Da von meinem im Jahr 1789 gedruckten Precis
du droit des gens moderne de l’Europe nur
noch wenig Exemplare in den Haͤnden des Verlegers
uͤbrig ſind, ſo habe ich bey der Wahl zwiſchen einer
neuen franzoͤſiſchen Auflage und einer Umarbeitung
deſſelben in teutſcher Sprache, letztere vorgezogen,
da ich geglaubt, daß dadurch dieſer Leitfaden viel-
leicht hin und wieder zur Grundlage bey Vorleſun-
gen brauchbarer werden koͤnnte; und ſelbſt wenn
dieſe in franzoͤſiſcher Sprache gehalten werden, iſt
es vielleicht manchem Zuhoͤrer nicht unangenehm, eine
Anleitung in einer Sprache vor ſich zu haben, die
ihm wahrſcheinlich die gelaͤufigſte iſt.
Daß uͤbrigens die gegenwaͤrtige Einleitung
keine bloße Ueberſetzung ſey, davon kann einen jeden
eine auch nur oberflaͤchliche Vergleichung belehren.
Das Syſtem ſelbſt iſt zwar in der Hauptſache unver-
aͤndert geblieben, da die vorhin von mir gewaͤhlte
Ordnung mir auch jetzt noch die natuͤrlichſte ſcheint,
daß nemlich zuvoͤrderſt das Subject der Wiſſenſchaft
eroͤrtert und unterſucht werde, wiefern Europa als
ein Ganzes betrachtet werden koͤnne, und wie die
Staaten dieſes Welttheils in Anſehung ihrer politi-
ſchen Wichtigkeit, in Anſehung ihrer Regierungs-
a 2form,
[IV]Vorbericht.
form, ihrer Religion verſchieden ſind, dann zu dem
Object oder den Rechten und Verbindlichkeiten uͤber-
gegangen und erklaͤret werde, wie 1) dieſe Rechte
entſtehn, durch Occupation, durch Vertraͤge, durch
Herkommen und Analogie, und ob durch Verjaͤh-
rung? 2) worin dieſe Rechte beſtehen, und 3) wie
ſie verloren gehn. Daß in Anſehung des zweyten
Hauptpuncts die Angelegenheiten der Voͤlker, ſowohl
die inneren als auswaͤrtigen, und die Privatangele-
genheiten der Regenten und ihrer Familie, von der
Art unterſchieden werden, wie freye Voͤlker ihre
Rechte geltend machen, bald auf guͤtlichen Wegen
ſchriftlicher oder geſandſchaftlicher Verhandlungen,
bald durch thaͤtliche Mittel durch Retorſion, Repre-
ſalien und Krieg, da denn in Anſehung des letzteren
Puncts die Rechte der Hauptkriegfuͤhrenden Maͤchte,
ihrer Alliirten und der neutralen Voͤlker zu unter-
ſcheiden ſind, bis der Krieg ſelbſt durch Schließung
des Friedens beendiget wird.
Nur zwey Abſchnitte ſind neu hinzugekommen,
nemlich B. II. Cap. I. von Erwerbung des Eigen-
thums durch Occupation, wovon in der vorigen
Ausgabe bey Gelegenheit der Erwerbung der Rechte
uͤber das Meer gehandelt worden, und dann B. VII.
Cap. I. uͤber den Beweis zwiſchen voͤllig und nicht
voͤllig Souverainen Staaten.
In der Ausfuͤhrung der einzelnen Materien aber
iſt nicht leicht eine uͤbrig geblieben, die nicht naͤhere
Beſtimmungen oder Zuſaͤtze erhalten haͤtte; und dieß
laͤßt ſich auch zu einer an Voͤlkerrechtlichen Begeben-
heiten und Neuerungen ſo reichhaltigen Zeit nicht
anders erwarten.
In mehr als einer Ruͤckſicht haͤtte ich gewuͤnſcht,
die Herausgabe dieſer Schrift bis zu der Zeit eines
allgemeinen Friedens verſchieben zu koͤnnen; aber
dazu war beym Anfange der Ausarbeitung die Aus-
ſicht noch zu ungewiß.
Einzelne Abaͤnderungen, welche von dieſem
Frieden die Folge ſeyn koͤnnten, ſind jedoch der Art,
daß ſie leicht durch den muͤndlichen Vortrag ergaͤnzt
werden koͤnnen, welches auch z. B. in Anſehung der
jetzt mit Polen erfolgten Zertheilung, und der Un-
terwerfung Thorns unter Preußiſchen Zepter, der
Fall iſt.
Daß aber dieſer Friede uns ein ganz neues
Voͤlkerrecht bringen werde, wird wohl niemanden
mehr wahrſcheinlich duͤnken. Zwar war in Frank-
reich ſchon im Jahre 1793 in Vorſchlag gekommen,
ſo wie vorhin eine declaration des droits de l’homme
die unveraͤußerlichen Rechte der Menſchheit feſtſtellen
ſollte, ſo auch eine declaration du droit des gens
abzufaſſen, die als ein unwandelbarer Codex aller
Voͤlker angenommen werden ſolle; und obgleich
damals dieſer Antrag keinen Beyfall fand, ſo uͤber-
reichte doch Gregoire im April 1795 dem National-
convent ein ſolches Project, worin er unter heftigen
Ausfaͤllen wider die bisherige ſo genannte vieille
diplomatie in 21 Saͤtzen, das was er als Voͤlkerrecht
angeſehn wiſſen wollte, vortrug *); doch auf ſehr
gegruͤndete Vorſtellungen des Wohlfarts-Ausſchuſſes
ward damals der ſchon beſchloſſene oͤffentliche Druck
der Rede und des Projects wieder eingeſtellet.
Wer nur einigermaßen mit unſerm Voͤlkerrecht
bekannt iſt, weiß daß es nicht an Puncten fehlt, uͤber
deren Abaͤnderung oder Feſtſtellung es ſehr zu wuͤn-
ſchen waͤre, daß die Hauptmaͤchte in Europa ſich ver-
einigen koͤnnten; daß es in dem Ceremoniel der Voͤl-
ker manche Puncte giebt, welche ohne Noth die Ver-
handlungen der Geſchaͤfte erſchweren, welche ſelbſt
dem herrſchenden Geſchmack unſerer Zeiten nicht
mehr angemeſſen ſind, und die man zum Theil kaum
von dem Vorwurf der Abgeſchmacktheit zu befreyen
im Stande iſt; daß es auch manche andere weit
wichtigere Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts, ſowohl in
Friedens- als in Kriegszeiten giebt, die, eben weil
das natuͤrliche Recht ſie nicht mit Evidenz zu ent-
ſcheiden vermag, ſo lange ein beſtaͤndiger Gegen-
ſtand des Streits bleiben werden, als nicht die Voͤl-
ker ſich daruͤber auf eine [dauerhafte] Weiſe durch
Vertraͤge auf die eine oder die andere Art verglichen
haben werden. Sofern waͤre alſo eine Vereinigung
der Voͤlker uͤber gewiſſe feſtgeſetzte Grundſaͤtze, uͤber
gewiſſe Verbeſſerungen in der Art ihres gegenſeitigen
Betragens ein reizender Gedanke, bey welchem man
gern vergeſſen koͤnnte, ob die erſte Veranlaſſung dazu
von Feinden oder von Freunden herruͤhre, ſofern
jene nur nicht ihre Uebermacht dazu anwenden wollen,
um das als Geſetz vorzuſchreiben, was, um dauer-
haft beſtimmt zu werden, nur das Reſultat voͤllig
fr[e]yer Berathſchlagungen ſeyn kann.
Es laͤßt ſich auch nicht als chimaͤriſch anſehn,
daß uͤber dieſen oder jenen einzelnen Punct des Voͤl-
kerrechts bey Gelegenheit eines kuͤnftigen Friedens,
es
[VII]Vorbericht.
es ſey ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend, von mehre-
ren Maͤchten Beſtimmungen getroffen werden, die
in der Folge auf eine veraͤnderte Handelsweiſe der-
ſelben Einfluß haben wuͤrden, wie in Anſehung ſo
mancher einzelner Puncte der Weſtphaͤliſche Friede
hier zum Beyſpiel dienen kann; wie auch das Syſtem
der bewaffneten Neutralitaͤt davon bey einer anderen
Veranlaſſung ein Beyſpiel gegeben hat.
Daß aber unſere Europaͤiſchen Voͤlker je zu-
ſammentreten ſollten, um uͤber den Umfang der
Rechte der Voͤlker allgemeine poſitive Beſtimmungen
zu machen, oder um die von einem Volk gemachte
déclaration du droit des gens zu unterſchreiben,
und ſo ſich eines codicis iuris gentium poſitivi zu
vergleichen, das duͤnkt mir von aller Wahrſcheinlich-
keit entbloͤßet zu ſeyn, und in die Reihe des Projects
eines ewigen Friedens zu gehoͤren, das, wie oft
auch die alten Ideen wieder aufgewaͤrmt und unter
veraͤndertem bald lichteren bald dunkleren Gewande
wieder dem Publicum dargeſtellt werden, hoͤchſtens
nur ein lieblicher Traum iſt, mit dem man ſich einige
muͤſſige Augenblicke hindurch angenehm unterhalten
kann, der aber ſo lange Menſchen Menſchen bleiben,
ſo lange ſie, wie ſehr auch immer an der aͤußeren
Schale ihrer Staatsverfaſſung gekuͤnſtelt und geruͤt-
telt wird, von ihren Leidenſchaften beherrſcht und
von ihrem Eigennutz verblendet werden, ſowohl in
Anſehung ſeiner Ausfuͤhrung, als des davon gehoften
Nutzens eine bloße Chimaire bleiben wird.
Wenn man ſich auch nur oberflaͤchlich die Er-
forderniſſe eines ſolchen codicis iuris gentium poſi-
tivi
[VIII]Vorbericht.
tivi gedenkt, ſo wird man ſchon Schwierigkeiten
gewahr, die nicht leicht zu uͤberwinden ſind, und ſieht
wenigſtens bald, daß es mit einem Entwurf der
Grundſaͤtze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts, wie der
des Deputirten Gregoire ſeyn ſoll, nicht gethan ſey.
Nicht die Wiederholung unbezweifelter Grund-
ſaͤtze des allgemeinen Voͤlkerrechts iſt es, von der
ſich erhebliche Wirkungen erwarten laſſen, und welche
die Muͤhe belohnte die Voͤlker zu einem uͤbereinſtim-
menden Vertrage zu vermoͤgen. Wenn daher die
declaration du droit des gens folgende Saͤtze enthaͤlt:
art. 1. les peuples ſont entre eux dans l’état de
nature; ils ont pour lien la morale univerſelle;
art. 2. les peuples ſont reſpectivement independans
et ſouverains, quel que ſoit le nombre d’individus
qui le compoſent et l’étendue du territoire qu’ils
occupent; art. 6. chaque peuple a droit d’organiſer
et de changer les formes de ſon gouvernement;
art. 10. chaque peuple eſt maitre de ſon territoire;
art. 17. un peuple peut entreprendre la guerre
pour defendre ſa ſouveraineté, ſa liberté, ſa pro-
prieté; art. 21. les traités entre les peuples ſont
ſacrés et inviolables, ſo ſind das alles zwar ſehr
wahre, aber auch eben ſo unbeſtrittene Saͤtze, von
denen die Erfahrung uͤberzeugend gelehret hat, wie
ſie alle theoretiſch eingeraͤumt werden, und dabey
gleichwohl alles moͤgliche Boͤſe geſchehn koͤnnen, was
Voͤlker einander wider ihre urſpruͤnglichen oder er-
worbenenen Rechte zufuͤgen moͤchten. Solche Saͤtze
koͤnnen daher nur in ſofern hier eine Stelle verdie-
nen, als aus ſelbigen andere, die minder anerkannt
find, mit Beſtand gefolgert werden moͤgen.
Es iſt ferner leeres Wortgepraͤnge, wenn in
einer ſolchen declaration des droits Saͤtze der Voͤl-
kermoral aufgeſtellet werden, die ſelten verkannt aber
noch ſeltner befolget worden, und denen es in der
Zukunft nicht beſſer ergehn wuͤrde, wenn auch alle
Voͤlker dieſe Artikel unterſchrieben haͤtten, falls dieſe
nicht zugleich einen Grad der Aufklaͤrung und mora-
liſchen Vervollkommnung erreicheten, bey welchen die
mehreſten Vertraͤge als uͤberfluͤßig wegfallen wuͤrden;
dahin gehoͤrt z. B. der Satz: art. 3. un peuple doit
agir à l’égard des autres comme il deſire qu’on
agiſſe à ſon égard; art. 4. les peuples doivent en
paix ſe faire le plus de bien, et en guerre le moins
de mal poſſible.
Soll eine ſolche declaration du droit des gens
ihres Zwecks nicht verfehlen, ſo muß ſie theils auf
die Abſchaffung widerrechtlicher, oder doch unzweck-
maͤßiger Gebraͤuche, theils auf die Feſtſetzung ſtrei-
tiger Grundſaͤtze des allgemeinen Voͤlkerrechts, theils
auf die Einfuͤhrung neuer, der Wohlfart der Voͤlker
nuͤtzlicher, Beſtimmungen gerichtet ſeyn. Zu dem
allen fehlt es zwar nicht an Stoff, aber eine faſt
unuͤberſteigliche Kluft trennt den Gedanken von der
Ausfuͤhrung, und nicht ſelten die Studirſtube vom
Cabinet.
Wenn man ſich aller der laͤcherlichen, zum Theil
ſelbſt blutigen Auftritte erinnert, zu denen die Praͤ-
cedenzſtreitigkeiten der Geſandten Anlaß gegeben
haben, ſo moͤchte man es fuͤr einen großen Gewinn
achten, wenn feſtgeſetzt wuͤrde, wie art. 20 vorge-
ſchlagen wird: il n’y a pas de préſéance entre les
agens publics des Nations; und daß dieſer Satz
a 5dem
[X]Vorbericht.
dem reinen natuͤrlichen Voͤlkerrecht gemaͤß ſey, wird
nicht leicht jemand bezweifeln. Sollte aber wohl
uͤberhaupt, ſollte viel dabey gewonnen werden wenn
man auf dieſen Satz zuruͤckginge? Die gewaltſamen
Auftritte, wie ſie weiland zwiſchen einen Batteville
und d’Eſtrades vorfielen, ſind nach dem Geſchmack
unſres Zeitalters ohnehin nicht leicht mehr zu beſor-
gen; man hat laͤngſt Mittel ausfuͤndig gemacht um,
es ſey durch Alternation, oder durch Reverſe u. ſ. f.
zu verhindern, daß nicht wichtige Geſchaͤfte, dann
wenn es allen Theilen ein Ernſt iſt, um der Praͤcedenz-
ſtreitigkeitenwillen gehemmt werden; und wenn ein
Theil Ausfluͤchte ſucht, ſollte es wohl da an Vor-
wand zum Abſprung fehlen, geſetzt auch, daß die
Praͤcedenz dazu nicht mehr dienen koͤnnte? Ja wenn
es wirklich zur Abſchaffung aller Praͤcedenz kaͤme,
wenn der Deputirte der Republik St. Marino dem
Franzoͤſiſchen Ambaſſadeur nicht mehr zu weichen
haͤtte, folglich wer zuerſt kommt ſich dahin ſtellte,
ſetzte, ſchriebe, wo er es fuͤr gut faͤnde; wuͤrde es nicht
leicht oft uͤber die Frage, wer zuerſt gekommen ſey
zu eben ſo laͤcherlichen und ſelbſt thaͤtlichen Auftritten
kommen koͤnnen als bisher uͤber die Praͤcedenz ent-
ſtanden ſind, oder kann man der Meynung gebieten,
daß ein Platz, waͤre es auch nur dießmal, nicht beſſer
wie der andere ſey, und iſt Verwirrung nicht noch
ſchlimmer als eine mangelhafte Ordnung? Immer
wuͤrde man am Ende auf Alternation zuruͤckkommen
muͤſſen; dieſe iſt aber ſchon zwiſchen vielen der
groͤßeren Maͤchte eingefuͤhrt, und was gewinnt die
Menſchheit dabey, wenn nun auch kleine Staaten
auf dieſe Alternation grundgeſetzmaͤßig pochen duͤrf-
ten
[XI]Vorbericht.
ten — und doch wohl in vielen Faͤllen darauf nicht
pochen wuͤrden.
Wenn man an alle die Neckereyen und zum
Theil beſchwerliche Haͤndel gedenkt, die uͤber die
wahren und vermeinten Vorrechte der Geſandten,
uͤber die Unabhaͤngigkeit ihrer Perſon, ihres Hotels,
ihres Gefolges, ihrer Guͤter entſtanden ſind, ſo
koͤnnte es allerdings wuͤnſchenswuͤrdig ſcheinen, daß
dieſe Vorzuͤge naͤher beſtimmt und in zweckmaͤßige
Schranken zuruͤckgefuͤhrt werden koͤnnten. Wuͤrde
aber der Sache geholfen ſeyn, wenn man auf den
reinen Satz des natuͤrlichen Rechts zuruͤckkehrte, wie
er ſeit mehr als 100 Jahren in allen Lehrbuͤchern des
Naturrechts ſich findet, und wie Gregoire ihn im
19ten Artikel vorſchlaͤgt: les agens publics que les
peuples s’envoyent ſont independans des lois du
pays où ils ſont envoyés dans tout ce qui concerne
l’objet de leur miſſion, wuͤrde wohl dieß dem gehof-
ten Zweck entſprechen, wuͤrde dieſe Einſchraͤnkung,
nach welcher Geſandte nur in dem was ihre Sendung
anbetrifft von dem Hofe bey welchen ſie reſidiren
unabhaͤngig ſeyn ſollen, nicht zu unzaͤhligen neuen
Streitigkeiten Anlaß geben, wuͤrde ſie nicht den
Geſandten manchen wahrhaftig fuͤr die Fuͤhrung
ſeiner Geſchaͤfte nicht gleichguͤltigen Chicanen bloß
ſtellen, und ſo das Uebel auf der einen Seite ver-
groͤßern wenn man es auf der andern zu verringern
ſuchte. Daß unzaͤhlige Streitigkeiten wegen des
ius aſyli, wegen der Gerichtbarkeit uͤber das Ge-
folge der Geſandten u. ſ. f. erwachſen ſeyn, iſt wahr,
und man braucht eben nicht an den Lakeyen-Streit
in Utrecht zu gedenken, um dieſe Haͤndel unanſtaͤndig
zu
[XII]Vorbericht.
zu finden. Aber wann entſtanden wohl bedeutende
Haͤndel der Art, wo nicht ganz andere Staats-
Urſachen zum Grunde lagen; und wo dieſe kuͤnftig
vorhanden ſeyn werden, wuͤrde da auch trotz jener
Beſchraͤnkung nicht Veranlaſſung genug uͤbrig ſeyn,
um die wahren Triebfedern der Handlungen durch
Schein-Vorwand zu bedecken. Wenn vielleicht
kleineren Staaten, die den Neckereyen großer Ge-
ſandten mehr als die groͤßeren ausgeſetzt ſind, durch
Beſchraͤnkung der Geſandſchaftlichen Vorrechte einiger
Vortheil zuwuͤchſe, ſo wuͤrde dieß fuͤr die Wohlfart
der Voͤlker uͤberhaupt warlich nicht viel ſeyn.
Sobald man aber in Puncte hinein geht, deren
Feſtſetzung fuͤr das Wohl der Voͤlker wichtiger iſt,
ſo zeigt ſich, daß in Anſehung mancher derſelben
das Intereſſe der Voͤlker ſich ſo durchkreuze, daß
ſchon aus dieſem Grunde ſchwerlich an eine allge-
meine Vereinbarung zu gedenken ſey, und der Satz
den Gregoire art. 5 vortraͤgt que l’intérêt particulier
d’un peuple eſt ſubordonné à l’intérêt général de
la famille humaine moͤchte wohl, wie ſchoͤn er auch
klingt, weder ohne Einſchraͤnkung als natuͤrlich wahr
angeſehn werden koͤnnen, noch auch von irgend einem
Volk ſo uͤberzeugend gefuͤhlt werden, daß es ſich
entſchloͤſſe ſeinen eigenen Nachtheil zu unterzeichnen.
So moͤchte zum Beyſpiel es eine ſehr wichtige
und wuͤnſchenswuͤrdige Sache ſeyn, daß alle Maͤchte
ſich vereinigten in Seekriegen den verderblichen Ca-
pereyen ein Ende zu machen; laͤßt ſich aber erwarten,
daß alle Seemaͤchte hieruͤber je gleichfoͤrmig denken
werden, und koͤnnte, da dieſe Capereyen dem ſtren-
gen
[XIII]Vorbericht.
gen aͤußeren Voͤlkerrecht nicht entgegen ſind, ein
Buͤndniß der uͤbrigen fuͤr rechtmaͤßig gehalten werden,
ſich gemeinſchaftlich dieſem Gebrauch mit Gewalt
entgegen zu ſetzen?
So mag immerhin der Satz den Gregoire
art. 14 vortraͤgt: le baniſſement pour crime eſt une
violation indirecte du territoire étranger ſehr ſchein-
bar, und deſſen Befolgung insbeſondere fuͤr Teutſch-
land wuͤnſchenswuͤrdig ſeyn, aber man frage manchen,
inſonderheit der kleinen Staͤnde in Teutſchland, ob
er auch ausfuͤhrbar ſey, und die Antwort wird ſchwer-
lich bejahend ausfallen.
Es zeigt ſich ferner, daß auch gerecht und billig
dankenden Staaten die Einwilligung in allgemeine
Saͤtze eines willkuͤhrlichen Voͤlkerrechts ſchon um
deswillen oft ſehr mißlich ſcheinen muͤßte, weil ſich
nicht voraus ſehen laͤßt, wie nachtheilig dieſe Saͤtze
kuͤnftig einmal ihrem eigenen Intereſſe werden koͤnn-
ten, ſo ſcheinbar auch die augenblicklichen Vortheile
deſſelben ſeyn moͤchten. So waͤre es zwar in mancher
Ruͤckſicht gut, wenn in Angelegenheiten der Voͤlker
kuͤnftig die exceptio praeſcriptionis mit eben dem
Nachdruck als in Haͤndel der Privatperſonen in vim
litis ingreſſum impediendi entgegen geſetzt, und zu
dem Ende die Zeit und uͤbrige Erforderniſſe der Ver-
jaͤhrung durch einen allgemeinen Vertrag feſtgeſetzt
werden koͤnnten. Aber welche Macht wird unvor-
ſichtig ſich in eine willkuͤhrliche Beſtimmung einlaſſen,
von der ſie nicht vorausſehn kann, wie ſie kuͤnftig
einmal zu ihrem groͤßeſten Nachtheil gereichen koͤnnte;
was gewinnt man hingegen wenn mit der déclaration
du
[XIV]Vorbericht.
du droit des gens art. 11. feſtgeſetzt wuͤrde: la poſ-
ſeſſion immémoriale établit le droit de préſcription
entre les peuples, denn wenn hier immémoriale
jeder Beſitz heißen ſoll der uͤber der lebenden Men-
ſchen-Gedenken ſich erſtreckt, ſo wuͤrden ihm eben
die Bedenklichkeiten entgegenſtehn, die ſich der Ein-
fuͤhrung einer Verjaͤhrung von 50, 60, 70 u. f.
Jahren entgegenſtellen, und dieſer Satz der, ſo ver-
ſtanden, kein Grundſatz des natuͤrlichen Rechts iſt,
wuͤrde nie zum Satz des poſitiven gemacht werden;
ſoll aber immémoriale voͤllig unvordenklich heißen,
ſo iſt das nicht mehr Verjaͤhrung, ſondern favor
poſſeſſionis, und das hat noch kein vernuͤnftiger
Menſch gelaͤugnet, bedarf alſo keiner déclaration des
droits, daß wenn nicht erhellet, daß je vor mir ein
anderer beſeſſen habe, keiner da ſeyn koͤnne der mich
aus meinem Beſitz verdraͤngen darf, weil keiner ein
beſſeres Recht als das meinige darzuthun vermag.
Endlich giebt es Saͤtze die kaum vorſichtig
genug gefaßt werden koͤnnen, um nicht freyen Maͤch-
ten, die ihre Vertraͤge ſelbſt ausdeuten, Veranlaſ-
ſung zu geben, ſie wider die Rechte anderer Voͤlker
zu mißbrauchen; und ſo dadurch mehr Uebel als
Gutes zu ſtiften. Davon giebt die oftgenannte
déclaration ein paar recht auffallende Beyſpiele. Im
art. 6. heißt es: chaque peuple a droit d’organiſer
et de changer les formes de ſon gouvernement,
im 7ten un peuple n’a pas le droit de ſ’immiſcer
dans le gouvernement des autres; aber im art. 8.
il n’y a de gouvernement conforme aux droits des
peuples que ceux qui ſont fondés ſur l’égalité et
la
[XV]Vorbericht.
la liberté. Alſo wenn eine Nation eine Verfaſſung
annimmt, die nicht auf Freyheit und Gleichheit ge-
gruͤndet iſt, oder, welches zwiſchen freyen Voͤlkern
eben ſo viel iſt, wenn eine dritte Macht findet, daß
die Verfaſſung einer andern nicht auf dieſe Grund-
pfeiler geſtuͤtzt ſey, folglich daß dieſe kein Recht gehabt
habe ſie ſich zu geben, ſo darf ſie in ihre Verfaſſung
ſich einmiſchen! alſo beguͤnſtiget das neue Voͤlker-
recht die propaganda!! Ferner art. 16. les ligues
qui ont pour objet une guerre offenſive, les traités
ou alliances qui peuvent nuire à l’interêt d’un
peuple ſont un attentat contre la famille humaine.
Alſo von der ſchwankenden ſo oft zweifelhaften, ſo oft
beſtrittenen Frage, ob ein Krieg oder eine Allianz
nach der Meinung eines dritten Volks offenſiv oder
defenſiv ſey, ſoll die Frage abhaͤngen, ob es dieſe,
wenn gleich nicht wider ſich geſchloſſene Allianz als
ein Attentat wider die Menſchheit betrachten, folglich
auch als eine Beleidigung gegen ſich anſehn und
raͤchen koͤnne — alſo iſt jede Allianz der Critik aller
uͤbrigen Voͤlker unterworfen, und wenn ſie dieſe als
dem Intereſſe eines dritten Volks nachtheilig anſehn,
ſo koͤnnen ſie ohne weitere Umſtaͤnde, das was frem-
den geſchah als ſich ſelbſt, als dem ganzen Menſchen-
geſchlecht gethan anſehn — und wo bleibt bey dieſem
unbegraͤnzten Einmiſchungsrecht fremder Staaten die
ſo hoch geruͤhmte Freyheit der Voͤlker. Konnte die
alte Diplomatik das Einmiſchungsrecht weiter er-
ſtrecken? ſollen ſo gefaͤhrliche Saͤtze die Subſtanz
einer neuen déclaration du droit des gens ausmachen,
ſo erhalte der Himmel uns unſre vieille diplomatie
mit allen ihren Luͤcken, mit allen ihren Wortſtreitig-
keiten,
[XVI]Vorbericht.
keiten, mit allen ihren zum Theil altmodiſchen Ver-
zierungen — wir wuͤrden beym Tauſch nur verlieren,
alte Schaumuͤnzen gegen Aſſignate verwechſeln.
Doch vielleicht irre ich in der zu geringen Er-
wartung von einer kuͤnftigen Europaͤiſchen Voͤlker-
Legislation, vielleicht verfuͤhrt mich unvermerkt die
Anhaͤnglichkeit an eine Wiſſenſchaft der in hohem Po-
ſaunenton eine gaͤnzliche Revolution geweißaget wird,
vielleicht mißleitet mich die Furcht, daß manches
von dem was in dieſem kleinen Buche geſagt iſt nun
kuͤnftig ganz anders lauten muͤſſe — es iſt vielleicht
der Aufklaͤrung des letzten Luſtrums dieſes Jahrhun-
derts vorbehalten, in Ausſpruͤchen der reinſten Weiß-
heit die Wohlfart der kommenden Jahrhunderte zu
gruͤnden, Haß und Eiferſucht der Voͤlker in Bruder-
liebe umzuſchaffen, Eroberungsſucht von der Erde
zu verbannen, Herſchſucht in Regierungskunſt, Stolz
und Prachtliebe in Beſcheidenheit und Simplicitaͤt
umzuwandeln, und vielleicht werden Voͤlkerrecht und
Voͤlkergeſchichte die im 18ten Jahrhundert ſo oft mit
einander im Widerſpruch waren, im 19ten in ſchoͤn-
ſter Eintracht nur ein Studium ſeyn — vielleicht
aber — und wieviel wahrſcheinlicher iſt dieſes viel-
leicht — iſt die letzte Spur dieſes Buͤchleins laͤngſt
vergeſſen, ehe zu jener großen Unternehmung der
erſte Schritt geſchehen iſt.
Goͤttingen den 5ten Januar 1796.
Wenn eine Zahl freyer Menſchen und Familien ſich zu
dem fortdaurenden Zweck der Befoͤrderung ihrer
Sicherheit und Wohlfarth in eine Geſellſchaft begiebt, ſo
macht ſie ein Volk, und wenn ſie in dieſer Abſicht ſich
einer gemeinſamen hoͤchſten Oberherrſchaft unterwirſt, einen
Staat aus. In beyden Faͤllen entſteht fuͤr ſie eine zwie-
fache Gattung von Rechten und Verbindlichkeiten, in
ihrem inneren, und in ihrem auswaͤrtigen Verhaͤltniſſe.
Die Rechte und Verbindlichkeiten der Mitglieder
eines Volks, als ſolche gegen einander, fließen, theils aus
den natuͤrlichen Grundſaͤtzen des Geſellſchaftsrechts, theils
aus beſondern Vertraͤgen.
Die Rechte und Verbindlichkeiten, welche in einem
Staate in dem Verhaͤltniß des Verwalters der hoͤchſten
Gewalt auf der einen, und der Unterthanen, als Unter-
thanen, auf der andern Seite eintreten, fließen theils aus
den Begriffen eines Staats uͤberhaupt, oder eines Staats
einer gewiſſen Art, und deren Inbegriff macht das natuͤr-
liche allgemeine Staatsrecht aus, theils aus den Grund-
vertraͤgen und Grundherkommen eines jeden Staats ins-
beſondere, deren Inbegriff das poſitive beſondere Staats-
recht deſſelben ausmacht.
Wenn man die poſitiven Staatsrechte mehrerer Staa-
ten, z. E. der einzelnen ſieben Provinzen der vereinigten
Niederlande, der teutſchen Territorien, der europaͤiſchen
Reiche mit einander vergleicht; ſo kann man durch Abſtrac-
tion der darin aͤhnlichen Puncte, ein generelleres Staats-
recht dieſer Staaten wiſſenſchaftlich bilden, welches aber
von einem Staatsrecht der Union der vereinigten Nieder-
lande, von einem teutſchen Reichsſtaatsrecht und von der Idee
eines europaͤiſchen Staatsrecht ſehr verſchieden ſeyn wuͤrde.
Auf dieſe Art laͤßt ſich ein teutſches oder europaͤiſches
Privat Fuͤrſtenrecht entwerfen, welches, ſofern es auf
Grundgeſetze und Grundherkommen beruhet, einen Theil
dieſes Staatsrecht ausmacht.
Die Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker und
Staaten gegen Auswaͤrtige, werden allgemein mit dem
Nahmen des Voͤlkerrechts belegt. Dieſes iſt entweder
ein natuͤrliches oder poſitives Recht. Voͤlker und Staa-
ten ſind im Verhaͤltniß gegen andere als moraliſche, in
dem Naturſtande gegen einander fortlebende Perſonen zu
betrachten. Das natuͤrliche Voͤlkerrecht iſt daher nichts
anders, als das Naturrecht der einzelnen Menſchen zweck-
maͤßig auf Voͤlker angewendet. Aber die Verſchieden-
heiten welche aus dieſer Anwendung entſpringen, erhe-
ben das Voͤlkerrecht zu einer eigenen, von dem Naturrecht
der einzelnen Menſchen noch zu unterſcheidenden, [Wiſſen-
ſchaft]a). Man nennt es das allgemeine, weil es alle
Voͤlker, das nothwendige, weil es ſie auch ohne ihren
Willen bindet; und wie im Naturrecht das Zwangsrecht
von der Moral verſchieden iſt, ſo iſt auch das aͤußere,
vollkommene oder Zwangs-Voͤlkerrecht von der Voͤlker-
moral zu unterſcheiden.
Sobald zwey Voͤlker mit einander in Verkehr tre-
ten, ſo reicht das natuͤrliche Voͤlkerrecht allein nicht mehr
hin, um ihre Rechte zu beſtimmen. Sie ſehen ſich veran-
laßt in manchen Puncten von der Strenge des natuͤrlichen
Zwangsrechts etwas nachzulaſſen, das was das Naturrecht
unbeſtimmt ließ zu beſtimmen, oft ſelbſt mit Abweichung
von dem natuͤrlichen Rechte der Gleichheit eines dem andern
Rechte einzuraͤumen, welche ihm von dieſem nicht wieder
gewaͤhret werden. Aus dem Inbegriff dieſer Beſtimmun-
gen entſteht im Gegenſatz des natuͤrlichen, allgemeinen und
nothwendigen Voͤlkerrechts, ein poſitives, beſonderes, will-
kuͤhrliches Voͤlkerrecht dieſer beyden Voͤlker a). Man theilt
es wiederum in das Vertragsrecht, das auf ausdruͤckliche
oder ſtillſchweigende Vertraͤge, und in das Gewohnheits-
voͤlkerrecht, das auf Herkommen oder Gewohnheit b) beru-
het. In dieſem Sinn hat jedes Volk in ſeinem Verhaͤlt-
niſſe mit jedem der uͤbrigen Voͤlker, die mit ihm Verkehr trei-
ben, ſein eigenes Voͤlkerrecht (auswaͤrtige Staatenrecht).
Gebenkbar waͤre es wohl, daß mehr als zwey Voͤl-
ker, daß z. B. ſelbſt alle europaͤiſche Voͤlker zuſammen-
traͤten und ihre gegenſeitigen Rechte durch allgemeine Ver-
A 2traͤge
[4]Einleitung.
troͤge feſtſetzten, deren Inbegriff dann einen Codex eines
allgemeinen poſitiven europaͤiſchen Voͤlkerrechts ausmachen
wuͤrde. Aber weder die ehemahligen Concilien, noch das
zernichtete Project einer allgemeinen europaͤiſchen Voͤlker-
republik haben je auch nur einen, von den mehreſten euro-
paͤiſchen Voͤlkern eingegangenen, Vertrag hervorgebracht;
in dem Sinne exiſtirt alſo kein allgemeines europaͤiſches
Voͤlkerrecht, und wird vermuthlich nie eines entſtehn.
Auf der andern Seite iſt unlaͤugbar, daß das, was
von zweyen oder mehreren Voͤlkern durch Vertraͤge oder
Gewohnheit eingefuͤhrt worden, an ſich a) die uͤbrigen nicht
binden koͤnne; daß auch von keinem Puncte behauptet werden
moͤge, daß er von jeder europaͤiſchen Macht in ihren ein-
zelnen Verhaͤltniſſen gegen jede der uͤbrigen ſo gleichfoͤr-
mig feſtgeſetzt ſey, daß dieſe einzelnen zuſammen genom-
menen Vertraͤge voͤllig die Stelle eines allgemeinen Ver-
trags vertreten b). Indeß 1) wenn man die einzelnen
Vertraͤge der europaͤiſchen Maͤchte mit einander vergleicht,
ſo laſſen ſich Puncte angeben, die faſt von allen den
Maͤchten, welche Vertraͤge daruͤber errichtet haben, im
weſentlichen gleichfoͤrmig beſtimmt ſind. 2) Eben dieſes
gilt von vielen in einzelnen Verhaͤltniſſen beſtehenden Ce-
remonial- und andern Gebraͤuchen. 3) Gewohnheitsrechte,
die einmahl von den mehreſten der groͤßeren europaͤiſchen
Maͤchte eingefuͤhrt worden ſind, und nicht etwa ihren be-
ſonderen Grund in der Verfaſſung derſelben haben, wer-
den nicht nur leicht von den uͤbrigen, inſonderheit den
mittleren und kleinen Staaten, ſo weit ſie auf ſie paſſen,
angenommen und nachgeahmt, ſondern man ſieht auch
4) aus den eigenen Aeußerungen und dem Betragen der
europaͤiſchen Maͤchte, daß ſie dem in Europa hergebrachten
Gewohnheitsrechte ſelbſt dann einige Kraft beylegen, wenn
man auch nicht zeigen koͤnnte, daß in jedem individuellen
Verhaͤltniß gegen ſie die Gewohnheit ſchon bisher beſtanden
habe. Und wenn ſich gleich nicht eben dieſes von den Ver-
trags-
[5]Einleitung.
tragsrechten behaupten laͤßt, ſo dienen doch 4) Vertraͤge,
welche eine Macht mit einer andern eingegangen hat, oft
ihr und andern zum Muſter bey Schließung eines Ver-
trags aͤhnlicher Art mit andern Staaten c); oft wird
ſelbſt das, was mit einigen Voͤlkern durch Vertraͤge feſt-
geſetzt worden, gegen andere durch Herkommen eingefuͤhret
und als Gewohnheitsrecht beobachtet, ſo daß es Puncte
giebt, welche bey einigen als Vertrags-, bey andern als
Gewohnheitsvoͤlkerrecht gelten.
Aus dem Inbegriff dieſer am allgemeinſten unter
den mehreſten, inſonderheit den groͤßeſten europaͤiſchen
Staaten, es ſey durch viele unter einander uͤbereinſtim-
mende beſondere, ausdruͤckliche, oder ſtillſchweigende Ver-
traͤge, oder durch Herkommen eingefuͤhrten Puncte, laͤßt
ſich ein allgemeines poſitives, oder practiſches europaͤi-
ſche a) Voͤlkerrecht bilden. Es iſt leicht, dieſe Wiſſen-
ſchaft von andern Theilen der Staatswiſſenſchaft uͤber-
haupt, von dem Staatsrecht im engeren Sinne, von
dem Privat Fuͤrſtenrechte, von dem particulaͤr Voͤlker-
recht oder auswaͤrtigen Staatsrechte, von der Staats-
klugheit, Statiſtik u. ſ. f. zu unterſcheiden.
Daß, ſo wie unter den Menſchen uͤberhaupt, ſo
auch unter allen Voͤlkern eine natuͤrliche Geſellſchaft beſtehe,
laͤßt ſich zwar behaupten; aber eben ſo gewiß iſt es, daß
keine
[7]Einleitung.
keine allgemeine poſitive Geſellſchaft unter ihnen errichtet
worden. Daher gehoͤren die aus dem Begriff einer ſolchen
Ciuitas maxima herzuleitenden Rechte und Verbindlich-
keiten in das natuͤrliche Voͤlkerrecht und in die Voͤlker-
moral, und das Wolfiſche ſogenannte ius gentium volun-
tarium a), welches andere das modificirte nennen b) iſt
nicht als ein allgemeines poſitives Voͤlkerrecht zu betrach-
ten. Am wenigſten laͤßt ſich auf eine bloße, auf Ver-
nunftſchluͤſſe, nicht auf Handlungen beruhende, Vermuthung
des Willens eine poſitive Zwangsverbindlichkeit gruͤnden.
Daß zwiſchen Voͤlkern, die in eine poſitive Geſellſchaft
erweislich getreten ſind, aus dieſem Eintritte ſelbſt beſon-
dere Pflichten erwachſen, iſt wohl unlaͤugbar; aber auch
dieſe gehoͤren in das hypothetiſche natuͤrliche, nicht in das
poſitive Recht, auch dafuͤr iſt daher der Ausdruck ius
gentium voluntarium, oder willkuͤhrliches oder frey-
williges Voͤlkerrecht nicht voͤllig paſſend; paſſender iſt wohl
der des natuͤrlichen Geſellſchaftsrechts der Voͤlker.
Schon bey den alten Voͤlkern, inſonderheit bey den
Griechen und Roͤmern, findet man Spuren eines poſitiven
Friedens- und Kriegs Voͤlkerrechts a). Aber darauf laͤßt
ſich unſer heutiges Voͤlkerrecht nicht gruͤnden. Seit den
Zeiten der Voͤlkerwanderungen, gewann ganz Europa eine
neue Geſialt; erſt ſeit dieſer Zeit, und groͤßtentheils erſt
weit ſpaͤter, bildeten ſich ſtuffenweiſe unſere heutigen Sit-
ten. Hauptveranlaſſungen dazu gaben: die Einfuͤhrung
der chriſtlichen Religion b), des Syſtems der Hierarchie
mit allen ſeinen Folgen im geiſtlichen und weltlichen, die
Erfindung des Schießpulvers, die Entdeckungen Amerikas
A 4und
[8]Einleitung.
und des neuen Weges nach Indien, zunehmender Geſchmack
an Pracht und Luxus der Hoͤfe, Eroberungsſucht einzelner
in Europa hervorragenden Maͤchte, und dadurch vermehrte
Veranlaſſungen zu fortdauernden Beduͤrfniſſen, Einfuͤhrung
beſtaͤndiger Geſandſchaften, verfeinerte Handelspolitik und
Handelseiferſucht. Obgleich es daher bey manchen Punc-
ten unterhaltend und wichtig iſt, ihrer Quelle bis in die
fruͤheren Zeiten des Mittelalters nachzuſpuͤren, ſo kann
doch die zweyte Haͤlfte des 15ten Jahrhunderts als die
erſte Hauptepoche, die Zeit der Regierung Heinrichs IV.
von Frankreich als die zweyte, der weſtphaͤlſche Friede
als die dritte, und in mancher Ruͤckſicht der Anfang des
jetzigen Jahrhunderts als eine vierte Hauptepoche ange-
ſehen werden. Ob nicht mit der franzoͤſiſchen Revolution
auch im Voͤlkerrecht eine ganz neue Hauptepoche anzu-
fangen ſey, daruͤber kann erſt die Folge entſcheiden.
Die Geſchichte dieſes poſitiven Voͤlkerrechts muß
aus der Geſchichte, inſonderheit der letzteren Jahrhunderte,
ſo wohl von Europa uͤberhaupt, als von den einzelnen euro-
paͤiſchen Staaten geſchoͤpft werden, und nur in ausfuͤhr-
licheren Geſchichtsbuͤchern und Urkundenſammlungen kann
man Nachricht von den einzelnen, oft in ihrem Urſprunge
geringen Vorfaͤllen erwarten, denen manche unſrer heutigen
Gewohnheitsrechte ihr Daſeyn verdanken.
Griechen und Roͤmer kannten ein allgemeines Voͤl-
kerrecht, aber ohne es als einen beſonderen Zweig des von
den
[9]Einleitung.
den ſtoiſchen Weltweiſen mit dem allgemeinen Nahmen
ius gentium belegten Naturrechts zu behandeln a). Unter
den Truͤmmern des occidentaliſchen Kayſerthums mit begra-
ben, litt dieſe Wiſſenſchaft noch lange unter dem Drucke
der glaubenpredigenden Kirchenvaͤterb), unter dem Dunſt
ſcholaſtiſcher Spitzfindigkeiten und unter dem Unfug des
rechtverſchmaͤhenden Fauſtrechts; bis, nachdem in manchen
Landen Landfriede und Gerichte dem Unterthan das Schwert
aus den Haͤnden gewunden, und die Reformation die Feſſeln
des Geiſtes zerbrochen, auch fuͤr dieſen Zweig der proktiſchen
Philoſophie eine neue Morgenroͤthe daͤmmerte. Schwach
waren im 16ten Jahrhunderte die erſten Verſuche eines
Oldendorpc), Hemmingd) u. a., tieferdringender die nur
zu oft durch roͤmiſche und canoniſche Rechtsſaͤtze mißleiteten
Forſchungen des Albericus Gentilise); doch erſt Hugo
Grotiusf) erwarb ſich durch ſein unſterbliches Werk
de iure belli et pacis g), das, um die Rechte der Voͤl-
ker zu entwickeln, tief bis zu den Rechten der einzelnen
Menſchen herunter geht, den Nahmen des Vaters der
Wiſſenſchaft beydes des Natur- und Voͤlkerrechts; ſelbſt
das poſitive Voͤlkerrecht erkennt ihn als ſeinen erſten Lehrer,
obwohl er es faſt nur durch Beyſpiele aͤlterer Voͤlker
erlaͤuterte. Seinem Ruhm ſich anzuſchließen bemuͤht,
brachten einzelne ſein Werk unter ſehr verſchiedenen Formen
wieder hervor h), und uͤberhaupt wuchs nun ſichtbar der
Geſchmack an dem Studium des natuͤrlichen Rechts. Hob-
beſensi) uͤbertriebene, oft auch mißverſtandene Grundſaͤtze
wuͤrden der Wiſſenſchaft Gefahr gedrohet haben, haͤtte
er nicht an Lockek) und Cumberlandl) ihm gewach-
ſene Gegner gefunden. Puffendorfm), Gribnern),
Wolfo), unter den Teutſchen, Ruthenforthp) und
Burlamaquiq) u. a. unter den Auslaͤndern, leiſteten fuͤr
das Studium des allgemeinen Voͤlkerrechts wichtige Dienſte;
aber ſeit Puffendorf die Exiſtenz eines allgemeinen poſiti-
ven Voͤlkerrechts beſtritten, und Wolf ſich zu weit in
abſtrackte Speculationen verloren, ſchien das Studium
A 5des
[10]Einleitung.
poſitiven Voͤlkerrechts faſt vergeſſen zu ſeyn; nur daß doch
ſchon fruͤher Zuchaͤus r), nachmahls Textor s), Glafey t),
vorzuͤglich aber Vattel u) die Saͤtze des natuͤrlichen Rechts
durch haͤufigere Beyſpiele aus der neueren Geſchichte zu
erlaͤutern ſuchten.
Das poſitive Voͤlkerrecht mußte aus den aͤchten
Quellen deſſelben, aus Staatsvertraͤgen und andern oͤffent-
lichen Urkunden geſchoͤpft werden; daher diejenigen, die,
wie inſonderheit Leibnitz a) angefangen, Urkunden Samm-
lungen zu veranſtalten, den eigentlichen Weg, der zu dieſem
Studium fuͤhrt, gebahnt haben. Da dieſe Sammlungen
ſeitdem ſehr vervielfaͤltiget worden, da ſo manche ausfuͤhr-
lichere Geſchichtsbuͤcher, geſandſchaftliche Berichte u. ſ. f.
als reichhaltige Quellen fuͤr dieſes Studium erſchienen ſind,
ſo ſcheint es auffallend, daß eine Wiſſenſchaft von ſo aus-
gebreitetem Nutzen fuͤr alle Staͤnde, ſo lange unbearbeitet
geblieben; bis Moſerb) ſie aus der Vergeſſenheit gezo-
gen, und ſie, obwohl zu ſehr von dem allgemeinen Voͤl-
kerrecht getrennt, in ein Syſtem zu bringen verſuchte.
Seitdem ſind, theils in, theils außerhalb Teutſchland c),
obwohl mit ſehr verſchiedenem Gluͤcke, Verſuche in dieſer
Wiſſen-
[13]Einleitung.
Wiſſenſchaft gemacht worden, die zum Theil das fernere
Aufbluͤhn dieſer noch jungen Pflanze hoffen laſſen.
Eine fuͤr das Studium des poſitiven Voͤlkerrechts
geſammelte Bibliothek wuͤrde aus folgenden Hauptclaſſen
von Schriften beſtehen muͤſſen.
Da die Voͤlker Europens das Subject, die gegen-
ſeitigen Rechte aber das Object unſerer Wiſſenſchaft aus-
machen, ſo muß, ehe letztere eroͤrtert werden, eine Ueber-
ſicht der Voͤlker aus welchen Europa beſteht, vorangehn,
und naͤher unterſuchet werden, theils wie fern ſie zuſammen
genommen, im Gegenſatz der uͤbrigen Voͤlker des Erd-
bodens, als ein Ganzes angeſehen werden koͤnnen, theils
wie ſie unter ſich in Anſehung ihrer politiſchen Wichtig-
keit, ihrer Verfaſſung, ihrer Religion verſchieden ſind.
Ganz Europa iſt in Staaten und deren Territorien ver-
theilt, die, als eben ſo viele moraliſche Perſonen, unmit-
telbar auf dem Staatstheater von Europa eine Rolle ſpie-
len. Viele dieſer Staaten ſind voͤllig unabhaͤngig d. h. ſie
beherrſchen ſich durch ſich ſelbſt, ohne außer ſich auf der Erde
einen Oberherrn in Verwaltung ihrer Hoheitsrechte a)
anzuerkennen. Und da dieſer weſentliche Character der Un-
abhaͤngigkeit durch bloße Schutz- Tribut- oder Lehnverbin-
dung nicht aufgehoben wird, ſo koͤnnen auch Staaten die
Kraft eines ſolchen ungleichen Buͤndniſſes einen andren als
Schutz- b) Zins- c) oder Lehnherrn d) anerkennen, noch
als voͤllig Souverain angeſehn werden. Selbſt eine gleiche
Verbuͤndung mehrerer Staaten zu gemeinſchaftlicher Aus-
uͤbung gewiſſer Hoheitsrechte, hindert nicht, daß jeder derſel-
ben Souverain ſey. Auch die Macht oder Schwaͤche eines
Staats entſcheidet nichts in Anſehung ſeiner Souveraine-
taͤt, wenn ſchon ſchwache Staaten an Ausuͤbung mancher
Rechte verhindert werden, die ſie beſitzen e).
Es giebt aber in Europa auch Staaten die, obwohl
ſie ſich durch ſich ſelbſt beherrſchen, theils weil ihnen ein-
zelne Hoheitsrechte abgehn, theils inſonderheit weil ſie außer
ſich noch einen hoͤheren Oberherrn auf der Erde anerkennen
nicht als voͤllig. Souverain anzuſehn ſind, Abhaͤngige
B 4(halb-
[24]Erſtes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
(halbſouveraine) Staaten. Sofern indeß dieſe das Recht
haben in eigenem Nahmen mit Auswaͤrtigen in Verhand-
lung zu treten, und in allen den Puncten, in welchen ſie
durch ihre Unterwuͤrfigkeit nicht beſchraͤnkt werden, unter
einander und gegen Auswaͤrtige auf den Fuß unabhaͤngiger
Voͤlker ſich zu betragen, ſofern gehoͤren auch dieſe abhaͤngige
Staaten unmittelbar zu dem Subject unſrer Wiſſenſchaft.
Unterworfene Staͤdte, Provinzen u. ſ. f. eines Staats oder
Staatenſyſtems f) hingegen, ſofern ſie nur von dieſem be-
herrſcht werden, und ihre auswaͤrtige Angelegenheiten nur
von dieſem, oder aus deſſen Auftrage von ihnen betrieben
werden, gehoͤren nur mittelbar zu dem Subject des Euro-
paͤiſchen Voͤlkerrechts, wenn ihnen auch gleich in Anſehung
ihrer inneren Einrichtung und Verwaltung manches uͤber-
laſſen waͤre.
Die Zahl der Europaͤiſchen Staaten hat ſeit den Zei-
ten der Voͤlkerwanderungen ſich unaufhoͤrlich veraͤndert; ſie
iſt bald durch die ehemahls ſo haͤufigen Theilungen, oder
durch Bildung einzelner unterworfener Theile eines Staats
zu eigenen unabhaͤngigen oder abhaͤngigen Staaten ver-
mehrt, bald durch reelle, gleiche oder ungleiche Union meh-
rerer Staaten in einen, oder durch Zerſplitterung eines
Staats vermindert worden.
Man kann auf eine Zeit zuruͤckgehn, wo zwiſchen den
Voͤlkern Europens gar keine allgemeine Verbindung beſtand.
Erſt nachdem die Roͤmer nach der Unterjochung Griechen-
lands ſich Meiſter von dem groͤßeſten Theil Europens mach-
ten, konnten die mehreſten Voͤlkerſchaften dieſes Erdtheils
als einem Scepter unterworfen angeſehn werden. Das
ſchwache Band das aus dieſer Nominal-Verbindung ent-
ſtand, ward durch das beruͤhmte Decret des Caracalla, das
B 5allen
[26]Erſtes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
allen Ueberwundenen das Roͤmiſche Buͤrgerrecht ertheilte a),
durch Gleichfoͤrmigkeit der Geſetze, aber mehr noch durch
die chriſtliche Religion befeſtiget, zu der die mehreſten der
uͤberwundenen Voͤlker ſich bekannten. Zwar loͤſte ſich dies
Band mit dem Sturz des occidentaliſchen Kaiſerthums wie-
der auf, aber zum zweytenmahl knuͤpfte Rom daſſelbe dauer-
hafter an, ſeit deſſen Biſchof ſich zum geiſtlichen Oberhaupt
der ganzen, unzertrennlich uͤber alle chriſtliche Staaten er-
ſtreckten Kirchen-Geſellſchaft erhob, und an ſeiner Seite
den von ihm hervorgerufnen Roͤmiſchen Kaiſer als das welt-
liche Oberhaupt der chriſtlichen Kirche geltend zu machen
wuſte. Jetzt glich Europa in mancher Ruͤckſicht einer großen
ungleichen Staatengeſellſchaft, die dem Pabſt im Geiſtlichen
unterworfen, dem Kaiſer untergeordnet waͤre.
Zwar ward auch dieſes Verhaͤltniß ſehr veraͤndert, als
mit der Reformation eine betraͤchtliche Zahl Staaten ſich
von der Roͤmiſchen Kirche trennte, und das Sinken des
Anſehns des Pabſts, auf das des Kaiſers zuruͤckwirkte; Koͤ-
nige nun in dem geglaubten Nachfolger des Oberherrn der
Welt, nur ihres Gleichen erblickten.
Doch ſchon hatte gegenſeitiges Intereſſe, gelaͤuterte
Staats- und Handelspolitik, Aehnlichkeit der Sitten, Bluts-
verwandſchaft unter den Fuͤrſten, der einzelnen Verbindungs-
Faͤden ſo viele angeſponnen, daß ſelbſt die Theilung welche
blutige Religionskriege eine zeitlang veranlaßten, weder alle
dieſe Bande zerreiſſen, noch das Anknuͤpfen neuer, von der
Religions-Verſchiedenheit unabhaͤngiger, Verbindungen
hemmen konnten. Und dieſe zahlloſen Verbindungen eines
jeden dieſer Staaten mit den mehreſten der uͤbrigen, dieſe
Aehnlichkeit der Sitten, des Intereſſe, ſind es, um deren
willen das chriſtliche Europa nicht bloß in geographiſcher,
ſondern in politiſcher und rechtlicher Ruͤckſicht, als ein von
den uͤbrigen Voͤlkern des Erdbodens unterſchiedenes Ganze,
gleichſam als ein aus Staaten zuſammengeſetztes Volk, das
ſeine ihm eigene Geſetze, Gebraͤuche, Grundſaͤtze hat, zu
betrachten
[27]Allgemeine Verbindung der Europ. Staaten.
betrachten iſt. Eine Verbindung, der erſt ſpaͤter Rußland, die
Tuͤrkey nie im Ganzen beygetreten iſt. Wie uͤbrigens in
einem Volke gewiſſe Staͤmme und Gemeinheiten in noch
naͤherer, andere in entfernterer Verbindung ſtehn koͤnnen,
ſo giebt es auch unter den Europaͤiſchen Staaten einige die
in engerem Verhaͤltniß gegen einander ſtehn; bald ſo daß
ſie eine Perſon zum Oberherrn haben, oder Kraft ewiger
Buͤndniſſe ſich zu einem eigenen Staatenſyſtem vereiniget
haben, bald ſo, daß ſie in ungleichem Verhaͤltniſſe gegen ei-
nen andren, wie z. B. die catholiſche Staaten gegen den
Pabſt und die Kirche, oder die Mitglieder eines zuſammen-
geſetzten Staats gegen deſſen Oberhaupt ſtehn, bald ſo, daß
ihre geographiſche Lage ſie zu einem gemeinſamen Intereſſe
vereiniget; wohingegen es andern giebt, die weder Vertraͤge
noch Verkehr mit einander haben, und ſich kaum zu kennen
ſcheinen.
Daß dieſes große Europaͤiſche Staatenvolk ſich je ent-
ſchließe zu Erhaltung eines ewigen Friedens in einen Staat,
in eine Univerſal-Monarchie oder Republik ſich zu verei-
nigen b), iſt weder zu erwarten, noch in aller Hinſicht zu
wuͤnſchen. Reichstaͤge und Gerichte gewaͤhren nicht ewigen
Frieden, wo die Vollziehung Armeen erheiſcht.
Wenn die Politik die Staaten von Europa, bald
nach ihrer geographiſchen Lage und dem daraus erwachſenen
Intereſſe, in nordiſche, ſuͤdliche, oͤſtliche und weſtliche Maͤchte,
bald nach der Verſchiedenheit ihrer politiſchen Wichtigkeit in
Maͤchte der erſten, 2ten, 3ten, 4ten Ordnung eintheilt a),
ſo iſt in dem Voͤlkerrecht die Eintheilung in voͤllig Sou-
veraine, (unabhaͤngige) und nicht ganz (halb) Souveraine,
(abhaͤngige) und ſolche uͤber deren Souverainetaͤt noch
geſtritten wird, wichtiger. Und da der zufaͤllige Umſtand
daß die maͤchtigſten Staaten in Europa Koͤnigreiche waren,
dieſen vor andren Vorzuͤge verſchaft hat, deren Inbegriff
man mit dem Nahmen der Koͤniglichen Ehrenbezeigungen
belegt, zum Theil aber auch auf andern Staaten ausge-
dehnt hat, ſo iſt im poſitiven Voͤlkerrecht auch die Einthei-
lung der Staaten in ſolche die dieſer Vorzuͤge genießen
und nicht genießen, erheblich, und vielleicht der unbeſtimm-
ten Eintheilung in große und kleine Staaten b) vorzuziehn,
obwohl beide im natuͤrlichen Recht nicht gegruͤndet ſind.
Zu den voͤllig Souverainen monarchiſchen Staaten
welche in den unſtreitigen Beſitz der Koͤniglichen Ehrenbe-
zeugungen ſind, gehoͤren: im Mittelpunct Europens. 1) das
teutſche Reich; im Suͤdlichen Theil von Europa 2) Por-
tugal, (Luſitanien und Algarbien) 3) die aus vielen urſpruͤng-
lich
[29]Eintheilung der Europaͤiſchen Staaten.
lich verſchiedenen Koͤnigreichen zuſammengeſetzte Spaniſche
Monarchie 4) Frankreich (ob Koͤnigreich oder Republik
iſt noch unentſchiedene Frage); 5) Neapel und Sicilien,
6) Sardinien; 7) der Kirchenſtaat; im Norden 8) Daͤ-
nemark und Norwegen, 9) Schweden und Gothland,
10) Preußen 11) Rußland 12) Polena) 13) unter Oeſterrei-
chiſchem Zepter Ungarn und Boͤhmen, Gallicien und Lo-
domerien; im Weſten 14) Großbritannien und Irland
im Oſten 15 die Tuͤrkey. Unter den anerkannten Republi-
ken: im Suͤden Venedig; endlich die beiden Syſteme frey
verbuͤndeter Staaten, die vereinigten Niederlande im We-
ſten b) und die Schweizer Eidgenoſſenſchaftc). Ob auch
Genua und der Maltheſer Orden dieſen Koͤniglichen Staa-
ten beyzuzaͤhlen ſeyn, wird geſtritten.
Zu den uͤbrigen ganz Souverainen Staaten gehoͤren,
unter den monarchiſchen, Schleſien und die Grafſchaft Glatz,
das Fuͤrſtenthum Neuburg, das Bisthum Baſel; die
Abtey Engelberga) die Fuͤrſtenthuͤmer Monaco, Bouil-
lon (ſonſt auch Henrichemont und Boisbelle), unter den
Republicaniſchen Lucca, San-Marino, Raguſa, die
einzelnen 7 Provinzen der vereinigten Niederlande ſamt
dem Laͤndchen Drenthe, die einzelnen eidgenoſſiſchen Can-
tons und die mehreſten der zugewandten Orte [Aſſociirte b)
und Alliirte c)], imgleichen, der kleinſte aller Europaͤiſchen
Staaten, der Flecken Gerſaud).
Zu den nicht ganz unabhaͤngigen Staaten gehoͤren
1) die Territorien der Churfuͤrſten (welche allein ſich auf
den Beſitz der Koͤniglichen Ehrenbezeugungen berufen koͤn-
nen) der Fuͤrſten und uͤbrigen Staͤnde des Reichs, ſelbſt
mit Inbegriff der Beſitzungen der Reichsritterſchaft und
einzelnen Reichsritter 2) diejenigen der Italieniſchen Fuͤr-
ſtenthuͤmer welche vom teutſchen Reich abhaͤngig ſind, und
zu Lehn gehn a), 3) die Hoſpodaren der Moldau und Wal-
lacheyb) 4) die Staͤdte Thorn und Biel; Danzig kann
ſeit ſeiner Unterwerfung an Preußen c). Curland und Sem-
gallen ſeit ſeiner Unterwerfung an Rußland d) eigentlich
nicht mehr hieher gezaͤhlet werden.
Endlich giebt es Staaten deren voͤllige Unabhaͤngig-
keit noch beſtritten wird. Dahin gehoͤren in Hinſicht der
Anſpruͤche des teutſchen Reichs (Boͤhmen, Schleſien,)
Belgien, Genua, Lucca, einige der zugewandten Orte der
Schweiz; unter den Italieniſchen Staaten inſonderheit Tos-
cana, Parma, Piacenza u. ſ. f. a) Auch fehlt es in Teutſch-
land nicht an Beyſpielen von beſtrittener Landeshoheit b).
Die mehreſten der groͤßeren Europaͤiſchen Staaten
graͤnzen mit einem Theil ihrer Beſitzungen an das Meer,
und koͤnnen in ſofern Seeſtaaten genannt werden. Weil
aber zu einer Seemacht die Unterhaltung einer Kriegs-
flotte erfordert wird a), ſo ſind in dieſem Sinne, im Ge-
genſatz der bloßen Landmaͤchte, nur folgende als Seemaͤchte
zu betrachten: 1) Großbritannien, 2) die vereinigten Nie-
derlande, 3) Spanien, 4) Portugal, 5) Sicilien, 6)
Daͤnemark, 7) Schweden, 8) die Tuͤrkey 9) die Repu-
blik Venedig, wozu auch 10) ſeit dem 17ten Jahrhundert
Frankreich und 11) ſeit dem 18ten Rußland hinzugekom-
men; die uͤbrigen ſind entweder nie Seemaͤchte geweſen,
wie das teutſche Reichb), Polen die Schweiz, Ungarn,
mehrere Staaten Italiens, oder haben aufgehoͤret es zu
ſeyn, wie die Hanſeeſtaͤdte, und Genuac).
In noch engerem Sinne ſetzt man zuweilen diejeni-
gen die ihre Hauptmacht zur See haben, oder deren Macht
uͤberwiegend zur See iſt, als Seemaͤchte den uͤbrigen ent-
gegen. In beiden Ruͤckſichten nannte man ſeit dem Ende
des 17ten Jahrhunderts d) Großbritannien und die ver-
einigten Niederlande die Seemaͤchte: jetzt paßt auf die
Niederlande dieſer beybehaltene Ausdruck nur noch in der
erſteren Ruͤckſicht.
So verſchieden die Europaͤiſchen Staaten in ihrer
Macht und Ausdehnung ſind, eben ſo ſehr ſind ſie es in
Anſehung ihrer Verfaſſung; und obgleich die naͤheren Un-
terſuchungen hieruͤber in das Staatsrecht gehoͤren, ſo iſt
doch bey dem Einfluſſe der Verſchiedenheit der inneren Ver-
faſſung auf manche Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts, eine all-
gemeine Ueberſicht derſelben hier nicht am unrechten Orte.
Die Hauptveraͤnderung welche durch den Uebergang
aus dem natuͤrlichen in den buͤrgerlichen Zuſtand erfolget,
iſt die Vereinigung des Willens und der Kraft der ein-
zelnen Mitglieder in einen gemeinſamen Willen und in eine
gemeinſame Kraft fuͤr alles was auf den Zweck des Staats,
hoͤchſtmoͤgliche Sicherheit und Wohlfahrt aller Mitglieder,
abzielt. Aus dieſem vereinigten Willen und dieſer verei-
nigten Kraft beſteht die reelle Majeſtaͤt, welche als ein
bloßes ens rationis keinen Staat regieren kann. Noth-
wendig muß feſtgeſetzt werden, wer das Recht haben ſoll
zu beſtimmen was als der Wille aller, in den Handlungen
der Mitglieder gelten ſoll, und wie die Kraͤfte der Indi-
viduen fuͤr den Zweck des Staats verwendet werden ſollen;
wem dieſes Recht uͤbertragen iſt, der iſt der Verwalter der
geſetzgebenden und vollziehenden Gewalt, auf die ſich alle
Hoheitsrechte zuruͤckfuͤhren laſſen.
Iſt dieſes Recht einer phyſiſchen Perſon uͤbertragen,
ſo iſt die Verfaſſung monarchiſch, und perſoͤnliche Majeſtaͤt,
Unab-
[33]Verſchiedenheit der Regierungsformen.
Unabhaͤngigkeit und Unverletzlichkeit des Regenten ſind un-
zertrennliche Folgen dieſer Verfaſſung.
Iſt dieſes Recht einer moraliſchen Perſon uͤbertra-
gen, ſo iſt der Staat Republicaniſch, wenn auch die Aus-
uͤbung eines oder andern Hoheitsrechts einer phyſiſchen Perſon
anvertrauet waͤre, die als Beamter Unterthan des Staats
iſt. Democratiſch nennt man dieſe Verfaſſung, wenn alle
oder der groͤßeſte Theil der natuͤrlich regierungsfaͤhigen Mit-
glieder an dieſer Verwaltung Theil zu nehmen berechtiget
ſind und wirklich (mittelbar oder unmittelbar) Theil neh-
men, Ariſtocratiſch wenn dies ein vorzuͤgliches Recht einer
kleineren Zahl Familien iſt.
Daher iſt unter den Staaten die ein gekroͤntes Ober-
haupt haben auch Teutſchland noch eine Monarchie, daher
ſind Venedia und Genua, ungeachtet ihres Dogen, Repu-
bliken a), daher waren die einzelnen 7 Provinzen der ver-
einigten Niederlande auch unter einem erblichen Statthal-
ter Republiken b).
In Anſehung der Thronfolge ſind monarchiſche Staa-
ten entweder Erbreiche, oder Wahlreiche, oder aus beiden
gemiſcht. In den Erbreichen iſt Erbfolge-Recht und Ord-
nung a) entweder durch Herkommen, oder durch Grund-
geſetze, oder durch Familienvertraͤge oder ſelbſt, wie in Eu-
ropa mehrmahls geſchehn, durch Vertraͤge mit auswaͤrtigen
Maͤchten beſtimmt oder beſtaͤdtiget b). In Wahlreichen iſt
das Recht der Wahl entweder in den Haͤnden der Staͤnde,
wie in Polen der Fall war, oder einiger unter ihnen, wie
in Teutſchland, oder, wie in geiſtlichen Staaten und in
Rom, in den Haͤnden der Capitel- oder des Cardinals-
CColle-
[34]Erſtes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Collegiums. In einigen Monarchien iſt ein Gemiſch c)
von Wahl und Erbrecht, wie in Rußland, ſofern die Ukaſe
PeterI. noch als verbindliches Grundgeſetz anzuſehn iſt c),
und in der Tuͤrkey, ſofern dem Divan aus mehreren Nach-
kommen des Propheten einen Thronfolger zu ernennen
zuſteht e).
Wenn in monarchiſchen Staaten dem Regenten der
ganze Inbegriff der hoͤchſten Gewalt ohne poſitive Be-
ſchraͤnkun-
[35]Verſchiedenheit der Regierungsformen.
ſchraͤnkungen, zu verwalten zuſteht, ſo iſt der Staat deſpo-
tiſch, wie die Tuͤrkeya) und ein großer Theil des Ruſſi-
ſches Reichs b); iſt er zwar dem Regenten allein uͤbertra-
gen, aber die Ausuͤbung deſſelben an poſitive, in Grundver-
traͤgen oder Grundherkommen gegruͤndete Einſchraͤnkungen
gebunden, ſo iſt der Staat monarchiſch im eigentlichen Sinn
(unpaſſend, aber gewoͤhnlich unumſchraͤnkte Monarchie ge-
nannt.) Dies iſt der Fall mit Daͤnemark, einem großen
Theil Spaniens, Preußen, Sicilienc). Iſt er end-
lich dem Regenten ſo uͤbertragen, daß an der Ausuͤbung
eines Theils der Hoheitsrechte das Volk noch Antheil hat,
ſo iſt der Staat eine eingeſchraͤnkte Monarchie. Auch hievon
giebt es mannigfaltige Stuffen, je nachdem dieſer Antheil
entweder nur in Rath, oder in Einwilligung, oder in wahre
Vertheilung der Rechte beſteht, und entweder nur in Anſe-
hung einzelner, oder vieler, oder der mehreſten Rechte eintritt.
So war ehemahls in Frankreichd) und iſt noch in Por-
tugall (in der Theorie) in Ungarne), Boͤhmenf) und
Schwedeng) die Einwilligung der Staͤnde zu einzelnen
Hoheitsrechten noͤthig; ſo iſt in Großbritannienh) die ge-
ſetzgebende Gewalt mit Inbegriff des Rechts der Steuern
zwiſchen dem Koͤnig und dem Volk vertheilt; ſo ſind in
Teutſchland die mehreſten und wichtigſten Hoheitsrechte
an den Conſens der Staͤnde gebunden, oder gar zwiſchen
Kaiſer und Staͤnden getheilt. Iſt endlich die geſetzgebende
Gewalt dem Volk allein beygelegt, und dem Oberhaupt
wohl gar nur ein Theil der executiviſchen uͤberlaſſen, ſo er-
haͤlt ſich nur noch ein Schatten der Monarchie in der per-
ſoͤnlichen Unabhaͤngigkeit des Regenten und verſchwindet
wenn ihm dieſe entzogen wird i).
