Feindliche Verhältnisse unter Staaten, ent-
stehen durch Rechtsverletzungen, wirkliche oder
drohende a). Die Rechte der Staaten werden
verletzt auf dieselbe Art, wie die Rechte ein-
zelner Menschen. Verletzt werden sie entweder
unmittelbar, oder mittelbar; jenes, wenn die
Beleidigung der Gesammtheit des Staates, die-
ses, wenn sie einzelnen Mitgliedern desselben
zugefügt wird, von der Gesammtheit des andern
Staates, oder von einzelnen Mitgliedern dessel-
ben, so fern hieran der gegenseitige Staat auf
irgend eine Art Theil nimmt b). In Absicht auf
feindliche Verhältnisse, ist die Aufgabe: zu be-
stimmen das Recht der Staaten, zu dem Krieg,
in dem Krieg, nach dem Krieg c).
Wie jeder einzelne Mensch in dem Natur-
stand, so ist auch jeder Staat im Nothfall be-
fugt zu verhältniſsmäsiger Gewaltthätigkeit, ge-
gen drohende oder wirkliche Rechtsverletzungen,
nicht nur zu Erhaltung und Vertheidigung sei-
ner Rechte, sondern auch zu Genugthuung we-
gen widerrechtlich erlittenen Schadens (§. 43).
Die Gewaltthätigkeit findet statt, gegen die Ge-
sammtheit des beleidigenden Staates unmittelbar,
aber auch wider einzelne, wenn gleich an der
Rechtsverletzung persönlich unschuldige, Mit-
glieder desselben, weil sie Theile der Gesammt-
heit sind, und ihr Vermögen in dem Verhält-
niſs zu andern Staaten als Bestandtheil des Ver-
mögens ihres Staates zu betrachten ist a). Da
über Staaten kein Richter gebietet, so ist jeder
von ihnen befugt, selbst Gewalt zu gebrauchen
gegen Beleidigungen, also zu Selbsthülfe b).
Immer setzt der rechtmäsige Gebrauch der
Selbsthülfe voraus, nicht nur das Daseyn einer
wahren Rechtsverletzung, gleichviel ob Ver-
letzung eines erworbenen oder eines natürlichen
Rechtes a), sondern auch den Mangel eines ge-
lindern Mittels zur Genugthuung b), z. B. nach
fruchtlos versuchter Beweisführung, gütlicher
Vorstellung, und Drohung. — Maas und Grenze
der Selbsthülfe, werden jedesmal bestimmt durch
ihren Zweck. Nach erlangter Genugthuung, muſs
sie aufhören. Zum Vortheil und auf Anrufen
eines dritten Staates, kann, in dem oben ange-
zeigten Fall, völkerrechtliche Selbsthülfe c) nur
dann statt finden, wenn man sich vollständig
überzeugt hat, daſs die Rechte dieses Staates
verletzt seyen d): aber eine vollkommene Ver-
bindlichkeit, diese Hülfe zu leisten, tritt nur ein,
wenn ein Vertrag dazu verpflichtet (§. 279).
Bewirkt wird die Selbsthülfe: 1) durch Ar-
restschlag auf Forderungen des andern Staates
oder seiner Unterthanen, und durch Beschlag-
nahme jenem oder diesen gehöriger Sachen a),
z. B. Embargo auf Schiffe; 2) durch eigenmäch-
tige Zurücknehmung des widerrechtlich entzo-
genen Eigenthums oder Rechtes; 3) durch eigen-
mächtige Nehmung angemessener Genugthuung,
mittelst gewaltsamer Zueignung eines Aequiva-
lentes, oder Ausübung einer gewaltthätigen Hand-
lung derselben Art b) (Erwiederung der Läsion,
retorsio facti); 4) durch Repressalien im engern
Sinn, d. h. gewaltthätige Handlungen, wodurch
ein beleidigter Staat dem Beleidiger an- oder
zugehörige Personen (androlepsia), Rechte, oder
Sachen (Repressalien im engsten Sinn) zurück-
hält, um diesen Staat zu Anerkennung seines
[381]I. Cap. Recht des Kriegs.
Rechtes und zu Genugthuung zu nöthigen c);
5) im äussersten Fall, durch Krieg. — Re-
torsion eines Rechtes (retorsio juris vel legis),
dient nicht als Selbsthülfe gegen Rechtsverletzung,
obwohl sie gegründet ist in der völkerrechtlichen
Gleichheit und Selbstständigkeit unabhängiger
Staaten d). Wiedervergeltung (Talion) liegt aus-
ser dem Gebiet des Völkerrechtes e); und Zwei-
kampf, zwischen Völkern oder ihren Regenten,
ist nicht mehr üblich f).
Wird der Gewalt, von einem Staat irgend
eine Gewalt entgegengesetzt, so befinden sich
beide Theile in einem Zustand gegenseitiger
Gewaltthätigkeit, in Krieg im weitern Sinn.
Wird, in diesem Zustand, der Gebrauch kei-
ner Art von Gewaltthätigkeit ausgeschlossen, so
ist Krieg im engern Sinn a), und zwar Völ-
kerkrieg (bellum inter gentes), wenn beide krieg-
führende Theile Staaten sind. — Auf Seite des-
jenigen kriegführenden Theils, dessen Zweck die
Vertheidigung eigener Rechte ist, um Sicherheit
oder Genugthuung zu erlangen, heiſst der Krieg
Vertheidigungskrieg (bellum defensivum, guerre
défensive): auf Seite desjenigen hingegen, dessen
Zweck die Verletzung fremder Rechte ist, heiſst
er Angriff- oder Anfallkrieg (bellum offensi-
vum, guerre offensive). In beiden Fällen, ist
es in Absicht auf die Benennung gleichviel, von
welchem Theil der Anfang mit Gewaltthätigkei-
ten gemacht worden ist. Denn so fern eine Aus-
übung des PräventionsRechtes zum Grunde liegt,
ist der Krieg auch auf Seite des zuerst angrei-
fenden Theils ein Vertheidigungskrieg, weil die
Prävention zu dem Vertheidigungsrecht gehört b),
und es kann auch von der andern Seite eine
stillschweigende Kriegserklärung vorausgegangen
[384]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
seyn. — Wird der Krieg bloſs auf dem festen
Lande geführt, so heiſst er Landkrieg: See-
krieg, wenn er nur auf dem Meer geführt wird;
Land- und Seekrieg, wenn auf beiden c).
Das Recht eines Staates, mit Auswärtigen
Krieg zu führen, ist ein Hoheits- oder Maje-
stätsrecht, und zwar ein äusseres a). Es kann
daher nur von dem Stellvertreter des Staates
gegen Auswärtige, in Uebereinstimmung mit den
Vorschriften der Staatsgrundgesetze, ausgeübt
werden. Unterthanen sind dazu weder ganz
noch zum Theil befugt (§. 232, Note b). Doch
kann nicht nur Statthaltern des Regenten, zu-
mal in entlegenen Provinzen oder Colonien, das
Recht Krieg zu führen unter gewissen Umstän-
den übertragen b), sondern auch einzelnen Un-
terthanen das Recht zu Ausübung bestimmter
Gewaltthätigkeiten, während eines Völkerkriegs,
besonders verliehen werden c).
Um rechtmäsig zu seyn, muſs jeder Krieg
seinen Entstehungsgrund haben in Befolgung
eines Grundsatzes, welcher abgeleitet ist aus der
Nothwendigkeit der Erhaltung äusserer Rechte,
für den Fall einer Rechtsverletzung. Gerecht
ist daher der Krieg auf Seite desjenigen Staates,
welcher ihn zu führen genöthigt ist zu dem
Schutz seiner Rechte a). Dieser Schutz kann
sich beziehen, nicht nur auf schon bestehende
Rechtsverletzung, sondern auch, vermöge des
PräventionsRechtes, auf bevorstehende b). Der
Zweck eines gerechten Kriegs muſs demnach be-
stehen, entweder in Genugthuung, oder in Ver-
theidigung, oder in Sicherheit, so fern diese auf
andere Art nicht zu erlangen sind c). Ungerecht
ist der Krieg auf Seite desjenigen Staates, wel-
chem Rechtsverletzungen der angezeigten Art zur
Last fallen, oder welcher ihn nur aus Eigen-
nutz, aus bloſs anrathenden Beweggründen (caus-
sis suasoriis, simples motiſs) unternimmt d).
Zu diesen falschen Beweggründen gehören: Er-
oberungslust, Raubgier, Verhinderung des ge-
[387]I. Cap. Recht des Kriegs.
rechten Anwachsens der Macht eines andern Staa-
tes (§. 41), Austreten aus dem so genannten po-
litischen Gleichgewicht (§. 6 u. 42), sittliche
oder religiöse Rohheit des andern Volkes e),
wahre oder vermeinte Unsittlichkeit desselben.
Zu der Rechtmäsigkeit eines Kriegs, bedarf
es nicht einer Ankündigung desselben (indictio
s. denunciatio belli, déclaration de guerre), das
[389]I. Cap. Recht des Kriegs.
heiſst, einer Erklärung, durch welche der sich
für beleidigt haltende Staat dem andern kund
thut, daſs er sein Recht gegen ihn mit Waffen-
gewalt verfolgen wolle a); es sey augenblicklich
(pure), oder für einen bestimmten Fall (even-
tualiter). Eine Ausnahme ist nur dann vorhan-
den, wenn solche durch Vertrag bedungen, oder
von ihr noch gütliche Beilegung des Streites mit
Wahrscheinlichkeit zu hoffen wäre, da Krieg
nur im äussersten Fall zulässig ist. Auch ist
die in ältern Zeiten von europäischen Staaten
für nothwendig gehaltene b), und daher meist
üblich gewesene Kriegsankündigung, seit der
Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts fast ganz
ausser Gebrauch c).
Desto wichtiger, wiewohl ebenfalls nicht
nothwendig, ist die Verkündigung des Kriegs
(publicatio belli); eine an die eigenen Unter-
thanen, auch wohl an andere Staaten, mittelst
eines Manifestes, gerichtete Bekanntmachung,
daſs und warum die Staatsregierung genöthigt
sey, mit einem andern Staat sich in Krieg
einzulassen. Wichtig ist dieses für die ei-
genen Unterthanen, weil durch den Krieg der
ganze Staat, mithin auch alle ihm angehörigen
Personen und Sachen, in feindliches Verhältniſs
zu dem andern kriegführenden Staat und die
demselben angehörigen Personen und Sachen
treten. Wichtig kann es auch seyn in Ansehung
dritter Staaten, theils um bei ihnen eine günstige
Meinung für sich zu erregen, theils wegen des
Verkehrs, worin sie und ihre Angehörigen mit
den kriegführenden Mächten sich befinden kön-
nen. Obgleich auch sie nicht immer entschei-
det, über den wahren Anfangspunct der Feind-
seligkeiten, so hat sie doch manche rechtliche
Wir-
[391]I. Cap. Recht des Kriegs.
Wirkung in Absicht auf den Privatverkehr a).
Aus diesen Gründen, ist jene Verkündigung
jetzt in Europa Völkersitte, und nur selten un-
terbleibt sie. Auf das Manifest des einen Theils,
folgt zuweilen von dem andern ein GegenMa-
nifest b).
Kriegführende Mächte pflegen, durch eigene
Edicte oder Decrete, das Verhalten ihrer Un-
terthanen und Vassallen gegen den Feind, des-
sen Land und Angehörige, zu bestimmen a).
Sie warnen ihre Unterthanen allgemein, und
mit Androhung bestimmter Strafen, daſs diesel-
ben mit dem Feind sich in keinen, ihm in Ab-
sicht auf den Krieg irgend nützlichen Verkehr
einlassen (Dehortatorien). Sie verbieten ihnen
zuweilen sogar allen Verkehr mit dem feindlichen
Land und dessen Unterthanen, namentlich Brief-
wechsel, Assecuranz für feindliche Rechnung b),
WaarenAusfuhr in des Feindes Land, oder Ein-
fuhr daher c), es sey denn mit besonderer Er-
laubniſs oder Licenz (Inhibitorien). Sie rufen
diejenigen ihrer Unterthanen zurück, welche in
Kriegs- oder anderem Staatsdienst des Feindes,
Klüber’s Europ. Völkerr. II. 26
[392]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
auch wohl dritter Mächte, sich befinden, oder
aus andern Ursachen in dem Ausland sich auf-
halten, um ihre Dienste dem Vaterlande zu
widmen, mit Androhung der VermögensCon-
fiscation und anderer Strafen d) (Avocatorien,
Excitatorien, Auxiliatorien). Das StaatsInteresse
veranlaſst jedoch nicht selten, durch Connivenz,
Verordnungen, oder besondere Concession, wohl
gar durch eigene Verträge, einen eingeschränk-
ten Verkehr mit dem feindlichen Lande zu ge-
statten, z. B. unschädlichen Briefwechsel, die
Ein- oder Ausfuhr bestimmter Waaren in be-
nannten Orten oder Häfen, unter Beobachtung
vorgeschriebener Förmlichkeiten e). Zuweilen
enthalten die Staatsgesetze eigene Bestimmungen
dieser Art für jeden Krieg.
Wie unter einzelnen Menschen im Natur-
stand, so ist auch unter Staaten in dem Krieg,
das Recht des gerechten Feindes gegen den un-
gerechten, im Allgemeinen (in thesi), von un-
begrenztem Umfang (jus infinitum). Nur aus
den Umständen des concreten Falles (in hypo-
thesi) können, nach dem Zweck des Kriegs, nä-
here Bestimmungen desselben statt finden. Der
gerechte Feind ist daher befugt zu jeder Art
von Gewaltthätigkeit, welche nach seinem gewis-
senhaften Ermessen nöthig ist zu dem Schutz
seiner Rechte, für die Gegenwart und Zukunft,
und zu Erlangung vollständiger Genugthuung
für das Vergangene a), so weit dadurch das
Recht eines Dritten nicht verletzt wird. Ver-
möge der natürlichen Freiheit, worin unabhän-
gige Staaten sich wechselseitig befinden, und wel-
che, ohne übereinstimmende Einwilligung beider
Theile, jeden Richterspruch eines Dritten aus-
schlieſst, bleibt die Wahl der Mittel zum Zweck,
insbesondere der anzuwendenden Gewaltthaten,
nach Qualität und Quantität, seiner Selbstbe-
stimmung überlassen. Da auch für das Recht-
[394]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
verhalten eines Staates, ganz vorzüglich für das-
jenige eines gerechten Feindes, die Vermuthung
streitet, so muſs jede von dem gerechten Feind
angewandte Gewaltthätigkeit, als Mittel zum Zweck,
im Zweifel für rechtmäsig gehalten werden.
Die Befugniſs des gerechten Feindes zu dem
Krieg, nach dem ganzen Umfang seines Rechtes,
dauert fort, bis sein rechtmäsiger Zweck erreicht
ist. Er kann also den Krieg fortsetzen, bis sein
Feind angemessene Friedensbedingungen anbie-
tet, oder annimmt; in Ermangelung dessen, bis
solche demselben durch Sieg gewaltsam sind ab-
[395]I. Cap. Recht des Kriegs.
genöthigt worden. Diese Befugniſs zu Gewalt-
thätigkeiten, schränkt sich nicht ein auf das
Land- und Seegebiet des Feindes. Auch ausser-
halb desselben, namentlich auf offener See, kön-
nen die demselben zugehörigen Rechte, Sachen
und Personen verfolgt werden, so fern nur die
Rechte eines jeden Dritten dabei unverletzt bleiben.
Die Mittel, dem Feind zu schaden, sind von
sehr verschiedener Art, in Hinsicht auf feind-
liche Personen, Rechte, und Sachen. Es giebt
Arten feindlicher Gewaltthätigkeit, welche zwar
auf Seite des gerechten Feindes an sich nicht
widerrechtlich, aber doch in hohem Grad un-
moralisch sind a). In Hinsicht auf manche der-
selben, werden unter den civilisirten Staaten
von Europa, bei Ausübung des Kriegsrechtes,
selbst ohne ausdrückliche Abrede oder Ueber-
einkunft, gewisse Einschränkungen beobachtet,
welche auf Verhütung allzugrosser, wohl gar
zweckloser b), Grausamkeit abzwecken. Der
Inbegriff dieser Einschränkungen heiſst Kriegs-
manier, oder Kriegsgebrauch c) (loi de guerre).
Ausnahmen von dieser Kriegsmanier, werden
nach dem Zweck des Kriegs für zulässig ge-
halten, nur in dem Weg der Erwiederung,
oder unter andern ausserordentlichen Umständen.
