Friedrich de la Motte Fouqué
Lebensgeschichte des Baron Friedrich de La Motte Fouqué
Aufgezeichnet durch ihn selbst

[Widmung]

Dem

ältesten und Einem der geliebtesten

meiner noch lebenden Freunde,


Herrn

Hofrath Friedrich Rochlitz,


in Glaube,

Kunst, Wissenschaft und Leben

mir innig nahe,


L.M. Fouqué.

Lebensgeschichte

[1]

Wohl für jegliches Menschenkind ist es ein heilsames und anmuthiges Schaffen, aus reiferen Jahren her mit ernsten, am Lichte der stets näher heraufleuchtenden Ewigkeit erstarkten Blicken umzuschauen nach der durchwalleten Bahn.

Geschieht das im echten Sinne, so bringt es Frieden in die Seele und Klarheit in den Geist.

Voll tiefer Ahnung nannte der mythische Glaube der alten Römer ihren vor- und rückschauenden Janus den Friedensgott.

Friedsam, wenn gleich mit Weinen, aber gehegt und gepflegt von der Hand schützender Liebe, hebt unser Lebenslauf an, und die Kindheit leuchtet in paradiesischer Huld, auch ungünstigste Umgebungen vergoldend mit seligem Frühlicht:


»Weil Kinder halb noch Engel sind,«


wie der Dichter mit Recht spricht.

Friedsam, wenn gleich unter den Thränen des Scheidens, unter den Schauern des Todes, leuchtet die Ewigkeit Dem entgegen, welcher sie während seiner Bahn oftmal angeschaut hat im Geiste des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung.

Die Strecke zwischen Ein- und Ausgang des Menschenlebens ist Prüfung, also mannigfacher Kampf, um so sieghafter und gemilderter, je mehr und je bewußter sie beleuchtet wird von jenen beiden Friedenspunkten herein: Anfang und Ende.


Als der Dichter des Zauberringes an den Beginn seines Werkes ging, scheuete er sich nicht, in dem Vorwort, Angesichts der Welt, auszusprechen, er habe den lieben Gott recht [1] herzlich dazu um Beistand angerufen, und hoffte zuversichtlich, das solle helfen.

Von zweien Männern, denen er dazumal den Anfang seiner Dichtung vorlas, schüttelte der Eine mit verdross'ner Bedenklichkeit den Kopf zu jenem Bekenntniß, während der Andre mit vertraulichem Lächeln kopfnickte.

So geht's in der Welt zwischen Kopfschütteln und Kopfnicken hin. Absonderlich regt sich das verneinende Geschüttel stark, wo sich's Einer herausnimmt, von göttlichen Dingen und ihrem Einfluß auf weltliche Dinge zutrauensvoll zu sprechen.

Aber der liebe Gott blieb mit seinem Beistand für das Gedeihen jener Dichtung nicht außen, wie bekannt.

Gleiches Gedeihen erhoffend für das jetzt beginnende Unternehmen, spricht derselbe Mann dasselbe Bekenntniß aus, indem er, um dreißig Jahre später, anhebt, wie folgt, seine Lebensgeschichte aufzuzeichnen, um sie dem Kreise seiner Leser (welchen von jenen beiden Männern sie sich nun zum Repräsentanten erwählen mögen) heiter und offenkundig, und nach besten Kräften wahrhaft, jetzt hinzugeben, und zu hinterlassen dereinst.


Friedrich Heinrich Karl Baron de La Motte Fouqué ward in der uralten Stadt Brandenburg an der Havel geboren, am 12. Februar 1777, und zwar in dem ältesten Theil derselben, auf dem Dom, um welchen her die ersten Christlichen Inwohner sich nach und nach angesiedelt hatten, wie das in den mehrsten Städten Deutschlands zugegangen ist. Seine Mutter stammte aus dem Altsächsischen Hause derer von Schlegell, Tochter des Dessau'schen Hofmarschalls von Schlegell, der, obzwar nie Kriegsmann, durch seine fast sprüchwörtlich gewordne Kühnheit auf den damal dort üblichen Jagdritten sich als wackrer Nachkomme ritterlicher Väter erwies.

Die Geburt des Knäbleins erweckte theilnehmende Freude in der Stadt und auch noch viel weiter umher, schon indem die ausgezeichnet schöne und holdseelige Mutter der Gegenstand inniger Hochachtung Aller, die sie kannten, war. Zudem, nach einer seit mehren Jahren kinderlosen Ehe seines Vaters befürchtete man, den Ritterstamm de La Motte Fouqué aussterben zu [2] sehn, geachtet um der Glaubenstreue willen, in welcher der Aeltervater des Neugebornen sein Vaterland Frankreich und die schönen Burgen und Besitzungen, ihm dort eigenthümlich, als sogenanter Refugié verlassen hatte, geachtet auch um die Heldentugend des Preußischen Generals der Infanterie, August Baron de La Motte Fouqué, des Knaben Großvater. Dieser hatte sein durch ruhmvolle Kriegsbeschwer erschöpftes Alter als Domprobst zu Brandenburg verlebt, als Freund des großen Friedrich, und von diesem – es sei zur Ehre des königlichen Helden ausgesprochen – mit söhnlicher Liebe und Achtung gepflegt. Voll echt ritterlicher Milde und religiösen Pflichtgefühls war der vom General zum Domprobst umgewandelte Refugié stets der Armen eingedenkt, und half allen Bedrängten, wo er es vermogte. Und in seinem schönen Verhältniß zum König vermogte er viel. Die Geburt seines Enkels und Stammhalters erlebte der greise Feldherr nicht mehr, aber der König nahm die Pathenstelle bei dem Kinde mit dem Ausdruck inniger Liebe für den Großvater und ehrender Anerkennung des Stammes huldreich an, und nach ihm ward der Knabe Friedrich geheißen, oder in damaliger Abkürzungsweise – traf sie ja selbst den großen Pathen, eben aus recht inniger Herzensliebe für ihn – Fritz.

Um dessen Wiege her schwebten seltsame Sagen, vielleicht auch Erscheinungen. Die Domherrnwohnung – sogenannte Curie – nämlich, welche sein Vater gemiethet hatte, um den hinscheidenden Helden recht aus der Nähe zu warten, stand im Ruf, »es gehe d'rin um.« Eine gar eigen geheimnißreiche und doch scheinbar in's Gewöhnliche spielende Art, sich auszudrücken für ein Etwas, welches man, näher zu bezeichnen, sich scheut! – Allerdings gab es ein unbegreiflich seltsames Treiben in jener Curie, weshalb sie lange Zeit unbewohnt geblieben war. Auch während sie der Vater des Neugeborenen, ein durch frühen Kindheitsunfall kränkelnder, aber heiter muthvoller Mann, in seinen Jünglingsjahren als Dragoneroffizier ein gewandt rüstiger Reiter, wiederum zu bewohnen angefangen hatte, blieb jenes seltsame Raunen und Getriebe merkbar, ohne daß die Familie sich eben dadurch stören ließ. Als sie aber nach dem Heimgange des glorwürdigen Familienvaters auszog, und sich ein Haus ankaufte in der durch manch freundliches Entgegenkommen [3] ihr liebgewordenen Stadt, wollte Niemand wiederum einziehen in jene Domherrnwohnung, welche deshalb abgebrochen ward. Auch davon gehen im Volke noch mancherlei wunderliche Sagen um. Namentlich soll ein Balken, der das Gemäuer zusammenhalten half, stehen geblieben sein, Jahre hindurch, weil sich daraus bei jeglichem Axthiebe der Zimmerleute zorniges Klage-Getön vernehmen ließ, und Niemand sich mehr an die Arbeit des Abbrechens wagen wollte, bis er endlich von selbst darniederstürzte. –

Dem Baron de La Motte Fouqué mit seiner Frau und seinem neugeborenen Knaben ging in der neuen Stadtwohnung ein gar stillheiteres Leben auf, auch in jeder äußerlichsten Gestaltung. Eine breite, sonnige Straße nach vorn heraus, seitwärts der Blick nach dem Thor, auf der andern Seite ein von der Stadtmauer begränzter Garten mit regelrechten Beeten und Gängen nach damaliger Weise, ein Pförtlein in der Mauer nach dem freien Felde hin, im Innern der Wohnung lichte, hohe, behagliche Gemächer, – das sind die ersten Bilder äußerlicher Umhegung, die sich dem kindlichen Geiste nach Dessem Erwachen darboten, und die noch vorhalten in dem Bewußtsein des nun greisenden Mannes, und zwar nach gewaltig großen Dimensionen, wie sie von späterer Anschauung in der Wirklichkeit öfter zusammengeengt worden sind, ohne doch innerlich ihr seltsam ausgedehntes Recht zu verlieren.

Der Knabe zählte noch nicht zwei Jahre, denn es war beim Ausbruch des Baierschen Krieges, als er mit seiner Wärterin im Garten war, und aus dem Mauer-Pförtchen ein anverwandter Freund des Hauses, Hauptmann Graf Schmettau, vonhinnen ritt, nachdem er Abschied von der Familie auf den bevorstehenden Feldzug genommen hatte. »Da reitet der Onkel in den Krieg;« sagte die Wärterin zu dem Kinde. Und die ummantelte Gestalt, sich beugend auf dem Roß in der niedrigen Pforte, und der Garten mit seinen Gängen und Beeten und Alleen, – das steht noch immer vor meinem innern Auge, wenn gleich wie überzogen von einem Flor, oder Nebel. War es die Liebe für jenen edelritterlichen, freundlichen Mann, schon früh im Herzen des Knaben erwachend? War es die eben so früh aufgetauchte Kriegslust, ihm angeerbt von seinen Vätern, die [4] schon in den alten Kriegen Frankreichs gegen England rühmliche Waffen geführt hatten? Es kam vielleicht aus Beiden, daß jener früheste Moment sich so fest gehalten hat, zwischen dem unbestimmtem Gemeng' anderer Erinnerungen.

Ueberhaupt aber geht es wohl mit dem Feststellen des kindlichen Bewußtseins, wie mit der Gestaltung einer Erdveste aus dem Urgewässer: erst einzelne Kuppen und Inselchen, dem Gefluth entragend, bis dazwischen der Kontinent sich bildet, freigelassen von den verrinnenden Wassern, und nicht allemal bleiben jene zuerst aufgetauchten Punkte die höchsten.

Jeder von uns Allen, meine ich, hegt gewisse früheste Anknüpfungspunkte des nachherig vollen Bewußtseins, die sich auch nicht einmal durch eine Wahrscheinlichkeit oder Muthmaaßung, wie jener obige, als bedeutsam wollen herausheben lassen. Das macht: ein kindlicher, meinethalb auch kindischer Geist sieht mit andern Augen, als der Geist eines Erwachsenen. Nicht allemal mag er Recht haben, jedoch eben so wenig auch allemal Unrecht. Jedenfalls knüpfen sich dort Fäden an, die uns nachher nur allzu oft entschlüpft sind, und die doch ohne Zweifel tief hineinreichen in das Wesentlichste und Allereigenthümlichste unseres wahrhaften Daseins.

Gönne man mir's daher, im Bestreben, mein Selbst auf das treulich gewissenhafteste abzuspiegeln, immerhin, einige Zeit noch in den Gränzen der Kindheit zu verweilen. Hat man's ja dem Jean Jaques Rousseau in seinen Bekenntnissen beifällig vergönnt, und zwar mit großem Recht. Auch um so weniger werde ich späterhin die Geduld meiner Leser mit einzelnen Darstellungen aus dem Jünglings- und Mannesalter in Anspruch zu nehmen haben, die sich ohnehin aus der Feder eines noch Lebenden – so lange ich noch hienieden walle, kann und will ich kein Verstorbener sein, – durch manche billige, ja heilige Rücksicht auf Mitlebende bedingen und beschränken müssen. Ueberaupt wird jene Fortführung für den hiernächst liegenden Zweck mehr literarischen Richtungen zu folgen haben, als unmittelbar persönlichen.

Wer sich aber zu dem Knaben Fritz mit freundlicher Theilnahme neigen mag, wird nachher den erwachsenen Friedrich auch [5] aus leiseren Andeutungen verstehen und würdigen können, gelte es nun dabei Anerkennung, Anklage oder Entschuldigung. –

In der Brandenburger Kinderstube schlief einige Zeit lang, eines Familienbesuches halber, Fritz mit zwei andern Kindern beisammen. Da kam ihm ein entsetzlicher Traum, und eines leisen Schauders kann sich der Sechziger noch jetzt bei'm Aufschreiben nicht erwehren, so kindisch auch die Erscheinung herauskam.

Eine nach damaligem Geschmack ehrbahrlich geputzte Madam war es, die hereintrat, einen Strick in der Linken, ein Messer in der Rechten, und ganz gelassen sagte: »Nun haltet euch hübsch ruhig, Kinder. Denn erst muß ich Euch binden, und nachher Euch schlachten.«

Eben die äußere Gewöhnlichkeit war es, welche dem kleinen Träumer die bedrohliche Kunde so überaus schrecklich machte, und weshalb er so entsetzt aus seinem Schlaf emporfuhr. Ich meine sogar, er habe das wunderliche Ding mehr denn Einmal im Traume gesehen.

Als er's den Spielgenossen wieder erzählte, waren auch Die seltsamlich ergriffen davon, aber auch bald eben so seltsamlich damit vertraut. Eine »Bind-Madam« hieß in der kleinen Genossenschaft jene Erscheinung, und ward fortan – freilich in gar ungeschickter Plastik – häufig aus Papier oder Spielkarten mit der Scheere nachgebildet. Wie man etwa zu fragen pflegte: »Soll ich dir ein Pferd ausschneiden?« – »Oder einen Hund?« – u.s.w. fragte man auch ganz unbefangen, ob eine: »Bind-Madam« ausgeschnitten werden solle. –

Noch ein Phantasiestückchen aus der Brandenburger Kinderstube.

Ein halb erwachsener Vetter, auf dem Brandenburger Ritterkollegium erzogen und dem Knaben besonders lieb, hatte auch einstmal in den Ferien dort Unterkommen gefunden, und neckte den kleinen Fritz mit allerhand Späßen. Fritz, um des ihn störenden Eindruckes los zu werden, sah auf einen an der Wand hängenden Kupferstich in großem Format, worauf neben den Wappenschildern des Havelberger Domkapitels, zu welchem sein

Vater gehörte, die zwei bärtigen Schutzheiligen desselben abgebildet waren. Mit eins überkam ihn eine seltsame Rührung. [6] Thränen drangen in seine Augen. Der fröhliche Vetter sagte mit unwilligem Lachem, »Schäm' dich Fritz! du heulst, weil ich mit dir spaße!« – »Ich weine nicht über dich!« antwortete Fritz. »Ich weine über das heilige Bild!« – Er ist noch oftmal darüber geneckt worden, als sei das nur eine alberne Ausrede gewesen. Dennoch war es wahrhaftig wahr. Mache daraus ein Psycholog, was er kann. –

Der Knabe mochte etwa vier Jahre zählen, als sein Vater ein Landgut ankaufte, Sacro, ganz in der Nähe von Potsdam gelegen. Den märkischen Sand abgerechnet, war's ein kleines Paradies, als Halbinsel umfluthet von der Havel, dorten sehr breit und silberblau, ein Blick drüberhin aus den Fenstern des schönen, wohnlichen Hauses nach der fernen Zugbrücke, welche über einen mächtigen Arm des Stromes hin von Potsdam nach Berlin führt, und somit stets durch regsame Gestalten belebt war. Diese brachte ein zierliches Fernrohr dem Auge nahe, und Fritz ergötzte sich oft an der ihm wie magisch vorkommenden Erscheinung. Ueberhaupt war es, als ob ihn jene räthselhaften Gewalten aus der Brandenburger Curie angehaucht hätten mit einer süß schaurigen Lust für das Unerfaßliche der Geisterwelt. Und doch hatte die Auf-und Abklärung des achtzehnten Jahrhunderts auch in dem Hause zu Sacro, vollends in dieser Nähe von des großen Friedrichs Residenz, vielen Einfluß gewonnen. Hausherr und Hausfrau waren allerdings christlicher Gesinnung, und feierten namentlich stets den Genuß des heiligen Abendmahles mit unendlich tiefster Bewegung, wie ich mich nicht entsinnen kann, einen dergleichen anhaltenden und rührungerfülleten Ernst während der weihenden Tage je in andern Familien wahrgenommen zu haben. Auch jener edle, vorhin erwähnte Graf Schmettau, welcher nach dem Kriege aus dem Heer zurügetreten war, und sich in der Familie angesiedelt hatte, die Landwirthschaft des kränkelnden Hausherrn mit aufopfernder Treue und Rüstigkeit besorgend, war ein praktischer Christ. Aber, wie fast in allen gebildeten Kreisen dazumal, waltete auch hier die Meinnng vor, das achtzehnte Jahrhundert habe nun einmal einen Riesenschritt gethan, und man dürfe nicht zurückbleiben wollen. Dazu kam ein mißverstandener Begriff sogenannter Toleranz, und ein übertriebener Respekt vor der Einsicht Solcher, [7] die sich als auf der Höhe der gerühmten Bildung stehend ankündigten. Was dem ernstfrommen Hausvater dabei allzu anstößig vorkommen mochte, verhüllte mildernd der Gedanke, daß ja doch auch der königliche Freund seines Vaters, der große Friedrich, die unbedingte Denkfreiheit beschütze, und selbst in seinem jetzt annahendem hohen Alter sich als einen von jedem Dogma persönlich freien Philosophen behaupte.

So gerieth denn Fritz, just für den wesentlichst entscheidenden Unterricht, den von göttlichen Dingen, in die Hände neologistischer Hauslehrer und indifferentistischer Prediger. Zwar die Kirche ward gewissenhaft allsonntäglich besucht. Aber was dorten gepredigt ward, war eben die sogenannt reine Moral, und ließ folglich den Knaben ohne alle Gemüthsbewegung, ja, langweilte ihn bis auf den Tod, welches er sich denn doch wiederum nicht selbst gestehen durfte, vor den innern Augen habend seiner Aeltern ernstgetreue Anhänglichkeit an die Kirche und ihre Vorschriften.

Sein erster Hauslehrer – der Knabe mochte noch kaum fünf Jahre zählen – gewann ihm das ganze Herz. Es war ein weicher, inniger, poetisch empfindender junger Candidat der Theologie, zu Halle seine Universitätsjahre beendet habend, welcher seinen kleinen Zögling in dessen ahnungsreichen Anklängen von Ritterlichkeit und Liedeslust gar wohl verstand. Schon dazumal stammelte der kindliche Geist an den Gedichten der zwei Gebrüder Stolberg und Bürgers. Das Lesen hatte er sehr früh fertig erlernt, so auch das Schreiben. Er weiß selbst nicht mehr so recht, wie. Diese Fähigkeiten erschienen – und erscheinen noch jetzt – ihm so natürlich, wie das Gehen; ja, wie das freie Bewegen der Arme. Sein Lieblingslied – Friedrich Stolbergs Lied eines deutschen Knaben – hatte der sinnige Lehrer ihm in Musik gesetzt, und er sang es fertig und endlos, nach der fast recitativischen Weise, die er noch heutigen Tages inne hat, wo die sechs Jahre sich zu drei und sechzig aufzusummiren im Begriff stehn. Ihm war dazumal schon zuweilen, als müsse er selbst Lieder dichten. Nur blieb es damit noch immer beim Anfange, oder bei einzelnen Stellen aus der Mitte. Seine Spiele allzumal jedoch bildeten ein kleines fortgesetztes Ritter–Epos. Als einstmal in solchem Sinne mit dem Lehrer ein ritterliches Gefecht beginnen sollte, worauf sich dieser heitern Sinnes einließ, [8] schlug er dem Knaben, wohl ganz unabsichtlich, das kleine Holzschwert aus der Hand. Fritz brach in lautes Weinen aus, das sich gar nicht wollte stillen lassen. Es war keine Ungezogenheit dabei, auch keine Weichlichkeit. Es war – um dreißig Jahre später las ich's in einem Werke meines Freundes Franz Horn –: »der unsägliche Schmerz des Ueberwundenseins.« Und erst vor diesen Worten ward das Gefühl des Knaben von daherüber mir völlig klar. Glücklicherweise war auch dem Lehrer ein zarter Sinn darüber aufgegangen. Jetzt ein Wort des Scheltens oder gar der Verhöhnung hätte unermeßlich viel verderben können. So aber wußte der Sieger den Besiegten freundlich wiederum zu ermuntern, auch durch Hinweis auf etwa künftige beglücktere Gefechte, und gewann dadurch eine um so schönere Gewalt über ihn.

Warum sollte ich ihn hier nicht nennen, den lieben, freundlichen, auf den Zögling so wohlthätig einwirkenden Lehrer? Er hat nachher ein stilles, der literarischen Welt unbekanntes Pfarrerleben in einem Hildesheimschen Landstädtchen geführt, aber für mich blieb er unvergessen, und seine Erinnerung wird uns noch auf künftiger Lebensstation begegnen, – muthmaßlich einmal gar er selbst. Mit seinem Namen redet sich's aber am Besten von einem geliebten Menschen. Er hieß Fricke.

Einstmal erfreuete er seinen Zögling durch die Kampfgeschichte des Leonidas und Xerxes, die er ihm, wie ich meine, aus einer Uebersetzung der engländischen Dichtung des Glower vorlas. Fritz war ganz hingerissen von der heroischen Schilderung. Nun aber gedachte Fricke noch einen rechten Heldenfunken aus dem Knaben hervorzulocken, indem er fragte: »welcher von den Beiden möchtest du gewesen sein, Fritz? Xerxes oder Leonidas?« – Das Experiment schlug um. Denn bei aller Ehrenfreude über Leonidas schlug die Siegeslust in dem kecken Burschen vor, und er antwortete unbedenklich: »Xerxes.« – Aber auch da widerum gab sich Fricke als ein echt Wissender, oder doch richtig Fühlender in der Erziehungskunde zu erkennen. Statt sich in einen Tadel der Wahl einzulassen, oder auch nur in eine Widerlegung, fand er sich geruhig darin, und arbeitete wohl nur fortan im Stillen auf die Erweckung einer höheren Erkenntniß los. Jedenfalls [9] mochte ihm die grund-ehrliche Unbefangenheit in des Knaben Aeußerung schon recht sein.

Eine Veranlassung zu ernster Ermahnung bot sich bald nachher dar, sie selbst sehr ernster Art. Ein nachgeborner Bruder des Knaben starb, nur wenige Wochen oder Tage nachdem er in der heiligen Taufe den Namen Karl empfangen hatte. Fritz, nach seiner angeboren lebhaften, nur allzu oft in Heftigkeit ausartenden Weise, konnte sich über den Verlust der kleinen lieblichen Erscheinung nicht zufrieden geben. Milde Zusprache wollte nichts helfen. Da sprach Fricke mit an ihm ungewohnt strengem Ernst: »Fritz, versündige dich nicht durch dein wildes Gejammer.« Ein furchtbar heilsames Erschrecken griff in die Seele des Knaben. Er weinte sanft und still fortan um das entschwundene Brüderlein.

Fricke dichtete für das einfache Denkmal des Kleinen eine Grabschrift, in den damal geltenden unregelmäßigen Maaßen, die also anhub:


»Du welktest schon früh, noch unentwickelte Knospe,

Nahmst Kräfte zu herrlichen Tugenden mit in's Grab!«

und schloß mit den allzuschwermüthigen, aber mich stets unaussprechlich rührenden Worten:

»Was hilft es denn also, allhier mit Tagen und Sünden zu wuchern,

Und jener Ewigkeit unwerth zu sein!« –


So sollte denn doch ein Andenken an Fricke zurückbleiben in Sacro. »In Sacro!« möchte man fast lateinisch wiederholen, denn das Besitzthum war in uralter Zeit ein geweihetes Klostergut gewesen und als Solches ein Heiligthum, also ein Sacrum. Daher der Name.

Der liebenswürdige, freundliche Lehrer selbst aber verschwand bald auf immer von dort. Erst sollte es nur eine Besuchsreise bei seiner Familie gelten, aber daraus ward ein Ehebündniß und der Antritt jener Predigerstelle. Wohl mochte ihn das Nichtwiederkommen ahnen. Denn in der Morgenfrühe seiner Abreise hub er heißweinend den Knaben aus seinem Bettchen, setzte ihn liebkosend auf seine Kniee, und konnte sich nur kaum von dem nun auch bitterlich weinendem Kinde losreißen.

[10] Bald darauf sahe Fritz die erste Leiche: seine schon bejahrte Wärterin. Sie war über Nacht unerwartet gestorben. Seine sinnige Mutter führte ihn zu der freundlich lächelnden Todten, und prägte ihm somit ein schönes Bild des letzen Schlafes in die weiche Seele.

Unlängst darauf ward er selbst sehr nahe durch einen furchtbaren Keichhusten an die Ausgangspforte des Erdenlebens geführt. Der aus Potsdam herbeigerufene Leibarzt des Königs sagte dem Grafen Schmettau im Vertrauen: »Der Kleine ist rettungslos verloren. Ich wiederhole meine Besuche nur noch, um die armen Aeltern nicht allzusehr zu erschrecken.« Dennoch gelang es eben ihm, ihnen das noch einzige Kind zu erhalten.

Während man die Krankheitsleiden des gefährdeten Knaben voll schmerzlicher Theilnahme beklagte, war ihm selbst – er kann sich jenes Zustandes noch deutlich genug, wenn gleich fast nur wie eines bedeutsamen Traumes, erinnern – bei weitem mehr wohl, als wehe, zu Muth. Man schaffte herbei, was sein Herz verlangte: Bilder und Bilderbücher und Farben und Pinsel, womit er die Kupferstiche und Holzschnitte – der kolorirten von solcher Gattung gab es damal nur ausnahmweis wenige – unbarmherzig anstrich, oder, wie man's mildernd zu benennen pflegte, illuminirte. (Voll eines Anfluges kritischer Ahnung benannte das eine Kinderwärterin: »Lümmeliren.«) Seltsamlicherweise verlangte dabei das krankende Kind nach einem gewissen, oder vielmehr sehr ungewissem »alten Buche,« was er eben nicht näher zu bezeichnen wußte. Ihm schwebte dabei ein Bild vor, wo eine Frau hoch auf eines kegelförmigen Berges Gipfel saß. Zu beiden Seiten unten standen zwei langbärtige Mannsgestalten, und schaueten nach ihr hinauf: ob als ihre Wächter, ob als ihre Verfolger, ob als sie Anbetende? – Wahrscheinlich das Letztere, denn es mochte wohl ein katholisches Andachtsbuch gewesen sein, eine Heilige auf dem Titelblatt illustrirend, und wer weiß wie! eben unter die weibliche Dienerschaft nach Sacro gerathen. Denn dort hatte es der Knabe früher gesehen. Aber Fritz knüpfte daran seltsamlich romantische Träume, wie etwa an jenes Kapitelbild in der Brandenburger Kinderstube, und wollte sie nun im fiebrigen Zustande entziffern. Unter der dunkeln Rubrik: »Altes Buch« ward ihm Vieles zugetragen, sein Begehr zu [11] stillen. Unter Anderm auch eine gute alte Ausgabe von »Reynicke de Voß,« deren Holzschnitte er dann wiederum rastlos illuminirte, und sie noch in dieser Entstellung vor sich hat. Aber das rechte »alte Buch« war es nicht. Das wußte er wohl. Und es fand sich auch nicht. –

Oder war es mit dem rechten, echten alten Buche vielleicht überhaupt nur eine Vision, die sich durch andere alte Bücher bei dem nachher aufgesproßtem Jüngling und Mann wunderbar erfüllet hat? –

Eines gewiß war ein deutungsreicher Traum, und zwar noch aus den Brandenburger Erinnerungen herüber. Dort nämlich findet sich, wie in mehren alten Städten, ein Rolandsbild, und zwar das edelste, welches mir noch vor Augen gekommen ist. In riesengroßer, geharnischter Gestaltung, ganz gerade, die Schenkel zusammengestellt, gleich den alt-ägyptischen Bildsäulen, völlig geschwärzt durch Wind und Schnee und Sonne, das ungeheuer lange Schwerdt senkrecht emporgehalten, auf dem unbedeckten Haupt eine Mooskrone, oder vielmehr ein Moosbarett, die Gesichtszüge feierlich, seltsam, eigenthümlich, ohne Künstelei, aber sorgfältig festgehalten, daß man dabei versucht wird, an Porträt-Aehnlichkeit zu denken, – so steht der Roland vor dem Brandenburger Rathhause da, und so war er eingeprägt in des Knaben Geist. In einer Krankheitsnacht sah ihn Fritz also vor seinem Bette stehen, keineswegs unfreundlich, aber angestrengt willens, das ungeheure Schwerdt in des Kindes Hand zu geben. Und Fritz ächzte bangend: »Ach du großer Roland, laß ab von mir! Dein riesengroßes Schwerdt zu tragen, bin ich ja noch viel zu klein.«

Die Umstehenden hatten's gehört, und haben's nachher mir vielfach wiedererzählt. Hätt' es aber auch Niemand vernommen oder neuberichtet: Was ich in jenem Traum, und in manchem seinesgleichen auch, vernommen habe, weiß ich unvertilgbar gewiß, ohne es doch, versteht sich, eben für mehr ausgeben zu wollen, als für Geträum. Doch wird Aehnliches oftmal wiederum auftauchen in diesen Erinnerungen, weil sie außerdem Wesentliches einbüssen müßten an ihrer eigenthümlichen Färbung. –

[12] Jedenfalls muß die Lust des genesenden Knaben an den Waffen sich mannigfach deutlich verkündet haben, denn sein hülfreicher Arzt, der oberwähnte Hofmedikus Fraise, – gleichfalls vom Stamme der Réfugiés, – ihn während der Behandlung, sehr liebgewinnend, schenkte ihm einst einen tartarischen Pfeil von einer Reise zur Heilung des Tartar-Chans auf des Königs Befehl nach Asien, zurückgebracht. Fritz war entzückt über die schlanke, buntgefiederte, schöne Rohrwaffe mit eckig geformter Stahlspitze, die sich vor seiner Phantasie zur Ritterlanze gestaltete, und deren Trümmer er annoch aufbewahrt. Aber Leid keimt oft aus Freude in dieser Welt, und er sollte es auch hieran früh erfahren. Seinem dringenden Begehr nach hob man ihn aus dem Bett auf sein kleines braunes Wiegenpferd, und gab ihm den geträumten Heldenspeer in die rechte Hand. Aber wie sorgfältig man den kleinen Holzgaul auch in nur leise Bewegung bringen mochte, und den kleinen ermatteten Reiter unterstützte, dessen leibliche Entkräftung – vielleicht auch dessen phantastische Anregung mit – war zu gewaltig, um in dem Tartarenpfeil ihm nicht einen allzugewichtigen Riesenspeer erscheinen zu lassen, in dem Wiegengaul ein allzumächtiges Kampfroß. Nach wenigen Schwingungen wandelte es ihn wie Ohnmacht an, und man mußte ihn ins Bette zurücktragen, den über seine Schwäche schmerzlich Weinenden. –

Gefühl der Unzulänglichkeit ist aber nicht jedesmal Schwäche. Vielmehr ist es oftmal Anklang neu erwachender Kraft. Und so just war es auch hier.

