[370] [465]Ludwig Bechstein
Neues deutsches Märchenbuch

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Vorwort

Der deutschen Jugendwelt übergebe ich ein neues Märchenbuch, neu nach der Auswahl der Stoffe, neu und völlig selbständig in der Behandlung.

Über den endlich festgestellten Begriff des WortesMärchen habe ich schon öfter Anlaß gehabt, mich zu äußern, so in den Vorreden zur ersten und zur zwölften (ersten illustrierten) Ausgabe meines Deutschen Märchenbuches, Leipzig, bei Georg Wigand, 1844 und 1853 – in der Abhandlung »Das Märchen und seine Behandlung in Deutschland«, in der ZeitschriftGermania, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation Leipzig, Avenarius und Mendelssohn, 1852, Band 2, Lieferung 5, und endlich in meinem Buche »Mythe, Sage, Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes«. Leipzig, T.O. Weigel, 1854. 3 Teile. Seitdem habe ich dennoch fortwährend über die Form und die Natur des eigentlichen Märchens weiter nachgedacht, und habe gefunden, daß ein großer Teil der Märchen, selbst in den besten Sammlungen, keine Märchen, sondern häufig nur Fabeln, Anekdoten, oder kleine Erzählungen (Novellen) sind. Das eigenste Element des Märchens ist das Wunderbare, wo dieses fehlt, ist ein wenn noch so gut erzählter und dichterisch bearbeiteter Stoff kein Märchen. Es muß im Märchen etwas geschehen, das im gewöhnlichen Leben nicht geschieht, z.B. daß Tiere reden, daß Menschen und Tiere sich verwandeln oder verwandelt werden, daß Verstorbene wieder erscheinen, daß mythische Wesen oder auch Gespenster, Tode usw. in den Kreis der Handelnden treten, daß der Teufel eine Rolle spielt, daß die Begabungen mit ungeheurer Kraft, mit Unsichtbarkeit und allem, was in das Gebiet der Wunschdinge gehört, vorkommen. Das Märchen leiht gerne vom heidnischen Mythus seinen Schmuck; bisweilen auch vom christlichen, und im letzteren Falle gewinnt es dann legendenartige Färbung, ohne deshalb selbst Legende zu werden.

[467] Hauptsache ist beim Märchen, mindestens nach meiner Ansicht: daß es jede Namhaftmachung einer bestimmten geographischen Örtlichkeit vermeide, es wäre denn eine ganz allgemeine, wie Indien, Welschland, oder eine erdichtete, nicht vorhandene; denn durch diese oder durch Namennennung einer bekannten Persönlichkeit tritt es alsbald in das Gebiet derSage über. Auch die Sage verwebt sich oft sehr innig mit dem Elemente des Wunderbaren und mit dem Mythus, aber das ist eben der Hauptunterschied zwischen ihr und dem Märchen, daß sie diese Elemente auch missen kann, die Örtlichkeit aber kann die Sage kaum missen. Nennt aber das Märchen, wie deren viele tun, Jesus, Maria und einzelne Apostel, so wird es dadurch nicht zur Sage, denn wenn das Märchen sich dieser Personen aneignend bedient, so benutzt es nur Züge aus dem christlichen Mythus, womit jedoch keineswegs gesagt sein soll, die heiligen Überlieferungen des Christentums seien Mythen. Vielmehr sind diese vom Märchen benutzten Züge aus dem deutschen Volkstum hervorgegangen, und wurden in aller kindlichen Unschuld erzählt, wie anderseits in altüberkommenen magischen Formeln gegen Krankheiten deren hunderte beginnen: Jesus und Maria, oder Jesus und Sankt Petrus, u.a. gingen einmal miteinander in einen Garten, und dergl.

Ich habe indes aus guten Gründen weder in mein erstes Märchenbuch, noch in dieses zweite einen der letzterwähnten mehr parabelartigen Stoffe aufgenommen, ebenso in dieses neue keinen einzigen Stoff der in meiner früheren Sammlung enthaltenen, und endlich verzichtete ich jetzt auf eine nur zu häufig begegnende Richtung im Kindermärchen: auf böse Stiefmütter, und zwar aus einem vielleicht beachtungs-und empfehlenswerten ethischen Grunde. Nichts lesen Kinder lieber als Märchen, und unter den vielen tausend Kindern, in deren Hände alljährlich Märchenbücher gelangen, sind gewiß sehr viele sogenannte Stiefkinder. Fühlt nun ein solches Kind, nachdem es eine Menge Märchen gelesen hat, darin böse Stiefmütter auftreten (die Stiefmütter der Märchen sind durchgängig alle böse), sich irgend von der eigenen Stiefmutter – einerlei, ob verdienter oder unverdienter Weise – verletzt und gekränkt, so setzt sich in der jungen Seele durch Vergleiche die Abneigung gegen seine Pflegerin fest, und diese Abneigung kann so mächtig wachsen, daß sie den Frieden und das Glück der Familie trübt, und die [468] Herzen lebenslänglich einander entfremdet. Es wird also gut sein, dergleichen Ideen durch Märchen nicht zu wecken und zu nähren.

Kein einziges der vorliegenden Märchen habe ich selbst erfunden; ich entnahm die Stoffe teils mündlicher Überlieferung, teils Schriftquellen, bearbeitete sie aber alle selbstständig. Jeder Märchenstoff bedingt seinen eigenen Erzählungston, der bisweilen ernst und traurig, selbst schaurig und erschütternd sein muß, bisweilen heiter, humoristisch, ja ausgelassen lustig werden darf. Dies gut zu treffen ist Sache des Erzählers, des Dichters. Man begegnet auch in den besseren Quellensammlungen nicht selten trefflichen Märchenstoffen, die jedoch matt erzählt sind, und denen es zuletzt noch obendrein an einem rechten Schluß und Ende gebricht. Der innigen Verwandtschaft zu- und miteinander begegnet man überall; häufig klingt ein Märchen aus dem andern heraus, geht eins in das andere über. Das Märchen ist in steter Wandlung begriffen; bald verliert es Einzelzüge oder läßt sie fallen, bald nimmt es neue an, wie auch Ton und Farbe charakteristischer Heimat; so z.B. klingen in echten Volksmärchen Tirols eine Menge derer wieder, die in der Sammlung der »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm stehen, aber sie sind dort selbstständig und tragen den nationalen Typus des Landes zur Schau, dem sie angehören.

Ich nenne im nachfolgenden meine Quellen, denen ich die Stoffe dieser Sammlung entnahm, und will auch in Kürze die Verwandtschaft zu andern nachweisen, wo sie lebhaft hervortritt.

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Quellenangaben

1. Aschenpüster mit der Wünschelgerte. »Jahrbücher des Vereins für Meklenburgische Geschichts- und Alterthumskunde. Herausgegeben von G.C.F.Lisch.« 5. Jahrgang 1840. Man könnte glauben, dieses Märchen deute nach der bekannten Aschenbrödel hin, es ist dies aber kaum mit einem Zuge der Fall, eher könnte der Eingang entfernt an das »Nußzweiglein« denken lassen.


2. Das Natterkrönlein. Aus bekannter überall lebender Volkssage vom Otterkönig hervor gegangen, hier mit Benutzung von Ignaz und Josef Zingerle: »Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland.« Innsbruck und Regensburg 1852 und 1854. II. S. 106. »Die Krönlnatter«. Dort ohne rechten Schluß. Ich habe es erweitert und abzurunden gesucht.


3. Das klagende Lied. Nach Th. Haupts »Zeitschrift für deutsches Alterthum.« III. S. 35. Dieses schaurige Märchen hat Verwandtschaft mit dem: »Der singende Knochen«, bei Grimm: K.u.H.M. 28. und zum »Machandelbaum«, ist aber dennoch völlig selbstständig.


4. Schneider Hänschen und die wissenden Tiere. Nach J.W. Wolf: »Deutsche Märchen und Sagen«, Leipzig 1845, Nr. 4. Das verratene Geheimniß. Erinnert an K.u.H.M. 107, Die Krähen, ist aber durchdachter und abgerundeter wiedergegeben.


5. Sonnenkringel. Vielfach mündlich umgehend; bei Grimm, K.u.H.M. 115. »Die klare Sonne bringt's an den Tag.« Verwandt in seiner ethischen Beziehung mit »Das Rebhuhn« in meinem D.M.B.


6. Der starke Gottlieb. Nach mündlicher Überlieferung aus dem obern Saaltale – begegnet in mannigfaltiger Veränderung, es ist der Zug des Sieges der Roheit und der ungeschlachten Kraft gegen die Verfeinerung, aber auch des Natursinnes gegen Ränke, Falschheit und Arglist.


7. Gevatterin Kröte. Mündlich im Vogtlande; dort mit örtlichem Anklang, halb Sagen- halb Märchenstoff.


8. Seelenlos. Keineswegs, wie der Titel vermuten lassen könnte: »Der Mann ohne Herz«. Nach J.W. Wolf, a.a.O. No. 20 »Ohneseele«; verwandt im Eingange mit dessen 23. »Die dankbaren Tiere«. Ich dichtete es völlig um.


9. Der undankbare Sohn. Aus gleicher Quelle, 35. »Die Schlange am Halse«. Wolfs Schluß ist matt, ich gab ihm Rundung und Vollendung.


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10. Das Hellerlein. Volksmündlich; in Thüringen und Hessen. Bei Grimm: »Der gestohlene Heller«. Wie der ethische Zug der Reue, der durch dieses Märchen klingt, verbreitet ist, zeigt eine Sage aus Vachdorf im Werratale. Dort nahm ein Bauer heimlich aus dem Klingelbeutel einen Dreier, nahm sich aber diese Tat dann so zu Herzen, daß er schwermütig wurde, nur immer seufzte und nichts weiter sprach als: »Ach das Dreierlein! Ach das Dreierlein!« bis er sich aus Melancholie in einen Brunnen stürzte.


11. Der schwarze Graf. Aus den oben angeführten Meklenburg. Jahrbüchern a.a.O. Steht selbstständig und eigentümlich als echtes Schauermärchen da.


12. Vom Büblein, das sich nicht waschen wollte. Findet sich auch bei den Br. Zingerle, am oben a.O. 1. S. 41. 7. »Der höllische Thorwartl«. Dort völlig ohne Pointe. Ähnelt dem M. bei Grimm, K.M. 100. »Des Teufels rußiger Bruder«, welches aber mehr ausgesponnen ist.


13. Das winzige, winzige Männlein. Nach mündlicher Mitteilung aus dem Saaltale. Die gemeinsame Wanderschaft von Dreien begegnet häufig in den Märchen, ebenso ist ein wahres Element derselben das einsame Waldhäuschen, nicht minder der fast unvermeidliche Menschenfresser. Vergleiche Wolf, a.a.O. 13. Trotz dem Vorhandensein aller dieser Züge ist dieses Märchen dennoch selbstständig.


14. Die schlimme Nachtwache. Bei Br. Zingerle II. 350. »Die schlimme Wirtin«.


15. Der gastliche Kalbskopf. Nach d. Meklburg. Jahrb. a.a.O. wo es aber keinen rechten Schluß hat.


16. Die scharfe Schere. Volksmündlich in Franken, und zwar mit lokaler Färbung; es ist dieser Sagenstoff aber so echt märchenhaft, daß ich denselben gern in die vorliegende Form umdichtete.


17. Das tapfere Bettelmännlein. Bei d. Br. Zingerle, II. 2. Scheint Nachhall des »tapfern Schneiderlein«, ist aber völlig umgebildet und der Tiroler Bergnatur angepaßt. Ich habe in meiner Niederschrift ihm volle Selbstständigkeit zu geben versucht.


18. Zwergenmützchen. Bei Wolf a.a.O. 13. »Der Zwergenberg«. Die unsichtbar machende Tarnkappe der Zwerge begegnet häufig, sowohl in Märchen, als auch in Sagen. Bei Wolf ist der Stoff etwas dürftig, ohne Not töten die Zwerge zwei der Brüder, und der Schluß fehlt völlig; von der Tochter des Müllers, die doch am Eingange ihres Vaters Augapfel genannt wird, ist gar nicht wieder die Rede. Ich habe das Märchen erweitert und ihm einen passenden Schluß gegeben.


19. Der Wandergeselle. Mündlich aus dem Saaltale. Es hat Verwandtschaft mit »Die drei Hunde« in meinem D.M.B. und mit andern, doch ist der Zug mit der zu erlösenden Königstochter ganz verändert, die Namen der Hunde sind andere, und der Stoff ist offenbar [471] ursprünglich, ja man könnte dieses Märchen ein Doppelmärchen nennen. Auch ein Zug vom »Schmied von Jüterbogk« findet sich darin vor. Wenn jemand Lust hat, zu tadeln, daß ich den Schluß launig hielt und in etwas ihn modernisierte, mag er's tun. Kein Märchen ist an eine bestimmte Zeit gebunden, es kann in ältester, wie in neuester Zeit spielen, je nach des Dichters Belieben, nur muß, so weit dies möglich, der Ton der Erzählung ein der gewählten Zeit angepaßter sein.


20. Marien-Ritter. Nach v. der Hagen: Gesammtabenteuer. Stuttgart und Tübingen. 1850. III. 74. Mittelhochdeutsches Gedicht von legendenhafter Färbung, das ich in Prosa umwandelte.


21. Vom Knaben der das Hexen lernen wollte. Aus den Meklenb. Jahrb. a.a.O. Es hat viel Eigentümliches, doch erinnern die Züge der mannigfachen Verwandlung an mehr als ein verwandtes Märchen.


22. Die drei Wünsche. Verwandt mit einem mittelhochdeutschen Gedichte in den bei 20. angeführten Gesamtabenteuern; II. 37. geht aber auch volksmündlich in Thüringen und Hessen um. Bei Grimm K.u.H.M. ist es 87. »Der Arme und der Reiche«, dort sind der Armen zwei, Mann und Frau. Ich habe in meine Darstellung die Züge des mittelhochdeutschen Gedichtes eingewebt, und dem ganzen selbstständige Behandlung angedeihen lassen.


23. Die Kuhhirten. Nach den Meklenb. Vereins- Jahrb. a.a.O. Auch bei Grimm: K.M. 173. »Rohrdommel und Wiedehopf«. Dort sehr kurz.


24. Das Unentbehrlichste. Bei d. Br. Zingerle a.a.O. Th. I. 31. »Notwendigkeit des Salzes«. Man tut nicht wohl, das, was das Geheimnis eines Rätsels ist, seine Lösung, dem Leser gleich als Titelüberschrift vorzusetzen. Ich habe gesucht, dem Märchen mehr dramatisches Leben zu geben, als die Erzähler meiner Quelle getan.


25. Der Fischkönig. Jahrb. d. Meklenb. Vereins, a.a.O. bei Grimm: K.M. 172. »Die Scholle«. An beiden Orten fast allzukurz.


26. Die Schlange mit dem goldenen Schlüssel. Vielfach abgewandelt im Volksmunde, wie in Büchern.


27. Die goldene Schäferei. Volksmündlich im Orlagau, und zwar dort mit örtlichem Anklang. Es ist aber offenbar mehr romantisches Märchen, als Sage. W. Börner teilt es zuerst, aber sehr ausgeschmückt mit in seinen »Volkssagen aus dem Orlagau etc.« Altenburg, 1838, und da mir daran lag, zu erfahren, was er hinzugedichtet, so fragte ich brieflich deshalb bei ihm an, und er schrieb mir: »In der Sage von der goldenen Schäferei ist alles Volksüberlieferung bis auf die Ausschmückung des Heimchenreiches und die vorkommenden Zwiegespräche. Sie können die Sage noch allenthalben in der Umgegend erzählen hören.« Ich mußte bei meiner Umdichtung der Sage in ein Märchen die vielen örtlichen Beziehungen hinweglassen, und tat dies um so lieber, als mir manche äußerst zweifelhaft erschienen.


[472] 28. Die verwünschte Stadt. Eigentlich Alpensage aus der Nähe des Matterhorns; aber angehaucht vom Zauber der Märchenpoesie. In meinem Deutschen Sagenbuche Nr. 18. Hier von mir erweitert und in düsterer Färbung gehalten.


29. Schab den Rüssel. Der Name eines Hauses in Wien, daher dort volksmündlich; Andeutung des märchenhaften Elementes in: Emil: »Romantisch historische Skizzen aus Österreichs Vorwelt«, Wien, 1837, aber dort äußerst dürftig, matt und ohne Spitze.


30. Der redende Esel. Ein Rübezalmärchen, dem alten Buche: »Der etc. Schlesische Rübezahl« etc., Breslau und Leipzig, 1728, entnommen. Ich habe es ein wenig erweitert, dramatischer gehalten, und die örtliche Beziehung zugleich mit dem Namen des Berggeistes hinweg gelassen.


31. Der fromme Ritter. Volksmündlich, begegnet auch als Lokalsage. Ich behandelte den Stoff schon früher als Romanze, in m. Gedichten, Frankfurt, Sauerländer 1836, unter gleicher Überschrift.


32. Der wandernde Stab. Diesen echten ernsten Märchenstoff fand ich in einer Nummer des Morgenblattes 1856, als Schleswig Holsteinische örtliche Sage nebst Bruchstücken eines Volksliedes, aber ohne die Beziehung auf Ahasver, die ich hinzu tat, um dem Stoffe mehr Gewicht und Haltung zu geben.


33. Die Wünschdinge. Nach Wolf a.a.O. 26. »Von vier Wunschdingen«. Der Wunsch und das Wünschelwesen sind geheimnisvolle Elemente in vielen Märchen, ich möchte sagen: mythische Elemente, da Wuotan selbst Wunsch heißt. Das Wünschtüchlein erinnert an das Märchen von »Rolands Knappen«, an das Märchen vom »Tischgen decke Dich«, und dergleichen. Ich habe versucht, einigen Humor einzuweben, zu welcher Behandlung der Stoff sich ungesucht bot, den Wolf etwas sehr trocken gibt.


34. Das blaue Flämmchen. Nach J.W. Wolf: »Hessische Sagen«. Göttingen, 1843. Nr. 145. »Erlöste Seele«. Hat keine Verwandtschaft mit dem Grimmschen K.M. 116. »Das blaue Licht«.


35. Undank ist der Welt Lohn. Mündlich, aus dem obern Saaltale. Dasselbe Märchenelement, was in dem K.M. 27. »Die Bremer Stadtmusikanten« enthalten ist, nur daß dort der Hauptträger des meinigen, der Bäckergeselle fehlt, und die Füchse Räuber sind.


36. Der fette Lollus und der magere Lollus. Diesen echten und ganz eigentümlichen Märchenstoff entnahm ich Wolfs Hessischen Sagen. 229. Lollus. Dieser Lollus dürfte kaum Bezug zu dem angeblichen Gotte der Franken gleichen Namens haben, wie der Verfasser, indem er in den Anmerkungen auf meinen »fränkischen Sagenschatz« hinweist, zu vermuten scheint.


37. Die Adler und die Raben.

38. Vom Hasen und dem Elefantenkönige.
39. Von einem Hasen und einem Vogel.
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40. Von einem Einsiedel und drei Gaunern.
41. Der listige Rabe.
42. Der Dieb und der Teufel.
43. Die verwandelte Maus.

44. Der Raben Arglist und Rache.

bilden zusammen eine Tiermärchenkette, wie ich deren in meinem oben erwähnten deutschen Märchenbuche auch einige gegeben habe. Die Quelle ist das alte treffliche Buch: »Der alten Weisen Exempel« etc. das hervorgegangen ist aus indischen Überlieferungen, und seit undenklichen Zeiten seine reiche Stoffülle der späteren Benutzung darbot. Der ursprüngliche Verfasser soll ein Bramine, des Namens Sindbad oderSendabar gewesen sein.

Ich habe mit Beibehaltung der Eigentümlichkeit der alten deutschen Bearbeitung, die so schlicht und einfach und allverständlich ist, und mit Hinweglassung einiger für Kinder nicht passenden Erzählungen sehr wenig abgeändert, nur hier und da gekürzt und den Stil ein wenig geglättet.


45. Die beiden Brüder. Nach mündlicher Überlieferung im Saaltale. An die Stelle des Wunderbaren, welches in diesem Märchen eigentlich unvertreten ist, tritt die Großartigkeit der Dummheit, mit ihrer komischen Wirkung. Dummheit, in das phantastische Gebiet über getrieben, vermag völlig überraschend und wunderbar zu wirken.


46. Schlange Hausfreund. Mündlich umgehend, doch auch in Büchern begegnend; als örtliche Sage inLauingen heimisch, s.m. Deutsches Sagenbuch, 961. »Die Schlange als Gast«. Ich entnahm der Sage den rein märchenhaften Zug, daß die Schlange mit der Katze Freundschaft schließt, wodurch sich die folgenden Märchen verbinden ließen.


47. Die Schlangen-Amme. Mündlich und auch in Büchern. Von mir unter gleichem Titel als Gedicht bearbeitet. (Gedichte. 1836. S. 180 u.f. In Schwaben begegnet derselbe Stoff als Lokalsage. D.S.B. 942). Er ist aber so völlig märchenhaft, daß ich ihn gern in den Kreis dieser Märchen gezogen habe.


48. Klare-Mond. Nach einigen Motiven in J.W. Wolfs D.S.u.M. darin Hexensagen mit Vorliebe behandelt sind; es wurden Züge von 151, »Die Katzenlinde« und von 154, »Klaren Mondschein trinken«, miteinander verbunden. Der Schluß erinnert an »Des Bischofs Katze«. D.S.B. 421.


49. Siebenhaut. Nach einem Tiroler Märchen, das die Brüder Zingerle mündlich in Absam hörten. (Kin der- und Hausmärchen aus Süddeutschland. 2. Sammlung. S. 173.) »Die Schlange«. Ich habe es in etwas gekürzt, und die Verwandlungsszenen lebendiger gehalten. Der letzte Zug erinnert unter andern an »Das blaue Flämmchen«, Nr. 34 dieser Sammlung. Die Märchen 46 bis 49 habe ich zu einer kleinen Kette verbunden.


[474] 50. Das Dukaten-Angele. Mündlich im Saaltale, völlig originell, und echtes Kindermärchen; ich habe nur einige allzudrastische derbvolkstümliche Züge tilgen oder mildern müssen, dafür andere erweitert, und es völlig zu meinem Eigentum gemacht, auch die Namen gab ich dazu. Das Angele deutet nach den Wunschdingen, wie der Heckepfennig, das Galgenmännlein u. dgl. aber ohne grausigen dämonischen Beischmack, den das letztere hat.


Das moralische Element, welches unsern deutschen Volks- und Kindermärchen zum größeren Teil innewohnt, will ich hier nicht des breiteren auseinander legen. Verständige Eltern und Erzieher werden dessen auch in dieser Sammlung in Fülle finden. Schon die Weisheit der ältesten Völker hüllte tief eindringliche ethische Lehren in das Gewand des harmlosen Märchens. Ich schließe auch diese Sammlung mit dem Wunsche, daß sie nützend, wie erfreuend wirken möge.


Meiningen, im September 1856.


Ludwig Bechstein [475] [477]

Aschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Aschenpüster mit der Wünschelgerte

Es war einmal ein reicher Mann, der hatte eine einzige schöne Tochter, welche er über alle Maßen liebte. Seine Frau war gestorben. Die Tochter war außerordentlich schön und was sie nur immer wünschte, das gab ihr der Vater, weil er kein größeres Glück kannte, als sein Mägdlein zu erfreuen, vielleicht auch, weil sie ein Wünschelfräulein war, dem jeder Wunsch ausging. – »Schenke mir ein Kleid Vater, das von Silber steht, ich will dir auch einen Kuß dafür geben!« sprach eines Tages die Tochter zum Vater, und sie empfing bald das Kleid, und der Vater empfing seinen Kuß.

»Schenke mir ein Kleid lieber Vater, das vom Golde steht!« sprach die Tochter bald darauf, »und ich will dir zwei Küsse geben.«

Auch diesen angenehmen Tauschhandel ging der Vater ein.

»Schenke mir ein Kleid, das von Diamanten steht, liebster Vater und ich will dir drei Küsse geben!« bat wiederum die Tochter, und der Vater sagte ihr: »Du sollst es haben, aber du machst mich arm.«

Der Vater schaffte das Kleid, und die Tochter fiel ihm dankend um den Hals, und küßte ihn dreimal, und rief: »Nun, herzgoldener, herzallerliebster Vater, schenke mir eine Glücksrute und Wünschelgerte, so will ich stets dein Goldkind sein, und alles tun, was ich dir an den Augen absehen kann!«

»Mein Kind«, sprach der Vater: »eine solche Gerte habe ich nicht, auch wird sie schwer zu bekommen sein, doch will ich mein Glück versuchen, dich ganz glücklich zu machen.«

Da verreisete der Vater und nahm sein letztes Vermögen mit, und forschte nach einer Wünschelgerte, aber kein Kaufmann hatte dergleichen feil. So kam der Mann weit in ein fernes Land, da fand er von ohngefähr einen alten Zauberer, und hörte, daß dieser eine Wünschelgerte besitze. Diesen Zauberer suchte der nur zu gute Vater auf, und trug ihm sein Anliegen vor, und fragte, was die Gerte kosten solle?

Der alte Zauberer sprach: »Wenn die Menschen Wünschelgerten mit Gelde kaufen könnten, so würde es auf Erden bald keinen Wald mehr geben, und wenn auch jedes [477] Bäumelein und jedes Zweigelein eine solche Rute wäre. Der eine solche Gerte empfängt, opfert seine Seele, und stirbt drei Tage nachher, wenn er sie aus der Hand gegeben, es wäre denn, er gäbe sie jemand, der auch seine Seele dafür zu opfern gelobt und bereit ist. Dann geht die Seele des Besitzers frei aus.«

»Gut«, sprach der Vater jener Tochter. »Meinem Kinde zu Liebe scheue ich das verlangte Opfer nicht. Gib mir die Gerte!« – Der alte Zauberer ließ den Mann seinen Namen in ein Buch schreiben, und erfüllte sein Verlangen. Die weite Reise nach der Gerte zehrte den letzten Rest des Vermögens des reichen Mannes auf, der alles an die Tochter gewendet, aber es war ihm einerlei. Sie nur durch Erfüllung aller ihrer Wünsche glücklich zu sehen, war sein einziger Wunsch und Gedanke. Es ist gut, dachte er: wenn ich sterbe, denn sie würde doch noch mehr wünschen, und wenn ich ihr nun keinen Wunsch mehr erfüllen könnte, würde ich selbst sehr unglücklich sein.

Mit größter Freude empfing die Tochter aus ihres Vaters Hand, den sie mit Sehnsucht zurückerwartete, die Wünschelgerte, und wußte nicht, wie sie ihm danken sollte.

Aber nach drei Tagen hatte die Tochter einen neuen Wunsch. Sie hatte von einem überaus schönen Prinzen gehört, der in einem fernen Lande wohne, sehr reich und aller Liebe würdig sei. Den wollte sie gern zum Gemahl haben.

Der Vater aber sprach: »Meine geliebte Tochter, ich gab dir alles, was ich besitze, und für deine Wünschelgerte gab ich Leib und Leben, ja meine Seele dahin. Ich scheide von dir; schaffe du dir den Prinzen selbst, den du dir wünschest, lebe glücklich und denke mein in Liebe.« Mit diesen Worten neigte der Vater sein Haupt und verschied. Seine Tochter beweinte ihn aufrichtig und schmerzlich, und sprach: einen bessern Vater hat es nie gegeben! – Und darin hatte sie sehr recht.

Als nun der Vater dieser Tochter zur Erde bestattet war, blieben ihr nicht Verwandte, nicht Geld und Gut. Da tat sie ein Alltagskleid an, das war ein Krähenpelz, nahm ihr Silberkleid, ihr Goldkleid und ihr Diamantkleid, und hing alle drei über ihre Schulter, dann nahm sie die Wünschelgerte in die Hand, und schwang sie, und wünschte sich in die Nähe des Schlosses, darin der gerühmte Prinz wohnte. Da war es, als ob ein Wind sie sanft erhebe, und sie schwebte, [478] von der Luft getragen, eilend zur Ferne, und war bald in einem Parkwalde, in dessen Nähe sie das Prinzenschloß durch die dicken Eichbaumstämme schimmern sah. Sie schlug mit der Gerte an die dickste dieser Eichen, und wünschte, daß da drinnen ein Schrein wäre, in dem sie ihre Kleider aufhängen könne, und ein Stübchen, sich darin umzukleiden, und das geschah auch gleich alles. Sie verstellte nun ihre Gestalt in die eines Knaben, und trat, mit dem Krähenpelze angetan, in das Prinzenschloß. Der Geruch feiner Speisen führte sie der Küche zu; dort bot sie dem Koch ihre Dienste an, als ein eltern- und heimatloser Knabe.

»Wohlan«, sprach der Koch: »du sollst mein Aschenpüster werden, sollst früh die Feuer anschüren, und am Tage unterhalten, und sorgen, daß keine Asche umher falle, dafür sollst du dich alle Tage satt essen. Mußt aber auch des gnädigsten Herrn Prinzen Röcke ausbürsten und seine Stiefeln putzen und glänzend machen. – Das Mädchen wartete als Knabe ihres Amtes, und sahe nach einigen Tagen den Prinzen, der von der Jagd kam, dem Küchengang entlang schritt, und einen Vogel, den er geschossen, in die Küche warf, damit derselbe gebraten werde. Der Prinz war so schön und herrlich von Gestalt und Ansehen, daß Aschenpüster alsbald eine heftige Liebe zu ihm fühlte. Gar zu gerne wäre sie ihm genaht, doch wollte sich das nicht schicken. Da hörte sie, drüben auf einem Nachbarschlosse werde eine fürstliche Hochzeit gehalten, die daure drei Tage lang, und da sei der Prinz der vornehmste Gast, und fahre täglich hinüber zum Tanze. Alles Volk und wer vom Schloßgesinde nur immer konnte, lief hinüber, die Pracht der Festlichkeiten mit anzusehen. Da bat Aschenpüster den Koch, ihr doch auch zu erlauben, hinüber zu gehen, und dem Tanze zuzusehen, denn die Küche sei in Ordnung, jedes Feuer gelöscht, jedes Fünklein tot, und die Asche wohl verwahrt. Der Koch erlaubte seinem Diener, sich das erbetene Vergnügen zu gewähren. Aschenpüster eilte nach ihrer Eiche, kleidete sich in das silberne Kleid, und verwandelte ihre Knabengestalt in die eigene, dann schlug sie an einen Stein mit ihrer Wünschelgerte, da wurde ein Galawagen daraus, und rührte an ein Paar Roßkäfer, daraus wurden stattliche pechschwarze Rosse, und ein Grasfrosch wurde zum Kutscher und ein grüner Laubfrosch zum Livreejäger. In den Wagen setzte sich Aschenpüster, und heidi, ging es fort, als flögen wir [479] davon. In den Tanzsaal trat die stattliche Jungfrau, und von ihrer Schönheit war alles geblendet. Der Prinz gewann sie gleich lieb, und zog sie zum Tanze auf; sie tanzte entzückend, und war sehr glücklich, aber nach einigen Reigen schwand sie aus dem Saale, bestieg ihren draußen harrenden Wagen, schwang ihre Gerte, und rief:


»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«

Es sah es auch niemand, wohin sie fuhr, aber der Prinz war über das schnelle Verschwinden seiner schönen Tänzerin sehr unruhig, und da auf alle seine Fragen, wer sie gewesen, und woher sie sei? niemand Auskunft geben konnte, so verbrachte er die Nacht in großer Unruhe, die sich am Morgen in einen schrecklichen Mißmut und in die üble Stimmung verwandelte, von der selbst Prinzen bisweilen befallen werden können.

Der Koch brachte des Prinzen Stiefeln in die Küche, und klagte über dessen Mißlaune, indem er die Stiefeln Aschenpüster zum Putzen und Wichsen übergab. Sie übernahm diese Arbeit, und wichste die Stiefeln so schön, daß der Kater sich mit Wohlgefallen darin spiegelte, und seinem Ich im Spiegel einen Kuß gab; davon verschwand an der Stelle, wo der Kater sich geküßt, der Glanz.

Als Aschenpüster nun in ihrer Knabengestalt und im Krähenpelze in des Prinzen Zimmer trat, und die Stiefeln hineinstellte, sah der Prinz gleich den matten Fleck, nahm den Stiefel, warf ihn ihr an den Kopf, und schrie: »Du Bengel von Aschenpüster! Wirst du wohl besser Stiefeln putzen lernen?!« –

Aschenpüster hob den Stiefel auf, und machte ihn wieder durchweg glänzend und schwieg.

Abends fuhr der Prinz abermals zum Tanze, und Aschenpüster erbat noch einmal Urlaub. Da Aschenpüster am vorigen Abende bald wieder gekommen, und nicht über die Zeit ausgeblieben war, wie manches Dienstgesinde gerne tut, so gewährte der Koch wiederum die Bitte – und nun ging Aschenpüster zu ihrem Schrein und Kämmerlein in der Eiche, und tat das goldene Kleid an, schuf sich mit der Wünschelgerte einen neuen Wagen, neue Rosse, neue Bedienung, und fuhr zum Schlosse hinüber. Dort war bereits der Prinz, aber verstimmt. Alles fehlte, weil sie fehlte. Da trat sie ein, [480] strahlend wie eine Königin. Er eilte auf sie zu, und führte sie zum Tanze. O wie glücklich machte ihn ihr holdes Lächeln, ihr sinniges Gespräch, ihre heitere schelmische Neckelust! Viel hatte er heute zu fragen, unter andern, wo sie her sei? Lachend antwortete Aschenpüster: »Aus Stiefelschmeiß!«

Eine kurze Stunde weilte Aschenpüster beim Tanze – mit einem Male war sie aus dem Saale verschwunden, rasch saß sie wieder in ihrem Wagen, und sprach ihr Zauberwort:


»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«

Des Prinzen Blick suchte vergebens die geliebte Gestalt. Nach ihr fragend, wandte er sich an diesen und jenen der Hochzeitgäste, niemand kannte sie. Er fragte seinen Geheimen Rat, der mit ihm als sein Begleiter gekommen war: »Sagen Sie mir doch, mein lieber Geheimerat, wo liegt der Ort oder das Schloß Stiefelschmeiß?« –

Der Geheimerat machte eine tiefe Verbeugung, und antwortete: »Durchlauchtigster Prinz! Höchstdieselben geruhen? Stiefelschmeiß – o ja, das liegt – das liegt – in – in – fatal, nun fällt es mir im Augenblicke nicht ein, wo es liegt. Sollte es wirklich einen Ort oder ein Schloß dieses seltsamen Namens geben? Wo sollte selbiges liegen, Eure Durchlaucht?«

Der Prinz drehte dem Sprecher den Rücken zu und murmelte ärgerlich durch die Zähne: »Ich lasse diesem Geheimerat jährlich dreitausend Taler Gehalt auszahlen, und nun weiß er nicht einmal, wo Stiefelschmeiß liegt! – Es ist schauderhaft!« –

Daraus erklärte sich von selbst, daß, als die Morgenröte des nächsten Tages rosig emporstieg, die Laune des Prinzen dennoch keine rosenfarbene war. Er hatte keine Ruhe, wollte früh schon ausgehen, zog seinen Rock an, den Aschenpüster rein gebürstet hatte, entdeckte darauf einige Stäubchen, rief nach einer Bürste, und stampfte mit dem Fuße. Eilend lief Aschenpüster im Krähenpelze mit der Bürste herbei, der Prinz war aber so schrecklich böse, daß er ihr die Bürste aus der Hand riß, sie ihr an den Kopf warf, und ihr zuschrie, sie solle ein anderesmal gleich besser bürsten.

Am letzten Abende des nachbarlichen Hochzeitfestes lief wieder alles hinüber zum Schlosse, und auch der Prinz fuhr wieder hin. Da bat Aschenpüster zum drittenmal um [481] Erlaubnis, auch zusehen zu dürfen, darüber schüttelte der Koch sehr den Kopf, daß der Junge so neugierig sei, doch dachte er: Jugend hat nicht Tugend, und sagte: »Es ist heute das letztemal, laufe hin!«

Aschenpüster lief geschwinde in den Park in die Eiche, zog das Demantkleid an, zauberte sich wieder Rosse und Wagen, Kutscher und Lakaien, und er schien wie ein lebendiger Schönheitsstrahl beim Feste. Der Prinz tanzte vor allem mit ihr, und nur mit ihr, und fragte sie zärtlich, wie sie denn heiße? Aschenpüster lächelte schelmisch und antwortete:»Cinerosa Bürstankopf.«

Den Vornamen, der auf Rosa ausging, fand der Prinz, zumal er kein Latein verstand, sehr schön, den Zunamen aber befremdlich – er hatte diese gewiß reiche und angesehene Familie noch nie nennen hören, doch sprach der, von Liebe bezwungen, indem er ihr seinen Ring an einen Finger schob: »Wer du auch sein magst, schönste Cinerosa! Mit diesem Ringe verlobe ich mich dir!« – Mit hoher Schamröte auf den Wangen blickte Aschenpüster zur Erde und zitterte. Gleich darauf entfernte sie sich, als der Prinz nur einen Augenblick seine Augen anderswohin wandte. Schnell saß sie im Wagen, aber der Prinz hatte soeben Befehl gegeben, den seinen dicht hinter dem ihren aufzufahren, damit er ihr folgen könne. Aschenpüster schwang ihre Wünschelgerte und sprach:


»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«

Und da rollte sie hin – rasch saß jetzt auch der Prinz in seinem Wagen, und rollte ihr nach, aber da war ihr Wagen nicht mehr zu sehen, gleichwohl hörte man dessen Räder rollen, und so folgte der Wagenlenker des Prinzen diesem Schall. Der Tanz hatte diesesmal am längsten gedauert, schon zog der frühe Morgen dämmernd heran; die Stunde war bereits da, in der die Küchenarbeit begann, Aschenpüster zauberte schnell ihren Wagen und ihre Bedienung fort, und hatte nicht Zeit, sich erst umzukleiden, sie verbarg daher eiligst ihr Demantkleid unter dem Krähenpelze und eilte in die Küche. Der Prinz aber, welcher dem Wagen des herrlichen Mädchens nachgefahren war, sah sich mit Verwunderung dicht vor seinem eigenen Schlosse, und wußte nicht, [482] wie ihm geschah, war daher wieder sehr mißmutig und dazu sehr unmustern und übernächtig.

»Unser Prinz ist gar nicht wohl auf!« sagte zu Aschenpüster der Koch. »Er muß ein Kraftsüpplein haben oder eine Chocolade – zünde rasch Feuer an.« – Der Morgenimbiß wurde schnell bereitet, Aschenpüster warf des Prinzen Ring hinein, der Koch trug die Tasse auf. Der Prinz trank und fand am Boden mit Erstaunen seinen Ring und fragte hastig: »Wer war so früh schon in der Küche?«

»Euer Durchlaucht, niemand als ich und der Aschenpüster« – antwortete der Koch.

»Schicke mir diesen Burschen gleich einmal herein!« gebot der Prinz, und als Aschenpüster kam, sah ihn der Prinz ganz scharf an, aber der Krähenpelz verhüllte alle Schönheit.

»Komme her, tritt näher, Aschenpüster!« gebot der Prinz. »Komm, kämme mich, mein Friseur liegt noch in den Federn!«

Aschenpüster gehorchte; sie trat ganz nahe an den Prinzen heran und strählte ihm mit elfenbeinernem Kamme das volle weiche Haar. Der Prinz befühlte den Krähenpelz; derselbe war an einigen Stellen abgetragen, daher etwas mürb und fadenscheinig, und durch die abgeschabten Fäden blitzte es so funkelklar wie Morgentau, das war der Demantglanz des Prachtgewandes, das Aschenpüster noch unter ihrem Krähenpelze trug.

»Jetzt kenne ich dich, o Liebe!« rief voll unaussprechlicher Freude der Prinz. »Jetzt bist du mein, jetzt bin ich dein! Auf ewig!« Und schloß die Braut in die Arme und küßte sie.

Kurz vor der Hochzeit bat die schöne Braut sich von ihrem geliebten Bräutigam noch eine Gnade aus. Der gute Koch, der Aschenpüster so wohlwollend aufgenommen und so freundlich und gütig sie behandelt hatte, empfing von dem Prinzen den Ritterschlag und wurde zum Erbtruchseß erhoben. Das war ihm recht, da brauchte er das Essen nicht mehr zu kochen, wie sonst, sondern konnte es an der fürstlichen Tafel in aller Ruhe selbst mit verzehren helfen, und als die Hochzeit prachtvoll gefeiert wurde, da trug er im vollen Glanze seiner neuen Würde, geschmückt mit Stern und Orden, dem prinzlichen Paare mit eigener Hand die Speisen auf.

[483]
Das NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das Natterkrönlein

Alte Großväter und Großmütter haben schon oft ihren Enkeln und Urenkeln erzählt von schönen Schlangen, die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen; diese nannten die Alten mit mancherlei Namen, als Otterkönig, Krönleinnatter, Schlangenkönigin und dergleichen, und sie haben gesagt, der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück.

Bei einem geizigen Bauer diente eine fromme, mildherzige Magd, und in dessen Kuhstalle wohnte auch eine Krönelnatter, die man zuweilen des Nachts gar wunderschön singen hörte, denn diese Nattern haben die Gabe, schöner zu singen als das beste Vögelein. Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk oder sie fütterte und ihnen streute, was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles, da kroch manchmal das Schlänglein, welches so weiß war, wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an, und dieser kam es immer vor, als wolle die Schlange etwas von ihr haben. Und da gewöhnte sie sich, in ein kleines Untertäßchen etwas euterwarme Kuhmilch zu lassen, und dem Schlänglein dieses hinzustellen, und das trank die Milch mit gar großem Wohlbehagen, und drehte und wendete dabei ihr Köpfchen, und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein, und leuchtete ordentlich in dem dunkeln Stalle.

Die gute Dirne freute sich über die weiße Schlange gar sehr und nahm auch wahr, daß, seit sie dieselbe mit Milch tränkte, ihres Herrn Kühe sichtbarlich gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen zur Welt brachten, worüber sie die größte Freude hatte.

Da traf sich's einmal, daß der Bauer in den Stall trat, als just die Krönleinnatter ihr Tröpfchen Milch schleckte, das ihr die gute Dirne hingestellt, und weil er geizig und happig über alle Maßen war, so begehrte er gleich so wild auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte.

»Du miserable nichtsnutze Dirn, die du bist!« schrie der böse Bauer. »So gehst du also um mit Hab und Gut deines [484] Herrn? Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub ich, daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!«

Die arme Dirne konnte diesem Strome harter Vorwürfe nur mit reichlich geweinten Tränen begegnen, aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, daß sie weinte, sondern er schrie und zankte sich mehr und mehr in den vollen Zorn hinein, vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben: »Aus dem Hause, sag ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen! Gleich schnürst d' dein Bündel, aber gleich! Und machst, daß du aus dem Dorfe fort kommst, und läßt dich nimmer wieder blicken, sonst zeig ich dich an beim Amt, da wirst d' eingesteckt und kriegst den Staubbesen, du Malefiz-Wetterdirn!« –

Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein, und dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. Da wurde ihr weh ums Herz, im Stalle blökte ihre Lieblingskuh. – Der Bauer war weiter gegangen; sie trat noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen, denn frommem Gesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen, daher pflegt man auch zu sagen, im ersten Dienstjahre spricht die Magd: meines Herrn Kuh, im zweiten: unsere Kuh, und im dritten und in allen folgenden: meine Kuh.

Und da stand nun die Dirn im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand – und da kam die Schlange mit dem Krönlein auch gekrochen.

»Leb wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern.« Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in die Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie nie getan, das war ein Zeichen, daß auch sie aus dem Hause scheide, wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte.

[485] Jetzt ging die arme Dirne ihres Weges und wußte nicht, wie reich sie war. Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glücke aus, der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude.

Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge Bursche des Dorfes, dem entbrannte gleich in Liebe das Herz zu der Dirne, und er grüßte sie und fragte sie: Wohin sie gehe und warum sie scherze? (aus dem Dienst scheide). Da sie nun ihm ihr Leid klagte, hieß er sie zu seiner Mutter gehen, und sie solle dieser nur sagen, er sende sie. Wie nun die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzensohn ihr aufgetragen, da faßte die Frau gleich zu ihr ein großes Vertrauen und behielt sie im Hause, und als am Abende die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen, da mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen, und da deuchte allen, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels, und wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt, und gewannen zu der Dirne eine mächtig große Liebe. Und als abgegessen war, und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen hatte, und das Gesinde die Stube verlassen, da faßte der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne, und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: »Frau Mutter, segnet mich und die – denn die nehm ich mir zur Frau oder keine. Sie hat mir's einmal angetan!«

»Sie hat's uns allen angetan«, antwortete die alte Frau Schulzin. »Sie ist so fromm als sie schön ist, und so demütig als sie makellos ist. In Gottes Namen segne ich dich und sie und nehme sie von Herzen gern zur Schnur.«

So wurde die arme Magd zu des Dorfes reichster Frau und zu einer ganz glücklichen noch dazu.

Mit jenem geizigen Bauern aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben, ging es baldigst den Krebsgang. Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg. Er mußte erst sein Vieh verkaufen, dann seine Äcker, und alles kaufte der reiche Schulzensohn, und seine Frau führte die lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt, in ihren Stall, und streichelte sie und ließ sich wieder die[486] Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand. Auf einmal sah sie bei diesem Geschäfte die weiße Schlange wieder. Da zog sie schnell das Krönlein hervor und sagte: »Das ist schön von dir, daß du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, so viel du willst, und da hast du auch dein Krönlein wieder, mit tausend Dank, daß du mir damit so wohl geholfen hast. Ich brauch es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, durch Treue und durch Fleiß.«

Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieb Friede, Glück und Gottes Segen ruhen.

Das klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das klagende Lied

Es war einmal ein König, der starb und hinterließ seine Frau, die Königin, und zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Die Tochter war aber ein Jahr älter als der Sohn. Und eines Tages stritten die beiden Königskinder miteinander, welches von ihnen beiden König werden sollte, denn der Bruder sagte: »Ich bin ein Prinz, und wenn Prinzen da sind, kommen die Prinzessinnen nicht zur Regierung«; die Tochter aber sprach dagegen: »Ich bin die erstgeborene und älteste, mir gebührt der Vorrang.« Beides, was die Kinder da sagten, sagten sie in aller Unschuld und hatten die Worte nur so aufgeschnappt von dem Hofgesinde, ohne den Sinn so recht eigentlich zu verstehen. Da sie nun über ihren Streit nicht einig wurden, so gingen sie miteinander zur Mutter und fragten diese: »Sage, liebe Mutter, welches von uns beiden wird dereinst König werden?« – Diese Frage betrübte die Mutter, denn es blickte der Keim der Herrschsucht durch dieselbe, die nicht wurzeln soll im Gemüte eines Kindes, und sie antwortete: »Liebe Kinder! Seht einmal hier das schöne Blümlein recht genau an, und dann gehet in den Wald und suchet. Wer von euch beiden dieses Blümchen zuerst findet, der wird dereinst König werden.« – Die Kinder sahen sich voll Aufmerksamkeit das Blümchen an; sein Stengel war gestaltet wie ein Szepterlein, und endete in eine halbaufgeschlossene[487] Lilie. Und die Kinder gingen ganz harmlos zusammen in den Wald, und begannen zu suchen, und wie sie so suchten, so kamen sie bald auseinander, daß eins das andere aus den Augen verlor. – Und da fand die kleine Prinzessin zuerst das Blümchen, und freute sich darüber und sah sich nach dem Bruder um, der war aber nicht da. Und da dachte das Kind: er wird wohl bald kommen, ich will hier auf ihn warten, und legte sich auf den weichen Rasen und in den kühlen Baumschatten, und es war so still im Walde, Käfer und Bienen summten bloß, und eine nahe Quelle murmelte leise, und der Himmel blickte tiefblau durch die grünen Baumwipfel herab auf den grünen Waldesrasen. Die kleine Prinzessin hatte ihr Blümchen in die Hand genommen und weil es so still und sie ein wenig müde war, so entschlummerte sie in Gottes Namen.

Es dauerte nur eine kleine Weile, so kam der Bruder an die Waldstelle, wo seine Schwester schlief; er hatte aber das Blümchen, welches er suchte, nicht gefunden; und da sah er die Schwester am Boden liegen, süß schlummernd, und die hatte das Blümchen in ihrer Hand.

Da stiegen in des Prinzen Seele schwarze Gedanken auf, und Schreckliches kam ihm in den Sinn.

Ich muß König werden, ich! dachte er, und die Schwester soll es nicht werden! Lieber will ich sie töten, und will die Blume nehmen und damit heim gehen, und dann werde ich König.

Ach, da hieß es recht: gedacht und getan. Der Prinz ermordete sein unschuldiges Schwesterlein im Schlafe und verscharrte es im Walde, und deckte Erde darauf und Rasen auf die Erde, und kein Mensch erfuhr etwas von dieser bösen Tat, denn wie der Prinz nach Hause kam, so sagte er, seine Schwester sei im Walde von ihm hinweg und ihren eigenen Weg gegangen. Wie er die Blume gefunden gehabt, habe er den Rückweg nach Hause angetreten und geglaubt, sie sei auch schon nach Hause.

Und da sind viele Jahre hingegangen und die alte Königin hat fort und fort getrauert über die verlorene Tochter, die sie im ganzen Walde fruchtlos suchen ließ, und hat sich den Tod gewünscht, weil sie selbst die geliebte Tochter fortgeschickt hatte, und als ihr Sohn nun die Jahre seiner Mündigkeit erreicht hatte, so ward er König.

Und nach manchem manchem Jahre kam ein Hirtenknabe [488] in jenen Wald, der hütete dort seine Herde, und stocherte zum Zeitvertreibe und aus langer Weile mit seiner Schippe in dem Rasen herum, wie die Hirten öfter tun, die manchesmal Herzen und Namen und Kreuze in den grünen Rasen graben, und da grub er von ohngefähr ein Totenbeinlein aus von der getöteten Prinzessin, das war so rein und weiß wie Schnee. Und der Hirtenknabe machte ein paar Löchlein in das Beinlein, so wurde daraus eine kleine Flöte, und diese setzte der Hirtenknabe an seine Lippen und blies. Da quollen klagende Töne aus dem Totenbeine, ach, so unendlich traurig, und es war ordentlich, als singe in demselben eine weinende Kindesstimme, daß der Hirtenknabe selbst weinen mußte, und konnte doch nicht aufhören zu blasen. Es lautete aber das klagende Lied also:


»O Hirte mein, o Hirte mein,
Du flötest auf meinem Totenbein!
Mein Bruder erschlug mich im Haine.
Nahm aus meiner Hand
Die Blum die ich fand,
Und sagte, sie sei die seine.
Er schlug mich im Schlaf, er schlug mich so hart –
Hat ein Grab gewühlt, hat mich hier verscharrt –
Mein Bruder – in jungen Tagen.
Nun durch deinen Mund
Soll es werden kund,
Will es Gott und Menschen klagen.«

Und immer war nur das eine und immer das eine Lied aus der beinernen Flöte zu bringen, und immer blies es der junge Hirte wieder, während ihm jedesmal die hellen Tränen über die Wangen herabrollten.

Wenn das klagende Lied im Walde erklang, da wurden alle Vögelein stumm und traurig, hingen Köpflein und Flügel und schwiegen; auch die Käfer und Bienen summten nicht mehr, und selbst das Murmeln der plätschernden, geschwätzigen Quelle war nicht mehr zu hören – es wurde so recht, was man sagt: totenstill.

Schallte das klagende Lied über eine Trift, so hingen die Tiere der Weide wehmütig die Häupter, und keines gab einen Laut; auch der Hund bellte nicht mehr und sprang nicht, wie sonst, fröhlich umher, vielmehr duckte er sich [489] und winselte ganz leise, denn es war für alle Kreatur etwas Herzzerschneidendes in dem klagenden Liede. Aber der Hirtenknabe konnte nicht müde werden, dieses Lied zu flöten, bis einst ein Rittersmann am Hag vorüberkam, der hörte auch das Lied und fühlte, daß seine Augen tropften, und hielt, und ließ nicht nach, bis der Hirtenknabe ihm, dem Ritter, die kleine Flöte käuflich abtrat. Und nun zog der Ritter im ganzen Lande herum, und blies das Lied, und brachte mit demselben alle Welt zu Tränen.

So kam dieser auch an den Hof, wo der junge König auf dem Throne saß, von dem das Lied sang und klagte, und die alte Königin Mutter lebte auch noch, und es wurde ihr Kunde gebracht von dem ritterlichen Spielmanne, der ein Lied flöte, von dessen Melodei alle Herzen erzitterten und alle Seelen mit tiefer Trauer erfüllt würden.

Die alte Königin aber, die stets traurig war, sprach: »Was könnte es in der Welt geben, das trauriger wäre, als meine Trauer? Ich wüßte nichts, mich wird das klagende Lied des Spielmannes nicht trauriger machen, als ich ohnehin bin. Lasset ihn immerhin kommen.« –

Der ritterliche Spielmann kam und blies:


»O Ritter mein, o Ritter mein,
Du flötest auf meinem Totenbein!
Mein Bruder erschlug mich im Haine.«

Kaum hatte die alte Königin diese wenigen Worte vernommen, so schoß schon ein Tränenstrom aus ihren Augen – aber als es weiter tönte:


»Nahm aus meiner Hand
Die Blum, die ich fand
Und sprach, sie wäre die seine« –

da stieß die Königin einen gellenden Schrei aus und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Der Spielmann erschrak darüber und wollte absetzen, aber das konnte er nicht – das Lied wollte jedesmal, wenn es begonnen war, zu Ende gespielt sein – und als der letzte Ton mit tiefer Klage verzitterte, da erwachte die Königin aus ihrer Ohnmacht und rief: »Mir, mir die Flöte! Um alle meine Schätze – mir diese Flöte!«

Und der ritterliche Spielmann ließ der Königin die beinerne Flöte und sagte, er begehre keine Schätze – und nahm nichts an und zog weiter.

[490] Und die Königin schloß sich ganz allein in ihre tiefsten Gemächer und blies das Lied und weinte so lange, bis sie fast keine Tränen mehr hatte.

Der König aber war ein lebenslustiger froher Herr geworden, der hatte seine Freude an Sang und Klang, und feierte gern heitere Feste, und freute sich seines Lebens. Einst geschah es, daß er auch ein Fest zu feiern beschlossen hatte, und waren zahlreiche Sänger und Spielleute bestellt, und zahlreiche Gäste eingeladen worden. Der Sitte gemäß, hatte der junge König nie unterlassen, seine Mutter auch jedesmal einzuladen zu seinen Festen, aber sie hatte niemals Teil genommen, weil sie, wie sie dem Sohne dankend sagen ließ, zu viele Trauer im Herzen habe. Als aber diesesmal die Einladung wiederum an sie gelangte, da ließ sie sagen, sie werde Teil nehmen. Dies wunderte den König und befremdete ihn, und er wußte nicht, ob er sich darüber freuen sollte.

Da nun alle Gäste in bunter Pracht versammelt waren, und alle Sänger und Spielleute bereit, und der Hof eintrat in den herrlich geschmückten Königssaal, darin das Fest Statt fand, so erregte es fast eine bange Verwunderung, die alte Königin zu sehen in langem schleppenden, schwarzen Trauergewande und im Witwenschleier – der Jubel der Instrumente, der Harfen und Pauken, Flöten und Cymbeln aber brach los, und die Chöre der Sänger begannen in erhabenen Weisen eine Hymne zum Preise des Königes.

Was aber tut die alte Königin? Sie setzt sich nicht, sie steht starr, wie ein Marmorbild. Was hält sie denn für ein seltsames kleines Szepter in der Hand? Das ist ja kein Szepter, das ist ein Totenbein. Und warum hebt sie denn dies Totenbein zum Munde? Warum hält sie es so, wie Spielleute ihre Flöten halten?

Horch! Ein Ton – und es verstummen alle Pauken und Harfen und Cymbeln – noch ein Ton, und jeder Sängermund wird stumm.

Dort aber sitzt der König, und blickt entsetzt, von ungeheuerem Grauen durchrieselt, auf seine Mutter, und alle, alle blicken auf die alte Königin.

Die alte Königin spielt ein Flötensolo.


»O Mutter mein, o Mutter mein –
Du flötest auf meinem Totenbein!«

Da erbeben, erzittern schon alle Herzen, da bleibt schon [491] kein Auge trocken, Hofstaat und Gäste, Sänger und Spielleute, alle weinen.


»Mein Bruder erschlug mich im Haine.« –


»Ha!« schreit der König, und das Szepter entsinkt seiner Hand, und er faßt mit beiden Händen nach seiner Krone.


»Nahm aus meiner Hand
Die Blum die ich fand,
Und sagte, sie sei die seine.«

Da rollte die Krone von des Königes Haupte herab, fiel auf den Marmorboden und zerschellte. Es klang als ob ein Totenschädel auf dem Marmor rasselte.


»Er schlug mich im Schlaf – er schlug mich so hart –
Hat ein Grab gewühlt, mich im Walde verscharrt –«
Da stürzte der König selbst vom Throne herab, und fiel auf sein Angesicht und stöhnte und wimmerte.
»Mein Bruder – in jungen Tagen«.
Der König wand sich in Todeszuckungen und bäumte sich – und schrie: »Ende! Mutter – ende!«
Aber die alte Königin konnte nicht von selbst das klagende Lied beendigen, es tönte fort:

»Nun durch deinen Mund
Soll es werden kund,
Will es Gott und Menschen klagen.«

Da flohen, während diese Worte entsetzlich und zermalmend, und doch gar nicht laut, vernommen wurden, alle Gäste, Spielleute, Sänger und Hofdienerschaft zu allen Türen des Saales hinaus – darüber Instrumente und Sessel viele zerbrachen, und die Kerzen löschten aus, bis auf zwei – und als das Lied zu Ende geklungen war, war niemand mehr im weiten Saale, als nur die alte Königin im Trauergewande, und ihr sterbender Sohn in seinem bunten Flitterstaate, reich besetzt mit Gold und Perlen. Und sie kniete neben dem noch immer am Boden liegenden Sohne nieder, und hielt sein Haupt in ihren Händen, und weinte heiße Tränen darauf. Da löschte langsam die eine der beiden noch brennenden Kerzen aus.

Die alte Königin aber weinte und betete noch bis Mitternacht[492] – dann verlöschte sie selbst die letzte Kerze und zerbrach die Flöte, auf daß niemand mehr das klagende Lied vernehme.

Schneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Schneider Hänschen und die wissenden Tiere

Ein Schuhmacher und ein Schneider sind einmal miteinander auf die Wanderschaft gegangen. Der Schuster hatte Geld, der Schneider aber war ein armer Schwartenhans. Beide hatten ein und dasselbe Mädchen lieb, welches Lieschen hieß, und jeder gedachte, es zu heiraten, wenn er sich ein gutes Stück Geld verdient habe, und Meister geworden sei. Der Schuster, Peter genannt, war aller Tücke voll und hatte ein schwarzes Herz, das Schneiderlein war gutmütig und leichtfertig, und sein Name war Hänschen. Erst hatte Hänschen nicht mit dem Peter zusammen wandern wollen, weil es kein Geld hatte, aber Peter, der auf eitel Bosheit gegen das Schneiderlein sann, weil jenes Lieschen das Hänschen gern sah und nicht den Peter, sann auf des Schneiderleins Verderben und sprach: »Komm nur mit mir, ich habe Batzen, ich halte dich frei, auch wenn wir keine Arbeit bekommen. Alle Tage wollen wir uns dreimal tüchtig satt essen und satt trinken. Ist dir das nicht recht?«

»Von satt essen und satt trinken bin ich ja ein Freund!« antwortete Hänschen, und beide schnürten ihre Ränzel und traten ihre Wanderschaft an. Neun Tage lang gingen sie und fanden nirgend Arbeit, zumal Peter keine finden mochte, und wenn auch Hänschen Arbeit hätte haben können, diesen immer verlockte, sie nicht anzunehmen, sondern mit ihm zu wandern. Nun, nach den neun Tagen sprach Peter: »Hänschen, mein Geld nimmt ab, soll es noch eine Weile reichen, so dürfen wir von jetzt an des Tages nur zweimal essen und trinken.«

»O weh!« seufzte Hänschen: »wird schon jetzt Schmalhans unser Wandergeselle? Wär ich doch nicht mit dir gegangen! Hungern konnt ich auch daheim! Dort hatt ich doch was Liebes, was mir den Hunger versüßt hätte!«

Peter, der während des Weitermarsches stets die Speisen kaufte, aß sich heimlich dicksatt, denn er hatte Geld genug [493] dazu, aber Hänschen gab er täglich nur zweimal, und hatte seine Freude daran, wenn seinem Gefährten der Magen murrte und knurrte, und sich nach dem Sprüchwort, die Betteljungen in Hänschens Leibe prügelten.

So gingen abermals neun Tage hin, und noch immer fand sich keine Arbeit, da sprach Peter: »Liebes Hänschen, mit meinem Gelde wird es bald Matthäi am letzten sein – es langt wahrlich nimmer zu, zu vier Mahlzeiten täglich, zwei für dich, zwei für mich. Mein Geldbeutel hat die galoppierende Schwindsucht. Schau her, er ist so dünn wie ein Spulwurm. Wir können von jetzt an uns nur einmal täglich sättigen.«

»Ach, ach, Peterlein!« klagte Hänschen. »In welches Unglück hast du mich gebracht! Das halt ich ja nicht aus! Sieh mich doch nur an, ich bin ja schon so dünne und durchsichtig, daß ich schier kaum noch einen Schatten werfe. Wo soll denn das zuletzt hinaus?«

»Schnalle einen Schmachtriemen um!« lachte Peter. »Übe dich in der Tugend der Enthaltsamkeit. Tritt in einen Mäßigkeitsverein!«

»Hat sich was einzutreten« – jammerte das Schneiderlein: »Ich meint wir wären schon mitten in der Mäßigkeit!«

Was half aber nun alles, es mußte gut tun, wohl oder übel; Hänschen hungerte tapfer, daß er aber nicht zunahm an Leibesfülle, kann sich jeder denken. Er wurde rasseldürr, und sein Angesicht bekam eine Farbe, wie Hauszwirn. Und immer gab es keine Arbeit, und nun zumal erst recht nicht, denn die Meister sprachen: »Reise mit Gott, Bruder Mondschein! Wie kann so ein Kerlchen etwas Dauerbares nähen, dem sein ganzes eigenes Gestelle aus der Naht reißt? Schneider dürfen von Natur dünn sein, aber nur was recht ist – so dünn, daß man sie statt Nähgarns einfädeln kann, dürfen sie doch nicht sein!«

Hänslein weinte heiße Tränen, wenn er solche lose Reden zu hören bekam, und der schlechte Peter frohlockte heimlich und innerlich darüber, und als wiederum neun Tage vergangen waren, und Hänschen vor Hunger fast am Wege liegen blieb, da sprach der falsche Peter: »Bruderherz – es tut mir leid, und schneidet mir in die Seele, daß ich's sagen muß, aber mein Geldbeutel ist jetzt ganz auf den Hund – mit Essen und Trinken bei Bäcker und Wirt ist es nun ganz und gar vorbei.«

»Daß's Gott erbarm!« schrie Hänschen. »Gar nicht mehr [494] essen und trinken? Da steht mir der Verstand stille! Wer kann das aushalten? O wehe, wehe mir! Daß ich dir folgte! Wehe dir, daß du mich so verlockt hast!«

»Mein Himmel, wie du gleich außer dir geraten kannst, Hänschen!« rief Peter. »Als ob es nicht zu trinken vollauf gäbe!«

»Wo? Wo?« rief Hänschen mit lechzender Lunge.

»Überall! Wasser, Bruderherz! Wasser!« lachte Peter. »Wasser ist sehr gesund, es verdünnt Blut und Säfte, es heilt die meisten Krankheiten, es stärkt die Glieder. Siehst du, ich muß ja auch Wasser trinken.«

»Aber Wasser ist kein Essen!« klagte Hänschen. »Von Luft kann ich nicht leben, also schaffe mir zu essen, oder ich muß ins Gras beißen und Erde kauen.Etwas muß ich zu kauen haben.«

»Nun, ich will zum Bäcker gehen, und für das letzte Geld ein Brötchen kaufen, das will ich redlich mit dir teilen!« sagte der falsche Peter, hieß Hänschen auf einen Stein sitzen und ging zu einem Bäcker, kaufte dort vier Brötchen, aß drei davon gleich auf, und trank einen Schnaps dazu – dann kam er wieder zu Hänschen.

»Aber Peter!« sprach das hungrige Schneiderlein: »Du bleibst sehr lange aus. Gib mir zu essen, die Ohnmacht wandelt mich an.«

»Ich habe erst warten müssen, bis das Brot sich abgekühlt hatte«, verteidigte sich Peter: »warmes Brot ist nicht gut in einen leeren Magen. Hier hast du deine Hälfte.« – »Peter, du riechst nach Schnaps!« – sprach Hänschen. »So?« fragte Peter: »kann schon sein, drinnen trank einer, der stieß an mich und schüttete mir aus Ungeschick ein paar Tropfen auf mein Gewand.«

Hänschen verschlang sein halbes Brötchen mit Wolfshunger, stillte mit Wasser seinen Durst und wanderte weiter mit seinem treulosen Gefährten. Beide sprachen fast nichts mehr miteinander.

Als es bald Abend wurde und beide wieder durch ein Dorf kamen, ging Peter wieder zu einem Bäcker, aß sich satt und kam mit einem Brötchen aus dem Laden. Hans dachte, jener werde das Brötchen mit ihm teilen, aber Peter schob es in die Tasche.

Nach einer Weile sprach Hänschen, als sie das Dorf im Rücken hatten, und in einen Wald gelangt waren: »Nun, [495] Peter! Rücke heraus mit deinem Brötchen! Mich hungert äußerst.«

»Mich nicht«, antwortete Peter ganz kurz.

»Nicht?« schrie Hänschen erschrocken, und blieb stehen, und seine Beine zitterten. »Unmensch, der du bist!«

»Vielfraß, der du bist!« höhnte Peter. »Bei dir trifft doch recht zu, was ich immer habe sagen hören: je dürrer ein Kerl ist, eine um so bessere Klinge schlägt er. Das Brötchen, das ich noch bei mir trage, ist, wie du sehr richtig bemerktest, mein Brötchen, und du bekommst nicht eine Krume davon, weil du gesagt hastUnmensch.«

»So muß ich ja Hungers sterben!« schrie Hänschen in Verzweiflung.

»Stirb in Gottes Namen!« antwortete Peter. »Die Leichenträger werden sich an dir keinen Schaden heben.«

»Aber ich bitte dich um Gottes willen!« jammerte Hänschen.

»Um was?« fragte Peter lauernd.

»Um die Hälfte deines Brötchens!« stammelte Hänschen.

»Umsonst ist der Tod – es hat mich mein allerletztes Geld gekostet. Wie vieles Geld könnte ich noch haben, hätte ich mich nicht mit dir geschleppt und dich gefüttert!« sprach Peter aufs neue.

»Aber du selbst hast mich ja beredet, mit dir zu gehen!« warf Hänschen ein, doch machten Ärger und Hunger ihm schon schwer, die Worte hervor zu würgen. Seine Zunge klebte am Gaumen.

»Gibst du mir, so geb ich dir« – nahm Peter wieder das Wort. »Mir ist mein Brötchen so lieb wie meine Augäpfel, folglich ist es zwei Augäpfel wert. Gib mir einen deiner Augäpfel für die Hälfte.«

»Gott im Himmel! Wie strafst du mich, daß ichdiesem folgte!« wimmerte Hänschen, denn schreien konnte das arme Schneiderlein schon vor Schwäche nicht mehr – doch streckte es die Hand nach dem halben Brötchen aus, und sättigte sich, und dann stach ihm Peter den einen Augapfel aus.

Am andern Tage wiederholte sich alles Traurige des vorigen Tages bei den zwei Wandergesellen. Peter kaufte wieder ein Brötchen und gab Hänschen nichts davon, und wollte das andere Auge Hänschens für dessen Hälfte haben.

»Aber dann bin ich ja stockblind!« jammerte das Schneiderlein. [496] »Dann kann ich ja nicht mehr arbeiten! Ohne ein Auge mindestens kann ich doch nicht einfädeln!«

»Wer blind ist«, tröstete der hart- und schwarzherzige Peter mit heimlichem Hohne: »der hat es gut. Er sieht nicht mehr, wie böse, falsch und treulos die Welt ist; er braucht nicht mehr zu arbeiten, denn er hat eine triftige Entschuldigung, und einem armen Blinden gibt auch der Geizigste zur Not noch eine Gabe. Du kannst noch reich werden als blinder Bettler, während ich mich armselig durch die Welt schleppen muß. Sollte dies eintreten, so werde ich zu dir kommen, und du wirst mich noch als deinen besten Wohltäter segnen und deinen Reichtum mit mir teilen, wie ich bisher meine Armut mit dir geteilt habe.«

Hänschen vermochte auf diese teuflische Rede gar nichts mehr zu erwidern – er ließ alles mit sich geschehen, und gab, um nur nicht Hungers zu sterben, dem treulosen Gefährten auch den zweiten Augapfel preis. Und als das geschehen war, und Hänschen hoffte, daß der Peter ihn nun leiten und führen werde, sprach dieser: »Nun gehabe dich recht wohl, mein gutes dummes Hänschen! Hier habe ich dich haben wollen. Hier ist Bettelmanns Umkehr. Jetzt wandre ich wieder heim, und heirate unser Lieschen. Ätsch! Siehe du zu, wohin du kommst!« –

Fort ging Peter und Hänschen schwanden vor Körper- und Seelenschmerz eine Zeitlang völlig die Sinne, so daß er umsank und wie tot am Wege lag.

Da kamen drei Wanderer des Weges daher, aber keine zweibeinigen, sondern zufällig vierbeinige, das waren ein Bär, ein Wolf und ein Fuchs. Sie berochen den Ohnmächtigen und der Bär brummte: »Dieses Manntier ist tot! Mögt ihr ihn? Ich mag ihn nicht!«

»Ich habe vor einer Stunde erst ein frisches Schaf verspeist, habe justement jetzt keinen Hunger, auch ist ja der Kerl so dürr und so hart wie ein Baumast!« sprach der Wolf. »Da wäre mir leid um meine Zähne, die ich weiter brauche.«

»Dieser Held muß ein Schneider gewesen sein!« spöttelte der Fuchs. »Mir ist eine fette Gans lieber wie ein dürrer Schneider. Wäre er ein Kürschner gewesen, so würde ich ihm die Nase abbeißen – so aber liegt er mir gut. Er ist ja blind gewesen, der hat gewiß nie einen Fuchs geschossen.«

Das arme Schneiderlein kam wieder zu sich, merkte seine [497] Gesellschaft und hielt den Odem an sich, so gut es ging, während die drei Tiere sich gar nicht weit von ihm behaglich ins Grüne lagerten.

»Blind zu sein, ist ein großes Unglück«, sprach der Fuchs: »sowohl für uns edle Tiere, als für die schlechten zweibeinigen Gabeltiere, die sich Menschen nennen, und sich so klug dünken, und so fürchterlich dumm sind, daß sie gar nichts wissen. Wüßten sie, was ich weiß, so gäb es keine Blinden mehr.«

»Oho!« rief der Wolf. »Ich weiß auch, was ich weiß. Wüßten das die Manntiere in der nahen Königsstadt, so litten sie nicht den gebrannten Durst, den sie leiden, und kauften nicht ein Schnapsgläschen voll Wasser um eine Krone.« –

»Hm hm!« brummte der Bär. »Unser einer ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Auch mir ist ein Geheimnis kund. Sagt ihr mir das eure, sage ich euch das meine, aber bei Leib und Leben darf keiner von uns den andern verraten.«

»Nein das dürfen und wollen wir nicht tun!« gelobte der Fuchs.

»Es muß einer dem andern feierlich die rechte Pfote darauf geben!« bekräftigte der Wolf.

»Topp, es gilt!« sprach Petz, und hielt seine haarige Tatze hin, und wie die andern einschlugen, so drückte und schüttelte der Bär zum Spaß ihre Pfoten so, daß sie vor Schmerz laut auf heulten, davon dem blinden Schneiderlein angst und bange wurde.