Faſt eben dieſe Stuffenfolge laͤßt ſich auf republica-
niſche Verfaſſung anwenden. Iſt dem ariſtocratiſchen, von
ausſchließlich (durch bloße Geburth oder durch hinzugekom-
mene Wahl) regierungsfaͤhigen Mitgliedern zuſammengeſetz-
ten Senat die hoͤchſte Gewalt ohne poſitive Schranken uͤber-
tragen, ſo iſt dieſer Freyſtaat! deſpotiſch; iſt ſie zwar ſei-
ner alleinigen Ausuͤbung uͤberlaſſen, aber an poſitive Geſetze
gebunden, ſo heißt er unumſchraͤnkt; wie Venedig und Ge-
nua; iſt die Ausuͤbung derſelben noch an den Rath, Ein-
willigung oder Theilnahme a) des Volks, oder ſeiner Re-
preſentanten gebunden, ſo naͤhert ſich dieſe Verfaſſung ſtuf-
fenweiſe der Democratie, und verliert ſich in ſelbige, wenn
dieſer Senat dem Volk unterthan gemacht wird.
Die voͤlligſte Democratie ſetzt Theilnahme aller na-
tuͤrlich regierungsfaͤhigen Mittglieder an den Beſchluͤßen der
Landesgemeine voraus (wie in Schwiz, Uri, Unterwalden).
Iſt, wie nothwendig in großen Staaten, die Theilnahme
der mehreſten Mitglieder nur eine mittelbare, durch von
ihnen ernannte Repreſentanten, oder ſonſt an poſitive Er-
forderniſſe gebunden, ſo traͤgt dieſe aͤußerlich noch democra-
tiſche Verfaſſung oft unter der Larve der Gleichheit und Frey-
heit den Keim der Ariſtocratie in ſich, und die Allgewalt der
Verſammlung graͤnzt an Deſpotismus.
Wenn mehrere freye Staaten ſich durch ein gleiches
ewige Buͤndniß zu gegenſeitiger Vertheidigung, wie die
Eidgenoſſenſchaft, oder zu gemeinſamer Ausuͤbung gewiſ-
ſer Hoheitsrechte, wie die Provinzen der vereinigten Nie-
derlande, verbinden, ſo bilden ſie ein Staatenſyſtem, das
zwar in Hinſicht auswaͤrtiger als ein Ganzes, aber ſo lange
nicht als ein Staat oder Republik angeſehn werden kann,
als ſie keine gemeinſame hoͤchſte Gewalt uͤber ſich erkennen;
ſelbſt wenn ſie, wie bisher in den Niederlanden, eine phy-
ſiſche Perſon erblich zum eminenten Haupt dieſer Union be-
ſtellet haͤtten. Erſt dann, wenn mehrere Staaten unter
einer gemeinſamen hoͤchſten Gewalt einen Staat bilden,
entſteht der Begriff eines zuſammengeſetzten Staats. Da-
von giebt Teutſchland ein Beyſpiel, nicht aber die Ita-
lieniſchen Reichslande.
Ein großer Theil von Europa und ſelbſt von Aſien
und Africa war ſchon zur chriſtlichen Religion a) uͤberge-
gangen, als im Anfang des 7ten Jahrhunderts Mahomet
ſeine Irrlehren zu verbreiten anfing. Seine Nachfolger,
nicht zufrieden in Perſien, Sirien, klein Aſien, Egypten
und Africa ihre Religion mit dem Schwerdt in der Hand
eingefuͤhret zu haben, uͤberfielen auch im 8ten Jahrhundert
Spanien und beſiegten es. Zwar wurden ſie aus dieſem
Staat ſtuffenweiſe verdraͤngt und ihr Ueberreſt 1610 gaͤnz-
lich verjagt; auch war es auf einer andren Seite Gewinn
fuͤr die chriſtliche Religion, daß ſie in Teutſchland im
7ten in Schweden, Daͤnemark, Boͤhmen im 10ten,
in Preußen im 13ten Jahrhundert, und durch Miſſionen
vom Orient aus in Ungarn, Polen und Rußland einge-
fuͤhret wurde. Aber die Schwaͤche der griechiſchen Kaiſer
und ihrer Nachbarn, und der erkaltende Religions Eifer
der uͤbrigen Maͤchte, gaben den Tuͤrken Veranlaſſung 1360
feſten Fuß im Oſten von Europa zu faſſen, und durch Er-
oberung von Conſtantinopel 1453 den Grund zu der einzi-
gen noch in Europa beſtehenden nicht chriſtlichen Monarchie
zu legen, deren dauerhafteſte Stuͤtze jetzt nur noch die eifer-
ſuͤchtige Sorge einzelner Europaͤiſchen Maͤchte fuͤr das Gleich-
gewicht des Handels und der Macht zu ſeyn ſcheint.
In dem Schooße der chriſtlichen Kirche ſelbſt aber
entſtand ſeit, unter mehreren Biſchoͤfen von hervorragenden
Anſehn, dem Biſchof zu Rom und dem Patriarchen zu
Conſtantinopel das Feld allein uͤbrig geblieben war, ein
Heer
[39]Von dem Religions-Zuſtande in Europa.
Heer von Zwiſtigkeiten, die im 11ten Jahrhundert eine
gaͤnzliche Trennung der griechiſchen und lateiniſchen Kirche
bewuͤrkten, von welchen jene nur noch in Rußland die
herrſchende iſt, und in Ungarn Polen und der Tuͤrkey
auch hin und wieder in Theilen anderer Staaten geduldet
wird, aber kein gemeinſames hoͤchſte geiſtliche Oberhaupt
erkennt, indeß die Lateiniſche die bis ins 16te Jahrhundert
die uͤbrigen Theile von Europa begriff, im geiſtlichen den
Pabſt als Oberhaupt der Kirche erkannte, dem auch ein
Theil der Griechen, unter dem Nahmen der Unirten, ſich
wieder bedingt unterworfen hat.
Seit aber Luthers Reformation in Teuſchland und
Zwingli hernach Calvins Reformation in der Schweiz feſten
Fuß gefaßt, und, obwohl unter ungluͤcklichen hier und dort
zwiſchen den Anhaͤngern dieſer beiden Reformationen, ent-
ſtandenen Streitigkeiten Luthers Lehre in Preußen 1525, bald
darauf in Danemark, ſpaͤter in Schweden angenommen,
Calvins Lehre in Holland, und mit ungleichem Schickſal
in Frankreich verbreitet worden, England und Schott-
land nach dieſen Muſtern ihre eigene Reformation vor-
genommen, ward das Ende der nahmenloſen Streitigkei-
ten, Verfolgungen und blutigen Kriege denen dieſe Ver-
ſchiedenheit der Glaubensmeinungen, bald zum Grund, bald
zum Vorwand dienten, dieſes, daß ein betraͤchtlicher Theil
Europens ſich ganz von der Roͤmiſchen Kirche getrennt und
jeder dieſer Staaten fuͤr ſich eine Kirche gebildet hat, ohne
zwiſchen mehreren Staaten auch nur eine gleiche Geſell-
ſchaft zu Ausuͤbung der kirchlichen Gewalt zu ſchließen a);
der uͤbrige Theil der ehemahligen Mitglieder der Roͤmi-
ſchen Kirche, als der groͤßeſte Theil von Europa aber,
zwar noch jetzt den Pabſt als gemeinſames Oberhaupt der
Kirche erkennt, doch nach Verſchiedenheit des angenommenen
Syſtems, und der geſchloßenen Concordate b), deſſen allge-
mein beſchraͤnktere Macht zum Theil noch mehr beſchraͤnkt hat.
C 4Frank-
[40]Erſtes B. Viert. Hptſt. V. d. Relig. Zuſtande ꝛc.
Frankreich hat bey ſeiner Revolution ſich von der Roͤmiſchen
Kirche getrennt, ohne noch eine andere an deren Stelle zu
ſetzen.
Eine Folge dieſer Religions-Schickſale iſt auch dieſe,
daß in einigen Landen wie in Daͤnemark, Schweden, England,
Holland die proteſtantiſche Religion, in andren, wie in Por-
tugal, Spanien, Italien, Polen, die catholiſche Religion
allein oͤffentlich geuͤbt wird, in andren, wie im teutſchen
Reich im Ganzen beide Religionen gleicher Rechte genießen.
Wo nur eine Religion die herrſchende iſt, da beſtimmen
Grundgeſetze, zuweilen ſelbſt Vertraͤge mit auswaͤrtigen Maͤch-
ten, oder in deren Ermangelung der Wille des Souve-
rains, wiefern und in welchem Grad die andern, imgleichen
wiefern eine oder die andere der vielen ſonſt entſtandenen
chriſtlichen Religions-Secten, wie die der Socinianer Ana-
baptiſten, Herrnhuter u. ſ. f., deren keine in einem Staat
die herrſchende iſt, wiefern ſelbſt Juden ihre Religion uͤben,
oder geduldet werden ſollen a).
Wenn man unter Eigenthum das ausſchließliche Recht
eine Sache zu gebrauchen und uͤber ſie zu diſponiren ver-
ſteht, ſo ſind in dem abſoluten Zuſtande der Voͤlker, wie
der Individuen gegen einander, alle Guͤter in der Welt
von Eigenthum frey (res nullius) und dem Gebrauch eines
jeden zu ſeinem Beduͤrfniß, Nutzen und Vergnuͤgen uͤber-
laſſen; und darinn beruhet die ſo hoch geruͤhmte communio
bonorum primaeva a). Aber nicht nur das Recht des Ge-
brauchs, ſondern auch das Recht der Erwerbung des Eigen-
thums gehoͤret zu den abſoluten Rechten der Menſchen b)
als ein Mittel ihren Zuſtand vollkommener zu machen: das
Eigenthum ſelbſt aber, zu den erworbenen. Erwerbungs-
mittel deſſelben ſind Occupation und Vertraͤge. Beide ſind
zwar auch zwiſchen Voͤlkern nach den Grundſaͤtzen des Na-
turrechts zu beurtheilen, doch leidet dieſes in Anwendung
auf ſie manche eigene natuͤrliche und poſitive Modificationen.
Soll durch Occupation Eigenthum erworben werden,
ſo muß 1) phyſiſch moͤglich ſeyn die zu erwerbende Sache
in die Umſtaͤnde zu bringen, daß man ausſchließlich daruͤber
diſponiren kann. Dies iſt zwar Voͤlkern in ausgedehnte-
rem Maaße als Individuen moͤglich, doch entſtehn auch in
Anſehung ihrer hieraus Beſchraͤnkungen z. B. in Anſehung
des weiten Weltmeers; es muß 2) moraliſch moͤglich ſeyn
andere von dem urſpruͤnglich gemeinſchaftlichen Gebrauch
auszuſchließen. Dies iſt aber nur dann der Fall, wenn
unſer Nutze oder unſre Sicherheit den ausſchließlichen Beſitz
erfordert, daher kann nach natuͤrlichem Recht eine Nation
ihre Occupation nicht ins unendliche ausdehnen a), daher
koͤnnen die Sachen die, wie das weite Weltmeer, zu Be-
friedigung der Beduͤrfniſſe des Menſchengeſchlechts auch dann
hinreichen, wenn ſie gemeinſchaftlich bleiben, und deren Com-
munion niemandem Gefahr drohet, nicht mit Recht von
einer Nation occupirt werden, 3) die zu erwerbende Sache
muß noch herrenlos geblieben, oder wieder geworden ſeyn.
Da das Recht Eigenthum zu erwerben allen Menſchen, un-
abhaͤngig von ihrer Religion und Aufklaͤrung, auf gleiche
Weiſe zuſteht, ſo koͤnnen chriſtliche Voͤlker Lande welche
die Wilden ſchon wirklich occupirt haben nicht mit Recht
in Beſitz nehmen b).
Es muß auch 3) die Occupation wirklich erfolget ſeyn;
dieſe erfordert Beſitznahme, und hinreichend erklaͤrten Willen
Eigen-
[43]Erwerbung des Eigenthums.
Eigenthuͤmer der Sache zu werden. Daher kann 1) die
bloße Erklaͤrung einer Nation, daß ſie einen Diſtrickt ſich
zueignen wolle, den ſie noch nicht in Beſitz genommen, die
uͤbrigen Maͤchte an den Gebrauch oder die Beſitznahme
deſſelben nicht verhindern; eben ſo wenig kann 2) eine Schen-
kung des Pabſts a) ſelbſt wenn dieſer als Statthalter
Chriſti betrachtet wird, oder ein Vertrag zweyer Voͤl-
ker b) den Rechten anderer Voͤlker Grenzen ſetzen; auch
3) das bloße Beſuchen eines Landes oder einer Inſel, wenn
dieſe ohne Zeichen des behaupteten Eigenthums zuruͤckzu-
laſſen wieder verlaſſen worden, andere Voͤlker an deren Oc-
cupation nicht verhindern. Ob aber bloße Zeichen, wie
Wappen, Kreuze, Inſchriften u. ſ. f. zu Erwerbung und
Erhaltung des Eigenthums hinreichen, und nicht wirklicher
Anbau erfordert werde, iſt, wenigſtens zweifelhaft, und
mehrmahls geſtritten c).
Wenn eine Nation einen Landdiſtrict in Beſitz ge-
nommen hat, ſo ſind alle innerhalb ſeines Umkreiſes gele-
gene herrenloſe Landtheile auch ohne ſpecielle Beſitznahme
als
[44]Zweytes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
als ihr ausſchließliches Eigenthum anzuſehn, ſelbſt diejeni-
gen, welche ſie unbenutzt, oder als oͤffentliche Wege fuͤr den
Gebrauch aller frey laͤßt. Der aͤußere Umkreis des Landes
iſt zuweilen durch natuͤrliche Grenzen (Meere, Fluͤſſe, Ge-
waͤſſer, Berge, Waldungen) zuweilen, in deren Ermange-
lung, durch kuͤnſtliche, (Landwehre, Saͤulen, gezeichnete
Baͤume u. ſ. f.) beſtimmt. Wenn es aber hieran fehlt,
ſo kann die Ausdehnung des Gebiets nicht weiter angenom-
men werden, als das Land von dieſer Nation benutzt oder
deſſen Occupation erwieſen wird. Weiter hat ſie daher kein
Recht fremde Voͤlker an der Beſitznahme zu hindern a),
wenn dieſe nicht auf ſolche Verzicht geleiſtet haben b).
Iſt zwiſchen zweyen Voͤlkern die Grenze zwar durch Berge,
Heerſtraßen, Waͤlder u. ſ. f. beſtimmt, aber das Eigenthum
derſelben ſtreitig, ſo gehoͤren ſie im zweifelhaften Fall einem
jeden zur Haͤlfte.
Alle innerhalb des occupirten Diſtricts gelegene Land-
ſeen und Fluͤſſe ſind, ſo wie das Land ſelbſt, Eigenthum
der Nation, mit Ausſchluß aller Fremden. Auch von
Grenzfluͤſſen ſammt den in ſelbigen befindlichen Inſeln, iſt
im zweifelhaften Fall anzunehmen, daß ſie, ſo weit das
Gebiet reicht, und bis ans entgegengeſetzte Ufer unter der
Occupa-
[45]Erwerbung des Eigenthums.
Occupation mit begriffen ſeyn. Iſt aber das entgegenge-
ſetzte Ufer ebenfalls occupirt, und nicht auszumachen, welche
von beiden Nationen zuerſt Beſitz ergriffen, ſo iſt, bey
der Gleichheit ihrer Rechte, anzunehmen, daß beide zugleich
occupirt haben, und in der Mitte des Fluſſes ſich begeg-
neten, folglich jede Eigenthuͤmerinn des Fluſſes bis zur
Haͤlfte, und der in dieſer Haͤlfte gelegenen Inſeln oder
der Theile derſelben geworden a), wenn ſie nicht durch
Vertraͤge ein anderes feſtgeſetzt haben b). Eben dieſe
Grundſaͤtze ſind auf Landſeen anwendbar, die von mehreren
Gebieten umgeben ſind c).
Veraͤndert der Fluß ſeinen Lauf, ſo bleiben die vori-
gen Eigenthuͤmer deſſelben in eben dem Maaße, Eigen-
thuͤmer des verlaſſenen Fluß Beetes. Aber unvermerkt
erfolgende An- und Abſpuͤhlungen der Ufer, veraͤndern nicht
die Eigenthumsrechte auf den Fluß d).
In eben dem Maaße, in welchem eine Nation das
Eigenthum uͤber einen Fluß behaupten kann und darf, iſt
ſie auch im Stande und befugt das Eigenthum uͤber eine
Meerenge, oder Meerbuſen, die von den Ufern aus mit
Canonen beſtrichen werden koͤnnen, entweder bis an das
entgegengeſetzte Ufer, oder bis an die Mitte ſich beyzule-
gen. Aus eben dieſen Gruͤnden kann eine Nation auch die
zunaͤchſt angrenzenden Theile des Meeres (mare proxi-
mum) ſich zueignen, und zwar nach einem natuͤrlichen und
jetzt allgemein anerkannten Grundſatze a) wenigſtens ſo
weit, als ſie daſſelbe von dem Ufer aus mir Canonen be-
ſtreichen kann b).
Kann aber eine Nation nicht auch auf Fluͤſſe,
Meerengen, Meerbuſen die zu breit ſind, um von den
Ufern aus mit Canonen beſtrichen zu werden, auf groͤßere
Theile eines angraͤnzenden Meeres ſich ein Eigenthum er-
werben a)? Phyſiſch moͤglich iſt es ein ſolches Eigenthum
zu erwerben und zu behaupten, es ſey mit Huͤlfe des Lo-
cals b), oder durch eine Flotte; auch als widerrechtlich laͤßt
ſich
[47]Erwerbung des Eigenthums.
ſich dieß nicht anſehn, ſofern die Sicherheit der uͤbrigen
Beſitzungen dieſe Beſitznahme erfordert, oder andere Na-
tionen dieß Elgenthum durch Vertraͤge anerkannt haben c).
Einige dieſer groͤßeren Meerengen, Meerbuſen, angraͤnzen-
den Meere in Europa ſind anerkannt frey, andere aner-
kannt beherrſcht (clauſa); uͤber das Eigenthum anderer
wird geſtritten.
1) Anerkannt [frey] ſind unter den groͤßren Europaͤiſchen
Meerengen, I. die Straße von Gibraltar, ſofern ſie nicht
vom Ufer aus beſtrichen werden kann a), unter den an-
graͤnzenden Meeren, II. das ſpaniſche, III. das aquitani-
ſche Meer, IV. die Nordſee b), V. das weiße und VI.
das mittellaͤndiſche Meer.
2) Anerkannt unterworfen: I. die Meerenge zwiſchen
Schottland und Irland oder der Canal von St. George
dem Koͤnige von Großbritannien, II. der große und kleine
Belt und der Oereſund dem Koͤnige von Daͤnemark c),
III. das Aegaͤiſche Meer, das Mar di Marmora nebſt
den Meerengen, der Helleſpont, der Boſphorus Thraci-
cus, das ſchwarze Meer der Tuͤrkey; IV. die Meerenge
zwiſchen Sicilien und Calabrien (Faro di Meſſina) dem
Koͤnige von Neapel, V. die Súderſee der Republik der
vereinigten Niederlande, VI. der Finniſche Meerbuſen
dem Koͤnigreich Schweden.
3) Beſtritten wird I. Großbritannien, das Eigenthum
und die Oberherrſchaft uͤber die 4 Meere, welche dieſe Inſel
umfließen, beſonders uͤber den britanniſchen Canal und die
Meerenge von Calaisd), II. Venedig das Eigenthum
uͤber das Adriatiſchee), III. Genua uͤber das Liguſtiſche
Meer f), IV. ſowohl unter den Staaten welche an der
Oſtſee graͤnzen, als zwiſchen dieſen und den uͤbrigen Voͤlkern
die Freyheit oder Unterwuͤrfigkeit der Oſtſee g). In An-
ſehung der Beſitzungen der Europaͤer, außerhalb Europa
giebt es dieſer Streitigkeiten noch weit mehrere, und nur
ein Theil derſelben iſt durch Vertraͤge beygelegt h).
Das weite Weltmeer hingegen, welches weit den
groͤßeſten Theil unſrer Erdkugel bedeckt, und die 4 großen
Meere in welche dieſes idealiſch getheilt wird, inſonderheit
das indiſche Meer, woruͤber am mehreſten geſtritten wor-
den, koͤnnen nicht nur von keiner Macht voͤllig beſeſſen
werden, ſondern es fehlt hauptſaͤchlich an dem Rechtferti-
gungsgrunde dieſer Erwerbung, da es unbeſchadet des Ge-
brauchs und der Sicherheit aller Voͤlker gemeinſchaftlich
bleiben kann, und bloße Handelseiferſucht kein Grund zu
Erwerbung eines Ausſchließungsrechts iſt. Weder die erſte
Beſchiffung deſſelben, noch paͤbſtliche Verguͤnſtigung, noch
Verjaͤhrung, hat den uͤbrigen Voͤlkern das Recht auf den
gemeinſchaftlichen Gebrauch beſchraͤnken koͤnnen a). Das
weite Weltmeer iſt daher frey, und muß es bleiben, auch
wird heutiges Tages von allen Maͤchten, ſelbſt von Por-
tugal und Spanien, nach den vergeblich im 16ten und 17ten
Jahrhundert daran gemachten Anſpruͤchen, ſelbſt das indi-
ſche Meer, obwohl mit Ausſchluß der auf betraͤchtliche
Theile deſſelben noch fortwaͤhrenden Anforderungen b) fuͤr
frey, und dem Gebrauch aller Voͤlker offen anerkannt.
Daß indeß eine Nation dem Recht, ſelbiges zu beſchiffen,
zum Vortheil einer andern entſagen koͤnne, leidet keinen
Zweifel c), doch erlangt alsdenn nur dieſe dadurch ein
Recht des Widerſpruchs.
Schon aus dem Begriffe des Eigenthums fließt, daß
eine Nation das Recht habe, alle andere von dem Ge-
brauch und der Diſpoſition uͤber ihr rechtmaͤßig erworbenes
Eigenthum auszuſchließen; ſie hat daher auch das Recht,
denen, welchen ſie einen Gebrauch deſſelben einraͤumt,
hierinn Geſetze vorzuſchreiben. Sofern iſt Oberherrſchaft
Folge des unumſchraͤnkten Eigenthums. Auch auf Guͤter
die keinen Eigenthuͤmer haben, iſt eine Oberherrſchaft ge-
denkbar; aber dieſe ſetzt Einwilligung desjenigen voraus,
uͤber den ſie ausgeuͤbt werden ſoll, und kann daher nur
uͤber dieſen rechtmaͤßig behauptet werden. Daher koͤnnte
zwar Oberherrſchaft uͤber nicht occupirte Lande, uͤber nicht
occupirte Theile des Meers, ſelbſt uͤber das weite Welt-
meer ſtatt haben. Aber letztere iſt nie einem Europaͤiſchen
Volk von den uͤbrigen eingeraͤumt worden, und wiefern er-
ſtere hin und wieder von einzelnen Voͤlkern anerkannt wor-
den, wird erſt unten bey Eroͤrterung der Rechte vorkom-
men, welche Kraft eines erworbenen oder behaupteten Ei-
genthums oder Oberherrſchaft zu Lande und zu Waſſer aus-
geuͤbt werden.
Das Recht des Eigenthums erſtreckt ſich auch auf
den natuͤrlichen Zuwachs, und es laͤßt ſich zwiſchen An-
ſpielungen und Anwurf nach dem natuͤrlichen Recht kein
Unterſchied machen, auch die Nothwendigkeit einer beſon-
deren Occupation des letzteren nicht erweiſen a).
Auch durch gegenſeitige Einwilligung der Voͤlker koͤn-
nen ihre urſpruͤnglichen Rechte gegen einander auf mannig-
faltige Weiſe vermehret werden, ſo daß ſie das was ſie
nach dem abſoluten Naturrecht zu thun, zu unterlaſſen,
oder zu leiden nicht, oder doch nicht vollkommen verbunden
waren, nunmehr zu thun, zu unterlaſſen oder zu leiden ver-
pflichtet ſind. Der Grund dieſer Verpflichtungen iſt alſo
der Wille der Voͤlker. Dieſer kann entweder 1) ausdruͤcklich
erklaͤret ſeyn, es ſey durch Worte, oder durch andere den Wor-
ten gleich geachtete Zeichen der Einwilligung, oder 2) ſtill-
ſchweigend durch Handlungen, die, ob ſie gleich fuͤr ſich
nicht als Wortzeichen angeſehn werden, doch den Beweis
der Einwilligung enthalten, oder endlich 3) blos aus der in
aͤhnlichen Faͤllen beobachteten Art zu handeln fuͤr kuͤnftige
Faͤlle gemuthmaßet werden. Daraus entſteht eine dreyfache
Quelle des poſitiven Voͤlkerrechts: ausdruͤckliche Vertraͤge,
ſtillſchweigende Vertraͤge, Herkommen oder Gewohnheit.
Vertraͤge welche von ganzen Voͤlkern unter einander,
oder in ihrem Nahmen eingegangen werden, heißen Staats-
vertraͤge. Diejenigen hingegen welche der Regent fuͤr ſich
als Privatmann, oder die er zwar als Regent, aber mit
Privatperſonen eingeht, werden nicht Staatsvertraͤge ge-
nannt a), und ſind kein Gegenſtand unſerer Wiſſenſchaft.
Wiefern unterworfene Theile eines Staats fuͤr ſich
Staatsvertraͤge eingehn koͤnnen, haͤngt in zuſammengeſetz-
ten Staaten von der Verfaſſung, in einfachen von der be-
ſondren Erlaubniß ihres Souverains oder dem Herkommen
D 2ab
[52]Zweytes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ab b). Wo dieſe nicht fuͤr ſie ſprechen, da wuͤrde in letz-
teren die Schließung eines Buͤndniſſes fuͤr ſie ein Maje-
ſtaͤtsverbrechen ſeyn c).
Da zur Guͤltigkeit eines jeden Vertrages die Ein-
willigung beider Theile weſentlich erforderlich iſt, ſo muß
derjenige der im Nahmen eines Staats einen Vertrag
ſchließt von dieſem a) bevollmaͤchtiget ſeyn, uͤberhaupt, und ſo,
wie er geſchloßen hat, zu contrahiren. Wiefern der Regent
ohne Theilnahme des Volks Staatsvertraͤge eingehn und
Staatsbeamte dazu bevollmaͤchtigen koͤnne, iſt aus der po-
ſitiven Verfaſſung eines jeden Landes zu beurtheilen b).
Was der Regent c), oder der Geſandte u. ſ. f. uͤber die
Grenzen der ihm anvertraueten Gewalt verſpricht, iſt als
eine bloße Sponſion anzuſehn und erſt mit hinzugekom-
mener ausdruͤcklichen oder ſtillſchweigenden Genehmigung
des Staats fuͤr dieſen verbindlich d). Was hingegen von
einem Geſandten oder andrrn Subalternen innerhalb der
Grenzen ſeiner Vollmacht geſchloßen worden, iſt nach dem
natuͤrlichen Voͤlkerrecht ſelbſt dann fuͤr den Staat verbind-
lich, wenn er auch ſeine geheime Inſtruction uͤberſchritten
haͤtte. Dazu bedarf es nicht erſt einer Ratification des
Staats.
[53]Von Vertraͤgen.
Staats. Da aber Voͤlker ſich genoͤthiget ſehn ihren Ge-
ſandten ſehr ausgedehnte Vollmachten zu geben, und ſie
daher, wenn der Geſandte aus boͤſen Willen oder Verſehn
ſich von den Schranken ſeiner geheimen Inſtruction ent-
fernte, leicht in einen Schaden geſtuͤrzet werden koͤnnten,
deſſen ſie ſich an den Geſandten nicht wieder erholen moͤgen,
ſo iſt es ein anerkannter Grundſatz des poſitiven Euro-
paͤiſchen Voͤlkerrechts geworden, daß Staatsvertraͤge nicht
ehe als verbindlich angeſehn werden, als bis die Genehmi-
gung des Staats hinzugekommen e). Durch dieſe erlangt
aber alsdann der Vertrag ſeine Kraft vom Tag der Un-
terzeichnung an gerechnet f), falls nicht ein anderes verab-
redet worden g). Der ganze Grund dieſer Sitte aber er-
giebt, daß wenn ein Theil ſich zur Ratification erbietet, der
andere ſie nur dann mit Recht verweigern koͤnne, wenn
ſein Geſandter ſich von den Graͤnzen ſeiner Inſtruction ent-
ſernt hat, und daher ſtraffaͤllig iſt h).
Staatsvertraͤge welche von den dazu befugten Regenten
ſelbſt unterzeichnet worden, beduͤrfen keiner Ratification i).
Auch ſind in Kriegszeiten Capitulationen und andere
militairiſche Uebereinkuͤnfte welche von Befehlshabern einer
Beſtung, eines Truppencorps u. ſ. f. innerhalb der Grenzen
ihres Amts eingegangen worden, ohne alle Ratification ver-
bindlich k).
Es muß auch 2) die Einwilligung wirklich erfolget
ſeyn. Alle bis dahin von beiden Theilen gepflogene Unter-
handlun-
[55]Von Vertraͤgen.
handlungen haben, als bloßen Tractaten, noch keine ver-
bindliche Kraft a). Die Einwilligung ſelbſt kann durch
Worte, oder anerkannte Wortzeichen, oder, wie bey ſtill-
ſchweigenden Vertraͤgen, durch andere Handlungen zu er-
kennen gegeben werden. In Anſehung der Verbindlichkeit
iſt es gleichguͤltig, ob die Erklaͤrung blos muͤndlich b) oder
ſchriftlich geſchehn, ob wohl jetzt zu Erleichterung des Be-
weiſes alle Vertraͤge der Voͤlker ſchriftlich verfaſſet zu wer-
den pflegen.
Die Einwilligung muß 3) frey ſeyn. Wuͤrde einem
Regenten oder deſſen Bevollmaͤchtigten durch phyſiſchen
Zwang die Unterſchrift abgenoͤthiget, ſo waͤre dieſe paſſive
Handlung unverbindlich. Wenn aber bloß Furcht vor der
gegenwaͤrtigen oder bevorſtehenden Gewalt einer andren
Macht ihn zu Schließung eines obwohl ungern eingegan-
genen Vertrages beſtimmt, ſo kann er den Mangel der
Einwilligung nicht vorſchuͤtzen. Ob aber dieſe Macht die
Erfuͤllung eines ſolchen Vertrages fordern koͤnne, haͤngt von
der Rechtmaͤßigkeit oder Unrechtmaͤßigkeit der gebrauchten
Gewalt ab, da niemand aus ſeiner ungerechten Gewalt ein
Recht erwerben kann a). Da indeß eine Nation nicht
Richterinn der andren iſt, und beide keinen hoͤheren Rich-
D 4ter
[56]Zweytes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ter erkennen, die Sicherheit, Freyheit und Unabhaͤngigkeit
der Voͤlker auch nicht beſtehn kann, wenn ein Volk nicht
im zweifelhaften Fall die Gewalt welche eine andere an-
wendet als nicht erwieſen ungerecht anſieht b), ſo leidet
das eigene Beſte derſelben nicht ſich von Vertraͤgen unter
dem Vorwand, daß ſie mit Gewalt erzwungen ſeyn, loß
zu ſagen, außer hoͤchſtens in dem Fall, wo die Unrecht-
maͤßigkeit der Gewalt ſo in die Augen fallend waͤre, daß
es daruͤber keines Beweiſes beduͤrfte. Nimmt man den
Begriff einer natuͤrlichen oder poſitiven Voͤlkergeſellſchaft
hinzu (§. 5.) ſo wuͤrde dieſes auch als ein Grundſatz des
natuͤrlichen Geſellſchaftrechts der Voͤlker anzuſehn ſeyn.
Die Einwilligung muß gegenſeitig ſeyn, d. h. Ver-
ſprechen und Acceptation muͤſſen zuſammen treten. Wo
dieſes iſt, da iſt die Form des Vertrags gleichguͤltig, es
mag, wie gewoͤhnlich, ein Inſtrument von beiden Theilen
unterſchrieben, oder auf eine einſeitige Declaration eine Ge-
gendeclaration erfolget, oder ſonſt die Acceptation zum vor-
aus oder nachmahls erklaͤret ſeyn a).
Sie muß aber auch in demſelben Gegenſtande zuſam-
mentreffen. Irrthum in Anſehung eines Puncts der den
Grund des geſchloßenen Vertrages enthaͤlt, macht ihn un-
verbindlich, die Rede ſey von einem bloßen Irrthum, oder
von einem ſolchen, der durch Betrug des Contrahenten (in
welchem Fall noch ein neuer Grund hinzukommt) oder
eines dritten veranlaſſet worden b). War indeß der Irr-
thum
[57]Von Vertraͤgen.
thum leicht vermeidlich, ſo kann der irrende zur Entſchaͤ-
digung verbunden ſeyn.
Bloße Verletzung in einem Vertrage aber iſt kein
natuͤrlicher Rechtfertigungsgrund um ſich von demſelben loß
zu ſagen, da 1) jede Nation berechtiget und verbunden iſt
die Vortheile und Nachtheile welche aus einem Vertrag
fuͤr ſie entſtehn vorher abzuwaͤgen 2) es nicht unerlaubt iſt
auch uͤberwiegende Vortheile ſich von einer andren Nation
verſprechen zu laſſen 3) in dem Naturſtande niemand be-
ſtimmen kann, wie groß die Verletzung ſeyn muͤſſe, um von
dem Vertrag abzugehn, und ob ſie wirklich vorhanden ſey;
daher verbietet auch das eigene Beſte der Voͤlker ihnen,
ſich einer Einrede zu bedienen, welche den Grund aller Ver-
traͤge, und folglich ihre eigene gegenſeitige Sicherheit un-
tergraͤbt c).
Der guͤltig geſchloßene Vertrag muß auch verbind-
lich, das iſt, ſeine Erfuͤllung muß phyſiſch und moraliſch moͤg-
lich ſeyn. Wenn daher 1) deſſen Erfuͤllung entweder nach
der Natur des Verſprechens (welches in Vertraͤgen ver-
nuͤnftiger Voͤlker nicht leicht zu erwarten iſt) oder nach den
eingetretenen Umſtaͤnden phyſiſch unmoͤglich iſt, ſo kann eine
Nation nicht zu deſſen Erfuͤllung, wohl aber dann zur Ent-
ſchaͤdigung aufgefordert werden, wenn ſie dieſe Unmoͤglich-
keit voraus gewuſt, oder nachher veranlaſſet hat. Eben ſo
wenig kann 2) ein Vertrag verbindlich ſeyn, deſſen Erfuͤl-
lung die Rechte eines dritten kraͤnken wuͤrde a). Daß eine
Nation einen Vertrag unerfuͤllt laſſen koͤnne, deſſen Erfuͤllung
ihren Untergang nach ſich ziehn wuͤrde, wird richtiger aus
den Regeln des Nothrechts, als aus der falſchen Idee erklaͤ-
ret, daß der Regent der den Vertrag ſchließt und das Volk
das ihn erfuͤllen ſoll zwey von einander getrennte Perſo-
nen ſeyn von denen die eine nichts zum Schaden der an-
dren verſprechen koͤnne b). Eben daher berechtiget auch
nicht jeder Nachtheil den die Erfuͤllung eines Staatsver-
trags nach ſich zieht, von ſelbigem abzugehn.
Aus einem guͤltig und verbindlich geſchloßenen Ver-
trage entſteht fuͤr Voͤlkern wie fuͤr Privatperſonen das voll-
kommene Recht des Contrahenten von dem Mitcontrahenten
die Erfuͤllung deſſelben zu fordern ſofern, er ſeinerſeits ſeiner
Verbindlichkeit Genuͤge geleiſtet hat. Gegen dritte Voͤlker
hat der Staat das vollkommene Recht zu fordern, daß dieſe
ihn an den Genuß dieſer Vertragsrechte nicht ſtoͤhren, folg-
lich auch ſeinen Mitcontrahenden an Erfuͤllung des Ver-
trags nicht hindern.
Auch Staatsvertraͤge koͤnnen entweder unbedingt oder
bedingt geſchloßen werden, und die Bedingung entweder
reſolutiv oder ſuſpenſiv, entweder dem Vertrag ausdruͤcklich
oder ſtillſchweigend a) hinzugekommen ſeyn. Sie koͤnnen
ebenmaͤßig mit Hinzufuͤgung einer Zeitbeſtimmung oder
ohne dieſelbe eingegangen werden, und die beſtimmte Zeit
entweder den Anfang (pactum ex die) oder das Ende der
Erfuͤllung (pactum in diem) bezeichnen. Da aber hierin
weder das allgemeine noch das hergebrachte Voͤlkerrecht von
dem Naturrecht erheblich abweicht, ſo iſt es genug dieſe
Puncte hier zu beruͤhren.
Sofern alle Verſprechungen die wir uns durch einen
Vertrag leiſten laſſen auf unſren Vortheil abzielen, und
dieſen zu befoͤrdern natuͤrliche unvollkommne Pflicht der
Voͤlker, wie der Individuen unter einander iſt, ſofern kann
man wohl mit Mendelſon a) behaupten, daß alle Vertraͤge
darauf abzwecken unvollkommene Rechte und Verbindlich-
keiten in vollkommene zu verwandeln. Indeß iſt doch un-
laͤugbar 1) daß es Staatsvertraͤge giebt, welche nur Be-
ſtaͤdtigungen des vollkommenen aͤußeren Naturrechts enthal-
ten b) 2) andere die auf Vortheile abzielen deren Gewaͤhrung
wir von dem Contrahenten wegen Colliſion mit ſeinen andern
Pflichten gegen ihn ſelbſt oder gegen dritte auch nicht un-
vollkommen zu fordern oder zu erwarten berechtiget waren c).
Die Eintheilung der Vertraͤge in unvergeltliche,
(Schenkung, Verleihen, Hinterlegung), vergeltliche
(Kauf, Miethe, Tauſch, und unbenannte Vertraͤge)
und
[61]Von Vertraͤgen.
und ſolche die bald als vergeltliche, bald als unvergeltliche
eingegangen werden, (Darlehn, Bevollmaͤchtigung) hat
zwar allerdings auch in dem Voͤlkerrecht ſtatt a); da aber
einige dieſer Vertraͤge nicht leicht auf den Fuß wirklicher
Staatsvertraͤge eingegangen werden, in Anſehung mancher
andern das Naturrecht keine beſondere Modification leidet,
auch wenn es auf Voͤlker angewendet wird b), von den
uͤbrigen aber in der Folge an ſeinem Ort bequemer wird ge-
handelt werden koͤnnen, ſo bedarf es hier keiner umſtaͤndlichen
Wiederholung der in Anſehung dieſer einzelnen Gattungen
der Vertraͤge eintretenden Theorie des natuͤrlichen Rechts.
Wichtiger fuͤr unſere Wiſſenſchaft iſt die Eintheilung
der Vertraͤge in ſolche die auf einmahl erfuͤllet (Vertraͤge
im ſtrengen Sinn, pacta tranſitoria) und ſolche die nur
nach und nach in der Folge der Zeit ins Werk geſetzt wer-
den koͤnnen (Buͤndniſſe, federa.). Zu jenen gehoͤren inſon-
derheit Ceſſions, Grenz, Tauſchvertraͤge, auch ſolche wo-
durch einem andren eine beſondre Voͤlkerrechts-Dienſtbar-
keit auf unſer Gebiet eingeraͤumet wird; zu dieſen inſonder-
heit, Freundſchafts- Handels und Schiffarths- Lehns-
Schutz- Kriegs-Buͤndniſſe. Doch fehlt es auch nicht an
Staatsvertraͤgen, von denen einige Artikel die Natur eines
pacti tranſitorii, andern die eines Buͤndniſſes haben. (ge-
miſchte Vertraͤge.) Dahin gehoͤren inſonderheit die meh-
reſten Friedensſchluͤße.
Tranſitoriſche Vertraͤge ſind ihrer Natur nach ewig;
wenn ſie daher von beiden Theilen erfuͤllet und nicht gegen-
ſeitig
[62]Zweytes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ſeitig wieder aufgerufen worden; ſo beſtehen ſie unaͤbhaͤn-
gig von der Veraͤnderung die ſich mit der Perſon der Re-
genten, mit der [Verfaſſung] und ſelbſt mit der Unabhaͤngig-
keit des Staats der ſie ſchloß zutraͤgt. Selbſt wenn um
einer andren, mit dieſem Vertrage in keine Verbindung ſtehen-
den Urſache willen zwiſchen den Contrahenten ein Krieg ent-
ſteht, ſo zerfallen dieſe tranſitoriſchen Vertraͤge nicht von
ſelbſt, obwohl nicht nur die Wirkung derſelben durch den
Krieg unterbrochen wird, ſondern auch dem Feinde nach dem
Rechte des Kriegs das Befugniß zuſteht auch dieſe Vertraͤge
dem Feinde aufzukuͤndigen und ihm das daraus erwachſene
Recht fuͤr immer zu entziehn, wenn der Zweck des Kriegs
dies erfordert.
Buͤndniſſe hingegen, wodurch ein Staat ſich zu kuͤnf-
tigen ſucceſſiven Praeſtationen anheiſchig macht, erloͤſchen,
auch wenn ſie fuͤr immer errichtet worden 1) wenn der Staat
der ſie ſchloß ſeine Unabhaͤngigkeit ſo verliert, daß er un-
terworfene Provinz eines andern Reichs wird, 2) wenn der
Staat ſeine bisherige Verfaſſung veraͤndert, und das Buͤnd-
niß in Hinſicht der vorigen Verfaſſung errichtet worden;
nicht aber in den uͤbrigen Faͤllen a). 3) Da die Fortdauer
der Freundſchaft weſentliche Bedingung eines jeden Buͤnd-
niſſes iſt, ſo zerfallen ſie durch einen jeden neuen Krieg,
ohne Ruͤckſicht auf den Gegenſtand deſſelben, von ſelbſt,
nur mit Ausnahme der Artikel die fuͤr dieſen Fall errichtet
worden b); um ſo mehr iſt alſo jeder Contrahent befugt ſie
dann einſeitig aufzurufen, welches ehemahls ſelbſt zu dem
herkoͤmmlichen Voͤlkerrechte gehoͤrte c). Buͤndniſſe muͤſſen
daher in einem jeden Friedensſchluße erneuert werden, wenn
ſie noch kuͤnftig gelten ſollen.
Unter mehreren Artikeln eines Vertrages ſind
einige, welche als der Hauptgrund des geſchloſſenen Ver-
trags anzuſehn ſind (Hauptartikel, articuli principales),
andere bey denen dieſes nicht der Fall iſt (Nebenartikel
articuli acceſſorii); ferner oft einige welche in Anſehung
des Inhalts mit einander in unmittelbarer Verbindung
ſtehn (articuli connexi) andere bey denen dieß nicht der
Fall iſt (articuli non connexi) a). Unabhaͤngig von
ihrem Inhalt aber ſtehn alle Haupt-Artikel eines Vertra-
ges, ſelbſt ohne Unterſchied ob ſie in dem Hauptinſtru-
ment eingeruͤckt, oder Separat-Artikel ſind, in einer allge-
meinen Verbindung, nach welcher jeder dieſer Artikel die
Erfuͤllung der uͤbrigen zur Bedingung hat, und nicht als
ein beſonderer Vertrag fuͤr ſich beurtheilt werden kann.
Das Zerfallen der Hauptartikel zieht die Unverbindlichkeit
der Neben-Artikel nach ſich, aber nicht umgekehrt, auch
kann in jenem Falle Billigkeit und Klugheit oft rathſam
machen, ſich dieſes Rechts nicht in Anſehung aller Neben-
Artikel zu bedienen b). Hieraus iſt zu beurtheilen, wiefern
auf gemiſchte Vertraͤge, (§. 50) die Grundſaͤtze anzuwen-
den ſind, welche in Anſehung des Zerfallens der Buͤnd-
niſſe eintreten.
Man theilt die Buͤndniſſe auf eine zwiefache Weiſe
in perſoͤnliche und reelle ein 1) in Anſehung des Gegen-
ſtandes nennt man perſoͤnliche die zum Beſten des Regen-
ten und ſeiner Familie a), reelle die zum unmittelbaren
Beſten des Staats eingegangen werden; inſonderheit aber
2) in Anſehung der Dauer nennt man perſoͤnliche diejeni-
gen, welche die Contrahenten fuͤr ihre oder ihrer Familie
Lebenszeit, reelle aber welche ſie unabhaͤngig von deren Le-
ben fuͤr den Staat eingegangen haben. Die mehreſten
Buͤndniſſe welche in der einen Ruͤckſicht perſoͤnlich ſind,
ſind es auch in der andern.
Alle Buͤndniſſe der Republiken unter einander ſind
reel. Alle ausdruͤcklich fuͤr eine beſtimmte Zeit oder auf
ewig eingegangene Vertraͤge ſind es ebenfalls. Bey Buͤnd-
niſſen monarchiſcher Staaten unter einander, oder mit
Republiken, in welchen die Dauer derſelben nicht feſtge-
ſetzt worden, muß auf die Worte des Vertrags, auf die
Umſtaͤnde und auf die Verfaſſung der ſchließenden Staa-
ten Ruͤckſicht genommen werden b). Jetzt pflegt man ſich
hieruͤber ſo deutlich zu erklaͤren, daß faſt nur noch in An-
ſehung aͤlterer Vertraͤge hieruͤber Streit entſtehn kann.
Die Wichtigkeit dieſes Unterſchieds aͤußert ſich darinn,
daß der Nachfolger, er mag durch Erbrecht oder Wahl
auf den Thron kommen, alle reelle Vertraͤge ſeines Ver-
fahrers zu halten ſchuldig iſt, ohne daß es einer Erneue-
rung derſelben beduͤrfe a); hingegen perſoͤnliche Vertraͤge
erloͤſchen, 1) wenn der, oder diejenigen, fuͤr welche, oder
auf deren Lebenszeit ſie eingegangen worden, geſtorben
ſind, 2) wenn dieſe durch Abdankung oder Abſetzung den
Thron verlieren, dafern nicht das Buͤndniß eben fuͤr die-
ſen Fall hauptſaͤchlich eingegangen worden, und noch weder
Verzichtleiſtung erfolget, noch alle vernuͤnftige Hoffnung
ihnen wieder auf den Thron zu helfen verloren iſt b).
Buͤndniſſe werden in gleiche und ungleiche einge-
theilt, wobey aber die Gleichheit und Ungleichheit der Be-
dingungen, mit der des Buͤndniſſes nicht verwechſelt wer-
den muß. Jene haͤngt von der Gleichheit oder Ungleich-
heit der Vortheile ab, welche fuͤr beide Contrahenten aus
dem Buͤndniſſe erwachſen, deren Abwaͤgung fuͤr die Politik
gehoͤret a); dieſe aber von der Gleichheit oder Ungleichheit
des Verhaͤltniſſes, welches durch das Buͤndniß zwiſchen
den Contrahenten feſtgeſetzt wird; iſt dieſes ungleich, ſo
daß ein Theil Kraft des Buͤndniſſes dem andern mehr
Ehrerbietung ſchuldig wird, als er von dieſem wieder er-
haͤlt, wie z. B. in Schutz- Zins- Lehn- Verbuͤndungen,
ſo iſt das Buͤndniß ungleich. Im entgegengeſetzten Fall
iſt es gleich, auch wenn vor dem Vertrage das Verhaͤltniß
zwiſchen beiden in Anſehung des Ranges, der Ehre u. ſ. f.
Eungleich
[66]Zweytes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ungleich war. Es kann ſeyn, daß eine Verbuͤndung in An-
ſehung der Bedingungen gleich, in Anſehung des Buͤndniſſes
ungleich, oder umgekehrt, oder zugleich in beider Ruͤckſicht
gleich oder ungleich ſey.
Da die Erfahrung von jeher gelehret hat, daß Maͤchte
oft bereitwilliger zu Schließung, als zu Erfuͤllung der Ver-
traͤge ſind, ſo iſt man fruͤhe darauf bedacht geweſen, durch
acceſſoriſche Sicherheitsmittel ſich der Beobachtung der Ver-
traͤge beſſer zu verſichern. Einige, ehemahls, wenigſtens
ſelbſt unter den Staͤnden des teutſchen Reichs, uͤbliche Mit-
tel dieſer Art, ſind als abgeſchmackt jetzt verworfen z. B.
die Verbindlichkeit zum Schelmſchelten, Schandgemaͤhlden
u. ſ. f. Sehr haͤufig ward ehemahls die Religion mit ins
Spiel gebracht, es ſey durch Empfang des Abendmahls, oder
durch Eid a), durch Unterwerfung unter der geiſtlichen Cen-
ſur des Pobſts b), u. ſ. f. welche Mittel dem letzteren er-
wuͤnſchte Gelegenheit gaben ſich in die weltlichen Angelegen-
heiten der Staaten zu miſchen c). Von dieſen Mitteln iſt
nur noch der Eid nicht ganz außer Gebrauch, obwohl er ſeit
dem weſtphaͤliſchen Frieden immer ſeltener in Vertraͤgen Sou-
verainer Maͤchte vorkommt d).
Pfand und Hypothek e) kommen noch jetzt, theils in
Vertraͤgen Souverainer Maͤchte, theils inſonderheit bey teut-
ſchen
[67]Von Vertraͤgen.
ſchen Reichsſtaͤnden vor, doch haͤufiger fuͤr Darlehne, als
fuͤr irgend eine andere Gattung eigentlicher Staatsvertraͤge.
Geißel koͤnnen entweder fuͤr die Beobachtung eines
ganzen Staatsvertrags, oder eines einzelnen Artikels deſſel-
ben, oder einer in Kriegszeiten geſchloßenen Capitulation
u. ſ. f. als Buͤrgen gegeben werden. Nur in den beiden letz-
teren Faͤllen f), inſonderheit in dem letzten, wird noch jetzt
von Geißeln Gebrauch gemacht.
Endlich war ehemahls ſehr gewoͤhnlich, daß aus maͤchtigen
Unterthanen und Vaſallen beider Theile einige mit der Ver-
pflichtung gewaͤhlet wurden, als warrandi oder conſerva-
tores pacis dem verletzten Mitcontrahenten wider ihren
eigenen Landes- und Lehnherrn aufgefordert beyzuſtehn, um
dieſen von der Verletzung des Vertrags abzuhalten und zu
Erfuͤllung deſſelben zu zwingen. Da dieſe Sitte mit der
Erhaltung der inneren Ruhe und Verfaſſung ſich nicht ver-
einbaren ließ, ſo wurden ſeit dem Anfange des 16ten Jahr-
hunderts g) ſtatt der eigenen Unterthanen dritte Maͤchte
aufgefordert conſervatores und warrandi eines Staats-
vertrags zu werden. Dies iſt der Urſprung unſerer heuti-
gen Garantienh) deren haͤufiger Gebrauch mehr Nutzen
verſpricht als gewaͤhret i).
So lange ein geſchloßener Staatsvertrag nach der
Abrede der Paciſcenten beſteht, bedarf er zwar keiner Be-
ſtaͤdtigung, wie auf der andren Seite wenn er ſeine Kraft
verloren hat, er nicht beſtaͤdtiget, ſondern erneuert werden
muß, falls er fernerhin gelten ſoll: Um aber den inſonderheit
unter unabhaͤngigen Maͤchten ſo mißlichen Streitigkeiten
uͤber die Frage, ob ein vormahls geſchloßener Staatsvertrag
noch gelte moͤglichſt vorzubeugen, pflegen 1) Regenten bey
dem Antritt ihrer Regierung, ſie moͤgen durch Wahl oder
Erbrecht auf den Thron kommen, den Maͤchten mit welchen
ſie Vertraͤge haben allgemein zu erklaͤren, daß ſie die von
ihren Vorgaͤngern geſchloßenen Vertraͤge zu halten bereit
ſeyn a); obwohl dieſe Erklaͤrung, da ſie ganz allgemein und
oft nur muͤndlich durch den Weg der Geſandten geſchieht,
nicht hinreichend iſt, um die Streitigkeiten uͤber einzelne
Vertraͤge zu heben; 2) pflegen Maͤchte in manchen in Frie-
denszeiten errichteten Vertraͤgen, inſonderheit in Grenzver-
traͤgen, die aͤlteren Vertraͤge zu beſtaͤdtigen welche mit ſelbi-
gen in Verbindung ſtehn, und die ſie noch beobachten wollen,
im entgegengeſetzten Fall aber ſie aufzuheben b), 3) in Frie-
dens-
[69]Von Vertraͤgen.
densſchluͤßen nicht nur diejenigen Vertraͤge welche offenbar
durch den Krieg zerfallen, oder ausdruͤcklich aufgerufen ſind
zu erneuern, ſondern auch ſolche, in Anſehung deren ein Zwei-
fel eintreten koͤnnte, zu beſtaͤdtigen und zu erneuern. Dar-
aus allein aber, daß dies in Anſehung der letzteren unter-
laſſen worden, laͤßt ſich noch nicht ſchließen, daß der Ver-
trag fuͤr unverbindlich anzuſehen ſey c), ſo wie auf der an-
dern Seite die Erneuerung eines, oder einiger Artikel, noch
nicht auf die Erneuerung des ganzen Vertrags ſchließen
laͤßt d), uͤberhaupt aber die Kraft einer ſolchen Erneuerung
oder Beſtaͤdtigung eines Vertrags ſich nicht weiter anneh-
men laͤßt, als dieſer die Contrahenten des neuen Vertrags
betrift e).
Wie in ausdruͤcklichen Vertraͤgen die Einwilligung
durch Worte oder Wortzeichen gegeben wird, ſo ſetzen ſtili-
ſchweigende Vertraͤge andere Handlungen voraus, die ohne
hergebrachte Wortzeichen zu ſeyn a), gleichwohl den Beweis
der Einwilligung enthalten. Wo dieſe erweißlich vorhanden
ſind, und die uͤbrigen Erforderniſſe eines guͤltigen und ver-
bindlichen Vertrages eintreten, da entſteht aus ſelbigen eine
eben ſo vollkommene und unwiderrufliche Verbindlichkeit, als
aus einem ausdruͤcklichen Vertrage, da nicht die Art wie der
Wille erklaͤret wird, ſondern die Gewißheit deſſelben das
Weſen des Vertrags ausmacht.
Nun giebt es viele Handlungen, welche den Beweis
einer Einwilligung in einem gegenwaͤrtigen Falle enthalten.
Auch ſind allerdings Handlungen gedenkbar, aus welchen
eine Einwilligung fuͤr die Zukunft gefolgert werden kann;
dazu aber wird erfordert, daß 1) ſie nicht nur frey und mit
Vorwiſſen unternommen worden, ſondern auch 2) entweder
der handelnde ſich fuͤr vollkommen verbunden geachtet ſo
zu handeln, oder doch die Handlung der Art ſey, daß die
Gleichfoͤrmigkeit des Betragens in der Zukunft eine noth-
wendige Folge dieſer erſten Handlung ſey b).
Unter dieſen Umſtaͤnden kann eine einzige Handlung
den Beweis der ſtillſchweigenden Einwilligung enthalten.
Er wird aber verſtaͤrkt durch oͤftere Wiederholung der Hand-
lung. Daß uͤbrigens der kleinſte Theil unſres Voͤlkerrechts
auf wahrhafte ſtillſchweigende Vertraͤge beruhe, und daß
auch dieſer mehr Verzichtleiſtungen oder einſeitige Verbind-
lichkeiten, als gegenſeitige poſitive Praͤſtationen enthalte, das
kann wohl nur von denen gelaͤugnet werden, welche ſtill-
ſchweigende Vertraͤge und Gewohnheit fuͤr einerley halten.
Handlungen zu welchen ein Volk ſich entweder gar
nicht, oder doch nur unvollkommen durch die Vorſchriften
E 4der
[72]Zweytes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
der Menſchlichkeit, des Wohlſtandes, der Hoͤflichkeit ver-
bunden hielt, und die es daher zu unternehmen oder zu
unterlaſſen das vollkommene Recht hatte, geben nicht nur
dann wenn ſie einmahl, ſondern ſelbſt wenn ſie Jahrhun-
derte lang gleichfoͤrmig und noch ſo oft unternommen wor-
den, nie einen Beweis, daß dieſes Volk ſich gegen ein an-
deres vollkommen verpflichten wolle, in Zukunft ſeine Hand-
lungen auf gleiche Weiſe einzurichten, und koͤnnen ihm nie
das Recht nehmen von ſeiner bisherigen Handelsweiſe, ſobald
es dies fuͤr gut findet, abzuweichen, ohne einem andren davon
Rechenſchaft zu geben.
Nur eine natuͤrliche Vermuthung kann aus der bis-
her beobachteten Art zu handeln erwachſen, daß dieſes Volk
in kuͤnftigen Faͤllen unter aͤhnlichen Umſtaͤnden eben ſo wie
bisher ſich betragen werde, ſo lange es das Gegentheil nicht
erklaͤret hat.
Eine ſolche Vermuthung kann zuweilen aus einer
einzigen Handlung entſtehn, ſie wird aber beſtaͤrkt durch die
Laͤnge der Zeit und durch die Menge der Faͤlle in welchen
eine gleichfoͤrmige Handelsweiſe beobachtet worden, und ſich
zum Herkommen oder zur Gewohnheit gebildet hat. Ein
ſolches Herkommen gruͤndet ſich daher nicht auf eine ſtill-
ſchweigende Einwilligung, ſondern auf den aus Handlungen
gemuthmaaßten Willen eines Volks.
Aber eben dieſe gegruͤndete Vermuthung die ein Volk
bey andren erregt hat, macht es ihm zu einer Pflicht, wenn
es das bisherige Herkommen abſchaffen will, den uͤbrigen
Voͤlkern welche durch dieſe Muthmaaßung in Schaden ge-
ſetzt werden koͤnnen, in Zeiten ſeinen veraͤnderten Willen
anzuzeigen. Und obgleich dieſe Pflicht an ſich betrachtet nur
unvollkommen iſt, ſo geben doch die Freundſchafts- und Han-
delsbuͤndniſſe einen neuen Grund zu Beobachtung derſelben
an die Hand, und ſie wird uͤberdies von den Europaͤiſchen
Voͤlkern nicht nur anerkannt (wenn gleich nicht als eine
Zwangspflicht) ſondern auch ſtandhaft beobachtet.
Alles dieſes verhindert jedoch nicht, daß 1) das bloße
Herkommen nur eine unvollkommene Verbindlichkeit mit
ſich fuͤhret, und daher 2) eine Nation zu deſſen Beobachtung
nicht rechtmaͤßig gezwungen werden kann, vielmehr 3) es
jederzeit abzuſchaffen befugt iſt, wenn ſie ſich nur zeitig zum
voraus daruͤber erklaͤrt; daher dieſer betraͤchtliche Theil des
poſitiven Voͤlkerrechts auf ſehr ſchwache und wankende
Stuͤtzen zu beruhen ſcheint; aber je weniger innere Kraft
die Verbindlichkeit deſſelben hat, deſtomehr aͤußere Gruͤnde
ſichern in gewiſſem Grade die Beobachtung deſſelben. Zu
dieſen Gruͤnden gehoͤrt: 1) die natuͤrliche Kraft der Ge-
wohnheit, welche in minder wichtigen und oft wiederkom-
menden Puncten ihre Gewalt ſo gut uͤber Voͤlker, als uͤber
Individuen aͤußert. 2) Der Vortheil den einzelne Puncte
des Herkommens gewaͤhren 3) der Wunſch fuͤr eine aufge-
klaͤrte, geſittete, wohlgeſinnte Nation gehalten zu werden 4)
die Furcht, daß wenn wir uns von dem Herkommen entfernen
ein anderes Volk ſich der Retorſion bedienen oder 5) andere
uns wichtigere Gewohnheitsrechte uns verweigern werde, oder
wohl gar 6) mehrere Voͤlker gemeinſchaftliche Sache in
Verweigerung der Gewohnheitsrechte gegen uns machen
moͤchten; inſonderheit aber 7) die Beſorgniß, daß die Ver-
letzung einer zwiſchen freundſchaftlich geſinnten Voͤlkern uͤbli-
chen Gewohnheit, von andern als ein Vorbote wirklicher Ver-
letzungen des Voͤlkerrechts ausgelegt a), und unter dieſem
Geſichtspunct als ein Rechtſertigungsgrund wirklicher Ver-
letzungen angeſehn werden moͤchte.
Uebrigens iſt unlaͤugbar, und durch Geſchichte und
Erfahrung hinreichend dargethan, daß bloße Voͤlkerrechts-
Gewohnheiten mit der Zeit und den Umſtaͤnden allerdings
eine Abaͤnderung leiden a). Nur diejenigen Gewohnhei-
ten (wenn man anders ſie ſo nennen will), welche bloß das
natuͤrliche Voͤlkerrecht beſtaͤdtigen, ſollten in allen den Faͤllen
nicht veraͤndert werden, in welchen dieſes unveraͤnderlich iſt.
Uebrigens kann das, was anfangs bloß Herkommens
war, in der Folge durch ausdruͤckliche oder ſtillſchweigende
Vertraͤge in vollkommene Verbindlichkeit verwandelt wer-
den, ſo wie auf der andern Seite gedenkbar iſt, daß aus-
druͤckliche Vertraͤge in der Folge durch Herkommen erklaͤrt,
abgeſchaft oder veraͤndert werden.
Endlich iſt auch die Analogie eine ergiebige Quelle
der Entſcheidungen in Angelegenheiten der Voͤlker. Auch
im Voͤlkerrecht kann nemlich von dem was fuͤr gewiſſe
Faͤlle durch Vertraͤge oder Herkommen feſtgeſetzt iſt, auf
andere dieſen aͤhnliche und noch unentſchiedene Faͤlle eine
Anwendung gemacht werden. Daß die Richtigkeit und
Kraft dieſes analogiſchen Schlußes von der Aehnlichkeit der
Faͤlle welche mit einander verglichen werden abhaͤnge, er-
giebt die Natur der Sache.
Eine der ſtreitigſten Fragen des Voͤlkerrechts iſt die,
ob die Verjaͤhrung a) mit unter die Quellen des Voͤlker-
rechts gezaͤhlet werden koͤnne; ob durch ſie Rechte erworben
und verloren werden koͤnnen; ob ſie in dem allgemeinen,
oder doch in dem poſitiven Voͤlkerrecht ihren Grund habe.
Daß man ſeinem Eigenthum oder einem andren
Rechte das man beſaß, nicht nur ausdruͤcklich, ſondern auch
ſtillſchweigend, durch Handlungen entſagen koͤnne, welche
den Beweiß dieſer Verzichtleiſtung enthalten, und dadurch
andere berechtigen koͤnne dieſe Guͤter, oder Rechte oder Be-
freyungen zu erwerben, wird nicht bezweifelt. Ob aber
der bloße Nicht-Gebrauch des Eigenthums, oder eines an-
dren Rechts, ob das freywillig und wiſſentlich beobachtete
Stillſchweigen, wenn wir ſehn, daß ein anderer unſer Gut
beſitzt oder un fren Rechten entgegen handelt, dann, wenn
dieſer Nicht Gebrauch oder dieſes Stillſchweigen lange fort-
geſetzt worden, uns um unſer Eigenthum oder um unſere
Rechte bringen, und hinreichen kann um dem Beſitzer ein
unanfechtbares Recht zu erwerben, das iſt es, worauf es
bey Beſtimmung der Frage ankommt, ob die Verjaͤhrung
zwiſchen freyen Voͤlkern ſtatt habe. Nun hat der bloße
Nicht-Gebrauch, das bloße Stillſchweigen, fuͤr ſich betrach-
tet, nicht die Kraft der Verzichtleiſtung oder Einwilligung,
ſofern wir nicht verbunden ſind uns unſres Rechts zu be-
dienen, oder zu reden. Eine ſolche Verbindlichkeit iſt aber
nach dem abſoluten natuͤrlichen Voͤlkerrecht nicht vorhanden;
wir begehn auch dadurch keine ſtrafbare Nachlaͤſſigkeit; die
bloße unlaͤugbare Vermuthung aber, die aus unſrem Still-
ſchweigen
[76]Zweytes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
ſchweigen erwaͤchſt, bringt uns noch nicht um unſere Rechte.
Die Verjaͤhrung hat daher nach dem abſoluten natuͤrlichen
Voͤlkerrecht nicht ſtatt. Und wenn gleich das Beſte der
Voͤlker wuͤnſchen laͤßt, daß die Verjaͤhrung anerkannt werde,
und ſie daher, fuͤr erweißlich in Geſellſchaft lebende Voͤlker,
zu dem natuͤrlichen Geſellſchaftrecht derſelben gezaͤhlet wer-
den koͤnnte b), ſo iſt doch in der Wahrheit nichts gewon-
nen, ſo lange man nicht die Zeit beſtimmen kann welche
zum Verluſt, oder zur Erwerbung der Rechte durch Ver-
jaͤhrung erfordert wird, und daß das natuͤrliche Voͤlkerrecht
dieſe nicht genau beſtimmen koͤnne c), iſt in die Augen
fallend.
Zwar hat jeder Beſitzer einer Sache ſo lange ein
Recht ſeinen Beſitz fortzuſetzen, bis ein anderer ein beſſeres
Recht auf dieſe Sache dargethan hat; wenn man ſich daher
einen ſo unvordenklichen Beſitz gedenkt, daß nicht darge-
than werden kann, daß je ein anderer als der jetzige Be-
ſitzer oder deſſen Vorfahren die Sache beſeſſen, ſo iſt es
Folge von dieſen Umſtaͤnden, daß er einen jeden mit ſeinen
Anſpruͤchen abweiſen kann. Aber ſehr uneigentlich wird
dieſer favor poſſeſſionis unvordenkliche Verjaͤhrung ge-
nannt d).
Die Europaͤiſchen Maͤchte a) berufen ſich zwar oft in
ihren Schriften auf Verjaͤhrung; ſie ſcheinen ſie auch an-
zuerkennen, indem ſie um ihre Rechte zu erhalten zu Pro-
teſtationen ihre Zuflucht nehmen; es ſcheint auch, daß von
der anerkannten Verbindlichkeit durch zeitige Erklaͤrungen
zu verhindern, daß erregte gegruͤndete Vermuthungen an-
dere Voͤlker nicht in Schaden ſetzen, ein analogiſcher Schluß
auf die Verbindlichkeit gelte zu proteſtiren, wenn ſie ihre
Rechte nicht aufgeben wollen: allein 1) ſind die Aeußerun-
gen der Maͤchte oft ſo widerſprechend, daß nicht ſelten eine
Macht die Verjaͤhrung die ſie bey einer Gelegenheit be-
hauptete, bey einer andern ableugnet 2) oft verſtehn aber
auch die Verfaſſer der Staatsſchriften unter Verjaͤhrung
die Erloͤſchung eines Rechts auf das man ſtillſchwei-
gend durch Handlungen Verzicht geleiſtet hat, welche
die Einwilligung beweiſen; 3) oft ſind Proteſtationen noth-
wendig, um zu verhindern, daß nicht aus kuͤnftigen, vielleicht
unvermeidlichen Handlungen, ihre ſtillſchweigende Einwilli-
gung gefolgert werden moͤge; und wenn 4) auch in andren
Faͤllen der Weg der Proteſtationen, als der ſicherſte ge-
waͤhlet wird, ſo iſt dies kein Geſtaͤndniß der Ueberzeugung
daß ſonſt dieſe Rechte verloren gehn wuͤrden, wie auch
5) die Verbindlichkeit anderen einen aus rechtmaͤßigen Ver-
muthungen entſtehenden Irrthum zu benehmen ſelbſt von
dem Europaͤiſchen Maͤchten nicht als eine wahrhaft voll-
kommene Verbindlichkeit anerkannt wird.
Da uͤberdies weder durch einen allgemeinen, noch
durch irgend einen einzigen beſondren Vertrag, oder durch
Herkommen, die zur Verjaͤhrung erforderliche Zeit unter den
Europaͤiſchen Voͤlkern feſtgeſetzt worden, ſo kann die eigent-
liche Verjaͤhrung nicht als Quelle der Rechte der ſouverai-
nen Staaten in Europa unter einander angeſehn werden,
und man gewinnt nichts dabey ſie anzunehmen.
Abhaͤngige (halbſouveraine) Staaten hingegen, welche
noch einen gemeinſamen Geſetzgeber uͤber ſich erkennen,
der durch poſitive Geſetze die Kraft und Erforderniſſe der
Verjaͤhrung feſtgeſetzt hat, muͤſſen allerdings unter einander
die Verjaͤhrung anerkennen b); in ihrem Verhaͤltniſſe gegen
Auswaͤrtige aber nur in den Faͤllen, in welchen der Streit
vor den Gerichten ihres Oberherrn, und nach deſſen Ge-
ſetzen zu entſcheiden iſt.
Sobald ein Volk einen Diſtrict occupirt hat, (§. 38.)
ſo erlangt es dergeſtalt das Eigenthum uͤber alles was
innerhalb dieſes Bezirks gelegen iſt, daß es mit Ausſchluß
aller anderen Voͤlker davon Gebrauch machen, und daruͤber
auf jede Art diſponiren kann, die nur nicht die vollkom-
menen Rechte eines dritten verletzt. Wieviel von dieſen
Guͤtern als Privat-Eigenthum den einzelnen Mitgliedern
zufallen ſolle, haͤngt von dem Willen der Geſellſchaft, oder
von den Umſtaͤnden der Occupation ab. Was in dieſer
Vertheilung der Guͤter nicht zu Privat-Eigenthum ange-
wieſen wird, oder wieder aufhoͤret einen Privateigenthuͤ-
mer zu haben, das bleibt gemeinſchaftliches Gut der Ge-
ſellſchaft, oder wird es wieder, es mag dieſe es auf den
Fuß des Privateigenthums benutzen, oder wie oͤffentliche
Wege, gemeine Weiden, Fluͤſſe u. ſ. f. einem jeden Mit-
gliede zum Gebrauch frey, oder endlich ganz unbenutzt
laſſen a). Ein Fremder hat hieran uͤberall keinen Anſpruch
zu machen.
Geſetzt ein Volk wird nicht durch Occupation, ſon-
dern durch einen freywilligen, oder guͤltig erzwungenen Ver-
trag,
[80]Drittes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
trag, Eigenthuͤmer eines Diſtricts, ſo kann dieß zwar auf
die Vertheilung der Guͤter, und auf die Rechte der Pri-
vat-Eigenthuͤmer Einfluß haben, aber in Anſehung der
Fremden iſt dieſer Fall von dem Vorhergehenden nicht we-
ſentlich verſchieden; nur daß, da niemand mehr Rechte
abtreten kann als er ſelbſt beſitzt, falls die vorigen Eigen-
thuͤmer an auswaͤrtige ſchon Rechte auf den Fuß der Dienſt-
barkeiten oder ſonſt veraͤußert hatten, der neue Eigenthuͤ-
mer dieſe Rechte anzuerkennen verbunden iſt b).