[396]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
Man begreift diese subsidiarischen Ausnahmen
unter dem Namen der KriegsRaison d) (ratio
belli, raison de guerre). Das natürliche Völker-
recht billigt dieselben, so weit sie dem Zweck des
Kriegs angemessen sind, nur von dem gerechten
Feind gebraucht werden, und nicht mit Verletzung
der Rechte eines Dritten verbunden sind e).
Namentlich verwirft die Kriegsmanier a):
den Gebrauch vergifteter Waffen, die Vergiftung
der Brunnen, der für den feindlichen Souverain,
seine Befehlhaber und übrigen Kriegsleute be-
stimmten Eſs- und Trinkwaaren, die Sendung
mit Pest oder andern ansteckenden Krankheiten
behafteter Personen, Thiere, oder Sachen, den
Gebrauch der Kettenkugeln (boulets à chaîne),
der Stangenkugeln (boulets à bras), das Schies-
sen mit Stücken von Eisen, Glas, Nägeln u. d.
(tirer à la mitraille, im engern Sinn). Der
Gebrauch der Kartätschen, und selbst, im Noth-
fall, nicht ganz abgerundeter Bleistücke, begrif-
fen unter mitraille im weitern Sinn, wird für
unerlaubt nicht gehalten. Auch sind gegen die
Kriegsmanier: das Laden der Musquete mit
zwei Kugeln, oder mit zwei halben, oder mit
zackigen Kugeln, mit Kugeln die mit Glas oder
Kalk vermischt sind, Miſshandlung der Verwun-
[398]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
deten, Kranken, Invaliden, und anderer Wehr-
losen, Meuchelmord, Versagung des Pardons,
Ermordung oder Miſshandlung ruhiger Gefan-
genen, muthwillige Entweihung der Gottesver-
ehrung gewidmeter Gebäude oder Oerter, Er-
öffnung der Gräber, Nothzucht, u. d. So auch:
Bestechung der Kriegsbefehlhaber und Räthe des
feindlichen Staates b), Verleitung feindlicher Un-
terthanen zu Verrätherei c) und Aufruhr d), und
die Setzung eines Preises auf den Kopf eines
feindlichen Regenten oder Befehlhabers e).
Das allgemeine Völkerrecht befreit die Per-
son des feindlichen Regenten, und die Mitglie-
der seiner Familie, nicht von den Gewaltthätig-
keiten des Kriegs, am wenigsten dann, wenn
sie selbst die Waffen tragen. Milder ist die
europäische Völkersitte a). Die Souveraine der
gegenseitig in Krieg begriffenen Staaten, be-
trachten einander und die Mitglieder ihrer Fa-
milie, wenigstens im Aeussern, nicht als persön-
liche Feinde. Sie hören daher selbst während
des Kriegs selten auf, einander Beweise äusserer
Achtung und Freundschaft zu geben, z. B. bei
angenehmen und widrigen persönlichen oder Fa-
milienEreignissen, Thronbesteigung, Einschlies-
sung in einer Festung oder an einem andern
Ort. Gewaltthätigkeit gegen ihre Person wis-
sentlich auszuüben, namentlich das grobe oder
kleine Geschütz absichtlich auf sie zu richten,
ist gegen die Kriegsmanier. Gerathen sie in Ge-
fangenschaft, so werden sie entweder sofort frei
gelassen, oder mit auszeichnender Achtung be-
handelt b). Auch die bei Ausbruch des Kriegs
anwesenden Gesandten des feindlichen Staates,
erhalten, nebst ihrem Gefolge, freien und sichern
Abzug (§. 228 f.).
Wenn gleich, nach dem allgemeinen Völ-
kerrecht, Gewaltthätigkeiten gegen alle einzelnen
Mitglieder des feindlichen Staates und deren
Vermögen nicht unerlaubt sind (§. 232.), so
mildert doch der europäische Kriegsgebrauch
dieses in Ansehung derjenigen Mitglieder des
feindlichen Staates, welche für ihre Person we-
der als willkührliche Beleidiger, noch als un-
mittelbare Theilnehmer an den Feindseligkeiten
anzusehen sind. Man beschränkt sich daher, in
der Regel, bei ihnen auf solche Gewaltthätig-
keiten, welche zu zweckmäsiger Führung des
Kriegs unvermeidlich sind, theils um ihre un-
mittelbare Theilnahme an den Feindseligkeiten
zu verhüten, theils um mit Beihülfe aus ihrem
Vermögen die eigenen Streitkräfte zu mehren,
die feindlichen zu mindern a).
Dem zufolge wird den bei Ausbruch des
[401]I. Cap. Recht des Kriegs.
Kriegs im eigenen Gebiet befindlichen Unter-
thanen des feindlichen Staates, freie und sichere
Rückkehr binnen gesetzter Frist gestattet; nicht
selten wird ihnen sogar ruhige Fortsetzung ih-
res Aufenthaltes erlaubt, es sey nun vermöge ei-
nes Staatsvertrags (§. 152) oder aus Gnade a).
Den im eroberten Gebiete des Feindes befind-
lichen Unterthanen desselben, wird, bei ruhigem
Verhalten und williger Leistung der ihnen auf-
erlegten Dienste und Lieserungen, nicht nur
sicheres Bleiben in ihren Wohnsitzen, sondern
auch Fortsetzung ihres Verkehrs im Innern und
mit Neutralen gestattet b). Zur Sicherheit ih-
res ruhigen Verhaltens und der ihnen auferleg-
ten Leistungen, werden zuweilen Geissel genom-
men (§. 156). Sogar die bei dem feindlichen
Kriegsheer befindlichen, zum Wehrstand nicht
gehörigen Personen, die Nichtstreitenden (Un-
wehren, non-combattans), werden wider ihren
Willen der Kriegsgefangenschaft nicht unterwor-
fen c). Dagegen können auf Nachsicht solcher
Art alle diejenigen keinen Anspruch machen,
welche feindliche Handlungen begangen haben,
oder dazu bewaffnet gefunden werden.
Ein unmittelbarer Gegenstand feindlicher
Gewaltthätigkeit sind diejenigen Personen, wel-
che zu dem Wehrstande des Feindes gehören,
diejenigen Kriegsleute aller Art, deren Amtspflicht
sie zu Ausübung der Feindseligkeiten bestimmt a).
Bei eigenem Verhalten nach Kriegsgebrauch b),
haben sie Anspruch auf Behandlung nach Kriegs-
manier. Von Seite der Kriegstruppen des Fein-
des, haben wider sie statt: Angriff und Verfol-
gung, in dem Fall eines Widerstandes oder der
Flucht sogar Verwundung und Tödtung, aus-
serdem c) Gefangennehmung und Ausplünderung,
worauf entweder Loslassung, meist gegen das
Versprechen in diesem Krieg oder auf bestimmte
Zeit nicht wieder als Krieger zu dienen, oder
Abführung in die Gefangenschaft folgt.
Ausser dem Fall einer groben Frevelthat,
z. B. Empörung, Entfliehung (SelbstRanzioni-
rung) u. d., oder einer von dem Feind abge-
nöthigten Erwiederung, ist es gegen den Kriegs-
gebrauch, Kriegsgefangene a) zu miſshandeln,
zu verwunden, zu tödten, zu eigenen Kriegs-
diensten zu nöthigen, oder in Sclaverei zu füh-
ren b). Wohl aber ist erlaubt, sie zweckmäsig
zu verwahren, oder in entlegene Provinzen ab-
zuführen. Bei Ermangelung eigener Mittel, muſs
ihnen nothdürftiger Unterhalt, wenigstens vor-
schuſsweise, gegeben werden c). Dagegen sind
sie zu angemessenen Dienstleistungen verpflichtet.
Ihre Kriegsgefangenschaft hört auf, so bald sie
freiwillig in Kriegs- oder CivilDienste des sie
gefangen haltenden Staates treten, oder sich auf
andere Art seiner Oberherrschaft unterwerfen d),
oder von demselben freiwillig losgelassen wer-
den, mit oder ohne die Bedingung, gegen ihn
[404]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
innerhalb gesetzter Frist, oder in diesem Krieg
nicht wieder zu dienen, oder auf Verlangen an
einem bestimmten Ort sich wieder zu stellen e),
oder wenn sie durch Lösegeld f), Auswechs-
lung g), gewaltsame Wegnahme, Entfliehung,
oder durch den Friedensschluſs frei werden.
Officiere werden bisweilen auf ihr Ehrenwort
losgelassen h). Ist dem Gefangenen die Flucht
gelungen, und er wird nachher als rechtmäsiger
Krieger abermal gefangen, so pflegt seine Flucht
bei dem Gemeinen nicht, bei dem Officier mit
Gefängniſs bestraft zu werden.
Zu den rechtmäsigen Mitteln, dem unge-
rechten Feind zu schaden, gehört auch die Be-
fugniſs, der feindlichen Rechte und Sachen, na-
mentlich des feindlichen Gebietes, so weit der
Kriegszweck es fordert, sich zu bemächtigen,
dieselben zu vernichten, zu verderben, zu ge-
niessen, in seiner Gewalt zu behalten a) (occu-
patio bellica). Von früheren Verträgen mit
dem Feind, verlieren diejenigen, über deren
Fortdauer während eines Kriegs beide Theile im
Voraus übereingekommen sind, ihre Gültigkeit
[406]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
durch den Krieg nicht (§. 152 u. 165). Wohl
aber diejenigen, bei welchen die Fortdauer fried-
licher Verhältnisse ausdrücklich oder stillschwei-
gend vorausgesetzt ward. Verträge, die zu kei-
ner dieser beiden Classen gehören, ist der ge-
rechte Feind befugt, seinem Kriegszweck gemäſs
aufzukündigen, oder deren Erfüllung einstweilen
zu verweigern, auch das, was er ihnen zufolge
schon geleistet hat, zurückzunehmen, so weit
dieses möglich ist b).
Die oben (§. 250) angezeigte Befugniſs gilt
namentlich von Fouragirung a), Kriegsfuhren,
Requisitionen b) und Lieferungen oder Beiträgen
zu Unterhaltung des Kriegsheers, und andern
Kriegskosten, von KriegsContributionen (tributa
bellica), insbesondere zu Abwendung angedroh-
ter oder zu besorgender Plünderung und Brand-
stiftung, des so genannten Sengens und Bren-
nens c) (Brandschatzung); überhaupt, der Strenge
nach, von Bemächtigung alles beweglichen und
unbeweglichen Eigenthums, welches dem feind-
lichen Staat oder dessen Angehörigen zusteht
(§. 232 u. 256).
Doch mildert der europäische Kriegsge-
brauch auch diese Strenge, in verschiedener Hin-
sicht. So wird für Schiffe und Waaren, welche
feindliche Unterthanen, im Vertrauen auf den
Schutz des Völkerrechtes, bei dem Ausbruch des
Kriegs in dem Land- und Seegebiet des Feindes
ihres Staates hatten, oder nachher, des Kriegs
ohne ihre Schuld unwissend, dahin gebracht
hatten, nach Vorschrift vieler Handelsverträge
Klüber’s Europ. Völkerr. II. 27
[408]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
(§. 152) und Gesetze a), entweder geradezu
freier Abzug oder Verkauf binnen einer be-
stimmten Frist gestattet, oder sie werden nur
vorläufig in Beschlag genommen b) (mit Em-
bargo belegt), bis man gewiſs ist, daſs der Feind
es mit diesseitigen Schiffen und Waaren auf glei-
che Art halte. In dem entgegengesetzten Fall,
wird Confiscation und Veräusserung verfügt. Han-
delsgüter der Unterthanen des feindlichen Staa-
tes, welche auf Frachtwagen, oder in Schiffen
auf Flüssen und Landseen, transportirt werden,
passiren meist frei von Kriegsgewalt. Nicht so,
wenn sie auf dem Meer, zumal in feindlichen
Schiffen, ergriffen werden (§. 253 u. 260). Auch
die Confiscation der Geldcapitale, welche der
Staat und dessen Unterthanen dem Feind oder
seinen Unterthanen schuldig sind, und sogar die
Hemmung der den feindlichen Unterthanen ge-
bührenden Renten- und Zinsenzahlungen, wird
von dem Feind nicht immer verfügt c).
Den feindlichen Kriegsheeren, Kriegsschiffen
[409]I. Cap. Recht des Kriegs.
und Capern, auch den einzelnen Kriegsleuten,
kann von den Kriegstruppen, Kriegsschiffen und
Capern, durch öffentliche und heimliche Gewalt,
alle ihnen und zu ihnen gehörige fahrende Habe
(Mobilien und Moventien) als Beute (praeda,
butin) abgenommen werden a). Diese gehört,
nach dem allgemeinen Völkerrecht, dem krieg-
führenden Staat; aber heut zu Tage wird sie
gemeiniglich, ganz oder zum Theil, den er-
obernden Truppen überlassen b). Oeffentliche
Denkmäler, wissenschaftliche und Kunstschätze
des Staates, und das in Schlössern, Gebäuden
und Gärten des feindlichen Souverains oder seiner
Familie befindliche Geräthe, und zur Gottesvereh-
rung dienende Sachen, werden heut zu Tage in der
Regel weder zerstört noch hinweggenommen c).
Nach dem europäischen Völkergebrauch,
[410]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
erwirbt der Feind in Landkriegen das Eigenthum
der Beute (der eroberten beweglichen Sachen)
durch einen Besitz von vier und zwanzig Stun-
den a), so daſs nach Ablauf dieses Zeitraums
jeder Dritter dieselben gültig, ohne Besorgniſs
einer rechtlichen Zurückforderung oder einer Aus-
übung des juris postliminii durch ihren vorigen
Eigenthümer, von ihm erwerben kann b). Das-
selbe wird jetzt, von den meisten Staaten, auch
bei der in Seekriegen von Kriegsschiffen oder Ca-
pern gemachten Beute (Prise) anerkannt c);
doch sprechen einige hier noch das Eigenthum
der Beute dem vorigen Eigenthümer erst dann
ab, wenn der Eroberer sie in Sicherheit (in ei-
genes oder neutrales Land, in einen Hafen, oder
unter eine Kriegsflotte) gebracht hat d). Von
einem unrechtmäsigen Feind, z. B. von einem
Maraudeur oder Seeräuber, gemachte Beute, ge-
nieſst diese Vorzüge nicht. Das MobiliarEigen-
thum derjenigen Privatpersonen, welchen eigene
Ausübung der Feindseligkeiten fremd ist, schlieſst
der Kriegsgebrauch von der Erbeutung aus; nur mit
Ausnahme der feindlichen Handelsschiffe und ihrer
Ladung, deren Erbeutung den Kriegsschiffen und
Capern gestattet wird e). Nach diesen Grundsätzen,
ist das jus postliminii des vorigen Eigenthümers
erbeuteter beweglicher Sachen zu beurtheilen f).
Auch die unbeweglichen Güter des Feindes,
und die Souverainetät über die ihm unterwor-
fenen Provinzen, können feindlich in Besitz ge-
nommen werden; welches Eroberung a) (oc-
cupatio bellica, conquête) genannt wird. In den
eroberten Provinzen, tritt der Eroberer an die
Stelle der bisherigen Staatsregierung, so viel die
Ausübung der StaatshoheitsRechte und den Ge-
nuſs des Eigenthums seines Feindes betrifft b).
Doch giebt nicht schon die blosse Thatsache der
Eroberung ihm ein Recht, das Eigenthum der
[412]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
eroberten Sachen oder die Souverainetät über
das Land sich zuzueignen c). Ein solches Recht
gebührt, nach dem natürlichen Völkerrecht, nur
dem gerechten Feind, und weiter nicht als der
Zweck des Kriegs es fordert. Nur ein Mittel
ist hier die Eroberung, durch welches das Recht
des Gerechten wider den Ungerechten in Wirk-
samkeit kommt. Was ein Richterspruch jenem
zusprechen würde, wenn ein Richter zwischen
beiden stünde, das tritt durch die Eroberung in
Kraft, für den der wider das Unrecht kämpfte;
nur ein solcher hat ein Recht zur Eroberung.
Dieser mag sich seines Rechtes bedienen, und
keine Protestation, sie komme von dem feind-
lichen Souverain, oder von einem Mitglied sei-
ner Familie, oder von seinen Gönnern, Bundes-
genossen oder Unterthanen, könnte zu irgend
einer Zeit einen schwächenden oder entkräften-
den Einfluſs von Rechtswegen darauf haben.