»Ich weiß«, begann der Fuchs, als der Bär ihn ob seines Zartgefühles ausgelacht, und wieder begütigt hatte: »daß heute eine besonders heilige Nacht ist; in dieser fällt Himmelstau auf Gras und Kraut. Wer blind ist, darf nur mit dem Tau seine Augen salben, so wird er wieder sehend, und selbst wenn er keine Augäpfel mehr hat, so bekommt er neue.«

»Das ist ein schönes Geheimnis«, sprach der Wolf: »meins ist aber auch nicht zu verachten. In der Königsstadt ist das Wasser ausgeblieben, und die Leute dort leben jetzt fast nur vom Geist, wenigstens sagen sie so, wenn es aber noch ein Weilchen so fort geht, so werden sie ihren Geist ganz aufgeben müssen. Gleichwohl haben sie Wassers die Fülle unter sich, und wissen's nur nicht. Auf dem Markte mitten im Pflaster liegt ein Grauwackenstein, wenn der aufgehoben [498] wird, so wird ein Wasserpütz turmhoch aus dem Boden springen. Ach wie froh würden die Residenzstädter sein, und wie heilsam wär es ihnen, wenn sie wieder Wasser hätten. Daß aber keiner von euch es ihnen sagt, sonst beiße ich jedem die Zunge im Maule ab!«

»Nichts wird gesagt, Bruder Isegrimm!« sprach Herr Braun und brummelte: »Was ich weiß, ist dieses: Seit sieben Jahren kränkelt des Königs einzige Tochter und kein Doktor kann ihr helfen, weil keiner weiß was ihr fehlt, wie wunderklug sich auch alle dünken. Gar manchen Rat gaben schon insgeheim des Königs Geheimeräte, aber es ist nichts Rätliches davon an Tag gekommen. Die Krankheit der Königstochter ist so gestiegen, daß der König verheißen hat, sie dem zur Gemahlin zu geben, der ihr hilft, um sie nur beim Leben erhalten zu sehen; es kann aber keiner helfen, der das nicht weiß, was ich weiß.«

»Du machst uns neugierig, hochgnädiger Herr König Braun!« sprach der Wolf, und Petz brummte: »nur Geduld, es kommt schon noch. Werdet doch ein wenig warten gelernt haben?« – Darauf schnaubte der Bär erst einmal gehörig aus, und fuhr dann fort: »Die Prinzessin Königstochter sollte in der Kirche ein Goldstück in den Opferstock werfen, sie war aber noch sehr jung und befangen und ängstlich, und schämte sich vor den vielen Leuten in der Kirche, und warf das Goldstück etwas ungeschickt, daß es daneben und in eine Spalte fiel. Darauf wurde sie von ihrer Krankheit befallen, die nicht früher enden wird, bis man das Goldstück hervorzieht und in die Ritze des Opferstockes einwirft. Solche Kur ist kinderleicht, es dürfte nur einer hingehen, und das Goldstück suchen.«

Als die Tiere sich einander so ihre Geheimnisse mitgeteilt hatten, erhoben sie sich aus ihrer Ruhe und gingen weiter; Hänschen aber war heilfroh über das, was er gehört hatte. Er bestrich sich eilend mit dem bereits gefallenen Himmelstau die Augen, da wuchsen ihm neue klare Augäpfel, und er sahe die goldenen Sterne am Himmel blinken und die dunkeln Wipfel der Waldesbäume. Bald brach der Morgen an, und Hänschen sah nun Weg und Steg, und wanderte neu gestärkt, der Straße entlang. In einigen Dörfern, durch die er kam, erfocht er so viel, daß er seinen neuerwachten Hunger und Durst stillen konnte, und endlich kam er in die Stadt, in welcher der Wassermangel so groß [499] war, daß alle Leute Wein und viele Schnäpse tranken, welche sie Likör nannten.

Hänschen hatte kein Geld zu Likören; er trat zu einer Wirtin und bat, ihm ein großes Glas Wasser zu reichen. Die Wirtin sah ihn dafür sehr groß an und schalt; »Seh mir einer den Lump! Hat nicht einmal Geld, einen Likör zu bezahlen, und will Wasser zechen! Meint der Mosjö, Herr von Fadenschein, das Wasser quelle nur so für nichts und wieder nichts? Es koste kein Geld? O weit gefehlt. Wisch Er sich das Maul von wegen dem Wasser; Wein oder Likör kann Er haben, mit Wasser kann ich nicht dienen, zumal in so großer Menge nicht.«

»Liegt man hier wirklich so krank an der Wassersucht, wie ich draußen vernommen?« fragte Hänschen. »Ei, wozu habt ihr denn hier Magistrat und Gemeinderat? Ist kein Moses im Stadtrate, der Wasser aus dem Felsen schlüge? Eure Krankheit wollte ich bald kuriert haben; ich bin ein Brunnenarzt.«

Diese Worte vernahmen einige junge Ratsherren, welche bei der Wirtin teils auch Liköre, teils Champagnerwein tranken; sie taten dies nur aus Ermangelung des Wassers, sonst würden sie es gewiß nicht getan haben, denn sie nannten den Champagner Gift und Äquinoktialsäure, und ohne die äußerste Not wird sicherlich niemand Gift und solcherlei Säuren zu sich nehmen. Diese jungen Herren umringten Hänschen, und fragten hastig, wie er es anstellen wolle, dem Mangel abzuhelfen?

»Meine hochverehrtesten Herren«, sprach Hänschen: »wenn ich sotanen Mangel allhier abstellen soll, so tut nötig sein, daß ich erst angestellt werde. Soll ich euch geheimen Rat erteilen, so würde eine mir zugeteilte kleine Geheimeratsbesoldung – so ein vier-bis sechstausend Tälerchen alljährlich mich zu Dank vergnügt machen. Dann solltet ihr Herren aber auch sehen, daß ich etwas leiste, was sich nicht von allen Geheimeräten rühmen läßt.«

Die jungen Ratsherren gaben dem Schneiderlein zu verstehen, es möge nicht sticheln und nicht so anzüglich reden, das könne man in der geistreichen Residenz nicht vertragen.

»Nanu!« entgegnete Hänschen. »Wenn ein Kleiderkünstler nicht mehr sticheln und anzüglich reden soll, da hört alles auf.«

Die Sache wurde nun im Gemeinderate und vom Magistrate [500] reiflich erwogen, und alle Stimmen einigten sich in dem Rufe: »Wasser um jeden Preis – ehe wir im Sande totaliter vertrocknen!«

Der Magistrat stellte hierauf die Not gemeiner Stadt dem Könige vor und auch das Mittel zu deren Abhülfe, und bat Seine Majestät in Gnaden zu geruhen, für den fremden Brunnenarzt ein Geheimeratsdekret ausfertigen zu lassen, die Besoldung solle aus städtischen Mitteln gern bestritten werden. Der König willfahrete mit väterlicher Huld diesem Gesuche und ließ das Dekret ausfertigen, jedoch – durch Erfahrungen gewitzigt, – mit dem Vorbehalte, daß selbes nicht eher in Kraft trete, bis hinlängliches Wasser geschafft sei – außerdem solle es nichts gelten, da schon so viele Versprechungen von auswärts her gewanderter Fremdlingen zwar zu Wasser geworden seien, aber zu keinem nutzbaren. Hänschen begab sich nun in Begleitung einer schnell ernannten Wasserkommission auf den Markt, sah schon von weitem den grauen Quader – sprach zu den Technikern der Kommission: diesen Stein lasset ausbrechen, ihr Herren! – und als dies geschah, so rauschte plötzlich der Strahl eines Springbrunnes stark und mächtig und turmhoch in die Luft, und quoll so viel Wasser aus, daß auf der Stelle in allen Kaufläden der Residenz die Preise der wasserdichten Zeuge um das Doppelte in die Höhe gingen.

Laut erscholl durch die ganze Königsresidenz das Lob des Wasserdoktors; fast hätte man ihn, wie den Schneider Hans Bockhold von Leiden, zum Propheten gemacht, und ihn in Opern voll Pomp und Unsinn verherrlicht.

Noch desselben Tages wurde der neue Herr Geheimerat, der sich indessen mit Staatskleidern, Staatswagen und Dienerschaft versehen hatte, an den Hof gerufen, und fuhr stolz in den Palast. Der König sagte ihm vieles Freundliche und schenkte ihm in Anerkennung seines Verdienstes um die Haupt- und Residenzstadt einen schönen Orden, am gewässerten Bande zu tragen. Sehr bald lenkte sich das Gespräch auf die Krankheit der Königstochter, und der König fragte den neuen Geheimerat, ob er als geschickter Wasserdoktor vielleicht für die Prinzessin eine Brunnenkur heilsam finde? »Nein, Euer Majestät«, erwiderte der Geheimerat. »Einmal mit Wasser mich befaßt, und nicht wieder. Lasse mich Eure Majestät der Gnade teilhaft werden, Allerhöchstdero Prinzessin Tochter zu sehen, so hoffe ich zuversichtlich, [501] den Sitz ihrer Krankheit zu ergründen.« – Darüber war der König über alle Maßen froh, und führte den Doktor selbst zu der kranken Prinzessin. Der fühlte ihr den Puls, und sahe, daß sie sehr schön war. Dann sprach er: »Großmächtigster König, wenn die allerdurchlauchtigste Prinzessin genesen soll, so kann dies nicht durch irdische Medizin geschehen, sondern durch göttliche Hülfe; gestatten Allerhöchstdieselben, daß wir die Kranke in die Hofkirche tragen lassen; dort wird sie wohl genesen.« Dieser Vorschlag ward vom Könige alsbald gut geheißen, denn er war sehr fromm, und freute sich, einen so frommen neuen Geheimerat gewonnen zu haben. In der Kirche ließ sich der Heilkünstler von der Prinzessin den Opferstock zeigen, suchte nach, und fand in einer Ritze das Goldstück. Dieses gab er der erlauchten Kranken in die Hand, und ersuchte sie, dasselbe nun richtig in den Stock zu werfen. Selbiges tat die Prinzessin und alsbald wurde sie völlig gesund, und begann wie eine Rose aufzublühen. So führte sie nun der Geheimerat zu dem Könige. Was da für eine große Freude war, ist gar nicht zu schildern. Aus dem Geheimerat wurde alsbald rasch nacheinander ein Reichsrat, ein Standesherr, ein Graf, ein Fürst – und aus diesem ein Bräutigam der genesenen Prinzessin. Nach der Hochzeit fuhren die Neuvermählten auf einer Rundreise durch das Land, da kamen sie auch durch das Dorf, aus welchem der Fürst jüngst als Hänschen gewandert war. Da stand am Wirtshaus ein Scherenschleifer und schliff und seine Frau drehte ihm das Rad – und da war's der Peter und das Lieschen, die den Peter erst durchaus nicht haben wollte, ihn aber am Ende doch nahm, weil er ihr zuschwur, Hänschen werde sie nie wiedersehen. Hänschen kannte gleich den Peter am falschen Gesicht, rief dem Kutscher zu: »Halt!« und jenem rief er zu: »Peter!«

Peter horchte hoch auf – und fragte, was der Herr befehle?

»Nichts befehlen will ich, Peter«, sprach Hans: »als daß du das Hänschen in mir wiederkennen sollst, dem du zu so hohem Glücke verholfen hast. Dort im Walde fand ich armer augenloser, durch dich augenlos – das blinde Glück, wie manche blinde Taube ihre Erbse. Dort unter einem Baume, an dem ich lag, suchte mich es heim. Hier hast du vieles Geld vom blinden Bettler, der wieder sehend und reich geworden ist! Fahre wohl, und fahr zu, Kutscher!« [502] Peter stand wie aus den Wolken gefallen, lange starrte er dem Prachtwagen nach, dann gab er seiner Frau das Geld aufzuheben, und sagte: »Dorthin muß ich auch – muß auch das blinde Glück finden.« Und alsbald rüstete sich Peter und wanderte so rasch er wandern konnte, an jenen Ort, wo er am armen Hänschen die letzte treulose Tat beging. Ein Fuchs lief lange vor ihm her – an jenem Orte stand der Fuchs. Da kam von weitem ein Wolf entgegengesprungen. Rasch wandte Peter sich um, da trabte ein Bär des Weges daher. Voll Entsetzen klomm jetzt Peter am Baume empor, unter dem er Hänschen den letzten Augapfel ausgestochen hatte.

»Verräter! Verräter! Verräter die ihr seid!« bellte der Fuchs, heulte der Wolf, brummte der Bär, und jeder beschuldigte den andern, das Geheimnis verplaudert zu haben, auf dessen Behütung sie einander doch alle drei die Pfote gegeben hatten, waren sehr bissig gegeneinander, und gaben einander schlechte Titel. Endlich nahmen Bär und Fuchs gegen den Wolf Partei, der sollte zunächst der Verräter sein, und dafür gehenkt werden, und alsbald drehte der Fuchs ein Seil und eine Schlinge aus Tannenreißig, der Bär hielt den Wolf fest, der Fuchs warf letzterem die Schlinge um den Hals, und zog den Zappelnden in die Höhe. Der Wolf starrte stieren Auges empor, da sah er Peter im Gezweige des Baumes sitzen, und heulte: »O falsche ungerechte Welt! Da droben sitzt er, der unser Geheimnis verraten hat!«

Jetzt sahen die andern beiden Tiere auch in die Höhe, ließen den Wolf fallen, und der Bär kletterte auf den Baum und holte den Peter herunter. Drunten empfing ihn der Fuchs, der so fuchswild war, daß er ihm gleich beide Augen auskratzte. Dann würgte ihn der Wolf, und der Bär drückte ihn mausetot, darauf haben sie ihn zu dritt aufgefressen, daß kein Knöchelchen von ihm übrig geblieben ist.

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SonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Sonnenkringel

Es war ein Mann auf der Wanderschaft, der war aller Zehrung bar und allen Zehrgeldes, und wußte nicht, wovon er in der nächsten Herberge die Zeche zahlen sollte. Und da kamen ihm böse Gedanken in den Sinn – wenn einer käme, der am Gelde etwas zu schwer trüge, so wollte er ihm wohl seine Last erleichtern. Und wo der Wald recht tief war, sah dieser Wanderer einen anderen Wanderer vor sich her gehen, beeilte seine Schritte, und holte jenen bald ein – und sah, daß der, den er einholte, ein Jude war. Da dachte er gleich: Juden haben immer Geld – und schrie ihn an: »Jud! Gib mir auf der Stelle dein Geld, oder du mußt sterben.«

»Soll mir Gott helfen!« sprach der Jude: »hab ich doch nicht mehr Geld, als acht armselige Heller! Was tut Ihr damit? Wollt Ihr vor Gott die große Sünde begehen, und einen Menschen totschlagen um acht Heller?«

»Jud du lügst! Ohne Geld reist kein Mauschel. Heraus mit dem Gelde – oder –!«

»Wehe mir! Wehe geschrien!« rief voll Angst der Jude. »Habe ich doch nicht mehr, als ich Euch sage!« – aber jener hörte schon nicht mehr in seiner tollen Raubsucht, und schlug den armen Juden nieder, und dieser rief im Sinken: »Wehe geschrien über dich, du Mörder! Die klare Sonne soll an den Tag bringen deine Missetat, das allsehende Auge des Firmamentes!« –

Mit diesen Worten verschied der Jude, und nun suchte sein Mörder ihm alle Taschen aus, er fand aber nur ein kleines schlaffes Lederbeutelchen, und darin in der Tat nicht mehr und nicht minder, als acht rote Heller. Da war es ihm doch leid, daß er den schnöden Mord verübt – und als er in die Sonne sah, erschrak er, denn sie stand ganz blutrot – und er rannte eilend von dannen – im Walde aber sammelten sich die Rotkehlchen, und trugen Blumen herbei, und legten sie sanft auf das Angesicht des Erschlagenen, damit das Schrecknis der Menschheit nicht des Waldes heiligen Frieden störe. Der Mörder aber wanderte so weit er nur vermochte von jener Stelle fort, und konnte nicht mehr in die Sonne sehen. Am andern Morgen war es ihm, wie ein böser, böser Traum – aber der Traum verfolgte ihn lange, und die [504] Sonne erinnerte ihn fort und fort an den Todesruf des erschlagenen Juden. Endlich ward er ruhiger in seinem Gemüte, arbeitete fleißig, und gewann, da er sonst ein leidlicher Geselle war, und sich sehr still und zurückhaltend hielt, die Neigung einer Meisterstochter, mit der er eine Zeit lang in glücklicher Ehe lebte. Nicht häufig dachte er mehr an seine Untat, nur vor der Sonne hatte er eine gewisse Scheu, doch fragte er sich endlich selbst: »Wie soll sie's denn anfangen, die liebe Sonne, es an den Tag zu bringen? Der Jude ist längst vergessen, ich bin viele Meilen fern von jenem Lande – reden kann die Sonne nicht, schreiben kann sie auch nicht. Ich habe mich für nichts so lange vor ihr gefürchtet und geängstigt.«

Eines Morgens brachte die Frau ihrem Manne seine Tasse Kaffee; er goß einen Teil desselben aus der Obertasse in die Untertasse, und zufällig schien die Sonne hell hinein, da bildeten sich von der bewegten Flüssigkeit schräg über an der Stubendecke bewegte, zitternde Lichtkringel in Folge der Abspiegelung, und des Mannes Blicke fielen zur Decke empor. Er glaubte, er sei allein, und sprach vor sich hin: »Meinst du Sonne, du könnest es an Tag bringen, weil du dort hinauf die zitternden Kringel zeichnest?«

»Was soll die Sonne an den Tag bringen wollen, Mann?« fragte laut die Frau – und der Mann erschrak heftig. Lebhaft drang sie in ihn, es ihr zu sagen, als er stockte und nichts bekennen wollte. Aber die Frau ruhte nicht eher, bis er, nachdem sie das tiefste Schweigen ihm angelobt, ihr erzählte, daß er einst einen Juden im Walde erschlagen habe, der habe im Sterben gerufen: »Die klare Sonne soll an den Tag bringen deine Missetat, das allsehende Auge des Firmamentes!« und nun habe die Sonne doch nichts an den Tag gebracht; sie könne nichts als leuchten und wärmen und Kringel an der Wand oder an der Decke machen.

Die Frau hörte das, schauderte und schwieg; aber das unselige Geheimnis drückte ihr fast das Herz ab, beunruhigte sie Tag und Nacht, und stets aufs neue erinnerte sie die Sonne daran. Sie konnte es nimmermehr auf dem Herzen behalten, sie erzählte es unter dem heiligsten Siegel der Verschwiegenheit ihrer liebsten Freundin – diese trug es weiter, bald vernahmen es die Richter. Da wurde der Mörder festgenommen, und gestand alsbald alles; er war recht froh, als es heraus war, und empfing, nachdem er zum Schwert[505] verurteilt war, mit Fassung den Todesstreich. In derselben Stunde aber lief seine schwatzhafte Frau auf den Boden, und knüpfte sich an einem Balken auf.

Der starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der starke Gottlieb

Es war einmal ein reicher Rittergutsbesitzer, dem dienten viele Knechte, und einer von diesen wollte sich verheiraten. Wie nun derselbe seinen Herrn um die Heiratserlaubnis bat, so sagte dieser: »Heirate nur zu in Gottes Namen! Ich wünsche dir einen recht starken Sohn, und wenn du einen solchen hast, so will ich ihn dir zu Liebe gern auch in meinen Dienst nehmen.« Also heiratete der Knecht und wurde Vater eines kräftigen Sohnes, dem er den Namen Gottlieb gab. Dem Vater blieb das Versprechen seines Herrn unvergessen, und er war darauf bedacht, Sorge zu tragen, den Jungen recht stark werden zu lassen. Zu diesem Zwecke dünkte dem Vater notwendig, daß sein Kleiner recht lange Muttermilch trinke. Erst stillte ihn daher seine Mutter in ihren Armen, dann ließ sie ihn auf ihrem Schoße sitzen, dann lernte der kleine Gottlieb laufen, und trug sich, wenn er trinken wollte, ein Hützschchen bei, auf das er trat, weil er der Mutter auf dem Schoße schon zu schwer wurde, und trank sehr flott, und trank sieben Jahre lang Muttermilch, und wurde groß und stark. Nach Verlauf der sieben Jahre nahm der Knecht seinen Gottlieb mit zum Gutsherrn und sagte: »Schaut Herr, den kapitalen Jungen! Er kann schon etwas tun für sein Alter.« Da stand im Garten, wo Vater und Sohn den Gutsbesitzer angetroffen hatten, ein junger Baum, und da sprach der Herr: »Reiße dies Bäumchen heraus, Gottlieb!«

Der Knabe versuchte seine Kraft an dem Bäumchen, aber er vermochte nicht, dasselbe auszureißen, und der Herr sprach: »Der Kleine ist noch zu jung und zu schwach. Es wäre auch zu viel von ihm verlangt, jetzt schon schwere Arbeit zu tun.«

Da ging der Knecht mit seinem Gottlieb hinweg und ließ ihn noch sieben Jahre Muttermilch trinken, und als die sieben Jahre um waren, führte der Vater seinen Sohn wieder [506] zum Rittergutsbesitzer, dem Gottlieb nun groß und stark genug schien, um ihn in seine Dienste zu nehmen; er sollte daher einen Tag zur Probe dienen. Der Gottlieb war aber von Natur und durch die Muttermilch schreckbar stark geworden, und riß gleich als Probestück einen ziemlich dicken Baum mit dem kleinen Finger heraus, so daß alles erschrak, absonderlich die Gutsherrin, und ihm gleich abgeneigt wurde. Nun ging es an die Arbeit, die Gottlieb nur ein Spiel war; dann kam die Essenszeit; die Magd trug eine Schüssel voll Kartoffeln nebst Buttermilch auf, und ging, die übrigen Knechte zu rufen; Gottlieb, der zuerst mit seiner Arbeit fertig geworden, war schon da, und begann einstweilen allein zu speisen. Er zeigte, daß er nicht nur von Muttermilch, sondern auch von Buttermilch sich trefflich zu nähren verstehe, und mit den Kartoffeln den Magen zuspitzen könne. Als die übrigen Knechte kamen und essen wollten, und murrten, daß das Essen noch nicht aufgetragen sei, trat Gottlieb hinter dem Ofen hervor, allwo er sich ausgeruht, kraute sich hinter den Ohren, und sagte: »Es war etwas da, aber nicht viel, ich hab gemeint, es sei für mich, und hab's derweil gegessen.« – Da kam die andern ein Grauen an vor Gottliebs Appetit, und sie verwünschten einen Mitgenossen, der nicht mit ihnen, sondern der alles allein genoß.

Nach dem Essen ging es an das Dreschen. Als neuem Ankömmling schenkte der Gutsherr dem Gottlieb einen neuen Dreschflegel, der war in Gottliebs Hand wie eine Feder, er warf ihn in die Luft und fing ihn wieder, wie Knaben mit leichten Stöckchen tun, und dann warf er ihn gar weg, riß sich einen Baum aus und drasch darauf los, daß die Körner gleich zu Mehl wurden, und das Stroh klein wie Häckerling, und schlug alles in Grund und Boden hinein. Das war dem Gutsherrn doch zu bunt – er erschrak vor dem gefährlichen Knechte und sann darauf, denselben mit einer guten Manier wieder los zu werden. Er fragte daher den Gottlieb, welchen Lohn er begehre, wenn er wirklich in den Dienst trete? Gottlieb trat nahe zu dem Herrn heran und sagte ihm etwas ins Ohr. Darauf wurde der Herr rot und sagte: »Es ist gut, aber stille davon« – und nahm Gottlieb zum Knechte an – darob sich die andern Knechte nicht im allerentferntesten freuten.

Als der Gutsherr mit seiner Frau allein war, verlangte diese zu wissen, welchen Lohn Gottlieb sich ausbedungen [507] habe; der Herr wurde wieder rot und wollte es erst nicht sagen, wodurch seine Frau um so mehr in ihn drang, mit der Sprache herauszurücken. Der Rittergutsbesitzer war sehr geizig, gab gar zu gern so wenig Lohn als nur möglich, und das hatte Gottlieb erwogen, dem gar nichts daran gelegen war, daß er hatte so stark werden müssen, um für andere sich zu plagen und zu arbeiten. So sagte jetzt der Gutsherr etwas verlegen zu seiner Frau:

»Siehe, mein Schatz, es hat damit seine eigene Bewandtnis. So billig bekomme ich nie einen so kräftigen Arbeiter. Der Gottlieb verlangt gar keinen Lohn.«

»Gar keinen Lohn? Das ist nicht menschenmöglich!« rief ganz erstaunt die Gutsherrin. »Dahinter steckt etwas! Mann, du belügst mich!« –

»Nun beruhige dich nur, liebe Frau«, besänftigte der Gutsherr: – »etwas verlangt er schon, und ich hab's ihm zugestanden, in Betracht, daß es uns nichts kostet – doch bleibt das geheim, unter uns.«

»Unter uns!« erwiderte die Frau. »Das heißt, ich muß darum wissen!«

»Der Gottfried will mir etwas geben, wenn das Jahr herum ist«, stammelte der Gutsherr.

»Dir? Das wäre! Was kann der Sohn deines Knechts dir geben?« fragte die Frau.

»Eine Feige« – antwortete der Mann: »will er mir geben.«

»Eine Feige? Mann, du lügst, oder es rappelt bei dir!« schrie die Frau und wurde zornig. »Wo sollen denn auf unserem Gute Feigen herkommen?«

»Oh« – versetzte der Gutsherr: – »die gibt's, es regnet bisweilen derselben – der Gottlieb meint eineOhrfeige.«

Wenig hätte gefehlt, so hätte der Gutsherr schon jetzt eine solche Frucht zu schmecken bekommen, aber starrer Schreck lähmte einige Minuten lang der Edelfrau Hand und Mund – bis sie endlich kreischte: »O du Tropf! Das ist wieder ein Stückchen deines Geizes! Du willst dich lieber entehren lassen, als einem Knechte Lohn zahlen. Totschlagen wird dich der Gottlieb, denn so viel habe ich gemerkt, wo der hinschlägt, da wächst kein Gras! Nein, einen solchen Vertrag einzugehen, ist himmelschreiend. Doch, laß mich nur machen, ich wende das Unglück von dir – er muß fort – ich duld ihn nicht!« –

»Wenn du ihn fortbringen kannst, liebe Frau«, versetzte [508] kleinmütig der Gutsherr: »so habe ich nichts dagegen.«

Die Gutsfrau machte sich gleich ein Plänchen. Auf dem Gute befand sich eine Mühle, in der es furchtbar spukte. Vielen war in derselben von dem Spukgeiste der Hals umgedreht worden. I – dachte sie, der kann den Gottlieb den Hals auch umdrehen, das ist ein Aufwaschen, und da sind wir ihn los.

»Gottlieb! Heute trägst du ein halbes Malter Korn in die Mühle und mahlst es!«

»Zu Befehl, gnädige Frau!« antwortete Gottlieb, holte einen großen Maltersack, faßte ein oder zwei Malter Korn hinein und warf sich ihn über die Schulter, ging und pfiff das Lied:


»Da droben auf jenem Berge,
Da steht ein Mühlenrad.«

Als er an die Mühle kam, war deren Türe verschlossen. Gottlieb klopfte höflich an, einmal, zweimal, dreimal. Da noch immer niemand auftat, so tat er einen sanften Tritt an die Türe, daß sie aufsprang und nebenbei entzwei krachte. Mitten im Wege zum Werke lagen eine Menge Mühlsteine; Gottlieb schob sie sanft mit den Füßen nach rechts und links, und gelangte nun an das Werk. Bevor er aufschüttete und das Werk anließ, schürte er sich ein Feuerlein und kochte sich eine Morgensuppe, in die er einen kleinen Schinken steckte, daß sie besser geschmelzt sei. Da kam eine große Katze mit feurigen Augen, die riß ihr Maul auf, starrte den starken Gottlieb an und schrie: »Miau!« – »Hui Katz!« schrie Gottlieb und gab ihr einen Tritt, daß sie eilend kehrt machte. Jetzt schüttete er auf, setzte das Mühlwerk in Gang, und verzehrte sein Frühstück. Gleich war die Katze wieder da, pfauchte und schrie abermals: »Miau!« »Hui Katz!« schrie Gottlieb und warf ihr den Schinkenknochen auf den Kopf, daß sie um und um zwirbelte und verschwand. Plötzlich stand ein schrecklicher Riese vor dem starken Gottlieb, und brüllte: »Mehlwurm! Wer heißt dich hier mahlen?« Gottlieb nicht faul, nahm einen Mühlstein, warf damit den Riesen an die Stirne, und schrie: »Mühlwurm, wer heißt dich hier prahlen?« – Da stürzte der Riese hinterrücks nieder und tat einen Brüller, daß das ganze Werk wackelte.

[509] Gottlieb aber sackte das Mehl ein, und in einen mitgebrachten zweiten Sack die Kleie, nahm die Säcke auf beide Schultern und ging nach Hause.

»Hilf Himmel!« barmte die Gutsherrin. »Der Lümmel lebt und kommt wieder!« – Und bald darauf sann sie auf neue Tücke.

»Der Ziehbrunnen muß gefegt werden!« ordnete die Frau am anderen Tage an. »Das Wasser schmeckt ganz schlecht und schlammig. Gottlieb kann hinuntersteigen.« – Und zu den andern Knechten sagte sie heimlich: »Wenn er drunten ist – nehmt euch ja in Acht, daß dem Fresser, der euch alles wegfrißt – kein Stein vom Brunnenrande von ohngefähr auf den Kopf fällt!« – Die verstanden den bösen Wink und lasen ihn aus dem höhnischen Lächeln der Gutsfrau. Und wie Gottlieb drunten im Brunnen war, schoben sie, indem sie sich über den Rand bogen, die oberen Steine hinunter. Gottliebs Vater war nicht dabei, der war vor kurzem gestorben. Die Steine polterten und plumpten in den tiefen Brunnen und fielen auf den starken Gottlieb, der aber schrie herauf: »Dummheit da droben! Wer schüttet denn Streusand in das Tintenfaß? Wartet, wenn ich hinauf komme, will ich euch ledern!« – Da liefen die Knechte erschrocken vom Brunnenrande hinweg und versteckten sich, und Gottlieb stieg heraus, wie ein Schornsteinfeger aus dem Schlot, nur weniger trocken, aber mit eben so vielem Durst.

Kaum wußte nun die Edelfrau, was sie anfangen sollte mit dem starken Gottlieb, oder vielmehr, wie sie es anfangen sollte, ihn vom Hofe zu bringen. Da fiel ihr ein, daß ja in der Nähe sich ein verwünschtes Schloß befinde, das auf dem Berge, an dessen Fuße das neue Schloß des Rittergutsbesitzers stand, in Trümmern lag. In diesem verwünschten Schlosse war es, wie schon diese Bezeichnung ausdrückt, gar nicht geheuer; es ging darin um, und es spukte in ihm der Geist eines alten Riesen, der vor urgrauen Zeiten darin gehaust und schlimme Taten genug verübt hatte, weshalb er denn auch da hinauf verwünscht und gebannt war. Eine der schlechten und schlimmen Taten des alten Riesen war die gewesen, daß er die Vorfahren des jetzigen Rittergutsbesitzers, denen er das Gut verkaufte, um eine große Summe Geldes betrogen hatte, und war das zugleich auch wieder mit ein Grund, weshalb der Riese im alten Schlosse so greulich spuken mußte.

[510] Die Edelfrau ließ Gottlieb zu sich rufen, verstellte sich und verbarg ihre Abneigung gegen den Knecht, und sprach zu ihm: »Höre mein guter Gottlieb! Unser Herr wird dir nächstens eine ganz besondere Belohnung dafür geben, daß du so fleißig bist und so viel schaffst, dabei vertraut er dir auch ganz allein. Droben auf dem alten Schlosse, weißt du, da wohnt der alte Rittergutsbesitzer, dem mein Mann das Gut abgekauft hat; das ist ein geiziger Hund, und ist uns noch vieles Geld schuldig, zahlt es aber im guten nicht aus – so gehe du einmal hinauf, Gottlieb, und sprich im unguten mit dem alten Spuk, denn du bist stark und herzhaft – alle andern sind Hasenfüße und Hasenherzen und fürchten sich. Wenn du uns das Geld bringst, so sollst du auch ein gutes Teil davon haben, und dir etwas Rechts dafür zugute tun.«

»Die Sache wird sich machen, gnädige Frau!« antwortete Gottlieb. »Ich will gleich gehen, und wenn Geld da droben zu holen ist, so bringe ich's, darauf verlaßt Euch.« –

Bald war Gottlieb droben auf dem Berggipfel und wunderte sich. »Hm, hm!« machte er. »Immer haben sie drunten gesagt, da oben stände ein altes, verfallenes Schloß, hab deswegen mir auch noch nie die Mühe genommen, hier herauf zu klettern, und nun sehe ich ein nagelneues, schönes Haus, viel schöner als das untere Schloß. Da gibt es ganz sicher Geld genug.«

Gottlieb kam an die Eingangspforte des prächtigen Gebäudes, und da kein Klingelzug daran war, so klopfte er, aber die Türe blieb, gleich jener der Mühle, fest verschlossen. – »Dumm!« brummte Gottlieb, »da muß ich schon wieder der Schlosser sein und meinen Dietrich gebrauchen.« Trat daher ein wenig an die Pforte, doch schütterte davon das ganze Torgewände und die Türe sprang mit Donnerkrachen auf. Aber wie Gottlieb in den inneren Raum trat, umschwebten ihn gleich eine Legion Geister, und an ihrer Spitze stand der greuliche Riese, welchem Gottlieb in der Mühle den Mühlstein an den Kopf geworfen hatte.

»Aha! Ein alter Bekannter!« rief Gottlieb. »Bist du vielleicht der Herr von Zahlungern, der andern Leuten ihr Geld aufhebt? Dann rücke heraus! Mein Herr braucht's, und meine Frau, das heißt, meines Herrn Frau, will's haben!«

»Menschenwurm!« brüllte der Riese, und schnitt ein entsetzliches Gesicht. »Was wagst du zu wagen? Wer ist so frech, von dem Besitzer eines alten Schlosses Geld zu [511] verlangen? Was geht mich Geld an? Hab Acht, wie ich mit dir umspringen werde, du Knirps!«

»Holla, hoh! da werd ich auch dabei sein!« rief Gottlieb, riß einen Türflügel ab, und warf ihn dem Riesen an die Stirne, wo man noch die Schramme vom Mühlsteine sah, dann den zweiten – und da machte sich der alte Riese eilend aus dem Staube und warf mit einem Sacke voll Geld nach Gottlieb, den dieser sogleich aufraffte, und sich auf die Schulter lud.

So kam er im untern Schlosse wieder an, und wenn der Edelfrau auch Gottliebs Kommen nicht recht war, so war doch dem Edelmann das Kommen des Geldes äußerst recht, und er lobte den Gottlieb und sagte: »Einen so braven Knecht findet man selten.« Heimlich aber wünschte er doch den Gottlieb zum Kukuk, denn bei dessen Kraft graute ihn furchtbar vor der unvermeidlichen Ohrfeige. Er nahm daher Rücksprache mit seinem Schäfer, und traf ein Übereinkommen mit diesem, daß der gegen ein gutes Stück Geld die bewußte Ohrfeige in Empfang nehmen wollte, dann rief er seine Knechte zusammen, ohne den Gottlieb, und sagte ihnen, er werde sie morgen in den Wald schicken, Holz zu holen, da möchten sie Sorge tragen, daß sie zeitig wieder herein kämen, denn wer zuletzt komme, der komme vom Dienst. Und er werde es nicht ungern sehen, wenn Gottlieb der letzte sei. Solches geschah, alles eilte nach dem Holze, und niemand weckte Gottlieb, und als er endlich noch ziemlich schlaftrunken erschien, und sich die Augen rieb, schrie ihn sein Herr an: »Ei du fauler Geselle! Alles ist schon zu Holze, und wer zuletzt nach Hause kommt, kommt vom Dienst.«

»Ah!« rief Gottlieb, und streckte die Arme hoch in die Höhe, und dehnte sich, und gähnte, und sagte: »Das ist mir etwas ganz Neues.«

»Schönen Dank, daß du mich nicht verschlungen hast, wie du dein Maul so aufrissest!« spottete der Gutsherr. »Neu oder nicht, es bleibt dabei.«

»Wohl, hin!« sagte Gottlieb, nahm sein Beil, und ging nach dem Walde zu. Da waren seine Mitgesellen schon mit der Arbeit fertig und er sah sie von weitem sich entgegen kommen. Da ging er nach einem nahen großen Teiche, über dessen Abfluß ein Steg führte, über den einzig und allein der Weg vom Walde nach dem Gute führte, riß die [512] Schleußen auf, daß die volle Flut sich in den breiten Abflußkanal ergoß, trat mit dem Fuße den Steg in Stücken und ließ die Balken vom Wasser fortfluten, dann ging er seinen Mitknechten gemachsam entgegen, die ihn tüchtig auslachten und froh waren, ihn heute noch aus dem Dienste gejagt zu sehen; er aber rief: »Eilet nicht zu sehr, wartet ein wenig auf mich, ich komme bald wieder!« und ging nach dem Walde – jene aber eilten, was sie eilen konnten, nach dem Schlosse zu kommen, da kamen sie an die rauschend vorbeischießende Wasserflut ohne Steg und Brücke, und hätten sie den Teich umgehen wollen, hätten sie Stunden gebraucht. Sie mußten also warten, bis Gottlieb wieder kam, der sein Tagewerk leicht und schnell im Verlauf einer kleinen Stunde vollbracht hatte. Und wie er nun kam, brachte er einen Heubaum mit, den stemmte er in den Fluß, wie einen Turnerspringstock und schwang sich an das andere Ufer hinüber, dann warf er den Heubaum wieder über den Fluß, und schrie seinen Kameraden zu: »Macht's wie ich!« – aber von diesen hatten an dem Heubaume zwei zu heben, und sie mußten sitzen bleiben, bis der Teich alle sein Wasser vorübergeschickt hatte, welches mehr als einen Tag dauerte. – Immer lebhafter wurde der Wunsch der Gutsherrschaft den starken Gottlieb los zu sein, und daher machte ihn der Rittergutsbesitzer den Vorschlag, ihm seinen Lohn zu gewähren; er habe einen Ersatzmann als Ohrfeigenempfänger, der solle die Zahlung erhalten, und dann soll Gottlieb gehen, wohin er Lust habe und bleiben, wo er wolle.

Gottlieb sagte: »Es kommt auf eine Probe an; ich habe ja auch proben müssen.«

Jetzt stellte sich der Schäfer als Ersatzmann, Gottlieb sah ihn mit mitleidigem und spöttischem Blicke an, und sagte: »Du? Wahrlich du dauerst mich! –« nahm ihn, hob ihn leicht, wie einen Nußknacker in die Höhe und schlug ihm eine so derbe Ohrfeige ins Gesicht, daß der Schäfer in die Luft flog wie der Spielball eines Knaben, aber gar nicht wieder herunter kam. Der Gutsherr und seine Frau kreuzigten und segneten sich, und waren froh, daß er nicht diese Ohrfeige bekommen hatte, und sagten: »So, nun kannst du gehen.«

»Nä«, sagte Gottlieb. »Gehen? Nä – selbes kann ich nicht. Es war nicht der rechte; mit Euch, gnädiger Herr, hab ich gedingt. Ich liebe nicht Zichorien oder Runkelrüben [513] statt Kaffee, ich bin kein Freund von Ersatzmannschaften. Ihr habt gesagt: ich solle gehen, wohin ich Lust habe, und bleiben, wo ich wolle. Habt Ihr nicht so gesagt?«

»Ja, allerdings, ich sagte so –« antwortete verdrüßlich der Gutsherr.

»Nun –« versetzte Gottlieb: »so gehe ich in mein Bette, und bleibe hier auf dem Gute.«

Da wurde der Gutsherr sehr böse, und rief: »So bleibe in des Kukuks Namen, du Kobold! So geheich! Mit dir will ich nicht leben und zuletzt noch wie der arme Schäfer als Luftballon oder als Sternschnuppe am Himmel herumfahren. Nimm alles und helfe dir der böse Feind hausen und wirtschaften!«

»Nun, wenn Ihr denn nicht anders wollt, gnädiger Herr!« sprach Gottlieb sehr sanftmütig: »so bedank ich mich fein recht schön, und wünsche Euch und der gnädigen Frau recht viel Liebes und Gutes! Ihr könnt auch Eure Sachen mitnehmen, und ich will Euch bis in die nächste Stadt in meiner Kutsche und mit meinen Pferden fahren lassen.« –

»Fahre du selbst zur Hölle!« schrieen außer sich der gewesene Gutsherr und seine Ehehälfte, und enteilten. Gottlieb aber nahm die Knechte und Mägde in seinen Dienst, und ließ seine alte Mutter, an der er vierzehn Jahre getrunken hatte, in das Schloß ziehen, und gab ihr ein goldenes Bette und seidene Kissen und Bettdecken, und alle Tage den besten Wein zu trinken und alles Gute zu essen.

Ein Jahr danach, es war just Heuerntezeit, und die Knechte und die Mägde waren auf der Wiese mit Heumachen beschäftigt, kam etwas aus der Luft herunter gefallen, das war der Schäfer, der hatte so lange oben herumgezwirbelt, und war über alle Wasser und Weltteile weggeflogen; er lebte noch und blieb auch am Leben, denn er fiel auf einen großen Heuhaufen, und das war sehr gut für ihn, sonst hätte das alte Lied auf ihn gepaßt, welches anhebt:


»Kuckuck hat sich zu Tod gefallen.«

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Gevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Gevatterin Kröte

Ein feines Bauerndirnlein ging einst an einem Weiher vorüber, da sah es am Rande eine große dicke Kröte sitzen, die guckte so recht starr und häßlich. »Na – bei dir möcht' ich auch Gevatter stehen!« rief voll Abscheu das Mädchen. Da hob die Kröte den rechten Vorderfuß in die Höhe, als wenn sie einen Handschlag geben wollte. Dem Mägdlein gruselte, und es eilte weiter.

Als Abends die Jungfer in ihre Kammer trat, saß die Kröte krötenbreit mitten auf der Diele. Das Mädchen schrie. »Schreie nicht!« sprach die Kröte. »Hast du mir nicht versprochen, bei mir Gevatter zu stehen? Ich nehme dich beim Worte! Folge mir, oder du erlebst nicht den morgenden Tag!« In Todesangst folgte der voranhüpfenden Kröte das junge Mädchen, durchs Dorf, durch die Nacht, an den Weiher; dort war im Schilf eine Öffnung, eine Treppe führte hinunter. Die Kröte hüpfte voran, das Mädchen folgte. Drunten verwandelte sich die Kröte in eine schöne Frau, und zeigte dem erstaunten Mädchen sein Patchen, ein nettes niedliches Nixenkind. »Der Dienst soll dich nicht reuen!« sprach sie. Und dann begann ein großes herrliches Fest in den Räumen der unterirdischen Wasserwelt, und die junge Dirne wurde hoch geehrt und bedient von den schönsten Nixen, und herumgeführt in allen Grotten, die wie eitel Eis und Silber glänzten, und empfing endlich von ihrer Gevatterin Kröte noch drei wunderbare Gaben, deren Besitz sie lebenslänglich glücklich machte, denn sie wurde wohlbehalten wieder zurückgeführt, und hätte sie nicht morgens beim Erwachen die Gaben vorgefunden, so hätte sie geglaubt, es sei ihr alles nur im Traume begegnet. In ihre Erinnerung aber mischte sich dem Entzücken doch auch ein geheimes Grauen, und nie in ihrem Leben vermochte sie es über sich, wieder an jenem Weiher vorüber zu gehen.

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SeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Seelenlos

Es war einmal ein Menschenfresser, der verspeiste nichts lieber als junge Mädchen, und war so gewaltig und gefürchtet im Lande, daß niemand es wagte, ihn zu bekämpfen und ihm diesen Appetit zu vertreiben, vielmehr mußte ihm, sobald er ein Mägdelein verspeist hatte, ein anderes geliefert werden, und um bei der Wahl unparteiisch zu verfahren, mußten alle Mädchen des Landes bis zu einem gewissen Alter (nichtüber achtzehn Jahre), das Los ziehen, ohne Unterschied des Ranges und Standes ihrer Eltern; denn Seelenlos, so war der Name jenes mädchenfressenden Ungeheuers, sagte stets, er liebe nächst dem Mädchenfleische, vor allem die Gleichberechtigung.

Nun geschahe es, daß eines Tages abermals das Los gezogen wurde, welches jedesmal für die arme Jungfrau, die es traf, ein trauriges nicht nur hieß, sondern auch war, und daß sotanes Los die Tochter des Königes traf. Zwar suchte der König durch Anerbieten vieler Schätze das Los, welches ihr drohete, von seiner Tochter abzuwenden, aber Seelenlos sprach:

»Nein! Was einem recht ist, ist dem andern billig. Mir ist es recht, daß das Los die Königstochter getroffen hat, denn ich habe noch keine Prinzessin gegessen, halte aber dafür, daß ihr Fleisch zart und gut sein müsse und deshalb so muß es der König billig finden, daß ich seiner Schätze ihn nicht berauben, sondern mich ehrlich und redlich nach meinem Grundsatze der Gleichberechtigung mit Fleische von seinem Fleische begnügen will.«

Da indessen nicht alsbald gleich nach gezogenem Lose die Königstochter ausgeliefert zu werden brauchte, so ließ der König bekannt machen, daß, wer seine Tochter von dem schrecklichen ihr drohenden Lose erlöse, diese zur Gemahlin und sein halbes Reich als Mitgift erhalten sollte. Allein es meldete sich niemand, denn mit Leuten, welche Seelenlos heißen oder sind, ist schlecht umzugehen, und niemand mag sich mit ihnen befassen, sollten sie auch nicht just ausschließlich Menschenfresser sein. Da hörte ein junger Soldat von des Königes Aufruf und dachte in seinem Sinn: Hm: Mir ist in meinem Dienste schon so viel Seelenloses vorgekommen, und mir ist dafür so viele Herzhaftigkeit eingekorporalt [516] worden, daß ich's wohl mit Herrn von Seelenlos aufzunehmen mir getraue. Ging also zum Könige und bat sich die Gnade aus, sein Leben gegen Seelenlos für ihn und die Prinzessin in die Schanze schlagen zu dürfen. Darauf gab ihm der König ein schönes Handgeld, und schenkte ihm ein scharfes Vorlegemesser, um wo möglich den Mann der Gleichberechtigung damit in Stücke zu zerschneiden.

Der mutige Soldat machte sich auf den Weg, und kam über einen Anger, auf selbigem lag ein toter Esel und streckte alle vier Beine von sich, und um den Esel herum saßen ein Löwe, ein Bär, und ein Adler, auf der Nase aber saß eine große blaue Schmeißfliege; jedes wollte seinen Teil vom Esel haben, und alle vier konnten, wie das so häufig bei Teilungen der Fall ist, über die Teilung sich nicht einigen, und riefen den Soldaten an, als Unparteiischer das Teilungsgeschäft in der Voraussetzung vorzunehmen, daß er nicht etwa selbst am Esel sich beteiligen wolle, denn für diesen Fall würden sie alle viere über ihn herfallen.

»Nein!« sagte der Soldat: »ich will nichts mit lebendigen Eseln zu schaffen haben, geschweige denn mit toten! Aber teilen will ich nach Recht und Überzeugung, und nach dem schönen Spruche: Jedem das Seine!« Zog sein Vorlegemesser, strich es hübsch auf seinem Säbelriemen ab, wie ein Barbier mit seinem Schermesser auf dem Streichriemen tut und fing an, den Esel nach Herzenslust zu zerlegen.

»Dir, dem Löwen«, sprach der einsichtsvolle Soldat: »gebührt vor allem der Löwenteil, der Eselskopf, mit dem schönen Gehirn, weil du selbst der TiereHaupt und König bist, dann die breite, kräftige Eselsbrust, die stets so siegesstolz und freudig weithin jauchzet, und mit ihrem Ruhme die Welt erfüllt nebst einem Rückenstück und zwei Schinken.«

»Dir, dem beherzten heißblutigen Adler, dem Könige der Vögel, gebürt des Esels Herz samt allem edlen Eingeweide, absonderlich der starken Lunge, so wie Leber und Nieren, und ein Schinken, vom Fleische ebenfalls ein Rückenstück, und ein Lentenbraten.«

»Dir Meister Petz, kühner Nordlandsrecke, großer Brummer und in nördlichen Gegenden auch ein König der Tiere, gebührt das dritte Rückenstück, der zweite Lendenbraten, und der vierte Schinken, und was du sonst magst. Und dir endlich, blau angelaufene Schmeiße, kleiner Brummer, [517] gebührt des Esels Schwanz, die Beine, und alles, was die drei andern nicht mögen und etwa übrig lassen zu wollen in Gnaden geruhen dürften. Du wirst dich damit um so freudiger bescheiden, da du ja viel zu delikat bist, als schnödes Eselsfleisch zu essen, vielmehr dich vom Tau und Dufte der Blumen sättigest, und nur für deine Eier und künftige Larvenbrut ein wenig faulen Fleisches bedarfst.«

Die vier Tiere waren mit dieser Teilung außerordentlich zufrieden, und zollten dem klugen Soldaten den Tribut ihres Dankes. Die Brummfliege setzte sich ihn auf die Hand, küßte diese mit dem Rüssel und mit dem After zugleich, und sprach: »So oft du diese Stelle mit deinem Finger berührst, kannst du deine unförmliche und ungeschlachte Menschengestalt in eine eben so schöne, zarte und bewunderungswürdige, auch mit reizendem Musiktalent begabte Brumm-Fliege verwandeln, wie ich eine bin.« Der Adler zog sich mit seinem Schnabel eine Schwungfeder aus dem rechten Flügel, reichte sie dem Soldaten dar, und sagte: »Mittelst dieser Feder kannst du dich, so oft du sie drehst, in einen Adler verwandeln, und als solcher große Dinge tun; auch kannst du sie schneiden und was du mit ihr unterschreibst und verbriefst oder verbriefen läßt, das hält und dauert drei Tage länger, als die aschgraue Ewigkeit.«

»Biederer Mensch«, sprach der Löwe: »ich muß dir eine Pfote geben, das wird dich stärken und großmächtig machen in der Welt!« – und der Bär sprach:

»Edelster der Edeln! Komm an mein Herz, ich muß dich umarmen und dir einen Kuß geben!« aber der Soldat entgegnete: »Ich dank euch zwei beiden schönstens! Ihr seid gar zu gütig! Ich habe schon genug!« denn er fürchtete die scharfen Klauennägel der Löwentatze, wie des Bären Umarmung und die Nähe von dessen Zähnen an seiner Nase. Er drehte daher sehr schnell die Feder, und wurde zum Adler, als welcher er sich rasch in die Lüfte erhob, von wo aus er nach dem Hause des Herrn Seelenlos umherspähete, und dasselbe mit seinem Adlerblicke auch sehr bald entdeckte. Das war schon ein großer Gewinn für den braven Soldaten; doch mußte er nun auch auf Mittel sinnen, wie dem Seelenlos beizukommen sei, welchen mittlerweile die Königstochter ausgeliefert worden war, doch hielt jener dieselbe noch eine Zeitlang gefangen. Nun verwandelte sich der Soldat erst wieder in einen Menschen, drückte mit dem [518] Finger auf das kleine Denkmal der Fliege auf seiner Hand, und verwandelte sich dann in eine solche, und schlüpfte durch das Fenster des Gemaches, in welchem die Königstochter gefangen saß, verwandelte sich dort in seine menschliche Gestalt, und teilte der Prinzessin die Absicht mit, sie zu erlösen, nur möge sie ihm sagen, auf welche Weise er dies möglich machen könne, indem er es für eine große Kunst und schwere Aufgabe halte, jemanden zu entseelen, der Seelenlos sei und heiße. Jedenfalls müsse Herrn Seelenlos' Seele doch irgendwo sich befinden, und dieses wo? müsse ausfindig gemacht werden.

Die Königstochter war sehr erfreut über das Vorhaben des tapfern Soldaten, sie zu befreien, und verhieß ihm, Erkundigungen einzuziehen. Hierauf nahm der Soldat seine Verwandlung vor und entfernte sich; zu der Königstochter aber kam Seelenlos, der Menschenfresser, und brachte ihr treffliche Speisen und Getränke, damit sie sich gut nähre, bis er die Zeit ersehen würde, sie zu verspeisen. Sie fragte ihn gleich, wo denn seine Seele sei? er aber antwortete ihr: »Dir das zu sagen, werde ich wohl bleiben lassen, denn wenn schon ich Seelenlos bin, so bin ich doch nicht hirnlos, und es könnte mir, wenn nicht an der Seele, so doch am Leibe schaden, wenn ich mein größtes Geheimnis dir, einem schwatzhaften Weibe, anvertrauen wollte.«

Aber die Königstochter ließ mit Bitten nicht nach, bis Seelenlos ihr dennoch sein Geheimnis anvertraute und ihr sagte, seine Seele sei in einer kleinen goldenen Truhe verschlossen, diese Truhe stehe auf einem gläsernen Felsen und der Felsen stehe mitten im roten Meere. Ein böser Zauberer habe das alles so angerichtet, ihn seelenlos und nächstdem mädchenfleischfressend gemacht; er könne nichts dafür; wenn er seine Seele wieder bekomme, so werde er die jungen Mädchen nicht mehr so freßlieb haben, sondern sie mit bescheidenen Augen ansehen.

Das alles sagte die gefangene Königstochter dem Soldaten wieder, als dieser sie abermals besuchte, und alsbald verwandelte derselbe sich in einen Adler, und flog nach dem Schlosse der vier Winde. Diese selbst waren ausgeflogen, aber ihre Mutter war zu Hause, und er bat letztere um Herberge in ihrem luftigen Palaste, und erzählte ihr seine Geschichte, worauf die Windmutter gleich bereit war, ihm durch ihre Söhne Beistand zu leisten. Gegen Abend [519] kamen der Südwind und der Ostwind nach Hause; diesen beiden stellte die Windmutter den tapfern Krieger vor, und beschenkte letzteren mit einem Wünschelflughütchen, das ihm die Kraft verlieh, so schnell, wie der Wind zu fliegen. Am andern Morgen, als die Winde ausgeruht hatten, erhoben sie sich aufs neue, und der Soldat flog in Adlergestalt mit ihnen und eben so rasch wie sie, und kam an die Küste des roten Meeres; unterwegs hatte er den Winden erzählt was er wünsche, und die Winde fuhren nicht über das Meer, damit es ruhig bleibe. Dann geboten sie den Fischen, das Kästchen zu suchen, in dem sich die Seele des Herrn Seelenlos befand. Das taten auch die Fische, und sie fanden wohl den gläsernen Felsen, darauf die kleine Truhe stand, konnten aber nicht hinauf. Endlich kam eine krumme Gadde oder Weißling, die schnellte sich in die Höhe, und ergatterte das Trühlein mit einem Satze, faßte es in ihr Maul und brachte es dem Adler. Dieser schlug mächtig mit seinen Schwingen, wackelte mit dem Schwanze, und tanzte vor Freude, worüber die Winde sehr lachen mußten, denn sie hatten noch keinen Adler possierliche Sprünge machen sehen, so viel sie auch schon gesehen hatten. Hierauf drückte der Adler erst den Winden, dann dem Weißling seinen verbindlichsten Dank aus, und flog, immer noch das Wünschelflughütlein auf dem Kopfe, nach der Heimat zurück, und geradewegs nach dem Schlosse des Herrn Seelenlos, auf welchem er sich wieder in einen Menschen verwandelte. Er ließ sich sofort anmelden, als ein Handelsmann aus dem Morgenlande, der ein Kleinod anzubieten habe. Seelenlos war sehr ungnädig über solchen zudringlichen Besuch, und ließ den Angemeldeten nur deshalb eintreten, um ihn mit Grobheiten zu beköstigen, die jedermann anzutun er sich zu jeder Zeit gleich berechtigt glaubte, fuhr ihn auch alsbald trutziglich an, denn ein Mensch ohne Seele kann nicht anders sein als ungeschliffen und patzig.

Der Soldat und verstellte Handelsmann kehrte sich indessen nicht an des Herrn Seelenlos grimmiges Gesicht und an sein Anschnauzen, sondern war um so höflicher, je gröber jener war, der sich nicht anders gebehrdete, als wolle er ihn ebenfalls fressen.

»Ich habe einen Schatz, der für Euer Gnaden von unschätzbarem Werte ist«, sprach der Fremde: »und biete denselben Ihnen zum Tausche an.« [520] »Wird ein rechter Bettel sein, Sein Schatz!« murrte Seelenlos. »Was kann so ein Lump mir bieten? Bildet Er sich ein, ich könne Ihn nicht mit barem Gelde bezahlen, daß Er sich erfrecht, vom Tausche zu reden? Was hätte ich, das Ihm ansteht? Gleich will ich's wissen!«

»Eure Gnaden halten gnädigst zu Gnaden!« antwortete der Fremde. »Hochdieselben halten ein Juwel in Verwahrung, das ist die schöne Königstochter, und der Bettel, nach Hochdero eigener Taxation, den ich gegen dieses Kleinod anzubieten mich unterfange, ist Euer Gnaden – gnädige Seele.«

»Meine Seele!« rief Seelenlos mit namenlosem Erstaunen. »Meine Seele hast du? bei meiner armen, leider verlorenen und mir abhanden gekommenen Seele schwöre ich dir, daß du, wenn ich hundert Königstöchter gefangen hielt, alle hundert bekommen solltest, wenn ich nur meine Seele wieder hätte.«

»Ich bescheide mich mit der einen«, erwiderte der Handelsmann, »hundert dürften mir zu viele werden. Aber schließen wir den Vertrag schriftlich ab!« Mit diesen Worten zog der Soldat ein beschriebenes Blatt Papier hervor, darauf schon alles kurz und bündig stand, und reichte Seelenlos die Adlerfeder dar, mit ihr zu unterzeichnen, welches Seelenlos auch tat; dann ließ er auf der Stelle seine schöne Gefangene herbeiführen, die eine große Freude hatte, den Soldaten bei dem Menschenfresser zu finden, welcher bereits den Fremden sich auf das Kanapee hatte niedersetzen lassen, indem schon die Nähe seiner Seele begann, ihn menschlicher zu stimmen. Die Königstochter aber hatte geglaubt, sie solle in die Küche geführt und dort abgeschlachtet werden, wie eine arme Taube. Jetzt nahm der Soldat das kleine goldene Trühelein aus seiner Tasche, welches mit einer Schraube verschlossen war, und gab es in Seelenlos' Hand. Dieser öffnete geschwind die Schraube, hielt die Öffnung an seinen Mund, und sog mit Wohlgefühl seine Seele in sich ein. Da war mit einem Male der schlimme Zauber gelöst. Die Königstochter war nicht mehr gefangen und Seelenlos war nicht mehr seelenlos, sondern vielmehr ganz selig; er umarmte den Soldaten unter einem Strome von Freudentränen, und hätte gern auch die Königstochter umarmt, aber eine ehrfurchtvolle Scheu hielt ihn davon zurück, der beste Beweis, daß er wieder eine Seele gewonnen hatte, doch bat er [521] beide um ihre Freundschaft. Hierauf zog der Soldat mit der Königstochter von hinnen, ward vom Könige, ihrem Vater, in den Prinzenstand erhoben, heiratete als neuer Prinz die junge Prinzessin, und der gewesene Seelenlos verspeiste keine jungen Mädchen mehr, ward vielmehr der artigste Cavalier von der Welt.

Der undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der undankbare Sohn

Eine alte Mutter hatte einen Sohn, der wollte heiraten, und bat die Mutter, sie möge ihm doch ihr Häuschen und ihr Gütchen geben, er und ihre zukünftige Schnur wollten es auch gar gut mit ihr meinen, sie bei sich hegen und pflegen, und sie so zu sagen auf den Händen tragen. Die alte Mutter war vom Herzen gut und vom Hirn etwas einfältig; sie kannte das Sprüchwort nicht: Ziehe dich nicht eher aus, bis du dich schlafen legst, und gab her, was sie hatte. Zum Danke wurde sie sehr übel gehalten, war über nichts mehr Herrin und jeder Bissen Brot wurde ihr erst schmal genug vorgeschnitten, dann vorgerechnet und jeder Tropfen Trankes ihr vergällt; aber Sohn und Schnur ließen sich's ganz gütlich und wohl sein.

Einst speisten letztere beiden miteinander und mit Knecht und Magd ein gebratenes Truthuhn, ohne die Mutter dazu einzuladen; zufällig kam diese aber dennoch, mußte jedoch anklopfen, denn die Türe war zugeschlossen. »Holla! die Alte kommt, fort mit dem Huhn! Setze es derweil in die Ofenröhre und mache deren Türe zu!« gebot der Sohn dem Knechte, und dieser vollzog alsbald den erhaltenen Befehl. Jetzt wurde die Stubentüre aufgerissen von dem Sohne und die arme Alte angefahren: »Nun, was soll es denn? Hat der alte Drache etwa schon wieder Hunger? Ei so wollt ich doch! Da, nehmt, hier ist Brot, und nun trollt Euch von hinnen!«

Weinend wankte mit dem trockenen Stückchen Brot die alte Mutter aus der Stube; der böse Sohn warf hinter ihr die Türe in das Schloß, daß es krachte, und eiferte: »Keinen Bissen kann man doch in Ruhe und ohne Ärger genießen! Ich möchte nur wissen, ob die Alte ewig leben will?« – »Bringe das Huhn wieder her!« gebot die Sohnesfrau dem [522] Knechte – dieser öffnete die Ofentüre und sprang mit einem lauten Schrei des Schreckens drei Schritte vom Ofen zurück, und verfärbte sich.

»Nun, was hat denn der tölpelhafte Narr? Er ist wohl verrückt?« rief der Mann, und gebot der Magd, das Huhn aus der Röhre zu holen. Diese ging und griff in die Röhre, und kreischte alsbald vor Entsetzen auf, indem auch sie zurücksprang. »Was soll das heißen, ihr dummes Volk?« schalt der Herr. »Und wenn der lebendige Teufel drinnen säße, so würde ich nicht solchen Lärm aufschlagen!« – »Geh du hin, Frau.«»Ich?« fragte die Frau: »nicht um die Welt, ich tu's nicht – ich danke; ich bin satt.« »Ei so muß ich selbst nachsehen, und will es, und wenn der Donner drinnen säße!« rief der Mann, stieg auf, und ging an die Röhre. Hu! da schoß eine armsdicke und klafterlange Schlange heraus, und schnellte gegen ihn, und ringelte sich um seinen Hals, eiskalt, und als er sie abzuwenden strebte, riß sie ihren Rachen greulich auf und zeigte ihre Giftzähne und ihre Gabelzunge, und weder er noch sonst jemand anders durfte sie berühren, und wenn man Miene machte, sie von weitem zu beschädigen, so zog sie sich gleich fester um den Hals, daß der Mann zu ersticken Gefahr lief, und ängstlich schrie, man solle die Schlange unberührt und ungeschädigt lassen.

Und die Schlange wich nicht von ihm; sie um seinen Hals legte er sich schlafen, sie um seinen Hals stieg er wieder auf. Ehe er einen Becher Getränk zum Munde führte, trank erst die Schlange aus demselben Becher, jeden Bissen, den er aß beleckte sie, oder biß Stücken davon ab, ach und dabei roch sie, so wie sie nur den Rachen aufriß, fürchterlich aus dem Halse, daß dem Mann eine Ohnmacht um die andere anstieß, und niemand es in seiner Nähe aushalten konnte. Wer zuerst von ihm weglief, das war seine Frau, die doch die meiste Schuld daran trug, daß er die Schlange des Undanks gegen seine betagte Mutter in seinem Herzen getragen, die schlimmer und scheußlicher ist, als jener Wurm, den er jetzt am Halse tragen mußte, zur quälenden Strafe. Knecht und Magd liefen auch davon; Hund und Katze wanderten aus; der Vogel im Käfig krepierte; Motten und Mücken starben, die Spinnen machten sich hinweg, die Mäuse entflohen so schnell sie nur konnten; die Wanzen zogen in langen Zügen langsam an den Türpfosten nieder und schlüpften zwischen Türe und Angel hinaus – nicht das armseligste Läuschen [523] bewies dem Undankbaren, von Gottes Strafgericht hart Heimgesuchten noch freudige Anhänglichkeit und Treue – alles, was lebte, floh ihn. Nur ein Wesen, welches lebte, floh ihn nicht, hielt treu bei ihm aus, und das war seine arme alte Mutter – sie pflegte sein, sie betete zu Gott um Erlösung für ihren undankbaren Sohn, und da diese nicht erfolgte, so griff sie endlich furchtlos mit ihrer zitternden Hand und doch kräftig die drohende, zischende, Zähne zeigende, Gift hauchende Schlange an, und in dem Augenblicke, wie die alte Mutter das tat, fiel die Schlange ab vom Halse des Sohnes, und – verschwand.

Der Sohn aber stürzte nieder zu den Füßen seiner Mutter und küßte ihr die Füße und ihres Kleides Saum, und weinte heiße Reuetränen auf die treuen Mutterhände, und begann fortan ein neues Leben voll Demut gegen sie, voll Sorgfalt, voll Liebe, voll Gehorsam, voll Zuvorkommenheit, und sie lebte noch lange glücklich mit dem durch ihre starke Mutterliebe ihr und sich selbst geretteten Sohne bis in das höchste Greisenalter.

Das HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das Hellerlein

Ein fremder Wandergast trat in ein Bauernhaus, und fand allda die Familie, den Vater mit Frau und Kindern in trüber Stimmung und in Trauerkleidern, denn ihnen war vor wenigen Wochen ein liebes und schönes Kind, ein Mädchen gestorben. Die Leute ließen den Fremden, der ihnen jedoch verwandt war, an ihrem Mittagsmahle Anteil nehmen. Man setzte sich nach gesprochenem Gebete zu Tische, da schlug es zwölf Uhr. Und mit dem letzten Schlage der Uhr ging ganz leise die Stubentüre auf, und es trat ein bleiches Kind herein in die Stube, grüßte niemand, sah sich nicht um, sprach kein Wort, sondern ging schwebenden Ganges in die Kammer. Niemand sprach ein Wort, und auch der Fremde fragte nicht, aber es überlief ihn ein Schauer.

Geschäfte hielten den Verwandten noch einen und den andern Tag im Orte und bei den Leuten, die ihn aufgenommen, fest, sonst wäre er lieber gegangen, denn am zweiten Tage zeigte sich dieselbe Erscheinung; das bleiche Kind [524] kam zur Stubentüre herein und ging schweigend in die Kammer – ohne daß die Leute es nur zu gewahren schienen. Dasselbe geschah am dritten Tage, da hielt der Fremde nicht länger an sich, sondern fragte: »Ei saget doch, was ist das für ein Kind, das jeden Mittag Glock zwölf so still durch die Stube und in die Kammer geht?«

»Ich weiß von keinem solchen Kinde, ich sah noch keins« – antwortete der Vater, die Mutter aber begann zu weinen. Jetzt ging der Fremde zu der Kammertüre, öffnete sie ein wenig und blickte in die Kammer. Da gewahrte er das Kind. Es saß an der Erde und grub mit den Fingern in einer Ritze zwischen zwei Dielen gar emsiglich, und wühlte und seufzete leise: »Ach das Hellerlein! Ach das Hellerlein!« als aber die Kammertüre ein wenig knarrte, fuhr das Kind erschrocken zusammen und verschwand. Nun sagte der Gast den Leuten an, was er gesehen, und beschrieb des Kindes Gestalt, da rief die Mutter schluchzend aus: »Ach Gott, ach Gott! das war unser Kind, das wir vor vier Wochen begraben haben! Warum nur hat es keine Ruhe im Grabe?« Nun gab der Gast den Rat, die Diele aufzubrechen, und als das geschah, so fand sich darunter ein armseliges Hellerlein, das hatte das Kind in der Kirche in den Klingelbeutel legen sollen, hatte es aber behalten, bis es noch eines zweiten habhaft würde, dann hatte es sich wollen eine Pfennigsemmel kaufen. Zu Hause aber hatte das Kind das Hellerlein fallen lassen, und es war zwischen den Dielen in die Ritze gefallen. Deshalb hatte das Kind keine Ruhe im Grabe. Am Tage darauf warf des Kindes Mutter das Hellerlein in den Klingelbeutel, und von nun an kam das Kind nicht wieder.

Der schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der schwarze Graf

Einst zog ein Ritter durch den Wald, sein Knappe folgte ihm; es wurde Nacht, doch der Ritter kannte keine Furcht. Verrufen war die Gegend, gemieden der Weg durch den wilden Wald, den der Ritter mit seinem Knappen ritt. Der Weg führte beide vorüber am Schlosse eines befreundeten Ritters, dessen Tochter gerade Hochzeit hielt, und er sprach als Gast dort eine kurze Zeit zu. Die Freunde wollten ihn [525] länger halten, er sollte mit seinem Knappen im Hochzeithause übernachten, aber den Ritter trieb Eile, er lehnte alle freundlichen Einladungen zum Bleiben ab. Man warnte ihn, man sagte ihm, im Walde, den er noch zu durchreisen habe, hause der »schwarze Graf«, ein gespenstiger Ritter, der allen, auf welche er stieße, namenlose Schrecknisse bereite. Selbst die Braut verschwendete ihre Bitten an den Freund ihres Vaters; sie führte ihm das Sprüchwort zu Gemüte: »Die Nacht ist keines Menschen Freund.« Unaufschiebbares Geschäft schützte der Gast vor und entritt. Weg und Wald waren sehr finster. Der Ritter und der Knappe ritten schon drei Stunden lang, noch war ihnen nichts begegnet, der Ritter ritt im Panzer seines Mutes und guten Gewissens gegen den Angriff feindlicher unterirdischer Mächte, gegen Feindesangriff irdischer Art schirmte ihn die eiserne Rüstung, die starke Faust, das blanke Schwert.

Jetzt drängte plötzlich der Knappe sein Roß vor, neben das seines Herrn und flüsterte ängstlich: »Herr! Es reitet einer hinter uns – hohl klingt der Hufschlag seines Rosses – und schaut Euch um, Herr – seht wie Feuerschaum dem Rosse vom Gebisse träuft, seht, wie seine Nüstern Funken sprühen.«

Schnell war der schwarze Reiter, der ihnen folgte, an den beiden. »Hollah! Gesellschaft! Wackere Kumpane!« rief eine tiefe, hohle Stimme.

»Gott zum Gruß!« antwortete der Ritter, und der Rappe des Fremden stieg bäumend in die Höhe, und schnaubte Ströme Feuers aus den Nüstern – von dessen Schein des schwarzen Ritters Eisenrüstung rot erglühete.

»Für solchen Gruß dank Euch der Teufel, nicht ich!« versetzte wild der riesige Nachtgesell und hieb wild auf den bäumenden Rappen. »Doch wißt. Ihr seid verirrt! Kommt mit mir auf mein Schloß, ganz nahe liegt's, dort seht Ihr schon die Fenster schimmern.«

»Ich danke, hab nicht Zeit zur Einkehr!« antwortete der Ritter – doch jener rief gebietend: »Zeit wird sich finden!« und lachte, daß es weit im Walde gellte. Eine lange schwarze Mauer zog quer über den Weg, in der Mauer war ein halbverfallenes Tor – der Weg führte gerade hinein, und im Ring der Mauer lag das Schloß, ein gewaltiger vielgetürmter Bau. Droben im Gewirre der Türme und Türmchen kreischten Eulen. Am Tore des Hauses ringelten sich steinerne [526] dickleibige Drachen mit weit vorgestreckten dünnen Hälsen um die Säulen. Nur wenige Fenster waren erhellt – schwarz ragte der ganze übrige Bau empor zum dunkeln Himmel.

Der schwarze Graf schwang sich vom Roß – und dieses Roß sank hinter ihm in die Erde.

»Folget mir hinein!« rief der schwarze Graf seinen gezwungenen Gästen zu.

»Nicht hinein! Um des Himmels willen nicht hinein!« flüsterte der treue Knappe seinem Herrn ins Ohr.

»Schweige Knecht!« schrie der schwarze Graf diesem gebieterisch zu. »Hier herrscht nicht des Himmels Wille, sondern mein Wille! Bleibe in Blendung!«

Da schwand vor des Knappen Augen das Schloß, er stand auf öder einsamer Heide, neben einem alten Gemäuer, drei Türme ragten daraus empor – das war nicht mehr des schwarzen Grafen Schloß, das war ein anderes Haus.