Findet ein ſolches Volk fuͤr gut ſich in einen Staat
zu vereinigen, ſo erſtreckt ſich die hoͤchſte Gewalt in dem-
ſelben uͤber alle Guͤter, ſie ſeyn Privat- oder Staats-Ei-
genthum, und uͤber alle Perſonen die ſich in dieſem Staat
befinden, oder die in deſſen Gebiet eintreten.
Wie die innere Verfaſſung dieſes Staats eingerichtet
werden ſolle, dieß zu beſtimmen haͤngt der Regel nach von
dem alleinigen Ermeſſen des ſich bildenden Staats, mit
Ausſchluß aller fremden Theilnahme ab.
Die innere Verfaſſung eines Landes beruhet auf die
Beſtimmung folgender 2 Puncte: 1) wer ſoll die hoͤchſte
Gewalt
[81]Rechte d. Voͤlker in Anſehung d. Staatsverf. uͤberh.
Gewalt verwalten, eine phyſiſche oder eine moraliſche Per-
ſon; in dem erſteren Falle, wer ſoll dieſe phyſiſche Perſon
ſeyn, und wie ſoll bey ihrem Abgang ihre Stelle erſetzt
werden, in dem andern, wie ſoll dieſe moraliſche Perſon
gebildet und ergaͤnzt werden; 2) wie ſoll dieſe hoͤchſte Ge-
walt verwaltet werden. Beides feſtzuſetzen iſt zwar, als
eine innere Angelegenheit der Geſellſchaft, der Regel nach
ein Recht das ſie mit Ausſchluß aller Fremden zu uͤben
befugt iſt, es ſey von der erſten Bildung oder der nach-
mahligen Abaͤnderung der Staatsverfaſſung die Rede;
doch leidet die e Regel Ausnahmen, ſo daß I) ſelbſt wenn
die Nation auch in Anſehung aller dieſer Puncte einig waͤre,
es moͤglich iſt, daß 1) eine dritte von ihr zuvor ein beſon-
ders Recht erhalten habe, einer ſolchen Abaͤnderung zu wi-
derſprechen; oder 2) ihre eigene Selbſterhaltung ſie berech-
tige ſolchen Abaͤnderungen ſich zu widerſetzen und daher im
Colliſionsfall dieſe den uͤbrigens vollkommnen Pflichten ge-
gen andere vorzuziehn, daß II) wenn, wie faſt immer der
Fall iſt, in dem Staat ſelbſt Streit und Trennung in
verſchiedene Partheyen erwaͤchſt, einer dritten Nation frey
ſteht 1) ihre guten Dienſte oder ihre Vermittelung anzu-
bieten, und wenn ſie angenommen werden ſie zu verwen-
den, 2) wenn ſie von einer Parthey, welche das Recht
auf ihrer Seite hat, zu Huͤlfe gerufen wird, dieſe Huͤlfe
durch zweckmaͤßige Mittel zu leiſten 3) in dieſe Streitig-
keiten auch unaufgefordert ſich dann einzumiſchen, wenn ſie
dazu entweder ein beſonderes Recht erlangt hat, oder durch
die Sorge fuͤr ihre Selbſterhaltung dazu berechtiget wird.
Dieſe in der Theorie unlaͤugbare Ausnahmen ſind in
dem Munde unabhaͤngiger, ihrer eigenen Einſicht folgen-
den, Nationen von ſo weitem Umfange, daß kein Wun-
der iſt, wenn ſie faſt die Regel aufzuheben ſcheinen, und
wenn in Europa nicht leicht erhebliche Streitigkeiten dieſer
Art entſtehn, an welchen nicht eine oder die andere fremde
Macht, dann, wenn es ihr Intereſſe zu erfordern ſcheint,
FAntheil
[82]Drittes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
Antheil unter irgend einem Vorwande nimmt, durch wel-
chen ſie ſich gegen den Vorwurf einer Verletzung des Voͤl-
kerrechts zu ſchuͤtzen ſucht.
Dabey ſind jedoch noch drey Hauptfaͤlle zu unterſchei-
den, ob nemlich 1) von der Beſetzung des Throns in mo-
narchiſchen Staaten, oder 2) von Einfuͤhrung einer mehr
oder minderen Gewalt des Regenten, oder 3) von foͤrmli-
chen Revolutionen die Rede iſt.
Iſt die Rede von Beſetzung des Throns in monar-
chiſchen Staaten, ſo hat zwar jede Nation 1) das Befugniß
einer Familie das Recht der Regierung erblich zu uͤbertra-
gen und zwiſchen den Mitgliedern derſelben das Recht und
die Ordnung der Erbfolge feſtzuſetzen 2) nach Ausſterben
der zur Erbfolge berechtigten ein neues Oberhaupt fuͤr ſeine
Perſon oder Familie zu waͤhlen 3) bey entſtehendem Erb-
folgeſtreit zwiſchen mehreren Praͤtendenten denjenigen an-
zuerkennen, deſſen Recht ſie fuͤr am Beſten gegruͤndet haͤlt a),
oder wenn ſich dies nicht beſtimmen laͤßt, einen unter ihnen
zu erwaͤhlen b); aber 1) haͤlt nicht nur ein auswaͤrtiger Praͤ-
tendent ſich fuͤr berechtiget ſeinen Anſpruch allenfalls mit
den Waffen in der Hand durchzuſetzen, auch 2) den Bey-
ſtand ſeiner Alliirten hiezu aufzufordern, ſondern auch dritte
Maͤchte finden bald 3) in ihrer Freundſchaft und Nachbar-
ſchaft, bald 4) in ihren mit dem einen Theil geſchloßenen
Vertraͤgen, bald 5) in einem erworbenen beſondren Recht
des Widerſpruchs, bald 6) in der Sorge fuͤr die Erhaltung
des Gleichgewichts einen mehr oder minder gegruͤndeten
Vorwand, ſich nachdruͤcklich in dieſe Streitigkeiten zu mi-
ſchen; daher ſind, inſonderheit ſeit den letzten Jahrhunderten,
wo die mehr befeſtigte innere Ruhe und die verfeinerte Po-
litik den Staaten mehr Gelegenheit gegeben ſich um fremde
Angelegenheiten zu bekuͤmmern, die mehreſten und wichtig-
ſten
[83]Rechte d. Voͤlker in Anſehung d. Staatsverf. uͤberh.
ſten Streitigkeiten uͤber die Erbfolge in Europa mehr nach
dem Willen auswaͤrtiger Maͤchte und durch Vertraͤge, als
durch freyen Willen des Staats, um deſſen Beherrſchung
es galt, beendiget, und oft der letztere gar nicht darum be-
fragt worden c). Nur der Einfluß den ehemahls die Paͤbſte
ſich in Entſcheidung ſolcher Streitigkeiten und in Verge-
bung der Kronen anmaaßten d) wird ihnen jetzt, ſelbſt von
catholiſchen Staaten, nicht mehr eingeraͤumt.
Eben ſo ſteht im Wahlreichen dem Volk, oder denen
unter ſeinen Mitgliedern, welchen es dieſes Recht uͤbertra-
gen hat, das Befugniß zu, einen Regenten zu waͤhlen, und
eine fremde Nation hat ſo wenig das Recht ihm einen Be-
herrſcher aufzudringen, als den welchen das Volk erwaͤhlen
F 2will,
[84]Drittes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
will, von der Wahl auszuſchließen a), oder zu unterſuchen
ob die Wahl grundgeſetzmaͤßig ſey, ſo lange die Nation
ſelbſt wider die Wahl nichts erinnert. Doch kann einer
fremden Nation 1) nicht verwehrt werden, durch guͤtliche
Vorſtellungen einen Croncandidaten zur Wahl zu empfeh-
len, oder von der Wahl eines andern abzurathen; 2)
iſt gedenkbar, daß ſie durch Vertrag oder Herkommen ein
Ausſchließungsrecht erlangt habe, oder 3) aus Sorge fuͤr
ihre eigene Sicherheit ſich der Wahl eines ſchon zu maͤchti-
gen Fuͤrſten mit Recht widerſetzen koͤnne. Auch kann 6)
wenn uͤber die Guͤltigkeit der Wahl das Urtheil des Volks
ſelbſt getheilt iſt, Auswaͤrtigen das Recht nicht abgeſprochen
werden, derjenigen Parthey beyzutreten, die nach ihrer Ueber-
zeugung das beſte Recht hat b); und eben dieſes tritt 7)
in Faͤllen einer zwieſpaͤltigen Wahl ein c).
Daher iſt kein Wunder, wenn faſt jede Wahl der
drey großen Europaͤiſchen Wahlfuͤrſten, des Pabſts d), des
roͤmiſchen Kaiſers e) und bisher des Koͤnigs von Polen f)
von dem Einfluſſe fremder Maͤchte, inſonderheit derer ge-
litten hat, welche ſich dabey auf ein beſonders erworbenes
Recht zu gruͤnden geſucht.
Wenn ein neuer Regent, es ſey durch Erbrecht oder
Wahl, auf den Thron ſteigt, ſo pflegt er davon allen den
Staaten Nachricht zu geben, mit welchen er in Verbindung
ſteht, und obwohl dies Herkommen an ſich ſelbſt nicht ver-
bindlich iſt a), ſo wuͤrde doch, wenn es unterbliebe, der neue
Regent von anderen Staaten nicht leicht anerkannt werden;
und
[87]Rechte d. Voͤlker in Anſehung d. Staatsverf. uͤberh.
und eben dieſe Ruͤckſicht veranlaſſet, daß ſelbſt zwiſchen
kriegfuͤhrenden Maͤchten b) dieſes Herkommen beobachtet wird.
Auf eine ſolche Notification wird durch Gluͤckwuͤnſche geant-
wortet. Beides geſchieht den Umſtaͤnden nach entweder
blos ſchriftlich, oder durch einen Courier, oder durch den
ordentlichen Geſandten, oder durch eine außerordentliche Ge-
ſandſchaft, die wohl gar aus mehreren Perſonen beſteht c).
Zwiſchen Staaten gleicher Wuͤrde pflegt hierinn eine Gleich-
heit beobachtet zu werden; die Art ſelbſt der Notification
aber haͤngt von der beſondren Obſervanz der einzelne Hoͤfe
gegen einander ab. Es hat ſchon Faͤlle gegeben, wo ein
Staat die Notification oder den Gluͤckwunſch d) anzuneh-
men geweigert hat, wenn er ein ausgezeichneteres Ceremo-
niel begehren zu koͤnnen glaubte.
Wie einer jeden Nation das ausſchließliche Recht zu-
ſteht, ſich einen Regenten zu waͤhlen, ſo hat jeder Staat
auch das Recht ſich ſeine Verfaſſung zu waͤhlen und ab-
zuaͤndern. So lange der Regent und das Volk uͤber ſolche
Abaͤnderungen einig ſind, ſo lange kann eine auswaͤrtige
Macht ſich dieſen ſelbſt dann nicht widerſetzen, wenn ſie
Garant der vorigen Verfaſſung geworden waͤre a). Auch
der Vorwand, daß der Staat durch die neue Verfaſſung zu
maͤchtig werde, iſt kein Rechtfertigungsgrund, um ihn an
ſeiner inneren Vervollkommnung zu verhindern b).
Noch weniger darf eine auswaͤrtige Macht ſich es
erlauben, einem Staat wider ſeinen Willen eine neue Ver-
faſſung aufzudringen, oder zwiſchen ruhig lebenden Buͤrgern
den Saamen der Empoͤrung, durch Freyheitsprediger u. ſ. f.
auszuſtreuen c), oder alte Zwiſtigkeiten zwiſchen Haupt und
Glieder wieder aufzuwecken d).
Geſetzt es entſtehn aber in dem Staat ſelbſt Strei-
tigkeiten uͤber die Abaͤnderung der bisherigen Verfaſſung,
ohne daß noch weder von Abſetzung des Regenten, noch
von einer gaͤnzlichen Staatsumwaͤlzung die Rede waͤre, ſo
hat zwar auch der Regel nach kein auswaͤrtiger Staat das
Recht ſich in dieſe einheimiſche Angelegenheiten zu miſchen e).
Doch koͤnnen ihm 1) Freundſchaft und Nachbarſchaft die
Veranlaſſung geben ſeine guten Dienſte oder ſeine Ver-
mittelung anzubieten; 2) er kann ſelbſt durch Garantie f)
oder andere Vertraͤge g) ein Recht erlangt haben ſich derer
anzunehmen, deren Rechte in Gefahr ſind unterdruͤckt zu
werden, und die ſeine Huͤlfe aufzufordern berechtiget ſind h)
und auffordern; es iſt endlich 4) gedenkbar, daß die Ge-
fahr welche der eigenen Sicherheit des Nachbaren drohet,
dieſen berechtige, ſich in ſolche Haͤndel zu miſchen i).
Arten endlich die inneren Streitigkeiten in eine foͤrm-
liche Revolution aus, ſo daß entweder eine bisher unter-
worfene Provinz ſich von ihrem Oberherrn unabhaͤngig
machen a), oder ein Volk ſeinen Regenten, entweder fuͤr
ſeine Perſon abſetzen b), oder eine gaͤnzliche Umwaͤlzung der
Verfaſſung vornehmen will c), ſo treten zwar auch hier die
eben bemerkten Grundſaͤtze ein, ſo daß eine auswaͤrtige
Macht ſich in dieſe innere Angelegenheit nicht anders mi-
ſchen darf, als ſofern ſie entweder innerhalb der Grenzen
einer guͤtlichen Vermittelung bleibt, oder durch Vertraͤge d)
oder als zu Huͤlfe gerufener Theil, oder aus Sorge fuͤr
ihre eigene Sicherheit dazu berechtiget iſt; doch treten hiebey
noch eigene Ruͤckſichten ein, ſofern entweder von der bloßen
F 5Anerken-
[90]Drittes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
Anerkennung des alten oder neuen Souverains, oder von
wirklicher Huͤlfleiſtung die Rede ſeyn kann. Nun hat zwar,
ſoviel das erſtere betrift, bey ſolchen Streitigkeiten im zwei-
felhaften Fall der bisherige Oberherr, theils aus ſeinem Be-
ſitz, theils aus ſeinem Verhaͤltniß gegen Unterthanen alle-
mahl die Vermuthung fuͤr ſich. Da indeß aͤußerſte Faͤlle
gedenkbar ſind, wo eine ſolche Revolution gerechtfertiget wer-
den kann e), und eine dritte Nation nicht vollkommen ver-
bunden iſt in zweifelhaften Faͤllen zu unterſuchen, welche von
beiden, hier nothwendig entſtehenden, Partheyen das Recht
auf ihrer Seite habe, ſo beleidiget ſie das Voͤlkerrecht und die
Neutralitaͤt nicht, wenn ſie die Provinz als unabhaͤngig
behandelt, die in facto in Beſitz der Unabhaͤngigkeit iſt,
und denjenigen Regenten, oder diejenige Gewalt als Ver-
walter der hoͤchſten Gewalt behandelt, die in Beſitz der
hoͤchſten Gewalt ſind, ohne uͤbrigens an den Streit ſelbſt
thaͤtigen Antheil zu nehmen; wenn ſchon nach der Praxis
der Gegentheil auch hieruͤber ſich ſo lange beſchweren zu koͤn-
nen glaubt, als er auf ſeinen Anſpruch nicht Verzicht ge-
leiſtet hat f).
Iſt aber von thaͤtiger Einmiſchung die Rede, ſo hat
zwar eine fremde Macht das natuͤrliche Recht in den oben
beruͤhrten Faͤllen demjenigen Theil Huͤlfe zu leiſten, der das
Recht auf ſeine Seite hat, wenn ſie nicht verſprach neutral
zu bleiben, wie es umgekehrt den Grundſaͤtzen des natuͤr-
lichen Rechts widerſpricht, eine ſchlechte Sache vertheidigen
zu helfen. Da aber nothwendig das Urtheil der entgegengeſetz-
ten Partheyen uͤber die Rechtmaͤßigkeit ihrer Sache wider-
ſprechend ſeyn muß, ſo iſt unvermeidlich, daß der geleiſtete
Beyſtand von dem Gegentheil als eine Verletzung des Voͤl-
kerrechts angeſehn wird, wenn ſchon die Macht, welche
dem bisherigen rechtmaͤßigen Oberherrn Beyſtand leiſtet,
die Vermuthung der Rechtmaͤßigkeit fuͤr ſich hat. Was
aber fuͤr Maaßregeln dawider ergriffen werden, haͤngt von
den Umſtaͤnden und der Politik ab.
Hat endlich der Staat die Unabhaͤngigkeit der ſich
loßreiſſenden Provinz ausdruͤcklich g) oder ſtillſchweigend an-
erkannt, oder [d]er Praͤtendent auf den Thron Verzicht ge-
leiſtet h), ſo koͤnnen dritte Maͤchte ſich nicht weigern, den
neuen Staat oder Regenten anzuerkennen, und es bedarf
keiner foͤrmlichen Anerkenntniß von ihrer Seite i).
Da der Zweck des Staats die hoͤchſtmoͤgliche Wohl-
farth und Sicherheit der Mitglieder iſt, ſo muß die hoͤchſte
Gewalt das Recht haben, alles das anzuordnen und ins
Werk zu ſetzen, was als nothwendiges Mittel zu Errei-
chung dieſes Zwecks anzuſehn iſt, und ſofern laͤßt ſich die
Souverainetaͤt als ein Ganzes als ein, viel umfaſſendes,
Recht anſehn. Aber nichts verhindert die verſchiedenen
Mittel wodurch dieſer Zweck erreicht wird als eben ſo viele
in der Souverainetaͤt, als dem Inbegriff, enthaltene ein-
zelne Hoheitsrechte anzuſehn, welche denn wieder auf man-
nigfaltige Weiſe, entweder in innere und auswaͤrtige, und
die inneren in Theile der geſetzgebenden und executiſchen
Gewalt, oder auch uͤberhaupt in weſentliche und zuſaͤllige,
und jene in geiſtliche und weltliche, die weltlichen in allge-
meine und beſondere u. ſ. f. eingetheilet werden koͤnnen a).
Was aber auch hier in Hinſicht der inneren Hoheitsrechte fuͤr
eine Eintheilung zum Grunde gelegt wird, ſo iſt in An-
ſehung
[93]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
ſehung auswaͤrtiger Voͤlker unſtreitig: 1) daß alle dieſe
Rechte dem Staat ausſchließlich zuſtehn und ſich uͤber alle
Perſonen, ſie ſeyn Eingebohrne oder Fremde, und uͤber alle
Guͤter die ſich im Staat befinden erſtrecken, und nach dem
Gutfinden des Staats ausgeuͤbt werden koͤnnen; daß hin-
gegen 2) ſie ſich auch nicht außerhalb der Grenzen des Ge-
biets erſtrecken, ſo daß nicht nur ein Staat der Regel
nach kein Recht hat irgend eines dieſer Hoheitsrechte auf
fremden Gebiet auszuuͤben, ſondern auch daß das, was er
Kraft deſſelben bey ſich zu Hauſe unternommen hat, der
Strenge nach bey Auswaͤrtigen gar keine Wirkung hervor-
bringt. Sieht man hingegen auf die, theils auf Herkom-
men, theils ſelbſt auf Vertraͤge gegruͤndete Praxis der Eu-
ropaͤiſchen Voͤlker, ſo zeigt ſich ſehr haͤufig, daß 1) fremde
Maͤchte fuͤr ihre Unterthanen welche in ein fremdes Gebiet
eintreten, oder ſich dort niederlaſſen, oder von Haus aus
mit den Unterthanen dieſes Staats in Verkehr ſind, man-
ches zu fordern berechtiget ſind, was nach den ſtrengen Grund-
ſaͤtzen des natuͤrlichen Rechts dieſer Staat zu ihrem Vor-
theil zu leiden, zu unterlaſſen, oder zu unternehmen nicht
verbunden waͤre. 2) Daß in manchen Faͤllen demjenigen,
was ein Staat bey ſich zu Hauſe unternommen hat, auch
bey Auswaͤrtigen eine Kraft und Wirkung beygelegt wird,
auf welche er nach der Strenge keinen Anſpruch zu machen
haͤtte. Dieſe gegenſeitigen Rechte, welche ein Staat und
deſſen Unterthanen gegen einen andren Staat und deſſen
Unterthanen haben, kommen dem Begriff einer Staats-
dienſtbarkeit, ſervitus iuris publici ſehr nahe; und nichts
hindert ſie ſo zu benennen, wenn man nur dieſe allgemei-
nen, gegenſeitigen und großentheils auf Herkommen, mit-
hin auf unvollkommenes Recht, beruhende Dienſtbarkeiten
[ſervitutes iuris publici generales b)] nicht mit den be-
ſondren einſeitigen, auf Vertraͤge beruhenden Dienſtbarkei-
ten (ſervitutes iuris publici particulares) Kraft deren
ein Staat zum Beſten eines einzelnen anderen etwas zu
thun, zu leiden, oder zu unterlaſſen vollkommen verbunden
iſt,
[94]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
iſt, ohne von jenem eben dieſes fordern zu koͤnnen. Von
dieſen letzteren wird unten §. 111. gehandelt werden; zu Er-
oͤrterung der erſteren iſt rathſam, die vorzuͤglichſten inneren
Hoheitsrechte durchzugehn, in Anſehung deren ſich ſolche
von dem ſtrengen Voͤlkerrecht abweichende Rechte zeigen.
Als eine Folge des ausſchließlichen Eigenthumsrechts
uͤber ihr Gebiet, hat eine Nation das ſtrenge Recht, allen
Fremden ſowohl zu Waſſer als zu Lande den Eintritt in
ſelbiges, die Durchreiſe und den Aufenthalt, auch wenn
dieſe ihr unſchaͤdlich waͤren a), zu verbieten, folglich auch
zu verlangen, daß ohne ihre beſondere Erlaubniß niemand
ihr Gebiet beruͤhre, nur Nothfaͤlle, welche inſonderheit
theils aus der phyſiſchen Lage eines eingeſchloſſenen Staats b),
theils aus erlittener Seegefahr, oder aus der Flucht vor
dem Feinde erwachſen koͤnnen, geben einem fremden Volk
oder deſſen Unterthanen das Recht den Eintritt und Durch-
gang ſich mit Gewalt zu verſchaffen.
Noch weniger haben Fremde ein vollkommenes Recht
ſich in einem andern Staat nieder zu laſſen, und Grund-
ſtuͤcke anzukaufen c).
Nach der heutigen Praxis aber erlaubt jede euro-
paͤiſche Nation den Unterthanen der uͤbrigen in Friedens-
zeiten allgemein und ohne beſondere Erlaubniß den Ein-
tritt, Durchgang und Aufenthalt in Anſehung ihrer euro-
paͤiſchen Beſitzungen d) ſowohl zu Waſſer e) als zu Lande;
auch
[95]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
auch außerhalb der Nothfaͤlle; und dieſe Freyheit des
Durchgangs beruhet theils auf Vertraͤge, inſonderheit auf
Friedenſchluͤſſe, Grenz- und Handelsvertraͤge f) theils auf
Herkommen, theils in Anſehung der teutſchen Staaten
unter einander ſogar zum Theil auf Geſetze g). Auch das
Verboth des Ankaufs liegender Gruͤnde fuͤr Fremde iſt in
neueren Zeiten ſeltner geworden, und zum Theil durch
Vertraͤge h) gehoben.
Dieſe Freyheit des Eintritts und Aufenthalts iſt
jedoch nur im allgemeinen und ſo weit ſie dem Staat un-
ſchaͤdlich iſt anerkannt, daher jeder Staat noch jetzt das
Recht uͤbt 1) ſich beym Eintritt eines Fremden nach ſei-
nem Nahmen, Stand u. ſ. f. zu erkundigen i). Zum Be-
weiſe dieſer Umſtaͤnde dienen die Paͤſſe k) der Obrigkeit
des Orts von welchem der Fremde kommt, und denen,
wenn ſie von Perſonen ausgeſtellt ſind, welche dazu das
Recht haben, wie fremde Souveraine, deren Gerichte, Ge-
ſandte, Generaͤle u. ſ. f. vorlaͤufig uͤberall Glauben beyge-
meſſen wird. 2) Verdaͤchtigen oder ſonſt dem Staat ge-
faͤhrlichen Leuten den Eintritt zu verſagen, oder ſie fort zu
ſchaffen l). 3) Gewiſſen Gattungen von Fremden oder
gewiſſen Gattungen von Guͤtern ohne beſondere Erlaubniß
den Eingang ganz zu verſchließen, es ſey fuͤr immer, oder
fuͤr eine gewiſſe Zeit, oder die Zeit des ihnen geſtatteten
Aufenthalts abzukuͤrzen, wenn die Umſtaͤnde dies erfordern;
4) ganzen Haufen, inſonderheit bewaffneter Leute, den Ein-
und Durchgang nicht anders als auf erfolgte Requiſition
zu erlauben m), und eben ſo 5) zwar wohl Kaufarthey-
ſchiffen, nicht aber Kriegsſchiffen, den Nothfall ausgenom-
men, den Eintritt in das Seegebiet ohne beſondere Er-
laubniß zu geſtatten, ſofern nicht in Vertraͤgen dieſe Frey-
heit fuͤr eine gewiſſe Zahl Kriegsſchiffe feſtgeſetzt iſt n).
Da das Recht der hoͤchſten Aufſicht ſich uͤber alle
in dem Staat befindliche Perſonen und Guͤter erſtreckt, ſo
ſind auch alle Fremden, ſo gut wie die Eingebohrnen des
Landes der Regel nach allen Wirkungen deſſelben unter-
worfen. Nur in Anſehung ſolcher Fremden, die, wie re-
gierende Fuͤrſten und Geſandte, der Exterritorialitaͤt ge-
nießen, leidet dieſe Regel Abfaͤlle. Wie uͤberhaupt alle
oͤffentliche Inſtitute der hoͤchſten Aufſicht unterworfen ſind
und nur mit Genehmigung des Staats errichtet werden
duͤrfen, ſo koͤnnen auch Fremde nicht ohne beſondere Er-
laubniß dergleichen, z. B. Lotterien, Collecten, Comedien,
oͤffentliche Handelsgeſellſchaften u. ſ. f. einfuͤhren; und eben ſo
ſteht auch jedem Staat zu, ſeinen Unterthanen alle Theil-
nahme an den in andren Landen errichteten Handelsgeſell-
ſchaften, Lotterien u. ſ. f. bey willkuͤhrlicher Strafe zu un-
terſagen a).
Mit dem Recht der hoͤchſten Auſſicht iſt das Recht
alle diejenigen Nachforſchungen, Geſetze und Anordnungen
zu machen, welche auf die Erhaltung der inneren Sicher-
heit, Ruhe und Ordnung im allgemeinen abzwecken, oder
das Recht der Policey genau verbunden. Und da auch
Fremde dieſem Zweck nicht entgegen handeln duͤrfen, ſo
ſind ſie, und ſelbſt diejenigen unter ihnen, welche ſich der
Exterritorialitaͤt zu erfreuen haben, verbunden, die dahin
abzielende Verordnungen a) zu beobachten, wenn ſchon ge-
gen letztere im Uebertretungsfall nicht immer ſo wie gegen
die uͤbrigen Fremden und Eingebohrne des Landes verfah-
ren werden kann.
Auch dahin hat unter unzaͤhligen andren Puncten die
Policey zu wachen, daß nicht durch beleidigende Geruͤchte,
Druckſchriften u. ſ. f. die Ehre, nicht nur der im Lande be-
findlichen Fremden, welche ohnehin des Schutzes des Staats
genießen, ſondern auch auswaͤrtiger Regenten und ihrer
Unterthanen ungeſtraft angetaſtet werde. Und dieſe Pflicht
wird auch von freundſchaftlichen Maͤchten anerkannt, und
theils von freyen Stuͤcken, theils auf desfalls gefuͤhrte Be-
ſchwerde erfuͤllet a). Doch koͤnnen auswaͤrtige hierinn nicht
mehr verlangen, als nach der Verfaſſung des Landes ge-
ſchehn koͤnnte, wenn der Fall den eigenen Souverain oder
deſſen
[99]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
deſſen Unterthanen betrift c). Auch kann nicht jedes frey-
muͤthige Urtheil eines Schriftſtellers uͤber die Fehler aus-
waͤrtiger Staatsverfaſſungen u. ſ. f. eine Genugthuung nach
ſich ziehn, ſo lange die Freyheit der Preſſe nicht zu Libel-
len gemißbraucht wird, in welchen die Ehrerbietung gegen
auswaͤrtige Souveraine, oder die Achtung gegen ihre Un-
terthanen aus den Augen geſetzt wird c).
Bey der genauen Verbindung in welcher die Be-
voͤlkerung des Staats mit dem Beſten deſſelben ſteht, hat
jeder Regent das Recht Sorge zu tragen, daß nicht durch
zu haͤufige Auswanderungen der Staat entvoͤlkert werde.
Wiefern er aus dieſem Grunde befugt ſey, die einzelnen Ein-
gebohrnen in ihrer natuͤrlichen Freyheit einzuſchraͤnken, ſich
auf lange Zeit von dem Staat zu entfernen, oder ihn
ganz zu verlaſſen, iſt der Regel nach aus den Grundſaͤtzen
des allgemeinen a) und beſondren b) Staatsrechts, zuweilen
auch aus Vertraͤgen c) zu beurtheilen. Auswaͤrtige Staa-
ten handeln zwar wider das Voͤlkerrecht, wenn ſie Unter-
thanen eines andern Landes wider Willen ihres Souverains
zum Auswandern verleiten d), und daher koͤnnen ihre
Emiſſarien geſtraft werden, aber freywillig Ausgewanderte
aufzunehmen, iſt keine Beleidigung des Voͤlkerrechts, ſo
lange dieſe ſich ruhig gegen ihr Vaterland verhalten.
Ein Fremder hingegen, ſo lange er nicht die Rechte
und Verbindlichkeiten der Eingebohrnen erlangt hat, und
weder fuͤr ſeine Perſon Schulden gemacht e) noch Verbre-
chen begangen hat, behaͤlt das Recht, ſobald er es fuͤr gut
findet, den Staat wieder zu verlaſſen, den er beſuchet hat,
und nur Colliſions- oder Repreſalien-Faͤlle koͤnne einen
Staat berechtigen, ſolche Fremde eine Zeilang wider ihren
Willen zuruͤckzuhalten. Dieſer Grundſatz des allgemeinen
Voͤlkerrechts iſt auch durch ſehr viele Vertraͤge beſtaͤdtiget,
und oft noch weiter erſtreckt f), auch wird er in Friedens-
zeiten ſelten verletzt.
Iſt hingegen ein Fremder naturaliſirt g) worden, es
ſey durch foͤrmliche Patente, oder durch die geſetzlich be-
ſtimmte Zeit ſeines Aufenthalts, ſo hat er nicht mehr Frey-
heit auszuwandern, als die Eingebohrnen des Staats, falls
nicht dieſe Freyheit ihm vorbehalten, oder die Bedingun-
gen der Naturaliſation verletzet worden h).
Das Recht den Unterthanen verbindliche Vorſchriften
fuͤr ihre Handlungen zu ertheilen, oder die geſetzgebende Ge-
walt erſtreckt ſich uͤber alle, auch die temporairen Unter-
thanen des Staats.
Sofern in Anfehung der fremden Einwohner keine
Ausnahmen, zu ihrem Vortheil oder Nachtheil a) gemacht
worden, ſofern ſind ſie den allgemeinen Landesgeſetzen un-
terworfen, und ihre Angelegenheiten ſind nach dem gemei-
nen Recht zu beurtheilen b).
Nun iſt zwar das gemeine Privatrecht des einen
Landes, von dem eines andren in unzaͤhlig vielen Puncten
verſchieden. Doch zeigt ſich im allgemeinen eine auffallende
Aehnlichkeit der Privatrechte der chriſtlichen Voͤlker, welche
ſich theils daraus, daß das natuͤrliche Recht die Grundlage
aller iſt, theils daraus erklaͤret, daß das roͤmiſche Recht in
einem ſo großen Theil Europens als ſubſidiariſches Recht
aufgenommen worden, und wo dies auch nicht der Fall iſt,
doch bey Abfaſſung der Geſetze zum Muſter gedient hat c).
Der Strenge nach wuͤrde ein Geſetz das in einem
Lande gegeben worden, auf ein anderes Land und deſſen Ein-
wohner gar keine Wirkung haben. Aber dieſer allgemeine
Grundſatz leidet, theils nach der Natur der Sache, theils
Kraft poſitiver Beſtimmungen a) mehrere Abfaͤlle; ſo liegt
es in der Natur der Sache, daß 1) ein Auswaͤrtiger der
einen
[103]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
einen andren in deſſen Lande belangt, ſich nach den Geſetzen
dieſes Landes richten laſſen muß 2) daß die Guͤltigkeit
eines auswaͤrts vorgenommenen Acts, Vertrags u. f. uͤberall
nach den Geſetzen beurtheilt werden muß, wo dieſer Act
unternommen worden b); ſo iſt ferner moͤglich daß 3) Pri-
vatperſonen ſich in Anſehung eines geſchloßenen Vertrags
den Entſcheidungen eines fremden Geſetzes unterworfen haben,
oder auch 4) daß einem fremden Geſetz foͤrmlich die Kraft
eines ſubſidiariſchen Rechts beygelegt worden c); ſo fehlt es
5) nicht an Beyſpielen, wo fremden Einwohnern durch Pri-
vilegia, Vertraͤge oder Herkommen, das Recht eingeraͤumt
worden, nach ihren eigenen Geſetzen gerichtet zu worden d),
wie auch 6) nach einem allgemeinen Herkommen denjenigen
Geſetzen welche den Rang und andern perſoͤnliche Vorzuͤge
der eigenen Unterthanen beſtimmen, auch im Auslande
uͤberall Kraft beygelegt wird. (§. 85.)
So hat zwar auch ein Staat kein vollkommnes Recht
von dem andren zu fordern, daß er die von ihm gegebe-
nen Geſetze und Verordnungen oͤffentlich bekannt mache, oder
die Einruͤckung derſelben in die Zeitungen u. ſ. f. geſtatte;
doch wird, ſowohl unter den Europaͤiſchen als den Teutſchen
Staaten unter einander, ein ſolches Geſuch nicht leicht ab-
geſchlagen, falls der Inhalt der Verordnungen nicht ihre
Bekanntmachung bedenklich macht a).
Das Recht Privilegia zu ertheilen iſt als ein An-
hang der geſetzgebenden Gewalt anzuſehn. Da jedes guͤn-
ſtige Privilegium ein Recht des damit begnadigten, eine
Verbindlichkeit aber fuͤr die welche es beobachten ſollen ent-
haͤlt, ſo ergiebt ſich hieraus wiefern ſich das Recht Privi-
legia zu ertheilen auf Fremde erſtrecke. Da nemlich der
Staat nur ſeinen Unterthanen Verbindlichkeiten auflegen
kann, ſo kann er zwar Fremden Privilegia ertheilen, welche
ſeine Unterthanen zu beobachten ſchuldig ſind a), auch kann
ſeyn, daß ein ſelbſt einem Unterthanen ertheiltes Privile-
gium ſofern Auswaͤrtigen entgegengeſetzt werden kann, als
dieſe vor den Gerichten des Privilegiirten ſich nach den
Verordnungen des Landes richten zu laſſen verbunden ſind.
Außerhalb ſeines Gebiets kann hingegen kein Staat frem-
den Unterthanen durch ertheilte Privilegia Verbindlichkei-
ten auflegen, wenn ihn nicht etwa eine Staatsdienſtbar-
keit dazu berechtiget. Auffallend war es daher, wenn in
mittleren Zeiten die Paͤbſte und Kaiſer b) ſo oft Privilegia
in fremden Landen zu ertheilen verſuchet haben. Jetzt be-
ſchraͤnkt ſich das Recht des Pabſts nicht nur bloß auf geiſt-
liche Gegenſtaͤnde, ſondern es iſt auch hier faſt eben den
Beſchraͤnkungen der landesherrlichen Genehmigung als die
geſetzge-
[105]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
geſetzgebende Gewalt deſſelben unterworfen. Die Kaiſer
haben laͤngſt aufgehoͤret dergleichen Privilegia zu ertheilen,
da ſie hiezu nicht mehr Recht als andere Souveraine haben.
Da der Regent nicht alle Theile der Staatsverwal-
tung ſelbſt uͤbernehmen kann, ſo muß er das Recht haben
Beamte (Hof-Staats-Kriegs-Civil-Beamte) zu ernen-
nen. Die Wahl derſelben, die Zulaſſung oder Ausſchlieſ-
ſung der Fremden, die Abdankung der ernannten haͤngt
von der Verfaſſung oder dem Willen des Regenten ab;
auswaͤrtige Maͤchte haben kein Recht ſich in dieſe haͤußliche
Angelegenheiten zu miſchen, oder davon Rechenſchaft zu
begehren, ob es gleich nicht an Beyſpielen fehlt, wo die
Abdankung eines Staatsbeamten begehret a), oder von
der vorgenommnen Veraͤnderung im Miniſterium Anzeige
gethan worden b); beides laͤßt ſich aber nicht aus einem
allgemein herkoͤmmlichen Voͤlkerrecht ableiten.
Daß dieſe Aemter nach ihrer verſchiedenen Wichtig-
keit mit beſondren Titeln, Wuͤrden und andren perſoͤnlichen
G 5Vorzuͤ-
[106]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Vorzuͤgen verknuͤpft werden, iſt, wenigſtens eine natuͤrliche
Einrichtung. Daß auch ohne Ertheilung eines Amts, der
Regent durch Titel, Standeserhoͤhungen a) u. ſ. f. Ver-
dienſte erwecken oder belohnen koͤnne, iſt zweckmaͤßig, und
ſofern auch der Rang zu den perſoͤnlichen Vorzuͤgen gezaͤhlt
wird, hat der Staat das Recht dieſen fuͤr ſeine Untertha-
nen feſtzuſetzen. Aber alle Anordnungen welche er desfalls
macht, wuͤrden nach dem ſtrengen natuͤrlichen Recht außer-
halb der Grenzen ſeines Gebiets gar keine Wirkung her-
vorbringen.
Nach dem herkommlichen Voͤlkerrecht a) hingegen
macht man 1) in Anſehung der Militair Chargen, deren
Stuffenfolge in aller chriſtlichen Europaͤiſchen Staaten faſt
gleich iſt, keine Schwierigkeit einem fremden Officier nicht
nur den Titel der ihm in ſeinem Vaterlande beygelegt wor-
den, ſondern auch die ſeinem Grade anklebende Praͤcedenz
und Ehrenbezeugungen angedeihen zu laſſen, ohne daß ſelbſt
der hoͤhere oder niedrigere Rang ſeines Souverains b)
dabey anders, als hoͤchſtens in Anſehung voͤllig willkuͤhr-
licher Ehrenbezeugungen, in Betracht gezogen wird. Eben
dies wird 2) auch in Anſehung aller uͤbrigen Hof-Staats-
und Civil-Beamten und auch in Anſehung bloßer Titel und
Wuͤrden beobachtet c), nur daß in Anſehung der Praͤcedenz
in ſolchen Landen wo nicht der Rang der Civil-Beamten
nach dem Militair abgemeſſen iſt, es nicht immer moͤglich
iſt,
[107]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
iſt, bey der Verſchiedenheit und der Unvollſtaͤndigkeit man-
cher Rangordnungen einem Fremden genau den Platz an-
zuweiſen, der ihm in ſeinem Vaterlande zukommen wuͤrde.
Daß uͤbrigens die Gleichheit des Titels nicht immer Gleich-
heit des Ranges d), noch weniger aber Anſpruch auf die
nach der Landesverfaſſung nur den Eingebohrnen gebuͤhren-
den reellen Vorzuͤge gewaͤhre, iſt eben ſo in die Augen
fallend, als daß ein Civil-Beamter nicht in einem frem-
den Gebiet ſein Amt zu verwalten berechtiget ſey e).
Wiefern ein Staat ſeinen eigenen Unterthanen er-
lauben wolle in fremde Civil- oder Militairdienſte zu treten,
haͤngt von ſeinem eigenen Ermeſſen ab, und ſobald ein
Verbot der Art allgemein und nicht wider einen gewiſſen
Staat gerichtet iſt, kann kein fremdes Volk ſich hieruͤber
beſchweren. Doch pflegt in Friedenszeiten nicht leicht im
allgemeinen den Unterthanen, welche noch nicht in Dienſten
ihres Vaterlandes ſind, unterſagt zu werden, Civil- und
ſelbſt Militaͤrdienſte bey Auswaͤrtigen zu ſuchen a). Da
uͤbrigens dieſe dadurch nicht aufhoͤren Unterthanen ihres
Vaterlandes zu ſeyn, und mithin auch die Unterthanen-
Pflichten zu erfuͤllen verbunden ſind, ſo behaͤlt der Staat
das Recht ſie, im Nothfall zuruͤckzuberufen, und inſonder-
heit ihnen zu verbieten, wider ihr Vaterland zu dienen b).
Eben ſo hat auch der Staat das Recht ſeinen Un-
terthanen und inſonderheit denen welche in ſeinen Dienſten
ſind zu unterſagen, ſich keine Titel, Standeserhoͤhungen a)
u. ſ. f. von Auswaͤrtigen ertheilen zu laſſen. Nur wenige
Staaten bedienen ſich dieſes Rechts in ſeiner ganzen
Strenge b), obwohl uͤberall die Genehmigung des Staats
hinzukommen muß, wenn der Unterthan der Wirkungen
dieſer fremden Gunſtbezeugungen in ſeinem Vaterlande
genießen will.
Die Koſten welche die Verwaltung der Regierung
erfordert, muͤſſen von denen beſtritten werden, welche der
Vortheile
[110]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Vortheile des Staats genießen. Wenn daher die Einkuͤnfte
aus hiezu beſtimmten Domainen nicht hinreichen, ſo wer-
den Steuren ein nothwendiges Uebel. Auch der Fremde
der ſich im Lande aufhaͤlt kann zu deren Entrichtung mit
angehalten werden, weil 1) er des Schutzes des Staats mit
genießt; 2) dies ihm zur Bedingung ſeiner Aufnahme ge-
macht werden konnte; dies tritt noch mehr ein, wenn 3)
er buͤrgerliche Nahrung treibt. Es iſt ſelbſt dem aͤußeren
Voͤlkerrecht nicht entgegen, Fremde haͤrter als eigene Un-
terthanen zu beſteuern. In der Praxis wird 1) zwiſchen
perſoͤnlichen und reellen Abgaben, der Unterſchied gemacht,
daß jene nicht von blos durchreiſenden Fremden, ſondern
nur von denen erhoben zu werden pflegen, die ſich wenig-
ſtens eine Zeitlang aufhalten und haͤußlich niederlaſſen a),
die reellen Abgaben hingegen, ſowohl die Grundſteuern b)
als die auf die Einfuͤhrung und Conſumtion haftende Auf-
lagen werden von allen Fremden erhoben die keine beſon-
dere Befreyung fuͤr ſich anfuͤhren moͤgen c). Auch iſt
2) haͤufig durch Vertraͤge d) feſtgeſetzt, daß die Untertha-
nen des einen Theils nicht mehr Abgaben als die eigenen
Unterthanen des andern bezahlen ſollen.
Noch weniger zweifelhaft iſt es, daß diejenigen Gel-
der, welche hauptſaͤchlich als ein verhaͤltnißmaͤßiger Beytrag
zu Unterhaltung oͤffentlicher auf die Sicherheit und Be-
quemlichkeit der Durchreiſenden gerichteten Inſtitute, z. B.
Bruͤcken, Chauſeen, Feuer-Bluͤſen, Baaken, Seeton-
nen u. ſ. f. angeſehn werden, von allen denen ohne Unter-
ſchied entrichtet werden muͤſſen, die dieſe Inſtitute benutzen.
Zoͤlle ſind diejenigen Abgaben welche fuͤr die Erlaub-
niß der Ein- Durch- und Ausfuhr gewiſſer Guͤter erhoben
werden. Da dieſe Erlaubniß an Bedingungen gebunden
werden kann, ſo laͤßt ſich die Rechtmaͤßigkeit der Zoͤlle zwi-
ſchen freyen Voͤlkern nicht bezweifeln, und die allgemein
anerkannte oder beſonders verabredete Freyheit der Ein-
und Durchfuhr ſchließt den Gebrauch der Zoͤlle nicht aus.
Jeder Staat koͤnnte ſelbſt willkuͤhrlich die Zoͤlle erhoͤhen,
wenn nicht oft Handelsbuͤndniſſe a), oder in deren Erman-
gelung, eine vernuͤnftige Handelspolitik dieſer Willkuͤhr Gren-
zen ſetzte.
Zwiſchen Mitgliedern deſſelben Staats iſt dieſe Ab-
gabe unnatuͤrlich, obwohl ſelbſt in einfachen Staaten nicht
ohne Beyſpiel. Die mehreſten b) teutſchen Reichsſtaͤnde
ſind in Anſehung der Zoͤlle auf mannigfaltige Weiſe durch
Reichsgeſetze beſchraͤnkt c), welche Beſchraͤnkungen ſelbſt auf
Auslaͤnder mittelbar zuruͤckwuͤrken d).
Aus eben dem allgemeinen Grunde, daß man dem
Handel der Auswaͤrtigen mit und durch unſere Lande Be-
dingungen vorſchreiben kann, laſſen ſich auch nach dem
ſtrengen Recht, das auswaͤrtige Stapelrecht, Krahnrecht,
Stadteinlagerrecht, und andere dem Staat zwar eintraͤg-
liche,
[112]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
liche, aber dem Handel der Fremden und Nachbaren ſehr
ſchaͤdliche Erfindungen des Mittelalters rechtfertigen e). Un-
abhaͤngige Staaten werden indeß jetzt oft durch Vertraͤge,
oder durch Furcht vor der Retorſion, oder durch andere po-
litiſche Gruͤnde verhindert neue Rechte der Art einzufuͤh-
ren f). In Teutſchland iſt der Mißbrauch und die neue
Einfuͤhrung ſolcher Rechte, inſonderheit des Stapelrechts
noch mehr durch Geſetze beſchraͤnkt g).
Aus dem ſtrengen Grundſatze, daß man Fremde ganz
von ſeinem Gebiet ausſchließen koͤnne, leitete man auch das
Heimfalls-
[113]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d einzelnen Hoheitsrechte.
Heimfalls- oder Fremdlingsrecht droit d’Aubaine a)
her, Kraft deſſen die Verlaſſenſchaft eines im Lande ver-
ſtorbenen Fremden, deſſen auswaͤrtigen Erben nicht ausgeant-
wortet, ſondern, wenn er keine erbfaͤhige Nachkommen im
Lande hinterlaſſen, dem Staat, oder der Obrigkeit des Orts
wo der Sterbfall erfolgete b), beygelegt wird. Dieſes,
wenigſtens hoͤchſt unbillige, Recht wurde ehemahls in Frank-
reich allgemein, ſelbſt in Anſehung fremder dort verſtorbe-
nen Fuͤrſten c) ausgeuͤbt, und von den uͤbrigen Staaten,
inſonderheit auch von Teutſchland, obwohl mehrentheils nur
als Vergeltungsrecht gegen Frankreicht eingefuͤhret. Nach-
dem Frankreich nicht nur in vielen Vertraͤgen mit Aus-
waͤrtigen dieſes Recht gegenſeitig aufgehoben d), ſondern
auch die National-Verſammlung durch ihren Schluß vom
6ten Auguſt 1790 die gaͤnzliche Abſchaffung dieſes Rechts
beſchloſſen e), und auch andere Staaten f) es theils durch
Vertraͤge abgeſchaft, theils nur Vergeltungsweiſe es uͤben zu
wollen ſich erklaͤret, bleiben nur noch wenig Spuren dieſes
Rechts in dem Verhaͤltniſſe einiger Staaten, beſonders gegen
Boͤhmen uͤbrig.
Wo dieſes Recht noch beſteht, da kann in einem vor-
kommenden Falle von ſelbigem zwar wohl zum Nachtheil
des Fiſcus, aber nicht zum Schaden der entfernteren Erben
diſpenſirt werden g).
Weit weniger unbillig iſt das auf das Heimfallsrecht
gefolgte Abzugsrecht, (d. d. detraction) nach welchem von
allen Erbſchaften die ins Ausland gehn, ſie moͤgen von
Fremden oder Eingebohrnen hinterlaſſen ſeyn, ein Theil von
dem Fiſcus zuruͤckbehalten wird. Noch auf mehrere Gruͤnde
beruhet die oft mit dem Nahmen des Abzugsrechts be-
legte Nachſteuer a) (gabelle d’emigration), Kraft wel-
cher von dem Vermoͤgen derer welche den Staat ganz ver-
laſſen, ſie ſeyn Eingebohrne oder Einheimiſch geworden b),
ein Theil von dem Fiſcus inne behalten wird. Beide
Rechte ſind zwar auch in neueren Zeiten haͤufig durch Ver-
traͤge abgeſchaft c), oder beſchraͤnkt, auch wohl durch Geſetze
oder Declarationen auf den Retorſionsfall eingeſchraͤnkt,
aber ſie beſtehn doch noch in ſehr vielen Faͤllen, theils im
Verhaͤltniſſe auswaͤrtiger Maͤchte unter einander, theils im
Verhaͤltniſſe der teutſchen Reichsſtaͤnde, ſowohl gegen dieſe,
als unter einander d).
Eines der wichtigſten inneren Hoheitsrechte iſt die
richterliche Gewalt. Sie erſtreckt ſich der Regel nach auf
alle Guͤter und Perſonen innerhalb des Gebiets des Staats,
ſie ſeyn Eingebohrne oder Fremde, und ſteht in demſelben
niemandem als dem Staat ſelbſt, oder dem welchem er ſie
anvertrauet zu. Doch giebt es 1) Fremde welche Kraft
der ihnen beygelegten Exterritorialitaͤt von der Gerichtbar-
keit des Landes befreyet ſind, wie fremde Souveraine, Ge-
ſandte, und beider Gefolge. Auch wird 2) zuweilen frem-
den Unterthanen erlaubt ſich von ihren eigenen Richtern,
als Conſuln, ius Conſervador u. ſ. f. richten zu laſſen.
Daß fremde Einwohner vor den Landesgerichten der
Regel nach Recht nehmen und geben muͤſſen, leidet keinen
Zweifel. Aber auch Auswaͤrtige, wenn ſie uͤber einen Un-
terthanen Klage zu erheben haben, ſind, ob ſie gleich gegen
dieſen im Naturſtande fortleben, ſchuldig ſtatt Gewalt zu
gebrauchen ihn vor ſeinem competenten Richter zu belan-
gen; dies erfordert nicht nur die Erhaltung der Ruhe ihres
eigenen Staats und die Beobachtung der hieruͤber, zumahl
H 2ſeit
[116]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
ſeit dem 14ten Jahrhundert faſt uͤberall gegebenen Geſetze,
ſondern es iſt auch ihre Pflicht gegen den auswaͤrtigen
Staat, ſowohl nach der natuͤrlichen Verbindlichkeit gelinde
Mittel den haͤrteren vorzuziehn, als in Gefolge der zahl-
loſen hieruͤber vorhandenen Vertraͤge, ſeit Gerichte und
Recht in die Stelle der Repreſalien und des Fauſtrechts ge-
ſetzt wurden.
Dagegen iſt aber jeder Staat vollkommen ſchuldig
den Fremden, ſo wie ſeinen eigenen Unterthanen, die Wege
Rechtens zu eroͤfnen, und ihnen eine ſchleunige und unpar-
theyiſche Juſtitz angedeyhen zu laſſen.
Doch haben auch fremde Staaten außerhalb der Ver-
traͤge kein Recht zu verlangen, daß beſondere Gerichts-
ſtuͤhle a) oder Commiſſionen b) zum Vortheil ihrer Unter-
thanen errichtet, oder ihre Sachen den Rechtshaͤndeln der
Unterthanen vorgezogen werden c).
Wenn daher der Auslaͤnder vor dem competenten Ge-
richte ordnungsmaͤßig gehoͤret, ihm gleich den uͤbrigen Un-
terthanen nach Maaßgabe der Umſtaͤnde der Weg der Be-
rufung an die hoͤhere und letzte Inſtanz des Landes eroͤfnet
worden,
[117]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
worden, und nachdem er dieſen ergriffen, oder darauf ent-
ſaget hat, ein endliches Urtheil, in einem aus Landesgeſetzen
zu entſcheidenden Falle erfolget iſt; ſo iſt er ſowohl als
deſſen Oberherr ſchuldig, ſich bey dieſem Urtheil zu beru-
higen, und jener darf ſo wenig bey dieſem Beſchwerde fuͤh-
ren, als dieſer eine richterliche Unterſuchung uͤber die Frage
anſtellen, ob die Geſetze richtig auf den vorliegenden Fall
angewendet worden a).
Eine eigene Schwierigkeit entſteht aber in den Faͤllen,
wo die Sache nicht nach Landesgeſetzen, ſondern nach dem
allgemeinen Voͤlkerrecht oder den Vertraͤgen zu entſcheiden
iſt, und die Staaten ſelbſt in Anſehung der Grundſaͤtze
oder der Auslegung uneins ſind. Da hier kein Staat dem
andren ſeine Grundſaͤtze aufzudringen, oder ſich ein aus-
ſchließliches Interpretationsrecht der Vertraͤge beyzulegen
berechtiget iſt, ſo ſcheint es, daß wenn auch die Compe-
tenz des Richters außer Zweifel war, ein auswaͤrtiger Staat
fuͤr ſich und ſeine Unterthanen bey ſolchen Entſcheidungs-
puncten ſich zu beruhigen nicht vollkommen verbunden ſey,
und hier die Angelegenheiten der Privatleute die Natur
der Streitigkeit zweyer Hoͤfe gewinnen a).
Wenn hingegen dem Auslaͤnder entweder die Juſtitz
foͤrmlich verweigert, oder verfaſſungwidrig verzoͤgert, oder
der Lauf des Proceſſes und der Inſtanzen gehemmet, oder
erweißlich boͤslicher Weiſe das Recht auf eine Art gebeu-
get worden, deren Abſtellung er von dem Oberherrn des
Richters nicht hoffen durfte, ſo muß er offenbar das Recht
haben, bey ſeinem Landesherrn Schutz zu ſuchen, und die-
ſer iſt nach vorgaͤngiger Unterſuchung ihm ſelbigen ſo an-
gedeyen zu laſſen berechtiget, daß wenn glimpfliche Vor-
ſtellungen nicht anſchlagen a) er zu Retorſionen, zu Repre-
ſalien und ſelbſt zum Kriege zu ſchreiten befugt iſt, um
den Staat zur Genugthuung wegen Verletzung ſo voll-
kommner Pflichten zu zwingen b).
Von der bisherigen Eroͤrterung iſt noch die Frage zu
unterſcheiden, was ein in einem Lande guͤltig geſprochenes
Urtheil
[119]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
Urtheil in einem andren fuͤr Wirkung hervorbringe, ſofern
theils von der Vollziehung deſſelben, theils von der darauf
gebaueten Einrede des ſchon rechtshaͤngigen oder entſchiede-
nen Rechtsſtreits die Rede iſt a).
Da die richterliche Gewalt ſich nicht uͤber die Gren-
zen des Gebiets erſtreckt, ſo iſt kein Staat natuͤrlich voll-
kommen berechtiget zu fordern, daß das Urtheil welches er
geſprochen hat von einem andren Staat an den in deſſen
Gebiet befindlichen Perſonen oder Guͤtern vollzogen werde b);
auch iſt uͤber dieſen Punct kein allgemeines Herkommen
vorhanden. Doch ſind 1) hin und wieder zwiſchen ſouve-
rainen c) und verbuͤndeten d) Staaten, auch den teutſchen
Staaten e) unter einander hieruͤber Vertraͤge errichtet, auch
bewegen oft 2) gegenſeitige Freundſchaft, Nachbarſchaft und
Nutzen, die Staaten eine ſolche Vollziehung auf gehoͤriges
Nachſuchen des competenten Richters und gegen Erbietung
ad reciproca nicht zu verweigern f).
In dem Verhaͤltniſſe freyer Voͤlker laͤßt ſich zwar
der Grundſatz des poſitiven Rechts, daß die auf einſeitige
Klage erlaſſene und dem Gegentheil inſinuirte Citation die
Gerichtbarkeit des Richters ausſchließlich begruͤnde, nicht
anwenden. Wie aber in dem natuͤrlichen Recht Partheyen
die auf einen Schiedsrichter compromittirt haben vollkom-
men verbunden ſind deſſen alleiniges Urtheil zu erwarten,
ſo tritt eben dieſes in Staaten in Anſehung der Gerichte
ein, wenn der Beklagte ſich einmahl auf die Klage einge-
laſſen und den Krieg rechtens befeſtiget hat. Wenn daher
ein Theil nachmahls die Sache vor deren Entſcheidung in
einem andern Lande anhaͤngig machen wollte, ſo koͤnnte
er nicht nur von dem erſten Richter geſtraft werden, ſon-
dern ſollte billig auch in jenem Lande abgewieſen werden g);
obwohl das Herkommen in dieſen Faͤllen nicht gleichfoͤrmig iſt.
Iſt die Sache von dem competenten Richter, 1) end-
lich und hauptſaͤchlich, und zwar 2) nach den Landesgeſetzen
welche den Umſtaͤnden nach zum Grund der Entſcheidung
H 4dienen
[120]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
dienen muͤſſen, entſchieden, auch 3) das Urtheil nur uͤber Ge-
genſtaͤnde die ſeiner Gerichtbarkeit unterworfen waren ge-
faͤllet, ſo darf kein fremder Richter ſich es erlauben, uͤber
eben den Gegenſtand zwiſchen eben den Partheyen ein
zweytes Verfahren zu veranlaſſen, oder zu geſtatten, da der
obſiegende Theil aus dem Erkenntniſſe ein eben ſo vollkom-
menes Recht, als aus einem Vertrage erworben hat, und
kein dritter Staat ihm dieſes entziehn kann h). Daher
kann auch nach Abtretung einer Provinz der neue Ober-
herr ihre alten Streitigkeiten nicht wieder in Unterſuchung
ziehn, wenn dieſe von ihrem bisherigen Oberherrn ſchon
rechtskraͤftig entſchieden waren i).
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen iſt die freywillige Ge-
richtbarkeit, im Gegenſatz der ſtreitigen zu beurtheilen.
Auch dieſe erſtreckt ſich ordentlicher Weiſe uͤber alle inner-
halb des Gerichtsbezirks befindliche Perſonen und Guͤter,
und kann hingegen der Regel nach nicht uͤber die außer-
halb deſſelben belegenen ausgeuͤbt werden a); doch giebt es
Handlungen der willkuͤhrlichen Gerichtbarkeit, die, weil ſie
bloß die Autoritaͤt irgend eines Gerichts ohne alle cauſae
cognition erfordern, auch in jedem andern Gericht als dem
foro rei ſitae vorgenommen werden koͤnnen b).
Was nun aber ein Richter, Kraft der ihm zuſtehen-
den Gerichtbarkeit, guͤltig unternommen hat, das iſt in
allen Landen in welchen hievon Gebrauch gemacht werden
ſoll, fuͤr guͤltig anzuſehn c).
Der Zweck des Staats erfordert weſentlich, daß die
hoͤchſte Gewalt das Recht habe die dem Staat und deſſen
Mitgliedern nachtheiligen Handlungen zu verbieten, dieſen Ge-
ſetzen durch Strafen Kraft zu geben, gegen Verbrecher Un-
terſuchungen anzuſtellen, ſie zu richten und die Urtheile zu
vollziehn. Aus dem Inbegriff dieſer Rechte beſteht die
Criminal-Gewalt. Sie erſtreckt ſich uͤber alle in dem
Staat befindliche Perſonen, ſie ſeyn Eingebohrne oder Fremde.
Und wenn gleich fremde Fuͤrſten und Geſandte ihr nicht ſo
wie die uͤbrigen Fremden unterworfen ſind, ſo kann doch
aus andren Gruͤnden wider dieſe alles das geſchehn, was
die Sicherheit des Staats erheiſcht, wie unten naͤher er-
hellen wird.
Nicht diejenigen Fremden allein, welche in unſrem
Staat Verbrechen begingen, ſondern auch diejenigen die,
nachdem
[123]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
nachdem ſie in einem andren Staat etwas verbrochen, in
den unſrigen geflohen ſind, koͤnnen von uns ergriffen und
geſtraft werden a); in keinem von beiden Faͤllen iſt der
Staat vollkommen ſchuldig, auch auf erfolgres Nachſuchen,
den Verbrecher an die Obrigkeit ſeines Wohnorts, oder
des Orts des begangenen Verbrechens zuruͤckzuſchicken b),
ſelbſt wenn in dem letzteren Falle auch ſchon die Unterſu-
chung wider ihn dort angefangen, oder das Urtheil geſpro-
chen worden waͤre.
Die Praxis iſt auch in Anſehung ſolcher Auslieferun-
gen der Verbrecher nichts weniger als gleichfoͤrmig. Es
giebt einige Staaten, wie inſonderheit Frankreich, Groß-
britannten, Rußland, welche der Regel nach in keinem
Falle in die Auslieferung willigen. Andere, wohin außer
vielen kleinen Staaten, die Schweizc) gehoͤret, die in
beiden Faͤllen mit der Auslieferung ſehr willfaͤhrig ſind.
Im allgemeinen aber wird die Auslieferung von dem
Staat wo der Verbrecher blos ergriffen worden, an den
Staat in, oder wider den, das Verbrechen begangen wor-
den d), auf erfolgte Requiſition und erbotene Erwiderung
viel leichter geſtattet, als die von der Obrigkeit des Orts
wo das Verbrechen begangen worden, an den Ort der Ge-
burt oder Wohnung des Verbrechers, welches letztere nur
Kraft der Vertraͤge, oder einer außerordentlichen Deferenz
kleiner Staaten gegen maͤchtigere zu geſchehn pflegt e).
Auch die teutſchen Reichsſtaͤnde unter einander ſind nicht
allgemein f) zu ſolchen Auslieſerungen verbunden, und ver-
willigen ſie daher nur Kraft beſonderer Vertraͤge, oder aus
gegenſeitigen guten Willen g).
Kraft des Schutzes welchen der Staat den frem-
den Einwohnern fuͤr ihre Perſon und Guͤter zu leiſten ſchul-
dig iſt, muß er die in ſeinem Gebiet wider ſelbige began-
gene Verbrechen mit eben der Sorgfalt und Strenge un-
terſuchen und beſtrafen, als wenn ſie gegen ſeine Einge-
bohrne Unterthanen begangen worden waͤren. Der Ver-
brecher ſey ein Fremder oder Eingebohrner.
Wenn aber Verbrecher die in einem andren Lande
ein Verbrechen begangen haben, ſein Gebiet betreten, oder
ſich da aufhalten, ſo hat er außerhalb der Vertraͤge keine
vollkommene Verbindlichkeit gegen dieſes Land ſolche Ver-
brecher, ſelbſt nach erfolgter Requiſition, zu ergreifen, und
(wenn er ſie nicht ausliefern will) zu beſtrafen, oder ein
dort wider ſie gefaͤlletes Urtheil an ihre Perſon oder Guͤter
zu vollziehn.
Auch giebt es in der Praxis Verbrechen, wohin in-
ſonderheit Deſertion a) und Schleichhandel gehoͤren, wegen
deren der Regel nach kein Staat eine Arreſtirung verfuͤget,
wenn er es nicht durch Cartels oder andere Vertraͤge ver-
ſprochen
[125]Rechte d. Voͤlker in Anſ d. einzelnen Hoheitsrechte.
ſprochen hat b). Iſt hingegen von groͤberen Verbrechen,
durch welche die Sicherheit der Staaten unmittelbar in
Gefahr geſetzt wird, inſonderheit von Staatsverbrechen die
Rede, ſo ſcheint die gegenſeitige Wohlfarth der Staaten
zu erfordern, ſolche Verbrechen nicht ungeſtraft zu laſſen;
auch weigert kein Staat gerade zu c) in dieſen Faͤllen zu
unterſuchen und zu beſtrafen, wenn er gebuͤhrendd) darum
erſuchet worden.
Da jeder Staat die Criminal-Gewalt ausſchließlich
innerhalb der Grenzen ſeines Gebiets hat, ſo kann kein
Theil derſelben auf einem fremden Gebiet ohne Verletzung
der Territorialrechte des letzteren mit Recht ausgeuͤbt wer-
den. Weder die Arreſtirung und Aufhebung eines fluͤch-
tigen Verbrechers, noch ſelbſt die gewaffnete Nacheile, noch
die bewaffnete Durchfuͤhrung eines Inculpaten kann daher
in einem fremden Gebiet ſtatt finden, wenn nicht die be-
ſondere Erlaubniß des Staats, oder ein Vertrag, oder eine
Staatsdienſtbarkeit dazu berechtiget. Und dieſe Grundſaͤtze
werden auch nicht nur von den Europaͤiſchen Maͤchten, ſon-
dern auch von den teutſchen Staaten gegen ſie und unter
einander ſo anerkannt, daß die Uebertretung derſelben a)
als eine grobe Verletzung des Voͤlkerrechts betrachtet, und
wo
[126]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
wo moͤglich geahndet wird. Nur das Recht der bewaffne-
ten Nacheile gilt in Teutſchland Kraft der Reichsgeſetze b),
obwohl uͤber die Ausdehnung dieſes Recht hier geſtritten
wird; außerhalb Teutſchlands kann die bewafnete Nach-
eile wohl nicht als ein allgemein anerkanntes Recht ange-
ſehn werden c).
Aus eben dieſen Gruͤnden erſtreckt ſich auch die Wir-
kung eines Criminal-Urtheils nicht außerhalb der Grenzen
des
[127]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
des Gebiets auf die Ehre und Guͤter des verurtheilten;
ſo daß derjenige der in einem Lande fuͤr ehrlos erklaͤret
worden a) in einen andren Lande zwar wohl infamiam
facti erduldet, aber nicht im Rechtsverſtande ehrlos wird b),
daß wer aus einem Lande verbannet worden, in einem an-
dren aufgenommen werden kann c), und das Urtheil das
ſeine Guͤter fuͤr conſiſcirt erklaͤret, nicht die Confiſcation der
außerhalb Landes gelegenen nach ſich zieht, vielmehr es ein
neues Urtheil und eine neue Strafe enthalten wuͤrde, wenn
er in einem andren fuͤr ehrlos erklaͤrt, verbannt oder ſeiner
Guͤter verluſtig erklaͤret wuͤrde.
Gleichmaͤßig hat zwar jeder Regent das Recht einen
Criminal-Proceß aufzuheben, oder den Verbrecher zu be-
gnadigen; dies hindert aber einen fremden Staat nicht die-
ſen, er habe in ſeinem Gebiet das Verbrechen begangen,
oder ſich nur betreten laſſen, zu beſtrafen; will daher ein
Staat verhindern, daß ein Angeklagter in einem andren
Lande nicht zur Strafe gezogen werde, ſo hat er der Regel
nach keinen andren Weg, als den der guͤtlichen Vorſtel-
lungen; doch ſind Faͤlle gedenkbar wo die offenbare Unſchuld
des Angeklagten, oder die offenbare Incompetenz des Rich-
ters,
[128]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
ters, oder die evidente Ungerechtigkeit ſeines Verfahrens
einen fremden Staat berechtigen koͤnnte, ſich des Angeklag-
ten, zumahl wenn dieſer als Unterthan oder ſonſt auf ſei-
nen Schutz einen Anſpruch zu machen hat a), ſelbſt mit
den Waffen in der Hand anzunehmen.
Die Befoͤrderung des Handels macht die Einfuͤhrung
der Muͤnze, und ihre Verwandlung in ein Hoheitsrecht
rathſam. Der Staat kann das Schrot und Korn der
Muͤnze und den aͤußeren Zahlwerth derſelben beſtimmen.
So lange hiemit nicht offenbarer Mißbrauch getrieben wird,
kann der Auslaͤnder und fremde Einwohner ſich nicht be-
ſchweren, wenn er den Eingebohrnen gleich die Zahlungen
in der Landesmuͤnze zu leiſten a) und zu empfangen ange-
halten wird. Daß in Nothfaͤllen der Staat zu Muͤnzzei-
chen und Papiergeld, z. B. Banco-Noten, Steuerſcheine,
Aſſignaten u. ſ. f. ſeine Zuflucht nehmen koͤnne, iſt nicht zu
laͤugnen; auch in Anſehung dieſer kann der Fremde ſich
nicht beſchweren, wenn er den Unterthanen gleich zur An-
nahme derſelben genoͤthiget wird, ſofern der Staat ſich zu
kuͤnftiger Einloͤſung derſelben verpflichtet. Wenn aber durch
gewaltſame Finanzoperationen b) der Staat ſich dieſer na-
tuͤrlichen Verpflichtung ganz oder zum Theil entziehn will,
ſo entſteht daraus eine ſo augenfaͤllige Kraͤnkung der Ei-
genthumsrechte des Beſitzers, daß ein fremder Staat ſich
desfalls ſeiner Unterthanen annehmen, und durch alle zwi-
ſchen freyen Voͤlkern eintretende Mittel ihnen zu ihrer vol-
len Zahlung zu verhelfen berechtiget iſt c).
Da auch das Muͤnzrecht jedem Staat nur innerhalb
der Grenzen ſeines Gebiets zuſteht, ſo iſt kein fremder
Souverain vollkommen verbunden fremden Muͤnzen oder
Papier-
[129]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
Papiergelde den Lauf in ſeinen Landen z laſſen; er kann
ſie daher entweder ganz verbieten, oder nach erfolgter Pruͤ-
fung des Gehalts der Muͤnze ihren Zahlwerth herabſetzen d);
ſo wie umgekehrt das Verbot einer gewiſſen Muͤnze in
einem Lande nicht verhindert, ſie in einem andren beyzube-
halten e). Unter fremdem Stempel Muͤnze zu praͤgen,
laͤßt ſich, wenigſtens in Friedenszeiten f), nicht als erlaubt
anſehn. Dieſe ſtrengen Grundſaͤtze des allgemeinen Voͤl-
kerrechts ſind auch in der Praxis der Europaͤiſchen Voͤlker
in einem fuͤr das Eigenthum des Staats und ſeiner Unter-
thanen ſo wichtigen Punct voͤllig beybehalten. Auch die
teutſchen Reichsſtaͤnde, obgleich ſie in Anſehung des Muͤnz-
rechts ſelbſt und der Ausuͤbung deſſelben den aus der reut-
ſchen Reichsverfaſſung entſpringenden Beſchraͤnkungen un-
terworfen ſind g), bedienen ſich theils unter einander, theils
gegen Auswaͤrtige eben der Rechte, welche freyen Voͤlkern
in Anſehung der Muͤnzen zuſtehn.
