Adelaide St. Alban

An einem trüben, naßkalten Novembertage stand der Prediger Werner an seinem Fenster, und schaute nachdenkend hinaus in die weite Gegend, die der Herbst verödet hatte. Der Himmel war, wie mit grauem Flor bedeckt; die Erde alles jugendlichen Schmuckes beraubt – und wie schwermüthige Erinnerungen an eine bessere Zeit, wehte das welk herabgesunkene Laub, von feuchter Luft bewegt, umher.

An solchen Tagen durchdringt der Besitz oder die Entbehrung häuslichen Glücks tiefer als jemals das Herz, das fähig ist, seinen Werth zu empfinden. Die Natur, die in jeder anderen Jahreszeit freundlich ihre Mutterarme öffnet, scheint sie da erstarrt von uns abzuziehen. Sie lächelt nicht im Glanze der Auferstehung, wie im Frühling, wo alles neu belebt sich aus der Erde drängt; nicht in der Fülle ihres Reichthums, wie im Sommer, wo sie [142] den Ueberfluß ihrer bunten Gaben vor uns ausgießt; nicht wie im Anbeginn des Herbstes, den Milde noch bezeichnet. Ernst und schauerlich scheint sie, wie ein weites Grab, alles zu verschlingen, was sie an ihrem mütterlichen Busen nährte, und der Todesschlaf, in den sie versinkt, mahnt den Menschen an den eigenen, der ihm bevorsteht, und heftet ihn inniger an den Kreis der Seinen, wenn er sie lieben kann.

In Werner, der glücklich verheirathet war, regte sich bei'm Anblick der neblichen, freudenleeren Landschaft ein wohlthuendes Gefühl von Behaglichkeit, und der stille Gang seines häuslichen Lebens, den keine Jahreszeit aus seinem Gleise brachte, verschönerte den engen Raum seiner vier Wände so zauberisch, daß er ohne Neid den leichten Reisewagen vorüberrollen sah, den die gekrümmte Landstraße aus der Ferne näher brachte.

Oft zwar hatte schon der Klang der Posthorns ein leises Sehnen in ihm geweckt, das aus dem unbefriedigten Verlangen, zu reisen, entstand. Wie schön muß die Welt seyn, dachte er manchmal in seinem kindlichen Sinne, da das kleine Plätzchen, das ich von ihr bewohne, mir schon so viel gewährt! – Doch heute hörte er gleichgültig, oder beinahe mitleidig die lockenden Töne des Postillions. Wohl dem, der zu Hause bleiben kann, in diesem trüben, rauhen Wetter, sprach er zu sich selbst. Er schob den weichen Lehnstuhl näher zum Camin, in dem die wärmende Flamme loderte, und der heitere Blick, mit dem er die bequeme Ordnung seines kleinen [143] Zimmers übersah, enthielt ein innigeres Dankgebet an seine Laren, als Worte hätten ausdrücken können.

In diesem süßen Genuß einer sorgenfreien Ruhe störte ihn eine Bothschaft aus dem Wirthshause, das in einiger Entfernung von seiner Wohnung am Ende des Dorfes lag. Das Vertrauen, das er den guten, treuherzigen Landleuten einzuflößen wußte, hatte sie gewöhnt, in wichtigen und zweifelhaften Fällen um seinen Rath zu bitten; und auch jetzt bedurfte man seiner, da der Wagen, den er vorhin vorüberfahren sah, mit einer beinahe sterbenden Dame, deren Sprache niemand verstand, dort eingekehrt war.

Der Postillion hatte erklärt, daß er nicht weiter fahren wolle, da es wahrscheinlich sey, daß er sie nicht lebendig zur nächsten Station bringen werde, und er beunruhigte ihre dem Anscheine nach, letzten Augenblicke mit ungestümen Forderungen seines Trinkgeldes. Der ehrliche Wirth hatte ihn einstweilen befriedigt, aber Mangel und Unvermögen, der Kranken so beizustehen, wie ihr Zustand es verlangte, führte ihn zu dem Prediger, der sich sogleich aufmachte, mit ihm zu gehen.

Als er in den Gasthof trat, fand er die Fremde bleich, mit geschlossenen Augen, und völlig bewußtlos, auf einem Bette liegend. Er würde sie schon für todt gehalten haben, wenn nicht ein gewaltsamer, und unnatürlicher Frost von Zeit zu Zeit ihre zarten Glieder geschüttelt, und ihm angezeigt hätte, daß sie mit einem heftigen Fieber kämpfe.

[144] Sein erstes Geschäft war, nach einem Arzte zu schicken. Hierauf, als er einsah, daß die gutmüthigen Wirthsleute, selbst bei dem besten Willen nichts zu ihrer Erleichterung thun konnten, folgte er dem Geheiß der Menschlichkeit, das ihm gebot, die Leidende in seiner eigenen Wohnung aufzunehmen. Er ließ seine Frau, die ihm an Weichheit des Gefühls und an Güte glich, von diesen Entschluß benachrichtigen. Der Postillion, der schon mürrisch beschäftigt war, seine Pferde abzuspannen, wurde durch sein ernstes Zureden bewogen, die Kranke in ihrem Wagen, wohlverwahrt vor jedem Einfluß der rauhen Herbstluft, nach dem Prediger-Hause zu bringen, wo durch die theilnehmende Geschäftigkeit seiner Frau schon Alles zu ihrem Empfang bereitet war.