Der Ritter folgte seinem Führer voll Mut die Stufen einer Wendeltreppe hinan. Von Zeit zu Zeit streckte sich eine Greifenklaue aus der Wand, die hielt eine brennende Kerze, die Kerzen waren schwarz und weiß. Die Wände waren kohlschwarz. Des schwarzen Grafen Rüstung war auch ganz schwarz, und ganz nach uralter Art, ein Kettenpanzer umkleidete ihn völlig, nur auf dem Haupte trug er einen Helm seltsamer Form; der Kamm dieses Helmes war nicht gegossen oder geschmiedet, er war lebendig und ward gebildet von einem kleinen salamandergleichen Drachen, der seine Klauen fest an den Helm geklemmt hielt, den Kopf bisweilen drehte und dessen schwarze Funkelaugen wie Demantspitzen blitzten. Lang hing des Drachen Schwanz vom Helme abwärts bis in den Nacken und schlenkerte bald hinüber, bald herüber. Droben stand am Ende der Treppe der schwarze Graf, und wandte sich seinem Gaste zu. Bleich war sein Antlitz, bleich und abgezehrt, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und blickten Mord, sie waren ohne Wimpern und über ihnen wölbten sich keine Brauen. Der schwarze Graf keuchte schwer und sein Atem glühte wie der Hauch der afrikanischen Wüste, feuerheiß.

»Nun folge mir, und schaue was ich tat und wie ich leide!« sprach zu dem Ritter der schwarze Graf. »Einem jeden, der mitternachts meinen Weg reitet, muß ich zeigen meine Missetat. Brauchst nicht für mich zu beten, Mann! Meine Tat sühnt nicht Reue, nicht Fürbitte, nicht Gebet.«

[527]

Die Türe eines Saales, mit phantastischem Bildwerke verziert, sprang donnernd auf – kalter Eishauch, wie von einem Gletscher, wehete aus dem Saale entgegen. Der große weite Saal war auch ganz schwarz und war ganz leer – nur in der Mitte – da stand etwas, beleuchtet von einer matten trüben Ampel, die darüber von der Decke niederhing. Und was dort stand, das war ein Sarg, und in dem Sarge lag eine Leiche, die Leiche einer alten kleinen Frau, ganz weiß gekleidet, die Hände aneinander gelegt, wie zum Gebete – über den Händen aber, aus der Brust, ragte der schwarze Griff eines Dolches.

»Hier meine Mutter!« rief der schwarze Graf. »Hier ihr Mörder!« rief er noch einmal, daß es schaurig im Saale hallte, und brach am Sarge in die Kniee. Da hob sich plötzlich die Leiche im Sarge empor und wuchs und wuchs, so riesengroß – so ungeheuer, ein grauser Spuk, und deckte sich über den schwarzen Grafen und füllte mehr und mehr den Raum, und der Ritter wich zurück, bis die Wand ihn hemmte – immer grausiger wurde die entsetzliche Gestalt, immer höher – ihr weißes Antlitz war schon so groß wie der Vollmond im Aufgehen, und ihr Gewand wallete wie Nebel – ihre Hände aber gruben in der Brust des schwarzen Grafen, und gruben ihm das Herz aus der Brust.

Dem Ritter flirrte es vor den Sinnen, wie Nachtflöre einer Ohnmacht! Er zog sein Schwert und schrie: »Unholde! Weicht im Namen des Gekreuzigten!« Da gellte ein entsetzlicher Schrei, da krachte das Gebälk, wankte das Haus, sank Sarg und Wand, sank Graf und Gräfin, sank der Boden samt dem Ritter tief, tief hinab in undurchdringliche Nacht. Aus einer Betäubung erwachte der Ritter. Sein treues Schwert hielt er noch in der Hand. Schwarze Nacht war rings um ihn her, sein Fuß trat auf Moorgrund, seine Hand ertappte Mauerwerk und feuchtes Gras, Nachtluft umwehte ihn kühl und schauernd.

Was war das? Und wo bin ich? fragte sich der Ritter, und unruhevoll klopfte ihm sein sonst so mutiges Herz. Er rief laut den Namen seines Knappen. Horch! Ein Antwortruf, aber aus weiter Entfernung. Der Ritter rief wieder – der Knappe kam näher – er führte noch die beiden Rosse an den Zügeln.

»Herr, wo seid Ihr?« rief von weitem der sich nähernde Knappe.

[528] »Hier! Hier im Moor und unter Trümmern«, rief der Ritter.

Mit Mühe half durch Zusammenknüpfen von Riemen und Strängen der Knappe seinem Herrn aus dem Sumpfe, darüber begann der Morgen zu dämmern – und nun sahen Herr und Diener allmählich, wo sie waren. Auf sumpfiger Heide, neben einem ganz verfallenen Bau am Ende eines Waldes – und eine Strecke davon im Nebeldämmer jenes Gebäu, an dem der Knappe gerastet – ein Galgenrundbau; was drei Türme geschienen, waren drei hohe Steinpfeiler, die verbindenden Balken waren längst verfault und herabgefallen.

Kühl wehte es vom Osten her – feucht schlug der Nebel sich nieder. Still ritten der Ritter und sein Knappe ihres Weges weiter. Nie vergaß der Ritter sein gespenstiges Abenteuer und das Schloß des schwarzen Grafen.

Vom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Vom Büblein, das sich nicht waschen wollte

Es ist einmal ein Büblein gewesen, das wollte sich schon als ganz kleines Kind immer nicht waschen lassen, und als es größer wurde, so hat sich's vor dem Wasser über alle Maßen gegruselt, und hat sich vor dem Naßwerden ärger gefürchtet, als vor dem Feuer. Und da hat der unsaubere Geist, der Teufel, Macht genommen über das Büblein, und hat zu ihm gesagt, er wolle es an einen Ort führen, wo es sich sein Lebtag nicht zu waschen brauchte, und wenn es ihm sieben Jahre diene, dann solle es ein gutes Leben haben.

Das war dem Büblein recht, und ging mit dem Teufel und der führte es fort, daß keine Seele mehr von ihm weder hörte, noch sah, und wurde ganz und gar vergessen.

Nach sieben Jahren aber erschien in des Bübleins Heimat ein Geselle, der sah aus wie des Teufels rußiger Bruder. Seine Haut war schwarz, sein Haar wirr und ungekämmt, sein Wesen war schweigsam. Aber wenn er Kinder sah, so warnte er sie vor Unreinlichkeit und ermahnte sie, daß sie sich ja recht fleißig sollten waschen lassen. Nachher geschah es wohl auch, daß er erzählte, wie er am Höllentore im Dienste des unsaubern Geistes habe Wache halten müssen, weil er selbst so unsauber gewesen, und wer alles durch das [529] Tor gekommen, aus dem Dorfe und der ganzen Umgegend. Wie aber die Leute von den Kindern vernahmen, was des Teufels gewesener Torwart erzählte, schalten sie ihn einen schwarzen Unhold und liefen haufenweise zu ihm und gaben ihm vieles Geld, daß er schweige und nicht sage, wessen Vater, Großvater, Mutter, Schwester, Muhme und ganze werte Verwandtschaft er in die Hölle habe einziehen sehen. Da nahm er das Geld, wenn ihn aber einer wieder zu schelten anhub, so sagte er: »Ich wasche meine Hände in Unschuld, ich kann nicht dafür, daß Eure Sippschaft und Magschaft in die Hölle spaziert ist, statt in den Himmel.« Und fing an und wusch sich fleißig, des Tages mehr als einmal, und verdiente vieles Geld mit Schweigen, während andere es mit Schwätzen verdienen müssen.

Das winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das winzige, winzige Männlein

Es waren einmal drei lustige Gesellen, ein Schmied, ein Schneider und ein Jäger, die waren gute Freunde zu einander, kamen öfters zusammen, und besprachen sich, mitsammen in die Fremde zu gehen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr so recht gefallen wollte. Wie sie nun ihren Entschluß ausführten und wanderten, führte sie ihr Weg in einen tiefen Wald, aber heraus führte er sie nicht; sie verirrten sich und liefen im Walde umher, bis die Nacht einbrach, und sie weder Weg noch Steg sehen konnten. Endlich stieg der Schmied auf einen Baum und erblickte in einiger Entfernung ein Licht, merkte sich die Richtung, stieg vom Baume herab, und ging nun mit seinen Gefährten auf das Licht zu. Sie kamen alle drei an ein Haus, welches offen stand, aber leer war, wenigstens ließ sich niemand blicken, aber das Licht stand darin und schien.

»Wer hier wohnt, wird es uns nicht so sehr übel nehmen, wenn wir hier die Nacht verbringen, wir können nun einmal doch nicht weiter!« sprachen die drei einer zum andern, und legten sich nieder, wo sich just für jeden ein geeignetes Plätzchen fand. Ohne alle Störung schliefen die drei Gesellen die ganze Nacht, und erwachten, als der Morgen da war, fröhlich und wohlgemut.

[530] »Es ist hübsch in diesem Häuschen«, sprach der Schmied. »Ich dächte wir verließen es nicht so schnell, damit wir dem Bewohner danken für die Gastfreundschaft, die wir uns angeeignet.«

»Vielleicht kann ich ihm etwas flicken« – meinte der Schneider.

»Ich bin auch nicht dagegen, hier zu rasten«, sprach der Jäger: »aber wenn wir das wollen, so müssen wir nun etwas zu essen haben, denn hier scheint Schmalhans Küchenmeister zu sein. Ich schlage daher vor, einer von uns bleibt hier, und zweie gehen in den Wald, und fangen oder schießen etwas, damit wir zu leben haben.«

»Der Rat ist richtig«, sagte der Schmied. »Draußen springt ein Quellbrunnen; der daheim bleibt, macht indes ein Feuerlein an, und setzt Wasser bei, daß wir uns hernach eine gute Suppe kochen können.«

Der Schmied und der Jäger gingen und der Schneider blieb im Häuschen, entzündete ein Feuer, setzte Wasser bei und sich daneben. Da erschien mit einem Male ein winzig, winzig kleines Männchen und sagte:


»Schneider, Schneider, Schneiderlein,
Ich blas dir aus dein Feuerlein.«

»Ja, untersteh dich!« rief der Schneider voller Mut, weil das Männlein so winzig war, aber das machte ft! und da war das Feuer aus und das Männlein verschwunden.

Bald kamen der Jäger und der Schmied und brachten ein Stück Wild und gute Wurzeln, der Schneider erzählte, was ihm begegnet sei, und nun mußten sie von neuem Feuer anzünden und Wasser beisetzen.

Als das Wild verzehrt war, gingen der Schmied und der Schneider in den Wald, und der Jäger hütete das Haus, und machte ein schönes Feuer an, setzte Wasser bei und sich dazu. Da kam abermals das winzige, winzige Männchen, und wisperte:


»Jäger Jäger, Jägerlein!
Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«

»Probier es nur! Ich drehe dir den Hals um!« rief der Jäger, aber – ft! – und das Feuer erlosch und das Männlein verschwand.

Wie die Kameraden kamen, hatten sie kein Wild, und [531] kein Feuer; zwar rühmte sich der Schneider, dem der Jäger sein Gewehr geliehen, er habe bald einen Bock geschossen, aber nur bald, das Gewehr habe einen Fehler, die Kugel sei links gegangen.

»Nun probiere ich's einmal!« rief der starke Schmied. »Habt Acht, ich zahle den Knirps aus.« Nun blieb er zu Hause und der Jäger ging mit dem Schneider auf die Jagd.

Der Schmied saß noch gar nicht lange bei dem Feuer, das er angezündet, nachdem er einen Schraubstock hergerichtet, als das winzige, winzige Männlein zum dritten Male erschien, und wisperte:


»Schmied, Schmied, Schmiedelein!
Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«

Aber anstatt zu antworten, griff der Schmied dem Männlein an den Kragen, schüttelte es tüchtig und klemmte es an den Schraubstock fest, daß es erbärmlich zappelte und heulte. Das half ihm aber nichts, denn der Schmied bearbeitete es auch noch äußerst handgreiflich, und wie nun der Jäger und der Schneider kamen, so putzte der erstere das winzige Männchen auch noch aus, und der Schneider freute sich und flickte es ebenfalls gehörig durch.

Das Zaubermännchen im Schraubstock tat aber gar erbärmlich und sagte: »Laßt mich los, und gehe einer mit mir! Einen kann und will ich glücklich machen. Schneiderlein, geh du mit mir!«

»Männlein, ich geh nicht mit dir!« antwortete der Schneider. – »Jäger, so gehe du mit mir!« bat das winzige, winzige Männlein. – »Ei, der Kukuk geh mit dir!« antwortete der Jäger. – »Schmied, Schmied, gehe du mit mir!« bat gar zu kläglich das Männlein, da sagte der Schmied: »Gut, ich will mit dir gehen, aber denke nicht, daß ich dich loslasse, denn du würdest mich sonst schön führen. Und die andern zwei müssen ein Stück hinter uns drein gehen.«

»Meinetwegen, ich bin alles zufrieden!« winselte das winzige, winzige Männlein. »Macht mich nur aus dem Schraubstock los!«

Das tat denn der Schmied, hielt aber das Männlein fest am Kragen, und nun ging es durch eine Türe in der Stube und durch einen Kellergang in ein großes matt erhelltes Gewölbe. In diesem Gewölbe saß auf einem helfenbeinernen Stuhle der Menschenfresser, und hinter ihm stand seine [532] Frau, und kämmte ihm mit einem beinernen Kamme das lange, zottelige Wirrhaar.

Jetzt sprach der Menschenfresser: »Hup, hup! Es riecht nach Menschenfleisch! Hup, hup – Menschenfleisch«, und schnappte behaglich.

»Ach –« antwortete die Frau: »wer weiß was du riechst?«

Doppelt fest hielt der Schmied das winzige Männlein am Kragen, denn hätte er es losgelassen, so hätte dasselbe ihn und seine Gesellen dem Menschenfresser überliefert – aber so führte er den Schmied in einen Seitengang, und die andern folgten, und da kamen sie an ein Bergloch, davor lag ein großer Stein, und da sagte das Männlein: »Wälze diesen Stein hinweg, krieche dann durch die Öffnung hinaus, und rufe: ›Vivat! Ich bin erlöst!‹«

»Zum Steinwälzen brauch ich aber zwei Arme«, sagte der Schmied; gab dem Jäger das zappelnde Männlein am Kragen fest zu halten, denn dem Schneider mocht er's nicht anvertrauen, der dünkte ihm nicht stark genug. Gleichwohl half auch der Schneider halten, er hielt das Männlein an beiden Beinchen fest. Jetzt wälzte der Schmied den Stein; da entstand im Gewölbe ein Poltern und Krachen, als wenn alles zusammenbreche, vor ihnen aber strahlte blendender Schimmer, Tageshelle, und vor aller Augen lag ein stattliches Schloß. Geschwinde krochen alle drei, eigentlich vier, heraus. Erst der Schmied, dann der Jäger mit dem Männlein, zuletzt der Schneider, der des winzigen Männleins Beine hielt, und jeder schrie: »Vivat, ich bin erlöst.«

Und siehe, das winzige Männlein schrie auch mit, und verschwand jenen unter den Händen. Aus dem Schlosse aber trat ein prächtig gekleidetes Musikkorps und spielte einen wunderschönen Tanz, dann kamen drei herrliche Prinzessinnen, die tanzten dem Schmied, dem Jäger, und dem Schneider entgegen; dann ein kleiner Mann, aber angetan wie ein König, mit Krone und Szepter, im hermelinverbrämten Purpurmantel, und seine Züge waren die des winzigen Männleins. »Dank euch, die ihr uns erlöset habt!« sprach der kleine König mit gravitätischer Würde. »Dank und Lohn!« –

Hierauf erhob der König die drei muntern Gesellen in den Prinzenstand, jeder durfte eine von den drei wunderschönen Prinzessinnen heiraten, alle lebten glücklich beisammen in dem schönen Schlosse, bedient von zahlreichem [533] Hofgesinde, und keinem wurde wieder sein Feuerlein ausgeblasen.

Die schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die schlimme Nachtwache

Es war einmal eine Gastwirtin, die taugte sehr wenig; sie wog falsch, sie maß falsch, sie log und trog. Wer in ihr Haus kam, kam nicht ungerupft wieder heraus. Nach Geld stand all ihr Sinn, um Geld hätte sie dem Bösen ihre Seele verkauft, wenn dieser sie gemocht.

Manche Untat geschah in dem Hause dieser Wirtin, die nicht an den Tag kam. Endlich war das Maß ihrer Sünden voll.

Ein vornehmer Herr kam zugereist, der über Nacht bleiben wollte. Er aß und trank, und sagte vor Schlafengehen zur Kellnerin: »Es muß jemand vor meiner Türe wachen; ich zahle dafür hundert Gulden und mehr. Magst du die verdienen, Kellnerin?«

»Nein!« antwortete die Kellnerin. »Zur Nacht schlaf ich, am Tage wach ich, und abends bin ich müde genug. Ich will's aber meiner Frau sagen, daß die dem Herrn jemand zur Nachtwache anschafft.«

»Denket Euch, Frau!« sprach zur Wirtin die Kellnerin: »Der fremde Herr will hundert Gulden und mehr zahlen, wenn jemand vor seiner Türe wacht. Ich hab mich dafür bedankt.«

»So?« sagte die Wirtin. »Nun, so gehe du schlafen, ich will schon jemand anschaffen.«

Die Wirtin gönnte aber selbiges Wachtgeld niemand als sich selbst. Sie ging zum Fremden, und sagte ihm: »Es ist niemand da, der Euch wachen will; ich muß es schon selbst tun. Ihr müßt aber noch was drauf legen.«

»Schon recht, Frau Wirtin! Ich lege noch etwas darauf. Wachet nur fein.« – Dann verschloß er sein Zimmer und die Wirtin blieb draußen auf der Flur, und wachte, und zählte in Gedanken schon das leicht verdiente, viele Geld. – Um Mitternacht war es der Kellnerin, als höre sie ein winselndes Gestöhne auf dem Vorsaal, aber es gruselte sie darob, und sie blieb hübsch unter ihrer Bettdecke.

[534] Als es Tag war, saß die Frau Wirtin vor des Fremden Türe, und hatte einen Beutel voll Geld in der Hand; sie sah aber jämmerlich aus, und mit Entsetzen sah das Gesinde, daß nur die Kleider und die Haut der Wirtin noch da waren. Das andere hatte der Teufel mitgenommen.

Der gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der gastliche Kalbskopf

Ein Elternpaar hatte drei Söhne, zwei waren gescheit, oder bildeten sich wenigstens ein, dies zu sein, der dritte, jüngste, Hans, war der dumme, aber der Liebling seiner Mutter, daher auch oft der Gegenstand des Neides seiner Brüder. Als letztere ziemlich herangewachsen waren, beschlossen sie, gemeinschaftlich die Welt zu sehen und draußen ihr Glück zu machen; sie sprachen daher zu ihrem Vater: »Vater, gib jedem von uns zehn Taler, wir wollen hinaus in die Welt, wollen fremde Städte und Länder sehen, und unser Glück machen.« Und zur Mutter sprachen sie: »Mutter, gib uns einen Ranzen voll Brot und Speck, wir wollen eine weite Reise tun.«

»Es ist gut, wenn die Jungen fortkommen und sich draußen etwas versuchen, wir wollen sie ziehen lassen!« sprach die Mutter zum Vater, und so wurde der Brüder Wunsch erfüllt.

Wie die Brüder zu ihrer Reise zurüsteten, sahe es Hans, und wie er ihren Entschluß vernahm, so sagte er: »Will auch mit! Will auch zehn Taler, will auch einen Ranzen voll Speck und Brot! Auch in die Welt!« –

»Du wirst etwas Rechtes draußen sehen und gewinnen, dummer Hans!« grollte der Vater, und die Mutter schrie: »Ach, mein Goldkind! Bleibe daheim und nähre dich redlich!«

Aber der Hans wollte einmal, und da half kein Zureden; er erhielt, was die Brüder erhalten hatten, und wanderte mit ihnen von dannen.

»Dümmeres gibt es gar nicht, als daß der dumme Hans sich uns aufgepackt hat! Der konnte doch wahrlich daheim bleiben! Der wird was Gescheites erleben! Wir wollen tüchtig drauf losschreiten, daß er uns nicht nachkommt, da wird [535] er schon von selbst umkehren«, – sprachen die Brüder auf ihrem Wege untereinander, als bereits Hans, der jüngste, ein Stückchen zurückgeblieben war, weil er nicht so große Schritte machen konnte, als seine zwei älteren Brüder.

Hans ließ die Brüder noch eine Strecke hinlaufen. Auf einmal schrie er: »Heida! Holla! Was ist das? Was liegt da? Ach der Schatz!«

Die Brüder, als sie den Hans so rufen hörten, blieben stehen, sahen sich um, sahen, wie ihr Bruder sich bückte, und Zeichen der Verwunderung über etwas machte, was dort lag, dann sprachen sie zueinander: »Schau, der Hans hat etwas gefunden, daran wir, ins Gespräch vertieft, vorüber gingen, geschwinde zurück!«

Eilend liefen die älteren Brüder zu ihrem Hans zurück, und sahen nach dem Schatz, den Hans gefunden hatte – es lag aber nichts dort, als eine Glasschlacke, die in der Sonne blitzte.

»Einfältiger, dummer Hans!« schalten die getäuschten Brüder. »Mein –« sprach Hans: »ist's kein Demant? Tut mir leid!« –

Nach einer Weile waren die Brüder dem kleineren und schwächeren Hans wieder eine gute Strecke vorgeschritten, und er konnte nicht nachkommen, weil er sich als bequemes Muttersöhnchen im Gehen niemals sonderlich geübt hatte. Da schrie er abermals: »Hei! Holla! Aber das ist was! He! Kommt all daher! Ach, die Pracht! Ach, die Pracht!« – und dabei machte er Freudensprünge um einen Punkt.

Die Brüder glaubten, der Hans habe jetzt wirklich etwas gefunden, und liefen zu ihm. zurück. Als sie aber die Stelle erreichten, war es ein großer Schwarm Goldkäfer, die zufällig auf einen Punkt zusammengeklumpt da lagen – und schalten den Hans noch härter. – Der Hans aber machte sein dümmstes Gesicht, und sagte: »Ich dachte, es wäre ein Haufen Kudaten. Ist's nichts? Tut mir leid.« – Er hatte aber beidemale nur gerufen, um wieder bei den Brüdern zu sein, ohne seine Schritte verdoppeln zu müssen, und sie einzuholen.

Leider ließ sich dieses zweimal erprobte Kunststück nicht fortsetzen. Als Hans nach einer Strecke Weges in einem Walde abermals zurückgeblieben war, und wieder bei einem vorgeblichen Funde stehen blieb, und schrie, so taten seine Brüder, als hörten sie es nicht – und gingen selbander ihres [536] Weges, und waren bald hinter den Waldbäumen, ihrem Bruder aus dem Gesichte.

»Lauft hin!« sprach Hans: »so kann ich desto besser ausruhen!« – Und setzte sich auf einen Stein, und öffnete seinen Ranzen, und aß Brot und Speck, trank auch einmal, denn die Mutter hatte ihm vorsorglich eine gefüllte Bulle in den Ranzen geschoben, dann legte er an einer bequemen Stelle den Ranzen unter den Kopf, und machte ein Schläfchen. Da der Hans Ausgehen nicht gewohnt, und sehr müde geworden war, so dauerte sein Schläfchen etwas lange, und als er endlich daraus erwachte, begann es schon Abend zu werden.

O weh, o weh! dachte Hans. – Ist es schon so spät! Wo soll ich nun hin, bei der Nacht und im Walde? Räuber können kommen und mir meine zehn Taler nehmen. Wölfe können kommen, und mir mein übriges Brot samt Speck fressen, und hinterdrein mich dazu. Das wird nicht gut. Hans, Hans! Wärst du doch zu Hause bei der Mutter geblieben!

Es wurde schnell dunkel, und Hans fürchtete sich, weiter zu gehen. Wo ich alleweil bin, ist außer mir niemand – sprach er zu sich selbst – und ich tue mir nichts. Gehe ich aber weiter, so könnte ich auf jemand stoßen, der mir was tut. Hier steht eine dicke Eiche, da will ich hinaufsteigen, und mich oben in das Geäste setzen; da sucht mich kein Räuber, und Wölfe klettern nicht.

Gedacht, getan, Hans kletterte auf den Baum, und sah sich droben ein wenig um. Siehe, da erblickte er ganz nahe ein stattliches Haus, dessen Zimmer von Lichtern erhellt waren.

»O ich dummer Hans!« rief Hans. »Konnte ich nicht noch ein paar Schritte gehen, und in dem schönen Gasthofe einkehren? Potz Blitz! Wenn man zehn Taler in der Tasche hat, braucht man da ein Nachtquartier auf Waldbäumen zu suchen?« – Eilend kletterte Hans vom Baume wieder herab, und schritt nach dem Hause zu, dessen Lichter ihm bald entgegen schimmerten. Bald stand er vor dem Hause, es war hell und groß, nur nichts Lebendes ließ sich sehen. Hans fand die Türe offen, alles hell von brennenden Kerzen, auch die Türen einer Reihe von Zimmern standen geöffnet, aber nirgend ein Mensch, auch kein Hund und keine Katze. Indessen stand in einem der Zimmer ein gedeckter [537] Tisch, darauf standen eine Flasche voll Wein, und Teller voll Weißbrot, Pfannkuchen, kalten Braten, Butter, Käse u. dgl. In einem Zimmer gleich daneben stand eine schöne Wiege, und in der Wiege lag ein K – nein, kein Kind, sondern ein sehr schöner Kalbskopf, auf seidenen Kissen. Hans schielte hin, und murmelte: »Ein prächtiger Kalbskopf! Schade, daß selbiger nicht gebraten ist. Zu dem hätt ich just Appetit.« Jetzt öffnete der Kalbskopf seine Augen – und Hans erschrak, er hatte nicht gedacht, daß derselbe lebendig sei.

»Schönen guten Abend«, sagte der Kalbskopf – und ganz erschrocken stammelte Hans: »Großen Dank!« –

Er war noch so unbekannt mit der Welt, der gute Hans, hatte noch nie einen Kalbskopf reden gehört.

»Sei schön willkommen!« sprach der Kalbskopf weiter. »Mir wird die Zeit so gräßlich lang. Setze dich, iß, trink, mache dir's bequem – dort steht ein Himmelbette, da kannst du schlafen, wenn du aber munter bist, da kannst du mir erzählen, wie es draußen in der Welt zugeht.«

Ich? dachte Hans, und erschrak aufs neue. Ich soll von der Welt erzählen? Das werden rührende Geschichten werden. Wenn ich nun nichts weiß da tut mir das Ding am Ende etwas. Ob es wohl ein ganzes Kälbchen ist, oder nur ein Kopf? Ob es wohl aus der Wiege herausspringen kann? Beißen wird es doch nicht – dazu sieht es zu gutmütig aus.

Hans setzte sich und aß und ließ sich's trefflich wohl schmecken, doch quälten ihn über dem Essen, Gedanken was noch nie bei ihm der Fall gewesen war.

Wie fang ich's nur an – dachte Hans: daß ich nicht gegen die Höflichkeit verstoße? Wie tituliere ich den Kalbskopf? Ich kann nicht unterscheiden, ob es ein Er ist oder eine Sie? Ob schon verheiratet oder noch ledig? Er scheint noch ziemlich jung zu sein. Soll ich zu ihm oder zu ihr sagen: Euer oder Ihre Gnaden? Ich werde gewiß etwas Dummes machen, so oder so.

Trotz dieser schweren Gedanken ließ sich's Hans doch außerordentlich gut schmecken, und als die Mahlzeit gehalten war, kam es zu keiner Abendunterhaltung zwischen ihm und dem Kopfe, denn Hans war wieder müde und legte sich in das Himmelbette, und schlief bis in den andern Tag hinein. Der Kalbskopf nahm das nicht übel; er hatte eine bewunderungswerte Geduld. Am andern Morgen fand [538] Hans seine Kleider gereinigt, und sein Frühstück neben der Wiege des Kalbskopfes, der ihm freundlich guten Morgen sagte, und seine Ohren mit vieler Anmut bewegte. Nun aber sollte Hans erzählen, und machte den Versuch, und siehe, es ging besser, als er geglaubt. Er begann zunächst von sich, denn jeder Mensch ist der Mittelpunkt seiner Welt, von seiner Mutter, von dem Vater, den Brüdern, den Muhmen und Vettern und von deren Kindern; von dem Hause seiner Eltern, deren Viehstande, wie viele Ziegen, Enten, Hühner, wie viele Singvögel; dann vom Gärtchen, von dessen Bäumen, Beeten und Blumen.

Hans hatte an dem Kalbskopf den gütigsten Zuhörer. Bisweilen schien es Hans, als glänze eine Träne in dessen großen blaßblauen Augen, und als atme er tiefer auf, fast wie wenn ein Mensch seufzt. Ein Wort gab das andere, nie stockte die Unterhaltung. Hans schilderte bis ins einzelne das Dorf, in dem sein Elternhaus stand, die Häuser, die Kirche, die Schule, den Kirchhof, die Grabsteine, den Pfarrer, den Schulzen, dann die Flur des Dorfes, den Bach, die nächsten Berge.

Hans war über sich selbst verwundert, daß er so vieles wußte. Darüber verging mancher Tag. Dann fielen ihm auch alle Märchen ein, welche ihm die Großmutter, als diese noch lebte, und er noch ein kleiner Junge gewesen war, erzählt hatte, und dann die Mutter – von verzauberten Prinzen und Prinzessinnen, von Zauberfrauchen und Hexenmännlein, von verwünschten Schlössern und gläsernen Bergen. Das alles hörte der Kalbskopf mit großem Wohlgefallen an, besonders schien er sich zu freuen, wenn die Märchen schilderten, wie die verzauberten Prinzen und Prinzessinnen ihre Erlösung gefunden. Und dabei sorgte der Kalbskopf auf das eifrigste dafür, daß es Hansen niemals an Trank und Speise mangle, und daß er sich und sein Gedächtnis durch allzuvieles Erzählen ja nicht zu sehr anstrenge. Immer mehr fiel dem Hans ein; er erzählte von den Gespenstern, die es gebe, von Feuermännern und Irrwischen, vom wilden Jäger und von dem Erdmännlein, von der Nixe im Bache und dem weißen Fräulein am alten Schloßberge in der Nähe seines Dorfes. Endlich fiel dem Hans ein, daß er ja auch musikalisch sei, und ein Instrument bei sich habe, das er zur Unterhaltung trefflich zu spielen verstehe. Hans packte dieses Musikinstrument, das sehr sorglich [539] verwahrt war, aus – es war eine Maultrommel, und als Hans die ersten Töne darauf anschlug, machte der Kalbskopf ganz große Augen, und drückte durch Wedeln mit den blonden Ohren seinen stillen Beifall aus.

Lange Zeit erfreute sich Hans der Gastlichkeit des Kalbskopfes und der stets unsichtbar bleibenden Bedienung des Hauses, und dachte: es ist gut, daß ich nichts von der Dienerschaft sehe, da brauche ich auch kein Trinkgeld zu geben, wenn ich wieder fortgehe – denn der Gedanke an das Fortgehen war dem Hans doch allmählich gekommen. Er kannte keine andere Welt als die kleine seines Heimatortes; sie füllte seine Seele und den Kreis seiner Ideen aus, und da er täglich nur von ihr sprach, mit allen Gedanken nur in ihr lebte, so war es kein Wunder, daß eine stille Heimatsehnsucht im Herzen Hansens erwachte.

Der Kalbskopf besaß ungleich mehr seelenkundlichen Scharfblick, als die überklugen Menschen insgemein Kalbsköpfen zutrauen und zugestehen wollen, und nahm daher eines Tages, als Hans wieder vom Daheim erzählte und dabei ein jammeriges Gesicht machte, das verständige Wort: »Mein guter Gastfreund«, sprach er: »Du sehnst dich heim; ich begreife dieses Gefühl und ehre dasselbe. Reise heim – ich will dich ausstatten – aber kehre wieder. Dort steht ein Stab, schlage mit ihm auf jene Lade, und wähle dir aus den darin liegenden Anzügen den schönsten aus – dort jene Türe verschließt den Stall. Öffne sie mit dem Stabe, und wähle dir das beste Roß. Dort in jener Kiste liegt Geld und ein Zauberpfeifchen; wenn du verirrt bist, und du pfeifst darauf, so kommen Tiere gesprungen, und laufen dir voran, und zeigen dir den richtigen Weg.«

Hans staunte, und tat, wie ihm geheißen war.

Im stattlichsten Jagdjunkerkleide mit goldenen Tressen besetzt, auf stattlichem Schimmel, mit trefflichem Seitengewehr und gezogener Kugelbüchse ritt Hans von dannen, alle Taschen voll Geld, und das Pfeifchen an goldener Schnur um den Hals. Heilig und teuer versprach Hans dem Kalbskopfe, zu ihm zurück zu kommen. Ob Hans dem gastlichen Kalbskopf zum Abschiede einen Kuß gegeben, weiß man nicht so ganz bestimmt.

Wie ging es unterdessen Hansens klugen Brüdern? Die waren sehr froh, daß der dumme Hans sie nicht mehr belästigte; sie ließen sich's recht gut schmecken, so lange Brot [540] und Speck in ihren Ranzen vorhielten, und so lange in den Wirtshäusern die zehn Taler eines jeden ausreichten, was wirklich ohngefähr acht Tage dauerte. Dann aber sprachen sie zueinander: »Die Welt ist doch zu groß, als daß wir sie ganz kennen lernen könnten. Wie wär es, wenn wir umkehrten? Es ist doch überall nicht besser, als daheim. Wir haben in diesen acht Tagen eine ziemliche Anzahl fremder Städte und noch mehr Länder gesehen, es sieht fast ein Land aus, wie das andere. Wir haben zwar kein sonderliches Glück gemacht, aber wir hätten doch vielleicht etwas finden können. Daß uns hier außen nichts vom Glücke begegnete, ist ein Beweis der alten Wahrheit, daß nur in der Heimat eines jeglichen der wahre Schatz seines Glückes ruht. Eilen wir, diesen Schatz wieder aufzusuchen.«

Als die Brüder heim kamen, sah sie der Vater finster an, und sagte: »Ihr seid die wahren Helden, ihr Landläufer ihr! Ihr Herrgottstagediebe! Zwanzig Taler habt ihr durchgebracht, und für zehn Taler Kleider und Schuhe zerrissen. Jetzt arbeitet dafür! Nicht einen Groschen geb ich euch, bis ihr mir das an euch zum Fenster hinausgeworfene Geld ersetzt habt!«

Die Mutter aber rief: »Ihr Rangen! Wo habt ihr meinen Hans, mein Goldkind? Wie könnt ihr euch nur unterstehen, ohne meinen Hans über unsere Schwelle zu schreiten?«

Es hielt den Brüdern sehr schwer, die zürnende Mutter zu bedeuten, daß Hans mit Absicht immer hinter ihnen zurückgeblieben sei, ganz sicher, um sich abzusondern.

Die Brüder mußten fürchterlich arbeiten, denn dreißig Taler wollen verdient sein.

Nach einiger Zeit entstand gegen Abend im Dorfe ein kleiner Auflauf. Es ritt ein vornehmer Junker hindurch, angetan wie ein Prinz. Die Leute dachten, es wäre der König selbst, und reise inkognito, ohne alle Bedienung.

Alles lief an die Fenster, vor die Türen, ein heller Haufe lief hinterdrein. Da fielen blanke Guldenstücke auf den Weg – nun war es der König, und alles schrie vivat! und schlug sich um die Geldstücke. Vor Hansens Elternhause hielt der schmucke junge Reitersmann, und stieg vom Rosse. Eine ganze Schar von Jungen drängte sich herbei, bei dem vermeinten Prinzen Stallmeister- oder Bereiterdienste zu tun.

Hansens Eltern traten ehrerbietig vor ihr Häuslein. Was konnte bei ihnen der fremde Herr wollen? Die Brüder [541] kamen von der Arbeit, und sahen Mistfinken ähnlicher als Goldammern. Ihre Mäuler blieben offen stehen vor Verwunderung, als der Fremde erst ihrer Mutter, dann ihrem Vater um den Hals fiel, und sie herzte und küßte, und hernach rief: »Na, Michel, na Velten! Patschhand! Ihr kennt am Ende euern Hans alle nicht mehr?« und ihnen die Hände bot.

Es war der Hans und kein Prinz und kein König. – »Der dumme Hans ist wieder da, ist reich geworden, und wirft mit Geld um sich, der Hans Narr!« lief die Rede durchs Dorf. Die Alten freuten sich, die Brüder zogen mit scheelem Neide Hansens schönes Pferd in den Stall, und flüsterten miteinander: »Wir müssen uns tot schinden, um dem Vater die armseligen dreißig Taler wieder zu verdienen; der Hans, der Glückspilz, der gar nicht mit Gelde umzugehen weiß, wirft es auf die Gasse. Wir wollen ihm heute nacht das Geld wegnehmen, es ist ihm doch nicht nütze. Überhaupt ist nicht recht einzusehen, was so ein Dummer auf der Welt tut?« –

In der Nacht kamen die Brüder in die Kammer, wo Hans schlief. Hans war aber nicht so dumm, als seine Brüder dachten. Als die Diebe in die Kammer brachen, schoß er dem einen ein kleines Kügelchen in das dicke Fleisch, und gab dem zweiten mit dem Hirschfänger einen hübschen Zirkumflex. Darauf wurde Lärm, und der Vater stand auf, und als er sah, was vorgegangen, so nahm er im Zorne seine Peitsche, und hieb auf die verwundeten Buben los, daß sie laut auf heulten und den Himmel für eine Baßgeige ansahen, vor dem Bruder aber sich gar nicht wieder sehen ließen.

Hans letzte und labte sich mit seinen Eltern, außerdem aber gefiel es ihm nicht mehr so recht daheim; er beschenkte seine Eltern reichlich, sattelte sich selbst sein Pferd und ritt von dannen. Er wollte wieder nach dem Waldhause, zum gastlichen Kalbskopfe, da gab es nicht Neid, nicht Habsucht, nicht Verkennung, nicht Raubsucht, aber zu essen und zu trinken vollauf, und gute Unterhaltung, denn der Kalbskopf wußte auch zu sprechen, und drückte sich noch dazu außerordentlich gewählt aus, woraus Hans schloß, daß derselbe eine sehr gute Erziehung erhalten haben müsse.

Hans ritt ins Blaue hinein, und bald wußte er keinen Weg mehr, aber da half das Pfeifchen trefflich. Ein Pfiff, und es [542] kam ein Hase oder ein Fuchs, oder ein Vogel, liefen und flogen vor dem Pferde her, und als der Wald erreicht war, sprangen muntere Rehe voran, und so wurde das Schloß ohne Gefahr und Abenteuer wieder gewonnen. Der Kalbskopf rief Hans, als dieser zu ihm eintrat, ein herzliches »Willkommen!« entgegen, und drückte seine Freude aus, Hans wieder zu sehen.

»Du kommst zu rechter Zeit, mein braver Freund!« sprach der Kalbskopf. »Mit großer Sehnsucht erwartete ich dich, denn wenn die gute Stunde, der ich entgegenharre, ungenützt verstrichen wäre, so würdest du mich nicht wieder gefunden haben, und alle meine Hoffnung wäre dann zunichte gewesen.«

Hans horchte hoch auf bei diesen ihm rätselhaften Worten, und der Kalbskopf fuhr fort: »Habe genau Acht auf das, was ich dir sage, denn von diesen Anordnungen hängt mein Glück ab, und vielleicht auch dein Glück. Gehe jetzt einmal in die Küche, dort steht ein Hackblock, und in der Speisekammer daneben liegt ein scharf geschliffenes Beil. Nimm dieses Beil und lege dasselbe auf den Hackblock – dann komme wieder zu mir herein.«

Hans befolgte dies Geheiß pünktlich. Wenn ich weiter nichts tun soll, dachte er, so hat es ja gute Wege. Bald hatte er das Gebot erfüllt, und trat wieder in das Zimmer, welches der Kalbskopf bewohnte. »Nicht wahr, mein guter Freund«, rief dieser ihm entgegen: »das war ein sehr leichtes Stück Arbeit? aber nun kommt das schwerere.

Jetzt nimm diese Wiege, in der ich ruhe, und trage sie samt mir in die Küche, und stelle sie neben den Hackblock.«

»Auch das, mit Vergnügen!« sagte Hans, und trug die Wiege in die Küche. Sie war zwar etwas schwerer, als Hans dem Anscheine nach geglaubt hatte, aber Hans hatte Kraft.

»Jetzt aber, bester Freund«, sprach wieder der Kalbskopf: »jetzt kommt das schwerste Stück – jetzt erschrick nicht. Jetzt decke mich auf.«

Hans räumte die seidenen Kissen hinweg – o weh – da endigte der Hals des Kalbskopfes in einen armsdicken Schlangenleib, der hing am Kopf, wie ein scheußliches Gewächs, und war blau, wie ein Darm voll Blut.

»Jetzt hebe mich aus der Wiege auf den Block, und haue mir mit dem Beile diesen abscheulichen Wurmzopf ab, der an mir hängt.« [543] Hans schauderte, und stammelte: »So soll ich dich töten, du guter, einziger Kalbskopf? Deinesgleichen lebt zum zweiten Male in der Welt nicht mehr!«

»Mache nur frisch zu!« versetzte der Kalbskopf. »Es wird dir gut gelohnt.«

Hans gehorchte, nicht ohne Scheu und Zagen. Er legte den Kopf, er hob das Beil, er zielte gut, er führte den Hieb – und siehe, es floß kein Tropfen Blut, der Schlangenleib schwand, der Kalbskopf verwandelte sich in ein holdes Mädchenantlitz, und aus der Wiege hob sich's, eine Feengestalt von bezaubernder Anmut, und stieg heraus, und fiel Hans um den Hals. »Du hast mich erlöst, du Guter, Reiner, Treuer! Nun nimm dir was du willst! Das Schloß und die Schätze, und mich dazu, wenn ich dir gefalle.«

Jetzt wimmelte das Schloß von Dienerschaft, alle diese war verzaubert gewesen, alle jubelten über ihr neugeschenktes Dasein.

»Meine gnädigste Prinzessin!« nahm der erstaunte Hans das Wort. »Du bist mir schon als Kalbskopf äußerst appetitlich erschienen, so aber bist du mir noch tausendmal lieber. Ich nehme Dich!« –

Hans wurde sehr glücklich – er begabte seine Eltern, verzieh seinen Brüdern, heiratete die schöne erlöste Prinzessin, und lebte mit ihr in einer frohen und genußreichen Einsamkeit – weder er noch seine Gemahlin sehnten sich in die sogenannte große Welt, und falls sie beide nicht gestorben sein sollten, so dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermuten sein, daß sie heute noch leben.

Die scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die scharfe Schere

In einem kleinen Städtchen war einmal ein frommes Schneiderlein, das wartete gar fleißig seiner Arbeit und rührte sich vom Morgen bis zum Abend mit Nähnadel und Fingerhut, Schere und Bügeleisen, brachte es aber gar nicht weit damit und kam zu nichts Rechtem. Alles was man von seinem Glücke sagen konnte, war: daß sotanes Schneiderlein sich leidlich und ehrlich durchflicke. Die Familie, aus Frau und mehreren Kindern bestehend, welche erhalten [544] sein wollte, schwere Zeit und durch sie manche Sorge, erpreßten dem Schneiderlein manchen Seufzer. Hätte es gerne etwas besser gehabt, wußte aber nicht, wie dies anfangen; hätte gerne noch mehr gearbeitet, konnte aber doch nicht mehr tun, als zu tun ihm aufgetragen wurde, und konnte keine Kundschaft herbeizaubern, so sehr er dies auch manchesmal wünschte.

Aber die Zeit wurde immer schlechter, und es gedieh dahin, daß das arme Schneiderlein keinen einzigen Gesellen mehr halten konnte, und als sein letzter Lehrling losgesprochen war, und das Ränzel geschnürt hatte, und in die Fremde gewandert war, so meldete sich kein anderer Knabe zum Lehrling, denn die Leute sagten dem Schneiderlein nach, es sei weiter nichts als ein Flickschneider, welches Wort nicht viel mehr sagen will, als ein Lump.

Da klopfte eines Tages schon gegen die Abenddämmerung endlich einmal wieder ein Schneidergeselle an, grüßte das Handwerk und bat um Arbeit. Dem klagte das arme Meisterlein gleich seine Not, und sprach, es wollte ihm von Herzen gerne Arbeit geben, so es deren nur hätte. Der Schneidergeselle aber antwortete, der Meister solle ihn nur annehmen; wo er arbeite, da sei das Glück, da gebe es genug zu schaffen.

»Nun wohl! Wir wollen es auf acht Tage probieren«, sagte der Schneider, der leicht Hoffnung schöpfte, und wäre es auch nur ein Fingerhut voll gewesen. Einiges fand sich noch zu flicken vor, und am andern Morgen begann die Arbeit; Meister und Geselle saßen einander gegenüber, und dem ersten stand die Nadel still, als er sah, wie flink und fertig der neue Geselle nähete. Dessen Nadel flog nur so, man sah kaum die arbeitende Hand.

Nun betrachtete sich der Meister seinen neuen Gesellen auch weiter, und verwunderte sich über dessen Gestalt. Derselbe war schier so dünn wie ein Zwirnsfaden; das nichts weniger als wohlbeleibte Schneiderlein war gegen jenen, was ein starker Stamm ist gegen eine dünne Gerte; das Gesicht des Gesellen war dem Meister nicht angenehm; es ähnelte jenes Physiognomie aufs Haar der eines Ziegenbockes, und nebenbei hing der Geselle an alles was er sprach, ein seltsam kicherndes Gelächter, das akkurat wie Meckern klang.

Kaum hatte die Arbeit begonnen, als es an die Türe [545] klopfte, und ein fremder Herr eintrat, welcher ein neues Gewand bestellte, und das Geld für das Tuch gleich auf den Arbeitstisch legte. Zitternd vor Freude hüpfte das Schneiderlein um den Fremden herum, und nahm das Maß. Ach, es hatte so lange nicht das wonnige Gefühl einer Schneiderseele empfunden, ein Maß zu einem nagelneuen Gewande zu nehmen. Der Fremde empfahl Eile und ging, und die Frau Meisterin sollte geschwind in den Tuchladen gehen, das Tuch zu holen, konnte sich nicht schnell genug anziehen.

»Sieht der Meister, daß ich recht hatte?« fragte der Geselle. »Mit mir kommt das Glück ins Haus, mähähähä!«

»Freut mich, freut mich sehr!« antwortete schmunzelnd das Schneiderlein.

»Zehn Taler hat der Herr zu Tuch da gelassen?« fragte der Geselle weiter. »Da schickt man achte in den Tuchladen, und zweie behält man – mähähähä!«

»Gott soll mich behüten und bewahren!« rief erschrocken das Schneiderlein! »Nein das wäre eine Sünde, das wäre unrechtes Gut, das bringt kein Gedeihen!«

»Lasse mich der Meister aus mit – und Sünde – solche Worte kenn ich nicht – mähähähä!« erwiderte mit einem ungemein spöttischen Gesichte der Geselle, immerfort fleißig arbeitend. »Man riecht dem Meister recht das kleine Stadtnest an, darin wir sitzen – da sollte einmal der Meister in einer großen Stadt leben, und ein Kunde so dumm sein, wie der unsrige, das Geld zum Tuche voraus zu bezahlen! Dort müßte man von zehn Talern gleich fünfe behalten, weil so gar viele andere Kunden das Tuch, das die Schneider zum Gewande tun, nie und niemals bezahlen, und Auslagen nebst Macherlohn zum – zum Teufel sind – mähähähä!«

Das fromme Schneiderlein fädelte einen neuen Faden in seine Nadel, zog diesen recht lang aus, hielt ihn dem Gesellen unter die Nase, und sagte: »Sieht Er, Mosjö! Ehrlich währet am längsten!« –

»Eine gute Zehrung, mit der man weit kommt!« spottete der Geselle mit seinem steten unausstehlichen Meckerlachen.

Das Tuch wurde gebracht, es war fein und gut; der Schneider spitzte die Kreide und schickte sich zum Zuschneiden an. Der Geselle blickte in die Camera obscura, die sich an den Arbeitstischen der Schneider befindet, um Abfälle von Tuch, Futter und dergleichen aufzunehmen, [546] und scharrte mit dem Fuße darinnen umher, es lag aber gar nichts darin, als einige Fasern von der letzten Flickarbeit – dann folgte des Gesellen lauernder Blick jeder Handbewegung des Meisters – dann sagte er: »Nun Meister! Euer Ältester braucht notwendig ein Röcklein, oder die Frau Meisterin könnte eine Sonntagsjacke wohl brauchen. Schneidet hübsch mit Verstande zu – werft die Lappen her – in die Hölle – mähähähä!«

»Beim Teufel ist die Hölle – nicht bei mir! Nicht ein Flecklein zu einem Haubenläppchen für meine Frau behalte ich!« versetzte der ehrliche Schneider.

»Pah!« rief der Geselle und zog sein Bockgesicht zu einer greulich fletschenden Grimasse. »Wozu ist denn die Hölle da? Wozu hat sie ein Loch – mähähähä?«

»Es heißt eigentlich gar nicht Hölle, es heißtHöhle, weil es ein dunkler hohler Raum ist – mit der Hölle hat kein ehrlicher Schneider was zu schaffen« – versetzte der das Tuch mit größter Gewissenhaftigkeit zuschneidende Kleiderkünstler.

»Schulmeister! Oh! Deutscher Sprachmeister!« – spottete der Geselle, und warf einen Blick voll des grimmigsten Hohnes auf den redlichen Mann. Dieser aber ließ sich nicht irren, und die neue Arbeit wurde begonnen. Im Laufe desselben Tages gingen noch andere Bestellungen ein – eine nach der andern; bereits war Arbeit auf eine ganze Woche vorhanden.

Dem Schneidermeister gefiel sein neuer Geselle gar nicht; er hätte ihn gern am Morgen des ersten Arbeitstages schon wieder Feierabend gegeben, aber er hatte ihn nun einmal auf eine Woche lang angenommen; der Geselle schien in der Tat das Glück mitgebracht zu haben, und schickte er ihn aus der Arbeit, so konnte er allein nicht in zwei Wochen alles fertigen, was bestellt war. Und einen zweiten Arbeiter, wie dieser Geselle war, gab es gar nicht.

Am folgenden Tage setzte sich die Arbeit rührig fort, unter manchem Zwiegespräch, unter mancher Spötterei und manchem den Meister verhöhnenden Bockgelächter, daran sich dieser jedoch wenig kehrte. Er dachte: spotte, höhne du nur immerzu, stichle so viel du willst, arbeite nur so fort; dein Spott beißt mich nicht, dein Hohn sticht mich nicht – der heiße Bögelstahl deiner Zunge brennt mich nicht.

So kam der Schneider mit Geduld und gutem Gewissen [547] viel weiter, als wenn er fort und fort mit dem Gesellen gezankt und gehadert hätte.

Zwischen die Arbeittage fiel jetzt ein Sonntag. Meister und Meisterin schliefen eine Stunde länger, es war ja Ruhetag. Am Abende vorher hatte die Meisterin die Werkstätte recht schön ausgekehrt, und aufgewaschen, war aber nicht wenig erstaunt, als sie am Sonntagmorgen hineinschaute, den Boden rings umher wieder voll Tuchschnitzel, Zwirnstücke und Futterfetzen liegen zu sehen, und auf seinem Platze den Gesellen in voller Arbeit; er hatte ein reines Hemde an, welches vorn aufstand, und mit Entsetzen gewahrte die Meisterin, daß des Gesellen Brust über und über voll schwarzer Haare war.

Sie zog sich zurück und drückte ihrem Manne ihre Verwunderung aus, daß er den Gesellen am lieben Sonntage arbeiten lasse, was doch eine Sünde sei – und sie habe doch erst abends zuvor die Werkstatt so schön gefegt.

»Wie? er arbeitet?« fragte ganz verwundert der Meister. »Mir ist nicht eingefallen, ihm das zu heißen. Das soll er gleich bleiben lassen!«

Rasch trat der Meister in die Werkstatt: »Schönen guten Morgen auch! Aber was soll das heißen? Weiß Er nicht daß heute Sonntag ist?«

»Großen Dank, Meister! Nä, mähähähä!«

»Hör Er! lasse Er Sein dummes Lachen! Ich verbitt es mir!« sagte der Meister und warf sich in die Brust. »Heute ist Sonntag, heute wird ein für allemal nicht schneideriert. Sonntag ist Ruhetag!« –

»Halte mir doch der Meister meine Arbeiten nicht für ungut!« verteidigte sich der Geselle mit scheinbarer Demut. »Für wen arbeite ich denn? Für Ihn oder für mich? Doch ohne Zweifel für Ihn. Ich bin nun einmal an stete Tätigkeit gewöhnt, ich muß mir stets was zu tun machen – ich kenne keine Ruhe und keinen Müßiggang. Kennt Ihr nicht das schöne Sprüchlein: Müßiggang ist des Teufels Ruhebank, und aller Laster Anfang? Mähä –«

»Mag sein –« antwortete der Meister, einigermaßen verwirrt. »Jetzt höre Er auf zu arbeiten. Frühstücke Er und ziehe Er sich an. Er täte auch wohl, sich zu rasieren; schau Er einmal in den Spiegel – Er hat ja einen Bart justement wie ein Ziegenbock.«

»Mähähähä!« lachte der Geselle überlaut. »Verzeih mir's [548] der Meister – ich muß lachen – mähähähä! daßIhr einen solchen Vergleich braucht. Nun Euer Wille soll geschehen.« –

Der Geselle ging in seine Kammer, rasierte sich und zog sich an, und sah mit dem Barte, den er sich hatte stehen lassen, wie eine lebendige Satyre auf die ganze löbliche Schneiderzunft aus.

Er hatte einen kohlschwarzen Frack von glänzendem Sommerzeug an, dessen Schöße bis auf die Erde hingen, und in der Tasche des einen bauschte etwas, als wenn eine lange Schlangengurke drinnen stäke, vermutlich eine Tabakspfeife, denn es hing eine Art schwarzer Quaste heraus. Unter dem Fracke trug der Schneidergeselle eine Weste von feuerfarbigem Berkal, und seine Sommermodesten waren von echtem Nankin. Einen Hut besaß der Geselle nicht, sondern bloß ein flottes barettähnliches Käpplein von schwarzem Sammet, mit rotem Rande und mit Goldschnur baspoliert. In der Hand trug er einen wunderlich knorrigen Stock von Wachholderholz, dessen Griff eine Art Drachenkopf bildete, welcher als ein Spiel der Natur so gewachsen war.

»Ei – Er hat sich ja recht stattlich herausgeputzt, Schwarzburger!« rief der Meister den Gesellen an, der wie das Wanderbuch auswies, aus dem Schwarzburgschen stammte. »Nur Sein Bart gefällt mir nicht, und Sein Käpplein auch nicht, es hat vorn so seltsame Ecken, just als ob ein Paar Bockshörnlein darunter steckten!«

»Ei daß Euch der Bock stieße, Meister!« rief der Geselle. »Erst soll ich armer Schwartenhans einen Bocksbart, dann gar Bockshörnlein haben! Wisset, wenn Ihr so seid, so kann ich auch bocken, kann auch Feierabend machen.«

»Friede am lieben Sonn- und Feiertage!« gebot der Meister. »Wir wollen einander nicht gegenseitig ins Bockshorn jagen. Hier Geselle, hat Er ein Gesangbuch – wir gehen in die Kirche.«

Vergebens hielt der Meister dem Gesellen das Buch hin – jener berührte es nicht – und lachte verlegen:

»Mähähähä, Meister! Legt's hin – legt's hin – ich muß – ja zu meiner Schande muß ich's Euch gestehen – ich kann nicht – ich kann nicht lesen.« –

»Hm! hm!« brummte das Schneiderlein verwundert, und sprach: »Das nimmt mich wunder, daß bei den zahllosen [549] trefflichen Schulanstalten, deren Deutschland sich zu erfreuen hat, und bei der Überzahl von Lehrern, welche rings die wahre Bildung und Aufklärung verbreiten, irgendwo der Unterricht noch so mangelhaft beschaffen sein sollte, daß ein deutscher Schneider nicht lesen könnte – indessen nehme Er nur das Buch, lege Er es in der Kirche vor sich hin, und tue Er, als sähe Er hinein – das machen viele Tausende so, die recht gut lesen können. Es sieht doch aus wie Andacht.«

»Ich kann wahrhaftig nicht, verschone mich der Meister damit!« lehnte der Geselle beharrlich ab. »Ich kann nicht in die Kirche gehen – die kühle Luft beklemmt mir meine schwache Brust – ich will ein wenig spazieren gehen, die Natur ist mein Tempel – und hier ist eine schöne Gegend, nicht wahr Meister?«

»O ja« – mischte sich die Meisterin in das Gespräch. »Wenn er zum untern Tore hinaus ist, führt gleich links der Weg in ein Felsental; man heißt diesen Weg nur den Drachengraben, und weiter hinten steht ein schöner Steinfels, den heißt man die Teufelskanzel.«

»Ah! Das ist schön! Da will ich hingehen! Küsse die Hand, Frau Meisterin! Wünsche allerseits gute Andacht! Mähähähä!« –

Am Sonntage nach der Nachmittagskirche ging das ehrsame Schneiderlein mit seiner Familie auch spazieren; das Wetter war sehr einladend, und an einem nahen Vergnügungsorte, allwo es gutes Bier gab, wurde es sehr voll. Die Kinder fanden Spielgenossen, die Frau Meisterin fand Freundinnen und Gevatterinnen, und der Meister fand einen ihm wohlwollenden geistlichen Herrn, mit dem er sich noch ein wenig in der Nähe des Lustgartens in guten Gesprächen erging. Da begegnete ihnen der Geselle.

»Mein, was ist das für eine Figur? Die hab ich doch hier noch nicht gesehen!« – fragte der geistliche Herr. »Schaut, Meister, diese verzwickte Gestalt, diese miserable Physiognomie, und wie der Kerl hinkt!«

»Wahrhaftig, er hinkt, das habe ich noch gar nicht wahrgenommen!« erwiderte der Schneider.

»Wie? Ihr kennt ihn, Meister?« –

»Es ist mein neuer Geselle« – antwortete mit einer gewissen Wichtigkeit und betonend, das Schneiderlein; denn es schmeichelte ihm doch, der Mann zu sein, welcher einen [550] Gesellen hielt. Dieser Geselle aber schlug einen Nebenweg ein, und bog links ab, um den beiden, die von ihm sprachen, nicht zu begegnen.

Der geistliche Herr schien ebenso neugierig als argwöhnisch, er richtete Frage auf Frage an den Meister, und machte dem guten Manne, der so ehrlich war, keine Hölle haben zu wollen, dennoch die Hölle heiß.

»Was sagt Ihr mir da alles, Meister?« rief der geistliche Herr. »Wie ein Bock sieht er aus – meckert wie ein Bock – scheint Hörnlein unter der Kappe zu haben – hinkt – faßte das Gesangbuch nicht an – kann die Kirchenluft nicht vertragen? O du Erzbock, du Sündenbock! Du Bock aller Böcke! Meister, um des Himmels willen, welch einen Bock habt Ihr geschossen, diesen Bock in Euer christliches Haus aufzunehmen! Dankt dem Himmel, der Euch heute mich hier finden ließe. Euer Geselle – das ist der helle Teufel!« –

Das Schneiderlein stieß einen Schrei aus und war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen – ja – ja – alles wurde ihm klar – die plötzlich sich häufende Arbeit, der schlimme verführerische Rat, vom Tuchgelde zu behalten, Tuch zu ganzen Jacken in die Hölle zu werfen – des Gesellen Hohn, den er stets gegen alles aussprach, was hehr und heilig war, jetzt stand alles im fürchterlichen Zusammenhange da. Wenn das Tischgebet gesprochen wurde, hatte der Geselle Nasenbluten bekommen, und war zur Tür hinausgelaufen – weder zum Fleisch noch zu den Kartoffeln hatte der Geselle sich Salz genommen, das Ding in seiner langen Rocktasche hatte sich bisweilen wunderlich bewegt, als zapple ein Aal darin, und die Quaste die manchmal herausbaumelte, war nicht von schwarzem Kamelgarn, sondern es waren Haare.

»Meister!« begann aufs neue sehr ernst der geistliche Herr: »Ihr seid ausersehen zu einer großen Tat, wie noch nie ein Schneider eine verrichtete – vollbringt Ihr sie, so tragt Ihr ewigen Ruhm davon; unterlaßt Ihr, sie zu vollbringen, so seid Ihr mit Leib und Seele, mit Weib und Kindern verloren zeitlich und ewiglich. Ihr habt jetzt den Schwarzen im Hause, Euch dient er, auf Spekulation, Eure Seele zu verderben, der Seelenfänger. Habet Acht, wir wir ihn bannen und ihm das Wiederkommen verleiden, denn das wißt Ihr doch, daß eine Katze nicht wieder das Haus besucht, darin man ihr den Schwanz abhackte oder die Ohren abschnitt. Laßt vom Schleifer Eure Schere schärfen, und habt [551] sie zur Hand – das Weitere will ich Euch dann schon noch sagen.«

An diesem Abende gab es an dem Vergnügungsorte, nächst dem Städtchen, wo das Schneiderlein seßhaft war, zwischen Schneidergesellen und Schuhmachergesellen fürchterliche Prügel. Ein Schuhmachergeselle hatte über die unförmigen Stiefeln gespottet, welche der fremde Schneidergeselle trug, es waren erst witzige, dann grobe Worte gefallen, dann die Schläge hageldicht, erst mit Stöcken, dann mit Stuhlbeinen, und noch nie hatte es so viele zerschlagene Nasenbeine, Beulen, Löcher in den Köpfen und dergleichen gegeben. Alle Leute kamen in dem Urteil überein, der Teufel sei völlig los gewesen.

Am andern Tage ging kein Geselle an die Arbeit. Die ganze Gesellenschaft war aufgeregt, keiner mochte arbeiten, man feierte blauen Montag, zog rauchend und singend sich Arm in Arm führend, gassenbreit durch das Städtchen, zu den Schneidern gesellten sich Barbierer-, Drechsler-, Glaser-, Tuchmacher- und Färber-Gesellen, zu den Schustern aber Gerber-, Tischler-, Schmiede-, Maurer- und Zimmergesellen. Der Schwarzburger war der Führer der erstgenannten Partei – er hatte eine rote Hahnenfeder auf sein Barettlein gesteckt, und als abends die Gesellenschlacht entbrannte, zu der man sich den ganzen Tag über durch manches Glas Branntwein gehörig vorbereitet hatte, floß vieles Blut, und was noch nie dagewesen war, die Schneiderpartei behauptete siegreich den Kampfplatz, indes kam am Abende dieses blauen Montags kaum einer ohne blaue Flecken oder Blutrünste heim.

Nur der Schwarzburger zeigte keine Spur einer Verwundung, auch keine Ermüdung, sondern arbeitete am Dienstag früh wieder flott und rüstig, zog aber ein sehr schiefes Gesicht, als jener geistliche Herr in die Werkstätte trat, und rückte unruhig hin und her. Der Meister empfing denselben mit vieler Reverenz, zeigte hinter dem Rücken des Gesellen auf die frischgeschliffene scharfe Schere, und der geistliche Herr begann allerlei Fragen an den Gesellen zu richten, so zum Beispiel: »Wie ist dein Taufname?« – Da stank es schon in der Fechtschule. »Ich bin nicht getauft«, antwortete der Geselle.

»So bist du vielleicht ein Jude?« fragte der geistliche Herr.

[552] »Ich bin kein Jude.«

»Oder ein Türke? Oder ein Heide?« – ging das Fragen fort.

Der Geselle tat als höre er nicht wohl, und antwortete: – »Ja, ich bin ein Schneider. Mähähähä!«

»Der Teufel bist du, unsauberer Geist!« donnerte der geistliche Herr. »Exorciso te, creatura daemonica!«

Da begann der Teufel zu zittern, und bekam den Krampf in seine dürren Waden, und der Schneider hatte sich mittlerweile unter den Sitz des Teufels gebückt und die rechte Stelle ersehen, und schnitt jetzt mit einem kühnen Griffe dem Teufel rupps und kahl den bisher so sorglich verwahrten Schwanz ab. Der Teufel tat ein Höllenbrüll und fuhr auf und davon und kam niemals wieder. Den Schwanz ließ er fallen, und der geistliche Herr hob denselben auf, um ihn zu andern Seltenheiten der Natur und Kunst zu legen, die man in der Reliquienkammer aufbewahrte.

Das Schneiderlein aber wurde gefeiert als ein Held, bekam vielen Zuschlag, und hatte später zwölf Gesellen und sechs Lehrburschen sitzen. Litt aber nicht, daß einer gute und große Lappen in die Hölle warf. Die scharfe Schere wurde zu keiner andern Arbeit mehr verwendet, sie blieb ein Angedenken und Kleinod in der Familie, und als der Schneider im Rufe eines frommen Christen verstorben war, meißelte man das treue Abbild derselben in den Grabstein, und mauerte diesen an die Außenwand der Kirche, just da, wo innen die Reliquienkammer sich befand.

Seitdem geht nun der Teufel ohne Schwanz umher, und der große Dienst, den der Schneider der Welt durch seinen kecken Schnitt zu leisten vermeinte, bleibt noch sehr in Frage gestellt; denn als der Teufel seinen Schwanz noch hatte, den er allerdings gern auf alles legte, konnte man ihn besser aus dem Wege gehen, als jetzt, wo er ohne Schwanz umherstolziert; seit er so gestutzt und stattlich erscheint, kam der Name Stutzer auf, für Leute, die geschniegelt, gebiegelt und gestriegelt sich sehen lassen, sich in die Brust werfen, hochnäsig und hochmütig, und dabei doch nichts als arme oder dumme Teufel sind.

[553]
Das tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das tapfere Bettelmännlein

Es war einmal ein gar armer Schlucker, der stand in nächster Verwandtschaft mit dem allbekannten Herrn von Habenichts, und war ein Gevatter zum Herrn von Tuenichts, und die Arbeit war ihm äußerst verhaßt. Alles was er tat, war, daß er gern schöne Märchenbücher las, darinnen so viele Märchen stehen, in denen die Menschen reich werden sonder Mühe, und der Weg beschrieben ist, der zum Schlaraffenlande führt. Das liebste Märchen aber von allen war dem armen Schlucker doch das »vom tapfern Schneiderlein«. Solch ein Held, meinte er, könnt er auch sein – was gälte es – wenn sich nur die gute Gelegenheit böte! Und siehe – selbige Gelegenheit bot sich. Der junge Bettler ging durchs Hochgebirge, und kam auf eine Alme und bettelte da. Was konnte der Senn ihm reichen? Da gibt es keine Pfennige und Kreuzer, keine Semmeln und keine Würsteln. Ein Stück Schabzieger (Käse) das war alles, was er bekam, und etwa als Draufgabe noch ein paar liebenswürdige Redensarten von jungem Tagedieb, Taugenichts, Landstreicher und Tunichtgut – deren so viele, daß sich der Bettler förmlich schüttelte, als er von der Kaserhütte wegging.

Als der junge Gergänger von der Alme niederstieg, sagte er: »Da droben ist Dürrhof, da hinauf bringen mich zehn Pferde nicht wieder!« – Zog das Stück Schabzieger hervor, legte es neben sich auf einen Stein, ruhete aus, und betrachtete sich die Welt mit weit offenem Maule, als warte er, daß eine gebratene Taube geflogen kommen und stracks hinein fliegen solle. Selbe Taube blieb aus, aber auf den Schabzieger setzte sich, vom guten Geruch angelockt, eine Menge Fliegen, und da dachte das Bettelmännlein an den Apfel und die Fliegen im Märchen vom tapfern Schneiderlein – nahm seinen Hut, schlug drauf – und schrie alsbald erfreut: »I hub's, i hub's! Sieb'n auf anen Streich!«

Alsbald schrieb er auf einen Zettel mit großen Buchstaben in vornehmer, hochdeutscher Schrift, ganz wie das tapfere Schneiderlein getan: »Sieben auf einen Streich!« befestigte selben Zettel am Hute, und stolzierte nun in das erste Dorf hinein. In diesem Dorfe war große Verlegenheit und Furcht. Im ganz nahen Walde hauste ein greulich großer, starker und wilder Bär, der vielen Schaden tat am Vieh, [554] an Bienenstöcken und den niemand zu fangen oder zu fällen vermochte. Da zog auf einmal der Held durchs Dorf, der an seinem Hute die prahlende Schrift trug: »Sieben auf einen Streich.«

»Was gilt's, der ist unser Mann, Held, Retter und Befreier!« sprachen die tapfern Bäuerlein. »Sieben auf einen Streich? Da kann er auch einen, einen Bären nämlich, auf sieben Streiche fällen, das kann er ganz nach seinem Belieben halten.« Und boten dem Bettelmann ein gutes Stück Geld, so er des Bären mächtig würde, und das Fell sollte auch sein gehören, und vom Bärenbraten sollte er mit essen dürfen.

»Mir schon recht!« sagte das Bettelmandl, »mit dem Viech werd ich kurzen Prozeß machen. Hui! Hui! So ist er tot.«

Die Bäuerlein staunten über die Kuraschi des Helden, und zeigten ihm den Weg nach dem Walde, hüteten sich aber gar wohl, selbst mit hinein zu gehen. Der Held aber schwitzte Angstschweiß, als er so mutterseelenallein im finstern Walde war, und das Herz sank ihm in die Kniekehle, als er von weitem ein Gebrumme hörte, daß gar keinen Zweifel aufkommen ließ, ob es etwa nicht das Gebrumme des Bären sei.

Hilf Himmel, was gibst du, was hast du! Wie zog das hasenherzige Fliegentöterlein aus, durch dick und dünn, in banger, keuchender Flucht, und der Petz zottelte gemütlich hinter ihm her, und begriff gar nicht, warum der Mensch da vor ihm so schrecklich laufe. Da stand eine Hütte am Wege, in die sprang der Bettler, und drückte sich hart an die Türe, die er aufließ – gleich darauf kam der Bär auch hinein, und lief nach der entgegenstehenden Wand – schwuppdich! sprang der Bettler bei der Türe wieder heraus, warf die Hüttentüre in das Schloß, zog den Schlüssel ab, sorgte, daß der Bär nicht durch ein Fenster entfliehen konnte, und ging wieder nach dem Dorfe.

Die Bäuerlein, die ihn von weitem stolzierend kommen sahen, sprachen untereinander: »Schaut, gefressen hat ihn der Bär nicht, das ist schon ein gutes Zeichen. Von uns wäre keiner wiedergekommen. Ob er ihn aber erlegt hat? Das ist die große Frage.«

Bald war das Bettelmännlein umringt, und warf sich in die Brust wie ein Volksredner, räusperte sich und sprach: »Freuet euch Freunde: Der Sieg ist unser! Ich habe das [555] wilde Ungeheuer gefangen, für den Fall, daß ihr ihm vielleicht wollt Tanzstunde geben, und es dann für Geld sehen lassen, dann werdet ihr mir für das zugesicherte Fell billige Vergütung leisten.«

»Ach was Tanzstunde? Was um Geld sehen lassen? Totgeschlagen wollen wir ihn sehen!« – riefen die Bäuerlein, bewaffneten sich, und rückten unter Anführung des tapfern Bettelmännleins nach der Waldhütte, in welcher Bruder Petz gefangen war, und dabei durch sehr starkes Brummen Zeugnis von äußerst übler Laune ablegte, so daß alle Bäuerlein eine Gänsehaut überlief. Sie kannten und vermochten auch keinen Rat zu ersinnen, was nun anzufangen, denn schlossen sie die Türe auf, und gingen hinein, so biß der Bär sie tot, und gingen sie nicht hinein, so ging der Bär heraus, und die alte Not ging von neuem an.