Auch das Recht der Poſten ſteht außer dem Fall
der Staatsdienſtbarkeiten jedem Staat nur bis an ſeiner
Grenze a) zu. Daher koͤnnte jeder Staat Poſten angelegt
haben, und doch keine allgemeine Verbindung vorhanden
ſeyn. Wenn aber, wie inſonderheit in Europa, nach dem
Muſter Frankreichs, ſeit dem 15ten Jahrhunderte nach und
nach in einzelnen Landen Poſten angelegt worden b), ſo
bedarf es nur der Vertraͤge benachbarter Staaten wegen
Uebernehmung und Verrechnung der Briefe, Paquete u. ſ. f.
an der Grenze, um die Vortheile dieſes Inſtituts auf meh-
rere Lande zu erſtrecken c); und durch ſolche in zahlloſer
Menge getroffene, und nach und nach vervollkommte Ver-
abredungen ſind jetzt die Poſten das allgemeine Band der
Vereinigung des Handels und der Cultur, faſt fuͤr alle Win-
kel des Erdbodens geworden.
In einem jeden Lande ſtehn ſie unter dem beſondren
Schutze d) des Voͤlkerrechts und die auf die erſten Grund-
ſaͤtze des Eigenthums geſtuͤtzte Unverletzlichkeit der ihnen an-
vertraueten Briefe und Effecten, muß von allen Souve-
rainen zum Beſten der Auslaͤnder, wie der eigenen Unter-
thanen, anerkannt werden e). Nur Faͤlle einer Colliſion
koͤnnen in dringenden Umſtaͤnden eine Ausnahme rechtfer-
tigen; da aber jeder Regent uͤber die Exiſtenz dieſer Colli-
ſionen zu urtheilen ſich erlaubt, und Mißbraͤuche gedenkbar
ſind f), ſo hat dies die Nothwendigkeit der Geheim-Schrei-
berey (Chifriren) in allen erheblichen Staatscorreſponden-
zen nach ſich gezogen.
Da zwiſchen kriegfuͤhrenden Maͤchten der Lauf und
die Unverletzlichkeit der Poſten ganz, oder doch groͤßeſten-
theils, gehemmt zu werden pflegt, ſo wird oft die Wieder-
herſtellung derſelben in Friedensſchluͤſſen ausdruͤcklich be-
dungen g).
Wenn man die Rechte der weltlichen Oberherr-
ſchaft uͤber die Kirche(ius circa ſacra) von den Rech-
ten unterſcheidet, welche der Kirche ſelbſt als Geſellſchaft
zuſtehn (ius ſacrorum), ſo gehoͤret zu jenen I) das Recht
zu beſtimmen welche Religionen in einem Lande geduldet
oder geuͤbt werden, und wie weit ſich ihre geſellſchaftlichen
Rechte erſtrecken ſollen (ius reformandi); 2) die im Lande
eingefuͤhrte Religion zu ſchuͤtzen und ihre Rechte zu ver-
theidigen (ius advocatiae) 3) uͤber alle im Lande befindliche
Religionen die hoͤchſte Aufſicht zu uͤben, damit unter dem
Vorwande derſelben dem Staat nicht geſchadet werde (ius
ſupremae inſpectionis). Die Rechte der Kirche als Ge-
J 2ſellſchaft
[132]Drittes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
ſellſchaft hingegen, begreifen das Recht den Zweck derſelben
mit gemeinſchaftlichen Kraͤften zu befoͤrdern, und was ihm
entgegen ſeyn wuͤrde zu entfernen, folglich in dieſer Ruͤck-
ſicht die noͤthigen Geſetze zu geben, geiſtliche Aemter zu be-
ſetzen, und Mitglieder welche den Geſetzen der Geſellſchaft
zuwider handeln durch zweckmaͤßige Mittel zu beſſern, oder
auszuſchließen.
Dieſes ius ſacrorum ſteht urſpruͤnglich in jedem Staat
der in dieſem ſich gebildeten kirchlichen Geſellſchaft allein
zu, mit Ausſchluß aller fremden Gewalt außerhalb des
Staats. Gedenkbar iſt aber daß die Kirchen mehrerer
Staaten ſich zu gemeinſchaftlicher Ausuͤbung dieſer Rechte
vereinigen, und ſofern eine große gleiche Geſellſchaft oder
Kirche bilden. Das war auch in den erſten Jahrhunder-
ten der chriſtlichen Religion auf den beſondren und oͤcu-
meniſchen Concilien geſchehn, bis ſich die Paͤbſte zu Haͤuptern
dieſer gleichen Geſellſchaft aufwarfen, ſie in eine ungleiche
umſchufen, und ihre angemaaßte Oberherrſchaft uͤber alle
Mitglieder der Kirchen der einzelnen chriſtlichen Staaten
ohne Unterſchied, uͤber Koͤnige wie uͤber Unterthanen, und
noch dazu oft weit uͤber die Grenzen der kirchlichen Gewalt
auf Gegenſtaͤnde erſtreckten, die nicht der Kirche ſondern
der weltlichen Oberherrſchaft angehoͤren.
In Gefolge der Reformation aber trennte ſich nicht
nur eine betraͤchtliche Zahl Staaten ganz von dieſer un-
gleichen roͤmiſchen Kirchengeſellſchaft und bildete fuͤr ſich
ihre eigenen unabhaͤngigen Kirchengeſellſchaften (§. 27.) ſon-
dern ſelbſt diejenigen Staaten welche in dem Schooße der
roͤmiſchen Kirche als Mitglieder einer großen ungleichen
Kirchengeſellſchaft die Oberherrſchaft des Pabſts anzuerken-
nen fortfuhren, haben theils nach und nach die Rechte der
weltlichen Oberherrſchaft uͤber die Kirche wiederum an ſich
zu ziehn und ungekraͤnkter zu uͤben angefangen, theils die
Rechte,
[133]Rechte d. Voͤlker in Anſ. d. einzelnen Hoheitsrechte.
Rechte, ſowohl ihrer beſondren Kirche und der Vorſteher
derſelben, als der Kirche uͤberhaupt, gegen die uͤbertriebenen
Anmaaßungen der Paͤbſte mit mehr oder weniger Nach-
druck zu vertheidigen und zum Theil durch Concordate zu
ſichern geſucht. Inſonderheit aber ſind die unter ſo man-
nigfaltigem Vorwande ehemahls verſuchten paͤbſtliche Ein-
miſchungen in weltliche Angelegenheiten der Voͤlker unter
einander, die unberufenen Entſcheidungen, die angemaaß-
ten Verſchenkungen der Kronen, vor dem Glanze gelaͤuter-
ter Grundſaͤtze des Staats- und Voͤlkerrechts verſchwunden,
und die Bannſtrahle des Vaticans entſcheiden nicht mehr
uͤber die Schickſale der Voͤlker.
Da Kraft des iuris reformandi jeder Staat ſich
beſtimmen kann, ob er neben der Religion des Landes noch
anderen Duldung oder Uebung geſtatten will, ſo haben
fremde Maͤchte einer andern Religion außerhalb der Ver-
traͤge a) kein vollkommenes Recht fuͤr ihre Unterthanen
Freyheit ihrer Religionsuͤbung zu fordern. Blos der ein-
fache haͤußliche Gottesdienſt (devotio domeſtica ſimplex)
kann als ein Recht der natuͤrlichen Freyheit und als der
geringſte Grad der Duldung von jedem gefordert werden,
dem die Aufnahme verwilliget worden.
Aus eben dieſen Gruͤnden kann keine fremde Macht
ohne Verletzung des Voͤlkerrechts ſich erlauben, ihre Re-
ligion wider Willen eines andren Staats in demſelben ein-
zufuͤhren; weder durch ohnehin dieſem Zweck ſchlecht ent-
ſprechende gewaltſame Mittel, noch durch heimliche Wege
unberufener Miſſionen. Auch die lebhafteſte Ueberzeugung
daß ihre Religion die vorzuͤglichere oder allein ſeeligma-
chende ſey, kann, bey der Gleichheit der Rechte der Voͤlker,
welche auch auf ihre Meinungen ſich erſireckt, ihr kein Be-
fugniß geben, mit Verletzung der offenbareſten Rechte eines
andern, ihm das, was ihr Wahrheit ſcheint, aufzudringen.
Entſtehn in einem Staat Streitigkeiten uͤber die
Rechte der verſchiedenen Religionspartheyen, ſo haben fremde
Maͤchte nicht mehr Rechte in dieſe, als in andere haͤußliche
Angelegenheiten ſich zu miſchen; ſie koͤnnen daher nichts
mehr als guͤtliche Vorſtellungen a) thun, falls ſie nicht
rechtmaͤßig zur Huͤlfleiſtung aufgefordert, oder durch Ver-
traͤge b) oder durch ſonſt erworbene Rechte aus einem be-
ſondren Grunde zur Einmiſchung berechtiget ſind. Aber
uͤber dieſe Grenzen hinaus glauben die Europaͤiſchen Maͤchtt
ein vollkommenes Recht zu haben, ſich ihrer in einem an-
dren Lande bedraͤngten Glaubensgenoſſen, ſelbſt mit den
Waffen in der Hand anzunehmen; nur ob dies wirklich ge-
ſchehe, haͤngt von politiſchen Ruͤckſichten ab; denn die Ge-
ſchichte aller Religionskriege lehret, daß 1) nie ein Krieg
von den Regenten blos um der Religion w [...]n gefuͤhret
worden. 2) Wo politiſches Intereſſe es erheiſcht oder ge-
ſtattet, die Sache der Religion wirklich verfochten worden,
hingegen 3) auch der heißeſte Religionseifer einer Macht vor
dem politiſchen Intereſſe erkalte, und 4) letzteres ſie nicht
ſelten zu ganz entgegengeſetzten Schritten verleite c).
Außer den bisher eroͤrterten gegenſeitigen, auf Ver-
traͤge oder Herkommen beruhenden Rechten der Voͤlker in
Anſehung ihrer inneren Angelegenheiten, laſſen ſich noch
mannigfaltige Faͤlle gedenken und anfuͤhren, wo eine Macht
ein vollkommnes Recht auf das Gebiet der andern erwor-
ben hat, Kraft deſſen dieſe zu ihrem Beſten etwas zu dul-
den, zu thun, oder zu unterlaſſen verpflichtet iſt, wozu ſie
ſonſt nicht verbunden waͤre, und welches ſie auch von jener
nicht hinwiederum zu fordern berechtiget iſt; daraus ent-
ſteht der Begriff der beſondren Voͤlkerrechts-Dienſtbar-
keitenServitutes iuris publici ſ. gentium particulares
(§. 73.). Es giebt nicht leicht ein Hoheitsrecht in Anſehung
deſſen ſich nicht Beyſpiele ſolcher Voͤlkerrechts-Dienſtbar-
keiten anfuͤhren ließen. So lange eine ſolche Servitut nur
entweder ein oder anderes zufaͤllige Hoheitsrecht zum Ge-
genſtande hat, oder doch nur auf einen Theil des Gebiets
des andern, auf einzelne Orte u. ſ. f. ſich beſchraͤnkt, ſo lange
verhindert ſie den Staat, der ihre Laſt traͤgt, nicht frey und
unabhaͤngig zu ſeyn. Sobald hingegen ein auswaͤrtiger
Staat entweder ein oder mehrere weſentliche Hoheitsrechte
uͤber das ganze Gebiet eines andren Staats ausuͤbt, oder
dieſer letztere wenigſtens ohne deſſen Wiſſen und Einwil-
ligung ſie nicht ausuͤben darf, ſo iſt die voͤllige Unab-
haͤngigkeit des Staats verloren, und er iſt zum Theil der
Oberherrſchaft des andern unterworfen a).
Da uͤbrigens ein Staat Theile ſeines Eigenthums
und ſeiner Oberherrſchaft zu veraͤußern befugt iſt, auch auf
einen Theil ſeiner natuͤrlichen Rechte und Vortheile Ver-
zicht leiſten kann, ſo koͤnnen auch ſolche Voͤlkerrechts-Dienſt-
J 4barkeiten,
[136]Drittes B. Drittes Hptſt. Rechte d. Voͤlker ꝛc.
barkeiten, wie laͤſtig ſie auch immer dem Staat der ſie
uͤbernommen hat fallen, nicht als widernatuͤrlich angefoch-
ten werden b); und wenn daher der Vertrag auf welchen
ſie ſich gruͤnden die Erforderniſſe eines guͤltigen und ver-
bindlichen Vertrags hat, ſo koͤnnen ſie nicht anders, als nur
in ſolchen Faͤllen einſeitig aufgehoben werden, in denen man
von einem Vertrage abzugehn berechtiget iſt.
Wie ein jeder ſouveraine Staat das Recht hat ſeine in-
nere Verfaſſung im ganzen und in ihren Theilen ſo einzu-
richten, wie er es fuͤr die Erreichung der inneren Sicher-
heit und Wohlfarth am nuͤtzlichſten findet, ſo hat er auch
ebenmaͤßig das Recht, alles was auf die Befoͤrderung der
aͤußeren Sicherheit und Wohlfarth abzweckt, zu beſchließen
und zu unternehmen und was ihr entgegen ſteht zu unter-
laſſen; eine dritte Nation iſt, ſo lange ihre vollkommnen
Rechte dadurch nicht gekraͤnkt werden, im allgemeinen ſo
wenig befugt, Rechenſchaft von ſeinem Thun und Laſſen zu
begehren, als ihn zu Unternehmung, oder Unterlaſſung ſol-
cher Handlungen zu noͤthigen. Doch leiden dieſe Grund-
ſaͤtze nicht ſelten Modificationen, welche, theils in dem poli-
tiſchen Verhaͤltniſſe der Europaͤiſchen Voͤlker uͤberhaupt,
theils in Vertraͤgen ihren Grund haben.
So hat zwar jeder Staat als eine Folge ſeiner Frey-
heit und Unabhaͤngigkeit das Recht bey ſich zu Hauſe alle
J 5die
[138]Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
die Vorkehrungen zu treffen, welche ſeine Sicherheit von
außen zu erfordern ſcheint, um ſich entweder wider den An-
griff einer andren Macht zu vertheidigen, oder der Gefahr
mit der er bedrohet wird zuvorzukommen. Er kann daher
ſowohl mitten im Lande, als an den Grenzen, ſoviel Veſtungen
erbauen, oder wieder ausbeſſern laſſen, als er fuͤr gut findet;
er kann ſoviel Truppen werben, Schiffe ausruͤſten, Allianzen
und Subſidienbuͤndniſſe ſchließen, als er fuͤr noͤthig haͤlt,
kurz alle Arten von Kriegszuruͤſtungen unternehmen, ſo lange
ihm nicht etwa in ein oder anderem Puncte durch Vertraͤge a)
die Haͤnde gebunden ſind, und er iſt nicht ſchuldig von die-
ſen Ruͤſtungen und deren Abſichten einer auswaͤrtigen Macht
Rechenſchaft zu geben.
Da aber dergleichen außerordentliche Kriegsruͤſtun-
gen leicht bey andren, inſonderheit benachbarten Staaten
Bedenklichkeiten und Verdacht feindſeeliger wider ſie gerich-
teter Abſichten erregen, und es dem Staat ſelbſt der ſich ruͤſtet
wichtig iſt, ihnen dieſe zu benehmen, wenn ſie ungegruͤndet
ſind, damit ſie dadurch nicht zu nachtheiligen Schritten ver-
leitet werden, ſo hat eine natuͤrliche Staatsklugheit es in
Europa zur Sitte gemacht, daß in ſolchen Faͤllen Erklaͤ-
rungen begehrt, und dieſe ſelbſt auf Anfrage minder maͤch-
tiger Staaten befriedigend ertheilet werden, wenn die An-
frage auf eine anſtaͤndige Weiſe geſchehn iſt und die Antwort
den Umſtaͤnden nach befriedigend gegeben werden kann a).
Oſt werden ſelbſt von freyen Stuͤcken ſolche Erklaͤrungen
an
[139]Erhaltung der Freyheit und Sicherheit.
an Maͤchte gegeben, die man zu beruhigen wuͤnſcht b).
Nur dann, wenn man keine beruhigende Antwort zu erthei-
len im Stande iſt, erfolgen zweydeutige, unbeſtimmte Ant-
worten c), oder man beruft ſich auf die Unabhaͤngigkeit der
Voͤlker, nach welcher ſie keine Rechenſchaft von ihren Hand-
lungen zu geben haben d).
Wie es nun ſchon natuͤrliche Pflicht iſt gelindere Mit-
tel den haͤrteren vorgehn zu laſſen, ſo finden die Maͤchte
in jener Sitte einen neuen Grund des Rechts zu verlan-
gen, daß erſt freundſchaftliche Erklaͤrungen gefordert wer-
den muͤſſen, ehe man zu Thaͤtlichkeiten ſchreitet e). Daß
indeß zuweilen Umſtaͤnde dergleiche Anfragen als uͤberfluͤſſig
und wegen des Zeitverluſts nachtheilig betrachten laſſen koͤn-
nen, iſt unlaͤugbar f).
So hat auch jeder unabhaͤngige Staat das Recht
nach ſeiner Willkuͤhr Vertraͤge aller Art mit andren einzu-
gehn, die er ſeinem Intereſſe gemaͤß findet, und eine dritte
Macht iſt nicht befugt ihn hieran zu hindern, wenn da-
durch ihren vollkommnen Rechten nichts entzogen wird.
Auf der andern Seite aber iſt er auch befugt, Ver-
traͤge die ihm angetragen werden abzulehnen, und dritte
Maͤchte haben ſo wenig das Recht ihn zu Schließung ſol-
cher
[140]Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
cher Vertraͤge zu noͤthigen, als durch ihre Vertraͤge mit
andern ihm wider ſeinen Willen Verbindlichkeiten aufzulegen.
Wie ſehr auch dieſe Grundſaͤtze von den Europaͤiſchen
Maͤchten in der Theorie anerkannt werden, ſo leiden ſie
doch in der Praxis manche Abfaͤlle. Nicht nur 1) ſofern
es mehrere Beyſpiele giebt, wo freye Maͤchte ſich durch ihre
mit einer Macht eingegangenen Vertraͤge in Anſehung der
mit andren zu ſchließenden die Haͤnde gebunden haben a),
oder ſofern nicht voͤllig unabhaͤngige Staaten durch die Ge-
ſetze die ſie uͤber ſich erkennen in ihrer Freyheit gewiſſe
Vertraͤge zu ſchließen beſchraͤnkt ſind b); ſondern 2) viele
minder maͤchtige Staaten in Europa ſehen ſich durch poli-
tiſche Ruͤckſichten verhindert ſich ihrer natuͤrlichen Freyheit
Vertraͤge zu ſchließen in ihrer ganzen Ausdehnung zu bedie-
nen, und manche derſelben ſind bey aller ihnen zuſtehenden
foͤrmlichen Unabhaͤngigkeit, in einer ſehr reellen Abhaͤn-
gigkeit von ihren maͤchtigen Nachbaren. Endlich 3) fehlt
es nicht an Beyſpielen neuerer Zeiten c), daß Maͤchte eine
andere wider ihren Willen genoͤthiget haben, einem von
ihnen geſchloßenen Vertrage beyzutreten, und ſelbſt zum vor-
aus ſie unter die Zahl der Contrahenten mit aufgefuͤhret
haben d).
Da jeder Staat auch das natuͤrliche Recht hat ſich
moͤglichſt zu vervollkommnen, ſo iſt er auch befugt ſeine
Vergroͤßerung und die Vermehrung der Macht und des
Anſehns ſeines Regenten auf jede an ſich ſelbſt erlaubte
Weiſe zu beſoͤrdern, es ſey durch Occupation herrnloſer ihm
nuͤtzlicher Lande, oder durch friedliche Tauſch- und Ceſſions-
Vertraͤge oder durch moͤglichſt vortheilhafte Friedensſchluͤſſe;
oder durch Buͤndniſſe, oder dadurch daß ſein Oberherr
durch Erbrecht oder Wahl die Oberherrſchaft uͤber neue Laͤn-
der erwirbt, oder durch Heyrath ſie auf ſeine Nachkom-
men bringt. Sofern hiedurch die vollkommnen Recht eines
dritten nicht gekraͤnkt werden, hat dieſer im allgemeinen
kein Recht ſolchen Erwerbungen, oder der daraus entſtehen-
den Schwaͤchung eines andren Staats ſich zu widerſetzen.
Indeß ſind unlaͤugbar Faͤlle gedenkbar, wo die un-
verhaͤltnißmaͤßige Vergroͤßerung eines ſchon maͤchtigen
Staats, zumahl dann, wenn ſie mit Schwaͤchung eines
andren der ihm das Gegengewicht halten konnte, verbunden
iſt, der Unabhaͤngigkeit oder der wirklichen Freyheit a)
anderer, vorzuͤglich benachbarter Staaten, gegenwaͤrtig oder
fuͤr die Zukunft Gefahr drohet, welche die bloße dereinſlige
Verbindung mehrerer Staaten wider kuͤnftige Mißbraͤuche
nicht zu heben vermag. In dieſen Faͤllen entſteht eine
Colliſion der Rechte bey welcher dieſe Staaten aus Sorge
fuͤr ihre Selbſterhaltung berechtiget ſind, einzeln oder mit
vereinigten Kraͤften ſich einer ſolchen Vergroͤßerung, und
zugleich
[142]Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
zugleich der Schwaͤchung eines andern Staats, ſelbſt mit
Gewalt der Waffen, und ohne Ruͤckſicht auf die Recht-
maͤßigkeit, der bezweckten Vergroͤßerung zu widerſetzen.
Faͤlle der Art koͤnnen leichter und haͤufiger zwiſchen benach-
barten, in einer Art einer geſellſchaftlichen Verbindung
ſtehenden, als zwiſchen entfernten zerſtreuet lebenden Voͤl-
kern eintreten, und daher paßt das Syſtem der Erhaltung
des Gleichgewichts, worauf die mehreſten europaͤiſchen
Maͤchte b) als auf ein ihnen zuſtehendes Recht ſich beru-
fen, mehr auf Europa, als auf einen der uͤbrigen Welt-
theile, und kann fuͤr Europa und fuͤr einzelne Theile deſ-
ſelben, bey allen Maͤngeln und Mißbraͤuchen denen es aus-
geſetzt iſt, weder fuͤr eine Chimaire, noch fuͤr eine politi-
ſche Charlatanerie gehalten, noch als unnuͤtz oder widerrecht-
lich verworfen werden.
Von jeher ſahen Voͤlker eines Erdſtrichs die unver-
haͤltnißmaͤßige Vergroͤßerung eines unter ihnen mit eifer-
ſuͤchtigen Augen an. Auch laſſen ſich mehrere Beyſpiele
aus der Geſchichte aͤlterer Voͤlker anfuͤhren, wo einzelne,
ſpaͤt concertirte Verſuche gemacht worden, um ſich dem
Uebergewicht eines ſchon zu maͤchtigen Staats und ſeiner
Eroberungsſucht zu widerſetzen a). Aber keines dieſer Voͤl-
ker ſcheint die Erhaltung eines Gleichgewichts zum herr-
ſchenden Syſtem gemacht, oder eine andre Furcht, als die,
erobert zu werden, gekannt zu haben. Der unge[he]ure An-
wachs der roͤmiſchen Macht, das ſeltſame Phenomen der
Voͤlkerwanderungen, die ruhige Gleichguͤltigkeit anderer
Staaten bey der Macht Carls des Großen, bey der Er-
nennung Heinrichs V. zum Koͤnige von Frankreich, zeugen,
daß die europaͤiſchen Voͤlker erſt ſpaͤter angefangen haben,
auf Gefahren der Art mit weit vorausſehender Vorſorge
zu wachen. So lange ſtete Befehdungen die innere Ruhe
der Staaten truͤbten, war eine Wachſamkeit der Art weni-
ger moͤglich, und ſelbſt anſcheinende Vergroͤßerung oft
minder gefaͤhrlich. Als aber im Anfang des 16ten Jahr-
hunderts die ſo ſehr angewachſene Macht des Hauſes
Oeſterreich nur kaum noch durch die Macht des an inne-
rer Staͤrke gewachſenen Koͤnigreichs Frankreich aufgewogen
wurde, und dieſe zwey hervorragenden Maͤchte wetteifernd
jede nach Univerſal-Monarchie ſtrebten, da bildete ſich in
Europa ein Syſtem der Erhaltung eines Gleichgewichts,
das zwar zunaͤchſt eine zwiſchen dieſen beyden Maͤchten zu
erhaltende ungefaͤhre Gleichheit zum Gegenſtande hatte,
aber bald ausgedehnter, verwickelter, unter oft wandelbarer
Form b) ſich nie wieder aus den Augen der europaͤiſchen
Maͤchte verloren hat; ſo daß wenn ſchon in mehr als einem
Falle einzelne derſelben, durch ihr augenblickliches Intereſſe
verleitet, ſich von den Grundſaͤtzen deſſelben entfernt haben,
und vielleicht ſeit dem 16ten Jahrhundert c) keine Macht
oͤfter
[144]Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
oͤfter und ernſtlicher an Herſtellung und Erhaltung des
Gleichgewichts gearbeitet hat, als ſeit dem Anfange dieſes
Jahrhunderts Großbritannien, und ſpaͤterhin Preußen ge-
than, gleichwohl die mehreſten europaͤiſchen Maͤchte noch
jetzt auf die Erhaltung des Gleichgewichts als auf ein ih-
nen zuſtehendes Recht ſich berufen d).
Eben dieſe Grundſaͤtze treten auch in Anſehung der
Erhaltung des beſondren Gleichgewichts zwiſchen Bewoh-
nern eines gewiſſen Theils von Europa, zwiſchen oͤſtlichen,
weſtlichen, ſuͤdlichen oder nordiſchen a) Maͤchten insbe-
ſondere, in Anſehung eines Gleichgewichts in Italien b),
in Teutſchlandc) ein. Auch von der Erhaltung eines
Gleich-
[145]Erhaltung der Freyheit und Sicherheit.
Gleichgewichts in Anſehung der Beſitzungen der Europaͤer
in America d) iſt mehrmahls die Rede geweſen. Wenn
aber in neueren Zeiten auch die Erhaltung eines Gleichge-
wichts zur See in Anregung gebracht worden e), ſo ſcheint
dabey mehr Handels-Eiferſucht als wahre Sorge fuͤr Er-
haltung der Sicherheit und Freyheit der Voͤlker zum Grunde
zu liegen.
Wann das Gleichgewicht in Gefahr ſey, was fuͤr deſ-
ſen Erhaltung geſchehn muͤſſe, bleibt der Politik der Cabi-
netter zu beurtheilen uͤberlaſſen. Nur ſo viel lehrt Ver-
nunft und Erfahrung 1) daß nicht jede, ſelbſt ausgedehnte,
ſelbſt unvergeltliche Vergroͤßerung eines maͤchtigen Staats
das Gleichgewicht in Gefahr ſetze 2) daß ſelbſt ein anſchei-
nend gleicher Laͤndertauſch, daß eine Erwerbung von gerin-
Kger
[146]Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
ger Ausdehnung es in Gefahr ſetzen koͤnne 3) daß auch
Buͤndniſſe maͤchtiger Staaten das Gleichgewicht zerruͤtten
koͤnnen a) 4) daß die innere Schwaͤchung oder Zerſtuͤcke-
lung eines Staats dem Gleichgewicht oft eben ſo gefaͤhr-
lich werden koͤnne, als die Vergroͤßerung eines andern b).
Unter den Mitteln c) laͤßt ſich zwar die Rechtmaͤßig-
keit guͤtlicher, von einzelnen oder von mehreren vereinigten
Staaten gemeinſchaftlich verſuchter Vorſtellungen, Abmah-
nungen u. ſ. f. d) nicht bezweifeln, wo aber dieſe nicht
hinreichen, koͤnnen auch Buͤndniſſe, es ſey mit dem Staat
auf deſſen Koſten ein anderer ſich vergroͤßern will, oder
mit anderen Maͤchten, und in Gemaͤßheit deren, die Gewalt
der Waffen nicht als unrechtmaͤßig angeſehn werden. Nur
die Rechtmaͤßigkeit des in neueren Zeiten ſo beliebten ſy-
ſteme copartageant, nach welchem ein Staat die Ver-
groͤßerung eines anderen nur unter der Bedingung zugiebt,
daß auch er ſich verhaͤltnißmaͤßig vergroͤßern duͤrfe, laͤßt
ſich billig dann bezweifeln, wenn dieſe Vergroͤßerungen auf
Koſten eines dritten ſchuldloſen Staats vorgenommen wer-
den ſollen.
Eben ſo laͤßt ſich zwar die Sorge eines jeden Staats
durch Erweiterung ſeines Handels und ſeiner Schiffarth
einer andren Nation das Gleichgewicht zur See zu halten
nicht verwerfen, auch koͤnnen mehrere Seemaͤchte in Buͤnd-
niſſen ihre Sicherheit wider den gegenwaͤrtigen Mißbrauch
der Gewalt einer hervorragenden Seemacht ſuchen e), aber
nie kann das Syſtem des Gleichgewichts einen Rechtferti-
gungsgrund abgeben, eine Nation wegen ihres zu ausgebrei-
teten Handels zu bekriegen, oder ſie zu noͤthigen ihre See-
macht einzuſchraͤnken.
Wie im Naturſtande alle Menſchen unabhaͤngig von
ihrer phyſiſchen und moraliſchen Verſchiedenheit in Anſehung
ihrer vollkommenen abſoluten Rechte einander voͤllig gleich
ſind, ſo genießen auch Staaten unabhaͤngig von der Ver-
ſchiedenheit ihrer Ausdehnung, ihrer Volksmenge, ihrer Macht
ihrer Religion, ihrer Verfaſſung, ihres Alters, einer voͤlli-
gen Gleichheit der vollkommenen Rechte gegen einander,
es ſey von den Rechten eines jeden Staats auf ſich ſelbſt
und auf ſeine Selbſterhaltung, oder von ſeiner Freyheit
und Unabhaͤngigkeit, von dem Recht der Benutzung und
Erwerbung herrnloſer Guͤter, oder endlich von dem Recht
auf ſeine Ehre die Rede.
Kraft dieſes letzteren Rechts iſt zwar jeder Staat
befugt zu fordern, daß kein anderer ihn laͤſtere, oder poſitive
Zeichen ſeiner Verachtung blicken laſſe, aber er hat auch
kein vollkommenes Recht auf irgend ein poſitives Zeichen
der Hochachtung, noch weniger auf irgend einen Vorzug
vor anderen Voͤlkern.
Wenn daher eine Nation ihren Regenten durch die
Wuͤrde welche ſie ihm beygelegt, und durch andere perſoͤn-
liche Vorzuͤge die ſie ihm einraͤumt, zu ehren ſucht, ſo kann
K 2dies
[148]Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
dies auswaͤrtige Voͤlker nicht vollkommen verpflichten, ihm
eben dieſe Wuͤrde und Vorzuͤge einzuraͤumen; dieſe koͤnnen
ſie ihm daher ganz verweigern, oder nur unter gewiſſen
Bedingungen und Beſchraͤnkungen anerkennen.
Doch kann der Wunſch in freundſchaftlichem Verkehr
mit einer Nation zu treten, oder zu bleiben, das Verlan-
gen, daß auch ſie gegen unſeren Regenten ein gleiches thue,
eine dringende Veranlaſſung werden, ſolche Wuͤrden, und
ſofern das Herkommen mit dieſen Wuͤrden und mit dem
Beſitz der Unabhaͤngigkeit noch andere Ehrenbezeugungen
verbunden hat, auch dieſe Ehrenbezeugungen einer anderen
Nation einzuraͤumen.
Eben ſo hat zwar urſpruͤnglich kein Staat irgend ein
Recht vor einem andren den Vorrang oder andere Vor-
zuͤge zu begehren. Doch koͤnnen ſchwaͤchere Staaten ſich
leicht veranlaſſet ſehn, maͤchtigeren, deren Freundſchaft ſie
beduͤrfen, und deren Feindſchaft ſie zu fuͤrchten haben, gut-
willig den Rang und andere vorzuͤgliche Rechte einzuraͤu-
men, zumahl ſie nicht verhindern koͤnnen, daß dritte Staa-
ten, da wo dies von ihrer Willkuͤhr abhaͤngt, ſie den
maͤchtigeren nachſetzen.
Durch dieſe Veranlaſſung ſind auch in Europa in
Hinſicht der Wuͤrden, des Rangs und anderer Ehrenbezeu-
gungen der Staaten, ihrer Regenten und Repreſentanten,
ſo mannigfaltige Beſtimmungen eingefuͤhret, daß daraus
eine eigene Wiſſenſchaft des Voͤlker-Ceremonielsa), im
Gegenſatz des inneren Staats-Ceremoniels, gebildet wer-
den kann, die wenn ſie gleich mehrentheils auf bloßes Her-
kommen ſich ſtuͤtzt, gleichwohl in dem Voͤlkerrecht eine
Stelle verdient; zumahl die angenommenen Grundſaͤtze der-
ſelben oft heiliger, als die feyerlichſten Vertraͤge erfuͤllet
werden. Dieſes Voͤlker-Ceremoniel zerfaͤllt wiederum in
verſchiedene Theile, nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde
wobey
[149]Gleichheit Wuͤrden und Rang.
wobey es ſich aͤußert, ſo daß man es in das perſoͤnliche-
Canzley-See-Geſandſchafts-Kriegs-Ceremoniel u. ſ. f.
eintheilen kann; da von dieſen bey den einzelnen Materien
des Voͤlkerrechts, worinn ſie einſchlagen, bequemer wird ge-
handelt werden koͤnnen, ſo ſind hier nur noch erſt die in
Anſehung der Titel und des Ranges eingefuͤhrten Cere-
moniel-Rechte zu eroͤrtern, da ſich dieſe auf mehrere Theile
der Wiſſenſchaft erſtrecken.
Wie der vernuͤnftigſte Grund der vorzuͤglichſten Eh-
renbezeugungen gegen einen Regenten in ſeiner Eigenſchaft
eines Anfuͤhrers und Repreſentanten einer großen Geſell-
ſchaft zu ſetzen iſt, ſo wuͤrde an ſich betrachtet der Grad ſei-
ner Macht und die Groͤße des Staats den er beherrſcht
mehr als die Verſchiedenheit der Wuͤrde die er annimmt,
uͤber die Ehrenbezeugungen entſcheiden, die er von andren
zu erwarten Urſache haͤtte. Aber die Unbeſtimmtheit die-
ſes Principiums, und der zufaͤllige Umſtand daß die Be-
herrſcher der maͤchtigſten Staaten in Europa den Kaiſer-
oder Koͤnigstitel gefuͤhret haben, haben veranlaſſet dieſe
Titel als die hoͤchſten weltlichen Wuͤrden anzuſehn und denen,
welche ſie fuͤhren, unabhaͤngig von der Verſchiedenheit ihrer
Macht a) vor andren Fuͤrſten Vorzuͤge einzuraͤumen; ſo
wie die ungeheure Macht der ehemahligen roͤmiſchen Kaiſer,
denen ſelbſt Koͤnige unterthan waren, der Kaiſerlichen Wuͤrde
noch vor der Koͤniglichen Vorzuͤge verſchaffet hat, deren auch
nach Carl dem Großen die roͤmiſchen Kaiſer als angebliche
K 3Nachfol-
[150]Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
Nachfolger der Herrn der Welt und als Oberhaͤupter der
Chriſtenheit noch lange genoſſen b), und die nicht blos auf
den Vorzug des Ranges ſich beſchraͤnkten, ſondern ſelbſt
auf einen hoͤheren Grad des Anſehns und der Unabhaͤn-
gigkeit c) deuteten; bis man den Irrthum der Hypotheſe
erkannte und ſeitdem die Koͤnige dem Kaiſerlichen Titel fuͤr
ſich allein keine nothwendige Vorzuͤge vor dem Koͤniglichen
einraͤumen.
In Anſehung der Anerkennung der Titel und Wuͤr-
den der Regenten uͤberhaupt gilt jetzt, da das ehemahls
von den Kaiſern a) und Paͤbſten b) angemaaßte Recht
Kronen zu vergeben, und dadurch die uͤbrigen Voͤlker zu
Anerkennung der neuen Koͤnigswuͤrde zu noͤthigen ihnen nicht
mehr
[151]Gleichheit Wuͤrden und Rang.
mehr eingeraͤumt wird c), durch ganz Europa der Grundſatz,
daß zwar jedes Volk ſeinem Regenten jeden neuen Titel den
es fuͤr gut findet, beylegen koͤnne, auswaͤrtige Maͤchte aber
nicht ſchuldig ſind ihn anzuerkennen, vielmehr alles auf
Vertraͤge und Herkommen mit Auswaͤrtigen beruhe, folg-
lich die Anerkennung auch bedingt geſchehn koͤnne e).
Da die Kaiſerliche und Koͤnigliche Wuͤrde fuͤr die
hoͤchſten unter den weltlichen in Europa gehalten werden,
und daher auch die hoͤchſten Ehrenbezeugungen nach ſich
ziehn, ſo hat man den Inbegriff der letzteren mit dem
Nahmen der Koͤniglichen Ehrenbezeugungen belegt, wohin
man außer den Rang vor den uͤbrigen Staaten, das Recht
Geſandte der erſten Claſſe zu ſchicken, und manche andere
faſt in alle einzelne Theile des Ceremoniels einſchlagende
Ehrenbezeugungen zaͤhlt. Dieſe Koͤnigliche Ehrenbezeugun-
gen ſtehn, obwohl mit verſchiedenen Modificationen, auch
einigen Staaten die nicht Koͤnige zu Oberhaͤuptern haben,
zu, wie ſchon oben §. 15. in Anſehung der Republik Vene-
dig, die ehemahls zwey Koͤnigreiche unter ſich hatte, der
Republik der v. Niederlande, der Schweiz, der Chur-
fuͤrſten, und einiger anderen Staaten welche dieſen Vorzug
begehren, erinnert worden.
Einen vorzuͤglichen Werth ſetzen die Europaͤiſchen
Maͤchte auf den Vorrang, oder die Praͤcedenza), als dem
Recht bey vorkommenden Gelegenheiten unter mehreren
Plaͤtzen den ehrenvolleſten einzunehmen. Die Gelegenhei-
ten dazu geben inſonderheit theils perſoͤnliche Zuſammen-
kuͤnfte der Souveraine, oder der ſie vorſtellenden Geſandte,
bey Beſuchen, feyerlichen Verſammlungen, Proceſſionen
u. ſ. f. theils die Abfaſſung und Unterſchrift oͤffentlicher
Staatsſchriften.
Bey Beſtimmung der Frage was der Ehrenplatz
ſey, iſt die allgemeine Regel bey perſoͤnlichen Zuſammen-
kuͤnften, daß zwiſchen zweyen Perſonen in der geraden Linie
der vorderſte Platz, in der Querlinie der Platz zur rechten
Hand b) zwiſchen dreyen in beiden Faͤllen der Ehrenplatz in
der Mitten, der zweyte in der Querlinie zur Rechten, in
der geraden mehrentheils voran, der dritte in der Querlinie
zur Linken, in der geraden hintenan ſey, und ſo ferner der
Rang mit der Entfernung vom Ehrenplatze abnehme. Ob
indeß in Verſammlungen wo einer den Vorſitz hat, der erſte
Platz zur Linken, dem zweyten zur Rechten vorzuziehn ſey,
iſt nicht immer auf gleiche Weiſe beurtheilet worden c).
Auch treten inſonderheit bey zahlreichen Verſamm-
lungen manche herkommliche d) oder willkuͤhrliche e) Ab-
weichungen von dieſen Regeln ein.
In oͤffentlichen Schriften, inſonderheit in Vertraͤgen
hat in der Schrift ſelbſt die Macht die zuerſt genannt
wird den erſten, die zweyte den zweyten Platz u. ſ. f. Bey
der Unterſchrift iſt der Ehrenplatz, der welcher dem Leſer zur
Linken iſt (heraldiſch zur Rechten), der zweyte in paraleler
Linie auf einer zweyten Columne zur Rechten (heraldiſch zur
Linken). Dieſer iſt ehrenvoller als der zweyte auf der er-
ſten Columne zur Linken f).
Uebrigens ſind zwey Gattungen von Praͤcedenzſtrei-
tigkeiten zu unterſcheiden, die nicht ſelten in Schriften ver-
wechſelt werden. Es fordert nemlich entweder 1) ein Staat
beſtimmt die Praͤcedenz oder den Vorrang vor einer an-
dren, oder 2) er begehrt nur die Gleichheit, und will daher
dem andren nicht fortwaͤhrend die Praͤcedenz einraͤumen,
fordert ſie aber auch nicht fuͤr ſich.
Wie in mittleren Zeiten die Concilien die haͤufigſten
Gelegenheiten zu zahlreichen Verſammlungen der Maͤchte
durch ihre Repreſentanten gaben, ſo boten ſie auch theils
eine fruchtbare Veranlaſſung zu Praͤcedenzſtreitigkeiten, theils
dem Pabſt eine Gelegenheit dar, ſich in dieſe Praͤcedenz-
ſtreitigkeit zu miſchen. Hier ward bald das Alter der Un-
abhaͤngigkeit, der Regenten-Familie, des eingefuͤhrten
Chriſtenthums, bald die Regierungsform, die Zahl der Kro-
nen, die Wuͤrde, Titel, Erhabenheit der Thaten, der ge-
leiſteten Dienſte, der Beſitz u. ſ. f. angefuͤhrt, um eine Praͤ-
cedenzforderung zu unterſtuͤtzen a) und mit Huͤlfe paͤbſtlicher,
oft nach den Umſtaͤnden auf ganz verſchiedene Gruͤnde ge-
baueten Entſcheidungen geltend zu machen. Die von Pabſt
Julius
[156]Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
Julius II. 1504 entworfene Rangordnung verdient vor an-
dern gemerkt zu werden b).
Wie jedoch die Maͤchte deren Rang auf Concilien
ihrer Behauptung nach zu niedrig beſtimmt worden, davon
nie einen Schluß auf Faͤlle außerhalb der Concillen haben
gelten laſſen, und keine Macht dem Pabſt mehr ein Ent-
ſcheidungsrecht beylegt, ſo wird jetzt nicht nur uͤberhaupt
ſelten auf eine paͤbſtliche Entſcheidung provocirt ſondern
unter Maͤchten gleicher Wuͤrde von allen ehemahls hervor-
geſuchen Gruͤnden jetzt faſt blos der Beſitz, und nur in
einigen Faͤllen gegen die Staaten welche ſpaͤter zu ihrer
jetzigen Wuͤrde gelangt c) ſind, das Alter der Wuͤrde zum
Grund des behaupteten Ranges gelegt. Da jedoch dieſer
letztere Grund ſelten gebraucht werden kann, und von dem
Gegentheil nicht anerkannt wird, der Beſitzſtand aber ſel-
ten voͤllig unbeſtritten iſt, ſo giebt es eine zahlloſe Menge
unentſchiedener Praͤeedenzſtreitigkeiten. Doch ſind einige
Faͤlle durch Vertraͤge entſchieden, andere durch ein unbe-
ſtrittenes Herkommen gegen alle, oder gegen viele Staaten
feſtgeſetzt.
Alle catholiſche Maͤchte und ſelbſt der roͤmiſche Kaiſer a)
raͤumen I) dem Pabſts als Statthalter Chriſti und Nach-
folger Petri den Rang uͤber ſich ohne Widerrede ein. Da
aber Rußland und die proteſtantiſchen Maͤchte in ihm nur
den Biſchof von Rom und den weltlichen Oberherrn eines
mittelmaͤßigen Staats in Italien ſehn, ſo fordern alle die-
jenigen unter ihnen welche Koͤnigliche Ehrenbezeugungen ge-
nießen den Rang uͤber ihn. II) Der roͤmiſche Kaiſer iſt
in
[157]Gleichheit Wuͤrden und Rang.
in den unbeſtrittenen Beſitz des Ranges uͤber alle chriſt-
liche Europaͤiſche Maͤchte b), ſelbſt Frankreich c) und Ruß-
land d) nicht ausgeſchloſſen. Der tuͤrkiſche Kaiſer aber be-
gehrt voͤllige Gleichheit mit ihm, die auch auf Vertraͤge be-
ruhet e), obwohl die uͤbrigen Maͤchte dem tuͤrkiſchen nicht
ſo wie dem roͤmiſchen Kaiſer den Rang einraͤumen f).
III) Unter den uͤbrigen gekroͤnten Haͤuptern ſind 1)
einige welche beſtimmt den Rang naͤchſt nach dem roͤmiſchen
Kaiſer vor den uͤbrigen Maͤchten fordern. Dahin gehoͤren
der roͤmiſche Koͤnig a), die bisherigen Koͤnige von Frank-
reich b), der Koͤnig von Spanien c), und in den neueren
Zeiten Rußlandd). Doch ſind dieſe nicht nur unter ein-
ander, ſondern auch mit den mehreſten der uͤbrigen im Streit.
2) Andere begehren zwar nicht die Praͤcedenz, aber ſie wol-
len ſie auch keinem der uͤbrigen fortwaͤhrend einraͤumen,
ſondern
[158]Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ſondern dringen auf Gleichheit, wohin Großbritanniene),
Daͤnemarkf), Schwedeng) gehoͤren, wovon die beiden
letzteren aber ſelbſt unter einander wegen der Praͤcedenz ſtrei-
ten h). 3) Endlich ſind mehrere die Kraft der Vertraͤge
oder des Herkommens, einigen gekroͤnten Haͤuptern den Rang
in ſolchen Gelegenheiten einraͤumen i), aber in andren Faͤl-
len, inſonderheit in Schriften, ſelbſt mit dieſen auf Gleich-
heit dringen, gegen die uͤbrigen Maͤchte entweder den Vor-
rang oder allgemeine Gleichheit behaupten k).
Nach der bisherigen Regel des Voͤlkerrechts hatten die
Koͤnige den Rang vor allen Republiken und nur kaum
kann man das als eine Ausnahme anſehn, daß das Cor-
pus der teutſchen Reichsſtaͤnde (corps germanique) den
Koͤnigen zuweilen vorgeſetzt worden a). Wie indeß Crom-
well zur Zeit wo er dem Engliſchen Statt das aͤußere An-
ſehn einer Republik gegeben hatte, den Rang behauptete,
den das Koͤnigreich England gehabt b), ſo iſt ſchon aus den
bisherigen Vorgaͤngen abzunehmen c), daß Frankreich, wenn
dieſer Staat auch ſich als Republik behaupten ſollte, dieſelbe
Stelle die es bisher in Europa eingenommen, auch ferner
zu beſitzen verlangen werde.
Die uͤbrigen Republiken raͤumen den Koͤnigen den
Rang ein d), ſtreiten aber mit den teutſchen Churfuͤrſten die
ſich unmittelbar an die regierenden e) Koͤnige anzuſchließen
und den Republiken vorzugehn verlangen, auch nicht nur
von dem Kaiſerlichen Hofe ſich dieſe Praͤcedenz ausbedun-
gen
[160]Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
gen haben f), ſondern auch an einigen fremden Hoͤfen
den Rang vor den vereinigten Niederlanden g) und der
Schweiz h), und wenigſtens die Gleichheit mit Venedig i)
zu beſitzen behaupten.
Unter den drey Republiken haben jetzt Venedig den
erſten, die vereinigten Niederlande den zweyten und die
Eidgenoſſenſchaft k) den dritten Platz einander anerkannt l);
und fordern den Rang uͤber Genua, das mit Venedig die
Gleichheit und vor der Eidgenoſſenſchaft den Rang begehrt.
Ein ganzes Heer von Praͤcedenzſtreitigkeiten zeigt
ſich noch inſonderheit in Anſehung der italieniſchen a) Fuͤr-
ſtenthuͤmer und Republiken, theils unter einander, theils mit
den teutſchen Staaten, theils mit anderen kleinen Staaten.
Die Praͤcedenz der Reichsſtaͤnde unter einander iſt
zwar fuͤr Reichstaͤge und andere Reichsverſammlungen meh-
rentheils durch Vertraͤge oder Herkommen beſtimmt; da
aber weit nicht alle Staͤnde die auf Reichsverſammlungen
geltende Beſtimmungen auch fuͤr andere Faͤlle außerhalb
derſelben anerkennen, ſo bleibt noch eine unuͤberſehbare
Menge Rangſtreitigkeiten, zwiſchen den Churfuͤrſten unter
einander, zwiſchen den altweltlichen Fuͤrſten unter einander,
zwiſchen dieſen und den geiſtlichen Fuͤrſten, zwiſchen den
Praͤlaten unter einander, zwiſchen den Reichsgrafen unter
einander, zwiſchen den evangeliſchen Reichsgrafen und den
catholiſchen Praͤlaten, zwiſchen den Reichsſtaͤdten unter ein-
ander, und ſelbſt — zwiſchen den Reichsſtaͤdten und ein-
zelnen Reichsrittern, zu deren Ergruͤndung ein Menſchen-
leben verſchwendet, kaum hinreichen wuͤrde b).
Unbeſchadet dieſer Rangſtreitigkeiten raͤumen 1) Re-
genten gleicher Wuͤrde einem andren der ſie beſucht bey ſich
zu Hauſe den Rang ein, ſo daß der Koͤnig dem Koͤnige a),
Lder
[162]Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
der Churfuͤrſt dem Churfuͤrſten und ſelbſt den regierenden
altweltlichen Fuͤrſten b), und letztere einer dem andren den
Rang einraͤumen; ſelbſt Republiken betragen ſich gegen ein-
ander nach dieſem Grundſatze c). Nur der roͤmiſche Kaiſer
hat nie Koͤnigen bey ſich den Rang eingeraͤumt d); 2) bey
Friedenscongreſſen wird dem Geſandten des Vermittlers
vor den uͤbrigen der Rang allemahl eingeraͤumt.
Wenn ein Praͤcedenzſtreit von keiner von beiden Sei-
ten fuͤr voͤllig entſchieden anzuſehn iſt, ſo ſucht man theils
durch Abwechſelung, inſonderheit in Schriften a) theils durch
Gleichfoͤrmigkeit der Ceremonien b), unbeſchadet der gemach-
ten Anſpruͤche, die Gleichheit ſolange herzuſtellen, bis man
ſich auf eine andere Weiſe vereinigen kann. Nur dann,
wenn ein Theil ſeine Praͤcedenz als voͤllig entſchieden an-
ſieht, raͤumt er auch dieſe Alternation nicht ein. Daher
alterniren zwar die mehreſten Koͤnige unter einander in
Schriften, zum Theil ſelbſt kraft der Vertraͤge c), aber eini-
gen wird auch dieſes Vorrecht ſtreitig gemacht d). Auch die
Churfuͤrſten bedienen ſich außerhalb der Reichsverſammlungen
der Alternation e). Dritte Maͤchte f) koͤnnen zwar bey
ſich zu Hauſe die Praͤcedenz ſo wie ſie es fuͤr gut finden
feſtſetzen, aber nicht andere Maͤchte noͤthigen ſich ihren Ver-
fuͤgungen
[163]Gleichheit Wuͤrden und Rang.
fuͤgungen zu unterwerfen, daher ſie lieber, wo moͤglich, bey
ſolchen Streitigkeiten neutral bleiben.
Kann ein Staat den Vorrang, oder die Gleichheit
die er begehrt nicht erhalten, ſo bleiben zu Vermeidung
ehemahls haͤufiger anſtoͤßiger Auftritte g) nur noch folgende
Wege uͤbrig 1) der Regent kommt incognito oder ſchickt
einen Geſandten eines andren Ranges als der mit dem er
wegen der Praͤcedenz ſtreitet, oder 2) er oder der Geſandte
erſcheinen nicht bey der Feyerlichkeit, um nicht nachzugeben,
oder 3) man erſcheint und giebt nach, aber proteſtirt an ſei-
ner Seite, oder laͤßt ſich an der andern einen Revers geben.
Je nuͤtzlicher der auswaͤrtige Handel eines Staats
fuͤr die Wohlfarth ſeiner Mitbuͤrger und fuͤr den Reichthum,
das Anſehn und die Macht des Staats ſelbſt iſt, deſto
wichtiger iſt die Eroͤrterung der in Abſicht auf denſelben ein-
tretenden Rechte der Voͤlker unter einander. Die Einthei-
lungen des Handels a) in Anſehung des Gegenſtandes deſ-
ſelben in Producten- und Manufactur-Handel, Zwi-
ſchen-Handel, Colonie-Handel, Fracht-Handel, ſo-
denn in Anſehung der Art ihn zu treiben, in Activ- und
Paſſiv-Handel und in Anſehung ſeines Erfolgs in Ge-
winn- und Verluſt-Handel koͤnnen, ob ſie gleich eigent-
licher in die Handelspolitik gehoͤren, auch in dem Voͤlker-
rechte nicht ganz bey Seite geſetzt werden.
Da nicht leicht ein Land alles das erzeuget, was
zum Beduͤrfniſſe, zum Nutzen und Vergnuͤgen ſeiner Ein-
wohner gereicht, oft aber das eine an demjenigen Ueber-
fluß hat, an welchem ein anderes Mangel leidet, ſo iſt der
Handel der natuͤrlichſte Weg, um durch einen unter ſehr ver-
ſchiedenen Formen vorgenommen Austauſch des uͤberfluͤſſigern
gegen das nothwendigere, das gegenſeitige Wohlſeyn der
Voͤlker zu vermehren. Und da die Befoͤrderung des letz-
teren ſelbſt eine natuͤrliche, obwohl unvollkommene Pflicht
der Voͤlker wie der Individuen iſt, ſo iſt auch jede Na-
tion unvollkommen und im allgemeinen verbunden, einem
ihr unſchaͤdlichen Handel mit anderen Voͤlkern die Haͤnde zu
bieten. Aber eine vollkommene Verbindlichkeit dazu hat
ſie nicht, und iſt daher ſo wenig von einem andren Volk
zu kaufen, als dieſem, den Nothfall abgerechnet a), ihren
Ueberfluß zu verkaufen, oder mit ihm zu vertauſchen ſchul-
dig. Jeder Staat hat alſo das natuͤrliche vollkommene
Recht ſich in jedem einzelnen Falle nach ſeinem Intereſſe
zu beſtimmen, ob er mit einem andren Handel treiben
wolle; er kann folglich auch die Erlaubniß dieſes Handels
an alle Bedingungen und Beſchraͤnkungen die er fuͤr gut
findet binden b). Noch weniger hat ein Volk ein natuͤr-
liches Recht auf den ausſchließlichen Handel mit einem an-
dren ihm nicht unterworfenen Volke c). Geſetzt daher es
hat noch ſo lange mit dieſem den Handel, wohl gar aus-
ſchließlich, getrieben, ſo entſteht daraus allein fuͤr daſſelbe
noch keine Verbindlichkeit, ihn fortzuſetzen, oder gar ihn
mit keinem anderen Volk zu treiben. Doch kann eine Na-
tion guͤltig einer anderen das ausſchließliche Recht mit ihr
Handel zu treiben ertheilen d) und dadurch ſeiner Handels-
freyheit Grenzen ſetzen. Wo aber dies nicht geſchehn iſt,
da hat, wenn zwey Voͤlker mit einander Handel treiben
wollen, ein drittes kein Recht ſich dem zu widerſetzen; und
darinn beſteht eben die natuͤrliche Handelsfreyheit der Voͤlker.
Nach der Zerſtoͤhrung des occidentaliſchen Kaiſer-
thums, gerieth der auswaͤrtige Handel der Europaͤer in und
außerhalb Europa theils durch die unaufhoͤrlichen Placke-
reyen denen er zu Waſſer und zu Lande ausgeſetzet war,
theils durch die Verachtung mit welcher der des Kriegs
gewohnte Freye auf ihn herabſah, theils ſelbſt durch die
Beſchaffenheit und Lage derer die ihn trieben in tiefen Ver-
fall. Wenn hin und wider fruͤhe Zoͤlle, Stapelrecht u. ſ. f.
angelegt wurden, ſo lag dabey mehr Haß und Bedruͤckung
gegen den Auslaͤnder a), als eine vernuͤnftige Handelspo-
litik des um den Handel wenig bekuͤmmerten Regenten zum
Grunde. Als aber die Kreuzzuͤge die Voͤlker Europens
an aſiatiſchen Luxus gewoͤhnt, die Erfindung des Compaſſes
die Schiffarth erleichtert, das Beyſpiel einiger ſpaniſchen
und italieniſchen Handelsſtaͤdte und ſeit, dem 13ten Jahrhun-
dert
[167]Rechte der Voͤlker in Anſehung des Handels.
dert das Beyſpiel der Hanſe gelehrt, wie maͤchtig der Han-
del auf den Flor der Staaten zuruͤckwuͤrke, da fingen die
Maͤchte an, uͤber die ausgebreitete Wichtigkeit des Handels
die Augen zu oͤffnen, und die Entdeckung des neuen Welt-
theils und des neuen Wegs der nach Indien fuͤhret, eroͤff-
nete ganz neue Ausſichten fuͤr den Handel, aber auch zu-
gleich eine ergiebige Quelle durch Handelseiferſucht erzeug-
ter Streitigkeiten und Kriege, welche ſeitdem die Ruhe
Europens und der uͤbrigen Welttheile truͤbten.
Manche der Europaͤiſchen Maͤchte wuſten fruͤhe oder
ſpaͤter ſich Colonien und Beſitzungen in fremden Weltthei-
len zu verſchaffen, die mehrentheils der Handel allein ihnen
wichtig machte. Andere, denen ihre Lage und Beſchaffen-
heit nicht Gelegenheit zu ſolchen Erwerbungen gaben, ſuch-
ten wenigſtens den Handel ihrer Unterthanen auf andere
Weiſe zu erweitern; durch Geſetze und Handelsbuͤndniſſe
ſich wetteifernd mit anderen Voͤlkern Handelsvortheile
zu verſchaffen, und in Anſehung des Handels ihres Staats
mit den uͤbrigen das Gleichgewicht wenigſtens moͤglichſt
zu erhalten, wenn ſie ſich nicht eines Uebergewichts bemei-
ſtern koͤnnen.
Jetzt beruhen daher die wichtigſten Handelsrechte der
Voͤlker auf Geſetze und Vertraͤge der einzelnen Maͤchte;
doch giebt es theils einige Grundſaͤtze, die, unabhaͤngig von
den Vertraͤgen, als eingefuͤhret angeſehn werden koͤnnen,
auch laſſen ſich manche Puncte der Vertraͤge ſelbſt auf all-
gemeinere Grundſaͤtze zuruͤckfuͤhren. Dabey iſt inſonderheit
der Handel außerhalb Europa, von dem der mit den Eu-
ropaͤiſchen Beſitzungen in Europa gefuͤhret wird, weſentlich
zu unterſcheiden, ſo daß ſelbſt die Handelsvertraͤge im zwei-
felhaften Fall immer nur von letzterem zu erklaͤren ſind.
1) Alle Europaͤiſchen Maͤchte welche Beſitzungen in
fremden Welttheilen erworben und daſelbſt Colonien ge-
gruͤndet haben, ſind einem einfoͤrmigen Grundſatze gefol-
get, nach welchem ſie ſich ſelbſt in dem Beſitz des aus-
ſchließlichen durch ihre Unterthanen einzeln oder in Handels-
geſellſchaften a) zu fuͤhrenden Handels mit dieſen Beſitzun-
gen geſetzt, ihren Colonien nur einen ſehr beſchraͤnkten Han-
del mit Voͤlkern außerhalb Europa geſtattet, und hingegen
die uͤbrigen Europaͤiſchen Voͤlker dergeſtalt von allen Han-
del mit dieſen Beſitzungen ausgeſchloſſen haben, daß ihnen
außerhalb der Nothfaͤlle ſogar weder in ſelbigen anzulan-
den, noch auch unterhalb der Canonen der Veſtungen durch-
zuſeegeln b) geſtattet wird. Nur wenig Orte und Inſeln
der Europaͤer in dieſen Welttheilen machen davon eine Aus-
nahme, und ſind dem Handel aller oder einiger Europaͤi-
ſchen Voͤlker eroͤffnet c).
2) Einige Voͤlker außerhalb Europa, inſonderheit in
Indien haben ein oder anderer Europaͤiſchen Macht das
Recht des ausſchließlichen Handels mit ihnen durch Ver-
traͤge eingeraͤumt, und ſich dadurch die Haͤnde gebunden
dieſen Handel nicht mit anderen Voͤlkern zu errichten d).
3) Es giebt Beyſpiele daß Europaͤiſche Maͤchte zum
Vortheil einiger anderen Maͤchte auf den Handel nach In-
dien oder auf die fernere Ausdehnung deſſelben Verzicht
geleiſtet haben e).
Sofern aber keine dieſer drey Beſchraͤnkungen eintritt,
iſt der Handel und die Schiffarth ſowohl uͤberhaupt, als
insbeſondere nach Indien f) ungeachtet der daruͤber im 16ten
und 17ten Jahrhundert von einigen Maͤchten erregten un-
gegruͤndeten Zweifel fuͤr ſo frey anzuſehn, und anerkannt,
daß jetzt eine jede Europaͤiſche Macht befugt iſt neuerdings
einen Handel mit allen den Voͤlkern anzufangen, welche
dieſem Handel die Haͤnde bieten wollen g). Nicht alle
Voͤlker
[169]Rechte der Voͤlker in Anſehung des Handels.
Voͤlker außerhalb Europa ſind aber dazu in gleichem Maaße
mit den Europaͤiſchen geneigt.
Der Handel mit den Europaiſchen Beſitzungen der
Maͤchte Europens iſt hingegen jetzt allgemein ſo frey, daß
wenn man Kriegs- und Repreſalien-Faͤlle a) ausnimmt,
kein Europaͤiſcher Staat den Unterthanen des andren, ſelbſt
wenn er keinen Vertrag mit dieſem eingegangen iſt, den
Handel mit ſeinen Europaͤiſchen Beſitzungen ganz unter-
ſagt. So lange indeß keine Handelsbuͤndniſſe eingegangen
worden, hindert jene unbeſtimmte Handelsfreyheit nicht die-
ſen Handel, ſo wie man es fuͤr gut findet, zu beſchraͤnken,
und daher nicht nur 1) gewiſſe Orte oder Provinzen von
dieſem Handel auszunehmen b), ſondern auch 2) die Art
vorzuſchreiben, wie er von Fremden gefuͤhret werden koͤnne c),
3) die Einfuhr gewiſſer Waaren ganz zu verbieten und das
Verzeichniß dieſer Contrebande willkuͤhrlich zu erweitern,
4) Zoͤlle anzulegen und zu erhoͤhen, 5) hierinn eine Nation
vor der andern zu beguͤnſtigen, wie man es ſeinem Vortheil
gemaͤß findet, 6) die Rechte der Oberherrſchaft unbeſchraͤnkt
uͤber alle Fremden welche des Handels wegen in einen Staat
eintreten, oder ſich niederlaſſen, und uͤber ihre Guͤter aus-
zuuͤben; endlich 7) im Fall eines Bruches, nach der Strenge
des natuͤrlichen Voͤlkerrechts zu verfahren.
Dieſe unbeſtimmte allgemeine Handelsfreyheit iſt fuͤr
Voͤlker welche ein betraͤchtliches Handelsverkehr mit einander
treiben weit nicht hinreichend um ihnen alle die Vortheile
zu ſichern, deren Erlangung fuͤr das Aufbluͤhn ihres Han-
dels wuͤnſchenswuͤrdig iſt. Daher haben ſie ihre Zuflucht
zu Handelsbuͤndniſſen genommen, deren Zahl, insbeſondere
ſeit dem 16ten Jahrhundert, ſich ſehr betraͤchtlich vermehrt
hat. So verſchieden auch der Inhalt derſelben nach der
Verſchiedenheit des Handelsintereſſe der Contrahenten in
manchen Puncten iſt, ſo laͤßt ſich doch eine allgemeine
Theorie derſelben entwerfen a), und die Artikel aus welchen
ſie zu beſtehn pflegen, laſſen ſich auf drey Hauptclaſſen zu-
ruͤckfuͤhren, von welchen die erſte den Handel in Friedens-
zeiten, die zweyte den neutralen Handel des einen Theils,
wenn
[172]Viertes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
wenn der andere mit dritten Maͤchten Krieg fuͤhret, die
dritte den Fall eines Bruchs zwiſchen den Contrahenten
zum Gegenſtande hat b).
In Anſehung des Handels in Friedenszeiten pflegt
1) im allgemeinen die Art feſtgeſetzt zu werden, wie die
gegenſeitigen Unterthanen in Ruͤckſicht des Handels beguͤn-
ſtiget werden ſollen. Dahin gehoͤren inſonderheit die ſo
haͤufigen Clauſuln: den eigenen Unterthanen gleich, oder:
wie die am meiſten beguͤnſtigte Nation a) behandelt zu
werden, uͤber deren Sinn und Ausdehnung aber nicht ſel-
ten geſtritten wird b). 2) Werden die einzelnen Rechte
naͤher beſtimmt, deren die gegenſeitigen Unterthanen welche
ſich in dem anderen Lande aufhalten, theils in Hinſicht ihrer
Perſon z. B. in Abſicht auf ihre Religion, ihre Gerichtbar-
keit, ihre Handelsgeſchaͤfte, Handelsbuͤcher u. ſ. f., theils in
Hinſicht ihrer Guͤter, insbeſondere in Anſehung der Ab-
gaben,
[173]Rechte der Voͤlker in Anſehung des Handels
gaben, des Fremdlingsrechts, des Abzugsrechts, des
Strandrechts, des Beſchlags ihrer Guͤter u. ſ. f. genießen
ſollen, 3) wird beſtimmt welche Gattungen von Waaren ein-
aus- und durchgefuͤhret werden duͤrfen, wieviel Zoͤlle und
Abgaben dafuͤr entrichtet werden ſollen c).
In Anſehung der Rechte der Neutralitaͤt auf den
Fall da der Mitcontrahente im Krieg verwickelt wuͤrde,
kommen hauptſaͤchlich folgende Puncte in Betracht: 1) Be-
freyung der Schiffe vom Embargo. 2) Beſtimmung der
Frage welche Waaren in Kriegszeiten als Kriegscontra-
bande angeſehn werden ſollen. 3) Feſtſetzung der Art wie die
Durchſuchung der neutralen Schiffe auf offener See ge-
ſchehn ſolle. 4) Entſcheidung der Frage: ob freyes Schiff
freyes Gut machen ſolle. 5) Betragen des neutralen Con-
trahenten gegen die Schiffe des Mitcontrahenten und des
Feindes deſſelben, welche in ſein Seegebiet einlaufen u. ſ. f.
wovon unten unter der Materie von der Neutralitaͤt naͤher
gehandelt werden wird.
Fuͤr den Fall des Bruches zwiſchen den Contrahen-
ten kommt es inſonderheit an, zu beſtimmen 1) von welcher
Zeit dieſer Bruch angerechnet werden ſoll a) 2) wiefern die
gegenſeitigen Unterthanen fuͤr ihre Perſon und Guͤter beym
Ausbruch
[174]Viertes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Ausbruch des Kriegs vom Arreſt frey ſeyn ſollen, 3) wie
lange Zeit ihnen gelaſſen werden ſolle, um mit ihren Guͤ-
tern aus dem Lande zu gehn, 4) ob und unter welchen
Bedingungen ſie waͤhrend des Kriegs dort bleiben duͤrfen b).
Wie einzelne Staaten ſchon ſehr fruͤhe bey ſich zu
Hauſe eigene Richter fuͤr Handels- und Seeſachen, zum
Theil unter dem Nahmen der Conſuln ernannt hatten, ſo
gaben die Kreuzzuͤge zuerſt einigen italieniſchen Staͤdten
die Veranlaſſung, ſich von aſiatiſchen Fuͤrſten unter andren
Vorzuͤgen auch das Recht ertheilen zu laſſen, dort ihre
eigene Conſuls a) als Richter und Beſchuͤtzer der dorti-
gen Handelsleute ihrer Nation zu ernennen; dieſes Bey-
ſpiel ward nachmahls nicht nur von andren Europaͤiſchen
Staaten fuͤr die Handelsplaͤtze in der Levante und ſpaͤterhin
durch Vertraͤge mit den Africanern fuͤr die africaniſchen
Handelsplaͤtze, ſondern auch zwiſchen den Europaͤiſchen Maͤch-
ten unter einander, zum Theil ſchon ſeit dem 15ten, all-
gemeiner aber im 16ten Jahrhundert nachgeahmet b), ſo
daß jetzt die Zahl der Conſuln in und außerhalb Europa
ſehr betraͤchtlich iſt, obwohl ſie nur dahin geſchickt werden
koͤnnen, wo Vertraͤge oder ein beſonderes Herkommen dazu
berechtigen, auch das Recht ſie abzuſchicken als ein Ho-
heitsrecht anzuſehn iſt, das weder Municipalſtaͤdten noch
Handelsgeſellſchaften zuſteht c).
Alle Conſuln kommen zwar darinn uͤberein, daß ſie
der Schutz und Beyſtand der Handelsleute und Schiffer
ihrer Nation ſeyn, auf die Beobachtung der Handelsver-
traͤge wachen, und von dem was den Zuſtand und das
Intereſſe des Handels ihres Souverains an dem Ort ihres
Conſulats anbetrifft, an ihren Hof berichten ſollen a). In
Anſehung der Vorrechte derſelben aber ſind die Conſuln in
Africa und der Levante von denen in den mehreſten Eu-
ropaͤiſchen Plaͤtzen in verſchiedenen Puncten zu unterſcheiden.
Jene haben nicht nur faſt durchgaͤngig die willkuͤhr-
liche und ſtreitige Civil-Gerichtbarkeit uͤber die Untertha-
nen ihres Souverains in deren Angelegenheiten unterein-
ander, und ſelbſt oft in Klagen der Auslaͤnder gegen ſie,
ſondern ſie werden auch uͤberhaupt in dieſen Plaͤtzen faſt
ganz auf den Fuß der Geſandten behandelt, wenn ſchon
die Conſuln in der Levante b) mehrentheils in einer Art
der Abhaͤngigkeit von dem Geſandten ihres Hofes zu Con-
ſtantinopel ſtehn.
