[7] Geleitwort

Man ist so schamlos und naiv, wenn man jung ist und dichtet; das Geheimste, Süßeste und Schmerzlichste plaudert man hinaus aus lauter Freude am Erlebnis. – Aber man wird anders später: stolzer und verschwiegener – man erlebt mehr für sich und weniger für »die Andern«; man leidet vielleicht mehr als früher – aber man spricht weniger davon! Ja, es mag eine Zeit kommen, wo man überhaupt nicht mehr spricht, selbst wenn man eigentlich Lyriker von Beruf ist. –

Aber man lernt dafür in diesen Tagen lächeln, wieder für »die Andern«. – Man fürchtet jetzt, sie könnten am Ende erraten – und man lächelt und ist gemein! Und, »die Andern« sind zufrieden und sagen: Seht, er lächelt ja wie wir und ist gemein – wie wir – er ist auch ein Mensch wie wir! Und sie kommen näher und finden viele freundliche Worte. – –

Und der Dichter freut sich der gelungenen Täuschung! Ach diese Neurotica! Wenn ich im Frack bin – da verdamme ich sie immer! aber heimlich in den Abendstunden, [7] wenn die Seele leise zu weinen beginnt, da gleiten mir die Verse meines großen Bruders über die Lippen:


Ce livre est toute ma jeunesse,
Je l'ai fait sans presque y songer.
Il y paraît, je le confesse,
Et j'aurais pu le corriger.

Aber nein, ich will nicht! – Lieder sind wie Särge, in denen längst verstorbene Gefühle schlafen. Ich will nicht rühren an ihnen, sie könnten erwachen. – Und ich fürchte mich vor meinen Toten. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem ich diese Worte geschrieben – und wieder einmal muß ich, beinah wie mein eigener Testamentsvollstrecker, das schmächtige Heftchen mit seinem tollen Versgestammel in die Welt schicken. – – Zum vierten Male. – – Jugend will zur Jugend sprechen, Herz zum Herzen. – –

Mit scheuer Wehmut hab ich noch einmal die Stimmen vernommen, die mir von mir selber erzählten und mir sagten: »Das warst Du«! Ein Leben liegt zwischen dem Damals und dem Heut:

Lächerliche Erfolge, die das Herz kalt ließen, Enttäuschungen dort, wo man gezittert hat – Wandlungen und Verwandlungen, Stellungen und Verstellungen aller Art. Ich kenne mich selber kaum wieder und »die Andern« erkennen [8] mich erst recht nicht. – – Die Maske ist beinah ins Fleisch gewachsen und die Unnatur zur zweiten Natur geworden. – –

Wie schön wär es, noch einmal stille Tage zu finden und bei dieser Gelegenheit sich selbst vielleicht – – vielleicht sag ich, vielleicht aber auch nicht. – –

Ich weiß wahrhaftig nicht, bin ich wirklich tot, oder komme ich mir nur so vor? – – Kann ich noch Verse machen? Machen, jawohl, da liegt's. Machen, o ja! Aber Verse erleben, reifen und werden lassen, wie die Früchte in der Sonne?

Wo sind sie meine stillen Tage, die mich entführen aus dem widerlichen Betrieb meines täglichen, allzu alltäglichen Lebens? Süßer Müßiggang des Herzens willst Du mir noch einmal teilhaft werden? Ich bin des fremden Mannes so müde, in dem verbannt ich wandeln muß. Ich möcht mich suchen gehn, selbst auf die Gefahr hin, nichts mehr zu finden – als ein Phantom, das in leere Luft zerflattert, wenn man es endlich greifen will. – – Ich möchte wieder ich sein – oder ehrlich tot, damit die Grabschrift, die ich mir schon lange geschrieben, endlich ihre Geltung hat:


Und wenn Du behauptest, daß Du mich kennst,
So wirst Du getäuscht Dich haben,
Dann sprachst Du vielleicht mit meinem Gespenst
In Wien um zwölf am Graben.
[9]
Der Dichter, den wir beide geliebt,
Er starb verschollen und einsam,
Mit dem Manne, der noch durch die Menge schiebt,
Hat er nichts, als die Maske gemeinsam.

Wien, im Mai 1913.

An meinem 43. Geburtstag.


Felix Dörmann.

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