
wenn ſie die eingegangenen Verbindlichkeiten erfuͤlt hat,
vor allen Dingen den Beſitz einraͤumen, dieſelbe auch
dabey ſchuͤtzen, wenn das Land von andern in Anſpruch
genommen, und ſie ſchadlos halten, wenn es ihr wegen
aͤlterer Rechte darauf, gar entzogen werden ſolte.
Dieſe Gewaͤhrleiſtung [evictionis praeſtatio] fließt
theils aus der Natur der desfals geſchloſſenen Vertraͤge,
beſonders des Kaufs, Tauſches und dem aͤhnlicher Er-
werbsarten, theils wird ſie auch ausdruͤcklich mit be-
dungen a].
Die durch rechtmaͤſſige Vertraͤge volzogenen Veraͤuſ-
ſerungen der Nazionen ſind in der Regel unwiderruf-
lich und koͤnnen nicht durch die Ausflucht unkraͤftig ge-
macht werden, daß die Grundgeſetze des Staats ſolche
nicht erlaubten, weil die ſo nothwendige Zuverlaͤſſig-
keit der Vertraͤge dadurch verletzt werden wuͤrde. Wenn
die Nazion, aus Noth oder Vortheil bewogen, zur
Veraͤuſſerung ſich entſchließt, ſo entſagt ſie, wie Vat-
telb] behauptet, ſogleich dieſem Grundgeſetze. Iſt
aber der Regent allein, ohne Eiwilligung des Volks
hierzu
[135]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
hierzu nicht berechtiget, ſo muß die erwerbende Nazion
auch auf deren Herbeibringung Bedacht nehmen. In-
des wird zuweilen beim Verkauf ausdruͤcklich der Wie-
derkauf auf beſtimte oder unbeſtimte Friſt verabredet c]
oder bey Abtretungen die Wiedererwerbung unter an-
nehmlichen Bedingungen freigeſtelt d] oder endlich auf
beſondere Eraͤugniſſe der Ruͤckfall feſtgeſetzt e].
Dieſe und alle andere den Vertraͤgen beigefuͤgte Be-
dingungen ſind nach deren Vorſchrift lediglich zu beur-
teilen und beide Theile zu deren Erfuͤllung verbunden.
Das erwerbende Volk wird, ſobald es den Beſitz
erlangt hat, voͤlliger Eigenthuͤmer des Landes und kann
damit, wie mit iedem andern Eigenthum, nach Gefal-
len ſchalten und walten, in ſo fern die Vertraͤge, durch
welche er es uͤberkommen, keine Einſchraͤnkung enthal-
ten.
[137]oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
ten. Was wegen Beobachtung der Landesfreiheiten,
Bezahlung der auf den neuerworbenen Landen haften-
den Schulden Rechtens iſt, wird weiter unten gelehrt
werden. Hier iſt nur noch die Frage zu unterſuchen:
ob das erwerbende Volk befugt ſey, die neuen Lande
mit ſeinen bisherigen Beſitzungen zu vereinigen und
nach Befinden ihnen voͤllig einzuverleiben, und als
einen Theil derſelben zu behandeln? Es komt dabey
hauptſaͤchlich auf die Bedingungen und Umſtaͤnde an,
unter welchen der Erwerb geſchehen iſt. Wenn dieſer
unbedingt erfolgt und die Verfaſſung des Landes es
leidet a], ſo findet die Einverleibung allerdings Statt,
zumal wenn, wie oben von Frankreich erwaͤhnt worden,
die Staatsgrundgeſetze die Einverleibung aller Erwer-
bungen zur Nothwendigkeit machen. Gemeiniglich
pflegt ſolche bey der Ueberlaſſung entweder ausdruͤcklich
verſtattet, oder verboten zu werden b].
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen ſind auch die Landes-
veraͤuſſerungen und Erwerbungen der teutſchen und
anderer bloſſen Landesherrn zu beurteilen, in ſo ferne
die Grundgeſetze des Staats von dem ſie abhaͤngig ſind,
ſo viel beſonders die zu demſelben gehoͤrigen Lande be-
trift, nicht eigene Vorſchriften und mehrere Einſchraͤn-
kungen enthalten.
In Teutſchland iſt das Veraͤuſſerungsrecht der
Reichslande ſowohl von Seiten des Kaiſers, als der
Staͤnde in vielen Stuͤcken eingeſchraͤnkt, iedoch ſind
hier Tauſch, Kauf, Abtretung, Erbfolge ꝛc. und andere
freiwillige, auch abgenoͤthigte Veraͤuſſerungen, ebenfals
gewoͤnlich. Dabey komt hauptſaͤchlich die Eigenſchaft
der Lande: ob ſie Lehen oder Erbe? und des Erwerbers:
ob es eine auswaͤrtige Nazion, oder ein Mitſtand? in
Betrachtung a].
Bey den Veraͤuſſerungen an auswaͤrtige Nazionen
iſt wieder ein Unterſchied zu machen: ob ein Stuͤck
Landes ganz von dem teutſchen Reiche getrennt, der
Herſchaft eines andern Volks unterworfen und deſſen
Landen einverleibt wird, oder ob es, mit Beibehaltung
der Reichsverbindung und Hoheit, nur durch perſoͤn-
liche Vereinigung an deſſen Regenten gelangt?
Wenn vorherige Vertraͤge, oder die im teutſchen
Reiche uͤbliche Erbfolgsordnung hierunter nicht ſchon
klare Maaſſe geben, ſo iſt in beiden Faͤllen eigentlich
allerdings die Genehmigung des ganzen Reichs erfoder-
lich b]; doch lehrt die Geſchichte, daß ſowohl mit als
ohne dieſelbe manche Lande in Friedensſchluͤſſen und
andern Vertraͤgen, zum Theil auch auf gewaltſame
Weiſe,
[140]Von Erlangung des Eigenthums von andern
Weiſe, von Teutſchland ab- und an andere europaͤiſche
Maͤchte gekommen ſind c].
Unter ſich haben die teutſchen Reichsſtaͤnde freiere
Haͤnde, und wenn die unter ihnen vorkommenden Ver-
aͤuſſerungen nicht den Reichsgrundgeſetzen, noch den
Reichs- und Landesverfaſſungen zuwider ſind d], und
bey den Lehnen die lehnsherrliche Einwilligung nicht ver-
abſaͤumt wird, ſo kann ordentlicherweiſe weder Kaiſer
und Reich, noch ein einzelner Reichsſtand, am aller-
wenigſten eine auswaͤrtige Nazion e] etwas dagegen ein-
wenden; es muͤſten denn beſondere Umſtaͤnde eintreten,
welche einen oder den andern gleichwol zum Widerſpruch
berechtigten f].
Genoͤthigt koͤnnen teutſche Landesherrn eben ſo
wenig als freie Voͤlker werden, wider Willen, ihre
Lande wegzugeben — die Faͤlle einer Reichsacht ausge-
nommen —, indes iſt ſchon verſchiedenemal etwas der-
gleichen verlangt und bedungen worden g].
Das Recht der Erwerbungen von auswaͤrtigen
Nazionen iſt nirgends eingeſchraͤnkt. Die teutſchen
Reichsſtaͤnde koͤnnen daher ſo viel unabhaͤngige Neben-
lande erwerben und beſitzen, als ſie Gelegenheit haben
zu erlangen, wenn ſonſt niemand gegruͤndete Urſach
hat, ſich der Erwerbung entgegen zu ſetzen. Sie ſind
in Ruͤckſicht dieſer ganz nach den Grundſaͤtzen des Voͤl-
kerrechts zu beurteilen, und koͤnnen daher auch ihrer
Wiederveraͤuſſerung halber nach Wilkuͤhr ſchalten. Es
fehlt an Beiſpielen von dergleichen Erwerbungen nicht,
und noch heutzutage beſitzen verſchiedene Reichsſtaͤnde
als Kurbrandenburg, Kurhannover ꝛc. zugleich ſouve-
raine Lande in Europa h].
Die Erwerbung der Reichslande ſteht mit der
Veraͤuſſerung in genauem Bezug und kann, unter Be-
obachtung des Erfoderlichen, in der Regel ebenfals
keinem Reichsſtande verwehrt werden i].
Daß die Veriaͤhrung bey den Erwerbungen der
Reichsſtaͤnde unter ſich Statt finde leidet keinen Zwei-
fel, da die unter denſelben guͤltigen Reichs- und andere
angenommene Geſetze ſolche ausdruͤcklich anerkennen k].
Die Vereinigung mehrerer unerworbener Lande
oder deren abgeſonderte Regierung haͤngt von der beſon-
dern Verfaſſung der Reichslande und den Bedingun-
gen des Erwerbes ab und kann, wenn ſie dieſen nicht
entgegen iſt von andern Reichsſtaͤnden eigentlich nicht
gehindert werden l]. Aber alle dieſe vielfaͤltigen Be-
ſtimmungen hierunter gehoͤren mehr in die Lehre des
teutſchen Staatsrechts, und wuͤrden unnoͤthigerweiſe
hier zu viel Platz wegnehmen m].
In dem Begriffe des Eigenthums liegt zwar aller-
dings das alleinige Beſitz- und Gebrauchsrecht [1. K.
§. 39.] einer Sache, mit Ausſchlus aller andern Theil-
haber, und wenn dieſe Erforderniſſe unzertrent beiſam-
men ſind, und ohne Einſchraͤnkung ausgeuͤbt werden
koͤnnen, ſo iſt es ein volkommenes, uneingeſchraͤnk-
tes Eigenthum [dominium plenum, illimitatum].
Vermoͤge der dem Eigenthuͤmer zuſtehenden uneinge-
ſchraͤnkten Gewalt, koͤnnen die Rechte des Eigenthums
iedoch, durch das Einverſtaͤndnis mit andern, auf
mancherley Art dergeſtalt beſtimt und verteilt werden,
daß entweder mehrere Perſonen oder Nazionen gleiche
Rechte, obſchon nach einem gewiſſen Maasſtabe, an
dem Beſitze und an der Benutzung haben, oder daß
einige Eigenthumsrechte dieſer, einige einer andern
Perſon oder Nazion zugehoͤren, welche zuſammen erſt
das voͤllige Eigenthum ausmachen [2. K. §. 5.]. Er-
ſteres iſt ein gemeinſchaftliches, letzteres ein geteil-
tes, unvolkommenes Eigenthum [dominium minus
plenum]. Nach dieſem kann eine Art von Eigenthum
ohne Beſitz und Benutzung, und ein Beſitz ohne Eigen-
thum Statt finden a]. Geht der Eigenthuͤmer mit
K 3andern
[150]Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenen
andern blos ſolche Bedingungen ein, wodurch die Frei-
heit in Ausuͤbung der Eigenthumsrechte einigermaaſſen
beſchraͤnkt wird, ſo entſteht ein eingeſchraͤnktes Ei-
genthum [dominium limitatum, reſtrictum] b].
Ein ſolches Eigenthum kann blos durch wechſel-
ſeitige Uebereinkunft und Vertraͤge entſtehen, folglich
gehoͤrt deſſen Erwerb zu dem abgeleiteten. So wie
iedem Eigenthuͤmer erlaubt iſt, ſein Eigenthum ganz
zu veraͤuſſern und andern zu uͤberlaſſen, ſo ſteht dem-
ſelben auch frey, ihnen nur gewiſſe Stuͤcke oder Rechte
davon einzuraͤumen, das uͤbrige aber ſich ſelbſt vorzu-
behalten. Erbſchaft und aͤhnliche Erwerbsarten geben
auch oͤfters zu dergleichen gemeinſchaftlichem oder geteil-
tem Eigenthum Anlas. Es iſt zwar moͤglich daß bey
dem urſpruͤnglichen Erwerbe mehrere gemeinſchaftlich
ein
[151]und eingeſchraͤnkten Eigenthum der Lande.
ein Land entdecken und ſich zueignen; dies ſetzt aber
auch ſchon einen Vertrag voraus, weil nach dem ur-
ſpruͤnglichen Naturrechte auf den Fall, wenn mehrere
zufaͤllig ein Land zugleich entdecken und in Beſitz neh-
men, iedem nur ſo viel mit voͤlligem Eigenthum gehoͤrt,
als er wuͤrklich in Beſitz genommen hat a].
Das Gemeineigenthum [condominium] welches
in den gleichen ungeteilten Rechten zweier oder meh-
rerer an einer Sache, wiewohl nach verſchiedenem
Maasſtabe a] beſteht, kann, nach dem gleichen oder
ungleichen Verhaͤltnis des letztern wiederum auf man-
cherley Art beſtimt werden. Unter den europaͤiſchen
Nazionen kommen indes dergleichen Gemeinſchaften
ganzer Laͤnder ſelten, wohl aber bey einigen Orten vor.
Zwiſchen Sardinien und Parma z. B. ſollen, nach
Moſers Bericht b], in dem Grenzvergleiche vom
10. Maͤrz 1766. die beiden Orte Monſenico und Mon-
caſacca gemeinſchaftlich geblieben ſeyn. Die Inſel
St. Martin war ehemals Frankreich und den Vereinig-
ten Niederlanden gemein, iedoch mehr nach gewiſſen
beſtimten Theilen, die letztern wurden aber nachher
daraus vertrieben c].
Zu dem geteilten Eigenthum gehoͤren hauptſaͤchlich
die lehnbaren Lande [feuda] an welchen, nach den
Grundſaͤtzen der Lehnsverbindung, dem einen Theile
das ſogenante Obereigenthum [dominium directum]
den andern aber das nutzbare [dominium vtile] unter
dem Verſprechen einer beſondern Ergebenheit und mit
Uebernehmung gewiſſer Verbindlichkeiten zu deren An-
erkennung uͤberlaſſen iſt. Dieſe Theilung kann auf
doppelte Art geſchehen, wenn entweder der volkomne
Eigenthuͤmer einem andern das Obereigenthum mit
Vorbehalt der Benutzung auftraͤgt [feudum oblatum]
oder wenn einer dem andern blos das nutzbare Eigen-
thum zugeſteht, ſich aber die uͤbrigen Eigenthumsrechte,
oder das Obereigenthum ausbedingt [feudum datum].
Von dieſen in aͤltern Zeiten auch unter den Staaten
in Europa ſehr haͤufigen Lehnsverbindungen, von wel-
chen heutzutage vorzuͤglich noch die Lehnsabhaͤngigkeit
des Koͤnigreichs Neapel von dem paͤbſtlichen Stuhle
und der Inſel Malta von Sicilien bemerkt zu werden
verdient, habe ich, in Beziehung auf deren Unſchaͤd-
lichkeit gegen die Souverainetaͤt, ſchon oben [1. B.
1. K. §. 38. im 1. Th. S. 135. ff.] gehandelt.
Dieſe Theilung des Eigenthums tritt auch bey der
Verpfaͤndung [pignus] ein, wenn eine Nazion der
andern zur Sicherheit und Entſchaͤdigung einer von ihr
erhaltenen Geldſumme oder eines ihr gegebenen Ver-
ſprechens a], bis zu deren Wiedererſtattung oder Er-
fuͤllung, den Beſitz und gemeiniglich auch die voͤllige
Benutzung eines Stuͤck Landes [cum pacto antichre-
tico] einraͤumt. Es ſey nun daß man annehme, es
werde hier, nach der angeblichen Eigenſchaft der ehe-
maligen teutſchen Pfandſchaften, ein wenigſtens nutz-
bares Eigenthum, bis zu Erfuͤllung der eingegangenen
Verbindlichkeiten auf den andern uͤbertragen b], wel-
ches den natuͤrlichen Begriffen des Eigenthums, wo-
bey das Hauptwerk auf den Beſitz ankomt, keinesweges
entgegen iſt; oder daß man dem Pfandsinnhaber blos
einen im Namen des Schuldners fortfuͤhrenden Beſitz
ohne alles Eigenthum, beilege, zumal wenn dieſer
mehrere Eigenthumsrechte ſich ausdruͤcklich vorbehalten
hat; ſo iſt doch auch das Eigenthum des letztern, wenn
Beſitz und Benutzung ihm fehlen, fuͤr kein volſtaͤndi-
ges anzuſehn, ſondern in beiden Faͤllen eine Theilung
der Eigenthumsrechte vorhanden.
Dergleichen Verpfaͤndungen waren ehedem nicht
ſelten unter den Nazionen. So wurden die Staͤdte
und Schloͤſſer Vliſſingen, Rameken und Briel ꝛc.
von den Vereinigten Niederlanden 1585. an England
verpfaͤndet, unter Jakob I. aber wieder eingeloͤſt c].
Daͤnemark uͤberlies 1654. an Schweden die Provinz
Halland mit ihren Zugehoͤrungen zu Sicherung des ge-
ſchloſſenen Friedens auf dreiſſig Jahr zum Unterpfand d].
Im Jahr 1768 trat Genua die Inſel Corſica an Frank-
K 5reich
[154]Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenen
reich pfandweiſe, aber wie einige wollen mehr zum
Schein und wuͤrklich, eigenthuͤmlich ab e].
Der Vertrag, wodurch iemanden ein Unterpfands-
recht an einer Sache zugeſtanden wird, ohne ſie ihm
in Beſitz zu geben [hypotheca] iſt mehr, zum Vortheil
der Privatverhaͤltniſſe, durch buͤrgerliche Geſetze einge-
fuͤhrt, und hat bey den Geſchaͤften der Nazionen kei-
nen ſonderlichen Nutzen; da ein Volk, im unterblei-
benden Zahlungsfall, auch ohne beſondere Verſicherung
auf ein gewiſſes Land, ſich an den ſaͤmtlichen Beſitzun-
gen der ſchuldigen Nazion zu erholen berechtiget iſt f].
Am wenigſten weiß das Natur- und Voͤlkerrecht etwas
von einer ſtilſchweigenden Hypothek, wie das roͤmiſche
Recht ſie lehrt g]. Indes fehlt es nicht ganz an Bei-
ſpielen von Hypotheken der erſtern Gattung unter den
europaͤiſchen Nazionen; wie unter andern die Vereinig-
ten Niederlande 1625. der Krone England in einer
Verſchreibung ein bloſſes Unterpfandsrecht an allen
ihren Provinzen, Staͤdten ꝛc. Vermoͤgen ꝛc. zuſicher-
ten h]. Da hierdurch das Eigenthumsrecht des
Schuldners an dem Lande, worauf eine ſolche Verſi-
cherung haftet, allerdings dergeſtalt eingeſchraͤnkt wird,
daß er eigentlich, ohne Zuthun des Glaͤubigers, nicht
nur frey damit nicht ſchalten, ſondern dieſer auch, der
Zahlung wegen, eines vorzuͤglichen Rechts an dem ver-
hypothecirten Lande ſich anmaaſſen, und es, wie einige
wollen, ſogar von dem dritten Beſitzer, an den es,
ohne ſeine Einwilligung gelangt iſt, zuruͤckfodern kann;
ſo laͤßt ſich dabey auch fuͤglich ein nicht blos einge-
ſchraͤnktes, ſondern ein wuͤrklich unvolkomnes und ge-
teiltes Eigenthum annehmen.
Es geſchieht zuweilen, daß ein Volk einige ihm
eigenthuͤmlich zugehoͤrige oder in ſeiner Gewalt ſich be-
findliche
[156]Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenen
findliche Lande oder Orte einer andern Nazion auf eine
Zeitlang in Beſitz und Gewahrſam giebt, ohne ihr
iedoch ein weiteres Eigenthum daran zuzugeſtehn. Der
Beſitzer uͤbt daher die ihm dabey etwa uͤberlaſſenen
Rechte, ſo wie den Beſitz ſelbſt blos an der Stelle und
im Namen des wuͤrklichen Eigenthuͤmers aus, und
dieſer behaͤlt allerdings, auch ohne Beſitz noch Rechte
des Eigenthums, weil hier ausdruͤcklich dem andern
nichts als der bloſſe Beſitz ꝛc. eingeraͤumt worden. Es
iſt aber immer ein ſehr unvolkomnes Eigenthum, weil
daran eins der wichtigſten Erfoderniſſe, der Beſitz
mangelt.
Die Urſachen und Abſichten einer ſolchen Beſitzein-
raͤumung koͤnnen mancherley ſeyn. Im dreiſſigiaͤhrigen
Kriege wurden der Krone Frankreich 1634. von Schwe-
den und den evangeliſchen Reichsſtaͤnden in Teutſch-
land die Feſtung Philipsburg und verſchiedene Staͤdte
im Elſas zu ihrer und der Staͤnde Sicherheit in Ver-
wahrung gegeben a]. Im Jahre 1757. gab die Kai-
ſerin Koͤnigin die Haͤfen Oſtende und Nieu port dem
Koͤnige in Frankreich in Verwahrung b]. Bey der
unlaͤngſt errichteten bekanten Reichenbacher Convention
zwiſchen Oeſterreich und der Pforte wurde ebenfals be-
dungen, daß erſteres die Feſtung Choczim bis zum
Frieden zwiſchen Rußland und der Pforte als ein De-
poſitum behalten ſolte c].
Eine mit der vorigen verwandte Beſitzart ohne Ei-
genthum iſt die Scqveſtration, wenn ein zwiſchen
mehrern im Streite befangenes Land einem dritten bis
zu Austrag der Sache, mit Einwilligung der Theil-
haber a], in Beſitz gegeben wird. Auch hiervon kom-
men Beiſpiele in der europaͤiſchen Staatengeſchichte vor.
Als man in den Streitigkeiten zwiſchen Polen und
Kurbrandenburg wegen Elbingen verlangte, daß vor
Angehung der Tractaten, dieſe Stadt zufoͤrderſt reſti-
tuirt werden ſolte, wolte Kurbrandenburg ſich dieſes
nicht gefallen laſſen, ſondern allenfals die Stadt den
Mediatorn als ein Seqveſtrum einſtweilen einraͤu-
men b]. Dem Koͤnig von Preuſſen wurde 1713. von
den nordiſchen Alliirten das von Schweden eroberte
Stettin in Seqveſtration gegeben c].
Die Ausuͤbung des Eigenthums kann, wenn auch
deſſen vorzuͤglichſte Rechte, der Beſitz und die Benu-
tzung unzertrennt beiſammen ſind, doch durch Vertraͤge
verſchiedentlich eingeſchraͤnkt werden, wenn der Eigen-
thuͤmer ſich dadurch entweder ſeiner Freiheit in gewiſſen
Stuͤcken, z. B. der wilkuͤhrlichen Veraͤuſſerung, zum
Vortheil eines andern begiebt, oder ihm einigen An-
theil an der Ausuͤbung dieſes oder ienes Rechts ein-
raͤumt. Dergleichen Einſchraͤnkungen finden bey allen
einzelnen Rechten des Eigenthums Statt, und ſchla-
gen in die Materie der ſogenanten Voͤlkerdienſtbarkei-
ten mit ein, wovon in der Folge mehrere Beiſpiele vor-
kommen werden.
Daß die geſetzlichen Vorſchriften der Privat-Lehn
und anderer buͤrgerlichen Rechte hier keine Anwendung
leiden
[159]und eingeſchraͤnkten Eigenthum der Lande.
leiden darf ich kaum erinnern. Da alle dieſe beſondern
Beſtimmungen des Eigenthums auf wilkuͤhrliche Ein-
richtungen und Vertraͤge beruhen, ſo muͤſſen die Rechte
der Theilhaber auch lediglich darnach, nach dem Her-
kommen und allenfals aus der Abſicht und Natur dieſer
Vertraͤge beurteilt werden.
In Anſehung der zwiſchen mehrern gemeinſchaft-
lichen und geteilten Eigenthumsrechte, die zuſammen
erſt ein volſtaͤndiges Ganzes ausmachen, ergiebt ſich
im Algemeinen ſoviel, daß kein Theilhaber nach voͤlli-
ger Wilkuͤhr mit dem ganzen Lande, und uͤber den ihm
zuſtehenden Antheil nur in ſo weit ſchalten, denſelben
veraͤuſſern oder ſonſt gebrauchen kann, als dem andern
Theile kein Schaden dadurch zugefuͤgt wird.
Was die Lehen inſonderheit anlanget a] kann da-
her der Vaſall ohne Einwilligung des Oberlehnsherrn
[domini directi] das Lehn weder veraͤuſſern, verpfaͤn-
den, demſelben eine bleibende Dienſtbarkeit auflegen,
noch irgend einen dem Obereigenthum nachtheiligen Ge-
brauch davon machen, wenn ihm nicht eins oder das
andere ausdruͤcklich zugeſtanden iſt b] wohl aber hat
er das Recht, alle Eigenthumsnutzungen ſelbſt oder
durch andere daraus zu ziehn. Eine Afterverleihung
[ſubinfeudatio] und Aufkuͤndigung des Lehns [refuta-
tio feudi] findet nur dann Statt, wenn ſie ohne den
mindeſten Nachtheil des Lehnsherrn geſchehen koͤnnen.
Eben ſo wenig kann dieſer, zum Schaden des Vaſal-
len das Obereigenthum wilkuͤhrlich veraͤuſſern, weil es
bey der Lehnsverbindung zumal in aufgetragenen Lehen,
mehr auf moraliſche Rechte und Pflichten, als auf
phiſiſche Leiſtungen ankomt c]: er darf das nutzbare Ei-
genthum nicht eher, als bis es, nach den Bedingungen
des Lehnsvertrages, durch den Tod des Vaſallen, oder
aller derer, welchen die Nachfolge zugeſtanden worden,
oder durch Vergehn wider die Lehnsverbindlichkeit d]
[Felonie]
[160]Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenen
[Felonie] eroͤfnet wird wieder an ſich ziehn; doch iſt
ihm frey, auf den bevorſtehenden Anfall, andern in
voraus eine Anwartſchaft [Expectanz] darauf zu er-
theilen e]. Uebrigens iſt der Lehnsherr und der Vaſall
zu Leiſtung alles deſſen verbunden, was die Lehnbriefe
und andere Vertraͤge oder ein beſtaͤndiges Herkommen
verlangen f]. Dieſe geben bey entſtehenden Irrungen
auch lediglich den Ausſchlag g]. Die Aufhebung der
Lehnsverbindung, wie iedes andern Vertrages, durch
gemeinſames Einverſtaͤndnis, leidet keinen Zweifel,
und haben wir davon Beiſpiele zwiſchen Polen und
Preuſſen ꝛc.
Bey den Pfandſchaften h] kan der Schuldner die
ihm vermoͤge des Vertrages auch ohne Beſitz uͤbrigge-
bliebenen Eigenthumsrechte zwar andern uͤberlaſſen, das
Pfand ſelbſt darf aber nicht eher wieder zuruͤck gefodert
werden, als bis die Zahlung erfolgt oder die Verbind-
lichkeit erfuͤlt iſt. Wenn dem Glaubiger nicht der Be-
ſitz, ſondern nur eine vorzuͤgliche Verſicherung auf ein
gewiſſes Land [Hypothek] zugeſtanden worden iſt, ſo
darf der Eigenthuͤmer daſſelbe ohne ienes Einwilligung
nicht veraͤuſſern. Der Pfandinnhaber iſt nicht befugt
ſich eines voͤlligen Eigenthumsrechts an dem verpfaͤn-
deten Lande anzumaaſſen und daſſelbe weiter zu veraͤuſ-
ſern, es waͤre denn eine gewiſſe Zeit zur Einloͤſung
beſtimt und nach deren Verlauf die Zueignung oder
der Verkauf bedungen [lex commiſſoria]. Eine bloſſe
Veriaͤhrung, wenn die Einloͤſung auſſerdem auch noch
ſo lange nicht erfolgen ſolte, findet hier keinesweges
Statt i]. Indes kann dem Glaͤubiger, wenn es noͤthig
iſt, die fernere Verpfaͤndung nicht verwehrt werden:
er iſt aber verbunden, ſobald die Wiederbezahlung er-
folgt, das Pfand wieder auszuantworten und darf es
einer andern Foderung halber nicht zuruͤckhalten, wenn
die Umſtaͤnde ihn nicht veranlaſſen, ſich aus den Beſi-
tzungen
[161]und eingeſchraͤnkten Eigenthum der Lande.
tzungen des ſchuldigen Volks uͤberhaupt bezahlt zu ma-
chen k]. Wegen Gebrauch des verpfaͤndeten Landes
waͤhrend der Innehabung komt es auf den Vertrag
an: in wie ferne dieſelbe einem Volke uͤberlaſſen wor-
den? ob die Oberherſchaft dabey mit begriffen? ob die
Benutzung blos zur Verguͤtung der Zinſen oder zugleich
zu Abtragung der Hauptſumme angeſchlagen? ob die
Zeit hierzu beſtimt oder uͤberhaupt bis zur gaͤnzlichen
Tilgung hinausgeſetzt? und in welcher Maaſſe, letztern
Fals, die Ablegung einer Rechnung erfoderlich ſey l]?
Jede Benutzung muß indes ſo eingerichtet werden, daß
alles im vorigen Stande bleibe und kein Nachtheil fuͤr
das Land daraus erfolge.
Das Depoſitum und die Seqveſtration haben ge-
meiniglich beſondere Ruͤckſichten auf dieienigen zum
Grunde, welchen ſie anvertraut werden, die Rechte
der Aufbewahrung und Zuruͤckfoderung ſchraͤnken ſich
daher lediglich auf die contrahirenden Theile ein und
ſind genau nach der deshalb getroffenen Uebereinkunft
abzumeſſen m].
Teutſchland ſowohl im Ganzen, als deſſen einzelne
Landesherrn wie nicht weniger andere mit Landeshoheit
begabte Regenten richten ſich auch in allen dieſen vor-
erwaͤhnten Verhaͤltniſſen gegen unabhaͤngige Nazionen
lediglich nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts, in
ſo ferne ihre uͤbrige Verbindung und Abhaͤngigkeit von
dem hoͤhern Staate nicht beſondere Einſchraͤnkungen
verlangen a].
Unter ſich haben aber die teutſchen Reichsſtaͤnde,
bey denen die Gemeinheiten, Lehen, Pfandſchaften,
Seqveſtrationen ꝛc. haͤufig vorkommen, auſſer den Nor-
men der deshalb vorhandenen Vertraͤge allerdings zu-
foͤrderſt die Geſetze des Staatsrechts und der in Teutſch-
land aufgenommenen Lehn und anderer Privatrechte,
und nur erſt, wo dieſe nicht entſcheiden die Vorſchrif-
ten des Natur- und Voͤlkerrechts zu beobachten b].
Der aͤuſſerſte durch gewiſſe Kenzeichen beſtimte Um-
ris eines Landes von einem Ende zum andern
macht deſſen Grenzen aus. Sie bezeichnen den Um-
fang, welcher zum Eigenthum und zur Herſchaft eines
ieden Volks gehoͤrt, und ſondern ihn von dem Terri-
torium anderer Nazionen ab. So weit dieſe ſich aus-
dehnen, ſo weit erſtrecken ſich in der Regel auch die
Herſchaft und die Hoheitsgerechtſame des Volks.
Wenn die letztern einer Nazion, durch ausdruͤckliche
oder ſtilſchweigende Vertraͤge, uͤber die Grenzen ihres
Eigenthums hinaus in andern Territorien zuſtehen; ſo
werden deshalb beſondere Gerichts- Gleits- Forſt-
Jagd- oder andere Grenzen errichtet. Grenzen, welche
die Lande und Hoheit der Voͤlker von einander ſcheiden,
werden oͤffentliche [fines publici] genant, im Gegen-
ſatz
[171]Von den Landesgrenzen.
ſatz der Privatgrenzen [fines privati] wodurch das
Eigenthum und die Gerechtſame einzelner Mitglieder
des Staats bezeichnet werden b]. Ihre Beſtimmung
iſt um ſo nothwendiger, ie bedenklichere Irrungen
hierunter aus der Ungewisheit entſtehen koͤnnen c].
Die Grenzen des Landes ſind entweder ſolche, wo
die Natur ſelbſt die Unterſcheidungszeichen an die Hand
giebt, welche die Nazionen zur Richtſchnur annehmen,
und heiſſen natuͤrliche [limites naturales, occupatorii]
oder ſolche, welche durch Kunſt und menſchlichen Fleis
aufgerichtet werden, kuͤnſtliche [artificiales]. Eine
dritte Gattung, welche durch Beſtimmung abgemeſſe-
ner Rechte in Vertraͤgen feſtgeſetzt werden, heiſſen po-
litiſche Grenzen [politici, menſurati] a]. Dieienigen
Territorien, welche natuͤrliche Grenzen haben, werden
vom Grotius b] territoria arcifinia, die beiden andern
hingegen limitata genant c].
Zu den natuͤrlichen Grenzen gehoͤren alle Arten Ge-
waͤſſer, Meere, Fluͤſſe, Baͤche, Teiche ꝛc. Thaͤler, Waͤlder,
wuͤſte Plaͤtze und dergleichen von der Natur hervorge-
brachte nicht leicht aufzuhebende Kennzeichen; welche
daher, wo es moͤglich, allen andern Grenzzeichen vor-
gezogen zu werden pflegen. Es finden ſich haͤufige Bei-
ſpiele faſt aller dieſer Gattungen unter den Voͤlkern
in Europa.