Die mehreſten Conſuln in Europa hingegen haben
entweder blos die freywillige Gerichtbarkeit, und koͤnnen
bey entſtehenden Streitigkeiten nur als Schiedsrichter be-
trachtet werden c), oder ſie haben doch nur eine ſehr be-
ſchraͤnkte Civil-Gerichtbarkeit uͤber die Unterthanen ihres
Souverains in den Handelsſtreitigkeiten derſelben unter ein-
ander d). Und obwohl ſie unter dem beſonderen Schutz
des Voͤlkerrechts ſtehn, und ſofern der Staat ihnen ſeine
Handels-
[176]Viertes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Handelsangelegenheiten uͤbertraͤgt, im allgemeinen Sinn als
Miniſter (Miniſtri publici) des Staats der ſie ernennt an-
zuſehn ſind e), ſo koͤnnen ſie doch den Geſandten, auch der
unterſten Claſſe, in Anſehung der Vorrechte nicht gleichgeſetzt
werden, nicht nur weil ſie keine Creditive, ſondern mehren-
theils nur Beſtallungsbriefe aufzuweiſen haben, denen der
Staat bey dem ſie als Conſuln ſich aufhalten ſollen, erſt das
exequatur d. i. die Beſtaͤdtigung ertheilen muß f), und
außerdem nur etwa Empfehlungsſchreiben mitbringen, ſon-
dern auch weil ſie weit nicht aller Vorzuͤge genießen, welche
das Herkommen den Geſandten der verſchiedenen Claſſen bey-
legt, indem ſie der Regel nach weder auf Befreyung von
der Gerichtbarkeit g) oder den Abgaben h), noch auf ge-
ſandſchaftlichen Gottesdienſt i), noch uͤberhaupt auf das ge-
ſandſchaftliche Ceremoniel und die darauf ſich beziehende
Praͤcedenz k) Anſpruch machen koͤnnen.
Zuweilen werden General-Conſuln fuͤr mehrere Plaͤtze
oder uͤber mehrere Conſuln ernannt; zuweilen dem Conſul
ein Vice-Conſul beygegeben. Die Rechte und Geſchaͤffte
derſelben kommen, in Hinſicht des Staats in dem ſie ihr Amt
verwalten, mit denen der Conſuln in der Hauptſache uͤberein.
Die commiſſaires de la marine welche an einigen
Orten ſtatt der Conſuln angeſtellt werden, ſind a) von dieſen
nur darinn inſonderheit verſchieden, daß ihre Geſchaͤffte ſich
auf den Ort der Reſidenz beſchraͤnken b).
Auch die ius conſervadores c) kommen in der Haupt-
ſache mit den Conſuln uͤberein, und ſind hauptſaͤchlich als
Nationalrichter anzuſehn.
Endlich kommen zwar auch die Courtmaſter welche
an einigen Orten d) als Haͤupter und Richter einer
Geſellſchaft fremder Kaufleute angeordnet ſind, in einigen
Stuͤcken den Conſuln nahe, ſie genieſſen aber doch ſonſt man-
cher von dieſen abweichenden und nicht uͤberall gleichfoͤrmi-
gen Rechte.
Der Handel wird theils zu Lande, theils zur See
getrieben; daß letzterer der wichtigſte ſey iſt bekannt. Auch
dient das Meer durch ſeine Producte auf mannigfaltige
Weiſe zu Befoͤrderung des Handels; nachdem daher von den
Rechten des Handels uͤberhaupt geredet worden, iſt der
Uebergang zu den in Anſehung der Schiffahrt und Be-
nutzung der Fluͤſſe und Meere geltenden Rechten natuͤrlich.
Da einige Theile des Meers und der uͤbrigen Ge-
waͤſſer fuͤr einer Nation unterworfen, andere fuͤr voͤllige frey
anerkannt werden, das Eigenthum und die Oberherrſchaft
uͤber andere Theile aber beſtritten wird (§. 33—37.) ſo er-
waͤchſt daraus eine große Verſchiedenheit der Rechte und
Anſpruͤche der Voͤlker in Anſehung der Benutzung derſelben
und des Seeceremoniels, je nachdem nemlich ein Staat
uͤber einen gewiſſen Seediſirict Eigenthum und Oberherr-
ſchaft, oder doch Oberherrſchaft allein beſitzt oder behauptet,
oder dieſen Diſtrict als einem andren Volk [unterworfen] an-
erkennt, oder ihn fuͤr frey haͤlt, und in dem letzteren Fall
entweder nur auf die Rechte Anſpruch macht, welche das
M 2natuͤr-
[180]Viertes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
natuͤrliche Voͤlkerrecht jeder Nation an herrenloſe Dinge
beylegt, oder hier gewiſſe herkommliche Vorzuͤge, inſonder-
heit in Anſehung des See-Ceremoniels, begehren zu koͤn-
nen glaubt.
Da Fluͤſſe, Landſeen, kleine Meerengen und Meer-
buſen, und uͤberhaupt alle unterhalb der Kanonen welche an
dem Ufer aufgepflanzet ſind, (oder werden koͤnnten) gelegene
Theile des Meeres der Regel nach dem Oberherrn des Ufers
unterworfen ſind, und ſein Fluß- oder Seegebiet ausmachen,
ſo ſtehn ihm uͤber daſſelbe alle Rechte des Eigenthums und
der Oberherrſchaft zu, und der Inbegriff dieſer Rechte wird
zuweilen mit dem Nahmen des Strandrechts (ius littoris)
im aller allgemeinſten Sinn a) belegt. Es gehoͤren dahin
inſonderheit:
Auf keine Weiſe aber kann dem Herrn des Ufers das
insbeſondere ſogenannte Strandrecht, Grundruherecht (com-
pendium naufragiorum, droit de naufrage) oder das
Recht
[183]Rechte der Voͤlker in Anſehung des Meers.
Recht auf ſchiffbruͤchige Guͤter, oder ſolche welche um der
Gefahr des Schiffbruchs zu entgehn geworfen worden, bey-
gelegt werden a); weder das Recht auf herrnloſe Guͤter,
wozu dieſe nicht gehoͤren, noch der Vorwand die Nachlaͤſſig-
keit des Schiffers zu beſtrafen, oder beſchwerliche Proceſſe zu
vermeiden, noch das Recht Fremde von unſrem Gebiet aus-
zuſchließen, noch das Eigenthum des Grundes den dieſe Guͤ-
ter beruͤhrt haben, koͤnnen den Herrn des Ufers berechtigen
ſich mit dem Schaden verungluͤckter Fremden zu bereichern b).
Dennoch galt dieſes unmenſchliche Recht ehemahls faſt in
ganz Europa. Aber ſchon ſeit dem 13ten Jahrhundert ward
die Ausuͤbung deſſelben, durch Privilegia, durch Geſetze c)
und Vertraͤge d) eingeſchraͤnkt, und es iſt ſeitdem nach und
nach ſo vielfaͤltig aufgehoben worden, daß man es jetzt als
aus Europa uͤberhaupt verbannt anſehen kann, und nur ſo
fern noch hie und da Spuren deſſelben in einzelnen Winkeln
ſich erhalten haben e), dawider Retorſion gebraucht wird und
gerechtfertiget werden kann f).
Ganz verſchieden von dieſem Recht aber iſt das
der Bergung a) (ius colligendi naufragium, droit de
ſauvement) oder das Recht des Oberherrn des Ufers den
verungluͤckten Schiffen zu Huͤlfe zu eilen, geworfene oder
ſchiffbruͤchige Guͤter zu retten und aufzubewahren, und fuͤr
dieſe verwendete Muͤhe und Gefahr ſich von den Eigenthuͤ-
mern eine verhaͤltnißmaͤßige b) Belohnung bezahlen zu laſ-
ſen, bis dahin aber einen Theil der geborgenen Guͤter zu-
ruͤck zu behalten. Dieſes Recht wird noch jetzt uͤberall, ob-
wohl auf verſchiedene Weiſe c) geuͤbt, dagegen werden aber
auch den Eigenthuͤmern der Guͤter dieſe herausgegeben, wenn
ſie binnen der ziemlich allgemein auf Jahr und Tag von Zeit
des ihnen kund gewordenen Unfalls beſtimmten Verjaͤhrungs-
friſt d) ſich melden und nachmahls ihr Eigenthum erweiſen
koͤnnen.
Da ferner einige Voͤlker auch uͤber die Grenzen hinaus
welche vom Ufer aus durch Kanonen beſtrichen werden koͤn-
nen Eigenthum oder doch Oberherrſchaft auf groͤßere Land-
ſeen, Meerbuſen, eingeſchloſſene oder angrenzende Meere
beſitzen oder behaupten (§. 36.) ſo entſtehn hieraus inſonder-
heit folgende Rechte und Anſpruͤche:
Da endlich das weite Weltmeer jetzt fuͤr frey aner-
kannt wird, (37.) ſo iſt zwar keine Nation berechtiget die
Schiffahrt auf daſſelbe zu verbieten, oder ihr Geſetze vor-
zuſchreiben, und nur einige Voͤlker begehren auch hier fuͤr
ihre Schiffe ein ausgezeichnetes See-Ceremoniel, aber in
Anſehung der an ihre jenſeits deſſelben belegenen Beſitzun-
gen angrenzenden Theile des Meeres behaupten die Euro-
paͤiſchen Maͤchte nicht nur eben die Rechte deren ſie in Eu-
ropa auf das mare proximum genieſſen, und uͤben ſie mit
der groͤßeren Strenge die eine Folge ihrer Handelsverbothe
iſt a), die aber nur nicht in Seeraͤubereyen der Kuͤſtenbewah-
rer ausarten ſollte, aus, ſondern es fehlt auch da nicht an Bey-
ſpielen von Anforderungen einzelner Maͤchte auf ausſchließ-
liche Schiffahrt und Fiſcherey in weit betraͤchtlicherer Ent-
fernung von dem Ufer, als der welche mit Kanonen beſtrichen
werden kann b).
Der Werth welchen die Voͤlker auf alle Zeichen der
Oberherrſchaft zur See legen, hat dem See-Ceremoniel
einen ſo hohen Grad der Wichtigkeit verſchafft, daß die Ver-
nachlaͤſſigung deſſelben mehr als einmahl zum Grund, oder
doch zum Vorwand, der groͤßeſten Gewaltſamkeit und ſelbſt
blutiger Kriege gedient hat a). Dieſes See-Ceremoniel b)
faßt folgende Hauptpuncte in ſich:
Alle Seeſtaaten, ſowohl Republiken als Monarchien
fordern daß alle fremde Schiffe, ſie ſeyn Kriegs- oder Han-
dels- und jene Linienſchiffe oder Fregatten, einzeln oder in
Escadren und Flotten 1) wenn ſie unterhalb der Kanonen
einer Feſtung vorbey ſeegeln, oder ehe ſie in den Hafen ein-
laufen, die Feſtung oder den Hafen ſowohl mit Kanonenſchuͤſ-
ſen als durch Flaggenſtreichen begruͤßen ſollen, worauf die
Feſtung den Kriegsſchiffen durch Kanonenſchuͤſſe (zuweilen
auch durch das Wehen eines Wimpels) dankt, die nach der
Zahl und Beſchaffenheit dieſer Kriegsſchiffe Schuß um Schuß,
oder nach geendigtem Gruß in gleicher oder geringerer Zahl
abgefeuert werden. 2) Daß wenn ſie ihren Kriegsſchiffen
in ihrem Seegebiet begegnen, oder dieſe vor Anker liegend
finden, ſie dieſelben nicht nur durch Kanonenſchuͤſſe ſondern
auch durch Flaggenſtreichen begruͤßen, ihnen aber nur durch
Kanonenſchuͤſſe gedankt werde. Allgemein ſind dieſe beiden
Puncte zwar auch in Europa anerkannt a): allein 1) Großbri-
tannien und (bisher) nach deſſen Muſter Frankreich wollen
nicht
[191]Rechte der Voͤlker in Anſehung des Meers.
nicht zugeben daß ihre Admiralſchiffe allen Republiken dieſe
Ehre, ſelbſt beym Einlaufen in den Hafen erweiſen und be-
gehren von einigen derſelben den erſten Gruß, den jedoch die
mehreſten unter dieſen zu thun weigern. 2) Wenn die Ober-
herrſchaft welche einzelne Maͤchte uͤber gewiſſe Meere behaup-
ten ihnen von anderen nicht eingeraͤnmt wird, ſo entſtehn
daraus unvermeidlich Streitigkeiten uͤber die Anwendung je-
ner Grundſaͤtze b).
Auf den Theilen des Meers welche entweder fuͤr voͤllig
frey, oder fuͤr einer dritten Macht unterworfen anerkannt wer-
den,
[192]Viertes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
den, giebt es im allgemeinen gar keine Verbindlichkeit fuͤr
die Schiffe zweyer Nationen einander zu begruͤßen, und oft
wird hier der Gruß ganz unterlaſſen. Indeß iſt doch herge-
bracht, daß 1) ein Kriegsſchiff von hoͤherem Rang von Schif-
fen eines geringeren Ranges a) zuerſt begruͤßt wird und die-
ſen dann mit einer geringeren Zahl von Schuͤſſen dankt. 2)
Daß ein einzelnes Kriegsſchiff; eine Escadre oder Flotte der es
begegnet, eine Huͤlfsescadre die Hauptflotte zu der ſie ſtoͤßt b)
zuerſt mit Kononenſchuͤſſen begruͤßen. Auch fordern 3) alle
koͤnigliche Kriegsſchiffe daß die Kriegsſchiffe der Republiken
ſie nicht bloß durch Kanonenſchuͤſſe ſondern auch durch Flag-
genſtreichen begruͤßen, oder widrigenfalls lieber den Gruß
ganz unterlaſſen, und wollen im erſteren Falle bloß durch
Kanonen danken c). 4) Großbritannien und nach deſſen
Beyſpiel Frankreich begehren daß ihre Admiralſchiffe in allen
Meeren von den Kriegsſchiffen aller anderen Voͤlker nicht
nur durch Kanonenſchuͤſſe begruͤßt, ſondern auch vor ihnen die
Flaggen geſtrichen werden ſollen.
Unabhaͤngig von den uͤber den Seegruß in gewiſſen
Theilen des Meers vorhandenen Streitigkeiten der Voͤlker
pflegt ein Schiff das einen regierenden Herrn, einen Prinzen
von koͤniglichem Gebluͤt a), einen Bothſchafter fuͤhrt, von
den Schiffen und ſelbſt von den Feſtungen fremder Maͤchte
zuerſt mit Kanonen begruͤßt zu werden; doch auch dieſer
Punct hat zuweilen zu Streitigkeiten Anlaß gegeben b).
Weit minder Schwierigkeit hat das See-Ceremoniel der
Kauffarthey-Schiffe, da dieſe ſich nicht weigern koͤnnen, dann
wenn ſie einem Kriegsſchiffe begegnen, oder unterhalb der
Kanonen eines fremden Staats durchſeegeln oder ſich einem
Hafen naͤhern, die Flagge zu ſtreichen, das Marßſeegel fal-
len zu laſſen, und, wenn ſie Kanonen fuͤhren, mit Kanonen
zu gruͤßen a). Schiffen die im Lauf ſind wird aber zuweilen
unbedenklich ein Theil dieſes Grußes, dann wenn er ihnen
laͤſtig wird, erlaſſen.
Will ein Schiff, dann wenn es zum ſalutiren durch
einen Schuß mit looſem Kraut (ſemonce) aufgefordert
wird, nicht, oder doch nicht gehoͤrig gruͤßen, ſo fehlt es
nicht an Beyſpielen, daß es ſofort durch Scharfſchuͤſſe dazu
genoͤthiget, oder von dem Seegebiet entfernt worden. Da
aber eine ſolche Behandlung fuͤr freundſchaftliche Staaten
eben ſo nachtheilig, als unpaſſend iſt, ſo haben einige Maͤchte
ſchon das nachahmungswuͤrdig- Beyſpiel gegeben, den
Schiffsgruß in einzelnen Faͤllen a) oder fuͤr immer b) durch
Vertraͤge abzuſchaffen, und Frankreich hat ſich jetzt zur
Ngaͤnzli-
[194]Viert. Buch. Zweyt. Hptſt. Rechte d. Voͤlker ꝛc.
gaͤnzlichen Abſchaffung deſſelben erklaͤret. Auch ſcheint
es, daß die ſtrengen Verordnungen, welche den Befehlsha-
bern der Kriegsſchiffe mitgegeben werden, nicht ſelten durch
geheime Inſtructionen gemildert werden.
Wie die vielfaͤltigen Familien-Verbindungen zwiſchen
den chriſtlichen Europaͤiſchen Souverainen, von welchen ſo
manche entweder von einem gemeinſamen Stammvater ent-
ſprungen, oder doch durch Heyraten miteinander verwandt
und verſchwaͤgert ſind, am mehreſten dazu beygetragen ha-
ben, daß ſich die Europaͤiſchen Regenten uͤberhaupt gleich-
ſam als eine Familie anſehn, ſo hat die Aehnlichkeit der
Sitten, der Geſchmack an Luxus und Pracht, der Wunſch
fuͤr geſittet und freundſchaftlich geſinnt geachtet zu werden,
zu mancherley Hoͤflichkeits-, Freundſchafts-, oder Achtungs-
Bezeugungen Anlaß gegeben, welche die Souveraine und
unter dieſen vorzuͤglich die Familien-Hoͤfe in ihren per-
ſoͤnlichen Verhaͤltniſſen an den Tag zu legen pflegen; und
wenn ſchon die allerwenigſten derſelben auf Vertraͤge, die
mehreſten auf bloße Regeln des Wohlſtandes beruhen, und
mehr die Perſon der Fuͤrſten, als ihre Staaten betreffen,
ſo ſcheint es doch, daß man in dem poſitiven Voͤlkerrecht
ſie nicht unberuͤhrt laſſen duͤrfe, zumahl manche derſelben
nicht nur in Friedenszeiten oft ſorgfaͤltiger als die heilig-
ſten Vertraͤge, ſondern ſelbſt mitten im Kriege nach dem
Grundſatz beobachtet werden, daß der Krieg nur die Staa-
ten die ihn fuͤhren entzweye, und auf die perſoͤnlichen Ge-
ſinnungen der Souveraine keinen Einfluß habe a).
So iſt es zwiſchen den mehreſten Europaͤiſchen Sou-
verainen hergebracht, einander von den traurigen und fro-
hen Begebenheiten welche ſich mit der Perſon und Familie
des Regenten zutragen, Nachricht zu geben, wie z. B. von
dem Abſterben eines Regenten, ſeiner Gemahlinn, der
Prinzen und Prinzeſſinnen vom Gebluͤt; von der Thronbe-
ſteigung, von Vermaͤhlungen a), Schwangerſchaften, Ge-
burten u. ſ. f. Dieſe Notificationen erfolgen entweder blos
ſchriftlich, oder auch muͤndlich, durch den Weg eines or-
dentlichen oder außerordentlichen Geſandten; ſie werden durch
ein Condolenz- oder Gluͤckwuͤnſchungs-Compliment beantwor-
tet, welches unter Staaten gleicher Wuͤrde auf gleiche Weiſe
wie die Notification abgelegt zu werden pflegt; zuweilen
wird die Theilnahme noch thaͤtiger, durch Anlegung der
Trauer b) auf laͤngere oder kuͤrzere Zeit nach den Umſtaͤn-
den, durch Haltung feyerlicher Obſequien u. ſ. f. zuweilen
auch durch Dank- und Freudenfeſte, Fuͤrbitten in den Kir-
chen u. ſ. f. an den Tag gelegt.
Wie uͤberhaupt Souveraine kein Recht haben ſich in
fremde Familien-Angelegenheiten zu miſchen, ſo haͤngt die
Wahl eines Gemahls oder einer Gemahlinn der Regel
nach von dem Willen beider Theile ab, und ſelbſt die Un-
ſtandesmaͤßigkeit einer Ehe giebt den auswaͤrtigen weder
nach dem natuͤrlichen noch nach dem hergebrachten Voͤlker-
recht ein Recht, die Anerkenntniß dieſer Wahl oder des aus
dieſer Ehe erzeugten Kronerben zu verweigern a). Die
beym Heyraths-Antrag und den Vermaͤhlungen herge-
brachte Ceremonien, haͤngen von den Umſtaͤnden und dem
Haus-Ceremoniel jeden Hofes ab. Auch in die Ehe- und
Familienhaͤndel der Souveraine hat kein fremder Hof das
Recht, ſich weiter als durch guͤtliche Vorſtellungen einzu-
miſchen.
Die Fuͤrſten und beſonders diejenigen welche wirklich
miteinander verwandt ſind, pflegen ſich auch gegenſeitig zu
Gevattern a) zu bitten. Bey der Wahl dieſer Taufzeu-
gen ſieht man jetzt nicht mehr ſo wie im 16ten Jahrhun-
dert auf ihre Religions-Gleichheit b). Da uͤbrigens die
Fuͤrſten ſelten in Perſon dieſes Geſchaͤfft verrichten, ſo er-
nennen ſie dazu einen Geſandten, oder der Fuͤrſt der ſie ein-
geladen hat, ſchlaͤgt dazu bey der Einladung jemanden vor.
Auch Republiken und andere moraliſche Perſonen werden
zuweilen zu Gevattern gebeten c). Außer den auch bey
Fuͤrſten uͤblichen Gevatter-Geſchenken iſt auch im teutſchen
(ſelten im Lateiniſchen und niemahls im Franzoͤſiſchen) der
N 3Titel
[198]Fuͤnftes Buch.
Titel Gevatter zwiſchen Fuͤrſten gleicher Wuͤrde noch her-
gebracht.
Auch durch gegenſeitige Geſchenke pflegen oft Fuͤr-
ſten ihre Freundſchaft an den Tag zu legen. Dahin ge-
hoͤren: 1) Geſchenke zu welchen man durch Vertraͤge ſich an-
heiſchig gemacht hat a), 2) andere die dem Herkommen nach
jaͤhrlich b) oder doch bey gewiſſen Gelegenheiten c) gemacht
zu werden pflegen. 3) Andere die voͤllig von der freyen
Willkuͤhr der Hoͤfe abhaͤngen d).
Nach dem Muſter der geiſtlichen Ritterorden deren
Mitglieder ſich durch aͤußere Kennzeichen vor andren un-
terſchieden, fingen auch Fuͤrſten an, theils diejenigen mit
denen ſie als vertraueteren Freunden Geſellſchaften errich-
teten, theils in der Folge auch andere die ſie eines vorzuͤg-
lichen buͤrgerlichen oder militairiſchen Verdienſts wegen zu
belohnen wuͤnſchten, durch aͤußere Merkmahle vor andren
auszuzeichnen. Dies iſt der Urſprung der weltlichen Rit-
terorden, dergleichen nicht nur die mehreſten Koͤnige a)
und einige Republiken b) ſondern auch die mehreſten der
altweltfuͤrſtlichen Haͤuſer in Teutſchland einen, oft aber auch
mehrere und von ſehr verſchiedenen Klaſſen geſtiften haben c).
Dieſe Orden werden nicht nur eigenen oder fremden Unter-
thanen als Zeichen der Gnade und des Wohlwollens er-
theilt, ſondern auch die erſten koͤniglichen Hausorden, nicht
ſelten fremden koͤniglichen und fuͤrſtlichen Perſonen beiderley
Geſchlechts und zwar mit Diſpenſatien d) von den Sta-
tuten des Ordens als Zeichen der Freundſchaft zugeſandt e),
und von dieſen in Friedens- und Kriegszeiten getragen.
Sonſt iſt aus den Geſetzen des Ordens zu beurthei-
len, wiefern er mit andren zu vereinbaren ſey f). Auch
behaͤlt der Ordensmeiſter das Ausſchließungsrecht; und da
das Recht den Orden zu tragen blos perſoͤnlich iſt, ſo wer-
N 4den
[200]Fuͤnftes Buch.
den die Zeichen (nicht immer die Verzierungen) des Or-
dens von den Erben zuruͤckgeſandt.
Daß zwey Hoͤfe Orden deſſelben Nahmens ſtifren
koͤnnen iſt außer Zweifel, aber uͤber das Recht der Erthei-
lung ein und deſſelben Ordens iſt zwiſchen Großbriton-
nien und Spanien in Anſehung des Ordens des goldenen
Vließes g) ein beruͤhmter und noch unentſchiedener Rechts-
ſtreit entſtanden.
So verſchieden das Hof-Ceremoniel der einzelnen
Europaͤiſchen Hoͤfe in manchen Puncten iſt, ſo aͤhnlich iſt
es wiederum in vielen andren und inſonderheit in Anſe-
hung der Art des Empfangs fremder Fuͤrſten und ihrer
Geſandten. Da indeß ſehr vieles von dem Verhaͤltniſſe des
Beſuchenden und des beſuchten Hofes abhaͤngt, ſo laͤßt ſich
nur im allgemeinen bemerken, wodurch der hohe Gaſt geeh-
ret werden koͤnne. Dahin gehoͤret inſonderheit: das Ent-
gegenfahren, die Loͤſung der Kanonen und andere militai-
riſche Ehrenbezeigungen, das Ablegen der Trauer, die Ein-
raͤumung der rechten Hand (unter Fuͤrſten gleicher Wuͤrde)
Freudenfeſte aller Art, Geſchenke, zuweilen auch Fuͤrbit-
ten in der Kirche, Freyhaltung, Wohnung in dem Pallaſt
u. ſ. f. Die Beſchwerlichkeiten des Ceremoniels und die
damit verbundene Koſten haben Anlaß zu dem in neueren
Zeiten ſo haͤufigen incognito der großen Herrn auf ihren
Reiſen gegeben, bey welchem ſich kein Ceremoniel mehr
feſtſetzen laͤßt, da die Strenge deſſelben verſchiedene Grade
hat, und das mehreſte von dem Geſchmack des Fremden
und den allenfalls vorher getroffenen Abreden abhaͤngt.
Selbſt dann wenn ein fremder Monarch nur das
Gebiet eines andren und nicht ſeine Reſidenz betritt, oft
ſogar wenn er nur nahe an den Grenzen vorbey reiſet,
pflegt man ihm einige Hoͤflichkeiten zu bezeugen; insbe-
ſondere ihm durch einen Prinzen von Gebluͤt oder durch
einen der erſten Hofbedienten Gluͤck wuͤnſchen zu laſſen;
doch laſſen ſich keine Regeln in Anſehung eines Puncts
feſtſetzen, der ganz von Umſtaͤnden abhaͤngt, und bey dem
von vollkommnen Pflichten nicht die Rede ſeyn kann a).
Ob fremde Monarchen, wenn ſie das Gebiet eines
andren Staats beruͤhren, ihre perſoͤnliche Unabhaͤngigkeit mit
hinein bringen, ſo daß ſie weder den Geſetzen, noch den
Gerichten dieſes Landes unterworfen werden koͤnnen, und als
voͤllig exterritorial angeſehn werden muͤſſen, iſt nach dem
ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht zweifelhaft a). Das Herkom-
men aber gewaͤhret wenigſtens den gekroͤnten Haͤuptern und
voͤllig ſouverainen Fuͤrſten dieſe perſoͤnliche Exterritorialitaͤt,
ſofern ſie 1) nicht insgeheim kommen b) (obwohl ſie in
cognito kommen moͤgen), 2) noch in den wirklichen Beſitz
der Souverainetaͤt ſind, oder doch einen fuͤr gegruͤndet an-
erkannten Anſpruch an ſelbige haben c); 3) ſich dieſem
Staat nicht dadurch unterworfen haben, daß ſie in deſſen
Dienſten z. B. in Militair Dienſten getreten ſind d). Be-
ginge aber ein ſolcher fremder Monarch ein der Sicherheit
dieſes Staats unmittelbar Gefahr drohendes Verbrechen,
ſo wuͤrde dieſer das Recht haben nicht nur ihn auszuſchaffen,
ſondern auch wider ihn wie gegen ſeinen erklaͤrten Feind zu
verfahren e).
Kraft dieſer herkommlichen Exterritorialitaͤt geſtattet
man auch fremden Monarchen eine buͤrgerliche Gerichtbar-
keit uͤber ihr Gefolge. Daß ſie aber berechtiget ſeyn alle
Handlungen der hoͤchſten Gewalt an dem Ort ihres Aufent-
halts auszuuͤben, laͤßt ſich nicht behaupten f).
Die Exterritorialitaͤt fremder Monarchen erſtreckt ſich
zwar auch auf diejenigen Mobilien die ſie in einem fremden
Lande mit ſich fuͤhren. Auch gewaͤhret ein ziemlich allgemei-
nes Herkommen in und außerhalb Teutſchlands dem zum
eigenen Gebrauch des Monarchen oder ſeiner Familie be-
ſtimmten Fuͤrſtengut bey ſeiner Durchfuͤhrung, auf erfolgte
Requiſition, eine Befreyung von Zoͤllen a). Unbewegliche
Guͤter derſelben ſind der Regel nach nicht von Abgaben frey.
Auch ſind bewegliche oder unbewegliche Guͤter welche
der Perſon eines abweſenden fremden Monarchen zuſtehn, ſo
gut wie die welche ſeinem Staat oder deſſen Unterthanen ge-
hoͤren, der Gerichtsbarkeit b) des Staats und folglich auch
dem Arreſt c) und der Sequeſtration auf ein im Wege
Rechtens von den Unterthanen des letzteren erfolgtes An-
ſuchen d), in allen den Faͤllen unterworfen, in welchen ſonſt
ein Arreſt ſtatt hat und die Gerichtbarkeit begruͤndet.
Entſtehn aber zwiſchen zween Fuͤrſten uͤber ihre Pri-
vatguͤter Streitigkeiten, ſo kann, ſo wie in Streitigkeiten der
Voͤlker, keiner zugleich Parthey und Richter des andren
ſeyn e). Daher ſind Arreſte die in ſolchen Faͤllen ange-
legt werden, als Repreſſalien anzuſehn f) und ihre Recht-
maͤßigkeit iſt nach eben den Grundſaͤtzen zu beurtheilen wel-
che uͤberhaupt in Anſehung der Thaͤtlichkeiten und Kriege
zwiſchen
[204]Fuͤnftes Buch.
zwiſchen Voͤlkern zu Beſchuͤtzung und Verfolgung ihrer
Rechte eintreten. Wiefern aber der Regent zu Verfolgung
ſeiner Privat-Anſpruͤche auf Guͤter, Provinzen u. ſ. f. die
Kraͤfte ſeiner Nation aufbieten duͤrfe, iſt aus dem Staats-
recht, nicht aus dem Voͤlkerrecht zu beurtheilen.
Eben ſo iſt die Frage wiefern Fuͤrſten ſich der Prin-
zen und Prinzeſſinnen ihres Hauſes die einen andren Staat
beherrſchen oder mit deſſen Oberhaupt vermaͤhlt ſind, dann
wenn ſie hier widerrechtlich behandelt werden a), nicht blos
durch Vorſtellungen ſondern ſelbſt mit Gewalt der Waffen
annehmen
[205]Von perſoͤnlichen und Familien-Rechten.
annehmen duͤrfen, in zwiefacher Ruͤckſicht, des Staats- und
Voͤlkerrechts, zu beurtheilen. In jener Hinſicht iſt zwar
in wahren Colliſionsfaͤllen die Erhaltung des Staats allen
uͤbrigen Pflichten vorzuziehn und ſofern der Satz wahr, daß
der Staat keine Verwandte habe, in andren Faͤllen aber
verlieren Prinzen die einen fremden Staat beherrſchen und
Prinzeſſinnen die durch ihre Vermaͤhlung nicht ſelten das
Opfer der Politik ihres Staats wurden nicht allen Anſpruch
auf den Schutz des Landes in welchem ſie geboren wurden.
Das Voͤlkerrecht aber wird nicht beleidiget, wenn ein Re-
gent ſich der gerechten Sache ſeiner auswaͤrtigen Verwand-
ten in Faͤllen annimmt in welchen er ſich ſelbſt des gering-
ſten ſeiner Unterthanen oder ſogar eines voͤllig fremden Fuͤr-
ſten aufgefordert annehmen duͤrſte.
Auch in dem Voͤlkerrecht laſſen ſich wie in anderen Zwei-
gen der Rechtsgelehrſamkeit die Rechte ſelbſt von den Mitteln
unterſcheiden dieſe Rechte zu vertheidigen und zu verfolgen;
bey dieſen Mitteln aber treten wiederum außer den Grund-
ſaͤtzen des natuͤrlichen Rechts, manche auf Herkommen oder
Gewohnheit beruhende Beſtimmungen ein.
Da freye Voͤlker keinen hoͤheren Richter auf der Welt
haben, vor dem ſie ihre Beſchwerden anbringen und von
welchem ſie die Entſcheidung ihrer Streitigkeiten erwarten
koͤnnten, ſo bleiben ihnen keine andere Mittel uͤbrig als der
Weg der guͤtlichen Verhandlung, oder, in deſſen Erman-
gelung die Selbſthuͤlfe.
Guͤtliche Verhandlungen koͤnnen entweder blos unmit-
telbar zwiſchen den Voͤlkern angeſtellet werden, unter wel-
chen ein Streit entſtanden iſt, oder mit Zuziehung eines
dritten Volks das entweder 1) blos ſeine guten Dienſte
(bons offices) verwendet um eine guͤtliche Auskunft zu be-
foͤrdern, oder 2) als Vermittler (mediateur) a) von bei-
den Theilen erwaͤhlet worden, um unpartheyiſche Vorſchlaͤge
zu einem Vergleich zu thun, die jedoch angenommen oder
verworfen werden koͤnnen, oder 3) als erwaͤhlter Schieds-
richter
[207]Von ſchriftlichen Verhandlungen der Voͤlker.
richter b) einen auf Rechtsgruͤnde beruhenden Ausſpruch thun
ſoll, dem beide Theile Folge zu leiſten ſich verpflichtet haben.
Alle dieſe Verhandlungen koͤnnen theils muͤndlich,
es ſey von den Regenten in Perſon, oder von deren Bevoll-
maͤchtigten, theils ſchri[f]tlich betrieben werden. Und außer-
halb der eigentlichen Verhandlungen giebt es zwiſchen Voͤl-
kern mannigfaltige Veranlaſſungen zu ſchriftlichen Aufſaͤtzen,
ſofern es bald darauf ankommt das ganze Publicum von der
Rechtmaͤßigkeit unſerer Sache, von unſren getroffenen Maaß-
regeln u. ſ. f. zu unterrichten, theils durch ſchriftliche Abfaſ-
ſung muͤndlich geſchloſſenen Vertraͤge ſie der Vergeſſenheit
und dem Zweifel zu entreiſſen.
Man kann daher alle Schriften welche in den Ver-
haͤltniſſen der Voͤlker vorkommen und die allgemein mit dem
Nahmen
[208]Sechstes Buch.
Nahmen der Staatsſchriften (acta publica) belegt werden,
in ſolche eintheilen die an eine gewiſſe Perſon oder an einen
gewiſſen Hof gerichtet oder doch fuͤr dieſe beſtimmt ſind,
und in ſolche die fuͤr das ganze Publicum beſtimmt ſind,
welche letztere in dieſer Ruͤckſicht zuweilen in beſonderem Sinn
oͤffentliche Staatsſchriften genannt werden. Jene haben
entweder die Form eines Briefes oder die eines Memorials,
Decrets u. ſ. f. a).
Unter den Briefen der Monarchen ſind die Canzley-
Schreiben von den Cabinets- und eigenhaͤndigen Schrei-
ben zu unterſcheiden. In Republiken hat dieſer Unterſchied
nicht ſtatt.
Canzley- oder Staats-Schreiben (Lettres de
conſeil, de Chancellerie) welche aus der Staatscanzley
ausgefertiget werden, und worin das ſtrengſte Ceremoniel
beobachtet wird, unterſcheiden ſich durch folgende Puncte:
1) Sie werden der Regel nach in der Staatsſprache a)
des ſchreibenden Hofes abgefaßt. 2) Wenn ſie an gleiche b)
oder geringere gerichtet werden, ſo faͤngt der Schreibende
mit
[209]Von ſchriftlichen Verhandlungen der Voͤlker.
mit ſeiner eigenen Titulatur c) an, hierauf folget der Titel
deſſen an den das Schreiben gerichtet iſt, die Bezeichnung
des gegenſeitigen Verhaͤltniſſes, die Begruͤßungsformel, und
ſodenn erſt die Anrede. Z. B. N. N. par la grace de
Dieu d) Roi etc. à très-haut très-puiſſant et très-
illuſtre Prince N. N. par la même grace Roi N. N.
nôtre bon frére, couſin e), ami et allié ſalut. —
Très-haut très-puiſſant et très-illuſtre Roi. 3) Im
Context, welcher unabgeſetzt auf die Anrede folgt, redet der
Schreibende von ſich ſelbſt in der mehreren Zahl Wir f)
und giebt dem, an welchen er ſich wendet, die Majeſtaͤt g),
Durchlaucht h) u. ſ. f. i). 4) Der Brief wird mit einer
hergebrachten Schlußformel geendiget k). Dann folget vom
Briefe abgeſetzt die Bezeichnung des Orts, des Tages,
des gemeinen und Regierungsjahres wo er ausgefertiget
worden. 5) Hierauf wird entweder die Anrede wiederho-
let l), oder auch nach den Umſtaͤnden der Brief ſchlecht-
weg von dem Fuͤrſten unterſchrieben, nach dem er von dem
Miniſter contraſignirt worden. 6) Die Ausfertigung ge-
ſchieht auf groͤßerem Papier, mehrentheils ohne Briefdecke,
und immer mit Aufdruͤckung des großen Staatsſiegels. 7)
Die Aufſchrift enthaͤlt den ganzen Titel deſſen, an wel-
chen der Brief gerichtet iſt, und ſein Verhaͤltniß zu dem
Schreibenden.
Cabinets- oder Handſchreiben, welche der Fuͤrſt aus
ſeinem Cabinet erlaͤßt, ſind einem weniger ſteifen Ceremo-
niel unterworfen, und in dieſen werden zuweilen Titel ge-
geben, die man in den Canzley-Schreiben verweigert. Sol-
che Cabinets-Schreiben werden 1) zwiſchen Fuͤrſten die nicht
dieſelbe Sprache gebrauchen, gewoͤhnlich im franzoͤſiſchen
als der faſt allgemeinen Hofſprache abgefaßt; 2) gleich mit
der Anrede, die oft ſehr kurz iſt, angefangen 3) der Schrei-
bende redet von ſich in einfacher Zahl, giebt aber dem an
welchen er ſchreibt die Majeſtaͤt, Durchlaucht, u. ſ. f. 4)
Der Styl iſt weniger zuruͤckhaltend und verbindlicher 5)
oft wird die Unterſchrift mit der letzten Periode des Brie-
fes in Verbindung geſetzt, nachdem allenfalls die Anrede
wiederholet worden, 6) dieſe Briefe pflegen mit einer Brief-
decke verſehn, in kleinerer Form geſchrieben und mit dem
Cabinets-Siegel beſiegelt zu werden. Die Aufſchrift iſt
ganz kurz.
Davon koͤnnen noch die eigenhaͤndigen Schreiben unter-
ſchieden werden, die nicht mehr Ceremoniel als die Briefe
eines Privatmannes haben, obwohl auch hier die franzoͤſiſche
Sprache die uͤblichſte iſt. Sie kommen nicht ſehr haͤufig a)
in Staatsgeſchaͤften vor. Sehr uneigentlich nennen einige
dieſe lettres en forme de billet.
Wann Canzley- und wann Cabinets-Schreiben ge-
waͤhlet werden muͤſſen, laͤßt ſich nicht auf ſichere Vorſchriften
zuruͤckfuͤhren, da Umſtaͤnde und Geſchmack des Fuͤrſten
hier entſcheiden; doch kann man anmerken, daß 1) in wich-
tigen und ſehr feyerlichen Gelegenheiten zumahl zwiſchen Hoͤ-
fen die nicht auf ſehr vertrauetem Fuß ſtehn Canzley-Schrei-
ben uͤblicher ſind, obgleich in einem ſehr ungleichen Verhaͤlt-
niß der geringere ſich an den hoͤheren nicht in Canzley Schrei-
ben wendet; 2) es fuͤr unhoͤflich gehalten werden wuͤrde ein
Cabinets oder gar ein eigenhaͤndiges Schreiben durch ein
Canzley Schreiben zu beantworten, ſelbſt wenn jenes von
einem geringeren herkaͤme. 3) Fuͤrſten die ein Cabinet ha-
ben ſich nicht leicht zuerſt in einem vertraulicheren eigenhaͤn-
digen Schreiben an einen hoͤheren wenden.
Daß in Schreiben großer Herrn mancherley Fehler
wider das Ceremoniel einſchleichen koͤnnen, ergiebt ſich aus
dem bisher geſagten. Wird in dieſem Fall der Fehler nicht
von dem Schreibenden ſelbſt, ſobald er ihn bemerkt, ent-
ſchuldiget, ſo kann der welcher den Brief empfaͤngt, wenn
er ſich dabey nicht beruhigen will, entweder blos den Fehler
ruͤgen, oder dawider fuͤr die Zukunft proteſtiren, oder erklaͤ-
ren, daß er vor erfolgter Verbeſſerung ihn nicht beantworten,
oder in aͤhnlichem Falle den Brief zuruͤckſchicken werde, oder
ihn wirklich zuruͤckſchicken. Gemeiniglich begnuͤget man ſich
mit den beiden erſten [Mitteln] ſo lange man vermuthet, daß
der Fehler nur aus Nachlaͤſſigkeit begangen worden a).
Sehr haͤufig iſt im Voͤlkerrecht der Gebrauch der
Denkſchreiben, memoires, pro memoria denen die Foͤrm-
lichkeiten der Briefe alle, oder groͤßeſtentheils, inſonderheit
die Beſiegelung fehlen. Man unterſcheidet eine dreyfache
Gattung derſelben; 1) einige ſind mit einer Anrede, Datum
und Unterſchrift verſehn, und der Verfaſſer redet von ſich
in der erſten, von dem an den er ſich wendet in der zweyten
Perſon; dieſe kommen den Briefen am naͤchſten, daher man
ſie memoires en forme de lettre nennt; 2) andere enthal-
ten zwar eine Anrede, Datum und Unterſchrift, aber der
Schreibende redet von ſich in der dritten Perſon; dieſe nennt
man insbeſondere memoires; 3) andere ſind ohne Anrede,
zuweilen ſelbſt ohne Unterſchrift, und ſowohl von dem Aus-
ſteller als dem fuͤr welchen die Schrift beſtimmt iſt wird in
dritter Perſon (unperſoͤnlich) geredet. Dieſe werden ins-
beſondere Noten genannt.
Solche Denkſchreiben werden theils von den Hoͤfen,
theils von ihren Geſandten abgefaßt und uͤbergeben. Zu
den Denkſchriften der Hoͤfe gehoͤren: 1) die Circular-Noten
welche zuweilen ein Hof an alle bey ihm reſidirende fremde
Geſandte, oder das ſogenannte corps diplomatique, ge-
meiniglich mit Unterſchrift des Staatsſecretairs ergehn laͤßt,
um ſie von etwas zu benachrichtigen oder um etwas zu er-
ſuchen; imgleichen 2) die Antworten die er einem Geſandten
auf deſſen Memorial ertheilet, die jedoch nach der Verſchie-
denheit der Verfaſſung zuweilen in Form eines Decrets,
einer Signatur a), Reſolution u. ſ. f. ertheilet werden. 3)
Die Noten welche der Hof entweder geradezu an ein aus-
waͤrtiges Staats-Miniſterium einſendet, oder die er ſeinem
auswaͤrtigen Geſandten uͤberſchickt, um ſolche nebſt einem
O 4von
[216]Sechstes Buch. V. ſchriftl. Verhandl. d. Voͤlker.
von ihm gefaßten Memoire zu uͤberreichen. Letztere werden
zuw [...]ilen ohne Unterſchrift ausgefertiget. Davon ſind die
Inſtructionen zu unterſcheiden welche ein Hof ſeinem Ge-
ſandten zuſchickt, und die zuweilen zwar die Form eines P.
M. oder Reſcripts, gemeiniglich aber die eines Briefes des
Staatsſecretairs oder des Fuͤrſten haben.
Die Denkſchreiben der Geſandten an den Hof bey
welchem ſie reſidiren, werden jetzt ſelten in Geſchaͤften en
forme de lettre ausgefertiget; am gewoͤhnlichſten ſind die
insbeſondere ſogenannte memoires, doch kommen auch die
Noten oft vor. Die Depechen welche der Geſandte an ſeinen
Hof einſchickt, haben mehrentheils die Form eines Briefes.
Unter den Schriften die in noch engerem Sinn oͤffent-
liche Staatsacten genannt werden, weil ſie fuͤr das ganze
Publicum beſtimmt ſind, haben einige zugleich den Styl
und die Form offener Briefe lettres patentes, wie z. B.
Vollmachten, Paͤſſe und einige Manifeſte, andere formam
libelli, wie Staatsvertraͤge, Ratificationen, Proteſtatio-
nen u. ſ. f. Die ausfuͤhrlicheren Voͤlkerrechts-Deductionen,
welche unter dem Nahmen Manifeſte, Anfuͤhrung der
Urſachen u. ſ. f. durch oͤffentlichen Druck bekannt gemacht
werden, ſind in Anſehung der Form keinen andren Vor-
ſchriften, als denen unterworfen, welche die Natur der Sache
auch bey Deductionen der Privatperſonen an die Hand giebt.
Nicht leicht koͤnnen wichtige und verwickelte Angelegenhei-
ten blos durch ſchriftliche Correſpondenz der Hoͤfe und ihrer
Miniſter beendiget werden. Daher ſind muͤndliche Unter-
redungen nothwendig; und da Fuͤrſten ſelten in Perſon mit
einander handeln koͤnnen, ſo ſehen ſie ſich genoͤthiget Man-
datarien zu ſchicken die mit Vollmacht und Inſtruction ver-
ſehn, ihre Angelegenheiten bey auswaͤrtigen Maͤchten be-
treiben; dies iſt der Grund des Geſandſchaftsrechts a).
Unter Miniſter verſteht man im allgemeinen Sinn
jeden Diener des Staats; in engerem Sinn denjenigen der
einem Departement als Haupt deſſelben vorſteht; (z. B.
Miniſter der auswaͤrtigen Angelegenheiten;) unter auswaͤr-
tigen Miniſter oder Geſandten (legatus, Ambaſſadeur
im allgemeinen) denjenigen der zu Betreibung oͤffentlicher
Staatsangelegenheiten an Auswaͤrtige abgeſchickt wird. Da
der Staat zu Fuͤhrung der auswaͤrtigen Geſchaͤfte ſolcher
Geſandten nicht entbehren kann, ſo iſt das Geſandſchaftsrecht
als ein weſentliches Recht des Staats, und ſo fern ſolche
Geſandte von gemeinen Mandatarien der Privatperſonen
verſchieden ſind, als ein Hoheitsrecht anzuſehn. Das all-
gemeine Voͤlkerrecht gedenkt ſich unter Geſandte ſolche denen
die Fuͤhrung wirklicher Staatsgeſchaͤfte anvertrauet wird
(miniſtres negociateurs). Jetzt werden nicht nur zuwei-
len Geſandte auch zu bloßen Ceremoniel-Geſchaͤften, ſondern
ſeit der Einfuͤhrung der beſtaͤndigen Geſandten auch oft ohne
einen beſtimmten Auftrag zu Erhaltung der gegenſeitigen
Freundſchaft und zu [Erforſchung] deſſen was an einem Hofe
merkwuͤrdiges vorfaͤllt abſchickt. Indeß legt das Herkom-
men
[219]Geſandſchaftsrecht uͤberhaupt.
men den Ceremoniel- und beſtaͤndigen Geſandten faſt ohne
Ausnahme alle die Vorrechte bey, deren ein wirklicher Ne-
gociateur genießt, obgleich dies aus allgemeinen Gruͤnden
nicht zu folgen ſcheint.
Der urſpruͤngliche und hauptſaͤchliche Zweck der Ge-
ſandſchaften ergiebt, daß 1) alle diejenigen welche in ihrem
eigenen Nahmen mit Auswaͤrtigen in Verhandlung zu tre-
ten berechtiget ſind, auch das Recht haben muͤſſen Geſandte
zu ſchicken, folglich daß nicht nur alle ganz unabhaͤngige
Staaten a), ſie moͤgen ungleiche Buͤndniſſe mit anderen ein-
gegangen haben oder nicht, ſondern auch alle diejenigen nicht
unabhaͤngigen (halb ſouveraine) Staaten welche das Recht
des Kriegs, des Friedens und der Buͤndniſſe haben, be-
fugt ſeyn muͤſſen Geſandte abzuſchicken, daher auch dieſes
active Geſandſchaftsrecht ſowohl den teutſchen Reichsſtaͤn-
den b), als einigen anderen abhaͤngigen Staaten c) jetzt un-
beſtritten zuſteht. Die Frage aber, wer in monarchiſchen
Staaten dieſes Recht auszuuͤben habe, ob der Regent allein
oder mit Zuziehung der Staͤnde, iſt aus dem poſitiven
Staatsrecht eines jeden Landes zu beurtheilen d). Hinge-
gen alle die unterworfene Theile eines Staats welche kein
Recht haben in eigenem Nahmen mit Auswaͤrtigen in Ver-
handlungen zu treten, und alle phyſiſche Perſonen denen die-
ſes Recht nicht zuſteht, wie hoch auch uͤbrigens ihre Geburt
oder das Amt welches ſie bekleiden ſeyn mag e), haben das
Geſandſchaftsrecht nicht, obſchon ſie in ihren Angelegenheiten
anderen Privatperſonen gleich, bloße Mandatarien ſchicken
koͤnnen. In dem Verhaͤltniß zwiſchen dem Oberherrn und
deſſen Unterthanen und Staͤnden, koͤnnen dieſe ihm zwar
Abgeordnete ſchicken, ſo wie er ihnen Commiſſarien ſendet,
aber beide ſind nicht als Geſandter anzuſehn, jene nicht
weil die welche ſie abgeordnet haben ihnen dieſe Eigenſchaft
nicht beylegen koͤnnen, dieſe nicht, weil der Oberherr ſie ihnen
nicht
[220]Siebentes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
nicht beylegen wollen, noch auch beyzulegen brauchte, um
ihnen die Vorzuͤge zu verſchaffen deren er ſie genießen laſ-
ſen will f). Ein Regent kann indeß das Recht in ſeinem
Nahmen das Geſandſchaftsrecht auszuuͤben mittheilen, und
ſofern koͤnnen zuweilen Prinzen vom Gebluͤtg), Statt-
halter, Vice-Koͤnige, Generale, Geſandteh) ſelbſt Per-
ſonen abſenden, die des Characters, der weſentlichen Rechte
und des Anſehns wirklicher Geſandten genießen.
Wer das Recht hat Geſandte zu ſchicken, hat auch das
Recht ſie anzunehmen, und nur ſofern ihm das erſtere zu-
ſteht, kann er auf das letztere Anſpruch machen, ſo daß das
active und paſſive Geſandſchaftsrecht ſowohl uͤberhaupt, als
in Anſehung der verſchiedenen Grade der Geſandſchaft in
unzertrennlicher Verbindung ſteht.
Da das Geſandſchaftsrecht ein Theil der hoͤchſten Ge-
walt iſt, ſo faͤllt es im Fall einer Erledigung des Throns
auf das Volk oder diejenigen zuruͤck, denen nach der Ver-
faſſung des Landes die Verwaltung waͤhrend des Zwiſchen-
reichs zuſteht. Der Regent welcher die Regierung freywillig
niederlegt,
[222]Siebentes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
niederlegt, kann ſelbiges nicht mehr ausuͤben. Auch der-
jenige Fuͤrſt nicht, der in oder außerhalb Landes in Gefan-
genſchaft gerathen waͤre, ſo lange dieſe Gefangenſchaft fort-
dauert. Sonſt aber kann der unwillkuͤhrliche Verluſt des
Throns den rechtmaͤßigen Beſitzer deſſelben, oder der ent-
behrte Beſitz den rechtmaͤßigen Praͤtendenten nicht des Ge-
ſandſchaftsrechts berauben, ſo wenig ein unrechtmaͤßiger Be-
ſitz fuͤr ſich allein das Geſandſchaftsrecht giebt. Eben daher
wird aber auch in Europa die Annahme oder Abſendung ei-
nes oͤffentlichen Geſandten von Seiten eines dritten Volks,
als ein Beweis angeſehn, daß es den der ihn ſendet oder
empfaͤngt als rechtmaͤßigen Regenten betrachte, obgleich nach
dem was ſchon oben §. 72. erinnert worden nach den all-
gemeinen Grundſaͤtzen ein Volk das ſich blos nach den ge-
genwaͤrtigen Beſitzſtand richtet, die Rechtmaͤßigkeit deſſelben
noch nicht nothwendig anerkannt zu haben ſcheint.
So wenig ein Staat im allgemeinen verbunden iſt,
Geſandte zu ſchicken, wenn er dies nicht durch Vertraͤge ver-
ſprochen hat, ſo wenig giebt es auch außerhalb der Ver-
traͤge eine vollkommene Verbindlichkeit in Friedens- oder
Kriegszeiten Geſandte, zumahl fuͤr beſtaͤndig anzunehmen.
Daher kann jeder Staat auch die Bedingungen unter wel-
chen er Geſandte annehmen will, und die Art ihrer Auf-
nahme beſtimmen. Indeß wuͤrde 1) nach der Europaͤiſchen
Voͤlker-Praxis in Friedenszeiten ein Staat die Annahme
eines Geſandten einer freundſchaftlichen Macht uͤberhaupt
nicht leicht verweigern; 2) wenn deſſen Aufnahme einmahl
verwilliget worden, ſo giebt es einige Rechte deren er ſchon
nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht zu genieſſen hat; 3) an-
dere beruhen auf einzelne Vertraͤge oder auf Geſetze einzel-
ner Europaͤiſchen Maͤchte; 4) andere ſind durch ein gleich-
foͤrmiges Herkommen ſo eingefuͤhrt, daß ſie fuͤr ſtillſchwei-
gend eingeraͤumt anzuſehn ſind, ſobald desfalls nichts aus-
bedungen
[223]Geſandſchaftsrecht uͤberhaupt.
bedungen wird; 5) andere endlich, inſonderheit manche Ce-
remonielrechte, haͤngen von dem beſondren Gebrauch ein-
zelner Hoͤfe ab, und laſſen ſich daher nicht auf allgemeine
Grundſaͤtze zuruͤckfuͤhren.
Das allgemeine Voͤlkerrecht kennt keine Eintheilung
der Geſandten in verſchiedene Klaſſen; es betrachtet ſie alle
als oͤffentliche Geſchaͤftstraͤger des Staats den ſie, jedoch nur
in Hinſicht der ihnen aufgetragenen Geſchaͤfte, vorſtellen,
und laͤßt ſie der hieraus flieſſenden weſentlichen Rechte ge-
nießen. Das poſitive Europaͤiſche Voͤlkerrecht aber hat nach
und nach mehrere in Anſehung des Ceremoniels von einan-
der weſentlich verſchiedene Klaſſen eingefuͤhrt a).
In fruͤheren Zeiten kannte man nemlich auch in Eu-
ropa in Staatsgeſchaͤften nur eine Gattung von Geſandten
unter dem Nahmen Bothſchafter, Ambaſſadeurs. Fuͤr
Privat-Angelegenheiten des Fuͤrſten wurden wohl hie und
da beſondere Agenten angenommen, und in Ceremoniel oder
anderen minder wichtigen Geſchaͤften ein adelicher Hofbediente
an einen andren Hof geſchickt; aber weder dieſe noch die
Agenten konnten irgend ein geſandſchaftliches Ceremoniel
oder anderes Vorrecht begehren. Als aber im 15ten und
mehr noch im 16ten Jahrhundert die Idee von dem perſoͤn-
lichen Repreſentativ-Character des Geſandten manche Strei-
tigkeiten und einen hoͤheren Aufwand veranlaßte, auch zu
dieſer Zeit nicht nur die Geſandſchaften haͤufiger wurden
ſondern ſelbſt in beſtaͤndige verwandelt zu werden anfingen,
ſo gab dies Veranlaſſung eine geringere Klaſſe von Geſand-
ten, ohne den hohen Repreſentativ-Character, einzufuͤh-
ren
[224]Siebentes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ren b), und ſie unter dem Nahmen von Reſidenten, von
jenen welche nun ausſchließlich Ambaſſadeurs genannt wur-
den zu unterſcheiden. Daß gleichwohl dieſe Reſidenten den
bloßen Agenten vorgehen muͤſten, ſchien ſelbſt dann ſich von
ſelbſt zu verſtehn, wenn, wie wohl manchmahl geſchah, ſolche
Agenten auch zu Staatsangelegenheiten gebraucht wurden.
Agenten dieſer letzteren Art wurden in der Folge unter dem
Nahmen Chargés des affaires, agentes in rebus,Ge-
ſchaͤftstraͤger, immer mehr von denen unterſchieden die
entweder nur die Privat-Angelegenheiten ihres Fuͤrſten,
oder gar keine zu beſorgen hatten und der immer weniger
geſchaͤtzte Titel Agent faſt blos fuͤr letztere beybehalten.
Ueberdies fing man in der erſten Haͤlfte des 17ten
Jahrhunderts an, den an Hoͤfe ohne weiteren Character
geſandten Adelichen (gentilhommes envoyés) ein obwohl
im Anfange ſehr unbeſtimmtes Geſandſchafts-Ceremoniel c)
angedeyhen zu laſſen, das zuweilen der Behandlung der
Bothſchafter, oft der Reſidenten naͤher kam, bis erſt nach
und nach und inſonderheit ſeit dem Anfange des jetzigen Jahr-
hunderts das Ceremoniel derſelben ſo feſtgeſetzt wurde, daß
nach dem Gebrauch der mehreſten Hoͤfe ſie unter dem Nah-
men der Envoyés eine beſondere Klaſſe ausmachen die zwar
dem Bothſchafter weit nachſteht, aber auch uͤber den Reſiden-
ten betraͤchtlich hervorragt. Wie indeß der Willkuͤhr eines
jeden Hofes neue geſandſchaftliche Wuͤrden zu ertheilen uͤber-
laſſen bleibt, auch die Verſchiedenheit oder Unbeſtimmtheit
ſolcher Wuͤrden zuweilen zu Vermeidung einiger Ceremoniel-
Streitigkeiten beytragen kann, ſo hat ein neuerer Gebrauch
noch die Wuͤrde eines blos bevollmaͤchtigten Miniſters
(miniſtre plénipotentiaire) eines Miniſters, Miniſtre
Reſident, Miniſtre chargé d’affairesd) hervorgebracht
zwiſchen welchen jedoch nicht an allen Hoͤfen ein gleicher Un-
terſchied gemacht wird.
Geſandte der erſten Klaſſe ſind diejenigen, denen der
Repreſentativ-Character beygelegt worden, kraft deſſen ſie
ihren Souverain nicht nur in den ihnen aufgetragenen Ge-
ſchaͤſten ſondern auch in ſeiner Perſon ſo vorſtellen, daß ſie
im allgemeinen die Vorzuͤge begehren koͤnnen deren er, wenn
er ſelbſt gegenwaͤrtig waͤre, genießen wuͤrde a). In dieſe
Klaſſe gehoͤren: 1) die Cardinaͤle, wenn ſie als legati à la-
tere oder de latereb) abgeſandt werden, die paͤbſtliche
Nuntien c), die Bothſchafter (Embaxadores, Ambaſſa-
deurs, Ambaſciatores, Oratores, Magni legatid),
Großbothſchafter) und der venetianiſche Bailo zu Conſtan-
tinopel e). Die Nuntien und Bothſchafter werden in ordent-
liche und außerordentliche eingetheilt, wobey ehemahls der
Unterſchied ob ſie nur fuͤr ein gewiſſes Geſchaͤft oder fuͤr be-
ſtaͤndig an einen Hof geſchickt wurden zum Grunde lag; jetzt
aber wird der Character eines außerordentlichen Bothſchaf-
Pters
[226]Siebentes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ters da er fuͤr etwas hoͤher geachtet wird f), zuweilen auch
den letzteren beygelegt g).
Alle uͤbrige Geſandte haben den eigentlichen Repre-
ſentativ-Character nicht und ſtellen außer in den Geſchaͤften
(in Anſehung deren jeder Mandatarius ſeinen Conſtituenten
vorſtellt) ihren Souverain nur auf eine unbeſtimmte Weiſe
vor a), und ſofern die Art der Repreſentation bey allen dieſen
Geſandten gleich iſt, ſofern giebt es nur zwey Klaſſen von
Geſandten. Sieht man aber auf die Verſchiedenheit der
ihnen
[227]Verſchiedene Klaſſen von Geſandten.
ihnen beygelegten Wuͤrde, und auf den jetzt an den mehre-
ſten Hoͤfen in Anſehung einiger derſelben beobachteten Un-
terſchied des Ceremoniels, ſo kann man eine Eintheilung der-
ſelben in Geſandte der zweyten und dritten Klaſſe nicht
wohl entbehren. In ſofern gehoͤren zu den Geſandten der
zweyten Klaſſe die Envoyés b) (Envoyés, Inviati, Ab-
legati) die gevollmaͤchtigten Miniſter oder Geſandten c)
[miniſtres plenipotentiaires d)] die kaiſerlichen und paͤbſt-
lichen Internuntii e).
Zu den Geſandten der dritten Klaſſe aber gehoͤren nach
dieſer Eintheilung die Miniſter, Miniſtres reſidens, die
Reſidenten a) und die miniſtres chargés d’affaires.
Die bloßen Geſchaͤftstraͤger, Chargés d’affaires, der-
gleichen zuweilen waͤhrend der Abweſenheit des ordentlichem
Geſandten, oft aber auch an Hoͤfen an welchen man keine
characteriſirte Geſandte halten kann oder will ernannt wer-
den, haben zwar nicht den Character als Miniſter, ſie legi-
timiren ſich auch gemeiniglich b) nicht durch eigene Beglau-
bigungsſchreiben an den Staat ſondern werden nur muͤnd-
lich von dem abreiſenden Geſandten dem Hofe in der Ei-
genſchaft vorgeſtellt, oder bekommen nur ein Schreiben an
den Staatsſecretair mit, das Ceremoniel deſſen ſie genießen
iſt auch weder hinreichend noch gleichfoͤrmig an den mehreſten
Hoͤfen beſtimmt, gleichwohl ſtehn ihnen alle weſentlichen
Rechte der Geſandten der dritten Klaſſe zu, daher ſie auch
dieſen nicht mit Unrecht beygezaͤhlt werden koͤnnen.
Unter den Geſandten der verſchiedenen Klaſſen haben:
I. die Geſandten der erſten Klaſſe kraft des ihnen zuſte-
henden Repraͤſentativ-Characters: 1) unſtreitig den Rang
uͤber alle Geſandten der unteren Klaſſen ohne Ruͤckſicht auf
die Praͤcedenz ihrer Hoͤfe, 2) untereinander geben oder for-
dern ſie den Rang nachdem ihre Hoͤfe ihn einraͤumen, be-
ſitzen oder behaupten a), ſo daß dabey weder die Verſchieden-
heit der Benennung ihrer geſandſchaftlichen Wuͤrde, noch
der Unterſchied zwiſchen den außerordentlichen und ordentli-
chen Bothſchaftern b) u. ſ. f. noch auch auf irgend eine Weiſe
ihre Geburt oder irgend eine Wuͤrde oder Amt die ſie neben
dem bekleiden, ſondern allein ihr Repreſentativ-Character in
Betrachtung gezogen werden kann c).
II. Unter den Geſandten der zweyten und dritten Klaſſe
wird zwar an einigen Hoͤfen ſelbſt in Anſehung der Praͤce-
denz
[229]Verſchiedene Klaſſen von Geſandten.
denz kein Unterſchied gemacht d); an den mehreſten aber
gehn die Geſandten der zweyten Klaſſe denen der dritten
vor. Unter den Geſandten der zweyten Klaſſe unter einander
haben zwar die Envoyés extraordinaires einige Vorzuͤge
vor den bloßen Miniſtres plenipotentiaires, aber die Praͤ-
cedenz ſteht ihnen uͤber dieſe wenigſtens nicht allgemein zu,
und in dieſem Punct kann auch ihre Geburt ſo wenig als
andere Aemter die ſie bekleiden etwas entſcheiden. Auch die
Geſandten der dritten Klaſſe behaupten ohne Unterſchied der
Benennung ihrer Wuͤrde die Praͤcedenz auf den Fuß ihrer
Hoͤfe, und ſelbſt der Chargé d’affaires weicht dem Mini-
ſter nicht, wenn ſein Hof dem Hofe des letzteren nicht den
Rang einraͤumt.
Bloße Agenten fuͤr Privat-Angelegenheiten eines
Fuͤrſten a), Titular-Reſidenten, Legationsraͤtheb), Agen-
P 3ten
[230]Siebentes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ten gehoͤren als ſolche gar nicht unter die Geſandte und ha-
ben ſo wenig auf ein geſandſchaftliches Ceremoniel als auf
geſandſchaftliche Vorrechte und Befreyungen c) einen An-
ſpruch; ſie ſind vielmehr dem Staat in welchem ſie leben
unterthan.
Geſandte die an einen Congreß oder von einer Ver-
ſammlung von Staaten oder Staͤnden (wie von den verei-
nigten Niederlanden, von der Schweiz, von dem teutſchen
Reich) abgeſchickt werden bekommen zuweilen den Nahmen
Deputirte. Dieſer Titel giebt ihnen zwar fuͤr ſich keine
geſandſchaftliche Rechte, er nimmt ſie ihnen aber auch nicht,
und hindert nicht, daß ſie als Geſandte der erſten, zweyten,
oder dritten Klaſſe betrachtet werden. Nur ſolche Deputirte
welche von Unterthanen an ihren Souverain geſchickt werden
koͤnnen nicht auf das Geſandſchaftsrecht ſich berufen a). So
bekommen zuweilen Geſandte die zu Berichtigung der Gren-
zen abgeſchickt werden, den Titel Commiſſarien, welches ihre
Eigenſchaft als Geſandte nicht aufhebt, obgleich eigentlich
unter Commiſſarien diejenigen verſtanden werden, denen der
Souverain ein Geſchaͤft mit ſeinen Unterthanen auftraͤgt.
Da die Eintheilung der Geſandten in verſchiedene
Klaſſen, die Beſtimmung der einer jeden gebuͤhrenden Eh-
renbezeugung und inſonderheit der perſoͤnliche Repreſentativ-
Character eines Geſandten nur in dem poſitiven Voͤlkerrecht
ihren Grund haben, ſo kann einem Staat das Geſandſchafts-
recht im allgemeinen zuſtehn, ohne daß ihm darum Geſandte
von jeder Klaſſe zu ſenden eingeraͤumet werde. Inſonder-
heit wird das Recht Geſandte der erſten Klaſſe zu ſchicken
nicht allen Staaten anerkannt. Unter den unabhaͤngigen
Monarchen ſind alle Kaiſer und Koͤnige wie auch der Pabſt,
unter den Republiken Venedig, die vereinigten Niederlande
und die Schweiz a) in den anerkannten Beſitz dieſes Rechts;
auch der Republik Genua und dem Maltheſer Orden b)
wird es an einigen Hoͤfen eingeraͤumet. Unter den nicht ganz
unabhaͤngigen Staaten haben die Churfuͤrſten ſich dieſes
Recht von dem Kaiſer kraft der Wahlcapitulation c) zu-
ſichern laſſen. Auswaͤrtige Maͤchte erkennen es ihnen auch
in den von Reichs wegen gehaltenen Verſammlungen, auf
Reichs- und Kroͤnungstaͤgen an. Daher fordern es auch
die Churfuͤrſten an allen Hoͤfen und beziehn ſich auf mehrere
Beſitzhandlungen. Doch ſuchen einige der auswaͤreigen
Maͤchte die foͤrmliche Anerkennung dieſes Rechts zu vermei-
den d). Die alt-weltlichen Fuͤrſten in Teutſchland machen
zwar auch darauf Anſpruch, aber ohne in Beſitz zu ſeyn e).
Sie und die uͤbrigen Staͤnde Teutſchlands f) wie auch an-
dere unabhaͤngige und abhaͤngige Staaten g), ſchicken nur
Geſandte der zweyten und dritten Klaſſe an Europaͤiſche Hoͤfe.
Wem man das Recht Geſandte der erſten Klaſſe zu
ſchicken nicht einraͤumt, dem ſendet man auch der Regel nach
keinen Bothſchafter.
Wem einmahl das Geſandſchaftsrecht in allen Klaſ-
ſen zuſteht, der hat auch der Regel nach die Wahl von
welcher
[233]Verſchiedene Klaſſen von Geſandten.
welcher Klaſſe, und wieviel a) Geſandte er ſchicken wolle.
Indeß pflegen 1) die Maͤchte welche gegenſeitig Geſandte
ſchicken (welches aber bekanntlich mit dem teutſchen Reich
und mit der Tuͤrkey der Fall nicht iſt) hierin eine Gleich-
heit zu beobachten, ſo daß nicht leicht ein Staat einen Ge-
ſandten von hoͤherem Rang ſchickt als er ihn empfaͤngt;
2) giebt es einige Ceremoniel-Geſandſchaften die man nur
annehmen will, wenn ſie in der Zahl und Klaſſe geſchickt
werden die durch ein beſonderes Herkommen eingefuͤhrt iſt b).
3) Zuweilen hat man Schwierigkeiten gemacht mehrere Ge-
ſandte eines Staats zugleich als Bothſchafter anzuerkennen,
wenn man ſchon einem derſelben die Anerkenntniß nicht ver-
weigerte c).
Uebrigens kann umgekehrt auch ein Geſandter zugleich
an mehrere Staaten accreditirt werden, wovon die Schweiz
inſonderheit aber Teutſchland viele Beyſpiele geben.
Gleichfalls ſteht dem ſendenden Hofe die Wahl der
Perſon des zu ernennenden Geſandten der Regel nach a)
frey, und weder die Geburt b) noch der Stand noch die
P 5Religion
[234]Siebentes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
Religion c) noch ſelbſt das Geſchlecht d) begruͤnden hierinn
eine nothwendige Ausſchlieſſung. Doch ſteht jedem Staat
bey welchem der Geſandte accreditirt werden ſoll e) frey, die
Annahme eines ſolchen zu verbitten der ihm perſoͤnlich miß-
faͤllt, oder der nach den Landesgeſetzen nicht zulaͤſſig waͤre f).
