30. Muth über Gut.

Es war einmal ein armer Handwerksmann, ein Leinenweber, der saß täglich schon in aller Früh in seiner Werkstatt und arbeitete. Und, wie er denn allezeit fröhlichen Muthes war, so sang er zum Zeitvertreib nebenbei manch schönes weltliches oder geistliches Liedlein, je nachdem es ihm just ums Herz war; und er hatte eine so klare und volle Stimme, daß die Nachbarn keines Haushahns bedurften, [87] der sie aufweckte. Dies war aber eben dem reichen Kaufherrn nicht recht, der neben ihm wohnte; denn wenn der vor Mitternacht nicht schlafen konnte wegen Geldsorgen, so mußte er nach Mitternacht noch wach bleiben wegen des vermaledeiten Singsangs des Nachbars. Er dachte daher ernstlich darauf, dem Unfug ein Ende zu machen. Verbieten konnte er's ihm nicht; denn das Singen gehört wie das Beten und Arbeiten, zum Hausrecht, darin Niemand gestört werden kann. Also mußte er andere Mittel gebrauchen. Er ließ den Handwerker kommen, und fragte ihn, wie hoch er sein Singen anschlage? Der meinte, einen Taglohn sei es sicherlich werth, da es ihm das Tagwerk selbst so leicht mache. Jener fragte weiter: wie viel das betrage? Der antwortete: so viel und so viel, und es war doch noch nicht viel. Darauf sagte der Kaufherr: er wolle ihn einen Monat lang zum voraus bezahlen, nicht für das Singen, sondern daß er still sei und das Maul halte. Und er legte ihm das Geld wirklich hin. Der Leinenweber dachte bei sich: leichter könne man sich's nicht verdienen; und er nahm das Geld und versprach, daß er still sein wolle wie ein Mäusle in seiner Werkstatt. Als er mit dem Gelde nach Hause gekommen, überzählte er es voller Freuden, und es war lauter gute Münze, und so viel, als er noch niemals zugleich beisammen hatte. Abends ehe er schlafen ging, liebäugelte er noch ein gutes Stündlein mit seinem Schatze, und Nachts legte er es unter sein Kissen, damit es ihm nicht etwa ein Dieb rauben könnte; und um Mitternacht hatte er es noch im Kopfe, und sann nach, was er damit anfangen und wie viel er gewinnen könne an Kapital und Zinsen; und Morgens, wie er aufstand, lag es ihm in allen Gliedern, wie Blei; sein Kopf war wüst von Nachtwachen und Sorgen, seine Hand schwer und lässig und versagte ihm den Dienst; und er durfte nicht singen. Die Zeit ging langsam und träg vorüber, so daß er den Tag kaum erwarten konnte. Inzwischen hatte [88] er es bei sich bedacht, und er war kurz entschlossen. Denn wer schon um acht Uhr in des Kaufherrn Laden stand, das war unser Leinenweber. Herr, mit Vergunst – sagte er, und warf das Geld hin – da habt Ihr Euern Plunder wieder; der Kobold läßt mich nicht schlafen. Und ehe noch der Kaufherr eine Widerrede thun konnte, war der Weber schon vor der Thür, und sang:


Ein frischer, froher Muth Geht über Geld und Gut. Trilirum, tralarum!

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