Bald nachher war Fritz vollkommen wieder hergestellt, und saß bei einem heiteren Festmahl am Oberende der Tafel, seinem sonst gebührenden Kinderplätzchen entgegengestellt, mit einem breiten glänzenden Atlasbande über die Schulder, einem Ordensbande ähnlich, auf welchem der billig triumphirende Freund Fraise einige Jubelverse hatte abdrucken lassen. Doch ist dem an jenem Feiertage zum Erstenmal besungenen Fritz davon gar nichts im Gedächtniß verblieben, als eben nur das farbige Band. –

Einige Zeit nach der vollen Genesung waren die gewissenhaften Aeltern auf einen neuen Hauslehrer bedacht. Auch der kam von der Hallischen Universität, und auch er war ein wackrer, treuer, gewissenhafter junger Mann, – sonst aber in allen [13] Dingen ein herber Gegensatz von Fricke. Vieles hat ihm sein Zögling zu danken, Vieles hat er seinem Zögling geschadet. Ohne tüchtige Einwirkung auf den Sinn jedes Menschen, mit welchem er in Berührung gerieth, konnte seine kraftvolle Natur durchaus nicht bleiben. Sachse hieß er, und war aus Westphalen gebürtig: ein echter Altsachs oder Altsasse, in mannigfachen Seltsamkeiten und sehr vielen Tugenden an die Urväter mahnend. Der erste Eindruck war eben kein besonders günstiger, und ging durch die Vermittelung jenes obangedeuteten Fernrohrs. Man hatte nämlich den Ankommenden genau mit der in Potsdam eintreffenden Post erwarten können, sah also nach ihm aus, wie er etwa den behaglichen Gang nach dem nahen Landgut heranspazieren mochte. Endlich hieß es bei den abwechselnd durch das Fernrohr Blickenden: »der neue Hofmeister kommt!« Fritz eilte hin, und die Reihe kam billig bald an ihn. Nun aber kam es ihm vor, als ob an dem warmen Sommerabend der Erwartete mit einer Pelzmütze auf dem Kopf einhergehe, und ein unauslöschliches Gelächter, beinahe dem der Homerischen Götter vergleichbar, ergriff und erschütterte den Knaben. Im Näherkommen ergab sich's nachher: die vermeintliche Mütze war nur das nach damaliger Sitte wohlpomadirte und gepuderte Haar des Kandidaten gewesen, der, eben des warmen Wetters wegen, mit abgenommenem Hute baarhaupt am Ufer heranwandelte, die Kühlung des Stromduftes zu genießen. Der Gedanke an Wunderlichkeit hatte sich indessen einmal mit dem Bilde des neuen Lehrers verwoben, und zwar, wie schon angedeutet, aller Tüchtigkeit des Mannes unerachtet, hätte Schillers Wachtmeister, wär' er damals vorhanden gewesen, dazu sprechen können: »Dem ist nicht Ohne.«

Bevor jedoch Fritz mit seinem jetzigen Lehrer in die vielfach auf sein Leben einflußreiche nächste Bekanntschaft gerieth, nahmen den Knaben seine Eltern mit auf eine Badereise nach Lauchstädt, während der kaum erst angekommene Lehrer in Sacro zurückblieb.

Lauchstädt mit seinem heitern, damals sehr besuchten Baumgange und seinem hohen, von Gästen wimmelndem Tanz- und Speisesaal hat manchen lebendigen Eindruck in die Seele des Knaben gelegt und in ihr hinterlassen, wie sich denn auch dieser [14] Badeort bei später widerholtem Besuch des Jünglings und Mannes ihm jegliches Mal eigenthümlich bedeutsam erwies.

Zum ersten Mal ahnete damals die junge Seele das Anziehende einer edel-weiblichen Erscheinung. Ein anmuthig blühendes Fräulein war es, die den knospenden Troubadour mit magischer Gewalt, natürlich höchst unbewußt, an sich zog, wozu denn eben wohl auch bei dem auf Wunderbares gern gestelltem Kinde ihre fast magisch zu nennende periodische Stummheit mit beitrug, sie jedesmal um eine bestimmte Abendstunde – ich meine: um 7 Uhr – befallend, und bis zur nächsten Frühstunde anhaltend. Weder ihre Jugendblüthe litt darunter, noch ihre Jugendlust am Tanz, worin sie höchst anmuthig einherschwebte. Auch fehlte es der plötzlich Erstummenden nie an den edelsten und zierlichsten Tanzgenossen. Ein schöner preußischer Husarenoffizier in glänzender Uniform zeichnete sich unter diesen und überhaupt als der wunderbaren Dame entschiedener Verehrer aus. Wie nun der kleine Fritz ihr immer auf allen Schritten und Tritten nachging, sagte einstmal ein Jemand – weiß ich's, wer es war? – »Du Fritz, nimm dich in Acht vor dem preußischen Husaren! der wird dich herausfordern, wenn du seiner Dame so nachfolgst.« – Fritz nahm das Ding ernsthaft genug, wie es denn eigentlich überhaupt, bei aller Fröhlichkeit, vielleicht auch mitunter einem scheinbarlichen Flattersinn, seine Weise war, die Dinge ernsthaft zu nehmen. Aber just erschreckt fand er sich von der Warnung nicht, minder noch abgeschreckt von seinem Nachwandern der schönen Dorette. Vielmehr gewann jetzt erst für den kindischen Ritter das ganze Verhältniß – wenn man's ein solches nennen darf und will – einen ganz eigenthümlichen Reiz durch den bedrohlichen Husaren im Hintergrunde des magisch verstummenden Engels. Wir kommen noch späterhin auf diese Erinnerung zurück. –

Eine andere seltsame Anregung gab es, als Fritz mit einem geliebten Gespielen und Altersgenossen einen damal dort vorhandenen sogenannten Irrgarten betrat, eine buschige Pflanzung, absichtlich so angelegt, daß sie das Wiederherausfinden dem Unkundigen erschwerte. Der Freund wußte Bescheid darin, führte ihn aber mit harmloser Neckerei in die verfänglichen Pfade immer tiefer hinein, endlich sprechend: »Nun, Fritz, wie kommen wir [15] wieder hinaus?« – Vergeblich suchte Fritz nach dem Rückweg. Eine wunderliche Angst bemächtigte sich seiner, und als nun vollends ein leichter Sprühregen vom Himmel zu tröpfeln begann, kam über ihn voll unaussprechlicher Wehmuth der Gedanke: »Zwei verirrte Kinder im Walde, weitab von den Ihrigen, und ein Unwetter ereilt sie!« Es war von keinem Walde die Rede, denn durch ein leichtes Gehege an der Irrgarten-Gränze hätte man leicht ins nahe Feld gelangen können, und somit unbedenklich nach Lauchstädt zurück. Aber das wehmüthige Bild in ihm war stärker, als die Wirklichkeit. Er fing an bitterlich zu weinen, so daß sein lachender Gefährte nur eilen mußte, ihn die paar Schritte wiederum zurückzuführen in die lustige Umgebung der Badegesellschaft.

Furcht war's nicht gewesen. Aber Phantasterei, wenn man's etwa so nennen will. Namentlich die Ahnung eines unaussprechlich trüben Verlassen-Seins, welche sich durch das gesammte Dichterleben dieses Menschen hinzog, und sich nur allzu oft darin auf das allerschmerzlichste erfüllt hat.

Aber auch just in Lauchstädt wiederum trug ihn die Phantasie auf seegenvollsten Ahuungs-Schwingen empor.

Wenn ihn, den an die schönen Räumlichkeiten von Sacro Gewöhnten, die ungewohnt enge Badewohnung bei ungünstigem Wetter zu pressen begann, erschien ihm ein anmuthiges Traumspiel im Wachen, endlos und unermüdlich dasselbe. Und die gütige Mutter spielte unermüdlich das kleine Drama, in welchem es dargestellt ward, mit ihm durch, aber und abermal, und meist wohl ganz unverändert mit denselben Worten. Es ward nämlich angenommen, Fritz sei als Erwachsener wiederum mit der Mutter in Lauchstädt. (Ach, die holde Frau sollte es nicht erleben, den Liebling ihres Herzens erwachsen zu erblicken!) Nun handelte sich's im Spiel-Drama von der wichtigen Frage für den jungen Herrn: Heut nach der sogenannten Allee (dem Sammelplatze der Badegesellschaft) gehn, oder nicht? Selbiger bezeigte zu Anfang wenig Lust dazu. Die Mutter aber regte ihn an, und dann ging er, – nämlich »ab«, wie auf der Bühne, – um gleich wieder aufzutreten, und zu versichern, er danke dem Mütterchen unaussprechlich, ihn nach der Allee dirigirt zu haben, denn dort seien eben heut die zwei Dichterbrüder Stolberg lustwandeln [16] gegangen, und er habe sie nun kennen lernen, und sehr Vieles mit ihnen gesprochen, und er sei ihnen lieb. Die Freude, ja, ich mag wohl sagen: das Entzücken, die Seele des spielenden Knaben dabei durchwallend, war ein Vorspiel schöner Wirklichkeit, wie wir sie für seine Mannesjahre zu schildern gedenken.

Dem Bade-Aufenthalt folgte noch ein kurzer Besuch in Halle bei einer nahverwandten Familie, wo Fritz im Umgang mit seinen Vettern sehr fröhliche Tage verlebte. Jener kleine Irrgarten-Führer war ihm der liebste darunter, und die brüderlichste Innigkeit fand und findet noch jetzt, da beider Locken ergrauen, zwischen ihnen statt. Es ist etwas Herrliches um liebevolle Treue, so durch ein halb Jahrhundert fast unter allen abwechselnden Stürmen und Strömungen des Geschickes, nach dezennienlanger Trennung stets wiederum aufleuchtend in jugendlicher Frische, – ein schönes Wort Christian Stolbergs anzuwenden: »immer alt, und immer neu.« Von dem frühesten Freunde zum ersten Mal geschieden, empfand Fritz eine tiefe Sehnsucht nach ihm, die sich oft in dem grilligen Gedanken aussprach: »Der Karl ist doch ein recht glücklicher Knabe; er ist immer in seiner eignen Gesellschaft.« – Eigentlich war's doch weit mehr, weil Tieferes, damit, als blos grillig. Es steckt eine ernste Ahnung drin eingeschachtelt, oder eingesenkt vielmehr, die jedoch mit raschen Worten an's Licht rufen zu wollen, mir eben so unangemessen vorkommt, als eine Knospe auseinander zu reißen, um ihre Entfaltung zu beschleunigen. – Ueberhaupt nahm Fritz aus Halle manche schöne Erinnerung mit, kindischer Art, wenn man so will, aber gleichfalls tiefer bedeutsam, als es auf den ersten Anblick aussehn mag.

Obenan steht ein Ritterharnisch, im Naturalienkabinet des Waisenhauses aufbewahrt, drüber an der Wand ein großes zweihandiges Schwerdt. Dergleichen, wie der Knab' es bisher nur in Abbildungen und in Träumen erschaut hatte, nun auf einmal wahr und leibhafteg vor sich zu sehn! Ein wirkliches Gewaffen, in welchem einst ein kühner Leib gewaltet hatte, hervorgeschauet aus diesem Visier ein Ritterangesicht! Es war, als ob jene Zeit, dem Knaben aus seinen frühesten Ahnungen her so ehrwürdig und so anziehend, nun plötzlich in Geistergestalt aufgestiegen sei, wie des Dänenkönigs Hamlet Erscheinung vor den staunenden [17] Wächtern seiner Burg. Und doch war wiederum Alles dabei so wirklich, so leiblich. Er durfte des Eisenhandschuh's gelenkige Schuppenfinger berühren, wie zum Handschlag. O, des Ueberglücklichen! Um ein halb Jahrhundert später hat der alternde Mann diesen Handschlag wiederholt, und im heitern Bewußtsein empfunden, er habe sich wegen der Zwischenzeit Gott Lob nicht zu scheuen vor dem alten Eisenmanne.

Zugleich noch andre Waffen enthält jene Sammlung, durch die Missionare eingesandt von den heidnischen Völkern her, und Fritz hatte, nächst jenem ritterlichen Gewaffen, seine innige Freude daran, wie auch an einem großen, sorgfältig ausgeführten Modell des Tempels zu Jerusalem, und andern Herrlichkeiten mehr. Auch das Wunder der Buchdruckerkunst, für dessen Jubiläum er jetzt, diese Zeilen schreibend, Feierdichtungen zu liefern sich aufgefordert sieht, erschien ihm auf dem Hallischen Waisenhause zum ersten Male. Lettern wurden gesetzt, Druckerschwärze darauf getüpft, Papier drüber hingelegt, die Rahmen drüber geschlagen, die Presse angewandt, und heraus zog man auf einem saubern Groß-Octavblatt Fritzens und seiner Vettern Namen. Dem Staunenden konnte nicht entfernt träumen, wie oft noch künftighin die Presse seinen Namen vervielfältigen sollte. Ueberhaupt haben Gutenberg und seine nächsten Genossen keinen eifrigern Bewunderer unter ihren Mitlebenden gehabt, als diesen so spät nach ihnen aufgewachsenen Knaben. Wie viel des Gedruckten auch er schon verhältnißmäßig gelesen hatte, – es vor seinen Augen so rasch unmittelbar aufgesproßt zu sehn, und etwas so Geringes, wie sein Name, so willkürlich illustrirt, – es übertraf all seine Erwartung. Ueberhaupt hatte in seinem Andenken die Saalstadt etwas Magisches gewonnen, wozu die dazumal noch sehr eigenthümlichen Halloren, zu raschen Sprüngen von den Brücken stets bereit, mit das ihrige beitrugen, wie auch selbst die kleinen Wehr-Abstürze des Stroms, desgleichen die breitstille Havel dem Knaben nie dargeboten hatte.

Wie jedoch ihm das Ritter-Gewaffen allen Merkwürdigkeiten der Waisenhaus-Sammlung voranging, ging auch voran in seinem Geist allen sonstigen dort so mannigfach schönen Naturansichten, der Fels von Burg Giebichenstein, gekrönt durch den Trümmer-Fensterbogen, aus welchem Graf Ludwig von Thüringen sich [18] zum Freiheit-rettenden Sprung in die Stromfluth kühn hinunterschwang. Wie von ganz unermeßlicher Tiefe schien dem Knaben der Blick dahinunter. Als er späterhin die Schilderung einer schwindlig hohen, wolkennahen Meeresklippe in Shakespears Lear las, kam es ihm vor, als habe er solch einen Blick schon von dem Giebichensteiner Felsen hinabgethan. Dort auch zeigten sich Eingänge zu unterirdischen Gewölben, und ob die neuere Zeit sie in geringer Tiefe durch ein Vermauern gesperrt hatte, drang doch des Knaben Sinn ahnungskräftig da hindurch in die geheimnißreichen Wundersamlichkeiten der Unterwelt hinein, so wie er sich auch emporschwang über die wohl schon vorlängst zerfallenen Stiegen des verschlossenen, einsam stehen gebliebenen Burgthurmes, um auch dort nach Mysterien zu forschen. So völlig ergriffen von dergleichen war der kleine Träumer, daß ihm, da ihn andre Kinder freundlich einluden, mit in den ganz regelrecht zierlichen Garten hinter dem Amtshause zu kommen, es schier unheimlich zu Sinne werden wollte, als laure eben hinter diesen geschornen Hecken und Lauben irgend etwas ganz unheimlich Arges. Nur mit innrem Widerstreben folgte er, ohne dann freilich irgend was Andres anzutreffen und zu erleben, als ganz gewöhnliche Dinge. Aber droben zwischen den Burgtrümmern war ihm freier zu Sinne gewesen. –

Heimgekehrt nach Sacro war es nun ähnlichermaaßen ein engeres Leben und Weben, was ihn in Empfang nahmen sollte statt jener rückwärts liegenden, obgleich noch stets ihn innerlich geleitenden Bilder aus Lauchstädt und Halle her. Die Lehrstunden bei Herrn Sachse begannen, eigentlich die ersten überhaupt für Fritz. Denn was er früher bei Fricke erlernt haben mochte, war eben nur so ein heitres Spiel gewesen. Sachse nahm Alles, was er trieb, gründlich, kraftvoll, ernst, oft an den Eigensinn streifend, und war dabei, noch außer seiner Gewandtheit im Clavierspiel und Zeichnen, mit vielfach technischer Geschicklichkeit begabt. Ein Geist, wie der seinige, kannte eigentlich kein Feiern. War das eine Schaffen beendet, so kam unmittelbar darauf ein Andres an die Reihe. Den Vormittag nahmen die Lehrstunden von 9 Uhr an bis zur Tischzeit in Anspruch, aber Sachse wußte sich durch überaus frühes Aufstehen einen sehr langen Vormorgen zu bereiten. Nachmittags wollten die Eltern des Knaben [19] aus Grundsatz keine Lernstunden für ihn, und es mochte auch wohl in mancher Hinsicht gut sein. Mit unaussprechlicher Heiterkeit sahe Fritz, wenn nun die Unterrichtszeit vorüber war, das freie Paradies eines ganzen Nachmittags und Abends vor sich liegen. Von Langeweil wußte seine, durch jene schon obangedeutete Phantasieenwelt belebte Seele absolut nichts, so lange man ihn ungehemmt seinen Spielen überließ.

Ob indeß nicht durch eine so ganz und gar bestimmte Abgränzung zwischen Lernen und Spielen eine gewisse Scheu vor dem Lernen, also vor der Arbeit, vor der Anstrengung überhaupt, in die kindliche Seele kam? –

Eine Stimmung etwa, welche man der eines nur stundenweis im Frohn geplagten, und dann zu seiner nothwendigen Erquickung wieder dem freien Athmen überlassenen Sclaven vergleichen möchte? –

Das ist eine andre Frage. –

Mögen Erzieher und überhaupt Seelenkundige und Seelenkündiger sie prüfen. –

Hier stehe sie nur einstweilen als Aufgabe. –

Der Leser gönne dem Schreiber immer noch einiges Verweilen in den Blumengärten der Kindheit.

Schauen doch ernste Lichtblicke und Wolkenzüge mit herein.

Auch eine gewaltige Helden-Gestaltung sieht mit herein.

Ich meine den Pathen des kleinen Fritz: den großen König Friedrich.

Nur von Weitem her freilich hat ihn der Knabe gesehn, wenn beim alljährlichen Einrücken der Berliner Garnison zum Uebungslager um Potsdam die Mutter mit ihm hinausfuhr, die kriegerische Herrlichkeit anzusehn, der Knabe ganz Auge und Ohr für die ihn unaussprechlich anziehende Waffenlust, aber von einem geheimnißreichen Schauer ergriffen, wenn König Friedrich in einiger Entfernung an dem Wagen vorüberritt. Die Mutter stand alsdann, nach damalig ehrerbietiger Sitte, von ihrem Sitz auf, und neigte sich tief, beinahe kniebeugend. König Friedrich, wie er es immer vor Damen zu thun pflegte nach galanter Ritter-Sitte, zog den Hut, ihn dabei etwas seitwärts in die Höhe [20] hebend, just wie man ihn auf manchen noch übrig gebliebenen Gemälden abzubilden pflegt.

Für die ganze Gestalt aber – der kleine, alternd vornübergebeugte Mann, auf seinem hohen engländischen Roß, und dennoch just in dieser Eigenthümlichkeit so wunderbar imposant, – giebt es nichts Aehnlicheres, als jene kleinen Reiterbildsäulen aus Gyps, wie man sie noch jetzt zu verkaufen pflegt und kaufen wird, so lange preußische Herzen schlagen, welches, hoff' ich zuversichtlich, eben so viel heißt, als: bis an das Ende der Zeiten. –

Auch in des Knaben Fritz phantastischen Spielen waltete stets ein preußisches Element. Mehrst freilich athmete er in der Ritterzeit, oft aber auch erschien er sich als preußischer Husar. Hatten ihn ja doch Anschauungen preußischer Schaaren und ihrer Kriegs-Uebungen, nebst den Erzählungen Schmettaus, der den ganzen siebenjährigen Krieg durchgefochten hatte, das mehrst um kriegerische Gegenstände kreisende Gespräch der häufig aus Pots dam zum Besuch kommenden Offiziere, wie auch die Berichte seines Vaters von dem großväterlichen Helden, dessen fast lebensgroßes Kniestück, ein schönes Oelgemälde des Meister Paine, von der heimathlichen Wand zu dem Enkel herniedersah, – hatten ihn ja doch alle diese Eindrücke zumal schon wie zu einem Mitgliede des preußischen Heeres eingeweihet. Auch mit einem gut gearbeitetem kleinen Gewehr, den Kräften des Knaben angemessen, ward unter Schmettau's Leitung das preußische Infanterie-Exerzitium geschickt genug, und jedenfalls sehr eifrig, eingelernt.

Aber das Ritterthum blieb die Hauptsache.

Eine eigenthümliche Vermischung beider Anregungen – Idee und Realität zusammendrängend – zeigte sich in einem Ritterbunde, welchen Fritz mit einem um wenige Jahre ältern Knaben, des Vornamens Rudolf, schloß, dem Sohn eines wackern Garde-du-Corps-Offiziers. Den Orden des Rothen Löwen nannten sie ihr Institut, welches alle möglichen Rittertugenden fördern sollte, und worin etwas gar mystisch Tiefes geahnet ward. Einstweilen beschränkte sich die Genossenschaft noch auf Fritz und Rudolf. Durch nach und nach anzuwerbende Gefährten sollte sich's indeß weiter und weiter ausbreiten, und fürderbestehen durch die Jünglings- und Mannes-Jahre zu ungeheuern Erfolgen hinaus. [21] Namentlich war Fritz auf die Eroberung von Italien bedacht, welche er denn freilich späterhin sich gezwungen sah, an Napoleon Bonaparte abzutreten. Sein Genoß, ein gar frischer Knabe, hielt sich näher an die Wirklichkeit mit seinen Entwürfen. Dagegen überflügelte er den Fritz durch den sich beigelegten Ordensnamen: »Graf Don Fiesko der Unüberwindliche,« während sich Jener einfacher benannte: »Malwend der Tapfere,« den Eigennamen aus Klopstocks: »Hermann und die Fürsten« aufgefaßt habend. »Warum nicht Hermann?« fragt vielleicht Je mand in freundlicher Theilnahme. Zur Antwort: Weil der Knabe überhaupt eine vorzügliche Anregung für solche Namen empfand, die eigenthümlich waren, germanisch, aber noch nicht im leuchtenden Ruhmesglanz funkelnd, eben wohl, damit der jungen Seele was von künftiger Herrlichkeit zu ahnen und zu ersinnen bleibe. Im Uebrigen blieben sowohl der unüberwindliche Graf Don Fiesko, als der tapfre Malwend, mit ihren Verdiensten im Stillen, der Orden vom Rothen Löwen desgleichen, und es fanden sich keine weitere Theilhaber dazu. Aber Fritz und Rudolf blieben befreundet für ihre ganze Lebensbahn, wo dann die Freunde als Jünglinge auch Gelegenheit fanden, sich ritterlich mitsammen vor dem Feinde zu erprüfen. Rudolf ist nun schon längst in die Ewigkeit vorangegangen dem Fritz, und dieser hofft, ihm dereinst voll seeliger Heiterkeit nachzukommen. –

Das gesammte ritterliche und kriegerische Getriebe seines Zöglings war dem wackern Lehrer Sachse eigentlich entgegen, dem System seiner Aufklärung nach, zusagend indeß zu gleicher Zeit auch seinem eignen entschlossen kühnem Sinne, dem zufolge er sich unter Andrem gern an das Reiten wilder Pferde gab, welche zwei Pagen des Prinzen von Preußen, dem Hause befreundet, bisweilen mit aus Potsdam herausbrachten. Die überkecken Jünglinge hatten ihren Spaß daran, den des Reitens keinesweges kundigen Kandidaten sich auf den tollen Gäulen umhertummeln zu sehn. Er merkte das wohl, aber er ließ nicht davon ab, denn er wollte sich in allen Dingen gern selbst erproben, und setzte sich durch seine Kühnheit bei den zwei jungen Edelknaben in Respekt, während eine höhere Hand über ihm waltete, daß er bei den mitunter halsbrechenden Späßen niemals auch nur im geringsten zu Schaden kam.

[22] Auch konnte er sich nicht erwehren, aller systematischen Antiritterlichkeit zum Trotz, dem Fritz allerhand kunstreiches Gewaffen: aus Pappe, Silber- und Goldpapier, köstliche Helme, und aus Holz und Blech vortreffliche Ritterlanzen zu bereiten.

Keinem der festlichen Weihnachtstische fehlte es in diesen Jahren an irgend einer solchen Gabe von des Lehrers kunstreicher Hand für den dadurch innigst ergriffenen Zögling.

Ach, und diese Weihnachtsabende überhaupt! Dies süße, sehnsüchtige, zuversichtliche Harren, den ganzen Tag hindurch, auf die abendliche Bescheerung, sich zum Entzücken steigernd, wann nun mit einbrechender Dämmerung die Kinder in ein entfernteres Zimmer geführt wurden, wissend: jetzt beginnen Eltern und Freunde, die Lichtertische mit dem grünen Festbaum, und der von zartester Liebe erlesenen Gaben aufzuputzen! – Und endlich, nach froher Erwartungen jubelnd schwellender Steigerung, die helle Silberschelle in der Mutter Hand klingelnd: »Herein!« – Und nun die Gaben wie schwimmend im Lichtmeer, Eine nach der Andern durchgemustert, Jedwede eine neuselige Entdeckung, theilnehmend verglichen mit den Herrlichkeiten der Genossen, wir Alle Ein gemüthlicher Jubelchor ohne Dissonanz! Und aufsteigend vor den kindlichen Geistern die kommenden Stunden des Spieles mit diesen leuchtenden Spenden allzumal! –

Wahrlich, es giebt annoch paradiesische Stunden im Leben, wenngleich nur aufleuchtend als Oasen in stäubiger Wüste, oder als Inseln im brandenden Meer.

Durch Brandung geht's zur Landung.

Das erfahren auch die Kinder bereits, wenn freilich nur auf kindische Weise.

Phantastischen Bürschlein, wie Fritz, ergeht es absonderlich merkbar in dieser Manier.

So fand er in Einem jener etwa sechzehnjährigen beiden Pagen Aehnlichkeit mit dem schönen Husarenoffizier von Lauchstädt her, dem Ritter der holden Dorette, und setzte sich' nach und nach in den Kopf, Das sei Einer und Derselbe, nur jetzt in Pagenverkleidung. Die Identität kam ihm bedenklich vor, denn man konnte nicht wissen, ob der Eifersüchtige sich nicht just auf diese Manier in Sacro eingeschlichen habe, um die am Badeort [23] beabsichtigte Ausforderung zu Stande zu bringen. Der Knabe fühlte sich übrigens zu dem anmuthig muntern Pagen ausnehmend hingezogen, und doch wollte die Grille nicht schweigen: »Wenn es nun aber dennoch der Husar wäre!« –

Man urtheile demzufolge, wie seltsamlich ihm zu Sinne ward, als ihm eines Tages der Page, zum Mittagsessen eingeladen, gleich nach seinem Eintreffen, heimlich sagte: »Komm einmal herunter mit mir, Fritz, in die Grotte.« (So hieß ein Eintrittszimmer, seiner Wandmalerei wegen.) »Ich habe dir was allein zu sagen.« Fritz sah ihn groß an und stutzte, wenig Lust bezeigend zu dem verfänglichen Gange. Als aber der Page nicht abließ, dachte der kleine Wünderling bei sich: »Ei, sei es meinethalb der Husar, und komme was da kommen mag! Einmal doch muß das Ding ausgemacht werden!« – Und so ging er kecken Schrittes mit hinunter zu dem »Stell-dich- ein.« – Einen Zweikampf zwar gab es nun nicht in der Grotte, wohl aber eine Waffe: einen ausnehmend hübschen kleinen Hirschfänger zum Geschenk, mit wirklicher Stahlklinge, worauf ein Pandur eingegraben war, mit der zwar nicht sonderlich weder orthographisch, noch poetisch gerathenen Inschrift:


»Ich halte Graffetät, (Gravität)

Marschire Schritt vor Schritt.

Komm ich vor meinen Feind,

So mach ich einen Schnitt.«


Aber Fritz war entzückt, und das nur ihm bekannte Bewußtsein, er sei dem erwarteten Kampfe mit ehrbarem Entschluß entgegengegangen, erhöhete den Werth der Gabe. Er hat nachher als Mann die kleine Waffe an das Söhnchen eines kühnen Waffenbruders verschenkt, und sie kam gewiß in gute Hand. Dennoch hätte er sie wohl lieber aufbewahren sollen. Das Andenken war doch allzueigenthümlich, um es wegzugeben. Jenen auf so wunderliche Weise vermeinten Gegner indeß, den Husaren, hat er nachher als Preußischen General wiedergesehen, und ihm, er selbst Cavallerie- Major, seine früheste Zweikampfsahnung zu beiderseitigem Ergötzen bekannt. –

Ueberhaupt zieht sich durch all seine Kindheitserinnerungen, so heiter, ja fröhlich meist ihr Vorgrund sich darzustellen pflegt, im Hintergrund irgend ein Schatten düstrer Besorgniß vor etwas [24] Feindlichem oder Unheimlichem, welches Gefühl er, der sonst so offenherzige Knabe, sorgfältig vor allen, auch den liebsten Menschen verborgen hielt. Mag sein, daß er sich seiner kindischen Träumereien, und zwar nicht unbillig, schämte. Doch am wesentlichsten zum Schweigen verband, ja gleichsam verpflichtete ihn ein schauerliches Gefühl der Abhängigkeit von unheimlichen Gewalten, deren Rache er sich aussetzen würde, wenn er sie an das Tageslicht zöge. So, wenn ihn die liebevolle Mutter beim Schlafengehn sorgfältig auszog und zu Bett legte, entrang sich oftmal ein banger Seufzer seiner Brust, und wenn ihn dann die Mutter liebkosend fragte: »fehlt dir was, lieber Fritz?« »Ach, sage doch nur, was dir fehlt!« mußte er antworten: »o, gar nichts!« während er in sich voll schmerzlichster Wehmuth dachte: »Wenn du es wüßtest! Aber auch dann ja könntest du mir nicht helfen.« – Das hätte dann freilich die gütige Mutter mit all ihrer Sorglichkeit nichtvermocht. Wer bannet die Träume? Und hier waren es Träume allerverwunderlichster Gattung. Nicht mehr jener riesenhohe Roland aus Brandenburg mit seiner allzugewichtigen Schwerdtesgabe erschien. Winzigklein, wie er in der doch so vorlängst schon beiseit gelegten Bilderfibel zu sehn war, stieg König Xerxes auf, oder es kamen auch zwei moderne Wildfänge, bei Wein und Spiel erzürnt die Degen auf einander zückend, wie sie ein Taschenkalender zur moralischen Warnung dargestellt hatte, ebenfalls die Erscheinungen im kleinen Format geblieben. Und die allzumal wollten ein gewisses geisterhaftes Anrecht auf den Knaben geltend machen, und das ihm recht Entsetzlichste dabei war eben ihre schauerliche Kleinheit. Eine Zeitlang fast allnächtlich kamen diese Traumgesichte wieder, fast ohne alle Variation dieselben, und just um ihrer Einförmigkeit willen fürchterlich, weil ihnen eben das einen Anspruch auf die Realität der Erscheinungen des wachenden Zustandes zu verleihen schien.