»Ihr seid halt Helden!« spottete das tapfere Bettelmännlein, ließ sich eine doppelt geladene Flinte reichen, und schoß durchs Fenster den Brummbär tot – worauf alle Bäuerlein schrien:

»Vivat! Er lebe! nämlich nicht der Petz, sondern der Held, Retter und Befreier.«

Wie das Bettelmännlein sein Geld und den Bärenpelz hatte, den es gleich wieder an einen reichen Bärenhäuter des Dorfes verkaufte, fiel den Bäuerlein noch etwas ein, und sie sprachen: »Tapferer Held, Retter und Befreier! Uns drückt noch ein Leiden. Droben im Gebirge haust ein wilder Mann, mit einer wilden Fangga, die ist seine Frau. Die plagen uns allewege gar zu sehr, und wir müssen ihnen zinsen und zehnten über alle Gebühr, und tun wir's nicht, so werfen sie uns Mühlsteine auf unsere Dächer und schicken uns Schlaglawinen und Wildbäche und Schlammbäche auf den Hals, daß wir noch tausendmal übler daran sind.«

Da schnitt das tapfere Bettelmandl schier ein zorniges Gesicht, und schnauzte die Bäuerlein an, wie ein Landrichter: »Warum habt ihr das nicht gleich gesagt? Sakra! Da hätt ich mich nicht brauchen erst mit dem lumpigen Bären aufzuhalten, den ich, was mir etwas ganz leichtes war, mit den Händen fing, und an seinen Ohren in die Waldhütte zog. So ein Ries, so ein wilder Mann, ha, das ist mir rein gar nichts. Wer det's schauen, wie ich dem heimleuchte mit samt seiner wilden Fangga, dem z'nichten Weibsbild!« –

Die Bäuerlein erschraken fast vor der übergroßen Kuraschi [556] des Bettelmännleins; sie zogen ihre Mützen vor ihm ab, und standen voller Ehrfurcht um den Gewaltigen. Sie beratschlagten und sagten, wenn er sie von dem wilden Manne und der wüsten Fangga befreie, so wollten sie ihm aus dem Gemeindevermögen ein Bauerngut kaufen, und wollten ihm das Nachbarrecht schenken, und ihn zum Bürgermeister auf Lebenszeit wählen, und er solle niemals wieder von ihnen wegziehen. Ob er das zufrieden, und ob es ihm genug sei?

»Ja, selbes bin ich wohl zufrieden, und ist mir genug!« anwortete das Bettelmandl. »Und jetzt drauf! Gott sei dem Riesen gnädig, wenn ich über ihn komme!« –

Die Bäuerlein zeigten ihrem Helden den nächsten Fußpfad hinauf ins Gebirge, und er schritt tapfer fürbaß, und war froh, als er allein war, und keiner mehr um ihn. »Kriegt die Kränk mit euern Riesen!« rief er. »Ich hab genug am Geld für den Bärenfang und das Bärenfell. Ich gang über's Gebirg, mich seht ihr nimmermehr!«

Aber der Held ging nicht übers Gebirge, denn auf der Höhe, wo der letzte Wald aufhörte, stieß er auf den wilden Mann. Ach, wie ward ihm da so angst und bange, wie war es aus mit Herzhaftigkeit und Heldentum! Flinke Beine – das war die einzige Hülfe. Das Bettelmännlein läuft rasch zurück, der wilde Mann hinter ihm her. Wie der Riese im besten Rennen ist, wendet sich das Mandl um, und kommt dem Riesen, der das gar nicht gewahr wird, zwischen die Beine, da stürzt der Riese hin, so lang er ist, und fällt in eine Klamm (Felsschlucht), und kann nicht wieder heraus. Da schreit er dem Mandl zu: »Ich will dir nichts tun, aber lauf auf zu meiner Frau, und laß dir einen Keil geben!« – »Gleich –« sagt das Mandl und lauft zur wilden Fangga, und begehrt den Geldsack; ihr Mann hab es so befohlen. Die Fangga glaubt es nicht, und schreit zur Klamm hinunter: »Soll ich ihn geben?« – »Freilich! Nur geschwind!« schreit der Riese, da gibt die Fangga dem Bettelmandl den Geldsack, und der macht sich damit über die Höh.

Der wilde Mann brüllt immer noch – die Fangga kommt und befreit ihn, und bekommt viele Keile, daß sie den Geldsack hergegeben, statt eines Keils, darauf rennt der Riese dem Räuber nach. Der ist unterdessen bei Schäfern vorbeigekommen, hat ein Lamm genommen, hat es unters Hemde versteckt, und im Laufen dem Lamm den Bauch aufgeschnitten, [557] und die Gedärme herausgeworfen – welches letztere die Schäfer mit Grausen gesehen haben.

Jetzt kommt der wilde Mann und fragt die Hirten, ob sie keinen Mann hätten vorbei laufen sehen? – »O ja –« sagten diese; »er hat sich ein Messer in den Bauch gestoßen, und seine Gedärme herausgeworfen, damit er desto schneller laufen konnte.«

»Selbes Kunststück hätt ich eher wissen sollen!« – brüllte der wilde Mann, zog sein Messer, schnitt sich den Bauch auf, lief, stürzte hin und war tot. Das Männlein stand nicht weit davon und sah ihn stürzen. Nun ging es zurück zu den Bäuerlein, noch ganz blutig, schwang sein Messer, und rief: »Das war ein schwerer Sieg! Das ging auf Tod und Leben. Droben liegt er! Mit diesem kleinen Messer hab ich ihm den ganzen Leib aufgeschlitzt.« – Da jubelten die Bäuerlein, und schrien ein Vivat übers andre dem Helden, Retter und Befreier.

ZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Zwergenmützchen

Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter liebte er sehr, aber die Söhne konnte er gar nicht leiden, war stets unzufrieden mit ihnen und machte ihnen das Leben sauer, denn sie konnten ihm nie etwas recht machen. Darüber waren die Brüder sehr bekümmert, und wünschten sich weit weg von ihrem Vaterhause, und saßen oft beisammen klagend und seufzend, und wußten nicht, was sie anfangen sollten.

Eines Tages, als die drei Brüder auch so betrübt beisammen saßen, seufzte der eine von ihnen: »Ach, hätten wir nur ein Zwergenmützchen, da wäre uns allen geholfen!«

»Was ist's damit?« fragte der eine von den beiden andern Brüdern.

»Die Zwerge, die in den grünen Bergen wohnen«, erläuterte der Bruder: »haben Mützchen, die man auch Nebelkäpplein nennt, und damit kann man sich unsichtbar machen, wenn man sie selbst aufsetzt. Das ist gar eine schöne Sache, liebe Brüder; da kann man den Leuten aus dem Wege gehen, die nichts von einem wissen wollen und von denen [558] man nie ein gutes Wort empfängt. Man kann hingehen, wohin man will, nehmen was man will, niemand sieht einen, so lange man mit dem Zwergenmützchen bedeckt ist.«

»Aber wie gewinnt man solch ein rares Mützchen?« fragte der dritte und jüngste der Brüder.

»Die Zwerge« – antwortete der älteste: »sind ein kleines, drolliges Völklein, das gern spielt. Da macht es ihnen große Freude, bisweilen ihre Mützchen in die Höhe zu werfen. Wupps! sind sie sichtbar, wupps! fangen sie das Mützchen wieder, setzen es auf und sind wieder unsichtbar. Nun braucht man nichts zu tun, als aufzupassen, wenn ein Zwerg sein Mützchen in die Höhe wirft, und muß dann rasch den Zwerg packen, und das Mützchen geschwind selbst fangen. Da muß der Zwerg sichtbar bleiben, und man wird Herr der ganzen Zwergensippschaft. Nun kann man entweder das Mützchen behalten, und sich damit unsichtbar machen, oder von den Zwergen so viel dafür fordern, daß man für sein Leben lang genug hat, denn die Zwerge haben Macht über alles Metall in der Erde, kennen alle Geheimnisse und Wunderkräfte der Natur; sie können auch durch ihre Lehren aus einem Dummen einen Klugen machen, und aus dem faulsten Studenten einen hochgelahrten Professor, aus einem Barbuzius einen Doktor, und aus einem Advokatenschreiber einen Minister.«

»Ei, das wäre!« rief einer der Brüder: »So gehe doch hin, und verschaffe dir und uns solche Mützchen, oder mindestens dir eins, und hilf dann auch uns, daß wir von hier fortkommen!« –

»Ich will es tun« – sagte der älteste der Brüder und bald war er auf dem Wege nach den grünen Bergen. Es war ein etwas weiter Weg, und erst gegen Abend kam der gute Junge bei den Zwergenbergen an. Dort legte er sich in das grüne Gras an eine Stelle, wo im Grase die Kringelspuren von den Tänzen der Zwerge im Mondenscheine sich zeigten, und nach einer Weile sah er schon einige Zwerge ganz nahe bei sich über einander purzeln, Mützchen werfen und spaßige Kurzweil treiben. Bald fiel ein solches Mützchen neben ihm nieder, schon haschte er danach – aber der Zwerg dem das Mützchen gehörte, war ungleich behender als er, erhaschte sein Mützchen selbst und schrie: »Diebio! Diebio!« Auf diesen Ruf warf sich das ganze Heer der Zwerge auf den armen Knaben, und es war, als wenn ein Haufen [559] Ameisen um einen Käfer krabbelt, er konnte sich der Menge nicht erwehren, und mußte es geschehen lassen, daß die Zwerge ihn gefangen nahmen, und mit ihm tief hinab in ihre unterirdischen Wohnungen fuhren, davon sie auch selbst »Unterirdische« heißen und genannt werden.

Wie nun der älteste Bruder nicht wieder kam, so bekümmerte und betrübte das die beiden jüngeren Brüder gar sehr, und auch der Tochter war es leid, denn sie war sanft und gut, und es betrübte sie oft, daß der Vater gegen ihre Brüder so hart und unfreundlich war, und sie allein bevorzugte. Der alte Müller aber murrte: »Mag der Galgenstrick von einem Jungen beim Kukuk sein, was kümmert's mich? Ist ein unnützer Kostgänger und Freßsack weniger im Hause. Wird schon wieder kommen, ist ans Brot gewöhnt! Unkraut verdirbt nicht.«

Aber Tag um Tag verging, und der Knabe kamnicht wieder, und der Vater wurde gegen die beiden zurückgebliebenen immer mürrischer und härter. Da klagten die zwei Brüder oft gemeinsam, und der mittlere sprach: »Weißt du was, Bruder? Ich werde jetzt selbst mich aufmachen und nach den grünen Bergen gehen, vielleicht erlange ich ein Zwergenmützchen. Ich denke mir die Sache gar nicht anders, als so: unser Bruder hat solch ein Mützchen erlangt, und ist damit in die weite Welt gegangen, erst sein Glück zu machen, und darüber hat er uns vergessen. Ich komme gewiß wieder, wenn ich glücklich bin; komme ich aber nicht wieder, so bin ich nicht glücklich gewesen, und für diesen Fall lebe du wohl auf immer.«

Traurig trennten sich die Brüder, und der mittlere wanderte fort nach den grünen Bergen. Dort erging es ihm in allen Stücken genau so wie es seinem Bruder ergangen war. Er sah die Zwerge, haschte nach einem Mützchen, aber der Zwerg war flinker als er, schrie »Diebio! Diebio!« und der helle Haufen der Unterirdischen stürzte sich auf und über den Knaben, umstrickte ihn, daß er kein Glied regen konnte, und führte ihn tief hinab in die unterirdische Wohnung.

Mit der sehnsüchtigsten Ungeduld harrte der jüngste Bruder daheim in der Mühle auf des Bruders Wiederkehr, aber vergebens, und wurde dann sehr traurig, denn er wußte ja nun, daß sein mittlerer Bruder nicht glücklich gewesen war, und die Schwester wurde auch traurig, der Vater aber blieb gleichgültig, und sagte nur: »Hin ist hin. Wem es daheim [560] nicht gefällt, der wandere. Die Welt ist groß und weit. In meinem Hause hat der Zimmermann ein Loch gelassen. Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, tanzt und bricht ein Bein. Laßt den Gigk in die Welt nur laufen, was grämt ihr euch um den Schlucker? Ich bin froh, daß er mir aus den Augen ist. Aus den Augen, aus dem Sinn!« –

Der jüngste Bruder hatte im Ertragen gemeinsamen Leides bisher den Trost gefunden, den solches Ertragen gewährt, als aber nun seine beiden älteren Brüder fort waren, fand er seine Lage ganz unerträglich, und sagte zu seiner Schwester: »Liebe Schwester, ich gehe nun auch fort, und schwerlich werde ich wieder kommen, wenn es mir ergeht, wie unsern Brüdern. Der Vater liebt mich einmal nicht, und ich kann nichts dafür. Die Scheltworte, die früher auf uns drei nieder fielen, fallen jetzt auf mich allein, das ist mir denn doch eine zu schwere Last. Lebe du wohl und lasse dir es wohl ergehen!«

Die Schwester wollte ihren jüngsten Bruder erst nicht fort lassen, denn sie hatte ihn am allermeisten lieb, allein er ging dennoch heimlich von dannen, und überlegte sich unterwegs recht genau, wie er es anfangen wollte, sich ein Zwergenmützchen zu verschaffen. Als er auf die grünen Berge kam, erkannte er bald an den grünen Kringeln im Grase den Ort der nächtlichen Zwergentänze und ihren Spiel- und Tummelplatz, und legte sich in der Dämmerung hin, und wartete ab, bis die Zwerglein kamen, spielten, tanzten und Mützchen warfen.

Eins derselben kam ihm ganz nahe, warf sein Mützchen, aber der kluge Knabe griff gar nicht danach. Er dachte, ich habe ja Zeit. Ich muß die Männlein erst recht sicher und kirre machen. Der Zwerg nahm sein Mützchen, das ganz nahe bei dem Knaben niedergefallen war, wieder. Es dauerte gar nicht lange, so fiel ein zweites Mützchen neben hin – ei dachte der Knabe: – da regnet's Mützchen – griff aber nicht danach, bis endlich ein drittes ihm gar auf die Hand fiel; wupps dich, hielt er's fest, und sprang rasch empor. »Diebio! Diebio! Diebio!« schrie laut der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, mit feiner, gellender Stimme, die durch Mark und Bein drang, und da wimmelte das Zwergenvolk herbei, und wurde ihm der Knabe unsichtbar, weil er das Mützchen hatte, und konnte ihm gar nichts anhaben. Und allesamt erhoben sie ein klägliches Jammern und ein Gewinsel um das [561] Mützchen, er solle es doch um alles in der Welt wieder hergeben.

»Um alles in der Welt?« fragte der kluge Knabe die Zwerge. »Das wär mir schon recht! Aus dem Handel könnte etwas werden. Will aber erst sehen und hören, worin euer ›Alles‹ besteht. Vorerst frage ich: Wo sind meine beiden Brüder?«

»Die sind drunten im Schoß des grünen Berges!« antwortete der Zwerg, dem das Mützchen gehört hatte. – »Und was tun sie da?« – »Sie dienen!«

»So? Sie dienen – und ihr dient nun mir. Auf! Hinab zu meinen Brüdern! Ihr Dienst ist aus, und eurer fängt an!«

Da mußten die Unterirdischen dem irdischen Menschen gehorsam sein, weil er Macht über sie erlangt hatte durch das Mützchen. Welche Macht in und unter manchen Mützen und Mützchen steckt, ist ganz unbeschreiblich.

Die bestürzten und bekümmerten Zwerglein führten nun ihren Gebieter an eine Stelle, wo sich eine Öffnung in den grünen Berg fand, die tat sich klingend auf, und es ging rasch hinein und hinunter. Drunten waren herrliche und unermeßliche weite Räume, große Hallen und kleine Zimmer und Kämmerchen, je nach des Zwergenvolkes Bedarf, und nun verlangte der Knabe gleich, ehe er sich nach etwas anderem umsah, nach seinen Brüdern. Die wurden herbei gebracht, und der jüngste sah, daß sie in Dienertracht gekleidet waren, und sie riefen ihm wehmütig zu: »Ach, kommst auch du, lieber guter Bruder, unser jüngster! So sind wir drei nun doch wieder beisammen, aber in der Gewalt dieser Unterirdischen, und sehen nimmermehr wieder das himmlische Licht, den grünen Wald, und die goldenen Felder!« –

»Liebe Brüder«, erwiderte der jüngste: »Harret nur, ich vermeine, das Blättlein soll sich wohl wenden.«

»Herrenkleider und Prunkgewande für meine Brüder und mich!« herrschte er den Zwergen zu, hielt aber wohlweislich das werte Mützchen in der Hand fest, als seinem Befehle augenblicklich gehorsamet wurde, und das Umkleiden vor sich ging. Nun befahl der Zwergengebieter eine Tafel mit auserlesenen Speisen und trefflichen Weinen, dann Gesang und Saitenspiel nebst Ballet und Pantomime, in welchen Künsten die Zwerge das Ausgezeichnetste leisten, was einer nur sehen kann, dann kostbare Betten zum Ausruhen, dann Illumination des ganzen unterirdischen Reiches, dann eine [562] gläserne Kutsche mit prächtigen Pferden bespannt, um in den grünen Bergen überall herumzufahren, und alles Sehenswerte in Augenschein zu nehmen. Da fuhren die drei Brüder durch alle Edelsteingrotten, und sahen die herrlichsten Wasserkünste, sahen die Metalle als Blumen blühen, silberne Lilien, goldene Sonnenblumen, kupferne Rosen, und alles strahlte von Glanz und Pracht und Herrlichkeit. Dann begann der Gebieter Unterhandlung mit den Zwergen über die Zurückgabe des Mützchens, und legte ihnen schwere Bedingungen auf. Erstens einen Trank aus den köstlichsten Heilkräutern, die mit allen ihren Kräften den Zwergen nur zu wohl bekannt sind, für seines Vaters krankes Herz, daß es sich umkehre und Liebe zu den drei Söhnen gewinne. Zweitens einen Brautschatz, so reich wie für eine Königstochter für die liebe Schwester. Drittens einen Wagen voll Edelsteine und Kunstgeräte, wie sie nur die Zwerge zu verfertigen verstehen, einen Wagen voll gemünztes Geld, weil das Sprüchwort sage: Bares Geld lacht, und die Brüder gern auch lachen wollten, und endlich noch einen Wagen für die drei Brüder, höchst bequem eingerichtet, mit Glasfenstern, und zu diesen drei Wagen alles Nötige, Kutscher, Pferde, Geschirre und Riemenzeug.

Die Zwerge wandten sich und krümmten sich bei diesen Forderungen, und taten so erbärmlich, daß es einen Stein erbarmt haben würde, wenn ein Stein ein Menschenherz hätte; es half ihnen aber alle ihr Gewinsel nichts.

»Wenn ihr nicht wollt«, sagte der Gebieter: »so ist es mir auch recht, so bleiben wir da; es ist ja recht schön bei euch; ich nehme euch allesamt, wie ihr seid, eure Mützchen; dann seht, was aus euch wird, wenn man euch sieht – tot werdet ihr geschlagen, wo sich nur einer von euch blicken läßt. Noch mehr! Ich fahre hinauf auf die Oberwelt und sammle Kröten, die geb ich euch dann, jedem eine, vor Schlafengehen, mit ins Bette.«

Wie der Gebieter das Wort Kröten aussprach, stürzten alle Zwerge auf ihre Kniee nieder und riefen: »Gnade! Gnade! Nur das nicht! Um alles in der Welt! Nur das nicht!« – denn die Kröten sind der Zwerge Abscheu und Tod.

»Ihr Toren!« schalt der Gebieter: »Ich verlange gar nicht ›alles in der Welt‹, ich habe euch die allerbescheidenste Forderung gestellt, ich könnte ja unendlich mehr verlangen, allein ich bin ein grundguter Knabe. Ich könnte ja alles nehmen, [563] und das Mützchen und die Herrschaft über euch fort und fort behalten, denn so lange ich das Mützchen hätte, würde ich ja, das wißt ihr wohl, nicht sterben. Also ihr wollt meine drei kleinen Bedingungen gewähren? Nicht?« –

»Ja, ja, hoher Herr und Gebieter!« erseufzeten die Zwerglein, und gingen ans Werk, alles Begehrte herbeizuschaffen, und alle Gebote zu vollziehen. –

In der Mühle des alten greulichen Müllers droben war nicht gut sein. Als der jüngste Bruder auch davon gegangen war, grisgrämelte der Müller: »Nun – der ist auch fort – bleibt auch aus, wie das Röhrenwasser – so geht es – das hat man davon, wenn man Kinder groß zieht – sie wenden einem den Rücken zu. Nun ist nur noch das Mädchen da, mein Augapfel, mein Liebling.«

Der Liebling aber saß dort, und begann zu weinen.

»Weinst schon wieder!« murrte der Alte: »denkst, ich soll denken, du weinst um deine Brüder? Um den Gauch weinst du – um den Liebhaber, der dich freien will. Ist so leer und ausgebeutelt, wie ein Mehlsack –er hat nichts, du hast nichts, ich habe nichts, haben wir alle dreie nichts. Hörst du was klappern? Ich höre nichts. Die Mühle steht, schlechter kann es nicht stehen um eine Mühle, als wenn sie steht. Ich kann nicht mahlen, du kannst nicht heiraten, oder wir halten Bettelmanns Hochzeit. Wie?« – Solcherlei Reden hatte die Tochter täglich anzuhören, und verging fast im stillen Leid.

Da kamen eines schönen Morgens Wagen gefahren, einer, zwei, drei, und hielten vor der Mühle, kleine Kutscher fuhren, kleine Lakaien sprangen vom Tritt, und öffneten den Schlag des ersten Wagens, drei junge hübsche Herrchen stiegen aus, fein gekleidet, wie Prinzen.

Dienerschaft wimmelte um die andern Wagen, lud ab, packte ab, schnallte ab, Kisten, Kasten, Kassetten, Toiletten, schwere Truhen, trugen alles in die Mühle. Stumm standen und staunend der Müller und seine Tochter.

»Guten Morgen Vater! Guten Morgen Schwester! Da wären wir wieder!« riefen die drei Brüder. Jene starrten sie verwundert an. –

»Trink uns den Willkommen zu, lieber Vater!« rief der Älteste, und nahm aus eines Dieners Hand eine Flasche, und schenkte einen überaus künstlich gearbeiteten Goldpokal voll edlen Trankes, und hieß den Vater trinken. Dieser [564] trank, und gab den Pokal weiter, und alle tranken. Dem Alten strömte Wärme in das kalte Herz, und die Wärme wurde zum Feuer, zum Feuer der Liebe. Er weinte und fiel seinen Söhnen in die Arme und küßte sie, und segnete sie. Und da kam der Geliebte der Tochter, und durfte auch mit trinken und auch küssen.

Darüber fingen vor Freude die Mühlräder, die so lange still gestanden, an, sich rasch zu drehen, um und um, um und um. –

Der WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der Wandergeselle

Es lebte einst die Witwe eines Metzgers, die nur einen einzigen Sohn hatte, der bereits begonnen, das Handwerk seines Vaters zu erlernen, als der Vater ihm starb. Die Mutter ließ den Sohn vollends auslernen, und sandte ihn dann in die Fremde, da sollte er drei Jahre lang reisen, sich die Welt besehen, und etwas Tüchtiges draußen lernen. Sie stattete den Sohn aus, so gut sie konnte, und gab ihm ihren besten Hund mit, der hieß Faß'an.

Auf der Wanderschaft kam der junge Metzgergeselle in einen dichten Wald, darinnen Räuber hauseten, die ihn anfielen und ihn berauben, oder gar töten wollten. Der junge Geselle aber wehrte sich kräftig, und sein Faß'an stand ihm wacker bei und verwundete die Räuber mit wütenden Bissen, darüber geriet der eine der Räuber so in Zorn, daß er den treuen Faß'an tot schoß. Der junge Metzger aber entrann den Räubern, und lief immer tiefer in den Wald hinein, der sehr groß war, und verirrte sich völlig, und wußte nicht mehr, wo er war. Endlich erblickte er von fern ein kleines Häuschen mitten in dem Walde, auf welches er zueilte, und in das er, nachdem er angeklopft, eintrat. Da saß ein altes graues Mütterlein drinnen, das regte sich nicht und bewegte sich nicht, aber der junge Geselle begann frischweg, der Alten zu erzählen, was ihm alles begegnet, und bat, ihm den Weg aus diesem Walde zu zeigen, dabei klagte er sehr um den armen Faß'an, den die Räuber ihm erschossen. Da sprach das alte Mütterlein: »Hab auch schöne Hunde, kannst dir einen aussuchen und mitnehmen.« Dabei rief sie: »Reißebeiß!«

[565] Auf diesen Ruf trat ein großer Hund in das Häuschen, und das Mütterlein fragte: »Gefällt dir der?«

»Es ist ein schöner Hund«, antwortete der Geselle: »aber der meine war schöner.«

Da rief die Alte abermals: »Sprengalleband!« Und da kam wieder ein noch größerer und noch schönerer Hund herein, und die Alte fragte: »Wie gefällt dir der?«

»Er gefällt mir recht gut«, antwortete der junge Metzger, »aber meiner war mir halt doch noch lieber.«

Da rief die Alte abermals: »Hurtigundgeschwind!« und jetzt sprang ein ganz großer und mutiger, sehr schön gebauter Hund herein – da wartete der Geselle gar nicht erst die Frage des Mütterleins ab, ob dieser ihm gefalle? – sondern rief alsbald: »Den laß ich mir gefallen! Gerade so, wie der, hat mein Hund ausgesehn, und hätten sie den guten Faß'an nicht vor meinen Augen tot geschossen, so schwür ich drauf, der sei es selbst.«

»Ich will dir etwas sagen, mein junger Wandersmann«, sprach die Alte: »ich will dir die braven Hunde alle drei schenken, du mußt aber, wenn du ihnen einst dein Glück dankst, auch an mich arme alte Waldfrau denken, und dich meiner Armut nicht schämen.«

Da der junge Bursche dies versprach, so zog die Alte auch noch ein Pfeifchen hervor und gab ihm dies, und sagte:

»Dieses Pfeifchen verwahre recht gut, denn damit kannst du die drei Hunde zu deiner Hülfe herbeirufen, sie mögen sich befinden, wo sie wollen; dies wird besonders nötig sein, wenn du selbst in Not gerätst.«

Mit vielem Danke schied der Wandergeselle von der guten Alten und von ihrem Häuschen, und ging den Weg, den jene ihn als den richtigen bezeichnet hat, wohlgemutet fort, und die drei schönen Hunde sprangen munter bald vor bald hinter ihm, und hetzten sich und spielten miteinander, daran der Geselle eine große Freude hatte.

Als der Abend zu dunkeln begann, erreichte der Reisende mit den drei Hunden ein einsames Wirtshaus, das auch noch in dem großen Walde lag, der gar kein Ende nehmen zu wollen schien. Vor dem Hause fand der Metzger eine junge Magd, welche hölzerne Gefäße scheuerte, und als diese den hübschen jungen Gesellen erblickte, so schien sie zu erschrecken und machte ihm eine abwehrende Geberde; sie winkte ihm gleichsam, zurück zu gehen und hier nicht einzutreten, [566] ja sie öffnete schon den Mund zu einem warnenden Zuruf, als die Türe aufging, und der Wirt heraustrat, und den späten Wanderer einlud, doch ja bei ihm einzukehren, zumal er, der Wirt, auch ein Metzger sei.

Dem Jüngling kam ein argwöhnisches Gefühl in das Herz, allein er war einmal da, hatte Hunger und Durst, und die Nacht war vor der Türe. Sonach setzte er sich in der Stube nieder, und seine drei Hunde lagerten sich um ihn her, und nun bestellte er sich etwas zu essen. Darauf mußte er gar nicht lange warten, es kam ein großes Stück Fleisch in einer fetten Brühe, und gutes Brot dazu.

Der Wandergeselle aß, und der Wirt hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, und sah zu, wie es seinem einzigen Gaste schmeckte, denn es war niemand von Fremden weiter im Hause.

Es schmeckte aber dem Gaste nicht, das sah jetzt der Wirt, und sprach: »Gesell, ich vermeine es schmecket dir nicht! Du bist von daheim wohl eitel Gebratenes gewohnt?«

»Das nicht, Meister«, antwortete der Gast. »Aber ich habe schon Schweinefleisch gegessen, und dieses Fleisch in meiner Schüssel ist keins; ich habe Hammelfleisch gegessen, und dies ist keins; ich habe Rindfleisch und Kalbfleisch gegessen, und das ist keins. Auch weiß ich, wie jede Art von Wildpret schmeckt, und das ist keins. Von irgend einem Vogel ist's auch nicht – das dünkt mich ein seltsam Essen!« –

Der Wirt lachte, und antwortete: »Mein guter Wanderbursche, du wirst in deinem Leben noch gar vieles hören, sehen, riechen, schmecken und fühlen, was du doch nie gehört, gesehen, gerochen, geschmeckt und gefühlt hast. In der Welt gehet es gar wunderlich her.«

Auf diese empfangene Belehrung aß der Geselle schweigend weiter, obschon es ihm nicht schmeckte, und schöpfte sich auch noch etwas Brühe heraus, da fiel ein Knöchlein aus dem Löffel, und als er das recht ansah, war es ein Finger. Da erschrak der arme Jüngling bis zum Tode, und wurde ihm sehr übel ob sotaner Mahlzeit, und gerade ging die Türe auf, und die Wirtin trat herein, die trug einen Teller, darauf Fettbrote lagen, vielleicht ihr eigen Abendessen, und der Wirt stand auf von der Bank, und sprach leise mit seiner Frau, und da setzte der Geselle geschwinde seinen Teller und seine Fleischschüssel seinen Hunden hin, die leerten sehr rasch alles ab.

[567] »Wünsche guten Appetit gehabt zu haben!« – sprach die Wirtin zum Wanderburschen, und dieser antwortete: »Großen Dank, Frau Wirtin, ich hatte welchen« – ist mir aber vergangen, setzte er in Ge danken hinzu.

»Nun wollen wir Ihm seine Schlafkammer zeigen!« sprach die Wirtin, und gab ihrem Mann ein Licht in die Hand. »Die Hunde kommen in den Stall.«

»Ich wünsche, daß meine Hunde bei mir bleiben«, versetzte darauf der junge Metzger.

»Das wird sich finden« – erwiderte die Frau.

Der Wirt öffnete jetzt ein Nebenzimmer, indem er mit dem Lichte voran ging, und hinter dem Gaste ging die Wirtin und trug immer noch die drei Fettbrote, und zeigte sie heimlich den Hunden des Fremden, und reizte so deren Verlangen nach diesen Broten.

Man trat in ein Zimmer, das hing voller Waffen, Gewehre, Pistolen, Karabiner, Pallasche, Hirschfänger usw., daneben hingen auch Ketten, Stricke, Handschellen und solcher Dinge mehr, womit man die Leute wehrlos macht.

»Das sind ja gar viele Waffen«, sprach verwundert der Gast.

»Ja, man wohnt hier im Walde so einsam«, erinnerte der Wirt: »man muß sich vorsehen; ich habe auch meine Leute, welche mit diesen Waffen gut umgehen können.«

Während dieser Worte öffnete der Wirt eine zweite Türe, und schritt durch dieselbe voran, die Wirtin aber warf eins der Fettbrote auf den Boden, Reißebeiß schnappte danach, aber indem der Hund das Brot fraß, warf die Frau die Türe in das Schloß, und Reißebeiß war in der Waffenkammer eingesperrt.

Das zweite Zimmer war herrlich ausgestattet; das eine Licht, welches der Wirt trug, reichte gar nicht aus, dessen Pracht vollständig zu beleuchten; es standen Fässer voll Geld darin, und an den Wänden hingen kostbare Kleider, und in Glasschränken starrte alles von Schmuck, von Gold- und Silbergeräten und edeln Steinen. So etwas hatte der junge Metzger noch nie gesehen, und konnte sich gar nicht genug darüber verwundern, noch sich zusammen reimen, wie das alles hierher in die einsame Waldherberge komme? Der Wirt erschloß jetzt ein drittes Gemach, und die Wirtin warf das zweite Fettbrot hin, da schnappte Sprengalleband gleich hastig danach, und wie er noch daran kaute, warf [568] die Frau die Türe in das Schloß und Sprengalleband war in der Schatzkammer gefangen. Der Herr der drei Hunde aber merkte nicht, daß nur noch einer von den dreien bei ihm war. Er folgte, neugierig, noch mehr Wunderbares zu sehen, dem Wirte in das dritte Gemach, aber da sah es ganz abscheulich und schauderhaft aus. Die Wände waren mit Blut bespritzt; mitten im Zimmer stand ein Block, auf dem ein scharfes Metzgerbeil lag, man sah zerstückte Gliedmaßen von Menschen umherliegen, an der Wand hingen aufgeblasene Gedärme, um Wurst einzufüllen, auch standen Wiegemesser und kupferne Fülltrichter, für dieses Geschäft bereit – und den Gesellen schauderte, der Wirt aber sprach mit harter Stimme: »Mein Bursche, hier ist die Werkstätte. Hier wirst du dein Meisterstück machen, und bei mir bleiben, wo nicht, wirst du hier selbst massakriert, daß du es weißt. Entweder du zerhackst hier, und schneidest Griefen und wiegst, oder du wirst selbst zerhackt, zerschnitten und zu Wurst gewiegt.«

Dem armen Gesellen ward in der Seele bange bei dieser ihm gelassenen Wahl, doch faßte er Mut und sprach: »Lieber will ich sterben, als Euer Genosse sein!«

»Wie du willst!« sagte der Wirt. »Folge mir!« – Und eröffnete wieder eine Türe, und jetzt warf die Frau das dritte Fettbrot hin, danach sprang hastig und hungrig der Hurtigundgeschwind, und schnapp, war die Türe im Schloß, und der gute Hund in der Blutkammer gefangen, während der Wirt mit dem Gesellen in eine düstere Halle trat, und zu ihm sprach: »Jetzt sind wir im Schlachthaus, und jetzt schicke dich an, mein Wanderbursche, zur weiten Wanderschaft in die andere Welt.«

Der Geselle erschrak, denn er merkte wohl, daß der Wirt nicht spaße, und sah sich nach seinen drei Hunden um, die waren aber alle drei hinweg, und er war allein und hülflos.

»Willst du stehend oder liegend sterben?« – fragte der Wirt, und hob ein blinkendes, schweres Beil. Der Geselle antwortete: »Ich will stehend sterben, vergönne mir nur so viele Zeit, ein Vater unser zu beten.«

»Meinetwegen, so bete!« antwortete gefühllos der schlimme Wirt.

Und der Geselle betete mit rechter Andacht, und da fiel ihm mitten im Beten das Pfeifchen ein, das die gute Alte ihm gegeben, die ihm die drei Hunde geschenkt, und gesagt [569] hatte, er solle, wenn er in Not sei, und die Hunde nicht bei ihm wären, nur darauf pfeifen, bedachte sich daher auch keinen Augenblick, sondern pfiff, zu des Wirtes und der Wirtin großer Verwunderung.

»Heißt das gebetet, Bursche?« schrie der Wirt voller Wut, und hob sein Mordbeil, aber ehe er den tödlichen Streich führte, hatte ihn Hurtigundgeschwind, der wie ein Blitz ins Schlachthaus fuhr, im Nacken und riß ihn nieder und Sprengalleband und Reißebeiß waren nun auch schon da, und alle drei zerrissen den Wirt in tausend Stücken.

Die Wirtin aber fiel auf ihre Kniee, und schrie: »Gott Lob! Gott Lob! Nun bin ich erlöst!«

»Nein Weib!« rief jetzt zornig der Gesell. »Deine Stunde hat auch geschlagen. Helfershelferin des Menschenmetzgers, die meine Hunde heimlich fing, auf daß ich wehrlos in eurer Gewalt sei, ihr Teufelsbraten!«

»O seid barmherzig!« rief flehend die Wirtin. »Ich mußte ja den Willen des Wüterichs tun, der mich auch einst gefangen und hier fortwährend gefangen gehalten hat. O laßt mich leben! Ich will Euch auch eine goldene Dose schenken!« –

»Ich danke, ich schnupfe nicht!« versetzte der Geselle.

»Ist auch nicht notwendig« – erwiderte die Wirtin. »Aber jeder, der aus dieser Dose schnupft, wenn Ihr den Deckel nach rechts gedreht habt, muß so lange machtlos stehen, liegen oder sitzen bleiben, bis Ihr den Deckel nach links gedreht. Laßt mich leben, guter Geselle, um Gottes und um Eurer selbst willen, denn noch seid Ihr nicht außer aller Gefahr. Ich allein kenne den Aufenthaltsort der Spießgesellen meines Mannes, einer ganzen Bande Räuber, Mörder und Menschenfresser, vor denen Ihr trotz Eurer Hunde nicht sicher wäret.« –

»Nun denn, ich will Euch leben lassen, Meisterin«, sprach der Jüngling: »doch hütet Euch wohl, mich hintergehen zu wollen!«

Die Wirtin dachte in der Tat nicht daran, den jungen Gesellen zu täuschen, da sie ihm wirklich ihre Befreiung dankte, sie und ihr Gesinde, das ebenfalls eine große Freude hatte, nicht mehr die entsetzliche Last zu tragen, dem Menschenschlächter untertan zu sein. Die Frau des Hauses zeigte nun ihrem Befreier den Eingang zu dem verborgenen Schlupfwinkel der Mörderbande, in welchen man durch eine Falltüre [570] gelangte. Diese Falltüre öffnete der junge Metzger und ließ seine drei Hunde hinein, welche unwiderstehlich waren, und der ganzen Raub- und Mordgenossenschaft die Hälse abbissen, daher sie mit sehr blutigen Schnauzen wieder herauskamen. Der Gesell zeigte sich nun als Herr und betrachtete die Waldherberge als seine Eroberung. Er gab der Dienerschaft, insonderheit der mitleidigen Magd, die ihn gewarnt, von den Schätzen, sandte einen Knecht mit reichem Gute an die alte Waldmutter, welche ihm die drei Hunde geschenkt, ebensoviel schickte er nach Hause zu seiner eigenen Mutter, der Wirtin ließ er nehmen, was und so viel sie wollte, die Falltüre zu der Mördergrube ließ er vermauern und die Waldherberge bis auf den Grund niederbrennen; darauf nahm er Abschied von der Frau Wirtin und zog mit seinen drei Hunden seine Straße. Eigentlich hätte er heimkehren können, denn er hatte genug an Gut und Geld, und die Metzgerei hatte er verredet auf Zeitlebens – aber er hatte seiner Mutter versprochen, drei Jahre in der Fremde zu wandern, und wollte nun auch ferner die Welt sehen, und etwas Tüchtiges lernen.

Da nun der gute Geselle mit seinen drei Hunden Reißebeiß, Sprengalleband und Hurtigundgeschwind seiner Straße weiter zog, und ein gutes Stück in die Welt hinein gewandert war, da begegnete ihm eines Tages eine Kutsche, die war ganz mit schwarzem Flor überhangen, und der Kutscher desgleichen und die Pferde ebenso, was sehr traurig aussah. Und da blieb der Wandergeselle stehen, und sein Herz bewegte sich voll Trauer, und er sann, was das wohl möge zu bedeuten haben, daß ihm ein solches Fuhrwerk begegne? Der Kutscher aber war ein grober Schroll, der rief dem Gesellen zu: »Na Schlingel, was gibt es hier zu gaffen? Wirst du wohl aus dem Wege gehen, wenn eine Prinzessin gefahren kommt?« – Dieser unhöfliche Zuruf verdroß den guten Gesellen, und er rief Hurtigundgeschwind, dem Kutscher einigermaßen Mores (sind gute Sitten), zu lehren. Darauf sprang Hurtigundgeschwind, dem kein Mensch, auch der stärkste nicht, widerstehen konnte, hinauf auf den Bock, kriegte den Kutscher beim Kragen, schüttelte ihn wie einen Karnickel, riß ihn vom Bocke herab, und titschte ihn um und um in einer großen Pfütze am Wege, davon er dreckig und triefend wurde, und setzte ihn dann wieder fein säuberlich auf den Kutscherbock. Davon wurde der [571] Kutscher so geschmeidig, wie ein Ohrwurm, und hätte gern seinen Tressenhut vor dem Gesellen abgezogen, wenn selbiger nicht drunten in der gelben Pfütze liegen geblieben wäre. Der Wanderbursche hielt nun dem Kutscher eine kleine Rede über die Regeln der Höflichkeit, welche Leute seines Gleichen nie aus dem Augen setzen sollten und dürften gegen Personen die zu Fuße gehen, weil möglicherweise eine oder die andere Person solcher Art sich statt eines – zehn Kutscher halten könne, und sich für jede Kutschergrobheit eigentlich ein solches Bad in der Pfütze nebst einigen fühlbaren Rippenstößen gebühre. Als diese Rede, die dem Kutscher gar nicht zusagte, wie vielsagend sie auch war, gehalten worden, sah der Geselle in den florumhangenen Glaswagen, und sah darin eine ganz schwarzgekleidete Prinzessin sitzen, die hatte sehr geweint, und da er sie darum ganz bescheidentlich fragte, so erzählte ihm die Prinzessin ihr Schicksal.

»Ich bin«, begann die ganz schwarzgekleidete Dame: »die Tochter des Königes dieses Landes, über welches der Teufel eine große Teurung und Hungersnot gebracht hat, und als man denselben befragte, ob er beides nicht unter irgendeiner Bedingung wieder von dem Lande nehmen wollte, so machte er die Bedingung, daß ich sein eigen werden solle. Da nun mein Herr Vater sein Land und Volk mehr liebt als mich und sich selbst, so hat er in diese entsetzliche Bedingung gewilligt, und du findest mich Ärmste jetzt auf dem Wege, schnurstracks zum Teufel zu fahren.«

»Aber schöne Prinzessin, warum seid Ihr denn so ganz allein?« fragte der Wandergeselle.

»Ja – mein guter Jüngling«, antwortete die Prinzessin: »das kommt daher, daß kein Mensch mit wollte, obschon meine Dienerschaft mir immerfort Treue bis zum Tode beteuert hat, das sind aber nur leere Redensarten gewesen. Nur der Kutscher war bereit mich zu fahren, weil derselbe schon des Teufels ist.«

»Habe das an seiner Grobheit gemerkt, meine schöne Prinzessin«, sprach der Wanderbursche; »und Euer Herr Vater, erlaubt mir diese Bemerkung, ist nicht so recht gescheit, andere täten so etwas nicht. Wolltet Ihr mir aber erlauben, Euch Anstandes halber als einen diensttuenden Kammerherrn zu begleiten, so kann ich Euch vielleicht in Wahrheit den besten Dienst tun, und Euch aus den Klauen des Teufels losmachen.«[572] »Ach, das höre ich sehr gerne!« antwortete die Prinzessin. »Ja, du sollst mein lieber Kammerherr sein, steige nur zu mir herein, es reist sich ohnehin besser zu zweien, als einsam.«

Darauf stieg der Wandergeselle zu der schönen Prinzessin in den schwarzen Wagen, und unterhielt sie gut, und machte, daß sie lachte, und fuhren miteinander ganz lustig zum Teufel. Dieser saß auf einem Holzblock und wartete schon eine geraume Zeit, und war sehr erstaunt, zu sehen, daß die Prinzessin nicht allein kam. Der Jüngling sagte: »Hochverehrtester Herr Teufel, ich hoffe, Ihr werdet ein vernünftiges Wort mit Euch reden lassen. Mich dauert diese arme und schöne Prinzessin sehr, gebet sie frei, und nehmet dafür meine Seele an.«

Der Teufel schlug einige Male rechts und einige Male links mit seinem Schweife um sich, als wenn er sich die Mücken wegwedeln wollte, und sagte: »Für dieses Mal könnte sich die Sache machen« – er dachte aber in seinem Sinne, übers Jahr hole ich mir doch die Prinzessin – »also Topp!«

»Topp!« sagte der Geselle. »Und da nichts zu trinken da ist, so schnupfen wir einmal darauf!« Damit zog er seine goldene Dose, drehte den Deckel nach rechts, schnippte mit dem Finger auf den Deckel, öffnete sie und bot sie dem Teufel dar.

»Eigentlich schnupfe ich nicht!« sagte der Teufel.

»Nun so schnupfe einmal uneigentlich! Es ist Doppelmops!« entgegnete der Geselle, und sein Herz lachte innerlich vor Freude, als der Teufel wirklich mit seiner haarigen Kralle in die Dose fuhr und eine tüchtige Prise nahm.

»So mein werter Herr Teufel!« nahm nun wieder der Geselle das Wort, indem er die Dose wieder mit ihrem Deckel verschloß und in die Tasche schob: »jetzt können wir ein verständiges Wort miteinander reden, denn Ihr seid nun ein vollkommen gesetzter Mann.«

»Wie so gesetzt?« fragte der Teufel.

»Weil Ihr sitzt, und nicht mehr und nicht eher wie der aufstehen könnt, bis es mir beliebt!« erhielt er zur Antwort.

»Weiter fehlte mir nichts! Du Dummkopf!« schrie der Teufel, und wollte auffahren und dem Sprecher an das Genicke, aber er konnte nicht, er mußte auf dem Holzblocke fest, wie angenagelt, sitzen bleiben.

[573] »Wie lange soll der dumme Spaß dauern?« fragte der Teufel in außerordentlicher Übellaune. »Ich bin das Sitzen schon müde. Mach es kurz – das halte der Teufel aus, wenn er's kann!«

»Ich will dir etwas sagen, aber sei stät, hochwohlgeborener Herr Teufel!« spottete der Geselle. »Es kann dir bald geholfen werden. Du gibst diese Prinzessin frei, wie sich von selbst versteht; du gibst auch mich frei, und entsagst dem Anrecht auf meine Seele; du gelobest niemals wieder im Lande des Herrn Vaters dieser schönen Prinzessin Teurung und Hungersnot, Aufruhr oder sonst dergleichen Teufeleien anzustiften und anzuzetteln, und niemals eine Seele als Lösegeld dagegen zu verlangen, vielmehr dich mit den Seelen zu begnügen, die dir von selbst und freiwillig in deinen Höllenrachen gelaufen kommen. Endlich gibst du mir das alles eigenhändig und schriftlich, denn der Teufel traue dem Teufel, und sorgst dafür, daß ich dich niemals wieder zu Gesichte bekomme.« –

Der Teufel ächzte und krächzte, schwitzte und krümmte sich, es half ihm aber dieses alles nichts. Immer gewohnt, stets los zu sein, quälte es ihn schrecklich, jetzt einmal nicht los sein zu können, und so bequemte er sich, in die Forderungen des Befreiers der Prinzessin einzuwilligen, worauf dieser nun wieder die goldene Dose hervorzog, den Deckel nach links aufdrehte, und höflich fragte: »Beliebt noch ein Prieschen? Es ist Marokko.« – Der Teufel aber schlug hin, daß aller Schnupftabak in die Luft flog und erhob sich von seinem Holzblock, und brauste wie ein Sturmwind von hinnen.

Darauf stiegen die Prinzessin und ihr Befreier wieder in ihren Wagen, und die Prinzessin war so sehr von Dank erfüllt, daß sie zu dem Gefährten sagte: »Höre du, ich will dich heiraten, weil du mich errettet hast!« –

»Ist mir sehr angenehm zu hören«, versetzte der Jüngling: »nur wünschte ich noch ein Weilchen damit zu warten, weil ich erst in die Welt, und draußen etwas Tüchtiges lernen muß. Deshalb entlasset mich jetzt, meine schönste Prinzessin, in Zeit von einigen Jahren komme ich wieder, darauf verlasset Euch.« –

Das mußte nun so der Prinzessin recht sein, obwohl es ihr gar nicht recht war, und als der erste Kreuzweg kam, stieg ihr Befreier aus, gab ihr seine Hand und küßte die ihrige, [574] und sagte: »Wir sind verlobt und bleiben es! Trauet fest, schöne Prinzessin, auf Euern Bräutigam.«

Der Kutscher, der die Prinzessin fuhr, hatte alles, was er sah, mit Mißmut und Ärger gesehen. Er besaß eine ganz nichtsnutze Seele. Den König hätte er am liebsten tot gesehen, und wäre gern selbst König gewesen; da man aber die Kutscher, und wenn sie die schönsten Staatskutschen noch so schön lenken zu können, sich einbilden, nicht zu Königen macht, so freute sich sein schwarzes Herz darüber, daß wenigstens die unschuldige Königstochter untergehen sollte, und da dies nicht geschehen war, so war er mindestens auf seinen Vorteil bedacht, daher hielt er an, stieg vom Bock, öffnete den Kutschenschlag und sprach hinein zur Prinzessin:

»Mein allergnädigstes Prinzeßchen! Sintemal und alldieweil Höchst-Dieselben nun befreit sind, so hätte ich auch eine kleine Bitte, bitte dahero nichts für ungut zu nehmen, wenn ich so mit der Türe ins Haus falle; ich möchte gar zu gerne heiraten!«

»Dagegen habe ich gar nichts einzuwenden, mein lieber Kutscher. Aber will Ihn denn jemand?«

»Die schätzbare Person, welche ich zu heiraten wünsche, sagte mir, sie habe nichts dagegen einzuwenden!« antwortete der Kutscher.

»Nun gut, so nehme Er sie!« – versetzte die Prinzessin.

»Nun gut, so nehme ich Sie!« erwiderte der Kutscher.

»Wen denn eigentlich?« fragte die Prinzessin.

»Nun denn Sie! Sie haben es ja gesagt!« entgegnete der Kutscher.

»Ich glaube, Er ist verrückt!« schrie die Prinzessin außer sich vor Entsetzen.

»I Gott bewahre!« versetzte der Kutscher. »Im Gegenteil, Prinzeßchen, ich glaube dies nicht im entferntesten. Wozu viele Worte? Sie sagen zu Hause, daßich es war, der Sie befreite, und heiraten mich! Wollen Sie das nicht, so fahre ich Sie nicht nach Hause, sondern wieder zum Teufel. Und damit Punktum!«

Da gab die arme Prinzessin klein bei und weinte wieder, und fuhr nach Hause. Da war aber ein Jubel über ihre Heimkunft, der war grenzenlos, und als es nun vollends laut wurde, der Kutscher habe die Prinzessin befreit und werde von ihr zum Danke gefreit werden, da kannte der Jubel [575] keine Grenzen mehr. Eine so herablassende volkstümliche Prinzessin hatte es noch nie gegeben, weder die alte noch die neue, weder die heilige noch die Profangeschichte lieferten ein Seitenstück zu solchem Bündnis – Paläste und Hütten wurden illuminiert, die Vivats nahmen kein Ende, und viele Personen, die in Kutschen fuhren, wurden damals umgeworfen, denn alle Kutscher hatten sich vor Freude betrunken und ihre Köpfe so hell illuminiert, daß sie die Prallsteine für glatte Fahrgleise ansahen.

Nun wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen, welche jedoch die Prinzessin immer von einer Zeit zur andern hinausschob. Sie verdarb ihre Brautkleider, sie wurde krank, sie erfüllte fromme Gelübde, sie wartete auf einen Schmuck, der erst vom Morgenlande kommen sollte, und hoffte mit sehnender Seele stärker und stärker auf die Wiederkehr ihres geliebten wahren Bräutigams. Der Kutscher aber wurde sehr ungeduldig und klatschte viel aus Ungeduld mit seiner Peitsche. Endlich mußte ein Tag der Hochzeit doch festgesetzt werden, und schon kam dessen Vorabend und der Wandergeselle kam nicht. Herzeleid und Wehklagen. Die Prinzessin ließ im Hoftheater das rührende Drama Lenore aufführen, und vergoß viele Tränen bei dem herzbrechenden Liede:


Es flammen am Altare
Die Kerzen wundersam;
Der Brautkranz schmückt die Haare,
Wo bleibt der Bräutigam?

Während aber selbiges herzbrechendes Lied gesungen wurde, war der wahre Bräutigam schon da, und war in Begleitung seiner drei Hunde im Gasthofe ersten Ranges der Residenz abgetreten, freilich aber nicht wie ein Gast ersten Ranges, vielmehr als zerlumpter Bettler und Strolch, und der Wirt hatte nahezu Lust, ihn von seinen Kellnern zur Türe hinaus schmeißen zu lassen, als der anscheinende Bettler einen Dukaten auf den Tisch legte, und dem Wirte zuflüsterte: »Mein guter Freund, ich bin ein Hochzeitgast! Schaffet mir einen Barbuzium und einen Schneider. Morgen am Hochzeittage verhoffe ich, so Gott es will, die Ehre zu haben, mit der jungen Königin ein Glas Wein zu trinken.«

Der Wirt maß mit seinen Blicken den Lumpazivagabundus, den er vor sich sah, vom Kopfe bis zur Zehe, und [576] sprach: »Nichts für ungut, guter Freund! Du scheinst mir aus einem Lande zu kommen, wo man keine Hundesteuer zahlt, und wo die Hunde von der Luft leben. Ich unterfange mich nicht, schlechte Witze zu machen, und zu sagen, du seist sehr auf den Hund. Gleichwohl besticht mich dein armseliger Dukaten nicht; Gott mag wissen, auf welcher grünen Wiese du den gefunden hast; indessen zu einem Abendimbiß für dich und die drei Hunde, und auch noch zu einem Nachtlager reicht er aus. Du wirst aber morgen so wenig Wein mit der königlichen Prinzessin Braut trinken, als ich, ja noch viel weniger, denn ich bin doch der Hofweinlieferant, ich kann daher eher den nämlichen Wein trinken – darauf wette ich all mein Hab und Gut, samt Gasthaus- und Schenkgerechtigkeit.«

»Wirt, schwatze nicht zu viel! besorge hübsch meine Befehle! Die Wette steht!« – sprach ganz kurz der Gast, forderte Velinpapier und feines Siegellack, schrieb und siegelte rasch einen Brief an die Prinzessin, hielt dem erstaunten Wirte die Aufschrift unter die Augen, schlug den Brief in ein Zeitungsblatt, und gab ihn dem Hurtigundgeschwind ins Maul, der damit fortschoß.

Jetzt kamen der Barbier und der Schneider. Der Fremde ließ sich sauber scheren und zwagen, und vom Schneider in Samt und Seide kleiden, und legte bloß Goldstücke auf den Tisch mit dem stummen Bedeuten, jeder möge sich nehmen, was er glaube, daß ihm gebühre. Der Schneider glaubte, ihm gebühre viel, folglich nahm er viel, der Barbier aber wollte gerne wieder auf das Goldstück herausgeben, er hatte jedoch kein einzelnes, und da winkte der Gast wieder, er möge es nur ungewechselt behalten. Am andern Morgen wurde die ganze Residenzstadt voll von der Kunde, daß ein Herr im ersten Gasthofe wohne, der viel freigebiger sei, wie der König, wozu – im Vertrauen sei dies gesagt – nicht viel gehörte.

Wie froh war aber die gute Prinzessin geworden, als sie Hurtigundgeschwind in den Saal springen und ihn einen Brief in ihren Schoß legen sah, während alles vor dem großen und seltsamen Briefpostcourier erschrak, zumeist aber der falsche Bräutigam, der Kutscher. Er dachte sich: wo der ist, da ist sein Herre auch nicht weit, und verzog sich ganz leise, woran er sehr wohl tat, sonst hätte ihn der Hund zerrissen.

[577] Am andern Morgen hielt eine königliche Kutsche vor dem Gasthofe; ein Hoflakai öffnete den Schlag, ein besternter Kammerherr stieg aus und fragte nach dem fremden Herrn, der gestern gekommen sei, und dem Wirte fiel das Herz in die Kniekehle, denn er hatte sein Hab und Gut, samt der Schenkgerechtigkeit verwettet. Der fremde Herr aber fuhr zur Rechten des Kammerherrn im Wagen sitzend nach Hofe.

Bei Hofe war nun große Freude; der wahre Bräutigam gefiel dem volkstümlichen Könige noch besser, wie der Kutscher, da derselbe sich sehr gut zu benehmen wußte, und sich schon durch die Befreiung der Prinzessin am besten benommen hatte. Die Hochzeit hatte daher ihren ungestörten Fortgang. Dem Wirte schenkte der glückliche Bräutigam die an ihn verlorene Wette, und den Kutscher, den er durch Reißebeiß, Sprengalleband und Hurtigundgeschwind sehr leicht hätte einfangen und holen lassen können, wobei derselbe sehr übel gefahren wäre, ließ der edle Bräutigam laufen.

Mit abermaliger reicher Gabe aber bedachte er die alte Waldmutter, und seine eigene Mutter ließ er in einer goldenen Kutsche holen und behielt sie bei sich bis an ihr Ende. Als alles zu einem guten Ziele gelangt war, verschwanden die drei Hunde, und niemand wußte, wohin sie gekommen waren, und auch das Pfeifchen war fort, so daß man die Hunde auch nicht wieder herbeirufen konnte, welches auch nicht nötig wurde, da sich kein Teufel mehr um das Land des alten und des jungen Königs bekümmerte.

Marien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Marien-Ritter

Vor Zeiten lebte ein freisamer frommer Rittersmann, der hatte zu seiner Schutzpatronin die heilige Jungfrau Maria erkoren, und diente ihr mit einem gottseligen Herzen immerdar.

Da wurde zu einer Zeit von dem Könige ein großes Turnei ausgeschrieben, zu dem zog die gesamte Ritterschaft des ganzes Landes, alldort Lanzen und Speere zu brechen, und Danke zu gewinnen. Zu diesem Turnei zog auch der fromme [578] Ritter, und sein Weg führte ihn an einem Münster vorüber, das der Jungfrau Maria geweiht war, und gar nicht weit von dem Plane lag, auf welchem das Turnei gehalten werden und bald beginnen sollte. Man konnte schon von ferne die Trommeten schmettern hören. Im Münster aber war viel hohe Geistlichkeit versammelt, und wurde feierliches Hochamt gehalten, da stieg der Ritter vom Roß und gab das seinem Knappen zu halten, und sprach: »Mir ziemet baß, daß ich mich in Marien Schutz befehle, daß ihre Hand mir zu einem ehrlichen Siege verhelfe« – nahm seinen Helm vom Haupt und trat in das Gotteshaus. Schon war eine Messe fast zu Ende gelesen, dann aber hob man eine andere an, die wollte der fromme Ritter ganz hören, und dann begann wieder eine neue, und der Ritter wollte keine unterbrechen, und wohnte allen andächtiglich bei und betete mit im stillen, und segnete sich.

Und darüber, über solcher Andacht, ging der halbe Tag hin, das Turnei hatte längst seinen Anfang und Fortgang genommen, das Ringelrennen, das Lanzenstechen und manches andere ritterliche Kampfspiel war schon vorüber, dem Ritter aber hatte die Zeit, so er im Münster verweilt, eine ganz kurze gedeucht, und meinte, es sei noch früh am Tage und er komme noch rechtzeitig genug. Wie er aber ankam, da sah er nur noch etwas vom Buhurt, das ist der letzte Tummelkampf, wo viele gegen viele reiten und streiten und einander bekämpfen mit kurzen Schwertern oder mit Kolben, bis die Herolde mit Trompetenstößen das Zeichen zum Ende des Buhurts geben lassen.

Da nun der fromme Ritter an die Schranken kam, erscholl ihm von vielen ein froher Zuruf, gleichsam als dem Helden des Tages; seine Freunde boten ihm glückwünschend die Hände, andere gaben ihm Ringe und Kleinode, die sie ihm, wie sie sagten, im Lanzenrennen schuldig geworden, und alle rühmten laut, daß solch ein männlicher Kämpe, wie er, noch niemals beim Tschost, das ist das Lanzenrennen, und beim Forest, das ist der Preiswettkampf, gesehen worden, und die Herolde nahten ihm, grüßten ihn ehrfurchtsvoll und geleiteten ihn zum Throne, auf welchem sitzend, des Königes schöne Tochter die Ehrendanke verteilte, und ihm unter süßen Worten voll hohen Lobes den ersten Dank zuteilte.

Der Ritter aber wußte nicht wie ihm geschah, und sagte [579] offenkundig, daß weder Lob noch Dank ihm gebühreten. Er komme soeben an, und habe in der Kirche weilend, das Turnier versäumt. Die Ritter aber und die jungen Edelknappen schwuren alle, er sei da gewesen, habe sie alle überwunden, und in allen Arten der Turneikämpfe das Beste getan.

Da ahnete der Ritter das Wunder, das Maria an ihm getan, dieweil er sie im Münster verehret. Und ritt von hinnen in das Kloster, das neben dem Marienmünster erbaut war, und sprach: »Ich will fortan keines andern Ritter sein, als nur Marien Ritter, mit stetem Gebete und mit steter Treue.«

Gelobet sei Maria, die Himmelskönigin!

Vom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte

Es war einmal ein Knabe, der hatte vieles gehört von der Hexenkunst, wollte sie auch gern lernen. Wen er aber darum fragte, der sagte, daß er solche Kunst nicht kenne und nicht könne, und auch nichts von ihr wissen wolle. Da ging der Knabe ganz allein in einen dunkeln Wald, und rief mehr denn einmal recht laut: »Wer lehrt mich das Hexen?« – und da schallte es wie antwortend an mehreren Stellen des tiefen Waldes: »Hexen! Hexen!« –

Und nach einer Weile kam ein uraltes Weiblein durch das Gebüsche gekrochen, das keinen Zahn mehr im Munde und schrecklich rote Augen hatte. Ihr Rücken war gekrümmt, ihr Haar war weiß, und hing ihr wild um den Kopf herum, und wehete im Winde. Ihre Stimme klang wie die Stimme des Vogels Kreideweiß, wenn er ruft: »komm mit!« und geradeso rief auch das alte Weib dem Knaben zu, und winkte ihm zu folgen, sie wolle ihm das Hexen lehren. Der Knabe folgte ihr und sie führte ihn immer tiefer in den Wald hinein, und zuletzt auf ein sumpfiges Erlenmoor, darauf eine graue, unscheinbare, halbverfallene Waldhütte stand. Die Wände waren von Torfziegeln aufgeführt, und mit Moos austapeziert; das Dach war mit Schilf gedeckt. In der Waldhütte war niemand als ein hübsches junges Mädchen, welche Lieschen hieß; die Alte sagte aber nicht, ob es ihre Tochter oder ihre Enkelin sei; außerdem waren nur noch drei große [580] Kröten vorhanden, und über dem niedern Herde hing ein Kessel, darinnen eine Brühe kochte, wie Gänseschwarz, Hasenpfeffer, oder sonstiges Schwarzsauer mit Fleischknöchlein darin. Die alte setzte eine Kröte vor die Türschwelle, daß sie Wache halte, die zweite Kröte schickte sie auf den Boden, daß sie dem Knaben eine Lagerstatt bereite, und die dritte Kröte stellte sie auf den Tisch, daß sie leuchte. Diese Kröte tat ihr Bestes im Leuchten, doch wie auch ihre Äugelein im grünlichen Schimmer flammten, so brachte sie es kaum dahin, so hell zu leuchten, wie ein Glühwurm, daher auch der Haß kommt, den die Kröten gegen die Glühwürmer haben. Nun aßen die Alte und das Lieschen aus dem Kessel ihre Abendmahlzeit, und der Knabe sollte auch essen, aber er grauelte sich, denn es kam ihm vor, als ob die Knöchlein Finger und Zehen von Kindern wären. Er klagte, daß er sehr müde sei, und wurde auf sein Strohlager gewiesen, wo er bald mit dem Gedanken einschlief, am andern Morgen werde nun seine Lehrzeit in der Hexenkunst angehen, und daß es sehr hübsch sein werde, wenn das kleine Lieschen ihm darin Unterricht geben wolle. Die alte Hexe aber zischelte dem Mädchen zu: »Wieder einen gefangen! Ein hübscher Braten, morgen wecke mich recht früh, ehe die Sonne aufgeht, da wollen wir ihn schlachten und was wir nicht gleich braten, einpökeln.«

Jetzt gingen die beiden auch schlafen, aber Lieschen fand keinen Schlaf, der schöne Knabe dauerte sie gar sehr, daß er auch sterben sollte, und sie stand von ihrem Lager auf und trat an das seine, und sah, wie schön rot seine Wängelein waren, und wie blond sein gelocktes Haar, und daß seine Augen blau waren, wie Vergißmeinnicht, das hatte Lieschen nicht vergessen. Und es graute ihr vor ihr selbst, daß sie gezwungen war, der alten bösen Hexe zu dienen, die sie schon lange, als sie noch ein ganz kleines Kind war, ihren Eltern geraubt und in den tiefen Wald geschleppt hatte, und hatte das Hexenwerk lernen müssen, wie man pfeilschnell durch die Luft eilt, wie man sich unsichtbar macht, wie man sich in andere Gestalten verwandelt, und als sich nun Lieschens Herz in voller Zuneigung zu dem Knaben bewegte, so beschloß das Mädchen, ihn wo möglich zu erretten. Sie weckte ihn daher ganz leise, und flüsterte ihm zu: »Lieber Knabe, erhebe dich und folge mir! Hier wartet deiner nur der Tod.« [581] »Soll ich denn hier nicht das Hexen lernen?« fragte der Knabe, welcher Friedel hieß.

»Besser ist dir, wenn du es nimmermehr lernst; außerdem hast du noch Zeit genug dazu«, antwortete Lieschen, »jetzt säume nicht – fliehe, und ich will mit dir fliehen.«

»Mit dir gehe ich gerne, liebes Mädchen«, sprach der Knabe: »und bei der häßlichen Alten mit ihren garstigen Kröten möchte ich nicht bleiben.«

»So komm denn!« sprach Lieschen, und öffnete leise das Häuschen, und sah nach, ob die Alte schlief; die schlief noch, denn es war noch halb Nacht, und lange nicht Morgen.

Jetzt trat Lieschen mit Friedel aus dem Häuschen, und Lieschen spuckte auf die Schwelle, worauf sie beide rasch von dannen eilten. Durch das Öffnen und Wiederschließen der Türe war aber doch ein kleines Geräusch entstanden, und weil alte Leute sehr leise schlafen, so erwachte die Hexe, und rief: »Lieschen! Stehe auf! Ich glaube, es wird bald Tag.« Da rief der Speichel auf der Schwelle vermittelst eines Hexenzaubers, den Lieschen verübt: »Ich bin schon auf! Ruhe nur noch, bis ich das Hüttchen gekehrt, und Laub und Holz zum Feuer zusammengelesen habe.« – Nun blieb die Alte noch ein Weilchen liegen, während die Fliehenden unaufhaltsam von dannen eilten; jene konnte aber nicht wieder einschlafen, und rief abermals: »Lieschen, brennt das Feuer?«

Da antwortete abermals der Speichel auf der Schwelle: »Es brennt noch nicht, das Laub ist feucht – das Holz raucht – ruhe noch ein Weilchen, bis ich das Feuer angeblasen habe.«

Die Alte ruhte noch eine kurze Zeit, während die Fliehenden immer mehr sich von ihrer Hütte entfernten. Unterdes ging die Sonne auf, da fuhr die Alte, die ein wenig eingenickt war, mit beiden Beinen zugleich aus dem Bette, und schrie: »Satanskind! Die Sonne geht auf, und du hast mich nicht geweckt. Wo steckst du?«

Auf diese Frage bekam die Alte keine Antwort, denn die Sonne hatte den Speichel auf der Schwelle vertrocknet – und nun fuhr die Hexe im Hause herum, wie ein Wirbelwind. Der Knabe war fort, und Lieschen war fort, und die Hütte war nicht gefegt, es lag nicht Laub, nicht Holz auf dem Herde. Die Alte war wütend. Sie ergriff einen Besenstiel, und rannte aus dem Hause. Sie schlug mit dem Besen [582] an die Türe, da ward das Häuschen unsichtbar; sie trat auf einen Bovist, da wallte eine Wolke empor; sie setzte sich auf ihren Besenstiel, und fuhr als Wolke in die Luft. Da sah sie, nach welcher Richtung die Flüchtlinge flohen, und mit Windeseile flog die Wolke ihnen nach. Lieschen aber sah sich auf der Flucht beständig um, denn sie kannte die Künste der alten Hexe, und sprach jetzt zu Friedel: »Siehst du dort am hohen Himmel die braune Wolke? Das ist die Hexe, die uns nachfährt; wir können nicht weiter fliehen, sie wird uns bald einholen. Jetzt lasse mich meine Kunst brauchen. Ich will ein Dornstrauch werden, und dich als eine Schlehe tragen.«

Plötzlich war Lieschen ein Schlehendorn, der viele Früchte trug, und an einem Raine stand, und die unterste Beere, das war Friedel.

Die Hexe bekam auf ihrer Luftfahrt großen Durst, und als sie den Schlehendornstrauch mit den vielen Früchten sah, sprach sie zu sich selbst: die Luft ist trocken und zehrt – ich muß mich herablassen und ein paar Schlehen essen. Dieses tat sie dann, und pflückte eine Beere nach der andern, und sagte: »Sauer macht lustig.« Jetzt waren die Beeren alle verzehrt, bis auf die letzte, welches der Friedel war, und das wußte die schlimme Alte recht gut, sie krallte mehrmals darnach, aber der Dornbusch stach sie tüchtig in ihre langen, dürren Finger – aber sie kehrte sich nicht daran, sie gab sich rechte Mühe, die in Dornen ganz versteckte letzte Schlehe zu erhaschen, da fiel die Schlehe ab, und rollte den Rain hinab, und da wurde plötzlich der Dornbusch zu einem Wasser, und die Beere zu einem kleinen Entrich, alles durch Lieschens Zauberkunst, die sie von der Alten gelernt hatte. Da warf die Alte einen ihrer Pantoffel in die Luft, der wurde alsbald ein großer Raubvogel, und stieß auf den Entrich, dieser tauchte schnell unter, und sowie der Raubvogel mit seinem Schnabel das Wasser berührte, schlug dieses eine Welle, die ihn faßte und ersäufte, worauf der Entrich wieder auftauchte. Wütend schleuderte die Alte ihren zweiten Pantoffel in das Wasser, der wurde ein Krokodil, und schoß nach dem Entrich hin, ihn zu erschnappen, da flog der Entrich in die Luft, und ließ sich an einer andern Stelle wieder in das Wasser nieder; das Wasser aber, welches dem Krokodil in den Rachen drang, wurde zu Stein, da wurde das Krokodil so schwer, daß es untersank. Jetzt legte sich die alte[583] Hexe platt an den Rand des Wassers, um dasselbe wegzu trinken, denn ohne das Wasser hatte der verzauberte Entrich keinen Boden mehr. So wie er das Land berührte, mußte dieser Entrich die vorige Gestalt wieder annehmen. Nicht lange aber hatte die Alte getrunken, da verwandelte sich das Wasser in ihrem Leibe in Feuer, und da tat es einen Knall, als ob die Hölle platze. Die Hexe war zerplatzt, der Entrich war wieder der schöne Knabe, das Feuer wurde zum Lieschen, und dann blieben beide miteinander treu verbunden. Wie der Knabe das Lieschen fragte, ob es ihm das Hexen lehren wollte – lachte Lieschen und sagte: »Du kannst es ja schon, du hast ja mich behext.«

Die drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die drei Wünsche

Zu den Zeiten, als der liebe Gott bisweilen noch sichtbarlich auf Erden wandelte, um die Menschen zu prüfen, und niemand weiß, ob er dies nicht noch heute tut, kam derselbe einmal in Gestalt eines armen, alten und gebrechlichen Mannes in ein Dorf und vor das Haus eines Reichen, und bat um ein wenig Trank und Speise und um ein Nachtlager, denn der Abend war da und die Nacht nicht fern, und das Wetter war wild und stürmisch.

Da trat der Reiche spottend aus seinem stattlichen Hause, und sprach zum lieben Gott: »Dumm bist du nicht, Alter! Hast etwa auf einer hohen Schule studiert? Meinst hier sei ein Wirtshaus oder ich ein Garkoch, oder meinst, hier sei ein Spittel? Denkst etwa, hier sei eine Bettelmannsherberge? Nein, ich sage Dir, hier ist Bettelmannsumkehr. Allons marsch! Gleich packe dich vom Hofe, oder ich pfeife dem Hunde, du alter Tagedieb, du Strolch und Stromer, und untersteh dich nicht, noch einmal in meinen Hof hereinzutreten!«

Mit einem Seufzer wendete sich der Arme vom Hofe des reichen, geizigen und hartherzigen Mannes hinweg, und wankte weiter. Da rief ihn von drüben aus einem kleinen Häuslein die Stimme eines Mannes an. »Na Alterchen! wo willst denn du hin?« fragte der Häusler, voll Mitleid im Tone, und der Arme antwortete: »Ach, nach Nirgendheim! [584] Nirgend hab ich ein Heim! Aber Hunger hab ich und Durst hab ich, und müde bin ich auf den Tod!«

»So komme doch herüber, Alter, zu mir!« rief wieder der Häusler. »An dem, was dir mein Nachbar da drüben gegeben hat, wirst du doch nicht zu schwer zu tragen haben. Ich bin freilich selbst ein armer Hach, aber ein Stück Brot hab ich noch, und einen Schluck Schnaps kannst du auch haben, und einen Sack voll Waldmoos zum Nachtlager, wenn du damit zufrieden bist!«

»Ihr seid sehr gütig! Ich nehm es an, und Gott gesegnet's Euch!« sagte der liebe Gott, und schlich hinüber zu dem Häusler, und aß mit ihm, und trank mit ihm, und ruhete sich aus, und weil es noch nicht Schlafenszeit war, so setzten sich die beiden Männer vor das Haus, denn der liebe Gott hatte das wilde Wetter schnell vergehen lassen, und hatte eine klare milde Mondnacht geschaffen, und ließ das Firmament leuchten, und seine Sternenheere, die ihn ewig preisen, voll Pracht über der dunkeln Erde wandeln.

