[110] Zufällige Gedancken über zwey nach Grönland abseegelnde Schiffe

Indem ich jüngst, auf einem kleinen Hügel,
Am flachen Elbe-Strande, steh',
Und, wie der glatten Fluthen Spiegel
Sich sanft vorüber ziehet, seh';
Erblick' ich, auf dem sich sanft senckenden Gewässer,
Ein grosses wohl beseegelt Paar
Sehr starck-bemannter Wasser-Schlösser,
So zu dem Wallfisch-Fang bestimmet war;
Wie beyd', in stiller Fahrt, die Fluthen theilten,
Und, Land und Strand vorbey, gemählig See-wärts eilten.
Indem ich nun von ihrer Reise
Den weit entfernten Zweck erwege,
Die, auf so manche Art und Weise,
Sie drohende Gefahr, mit Grausen überlege:
So fällt mir die Betrachtung bey:
Ich dencke, wie es möglich sey,
Daß diese Reisende der schönsten Frühlings-Zeit,
Die jetzo wiederkehrt,
Und da der Erde Schmuck sich stündlich fast vermehrt,
Da Wald und Feld bey uns, in solcher Lieblichkeit,
Bey aufgeklärten Lüften, blühen,
So gantz gelassen sich entziehen,
Um sich den ungestühmen Wellen
Der unergründlich tiefen See,
Des Winters Wuth, Reif, Hagel, Frost und Schnee
Und Boreas Gewalt, in Grönland, bloß zu stellen.
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Mich deucht, als ob ich sie,
In schwartzer Luft, die bloß durch Schnee-Gestöber grau,
Auf tausend Art bereits beschäfftigt schau';
Wie sie, mit starrer Hand, und mit verwegner Müh',
Sich, zwischen Eis-Gebürg- und abgerissnen Schollen,
Die krachend überall in strengen Strudeln rollen,
Mit mehr als tödtlicher Gefahr, begeben,
Und, in entstand'nem Sturm, bey Rasen, Wüten, Sausen
Der Winde, beym Gebrüll, Geknirsch, Geheul und Brausen
Der Wellen, zwischen Meer- und Wasser-Wundern, schweben.
Geliebter Leser! laß uns nun
Dem Schreck-Bild' unsern Stand entgegen setzen:
Du kannst in Sicherheit, auf deinem Bette, ruhn,
Du kannst, im Feld und Wald, auf Bluhmen, dich ergetzen,
Du kannst, in warmer Luft, wenn laue Winde wehn,
Auf einem sichern Boden gehn.
Ach! laß uns dieses denn doch vor ein Glücke schätzen!
Ach! laß uns oft den Unterscheid besehn,
Und, in Erkenntlichkeit, des Schöpfers Huld erhöhn!
Indessen wünschen wir den Arbeit-sel'gen Leuten,
Auf ihrer schlüpfrigen, beschwerlich-rauhen Bahn,
Zu ihrer Reise Glück von gantzem Hertzen an,
Daß sie, was sie gesucht, in Ueberfluß erbeuten!

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