Weigert sich der ungerechte Feind beharrlich,
durch einen Friedensschluſs die von dem recht-
mäsigen Eroberer verlangte Abtretung der er-
oberten Gegenstände anzuerkennen, so ist, seines
Widerspruchs ungeachtet, das Recht des Erobe-
rers, sich solche zuzueignen, vollkommen be-
gründet; denn von seiner, des Ungerechten,
Willenserklärung kann des Gerechten Befugniſs,
sich Genugthuung für das Vergangene und Si-
cherheit für die Zukunft in vollem Maas zu ver-
schaffen, auf keine Weise abhängen. Die un-
[413]I. Cap. Recht des Kriegs.
zweifelhafte Rechtmäsigkeit des Zwanges, ersetz
den Mangel der ausdrücklichen Einwilligung des
Gegners, der solche rechtlos verweigert. — Die
Thatsache der Eroberung, selbst verbunden mit
dem Rechte dazu, findet ihre natürliche Grenze
in der wirklich erfolgten feindlichen Besitzergrei-
fung. Für erobert ist daher nicht zu halten,
bewegliches und unbewegliches Staatseigenthum
des Feindes, welches in neutralem, oder in nicht
erobertem feindlichem Staatsgebiet sich befindet;
desgleichen, daselbst ausstehende ActivSchulden
des vertriebenen Souverains, wovon dieser die
Schuldbriefe in Besitz hat d).
Nach den heut zu Tage in Europa an-
genommenen Grundsätzen, kann der durch das
Schicksal der Waffen entstandene Verlust des Be-
sitzes, die Eigenthumsrechte nicht vernichten.
Daher kann der Eroberer, obgleich er die Staats-
hoheitsRechte seines Feindes ausübt und den Ge-
nuſs der feindlichen Besitzungen hat, weder die-
selben sich eigenthümlich zueignen, noch dar-
über zum Vortheil eines Dritten verfügen; so
fern er nicht durch einen Friedensschluſs hiezu
ermächtigt worden ist. Der Friede entscheidet
demnach, wenn bis dahin Provinzen oder Im-
mobilien des Feindes in der Gewalt des Erobe-
rers geblieben sind, ob und unter welchen Be-
dingungen ihm solche zugehören sollen a). Auch
erwartet man darin Bestimmungen, über den
[415]I. Cap. Recht des Kriegs.
Rechtsbestand der bis dahin von dem Eroberer
geschehenen Veräusserungen eroberter Gegen-
stände b). — Ohne Einfluſs ist die Eroberung,
nach heutigem Kriegsgebrauch, auf die Rechts-
und Besitzverhältnisse des Grundeigenthums der-
jenigen Unterthanen, welche den Kriegsgesetzen
nicht zuwider gehandelt haben c).
Das Recht des Eroberers an den eroberten
unbeweglichen Sachen aller Art, hört auf, nicht
nur durch Verlassung oder durch Herausgabe der-
selben im Frieden, sondern auch durch Wieder-
eroberung (jus recuperationis, droit de recousse)
von Seite des Feindes oder seines Bundesgenos-
sen a). In diesen Fällen kommen, in der Re-
gel, alle wiedereroberten Besitzungen, auf Ver-
langen der Interessenten, in den vorigen Rechts-
und Besitzstand b) (jus postliminii), da der
durch Feindesgewalt erfolgte Verlust des blossen
Besitzes, das Eigenthumsrecht nicht vernichten
konnte. Eine Ausnahme hievon begründet, we-
[416]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
der die Zeit der Wiedereroberung, auch nicht
eine zweite Wiedereroberung, noch die Recht-
mäsigkeit oder Unrechtmäsigkeit des Kriegs auf
Seite des Wiedereroberers, noch die blosse
Kriegsgefangenschaft des Privateigenthümers c).
Wohl aber kann wahre Treulosigkeit des Ei-
genthümers gegen den Staat, eine Ausnahme
rechtfertigen d), und das Postliminium auch
suspendirt werden durch die Ungewiſsheit, ob
dasselbe in einem bestimmten Fall eintrete e).
In Absicht auf Staatshoheit, und Staatsverfas-
sung, so auch in Ansehung der Privilegien, tre-
ten die vorigen Rechtsverhältnisse wieder ein.
War nach feindlicher Eroberung des Lan-
des, bis zu der Rückkehr des rechtmäsigen Re-
genten, eine von diesem völkerrechtlich nicht
anerkannte, noch (weil die blosse Thatsache der
Eroberung einen Rechtstitel zu geben nicht ver-
mag) anzuerkennende Zwischenregierung des Er-
oberers oder seines Nachfolgers eingetreten; so
sind die StaatsregierungsHandlungen des Zwi-
schenherrschers von dem zurückgekehrten recht-
mäsigen Regenten, oder von seinem Nachfolger,
nur so weit anzuerkennen, als ihre Gültigkeit
auf Rechtsgründen beruht, deren Verpflichtungs-
kraft, ihrer Natur nach, sich bei jedem Nach-
folger in der Staatsregierung findet a). So weit
aber darum, weil während der feindlichen In-
habung des Landes, in solchem weder der Staats-
verein und die Staatsregierung, noch die Herr-
schaft des Privatrechtes aufgehört hatte. Bei der
unvermeidlichen Trennung von ihrem rechtmä-
sigen Regenten, war die Gesammtheit der Staats-
bürger in die Nothwendigkeit gesetzt, den Staats-
verein mit dem Eroberer oder seinem Nachfol-
ger fortzusetzen b), unbeschadet der gegen beide
fortdauernden Ansprüche jenes Regenten auf den
[418]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
Rücktritt in die Ausübung seiner Staatsbefugnis-
se. Wegen dieser (sede plena impedita) noth-
wendigen und wirklichen Fortdauer des Staats-
vereins, ist der an der Staatsregierung verhin-
dert gewesene Regent, in Hinsicht auf Regie-
rungshandlungen der Zwischenzeit, als Nachfol-
ger der in dieser Zeit bestandenen Zwischen-
herrschaft oder ausserordentlichen Staatsregierung
zu betrachten c).
Rechtsgültig, auch für den zurückgekehrten
rechtmäsigen Regenten oder seinen Nachfolger,
ist daher eine Regierungshandlung des Zwischen-
herrschers,
1) wenn jener die Zwischenregierung, durch
einen vorausgegangenen, oder späteren Friedens-
schluſs, anerkannt hat, oder einer bestimmten
Handlung desselben beigetreten ist, es sey durch
blosse, ausdrückliche oder stillschweigende, Wil-
lenserklärung, oder durch einen mit dem Zwi-
schenherrscher oder einer dritten Macht geschlos-
senen Vertrag;
2) wenn die Regierungshandlung den Grund-
[421]I. Cap. Recht des Kriegs.
sätzen der gleichzeitig bestandenen Staatsverfas-
sung und Staatsverwaltung gemäſs, oder
3) ohne durch diese Grundsätze bestimmt
zu seyn, und ohne die Grenzen der Staatsgewalt
zu überschreiten, nothwendig, oder in hohem
Grad nützlich war;
4) wenn der Zwischenherrscher der in die-
ser Eigenschaft ihm zustehenden Gewalt sich
bedient hat, um ein Individuum, gleichviel ob
Unterthan desselben Staates oder nicht, zu Be-
zahlung einer dem Staat gehörigen Schuldfor-
derung, oder zu irgend einer andern Leistung,
namentlich zu Uebernehmung einer Vertrag-
pflicht, zu nöthigen a). In solchem Fall ist
anzunehmen, daſs die Leistung dem Staat zum
Vortheil gereicht habe. In solcher Hinsicht ein-
gegangene Stipulationen, ist der zurückgekehrte
rechtmäsige Souverain nur nach erfolgter Ent-
schädigung des Contrahenten oder dessen Rechts-
nachfolgers aufzuheben befugt, indem er z. B.
den Gegenstand bei demselben vollständig und
gänzlich einlöset, weſshalb ihm jedoch der Re-
greſs wider den Usurpator vorbehalten bleibt.
Auch
5) wenn der dem Zwischenherrscher ge-
gebene Werth oder Tauschgegenstand zum Vor-
theil des Staates verwendet worden ist (versio
in rem) b).
Hat der Erwerber auf wahre Verbesserung
der von ihm zurückzugebenden Sachen Ko-
[422]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
sten gewendet, so kann er dafür Vergütung
fordern.
Zu den rechtmäsigen Mitteln dem Feind
zu schaden, gehört auch die Caperei a). Caper
(praedatores maritimi, armateurs) sind Privat-
personen, welche von einem kriegführenden
Staat durch Patente oder Markbriefe b) (litterae
marcae, lettres de marque), mit gewissen Ein-
schränkungen und Privilegien, ermächtigt sind,
für eigene Rechnung bewaffnete Schiffe (eben-
falls Caper, naves praedatoriae, genannt) auszu-
rüsten, um feindliches Staats- und PrivatEigen-
thum zu nehmen. Sie gehören zu der bewaffneten
Macht, wider den Feind. Sie unterscheiden sich
nicht nur von Kreuzern oder Kreuzfahrern (croi-
seurs), welche ein kriegführender Staat unmit-
telbar ausrüstet, hauptsächlich um durch sie
feindliche Häfen und Schiffe beobachten zu las-
sen, sondern auch von Seeräubern oder Cor-
saren (piratae, praedones maritimi, corsaires),
welche ohne Autorisation einer kriegführenden
Klüber’s Europ. Völkerr. II. 28
[424]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
Macht fremdes Eigenthum auf der See zu neh-
men trachten, folglich Räuber und strafbar
sind c).
Die Caper stehen unter den Befehlen der
Admirale ihres Souverains; sie dürfen daher
keine Schiffe nehmen, welche von diesen mit
Freipässen versehen sind. Sie müssen sich dem
Kriegsgebrauch und den erhaltenen Instructionen
gemäſs betragen. Sie sind rechtmäsige Feinde
in demselben Sinn, wie in dem Landkrieg der
Soldat, wenn er zu Nehmung feindlichen Ei-
genthums autorisirt ist. Sie dürfen in dem See-
gebiet neutraler Mächte keine Feindseligkeiten
ausüben. Die von ihnen dem Feind abgenom-
menen Schiffe und Güter, sind erst dann für
erbeutet anzusehen, wenn der Caper sie in einen
Hafen des eigenen, eines alliirten, oder eines
neutralen Staates gebracht hat, und solche, nach
gehöriger Untersuchung, durch rechtskräftiges
Urtheil eines Admiralität-, See- oder Prisen-
Gerichtes seines Staates für gute Prise erklärt
worden sind a). Eigene CaperVerordnungen be-
stimmen, ob und wieviel in solchem Fall dem
Caper als Prämie von seinem Staat zu bezahlen
ist, ob und welcher Antheil dem Staat von der
Beute gehört, wie diese zwischen dem Caper
und dem Capitain zu vertheilen sey, wie ein
Caper Caution wegen möglicher Miſsbräuche zu
[426]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
leisten habe, u. d. m. Eigenmächtige Freilas-
sung der genommenen Schiffe und Waaren, wird,
selbst gegen Empfang eines Lösegeldes, dem
Caper entweder gar nicht, oder nur in seltenen
Fällen erlaubt b). Eine Prise kann dem Feind
durch Kriegs- oder PrivatSchiffe wieder genom-
men werden (reprise). Vergebens ist von ver-
schiedenen Mächten der Vorschlag geschehen, die
Caperei aufzuheben c), und den Handelsgütern
feindlicher Unterthanen auf der See dieselbe Frei-
heit von Kriegsgewalt einzuräumen, welche sie
meist auf dem festen Lande geniessen.
Obgleich Verheerung des feindlichen Gebie-
[427]I. Cap. Recht des Kriegs.
tes, und Plünderung der feindlichen Einwohner
desselben, nach dem allgemeinen Völkerrecht
dem gerechten Feind, so weit der Kriegszweck
es erfordert, nicht versagt sind, so ist doch bei-
des, in der Regel, gegen den europäischen Kriegs-
gebrauch. Nur ausnahmweise wird Verheerung
für zulässig gehalten, bei solchen Bezirken, Ge-
bäuden und Anstalten, deren Zerstörung der
Zweck der KriegsOperationen dringend fordert.
Dieses kann der Fall seyn, bei Festungen, Be-
festigungen, und ihrer Umgebung, bei Brücken,
Magazinen, Gewehr- und PulverFabriken, Stück-
giessereien a); auch in Absicht auf Städte, Dör-
fer und andere Wohnplätze, auf Gärten, Wein-
berge, Felder, Wiesen und Wälder, bei einer
gefahrvollen Verfolgung von Seite des Feindes,
oder bei nöthiger Verdrängung oder Hervor-
lockung desselben aus einem bestimmten Ort,
bei Aufschlagung eines Feldlagers, bei Anlegung
von Befestigungen und Verschanzungen, bei un-
mittelbarer Theilnehmung der Einwohner an
den Feindseligkeiten, oder von ihnen bezeigtem
bösen Willen, namentlich in Entrichtung der
auferlegten KriegsContribution b), und aus dem
Grund einer Erwiederung (retorsio facti).
Plünderung friedlicher Einwohner, so auch
des feindlichen Souverains in Ansehung seines
beweglichen Privatvermögens und seiner Schlös-
ser a), wird für erlaubt angesehen, nur im
Nothfall, als Erwiederung, wenn der Feind die
Kriegsgesetze verletzt hat, bei widerspenstigem
oder feindseligem Betragen der Einwohner, bei
Einnahme einer Festung mit Sturm b). Wenn
Maraudeure c) und Schnapphähne (partis ‒ bleus,
chenepans), sich Plünderungen erlauben, findet
nicht nur Strafe, sondern auch verhältniſsmä-
siger Widerstand der Einwohner statt. So auch
bei Excessen oder disciplinwidrigem Benehmen
regulirter Truppen d), der Parteigänger e) und
FreiCorps.
Der Zweck des Kriegs fordert ganz vor-
züglich eigentlich so genannte KriegsOperationen.
Dahin gehören, 1) alle Arten von Gefechten,
z. B. Plänkeleien, Scharmützel, Treffen, Land-
und Seeschlachten, mit wahrem oder zweifelhaf-
tem Sieg und Niederlage a). Darf der Ueber-
winder, nach Kriegsgebrauch, den Ueberwundenen
ausser Stand setzen, ihm Schaden zuzufügen, so
ist er dagegen verpflichtet, wenn solches ge-
schehen ist, und dieser sich in sein Schicksal
ruhig ergeben hat, demselben ausser der nö-
thigen Verwahrung weiter kein Leid zuzufügen,
für seinen nöthigen Unterhalt, und, im Fall ei-
ner Krankheit oder Verwundung, für seine Hei-
lung Sorge zu tragen. Zuweilen wird sogar ein
kurzer particulärer Waffenstillstand geschlossen,
um beiderseits die Blessirten zu verbinden und
wegzubringen, und die Todten zu begraben.
2) Eben so verhält es sich mit dem so genann-
ten kleinen Krieg b) (petite guerre), der durch
kleine Abtheilungen regulirter Truppen, durch
Parteigänger (§. 263), FreiCompagnien und
FreiCorps, auf der See durch einzelne zum
Kreuzen bestimmte Kriegsschiffe und Fregatten,
und durch Caper geführt wird. Eine Partie
muſs mit einer schriftlichen Ordre des gehörigen
Befehlhabers versehen seyn, aus der gehörigen
[430]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
Anzahl Mannschaft bestehen, wenn hierüber eine
gültige Bestimmung vorhanden ist, und sich dem
Kriegsgebrauch gemäſs betragen. Im entgegen-
gesetzten Fall, werden Parteigänger wie Marau-
deure und unrechtmäsige Feinde, von beiden
Theilen behandelt c).
Zu den militärischen Unternehmungen im
Krieg, gehören, 3) Landung an den feindlichen
Küsten, Besetzung des feindlichen Gebietes, of-
fener Orte, Inseln und Bezirke, Ueberrumpelung
(coup de main) und Bestürmung besetzter oder
befestigter Plätze, Berennung, Bloquade (blocus),
und Belagerung (siège) fester Plätze a), zu
Wasser und zu Lande, Einnahme derselben,
durch Capitulation, Ergebung auf Discretion,
oder Sturm, Besetzung und Schleifung (Rasi-
rung) derselben b). Während der Belagerung
einer Festung können, nach den Umständen,
vorkommen: Abbrennung der Vorstädte, durch
die Belagerer oder Belagerten, Entwaffnung oder
Ausschaffung der Einwohner, Beschiessung der
Festung aus dem groben Geschütz (Bombarde-
ment), welcher wenigstens einmalige Aufforde-
[431]I. Cap. Recht des Kriegs.
rung zur Uebergabe vorausgehen muſs c), und
nach deren Anfang in der Festung gewöhnlich
alle Glocken und Uhren still stehen, Waffen-
stillstand zu Begrabung der Todten und Weg-
schaffung der Verwundeten, auch zu Unterhand-
lung wegen einer Capitulation, Aufforderung zur
Uebergabe, doch nicht unter Bedrohung des
Commandanten mit der Todesstrafe d), Entsatz,
Durchschlagung der Garnison, u. d. m. Bei
einer Eroberung mit Sturm, wird nicht selten
Plünderung nachgesehen, oder auf bestimmte
Zeit ausdrücklich erlaubt; nicht so Feueranlegen,
und Miſshandlung oder Tödtung der friedlichen
Einwohner e).