Dahin ſind zu rechnen die durch menſchlichen Fleis
gemachten Landgraben und Wehre, aufgeworfene Hau-
fen, Steine, hoͤlzerne Saͤulen, gezeichnete Baͤume a]
und dergleichen. Sie werden meiſtens nur in Erman-
gelung der natuͤrlichen Grenzzeichen gewaͤhlt b] und
ſind faſt in allen Grenzvertraͤgen anzutreffen c].
Alles, was innerhalb dieſer Grenzlinien ſich befin-
det, iſt in der Regel als zum Eigenthum einer und
eben-
[177]Von den Landesgrenzen.
ebenderſelben Nazion gehoͤrig und ihrer Herſchaft unter-
worfen anzuſehn a]; wenn ein anderes Volk nicht er-
weiſen kann, daß ihm irgend ein Stuͤck davon mit dem
Rechte der Unabhaͤngigkeit zuſtehe b]. Iſt der ganze
Inbegrif wuͤrklich nur einer Oberherſchaft unterworfen,
ſo nent man es ein geſchloſſenes Territorium [terri-
torium clauſum] c] befindet ſich aber innerhalb der
Grenzen noch ein anderer unabhaͤngiger Landesbezirk,
ſo iſt dieſer ein eingeſchloſſenes Territorium d]. Der
Urſprung und Grund der letztern kann mannichfaltig
ſeyn, ſetzt aber gemeiniglich abgeleitete Erwerbsarten
voraus e]. Unter den Voͤlkern in Europa finden ſich
einige ſolche eingeſchloſſene Lande f], noch haͤufiger aber
ſind ſie unter den teutſchen Reichsſtaͤnden anzutreffen.
Wenn die Grenzlinien eines Landes nicht genau
genug beſtimt und die Territorialſtuͤcke benachbarter
Staaten ſehr unter einander gemiſcht ſind, ſo iſt die
Eroͤrterung der Frage: was zu dieſem oder ienem Ter-
ritorium eigentlich gehoͤre? oft nicht geringen Schwie-
rigkeiten
[179]Von den Landesgrenzen.
rigkeiten und Weiterungen ausgeſetzt a]. Dieſer Unter-
ſuchungsfall trift hauptſaͤchlich alsdann ein, wenn ein
ſolches Land etwa an ein anderes Volk abgetreten wird;
wovon wir in der europaͤiſchen Staatengeſchichte merk-
wuͤrdige Beiſpiele haben. Dahin gehoͤren unter andern
die Streitigkeiten zwiſchen Frankreich und Grosbritan-
nien wegen des Landes Acadien b] und die franzoͤſiſchen
Reunionskammern in Abſicht der von Teutſchland er-
haltenen Provinzen c]. Es finden hier die naͤmlichen
Beweiſe Statt, welche unten bey den Grenzſtreitigkei-
ten uͤberhaupt vorkommen werden. Ein guͤtlicher Ver-
gleich giebt am Ende die beſte Entſcheidung.
Sind aber auch die Grenzen durch Gewaͤſſer, Berge,
Landſtraſſen ꝛc. an ſich hinlaͤnglich bezeichnet; ſo ent-
ſteht doch zuweilen Zweifel: wem das Eigenthum
daran zugehoͤre? Iſt daruͤber kein beſonderes Einver-
ſtaͤndnis vorhanden; ſo gehoͤrt, wegen Gleichheit der
Rechte, wie ſchon oben [1. Kap. 1. Abſchn. §. 14.]
bemerkt worden, iedem Volke die Haͤlfte davon a].
In dieſer Maaſſe vergleicht man ſich auch in den mei-
ſten Grenzvertraͤgen b]. Nur zuweilen wird hiervon
eine Ausnahme gemacht, und das Eigenthum entwe-
der einem Volke allein zugeſtanden c] oder die Grenz-
linie gar neutral gelaſſen d], ſo daß keinem das Eigen-
thum gehoͤrt. Bey neuabgetretenen Landen kan man
ſich mitunter daruͤber nicht vereinigen: wem die im
Vertrage genanten Grenzorte zugehoͤren ſollen? Dies
kann aber, wenn der Buchſtabe des Vertrages nicht
deutlich genug iſt, blos durch anderweite Uebereinkunft
beſtimt werden e], und iſt die eigenmaͤchtige Weg-
nahme der ſtreitigen Grenzorte keinesweges erlaubt f].
Aus den Irrungen, welche die Unrichtigkeit und
Unbeſtimtheit der Grenzen uͤberhaupt oder die Dunkel-
heit
[185]Von den Landesgrenzen.
heit der daruͤber errichteten Vertraͤge nothwendig veran-
laſſen muͤſſen, entſtehen oft die heftigſten Streitigkeiten
unter den Nazionen, die, wenn ſie in Guͤte nicht ver-
glichen werden koͤnnen, zuweilen in Thaͤtlichkeiten und
wohl gar am Ende in Krieg ausſchlagen, wie dies
1555. wegen der Finniſchen Grenzen zwiſchen Rußland
und Schweden, 1756. wegen der Grenzen Akadiens
zwiſchen Grosbritannien und Frankreich und 1776.
zwiſchen Spanien und Portugal wegen der Grenzirrun-
gen in Braſilien der Fall war.
Die guͤtliche Beilegung der Grenzirrungen, ſie
moͤgen bey alten Beſitzungen oder neuabgetretenen Lan-
den ſich hervorthun, geſchieht gemeiniglich durch Er-
nennung gewiſſer Perſonen von beiden Theilen, welche
man Grenzcommiſſarien nennt a]. Dieſe pflegen ge-
meinſchaftlich durch Beaugenſcheinigung an Ort und
Stelle b] die erfoderlichen Unterſuchungen der ſtreitigen
Gegend ſowohl, als der beiderſeitigen Gruͤnde vorzu-
nehmen, auch wohl, bis auf hoͤhere Genehmigung ſich
eines gewiſſen zu vergleichen, dem gemaͤs der Grenzzug
und die Bezeichnung entweder ſogleich, oder in der
Folge bewerkſtelliget wird c]. Es haͤngt von iedem
Volks Wilkuͤhr ab, welcher Perſonen, wenn ſie nur
ſachkundige Maͤnner ſind, er ſich hierzu bedienen will,
wenn nicht daruͤber etwas bereits feſtgeſetzt iſt d].
Bey dieſen Unterſuchungen der ſtreitigen Grenzen
geben aͤltere guͤltige Grenzvertraͤge und Beziehungen,
auch
[190]Von den Landesgrenzen.
auch andere oͤffentliche Urkunden welche beſtimmte Nach-
richten davon enthalten, den vorzuͤglichſten Beweis
ab. Annoch ſichtliche mit den erforderlichen Merkma-
len verſehene Grenzzeichen dienen ienen theils zur Er-
laͤuterung und Beſtaͤtigung, theils vertreten ſie deren
Stelle.
In Ermangelung der Urkunden verdient die Aus-
ſage, beſonders alter und an den Grenzen wohnender
Zeugen, die ſie entweder nach eigner Kentnis, oder
nach einem von ieher herſchenden algemeinen oͤffentli-
chen Gerichte ablegen, allen Glauben.
Was oben [2. Kap. §. 23. ff.] von dem Erwerbe
durch ſtillſchweigende Einwilligung, undenklichen Beſitz
und Veriaͤhrung uͤberhaupt vorgetragen worden, leidet
auch in Anſehung der Grenzen ſeine Anwendung.
Hat ein Volk die Grenzen ſeines Gebiets zum Abbruch
des benachbarten erweitert, dieſes aber es gewußt und
dazu geſchwiegen, oder wohl gar durch Handlungen
anerkant, ſo iſt dieſe Grenzſcheidung allerdings als
rechtmaͤſſig anzuſehn. Eben ſo wenig kan dieienige in
Zweifel gezogen werden, welche einen undenklichen
Beſitz, davon das Gegentheil nicht zu erweiſen iſt,
zum Grunde hat. Eine blos auf Verlauf gewiſſer
Jahre beruhende Veriaͤhrung hingegen kann auch bey
den Territorialgrenzen zwiſchen Nazionen nicht Statt
finden.
Die Gruͤnde, welche man aus bloſſen Vermuthun-
gen und Wahrſcheinlichkeiten, z. B. aus dem Eigen-
thum allein, aus einzelnen Hoheitsrechten, als Erhe-
bung der Gefaͤlle, aus dem Gleits- Jagd- oder andern
Rechte, welche dieſem oder ienem Volke in einem ge-
wiſſen Grenzorte zuſtehen, ſind minder zuverlaͤſſig,
weil dieſes nur zu den Landen der andern Nazion gehoͤ-
rige Privatguͤter ſeyn, dergleichen Rechte auch als
Voͤlkerdienſtbarkeiten in eines andern Volks Territo-
rium
[192]Von den Landesgrenzen.
rium ausgeuͤbt werden koͤnnen. Sie geben daher,
wenn ſie nicht von andern Zeugniſſen unterſtuͤtzt wer-
den, keinen volſtaͤndigen Beweis a].
Das Zeugnis der Privatſchriftſteller und Landchar-
tenverfertiger kann hier allerdings allein keinen guͤltigen
Beweis ausmachen, wenn ſie nicht mit andern zuver-
laͤſſigern Nachrichten uͤbereinſtimmen, ob ſie dieſen
gleich ein groͤſſer Gewicht beilegen. Die europaͤiſchen
Nazionen haben ſich iedoch in ihren Grenzirrungen
ſchon verſchiedentlich darauf bezogen.
Gegen alle dieſe Beweiſe bleiben dem Gegentheile
iedoch ſo viele Einwendungen und Ausfluͤchte uͤbrig,
daß, da unter freien Nazionen, wenn ſie ſich nicht
freiwillig einem ſchiedsrichterlichen Ausſpruch unter-
werfen, keine Entſcheidung Statt findet, am Ende
N 2eine
[196]Von den Landesgrenzen.
eine guͤtliche Uebereinkunft der Sache den beſten Aus-
ſchlag giebt. Dieſe pflegt denn von den dazu verord-
neten Commiſſarien in gewiſſe Receſſe oder Grenzver-
traͤge gebracht und von den Regenten der Staaten ge-
nehmigt zu werden a]. Zuweilen geſchieht in Friedens-
ſchluͤſſen eine vorlaͤufige algemeine Verabredung des-
halb, wenn zumal dem einen Theile neue Lande abge-
treten werden oder etwan die Grenzirrungen eine Ver-
anlaſſung des Krieges mit geweſen ſind b].
Zu mehrerer Sicherheit und kuͤnftiger Nachricht
wird oͤfters, beſonders wenn die Grenzen durch Be-
ſchreibung und aufgerichtete Zeichen nicht hinlaͤnglich
unter-
[197]Von den Landesgrenzen.
unterſchieden werden koͤnnen, oder ſonſt eine Zernich-
tung der Grenzmaͤler leicht zu beſorgen iſt, die vergli-
chene Grenzlinie auch durch gemeinſchaftliche dazu ver-
cidigte ſachkundige Perſonen, in einen beſondern Riß
oder Charte gebracht und ſolche dem Grenzvergleiche
beigefuͤgt.
Die meiſten Grenzzeichen, ſie moͤgen natuͤrliche
oder kuͤnſtliche ſeyn, ſind der Veraͤnderung unterwor-
N 3fen,
[198]Von den Landesgrenzen.
fen, welche theils die Natur ſelbſt durch gewaltſame
Zufaͤlle oder Laͤnge der Zeit, theils menſchliche Nachlaͤſ-
ſigkeit oder wohl gar Bosheit ihnen zufuͤgt. Bey den
natuͤrlichen Grenzen, beſonders den Fluͤſſen entſteht
daher die Frage: ob ihr veraͤnderter Lauf auch eine Aen-
derung in den Grenzen verurſache? Nach den bereits
oben [1. Kap. 1. Abſchn. §. 15. u. 2. Abſchn. §. 32.]
in Anſehung des Eigenthums angefuͤhrten Gruͤnden
komt es hierbey darauf an: ob die Abweichung betraͤcht-
lich ſey oder nicht und ob die an dem Waſſer liegende
Territorien eine gemeſſene oder ungemeſſene Grenze
haben? Iſt die Veraͤnderung unmerklich, oder die
Grenze abgemeſſen a], ſo macht auch dies geringe An-
und Abſpielen keinen weitern Unterſchied. Solte aber
der Fluß ſeinen ganzen Lauf aͤndern, ſo vertritt alsdann
deſſen bisheriges Bette die Stelle der Grenze b]. Bey
einem Fluſſe, der oft ſeinen Lauf aͤndert, iſt es daher
allerdings zutraͤglich, noch beſondere Grenzzeichen auf-
zuſtellen und das Austreten durch dienſamen Bau zu
hindern c], welches denn ohne Zweifel auf gemein-
ſchaftliche Koſten geſchehen muß d]. Uebrigens werden
die Grenzen bey den meiſten Nazionen fuͤr heilig und un-
verletzlich gehalten, und die muthwilligen oder boshaften
Veraͤnderungen und Zernichtungen der Grenzzeichen an
den Unterthanen mit den haͤrteſten Strafen belegt c].
Um dergleichen Veraͤnderungen in Zeiten zu bemer-
ken und den daher zu beſorgenden Irrungen vorzubeu-
gen, pflegen gewiſſe von beiden Theilen verordnete
Commiſſarien zu beſtimten Zeiten gemeinſchaftlich die
feſtgeſetzten Grenzen, nach den Vertraͤgen und Charten
zu unterſuchen, und die angetroffenen Unrichtigkeiten
entweder ſogleich abzuſtellen, oder ſie ihren Hoͤfen zur
Entſcheidung vorzulegen a]. Einſeitige Grenzbeſich-
tigungen koͤnnen zwar auch nicht verwehrt werden b],
doch darf den Angrenzenden kein Nachtheil daraus er-
wachſen.
Dritte Nazionen, welche kein beſonderes Intereſſe
bey den Landen haben, deren Grenzberichtigung in
Frage iſt, oder von den ſtreitigen Theilen nicht etwa
um Vermittelung erſucht werden a], haben kein Recht
ſich in die Grenzirrungen anderer Voͤlker zu miſchen.
Sie thun es gewoͤnlich auch eben ſo wenig, als andere
ihnen Nachricht davon ertheilen b].
Die Begrenzung der Gewaͤſſer, wenn naͤmlich die
Grenzlinien im Waſſer ſelbſt gezogen werden muͤſſen,
wie bey Fluͤſſen, welche in der Mitte, oder ſonſt nach
einem
[203]Von den Landesgrenzen.
einem gewiſſen Maasſtabe die Grenzen zweier Gebiete
machen, iſt zwar mancherley Schwierigkeiten unter-
worfen, doch laſſen ſich ſolche in Waͤſſern von keinem
betraͤchtlichen Umfange durch die nahen Ufer ꝛc. und
dabey befindlichen Merkmale gar wohl bezeichnen a].
Weit groͤſſer aber ſind dieſe Schwierigkeiten bey dem
Meere, ſo daß daher, wie ich ſchon oben [1. Kap.
§. 16. ff.] bemerkt habe, gewoͤnlich ein Haupteinwurf
gegen das abgeleitete Eigenthum der Nazionen an dem
offenen Meere genommen wird. Doch habe ich dabey
ſchon erinnert, daß gleichwol auch hier, durch wil-
kuͤhrliche Uebereinkunft, nach den Kuͤſten, Inſeln und
andern Merkmalen, nicht weniger nach den in neuern
Zeiten erfundenen Huͤlfsmitteln des Kompaſſes, der
Abtheilung der Grade ꝛc. eine Art des Eigenthums
und folglich der Grenzen angenommen werden koͤnnen b]
und beſonders letztere wuͤrklich zuweilen in ſofern be-
ſtimt werden, daß eine Nazion gegen andere ſich ver-
bindet, uͤber gewiſſe Grenzen nicht zu ſchiffen, zu
fiſchen ꝛc. c]; wie man denn auch, ſchon oben [1. K.
§. 28.] gedachtermaaſſen, die Grenzen der am Meere
gelegenen Laͤnder, drey Meilen [lieues] in daſſelbe
hinein, oder ſo weit ein Kanonenſchus reichen kann,
zu erſtrecken pflegt d].
Die Grenzen Teutſchlands, nach ſeiner geographi-
ſchen und politiſchen Bedeutung a] ſind an vielen Orten
noch ziemlich ungewis, und man ſtreitet uͤber verſchie-
dene Lande ob ſie dazu gehoͤren, oder nicht? b] Die
dahineinſchlagenden das Reich im Ganzen betreffenden
Geſchaͤfte gegen Auswaͤrtige ſind nach allen obigen
Grundſaͤtzen zu entſcheiden. Es duͤrfen aber, nach
dem teutſchen Staatsrechte, weder der Kaiſer, noch
die Staͤnde, einſeitig hierunter, ſondern mit gemein-
ſchaftlicher Einwilligung verfahren c]. In ſo ferne
nun die reichsſtaͤndiſchen Landesgrenzen zugleich die
Grenzen des teutſchen Reichs d] ausmachen, ſind die
Landesherrn in ihren mit auswaͤrtigen Nazionen zu er-
richtenden Grenzvertraͤgen, ebenfals an die Genehmi-
gung des Kaiſers und Reichs gebunden d].
Was die Landesgrenzen im innern des Reichs be-
trift, darinn verfahren die Landesherrn unter ſich nach
mehrerer Wilkuͤhr, und errichten die erfoderlichen Ver-
traͤge daruͤber gemeiniglich ohne ſie dem Reiche vorzu-
legen e]. Es findet auch dabey, beſonders was den
Beweis der Grenzen, deren Feſtſetzung und Erhaltung
anlanget, eben das Statt, was unter freien Voͤlkern
gewoͤhnlich iſt f]: nur daß iene, wenn die deshalb ent-
ſtehenden Streitigkeiten in Guͤte nicht beigelegt werden
koͤnnen, nicht ſogleich zu Thaͤtlichkeiten ſchreiten duͤr-
fen, [einige wenige Faͤlle ausgenommen, wo es ihnen
zuweilen allenfals ſich ſelbſt Recht zu verſchaffen nach-
gelaſſen iſt ꝛc.] ſondern den Weg Rechtens, nach Ver-
haͤltnis der Umſtaͤnde vor den Austraͤgen oder Reichs-
gerichten, einſchlagen muͤſſen; wobey der Beſitz und
die unvordenkliche Veriaͤhrung vorzuͤglich den Aus-
ſchlag
[206]Von den Landesgrenzen.
ſchlag geben h]. Auswaͤrtige Nazionen oder dritte Lan-
desherrn ſind auch hier keinesweges befugt, ſich in dieſe
Grenzſtreitigkeiten zu miſchen, wenn nicht beſondere
Rechte derſelben dabey eintreten i].
Der eingeſchloſſenen Territorien giebt es in Teutſch-
land eine Menge, theils ſolche welche die teutſchen
Reichsſtaͤnde in auswaͤrtigen Staaten, beſonders in
Frankreich, theils welche die benachbarten Nazionen
im teutſchen Reiche, theils welche die Reichsſtaͤnde in
ihrer Mitſtaͤnde Landen beſitzen k]. Noch weniger fehlt
es an Streitigkeiten uͤber die ſogenanten geſchloſſenen
Territorien; wofuͤr verſchiedene Reichsſtaͤnde ihre Lande
ausgeben, und daher alles, was von andern darin be-
ſeſſen wird, fuͤr landſaͤſſig und ihrer Landeshoheit un-
terworfen zu betrachten ſich berechtigt halten, wenn
der, welcher eine Ausnahme behauptet, ſolche nicht zu
erweiſen vermag l]; wiewohl, wenn es zur Unterſu-
chung komt, nur wenige Lande dafuͤr anzunehmen ſeyn
duͤrften, weil die meiſten nicht urſpruͤnglich nur einen
Staat ausgemacht haben, ſondern aus mehrern kleinen
unmittelbaren Provinzen zuſammengewachſen ſind, und
vielmehr dem, welcher der Landeshoheit uͤber ein ſolch
eingeſchloſſenes Territorium ſich anmaßt, der Beweis
obliegt; wobey aber keinesweges die Ausuͤbung eines
oder des andern Hoheitsrechts hinreichend iſt m].
Wegen Verruͤckung oder Verletzung der Grenzen
giebt im teutſchen Reiche nicht nur das algemeine Kri-
minalgeſetz Kaiſer Karls V. oder die Peinliche Hals-
gerichtsordnung, deshalb Vorſchrift, ſondern es iſt
auch in mehreren Landesgeſetzen die ſchaͤrfſte Strafe
darauf geſetzt n].
Gleiche Bewandnis hat es groͤſtenteils mit andern
bloſſen Landesherrn. Sie koͤnnen eben ſo wenig wil-
kuͤhrlich einige Grenzveraͤnderungen mit andern Nazio-
nen vornehmen, ſondern haben hierzu die Einwilligung
des
[207]Von den Landesgrenzen.
des hoͤhern Staats, von dem ſie abhangen, noͤthig,
und muͤſſen uͤberhaupt hierunter deſſen geſetzliche Vor-
ſchriften befolgen o].
Ein Volk kann von ſeinem Territorialeigenthum,
d. i. von denienigen Landen und Gewaͤſſern, welche
es als ein unter Oberherſchaft vereinigter Staatskoͤrper,
durch urſpruͤnglichen oder abgeleiteten Erwerb, inne
hat, nach den in den vorhergehenden Kapiteln feſtge-
ſtelten Grundſaͤtzen, nach eigner Wilkuͤhr und mit Aus-
ſchlus anderer, allen noͤthigen und moͤglichen Gebrauch
machen, iedoch ohne andern Nazionen einen Schaden
dadurch zuzufuͤgen. Sind gleich nur einige Guͤter des
Territoriums zum Gebrauch des geſamten Staats oder
ſeines Regenten ausgeſetzt, andere hingegen, als Pri-
vateigenthum einzelnen Buͤrgern oder kleinern Geſel-
ſchaften uͤberlaſſen, ſo erſtreckt ſich doch ienes Befug-
nis, vermoͤge der Oberherſchaft a] verhaͤltnismaͤſſig
uͤber alle dergleichen Beſitzungen b], weil dieſe auch fuͤr
zweckmaͤſſigen Erwerb und Benutzung des Privateigen-
thums zu ſorgen und iedermann im Staate bey dem
ungeſtoͤrten Genuſſe des Seinigen zu erhalten verbun-
den und im Nothfall berechtigt iſt, davon zum algemeinen
Beſten, den erfoderlichen Gebrauch zu machen. Die-
ſes Recht wird das Obereigenthum [dominium emi-
nens] genannt c]. Es komt bey dem Eigenthume
O 2haupt-
[212]Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
hauptſaͤchlich auf das ausſchließliche Recht des Beſitzes,
der Benutzung und der Veraͤuſſerung in Betrachtung.
Von dem letztern habe ich bereits oben gehandelt, und
will daher hier nur noch die beiden erſtern im Algemei-
nen erwaͤgen.
Was den Beſitz anlanget, ſo iſt iedes Volk berech
tigt, andere von ſeinem Territorium, vermoͤge der ihm
uͤber den ganzen Umfang deſſelben zuſtehenden Eigen-
thums- und Oberherſchaftsrechte [1. Kap. §. 5.] aus-
zuſchlieſſen und nicht zu erlauben, daß ſie irgend etwas
innerhalb der Grenzen deſſelben ſich anmaaſſen. Im
Gegentheil ſind andere Nazionen auch verbunden, iede
in dem ungeſtoͤrten Beſitz des Ihrigen zu laſſen. Sie
koͤnnen folglich, wenn gleich noch wuͤſte und unbekante
Plaͤtze in dem Territorium eines andern Volks zu be-
finden, ſich derſelben durch Beſitzergreifung keinesweges
bemaͤchtigen und ein neues Gebiete daſelbſt errichten,
noch weniger wuͤrklich bebaute Landſtriche an ſich
reiſſen,
[213]in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.
reiſſen, oder gar das Volk aus ſeinen Wohnſitzen
vertreiben.
Wenn gleichwol ein Volk die Grenzen ſeines Ge-
biets durch Schmaͤlerung eines andern Territoriums
auf eine unrechtmaͤſſige Weiſe erweitert, und die Lande
anderer Nazionen in Beſitz nimt, ſo hat das Volk
deſſen Eigenthum ſie waren, das Recht, ſie wieder zu
verlangen [ius vindicandi] und wenn ſie ihm gutwillig
nicht zuruͤckgegeben werden, ſich durch gewaltſame
Mittel deren Beſitz wiederzuverſchaffen a]. Dieſes
Zuruͤckſoderungsrecht findet iedoch, wie ich ſchon oben
[1. Kap. §. 39.] erinnert habe, nach dem natuͤrlichen
Rechte, blos gegen den unredlichen Innhaber Statt,
der es dem andern entweder ſelbſt entzogen, oder doch
an ſich gebracht hat, da er wuſte, daß es einem andern
auf unrechtmaͤſſige Art genommen war.
Iſt das einem andern entriſſene Territorium bereits
in die Haͤnde eines redlichen Beſitzers gediehen, d. i.
eines ſolchen, der, nicht unterrichtet von der wider-
rechtlichen Entziehung, es von dem letzten Beſitzer auf
gehoͤrige Art, in der Ueberzeugung, daß iener der
wahre Eigenthuͤmer ſey, erworben hat, ſo kann der,
dem es von einem andern entzogen worden, ihm das
Land mit Gewalt nicht wieder abnehmen, ſondern muß
die ihm dadurch zugefuͤgte Beleidigung blos an dem
Beleidiger raͤchen, und durch dieſen wieder zu den Be-
ſitz ſeines vormaligen Eigenthums zu gelangen ſuchen;
denn der letzte redliche Beſitzer hat das Land durch recht-
O 3maͤſſigen
[214]Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
maͤſſigen Titel erworben und ſich eigen gemacht. Er
hat den erſten Eigenthuͤmer weder ſelbſt beleidigt, noch
Theil an den Ungerechtigkeiten des Beleidigers genom-
men. Ihm liegt auch nicht ob, bey ieder Erwerbung
erſt oͤffentlich anzufragen, ob einige Anſpruͤche darauf
vorhanden. Doch wird unter Voͤlkern mit ganzen
Laͤndern ſelten der Fall eintreten, daß ſie ohne Wiſſen
dem wahren Eigenthuͤmer entzogen, und ohne einige
Regung deſſelben, auf rechtsbeſtaͤndige Art, von einem
andern mit redlicher Ueberzeugung erworben werden
koͤnten a].
In Anſehung des, bey der Zuruͤckfoderung, von
dem letzten Beſitzer gehabten Aufwandes und der ge-
noſſenen Nutzungen macht man ebenfals einen Unter-
ſchied unter den redlichen und unredlichen Beſitzer. Er-
ſterer ſoll zwar die auf den Erwerb gewandten Koſten
verlieren, von den Nutzungen aber nur die noch vor-
handenen und die zu ſeiner Bereicherung angewandten
herauszugeben verbunden aber auch die erweißlichen
Verbeſſerungen in Gegenrechnung zu bringen berechtigt
ſeyn, dahingegen dem unrechtmaͤſſigen Beſitzer alles,
auſſer der unumgaͤnglich noͤthige Aufwand, abgeſpro-
chen wird b].
Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die europaͤiſchen
Nazionen bey dem Rechte der Zuruͤckfoderung mehr
dieienigen wilkuͤhrlichen Grundſaͤtze angenommen zu
haben ſcheinen, nach welchen dieſelbe wider ieden Be-
ſitzer unternommen werden kann c].
So wie es von der politiſchen Verfaſſung eines
ieden Staats abhaͤngt, ob den Unterthanen der Ankauf
unbeweglicher Guͤter in fremden Landen erlaubt ſeyn
ſoll a]; ſo ſteht es auch in dem Gutfinden eines ieden
Volks, ob es die in ſeinem Territorium vorhandenen
unangebauten Plaͤtze, als ein Privateigenthum, mit
Vorbehalt der Oberherſchaft b] oder auch den Beſitz
anderer Privatguͤter fremden Nazionen und deren ein-
zelnen Mitgliedern oder Gemeinheiten geſtatten oder
verſagen, und dem gemaͤs ſeinen Unterthanen der Ver-
aͤuſſerung halber die erfoderlichen Geſetze geben will c].
Zuweilen bedingen iedoch die Voͤlker ſich wechſelſeitig
die Freiheit dieſes Erwerbes fuͤr ihre Unterthanen d].
Es koͤnnen die Nazionen einander aber auch durch Ver-
traͤge verſprechen, daß ſie dieſer oder iener den Eigen-
thumserwerb in einem gewiſſen Territorium nicht erlau-
ben wollen e]. Da keine Nazion irgend ein Recht an
dem Territorialeigenthum der andern hat, ſo kann auch
keine, auſſer in den durch Vertraͤge bedungenen Faͤllen,
wider das Verbot oder die Verſtattung dergleichen
Privatbeſitzungen etwas einwenden f]. Uebrigens blei-
ben die von Auswaͤrtigen beſeſſenen Privatguͤter in
allen Stuͤcken der Oberherſchaft des Volks, dem das
Territorium gehoͤrt, unterworfen, und muͤſſen ledig-
lich nach den Landesgeſetzen behandelt werden g].
Zu den ausſchließlichen Rechten des Territorial-
eigenthums gehoͤrt das Befugnis der Nazionen, nach
Wilkuͤhr, Fremden fuͤr ihre Perſonen und Sachen,
den Eintritt in das Territorium zu erlauben oder zu
verſagen a]. Sie koͤnnen ſolchen entweder gaͤnzlich,
oder nur zu gewiſſen Zeiten b] und an beſtimten Or-
ten c] oder beſondern Gattungen von Perſonen d] un-
ter feſtgeſetzten Strafen verbieten, oder ihn nur unter
gewiſſen Bedingungen e] und nach vorgaͤngiger Anſu-
chung verſtatten. Auf ieden Fall ſind die Nazionen
dabey fuͤr ihre Sicherheit zu ſorgen und zu dem Ende
von dem Namen, Stande ꝛc. f] der ankommenden
Fremden die noͤthige Erkundigung einzuziehn, glaub-
wuͤrdige Paͤſſe g] von dem Orte der Herkunft zu ver-
langen, und andere dienſame Vorkehrungen deshalb
zu treffen berechtigt. Die Erlaubnis des Eintritts iſt
auch nie anders zu verſtehn, als daß dem Lande kein
Nachtheil und der Territorialhoheit kein Abbruch da-
durch zugefuͤgt werde h]. Auswaͤrtige Nazionen koͤn-
nen daher den Eintritt keinesweges als Recht fodern,
und die Verweigerung als Beleidigung anſehn, auſſer
wenn die Noth ſolchen erheiſcht; in welchem Falle ſie
ihn auch wohl mit Gewalt nehmen duͤrfen i]. Unter
den heutigen Voͤlkern in Europa pflegt in Friedenszei-
ten einzelnen Fremden, ohne beſonderes Anſuchen, der
Eintritt in das Territorium nicht leicht verſagt zu wer-
den,
[220]Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
den k], wenn ſie ſich den Geſetzen des Staats, wohin
ſie kommen, gehoͤrig unterwerfen l].
Mit dem Aufenthalte fremder Unterthanen in einem
andern Territorium hat es gleiche Bewandnis. Der-
ſelbe kann iedoch nicht fuͤglich verweigert werden, wenn
nothwendige Geſchaͤfte, Krankheit oder andere Um-
ſtaͤnde ihn unumgaͤnglich erfodern a]. Zuweilen wird
die wechſelſeitige Erlaubnis hierzu unter den Nazionen
auch wohl ausdruͤcklich bedungen b]. Wo aber uͤble
Abſichten bey dem Aufenthalte oder ſonſt unangenehme
Folgen zu beſorgen, ſteht es iedem Volke allerdings
frey, denſelben zu verbieten, [wenigſtens zu verkuͤrzen]
oder andere zweckdienliche Maasregeln dabey zu er-
greifen d].
Weniger kann der Durchzug durch das Territorium
zu Lande und zu Waſſer einem andern Volke und deſſen
Unterthanen in Friedenszeiten, ohne erhebliche Urſa-
chen, wenn ſie deſſen noͤthig haben a], verweigert wer-
den b]. Denn wenn auch eine Nazion ſelbſt mit der
andern nichts zu ſchaffen haben wolte, ſo muß doch
dieſer erlaubt ſeyn, das was ſie braucht anderswoher
zu holen und zu dem Ende ſich des Durchzuges zu be-
dienen, zumal wenn iener kein Nachtheil dadurch zu-
gefuͤgt wird c]. Damit er unbeſchadet der Souverai-
netaͤt geſchehe iſt uͤbrigens das Volk, durch deſſen Ter-
ritorium der Durchzug begehrt wird, allerdings berech-
tigt, gewiſſe Bedingungen dabey vorzuſchreiben d],
denen die andere Nazion ſich unterwerfen muß.
In wie ferne dieſes gegenſeitige Befugnis bey
Durchmaͤrſchen der Truppen, Tranſito der Waaren,
Durchfuͤhrung der Verbrecher und Verſtorbenen ꝛc.