Man brachte die Kranke in einem sanft erwärmten Zimmer zu Bette. Der heftige Frost ihres Fiebers ging bald in brennende Hitze über, von lebhaften und wilden Fantasieen begleitet. Zum erstenmahl öffnete sie die Lippen um in verworrenen Worten, aber mit Tönen, die tief in jedes gefühlvolle Herz drangen, die Unermeßlichkeit eines Schmerzes zu verrathen, die ihr Innerstes zerriß. Sie sprach Französisch, doch mitunter auch gebrochenes Deutsch in schweizerischer Mundart. Es war kein Zusammenhang in ihren Reden, aber die tiefste Verzweiflung leuchtete aus ihnen hervor, und es war abwechselnd bald ein Bruder bald ein Gemahl, über dessen Grausamkeit sie sich in Ausrufungen des ungeheuersten Jammers beklagte. Die wunderbare, herzgewinnende Schönheit ihrer Gestalt, und ihrer Züge [145] erhöhte noch den Antheil, den ihre Hülflosigkeit erweckte. Noch im ersten Lenz der Jugend, schien sie einer holden Knospe zu gleichen, deren volle Entwickelung aber ein giftiger Wurm verhindert, der an ihrem Innern nagt.

Nach einigen Stunden, als der angekommene Arzt zweckmäßige Mittel verordnet hatte, legten sich die Wallungen ihres Blutes, und ein Strahl von Besinnung dämmerte in ihr auf. Sie sah befremdet rings um sich her, doch die milde Freundlichkeit des Predigers und seiner Gattin hatte nichts Zurückschreckendes für sie, und als Werner sie hierauf mit vieler Schonung anredete, erregte die Entdeckung, daß er sehr geläufig französisch sprach, eine leise Bewegung in ihr, die beinahe der Freude glich. Sie dankte ihm für seine Theilnahme, und bat ihn, das Maas seiner Güte voll zu machen, und ihr einen Geistlichen ihrer Religion zu verschaffen. Der Rosenkranz, den sie an ihrem Gürtel trug, ehe man sie entkleidete, hatte ihm schon früher angedeutet, daß sie Katholikin sey.

Es schmerzte Werner, ihr diese Bitte nicht gewähren zu können, da die Innigkeit, mit der sie sie that, das sehnliche, und vielleicht einzige Verlangen ihrer lebensmüden Seele aussprach. Er sagte ihr, daß sie sich mitten in einem protestantischen Lande befände, und daß nur in der neun Meilen weit entlegenen Hauptstadt eine katholische Gemeine sey. Er wolle jedoch, wenn sie es wünsche, einen Boten dorthin abfertigen, und er zweifle nicht, daß ein Priester ihrer Kirche zu ihrem Trost herbeieilen werde – nur [146] möchten vielleicht wegen der Entfernung mehrere Tage darüber hingehn.

Eine dunkle Trauer umwölkte das Antlitz der Fremden; doch wich sie bald einer stillen Resignation, wie nur Heilige sie üben, und mit Ruhe und Fassung in Ton und Blick versetzte sie: ich fühle mich so krank, daß es alsdann wohl zu spät seyn würde. Auch habe ich erst vor wenigen Tagen mit zerknirschtem Herzen meine Beichte abgelegt. – – Doch da meine Seele mir noch immer nicht gereinigt genug dünket, um vor Gott zu erscheinen, so wäre es mir ein süßes Labsal meiner letzten Stunden gewesen, einen Diener meiner Religion um mich zu haben. Indeß – es soll nicht seyn – und auch in diesem schmerzhaften Entbehren liegt eine Art von Busse, die die Größe meiner Sünden vermindern muß.

Nicht Neugierde, sondern das gut gemeinte Bestreben, ihr nützlich zu seyn, bewog Werner zu der Frage, ob sie vielleicht wünsche, ihrer Familie Nachricht von ihrer Krankheit zu geben, und ob sie deshalb über seine Feder gebieten wolle. Sehr bald aber bereuete er sein Anerbieten, als er den Eindruck wahrnahm, den es auf die Kranke machte. Furien der Erinnerung schienen sie anzufallen, und sichtbar kämpfte sie mit ihnen, um ihm antworten zu können.

Ich habe keine Familie, sagte sie nach einer Pause, mit allen Kennzeichen des Schmerzes und der tiefsten Ermattung. Nur in dem Frauenkloster zu ... in der Schweiz, und sonst nirgends in der Welt, kennt und liebt man mich. Wenn ich sterbe, so bitte ich Sie, der Schwester Agnese dort zu schreiben, [147] daß mich der Tod übereilt hat, als ich das Asyl wieder aufsuchen wollte, wo ich meine Kindheit und meine erste Jugend verstreichen sah. Schreiben Sie ihr, daß ich gewünscht hätte, in ihren Armen zu sterben, um ihr noch einmal für alle Liebe und Güte zu danken, und bitten Sie sie, daß sie in den frommen Stunden ihres Gebets meiner gedenken möge.

Ich hoffe von Ihrer Jugend, und von der Geschicklichkeit meines Freundes, sagte Werner, auf den Arzt hindeutend, daß Sie von ihrer Krankheit genesen werden. Sollte aber, da die Wege der Vorsicht unerforschlich sind, dieser traurige Fall wider mein Vermuthen eintreten: so werde ich, wenn Sie mir Ihren Namen anvertrauen wollen, mit aller Gewissenhaftigkeit eines ehrlichen Mannes Ihren Auftrag erfüllen.

Sie antwortete schaudernd, als erblickte sie die geöffnete Hölle: ich heiße Adelaide St. Alban. – Nach diesen Worten verstummte sie plötzlich, und mit Schrecken wurde man gewahr, daß eine Ohnmacht sie überfallen hatte. Nur mit Mühe rief man sie endlich ins Leben zurück.

Aus Allem, was Werner beobachtet hatte, konnte er schließen, daß irgend ein schreckliches Geheimniß, oder eine schwere Schuld ihre Seele belasten müsse. Als ihre jugendliche Natur, die sorgsame Pflege, und der Eifer des Doctors nach und nach die Gefahr besiegten, in der ihr Leben schwebte, verschaffte ihm die Gabe der Combination, mit der er ihre einzelnen Aeußerungen zu einem Ganzen reihete, und späterhin ihr volles inniges Vertrauen, den Faden [148] ihrer traurigen Geschichte, die man – als er bald hierauf starb – unter seinen Papieren aufgezeichnet fand.