Aber noch weit ein wunderlicheres Grauen verfolgte den Knaben eine Zeitlang, selbst während des wachenden Zustandes. Ein Handwerker aus Potsdam – ich meine, es war ein Tapezierer – ward öfters im Hause zu Sacro beschäftigt, und gehörte zu jener Gattung von Leuten, welche späterher Callot-Hoffmann mit dem Beiworte: »skurril« bezeichnet hat. Eine lange, hagre Gestalt war es, mit seltsam scharfgezeichneten Gesichtszügen und [25] insbesondere gar wunderlich in die Höhe gezogenen, ja fast gezerrten Augenbrauen. Ein Mensch, immer gern bereit, über Andere zu lachen, und eben so gern bereit, Andere über sich lachen zu lassen. Mir sind von jeher solche Leute grell zuwider gewesen, fast eben so schauerlich für mich, als Hanswurstgaukler und Wahnwitzige. Ein solcher umstreifender Hanswurst machte einstmalen seine Späße auf dem Vorplatze des Hauses in Sacro, und man meinte den muntern Knaben Fritz durch das Anschauen derselben recht zu ergötzen. Aber Fritz empfand statt der Lachlust nur eben ein ungeheures Grauen, just, wie vor einem gewissen Tollen, mit vom Feuer verkrüppelten Händen, der sich einige Zeit zuvor in den Garten geschlichen hatte, und, an einem Lavendelbeete sitzend, mit verwilderter Stimme an Einemfort sang: »Ich heiß' Meieran, und bewach' den Thymian!« –

Vor beiden Erscheinungen schauert noch jetzt meine Seele. –

Und wie nun jener Handwerker dem Knaben einen ähnlich abstoßenden Eindruck machte, steigerte sich das beinahe zum Entsetzen, als Jemand – ohne Zweifel es nur so ganz gewöhnlicher Weise hinwerfend – sagte: »Der Kerl ist ein Narr.«

Fortan nun schauderte Fritz zusammen, wo ihn jener Spaßvogel etwa flüchtig anredete, oder nur überhaupt in seine Nähe kam, und eben weil er das nie ganz vermeiden konnte, überkam ihn jenes Scheuen vor einem unheimlich mächtigen Anspruch an ihn mit Bezug auf jenen Menschen. Ihm fiel ein: »Wenn nun Der behaupten wollte, du gehörtest ihm als sein eignes Kind an, und man dürfte dich ihm nicht vorenthalten, und er führte dich von hinnen in den Kreis seiner gewiß eben so abscheulich närrischen Familie!« – Insbesondere kam ihm dabei vor die Seele, als ob nach jedem Mittagsessen der skurrile Hausvater spreche: »Nun laßt uns unser gewohntes Tänzchen halten!« und man hüpfe dann im Ringelreigen mit albernen Geberden und noch albernerem Gesinge um den kleinen Rundtisch her, und zwischen äffischen Gestalten der seiner edlen Umgebung abgerechtete Knabe gezwungen mit. –

Furchtbar erschien es ihm, wie nur irgend je seither eine Danteske Vision, vielleicht gar furchtbarer noch, eben der in dieser Verzerrung vorschlagenden Albernheit willen. Zwar sah er mit gesunden Sinnen ein, das Alles sei ganz undenklich, – [26] aber das entsetzliche: »Wenn doch nun!« – und zwar unterstützt durch eine in solchen Anfechtungen erschrecklich zu nennende Obmacht der Phantasie über die andern Geisteskräfte, –

Meinst du, lieber Leser, – uns einmal einer etwas veralteten, aber doch keinesweges so gar verwerflichen Form der Anrede zu bedienen, – meinst du, lieber Leser, der Fritz sei dazumal durch all sein Geträum und in all seinem Geträum bereits verrückt gewesen, oder doch auf dem unrettbaren Wege dazu? –

Vielleicht hätte manch Einer dazumal eben so gemeint, hätte ihm der Knab' sein Geträum kund gegeben, wie er eben jetzt als greisender Mann im Begriff steht, es der ganzen Lesewelt kund zu geben. Und daß der Knabe zu jenem Vertrauen gegen Niemanden gelangen konnte, obgleich von liebreichen und ihn persönlich liebenden Menschen umgeben, sprach eher für den Fortschritt des Uebels, als für dessen Hemmung.

Da er nun jedoch weder damals, noch bis jetzt überhaupt in's Tollhaus gerathen ist, – was hielt und erhielt ihn denn? –

Leider war ihm das göttliche Heilmittel zur Heilung wider alles Weh dazumal in allzu kleinen und abgeklärten – man möchte sprechen, homöopathischen – Portionen gereicht worden, als daß es hinlänglich hätte zu wirken vermocht.

Ihm half einstweilen die Poesie.

Nicht nur allein in jenen obangedeuteten ahnungsvollen Spielen – eine Spielwelt möcht' ich es nennen, die Wirklichkeit gleichsam wie in zweiter Stimme, nach außenhin unhörbar, begleitend, – offenbarte sie sich ihm.

Auch kleine Erzählungen, ja Schauspiele, oder vielmehr Schauspielchen gab sie ihm ein, und gebot ihm, sie aufzuschreiben, was er dann, ob mit noch ziemlich ungeübtem Kiel, in freudigster Stimmung vollbrachte. Gewöhnlich handelte sich's von einem ritterlichen Wüstenleben, wohinein der Held jedesmal durch ein Verirrtsein gerathen war. Andere Mittel und Wege dazu wußte die kindische Phantasie nicht zu ermitteln, aber diese Art, in eine romantische Wunder-und Kampfeswelt überzugehn, schien ihm auch dergestalt plausibel, daß er bei später [27] Fahrt durch einen großen Wald, Brand's Haide genannt, vernehmend, man habe sich verirrt, nichts minder erwartete, als man müsse sich nun dorten eine Hütte bauen, und somit Herrschaft und Dienerschaft fortan das Leben der von ihm mit stehender Bezeichnung so benannten: »Verirrten« beginnen.

Freilich mochte es wohl in der Brands-Haide Verirrte geben, und zwar Verirrte weit schlimmerer Art, als die von dem Knaben Geträumten. Denn die damals sehr dichte Waldung, an der sächsisch-preußischen Gränze gelegen, diente manchem Diebs- und Raubgesindel zum nach seiner Art bequemen Aufenthalt, und man wußte schreckliche Geschichten davon zu erzählen. Zum Durchreisen – unsere Besuche bei den Halleschen Freunden führten uns mehrmal diesen Gang – pflegte man sich zu bewaffnen, auch wohl, wann bei sinkendem Abend sich manchmal unheimlich im Forst irrende Lichter wahrnehmen ließen, absichtlich lautes Gespräch zu führen, um die Räuber durch die Meinung einer größern Anzahl von Reisenden vom Angriff abzuschrecken. Wir übernachteten alsdann auf dem sogenannten »Bergfrieden,« einem Gasthaus mitten in der verrufenen Haide, dessen Name schon für alte Fehdezeiten seine Bestimmung andeutete, den Wanderer zu beschirmen, und zweifelsohne damal eine gefreiete Burg gewesen war.

Alle diese Erinnerungen tauchten in Fritzens kleinen poetischen Gebilden wiederum zu mannigfacher Gestaltung auf.

Einstmal jedoch wollte er sich auch an ein Trauerspiel wagen, und Hölty's elegisch-gespenstige Ballade: »Adelstan und Röschen« sollte den Stoff dazu hergeben. Freilich eine wunderliche Gattung von tragischem Stoff. Auch sollte selbiger gewürzt werden durch einen Zweikampf und eine darauf folgende Fehde zwischen Adelstan und seinem ehemaligen Freunde, jetzt Rächer des verlassenen und gestorbenen Röschens, Ritter Gottfried. Bis zu Adelstans Verlassungssünde und Röschens Tod – beidesinclusive – ward die Sache fürdergeführt, und endete mit folgendem Monolog Röschens, nachdem Adelstan, auf einem grünen Anger mit ihr lustwandelnd, sich davongemacht hatte, während sie unvorsichtiger Weise nach einer andern Seite hinsah:

[28] »Siehe, mein Adelstan, diese schönen Blumen. – Wo bist du? – Adelstan! – Er wird wohl nur ein wenig nach einer andern Seite hin spaziert sein. – Adelstan! – Er hört nicht. – Adelstan! – Ach, er kommt nicht zurück. – Er ist entflohen! – Er hat mich verlassen! – Ach, ach, ach! – (Sie stirbt.)«

Weiter wollte nun aber das Trauerspiel nicht vorrücken. Denn die vorgehabten und eigentlich ersehntesten Zweikampfs- und Kriegesscenen ließen sich durchaus an jenes elegische Ende des flink sterbenden Röschens nicht anflicken. Vielleicht waltete doch schon eine Art poetischen Instinktes dabei vor.

Ein Trauerspiel: »Albrecht der Bär und Primislas,« auf die Sage gegründet, dieser Wendenkönig habe sich vor dem Anhaltischen Helden als Besiegter, selbst auf der Flucht noch kühn, den breiten Havelstrom eben hier mit seinem Roß durchschwimmend, gerettet, und nachher sich mit dem Sieger versöhnt, kam just nur zum scenischen Entwurf. Doch gewährte es auch so dem Knaben manche kühnfreudige Stunde.

Aber genug einstweilen vom kindischen Geträum. Herein leuchtete voll bedeutsamlicher Heiterkeit der öfter wiederholte Besuch zweier Königlicher Prinzen, der ältesten Söhne des damaligen Thronfolgers: Prinz Friedrich, jüngst verewigte Friedrich Wilhelm der Dritte, König von Preußen, und Prinz Ludwig, nachher in den Jünglingsjahren zum ausgezeichneten Reiteranführer gereift, aber dann allzufrüh an Krankheit dahingeschieden. Beide, obzwar um mehre Jahre älter als der Knabe Fritz, ließen sich doch, nach der dem Hohenzollerstamm eignen Leutseligkeit, gern mit dem kleinen Burschen ein, das kriegerisch muntere Gemüth in ihm anerkennend, und manche freudige Erinnerung ist ihm aus den damaligen Soldatenspielen zurückgeblieben. –

Nun aber mit dem Jahre 1786 steigen sehr feierliche Momente auf, deren Gewicht schon den neunjährigen Knaben voll unverlöschlichen Ernstes ergriff.

Des großen Königs Friedrich letzte Regierungsjahre bezeichnete eine gewisse strenge Waltung, die wohl eben aus der Ahnung seines nahenden Todes in ihm hervorgehen mochte. Denn ganz im Gegensatze zu solchen schwächlichen Geistern, welche in der Sterbensnähe vermeinen, durch Nachgiebigkeit und minderes [29] Genaunehmen mit den Fehlern Anderer den Ruf der Milde zu hinterlassen, wohl gar auf diese Weise ihre Rechnung auszugleichen, dem höchsten Richter gegenüber, fühlte sich König Friedrich gewissenhaft angetrieben, dasjenige, welches ihm als Recht erschien, mit letzten Lebenskräften noch so fest zu stemmen, als irgend nur möglich. Viele seiner Unterthanen jedoch mißverstanden ihn in diesem Bestreben, und legten es als Härte des erkaltenden Greisenalters aus. Auf dem Landsitze zu Sacro durfte dergleichen wohl am mindesten laut werden, denn man wußte, wie sehr man den Hausherrn dadurch verletze, dessen Bewunderung für den großen König noch in der Erinnerung an des Monarchen huldreich treues Verhältniß zu seinem eigenen tapfern Vater gesteigert war. Tauchten also irgend selbst in Sacro Klagen auf, und ließ Gemurr sich vernehmen, so mochte es anderwärts viel trüber damit aussehen.

Jetzt jedoch, als im Jahre 1786 das Lebensende des Heldenkönigs näher und näher heranrückte, war bie allgemeine Stimmung unverkennbar umgewandelt, ja in einen Gegensatz übergegangen. Man fühlt nur zu oft hienieden erst, wann der Tod uns einen Menschen geraubt hat, was wir an dem Entschwundenen besaßen, so lange er bei uns war. Goethe sagt in dieser Beziehung humoristisch:


– –. »Ist er aber hernach gestorben,

Woll'n sie, zu Ehren seiner Erdennoth,

Ein Denkmal ihm erbauen.«


Für König Friedrich trat die Anerkennung ein, ehe noch völlig seine Augen sich zum letzten Schlafe geschlossen hatten: diese Adleraugen, vor deren Leuchten ich einst einen unbescholtenen Ehrenmann von edler Charakterfestigkeit, Offizier außer Dienst, sich hinter einem Baum bergen sah, während der alte Held langsam vorüberritt. Erstaunt fragte ich nach dem Warum. Die Antwort hieß: »Seit ich seinen Kriegsrock nicht mehr trage, mag ich ihm auch nicht mehr so gern, wie sonst, in die Augen sehn.« –

Eines Nachmittags waren wir bei einer Familie, ganz nahe vor Potsdam wohnhaft, zum Besuch, und mehre Offiziere kamen aus der Stadt, wie gewöhnlich, dorthin, eben Solche, die früher wohl am geneigtesten gewesen waren, über den greisenden [30] Adler Tadel auszusprechen. Jetzt hieß es nur, und wie mit gedämpften Stimmen: »Der alte Fritz hat nicht lange mehr zu leben. Es geht unaufhaltsam mit ihm dem Grabe zu.« – Eine schwüle Stille, wie in der Natur vor annahendem Gewitter, lag über der Gesellschaft. Still und betrübt fuhren auch wir über die Havel wieder zurück.

Ob auch somit aufs bestimmteste vorbereitet, – als wir am nächsten Morgen im Gesellschaftssaal zum Frühstück beisammen saßen, und nun mein Hauslehrer plötzlich hereintrat, die Flügelthür heftig weit aufreißend, ausrufend: »Der König ist todt!« – wie ein Blitz aus heiterm Himmel schlug es in Aller Herzen ein. –

Man konnte die sich auflösende Heldenleiche nicht lange mehr außerhalb des Grabesgewölbes erhalten, und die Familie aus Sacro eilte nach Potsdam, um den letzten Anblick des großen Friedrich nicht zu verlieren.

Lasset mich ihn ausführlich schildern, diesen Anblick.

In einem großen Gemach des Potsdamer Schlosses unter dem Thronhimmel lag auf einem Ruhebette der rückgebliebene Leib des entschwebten Geistes, gekleidet in seine gewöhnliche Kriegstracht, ernste Ruhe auf den erhabenen, fast unveränderten Gesichtszügen. Nur die sonst gerade mit der Stirn fortlaufende Nase war etwas an der Wurzel eingesenkt, in der Mitte gehoben, nun schier Adlernase geworden, und die Lippen fester zusammengeschlossen, als im Leben. (Ein Gypsabguß, von der Todtenlarve genommen, versinnlicht dies noch jetzt im Vergleich zu des Königs früheren Büsten.) Jetzt standen neben ihm als Ehrenwacht Einige seiner Adjutanten, zu seinen Häupten ein Kammerhusar, mit einem Pfauenwedel die Fliegen von dem verfallenden Körper scheuchend. Der Zutritt war für Jedermann offen, nur so, daß eine schöngeformte Brüstung in Halbmannshöhe das Gemach theilte, und die außen Annahenden genöthigt waren, im Vorübergehen zu bleiben, um den Nachfolgenden Raum zu geben. Doch war es Keinem verwehrt, sich vor der Ausgangsthür wiederum rückzuwenden, abermal nach der Eingangsthür hin, und so dem Zuge sich aufs Neue anzuschließen. Zu Denen, welche man in den innern Raum einließ, um den edlen Leichnam ruhiger und länger zu betrachten, gehörte billigerweise die [31] Familie La Motte Fouqué, dem Abgeschiedenen durch die Beziehung auf dessen vorangegangenen Feldherrn und Freund genähert, und so konnte denn auch Fritz den Eindruck dieses großen Trauermomentes tief unverlöschlich erfassen.

Auch das blieb ihm unvergeßlich, wie so viele der Vorüberwandelnden wieder und immer wieder kamen, nimmer gesättigt von dem schmerzlich erhabnem Anblick, zwischen ihnen hervorragend, fast wie Standarten zwischen den Schaaren, die hohen Gestalten alter bärtiger Grenadiere, helle Thränen in den muthigen Augen. Und wenn sie dann in die Nähe ihres gestorbenen Kriegsherrn kamen, nahmen sie streng' kriegerische Haltung an, wie zum Parademarsch, mit: »Augen rechts!« aber eben dann perlten die Thränen in den Bart hernieder. Und dennoch zuckte keine Miene. Das wär' ihnen wie gegen den Dienst vorgekommen. –

Monde lang und länger lebte dazumal die Hauptstadt Berlin und die Residenzstadt Potsdam – wohl durfte man sagen: das ganze Preußenland mit – völlig im Angedenken des von der Erde entschwundenen Königshelden. Seine Abbildungen in den mannigfachsten Formen und Abstufungen der Kunst, die Anekdoten aus seiner langen, leuchtenden Laufbahn, die Nachrichten von seinen letzten Lebenstagen und Stunden, zahllose Trauer- und Lobgedichte auf ihn, – das nahm die gesammt geistige Regsamkeit jenes Zeitraumes fast ausschließlich in Anspruch. Ja, man darf wohl sagen, über das gesammte Deutschland verbreitete sich eine ähnliche Stimmung, über ganz Europa zugleich. –

Der Knabe Fritz, so nahe an der Quelle, nahm in seine rasch bewegliche Seele das Alles gar innig auf. Namentlich die Anschauung von Friedrichs Sterbezimmer, während der ersten Zeit noch ganz unverändert gelassen, ist ihm unvergeßlich geblieben. Dieser seltsame Kontrast, oder besser: dies eigenthümliche Einssein von Königlicher Pracht und kriegerischer Einfalt, von zierlicher Eleganz und zwanglosester Nachlässigkeit. – Hinter einer vergoldeten Erz-Balustrade stand in einer Art von Alkoven das kleine, aus Eisenstangen zusammengesetzte Feldbett des Helden, wie er es auf allen seinen Kriegs- und Siegs-Zügen mitgeführt hatte. Im Gemache selbst zeigten zwischen zierlich [32] geformten und kunstreichen Tischen und andern Geräthschaften die Sophas und Stuhlkissen, nut himmelblauem Atlas überzogen, die Spuren der zerreißenden Krallen und Zähne von Friedrichs lustigen Windspielchen, seinen täglich untrennbaren Gefährten, denen Alles erlaubt war, weshalb der kostbare Stoff in Fetzen umherhing. Ausbesserungen dabei gestattete er nicht, weil ihm dergleichen theils kleinlich erscheinen mochte, theils nutzlos, indem es ja doch durch seine vierfüßigen Lieblinge bald wieder in die hergebrachte Unordnung gerathen mußte. Mit heiligem Schauer erfüllte unter diesen Umgebungen den Knaben vornehmlich eine Stutzuhr, den über einen wirkungslos verlebten Tag trauernden Titus darstellend, seinen bekannten Ausruf als Inschrift dabei:»Diem perdidi!« Das kunstgerechte Uhrwerk, sonst immer im tadelfreien Gange, war just um die Todesstunde des Großen Friedrich stehen geblieben, und steht noch immerdar so. Niemand hat seither gewagt, es wiederum in Gang zu bringen. –

Unter den damals ans Licht kommenden kleineren Denkschriften zeichnete sich vortheilhaft ein Bericht des Quartiermeister-Lieutenant 1 von Massenbach über die letzten Lebensstunden des Helden aus. Glühender Enthusiasmus für den großen König hatte ihn aus Würtemberg'schem Kriegsdienst in das Preußische Heer geführt, mit etwas stürmischen Schritten, wie das nun einmal seine Art und Weise nicht anders war, noch sein konnte. Es ist dieses derselbe Massenbach, der als Preußischer Obrist nachher viel wohlverdiente Anerkennung fand, dann ungünstig in die herben Schickungen des Jahres 1806 verwickelt ward, und als militärischer Schriftsteller mannigfach genannt ist. Seine unbeglückte, fast Kometen-ähnliche Bahn, Irrbahn auf der letztern Hälfte, stets aber im Innern durch edle Gluthen getrieben, wird sich noch mehrmal im Lauf dieses Lebensberichtes mit der meinigen begegnen. Dem Knaben Fritz erschien er als herrliches Vorbild, ein dazumal etwa dreißigjähriger Mann, mit hoher Heldenstirn unter früh kahlwerdendem Haupte, flammenden Augen, edlen, stets von irgend einer innern Bewegung leuchtenden Gesichtszügen, aus dessen Lippen wohl kaum je ein völlig unbedeutendes [33] Wort hervordrang, abstoßend, wo er nicht anzog, aber holdgewaltig in seiner Anziehungskraft, Vielen ein Räthsel, unwichtig Keinem. Als er sich bald nachher in Fritzens Stammbuch auf dessen dringendes Bitten einzeichnete, schrieb er neben andere gleichgültigere Worte die charakteristischen: »Manus haec inimica Tyrannis,« und unterzeichnete sich im humoristischen Unwillen über seine sonst ihm äußerlich vortheilhafte Versetzung aus dem Generalstab in die Adjutantur, wie auch über manches durch die neue Regierung Abgeänderte sonst, als: »Seeliger Quartiermeister-Lieutenant beim hochseeligen König.« –

Nachdem nun Friedrichs irdische Hülle in dem kleinen Gewölbe unterhalb der Kanzel in der Garnisonkirche zu Potsdam, neben der seines Vaters, – die beiden Särge füllen jetzt den Raum, – beigesetzt war, folgte ein feierlich prachtvolles Leichenbegängniß in der Residenz, und sodann die festliche Huldigung des neuen Königs in Berlin. Was dabei von altritterlichen Erinnerungen auftauchte, senkte sich tief in die Seele des Knaben Fritz. Noch leuchtet fort und fort vor dem Geiste des greisenden Mannes der wie aus Gold gegossene Ritterhelm, auf dem Paradesarg stehend, von einem Wald riesighoher, schwanenweißer Federn überwallet. Und wie ehrfurchtgebietend und köstlich auf den Taboureten umher auch Königskrone und Scepter funkelten: den Knaben zog doch wie magnetisch das große, ganz goldene Reichsschwerdt an, stärker noch das Kurschwert, weil mit seiner leuchtenden Stahlklinge mahnend zwischen all' der Pracht an Krieg und Sieg. –

Noch Einen Blick aus den Großen Friedrich! Wie er als Jüngling aussah, zeigt, von meiner Wand herab, mir noch jetzt ein schönes Brustbild des Meisters Paine, das der damalige Kronprinz, während der heitern Tage auf Schloß Rheinsberg, für seinen Freund, den damaligen Hauptmann La Motte Fouqué malen ließ. Nicht ohne künstlerische Absicht war just hier das Profil gewählt worden, jene eigenthümliche Gradlinie von Stirn zu Nase am besten ausdrückend. Bei dieser Heldenform sind übrigens die Züge noch weich abgerundet, das Auge bedeutungsvoll, aber keinesweges so auffallend groß, als wir es späterher an Friedrichs Bildern zu sehen gewohnt sind, der Mund still freundlich, die Gesichtsfarbe jugendzart und von leisem Roth angehaucht. [34] Er ist (nach damaliger Sitte, den Ritterstand anzudeuten) in sehr zierliche Rüstung geharnischt, und als Königlicher Prinz vom Hermelinmantel umwallet. Das Haar läßt die ausnehmend schöne Stirn völlig frei, und legt sich, mit nur leisem Puderanhauch, in so anmuthiges Gelock, als es die damal verfranzte Mode nur irgend gestatten mochte. Man sieht: der Künstler hat seinen Gegenstand mit inniger Liebe und ahnender Verehrung aufgefaßt und ausgeführt.

Dagegen zeigt mir ein um wenigstens ein Vierteljahrhundert späteres Brustbild in viel kleinerem Maaßstabe den Helden des siebenjährigen Krieges, dargestellt von weit minder kunstgeübter Hand, – man weiß nicht von Wem, – aber im nicht minder begeisterten Sinn. In der Halbwendung des Antlitzes blickt der König nach uns heraus, den dreieckten Hut nach seiner Gewohnheit etwas schräg rechts über die Stirn heruntergedrückt, in seine einfach blaue Uniform gekleidet, das Haar in regelrecht Preußischen Uniformslocken. Die Augen haben vor den hager gewordenen Wangen jene uns schon sonst bekannte Größe eingenommen, zweien gewaltigen Sternen gleich, furchtbar dem Schuldbewußten oder dem Feigen, begeisternd Dem, welcher edelfreien Sinnes dahinein zu schauen vermag. Die Lippenwinkel haben sich gesenkt, und der Mund hat dadurch einen weit strengern Ausdruck angenommen. Rings hinter der wundersamen Gestalt erhebt sich das Pulverdampfen der Schlacht. Das Haupt ragt in die klare Himmelsbläue empor. –

Rufen wir uns nun zugleich die Anschauung der Heldenleiche zurück, wie sie mir bedeutsamlich beschieden war, so meine ich, es lasse sich die Mittheilung des folgenden Traumes nicht nur rechtfertigen, sondern auch hier als nothwendig anerkennen, wie er mir in meinen reifesten Mannesjahren beschieden war, schon mitten unter oft feindlich mich umbrausenden Stürmen der Zeit.

In die Mitte eines glänzenden Hoffestes zu Berlin stellte mich der Traum. Alles war, wie gewöhnlich, in den längsther mir bekannten Formen. Da tritt einer zu mir heran, sprechend: »Wissen Sie denn schon um die seltsame Kunde? Der große Friedrich ist wiederum auferwacht, und wird alsbald erscheinen, seinen Rundgang in unsrem Kreise zu halten.« Im Traum ist[35] man der Verwunderung mehrst nicht so sehr unterworfen, als im Wachen. Ich besprach, zwar staunend, aber doch, als handle es sich von sonst nur überhaupt unerwartet wichtigen Dingen, Allerhand mit dem Andern über die nächstfolgenden Verhältnisse. Da ging ein Geflüster durch die Versammlung: »Er kommt!« und ich sahe den Heldengreis herannahen, und nun stand er vor mir in wohlbekannter Gestalt, und fragte mich mit wohllautend tiefer Stimme, – ich hatte sie zwar nie im Leben unmittelbar vernommen, aber doch oft genug sie schildern und nachsprechen hören, um sie mir als bekannt vernehmen zu lassen: –

»Wie heißt Er?« –

Auf meine Antwort weiter:

»Ist Er dem General Fouqué verwandt?« –

»Ich bin sein Enkel, Eure Majestät.« –

»So! – Na, weiß Er was? Werde Er nur halbwegs ein Kerl, wie sein Großvater war. Dann ist er was Rechts.« –

Ich erwachte freudeschauernd.

Ob es wohl mehr als Traum gewesen sein könnte? – Man mißdeute mir die seltsamklingende Frage nicht. –

Jetzt wiederum zurück in die Jugenderinnerungen des Knaben Fritz: von Traum in Traum, wenn man so sagen will. –

Etwa sieben Jahre höchstens mocht' er zählen, als man ihn auf das erste Pferd setzte, ein braunes Rösselein, das eigentlich angekauft war, um seine Mutter in heilsamer Bewegung durch die blühenden Fluren von Sacro umherzutragen, und so die günstigen Wirkungen des Lauchstädter Bades zu vollenden. Aber die zarte Frau behielt eine ängstliche Scheu vor dieser mehr männlichen Uebung, und wohl mag es ihr einige Ueberwindung gekostet haben, ihren Fritz dem Rücken des kleinen Braunen anzuvertrauen. Merken ließ sie sich davon nichts. Denn eben, daß ihr Knäblein zu einem edlen, also auch männlich muthbegabtem Mann erwachsen möge, war ihr eine theure Sorge. Daher auch, wenn etwa bei'm Schiefgehen des Wagens, oder auf den bewegteren Wogen der Havel, oder sonst wo sie ein weibliches Bangen überkam, beeilte sie sich stets, ihren kleinen Fritz anzumahnen, er dürfe sich von Dergleichen nicht anstecken lassen. Sei das noch allenfalls bei einer Frau zu entschuldigen, so zieme es [36] doch durchaus keinem Manne. Der müsse brav sein, auch als Knabe schon. Und wenn der Kleine sich in irgend einem Schrecken fest gezeigt hatte, liebkoste sie ihm, und pflegte zu sprechen: »braver Junge!« – Sie hatte Gelegenheit, das auch manchmal bei Fritzens ersten Reiterübungen zu sprechen, vornehmlich, als ein kleiner polnischer Schimmel, durch einen Anverwandten aus einer Reise in die Heimath für den Knaben zum Geschenk mit zurückgebracht, an des Braun-Rösseleins Stelle kommen sollte, und Fritz ihn auf dem rasigen Hofe zum erstenmal umherritt. Dem kleinen Ritter fiel es ein, seine aus dem Fenster zuschauende Mutter mit ehrerbietig abgezogenem Hütchen zu grüßen. Das aber nahm Schimmel, an solche Höflichkeiten noch nicht gewöhnt, übel, weil ihm dabei der schwarze Filz vor das Auge kam. Er prellte seitwärts, und der unbeholfene Eifer eines mit dabeistehenden Freundes, der den wildgewordenen Gaul, ihm grade entgegenlaufend, aufhalten wollte, hätte diesen fast zum Bäumen, und somit, bei der Ungeschicklichkeit des kleinen Reiters, auch ohne Zweifel zum Ueberschlagen gebracht, wo dann das freudige Reiterspiel zu sehr tragischem Ausgang hätte führen können. Aber Gottes Hand war über dem Knaben. Er blieb im Sattel, und hielt seitdem mit dem Schimmel nur um so bessere Freundschaft, und mit den Rossen überhaupt. Fast täglich nun ritt er, Schmettau ihm als Meister und Helfer zur Seite, munter durch die anmuthigen Fluren umher, ohne daß ihm lange Zeit hindurch auch nur der mindeste Unfall zustieß. Wo irgend Etwas bedrohlich aussehen wollte, nahm Schmettau des Knaben Ehrgefühl zur Hülfe, sprechend: »ich hoffe doch, du fürchtest dich nicht?« Und die Antwort hieß mehrst immer: »Nein, ich fürchte mich niemals!« und der Ritt ging freudiglich fürder.

