473. Die verfluchte Jungfer

Nahe der Wartburg ist eine Felsenhöhle, die wird allgemein das verfluchte Jungfernloch geheißen, und geht von ihr manche Sage. Es war eine Jungfrau zu Eisenach von übergroßer Schönheit, die hatte goldgelbes langes Haar wie Seide, wie die alten Maler so gern es malten, und auf selbiges Haar wie auf ihre Schönheit war die Maid überaus eitel und wußte wenig anderes zu tun, als sich zu strählen und zu putzen und im Spiegel zu besehen und sich zu freuen, was sie doch für ein prächtiges, liebholdes Frauenbild sei, darüber vergaß sie aber aller Frömmigkeit und Gottesfurcht, und ging ihr gerade umgekehrt wie jener Maid zu Bartenstein, die nicht in die Messe wollte, weil sie zu geringe Kleider hatte und deshalb von ihrer Mutter zu Stein verwünscht wurde. Diese Eisenacher Jungfrau ging nicht in die Kirche, weil sie zu viele und zu schöne Gewande hatte und mit ihrem Putz darob niemals fertig wurde, und da hat ihre Mutter sie auch – nicht zu Stein – sondern mit all ihrer Pracht, mit Hab und Gut in das alte Steinloch hinein verflucht und verwunschen. Alle sieben Jahre einmal erscheint die also verfluchte Jungfrau dort, da sitzt sie und weint, und seidne Kleider umwallen sie, und darüber fließt ihr goldnes Haar, das kämmt sie mit goldnem Kamme, wie die Lurlei am Rheinstrom. Vor der Höhle ist ein Platz, da wächst nimmermehr Gras, weil das der Platz ist, wo sie sitzt, und es ist dort nicht geheuer. Manchmal ist ein rotes Hündlein bei ihr erblickt worden. Einem Schäfer sind die Schafe dort geschreckt worden, daß die ganze Herde auseinanderlief [331] und vierundzwanzig Stück von den Felsklippen herunterfielen. Einer Hirtenfrau, die ihrem Manne Essen brachte, ward die Jungfrau sichtbar und bat sie, ihr das Haar zu strählen, das tat die Frau und pries die Jungfrau ob ihrer Schönheit und rühmte sich, daß auch sie sehr schön gewesen sei, und sang dazu gar artlich:


Ja dieweil ech noch jungk woar,

da ech en zoartes, nettes, schienes Fräuchen woar,

hatt' mech jiedermoann liep!


und da wollte die Jungfrau der guten Frau recht reichlich lohnen, führte sie in die Höhle und ließ ihr von ihrem Schatze nehmen, so viel sie wollte. Aber als das Hirtenfrauchen sich wandte, fortzugehen, da sah sie einen großen Hund und erschrak und ließ alles fallen und rief: Ach Herr Jehchen! Bießt hä dann? – da verschwand Schatz und Jungfrau und Hund und alles. Ei du verflucht’ges Jungfernloch! rief die Frau und entrann. Hernachmals hatte sich dieser selben Frauen Kind dort herum im Walde verirrt, acht Tage lang wurde es vermißt und nicht aufgefunden. Endlich fand es der Vater im Waldesdickicht munter und wohlauf, und als es befragt ward, wie es sich denn diese lange Zeit über erhalten, da sagte es: Eine schöne Jungfer ist kommen, die hat mir zu essen und trinken geben und hat mich zudeckt. – Ein Fuhrmann, der des Weges fuhr, hörte droben an der Felskluft laut niesen. Er rief hinauf: Gott helf! – Es nieste wieder – Gott helf! – noch einmal – Gott helf! – und so eilfmal hintereinander, und der gute Fuhrmann rief jedesmal: Gott helf! – Da es aber den zwölften Nieser tat, so hatte er es satt, Gott helf! zu sagen, tat einen Knaller mit der Peitsche, daß der Schall von allen Felsen im Marientale zurückprallte, und rief hinauf: Alle Tausendschockschwerenot! Wenn dir Gott nicht hilft, so helfe dir der Teufel! – Da gellte droben ein lauter schmerzlicher Aufschrei einer weiblichen Stimme. Das war die verfluchte Jungfer. Hätte der Fuhrmann nur noch einmal Gott helf! gerufen, so wäre sie erlöst gewesen.

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