Zu dem Zweck der KriegsOperationen die-
nen, ausser den materiellen Hülfmitteln, unter
andern, Kriegslist und Spione, vorzüglich aber
bewaffnete Mannschaft oder Kriegstruppen. Täu-
schung des ungerechten Feindes durch Kriegs-
[432]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
list a) (stratagema, heurema bellicum) ist er-
laubt, so fern man ihm nicht Wahrhaftigkeit
besonders zugesagt hat, oder die Kriegsmanier
solche fordert b). Durch heimliche Kundschaf-
ter oder Spione (exploratores, espions) von den
Verhältnissen und Absichten des Feindes Nach-
richt einzuziehen, ist so wenig gegen das all-
gemeine Völkerrecht, als wider den Kriegsge-
brauch c), aber sie werden, wenn sie dem Feind
in die Hände fallen, mit grosser Strenge be-
handelt. Auch Ueberläufer und Ausreisser (trans-
fuges et déserteurs) aus dem feindlichen Kriegs-
heer, darf man in den Kriegsdienst aufnehmen,
aber sie geniessen darum, wenn sie nachher dem
Feind in die Hände fallen, nicht die Rechte der
Kriegsgefangenen d).
Als Streitende (combattans) dürfen an den
KriegsOperationen Theil nehmen, und werden
bei gehörigem Verhalten nach Kriegsmanier be-
handelt a): nicht nur alle regulirten Truppen,
eigene und Hülftruppen, und Kriegsschiffe, son-
dern auch alle autorisirten FreiCorps und Ca-
per, die zu der Landwehr oder NationalMiliz
gehörigen Krieger b), alle vermöge eines allge-
meinen Aufgebotes oder Landsturms c) zur Lan-
desvertheidigung bewaffneten Krieger d), die zur
Heerfolge aufgebotenen Vassallen und Jäger e),
die Freiwilligen f) (volontaires), diejenigen Un-
terthanen, welche, aus wirklichem oder vermu-
thetem Auftrag ihrer Staatsregierung, bloſs die
Vertheidigung eines Ortes übernehmen g), z. B.
die Einwohner einer Stadt oder Festung, ohne
aus den Schranken dieser Vertheidigung zu schrei-
ten, endlich, wer nur im Nothfall zu seiner per-
sönlichen Vertheidigung die Waffen ergreift.
Wer anders gegen den Feind zu den Waffen
gegriffen hat, kann von diesem, wenn er er-
griffen wird, als unrechtmäsiger Feind, mithin
anders als nach Kriegsmanier, behandelt werden.
Zu den Mitteln dem Feind zu schaden,
gehört auch die Kriegshülfe, welche dritte Staa-
ten einer kriegführenden Macht leisten a). Dazu
ist nach dem allgemeinen Völkerrecht jeder dritte
Staat befugt, so weit er ohne richterliche Un-
tersuchung, die ihm hier nicht zustehen kann,
das Unrecht erkennt, welches jener Macht wi-
derfährt b). Daher ist die Bedingung, daſs der
Krieg gerecht sey, in jedem Vertrag, worin Kriegs-
hülfe versprochen wird (§. 149), wenigstens als
stillschweigende Clausel enthalten, gleichviel ob
der Vertrag vor oder während dem Krieg ge-
schlossen war.
Die Verbindlichkeit, die vertragmäsige Kriegs-
hülfe zu leisten, hängt in dem concreten Fall
ab von der Vorfrage, ob der Bundesfall (casus
foederis, le cas d’alliance) vorhanden sey a).
Nie ist er es bei einem ungerechten Krieg. Aber
oft fehlen hinlängliche Data, über die Recht-
mäsigkeit des Kriegs mit voller Sachkunde zu
urtheilen. In solchem Fall gilt die Vermuthung
des Rechtverhaltens, auch unter unabhängigen
Staaten (§. 237). Es ist also der Bundesstaat
zu der vertragmäsigen Hülfe dann befugt und
verpflichtet, und er befindet sich bei deren Lei-
stung in gutem Glauben, wenn er, nach den
ihm bekannten Merkmalen, den Krieg, auf Seite
der mit ihm verbündeten kriegführenden Macht,
nicht für ungerecht erkennt. — Durch Kriegs-
hülfe nimmt diejenige Macht, welche solche lei-
stet, wesentlichen Theil an den Feindseligkeiten
der einen kriegführenden Macht. Sie wird also
hiedurch Feind der andern b). Aber der eu-
ropäische Völkergebrauch erkennt sie dafür, im
vollen Sinn, nur bei allgemeiner Kriegshülfe; bei
particulärer hingegen nur dann, wenn diese erst
während des Kriegs war versprochen worden c).
Kriegshülfe kann geleistet werden, allgemein,
durch gleichmäsige Führung eines Kriegs gegen
[437]I. Cap. Recht des Kriegs.
den Feind des Bundesgenossen, oder nur par-
ticulär, durch Sendung einer bestimmten An-
zahl von Hülftruppen oder Kriegsschiffen, oder
von Subsidien an Geld und andern Kriegsbe-
dürfnissen. Das erste kann geschehen a), mit-
telst abgesonderter oder gemeinschaftlicher Füh-
rung des Kriegs, die letzte etwa unter einem
gemeinschaftlichen Oberbefehlhaber (Generalis-
simus); desgleichen mit oder ohne Festsetzung
eines gemeinschaftlichen OperationsPlans. Bei
gemeinschaftlichen KriegsOperationen sind Er-
oberungen und Beute, in der Regel, nach Ver-
hältniſs gemeinschaftlich b). Bei Wiedererobe-
rungen, welche einer von beiden Bundesgenos-
sen macht, gebührt dem andern und seinen Un-
terthanen das jus postliminii c). Kein Theil ist,
den Fall der dringendsten Noth ausgenommen,
ohne Einwilligung des andern, befugt zu Schlies-
sung eines allgemeinen Waffenstillstandes oder
SeparatFriedens d), so lang noch möglich ist,
den Zweck des Kriegsbündnisses zu erreichen e).
Oft wird nur particuläre Kriegshülfe tractat-
mäsig a) geleistet, eingeschränkt auf bestimmte
Quantität und Qualität. Wird eine bestimmte
Anzahl Hülftruppen (copiae auxiliares, troupes
auxiliaires) oder Kriegsschiffe, von bestimmter
Art, gesendet, so kann, je nachdem das Kriegs-
bündniſs oder der SubsidienTractat es vor-
schreibt b), solches bloſs für eigene Rechnung
der hülfeleistenden Macht (puissance auxiliaire)
geschehen, oder es ist der nöthige Unterhalt
und Sold, oder eine bestimmte Summe Sub-
sidienGelder, von dem kriegführenden Bundes-
genossen zu liefern. In dem letzten Fall heis-
sen die Hülftruppen, Subsidien Truppen c) (mi-
lites stipendiarii cessi). Die Hülftruppen können
unter
[439]I. Cap. Recht des Kriegs.
unter dem Befehl der kriegführenden Macht, ausser-
dem unter eigenem, oder unter gemeinschaftlichem
Commando stehen, müssen aber in jedem Fall dem
Kriegszweck gemäſs handeln, sind in completem
Zustand zu erhalten, dürfen nur auf bestimmte
Art gebraucht werden, z. B. nur auf dem festen
Land, nur in einem gewissen Bezirk, nur zu
Vertheidigung des Gebietes des Bundesgenossen,
sie erhalten verhältniſsmäsigen Antheil an der
Beute, u. d. m.
Zuweilen besteht die Kriegshülfe in Einräu-
mung einer Festung, eines Hafens, des Durch-
marsches (§. 88 u. 136), der Werbung a), in
Sendung einer bestimmten Summe Subsidien-
Gelder b) (§. 149), oder in Lieferung anderer
Klüber’s europ. Völkerr. II. 29
[440]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
Kriegsbedürfnisse c). Jene werden wohl gar
in Friedenszeiten gezahlt, gegen das Verspre-
chen, eine bestimmte Anzahl SubsidienTruppen
für den Fall eines Kriegs in Bereitschaft zu
halten. Eine Macht, welche nur particuläre
Kriegshülfe leistet, wird der Regel nach nicht
als kriegführender Theil betrachtet. Sie hat
daher keinen Anspruch auf einen Theil der Er-
oberungen, und wird in dem Friedensschluſs we-
nigstens nicht als HauptContrahent aufgeführt d),
sondern höchstens in denselben miteingeschlos-
sen (§. 161 u. f.). Als Kriegshülfe kann nicht
angesehen werden, wenn eine Macht gestattet,
daſs Einzelne von ihren Unterthanen, als Frei-
willige ohne Dienst und Sold, oder auch mit
solchem, den Feldzügen fremder Heere als Krie-
ger beiwohnen; desgleichen, daſs ein anderer
Staat in ihrem Gebiet, etwa vermöge einer
in Friedenszeit geschlossenen Uebereinkunft, ei-
ner MilitärConvention, Freiwillige für seinen
Kriegsdienst anwerbe e), so fern sie, in Kriegs-
zeiten, bereit ist dieselbe Werbung auch der
andern kriegführenden Macht zu gestatten.
In dem Lauf des Kriegs werden nicht sel-
ten Kriegsverträge a) (pacta bellica, arrange-
mens militaires) geschlossen, wodurch die krieg-
führenden Mächte, ohne noch den Krieg zu
endigen, über einzelne Gegenstände desselben,
Rechte vertragmäsig festsetzen. Auch der offen-
bar gerechte Feind ist sie zu halten verpflich-
tet, da er durch Schliessung derselben, für den
Gegenstand des Vertrags, nicht nur auf sein
Recht stillschweigend verzichtet, sondern auch
selbst, seinem Gegner ein AcceptationsRecht ein-
räumt, zu dessen Ausübung sogar ein unge-
rechter Feind nicht unfähig ist. Wie die Mit-
tel dem Feind zu schaden, dienen auch die
Kriegsverträge zu dem Zweck eines gerechten
Kriegs, und derselbe Grundsatz, aus welchem
ihre Unverbindlichkeit für den gerechten Feind
herzuleiten wäre, würde in Ansehung seiner
auch für die Unverbindlichkeit eines künftigen
Friedensschlusses streiten, folglich dem Zweck
[442]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
des gerechten Kriegs widerstreiten b). Zur
Sicherheit des gegebenen Wortes, auch wohl
schon der Unterhandlung, werden zuweilen
Geissel (§. 156) gegeben, auch manche andere
Maasregeln getroffen. Eine Verletzung des Ver-
trags, würde zu Erwiederung c) und anderer
Gegengewalt berechtigen. Die Kriegsverträge en-
digen, unter anderem, mit dem Ablauf der be-
stimmten Zeit, auf jeden Fall mit dem Frieden.
Die Kriegsverträge sind von mancherlei Art.
Durch den Schutz- oder SalvegardenVertrag
(sauvegarde, salva guardia) wird feindlichen
[443]I. Cap. Recht des Kriegs.
Personen oder Sachen Befreiung von feindseliger
Behandlung zugesagt a). Ihm zufolge wird bald
eine Schutzwache, bald ein Schirm- oder Schutz-
brief, wohin auch die Pässe b) (litterae liberi
commeatus s. salvi passus aut conductus, passe-
port, sauf-conduit) gehören, bald ein Symbol
z. B. das Staatswappen, zur Legitimation er-
theilt. Hienach unterscheidet man lebendige
und todte, und bei der letzten schriftliche und
symbolische Sauvegarde. — Durch particuläre
NeutralitätsVerträge, wird ein Theil des feind-
lichen Gebietes oder Gewerbes für neutral er-
klärt c). — Nicht selten sind, Verträge oder
Cartele über Auslösung (Ranzionirung, pactum
de redimendis captivis cum pacto de lytro) und
Auswechslung (pactum de permutandis captivis)
der Kriegsgefangenen d).
Durch ContributionsVerträge (pacta de tri-
[444]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
buto bellico et lytro incendiario) suchen ein-
zelne Ortschaften oder Bezirke sich von an-
gedrohter oder zu besorgender Plünderung und
Brandstiftung, dem so genannten Sengen und
Brennen, mittelst gewisser Leistungen, Kriegs-
Contribution oder Brandschatzung, loszukaufen
(§. 251). — Die kriegführenden Mächte kom-
men zuweilen überein, in Absicht auf eine be-
stimmte Verfahrungsweise während des Kriegs,
durch Cartele, z. B. über die Art gegenseitiger
schriftlicher oder mündlicher Mittheilung, na-
mentlich durch PacketBoote, Couriere, Trom-
peter a), Tamboure, Parlementäre b), über Er-
theilung der Pässe und des sichern Geleites c),
der Signale d), über das Benehmen gegen Ge-
fangene, gegen den Handel und die Gewerbe,
über KriegsContributionen, über erlaubte und
nicht erlaubte Waffen e), über gewisse Arten
von Feindseligkeiten, über Postangelegenheiten,
über Behandlung der Sauvegarden und der Ma-
raudeure, und über verschiedene andere Ge-
genstände und Mittel des Kriegs.
Zu den wichtigsten Kriegsverträgen gehören
die Capitulationen (pacta deditionis), wodurch
ein kriegführender Theil verspricht, dem an-
dern gewisse Personen zur Verwahrung, oder
gewisse Sachen, insonderheit befestigte Plätze,
zum Besitz zu übergeben a). Meist werden sie
abgefaſst in der Form von Artikeln, welche der
eine Theil vorschlägt, und von Genehmigung,
Einschränkung, Abänderung oder Verweigerung,
welche der andere Theil daneben oder darunter
setzt b). Sie sind verbindlich, auch ohne be-
sondere Einwilligung oder nachfolgende Geneh-
migung der beiderseitigen Souveraine, wenn die
Befehlhaber, welche sie schlossen, in gutem
Glauben und ohne Ueberschreitung ihrer Amts-
gewalt oder Vollmacht handelten.
Durch WaffenstillstandVerträge (pacta in-
duciarum, traités d’armistice) werden Feind-
seligkeiten auf bestimmte Zeit suspendirt a). Sie
sind entweder allgemeine oder partiale b). Jene
werden zwischen den kriegführenden Staaten
überhaupt, und in Hinsicht auf alle Arten von
Feindseligkeiten geschlossen (trêves im engern
Sinn). Diese werden errichtet in Absicht auf
einen Theil der Feindseligkeiten (armistices im
engern Sinn), zuweilen nur für einen bestimm-
ten Bezirk; es sey nun zwischen den beider-
seitigen Souverainen, oder ihren Heerführern in
Ansehung des ihnen untergebenen Theils der
Kriegsmacht, und mit Einschränkung auf die
Grenzen ihrer Amtsgewalt oder Vollmacht c).
Die Zeitbestimmung ist, so viel den Anfang be-
trifft, jedesmal genau; nicht so in Hinsicht auf
das Ende, welches zuweilen auf einseitige Auf-
kündigung und den Ablauf eines hierauf folgen-
den Zeitraums gesetzt ist.
Nach einer Schlacht und bei Belagerungen,
wird zuweilen nur auf wenige Stunden Waffen-
stillstand gemacht a) (suspension ou cessation
d’armes). Wird der Waffenstillstand auf eine
Reihe von Jahren geschlossen b), so unterschei-
det sich die dadurch bewirkte Waffenruhe von
dem eigentlichen Friedensstand nur darin, daſs
nach dessen Ablauf jeder Theil, aus der vorigen
Kriegsursache, die Feindseligkeiten sofort erneuern
kann. Während der vertragmäsigen Waffenruhe,
müssen nicht nur die bestimmten Feindseligkei-
ten unterbleiben, sondern es darf auch diese
nicht zu Unternehmungen benutzt werden, wel-
che dem Zweck des Waffenstillstandes zuwider-
laufen c). Ausserdem ist der andere Theil
berechtigt zu augenblicklicher Erneuerung der
Feindseligkeiten. In einem allgemeinen Waffen-
[448]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
stillstand, sind auch die Alliirten der kriegfüh-
renden Mächte begriffen d).