Wer einen kecken und frischgewandten Reiter erziehen will, mache ihn früh mit dem Pferde vertraut. Nicht umsonst deutet die alte Centaurenmythe auf das Einssein von Mann und Roß, und eben das gewinnt sich nur im fröhlichen Unbefangensein der Kindheit, wo uns Alles als Spiel erscheint und dennoch als Nothwendigkeit zugleich.

Ob es eben so wohlgethan war, den Knaben früh mit den Erscheinungen der Schaubühne bekannt zu machen? –

[37] Ich sehe manch verneinendes Kopfschütteln manch eines geachteten Lesens voraus. Und dennoch mein' ich bestimmt, die richtige Antwort müsse heißen: »Ja.« Wenigstens in dem vorliegenden Falle ganz gewiß.

Wir sahen jene phantastische Doppelgängerei im Leben des keimenden Dichters, wo er sich neben der Wirklichkeit als einen ganz Anderen betrachtete. Wegtilgen hätte das Niemand können. Es lag eben zu innig in sein allertiefstes Sein mit hinein verwoben. Etwanige Versuche dazu, wie sie bisweilen der systematisch wackere, aber eben dadurch in schroffer Prosa befangene Lehrer durch satyrischen Spaß unternommen hat, machten Uebel nur ärger. Denn um so mehr zog sich der aufblühende Mensch in die Knospe seiner innerlichsten Gestaltung zurück, wo eben sein Schönstes und Bestes träumerisch sich regte, aber auch zugleich das ihm Bedrohlichste mit. Muthmaaßlich wäre, wie schon obangedeutet, das innere Geträum zur bewältigenden Macht des Wahnsinns aufgestiegen, so im Geheimniß genährt und gepflegt. Denn zwischen dem Trost eines einfach vertraulichem Umganges mit Gott und der sehnenden Kinderseele stand ja eben das trübstagnirende, und eben deshalb undurchschwimmbare Gewässer moderner Abklärung.

Daß man den Knaben schon sehr frühe zu den Vorstellungen der damaligen Döbbelinschen Schauspielergesellschaft in Berlin bisweilen mitnahm, geschahe wohl eben nur, um dem wunderlichen Burschen Freude zu machen, keinesweges aus irgend einer bewußten pädagogischen Absicht. Aber manch Gutes vollbringt sich unbewußt, wenn es in der Liebe angefangen wird. Hier meinte man nur: es könne just nicht schaden. Es half aber Viel. –

Die erste theatralische Vorstellung, welche Fritz mit ansah, war das Melodrama Medea von Gotter, mit musikalischer Begleitung von Benda. O, daß ich den Eindruck zu schildern vermöchte! Aber wer vermag die Zauber der Poesie nachzutönen, als nur durch neue, ihm von der Muse beschiedene Hervorbringungen selbst! Doch auch in der vorliegenden Form sei wiedergegeben, was sich heraufrufen lassen will. –

Die rasche Erregbarkeit des Knaben war den Seinen bekannt, vornehmlich seine leicht überquillende Wehmuth, und auch [38] sein Alter mußte wohl noch ein sehr kindliches sein. Er weiß das Letztere nicht mehr genau anzugeben. Aber man hielt es für nöthig, ihn vorzubereiten, die Medea werde ihre beiden Söhnchen ermorden, – man kannte nur die sogenannte Fabel der Dichtung, nicht ihre Ausführung, – und er müsse sich dann sehr hüten, ja nicht in ein dort ungeziemliches Weinen und Rufen auszubrechen. Die Warnung erhöhete die Wunder der Erwartung. –

Und nun der damal nur mäßig erhellte Schauspielsaal, – keine späterhin so vielfach gesehene glänzende Erleuchtung hat je mir die Schauer dieses Helldunkels ersetzen mögen, – das Stimmen der Instrumente im Orchester, eben so vielen mystischen Echorufen vergleichbar, – die mehr und mehr still anwachsende Zahl der Zuschauer, – die im Proscenium aufleuchtenden Lampen, dahinter der wie von geheimnißreichen Zuglüften, aus einer unbekannten Welt hereinwehend, wallende Vorhang! –

Endlich der feierlich beginnende Chor der Instrumente, mit harmonischen Donnern anklingend: »Merkt auf!« – Dazwischen Gänge festlicher Heiterkeit, wiederum überwogt von den Dräuungen tragischen Nachegerichts! – In der That hat sich Benda in diesem Melodrama als gewaltiger Tönemeister bewiesen. –

Endlich rollet der Vorhang auf, und zeigt den Vorhof zu Iasons Pallast. Medea tritt ein, mit ihren von Zorn und Eifersucht und Liebe und Haß und Klage durchschütterten Zauberworten. Zauberworte waren's mindestens für mich. Der kriegerisch jubelnde Festmarsch von Iasons neuer Hochzeitfeier läßt sich mitunter in einzelnen Ansätzen vernehmen. Und in des Knaben Seele regte sich's voll schauerlicher Wehmuth: »Ach, und nun wird sie die Kinder bald ermorden! Ihre und Iasons Kinder!« Und das Gefühl tief innen: »daß du nur fest halten mögest, mein klopfendes Herz, und mich den fremden Leuten umher nicht zum Gelächter machst!« –

Die Kinder kamen, mit ihrer Pflegerin, – seltsam genug durch Gotter: »Hofmeisterin« benannt, – welche sich auf Medea's Begehr entfernte. Nun erbebte Fritz innerlich, hielt sich aber äußerlich fest genug zusammen. Den Kampf in Medea's Seele zwischen Mutterliebe und Rachlust konnte er freilich nicht [39] verstehen. Doch war seine ganze Seele bewegt. Als die Fürchterliche endlich, für den Augenblick erweicht, die Kleinen entließ, athmete er wiederum freier. Sie mußten ermordet werden, das wußte er allerdings. Doch brauchte ja mindestens er es nicht anzuschauen. 2 Um desto freudiger hörte er nun den festlichen Hochzeitmarsch heranklingen, und sahe den kriegerischen Festzug über die Bühne dahinwallen. Diese Klänge gehören noch immer zu dem Prachtvollesten, welches die Musik mir je geboten hat. Eine Zeitlang war die Melodie – schon in den Mannesjahren –aus meinem Gedächtniß theilweis entschwunden, und öfters empfand ich eine wahre Sehnsucht dar nach. Große Freude, als ich nun endlich in Dresden das Melodrama wieder aufführen sah, schon dem Halbjahrhundert meiner Erdenbahn nahend, zum erstenmal seit jener Knabenentzückung, und – Gott sei Lob dafür – noch eben so entzückt wie damals! Nun soll mich hoffentlich der Festmarsch für den Rest meiner Zeit nicht mehr verlassen. Doch auch für die echte Kunstgewalt des ganzen Melodrama an sich spricht jene erneuerte Entzückung mit. Freilich ward Medea durch die erhabene Künstlerin Schröder so herrlich dargestellt, wie es irgend wohl denkbar sein mag. Aber aus Nichts könnte doch auch der edelste Künstler- Genius eben Nichts erschaffen. Seltsam jedoch, daß, jene Heroïne selbst ausgenommen, die übrige Dresdner, sehr würdig ausgestattete Darstellung, wie ich es klar anerkannte, vor dem Spiegel meiner Erinnerung wiederum untergesunken ist, um der Anschauung aus dem Döbbelinschen Helldunkel auf dem kleinen Theater in der Berliner Behrenstraße [40] abermal vollen Raum zu gönnen. So mächtig wirkt und behauptet sich die erste Liebe.

Einige Zeit nachher – denn jene Theater-Besuche kamen verständigerweise nur als Ausnahmen, wie die Fahrten nach Berlin überhaupt, um so festlicher jedoch für den Knaben in allen ihren Umständen und kleinen Genüssen – sah er eine kleine Oper (damals sogenannte Operette), aufführen, der Irrwisch geheißen, von Bretzner gedichtet; – von André, meine ich, komponirt. Das war wiederum eine Hauptfreude für Fritz. Dürfte man's wagen, in Beziehung auf diese Kindereien in kunstgerechten Formen zu sprechen, so möchte es heißen: in der Medea war ihm eine Ahnung der Antike aufgegangen, eine Ahnung der Romantik hier. Die Darstellung begann mit dem Liedchen einer am Meeresstrande Netze strickenden Fischerin. Dann kamen Irrlichter getanzt, wirklich lodernde Flämmchen zwischen den Brettern hervor, und das Mädchen befand sich in magischer Beziehung zu ihnen. Ein verzauberter Prinz lebte und liebte in dem einen Lichtlein. Späterhin galt es den Gang in eine geheimnißreich vergitterte Höhle, auch das Aufsteigen und Wiederum-Verschwinden eines Goldschatzes, einen mächtigen Erzkessel bis zum Rande füllend. Das ist Alles, was ich noch davon weiß. Aber welches Geträum von dem innern Zusammenhang sich durch die junge Seele hinwob und verwob in mannigfachst verschlungenen Fäden, – dazu fehlt mir das klare Bewußtsein vom Gange des Weberschiffleins, wie es die Muse des keimenden Dichters hin- und wiederschießen ließ. Vielleicht aus dem Gange und der Gestaltung seiner seither in die Welt getretenen Werke mag sich Ein und Andres von selbst ahnen lassen, für Einen, der sich in freundlicher Theilnahme die Mühe des Hinschauens und Erwägens nicht verdrießen lassen möchte. –

Zu jener Zeit gab es übrigens schon – obgleich Iffland erst viel später den Reigen seiner vielgepriesenen und vielgetadelten Familienschauspiele über die Bühne führte – viele Theaterwerke sogenannt bürgerlicher Gattung, ja, sie überwogen in Zahl der Aufführungen weit alles Antike oder Romantische. Fritz erblickte nach jenen beiden poetischen Erscheinungen meist immer nur solche Bühnengebilde, worin, mit Schiller zu reden: »Fähnriche, Secretairs oder Husarenmajors« den Gang der Begebenheiten – [41] mit einer veralteten Redeweise von so was Modernem einmal zu sprechen – »anfangen, mitteln und vollenden.« – Nur Einmal schritt dabei: »Hamlets geharnischter Geist über die Bretter hinweg.« – Den stellte der große Tragöde Fleck dar. Die Leute konnten nicht begreifen, warum er sich eine, nach ihrer Ansicht und ihrem Ausdruck, so undanbare Nebenrolle erwählt habe. Mußten wir es doch öfters gedruckt lesen, von kluger Herren Hand geschrieben, William Shakespear sei wohl nur ein höchst mittelmäßiger Schauspieler gewesen, weil er als jene kö-nigliche, doch verwirrte, aus den Läuterungsgluthen der unsichtbarlichen Welt in die sichtbarliche furchtbar herübergreifende Erscheinung in seiner Dichtung auftrat. Fritz konnte sich über die Wahl des großen Fleck nicht verwundern, sondern just nur über die Leute, die sich darüber verwunderten. Immer noch steht jener Gewaltige als Königsgeist vor seinen innern Geistesaugen.

Es war etwas eigenthümlich Grandioses um jenen Helden der Kunst, wie man ihn wahrhaft nennen konnte. Ich habe viele bedeutende Schauspieler seither gesehen, und zwar mit stets empfänglichem Sinne, wie ich wohl sagen darf; auch wahrhaft große Schauspieler. Aber an Fleck hat mir noch Keiner gereicht. Einer jener ausgezeichneten Künstler verstand mich vor etwa zwanzig Jahren vollkommen, als ich ihm, seine Darstellung des Grafen von Saverne im Fridolin lobend, sagte: »Sie haben mich an Fleck gemahnt.«Den zu erreichen, erkannte er selbst für beinah unmöglich, etwa so wie es mir als Dichter vorkommt, William Shakespear gegenüber.

In Fleck's Natur und Gesammt-Erscheinung, ob er gleich nur mittlerer Größe war, lag eine solche Hoheit und erhabene Würde, daß er auch jene von Schiller mit Scherz in den Kreis der Gewöhnlichkeit verwiesenen Charaktere der zeitlichen Wirklichkeit durch einen tiefen Anklang der Poesie zu heben und zu beleben wußte. Selbst in Perücken-Rollen hab' ich ihn auf eine Weise erscheinen sehen, welche den ahnungsreichsten Ernst eines großen Geistes unverkennbar ans Licht rief. Nur Einmal sah ich ihn, seitdem er mir als des Dänenkönigs Geist erschienen war, in einer eigentlich ritterlichen Rolle, als Don Pedro in dem Trauerspiel: Iñez de Castro. Aber auch das war in viel späterer Zeit.

[42] Dennoch: was der Knabe irgend las von edlen Charaktern in Ritterschauspielen, oder in Heldeuschauspielen überhaupt, gestaltete sich ihm jedesmal unter dem Bilde jenes wundersam ergreifenden Mannes. Und noch jetzt ist ihm nicht selten so zu Muth.

Mit seinen Gespielen führte er dann oft selbst extemporirte Schauspiele auf, oder auch vermittelst der Puppen eines kleinen, abermal von dem kunstfertigen Lehrer zusammengebaueten Pappen-Theaters, der auch die Zeichnungen zu jenen Schauspieler-Puppen selbst bereitwillig anfertigte, stets im liebevollsten Widerspruche seines eigentlich poetischen Gemüthes zu seinem prosaisch abgeklärtem Verstandes-System auf das wundersamlichste, ja man möchte sagen: auf das rührendste befangen.

Menschen, welche den hier sich selbst darstellenden Dichter nah und eigenthümlich durch eine lange Reihe von Jahren kannten und verstanden, haben gemeint, auf die Goethesche Gastbestellung:


»Dichter lud ich auch mit ein,

Wohl zu ganzen Chören,

Die so gern ein fremdes Lied,

Als ein eignes hören,« –


habe sich Dieser getrost einstellen dürfen, und er selbst ist allerdings nach bestem Gewissen immer noch dieser Meinung. Eine solche Empfänglichkeit gab sich bei ihm schon für jene Puppentheater-Welt kund. Ob es ihm gleich nie an Gegenständen der eignen Darstellung fehlte und an Lust zur Ausführung, war es ihm doch ein ganz eigenthümlicher Genuß, als ein still aufnehmender Zuschauer vor der kleinen Wunderwelt, geleitet durch seine Gespielen, dazusitzen.

Selbst ein Schauspiel, durch eine seiner Mühmchen dargestellt, mit dem höchst verwunderlichem Titel:

»Wie ein Mensch vom Baume fällt, und im Angesichte der gan zen Königlichen Familie begraben wird,«

nahm seine theilnehmende Aufmerksamkeit lebhaft in Anspruch. Nur das schien ihm doch allzubefremdlich, als die Darstellerin plötzlich aus dem Dramatischen in das Epische überging, anhebend:


»Einmal auch geht er in den Wald, u.s.w.«


[43] Doch ward der erwachende Furor criticus des kleinen Zuschauers bald durch eine Löwen-Erscheinung besiegt. Ihn konnte übrigens nicht ahnen, daß er späterhin eine solche Mischung der Gattungen an andern Dichtern bewundern und sie auch sellbst üben würde, sich durch keine klassische Protestation irren lassend. Die künftige Zeit mag das weiterhin an bereits ausgeführten, bis jetzt noch ungedruckten Werken ganz vernehmlich darhun.

Indem hier von der Wirkung jener phantastischen Kinderspiele auf Geist und Gemüth des Knaben näher die Rede sein soll, findet wohl die Erklärung billig Raum:

Nicht nur, weil eine wehmüthig süße Erinnerung den Verfasser in den reichblühenden Gärten seiner Kindheit festhält, – ähnlich darin seinem verewigten Freunde Jung-Stilling, in dessen Auto-Biographie, – nicht nur, weil er alsdann um so rascher und verständlicher die Erdenbahn des Jünglings, Mannes und Greisen zu schildern gedenkt, wie schon obangedeutet, – sondern auch weil es sich überhaupt von dem Aufknospen und Aufblühen eines Kindes handelt, hält er diese Ausführlichkeit für eine gern zu erfüllende Pflicht. Ganz abgesehen von dem nachherigen Wirkungskreise so eines Bürschleins, – sei nun ein Dichter oder ein Handwerker, ein Kriegsmann oder ein Ackerbauer, oder was irgend sonst, daraus geworden, – wo dem Aufzeichner seiner frühesten Erinnerungen Gedächtnißkraft, Wahrheitsliebe und ein zureichendes Maaß der Darstellungsgabe zu Theil wurden, mögen solche Denkmale die tiefer forschenden Gemüther anregen, ja fördern für den Einblick in die Menschennatur überhaupt, für den wahrhaft heiligen Beruf des Erziehens ganz insbesondere. –

Jene dramatischen Darstellungen, in eigener Person oder mit Puppen ausgeführt, übten auf den Knaben Fritz fast durchaus nur wohlthätige, oder wenigstens doch weit überwiegend wohltätige Einflüsse. So auch, wenn ihm bisweilen vergönnt war, in dem geselligen sogenannten Sprüchwortspiel – wohl dem Leser ohne Weiteres bekannt – mit aufzutreten, ob es nun blos pantomimische oder auch redende Gestaltung galt. Desto nachtheiliger wirkten auf ihn die Kinderschauspiele, welche man bisweilen in diesem Kreise die Kleinen auswendiglernen und darzustellen hieß.

[44] Die Franzosen haben, in ihrer sonst eben wahrlich nicht reichen und auch für den jetzigen Moment nicht eben sinnig tiefen Sprache, doch, aus bessern Zeiten herüber, eine Bezeichnung für das bei uns sogenannte: »Auswendiglernen« bewahrt, die ich wohl hier zum Grunde legen mag, um meine Ansicht über eine der Jugend so oft angemuthete Uebung zu verdeutlichen.

»Apprendre par coeur« sagen sie, »mit dem Herzen lernen,« oder auch: »savoir par coeur« nämlich: »von Herzen wissen,« oder: »aus dem Herzen wissen,« das heißt also zugleich, Etwas in Seele und Geist aufgenommen haben, und somit bewahrt halten für Zeit und Ewigkeit. Unser: »Auswendiglernen« dagegen zeigt, wie nur von einem Nothbehelf dabei für das Aeußerliche die Rede ist. So kann man denn auch das Allergleichgültigste auswendig lernen, ja leider oft – willkürlich oder unwillkürlich – des gar schädlichen Zeuges genug. Wem summt und wurmt nicht mitunter dergleichen im Hirn, ohne daß er sich's alsbald abzuwehren vermöchte! – Was man aber in's Herz fassen und aus dem Herzen weitergeben soll, – mir scheint, da sei die Wahl zwischen dem Wissenswerthen und Nichtwissenswerthen gar leicht und rasch zu treffen.

Jene Damaligen Kinderkomödien nun hatten – obgleich sehr viel darin von guten Herzen die Rede war – so wenig mit dem wahrhaften Menschenherzen zu schaffen, daß nicht die mindeste Seelenkraft dabei in Anregung kam, als nur die der befriedigten Eitelkeit bei dem Beifallklatschen der Zuschauer und einem etwa dorther nachfolgendem Schwall von Zuckerworten. Dazu nun beim Einüben die Lehren der wohlmeinenden Dramturgen an die kleinen Schauspieler: »Jetzt mußt du thun als seist du betrübt, – jetzt, als seiest du unwillig, – jetzt, als freuetest du dich,« – u.s.w. u.s.w. bis ins Unendliche hinein! –

Es fühlt sich, wie das abstechen mußte von jenen freien Träumen des reinkindlichen Spiels, wobei man sich jedesmal der erwachsenen, ob auch nur zufälligen und harmlosen Zuschauer möglichst zu erwehren trachtete.

Vielleicht fragt hier Jemand mißbilligend: »Also gar keine Uebung der Gedächtnißkraft für die Kinder?«

[45] Zur Erwiederung dient:

Sie haben ohnehin Manches zu erlernen, – fremde Sprachen zum Bespiel, – wobei das Gedächtniß in starken, für ihre dermalige Fassungsgabe fast ausschließlichen Anspruch genommen werden muß. Im Uebrigen verliert solch eine begehrte Uebung wahrlich nichts, wenn man sie möglichst mit den Wallungen des Herzens und der Phantasie in lebendiger Beziehung erhält. Lasset uns unserer Altvordern gedenken, wie sie ihren Kindlein Bibelsprüche und Gesangbuchsverse einprägten, nicht etwa zum bloßen Rezitiren und dann wiederum beliebigem Vergessen, sondern als echte Goldgaben seeligen Gehaltes zur Begleitung durch die vorliegende müh'volle Pilgerfahrt, in das ewige Freudenleben am Ziel hinein. Auch die alten Heldensagen senkten sie ihnen mit in die frischen Seelen, und manches Jahrhundert lang erhielt sich deren Ueberlieferung weit mehr im rhapsodischen Gedächtniß, – vergleichbar den Homerischen Liedern, – als durch Griffel und Blatt. –

Was nun etwa der Knabe Fritz in jenem Blüthenlande der Kindheit sonst noch erlernt haben mogte?

Außer dem ihm frühe vertraut gewordnen Lesen und Schreiben – wenn dabei auch die Orthographie so ziemlich in Ehren gehalten ward, hatte doch Dativ und Akkusativ sich nach Berliner Weise über manche Verwechselung zu beklagen, – just nicht viel mehr, als nothdürftiges Rechnen, – ihm das Abstoßendste unter dem Abstoßenden, – Oberflächliches in Historie und Geographie, und ein für seine Jahre ganz erträgliches Clavierspielen. Die früheste Uebung hierin erfüllte ihn mit großer Freude, und seinen treuen Hauslehrer mit großen Hoffnungen raschen Fürderschreitens. Denn schnell erfassend, jene Note bedeute diese Taste, kam ihm das Ganze wie eine plötzlich aufgegangne Magie vor, also recht eigentlich – mit dem Spruchwarte zu reden – wie Wasser auf seine Mühle. Leichteres und zugleich Erquicklicheres, vermeinte er, könne es ja gar nicht geben, als die stummen Zeichen in liebliche Töne zu übertragen. Aber leider! bei diesem Vermeinen blieb es denn so ziemlich auch stehn. Je treulicheren Fleißes ihn Herr Sachse im Clavierspiel unterrichtete, je mehr ward dem beflügelten Knabengeiste der Unterricht zuwider, denn es ging damit mehr auf die tüchtige Uebung hinaus, als auf ein [46] innres Beleben, und so war es mit all dem in dieser Periode ihm eingetrichterten bischen Wissen überhaupt. Dabei übte der Lehrer seinen ihm allerdings eigenthümlichen Scharfsinn nur allzu sehr darin, dem Knaben die etwanigen, oft nur grillig für solche gehaltenen Mängel des Familien-Haushaltes in mannigfacher Hinsicht aufzudecken, zugleich auch in dem Kleinen selbst nach mannigfach nichtsnutzigen Motiven, in Edukations- Büchern angedeutet, zu spähen, die größtentheils, ja vielleicht allesammt, noch dazumal gar nicht vorhanden waren. So quälte man sich, einander gegenüber, sehr erfolglos, und das Paradies der Kindlichkeit versank nach und nach vor den Geistesaugen des Zöglings, wie in jener Irrwisch-Oper der Goldschatz vor dem unberufenem Schatzgräber.

Und dennoch war der Lehrer grundehrlich und mannigfach begabt, und auch der Knabe redlich und gewiß auch nicht sonder Empfänglichkeit für das Gute und Schöne. –

Hier möchte man wohl eine Warnungstafel aufrichten für einseitige, ob noch so gewissenhafte Anhänger pädagogischer Systematik. –

Einen burlesk verunglückten Versuch dialektischer Ueberzeugung, wie sie sein Lehrer ihm gepriesen und zum Theil auf ihn selbst rnit vorübergehendem Erfolg angewandt hatte, – es mag hier zur Aufheiterung zwischen den sonst beinahe tragischen Momenten mit vorkommen, – wagte Fritz einst gegenüber einem um etwa zwei Jahre älteren Mädchen, der Tochter einer Dienstbotin, das im Hause lebte, und sich in der That einst sehr ungezogen gegen ihn benahm. Er wollte ihr nun, nach philanthropistischer, vom Lehrer gepriesenen Manier, durch ein fernher aufgestelltes Exempel das Geständniß ablocken, jenes Benehmen sei unrecht, und mit gewandter Applikation sie zur Erkenntniß und zum Geständniß ihres eignen Fehls bringen, worauf dann eine heitre Versicherungs-Scene folgen sollte. Eitle Seifenblasen frühester Pädagogik! Denn als nun die treffliche Schilderung, unter der Maske zweier Kinder, aus Afrika, denk' ich, vollendet war, und der kleine Weisheitskrämer, bereits im beginnenden Triumphe fragte: »Nun, Lotte, was hältst du von jenem unfreundlichen Kinde?« sprach sie, entweder die Falle witternd, oder auch muthmaßlich gar nicht hingehört habend, in ihrem, bei ungenirten Zuständen[47] mehrst plattdeutschem Dialekte zurück: »Wat soll ick dervon hallen? Jck halle nischt von.« Und auch der kleine Docent hielt seitdem nicht sonderlich viel mehr von der angepriesenen Methode.

Die Erinnerung an eine andere, aber weit natürlichere seiner kindischen Albernheiten zeigt ihm, wie sehr man sich oftmal vermeint, vermeinend, man habe den Kindern einen richtigen Begriff beigebracht, weil sie eben nachsprechen, was der Lehrer vorgesprochen hat.

Von den Antipoden, ja sogar ihm in Gegenfüßler verdeutscht, hatte der Knabe vorlängst vernommen, und sich zu dieser Anschauung bekannt. Dennoch kam es ihm bisweilen im kindischen Uebermuth ein: »Heut sollen einmal die Leute in Amerika nicht spazieren gehn. Es soll regnen dort.« Und dann grub er mit dem kleinen Gärtnerspaten, womit er das ihm abgezäunte Gärtchen zu bebauen angewiesen war, eine möglichst tiefe Grube in den Sand, und goß mit seiner Gießkanne Wasser hinein. Je schneller nun das durstige Erdreich die Befeuchtung einsog, je mehr war er überzeugt, es regne in Amerika mit Strömen. Ihm kamen die Leute dorten wie im Erdgeschoß wohnend vor, während wir Europäer das obere Stockwerk inne hätten.

Man schelte diese Kinderei nicht für allzukindisch. Waren die mehrsten Einwendungen gelehrter Leute wider Colon's Entdeckungsfahrt eben viel klüger? – Meinte doch einer gar, wann das Schiff die Schwenkung mache von unserer Hemisphäre nach der entgegengesetzten hinüber, müsse es abfallen von dem ganzen Globus, in das Unermeßliche hinunter. Ein Anderer versicherte, glücklichsten Falles könnten doch niemals die Abenteurer nach der obern Halbkugel heimkehren, denn so bergauf lasse von dorther sich's nun einmal nicht schiffen; – und manches: »und so weiter« darf man auch hier wohl hinzusetzen. Hypothesen ähnlichen Gehaltes, auch andere Gegenstände des Wissens und Muthmaßens mit in den Kreis gezogen, sind nie ausgeblieben, und werden nie ausbleiben bis an das Ende der Tage. –

In die kleine Welt des Knaben fiel für jetzt – er mochte etwa neun Jahre zählen – etwas gar Seltsames und sehr Ernstes innerlich herein: eine Ahnung, er werde bald abgerufen werden in die jenseitige Welt. Just in den von harmloser Fröhlichkeit [48] belebtesten Stunden trat ihn dieses mahnende Gegühl an, und erweckte ihm nicht sowohl ein Grauen, als vielmehr eine aus dem tiefsten Innern seines Daseins heraufquillende Wehmuth. Scheiden! Von allen den sonnenlichten Stunden und Umgebungen scheiden! Von allen seinen Lieben scheiden! und mit verleblichem Sorgen ihn halten wollend alle diese Lieben, nachweinend voll schmerzlichster Sehnsucht dem Geschiedenen! Und jetzt noch sprang und spielte er vor ihnen so fröhlich umher! Just Das ergriff ihn so wehevoll: ein Mitleid mit den Ueberlebenden, ein Mitleid mit ihm selbst, dem in voller, just damals recht frischer Gesundheit blühendem Kinde. Erklär' es, wer es vermag. Wahr ist das Faktum zuverlässig. Einen ähnlichen Anklang der Lebensliebe hat Goethe's Geist in seinen Helden Egmont gehaucht:

»Süßes Leben! Schöne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens, von Dir soll ich scheiden? Scheiden nicht im Getümmel der Schlacht! Nein, Dir noch Einmal klar in das Auge blickend, und dann gelassen sprechend: Fahr hin!«

Und dennoch ist es derselbe Egmont, der nachher, just vor dem ihn zum Tode rufenden Trommelschall, von kriegerischen Ehrenerinnerungen gehoben, ja geflügelt, in der Vision künftiger Niederländischer Siege, ausruft:

»Es blinken Schwerdter! Freunde, höhern Muth! Im Rücken habt Ihr Aeltern, Weiber, Kinder. Schützt Eure Güter! Und Euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich Euch ein Beispiel gebe.«

Gottlob, nicht fremd sind diese jubelnden Todesklänge seither meinem Leben geblieben. Doch freilich: nicht also stand dem annoch Krieg nur spielendem Knaben der Trauerflor aus seinem jungen Leben zu bannen. –

Wie der ernste Schatten gebannt ward? –

Am klarsten und schönsten wäre es ohne Zweifel geschehen durch einen heitern Blick auf die Wahrheiten und Verheißungen der Heiligen Schrift für das Jenseit, namentlich auf den göttlichen Freund, der, uns durch das Grabesdunkel vorangegangen, in der Lichtwelt auf seine nachfolgenden Gläubigen wartet. Und diesen heiter einfachen Weg hätten des Knaben fromme Aeltern gewißlich gern eingeschlagen, aber – da trat ihnen das Gespinnst und Gespenst des abgeklärten Jahrhunderts hemmend entgegen. [49] Auch selbst manchen vom Glauben Ergriffenen pflegte doch mindestens eingeredet zu werden, damit sei es für Kinder noch viel zu früh. Erst müsse der Verstand reifen, um so tiefe Geheimnisse zu fassen, – und dergleichen mehr, ganz im Widerspruch zu der schöpferisch verheißenden Mahnung: »Werdet, wie die Kinder!« –

Durch Verstandesgründe – »Vernunftgründe« wäre hier noch zu viel gesagt, obzwar auch sie in solch einem Ringen nicht ausgereicht hätten – suchte man der vermeinten trüben Grille zu begegnen, als ob ein Kindesgeist solche besser zu empfangen vermöchte, als die Offenbarungen der sich zu dem Menschen neigenden Gottheit! Auch ward das Mittel angewandt, einen Freund des Hauses, so wie beiläufig, und ohne daß dabei im mindesten an Fritz gedacht schien, erzählen zu lassen, er habe sich als Kind mit Gedanken eines nahen Todes geplagt, und hier stehe er doch als Mann in voller Rüstigkeit da. –

Das Letztere half. Nämlich wenn das Verscheuchen eines so ahnungstiefen und so heilsamlich zu benutzenden Anklanges überhaupt Hülfe geheißen werden könnte und dürfte. –

Wie jedoch der edelwaltende Geist der Mutter klar ahnte für ihren Liebling, was das einig Haltbare sei, mitten in allen Wirren einer sich trüblicher bereits verwebenden, späterhin ihm selbst insbesondere mannigfach bedrohlichen und leidenvollen Zeit, mögen folgende Zeilen bezeugen, die sie ihm in das oberwähnte, frühe geschenkte Stammbuch schrieb, als er etwa sieben Jahre zählte:

»Wir sehen im Leben weit hinaus auf fremde Gefilde von Glück, und dann seufzen wir hin, und vergessen, das Gute zu bemerken, das Jedem auf der angewiesenen Bahn des Lebens bescheert ist. Unser wahres Glück ist Tugend. Der ist weise und glücklich, der willig die Stelle ausfüllt, die der Baumeister, welcher den Plan des Ganzen denkt, ihm bestimmt hat. Ja du göttliche Tugend, du bist unser Glück; streu du Freud' und Seeligkeit auf die Tage meines einzigen lieben Sohnes, in jedem Stand, wozu ihn sein Beruf bestimmt. Gott, erhöre den Wunsch. Dann sterb' ich froh, von Dir, mein guter Sohn beweint, und gehst Du dann an mein Grab, und ists den Seeligen vergönnt, die Gegend zu besuchen, wo ich oft in seeligen Stunden Deine künftige Bestimmung dachte, [50] dann wird meine Seele Dich umschweben; oft wenn Du edle hohe Thaten beginnest, wird ein sanftes Wehen Deine Wangen berühren. Dann gehe ein Schauer durch Deine Seele, und eine süße Erinnerung Deiner Dich auch noch jenseit des Grabes zärtlich liebenden Mutter«,

»Luise de la Motte Fouqué«


»geborne von Schlegell.«


Wie mich die lieben Zeilen, geschrieben von zartweiblicher Hand, noch jetzt aus dem vor mir liegen den Büchlein so freundlichstill ansehen, kommt es über mich voll tiefer Wehmuth, daß dazumal die edle Frau noch meinte, ihr Fritz solle dereinst auf den Stellen, wo er als Knabe aufblühete, walten als Mann. Wie gar so anders ist es damit gekommen! Aber freilich: das Wallen und Walten der seeligen Geister schließt keine räumliche Ferne aus. –

Nicht auf lange mehr nach jenen Tagen sollte die Familie das freundliche Sacro innehaben und bewohnen. In der Meinung, die künftigen Vermögens-Umstände des einzigen Sohns besser zu begründen, verkaufte sein Vater dies Landgut, und erkaufte dafür ein anderes, Lentzcke geheißen, sechs Meilen von Potsdam, in der Nähe des Städtchens Fehrbellin, letzteres berühmt geworden durch des großen Kurfürsten Sieg über die Schweden.