In einem einsamen Frauenkloster in der Schweiz wurde Adelaide seit ihrem vierten Jahr erzogen – oder vielmehr, sie wuchs kunstlos wie die Blume des Feldes unter den beschränkten, aber gutherzigen Nonnen auf, denen sie übergeben war. Niemand als die Aebtissin wußte um ihre Herkunft; doch da man ein ansehnliches Kostgeld für sie bezahlte, und sie zuweilen mit glänzenden Geschenken überhäufte, so schlossen die übrigen, die sich mit aller Neugierde des Klosterlebens bemühten, den geheimnißvollen Schleier von ihrem Daseyn weg zu ziehen, daß sie von vornehmer Geburt, und aus einem reichen Hause abstammen müsse.

Wie dem auch seyn mochte, so überzeugte schon der erste Blick, den man auf Adelaiden warf, daß das Glück ihr bei ihrer Geburt gelächelt hatte, denn sie war mit Eigenschaften begabt, die weder Rang noch Reichthum erwerben können. Ein heller Verstand, der, ohne genährt zu werden, ihr dunkles Leben mit sanfter Klarheit erfüllte, ein reines Gemüth, in dessen heiliger Tiefe Kraft und Muth zu allem Guten schlummerte, und eine Gestalt, die der Göttin der Liebe würdig gewesen wäre, und die durch den unvermeidlichen Anstrich klösterlicher Sittsamkeit noch an Reizen gewann. – – Dies war die Ausstattung [149] die die Natur ihr verliehen hatte, als eine finstere Laune ihres Schicksals sie bestimmte, den Mai ihrer Jugend in öden Klostermauern zu verleben.

Doch unbekannt mit der Mannigfaltigkeit und den Freuden der Welt, vermißte Adelaide nichts in dem einförmigen Laufe ihres Daseyns. In stiller Selbstbeschauung erreichte sie unter mechanischen Beschäftigungen ihr vierzehntes Jahr, und weder ihre Vernunft noch ihre Einbildungskraft hatten eine andere Nahrung, als die, die sie aus den seltsamen Legenden der Heiligen gezogen, welches die einzige Lectüre war, die man ihr gestattete. Die leblosen Bilder dieser Heiligen, und der nicht viel bedeutendere Umgang frommer Matronen, die eng zusammengedrängten Wände ihrer verschwiegenen Zelle, und der beschränkte Umfang des Klostergartens waren daher ihre ganze Welt, und ihre Phantasie strebte nicht über diesen Kreis hinaus, sondern war nur bemüht, ihn sich mit aller ihr eigenthümlichen Lebendigkeit auszuschmücken.

Aus diesem Zustande ernster, andachtsvoller Träumerei scheuchte eine Nachricht sie auf, die alle Nonnen in Geschäftigkeit und in neugierige Erwartung versetzte. Die Aebtissin nemlich kündigte ihr plötzlich den nahen Besuch ihrer Mutter, der Wittwe eines reichen Gutsbesitzers im Elsaß, an, und zum erstenmahl erfuhr sie, daß außer dem Namen Adelaide ihr noch der Zusatz: St. Alban gebühre. Sie erzählte ihr ferner, daß ein frommes Gelübde ihre Mutter bewogen habe, sie so früh als möglich der Einsamkeit zu übergeben, und ermahnte sie dringend, [150] den inneren Beruf, den sie zu dieser heiligen Abgeschiedenheit fühle, ihr laut und freudig bei ihrer Ankunft zu bekennen, und ihr zu danken, daß ihre weise Verfügung sie einer Welt voll Sünden und Laster überhoben, und hierdurch mütterlich das Heil ihrer Seele gesichert habe.

Adelaide kannte sich selbst noch zu wenig um mit Sicherheit zu wissen, ob wirklich ein solcher Beruf, wie die Aebtissin behauptete, in ihrem Inneren für des Klosters eintönige Stille sprach. Indessen schien die Macht der Gewohnheit ihr ein Band der Neigung, das sie an ihre öde Lebensweise und an den langweiligen Cirkel der Nonnen knüpfte; und da eine unter ihnen, Schwester Agnese, ihr von ihrer ersten Kindheit an eine zärtliche Freundschaft eingeflößt hatte, so war sie im Genuß derselben mit ihrer Lage zufrieden, und fand die Vorstellung angenehm, sie unverändert sich zu erhalten.

Aber nicht ein frommes Gelübde, sondern der Wunsch, ihrem Sohn das ganze Vermögen zuzuwenden, hatte Frau von St. Alban bestimmt, Adelaiden dem Schleier zu widmen. Durch Erfahrungen und Schicksale erbittert und verhärtet, hatte sie all ihr Gefühl auf diesen einzigen Gegenstand niedergelegt, und der entschiedenste Haß hätte ihm nicht so gefährlich werden können, wie die Verblendung ihrer Mutterliebe, die beinahe der Abgötterei glich.

Victor, so hieß der Liebling ihrer Seele, berechtigte sie allerdings durch die glänzendsten Anlagen zu kühnen Hoffnungen, mit denen sie in die Zukunft schaute; aber es hätte eine strenge und vernünftige [151] Erziehung erfordert, um sie wohlthätig für ihn selbst und für andere zu entwickeln. Mit heftigen Leidenschaften geboren, lernte er kein höheres Streben kennen, als sie zu befriedigen, und daß Bemühen seiner Mutter, jeden Dorn des Entsagens aus seinem Wege hinweg zu räumen, und auch den leisesten seiner Wünsche in seinem Auge zu lesen, um ihn – koste es, was es wolle – zu erfüllen, nährte den Hang in ihm, der ihn schon früh zum Wüstling und zum Egoisten hinneigte.