Auf die Ernennung des Geſandten folgt die Beſtim-
mung ſeines Gehalts a), ſeines Gefolges, und anderer zu
ſeiner Geſandſchaft noͤthigen Stuͤcke.
Eine militairiſche Begleitung hat nur noch jetzt zu-
weilen bey den großen Geſandſchaften welche mit der Pforte
nach hergeſtellten Frieden gewechſelt werden, und zwar an
beiden Seiten bis auf die Grenze ſtatt. Ein militairiſches
Gefolge wird nicht mehr geſtattet b), obwohl Bothſchafter
einige Schweizer halten duͤrfen. Uebrigens iſt das ganze
Gefolge nach der Klaſſe der Geſandſchaft und den Umſtaͤn-
den ſehr verſchieden. Zu einem vollſtaͤndigen Gefolge eines
Both-
[236]Siebentes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Bothſchafters rechnet man: mehrere Geſandſchafts Cavaliere
und Edelknaben, mehrere Geſandſchafts-Secretaire (ſecre-
taires d’ambaſſade), Canzelliſten, Schreiber, (zuweilen
einen Canzler) einen oder mehrere Dollmetſcher (ſecretaire
interprete, oder in Miſſionen bey der Pforte Truchemans,
Dragomans) einen Geſandſchafts-Prediger (aumonier)
eine Zahl Hausofficianten, viele Livreebediente u. ſ. f. Zu
ſeinem Hausgeraͤth ein Silberſervice, drey Zuͤge von 6 Pfer-
den u. ſ. f. Das Gefolge eines Geſandten der zweyten Klaſſe
braucht weit weniger zahlreich zu ſeyn, ſelten trift man
hier Geſandſchafts-Cavaliere und mehr als einen Legation-
Secretair (Sécrétaire de la legation) an. Noch einge-
ſchraͤnkter pflegt das Gefolge eines Geſandten der dritten
Klaſſe zu ſeyn.
Manche Hoͤfe bedienen ſich zu Vermeidung der Koſten
und Ceremoniel Beſchwerden ihres Rechts Bothſchafter zu
ſchicken fuͤr beſtaͤndige Geſandſchaften gar nicht, oder doch
hoͤchſt ſelten c).
Soll der Geſandte in dieſer Eigenſchaft von dem Staat
an welchen er abgeſchickt wird anerkannt werden, ſo muß er
ein Beglaubigungsſchreiben a) (lettre de creance) uͤber-
reichen. Dieſes iſt ein Schreiben des Souverains der ihn
ſendet an den welchem er zugeſandt wird, und enthaͤlt außer
der Erwaͤhnung Veranlaſſung der Geſandſchaft den Nahmen
und Character des Geſandten mit dem Geſuch ihm in dem
was er im Nahmen ſeines Hofes vortragen wird Glauben
beyzumeſſen b). Gemeiniglich wird hiezu ein Canzley-
Schreiben gewaͤhlt, obwohl ein Cabinets-Schreiben gleiche
Wirkung hat. Werden zwey Geſandte derſelben Klaſſe zu-
gleich abgeſandt, ſo kann ein Beglaubigungsſchreiben fuͤr
beide hinreichen. Neben dem verſchloſſenen Original muß
dem Geſandte eine offene beglaubigte Copey zum Vorzeigen
beym Staatsſecretair mit gegeben werden c).
Iſt der Geſandte an mehrere Staaten zugleich d)
oder an einen Souverain aber in verſchiedener Eigenſchaft
accreditirt, ſo muß er mehrere Beglaubigungsſchreiben
mitbringen.
Von Begiaubigungsſchreiben ſind bloße Empfehlungs-
ſchreiben zu unterſcheiden a) welche dem Geſandten zuweilen
fuͤr Perſonen mitgegeben werden, die das Geſandſchafts-
recht nicht haben, wie Prinzen oder Prinzeſſinnen des Hau-
ſes, Miniſter b) u. ſ. f. oder auch fuͤr den Magiſtrat des
Orts c) wo er reſidiren ſoll.
Geſchaͤftsgeſandte muͤſſen auch mit einer Vollmacht
verſehn werden, aus welcher erhelle wieviel Gewalt ihnen
ertheilet worden. Der allgemeinen Bevollmaͤchtigung a)
muß, wenn ein Geſandter zu einem beſondren Geſchaͤft er-
nannt iſt, eine beſondere fuͤr dieſes Geſchaͤft ſo hinzugefuͤgt
werden, daß erhelle wie weit er daſſelbe beendigen koͤnne, ob
er das Recht einen andren an ſeiner Stelle zu ſetzen habe,
und
[239]Noͤthige Stuͤcke zu Antretung der Geſandſchaft.
und falls mehrere bevollmaͤchtiget ſind, ob dieſe nur gemein-
ſchaftlich oder ſamt und ſonders ſollen handeln koͤnnen.
Obwohl dieſe Vollmacht auch in das Creditiv einge-
ruͤckt werden koͤnnte, ſo iſt es doch uͤblich eine beſondere Ur-
kunde daruͤber in Form eines offenen Briefes auszufertigen.
Geſandte welche nicht an einen Hof ſondern an einen
Congreß, Reichstag u. ſ. f. geſchickt werden bekommen kein
Creditiv, ſondern blos eine Vollmacht die zugleich zu ihrer
Beglaubigung als Geſandte dient, wenn ſie ſelbige unter
einander in vidimirter Abſchrift auswechſeln, oder dem Ver-
mittler einhaͤndigen b).
Der Geſchaͤftsgeſandte muß auch mit einer In-
ſtruction a) verſehen ſeyn, in welcher ihm ſowohl uͤberhaupt
vorgeſchrieben werde, wie er ſich in Anſehung des Hofes an
welchen er geſchickt wird und der uͤbrigen dort anweſenden
Geſandten zu verhalten habe, als auch insbeſondre wie er
in dem ihm anvertraueten Geſchaͤft dem Willen ſeines Hofes
gemaͤß zu handeln habe. Dieſe erſte Inſtruction pflegt in
Form eines Memorials entworfen zu werden. Zu ſeiner
ferneren Belehrung dienen die Depechen ſeines Hofes zu-
weilen
[240]Siebentes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
weilen aber auch neue foͤrmliche Inſtructionen. Alle dieſe
Stuͤcke ſind nur fuͤr ihn beſtimmt, und er kann weder zu
deren Vorzeigung genoͤthiget werden, noch ſich dieſe ohne
beſondren Befehl ſeines Hofes oder doch bey ganz beſondren
Umſtaͤnden ohne ſehr große Vorſicht erlauben b). Zuwei-
len erhaͤlt der Geſandte eine doppelte Inſtruction eine zum
vorzeigen (oſtenſible) eine geheime (ſecrête).
Endlich muß auch dem Geſandten der Schluͤſſel zum
Chifriren und Dechifriren mitgegeben werden.
Sobald der Geſandte an den Ort ſeiner Beſtimmung
angekommen iſt, uͤberreicht er dem Miniſter der auswaͤrti-
gen Angelegenheiten ſein Beglaubigungsſchreiben und zwar
der Geſandte der erſten und zweyten Klaſſe in vidimirter
Capey, mit der Bitte zur Audienz zugelaſſen zu werden.
Dieſe iſt entweder eine oͤffentliche oder Privat-Audienz.
Von der erſteren Art iſt die feyerliche Audienz der Geſand-
ten der erſten Klaſſe. Vor dieſer pflegte ſonſt der feyerliche
Einzug a) der Geſandten herzugehn, der zwar jetzt unter
den chriſtlichen Maͤchten ſeltener geworden, mit den Tuͤr-
ken aber noch im Gebrauch iſt.
An dem zur Audienz beſtimmten Tage ſchickt der Hof
denjenigen welcher den Geſandte einfuͤhren ſoll, von anderen
Hofbedienten begleitet nach dem Hotel des Bothſchafters,
welcher von ſeinem ganzen Gefolge, und ehemahls b) ſelbſt
von den Auswaͤrtigen Geſandten begleitet, ſich in den ihm
geſandten ſechsſpannigen Hofwagen ſetzt, und ſeine eigene
ſechsſpannige Waͤgen folgen laͤßt. Bey ſeiner Ankunft in
den inneren Schloßplatz wird er von dem einfuͤhrenden Hof-
beamten c) empfangen, und von der Schloßwache militai-
riſch begruͤßt; worauf er die große Schloßtrepped) (eſca-
lier des ambaſſadeurs) hinauf in den zu ſeiner Audienz
beſtimmten Sahl nach Eroͤffnung beider Fluͤgelthuͤren ge-
fuͤhrt wird. Hier ſitzt der Souverain auf einem erhabenen
Seſſel unter einem Baldachin, ihm zur Seite der Canzler
oder ein anderer Staatsminiſter, rechts und links die koͤnig-
lichen Prinzen und Prinzeſſinnen, und in langen Reihen die
Hofleute, die auswaͤrtigen Geſandten und andere Standes-
perſonen. Der Geſandte, von einigen ſeines Gefolges be-
gleitet, naͤhert ſich mit drey Verbeugungen dem Souverain
welcher nachdem er aufgeſtanden und ſein Haupt entbloͤßt
dem Geſandten ein Zeichen giebt ſich zu bedecken indem
er es ſelbſt thut. Der Geſandte bedeckt ſich e), haͤlt
hierauf eine kurze Rede f) und indem er in dieſer ſei-
nes Beglaubigungsſchreibens erwaͤhnt, nimmt er es aus den
Haͤnden ſeines Geſandſchaftsſecretairs oder Cavaliers und
uͤbergiebt es dem Souverain oder vielmehr dem dieſem zur
Seite ſtehenden Miniſter; welcher, nach geendigter Rede
dieſe beantwortet, falls nicht, wie ſelten geſchieht der Sou-
verain ſelbſt dem Geſandten antwortet g). Nach ſo vollen-
deter Feyerlichkeit entfernt der Geſandte ſich ſo wie er ge-
kommen war aus dem Audienzſahl und wird dann gemeinig-
lich zur Audienz der Gemahlinn und anderer Prinzen und
Prinzeſſinnen vom Gebluͤt die einen Hofſtaat haben ge-
fuͤhrt h), bey deren jeden er wiederum Reden zu halten hat
die ihm in Perſon oder durch einen Hofbeamten beantwor-
tet werden.
Republiken haben jede ihr eigenes Ceremoniel fuͤr die
Audienz eines fremden Bothſchafters i).
Ueberhaupt iſt aber die oͤffentliche Audienz nicht we-
ſentlich k) zum Empfang eines Bothſchafters, und wegen
der Beſchwerlichkeit des Ceremoniels begnuͤgt ſich dieſer zu-
weilen mit einer Privat-Audienz.
An einigen Hoͤfen kann zwar auch der Envoyé ex-
traordinaire eine oͤffentliche Audienz bekommen a), doch
iſt weit gewoͤhnlicher daß er ſowohl als alle andere Geſandte
der zweyten Klaſſe eine Privat-Audienz bey verſchloſſenen
Thuͤren erhalten, wo nur der Souverain und einer oder ei-
nige ſeiner Miniſter gegenwaͤrtig ſind, und in welchen der
Geſandte nach gehaltener, oft ſehr kurzen, Anrede ſein Be-
glaubigungsſchreiben uͤbergiebt.
Wiefern Geſandte der dritten Klaſſe, insbeſondere
Reſidenten und Geſchaͤftstraͤger ein Beglaubigungsſchreiben
an den Staat ſelbſt, oder nur eines an den Staatsſecretair
mitbringen, und jenes in einer Antritts-Audienz dem Sou-
verain ſelbſt praͤſentiren koͤnnen, muß aus dem Ceremoniel
eines jeden Hofes beurtheilet werden. Dieſes iſt nicht nur
uͤberhaupt verſchieden, ſondern oft ſo, daß den Reſidenten
oder Geſchaͤftstraͤgern gewiſſer Staaten geſtattet wird, was
man nicht allgemein den uͤbrigen einraͤumet b). So iſt auch
die davon noch verſchiedene Frage, wiefern ein Reſident und
Geſchaͤftstraͤger bey Hofe erſcheinen koͤnne, nicht an allen
Hoͤfen gleichfoͤrmig zu beantworten c).
Wenn auch der Geſandte ſchon vor erhaltener Audienz
den uͤbrigen anweſenden Geſandten Privat-Beſuche gemacht
hat, ſo muß er doch nach erfolgter Legitimation ihnen foͤrm-
liche Beſuche abſtatten, um in der Eigenſchaft als Geſandter
von ihnen anerkannt zu werden. Ueber dieſe Beſuche ſind
viele zum Theil noch unentſchiedene Streitigkeiten entſtanden.
Nach dem Ceremoniel der mehreſten Hoͤfe laͤßt der
zuletzt angekommene Bothſchafter den anweſenden Both-
ſchaftern und uͤbrigen Geſandten ſeine Legitimation durch ei-
nen Geſandſchafts Cavalier, Geſandſchafts Secretair u. ſ. f.
notificiren, und erwartet ſodenn den erſten ſollennen Beſuch
der Bothſchofter den er erwiedert a). Geſandte der unteren
Klaſſen muͤſſen vor Abſtattung dieſer Viſite von ihm die
Stunde dazu begehren, und bekommen dann einen Gegen-
beſuch par carte.
Den zuletzt angekommenen Bothſchaftern der Repu-
bliken haben aber koͤnigliche Bothſchafter zuweilen dieſen er-
ſten feyerlichen Beſuch verweigert, und begehrt, daß dieſe
ihnen die erſte Notifcations-Viſite in Perſon abſtatten ſol-
len b). Geſandte der zweyten und dritten Klaſſe, wenn
ſie zuletzt angekommen ſind, machen den anweſenden Both-
ſchaftern zu der ihnen geſetzten Stunde c), den Geſandten
der zweyten und dritten Klaſſe aber gerade zu und par
carte d) den erſten Beſuch in Perſon, und erwarten dann
den Gegenbeſuch von allen durch Vorfahren.
Einige Geſandte der zweyten Klaſſe aber wollen den
Geſchaͤftstraͤgern die Notifications-Viſite nicht in Perſon
ſondern nur durch einen Legationſecretair machen und erwar-
ten von dieſen die erſte Viſite, die ihnen aber nicht durch-
gaͤngig eingeraͤumet wird.
So lange die Beſuche und Gegenbeſuche nicht auf
befriedigende Weiſe gemacht, oder einer Auskunft verglichen
worden, erkennen die ſtreitenden Theile einander im Sinn
des Rechts nicht als Geſandte an.
Bey Ceremoniel-Beſuchen der Geſandten raͤumet
1) jeder Bothſchafter dem Bothſchafter der ihn beſucht die
rechte Hand ein, ohne Ruͤckſicht auf ſtreitige oder entſchie-
dene Praͤcedenz a), 2) kein Bothſchafter aber raͤumet ſie
einem Geſandten der unteren Klaſſen bey ſich ein b), wenn
auch deſſen Hof entſchieden die Praͤcedenz vor dem ſeinigen
hat. Die Beſuche der Geſandten der zweyten und dritten
Klaſſe ſind minder feyerlich, und hier giebt jeder ohne Unter-
ſchied dem der ihn beſucht die rechte Hand.
Im Verhaͤltniß der Geſandten gegen andere Perſo-
nen vom Stande am Hofe fehlt es auch nicht an mannig-
faltigen Streitigkeiten, ſofern theils von Beſuchen, theils von
Rang und anderen Vorzuͤgen am Hofe die Rede iſt.
Bothſchafter wollen niemandem als Prinzen von koͤ-
niglichem Gebluͤt weichen und fordern den Rang vor den
uͤbrigen Fuͤrſten in Perſon a) und vor allen Hof- und
Staatsbeamten des Hofes, wie auch vor den Cardinaͤlen b).
Noch mannigfaltiger ſind die Rangſtreitigkeiten der
Geſandten der unteren Klaſſen, deren Anforderungen nicht
nur nach der Verſchiedenheit ihres geſandſchaftlichen Cha-
racters, ſondern auch nach der Verſchiedenheit der Wuͤrde
ihres Hofes ſowohl als desjenigen an welchen ſie reſidiren,
bald hoͤher, bald weniger hoch geſpannt ſind c).
Vorzuͤglich ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden iſt der Titul
Extellenz a) den Geſandten der erſten Klaſſe eigen gewor-
den, ſo daß ohne Ruͤckſicht auf Geburt und andere Wuͤrden
jeder Bothſchafter dieſen Titel, aber auch nie einen hoͤheren b),
und zwar von allen außer von dem Fuͤrſten ſelbſt c) bey dem
er reſidirt erhaͤlt. Hingegen kommt keinem Geſandten der
unteren Klaſſen die Excellenz von rechtswegen zu, und wenn
dieſer Titel entweder in Hinſicht ſeiner Geburt oder uͤbrigen
Wuͤrden, oder auch ſonſt an mittleren und kleinen Hoͤfen
aus Politik oder Hoͤflichkeit dem Geſandten der zweyten
Klaſſe nicht ſelten gegeben wird, ſo gehoͤrt dies gleichwohl
nicht zum Staats-Ceremoniel d).
Außerdem giebt es noch manche Puncte des Ceremo-
niels gegen Geſandte worin zum Theil Bothſchafter vor den
uͤbrigen großer Vorzuͤge genleßen, doch ſind ſie zu ſehr von
der Verſchiedenheit der Gebraͤuche der Hoͤfe abhaͤngig oder
auch zu willkuͤhrlich um auf feſtgeſetzte Grundſaͤtze zuruͤckge-
fuͤhrt zu werden. Dahin gehoͤrt z. B. das Recht mit ſechs
Pferden a) mit fiocci b) zu fahren, Ehrenwachen c) und
andere militairiſche Chrenbezeugungen d) zu begehren, zu
den Feyerlichkeiten des Hofes eingeladen zu werden e) u. ſ. f.
Daß an großen Hoͤfen den Geſandten der zweyten und drit-
ten Klaſſe weniger eingeraͤumet werde, als an mittleren und
kleinen, an denen zuweilen der Reſident ſo wie anderswo ein
Envoyé behandelt wird, iſt leicht zum voraus einzuſehn.
Ein Geſandter kann daher an einem Hofe der Regel nach
nur das begehren, was den gleichartigen Geſandten anderer
Hoͤfe hier eingeraͤumet wird.
Die Audienzen zu welchen der Geſandte waͤhrend ſei-
ner Reſidenz gelanget, ſind theils ordentliche, an dazu feſt-
geſetzten Tagen, theils außerordentliche, welche wiederum in
Privat und oͤffentliche eingetheilt werden koͤnnen. Letztere
haben nur bey außerordentlichen Ceremoniel-Gelegenheiten,
zuweilen auch beym Abſchied des Geſandten ſtatt.
Alle Fremde in einem Staat ſind unter dem Schutz
des Voͤlkerrechts und duͤrfen von keinem ungeſtraft verletzt
werden. Wenn aber den Geſandten der verſchiedenen Klaſ-
Q 5ſen
[250]Siebentes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
ſen in beſondrem Sinn Unverletzlichkeit a) beygelegt, und
ihre Perſon als heilig betrachtet wird, ſo iſt es weil die
Wuͤrde des Staats den ſie vorſtellen und das Intereſſe das
jeder Staat hat, daß die Bevollmaͤchtigten des andren ſicher
und ungeſtoͤrt mit ihm handeln koͤnnen, es in noch hoͤherem
Grad nothwendig macht alle Beleidigungen von ihnen abzu-
wenden. Ein Souverain muß daher nicht nur ſich ſelbſt
aller Verletzungen gegen fremde Geſandte enthalten, ſon-
dern muß auch die von andren an ſie veruͤbte Verbrechen
[unabbittlich] und als Staatsverbrechen b) mit noch haͤrte-
rer Strafe als das Vergehn ſonſt mit ſich bringen wuͤrde
ſtrafen, ſofern nemlich 1) der Verbrecher es gewuſt oder
wiſſen muͤſſen, daß der Beleidigte ein Geſandter ſey, und
2) der Beleidiger ſeiner Gerichtbarkeit unterworfen iſt.
Alle Europaͤiſche Maͤchte erkennen dieſe Unverletzlich-
keit den Geſandten der verſchiedenen Klaſſen an, und zwar
von dem Augenblick an wo der Geſandte von deſſen Sen-
dung ſie voraus unterrichtet waren c), ihr Gebiet beruͤhrt,
bis zu dem wo er es wieder verlaſſen hat, ſo daß die chriſt-
lichen Maͤchte ſelbſt den Geſandten ihres Feindes der zur
Zeit des Bruchs bey ihnen iſt ſicher ziehn laſſen. Nur die
Tuͤrken haben die rohe Sitte d) beybehalten, bey Annaͤhe-
rung, oder im Fall eines Bruches, den Geſandten ihres Geg-
ners in die ſieben Thuͤrme zu werfen.
Daß der Geſandte in dem was die Fuͤhrung des ihm
anvertraueten Geſchaͤfts angeht dem Staat an welchen er
geſchickt wird auf keine Weiſe unterworfen ſeyn koͤnne, fließt
weſentlich aus dem ganzen Zweck der Geſandſchaft; ſofern
erkennt daher das ſtrenge aͤußere Voͤlkerrecht die Exterrito-
rialitaͤt des Geſandten. Aber das poſitive Voͤlkerrecht faſt
aller, inſonderheit aber der Europaͤiſchen Nationen erſtreckt
dieſe Exterritorialitaͤt viel weiter und dahin, daß im allge-
meinen der Geſandte, fuͤr ſich, fuͤr ſein Gefolge ſein Haus
ſeine Waͤgen ſo beurtheilet wird, als ob er den Staat der
ihn ſendet nicht verlaſſen habe, und daher außerhalb des Ge-
biets lebe, in welchem er reſidirt. Da indeß dieſe weite
Ausdehnung des Vorrechts der Exterritorialitaͤt nicht in dem
allgemeinen Voͤlkerrecht, ſendern allein in dem Vertrags-
oder herkoͤmmlichen Recht ihren Grund hat, ſo iſt ſie Ein-
ſchraͤnkungen faͤhig und leidet ſie wirklich a).
Daß nach dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht der Ge-
ſandte von aller buͤrgerlichen Gerichtbarkeit des Orts wo er
reſidirt befreyet ſeyn muͤſſe, laͤßt ſich ſchwerlich befriedigend
erweiſen a). Aber nach der herkommlichen Exterritoriali-
taͤt, genießt er fuͤr ſeine Perſon einer voͤlligen Befreyung
von der Civil-Gerichtbarkeit des Staats an den er geſandt
worden, und kann nur vor den Tribunalen ſeines eigenen
Souverains in Anſpruch genommen werden, es waͤre denn
1) daß er zur. Zeit ſeiner Ernennung Unterthan des Staats
war bey welchem er reſidirt und dieſer ſeine Gerichtbarkeit
nicht aufgegeben b), oder daß er zugleich in deſſen Dienſten
ſteht; 2) daß er freywillig die Gerichtbarkeit des Staats an-
erkannt hat, oder daß er als Klaͤger wider einen Unterthan
des Staats auftritt, und daher dieſem auch in der Appel-
lation c) folgen, oder in der Wiederklage zu Recht ſtehn
muß. Selbſt Schulden die er vor oder waͤhrend ſeiner Ge-
ſandſchaft d) gemacht hat, koͤnne ſeinen perſoͤnlichen Arreſt
nicht nach ſich ziehn; und obwohl zweifelhafter iſt, ob nicht
wenn er nach geendigter Geſandſchaft abreiſen will, ohne
ſeine Schulden zu bezahlen, ein perſoͤnlicher Verhaft wider
ihn ſtatt haben koͤnne, oder doch die zur Abreiſe noͤthige Paͤſſe
ihm verweigert werden koͤnnen, ſo erlaubt doch ein Staat
auch dieſen Schritt ſich nur in außerordentlichen Faͤllen e),
und hin und wieder iſt auch ſelbſt dieſer Arreſt ausdruͤcklich
durch Geſetze verboten f).
Auch diejenigen Guͤter des Geſandten welche zur ge-
ſandſchaftlichen Function deſſelben gehoͤren, wohin im zwei-
felhaften Fall alle bewegliche Guͤter deſſelben gerechnet wer-
den muͤſſen, werden, mehr nach dem Herkommen als nach
dem allgemeinen Voͤlkerrecht von aller Gerichtbarkeit des
Staats bey dem er reſidirt, folglich auch vom Arreſt be-
freyet. Doch ſind hievon 1) alle unbewegliche Guͤter aus-
genommen, in Anſehung deren er die Gerichtbarkeit des
Staats anerkennen muß, 2) auch ſolche bewegliche Guͤter die
ihm offenbar in einer andren als ſeiner geſandſchaftlichen Ei-
genſchaft gehoͤren, z. B. wenn er zugleich Handel treibt a)
ſeine unſtreitige Kaufmannswaaren, oder wenn er eine
fremde Erbſchaft verwaltet dieſe Erbſchaftsguͤter u. ſ. f. ſo
daß er wegen der in dieſer Eigenſchaft wider ihn entſtehenden
Klagen durch verfuͤgten Real-Arreſt zur Einlaſſung genoͤthi-
get werden kann. 3) Dingliche Klagen wider einen Ge-
ſandten der Unterthan des Staats iſt wo er reſidirt, koͤnnen
bey den Landesgerichten angebracht werden b). Obgleich
uͤbrigens auch der Arreſt der Guͤter eines Geſandten der nach-
dem er Abſchied genommen folglich ſeine geſandſchaftliche
Functionen beendiget ſind, dann wenn er ohne ſich mit ſei-
nen Glaͤubigern abzufinden das Land verlaſſen wollte, gar
wohl
[254]Siebentes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
wohl gerechtfertiget werden koͤnnte, ſo giebt es doch davon
wenig Beyſpiele, und zum Theil iſt ſelbſt dieſes durch Ge-
ſetze verboten c).
Weit dringender ſind die Gruͤnde die ſchon nach dem
allgemeinen Voͤlkerrecht fuͤr die Befreyung des Geſandten
von der Criminalgerichtbarkeit des Staats bey welchem er
reſidirt, theils aus der Natur des davon unzertrennlichen
Verfahrens, theils aus den hier leichter zu beſorgenden Miß-
braͤuchen und den der noͤthigen Freymuͤthigkeit des Geſand-
ten hinderlichen Beforgniſſen ſtreiten a). Daß der Geſandte
durch jedes Verbrechen ſeine Vorrechte verwuͤrke, laͤßt ſich
nicht behaupten, da ihm dieſe mehr um ſeines Hofes als um
ſeiner ſelbſt willen eingeraͤumet werden b). Auf der andren
Seite iſt kein Staat ſchuldig einen Verbrecher in ſeinem
Lande zu dulden; er kann ihn daher nicht nur ausſchaffen,
ſondern auch in Faͤllen ſolcher Verbrechen welche die Sicher-
heit des Staats und des Regenten unmittelbar in Gefahr
ſetzen, alle diejenigen Mittel wider ihn ergreifen, welche die
Sicherheit des Staats erheiſchen. Aber die Quelle dieſer
Befugniſſe wird richtiger in dem Vertheidigungsrecht wider
einen erklaͤrten Feind des Staats, als in der nur auf Unter-
thanen ſich erſtreckenden Criminal-Gewalt des Regenten
geſetzt.
In der Praxis der Europaͤiſchen Voͤlker ſieht man
daß im Fall eines Privatverbrechens mehrentheils nur die
Zuruͤckberufung des Geſandten begehret wird c). Im Fall
eines Staatsverbrechens aber begnuͤgen ſich die Maͤchte in
dringenden Faͤllen ſich ſo lange der Perſon des Geſandten
zu bemaͤchtigen bis die Gefahr voruͤber iſt, und laſſen ihn
dann los. In minder dringenden Faͤllen wird oft nur die
Zuruͤckberufung begehrt, oder der Geſandte ausgeſchaffet d).
Daß der Zweck der Geſandſchaft ſchlechterdings die
Befreyung des Gefolges des Geſandten von der buͤrgerlichen
Gericht-
[256]Siebentes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
Gerichtbarkeit des Staats wo er reſidirt erfordre, iſt wohl
aus allgemeinen Gruͤnden nicht erweißlich. Da indeß aus
dieſer Unterwuͤrfigkeit mancherley Unbequemlichkeiten fuͤr den
Geſandten entſtehn wuͤrden, ſo behaupten nicht nur alle Ge-
ſandte nach den Herkommen eine gaͤnzliche Befreyung ihres
geſammten Gefolges a) von aller buͤrgerlichen Gerichtbar-
keit, ſondern es wird auch dieſe von den mehreſten Hoͤfen,
inſonderheit den Geſandten der erſten und zweyten Klaſſe
dergeſtalt eingeraͤumt, daß auch in buͤrgerlichen Verbrechen
auf Reclamation des Geſandten die Auslieferung des aus
Verſehn oder im Auflauf ergriffenen nachgegeben wird b).
Eben dieſe Befreyung ihres Gefolges fordern die Ge-
ſandten in Anſehung der Criminal-Gerichtbarkeit; aber
daß dieſe bey Verbrechen die außerhalb dem Hotel des Ge-
ſandten begangen worden allgemein anerkannt wuͤrde, laͤßt
ſich nicht erweiſen, daher alles in Ermangelung der Ver-
traͤge auf das beſondre Herkommen anzukommen ſcheint c).
Sofern das Gefolge des Geſandten von der Ge-
richtbarkeit des Staats befreyet iſt, ſofern haͤngt es von den
beiden Hoͤfen d) ab, wie weit ſie der Geſandte ſelbſt uͤber
ſein Gefolge uͤben, oder alles an ſeinen Landesherrn verwei-
ſen ſolle. Daher behaupten zwar alle Geſandte die voͤllige
Civil-Gerichtbarkeit uͤber ihr Gefolge. Dieſe wird auch
den Bothſchaftern eingeraͤumt, und allen Geſandten geſtat-
tet man eine ausgedehntere Gewalt uͤber ihr Gefolge, als
ſonſt dem Brodtherrn zuſteht. Daß aber alle ſtreitige oder
auch nur freywillige e) Gerichtbarkeit den Geſandten der
unteren Klaſſen, beſonders den Reſidenten und Chargés
d’affaires eingeraͤumt werde, laͤßt ſich wohl von den wenig-
ſten der groͤßeren Hoͤfe mit Wahrheit behaupten.
Eben ſo begehren zwar die Geſandten in Criminal-
Verbrechen ihres Gefolges, wenn ſchon jetzt nicht leicht mehr
den ganzen Umfang der Criminal-Gewalt f), gleichwohl
das Recht den Verbrecher in ihrem Hotel binden zu laſ-
ſen, und ihn ihrem Landesherrn zur Beſtrafung zu uͤber-
liefern.
[257]Unverletzlichkeit u. Unabhaͤngigkeit des Geſandten.
liefern. Doch auch dieſes Recht wird ihnen nicht allenthal-
ben unbeſtritten anerkannt.
Die Befreyung des Geſandten von der Gerichtbar-
keit erſtreckt ſich auch in ſofern auf ſein Hotel, daß den
gemeinen Polizey- Zoll- und anderen Bedienten des Staats
in daſſelbige einzudringen und hier Durchſuchungen ſo wie
in dem Hauſe eines bloßen Privatmanns anzuſtellen nicht
zuſteht. Dieſer Punct iſt außer Streit a). Kann aber
der Geſandte ſein Haus zum Zufluchtsort b) fuͤr Verbre-
cher machen, und der Obrigkeit die ſie verfolgt ihre Auslie-
ferung verweigern, und wie weit gehn in dieſem Fall die
Rechte der letzteren?
Waͤre der Grundſatz der Exterritorialitaͤt in ſeiner
ganzen Ausdehnung gegruͤndet, ſo wuͤrde ein Verbrecher
der in das Haus eines Geſandten gefluͤchtet iſt angeſehn
werden muͤſſen, als ob er außer Landes geflohen waͤre, und
daher
[259]Unverletzlichkeit u. Unabhaͤngigkeit des Geſandten.
daher wuͤrde weder deſſen Auslieferung als ein vollkomm-
nes Recht begehrt, noch er mit Gewalt herausgezogen wer-
den duͤrfen.
Aber das allgemeine Voͤlkerrecht geht ſo weit nicht,
und das poſitive leidet Beſchraͤnkungen, wenn unbeſchadet
des Zwecks der Geſandſchaft die Sicherheit des Staats ſie
erfordert. Nun hat der Geſandte kein Recht einen ihm
nicht unterworfenen Verbrecher der Juſtiz des Landes vor-
zuenthalten; wenn er daher demjenigen den der Staat er-
wieſener oder geargwohnter Verbrechen wegen verfolgt, in
ſeinem Hauſe Zuflucht ertheilet, und auf erfolgte Requiſi-
tion deſſen Auslieferung verweigert, ſo iſt der Staat, wenn
er von der Aufnahme gewiß iſt, berechtiget nicht nur die
Flucht des Aufgenommenen durch alle zweckmaͤßige Mittel
von außen zu verhindern, ſondern ſelbſt ihn mit Gewalt
aus dem Hauſe des Geſandten wegzufuͤhren, der alle Fol-
gen ſeines unrechtmaͤßigen Betragens ſich ſelbſt beyzumeſ-
ſen hat c).
Nach der Praxis ward zwar ehemahls, ſo lange uͤber-
haupt mit den privilegiis aſyli verſchwenderiſch umgegan-
gen, wurde den Geſandten ein ius aſyli fuͤr ihre Haͤuſer
faſt durchgehends eingeraͤumt, und noch jetzt behauptet es
jeder Geſandte, auch giebt es noch einige Hoͤfe in welchen
das Herkommen zum Vortheil der Geſandten iſt d), und
an manchen andren wird in Faͤllen von Privatverbrechen
(fuͤr welche aber der Geſandte ſelten Schutz ertheilt) nach-
geſehn, aber jeder Staat haͤlt ſich fuͤr berechtiget diejenigen
die er als Staatsverbrecher verfolgt, im Weigerungsfall
mit Gewalt aus den Haͤuſern der Geſandten wegzufuͤhren e);
daher ſind Streitigkeiten in ſolchen Faͤllen unvermeidlich,
die aber mehrentheils ſchon eine Mißhelligkeit der Hoͤfe
zum Grunde haben.
Was von dem Hotel des Geſandten geſagt worden,
gilt auch von deſſen Waͤgen, die wenn ſie gleich an den
mehreſten Hoͤfen von der gewoͤhnlichen Durchſuchung der
R 2Zollbeam-
[260]Siebentes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
Zollbeamten befreyet ſind, gleichwohl nicht dienen duͤrfen,
um Verbrecher den Haͤnden der Juſtiz zu entziehn, und ſie
außer Landes zu ſchaffen f).
Noch weniger vernuͤnftige Gruͤnde ſtreiten fuͤr die
ſogenannte Quartiers-Freyheit(a) (Franchiſe des quar-
tiers) der Geſandten, kraft welcher ſie an einigen Orten
ganze Quartiere der Stadt in welchen ihr Hotel gelegen
iſt durch Aufhaͤngung der Wappen ihres Souverains b)
von der Gerichtbarkeit des Landes auszunehmen begehren.
Dieſer ehemahls an verſchiedenen Hoͤfen beſonders zu Rom c)
geduldete Mißbrauch, beſteht nur ſchwach an wenig Orten d),
und iſt weißlich an allen uͤbrigen abgeſchaft.
Wenn man von der bloßen Hausandacht(devotio
domeſtica ſimplex) welche nur diejenigen gottesdienſtlichen
Handlungen begreift, die ein Hausvater mit den Seinigen
ohne Zuziehung eines Geiſtlichen verrichtet, den Privat-
Gottesdienſt(devotio domeſtica qualificata, privata
ſacra) unterſcheidet, welchen ein Hausvater mit den Sei-
nigen mit Zuziehung eines Geiſtlichen uͤbet, ſo ſieht man
leicht, daß jene, welche als ein bloßes Recht der natuͤrlichen
Freyheit anzuſehn iſt, ſo wenig dem Geſandten als irgend
einem anderen der im Lande geduldeten Fremden gewei-
R 3gert
[262]Siebentes Buch. Sechstes Hauptſtuͤck.
gert werden koͤnne. Da hingegen der Privat-Gottesdienſt
oder die ſacra privata bald nach Einfuͤhrung der chriſtli-
chen Religion aus mehreren Gruͤnden theils in den Con-
cilien a), theils durch buͤrgerliche Geſetze b) den Privatper-
ſonen im allgemeinen unterſagt worden, und er daher nur
denen zuſteht, welche dazu eine beſondere Erlaubniß erhal-
ten haben, ſo entſteht die Frage: wiefern dem Geſandten
dieſes ius privatorum ſacrorum, es ſey nach dem allge-
meinen, oder herkommlichen Voͤlkerrecht zuſtehe?
Nun iſt nicht nur dieſer Privat-Gottesdienſt dem
Geſandten dann entbehrlich, wenn ſeine Religion in dem
Lande oͤffentlich geuͤbt wird in welchem er reſidirt, ſondern
wenn auch dieſes nicht der Fall iſt, ſo laͤßt ſich, da ſelbſt
nach den Grundſaͤtzen der catholiſchen Religion im Noth-
falle die bloße Hausandacht auf eine Zeitlang ohne Gefahr
der Seele hinreichen kann, das ius ſacrorum privatorum
fuͤr den Geſandten nicht als ſchlechterdings unentbehrlich
anſehn, obwohl es bey laͤnger fortgeſetzten oder beſtaͤndigen
Geſandſchaften kaum wuͤrde entbehret werden koͤnnen.
Naͤhme man den Begriff der Exterritorialitaͤt der
Geſandten in ſeinem ganzen Umfange an, ſo wuͤrde es
blos von dem Willen des ſendenden Hofes abhaͤngen, ſei-
nem Geſandten in deſſen Hotel den haͤuslichen Gottesdienſt
einzuraͤumen. Daß aber das allgemeine Voͤlkerrecht dieſe
[Exterritorialitaͤt] auf Puncte nicht erſtrecke, die zu dem Zweck
der Geſandſchaft nicht weſentlich erfordert werden, iſt ſchon
oben erinnert worden.
Nach einem allgemeinen Herkommen hingegen, wel-
ches unter den chriſtlichen Europaͤiſchen Staaten a) ſich im
16ten Jahrhundert gebildet hat b), wird allen Geſandten der
erſten, zweyten und dritten Klaſſe c) von dem Staat bey
welchem ſie reſidiren die Ausuͤbung des iuris privatorum
ſacrorum dann eingeraͤumt, wenn 1) an dem Ort ihrer
Reſidenz weder oͤffentliche noch Privat Uebung d) ihrer Re-
ligion ſtatt hat; 2) nicht ſchon ein Geſandter ihres Hofes e)
an dem Ort vorhanden iſt, in deſſen Kapelle ſie ihren Got-
tesdienſt halten koͤnnten. Da es aber von dem Willen des
ſendenden Hofes abhaͤngt, ob er ſeinem Geſandten das Recht
dazu ertheilen, und den dazu erforderlichen betraͤchtlichen
Aufwand machen will, ſo iſt nicht zu verwundern, daß man ſo
viele Geſandſchaften, inſonderheit der zweyten und dritten Klaſſe
antrifft, welche von dieſem Recht keinen Gebrauch machen.
Dieſer Hausgottesdienſt der Geſandten enthaͤlt 1) das
Recht einen Geiſtlichen a (aumonier) und andere Kirchen-
diener zu halten, 2) in der Kapelle des Geſandten alle dieje-
nigen gottesdienſtlichen Handlungen vornehmen zu laſſen,
die ihre Wirkung nicht außerhalb des Hotels des Geſandten
erſtrecken b). Da aber dieſer Gottesdienſt blos zum Beſten
des Geſandten und ſeiner Familie eingefuͤhret worden, ſo
darf nicht nur der Geſandſchaftsprediger außerhalb dem Hotel
des Geſandten, keine Art der Amtsverrichtung ſich erlauben c),
ſondern es iſt auch außerhalb der Vertraͤge kein Staat
ſchuldig zu leiden, daß andere Unterthanen des Souverains
des Geſandten, oder andere Fremde, inſonderheit aber eigene
Landes-Unterthanen den Gottesdienſt in der Geſandſchafts-
Kapelle beſuchen, und zumahl ſich hier die Sacramente
verwalten laſſen. Doch iſt man in neueren Zeiten vorzuͤg-
lich gegen fremde Unterthanen, es ſey durch Connivenz, oder
ſelbſt durch Vertraͤge nachgiebiger geworden d), und ſo
giebt es ſelbſt einige, obwohl ſeltenere Faͤlle, wo dem Ge-
ſandſchafts-Prediger einzelne Amtsverrichtungen außerhalb
dem Hotel des Geſandten vorzunehmen geſtattet, oder er
wohl gar dazu aufgefordert worden e).
Da der geſandſchaftliche Gottesdienſt nur zum Beſten
des Geſandten und ſeines Gefolges eingefuͤhret worden, ſo
muß er der Regel nach aufhoͤren, ſobald der Geſandte nicht
mehr anweſend iſt. Entfernt dieſer ſich indeß nur auf eine
zeitlang auf Urlaub und behaͤlt ſein Hotel, in dieſem auch
einige ſeines Gefolges bey, ſo laͤßt man die Fortſetzung des
geſandſchaftlichen Gottesdienſts zu. Iſt aber die Geſand-
ſchaft voͤllig geendiget, oder doch das Hotel aufgekuͤndiget,
ſo muß der Gottesdienſt aufhoͤren, und nur ſelten geſtattet
man daß in dem Hauſe des Geſchaͤftstraͤgers oder gar des
Conſuls a) der Gottesdienſt fortgeſetzt werde. Stirbt der
Souverain des Geſandten, oder der Fuͤrſt bey dem er ac-
creditirt worden, ſo koͤnnte zwar der geſandſchaftliche Got-
tesdienſt ſofort aufgehoben werden, da die Geſandſchaft da-
durch geendiget wird; doch pflegt nur dann darauf gedrungen
zu werden, wenn, wie bey Geſandten eines Wahlfuͤrſten
R 5eintritt,
[266]Siebentes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
eintritt, noch kein Nachfolger da iſt der neue Creditive
ſchicken koͤnnte b).
Da der Geſandte fuͤr ſeine Perſon der Exterritoria-
litaͤt genießt, ſo iſt er fuͤr ſich und ſein Gefolge von allen
den perſoͤnlichen Abgaben befreyet die nur von Unterthanen
erhoben werden. Daß aber auch die Guͤter die er zu ſeinem
Gebrauch kommen laͤßt nothwendig von Zoͤllen und anderen
Auflagen befreyet ſeyn muͤßten, iſt unerweißlich.
Als der ehemahlige Gebrauch Geſandte ganz oder
doch großentheils frey zu halten a), nach Einfuͤhrung der
beſtaͤndigen Geſandſchaften faſt ganz aufgehoben wurde a),
geſtattete man faſt ganz allgemein denſelben eine Befreyung
von Zoͤllen, Conſumtionsſteuern u. ſ. f. b). Aber der un-
verantwortliche Mißbrauch dieſer Befreyung den manche Ge-
ſandte an gewiſſen Hoͤfen ſich erlaubten, hat veranlaſſet,
daß nach und nach an ſehr vielen Hoͤfen dieſe Befreyung
entweder ganz aufgehoben, oder doch eingeſchraͤnkt, oder
auf ein Aequivalent geſetzt worden, daher ſie jetzt weit nicht
mehr als allgemein hergebracht angeſehn werden kann c),
und jeder Geſandte ſich mit dem begnuͤgen muß, was die
uͤbrigen
[267]Befreyung von Abgaben.
uͤbrigen Geſandte an dieſem Hofe zu fordern haben, falls
er nicht eine beſondere Ausnahme inſonderheit die Recipro-
citaͤt zu ſeinem Vortheil anfuͤhren kann.
Eben ſo hat auch der Staat das Recht die Einſuͤh-
rung der fuͤr Contrebande erklaͤrten Guͤter den fremden Ge-
ſandten ganz zu unterſagen.
In beiden Ruͤckſichten muß daher der Geſandte ſich
die Viſitation ſeiner Guͤter d) auf den Zollhaͤuſern u. ſ. f.
gefallen laſſen. Nur in ſeinem Hotel hat wider ſeinen Wil-
len eine ſolche Durchſuchung nicht ſtatt e); ob er eben dieſe
Befreyung auch in Anſehung ſeiner Waͤgen fordern koͤnne,
ſcheint von dem deſondren Herkommen der einzelnen Hoͤfe
abzuhaͤngen.
Hat der Geſandte Guͤter die ihm offenbar in einer
anderen Eigenſchaft als der eines Geſandten zugehoͤren, ſo
hat er fuͤr dieſe gar keine Befreyung von Abgaben zu for-
dern a).
Das Haus welches er bewohnt, iſt zwar von militai-
riſchen Einquartirungen b) oder deren Surrogat an Gelde
befreyet, aber ſonſt muß er ſowohl von dieſem, wenn es ihm
oder ſeinem Hofe c) eigen gehoͤret, als von anderen unbe-
weglichen Guͤtern die er etwa beſitzt oder ankaͤuft, alle or-
dentliche Abgaben und uͤbrige Landeslaſten tragen.
Endlich hat der Geſandte der Regel nach gar keine
Befreyung von ſolchen Ungeldern zu fordern, die, wie
Bruͤcken-Wege-Gelder u. ſ. f. als ein verhaͤltnißmaͤßiger
Beytrag zu den Koſten eines Inſtituts billig von allen
denen getragen werden, die der Vortheile derſelben mit ge-
nießen. Eben dieſes gilt auch der Regel nach vom Brief-
porto a) und es fehlt ſehr viel daran, daß den Geſandten
außerhalb der Staaten ihres Oberherrn eine ſolche Be-
freyung zuerkannt wuͤrde. Da wo (wie in England) die
Brieftaxe in eine wahre Auflage ausartet, haͤtten die Ge-
ſandten mehr Anſchein fuͤr eine ſolche Befreyung, die ihnen
jedoch nicht eingeraͤumet wird.
Es giebt Geſandſchaften bey denen keine Verhandlun-
gen vorfallen, wie bloße Ceremoniel-Geſandſchaften, Ge-
nugthungs-Geſandſchaften, auch nicht ſelten gewiſſe hoͤchſt
unwichtige beſtaͤndige Geſandſchaften. Wenn aber von
wirkli-
[270]Siebentes Buch. Achtes Hauptſtuͤck.
wirklichen Verhandlungen die Rede iſt, ſo iſt die Art a) in
Conferenz zu treten nicht uͤberall gleichfoͤrmig, und inſon-
heit an Hoͤfen anders wie in Republiken.
In monarchiſchen Staaten kann zuweilen der Gefandte
unmittelbar mit dem Regenten a) in Verhandlungen treten,
und ihm in Privat-Audienzen, ſowohl muͤndlich, als ſchrift-
lich durch Ueberreichung von Memorialien b) Vortraͤge
machen; weit gewoͤhnlicher aber iſt es, daß er mit dem Mi-
niſter der auswaͤrtigen Angelegenheiten, oder auch wohl mit
einem oder mehreren dazu auf Bitte des Geſandten von
dem Souverain erwaͤhlten Perſonen in Conferenz tritt. Dieſe
Conferenzen werden bald in dem Hotel des Geſandten, bald
in dem Hotel des Staatsminiſters, oder des dazu ernannten
Commiſſairs, zuweilen auch wohl an dritten Orten gehalten.
In den Republiken c) pflegt man Abgeordnete zu er-
nennen mit welchen der Miniſter, es ſey in ſeinem Hotel,
oder an einem dazu beſtimmten Ort Conferenzen haͤlt. Die
Wahl dieſer Deputirten haͤngt allein von der Republik
ab, und es iſt als ein Mißbrauch anzuſehn, wenn in
kleinen Staaten zuweilen dem Miniſter das Recht einge-
raͤumet wird die erwaͤhlten zu verwerfen.
Oft uͤbergiebt der Geſandte den Hauptinhalt deſſen
was er muͤndlich vorgetragen hat ſchriftlich in einem Me-
morial,
[271]Geſandſchaftliche Verhandlungen.
morial, und einige Republiken d) haben ſich auf den Fuß
geſetzt uͤber keinen Punct zu berathſchlagen der ihnen nicht
zuvor ſchriftlich eingehaͤndiget worden. Wenn aber keine
Berathſchlagung gefordert wird, ſo kann man den Geſand-
ten nicht allgemein noͤthigen das was er muͤndlich vorgetra-
gen hat ſchriftlich zu uͤbergeben, oder eine davon genommene
Abſchrift zu unterzeichnen.
Darf der Miniſter ſich Beſtechungen erlauben um den
Zweck ſeiner Sendung oder des Intereſſe ſeines Hofes zu
befoͤrdern? dieſe Frage verdient wenigſtens theoretiſch un-
terſucht zu werden a).
Es iſt nicht als eine wirkliche Beſtechung anzuſehn,
wenn der Geſandte durch Geſchenke des Wohlwollen oder
die Freundſchaft derer zu gewinnen ſucht, die ihm zu ſeinen
Zwecken behuͤlflich ſeyn koͤnnen, aber ohne weder ausdruͤcklich
noch
[272]Siebentes Buch. Achtes Hauptſtuͤck.
noch ſtillſchweigend etwas unerlaubtes von ihnen zu begeh-
ren. Iſt hingegen von Geſchenken die Rede um einen Ver-
raͤther zu vermoͤgen ſeine Pflicht wider ſein Vaterland zu
verletzen, ſo iſt zwar in jedem Falle dieſe Beſtechung gegen
den Beſtochenen als eine Verletzung des erſten Naturgeſetzes
anzuſehn, niemanden zu verfuͤhren; ob aber der Staat eine
ſolche Beſtechung als eine Verletzung unſerer vollkommenen
Pflichten b) gegen dieſen anſehn koͤnne, haͤngt nicht nur von
der Frage ob der Verraͤther ſich zur Verraͤtherey anbot, oder
erſt dazu verleitet worden, ſondern auch von der Beſchaffen-
heit der Handlung ſelbſt ab, die durch eine ſolche Beſtechung
bewuͤrkt werden ſoll, in welcher letzteren Ruͤckſicht noch zwi-
ſchen der Entdeckung eines Staatsgeheimniſſes und zwiſchen
Aufwiegelung der Unterthanen ein Unterſchied zu machen iſt.
Auch kann der Staat der ſich gegen uns Beſtechungen er-
laubt ſich nicht beſchweren, wenn wir in eben dem Maaße ge-
gen ihn Repreſſalien gebrauchen. Endlich ſind obwohl ſeltene,
Nothfaͤlle gedenkbar, wo unſere Selbſterhaltung dieſe Ver-
letzung unſerer vollkommnen Pflichten rechtfertigen koͤnnte.
Wie haͤufig in der Praxis von Beſtechungen Gebrauch
gemacht werde, iſt bekannt; aber darum kann man ſie nicht
aus dem herkommlichen Recht rechtfertigen wollen. Denn
1) kein Herkommen kann, ſofern es unerlaubt iſt, als guͤltig
angeſehn werden; 2) die Europaͤiſchen Maͤchte geſtehn ent-
weder die ihnen Schuld gegebenen Beſtechungen nicht ein,
oder leugnen daß ſie auf ihren Befehl unternommen worden,
und halten ſich vielmehr fuͤr berechtiget, ſich uͤber Beſtechungen
welche fremde Hoͤfe oder deren Geſandte ſich bey ihnen erlau-
ben, als uͤber Verletzungen des Voͤlkerrechts zu beſchweren.
Daß auch das Betragen des Geſandten gegen andere
und ſelbſt feindliche an dem Ort ſeiner Reſidenz ſich befin-
dende Geſandte nicht nur den Pflichten gegen dieſe, ſondern
auch den Pflichten gegen den Hof der ihn aufgenommen
hat, angemeſſen ſeyn muͤſſe, iſt unlaͤugbar, und wenn gleich
der Geſandte nicht durch jede Verletzung der Art ſeine
geſand-
[273]Geſandſchaftliche Verhandlungen.
geſandſchaftliche Vorrechte verliert, ſo behaͤlt doch der Staat
das Recht ſich ſeiner zu entledigen.
Vor [Einfuͤhrung] der beſtaͤndigen Geſandſchaften war
es gar nicht Sitte, daß der Geſandte ſeine Gemahlinn mit-
bringe und ſelbſt der Titel Geſand[t]inn war nicht uͤblich a).
Erſt im 17ten Jahrhundert b) kam beides auf, ſeit die be-
ſtaͤndigen Geſandſchaften haͤufiger wurden.
Die Gemahlinn eines Geſandten genießt als ſolche
eines noch hoͤheren Grades der Unverletzlichkeit als ihr ſonſt
ſchon ihre Geburt und ihr Geſchlecht zuſichern. Sie theilt
die Befreyungen ihres Gemahls und verlangt in Anſehung
des Ceremoniels, ſoviel die Viſiten und Reviſiten, die Praͤ-
cedenz und den Empfang bey Hofe angeht eben die Gleich-
heit oder die Vorzuͤge vor den am Hofe befindlichen Frauen-
zimmern vom Stande, die ihr Gemahl vor den Ehegemah-
len derſelben begehrt c).
Die Geſandſchafts Cavaliere und Edelknaben dienen
bey feyerlichen Gelegenheiten der Geſandſchaft mehr Glanz
zu geben a). Ob ſie vom Hofe oder vom Geſandten, oder gar
nicht beſoldet werden, iſt in Anſehung ihrer Vorrechte gleich,
ſofern ſie nur der Geſandſchaft wirklich angehoͤren. Alsdenn
genießen ſie der Unverletzlichkeit und Freyheiten, auf die all-
gemein die Geſandten fuͤr ihr Gefolge Anſpruch zu machen
haben. Edelleute und andere hingegen welche den Geſand-
ten etwa nur begleiten, haben der Regel nach fuͤr ſich gar
keine geſandſchaftliche Vorrechte zu begehren.
Geſandſchaftsſecretaire werden mehrentheils unmittel-
bar von dem Hofe ernannt und beſoldet a). Bothſchafts-
ſecretaire (ſecretaires d’Ambaſſade) pflegen dem Souve-
rain an den der Geſandte accreditirt iſt vorgeſtellt zu wer-
den. Dies geſchieht bey Geſandſchaftsſecretairen der zwey-
ten Klaſſe (ſecretaires de la legation) gewoͤhnlich nur
dann
[275]Gefolge des Geſandten.
dann, wenn ſie in Abweſenheit des Geſandten zu Chargés
d’affaires beſtellt werden. Uebrigens genießen beide der
Unverletzlichkeit und Befreyungen der Geſandſchaft, ſowohl
fuͤr ihre eigene Perſon, als ſofern ſie zum Gefolge der Ge-
ſandſchaft gehoͤren.
Sie dienen nicht blos zu einigen Ceremoniel-Geſchoͤf-
ten, wie Notifcations-Viſiten, Complimenten u. ſ. f. ſon-
dern auch zu wirklichen Geſchaͤften, zur Aufſicht des Archivs,
zum Chifriren, Dechifriren, oft auch zur Entwerfung von
Memorialien, Depechen, Protocollen u. ſ. f. b). Daß der
Geſandte in Verhinderungsfaͤllen ſeinen Legationſecr tair zu
muͤndlichen Verhandlungen gebrauchen, und auch durch ihn
Memoriale die er ſelbſt unterzeichnet hat uͤberreichen koͤnne,
hat nicht leicht Anſtand. Ob aber in Abweſenheit oder Ver-
hinderungsfaͤllen der Legationsſecretair in eigenem Nahmen
Memoriale uͤberreichen koͤnne, wenn er nicht gehoͤrig als
Chargé d’affaires beſtellet worden, daruͤber hat man hin
und wieder geſtritten c).
Bey groͤßeren Geſandſchaften pflegen dem Geſandten
außerhalb dem Legationſecretair, noch einige Canzelliſten
zuweilen auch ein Canzler, Geſandſchaftsprediger u. ſ. f. mit-
gegeben zu werden.
Dazu kommen noch die von dem Geſandten allein ab-
haͤngigen Privatſecretaire, die Officianten, und die Livreebe-
dienten u. ſ. f. die jedoch ſaͤmtlich ohne Unterſchied als zum
geſandſchaftlichen Perſonale und Gefolge gehoͤrig, und in des
Geſandten Dienſten ſtehend, der an dem Hofe der Geſand-
ſchaft zuſtaͤndigen Freyheiten, inſonderheit auch der ſchon
oben eroͤrterten Befreyung von der Gerichtbarkeit genießen,
oder ſie behaupten.
Geſandſchaften koͤnnen auf mannigfaltige Weiſe zu
Ende gehn; durch Erloͤſchung der Creditive, durch Zuruͤck-
berufung, durch freywillige oder gezwungene Abreiſe des Ge-
ſandten, durch Abſterben deſſelben. Zuweilen wird die Ge-
ſandſchaft nur auf eine Zeitlang unterbrochen; zuweilen nur
in gewiſſem Grade geendiget.
Da Geſandte Mandatarien des Staats ſind der ſie
abſendet, ſo fließt aus der Natur der Sache, daß ihre Be-
glaubigungsſchreiben und Vollmachten durch den Tod ſo-
wohl desjenigen der ſie in ſeinem Nahmen a) beglaubiget
hat, als desjenigen an welchen ſie fuͤr deſſen Perſon b) ac-
creditirt worden erloͤſchen. So lange ſie daher keine neue
Beglaubigungsſchreiben oder Vollmachten beygebracht haben,
ſo lange haben ſie weder ein vollkommnes Recht zu verlan-
gen, daß man mit ihnen die Conferenzen fortſetze, noch auch
daß man ſie aller geſandſchaftlichen Vorrechte ferner genießen
laſſe; nur ihre Unverletzlichkeit muß ihnen ſo lange Zeit gelaſſen
werden
[277]Endigung der Geſandſchaft.
werden als ſie noͤthig haben um bequem den Staat zu ver-
laſſen an den ſie accreditirt worden. Doch faͤhrt man nach
der Praxis fort ſie als Miniſter zu behandeln, wenn zu ver-
muthen iſt, daß die Geſandſchaft nicht lange werde unter-
brochen werden c), und es fehlt ſelbſt nicht an Beyſpielen
daß man die Conferenzen mit ihnen fortgeſetzt habe.
Iſt ein Geſandter nur Interimsweiſe, oder auf eine
beſtimmt ausgedruͤckte Zeit beglaubiget, ſo erliſcht die Kraft
ſeines Creditivs in dem erſten Falle bey der Ankunft des or-
dentlichen Geſandten, ohne daß es hier eines foͤrmlichen Rap-
pelſchreibens beduͤrfte d), in dem letzteren durch Ablauf der
Zeit e).
Die Zuruͤckberufung oder der Rappel des Geſandten
endiget die Geſandſchaft, wenigſtens von dem Augenblick an,
wo das Rappelſchreiben uͤbergeben worden. Dieſe Zuruͤck-
berufung erfolget: 1) wenn der Zweck der Sendung erreicht
oder vereitelt iſt, 2) aus Privat-Urſachen die auf das Ver-
haͤltniß der Hoͤfe keinen Einfluß haben; 3) wegen entſtande-
nen Mißverſtaͤndniſſes, wenn entweder der Hof die Zuruͤck-
berufung des bey ihm reſidirenden Geſandten begehrt, oder
der ſendende Hof uͤber Verletzung des Voͤlkerrechts ſich be-
ſchwert, oder Retorſion a) uͤbt, oder die entſtandenen Miß-
helligkeiten einen Bruch veranlaſſen oder beſorgen laſſen. In
den beiden erſten Faͤllen muß der Geſandte, wenn er anwe-
ſend iſt, erſt um eine oͤffentliche oder Privat-Abſchiedsau-
dienz bitten in welcher er ſein Rappelſchreiben uͤberreicht
und ſeine Abſchiedsrede haͤlt b), nach welcher er, wenn nicht
neue Creditive erfolgen, kein Staatsgeſchaͤft mehr fuͤhren
kann. Iſt der Geſandte abweſend, ſo kann er ſchriftlich
mit Beyfuͤgung ſeines Rappelſchreibens Abſchied nehmen.
In beiden Faͤllen erhaͤlt er ein Recreditiv, die gewoͤhnlichen
oder außerordentlichen Geſchenke c), da wo uͤberhaupt Ge-
ſchenke hergebracht ſind d), und endlich die noͤthigen Paͤſſe.
Hierauf macht der Geſandte ſeine Abſchiedsviſiten, bekommt
die Gegenviſiten und reiſet ſodenn ab. Wird der Geſandte
wegen entſtandenen Mißverſtaͤndniſſes abberufen, ſo haͤngt
es von Umſtaͤnden ab, ob er ein Rappelſchreiben bekommt
und zu einer Abſchiedsaudienz zugelaſſen wird, auch die ge-
woͤhnlichen Geſchenke angeboten und angenommen werden.
Bey außerordentlichen Geſandſchaften 1) kann zuwei-
len der Geſandte kraft ſeiner Inſtruction Abſchied nehmen,
ohne ein beſonderes Rappelſchreiben zu erwarten. Sonſt
koͤnnen 2) auch Faͤlle vorkommen, wo der Geſandte, es ſey
wegen ſeines perſoͤnlichen Betragens, oder retorſionsweiſe,
oder aus anderen Staatsurſachen von dem Hofe bey welchen
er reſidirt ausgeſchafft a) wird, ſo daß man ihm entweder
wiſſen laͤßt, daß er Abſchied nehmen koͤnne, oder ihm be-
fiehlt in nahmhafter Friſt ſich zu entfernen, oder ihn mit Ge-
walt uͤber die Grenze ſchafft. Endlich giebt es 3) Faͤlle,
wo der Geſandte ohne ſeinen Rappel zu erwarten von freyen
Stuͤcken den Hof ohne Abſchied verlaͤßt, wenn er ſich uͤber
grobe Verletzung des Voͤlkerrechts gegen ſeine Perſon be-
ſchweren zu koͤnnen glaubt.
Daß auch durch den Tod des Geſandten die Geſand-
ſchaft zu Ende geht, leidet keinen Zweifel. In dieſem Fall
kann fuͤr ihn ein anſtaͤndiges Begraͤbniß gefordert werden.
Hat aber an dem Ort ſeiner Reſidenz keine oͤffentliche Uebung
ſeiner Religion ſtatt, ſo haͤngt, außerhalb der Vertraͤge, die
Frage ob er auf dem Kirchhofe und mit einem feyerlichen
S 4Leichen-
[280]Siebentes Buch. Zehntes Hauptſtuͤck.
Leichenzuge begraben werden koͤnne, von den Grundſaͤtzen der
herrſchenden Religion und von dem Gutfinden des Staats
ab. In Entſtehung deſſen aber kann er entweder an einem
benachbarten Ort begraben, oder ſein Leichnam in das Ge-
biet des Hofes der ihn ſandte geſchickt werden, in welchem
Falle es uͤblich iſt ihn uͤberall von den Stol-Gebuͤhren bey
der Durchfuͤhrung zu befreyen.
Bey Abſterben des Geſandten hat, wenn ein zweyter
Geſandte, oder ein Legationsſecretair deſſelben Hofes zuge-
gen iſt, dieſer das naͤchſte Recht die Verſieglung der Guͤter
zu beſorgen. In Ermangelung deſſen uͤbernimmt zuwei-
len a) der Geſandte eines anderen freundſchaftlichen Hofes,
kraft eines Vertrages, oder wenn der Geſandte, oder deſſen
Hof darum erſuchet hat, das Geſchaͤft der Verſieglung.
Der Staat bey welchen der Geſandte reſidirte iſt der letzte
der ſich ein Recht hiezu anmaaſſen koͤnnte b).
Obwohl der ſtrenge nach die geſandſchaftlichen Vor-
rechte mit dem Tode des Geſandten endigen, ſo iſt gleich-
wohl hergebracht, der Wittwe a) fuͤr ſich ihre Kinder und
Geſinde noch eine Zeitlang diejenigen geſandſchaftlichen Vor-
rechte zu laſſen, deren ſie bey Lebzeiten ihres Gemahls ge-
noß; auch ſind wenn ſie außer Landes geht ihre und ihres
Gemahls hinterlaſſene Guͤter vom Fremdlings- und Ab-
zugsrecht befreyet b). Bleibt ſie noch geraume Zeit im
Lande, ſo kann ihr unſtreitig ein Termin geſetzt werden, nach
deſſen Ablauf ſie als Unterthan der Gerichtbarkeit, den Ge-
ſetzen und den Abgaben des Landes unterworfen ſeyn ſolle.
Nur wenn dies nicht geſchehn, bleibt die Frage zweifelhaft,
ob ſie auch nach Jahren c) auf jene Vorzuͤge Anſpruch
machen koͤnne.
In Streitigkeiten uͤber die Erbſchaft des Geſandten,
iſt zwar, wenn dieſer ein Auslaͤnder war, nicht nur die Form
des etwa errichteten Teſtaments d), ſondern auch die Erb-
ſchaft ſofern ſie in bewegliche Guͤter beſieht nach den Geſetzen
des ſendenden Staats zu beurtheilen; aber die Erbſchaft un-
beweglicher Guͤter iſt allemahl, und wenn der Geſandte Un-
terthan des Staats war bey welchen er reſidirte, die ganze
Erbſchaft (und das Teſtament?) nach den Geſetzen des
Landes wo der Geſandte reſidirte zu beurtheilen e).
Zuweilen geht nicht die ganze Geſandſchaft zu Ende,
ſondern es wird nur der Grad derſelben veraͤndert. Dies
kann entweder 1) ſo geſchehn, daß der Geſandte in eine hoͤ-
here Klaſſe aufſteigt z. B. der Envoyé wird Ambaſſadeur,
in welchem Fall er in der Audienz ſein neues Creditiv uͤber-
reicht; oder 2) ſo daß der Ambaſſadeur oder der außerordent-
liche Envoyé dieſen Character ablegt, und in der Eigenſchaft
eines Geſandten der zweyten oder dritten Klaſſe an dem
Hofe bleibt. In dieſem Fall muß er in einer Abſchieds-
Audienz ſein Rappelſchreiben uͤberreichen, in der er zugleich
ſein neues Creditiv uͤbergiebt a). Von dem Augenblick an
fallen die Ehrenbezeugungen weg, die dem hoͤheren Character
eigen ſind b). Ob er in dieſem Fall Geſchenke bekomme,
haͤngt vom Gebrauch der einzelnen Hoͤfe ab c).
Alle bisher eroͤrterte geſandſchaftliche Rechte haben der
Strenge nach nur in dem Verhaͤltniß zwiſchen dem Hofe der
den Geſandten ſchickt, und dem der ihn empfaͤngt ſtatt.
Dritte Maͤchte deren Gebiet ein ſolcher, es ſey auf der Hin-
oder Herreiſe, oder ſonſt durchreiſet, oder bey denen er ſich
eine Zeitlang aufhaͤlt, ohne ein Beglaubigungsſchreiben an
ſie zu uͤbergeben, ſind berechtiget ihn als einen bloßen Privat-
Mann zu behandeln, ohne ihm fuͤr ſeine Perſon, fuͤr ſein
Gefolge, oder fuͤr ſeine Guͤter irgend ein geſandſchaftliches
Vorrecht einzuraͤumen a). Ob aber der Geſandte der an
eine Verſammlung von Staaten accreditirt iſt auch von ein-
zelnen derſelben alle Vorrechte eines Geſandten begehren koͤnne,
ſcheint theils von der Verfaſſung dieſer Verſammlung ſelbſt b),
theils von den Geſchaͤften abzuhaͤngen, in welchen er durch-
reiſet oder ſich bey ihnen auf haͤlt.
In Friedenszeiten wird zwar nicht nur nach der allge-
mein hergebrachten Freyheit des Durchzugs und Aufenthalts,
dem an einen dritten Staat accreditirten Geſandten freye
Durchreiſe und Aufenthalt g ſtattet a), ſondern es pflegen
auch bey ſich ereignender Gelegenheit einem ſolchen Geſand-
ten manche Hoͤflichkeiten bezeuget und wohl gar manche Vor-
rechte eingeraͤumet zu werden, die man ſonſt nur anerkannten
Geſandten zugeſteht. Doch wird dieß nicht als eine Vor-
ſchrift des Voͤlkerrechts, ſondern als eine willkuͤhrliche Hoͤf-
lichkeitsbezeugung angeſehn, ſo daß man bey entſtehenden
Streitigkeiten auf den Unterſchied ſich beruft, der zwiſchen
einem acceditirten und nicht accreditirten Geſandten zu ma-
chen iſt b).
In Kriegszeiten haͤlt man ſich zwar fuͤr verbunden die
in einen eroberten feindlichen Lande befindlichen Geſandte ſol-
cher Hoͤfe mit denen man nicht im Krieg iſt einer voͤlligen
Unverletzlichkeit genießen zu laſſen c), aber es iſt nicht wider
das Voͤlkerrecht ſolche Geſandten zu arretiren die ohne beſon-
dere Erlaubniß das Gebiet eines Staats beruͤhren, mit deſſen
Oberherrn der ihrige im Krieg begriffen iſt d).
Noch weniger kann ein ſolcher Geſandte auf Befreyung
ſeiner Guͤter die er durchfuͤhret oder nachkommen laͤßt von
Zoͤllen und aͤhnlichen Abgaben einen Anſpruch machen, und
was hierinn aus einem beſonderen gegenſeitigen Herkommen
einzelner Staaten gegen einander, oder aus Deferenz ſchwaͤ-
cherer gegen maͤchtigere Staaten auf erfolgte Requiſition
geſchieht, reicht nicht hin um darauf ein allgemeines Herkom-
men zu bauen a).
Weit ſeltner noch iſt der Fall der Freyhaltung eines
durchreiſenden Geſandten, obwohl dieß in Anſehung der afri-
caniſchen Geſandten nicht ohne Beyſpiel iſt.
Nicht ſelten werden zu Betreibung geheimer, wichti-
ger und eiliger Geſchaͤfte Perſonen von Vertrauen geſchickt
denen man entweder keinen geſandſchaftlichen Character bey-
legt, oder doch erſt dann ihn oͤffentlich anzunehmen erlaubt,
wenn das ihnen aufgetragene Geſchaͤft es geſtattet a).
Auch fehlt es nicht an Beyſpielen, daß von Hoͤfen, von
welchen man aus ein oder anderen Grunde keine Geſandten
annehmen will, zu Betreibung ihrer Geſchaͤfte Perſonen
angenommen werden denen gar kein oͤffentlicher Character
beygelegt iſt b).
In beiden Faͤllen iſt der Hof dem die Beſchaffenheit
dieſer Perſonen bekannt iſt, ſchuldig ihnen voͤllige Unverletz-
lichkeit angedeihen zu laſſen, obwohl ſie kein geſandſchaftli-
ches Ceremoniel begehren koͤnnen, und in Anſehung dritter
Leute als bloße Privatperſonen zu betrachten ſind.