ſeine Anwendung leide und den Territorialeigenthuͤmer
zu gewiſſen Entſchaͤdigungsfoderungen berechtige, ſoll
bey den einzelnen Hoheitsrechten unterſucht werden e].
Hier merke ich nur noch an, daß die Erlaubnis
des Durchzugs uͤberhaupt zuweilen ausdruͤcklich bedun-
gen zu werden pflegt, und dann um ſo weniger verſagt
werden darf f].
Durchreiſen einzelner Unterthanen in Geſchaͤften
koͤnnen in der Regel ebenfals nicht verwehrt werden;
bey Reiſen hingegen aus Neugier ꝛc. hat eine Nazion
mehrere Freiheit, ſie zu erlauben oder zu verbieten g],
kann es aber auch fuͤr keine Beleidigung anſehn, wenn
andere ihren Unterthanen die Bereiſung fremder Lande
unterſagen oder doch einſchraͤnken h].
Zu den hauptſaͤchlichſten Rechten des Eigenthums
uͤberhaupt und alſo auch des Territorialeigenthums der
Voͤlker gehoͤrt ferner der wilkuͤhrliche Gebrauch oder
Misbrauch und die Benutzung deſſelben, ſo, wie ſie
es ihrer Erhaltung und Vervolkomnung angemeſſen
finden. Es ſteht ihnen daher frey, alles, was zu die-
ſen Endzweck fuͤhrt zu thun oder zu laſſen und vermoͤge
der Oberherſchaft in ihrem Gebiete anzuordnen, ohne
daß andere Nazionen ihnen Einhalt thun duͤrften; es
muͤſte dieſen denn eine Beleidigung dadurch zugefuͤgt
werden, oder iene ihrer natuͤrlichen Freiheit zum Vor-
theil eines andern Volks ſich ausdruͤcklich begeben
haben a]. Zum Ueberflus und zu mehrerer Sicherheit
bedingen indes die Nazionen zuweilen ſich noch die
Ausuͤbung dieſes und ienes Rechts insbeſondere von
andern b].
Kein Volk kann auch von Natur auf die Benu-
tzung des Territoriums eines andern, oder auf die Aus-
uͤbung
[229]in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.
uͤbung irgend eines dahineinſchlagenden Hoheitsrechts
im eignen Namen, Anſpruch machen, noch iſt das an-
dere Volk verbunden ihm dergleichen zuzugeſtehn a].
Das Befugnis hierzu muß durch ausdruͤckliche oder
ſtilſchweigende Vertraͤge beſonders erworben werden,
und es haͤngt von der Wilkuͤhr der Nazionen ab, ob
und was fuͤr Rechte ſie andern in ihrem Territorium
einraͤumen wollen. Was iedoch allen uͤbrigen fremden
Nazionen in einem Lande erlaubt iſt, kann einer allein
nicht fuͤglich abgeſchlagen werden, wenn ſie durch vor-
herige Beleidigung ſich eine ſolche Behandlung nicht
zugezogen hat, ob ſie gleich das, was nur einigen aus
beſonderer Verguͤnſtigung zugeſtanden wird, nicht ver-
langen koͤnnen b]. Durch dieſe Geſtattung einzelner
zufaͤlliger Hoheitsrechte geſchieht indes der Souverai-
netaͤt uͤberhaupt kein Abbruch c]. Uehrigens iſt alles
das hieher zu wiederholen, was vormals [1. Th. 4. K.]
von der Freiheit der Nazionen ihre Handlungen nach
eignem Gefallen einzurichten, geſagt worden.
Die benachbarten Nazionen haben, der bloſſen
Nachbarſchaft wegen, hierzu kein ſtaͤrkeres Recht, wenn
auch das Territorium ganz mit den Landen eines andern
Volks umſchloſſen ſeyn ſolte a]. Sie koͤnnen zwar ver-
langen, daß der Nachbar ſein Territorium nicht zum
offenbaren Schaden gebrauche b] ihm iedoch nicht ver-
wehren, ſolche an ſich unſchaͤdliche Anſtalten zu treffen,
die er ſeinen Vortheilen angemeſſen findet, wenn auch
den benachbarten Nazionen dadurch ein gehofter Nutzen
entgehen und ihm alſo mittelbar einiger Nachtheil zu-
gefuͤgt werden ſolte c]. Denn mit eignem Schaden
iſt niemand verbunden des andern Vortheil zu befoͤr-
dern. Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die benach-
barten, beſonders maͤchtigern Nazionen, unter dem
Vorwand der Nachbarſchaftsrechte ſich nicht ſelten eins
und das andere herausnehmen d] und die mindermaͤch-
tigen oft etwas dulten, thun oder laſſen muͤſſen, wozu
ſie den Rechten nach eben nicht verbunden waͤren: wie
denn uͤberhaupt die Klugheit allerdings unter Nachbarn,
wegen der beſtaͤndigen Verbindungen und mannichfal-
tigen Verhaͤltniſſe, eine genauere Beobachtung der an
ſich unvolkomnen und ſogenanten Liebespflichten fodert.
Der Hauptgrund aller in eines endern Volks Ge-
biete auszuuͤbenden Gerechtſame beruht auf ausdruͤck-
liche oder ſtilſchweigende Einwilligung des Territorial-
eigenthuͤmers, d. i. auf Vertraͤge und Herkommen a].
Man giebt dieſen Rechten gewoͤnlich den Namen der
Voͤlkerdienſtbarkeiten [auf lateiniſch in einer etwas
uneigentlichen Bedeutung: Servitutes iuris publici oder
vielmehr iuris gentium b], und theilt ſie in Activ- und
Paſſiv-Dienſtbarkeiten. Erſtere ſind die, welche
ein Volk in eines andern Territorium auszuuͤben, und
letztere welche es von andern in ſeinen Landen zu dulten
hat. Ueberdies finden bey denſelben noch mancherley
Eintheilungen in verneinende [ſervitutes negativae]
wenn eine Nazion ein gewiſſes Recht z. B. Feſtungen,
Meſſen ꝛc. anzulegen, nicht ausuͤben darf, und beia-
hende [affirmativae] wenn ſie die Ausuͤbung irgend
eines Rechts von andern auf ihrem Territorium leiden
muß, in geiſtliche und weltliche, bey Lehen und Erb-
beſitzungen ꝛc. Statt c]. Auch auf dem Meere und Ge-
P 4waͤſſern
[232]Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
waͤſſern die eigentlich unter keiner Herſchaft ſtehen,
koͤnnen gewiſſe Arten von Voͤlkerdienſtbarkeiten einge-
fuͤhrt werden, wenn ein Volk ſich zu Gunſten anderer,
ſeiner natuͤrlichen Freiheit begiebt und verſpricht, in
einer beſtimten Gegend nicht zu fiſchen, zu ſchiffen ꝛc. d].
Alle dieſe Vertraͤge ſind jedoch nicht weiter auszudeh-
nen, als ihr ausdruͤcklicher Innhalt beſaget e].
Was bey dem Eintritt, Durchzuge und Aufenthalt
in einem andern Territorium bereits erinnert worden,
findet auch bey der Benutzung ſeine Anwendung, daß
naͤmlich im Nothfall a], wo es die Erhaltung unum-
gaͤnglich erfodert, einem Volke gar wohl erlaubt iſt,
des andern Lande zu gebrauchen, iedoch dergeſtalt daß
dieſem der dadurch verurſachte Schaden nachher wieder
erſetzt werde b].
Wenn ein Volk die Grenzen ſeines Gebiets in das
unſtreitige Territorium a] eines andern erſtrecket, ſich
unbefugt Handlungen und Gerechtſame in demſelben
anmaßt, oder andere an Ausuͤbung ihrer Rechte hin-
dert, ſo begeht es eine Verletzung des Territoriums b]
und fuͤgt der andern Nazion eine Beleidigung zu,
welche dieſe verhaͤltnismaͤſſig zu ahnden c] gleiches mit
gleichem zu vergelten d] oder, wenn alle guͤtliche und
gelinde Mittel nichts fruchten, ſich Genugthuung e]
mit Gewalt zu verſchaffen berechtigt iſt f]. Zwiſchen
Nachbarn fallen dergleichen Verletzungen oͤfters vor.
Da ſolche vielmals aus bloſſer Unwiſſenheit, Verſehn
und Uebereilung g] der Unterthanen oder Beamten an
den Grenzen geſchehen, ſo wird nicht ſelten in voraus
feſtgeſetzt, wie man ſich in dergleichen Faͤllen, zu Ver-
huͤtung groͤſſern Misverſtaͤndniſſes, zu verhalten habe h].
Dritte Nazionen nehmen ohne beſondere Veranlaſſung,
an dieſen, ſo wie an andern Streitigkeiten gewoͤnlich
keinen Theil i].
Ein Volk, welches ein Recht auf das Eigenthum
oder den Beſitz eines Territoriums oder auf die Aus-
uͤbung irgend eines Hoheitsrechts in demſelben hat, oder
zu haben vorgiebt, welches von andern beſeſſen oder
ausgeuͤbt wird, macht Anſpruͤche darauf. Wie dieſe
durch guͤtliche oder gewaltſame Mittel zu verfolgen und
die diesfalſigen Beſchwerden zu erledigen, davon wird
kuͤnftig umſtaͤndlicher zu handeln ſeyn. Indes pflegen
die Nazionen zu Sicherung gegen dergleichen beſonders
ungegruͤndete Anſpruͤche ſich gemeiniglich von andern
den
[240]Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
den wechſelſeitigen Schutz bey ihren Beſitzungen und
deren Benutzung, auch Beiſtand im Fall eines thaͤtli-
chen Angrifs verſprechen zu laſſen. Dieſe letztern Ver-
traͤge ſollen den Gegenſtand des folgenden Kapitels
ausmachen.
Die teutſchen und andern Landesherrn genießen in
ihren Landen gegen auswaͤrtige Nazionen in allen vor-
beruͤhrten Gegenſtaͤnden mit dieſen gleiche Rechte, und
ſind daher nicht verbunden, wider ihren Willen, einem
fremden Volke die Ausuͤbung irgend eines Rechts auf
ihren Territorien im eignen Namen einzuraͤumen, ſon-
dern berechtigt, ſich gegen alle Beeintraͤchtigungen der-
ſelben, auf alle ſonſt erlaubte Art zu ſchuͤtzen a]. Im
aͤuſſerſten Falle koͤnnen Kaiſer und Reich, auf behoͤri-
ges Anſuchen, oder von freien Stuͤcken, ſich nicht ent-
brechen, die Staͤnde bey ihren Rechten zu handhaben
und ihnen gegen auswaͤrtige Eingriffe den erfoderlichen
Beiſtand angedeihen zu laſſen b]. Wenn hingegen
ein teutſcher Landesherr ſich in dem Gebiete anderer
Nazionen zu viel herausnimt, koͤnnen auch dieſe ent-
weder ſelbſt ſich ſogleich Genugthuung verſchaffen, oder
ihre Beſchwerden bey dem Reiche anbringen c]. In
wie ferne uͤbrigens die teutſchen Landesherrn befugt
ſind, auswaͤrtigen Nazionen durch Vertraͤge einige Ge-
rechtſame und gewiſſe ſogenante Voͤlkerdienſtbarkeiten
auf dem Reichsterritorium einzuraͤumen, muß nach den
Grundſaͤtzen des teutſchen Staatsrechts, aus den Lehns-
und andern Verbindungen, worinn ſie mit dem teut-
ſchen Reiche ſtehen und welchen dadurch kein Nachtheil
zugefuͤgt werden darf, beurteilt werden d]. Eben ſo
gehoͤrt
[241]in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.
gehoͤrt die Eroͤrterung derienigen Rechte, und ſogenan-
ten Reſervaten, welche dem Kaiſer, als Oberhaupt
von Teutſchland, in den Territorien der einzelnen
Reichsſtaͤnde und Landesherrn theils als Ueberbleibſel
ſeiner ehemaligen weitumfaſſenden Macht, theils ver-
moͤge beſonderer Vertraͤge und Herkommen, zuſtehen,
in die Lehre des teutſchen Staatsrechts e].
Die Landesherrn eines naͤmlichen Staats unter ein-
ander muͤſſen in Abſicht auf die Erſtreckung ihrer Ho-
heitsrechte in der Mitſtaͤnde Lande vor allen Dingen
die in den Reichsgrundgeſetzen enthaltenen Vorſchriften
befolgen, und koͤnnen nur dann nach dem Voͤlkerrechte
handeln, wenn iene hierunter nichts beſtimmen und
ihrer Freiheit uͤberhaupt keine Schranken ſetzen. In
Teutſchland ſtehen den Landesherrn nach der Reichsver-
faſſung, beſonders auch vermoͤge kaiſerlicher Privile-
gien, mancherley Gerechtſame in den Territorien an-
derer zu, die keinesweges nach den Grundſaͤtzen des
Voͤlkerrechts beurteilt werden koͤnnen, und mit Recht
den Namen der Staatsrechtsdienſtbarkeiten verdie-
nen f]. Es giebt aber auch noch Faͤlle genug, worinn
die teutſchen Landesherrn nach freier Wilkuͤhr handeln
und andern dieſes oder ienes Recht zugeſtehn oder ver-
ſagen koͤnnen g]. Dieſe andern eingeraͤumte Ausuͤbung
einzelner Hoheitsrechte ſchadet uͤbrigens der Landesho-
heit eben ſo wenig, als der Souverainetaͤt unter unab-
haͤngigen Nazionen h]. Beſchwerden uͤber die zu weite
Ausdehnung ſolcher Gerechtſame und uͤber die Verle-
tzung des Tetritoriums uͤberhaupt kommen auch unter
den teutſchen Reichsſtaͤnden oͤfters vor i] und es finden
dabey eben dieienigen Rechtsmittel Statt, welche oben
bey den Grenzſtreitigkeiten bemerkt worden k].
Um in Beſitz und Benutzung der Lande, beſonders
ſolcher die durch Krieg oder auf andere Art erſt
neu erworben worden, gegen Anſpruͤche und Eingriffe
deſto ſicherer und ungeſtoͤrter zu ſeyn, pflegen die Na-
zionen in Friedensſchluͤſſen, Buͤndniſſen und andern
Vertraͤgen a], auch wohl in beſondern Urkunden b] ein-
ander zu verſprechen, ſich bey dem ruhigen Beſitz ihrer
Lande gegen alle Beeintraͤchtigungen wechſelſeitig zu
ſchuͤtzen c], welches man die Landesgarantie nennt.
In Abſicht auf die Dauer der Zeit, und auf den
Umfang der Lande, welche ſie auf beiden Seiten zum
Gegenſtand haben, finden bey dieſer Garantie ver-
ſchiedene Eintheilungen in beſtaͤndige und zeitige,
algemeine und eingeſchraͤnkte, gleiche und ungleiche
Statt.
Die Dauer dieſer Garantieen beruht auf den Inn-
halt der Vertraͤge und auf die uͤbrigen dabey eintreten-
den Umſtaͤnde. Sind ſolche ausdruͤcklich fuͤr immer
errichtet a] oder wenigſtens auf keine beſtimte Zeit ein-
geſchraͤnkt, auch den Umſtaͤnden nach nicht ſo zu ver-
ſtehen b], ſo dauert die Verbindlichkeit der Garantie
beſtaͤndig fort. Iſt aber die Garantie, oder der Ver-
trag, worinn dieſe mit bedungen worden, nur auf ge-
wiſſe Jahre eingegangen c], wie dies bey den gewoͤhn-
lichen Allianzen zu geſchehen pflegt d] oder die Umſtaͤnde
werden gaͤnzlich veraͤndert, ſo hoͤrt mit ihnen zugleich
die Garantie der Lande auf e].
Die Garantieen erſtrecken ſich entweder auf alle von
den Theilhabenden Nazionen in und auſſerhalb Europa
beſitzenden a] oder nur auf gewiſſe benante Lande b].
Zuweilen uͤbernimt auch wohl der eine Theil eine weit-
umfaſſendere Garantie, als der andere dagegen ver-
ſpricht c]. Es komt hierbey alles auf den Inhalt der
desfals errichteten Vertraͤge an d].
Eigentlich gehen die Garantieen nur auf dieienigen
Lande in deren ruhigem Beſitz eine Macht ſich bey Er-
richtung des Garantievertrages befindet, wie dies oͤfters
ausdruͤcklich bemerkt zu werden pflegt a]. Doch ge-
ſchieht es auch wohl, daß eine Nazion die Garantie
ſolcher Lande uͤbernimt, deren Eigenthumsrecht noch
nicht entſchieden und der Beſitz daher ſtreitig iſt b] oder
auch ſolcher, deren Beſitz die andere Nazion erſt kuͤnf-
tig zu hoffen hat c]. Da es, bey entſtehenden Strei-
tigkeiten, ſchwer zu beſtimmen iſt, welcher Theil das
ſtaͤrkſte Recht an einem Lande habe, ſo haͤngt es von
dem Gutbefinden eines ieden Volks ab, ob es ſich zur
Garantie des einſtweiligen Beſitzes, nicht ſowohl gegen
Recht, als nur gegen unerlaubte Gewalt verſtehen
wolle; doch kann den gegruͤndetern Rechten eines drit-
ten dadurch nie einiger Nachtheil zugefuͤgt werden d].
Keine Nazion iſt von Natur verbunden, andere
bey dem ruhigen Beſitz ihrer Lande zu ſchuͤtzen, ob ſie
gleich ſelbſt ſich aller Stoͤhrungen, ohne hinlaͤnglichen
Grund enthalten muß. Eine ſolche Garantie kann da-
her auch von andern nicht als Schuldigkeit verlangt,
ſondern muß durch ihre Einwilligung erworben werden.
In
[252]Von Garantirung der Lande.
In den diesfals errichteten Vertraͤgen, worauf es hier-
bey hauptſaͤchlich ankomt, werden gemeiniglich die Be-
dingungen feſtgeſetzt, unter welchen die Huͤlfsleiſtung
gegen Beeintraͤchtigungen und Angriffe erfolgen ſoll,
auch die Staͤrke der Huͤlfe und die Art der Leiſtung be-
ſtimt. Bey eintretenden Umſtaͤnden komt es zwar auf
die in Gefahr ſich befindende Nazion an, ob ſie den
von andern ihr verſprochenen Beiſtand fodern will oder
nicht. Dieſen ſteht aber, wenn der Vertrag nicht
ganz allgemein abgefaſt iſt, allerdings auch frey zu un-
terſuchen: ob der bedungene Fall der Huͤlfsleiſtung
wuͤrklich vorhanden ſey? a] Dieſer Umſtand und an-
dere hierunter moͤgliche Ausfluͤchte und Hinderniſſe b]
ſind denn freilich ſehr oft Urſach, daß die erwartete
Garantie, zumal wenn es bey dem andern Theile am
guten Willen fehlt, entweder gar keine Wuͤrkung hat,
oder doch nicht zum gehoͤrigen Zeitpunct c]. Wenn
uͤbrigens ein Volk andern Lande zu garantiren ver-
ſpricht, woran es vorher ſelbſt Anſpruͤche machte, oder
zu haben glaubte, ſo laͤßt ſich daraus ohnſtreitig eine
Verzichtleiſtung dieſer Anſpruͤche folgern, es muͤſte
denn zur Zeit der uͤbernommenen Garantie noch keine
Wiſſenſchaft davon gehabt und das Recht darauf erſt
nachher erlangt, auch dabey ausdruͤcklich allen ſeinen
bekanten und unbekanten Rechten nicht entſagt haben d].
Jedoch hindert die Garantie an ſich keinesweges, daß
eine Nazion uͤber die ihr garantirten Lande nicht nach
Wilkuͤhr ſchalten koͤnte, und ſelbſt der garantirenden
nicht frey ſtehen ſolte, mit Einverſtaͤndnis der andern,
etwas davon an ſich zu bringen e].
Teutſchland hat in Anſehung der Landesgarantieen
unſtreitig das Recht iedes andern unabhaͤngigen Volks a].
Auch deſſen einzelnen Landesherrn ſtehet es, vermoͤge
des ihnen zukommenden Kriegs. Friedens- und Buͤnd-
nisrechts mit Auswaͤrtigen, frey, die Gatantie deren
Lande zu uͤbernehmen b]. Gegen die von letztern ſich
zu bedingende Garantie ihrer Reichslande ſcheint dar-
um einiges Bedenken obzuwalten, weil die Entſchei-
dung der uͤber den Beſitz entſtehenden Streitigkeiten
der hoͤchſten Gerichtsbarkeit im teutſchen Reiche unter-
worfen iſt c], wenigſtens kann die Garantie ſtreitiger
Lande hier nicht Statt finden d]. Dies laͤßt ſich auch
von den Landesherrn gegen einander behaupten.
Ein vorzuͤgliches Augenmerk verdienen nunmehro die
Mitglieder der Nazion, welche ihren Willen und
ihre Kraͤfte zum algemeinen Beſten unter eine Ober-
herſchaft vereinigt haben, und uͤberhaupt alle Landes-
bewohner, in ſofern ſie naͤmlich einen Gegenſtand wech-
ſelſeitiger Rechte und Verbindlichkeiten unter den Na-
zionen ausmachen. Unter den Landesbewohnern ver-
ſtehe ich hier, im weitlaͤuftigen Sinne und im Gegen-
ſatz der Auswaͤrtigen, alle dieienigen Perſonen und
Familien, welche ſich in einem Lande entweder beſtaͤn-
dig oder nur eine Zeitlang aufhalten, ſie moͤgen darinn
gebohren
[256]V. d. verſchiedenen Gattungen d. Landesbew.
gebohren oder anderswoher aufgenommen ſeyn. Dieſe
Umſtaͤnde veraͤndern indes allerdings die Verhaͤltniſſe
und beſtimmen die verſchiedenen Gerechtſame derſelben
ſowohl in Abſicht der Nazion, deren Mitglieder ſie
ſind, als der, wo ſie ſich aufhalten, oder anderer und
deren einzelne Glieder. Um die letztern deſto beſſer
beurteilen zu koͤnnen, iſt es noͤthig, zufoͤrderſt die aus
den erſtern flieſſenden Begriffe feſtzuſetzen.
Die Landesbewohner beſtehen theils aus Einheimi-
ſchen, theils aus Fremden. Einheimiſche ſind die-
ienigen, welche ihre beſtaͤndige Heimath oder Wohnung
[domicilium] in einem Lande haben a], Fremde, wel-
che ſich nur einige obſchon lange Zeit darinn, gewiſſer
Geſchaͤfte wegen, aufhalten und daſelbſt wohnen, ohne
die Abſicht zu haben, ſich beſtaͤndig niederzulaſſen, und
Mitglieder des Staats oder nur Einwohner zu werden b].
Die Einheimiſchen koͤnnen wieder entweder im
Lande, oder auch auswaͤrts aber von Eltern, die ihre
beſtaͤndige
[257]u. d. Gerechtſ. d. Voͤlker in Abſicht derſelben ꝛc.
beſtaͤndige Wohnung in dem Lande haben, gebohren
ſeyn a]; oder ſie haben ſich von andern Orten her da-
ſelbſt niedergelaſſen. Die erſtern werden Einge-
bohrne, die andern Auslaͤnder genannt. Das Land,
in welchem die Eltern zur Zeit der Geburt ihren feſten
Wohnſitz hatten, heißt ihr Vaterland, wiewohl man
im weitlaͤuftigern Verſtande dafuͤr auch das Land an-
nimmt, wo einer ſelbſt ein Mitglied des Staats iſt
und ſeine Wohnung hat.
Alle Einheimiſche ſind zwar Mitglieder des Staats,
ſie genieſſen aber nicht alle immer gleiche Rechte. Die-
ienigen, welche an allen Vortheilen der Staatsverbin-
dung Theil nehmen, und ſowohl in perſoͤnlicher Ruͤck-
ſicht, als in Beſetzung der Aemter, des Guͤterbeſitzes
und andern Stuͤcken ſich gewiſſer Vorzuͤge zu erfreuen
haben, werden Buͤrger [cives] genennt. Die, denen
zwar
[259]u. d. Gerechtſ. d. Voͤlker in Abſicht derſelben ꝛc.
zwar erlaubt iſt, ihre Wohnung in einem Lande auf-
zuſchlagen, aber nicht alle, ſondern nur gewiſſe Vor-
theile von geringerm Grade, nach Vorſchrift der Lan-
desgeſetze, zugeſtanden werden, ſind bloſſe Einwoh-
ner [incolae]. Welche Guͤter in einem Lande beſitzen,
aber nicht daſelbſt wohnen, heiſſen Anſaͤſſige [forenſes]
und koͤnnen eigentlich auf keine perſoͤnlichen, ſondern
nur auf ſolche Vortheile Anſpruch machen, welche der
Guͤterbeſitz gewaͤhrt. Gemeiniglich wiederfahren den
Eingebohrnen beſonders iene Vorzuͤge. Ob und in
wieferne iedoch zuweilen auch die bloſſe Wohnung oder
die Anſaͤſſigkeit einen des Buͤrgerrechts theilhaftig
mache, komt auf die beſondern Landesverfaſſungen an.
Dieienigen, welche nirgends einen beſtaͤndigen
Wohnſitz haben, ſondern hie und da herumziehn und
nur eine Zeitlang ſich aufhalten, heißt man Vaga-
bonden, Landſtreicher, Landlaͤufer. Man ſieht
indes gewoͤnlich die durch die Geburt von der Natur
ihm angewieſene Heimath ſeiner Eltern auch ſo lange
fuͤr die ſeinige an, als er ſie nicht in der Abſicht auf-
gegeben hat, nirgends ſich haͤuslich niederzulaſſen.
Dahin werden unter andern herumziehende Comoͤdian-
ten und Gaukler, Marktſchreier, Zigeuner, Bettler ꝛc.
gerechnet.
Wenn ein Mitglied des Staats ſich veranlaßt ſieht,
ſeinen bisherigen Wohnſitz zu verlaſſen, ſo nennt man
ihn einen Exulanten [Exul]. Geſchieht es aus recht-
maͤſſigen Urſachen um anderswo ſich niederzulaſſen, ſo
wird er mit dem Namen eines Emigranten belegt;
wer ſich hingegen von einer Nazion wegen Verbrechen
auf eine unerlaubte Art trennt, iſt ein Fluͤchtiger,
Ausgetretener [fugitivus]. Beide Faͤlle ſind iedoch
ein freiwilliges Exilium [exilium voluntarium].
Wird einer aber vom Staate genoͤthigt, das Land, wie-
wohl ohne Verletzung ſeiner Ehre zu verlaſſen, ſo tritt
ein unwilkuͤhrliches Exilium [invitum] ein, und er
iſt ein Verwieſener oder Vertriebener. Iſt der
Verluſt der Ehre damit verbunden, ſo heißt man es
eine Verbannung.
Wer der Oberherrſchaft im Staate unterworfen
iſt und derer Befehlen und Anordnungen gehorchen
muß, wird Unterthan [ſubditus] genennt. Das
Weſen der Staatsvereine erfodert, daß alle einzelne
Landesbewohner, ſie moͤgen Einheimiſche oder Fremde
ſeyn, ſo lange ſie Mitglieder des Staats ſind, oder
im Lande ſich aufhalten [ſubditi temporarii] dieſe
Oberherſchaft anerkennen, ſo wie ſie alle auf gleichen
Schutz und Sicherheit Anſpruch zu machen berechtigt
ſind; obgleich die letztern zu den Staatslaſten und per-
ſoͤnlichen Beſchwerungen nicht gezogen werden koͤnnen,
denen die wuͤrklichen Mitglieder des Staats unterwor-
fen ſind. Den Fremden wird, wie ich ſchon oben er-
innert habe, unter keiner andern Bedingung der Ein-
tritt und Aufenthalt in dem Territorium verſtattet, als
daß ſie ſich und ihre Handlungen, welche hier eine
rechtliche Wuͤrkung haben koͤnnen und ſollen, den Vor-
ſchriften und Einrichtungen unterwerfen, welche die
oberſte Gewalt zum Beſten des Staats zu machen fuͤr
gut angeſehen hat. Sie machen ſich daher durch den
Eintritt ſtillſchweigend darzu verbindlich.
Eine Nazion hat, vermoͤge ihrer Freiheit und Un-
abhaͤngigkeit das Recht, in ihrem Lande ſowohl in Ab-
ſicht der Mitglieder und Unterthanen, als der Frem-
R 3den
[262]V. d. verſch. Gattungen d. Landesbewohner
den die in ihr Territorium kommen, alle diejenigen An-
ſtalten zu machen, welche ihr zum Wohl des Staats
gutduͤnken, ohne daß eine andere Nazion deshalb Ziel
und Maas ſetzen koͤnte; obgleich ſolche den bey dieſer
angenommenen Grundſaͤtzen entgegen ſind: denn es
haͤngt von ihr ab, ob ſie ihren Unterthanen unter dieſen
Verhaͤltniſſen den Aufenthalt daſelbſt verſtatten, und
ob die letztern durch den Eintritt in das Territorium
ſich den Vorſchriften unterwerfen wollen. Doch darf
allerdings den etwa vorhandenen Vertraͤgen kein Nach-
theil oder dem andern Volke und ſeinen Unterthanen
keine offenbare Beleidigung dadurch zugefuͤgt werden.
Dadurch, daß ein Mitglied der Nazion, welches
in ein fremdes Territorium, nicht in der Abſicht um
daſelbſt beſtaͤndig zu wohnen, ſondern nur um Ge-
ſchaͤfte willen, auf eine Zeitlang ſich begiebt, als zei-
tiger Unterthan den Geſetzen dieſes Landes gehorchen
muß, wird die vorige Verbindung zwiſchen dem Volke,
deſſen Mitglied er iſt, nicht gaͤnzlich aufgehoben, ſon-
dern es bleiben allerdings wechſelſeitige Rechte und
Pflichten, die aber nur inſoweit wuͤrkſam ſeyn koͤnnen,
als ſie den Geſetzen des Volks, wo der Fremde ſich
aufhaͤlt, keinen Eintrag thun. Die uͤbrigen Rechte
ienes Staats ruhen in dieſer Beziehung einſtweilen.
Der
[263]u. d. Gerechtſ. d. Voͤlker in Abſicht derſelben ꝛc.
Der Fremde kann daher von Rechtswegen auf keinen
der Vortheile in einem andern Territorium Anſpruch
machen, die ihm, nach der Verfaſſung ſeines Landes
zukommen. Was ihm hierunter, beſonders nach den
heutigen Grundſaͤtzen der europaͤiſchen Nazionen, ein-
geraͤumt wird, beruht auf eine herkoͤmliche Gefaͤlligkeit,
welche den geſelſchaftlichen Verbindungen gemaͤs wech-
ſelſeitig ausgeuͤbt wird. Ueber auswaͤrtige Unterthanen
aber kann kein Volk, wenn ſie nicht in ſein Land kom-
men, ſich irgend eines Rechts anmaaſſen, oder ſich in
die dieſelben betreffende Einrichtungen und in die Ver-
haͤltniſſe der Unterthanen zu ihrer Oberherrſchaft miſchen,
wenn es nicht durch Vertraͤge, durch Anſuchen ein und
des andern Theils oder durch ein gemeinſames Intereſſe
dazu veranlaßt worden.
Dieſe Eintheilungen und Gerechtſame finden groͤ-
ſtentheils auch in Teutſchland und unter den teutſchen
Landesherrn Statt; nur kann man hier in noch meh-
rerm Sinne als Fremder, Buͤrger ꝛc. betrachtet werden,
theils in Ruͤckſicht des ganzen Reichs, theils einzelner
Provinzen ꝛc.; und dann hat, vermoͤge der Staats-
verfaſſung, manche Einrichtung hierunter in den ge-
ſamten Reichslanden eine geſetzliche Kraft, deren An-
erkennung bey voͤllig unabhaͤngigen Nazionen auf bloſſe
Wilkuͤhr beruhet.
Alle Mitglieder des Staats zuſammen als eins be-
trachtet, machen den Koͤrper des geſamten Volks
[populus] oder der Nazion im engern Sinne aus,
deſſen Verhaͤltnis zur Oberherrſchaft durch gemeinſchaft-
liche Vertraͤge oder ſogenante Reichsgrundgeſetze beſtimt
zu werden pflegt. Wegen der Unbequemlichkeit ganzer
Volksverſamlungen ſind heutzutage bey den Nazionen,
wo die beſondere Einwilligung des Volks zu Ausuͤbung
einzelner Hoheitsrechte noͤthig iſt, meiſtens nur gewiſſe
Perſonen oder Gemeinheiten auserſehn, welche unter
dem Namen der Reichs- oder Landſtaͤnde, erfoderlichen
Falls, das geſamte Volk darſtellen, die Obſorge fuͤr
die dieſem zuſtehenden Gerechtſame tragen und den An-
theil
[265]in Abſ. d. geſ. Volks u. der es darſtell. Staͤnde.
theil beſorgen, der ihm, nach der Staatsverfaſſung,
an der Regierung zugeſtanden iſt.