Da Nachgeben, Schmeicheln und Verzärtelungen aller Art seinem begehrlichen Sinn unzählige Bedürfnisse aufgedrungen hatten, so war ein großes Vermögen nöthig, um ihm die verwöhnte Existenz auch künftig zu sichern, die er im Schoos des Ueberflusses führte. Als daher in seinem zehnten Jahr Adelaide wie ein Engel der Unschuld ins Leben trat, sprach die unnatürliche Mutter den Fluch einer ewigen Verbannung über sie aus; und da gerade zu dieser Zeit der Tod ihres Gemahls ihr ungetheilte Rechte über ihre Kinder gab, so schickte sie die Kleine ins Kloster, dessen Aebtissin sie kannte, um sie je eher je lieber in die traurige Lebensart einzuweihen, die sie ihr bestimmt hatte.

Auch war es jetzt nicht Sehnsucht, die lang Verstoßene wieder zu sehn, um ihr nachzugeben, was sie seit ihrer Geburt an Mutterliebe entbehrt hatte, sondern Neugierde, ob ihr Aeußeres, das schon in ihrem vierten Jahre durch seine Lieblichkeit entzückte, sich wirklich so anmuthsvoll entfaltet habe, als es damals dies versprach, und vor Allen der Wunsch, ein [152] kleines Kapital zu ihrem künftigen Unterhalte im Kloster niederzulegen, um dem geliebten Victor, der jetzt die Güter übernehmen sollte, die lästige Nothwendigkeit eines Jahrgehalts zu ersparen.

Wie sehr erstaunte aber Frau von St. Alban, als Adelaidens blendende Reize jede ihrer Erwartungen übertrafen. Sie konnte sich nicht abläugnen, daß ihre Sucht zu glänzen, durch diese Tochter vielleicht eben so viel Befriedigung finden könne, als durch ihren Sohn; ja, sie war sogar überzeugt, daß Adelaide sich nur in der großen Welt zu zeigen brauche, um auch ohne Aussteuer eine der ersten Parthieen zu thun. Aber das unvortheilhafte Licht, das die Ungerechtigkeit sie ohne Mitgift zu vermählen, auf ihren partheiischen Karakter werfen würde, hielt sie ab, einen Entschluß zu fassen, zu dem die Vorstellung sie bewegen wollte, wie grausam es sey, so viel Schönheit und Anmuth in einem Kloster zu begraben.

Obgleich Adelaide eine Fremde, die sie nie vorher gesehen, und von der sie nie gehört hatte, unmöglich in dem Grad lieben konnte, wie ein so inniges Naturverhältniß es von ihr forderte, so unterließ sie doch nichts, was ihre Mutter das tiefe Gefühl kindlicher Verehrung zu beweisen im Stande war, und ihre angeborene Holdseligkeit gab selbst dem abgemessenen Zoll der Pflicht den milden Schein der Liebe. Frau von St. Alban wankte oft in ihrem Vorsatz, wenn sie sich so unwiderstehlich von Adelaidens Liebenswürdigkeit angezogen fand; doch der Gedanke, Victor irgend einen Genuß des Reichthums [153] zu entziehen, oder ihm irgend eine Möglichkeit zu rauben, jede seiner üppigen Laune und Wünsche befriedigen zu können, hielt sie wie Adelaidens böser Genius zurück, wenn sich das Verlangen in ihr regte, sie mit sich in die Welt zu nehmen. Auch überredete sie die unbefangene Zufriedenheit, welche Adelaide mit ihrem Zustande bewies, daß sie – auch mit einem besseren Loose bekannt – vielleicht dennoch den Schleier vorziehen würde.

Sie reiste daher wieder ab, nachdem sie, ihrer Meinung nach, Adelaidens Geschick auf immer hier an diese öde Stätte befestigt hatte – doch konnte sie nicht unterlassen, ihrem Victor bei ihrer Zurückkunft ein so schimmerndes Bild von den Reizen seiner Schwester zu entwerfen, daß er es lächelnd und ungläubig für Uebertreibung erklärte. Vergebens behauptete sie, daß Adelaide alle weiblichen Schönheiten überstrahle, denen er jemahls gehuldigt habe – er hörte nicht auf, an ihren fabelhaft scheinenden Erzählungen zu zweifeln. Doch wurde seine Phantasie entflammt, und seine Neugierde aufgeregt, und um zu entscheiden, ob er wirklich einem Engel, oder nur ein gewöhnliches Mädchen zur Schwester habe, beschloß er, gelegentlich selbst eine Reise in die Schweiz zu machen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Aber schon früher, als dies geschehen konnte, wollte Frau von St. Alban sich das Vergnügen machen, ihn von der Wahrheit ihrer Schilderung zu überführen. Sie gab heimlich einem geschickten Maler in Straßburg den Auftrag, nach dem Aufenthalte ihrer Tochter zu reisen, um ihr [154] mit Einwilligung der Aebtissin, ihr Portrait zu verschaffen, und ehe ein Monat verging, war es in ihren Händen.

Zwar konnte selbst der glänzendste Aufward der Kunst den ganzen Umfang ihrer Schönheit nicht darstellen; aber auch der schwache Abriß derselben war mehr als hinreichend, um ihre Behauptungen zu rechtfertigen. Victors freudig betroffene Ueberraschung gestand ihr auch ohne Worte ein, daß er jetzt jede ihrer Beschreibungen glaube. Er verschlang das Portrait mit seinen flammenden Augen, und brach in enthusiastische Ausrufungen der Bewunderung aus. Hierauf trug er es in sein Zimmer, und als er allein war kniete er nieder vor dem lieblichen Bilde, und murrte zürnend gegen das Schicksal, das ein so reizendes Geschöpf ihm nur zur Schwester gab.

Alle seine sonstigen Beschäftigungen und Freuden wurden ihm gleichgültig, und nur der leise Wiederschein von Adelaidens göttlicher Anmuth erfüllte sein Gemüth mit allen Regungen einer heftigen Sehnsucht, und eines ungestümen, wilden Verlangens. Doch wenn er in ihrem Anschauen verloren mit brennender Ungeduld wünschte, die Natur möchte alle diese Reize nicht an sie sondern an die künftige Gefährin seines Lebens verschwendet haben: dann stiegen neue Zweifel vor ihm auf, um seine innere Glut zu mäßigen. Vielleicht, dachte er dann, ist es nur ein Ideal des Malers das nirgends existirt. Vielleicht hat er einige gewöhnliche Annehmlichkeiten der Jugend mit dieser Glorie übergossen, die nur der schaffende Geist des[155] Künstlers in so reicher Fülle leihen kann. – Umsonst aber suchte er durch diese Vorstellung die Flamme seiner Einbildungskraft zu löschen; sie loderte nur um so höher und zehrender auf, je mehr er kämpfte sie zu ersticken.