Heimliche Emiſſairs c) aber die in einem andren Staat
ohne deſſen Vorwiſſen Staatsangelegenheiten ihres Hofes
betreiben ſollen, koͤnnen nicht nur als bloße Privatperſonen
behandelt, ſondern auch nach Verſchiedenheit der Umſtaͤnde
geſtraft werden.
Couriere a) oder Eilboten ſind Boten welche der
Souverain, deſſen Geſandte oder andere denen er das Recht
Couriere zu ſchicken eingeraͤumet hat an einen Hof, Miniſter,
General u. ſ. f. zu eiliger Unterbringung einer Sache oder
einer Nachricht abſchickt. Sie ſind von einer Eſtafette, bey
welcher der Ueberbringer bey jeder Poſt wechſelt, aber auch
ſowohl in Anſehung des Geſchaͤfts als des Ceremoniels von
den Geſandten weſentlich verſchieden.
In Friedenszeiten genießen ſie nach dem Anerkenntniß
aller Voͤlker zum Theil ſelbſt kraft der Vertraͤge fuͤr ihre
Perſon und Depechen des hoͤchſten Grades der Unverletzlich-
keit, ſo, daß jede an ſie veruͤbte Gewaltthaͤtigkeit als eine
grobe Verletzung des Voͤlkerrechts betrachtet wird, es ſey
in dem Lande fuͤr welches ſie geſchickt werden, oder in dritten
Staaten auf ihrer Durchreiſe b). Doch muͤſſen ſie ſich als
Couriere
[288]Siebentes Buch. Dreyz. Hptſt. Von Courieren.
Couriere angeben, und entweder durch ein Schild (Schild-
couriere) oder durch Paͤſſe, die von dazu berechtigten Perſo-
nen ausgeſtellet worden, in dieſer Eigenſchaft legitimiren c).
Auch geſtattet man ihnen fuͤr die mit ſich fuͤhrenden
Guͤter eine Befreyung von Durchſuchung und Abgaben,
obwohl ſie im Fall eines Mißbrauchs dieſes Vorrechts, die
Folgen ſich ſelbſt beyzumeſſen haben.
In Kriegszeiten hingegen haͤlt man es fuͤr erlaubt ſich
der Couriere des Feindes und ſeiner Alliirten zu bemaͤchtigen,
ſo lange nicht durch gegenſeitige Vertraͤge ihre Unverletzlich-
keit hergeſtellet worden, welcher Punct oft einer der erſten iſt,
die bey annaͤhernder Ausſicht zu einer Friedensnegociation
verabredet werden muͤſſen.
Wenn eine Nation ſich uͤber die Kraͤnkung ihrer urſpruͤng-
lichen oder erworbenen Rechte beſchwert, oder Anſpruͤche ge-
gen eine andere macht welcher dieſe nicht geſtaͤndig iſt, ſo iſt
ſie, falls die Wahrheit ihrer Behauptung nicht in die Au-
gen faͤllt, ſchuldig ſelbige zuvoͤrderſt zu beweiſen; das heißt
bey Ermangelung eines Richters, dem Gegentheil die Wahr-
heit des zum Grunde liegenden Factums ſo gruͤndlich darzu-
thun, daß dieſem keine vernuͤnftige Zweifelsgruͤnde uͤbrig
bleiben. Das Recht braucht nur dann erwieſen zu werden,
wenn von einen erworbenen die Rede iſt.
Weit das gewoͤhnlichſte Beweißmittel unter Voͤlkern
ſind Urkunden. Zeugen und Eyd kommen nicht leicht an-
ders als in den Faͤllen vor, wo Privat-Angelegenheiten der
Unterthanen zu Angelegenheiten der Voͤlker gemacht werden.
Auch der kuͤnſtliche Beweiß laͤßt ſich nicht ausſchließen.
Eine natuͤrliche Folge von der Gleichheit und Unabhaͤn-
gigkeit der Voͤlker iſt, daß ihre Archive gleiche Glaubwuͤrdig-
keit haben, und daß die Frage ob der Beweiß hinreichend
gefuͤhret worden, der Einſicht und dem Gewiſſen einer jeden
Macht uͤberlaſſen bleibt.
Anſpruͤche gegen Staͤnde des teutſchen Reichs, ſie moͤ-
gen von Mitſtaͤnden, oder von Auswaͤrtigen gemacht werden,
gehoͤren zwar der Regel nach vor die Reichsgerichte, ſo daß
hier das Beweißverfahren nach Grundſaͤtzen des poſitiven
buͤrgerlichen Rechts zu beurtheilen iſt a); doch giebt es un-
laͤugbar Ausnahmen von dieſer Regel, wo nicht nur bey
Anforderungen Auswaͤrtiger, ſondern ſelbſt teutſcher Mit-
ſtaͤnde die Reichsgerichte entweder uͤberhaupt, oder nach den
Umſtaͤnden nicht erkennen koͤnnen, und daher der Beweis
nur auf den Fuß des Voͤlkerrechts ſich fuͤhren laͤßt.
Eben dies tritt allgemein bey Anforderungen teutſcher
Reichsſtaͤnde gegen Auswaͤrtige ein, ſie moͤgen von dem be-
ſchwerten Theile allein, oder mit Vertretung des Reichs
verfolget werden.
Iſt die Anforderung gehoͤrig ins Licht geſetzt, ſo muß
der Regel nach eine guͤtliche Anmahnung, ſie geſchehe un-
mittelbar, oder mittelbar durch einen dritten, vor den wirk-
lichen Thaͤtlichkeiten hergehn; doch iſt bey einer gegruͤndeten
Anforderung eine Nation ſo wenig einen Schidesrichter, als
uͤberhaupt einen Vergleich ſich gefallen zu laſſen ſchuldig.
Schlaͤgt daher der Weg der Guͤte nicht an, oder man ſieht
voraus, daß er nicht gelingen werde, ſo bleibt unter freyen
Voͤlkern, da ſie keinen hoͤheren Richter uͤber ſich erkennen,
kein
[291]Retorſion und Repreſalien.
kein anderer Weg als der der Selbſthuͤlfe uͤbrig a); die Grade
der erlaubten Selbſthuͤlfe aber ſind ſehr verſchieden und be-
ſtimmen ſich nicht nur 1) nach dem Erforderniß des dadurch
zu erreichenden Zwecks, ſondern auch inſonderheit 2) nach
der Natur der zum Grunde liegenden Verletzung; und wie
dieſe entweder vollkommen oder unvollkommen ſeyn kann, ſo
koͤnnen auch auf dem Wege der Selbſthuͤlfe entweder blos
unvollkommne oder auch vollkommne Rechte des andern ge-
kraͤnkt werden. Dies begruͤndet den Unterſchied zwiſchen
Retorſion und Repreſalien b).
Unvollkommene Rechte, welche blos in dem Wohlan-
ſtande, der Billigkeit, dem Herkommen ihren Grund ha-
ben, koͤnnen auf mannigfaltige Weiſe verletzet werden. Vor-
zuͤglich gehoͤret dahin: 1) die Verweigerung eines bloßen
Gewohnheitsrechts, 2) die Einfuͤhrung eines unbilligen Un-
T 2terſchieds
[292]Achtes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
terſchieds zwiſchen Fremden und Einheimiſchen in ihren Pri-
vatrechten; ius iniquum a).
Nach der Natur unvollkommner Rechte kann im Fall
ſolcher Verletzung zwar weder Gewalt gebraucht, noch des-
falls ein vollkommenes Recht geweigert werden. Aber ſie
koͤnnen durch Verletzungen aͤhnlicher Art erwidert werden,
durch Verweigerung eben deſſelben oder eines anderen Ge-
wohnheitsrechts, durch Einfuͤhrung deſſelben, oder auch eines
anderen iuris iniqui, und darinn beruhet die Retorſion,
deren Zweck theils die Abſtellung der Verletzung, theils die
Herſtellung einer Gleichheit ſeyn kann. Retorſionen der Art
ſind ſehr gewoͤhnlich in Europa, und auch abhaͤngigen
(halb ſouverainen) Staaten unverwehrt b).
Werden hingegen vollkommene Rechte eines Staats
gekraͤnkt, es ſey urſpruͤngliche, oder durch Occupation, durch
ausdruͤckliche oder durch ſtillſchweigenden Vertraͤge erwor-
bene, ſo bringt der Begriff derſelben ſchon mit ſich, daß
wider ſolche Verletzung zwiſchen freyen Voͤlkern Zwang ſtatt
habe, es beſtehe dieſer in bloßer Verweigerung ſonſt voll-
kommen verbindlicher Rechte oder in wirklichen Gewaltthaͤ-
tigkeiten.
[293]Retorſion und Repreſalien.
tigkeiten. Beides wird unter dem Nahmen von Repreſa-
lien begriffen a).
Da jeder Staat auf der einen Seite ſeine Unterthanen
gegen Auswaͤrtige zu ſchuͤtzen berechtiget, auf der andren
aber auch Auswaͤrtigen gegen ſeine Unterthanen unpar-
theyiſche Gerechtigkeit angedeihen zu laſſen vollkommen ver-
bunden iſt, ſo koͤnnen nicht nur Verletzungen die ein anderer
Staat unmittelbar gegen unſren Staat oder deſſen Unter-
thanen begangen hat, ſondern auch diejenigen, welche unmit-
telbar von deſſen Unterthanen begangen worden, dann
wenn die geforderte Genugthuung verweigert oder un-
gebuͤhrlich verzoͤgert wird a), den Gebrauch der Repre-
ſalien rechtfertigen.
Sofern jeder Unterthan fuͤr die Schulden und Ver-
letzungen ſeines Staats mit ſeiner Perſon und ſeinen Guͤ-
tern haftet, ſofern, aber nicht weiter, koͤnnen Repreſalien
nicht nur unmittelbar gegen den Staat, oder gegen den
Urheber der Verletzung, ſondern auch gegen die Perſon und
Guͤter der uͤbrigen Unterthanen geuͤbet werden. Hieraus
iſt zu beurtheilen wie weit die ſtrenge Wiedervergeltung
(talion) erlaubt ſey; offenbar iſt ſie es nicht in allen Faͤllen a).
Eine der gewoͤhnlichſten Gattungen von Repreſalien
iſt der Arreſt und die Wegnahme der Perſon und Guͤter
einiger Unterthanen des verletzenden Staats, es ſey derer
die ſich in unſerem Gebiet aufhalten, ſofern hier nicht Ver-
traͤge im Wege ſtehn a), oder ſolcher, die außerhalb unſerer
Grenzen auf offenem Meer, oder in dem Gebiet des ver-
letzenden Staats angetroffen werden.
Dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht wuͤrde es nicht
entgegen ſeyn, daß verletzte Unterthanen ſich ſelbſt dieſes
Wegs der Selbſthuͤlfe wider Unterthanen bedienten mit
denen ſie im Naturſtande fortleben. Auch war in mittle-
ren Zeiten nichts haͤufiger als dergleichen Privatrepreſalien
einzelner Unterthanen. Da aber die Natur der Sache und
Erfahrung gelehret, wie gefaͤhrlich es fuͤr die innere und aͤußere
Ruhe ſey den Gebrauch dieſes Rechts der Willkuͤhr der
Unterthanen zu uͤberlaſſen, ſo iſt daſſelbe ſchon ſeit dem 14ten
Jahrhundert durch Geſetze und Vertraͤge an eine beſondere
Erlaubniß des Staats gebunden a); dieſe wird in ſoge-
nannten Repreſalien oder Markbriefen (lettres de mar-
que)
[295]Retorſion und Repreſalien.
que) ertheilet, deren Gebrauch in Friedenszeiten aber im-
mer ſeltner geworden b), da nicht nur uͤberhaupt dieſe Re-
preſalien haͤufig durch Vertraͤge naͤher beſchraͤnkt worden,
ſondern uͤberdles in den mehreſten Faͤllen rathſamer ſcheint,
daß ſie auch zum Beſten der Unterthanen unmittelbar von
dem Staat geuͤbt werden.
Repreſalien haben nur zum Beſten unſeres Staats und
deſſen Unterthanen a) aber nie auf Anrufen und zum Vor-
theil eines dritten Staats, zumahl in Anſehung ſolcher Per-
ſonen und Guͤter ſtatt, die in unſrem Gebiet aufgenommen
ſind, und daher des Schutzes des Voͤlkerrechts genießen b).
Das Weſen der Repreſalien beruhet in einzelnen, be-
ſtimmten Verletzungen ſonſt vollkommener Pflichten; ſie
verhindern daher nicht im uͤbrigen auf den Fuß einer friedli-
T 4chen
[296]Achtes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
chen Macht fortzuleben. Wie aber der Zweck der Repre-
ſalien dahin geht, durch ſelbige den verletzenden Staat zur
Genugthuung zu bewegen, oder uns dieſe ſelbſt zu verſchaffen,
ſo koͤnnen, wenn eine Gattung derſelben [nicht] hinreicht, meh-
rere derſelben einzeln geuͤbt werden. Beſchließt aber ein
Staat allgemeine Repreſalien, ſo geht er aus dem fried-
lichen Zuſtande in den Stand des Kriegs uͤber a).
Krieg iſt der Zuſtand fortdaurender und unbeſtimmter
Gewaltthaͤtigkeiten der Menſchen unter einander. Er iſt
entweder Privatkrieg, wie er zwiſchen einzelnen Menſchen
im Naturſtande ſich gedenken laͤßt, oder oͤffentlicher Krieg
(bellum publicum). Letzterer wird wiederum in den buͤr-
gerlichen, der zwiſchen den in einem Staat unter den Mit-
buͤrgern entſtandenen Partheyen (bellum civile) und in
den Voͤlkerkrieg eingetheilt. Der buͤrgerliche Krieg kann
in einfachen Staaten nur in den aͤußerſten Faͤllen gerechtfer-
tiget werden, wo die hoͤchſte Gewalt ihn fuͤhrt, um rebelli-
ſche Unterthanen zum Gehorſam zu bringen, Executions-
krieg, oder wo ein Theil der Unterthanen in ſeinen buͤrger-
lichen Rechten ſo gekraͤnkt worden, daß er dem Regenten den
Gehorſam aufkuͤndigen und ſeine Freyheit mit den Woffen
vertheidigen kann; unter den Mitgliedern eines zuſammenge-
ſetzten Staats hat der Krieg außerdem auch in den Faͤllen ſtatt,
in welchen ſich die Mitglieder auf den Fuß freyer Voͤlker be-
handeln duͤrfen. Der Voͤlkerkrieg wird zwiſchen freyen Voͤl-
kern unter einander gefuͤhrt.
Da das Recht Krieg zu fuͤhren als eines der weſent-
lichſten Hoheitsrechte anzuſehn iſt, ſo kann es der Regel nach
nur auf Befehl der hoͤchſten Gewalt ausgeuͤbet werden, und
jeder Eingriff in daſſelbe von Seiten der Unterthanen iſt als
ein hoͤchſt ſtrafbares Verbrechen anzuſehn. Doch kann die
hoͤchſte Gewalt das Recht des Kriegs Unterthanen erthei-
len a), oder ſie zu Ausuͤbung rechtmaͤßiger Gewaltthaͤtigkei-
ten bevollmaͤchtigen b).
Keine Verletzung unvollkommner Pflichten kann fuͤr
ſich betrachtet, je ein Rechtfertigungsgrund a) des Krieges
werden. Jede Verletzung einer vollkommnen Pflicht hin-
gegen, ſie ſey ſchon veruͤbt, gegenwaͤrtig, oder aus wahr-
ſcheinlichen Gruͤnden zu befuͤrchten b) kann, wenn nicht ein
anderes verabredet worden c), wenigſtens ſtufenweiſe, wenn
gelindere Mittel vergebens verſuchet worden, oder verſuchet
werden wuͤrden, nach dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht ein
guͤltiger Rechtfertigungsrund des Krieges werden d); und
da jede Nation hierinn ihren beſten Einſichten zu folgen be-
rechtiget, keine aber Richterinn der andren iſt, ſo behaͤlt
zwar jedes Volk das Recht Gewalt mit Gewalt zu vertreiben,
aber Kriege freyer Voͤlker muͤſſen in jedem irgend zweifelhaf-
ten Falle e) als aͤußerlich gerecht an beiden Seiten beurthei-
let werden, ſofern von Behandlung des Feindes und von
Kriegsvertraͤgen und Friedensſchluͤſſen die Rede iſt (§. 44).
Man theilt die Kriege in Vertheidigungs- und An-
falls-Kriegea) (guerres defenſives et offenſives) ein.
Der Regel nach iſt der Krieg offenſiv von Seiten desjenigen
der ihn zuerſt erklaͤret, oder der zuerſt allgemeine Gewalt-
thaͤtigkeiten wider den andren, es ſey in deſſen Gebiet oder
auf
[299]Vom Krieg und deſſen Folgen.
auf offenem Meer uͤbt; er iſt alſo defenſiv von der Gegen-
ſeite. Allein 1) giebt es Faͤlle wo derjenige, der um einem
Anfalle, mit dem er bedrohet wird, zuvorzukommen, oder um
ſich in den Beſitz der außerhalb ſeines Gebiets ihm zuſte-
henden und gekraͤnkten Rechte zu erhalten, zuerſt die Waf-
fen ergreift, die Grenzen eines Defenſiv-Krieges nicht uͤber-
ſchreitet. 2) Koͤnnen oft Zweifel entſtehn, wiefern eine ge-
gebene oder verweigerte Erklaͤrung einer Kriegs-Erklaͤrung,
oder wiefern einzelne Gattungen von Thaͤtlichkeiten einem
foͤrmlichen Friedensbruch gleich zu achten ſind; daher iſt kein
Wunder, wenn faſt in jedem Kriege uͤber die Frage geſtritten
wird b), an welcher Seite er fuͤr defenſiv zu achten ſey c).
Daß eine Kriegs-Ankuͤndigung von Seiten desjeni-
gen nicht erfordert werde, der bloß innerhalb der Grenzen ſei-
nes Gebiets ſich vertheidiget, iſt in die Augen fallend. Aber
auch
[300]Achtes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
auch von Seiten desjenigen der den andren zuerſt uͤberfaͤllt,
laͤßt ſich die Nothwendigkeit einer vorhergehenden Ankuͤndi-
gung des Kriegs an den Feind aus dem ſtrengen aͤußeren
Voͤlkerrecht nicht, oder doch nicht allgemein, erweiſen a).
Viele der aͤlteren Voͤlker hielten indeß eine feyerliche Kriegs-
Ankuͤndigung zur Rechtmaͤßigkeit des Kriegs fuͤr nothwen-
dig b). Dieſe war auch in Europa bis in die Mitte des
17ten Jahrhunderts hergebracht c); ſeitdem hat ſie allgemein
aufgehoͤret und man hat an deren ſtatt die bloße Kriegs Er-
klaͤrung d) d. i. die Bekanntmachung des Kriegs an die
eigenen Unterthanen durch Manifeſte e), und die Ent-
wickelung der Urſachen derſelben in Druckſchriften, die allen
Hoͤfen mitgetheilt zu werden pflegen, geſetzt. Dieſe Kriegs-
Erklaͤrung wird noch jetzt fuͤr ſo weſentlich angeſehn, daß
man das was vorher genommen worden hin und wieder bey
Friedensnegociationen zuruͤckfordern zu koͤnnen geglaubt f);
aber auch hiebey erregt die Frage wer der leidende Theil
geweſen, und wiefern der Krieg ſtillſchweigend erklaͤret wor-
den, neue Schwierigkeiten in Beſtimmung des Zeitpuncts
der als der Anfang des Kriegs anzuſehn iſt g).
Wie Repreſalien auch gegen die Perſon und Guͤter
der Unterthanen ſtatt haben koͤnnen, ſo koͤnnte der Feind bey
Ausbruch des Krieges der Strenge nach nicht nur die Guͤ-
ter des Feindes die er in deſſen Gebiet, oder auf offener
See antrifft, ſondern auch diejenigen ſofort wegnehmen, die
in ſeinem Land- oder Seegebiet angetroffen werden. Da aber
dieſe Schiffe und Guͤter im Vertrauen auf den Schutz des
Voͤlkerrechts bey uns eingefuͤhret worden, der ſchuldloſe und
von dem Bruche nicht unterrichtete Privatmann auch nicht
ohne große Haͤrte ſein Eigenthum ohne Hoffnung einer Ent-
ſchaͤdigung verlieren wuͤrde, ſo iſt in den mehreſten neueren
Handelsvertraͤgen beſtimmt, daß 1) die Schiffe und Guͤter
die beym Ausbruch des Kriegs ſich bey uns befinden, 2)
diejenigen welche ſelbſt nach der Kriegserklaͤrung aus einem
Hafen in welchem beym Auslaufen die Kriegserklaͤrung noch
nicht bekannt war, bey uns einkommen, nicht ſollen mit
Embargo belegt, ſondern ihnen eine nahmhafte Friſt a)
zum freyen Abzug und Verkauf der Guͤter gelaſſen werden.
Eben
[302]Achtes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
Eben dieß iſt hin und wieder durch Geſetze beſtaͤdtiget b).
Gleichwohl fehlt es nicht an Beyſpielen daß ſolche Guͤter
entweder vorlaͤufig, bis erhellet wie ſich der Feind gegen
unſre Guͤter betrage, in Beſchlag genommen, oder wegen
angeſchuldigter Verletzung des Gegentheils wirklich confis-
cirt und verkauft worden c). Und wo keine Geſetze oder
Vertraͤge uͤber den Punct vorhanden ſind, da iſt das Betra-
gen der Europaͤiſchen Maͤchte hierinn nichts weniger als
gleichfoͤrmig.
In einigen Vertraͤgen iſt ſogar feſtgeſetzt, daß die
gegenſeitigen Unterthanen ſollen waͤhrend des Kriegs ihren
Aufenthalt bey dem Feinde fortſetzen koͤnnen, ſo lange ſie ſich
ruhig verhalten d). Allemahl noͤthiget man jedoch den Ge-
ſandten des Feindes ſammt ſeinem Gefolge den Staat zu
verlaſſen e); aber die chriſtlichen Maͤchte geſtatten ihm einen
freyen und ſicheren Abzug; nur die Tuͤrken erlauben ſich ihn
feſtzuſetzen (§. 211.).
Gegen ſeine eigenen Unterthanen hat I) der Staat
das Recht alle diejenigen die bey dem Feinde oder ſelbſt in
dritten Staaten ſich auf halten, dann zuruͤck zu berufen, wenn
er ihres Arms bedarf; inſonderheit aber ihnen nachdruͤcklich
zu verbieten, nicht wider ihr Vaterland, es ſey Kriegs- oder
Civildienſte zu leiſten. Die veraͤnderte Art Krieg zu fuͤhren
macht, daß die zu Anfang des Kriegs desfalls erlaſſene Avo-
catorien und Dehortatorien a) gemeiniglich nur auf die in
Civil- oder Militairdienſten des Feindes oder auch in unſren
Dienſten ſtehende erſtreckt wird. Dieſe Avocatorien werden
immer bey Strafe der Confiscation der Guͤter, zuweilen auch
bey Strafe der Infamie erlaſſen b). II) Nicht weniger iſt
jeder Staat nach dem Voͤlkerrecht befugt durch erlaſſene In-
hibitoriales den Unterthanen allen Briefwechſel, alle Gat-
tungen der Ausfuhr nach dem Feinde, alle Einfuhr feindli-
cher Produkte oder Manufacturen, alle Aſſecuranz fuͤr feind-
liche Rechnung zu unterſagen.
Da aber die gaͤnzliche Aufhebung aller Verbindung
oft beiden Theilen hoͤchſt nachtheilig iſt, ſo fehlt es nicht an
Beyſpielen, daß 1) durch Vertraͤge einige Correſpondenz
beybehalten worden c), 2) die freye Ein- und Ausfuhr ge-
wiſſer oder aller nicht zur Contrebande gehoͤrenden Guͤter
allgemein oder fuͤr gewiſſe Seehaͤfen ausdruͤcklich oder ſtill-
ſchweigend erlaubt worden d) wohingegen die Aſſee[r]anz fuͤr
Feindes Rechnung durchgehenos verboten iſt e).
Da das allgemeine Voͤlkerrecht alle nothwendige Mit-
tel zu Erreichung des Zwecks um deſſen Willen der Krieg
gefuͤhret wird erlaubt, ſo laͤßt ſich kein Mittel dem Feinde
zu ſchaden nach dem aͤußeren Recht als im allgemeinen ver-
werflich anſehn, und nur die Umſtaͤnde koͤnnen in jedem ein-
zelnen Falle uͤber die Rechtmaͤßigkeit des Gebrauchs deſſel-
ben entſcheiden. In ſofern iſt alſo das Recht des Kriegs
unbegraͤnzt (ius belli infinitum.). Allein die civiliſirten
Voͤlker Europens haben inſonderheit ſeit der Einfuͤhrung
regulirter Truppen in der Abſicht Kriege minder zerſtoͤrend a)
zu machen und durch Erfahrung uͤberzeugt, daß der Ge-
brauch mancher Mittel entweder ohne Noth den Krieg grau-
ſamer mache, oder doch auf denjenigen der ſie anwendet ſchwer
wieder zuruͤckfalle, durch Vertraͤge, Herkommen und eigenes
Anerkenntniß gewiſſe ſogenannte Kriegsgeſetze (loix de la
guerre, Kriegsmanier) eingefuͤhret, nach welchen einige
Mittel ſchlechterdings und unter allen Umſtaͤnden, blos den
Fall
[305]Gegenſeitige Rechte waͤhrend des Krieges.
Fall der Repreſalien ausgenommen fuͤr verwerflich, andere
der Regel nach fuͤr verboten und nur dann fuͤr zulaͤſſig an-
geſehn werden, wenn entweder der Gegentheil ſie zuerſt
uͤbertreten, oder die beſondren dringenden Umſtaͤnde eines ein-
zelnen Falles nach der Kriegsraiſon [raiſon de guerre b)]
eine Ausnahme rechtfertigen.
So war es laͤngſt anerkannter Grundſatz unſres Voͤl-
kerrechts, daß ſelbſt nach erfolgter Kriegserklaͤrung (nicht
allen Unterthanen ohne Unterſchied freyſtehe auf den Feind
loszugehn a), daß in Landkriegen dies nur den von dem
Staat geworbenen Regimentern und den mit deſſen Be-
willigung von Privatperſonen errichteten Freycorps, in See-
kriegen den Kriegsſchiffen des Staats und den mit Mark-
briefen deſſelben verſehenen Capern zuſtehe, hingegen alle
uͤbrige Unterthanen wenn ſie offenſive verfahren als unrecht-
maͤßige Feinde behandelt und beſtraft werden ſollen b).
Und obwohl nicht nur 1) die zu Vertheidigung des
Landes errichtete Nationalmiliz innerhalb der Grenzen dieſer
Vertheidigung gleicher Rechte mit den ſtehenden Regimen-
tern genieſſen muß c), auch 2) in den in neueren Zeiten
ſeltenen Faͤllen eines allgemeinen Aufgebotsd) alle zur
Vertheidigung bewaffneter Buͤrger eines Staats, und 3)
ſelbſt diejenigen die aus einem muthmaßlichen Auftrage die
Vertheidigung eines Orts gegen den Feind uͤbernehmen fuͤr
rechtmaͤßige Feinde zu achten ſind, ſo glaubte man doch
nicht nur allen dieſen jedes offenſive Verfahren unterſagen,
ſondern auch die in Vertheidigung des Landes ergriffenen
Buͤrger und Bauren haͤrter als die uͤbrigen Krieger behan-
Udeln
[306]Achtes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
deln zu koͤnnen. Unlaͤugbar entfernt ſich Frankreichs Ver-
fahren in dem gegenwaͤrtigen Kriege in manchen, wenn
gleich nicht in allen Puncten, von der bisher eingefuͤhrten
Kriegsmanier, und wiefern dieſes und die dawider hin und
wieder ergriffene Gegen-Maaßregeln in der Folge auf eine
veraͤnderte Art Krieg zu fuͤhren wirken werden, kann erſt die
Folge Zeit lehren.
Sobald der Krieg ausgebrochen iſt, werden zwar alle
Unterthanen des feindlichen Staats unſere Feinde, und es
iſt erlaubt unſere Genugthuung wider ſie zu verfolgen. Da
aber wegen eines rechtmaͤßigen Kriegs kein Theil den andren
ſtrafen kann, ſo beruhet in dieſem das Recht den Feind zu
verwunden und zu toͤdten allein auf die Gewalt die er uns
entgegen ſetzt. Daher duͤrfen I) diejenigen die an den Ge-
waltthaͤtigkeiten keinen Theil nehmen weder verwundet noch
getoͤdtet werden. Dahin gehoͤren nicht nur 1) Kinder, Greiſe,
Weiber und uͤberhaupt alle diejenigen welche die Waffen
nicht ergreifen duͤrfen und wirklich nicht ergriffen haben,
auch 2) die im Gefolge der Armee befindlichen Perſonen
die nicht zum Wehrſtande gezaͤhlt werden, wie Feldpredi-
ger, Aerzte, Wundaͤrzte, Marquetenter, auch nach dem
Herkommen quartiermeiſter, Tambour und Pfeiffer, ſo-
ern die drey letzteren verſchonet werden koͤnnen. Hingegen
II)
[307]Gegenſeitige Rechte waͤhrend des Krieges.
II) alle Officiere und Soldaten, deren Pflicht es iſt of- und
defenſive Gewalt zu uͤben, koͤnnen ſo lange rechtmaͤßig ver-
wundet und getoͤdtet werden, als nicht erhellet, daß ſie ent-
weder den Willen, oder das Vermoͤgen Gewalt zu gebrau-
chen verloren haben. Sobald ſie hingegen entweder 1) ſo
ſchwer verwundet oder 2) ſo von dem Feinde umringt ſind,
daß ſie nicht mehr Gewalt brauchen koͤnnen, oder 3) ſie die
Waffen wegwerfen und um Quartier bitten, ſobald iſt der
Feind vollkommen verpflichtet ihnen das Leben zu laſſen,
dafern nicht 1) ſeine eigene Sicherheit ihn daran hindert a),
oder 2) er das Recht der Wiedervergeltung oder ſonſt Re-
preſalien b) uͤben kann, oder 3) der feindliche Unterthan
Verbrechen begangen hat um deren Willen er an Leib und Le-
ben geſtraft werden kann; inſonderheit wenn er die Kriegs-
geſetze verletzet hat.
In Kriegen die, wie mehrentheils die buͤrgerlichen
Kriege, auf der einen Seite fuͤr unrechtmaͤßig erklaͤret wer-
den, glaubt man ſich zwar berechtiget dem gefangenen Feind
ohne Unterſchied das Leben zu nehmen, aber Menſchenge-
fuͤhl und Furcht vor Repreſalien veranlaßten in den mehre-
ſten Faͤllen, daß man auch hier die Behandlung rechtmaͤßi-
ger Feinde an beiden Seiten verſprach c).
In Kriegen freyer Voͤlker iſt die Ermordung der Ge-
fangenen und folglich auch die dahin abzweckende Drohung den
erſten Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts entgegen, man mag
dieſes auf Gefuͤhl, oder auf Vernunftſchluͤſſe bauen d).
Wenn gleich das natuͤrliche Recht keines der Mittel
dem Widerſtand leiſtenden Feinde das Leben zu nehmen in
ſeinem ganzen Umfange verwirſt, ſo haben doch die civili-
firten Voͤlker Europens, theils durch Vertraͤge, theils durch
Herkommen und eigenes Geſtaͤndniß manche ſolcher Mittel
als der Kriegsmanier entgegen erklaͤret, wohin unter den
heimlichen Mitteln Meuchelmorda) und Gift b) unter
den offenbaren Mitteln der Gewaltthaͤtigkeit der Gebrauch
gewiſſer Waffenc) welche die Grauſamkeit des Kriegs
fuͤr beide Theile ohne Noth vermehren, zu zaͤhlen ſind.
In allen den Faͤllen in welchen der Feind nicht aus-
druͤcklich dem Feinde Aufrichtigkeit verſprochen iſt erlaubt,
dann wenn das Intereſſe des Kriegs es erfordert, ihn zu
taͤuſchen, ſofern nicht auch hierin das Herkommen Einſchraͤn-
kungen eingefuͤhret hat a).
Auch Beſtechungen feindlicher Officiere und Untertha-
nen um ſie zu Entdeckungen eines Geheimniſſes, zur Ue-
bergabe eines Platzes, zum Aufruhr b) u. ſ. f. zu bewegen
laſſen ſich in Kriegszeiten weder nach dem allgemeinen, noch
nach dem herkommlichen Voͤlkerrecht fuͤr verwerflich anſehn,
obgleich jeder Staat das Recht hat durch die Haͤrte der an-
gedroheten Strafen ſich dawider moͤglichſt zu ſchuͤtzen.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen iſt die Abſendung oder
Beſoldung von Spionen die unter der Geſtalt eines Freun-
des ſich auf heimliche Kundſchaft, Bothſchaft u. ſ. f. legen c)
erlaubt, obgleich jeder Staat durch harte und ſchimpfliche
Strafen dem Feinde dies gefaͤhrliche aber nothwendige Mit-
tel zu erſchweren ſuchen kann.
Wenn der Feind ſeinen bewaffneten Feind a) zur
Uebergabe genoͤthiget hat ohne ihm freyen Abzug zu ver-
ſprechen, ſo iſt er zwar, den Fall der Repreſalien oder Ver-
brechen abgerechnet, weder befugt ihn zu toͤdten, noch ihn
in Sclaverey abzufuͤhrena), er iſt aber berechtiget ihn zum
Kriegsgefangenen zu machen und in ſichere Verwahrung zu
halten, falls er nicht kraft eines Cartels in ſeine Ranzion b)
oder Auswechſelung williget, oder ihn auf ſein Ehrenwort
entlaͤßt, binnen einer feſtgeſetzten Zeit, oder bis zu ſeiner
Auswechſelung oder waͤhrend des ganzen Krieges nicht wieder
gegen ihn zu dienen, oder ſich auf ſeinen Befehl an einen
gegebenen Ort wieder zu ſtellen c).
Wer mit Verletzung dieſes Ehrenworts freywillig
wiederum die Waffen ergreift, indeß der Gegentheil ſeinen
Vertrag erfuͤllet, konn fuͤr ehrlos erklaͤret, und falls er dem
Feinde wieder in die Haͤnde faͤllt, am Leben geſtraft werden.
Wer hingegen entweder unbefugt Gewaltthaͤtigkeiten
geuͤbt, wie der Soldat ohne Befehl ſeines Oberern, oder
der Regel nach Buͤrger und Bauern, oder wer wider die
Geſetze des Krieges gehandelt, oder Ueberlaͤufer geworden,
hat keinen Anſpruch auf Kriegsgefangenſchaft, ſondern kann
den Umſtaͤnden nach ſelbſt am Leben geſtraft werden.
Auch diejenigen Perſonen bei der Armee die nicht
zum Wehrſtande gehoͤren a), werden nicht zu Kriegsgefan-
genen gemacht, und pflegen zuruͤckgeſchickt zu werden.
Obgleich nach dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht auch
wehrloſe Unterthanen des Feindes als ein Gegenſtand der
Genugthuung betrachtet und als Gefangene abgefuͤhret wer-
den koͤnnten, und ſelbſt die Tranſplantationa) derſelben
nicht voͤllig verwerflich iſt, ſo pflegt man doch denen die
U 4kein
[312]Achtes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
kein Verbrechen begangen haben ihre Freyheit zu laſſen,
und begnuͤget ſich bey entſtehender Veranlaſſung einige der-
ſelben als Geiſſel ſich geben zu laſſen, oder ſie mit Gewalt
wegzufuͤhren.
Nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht kann zwar der
feindliche Souverain fuͤr ſich und ſeine Familie keine Be-
freyung von den Gewaltthaͤtigkeiten des Feindes begehren.
Vielmehr kann jeder von ihnen der ſich bewaffnet, ſo wie
jeder andere Feind getoͤdtet, und außer dieſem Fall gefan-
gen genommen werden. Aber unter den geſitteten Europaͤi-
ſchen Voͤlkern wird 1) fuͤr der Kriegsmanier entgegen ange-
ſehn, abſichtlich auf einen feindlichen Souverain oder auf
deſſen Prinzen das Geſchuͤtz zu richten a). 2) Die Familie
des feindlichen Souverains wird, wenn der Feind ſie in ſeine
Gewalt bekommt, nicht nur glimpflicher behandelt, ſondern
auch gemeiniglich von aller Gefangenſchaft befreyet b). 3)
Ueberhaupt ſuchen feindliche Souveraine ſich in dem was
auf das Schickſal des Kriegs keinen Einfluß hat, die Laſt
deſſelben zu erleichtern. Man laͤßt dasjenige was fuͤr die
Tafel des [feindlichen] Souverains beſtimmt iſt frey paſſiren,
macht auch wohl einander Geſchenke, und befolget den ange-
nommenen Grundſatz, daß der Krieg nur die Staaten, nicht
die Perſon der Souveraine entzweye c).
Nach dem allgemeinen Befugniß welches der Feind
hat ſich die ihm gebuͤhrende Genugthuung zu verſchaffen,
kann er 1) dem Feinde alle die Rechte entziehn welche die-
ſer aus vorhergehenden Staatsvertraͤgen gegen ihn erlanget
hat, und daher nicht nur dieſe Vertraͤge waͤhrend des
Kriegs, ſondern auch ſelbſt diejenigen dem Feinde fuͤr im-
mer aufkuͤndigen, die nicht durch den Krieg ſchon von ſelbſt
zerfallen ſind (§. 51.) er koͤnnte auch 2) die Schulden ein-
ziehn mit welchen der Staat dem Feinde oder deſſen Unter-
thanen verhaftet iſt. Da aber hiedurch der Credit des
Staats zerſtoͤret wuͤrde, ſo pflegt dies nur in außerordent-
[li]chen Faͤllen a) zu geſchehn, und ſelbſt die Zinszahlungen
werden nicht immer gehemmt. Er kann 3) dem Feinde ſo
viel Guͤter, es ſey in ſeinem Gebiet (nur mit der § 263.
bemerkten Einſchraͤnkung) oder auf offener See, oder in
dem feindlichen Gebiet wegnehmen, als zu Erreichung ſeiner
Genugthuung, zur Entſchaͤdigung fuͤr ſeine Kriegskoſten,
zur Schwaͤchung des Feindes um ihn zum Frieden zu noͤ-
thigen, und zu ſeiner kuͤnftigen Sicherheit erforderlich iſt.
Die Wegnahme unbeweglicher Guͤter wird Eroberung,
(conquète) die Wegnahme beweglicher, Beute (butin)
genannt.
Wenn der Feind eine feindliche Provinz erobert, ſo iſt er
daher 1) berechtiget ſich alle Domainen, alle Landesrevenuͤen,
U 5alle
[314]Achtes Buch. Viertes Hauptſtuͤck.
alle Feſtungen, Kriegsſchiffe und alles was zum Kriege
dient zuzueignen.
Er iſt auch 2) befugt die bisherige Landesverfaſſung
abzuaͤndern, ſich von den Unterthanen huldigen zu laſſen,
alle einzelne Hoheitsrechte uͤber ſie auszuuͤben, folglich Ge-
ſetze zu geben, Steuern zu erheben, Truppen zu werben,
Muͤnze praͤgen zu laſſen u. ſ. f. a), und diejenigen die ſich
ſeiner Gewalt wiederum entziehn wollen, als Rebellen zu
beſtrafen. Doch entſcheidet oft der Zweck der Beſitznahme
wiefern er ſich dieſer Rechte in ihrem ganzen Umfange
bediene; oft ſetzen auch ſeine eigene Erklaͤrung, oder ge-
ſchloſſene Capitulationen dieſem Recht Graͤnzen.
Er koͤnnte ſelbſt 3) der Strenge nach ſich der Pri-
vatguͤter des Fuͤrſten und der Unterthanen ſo weit es ſeine
Genugthuung erfordert bemaͤchtigen b). Allein ſchon laͤngſt
war in Landkriegen eingefuͤhret, daß nicht nur dem Unter-
than ſein unbewegliches Eigenthum verbleibe, ſondern daß
auch (mit Ausnahme der dem Widerſtand leiſtenden Feinde
entriſſenen Beute, welche dem Sieger zufaͤllt,) die beweg-
lichen Privatguͤter des Fuͤrſten c) inſonderheit aber der Un-
terthanen von der angedroheten Pluͤnderung und Verhee-
rung durch Bezahlung der von dem Feinde oft wiederho-
let ausgeſchriebenen Brandſchatzung an Geld und Natura-
lien verſchonet blieben d), und daß nachmahls dasjenige
was der Feind ſich außerdem liefern laͤßt frey gekauft und
bezahlet werden muͤſſe e); nur daß Kriegsfuhren unentgelt-
lich gefordert werden koͤnnen, und auch Fouragirungen fuͤr
erlaubt angeſehn werden.
Und wenn ſchon 4) das ſtrenge aͤußere Voͤlkerrecht
auch die Pluͤnderung und Verheerung der feindlichen Guͤter
in ſehr ausgebreitetem Maaße zulaͤßt, ſo erkennen doch
die civiliſirten Voͤlker Europens, daß beides nach den Ge-
ſetzen des Kriegs dem Feinde nicht der Regel nach, ſon-
dern nur in den ausgenommenen Faͤllen erlaubt ſey, wenn
entweder 1) von ſolchen Guͤtern die Rede iſt deren man
ſich nicht bemaͤchtigen kann, ohne ſie zu zerſtoͤren, und deren
Beſitz
[315]Gegenſeitige Rechte waͤhrend des Krieges.
Beſitz das Beſte des Kriegs erfordert, 2) von ſolchen die
man nicht b [...]haupten, aber doch auch dem Feinde nicht zu
ſeiner Verſtaͤrkung uͤberlaſſen kann f), 3) die man nicht
verſchonen kann ohne den Militairoperationen zu ſchaden g),
4) wenn die geforderte Contribution nicht nach Moͤglichkeit
bezahlet wird, 5) wenn es darauf ankommt eine Gegend
fuͤr den Feind unhaltbar zu machen, oder ihn aus ſeinen
Hinterhalt zu locken, 6) wenn der Feind die Geſetze des
Kriegs verletzt hat h). Die Pluͤnderung wird insbeſondere
auch fuͤr erlaubt angeſehn, wenn eine Feſtung mit Sturm
eingenommen wird.
Nur in Seekriegen wird es noch jetzt fuͤr erlaubt
angeſehn, ſelbſt friedlich fahrende feindliche Kauffarthey-
Schiffe ſammt ihrer Ladung aufzubringen, und ſie dem
Kriegsſchiff oder Caper das ſie genommen hat zuzuſpre-
chen a), ſo daß ſelbſt in den mehreſten Staaten dem Ero-
berer nicht einmahl erlaubt iſt, gegen ein angebotenes Loͤ-
ſegeld das feindliche Schiff loszulaſſen, oder doch dies nur
in wenig Faͤllen geſtattet wird b).
Der Krieg hemmt die Wirkungen des Eigenthums
zwiſchen den kriegfuͤhrenden Maͤchten, aber nicht zwiſchen
dieſen und dritten Maͤchten. Daher kann zwar der krieg-
fuͤhrende Theil ſich des Eigenthums ſeines Feindes ſo wie
herrnloſer Guͤter bemaͤchtigen, und damit nach ſeinem Gut-
finden ſchalten, aber dadurch erliſcht noch das Eigenthum
des erſten Beſitzers nicht, ſo lange er noch nicht ausdruͤck-
lich oder ſtillſchweigend darauf Verzicht geleiſtet, oder alle
Hoffnung verloren hat es wieder zu erlangen. Daher kann
er nicht nur dieſe Guͤter dem Eroberer wieder entreißen
(welches er koͤnnte, falls auch dieſer ausſchließlichen Eigen-
thuͤmer geworden waͤre) ſondern er iſt ſelbſt berechtiget bey
erfolgter Veraͤußerung ſie aus den Haͤnden eines jeden
dritten Beſitzers zuruͤck zu fordern, und ſie dieſem zu ent-
reißen a).
Dieſer Grundſatz iſt auch anerkannt in Hinſicht der
Eroberung unbeweglicher Guͤter b). Aber in Anſehung
der Beute gemachten feindlichen Guͤtern iſt in Landkriegen
der Grundſatz eingefuͤhret, daß wenn ſie 24 Stunden in
Feindes Haͤnden geweſen, ſie von einem dritten guͤltig er-
kauft werden koͤnnen, ohne daß eine Zuruͤckforderung Platz
greiſe c).
In Seekriegen iſt der alte Grundſatz des roͤmiſchen
Rechts d) und des Conſulats der See e), daß der Feind
dann Eigenthuͤmer ſeiner rechtmaͤßigen Beute werde wenn
er ſie in Sicherheit (z. B. in einen Hafen oder mitten
unter einer Flotte) gebracht, zwar noch von einigen Voͤl-
kern beybehalten, weit haͤufiger aber der Grundſatz ange-
nommen, daß er es dann werde, wenn er ſie 24 Stunden
in ſeinen Haͤnden gehabt f).
Geſetzt daß eine Macht, eine von dem Feind gemachte
Eroberung oder Beute ihm wieder abnimmt, ſo ſcheint es
daß nach dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht alle Guͤter, ſie
ſeyn beweglich oder unbeweglich, dem vorigen Eigenthuͤmer
und Oberherrn wieder zufallen muͤſſen, ohne daß es hiebey
einmahl der Fiction eines iuris poſtliminii beduͤrfte.
Dieſer Grundſatz wird auch in Anſehung der unbeweg-
lichen Guͤter ſo befolget, daß ohne Ruͤckſicht auf die Zeit
der Wiedereroberung 1) der vormahlige Oberherr des Landes
wiederum in ſeine vorige Rechte tritt, aber auch die vorige
Verfaſſung und Landesfreyheiten wieder herzuſtellen verbun-
den iſt, wenn nicht die Unterthanen dieſe auf eine ſtrafbare
Weiſe verſcherzt haben a); folglich 2) auch die Domainen
wiederum ihre vorige Eigenſchaft annehmen; daß 3) auch
die unbeweglichen Guͤter der Privatperſonen, wenn der Feind
ſie in Beſitz genommen, außerhalb des Falles eines Verbre-
chens dem vorigen Eigenthuͤmer wieder zugeſtellet werden.
In Anſehung der beweglichen Guͤter des Mitunter-
thanen b) wird in Landkriegen (allgemein?) die Zuruͤckgabe
an den Eigenthuͤmer nur dann verfuͤget, wenn die Wieder-
erbeutung binnen 24 Stunden geſchah c); in Seekriegen wird,
wenn
[319]Gegenſeitige Rechte waͤhrend des Krieges.
wenn das Schiff oder Gut dem Feinde der es rechtmaͤßig
genommen, ehe wieder abgejaget worden, ehe er fuͤr den Ei-
genthuͤmer deſſelben geachtet wird (§. 277) es dem Eigenthuͤ-
mer zuruͤckgegeben, und nur ein Theil fuͤr die Koſten der
Wiedererbeutung inne behalten; wird es ihm ſpaͤter wieder
abgejaget, ſo bekommt in einigen Landen der vorige Eigen-
thuͤmer gar nichts, in andren nur einen Theil, und in eini-
gen dieſen Theil nur dann zuruͤck, wenn die Wiedererbeutung
durch ein Kriegsſchiff des Staats geſchehn iſt.
War die Beute von einem unrechtmaͤßigen Feinde
z. B. von Seeraͤubern, oder auf eine dem Voͤlkerrecht ent-
gegenlaufende Weiſe gemacht worden, ſo bekommt der vorige
Eigenthuͤmer faſt uͤberall d) ſein Eigenthum wieder, wie
ſpaͤt auch die Wiedererbeutung gemacht ſey, nur daß der
rechtmaͤßige Wiedereroberer einen Theil fuͤr die Koſten ſeiner
Wiedererbeutung erhaͤlt.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen iſt eine zweyte Wieder-
eroberung zu beurtheilen e).
Da der Hauptzweck aller militairiſchen Unternehmun-
gen im Kriege darauf gerichtet iſt, entweder dem eindrin-
genden Feinde Widerſtand zu leiſten, oder ſelbſt auf den
Feind einzudringen, uns ſeiner Laͤnder, Inſeln u. ſ. f. zu
bemaͤchtigen, oder ſonſt ihn bey entſtehenden Gelegenheiten
zu ſchwaͤchen, um ihn zum Frieden geneigter zu machen
und uns die gebuͤhrende Genugthuung zu verſchaffen, ſo
kann man die militairiſchen Unternehmungen auf mannig-
faltige Weiſe eintheilen; inſonderheit aber verdienen die
groͤßeren Unternehmungen, wie ſie in Landkriegen durch
ganze Armeen oder große Truppencorps gegen einander,
in Schlachten, Treffen, Affairen u. ſ. f. oder gegen Feſtun-
gen, feſte Orte, Laͤger, wie in Blockaden, Belagerungen,
Ueberrumpelungen, Beſtuͤrmungen, oder zur Beſitznahme
offener Orte und ganzer Landdiſtricte, in Seekriegen durch
ganze Kriegsflotten und Escadern, in Seeſchlachten, Blo-
quaden feſter Seeplaͤtze, Landungen u. ſ. f. ſtatt finden koͤn-
nen, von den kleinen Unternehmungen unterſchieden zu
werden, welche um den Feind zu ſchwaͤchen in Landkriegen
von kleine Partheyen, beſonders durch errichtete Freycorps,
in Seekriegen durch einzelne zum Kreuzen beſtimmte Kriegs-
ſchiffe oder Fregatten, inſonderheit aber durch Privatcaper
ins Werk geſetzt werden.
Wie in allen Gattungen von Gefechten, ſo ſind bey
Schlachten die Kriegsgeſetze theils in Anſehung des Gebrauchs
erlaubter Mittel, theils in Anſehung der Behandlung der
Ueberwundenen zu beobachten. Bleſſirte die auf dem
Schlacht-
[321]Gegenſeitige Rechte waͤhrend des Krieges.
Schlachtfelde liegen bleiben ſollen nicht ausgepluͤndert a),
hingegen die Todten nicht unbegraben gelaſſen werden. Wer
Meiſter des Schlachtfeldes geblieben iſt, hat das Recht fuͤr
die Verwundeten und Todten zu ſorgen, und nur wenn kei-
ner von beiden Theilen ſich in dieſer Eigenſchaft behaupten
kann b), wird zuweilen ein kurzer Waffenſtillſtand von 1
oder 2 Tagen gemacht, damit waͤhrend deſſelben jeder Theil
fuͤr ſeine Todten und Bleſſirten Sorge tragen koͤnne.
Eine Feſtung oder ein haltbarer Ort kann entweder
durch Ueberrumpelung, oder nach vorgaͤngiger Blockade (blo-
cus) oder foͤrmlicher Belagerung (ſiège), und in dem letzteren
Falle entweder durch Capitulation, oder im Sturm einge-
nommen werden.
Alle den Umſtaͤnden nach zur Einnahme oder Verthei-
digung einer Feſtung nothwendige, und nicht ſchlechterdings
wider das poſitive Voͤlkerrecht laufende Mittel koͤnnen aus
der Kriegsraiſon gerechtfertiget werden. Daher giebt es
Faͤlle, wo es von beiden Seiten erlaubt iſt die Vorſtaͤdte zu
zerſtoͤren und zu verbrennen, Bomben in die Haͤuſer, Ma-
gazine u. ſ. f. der Feſtung zu werfen, auch den Comendan-
ten zur Uebergabe bey Strafe der Verweigerung aller Capi-
tulation aufzufordern. Aber, wahre Nothfaͤlle ausgenommen,
iſt den Geſetzen des Krieges der Regel nach nicht gemaͤß,
das Geſchuͤtz gegen oͤffentliche oder Privatgebaͤude in der
Stadt zu richten a), ſondern dieß ſoll nur wider die Feſtungs-
werke geſchehn, wie auch in der Folge nur dieſe geſchleift,
oder ſonſt unhaltbar gemacht werden duͤrfen.
Schlechterdings wider das Voͤlkerrecht aber iſt es
den Commandanten einer Feſtung unter Bedrohung der
Todesſtrafe zur Uebergabe aufzufordern b).
Nach den Kriegsgeſetzen muß eine Feſtung oder halt-
barer Ort vor Anfang des Bombardements wenigſtens ein-
mahl zur Uebergabe aufgefordert werden a); oft werden
dieſe Aufforderungen zum Capituliren mehrmahls wieder-
holt, oder die Feſtung ſelbſt giebt ein Zeichen daß ſie zu
Capituliren begehre. In dieſen Faͤllen pflegen zum Be-
huf der Capitulation von der einen Seite Bevollmaͤchtigte
zur Abfaſſung und Unterzeichnung derſelben abgeſandt, von
der andren bis dahin Geiſſel gegeben zu werden. Koͤmmt
aber dieſe nicht zu Stande, es erfolget auch kein Entſatz,
und die Feſtung wird mit ſtuͤrmender Hand erobert, ſo
haben die Garniſon ſowohl als die Einwohner, da ſie ſich auf
Discretion ergeben muͤſſen, außer ihrem Leben nichts zu
fordern
[323]Gegenſeitige Rechte waͤhrend des Krieges.
fordern, und es iſt nicht wider die Kriegsgeſetze den Ort
der Pluͤnderung zu uͤbergeben, obgleich auch dieſer zuwei-
len bald Einhalt gethan wird.
Zu kleineren Kriegsunternehmungen in Landkriegen,
oder dem ſogenannten kleinen Krieg a), dienen inſonderheit
die Freycorps, obwohl zuweilen auch kleine Derachements
aus regulirten Regimentern dazu gebraucht werden. So-
bald dieſe Partheygaͤngerb) auf Befehl ihres Oberen und
den Kriegsgeſetzen gemaͤß verfahren, ſo iſt kein Zweifel,
daß ſie nicht als rechtmaͤßige Krieger zu behandeln ſeyn,
und die Zahl derſelben kann hieruͤber an ſich nichts ent-
ſcheiden. Da aber die Erfahrung gelehrt hat, daß die
Vertheilung derſelben in gar zu kleine Haufen oft fuͤr beide
Theile mit Nachtheilen verknuͤpft ſey, ſo iſt zuweilen von
den kriegfuͤhrenden Maͤchten durch Vertraͤge die Zahl feſt-
geſetzt unter der keine Parthey Cavalerie oder Infanterie
abgeſchickt werden ſolle c). Trifft der Feind ſie alsdenn in
kleineren Haufen an, ohne daß ſie beweiſen koͤnnen, daß ſie
durch Unfaͤlle ſo verringert worden, ſo iſt er befugt, ſie als
unrechtmaͤßige Feinde und ſo wie Marodeurs und Schnapp-
hahne (parti bleu) zu beſtrafen.
Außer den einzelnen Kriegsſchiffen und Fregatten
welche zum Kreuzen wider den Feind Auftrag erhalten,
pflegen die Seemaͤchte beym Ausbruche des Krieges durch er-
laſſene Proclamationen, Privatperſonen aufzumuntern, Schiffe
auf Caperey auszuruͤſten, und ſie desfalls mit mancherley
Privilegien zu verſehn. Wenn dieſe ſodenn, nachdem ſie
Caution beſtellt, mit Markbriefen (lettres de marque)
verſehn worden, und ſich theils den ihnen ertheilten In-
ſtructionen, theils uͤberhaupt den Kriegsgeſetzen gemaͤß be-
tragen, ſo iſt nicht nur der Feind ſchuldig ſie als recht-
maͤßige Feinde zu behandeln, ſondern wenn ſie dieſem
Schiffe oder Guͤter abgenommen haben, ſo werden ihnen dieſe
ohne Zulaſſung eines Loͤſegeldes, nachdem ſie zuvoͤrderſt ſel-
bige in den Haſen ihres Souverains, oder im Nothfall in
einen dritten Hafen eingebracht, auf angeſtellte Unterſu-
chung durch ein Urtheil des Admiralitaͤtsgerichts ihres Staats,
ganz, oder mit Abzug des dieſem letzteren zuſtehenden An-
theils, als gute Priſe zuerkannt, auch noch uͤberdies die in
den Caper-Verordnungen ausgelobten Premien bezahlt a).
Von der Abſchaffung dieſer in mancher Ruͤckſicht ſo verderbli-
chen Capereyen iſt verſchiedentlich, obwohl vergeblich ge-
handelt worden b).
Wer hingegen ohne Auftrag oder Erlaubniß des
Staats, auf Caperey ausgeht, iſt als Seeraͤuber zu be-
trachten, und ſoll billig von beiden Theilen nachdruͤcklich ge-
ſtraft werden.
Unter mancherley Vertraͤgen, welche die Feinde mit
einander zu Anfang des Krieges oder waͤhrend deſſelben ein-
gehn, treffen einige im allgemeinen die Art wie ſie ſich in
Anſehung des Krieges gegen einander betragen wollen.
Dieſe werden uͤberhaupt mit dem Nahmen Cartel belegt.
Sie enthalten zuweilen Beſtimmungen uͤber den Gebrauch
gewiſſer Waffen a), uͤber den Handel b), uͤber den Brief-
wechſel c), ſodenn uͤber Sauvegarden, Sicherheit der Trom-
peter u. ſ. f. d), inſonderheit aber, und am haͤufigſten Verab-
redungen wegen Auswechſelung und Ranzionirung der
Officiere und Soldaten e).
Solche Conventionen werden fuͤr den ganzen Krieg,
oder fuͤr gewiſſe Jahre geſchloſſen. Auf jeden Fall endigen
ſie wenn der Friede erfolget f).
Unter den beſondren Vertraͤgen wozu waͤhrend des
Krieges Veranlaſſung entſteht, gehoͤren zuvoͤrderſt die Ca-
pitulationen a), wodurch ein Corps Truppen b), eine Fe-
ſtung, eine Provinz c), unter gewiſſen Bedingungen dem
Feinde uͤbergeben wird. In dieſen pflegen außer den Be-
ſtimmungen welche die Truppen, ihren freyen Abzug, oder
ihre Kriegsgefangenſchaft, die Deſerteurs, die Waffen,
Kriegsmunition u. ſ. f. betrift, auch bey Uebergabe der Fe-
ſtungen und Provinzen Bedingungen uͤber das Staats-
und Privateigenthum, uͤber die Rechte und Verfaſſung der
Buͤrger u. ſ. f. gemacht zu werden, die nach den Umſtaͤn-
den mehr oder minder guͤnſtig ſind. Von andren Staats-
vertraͤgen ſind ſolche Capitulationen, theils in der Form d),
theils darin verſchieden, daß ſie auch ohne Ratiſication des
Staats verbindlich ſind, dafern nur der welcher ſie ſchloß
die Gewalt, die ihm anvertrauet war, nicht uͤberſchritt e)
und nicht von dem Feinde beſtochen war.
Beym Eindringen des Feindes pflegen auch wohl
mit einzelnen Orten und Diſtricten Contributionsvertraͤge
uͤber die Summe der zu erhebenden Kriegscontributionen,
uͤber
[327]Von Kriegsvertraͤgen.
uͤber die Termine der Bezahlung u. ſ. f. geſchloſſen, und
zu deren Sicherheit, Geiſſel gegeben zu werden.
Einzelnen Orten, Landguͤtern u. ſ. f. ertheilet auch
wohl der Feind auf Nachſuchen der Beſitzer Sauvegar-
den, deren es eine zwiefache Gattung giebt, 1) die Leben-
dige, welche aus einem oder mehreren Soldaten beſteht um
den Ort, allenfalls mit Gewalt, wider Streifereyen der
Truppen, Marodeurs und Geſindel in Schutz zu nehmen.
Fuͤr dieſe pflegt außer ihrer Freyhaltung und Beſchenkung,
noch etwas bezahlt zu werden, und wenn der vorige Lan-
desherr den Feind wieder verdraͤngt, ſo muß die Sauve-
garde unverletzt dem der ſie ertheilte, zuruͤckgeſchickt werden.
Weit minder wirkſam iſt 2) die Schriftliche; ſie beſteht in
einem von dem Chef des feindlichen Truppencorps ertheil-
ten Schutzbriefe a) oder in aufgepflanzten Pfaͤhlen mit In-
ſchriften, woraus erhellet, daß hier keine Gewaltthaͤtigkeit
geuͤbet werden ſolle.
Zuweilen werden durch Staatsvertraͤge der kriegfuͤh-
renden Maͤchte, einzelne dem einen Theil zugehoͤrige Pro-
vinzen fuͤr Neutral erklaͤret b), obwohl im uͤbrigen der
Krieg zwiſchen beiden fortgeſetzt wird.
Außer den Vertraͤgen wegen Einſtellung der Feind-
ſeeligkeiten auf einige Stunden oder Tage, wie ſie zuwei-
len zwiſchen einzelnen Truppencorps, inſonderheit bey Be-
lagerungen, oder nach gelieferten Schlachten eingegangen
zu werden pflegen, (ceſſation oder ſuſpenſion d’armes)
wird zuweilen auf laͤngere Zeit die Einſtellung der Thaͤt-
X 4lichkeiten,
[328]Achtes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
lichkeiten, in einem Waffenſtillſtands-Vertrage (trêve im
eigentlichen Sinne) verabredet. Solche Vertraͤge werden
entweder allgemein fuͤr die beiden kriegfuͤhrenden Maͤchte,
oder blos insbeſondere fuͤr einen Theil ihrer Kriegsmacht,
entweder fuͤr eine beſtimmte, oder fuͤr unbeſtimmte Zeit ein-
gegangen.
Allgemein entſteht aus jedem Waffenſtillſtands-Ver-
trage fuͤr die ſchlieſſenden Theile die Verbindlichkeit, ſich
waͤhrend deſſelben aller Gewaltthaͤtigkeiten und auch aller
derjenigen Kriegsunternehmungen zu enthalten, die blos
unter dem Schutz des Waffenſtillſtands ins Werk geſetzt
werden koͤnnten. Iſt der Waffenſtillſtand auf laͤngere Zeit
eingegangen, ſo iſt es dem Herkommen gemaͤß, das er
vor Anfang der Gewaltthaͤtigkeiten aufgerufen werde, und
wo hieruͤber in dem Vertrage nichts feſtgeſetzt waͤre, wird
eine dreytaͤgige Aufkuͤndigung fuͤr herkommlich gehalten.
Jeder Anfuͤhrer eines Truppencorps kann zwar fuͤr
dieſes die Einſtellung der Feindſeeligkeiten auf kurze Zeit
guͤltig verſprechen; ſoll aber ein Waffenſtillſtand auf lange
Zeit eingegangen werden, ſo wird dazu die Einwilligung
des oberſten Befehlshabers, ſoll er allgemein geſchloſſen
werden, die Einwilligung des Staats, oder die beſondere Voll-
macht deſſelben erfordert a). Wird ein ſolcher allgemeiner
Waffenſtillſtand auf mehrere Jahre b) eingegangen, ſo iſt
er oft von einem Friedensſchluſſe nur darinn verſchieden,
daß der Hauptſtreit unentſchieden bleibt, und nach Ablauf
des Waffenſtillſtandes um eben der Urſache willen die Waf-
fen wieder ergriffen werden koͤnnen, indeß uͤbrigens Handel
und Verkehr zwiſchen den Unterthanen, ſo wie durch Frie-
densſchluͤſſe hergeſtellt wird.
Da waͤhrend des Krieges der Regel nach, alles Ver-
kehr mit dem Feinde abgebrochen iſt, ſo war es nothwen-
dig gewiſſe Mittel einzufuͤhren um ſich ihm wieder naͤhern
und mit ihm in Verhandlungen treten zu koͤnnen. In
dieſer Ruͤckſicht ſind 1) gewiſſe Zeichen als Merkmahle an-
genommen, daß man die Einſtellung der Feindſeligkeiten
begehre und verſpreche, und unterhandeln wolle. Dahin
gehoͤrt das Aushaͤngen einer weiſſen Fahne von Seiten
eines belagerten Orts und die Antwort mit dem Trommel-
ſchlag aus den Tranchéen; das Abnehmen der Kriegs-
und Aufſtecken einer weiſſen Flagge in Seegefechten, als
ein Zeichen, daß das Schiff ſich ergeben wolle, 2) werden
ſtatt der ehemahls uͤblichen Herolde a) jetzt die Trompeter
und Tambour, wenn ſie an den Feind abgeſchickt wer-
den, und ihr gewoͤhnliches Zeichen geben, oder mit einem
beſondren Friedenszeichen verſehen ſind, als Friedensboten
betrachtet, die der Feind zwar abweiſen, aber nicht verletzen
darf, ſo lange ſie ſich nicht von ihren Pflichten entfernen b).
X 5Sie
[330]Achtes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
Sie dienen auch zur ſicheren Bedeckung fuͤr diejenigen, welche
dem Feinde zugeſchickt werden, um mit ihm zu unterhan-
deln u. ſ. f.; 3) ertheilet man Paͤſſec) und ſicheres Geleit
fuͤr diejenigen, welche der Feind in das feindliche Gebiet
oder Lager abſchicken will, um in Unterhandlungen zu treten.
4) Bedient man ſich oft dritter neutraler Maͤchte und ihrer
Geſandten, um dem Feinde das noͤthige wiſſen zu laſſen.
Vertraͤge welche mit dem Feinde eingegangen wor-
den, muͤſſen, wenn ſie uͤbrigens die Erforderniſſe guͤltiger
Vertraͤge haben, eben ſo heilig gehalten werden a), als die
welche in Friedenszeiten mit freundſchaftlichen Maͤchten ein-
gegangen werden. Denn wenn gleich ſonſt der Feind ſei-
nem Feinde deſſen Vertragsrechte ſo gut wie deſſen Be-
ſitzungen entziehn kann, ſo hat er doch in Anſehung der
fuͤr den Krieg b) eingegangenen Vertraͤge dieſem Recht
ſtillſchweigend entſagt, inſonderheit aber iſt er ſich ſelbſt es
ſchuldig, nicht von einem Vorwande Gebrauch zu machen,
durch welchen alle Wiedervereinigung mit dem Feinde wuͤrde
unmoͤglich gemacht werden. Auch wird dieſe Verbindlich-
keit in den Kriegen freyer Voͤlker von allen Maͤchten an-
erkannt c).
Wiefern auch die Verletzung eines Artikels derſelben
berechtige von dem ganzen Vertrage abzugehn, iſt nach
der allgemeinen Theorie der Vertragsrechte zu beurtheilen d).
Zur Sicherheit der geſchloſſenen Kriegsvertraͤge, zu-
weilen aber auch zur Sicherheit fuͤr die Beobachtung anderer
Puncte des Kriegsvoͤlkerrechts, werden oft Geiſſel a) dem
Feinde auf deſſen Begehren gegeben, oder mit Gewalt von
dieſem genommen b). Wider dieſe Geiſſelſchaft ſchuͤtzt kein
Stand, wohl aber, nach den Sitten civiliſirter Voͤlker, das
Geſchlecht c) und gewiſſermaßen das Alter.
Die mit Gewalt genommenen Geiſſel koͤnnen mit Ge-
walt dem Feinde wieder entriſſen werden, ob dies aber auch
von den Freywilligen gelte, ſcheint zweifelhafter. Entfliehen
die Geiſſel, ſo koͤnnen ſie von dem Feinde den Ueberlaͤufern
gleich geſtraft werden d).
Iſt der Zweck der Geiſſelſchaft erreicht, ſo muͤſſen die
Geiſſel entlaſſen und mit Paͤſſen verſehn werden, falls man
ſie nicht aus andren Urſachen zuruͤckbehalten kann e). Wird
aber dem Feinde das Recht gekraͤnkt, um deſſenwillen er
Geiſſel genommen hatte, ſo iſt es zwar erlaubt die Geiſſel
hart zu behandeln; aber ſie am Leben zu ſtrafen, erlaubt das
poſitive Voͤlkerrecht nicht f), dafern ſie kein Verbrechen be-
gangen haben, oder Repreſalien ſtatt finden.
Bey dem Ausbruch eines Krieges zwiſchen zweyen
Maͤchten, kann ein dritter Staat ſich veranlaſſet ſehn, An-
theil an ſelbigen zu nehmen, entweder weil er dazu kraft
der mit einem Theile geſchloſſenen Buͤndniſſe, oder des be-
ſondren mit ihm beſtehenden Verhaͤltniſſes verpflichtet iſt,
oder aus freyem Willen. Durch dieſe Theilnahme belei-
diget er in keinem dieſer Faͤlle das Voͤlkerrecht, ſofern er
eine gerechte Sache unterſtuͤtzt. Es entſtehn aber daraus
fuͤr ihn in einem zwiefachen Verhaͤltniſſe Rechte und Ver-
bindlichkeiten: 1) gegen den Staat mit welchem er ſeine
Kraͤfte vereiniget, 2) gegen denjenigen wider welchen er ſie
anwendet.
Durch Kriegsbuͤndniſſe koͤnnen zwey Maͤchte ſich ent-
weder 1) verpflichten gemeinſchaftlich gegen eine dritte Krieg
zu fuͤhren, oder 2) dem Mitcontrahenten in ſeinem Kriege
Beyſtand zu leiſten; beide Gattungen der Buͤndniſſe koͤn-
nen allgemein, oder nur fuͤr einen gewiſſen Fall, oder gegen
eine gewiſſe Macht eingegangen, vor oder nach Ausbruch
des Kriegs geſchloſſen, blos zur Vertheidigung oder auch
fuͤr Anfallskriege a) errichtet, fuͤr eine beſtimmte, oder un-
beſtimmte Zeit, oder fuͤr immer b) eingegangen werden.
Davon iſt noch 3) der Fall verſchieden, wenn ein Staat
dem andren nur eine Zahl Truppen zu ſeinem Dienſt ver-
miethet.
Aus der Verſchiedenheit dieſer Verbindlichkeiten iſt
bey eintretendem Falle zunaͤchſt die Frage zu beurtheilen,
ob der Alliirte zur Theilnahme verpflichtet, d. i. ob der
caſus foederis vorhanden ſey, ſodenn was von ihm ge-
fordert werden koͤnne. In Anſehung des erſten Puncts
kommt es nicht nur auf die Erklaͤrung und Anwendung des
Vertrags auf den vorliegenden Fall, ſondern auch darauf
an, ob nicht aͤltere Vertraͤge, oder eigenes Beduͤrfniß der
Verbind-
[334]Achtes Buch. Sechstes Hauptſtuͤck.