Bei dieser Umwandelung des häuslichen Lebens stand Fritz in seinem zehnten Lebensjahre.

So lag also die frühere Kinderzeit hinter ihm, und wir machen billig einen Abschnitt in dieser Lebensschilderung, indem wir noch einen Rückblick auf die anmuthige Halbinsel Sacro werfen, von der es sich nur mit innigster Wehmuth scheiden ließ.

Die kleine Dorfgemeinde begleitete voll wehmüthiger Liebe insgesammt ihre scheidende, ihnen stets freundliche Herrschaft – man hatte das Verhältniß mit vollem Recht ein patriarchalisches nennen dürfen – bis an das Ufer des hier sehr breiten Havelstromes, wo der Reisewagen in die Fähre einfuhr, und man noch im Fürderrudern immerfort das Nachwinken der Männer, Frauen und Kinder sah, und ihr Nachrufen hörte. Thränen quollen aus den Augen der Fortziehenden, Thränen aus den Augen der Rückbleibenden. –

Seegen immerdar über dir, du liebes Sacro! –

[51] Sanft schlummre aus deinem Friedhofe das Gebein meines lieben Brüderleins Karl. –

Die kleinen Dörferinnen verhießen, die Rosenhecke um sein Grabesmal, wie bisher, auch immer noch künftighin achtsam zu pflegen. Und sie haben Wort gehalten. Zu Frauen und Müttern und Bräuten erwachsen, haben sie noch voll heitern Selbstbewußtseins, mir, dem zum Kürassier-Offizier Gediehenen, bei einer Wallfahrt dorthin, wie ichs wohl nennen mag, die wohlgehegten Sträucher und Blüthen nach vielen Jahren gezeigt.


Das neu erkaufte Landgut war noch nicht übergeben. Die Familie bezog bis für den Frühling des nächsten Jahres eine Wohnung in Potsdam.

Wie den Kindern wohl überhaupt, war dem Knaben Fritz jedes Verändern der äußern Stellung, insofern es das innere Familienleben unberührt ließ, eine anziehend neue und somit, nachdem die ersten Wallungen der Wehmuth über das Scheiden von Sacro sich gelegt hatten, willkommne Erfahrung. Aber so recht vorhalten mit der Behaglichkeit wollte es dabei doch nicht. Auch fehlte es jetzt, durch ein Zusammentreffen von Umständen veranlaßt, an Gespielen, wenigstens an täglichen. Einstmal ward Fritz in einer Gesellschaft mit einem Knaben gleichen Alters bekannt, der, seines unbehülflichen Aeußern unerachtet, ihn sehr anzog, und nach seiner eigenthümlich raschen Weise schloß er alsbald einen Freundschafts-, ja Bruderbund mit ihm, und man verabredete künftighin oftmaligen Umgang. Aber Fritzens Aeltern zeigten sich unzufrieden über das Verhältniß. Ob aus irgend einem Vorurtheil gegen den allerdings wenig zierlichen neuen Freund, oder ob man ihnen sonst Nachtheiliges von diesem berichtet haben mogte? Genug, als Jener nach einigen Tagen den Genossen besuchen wollte, sah er sich unter einem Vorwand abgewiesen, und war billigerweise zu stolz, um wiederzukommen. Fritz aber durfte nicht zu ihm gehen, und somit war jene aufkeimende Freundschaft gleich in ihren frühesten Lenzesstunden geknickt und erstickt. Es nagte mich in tiefster Seele, denn mein so seltsam von mir getrennter Genoß mogte mich ohne Zweifel für launisch und wankelmüthig ansehen. Und doch darf ich, dies [52] gesammte mehr denn halb Jahrhundert meines Erdenlebens hindurch, mit ungestörtem Bewußtsein sprechen, was ich in der Mitte meiner Laufbahn einem sich entfremdenden Freunde schrieb, welcher die Schuld unsrer Erkältung auf mich wälzen wollte:

»Empfangen habe ich die schmerzliche Wunde oftmal, ausgetheilt aber noch nie.« –

Nun zog sich Fritz noch tiefer in seine Traum- und Spielwelt zurück, und sein von einer ihm eigenthümlichen Wehmuth liebewallendes Herz lebte und webte ganz im Kreise der ihn am väterlichen Heerde vertraulich still umleuchtenden Gestalten, vornehmlich in der zärtlichsten Anschließung an sein holdes Mütterlein.

Eines Abends, als der Knabe schon zu Bett gegangen war, und die Mutter sich beim Gutenacht-Wunsch liebevoll über ihn neigte, ergriff ihn der stille Zauber des Familien-Lebens und Webens so wundersam tief, daß mit Eins es ihm unmöglich schien, jemal aus diesem traulichen Kreise zu scheiden. Wohl sehr bewegt mochte seine Stimme klingen, als er ohne allen just hier vorliegenden Anlaß sagte: »Mütterchen, ich weiß wohl, Du sähest es nicht gern, wenn ich Soldat würde. Nun gut: ich will bei Dir bleiben. Ich will studiren.« Entzückt umarmte die Mutter ihren Liebling, und von da an galt die Sache für abgemacht. Seltsam genug! Denn früher war nur davon die Rede gewesen, in welche Gattung des Kriegsdienstes dereinst Fritz eintreten solle. Eingedenk der Zeilen aus dem Stolbergsliede für einen deutschen Knaben:


»Als neulich unsrer Krieger Schaar

Durch diese Straße zog,

Und wie ein Vogel der Husar

Das Haus vorüberflog!« –


hatte sich Fritz immerdar als künftigen Husaren am liebsten im Geiste betrachtet. Aber davon wollte das Mütterlein absolut nie hören. Sie hatte während ihrer aufblühenden Mädchenjahre einstmal in ihrer Heimathstadt Dessau es gesehen, wie ein auf dem Rückzug allzulange trödelnder Reichssoldat von Preußischen Husaren gefangen ward. Freilich war dabei Alles ohne ein Tröpflein Blutverlust abgegangen. Denn der zahme Reichsknecht hatte gar keinen Versuch zur Vertheidigung oder auch nur zur Flucht gemacht. Aber doch hatten die blanken Säbel über [53] seinem Haupte geblitzt, und das genügte der zarten Frau, um die Husaren als ein brutales Volk zu betrachten. Auch kam es ihr vor, als werde noch weit kühner und gefahrdrohender dorten geritten, als in der übrigen Reiterei. Allenfalls denn mögte Fritz Kürassier werden, hieß es, wenn durchaus seine Reiterlust ihn in die Cavallerie treiben sollte, am liebsten aber Infanterist.

Und jetzt nun war mit Einem kindlich gerührten Hauch die ganze Discussion abgeschnitten, ja vorläufig alsbald ein künftiger Studienplan für den Knaben entworfen. Im väterlichen Hause sollte er sich vorbereiten für ein zu Halle, unter dem Schutz jener verwandtschaftlich befreundeten Familie, dereinst anzutretendes Studentenleben, wo er sich den sogenannten Kameral-Studien widmen möge, um nachher mit Vortheil das väterliche Landgut zu verwalten, vielleicht auch in reiferen Jahren zum Landrath des Kreises erwählt zu werden. –

Welche Umwandelung des ganzen Lebensentwurfes! –

Schwer preßte Das auf des Knaben Seele, wenn auch nur heimlich, kaum recht ihm selbst bewußt. Aber es war ein Theil seiner Lebensfreudigkeit für die Zukunft angegriffen, indem er den leuchtenden Waffen entsagt hatte, – auf immer, meinte er, denn an ein Zurücknehmen seines einmal gegebnen Wortes war bei ihm nicht zu denken. Ein Mann, ein Wort! Dieser alte Ehrenspruch hatte sich allzuklar in die jugendliche Seele eingesenkt, um jemal daraus entschwinden zu können. Ueberhaupt lag und wirkte unter dem äußerlich weichem und zarten Wesen des Knaben ein Kern von den Vätern angeerbter – wenn man's so benennen will: altfränkischer – Festigkeit, welcher gar bald hätte zur Starrheit ausarten können. Doch heilsam dagegen wirkte der milde Sinn seiner Mutter, stets auf Wohlthun und Nachsicht und Liebe gestellt. Auch hatte man ihn frühher gewöhnt, das schmerzlich süße Gefühl des Mitleides zu empfinden und festzuhalten, gelte es aber auch nur die leidende Kreatur. Mit verletzendem Weh durchdrang es ihn stets, wenn sein zweiter Hauslehrer eingefangene Schmetterlinge auf eine Nadel spießte, und sie dann sich zu Tod zappeln ließ. Die armen, zarten, kaum erst noch so fröhlich spielenden Lüftegaukler, und, just um die Schönheit ihres Flügelstaubes zu konserviren, verurtheilt zu solchem Jammer-Ersterben! Noch jetzt ergreift mich ein Schmerzenszucken [54] vor der Erinnerung, und ich möchte wohl Aeltern und Erzieher warnen, die Kinder nicht auf diese Art der Schmetterlings-Jagd und Schmetterlings-Sammlungen anzuweisen. Was sie an naturgeschichtlicher Systematik etwa dabei gewinnen könnten, mögten sie nur allzurasch – Bergunter läuft sichs überschnell – an Zartgefühl und beseeligender Theilnahme verlieren. Nicht alle Gemüther sind stahlweich und stahlkräftig genug, um in solch einer Prüfung zu bestehen. – Fritz, von jenen Experimenten sich abwendend, erfreute sich desto behaglicher an der Pflege und Freundlichkeit zweier kleiner Hündchen, die man in das Haus aufgenommen hatte. Er mußte darüber manche Spötterei erdulden von Seiten Solcher, die keinen Sinn hatten für Liebe zu den Thieren, und in diesen eben nichts Andres erblickten, als brauchbare Maschinen, selbstisch überhaupt in ihrem eigensten Sinn und Wesen nur gestellt auf die Frage nach dem sogenannt Nützlichen. Fritz aber ließ sich so leicht nicht irre machen in der Freude an seinen kleinen Lieblingen, oder vielmehr die Anhänglichkeit an sie verstärkte sich noch durch diese Art von Verfolgung, wie denn ähnliches Festhalten durch sein ganzes Leben, bis in sein jetzt 63jähriges Alter herein, unter den verschiedenartigsten Beziehungen stets einen Grundzug seines Charakters ausgemacht hat, und mit Gottes Hülfe ausmachen wird bis an sein seeliges Ende. –

Des Knaben Aeltern und der edle Hausfreund Graf Schmettau verstanden und ehrten dies Gefühl in ihm, und so konnte sich von dieser Seite der jugendliche Geist, ähnlich einem Blüthengewinde an sichernden Stäben, ungestört aufranken und entfalten. –

Mit dem Frühling des Jahres 1788 kam die Zeit heran, das erkaufte Rittergut zu beziehen. Es ging damit keineswegs in solcher Freudigkeit zu, als, wo es nicht etwa schaurig erhabene Mysterien galt, die gern Alles im rosigen Lichtglanz ahnende Phantasie des Knaben sich vorgestellt haben mogte.

Das neue Besitzthum erwies bei naher Beschauung und Erfahrung sich keineswegs so vortheilhaft, als man es erwartet haben mogte, und manche trübe Wolke zog deßhalb über die sonst so heitere Stirn der für ihren Liebling und seine Erdenzukunft sorglichen Mutter.

[55] Zudem fanden die mehrsten Mitglieder der Hausgenossenschaft das kleine einstöckige Gebäude – obgleich sonst wohnlich genug – trüb abstechend gegen die hohen, hellen Zimmer und Gänge des Edelhofes zu Sacro, und das kleine Flüßchen Rhin, welches den Garten umspülte, sehr ungenügend im Vergleich zu dem breiten silberblauen Havelstrom, den Ausblick auf das jenseitige Potsdam bietend, von segelnden Schwänen durchrudert, auf dem winterlichen Eisspiegel befahren von Schlittschuhläufern und Stoß- oder sogenannten Pik-Schlitten: allerdings ein überaus ergötzliches Gewimmel. Daran jedoch hing des Knaben Herz und Sinn eben nicht so sehr. Weit mehr fehlte ihm das Ueberschiffen der Havelfluth, für jeden Besuch in Potsdam nöthig, wollte man nicht einen bedeutenden Umweg zu Lande unternehmen, da wo die kleine Halbinsel Sacro mit der Potsdamer Halbinsel zusammenhing. Gewöhnlich also wagte man die Fahrt über den Fluß, auch wenn seine Wellen hochgingen, und das hatte für den Knaben, namentlich wenn die Heimkehr bei hereinbrechender Dunkelheit unternommen ward, so wogenumrauscht vom fast unsichtbar gewordenen nächtigem Strom, der bei Tage so sonnig heiter anzuschauen war, einen eigenthümlichsten Reiz. So auch enthielt die Anschauung der Königlichen, durch den Großen Friedrich im wundersamen Styl erbauten Gärten und Schlösser, welche man, besuchenden Freunden zu Gefallen, öfters durchwandelte, einen gar lebendigen Reiz für ihn.

Das Alles fiel in Lentzcke nun freilich weg.

Aber die weit ausgedehnten, bis an den Horizont reichenden Wiesenflächen, weidende Rosse darauf, ein kleines Gebüsch mit wunderlich gewundenen Gängen durchhin dicht hinter dem Hause, das hier auf weit üppigerm Boden, als auf dem Sacroschen Sande, goldig prangende Korn, und eine sehr große, etwa ein Halbstündchen vom Dorfe schattende Buchenwaldung auf blumigem Grasboden, in ihrer Mitte eine verfallene Wallbefestigung, die Schwedenschanze geheißen, wie überhaupt manche Kriegs–und Siegeserinnerung um das nahe Städtchen Fehrbellin aus den Tagen des Großen Kurfürsten her, auch noch aus den blutigen sieben Jahren des Heldenkampfes unter dem Großen Friedrich, – das Alles genügte reichlich, um dem ahnungsvollen Knaben manch ein liebliches, manch ein ernstes Geträum in die [56] junge Seele zu hauchen. Im Ueberblick jener weiten Wiesen und des sich in krausen Windungen hindurchschlängelnden Flüßchens Rhin gelang dem Knaben sein erstes einigermaßen regelrecht gereimtes Gedichtlein. Es war so ziemlich aus wo sonst schon gehörten und gelesenen Redensarten zusammengesetzt, aber unabsichtlich, wie denn wohl die mehrsten Plagiate wirklich aus redlicher Irrung – die Lateiner nennen's: bona fide – entstanden sind. So hatten auch die Aeltern des Knaben ihre große Freude an den kleinen Reimchen, und nicht mit Unrecht, denn seine Seele war innigst ergriffen. Er lebte überhaupt immer mehr der poetischen Momente und hätte sich vollständig beglückt gefühlt, wenn nicht – ach, daß mehrst solch eine begränzend störende Klausel schon so früh in die paradiesischen Kindheitsjahre hereingreift! – wenn nicht das patriarchatische Einssein zwischen Gutsherrschaft und Gemeinde, wie man dessen in Sacro gewohnt gewesen war, auf dem neuen Besitzthum beinahe gänzlich gemangelt hätte, wenigstens für die erste Zeit. In dem großen Dorfe befand sich noch ein andres Rittergut, außerdem der Anspruch einer Königlichen Domäne, so daß die bäuerlichen Insassen, wohlhabende, ja nach Verhältniß reich zu nennende Leute, unter drei verschiedene Obrigkeiten getheilt, oftmal mitsammen in Zwiespalt lebten, und auch nichts von dem unbedingten Vertrauen zu ihrer Herrschaft wußten, wie Jene in dem idyllischen Sacro es gehegt hatten. Dabei brachte ein seit Jahren vergeblich verhandeltes Ackertheilungs-Geschäft auch beide sonst wohlgesinnte Rittergutsbesitzer in eine gespannte Stellung, – überhaupt, es athmete nicht hinfort jener frühere süße Friedenshauch rings um die Seele des Knaben her. Trugen ja doch die Insassen sogar Bedenken, die von der Familie nach längst gewohnt heiterer Sitte ihnen dargebotenen Arzneien sammt kostenfreier ärztlicher Hülfe anzunehmen! Es möge darauf ein rechtlicher Anspruch begründet werden, meinten die kleinlich, vielleicht durch manch eine trübliche Erfahrung zum schmählichsten Mißtrauen verkrüppelten Geister. Späterhin verlor sich Das, aber nur erst nach mannigfach schmerzlichem Ringen. –

Die erste so recht bestimmte Ahnung eines tiefsten Seelenschmerzes erfuhr Fritz, als er dem Leichenbegängniß eines Bauern beiwohnte, und dessen hinter dem Sarge gehender einziger Sohn, [57] ein in Fritzens Alter befindlicher Knabe, die bitterlichsten Thränen wie stromweis vergoß. Gekränkelt, ja mitunter gekrankt hatte Fritzens zartes Mütterlein oft und schmerzlich, aber immer noch waren heitere Genesungsfeste aus den ängstlichen Tagen hervorgestiegen, und so solle es, meinten die durch Glück verwöhnten Gemüther, sich immer wiederm auf's Neue gestalten.

Einige Zeit, bevor die liebe Frau zum Letztenmal erkrankte, hatte ihr Einer der Unterthanen durch Widerspruch und frechen Trotz einen schmerzlichen Aerger bereitet. Als er nun von ihrem Unwohlsein vernahm, schlug er in sich, und klagte sich vor den Seinigen an, er habe dies Leid mit verschuldet. Vollends indem er bald nachher durch andre Veranlassung selbst auf das Krankenlager gerieth, und die gütige Herrin ihm gar manche Erfrischung zusandte, ward seine Reue zur völligen Zerknirschung. Tag und Nacht betete er für die Gütige, und flehete, Gott wolle doch ihn, den Sünder, lieber sterben lassen, als Jene, die für so vieler Menschen Wohl so liebreich sorge und wirke. Er starb. Jedoch die holde Frau starb wenige Zeit nachher.

Schon hatte man ein Genesungsfest gefeiert im traulich kleinen Kreise, und Fritz hatte die zum erstenmal das Bett verlassende Mutter mit einem kleinen Liede begrüßt. Seltsam genug war es ihm gleich nachher, bei seinem außerdem noch bis heut auffallend sicherm Gedächtniß, wiederum völlig entschwunden. Der Schmerz hatte seine Bleikeule daraufgeschlagen, und somit es völlig vertilgt, oder auch die Muse hatte mitleidig es in ihre Schleier wiederum zurückgezogen und verhüllt, damit das Freudenlied in seinem wehevollen Nachhalle den kleinen Sänger – im elften Jahre stand er damals – nicht allzu herb zerreißend verletze.

Es war ein furchtbarer Morgen für mich, der des 28. Novembers 1788. Noch am Abend zuvor stand mein Hoffnungs- und Freudenstern am Himmel. Ich ging heitern Muthes zu Bett, während beide Aerzte sich überzeugt hielten, die Gefahr sei abermal besiegt und beseitigt. Am andern Morgen stand der Hausfreund Graf Schmettau an meinem Bett, und sein mild edles Herz mochte ihm brechen wollen, als der erwachende Knabe, alles hoffende Lächeln der Kindlichkeit auf seinen damal sehr weichen Zügen, ihn fragte:

[58] »Nun, wie geht es mit Mütterchen?« Denn ach, er mußte antworten:

»Du armer, armer Fritz! Schlimm geht es. Sehr schlimm. In der Nacht hat sich Alles trüb verändert. Du wirst dein Mütterchen nicht lang' auf Erden mehr haben.«

Den an ihr Bett hinstürzenden Sohn erkannte die holde Frau nur kaum noch. Oder sie hatte doch mindestens keine Ahnung ihrer Gefahr und seiner Seelenangst. Die großen, sonst so ausdrucksvollen Reh-Augen wandte sie jetzt nur staunend, ja gleichgültig auf ihn hin, fragend:

»Was willst du von mir?«

Den darob erschrocken aufschreienden Knaben zog man mit schonender Besonnenheit von hinnen. Ein oder zwei Stündlein später, und sie war verschieden, und das jüngst erst noch so heitere Haus ein Haus der Klage.


Man wollte dem armen Fritz, wie sehr er auch begehrte, seine Mutter noch einmal zu sehen, die Leiche nur dicht verschleiert zeigen. Mogte vielleicht die Verwesung bereits ihr graunvoll entstellendes Werk begonnen haben an der einst so holden Gestalt? Sehr muthmaaßlich bei dem Faulfieber, an welchem sie gestorben war. Sonst hätte sich dieses anmuthige Gesicht unmöglich so rasch entstellen können. Und an sich war die Sorge lobenswerth, die man trug, dem Sohn das Bild seines Mütterleins unverstört zu erhalten. Dennoch, bei diesem phantastischen Knaben, zog auch das Verhüllen schauerliche Folgen nach. Ihm träumte nämlich, – irre nicht, war es gleich in der ersten Nacht, – er schleiche sich in tiefster Dunkelheit einsam nach dem Sterbelager der Mutter hin. Und dann richte sich die Leiche auf, und fasse nach ihm mit langen kalten Armen, und erfasse ihn, und ziehe ihn grau'nvoll gewaltsam an ihre kalte Brust. Im Sträuben sich frei zu ringen, warf er dann Etwas, das ihm in die Hand kam, nach dem plötzlich unheimlich gewordnen, spukhaft verschleiertem Wesen. Und was war es, das er geworfen hatte? Ein überaus zierliches buntbemaltes Döschen, ihm vor wenigen Wochen durch die Mutter geschenkt, ob seines ganz absonderliches Wohlgefallens daran, als er es einst [59] unerwartet unter ihren Schmucksächlein fand. Und nun hatte er es nach der lieben Leiche geschleudert voll wahnsinnigen Entsetzens, und erwachte darüber, und zwar unter den furchtbarsten Schauern der Selbstanklage. –

Dreimal in drei auf einander unmittelbar folgenden Nächten kam dieser aus sehnsüchtiger Liebe und tollem Grauen zusammengewobne Traum wieder, und das noch schrecklichere Erwachen daraus zu Gewissensbissen. Irgend Jemandem seinen geheimnißreichen Jammer klagen, – das vermochte er, seiner in äußern Dingen sonst rücksichtslosen Offenheit gerade entgegen, durchaus nicht.

Nach dem dritten Walten jenes Traumes brach des ohnehin durch all das Weh angegriffenen Knaben Gesundheit völlig zusammen. Eigentliche Krankheit ward es zwar nicht, aber ein weichendes Nachgeben aller Kräfte, ja auch der geistigen Kräfte mit, zeigte sich unverkennbar. Man hätte anrückenden Blödsinn befürchten mögen, oder auch Wahnsinn, so seltsam klangen jetzt die noch immer von Zeit zu Zeit fürderquillenden poetischen Ergüsse des Kindes, bald sich in albernem Getändel ergehend, das ihm überaus witzig vorkam, bald in den schauerlichsten und riesigsten Erscheinungen nordischer Sage, insofern sie dazumal bruchstückweis vor ihm aufgedämmert war. Eines Abends, da er im Kreise seiner Lieben auf einem bequemen Lehnstuhl saß, und nach seiner damaligen Weise Wundersames und Albernes durcheinandersprach, überkam ihn eine plötzliche Ohnmacht. Ihm, sonst niemal von dergleichen überfallen, schien es nur ein unwiderstehlich süßes, auch nicht vom leisesten Unbehagen begleitetes Entschlummern, und nur im Wiedererwachen vernahm er aus den erschreckten Angesichtern der Umstehenden und ihren ängstlichen Fragen, was vorgegangen sei.

In manchen unaussprechlich herben Schmerzenstunden seines spätern Lebens ging ihm bisweilen wiederum jenes melancholische Schlußwort der Inschrift, an seines Brüderchens Grabstein durch den guten Fricke verzeichnet, auf:


»Was hilft es denn also, allhier mit Tagen und Sünden zu wuchern,

Und jener Ewigkeit unwerth zu sein!«


[60] Gemüthlich rührend sind die Zeilen allerdings. Aber auch Christlich? Nein! Und deshalb auch fort mit ihnen aus meiner Seele! Zwar süß lockt der Gedanke, so in annoch mindest bewußter eigner Verschuldung mild eingeschwebt zu sein zu den Hallen der Ewigkeit, und wir gäben willig für solch ein friedliches Heil dahin, was uns ein schmerzhaft bewegtes Leben inzwischen an flüchtigen Freuden und glänzenden Erfolgen etwa bieten konnte.

Dieses wehmüthige Gefühl hat wohl großentheils das auf den ersten Anblick wunderlich klingende Sprüchwort heraufgerufen: »Kluge Kinder sterben früh.« Der Schreiber dieser Zeilen hat oftmal in harmloser Lustigkeit über das Diktum gelacht, argumentirend: »der weise Sokrates also, und König Friedrich, und der große Kaiser Karl, und die Patriarchen, und Held Blücher, und der greise Heldensänger Ossian, und überhaupt so zahllos viele Heroen, in Wissen schaft, Waffen und edler Kunst bis an ein fernstes Lebensziel gewaltig, – sie wären allsammt keine klugen Kinder gewesen?« – Der Spaß darüber verging mir nur allzubald, wann ich so aus trüblichsten Leidensstunden meinem früh' wieder eingeschlafenen, zum Erwachen in der Seeligkeit eingeschlafenem Brüderlein in den Himmel nachblickte. »Du hast es gut!« seufzte ich ihm dann oft aus weinender Seele nach, und habe wohl auch mitunter hinzugesetzt: »Du hast das beste Theil erwählt.« Doch bald empfand ich entscheidend: »Nein! Erwählt hat er nichts. Gerufen ward er zur seeligen Ruhe. Berufen zum mühlichen Ringen ward ich. Jedem das Seinige. Jeder das Seinige!«

Aber zurück in die Tage, wo der phantastische Knabe, durch tiefes Sehnsuchtslied nach der entschwundenen Mutter schmerzlichst ergriffen und in den Wurzelfasern seines Lebens angenagt, noch durchaus gar keiner bestimmten Leistung fähig war, vielmehr der schonenden Leitung Andrer überaus bedürftig. Man konnte ihn etwa einem verpflanzten Bäumchen vergleichen, nur durch liebevollste Sorgfalt noch zu bewahren zum dereinstigem Gedeihen.

Schaurig sah es aus vor den Fenstern des kränkelnden Kindes, wie sich der Schnee eines sehr frühen und überstrengen Winters hoch daran aufgethürmt hatte, so daß man öfters Schaufeln und Hacken anwenden mußte, um nicht ganz und gar eingeschneiet zu werden. Man dachte an den schon vor jener [61] Familientrauer beschlossenen Winteraufenthalt in Potsdam, von welchem man auch für den armen Fritz – wirklich drehte sich jetzt um den bleichenden Knaben die liebende Sorgfalt aller Hausgenossen – erheiterndes Wiederaufblühen erhoffte.

Wie nun aber hinkommen durch den sechs Meilen langen pfadlos verschneieten Weg? Der sonst kühne und gewandte Kutscher bekannte sich unfähig, mit Sicherheit einen Wagen durch die zäune-hohen Schneemassen hindurchzulenken. Die Familie mußte sich einem großen Schlitten anvertrauen, von Oben her mit schützendem Linnen gegen das rauhe Wetter überdacht, und so ging es langsam uud vorsichtig fürder, den ganzen Tag hindurch fürder, im Hintergrunde des unbehülflichen Fuhrwerks der kränkelnde Knabe sorgsam eingepackt. Das kam ihm schier gespenstig und grauenhaft vor, und seine Wehmuth sank fast zur Schwermuth hinunter, als man spät Abends in die gleichfalls verschneiete, im matten Lampenschimmer flimmernden Straßen der Stadt einfuhr. Und nun die ehedem von der holden Mutter belebte Wohnung, so öde geworden jetzt! – Die Eine fehlte uns, wie sich eine Volksredeweise auszudrücken pflegt, in allen Winkeln. Suchen und Nichtfinden, und im unwillkürlichen Suchen immerdar wissend, man finde das Gesuchte nicht, – o des schmerzlichsten Zustandes! Wohlthätig überhüllete ihn dem kränkelnden Knaben sein wieder in die frühere Kindheit zurückgefunkener Sinn. Er spielte mit Püppchen, und stellte jetzt keine Schauspiele dar, keine Kriegsthaten, sondern am liebsten Jagden gegen wilde Thiere, woran er weder vor noch nachher jemal sonderliche Lust oder auch nur Theilnahme empfunden hat. Sein Zustand schien sich um so mehr dem Blödsinn zu nähern, als er mit einer seltsamen, ihm sonst gleichfalls gar ungewöhnlichen Eßlust verbunden war. An den Mittagsgerichten, aus Speisehäusern geholt, fanden die andern Mitglieder der Familie, gewohnt an die kräftig und schmackhaft bereiteten ländlichen Speisen, kein sonderliches Behagen, und – Gastronomen gab es eben nicht darunter – würzten sich mit heitern Späßen über die jämmerliche Kost ihr Mahl. Fritz konnte das nicht fassen. Ihm hatte nie Etwas im Leben hesser gemundet, als jene getadelten dünnen Fleischbrühen und saftlosen Gemüse und magre Braten. Ueberhaupt empfand er im Ganzen eine gewisse wunderliche Behaglichkeit an seinem gegenwärtigen Dasein, wie solche [62] ihm seither, ob oftmal unter günstigen, ja bisweilen glänzenden Verhältnissen vielleicht nie in gleichem Maaße zu Theil geworden ist.