Und da saßen die beiden Männer, der alte und der junge, der liebe reiche Gott und der arme Häusler, beieinander auf der steinernen Bank vor dem Häuslein, und sprachen miteinander.

Drüben aber, im Schatten, sah der reiche Mann zum Fenster heraus, plätzte aus einer großmächtigen Tabakspfeife, und murmelte und grämelte: »Da hat der Lump, mein Nachbar, da drüben, richtig den alten Strolch aufgenommen und gibt ihm Quartier, und hat doch selbst nichts zu beißen und zu brechen. So was Dummes lebt nicht! Aber ich sage es ja immer: Gleich und gleich gesellt sich gern; gleiche Lumpen, gleiche Lappen. Eigentlich gehört sich's gar nicht, so einen hergelaufenen Landstreicher aufzunehmen, denn man weiß nicht, was hinter ihm steckt und ob nicht so ein Stromer das Dorf mit Feuer anstößt, daß dann seine Bande aus dem Walde bricht und plündert. Wie sie schwätzen, die beiden Taugenichtse! Ich will doch ein wenig zuhören.« –

»Du bist so gut und so fromm«, sprach der liebe Gott zu seinem Wirte: »Du wärest wert, daß dir geschähe, wie vor Zeiten manchem frommen Manne, daß du drei Wünsche tun dürftest zu deinem Heile und zum Heile deiner Seele. Aber du müßtest das letztere ja nicht vergessen, damit es dir nicht ergehe, wie dem Schmied von Jüterbock.«

»Und wie erging es diesem?« fragte der Häusler.

[585] »Kennst du das Märchen nicht?« fragte der liebe Gott zurück. »Zu diesem Schmiede kam der heilige Apostel Petrus geritten, und bat ihn, seinen Esel mit neuen Hufeisen zu beschlagen, dafür solle er drei Wünsche tun dürfen. Da wünschte sich der Schmied, daß seine Schnapsbulle niemals leer werden solle, ferner, daß, wer auf seinem Birnbaume sitze, darauf so lange sitzen müsse, bis der Schmied ihm abzusteigen erlaube, und daß endlich niemand ohne Erlaubnis in seine Stube kommen dürfe, außer etwa durchs Schlüsselloch. Damit gewann der Schmied zwar dem Tode ein langes Leben ab, weil er diesen überlistet, sich auf seinen Birnbaum zu setzen, und tat dem Teufel eine Drangsal an, weil dieser durch das Schlüsselloch in des Schmiedes Stube gewischt war, aber den besten Wunsch, die ewige Seligkeit, hatte der Schmied nicht getan, und nun starb er nicht, und Sankt Petrus ließ ihn nicht in den Himmel, und der Teufel fürchtete sich vor ihm, und schnappte vor ihm das Höllentor zu, und verriegelte es von innen – und nun muß der Schmied ewiglich unselig umherwandeln.«

»Ach du lieber Gott!« rief der Häusler, ohne zu wissen, wer neben ihm saß. »Das ist schlimm – das war gefehlt – da wollt ich schon gescheiter wünschen – wenn zu mir so ein heiliger Nothelfer oder Apostel käme! Selbiges wird aber nicht sein!«

»Man kann das nicht wissen«, erwiderte der Gast. »Nur muß der Mensch nicht töricht wünschen, wie jenes Ehepaar, zu dem der Engel Gottes kam, und ihm drei Wünsche bescherte.«

»Was geschahe da?« fragte der Häusler.

»Ein Mann und eine Frau«, erzählte der Gast: »lebten in großer Armut, und baten Gott Tag und Nacht, ihre Armut zu bessern, und ihnen zu helfen. Weil sie nun fromm und redlich waren, so wollte Gott ihr Flehen erhören, und sandte ihnen seinen Engel. Der Engel sprach: ›Drei Wünsche dürft ihr tun zu eurem Heile, aber es darf nicht der Wunsch nach Geld und Gut dabei sein, denn wenn euch solches beschieden und nütze und zuträglich wäre, so besäßet ihr dessen längst, so aber ist es euch nach Gottes weisem Ratschlusse versagt.‹ Der Mann aber sprach: ›Was sollen mir drei Wünsche helfen, wenn ich nicht wünschen dürfen soll, was mir zu meinem Glücke dienlich scheint? Was ist der Mensch ohne Geld? Da spricht man von ihm just wie von einem falschen Groschen: Er gilt nichts.‹ Darauf sprach der Engel: [586] ›Nun so wünsche denn in Gottes Namen, doch trage selbst die Schuld, so du dir selber Unheil wünschest.‹ Nun sprach der Mann mit seinem Weibe, wie sie beiderseits die Wünsche wohl erwägen wollten. ›Was wünschen wir?‹ fragte er das Weib. ›Was brauchen wir zunächst? Ich dächte, einen ganzen Berg von Gold, und eine dicke Mauer rund herum, daß kein Vieh darauf grast, und kein Dieb danach gräbt – oder aber lieber ein Trühelein Immervoll, daraus man stetig Geldes nehmen mag, so viel man just bedarf?‹ – ›Ich dächte‹, nahm das Weib das Wort: ›du wärest vor allen Dingen so gütig, und schenktest oder überließest einen der drei Wünsche mir, denn ich habe genug danach geseufzt und mich wund geknieet, dann kannst du dir noch immer wünschen was du willst.‹ – ›Nun wohl‹, antwortete der Mann, ›Frauen sind oft klüger als die Männer, so wünsche denn.‹

›Ich wünsche‹, sprach die Frau: ›für mich das allerschönste Kleid, wie nie ein Weib der Welt eins getragen, schöner wie das Kleid der größten Kaiserin!‹ – Kaum hatte die Frau den Wunsch ausgesprochen, so war sie angetan mit dem herrlichsten Kleide, das war überreich besetzt mit Diamanten, Perlen, Gold und Silber, daß es nur so davon starrte.

›Ist das nicht ein dummer, unüberlegter Wunsch!‹ rief voll Unwillen der Mann. ›Du konntest damitallen Frauen Gewande wünschen, da wäre tausendfacher Segen auf dein Haupt vom Himmel von den Dürftigen herabgefleht worden, so hast du nur einen Wunsch des hoffärtigen und übermütigen Eigennutzes getan!‹

›Ei daß dich!‹ schrie die Frau. ›Pfui dich an, Mann, daß du mich also schiltst! Gefalle ich dir nicht in diesem schönen Kleide, so wette ich traun, daß ich andern desto besser gefallen werde. Lauf hin, du Hans Narr!‹

›Gauklerin!‹ schrie voller Zorn der Mann. ›Daß dir doch gleich das Kleid in deinen hoffärtigen Leib fahre!‹

›Wehe mir!‹ schrie die Frau – denn im Augenblicke verschwand das Kleid, das sie bedeckt hatte, und zog in ihren Leib, und schmerzte sie, daß sie laut aufheulte, und durchs Dorf lief, und allen Bauern ihr Leid klagte, wie sie durch ihres Mannes Schuld so schrecklich leiden müsse. Darauf liefen die Bauern in hellen Haufen zu dem Manne und riefen ihm drohend zu, er solle seinem Weibe von ihrem Weh helfen, oder sie wollten ihn gleich erwürgen. Und da zuckten sie schon ihre Messer und Schwerter gegen ihn.

[587] Wie der Mann solchen großen und grimmigen Bauernzorn sah, und sahe wie sein Weib litt, da sprach er: ›Ich wünsche in Gottes Namen, daß sie ihrer Schmerzen wieder ledig werde.‹

Darob wurde das Weib heilfroh, und all ihr Schmerz war hinweg, denn der dritte Wunsch war nun getan, aber das Kleid kam nicht wieder zum Vorschein, und nun hatte der Mann keine gute Stunde mehr auf Erden, und war der Spott aller Welt, und starb bald genug vor Gram und Kummer. Darum merket wohl, mein werter Gastfreund, wenn Ihr Wünsche tut, daß Ihr nicht auf den Wegen der Toren wandelt.«

»Und welche Wege meinst du?« fragte wieder der Häusler.

»Der Toren Sitte«, sprach des Häuslers Gast: »ist Unrechtes begehren, Unrechtes trachten und nach dem Verluste Unrechtes klagen. Die Toren sind dreierlei Schlages. Toren, die nichts wissen und nichts können; Toren, die nichts wissen wollen, die wissen und können verachten, und Toren, die wissen und können, und dennoch nicht das tun, was das Rechte ist, das sie doch einsehen sollten, und ihre Seele bewahren.«

»Nun denn, dürfte ich wünschen«, sagte der Häusler: »so wünschte ich mir vorerst und vor allen andern Schätzen die ewige Seligkeit; hernach Gesundheit und Zufriedenheit bis zu meinem Tode, und dann – wenn es nicht gegen Gottes Willen wäre, möchte ich wünschen, daß mein den Einsturz drohendes Häuslein wieder in guten Stand gesetzt wäre.«

»Diese Eure Wünsche sind Gott genehm« – sagte der Gast, »und ich will Euch den Hauptwunsch dazu tun, daß sie alle drei in Erfüllung gehen!«

Nach diesem guten Gespräche verließen die beiden Männer, der arme Alte und der arme Häusler, ihren Steinsitz und gingen in die Hütte, sprachen ihr Nachtgebet, und legten sich zur Ruhe nieder.

Der Reiche drüben hatte jedes Wort gehört das jene sprachen, und machte seine Glossen darüber. »Man sollte nicht meinen«, brummelte er vor sich hin: »daß so ein alter Mann noch so kindisches Zeug auf die Bahn bringen könnte, so läppischen Märchen-Schnickschnack – aber freilich, das Alter macht kindisch und Alter schützt nicht vor Torheit. O ihr Wün schelnarren!« –

[588] Soeben wollte der Reiche sich nun auch zur Ruhe begeben, als er wahrnahm, daß ein eigentümlicher Lichtschimmer das Häuschen des Armen umfloß, während alle andern Häuser dunkel da lagen, und doch war es kein Feuerschein, auch nicht Wirkung des Mondlichtes, sondern ein reines Ätherlicht – dann schienen auch lichte Gestalten um das Häuschen zu schweben, und deren wurden mehr und mehr, die bewegten sich wundersam, ab und auf, als ob sie auf unsichtbaren Leitern schwebten; sie glitten um das Dach und um die Wände, und dabei war alles feierlich und tief still.

Dem Reichen gruselte es – er meinte, es seien Gespenster, schlug sein Kreuz und suchte sein Lager, aber er konnte fast die ganze Nacht nicht schlafen, und am frühen Morgen, als kaum der Tag graute, war er von einer innern Unruhe getrieben, schon wieder am Fenster – da sah er just den armen Alten an seinem Hause vorübergehen, der sich mithin früh aufgemacht hatte.

»Hm!« murmelte der Reiche: »der ist bald auf den Beinen, das hat sicher einen Haken. Und er trägt einen Sack – gestern trug er keinen. Der hat gewiß da drüben etwas mitgehen heißen, und ist durchgebrannt, derweil der Nachbar noch schläft. Geschieht dem Nachbar schon recht! Was geht es mich an?« –

Unter dieser Betrachtung wurde es draußen heller, des Reichen Weib war auch aufgestanden, und sah aus dem Fenster nach dem Wetter, der Nebel verzog sich, und beide trauten ihren Augen nicht, als sie gegenüber ein ganz stattliches neues Bauernhaus stehen sahen, das zwar noch die Gestalt des alten hatte, aber in allen Teilen größer und schöner war.

»Träum ich denn oder wach ich?« fragte der Reiche. »Ist denn wirklich der Wunsch in Erfüllung gegangen – wer war denn der Alte? Hilf Himmel! Sicherlich Sankt Petrus, oder gar der liebe Gott selbst. Dummkopf, der ich war, ihn gestern so schnöde abzuweisen.«

»Ja wohl, Dummkopf!« rief die Frau. »Spute dich, reite nach, bitte ihm ab, gib ihm gute Worte. O Himmel, wie ist doch unsereins übel daran, wenn man so einen dummen Mann hat!« –

»Holla! Knecht! Pferd satteln! Ausreiten!« rief der Reiche stürmisch, steckte Geld zu sich und Eßwaren, und galoppierte durchs Dorf, die Straße entlang – und bald genug [589] holte er den Alten ein, tat aber nicht, als habe er ihn gestern gesehen.

Gar freundlich rief er vom Pferde herunter: »Grüß Gott, Alter! Wie geht's? Ist das Leben noch frisch? Wo hinaus denn so früh? Was trägst du denn da im Sack?«

»Dank dem Gruß! Nach Gottwalte!« antwortete der Wanderer.

»Bist wohl ein recht armer Schlucker! Da hast du ein Geld!«

»Danke! Danke!« –

»Aber was du im Sacke trägst, möcht ich wissen!« –

»Ach« – schien der Alte zu scherzen: »Es ist ein Sorgenbürdlein, lieber Herr, hab's einem armen Schlucker abgenommen.«

»So, so!« lachte der Reiter. »Ich will nicht wissen, was darin ist – ich wünschte bloß –«

»Aha! Ihr seid auch ein Wunschfreund« – unterbrach der arme Alte. »Das trifft sich gut – ich trage in diesem Sacke just drei Wünsche, die sich dem erfüllen, der sie tut. Er muß aber den Sack dazu nehmen.«

»Gib her! Gib her!« rief habgierig der reiche Mann, und langte nach dem Sacke. »Da – hast du auch ein Stück Brot und eine ganze Wurst! Du siehst, daß ich nicht geizig bin, wie mich meine Feinde und Neider ausschreien. Ich bin ein rechtlicher Mann, der auf Ordnung sieht und das Seinige zu Rate hält, aber ich gebe gerne den Armen, die der Gaben würdig sind. Allen kann man freilich nicht helfen.«

»Allen? – nein, das ist bei Gott unmöglich!« sagte der Alte.

»Ich habe doch immer sagen hören«, widersprach der Reiche, der den Sack bereits in der Hand hatte: »bei Gott sei kein Ding unmöglich, und sein Wille sei es, daß allen geholfen werde?« –

»O mein lieber Herr« – erwiderte der Arme: »das ist geistlich zu verstehen, nicht weltlich!«

Der Reiche wendete sein Roß, und sprengte wieder heimwärts. Der Kopf war ihm voller Wünschegedanken, es ging ihm darin herum, wie Windmühlenflügel. Was sollte er nur alles wünschen? Geld brauchte er eigentlich nicht, das hatte er vollauf, folglich gutes Leben die Fülle, gesund war er ebenfalls und zufrieden – ach Zufriedenheit sich zu wünschen, deuchte ihm nicht der Mühe wert, denn der Mensch [590] ist doch nie zufrieden – dachte er, und ritt immer hastig darauf los, und spornte das Pferd, das schon keuchte, und jetzt stolperte es, daß es beinahe seinen Reiter abgeworfen hätte.

»Ei so wollt ich, daß du den Hals brächst! Aas vermaledeites!« rief zornig der reiche Mann – und o weh, da knickte das Roß zusammen, stürzte und brach den Hals. Ein Wunsch war dahin, und der Reiche war wütend. Er schnallte von dem toten Tiere Sattel und Zeug los, und trug das eine Strecke, aber gar nicht weit, da ward es ihm zu schwer, und wurde ihm furchtbar heiß, und da wünschte er wieder:

Wenn nur das verdammte Gepäck daheim wär, und mein Weib, die mir diesen Ritt geraten, auf dem Sattel säße!

Zwei Wünsche waren dahin, der Sattel und Zaum nebst Gebiß und Steigbügel und Schabracke – alles war fort – und der Geizige atmete freier; ein Glück, daß er nicht noch einmal wünschte, und daß seine Frau kein Wünschelweiblein war, denn daheim saß sein Weib fest im Sattel, und hatte die Reitpeitsche in der Hand, wußte nicht wie ihr geschah und wünschte ihren Mann, seinen Gaul und sein Sattelzeug alles zum bösen Voland.

Wollte der Reiche wohl oder übel, so mußte er sein Weib wieder frei und ledig wünschen, da war auch der dritte Wunsch dahin.

Des Nachbars nagelneues Haus drüben stand hell glänzend im Sonnenschein, und war das schönste des Dorfes.

Neugierig öffnete der Reiche den Sack – hätte er nur das nicht getan. Im Sacke stak – des NachbarsArmut, die kam jetzt über ihn, wie ein gewappneter Mann.

Die KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die Kuhhirten

Einst ging ein Wanderer über eine Wiese. Da hörte er von weitem im Geröhrig einen seltsamen dumpfen Ruf, der oft hintereinander ausgestoßen wurde, als ob ein Rind brülle, und konnte sich gar nicht erklären, von wem das Getöne herrühre und was es zu bedeuten habe? Nach einer Weile kam der Wanderer zu zwei alten Kuhhirten, die hüteten nachbarlich ihre Herden auf der weiten Wiese. Diese fragte der Wanderer, was das Tönen bedeute?

[591] Da antwortete der eine alte Kuhhirt: »Ich will es Euch sagen. Was dort im Schilfe so schreit, das ist der Rohrtumb, auch Rohrtrummel genannt.«

»Oh, er hat gar viele Namen«, setzte der andere alte Kuhhirte hinzu. »Er heißt auch Ur-Rind, Moor-Rind, und Mooskuh. Vor Zeiten ist selber Brüller ein Hirtenknecht gewesen, aber ein schrecklich fauler, deshalb ist er in einen Vogel verwandelt worden, und das ärgert ihn so sehr, daß er immerfort brüllt, absonderlich des Nachts, da stößt er seinen Schnabel in das Wasser, und brüllt wie ein Stier, daß man es eine Stunde weit hören kann, damit zeigt er Regen an.«

»Selt ist richtig« – nahm wieder der erste Kuhhirte das Wort: »aber mit dem Knecht wird es anders erzählt. Es waren der Kuhhirten zwei, wie unserer auch zwei sind, sie waren aber nicht alle zwei beide beisammen. Der eine hütete seine Kühe auf den grünen fetten Wiesen im Tale, der andere aber auf einem hohen und dürren Berge. Daher wurden die Kühe des ersteren auf den blumigen Wiesen sehr munter und mutig und gaben viele Milch – die Kühe des Hirten auf dem Berge aber, wo der Herr zwar Gras wachsen läßt, das aber auch danach ist – wie jener Schulmeister in der Kollekte sang – und wo der Wind mehr mit dem Sande als mit Blumen spielt, die wurden sehr matt und sehr mager, und gaben wenig und nur himmelblaue Milch, wie sie mehr blauen Himmel, als grünes Gras sahen.

Eines Abends, als beide Kuhhirten nach Hause treiben wollten, da hatten die muntern und mutigen Kühe auf der fetten Wiese keine Lust nach Hause, und war unter ihnen eine bunte Kuh, die lief in entgegengesetzter Richtung davon, und die andern Kühe alle folgten ihr, da schrie der Kuhhirte, so laut er schreien konnte: ›Bunte h'rum! Bunte h'rum!‹ aber es half ihm all sein Schreien nichts. Die magern Kühe des Hirten droben auf dem Berge hingegen, die hatten sich vor Hunger und Ermattung hingelegt, und mochten nicht aufstehen, oder vermochten's zuletzt auch nicht, da schrie der Kuhhirte aus Leibeskräften: ›Up! up! up! up!‹ meinte damit, sie sollten aufstehen, standen aber doch nicht auf, dieweil sie nicht konnten, und nun schrien die Hirten drunten und droben um die Wette, der eine ›Bunte h'rum, Bunte h'rum‹ – der andere ›up! up! upl!‹ und Nacht und Tag und Tag und Nacht, bis ihnen der Odem ausging und die Seele aus dem Halse fuhr, und da sind sie beide zu Vögeln [592] geworden, der Wiesenhirte zum Rohrtumb, und der Berghirte zum Wiedehopf, und schreien nun noch immer so fort.«

So erzählte der Kuhhirte dem Wanderer, und der wußte nun, was das Gebuller im Geröhrig zu bedeuten habe, und wenn er von einem Berge herab den Ruf up! up! up! vernahm, da wußte er auch, was das für ein Vogel war, der also schrie, nämlich der ohnehin verrufene Kuckuckslakai und Kuckucksküster, der Vogel Wiedehopf.

Das UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das Unentbehrlichste

Vor Zeiten hat einmal ein König gelebt, der hatte drei gute und schöne Töchter, die er sehr liebte und von denen er auch herzlich wieder geliebt wurde. Prinzen hatte er nicht, aber es war in seinem Reiche herkömmlich, daß die Thronfolge auch auf Frauen und Töchter überging, und da des Königs Gemahlin nicht mehr am Leben war, so stand dem Könige frei, eine seiner drei Prinzessinnen zu seiner Nachfolgerin auf dem Throne zu bestimmen, und es brauchte gerade nicht die älteste zu sein. Da aber nun derselbe König seine Töchter alle drei gleich liebte, so fiel ihm die Entscheidung schwer, und er ging mit sich zu Rate, diejenige zu wählen, die den meisten Scharfsinn offenbare. Diesen Entschluß teilte er seinen drei Töchtern mit und bestimmte seinen nahe bevorstehenden Geburtstag zur Entscheidung. Die sollte Königin werden, welche ihm »das Unentbehrlichste« bringen werde.

Jede der Prinzessinnen sann nun darüber nach, was wohl das Unentbehrlichste sei? und als der Geburtstag da war, nahete zuerst die älteste, brachte ein feines purpurnes Gewand getragen, und sprach: »Gott der Herr läßt den Menschen nackend in die Welt treten, aber er hat ihnen das Paradies verschlossen, darum ist ihm Gewand und Kleidung unentbehrlich.«

Die zweite Tochter brachte auf einem goldenen gefüllten Becher liegend ein frisches Brot, das sie selbst gebacken und sprach: »Das Unentbehrlichste ist dem staubgeborenen Menschen Trank und Speise, denn ohne diese vermag er nicht [593] zu leben, darum schuf Gott Früchte des Feldes, Obst und Beeren und Weintrauben und lehrte die Menschen Brot und Wein zu bereiten, die heiligen Symbole seiner Liebe.«

Die jüngste Tochter brachte auf einem hölzernen Tellerchen ein Häufchen Salz dar, und sprach: »Als das Unentbehrlichste mein Vater, erachte ich das Salz und das Holz. Darum haben schon alte Völker den Bäumen göttliche Ehre erwiesen und das Salz heilig gehalten.«

Der König war über diese Gaben sehr erstaunt, und nachdenklich, und dann sprach er: »Am unentbehrlichsten ist dem Könige der Purpur, denn hat er den, so hat er alles übrige, geht er seiner verlustig, so ist er König gewesen, und ist gemein, gleich andern Menschenkindern. Darum daß du das erkannt, meine älteste geliebte Tochter, soll dich nach mir der königliche Purpur schmücken; komm an mein Herz, empfange meinen Dank und meinen Segen!«

Als der König nun seine älteste Tochter geküßt und gesegnet, sprach er zu der zweitältesten: »Essen und trinken ist nicht allerwege notwendig, mein gutes Kind, und es zieht uns allzusehr in das Gemeine herab. Es zeigt gleichsam die mittelmäßige Menge an, den großen Haufen. Gefällst du dir darin, so kann ich es nicht hindern, wie ich dir auch nicht danken kann für deine übel gewählte Gabe, doch für den guten Willen sollst du gesegnet sein.« Und der König segnete seine Tochter, aber er küßte sie nicht.

Dann wandte er sich der dritten Prinzessin zu, die bleich und zitternd stand, und ahnete, nach dem was sie gesehen und gehört, was kommen werde.

»Du hast wohl Salz auf deinem hölzernen Teller, meine Tochter«, sprach der König: »aber im Gehirn hast du keins, lebst aber doch, und folglich ist das Salz nicht unentbehrlich. Salz braucht man nicht. Du zeigst mir Bauernsinn mit deinem Salze an, nicht Königssinn, und am steifen hölzernen Wesen habe ich kein Wohlgefallen. Darum kann ich dir nicht danken und dich nicht segnen. Gehe von mir, so weit dich deine Füße tragen, gehe zu den dummen und rohen Völkern, welche anstatt den lebendigen Gott, alte Holzklötze und Baumstöcke anbeten, und das verächtliche Salz für heilig halten!« –

Da wandte sich die jüngste Königstochter weinend ab dem harten Vater und ging hinweg vom Hofe, und aus der Königsstadt, weit, weit hinweg, so weit sie ihre Füße trugen.

[594] Und kam an ein Gasthaus, und bot sich der Wirtin an, ihr zu dienen, und die Wirtin ward gerührt von ihrer Demut, Unschuld, Jugend und Schönheit, und nahm sie als eine Magd in das Haus. Und als die Königstochter sich sehr anstellig erwies in allen häuslichen Geschäften, so sagte die Wirtin: »Es ist schade um das Mädchen, wenn es nichts Ordentliches lernt, ich will ihr das Kochen lehren.« – Und da lernte die Königstochter das Kochen und begriff es sehr leicht, und kochte bald manches Gericht noch besser und noch schmackhafter, als ihre Lehrmeisterin selbst. Darob bekam das Wirtshaus vielen Zuschlag, bloß weil darin so vortrefflich gekocht wurde, und der Ruf der guten Köchin, die noch dazu so jung und so schön sei, ging durch das ganze Land.

Nun trug sich's zu, daß die älteste Prinzessin Tochter des Vaters dieser Köchin sich vermählte und eine königliche Hochzeit ausgerichtet werden sollte, da wurde man Rates, die weit berufene Köchin an den Hof zu berufen, daß sie mit ihrer Kunst dem Feste die Krone aufsetze, denn die Herren am königlichen Hofe, Marschälle, Erbschenken, Erbtruchsesse, Zeremonienmeister, Kammerherren und sonstige Exzellenzen teilten sämtlich nicht jene Ansicht, die einst ihr allergnädigster Herr, der König, ausgesprochen hatte, daß essen und trinken nicht allerweg notwendig sei, und daß es in das Gemeine herabziehe, vielmehr lobten sich alle gute Schmäuse neben feinen Weinen, und huldigten, im stillen mindestens, dem alten wahren Sprichworte:

Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen.

Das Hochzeitmahl war köstlich bereitet, auch fehlte dabei nicht das Lieblingsgericht des Königes, welches der Erbtruchseß ganz besonders bestellt hatte, und als das Mahl gehalten ward, kam eine Speise nach der andern auf den Tisch, und wurde hoch belobt.

Endlich kam auch die Leibspeise des Königes, und ward ihm zuerst dargeboten. Aber als er sie kostete, fand er sie völlig unschmackhaft, seine heiteren Mienen verfinsterten sich, und er sprach zum hinter seinem goldenen Armstuhle stehenden ersten Kämmerlinge: »Dieses Gericht ist ganz verdorben! Das ist sehr – fatal, lasse die Schüssel nicht weiter geben, und rufe mir die Köchin herein!« –

Die Köchin trat in den prachtvollen Saal, und der König redete sie unwillig an: »Du hast mir mein Lieblingsgericht [595] verdorben, meine Freude hast du mir versalzen, weil du meine Leibspeise ganz und gar nicht gesalzen hast!« –

Da fiel die Köchin dem Könige zu Füßen, und sprach demütig: »Übet Gnade Majestät, mein königlicher Herr und verzeihet mir! Wie hätt ich wagen dürfen, Euch Salz unter die Speise zu mischen? Hab ich doch vordessen aus eines hohen Königes höchsteigenem Munde die Worte vernommen: Salz braucht man nicht, Salz ist nicht unentbehrlich! Salz zeigt nur Bauernsinn an, nicht Königssinn!« –

In diesen Worten erkannte der König beschämt seine eigenen, und in der Köchin seine Tochter, und hob sie vom Boden auf, darauf sie kniete und zog sie an sein Herz. Allen Hochzeitgästen erzählte er die Mär, und ließ die jüngste Tochter wieder an seiner Seite sitzen. Und die Hochzeit wurde nun erst recht fröhlich begangen, und der König war wieder ganz glücklich in seiner Töchter Liebe.

Das Salz ist heilig.

Der FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der Fischkönig

Alle Kinder kennen das Märchen, wie die Vögel sich einen aus ihrer Mitte zum Könige wählen wollten, wie der König sein sollte, der am höchsten fliegen könne, und wie darauf der Reiher am höchsten flog, aber der kleine Schalk, der Zaunschlüpfer, sich dem Reiher auf den Rücken gesetzt hatte, und als derselbe, der am höchsten flog, nicht höher fliegen konnte, sich das Zaunschlüpferlein erst auf eigenen Flügeln aufschwang und sich selbst zum Könige ausrief:

»König bin ich! König bin ich!«

Auch wie das die großen Vögel alle sehr verdrossen hat, und wollten ihn wieder herunter haben, und sagten, der solle König sein, welcher am tiefsten falle, der Zaunschlüpfer nun herab und in ein Mausloch fiel, und heraus piepte: »König bin ich! König bin ich!« – und die Vögel ihn hernach nur spottweiseZaunkönig riefen.

Auch die kluge Königswahl der Frösche ist allbekannt, ebenso, daß der Löwe der König der vierfüßigen Tiere ist, und daß Bienen und Ameisen Königinnen haben.

Aber das die Fische auch einmal auf die Gedanken einer [596] Königswahl gekommen sind, das ist weniger bekannt, und das kommt hauptsächlich daher, daß die Fische, mindestens für das Menschenohr, stumm sind, und keinen Lärmen verführen und kein unnützes Geschwätze auf die Bahn bringen, wenn sie Kaiser oder Könige wählen.

Die Fische waren alle versammelt, und riefen in ihrer Sprache: »Wenn wir uns in der belebten Welt umsehen, so erblicken wir rechts und links, daß alles seinen König hat, und regiert wird, Tiere und Vögel, Insekten und Amphibien. Nur wir haben noch keinen Regenten! Lasset uns daher einen wählen, der Recht bei uns spricht, und dem Schwachen hilft gegen die Starken, und lasset uns den wählen, welcher der schnellste und gewandteste Schwimmer ist.

Wer allen andern voran ist, der hat das natürliche Recht, unser König nicht nur zu heißen, sondern auch zu sein.«

Dieser Vorschlag gefiel den meisten Fischen, fast alle stimmten ihm bei, wer am schnellsten schwimme, solle König der Fische heißen und sein. Das Ziel wurde bestimmt, und das Volk bildete eine lange Gasse, um die Wettschwimmer an sich vorüber zu lassen, wobei die Schwert- und Sägefische eilig auf-und abschwammen, und Ordnung hielten; wer sich zu weit vordrängte, bekam mit der flachen Klinge eins auf das Maul.

Die fliegenden Fische schnellten sich in die Luft empor, um dem Königsrennen aus der Vogelperspektive zuzusehen, plumpten aber immer wieder in das Wasser. Die geharnischten Messerfische stellten sich in Parade auf, um dem Sieger ein Vivat auszubringen, und ihm zu huldigen, wozu ein starkes Chor Knurrhähne oder gepanzerte Gropfische Tusch knurren wollte. Die Sternseher, auch eine Fischart, prophezeiheten, daß aus der Königswahl, wie bei so mancher in der Menschenwelt, nichts Gescheites herauskommen werde; die Rüsselfische und Murmelbrassen hielten sich abseits, und waren der Meinung, ein König sei ganz unnötig, und sie müßten von vorn herein seine Regierunsgweise äußerst mißbilligen, er möge regieren, wie er wolle. Die kleinen Stichlinge endlich machten schlechte Witze über alle Parteien, und parodierten unter sich die Schnellschwimmerei mit großem Humor.

Jetzt gab ein alter Zitterrochen durch einen Schlag seines elektrischen Schwanzes das allen zugleich fühlbar werdende Zeichen des Rennens, und da schossen nun die Fische hin, [597] Hecht und Schleie, Barsch und Karpfen, Lachs und Steinbutte, Scholle und Neunauge, alles durcheinander – die Scholle blieb zuerst hinter den andern zurück, und sagte:

»Was plag ich mich? Langsam kommt man auch weit.« – Allen voran war der Hecht, der schoß zu, wie ein Pfeil, plötzlich rief neben ihm eine spöttische Stimme: »Eile mit Weile, guter Hecht!« und wie der Blitz fuhr ein kleiner Fisch an ihm vorüber – und kam als der erste an das Königsziel.

Jetzt schrie alles: »Der Häring ist vor! Der Häring ist vor! Vivat hoch, der Häring soll leben! Vivat!«

Da präsentierten die Messerfische das Gewehr, und die Knurrhähne pullerten einen Parademarsch.

Das war eine Freude unter dem Fischvolke, aber die Scholle, die ganz langsam hinter dem Zuge drein schwamm, hörte nicht ganz deutlich, wen man so weit vorn als Sieger und König ausrief, und fragte einen Flunder, der ihr im Langsamschwimmen Gesellschaft leistete: »Was schreien sie? – Wer ist vor?«

»›Der Häring ist vor‹, schreien sie!« rief die Hellbütte oder der Flunder der Scholle etwas laut ins Ohr, worauf diese erwiderte, indem sie aus lauter Ärger und Mißgunst ein schiefes Maul zog: »Na, schreie man nicht so, ich höre ja! – Der nackte Häring also? Der Lump, der nackte Häring!« – Von dieser Zeit an steht der Scholle das Maul immer schief.

Aber die Sternseher hatten recht gehabt: dem neuen Könige wurde das Regiment sehr schwer gemacht; und er vermochte sich nicht so recht zu behaupten; es gibt gar zu viele Königsfresser.

Die Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die Schlange mit dem goldnen Schlüssel

In einem Dorfe diente eine ehrliche Magd, die wartete gar fleißig und getreulich ihres Viehes; im Stalle aber, darin die Kühe ihres Herrn standen, wohnte eine Unke, so heißen in manchen Orten die Schlangen oder Nattern. Manche Leute glauben, sie saugten Milch von den Kühen, und töten sie, andere aber halten sie hehr, und glauben, daß sie Glück und Segen bringen, wenigstens dem Vieh.

[598] Eines Tages kam die Schlange gekrochen, und hub an zu sprechen: »Maid, du bist fromm und gut, und rein von groben Sünden. Du kannst mich erlösen, und tust du das, so wirst du sehr glücklich, und ich werde es auch.«

»Wie kann und soll ich dich erlösen?« fragte die Magd.

»Wenn du nach drei Tagen wieder in den Stall kommst«, antwortete die Schlange, »so wirst du mich sehr lang gewachsen finden, und da mußt du dich nicht vor mir graueln, vielmehr dich bücken, daß ich mich dir dreimal um den Hals schlingen kann, und ich werde dir ein goldnes Schlüsselchen in den Mund legen, das muß du fest halten mit den Lippen, und mich darfst du nicht abzuschütteln versuchen, sonst wäre es gefehlt, dann hätte ich umsonst gehofft.«

Alles geschahe so, wie die Schlange gesagt hatte, aber leider auch das letzte. Am dritten Tage kam die Maid in den Stall, da war die Unke greulich groß und lang, kroch der Magd zweimal um den Hals und war so schwer und eiskalt, und so ekelig – da grauelte es der Dirne, die doch erst Mut gezeigt hatte, fürchterlich – und sie schrie laut auf und schüttelte die Schlange, die ein goldenes Schlüsselchen im Maule hatte, von sich ab. Dieser entfiel alsbald das goldene Schlüsselchen und sie sprach: »Unselige! Um meine Erlösung hast du mich, um dein Glück hast du dich gebracht. Ich muß nun wieder hundert Jahre als Unke im Stalle wohnen, und die dir beschert gewesenen großen Schätze, die ich hüte, sind dir verloren.« – Traurig verkroch sich die Schlange, und die zaghafte Dirne weinte.

Die goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die goldene Schäferei

Es war einmal eine schöne Jungfrau, Ilsa geheißen, eines rauhen Ritters einzige Tochter, die liebte den Wald mit seinem Vogelsang, seinen Blumendüften und Quellenrieseln, und lustwandelte nur zu gerne mit ihrer alten Amme, der einzigen Pflegerin ihrer Jugend, da Ilsas Mutter früh gestorben war, oder auch allein, denn es drohte ihr keine Gefahr, und sie fürchtete keine, weil sie nicht wußte, was Gefahr ist. Eines Tages erging sich Ilsa nun auch ganz allein im grünen Haine, der um ihres Vaters Burg sich zog, und [599] in welchem uralte Bäume, malerische Felsen geschmückt mit hohen Fahrenkrautstengeln und seltenen Pflanzen und Blumen gar anmutig wechselten; da gelangte die jugendliche Maid an eine Felsengrotte, welche ihr neu war, indem sie sich nicht erinnern konnte, dieselbe schon früher einmal gesehen zu haben, oder ihr nahe gekommen zu sein. Aus dem Innern dieser Grotte klang ein melodisches Summen, wie von Windharfen, und dieses lockte Ilsa, immer weiter nach hinten in den trockenen Höhlengang hinein zu schreiten, der freilich immer enger und enger wurde, und folglich auch immer dunkler. Doch just da, wo der Grottengang am engsten und düstersten war, zeigte sich durch eine Spalte hindurch eine sanfte Helle, und manches funkelnde Licht, und Ilsa widerstand nicht dem Drange, diesem Schimmer nachzugehen – sie zwängte sich durch die Felsenspalte hindurch und sah sich mit Staunen plötzlich in einer ganz andern Welt. Die Töne schwollen und rauschten mächtiger an ihr Ohr, der Schimmer wurde klarer, Blumenglanz leuchtete auf, aber alle Blumen waren von funkelnden Edelsteinen, und von andern grünen Steinen in mannigfaltiger Schattierung, waren die Blätter. Kleine, höchstens zwei Fuß hohe Wesen, wimmelten auf einer Wiese, ein zahlloses Völklein, und bald sah sich Ilsa von einer Schar derselben umringt und willkommen geheißen, denn zutraulich, vielleicht zudringlich sogar naheten ihr die kleinen Geschöpfe.

»Wer seid ihr?« fragte Ilsa voller Verwunderung. »Nie sah ich, nie hörte ich von euch!«

»Wir sind das Bergvolk, die Heimchen!« antwortete eines der niedlichen Wesen mit feinem schrillenden Stimmchen, das in der Tat dem Laute einer Grille glich. »Daß du uns nicht kennst, laß dich nicht wundern. Nicht jeden Tag sind unsere Grotten aufgetan, nicht einmal zu jeder Stunde des Tages, an welchem ein Menschenauge sie zu erblicken vermag.«

»Nie hörte ich von einem Bergvolke, nie von Heimchen«, sprach Ilsa, die wie von einem Traume befangen stand.

»Lerne uns kennen, und du wirst uns lieben!« versetzte der Sprecher dieser Unterirdischen. »Und liebst du uns, so wirst du eine der unsern werden, vielleicht unsere Königin!«

»Königin!« wie dies Wort durch Ilsas junges Mädchenherz zuckte. Von Königinnen hatte Ilsa wohl gehört auf der Burg ihres Vaters, daß sie sehr reich und meist auch sehr [600] schön seien, daß ihnen alles diene und gehorche, ja davon hatte ihr die Amme viel erzählt. Warum hätte Ilsa nicht auch eine Königin werden sollen oder können? – Daher ließ sie sich willig leiten von ihren niedlichen neckischen neuen Bekannten, und durchwandelte mit ihnen das unterirdische Reich, das mit allem Zauber sie umgab, mit aller Prachtfülle sie blendete, durch melodische Töne ihre Seele mit Entzücken füllte. Dazu das leise Gemurmel rollender Bäche, das ferne Rauschen von Wasserfällen, deren Flut nach dem Lichte der Oberwelt hindrängte, die milde Dämmerung, heller als Mondlicht und doch nicht so hell wie Sonnenlicht, alles befing Ilsas Sinne, die ja noch halb ein Kind war, und die Freundlichkeit der Heimchen, mit denen sich so allerliebst spielen ließ, wie Ilsa glaubte, alles erregte ihr den Wunsch, immerdar in diesem unterirdischen Reiche zu bleiben, denn nach oben zog sie keine Liebe. Ihr Vater war ein rauher und finsterer Ritter, der sich niemals sonderlich um sie bekümmert hatte, und ihre Amme war alt und konnte sterben, dann hätte Ilsa ihre Tage ganz allein und freudenlos auf der einsamen, von den Menschen gemiedenen Burg ihres Vaters vertrauern müssen.

Und zu diesen Gedanken gesellte sich noch der Heimchen verlockendes Wispern und Flüstern: »Bleibe bei uns, so alterst du nimmer! Immerdar blühst du im Jugendschimmer. Jeder Tag wird dir zum neuen Feste! – Was du dir wünschest – dein wird das beste!« –

So bestrickt und hingerissen erblickte Ilsa jetzt eine Herde Schafe, die freilich nicht größer wie Lämmer waren, aber jedes derselben trug ein goldenes Vließ, und auch der kleine muntere Hund, der diese Herde umsprang, hatte Goldhaar. Einen Schäfer erblickte Ilsa nicht, wohl aber lag ein goldener Schäferstab am Boden.

Und da regte sich in Ilsa der Wunsch, diese Herde zu hüten, und sie dachte, da kannst du ja die Heimchen sogleich auf eine Probe stellen, und sprach: »Wenn ich nun bei euch bliebe, ihr guten Heimchen, und wünschte, daß diese goldene Herde mein sei, und ich selbst sie hüten dürfte – würdet ihr das mir wohl gewähren und erfüllen?«

Da scholl es: »ja, ja!« von vielen hundert zarten Stimmchen, und nur das bedingten die Heimchen, daß Ilsa mit keinem Schritte wieder die Oberwelt betrete, und der goldenen Schäferei mit Sorgfalt vorstehe, auf daß keines der [601] unschätzbaren Schäflein verloren gehe. Dann übergaben sie ihr den goldenen Hirtenstab, schmückten ihn mit silbernen Bändern, und hießen sie mit lautem Jubel als nunmehr die ihrige willkommen.

Ilsa nahm nun in dem Reiche ihrer unterirdischen Unschuldwelt nichts mehr wahr von den vorübergleitenden Tagen, Monden und Jahren auf der Oberwelt, von der Jahreszeiten Wechsel und der Geschicke mächtiger Wandlung, welche die Herzen der Menschen bewegen. Droben war sie vermißt, verloren geglaubt, betrauert und dann vergessen worden – ihre Amme war gestorben, ihr Vater war in einer Fehde gefallen, seine Feinde hatten seine Burg verheert und zerstört; diese letztere starrte nur noch als eine einsame Trümmer empor auf dem Bergesscheitel, den der Hain umgrünte, aber längst nicht mehr der alte Hain; dessen Bäume waren alle abgeschlagen worden und jetzt grünte ein neuer Wald, und doch auch schon mit ziemlich starken Stämmen. Ilsa hütete immer noch ihre goldene Herde, spielte mit den kindlichen Heimchen, lernte von ihnen viel Heimliches aus der Natur und dem unterirdischen Reiche, und die Erinnerung an eine andere Welt, in der sie früher gelebt, war ihr wie ein Traum. Dennoch entschlief nicht diese Erinnerung, vielmehr begann sie mächtiger zu erwachen – zur Sehnsucht zu werden. Ilsa hatte allmählich wahrgenommen, daß dieses und jenes Heimchen auf der Oberwelt sich zu tun gemacht, während man ihr den Verkehr mit jener streng untersagt hatte – und allmählich gelangte sie dahin, Betrachtungen anzustellen, die ihr das bisher genossene harmlose Glück zerstörten.

Was nützt mich meine Herde? dachte Ilsa. Ich hüte sie, aber sie ist doch nicht mein; ich kann nichts mit ihr beginnen. Eine Königin des Heimchenvolkes sollte ich werden, so wurde mir vorgespiegelt, und das schroffe Gegenteil einer solchen bin ich geworden, eine arme Hirtin. Alles drängt nach oben, zum schönen herrlichen Sonnenlicht! Die Wurzeln sammeln nur Kraft im Erdenschoße, um diese hinaufzudrängen und zu treiben bis in der Bäume höchste Wipfelkronen. Die Quellen, die unterirdischen Wasser, nach außen hin drängen sie alle, brechen sie sich Bahn mit Ungestüm. Wo ist der blaue Himmel hin, den einst ich sah? Wo ist das Fächeln der Frühlingsluft? Wo ist der Kirchenglocken feierlicher Klang? Die Heimchen haben keinen Gott, keine [602] Kirche und keinen Himmel. Ich aber will den Himmel wieder sehen – ich will, ich will!

Und nun offenbarte Ilsa den Heimchen ihre Wünsche. Diese ließen ihre Köpfchen traurig hängen, sie ahneten alles, was und wie es kommen werde.

»Du versprachest uns, immer bei uns bleiben zu wollen!« wandten die Heimchen ein.

»Ihr versprachet mir Erfüllung aller meiner Wünsche« – entgegnete Ilsa.

»Wir machten aber zur ersten Bedingung, daß du nicht zur Oberwelt zurückkehrest« – erinnerten die Heimchen.

»Ich will auch nicht auf sie zurückkehren!« sprach Ilsa:

»Ich will sie nur wiedersehen, sie und den blauen Himmel, und ihre wundersamen Frühlingsdüfte atmen.«

»Dann bist du keine der unsern mehr« – warfen die Heimchen ein. »Berührt dich nur der Lufthauch der Oberwelt, so verfällst du auch dem Lose der sterblichen Menschen, welche dahinfahren wie der Wind; du verblühst, wirst alt, und stirbst. Nur in unserem Reiche blüht ewige Jugend.«

Ilsa schwieg – aber sie trauerte – ihre Sehnsucht wurde immer stärker – sie achtete ihrer goldenen Schäferei nicht mehr, nichts war mehr, was sie erfreute, sie sprach mit keinem Heimchen mehr, und die Heimchen klagten: »Sie ist für uns verloren so oder so – laßt uns daher ihre Wünsche erfüllen.«

Ilsa trat in die hochgelegene Grotte, durch welche sie eingegangen war in das Reich der Unterirdischen an das sonnige Licht des schönen Erdentages. Ach, wie mächtig war dessen Strahl! Weithin flogen entzückt ihre Blicke über einen Teil des Gaues, in dem sich ihre väterliche Burg erhob – doch ward es ihr bald seltsam zu Sinne. Der Sonnenstrahl zitterte goldgrün durch die Baumwipfel, der Himmel lachte saphirblau durch sie herab; die alten Felsen waren noch die alten, aber die Bäume waren die alten nicht mehr – der gebahnte Weg, der Ilsa einst nach der Grotte geführt, war nicht mehr; auf dem Waldboden des Haines war alles eine Rasendecke voll hohen Grases.

Ilsa blickte zur Höhe, auf der sie das stattlich erbaute Vaterhaus mit Zinnen, Türmchen und Erkern stehen wußte, empor – und erschrak, denn da war nichts, gar nichts mehr zu erblicken, als ein Rest der Umfassungsmauer, überragt von einer hohen grauen Warte, um deren zerbröckelte Zinnen Mauerfalken schwebten und kreischten.

[603] »Was ist das?« fragte sich Ilsa. »Dünkt mein Verweilen drunten mich doch nur eine ganz kurze Zeit, und so viele Zeit ist darüber vergangen! Wie alt bin ich wohl dann?«

Ilsa blickte weiter; sie sah neu entstandene Ortschaften, neue Burgen in der Ferne, und andere, deren Lage sie sich genau erinnerte, waren nicht mehr.

Ilsa wagte nicht, ihren Fuß weiter zu setzen. Sie blieb in der Grotte, denn das hatte sie dem Volke der Heimchen gelobt, als ihr endlich mit Widerstreben erlaubt wurde, die Oberwelt wieder zu sehen, und weilte manchen Tag ernst und sinnend in derselben. Auch die kleine goldene Herde herauszuführen und sie auf der Matte vor der Grotte weiden zu lassen, wurde ihr gestattet, doch nur zu gewissen Tagen und Stunden, am ersten Tage des Maimondes, am Himmelfahrttage, am Pfingstsonntage, am goldenen Sonntage und am Johannistage, zur Mittagszeit, wann am höchsten die Sonne stand, oder in den Mitternachtstunden der Vorabende dieser geweihten Festtage. An diesen Tagen wandelten gern ein Teil der Bewohner jener Gegend auf die Berghöhen, wie es Sitte war schon aus alten heidnischen Zeiten her, und suchte Heilkräuter und grub zauberkräftige Wurzeln. Da geschahe es bisweilen, daß Ilsa von den Menschen erblickt wurde, sie, die den Menschen fremd geworden war, eine bleiche, ruhige und ernste Erscheinung, im schneeweißen, nimmer alternden Kleide, und manche sahen auch ihre goldene Herde, vermochten aber nie, wie gern sie es getan, ein Stück derselben zu erhaschen, denn der Hund hütete die Schafe mit den goldenen Vließen gar wachsam, und so wie er den leisesten Laut gab, hob Ilsa ihren goldenen Hirtenstab, worauf augenblicklich Hund und Herde unsichtbar wurden.

Wenn gute und reine Menschen Ilsa erblickten und ihr furchtlos nahe traten, gab sie ihnen wohl auch auf Fragen, die an sie gerichtet wurden, Antwort, doch nur auf ernste und die Ernstes bezweckten, bisweilen auch doppelsinnig lauteten, oder warnend und abmahnend, oder prophetisch; da erinnerte sich das Volk, daß vor grauen Zeiten schon in altheiligen Götterhainen weissagende Priesterinnen gewohnt, und nannte Ilsa nach jener Gesamtnamen eine Allrune. Solche Allrunen waren alle die weißen Jungfrauen, welche nach alten Sagen um verfallene Schlösser und in den Hainen der Burgberge wandeln und auf ihre Erlösung hoffen. Auch Ilsa hoffte auf ihre Erlösung aus dem Bann und [604] Zauber der unterirdischen Welt und der unheimlichen Heimchen, in den sie selbst sich gegeben, sie wußte aber nicht, daß ihre Erlösung aus dem Heimchenbanne an schier Undenkbares geknüpft war.

Einst als Ilsa wieder im Dämmerlicht ihrer Felsengrotte saß und ihre Herde vor derselben weiden ließ, trat ein irdisches Weib auf die Matte, das war eineBilbze oder böse Hexe, ein Weib, welches durch heimliche Zaubermittel Schaden tat an Menschen und Vieh. Die rief Ilsa an, und sprach: »Was weilest du ewig einsam in deiner Höhle hier oben, hohe Allrune? Geselle dich doch wieder dem Geschlechte der Menschen zu! Fühle menschlich und teile mit ihnen Lust und Leid! Liebe und werde geliebt!« – Trauervoll antwortete Ilsa: »Mich bindet mein Wort – sonst zög ich gerne durch den Gau mit meiner Herde!«

»Du darfst nur wollen! Die Macht ist dein!« rief die Bilbze. »Schlage mit deinem Hirtenstabe gegen den Höhlenspalt in der Tiefe deiner Grotte nur ein Kreuz, so schließt er sich alsbald für immer zu. Keines der Heimchen kann dir folgen, und du bist völlig frei.«

Noch zögerte Ilsa, ihres Wortes eingedenk, den Zauber zu üben, als ein Jüngling von großer Schönheit sich zeigte, und sie ansprach: »Vertraue dich mir an, schöne Jungfrau! Droben sollst du thronen, in deiner Väter Burg, die ich neu erbaue. An meiner Seite sollst du herrschen über diesen ganzen blühenden Gau. Diese Frau, welche zu dir sprach, ist meine Mutter, und groß ist unsere Macht.« Ilsa schlug mit dem Stabe das Kreuz gegen den Höhlenspalt. Drinnen erscholl nicht mehr das sanfte Tönen, sondern ein klagendes Gewimmer des um seine goldene Herde betrogenen Heimchenvolkes. Die Bilbze stieß ein widrig gellendes Jubelgeschrei aus, und ihr Sohn stürzte sich mit Heftigkeit auf Ilsa zu, und wollte sie in seine Arme schließen. Solches Tun war Ilsa fremd – ernst hielt sie dem Bilbzensohne ihren Stab entgegen, und schlug mit ihm auch gegen den Jüngling ein Kreuz – das brach allen Zauber, und jener brach zusammen und zeigte häßliche, abscheuliche Gesichtszüge, er, der so schön geschienen. Und auch die Bilbze stürzte nieder, wandte sich in Zuckungen, und erschien ganz als ein häßliches gräßliches Hexenweib.

»Harre nur deines Lohnes, du Verruchte! Harre nur!« schrie die Bilbze, indem sie sich wütend vom Boden aufraffte, [605] rannte dann an Ilsa vorüber nach dem Grottengrunde und hielt die Springwurz an die Felsenspalte. Alsbald öffnete sich wieder das Reich der Unterirdischen, und die Bilbze schrie: »Heraus, ihr Heimchen! Holt eure Herde wieder, straft diese Wortbrüchige und Treulose! Straft sie mit ewiger Sehnsucht und ewiger Täuschung.«

Schon umwimmelten die Heimchen Ilsa in Scharen und drängten sich zahllos zwischen sie und die Bilbze samt deren Sohn.

»Du bist und bleibst die unsere!« sprach der älteste des Heimchenvolkes. »Wann dereinst keine Glocke mehr klingt, keine Kirche mehr steht, und böse Menschen wie diese Bilbze nicht mehr sind, dann schlägt dir die Stunde der Erlösung; früher nicht! So lange harre und hüte. Den Erdentag schaust du bis dahin nicht wieder, außer einmal je nach sieben Jahren! Da darfst du außerhalb unseres Berges dich samt deiner Herde zeigen.«

Und so geschah's; noch immer wird, alle sieben Jahre zur Mittagsstunde, auch diese so hart verwünschte Jungfrau samt ihrer Herde erblickt, einsam, bleich und traurig, im schneeweißen Kleide. Böse Menschen leben noch, und den guten rufen noch die Kirchenglocken in die Tempel Gottes.

Die verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die verwünschte Stadt

Auf hohem Alpengebirge lag eine große blühende Stadt, umgeben von hochragenden Bergzackenhörnern, die ewiger Schnee bedeckte, die Stadt aber lag auf einer weithingebreiteten sonnigen Matte, auf welcher zahlloses Vieh weidete, denn das Volk, das jene Alpenstadt bewohnte, war ein Hirtenvolk, das fast ganz abgesondert lebte von den Bewohnern der tieferen Gegenden. Selten zog ein Wanderer oder ein Saumroß die Gebirgspfade, die über jene Hochalpen hinweg nach Welschland führten, selten sahen die Bewohner jener Gebirgsstadt einen Fremdling.

Eines Tages aber sahen sie einen fremden Wanderer durch ihren Ort schreiten, eine hohe ernste Gestalt; sein Gesicht war bräunlich von Farbe, aber bleich, mit langem Barte, sein Haar schwarz mit grau gemischt, sein Gewand ein langer [606] brauner Talar, mit einem Strick umgürtet, seine Fußbekleidung starke Schuhe mit Riemen um die Knöchel befestigt. Müde schien der Mann und der Ruhe sehr bedürftig, aber er trug einen Fluch, daß er sich nicht setzen und weilen durfte, bevor ihn jemand sitzen und verweilen hieß. Die Bewohner der Hochgebirgsstadt sahen den fremden Mann mit einer eigenen Scheu an und er flößte ihnen ein seltsames Grauen ein. Und der Mann ging von Haus zu Haus, und stand vor jeder Türe, und harrte, daß jemand zu ihm sage:

»Sitze nieder und raste« – aber niemand sprach solche Worte, wohl aber sammelte sich des Volkes mehr und mehr, und gaffte ihn neugierdevoll an. Und der müde Mann stand und seufzete.

Da trat der Stadtälteste heran, der zugleich ein Priester war, der sprach zu ihm: »Höre du fremder Mann, wer du bist, das wissen wir, und sehen es dir an. Du bist kein anderer als der ewige Jude. Du bist verdammt zu wandern ewiglich, weil du den Heiland der Welt auf seinem Gange zum bittern Kreuzestode die kurze Ruhe auf der Steinbank vor deinem Hause zu Jerusalem versagt hast – darum so hebe dich von hinnen aus unserer Stadt, denn du kannst allda nicht weilen und darfst nicht weilen, und wir können und dürfen dich nicht hegen und herbergen, zu unserem eigenen Leid. Gehe mit Gott!«

Da öffnete der ewige Jude seine bleichen Lippen und sprach: »Ich werde gehen jetzt und ihr bleibt, ihr aber werdet vergehen und ich werde bleiben. Wann ich werde wieder kommen an diesen Ort, so werde ich hier finden zwar eine Stätte, aber keine Stadt – und wann ich werde kommen zum drittenmale, so werde ich auch nicht mehr finden die Stätte, da eure Stadt gestanden hat.«

Alle, die das Wort hörten, erschraken, und traten scheu zur Seite, als der finstere Mann seinen Stab schüttelte, und durch ihre gedrängten Reihen schritt, und müden Ganges aus dem Orte wanderte, hoch hinauf in das unwirtbare Gebirge. Keiner von allen sah ihn wieder.

Seit diesem Tage wurde kein neues Haus mehr errichtet in jener Stadt – keine Herde mehrte sich – kein Kindlein wurde geboren – manches Haus starb bald aus – nach einer Reihe von Jahren standen viele Häuser ganz leer und verfielen.

Von den Bergen stürzten Lawinen herab, und zerschmetterten [607] die Häuser. Bergstürze ereigneten sich und mächtige Felsblöcke lagen jetzt da, wo früher in den Straßen der Stadt ein reges fröhliches Leben war. Die große weite Stadt war noch fünfzig Jahr ein Alpendorf mit weit und zerstreut voneinander liegenden Häusern, mit dürftiger Nahrung, magern Herden, siechen Bewohnern. Sie kamen nicht mehr herab zu den tiefer gelegenen Ortschaften, und niemand stieg aus letzteren zu ihnen hinauf – und so wurde endlich alles droben wüst und leer – und über die letzten Toten wölbte sich kein Grabeshügel, sondern die brechenden Häuser begruben sie unter Trümmern, dann begruben Steinrutschen, welche im Alpenlande Muren heißen, wiederum jene Trümmer, oder Schlammbäche von den Berggipfeln quollen nieder und deckten alles zu.

Nach hundert Jahren kam der Wanderer wieder; an der Lage der Bergzacken umher erkannte er die Stätte, hohe Bäume waren gewachsen aus den Trümmern, hie und da stand noch ein Mauerrest, man konnte aber nicht mehr recht unterscheiden, ob es Felsen war, oder Werke von Menschenhand. Mächtige Sträucher mit bunten Alpenblumen waren da emporgeschoßt, wo vordessen Straße war, und Gras stand da, wo sonst der Menschen friedliche Wohnstätte gewesen.

Und der ewige Jude seufzete und sprach: »Was hat gesungen einst David, der König über Israel? Er hat gesungen: ›Wenn Du nach des Gottlosen Stätte sehen wirst, wird er weg sein.‹«

Und hob den Fuß, und wandelte wieder rast- und ruhelos über das Hochgebirge.

Und die Stätte jener Stadt blieb nicht dieselbe, wie sie gewesen, sie wurde immer öder, kahler, schauriger, doch ganz allmählich, und so langsam, Jahr um Jahr. Die Alpenblumensträucher gingen aus, das Gras verdorrte, es fiel in dieser hohen Bergregion kein Regen mehr, es fiel nur Schnee, und der schmolz am Ende nicht mehr hinweg, auch wenn die Sommersonne am höchsten stand. Die Quellen, die von den höheren Spitzen des Gebirgs früher als reizende Wasserfälle niederrauschten, gefroren, und bildeten über sich Decken von grünlichem Eis; sie wurden zu Gletschern, und diese Gletscher wurden größer und größer und schoben sich vor über die einst so herrlich grünen sonnigen Matten mehr und mehr, und bedeckten sie ganz.

[608] Und als der ruhelose Wanderer, nachdem abermals hundert Jahre vergangen waren, wieder hinauf kam auf das Gebirge, da fand und erkannte er die Stätte nicht mehr, auf welcher einst die blühende Stadt gestanden hatte, und tat seinen Mund auf und sprach: »Erfüllt ist nun das Wort des Herrn Herrn, das er tat durch den Mund des Propheten, seines Knechts: ›Ich will meine Hand über sie ausstrecken und das Land wüste und öde machen.‹«

Sprach es und wanderte weiter.

Schab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Schab den Rüssel

In einer großen deutschen Stadt war einmal eine fürstliche Hochzeit, die herrlich ausgerichtet wurde, da gab es Aufzüge und Festlustbarkeit aller Art, Gaukler und Springer und Bettelleute über alle Maßen viel. Unter letzteren befand sich auch ein Bettler, der sein Almosenheischen als förmliches Gewerbe trieb, gleichwohl hatte er an diesem Festtage kein absonderliches Glück, denn jeder hatte mit sich zu tun; man lief, man rannte, man stieß und wurde gestoßen, drängte und wurde gedrängt, gaffte und schaute, und hatte keine Zeit, den Säckel zu ziehen, war auch selbiges gar nicht angeraten, denn wenn eine freche Hand den Säckel wegriß, so war er da gewesen. Das wurmte aber den Bettler über die Maßen, daß er an dem Tage, an welchem er sich just eine große Ausbeute an reichlich fallenden Almosen versprochen hatte, so gar nichts erhielt, und er murrte unwillig vor sich hin: »Ist denn die ganze Stadt ein Dürrhof geworden? Da muß der Donner hineinfahren und der Teufel drin sitzen! Ei so wollt ich doch lieber den Teufel um ein Almosen angehen, als euch Geizrachen und Hungerleider! Wie viele Gebete habe ich nicht schon heute gesprochen, wie viele Litaneien herunter gehaspelt, und nicht einmal Gelegenheit gehabt, zu sagen: ›küss' die Hand Euer Gnaden, vergelt's Gott!‹«

Während der Bettler so murrte, ging ein kleines hinkendes Männlein in einem grünen Samtröcklein an ihm vorüber, das trug einen schwarzen spanischen Hut, und darauf eine rote Feder, und schaute sich halb um nach dem Bettler, [609] wobei ein scharfblitzendes Auge, und eine sehr stattliche, stark gebogene Adlernase sichtbar wurde. Der Bettler vergaß auf der Stelle seinen Vorsatz, niemanden an diesem Tage ferner anzusprechen, schritt vielmehr dem kleinen Grünrock nach, drängte sich an ihn, hielt ihm seinen Schlapphut vor, und begann seinen Bettlersermon in Form eines Stoßgebetes. Der Grünrock zog ein grimmiges Gesicht, und rief mit heiserer Stimme dem Bettler zu: »Halte gleich dein Maul, du Lump! Mit solcherlei Redensarten gewinnst du mir nichts ab. Du weißt nichtWen du um ein Almosen angehst, und hast's doch vorhin gelobt!«

Mit diesen Worten schritt der Grünrock in einen Straßenwinkel, in welchem man freier stehen konnte, weil das Volksgewimmel in der Straße rastlos vorüber wogte, und der Bettler folgte ihm, weil er sah, daß der Grüne in die Tasche griff, auf alle Fälle, um aus derselben eine Gabe für ihn hervorzuholen. Dieses tat letzterer denn auch, er zog eine kleine eiserne Raspel mit kurzem Holzstiel hervor und sagte: »Dies kleine Werkzeug kann und wird all deiner Not ein Ende machen, wenn du meinem Rate folgen willst. Du brauchst damit nur einmal über die Lippen zu streichen, und zu sagen: ›Schab den Rüssel‹, so fällt dir ein Goldstück vom Maule. Da aber umsonst nur der Tod nach dem Sprüchwort ist, und das Sprüchwort zumal ein Lug, denn der Tod kostet das Leben, so wirst du es billig finden, daß ich auch von dir einiges begehre.«

»Was Eure Gnaden nur befehlen! Ich stehe zu Dienst!« rief vor Freude zitternd der Bettler, und blickte unverwandt nach der neuen eisernen Raspel.

»Du darfst erstens keine Reimgebetlein mehr sprechen, überhaupt hinfüro weder beten noch betteln, darfst in keine Kirche gehen, darfst nicht heiraten, und nach sieben Jahren muß deine Seele mein sein. Wenn dich jemand mit Schimpfreden antastet, wenn ein Richter einen dir ungünstigen Spruch fällt, wenn einer dir was nachredet, das dir übel gefällt, dann ziehe nur diese Raspel aus der Tasche und sprich, ohne sie an deine Lippen zu bringen: ›Schab den Rüssel‹, so wird sie jenen dir Übelwollenden dermaßen über das Maul fahren, wie ein stets recht habender Amtmann dem armen Bäuerlein, und sie werden selbiges dann ganz sicherlich halten.«

Obwohl der Bettler nun merkte, wer dieser gewisse Grünrock [610] war, und ihn eine Gänsehaut bei dieser Wahrnehmung überlief, so erschien ihm das Anerbieten doch so übel nicht, denn Geld war ihm das Höchste, und um seine Seele hatte er sich nie sonderlich bekümmert. Gebet und Kirchengehen zu meiden, fiel ihm auch nicht schwer, denn bei seinen Gebeten, die er beim Betteln mechanisch herleierte hatte er sich niemals etwas gedacht, und sein Kirchenstand war immer außen, vor den Kirchentüren gewesen. Er sagte also zu, und der Grünrock sagte, er wolle am andern Morgen zu ihm kommen und die Verschreibung mitbringen, zur Unterschrift – um Lebens und Sterbens willen, denn etwas rot auf weiß müsse er haben, und wenn der Bettler den Pakt nicht gewissenhaft halte, so verfalle die Seele dem Grünen dann alsbald. »Das Kunststück mit dem Schab den Rüssel, um Geld zu erzielen«, setzte der Grüne noch hinzu: »kann des Tages nur einmal, und zwar bloß früh nüchtern ausgeübt werden.«

Der Grünrock hinkte hinweg und verlor sich bald unter dem Volksgewimmel, der Bettler aber hielt beständig die Hand auf seiner linken Hosentasche, in welche ihm jener die Raspel gesteckt hatte, daß nicht etwa ein Taschendieb sie ihm stibitze, ging gegen seine Gewohnheit diesen Abend in kein Wirtshaus, und konnte vor Erwartung die ganze Nacht nicht schlafen. Er hatte die Raspel in ein Tüchlein gebunden und sich um den Hals, um ja nicht darum zu kommen.

Mit dem Morgengrauen war er schon auf, holte eine Schüssel, zog die Raspel hervor, strich sie über sein breites Maul, und sprach: »Schab den Rüssel!« – Plautz, plumpte ein funkelnagelneuer Kremnitzer klingend in die Schüssel – indes fuhr zugleich etwas Haut von der Lippe. Aber der Strolch achtete nicht den Schmerz; er arbeitete wie ein Schlosser mit der Feile auf seinem Maule herum; »Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel!« – das ging ganz flott, und es fiel förmlich ein goldener Regen, wie in der heidnischen Götterfabel, als Zeus der Danaë seine Aufwartung machte, nur wissen die Gelehrten leider nicht so recht eigentlich zu sagen, ob es jenesmals auch Kremnitzer regnete, oder ob es vielleicht Regenbogenschüsselchen gewesen sind.

Jetzt blutete dem Raspelkünstler das Maul ziemlich arg, und da kam der Grünrock, und hatte ein Pergament und [611] eine frisch, aber verkehrt geschnittene Feder, die dunkte er auf seines Mannes blutende Lippen wie in ein rotes Tintenfaß, und jener mußte seinen Namen unter den Vertrag setzen – worauf alsbald der Grüne wieder verschwand, und den Pakt mit sich hinweg nahm, zuvor aber ließ er ein Büchschen mit Lippenpomade zurück, die mehr nach Schwefel als nach Rosenöl roch, um die kleinen Wunden zuzuheilen, und fügte noch die Warnung hinzu, nicht gar zu häufigen Gebrauch von der Raspel zu machen, sonst werde der Raspler stätig ein böses Maul haben, und mit nichts mehr, als mit einem solchen, mache man sich der Polizei verdächtig und werde gar nicht gut angeschrieben.

Andern Tages hatte der Kremnitzer Goldmund einen greulichen Grind auf seinen Lippen, aber er hatte, seiner Meinung nach, noch lange nicht genug Kremnitzer, fing daher aufs neue an, seinen Rüssel zu schaben, daß es nur so in die Schüssel prasselte; er litt freilich dabei abscheuliche Schmerzen, und die Lippen schwollen ihm auf wie zwei braune teilweise beim Braten zerplatzte Bratwürste, aber er gewann doch vieles Gold. Er konnte nur mit verbundenem Munde ausgehen, ging indessen doch abends in ein Zechhaus, und ließ einige seiner Goldvögelein fliegen, schlemmte und war fröhlich mit seinen vormaligen Bettelbrüdern, gleichwohl spotteten diese ihn aus über sein Schwartenmaul; er müsse des Teufels Großmutter geküßt haben! sagten sie, und als ihn das ärgerte, so zog er die Raspel hervor, sprach heimlich und leise »Schab den Rüssel«, und plötzlich tanzte unsichtbar die Raspel dem Zechgesellen, der den Witz gerissen, auf den Lippen herum, ohne daß aber Gold herunterfiel, daß derselbe vor Schmerz laut auf schrieworauf sich jener zurückzog und sich selbst das Wort gab, fortan solche gemeine Gesellschaft zu meiden. Er ließ nun die Raspel so viel er's irgend aushalten konnte, auf seinem Maule fleißig arbeiten, und begann den Aufbau eines neuen Hauses, den er eifrig betrieb. Über die Türe ließ er schreiben »Zum Schab den Rüssel«, und nahm den vornehmen Namen Chrysostomus an, welcher zu deutsch Goldmund lautet.

Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel wurde immer reicher und reicher, und es war nur schade, daß er stets mit verbundenem Munde ging, weshalb sich die Mär im Volke verbreitete, sein Mund sei kein Mund, sondern ein kleiner Saurüssel, aber von Golde, davon schabe er immer fort ab, [612] und daher rühre sein Reichtum. Weil er nun keinem Armen etwas gab, so kam die Redensart auf, die sich hernachmals im ganzen deutschen Reiche verbreitete, die jeden geizigen Reichen einen schäbigen Mann nennt.

Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel lebte herrlich und in Freuden; wer ihm was zuwider tat oder sagte, den ließ er tüchtig von der Raspel bearbeiten, so daß alle auf der Stelle das Maul hielten, und selbst die Polizei, als sie ihm ob seines eigenen bösen Maules zum ersten Male zu Leibe wollte, wurde derartig geraspelt, daß sie sich nimmer wieder an Herrn von Chrysostomus zum Schab den Rüssel zu vergreifen wagte.

So gingen die sieben Jahre herum, und da kam der Grünrock wieder, willens, nun die verfallene Seele in Empfang zu nehmen. Der Türsteher des Herrn Grafen Chrysostomus von und zum Schab den Rüssel wollte den Grünen nicht zu seinem Herrn lassen, weil er ihn für einen vazierenden Jäger hielt, der kleine Grünrock aber unterstellte dem großen Türsteher ein Bein, daß er hinplumpte wie ein Nußsack.

Seine Erlaucht, der Herr Graf lagen auf dem Sofa, lasen die Zeitung, hatten neben sich etwelche Fläschchen Ungarwein stehen, und rauchten türkischen Tabak, als der Grünrock in das herrlich ausgeschmückte Spiegelzimmer trat.