Die geſamte Volksmenge und ihre Repraͤſentanten
ſind bey allen europaͤiſchen Nazionen einander gleich,
ſo daß keine Rangordnung, wie bey ihren Souverai-
nen, Statt findet, wenn ſie in Verhaͤltnis gegenein-
ander dargeſtelt oder ihrer in Vertraͤgen gedacht werden
ſoll a]. Sie beſtehn alle aus freien von einander un-
abhaͤngigen Menſchen, und auch das Herkommen hat
hier nicht wie bey ienen einen gewiſſen Vorrang einge-
fuͤhrt. Nur in Anſehung Teutſchlands und ſeiner
Staͤnde leidet dies einige Ausnahme, indem dieſe,
ihrer anſehnlichen Vorrechte wegen b] dergleichen nicht
nur verlangen, ſondern auch zum Theil hergebracht
haben c]. Die Kurfuͤrſten, Fuͤrſten, Herzoge und an-
dere teutſche Reichsſtaͤnde, welchen das Recht des
Krieges, Friedens und der Buͤndniſſe, ſogar mit aus-
waͤrtigen Nazionen, zuſteht, wollen den Reichsſtaͤnden
in andern Reichen, wenn ſie ſonſt auch noch ſo ange-
ſehn ſind und zum Theil gleiche Namen fuͤhren, keines-
weges den Vorrang laſſen d] und es wird ihnen ſolcher
auch ſonſt durchgaͤngig nicht ſtreitig gemacht. Uebri-
gens iſt es ieder Nazion unverwehrt, der geſamten
Volkſchaft eines Staats vor andern bey ſich gewiſſe
Vorzuͤge einzuraͤumen.
Dieſe Gleichheit berechtigt das geſamte Volk iedoch
nicht, eben die Rechte bey andern Nazionen zu ver-
langen, welche dieſe einem oder dem andern Volke ein-
geraͤumt haben, ſondern es haͤngt von der Wilkuͤhr der
Nazionen ab, was fuͤr Rechte und Freiheiten ſie einem
ieden Volke in ihren Staaten zugeſtehn wollen, und
es kann ihnen nicht verwehrt werden, einem mehrere
Gerechtſame in Handels- und dergleichen Angelegen-
heiten zu goͤnnen. Da keine Nazion hierunter zu et-
was weiter, als zu Beobachtung der algemeinen Pflich-
ten, die freilich gegen alle gleich ſind, verbunden iſt,
ſo muß eine mehrere Verbindlichkeit lediglich durch
Vertraͤge erworben werden a].
Noch weniger koͤnnen Nazionen und ihre Mitglie-
der, die in ein fremdes Territorium entweder nur eine
Zeit-
[268]Von d. Rechten der Nazionen gegen einander
Zeitlang, oder um daſelbſt beſtaͤndig zu wohnen kom-
men, verlangen, daß ihnen die Rechte und Vortheile
der Eingebohrnen, welche man unter dem Namen des
Indigenats begreift, zugeſtanden werden ſollen.
Zuweilen bringt es die Verfaſſung des Landes mit ſich,
daß die bloſſe Aufnahme eines Fremden als Unterthan
ihm iene Rechte gewaͤhrt a]. Gemeiniglich aber wird
eine beſondere Verguͤnſtigung, welche Naturaliſation
heißt, und einzelnen Perſonen oder Familien meiſt in
eignen Urkunden oder ſogenannten Naturaliſations-
briefen, ertheilt werden, hierzu erfodert. Dieſe Na-
turaliſation begreift gewoͤnlich alle Rechte der Einge-
bohrnen in ſich, doch giebt es bey einigen Nazionen
gewiſſe Grade derſelben, die den Fremden bald mehrere
bald mindere Gerechtſame beilegen b]. Dergleichen
Naturaliſation wiederfaͤhrt entweder ganzen Nazionen,
ſo daß alle Glieder derſelben als Eingebohrne anzuſehn
ſind c]; oder allen Fremden, die ſich in einem Lande
niederlaſſen, entweder nur von einer gewiſſen Gat-
tung d] oder ohne Unterſchied e], oder es werden auch
nur einzelne Perſonen und Familien mit dem Indigenat
in einem Lande begnadigt f].
Was die Darſtellung des geſamten Volks durch ge-
wiſſe Repraͤſentanten oder die Staͤnde anlanget, ſo
hat auch hierinn keine auswaͤrtige Nazion etwas zu
ſagen, wenn ſie nicht ſelbſt oder ihre Glieder, wegen
des Beſitzes gewiſſer Guͤter oder aus einem andern recht-
maͤſſigen Grunde, an der Standſchaft Theil zu neh-
men befugt iſt. Bekantlich beſitzen verſchiedene aus-
waͤrtige Souverains zugleich in Teutſchland ſolche
Reichslande, auf welchen das Recht der Standſchaft
mit Sitz und Stimme auf dem Reichstage haftet a];
auch giebt es Faͤlle, daß teutſche Reichsſtaͤnde zugleich
als
[271]in Abſ. d. geſ. Volks u. d. es darſtell. Staͤnde.
als Staͤnde auswaͤrtiger Reiche aufgenommen wer-
den b]. Wenn einem Auswaͤrtigen ein ſolches Sitz
und Stimmfaͤhiges Land auf irgend eine geſetzmaͤſſige
Art zufaͤlt, ſo kann ihm das Recht der Reichsſtand-
ſchaft nicht verſagt werden, wenn er ſich deſſen nicht
freiwillig begiebt c] oder beſondere Reichsgrundgeſetze
deshalb vorhanden ſind d].
In wie ferne das geſamte Volk, als ein ſelbſtſtaͤn-
diger Koͤrper betrachtet, durch ſeine Repraͤſentanten die
Staͤnde,
[272]Von d. Rechten der Nazionen gegen einander
Staͤnde, befugt ſey, ohne Zuziehung des Reichsober-
haupts, oder gemeinſchaftlich mit ihm, in Unterhand-
lungen und Vertraͤge mit auswaͤrtigen Nazionen ſich
einzulaſſen, und dieſe ſich alſo an iene wenden koͤnnen;
ob daher das Unternehmen des Volks und der auswaͤr-
tigen Nazion als erlaubt oder unerlaubt und fuͤr eine
Beleidigung ienes Souverains anzuſehn ſey? komt
auf die Grundvertraͤge des Staats an. Sind derglei-
chen Verhandlungen dieſen nicht zuwider, ſo koͤnnen
ſolche, wenn ſie nicht zum Nachtheil des Staats gerei-
chen, der andern Nazion nicht fuͤglich als Beleidigung
angerechnet werden a]. Im teutſchen Reiche, in Po-
len ꝛc. komt dieſer Fall am haͤufigſten vor.
Was fuͤr Rechte und Freiheiten dem geſamten
Volke und deſſen Staͤnden, im Verhaͤltnis zur Ober-
herſchaft, in iedem Staate gebuͤhren, beruht ebenfals
auf die unter ihnen errichteten Grundvertraͤge und wird
in dem Staatsrechte gelehrt. Andere Nazionen haben
weder in Anſehung deren Errichtung noch Beobachtung
einige Rechte, wenn ſie nicht durch beſondere Vertraͤge
oder eine uͤbernommene Garantie ſolcher Rechte und
Freiheiten a] auf Erſuchen beider, oder eines und des
andern Theils, oder auch des algemeinen Beſten hal-
ber dazu veranlaßt werden b].
Es iſt aber keinesweges, zumal in Friedenszeiten,
erlaubt, das Volk eines andern Staats durch gehaͤſ-
ſige Inſinuationen, Beſtechungen und andere Vorſpie-
gelungen zu Beſchwerden gegen die Oberherſchaft,
oder gar zur Untreue und zum Aufruhr gegen dieſelbe
zu verleiten a]. Indes fehlt es doch auch nicht an
Beiſpielen hiervon in der Geſchichte b]. Gegen ein
ſolches Benehmen ſind, wegen der uͤblen Folgen fuͤr
die algemeine Ruhe, die ſchaͤrfſten Ahndungen erlaubt.
Wenn gleichwohl Aufruhr und Empoͤrung in einem
Staate entſtehen, indem ein Theil des Volks der recht-
maͤſſigen Oberherſchaft den ſchuldigen Gehorſam auf
eine unrechtmaͤſſige Art zu entziehen ſucht, ihr auch
wohl Gewalt entgegen ſetzt a]; ſo duͤrfen andere Nazio-
nen ſich ebenfals darein nicht miſchen, noch weniger
den Rebellen einigen Vorſchub an Gelde, Unterhalt,
Kriegsbeduͤrfniſſen leiſten, ſie mit Rath und That un-
terſtuͤtzen, oder ihnen auch nur Aufenthalt und Sicher-
heit bey ſich verſtatten b]. Beſondere Vertraͤge und
Garantieen c], das Anſuchen der ſtreitigen Theile d]
und die Erhaltung der algemeinen Ruhe e] machen iedoch
auch hier eine Ausnahme. So feſt dieſes auch ſchon
in den Vorſchriften des natuͤrlichen Voͤlkerrechts ge-
gruͤndet iſt, und von den meiſten Nazionen beobachtet
wird f]; ſo werden doch auch in den Vertraͤgen der
Nazionen haͤufig daruͤber noch ausdruͤckliche Verabre-
dungen getroffen g], da die Erfahrung gelehrt hat, daß
Nazionen zuweilen kein Bedenken tragen, ſich ſolcher
Rebellen heimlich oder oͤffentlich anzunehmen und ſie
zu unterſtuͤtzen h]. Bloſſe Interceſſionen fuͤr die Re-
bellen in Anſehung ihrer Beſtrafung koͤnnen indes nicht
fuͤglich als eine Theilnahme angeſehn werden i]. Ueb-
rigens iſt es nicht ungewoͤnlich, daß eine Nazion der
andern von den bey ihr entſtehenden Unruhen Nachricht
ertheilt k].
Ein anderer Fall iſt es, wenn das geſamte Volk
oder deſſen Repraͤſentanten, wegen unertraͤglicher Be-
druͤckungen und tyranniſcher Behandlungen oder ande-
rer offenbar grundgeſetzwidriger, dem Wohl des Staats
entgegenlaufender Unternehmungen der Oberherſchaft,
ſich berechtigt glauben, ihr den Gehorſam gaͤnzlich auf-
zuſagen, ſich fuͤr unabhaͤngig zu erklaͤren oder einem
andern Regenten zu unterwerfen oder wenigſtens dem
vorigen, mit Umwerfung der ganzen bisherigen Ver-
faſſung, neue und eingeſchraͤnktere Grundgeſetze vorzu-
ſchreiben. Verſchiedene Rechtslehrer wollen auch hier,
weil ſie zum Theil dem zu Gehorſam und Unterthaͤ-
nigkeit verpflichteten Volke ſelbſt kein Recht der Beur-
teilung, des Widerſtandes und der Beſtrafung uͤber
den Regenten hierunter zugeſtehn, die Einmiſchung
anderer Nazionen in dieſe blos die innere Verfaſſung
betreffende Angelegenheit fuͤr unerlaubt anſehn a]. Gro-
rius hingegen b] und andere machen einen Unterſchied,
ob die Vergehungen der Oberherſchaft blos in harten
Privatbeleidigungen beſtehen, oder ob ſie wuͤrklich of-
fenbare Ungerechtigkeiten und Grauſamkeiten gegen den
Staat ſich habe zu Schulden kommen laſſen und geſtat-
ten im letztern Falle den auswaͤrtigen Nazionen mehr
Recht als dem Volke. Ich will hier die in das Staats-
recht gehoͤrige Frage: wie weit das Volk, ſowohl in
einem uneingeſchraͤnkten Staate, als in einem ſolchen,
wo die Regierung auf gewiſſe Grundgeſetze beruht, be-
rechtigt ſey, der Oberherſchaft, wegen zweck- und ge-
ſetzwidriger Unternehmungen, den Gehorſam aufzukuͤn-
digen? nicht weitlaͤuftig unterſuchen. Die vorzuͤg-
lichſten Staatsrechtslehrer ſind indes dahin einverſtan-
den,
[287]in Abſ. d. geſ. Volks u. der es darſtell. Staͤnde.
den, daß der Staat eine zum gemeinſamen Wohl er-
richtete Geſelſchaft ſey, wo zwar iedes einzelne Mit-
glied, als Unterthan gehorchen muß, das geſamte
Volk, als ein Ganzes aber gegen die Oberherſchaft in
gleichen Verhaͤltniſſen ſteht, deren wechſelſeitige Rechte
und Verbindlichkeiten entweder blos aus dem Weſen
des Staats, der gemeinſchaftlichen Wohlfahrt, oder
aus denen zwiſchen ihnen errichteten Grundvertraͤgen
zu beurteilen ſind. Wenn nun ein Theil dem Weſen
der Staatsverbindung oder den ausdruͤcklichen Grund-
geſetzen gerade zuwider handelt, ſo iſt auch der andere
berechtigt, ſich ſeiner Berbindlichkeiten zu entaͤuſſern.
Hier laͤßt ſich nicht ſagen, daß der Untere uͤber ſeinen
Obern urteile ꝛc. c]. Es kann daher allerdings Faͤlle
geben, wo die Tyranney des Oberherrn das Volk zur
Aufkuͤndigung des Gehorſams noͤthigt, zumal wenn in
den Grundgeſetzen der Verluſt der Oberherſchaft auf
deren Verletzung [lex commiſſoria] bedungen iſt d].
Ein Schritt der aber freilich viele Behutſamkeit erfo-
dert und mit unendlichen Schwierigkeiten verknuͤpft iſt.
Nun gebe ich gern zu, daß keine fremde Nazion
ſich in die innere Verfaſſung der andern miſchen duͤrfe;
hat aber das geſamte Volk, oder deſſen Repraͤſentan-
ten, nach allen vorher fruchtlos angewandten gelin-
dern Mitteln, endlich ſich von der Nothwendigkeit
uͤberzeugt, der Oberherſchaft den Gehorſam aufzukuͤn-
digen, und ihn fuͤr ihren Feind erklaͤrt; ſo ſind die
Bande, welche beide verknuͤpften, zerriſſen: ſie hoͤren
auf einen Staat auszumachen und ieder Theil faͤllt in
die natuͤrliche Freiheit zuruͤck; es finden daher keine in-
nern Verhaͤltniſſe mehr Staat. Andere Nazionen ha-
ben alſo, wenn ſie ſich nicht zu Beobachtung der Neu-
tralitaͤt veranlaßt ſehn, die Freiheit, eine oder die
andere Parthie zu ergreifen, ie nachdem ſie von den-
ſelben um Huͤlfe und Beiſtand angeſprochen, oder aus
Ueber-
[288]Von d. Rechten der Nazionen gegen einander
Ueberzeugung des Unrechts, oder aus andern Gruͤn-
den e] dazu bewogen werden; denn es kann auch das
Volk zu weit gehn und die Unterſtuͤtzung der Oberher-
ſchaft rathſamer ſeyn. Deshalb darf man die auswaͤr-
tigen Nazionen noch nicht als Richter dieſer Irrungen
anſehn, indem ſie die beiderſeitigen Gruͤnde an ihren
Ort geſtelt ſeyn laſſen f]. Daß uͤbrigens die Anerken-
nung der voͤlligen Unabhaͤngigkeit, wo es darauf abge-
ſehn iſt, von Rechtswegen nicht eher erfolgen ſolle, als
bis die vorige Oberherſchaft ſie genehmigt, habe ich
ſchon im erſten Theile erinnert. Gegen die Uebernahme
einer bloſſen Vermittelung laͤßt ſich noch weniger ein-
wenden, zumal wenn ſie auf Erſuchen beider Theile
geſchieht.
Die Meinungen der Voͤlkerrechtslehrer ſind uͤber
die Frage; in wie ferne das geſamte Volk die Hand-
lungen ſeines Regenten zu vertreten und fuͤr die einer
andern Nazion von ihm zugefuͤgten Beleidigungen zu
haften verbunden? nicht einſtimmig. Es kommt hier
allerdings auf deren Einwilligung an. Einige erſtrecken
daher die Verbindlichkeit des Volks auf alle Handlun-
gen der Regierung, weil es ſeinen Willen, bey Errich-
tung des Staatsvereins, uͤberhaupt dem Willen der
Regierung unterworfen haͤtte a]. Andere verlangen
eine iedesmalige beſondere Beiſtimmung des Volks,
die entweder ſtilſchweigend durch Unterſtuͤtzung ihrer
Unternehmungen mit Geld, Manſchaft ꝛc. oder aus-
druͤcklich bey den daruͤber vorher angeſtelten Berath-
ſchlagungen ertheilt werden koͤnte b]. Noch andere
nehmen auf die verſchiedenen Handlungen des Regen-
ten Ruͤckſicht, ob ſie naͤmlich aus den Quellen der
Oberherſchaft oder aus einem tyranniſchen Eigenwillen
flieſſen, und wollen zwar im erſtern Falle dem Volke
eine algemeine Verbindlichkeit, im zweiten aber nur in
ſo weit auferlegen, als es ſich der einen oder andern
theilhaftig gemacht hat c]. Da aber der Regent, ver-
moͤge der Staatsverbindung zu allem berechtigt iſt,
was er dem algemeinen Beſten fuͤr zutraͤglich haͤlt,
und, wenn die Verfaſſung es nicht erfodert, nicht alle-
mal einer beſondern Einwilligung des Volks bedarf,
dieſem auch an ſich kein Recht zuſteht uͤber iede Hand-
lung der Regierung die ſie vermoͤge iener Verbindung
unter-
[291]in Abſ. d. geſ. Volks u. der es darſtell. Staͤnde.
unternimt zu urteilen, oder nach der Meinung der Mo-
narchomachen, ſich ihr zu widerſetzen; ſo iſt ohnſtreitig
das Urteil des Schrodt d] das richtigſte, daß man
einen Unterſchied machen muͤſſe unter den Handlungen
der Regenten, die ſie vermoͤge des Staatsvertrages,
als Repraͤſentanten der Nazion, und unter ſolchen,
die ſie auſſer der Staatsverbindung, blos als Privat-
perſonen vornehmen. Im erſtern Falle iſt das Volk
im algemeinen verbunden die Handlungen zu vertreten,
im letztern nur alsdann, wenn es ſich derſelben auf
irgend eine Art theilhaftig gemacht hat. Ebenſo koͤn-
nen auch die Handlungen der Unterthanen und ſelbſt
des geſamten Volks welche ſie ohne Theilnahme der
Regierung unternehmen, nicht der ganzen Nazion zu-
gerechnet, ſondern als Privathandlungen angeſehn und
beſtraft werden e].
So wie in andern Staaten das geſamte Volk in
Beziehung auf den Regenten ein mit gewiſſen Rechten
begabtes Ganze ausmacht, ſo iſt auch nicht zu laͤug-
nen, daß die geſamten teutſchen Reichsſtaͤnde, im Ge-
T 2genſatz
[292]Von d. Rechten der Nazionen gegen einander
genſatz des Reichsoberhaupts als ein eignes Ganze an-
zuſehn ſind. Aus dieſem Geſichtspuncte haben ſie auch
ſelbſt von ſich verſchiedentlich den Ausdruck: Corpus
Germanicum gebraucht, und es kann ihnen, zumal da
ſogar iedem einzelnen Reichsſtande das Recht des Krie-
ges, Friedens ꝛc. zukomt, das Befugnis nicht fuͤglich
abgeſprochen werden, auch in dieſer Eigenſchaft, der-
gleichen Rechte gegen auswaͤrtige Nazionen auszuuͤben,
Geſandte abzuſchicken und anzunehmen ꝛc. und ſelbſt
mit dem Kaiſer in Geſtalt eines beſondern Koͤrpers in
Unterhandlungen zu treten. Indes hat der Kaiſer die-
ſen Ausdruck ſchon als verfaſſungswidrig anſehn und
deſſen Gebrauch nicht zugeben wollen a]. In Anſe-
hung der Naturaliſation finden gegen auswaͤrtige Na-
zionen die Grundſaͤtze des algemeinen europaͤiſchen
Voͤlkerrechts Statt, unter den Mitſtaͤnden hingegen
bedarf es derſelben eben nicht, da in Teutſchland ge-
woͤnlich uͤberall ohnedies durch bloſſen Guͤterbeſitz ꝛc.
das Buͤrgerrecht erworben wird b]. In wie ferne ein
Auswaͤrtiger oder Reichsmitſtand, vermoͤge des Guͤ-
terbeſitzes oder ſonſt, zugleich das Recht eines Land-
ſtandes in eines andern Territorium genieſſe, haͤngt
von ieder Landesverfaſſung ab c]. Zu Aufrechthaltung
der reichsſtaͤndiſchen Rechte und Freiheiten duͤrfen
fremde Nazionen ſich der teutſchen Reichsſtaͤnde eben
ſo wenig annehmen, als dieſe ſich des in- und auslaͤn-
diſchen Anhangs enthalten und fremde Huͤlfe nicht an-
rufen ſollen d], es muͤſten denn beſondere Vertraͤge
deshalb zu Grunde liegen e]. Dies gilt auch bey Strei-
tigkeiten zwiſchen einzelnen Landesherrn und ihren Land-
ſtaͤnden, wo die Mitſtaͤnde, auf Erſuchen zwar der
Vermittelung ſich unterziehn, aber eigenmaͤchtig nichts
unternehmen koͤnnen, weil dem Reichsoberhaupt der
alleinige Schutz und rechtliche Beiſtand hierunter ge-
buͤhrt f]. Sie muͤſſen allerſeits, zumal die Mitſtaͤnde
ſich
[293]in Abſ. d. geſ. Volks u. d. es darſtell. Staͤnde.
ſich der Aufwiegelung der Unterthanen enthalten g].
Bey auswaͤrts entſtehendem Aufruhr aber komt es auf
das Gutbefinden der Reichsſtaͤnde an, ob ſie ſich, auf
Erſuchen, in dieſe Haͤndel miſchen wollen h]. Die
Landesherrn gegeneinander aber, und beſonders die be-
nachbarten Kraisſtaͤnde, ſollen in dergleichen Faͤllen
einander beiſtehn i] und die aufruͤhreriſchen Unterthanen
des andern keinesweges in Schutz nehmen k]. Aus-
waͤrtige Nazionen ſollen ſich derſelben nicht theilhaftig
machen l].
Bey den Gerechtſamen der Voͤlker gegen einander
in Abſicht auf die einzelnen Buͤrger und Unter-
thanen kommen verſchiedene Verhaͤltniſſe in Erwaͤgung.
Man kann ſie theils nach ihrer Anzahl, theils nach
ihrem Stande, Range, ihren Pflichten, haͤuslichen
Verfaſſung, Vermoͤgenszuſtand ꝛc. betrachten.
In den meiſten Staaten wird die Menge der Lan-
desbewohner und Unterthanen als eine der vorzuͤglich-
ſten
[297]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
ſten Grundlagen des Wohlſtandes angeſehn: es erfo-
dert daher die Staatsklugheit alle Mittel anzuwenden,
wodurch die Vermehrung derſelben befoͤrdert und die
Verminderung verhuͤtet werden kann. Jede Nazion
hat auch das unſtreitige Recht dazu, in ſofern andern
keine Beleidigung zugefuͤgt wird. Es kann ihr daher
von andern nicht verwehrt werden, neue Colonieen an-
zulegen, d. i. entweder noch unbebaute Gegenden ihres
Territoriums innerhalb Europa, oder auch neu ent-
deckte Lande in andern Welttheilen mit Bewohnern zu
beſetzen; ſie muͤſte denn durch Vertraͤge, dergleichen
ich ſchon oben angefuͤhrt habe, ſich verbindlich gemacht
haben, daß eine gewiſſe Gegend ganz unbebaut und
neutral liegen bleiben, oder die Etablirung einer Hand-
lung daſelbſt unterlaſſen werden ſolle a]. Daß eine
Nazion zu dieſer Bevoͤlkerung ſich ſeiner eignen in ge-
wiſſen Gegenden vielleicht im Ueberflus vorhandenen
Bewohner ſich bediene und ſolche in die unbebauten
Lande verſetze, kann andern Nazionen gleichguͤltig ſeyn,
wenn ſie nicht durch Vertraͤge beſondere Rechte in Ab-
ſicht der zu verſetzenden Unterthanen erlangt haben b].
Es ſteht ihnen aber auch frey, Fremde, welche
freiwillig kommen und ſich daſelbſt niederlaſſen wollen,
aufzunehmen, ohne daß die Nazionen deren Mitglie-
der ſie ehemals waren, ſich daruͤber beſchweren koͤnten,
ob ſie es gleich ungern ſehen a], wenn die andern Na-
zionen nicht beſondere Vertragspflichten auf ſich haben;
welches beſonders in Anſehung der Fluͤchtigen, die
Verbrechen oder anderer Urſachen wegen ihr Vaterland
heimlich verlaſſen, oͤfters bedungen zu werden pſlegt b].
So rathſam es indes iſt, fremde Ankoͤmlinge im
Staate aufzunehmen, ſo kann eine Nazion doch, wenn
ſie einiges Bedenken dabey findet, nicht genoͤthigt wer-
den, beſonders die aus einem andern Lande Vertrie-
benen aufzunehmen, ob ihnen gleich der Durchzug
nicht wohl verweigert werden darf c].
Eben ſo wenig kann den Nazionen verwehrt wer-
den, durch oͤffentliche Bekantmachungen, fremden Un-
terthanen, die ſich bey ihnen niederlaſſen wollen, ge-
wiſſe Vortheile und Freiheiten zu verſprechen, um die,
welche irgendwo auszuwandern veranlaßt ſind, zu be-
wegen ſich eher zu ihnen als anderswohin zu begeben.
Faſt alle europaͤiſche Nazionen haben ſich, nach Be-
ſchaffenheit der Umſtaͤnde, dieſes Mittels bedient a]
ohne ſich an die Einwendungen zu kehren, welche etwa
hier und da deshalb geſchehen ſind b].
Ob ſich nun gleich gegen dieſe innerhalb der Gren-
zen eingeſchraͤnkt bleibende Mittel nichts einwenden
laͤßt, ſo iſt es doch keinesweges erlaubt, Leute oder
ſogenante Emiſſarien in des andern Volks Lande zu
ſchicken, um deſſen Unterthanen durch mancherley Ver-
ſprechungen abwendig zu machen, oder ſie durch andere
liſtige Mittel zum auswandern zu bewegen a]. Die
andere Nazion kann ſich daruͤber mit Grunde beſchwe-
ren b], deſſen Abſtellung, auch die Beſtrafung ſolcher
Perſonen verlangen, ſie auch, im Betretungsfall, ſelbſt
mit den haͤrteſten Strafen belegen c]. Oefters ver-
wahren Nazionen ſich durch Vertraͤge gegen dergleichen
hinterliſtige Abziehung der Unterthanen d]. Eben ſo
wenig
[304]Von den Gerechtſamen
wenig duͤrfen die nach auswaͤrtigen Gegenden beſtimten
Emigranten, denen man den Durchzug verſtattet hat,
waͤhrend ihres Aufenthalts im Lande verleitet werden e].
Eine nicht nur unerlaubte, ſondern auch als wahre
Verletzung des Territoriums anzuſehende Handlung iſt
es, wenn ſogar Unterthanen aus dem Gebiete einer
andern Nazion, zu Bevoͤlkerung irgend einer Gegend
mit Gewalt weggeholt werden. Sie giebt zu den ge-
gruͤndeteſten Klagen Anlas, und kann, wenn die Zu-
ruͤckgabe und andere Genugthuung nicht erfolgen, wie
iede andere Beleidigung mit Recht geahndet werden a].
Die Unterſuchung uͤber das Befugnis der Untertha-
nen, einzeln oder Schaarenweiſe, mit Aufhebung ihrer
bis-
[307]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
bisherigen Staatsverbindung, aus dem Lande zu wan-
dern und ſich anderswo niederzulaſſen, und das Recht
des Regenten, die Auswanderung bey Strafe zu ver-
bieten, gehoͤrt in das Staatsrecht und die Verfaſſung
einzelner Lande a]. Ein ſolches Verbot koͤnnen andere
Nazionen indes nicht als eine Beleidigung anſehn und
ſich daruͤber beſchweren, da eine iede berechtigt iſt, in-
nerhalb ihrem Gebiete dieienigen Anſtalten zu treffen,
welche ihr eignes Wohl erfodert, und daher nicht zuzu-
geben, daß der Staat durch nachtheilige Auswande-
rungen von Einwohnern entbloͤßt werde. Ob auch
gleich die meiſten Nazionen ſich der gewoͤnlichen Anlo-
ckungsmittel zu Bevoͤlkerung ihrer Staaten bedienen;
ſo treffen ſie doch dagegen bey ſich, die zweckmaͤſſigſten
Vorkehrungen zu Verhuͤtung des Auswanderns b].
Ein anders iſt es, wenn durch Vertraͤge der Nazionen
fuͤr die Unterthanen gewiſſer Lande die Erlaubnis der
freien Auswanderung uͤberhaupt, oder nur unter beſon-
dern Umſtaͤnden bedungen worden iſt c]; wie dies bey
Abtretung einiger Provinzen in Friedensſchluͤſſen oder
ſonſt zu geſchehen pflegt d].
Die Unterthanen eines Volks, welche in einem
andern Lande ſich blos eine Zeitlang aufhalten, daſelbſt
aber keinen feſten Sitz, mit Aufhebung ihrer vorigen
Verbindung, aufgeſchlagen haben, koͤnnen ſich in der
Regel, wenn ſie nicht Verbrechens, Schulden oder
anderer Urſachen wegen, gehalten werden a] iederzeit
ungehindert wieder weg und in ihre vorige Heimath be-
geben. Zum Ueberflus wird dieſe Freiheit iedoch auch
U 3in
[310]Von den Gerechtſamen
in Vertraͤgen zuweilen noch beſonders bedungen b].
Das andere Volk hat auch, zumal unter gewiſſen Ver-
haͤltniſſen c] das Recht, ſeine in fremden Landen be-
findlichen Unterthanen, welche nicht foͤrmlich entlaſſen
worden ſind, abzuberufen und zuruͤckzufodern d]. Dieſe
muͤſten denn, durch Naturaliſation ꝛc., bereits engere
Verbindungen eingegangen ſeyn e], freiwillig daſelbſt
bleiben wollen f], oder Verfolgungen halber ſich dort-
hin gefluͤchtet haben g]. Die Anſchlagung der Avoca-
torien in fremden Landen kann aber eben ſo wenig ver-
langt werden h] als es erlaubt iſt, ſeine Unterthanen
mit Gewalt daraus abzuholen i]. Da deren Vorent-
haltung indes oͤfters Streitigkeiten veranlaßt k], ſo
pflegen die Nazionen ſich wegen Zuruͤckgabe und Aus-
lieferung, beſonders der Fluͤchtigen l], oder deren Un-
ſtatthaftigkeit m] in voraus zu vergleichen.
Einer Nazion ſteht aber auch frey, fremde Unter-
thanen, die ſich bey ihr aufhalten, wegen uͤbler oder
verdaͤchtiger Auffuͤhrung, oder aus andern erheblichen
Urſachen a] auch vermoͤge Repreſſalien, beſonders bey
ausbrechenden Feindſeeligkeiten b] aus dem Lande fort-
zuſchaffen c]. Es kann aber keine mit Recht verlangen,
daß ihre, oder die Unterthanen einer dritten Macht,
die ihr verdaͤchtig und gefaͤhrlich ſcheinen, von der an-
dern fortgeſchaft werden ſollen, ob es wohl aus Gefaͤl-
ligkeit zu geſchehen pflegt d].
Jede Nazion kann ihre Buͤrger und Unterthanen
in gewiſſe Klaſſen und Staͤnde eintheilen, ihnen, nach
Gefallen, Wuͤrden, Titel, Orden, Wapen ꝛc. beile-
gen und einem vor dem andern gewiſſe Vorzuͤge und
den Rang, iedoch ohne Nachtheil anderer Staaten a]
einraͤumen. Sie kann aber freilich von andern Na-
zionen nicht als Schuldigkeit verlangen, daß ſie alles
dieſes ebenfals anerkenne und ihnen desfals gleiche
Ehre erweiſen b]. Doch erfodert der eigne Vortheil
allerdings, es zu thun c], wenn dergleichen Einrich-
tungen
[316]Von den Gerechtſamen
tungen den Grundgeſetzen und Verfaſſungen des eignen
Staats nicht zuwider ſind d]; weil ſonſt von der an-
dern Seite eine gleiche Verweigerung erfolgen wuͤrde.
Unter den europaͤiſchen Nazionen iſt es auch Herkom-
mens, daß der auswaͤrtige Stand, Titel, Bedienung ꝛc.
in andern Landen gleichfals erkant werden e]; iedoch
iſt, wenn Zweifel daruͤber entſteht, einige Legitimation
noͤthig f]. Die Vorſtellung des Fremden durch den
dort befindlichen Geſandten ſeines Hofes, oder eines
andern angeſehenen Mannes iſt meiſt hinreichend hierzu.