Sorgsam verhehlte er indessen seiner Mutter, mit welcher Allmacht das Bild Adelaidens ihn ergriffen hatte. Er schämte sich der strafbaren Leidenschaft, die durch den Anblick dieser stummen Leinewand in ihm entstanden war; und obgleich geübt, jede Schwierigkeit zu überwinden, die seinen Begierden in den Weg trat, so schien doch hier sein Muth ohnmächtig wie sein Wille. Er verfiel nach und nach in eine tiefe Schwermuth. Frau vvn St. Alban, die ihn vergötterte, strebte vergebens darnach, die Ursache zu ergründen; und da sein hartnäckiges Schweigen ihr keinen Blick in sein Herz gestattete, so bemühte sie sich, wenigstens durch aufheiternde Zerstreuungen seine ehemalige Munterkeit zurückzurufen. Doch alles verfehlte die gehoffte Wirkung auf ihn. Nur als sie ihm eine Reise vorschlug, willigte er mit hastigem Ungestüm ein, und traf Anstalten, um seinem Vorgeben nach – einige Monate in Paris zu verweilen.

Allein nicht nach Paris ging der Weg, auf dem der böse Geist ihn fortriß, der sein Innerstes beherrschte.Sehen wollte er, ob nur eine Täuschung der Kunst die Ruhe seines Herzens zertrümmert habe, oder ob die Erde wirklich so reich sey, ein so himmlisches Meisterstück der Natur zu besitzen, und dann – wenn er sie wirklich so fand – er wußte nicht, [156] was er dann beginnen würde, aber ihm schauderte vor dem Aufruhr seines ganzen Wesens, wenn er diese Möglichkeit sich ausmalte.

So kam er, von einem einzigen alten Bedienten begleitet, in der Gegend an, wo das stille Asyl der Frömmigkeit lag, unter dessen Dache Adelaide lebte. Er umirrte es mehrere Tage in allen Richtungen, ohne einen bestimmten Entschluß fassen zu können. Endlich ermannte er sich, und ging mit dem Vorsatz an die Pforte, unter dem Namen Montfaucon Einlaß zu begehren. Man führte ihn ins Sprachzimmer, wo er Fräulein St. Alban zu sprechen verlangte, weil er als ein vertrauter Freund ihres Hauses Aufträge von ihrer Mutter an sie habe.

Adelaide erschien, und befragte ihn mit einiger Zaghaftigkeit um das Befinden ihrer Mutter. Er überreichte ihr im Namen derselben einige Geschenke, und log ihr mit aller Gewandheit eines feinen Weltmanns eine sehr wahrscheinliche Geschichte vor, die ihn in dem innigsten Verhältniß zu ihrer Familie darstellte, und ihre anfängliche Schüchternheit bald in unbefangenes Zutrauen verwandelte.

Wie weit erhob die Wirklichkeit sie über den schwachen Schatten ihres Bildes! Kaum konnte er seine Blicke von den seelenvollen Augen wegwenden, in denen der Schimmer eines lebendigen Geistes mit der holden Sanftmuth der reinsten Unschuld verschmolzen war. Ihre Züge, vollkommen regelmäßig und durch eine unbeschreibliche Lieblichkeit sich der Seele unauslöschlich einprägend: ihre Gestalt, die Grazie, Leichtigkeit [157] und Würde vereinigte, und die frische Blüthe unentweihter Jugend, die auf ihre Wangen die zartesten Rosen hauchte – alles dies hätte auch ohne den Ausdruck eines kindlich demüthigen und heiligen Gemüths jedes Herz ihr gewonnen, und jedes Urtheil für sie bestochen.

Auch auf Adelaidens unerfahrnes, unverwahrtes, sich selbst noch kaum bewußtes Gefühl machte seine männlich schöne Gestalt, und das Einschmeichelnde seines ganzen Wesens einen tiefen Eindruck. Außer den Ordensgeistlichen, die das Kloster besuchten, und außer den armen und kranken Wanderern, die zuweilen einsprachen, um ein Almosen zu erbitten, hatte sie noch keinen Mann gesehen, und er, der den Zauber der glücklichsten Bildung noch durch alle Künste des Gefallens zu verstärken wußte, erschien jetzt wie ein Halbgott vor ihrer Seele, die sich – als die Schicklichkeit ihn zwang, seinen Besuch zu endigen – in sehnsuchtsvolle Träume seines Andenkens vertiefte.

Als Victor allein war, überließ er sich ganz den heftigen Empfindungen, die Adelaidens Nähe in ihm verdoppelt hatte. Gewohnt, sich keinen Wunsch zu versagen, fehlte es ihm nur an Gründen der Entschuldigung, wodurch er jedes Mittel zu heiligen strebte, das ihm – sey es auch das gewaltsamste – zur Erreichung seiner Zwecke diente. Auch hier mußte die Erinnerung an die Geschichte der Patriarchen und an die Begebenheiten des frühesten Zeitalters das innerliche bessere Gefühl übertäuben helfen, das sich gegen den Wunsch ihres Besitzes [158] sträubte, den er nun kühn genug war, sich selbst zu gestehn. In Adelaidens sprechenden Blicken und in ihrem jungfräulichen Erröthen hatte er sein Glück gelesen, und jeder Einwurf der sittlichen Vernunft und der Moral dünkte ihm nur ein Hirngespinnst des Vorurtheils zu seyn.