Aber zwischen durch sprudelten die heißen Thränenquellen der Sehnsucht nach der entschwundenen Mutter hervor, bei irgend einem scheinbarlich unbedeutendem Anlaß, etwa wenn der Knabe auf dem Clavier eine der Verewigten liebe Melodie anschlug, oder wenn es ihm in den Sinn trat, wie er den oder jenen ihrer freundlichen Wünsche in kindischem Leichtsinn unerfüllt gelassen hatte, auch manchmal sich in Knabenwildheit aus ihren liebkosenden Armen losgerissen, und sie dann mit wehmüthigen Lächeln zu sagen pflegte: »Warte nur, du lieber Fritz! Wann ich hinüber gegangen sein werde, in die stille Ewigkeit, wirst du dich noch allzuoft umsonst sehnen nach den jetzt verschmäheten Umarmungen, du armes Kind!« – Die vor diesen und ähnlichen Erinnerungen hervorquillenden Thränen gediehen zu Heilquellen, erweichend, erwärmend, erkräftigend das außerdem zweifelsohn von trüblicher Starrheit und kindischem Blödsinn schwer bedrohete Gemüth.

Durch diese holde Erbschaft mütterlicher Seits aber gewann die junge Seele nach und nach wieder frisch aufkeimendes Leben und Gedeihen, und auch der Leib gestaltete sich aufs Neue zur ehemaligen Regsamkeit und Frische.

Vollständig genesen bezog nun Fritz um Frühlingsanfang im Kreise der Seinigen das Landgut, wo ihm eine wichtige Veränderung bevorstand. Denn der bisherige Hauslehrer Sachse, zu einer nahen Dorfpfarrstelle vocirt, sollte nun bald zu seiner neuen Bestimmung abgehen. Jetzt empfand erst Fritz in seiner weichen Seele, wie lieb ihm jener treue Mann, mancher Wunderlichkeit und Herbheit unerachtet, geworden sei unb bleiben werde für immer. Er hegte die kindisch eigennützige Hoffnung, Herr Sachse möge vielleicht im Predigerexamen nicht bestehn, und dann bleibe der Lehrer bei ihm, und Alles in guter altgewohnter Weise. –

So just kam es denn nicht, begreiflicher Weise, aber das neue Geleis führte den Knaben sehr heiter und kräftig Bergan, Pindus-an wenn man so sprechen dürfte, – wenigstens [63] eine geraume glückliche Zeit lang, wie sich das im Fürderschreiten dieser Anschauungen darthun wird.

Zuvor jedoch einen Rückblick auf die jetzt abgelaufene Epoche, wohl nicht ohne Bedeutsamkeit für Pädagogen, und überhaupt für Alle, die sich zu Erwägung des Entknospens kindlicher Natur angezogen und berufen fühlen.

Was Fritz unter der Leitung des abgehenden Lehrers gewonnen hatte, war – wie schon früher angedeutet – nicht viel, ungeachtet aller Treue und Fähigkeit desselben. Die Anfangsgründe des Lateinischen bildeten so ziemlich das einzig reale Wissen dabei. Denn von Mathematik und höherer Arithmetik war noch gar nicht die Rede gewesen, und Geographie, Geschichte, Mythologie und Rechnen für's Haus gingen ihres nach Lehrbüchern vorgetragnen Ganges fürder. Das Clavierspiel gedieh – wenn man's Gedeihen heißen darf – auf ähnliche Weise. – Im Zeichnen mit Bleistift, und sogenanntem Malen mit schwarzer und bunter Tusche war Einiges geschehen, aber doch nur auf strichelnde, vielmehr handwerksmaßige, als künstlerische Weise.

Verloren dagegen hatte der Knabe – wie gleichfalls obangedeutet – unermeßlich viel durch das Opponiren des Lehrers gegen die Ansichten der Aeltern und des Hausfreundes, ehedem naturgemäß dem Kinde als Norm und Basis geltend. Nun war ein sehr unseeliges Bezweifeln in ihn eingedrungen, und der unsichtbar kindische Richter auf dem kleinen Herzensthron verfehlte nicht, sich als ein sehr bestechlicher Urtheilssprecher zu erweisen. Wo Vater oder Mutter oder Hausfreund ihm den Willen nicht thun wollten, verurtheilte er sie nach Herrn Sachsens Prinzipien, und wo Dieser ihm hemmend entgegenstand, erging es umgekehrt.

Das Schlimmste aber, was der gute Freund seinem Schüler hinterlassen hatte, war überhaupt ein vorherrschender Wahn der Autonomie. Alles sollte durch das liebe machtbegabte Ich – führte es freilich diese wissenschaftlich begründete Titulatur durch Fichtes geniale Consequenz erst officiell um unterschiedliche Lustra später in voller philosophischer Reichsgewalt – geschehen. Von Gnade wußte die damalige Aus- und Abklärung wenig, von göttlicher Gnade wol just am Allerwenigsten, und eben so verhielt es sich mit den Offenbarungen der Geschichte und der [64] heiligen Schrift. Aber freilich wär' es sehr ungerecht, meinen wackern Hrn. Sachse allein oder auch nur vornehmlich wegen dieser Uebelssaat zur Rechnung ziehen zu wollen. Er war eben auch nur eine Stimme im Zeiten-Chorus, aber eben weil eine kraftbegabte, eine machtvoll auf seinen Zögling einwirkende. Ja, die Nachschwingungen lassen sich noch jetzt in des 63jährigen Mannes Seele und Geist vernehmen; – nur daß Dieser von Gottes Gnaden den Halt gefunden hat, von wo sich all dem Geschwirr und Gewirr ein tüchtiges: »Bis hierher und nicht weiter!« entgegenrufen läßt. – Wie mein ehrenwerther Lehrer noch im höheren Mannesalter zu einem gleichseeligen Umschwunge gedieh, und sich dessen mit seinem früherm Zöglinge gemeinsamlich freute, – das bildet einen jener Lichtpunkte des Lebens, deren sich der Schreiber dieser Zeilen absonderlich freuet und freuen darf. –

Inzwischen hatte die scheinbarliche Autonomie in der jugendlichen Dichterseele einen seltsamen Gegenschlag hervorgebracht, auf den wohl keiner der Anhänger jenes Systems jemal gerechnet haben mogte. Dennoch mag sich dergleichen viel öfter ereignen, als man es erfährt. Darum stehe hier das Faktum aufgezeichnet! Irgend ein Etwas müsse doch über die Seele, außer ihrer eignen freiwilligen Bestimmung Gewalt haben! So war es dem Knaben Fritz schon in seinem ersten, sich selbst deutlich werdenden innern Regungen erschienen, wie das bereits frühere, mährchenhafte Winke und Bilder andeuteten. Jetzt nun kamen jene unheimlichen Mächte wieder, aber nicht mehr unter phantastischer Gestaltung; – vielmehr unter gar keiner Gestaltung. Es war, als müsse der Knabe diese oder jene, an sich weder schlimme noch gute, weder kluge noch dumme Bewegung machen – etwa den Ofen berühren, und dann den nahe stehenden Lehnstuhl, und solches Zeug in's Unendliche mehr. Wenn das nicht geschehe, könne ein geheimnißeich unermeßliches Unglück darüber und just deshalb hereinbrechen, – nicht allein über den widerspännigen Burschen, auch über Familie und Haus. Warum man denn also nicht lieber nachgeben solle in dieser Kleinigkeit? Niemandem durfte er das Mindeste von solch einer wunderlichen Geheimplage vertrauen, bei all seiner sonstigen Offenheit. Wir kommen wohl später noch auf Aehnliches in seinem Geiste zurück. – [65] Wagt's, Ihr Seelenforscher und Erzieher. Aber fertigt's mit keinem Gemeinspruch ab. Dafür geht es zu tief.

Der neue Hauslehrer, August Hülsen geheißen, trat in seine Stelle. Ein Name, der späterhin einen guten Klang in der Literatur gewann, anerkannt durch Fichte und die beiden Schlegel, aber nur in kleinern Werken und zeitschriftlichen Aufsätzen zur Sprache gekommen, und deshalb wohl jetzt unter den Literatoren so ziemlich wiederum verschollen. Die Hauptbegabung des Mannes offenbarte sich allerdings weit schöner im gesprochenen Wort, unterstützt durch das mildbegeisterte Glühen seiner großen dunkeln Augen, und den Gesammt-Eindruck seines blühend kräftigen Angesichtes, als in der schriftlichen Mittheilung, und bei dieser wiederum weit frischer in Briefen, als in der Anrede an ein allgemein gedachtes Lesepublikum. Wenn es jemals in der neuern Zeit Philosophen gegeben hat, welche an die im Alterthum umherwandelnden, einfach klar aus dem Menschengeist entfaltete Weisheit mündlich lehrenden Männer zu mahnen vermogten, so gehörte gewiß August Hülsen dazu. In Halle mit den genial-philologischen Ansichten Wolffs über die Poesie der Griechen und alle uralte Poesie überhaupt vertraut geworden, erschloß er seinem Zögling ein wahrhaftes Goldland der Musen, indem er ihm die Urgewalt der Metrik vor dem späterhin geregelten Gange der Prosa kund gab. Freilich mußte er es nach einer vertraulichen Entwickelung dieses Systems an seinem kecken Vorgänger in Fritzens Pädagogik auf einem Spaziergange erleben, daß dieser um 6 Schritte, wie scheu geworden, von ihm zurückfuhr, und, ihn schier entsetzt anstarrend, ausrief: »Nä, Freund, sind Sie verrückt?« – Hülsen versicherte lachend, seinerseits spüre er eben noch nichts. Und aus seinem Fritz hätten eben keine geistige oder leibliche Flaschenzüge die paradiesische Klarheit jener Ueberzeugung je wieder zu bannen vermogt, eben weil es die Wahrheit war, und in der werdenden Dichterseele einen seeligen Choreinklang endlos bestätigender Feier- und Jubelzeugnisse erweckt hatte.

Daß in diesem Licht auch Griechisch erlernt ward, versteht sich, und der Knabe hielt sich munter genug dazu. Die drei ersten, herrlich tönenden Hexameter der Odyssee haben ihn durch sein langes vielbewegtes Leben nie wiederum verlassen, sei es auch in den scheinbarlich abweichendsten Stimmungen desselben. [66] War auch Hülsen just nicht auf eine recht grundstrenge Basis philologischer Gelahrtheit gestellt, so wehete ihn der Geist des Alterthums, namentlich des Hellenischen, doch in unverkümmert frischer Menschlichkeit an. Dieser warf auch belebende Ahnungsschimmer, wenn gleich leider keinesweges rein göttliche Offenbarungslichter, in die gesammte Weltgeschichte hinein. »Homer's Lieder bildeten die Bibel der Griechen;« hieß es da, und zwar mit ziemlichem Recht. Was aber uns selbst die Bibel sei, – davon war eben nicht die Rede. Das dem Knaben noch gänzlich unbekannte griechische Alphabet eroberte er gleichsam im Fluge. Einer ihm dabei vorkommenden Hemmung weiß er sich gar nicht mehr zu erinnern. Es ward ihm alsbald vertraut, wie die deutschen und lateinischen Schriftzeichen von frühester Jugend her.

Mit der römischen Rede selbst wollte es dagegen durchaus nicht so rasch fortrücken als mit der Hellenischen. Diese war nun einmal die erste Liebe geworden, und ließ sich ihr Recht nicht nehmen. Zudem war aus Klopstocks Dichtungen ein eigenes Element des Römerhasses in die sich immer kühnlicher entfaltende junge Seele gedrungen, während die in der Wirklichkeit bei der Jurisprudenz und andern bürgerlichen und gelahrten Formen übrig gebliebenen lateinischen Ausdrücke und Floskeln obenein noch der Lateinischen Sprache in den Augen des Knaben den Schleier des Mysteriums raubten und zerrissen, welcher so hold geheimnißreich über den Schätzen der Hellenischen Muse verbreitet lag. Das Lateinische hatte somit für ihn einen Anstrich der Pedanterie überkommen, eine Art – sei der Ausdruck als nun einmal hier bezeichnendster vergönnet – von Perückenhaftigkeit, davor die rechte Freude an ihren Tüchtigkeiten und Schönheiten nicht so recht in frischer Kraft aufkommen wollte. Dennoch – die Nothwendigkeit des Erlerntwerdens war unverkennbar da, und es ging fürder damit.

Den Hauptgewinn dabei gab es, daß Hülfen überhaupt die Anschauung einer philosophischen Sprachlehre klar zum Grunde legte. Mit der Muttersprache hub er an, und mit den einfach klaren Begriffen der Redetheile: »Grund – Handlung – Ziel – Zweck,« – und da war in Einer Unterrichtsstunde auf immer klar geworden, was es namentlich mit Akkusativ und [67] Dativ bedeute, und all die »Mich- oder Mir-Noth,« seit Jahren ein vergeblich bekämpftes Unthier, das – mit dem Dichter zu reden – »des Fechters Fersen nagte, und ging und wieder kam« – war auf einmal beseitigt, und hat mir seither keine Minute mehr getrübt.

In der reinen Mathematik schritt Fritz bis zur Demonstration des Magister Matheseos vor, diese mit inbegriffen, zwar nicht voll jenes klaren Lichtes, das ihm die Sprachen erleuchtet hatte. Aber ein höherer, schaffender Hauch wehete doch auch dorten herein in poetischer Ahnung, wie denn überhaupt Hülsen zu Halle in einem Dichterbunde gelebt hatte, – freilich eben von solchen Geistern, die nur im Lenze singen, und späterhin höchstens die Erinnerung ihrer Lieder beibehalten, als eines Jugendspieles, sich selbst ausschließlich den sogenannt ernsthafteren Studien zuwendend.


Jedoch von jedem Spiel, für den Parnaß erlesen,

Heißt's wahrlich nimmermehr ganz ohne Spur: »Gewesen!« –


Und gewiß: in Hülsens blühender Seele blieb Leben genug aus jenen Lenzesspielen zurück, auch zur Zeit des Fruchtreifens annoch, bis in ein späteres Alter hinein, wie es ihn Gott erleben ließ, immerdar empfänglich zu bleiben für die Hauche des Helikon. Auch in seines Zöglings damaliges Liedesgestammel ging er gern und liebevoll ein, eine Art kritischer Mittheilungen zwischen ihnen Beiden gründend, indem er theils dessen Gedichte oder sonstige Aufsätze recensirte, und ihm dagegen eigene Schöpfungen aus früherer Zeit zu recensiren gab. Antikritiken und abermalige Repliken waren vergönnt, und die Heftlein nahmen die Physiognomie einer kritischen Zeitschrift an. Eine geistige Kampfesübung, der ich viel von allem Tüchtigen und Guten verdanke, welches sich nachher aus meinem Styl mitunter hervorgebildet haben mag.

Gar überwältigend aber trat mehr und mehr die Altnordische Sagenwelt um diese Zeit in das geistige Leben und Weben des Knaben herein. Schon früher – wie bereits angedeutet – hatten ihn Anklänge aus Klopstocks Liedern auch in dieser Hinsicht ergriffen, und auch seine Stolberge und andere Sänger – namentlich aus der damaligen Göttinger Schule – hatten ihr lobenswerthes Theil daran. Nun aber, – wie ward dem [68] etwa 12jährigen Knaben, als er bei einem Besuch in der Nachbarschaft auf dem Lande, beim Durchstöbern einer zahlreichen aber wenig benutzten Büchersammlung, Sined's Lieder antraf, das hieß: die Gedichte des anagrammisirten Pater Denis aus Wien, den er wohl schon als Uebersetzer Ossians kannte und ehrte, der sich aber hier als Druide eingeführt hatte, und Lieder im Altnordischen Heldentone sang: zum Theil ihm eigens von der Muse eingegeben, größerentheils aber aus der Edda, für die damalige Zeit und Hülfsmittel, getreu genug übersetzte, mit belehrenden Anmerkungen begleitet. – Kaum wagte Fritz, den frühe vaterlos gewordenen Besitzer dieses Schatzes, einen etwa um zwei Jahre älteren Knaben, zu fragen, ob ihm wohl diese neuentdeckte Urherrlichkeit auf ein paar Tage mitgegeben werden könne. – »I, warum das nicht?« – hieß die gleichgültig freundliche Antwort. – »Auf ein Jahr, wenn Sie wollen! Auf zwei Jahre, – auf so lange Sie Lust haben!« – Welch Entzücken! – Daß Fritz die ganze Freudenbescheerung für höchstens zwei Thaler hatte erb- und eigenthümlich im ersten besten Berliner Buchladen an sich bringen können, war ihm freilich noch gar nicht eingefallen, und ist ihm wirklich erst sehr lange nachher einigermaßen deutlich geworden. –

Und die Asahelden und Asynien, die Walkyren, die Nornen, die Ungeheuer einer grausenvollen Urwelt, feindlich ringend wider die edlen Walhalla-Wonnen, erschlagen habend durch tückischen Trug, den schönten Odins-Sohn, den Besten aller Menschen, Baldur den Guten, zu aller Welt nie endender Wehklage, – geheimnißreich, annoch völlig unsichtbar über dem Allen waltend, Allvater in seeliger Weisheit und Liebe, am Ende aller Dinge sich offenbarend in friedsamer, fortan unzerstörbarlicher Herrlichkeit! –

All' diese Wundergebilde walteten fortan im Geiste des Knaben vor, und sein liebstes Ringen, Forschen und Singen bezog er fortan auf sie, und diese geheimnißreiche Liebe und Sehnsucht hält noch vor in demselben nun 63 Jahre lang im irdischen Leibe wallendem Geiste.

Mich mahnen und mahnten oft auf unaussprechlich rührende Weise jene Worte des Tempelherrn in Lessings Nathan:


[69]

»– – So waren jene Träume,

Womit man meine Kindheit wiegte, doch –

Doch mehr als Träume!« –


an Alles, was ich so nach und nach im Heranwachsen von meiner nordischen, oder vielmehr norweg'schen Abstammung vernommen hatte, deren sich ja die gesammte ältere Ritterschaft der Normandie – schon der Provinzname verkündet es – mit vollem Recht rühmte und erfreuete, und wozu für mich insbesondere noch seitdem gar manch ein historischer Beweis – genealogischer und anderer Gattung – sich unwidersprechlich gehäuft hat. Dem poetisch verwandten Leser mag es wohl zur Ueberzeugung genügen an dem süßen, man mögte sprechen: magischen Festhalten des Dichtergeistes an jenen Ahnungsklängen, so früh und unter manchen widerstrebenden Einflüssen aufgegangen und lebendig geblieben, eine mühevolle, vielwechselnde Lebensbahn entlang. Dem Leser anderweitiger Gesinnung dürfte mit Stammtafeln vom 13. Jahrhundert her und mit Saagen drüberhinaus eben auch nicht sonderlich zu dienen und zu helfen stehn. Nehme man das Faktum an, wie sich's im tiefsten Geiste des Berichtenden spiegelt, – etwa, um im nordischen Gleichniß zu bleiben, wie die Ereignisse der Welt sich abbilden im Weissagungsbornspiegel der Nornen, hervorquillend unter den Wurzeln des urweltlichen Eschenbaumes Ygdrasill. – Die Freunde, welche den Knaben wohlwollend zu entfalten strebten, hegten allzuviel des gesunden Sinnes, um seiner Nordlandlust gradehin den Weg vertreten zu wollen. Das hätte auch wohl den kecken Burschen mehr nur noch in der einmal ergriffnen Bestrebung gefestigt, vielleicht ihn gradehin stät'sch gemacht wider alles Andre. Aber doch sehr einseitig, oder gradehin grillenhaft mogte den lieben Menschen die so standhaft erfaßte und festgehaltne Richtung vorkommen. Wenn es um diese Zeit einem echten Geistlichen eingekommen wäre, dem Knaben die phantasmagorischen Gebilde seiner geliebten Nordlichter nach ihrer tiefsten Bedeutung auf das einig wahrhaft weiße Licht klar zu machen! – Es wäre so ein seeliges Heidenbekehrungswerk gewesen, als Bonifacius und Seinesgleichen vor Jahrhunderten je nur mögen geübt haben, und hätte ohne Zweifel gleich günstigen Fortgang gefunden. Denn kein Mythos in der ganzen Welt giebt die ewigen Wahrheiten, an denen Alle stammeln, [70] so unentstellt wieder, als die keusche Ahnungswelt der altnordischen Sage. Aber echte Geistliche, und namentlich von so tiefer Gabe, die Träume des Heidenthumes deutsam in des Glaubens wache Anschauungen zu verklären, wie Paulus zu Athen am Altare des unbekannten Gottes sich erwies? – Solche Männer waren dazumal dünne in der Kirche gesäet, und insbesondere in unsrer Nähe stand am mindesten davon zu spüren.

Es sollte denn aber nun wirklich der an Leib und Geist wiederum aufblühende Knabe, etwan in seinem funfzehnten Lebensjahre stehend, vorbereitet werden zur Aufnahme in die Kirche, zur Zulassung an den Genuß des heiligen Mahles. Einweihungsstunden begannen im Sommer auf dem Lande durch den Dorfprediger, zwar lutherischen Glaubens, – oder lutherischer Konfession vielmehr, denn von Glauben war überhaupt leider an diesen Stätten eben nicht viel die Rede, – um dann mit dem nächsten Potsdamer Winteraufenthalte die eigentliche Weihe durch den Eintritt in die Kirche der Väter, die sogenannt französisch-reformirte, als Christ zu empfangen. Der Verf., jetzt von der Einheit beider evangelischen Kirchen auf das bestimmteste und heiterste durchdrungen, würde an und für sich wider den Unterricht von zwei Geistlichen beider Bekenntnisse nicht das Mindeste einzuwenden finden, – aber freilich: Geistliche vor allen Dingen müßten sie alle Beide sein, christliche Geistliche, und eben Das war keiner von Beiden.

Der Landpfarrer, früher sogenannter Feldprediger in einem lustigen Infanterieregiment unweit Berlin, predigte das Getriebe, welches man lautere Moral zu nennen pflegte, – mitunter auch wol noch so zu tituliren pflegt, – und hatte zu beliebiger Gemüthsergötzung ein ganzes Ränzel von spaßhaften, mehrentheils überaus albernen Anekdötchen gefüllt, betreffend ungeschickte oder orthodoxe (denn beides galt ihm ziemlich einerlei) Amtsbrüder und Küster. Seine Unpartheilichkeit suchte sich dabei in ein glänzendes Licht zu stellen, und es fehlte ihr nicht leicht an Bewunderern oder doch an Belachern. Wider Willen sprech' ich es aus, aber es ist nur allzuwahr: solche Geistliche als Anekdotenspäßler suchen der Einförmigkeit ihres hohen Berufes eine spaßige Buntheit anzuziehen, vergleichbar jenen Schauspielern, die von nichts zu reden wissen, als von Coulissenhistörchen, alles [71] Edle ihres ohnehin so unermeßlich tief unter dem Kirchenberufe stehenden Treibens dennoch auch noch in seinen letzten ahnungflimmernden Lichtlein zu entadeln bemüht.

Ob ich meinen ländlichen Religionslehrer, wenn er so heißen soll, hier zu streng beurtheile? Man richte nach den Büchern, die er, der Pfarrherr, in unsers kleinen Familienkreises friedliche Abend-Lectüre hereinbrachte, – man darf nur allzuwahrhaft sagen: einschwärzte. Es war mindestens unermeßlich mehr des Schwarzen, als des Weißen, des Verdunkelnden, als des Leuchtenden, dabei. Mag es noch allenfalls hingehen für Sophiens Reise von Memel nach Sachsen, obgleich diese breite Säemaschine manch ein Unkraut mit in die Seele der Hörer, namentlich des Knaben Fritz warf. Es war doch auch manch ein Träublein Gutedel mit darunter, wie ich das namentlich bei einer weit spätern, an sich zufälligen Uebersicht des seltsamen Buches wahrgenommen, ja empfunden habe. Nicht so ganz umsonst war jener breslauer Romanschreiber der Bruder des ehrwürdigen Prediger Hermes in Berlin, Jahrelang vor den Riß des einbrechenden Unglaubens tretend, gern Schmach und Spott erduldend – das Schwerste, was der bessere Mensch hienieden erdulden kann – um das Zeugniß des göttlichen Wortes zu behaupten. Davon wußte dann freilich unser abgeklärter Dorfprediger nichts. Er spielte sich vielmehr in dem Bilde des Prediger »Groß,« der eben nichts anderes Große gethan hatte, als ein adliches Fräulein wider den Willen ihrer Familie geheirathet.

Was ihm aber Gott verziehen haben möge, vor Allem, ist daß er die Werke des Romanschreibers Cramer empfahl und zum Vorlesen brachte im häuslichen Kreise, und zwar die Schlimmsten am liebsten, als da sind: Leben des Erasmus Schleicher, nur allzusehr seinem Zunamen entsprechend mit Horcher-und Lauscherkniffen, und doch dabei als ein Genie erster Kraft und Würde gepriesen, oder auch Paul Ysops, eines gewesenen Hofnarren, Leben: wilde, rohe Erfindungen aus der heutigen Welt, mit buhlerisch frechen Scenen durchwoben, die denn doch wiederum auf die Errichtung einer modernsten Sorte von apartem Tugendtempel berechnet waren. Da, wenn einmal Bücher von einem Solchen gelesen werden sollten, hätte doch immer noch besser der tollgewordene Ritter Hasper a Spada, seine, wo möglich [72] noch toller gewordnen Waffenbrüder um ihn her, taugen mögen, ja selbst besser der deutsche Alcibiades, denn es athmete doch darin ein kriegerischer Geist voll ritterlicher Ahnung, – aber eben das mogten Seine Wohlehrwürden nicht gern, da in ihren schwächlichen Adern nichts dem Anverwandtes floß. –

Nicht aber alle Schuld auf ihn allein. Auch eine unbewußt indirekte Hülfe kam aus seiner Hand, und zwar eine wichtig großmächtige: Shakspear, durch Eschenburg übersetzt. Vorgelesen freilich ward der nicht, aber er stand doch in des Predigers Bibliothek, und Fritz holte sich Theil auf Theil davon herüber. Schauer und Graus durchzog bisweilen die junge Seele. Aber mit vollem klaren Bewußtsein sei es ausgesprochen: nicht ein einziges unreines oder sonst dämonisch sündliches Bild kam von dorten je herein. Vielmehr wo der Avernus auftauchte, geschah es allemal voll heilsam entsetzlicher Warnungskraft. Sehet da und empfinde den Unterschied echter Poesie gegen ihr Afterbild, durch gewissenlose Beschwörer heraufberufen! Leider sollte ich auch noch anderseitig mit solchem Wehe bekannt werden. Zur Rektifizirung des unregelmäßigen Britten, auch wohl noch mit zum Kampfe wider jene misverstandnen und so unbillig für gefahrdrohend gehaltnen Asahelden und Asynien hatte man das Voltairesche und Wieland'sche Arsenal nach und nach aufgethan, – glücklicherweis noch ausgenommen Meister Arouet's allerteuflischstes Werk, die Pucelle d'Orleans, die noch jetzt nie völlig gelesen zu haben, der Schreiber dieser Zeilen sich rühmen darf. –

Doch aus seinen Kinderspielen – die junge, sich wider die realistische Welt sträubende Dichterseele spielte lange, wohl so ziemlich bis in's 16te Lebensjahr hinein, wenn auch mehrst sehr verschwiegen vor Andern, – verschwand nach und nach die Ritterwelt, und schlich oder drängte sich die modern elegante Lebensweise herein, deren kleinliche Spiegel dem allwinterlich in Potsdam entknospenden Leben aufgingen. – Ein unermeßlicher Schade! –