Der Fremde kann iedoch wegen ſeiner bekleidenden, dem
Namen nach, etwa gleichen Wuͤrde, keinesweges
gleiche Ehre mit den Einheimiſchen, welche eine aͤhn-
liche fuͤhren g], oder wohl gar gewiſſe Vorzuͤge uͤber
die Einheimiſchen verlangen, die in ſeinem Lande da-
mit verbunden ſind h]; ſondern muß ſich, weil die
Grundſaͤtze hierunter ſehr wilkuͤhrlich und an den mei-
ſten Hoͤfen verſchieden ſind, in Anſehung Ranges,
Ceremoniels ꝛc. nach ieden Orts Gebrauche richten,
oder, wenn er ſich damit nicht begnuͤgen will, lieber
die Gelegenheiten zu Streitigkeiten hierunter vermeiden,
da freilich dergleichen Anordnungen an ſich fuͤr ihn
nicht verbindlich ſind i]. Doch darf keinem, zumal
bey Militaͤr-Chargen, die faſt uͤberall einander gleich
ſind, und ihren beſtimten Rang haben k] dasienige
verweigert werden, was ſeines Gleichen von andern
Nazionen wiederfaͤhrt l]. Gegen blos durchreiſende
oder nur kurze Zeit ſich aufhaltende Standesperſonen
wird indes zuweilen eine Ausnahme gemacht und ihnen
mehrere Ehre erwieſen m].
Den eigenen Unterthanen kann ein Souverain der-
gleichen Gnadenbezeigungen ertheilen, auch wenn ſie
ſich auſſerhalb Landes in anderer Nazionen Gebiete auf-
halten a]. Auch werden gewoͤnlich keine Schwierig-
keiten gemacht, den Adel ꝛc. derer zu erkennen die ſich
von auswaͤrts in einem andern Lande niederlaſſen wol-
len, wenn ſie den vorgeblichen Adel erweiſen koͤnnen b].
Es fragt ſich aber: ob ein Souverain befugt ſey, frem-
den Unterthanen, die ſich bey ihm oder auswaͤrts auf-
halten, dergleichen Standeserhoͤhungen ꝛc. angedeihen
zu laſſen? Dies kann, wenn den Unterthanen deren
Annahme uͤberhaupt nach den Grundgeſetzen ſeines
Staats erlaubt iſt, nicht anders geſchehen, als ent-
weder auf eignes Verlangen oder Veranlaſſen, oder
doch
[319]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
doch mit vorhergehendem Wiſſen und Willen, oder
endlich wenigſtens mit nachheriger Genehmigung des
Souverains, deſſen Unterthan er iſt; zumal wenn es
Wuͤrden, Praͤdicate ꝛc. ſind, welche dieſer ſelbſt zu
ertheilen das Recht hat c]. Der begnadigende Sou-
verain pflegt dem andern auch ſelbſt davon Nachricht
zu ertheilen. Gewoͤnlich macht man keine Schwierig-
keiten, die Annahme zu geſtatten; wenn aber iene Er-
foderniſſe mangeln, hat der andere Souverain aller-
dings Urſach, ſich daruͤber zu beſchweren d] wenigſtens
die Anerkennung der Standeserhoͤhung bey ſich zu ver-
weigern e], und uͤberhaupt deren Gebrauch ſeinem Un-
terthan auch auswaͤrts zu verbieten. Es fehlt indes
an Beiſpielen nicht, daß Souverains fremden Unter-
thanen, dergleichen Standeserhoͤhungen ertheilt oder
ſie doch unter die Zahl des Adels in ihrem Lande auf-
genommen haben f]. Doch iſt es auch in verſchiede-
nen Staaten verboten, fremde Wuͤrden, Titel ꝛc. an-
zunehmen, und ſich deren zu bedienen g]. Wenn uͤbri-
gens die Annahme derſelben gleich verſtattet wird, ſo
kann der begnadigte Unterthan doch auf keine Art einen
der Verfaſſung ſeines Staats und deſſen Unterthanen
nachtheiligen Gebrauch davon machen h].
Wenn im Gegentheil ein Unterthan in einem Lande
gewiſſer Vergehungen halber, ſeiner Wuͤrden entſetzt
und fuͤr ehrlos erklaͤrt worden iſt, ſo kann dieſe Ehr-
loſigkeit auſſerhalb Landes von Rechtswegen ebenfals
keine Wuͤrkung haben: die europaͤiſchen Nazionen pfle-
gen hierinn auch gegen die Schuldigen, die ſich zu
ihnen begeben, nachſichtiger zu ſeyn, und ſie, wenn
das Verbrechen nicht zu gros, ſogar Militaͤrperſonen,
ohne foͤrmliche Einſetzung in ihre vorige Ehre, fuͤr ehr-
lich zu erkennen und ihnen wohl gar Dienſte und Wuͤr-
den zu uͤbertragen, wie dies mehrere Beiſpiele, unter
andern des Herzogs von Ormond ꝛc. beweiſen. Die
andere Nazion findet ſich dadurch nicht leicht beleidigt,
es muͤſte der Unterthan denn ſich eines ſehr groben
Staatsverbrechens ꝛc. ſchuldig gemacht haben; ſie iſt
iedoch,
[323]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
iedoch, bey vorkommenden Gelegenheiten, nicht ver-
bunden, ſeine Reſtitution zu erkennen.
Was den Hausſtand der Unterthanen, die Ehen,
die Geburt und Erziehung der Kinder und andere recht-
liche Beſtimmungen die davon abhangen und auf aus-
waͤrtige Lande eine Beziehung haben, anlanget, haͤngt
es nicht weniger von dem Gutbefinden einer Nazion ab,
ob und wie ferne ſie den Maͤnnern z. B. die Verheira-
thung mit auswaͤrtigen Weibern und den Frauensper-
ſonen das Heirathen auſſer Landes verſtatten wollen.
Den Fremden ſteht zwar frey, um auswaͤrtige Weiber
anzuhalten, die andere Nazion hat aber auch das Recht
zu unterſuchen, ob ihr dergleichen Heirathen zutraͤglich
ſeyn moͤchten a], und kann ſolche, wegen eignem Man-
gel an Weibern, wegen beſorgender Verfuͤhrung zum
Auswandern, wegen des Vermoͤgens und anderer truͤf-
tigen Gruͤnde fuͤglich abſchlagen b], ohne daß iene Na-
zion, deren Mitglieder ſie ſind, es fuͤr eine Beleidi-
gung anſehn koͤnte, wenn es nicht aus offenbarer Ver-
achtung und mit wuͤrklichem Schimpf geſchieht. Nur
im aͤuſſerſten Nothfall wuͤrde eine Nazion zum gewalt-
ſamen Raube und Entfuͤhrung der Frauensperſonen aus
fremden Landen berechtigt ſeyn c]. In verſchiedenen
europaͤiſchen Staaten ſind dem Frauenzimmer auch die
Ehen ins Ausland verboten und gewiſſe Strafen, als
der Verluſt des Buͤrgerrechts ꝛc. darauf geſetzt d], oder
X 2auch
[324]Von den Gerechtſamen
auch den Maͤnnern die Verheirathung mit Fremden nur
unter gewiſſen Bedingungen erlaubt e].
Bey Geburt der Kinder und deren Erziehung haben
die Unterthanen mehrenteils volkomne Freiheit; wenn
iedoch in den Landesgeſetzen, in Beziehung auf Aus-
waͤrtige, deshalb etwas feſtgeſetzt iſt f], ſo muͤſſen iene
ſolches allerdings befolgen, und dieſe haben kein Recht
ſich daruͤber zu beſchweren.
Mit Legitimation der Unehelichen, Ertheilung der
Voliaͤhrigkeit hat es die Bewandnis wie mit den Wuͤr-
den. Der andere Staat hat zwar keine Verbindlich-
keit dergleichen Handlungen anzuerkennen, es wird
aber doch wegen Gleichheit auf der andern Seite nicht
unterlaſſen; nur koͤnnen auch iene hier die Rechte nicht
verlangen, welche ihnen nach ihrer Landesverfaſſung
deshalb zukommen g].
Daß alle Fremden, welche in einem Lande ſich auf-
halten, der Oberherſchaft des Staats, worinn ſie ſich
befinden, unterworfen und als zeitige Unterthanen an-
zuſehen ſind, habe ich ſchon oben erinnert a]. Sie ſind
X 3dieſem
[326]Von den Gerechtſamen
dieſem Staate aber weiter keine beſondere Treue und
Unterwuͤrfigkeit anzugeloben verpflichtet b]. Mit den
Naturaliſirten wird es verſchiedentlich gehalten. An
einigen Orten muͤſſen ſie den Eid der Treue ſchwoͤren,
an andern nicht c]. Gewoͤnlich geſchieht dies beim
Ankauf von Guͤtern oder Anlegung anderer Etabliſſe-
ments in auswaͤrtigen Landen d], wenn anders, obge-
dachtermaaſſen, nach der Verfaſſung der beiderſeitigen
Staaten, in dem einen den Fremden erlaubt iſt, der-
gleichen Beſitzungen zu haben, und in dem andern den
Buͤrgern und Unterthanen freiſteht, ſich anderswo an-
zukaufen. Niemand darf ſich indes weiter, als es die
Geſetze ſeines Landes verſtatten, gegen andere Nazio-
nen verpflichten e]. Von dieſen allein haͤngt es auch
ab, ob einer eine ſolche doppelte Verbindung als be-
ſtaͤndiger Unterthan zweier Herrn aufhaben koͤnne f]
oder unter gewiſſen Verhaͤltniſſen eine davon aufgeben
muͤſſe g]. Zuweilen ſind die Unterthanen des einen
Landes vermoͤge Vertraͤge verbunden, zugleich die Ober-
herſchaft eines andern, aus beſondern Urſachen, die
Huldigung zu leiſten, wenn ſie auch daſelbſt nicht an-
ſaͤſſig ſind h]. In wie ferne Fremde durch den Guͤter-
beſitz und die Huldigung, auſſer der Unterthanen Eigen-
ſchaft auch das Buͤrgerrecht und alle damit verknuͤpfte
Vortheile erlangen, beruht ebenfals auf die Verfaſſung
eines ieden Landes i]. Wer uͤbrigens, durch rechtmaͤſ-
ſige Entlaſſung, ſeiner bisherigen Unterthanenpflicht
erledigt worden iſt, kann nachhero nicht weiter als Un-
terthan angeſehn und behandelt werden k]. Auch die
wegen des Beſitzes von Lehnguͤtern abzulegende Vaſal-
lenpflicht, und der Umfang deren Verbindlichkeit be-
ruht auf beſondere Landesverfaſſungen l].
So wie man gemeiniglich bey den in einem Lande
vorfallenden Geſchaͤften und Arbeiten eher einheimiſche,
als Fremde zu gebrauchen pflegt, auſſer wo etwa zu
dieſer oder iener Verrichtung oder Handthierung Aus-
waͤrtigen mehrere Kentnis und Geſchicklichkeit bei-
wohnt; ſo ſteht es iedoch auch dem andern Volke frey,
ſeinen Unterthanen, wenn er ſie entweder ſelbſt noͤthig
hat, oder der andern Nazion dieſen Vortheil zuzuge-
ſtehn ſonſt Bedenken traͤgt, ſo wie das Wegreiſen oder
Wegziehn uͤberhaupt, alſo auch zu verbieten, daß ſie
ſich in fremden Landen zu gewiſſen Arbeiten nicht ge-
brauchen laſſen und auswaͤrts in keine Dienſte treten a]
wenn die Freiheit hierzu ihnen durch Vertraͤge nicht
ausdruͤcklich bedungen iſt b]. Was die Annahme
fremder Staats-Kriegs- und anderer angeſehener Be-
dienungen betrift, davon ſoll weiter unten noch einiges
beigebracht werden.
Was die eigentliche Verfaſſung eines Landes in
Religions- Kirchen- und andern geiſtlichen Sachen an-
langet, davon ſoll kuͤnftig bey den einzelnen Hoheits-
rechten ausfuͤhrlicher gehandelt werden. Hier will ich
nur der Religion der Unterthanen in ſo ferne gedenken,
als ihre Verſchiedenheit auf die Dultung, Aufnahme,
Abhaltung, Vertreibung oder Verſtattung gewiſſer
Gerechtſame derer, die ſich zu einer andern Religion
als die herrſchende im Lande iſt, bekennen, einigen
Einflus hat. Vermoͤge der Freiheit und Unabhaͤngig-
keit der Nazionen beruht es allerdings, in Gemaͤsheit
der bey ihnen errichteten Staatsgrundgeſetze, ganz auf
ihrer Wilkuͤhr, ob ſie andere Religionsverwandten un-
ter ihre Landesbewohner auf- und in Schutz nehmen,
dulten a], und an den buͤrgerlichen und andern Rech-
ten Theil nehmen laſſen b], oder ihnen den Aufenthalt
abſchlagen, ihre Religionsuͤbung, iedoch ohne einigen
Glaubens- und Gewiſſenszwang, einſchraͤnken oder ſie
gar ausſchaffen will c]. Wenn ihnen iedoch, nach den
Grundgeſetzen des Staats einmal gewiſſe Rechte zuge-
ſtanden ſind, und ſie denen zuwider, in ihrer Religion
zu ſehr gedruͤckt und gekraͤnkt werden; ſo iſt es weder
den Unterthanen zu verargen d], wenn ſie bey andern
Nazionen ihres Glaubens Huͤlfe und Beiſtand ſuchen,
noch dieſen uͤbel auszulegen, wenn ſie ſich ihrer Glau-
bensgenoſſen durch guͤtliche Vorſtellungen und andere
dienſame Mittel annehmen, weil alle Verwandten
einer
[332]Von den Gerechtſamen
einer Kirche mit einander in Verbindung ſtehen und
gewiſſermaaſſen ein Ganzes ausmachen, die Religions-
angelegenheiten daher nicht blos als ein zur innern Ein-
richtung eines ieden Staats gehoͤriger Gegenſtand be-
trachtet werden koͤnnen e]. Wenigſtens pflegen die eu-
ropaͤiſchen Nazionen einander dieſes Recht nicht ſtreitig
zu machen f]. Hat eine Nazion uͤberdies die Garan-
tie desfals uͤbernommen g], oder ſonſt ein weſentliches
Intereſſe dabey h], ſo iſt ſie auch wohl noch zu ernſtli-
chern Schritten berechtigt i]: das meiſte kommt hier
auf Vertraͤge und beſondere Verfaſſungen und Verhaͤlt-
niſſe der verſchiedenen Glaubensgenoſſen, ſowohl in
einem Staate, als gegen andere Nazionen an k].
Bey den chriſtlichen Nazionen in Europa iſt der
dem freigebohrnen Menſchen ganz zuwiderlaufende bar-
bariſche Stand der Sklaverey, und die ehedem her-
ſchende Gewonheit, die Kriegsgefangenen als Sklaven
zu behandeln, zwar aufgehoben, obgleich in der hier
und da noch uͤblichen Leibeigenſchaft einige Spuren da-
von anzutreffen ſind a]; bey der Pforte hingegen ſind
iene Grundſaͤtze noch groͤſtentheils im Schwange. Be-
ſonders pflegen auch die Unterthanen derienigen Nazion,
die mit ihr nicht in Buͤndnis und Freundſchaft ſteht,
wenn ſie auf ihr Gebiet kommen, zu Sklaven gemacht
und ihre Guͤter confiſcirt zu werden b]. Daher haben
Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. Yver-
[338]Von den Gerechtſamen
verſchiedene europaͤiſche Nazionen in Vertraͤgen mit
ihr, ſich deshalb zu verwahren geſucht c]. In Frank-
reich iſt es im Gegentheil Herkommens, daß ein
Sklave, ſobald er auf franzoͤſiſches Gebiet komt, ſeine
Freiheit erlangt, ausgenommen die zu Bauung des
Landes in die amerikaniſchen Colonieen beſtimten Ne-
gern d]. Des in der Pfalz uͤblichen Gebrauchs, nach
welchem freie Leute, durch den Aufenthalt daſelbſt, zu
eine Art von Sklaven, welche man Wildfaͤnge nennt,
gemacht werden, ſoll weiter unten mehrere Erwaͤhnung
geſchehn.
Jeder Buͤrger und Unterthan im Staate hat in der
Regel das mit dem Eigenthum verbundene Recht, uͤber
ſein Vermoͤgen, es moͤgen Guͤter oder Barſchaften ꝛc.
ſeyn, zu beſtimmen, und es, nach den Geſetzen des
Landes, unter den Lebendigen und auf den Todesfall an
andere zu bringen, wenn nicht beſondere Verbote hier-
unter vorhanden ſind a]. Auch den Fremden kann,
wenn ihnen einmal der eigenthuͤmliche Guͤterbeſitz in
einem auswaͤrtigen Staate erlaubt iſt, dies Recht nicht
fuͤglich verſagt werden b]. Die Erbfolge ohne Teſta-
ment richtet ſich gemeiniglich in Anſehung der Guͤter
nach den Landesgeſetzen wo ſie gelegen, im uͤbrigen aber
nach den Vorſchriften des Staats, deſſen Mitglied
iemand iſt. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Feierlich-
keiten bey den deshalb zu errichtenden Teſtamenten.
Das meiſte komt hierbey auf die beſondern Landesver-
faſſungen an c]. Indes iſt bey einigen Nazionen den
Fremden zwar bey Lebzeiten verſtattet, uͤber ihr Ver-
moͤgen auf eine verbindliche Art zu diſponiren, ſie koͤn-
nen es aber nach dem Tode weder durch Teſtament, noch
auf ſonſt eine Weiſe an auswaͤrtige Verwandte oder
uͤberhaupt in fremde Haͤnde bringen, ſondern der
Staat maaßt ſich deſſelben an d]. Dieſe unter dem
Namen des Albinagialrechts [ius albinagii] bekante
Gewonheit, war vormals beſonders in Frankreich ein-
gefuͤhrt e], und genoſſen nur wenige Gattungen von
Perſonen eine Befreiung davon f]. Dies Recht iſt
aber nach und nach durch Vertraͤge mit Frankreich ge-
gen die mehreſten europaͤiſchen Nazionen ſowohl, als
gegen die teutſchen Reichsſtaͤnde aufgehoben worden g];
Y 2iedoch
[340]Von den Gerechtſamen
iedoch erſtrecken dieſe Vertraͤge ſich nicht auf die ameri-
kaniſchen Colonieen, wenn es nicht ausdruͤcklich bedun-
gen worden iſt h]. Zum Ueberflus haben auch verſchie-
dene andere Nazionen ſich in Vertraͤgen wechſelſeitig
das freie Erbrecht fuͤr ihre in des andern Landen befind-
lichen Unterthanen verſprochen i].
Eine andere billigere Gewonheit beſteht in dem Ab-
zuge gewiſſer in den Geſetzen zuweilen beſtimter Sum-
men, [fuͤnf auch zehen und mehr vom Hundert] welche
unter dem Namen der Nachſteuer von dem Vermoͤ-
gen derer die aus einem Lande in ein anderes wandern,
oder als Abzugsrecht von den an Auswaͤrtige fallen-
den Erbſchaften erhoben werden k]. Gegen dieienige
Nazion, wo dergleichen hergebracht iſt, wird von an-
dern gemeiniglich ein Gleiches beobachtet l]. Verſchie-
dene Staaten haben iedoch auch wegen dieſer Abgaben
beſondere Verabredungen mit einander getroffen, nach
welchen dieſelben entweder ganz aufgehoben oder doch
auf ſehr geringe Summen geſetzt ſind m].
Uebrigens ſind die Nazionen und deren einzelne
Glieder verbunden, ihr Betragen gegen andere Nazio-
nen und deren Mitglieder, ſie moͤgen ſich auſſer dem
Lande oder bey ihnen als Fremde aufhalten, ſo einzu-
richten, daß ſie dieſe in allen ihren ſowohl natuͤrlichen
als erworbenen Rechten ungeſtoͤrt laſſen und ihnen keine
Beleidigung zufuͤgen a]. Sie muͤſſen beſonders denen,
welche in ihr Gebiet kommen, alle moͤgliche Sicherheit
und Schutz gegen Beleidigungen und andere Gewalt-
thaͤtigkeiten oder unrechtmaͤſſige Beſchwerungen ihrer
Guͤter und Perſonen gewehren b], ihnen auch, wenn
ſie von irgend iemand daſelbſt Unrecht erlitten haben
ſolten, durch Beſtrafung der Beleidiger und ſonſt alle
erfoderliche Genugthuung wiederfahren laſſen c]. Zu
Huͤlfe und Beiſtand in Gefahr und zu Leiſtung anderer
Liebespflichten, ſo wie zu einem dienſtfertigen und ge-
faͤlligen Betragen uͤberhaupt, ſind ſie zwar durch keine
aͤuſſere volkomne Verbindlichkeit verpflichtet, aber die
Grundſaͤtze der Voͤlkermoral und Staatsklugheit erhei-
ſchen ſolche allerdings von ihnen, beſonders gegen
Nachbarn und andere freundſchaftliche Nazionen d].
Zuweilen werden ſie in Vertraͤgen ausdruͤcklich verſpro-
chen und koͤnnen dann als Schuldigkeit verlangt
werden e].
Dagegen duͤrfen aber auch die in einem Lande be-
findlichen Fremden nichts unternehmen, wodurch die
oͤffentliche Ruhe geſtoͤhrt oder den Landesbewohnern
einige Beleidigung zugefuͤgt werden koͤnte. Widrigen-
fals iſt die Landesregierung, welcher die Beſchuͤtzung
der eignen Unterthanen in einem noch vorzuͤglichern
Grade obliegt, befugt, den fremden Beleidiger zur
Genugthuung und zum Erſatz des ienen etwa zugefuͤg-
ten Schadens anzuhalten a]. Sie hat daher das Recht,
alle nicht nur wuͤrklicher Vergehungen ſchuldige, ſon-
dern auch blos verdaͤchtige Perſonen von andern Na-
zionen in ihrem Lande in Verhaft nehmen und ſie nach
Befinden beſtrafen zu laſſen b]. Doch erſtreckt ſich
dies Befugnis nicht auf dieienigen, welche in andern
Landen
[347]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
Landen etwas unerlaubtes begangen haben, wenn nicht
beſondere Veranlaſſungen von der andern Seite des-
halb vorhanden ſind c], ſondern ſie genieſſen hier ſo
lange des Schutzes, als ſie ſich den Geſetzen des
Staats gemaͤs betragen d].
Nicht alle Unternehmungen einzelner Unterthanen
ſind indes als Handlungen der ganzen Nazion anzu-
ſehn und ihr zur Laſt zu legen. Ob und in wie ferne
ſolches geſchehen koͤnne, komt auf den Antheil an, den
man dieſer dabey zuſchreiben kann. Wenn daher ein
Mitglied derſelben gegen eine andere Nazion etwas
vorgenommen, das Volk, oder deſſen Regent aber
ihm ſolches weder geheiſſen oder Anleitung dazu gege-
ben, noch nachher genehmigt oder auf irgend eine Art
ſich deſſelben theilhaftig gemacht hat, ihnen auch keine
Schuld oder Nachlaͤſſigkeit zum Vorwurf gereichet,
daß ſie naͤmlich die Handlung, durch zweckmaͤſſige
Vorkehrungen, haͤtten verhindern ſollen und koͤnnen;
ſo findet auch keine Zurechnung gegen dieſelben Statt a].
Indes iſt die Nazion, deren Mitglied er iſt, wenn
das rechtswidrige Unternehmen auſſer dem Territorium
des andern Volks geſchehen, oder er ſich vor der Be-
ſtrafung aus demſelben entfernt hat, allerdings ver-
bunden, die gebuͤhrende Ahndung an ihm zu volſtrecken
und den aus ſeinen Guͤtern moͤglichen Erſatz zu bewuͤr-
ken b], oder denſelben der Nazion, welcher der Scha-
den oder die Beleidigung zugefuͤgt worden, zur eignen
Genugthuung auszuantworten c], weil die Verweige-
rung der Strafe eine ſtilſchweigende Genehmigung des
Vergehens in ſich ſchlieſſen wuͤrde. Die letztere iſt
iedoch nicht befugt, ſich ienes Unterthanen durch eigene
gewaltſame Wegnahme aus dem andern Territorium zu
bemaͤchtigen d]. In Friedensſchluͤſſen und andern Ver-
traͤgen wird uͤbrigens nicht ſelten ausdruͤcklich bedungen,
daß dergleichen Vergehungen einzelner Unterthanen
nicht
[349]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
nicht der ganzen Nazion zur Laſt fallen, ſondern blos
an dieſen gehoͤrig geahndet werden ſollen e].
Die Landesherrn haben in dieſen Stuͤcken groͤſten-
teils gleiche Rechte, in ſo weit die Verfaſſung des
Hauptſtaats nicht beſondere Vorſchriften deshalb ent-
haͤlt. Den Reichsſtaͤnden in Teutſchland ſteht ſowohl
in Beziehung gegen andere unabhaͤngige Staaten, als
gegen ihre Mitſtaͤnde a] frey, fuͤr die moͤglichſte Be-
voͤlkerung ihrer Staaten, auch, wenn ſie Gelegenheit
dazu haben, fuͤr die Anlegung auswaͤrtiger Colonieen
Sorge zu tragen. Sie koͤnnen ſich hierzu aller zweck-
maͤſſigen Mittel, iedoch ohne den Gerechtſamen anderer
zu nahe zu treten, bedienen. Es iſt ihnen erlaubt,
durch oͤffentliche Bekantmachung, Fremden, die aus
andern europaͤiſchen oder teutſchen Provinzen, ſich bey
ihnen niederlaſſen wollen, mancherley Vortheile zu
ver-
[351]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
verheiſſen b], nur duͤrfen ſie nicht durch Gebrauch der
Emiſſarien oder anderer liſtigen Mittel, ſelbſt in
andern Landen die Unterthanen abwendig zu machen
und an ſich zu locken ſuchen c]. Sie ſollen uͤberhaupt
eigentlich keine Unterthanen, beſonders Leibeigene d]
ihrer Mitſtaͤnde anders annehmen, als wenn ſie von
dieſen rechtmaͤſſig entlaſſen worden ſind e]. Ohne aus-
druͤckliche Vertraͤge ſind ſie aber eben ſo wenig ſchuldig,
dieienigen, die ſich der Sicherheit und des Schutzes
wegen zu ihnen gefluͤchtet haben, auszuliefern f], als
ihnen verwehrt werden kann, die Vertriebenen aufzu-
nehmen g].
Der Auswanderung ſind ſie auf alle Art Schranken
zu ſetzen befugt h], wo die Reichsgrundgeſetze i] oder
andere Vertraͤge k] nicht beſondere Erlaubnis hierzu
verſtatten, ohne daß iemand ſich daruͤber beſchweren
duͤrfte l]. Sie haben das Recht, ihre Unterthanen,
welche ohne Erlaubnis das Land verlaſſen, zuruͤckzufo-
dern m] und koͤnnen Fremde, die ſich ungebuͤhrlich auf-
fuͤhren, ausſchaffen n].
Im Verhaͤltnis gegen Auswaͤrtige iſt bey den teut-
ſchen Landesherrn wegen wechſelſeitiger Anerkennung
des einheimiſchen Standes, der Wuͤrden, Titel beider
Z 2Unter-
[356]Von den Gerechtſamen
Unterthanen in des andern Landen eben das Rechtens,
was unter den europaͤiſchen Nazionen deshalb ange-
nommen iſt a]. Dies findet auch in Anſehung der
Wuͤrden, Titel ꝛc. unter den Reichsſtaͤnden ſelbſt
Statt b]. Nur was die Standeserhoͤhungen und
Wappenertheilungen anlanget, wird der Kaiſer bekant-
lich hierinn als die einzige Quelle derſelben durch ganz
Teutſchland angeſehn, wenn ein Reichsſtand nicht be-
ſondere Privilegien deshalb beſitzt c]. Ob man dem
Reichsoberhaupte nun gleich dieſes Recht nicht in
Zweifel ziehen kann, ſo werden doch deſſen Begnadi-
gungen hierunter in den meiſten Reichslanden nicht
ganz unbedingt, auch gewoͤnlich nicht eher anerkant d],
als bis derienige, welcher dergleichen erhalten zu haben
vorgiebt, ſich durch Vorzeigung des daruͤber erhaltenen
Diploms e] behoͤrig legitimirt, und nach deshalb an-
geſtelter Unterſuchung, die Notification ins Land er-
gangen iſt. Gemeiniglich geſchieht auch vom Kaiſer
ſelbſt eine Anzeige davon an den Landesherrn, deſſen
Unterthan der Begnadigte iſt. Daß uͤbrigens derglei-
chen kaiſerliche Standeserhoͤhungen und Titulaturen
den Landesherrn keinen Nachtheil zufuͤgen ſollen, wird
ausdruͤcklich in der kaiſerlichen Wahlcapitulation ver-
ſichert f]: und ſo verſteht es ſich auch, daß Untertha-
nen die von Mitſtaͤnden erhaltenen Titel, Wuͤrden ꝛc.
nicht zum Nachtheil ihrer Landesfuͤrſten gebrauchen
duͤrfen g].
Bey der Ehrloserklaͤrung eines Unterthanen komt
es auf das Gutbefinden der Mitſtaͤnde an, ob ſie ihm
bey ſich der Ehre wieder theilhaft werden laſſen wollen;
doch kann dieſes allerdings bey dem erſtern Staate keine
Wuͤrkung haben h].
Hierinn koͤnnen die teutſchen Landesherrn ſowohl
gegen auswaͤrtige Nazionen, als gegen ihre Mitſtaͤnde,
die ihnen beliebigen Verordnungen treffen, z. B. die
Verheirathung in- oder aus fremden Landen erlauben
oder verbieten a]. Faſt durchgaͤngig iſt es aber den
Geiſtlichen unterſagt, Perſonen, welche von auswaͤrts
kommen, ohne die erfoderlichen Zeugniſſe und Erlaub-
nis von der Obrigkeit ihres Landes, zu trauen b].
Die Legitimationen unehelicher Kinder hat zwar der
Kaiſer das Recht durch ganz Teutſchland guͤltig zu ver-
richten, iedoch werden ſie auch von den Landesherrn
vorgenommen. Indes behaupten verſchiedene Rechts-
Z 4lehrer
[360]Von den Gerechtſamen
lehrer, daß die letztern auſſer eines ieden Gebiete nicht
guͤltig waͤren c]. Aber dies iſt wohl blos nach dem
ſtrengen Rechte zu verſtehn, nach welchem dergleichen
Handlungen auch unter ſouverainen Staaten auswaͤrts
keine Wirkung haben, weil die Hoheitsrechte ſich nicht
uͤber das Territorium hinaus erſtrecken. Nach einem
faſt algemeinen Herkommen wird ihnen das Anerkent-
nis in andern Landen nicht leicht verſagt werden. Ueb-
rigens kann freilich kein Reichsſtand einen Unterthanen
des andern legitimiren ꝛc. welches Recht nur dem Kai-
ſer, nach den Reichsgeſetzen, gebuͤhrt, den kaiſerli-
chen Pfalzgrafen hingegen werden auch in dieſem
Stuͤcke hier und da Schwierigkeiten gemacht d].
In Teutſchland iſt es nicht ungewoͤnlich, daß ein
Landesherr in des andern Landen Unterthanen habe,
die im uͤbrigen unter der Landeshoheit der letztern ſtehn.
So wie die meiſten der diesfalſigen beiderſeitigen Ge-
rechtſame auf Vertraͤge und Herkommen beruht, ſo
wird dem erſtern Landesherrn auch von den Untertha-
nen in andern Landen, nach Befinden und den etwa
habenden Beſitzungen die Huldigung geleiſtet oder
nicht a]. Ja es leiſtet hier, vermoͤge Vertraͤge, wohl
ein Landesherr dem andern eine Art von Huldigung b].
Noch gewoͤnlicher iſt in Teutſchland, ſchon obgedach-
termaaſſen,
[361]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
termaaſſen, die Huldigung von eines andern Landes
Unterthanen wegen Erbverbruͤderungen und anderer
Staatsrechtsſervituten c]. In wie fern ein Fremder,
der ſich in einem reichsſtaͤndiſchen Territorium nieder-
laͤßt, zugleich das Buͤrgerrecht erwerbe, haͤngt von
der Verfaſſung eines ieden Landes ab d].
Auch ſind im teutſchen Reiche viele Unterthanen
andern Landesherrn mit Lehnspflicht zugethan, nicht
nur in ſo fern ſie auswaͤrts Lehnguͤter beſitzen, ſondern
es finden ſich haͤufig Guͤter im Lande, die von auswaͤr-
tigen Landesherrn zu Lehn gehen e]. Dies ſind noch
Ueberbleibſel des alten Feudalſyſtems; denn heutzutage
wird, wegen der zu beſorgenden nachtheiligen Folgen,
einem Unterthanen nicht leicht verſtattet, ſein Gut
einem Auswaͤrtigen zu Lehn aufzutragen f].
Leibeigene haben, wenn ſie ohne entlaſſen zu ſeyn,
an einem andern Orte wohnen, ebenfalls einen doppel-
ten Landesherrn, da ſie in dieſem Falle, ihrem vorigen
Herrn noch verpflichtet bleiben, bey ihm zur Huldigung
erſcheinen, einen gewiſſen Zins erſtatten und andere
hergebrachte Gerechtſame uͤber ſich erdulten muͤſſen g].