Neutral (medius in bello, neutre) heiſst,
wer keinem der kriegführenden Theile in dem
Krieg Beistand leistet. Der, in dem Verhältniſs
zu diesen, hieraus für ihn entspringende Zu-
stand, wird Neutralität genannt a). Vermöge
seiner natürlichen Freiheit, kann jeder Staat,
bei Kriegen anderer Staaten, selbst dann wenn
[449]II. Cap. Recht der Neutralität.
er von einer der kriegführenden Mächte eine
Rechtsverletzung erlitten hätte b), das Recht der
Neutralität behaupten c), so fern er nicht durch
Vertrag zu Theilnahme an dem Krieg verpflich-
tet ist, wie in dem Fall eines Kriegsbündnisses,
oder als Mitglied eines StaatenSystems d), oder
eines zusammengesetzten Staates e). Aber auch
hier ist die Verpflichtung zur Theilnahme zu
verstehen nur von gerechten Kriegen, oder von
solchen, welche man im Zweifel dafür halten
muſs (§. 237 u. 268 f.).
Das Recht eines Staates zu Neutralität, ist
zwar, vermöge seiner politischen Selbstständig-
keit, schon in seinen natürlichen Verhältnissen
zu andern Staaten gegründet (natürliche Neutra-
lität, neutralité naturelle ou simple). Es kann
aber auch noch ausserdem durch Verträge (§.
149), einseitig oder gegenseitig, vor und in
dem Krieg, bedungen seyn a), entweder zwi-
schen dritten nichtkriegführenden Mächten, oder
zwischen einer oder mehreren kriegführenden,
und einer oder mehreren nichtkriegführenden
Mächten (vertragmäsige Neutralität, neutralité
conventionnelle). Es kann eine Macht bei ei-
nem Krieg unter andern Mächten freiwillig neu-
tral bleiben (freiwillige Neutralität, neutralité
volontaire); es kann aber auch dieselbe, nach
eigener Willkühr b), gegen einen oder beide
kriegführende Theile, oder auch gegen eine dritte
Macht, sich vertragmäsig verpflichtet haben zu
Beobachtung der Neutralität (obligatorische Neu-
tralität, neutralité obligatoire). In allen diesen
Fällen, ergehen oft nicht nur eigene Erklärun-
gen an andere Mächte, sondern auch Verord-
nungen an die Unterthanen, über die neutrale
Schiffahrt und Handlung während des Kriegs c).
Die Neutralität, sowohl die freiwillige als
auch die obligatorische, kann vollständig a)
seyn, oder unvollständig (plena vel minus ple-
na). Bei der ersten beobachtet der neutrale
Staat gegen die kriegführenden Theile, in Hin-
sicht auf die Kriegsverhältnisse, ein durchgängig
gleiches Benehmen. In solchem Fall ist er be-
rechtigt, von jedem derselben gleiche, volle
Achtung und Anerkennung seiner Neutralität zu
fordern; eine beschränkte nur, bei unvollstän-
diger Neutralität. Das letzte ist der Fall, wenn
[452]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
er durch frühere Verträge (§. 268 f.) einer der
beiden kriegführenden Mächte zu Leistung be-
stimmter partialer Kriegshülfe verpflichtet ist,
z. B. zu Sendung eines HülfCorps, zu Stellung
einer Anzahl SubsidienTruppen oder Schiffe, zu
Bezahlung von SubsidienGeldern, zu Einräumung
eines festen Platzes, oder eines Hafens, des
Durchmarsches, der Werbung, Lieferung von
Kriegsbedürfnissen, u. d. b). — Allgemein ist
die Neutralität, wenn sie auf alle Theile des
Staatsgebietes, auch auf die ganze offene See,
sich erstreckt; partial, wenn sie nur auf einen
Theil des Staatsgebietes, oder des Weltmeeres,
oder bloſs auf die offene See und nicht auf das
Land- und Seegebiet, oder umgekehrt, sich ein-
schränkt.
Jeder Staat ist befugt, nach eigener Will-
kühr eine bewaffnete oder unbewaffnete Neu-
tralität zu wählen, und in Beziehung auf die
erste sogar eigene Bündnisse mit andern Staa-
ten, Allianzen der bewaffneten Neutralität, zu
schliessen. Bewaffnet ist die Neutralität, wenn
der neutrale Staat eine bewaffnete Macht mit
dem erklärten Vorsatz aufstellt, daſs er sich
derselben, wenn es nöthig, zu Vertheidigung
seiner NeutralitätsRechte bedienen wolle. Prac-
tisch wichtig ist auch, vorzüglich in der neuern
Zeit, die Eintheilung in Neutralität zu Land
und zur See a).
Kriegführende Mächte sind verpflichtet, ei-
nen neutralen Staat in dem Genuſs seiner Neu-
tralität auf keine Weise zu stören. Sie müssen
daher sich aller Feindseligkeiten nicht nur ge-
gen denselben, sondern auch in dessen Gebiet
(in territorio pacato, h. e. gentis mediae) gegen
einander, gänzlich enthalten. Eine Ausnahme
hievon, begründet weder die persönliche Freund-
schaft oder Verwandschaft des neutralen Sou-
[454]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
verains mit einem der kriegführenden Souverai-
ne a), noch der Zufall, daſs der neutrale selbst-
ständige Staat mit einem der kriegführenden
Staaten dieselbe physische Person zum Regenten
hat, mithin in einer Art von persönlicher Ver-
bindung (unio civitatum personalis) mit demsel-
ben steht b).
Ein neutraler Staat, ist weder Richter noch
Partei. Verpflichtet ist er, nicht nur sich und
seinen Unterthanen keine Handlung zu erlau-
ben, deren Zweck Begünstigung oder Unter-
stützung einer der kriegführenden Mächte in
ihren Kriegsunternehmungen wäre a), sondern
auch von keiner der kriegführenden Mächte eine
Verletzung der Neutralität zu leiden. Verletzung
der vollständigen (§. 281) Neutralität, von sei-
ner Seite, wäre demnach nicht nur jede Art
von Kriegshülfe b) (§. 268—272), oder Gestat-
tung derselben für seine Unterthanen, nament-
lich daſs diese einer kriegführenden Macht als
Caper
[455]II. Cap. Recht der Neutralität.
Caper dienen c), sondern auch jede willkühr-
liche d) Zulassung, daſs einer e) der krieg-
führenden Theile zu dem Zweck der Feind-
seligkeiten unmittelbaren Gebrauch von seinem
Land- und Seegebiet mache f). In dem Fall
einer solchen Verletzung der Neutralität, wäre
der andere kriegführende Theil berechtigt, so-
wohl zu Selbsthülfe gegen den neutralen Staat,
als auch zu Verfolgung des in dem neutralen
Gebiet Schutz und Unterstützung findenden Fein-
des. Bei unvollständiger Neutralität (§. 281),
darf der neutrale Staat die vor dem Krieg einer
der kriegführenden Mächte versprochene Kriegs-
hülfe nicht über die vertragmäsigen Grenzen er-
strecken. Ausserdem macht er sich des Rech-
tes der beschränkten Anerkennung seiner Neu-
tralität verlustig g).
Bei vollständiger Neutralität, ist ein neu-
traler Staat berechtigt, von den kriegführenden
Mächten, im nöthigen Fall sogar mit Gewalt,
zu fordern, daſs jede derselben sich von allem
Gebrauch des neutralen Gebietes zu dem Kriegs-
zweck enthalte; daſs sie Waffen, Munition, Le-
bensmittel, und andere unmittelbare Kriegsbe-
dürfnisse, für ihre Kriegsmacht aus demselben
nicht beziehe; daſs sie darin keine Art von
Kriegsrüstung, durch Werbung, TruppenSamm-
lung, bewaffneten oder unbewaffneten Durch-
marsch a) u. d. vornehme; daſs sie darin keine
Art von Gewaltthätigkeit gegen die Person oder
Güter der Unterthanen des feindlichen Staates
ausübe b); daſs sie dasselbe weder ganz noch
zum Theil mit Truppen besetze c), oder zum
Schauplatz des Kriegs mache; daſs sie in dem
Fall eines eigenmächtigen Nothgebrauchs dessel-
ben, vollständige Genugthuung leiste d). Der
Verkauf rechtmäsiger Beute in neutralem Ge-
biet, wird für unerlaubt nicht gehalten e); es
ist aber solcher durch NeutralitätsVerträge oder
[457]II. Cap. Recht der Neutralität.
Verordnungen zuweilen untersagt, oder einge-
schränkt f). — Hat der neutrale Staat, bei
unvollständiger Neutralität (§. 281), einer krieg-
führenden Macht ein HülfCorps gesendet, so
kann dieses auch in das neutrale Gebiet seines
Souverains von den Truppen der andern krieg-
führenden Macht verfolgt werden g).
In feindlichem Gebiet, darf ein kriegfüh-
render Staat die Unterthanen des neutralen Staa-
tes, in Absicht auf ihre Personen und beweg-
lichen Güter, nicht feindlich behandeln a), so
fern sie nicht zugleich daselbst als beständige
Unterthanen des feindlichen Staates zu betrach-
ten sind, oder an dessen Feindseligkeiten Theil
nehmen. Namentlich gilt dieses von ihren da-
selbst befindlichen Schiffen. Auf diese darf dort,
ohne dringende Noth, weder der Feind noch
der einheimische Staat b) Beschlag (Embargo)
legen, noch sie, wäre es auch gegen Vergütung,
zu eigenem Gebrauch verwenden. In dem Fall
eines eigenmächtigen Nothgebrauchs der Person
oder beweglichen Güter der Unterthanen neu-
traler Staaten, von Seite einer kriegführenden
Macht, muſs vollständige Genugthuung geleistet
werden c). Unbewegliche Besitzungen der Un-
terthanen des neutralen Staates in dem Gebiet
eines kriegführenden Staates, sind als Bestand-
theile desselben der Kriegslast unterworfen d).
Diese Grundsätze gelten auch von beweglichen
und unbeweglichen unmittelbaren Besitzungen
[459]II. Cap. Recht der Neutralität.
des neutralen Staates, in dem Gebiet einer krieg-
führenden Macht.
Ein höchst wichtiger Gegenstand ist der
Handel neutraler Staaten während eines Kriegs
überhaupt, mit kriegführenden Staaten insbeson-
dere a). Eine kriegführende Macht ist berech-
tigt, ihren Unterthanen und den Einwohnern des
in ihrer Gewalt befindlichen feindlichen Gebietes
den Handel zu untersagen, nicht nur mit dem
feindlichen Staat, sondern auch mit neutralen
Staaten. Aber nicht befugt ist sie, in der Regel,
von einem neutralen Staat mit Zwang zu for-
dern, daſs derselbe sich des Handels mit ihrem
[460]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
Feind enthalte; denn durch das gegenseitige feind-
liche Verhältniſs zweier Staaten, werden Rechte
eines Dritten, also auch das dem neutralen Staat
zustehende Recht des freien Handelsverkehrs, nicht
vernichtet. Das natürliche Völkerrecht begreift
unter dieser Regel auch die Zufuhr unmittel-
barer Kriegsbedürfnisse für den Feind, so fern
dabei nicht die Absicht ist, dessen Feindselig-
keiten wider seinen Gegner zu unterstützen und
zu begünstigen.
Der europäische Völkergebrauch, gestattet
den Handel neutraler Staaten mit kriegführen-
den. Nur in Ansehung unmittelbarer Kriegs-
bedürfnisse und bloquirter Orte, setzt er dem-
selben gewisse Schranken a). Er untersagt nicht
[461]II. Cap. Recht der Neutralität.
den Verkauf unmittelbarer Kriegsbedürfnisse an
eine feindliche Macht oder deren Unterthanen,
wenn diese in neutralem Gebiet den Einkauf
und die Ausfuhr vornehmen b). Hingegen be-
trachtet derselbe die Zufuhr jener Bedürfnisse,
von Seite eines neutralen Staates oder dessen
Unterthanen, an eine kriegführende Macht, als
eine Verletzung der Neutralität. Er belegt da-
her die unmittelbaren Kriegsbedürfnisse, so fern
sie von neutralen Mächten oder deren Unter-
thanen einer kriegführenden Macht zugeführt
werden, mit dem Namen KriegsContrebande
(contrebande de guerre). Hierunter versteht
man, im Allgemeinen, Waffen, Harnische, und
KriegsMunition (les armes, les harnais, et les
munitions de guerre), doch mit Ausschluſs der
SchiffMunition oder SchiffbauMaterialien c) (mu-
nitions navales). Die nähere Bestimmung der
einzelnen dahin gehörigen Waaren, ist in zwei-
felhaften Fällen aus den hierüber vorhandenen
Verträgen d) zu nehmen. In deren Erman-
gelung, streitet die Rechtsvermuthung für die
Anwendbarkeit des natürlichen Völkerrechtes, für
die natürliche Freiheit des Handels, also dafür,
daſs die Waare als KriegsContrebande nicht zu
betrachten sey e).
Die Verfahrungsweise, wozu in Europa
eine kriegführende Macht in Ansehung der von
Neutralen ihrem Feind zugeführten Waaren be-
rechtigt ist, oder sich für berechtigt hält, rich-
tet sich, in der Regel, nach folgenden Grund-
sätzen. 1) Zu vermuthen ist jederzeit, daſs
von Neutralen den kriegführenden Mächten kei-
ne KriegsContrebande zugeführt werde. Deſs-
wegen, und wegen der politischen Unabhän-
gigkeit neutraler Staaten, ist eine kriegführende
Macht ohne Verträge nicht berechtigt, Durch-
[464]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
suchung (Visitation) neutraler TransportWagen
oder Fahrzeuge zu begehren. Sie muſs sich
begnügen mit dem Beweis, daſs der Transport
von Neutralen geschehe a). 2) Für KriegsCon-
trebande nicht geachtete Waaren, welche von
Neutralen der einen kriegführenden Macht, nach
nicht bloquirten, berennten, oder belagerten
Orten, zu Wasser oder zu Lande zugeführt
werden, muſs die andere ungehindert passiren
lassen b). Nur bei eigener dringender Noth,
kann sie dieselben, gegen vollständige Bezah-
lung, sich zueignen c). 3) Kommt KriegsCon-
trebande, welche ein neutraler Staat oder des-
sen Unterthanen der einen kriegführenden Macht
zuführen wollen, in die Gewalt der andern, so
ist diese im Zweifel bloſs berechtigt, solche ent-
weder gegen Bezahlung sich zuzueignen d),
oder zurückzuweisen, gegen Sicherheitleistung,
daſs weder sie noch andere KriegsContrebande
dem Feind solle zugeführt werden. Unstatthaft
ist daher, in der Regel, die Confiscation der
KriegsContrebande, noch mehr aber die Con-
fiscation der dabei befindlichen erlaubten Waa-
ren, und der TransportMittel e), z. B. der
Pferde und Wagen, des Fahrzeugs, u. d.
4) Doch ist jetzt in den meisten Handels-
verträgen bedungen a), daſs die KriegsContre-
bande confiscirt werden dürfe, nicht aber die
übrige Ladung b), auch nicht Wagen und Zug-
vieh, oder Fahrzeug. Nur in manchen Ver-
trägen ist festgesetzt, daſs in gewissen Fällen
auch die übrige Ladung c), wohl gar nebst
dem TransportMittel, confiscirt werden dürfe.
5) Ausser dem Fall solcher Verträge, fehlt es
noch an einem gleichförmigen Gebrauch der eu-
ropäischen Mächte. Politik und Uebermacht
walten häufig vor. KriegsContrebande wird oft
confiscirt, andere Waare aber gegen Bezahlung
weggenommen.
In Hinsicht auf den Seehandel der Neutra-
len mit kriegführenden Mächten, stellen sich
nach den Verträgen, Gebräuchen, und Behaup-
tungen der europäischen Staaten, verschiedene
Eigenheiten dar. Schon oft haben diese Anlaſs
gegeben zu diplomatischen und gelehrten Er-
örterungen a). Die Seemächte selbst sind in
ihren Grundsätzen sich nicht immer gleich ge-
blieben, namentlich in Absicht auf den Handel
der Neutralen mit ihren Colonien in Kriegszei-
ten b).