Verbindlichkeit des Vertrages entgegen geſetzt werden koͤn-
nen, und da jede Macht hierinn ihrer eigenen Einſicht
folget, ſo iſt nicht zu verwundern, wenn in einem ſo be-
denklichen Punct ſo oft entweder die begehrte Theilnahme
verweigert, oder aufgeſchoben, oder unvollſtaͤndig geleiſtet
wird a).
In gemeinſchaftlichen Kriegen zweyer Alliirten gegen
einen dritten Staat ſind jene, in dem was den Krieg be-
trifft, als eine Macht zu beurtheilen, es ſey von Fuͤhrung
des Kriegs, oder von Schlieſſung des Friedens die Rede. Da-
her muͤſſen ſie 1) die Operationsplane gemeinſchaftlich ver-
abreden a), es ſey daß ſie einen gemeinſchaftlichen Ober-
befehlshaber erwaͤhlen oder nicht 2) Beute und Eroberun-
gen die mit gemeinſchaftlichen Waffen gemacht worden ſind
unter ihnen zu theilen, und bey Schlieſſung eines Friedens
zum Vortheil beider in Anſchlag zu bringen b); 3) das
ius poſtliminii hat in Wiedereroberungsfaͤllen unter ihnen
gleichmaͤßig ſtatt c). 4) Kein Theil darf der Regel ſich
einſeitig fuͤr neutral erklaͤren, allgemeinen Waffenſtillſtand
oder Frieden ſchlieſſen, es waͤre denn, 1) daß ein wahrer
Nothfall ihn zwaͤnge, oder 2) der Alliirte ſeinen Pflichten
nicht nachgekommen waͤre, 3) der Zweck der Allianz gar
nicht mehr zu erreichen ſtuͤnde, oder 4) der Alliirte einen
billigen Frieden der ihm angeboten wird anzunehmen wei-
gerte. Vielweniger kann es daher erlaubt ſeyn, ſich mit
dem bisher gemeinſchaftlichen Feinde gegen den Alliirten
zu verbuͤnden.
Alle dieſe Pflichten flieſſen zwar ſchon aus der Natur
der Allianz von ſelbſt, doch pflegt uͤberdieß in den Kriegs-
buͤndniſſen ausdruͤcklich beſtimmt zu werden, daß man ſich
von dem Alliirten nicht trennen wolle.
In bloßen Huͤlfsbuͤndniſſen, dergleichen die mehreſten
Defenſiv-Alliirten ſind a), wird zuvoͤrderſt die erſte Huͤlfe
an Mannſchaft, Schiffen oder Geld b), feſtgeſetzt, ſodann
beſtimmt wie ſie im Nothfall vermehrt und endlich allenfalls
mit allen Kraͤften geleiſtet werden ſolle. Das Huͤlfscorps
wird 1) der Regel nach von dem der es ſendet auf ſeine allei-
nige Koſten c) unterhalten und ergaͤnzt. 2) Es iſt in dem
was die Kriegsoperationen angeht dem Willen des Oberbe-
fehlshabers der kriegfuͤhrenden Macht unterworfen d). 3)
Die Macht die es ſchickt hat keinen Theil an den Eroberun-
gen, obwohl den Truppen die Beute gleichmaͤßig mit denen
der kriegfuͤhrenden Macht uͤberlaſſen zu werden pflegt. Dieſe
hat auch 4) allein das Recht Frieden zu ſchließen e), doch
muß ſie die huͤlfleiſtende Macht mit darinn einſchließen; hin-
gegen darf dieſe ohne ihre Genehmigung f), außer in den
oben beruͤhrten Faͤllen, weder die Neutralitaͤt ergreifen, noch
Frieden ſchließen.
Bloße Subſidientractaten gehn der Regel nach a)
dahin, daß eine Macht gegen jaͤhrliche Subſidiengelder einen
Theil ihrer Kriegsmacht der andren, ſo lange der Vertrag
waͤhret zum Dienſt uͤberlaſſe b), wogegen dieſe ſie beſolden
und verpflegen, gemeiniglich auch ein gewiſſes fuͤr Werbegel-
der und fuͤr den Abgang bezahlen muß. Dieſe Truppen
ſind dem Befehl und der Diſpoſition der Macht die ſie in
ihren Dienſte nimmt unterworfen, ſofern keine Ausnahmen
feſtgeſetzt werden c). Uebrigens hat der Staat der dieſe
Truppen
[337]Von Alliirten, Huͤlfs- und Subſidien-Voͤlkern
Truppen vermiethet weder Theil an den Eroberungen d) noch
an dem Friedensſchluſſe e), und die Umſtaͤnde muͤſſen ent-
ſcheiden, wiefern es nothwendig ſey ihn in den Frieden mit
einzuſchließen.
Wer dem andren kraft einer Allianz oder eines Sub-
ſidientractats Huͤlfe leiſtet, kann begehren daß dieſer ihm
beyſtehe, wenn er um dieſes Vertrags willen in Gefahr
von dem Feinde kommt. Aber die Vergleichung des Ver-
luſts und der Eroberungen und das ius poſtliminii hat in
ſeiner ganzen Ausdehnung nur zwiſchen denen Staaten ſtatt,
die gemeinſchaftlich Krieg fuͤhren a). Daß uͤbrigens der
Alliirte in den Landen ſeines Alliirten gegen dieſen keine Ge-
Ywaltthaͤ-
[338]Achtes Buch. Sechstes Hauptſtuͤck.
waltthaͤtigkeiten uͤben und den Unterthanen wenigſtens das
angedeyhen laſſen muͤſſe, was ſogar neutrale Maͤchte fordern
koͤnnten, laͤßt ſich nicht bezweifeln.
Dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht nach wuͤrde eine
kriegfuͤhrende Macht alle diejenigen Staaten feindſeelig behan-
deln koͤnnen, welche kraft irgend eines Vertrags oder aus freyen
Willen die Macht des Feindes verſtaͤrken, waͤre es auch nur
um ſie zu noͤthigen ihre Huͤlfstruppen zuruͤckzuziehn a). Wie
aber ſchon darin ein Grund eines billigen Unterſchiedes liegt,
daß diejenigen welche kraft allgemeiner vor Ausbruch des
Kriegs geſchloſſener Vertraͤge die Tractatenmaͤßige Huͤlfe
leiſten, dadurch nicht die Abſicht dem Feinde zu ſchaden, ſon-
dern nur ihre Vertragsverbindlichkeit zu erfuͤllen an den Tag
legen, ſo hat inſonderheit die Politik, zu Einfuͤhrung eines
Grundſatzes Veranlaſſung gegeben, auf welchen die Maͤchte
als auf eine Vorſchrift des poſitiven Voͤlkerrechts ſich beru-
fen: daß nemlich nicht nur die Macht welche bloß kraft ge-
ſchloſſener Subſidientractaten einer andren Macht fuͤr Geld
einen Theil ihrer Kriegsmacht uͤberlaͤßt dadurch nicht Fein-
dinn des Staats werde, wider den die Voͤlker gebraucht wer-
den, vielmehr bloß die Huͤlfsvoͤlker feindlich behandelt wer-
den koͤnnen, ſondern auch daß diejenige Huͤlfsmacht (puis-
ſance auxiliaire) welche kraft allgemeiner, vor Ausbruch des
Kriegs geſchloſſener, Defenſiv-Allianzen die beſtimmte Trac-
tatenmaͤßige Huͤlfe zur Vertheidigung ihres Alliirten ſchickt,
ohne uͤbrigens directen Antheil an den Krieg zu nehmen,
nicht als Feindinn desjenigen zu behandeln ſey, wider den dieſe
Huͤlfe geleiſtet wird, und daß die mit dieſem geſchloſſenen Ver-
traͤge beſtehn b).
Es fehlt zwar nicht an Beyſpielen wo Maͤchte die kraft
der waͤhrend des Kriegs geſchloſſenen Buͤndniſſe, oder uͤber
die
[339]Von Alliirten, Huͤlfs- und Subſidien-Voͤlkern.
die Grenzen des Tractats hinaus, oder doch faſt mit allen ih-
ren Kraͤften Huͤlfe leiſten, und wohl gar durch ihren Beyſtand
die Haupturſache des Krieges oder der Fortſetzung deſſelben
geworden, noch auf jenen Grundſatz ſich berufen und auf die
Neutralitaͤt Anſpruch gemacht haben; aber dann kann bloß
die Politik den Feind veranlaſſen dieſer Neutralitaͤt ſtatt zu
geben c).
Fuͤhren endlich zwey Maͤchte gemeinſchaftlich gegen
eine dritte Krieg, ſo iſt kein Zweifel daß ſie beide feindlich
behandelt werden koͤnnen und muͤſſen, und in dieſen Faͤllen
pflegen auch die gegenſeitigen Kriegserklaͤrungen nicht unter-
laſſen zu werden.
Wenn man die Faͤlle ausnimmt in welchen ein Staat
entweder 1) kraft des beſonderen Bandes nach welchem er als
ein Theil einer der kriegfuͤhrenden Maͤchte anzuſehn iſt, wie
z. B. die Mitglieder eines Staatenſyſtems, oder die eines
zuſammengeſetzten Reichs a), oder 2) kraft eines ungleichen
Buͤndniſſes z. B. des Lehn- oder Schutzbuͤndniſſes einem der
kriegfuͤhrenden Theile Beyſtand leiſten muß, oder 3) aus
einem gleichen Buͤndniſſe verpflichtet iſt Theil an den Krieg zu
nehmen, ſo iſt bey Entſtehung eines Krieges zwiſchen zweyen
Maͤchten jeder dritte Staat berechtiget, ſein bisheriges freund-
ſchaftliche Verhaͤltniß gegen beide kriegfuͤhrende Theile fort-
zuſetzen, d. i. neurralb) zu bleiben; die kriegfuͤhrenden
Maͤchte ſind auch, ſo lange er die Pflichten der Neutralitaͤt
erfuͤllet, vollkommen verbunden ihn als eine neutrale Macht
zu behandeln.
Und da Kriege die Sache der Voͤlker, nicht der Per-
ſon der Souveraine ſind, ſo kann weder deren Verwand-
ſchaft mit einem der kriegfuͤhrenden Theile (ſie ſey eheliche c),
elterliche oder bruͤderliche u. ſ. f.), noch die bloß perſoͤnliche
Verbindung zweyer Staaten unter einem Oberhaupte (beide
Staaten, oder einer derſelben, moͤgen voͤllig ſouverain oder
abhaͤngig (halbſouverain) ſeyn) denjenigen der wider einen
dieſer Staaten Krieg fuͤhret berechtigen wider den andren, ſo
lange dieſer ſich neutral verhaͤlt, feindlich zu verfahren. Nur
wenn zwey Staaten in reeller Verbindung ſtehn, ſie ſey eine
gleiche
[341]Von der Neutralitaͤt.
gleiche oder ungleiche, hat keiner derſelben ein vollkommnes
Recht auf neutrale Behandlung des Feindes d), geſetzt auch
daß er ſich zu einem neutralen Betragen erboͤte.
Zu Beobachtung einer vollkommnen Neutralitaͤt wird
erfordert daß die neutrale Macht 1) ſich alles Antheils an
Y 3den
[342]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
den Kriegs-Unternehmungen enthalte, 2) in dem was den
kriegfuͤhrenden Maͤchten in Hinſicht des Krieges nuͤtzlich oder
noͤthig iſt ſich voͤllig unpartheyiſch betrage, und daher keiner
derſelben etwas zu geſtatten oder zu verweigern anfange,
was ſie nicht auch der andren geſtattet oder verweigert, mit-
hin gegen beyde ſich voͤllig gleich, oder doch ſo betrage, wie
ſie ſich in Friedenszeiten zu betragen gewohnt war a). So
lange ein Staat dieſe Pflichten beobachtet, hat er das Recht
zu verlangen, daß er von den kriegfuͤhrenden Theilen freund-
ſchaftlich behandelt, mit allen Gewaltthaͤtigkeiten verſchonet
und in den Genuß der Rechte nicht geſtoͤret werde die jeder
unabhaͤngigen Nation als ſolcher zuſtehn; die Ausnahmen
welche hier ſtatt haben koͤnnen, ſind bloß aus dem Nothrechte
herzuleiten.
Sobald hingegen eine neutrale Macht ſich in einem
Punct von dieſen Vorſchriften entfernt, wenn ſie gleich die
uͤbrigen noch beobachtet, ſo iſt ihre Neutralitaͤt unvollkom-
men, und daher ihr Recht der Neutralitaͤt, zwar noch nicht
immer in ſeinem ganzen Umfange erloſchen, aber beſchraͤnkt
(neutralité limitée).
Kein Staat iſt zwar genoͤthiget zum voraus, allge-
mein, oder den kriegfuͤhrenden Maͤchten zu erklaͤren, oder
zu verſprechen, daß er neutral bleiben wolle a); doch pflegen
neutral geſinnte Maͤchte nicht nur bey entſiehenden Kriege
ſolche Erklaͤrungen zur Richtſchnur fuͤr ihre Unterthanen zu
erlaſſen b), auch den kriegfuͤhrenden Maͤchten auf deren An-
frage hieruͤber [befriedigende] Antworten zu ertheilen, ſondern
oft iſt es auch nuͤtzlich mit einem oder beyden der kriegfuͤhren-
den Theile Neutralitaͤtsvertraͤge einzugehn. Durch ſolche
Vertraͤge kann auch theils ſolchen Staaten oder deren Thei-
len, die auf Neutralitaͤt kein vollkommnes Recht haben c),
ſelbige
[343]Von der Neutralitaͤt.
ſelbige zugeſichert, theils der Umfang der Rechte und Ver-
bindlichkeiten der Neutralitaͤt naͤher beſtimmt, erweitert oder
verenget werden, in welchem Falle eine Vertrags-Neu-
tralitaͤt (neutralité conventionelle) entſteht.
Vertraͤge der letzteren Art koͤnnen nicht bloß waͤhrend
des Kriegs, ſondern auch zum voraus in Friedenszeiten er-
richtet werden, und jetzt enthalten faſt alle Handelsbuͤndniſſe
Beſtimmungen welche ſich hierauf beziehn.
Die Rechte und Verbindlichkeiten neutraler Voͤlker
treten inſonderheit in Anſehung nachfolgender Puncte ein,
ſofern nemlich 1) von unmittelbarer Huͤlfleiſtung zum Beſten
der kriegfuͤhrenden Maͤchte, 2) von dem Betragen in Anſe-
hung des neutralen Gebiets, 3) von neutralen Guͤtern in
dem Gebiet kriegfuͤhrender Maͤchte, 4) von dem Handel
neutraler Voͤlker die Rede iſt, in Anſehung welcher Puncte
die Wichtigkeit des Gegenſtandes eine beſondere Eroͤrterung
des allgemeinen und des poſitiven Voͤlkerrechts erheiſcht.
Da zu Beobachtung einer vollkommnen Neutralitaͤt
zuvoͤrderſt erfordert wird, daß der neutrale Staat ſich alles
Antheils an den Kriegs-Unternehmungen enthalte, ſo darf
er zum Beſten einer der kriegfuͤhrenden Maͤchte, weder ſelbſt
Truppen, Schiffe oder Subſidien-Gelder a) ſchicken,
noch auch ſeinen Unterthanen einige Theilnahme an den Feind-
Y 4ſeelig.
[344]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
ſeeligkeiten zu Lande oder zu Waſſer geſtatten b). Und
wenn gleich nach unſrem heutigen Voͤlkerrecht der bloß huͤlf-
leiſtende Theil von demjenigen dem er die Huͤlfe leiſtet nicht
immer als Feind betrachtet wird, ſo kann doch ſeine un-
vollkommen beobachtete Neutralitaͤt ihm nicht den Genuß al-
ler der Rechte gewaͤhren, die nur der vollkommenen zuſtehn.
Da ein dritter Staat durch den Ausbruch eines Krie-
ges keines ſeiner Territorial-Rechte verliert, ſo iſt er 1) voll-
kommen befugt in Kriegs- wie in Friedenszeiten beiden krieg-
fuͤhrenden Theilen fuͤr ihre Truppencorps den Durchmarſch,
den Aufenthalt, folglich noch mehr die Beſetzung der Feſtun-
gen, Kriegsruͤſtungen, Werbungen u. ſ. f. zu unterſagen,
und zu Schuͤtzung ſeiner Rechte allenfalls ſie mit Gewalt
daran zu verhindern.
2) Er verletzet aber auch die Neutralitaͤt nicht, wenn
er beiden Theilen, oder demjenigen der darum nachſuchet,
den bewaffneten oder unbewaffneten Durchzug durch ſein Ge-
biet geſtattet, und ihn dabey derjenigen Rechte genießen laͤßt,
die entweder dieſer Durchzug weſentlich erfordert a), oder
uͤber welche er ſich mit ihm verglichen hat. Noch weniger
iſt er ſchuldig zu Beobachtung der Neutralitaͤt ſich dem
Durchzuge des einen Theils mit gewaffneter Hand entgegen
zu ſetzen. Es ſind endlich 3) Faͤlle gedenbar, wo ein Staat
der
[345]Von der Neutralitaͤt.
der hierinn eine Ungleichheit beobachtet dadurch die Pflichten
der Unpartheylichkeit nicht verletzet, wenn nemlich dieſe un-
gleiche Behandlung ſchon in Friedenszeiten beobachtet wurde,
oder in allgemeinen, vor Ausbruch des Kriegs geſchloſſenen,
Vertraͤgen ihren Grund hat.
Nur dann verletzt ein Staat die Neutralitaͤt wenn er
aus freyem Willen nach ausgebrochenem Kriege dem einen
Theile Durchmarſch und Werbungen geſtattet und dieſe dem
andren verweigert, oder dem einen Theile kriegeriſche Zuruͤ-
ſtungen, Anlegung oder Beſetzung der Feſtungen u. ſ. f. in
ſeinem Gebiet geſtattet, wovon nicht leicht gedenkbar iſt, daß
er ſie beyden Theilen zugleich erlauben wolle b).
So lange ein neutraler Staat die Pflichten der Neu-
tralitaͤt nicht verletzet, hat der Regel nach der kriegfuͤhrende
Theil kein Recht wider deſſen Willen ſein Land oder Seege-
biet zu beruͤhren, viel weniger in ſelbigem wider ſeinen Feind,
deſſen Unterthanen oder Guͤter Gewaltthaͤtigkeiten anzufan-
gen oder fortzuſetzen; er kann daher aus einem neutralen
Gebiet keine feindliche Guͤter hinwegnehmen, ohne die
vollkommnen Pflichten zu verletzen, die er gegen den Staat
unter deſſen Schutz ſie ſtehn zu beobachten hat.
Erſt dann wenn die Pflichten der Neutralitaͤt von die-
ſem verletzet worden, hat der kriegfuͤhrende Theil das Recht
wider den Willen des neutralen Staats mit bewaffneter
Macht in deſſen Gebiet einzudringen, um den Feind zu
ſchwaͤchen, zu verdraͤngen, und ſelbſt um Genugthuung an
Y 5den
[346]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
den neutralen Staat zu ſuchen. Nur ein wahres Nothrecht
kann uͤberdieß zuweilen den kriegfuͤhrenden Theil entſchuldi-
gen der durch ein Gebiet das ſich neutral betraͤgt wider deſſen
Willen den Durchmarſch nimmt, oder hier Zuflucht vor dem
Feinde ſuchet.
In einem ſo wichtigen Punct iſt die Praxis der Euro-
paͤiſchen Voͤlker nichts weniger als gleichfoͤrmig. Zwar er-
kennet man den Grundſatz an, daß 1) in einem neutralen Land-
oder Seegebiet keine Feindſeeligkeiten wider Guͤter des Fein-
des angefangen oder fortgeſetzt a), mithin auch feindliche
Guͤter aus einem neutralen Gebiet nicht weggenommen
werden duͤrfen. In ſehr vielen Vertraͤgen b) iſt auch aus-
druͤcklich feſtgeſetzt, daß ſolche Feindſeligkeiten weder began-
gen noch geduldet werden ſollen, die neutralen Maͤchte pflegen
uͤberdieß in ihren Neutralitaͤts-Verordnungen bey Ausbruch
eines Kriegs desfalls nachdruͤckliche Verfuͤgungen zu treffen c),
und wenn ſchon Verletzungen dieſer Art oft genug begangen
worden d), ſo geben doch die daruͤber gefuͤhrten Beſchwerden
und nicht ſelten ergriffene gewaltſame Maaßregeln ſowohl,
als die Entſchuldigungsgruͤnde zu welchen der Feind ſeine
Zuflucht nimmt, den Beweiß der Anerkenntniß jenes Grund-
ſatzes des Voͤlkerrechts. Eben daher aber, und da das
freundſchaftliche Verhaͤltniß der neutralen Macht unpartheyiſch
gegen beyde kriegfuͤhrende Theile fortgeſetzt werden muß, kann
dem kriegfuͤhrenden Theil der ſeine Beute in ein neutrales
Gebiet einfuͤhret dadurch ſein Recht auf ſelbige nicht entzo-
gen, und ſelbſt der Verkauf derſelben kann unbeſchadet der
Neutralitaͤt ihm geſtattet werden, falls nicht ein anderes in
Vertraͤgen feſtgeſetzt worden e). Man erkennt 2) den
Grundſatz an, daß ohne Erlaubniß ſelbſt der bloße Eintritt
und Durchmarſch der Truppen ſo wenig in Kriegs- als
in Friedenszeiten der Regel nach ſtatt finde; allein 3) das
Nothrecht welches hier Ausnahme macht, wird nicht ſelten,
zumahl
[347]Von der Neutralitaͤt.
zumahl gegen minder maͤchtige Staaten in ein weit ausge-
dehntes Convenienzrecht verwandelt f). 4) Jede Ungleich-
heit des Betragens einer neutralen Macht zum Vortheil
einer der kriegfuͤhrenden Maͤchte in Hinſicht des Durchmar-
ſches, Aufenthalts u. ſ. f. wird ohne Ruͤckſicht auf ihre Ver-
anlaſſung als hinreichend angeſehn, um uns zu berechtigen das
mit Gewalt uns zu verſchaffen, was dem Gegner geſtattet,
uns aber verweigert wird; nicht ſelten wird auch 4) die Gleich-
heit welche eine neutrale Macht gegen beyde Theile zu beobach-
ten ſucht als nur ſcheinbar angegeben und ihre Schritte ei-
ner wirklichen Partheylichkeit beſchuldiget, die entweder zur
Rechtfertigung eines Bruches, oder doch zu Beſchoͤnigung
der Verletzung ihrer Territorial-Rechte benutzt werden, und
daher iſt nicht zu verwundern, wenn ſo oft Staaten, denen
nichts erwuͤnſchter als die Beybehaltung des Friedens war,
der Schauplatz eines verheerenden Krieges geworden ſind.
Da ein Fremder in Hinſicht unbeweglicher Guͤter die
er in einem andren Lande beſitzt, Unterthan deſſelben iſt, ſo
kann der Feind zwar auch unbewegliche Guͤter neutraler Un-
terthanen in feindlichen Landen feindlich behandeln a); be-
wegliche Guͤter eines neutralen Unterthanen verlieren aber
dadurch ihre Neutralitaͤt nicht, daß ſie in Feindes Lande ſich
befinden, daher hat der Feind auf dieſe kein Recht, welcher
Grundſatz auch in Landkriegen, ſo weit es die Kriegsunru-
hen geſtatten, beobachtet wird b).
Zweifelhaft iſt es, ob nach dem allgemeinen Voͤlker-
recht, den Fall der aͤußerſten Noth ausgenommen, ein Staat
ſich es erlauben koͤnne, beym Ausbruch eines Krieges auf die
in ſeinem Seegebiet befindliche neutrale Schiffe Beſchlag
(Embargo) c) zu legen, um ſie gegen billige Bezahlung
eine Zeitlang fuͤr Geld zum Dienſt ſeiner Flotte zu gebrau-
chen d). Das Herkommen hat dieſes Recht eingefuͤhrt,
aber in den neueren Handelsvertraͤgen iſt es immer mehr
und mehr abgeſchaffet worden e).
In Anſehung des Handels a) hat zwar jede kriegfuͤh-
rende Macht das Recht 1) ihren eigenen Unterthanen allen
Handel mit dem Feinde zu verbieten, ſofern ſie dieß in aller
Ruͤckſicht rathſam findet. 2) Wenn ſie ſich feindlicher Pro-
vinzen bemaͤchtiget hat, auch hier in eben dem Maaße allen
Handel mit dem Feinde zu unterſagen, 3) ſofern ſie einem
feindlichen Ort, Feſtung, Hafen oder Lager dergeſtalt blok-
kirt hat, daß ſie im Stande iſt alle Zufuhr zu denſelben zu
hemmen, auch allgemein allen Handel mit dieſem Platze zu
unterſagen, und in allen dieſen Faͤllen auf die Verletzung ſol-
cher Verbote die Strafe der Confiſcation, der Guͤter, oder
Schiffe, oder auch Leibesſtrafe wieder diejenigen die dieſen
Handel treiben zu verhaͤngen, aber ein Recht den neutralen
Maͤchten den uͤbrigen Handel mit ihrem Feinde im allgemei-
nen zu unterſagen und auf die Fuͤhrung deſſelben die Strafe
der Confiſcation der Schiffe und Guͤter zu ſetzen, ſteht kei-
ner kriegfuͤhrenden Macht zu. Nur ſofern iſt ſie berechtiget
dieſen Handel zu hindern, als er entweder 1) eine Verletzung
der Pflichten der Neutralitaͤt enthaͤlt, oder 2) wahre Colli-
ſions-Faͤlle eintreten, in welchen ſie die Sorge fuͤr ihre
Selbſterhaltung den ſonſt vollkommen Pflichten gegen andere
vorzuziehn befugt iſt.
Wie eine neutrale Macht in Friedenszeiten das Recht
hatte jeder Nation die ihr den Handel geſtattete alle Gattun-
gen von Waaren zu verkaufen und zuzufuͤhren, ſo behaͤlt ſie
auch dieſes Recht nach Ausbruch des Krieges, ſo, daß ſie
nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht ihren Unterthanen geſtat-
ten darf alle Gattungen von Waaren, dieſe moͤgen fuͤr den
Krieg unbrauchbar ſeyn, oder zugleich, oder ausſchließlich fuͤr
dieſen gebraucht werden, beiden kriegfuͤhrenden Theilen oder
einem unter ihnen, mit welchem dieſer Handel am vortheil-
hafteſten fortgeſetzt werden kann, zuzufuͤhren, und ſie ver-
letzet dadurch der Regel nach die Neutralitaͤt nicht. Selbſt
durch Benutzung der Gelegenheit welche ihr der Krieg dar-
bietet einen neuen Zweig des Handels oder der Schiffarth fuͤr
ſich zu eroͤffnen, verraͤth ſie noch nicht immer feindliche Ge-
ſinnungen gegen den Staat fuͤr deſſen Feinde ſie die Zufuhr
geſtattet, da mehrentheils die bloße Gewinnluſt des Kauf-
manns die Triebfeder davon iſt.
Aber dann verletzt ſie die Pflichten der Neutralitaͤt
wenn ſie 1) den Handel mit Kriegsbeduͤrfniſſen mit dem ei-
nen kriegfuͤhrenden Theile erlaubt, mit dem andren aber ver-
bietet, oder 2) durch einen Vertrag verſprochen hatte, dieſe
Waaren dem Feinde des Mitcontrahenten nicht zuzufuͤhren,
und ſie ihm gleichwohl zufuͤhret; auch laſſen ſich als Aus-
nahme von der Regel außerordentliche Faͤlle gedenken, wo
das Erbieten beyden Theilen dieſen Handel zu geſtatten nur
den
[351]Von der Neutralitaͤt.
den Anſchein der Unpartheylichkeit, und der Handel nur das
Anſehen einer bloßen Privat-Angelegenheit haͤtte, in der
Wahrheit aber der Staat durch Geſtattung oder eigene Betrei-
bung dieſer Zufuhr eine Partheylichkeit zum Vortheil einer
der kriegfuͤhrenden Maͤchte an den Tag legte.
In dieſen Faͤllen der verletzten Neutralitaͤt wuͤrde die
kriegfuͤhrende Macht nicht nur zu Conſiſcation ſolcher Schiffe
und Guͤter neutraler Maͤchte und ihrer Unterthanen, ſondern
auch zu Verletzung anderer Pflichten und ſelbſt ſtuffenweiſe
zum Krieg wieder dieſe offenbaren oder verdeckten Anhaͤnger
ihres Feindes aͤußerlich berechtiget ſeyn.
Sofern aber eine neutrale Macht durch Verkauf oder
Zufuhr ſolcher Waaren die Neutralitaͤt nicht verletzet hat,
ſofern hat der kriegfuͤhrende Theil kein Recht die mit ſelbi-
gen beladenen, fuͤr offene Haͤfen des Feindes beſtimmten
Schiffe ſammt ihrer Ladung zu confiſciren; nur ſofern in ei-
nem jeden Kriege weſentlich nothwendig iſt, daß der Feind
nicht durch ſolche Guͤter die unſtreitig zum Gebrauch des Kriegs
beſtimmt ſind verſtaͤrkt werde, und ſofern es außerordentliche
Faͤlle giebt in welchen den beſondren Umſtaͤnden nach dem
Feinde eben ſo nothwendig iſt auch die Zufuhr ſolcher Waa-
ren die beydes fuͤr Krieger und friedliche Unterthanen noth-
wendig ſind, zu hemmen, ſofern hat er das Recht die damit
beladenen Schiffe anzuhalten, und mit Loßlaſſung und billiger
Entſchaͤdigung der Schiffe die Waaren entweder dem neutra-
len Eigenthuͤmer zu bezahlen, oder bis zu Endigung der Ge-
fahr oder des Kriegs zuruͤckzuhalten.
Iſt aber von Guͤtern die Rede, die ihrer Natur oder
den Umſtaͤnden nach nicht als Contrebande auzuſehn ſind, ſo
iſt zwar außer Zweifel, daß der Feind feindliche Schiffe und
Guͤter confiſciren koͤnne; da er aber kein Recht hat an einem
neutra-
[352]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
neutraler Ort Feindſeeligkeiten zu uͤben, ſo ſcheint es daß er
auch nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrecht nicht aus neutralen
Schiffen feindliche Guͤter dieſer Art wegnehmen duͤrfe a),
noch weniger darf er die Schiffe confiſciren; und da neutrale
Guͤter auch aus feindlichem Gebiet nicht geraubt werden duͤr-
fen, ſo darf er auch die auf feindlichen Schiffen geladene neu-
trale Guͤter nicht, ſondern die Schiffe allein ſich zueignen,
ſo daß nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrecht freyes Schiff,
freyes Gut, hingegen verfallenes Schiff, nicht verfalle-
nes Gut macht.
Entſteht endlich uͤber die Rechtmaͤßigkeit einer auf offe-
nen See gemachten Priſe ein Streit zwiſchen den Eigenthuͤ-
mern des Schiffs oder der Waaren und den Nehmern, ſo
hat nach dem aͤußeren Voͤlkerrecht keiner der beyden Souve-
raine ein ausſchließliches Recht ſich daruͤber eine Erkenntniß
anzumaßen, ſondern dieſer Streit ſollte als eine Angelegen-
heit zweyer Voͤlker entweder durch guͤtlichen Vergleich beyge-
legt, oder durch von beyden Theilen erwaͤhlte Richter entſchie-
den werden a).
Nach dem poſitiven Voͤlkerrecht aber haben manche
der bisher beruͤhrten Satze ihre veraͤnderte Beſtimmung er-
halten. So iſt es zwar auch nach dem poſitiven Voͤlkerrecht
erlaubt bey uns zu Hauſe jedem Einkaufer Waaren aller
Art, und ſelbſt Kriegsmunition zu verkaufen a). Hingegen
wird es allgemein in Europa fuͤr der Neutralitaͤt entgegen
angeſehn, Kriegscontrebande Waaren einer oder der andern,
oder beiden kriegfuͤhrenden Maͤchten zuzufuͤhren b). Was
Kriegscontrebande ſey, beſtimmen zunaͤchſt die unter den
Maͤchten vorhandenen Vertraͤge, welche zwar nicht voͤllig
gleichfoͤrmig das Verzeichniß derſelben entwerfen, mehren-
theils aber darin uͤbereinkommen, daß ſie nur ſolche Waaren
zur Contrebande zaͤhlen, welche gerade zu und ungezweifelt
fuͤr den Krieg beſtimmt ſind, wie Waffen c) und deren
Ladung, Soldaten, Pferde und deren Ruͤſtung, Kriegs-
ſchiffe; hingegen daß alle uͤbrige Gattungen von Waaren,
wenn ſie ſchon auch dem Feinde ſehr nuͤtzlich ſeyn koͤnnen,
wie Getraide, Wein und andre Lebensmittel, Schiffbau-
holz, Tauen, Maſten, Theer und andere Materialien zum
Schiffbau, baares Geld, auch ſelbſt Schwefel und Sal-
peter, entweder ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend fuͤr freye
Waaren erklaͤrt werden d), wie denn eben daher dieſe im
zweifelhaften Fall auch nach dem herkommlichen Recht fuͤr
frey zu erklaͤren ſind.
Ob aber eine kriegfuͤhrende Macht ſich, wie inſonder-
heit ſeit dem Ende des vorigen Jahrhunderts geſchehn iſt e),
erlauben koͤnne, zu Anfang des Kriegs einſeitige Declara-
tionen zu geben, und in dieſen die Zahl der Waaren die
ſie als Contrebande zu confiſciren oder doch aufzubringen und
gegen Bezahlung an ſich zu halten ſich genoͤthiget ſehe, zu
Zver-
[354]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
vervielfaͤltigen, laͤßt ſich, wenn man auch dieſe Verordnun-
gen nicht fuͤr Geſetze, ſondern fuͤr Warnungen an neutrale
Maͤcht ausgiebt, billig bezweifeln; am wenigſten kann dieß
zum Nachtheil derer geſchehn, die mit ihr Vertraͤge uͤber Con-
trebande Guͤter eingegangen ſind.
Wenn ſchwaͤchere neutrale Maͤchte ſich ſolchen Ver-
ordnungen unterwerfen, und dieſen gemaͤß Warnungen und
Verbote an ihre Unterthanen ergehen laſſen, ſo iſt dieſes
noch kein Beweis, daß ſie jenes Betragen fuͤr rechtmaͤßig
anerkennen.
Wenn eine neutrale Macht anerkannte Contrebande-
Guͤter dem Feinde zufuͤhrt, ſo haͤlt der Gegentheil ſich fuͤr
berechtiget dieſe Verletzung der Neutralitaͤt mit Confiſcation
dieſer Guͤter, und zuweilen ſelbſt der Schiffe zu beſtrafen.
Letzteres konnte vormals ſelbſt als Regel angeſehn werden,
das Schiff mochte ganz oder zum Theil mit ſolchen Guͤtern
beladen ſeyn. Jetzt iſt aber faſt in allen Handelsvertraͤgen
feſtgeſetzt a), daß dieſe Confiscation entweder gar nicht, oder
doch nur in gewiſſen Faͤllen b) ſtatt haben, hingegen der
Regel nach bloß die contrebande Guͤter confiſcirt, aber die
uͤbrige Ladung ſamt dem Schiffe losgegeben werden ſolle c).
Wo indeß keine Vertraͤge vorhanden ſind, da iſt noch
jetzt das Betragen der Europaͤiſchen Maͤchte in Anſehung
dieſes Puncts nichts weniger als gleichfoͤrmig.
Bey andren Waaren welche die kriegfuͤhrende Macht
zur eigentlichen Contrebande zu zaͤhlen ſich nicht getrauet,
erklaͤret ſie ſich zuweilen zu Bezahlung ihres Werths.
Daß aber blockirten Haͤſen, Laͤgern u. ſ. f. weder
Kriegsmunition noch andere Waaren, inſonderheit Lebens-
mittel zugefuͤhrt werden duͤrſen, wird nach dem Herkommen
und den Vertraͤgen ſo wenig als nach dem allgemeinen
Voͤlkerrecht bezweifelt, und in dieſen Faͤllen wird nicht nur die
Conſiscation des Schiffes ſamt den Guͤtern, ſondern auch
ſelbſt Leib und Lebensſtrafe gegen den der dieſen Handel vor-
ſaͤtzlich treibt verhaͤngt. Nur daß oft und auf mannigfaltige
Weiſe uͤber die Frage geſtritten wird, von welcher Zeit an
ein Hafen fuͤr blockirt zu achten ſey a); daß die bloß woͤrt-
liche Erklaͤrung einer kriegfuͤhrenden, oft noch ſehr entfernten
Macht dazu nicht hinreichen koͤnne, iſt in die Augen fallend.
Mit dieſen Ausnahmen hingegen iſt jetzt, nach einzel-
nen vergeblichen Verſuchen a) den neutralen Maͤchten allen
Handel mit dem Feinde zu unterſagen, der Grundſatz aner-
kannt: daß dieſen der Handel und die Schiffart nach allen
offenen feindlichen Plaͤtzen und Kuͤſten freyſtehe.
Da indeß eine kriegfuͤhrende Macht bey dem Anſchein
der neutralen Flagge eines ihr begegnenden Schiffes ſich
nicht
[357]Von der Neutralitaͤr.
nicht beruhigen kann, ſo iſt anerkannt, daß neutrale Schiffe
denen ein feindliches Kriegs- oder Caper-Schiff auf offener
See begegnet, ſich auf ein gegebenes Zeichen (ſemonce)
der Viſitation unterwerfen muß, die jedoch der Regel nach
auf die bloße Vorzeigung der Seebriefe b) ſich beſchraͤnken
ſoll, ſo daß nur dann, wenn dieſe verdaͤchtig befunden wer-
den, eine Durchſuchung des Schiffs Statt haben, auch falls
der Schiffer zu Abtretung der confiscablen Guͤter ſich er-
bietet, das Schiff ſamt der ubrigen Ladung an ruhiger Fort-
ſetzung der Reiſe der Regel nach nicht gehindert werden ſollte c).
In mehreren neueren Vertraͤgen iſt feſtgeſetzt, daß,
falls das Schiff unter Convoy faͤhrt, dem bloßen Ehrenwort
des commandirenden Officiers geglaubt, und alle fernere
Viſitation eingeſtellt werden ſolle d).
In Faͤllen in welchen ein Schiff, es ſey feindlich oder
neutral, auf offener See weggenommen worden, kann zwar
der Nehmer nicht ehr uͤber daſſelbe ein Eigenthumsrecht aus-
uͤben, bis er durch Urtheil und Recht eines Admiralitaͤts-
gerichts ihm zugeſprochen worden; das Herkommen und viele
Z 3Ver-
[358]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
Vertraͤge a) aber legen die Gerichtbarkeit in dieſen Streitig-
keiten ausſchließlich dem Souverain des Eroberers und ſogar
mehrentheils ſelbſt dann bey, wenn er mit ſeiner Priſe in
den Hafen einer dritten Macht einzulaufen ſich genoͤthiget
geſehn haͤtte b). Obwohl in dieſem Gericht der Eroberer
als Klaͤger erſcheint, ſo wird doch dem genommenen Schiff
als Beklagten der Beweis, daß die Nehmung unrechtmaͤßig
ſey auferlegt, hin und wieder ſogar nicht einmal jeder neue
Beweis zugelaſſen c), und obwohl hier die Entſcheidung
nicht nach den Landesgeſetzen, ſondern nach den Vertraͤgen
oder dem allgemeinen Voͤlkerrecht geſchehn ſoll d), ſo wird
doch der oft ſehr erhebliche Koſtenpunct nach den Landes-
geſetzen beurtheilt, und ſobald die Aufbringung des Schiffs
nicht ohne Schein war, der Aufbringer mit allen Koſten-
erſatz verſchont und wohl gar der Gegentheil in alle Koſten
verurtheilt e).
Ob aber feindliche Guͤter aus neutralen Schiffen weg-
genommen, und neutrale Guͤter auf feindlichen Schiffen ge-
laden ſamt dieſen confiscirt werden duͤrfen, daruͤber ſind nicht
immer in Europa gleiche Grundſaͤtze herſchend geweſen.
In aͤlteren Zeiten nahm man nach der Beſtimmung
des Conſolato del Mare a) an, daß allein auf das Eigen-
thum der Guͤter zu ſehn ſey, daß folglich feindliche Guͤter aus
neutralen Schiffen weggenommen werden duͤrfen, jedoch
neutrale Guͤter, obwohl auf feindlichen Schiffen geladen,
herauszugeben ſeyn. Da aber der erſtere Grundſatz fuͤr
neutrale Maͤchte aͤußerſt laͤſtig und eine Quelle mannigfal-
tiger Streitigkeiten wurde, nahm man in der Folge, inſon-
derheit in den ſeit dem 17ten Jahrhundert geſchloſſenen Ver-
traͤgen b) den entgegenſtehenden Grundſatz an, daß freyes
Schiff freyes Gut mache, verband jedoch damit auch um-
gekehrt den Grundſatz, daß verfallnes Schiff verfallnes Gut
mache, und dieſe Art des Verfahrens ward von den mehre-
ſten Maͤchten, ſelbſt gegen diejenigen Voͤlker beobachtet, mit
denen ſie keine Vertraͤge geſchloſſen hatten. Nur in einigen
Vertraͤgen ward die alte Regel beybehalten c) oder noch
eine andere feſtgeſetzt d), oder endlich die Frage unentſchie-
den gelaſſen e).
Da indeß theils Großbritannien in dieſem Jahrhun-
dert zu dem alten Grundſatze zuruͤckzukehren fuͤr rathſam
fand, auch ſonſt mannigfaltige Beſchwerden neutraler Maͤchte
uͤber das Verfahren der Kriegfuͤhrenden, inſonderheit in zu
weiter Ausdehnung der Liſte der Contrebande Guͤter und des
Begriffs eines blockirten Hafens erwuchſen, ſo ſah in dem
Brittiſch Amerikaniſchen Kriege Rußland, das damals neu-
tral war, ſich 1780 veranlaſſet a), ein Syſtem der Rechte
des neutralen Handels zu entwerfen, bey deren Genuß es
ſeine Unterthanen allenfalls mit gewaffneter Hand zu ſchuͤtzen
geſonnen ſey; machte dieſes den kriegfuͤhrenden Maͤchten
bekannt, und lud die neutralen Staaten ein ſelbigem bey-
zutreten, und ſich zu Aufrechthaltung einer bewaffneten Neu-
tralitaͤt gemeinſchaftlich zu verbinden b).
Dieſes Syſtem der bewaffneten Neutralitaͤt beruhet
auf folgende Grundſaͤtze: 1) daß feindliches Gut, nur mit
Ausnahme der Contrebande, auf neutralen Schiffen frey ſey.
2) Daß, wo Vertraͤge vorhanden, nur diejenigen Waaren
fuͤr Contrebande zu achten die in dieſen Vertraͤgen dafuͤr er-
klaͤret worden. 3) Daß neutralen Schiffen die freye Schiffart
nach den Haͤfen und Kuͤſten der kriegfuͤhrenden Maͤchte offen
ſtehe. 4) Daß nur derjenige Ort fuͤr blockirt zu achten,
den eine kriegfuͤhrende Macht mit ihren in der Naͤhe gela-
gerten Schiffen dergeſtalt umgiebt, daß man ohne augen-
ſcheinliche Gefahr in denſelben nicht einlaufen koͤnne. 5) Daß
nach dieſen Grundſaͤtzen uͤber die Rechtmaͤßigkeit der gemach-
ten Priſen zu erkennen ſey a).
Da nun die mehreſten damals neutralen Maͤchte dieſem
Syſtem in ihren Beytritts-Urkunden und Vertraͤgen, theils
mit Rußland theils unter einander a), mittelbar oder un-
mittelbar, nur mit den beſondren Modificationen beytraten,
die ans der Verſchiedenheit ihrer Vertraͤge mit einzelnen
der kriegfuͤhrenden Maͤchte nothwendig erwachſen muͤſſen b),
und unter den kriegfuͤhrenden Frankreich und Spanien ſich
beyfaͤllig erklaͤrten c), ſo ſahe Großbritannien d), obwohl
es dieſen Grundſaͤtzen bis auf den heutigen Tag nicht bey-
getreten iſt, ſich durch Vereinigung ſo vieler Maͤchte veran-
laſſet, denſelben gemaͤß ſich zu betragen e). Und wie ſchon
bey dem erſten Urſprunge dieſes Syſtems die erklaͤrte Abſicht
zum Grunde lag f), es auch in kuͤnftigen Kriegen zur
Baſis anzunehmen, auch ſeit dieſer Zeit viele der geſchloſ-
Z 5ſenen
[362]Achtes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck.
ſenen Handelsvertraͤge auf eben dieſen Grundſaͤtzen gebauet
ſind, wirklich auch in dem nachmaligen Kriege Rußlands
mit Schweden und der Pforte ſich bleibende Wirkungen
deſſelben geaͤußert haben g), ſo iſt zu hoffen, daß ſelbſt die
Schritte zu welchen Rußland in dem gegenwaͤrtigen Kriege
ſich veranlaſſet geſehn h), ein Syſtem nicht uͤber den Haufen
ſtoßen werden, deſſen wohlthaͤtiger Einfluß auf den neutra-
len Handel es allen friedlichen Staaten ſo theuer macht.
Nach der Theorie ſollte der Feind wenigſtens dann
dem Kriege ein Ende machen, wenn ihm ſeine Genugthuung
mit Inbegriff der Kriegskoſten und, wo er dieſe zu fordern
berechtiget iſt, auch Sicherheit fuͤr die Zukunft von dem
Feinde angeboten wird. Wie aber in der Praxis oft ſchwer
zu beſtimmen iſt, ob das was ihm angeboten wird allen
dieſen Gegenſtaͤnden Genuͤge leiſte, ſo entſcheidet gemeiniglich
Kriegsgluͤck und Politik die Frage, wie lange der Krieg
fortgeſetzt werde, ob die geſuchte Genugthuung noch weiter
verfolget, oder, ehe ſie erlangt worden, Friede geſchloſſen
werden ſolle.
Daß der Feind den Antraͤgen ſeines Feindes einen Frie-
den mit ihm zu verhandeln jederzeit Gehoͤr geben muͤſſe, laͤßt
ſich nicht ohne Ausnahmen behaupten. Uebrigens thut bald
der Feind ſelbſt, bald eine neutrale Macht die erſten Schritte
zu kuͤnftiger Wiedervereinigung. Und ſo werden auch die
Friedensunterhandlungen bald unmittelbar zwiſchen den krieg-
fuͤhrenden Maͤchten, bald mit Zuziehung eines dritten Staats
betrieben, der entweder bloß ſeine guten Dienſte (bona
officia) verwendet, oder mit Einwilligung beider Theile
zum Vermittler (mediateur) oder wohl gar zum Schieds-
richter (arbitre) angenommen wird. (§. 172.)
So koͤnnen auch die Verhandlungen entweder an dem
Hofe eines der Kriegfuͤhrenden Theile, oder eines neutralen
Staats, oder auch an einem dritten Ort gehalten werden.
Die Verſammlung der zu dieſem Ende abgeſandten Bevoll-
maͤchtigten wird Congreßa) genannt.
Zuweilen macht einer der kriegfuͤhrenden Theile einen
Punct dergeſtalt zur unumgaͤnglichen Bedingung einer kuͤnf-
tigen Friedensverhandlung, daß er nur wenn dieſer einge-
raͤumet worden ſich in Negotiationen einlaſſen will. Dieß
kann zu der erſten Gattung von Praͤliminair-Vertraͤgen
Anlaß geben a).
Soll ein Congreß gehalten werden, ſo muß Ort a)
und Zeit der Zuſammenkunft feſtgeſetzt, zuweilen uͤber die
Neutralitaͤt des Orts und der umliegenden Gegend, uͤber die
Sicherheit der Geſandten und ihrer Couriere, uͤber das Ce-
remoniel der Geſandten, uͤber ihre Bevollmaͤchtigung, uͤber
die Frage von welchen Maͤchten Geſandte auf den Congreß
zuzulaſſen ſeyn b) u. ſ. f. das noͤthige beſtimmt werden; und
auch dieſe Puncte koͤnnen zu einer zweyten Gattung von
Praͤliminair-Conventionenc) und ſelbſt zu Praͤliminair-
Congreſſen Anlaß geben.
Nach Ankunft der Geſandten auf dem Congreß und
der gewoͤhnlichen Bewillkommnung, werden, nachdem der
Tag zu Eroͤffnung des Congreſſes feſtgeſetzt worden, auf
dieſem zuvoͤrderſt die Vollmachten verleſen und in vidimirten
Abſchriften entweder unter den Geſandten ausgewechſelt, oder,
wenn ein Mediateur vorhanden iſt, dieſem uͤbergeben. So
werden auch die Conferenzen entweder unmittelbar unter den
Geſandten der kriegfuͤhrenden Maͤchte, oder mit dem Me-
diateur gehalten, es ſey an dem dazu beſtimmten oͤffentlichen
Ort, oder abwechſelnd bald in dem Hauſe des Vermittlers
bald
[366]Achtes Buch. Achtes Hauptſtuͤck.
bald in dem eines Geſandten der kriegfuͤhrenden Maͤchte,
in welchem Falle dem Geſandten des Vermittlers der Vor-
rang gebuͤhrt.
So werden theils muͤndlich theils ſchriftlich die Con-
ferenzen und Verhandlungen fortgeſetzt, bis man ſich im
Stande ſieht den Tractat zu unterzeichnen, oder nach ver-
geblichen Verſuchen erhellet, daß man nicht zum Zweck ge-
langen koͤnne und durch Zuruͤckberufung der Geſandten der
Congreß getrennt wird d).
Wird unmittelbar zwiſchen zweyen Hoͤfen uͤber den Frie-
den gehandelt, ſo pflegt man, da hiezu durch bloße ſchrift-
liche Correſpondenz nicht leicht zu gelangen ſteht a), Ge-
ſandte einander zu ſchicken. Dieſe werden 1) gemeiniglich
gegenſeitig und zu gleicher Zeit von beiden Theilen abgeſandt;
2) mit einer Vollmacht verſehn; 3) ſie uͤberreichen bloß
dem
[367]Von der Wiederherſtellung des Friedens.
dem Staatsſecretair ein Beglaubigungsſchreiben, da ſie nicht
desfalls zur Audienz gelaſſen zu werden pflegen; 4) ſie werden
zum voraus mit den noͤthigen Paͤſſen von dem Feinde verſehn,
deſſen Gebiet ſie betreten ſollen. Uebrigens genießen ſolche
Geſandte aller geſandſchaftlichen Vorrechte, die ihnen in
Friedenszeiten zukommen wuͤrden. Sie treten mit dem
Staatsſecretair oder mit einem Vermittler in Conferenzen,
die ſie fortſetzen bis der Friede gezeichnet wird, oder ſie
zuruͤckberufen oder ausgeſchafft werden.
Wenn man in Anſehung aller Friedenspuncte unter
allen Maͤchten welche daran Theil nehmen ſollen einig iſt,
ſo hindert nichts ſofort einen Definitivfrieden zu ſchließen.
Wenn man aber zwar in Anſehung der Hauptpuncte einig
iſt, aber in Anſehung ein oder anderen Nebenpuncts, der
gleichwohl nicht wichtig genug ſcheint, um desfalls den Krieg
fortzuſetzen oder die Waffen wieder zu ergreifen ſich noch
nicht vereinbaren kann, aber kuͤnftig noch ſich zu vergleichen
hoft, ſo entſteht die Veranlaſſung zu Schließung eines
Praͤliminair-Friedens-Tractatsa). Solche Friedens-
Inſtrumente werden zuweilen nur ganz kurz mit Beruͤhrung
bloß der weſentlichen Puncte in Form einer Punctation, bald
ausfuͤhrlich mit dem gewoͤhnlichen Eingange und den herge-
brachten Clauſuln und Erweiterungen eines foͤrmlichen Defi-
nitivtractats abgefaßt, und in b [...]iden Faͤllen ſo wie der Friede
unter-
[368]Achtes Buch. Achtes Hauptſtuͤck.
unterzeichnet und ratificirt. Nach erfolgter Ratification ſind
ſie verbindlich und wuͤrden es bleiben, ſelbſt wenn kein De-
finitivtractat darauf erfolgte; es waͤre denn daß ein anderes
verabredet und dadurch der Praͤliminair-Friede fuͤr ein bloßes
Project erklaͤret worden waͤre.
Nach Abſchließung dieſes Praͤliminair-Friedens arbei-
ten die Geſandte an eben demſelben oder einem andern dazu
beſtimmten Ort an Wegraͤumung der noch uͤbrigen Anſtaͤnde,
damit der Definitiv-Friedensſchluß moͤge geſchloſſen und
unterzeichnet werden koͤnnen.
In einem jeden Friedensſchluſſe kann man die allge-
meinen Artikel die faſt in allen Friedensſchluͤſſen auf aͤhnliche
Weiſe gefaßt werden, von den beſondren unterſcheiden die
jedem Friedensſchluſſe eigen und nicht leicht einer Verglei-
chung faͤhig ſind.
Nach Anrufung des goͤttlichen Nahmens a) folgt die
allgemeine Einleitung, worin nebſt der Veranlaſſung zu
dem Tractat, der verſamleten Geſandten und ihrer Vollmach-
ten Erwaͤhnung geſchieht; hierauf pflegen zunaͤchſt die allge-
meinen Artikel den Anfang zu machen, welche die Wieder-
herſtellung des Friedens und der Freundſchaft b), die Ein-
ſtellung der Feindſeligkeiten c), die Aufhebung der noch
ruͤckſtaͤndigen Kriegscontributionen, die Auswechſelung oder
Loßlaſſung der Gefangenen, die allgemeine Amneſtied)
oder Vergeſſenheit des vergangenen, welche ſich nicht nur
auf den Feind, ſondern auch auf deſſen Alliirte und auf unſere
eigene Unterthanen und Vaſallen erſtreckt, die Herſtellung
des Handels, Briefwechſels u. ſ. f. betreffen.
Auf dieſe folgen die beſondren und eigentlichen Haupt-
artikel des Friedens, in welchen nebſt Beſtaͤdtigung derje-
nigen aͤlteren Vertraͤge und Friedensſchluͤſſe, welche dem
gegenwaͤrtigen zur Grundlage dienen, billig alle diejeni-
gen Streitpuncte entſchieden werden ſollen, welche zu dem
Kriege Veranlaſſung gegeben, oder durch das Schickſal
des Krieges ſelbſt in Anregung kommen e). Der ſchwie-
rigſte Punct iſt gemeiniglich der der gegenſeitigen Beſitzungen
in Anſehung deren man entweder 1) den Beſitzſtand zum
Grunde legt, entweder den ſtatus quo ſtrict d. i. den Be-
ſitzſtand beider Theile zur Zeit des Ausbruches des Kriegs,
oder das vti poſſidetis d. i. den Beſitzſtand beider Maͤchte
es ſey zur Zeit des Friedensſchluſſes, oder zu gewiſſen
feſtgeſetzten Zeiten, vor dem Friedensſchluſſe (vti poſſide-
batis) oder nach Schließung deſſelben (vti poſſidebitis).
Dieſe verſchiedene Grundlage verhindert jedoch nicht, daß
man ſich als Ausnahme von derſelben in einzelnen Puncten
gewiſſer Compenſationen vergleiche; oder 2) man waͤhlt den
Weg der allgemeinen Compenſationen auf welchem man
ohne Ruͤckſicht auf den Beſitzſtand ſich daruͤber vergleicht,
was jeder abtreten und was er dagegen abgetreten oder ein-
geraͤumt erhalten ſolle.
Den Beſchluß macht der Artikel welcher die Zeit und
zuweilen auch den Ort der Auswechſelung der Ratificationen
enthaͤlt.
Jetzt ſucht man ſo viel moͤglich den Schwierigkeiten
auszuweichen, welche ehemals ſo haͤufig uͤber die Unter-
zeichnung der Tractaten entſtanden, und bedient ſich ent-
weder auf verſchiedene Weiſe der Alternation a) oder der
Proteſtationen und Reverſe, ſo lange der Ceremonial-Punct
unentſchieden bleibt b); die Unterzeichnung und Beſieglung,
wie auch die Auswechslung der Ratificationen geſchieht ent-
weder in der Stille, oder mit Feyerlichkeit, in welchem letzte-
ren Falle noch zuweilen die bevollmaͤchtigten Miniſter den
Character als Botſchafter annehmen, um mit mehrerem
Glanze die Unterzeichnung oder Auswechſelung zu vollziehn.
Zuweilen werden einem Friedensſchluſſe aus verſchie-
denen Gruͤnden Separat-Artikel angehaͤngt, aber ausdruͤck-
lich fuͤr eben ſo verbindlich als das Haupt-Inſtrument er-
klaͤret, und wie dieſer unterzeichnet. Dieſe Separat-Artikel
ſind von zwiefacher Gattung: Einige enthalten Hauptpuncte
welche auf den Frieden ſelbſt und deſſen Vollziehung Bezug
haben, und ſind entweder oͤffentliche oder geheime. Andere
haben die Eigenſchaft eines bloßen Vorbehalts, und betreffen
inſonderheit theils die in dem Friedens-Inſtrument ge-
brauchten Titel, daß nemlich wenn dieſe etwa nicht allge-
mein anerkannt werden, aus deren Zulaſſung kein Recht fuͤr
die Zukunft folgen ſolle, theils die Sprache deren man ſich
in dem Friedens-Inſtrument bedient hat. Da nemlich in
neueren Zeiten die Franzoͤſiſche Sprache auch in Friedens-
ſchluͤſſen haͤufig in die Stelle der Lateiniſchen getreten, in der
ſonſt Voͤlker von verſchiedenen Zungen zu ſchließen pflegen,
ſo hat man es inſonderheit in den Vertraͤgen an welchen
Frankreich Antheil nimmt fuͤr rathſam gefunden, ſich zu ver-
wahren, daß daraus fuͤr die Zukunft keine Schuldigkeit ge-
folgert werden ſolle a).
Wenn mehr als zwey Maͤchte an einem Kriege directen
Antheil genommen haben, folglich auch als Hauptfriedens-
ſchließenden Theile zu dem Frieden concurriren muͤſſen ſo
iſt moͤglich, daß 1) jeder fuͤr ſich ſein Hauptfriedens-Inſtru-
ment mit ſeinem Gegner errichte, aus welchem ſodann die
uͤbrigen weder Rechte noch Verbindlichkeiten erlangen, dafern
hieruͤber nicht ausdruͤcklich etwas feſtgeſetzt worden; oder
2) ein gemeinſchaftliches Haupt-Inſtrument errichtet werde
in Anſehung deſſen ein jeder als Hauptcontrahent anzuſehn
iſt; oder 3) daß eine dieſer Maͤchte dem von den uͤbrigen
zugleich fuͤr ſie geſchloſſenen Hauptfrieden als Hauptcontrahent
beytrete a), wodurch ſie alle Rechte und Verbindlichkeiten
erlangt, die ſie durch unmittelbare Unterſchrift des Haupt-
Inſtruments wuͤrde erlangt haben.
Aber auch von ſolchen Maͤchten die keinen directen
Antheil an dem Kriege genommen, ſondern entweder bloß
als huͤlfleiſtende Theile Truppen u. ſ. f. geſandt, oder ſonſt
bey dem Gegenſtande des Kriegs oder dem Frieden ein In-
tereſſe haben, kann auf mannigfaltige Weiſe in einem Frie-
densſchluſſe die Rede ſeyn.
Es iſt moͤglich 1) daß einer der Hauptcontrahenten zu
ihrem Beſten etwas in dem Friedensſchluſſe ſtipulirt, ent-
weder ſo, daß ſelbige in dem Frieden mit eingeſchloſſen
werden (comprehenſi), ſo daß Friede und Freundſchaft ſich
auf ſie mit erſtrecken, ohne daß ſie dadurch uͤbrigens die
Rechte und Verbindlichkeiten eines Hauptcontrahenten er-
halten b), oder ſo daß einzelne Puncte in dem Frieden zu
ihrem
[373]Von der Wiederherſtellung des Friedens.
ihrem Vortheil beſtimmt werden c), da es denn in beiden
Faͤllen einer foͤrmlichen Acceptation an ihrer Seite der Regel
nach nicht bedarf. 2) Koͤnnen einem Hauptfriedens- In-
ſtrument Separat-Conventionen angehaͤngt, und fuͤr einen
Theil deſſelben erklaͤrer werden, wenn die Macht mit welcher
ſie errichtet worden als Hauptcontrahent [des Friedensſchluſſes]
nicht wohl betrachtet werden konnte d). 3) Koͤnnen dritte
Maͤchte zum Beytritt e) eingeladen werden, es ſey um in
den Frieden einzuwilligen, wo dieß erfordert wird, oder
ehrenhalber, um ihre Zufriedenheit mit ſelbigem zu bezeugen,
in welchen beiden Faͤllen ſie durch ihren Beytritt den Frieden
zwar genehmigen, jedoch keineswegs Hauptcontrahenten des-
ſelben werden.
Endlich 4) giebt es Faͤlle da Maͤchte zu Wahrung
ihrer Gerechtſame wider einen Friedensſchluß oder einzelne
Artikel deſſelben eine feyerliche Verwahrung (Proteſtation)
einlegen und den Hauptcontrahenten einhaͤndigen f).
So oft eine Macht beytritt, es geſchehe dieß als Haupt-
contrahent, oder um ihre Einwilligung oder ihre Zufrieden-
heit zu bezeugen, fertiget ſie eine eigene Beytritts-Urkunde
[...] [...] welcher eine Abſchrift des ganzen Friedens-Inſtru-
ments eingeruͤckt wird, worauf die Hauptcontrahenten dage-
gen eine Acceptations-Urkunde, welche den Friedensſchluß
ſamt dem Beytritt enthaͤlt, ausfertigen.
Auf die eingereichten Proteſtations-Urkunden dritter
Maͤchte wird gemeiniglich durch eine Gegenproteſtations-
Urkunde geantwortet.
Endlich werden zuweilen dritte Maͤchte erſuchet die
Garantie a) des Friedensſchluſſes zu uͤbernehmen. Dieſe
iſt entweder, wie gewoͤhnlich allgemein zum Beſten aller
Contrahenten b), und fuͤr den ganzen Friedensſchluß, oder
beſonders zum Vortheil eines Contrahenten, oder in Hinſicht
ein oder andern Artikels. Sie wird in der Hauptſache in
eben der Form wie die Beytritts-Urkunden ausgefertiget
und durch eine Acceptations-Urkunde erwidert.
Nach der Natur der Garantie verpflichtet ſich der
Garant, demjenigen beyzuſtehn, fuͤr welchen er dieſe uͤber-
nommen, wenn er ihn im Fall einer Verletzung des Tractats
zum Beyſtand auffordert. Sie kann ſich daher auch nur
auf Verletzungen erſtrecken, welche demjenigen Schuld gege-
ben werden, wider den die Garantie uͤbernommen worden c).
Auch giebt ſie dem Garant kein Recht der mit Bewilligung
der Contrahenten vorzunehmenden Abaͤnderung des Tractats
ſich zu widerſetzen; nur daß alsdann die Verpflichtung des
Garants erliſcht.
Wenn der Friedensſchluß unterzeichnet, von den Sou-
verainen in eigenhaͤndig unterzeichneten Urkunden ratificirt,
und die Ratificationen ausgewechſelt worden, ſo bleibt nur noch
der leichte Punct der Bekanntmachung, und der ſchwere der
Vollziehung deſſelben uͤbrig. Jene pflegt mit Feyerlichkeit
theils an der Spitze der Armeen, theils in der Reſidenz und
andren Orten zu geſchehn. Die Vollziehung des Friedens
leidet dann am mehreſten Schwierigkeit, wenn es auf die
Abtretung ſolcher Provinzen und Gerechtſame ankommt, in
deren Beſitz der Erwerber ſich noch nicht befindet; auch die
Raͤumung der vormals feindlichen Provinzen hat ſchon oft
Anſtand veranlaſſet; ſie kann nur ſtuffenweiſe von beiden
Seiten begehret werden. Oft giebt dieß noch Veranlaſſung
zu eigenen Friedensexecutions-Congreſſen und Executions-
Receſſen a); gluͤcklich wenn mindeſtens auf dieſe Weiſe der
Saame zu kuͤnftigen neuen Kriegen unterdruͤckt werden kann.
Die urſpruͤnglichen Rechte der Voͤlker ſind ſo unzertrenn-
lich mit dem Weſen derſelben verknuͤpft, daß ein Volk ſelbige
nicht in ihrer ganzen Ausdehnung verlieren kann, ohne auf-
zuhoͤren ein freyes Volk zu ſeyn; aber es kann Theile dieſer
Rechte durch Vertraͤge zum Beſten eines anderen Staats
aufopfern, oder ſich einſchraͤnken laſſen; auch koͤnnen Ver-
letzungen deſſelben berechtigen dieſe zu kraͤnken.
Rechte welche eine Nation durch Occupation erworben
hat, koͤnnen fuͤr ſie wie fuͤr Privatperſonen verloren gehn
1) durch den Untergang des Gegenſtands derſelben; 2) durch
Dereliction, ſo fern dieſe mit hinreichenden Zeichen der Ab-
ſicht nicht mehr Eigenthuͤmer zu ſeyn verbunden iſt; 3) durch
Uebertragung auf einen andern. Wiefern aber 4) der bloße
unwillkuͤhrliche Verluſt des Beſitzes, die entferntere Hofnung
zu demſelben wieder zu gelangen, der bloße Nichtgebrauch
den Verluſt ſolcher Rechte nach ſich ziehn koͤnne, iſt aus dem
zu beurtheilen was oben von den Gruͤnden des Eigenthums
(§. 29 u. f.) und von der Verjaͤhrung bemerkt worden.
Wiefern Vertragsrechte erloͤſchen oder aufgehoben wer-
den koͤnnen, iſt zwiſchen Voͤlkern nach eben den Grundſaͤtzen
wie zwiſchen Privatperſonen zu beurtheilen.
Der Vertrag erliſcht wenn die reſolutoriſche Bedingung
eintritt, oder die beſtimmte Zeit abgelaufen iſt, dafern nicht
derſelbe entweder ausdruͤcklich, oder ſtillſchweigend erneuert
oder verlaͤngert wird.
Eine gaͤnzliche Veraͤnderung derjenigen Umſtaͤnde, welche
den Grund des Vertrags enthalten, macht den Vertrag
unverbindlich, obwohl wenn ſie durch Schuld des einen Theils
ſich zugetragen, dafuͤr oft von dem andern Entſchaͤdigung
gefordert werden kann. Eben dieß tritt ein, wenn der Ge-
genſtand des Vertrags aufhoͤret zu ſeyn, oder veraͤndert wird.
Daß auch eine Verbindlichkeit durch Erfuͤllung derſelben er-
loͤſchen koͤnne leidet keinen Zweifel.
Mit gegenſeitigen Willen der Contrahenten, er ſey
ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend erklaͤret, kann zwar jeder
Vertrag aufgehoben werden, aber einſeitig hat der Regel
nach kein Theil das Recht von einem guͤltigen und verbind-
lichen Vertrage abzugehn. Nur dann kann er es, wenn
entweder ſeine Selbſterhaltung es erfordert, oder der Gegen-
theil zuerſt von dem Vertrage abging. Nicht jede Ver-
letzung eines Artikels a) eines Vertrages berechtiget den
Gegentheil ſofort von dem Vertrage abzugehn, ſie giebt ihm
nur zunaͤchſt das Recht auf die Erfuͤllung des Vertrags zu
dringen, oder ihn in ſo weit zu verletzen, als es zu ſeiner
Genugthuung nothwendig iſt. Da aber alle Hauptartikel
eines Vertrags in einer natuͤrlichen Verbindung ſtehn, nach
welcher unabhaͤngig von ihrem Inhalt jeder die Erfuͤllung
der uͤbrigen zur Bedingung hat, ſo kann der Verletzte ſtuffen-
weiſe bis zur Aufkuͤndigung des ganzen Vertrags gehn, falls
er nicht auf dieſes Recht Verzicht geleiſtet hat (§. 260. c).
Wird von mehreren Vertraͤgen einer verletzt, ſo hoͤren
zwar dadurch die uͤbrigen nicht ſofort auf verbindlich zu ſeyn,
es iſt auch weit nicht immer zwiſchen ihnen eben die Verbin-
dung, die zwiſchen mehreren Artikeln ein und deſſelben Ver-
trags beſteht. Da aber der beleidigte Theil das Recht hat
dem andren ſo viel vollkommene Rechte zu kraͤnken als ſeine
Genugthuung erheiſcht, ſo kann eine Macht wegen der Ver-
A a 5letzung
[378]Neuntes Buch. Von dem Untergange ꝛc.
letzung eines Vertrags auch auf den Fuß der Repreſalien einen
anderen Vertrag brechen und ſeinen Mitcontrahenten ſelbſt
aller aus anderen Vertraͤgen herfließenden Rechte berauben.
Vertraͤge die zwiſchen mehreren Contrahenten geſchloſſen
worden, hoͤren dadurch daß ein Theil ſich von ſelbigen ent-
fernt nicht auf fuͤr die uͤbrigen Mitglieder verbindlich zu
ſeyn, ſo lange dieſe noch zu deren Erfuͤllung faͤhig bleiben.
Was von der Art ausdruͤckliche Vertraͤge zu endigen
geſagt worden, gilt auch von wahrhaft ſtillſchweigenden Ver-
traͤgen (§. 58) da nicht die Art der Erklaͤrung des gegen-
ſeitigen Willens, ſondern die Gewißheit deſſelben die Ver-
bindlichkeit der Vertraͤge beſtimmt.
Sofern endlich von bloßen Gewohnheitsrechten die
Rede iſt, ſo behaͤlt jede Macht das Recht ſie einſaitig auf-
zuheben, wenn ſie nur zeitig ihre Abſicht ausdruͤcklich oder
ſtillſchweigend zu erkennen giebt; daß noch vielmehr mit ge-
genſeitiger Bewilligung der Voͤlker Gewohnheitsrechte auf-
gehoben und abgeaͤndert werden koͤnnen leidet keinen Zweifel.
Nach der natuͤrlichen Unabhaͤngigkeit der Voͤlker aber koͤnnen
ſolche Veraͤnderungen, welche von einigen Maͤchten beliebt
werden, die uͤbrigen zu einer gleichen Abaͤnderung nicht
noͤthigen, dafern nicht die bisherige Gewohnheit dem ſtrengen
aͤußeren Voͤlkerrecht entgegen, und daher als unerlaubt und
beleidigend zu betrachten iſt a).