Ein beſonderes ſogenantes Wildfangsrecht hat hier-
unter, vermoͤge alten Herkommens und der von Kaiſer
Maximilian I. 1518. und nachher oͤfter beſtaͤttigten
Privilegien, Kurpfalz in einem gewiſſen Diſtrict ſo-
wohl in ſeinen als in verſchiedener benachbarten Lan-
desherrn Territorien, daß alle auſſer einer rechtmaͤſſigen
Ehe erzeugte Perſonen, und alle Fremde, die in Jahr
und Tag keinen nachfolgenden Herrn haben, kurpfaͤl-
ziſche Leibeigene oder Wildfaͤnge werden, uͤber welche
Kurpfalz, auſſer der Huldigungs- und Dienſtpflicht,
manche dem Landesherrn, unter dem ſie ſich befinden,
beſchwerliche Gerechtſame ausuͤbt h], die ſchon zu vie-
len Streitigkeiten Anlas gegeben haben, welche zum
Theil durch den ſogenannten Heilbronner Schied von
Z 51667.
[362]Von den Gerechtſamen
1667. den Frankreich und Schweden, auf Anſuchen,
zwiſchen Pfalz und den intereſſirten Reichsfuͤrſten,
Trier, Koͤln, Speyer, Worms, Wuͤrzburg ꝛc. er-
theilten, beigelegt und die pfaͤlziſchen Rechte naͤher
beſtimt worden ſind i].
Auch die Landesherrn koͤnnen ihren Unterthanen,
beſonders Kuͤnſtlern und Handwerkern verbieten, ſich
ihrer Arbeit wegen auſſer Landes zu begeben a], und
von den auswaͤrtigen oder benachbarten Staaten ſich
brauchen zu laſſen; es ſey nun, daß das Land ſie ſelbſt
noͤthig habe, oder daß man Auswaͤrtigen dadurch nicht
gewiſſe Vortheile uͤberliefern wolle, oder aus andern
Urſachen b]. Die Auswaͤrtigen haben kein Recht ſich
daruͤber zu beſchweren.
In Abſicht der Religionseigenſchaft der teutſchen
Unterthanen, ihrer Rechte und Freiheiten hierunter
auch im Verhaͤltnis zu andern Landesherrn, ihres
Rechts zu emigriren, geben die teutſchen Reichsgrund-
geſetze, beſonders der Religions- und weſtphaͤliſche
Friede groͤſtenteils hinlaͤngliche Beſtimmungen an die
Hand, welche in den Lehrbuͤchern des teutſchen Staats-
rechts
[365]in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.
rechts zu erſehen ſind. Da die Kronen Frankreich und
Schweden, ſchon oben erinnertermaaßen, wegen der
uͤbernommenen Garantie dieſes letztern Friedens, ſo
wie die uͤbrigen contrahirenden Theile deſſelben, das
Recht und die Verbindlichkeit haben, fuͤr deſſen Auf-
rechthaltung auch in Anſehung der Religionsfreiheit der
teutſchen Unterthanen zu ſorgen; ſo kann es dieſer bey
erleidenden reichsgrundgeſetzwidrigen Bedruͤckungen
nicht verwehrt werden, bey ienen und ihren Glaubens-
verwandten Reichsſtaͤnden Huͤlfe zu ſuchen a]. Bloſſe
freundſchaftliche Interceſſionen ſind wohl auch andern
Staaten erlaubt. Eben ſo wenig kann einzelnen Lan-
desherrn, oder auch den geſamten Staͤnden eines Re-
ligionstheils das Recht ſtreitig gemacht werden, ſich
ihrer Glaubensgenoſſen ſowohl bey Auswaͤrtigen, als
bey ihren Mitſtaͤnden durch behufige Vorſtellungen und
andere zweckdienliche Mittel anzunehmen b]. Die Auf-
nahme und Dultung fremder von der herſchenden Re-
ligion eines Landes abweichenden Glaubensgenoſſen
ſind ebenfals nach obigen Grundgeſetzen und der Ver-
faſſung eines ieden Staats zu beurteilen. Der Ju-
denſchutz war ſonſt ein kaiſerliches Reſervat, das nur
durch Privilegien einzelnen Staͤnden ertheilt wurde,
wird aber itzt, vermoͤge der Landeshoheit faſt durchgaͤn-
gig ausgeuͤbt c].
Das Nachſteuer- und Abzugsrecht wird von den
teutſchen Landesherrn in Anſehung des Vermoͤgens,
welches durch Auswanderung oder Erbſchaft in fremde
Lande geht, eben ſo ausgeuͤbt, wie unter den europaͤi-
ſchen Staaten, und kann durch Vertraͤge gemindert
oder ganz aufgehoben werden a]. Das Albinagialrecht
wird gewoͤnlich nur als Retorſion gegen Frankreich
oder andere Staaten, wo es hergebracht iſt, ausgeuͤbt;
doch iſt dieſes Recht, wie ich oben bereits angemerkt
habe, in neuern Zeiten von Frankreich gegen die meh-
reſten Reichsſtaͤnde aufgehoben worden b].
Die Grundſaͤtze des europaͤiſchen Voͤlkerrechts ſind
hierinn auch bey den teutſchen Landesherrn, ſowohl ge-
gen Auswaͤrtige, als gegen Mitſtaͤnde anwendbar.
So lange des andern Unterthanen in fremden Landen
ſich aller Beleidigungen und unerlaubten Handlungen
enthalten, muͤſſen ſie auch allen Schutz daſelbſt genieſ-
ſen; wenn dieſer aber auch auſſer Landes uͤber fremde
Unterthanen ſich erſtrecken ſoll, muͤſſen beſondere Ver-
traͤge zum Grunde liegen. Ohne Wiſſen und Willen
des Landesherrn iſt indeſſen dergleichen und beſonders
der auswaͤrtige Schutz teutſcher Unterthanen, welcher
zu Abbruch der dem Kaiſer deshalb zuſtehenden algemei-
nen Rechte gereichet, keinesweges erlaubt a]. Verge-
hungen fremder Unterthanen koͤnnen, wenn dieſe im
Lande anzutreffen ſind, ſofort geahndet, oder es muß,
wenn ſie auſſerhalb ſich befinden, auf geſetzmaͤſſige Art
Genugthuung gefodert werden, die auch ienen wieder-
fahren muß, wenn ſie in fremden Landen beleidigt wor-
den ſind.
Jeder unabhaͤngige Staat erfodert eine hoͤchſte Ge-
walt, [Majeſtaͤt, Souverainetaͤt,] welche
die zur gemeinſchaftlichen Gluͤckſeeligkeit vereinigten
Willen und Kraͤfte der in eine Staatzgeſelſchaft ver-
bundenen Mitglieder und Landesbewohner dieſer Abſicht
gemaͤs regiere und anwende. Die Ernennung derieni-
gen Perſonen, welche dieſe Gewalt und die dazu gehoͤ-
rigen Rechte nach ihrem ganzen Umfange, oder wenig-
ſtens die weſentlichſten derſelben, beſitzen, die Bedin-
gungen, unter welchen ihnen ſolche anvertraut, und
die Art, wie ſie ausgeuͤbt werden ſollen, geben dem
Staate
[369]Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.
Staate die Form, unter welcher er ſich als ein politi-
ſcher Koͤrper darſtelt und beſtimmen die Regierungs-
form oder die Conſtitution und Verfaſſung deſſelben.
Die umſtaͤndlichere Ausfuͤhrung dieſer Materie gehoͤrt
in das algemeine Staatsrecht, und indem ich die Kent-
nis der daſelbſt angenommenen Grundbegriffe voraus-
ſetze, will ich hier nur ſoviel davon beruͤhren, als zu
dem gegenwaͤrtigen Zwecke [erforderlich] ſeyn duͤrfte.
Es ſind verſchiedene Beſtimmungen hierunter moͤg-
lich. Die gewoͤhnlichſte Eintheilung wird iedoch daher
genommen, ob die hoͤchſte Gewalt nur einer phyſiſchen
Perſon, oder mehrern, die zuſammen eine moraliſche
Perſon ausmachen, uͤbertragen iſt: die erſtern werden
Monarchieen, und die Perſon, der Monarch oder
Souverain, die andern Republiken genannt. Von
den letztern giebt es wieder zwey Hauptgattungen,
naͤmlich Ariſtocratieen und Democratieen, ie nachdem
die mehrern Perſonen blos in einer Auswahl der Na-
zion, oder in dem ganzen Volke beſtehen. Alle dieſe
nennt man einfache Regierungsformen. Daraus,
daß dieſe wieder verſchiedentlich zuſammengeſetzt wer-
den koͤnnen, entſtehen die vermiſchten, welche iedoch
darnach beurteilt zu werden pflegen, wo die meiſten
und vorzuͤglichſten Majeſtaͤtsrechte ſich beiſammen fin-
den a]. Hierzu komt noch das Staatenſyſtem, wenn
mehrere unabhaͤngige Staaten, zu Befoͤrderung des
gemeinſchaftlichen Wohls, in eine gleiche Geſelſchaft
als ein politiſcher Staatskoͤrper zuſammentreten [Syſte-
ma foederatorum civitatum].
Von den heutigen ſouverainen Staaten in Europa
gehoͤren bekantlich zu den Monarchieen, 1] Portu-
gal, 2] Spanien, 3] Frankreich, 4] Teutſchland,
5] Grosbritannien, 6] der Kirchenſtaat, 7] Neapel
und Sicilien, 8] Sardinien, 9] Malta, 10] Daͤne-
mark, 11] Schweden, 12] Polen, 13] Preuſſen,
14] Ungarn, 15] Rußland und 16] die Pforte. Re-
publiken ſind: 1] die vereinigten Niederlande, 2] die
Schweitz, 3] Venedig, 4] Genua, 5] Lucca, 6] Ra-
guſa und 7] San-Marino, wovon die vier vorletzten
eine ariſtokratiſche, die letzte aber eine ariſto-demokra-
tiſche Regierung haben. Die beiden erſtern hingegen
machen Staatskoͤrper verbundener Voͤlker oder Staa-
tenſyſteme aus, in deren verſchiedenen einzelnen Staͤd-
ten und Cantons die demokratiſche Regierungsform
eingefuͤhrt iſt b].
Vermoͤge der Freiheit und Unabhaͤngigkeit hat iedes
Volk das Recht, lediglich nach eigner Wilkuͤhr ſich
eine Regierungsform zu waͤhlen, welche es fuͤr die
beſte, oder ſeinen Verhaͤltniſſen am zutraͤglichſten haͤlt.
Dies pflegt durch gewiſſe Vertraͤge zwiſchen dem Volke
und denen, welchen die Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt
anvertraut wird, zu geſchehen. Man nennt ſolche
Grundvertraͤge oder Grundgeſetze des Staats
[pacta fundamentalia, leges fundamentales] und ſie
geben die vorzuͤglichſte Norm, nach welcher der Re-
gent die Regierung des Staats einzurichten verbunden
iſt, und wornach die beiderſeitigen Verhaͤltniſſe und
die Grenzen der Macht des Regenten zu beurteilen ſind.
Das Wohl des Staats erfodert fuͤr deren Aufrechthal-
tung die vorzuͤglichſte Sorgfalt zu tragen und ſolche
gegen innere und aͤuſſere Verletzungen zu verwahren a].
Indes fehlt es auch hier an Beiſpielen nicht, daß der-
gleichen Grundgeſetze mit Concurrenz fremder Nazionen
errichtet worden b].
Wenn uͤber dieſe Grundgeſetze und uͤber die Regie-
rungsverfaſſung uͤberhaupt Zweifel entſtehen, ſo iſt
niemand als die Theilhaber befugt, ſich der Entſchei-
dung anzumaaſſen, oder eine Erklaͤrung der zweifel-
haften Grundgeſetze vorzunehmen a]. Keinesweges
aber ſteht einer andern auswaͤrtigen Nazion einiges
Recht hierunter zu b]; wiewohl beſonders dieienigen,
welche etwa eine Garantie hierbey uͤbernommen haben,
ſich nicht ſelten dergleichen anzumaaſſen pflegen.
Ueberhaupt darf keine Nazion ſich unterſtehn, etwas
gegen die Regierungsverfaſſung einer andern zu unter-
nehmen a], oder ſich in Gegenſtaͤnde, welche dieſelbe
betreffen, ſo wenig als in die uͤbrigen innern Angele-
genheiten b] zu miſchen und ſich irgend ein Recht hier-
bey anzumaaſſen c]; ſie muͤſte denn, wie bey den Strei-
tigkeiten zwiſchen der Oberherſchaft und dem Volke
bereits erinnert worden, von der andern Nazion dar-
um erſucht werden d] oder vermoͤge einer uͤbernomme-
A a 3nen
[374]Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.
nen Garantie oder ſonſtigen Verbindlichkeit e], oder
ihres eignen Wohls und Intereſſe wegen, wohin man
auch die Nachbarſchaft und Bundsgenoſſenſchaft zu rech-
nen pflegt, dazu berechtigt ſeyn f]. Das bloſſe Er-
bieten einer freundſchaftlichen Vermittelung kann ihr
indes nicht fuͤglich als Beleidigung angerechnet werden,
ſondern wird eher zuweilen mit Dank angenommen g].
Selbſt dritte Nazionen wollen oͤfters nicht zugeben,
daß Fremde ſich in die Conſtitution einer andern
miſchen und deren Freiheit dadurch in Gefahr ſetzen h].
Dieienigen, welche einigen Grund zur Einmiſchung zu
haben glauben, pflegen den uͤbrigen Nazionen von
ihren Maasregeln Nachricht zu erteilen i].
Um einer Regierungsverfaſſung deſto mehr Dauer
und Sicherheit gegen innere und aͤuſſere Erſchuͤtterun-
gen zu geben, pflegen Nazionen oͤfters ſich ſolche von
andern garantiren und verſprechen zu laſſen, ihnen bey
vorfallenden gewaltſamen Angriffen auf dieſelbe Bei-
ſtand zu leiſten. Dieſe Garantie erfolgt, auf Erſu-
chen, gemeiniglich von denen, welche bey Feſtſetzung
der Conſtitution mit gewuͤrkt haben. Dieienigen,
welche dergleichen uͤbernommen haben, koͤnnen dann,
bey eintretendem Falle, der andern Nazion, wenn ſie
es verlangt, die verſprochene Huͤlfe nicht wohl verwei-
gern.
[380]Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.
gern a]. Zuweilen errichten ſogar dritte Maͤchte unter
ſich Vertraͤge uͤber die Garantie der Regierungsverfaſ-
ſung einer andern Nazion, wenn ihnen an deren Auf-
rechthaltung beſonders gelegen iſt b]. Auch iſt eine
ehemals uͤbernommene Garantie ſchon wieder aufgekuͤn-
digt und zuruͤckgenommen worden c]. Uebrigens ſind
hier die bey den Garantieen uͤberhaupt guͤltigen Grund-
ſaͤtze anwendbar.
So wie iede Nazion das Recht und die Freiheit
hat, ihre urſpruͤngliche Regierungsform und Verfaſ-
ſung nach Gutbefinden feſtzuſetzen, ſo muß es ihr,
wenn es mit Einwilligung ſaͤmtlicher intereſſirten Theile
geſchieht, auch erlaubt ſeyn, ſolche in der Folge, wenn
es die Umſtaͤnde erfodern, zu verbeſſern und umzuaͤn-
dern a]. Kein ander Volk iſt an ſich befugt, dies zu
verhindern, es muͤſte denn durch beſondere Verbind-
lichkeiten b] oder durch ein wegen Verletzung ſeiner eig-
nen volkomnen Rechte dabey habendes Intereſſe, hier-
zu berechtigt ſeyn c]. Ob aber eine blos im algemeinen
uͤbernommene Garantie hinlaͤnglich ſey, ſich einer vor-
zunehmenden Veraͤnderung der Regierungsform zu wi-
derſetzen, leidet eben die Zweifel, welche ich ſchon oben
[2. B. 2. Kap. §. 2. und 6. Kap. beſonders §. 6.]
bey der Landesveraͤuſſerung wegen obwaltender Garan-
tie bemerkt habe. Da die Garantie in der Regel mehr
zum Nutzen derer, welche ſich die Aufrechthaltung ver-
ſprechen laſſen abzweckt, damit keine gewaltſamen und
widerrechtlichen Veraͤnderungen vorgehen, ſo kann die-
ſes, wenn ſie mit Einverſtaͤndnis aller Theilhaber ge-
ſchehen, die garantierende Nazion ſchwerlich zu einem
Widerſpruche berechtigen, wenn ſie ſonſt kein weſent-
licheres Intereſſe dabey hat d]. Eben ſo wenig duͤrfen
andere Nazionen ein Volk zu Veraͤnderung ſeiner Con-
ſtitution noͤthigen, oder ſich anderer unerlaubter Mittel
hierzu bedienen e].
Wenn eine Nazion fuͤr gut gefunden hat, ihre Con-
ſtitution zu verbeſſern oder umzuaͤndern, ſo pflegt ſie
den uͤbrigen, beſonders denen, mit welchen ſie in
freundſchaftlichen Verhaͤltniſſen ſteht, ſolches bekant
zu machen a]; und dieſe koͤnnen mit Grunde die Aner-
kennung der neuen Regierungsverfaſſung nicht verwei-
gern, wenn die Veraͤnderung auf eine rechtmaͤſſige Art
geſchehen und ihren etwa dabey habenden Rechten da-
durch nicht zu nahe getreten worden iſt b].
Auch die landeshoheitlichen Staaten, und beſon-
ders die der teutſchen Reichsſtaͤnde, werden nach ver-
ſchiedenen Formen regiert. Allein dieſe haben, weil
ſie nicht voͤllig unabhaͤngig ſind, und keinen ſelbſtſtaͤn-
digen Staat ausmachen, ſondern als Theile eines an-
dern Hauptſtaats gelten, allerdings in Anordnung ihrer
Regierungsverfaſſung und deren Veraͤnderung nicht
dieienige Freiheit, welche den unabhaͤngigen Nazionen
hierunter zuſteht. Sie koͤnnen keine Veraͤnderung vor-
nehmen, wenn ſie auch der Verfaſſung ihres Landes
nicht zuwider waͤre, und mit Einwilligung ihrer Land-
ſtaͤnde geſchaͤhe, weil das ganze Reich dabey intereſſirt
iſt, und eine iede Haupaͤnderung auf das Reichsſyſtem
einen Einflus haben wuͤrde; wogegen ihnen irgend et-
was zu unternehmen nicht erlaubt iſt a]. Eben ſo we-
nig kann das Reichsoberhaupt fuͤr ſich allein, weder in
Anſehung der ganzen Reichsverfaſſung, noch in der
Einrichtung einzelner Staaten ſich einer Aenderung an-
maaſſen b]. Noch weniger haben auswaͤrtige Nazio-
nen einiges Recht hierunter oder duͤrfen von den Lan-
desherrn in ſolcher Abſicht gebraucht werden c]. Es
gehoͤrt vielmehr zur Obliegenheit und zum Wohl des
Reichsoberhaupts und ſaͤmtlicher Glieder fuͤr die Auf-
rechthaltung der Reichsverfaſſung die moͤglichſte Sorg-
falt zu tragen: wie denn ſelbſt Auswaͤrtigen ſolche nicht
ganz gleichguͤltig zu ſeyn pflegt. Und ob wohl die Kla-
gen uͤber Verletzung der Reichsverfaſſung von dieſer
B b 2und
[388]Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.
und iener Seite nicht ſelten ſind, ſo fehlt es doch auch
an Beiſpielen nicht, daß der Kaiſer d] und die Lan-
desherrn ſowohl unter ſich e] als mit fremden Nazio-
nen f], oder auch wohl dieſe letztern allein g] ſich zu
Erhaltung der Conſtitution des teutſchen Reichs nicht
nur im Ganzen, ſondern auch deſſen einzelnen Staa-
ten, durch Vertraͤge verbindlich gemacht haben.
Nach Beſtimmung der Perſonen, welchen man die
hoͤchſte Gewalt im Staate anvertrauen will, in
der Regierungsform, muß auch, beſonders in
monarchiſchen Staaten, die Art feſtgeſetzt werden,
wie dieſe Perſonen zur Ausuͤbung der Regierung gelan-
gen ſollen, d. i. die Regierungsfolge. Wird das
Recht hierzu einer Perſon iedesmal blos auf ihre Le-
benszeit uͤbertragen, ſo, daß nach deren Abſterben ein
neuer Regent gewaͤhlt werden muß, ſo iſt es ein Wahl-
reich; wenn aber die Regierung und das Recht dazu
zu gelangen einer ganzen Familie, oder einer Perſon
fuͤr ſich und in voraus fuͤr ihre ſaͤmtlichen Nachkom-
men, nach einer gewiſſen Ordnung, aufgetragen wird,
ſo iſt es ein Erbreicha]. Aus der Verſchiedenheit
dieſer Ordnung entſtehen mehrere Gattungen der Erb-
reiche. Iſt die Regierungsfolge mit der gewoͤnlichen
Privaterbfolge verbunden und durch Vertraͤge der regie-
renden Familie oder anderer Souverains feſtgeſetzt; ſo
nennt man es im eigentlichen Verſtande ein Erbreich
[regnum hereditarium]; iſt hingegen die Ordnung der
Erbfolge in der Regierung durch beſondere Grundge-
ſetze der Nazion angeordnet, ſo heißt es ein Erbfol-
gereich [regnum ſucceſſorium]. Eine dritte Gattung
entſteht, wenn gar keine Grundgeſetze oder Familien-
B b 4ver-
[392]Von der Regierungsfolge.
vertraͤge deshalb vorhanden ſind, ſondern theils der
iedesmalige Regent aus ſeiner Familie, oder ſonſt,
den Nachfolger, theils wenigſtens der letzte, eine neue
Familie zur Regierungsfolge, mit Einſtimmung der
Nazion, wilkuͤhrlich erwaͤhlen kann: dieſe werden Pa-
trimonialreiche und gemiſchte Erbreiche [regnum
patrimoniale und mixtae ſucceſſionis] genannt, weil
ſie ſowohl von den Erb- als Wahlreichen etwas gemein
haben b].
Wahlreiche ſind in Europa dermalen nur noch
Teutſchland, der Kirchenſtaat und Malta, nachdem
Polen durch die neuere Conſtitutionsaͤnderung bekant-
lich nunmehr zum Erbreich erklaͤrt worden iſt.
Erbreiche hingegen, und zwar im eigentlichen
Sinne: Spanien, Sicilien, Sardinien, Daͤnemark,
Ungarn und Boͤhmen nebſt den uͤbrigen oͤſterreichiſchen
Staaten, ingleichen Preuſſen; Erbfolgsreiche:
Portugal, Frankreich, Grosbritannien und Schweden.
Zu den Patrimonialreichen werden gewoͤnlich die Pforte
und Rußland, ſeit Peter I. gerechnet c].
Die urſpruͤngliche Beſtimmung der Ordnung in
der Regierungsfolge haͤngt, ſo wie die Regierungsform
ſelbſt, lediglich von der Wilkuͤhr einer Nazion ab; es
ſey nun, daß das Volk oder die Staͤnde ſolche wuͤrk-
lich ſelbſt anordnen, oder daß ſie ſich die Vertraͤge der
Familie, der ſie das Erbfolgsrecht uͤbertragen hat, oder
auch andere Einrichtungen hierunter durch ſtillſchwei-
gende Einwilligung gefallen laſſen a]. Sie kann auch
gewiſſe Bedingungen hinzufuͤgen und verlangen, daß
der iedesmalige Regent z. B. einer gewiſſen Religion
zugethan ſeyn oder andere Erfoderniſſe haben ſolle b].
Wenn eine Veraͤnderung in der Regierungsfolge vor-
zunehmen noͤthig oder gut iſt c], ſtehet ſolches der Na-
zion, oder der regierenden Familie oder denen, die ſonſt
ein gegruͤndetes Recht dazu erlangt haben, allerdings
frey d], ſolche durch neue Vertraͤge, Teſtamente ꝛc.
oder auf andere ihrer Verfaſſung nach, rechtsbeſtaͤndige
Art zu beſtimmen e].
Andere Nazionen muͤſſen ſich dieſe zur innern Ver-
faſſung eines ieden Volks gehoͤrige Einrichtungen ge-
fallen laſſen und ſie anerkennen a]. Sie haben kein
Recht, ſich darein zu miſchen, eine dahingehoͤrige Be-
ſtimmung vorzuſchreiben, oder die rechtmaͤſſig feſtge-
ſetzte Erbfolge zu verhindern, wenn ihnen keine Ge-
rechtſame dadurch gekraͤnkt werden b] und, nach den
heutigen Grundſaͤtzen der europaͤiſchen Nazionen, das
Gleichgewicht dabey nicht in Gefahr komt c]. Zuwei-
len laſſen Nazionen ſich dies ausdruͤcklich in Vertraͤgen
verſprechen d]; es ſind iedoch, vorzuͤglich in neuern
Zeiten, oͤfters Faͤlle vorgekommen, wo auswaͤrtige
Maͤchte, unter allerhand Vorwand, wegen verletzter
Gerechtſame ihrer Regenten, wegen des Gleichge-
wichts, oder auch blos aus Freundſchaft und Nachbar-
ſchaft, eine ſonſt rechtliche Erbfolge vernichtet und da-
gegen nach wilkuͤhrlichen Grundſaͤtzen eine andere vor-
geſchrieben
[396]Von der Regierungsfolge.
geſchrieben oder bey deren Feſtſetzung mit gewuͤrkt
haben e].
Erbfolgsfaͤhig ſind an ſich alle dieienigen, die zur
Familie, der die Regierung aufgetragen iſt, gehoͤren
und auf welche die vorgeſchriebene Ordnung ſich er-
ſtreckt a]; denn es ſteht denen, welche ein Recht die
Erbfolge zu beſtimmen haben, ohnſtreitig bey Feſtſe-
tzung derſelben frey, gewiſſe Perſonen der regierenden
Familie z. B. die aus ungleicher Ehe erzeugten, legi-
timirten Kinder, oder das weibliche Geſchlecht b] ent-
weder ganz oder unter gewiſſen Bedingungen c] davon
auszuſchlieſſen. Dieienigen, welche ein Recht dazu
haben, koͤnnen auch ſelbſt ſich deſſen begeben d]. Wenn
die Regierungsfolge aber einmal gehoͤrig angeordnet
iſt, und die Ordnung eine Perſon trift, auf welche
iene Ausſchlieſſung ſich nicht erſtreckt, ſo kann ihnen
ſolche nicht, am wenigſten von fremden Nazionen ent-
zogen
[398]Von der Regierungsfolge.
zogen werden e]. Doch fehlt es auch hier des Gleich-
gewichts und anderer Staatsurſachen wegen, nicht an
Beiſpielen vom Gegentheil f].
Wenn die Erbfolge ſo zweifelhaft iſt, daß daruͤber
in der Nazion Streitigkeiten entſtehen, ſo komt es ent-
weder lediglich auf die guͤtliche Vereinigung der Na-
zion a], oder auf das Gluͤck der Waffen an b], wer
fuͤr den rechtmaͤſſigen Erbfolger zu erklaͤren ſey. Auf
keinen Fall ſteht andern Nazionen ein Recht der Beur-
teilung und Entſcheidung zu. Sie haben ſich auch,
wenn durch innere Unruhen eine Revolution in der
Ebfolge bewuͤrkt wird, darein nicht zu miſchen c]. In-
des ſteht es, wenn ſie ſich alles deſſen enthalten, gleich-
wohl frey, die Parthey eines oder des andern Theils
zu nehmen oder neutral zu bleiben d], wenn ſie ſich
nicht durch Vertraͤge zu etwas anderm verbunden
haben e].
Um mancherley Streitigkeiten bey der Erbfolge,
und der Einmiſchung fremder Nazionen dabey vorzu-
beugen, pflegen die Regenten ſich das Recht der Erb-
folge von andern garantiren zu laſſen. Dies geſchieht
entweder in Friedensſchluͤſſen oder in beſondern Ver-
traͤgen, und zwar theils ausdruͤcklich, theils dadurch,
daß einem Souverain alle ſeine Reiche, Beſitzungen ꝛc.
verſichert werden a]. Mehrere europaͤiſche Nazionen
haben ſich auf dieſe Art wegen ihrer Erbfolge vorzuſehn
geſucht b]. Es komt ohnſtreitig auf ieder Nazion Gut-
befinden an, wenn ſie um eine dergleichen Garantie
angeſprochen wird, ob, in wie ferne, und unter wel-
chen Bedingungen ſie ſolche uͤbernehmen will. Nur
tritt, wie bey allen Garantieen, auch hier oft der Fall
ein, daß ſie zur Zeit der Noth ohne Wuͤrkung bleiben c].
Nach Abgang oder Abſetzung der bisherigen regie-
renden Familie iſt ſelbſt in Erbreichen die Wahl eines
neuen
[405]Von der Regierungsfolge.
neuen Regenten und ſeiner Nachkommen erfoderlich.
Sie findet auch in den ſogenanten Patrimonial- und
vermiſchten Reichen, wo dem vorigen Regenten einiges
Wahlrecht zuſteht, Statt. Hauptſaͤchlich aber komt
die Wahlfolge in den eigentlichen Wahlreichen vor,
wo iedesmal, nach Abſterben eines Regenten, ein
neuer durch die Wahl zu ernennen iſt. Die Grundver-
faſſung des Staats muß das Recht der Wahl in allen
dieſen Faͤllen beſtimmen.
Das Wahlrecht kann denen, welchen es nach der
Verfaſſung zukomt, auf keine Weiſe, zumal durch an-
dere Nazionen entzogen oder ihnen die verfaſſungsmaͤſ-
ſige Freiheit hierunter benommen werden a], wenn ſie
nicht durch beſondere Vertraͤge ſich dieſer Freiheit bege-
ben b] und etwa zu Gunſten einer Perſon bereits er-
klaͤrt haben c]. In manchen Reichen ſind hieruͤber be-
ſondere Vorſchriften und Wahlgeſetze vorhanden d],
deren Errichtung zwar allein von der Nazion abhangt,
die aber doch, auf Erſuchen, von andern Nazionen
garantirt werden koͤnnen e].
Andere Nazionen duͤrfen ſich in die Wahlen eben
ſo wenig als in die Erbfolge miſchen, die Wahl eines
Kandidaten mit Gewalt durchſetzen wollen, oder ande-
rer directer oder indirecter Mittel ſich bedienen, ihre
Abſicht hierunter zu erreichen a]. Es werden daher in
Wahlreichen mehrenteils die auswaͤrtigen Geſandten,
und andere fremde Perſonen, denen man einigen Ein-
flus zutrauen koͤnte, von dem Wahlorte abgehalten b].
Doch giebt es Beiſpiele genug, daß fremde Nazio-
nen c], ſelbſt unter dem Scheine die Wahlfreiheit zu
erhalten, die waͤhlende Nazion nach ihren Abſichten
C c 4gelenkt d],
[408]Von der Regierungsfolge.
gelenkt d], einem Prinzen die Wahl angetragen e] und
ihm ſolche in Vertraͤgen verſprochen, auch die verlangte
Wahl mit Gewalt durchgeſetzt haben f]. Ohne Erſu-
chen des intereſſirten Staats ſind andere Nazionen
eigentlich auch nicht befugt, unter ſich Vertraͤge uͤber
die Aufrechthaltung der Wahlfreiheit eines dritten
Reichs zu [errichten]g]. Ihre Einmiſchung pflegt ie-
doch alsdenn zu erfolgen und entſchuldigt zu werden,
wenn eine Auffoderung vorausgegangen iſt h], eine
uͤbernommene Garantie, oder beſondere Vertraͤge i]
deshalb vorhanden ſind, oder eine wuͤrkliche Gefahr
des Gleichgewichts k], wie nicht weniger deren eigenes
weſentliches Intereſſe und Erhaltung dabey obwaltet l];
wiewohl oͤfters auch bloſſe Nachbarſchaft, Conve-
nienz ꝛc. als hinlaͤngliche Urſachen angeſehen werden
wollen m].
Die Einmiſchung geſchieht hauptſaͤchlich in ſo ferne,
als man entweder einen Wahlkandidaten vorzuͤglich
unterſtuͤtzt, oder andere nicht anſtaͤndige von der Wahl
ausſchlieſſen will. Die bloſſe Aeuſſerung: daß man es
gern ſaͤhe, wenn dieſer oder iener gewaͤhlt wuͤrde, und
eine Empfehlung ohne Aufdringen, und Anwendung
anderer nachdruckſamer Mittel, kann mit der Wahl-
freiheit gar wohl beſtehen a], und iſt bey den meiſten
Wahlreichen von den benachbarten und andern intereſ-
ſirten Nazionen uͤblich b]; wird auch von dem waͤhlen-
den Volke ſelten als Beleidigung aufgenommen.
