154. Schlage deine Mutter nicht.

Auf dem Kirchhofe zu Sinzheim bei Baden spukte früher der Geist eines Bürgermeisters in einem weißen Mantel. Damals kam an einem Winterabend ein Bauernbursch in die Spinnstube und fragte, wer jetzt wohl auf den Kirchhof gehe und dem Gespenst den Mantel abnehme. Eine herzhafte Magd, welche glaubte, die Buben hätten dort, um die Leute fürchten zu machen, einen Schneemann errichtet und ihm ein Betttuch umgehängt, erklärte sich zu dem Unternehmen bereit, ergriff einen Stock und ging nach dem Kirchhof. Als sie hinkam, stand der Geist unbeweglich da; sie riß ihm den Mantel ab und schlug mit dem Stock so lange auf ihn, bis er rief: »Halt ein, ich habe genug gebüßt! gib mir meinen Mantel wieder.« Da sprang die Magd davon und brachte den Mantel in die Spinnstube, wo er beim [142] Anfühlen wie dicker Nebel befunden ward. Am nächsten Morgen stand der Geist noch auf demselben Platze; es wurde dem Pfarrer angezeigt, der die Magd vergebens ermahnte, dem Gespenste den Mantel wieder umzuhängen. Erst auf Befehl des Richters that sie es, worauf der Geist sogleich verschwand, und dann aus der Erde die Worte kamen: »Du hast mich erlös't! ich habe meine Mutter geschlagen, und dafür eben so viele Streiche von jemand bekommen müssen, welchem ich dazu keinen Anlaß gegeben.«

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