»Was gibt's? Was soll es?« fragten der Herr Graf in übler Laune, daß jemand sich unterfing, unangemeldet einzutreten. »Man wende sich an den Kammerdiener!«

»Habe mit dir selbst zu sprechen, mein Wertester!« entgegnete der Grünrock. »Deine Zeit ist um! Hier ist der Pakt. Auf, zum Abmarsch! Jetzt heißt es nicht mehr Schab den Rüssel, sondern Schab ab!« –

Seine Erlaucht, der Herr Graf von und zum Schab den Rüssel fitzten ein viereckiges Lorgnettenglas, das an einer Schnur hing, vor das rechte Auge, und blinzten damit nach dem Grünrocke hin, indem Hochdieselben einmal gähnten und dann sprachen: »Was? Zeit? Pakt? Abmarsch? Schab den Rüssel! – Dummheit!«

So wie des Herrn Grafen Erlaucht das Wort Schab den Rüssel aussprachen, fuhr die Raspel dem Grünrock über das Maul und raspelte dieses, daß ihm Hören und Sehen verging. Der dumme Teufel, kein anderer war der Grünrock, hatte vergessen, die Eigenschaft des Rüsselschabers diesem nicht als eine allgemeine zu verleihen – der Herr Graf trommelten [613] mit den Fingern der linken Hand auf dem Tisch einen Schottischen im Zweivierteltakt und brummten dazu:


»Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel! Hopsasa!
Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel! Trallalla!«

und dem Teufel wurde übel und weh bei diesem Tanze, er schrie, daß das ganze Haus zum Schab den Rüssel erbebte, und endlich fiel er auf die Kniee und bat des Herrn Grafen erlauchte Gnaden fußfällig um Gnade und Einhalt.

Des Herr Grafen Erlaucht bliesen dem Teufel eine Wolke von türkischem Tabakdampf in das Gesicht, und streckten, ohne ihre liegende Stellung zu verändern, ihre Hand aus, indem sie nur die zwei Worte sagte: »Meinen Pakt!« worauf der Teufel den Pakt hinreichte. Der Herr Graf überzeugten sich, daß es der rechte sei, und nicht etwa ein untergeschobener, dann zerrissen Hochdieselben ganz gemächlich das Pergament mit ihrer roten Namensunterschrift und sprachen: »So mag es gut sein! Sei so gut, wische dir das Maul, und triff das Loch. Die Raspel aber läßt du mir zum Andenken, ich will sie bei löblicher Polizei –« »Halte dein Maul, alberner Narr!« – unterbrach ihn der Teufel – »das hättest du eher sagen müssen. Der Pakt ist zerrissen, und die Raspel ist wieder mein.

Für solch ein unschätzbares Werkzeug, wie sie, bekomme ich ganz andere Seelen, wie die deine ist, du Lump! O daß ich an dich könnte! Aber harre nur, und wehe dir, wenn du einst doch zu mir kommst – da will ich auch sagen, an dem Orte, wo Heulen und Zähneklappern ist: ›Schab den Rüssel.‹« –

Der redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der redende Esel

Auf einem hohen waldreichen Gebirge hauste ein mächtiger Berggeist, der gerne die Menschen neckte, die Bösen häufig tückte, und ihnen allerlei schlimmen Schabernack spielte, guten Leuten aber hülfreich war, wenn auch seine Hülfe einen absonderlichen Beischmack hatte, und allerlei Schrecken oder Angst vorherging, ehe die Hülfe eintrat. So [614] schritt einst ein armer Händler mit vielen Glaswaren, die er in einer auf dem Gebirge gelegenen Glashütte zum Weiterverkauf eingehandelt hatte, von den Bergen zu Tale, und berechnete, wie jenes Milchmädchen in der Fabel, den Gewinn, den er aus seinen Gläsern ziehen wollte. So viel aus den Kolben und Retorten, die ein Apotheker bestellt hatte, der das Doppelte des Einkaufpreises bezahlen sollte, so viel an den runden Lichtkugeln für die Werkstätten der Schuhmacher, so viel an Wein-und Wasserflaschen, wie die Gastwirte bedürfen, und da kam ein hübsches Gewinnsümmchen heraus; auch war der Glaser klüger, wie jenes Milchmädchen, er hüpfte nicht bei dem Gedanken an seinen Gewinn in die Höhe, sondern achtete auf seinen Weg, der ziemlich steil und uneben war, und auf seine Last, die nicht leicht war.

Unsichtbar begleitete den Glasmann der Berggeist, und hörte dessen im Selbstgespräche laut ausgesprochene Gedanken; da nun der Mann auf etwas mehr Gewinn sann, als ihm eigentlich gebührte, so war der Geist gleich darauf bedacht, ihm einen Possen zu spielen und einen Schrecken in die Glieder zu jagen. Er verwandelte sich eine Strecke voraus in einen sichtbaren alten, glatt abgesägten Baumstrunk unterhalb einer recht steilen Wegstelle, die man mit Recht eine Kniebreche nennen konnte, in einen Strunk, der so recht einladend zum Ausruhen dicht am Wege stand. Der Glasmann wandelte vorsichtig an der steilen Stelle nieder, und es wurde ihm dieses Abwärtssteigen mit seiner Last ungleich beschwerlicher, als wenn er bergan hätte steigen müssen, daher tat ihm not, ein wenig auszuruhen, und da erblickte er den alten Baumsturzel, und setzte sich samt seiner Glaskraxe darauf. In diesem Augenblicke verschwand der in den Strunk verwandelte Berggeist, und der Glasmann stürzte hart zu Boden samt seiner Last, und letztere zerklirrte in tausend Scherben. Nicht ein Stück blieb ganz.

»Ach Gott! Ach Gott!« schrie der Glashändler und geriet ganz außer sich. Welch ein Schrecken, welch ein Verlust! Der Mann gebehrdete sich, als ob er sich das Leben nehmen wollte. Anderes Glas holen konnte er nicht, denn er hatte kein Geld mehr, und auf Borg gaben sie ihm nichts in der Glashütte, und sein sauer verdientes bißchen Geld, das er in neuen Glaswaren angelegt hatte – hier lag es in Scherben.

Da ritt ein junger Gesell auf einem Esel pfeifend und [615] singend vom Gebirge nieder, der stieß auf den jammernden Mann, und fragte ihn, warum er so weine und klage? Dem erzählte nun jener das ihm widerfahrene Unheil und der Wanderer fragte ihn, wie hoch er seinen Verlust und Schaden anschlüge?

»Ach, acht bis neun Taler zuversichtlich samt dem, was ich an der zerbrochenen Ware hätte verdienen können!« rechnete jener seufzend aus.

»Ich möchte dir gern helfen, armer Tropf«, sprach der Eselreiter, »aber ich habe selbst kein Geld. Doch weißt du was, da drunten im Tale wohnt ein Müller, der ist ein Schalk, und zugleich ein Gastwirt, er mißt daß den Kunden die Augen übergehen, und ebenso unchristlich mißt und schnürt er auch, wenn jemand bei ihm einkehrt. Er ist die Habsucht und Gewinnsucht selbst, und zur Strafe soll der dir dein Glas ersetzen.«

»Wie wäre das möglich, daß ein geiziger und habsüchtiger Mann dies von freien Stücken täte?« fragte der Glashändler, indem er neben dem Reitenden weiter schritt, und gefällig da, wo es steil hinabging dessen Esel am Zaume führte.

»Von freien Stücken?« fragte mit höhnischem Lächeln der Reisende. »Nein, mein guter Geselle! Von freien Stücken tut es der Müller nicht, des bin ich sicher. Aber er muß es dennoch tun. Wir wollen ihm meinen Esel verkaufen, der ist unter Brüdern seine zehn bis zwölf Taler wert, wenn er nun für neun Taler den Esel bekommt, so schlägt er freudig auf den Handel ein und gibt uns noch obendrein freie Zeche.«

»Ja – aber – lieber Herr« – fragte der Glasmann kleinlaut: »– Ihr wollt doch nicht – Euern Esel – mir zu Liebe –? –«

»Dem Müller verkaufen?« ergänzte der Reiter. »Ei warum denn nicht, mein guter Geselle? Darauf kommt es mir nicht an; ich weiß noch mehr Esel.«

Der Glasmann gab sich nicht sogleich dem Glauben an das in Aussicht gestellte Glück hin. Es schien ihm ganz unglaublich, daß ein Mensch, der, wie er selbst gesagt, kein Geld hatte, zu seinen Gunsten sich eines schätzbaren Esels berauben werde – er wußte freilich nicht, daß der Eselbesitzer kein anderer war, als der neckische Berggeist, der ihn erst zu Fall gebracht und seinen Schaden verursacht hatte.

[616] Bald war die Mühle erreicht, der Müller stand schon in der Türe und freute sich, die Fremden kommen zu sehen, auch blickte er mit Wohlgefallen auf den stattlichen, äußerst gut genährten Esel hin. So glatt und kräftig, wie dieser, sahen die Esel in seiner Mühle keineswegs aus. Die Gäste ließen sich Brot und Wurst und Bier geben, ein Wort gab das andere, der Glaser erzählte sein Unglück und der Müller wollte sich vor Schadenfreude tot darüber lachen; er lachte, daß er sich seinen kugelrunden Bauch halten mußte, und daß er förmlich stäubte.

Das verdroß und ärgerte den Glasmann über alle Maßen, doch bedeutete ihn ein Blick des Reisenden, sich ganz ruhig zu verhalten.

Als der Müller genug gelacht hatte, yahte der draußen vor der Türe angebundene Esel des Fremden, worauf der Müller das Gespräch alsbald auf diesen lenkte. »Ein hübscher Kerl, fürwahr, Euer Esel! Wie alt?«

»Vier Jahre!« – »Wie teuer?« – »Nicht feil!«

»Schade! Ich hätt ihn brauchen können; vorige Woche ist mir einer krepiert.«

»Werdet ihn zu gut gefüttert haben, Müller!« – stichelte der Fremde.

»Oho – justement das Gegenteil!« verschnappte sich der Müller.

»So? Da sollte mich mein Esel dauern, wenn er in Eure Hände käme. Mein Esel ist gewohnt, gut zu essen.«

»Ja doch!« verbesserte sich der Müller. »Bei mir soll es ihm auch nicht fehlen. Ich wollte nur sagen, daß der meine nicht mehr fressen wollte, und deshalb drauf ging. Ich geb Euch sieben Taler.«

»Oho! Weiter fehlte mir nichts!« spottete der Eselbesitzer. »Wo denkt Ihr hin, Müller? Solch ein prachtvoller Esel und sieben Taler? Pfui! Nicht um zwölf Taler ist er mir feil.«

Im Müller erwachte eine wahre Eselhabsucht. »Acht Taler geb ich!« rief er, fuhr in die Tasche und klingelte mit hartem Gelde.

»Gebt elfe, und der Handel ist gemacht!«

»Nein! Neun!« schrie der Müller. »Das ist mein letztes Wort.« –

»Und mein letztes ist zehn, dabei bleibt es, und freie Zeche!« sprach der Eselbesitzer.

Der Müller kraute sich hinter den Ohren, wollte noch [617] abdingen, aber der Fremde blieb unerschütterlich.

»Freie Zeche und zehn Taler, nicht einen Groschen, nicht einen Pfennig, nicht einen Heller weniger!«

»Ihr seid ein Mann von Stein!« klagte der Müller. –

»O ja, sagt doch lieber von einem ganzen Gebirge!« höhnte der Fremde.

Der Müller mußte den Esel haben, und zählte ächzend und krächzend zehn Taler auf den Tisch, aber keinesweges in harten Talern, sondern in eitel Groschen und verschimmelten dünnen Zweigroschenstücken, sogenannten Blechkappen, an denen Mehl und Grünspan hingen. Vergnügt strich der Fremde, nachdem es einigemal überzählt war, das Geld ein, tat es in ein ledernes Beutelchen, und legte dasselbe in die Hand seines Begleiters, als der Müller voller Freude bereits hinaus gerannt war, seinen Esel in den Stall zu führen. Der Glasmann war ganz überrascht über die Gabe – wollte danken, aber der Fremde sprach: »Spar allen Dank. Neun Taler war ich dir schuldig, den zehnten nimm für deinen Schreck. Jetzt gehe in den Stall und schaue, was der Müller treibt, und fahre wohl! Wenn der Müller fragt, wo ich hin sei, so sage ihm nur, ich sei über die Höhe.«

Der hoch erfreute Glasmann nahm seine Scherben-Kraxe auf den Rücken, und verfügte sich über den Hof nach dem Stalle, wo der neugekaufte Esel bereits abgezäumt an der Krippe stand; mit eigener Hand hatte der Müller diesem frische Heide untergestreut, und trug jetzt ein großes Bündel duftiges zartes Gebirgsheu im Arme, das er dem Esel in der Krippe ausbreitete.

Wie wunderte sich aber der Glasmann, und wie heftig erschrak der Müller, als der Esel den letzteren mit einem unaussprechlichen Blicke ansah, mit dem Kopfe schüttelte und mit den langen Ohren bedenklich wackelte, heißen Odem ausstieß, und endlich das breite Maul auftat, und mit tiefer Stimme sprach: »Du juder Mensch, juder Müller – es tut mir leid, aber ich esse kein Hahaheu! Ich esse nur Gebibobackenes und Gebribrobratenes!« –

Voll Entsetzen stürzte der Müller aus dem Stalle, rannte den Glasmann an der Türe fast über den Haufen, und schrie:

»Der Teufel ist im Stalle! Wo ist der nichtsnutze Kerl, der mir einen Spuk verkaufte?«

»Der ist über die Höhe!« rief der Glasmann, und lachte jetzt so sehr, als vorhin der Müller über ihn gelacht hatte.

[618] Der Müller rief alle seine Leute zusammen, und schrie immerfort vom redenden Esel, denn da er nicht weit in der Welt herum gekommen war, er auch nicht zu den Genossen einer jüngeren Zeitperiode zählte, so war es ihm etwas ganz Unerhörtes, einen Esel reden zu hören; seine Leute aber glaubten, er sei übergeschnappt. Jetzt führte er sie alle nach dem Stalle, den Esel zu zeigen, aber siehe, an dessen Stelle hing eine Schütte Stroh an der Halfter vor der Eselskrippe, und der Müller versicherte nun hoch und teuer, daß er selbst ein geschlagener Esel sei.

Der Glasmann aber ging seine Wege, segnete den Berggeist und gönnte von Herzen dem schadenfrohen Müller den eigenen Schaden und Ärger.

Der fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der fromme Ritter

Es war einmal ein tapfrer Rittersmann, der war gar ehrbar und fromm, mannlich im Streite, gottesfürchtig daheim. Wenn er von seiner Burg ausritt, oder zu ihr hinritt, führte ihn der Weg jedesmal über einen großen Leichenacker, auf welchem schon in uralten Heidenzeiten die Toten aus dem ganzen Gau verbrannt worden waren, deren Asche man dann in hohen Hügeln beisetzte; später war dort eine Schlacht geschlagen worden, und man hatte die in derselben Gefallenen ebenfalls an Ort und Stelle beerdigt; in der christlichen Zeit war eine Gottesackerkirche dorthin gebaut worden, und eine Anzahl nahe liegender Dorfgemeinden begrub nahe derselben, wo auch der Weg nach des Ritters Burg vorüberführte, ihre Verstorbenen. – So oft nun der fromme Ritter zum Kampfe ritt oder wenn er heimkehrte, sprach er jedesmal, wenn er an der Totenkirche vorüberkam, ein Gebet für die Ruhe der Toten.

So ritt er furchtlos und gottgetrost zu jeder Tages-oder Nachtzeit über den stillen Leichenacker, im Dunkel der Nacht, oder im klaren Mondscheine, der die weißen Grabsteine hell beleuchtete, und mit seinem Silberschimmer die seitwärts gelegenen, uralten grünen Hünenhügel überspann.

Eines Tages war der fromme Ritter auch ausgezogen und hatte seine Geschäfte verrichtet, als ihm gegen Abend eine [619] feindliche Schar auf seinem Heimwege in einem Hinterhalte auflauerte, und ihn plötzlich mit Macht angriff. Zwar fürchtete er sich keineswegs, zog vielmehr seine gute Wehre und verteidigte sich tapfer gegen seine Widersacher, allein er war nurein Mann und jener waren viele, daher blieb ihm nichts übrig, als Flucht, zu der er rasch sein treues Roß wendete. Aber alsbald war die ganze Schar seiner Verfolger hinter ihm her, mit wildem Geschrei und Toben, und der fliehende Ritter mußte auf Tod und Leben reiten; es war eine wilde Jagd. Da erreichte der Fliehende das Totenfeld, darüber reitend er so oft gebetet hatte: »Aus der Tiefe rufe ich Herr zu Dir!« die Worte des einhunderteinunddreißigsten Psalms, den man für die Ruhe und den Frieden der Toten betet, und zur Vergebung der Sünden. Diesesmal aber vermochte der Ritter nicht, den ganzen Psalm zu sprechen, er sprach nur in seiner Angst: »Aus der Tiefe – aus der Tiefe –«

Und siehe, da stieg es aus der Tiefe – aus den Männergräbern, scharenweis, die bleichen Gerippe, die hohen Hünen, die entschlafenen Mannen, und hoben bewehrte Arme, und standen zwischen dem fliehenden Ritter, und zwischen seinen Feinden und Verfolgern, eine beinerne Mauer, und jenen ergrausete die Seele und die Rosse scheuten und sprangen sich bäumend zurück.

Sicher kam der fromme Ritter zurück nach seiner festen Burg, und nie wieder wagten seine Feinde, ihm aufzulauern. Die Toten, für die er gebetet, hatten ihn dankbar und treu geschirmt.

Der wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der wandernde Stab

In ein Wirtshaus auf einsamer Heide im Norden trat eines Tages ein Mann von ernstem Aussehen. Sein Gesicht war fahl und grau wie Asche, und sein Gewand war braun, wie frische Graberde. In der Hand trug er einen Stab von festem dunkeln Holze. Diesen Stab stellte er in eine Ecke der Wirtsstube. Im Wirtshause wohnte nur eine alte Frau mit einem Knaben von etwa vierzehn Jahren, nebst einem Knechte und einer Magd. Diese beiden Leute waren draußen [620] beschäftigt; in der Wirtsstube war niemand als die Wirtin und ihr junger Sohn.

Der düstere Wanderer heischte einen kleinen Imbiß, und die Wirtin ging, diesen herbei zu holen. Der Wanderer blieb allein mit dem Knaben, aber er beachtete den letzteren nicht, sondern trat an ein Fenster, das gen Morgen gerichtet war, und seufzte, und stand lange daran, und starrte hinaus, über die öde Fläche des Heidelandes.

Der Knabe betrachtete unterdes mit Neugier den Stab des Fremden. Am Handgriffe dieses Stabes war mit Silberstiften die Figur eines Kreuzes also eingeschlagen diese Stifte glänzten gar hell, wie neu, und dieser Stock reizte den Knaben; seine Neugier wandelte sich in Habgier um. Scheu blickte er nach dem Fremden, der unbeweglich an dem Fenster stand – scheu streckte Jacob, so hieß der Wirtin junger Sohn, die Hand nach dem Stabe aus. Gleich daneben stand ein alte, hohe Wanduhr mit braunem, geschnitztem Gehäuse. Leise drehte Jacob am Türgriffe des Uhrgehäuses, leise öffnete er dessen Türe, leise faßte er den Stab, und es zitterte seine Hand, als er ihn berührte, aber er nahm ihn, und stellte ihn in das Uhrgehäuse, und schloß die Türe wieder. Der Stab war weg.

Jetzt trat die Wirtin, Jacobs Mutter, ein, und brachte was der Fremde begehrt hatte. Hinter ihr schlüpfte Jacob aus der Stube.

»So – hier wäre es!« sagte die Wirtin zu ihrem einzigen Gaste. »Gesegne es Euch Gott! Setzt Euch doch!« – Der Fremde neigte sein Haupt zum Zeichen des Dankes, er nahm das Glas, netzte seine bleichen Lippen, aber er setzte sich nicht. Der alten Frau kam ein Grauen an vor dem Manne; draußen begann schon die Abenddämmerung.

Die Wirtin wünschte nicht, daß der Fremdling unter ihrem Dache weile, gleichwohl fragte sie: »Wollt Ihr hier nachten? Schier ist's Abend! Seid Ihr nicht müde, da Ihr Euch nicht setzt?« –

»Kann nicht bleiben, muß weiter, muß wandern – wer fragt, ob ich müde bin? Oh!« – war die dumpfe Antwort.

Der Wirtin grausete noch mehr. Der Fremde legte ein [621] Stück Geld auf den Tisch – die Wirtin griff nicht danach. Jetzt ging jener nach der Türe zu, griff in die Ecke und fragte: »Wo ist mein Wanderstab?«

»Hattet Ihr einen Stab?« fragte die Wirtin.

»Ich hatte einen Stab, und stellte ihn in diese Ecke!« antwortete der hohe dunkle Mann mit hohler Stimme.

»Mein Gott! Wo könnte er denn hin sein?« rief das erschrockene Weib. »Sucht ihn – vielleicht irret Ihr Euch? Stelltet den Stock anderswo hin?«

»Er ist hinweg. Er bringt der Hand dessen, der ihn nahm, kein Glück!« – sprach darauf jener dumpf und gepreßt. – »Genommen?« rief die Wirtin heftig. »Wer sollte ihn genommen haben? Es war ja niemand hier als Ihr und ich – und –« da stockte sie.

»Und Euer Sohn!« ergänzte der Fremde.

»Gott im Himmel!« schrie die Frau auf – und lief alsbald aus der Stube, und rief, daß es durch das ganze Haus gellte:

»Jacob! Jacob!«

Jacob antwortete nicht – er hatte sich versteckt und wußte, weshalb ihn die Mutter rief, und fürchtete sich.

Atemlos kam diese zurück, und sprach: »Ich höre und sehe nichts von dem Jungen – ich weiß nicht, tat er's oder tat er's nicht? Doch harret nur noch einen Augenblick!«

Die Wirtin ging in die Kammer, und kam gleich darauf mit einem zwar alten aber schönen Stabe zurück, den sie dem Fremden reichte. »Da – nehmt einstweilen den Gehstock meines seligen Mannes – Ihr sprecht doch wohl einmal wieder hier ein! Findet sich der Eure, so gebt Ihr mir diesen dagegen zurück.«

»Ich dank Euch, Wirtin!« sprach der fremde Mann, und ging. Es war schon sehr düster, Nebel schwebten über den Heidestrecken – in sie hinein schritt der bleiche Wanderer.

Der Wirtin ward leichter um das Herz, als dieser unheimliche Gast ihr Haus verlassen hatte. Sie nahm das von ihm zurückgelassene Geld – es war eine uralte kleine Silbermünze; die Frau kannte weder Schrift noch Gepräge; sie konnte nicht wissen, daß die Münze unter der Regierung des Römerkaisers Tiberius geprägt worden war, desselben Kaisers, welcher Jerusalem zerstörte.

Leise ging jetzt die Türe auf – schüchtern drehte Jacob sich in die Stube herein. »Unglückssohn!« kreischte ihm die Mutter entgegen. »Sprich, nahmst du des Fremden Stock?« [622] Jacob schwieg – halb aus Trotz und halb aus Angst vor seiner Mutter Zorn und ihrer strengen Strafe.

»Du schweigst – also nahmst du ihn, du gottvergessener Bube!« schalt die Wirtin. »Wo ist der Stock? Wohin schlepptest du ihn? Gleich nimm ihn und springe damit dem Fremden nach, und laß dir von ihm deines seligen Vaters Sonntagsstock wiedergeben, mit dem er in die Kirche ging, und den ich dem Fremden lieh, damit er nicht sage, daß er in meinem Hause bestohlen worden sei, durch mein Kind bestohlen!«

Jacob war ein verstockter Knabe – er blieb stumm, er regte kein Glied, er sagte kein Wort, seine Mutter mochte schelten wie sie wollte, bis sie in Zorn geriet, ihn heftig schlug und ohne Abendbrot ihn zu Bette gehen ließ. –

Am andern Tage, als die Wirtin in der Küche beschäftigt war, drehte Jacob am Riegelgriff des Uhrgehäuses und öffnete die Türe und langte hinein, und zog den Stab heraus. Mit Wohlgefallen betrachtete er ihn, und doch auch mit Scheu, denn die sieben Silberstifte funkelten gar so sonderbar, und der Stab war so eiskalt, wie eine starre Schlange, und gleichwohl war es, als lebe der Stab. Unwillkürlich zog es Jacob, an diesem Stabe zu gehen, und er ging mit ihm – und ging – und ging – weit, weit von hinnen – über die Heiden hin – längst sah er nicht mehr sein Vaterhaus. Rastlos regte sich der Stab in Jacobs Hand – gegen seinen Willen – und Schauer des Todes durchrieselten den Knaben. Wohin, wohin führte, wohin zwang ihn der Stab? Gehen, gehen mußte er fort und fort, nicht ruhen noch rasten konnte er, an keiner Stelle, an keiner Quelle.

Endlich als der Tag sich neigte, als die Nebel wieder über den öden menschenleeren Heiden schwebten, da stand im grauen Nebeldämmer schier gespenstig vor Jacobs Blick ein düsteres Gehöft, auf das er zuschritt, und endlich ganz verwundert gewahrte, daß er zu Hause sei.

Übel und mißgelaunt empfing ihn seine Mutter; sie hatte geglaubt, er sei davongelaufen, hatte sich sehr geängstigt, hatte Knecht und Magd ausgesendet, ihn zu suchen, und fast alle Arbeit eines Tages war versäumt worden. Dergleichen sieht niemand gern in einem fleißigen Haushalte. Jacob aber war so müde, o so müde; er wankte auf sein Bette zu und fiel halbohnmächtig darauf nieder; der Stab entsank seiner Hand, ohne daß Jacob es wahrnahm, die Mutter hob den Stab nicht auf, ihr graute vor demselben.

[623] Eine Woche verging; der Stab stand still im Gehäuse der alten Wanduhr. Jacob entsann sich nicht, ihn wiederum dort hinein verborgen zu haben, und hütete sich wohl, ihn wieder anzurühren, doch sah er ihn von Zeit zu Zeit an, und Schauer überrieselten ihn bei dem Anblick. Im Dunkel des braunen Uhrgehäuses leuchteten hell wie Diamanten die sieben ein Kreuz bildenden Punkte.

Ein Freitag war's, gleich jenem Tage, an welchem Jacob des fremden Wandersmannes Stab heimlich genommen und versteckt hatte, und siehe da, mit einem Male war der Stab in Jacobs Hand, ohne daß letzterer sie nach ersterem ausgestreckt, und Jacob mußte wieder wandern, wandern wie das vorige Mal, rastlos, ruhelos, bis am Himmel die Sternlein zu leuchten begannen. Und dann kam Jacob schlagerdenmüde wieder nach Hause, matt und zitternd, bleich im Gesichte, und redete nicht. Und wenn er redete, so war es schaurig zu hören. Durch Dörfer sei er gekommen, und habe allen Leuten, die ihm in denselben begegnet, gleich ansehen können, ob sie noch selben Jahres sterben würden oder nicht; den Häusern habe er es angesehen, daß nächstens Feuersbrünste sie verzehren, Fluren, daß der Hagel sie treffen werde.

Jeden Freitag mußte Jacob wandern – der Stab zwang ihn, mußte sehen alles kommende Weh und Leid aller Orten, wohin der Stab ihn führte, und dann kündete er es daheim der Mutter, der Magd und dem Knechte, und diese kündeten es den einkehrenden Gästen.

Jacob und seine Mutter verwünschten tausend und abertausendmal den wandernden Stab. Die Mutter sann auf Rat, wie der Sohn des Stabes sich entledigen solle, und Jacob befolgte den Rat. Auf einer der nächsten Wanderungen trat Jacob in ein Gasthaus, stellte den Stab in eine Ecke, verzehrte etwas, zahlte, und ging hinweg – ohne den Stab mitzunehmen. Er war aber noch nicht dreißig Schritte gegangen, so kam ihm der Wirt nachgelaufen, schrie überlaut:

»Ho! ho! Halt!« – und als er näher kam rief er: »Ihr habt Euern Stecken vergessen!« und warf Jacob den Stab nach, der sich alsbald von selbst in dessen Hand verfügte.

Jacob stand am rauschenden Bach! Ha, jetzt hab ich's – dachte Jacob erfreut – und da flog vom Steg der Stab in die rollende Flut. Es war als winde sich in dieser der Stab wie eine braune Schlange.

[624] »Der läuft mir nun nicht wieder nach!« rief Jacob, und erleichterten Herzens kehrte er heim.

Nicht lange war Jacob das Herz leicht; nicht länger bis er im Dunkel des Uhrgehäuses das Siebengestirn des Kreuzes unheimlich blinken und funkeln sah.

Jetzt gab – denn mehr und mehr wurde Jacobs Unglück besprochen – die Magd auch einen Rat. »Vernagelt den Rumpelkasten!« rief sie: »so ist der Gais gestreut. Ob die Uhr geht oder nicht, ist all eins.« –

Das war ein recht guter Rat, schade nur, daß er vergeblich war. Als der nächste Freitag kam, war der Stab in Jacobs Hand, dieser wußte gar nicht wie? aber er mußte wandern – wandern – wandern – vom Morgen bis zum Abend – und kam nach Hause, müder und elender denn je zuvor.

»Wenn mir solches Hexenunglück zustieße«, sprach Velten, der kluge Knecht: »ich wüßte lange, was ich täte. Ich hieb den Stecken in Stücke, Punktum!«

Auch dieser Rat wurde versucht, ob er sich vielleicht erprobe. Leider tat er das nicht – in Stücke zersprang allerdings etwas, aber nicht der Stab, sondern nur die Axt, mit welcher Jacob Hiebe auf ersteren führte, und wie gelähmt sank seine Hand, die den Stiel der Axt machtlos zu Boden fallen ließ.

Wandern, wandern! Jeden und jeden Freitag, den Gott werden ließ – körperschwach, seelenkrank, der Verzweiflung nahe. Wandern und voraussehen alles Übermaß des menschlichen Elends, das sonst wohltätig dem Auge der Sterblichen eine allweise Gottheit verbirgt. Kriegerscharen, welche die Ortschaften verheerten, Ströme, die sie überfluteten, Herden mit deren Leichnamen die Pest die Fluren düngte, alles Grauenvolle, was die nächste Zukunft bringen sollte, sah Jacob voraus.

Einst kam er in ein Dorf, darin ein Brand lohete, Haus um Haus ergriff die Flamme, von einem Dache sprang sie zum andern Dache. Wieder durchblitzte ein Gedanke Jacobs Seele. In die Flammenlohe den Stab! Und da flog der Stab – blieb hängen an einem brennenden Dachsparren und wurde rotglühend, dann weiß, und die Silberstifte des Kreuzes flammten bläulich. Jacob ging ohne Stab nach Hause.

Da schnarrte die Wanduhr, da ging ihre Türe von selbst auf, spottend der Nägel, mit denen sie zugeschlagen war – [625] da stand der Stab – unversehrt. Ohnmächtig sank Jacob in die Arme seiner Mutter – er war vernichtet, und sie sank mit der teuern Last, die sie nicht aufrecht zu halten vermochte, auf ihre Kniee nieder, und betete heiß und innig, und schrie jammernd zum Himmel auf.

Jacob wanderte, mußte wandern, weit aber konnte er nicht mehr wandern – seine Kraft war erschöpft, der matte Quell seines Lebens begann zu versiechen.

Zweiundfünfzig Male hatte Jacob wandern müssen, müssen, ob er stand oder lag, es riß der Stab ihn von dannen, ob er die ganze Woche über todesmatt kein Glied zu rühren vermochte – am Freitag erfolgte die Wanderschaft. Doch war der Stab barmherzig, er führte auf kürzern und immer kürzern Wegen ihn um das Vaterhaus; zuletzt war Jacob so sterbensmatt, daß er zu einem Gange von einer Stunde einen vollen Tag brauchte, denn rascher sich fortzuschleppen, war ihm unmöglich, er glich einem zitternden Greise von neunzig Jahren, und die Farbe seines Angesichts glich der Asche.

Jacob glaubte, daß er endlich sterben werde, und seine Mutter und alle die ihn sahen, glaubten das nämliche, Jacob hoffte es.

Da kam am Tage vor den dreiundfünfzigsten Freitag ein Traum über Jacob. Er sah ganz lebhaft, als ob es wirklich geschähe, die Türe der alten Wanduhr aufgehen, den Stab heraus, und an das Bette treten, darin Jacob lag.

Und da hub der Stab an zu sprechen.

»Jacob«, sprach er: »ich bin ein sehr alter Stab. Mit mir in seiner Hand ging der Erzvater, nach dessen Namen du genannt bist, über den Jordan. Ich ruhete in Mosis Hand, da Moses mit Gott sprach, und ward zur Schlange und wiederum zum Stabe. Ich ruhete in Aarons Hand, und ward wieder zur Schlange und verschlang die Schlangenstäbe der Zauberer Pharaonis. Und wieder ward ich aufgehoben von Mosis Hand und das rote Meer teilte sich unter mir. Zweimal schlug Moses mit mir an den dürren Fels, und es sprang Wasser aus dem Felsen der Wüste und tränkte die Verdürstenden, beide, Menschen und Tiere. Wessen Stab ich nun bin, das kannst du, Knabe, nicht fassen. Du hast große Sünde getan, daß du dem armen Wanderer seinen Stab und seine Stütze heimlich entwendet hast, dafür hast du wandern müssen im finstern Tale, und hast kosten müssen [626] des Lebens Bitterkeit. Aber fortan wird der Herr deine Seele erquicken, und dich führen auf rechter Straße, um seines Namens Willen. Des Herrn Stecken und Stab wird dich trösten.«

Als der Stab also gesprochen hatte, war es, als umweheten Jacob Flügel der Engel mit Himmelsruhe. Er fühlte keine Ermüdung mehr, er schlummerte ein, er erwachte, wie neugeboren.

Da brach der Freitagmorgen an – es war ein Karfreitag. Jacob glaubte jeden Augenblick, er werde die Wanderung wieder beginnen müssen, aber der Stab kam nicht in seine Hand.

Gegen Abend sprach Jacob sanft und fromm mit seiner Mutter, von erhabenen und göttlichen Dingen, die Kinder noch nicht verstehen. Da ging die Türe auf, und ein hoher dunkler Wanderer trat ein, und grüßte: »Friede sei mit euch!«

Schauer durchbebten Mutter und Sohn, beide kannten den Wanderer.

Und da tat sich die Türe des Wanduhrschrankes auf, und der Stab schwebte heraus und in des Fremdlings Hand. Hell durch die abendliche Düsternis leuchtete das Kreuz am Stabe. Der Fremdling aber sprach noch einmal: »Friede sei mit euch!« und wandte sich, und ging. In die Seelen von Mutter und Sohn zog heiliger Friede. Der Stab Wehe war wieder von ihnen genommen.

Die WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die Wünschdinger

Es war einmal am Nordlandsmeere ein Seekönig, der gebot über vieles Land und viele Schiffe, und hatte drei Söhne, die zu ihren Jünglingsjahren gekommen waren, die sollten nun hinaus in die See, tapfere Taten tun, Mut erproben, und Gut erwerben. Da ließ der König drei neue, große, stattliche Schiffe bauen und wohl bemannen und ausrüsten, schenkte jedem seiner Söhne eines dieser Schiffe, und fragte nun den ältesten Sohn: »Was gedenkst du zu beginnen mit dem Schiffe, das ich dir schenkte?«

»Damit, mein Herr Vater«, antwortete der älteste Seekönigssohn: »gedenke ich weit über Meer nach Osten zu [627] fahren, und Schätze zu gewinnen von fernen Küsten und Inseln.« –

»Wohl getan!« sprach der König. »Fahre hin und fahre wohl!«

Hierauf fragte er seinen zweiten Sohn: »Was gedenkest du mit dem Schiffe zu tun, das ich dir schenkte?« –

»Damit, mein Herr Vater«, antwortete der mittelste Seekönigssohn: »gedenke ich weit über Meer gen Westen zu fahren, neue Lande und Inseln zu entdecken, und von ihren Schätzen ein gutes Teil heimzuführen.«

»Wohl getan!« sprach auch zu diesem Sohne der König:

»Fahre auch du hin, und fahre wohl!«

Nun wandte sich der König zu seinem dritten Sohne, und fragte: »Was gedenkst du mit dem Schiffe zu tun, das ich dir geschenkt habe?«

»Ich gedenke, mein gnädiger König, Herr und Vater« – antwortete der jüngste Seekönigssohn: »damit auf Abenteuer auszuziehen, und mich Eures hohen Namens und Eurer Liebe würdig zu zeigen, wohin mich auch mein Fahrzeug trage, so wie immerdar.«

Diese Antwort überraschte den König, weil er sie nicht so erwartet hatte, doch ließe sich nichts dagegen sagen, er sprach daher: »Soll mich freuen! Fahre hin und fahre wohl!«

Nun wurde ein Abschiedbanket gehalten, und darauf gingen die drei Königssöhne zur See. Eine Zeitlang fuhren sie mit ihren drei Schiffen gemeinschaftlich zusammen, als sie aber in die hohe See kamen, da trennten sie sich – nach Osten, Westen und Süden. Der nach Osten fuhr, kam in das Silberland, allwo es Rubel schneite, und füllte sein Schiff mit Silber, so viel es zu tragen vermochte. Der zweite, der nach Westen gesegelt war, hatte einen ungleich längere Fahrt, kam aber in das Goldland, das man Eldorado nannte, und es gelang ihm, sein ganzes Schiff mit Golde zu befrachten, so viel es immer tragen konnte. Beide Brüder fuhren der eine mit seinem Silberschiffe, der andere mit seinem Goldschiffe wieder heimwärts nach ihres Vaters Schlosse, allwo sie wohlbehalten wieder anlangten und freudig empfangen wurden.

Der dritte Bruder, der nach Süden zu gesteuert war, fand weder ein Silberland noch ein Goldland, überhaupt schier gar kein Land, und schon gingen auf seinem Schiffe die Nahrungsmittel aus. Endlich gewahrte er von fern einen [628] kleinen dunkeln Punkt, auf den er lossteuerte, und hoffte mit Zuversicht, dort mindestens ein Brotland zu finden, aber als er näher kam, sah er, daß es eine wüste Insel war, von Korallenriffen umgeben, voll steiler schroffer Klippen und unwirtbarer Felsen; es war das Hungerleiderland, mindestens, wenn es auch nicht so hieß, denn es schien von gar niemand bewohnt zu sein, stand auch auf keiner Land- oder Seekarte, nannte der Königssohn diese unwirtbare Insel so, nachdem er drei Tage auf derselben herumgeirrt war, für sich und seine Mannschaften Nahrung zu entdecken und nichts gefunden hatte. Vor Hunger fiel er am dritten Tage um und lag in Ohnmacht. Aus dieser erwachend, sah er eine holde Jungfrau vor sich stehen, die ihn mit Anteil betrachtete, und ihn fragte: »Wer bist denn du, und wo kommst denn du hierher?«

»Ach!« ächzte der Königssohn: »wäre ich doch lieber nicht hierher gekommen. Ich bin ein Prinz, der nichts zu essen hat, und komme um vor Hunger!«

»Ei, wenn dir sonst nichts fehlt, dafür kann ich schon tun! Folge mir, mein Prinz!« sprach das Mädchen und dem Königssohne klangen dessen Worte wie Musik.

Seine junge Führerin brachte ihn zu einem Häuschen, in welches beide eintraten, da saß ein altes Spinnfrauchen und war fleißig am Rocken, und das Mägdlein sprach zu der Alten: »Liebes Mütterlein, hier ist ein junger Prinz, der Hunger hat; wollen ihn essen und trinken lassen!«

»Mit nichten, denke nicht daran!« entgegnete die Alte. »Wünschtüchlein ist wohl im Schreine verschlossen. Geb's nicht heraus, nicht heraus!« –

Aber da fing die Tochter der Alten an zu weinen und sich kläglich zu gebehrden, und rief: »Ich hab's ihm doch versprochen! Ich muß ihm Wort halten! Bitte, bitte, bitte schön, gib das Wünschtüchlein heraus!« – Darauf schloß die Alte einen Schrein auf und brachte ein leinen Tüchlein hervor, das war wundersam künstlich ausgenäht nach uralter Art, und hatte gesteppte Franzen. Das breitete die Alte auf den Tisch und murmelte die Worte:


»Decke dich, mein Wünschtüchelein
Für einen Mann mit Speis und Wein.«

Kaum hatte sie das gesagt, so stand und lag auf dem Wünschtüchlein Brot und Salz, Beizbraten und anderer [629] Braten, gekochter Blaukohl und anderer Kohl, und eine Flasche Wein nebst Glas, und Messer und Gabel. – So gut, wie es ihm diesesmal schmeckte, hatte es dem Königssohne selbst in seines Vaters Schlosse noch nie geschmeckt. Als er satt war, trank er unter Worten des Dankes die Gesundheit seiner beiden Wohltäterinnen und ging nach seinem Schiffe zu, um ehebaldigst weiter zu fahren. Da kam ihm das junge Mädchen nach, und rief: »Nimm mich mit – ich sterbe ohne dich!« Er aber antwortete: »Liebes, gutes Kind – mitnehmen kann ich dich nicht, ich würde dich nur ins Verderben führen, geht es mir aber wieder gut, so komme ich und hole dich ab.«

»Nun, so halte dein Wort!« sprach das Mädchen, »und nimm zum Andenken das Wünschtüchlein, und brauche es so, wie du es meine Mutter hast brauchen sehen! Verwahre es gut, und vergiß mein nicht!« –

Der Königssohn nahm hocherfreut das werte Wünschding in Empfang, und ging auf sein Schiff, wo die Mannschaft klägliche Gesichter schnitt, vor eitel Hunger, und schon davon murmelte, das Los zu werfen und einen aus ihrer Mitte in Braten und Kochwildpret zu verwandeln. Der Königssohn aber lachte, ließ eine große Tafel auf das Verdeck schaffen, breitete das Tüchlein darauf und sprach:


»Decke dich, mein Wünschtüchelein
Für alle die Meinen mit Speis und Wein.«

Da machte die Mannschaft einmal Augen, wie die Tafel sich füllte mit Schweinebraten und anderem Braten, Gartensalat und Gurkensalat, Kuhkäse und anderem Käse, Portwein und anderem Wein. Das war ein wahres Festessen, und fröhlich stach man wieder in See. Gegen Abend wurde an einer anderen Insel angelandet, welche der Königssohn ebenfalls untersuchte. Er fand sie gleichfalls unbewohnt, und unwirtbar, wurde vom Umherwandern hungrig und müde, setzte sich daher an einen passenden Ort auf den Rasen, breitete sein Wünschtüchlein aus und nahm eine Mahlzeit ein. Da kam auf einmal ein Mann gegangen, der blieb verwundert stehen, und sprach: »Wie? Ihr speiset hier vollauf, und ich, der ich vom Sturm an diese Hungerinsel verschlagen bin, falle vor Hunger fast um!« –

»Seid mein Gast!« sprach freundlich der Königssohn, [630] und ließ sich das Tüchlein von frischem decken, erzählt' auch dem Manne, wie er zu demselben gekommen sei.

»Ach ja« – sagte der Fremde: »es gibt solche Wünschdinger, nicht alle helfen einem aber etwas. Sehet hier meinen Stab, das ist auch ein Wünschding. Drehe ich den Knopf ab, und sage: Hundert – oder tausend – oder hunderttausend Mann, zu Fuß oder zu Pferde, so sind sie da, und tun, was ich will, und drehe ich den Knopf wieder auf, so sind sie hinweg. Was hab ich aber davon? Was nützen mir Kriegsmannschaften, wenn ich sie nicht ernähren kann? Soldaten wollen auch leben – und wenn man selbst nichts hat, wie dann? Da lob ich mir so ein braves Wünschtüchlein, um das gäb ich gleich den Wünschelstab.«

»Nun, da könnten wir ja tauschen, wenn es Euch recht wäre!« sprach der Königssohn.

»Ihr kommt in der Tat meinem heimlichen Wunsche zuvor, edler Freund!« rief erfreut der Fremde und der Tausch erfolgte auf der Stelle, worauf die beiden sich trennten. Aber nach einer kleinen Weile drehte der Königssohn den Stockknopf ab und rief: »Hundert Mann zu Pferde!« Da rasselten die Reiter heran. »Holt mir schnell mein Wünschtüchlein!« gebot der König, und wie der Wind vollzog die Mannschaft seinen Befehl, wie der Wind war sie zurück, und schwenkte das Tüchlein als Standarte. Da breitete der Prinz das Kleinod aus und rief:


»Decke dich, mein Wünschtüchelein
Für hundert Mann mit Speis und Wein.«

und ließ die Mannschaft sich satt essen und satt trinken, wofür sie ihn hoch und abermals hoch und noch einmal hoch leben ließ. Hierauf bedankte sich der Prinz recht schön und schraubte seinen Stockknopf wieder auf, und alsbald verschwand die Mannschaft.

Hierauf begab sich der glückliche Besitzer der zwei Wünschdinger wieder auf sein Schiff, und fuhr weiter, und landete am nächsten Tage an einer dritten Insel, auf welcher er wieder umherging, Abenteuer zu suchen. Auf dieser Insel begegnete ihm ein altes Frauchen, das war in einen bunten Mantel von lauter einzelnen Lappen zusammengesteppt gehüllt, und sah sehr elend aus, und ächzte: »Ach, ich falle bald um vor Hunger und Durst, ich habe seit zwei Tagen nichts genossen. Habt Ihr nicht etwas Brot bei Euch?« [631] »Nein, altes Mütterlein«, antwortete der Prinz: »Mit Brot trage ich mich nicht. Möchtet Ihr nicht sonst etwas haben von Nahrung? Ich kann Euch geben, was Ihr wünscht!«

»Ei du meine Güte!« rief das Frauchen: »Wenn ich doch nur ein Schälchen Kaffee hätte! Es ist mir gar zu hohl im Leibe!«

Da zog der Königssohn sein Kleinod hervor, breitete es aus und sprach:


»Decke dich, mein Wünschtüchelein
Für uns zwei mit Kaffee, Frühstück und Wein.«

Da deckte sich das Tüchlein mit Tassen und Tellern, mit Kaffeekännchen, Sahnekännchen und Milchkännchen, alles warm, mit Semmeln und Kuchen, Brottorte und Biscuittorte, mit Rohrzucker und Kandiszucker, mit Butter und Honig, mit westfälischem Schinken und pommerscher Gänsebrust, mit Malagawein und Cyperwein. Da lachte das alte Frauchen im ganzen Gesicht, und schleckte was das Zeug hielt, und wurde ganz lustig, und warf ihren Mantel in die Höhe; da flogen alle Läppchen einzeln auseinander und fielen rings umher auf die Insel, und wo ein gelbes oder rotes Läppchen hinfiel, da stand ein stattliches Schloß oder eine Villa, wo ein grünes lag, wurde ein Park, wo ein blaues, ein schöner See, da war auf einmal die öde Insel in ein Paradies verwandelt. Das gefiel dem Königssohn über die Maßen wohl, und er sprach zu dem Frauchen: »Um dieses Kleinod, wie Euer Mantel ist, könnte ich Euch fürwahr beneiden.«

»Ja ja – er ist recht hübsch«, erwiderte die Alte: »was hilft mir aber der schönste See, wenn nichts weiter darin ist als Wasser, was der größeste Park, wenn das Wild darin nicht gebraten ist, und was das herrlichste Schloß, wenn man in selbigem keinen Kaffee und nichts zu schnabulieren bekommt? Euer Wünschtüchlein wäre mir traun fast lieber.«

»So laßt uns die Wünschdinger tauschen!« schlug der Prinz vor, und das war die Alte gleich zufrieden, klatschte in die Hände, da wurden die Schlösser, die Parke, die Seen alle wieder bunte Läppchen, und setzten sich als Mantel zusammen, den gab das Frauchen in des Prinzen Hand und nahm erfreut aus der seinen das Wünschtüchlein.

Sie war noch nicht weit, so schraubte jener wieder den Knopf von seinem Wünschelstabe ab, befahl hundert Mann und sein Tüchlein wieder, und auf der Stelle wurde sein [632] Befehl vollzogen. Hierauf begab sich der Königssohn wieder auf sein Schiff und segelte weiter. Am nächstfolgenden Tage wurde abermals eine südliche Insel entdeckt, auf welcher der Königssohn umherstrich. Er fand keine Schätze darauf, ging sich jedoch müde, und schlummerte an einer schönen Stelle in einem Wäldchen ein.

Da weckten ihn wundersamschöne Violinsaitenklänge, er erhob sich und sahe über sich auf einem Felsen einen Geigenspieler sitzen, den er grüßte und ihm seinen höchsten Beifall bezeugte. Der Violinist nahm die Anerkennung des Königssohnes als eine wohlverdiente Huldigung sehr artig auf. Er sagte: »Ich freue mich, daß Ihr ein so richtiges Urteil und einen so guten Geschmack habt. Die Geige ist die Königin aller Instrumente; wer nicht geigen kann, ist ein Tropf, und ich bin hinwiederum der König aller Geigenspieler; alle Violinisten der ganzen Welt sind nur Stümper gegen mich; wenn ich auf einer einzigen Saite nur streiche, man nennt sie die G-Saite, so werden die Menschen verrückt und verzückt, schließen die Augen, fallen vor Wonne um und werden hin. Wenn ich aber die A-Saite streiche, so kommen sie wieder zu sich, und schreien alle Ah! ah! und werden wütend vor Entzücken und Narrheit, und gebehrden sich, als ob die Erde und die gesamte Menschheit nichts Edleres, Besseres und Erhabeneres hervorbringen könne, als solch ein bißchen Ohren- und Sinnenkitzel, weshalb ich auch die Narren alle tief verachte, und mich mit meiner Geige, nachdem ich mit Gold und Schätzen von dem dummen Volke überhäuft worden bin, in diese Einöde zurückgezogen habe, wo ich nur mir selbst lebe, mich selbst höre und mich anbete, denn eigentlich bin ich ein Gott, mindestens ist mir das, als ich mich früher vor den Völkern hören ließ, häufig zugeschrieen worden, absonderlich von verzückten Weibern, die nicht wußten, daß meine Geige eine Wünschelgeige ist, auf welcher sich alles, was ich im Sinne habe, das Erhabenste, Kühnste, Zarteste, Phantastischste und Tollste von selbst abspielt, sobald ich es nur wünsche.«

»Das läßt sich in jeder Beziehung hören!« sprach der Prinz. »Fürwahr, ich verehre Euch und Eure Geige, doch würdet Ihr mich sehr zu Danke verpflichten, wenn Ihr mir einen Imbiß reichen wolltet; ich bin hungrig und durstig, und fand auf dieser Insel nicht das mindeste Genießbare.«

»O Mann des Erdentumes!« rief der Geiger. »Also meine [633] Töne zu hören, war Euch kein Genuß? Nach Irdischem nur steht Euer Sinnen und Begehren? Wahrhaftig, Ihr tut mir leid. Zu essen und zu trinken giebt es hier kaum hinreichend so viel, als mein schwacher irdischer Leib selbst bedarf. Gar zu gern möchte ich einmal wieder ein Glas Champagner trinken, der sonst an meiner Künstlertafel in Strömen floß, wenn die, welche mich bewirtet, mich vergötterten – davon ist hier keine Rede.«

»Hm, hm!« machte bedenklich der Königssohn. »So ist es doch gut, daß es außer der Euren auch noch andere schöne Künste gibt, dieweil zwar die Virtuosen, aber nicht die Menschheit von Tönen zur Genüge satt werden. Ich zum Beispiel bin ein Eßkünstler, ein Koch, und da es Euch hier an guten Sachen gebricht, und Ihr mich so schön erquickt habt, so will ich Euch nun auch meine Kunst sehen lassen, und lade Euch bei mir zu Gaste.« –

»Wo denn?« fragte der Geiger. »Gleich hier zur Stelle!« antwortete der Prinz, zog sein Kleinod, breitete es aus und sprach:

»Decke dich mein Wünschtüchelein
Für zwei Künstler mit Frühstück und bestem Wein.«

Da entwickelte das Tüchlein eine Tugend, wie noch nie; da kamen Lachs und Kaviar, Sardinen und Anchovis, Bremer Bricken und frische Matjes Häringe, Hummern und Austern auf den Tisch, und Silleri-Champagner, feinster Burgunder, Xeres und Syrakuser kamen zum Vorschein, und die beiden ließen sich's über die Maßen schmecken, und der Geiger wurde ganz fidel, schenkte sein Glas voll Champagner, daß es stark überschäumte, stieß mit dem Prinzen an, und jauchzte: »Sollst leben, Koch! Sollst mein Bruder sein! – Bruder! – Du bist auch ein Gott!«

»Das kann ich alle Tage haben« – lachte der Königssohn. »Alle Tage?« lallte der Virtuose. »Höre – Bruder – laß uns tau – tauschen, gib mir das Wünschtüchlein – gebe dir meine Geige dafür – schlag ein, Bruderherz! Alle Tage! Juhu! Alle Tage – ein Gott! – Ein Götterleben!«

Der Königssohn ging den Tausch ein, nahm die Geige, gab das Tüchlein und ging. Der Geiger nahm das Tüchlein, verwechselte es in seiner Götterseligkeit mit einem Nastuch, schneuzte sich hinein, stolperte, fiel und entschlief, und es war an einem einzigen Manne genug, den der Königssohn sandte, das Tüchlein wieder von ihm zu holen.

[634] Jetzt beschloß nun der Prinz die Heimreise anzutreten. Dieselbe ging ganz glücklich von Statten, und nach langer Fahrt wurde die Küste, die zum Lande des Seekönigs gehörte, erreicht, und der Prinz gelangte in die Nähe des Schlosses seines Vaters. Da es aber bereits Nacht geworden war, so wollte er keine Störung veranlassen, sondern suchte sich im Wildparke nahe dem Schlosse ein schönes Plätzchen, allwo er sich niederlegte und schlief.

Am nächsten Morgen hatte der König eine Jagd im Wildparke anberaumt, um für seine Tafel einen Hirsch, einiges Dammwild und einige Fasanen, die sich überflüssig vermehrten, zu schießen. Da witterten die Jagdhunde im Parke einen Fremden und stürmten kliffend und klaffend nach dem Baume, unter dem der Schläfer lag, da sie aber nahe kamen, rochen sie ihm gleich an, daß er der Königssohn war, ein Kunststück, das nur Hundenasen möglich ist, und schweifwedelten, schlugen Burzelbäume vor Freude, und wälzten sich im Grase, und trieben ein tolles Wesen. Der König hörte den Hundelärm und kam nun selbst zum Baume, und fand, daß sich alldort sein jüngster Prinz vom Schlummer erhob, von den Hunden auf das freudigste bewillkommnet. Aber der König war keineswegs erfreut über das Aussehen seines jüngsten Prinzen, vielmehr sagte er: »Ei siehe, da bist du ja wieder, und schaust aus wie einer, dem die Hunde das Brot genommen. Ich vermeine nicht, daß du Schätze erworben und mitgebracht, und lebte doch zeither der frohen Hoffnung, daß du, indem dein ältester Bruder in das Silberland, der zweite in das Goldland gekommen, in das Diamantenland gelangt seiest, und von dort mit reicher Fracht zurückkommen würdest, was mir Freude gemacht, und dem Lande zum Nutzen gedient hätte, denn ich bin in einen schändlichen Krieg verwickelt mit dem Nachbar meines Reiches, der mich hart bedrängt, und mir bereits viele Orte und Schlösser zerstört hat. Alles Silber und alles Gold, welches deine älteren Brüder mit zur Heimat gebracht, ist aufgegangen für Rüstung und Erhaltung meines Kriegsheeres, und dieses Kriegsheer ist in mehreren Schlachten schon geschlagen worden, so daß die nächste Aussicht die ist, daß unser Feind mein Reich ganz erobert und uns vom Thron und Lande jagt.«

»Solches wird nicht sein, mein gnädigster König, Vater und Herr!« erwiderte der jüngste Prinz. »Wir werden diesen [635] Dingen eine neue Wendung geben, lasset uns nur gleich aufbrechen nach dem Lager des Feindes, ohne alle Mannschaft!« –

»So?« sagte der König und seine älteren Söhne. »Wir sollen uns selbst dem Leuen in den Rachen liefern? Du bist wohl unter die Mittagslinie gefahren, und die Äquatorsonne hat dir dein Hirn verbrannt? Etwas weniges verrückt bist du jedenfalls geworden.«

»Selbiges wird sich zeigen«, sprach der jüngste Königssohn. Indem so kamen Eilboten mit der Nach richt, daß der Feind mit starker Heeresmacht von drei Seiten zugleich eingefallen sei und im raschen Anmarsch begriffen, und da meinte der König und seine beiden älteren Prinzen, es bliebe somit nur die vierte Seite zur Flucht übrig. Davon wollte aber der jüngste Prinz nichts hören, vielmehr bat er jene, sie möchten nicht so sehr eilen, schraubte den Stockknopf ab und gebot: »Hunderttausend Mann zu Roß und zu Fuß! Treibt den Feind zu Paaren und reibt ihn auf wie Schnupftabak.« Da wurde die ganze Gegend von streitbarer Mannschaft überwimmelt, daß der König sich nicht genug wundern konnte, und nach einer Stunde war nicht nur kein Feind mehr im Lande, sondern auch das Land des feindlichen Nachbars völlig erobert. Hierauf breitete der Königssohn sein Wünschtüchlein aus, und sprach: »Nun feiern wir das Siegesmahl!


Decke dich, mein Wünschtüchelein
Für hundertausend Mann mit Speis und Wein.«

Da wurde abermals gehörig eingehauen, und das Traubenblut floß in Strömen. »Zur Festfreude gehört nun auch Musik!« rief der Prinz: »man veranstalte ein großes Konzert, ich werde mich populär machen, und mich selbst hören lassen, und zwar zum Besten der Armen!« Solches geschah, der Prinz gab ein Violin- Solo zum besten, erst spielte er etwas Allgemeines, wodurch er allgemeinen Beifall errang, dann etwas Besonderes, das ihm ganz besonderen Beifall erregte, dann auf der g-Seite, davon alles hin wurde, dann auf der a-Saite, dadurch alles ah! und bravo schriee. Der König, seine ältern Prinzen und sein ganzer Hofstaat kamen vor Erstaunen und vor Verwunderung gar nicht zu sich selbst. Desto mehr blieb der jüngste Prinz bei sich, er sagte:

»Lasset uns was der Feind zerstört hat im Lande, schöner [636] wieder herstellen, lasset uns unser tapferes Heer in guter Kriegsbereitschaft erhalten, lasset uns auf Landesverschönerung denken, dadurch heben wir des Landes Flor!« – Und zog den Wünschmantel hervor und warf ihn in die Luft, da wurde das ganze Land voll neuer Schlösser und Villen und Parke und Seen, und dann wurden aus einigen Schlössern schöne Kasernen gemacht, da kamen die Soldaten hinein und in die Villen die Obersten und Hauptleute, und hernach gab sich alles übrige von selbst. Mit dem Wünschtüchlein schaffte der Prinz dem Lande Nahrung und Wohlstand, mit dem Wünschelstabe, den er Generalstab nannte, schaffte er ihm eine selbstbewußte Macht und zugleich Respekt von Seiten der Nachbarn, mit dem Wünschelmantel hob er das Land zur Blüte, beförderte den Luxus und dadurch Handel und Gewerbe und dadurch nun ein wohlhabendes Bürgertum, und mit der Geige förderte er die schönen Künste und hob den Geschmack, indem er zugleich dem einseitigen und einsaitigen Ungeschmack steuerte. Zugleich fuhr er hinweg, holte jenes Mägdlein von der einsamen Insel, die ihm zuerst sich so gut und hülfreich erzeigt, und erhob sie zu seiner Gemahlin, indem er sagte: »Sie hielt mir Wort, und mir ziemet, auch ihr Wort zu halten.« – Ach, wenn doch alle Prinzen solche Wünschdinge hätten, und für diesen Fall, so guten Gebrauch von ihnen machten, wie dieses Muster vom Sohne eines Seekönigs! – Schade, daß selbiger nicht ein Landkönigssohn war!

Das blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das blaue Flämmchen

Einst lebte ein einzelner alter Herr in einem uralten Hause, bei dem blieb selten ein Gesinde lange, und alle die Dienstboten, die er gehabt, erzählten, es sei nicht recht geheuer in dem Hause; man höre Gespenster rumoren, sehe Flämmchen an dunkeln Orten und werde auch auf sonstige Weise von Spukdingern geschreckt. Nun geschah es, daß bei diesem Herrn abermals eine neue Magd anzog, welche Anna hieß, und nach der ersten Nacht fragte der Herr die Dienerin, wie sie geschlafen habe? denn er besorgte sich, schon wieder Klage über Geisterspuk im Hause zu vernehmen. Die [637] muntere Dirne aber antwortete ihm, sie habe ganz gut geschlafen. Eine gleiche Antwort auf die gleiche Frage erfolgte auch am zweiten Morgen. Am dritten Morgen aber verschlief sich die Magd, war denn verlegen, und sagte:

»Mir war die ganze Nacht, als tanze um mein Bette herum ein bläuliches Lichtlein, und das flüsterte fort und fort: ›Geh Ann, geh Ann!‹ so daß ich nicht eher einschlafen konnte, als gegen Morgen beim ersten Hahnschrei.«

Wie nun einige Nächte hintereinander diese Beunruhigung fortdauerte, so zeigte das Mädchen Neigung, den neuangetretenen Dienst wieder zu verlassen; das war dem Herrn leid, und er sagte zu der Anna: »Weißt du was, Anna, sprich doch einmal mit dem Herrn Pfarrer darüber, vielleicht kann dieser dir einen guten Rat erteilen!« –

Der Geistliche sagte nun zur Anna, als diese ihn fragte:

»Wenn das blaue Licht ein Geist ist, und dich ruft, so ziehe dich schnell an und folge ihm, sei aber dabei sorglich auf deiner Hut, daß du nichts von ihm annimmst, nichts ergreifst, was er dir bietet, nichts tust, was er dir heißt, und daß er dir stets voran gehe. Tust du genau nach diesem Rate, so kann es dein Glück sein.«

Abends war die Dirne kaum ins Bette, so tanzte das blaue Flämmchen wieder um dasselbe herum und flüsterte wieder:

»Geh Ann, geh Ann!«

»Wenn es denn sein muß«, sagte Anna, indem sie aus dem Bette und rasch in die Kleider fuhr: »so gehen wir.«

»Geh Ann!« flüsterte das Flämmchen. »Geh du voran!« sprach Anna, und da flackerte das Flämmchen vor ihr her, über einen Gang, die Treppe hinunter, bis vor die Kellertüre. Dort flüsterte das Flämmchen wieder: »Schließ auf, Ann!« –

»Schließ du auf!« sagte Anna: »ich habe keinen Schlüssel.«

Da schien das Flämmchen die Gestalt eines kleinen weißen Weibleins zu gewinnen, das hauchte gegen das Schlüsselloch und da ging die Kellertüre auf. Jetzt schwebte die bläulich schimmernde Gestalt die Kellertreppe hinunter vor Anna her, nach des Kellers hinterster Ecke. Dort lehnte eine Hacke an der Mauer, und das Weibchen, dessen bläulicher Lichtschimmer den Keller leidlich hell machte, deutete auf das Werkzeug, und flüsterte: »Hacke hier ein Loch, Ann!« – »Hacke du ein Loch!« sprach Anna, »ich brauche keins.« [638] Und da ergriff das Weiblein wirklich die Hacke und arbeitete tüchtig darauf los; nach kurzer Weile kam ein Kesselchen zum Vorschein, darinnen lagen allerhand schöne Sachen, alte Goldmünzen und Schmuck von guten Perlen und Edelsteinen. »Heb Ann! Heb heraus Ann!« flüsterte der Geist, aber Anna sprach ganz ruhig: »Hebe du heraus, ich könnte mir Schaden tun.« Da hob auch das Weiblein das Kesselchen aus dem Boden, und setzte es vor Anna hin, daß es klang und klirrte, das viele Gold und Silber, welches darinnen lag.

»Trag's h'nauf Ann, in deine Kammer!« flüsterte das Frauchen – doch Anna sagte: »Trag's selber h'nauf. Mir ist's zu schwer.« Da hob das Weiblein das Kesselchen und flüsterte wieder: »Geh Ann, geh Ann!« – und Anna erwiderte: »Geht nicht an! Der Leuchter geht voran!« So ging denn auch das Weiblein wieder aufwärts voran, aber langsam, denn es trug schwer an dem Kesselchen und ächzte und stöhnte alle die Treppen hinauf bis in Annas Bettkammer. Da setzte es das Kesselchen hin, und Anna legte sich wieder in ihr Bette, und um das Bette tanzte wieder das bläuliche Licht. Da schlug Anna ein Kreuz und sprach: »Hast du mir geholfen, so helfe dir Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist in das ewige Himmelreich, Amen!«

Da stand noch einmal das weiße Weiblein in klarer Gestalt vor Anna, und sein Gesicht leuchtete im Schimmer reinster Freude – dann verschwand es plötzlich. Anna schlief ruhig ein, und als sie am Morgen erwachte, glaubte sie, es habe sie das alles nur geträumt. Aber siehe da – das Kesselchen war noch vorhanden und ein ansehnlicher Schatz war ihr beschert. Nie spukte wieder ein Geist im Hause des alten Herrn.

Undank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Undank ist der Welt Lohn

Es war einmal ein armer Bäckergeselle, der kam mit seinem Herrn in Streit, weil der Geselle immer die Semmeln und Fastenbrätzeln dem Herrn zu groß machte, und der Herr dieselben stets unchristlich klein haben wollte. Der Geselle war der bravste und ehrlichste Bursche von der Welt, und hatte durch seine Heiterkeit und durch seinen [639] Fleiß seinem Meister vielen Zuschlag verschafft, allein das half ihm alles nichts, und der Meister sprach: »Ich bin der Meister und vor der Tür ist dein.« Da seufzte der Bursche:

»Ja wohl Meister!


Die Semmeln bleiben klein,
Und vor der Tür ist mein.«

schnürte darauf sein Bündel und zog von dannen.

Da der Bäckergeselle eine Weile gewandert war, sah er einen Wanderer schwerfälligen Schrittes und gebeugten Ganges sich entgegenkommen, grüßte ihn, und fragte ihn was er sei und wohin er gedenke? Der Wanderer hatte so vielen Freimut, das offen zu bekennen, was so mancher Mann um keinen Preis der Welt von sich sagen würde, indem er sprach:

»Ach Freund! Ich bin ein armer alter Esel. Lange Zeit habe ich meinem Herrn, einem Müller, treu gedient, die schweren Säcke fort und fort geschleppt, Korn in die Mühle, Mehl aus der Mühle, habe viele Schläge bekommen hin und viele Schläge her, und bin darüber alt und kraftlos geworden, und darum hat mich der Müller fortgejagt, denn: Undank ist der Welt Lohn.« –

»Ging mir's doch kaum besser als dir, armer Langohr!« sagte der Bäckergeselle. »Komm, laß uns zusammen wandern, Müllerlöwe. Bäcker und Müller gehören zusammen und zu zwei trägt sich leichter ein Leid.«

Die beiden Reisegefährten waren noch nicht weit miteinander fortgegangen, als ihnen ein Hund aufstieß, der ganz erbärmlich winselte, denn ihn fror und hungerte zu gleicher Zeit. Er lag am Wege, konnte kaum fort, und blickte aus matten, doch treuherzigen Augen die beiden Wanderer an.

»Dir scheint es auch nicht zum besten zu gehen, alter Sultan, oder wie du sonst heißen magst, scheinst fürwahr ein kranker Mann zu sein; siehst aus, als wäre dir schon dein letztes Brot gebacken!« sprach der Bäcker zum Hunde.

»Ach, wenn du doch wahr sprächst!« seufzte der Hund: »wenn doch nur ein Stückchen Brot für mich gebacken wäre, möcht es immerhin mein letztes sein, daß ich nur nicht Hungers sterben müßte! – Lange Jahre bewachte ich meines Herrn Haus und Hof, rettete ihn mit Gefahr meines eigenen Lebens das seine von der Hand eines Raubmörders, aber nun, da meine Stimme schwach und heiser geworden ist [640] von vielem Bellen, und meine Zähne stumpf sind, und meine Morgenstunde nicht mehr Gold im Munde hat, sondern Schlaf, so hat mich mein Herr mit Prügeln von seinem Hause und Hofe hinweggejagt, denn: Undank ist der Welt Lohn!« –

»Du armer Hund, du armer Schlucker!« bedauerte der Bäckergeselle, indem er ihm ein Stück Brot reichte, den Hund. »Komm, geselle dich zu uns, denn gleich und gleich gesellt sich gern.«

Mit neubelebter Kraft durch das Brot schloß sich der Hund den beiden Wanderern an.

Wie nun alle drei weiter schritten, erblickten sie auf einem Seitenwege, der von einem andern Orte her nach der Hauptstraße zog und in diese ausmündete, ein seltsames Pärchen daher geschritten kommen, und blieben vor Verwunderung alle drei stehen. Es war eine alte Katze und ein alter Göckelhahn, der fast nur noch eine Feder in seinem Schweife hatte. Beide Wanderer waren sehr ermattet, und vermochten nicht rasch zu gehen.

Als die drei Wanderer mit den zweien, die ihnen jetzt aufstießen, die Grüße der Höflichkeit gewechselt hatten, klagte die Katze, welche sehr dürr aussah, und nicht bloß so aussah, sondern auch wirklich äußerst dürr war, daß sie mit der größten Tätigkeit und voller Fleiß und Eifer die Mäuse im Hause einer Frau weggefangen habe, aber nun, da die Mäuse alle seien und sie, die Katze, alt geworden sei, habe die Frau sich eingebildet, eine Katze lebe stets nur von Mäusen, und habe ihr nicht das mindeste zu essen gegeben. Da nun sie, die Katze, vollends aus Hunger und schrecklichem Durst den Versuch gewagt habe, etwas weniges aus einem Milchtopf zu naschen, worüber, da die Frau sie bei sotanem Versuche ertappt habe, durch ihren Schrecken und ganz ohne Vorsatz der Milchtopf umgefallen, so sei die Frau wie eine Furie auf sie, die arme unschuldige Katze, losgefahren und habe auf sie losgeschlagen, erst mit dem Besen, hernach mit der Ofengabel und mit der eisernen Feuerzange, so daß Frau Mienz nur dadurch ihr Leben habe retten können, daß sie durch eine Fensterscheibe hindurchgebrochen, wobei sie sich Nase, Ohren und Füße an dem Glase jämmerlich zerschunden habe. »Ach!« – so schloß die Katze mit einem tiefen Seufzer: »Undank ist der Welt Lohn!« [641] Als nun die Katze mit der Erzählung ihres letzten traurigen Schicksals zu Ende war, begann der Hahn zu sprechen und berichtete, wie er allezeit munter und wachsam, auch tapfer, furchtlos und treu auf seinem Hofe gewesen, weil aber das Hühnervolk aus Faulheit und Auflehnungssucht, und ganz ohne sein, des Gückels, Verschulden, nicht mehr recht Eier legen wollen, und das faule Gesinde, wenn es sich verschlafen gehabt, die Schuld auf ihn geschoben, und gesagt, er wecke sie nicht mehr durch sein Krähen, er schlafe selbst zu lange, so sei ein junger Hahn voll Kraft und Mut und Feuer angeschafft worden, der habe ihn alsbald vom Hofe und von den Hennen weggebissen, und die Köchin habe gesagt: »Den alten Gückel kann man nun schlachten; sein Fleisch wird zwar nicht zwischen die Zähne taugen, vielmehr zu zäh sein, aber eine gute Hühnersuppe gibt es doch noch.« – »Als ich das hörte« – schloß der Hahn betrübt seine Erzählung, »beschloß ich auszuwandern, und stieß unfern des Dorfes, wo ich wohnte, auf meine Gefährtin, die Katze. Wir klagten uns unser gemeinsames Leiden, und seufzten oft: ›Undank ist der Welt Lohn!‹«

Den guten Bäckergesellen rührte gar sehr das traurige Schicksal dieser Tiere, das mit dem seinigen einige Ähnlichkeit hatte, und er beschloß, ihre Gesellschaft beizubehalten, und zu sehen, ob ihm vielleicht Gelegenheit würde, zu prüfen, ob die Tiere nicht dankbarer seien, als die Menschen, denn er hatte einmal ein Märchen gelesen, betitelt: »Die dankbaren Tiere«, dessen er sich noch gar wohl erinnerte, und worin die Dankbarkeit mehrerer Tiere gegenüber der des Menschen geschildert war.

Da nun die kleineren Tiere sehr schlecht auf den Beinen waren, der Hahn als bespornter Ritter große Märsche nie gemacht hatte, der Katze die zerschundenen Pfoten, in denen noch einige Glassplitterchen steckten, heftig schmerzten, und dem Hunde alle Knochen im Leibe weh taten, so redete der Bäcker dem Esel liebreich zu, er möge doch den Hund auf sich reiten lassen, und der Esel sagte: »Yah – meinetwegen. Der Hund ist noch lange nicht so schwer, als drei Säcke Korn, auch nicht so schwer als einer, auch rühmte mein Müllermeister stets, wenn er frühmorgens, nachdem er abends vorher zu viel getrunken, den Katzenjammer hatte, man müsse Hundshaare auflegen, Hundshaare seien sehr heilsam.« [642] Also sprach der Esel, der Hund kletterte auf seinen Rücken, setzte sich fest und lachte seit langer Zeit zum erstenmale wieder und sprach:

»Daheim schlief ich immer bei dem Pferde, jetzt trifft an mir das Sprichwort zu: Er ist vom Pferde auf den Esel gekommen.«

»Nun aber wirst du die Katze tragen«, sagte der Bäckergeselle zum Hunde; dies war dem nicht ganz lieb; er schabte sich mit seiner rechten Vorderpfote hinter dem linken Ohre und antwortete:

»Fürchtest du nicht, daß wir uns miteinander vertragen werden, wie Hund und Katze?«

»Nein!« meinte der Bäckergeselle: »ihr müßt euch gut und anständig betragen, denn das Sprichwort sagt: Die Katz kommt über den Hund.«

Darauf tat die Katze zwei Sätze, einen auf den Esel, und den zweiten auf den Hund, lachte und rief: »Das Sprichwort sagt: Kommt man über den Hund, so kommt man auch über den Schwanz!«

Nun wollte der Hahn auch aufsitzen, und zwar auf die Katze, die machte aber einen garstigen Katzenbuckel und sagte: »Es steht nirgend davon geschrieben, und es ist auch kein Sprichwort darüber vorhanden, das den Hahn mit der Katze in Verbindung bringt.«

»Tue es nur, und wär es mir zu Liebe!« redete der Bäcker zu.

»Gut, ich will es tun, aber unter folgenden drei Friedensbedingungen: Erstens muß er sich ganz anständig aufführen, da ich ein Tier bin, welches die Reinlichkeit über alles liebt; zweitens darf er mich nicht krallen, sonst kralle ich ihn wieder, denn es steht geschrieben: Wie du mir, so ich dir. Drittens darf er sich nicht einfallen lassen, zu krähen, denn sein Gesang beleidigt mein Zartgefühl und verletzt meine Nerven. Ein ganz anderes wäre es, wenn er, der Hahn, so wonnevoll und wunderschön zu singen verstände, wie ich, zumal in März- und Maimondnächten, in denen vor meinem melodischen Gesange selbst die hoch gepriesenen Nachtigallen verstummen und mir bewundernd zuhören, was eine allbekannte Sache ist.«

»Yah!« schrie der Esel! »Dieses hat seine Richtigkeit. »Anch' io sono – auch ich bin ein Gesangvirtuose, aber die Nachtigall ist ein neidischer Vogel, das hat schon ein [643] berühmter deutscher Dichter, des Namens Bürger, ausgesprochen, denn dieser schrieb:


Es gibt viel Esel, welche wollen
Daß Nachtigallen tragen sollen,
Des Esels Säcke hin und her;
Ob nun mit Recht, fällt mir zu sagen schwer.
Dies weiß ich: Nachtigallen wollen
Nicht, daß die Esel singen sollen.

Und so werden sie es ohne Zweifel mit den Katzen auch halten.«

Nach diesen Wechselreden kam der Friedensvertrag zu Stande, nach dem Sprichworte: Eintracht macht stark, daß der Esel den Hund, der Hund die Katze, die Katze den Hahn tragen solle, doch nur auf ihrem Buckel, nicht auf dem Kopfe, und es war lustig anzusehen, wie sich die viere nun so einträchtig betrugen.

Mittlerweile stellte sich die Nacht ein; Hunger und Durst hatten sich indessen schon früher bei den vier Wandergefährten eingestellt, aber weit und breit zeigte sich kein wirtliches Dach zur Einkehr und Labung; der Weg führte durch einen unwirtbaren Wald. Endlich spitzte die Katze die Ohren, und rief: »Ich höre von ferne einen Lärm, der fast wie der Jubel eines Gelages klingt.« Da schnoperte der Hund mit seiner Nase in die Luft, und sprach: »Ich rieche schon den Braten!« und der Esel stimmte bei: »Ich schmecke schon im voraus die gute Abendmahlzeit und die Süßigkeit der Nachtruhe!«

»Freunde!« rief der Bäckergesell: »Das ist alles recht schön und gut, ich fühle ganz eure angenehmen. Empfindungen, allein der Katze Hören, des HundesRiechen, des Esels ahnungsvolles Schmecken und mein Fühlen hilft uns nichts, wenn wir nicht sehen, wohin wir uns wenden sollen.«

Als der Hahn diese Rede vernahm, flog er vom Rücken der Katze hinweg auf einen Baum, freute sich, wieder einmal krähen zu dürfen, und krähete fröhlich: »Kikerikih! Ich sehe ein Haus, darin alle Fenster lichthell sind, und darin sicherlich ein Schmaus gehalten wird! Kikerikih!«

»Wohlan!« rief der Bäckergeselle, »dorthin wollen wir uns wenden!« und rasch nahm der Hahn die bisher behauptete hohe Stellung auf dem Rücken des Katzenbuckels, wie ein Affe auf dem Kamel, wieder ein, und Meister Baldewein, der Esel, trabte sachte mit seiner tierischen Pyramide nach [644] jenem Hause, das der Hahn gesehen hatte, zu, welches mitten in einer tiefen und trostlosen Einöde lag, von rauhem Wald und steilen Felsen umgeben, und allwo es grausig und unheimlich war.

Dieses Haus war ein einsames Waldwirtshaus, nur von einem Wirte bewohnt, und man wußte darin, was man bisweilen nicht weiß, sehr genau, nämlich wer Koch oder Kellner sei, weil der Wirt beide Würden in seiner eigenen Person vereinigte.

Wenn aber jemand ernstlich Hunger hat, so fragt er weder nach Heimlichkeit, noch nach Unheimlichkeit eines Hauses, sondern geht geradezu. Nun wurde in diesem Hause wirklich ein Fest gefeiert: die Füchse hielten allda eine Hochzeit, und auf dieser ging es hoch her; es fehlte nicht an allerhand Braten und sonstigen guten Sachen, und auch nicht an allgemeiner Heiterkeit. Welch ein Schreck entstand aber, als die Wandergesellschaft plötzlich in die Festhalle trat, und mitten unter die Generalversammlung der Beisassen des Hochzeitsmahles! – Durch Fenster und Türen gab alles Fersengeld, selbst der Wirt entfloh, denn derselbe dachte, der Teufel käme leibhaftig in Gestalt eines grotesken Monstrums oder Wundergeschöpfes und den Bäckergesellen hielten die Füchse für einen wilden Jäger.

Hinter dem Hause war eine recht schaudervolle Stelle, an welcher die Füchse insgemein einander gute Nacht sagten, dies taten sie denn nun auch heute ganz besonders betrübt, und zerstreuten sich in die Büsche; der Wirt aber wußte gar nicht, was er außerhalb seines Hauses beginnen sollte – um so besser aber wußten seine fünf ungebetenen Gäste, was sie innerhalb desselben beginnen sollten, nämlich sich's sattsam gut schmecken und vergnüglich wohl sein zu lassen, und als sie zur Genüge getrunken und gegessen hatten, suchte jeder Gast die für ihn geeignete Schlafstätte. Der Bäckergeselle legte sich in das Bette des Wirtes, die Katze wählte die Ofenbank, der Hund die Türschwelle vor der Kammer, in welcher sein Schutzherr schlief, der Hahn klomm die Stiege des Hühnerhauses hinan, und der Esel trabte bedächtig dem offenen Stalle zu; alle befanden sich, jedes an seinem Orte, völlig wohl.

Nun aber kam der Wirt geschlichen, der wollte doch sehen, wie es um sein Hauswesen stehe, ob es überhaupt noch stehe, und ob sich mit dem bösen Feinde, der darin Besitz [645] genommen, nicht ein Abkommen und Übereinkommen treffen lasse. So wie der Wirt aber in seinen Hof trat, krähte der Hahn; davon erwachte der Hund, und als der Wirt in die Flur des Hauses trat, biß ihn der erstere tüchtig in das Bein; der Wirt flüchtete in die Stube, da fuhr die Katze fauchend auf ihn ein und kratzte ihn – eiligst entfloh der Wirt und suchte im Stalle Schutz, da stand der Esel und feuerte hinten hinaus und schlug den Wirt, daß ihm gar wehe ward, er wieder von dannen rannte und den letzten Füchsen in des Häuschens Nähe sein Leid klagte.

Als es nun Tag geworden war, so erwachte der Bäcker und die Tiere erzählten ihm, was es in der Nacht noch zwischen dem Wirt und ihnen für ein Spektakel gegeben habe, und wie schlimm jenem von ihnen mitgespielt worden sei. Der Bäcker tadelte dieses feindselige Benehmen gegen den rechtmäßigen Besitzer des Waldhäuschens, und entsandte den Hund, den Wirt zu suchen, und herbei zu bringen. Da nun der Wirt mit Zittern und Beben wieder erschien, so entschuldigte der Bäckergeselle sich höflich über das Vorgefallene und sagte, er sei mit seinen Tieren gar nicht in feindseliger Absicht gekommen, es hätte niemand davon zu laufen gebraucht. Der Wirt solle die Wirtschaft in dem stillen Waldhäuschen nur auf Rechnung des Bäckers fort führen, aber, des Hahnes wegen, den Füchsen das Haus fernerhin verbieten, denn der Hahn müsse gänzlich in Ruhe bleiben, krähen oder nicht krähen dürfen, wie es ihm als wohlbestallten Emeritus gefalle. Der Esel solle im Stalle Gnadenheu und Gnadenhafer erhalten, und gutes Stroh zur Streu, falls er sich wälzen wolle, oder auch zum Spaziergang eine grüne Wiese. Die Katze solle durch ihre würdige Haltung Mäuse und Ratten in gehöriger respektvoller Entfernung vom Hause halten, und alle Tage Weck und Milch speisen. Der Hund aber solle und dürfe, so lange es ihm beliebe, in der Sonne liegen, und mit dem Monde sprechen. Der Bäcker aber wolle für alle arbeiten, das Brot backen, dem Wirte beim Bierbrauen und Biertrinken helfen, auch den Küchengarten bestellen, und mit gekochtem Essen umgehen. Das waren alle Beteiligten wohlzufrieden. Zum Andenken ihrer Wanderung und des neugeschlossenen Bündnisses pflanzte der Bäckergeselle in den Haus- und Küchengarten Schmackedusen- und Löffelkraut, Hahnenkamm, Katzenpfötchen, Hundszunge und Eselsgurken, und alle lebten fortan vergnüglich [646] beisammen, und vergaßen den schnöden Lohn der Welt, den schnöden Undank.

Der fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der fette Lollus und der magere Lollus

Es starb ein reicher Mann, welcher zwei Söhne hinterließ und ein hübsches Vermögen und Erbe. Der eine der Söhne erwählte den geistlichen und zwar den Mönchs-Stand, der zweite einen sehr weltlichen, er wurde ein Gastgeber, das heißt, er gab seinen Gästen so wenig als möglich und nahm dafür von ihnen so viel als möglich. Er heiratete nach Geld und strebte fort und fort nach Geld. Seinem Bruder borgte er dessen Erbanteil ab, da dieser als Mönch kein Geld bedurfte, und wucherte damit, aber nicht zu des Bruders, sondern zu seinem eigenen Nutzen. Seine Biergemäße waren falsch, und seine Weinflaschen ließ er auf der Glashütte so klein blasen, daß man beim Anblick einer ganzen Flasche sehr in Zweifel geriet, ob es nicht eine halbe sei, und seine halben Flaschen schienen alle nach der schlanken Körperbildung eines Bleistifts hinzustreben, daher hießen sie auch bei den Gästen dieses Wirtes nie anders, als Stifte. Wenn der Stallknecht dem Pferde eines Reisenden Hafer vorgeschüttet hatte, so trat der Wirt, wenn er sich unbemerkt glaubte, an die Krippe, kripste ganze Hände voll Hafer wieder dem armen Tiere vor dem Maule weg und schob ihn in seine Tasche. Er sagte sich, deshalb heiße die Krippe so, weil man aus ihr kripsen könne. Es war ein durchtriebener Schalk, dieser Wirt, und an ihm lag es nicht, daß er nicht reich wurde, denn Anlagen dazu hatte er, aber das Bibelwort sagt nicht vergebens: die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke. Des Wirtes Tun segnete nicht. Was half es ihm, wenn er fremden Pferden von deren Futter ein paar Hände voll Hafer stahl – und eins seiner eigenen Pferde krepierte? Wenn er durch sein zu knappes Gemäß nach und nach einen Anker Wein langsam gewann, und durch Nachlässigkeit seiner Leute, die er ohne Aufsicht ließ, ihm ein ganzes Ohm in den Keller lief? Er kam nicht vorwärts, dieser betriebsame Wirt, sondern er kam zurück in allen Dingen, nur nicht von seiner Prellerei und Habsucht, diese trieb [647] er immer ärger und ärger, bis die Gäste wegblieben und das Weinstüblein leer stand, die Karten und Würfel ruhten, der Bratofen kalt blieb und der Schornstein sich das Rauchen abgewöhnte.

Als es so weit schon mit dem Krebsgange dieses Wirtes gediehen war, schlug ihm ein neuer Schrecken in die Glieder; sein Bruder, der fromme Mönch, kam und sprach zu ihm: »Lieber Bruder, gib mir das dir geliehene Kapital heraus, ich habe meinem heiligen Schutzpatrone in unserer Klosterkirche einen kostbaren Altar mit herrlicher Malerei, Schnitzwerk und Vergoldung gelobt, den will ich davon herstellen, und was übrig bleibt, wenn etwas übrig bleibt, davon will ich Seelenmessen für unsere lieben Eltern, für dich und mich auf ewige Zeiten stiften.«

»Großer Gott!« schrie der Wirt: »Bruder, wie kannst du so unsinnig handeln! Ich kann dir dein Geld jetzt nicht herausgeben, denn ich habe es nicht – ich bin zu Grunde gerichtet; und wenn du auf der Zahlung bestehst, so wird mir Haus und Hof über dem Kopfe angeschlagen, ich muß mit Weib und Kindern betteln gehen, und du bekommst erst recht nichts, und dein heiliger Schutzpatron bekommt auch keinen neuen Altar. Höre mich an und sei vernünftig, mein lieber gottseliger Bruder! Lasse mir noch das Geld, gönne mir Zeit, mich zu erholen! Du weißt, wir haben eine schlimme Zeit durchgemacht, in welcher niemand auf einen grünen Zweig hat kommen können, außer die Bauern, die haben ihr Schäfchen geschoren und lachen uns jetzt aus. Dein Heiliger ist gewiß ein edeldenkender Menschenfreund gewesen, und hat er einige Jahrhunderte in deiner Klosterkirche keinen Pracht-Altar gehabt, so wird es ihm darauf, einige Jahre früher oder später einen solchen zu erhalten, auch nicht ankommen. Gott der Herr weiß, daß ich mir es gehörig sauer werden lasse – ich plage mich über alle Maßen, Geld zu erschwingen – aber es geht nicht – ich komme zu nichts.«

»Das höre ich sehr ungern von dir, lieber Bruder«, sprach mit Teilnahme der Mönch. »Du hast den schlechtesten Gast in dein Gasthaus aufgenommen, den es geben kann.«

»Wer wäre das?« fragte der Wirt.

»Das ist der fette Lollus!« entgegnete der Mönch.

»Der fette Lollus?« fragte verwundert der Wirt. »Du scherzest entweder, Bruder, oder du faselst. In meinem [648] Fremdenbuche steht kein Gast solchen Namens, und nie hörte ich diesen Namen nennen, wahrlich, in meinem ganzen Leben nicht!« –

»Das ist wohl möglich«, sagte der Mönch: »dennoch ist dieser schlimme Gast vorhanden und die alleinige Ursache deines Vermögensverfalles und deines Zurückkommens.«

»Den möcht ich sehen! Ich wollt ihn« – fuhr der Wirt auf.

»Du wirst ihm nicht gleich etwas anhaben, lieber Bruder« – sprach lächelnd der Mönch: »allzulange hast du ihn treulich gehegt und gepflegt – doch sehen sollst du ihn, den fetten Lollus. Er befindet sich in deinem Keller, gehe mit mir hinunter.« –

Verwundert nahm der Wirt den Kellerschlüssel und eine Lampe, und dachte: Aha, mein Bruder meint den Wein – er will andeuten, ich sei mein bester Gast selbst, doch da irrt er sich sehr.

Im Keller hieß der Mönch seinen Bruder die Lampe auf ein Faß setzen, daß ihr Strahl in eine leere Ecke fiel, hieß den Wirt hinter sich treten, zog ein kleines schwarzes Buch hervor, und murmelte daraus, gegen die Ecke gekehrt, eine Beschwörungsformel. Da wallete der Boden, da hob sich etwas Dickes heraus, da glühten ein Paar feurige Augen, und dem Wirte gerann das Blut in den Adern vor Furcht und Grauen. »Lölle, gehe ganz herzu!« rief der Mönch, da hob sich dem dickgeschwollenen Kopfe ein unförmlich dicker Leib nach, und kurze, plumpe Füße patschten auf dem Boden des Kellers, und ein unförmliches, scheußliches Tier, dessen Haut so fett und speckig glänzte, wie die einer Robbe, hockte in der Ecke.

»Schaust du deinen werten Gast, mein Bruder?« fragte der Mönch zu diesem gewendet, sehr ernst. »Ich vermeine, er habe sich in deiner Herberge nicht übel gemästet! Siehst du, Bruder – alle und jede Frucht deines Truges hat nicht dir angeschlagen, sondern diesem Lollus. Was du den Fremden und deren Vieh abgezwackt, der hat sich davon genährt, den durch zu kleines Gemäß und durch zu kleine Flaschen trüglich gewonnenen Wein oder sonstiges Getränke – alles hat der Lollus geschluckt. – Unrechtes Gut gedeihet nicht, und Untreue schlägt ihren eigenen Herrn. Soll sich's mit dir und deinem Wesen bessern, so übervorteile niemand mehr, betrüge niemand, übernimm niemand. Fordere was recht ist, [649] denn was recht ist, lobt Gott. Halte ehrliches, gerechtes Maß und Gewicht, siehe selbst zu deinen Sachen, täglich, stündlich, vom Keller bis zum Kornboden. Bediene, so viel du es kannst, selbst deine Gäste, verlasse dich nicht allzuviel auf Oberkellner und Unterkellner, auf Hausknecht und Stallknecht, auf Koch und Büttner. Je mehr du Gesinde hältst, je fetter füttert sich der Lollus.«

Nach dieser Vermahnung wurde der Wirt sehr nachdenklich, und sagte: »Ich danke dir, mein Bruder; ich will tun nach deinen Worten, die du mir gesagt hast.« Da beschwor der Mönch den Lollus wieder, und sagte: »Lölle, kreuch ein«, und schwerfällig kroch der Lollus hinterwärts wieder in die Erde zurück, und die Kellerecke war wieder leer und glatt, wie zuvor.

»Mein Geld will ich dir noch vier Jahre lassen«, sagte der Mönch: »dann aber muß meinem Heiligen Wort gehalten werden.« Darauf schied er von seinem Bruder hinweg.

Der Wirt befolgte mit Eifer seines Bruders treuen Rat, änderte seine Wirtschaft ganz und gar, richtete alles besser ein, sparte am rechten Orte, veruntreuete aber nichts mehr. Seine Frau mußte in der Küche selbst zum Rechten sehen, was sie früher nicht getan – richtiges Gemäß wurde hergestellt, auf der Glashütte wurden gerechte und vollkommenen Weinflaschen geblasen, und die kleinen liliputanischen verschwanden. Dafür stellten sich die verschwundenen Gäste wieder ein, der Bratofen wurde nicht mehr kalt, und der Schornstein rauchte wieder, trotz einem deutschen Professor schier Tag und Nacht.

Des Wirtes ganzes Wesen besserte sich in jeder Weise; sein Wohlstand nahm mit seiner Rechtlichkeit sichtbarlich zu; sein guter Ruf und der seines Hauses breitete sich weit aus, und die Gastwirte in den Nachbarstädten begannen, ihn zu beneiden, denn die Reisenden fuhren lieber noch ein paar Stunden in die Nacht hinein, um nur in das gute Gasthaus zu gelangen, und nicht selten war dieses so von Gästen überfüllt, daß der fröhliche Wirt dennoch eine traurige Miene annehmen, und die überzähligen Gäste abweisen mußte.

Als nach dem Ablaufe von vier Jahren der Mönch, des Wirtes Bruder, wieder kam, seinen Erbanteil zu begehren, empfing ihn der Wirt auf das freundlichste, setzte ihm ein herrliches Weinchen von der schönsten Farbe vor und allerlei [650] schmackhaften Konfekt, Nonnen-Plätzchen und dergleichen, und legte ihm starke Geldrollen auf den Tisch, indem er sagte: »Hier, mein lieber Bruder, ist mit meinem besten Dank dein Kapital samt allen Zinsen, redlich berechnet bei Heller und Pfennig«; der Mönch aber sagte:

»Lieber Bruder, die Zinsen nehme ich nicht, solches ziemet mir nicht nur nicht als einem Priester, sondern es stehet auch geschrieben: Du sollst nicht Wucher nehmen von deinem Bruder. Aber ich freue mich, daß du des fetten Lollus ledig bist, und hast nur noch den magern.«

»So?« sagte der Wirt. »Wohnt der auch im Keller? Den möcht ich auch sehen.«

»Den sollst du sehen!« antwortete der Mönch, hieß den Wirt voran in den Keller gehn und hob drunten seine Beschwörung wieder an. Da bewegte sich ganz langsam hinten in der Ecke die Erde und allmählich lugte ein schmales Köpfchen heraus, mit ganz matten Augen.

»Lölle, gehe ganz herzu!« sprach der Mönch. Da wand sich der Lollus matt und mühsam aus dem Boden, und erschien äußerst abgemagert; seine Haut glänzte nicht mehr wie Speckschwarte, sondern war verrumpfelt und verschrumpfelt wie eine Baumrinde, und sah äußerst hinfällig aus. »Nun ist's gut, das freut mich!« sprach der Mönch. »Lölle, kreuch ein!« – Da kroch der Lollus wieder hinterwärts, aber ganz langsam, in den Kellerboden zurück, und in der Ecke war nichts zu sehen.

»Hab Acht, Bruder!« sagte der Mönch: »wenn du bleibst, wie du jetzt bist, so hält es der Lollus kein Vierteljahr mehr bei dir aus, entweder er verkommt, oder er geht ein Haus weiter und sucht sich einen Herrn, der ihn besser nährt wie du.« – Dieses Trostes war der Wirt über alle Maßen froh, und segnete seines weisen Bruders Rat tausendfach.

Die Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die Adler und die Raben

Auf einem großen Gebirge lagen zwei weite Wälder nachbarlich einander gegenüber, fern den Gegenden, welche Menschen bewohnten, und in einem dieser Wälder horsteten eitel Adler, im andern aber nisteten bloß Raben, und [651] jedes dieser Vogelgeschlechter stand unter einem Könige von demselben Stamme, welche über ihr Volk als Alleinherrscher regierten.

Da geschah es, daß alter Haß aufs neue rege ward unter den Adlern gegen die Raben, und in einer Nacht der Adlerkönig sich mit einer Schar der Seinen erhob, hinüber flog nach dem Rabenwalde, dort die schlafenden und keines feindseligen Angriffes sich versehenden Raben überfiel und ihrer eine große Anzahl tötete, ohne daß der Rabenkönig nur etwas von diesem Überfall erfuhr, bis am Morgen, als er erwachte und sich von seinem Neste erhob. Da vernahm er den Schaden und großen Verlust der Seinen mit ernster Betrübnis und versammelte all seine Räte, und gedachte mit ihnen zu beratschlagen, wie man am besten diese untreue Tat der Adler rächen könne und solle. Da die Raben, wie die Naturgeschichte lehrt, merklich gute Redner sind, so fehlte es auch dem Rabenkönige nicht an der rechten Redegabe, und er sprach zu seinem versammelten Rate also:

»Meine lieben Getreuen! Euch ist kund geworden, wie ohne vorherige Absagung und Kriegserklärung zuwider allem Völkerrechte die Adler, unsere Nachbarn, uns heimlich bei nächtlicher Weile überzogen und viele der unsern gemordet haben, ohne daß wir zur Zeit noch erfahren können, warum sie solches getan haben? Werden wir das dulden und es ohne Wiedervergeltung geschehen sein lassen, so wird es mehrmals geschehen, darum laßt uns ratschlagen, auf welchen Wegen wir das tun, was für uns und unser Staat das Beste ist. Übereilt euch nicht mit eurem Rate, sondern überleget ihn wohl, denn unser aller Wohl oder Wehe hängt davon ab, ob wir weisen oder unweisen Rat schöpfen. Sinne ein jeder eine gute Weile nach über den unerhörten Fall, der unsers Reiches bisherige Wohlfahrt stört, ja sie mit Vernichtung bedroht, wenn wir nicht Mittel finden, dem feindseligen Tun der Adler zu steuern.«

Auf diese Rede des Königs erfolgte eine geheime Sitzung bei verschlossenen Türen, welcher nur die fünf Geheimräte des Königs beiwohnten, den König an ihrer Spitze. Diese Raben waren mehrenteils von Alter ganz grau, einige waren sogar weiß befiedert, mancher hatte einen völlig kahlen Kopf, und fast alle gingen gebeugt einher, unter der Last ihrer Jahre, die, wenn man sie zusammen zählte, sich auf eine hohe Summe beliefen. Der König war weit jünger als [652] sie alle. Als der letztere nun das geheime Conseil eröffnete, so nahm der erste, der Vorsitzende im Geheimen Staatsrat, als Minister-Präsident das Wort, und sprach: »Großmächtigster König und Herr! Die alten Weisen haben schon ausgesprochen, was ich zu raten mir gestatte: Wenn ein Feind dir an Macht überlegen ist, und du nicht vermagst, ihm zu widerstehen, so weiche ihm, und vermiß dich nicht mit einem eitlen und stolzen Herzen mit ihm zu kämpfen, sonst wirst du des Schadens noch mehr von ihm erleiden, denn zuvor.«

Der König faßte den Sinn dieser Rede vollkommen wohl, äußerte seine Meinung aber nicht, sondern wendete sich an seinen zweiten Geheimrat und fragte: »Was sagest du?«

»Allergnädigster König und Herr!« antwortete der Gefragte, »meiner ohnmaßgeblichen Meinung nach kann ich die Absicht meines geehrten Freundes, der vor mir gesprochen, nicht teilen. Sollte es wohlgetan sein, so ohne weiteres uns als besiegt zu erklären und unsere Heimat ohne den mindesten Versuch einer Verteidigung aufzugeben? Nein, lasset uns in Eintracht bereit sein zu mannhaftem Widerstande, wehrhaft gerüstet und allewege wachsam. Hüter und Späher lasset uns aussenden, die uns alles künden, was sie vom Beginnen der Adler gewahren, und kommen sie wieder, uns feindlich anzufallen, so laßt uns ihnen tapfer entgegen ziehen mit aller Macht. Vielleicht entweichen sie, wenn sie wahrnehmen, daß wir mit gleicher Münze ihnen zu zahlen bereit sind, wie sie uns. Schimpflich wäre uns Flucht mit Weibern und Kindern, und das Verlassen dieses unseres durch unsere Väter geheiligten Waldes und Wohnsitzes. Den laßt uns behaupten und verteidigen auf Tod und Leben; zu schimpflicher Flucht bleibt immer noch Zeit, wenn im Kampfe wir unterliegen.«

Schweigend hörte der König auch diesen Rat, und gab dem dritten seiner Geheimräte das Wort. Dieser erhob mit Würde sein ernst gesenktes Haupt und öffnete seinen Schnabel bedachtsam. »Allergnädigster König und Herr! Die verehrten Vorredner haben gewiß nach ihrer beiderseitigen, wenn auch entgegenstehenden Überzeugung gesprochen. Mir scheint es schwierig zu sein, gegen die Adler mit Hoffnung auf Sieg zu streiten, denn offenbar sind sie stärker, streitbarer und mächtiger, aber auch ich rate nicht schimpfliche Flucht und freiwilliges Exil an. Sende, o König, einen [653] weisen, redekundigen Mann deines Vertrauens zu den Adlern hinüber, der ihren König als dein Gesandter in deinem Namen frage, ob er Kenntnis von dem Überfalle gehabt, was dessen Grund sei, und womit wir denselben verschuldet? Vielleicht läßt sich das Geschehene als ein Mißverständnis sühnen und auf dem Wege der Verhandlung gütlich beilegen. Vielleicht läßt sich auch von unserer Seite der Friede mit den Adlern erkaufen, damit wir ruhig im Schoße unserer Heimat verbleiben, denn das ist das Wort der alten Weisen:

Besser ist Friede denn Krieg, und nicht schimpflich ist es, Tribut zu entrichten dem unbesiegbaren Feinde!«

Der Sprecher schwieg, und schweigend gab der König dem vierten Rate das Wort. Dieser, minder hochbetagt, wie seine Vorredner, hob sein Haupt mit kühner Bewegung und sprach mit männlicher Kraft: »Keiner der verehrten Ratgeber hat ausgesprochen, was uns in Wahrheit frommen mag! Ich stimme gegen das gänzliche Aufgeben und Verlassen unseres heimatlichen Wohnsitzes, ich stimme gegen den ungleichen Kampf, der nur mit unserer schmählichen Niederlage und Knechtung enden würde, ich stimme gegen Verhandlung mit jenen nichtswürdigen Adlern, und vor allen stimme ich gegen einen Tribut, der uns ihnen gleichsam unterordnet. Mein unmaßgeblicher Rat ist, eine Zeitlang zu weichen, uns draußen Bundesgenossen zu werben, und dann unversehens mit Heeresmacht zurückzukehren, den Adlern zu tun, wie sie uns getan, um unsern Wohnsitz uns wieder zu gewinnen. Die alten Weisen sagten: Wer sich seinem Feinde unterwürfig macht, der hilft ihm wider sich selbst.«

Der König wiegte bedächtig sein Haupt hin und her; er faßte und wog den Sinn aller vernommenen Worte in seinen Gedanken, und winkte dem fünften seiner Räte, zu sprechen. Dieser begann: »Meinem Bedünken nach frommt uns keiner von allen den bisher gegebenen Ratschlägen vollkommen. Ich kann zwar ebenfalls nicht dafür stimmen, gegen einen uns überlegenen Feind zu streiten. Ich fürchte die Aaren. Niemand soll seinen Feind allzu gering achten! Ich kann aber auch nicht zu schimpflicher Flucht raten, eben so wenig zu schimpflichem Tribut, und noch minder möchte ich den Adlern die Ehre einer Gesandtschaft unsererseits angetan sehen, denn einer solchen würden sie sicherlich spotten. Die alten Weisen geben den Rat: Niemand nahe sich seinem Feinde, so er nicht eigenen Vorteil gewahrt. Mein Rat und [654] Vorschlag ist der, abzuwarten mit List und Vorsicht, was weiter von Seiten der Adler gegen uns vorgenommen werden will, keine Furcht zu zeigen, aber auch keine Herausforderung, keine Demütigung, aber auch keinen Übermut. Ein Weiser sieht seinen Schaden voraus, und bewahrt sich vor ihm, bevor er ihm naht. Denn unwiderruflich ist, wenn es nahe schon kam, uns das Unheil. Mit sanfter Gewalt durch List und Verstand vermeiden wir vielleicht den Krieg und die Unterjochung.«

Jetzt nahm der König fragend das Wort: »Wie meinst du das? Welche List willst du brauchen gegen die Adler? Sprich es ganz aus, was du im Sinne hast.«

Der Sprecher erwiderte: »Höre mich, mein König und Herr! Wenn ein König seine Räte befragt, die er als Weise erkannt, und welche Kenntnis von allen Dingen besitzen, so wird sein Reich wohl bestehen und seine Macht wird gemehrt und gestärkt. Verschmäht aber ein König den Rat seiner Weisen, und folgt, selbst wenn es ihm an eigener Klugheit und Einsicht nicht mangelt, nur seinem eigenen Willen und Vorsatz, der wird selten ein glückhaftes Ende seiner Ratschläge sehen, und sein Reich wird nicht zur Blüte gelangen. Lasset uns unser aller Rat so lange prüfen und weislich durchdenken, bis wir das finden, was das gemeinsame Beste ist. Mein Rat ist dieser: Zum ersten, daß wir uns des Eindrucks entschlagen, den der Schreck des unvermuteten feindlichen Überfalles in unsere Herzen goß, und mit gestärktem herzhaften Gemüte Beschlüsse fassen. Zweitens, daß wir uns völlig klar werden über die Ursache des Überfalles und die Feindseligkeit der Adler gegen uns, eine Ursache, die im geschichtlichen Boden wurzelt. Ohne diese Ursache zu kennen und reiflich zu erwägen, ist unsererseits ein vernunftgemäßer Entschluß nicht möglich.«

»Aber wie sollen wir diese Ursache ergründen?« fragte der König.

»Sie ist ergründet, ich kenne sie, mein König«, antwortete der Sprecher.

»So sage sie!« gebot der König.

»Sie ist ein Geheimnis, mein königlicher Gebieter!« entgegnete der weise Ratgeber. »Die alten Weisen gaben aber das schöne Rätsel auf: Was ist füreinen zu wenig, für zwei genügend, für drei zu viel? Das Geheimnis, und was ich dir zu sagen habe, ist nur für zwei Zungen und für vier Ohren [655] tauglich. Wie weise auch mancher Herrscher sei, alles kann er doch nicht wissen, darum heißen der Herrscher vertraute Räte Geheime, daß er ihnen seine Heimlichkeit anvertraue und sie ihm hinwiederum mitteilen, was nicht ein jeder andere zu wissen braucht.« –

Auf diese Worte hob der König die Sitzung seines Geheimratskollegiums auf und hieß den weisen Rat ihm in ein abgesondertes Gemach folgen, und fragte ihn dort: »Was weißt du von der Ursache des gegen uns offenbar gewordenen Hasses der Adler?«

»Die ganze Ursache wurzelt in einer Rede, mein König, die einmal ein Rabe gehalten hat« – antwortete der Geheimrat.

»Setze dich nieder, und erzähle mir das!« sprach der König, und ließ sich ebenfalls nieder, um aufmerksam zuzuhören, und der Ratgeber erzählte.

Vom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Vom Hasen und dem Elefantenkönige

»Es kamen einmal alle Geschlechter der Vögel zusammen, gemeinsam einen neuen König zu küren, denn ihr bisheriger König war gestorben, und sie waren bereits unter sich einig, den Aar zum Könige zu wählen. Schon sollte die Wahl erfolgen und bestätigt werden, so sahe die Versammlung von weiten den Raben geflogen kommen, der sich verspätet hatte, und da sprachen einige der Versammelten: ›Es ist gut, daß der Rabe auch kommt, auf daß wir seinen Rat ebenfalls vernehmen‹, und als der Rabe sich niederließ, sprachen sie zu ihm: ›Es ist recht, daß du kommst, dein Stimmrecht auszuüben, wie jeder von uns befugt und berufen ist; gern hören wir deine Meinung, doch sind die meisten Stimmen für den Adler als unsern künftigen König.‹ Darauf antwortete der Rabe: ›Wenn über die Wahl bereits entschieden ist, so bleibe ich in der Minderheit und bin von vorn herein überstimmt, aber dennoch gebe ich mein Nein zu diesem euern Beschluß. Und selbst wenn es keine edlen Geschlechter unter uns Vögeln mehr gäbe, keine Königsgeier, Edelfalken, Reiher und heilige Ibisse, Schwäne und Paradiesvögel, sondern nur Tauben, Spatzen, Nachteulen und Rohrdommeln, [656] und dergleichen, so würde ich dennoch nicht für den Adler als unser gemeinschaftliches Oberhaupt stimmen, denn er wird von bösen Sitten beherrscht, seine Farbe ist ein unentschiedenes geflecktes und getigertes Braun, seine Zunge trägt er verkehrt im Schnabel, schöne Reden zu halten, wie wir weise Raben, vermag er gar nicht, und doch kommt so unendlich viel darauf an, daß ein Herrscher gut zu sprechen und Reden zu halten wisse. Der Adler ist ein halber Tor – in seinem ganzen Wesen und Gebehrden ist kein Adel, nicht das, was wir noble Haltung nennen. Vernunft besitzt er gar keine, desto mehr aber Grimm und Grausamkeit, jähen Zorn und gnadenlose, unbarmherzige Tyrannei. Sein ganzes Geschlecht ist von jeher übel berühmt; hat stets auf Schlimmes gesonnen und ist arglistigen, tückischen Herzens auf anderer Schaden bedacht gewesen, ist so voll Bosheit, daß ich es gar nicht auszusprechen vermag. Darum sage ich euch, wählt keinen Adler zu unserm Könige, suchet euch einen andern, wenn er auch vielleicht minder klug und scharfsichtig ist; edle Einfalt der Gemütsart ist besser als behende allüberlistende Klugheit. Denn wäre einer König, und immerhin etwas beschränkten Verstandes, wenn er weise Minister hat und fromme Räte und Beisassen, so wird sein Reich wohl bestehen, wie wir ein Beispiel haben an dem Könige der Hasen. Dieser war nicht besonders klug und weise, aber er folgte weisen Ratschlägen und das kam ihm zu gute.‹

Auf diese Rede fragten alle Vögel, welche so aufmerksam zuhörten, wie du jetzt mir, mein allergnädigster König und Herr« – fuhr der weise Ratgeber zu erzählen fort: »was denn der Hasenkönig getan und vorgehabt? worauf der Rabe antwortete:

›Es war einmal ein überteures Jahr, und dabei so trocken, daß die Früchte des Landes verdorrten und alle Quellbrunnen versiegten; das fiel allen Tieren zu ertragen sehr schwer, am schwersten aber denen, welche vieler Pflanzennahrung bedürfen, folglich den größeren und größten, nämlich den Elefanten. Diese traten zusammen, und klagten ihrem Könige ihre große Not, und sprachen: ›Uns gebricht es täglich mehr an Wasser und Weide. Wäre es dir genehm, so wollten wir Boten aussenden, eine andere Wohnstätte zu suchen, daß wir unser Leben erhalten.‹ – ›Ich habe nichts dagegen, tut nach eurem Rat und Gefallen!‹ antwortete der Elefantenkönig. [657] Darauf ernannten die Elefanten einen Ausschuß, und schickten dessen Mitglieder aus, umher zu lugen, und zu suchen, wo sich ein besserer wasserreicher Wohn- und Weideplatz böte. Davon gelangten einige in das Königreich der Hasen; das war ein lustiger Ort, mit einem Brunnen, welcher dem Monde heilig war, wie denn auch die Hasen dem Monde heilig waren vor alten Zeiten. Dort rings um den Brunnen waren die unterirdischen Höhlen der Hasen. Den ausgesandten Spähern gefiel Ort und Gelegenheit gar zu wohl, sie kehrten heim und erstatteten Bericht über den neuen Wohnsitz. Von den Hasen hatten sie nichts wahrgenommen, denn der Kleine fürchtet den Großen und die Weisen behaupten, es sei von Seiten Kleiner nicht gut Kirschen essen mit den Mächtigen. Auf die gute Botschaft hin brach das Elefantenvolk samt seinem Könige auf, und zertrampelten den armen Hasen Wohnungen, Höhlen und Ansitze in Grund und Boden samt einem Teile des zaghaften Völkleins. Da war des Jammers kein Ende, und die Hasen liefen haufenweise zu ihrem Könige und klagten ihm ihr Herzeleid, und wollten Rat und Hülfe von ihm. Aber da war guter Rat teuer und Hülfe fern, denn was vermag das schwache Häslein gegen den mächtigen Elefanten? Der Hasen-König aber berief dennoch seine Räte, und sprach zu ihnen: ›Ich fühle wohl, daß ich nicht weise genug bin, meinem zertretenen Reiche zu helfen, darum ratet ihr, was uns zu tun ziemt, redlich und getreulich, mir und euch und der gesammten Hasenheit zu Nutz und Frommen.‹ Da sprach ein alter Hase, welcher weise und gelehrt war, und in großer Achtung stand: ›Wenn es dir gefällt, so sende mich, mein König, und noch einen deiner Getreuen, der meine Werbung vernehme und dir darüber berichte, zum Könige der Elefanten.‹

Der König erwiderte auf diese Rede: ›Mich will bedünken, du seiest getreu und weise genug, und ich vertraue dir sonder allen Argwohn ganz allein. Vollziehe die Sendung und melde was du ausgerichtet. Sage auch dem Könige der Elefanten meinen Gruß, und außerdem in meinem Namen alles was dir gut dünkt, denn ein Botschafter muß wissen, wie er sich verhalte, und alles beobachten und in Anwendung bringen, was ihm nützlich erscheint.‹ – Hierauf machte sich der alte Hase in einer hellen Vollmondnacht auf und ging nach dem Mondbrunnen, doch überlegte er mit Vorsicht, [658] daß er von zarter Leibes- und Gliederbeschaffenheit sei, und dachte der alten Sprichwörter: Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, der kommt darin um, und wer unter die wilden Tiere geht, den zehren sie auf. Ich will diesen Berg besteigen und mit dem Elefantenkönige Zwiesprache pflegen.

Der alte Hase tat, wie er gesagt, und kam vor den Elefantenkönig und sagte zu ihm: ›An dich, großmächtigster Herr und König, sendet mich der Mond, mein nachtbeherrschender Gebieter. Höre seine Botschaft durch mich an in deiner Weisheit und laß mich nicht etwa Mißfälliges entgelten, denn ein Abgesandter ist nur ein Werkzeug.‹

Der Elefantenkönig sprach: ›Sage mir an, was ist es, das der Mond wünscht und gebeut?‹ und der alte Hase erwiderte:

›Also entbietet dir durch meinen Mund der Mond: Der Mächtige, der seiner Macht vertraut, läßt sich leicht durch diese bewegen, zu streiten gegen den, der noch mächtiger und stärker ist und sein Kampfgelüst wird ihm leicht zu einem Strick um seine Füße. Du o König, lässest dir damit nicht genügen, daß du der Mächtigste und Größte bist unter allen Tieren, nein, du hast deinen Zug unternommen gegen mein armes Volk, das Volk der Hasen; hast mit den Deinen ihrer und ihrer unschuldigen Kindlein Weide zertreten, und meinen und ihren Brunnen. Tue dies nicht mehr, hebe dich mit den Deinen anderswohin von dannen, oder ich will eure Augen trübe machen, spricht der Mond, und euch von dannen bringen mit meinem grimmigen Zorn. – Und so du, o König, meinen Worten nicht glaubst, so soll ich dir des Mondes zornvolles Antlitz zeigen.‹

Da erschrak der Elefantenkönig und ging mit dem Hasen zu dem Mondbrunnen, und der letztere ließ ihn in das Wasser sehen, und sagte: ›Schmecke mit deiner langen Nase hinab, so schmeckst du den Mond.‹ Da stieß der Elefant seinen Rüssel in den Mondbrunnen, und da bewegte sich alsbald das Wasser, und das widerspiegelte klare Antlitz des Mondes verzerrte sich. ›Siehest du – o mächtiger König!‹ rief der Hase: ›wie grimmig der Mond dich anschaut, und seinen ganzen Zorn dir verkündet durch seine Mienen über das Arge, das du ihm und seinem Volke getan!‹

Darauf sprach der Elefantenkönig: ›O Herr, der Mond! Nimmermehr will ich oder soll einer der Meinen wider dich [659] und die Deinen sein! Gern wollen wir weichen von deinem Heiligtume.‹ Und tat also und zog ab mit den Seinen weit hinweg von dem Mondbrunnen, und die Hasen nahmen wieder Besitz und bauten ihre Wohnungen aufs neue, und wohnen noch heute in Frieden an ihrem Orte.

›Dieses‹, sprach der zu dem Volke der Vögel redende Rabe, ›habe ich euch als ein Beispiel gesagt, daß ihr einen verständigen König euch wählt, der, wie jener König der Hasen, auf verständigen Rat achtet, und nicht stets selbstherrisch immer oben hinaus will, wie der Adler, und auf der Irrigkeit eines starken Kopfes beharrt, oder der auch, weil Weisheit ihm mangelt, wie dem Elefantenkönige, leicht zu überlisten ist. Es ist auch ganz gegen des gesamten Vogelreiches Satzung, daß alle ein gemeinsames Oberhaupt haben. Mögen die Adler einen Adler zum Könige wählen, dagegen läßt sich nichts sagen, die Geier ihren Geierkönig und die Zaunhüpferlinge ihren Zaunkönig, jedes Volk seinen eigenen, dafür sind die Geschlechter unterschieden. Was soll, um nur ein Beispiel euch zu sagen, dem Taubengeschlechte ein Adler zum Könige? Er wird seine Krallen in ihrem Blute baden, und sie fressen. Wahrlich, welches Geschlecht sich einen andern Gebieter erwählt und dem falschen Fremdling vertraut, dem geschieht billig, wie dem Hasen und dem Vogel, die in einer Streitsache einen unbekannten Mann über sich zum Richter erkoren.‹ ›Wie war das?‹ fragten die Vögel. – ›Ich will es, mit eurer Erlaubnis, euch vortragen‹, erwiderte der Rabe, der Sprecher in der befiederten Nationalversammlung.«

Von einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Von einem Hasen und einem Vogel

»›Ich hatte einst‹, sprach der Rabe« – so erzählte der weise Ratgeber des Rabenköniges – »zu den aufhorchend um ihn versammelten Vögeln: ›einen guten Freund, auch einen Vogel; sein Name gehört nicht zur Sache. Derselbe hatte die Gewohnheit, wenn er sein Nest verließ, das in der Nachbarschaft des meinen in einer Felskluft sich befand, oft sehr lange wegzubleiben, so daß ich manchesmal glaubte, er sei in der Fremde verunglückt oder gestorben, oder gefangen,[660] oder habe sich anderswo häuslich niedergelassen. Da geschah es, daß ein Hase jene Felskluft fand, und in ihr das weiche warme Vogelnest, und sich hinein bettete. Ich hielt nicht für weise, mich in fremde Angelegenheiten zu mischen, und gedachte bei mir, weshalb solltest du dem Hasen die Wohnung wehren, da doch vielleicht der Vogel nicht wiederkehrt? Auf einmal vernahm ich ein Gezänk unter mir, denn der Baum, welcher mein Nest trug, stand dicht neben dem Felsen. Mein Nachbar, der Vogel, war wieder da, saß außen vor dem Felsloche und kreischte: ›Das ist mein Nest! Packe dich gleich heraus!‹ Drinnen aber saß der Hase und rief: ›Ich bin im Besitze dieser Wohnung und schon eine geraume Zeit. Da könnte jeder kommen, dem sie anstünde, und könnte sagen: Ziehe aus!‹‹ –

›Du bist ein ehrvergessener, schlechter Hase!‹ schrie der Vogel. ›Ein Räuber bist du! Das Nest ist mein und du wirst es räumen!‹

›Nein – ich werde es nicht räumen!‹ erwiderte der Hase. ›Schimpfe und schwätze du so viel du willst! Glaubst du eine gerechte Sache zu haben, so verklage mich! Vor dem Richter will ich dir Rede stehen, hier aber nicht.‹

Hierauf verwahrte der Hase seine Türe und zog sich in das Innere der Felskluft zurück.

Eine Zeit darauf kam der Vogel wieder, und sagte zum Hasen: ›Ich weiß einen frommen, redlichen Alten, der soll Recht sprechen zwischen dir und mir! Folge mir zu ihm.‹ ›Wer ist es? Wie heißt er?‹ fragte der Hase. – ›Ich habe ihn noch nicht gesprochen‹, antwortete der Vogel. ›Er lebt noch nicht lange in dieser Gegend, er ist ein frommer Einsiedler, welcher den ganzen Tag fastet und betet, und voll ehrbaren Wesens sich zeigt. Er soll früher ein Maushund gewesen sein, hat sich aber längst der Katzennatur abgetan, und aller Üppigkeit der Welt, allen schnöden Mäusefraßes. Er vergießt kein Blut, nährt sich von Wurzeln, Gras und Kräutern, sein Getränk ist nur klares Wasser. Er wird ganz gewiß unparteiisch über uns Urthel sprechen.‹

›Eine Katze? Ein alter Maushund?‹ fragte mißtrauisch der Hase. ›Dem traue ich nicht sonderlich. Das Sprichwort sagt: Die Katze läßt das Mausen nicht.‹

Aber der Vogel hörte nicht auf, in den Hasen zu dringen, bis dieser mit ihm ging. Ich folgte von ferne nach, zu sehen, wie das ablaufen werde. Die Katze, eigentlich ein großer [661] wilder Kater, saß, wie ich von weitem sah, vor ihrer Wohnung und sonnte sich, dehnte sich behaglich aus, beleckte sich die Pfoten und strich den Bart, plötzlich, wie sie den Vogel und den Hasen kommen sah, huschte sie in ihr Gemach, und als die beiden Gefährten zu ihr eintraten, fanden sie dieselbe in ein härenes Büßergewand gehüllt, in betender Stellung auf den Knieen liegen. Da gewann auch der Hase Zutrauen, und freute sich, einen so heiligen Mann kennen zu lernen, und nun entschuldigten beide um die Wette die Störung in der Andacht, und baten, ihrem Anliegen ein geneigtes Ohr zu leihen.

›Lieben Freunde!‹ sprach der Maushund mit leiser und heiserer Stimme, indem er die Augen frömmelnd verdrehte: ›ich bin alt, meine Augen sind trübe und dunkel, um mein Gehör stehet es sehr übel, gehet nahe herzu, und redet recht laut, daß ich ja alles richtig vernehme.‹

Nun erzählten Vogel und Hase, wie sie miteinander ob des von einem verlassenen, vom andern in Besitz genommenen Nestes in Streit und Hader gekommen, und sich dahin vereinigt, sich seinem unparteiischen Urteilsspruche zu unterwerfen. Als sie beiderseits schwiegen, sprach der wilde Maushund wieder ganz heiser: ›Hab euch wohl verstanden, liebe Kinder, wohl verstanden. Ich will euch gut beraten und euch weisen die Wege der Gerechtigkeit. Oh, daß mich der Himmel erleuchte, ein rechtes und richtiges Urteil in dieser eurer so überaus wichtigen Sache zu fällen, und in diesem schwierigen Falle die Wahrheit zu finden! Denn besser ist es, eine Sache geht verloren durch die Beleuchtung mit der Fackel der Wahrheit, als daß sie durch Lug und Trug und Unwahrheit fälschlich gewonnen werde. Ach – ach! Was haben wir denn hienieden? Keine bleibende Stätte! Nur das eine nehmen wir mit hinüber in die zukünftige Welt, die Werke, die wir vollbracht haben zu unserer Seelen Heil oder zur Verdammnis. Gönnte doch ein jeglicher seinem Nächsten hienieden Gutes! Tretet getrost näher, liebe Kinder, und ruhet euch aus, derweil ich im Gebet um Erleuchtung in eurer Sache flehe.‹

Hase und Vogel vertrauten diesen heuchlerischen Worten des falschen heimtückischen wilden Katers, ich aber, der ich nahe geflogen war, und jedes Wort vernommen hatte, hörte nur noch, wie die Katze ihre Türe zuwarf, und wie der Vogel drinnen jämmerlich schrie. Das ungetreue [662] Tier hatte Vogel und Hasen erwürgt, verspeiste beide, und bezog dann jene verlassene Wohnung, welche besser gelegen und eingerichtet war, als die armselige des Maushundes, worauf ich alsbald von dort auswanderte. –

Sehet hier ein Beispiel wie blindes Vertrauen, das man auf unbekannte Leute setzt, die sich, gleich den Adlern, uns durch ihre Arglist und Bosheit nähern, sich bestraft. Der Adler ist unter den Vögeln gerade das, was der Wolf unter den vierfüßigen Tieren. Und ich bleibe dabei, und wiederhole es euch dringend und warnend, ja warnend: wählt nimmer den Adler zum König!‹« –

»Mit erhobener Stimme«, fuhr der alte Geheimerat Rabe dem Könige, seinem Herrn, zu erzählen fort: »endete der gewandte Volksredner seinen Vortrag, und was war die Folge? Kein Vogel wollte nun den Adler zum Könige haben, es wurde nichts aus der ganzen Königswahl, die Rednergabe des Raben feierte einen glänzenden Sieg, wenig fehlte, so hätte manihn zum Könige ausgerufen.«

»Und was sagte der Adler dazu?« fragte der König.

»Das soll mein gnädigster König und Herr sogleich erfahren«, erwiderte der Geheimerat: »Der Adler sprach zum Raben: ›Sprich Rabe, was habe ich dir jemals zu Leide getan? Aus welchem Grunde wälzest du so viele Schmach auf mich? Nie habe ich etwas wider dich verschuldet, und du mit deinen giftigen und verleumderischen Worten raubst mir heute eine herrliche Krone, die ich schon nahe ob meinem Haupte schweben fühlte! Aber bei aller Wahrheit schwöre ich dir heilig und teuer, du Lästerredner: ein Baum, in den ein Mensch mit der Axt haut, wächst wieder zusammen, und eine Schwertwunde durch Fleisch und Bein mag wieder heilen. Aber die Wunden, welche die Zunge schlägt, die heilen nicht, und ihr Schade gewinnt kein Ende. Deine Worte sind mir ein glühendes Schwert, das mir immerdar im Fleische wütet. Feuer mag durch Wasser gelöscht werden, und der Brand des Haders durch Schweigen; der Schlangen Giftbiß heilt durch Theriak, und die Wunde der Traurigkeit durch Hoffnung. Aber das Feuer der Feindschaft, in das die Zunge Öl gießt, das brennt sonder Ende. Heute hast du, o weiser Redner Rabe, einen Dornbusch gepflanzt zwischen dein Geschlecht und mein Geschlecht, der soll dauern und grünen von Welt zu Welt, bei unserm und unserer Kinder und spätesten Enkel Leben, und soll [663] euch die bitterste Frucht des Hasses tragen! Das sei dir zugeschworen bei Jovis Blitzen!‹

Als die Vögel die Zornworte des Adlers vernahmen, erschraken sie, und hoben ihre Schwingen, und flogen davon nach allen vier Winden, und der Adler flog auch davon, und keiner sagte weiter ein Wort, und nur der Rabe saß einsam und verlassen auf dem Steine, der ihm als Rednerkanzel gedient hatte, und wurde sehr nachdenklich und sprach zu sich selber: Nun habe ich auch geredet. Weiser wäre gewesen, wenn ich geschwiegen hätte. Die alten Weisen sagten: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Jetzt habe ich durch meine Warnung mir und meinem Geschlechte der Aaren ewigen Haß heraufbeschworen. Der Adler hat mich mit Machtworten niedergeschmettert, und keiner der andern Vögel hat auch nur den Schnabel aufgetan, das Wort für mich zu nehmen, trotz ihrem vorherigen tollen Zujauchzen. Sie waren klug, sie haben das Gold des Schweigens gefunden; sie haben nicht Neigung gehabt, ihre Zungen zu verbrennen, wie ich getan, ich alter Narr und alberner Schwätzer. Jene gedachten der Zukunft, ich hatte nur die Gegenwart im Auge. Stütze sich doch kein weiser Mann auf seine Weisheit, und kein Starker auf seine Stärke, und belade sich nicht, um andern zu nützen, mit Feindschaft, sonst ist er der Tor, der Gift genießt, um hernach dessen Wirkungen mit Theriak zu hintertreiben; solches Tun kann leicht fehlschlagen. Für den unweisesten und allerdümmsten aller Vögel muß ich mich von heute an und immerdar selbst halten. Konnte ich nicht dessen eingedenk sein, was die alten Weisen sagten: das ist der schädlichste Verlust, den sich einer durch Worte zuzieht – bevor ich mit meinem dummen Schnabel die ewige Feindschaft der Adler gegen mein Geschlecht entzündete!

So klagte der Rabe, und nahm sich seine unweise Rede dermaßen zu Herzen, daß er bald darauf erkrankte und starb.

»Siehe, mein König«, endete der Geheimerat seine Mitteilung: »das ist die Ursache des Adlerhasses gegen uns.«

»O wehe!« seufzte der König: »Wollte der Himmel, daß jener unweise Rabe nie aus dem Ei gekrochen wäre, statt uns in diese Not zu bringen. Jetzt werden uns noch die Zähne von den sauern Träublein stumpf, die unsere Väter gegessen haben. Aber nun rede weiter, was soll es werden, was sollen wir tun?«

[664]
Von einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Von einem Einsiedel und drei Gaunern

»Ein kluger Mann vollbringt durch Einsicht und überlegten Entschluß, was manchem stärkeren mißlingt!« sagte der weise Rabe, des Rabenkönigs Ratgeber, zu diesem letzteren. »Ich muß dabei jener Gauner gedenken, die mit ihrer List und Schlauheit einen Einsiedel also täuschten, daß er das nicht mehr glaubte, was doch seine Augen sahen.«

»Wie geschahe das?« fragte der König, und der Rabe antwortete:

»Es war einmal ein Einsiedel, der ging und kaufte sich eine Geiß, sie bei seiner Hütte zu halten und ihre Milch zu genießen. Das sahen von weitem drei Diebe und besprachen sich untereinander, wie sie sonder Gewalt den Waldbruder um die Geiß betrügen möchten. Sie verteilten sich alsbald so, daß einer nach dem andern dem Einsiedel begegnete, in kurzen Fristen hintereinander. Der erste, welcher zu ihm kam, bot ihm die Zeit, und sagte spöttisch: ›Waldbruder! Ihr sorget Euch gewiß, daß die Diebe Euch Eure Schätze stehlen wollen, weil Ihr Euch einen Hund gekauft habt. Was wollt Ihr mit dem Hunde tun?‹ – ›Es ist kein Hund, es ist eine Ziege!‹ sagte der Einsiedel gelassen, aber jener behauptete steif und fest, es sei ein Hund, bis der zweite Gauner hinzukam, und auch grüßte, und ebenfalls fragte, was der fromme Waldbruder mit dem Hunde tun wolle? ›Ein heiliger Mann‹, sagte er: ›muß sich nicht mit einem so unreinen Tiere befassen; ich täte mich seiner sicherlich und ohne Säumen ab. Eines Hundes Gebell stört Gebet und Andacht, und nirgend steht geschrieben, daß die heiligen Apostel Hunde geführt oder sich gar mit solchem Getier getragen hätten!‹

Jetzt kam der dritte Schalk hinzu, als jene drei noch über den vorgeblichen Hund stritten, und sprach: ›Aha! Ihr habt hier einen Hundehandel! Was soll der Köter gelten? Ich suche just ein solches Vieh zu kaufen.‹

Jetzt glaubte der Einsiedel allen Ernstes, seine Geiß sei ein Hund, und der sie ihm verkauft, habe ihn betrogen, und da warf er im Zorn die Geiß hin, und eilte von dannen, seiner Klause zu, wo er sich wusch und säuberte. Die drei Gauner aber nahmen die Geiß, trugen sie heim, schlachteten [665] und brieten sie, und ließen sich den Braten gut schmecken, indem sie des Einsiedels Einfalt noch lange belachten. –

»Dieses sagte ich dir, mein König«, fuhr der weise Rabe fort: »auf daß du erwägest, daß, wie klug und mächtig auch die Adler sind, wir mit List und Schlauheit uns ihrer dennoch entledigen können.

Und nun, o König, sage ich dir erst mein eigentliches Geheimnis, denn die Ursache der Feindschaft zwischen den Adlern und den Raben ist vielen kundig und von unserer Väter Überlieferung her noch manchem Alten im Gedächtnis. Mein Rat, den ich dir jetzt gebe, muß zwischen dir und mir das tiefste Geheimnis bleiben. Erstens überschütte mich vor den andern mit der scheinbaren Zornschale deiner Ungnade; tue als habe ich dir falschen und böslichen Rat gegeben, hacke auf mich vor dem ganzen Hofhalte, verwunde mich und laß mich auf der Erde liegen, dann erhebe dich mit deinem gesamten Volke, flieget von dannen so weit, daß man keinen Raben mehr ringsum erblicke, und haltet euch an einem andern Orte so lange still, bis ich wieder zu dir zurück kehre, und dir gute Botschaft ansage.«

Diesen Rat befolgte der König der Raben. Und als die Kundschafter der Adler wahrgenommen, daß das Volk der Raben samt seinem Könige sich von dannen gehoben, so kamen sie in Scharen samt ihrem Könige nach dem Rabenwalde, und zerstörten der Raben Nester, und einer unter ihnen sah den verwundeten Raben unter einem Baume liegen und flog zu ihm nieder.

Der listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der listige Rabe

Der Adler, welcher zu dem am Boden scheinbar elend da liegenden Raben flog, fragte nun diesen alsbald: »Wer bist du? Wie kommst du hierher? Wohin sind deine Brüder gezogen?«

Mit matter Stimme antwortete der Rabe: »Was quälst du mich mit Fragen? Siehst du nicht meinen elenden Zustand? Laß mich ruhig liegen und sterben! Ich vermag dir nichts zu sagen, könnte ich aber ein Wort mit deinem Könige reden, so würde ihm daraus kein Schade entspringen.« Da [666] rief der Adler den Adlerkönig herbei, und als der letztere den Raben erblickte, sprach er: »Diesen kenne ich wohl! Er ist des Rabenkönigs vertrauter Geheimerat, und ein Abkömmling jenes elenden Schwätzers, der meinen Ahnherrn um die allgemeine Reichskrone des gesamten Geflügels brachte. Mich wundert äußerst, daß wir ihn in solcher Lage finden.«

Darauf fragte der Aarenkönig den alten Raben: »Was hat denn dich in solche Widerwärtigkeit gebracht?« –

»Ach, großmächtiger Herr und König!« antwortete der Rabe: »Böser Rat und närrisches Verständnis!«

»Wie so?« fragten die Adler – und jener antwortete:

»Nachdem ihr den Raben also tatet, wie ihr getan, und viele getötet, berief unser König seinen geheimen Rat, und fragte uns, seine Ratgeber, ob er wider euch streiten solle? Da sprach ich: ›Mich bedünket mit nichten, gegen die edlen Aaren zu streiten, denn sie sind mächtiger, wie wir, und frischeren Herzens. Mein Rat ist, uns mit ihnen zu vertragen, Ruhe und Frieden zu halten, ihnen vielmehr, statt ihnen uns widerspenstig zu zeigen, einen jährlichen Tribut zu entrichten, in ihren Schutz uns zu begeben‹ – da kam ich aber sehr übel an, denn alle anderen Räte rieten unserem Könige, gegen euch zu streiten und zu kämpfen auf Tod und Leben, es falle wohl oder übel aus. Ich blieb dagegen fest auf meiner Meinung, und rief: ›Niemand wird leichter von seines Feindes Hand erlöset, als wer sich ihm unterwürfig macht. Sehet die Saat auf dem Felde und die Halme der Wiesengräser, wie sie sich beugen vor dem Winde. Dem hohen und harten Baum bricht der Wind die Krone ab, weil der Baum sich bedünken läßt, er dürfe nicht weichen und wanken, aber das schlanke schwache Rohr bleibt ungebrochen, weil es Demut gelernt hat. Demut schützt vor Wehmut!‹ Als ich so redete, schrien alle, die mich hörten: ›Du bist ein treuloser Ratgeber! Du hältst zur Schar unserer Feinde! Du förderst unsern Verlust, um dir drüben Gunst zu machen, du ehrloser Verräter, der du bist!‹ – und fielen über mich her und schlugen mich, bissen mich, kratzten mich und traten mich mit Füßen, so daß ich halb tot hier liegen blieb und mich nur wundert, daß ich noch atme.«

Auf diese Rede wandte sich der Adlerkönig an seinen ersten Geheimrat mit der Frage: »Was bedünket dich, daß wir mit diesem Raben beginnen sollen?«

[667] »Nichts, mein König« – antwortete der Premier: »bedünket mich, als daß wir diesen Raben alsobald erwürgen, denn er ist ungleich klüger als wir, er ist einer der listigsten und verschlagensten unter dem ganzen Rabengeschlechte; mit seiner Vertilgung bereiten wir dem Rabenkönige und den Raben den empfindlichsten Verlust, und uns ungleich größere Sicherheit, denn jene haben keinen zweiten, der ihnen so wohlüberdachten, klugen und schlauen Rat zu ersinnen vermöchte, wie eben dieser. Die alten Weisen sagten: Wem Gott etwas Großes und Gutes in die Hand gibt, und er verliert es, der findet es selten wieder, und wer einen Feind hat, den das Glück ihm in die Hand sendet, und er achtet das nicht, und läßt den Feind wieder entgehen, der ist ein Tor, dem alle Weisheit der Welt nicht frommen mag.«

»Was meinst du?« fragte auf diese Rede der Adlerkönig seinen zweiten Geheimerat. Dieser letztere war minder mordsüchtig, und sagte: »Mein Rat ist, daß du den Raben nicht töten läßt. Es ziemet, dem Demütigen und Hülflosen Barmherzigkeit zu erzeigen. Ist dieser Rabe auch unser Feind, so ist er doch zugleich unser wehrloser Gefangener. Wir haben ihn nicht im Streite gegen uns ergriffen, sein Unglück hat ihn in unsere Hand und Macht gegeben. Mancher fand Hülfe von seinem Feind, die der Freund ihm versagte, und ward damit des Feindes Freund und des Freundes Feind.«

»Was sagst du dazu?« fragte nun der Adler seinen dritten Geheimerat, und dieser erwiderte: »Auch ich, mein allergnädigster König und Herr, kann nicht für die Tötung dieses, unseres Gefangenen stimmen, vielmehr wäre mein Rat, guten Nutzen von ihm zu ziehen. Seine Freunde und sein König haben ihn mißhandelt und schmählich in seiner Not ihn verlassen. Er kann uns und wird es auch, alle Heimlichkeit unserer Feinde offenbaren, und das kann uns nur zu Gute kommen, wenn einer unserer Feinde gegen die seinen steht. Seine Feinde zu entzweien und dann über sie zu triumphieren, haben die alten Weisen für die beste Kunst zu kriegen und zu herrschen erklärt, wie es ging mit dem Dieb, dem Teufel und dem Einsiedel.«

»Wie war denn das?« fragte der Adlerkönig, und sein dritter Geheimerat erzählte das nachfolgende Märchen.

[668]
Der Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der Dieb und der Teufel

»Es war einmal ein Einsiedler, dem schenkte ein frommer Mann aus Barmherzigkeit und um Gottes Willen eine Kuh. Ein Dieb erfuhr das und gedachte, diese Kuh sich anzueignen. Als er zur Nachtzeit sich auf den Weg machte nach der Klause des Einsiedlers, welcher einige Pilgrime bei sich beherbergte, was dem Dieb ebenfalls bekannt war, stieß er auf einen Mann, welcher auf dem gleichen Wege auf und ab ging. Der Dieb vermutete, es möge ein andrer Dieb sein, der dieselbe Absicht habe, wie er, und fragte: ›Wer bist du? Was hast du hier zu schaffen? Was führst du im Schilde?‹ Darauf antwortete jener: ›Wenn du es wissen mußt, will ich dir es sagen. Ich bin der Teufel und will dem Einsiedel in dieser Nacht das Genick brechen, denn ich hasse ihn schon lange, und habe nun heute endlich Macht über ihn gewonnen, denn er beherbergt in heutiger Nacht einen Missetäter. Darum warte ich nur hier, bis dieser mit seinen Gefährten sich schlafen gelegt habe. Und was suchst du hier?‹ ›Ich?‹ fragte der Dieb. ›Ich habe es nicht so schlimm im Sinne, wie du. Solche schwarze Pläne hege ich keineswegs. Ich will dem Einsiedel nur aus Mitleid eine Kuh wegführen, denn ihr Gebrüll stört die Andacht des frommen Mannes, auch weiß er nicht mit einer Kuh umzugehen, und sie könnte ihn mit ihren Hörnern schädigen.‹

Nun gingen der Dieb und der Teufel miteinander nach der Klause des Einsiedels, welcher seine Kuh angebunden, und sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Jetzt dachte der Dieb bei sich selbst, du mußt eilen, daß du erst die Kuh gewinnst, denn wenn der Teufel an den Einsiedel kommt, und ihn erwürgen will, so wird derselbe aufwachen und schreien, davon werden die Pilgrime ebenfalls aufwachen, ihm zu helfen gedenken, und dann finden und fahen sie zuletzt dich. Darum besser ist besser – erst die Kuh, dann den Hals. Sprach daher zu dem Teufel: ›Höre und halte einmal. Laß mich erst meine Kuh holen, hernach mache mit dem Einsiedel was du willst. ›Mit nichten!‹ sprach der Teufel. ›Erst erwürge ich ihn, dann nimm du dir, was dir gefällt.‹

›Nicht also!‹ widersprach der Dieb. ›Ich muß zuerst in die Klause.‹

[669] ›Wagst du mir Trotz zu bieten?‹ zischte der Teufel leise und rollte seine glühenden Augen wild im Kopfe.

›Ich habe mich noch nie vor einem dummen Teufel gefürchtet!‹ antwortete der Dieb. Darauf krallte ihm der Teufel nach dem Halse – und da schrie der Dieb: ›Mordjo! Mordjo! Einsiedel! Holla! Der Teufel will uns an den Kragen! Hülfe! Hülfe!‹ – Indem so er wachte der Einsiedel aus dem Schlafe und die Pilgrimme wachten auch auf, und der Einsiedel eilte aus der Klause mit einem Kruzifix – vor diesem entwich spornstreichs der Teufel und die Pilgrimme hatten ihre harten und langen Stecken, vor diesen fürchtete sich der Dieb und lief was er laufen konnte. So rettete der Einsiedel seinen Hals und seine Kuh, weil sich seine beiden Feinde entzweit hatten. Darum ist das ein weiser Mann, der seiner Feinde Zwietracht nützt und sie aus beutet zu seinem Vorteil.«

Auf diese Rede des dritten Rates des Adlerköniges hub der erste Rat wieder an zu sprechen: »Traue, o König, nicht diesem Redner und seinen glatten Worten, wenn du nicht dich selbst, und alles was dein ist, verlieren willst. Folge meinem Rat, und lasse diesen Raben töten, denn ich befahre, daß wenn er am Leben und bei uns bleibt, so wird unser Ende ein schmähliches sein. Ein vernünftiger Mann läßt sich mit Worten nicht betrügen, wenn ihm Gott seinen Feind in die Hand gibt. Ein Unweiser aber wird mit schmeichelnden Worten getäuscht und betrogen. Glaube doch ja nicht den Worten des wunden Raben, denn in ihm ist keine Treue, er stammt aus einem falschen diebischen Geschlechte. Bis jetzt haben die Raben uns noch nicht überlistet, was aber weiter geschehen wird, und ob dieses Raben Gesellschaft uns nützlich und förderlich sein wird, läßt sich nicht voraussehen, ich aber bezweifle äußerst, daß er sich hier habe zu unserm Heil oder Vorteil finden lassen. Ich wiederhole meinen Rat: Tötet ihn! Ihr wißt, daß ich die Raben nie gefürchtet habe, aber dieser erweckt mir ein ahnungsvolles Bangen, daß er uns allen Unheil brüten werde.«

Der Adlerkönig hörte diese Worte an, aber er fühlte sein Herz von königlicher Großmut schwellen, und wollte auch zeigen, daß er herrsche und daß seine Räte nicht Reichsregenten seien, obschon das zu sein, mancher vielleicht sich einbildete, darum sprach er: »Ich gebe dem Unglücklichen [670] Gnade, er soll leben. Man warte und pflege seiner wohl und heile seine Wunden.« –

Mit Schmerz schwieg der treue Warner des Adlerkönigs, und dachte sein Teil. Der Rabe aber, der mit hoher Einsicht begabt war, und der Rede so mächtig, wie sein Ahnherr, aber besser wie dieser, geübt in der Kunst, zu rechter Zeit zu reden und zu rechter Zeit zu schweigen, machte sich bald Gunst und Gönnerschaft am Hofe des Königs, und am meisten bei diesem selbst. Gar manche schöne Mär wußte er zu erzählen, die zur Lehre, wie zur Erheiterung diente; er wußte fein zu scherzen und anmutig zu huldigen. Er durfte des Adlerköniges jungen Prinzen und Prinzessinnen Unterricht erteilen und ihnen Vorträge halten, der König ernannte ihn zum Kammerherrn, und hatte ihn stetig gern um sich. Dafür versicherte der Rabe dem Könige unausgesetzt seine Treue, und seinen Haß gegen die Raben, und in einer Versammlung sprach er laut aus: »Wollte Gott, daß ich zu einem Aaren werden könnte, müßte ich die Wandlung selbst, dem Vogel Phönix gleich, mit dem schmerzenden Flammentode erkaufen! Wie wollte ich mich dann an meinen Feinden rächen, und meine Rache in ihrem Blute kühlen!« – Da sprach der alte, strenge, erste Rat des Adlerkönigs: »O du Gleisner! Du herber Essig in unserm goldenen Becher! Und wenn du dich tausendmal selbst verbrenntest, und ein anderer Vogel – wäre dies möglich – aus dir würde, so würde es doch immer wieder ein häßlicher, falscher, tückischer Rabe werden, wie es jener Maus erging, von der ein Märlein aus India meldet.« Auf diese Rede begehrten die Aaren das Märlein zu hören, und der scharfsichtige Adler erzählte.

Die verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die verwandelte Maus

»Es war einmal ein frommer Mann, der diente der Gottheit betend und büßend in einer Wildnis, und Gott war ihm ob seiner Frömmigkeit und fleckenlosen Tugend also gnädig, daß er jeden Wunsch des Büßers erhörte und erfüllte. Einst saß der Fromme am Strande eines Baches, versunken in andächtige Gedanken, da flog ein Sperber über ihn hin, [671] der hatte ein Mäuslein gefangen, das er noch in den Krallen trug, das Mäuslein aber zappelte und entfiel dem Sperber und fiel herab in des frommen Mannes Schoß. Da erbarmte sich der Fromme des Mäusleins, band es lind in ein Tüchlein und trug es nach seinem Hause, um es allda zu pflegen und aufzuziehen. Da gedachte er aber, daß seine Diener daran einen Anstoß nehmen würden, daß er, der reine Mann, mit einem unreinen Tiere sich abgebe, und würden sich scheuen, und da bat er Gott, das Mäuslein doch lieber in ein Maidlein zu verwandeln. Und siehe, Gott erhörte die Bitte, und verwandelte alsbald das Mäuslein in ein schönes Maidlein. Das führte nun der Fromme fröhlich in sein Haus, und erzog es, und hatte an ihm sein väterliches Wohlgefallen, und seine Diener glaubten, ihr Gebieter habe es in der Wildnis gefunden, oder es sei ihm von Anverwandten übergeben worden. Da nun das Maidlein, das als des Frommen Tochter galt, heran gewachsen war, so gedachte er daran, es an einen guten Mann zu verheiraten, und fragte die Maid, ob sie Neigung habe, zu heiraten, und was für einen Mann sie sich wünsche? Die Maid aber trug hohen und herrischen Sinn, und antwortete: ›Ja – aber nur den höchsten Herrscher!‹

Der Pflegevater erwiderte darauf: ›Der höchste Herrscher, mein Kind, das ist der mächtige Sol; er beherrscht die ganze Welt, erleuchtet und durchwärmt sie mit seinen Strahlen, ich will ihn bitten, sich mit dir zu verbinden; dann wird man dich Frau Sonne nennen.‹ – Der Fromme läuterte sich durch Gebet und Abwaschung, und trug dem Sol sein Anliegen vor; dieser aber sprach: ›Gern gehorchte ich dir, dem die Gottheit jeden Wunsch erfüllt, o frommer Büßer! Aber der Mächtigste bin ich nicht. Siehe, der Lenker der Wolken ist mächtiger denn ich; ein Hauch von ihm wird zur Wolke, die meinem Schein mir nimmt, daß es finster wird auf der Erde.‹ Da ging der Büßer bis an das Meeres Ufer, aus dem die Wolken sich emporheben, und bat deren mächtigen Lenker, wie er den Sol gebeten hatte. Da hob sich auf seinem Wolkenthrone der Wolkenlenker aus des Meeres Schoße aufsteigend wie ein großer Rauch empor, und sprach: ›O du Frommer und Gottseliger! Wohl hat mir die Gottheit mehr Gewalt gegeben, als selbst den Engeln in seinem Himmel, aber einer ist doch, der mächtiger ist als ich bin. Das ist der Vater der Winde. Wenn er sich [672] erhebt und stark haucht, so fahren meine Gewölke auseinander und verschwimmen in ein wesenloses Nichts, oder fliegen und fliehen vor ihm und seinem Grimme von einem Ende der Welt zum andern, und ich bin nichts gegen ihn, und vermag ihm nicht zu widerstehen.‹

Da machte sich der Büßer auf zum Vater der Winde, der in einer großen und weiten Berghöhle wohnte, in der er die Winde verschlossen hielt, und nur zu Zeiten einem oder dem andern zu wehen gestattete – und trug nun diesem seine Bitte vor. Aber auch der Vater der Winde erklärte, daß er sich nicht für den mächtigsten Herrscher erachten könne. ›Siehe du Frommer, Reiner, Makelloser‹ – sprach er: ›diesen mächtigen Berg, wie er da steht in stolzer Ruhe! Mag ich mit alle den meinen sausen und brausen, so stark wir immer können und wollen, er bleibt unerschüttert, weicht und wankt nicht vor meinem Grimm, darum ist er mächtiger als ich, und darum wende dich an ihn.‹

Darauf wandte sich der gläubige Büßer an den Berg, und trug diesem seinen Wunsch vor, und der Berg sprach: ›Du nennst mich den Mächtigsten, und es ist wohl wahr, ich bin groß und mächtig, die Sonne dient mir und läßt meinen Scheitel grünen, die Wolken müssen meine Wiesen und Wälder mit Tau und Regen tränken, der Wind fächelt mich, wie ein Sklave sein Gebieter, aber der Mächtigste ist doch nur der, der nichts erdulden muß. Ich will dir jemand zeigen, der mächtiger ist als ich, denn ich muß ihn dulden, ich mag nun wollen oder nicht wollen.‹

›Wer wäre das?‹ fragte ganz verwundert der Büßer. ›Es ist‹, sprach der Berg: ›ein winzig kleines, graues Männchen, das wühlt in mir und gräbt, und baut sich Wohnung und Gemächer, und fragt mich nicht, ob ich's ihm gestatte.‹

›Was wäre das für ein winzig kleines graues Männchen?‹ fragte der Fromme. – ›Es ist die Maus!‹ antwortete der Berg. – Hierauf wendete sich jener mit seinem Wunsch und Antrag an den Mausmann, und dieser antwortete: ›Ich bin der, von dem der Berg gezeuget hat. Kann ich aber, auch wenn ich wollte, ein Menschenmaidlein freien, und in meine niedere Wohnung führen? Darüber ersinne du selbst dir weisen Rat, Gottseliger!‹ – Nun ging der Einsiedel wiederum zu seiner Tochter, und sprach zu ihr: ›Ich habe dir lange den Mächtigsten zum Manne gesucht, willst du diesen, so muß ich von der Gottheit erflehen, daß sie dich wieder [673] zu einer Maus werden lässet, welche du vordem schon einmal gewesen bist, dann kann dein Wille in Erfüllung gehen.‹ Und da die Tochter auf ihrem Sinne beharrte, weil ihr ihr Pfleger darlegte, wie immer ein Mächtiger ihn an einen noch Mächtigeren gewiesen, so wurde sie auf sein Flehen wieder in eine Maus verwandelt und dem Mausmännlein zum Gemahl gegeben, denn gleich und gleich gesellt sich gern, was zum Heller geschlagen ist, wird kein Taler, und aus einem verräterischen Raben wird nimmermehr ein Phönix, wenn er sich auch, gleich diesem Wundervogel, verbrennte. Aber wohlan, lasse dich verbrennen, Verräter, und laß uns schauen, was aus deiner Asche emporsteigt.«

Der Adlerkönig und seine Umgebung hörten diese Rede nicht ohne ernste Erwägung an, und mehrere teilten die Meinung des treuen Ratgebers, der Rabe aber spottete fein über seinen heftigen Gegner und sagte:

»Trage doch Holz, du Edler, zu meinem Scheiterhaufen! Schichte ihn empor aus Adlerfarrn, und fache die Funken mit deinen eigenen Fittigen zu heller Flamme an. Du trägst dann unsterblichen Ruhm davon, und man wird dich als Rabentöter noch lange in Heldenliedern verherrlichen.«

»Du sollst nicht brennen!« sprach der Adlerkönig: »weder daß du unser einer werdest, denn wir haben allein Macht genug, dich an deinen und unsern Feinden zu rächen, noch daß wir uns an dir rächen wollen. Haltet Friede!«

Der Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Der Raben Arglist und Rache

Lange lebte am Hofe des Adlerkönigs der alte Rabe; er wurde Mitglied des geheimen Cabinets und vernahm alle Beschlüsse der Adler gegen die Raben, und erlauschte alle Heimlichkeiten der ersteren. Der erste Rat des Adlerkönigs aber schied von seinem Posten; er nahm seine Entlassung, denn, sagte er: »Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen. Wer mit sehenden Augen blind sein will, der sei es. Ich habe gesprochen und gewarnt in aller Treue und habe meine Seele bewahrt. O betörter König, leichtgläubiger König! Wie wirst du meiner Warnung gedenken, wann es zu spät ist!« Und schied ab, und flog in ein fernes Gebirge,[674] um auf einem stillen Landsitze weit vom Königshofe und von dessen Unruhe seine Tage friedlich zu beschließen.

Der Rabenkönig harrte still und lange seines Getreuen, während seine Umgebung diesen längst tot glaubte, denn der König hütete sein Geheimnis sorglich vor allen, und ließ selbst seinem Vertrautesten nichts davon ahnen. Da kam eines Abends der Rabe geflogen, und alle erstaunten und verwunderten sich hoch, und wußten nicht ob sie ihren Augen trauen sollten, daß ihn der König, der ihn vor aller Augen mit Ungnade überhäuft und ihn sogar tätlich mißhandelt hatte, so freundschaftlich, ja selbst herzlich empfing.

Der alte weise Rabe aber sprach zu seinem Könige: »Ich bringe gute Botschaft und verkündige Sieg und Freude! Der Himmel gibt unsere Feinde in unsere Hand. Die Adler haben jetzt eine Felsenkluft entdeckt, die unersteigbar ist, in dieser schlafen sie gemeinsam, denn sie ist innen weit und geräumig, luftig und trocken, gedeckt gegen Regen und Sonnenbrand, der Eingang aber ist enge, und sonder Wache, weil weder Tiere noch Menschen ihr nahe kommen können. Wir aber können ihnen nahen, darum auf mein König, auf all ihr mutigen und getreuen Raben! Jeglicher fasse ein Stück dürren Holzes, so groß er solches zu tragen vermag mit Krallen und Schnabel, und ich will einen Feuerbrand tragen und voranfliegen.«

Rasch wurde dieser Rat nach des Königs Zustimmung vollzogen, die ganze Schar der Raben flog dem Führer nach, jeder warf sein Holz auf den Ausgang der Aarenhöhle, und der alte Rabe legte sein glimmendes Holz hinein, dann wehten sie mächtig mit den Flügeln, und bald brannte das Holz in lichter Lohe.

Tödlicher Schrecken ergriff die aus dem ersten Schlummer erwachenden, sich sicher wähnenden Adler samt ihrem Könige. Sie rauschten wild durcheinander, stießen aneinander, sie kreischten verzweifelnd; die kühnsten flogen durch die Flamme, nur um draußen tot niederzufallen, indessen mehrten sich innen Dampf und Hitze, daß einer nach dem andern sterbend mit zuckendem Flügelschlage hinsank, und auch der König mit allen den Seinen, der noch klagend ausrief: »Welch ein Tor ist der Mann, der den Fremdling beschirmt, und den treuen Warner verachtet!« –

So gewann das Reich der Aaren und ihre Feindschaft [675] gegen die Raben ein Ende, und wenn nicht jener weise Ratgeber mit den Seinen sich in jenes Gebirge zurückgezogen hätte, so gäbe es gar keine Adler mehr, deren Geschlecht selten geworden ist, der Raben aber sind viele geworden, haben sich überall hin verbreitet, sind auch jeweilig noch große Redner, und hassen die Aaren immer noch.

Die beiden BrüderDer Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die beiden Brüder

Es waren einmal zwei Brüder, von denen der eine klug war und der andere unklug, und beide waren Schäfer, welche wechselweise Tag um Tag die Schafe eines reichen Metzgers hüteten. Jedesmal, wenn der eine hütete, blieb der andere zu Hause, besorgte das Essen, und trug es hinaus auf die Schafweide, wo dann das Mahl von beiden gemeinschaftlich verzehrt wurde.

Nun traf einmal die Reihe des Hütens den Klugen, und die des Kochens den Dummen, und nachdem letzterer das Essen gekocht hatte, trug er es zu seinem Bruder auf die Trift hinaus. Auf dem Wege aber kam er an eine alte wackelige Brücke, die über einen Bach führte, und die viele Spalten hatte, unter denen das Wasser hinfloß, und da dachte der Dumme in seinem Sinne: Das ist ein gefährlicher Steg, da kann zuletzt ein Schaf oder ein Mensch durchfallen; da ist schwer, über hin zu kommen, willst doch die Brücke bessern. Und da begann der Dumme die Spalten mit den Klösen, die er gekocht hatte, auszustopfen, hart genug waren sie ohnehin, und in die schmalen Ritzen stopfte er Sauerkraut, dann ging er getrosten Mutes über die Brücke, die nun recht fest und haltbar aussah, und als ihn sein Bruder fragte: »Wo hast du denn das Essen?« – so lachte der Dumme und antwortete: »Essen habe ich nicht, aber ich hatte einen klugen Gedanken; ich habe den Brückensteg ausgebessert, daß er wieder hält. Ich habe die Klöse in die Klunsen gestopft und in die Ritzen das Sauerkraut, daß wir und unsere Schafe nicht durchfallen.«

»Ei, was du für ein Pfiffidunkus bist!« spottete der kluge Bruder über den dummen. »Es ist nur gut, daß du morgen hütest und ich koche, sonst gäbe es für uns zwei Fasttage [676] hintereinander. Aber das sage ich dir: wenn du morgen hütest, so sei so gut, und habe nicht wieder kluge Gedanken nach deiner Art. Du hast dich um nichts zu bekümmern, als daß die Schafe hübsch nach der Reihe liegen bleiben, Wenn du so tust, machst du nichts Dummes.«

»Will so tun«, sagte der Dumme.

Am andern Tage, als der Kluge zu Hause blieb und kochte, und der Dumme die Schafe auf die Weide trieb, wollten die Schafe sich nicht nach der Reihe hinlegen und da hatte der Dumme mit ihnen recht seine Not und Plage, bis er rackrig wurde und schrie: »Wartet, ich will euch – wenn ihr nicht wollt wie ich will!« und nahm einen Knüttel und schlug sie alle mausetot, und legte sie hübsch nebeneinander in Reihen. Wie nun der Bruder mit dem Kessel voll Essen kam, wunderte er sich, daß die Schafe so schön lagen, und rief:

»Ei, die liegen ja prächtig nach der Reihe!«

»Gelt?« antwortete der Dumme mit großer Selbstzufriedenheit. »Erst wollten sie freilich nicht, hab Mühe genug gehabt, hab sie tot geschlagen, die Nösser, nun muckt keins mehr.«

»Um des Himmels willen!« schrie der kluge Bruder:

»Was hast du getan! Jetzt sind wir beide verloren!«

»Ach geh weg!« antwortete der Dumme mit großer Gemütsruhe. »Verloren? Das wäre! Wer uns findet, wird schon ein ehrlicher Finder sein, wird uns wiederbringen.«

»Dummkopf!« schrie der Bruder erbost. »Der Metzger schlägt uns tot wie du seine Schafe tot geschlagen hast! Packe auf! Wir müssen auf der Stelle fliehen!«

Und da flohen die beiden Brüder und liefen so sehr sie laufen konnten, und kamen in einen dichten finstern Wald, und als die Nacht kam, stiegen sie auf einen Baum, droben zu schlafen, und nahmen ihren Kessel, darin noch ihr Essen, Brühe und Brocken war, auch mit hinauf, denn der Hunger war ihnen über Schreck und Furcht vergangen, und wollten droben zu Nacht speisen.

Aber da sind zwei Räuber gekommen, die hatten einen Sack voll Nüsse und einen Sack voll Geld, beide Säcke schleppten sie unter den Baum, darauf die beiden Brüder saßen, setzten sich hin und wollten das Geld teilen. Da schwippte der Kessel etwas über, und der eine Räuber sprach zum andern: »Du – es tröpfelt!« – und da fielen aus [677] dem schwippenden schwappenden Kessel auch Graupen und Brocken, und der andere Räuber rief: »Du – es graupelt und hagelt!«

Die Brüder droben aber fürchteten sich und zitterten, und vermochten den Kessel, der auf dem runden Aste nicht Stand halten wollte, nicht zu erhalten – und da stürzte der ganze Kessel hinunter. – »Herr Gott! Ein Wolkenbruch! Der Himmel fällt ein! Da kommt schon eine Pauke! Das ist eine schöne Musik!« – schrieen die Räuber, und liefen davon, und ließen ihren Geldsack und ihren Nußsack im Stiche.

Die Brüder aber stiegen vom Baume herab und fanden die Säcke, und da sprach der kluge Bruder zu dem dummen:

»Sieh, da sind zwei Säcke, in einem ist hartes Zeug, und ist klein, der andere ist groß und sind Nüsse darinnen. Es fragt sich nun, welchen Sack du willst, denn du bist der Ältere, und hast die Vorhand.«

»Richtig!« antwortete der Dumme. »Ich habe die Vorhand, mir gebührt der große Sack, der mit den Nüssen. Die Nüsse kann ich essen, das harte Zeug aber kann man nicht essen.«

So nahm jeder seinen Sack, und so wanderten sie miteinander. Der Dumme aß aus dem seinen fort und fort Nüsse, und gab auch seinem Bruder ein paar, so daß er immer leichter zu tragen hatte, bis der Sack ganz leer war, den andern aber dünkte sein Geldsack immer schwerer zu werden, so daß er zuletzt nicht vermochte, ihn weiter zu tragen.

»Du kannst jetzt meinen Sack auch eine Strecke tragen!« sagte der Kluge zu dem Dummen. »Er wird mir gar zu schwer.«

»Nä! So haben wir nicht gewettet!« antwortete der Dumme. »Du hast ja meinen Sack auch nicht getragen. Ich habe dir noch dazu Nüsse gegeben, du aber hast mir nichts gegeben. Willst du's leicht haben, so teilen wir, du die Hälfte von dem harten Zeug, ich die Hälfte, das ist brüderlich, da trägt keiner zu schwer.«

Erst wollte der Kluge davon nichts hören, er probierte, ob er nicht dennoch den Geldsack allein fortbringen könnte, war dies aber nicht im Stande. Und so teilten sie denn, und kauften sich Schafe für das Geld, und hüteten sie, und fingen ihr Wesen wieder von vorn an.

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Schlange HausfreundDie beiden BrüderDer Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Schlange Hausfreund

Es war einmal ein altes Ehepaar, das war sehr arm, wenn noch so fleißig, und der Mann nährte sich und seine Frau, mit der er ein kleines Häuschen nahe einem Walde bewohnte, von Waldarbeit. Er half Bäume fällen, Holz einfahren, Holz zersägen und spalten, und so sammelte er auch das Holz, das er zu seinem eigenen Gebrauche nötig hatte, im Walde und führte es auf einem Schiebekarren jede Woche ein oder einige Male heim. Das darf aber nach den Forstgesetzen nur mit dürrem Holze geschehen, frisches, noch grünendes dürfen die armen Leute nicht von den Bäumen abhauen oder mit ihren Hippen abreißen, sonst werden sie in die Waldbuße geschrieben und gestraft, und das ist ein sehr weises Gesetz, denn ohne dasselbe gäbe es schon lange keine grünenden Wälder mehr. Wie nun einmal der arme Holzhauer in den Wald kam, sah er mit großer Freude schon von weitem, daß ein starker Sturmwind in der Nacht auch von einer stattlichen Eiche einen großen dürren Ast abgebrochen und herab geworfen hatte, und wollte sich alsbald dieses Astes bemächtigen. Aber näher kommend, gewahrte der Mann mit Schrecken, daß vom Baume her nach dem Aste sich eine große Schlange ringelte, daher er zur Seite wich und sich anderes Holz sammelte. Am folgenden Tage ging der Mann wieder in den Wald, und wollte nun den Ast mit sich nehmen, aber da hatte die Schlange denselben mehrfach umschlungen, und hob ihr Köpfchen auf dem schlanken Halse ihm ganz munter entgegen, als wenn sie ohne Furcht vor ihm seine Bekanntschaft machen wollte. Leicht hätte der Mann die Schlange töten können, er durfte ihr ja nur mit dem scharfen Holzbeile, das er mit sich führte, den Kopf abhauen, allein dieser Mann war einer von den wenigen verständigen Landleuten, die in ihrem schlichten Sinne es für eine Sünde erachten, ohne Not und ohne Bedürfnis ein Geschöpf Gottes zu töten, aus reinem Frevel und Lust am Morde, wie so viele aus Unverstand, und was noch viel schlimmer und ärger ist, aus Bosheit tun. Er gab lieber den Ast auf, und suchte sich kleineres Leseholz zusammen.

Wie nun der Mann mit seinem Reisigbündel nach Hause kam, sagte er zu seiner ihm im Hofe behülflichen Frau, indem er das Holz abwarf: »Ich bringe leider den schönen [679] Ast wieder nicht mit, von dem ich dir gestern schon erzählt habe, die Schlange hatte sich ganz darum herum geringelt.«

»Geh mir mit deiner Schlange!« sprach die Frau. »Ich bin froh, daß ich sie nicht gesehen habe, ich wäre des Todes gewesen.«

Kaum hatte des Holzhauers Frau dies gesagt, so stieß sie einen gellenden Schrei aus, und sprang entsetzt zurück – denn aus dem Reisigbündel hervor kroch plötzlich die Schlange, und ihr Anblick jagte der Frau einen tödlichen Schreck ein.

»Aber liebe Frau!« rief der Mann. »Wie du dich gleich stellen kannst! Was erschrickst du denn? Es ist ja keine giftige Schlange, es ist eine unschuldige Unke, die Frösche und Mäuse frißt. Man sagt, Unken bringen Glück ins Haus, vielleicht bringt diese es uns, Zeit dazu wär' es, denn des Elendes haben wir lange genug gehabt. Man hat auch Beispiele, daß Menschen in solche Lintwürme verwandelt worden sind, welche Schätze vergruben, und nun in Schlangengestalt das gleißende Gold hüten müssen, vielleicht ist uns ein solcher Schatz beschert, wir wollen daher der Schlange kein Leid zufügen.«

Der Frau zitterten lange die Glieder, sie vermochte kaum, ihrem Manne etwas zu antworten, denn es besteht ein Widerwille der Frauen gegen die Schlangen vom Anbeginne her, die Schlange aber war gleich in das Haus geschlüpft, und hatte dort im Vorflur die Katze angetroffen, und ihr guten Tag gesagt. Die Katze hatte einen hohen Buckel gemacht und angefangen zu pfauchen, die Schlange aber hatte gezischt und den Rachen aufgerissen, was die Katze bewog, nicht feindselig gegen die Schlange vorzugehen.

»Was issest du?« fragte die Schlange. – »Ich esse Mäuse« – antwortete die Katze.

»Ich esse auch Mäuse«, sagte die Schlange.

Dieser zarte Zug übereinstimmender Neigung begütigte die Katze, und sie fragte nun die Schlange: »Was trinkst du?«

»Ich trinke Milch, wenn ich deren haben kann!« antwortete die Schlange.

»Ei ich trinke auch Milch!« sagte die Katze. »Das ist ja schön! da passen wir eigentlich gut zusammen.«

Darauf schlossen die Katze und die Schlange Frieden und Freundschaft miteinander, und die Hausfrau gewöhnte sich [680] allmählich an die letztere, und wenn sie der Katze Milch gab, so trank die Schlange, die sehr wenig bedurfte, mit der Katze aus einem Näpfchen, und die Mäuse fingen beide gemeinschaftlich weg, die Schlange die im Stalle und im Keller, und die Katze die auf dem Boden und in der Stube.

In dem Waldhäuschen aber kehrte Segen ein, seit die Schlange bei dem alten Ehepaare lebte und geduldet ward; der Tagelohn wurde dem Manne erhöht, die Waldbeeren, eßbaren Schwämme und Heilkräuter, welche die Frau sammelte und in die Stadt zum Verkaufe trug, wurden ihr viel besser, als sonst bezahlt, und so lebten die armen Leute in glücklicher Zufriedenheit, die ihnen vielmehr zum Besten gedieh, als wenn sie unversehens reich geworden wären. Am Abende, wenn die Arbeit ruhete, saßen die beiden Alten bisweilen sommers vor der Türe und winters am warmen Ofen, und die Frau spann, neben ihr saß die Katze und spann auch, aber leider keinen Faden, und die Schlange hatte Schlupfgänge, welche die Mäuse ausgearbeitet hatten, und kam herauf, und da hörten Mann und Frau zu, wie die beiden Tiere einander Geschichten erzählten, in denen Katzen oder Schlangen stets die Hauptrollen spielten. Die Schlange insonderheit war schon ziemlich alt und sehr erfahren, und konnte sehr vieles erzählen, teils was sie selbst erlebt hatte, teils was sie von ihrer Mutter und Großmutter gehört.

»Ich weiß nicht, ob du die Geschichte von jener Frau kennst«, sprach eines Abends die Schlange zu ihrer Freundin, der Katze: »welche lange Zeit eine Schlange an ihrer Brust trug?«

»Nein, die kenne ich nicht; ich werde dir sehr dankbar sein, wenn du sie mir erzählst« – antwortete die Katze, und strich sich mit ihrer rechten Pfote über den Kopf, worauf die Schlange das folgende Märchen erzählte.

Die SchlangenammeSchlange HausfreundDie beiden BrüderDer Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Die Schlangenamme

»Es war einmal eine arme Frau«, erzählte die Schlange:

»die ging eines Morgens auf die Wiese, Gras zu mähen, und trug mit sich ihr kleines Kind, das noch an ihrer Brust trank. Sie legte das Kindlein, als sie dasselbe gestillt hatte und es [681] eingeschlafen war, sanft auf den Rasenrain, wo sie es weich und sorglich bettete, unter den Schatten einer alten Weide, welche hohl war. Im Stamme dieser Weide aber wohnte eine Schlange.

Die Frau wartete fleißig ihrer Arbeit, bis zur Stunde des Mittags, in der sie ihre Sense niederlegte, und hin zu ihrem lieben Kinde ging, ihm wieder Nahrung zu geben, so wie auch selbst ihr Mittagsbrot zu genießen. Als letzteres geschehen war, legte sie ihr Kindlein an ihre Brust und summte ihm ein Schlummerlied, und da der Tag sehr heiß war, und die Arbeit des Grasmähens die Frau auch ermüdet hatte, so entschlummerte sie selbst, und das Kind ließ ab von der Brust der Mutter und schlief in ihren Armen sanft ein.

Das alles hatte die kleine Schlange gesehen, die im Stamme der alten Weide wohnte, weil sie hervorgekrochen war, sich zu sonnen und zu sömmern in der heißen Mittagsluft, und weil wir Schlangen gerne Milch trinken, so schlich sie sich sachte herbei, und saugte sich an der Brust der jungen Mutter an, und trank mit großem Behagen die süße Muttermilch. Aber groß war der Schrecken jener Frau, als sie aus ihrem Schlummer erwachte, und nun gewahrte, welch einen ungebetenen Gast sie ernährte. Da erwachte die alte Feindschaft zwischen den Weibern und der Schlange auf das höchste, aber der Schlange gefiel es allzuwohl da, wo sie war, und die Frau durfte sie nicht mit Gewalt wegreißen, denn gleich beim ersten Versuche hielt sich die Schlange so fest, daß es schmerzte, und die junge Mutter mußte gewärtigen, daß die Schlange sie beißen würde, wenn sie ihr Gewalt antue.

Da blieb nun der Frau für ihr Kindlein nur die eine Brust, und die andere behauptete die Schlange, die nicht mehr abließ, zumal die Milch ihr wundersam zum Wachstume gedieh, und dem Kindlein schadete es auch nicht im mindesten, daß es an der Schlange eine Milchschwester hatte, es gedieh ebenfalls und wuchs mit der Schlange um die Wette. Die Frau hätte ganz zufrieden sein können, denn wo Schlangen wohnen, kehrt Glück und Segen ein, wenn nicht das blöde Vorurteil und die Furcht gewesen wäre, die Schlange würde sie stechen, als ob wir Schlangen einen Stachel im Maule hätten. Auch nennen die Menschen uns häßlich, während sie sich für schön halten, und so beschränkt in ihrem Verstande sind, nicht einsehen zu können, daß die ganze [682] Schöpfung kein so vollendet schönes Geschöpf aufzeigt, als eine Schlange ist; Rundung und Fülle, frei von der Unzier häßlicher Haare und Borsten, Anmut in jeder Bewegung, Vollkraft im tadellosen Wellenbau unseres Körpers, der unentstellt ist durch eckige, krallige Glieder oder Stelzbeine. Da sich nun aber fort und fort jenes Weib abhärmte, und die Schlange sich fort und fort an ihr ernährte, und bereits die Dicke eines Menschenarmes erreicht hatte, so mußte das Kind entwöhnt werden. Aber die Schlange ließ sich nicht entwöhnen, die wuchs und wuchs, und die Frau mußte einen Tragbeutel anfertigen, in welchem sie den schweren Schlangenleib trug, während der Schlangenrachen fest an ihre Brust geheftet blieb. Zum Unglück hatte die Frau auch noch den Hohn ihrer Nachbarn, die ihr den Namen Schlangen-Amme beilegten.

Schon zehn Monate trug jene Frau die Schlange, da kam von ohngefähr ein Fremder in das Dorf, der hörte die Märe, von der alle Welt sprach, und ging zu der Frau, und sah den Gast, und ihre sich abzehrende Gestalt, und ihren Jammer, daß die Schlange nicht von ihr abließ – und sagte ihr: ›Frau, ich will Euch wohl von dieser Schlange helfen, wenn Ihr mir im Vertrauen nach dem Walde folgen wollt, und Euch nicht fürchten, wenn Ihr der Schlangen noch mehr seht. Daß Euch keine ein Leid zufügt, dafür stehe ich.‹

Dieser Mann war ein Schlangenbeschwörer, die Frau folgte ihm vertrauungsvoll in den nahen Wald, darin er an einer baumfreien Stelle mit seinem Stabe einen Kreis zog, und auf einem kleinen Pfeifchen gellend pfiff. Da rischelte und raschelte es bald darauf durch Gras und Waldlaub und Büsche und es kamen von allen Seiten Schlangen herbei, große und kleine, daß der Frau angst und bange ward, und sie aus dem Kreise entspringen wollte, aber der Zauberer winkte ihr, und bedeutete ihr ruhig zu stehen, und blies wieder, und da begannen alle Schlangen ihre Köpfe und Oberleiber kerzengerade in die Höhe zu richten und zu tanzen, und mit einemmale wurde auch die Schlange an der Brust der Frau unruhig, machte mit ihrem Leibe sanfte Bewegungen, ihr Kopf ließ die Brust fahren und rasch schlüpfte sie aus dem Tuche, glitt zum Boden nieder und ringelte sich auf die andern Schlangen zu, um mit ihnen zu tanzen, während der Zauberer auf seinem Pfeif lein lustige Stücke spielte.

Da fühlte jenes Weib sich mit einem Male erlöst, und war [683] ganz glücklich; sie konnte nun wieder ungehindert arbeiten, war nicht mehr der Gegenstand eines unvernünftigen Abscheues ihrer Mitmenschen, welche wunders glaubten, womit die arme Frau sich versündigt habe, weil sie den Lintwurm tragen mußte und erzog mit Liebe und Sorgfalt ihr munteres Kindlein.

Als das Kind mehrere Jahre alt geworden war, lief es eines Tages mit Nachbarskindern in den nahen Wald, dort Beeren zu suchen. Es war schon gegen Abend, und die Kinder waren noch nicht wieder nach Hause gekommen. Die Mutter saß mit einer Arbeit an ihrer Türe, und sahe von Zeit zu Zeit nach dem Ausgange des Waldes hin. Auf einmal hörte die Frau von dorther ein gräßliches Geschrei der Kinder durcheinander, und sah das Häuflein in eiligster Flucht aus dem Walde hervorstürzen, und nach dem Dorfe zu, aber ihr eigenes kleines Kindlein, das noch nicht so laufen konnte, wie die größeren, war nicht darunter. Und da schrie ein Knabe: ›Ein Wolf! Ein Wolf!‹ und ein zweiter schrie:

›Ein Bär! ein großer Bär!‹ und ein dritter: ›Eine Schlange, eine greuliche Schlange!‹ daß der Mutter das Herz erschrak, und sie aufsprang und nach dem nahen Walde hin eilte.

Vergebens fragte sie die Kinder, die in Hast an ihr vorüber eilten, nach ihrem eigenen Kinde, keines stand ihr Rede, die Angst jagte alle vorbei. Kaum war das geschehen, so sah die Frau einen großen Wolf, der noch einige wunderliche Sprünge machte, aber dann vor ihren Augen zusammenbrach, und alle viere von sich streckte. Voll Entsetzen eilte die Frau am Wolfe vorüber, und erreichte den Saum des Waldes, da bot sich ihr ein schrecklicher Anblick. Ein lautbrüllender Bär bäumte sich, aber nicht gegen die Frau, sondern im Kampfe mit einer großen Schlange, die ihn eng umringelt hatte, und ihm die Kehle zuschnürte – und kaum hatte jene ihn aufrecht gesehen, so stürzte er nieder, und neben der Stelle, wo er am Boden sich ausatmend und zuckend lag – o Wunder, da lag unversehrt und süß schlummernd, das Kind der Frau, auf welches diese sich mit einem lauten Freudenschrei stürzte. Jetzt aber ringelte sich die Schlange vom Halse und Leibe des Bären los, und kaltes Entsetzen übergoß die Frau aufs neue – sie kannte diese Schlange. Die Schlange aber sprach zu ihr: ›Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten. Die Schlangen sind nicht falsch und nicht undankbar, wie ihr Menschen euch ein [684] bildet und euch einredet, und uns zu Sinnbildern eures Hasses stempelt. Du bist es, die mich so groß und stark gesäugt, daß ich im Stande war, den Wolf und den Bär zu entseelen, die deinem Kinde Gefahr drohten. Ich habe Gutes mit Gutem gelohnt! Fahre wohl!‹ – Und ringelte sich in die Büsche.« –

Klare-MondDie SchlangenammeSchlange HausfreundDie beiden BrüderDer Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Klare-Mond

Mit Vergnügen hörte die Katze die Erzählung ihrer Freundin, der Schlange, und als diese geendet hatte, sagte sie: »Kein Tiergeschlecht hat vom Undanke der Menschen so viel zu leiden, als wir armen Katzen. Wie diese Menschen euch Schlangen zu Sinnbildern der Falschheit, des Undankes und der Bosheit machen, so auch uns, deshalb tun wir beide wohl, uns zusammen und Freundschaft miteinander zu halten. Da heißt es immer: die falsche Katze, Katzenfalschheit, und solcher Ehrentitel mehr, die wir erhalten. Eines ihrer zahlreichen Laster, den Diebstahl, haben die Menschen nach unserem vom Schöpfer in uns gelegten Beruf und Nahrungstrieb, Mäuse zu fangen, das Mausen genannt, was doch recht schändlich von ihnen ist, und endlich haben sie die Lügenmäre ersonnen, daß ihre bösen Hexenweiber und Teufelsbündnerinnen sich in ein so edles und schönes Geschöpf, wie eine Katze ist, verwandeln könnten; das hat dann wieder dahin geführt, daß viele Menschen jede Katze für eine Hexe halten, durch welche heilige Einfalt schon viele Tausende unseres Geschlechtes den grausamsten Tod erlitten haben. Ich könnte dir bis an das Ende meines Lebens solche Märlein erzählen, in denen wir als Hexen eine Rolle gespielt haben sollen, und würde doch nicht mit allen fertig.

Ich will dir nur ein solches Märchen erzählen, welches nicht so grausame Züge vom Pfoten oder Kopf Abhacken hat, wie so viele andere, in welchem vielmehr unsere Begabung mit wunderschönem Gesang, und unsere Freude an Betrachtung des schönen gestirnten Himmels Erwähnung geschieht. Ich glaube fest, daß die Sirenen des Altertumes nur singende Katzen waren, welche im Meere lebten, also echteMeerkatzen, während die tückischen Menschen diesen [685] Namen eines nicht mehr vorhandenen schönen Tiergeschlechtes der häßlichsten Affenart beigelegt haben. Auch ist es bei uns eine bekannte Sage und Sache, daß der bei Nacht leuchtende Glanz unserer Augen nichts anderes ist, als Sternenlicht, das wir vom ersten Offenwerden unserer Augen in uns einsaugen; daher sehen wir auch bei Nacht, und es gibt für uns, die bevorzugtesten Geschöpfe auf der ganzen Erde, kein Dunkel, und wenn wir schon durch die Nacht schleichen, so schleichen wir doch nie im Finstern, und es würde ebenso abgeschmackt von den Menschen sein, uns als Sinnbilder geistiger Finsternis zu bezeichnen, als sie dies mit den Eulen tun, die jene Begnadigung steten Hellsehens mit uns teilen. Doch ich bin weit entfernt, mich und mein Geschlecht selbst zu loben, ich bedarf in Wahrheit nicht des Eigenlobes. Mein Märchen lautet:

Es lebte einmal ein Mann, der hatte auf seinem Hause einen schönen geräumigen Söller, von welchem aus man sich einer herrlichen Aussicht über die Stadt, in welcher er wohnte, und in deren ganze Umgegend erfreute. Nahe diesem Söller war im Sommer des Mannes Schlafgemach, und es führte aus diesem eine Glastüre heraus auf das mit Blumentöpfen und kleinen Bäumen in Eschen geschmückte Belvedere.

In einer wunderherrlichen Sommernacht, in welcher der volle Mond prachtvoll schien, und der Himmel voll Sterne stand, erwachte jener Mann von himmlischen Tönen, die ganz in seiner Nähe erklangen. Er erhob sich von seinem Lager und sah durch eine Scheibe des Glasfensters hinaus auf seinen Söller, da erblickte er mit großem Erstaunen eine zahlreiche Gesellschaft schöner Damen, teils in weißen, teils in farbigen und dunkeln Kleidern, alle vom angenehmsten Äußern, die saßen um eine Tafel herum, welche gewöhnlich auf dem Söller stand, und sangen mit den lieblichsten Stimmen einen Rundreim, welcher lautete:


›Wir trinken hier viel süßeren Wein,
Als Burgunderwein,
Als Champagnerwein,
Wir trinken den klaren Mondenschein.‹

Indessen schien diese zarte Gesellschaft auch einige leibliche Erquickung nicht zu verschmähen, mindestens sahe der Mann, daß sotane Frauengesellschaft auch irdischen Wein [686] und niedliche Speisen genoß. Er konnte sich, da er ein Hagestolz war, und außer alter Dienerschaft sein Haus ganz allein bewohnte, gar nicht denken, wer diese vielen Frauen und Fräulein waren, und woher sie in aller Welt gekommen seien, und weshalb gerade zu ihm herauf? Es deuchte ihm endlich ein hübscher Traum zu sein, aber dagegen stritt, daß er sich dennoch lebhaft wachend fühlte, und so gedachte er bei sich: Ich bin doch der Herr des Hauses, ich habe ein Recht, in diese Gesellschaft zu treten, da werde ich ja gleich hören, welche seltsame Veranlassung sie zu mir herauf führt. So klinkte der Mann die Glastüre auf, und trat unbefangen mit freundlichem Gruße zu den Damen heraus. Diese erhoben sich bei seinem Anblick alsbald alle von ihren Sitzen, und ein ganz artiges junges Mädchen in einen schneeweißen Kleide, mit blondem Haar und rosenrotem Mäulchen und Händchen trat auf ihn zu, und sprach: ›Verzeihet gütigst, edler Herr, die Freiheit, die wir uns genommen, diese schöne wonnevolle Mainacht auf Euerm Söller zu feiern, und nehmt es nicht für ungut, wenn vielleicht unser Gesang Euern Schlummer gestört hat. Gesellet Euch zu uns, nehmt Platz, nehmt Kuchen, nehmt Wein!‹

Der Mann wußte nicht, wie ihm geschah, des kleinen holdseligen Fräuleins liebliches Geplauder schnitt ihm alle Fragen vom Munde ab, er setzte sich mit an die runde Tafel, ließ sich nicht ungern ein Gläschen Sekt kredenzen, und da er mit ihnen trank, sangen jetzt die Damen ihren Reim ein wenig verändert:


›Wir trinken den allerköstlichsten Wein,
Burgunderwein!
Champagnerwein!
Und den klaren, klaren. Mondenschein!‹

Das weißgekleidete Mägdlein schmiegte sich mit so großer Zutraulichkeit an den Mann, wie eine junge Tochter an einen Vater, den sie liebt, und bot ihm nun auch von dem Kuchen an; auch von diesem nahm er, doch wollte er ihm nicht recht munden, es fehlte ihm etwas, und er sagte daher:

›Verehrte Damen! Dürfte ich Sie wohl in Gottes Namen um ein wenig Salz bitten?‹ –

Kaum waren diese Worte gesprochen, als plötzlich der Mann an der Stelle des lieblichen Gesanges ein wildes Durcheinander von Katzenstimmen hörte, für deren zarten, [687] melodischen und unvergleichlichen Wohllaut den plumpen Menschen das Ohr gänzlich verschlossen ist, und ihnen kein Sinn innewohnt – und nicht minder erblickte er die ganze Gesellschaft zu lauter Katzen geworden, darunter seine eigene, welche eben das schöne weiße Fräulein gewesen war, welches heute seinen eigenen Geburtsabend feierte. Der Mann sah aber die Katzen nur noch nach allen Seiten hin vom Söller auf die Dächer springen, schnell über die Firste laufen, und ehe er sich's versah, war alles, samt Gläsern, Tellern, Wein und Kuchen verschwunden, bis auf das Stückchen Kuchen – das er in der Hand hielt, und das nichts war, als ein Restchen altbackener Matzen. Seine eigene Katze war durch das Fenster der Söllertüre in sein Schlafgemach geflüchtet, in das er nun ebenfalls sehr erbost zurück schritt, und nach einem spanischen Rohre griff, um die so schön geübte Gastfreundschaft mit Undank zu vergelten. Als nun der Mann mit dem Prügel unter sein Bette fuhr, fauchte und schrie die weiße Katze furchtbar, sprang unter dem Bette hervor, und abermals durch das Fenster, wobei eine zweite Scheibe in Trümmer ging, hinaus auf den Söller, auf ein Dach und kam niemals wieder. Als der Mann, was ihm mit den Katzen begegnet war, nun häufig seinen Freunden erzählte, dazu ihnen den Reim jedesmal vorsang und allen Katzen Vertilgung zuschwur, so lachten die Freunde viel über ihn, und nannte ihn spottweiseKlare- Mond und Katzen-Herodes bis an sein Ende.«

SiebenhautKlare-MondDie SchlangenammeSchlange HausfreundDie beiden BrüderDer Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Siebenhaut

Als die Katze ihre Märchen-Erzählung geendet hatte, nahm die Frau des Holzhackers, welche aufmerksam mit zugehört hatte, das Wort, und sagte: »Solcher Geschichten wüßte ich auch genug. Ob sie alle wahr sind, will ich nicht behaupten. Und was deine Geschichte betrifft, meine gute Schlange, von einer Frau, die eine deiner Verwandtinnen an ihrer Brust nährte und groß zog, so weiß ich eine noch viel schönere, von einer Frau, die sogar eine Schlange zur Welt brachte, und sie als ihr Kind stillen mußte.« Da wollten Katze und Schlange dieses Märchen auch gern vernehmen, und baten die Frau, es ihnen zu erzählen.

[688] »Es war einmal ein Graf« – begann hierauf die Frau: »der war sehr reich und hatte auch eine sehr schöne und liebevolle Gemahlin, die ihn mit Zärtlichkeit liebte, aber sie hatten kein Kind, und deshalb liebte der Graf seine Frau um vieles weniger wie sie ihn, und er war überhaupt von etwas rohen und rauhen Sitten, wenn er es auch nicht eigentlich böse meinte. So nannte er seine Frau, die ihn durch Freundlichkeit, Demut und schweigsames Wesen bei Gutem zu erhalten strebte, stets eine Aalhaut, eine Schmeichelkatze, eine glatte Schlange und dergleichen, und bisweilen weinte die arme Frau darüber, und sagte: ›Du versündigst dich, daß du mich einer Schlange vergleichest, wenn dich Gott nur nicht einmal dafür straft!‹ – Darüber lachte der Graf. Da geschah es nach Jahr und Tag, daß Aussicht auf ein Kindlein dieser beiden Ehegatten vorhanden war, da wurde der Graf in seinem Benehmen wie umgewandelt, und wußte nicht, wie gut er es jetzt mit seiner Gemahlin meinen sollte – aber da kam ein schweres Verhängnis über beide – die Frau Gräfin brachte statt eines Kindes – eine Schlange zur Welt. Der Graf war außer sich vor Wut und Grimm und die Frau fast des Todes. ›Bist du nun eine Schlange, Schlangenmutter, oder bist du keine?‹ brüllte er. ›Eine Hexe bist du, eine Teufelsbuhle, eine falsche Katze! Sterben mußt du und dein Schlangenbalg, den du geboren hast, dazu!‹ – Indes durch Bitten und Flehen brachte die Gräfin es dennoch dahin, daß er sie und die Schlange nicht töten ließ, und dem Grauen, womit sie die Schlange ansah, mischte sich doch auch Mutterliebe bei. Der Graf aber kümmerte sich kaum noch um sie, und betrachtete sie nicht mehr als seine Gemahlin; sie durfte auch nicht aus ihren abgesonderten Gemächern, und außer der nötigsten Bedienung durfte kein Mensch zu ihr. Die Gräfin legte in ihrer Abgeschiedenheit die Schlange an ihre Brust und nährte sie mit ihrer Milch, und gewöhnte sich allmählich an sie und hatte sie lieb, wie ein Kind. Auch hatte sie zum öftern einen häufig in gleicher Weise wiederkehrenden Traum: die Schlange sei ein schöner Knabe, und habe deshalb Schlangengestalt angenommen, weil sie sich so oft darüber entsetzt und geweint habe, wenn ihr Gemahl sie eine Schlange genannt. Daher pflegte sie die Schlange sorglich und treu, und sah zuletzt mit Freude, daß sie groß ward und gedieh, bald still auf ihrem Schoße lag, bald den schlanken Hals mit dem kleinen Köpfchen und den [689] klugen blitzenden Augen emporhob bis zu ihrem Munde, und diesen wie küssend berührte, wobei stets ein wonnevoller Schauer sie überlief, wenn die Schlange ihr schnelles Zünglein zwischen ihre Lippen auf Augenblicke gleiten ließ – bald fröhlich im Zimmer herumringelte und tanzende Bewegungen machte, wie ein fröhliches spielendes Kind.

Einförmig genug ging der eingesperrten Gräfin die Zeit hin, es waren schon zwanzig Jahre vergangen, die Schlange war längst ausgewachsen, und mit Ernst dachte die Gräfin an ihren Tod, und was dann aus der Schlange werden sollte? Da tat eines Abends die Schlange, die in dieser ganzen langen Zeit noch nie ein Wort geredet, ihren Mund auf und sagte zur namenlosen Überraschung der Gräfin: ›Verehrteste Frau Mutter! Ich habe nun bereits mein zwanzigstes Lebensjahr zurückgelegt, und wünschte mich zu verheiraten. Ihr würdet mich zu größtem Danke verpflichten, wenn Ihr mir eine Braut verschaffen wolltet, mir einerlei aus welchem Stande, wenn sie nur überhaupt standhaft und brav ist.‹ Die Gräfin versprach, den Wunsch ihres Sohnes zu erfüllen, und sandte nun Werbeboten aus, aber sie empfingen aller Orten und Enden her ablehnende und oft spöttische Antworten. Schlanke Freier, hieß es, seien gern gesehen, aber Schlangen als Freier wären nicht an der Tagesordnung. Eine solche Verbindung sei doch allzu ungleich – einen goldenen Schlangenring um den Finger lasse man sich noch gefallen, auch eine goldene Schlange als Armband, aber eine Schlange um den ganzen Leib – das sei nicht zu tragen. Das machte die Gräfin sehr betrübt, und da sich gar keine Heiratspartie fand, der Sohn aber sein Gesuch, wiederholte, so verfiel die Gräfin auf ihre Hühnerwärterin, ein junges frisches Dirnlein, und suchte dieses zu der Verbindung zu überreden. Die Dirne sagte aber: ›Was kann mir mit einem Schlankel gedient sein? Solch einer frißt nur, und arbeitet nicht! Ich finde wohl noch einen Freier, der Händ und Füß hat!‹ –

Doch die Gräfin stellte der jungen Hühnerwärterin vor, daß vom Arbeiten keine Rede mehr sei, wenn sie den Grafensohn heirate, daß sie reich werde, und in goldenen Kleidern einhergehen könne. Wenn sie klug sei, wie die Schlangen, so nähme sie die Schlange, und wenn sie bei den Hühnern bleiben wolle, so sei sie eine Gans.

Zureden hilft – sagt das Sprichwort, und die Hühnerwärterin [690] sagte, sie wolle sich besinnen, und sich die Sache beschlafen. Guter Rat käme über Nacht. Und der kam auch. Nach einem frommen Abendsegen entschlief das Mägdlein, und hatte alsbald einen Traum, in welchem ein Engelchen erschien, das flüsterte ihr zu: ›Nimm ihn, nimm ihn, bekommst keinen bessern! bist berufen, ihn zu erlösen.‹ Und flüsterte ihr zu, was sie tun solle am Hochzeitabend. Dieses merkte sich das Mädchen genau, und gab am andern Morgen der Gräfin ihren Entschluß kund, auf deren heißen Wunsch einzugehen. Darüber hatte die Mutter der Schlange eine große Freude und traf alle Voranstalten, doch sollte – aus Gründen – die Verheiratung in aller Stille gefeiert werden. Wie nun das junge Pärchen beisammen war, so sprach die Schlange zur Braut: ›Zieh dich aus!‹ – ›Nein!‹ sprach die Braut, ›zieh du dich zuerst aus!‹ Da hüpfte die Schlange, schlang einen Kreis, biß sich in den Schweif und fuhr aus der Haut, hatte aber eine viel schönere darunter; die alte war braun gewesen, die neue war grün, und die Schlange sprach: ›Ich hoffe! Nun ziehe dich aus!‹ – ›Nein, ziehe du dich aus!‹ rief die Braut. Da tat die Schlange wie das vorigemal, schlüpfte aus dem grünen Balge und erschien himmelblau und sagte: ›Ich vertraue! Nun ziehe dich aus!‹ –

›Nein, ziehe du dich aus!‹ rief die Braut, denn das war das Geheimnis, welches ihr im Traume das Engelchen vertraut hatte, und abermals gehorchte die Schlange, und legte dadurch die besten Hoffnungen an den Tag, ein guter, nachgiebiger Ehemann zu werden. Es fiel die blaue Haut von ihr, und eine neue rosenrote kam zum Vorschein, und die Schlange sprach: ›Ich liebe dich, und nun ziehe dich aus!‹

›Nein, ziehe du dich aus!‹ sprach die Braut.

›Du verlangst sehr viel, mein Kind!‹ antwortete die Schlange, aber sie häutete sich zum viertenmale und erschien jetzt ganz silbern. ›Mein Herz ist rein, wie Silber! ziehe dich nun aus!‹ sagte die Schlange, aber die Braut tat dies wiederum nicht, sondern sagte abermals: ›Nein! Ziehe du dich aus.‹

Darauf streifte die Schlange auch ihre Silberhaut ab, und kroch mit einer herrlich glänzenden Goldhaut aus der silbernen und sprach: ›Mein Herz ist treu, wie Gold! Nun endlich ziehe dich aus!‹

›Nein! Ziehe du dich aus!‹ sprach zum sechsten Male die Braut, und wiederum gehorchte die Schlange, und kam aus der Goldhaut, die sie abwarf, hervor wie ein lebendiger [691] Regenbogen, in allen Farben glänzend und glühend, daß kaum ein Auge den Glanz ertragen konnte: ›Mit dir und mir sei Friede!‹ rief die Schlange, ›aber ich bitte dich, ziehe nun dich aus!‹

›Nein! ziehe du dich aus!‹ sprach unerbittlich die Braut. Da schnellte die Schlange hoch empor und in welcher Haut erschien sie nun? Das ratet einmal.«

»Das kann ich nicht raten«, sagte die Schlange. »Ich häute mich jährlich nur einmal.«

»Und ich noch weniger«, fügte die Katze hinzu; »ich häute mich niemals, ich häre mich nur.«

»Pah! In einer Menschenhaut.« rief die Erzählerin. »Und verwandelte sich auch zugleich in einen Menschen, und zwar in einen schönen und jungen, und schloß die Braut in seine Arme, und küßte sie, und rief: ›Dank dir, du hast mich erlöst!‹

Und das war es gewesen, was das Engelchen der Braut im Traume zugeflüstert hatte, siebenmal mußte sie sein Ansinnen weigern und ihm dasselbe zurückschieben und nun stand er vor ihr als der liebreichste Grafensohn, als der schönste Ritter, und sie sank liebebewegt an sein Herz.

Daß die Gräfin über die Verwandlung höchst glücklich war und daß auch ihr Gemahl sich wieder mit ihr versöhnte und des Sohnes sich freute, versteht sich von selbst.«

So erzählte immer eins um das andere, der Bewohner jenes Waldhäuschens, bald die Frau, bald auch der Mann, oder die Schlange, oder die Katze, und den beiden Eheleuten ging es immer gut, sie erreichten ein hohes Alter, und starben kurz nacheinander. Darauf starb auch die Katze, und die Schlange verließ das Häuschen, darin es ihr so wohl gefallen hatte.

Das Dukaten-AngeleSiebenhautKlare-MondDie SchlangenammeSchlange HausfreundDie beiden BrüderDer Raben Arglist und RacheDie verwandelte MausDer Dieb und der TeufelDer listige RabeVon einem Einsiedel und drei GaunernVon einem Hasen und einem VogelVom Hasen und dem ElefantenkönigeDie Adler und die RabenDer fette Lollus und der magere LollusUndank ist der Welt LohnDas blaue FlämmchenDie WünschdingerDer wandernde StabDer fromme RitterDer redende EselSchab den RüsselDie verwünschte StadtDie goldene SchäfereiDie Schlange mit dem goldnen SchlüsselDer FischkönigDas UnentbehrlichsteDie KuhhirtenDie drei WünscheVom Knaben, der das Hexen lernen wollteMarien-RitterDer WandergeselleZwergenmützchenDas tapfere BettelmännleinDie scharfe SchereDer gastliche KalbskopfDie schlimme NachtwacheDas winzige, winzige MännleinVom Büblein, das sich nicht waschen wollteDer schwarze GrafDas HellerleinDer undankbare SohnSeelenlosGevatterin KröteDer starke GottliebSonnenkringelSchneider Hänschen und die wissenden TiereDas klagende LiedDas NatterkrönleinAschenpüster mit der WünschelgerteMärchenBechstein, LudwigNeues deutsches Märchenbuch

Das Dukaten-Angele

Es waren einmal drei Schwestern, die auf dem Lande lebten, von denen war die eine, Namens Hannele, (Hannchen) sehr geschickt, die zweite Schwester aber war unklug, und die dritte war noch ein ganz kleines Kind. Die kluge Schwester war in die Schule gegangen, und hatte mancherlei [692] gelernt, die unkluge war zwar auch in die Schule gegangen, hatte aber nichts gelernt, und es war ihr nichts einzutrichtern gewesen. Daher nahm die kluge, da die Eltern nicht mehr lebten, sich des kleinen Hauswesens an, kochte und wusch, und die unkluge mußte ihr Dienste leisten, aufwaschen, scheuern, Holz spalten, Gänge tun, das Kind tragen und in allem Aschenbrödel sein, aber ohne Aussicht, eine Prinzessin zu werden.

Eines Tages schickte die kluge Schwester die unkluge nach der nahen Stadt, und gab ihr Geld mit, um Brot zu kaufen. Nun war in der Stadt just Jahrmarkt, und die unkluge Maid hatte noch nie einen Jahrmarkt besucht, wandelte daher mit offenem Munde und gaffenden Augen zwischen allen den Buden voll Jahrmarktsherrlichkeiten umher, und da kam sie an einen Stand, der war eitel voll und übervoll von Puppen und Püppchen und Dockenköpfen und Bälgen, immer eine Puppe schöner wie die andere, ach da hätte das Mägdlein gar zu gern ein Paar, oder wenigstens nur eins von den Püppchen gehabt, und da rief die Verkäuferin ganz freundlich: »Nun, mein liebes, schönes Kind! Kommen Sie näher! Nehmen Sie sich ein Püppchen! Suchen Sie sich das schönste heraus!« –

»Das heiß ich eine gute Frau!« dachte die Unkluge, daß sie mir eins zu nehmen erlaubt, und nahm sich gar ein schönes Döckchen, dankte und wollte davon gehen, aber da hielt die Verkäuferin sie am Rocke fest und rief: »Na! Was ist denn das? Das wäre mir! So haben wir nicht gewettet, mein sauberes Jungferchen! Man bezahlt auch, wenn man kauft, oder ist Sie etwa eine Weißkäuferin, die findet, wo niemand was verloren hat. Geld heraus! oder ich rufe die Polizei!« –

Über diese harte Rede erschrak das unkluge Mädchen mehr, als es jemals in seinem ganzen Leben erschrocken war, und gab vor Schreck alles Geld hin, für welches sie doch Brot kaufen sollte, und die Dockenverkäuferin nahm das Geld und schrie: »He! Der Bettel langt noch lange nicht!« und riß dem armen Mammele – so wurde die Unkluge aus Spott gerufen, weil sie klein und untersetzt von Wuchs war, und einem alten Mamachen ähnlich sah – die schöne Puppe aus der Hand und gab ihm eine andere, weit geringere, die alt, und nur ein bißchen wieder frisch aufgeputzt war, und schrie: »Nachdem das Geld, nachdem die Ware! Nachdem [693] der Mann, nachdem brät man die Wurst! Lauf kleiner Balg! Mach daß du fortkommst! Sei froh, daß du für deine paar lumpigen Heller noch so eine schöne Docke gekriegt hast!«

Trotz dieser übeln Behandlung von seiten der Marktfrau, war das arme kleine Mammele doch froh, daß es ein Döckchen hatte, herzte es und küßte es, und nannte es »Angele«, das ist Engelchen, und »mein Kindchen, mein Kindchen!« – Aber ach, wie das Mammele heim kam vom Jahrmarkt, und statt Brotes eine Docke brachte, da wurde das Hannele sehr böse und schlug das arme Mammele, daß es bitterlich weinen mußte, und redete den ganzen Rest des Tages kein Wort mehr mit ihm. Doch behielt das Mammele zu seinem Trost sein Angele, und hätschelte es, und nahm es mit zu Bette, legte es neben sich, und schlief bald tief und fest ein, denn es war müde vom Wege, müde von Schlägen, und matt vom Hunger, denn das Hannele hatte ihm auch noch zur Strafe nichts zu essen gegeben. Neben Mammeles Bette stand das kleine Bettchen der jüngsten Schwester, welche Annele (Annchen) hieß, und an der Wand gegenüber stand Hanneles Bette.

Mitten in der Nacht nun – es war heller Mondschein, erwachte die kluge Schwester von einer seltsamen Stimme, die drüben aus dem Bette ihrer Schwester kam, und lautete:

»Mamma gacka! Mamma gacka!« und Hannele merkte, daß diese Stimme von der kleinen Puppe kommen müsse, denn ihre Schwestern hatte andere Stimmen. Da nun die unkluge Schwester fest schlief und nichts hörte, so rief zu dem kleinen Kinde hinüber das Hannele: »Annele! Weck einmal das Mammele! Das Angele will eine Gackele (Eichen) legen!«

Auf diesen Zuruf ermunterte sich das kleine Annele und weckte das Mammele, und das stieg auf, und nahm sein Angele, und setzte es auf ein Tassenköpfchen.

Da tat es gleich einen klingenden Klang in dem Tassenköpfchen, und wie das Mammele das Angele wieder davon herunter hob, so hatte letzteres ein goldenes Gackele gelegt, das einen Dukaten so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern.

Da war große Freude bei den Schwestern; die kluge wurde wieder ganz gut mit der unklugen, und sie küßten und herzten gemeinschaftlich das gute Angele, und hüllten es in seidene Läppchen, und für den Dukaten kauften sie [694] Brot und Kuchen, Zucker und Kaffee und allerhand schöne Sachen. Und was die schönste Sache war, das war die: daß in jeder Nacht das Annele »Mamma gacka!« rief, und jede Nacht ein goldenes Gackele legte. Da kaufte die kluge Schwester nach und nach hübsche Kleider, und ließ das Häuschen, darin sie mit ihren Geschwistern wohnte, neu decken, und von außen neu anstreichen, und in wendig ließ sie die Stube tapezieren, und kaufte auch Hühner, Gänse, Enten und Tauben auf den Hof, und schaffte eine Ziege an, später auch eine Kuh und für das Annele ein Kinderwägelchen, in dem fuhr das Mammele das Annele spazieren, und das Annele hatte das Mammele auf dem Schoße, und nebenher lief ein junges Lämmchen, welches Lammele gerufen wurde, und am Halse an einem roten Bändchen ein klingendes Schellchen trug. Da wunderten sich die Nachbarsleute, daß die Schwestern es so gut hatten, und sich immer besser betaten, und jene konnten nicht begreifen, woher und wovon? Denn obschon die kluge Schwester sehr fleißig war, so wußten jene doch, daß der redliche Fleiß nicht hilft zu schnellem Reichtum.

Nun hatten die Schwestern ein Ehepaar zu nahen Nachbarn, das war selbst reich, aber gerade dieses Paar beneidete die Schwestern am allermeisten, und Mann und Frau redeten miteinander über sie: »Wenn wir nur in aller Welt wüßten, woher drüben das Hannele und das Mammele mit ihrem Annele so gar reich werden? Wo sie nur das Geld hernehmen? Es muß nicht mit rechten Dingen zugehen!« –

»Warte, mein lieber Mann!« sagte die Frau: »ich will das bald erfahren und herausbekommen; ich will das dumme Mammele fragen, die sagt mir in ihrer Einfalt ganz sicher alles.« –

Als nun bald darauf einmal das Mammele sein Annele mit dem Angele spazieren fuhr, und das Lammele klingelnd neben her lief, da trat ihnen die Nachbarsfrau in den Weg, und sagte: »Ei schönen guten Tag, liebes Mammelchen! Wie geht es denn mitsammen? Was macht denn mein gutes Hannelchen? Das ist gewiß recht fleißig zu Hause! Ach das liebe, brave Mädchen! Und das herzallerliebste Annelchen da! Ach das Zuckerkind! Ei – und was es für ein schönes Püppchen da auf dem Schoße hat! Und das schöne Lammele! Wie das springt! Und das goldige Schellchen, wie das klingt! Und das saubere Wägelchen, so schön buntig gemalt! Ja da sieht man's recht, was das Sprichwort sagt: [695] Schöne Leute haben schöne Sachen! O ihr herzigen Goldkinder, ihr!«

Mit diesem scheinbar so freundlichen und liebreichen Geschwätze betörte die Nachbarsfrau das Mammele, und es sagte: »Ja wohl, Frau Nachbarin, es geht uns ganz leidlich, wir sind zufrieden.«

»Freut uns gar zu sehr, mich und meinen Mann, mein liebwertes Mammele!« schmeichelte die Frau. »Ihr seid aber auch gar gut, zu gut, zu brav, und verdient, daß es euch gut geht, denn das Sprichwort sagt: Was der Mensch wert ist, widerfährt ihm. Wer's nur auch so gut haben könnte, wie ihr! Aber das Sprüchwort sagt: Den Seinen gibt's der liebe Gott im Schlafe!« –

»Freilich, Frau Nachbarin«, antwortete darauf das unkluge Mammele. »Jede Nacht gibt es uns der liebe Gott! Jede Nacht einen goldenen Dukaten.« –

»Ei du meine liebe Güte! Ei Herr Jehchen! Ei woher denn, du goldiges Herzenskind, du gar braves, liebes, gescheites Mammele du?« – rief und schmeichelte die listige Nachbarin.

»Das Angele tut's, was da das Annele auf dem Schoße hat!« plauderte das unkluge Mammele aus. »Jede Nacht einmal ruft es ›Mamma gacka!‹ und da setz ich's auf ein Tassenköpfchen, und da fällt der Dukaten hinein.«

»'s ist die Möglichkeit!« – schrie die Nachbarin außer sich, und griff hin, und wollte das Püppchen an sich reißen, aber das Annele hielt es mit beiden Händen fest, und erhob ein Geschrei als stäk es am Spieße und strampelte sehr mit den Füßen.

»Na, kleiner Narr, behalte nur deine Docke! Ich werde sie dir nicht nehmen! Ich brauche keine!« sagte begütigend die Nachbarsfrau und ließ ab. »Wenn man den kleinen Kindern den Willen tut, so greinen sie nicht, sagt das Sprüchwort. Paßt auch auf große Kinder! Nun Adjes, auf Wiedersehen, gutes Mammele! Grüße schön das liebe Hannele, und bleib fein gesund mit dem Annele und dem Lammele« –(du dummes Hammele, du Schaf!) – setzte sie noch in Gedanken hinzu, und eilte freudig zu ihrem Manne, und verabredete mit diesem einen Plan, wie sie durch Trug und Täuschung um Aufnahme für eine Nacht in dem Häuschen der Schwestern bitten, und den Schwestern das gute, nutzbare Püppchen, das Dukaten-Angele, entführen wolle.

[696] Als es Nacht geworden war und Zeit, schlafen zu gehen, vernahmen die Kinder drüben im Nachbarhause einen greulichen Lärm. Es klitschte und klatschte, es schmizte und patschste drüben, daß alles krachte und platzte, und man hörte die Frau kläglich heulen und den Mann greulich fluchen und schelten, es war aber alles nur List und Verstellung, und endlich fuhr drüben die Haustür auf, und die Frau fuhr heraus mit fliegenden Haaren, ringenden Händen, nur halb bekleidet, und geradewegs hinüber zu den Schwestern, in einem fort schreiend: »Ach, daß's Gott erbarm! Ach der böse Mann! Ach ach ach! Ei ei ei! Ach ach ach! Ei ei ei!« und wollte sich gar nicht zufrieden geben. Endlich brachte sie unter erheuchelten Tränen und vielem Schluchzen die Lüge vor, daß ihr schlimmer Mann sie gottesjämmerlich geprügelt und aus dem Hause geworfen habe, und um keinen Preis ginge sie wieder hinüber, und die Schwestern möchten doch um Gottes willen sie nur eine einzige Nacht bei sich behalten, weil es schon Nacht sei; morgen in aller Frühe wolle sie dann weiter fort, in ihr Heimatdorf, zu ihren Leuten.

Die gutmütigen Schwestern hatten Mitleid mit dem falschen Weibe, und bereiteten ihm in ihrer eigenen Schlafkammer ein Lager, denn das kleine Häuschen bot keine Gaststube und Gastkammern dar. Als nun alle sich zur Ruhe gelegt hatten, nahm die Nachbarin aus dem Bettchen des schlafenden Mammele das Dukaten-Angele, öffnete das Fenster, stieg hinaus, sprang in das Gärtchen vor dem Hause, zertrat der Schwestern schönste Blumen, und eilte hinüber nach ihrem Hause, wo ihr Mann sie an der offenen Türe empfing, und beide hatten eine Hexenfreude, und wollten sich miteinander scheckig lachen, daß der Raub so gut gelungen war.

Und da sagte gleich darauf, als beide in der Stube waren, das Angele: »Mamma gacka! Mamma gacka!« das freute die Frau von Herzen, sie nahm gleich statt eines Tassenköpfchens die Suppenschüssel, stellte diese dem Angele unter und sagte: »Mach's gut; mach's nicht so einzeln! Mach gleich einen Haufen, denn das Sprichwort sagt: Vorrat ist Herr – und viel hilft viel!« Und das Angele tat auf dieses Zureden sein möglichstes, in der Schüssel aber tat es keinen klingenden Klang, sondern einen tritschenden Tratsch, und wie der Mann die Bescherung sah, so glaubte [697] er, seine Frau habe ihn vor einen Narren, wurde jetzt im Ernst so böse, als er kurz zuvor sich gestellt hatte, nahm die Suppenschüssel samt der Puppe und warf beide durch's Fenster hinaus auf den Mist, hernach aber nahm er einen Stecken, und prügelte seine Frau nun ernstlich windelweich, da schrie sie nun auch im Ernste Zeter mordio! »Ach ach ach! Ei ei ei! Ach du liebes Ei!« und der Mann schrie: »Ich will dich beeiern, daß du die Kränk kriegen sollst! Schmeckst du was? Schmeckst du wie diese faulen Eier stinken? Das Sprichwort sagt: viel hilft viel! Wart, ich will dir helfen!« und schlug drauf und drein auf sie los, bis sie kaum noch piepsen konnte.

Am andern Morgen merkten die Schwestern, daß das Angele fort war, und hatte in dieser Nacht nicht auf das Tassenköpfchen begehrt, und waren darüber sehr betrübt.

Unterdessen lag die Docke, das Angele, auf dem Mist, und die Suppenschüssel lag über ihr, und nur ein Stückchen Lappen von ihren bunten Röckchen guckte unter dem Rande heraus; da kam ein Lumpensammler vorbei, der sah das Läppchen, stieß mit seinen Stock die Schüssel zur Seite, und freute sich, daß er eine Puppe fand; gedachte gleich, dieselbe seinem kleinen Mädchen mitzubringen, hob sie auf, und da sie, zufolge der Umstände, nicht sauber war, so ging er an den nächsten Brunnen, und wusch das Angele gar schön rein. Indem so kam von ohngefähr das Mammele an den Brunnen, nach seiner Gewohnheit Wasser zu holen, die sah ihre Puppe in des fremden Mannes Hand und rief voller Freude: »Ei mein Angele! Wo bist du denn gewesen?« Und die Puppe rief gleich: »Mamma gacka! Mamma gacka!« und tat einen Schneller und hüpfte somit dem Manne aus der Hand, und dem Mammele an den Hals und schlüpfte ihm unters Halstuch, und hatte sehr notwendig, und legte geschwind ein Gackele, das wieder einem Dukaten so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Diesen Dukaten nahm das Mammele und schenkte ihn dem Lumpensammler und sagte: »Lieber Mann, dieses Püppchen, mag Er es gefunden haben, wo Er will, gehört mir. Hier hat Er aber zum Finderlohn ein schönes Trinkgeld, einen Dukaten, weil Er mein Angele gefunden und so schön sauber gewaschen hat!« – und sprang eilend nach Hause und zeigte es voller Freude den Schwestern und herzte und küßte das Angele und die ältere Schwester, wie die jüngere, das Hannele und [698] das Annele, freuten sich, daß das Mammele das Angele zum zweiten Male in das Haus brachte, und hatten eine große Herrlichkeit, hüpften vor Freude, wobei auch das Lammele mit hüpfte, kochten einen doppeltgemoppelten Kaffee und buken Waffelkuchen.

Und das Angele behielt seine Tugend bei, und legte fortwährend jede Nacht sein gelbes Eichen mit einem klingenden Klang in das Tassenköpfchen. Davon wurden die Schwestern sehr reich, aber sie blieben gar gut und einträchtig beisammen, erzogen das Annele und ließen es was Ordentliches lernen, denn das begibt sich gar wunderselten, daß kleine Mädchen, die nichts gelernt haben, und unklug sind, wie das Mammele war, ein Dukaten-Angele finden, denn das Sprichwort sagt: da hat sich was zu angeln. –