Aehnliche Bewandnis hat es mit der Ausſchlieſſung
eines Wahlkandidaten, wider welchen andere Nazio-
nen etwas einzuwenden haben. Sie koͤnnen allenfals
ihre Bedenklichkeiten gegen denſelben dem waͤhlenden
Volke zu erkennen geben, und anſuchen, daß er nicht
gewaͤhlt werden moͤchte, deſſen Ausſchlieſſung aber nicht
als Schuldigkeit verlangen; ſie muͤſten denn das Recht
hierzu auf andere Art erlangt a], oder, nicht ſowohl
wegen einer vermeintlichen Schuldigkeit des Candida-
ten fuͤr das Wahlreich, als wegen der eignen daraus
zu beſorgenden Gefahr, ein beſonderes Intereſſe bey der
Wahl haben b]. Es iſt daher ſchon oͤfter geſchehen,
daß andere Nazionen wider die Wahl dieſes oder ienes
Prinzen proteſtirt und erklaͤrt haben, ihn nicht zu er-
kennen c], woruͤber zuweilen heftige Streitigkeiten ent-
ſtanden ſind d].
Die Entſcheidung ſtreitiger oder zwieſpaͤltiger
Wahlen durch innere Unruhen und Factionen, kommt
Guͤnth. Voͤlk. K. 2. B. D dlediglich
[418]Von der Regierungsfolge.
lediglich der Nazion zu, und muͤſſen die intereſſirten
Theile ſich der Reichsverfaſſung gemaͤs deshalb verglei-
chen oder die Sache ſonſt ausmachen a]. Auswaͤrtige
Maͤchte haben darein nichts zu ſagen, auſſer wenn ſie,
nicht wie bey der uͤbrigen Einmiſchung, durch beſondere
Vertraͤge, den eignen aus dieſen Unruhen ihr zuwach-
ſenden Schaden und Nachtheil dazu berechtigt oder
ſonſt aufgefodert werden. Ehedem maßten ſich vor-
zuͤglich die Paͤpſte ein Entſcheidungsrecht hierunter an,
das ihnen aber beſonders in neuern Zeiten keinesweges
mehr zugeſtanden wird b]. Deſto haͤufiger pflegen an-
dere Nazionen, unter irgend einem Vorwand, in ſol-
chen Faͤllen geſchaͤftig zu ſeyn c].
Die Garantie der in einem Reiche etwa vorhande-
nen Wahlgeſetze, und daß oͤfters andere Nazionen,
ohne Concurrenz des Wahlreichs, blos ihres eignen
Vorteils wegen, zu Aufrechthaltung der Wahlfreiheit
eines dritten Staats unter ſich Vertraͤge errichten,
habe ich ſchon oben [§. 9.] beruͤhrt. Uebrigens ge-
ſchieht die Garantie der Wahlen auch zuweilen auf Er-
ſuchen oder mit Theilnahme des Wahlſtaats. Dieſe
Garantie liegt entweder ſchon in der uͤbernommenen
Garantie der Conſtitution a] oder wird noch beſonders
verſprochen, und geht entweder die Wahlfreiheit uͤber-
haupt an b] oder erſtreckt ſich auch nur auf einen einzel-
nen gewaͤhlten Regenten, deſſen Wahl man aufrecht
zu erhalten ſich verbindet c], oder man macht ſich auch
wohl anheiſchig, die Garantie einer Wahl in voraus
zu uͤbernehmen d].
Wenn in Erbreichen eine Perſon vorhanden iſt,
welche aus einer Menge moͤglicher Urſachen, als wegen
ent-
[421]Von der Regierungsfolge.
entfernterer Verwandſchaft, wegen unehelicher, un-
rechtmaͤſſiger und untergeſchobener Geburt ꝛc. von einer
andern, die ein ſtaͤrkeres Recht zur Regierung hat,
oder wenigſtens zu haben glaubt, ausgeſchloſſen wird,
oder wenn in Wahlreichen, bey entſtehenden Unruhen
und Spaltungen des Volks, von den verſchiedenen
Partheien mehrere erwaͤhlt werden, wovon ieder die
Rechtmaͤſſigkeit der Wahl behauptet und auf die Regie-
rung Anſpruch macht, oder auch wenn Betruͤger ſich
aufwerfen und fuͤr eine Perſon ausgeben, die allenfals
wuͤrklich einiges Recht auf den Thron haben koͤn-
ten, ſo nennt man dieſe, wenn ſie noch darum ſtreiten,
Mitwerber, Competenten, Praͤtendenten hingegen
die uͤbrigen wenn der eine ſich bereits im Beſitz befin-
det a]. Dergleichen Praͤtendenten koͤnnen auch daher
entſtehen, wenn ein Regent durch Krieg oder innere
Factionen ſein Reich verliert b]. Die beiderſeitigen
Rechte muͤſſen, wie von den uͤbrigen Wahlſtreitigkeiten
ſchon erinnert worden, lediglich nach den Grundgeſetzen
der Conſtitution, welche die Nazion in zweifelhaften
Faͤllen gar wohl zu erklaͤren befugt iſt, entſchieden,
oder, wenn dieſe nicht auslangen und in Anwendung
zu bringen ſind, die Streitigkeiten durch die Praͤten-
denten ſelbſt, entweder in guͤtlichen Vertraͤgen, durch
compromiſſariſchen Ausſpruch oder auf andere Weiſe c]
und endlich mit Gewalt der Waffen beendigt werden d].
Andern Nazionen ſteht, auſſer unter ienen mehrerwaͤhn-
ten Umſtaͤnden, kein Entſcheidungsrecht dabey zu e].
Doch haͤngt es, ſo lange die Sache zweifelhaft iſt,
von ihrem Gutbefinden ab, ob ſie die Parthen des
einen oder andern ergreifen f], ihm Aufenthalt, Schutz
und die einem Regenten gebuͤhrenden Ehrenbezeigungen
gewaͤhren wollen g]. Wenn der eine aber bereits zum
ruhigen Beſitz gelangt und von den meiſten uͤbrigen
Nazionen anerkant iſt, ſo wird es allerdings als Be-
D d 3leidigung
[422]Von der Regierungsfolge.
leidigung angeſehen, wenn dem andern Theile derglei-
chen zugeſtanden oder ihm wohl gar Beiſtand gegen
ienen geleiſtet wird h]. Um dergleichen Theilnahme
zu verhindern, laſſen ſich die Nazionen daher von an-
dern oͤfters verſprechen, daß ſie der Praͤtendenten ſich
nicht annehmen, und ihnen in ihren Landen weder Auf-
enthalt verſtatten, noch ſonſt eine Unterſtuͤtzung zu-
kommen laſſen wollen i].
Ob und in wie ferne die Souverains einer Nazion
einen Mitregenten annehmen koͤnnen, komt auf die
Grundverfaſſung eines ieden Reichs an, und wenn
dieſe
[425]Von der Regierungsfolge.
dieſe es erlaubt, haben andere Nazionen eigentlich nichts
dagegen zu ſagen, wenn nicht beſondere ihnen zuſtehen-
de Rechte dadurch verletzt werden.
Bey den teutſchen Landesherrn trift man ebenfals
verſchiedene Arten der Regierungsfolge, Erb- und
Wahlſtaaten an. Zu den letztern gehoͤren die geiſtli-
chen Erz- und Bisthuͤmer ꝛc. Es ſind mehrenteils ge-
wiſſe Grundgeſetze, Erbvertraͤge, Erbverbruͤderun-
gen ꝛc. deshalb vorhanden, welche in zweifelhaften
Faͤllen zur Beurteilung und Entſcheidung dienen.
Dieſe gehoͤrt aber allerdings vor das Reichsoberhaupt
und die Reichsgerichte a]; daher auch die Landesherrn
in Anſehung der Garantie und im uͤbrigen nicht ſo nach
voͤlliger Wilkuͤhr verfahren koͤnnen, wie unabhaͤngige
Nazionen b]. Die Einmiſchung anderer, beſonders
auswaͤrtiger Staaten ſolte auch hier keinesweges Statt
finden, doch fehlt es an Beiſpielen nicht, daß ſie ſich
in die Regierungsfolge gemiſcht c], und ſolche durch
ihre Einwuͤrkung regulirt haben d].
Bey den Wahlen der teutſchen geiſtlichen Landes-
herrn haben die Kapitel zwar das freie Wahlrecht, doch
ſteht dem Kaiſer e] ſowohl, als einigen Mitſtaͤnden f],
vornaͤmlich den Schutzherrn, einige Concurrenz dabey
zu; nicht zu gedenken, daß auch hier ſehr oft auswaͤr-
tige Nazionen, nicht blos durch Empfehlungen, ſon-
dern oͤfters durch nachdruͤcklichere Mittel ihren Einflus
haben g].
Die Anſpruͤche eines Praͤtendenten gehoͤren ebenfals
zur Entſcheidung des Reichsoberhaupts h].
In monarchiſchen Staaten, deren Oberhaupt mit
der kaiſerlichen oder koͤniglichen Wuͤrde bekleidet
iſt, pflegt nach einem Herkommen unter den Nazionen,
der neue Regent, nachdem er durch die Erbfolge oder
Wahl zur Regierung gelangt iſt, gleichſam zur Beſtaͤ-
tigung und feierlichen Einweihung, gekroͤnt und geſalbt
zu werden, und man nent ſie daher gekroͤnte Haͤup-
tera]. Die Nothwendigkeit und Feierlichkeiten der
Kroͤnung beruhen auf die Verfaſſung und das Herkom-
men ieden Reichs. Auswaͤrtige Nazionen haben da-
bey nichts zu ſagen b], als daß ihre Souverains zu-
weilen zu den Feierlichkeiten eingeladen werden und
denſelben beiwohnen. Doch haben die Paͤpſte ſich be-
kantlich in aͤltern Zeiten mancherley Rechte hierunter,
beſonders in Abſicht der roͤmiſchen Kaiſerkroͤnung ange-
maßt c]. Auch geſchieht es wohl, daß dieienigen,
welche wider die Wahl oder Erbfolge des Regenten
etwas einzuwenden haben, auch die Kroͤnung deſſelben
zu verhindern und ihre Gerechtſame hierunter durch
Proteſtationen zu verwahren ſuchen d].
Von dem erfolgten Regierungsantritt pflegen die
Souverains den andern, beſonders freundſchaftlichen
Nazionen a], in Schreiben, welche durch den gewoͤn-
lichen oder einen auſſerordentlichen Geſandten b], oder
durch Curirs ꝛc. wie es herkomlich, uͤberreicht werden,
Nachricht zu ertheilen, und von dieſen dagegen Gluͤck-
wuͤnſche zu erhalten c]. Dieſe Gewonheit beruht ſo-
wohl uͤberhaupt, als in der Art, auf bloſſe Wilkuͤhr d],
und kann nicht leicht als Schuldigkeit angeſehn wer-
den. Nur der Papſt verlangt deren Beobachtung als
eine ſolche von dem Kaiſer und den uͤbrigen catholiſchen
Maͤchten e]. Doch pflegen uͤber die Notification und
uͤber die Abſtattung der Gluͤckwuͤnſche zuweilen Ver-
traͤge errichtet zu werden f], welche, ſo wie ein etwa
vorhandenes verbindliches Herkommen, allerdings be-
folgt werden muͤſſen; widrigenfals die andere Nazion
die Unterlaſſung oder Abweichung auf irgend eine Weiſe
als Beleidigung anſehn, und die Annahme verweigern
kan g]. Die Notification wird iedoch gemeiniglich un-
terlaſſen, wenn man weiß, daß die andere Nazion die
Anerkennung eines Regenten verweigert h]. Zuweilen
ſtelt der Hof, dem die Notification geſchieht, ſelbſt
einige Feierlichkeiten deshalb an, wenigſtens aber wird
den Unterthanen der Nazion, deſſen Regent die Regie-
rung antritt, die ſich in andern Landen befinden, wenn
ſie deshalb gewiſſe oͤffentliche Freudenbezeigungen an-
ſtellen wollen, ſolches, mit Vorbewuſt der Obrigkeit
nicht leicht verwehrt i].
Auf dieſe Notification ſind andere Nazionen, wenn
die Gelangung auf den Thron durch Erbfolge oder
Wahl gehoͤrig geſchehen iſt a] verbunden, den neuen
Regenten, den die Nazion annimmt, auch zu erken-
nen, welches gemeiniglich dadurch geſchieht, daß die
Notification angenommen und beantwortet wird b];
denn wenn Streitigkeiten und Zweifel dabey obwalten,
haͤngt es, ſchon obgedachtermaaſſen, von der Wilkuͤhr
einer ieden ab c]. So lange aber eine oder die andere
Nazion, aus vorerwaͤhnten Gruͤnden, Urſach zum
Widerſpruch gegen die Thronbeſteigung eines Regenten
zu haben glaubt, kann die Anerkennung freilich nicht
verlangt werden. Es ſind daher ſchon oͤfter Faͤlle vor-
gekommen, daß andere Nazionen, beſonders einen ge-
waͤhlten Regenten, wegen zwieſpaltiger Wahl, wegen
Unanſtaͤndigkeit der Perſon, wegen unrechtmaͤſſiger
Entſetzung des vorigen Oberhaupts, wegen mangeln-
der Theilnahme einiger Wahlglieder und ſonſt die An-
erkennung
[433]Von Antritt und Endigung der Regierung.
erkennung verweigert haben d]; und daß dieſe erſt in
der Folge zuweilen durch Krieg, in den darauf gefolg-
ten Friedensſchluͤſſen bewuͤrkt werden muͤſſen e]. Wenn
dieſe nicht erfolgen will, pflegt der andere Theil ſich
aller dienſamen Mittel, als Anfangs Vorſtellungen,
Negociationen, Drohungen und am Ende gar Gewalt
zu bedienen f]. Auch haben ſchon dritte dabey inter-
eſſirte Nazionen ſich bemuͤht, die Anerkennung zu er-
halten g], oder von andern verlangt, daß ſie einen
gewiſſen Regenten nicht erkennen moͤchten h].
Ob und in wie ferne einem Regenten erlaubt ſey,
freiwillig die Regierung niederzulegen, muß aus den
Grundgeſetzen eines ieden Staats beurteilt werden;
andere Nazionen haben in der Regel nichts darein zu
ſagen a]. Ein Souverain, welcher die Regierung ab-
gedankt hat, pflegt iedoch ſowohl in ſeinem Staate,
als auswaͤrts, die perſoͤnlichen Gerechtſame der Sou-
verains zu genieſſen b]. Indes kann auch andern
Nazionen, wenn ſie Nachtheil daraus zu befuͤrchten
haben ſolten, nicht verargt werden, andere Maasre-
geln hierunter zu ergreifen, und ihm z. B. ſogar den
Aufenthalt bey ſich abzuſchlagen c].
Eben ſo verhaͤlt es ſich mit der wider Willen des
Regenten abgenoͤthigten Entſagung oder Abſetzung eines
Souverains, wenn die Nazion etwa, vermoͤge der
ſogenannten commiſſoriſchen Clauſel a], oder wegen
offenbarer Tyranney das Recht hat, ſich der Abſetzung
anzumaſſen b], oder ſolche durch Unruhen und Factio-
nen bewuͤrkt wird c]. Andere Nazionen aber koͤnnen
von einem Volke die Entſetzung ſeines Regenten nicht
verlangen, oder ſich ſelbſt derſelben unterfangen d], als
allenfals im Kriege, wenn die Nothwendigkeit es er-
fodert e]. Wenn ſie aber auf irgend eine Art geſchieht,
ſo komt es auf die Umſtaͤnde, und einer ieden Nazion
Wilkuͤhr und Gutbefinden an, ob ſie ſich deſſen anneh-
men, wenn er das Gluͤck hat, ſich wieder auf den
Thron zu ſchwingen, ihn anerkennen, ihm, wenn er
Zuflucht zu ihnen nimt, wenigſtens Aufenthalt ver-
ſtatten, und ihm andere Ehre erweiſen wollen f]. Nur
ſteht ihnen kein Recht einer entſcheidenden Beurteilung
zu g].
Die Landesherrn pflegen einander, auch wohl aus-
waͤrtigen Nazionen, ebenfals von ihrem Regierungs-
antritt Nachricht zu erteilen, und erhalten Gluͤckwuͤn-
ſche dagegen. Die Anerkennung unter ſich hat hier um
ſo weniger Schwierigkeiten, weil bey entſtehenden
Zweifeln in den meiſten Faͤllen die Entſcheidung des
Reichsoberhaupts eintritt. In Anſehung auswaͤrtiger
Nazionen iſt es ſchon oͤfter vorgekommen, daß dieſe
einen teutſchen Landesherrn nicht haben erkennen wollen
oder von letzterm nicht erkant worden ſind a]. In die
Abdankung der Regierung, beſonders in den geiſtlichen
Wahlſtaaten, haben, wenn ſie rechtmaͤſſig geſchieht,
weder die Mitſtaͤnde noch andere Nazionen ſich zu mi-
ſchen, ſo wenig als in die Entſetzung, welche iedoch,
durch die Achtserklaͤrung, nach den Reichsgeſetzen b]
nicht anders als mit Einwilligung der Reichsſtaͤnde
geſchehen ſoll, und wobey in Anſehung der Geiſtlichen
dem Papſt vermoͤge der Concordaten von 1448. zumal
ehedem viele Gewalt zuſtand c].
Die Titel der Regenten ruͤhren entweder von ihren
Wuͤrden, oder ihren Landen, oder von andern
Ehrenbezeigungen und Veranlaſſungen her. So wie
iede freie und unabhaͤngige Nazion befugt iſt, ſich ihre
Regierungsform und die Art der Regierungsfolge ihrer
Regenten zu erwaͤhlen, ſo hat ſie ohnſtreitig auch das
Recht, nach Wilkuͤhr, ihrem Territorium eine Be-
nennung zu geben, die Wuͤrde ihres Regenten zu be-
ſtimmen und ihm andere Ehrenzeichen und Titel beizu-
legen; oder der Regent kann mit Einſtimmung ſeines
Volks ſelbſt dergleichen annehmen a]. Nach dem na-
tuͤrlichen Rechte haben die Wuͤrden und Titel an ſich
E e 4frei-
[440]Von den Titeln, Wapen
freilich keinen Werth, und geben den Nazionen, die
urſpruͤnglich alle einander gleich ſind, durch ihre Ver-
ſchiedenheit keinen Vorzug b]. Man hat auch in neu-
ern Zeiten dieſen Grundſatz mehr als ehemals zu befol-
gen geſucht. Indes haben Vorurtheil und Herkom-
men mit gewiſſen Namen eine hoͤhere Meinung verbun-
den, welche, iener Gleichheit ungeachtet, doch auf die
Verhaͤltniſſe der Nazionen, und die perſoͤnlichen Zu-
ſtaͤndigkeiten der Regenten, die ſie fuͤhren, einen groſ-
ſen Einflus haben. Dahin gehoͤren beſonders die Kai-
ſer- und Koͤnigswuͤrde.
Die Kaiſerwuͤrde hielten in aͤltern Zeiten nicht nur
die Regenten, die damit bekleidet waren, ſondern auch
andere Nazionen fuͤr die hoͤchſte. Sie wurde vorzuͤg-
lich a] von den Beherrſchern des Roͤmiſchteutſchen
Reichs [naͤchſt den Regenten des orientaliſchen Kaiſer-
thums zu Conſtantinopel, von welchen letztern die tuͤr-
kiſchen Sultane, nach Zerſtoͤhrung dieſes Reichs,
ſolche annahmen und dem roͤmiſchen Kaiſer ſelbſt ſtrei-
tig machten, bis ſie 1606. ſich verglichen, beide dieſen
Titel zu gebrauchen b];] und gewiſſermaaſſen ausſchlus-
weiſe gefuͤhrt, indem ſie nicht zugeben wolten, daß ein
anderer Regent ſich deſſen bediente c]. Die Czaare,
oder
[441]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
oder Koͤnige von Rußland hatten zwar laͤngſt den Titel:
Autocrator, welcher im Griechiſchen eben ſo viel, als
Imperator bedeutet, [wiewohl die roͤmiſchen Kaiſer
dieſe Ueberſetzung nicht dulten wolten] gefuͤhrt, nah-
men aber 1721. den Kaiſertitel foͤrmlich an d]. An-
dere europaͤiſche Souverains als Spanien, Frankreich,
Grosbritannien, legten ſich ehedem zwar zuweilen eben-
fals den kaiſerlichen Titel bey und pflegen ſich deſſen
noch, aber nicht gegen andere europaͤiſche Nazionen,
ſondern nur in Verhandlungen mit einigen Aſiatiſchen
und Africaniſchen Fuͤrſten zu bedienen, und erhalten
ſolchen von ihnen wieder e].
Nach der kaiſerlichen folgt zunaͤchſt die koͤnigliche
Wuͤrde, womit auch der Roͤmiſche Kaiſer zugleich als
Koͤnig
[443]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
Koͤnig in Germanien bekleidet iſt. Sie begreift eben-
fals verſchiedene Vorzuͤge vor den uͤbrigen Wuͤrden
anderer Regenten in ſich, welche man mit dem Namen
der Koͤniglichen Ehrenbezeigungen zu belegen pflegt.
Das Land desienigen, der dieſe Wuͤrde fuͤhrt, iſt ge-
woͤnlich ein Koͤnigreich, doch iſt ſie zuweilen auch blos
perſoͤnlich, indem ſie ſolchen Prinzen zugeſtanden wird,
die entweder gar keinen a] oder doch einen geringen
Staat zu regieren haben. Die letztern fuͤhren indes
nicht ſowohl den Titel: Koͤnig als Koͤnigliche Ho-
heit, und erhalten ihn mehrenteils in Ruͤckſicht ihrer
Abſtammung aus koͤniglichem Geſchlechte oder wegen
Anſpruͤche auf ein Koͤnigreich b].
Die eigentlich mit der koͤniglichen Wuͤrde verbun-
denen Vorzuͤge werden, theils vermoͤge Vertraͤge, theils
wegen Herkommen, auch ſolchen Regenten zugeſtan-
den, die nicht einmal den koͤniglichen Titel fuͤhren,
ia ſelbſt Staaten, die keine monarchiſche Regierungs-
form haben, und zwar in der Perſon der ſie darſtellen-
den Geſandten, indem man dieſen dieienige Ehre er-
weißt, welche eigentlich blos denen von gekroͤnten
Haͤuptern gebuͤhren. Dahin gehoͤren, auſſer den Kur-
fuͤrſten des teutſchen Reichs, die Republiken Venedig,
die Vereinigten N. Lande und die Schweitz, ingleichen
der Grosmeiſter zu Malta. Genua und andere Re-
publiken machen auch Anſpruͤche darauf, ſie werden
ihnen aber beſtritten.
In denen Zeiten, wo die Kaiſer und Paͤpſte noch
als Oberherrn der ganzen Chriſtenheit angeſehn wur-
den, maaßten ſich beide auch an, koͤnigliche und an-
dere Wuͤrden zu ertheilen, und ſtritten ſich um das vor-
zuͤglichere Recht dazu. Andere Nazionen trugen kein
Bedenken, dieſe Standeserhoͤhungen anzuerkennen,
wie
[445]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
wie verſchiedene Beiſpiele von einem und dem andern
lehren a]. Am meiſten nahmen ſich die Paͤpſte dabey
heraus, die keine andere Erhebung fuͤr guͤltig anſehn
wolten, als welche von ihnen geſchehen war. Aus
dieſem Grunde erregten ſie auch bekantlich gegen die
preuſſiſche Koͤnigswuͤrde, welche Friedrich I. ohne ihr
Zuthun eigenmaͤchtig angenommen hatte, ehemals hef-
tige Streitigkeiten b], iedoch haben ſie in neuern Zei-
ten nachgegeben c]. Ueberhaupt aber raͤumt man heut-
zutage keinem von beiden ein Recht weiter ein, andern
Nazionen dergleichen Geſetze vorzuſchreiben d], auſſer
daß der Kaiſer, unter andern Standeserhebungen, wie
obgedacht, zuweilen noch den Titel: Koͤnigliche Ho-
heit zu erteilen pflegt.
So wie die Nazion urſpruͤnglich das Recht hat,
ihrem Souverain eine gewiſſe Wuͤrde beizulegen oder
annehmen zu laſſen, ſo kann es, auch nach den heut-
zutage
[447]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
zutage unter den europaͤiſchen Nazionen angenommenen
Grundſaͤtzen, ihr nicht verwehrt werden, ſich kuͤnftig
einer hoͤheren Titulatur zu bedienen, als ſie bisher ge-
fuͤhrt hat a], oder dem Lande eine andere Benennung
zu geben ꝛc. b]. Jedoch duͤrfen ſie dabey den Rechten
anderer nicht zu nahe treten und etwa mehrere Vorzuͤge
verlangen. In neuern Zeiten haben wir zwey merk-
wuͤrdige Beiſpiele hiervon bey den Regenten in Ruß-
land c] und Preuſſen d], wovon der erſte den Kaiſer-
dieſer aber den Koͤnigstitel annahmen.
Ob aber eine ſolche Erhoͤhung der Wuͤrde und Ver-
aͤnderung der Titulatur gleich bey der Nazion ſelbſt an-
erkant und dem Regenten gegeben werden muß; ſo
koͤnnen doch andere Nazionen nicht genoͤthigt werden,
aus Schuldigkeit ein Gleiches zu thun. Wenn ſie ſich
auch gefallen laſſen, daß eine andere ſelbſt ſich ihrer
bediene a], ſo iſt dennoch, damit ſie dieſelben auch von
ihnen beigelegt erhalte, deren ausdruͤckliche oder ſtil-
ſchwei-
[448]Von den Titeln, Wapen
ſchweigende Einwilligung erfoderlich b]. Sie pflegen,
nach den Pflichten der Geſelſchaft, auch die Anerken-
nung der Wuͤrden und Titel, welche eine Nazion ſelbſt
ihrem Souverain erteilt, nicht leicht zu verweigern,
wenn dieſe die zu Behauptung einer ſolchen Wuͤrde er-
foderlichen Eigenſchaften beſitzt, und die Titel nicht
ungewoͤnlich und beſonders in Anſehung der daraus her-
zuleitenden Anſpruͤche auf Vorzuͤge, Rechte ꝛc. nicht
bedenklich ſind c]. In dieſem letztern Falle aber ſind
die andern allerdings berechtigt, dieſelben nicht zu er-
kennen und ſich dagegen zu verwahren d], die Sicher-
ſtellung ihrer Gerechtſame hierunter zu verlangen, oder
wenigſtens gewiſſe Einſchraͤnkungen und Bedingungen
dabey feſtzuſetzen e]. Gewoͤnlich geben die Souve-
rains, welche eine andere Wuͤrde oder Titulatur ange-
nommen haben, dem andern Nachricht davon f] und
dann pflegt die Anerkennung entweder ausdruͤcklich in
foͤrmlichen Erklaͤrungen, Vertraͤgen ꝛc. g] oder durch
ſtilſchweigende Genehmigung in Beilegung derſelben,
durch Gluͤckwuͤnſche dazu ꝛc. h] zu erfolgen. Zuweilen
wird, um deſto ſicherer zu gehn, die Anerkennung auch
wohl im voraus vor der foͤrmlichen Annahme bedun-
gen i]. Ehe dieſe Anerkennung nicht erfolgt iſt, kann
die Verweigerung eines Titels nicht als Beleidigung
angeſehn werden k], wenn auch mehrere Maͤchte ihn
bereits erkant haben l]. Indes ſteht es der Nazion,
deren Wuͤrde ꝛc. von einer andern nicht anerkant wer-
den will, ohnſtreitig frey, mit dieſer die Verbindung
und Gemeinſchaft aufzuheben m]. Auch von allen die-
ſem geben die Ruſſiſchen und Preuſſiſchen Kaiſer- und
Koͤnigswuͤrden die deutlichſten Beweiſe n]. Weniger
Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten hat es, wenn
die Annahme eines Titels nicht ganz neu iſt, ſondern
z. B. nur ein Koͤnigreich, das vorher mit einem an-
dern verbunden war, als ein beſonderes Reich an ein
anderes
[449]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
anderes regierendes Haus komt, wie Sicilien und Sar-
dinien im Utrechter Frieden o].
Auſſerdem giebt es noch verſchiedene Titel und Praͤ-
dicate, welche theils allen Regenten gemein, theils
einigen
[453]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
einigen, durch beſondere Verguͤnſtigungen, zugeteilt
ſind. Die Regenten der republikaniſchen Staaten in
Europa bedienen ſich keiner ihnen gemeinſamen Titu-
latur, indem einige Hochmoͤgende, die andern Groß-
moͤgende ꝛc. Herrn genant werden a]. Den monarchi-
ſchen Regenten aber iſt der Titel: Majeſtaͤtb] ge-
mein, den ietzt alle gekroͤnte Haͤupter, auſſer dem
Papſte c], einander beizulegen, und ſolchen auch von
den Republiken zu erhalten pflegen, ſo daß ſie, nach
Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, entweder Kaiſerliche
oder Koͤnigliche oder Kaiſerlich-Koͤnigliche Maje-
ſtaͤt genannt werden, da ſonſt nur der Titel: Koͤnig-
liche Wuͤrde, Hoheit ꝛc. gewoͤnlich war d]. Die
aͤltere Bedeutung und den wilkuͤhrlichen Gebrauch des
Majeſtaͤtstitels nicht zu gedenken, eigneten ſich die
roͤmiſchteutſchen Kaiſer beſonders ſeit Karl V. denſel-
ben vorzuͤglich zu, und wolten ihn keinem andern Mon-
archen verwilligen e]. Doch fingen dieſe nach und
nach auch an ſich deſſen zu bedienen, legten ihn ein-
ander bey, und erhielten ihn auch, ſeit dem weſtphaͤli-
ſchen Frieden, von dem Kaiſer theils durch Vertraͤge,
theils durch ſtilſchweigende Bewilligungen von Zeit zu
Zeit zugeſtanden f]. Spanien und Frankreich machten
den Anfang damit. Doch erſtreckte ſich dies nicht auf
die in der Reichskanzley ausgefertigte Schreiben, und
Preuſſen erhielt auch dieſes Vorrecht unter Karl VII.
durch ein beſonderes Kaiſerliches Reſcript g]. Heut-
zutage wird daher der Titel: Majeſtat als verbunden
mit der koͤniglichen Wuͤrde betrachtet, obgleich Frank-
reich und Spanien ſolchen Preuſſen im Utrechter Frie-
den durch einen Separatartikel noch beſonders bewil-
ligten h].
Verſchiedene Souverains der europaͤiſchen Staa-
ten Roͤmiſchkatholiſcher Religion haben in aͤltern und
neuern
[455]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
neuern Zeiten von den Paͤpſten, mehrenteils wegen
beſonderer Verdienſte um die Religion, gewiſſe Ehren-
benennungen erhalten a], die ſie ſowohl ſelbſt gebrau-
chen, als von ihren Glaubensgenoſſen und gewoͤnlich
auch von den Evangeliſchen erhalten. Grosbritannien
hat dergleichen Ehrennamen ſogar nach veraͤnderter Re-
ligion beibehalten. Vermoͤge dieſer Praͤdicate heißt
der Koͤnig von Frankreich: Chriſtianiſſimus, der Aller-
chriſtlichſte ꝛc. Der Urſprung hiervon iſt ungewis.
Auch wird ihm in den paͤpſtlichen Bullen und Breven
der Titel des erſtgebohrnen Sobns der Kirche bei-
gelegt. Spanien erhielt wahrſcheinlich vom Papſt
Alexander VI. 1496. wegen ſeines in Bezwingung der
Mauren bewieſenen Eifers und Einfuͤhrung der Inqui-
ſit on den Titel Catholicus, der Catholiſche. In
England wurde dem Koͤnig Heinrich VIII. 1521. vom
Papſt Leo X. das Praͤdicat: Defenſor fidei,Beſchuͤ-
tzer des Glaubens beigelegt, weil er ein Buch wider
Luthern zu Vertheidigung der ſieben Sacramente ge-
ſchrieben hatte: Papſt Klemens VII. beſtaͤtigte es.
Papſt Alexander VII. legte auch dem Koͤnig in Polen
Johann Caſimit den Titel: Rex Orthodoxus bey, weil
er die Socinianer aus Polen vertrieben hatte, er iſt
aber nicht gebraucht worden b].
Noch in neuern Zeiten erhielt Koͤnig Johann V.
in Portugall von Papſt Benedict XIV. 1748. den
Titel: Fideliſſimus, der Allergetreuſtec], und der
Koͤnigin Maria Thereſia in Ungarn ꝛc. wurde 1758.
vom Papſt Clemens XIII. der von einigen Koͤnigen in
Ungarn ſchon ehedem gefuͤhrte Titel: Apoſtoliſche er-
neuert d].
Da die katholiſchen Koͤnige einen beſondern Werth
auf dieſe Ehrennamen zu ſetzen pflegen, ſo kann ihnen
allerdings nicht verwehrt werden ſie zu fuͤhren; es komt
aber, wie bey den uͤbrigen Titeln, auf die andern Na-
F f 4zionen
[456]Von den Titeln, Wapen
zionen an, ob ſie ihnen ſolche beilegen wollen, weil der
Papſt ihnen hierunter nichts vorzuſchreiben hat. Doch
ſind die Catholiſchen desfals allerdings meiſtens wilfaͤh-
rig, und die Evangeliſchen ſehen es auch als eine gleich-
guͤltige ihnen weiter nicht nachtheilige Sache an, und
nehmen keinen Anſtand iene Praͤdicate zu erkennen,
und den Souverains beizulegen. Von Rußland be-
merkt Moſer, daß zwar deſſen Miniſter, aber nicht
die Beherſcher dieſes Reichs dergleichen Praͤdicate in
ihren Schreiben zu geben pflegten.