Die mehrfachen Streitigkeiten welche über
diesen höchstwichtigen Gegenstand noch vorwal-
ten, und die vielen widrigen Folgen welche
sie nach sich ziehen, erregen den lebhaftesten
Wunsch, daſs ein allgemeines SeeGesetzbuch,
errichtet durch allseitige Uebereinkunft, Europa
beglücken möge a). Weder die Seegesetze der
Rhodier, noch die von Oleron und Wisby, noch
[470]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
das berühmte Consolato del mare b), wurden
je allgemein befolgt. Doch galt das letzte an
den Küsten des mittelländischen Meeres, in Spa-
nien, Italien, und selbst auf den Inseln des
Archipels, bis Carl V., Philipp II., Ludwig XIV.
und andere europäische Mächte besondere Ge-
setze gaben. Besonders seit der Mitte des XVII.
Jahrhunderts, haben einzelne Mächte Gesetze
und Verordnungen über diesen Gegenstand er-
richtet c). Nur in wenigen Verträgen der neuern
Zeit, ist völlig freie Handelsschiffahrt der Neu-
tralen nach feindlichen Häfen, die bloquirten
ausgenommen, festgesetzt d).
Begegnet ein neutrales Handelsschiff dem
Kriegsschiff oder Caper einer kriegführenden
Macht, in ihrem oder ihres Alliirten Seegebiet,
oder auf offener See, so muſs, nach europäi-
schem Völkergebrauch, das Handelsschiff, auf
ein erhaltenes Signal (semonce oder coup d’as-
surance), sich einer Beglaubigung unterwerfen,
daſs das Schiff nebst Schiffer und Equipage zu
einem neutralen Staat gehöre, und daſs es der
andern kriegführenden Macht keine KriegsCon-
trebande zuführe a). Diese Beglaubigung be-
steht, wenn das Schiff unter Convoi (unter dem
Schutz eines oder mehrerer Kriegsfahrzeuge sei-
nes Staates) fährt, in der durch sein Ehrenwort
bestätigten Versicherung des die Convoi com-
mandirenden Offiziers, daſs das Schiff nebst
Schiffer und Equipage seinem Staat angehöre,
und daſs keine, der Confiscation unterworfene
Waare auf dem Schiff vorhanden sey b).
Fährt das Schiff ohne Convoi, so erfolgt
die Beglaubigung durch Vorzeigung und Prüfung
der Seebriefe oder Schiffpapiere a) (papiers de mer
et livres ou pièces de bord). Eigenthum und Be-
stimmung der Ladung werden beglaubigt durch
die CertePartie, die Conossemente, und das
obrigkeitliche Certificat über die geleistete eid-
liche Verklarung; das neutrale Eigenthum des
Schiffes wird erwiesen, entweder durch Byl-
oder Bielbriefe, oder durch gerichtliche Urkun-
den, woraus der Rechtstitel des Eigenthümers
zu ersehen ist; die Neutralität des Schiffers und
der Equipage, wird dargethan durch Pässe und
Muster- oder EquipageRolle, auch durch Ur-
kunden über das Staats- oder OrtsBürgerrecht
[474]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
derselben. Zeigt sich ein gegründeter Verdacht
gegen die Aechtheit der Seebriefe, so kann eine
Durchsuchung des Schiffs auf gehörige Art b)
erfolgen.
Ergiebt sich bei der Legitimation oder Vi-
[475]II. Cap. Recht der Neutralität.
sitation, daſs das Schiff der Nehmung ganz un-
terworfen seyn möchte, so kann das Kriegs- oder
Çaperschiff dasselbe aufbringen. Es muſs sich
aber aller eigenmächtigen Zueignung und Thät-
lichkeit enthalten a), das Schiff, wo möglich,
nach einem Hafen seines Souverains abführen,
oder durch einen seiner Offiziere (conducteur
de la prise) abführen lassen, und über die
Rechtmäsigkeit oder Unrechtmäsigkeit der Prise
von dem gehörigen See- oder PrisenGericht (Pri-
zecourt) entscheiden lassen. Meist hat hier ein
förmlicher ReclameProceſs, oft in mehreren In-
stanzen, statt b). Wird nur auf einen Theil
der Ladung Anspruch gemacht, und wird dieser
willig abgetreten, so darf das Schiff an Fort-
setzung seiner Reise nicht gehindert werden c);
es geschieht dieses aber dennoch nicht selten,
welches meist Beschwerde veranlaſst. Wird der
in Anspruch genommene Theil der Ladung gut-
willig nicht ausgeliefert, so kann das Schiff auf-
gebracht werden, und der Streit ist von dem ge-
hörigen Seegericht zu entscheiden. Bei einem
Rechtsstreit dieser Art, wird der Beweis nicht
dem Nehmer, als dem Kläger, aufgelegt, son-
dern dem Beklagten d). Entscheidungsquelle
sind die Staatsverträge, in deren Ermangelung
das natürliche Völkerrecht e); nicht das Land-
recht, den KostenPunct ausgenommen. Das
PrisenGericht ist als eine SpecialCommission der
Staatsregierung zu betrachten f).
Da die offene See frei ist von aller Ober-
herrschaft (§. 132), so sind die Handelsschiffe
eines neutralen Staates daselbst der Oberherr-
schaft einer kriegführenden Macht nicht unter-
worfen. Sie verhalten sich also auf offener See
zu den Schiffen dieser Macht, wie der neutrale
Staat zu der kriegführenden Macht. Beide er-
kennen aber, vermöge ihrer politischen Unab-
hängigkeit, keinen gemeinschaftlichen Richter,
am wenigsten erkennt der eine die andere für
den seinigen. Daher ist in PrisenStreitigkeiten,
nach natürlichem Völkerrecht, kein Gerichtshof
eines der beiden Staaten competent a). Durch
Verträge ward jedoch die Erörterung und Ent-
[478]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
scheidung ehehin oft dem Seegericht des neu-
tralen Staates übertragen b). In der neuern
Zeit wird meist die Gerichtbarkeit des andern
Staates für gegründet gehalten c), entweder weil
der Eigenthümer der Prise, als eigentlicher Klä-
ger, dem Nehmer, als Beklagten, dahin folgen
müsse, oder weil daselbst der Gerichtstand durch
den Arrest begründet sey (forum arresti). In-
deſs paſst weder der eine noch der andere Grund
auf den Fall, wenn die Prise in den Hafen einer
dritten Macht von dem Nehmer geführt worden
ist, wie im Nothfall zu geschehen pflegt. Daher
findet auch hier jener Gerichtstand mehr Wider-
spruch, selbst von Seite der dritten Macht d).
Bloquirt heiſst ein Ort, er sey Hafen, oder
Festung, Stadt, Lager, Küste u. d., wenn und
so weit er von einer feindlichen bewaffneten
Macht dergestalt umgeben ist, daſs, ohne deren
Einwilligung, Verkehr mit demselben von Aus-
sen entweder gar nicht, oder nicht ohne augen-
[479]II. Cap. Recht der Neutralität.
scheinliche Gefahr statt haben kann a). Ein
solcher Ort ist, so weit er bloquirt ist, z. B.
ein Hafen von der Seeseite, in Ansehung dritter
Staaten so anzusehen, als ob er in der Gewalt
der bloquirenden kriegführenden Macht sich be-
finde. Es ist also dieselbe in so weit befugt,
dritte Mächte und deren Unterthanen von je-
dem Verkehr, mithin auch von jeder Schiffahrt
und Handlung mit dem bloquirten Ort nach
Willkühr auszuschliessen. Der Zeitpunct des
wirklichen Anfangs der Bloquade folgt, im All-
gemeinen, aus obigem Sachbegriff. Aber für
einzelne Schiffe und Andere, welche mit dem
bloquirten Ort verkehren wollen, ist eine wirk-
liche Bloquade für angefangen erst dann zu
achten, wenn ihnen solche hinlänglich bekannt
geworden ist b). Gewiſs ist, daſs eine wahre
Bloquade durch bloſs wörtliche Erklärung einer
kriegführenden Macht (blocus sur papier), mit
völkerrechtlicher Wirkung nicht verfügt werden
kann c).
Der bloquirenden Macht ist Selbsthülfe er-
laubt, gegen diejenigen Neutralen, welche, ih-
[481]II. Cap. Recht der Neutralität.
rem erklärten Willen zuwider, die Bloquade
dadurch brechen, daſs sie vorsätzlich Handel
mit diesem Ort treiben, oder zu treiben ver-
suchen. Gewöhnlich wird Confiscation des Schiffs
und der Ladung verfügt, aber auch zuweilen
persönliches Uebel gegen die, welche die Blo-
quade brechen. Doch wird die Ladung dann
meist frei gegeben, wenn erwiesen wird, daſs
der Eigenthümer, oder dessen neutraler Com-
missionär, die Ordre zu dem Verschiffen der
Waaren gegeben habe, ehe die Bloquade be-
kannt war, und daſs er dieselbe vor Ablauf der
zu dem Verschiffen festgesetzten Zeit nicht habe
widerrufen können a).
In offener See, ist jedes Schiff exterritorial,
in Beziehung auf jeden andern Staat als den
seinigen (§. 132 u. 296). Ein Handelsschiff ist
anzusehen wie eine schwimmende Colonie sei-
nes Staates. Daher sollte, auf offener See, we-
der Visitation eines neutralen Schiffes, noch
Wegnehmung feindlicher Güter aus demselben,
am wenigsten aber Confiscation des Schiffes we-
gen darin befindlicher feindlicher Güter, einer
kriegführenden Macht erlaubt seyn, nach dem
Rechtssprichwort „freies Schiff, freies Gut“,
[482]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
oder „die neutrale Flagge deckt die Waare“ a)
(le pavillon neutre couvre la cargaison), das
heiſst, daſs die Ladung neutraler Schiffe eben-
mäsig als neutral anzusehen sey. Auch sollte
eine kriegführende Macht Güter der Neutralen,
wenn sie auf feindlichen Schiffen sich befinden,
eben so wenig confisciren dürfen, als wenn sol-
che von ihr in dem Landgebiet des Feindes an-
getroffen werden (§. 286), nach dem Sprichwort
„verfallenes Schiff, nicht verfallenes Gut“ b).
Nicht immer sind vorstehende Grundsätze
des natürlichen Völkerrechtes, in Europa befolgt
worden. Das Consolato del mare (cap. 273.)
stellte, um die Mitte des XIII. Jahrhunderts (§.
292 b), den Grundsatz von der unbedingten
Freiheit des neutralen Eigenthums auf, das
heiſst, daſs feindliches Eigenthum in neutralen
Schiffen verfallen, neutrales in feindlichen Schiffen
frei sey, nach der Parömie: frei Schiff, unfrei
Gut; unfrei Schiff, frei Gut. Bis in die erste
Hälfte des XVII. Jahrhunderts, herrschte dieser
Grundsatz fast in allen Verträgen und Seegerich-
ten a).
Dagegen wurden von jenem Zeitpunct an,
bis zu Entstehung des Systems der bewaffneten
Neutralität in dem Jahr 1780, in einer groſsen
Mehrzahl von Verträgen a), folgende zwei ent-
[484]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
gegengesetzte Grundsätze angenommen b): frei
Schiff, frei Gut; unfrei Schiff, unfrei Gut (ver-
fallenes Schiff, verfallenes Gut), oder mit an-
dern Worten: das Schiff oder die Flagge deckt
die Ladung oder Waare, und das Schiff macht
die Ladung confiscabel (le pavillon ou le na-
vire couvre la cargaison ou la marchandise,
oder auch, pavillon ami sauve marchandise en-
nemie, und, le navire confisque la cargaison),
das heiſst, ein neutrales Schiff kann feindliches
Eigenthum (KriegsContrebande ausgenommen)
frei transportiren, hingegen neutrales Eigenthum
auf einem feindlichen Schiff, wird mit diesem
confiscirt.
Doch behielten auch manche Verträge die
ältern Grundsätze bei, nur so, daſs zugleich die
Zufuhr der KriegsContrebande, und die Schif-
fahrt und Handlung nach bloquirten Orten un-
tersagt ward a). In wenigen andern ward der
kriegführenden Macht, auf neutralen Schiffen,
die Confiscation sowohl des feindlichen Eigen-
thums, als auch der für den Feind bestimmten
KriegsContrebande, gestattet b). Etliche Ver-
träge enthalten keine feste, vollständige Bestim-
mung über diesen Gegenstand c); und zwischen
mehreren Staaten fehlt es ganz an einer vertrag-
[486]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
mäsigen Bestimmung über solchen d). Frank-
reich hatte 1681 e) gesetzlich verordnet, daſs
feindliche Waare am Bord neutraler Schiffe, so-
gar Schiff und Ladung confiscabel mache. Aber
in der neuesten Zeit hat sich dieser Staat öffent-
lich zu dem Grundsatz bekannt, que le pavillon
couvre la marchandise f): Groſsbritannien für
das Gegentheil (§. 310 f.).
Selbst die vertragmäsigen Rechte der neu-
tralen Flagge, wurden von kriegführenden Mäch-
ten nicht immer gehörig geachtet; besonders seit-
dem Frankreich und Spanien (1778, 1779) an
dem englisch-nordamerikanischen Krieg Theil
genommen hatten a). Auch ward von jenen
Mächten der Begriff der KriegsContrebande und
eines bloquirten Hafens, über Gebühr erweitert.
Ruſsland nahm von diesen, für den Handel der
Neutralen höchstnachtheiligen Bedrückungen An-
laſs, in dem Jahr 1780, für die Schiffahrt und
Handlung der Neutralen ein System von Grund-
sätzen aufzustellen, zu dessen Anerkennung die
kriegführenden Mächte, durch eine bewaffnete
Seemacht neutraler Staaten, in dem nöthigen
Fall sollten gezwungen werden. Der Inbegriff
Klüber’s Europ. Völkerr. II. 32
[488]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
dieser Grundsätze, erhielt davon den Namen
System bewaffneter Neutralität b).
Dieses System der bewaffneten Neutralität
begreift folgende Grundsätze a), betreffend das
Verhältniſs der Neutralen zu kriegführenden
Mächten, in Hinsicht auf Schiffahrt und Hand-
lung der ersten nach den Häfen und Küsten der
letzten. 1) Neutralen Schiffen gebührt freie
Schiffahrt von Hafen zu Hafen, und an den Kü-
sten der Länder kriegführender Mächte. 2) Frei
ist, am Bord neutraler Schiffe, das Eigenthum
der Unterthanen kriegführender Mächte, nur mit
Ausnahme der KriegsContrebande. 3) Für Kriegs-
Contrebande sind nur diejenigen Waaren zu
achten, welche in Verträgen, wo dergleichen
vorhanden, dafür erklärt werden b). 4) Für
[490]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
bloquirt ist ein Hafen nur dann zu achten,
wenn das Einlaufen in denselben mit offenbarer
Gefahr verbunden ist, nach der Verfügung der-
jenigen Macht, welche ihn mit stationirten und
hinlänglich nahen Schiffen umgiebt. 5) Diese
Grundsätze sollen als Vorschrift dienen, bei
dem Verfahren und Richterspruch über die
Rechtmäsigkeit der Prisen.
Den kriegführenden Mächten ward dieses
System von Ruſsland förmlich angekündigt a),
und die neutralen wurden zu dem Beitritt ein-
geladen. Dieser erfolgte förmlich von Däne-
mark, Schweden, den Vereinigten Niederlanden,
Preussen, Oestreich, Portugal, Neapel b). Die
meisten dieser Mächte, notificirten solches nicht
nur den kriegführenden Mächten c), sondern
ertheilten auch einander von ihrem Beitritt
förmliche Nachricht, welches zum Theil durch
Uebersendung feierlicher AcceptationsUrkunden
erwiedert ward d); so daſs unter dem Namen
der bewaffneten Neutralität, zwischen diesen
Mächten eine gegenseitige vertragmäsige Ver-
pflichtung, ein wahres Schutzbündniſs, entstand,
um die Rechte der Neutralen auf der See zu
sichern. Selbst von zwei kriegführenden Mäch-
ten, von Frankreich und Spanien, ward die
Ankündigung dieses Systems mit Beifall auf-
genommen e). Aber die dritte, England, er-
klärte, daſs sie sich an das Völkerrecht halte,
und an die Bestimmungen ihrer Handelsverträ-
ge f). Indeſs war England durch sein eigenes
Interesse genöthigt, sich weiterer Bedrückung
der neutralen Schiffahrt und Handlung wenig-
stens gröſstentheils zu enthalten g), um so mehr,
da diese nicht nur oft durch Convois, sondern
[492]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
auch durch Kriegsflotten und einzelne Kriegs-
schiffe und Fregatten von den neutralen Mäch-
ten unterstützt wurden, und diese Mächte den
erklärten Vorsatz hatten, so oft es nöthig, mit
vereinigter Kraft Genugthuung zu nehmen.