Zwar sah er ein, daß er nur im Dunkel des größten Geheimnisses seinen Plan ausführen dürfe; aber bei der Leichtgläubigkeit seiner Mutter, und seinem ungemessenen Einfluß über sie, traute er sich zu, ihr verbergen und überreden zu können, was er für nöthig hielt.

Er foderte daher den andern Tag die Aebtissin zu einer geheimen Unterredung auf, sagte ihr, daß Frau von St. Alban ihm erlaubt habe, um die Hand ihrer Tochter zu werben, und sie in das mütterliche Haus abzuholen, und daß sie das für ihren künftigen Unterhalt bestimmte Kapital ihr als ein Zeichen ihrer Erkenntlichkeit für die gehabte Mühe der Erziehung überlasse. Das Wappen seiner Mutter, das er in einem Ringe führte, legitimirte ihn bald in den Augen der einfältigen, mit allen Weltintriguen unbekannten Nonne. Sie willigte ohne Bedenken ein, ihm Adelaiden zu übergeben, und kündigte dieser im Herrn von Montfaucon ihren künftigen Gemahl an.

Die liebliche Verwirrung, mit der Adelaide diese Nachricht vernahm, erhöhte ihre Reize wie seine Liebe. Sie verließ an seiner Hand das Klostet nicht ohne Thränen, aber mit der inneren Ueberzeugung, daß die Vereinigung mit ihm sie trocknen werde. Doch, [159] statt wie sie geglaubt hatte, sie zu ihrer Mutter zu führen, sagte er ihr, daß er erst dringende Geschäfte in Paris abthun müsse, ehe er sie nach dem Elsaß bringen könne, und daß der Wunsch und das Gebot der Frau von St. Alban es ihr zur Pflicht mache, sich sobald als möglich mit ihm zu vermählen. Adelaide hörte ihm mit der frommen Folgsamkeit eines arglosen Kindes zu, und glaubte jedem seiner Worte. Ein umherwandernder Priester war leicht dazu überredet, ihre Hände in einander zu fügen, und unmittelbar nach dieser feierlichen Ceremonie setzten sie die Reise nach Paris fort.

Welch eine süße Trunkenheit des höchsten Entzückens ruhte auf den ersten Zeiten dieser frevelhaften Verbindung! Nie hatte Victor in den rauschenden Freuden seiner früheren Jahre gefühlt, wie reich das Leben ist wenn wahre Liebe es beglückt. Mit jedem Augenblick enthüllten sich ihm neue, herrliche Eigenschaften Adelaidens, und selbst ihre Unwissenheit, ihre völlige Neuheit auch in den gewöhnlichsten Vorfällen des Lebens verbreitete einen Zauber mehr über ihr ganzes Wesen. Welch ein Genuß für ihn, ihr die Welt nach und nach aufzurollen, wie ein noch nie gesehenes Gemälde voll bunter, Erstaunen erregender Gestalten und Farben, und sich an den kindlichen Ausbrüchen ihrer Verwunderung und ihres Vergnügens zu weiden! An ihrer Seite wurde selbst ihm, dem Uebersatten, das Leben wieder neu, und nur leise wagte sich dann und wann in einer einsamen Stunde ein innerer Vorwurf seiner Strafbarkeit an ihn heran.

[160] Aber die Zeit war nicht fern, die ihn fürchterlich wecken sollte aus dem neidenswerthen Taumel seines Glücks. Vergebens glaubte er seine Mutter ununterrichtet von seinen Verhältnissen. Sie hatte an dem alten Bedienten ihm einen Beobachter mitgegeben, den ihr strenger Befehl verpflichtete, jede seiner Handlungen auszuspähen, um sie ihr mitzutheilen. Uebertriebene Zärtlichkeit hatte sie zu diesem geheimen Auftrag bewogen – aber ach, welche gräßliche Entdeckung ging aus seinem pünktlichen Bestreben, ihr zu gehorchen, hervor! – Sein erster Brief verkündigte ihr, daß, statt nach Paris zu reisen, sein Herr den Weg nach der Schweiz eingeschlagen habe – daß er in sonderbarer Gemüthsstimmung, gleichsam uneins mit sich selbst, das Kloster .... umschwärmt, endlich es besucht, und in Begleitung einer wunderschönen Nonne es verlassen habe, mit der, wie er vermuthe, er seit einiger Zeit durch eine heimliche Heirath verbunden sey. Sie wären hierauf wirklich nach Paris gereist, und er glaube, da sie sich längst eine Schwiegertochter gewünscht habe, daß sein junger Herr sie bei seiner Zurückkunft mit seiner schönen Gemahlin überraschen wolle.

Frau von St. Alban las diesen Brief mit einem Entsetzen, als enthielte er ihr Todesurtheil. Schwarze Ahnungen bemächtigten sich ihrer, und wie ein Flor fiel es jetzt von ihren Augen, als sie die auffallende Veränderung überdachte, die seit der Ankunft von Adelaidens Portrait in ihrem Sohne vorgegangen war.

Doch noch hatte keine Gewißheit ihre ängstlichen[161] Vermuthungen bestätigt. Eilig sendete sie einen sichern Boten nach dem Kloster ab, um Nachricht von ihrer Tochter einzuziehen. Er kam wieder und brachte die schreckliche Botschaft, daß ein junger, schöner Mann, der ihr Wappen in seinem Ringe getragen, seinem Vorgeben nach mit ihrer Bewilligung sich für Adelaidens Bräutigam erklärt, sie mit sich genommen, und sich wahrscheinlich mit ihr verheirathet habe.

Eine tiefe Ohnmacht warf die unglückliche Mutter zu Boden. – Sie sah ein, daß ihre Partheilichkeit, und ihre gränzenlose Nachsicht gegen jede Laune und Begierde Victors die erste Veranlassung dieses fürchterlichen Verhängnisses sey. Ohne Grundsätze in ihm zu befestigen, nur immer mit dem Entgegenkommen der Erfüllung aller seiner Wünsche ihm schmeichlend, und so schon in früher Kindheit die Kraft in ihm lähmend, durch die der Mensch allein vermag, seine Leidenschaften zu zügeln, hatte sie selbst durch ihre Schwäche und Verzärtelung ihn auf den Weg geleitet, der jetzt so herbe Dornen für sie trug, und dies vermehrte ihren tödlichen Jammer. Kaum blieb ihr noch so viel Zeit übrig, dem Frevler zu schreiben, daß ihr Fluch auf dieser verbrecherischen Verbindung hafte, als ein Nervenschlag ihr Leben endigte.

Victor erhielt in derselben Stunde ihren Brief und die Zeitung ihres Todes. Dies erschütterte zuerst den festen Bau seines häuslichen Glücks; doch konnte es noch nicht in Trümmern fallen, denn Adelaidens unnachahmliche Sanftmuth, ihre Lieblichkeit [162] und die Hingebung, mit der sie an ihm hing, waren mächtige Grundpfeiler, die es stüzten. Aber sein Gewissen erwachte, und zeigte ihm überall, wo er ging und stand, die sterbende Gestalt seiner Mutter. Mitten in dem geräuschvollen Paris wandelte er wie in einer Einöde, umher: – er hoffte Linderung seines Zustandes von der Veränderung der Luft und der Gegenstände, und reisete ab.

Nach und nach entdeckte er schonend Adelaiden den Tod ihrer Mutter. Sie hatte sie zu wenig gekannt, um ihren Verlust tief betrauern zu können; doch weihte sie mit kindlicher Herzlichkeit ihr einige Thränen, und fühlte sich inniger als je an Victor gekettet, als sie sah, daß er in dumpfer Schwermuth ihren Schmerz mit ihr theilte.

Ein innerer Widerwille hielt ihn ab, nach Elsaß auf seine Güter zu gehn. Er schweifte lange umher, einen Wohnort zu finden, der seinem Geschmack entsprochen hätte. Endlich nöthigte mitten in Deutschland Adelaidens Zustand ihn, zu bleiben. Sie sollte Mutter werden, und als die Gefahr nun überstanden war, und ein lieblicher Knabe ihm in ihren Armen entgegenlächelte, lösete sich seine dunkle Melancholie in milde Wehmuth auf, und die Rachegeister, die ihn unablässig umschwebten, schienen versöhnt durch die Heiligkeit des neuen Bandes, das ihn jetzt an die Mutter seines Sohnes knüpfte.

Ihm gefiel die romantisch wilde Lage des kleinen Städtchens, wo er zuerst wieder das lang unterbrochene Gefühl innerer Beruhigung gekostet hatte. Ein sam lebte er dort an der Seite der Geliebten, [163] suchte ihre Abkunft zu vergessen, und weidete sich an der holden Entwickelung seines Kindes, das wie eine schöne Knospe dem Sonnenstrahl des Lebens sein Daseyn öffnete. Adelaide gebar ihm einen zweiten Sohn, und schien dadurch sein Glück zu verdoppeln.

So vergingen drei Jahre, ehe sich die Macht der Zeit an ihm bewährte, die nach und nach selbst den vollsten Kranz der Freude entblättert, wennLeichtsinn ihn gewunden hat. Ihn, dessen Sinn schon frühe das Getöse der Welt für stillere Genüsse abstumpfte, ermüdete die Einförmigkeie des häuslichen Lebens, als sie aufhörte, für ihn den Reiz der Neuheit zu haben. Er fühlte jetzt mitten im Kreis der Seinigen eine Leere, die ihn ungeduldig in das Gedränge bunter Zerstreuungen trieb; und so wie er sich anfangs von jeder Berührung der Außenwelt zurückgezogen hatte, um ganz dem Glück der Liebe zu leben, so hätte er sich jetzt gewaltsam losreißen mögen, um in geräuschvollen Abwechselungen von dem finsteren Grübeln zu genesen, das sich in eben dem Grad in ihm verstärkte, in dem die Zufriedenheit mit seiner Lage abnahm.

Noch war seine Liebe zu Adelaiden nicht erloschen; die erste Glut derselben hatte sich nur in sanfte Wärme verwandelt, die nicht mehr loderte, aber dennoch sein Innerstes durchdrang, und ihrem hohen, reinen Werth Gerechtigkeit widerfahren ließ. Jemehr indessen die Begeisterung der Leidenschaft der ernsteren Besonnenheit wich, mit der die Vernunft jetzt seine Schritte prüfte, jemehr verschwanden die Sophismen, mit denen er sonst oft [164] das innere Strafgericht in seiner Brust in Schlummer gewiegt hatte, und wie einen nagenden Wurm trug er eine stumme, kalte, wortlose Verzweiflung mit sich umher.

Unaufschiebliche Geschäfte riefen ihn nach einer langen Abwesenheit endlich auf seine Güter zurück. Er durfte nicht wagen, Adelaiden mit sich zu nehmen, und mit Rührung sah er, wie diese erste Trennung seit ihrem Beisammenleben ihr liebendes Herz so tief verwundete. Dankbare Wehmuth im Erkennen der treuen, hingebenden Liebe, die sie ihm bewies, preßte auch aus seinen Augen Thränen des Abschieds. Er umarmte sie mit all dem Feuer, das in den ersten Zeiten ihrer Verbindung in ihm geflammt hatte – er drückte auch seine Kinder mit väterlicher Innigkeit an seine Brust, und wie zwei lächelnde Genien der Unschuld beschworen sie den Sturm, der durch so manche Vorstellung erregt, in ihm tobte.

Als er aber zurückkehrte in die nun für ihn verödete Heimath, wo jeder Gegenstand, den er erblickte, die Erinnerung an die unbeschreibliche Liebe seiner Mutter in ihm erneute – als er nach den kleinsten Umständen ihres Todes forschte, und hörte, daß sie trostlos gestorben sey, da umschwebte ihn das Bewußtseyn, sie getödtet zu haben, überall drohend in der Gestalt ihres zürnenden Schattens – alle guten Geister wichen von ihm, und er überließ sich ganz den unnennbaren Qualen seines Gewissens, die ihn niederbeugten.

Endlich ging in der Nacht seiner Seele wie ein matter Lichtstrahl – dem Verirrten tröstlich – die [165] Möglichkeit auf, durch Reue und freiwilliges Entsagen der Asche seiner Mutter ein würdiges Todtenopfer zu bringen. Der neu ausgebrochene Krieg schien trostverheißend ihn auf das blutige Schlachtfeld zu winken, um da unter dem Donner der Kanonen die laute Stimme zu übertauben, die ihn anklagte, und schon war der Entschluß, sich von Adelaiden loszureißen, halb und halb in ihm gereift, als er, finster nachdenkend über die Art und Weise, wie er es anfangen sollte, zu ihr zurück kam.

Eine ahnungsvolle Bangigkeit beklemmte sein Herz, als er über die häusliche Schwelle schritt, die ihn sonst zum Genuß so süßer, selbst die Bitterkeit der inneren Vorwürfe oft überwiegenden Freuden leitete. Alles war still und öde – nirgends vernahm er das frohe Geräusch seiner Kinder – nirgends Adelaidens melodische Stimme. Der Schauer einer düsteren Ahnung wehte ihm aus den leeren Zimmern entgegen, bis er endlich im innersten Cabinet seiner Frau Töne einer leisen Bewegung vernahm. Ungeduldig riß er die Thür auf, doch wie zu Stein erstarrt blieb er an dem Eingang stehen, denn das erste, was er erblickte, waren die Särge seiner beiden Kinder, und Adelaide, die mit wild aufgelöstem Haar, vom Schmerz beinahe ihrer Sinne beraubt, vor ihnen knieete, und dumpf und thränenlos die Leichname ihrer Lieblinge umfaßte.

Ein bösartiges Fieber hatte bald nach seiner Abreise beide ergriffen, und sie hinweg gerafft. Dieses grausame Spiel des Zufalls dünkte ihm das Gericht[166] einer rächenden Gottheit. Schaudernd stürzte er ins Zimmer und warf sich auf die Leichen der Knaben, die auch im Tode noch lächelnd zu schlummern schienen. Sie waren kalt wie Eis. Ihre Berührung rief seine volle Besinnung wieder zurück, aber nur, um zu verzweifeln, und um in Adelaidens schuldloses Herz den Dolch noch schärferer Qualen zu stoßen. O ewige Vorsicht, rief er aus, du züchtigst mich hart, aber gerecht! – – Der Ton seiner Stimme erweckte wie eine Melodie aus besseren Sphären Adelaidens Seele aus dem Abgrund des tiefsten Jammers. Sie richtete sich auf, und schwankte ihm entgegen, aber er stieß sie mit Heftigkeit zurück. Weg, Unglückliche! schrie er, deine Liebkosungen sind Lockungen der Hölle. Geh in dein Kloster zurück, und thue Buße – oder verbirg dich in den Gräbern deiner Kinder; denn ich bin dein Bruder, und die Strafe des Himmels wird uns beide vernichten! – –

Adelaide sank auf die Leichen ihrer Kinder zurück. Starre Betäubung fesselte ihr Bewußtseyn, und ihre Glieder, und als sie nach einigen Stunden erst wieder zu sich kam, meinte sie aus einem schrecklichen Traum zu erwachen. Doch die Verstörung ihres Hauses, die öde Grabesstille, die sie umgab, und die Angst, die sich in dem Bemühen ihrer Leute um sie verrieth, ließen ihr namenloses Elend nach und nach aus dem wohlthätigen Nebel des Zweifels in die fürchterliche Klarheit der Ueberzeugung hervortreten, und ein Brief, den man ihr von der nächsten Station, von reichen Wechseln begleitet, von [167] Victor überbrachte, vollendete ihr Unglück und ihr Schicksal.


»Ich habe das entsetzliche Geheimniß vor dir ausgesprochen, schrieb er, und ich kann es eben so wenig widerrufen, als dir den Frieden deines Lebens ersetzen, den ich zerstört habe. Wende dich an Gott, der den unschuldig Leidenden tröstet – seine Strafe möge nur auf mich zermalmend niederfallen. Verzeihe deinem unglücklichen Bruder, den du niemahls wieder sehen wirst, und freue dich der Erfüllung seines Wunsches, wenn du hörst, daß eine feindliche Kugel den Weg zu seinem Herzen gefunden hat.«


Victor St. Alban.


Adelaide versank in jenes dumpfe Hinbrüten, das die innere Lähmung einer von Gram belasteten Seele ausdrückt. Nach und nach kehrte ihr Gefühl zurück, doch sie wurde sich dadurch ihres Schmerzes nur in seinem ganzen, ungemessenen Umfang bewußt. Rings um sie her war schauerliche Finsterniß im Leben; nur wie ein milder Stern strahlte die Erinnerung ihres friedlichen Klosters in ihr umdunkeltes Gemüth, und sie eilte dem Trost der Freundschaft und der Religion entgegen, der dort ihrer wartete. Ein fanatischer Priester aber, dem sie beichtete, erfüllte ihre kranke Fantasie mit allem Schrecken der Verdammniß, und beunruhigte ihr von Kummer zerrissenes Herz so gewaltsam, daß unterwegs ihr zarter Körper den Quallen ihres geängstigten Geistes unterlag. Nur die thätige Hülfe und Pflege, die [168] sie in dem Hause des menschenfreundlichen Werners fand, brachte sie vom Rande des Grabes zurück, um die einzige Heimath noch zu erreichen, die es für sie in der Welt gab. Dort, unter dem erhebenden Einfluß eines milder gesinnten Dieners ihrer Kirche, erlangte sie jene Seelenruhe wieder, welche sie zu dem Uebergang in eine bessere Welt würdig vorbereitete, und nach einigen Jahren legte sie ihr müdes Haupt zum letzten Schlummer nieder. Victor hatte in der ersten Schlacht den Tod, den er suchte, gefunden.

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