[255] An einen Freund über Poesie

1764.


Immer locken sie mich die viel zu gefälligen Musen!
Immer schleichet ihr Reiz
Tief in mein übelverwahrtes Gemüth! In Mitte der Arbeit,
Unter der Schüler Gedräng'
Hebt sich ihr Ruf: Wann stimmst du sie wieder die müßige Leyer,
Welche Phöbus dir gab?
Gab er zum Schweigen sie dir, und weckt den Kützel der Saiten
Zephyr's Fittig allein?
Sterblicher, denke zurücke! Du warst ein flatternder Jüngling,
Keiner Gottheit geweiht;
Phöbus zeigte dich uns, und sprach: Im Chore der Sänger
Werde sein Name genannt;
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Sprachs, und gab dir die Leyer. Da ward im Chore der Sänger
Auch dein Name genannt;
Und manch' jugendlich Lied, gleich Morgenstralen im Lenze,
Ging in der Seele dir auf.
Aber nun hängt sie dahin. Nur selten tändelt ein Finger
Ueber die Saiten herab!
Siehe, schon kehret der Herbst. Du wirst nun wieder dein eigen,
Ferne vom Staube der Stadt.
Hören die Buchen kein Lied, und kein Lied der trunkene Weinberg,
Und die Gefilde kein Lied? –
Also locken sie mich, die viel zu gefälligen Musen;
Hör' ich ihr Locken, o Freund!
Fruchtbar ist unsere Gegend an Dichtern. Sie kommen und singen:
Phöbus hat uns gesandt.
Kehret ein Sieger vom Felde des Todes, vermählen sich Fürsten,
Schwärzet die Parce den Thron,
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O dann strömen Gedichte, dann bringen gebährende Pressen
Prächtige Bogen zur Welt!
Frostig schielet der Wiener nach ihnen, und gähn't und liest: Ode.
Gähn't und leget sie weg.
Handelt er allzeit gerecht? Dieß wirst du besser entscheiden;
Aber er handelt nun so.
Freund! ich liebe mir Beifall und Lob, und ist es ein Fehler,
Freund ich will ihn gesteh'n.
Misch' ich mich nun in die dichtenden Haufen, o welch ein Verhängniß
Ist mir mit ihnen bestimmt!
Gestern erschien ich, und morgen ergreift mich die zierliche Jungfer,
Oder der blonde Friseur,
Schneidet manch' Dreieck aus mir, und wickelt das Haar der Coquette,
Oder des Stutzers darein;
Oder ich werde bey Tafeln der Großen mit Zucker gefüllet,
Und den Kindern geschickt;
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Oder man bringt mich im alten Papiere zum riechenden Krämer,
Und macht Düten aus mir.
Glücklich noch, wenn den Tabak in mir ein Dichter sich kaufet,
Und ein Beispiel sich nimmt!
Freund! und folg' ich ihr dennoch der Stimme der lockenden Musen?
Handeln sie billig mit mir?
Suche nicht, hör' ich dich sagen, das Lob und den Beifall der Menge!
Hat denn die Menge Geschmack?
Immer sey dir genug, wenn Weise dich lesen und loben,
Ist schon der Weisen nicht viel.
Freund! ein beträchtlicher Theil der Weisen liebet die Reime,
Ist schon der Weisen nicht viel.
Und ich liebe sie nicht, und ist auch dieses ein Fehler,
Den auch will ich gestehn.
Griechenlands Dichter, und Latiens Dichter! euch bin ich es schuldig,
Ihr verwöhntet mein Ohr!
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Ewige Priester der Musen! ihr Zierden der Vorwelt! ihr habt wohl
Niemal an Reime gedacht.
Mitten im Strome von euren entzückenden Harmonien
Denk' ich auch nicht an sie.
Und so sieht man mein Lied mit Erbarmen, und seufzet: Er reimt nicht!
Seufzet und leget es weg. –
Freund! ich will dem Apoll ein niedliches Opfer entrichten,
Wenn sein Einspruch es fügt,
Daß sich ein leichter Franzos in helleren Tagen der Zukunft
Reimlos zu dichten erkühnt.
Wagt er den Schritt, und hat sein Paris ihn gelobt und vergessen,
Wird es den Deutschen dann kund,
O dann wird es zur Mode gewiß! Du kennest die Deutschen,
Ganz zum Folgen gemacht.
Welch ein Zeitpunkt für mich! dann schweb' ich auf Flügeln des Ruhmes
Ueber mein ruhend Gebein,
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Horche vom Aether herab, und höre die Reime verachten,
Horch' und höre mein Lob,
Und mein freier Gesang, dem Nasen sich jetzo noch rümpfen,
Steiget gepriesen empor.
Tage der Zukunft, erscheint! Indessen will ich mich trösten,
Du ja liesest mich Freund!

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