Wohl gestaltete sich dabei manch hübsches Bild oder Bildchen von edlem Knappen- oder Pagendienst, holden Frauen gegenüber, und namentlich Eine derselben übte den holdesten Einfluß auf den Knaben, ihre anmuthige Aufgabe als Meisterin edler Sitte und würdiger Zier vollkommen verstehend und lösend. Erst [73] viele Jahre nachher hat Friedrich La Motte Fouqué sie wieder gesehen, und zwar an der Heldenleiche ihres Gatten, der plötzlich verstorben war, und unter welchem der ehemalige Edelknab nachher als Mann ehrsam gefochten und sich ein Ritterkreuz errungen hatte. Sie ließ ihn gütig zu in diesem ernsten Moment der Trauer. Fouqué's Auge war thränenlos, – ein in Schmerzensgefühlen für ihn ungewöhnlicher Zustand. Aber es schien auch eigentlich nur so. Denn als er sich beim Hinausgehn noch einmal umwandte nach der todten Heldengestalt, laut seufzend: »Ach, mein lieber Feldherr!« – da brachen die Schleusen seines Innern vor dem eignen Worte los, und die Thränen flutheten. – Er hat die Wittwe seither nicht wiedergesehen. Nach wenigen Jahren zog sie's ihrem Helden zum Himmel nach. – Freilich aber nicht alle weibliche Erscheinungen der schönen Welt in Potsdam, wenn auch, versteht sich, in anständiger Sitte und Form, waren von gleich ahnungsreicher, lasset mich immerhin sprechen: poetischer Begabung durchdrungen. Da gab es so vielerlei Flittertand und Frage nach augenblicklichem Gelten oder Nichtgelten, so mannigfaches Wägen von Eleganz nach mehr oder minder neuestem Zuschnitt, daß die arme junge Seele ganz überfüllt ward mit Nichtigkeiten, und ihre schönsten Spiegel getrübt sahe. Was noch einigermaßen Leben hineinbrachte, bestand aus nähern oder entferntern Ausflügen zu Roß mit dem Hausfreunde Schmettau, einstmal bis über Stettin fort, wo namentlich alte Burgen und Burgtrümmer, von annoch lebenden Sagen der Väter durchhaucht, ein erfrischendes Leben im Geiste des aufknospenden Dichters erweckten. Freilich kamen auf solchen Ausflügen mitunter Bücher in die Hände des werdenden Jünglings, fast noch schlimmeres Gift enthaltend, als die obgerügten Cramerschen Romane, und so offen herumliegend, als etwa in unvorsichtig gelenkten Haushaltungen das Rattenpulver. Namentlich des dazumal vielgepriesnen Meisner abscheuliche Erzählungen, denen man doch wol den Zutritt zur Familie gesperrt haben mögte, streueten Mehlthau in die junge Blüthe. Zwar, wie Gottes Huld auch in der äußerlichen Natur Heilkräuter neben den allerverderblichsten als Gegengift aufsprießen zu lassen pflegt, lag auch neben jenem lüsternen Dämonenspuk das beseeligende Büchlein: »Stillings Jugend,« und seine [74] Wehmuthschauer und die wundersamen Anklänge aus edelster Sagenwelt herüber ergossen sich in des staunenden Knaben Herz und Seele und Sinn. Annoch wie Mysterien umschwebte, umwob, umblühete, umklang es ihn. Erst für spätere Jahre war ihm das heitere Verstehen aufbehalten. Aber Seegen über die holden Träume, welche schon damal den teuflischen Verlockungen sieghaft entgegenrangen. Zuweilen führten schon in jenen Tagen den Knaben mannigfach Verhältnisse zu Blicken in die Welt der Fürstenhöfe, wenn auch für jetzt nicht gerade wiederum in die Nähe des so frühe gekannten Kronprinzen, nachherigen Königs, doch in die Familie des Prinzen Ferdinand von Preußen, wo der älteste Sohn des Hauses, Prinz Heinrich, an einer abzehrenden Krankheit litt. Der Schleier, welchen solch ein Weh, je rettungsloser, je schonend verhüllender über den Leidenden selbst zu breiten pflegt, hatte sich auch über den engelschönen Prinzen ausgedehnt. Er wollte den muntern Knaben für das Reiterregiment Gensd'armes anwerben, in welchem er selbst schon die Stelle eines Obristen inne hatte. »Ich werde nun bald wieder gesund sein. Dann wollen wir einmal recht frisch mitsammen reiten, mein junger Freund!« setzte er hinzu, das letzte Auflodern der edlen Lebensfackel in den herrlichen Ritteraugen. Der Knabe hätte vergehen mögen vor liebevoller Wehmuth. Bald dar auf vernahm er, der junge werdende Reiterheld sei selbst vergangen für diese Welt. Gott weiß, wie es kam, – vermuthlich im Traumgeficht, aber er konnte gar nicht von dem Gedanken los, und wußte doch gewiß, es habe ihm Niemand Aehnliches erzählt, – aber ihm war, als sei der jugendliche Ritter einsam gestorben. Während der Eine dahin, der Andere dorthin sich aufgemacht habe, irgend was zu des Kranken Erquickung zu besorgen, sei die holde Psyche aus dem schönen Leibe sanft vonhinnen gezogen, und dieser kalt und athemlos, aber immerdar noch lieblich von den Rückkehrenden gefunden worden. –

Ein weit mehr noch der wirklichen Ahnung verwandtes Gefühl ergriff den Knaben in demselben erhabenen Familienkreise bei Veranlassung eines ganz harmlosen Scherzes. Prinz Ludwig (nach damalig französirter Weise Prinz Louis genannt), nach Prinz Heinrichs Tode der Aelteste, verließ einstmal den Gesellschaftssaal seiner Mutter. Hochschlank aufgeschossen und rasch in seinen Bewegungen, [75] verlor er den Stock, verwickelte sich in seine Sporen, indem er ihn aufheben wollte, ließ dann im kaum gehemmten Stolpern den Hut fallen, bekam jedoch noch Alles glücklich wieder zu fassen, und seine anmuthig erblühende Schwester Prinzessin Luise, – nun verewigte Fürstin Radziwill – lachte ihm neckend nach: »Ah, vous faites une belle sortie, mon frère!« – (etwa zu Deutsch: »O welch ein schöner Ausgang, mein Bruder!«). – Fritz Fouqué lachte mit, wie All die andern. Aber es blieb ihm was Ernstes im Herzen, und so oft er nachher – (es geschah nicht selten) – im Krieg und Frieden mit dem jungen Prinzenhelden zusammen traf, dem edlen todtgeweiheten Opfer von Saalfeld, stieg immer in ihm der stets ernster sich gestaltende Gedanke auf: »O ein schöner Ausgang!« und die Ahnung: »Er stirbt des Ehrentodes auf dem Bette der Schlacht!« –

Der beachtende Leser fühlt wol, es lebte in des Knaben Seele Ernst genug, feierlich auf das Jenseit gestellter Ernst, um da hinein Saamen des göttlichen Wortes zu streuen. Aber es fehlte am Sämann. Zwar kam nun der Winter, wo Fritz in Potsdam förmlich eingesegnet werden sollte zum Glaubensbekenntniß für die evangelische Refugié-Gemeinde, und der französische Geistliche, welcher das Geschäft übernahm, war an edlem Sinn, zarter Sitte und würdigem Benehmen jenem Landprediger unermeßlich überlegen, wie man denn überhaupt nicht leicht einen anmuthigern, harmlos fröhlicheren Kreis finden konnte, als den der damaligen französischen Refugié's, vornehmlich aus den geistlichen und überhaupt gelehrten Ständen. Annoch war Vieles und zwar das Bessere aus der altfranzösischen Nationalität dorten lebendig zurückgeblieben, während doch schon auch die deutsche Saat frisch und lebendig zu keimen begann.

Wie redlich es der neueste Religionslehrer und sein etwa funfzehnjähriger Zögling mit ihrer gegenseitigen Verständigung meinten, zeigte sich schon daraus, daß sie bald nach den ersten Unterrichtsstunden einig wurden, der Prediger möge sich in französischer Rede ausdrücken, Fritz in deutscher. Denn so fertig auch dieser damal die Sprache seiner Väter sprach, war doch er es, welcher zuerst die Unzulänglichkeit derselben in Entwickelung gewisser ihm eigenthümlich aufgegangener Begriffe fühlte. Und doch waren es leider! eben nur Begriffe. Denn [76] das Buch der Büchee, welches den ganzen Menschen ergreift mit heilbringender Gewalt, mogte zwar zwischen Lehrer und Schüler auf dem Tische neben andern Büchern mit liegen, – ich weiß es nicht. Aber das weiß ich nur allzugewiß: verschlossen lag es da, und verschlossen blieb es. Kein Spruch ward auswendig gelernt, kein Spruch auch nur als Beweisstelle hervorgehoben, keine historische Offenbarung anerkannt, – wie denn allerdings von allem dergleichen auch bei jenem früheren ländlichem Unterricht kaum entfernt, wo möglich noch weniger als hier, die Rede gewesen war. Vom göttlichen Namen, in welchem allein Heil ist im Himmel und auf Erden, wußte man nur so viel, als von irgend einem unschuldig hingerichteten Weisen sonst, etwa vom Sokrates zum Exempel. Wir hatten uns unser Systemchen zusammengebaut, und uns genügte daran, oder wenigstens bildeten wir uns ein solches Genügen doch ein.

So kam denn endlich der Tag der Einsegnung heran. Aber woher sollte ein wahrhaft gefühltes Bedürfniß des Segens kommen? woher also auch der Segen selbst! –

Daß die Handlung nicht in der Kirche vor versammelter Gemeinde stattfand, sondern im Hause vor einer Familiengesellschaft, ergiebt sich nach allem Vorigen so ziemlich von selbst, wie auch der Ton und die Haltung des Ganzen. Bei der Disputation – eines bessern Namens war das kunstgerechte Ringen eben nicht werth – herrschte nun die französische Sprache vor, ohne daß es den Katechumenen sonderlich beengt hätte, denn die Eigenthümlichkeit, welche in den Vorbereitungsstunden doch mitunter aufgetaucht war, verschwamm hier beinahe völlig. Es ließ sich Alles im allerhergebrachtesten Französisch ohne Anstrengung kund geben. Das Herz weinte endlich mit ein, als von der frühe verewigten Mutter und ihrem Nichterleben dieses längst ersehnten Tages die Rede war. Aber die eigentlich religiöse Bewegung lag, ungeachtet aller natürlichen Rührung, fern, fern ab, wie denn überhaupt meine Seele von jenem erhabensten Gefühle dazumal noch gar keine bestimmte Erfahrung hatte. Ein Haufen moralischer Entschlüsse häufte sich während des Examens freilich in mir auf, zu thun fortan, was ich für recht, fortan zu lassen, was ich für unrecht erkannte, – aber woran das Festhalten? – Ich will es ehrlich bekennen: ein Windspiel, das [77] vor mir unter dem Tische schlafend lag, nahm ich zum Zeugen. So oft ich den kleinen Fakardin – so hieß er – ansähe, sollte mir der ein stummer Mahner meines Gelübdes sein. O des Fetischdienstes mitten in der abgeklärten Potsdamischen Umgebung! O des Aberglaubens, emporgewachsen aus Unglauben! – Und man war allgemein zufrieden, höchst zufrieden mit mir, und mein Konfirmations-Aktus galt für einen durchaus erbaulichen. Das Beste an mir war noch: ich schämte mich aus tiefstem Herzen dieser Lobeserhebungen, deutlich fühlend, ich sei auch um keinen Gran besser in meinem Innern geworden. –

Es ging nun wiederum auf das Land zurück. Was dort der etwa 16jährige Knabe dichtete, zum Theil auch während des städtischen Winterlebens gedichtet hatte, war höchst verschiednen Gehaltes; wahrhaft abscheulich nämlich – zwar nicht eben unsittlich, aber albern, auch wol gradehin dumm, – was nach den Wielandschen Vorbildern verfaßt war; nicht ohne historische Begeisterung aber, wo sich das junge Gemüth zwischen den ihm zukommenden Kunden der vaterländischen Geschichte erging, in der Weise der damals vielgeltenden dialogisirten Romane, theils sehr verfehlt an Form und Gehalt, durch Schlenkert, theils weit gelungener an Beiden durch den Pseudonymus Veit Weber, den Fouqué um mehre Lustren später unter seinem wirklichen Namen Leonhard Wächter mit großem – ich darf wohl sagen: beiderseitigem – Vergnügen in Hamburg kennen lernte. Namentlich gab es darunter eine Dichtung: Werner von Walbeck, aus Gallus Geschichte der Mark Brandenburg entnommen, durch – irre ich nicht – vier Bücher hingezogen und zu Stande gebracht, von der ich, mancher gelungnen Stelle wegen, wohl mit Recht wünschte, daß nicht ein späterer Furor criticus des überklug gewordnen Jünglings sie mit Stumpf und Stiel ausgerodet haben mögte. –

Noch weit mehr mögt' ich die Wiederherstellung einer ganzen Reihe von einzelnen Gebilden begehren, – romantische Jdyllen dürfte man sie passend nennen, mitunter auch wohl Novellen, – wo ich mich durch die mir nach und nach im Geiste bekannt gewordnen Gegenden des Nordlandes, aber auch der südlichen Haine zu den Zeiten des Ritterthumes erging, oder Scenen aus den Tagen der Kreuzzüge hingeworfen hatte, allerdings mit abklärendem [78] Tadel hinlänglich versetzt, um vor dem Richtstuhl der modernen Kritik durchpassiren zu können, aber doch im Tiefsten voll innrer Theilnahme an den großen, hier vorwaltenden Ahnungen göttlicher Dinge. Erst viele Jahre nachher sollte mir die Lösung so erhabner Räthselaufgaben kund werden. Wir gedenken darauf zurückzukommen. Hier komme noch zur Erwähnung, daß auch Pythagoras mit seinen Seelenwanderungs-Mysterien und der pfeilgetragne Skythe Abaris von dem Griffel des jungen Schreibers in Anspruch genommen wurden, vornehmlich aber die Roma's-Anschauung eines kriegsgefangenen jungen Deutschen, bald nach der Hermanns-Zeit, wackere Züge – so weit die Erinnerung reicht – in sich tragen mogte. Aber Alles verbrannt! Und schon der Buntheit der Sammlung halber mogte das zu bedauern stehn. Ueberhaupt: Einreißen ist so unermeßlich leichter, als Aufbauen. Was euch von euern Arbeiten nicht zusagen will, junge Kunstgenossen, – die ältern mögen immerhin in die Anrede mit inbegriffen sein, – legt es meinethalb einstweilen beiseit. Aber nicht mit dem Vernichtungsurtheil seid so rasch bei der Hand. Es kommt doch wohl eine Zeit, wo ihr gar Vieles – auch euch selbst und eure Dichtungen zu gewissen Epochen – besser und schöner versteht, als eben heut. –

In dieser Zeit geschah es, daß dem aufkeimenden Dichter durch die Nichterfüllung eines glühenden Wunsches eine jener Wohlthaten widerfuhr, deren Wichtigkeit man oft, ja meist erst Jahre lang später einsieht. Just damals war der edle Jüngling Franz von Kleist aus der Halberstädter Poetenschule unter Gleims Leitung hervorgeblüht, dem liebevollen Dichtergreise schon insofern theuer, als er den Namen Kleist trug, an seinen auf dem Schlachtfelde bei Kunersdorf rühmlich gefallnen Jugendfreund Ewald von Kleist mahnend. Aber Franz von Kleist bedurfte keiner Folie, um als Dichter zu leuchten. Die zarteste Blüthe des Herzens und der Phantasie einigte sich in ihm mit einer Wohllauts-Gewalt über die Sprache, worin er sich wohl den edelsten Meistern der Kunst gegenüberstellen durfte. Nach kurzem Kriegsdienst, in welchem sich ihm aber keine Gelegenheit zu Waffenthaten darbieten wollte, entführte ihn ein glücklicher Ehebund in die Zauber eines friedlich behaglichen Landlebens. Friedrich Fouqué's jugendliche Seele war ganz Freude und Echoruf, [79] so oft eine neue Dichtung von Franz von Kleist in die Welt heraustönte. Und nun ward die Kunde laut, der gefeierte junge Dichter komme zum Besuch auf einen Halbtag zu einem Vaterbruder, dessen Wiesenauen an die von Lentzke stießen, und die Familie war dorthin zu Tisch geladen. O des Klopfens in der Knabenbrust! Eigentlich wollte Fritz – wenigstens dem deutlichen Bewußtsein nach – weiter nichts, als den glückselig begabten Jüngling sehen, dessen anmuthige Gesichtsbildung aus einem Titelkupfer vor einem seiner Werke ihm vorschwebte, ihn reden hören, sei es auch nur das an sich allergleichgültigste Gesellschaftsgespräch, und dann heimkehren mit dem seligen Gefühl im Busen: »Hier wohnt er fortan sichtbarlich, denn ich habe ihn erschauet, den musenbegabten Franz von Kleist.« –

Fritz Fouqué hatte bisher noch keinen lebenden Dichter mit Augen gesehn, ja, seines Wissens, noch keinen andern Schriftsteller, als den wackern Schulmann Konsistorialrath Gedike, bei Gelegenheit einer Landprediger-Hochzeit in der Nähe, und noch obenein hatte der identische, mitunter in seinen Aussprüchen etwas herbe Mann Unterschiedlichen der Gäste eben nicht absonderlich zusagen wollen. Fritz ließ sich seine Freude an ihm nicht verkümmern. Ein ausgezeichneter Schriftsteller war es ja doch immer, und ein poetisches Element in Gedike mogte dem Dichterknaben auch wohl ahnen, vornehmlich, als Claudius Rheinweinlied im Chor angestimmt ward, und der ernste Mann, mit den charakteristisch bestimmten Gesichtszügen, das Glas zur Hand, so sinnig vor sich hinblickend, die Preisesworte des rheinischen Rebensaftes mit starker, einfach wohllautender Stimme sang:


»Ihn bringt das Vaterland aus seiner Fülle.

Wie wär' er sonst so gut!

Wie wär' er sonst so edel, wär' so stille,

Und doch voll Kraft und Muth!« –


War, mag sein, eine erwachende Ahnung dabei mit im Werke, wie Gedike's einstiger Schwiegersohn, Franz Horn, und Gedike's nachgelassene Familie überhaupt so wohlthätigkräftigend, so treu, so lieb innig in Fouqué's Leben eingreifen sollte? Wir kommen darauf zurück, will's Gott. –

Und nun galt es die persönliche Anschauung eines Dichters, eines unaussprechlich geliebten und Bewunderten Dichters.

[80] Dazu wär' es noch, mit Bestimmtheit mögt' ich es sagen, wohl bei der bloßen Anschauung nicht stehn geblieben, sondern zur nähern Bekanntschaft gediehen. Schon gewisse ungeweihete Späße, wie sie über das Haupt eines werdenden Dichters auf der spottlustigen Außenwelt hinzustreifen, vielmehr hinzupressen pflegen, hätten wohl dem bekränzten Dichter seinen aspirirenden Genossen verrathen. Oder wäre dies Wehe vorübergezogen, so hätte Blick und Wangengluth vielleicht dem Lorbeerträger auf schönere Weise die Ahnung erweckt, in dem etwa funfzehnjährigen Knaben rege sich etwas Verwandtes. Und nun die bekannte Milde der Halberstädtschen Poetenschule, schon durch Gleims gern freundlich empfangende Grundakkorde angeregt, und in Franz von Kleist's anmuthiger Milde mit ähnlichem Geiste durchgeführt! Zwar kam Fritz mit keinem Manuskripten-Schwall angezogen: eine ihm durchaus lächerliche, ja verächtliche Manier von wandelnder Verschanzung, zu welcher er sich auch später nimmermehr verstanden hat. Aber sein schier unüberwindliches Gedächtniß hielt ihm stets einen ganzen Hort von Liedern, Balladen, Romanzen und was ihm sonsten von der Muse bescheert worden war, im Vorrath fertig. Ein Wink Franzens von Kleist, und das Wehr wäre übergefluthet, und dann auch nur Ein Beifallslächeln des Meisters, und keinen stolzeren, ja hochmüthigeren Sterblichen hätte der Erdgrund getragen, als obbesagten Fritz Fouqué. Selbst Zurechtweisungen, auf freundlichen Tadel gegründet, – sie hätten den als Jünger anerkannten Knaben weit über alle andre Menschen erhoben, über welche durch Franz von Kleist nicht das Wort der Weihe ausgesprochen wäre: »In Dir lebt und webt der poetische Lichtblick.« – Eine ähnliche schöne Gefahr bedrohete um etwa dreizehn Jahre später denselben Dichtergeist noch weit ernstlicher, Goethen gegenüber, und wir werden gewahren, wie auch dort behütende Hemmungen eintraten. Diesmal blieb der Meister durch irgend eine Zufälligkeit ganz und gar aus, so daß Fritz den seither frühe verewigten Franz Kleist überhaupt nie mit Augen im Leben gesehn hat. Aber theuer blieben ihm, geweihet mogte man sagen, die Orte, namentlich die ziemlich altfränkisch gezognen Hecken, Berceaus und Alleen des Gartens, wo er dem Dichter fast begegnet wäre. Sie üben noch jetzt ein süßes Recht magischer [81] Erinnerung über ihn. Aus jenem Quell verwandtschaftlicher Beziehung Franzens zu seinem übrigens nicht eben poetisch gestimmten Vaterbruder kamen noch manchmal Kunden in die Nachbarschaft herüber, welche sonst eben nicht in die literarische Oeffentlichkeit gelangten. So begleitete in seiner schönen Gattin und seinem eignen Namen der jugendliche Dichter eine Geschenk erlesener Früchte an seinen Vater, der als preußischer General mit gegen das revoluzische Frankreich an den Rhein gerückt war, durch folgende anmuthige Reime:


»Vater,«

»Sonst reiften dir im Vaterland die Früchte,

Die dir gerührt heut unsre Liebe bringt.

Doch jetzt, da dich die Schlacht mit glänzendem Gesichte,

Die Ehre dich in ihre Tempel winkt,

Jetzt da der Krieg zum dräuendem Gerichte

Mit scharfem Schwerdt in freie Völker dringt,

Und zitternd nun wohl manchem Bösewichte,

Dem Edlen nie, der stolze Muth entsinkt.

Jetzt, Vater, nimm, was auf dem dürren Sande

Der Heimath besser, als am rebenreichen Strande

Des stolzen Rheins in warmen Thälern blüht,

Nimm, und gedenk, entfernt vom Vaterlande,

Wenn dich der Sieg bekränzt mit Lorbeern sieht,

Daß Kindesliebe uns mit Römerstolz durchglüht.«


Man hört aus manchen Wendungen und Ausdrücken dieser Zeilen: der Dichter erwartete noch immer eine heitre Lösung von den Verwickelungen in Frankreich. Noch war freilich das königliche Haupt unbedroht geblieben, noch hatte Lafayette sein verderbliches Schwanken beschönigt und verdeckt mit dem Anschein der Unpartheilichkeit, ja wohl gar sich selbst eingeredet, er stehe fest und kraftbegabt inmitten der fluthenden Brandung, ein hülfreicher Pharus für alle Wohlgesinnten, und was es mehr solcher theils absichtlichen, theils unabsichtlichen Irrungen in- und außerhalb Frankreich geben mogte.

In der Familie Fouqué wurden denn gleichfalls gar verschiedne Stimmen über die französischen Neuerungen laut. Anfänglich hatte das Wort: »Bastille« und so viele geträumte Schrecken in dessem Gefolge ziemlich allgemeinen Beifall über die Zerstörung der Zwingburg hervorgebracht. Als nun aber die [82] befreieten Gefangenen nicht zum Vorschein kommen wollten, sondern sich nur ein oder zwei Blödsinnige vorfanden, und dagegen manch kannibalischer Mord gegen Ueberwundne oder sonst Wehrlose durch die siegende Nation zur Sprache kam, wollten die Lobeserhebungen nicht mehr so recht von der Stelle rücken, wenigstens nicht mehr unisono. Für Fritz war das Ding eine ganze Zeit lang ein Schulpensum nach Art und Weise seines mit dem Hauslehrer im Stillen bearbeiteten kritischen Journals. Je griechischer oder lateinischer sich also das Ding anstellte, je gewisser war es einstweilen seines Beifalls. Von einer gründlichen Erforschung des römischen Patriziates oder der hellenischen Adels-Gestaltungen war in den Lehrstunden niemal die Rede gewesen. Fritz wußte eben nur, daß dorten kein Mensch: »Herr von«, oder Herr Graf, oder Herr Baron geheißen hatte. Folglich mußte mit der Abolition solcher Titel ein gewaltiger Vorschritt zur Förderung wahrer Menschenwürde geschehen sein, und Freund Hülsen, in derselben Ansicht lebend und webend, weil von ihm selbst ausgegangen, konnte sich der harmonirenden Ansichten seines Zöglings nicht genugsam erfreuen. Aber diese Freude dauerte, gleich so mancher blos weltlichen Freude, nicht lange. Der heldenmüthige Widerstand der französischen Garde-du-Corps in Versailles zu Rettung der königlichen Familie, und zugleich dieser – man mag mit Recht sprechen – kindliche Gehorsam gegen den Monarchen bei'm Nichtgebrauch ihrer Waffen gegen die revoluzischen Schlächter, – gegenüber die viehische Herzfresserei der Furienweiber aus Paris, – die beleidigende Unsitte des triumphirenden Packs gegen die schöne Königin und den duldenden König, – das Alles gnügte, alle antike Floskeln bei dem glühenden Knaben über den Haufen zu werfen, und die heiligen Rechte der Ehre und der Treue wiederum in ihre natürliche Herrlichkeit einzusetzen. Selbst von den aus wandernden Prinzen und dem ihnen folgenden Adel erwartete der Knabe fortan Großes, weil Ritterliches, und so stand er nun mit Leib und Seele dem revoluzischen Getriebe gegenüber, im Traum und Wachen kämpfend mit seinen innerlichsten Kräften für die bedrängte Thronesfamilie der Lilien. Von den edlen Anstrengungen der Vendée wußte er damals noch nicht. Wie hätte nicht vollends erst diese Helden- und Ritterwelt ihn ergriffen, insbesondere wenn er die Namen Lescure de [83] Solier und La Roche Jaquelin, seine eigne Stammtafel schmückend, darin angetroffen hätte. Aber das sollte erst künftigen Jahren aufbehalten bleiben.

Für jetzt empfand er das Einrücken des preußischen Heeres in Frankreich in freudeglühender Seele, sodann das Mißglücken des allzukühnen Vordringens auf Paris mit zerreißendem Schmerz, die Custinesche Ueberrumpelung von Mainz und so manches Erliegen der deutschen Waffen wie einen schweren, kaum denkbarlichen Traum, den freilich nachher die Wiedereroberung der deutschen Gränzfeste und die sieghaften Schlachten von Pirmasens und Kaiserslautern wieder mit freudigen Ehrenlichtern durchblitzten. Immer schroffer und weiter erschloß somit sich eine Kluft des Nichtverstehens zwischen seinem Geiste und dem des einst so innig geliebten Lehrers Hülsen. Die beiden Menschen sahen sich mit jedem Tage staunender, leider zugleich auch entfremdeter und entfremdender an. Der fromme Hausvater hatte nur Grauen und Thränen für die ehemaligen Landesgenossen, der ritterliche Schmettau nur Abscheu für die modernen Kannibalen.

Fritzens Poesie wandte sich um diese Zeit fast spottend feindlich wider ihn selbst. Er höhnte sich selbst aus, daß er zum unkriegerischen Leben bestimmt sei, um so herber, je mehr die ehemaligen Jugendgespielen jetzt schon wirklich in den Reihen wider den verabscheueten Feind ehrenvoll mitfochten. Die Form solcher trüben Dichtungen – mit nur allzu bestimmtem Recht verdienten sie das Beiwort:trüb – war die sogenannt epistolarische, wie sie Göcking damals geliefert hatte, und wie sie dem heranwachsenden Jüngling durch Hülsen bekannt geworden und gepriesen war. Es herrschte allerdings darin eine gewisse wohlfeil befriedende Weisheit vor, die man eher Klugheit hätte nennen mögen, aber die doch auch aus dem echten Bronnen geheimnißreicher Liebe schöpfte, und worin sich edelkriegerische Waffenklänge mit verwebten. Eben solche hielten denn auch den Geist des werdenden Dichters daran fest. So z.B. der Anfang einer Epistel an Göcking's Bruder, den Anführer einer tapfern Husaren-Schwadron beim Ausrücken in den sogenannt Baierschen Krieg.


[84]

»Statt daß dein Schäfer zu Karzin 3

Mit seiner Feld-Schallmai verkündet,

Wie frisch die Veilchen wieder blühn,

Und wie mit Ros' und Immergrün

Das junge Jahr sein Haupt umwindet,

Jagt dein Trompeter durch die Stadt,

Und bläset Lärm an allen Ecken,

Dich, der zum letztenmal so sanft geschlummert hat,

Zur langen Arbeit aufzuwecken.«


»Wie stampfen schon vor deiner Thür

Voll Ungeduld die Rosse der Husaren!« u.s.w.


Doch eben in Fritzens Episteln wurden jetzt alle Laute kriegerischen Anklänge des Wehes, ja, Anklänge der Unzufriedenheit mit sich selbst, weil mit seiner nun einmal, wie er vermeinte, unwiderruflich gewählten Bestimmung. – In dieser Zeit schmerzlich innern Zwiespaltes erwacht, kam ihm einmal der Gedanke, an Fricke zu schreiben, seinen frühesten, so innig und störungsfrei geliebten Lehrer. Von der innern Düsternheit sollte nicht die Rede sein. So ward es denn gar ein verwunderlicher Brief, mit welchem es so herauskam, als stehe der junge Mensch nicht sowohl am Anfang, wie vielmehr am Ziel seiner Bahn, und ruhe bereits von überstandnen Mühseligkeiten aus am Ufer eines Silberbaches und im Schatten eines Friedens-Haines. Fricke antwortete nicht, und ist auch deshalb wohl just nicht zu tadeln. Auf jeden Fall hätte die Erwiderung einigermaßen herb ausfallen müssen, in der Erinnerung: »Freund, es ist nicht Zeit zum Schlafengehn, sondern vielmehr Zeit zum Ausrücken und zum Marschiren auf irgend einer Bahn!« und dazu war Fricke's liebevolle Seele wohl allzuweich. Wir werden späterhin Spuren dieser Art begegnen. –

Für jetzt kam im Herbste des Jahres 1793, also in Fritzens sechzehntem Lebensjahr, eine entscheidende, und – wie ich mich überzeugt halte – eine wohlthätig entscheidende Mittagstunde heran. Die Familie saß bei Tisch, und aus den just neuangekommenen Zeitungen wurden, wenn auch nicht just Glücks- und Siegeskunden für die Verbündeten, doch preußische Ehrenkunden [85] von den Kampfesfeldern am Rhein herüber verlesen. Wiederum kamen von Fritzens frühern Spielgenossen ehrenwerth erwähnte Namen mit vor, und diesmal ergriff es ihn allzugewaltig, um, wie wohl sonst, seine Bewegung zu verbergen. Aus tiefster Seele rief er aus: »O daß ich an ihrer Seite wäre! Ja, nun fühl' ich es, das Schwerdt ist mir angeboren.« – Der Hausherr wandte seine großen dunkeln Augen auf seines Vaters Bild, des Helden von Landshut, wie es feierlich von der Wand hernieder sah, in nach damaliger Weise für alle Bilder von Edelleuten gewöhnlichem geharnischten Kostum, die Würde eines befehligenden Generals durch dem Kommandostab in seiner Hand bezeichnend, fast an die Erscheinung von Hamlet's Heldengeist mahnend, – ernst bewegt blickte er nach dem Feldherrnbilde hin, und sprach zu Fritz: »Ja freilich wär' es deinem Großvater lieber gewesen, säh' er dich zu einer Zeit, wie diese, unter den Waffen!« –

Die Augen des Jünglings mogten wohl sehr feurig blitzen und sehr feucht. Graf Schmettau sprach: »Ist es denn so gar Ernst bei dir, Fritz? Wohl hab' ich es diese ganze Zeit über geahnt, nimmer aber so deutlich empfunden als jetzt.« – Und zu dem Hausvater gewandt, sprach er: »Ist es dir eben so Ernst, als deinem Fritz? Mögtest du ihn als Kriegsmann sehn?« – »Gott weiß, wie gern!« hieß die Antwort. »Sollte er nun aber erst im sechzehnten Lebensjahr als Fahnjunker oder Standartenjunker eintreten, so müßte für ihn alle Aussicht zur Beförderung verschwinden, weil ja andere junge Edelleute ihre Kriegs-Laufbahn um vier bis fünf Jahr früher auf solche Weise beginnen. Will aber der König meinen Sohn jetzt als Offizier anstellen, – in Gottes Namen!« – Somit hatte sich – nach altgermanischer Weise, hätte man, den Berichten des Tacitus nach, sprechen mögen, – das heitre Mahl in einen Familienrath verwandelt, wobei Schmettau nach seiner Welterfahrung und nach seinen mannigfachen Bekanntschaften wohl versichern durfte, es könne nicht schwer halten, ein solches Gesuch durchzusetzen, theils in Erinnerung an des kriegslustigen Jünglings anerkannt würdigen Großvater, theils auch in Erwägung, daß Friedrich La Motte Fouqué schon in seiner Ausbildung bis zum Beziehen der Universität vorgerückt sei. Auch konnte man Gutes [86] hoffen von jener frühesten Bekanntschaft mit dem damaligen Kronprinzen, der ein schönes Infanterie-Regiment, in Potsdam garnisonirend, befehligte.