Da auch diesem System zugleich die Be-
stimmung war gegeben worden, daſs es zu Bil-
dung der Grundlage eines allgemeinen SeeCodex
dienen solle a), so wurden dessen Grundsätze
bald in mehrere Handelsverträge vollständig auf-
genommen b). Wenn Ruſsland und Preussen,
während ihres Kriegs gegen das revolutionäre
Frankreich (1793), sich genöthigt glaubten,
von den Grundsätzen dieses Systems abzuwei-
chen c), so war solches vorübergehend, und
Schweden und Dänemark nahmen davon Anlaſs,
sich von neuem an dasselbe anzuschliessen d).
Die anhaltenden Kriegsverhältnisse zwischen
Groſsbritannien und Frankreich- und dessen Bun-
desgenossen, liessen die nordischen Mächte von
neuem das Bedürfniſs fühlen, die Rechte der
neutralen Flagge durch Schutzbündnisse zu
sichern a). So entstand, in dem Jahr 1800, die
zweite bewaffnete Neutralität. Ruſsland schloſs
deſswegen verschiedene Verträge; am 16. Dec.
1800 mit Schweden und Dänemark b), etliche
Tage nachher (18. Dec. 1800) auch mit Preus-
sen c). Darin wurden die Grundsätze der er-
sten bewaffneten Neutralität wiederholt, und
verschiedene Zusätze und nähere Bestimmungen
hinzugefügt. Diese betreffen, unter anderem,
den Begriff der KriegsContrebande (§. 288);
die Frage, in welchem Fall ein Schiff, das in
einen bloquirten Hafen einzulaufen trachtet,
als vertragwidrig handelnd zu betrachten sey
(§. 297, Note b); daſs die Versicherung des
die Convoi commandirenden Offiziers jede Vi-
sitation ausschliesse (§. 293); die Verfahrungs-
weise gegen neutrale Schiffe, in streitigen Prisen-
Sachen.
Dieser zweiten bewaffneten Neutralität, tra-
ten nicht so viel Mächte bei, als der ersten,
und sie war von noch kürzerer Dauer als diese.
Sechs Monate später (17. Jun. 1801) gelang es
England, durch eine SeefahrtConvention a)
Ruſsland mit sich zu verbinden; eine Conven-
tion, welcher auch Dänemark (im Oct. 1801)
und Schweden (30. März 1802) beizutreten sich
genöthigt sahen b). Darin ward zwar den Neu-
tralen freie Fahrt nach den Häfen und Küsten
kriegführender Mächte gestattet, nur mit Aus-
nahme des Transports von KriegsContrebande
und feindlichem Eigenthum: dagegen ward den
Kriegsschiffen (nicht auch den Capern) krieg-
führender Mächte das Recht eingeräumt, bei
entstandenem Verdacht, auch die unter Convoi
segelnden Kauffahrteischiffe der Neutralen zu
visitiren.
Inzwischen erklärte Ruſsland gegen Eng-
land, am 16. Oct. (7. Nov.) 1807, die See-
[496]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
fahrtConvention von 1801 auf immer für auf-
gehoben; es bestätigte zugleich die Basis der
bewaffneten Neutralität, und verpflichtete sich,
„nie von diesem System abzuweichen a)“. Um
dieselbe Zeit erklärte auch Dänemark, und
1809 (13. März) Schweden, seinen Bruch mit
England. Nachher ward zwischen Ruſsland
und England, in dem Frieden von Oerebro
(18. Jul. 1812), weder die SchiffahrtConvention
von 1801 wieder hergestellt, noch das System
der bewaffneten Neutralität angenommen. Man
kam bloſs überein, daſs die Handelsverhält-
nisse zwischen beiden Mächten wieder herge-
stellt seyn sollten, nach Grundlagen, wie sie
unter Nationen üblich seyen, die einander die
gröſsten Vortheile zugestehen wollten, worüber
noch nähere Bestimmungen gemacht werden
sollten b). Schweden hingegen setzte in dem
Frieden, den es an demselben Ort und Tag
mit England schloſs, seine Handelsverhältnisse
mit diesem Staat auf den Fuſs vom 1. Jan.
1791, nach den an diesem Tage gültig gewe-
senen Verträgen, welche wiederholt und bestätigt
wurden c).
In dem eben so hartnäckigen als lang-
wierigen Kampf zwischen Frankreich und Eng-
land, welcher sich vierzehn Monate nach dem
Frieden von Amiens erneuerte (Mai 1803), ward
nicht bloſs der Seehandel der Neutralen, son-
dern jeder Seehandel, ja jeder Verkehr zur See,
und hiemit zugleich der Landhandel in ganz
Europa, in eine Lage gebracht, wie die Welt
sie noch nie gesehen hatte. Die Nothwendigkeit
eines allgemeinen SeeCodex ward dadurch nur
fühlbarer. Groſsbritannien trachtete a), haupt-
sächlich seit 1806, in dem Gefühl seiner See-
Uebermacht, den von ihm schon früher in et-
lichen Verträgen (§. 302, Note b, und §. 307),
namentlich mit den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika und den Hansestädten, aufgestellten
Grundsatz, daſs die Flagge die Waare nicht
decke, gegen die Neutralen allgemein geltend
zu machen. Es verband damit den Anspruch,
daſs selbst die unter Convoi segelnden Schiffe
sich der Visitation seiner Kriegsschiffe und Caper
unterwerfen müſsten. Es nahm an, daſs ganze
Küsten und Länder, in der weitesten Ausdeh-
nung, in BloquadeStand gesetzt werden könnten,
und dieses sogar durch bloſs wörtliche Erklärung
[498]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
(blocus fictif ou sur papier); daſs hiezu jede
beliebige öffentliche Bekanntmachung (blocus per
notificationem), oder auch ein Kreuzen mit
Kriegsschiffen (blocus de facto) hinlänglich sey;
und daſs jedes nach solchen Küsten oder Häfen
bestimmte neutrale Schiff so anzusehen sey, als
habe es die Bloquade gebrochen, so bald nur
wahrscheinlich sey, daſs ihm die Erklärung der
Bloquade vor oder während seiner Fahrt schon
bekannt gewesen sey b).
Diesen Behauptungen Englands, setzte Na-
poleon, in den Jahren 1806 und 1807, durch
Decrete von Berlin und Mailand datirt, sein
ContinentalSystem als Repressalien entgegen;
ein Verbot nicht nur alles Handels, sondern
auch jedes andern Verkehrs mit England, na-
mentlich des Handels mit englischen Fabrikaten
und ColonialWaaren, für die Staaten Frank-
reichs und der mit ihm verbündeten europäischen
ContinentalMächte, so fern nicht besondere Er-
laubniſs dazu (Licenz) von ihm ertheilt sey. —
Diesem System begegnete Groſsbritannien, seit
1807, durch ein noch ausgedehnteres Bloquade-
System, als sein voriges war (§. 310), festge-
setzt durch eigene GeheimerathsOrdres a), nach
welchen alle Häfen, Plätze und Küsten Frank-
reichs und seiner Bundesgenossen, und alle an-
dern, von welchen die brittische Flagge ausge-
schlossen ist, in Absicht auf Handlung und
Schiffahrt, als bloquirt anzusehen sind, und je-
der Handel mit Producten und Fabrikaten der
Länder und Colonien jener Staaten verboten
ist. — Preussen, Dänemark, und Ruſsland
traten 1807, Oestreich 1809, Schweden 1810,
dem französischen ContinentalSystem bei b). —
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika er-
[500]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
liessen, durch die Non-intercourse-Acte vom
1. Mai 1810, an ihre Unterthanen ein Verbot
alles Handels nach den Staaten der kriegführen-
den Mächte England und Frankreich c). —
Ruſsland und Schweden verliessen das franzö-
sische ContinentalSystem wieder im J. 1812 (§.
309), Preussen im J. 1813. Napoleon’s Fall,
im J. 1814, machte diesem System auch auf
Seite Frankreichs ein Ende. — Beide Systeme
sind hier, nach ihren Grundsätzen und Quellen,
bestimmter zu entwickeln d).
Napoleon’s ContinentalSystem, für alle sei-
ne eigenen und conföderirten („directen und in-
directen“) oder unter seinem Einfluſs stehen-
den Staaten, ward festgesetzt durch ein Decret
aus seinem Heerlager zu Berlin vom 21. Nov.
1806 a). Die Hauptbestimmungen sind folgen-
de. Die brittischen Inseln sind in Bloquade-
Stand erklärt. Jeder Handel, jeder Briefwechsel
mit ihnen, ist verboten. Briefe und Packete,
nach England, oder an einen Engländer adres-
sirt, oder in englischer Sprache geschrieben,
sollen auf den Posten nicht befördert, sondern
weggenommen werden. Jeder englische Unter-
than, welchen französische oder alliirte Trup-
pen finden, soll Kriegsgefangener seyn. Jedes
englische Magazin, Waare, oder Eigenthum, soll
confiscirt werden. Der Handel mit englischen
Waaren, ist verboten. Jede Waare, die England
gehört, oder aus seinen Fabriken und Colonien
[502]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
kommt, ist zu confisciren b). In keinem Hafen
darf ein Schiff aufgenommen werden, welches
direct aus England oder seinen Colonien kommt,
oder seit diesem Decret daselbst gewesen ist.
Jedes Schiff, welches durch falsche Declaration
dieser Verfügung zuwider handelt, wird, gleich
englischem Eigenthum, sammt seiner Ladung
confiscirt.
Weiter noch gieng Napoleon’s Decret aus
Mailand vom 17. Dec. 1807 a). Durch dieses
wird jedes Schiff, von welcher Nation es sey,
so bald es eine Visitation von einem englischen
Schiff geduldet, oder sich einer Reise nach Eng-
land unterworfen, oder der brittischen Regie-
rung irgend eine Abgabe entrichtet hat, für ent-
nationalisirt (dénationalisé) erklärt b); es soll
als
[503]II. Cap. Recht der Neutralität.
als englisches Eigenthum angesehen, und, wenn
es ergriffen wird, für gute Prise erklärt werden.
Jedes Schiff, von welcher Nation es sey, und
woraus immer seine Ladung bestehe, wenn es
aus einem Hafen Englands, oder aus englischen,
oder von England occupirten Colonien kommt,
oder wenn es nach England, oder in englische
Colonien, oder in Länder bestimmt ist, die
von englischen Truppen besetzt sind, soll ge-
nommen, und dem Nehmer als gute Prise zu-
erkannt werden. Diese Verfügungen, eine blosse
Erwiederung des von England angenommenen
Systems, verlieren ihre Kraft, so bald England
zu den Grundsätzen des Völkerrechtes zurück-
gekehrt seyn wird.
Die durch Frankreich, im März 1806,
veranlaſste Sperre des englischen Handels in den
Häfen des nördlichen Teutschlandes, bewog
Groſsbritannien zu einer GegenMaasregel. Durch
eine GeheimerathsOrdre (order of council, ordre
de conseil) vom 16. Mai 1806 a) wurden alle
Küsten, Flüsse, und Häfen, von der Elbe bis
zu dem Hafen von Brest, diesen miteingeschlos-
sen, in BloquadeStand erklärt; doch so, daſs
neutrale Schiffe, mit Waaren beladen, die weder
feindliches Eigenthum noch KriegsContrebande
wären, frei an den gedachten Küsten landen,
oder in die genannten Flüsse und Häfen ein-
laufen, oder von dort absegeln dürften, nur
mit Ausnahme der Küsten, Flüsse und Häfen
von Ostende bis zur Seine, und daſs jene Schiffe
ihre Ladung nicht in einem den Feinden Groſs-
britanniens gehörigem, oder in deren Besitz
befindlichem Hafen eingenommen hätten, oder,
wenn sie aus einem der oben gedachten Flüsse
oder Häfen kämen, nicht für einen der letzt-
gedachten Häfen bestimmt seyen, und daſs sie
früher nicht die Bloquade gebrochen hätten. —
Eine zweite brittische GeheimerathsOrdre vom
[505]II. Cap. Recht der Neutralität.
7. Jan. 1807 b), welche dem berliner Decret
Napoleon’s entgegengesetzt ward, verordnet: „daſs
keinem Schiff erlaubt sey, von einem Hafen zu
dem andern Handlung zu treiben, wenn diese
beiden Häfen Frankreich oder dessen Alliirten
gehörten, oder in deren Besitz seyen, oder so
sehr unter deren Controle stünden, daſs brit-
tische Schiffe nicht frei dahin handeln könnten.
Jedes neutrale Schiff, welches auf erhaltene War-
nung oder Nachricht von dieser Ordre, dersel-
ben zuwider handelt, solle genommen, auf-
gebracht, und nebst der Ladung als gesetzmäsige
Prise (lawful prize) verurtheilt werden“.
Da auch Napoleon, durch das berliner
Decret, die brittischen Inseln in BloquadeStand
erklärt hatte, so verfügte eine dritte brittische
GeheimerathsOrdre, vom 11. Nov. 1807 a): „daſs
alle Häfen Frankreichs und seiner Alliirten, oder
irgend eines andern Landes, das mit Groſsbri-
tannien in Krieg sey, oder solcher Länder, von
welchen die brittische Flotte ausgeschlossen sey,
[506]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
wenn gleich sie mit Groſsbritannien nicht in
Krieg wären, und alle andern Häfen und Plätze
in den Colonien, die den Feinden Groſsbritan-
niens gehörten, in Absicht auf Handel und
Schiffahrt denselben Einschränkungen b) unter-
worfen seyn sollten, als wenn sie durch brit-
tische Seemacht aufs strengste bloquirt wären;
daſs aller Handel mit Waaren, welche Producte
oder Manufacturen der genannten Länder sind,
als ungesetzmäsig (unlawful) solle betrachtet
werden; daſs jedes Schiff, welches von oder
nach gedachten Ländern oder Colonien handle,
mit allen Gütern an Bord solle genommen, und
als Prise dem Nehmer zuerkannt werden; daſs
jedes Schiff, welches über seine Ladung einen
Ursprungschein (certificat d’origine) bei sich
führe, worin bescheinigt sey, daſs die Artikel
der Ladung keine Producte oder Manufacturen
brittischer Besitzungen seyen, als rechtmäsige
Prise dem Nehmer zugleich mit denjenigen darin
verladenen Gütern zuerkannt werden solle, wel-
che der Person oder denen Personen gehörten,
durch die oder zu deren Behuf ein solches Do-
cument an Bord gekommen sey c)“.
Die GeheimerathsOrdre vom 11. Nov. 1807,
ward in einer folgenden vom 26. April 1809 a)
dergestalt widerrufen und annullirt, daſs sie
ausnahmweise nur noch gelten sollte von allen
holländischen Häfen bis zu und mit Einschluſs
der Ems, von allen französischen Häfen, von
[508]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
den Häfen derjenigen Colonien, Etablissements
und Besitzungen, welche von Frankreich und
Holland abhiengen, und von den Häfen des
nördlichen Theils von Italien, von Pesaro bis
und mit Orbitello. Dieser Widerruf bezog
sich also auf das nördliche Europa und das
mittägliche Italien b). — Da in der Folge durch
ein französisches Decret vom 28. April 1811 c),
die berliner und mailänder Decrete in Ansehung
der nordamerikanischen Schiffe waren aufgehoben
worden, so erfolgte durch eine brittische Ge-
heimerathsOrdre vom 23. Jun. 1812 d) ein
Widerruf der GeheimerathsOrdres vom 7. Jan.
1807 und 26. April 1809, so viel die nord-
amerikanischen Schiffe und Ladungen betrifft,
so weit solche amerikanisches Eigenthum seyen. —
Mit Napoleon (1814), fiel sein ganzes Continental-
System.
Die Beendigung streitiger Verhältnisse unter
Staaten a), hat auf verschiedene Art statt b).
Bei einem Streit über zweifelhafte Thatsachen,
sind, zu Vermeidung der Selbsthülfe, zuvörderst
beide Theile gegenseitig verpflichtet zu dem Ver-
such einer Beweisführung c). So fern nachher,
oder bei dem Streit über einen Rechtspunct,
jeder das Recht auf seiner Seite zu haben glaubt,
[510]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
steht es einzig in dem Willen beider Theile,
auf welchem Weg sie ihren Streit beendigen
wollen. Wählen sie den Weg der Gewalt, so
treten die verschiedenen Arten der Selbsthülfe
ein, welche oben (§. 234) angezeigt sind.
Beide Theile sind, vermöge ihrer politi-
schen Unabhängigkeit, nicht schuldig, einen
Richter anzuerkennen. Eben so wenig ist einer
von beiden, ohne Einwilligung des andern, be-
rechtigt, das Richteramt in eigener Sache zu
verwalten. Rechtliche Entscheidung ist daher
nur zulässig, wenn beide Theile einwilligen.
Diese Einwilligung erfolgt vertragmäsig durch
Compromiſs; es sey nun, welches nicht leicht
der Fall seyn wird, auf einen der streitenden
Theile selbst, oder auf einen oder mehrere
Dritte, als Schiedsrichter a) (arbiter). Nicht
nur Mitglieder des einen, oder beider streiten-
den Staaten, sondern auch dritte Staaten oder
[511]III. Cap. Recht des Friedens.
deren Mitglieder, können zu dem Amt des Schieds-
richters erwählt werden. Nimmt der Erwählte
den Antrag an, so ist er berechtigt und ver-
pflichtet, nach hinlänglicher Erörterung und Prü-
fung der Streitsache, den Grundsätzen des Völ-
kerrechtes gemäſs, das streitige Recht durch ei-
nen Rechtspruch (laudum) richterlich festzusetzen.
Ob und wie weit suspensive oder devolutive
Rechtsmittel, etwa durch Berufung auf einen
erwählten höheren Schiedsrichter oder Obmann
(superarbiter) statt finde, und diesem oder dem
ersten Schiedsrichter ein Recht zu Vollziehung
des Richterspruchs zustehe? hängt ab von dem
Inhalt des Compromisses.
Beilegung des Streites in dem Weg der
Güte, findet nur statt nach Uebereinkunft bei-
der Theile. Widerrechtlich ist es nicht, hiezu
das Loos (sors) zu wählen a); wiewohl in der
neuern Zeit man sich dessen höchst selten be-
dient hat, und noch weniger des in der Vor-
zeit zuweilen vorgekommenen Zweikampfes durch
beiderseitige Stellvertreter b). Weit gewöhn-
licher ist Vergleich oder gütliche Ueberein-
kunft c) (Sühnevertrag, amica litis compositio).
Er kann zu Stande kommen, durch unentgelt-
liches Nachgeben von Seite des einen Theils (re-
missio gratuita), aber auch durch Vergleich in
dem engern Sinn, Ausgleichung mittelst Vergel-
tung, welche erfolgt durch Gebung, Verspre-
chen, oder Zurückbehaltung einer Sache oder
eines Rechtes (transactio). Beide Rechtsgeschäfte
heissen, wenn dadurch ein Krieg beendigt wird,
Friede d) (pax, la paix).
Dem Friedensschluſs gehen meist gewisse
Vorbereitungen voraus. Kriegsglück oder Un-
glück, und Politik, veranlassen Friedensvorschlä-
ge. Diese erfolgen, entweder von einem der
kriegführenden Theile, bald unmittelbar, bald
mittelbar, oder von dritten Mächten, welche
aus eigener Bewegung, oder auf Ersuchen, ihre
guten Dienste (bona officia, bons offices) an-
wenden a) (§. 160). Werden die Vorschläge
angenommen, welches zuweilen nur bedingungs-
weise geschieht, z. B. gegen Abschliessung ei-
ner PräliminärConvention b), so kommt es, mit
oder ohne Waffenstillstand, zu Unterhandlungen
(FriedensTractaten, négociations de paix). Diese
haben statt, ohne, oder unter Vermittlung (mé-
diation) dritter Mächte c).
Die Unterhandlungen wegen des Friedens,
können auf zweifache Art statt haben; in Con-
ferenzen, wo die Unterhändler sich in förm-
lichen Sitzungen versammeln, und in schrift-
lichen Verhandlungen. Nicht leicht geschehen
sie unmittelbar zwischen den beiderseitigen Sou-
verainen. Auch eine blosse ministerielle Cor-
respondenz a), von Hof zu Hof, führt selten
zum Ziel. Es werden daher jetzt in der Regel
Bevollmächtigte gesendet b), welche die Vor-
rechte der Gesandten, wie in Friedenszeiten,
geniessen (Friedensgesandte). Diese unterhan-
deln mit einander, entweder unmittelbar, oder
mittelbar, durch Vermittler. Wenn in dem er-
sten Fall Conferenzen statt haben, so sind darin
zuweilen Gesandte vermittelnder Mächte (§. 160)
gegenwärtig, welchen dann die ersten Plätze
und andere Ehrenvorzüge eingeräumt werden.
Wird schriftlich unterhandelt, durch einen oder
mehrere Vermittler, wie auf dem Congreſs zu
Teschen, so sendet jeder von beiden Theilen
seine Anträge und Entwürfe, mittelst diploma-
tischer Noten, an den Bevollmächtigten der ver-
mittelnden Macht; dieser theilt solche dem Geg-
ner mit, und empfängt und übersendet hierauf,
in derselben Art, die Antwort und Gegenent-
würfe. — Die Wahl des CongreſsOrtes c), die
[515]III. Cap. Recht des Friedens.
Fragen, ob Gesandte von dritten Mächten, und
von welchen, daselbst zuzulassen seyen d), mit
welchem Ceremoniel, und in welchem Locale
die Conferenzen gehalten, und wie die Ge-
schäfte darin behandelt werden sollen e), die
Neutralität des CongreſsOrtes, wenn während
des Congresses kein allgemeiner Waffenstillstand
statt hat, die persönliche Sicherheit der anwe-
senden, und der ab- und zureisenden gesand-
schaftlichen Personen und Couriere, u. d., sind
bisweilen Gegenstand einer eigenen Präliminär-
Convention.
Sind die Versuche den Frieden herzustel-
len fruchtlos, und will oder erwartet man kei-
nen günstigen Erfolg von weitern Friedenshand-
lungen, so werden diese abgebrochen, und die
Feindseligkeiten erneuert a). Glücken aber die
Versuche, so kommt ein Friedensschluſs zu
Stande, ein Vertrag, wodurch der Krieg be-
endigt wird. Von einem Waffenstillstand un-
terscheidet er sich wesentlich dadurch, daſs er
für immer errichtet wird, und in diesem Sinn
heiſst er ein ewiger Vertrag b) (pactum aeter-
num). In der Regel, wird irgend eine Haupt-
bestimmung zur Grundlage (Basis), wie der
Unterhandlungen also auch des Friedensschlus-
ses, genommen. Man wählt hiezu, bald den
Besitzstand, wie er war bei dem Ausbruch des
Kriegs (Status quo strict, Status quo ante bel-
lum), oder zu der Zeit des Friedensschlusses
(das Uti possidetis), oder in einem andern Zeit-
punct (dies, mensis, vel annus decretorius,
[517]III. Cap. Recht des Friedens.
normalis, criticus); bald geht man aus von ge-
wissen Compensationen, von einseitigen oder
wechselseitigen Abtretungen, ohne Rücksicht auf
Rechts- und Besitzstand.
In der Regel, wird ein DefinitivFriede ge-
schlossen a). So fern aber vorläufig bloſs ge-
wisse Hauptpuncte vertragmäsig festgesetzt, und
die Festsetzung anderer Puncte noch ausgesetzt
bleibt, um mit jenen in der Folge in ein Haupt-
Instrument zusammengefaſst zu werden, heiſst
der Vertrag, welcher jene enthält, Präliminär-
Friede oder FriedensPräliminarien b). Die Form
des letzten c), ist zuweilen minder feierlich als
bei einem DefinitivFrieden: aber er ist darum
nicht minder verbindend, wenn nicht seine ver-
bindende Kraft von Abschliessung des Definitiv-
Friedens abhängig gemacht worden ist. In der
Regel wird der Friede zu gleicher Zeit von al-
len, in denselben Krieg verwickelt gewesenen
Mächten geschlossen. Ohne Einwilligung ihres
Alliirten, ist, im Zweifel, keine derselben berech-
tigt, wegen des Friedens zu unterhandeln, oder
einen SeparatFrieden zu schliessen (§. 270).
Wesentlich bei jedem Friedensschluſs, und
daher im Zweifel stillschweigend darin begriffen,
ist die Amnestie a) (lex oblivionis), eine ver-
tragmäsige Erklärung beider Theile, daſs das
bisherige feindselige Verhältniſs als gänzlich be-
seitigt anzusehen sey, mithin nicht wieder als
Ursache eines Kriegs dienen dürfe. Was nicht
Ursache oder Gegenstand des Kriegs war, ist
unter der Amnestie nicht begriffen b).
Wäre zu der Rechtsgültigkeit eines Frie-
densschlusses nothwendig, daſs die darin ent-
haltenen Bestimmungen, in Ansehung der Kriegs-
ursache und der beiderseitigen Kriegshandlungen,
den Forderungen der Gerechtigkeit durchaus ge-
mäſs seyen, so würden die Unterhandlungen
unter kriegführenden Mächten, welche keinen
Richter anerkennen, nie, oder doch höchst sel-
ten, zu einem Frieden führen. Zu Erlangung
des Friedens ist daher in der Regel kein an-
deres Mittel übrig, als die Rechtmäsigkeit oder
Unrechtmäsigkeit jener Ursachen und Handlun-
gen auf sich beruhen zu lassen, und die Streit-
puncte durch Uebereinkunft so zu bestimmen,
daſs nur diese die Stelle des Rechtes unter den
Parteien vertrete. Da nun jedem Theil frei
steht, seinem Recht zu entsagen, und diese Ent-
sagung, wenn sie von dem andern angenommen
ist, die Kraft eines Vertrags hat, Verträge aber
auch unter Staaten heilig gehalten werden müs-
sen (§. 145), so ist ein Friedensschluſs selbst
für denjenigen Theil verbindend, welcher darin
wohlgegründete Rechte dem Frieden zum Opfer
bringt. Verpflichtend ist er sogar für den, wel-
Klüber’s europ. Völkerr. II. 34
[520]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
chem die schuldige Genugthuung durch Zwang
abgenöthigt worden ist a); denn auch ein durch
rechtmäsigen Zwang abgenöthigter Vertrag ist
gültig (§. 143).
Ohne förmlichen Vertrag in einem schrift-
lichen Aufsatz (FriedensInstrument), wird in der
neuern Zeit nicht leicht Friede geschlossen a),
wie kurz und einfach auch der Friedensvertrag
seyn mag b). Die einzelnen Stipulationen wer-
den in Artikel eingekleidet; in allgemeine und
vorläufige oder PräliminärArtikel, und in be-
sondere, sowohl HauptArtikel als auch Neben-,
Zusatz- (Additional-) und SeparatArtikel, bis-
weilen auch in offene und geheime. Sonach
theilt sich das Ganze oft in zwei Haupttheile,
in den Hauptvertrag und den Neben- oder Zu-
satzvertrag c) (convention additionnelle). Ge-
wöhnlich wird am Schluſs die Clausel der Ra-
tification hinzugefügt; ein Vorbehalt, daſs die
Genehmigung der contrahirenden Souveraine in-
nerhalb einer bestimmten Frist beigebracht, und
an einem bestimmten Ort ausgewechselt werden
solle d). Die Ausfertigung geschieht in feier-
licher Form, in der gehörigen Anzahl von Exem-
[521]III. Cap. Recht des Friedens.
plaren. Die Unterzeichnung und Besieglung er-
folgt, wie die Auswechslung der Ratificationen,
mit mehr oder weniger Feierlichkeit e).
Haben mehr als zwei Mächte gegen ein-
ander Krieg geführt, und schliessen alle, als
HauptContrahenten, zu gleicher Zeit Frieden,
so kann für Alle ein gemeinschaftliches Instru-
ment, oder je für Einzelne ein besonderes aus-
gefertigt werden, doch in beiden Fällen die ge-
hörige Anzahl gleichlautender Exemplare. Selbst
eine kriegführende Macht, kann dem von an-
dern geschlossenen Frieden als HauptContrahent
[512[522]]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
bloſs beitreten. Ein Beitritt erfolgt zuweilen
auch, als von NebenContrahenten, von solchen
Mächten, welche einer kriegführenden Macht
particuläre Kriegshülfe (§. 268 ff.) geleistet, oder
irgend ein anderes Interesse bei dem Friedens-
schluſs haben (§. 162). Nicht selten werden
aber auch solche und andere Mächte, ohne ih-
ren ausdrücklichen Beitritt, in den Frieden mit-
eingeschlossen (§. 162). Verstärkung des Frie-
densvertrags, kann auf verschiedene Art erfol-
gen, insbesondere durch Garantie von Seite
dritter Mächte (§. 157—159). Zuweilen wird
derselbe, durch Widerspruch oder Protestation,
von dritten Mächten angefochten (§. 162). Pu-
blication des geschlossenen Friedens veranstaltet
jeder Theil, nach Belieben, in seinem Gebiet
und bei seinem Kriegsheer a).
Auf die Genehmigung des Friedensschlus-
ses, muſs dessen Vollziehung, so weit eine sol-
che nöthig, der Uebereinkunft gemäſs folgen a).
Dieselbe giebt bisweilen Anlaſs zu eigenen Con-
gressen und ExecutionsRecessen b), zu Zweifeln
und Streitigkeiten über den Sinn der Stipula-
tionen, zu Auslegungen (§. 163), und zu Er-
[523]III. Cap. Recht des Friedens.
läuterungen derselben, etwa in eigenen Er-
läuterungs- oder NachRecessen c) (conventions
supplétives ou explicatives). — Nach eingetre-
tenem Friedensstand, tritt das Jus postliminii
in Wirksamkeit, so weit es gegründet ist (§.
254, 257 u. 270). — Ein Friedensbruch, durch
Verletzung aller oder einzelner Stipulationen,
entbindet den andern Contrahenten der Pflicht,
denselben von seiner Seite zu erfüllen, oder be-
rechtigt ihn, wegen der Verletzung Entschädi-
gung und Genugthuung, so wie Sicherheit we-
gen gehöriger Erfüllung, zu fordern d).
Ewiger Friede, den die Vernunft gebietet,
scheint hienieden unerreichbar. Aber viel wäre
ohne Zweifel gewonnen, wenn, wo nicht alle,
doch die meisten, und unter ihnen die mäch-
tigsten, Staaten von Europa, mit Verzichtleistung
[524]II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in feindl. Verhältn.
auf alle Selbsthülfe, in einen Staatenbund so
vereinigt wären, daſs innerhalb desselben ein
wohleingerichtetes VölkerTribunal bestünde, auf
dessen Richtersprüche in ihren wechselseitigen
Streitigkeiten alle Genossen des Bundes com-
promittirt hätten, und welchem gegen das Un-
recht jedes einzelnen Staates, die bewaffnete Macht
aller übrigen zu Gebot stünde a). Nicht bloſs
für den innern Frieden des Bundes und seiner
Glieder, auch für ihre äussere Sicherheit, müſste
diese Einrichtung wohlthätig wirken. Sie würde
der Schluſsstein seyn für das Gewölbe der hei-
ligen Allianz (§. 2, Note e, u. 146), in wel-
cher die Verbündeten einander geloben, daſs „sie
bei ihrer Handlungsweise nur allein die Vor-
schriften des Christenthums, der Gerechtigkeit,
der Liebe, und des Friedens, zur Richtschnur
nehmen wollen, sowohl in der Verwaltung ihrer
Staaten, als auch in ihren politischen Verhält-
nissen mit jedem andern Staat“; eine Verpflich-
tung, welche feierlich erneuert und bestätigt
ward, in derjenigen Erklärung welche die im
Jahr 1818 zu Aachen versammelten bevollmäch-
tigten Minister von Oestreich, Frankreich, Groſs-
britannien, Preussen, und Ruſsland, öffentlich
bekannt machten, und zur Kenntniſs aller eu-
ropäischen Höfe brachten b).
(Jetzt Königreich der Niederlande; früher, Vereinigte Niederlande; nachher
batavische Republik, dann Königreich Holland, späterhin souveraines
Fürstenthum der vereinigten Niederlande.)
Unter vorstehender Benennung versteht man nicht nur Ge-
schichten diplomatischer Unterhandlungen, sondern auch Samm-
lungen von amtlichen Aufsätzen diplomatischer Agenten, von
Noten, Memoiren, Berichten, Briefen, u. s. w. Ausser den
[570] oben (§. 25) angemeldeten Sammlungen für Verhandlungen eines
einzelnen Friedens- oder andern Congresses, sind hier folgende
Schriften zu bemerken.
Ausser vielen andern historischen Memoiren, meist ungenann-
ter Verfasser, deren in der Staatengeschichte erwähnt wird, sind
hier folgende, alphabetisch nach den Namen der Verfasser oder
Herausgeber geordnet, zu bemerken.