Die von einer phyſiſchen oder moraliſchen Perſon
des Oberhaupts hergenommene Benennung der Staa-
ten als Reiche, Monarchieen oder Republiken ꝛc.
habe ich ſchon oben angefuͤhrt. Was die Ehrenbe-
nennungen einiger Staaten, nicht ſowohl in Abſicht
auf die Titel des Regenten, als auf den Staat im
Ganzen, zuweilen auch ohne Innbegrif des Oberhaupts,
anlangen, ſo hat das teutſche Reich gewiſſermaaſſen
hergebracht, daß ihm vorzugsweiſe auch vor dem ruſ-
ſiſchen, die Benennungen: Sacrum und Imperium bei-
gelegt werden, indem man nicht nur ſchon geahndet,
wenn das Wort ſacrum ausgelaſſen worden, ſondern
auch Bedenken getragen hat, in oͤffentlichen Verhand-
lungen zu ſetzen: Sacrum Romanorum et Ruſſorum im-
perium, und dafuͤr der Ausdruck: inter Sacrum Roma-
norum Imperium et Majeſtatem Veſtram Imperatoriam
angenommen worden, gleichſam zum Zeichen, daß
man zwar der Ruſſiſchen Regenten perſoͤnliche Kaiſer-
wuͤrde, aber das Reich ſelbſt fuͤr kein Kaiſerthum an-
erkenne a]; wie man denn auch unter dem Worte:
Imperium, ohne Beiſatz, gewoͤnlich das teutſche Reich
verſteht. Indes bedient Rußland ſich allerdings dieſer
Benennungen: es fehlt auch an Beiſpielen nicht, daß
der Ausdruck: ſacrum von andern Reichen gebraucht
worden. Den Republiken Polen, ohne den Koͤnig,
Venedig und Genua wird gewoͤnlich der Titel: Sereniſ-
fima Respublica, die Durchlauchtigſte Republik bei-
gelegt c].
Daß ein Regent ſich des Titels von den Landen,
die er, ohne Widerſpruch anderer, wuͤrklich beſitzt a],
oder von neuem erwirbt, bedienen koͤnne, leidet keinen
Zweifel, und ſie werden ihm ſodann auch von andern
ohne Bedenken beigelegt b]. Bey Abtretung einiger
Lande von andern Nazionen wird dies mehrenteils aus-
druͤcklich mit bedungen. Wenn eine Nazion durch
Krieg oder andere Revolutionen zu dem Beſitz eines
Landes gelangt, und die Titulatur davon annimt, ſo
pflegen andere gemeiniglich ſo lange anzuſtehn, ihr
ſolche zu geben, bis dieſelbe durch Friedensſchluͤſſe oder
andere Vertraͤge von dem vorigen Beſitzer foͤrmlich an-
erkant worden iſt c], wenn ein anderes Volk nicht ſonſt
noch beſondere Rechte dabey hat.
Oefters fuͤhren die Souverains aber auch Titel von
Landen, auf die ſie nur ein kuͤnftiges Recht haben d],
oder worauf ſie Anſpruͤche machen e], oder welche ſie
blos ehemals beſeſſen haben f]. Dieienigen, welche
ſich auf Anſpruͤche gruͤnden, werden von dem andern,
der ſie beſitzt gewoͤnlich nicht anerkant, ſondern man
widerſpricht ihnen bey vorkommenden Gelegenheiten g].
Um die Streitigkeiten, welche deshalb bey Vertraͤgen
oder andern oͤffentlichen Verhandlungen vorzukommen
pflegen, zu vermeiden, iſt es gewoͤnlich, daß man,
unbeſchadet der beiderſeitigen Gerechtſame entweder bey
Verleſung der Volmachten ꝛc. die Titulaturen ganz
weglaͤßt, oder dabey bedingt, daß deren Gebrauch oder
Nichtgebrauch keinem Theile ſchaͤdlich ſeyn ſoll h].
Auch in Anſehung der erſt zu hoffen habenden oder ehe-
mals beſeſſenen Lande, kommt es auf die beſitzende
Nazion an, ob ſie zugeben will, daß der andere ſich
des
[459]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
des Titels davon bediene i]; wenigſtens pflegt alsdenn
wegen der letztern bedungen zu werden, daß es dem Be-
ſitzer nicht nachtheilig ſeyn, und daraus kein Anſpruch
auf dieſe Lande hergenommen werden ſolle k]. Wenn
die Streitigkeiten wegen Anſpruͤche beigelegt werden,
begiebt ſich der eine Theil gemeiniglich des Gebrauchs
der Titel von dem Lande l]. Wo man wegen des Ti-
tels von einem Lande Widerſpruͤche zu beſorgen hat,
muß durch Vertraͤge vorgebeugt werden m]. Sonſt
wird die Annahme eines Titels, worauf eine Nazion
kein Recht hat, allerdings als Beleidigung angeſehn n].
Uebrigens komt es auf die Wilkuͤhr des Regenten
und einer ieden Nazion an, wie ſie ihre Titulatur in
Anſehung der bekleidenden Wuͤrden, anderer ihnen er-
theilter Praͤdicate, und der beſitzenden Lande einrichten,
vermehren oder vermindern wollen. Andere Nazionen
laſſen ſich, wenn ihren Gerechtſamen dadurch nicht zu
nahe getreten wird, ſolches meiſtens gefallen a], und
machen keine Schwierigkeiten, ſie ihnen in der Maaſſe
zu geben, wenn ihnen, wie gewoͤnlich, von derglei-
chen Veraͤnderungen Nachricht ertheilt wird b]. Zu-
weilen werden einem Regenten gewiſſe Titel nur auf
Lebenszeit zugeſtanden c], oder andere Verabredungen
der Titulaturen halber genommen d], welche denn aller-
dings befolgt werden muͤſſen. Uebrigens beruht bey
dem Titulaturweſen ſehr viel auf bloſſe Wilkuͤhr und
zum Theil unverbindliche Gebraͤuche, die zum Voͤlker-
rechte nicht gehoͤren, ob man wohl auch hierunter von
dem Herkommen nicht leicht abzuweichen pflegt.
Mit den Wapen hat es, wie aus den bereits ange-
fuͤhrten Beiſpielen zu erſehen, gleiche Beſchaffenheit
wie mit den Titeln a]: Es kan iede Nazion und ihr
Souverain ſich dergleichen nach Gefallen waͤhlen und
ſie beſonders von Landen annehmen, deren rechtmaͤſſi-
ger Beſitz ihnen von niemand ſtreitig gemacht wird.
Sie werden, wenn kein Bedenken dabey obwaltet,
nicht leicht gemisbilligt, ob die Nazionen gleich eben
ſo wenig ein verbindliches Recht, die Anerkennung als
Schul-
[465]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
Schuldigkeit zu verlangen haben, als bey den Titeln.
Das meiſte komt auch hier, beſonders bey entſtehenden
Streitigkeiten, auf Vertraͤge an, wodurch der Ge-
brauch entweder bedungen b], oder Verzicht darauf ge-
leiſtet wird c].
Zu dem aͤuſſern Glanz der Hoͤfe gehoͤren vorzuͤglich
die Orden, welche die Souverains und Republiken
ihren und andern verdienten Unterthanen, als beſon-
dere Gnadenzeichen, zu ertheilen pflegen. Es geſchieht
auch oͤfters, daß ſolche von den Regenten ſelbſt einan-
der, zuweilen auf vorherige Anfrage, zum Theil durch
eigne Geſandſchaften, zugeſchickt und von dieſen ange-
nommen werden a]. An ſich kann ieder unabhaͤngige
Regent nach Wilkuͤhr hierunter verfahren und Orden
errichten, welche er will, ohne daß ihm andere Nazio-
nen Einhalt thun koͤnten b]. Es komt freilich darauf
an, ob er Anſehn genug hat, um ſeinen Ehrenzeichen,
hauptſaͤchlich bey Auswaͤrtigen, Achtung zu verſchaf-
fen; indem es allerdings von deren Gurbefinden ab-
haͤngt, ob ſie ſolche annehmen und ihren Unterthanen
zu tragen erlauben wollen c]. Bey bedenklichen Faͤllen
kann es ihnen nicht veruͤblet werden, wenn ſie derglei-
chen Rittern bey ſich nicht den Zutritt verſtatten d].
In Anſehung des Ordens vom goldenen Vließ
iſt wegen des Grosmeiſterthums und wegen des Rechts,
dieſen Orden zu ertheilen, bekantlich ein langwieriger
noch unentſchiedener Streit zwiſchen Spanien und dem
Hauſe Oeſterreich. Doch bedienen beide ſich dieſes
Rechts e]. Bey dieſer ganzen Materie iſt ebenfals viel
Wilkuͤhrliches und in das Voͤlkerrecht nicht gehoͤrige
anzutreffen.
Die Anordnung des Hofſtaats, die Aufſchlagung
der Reſidenz, deren Einrichtung, Verzierung ꝛc. haͤn-
gen lediglich von der Wilkuͤhr der Regenten ab, und
ſind ſelten ein Gegenſtand des Voͤlkerrechts, wenn
nicht beſondere Umſtaͤnde eine Verabredung zwiſchen
mehrern Nazionen daruͤber veranlaſſen a]. Wer ſeinen
Wohnſitz unter der Hoheit einer andern Nazion waͤhlt,
muß, wenn Vertraͤge oder Herkommen keine naͤhere
Beſtimmung der beiderſeitigen Gerechtſame an die Hand
geben, allerdings deshalb die Verfuͤgungen der hoͤchſten
Herſchaft anerkennen, unter deren Gebiete die Woh-
nung liegt b].
Die bloſſen Landesherrn unter ſich haben hierinn,
beſonders was die Annahme und Veraͤnderung der
G g 3Wuͤr-
[470]Von den Titeln, Wapen
Wuͤrden, Titel und Wapen ꝛc. anlanget, mindere
Freiheit, und beduͤrfen in den meiſten Stuͤcken der
Einwilligung des Reichsoberhaupts, zum Theil auch,
wenn es z. B. bey der neuern Wuͤrde mit auf Sitz und
Stimme ankomt, ihrer Mitſtaͤnde a]. Gegen aus-
waͤrrige Nazionen aber haben ſie weiter keine Verbind-
lichkeiten, als andere freie Nazionen unter ſich. Wenn
die Erhoͤhung der Wuͤrde ꝛc. daher mit Einwilligung
der dabey intereſſirten Theile geſchieht, ſo kann ſie von
den uͤbrigen Landesherrn nicht fuͤglich verweigert wer-
den, und die Anerkennung findet gewoͤnlich keine
Schwierigkeit, es muͤſten denn offenbare Rechte eines
oder des andern dadurch gekraͤnkt werden b]. In Be-
ziehung auf Auswaͤrtige haͤngt ſolche, wenn es nicht
Titel ſind, die ſie in der Eigenſchaft zugleich beſitzender
Reichslande, wie Grosbritannien, Daͤnemark, Schwe-
den, Preuſſen ꝛc. erhalten, von der beiderſeitigen Wil-
kuͤhr ab, und wird ebenfals am ſicherſten durch Ver-
traͤge bewuͤrkt c]. Eigenmaͤchtige Anmaaſſungen in
Titulaturen, beſonders von Landen, die ein anderer be-
ſitzt, werden auch unter den Landesherrn widerſprochen
und ſtreitige Titulaturen nicht anerkant d]. In Anſe-
hung dieſer iſt es auch unter ihnen gewoͤnlich, ihre Ge-
rechtſame wegen deren Gebrauch oder Nichtgebrauch in
Vertraͤgen ꝛc. zu verwahren e]. Die Entſcheidung der-
gleichen Streitigkeiten gehoͤrt hauptſaͤchlich vor das
Reichsoberhaupt, oder ſie muͤſſen auf andere in den
Reichsgeſetzen vorgeſchriebene Weiſe beigelegt werden f].
Den Kurfuͤrſten geſteht man die koͤniglichen Ehrenbezei-
gungen auch auswaͤrts zu g]. Doch bekommen ſie eben
ſo wenig als andere Reichsſtaͤnde den Titel: Majeſtaͤt,
welchen auch der Kaiſer denienigen, welche zugleich
auswaͤrtige Kronen beſitzen, entweder gar nicht, oder
mit Einſchraͤnkung beilegt, wenn ſie lediglich in der
Eigenſchaft der Reichsſtaͤnde handeln h]. Das meiſte
hier-
[471]und andern Ehrenzeichen der Regenten.
hierunter beruht auf das Reichsherkommen, das auch
Auswaͤrtige zu befolgen pflegen i].
Viele angeſehene Kur- und Fuͤrſten des Reichs
haben Orden errichtet, die ſie auch einander mitthei-
len k]. Doch iſt es nicht gewoͤnlich, daß auswaͤrtige
Souverains von ihnen dergleichen erhielten, wohl aber
geſchieht es oͤfter, daß iene von dieſen damit beehrt
werden l].
Die Reſidenz und uͤbrige Hofſtaat iſt ihrer Wilkuͤhr
uͤberlaſſen, doch darf deren Einrichtung den Mitſtaͤn-
den ꝛc. nicht zum Nachtheil gereichen, beſonders wenn
ſie, wie es im teutſchen Reiche zuweilen der Fall iſt,
ihre Reſidenz in eines andern Standes Gebiete haben m].
Die perſoͤnlichen und Familienangelegenheiten der
Souverains in Europa, welche durch Verwand-
ſchaft und Vertraͤge faſt alle mit einander in Verbin-
dung ſtehn, ſind, in ſoferne ſie blos ihre Privatver-
haͤltniſſe betreffen, und zum Theil nur auf Grundſaͤtze
des Wohlſtandes beruhen, ſelten ein Gegenſtand der
Voͤlkerverhandlungen, und gehoͤren in dieſer Ruͤckſicht
mehr zum Privatfuͤrſtenrecht und der Ceremonielwiſſen-
ſchaft als zum Voͤlkerrecht. Ich will mich daher hier-
bey nicht weitlaͤuftig aufhalten, ſondern nur eins und
das andere bemerken, was auch auf die Rechte und
Verhandlungen der Nazionen einigen Einflus zu haben
pflegt.
Die Perſon des Regenten iſt, um des algemeinen
Beſten willen, nach den Grundſaͤtzen des algemeinen
Staatsrechts unverletzlich, und auch die Nazionen ge-
gen einander befolgen ihn, ſo daß ſie bey vorkommen-
den Anfaͤllen auf die Perſon eines Souverains in Ahn-
dung des Verbrechers gewoͤnlich gemeinſchaftliche Sache
machen a]; auch bey verſpuͤrten Anſchlaͤgen nicht unter-
laſſen, einander zu warnen b]; am wenigſten aber,
ſogar im Kriege, ſich dergleichen widrige Abſichten ge-
gen dieſelben erlauben c].
Die Souverains der Nazionen muͤſſen ſich aller
perſoͤnlichen Beleidigungen gegen einander in Handlun-
gen und Schriften enthalten a], widrigenfals der andere
allerdings berechtigt iſt, Genugthuung zu fodern b],
und ſich ſolche, im Verweigerungsfall, ſelbſt mit Ge-
walt der Waffen, zu nehmen c]. Sie duͤrfen auch
nicht zugeben, daß ihre Unterthanen z. B. durch belei-
digende Schriften d], Zeitungen e], Kupferſtiche ꝛc.
ſich dergleichen erlauben, ſondern ſind verbunden, wenn
ſie deren Beſtrafung auch nicht freiwillig vornehmen,
doch wenigſtens auf Anſuchen des beleidigten Theils,
dieſem, zwar, wie obgedacht, nicht durch Auslieferung
des Verbrechers, aber doch ſonſt auf eine hinlaͤngliche
Art Genugthuung zu verſchaffen f]. Indes fehlt es
freilich nicht an Beiſpielen, daß ein Hof die Beleidi-
ger wohl gar in Schutz genommen, oder wenigſtens
die Beſtrafung derſelben, unter mancherley Vorwand
abgelehnt hat g]. Ein incognito reiſender Souverain
kann, wenn ihm, ſeiner Verborgenheit wegen, etwa
einige Beleidigungen wiederfahren ſeyn ſolten, nicht
allemal die ſtrengſte einem Regenten gebuͤhrende Ahn-
dung verlangen, weil hier mehr ſeine angenommene
Privatperſon in Betrachtung komt. Ueberhaupt iſt
die Unterlaſſung eines nicht auf verbindliche Grundſaͤtze
beruhenden Ceremoniels, nicht ſowohl fuͤr Beleidigung
als fuͤr Unhoͤflichkeit zu achten h].
Souverains, die oͤffentlich durch ein fremdes Ter-
ritorium reiſen wollen, pflegen dem Regenten deſſelben,
wegen Veranſtaltung der erfoderlichen Bequemlichkei-
ten, davon Nachricht zu geben a], ſich auch wohl ein
ſicheres Geleit zu erbitten, duͤrfen aber, ohne Erlaub-
nis, kein militaͤriſches Gefolge mit ſich fuͤhren b].
Wenn dergleichen Reiſen haͤufiger oder gewoͤnlich vor-
kommen, werden auch wohl in Vertraͤgen daruͤber Ab-
reden genommen c]. Die Reiſenden muͤſſen ſich aller-
dings den algemeinen Landesverfuͤgungen, auch in Ruͤck-
ſicht contagioͤſer Zeiten desfals unterwerfen d], wie-
wohl ihnen gewoͤnlich auch mancherley Freiheiten, unter
andern die Religionsuͤbung fuͤr ſich und ihr Gefolge ꝛc.
zugeſtanden werden e]. Das meiſte beruht auf das in
iedem Lande eingefuͤhrte Herkommen. Wenigſtens muß
man ihnen alle Sicherheit verſchaffen, verlangt aber
dagegen von dieſen, daß ſie durch zweideutige Hand-
lungen kein Mistrauen erwecken f].
Um Aufſehn und Schwierigkeiten im Ceremoniell
zu vermeiden, geſchehen viele Reiſen der Souverains
incognito, ſolche ſind indes auf der andern Seite be-
denklicher, weil ſie ſich dabey andern unangenehmen
Vorfaͤllen ausſetzen g].
Was in Anſehung des Einholens, Empfanges,
der Bewirthung, militaͤriſchen Ehrenbezeigungen und
der-
[479]der Regenten gegen einander n. d. Voͤlkerrecht.
dergleichen Gegenſtaͤnden zu beobachten iſt, gehoͤrt in
das Ceremonielweſen, wobey wenig verbindliches Statt
findet h]. Das Hauptwerk komt darauf an, ob ein
Souverain oͤffentlich und unter ſeinem Namen, oder
zwar oͤffentlich aber unter einem fremden Namen oder
ganz unbekant reißt i]; in welchem letztern Falle er
eigentlich gar kein Ceremoniel verlangen kann k].
Ein Souverain, der ſich in eines andern Landen
aufhaͤlt iſt, nach dem ſtrengen Rechte, zwar der Ho-
heit
[480]Von den perſoͤnlichen Verhaͤltniſſen
heit desienigen Staats, worinn er ſich befindet, unter-
worfen a]; vermoͤge eines faſt algemein angenommenen
Herkommens aber, verſtattet man ihm, in Ruͤckſicht
der mit ſeiner Perſon verbundenen Souverainetaͤt,
wenn auch nicht die Ausuͤbung aller Majeſtaͤtsrechte,
doch wenigſtens die Befreiung von der Gerichtsbarkeit
des andern Souverains fuͤr ſich und ſeine Familie b],
ſelbſt wenn er unter einem angenommenen Namen, ie-
doch nicht, wenn er ganz incognito als Privatmann
reißt. Man geſtattet ihm auch gewoͤnlich die Civilge-
richtsbarkeit uͤber ſein Gefolge, allein die Ausuͤbung
der peinlichen findet mehrern Anſtand c]. Dies leidet
iedoch allerdings eine Ausnahme, wenn eine dieſer Per-
ſonen zugleich im Dienſte des Landes-Souverains
ſteht d]. Solte der andere Regent indes unerlaubte
und feindſeelige Handlungen unternehmen, ſo kann ohn-
ſtreitig ſeine Entfernung verlangt, er auch nach Befin-
den wohl gar als Feind behandelt werden e].
Dieſer groͤſtenteils auf bloſſe Wilkuͤhr beruhende
Gegenſtand gehoͤrt nicht weiter hieher, als in ſoferne
man zuweilen durch Vertraͤge a] oder Herkommen b]
etwas verbindliches deshalb feſtgeſetzt hat, wie dies
der Fall zwiſchen den roͤmiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſern
und einigen andern europaͤiſchen Souverains iſt c].
Noch oͤfter aber kommen dergleichen Vertraͤge zwiſchen
den letztern und den aſiatiſchen und africaniſchen Staa-
ten vor. Die Unterlaſſung ſolcher bedungenen Hoͤflich-
keitsbezeigungen kann allerdings geahndet, der uͤbrigen
aber, blos als Mangel an Achtung angeſehn und allen-
fals Beſchwerde daruͤber gefuͤhrt werden.
Auſſerdem koͤnnen die Souverains noch in verſchie-
dene andere perſoͤnliche Verhaͤltniſſe gegen einander
kommen, die aber blos von verſchiedenen Zufaͤllen ab-
hangen und groͤſtenteils nicht in das Voͤlkerrecht gehoͤ-
ren. So wurde z. B. Koͤnig Heinrich IV. in Frank-
reich fuͤr ſich und ſeine Nachkommen von der Republik
Venedig naturaliſirt a]. Ein nicht unwichtiger Punct
iſt noch die Erbrechung ihrer Briefe und Nachſtechung
der Sigille, wodurch der eine zuweilen hinter die Ge-
heimniſſe des andern zu kommen ſucht. Nach Mo-
ſersb] Meinung wird dieſes Unternehmen zwar oͤffent-
lich gemisbilligt, pflegt aber doch haͤufig zu geſchehen.
Die perſoͤnlichen Freiheiten der Souverains in
einem fremden Territorium erſtrecken ſich nicht auf die
unbeweglichen Guͤter, welche er daſelbſt als Privat-
perſon beſitzt a]. In Anſehung dieſer muß er ſich den
Landesgeſetzen unterwerfen b]. Die beweglichen Guͤter
aber, welche ein Souverain durch des andern Terri-
torium ſchaffen laͤßt, ſind dem Herkommen nach, auf
vorherige Anzeige, aller Abgaben frey. Die Schul-
den der Regenten werden wie andere Anſpruͤche behan-
delt, und es iſt etwas ſeltenes, daß einer fuͤr des an-
dern
[483]Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.
dern Schulden Buͤrgſchaft leiſte c]. Mit den daruͤber
entſtehenden Streitigkeiten hat es aͤhnliche Bewand-
nis d].
Zu den vorzuͤglichſten Familienangelegenheiten gehoͤrt
die Vermaͤlung der Regenten. In der Regel koͤn-
nen ſie ſich eine Gemalin waͤhlen, welche ſie wollen,
gleichen oder ungleichen Standes; und wenn die Ehe
nach ihrer Reichsverfaſſung guͤltig, auch wegen der
kuͤnftigen Erbfolge der daraus erzeigten Kinder kein
Nachtheil fuͤr andere Nazionen zu beſorgen iſt, ſo pfle-
gen dieſe nichts dagegen zu erinnern, ſondern die Ge-
malin behoͤrig zu erkennen a]. Auch wenn eine regie-
rende Monarchin eine Perſon heirathet, die kein Sou-
H h 2verain
[484]Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.
verain iſt, ſo laſſen ſich die uͤbrigen gewoͤnlich die Ein-
richtung gefallen, welche iene, ihrer Grundverfaſſung
nach, deshalb zu machen fuͤr gut findet b]. Aus beſon-
dern Staatsurſachen ſuchen iedoch andere Nazionen zu-
weilen eine Heirath zu hintertreiben c], und laſſen ſich
z. B. verſprechen, daß eine Prinzeſſin ꝛc. ſich nicht an-
ders, als an ein gewiſſes Haus verheirathe d], oder
gewiſſe Perſonen nicht zu Gemalen waͤhle e]. Auſſer-
dem haben auch die Souverains Freiheit, ihre Prin-
zeſſinnen zu verheirathen an wen ſie wollen, und koͤn-
nen daher nicht gezwungen werden, ſie einem Prinzen
zu geben, der ſie verlangt f], und eben ſo wenig kann
derienige, dem ſie abgeſchlagen wird, ſolches als Be-
leidigung oder Urſach zum Krieg anſehn g]. Die Zu-
ruͤckſchickung einer Braut haͤlt man ebenfals fuͤr Belei-
digung h]. Vormals maßten die Paͤpſte, unter dem
Schein der Diſpenſation ꝛc. ſich mancherley Rechte in
Eheſachen an, und hatten dadurch, wegen der Hin-
derniſſe, die ſie in Weg ſetzten, zugleich einen betraͤcht-
lichen Einflus in die Erbfolge i].
In Anſehung der Titulaturen, des Ranges und
uͤbrigen Ceremoniels, genieſſen ſie groͤſtenteils gleiche
Behandlung mit ihren Gemalen k]. Welche Gerecht-
ſame und Vorzuͤge dem niedern Gemale einer regieren-
den Monarchin zuſtehen ſollen, komt auf die Verfaſ-
ſung an, und werden ihnen ſolche auch nicht leicht von
andern Souverains verweigert l].
Hierbey komt wenig ins Voͤlkerrecht eigentlich Ge-
hoͤrige zu bemerken vor. Von den durch die Geburt
erlangten Erbfolgsrechten habe ich ſchon oben gehan-
delt. Daß die Souverains einander bey der Geburt
ihrer Kinder zu Gevattern zu bitten, und ſich alsdenn
in den Curialen dieſes Titels gegen einander zu bedie-
nen pflegen a], ob ſie gleich heutzutage ſelten mehr per-
ſoͤnlich bey der Taufe erſcheinen b], iſt mehr eine wil-
kuͤhrliche Ceremonielſache. Die erſtgebohrnen Soͤhne
und
[487]Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.
und Erbprinzen in den meiſten europaͤiſchen Staaten
fuͤhren einen beſondern Titel, den ihnen auch Auswaͤr-
tige geben. So heißt er bekantlich in Frankreich der
Dauphin; in Grosbritannien: Prinz von Wallis;
in Portugal: Prinz von Braſilien; in Spanien:
Prinz von Aſturien; in Sardinien: Prinz von Pie-
mont; in Rußland: Grosfuͤrſt ꝛc. c]. Uebrigens
haͤngen auch der Rang und die uͤbrigen Titel ꝛc. der
Prinzen und Prinzeſſinnen ꝛc. von dem herkomlichen
Ceremoniel eines ieden Hofes ab, welches andere ſich
gewoͤnlich hierunter gefallen laſſen. Die natuͤrlichen
und legitimirten Kinder der Souverains werden, ohne
ihnen desfals einen Vorwurf zu machen, faſt uͤberall
der hoͤchſten ſubalternen Wuͤrden faͤhig geachtet und
ſieht man hierbey eben nicht ſo ſehr auf die Ahnen d].
Die auswaͤrtigen Nazionen richten ſich mehrenteils
nach dem, was der Vater, mit Genehmigung der uͤb-
rigen Glieder der Familie, ihrenthalben verordnet e].
Ihre Erbfaͤhigkeit iſt, wie ſchon gedacht, nach der
Grundverfaſſung zu beurteilen, welches auch von den
Vormundſchaften, Curatelen f], Emancipationen ꝛc. g]
der Kinder uͤberhaupt gilt. Betruͤger, welche ſich fuͤr
Anverwandte eines ſouverainen Hauſes ausgeben, pfle-
gen auch auswaͤrts nicht gedultet, ſondern nach Befin-
den beſtraft zu werden h].
In die Streitigkeiten der Souverains mit ihren
Gemalinnen, Kindern und uͤbrigen Gliedern der Fa-
milie haben andere Nazionen kein Recht ſich zu miſchen;
ſie thun es auch ſelten weiter, als daß ſie, beſonders
die Verwandte, ihre Vermittelung, iedoch mit Be-
hutſamkeit, anwenden a]. Man ſieht es daher als
Beleidigung an, wenn ein anderer Regent hierinn wei-
ter geht, und z. B. den Kindern, welche iener als
ungehorſame ꝛc. betrachtet, Aufenthalt und Unterſtuͤ-
tzung gewaͤhrt b], und es wird auch wohl deren Aus-
lieferung verlangt. Indes pflegen die Souverains
doch von dergleichen Familienzwiſten, als einer erfolg-
ten Eheſcheidung ꝛc. Nachricht zu geben c]. Jeder Sou-
verain kann mit ſeiner Familie nach Wilkuͤhr Vertraͤge
errichten, ohne daß Auswaͤrtige dagegen etwas zu ſagen
haben, wenn ihren Rechten dadurch nicht zu nahe ge-
treten
[489]Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.
treten wird. Dieſe laſſen daher gemeiniglich das auch
bey ſich gelten, was iene in ihren Familienangelegen-
heiten feſtzuſetzen fuͤr gut finden d]. Werden andere
um Uebernahme der Garantie dergleichen Vertraͤge er-
ſucht, ſo finden dabey ebenfals die bey den Garantieen
uͤberhaupt angenommenen Grundſaͤtze Statt.
Uebrigens iſt es gewoͤnlich, daß die Souverains,
vorzuͤglich die, welche in Freundſchaft oder Bundsge-
noſſenſchaft ſtehn, einander von allen vorfallenden an-
genehmen und traurigen Begebenheiten, welche ſie und
ihre Familie betreffen, Nachricht ertheilen, als von
Geburten, Vermaͤhlungen, Todesfaͤllen ꝛc. a]. Dies
geſchieht, wie von den Notificationen bey der Thron-
beſteigung bereits erinnert worden, entweder durch
Schreiben oder durch muͤndliche Eroͤfnung des gewoͤn-
lichen oder eines auſſerordentlichen Geſandten, und
wird auf aͤhnliche Art beantwortet, auch die Theilnahme
durch Freudenbezeigungen, Feſte, oder Anlegung der
Trauer, Anordnung von Exequien ꝛc. an den Tag ge-
legt b]. Ehe die Notification erfolgt, nehmen andere
Souverains meiſt keine Wiſſenſchaft von dergleichen
Vorfaͤllen c].
Auch Beleidigungen, welche Perſonen die zur Fa-
milie eines Souverains gehoͤren, zugefuͤgt werden,
gehen nicht leicht ungeahndet hin. Wenigſtens pflegen
die auswaͤrtigen verwandten Souverains ſich der Be-
leidigten anzunehmen. Die in neuern Zeiten vorge-
kommenen Faͤlle in Daͤnemark, den Vereinigten und
oͤſterreichiſchen Niederlanden koͤnnen hier zum Beiſpiel
dienen.
Die perſoͤnlichen und Familienangelegenheiten der
teutſchen Landesherrn unter ſich gehoͤren groͤſtenteils in
das teutſche Privat-Fuͤrſtenrecht und zum Theil ins
Staats-
[493]Von den Familenangelegenheiten d. Regenten.
Staatsrecht, und muͤſſen nach den vorhandenen kai-
ſerlichen Privilegien, errichteten Haus- und Fami-
lienvertraͤgen, den gemeinen Reichs- und andern einge-
fuͤhrten Geſetzen und dem Herkommen ꝛc. beurteilt und
entſchieden werden, welches hauptſaͤchlich dem Reichs-
oberhaupte und den Reichsgerichten obliegt. Nur ſel-
ten kann die Anwendung des Voͤlkerrechts dabey Statt
finden a], wohl aber dient es zwiſchen ihnen und aus-
waͤrtigen Nazionen hierbey lediglich zur Richtſchnur.
In beiderley Beziehungen ſind die gegenſeitigen Belei-
digungen zu unterlaſſen. Die Beſtimmung der Ge-
nugthuung beruht iedoch im erſtern Verhaͤltniſſe auf das
oberſtrichterliche Erkentnis b], im zweiten hingegen
muß ſie auf die unter Voͤlkern uͤbliche Art geſchehen c].
Die Durchreiſe kann einem Landesherrn durch des an-
dern Landen nicht verwehrt werden, ob und mit wel-
chen Ehrenbezeigungen dieſer ienen aber aufnehmen
wolle, komt auf Wilkuͤhr oder Herkommen an. We-
gen der Gerichtsbarkeit, des Gleits, der Zollfreiheit ꝛc.
geben zum Theil die Reichsgeſetze Vorſchriften, und
muß im uͤbrigen der reiſende Landesherr ſich den Landes-
anſtalten gemaͤs bezeigen d]. Auch die freiwilligen
Hoͤflichkeitsbezeigungen und Theilnahme an den Fami-
lienvorfallenheiten, ſind unter ihnen ſelbſt ſowohl als
gegen auswaͤrtige Souverains, ſo wie ſie unter letztern
uͤblich, groͤſtenteils hergebracht.