Beim Aufstehen vom Mittagstisch war es Allen so ziemlich gewiß, Fritz sei schon als Preußischer Offizier zu betrachten, ihm selbst am allergewissesten. Indem er sich aber zu Hülsen wandte, ihm nach Gebrauch eine sogenannte »Geseegnete Mahlzeit« zu wünschen, sahe er eine solche Verwandlung in dessen Zügen, daß ihn eine tiefe Wehmuth anwandelte. Er fühlte es: nun hatte ihn der einst so geliebte und liebende Lehrer ganz aufgegeben. Und doch lag selbst darin zugleich etwas Erfreuliches, denn es zeigte sich: auch Hülsen glaubte an die Unwiderruflichkeit jenes neuen Berufes. Und das war doch in der That, so wie nun die Dinge einmal standen, das Beste. Denn wäre Hülsen, wie es früher verabredet war, mit seinem Zögling als Führer und Berather auf die Universität Halle gegangen, – was konnte anders daraus herkommen, als ein durchaus mißverstehend mißverstandnes Verhältniß! – Das Allerverderblichste, was es unter allen denkbarmöglichem Getriebe auf Erden giebt! – Ja, wäre jener Entwurf ins Leben getreten, so hätten zwei Seelen, in ihrer natürlichen Anneigung be stimmt, einander zu lieben, sich durch erzwungne äußre Nähe ohne Zweifel in die Verstörungen des Widerwillens, wo nicht gar des Hasses verwickelt und verwirrt. Laßt mich die Kleinlichkeit ehrlich heraussprechen: schon daß der Zögling immer entschiedner in die sogenannte elegante Welt sich eingeweihet fühlte, und der Führer weder Willen dazu noch auch nur das mindeste Geschick zeigte, war dazumal ein unverrückbar trennender Gränzstein zwischen Beide.

Das zeigte sich von da an während der annoch, der Form halber, fortdauernden Lehrstunden. Es wäre nicht eben schwierig gewesen, den werdenden Kriegsmann durch mathematisch arithmetische Studien zu fesseln. Oder auch selbst der Römischen Rede hätte sich durch Cäsars Kommentarien Reiz abgewinnen lassen und verleihen, ja auch durch Livius, den man wirklich las, und zwar, indem das mythische Element darin den Dichter anziehen mußte, das historische den kriegsfreudigen Jüngling. Aber ob Allem lag jetzt ein schweres Element der Verdrießlichkeit. Dazwischen[87] ward das Planzeichnen geübt, oder sollte doch geübt werden, aber im Eigentlichen kam es nur auf sehr nachlässige Dinteklecksereien heraus, und zwar nicht einmal Nachbildungen wirklicher Gegenden enthaltend, wozu doch schon vor einigen Jahren Fritz Geschick und Lust kund gegeben hatte, so daß schon damal eine kleine Charte von seiner Hand zum Ueberblick von Gemeindetheilungen brauchbar befunden ward. Jetzt galt es nur eben eingebildete Gegenden, zu kriegerischer Stellung oder Vertheidigung tauglich, wovon der Lehrer selbst Nichts verstand, ja nicht einmal Etwas verstehen wollte. Auch nicht von der möglichen Naturgestaltung war die Rede, weshalb ich nicht zweifle: die Bäche und Ströme sind oftmal bergan gelaufen, ohne den mindesten Einspruch, so daß hier ein gar taugliches Einblicken in die Beurtheilung eines charakterischen Bergzuges oder Flußgebietes verloren ging, wozu der auf dem Lande als Landpredigersohn erzogene Lehrer gar wohl hätte die Hand bieten können, vorausgesetzt guten Willen und gehörige Einsicht. Aber dazumal galt es nur zweierlei für den Gelehrtenstand: Gelehrte nämlich und Barbaren, zu welchen Letztern sie ganz vornehmlich die Soldaten zählten, und für die Kriegsleute Knoten und Soldaten, zu welchen von Erstern ganz vornehmlich die sogenannten Studirten gerechnet wurden. Und der unglückliche Fritz dazwischen in jener Zeit des Nichtentscheidens als eine Art von Amphibion schwebend! Es war eine miserable Wirthschaft für ihn, und wär' es noch weit mehr gewesen, hätten sich nicht zum Ersatz für die Scheinlehrstunden des Morgens wirkliche Lehrstunden des Abends geboten. Das geschah in Schmettaus Lesekämmerlein auf dem Lande, von einer für jene Zeit erlesenen Bibliothek beinahe gefüllt, so daß der übrige Raum nur eben noch den beiden einander gegenüber Lesenden frei blieb, durch einen behaglichen Kamin zur Herbstzeit leise erwärmt und mit Streiflichtern angenehm erleuchtet, während draußen die Spätwinde hinzogen durch die immer kälter werdenden Abende. Voltaire und Wieland, früher nur allzu oft die Phantasie des aufkeimenden Jünglings verpestend, waren jetzt durch kriegerisch historische Werke auf die Seite gedrängt, als z.B. Condé's Leben, oder auch Folard's Werk über Polybius, und Aehnliches, wodurch manche Frage und deren Erörterung zwischen dem erfahrnen Kriegsmann und [88] dem aufkeimenden Geiste des Knappen heilsam hervorgerufen ward. Lehrreiche, ahnungsreiche, seelige Stunden, mögtet ihr doch länger gewährt haben! Wohl Manches im Geiste des kriegsehnenden Jünglings hätte sich vollständiger und wirksamer entfaltet, was jetzt nur fast als verheißende Knospe hervorgebrochen ist, – wenigstens in den Monden seiner ersten Ritterfahrten. – Diese naheten mit ernsten Schritten heran, und es ward auch Zeit dazu, wenn eben noch die Gewitter am Rhein fruchtbringend in den Lenz des frischen Soldatenlebens hereinleuchten sollten.

Manche Hoffnung zum Eintritt in den ersehnten Beruf kam und schwand. Der Kronprinz hätte mit gewohnter Güte gern den als Knaben gekannten Jüngling in sein Regiment aufgenommen. Aber mit gewohnter Billigkeit und Gerechtigkeit ließ er auch dabei nicht die leiseste Verletzung eines anderweitigen Rechtes zu, und ein unerwartetes Avancement hemmte die einzige Möglichkeit, wo hier eine Anstellung zu allseitiger Zufriedenheit möglich war. Bisweilen sah es ganz und gar so aus, als würden dennoch die Halleschen Studienjahre angetreten werden müssen, denn ohne Anstellung als Offizier wollte nun einmal Friedrich Fouqué's Vater nicht in dessen kriegerische Laufbahn willigen, und zwar mit klar erwogenem Recht. Dem Jüngling aber schien jene wissenschaftliche Bahn – mit dem kecken Ausdruck des Dichters zu reden – so ziemlich: »das Entsetzlichste von allen entsetzlichen Dingen.« Und doch erwartete ihn dort, wie er gar wohl wußte die liebevollste Aufnahme in der nächstverwandten Familie, erwartete ihn Zusammentreffen und Zusammenstudiren mit jenem andern Ich, dessen schon vorhin in den Knabenjahren gedacht ward, mit ihm, welchen Fritz damals so glücklich pries, immer in seiner eigenen Gesellschaft zu leben, ja auch winkten ihn die holden Erinnerungen allzumal, von Natur und Kunst ihm früher in Halle an- und eingehaucht. Vielleicht hätte ihn zugleich die Ahnung seines künftigen Berufes als Lector hier ansprechen mögen, wo sein beginnendes Alter jetzt die Erfahrungen eines vielbewegten und vieldurchsungnen Lebens vor theilnehmend geliebten und liebenden Herzen und Geistern niederlegt, keine andere Laufbahn fortan erwartend noch wünschend, als die im letzten Stadion aufgeblühte, von reich erlabenden, stets günstiger zur Reife aufleuchtenden Früchten in Liebe und [89] Freundschaft, in Kunst und Wissen verschönt. Ihr versteht mich, Ihr lieben Menschen aus der Nähe und Ferne herüber, auf allen Stufen des Alters und der Verhältnisse, die wir uns am Saalesstrande gefunden haben für alle Ewigkeiten.

Ermeßt denn, wie es Eurem sonst just nicht ahnungsarmen Freunde damal so schwer dunkel um Herz und Geist sein mußte, wenn er in Halle und dem künftigen Aufenthalte dorten fast nichts andres erblicken konnte als eine Gattung von Sibirien, in das er hineingezwängt werden solle durch die Willkühr einer unverstandenen Schickung. Freilich ohne das Mißverhältniß zu Hülsen und dem kaumverhaltnen, gewißlich zwar im Grunde wohlgemeinten Triumphirn von dessen Seite, wenn wieder einmal eine Aussicht zur Kriegsanstellung verschwand, wäre das anders gewesen. Hätte der Jüngling mit dem ehemalig so befreundeten Führer ein elegisches Gefühl über das verfehlte Ringen seiner tiefsten Berufes-Sehnsucht theilen können, ergeben wäre er in dessem Geleite des unabweichlichen Weges gewandelt, und die Muse hätte ihre lindernden Blumen darauf hingestreuet, – aber so! – Dennoch entschloß sich der Jüngling, nämlich zu tragen, was nun einmal getragen sein müsse. Schon die magisch herrliche Möglichkeit auf eine mögliche Waffen-Laufbahn hatte seine Poesie aus jeder früheren Lähmung wiederum erweckt. Seine Lieder schwangen sich dem ersehnten Ziel immer frischer und geadelter entgegen, sei ihm auch schon frühe das allerernstlichste beschieden. So sang er in einem Sehnsuchtsliede:


»Ach, unbewehrt ist meine Seite,

Ich ruh' geschützt am väterlichen Heerd.

O König, gieb zu deinem Streite

Auch meiner Jünglingshand ein Schwerdt!« –

Und eine epische Dichtung schloß mit den Worten:

»Winkt frühe mir der ernste Ehrentod,

Den spät Schwerin im Schlachtgewühl errang,

So sink' ich jubelnd in den blut'gen Staub,

Und schließe stolz das matte Auge zu.« –


Im Winter von 94 zu 95 war er mit Schmettau nach Potsdam gegangen, um der Entscheidung näher zu sein, Hülsen, nach der jetzt angenommenen, unthätig verdrossenen Weise, mit, während den Hausvater bei herannahenden Alter eine Unpäßlichkeit [90] auf dem Landgute zurückhielt. Die Ankunft und Vermählung beider engelschönen Bräute der beiden ältesten Königssöhne: – der Prinzessinnen von Mecklenburg- Strelitz – gaben den Städten Berlin und Potsdam einen erhabenen Lichtglanz der Festlichkeit, wogegen dem aspirirenden Soldaten vollends nun die düstern Hörsäle der Universität wie ein Exil vorkamen. Dennoch ließ das fortdauernde Schweigen des Königs auf das Anstellungsgesuch des Vaters La Motte Fouqué für seinen Sohn sich nach damaliger Weise ganz an, wie ein absolutes Nein. Noch als leiser Hoffnungsstrahl zwar schimmerte zwischendurch ein Gerede von Anstellung im Infanterie-Regiment von Knobelsdorf, welche alt-erprüfte tapfre Schaar allerdings – ein Hauptwunsch des Jünglings! – dem Feinde am Rhein gegenüber stand. Aber der Cavalleriedienst hatte doch eine große Anziehungskraft für den jungen, nicht mehr so ganz ungeübten Reiter. Und auch selbst jene Aussicht schien seit einiger Zeit wiederum ganz verkümmert zu sein.


Eines Abends betrat Fritz eine geschlossene Gesellschaft, ein sogenanntes Casino, in ihm selbst lauter trübe Gedanken der Resignation, Halle wie einen Alp auf dem Rücken tragend. Am andern Ende des Zimmers spielte Schmettau seine gewohnte kleine Parthie Whist. Als der junge Mensch hereintrat, rief er ihn zu sich heran, nicht, wie wohl sonst, in vertraulicher Weise: »Fritz!« sondern feierlicher mit dem Familiennamen: »Fouqué!« und begrüßte den Näherkommenden voll heitern Ernstes mit der Ankündigung: »Du bist Offizier, Fouqué!« O des Schauers der Entzückung, der mir durch Leib und Seele rann! Keine Beförderung in dieser sublunarischen Welt ist wohl je mit größerem Wonnegefühl vernommen worden. Staunend, keines Wortes mächtig, stand ich da. »Rathe, wo du angestellt bist!« sprach mein liebevoller Erzieher. »Nun«, lautete die freuderfüllte Antwort, – »Fähnrich im Infanterie-Regiment Knobelsdorf bin ich.« – »Nein, du bist Cavallerist!« steigerte sich's von Entzückung zu Entzückung. »Du bist übercompleter Kornet im Kürassier-Regiment Herzog von Weimar.« – Und auch diese an edler Sitte und wackerm Reitermuth wohlgerühmte Schaar stand am Rhein, dem Feind gegenüber. –

[91] »Es ist davor gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen!« sagt ein altes gutes Spruchwort.

Und das galt denn auch hier für den im Uebermaaß der Herrlichkeit beinah in die Wolken aufsteigenden Kornet.

Mehre Garde-du-Corps-Offiziere nämlich machten ihm bemerklich, sein Obrist und Commandeur – der Herzog von Weimar nämlich hatte auf dringendes Ansuchen seiner Stände sich aus dem Preußischen Kriegsdienst zurückgezogen, und das Regiment blieb einstweilen vakant – werde den noch ganz unerfahrnen Kornet erst im sogenannten Depot, oder der Re serve-Schwadron einüben lassen, bevor er ihn zur Armee beordre. Ein Donnerschlag mitten in die Freude herein! Da draußen am Rhein sollten die neugewonnenen Kameraden sich rühmlich schlagen und Ehren und Ritterorden gewinnen, während der obscure Kornet in der Garnison Aschersleben, statt seine neuen Sporen zu verdienen, erst nur gleichsam erlerne, die Sporen anzuschnallen! Und das ein ganzes Jahr lang! Und wie leicht konnte im Laufe dieses Jahres ein unwillkommener Friede allen schönen Träumen von edler Kriegserprüfung ein Ende machen, wer weiß auf wie lange Zeiten hinaus! –

Einen devoteren Brief hat es wohl nicht leicht gegeben, wenigstens ich gewiß habe keinen geschrieben und denke noch minder seinesgleichen je wieder zu schreiben, als ich damals an meinen Obristen schrieb, mit der Bitte, mich alsbald zum Regiment zu berufen. Und welche Verheißungen von überaus vortrefflicher Aufführung! – Nicht allein für des Schreibers mäßige Kräfte wäre dle Erfüllung solcher Versprechungen umöglich gewesen; auch wohl der begabteste Sterbliche hätte schwerlich dahinauf gereicht. Aber der Kornet trauete sich in dem Augenblick, wo er diesen Brief schrieb und unterschrieb, nicht nur alles Mögliche zu, sondern auch noch ein gutes Stücklein drüber, und man kann also in dieser Hinsicht wahrlich keineswegs sagen, er sei mit Unwahrheit umgegangen. Ein Standpunkt, aus welchem auch der sonst sehr ernstlich strenge Obrist und Commandeur von Froreich das Ding ansehn mogte. Denn umgehend erhielt der Kornet die Weisung, sich zwar nach Aschersleben zu verfügen, aber nur, um sich baldigst mit der binnen kurzem von da abgehenden Ersatz-Mannschaft zum Regiment an den Rhein zu verfügen. [92] Jetzt erst war der Himmel vollkommen seelig klar über dem Beglückten. Nach seiner gedächtnißkräftigen Sangesweise hatte er schon längst in sich die Gleimschen Zeilen wiederholt:


»Wohlan denn Krieg! Weil alle Welt

Krieg will, so sei es Krieg!

Berlin sei Sparta, Preußens Held

Gekrönt mit Ruhm und Sieg!«


Nun, das hätte denn auch immerhin Jedermann mit anhören mögen, und in der Regel ganz passend gefunden. Aber jetzt hatte sich ihm auch unwillkürlich die erste Strophe von des Wandsbecker Boten schönem Freudenliede mit für seine jetzige Wonnezeit neu aus-und umgebildet. Ursprünglich hieß sie:


»Ich bin vergnügt! Im Jubelton

Verkünd' es mein Gedicht.

Und mancher Fürst mit Kron' und Thron

Und Scepter ist es nicht.

Und wär' er's auch, – nun immerhin,

So ist er eben, was ich bin.«

Nach der Kornets Version aber hieß sie also:

»Ich bin Off'zier. Im Jubelton

Verkünd' es mein Gedicht.

Und mancher Fürst mit Kron' und Thron

Und Scepter ist es nicht.

Und wär' er's auch, – nun immerhin,

So ist er eben, was ich bin.«


Freund Fritz empfand wohl, wie er mit seinem Kornets-Jubel auf der geringsten Offizier-Stufe vor fast allen Menschen lächerlich erscheinen müsse, und hielt also auch den parodirenden Herrlichkeits-Chorsang vorsichtig in sich zurück. Aber, – hätte dazumal Schillers Wachtmeister schon Gestaltung und Sprache gewonnen, ich meine, der Ehrenmann mit seinem naiven Soldaten-Bewußtsein hätte doch wohl gesagt: »Dem ist nicht ohne.« –

Es ging nun an die Abschieds-Begrüßungen, ein Schaffen, welches bei Fritzens natürlicher Weichheit nicht ohne manche Thräne abgehen zu können schien, aber in seiner Seele überstrahlte – wenigstens geraume Zeit hindurch – die aufgehende Sonne des ersten Feldzuges jegliches Wehmuthgewölk mit siegender Herrlichkeit. Selbst ein kurzer Besuch auf dem Rittergut Lentzcke, das Scheiden von dem ehrwürdigen bejahrten Vater [93] dort, das letzte Anblicken so vieler Gegenstände, Erinnerungen holder Träume in sich tragend und frühen Leides und kühner Entwürfe, – es ließ, eben der letztern willen, deren Ausführung immer näher und näher aus dem Meere der Zukunft heraufstieg, keinen Abbruch der innern Freudigkeit zu. Staunend sahen manche sogenannte Beobachter, welche in ihrem einseitigen Klugthun die Weichheit des Knaben für Weichlichkeit mogten angesehn haben, den ganz Umgewandelten an. Des Vaters Fouqué echte Frömmigkeit aber, die in ihrer kräftigen, auf Gott felsenfest gegründeten Einfalt dem Zagen unzugänglich war, zugänglich aber jeder Freude im höhern Chor, hätte ohnehin der ernsten Abschiedsfeier gewißlich nichts von ihrem heiterklaren Charakter nehmen lassen. Wie er, obgleich der Französischen Sprache immer noch beiweitem mehr mächtig, als der Deutschen, diese doch bei allen tieferen Gemüthsbewegungen stets der ehemaligen Vätersprache vorzog, schrieb er auch jetzt folgende deutsche Zeilen, nach alter Weise mit rother Dinte, wo es etwas recht ernstlich Mahnendes gelten sollte, in des scheidenden Jünglings Denkbuch:

»Heute hat mein Sohn als Krieger seine Laufbahn angetreten. Gott! Ich rufe Dich inständig an, Du wollest darin ihm immerdar zur Seite gehn, aus aller vorstehenden Gefahr ihn retten, und wann er deines Rathes bedarf, ihm mit solchem beistehen, damit er sehen möge, daß Du diejenigen nicht verläßt, die dich darum bitten. Dieses sei von Herzen zur Erinnerung dir gegeben. Eingeschrieben zu Lentzcke bei Fehrbellin, den 9. März 1794.«

»Heinrich Karl La Motte Fouqué«


»Baron de Thonnayboutonne.«


Schmettau schrieb in dasselbe Buch:
»Gott sei mit dir! Und fürchte nie den Tod,
Wann Schlacht dem Vaterland, Gefahr dem Freunde droht.«

Ich habe nie wieder dieselben Worte gelesen, auch zuvor nicht, wie ich es bei meinem sichern Gedächtniß wohl mit voller Zuversicht behaupten kann, und darf also wohl annehmen, des mehr denn 40jährigen Mannes innerstes Gefühl habe ihm, dem sonst eben nicht mit der Fertigkeit des Reimes Begabten, diese zwei Zeilen eingehaucht. Auf mich haben sie von jeher den mächtigsten [94] Eindruck gemacht, und thun das noch jetzt an der Neige meiner Jahre. Sollte ich es erleben, einem geliebten Jüngling den Feldruf in den Kampf mitzugeben, ich wüßte es durch keine trefflichern Worte zu thun. –

Mein Abschied von Hülsen? – Es ging dabei in der Weise unsres letzten seitherigen Verhältnisses zu: dunkel, wie Nebel, und kalt, wie Eis. Hülsen, wie billig, entschädigt für die vergebliche Erwartung, seinen Zögling auf einige Jahre nach der Universität zu geleiten, und dadurch im Besitz eines kleinen Kapitals, ließ sich gegen Niemanden just über seinen nächsten Lebensentwurf aus. Daß dieser aber sehr fernab, wol auf Nimmerwiedersehn, von der Bahn eines Feind-anziehenden Kornets liegen mußte, lag so ziemlich klar vor Augen. Jedoch die beiden sonst so weichen, ja vor mehren Monden einander noch so innig liebenden Herzen wollten auch vor dieser Ungewißheit des Wiedersehns sich aus ihrer Verstockung nicht lösen. Ach, es ist ein schlimmes Ding um die Verstockung, und hüte sich doch Jeglicher davor! –

Am Abend vor dem Aufbruch aus Potsdam, von wo Schmettau seinen jungen Freund noch bis Aschersleben und Halle begleiten wollte, saßen die Beiden noch mit Hülsen beisammen, still, nachdenklich, aber fast eher verlegen, als wehmüthig, denn auch Schmettau hatte wol vorlängst schon die Mißstimmung zwischen Fritz und seinem Lehrer geahnt. Endlich hub Hülsen, da die späte Stunde an den Abschied erinnerte, gegen Fritz gewendet, an:

»Erwarten Sie nicht, –«

Was er weiter sagte, hab' ich vergessen, oder vielmehr, ich hab' es gar nicht vernommen. Denn in mir antwortete mein trotzig gewordner Sinn: »Ich erwarte gar nichts!« – schon durch den etwas phrasenhaft klingenden Eingang mit noch einem kalten Wasserguß mehr temperirt, als es ohnehin die richtige Stimmung mit sich brachte. Es war etwa um ihn bestellt in dieser Stunde, wie um jenes ungezogene Mädchen, die, wie in der frühern Kindergeschichte erwähnt, auf Fritzens superkluge Exempelfrage: »Was würdest du von einem solchen Kinde halten?« mit plattdeutscher Naïvetät antwortete: »Wat soll ick darvon hallen? Ick halle nischt von.« – In der That: keine [95] Sylbe weiß ich von jener Abschiedsoration mehr, und wußte auch damals nichts mehr, als die schon berichtete Einleitung. Ich antwortete höflich, und der ganze Inhalt des Dialogs kam etwa auf die vortrefflichen Anstandsworte heraus: »Ich wünsche, wohl zu leben, und völliges Contentement!« etwa, wie wenn beide Herrn zugleich zu niesen beliebt hätten.

Warum ich mir solchergestalt das Herz zerreiße? Weil es kein eigentliches Zerreißen ist, sondern eben nur ein Wundritzen, wofür die süße Heilung schon bereit liegt in schönem, manch einem künftig immerdar gesteigert innigem Wiedersehen Hülsens, zu einer Liebe, die sich endlich sieghaft erwies über jegliches Mißverständniß, ja – ich darf es voll seeliger Ueberzeugung aussprechen – stärker, als der Tod. Denn auch noch kurz vor Hülsens Heimgang führte ihn und mich die höchste Schickung wieder zusammen, und unser letztes vertrauliches Gespräch, öffnete Seele und Seele zu einem Akkord über das Heiligste, dem wir Beide voll seeliger Ueberraschung lauschten. –

Der jetzt beginnende Ritt nach Halle und Aschersleben ging fröhlich genug von statten. Eine jener holden Elfengestalten aus Potsdam her schwebte zwar noch wie mit wehmüthigem Gruß über des jungen Kriegsmannes Haupt; – auch hatte sie ihn eines Sprüchleins in sein Denkbuch gewürdigt; – aber es drang doch eben für beide keinesweges in's tiefste Herz herein. Allerdings aber webten sich Strahlen, das neu beginnende Ritterleben adelnd und verschönend wie zu einer Glorie für den jungen Reiteroffizier daraus zusammen. Ueberhaupt sahe jetzt Alles um ihn her aus, wie etwa die Welt in des Tages beginnendem Frühlicht: räthselhaft, grandios, mahnend durch wunderbarliche Erscheinungen an wunderbarlicher bevorstehende Erscheinungen noch, nachklingend um die erwachende Seele her weissagende Gebilde aus einer nur kaum erst verdämmernden Traumeswelt, die uns durch viele Stunden entlang als volle Wirklichkeit gegolten hat. –

Selbst die einfach gute Stadt Aschersleben, welche sich von gar vielen Leuten mit Unrecht hat für prosaisch müssen schelten lassen, umwob sich vor den Blicken des Neophyten, wie ich ihn jetzt wohl nennen mag, mit den Lichtern mysterios ahnungsreichen Helldunkels. –

Konnte es denn auch eigentlich anders sein? –

[96] An und für sich schon hegt die altväterlich wohlhabende Stadt manch sagenhafte Erinnerung aus wackerer Vorzeit, und sieht aus dem fruchtbaren Thalkessel, in welchen sie eingesenkt ist, mit ihren alten schönen Kirch- und Thorthürmen und den rings zusammengedrängten, man mögte sagen zusammengehäuften Häusern räthselhaft und, erst von den nächsten Anhöhen sichtbar, plötzlich überraschend wie aus einem Hinterhalt hervor. Seit die Geschützkunde so überlaut in der Kriegskunst mitredet, mögte durch ein zentral zusammengerichtetes Beschießen die Stadt mit ihren Schutzmauern leicht von den Höhen einzudonnern sein. Dem war aber nicht so, als es noch keine oder höchst selten Pulvergeschosse gab. Ein Kranz von hohen, dichtgemauerten Warten auf den die Stadt umgebenden Hügeln, jede mit ihren zwei Nachbarinnen durch leicht wahrzunehmende Signalzeichen in genauer Verbindung, bildete einen Kreis, den man wohl mit vollem Rechte telegraphisch heißen kann, denn auch die Wachtposten der Stadtmauer empfingen von dorther Anzeigen jeder etwa herdrohenden Feindesgefahr.

In sich war jede dieser kleinen Wachtburgen so ziemlich unbezwingbar, denn der einzige Eingang führte durch ein über zwei Mann-hoch angebrachtes Fenster; tiefer am Boden keine Spur von Pforte, und oben zog die Besatzung ihre dafür eingerichtete Leiter nach sich herein, die ihr jedoch auch die Gelegenheit zum beliebigen Ausfall eröffnete, falls man sich dafür zahlreich genug befand, namentlich im Verein mit andern Warten-Hütern, um den etwa im Felde zu dreist umstreichenden Gegner zu züchtigen, oder ihn doch von Unthaten gegen Saat und Heerden abzuhalten. Jeder solcher Thürme konnte bequem bis gegen hundert Kriegsleute – wohl drüber – aufnehmen, und die Heere waren damals nicht zahlreich. Eine sogenannte Warte dagegen ließ sich, vermöge ihrer abgeschlossenen Struktur und der darin aufgehäuften Wurf- und Pfeilwaffen, auch durch Wenige eben so leicht vertheidigen, als Viele sich darin zu bergen vermogten. Hätte der damalige Kornet so viel von Befestigungskunde gewußt und wissen können, als der jetzige Major, ihm wäre wohl der Gedanke an eine Vergleichung mit dem Montalembertschen Thürmen eingekommen, und zwar nach vollem Recht, wie auch vorhin der vom telegraphischen Signalsystem. Die Kriegskunst ist nun einmal nur Eine, und [97] offenbart sich dem achtsamen Blick als solche eben so deutlich auf ihren gelehrt verschlungensten, als auf ihren einfach nothwendigsten Stufen. –

An allgemein richtigen Begriffen oder doch ahnenden Anschauungen über das Werk der Waffen mangelte es dem Jünglinge just nicht, wie wir schon früherhin wahrnehmen konnten. Für damals aber herrschte noch oftmalen die Erscheinung der dichterischen Muse vor. So zogen ihn zumehrst die idyllischen Thalwindungen an, durch den Kessel der umgebenden Höhen in Gebüschen und Wiesen hinführend, geleitet durch den anmuthig klaren Eine-Bach, dem man auch wol den Ehrentitel eines Flüßleins gönnen darf. Am schönsten erzeigt er sich da, wo er unter dem felsig schroff emporsteigenden Hügel der alten Burg hinrinnt durch ein schattiges Thal, von drobenher eine weite und hohe Erdumwallung auf ihn herabschauend, und die dem Zerstörungsgrimm sieghafter Feinde trotzendem Rundtrümmer eines Thurms, dem Hauptgebäu der ehemaligen Veste. Anfänglich war sie zum Schutze der Stadt Aschersleben (auch in Urkunden lateinisch Askania geheißen) gleichnamig erbauet, späterhin, durch Uebermuth der in Dränger umgewandelten Burgherrn, der Stadt bedräulich und verhaßt geworden, endlich durch Zorn und Kriegslist der aufs Aeußerste gereizten Bürger gebrochen. Dies war die alte Schauer- und Schatzessage, hier waltend, und von Gottfried August Bürger besungen in seinem Raubgraf, er selbst ein Stadtkind aus Aschersleben, wie man sich dessen immer dort noch mit edelstolzer Erinnerung rühmte.

Das und Aehnliches berichteten mir freundliche Regimentskameraden, mit mir den alten Burgberg er steigend, und das Frühlingsgrün leuchtee um uns her, und der blaue Frühlingshimmel strahlte sonnig auf uns herab. Sie aber hatten bereits die schöne Mysterienweihe des Kampfes auf Leben und Tod rühmlich bestanden, und kamen mir Neuling doch so freundlich, man durfte sagen brüderlich entgegen, fröhlich vertrauend: »Wer diesen unsern Waffenrock angezogen hat, wird auch gleichen Herzens sein mit uns, und gleichen Schritt mit uns halten auf dem Felde der rühmlichen Gefahr. Tief empfand ich und mit liebevoller Dankbarkeit das ehrenleuchtende Band der Waffenbrüderschaft. Ich war nicht mehr allein auf der Welt. Und was [98] aus dieser jetzt in Aschersleben versammelten Schaar noch nicht dem Tod' in's Auge gesehen hatte, hatte doch bereits, gleich mir, die erste Weihe empfangen zur nahe heraufrückenden Prüfung, und fühlte sich darin stolz und groß und vertraulich mit einander verbunden für Zeit und Ewigkeit. