Die wiedergefundene Königstochter

v. Seckendorfs Musenalmanach f. 1808, S. 29.


Es hat ein König ein Töchterlein,
Mit Namen hieß es Annelein;
Es saß an einem Rainelein,
Las auf die kleinen Steinelein.
Es kam ein fremder Krämer in's Land,
Er wurf ihm dar ein seidnes Band:
Jezt must du mit mir in fremde Land.
Er trugs vor einer Frau Wirthin Haus,
Er gabs für einen Bankert aus:
Frau Wirthin, liebe Frau Wirthin mein,
Verdinget mir mein Kindelein.
O ja! o ja! das will ich wohl,
Ich will ihm thun doch also wohl,
Gleich wie ein' Mutter eim Kind thun soll.
Und als die Jahrszeit ummen war,
Und es zu seinen Jahren kam:
Es wollt ein Herr ausreiten
Und er wollt ausgahn weiben.
[273]
Er ritt vor einer Frau Wirthin Haus
Die schöne Magd treit ihm Wein heraus:
Frau Wirthin, liebe Frau Wirthin mein!
Ist das euer Töchterlein?
Oder ist es eures Sohnes Weib?
Daß es so wunderschön mag seyn.
Es ist doch nicht mein Töchterlein,
Es ist doch nicht meines Sohnes Weib,
Es ist nur mein armes Südeli,
Es weist meinen Gästen die Stübeli.
Frau Wirthin, liebe Frau Wirthin mein,
Erlaubet mir ein Nacht oder drei,
So lang das euer Willen mag seyn!
O ja! o ja! das will ich wol,
Es soll doch euch erlaubet sein,
So lang das euer Willen mag seyn.
Er nahm schön Annelein bei der Hand,
Er führt es in eine Schlafkammer lang,
Er führt es vor ein schönes Bett,
Ob es die Nacht bei ihm schlafen wölt.
Der Herr zog aus sein goldiges Schwerdt,
Er leit es zwischen beide Herz'.
Das Schwerd soll weder hauen noch schneiden,
Das Annelein soll ein Mägedli bleiben.
Ach Annelein kehr dich umher!
Nun klag mir deinen Kummer schwer!
[274]
Klag mir alles was du weist,
Was du in deinem Herzen freist.
Sag, wer ist dein Vater? Sag' wer ist deine Mutter?
Der Herr König ist mein Vater, Frau Königin ist meine Mutter,
Ich hab einen Bruder heißt Mannigfalt,
Gott weiß wohl wo er umherfahrt.
Und ist dein Vater ein König,
Und ist dein Mutter eine Königinn,
Hast du einen Bruder heist Mannigfalt;
Jezt hab ich mein Schwesterlein an meiner Hand.
Und wie es Morgens Tage ward
Frau Wirthin vor die Kammer trat:
Steh' auf du schnöde Magd, steh' auf,
Füll deinen Gästen die Häfelein auf!
O nein! laß du schön Annelein in Ruh,
Füll deine Häfelein selber zu,
Mein' Schwester Annelein mus 's nimmer mehr thun.
Er saß wol auf sein hohes Pferd,
Und er sein Schwesterlein hinter ihm nahm,
Er nahm schön Annelein beym Gürtelschloß,
Er schwungs wol hinter sich auf sein Roß.
Und wie er durch den Hof einrit,
Sein Mutter ihm entgegen schrit:
Bis mir Gott willkommen du Sohne mein,
Und auch dies zarte Fräuelein!
[275]
Es ist doch nicht mein Fräuelein,
Es ist doch nur euer liebes Kind,
Was wir so lang verlohren gehan.
Sie setzen schön Annelein oben an Tisch,
Sie geben ihm gesotten und gebratne Fisch,
Sie stecken ihm an einen güldnen Ring:
Jezt bist du wieder mein Königskind!

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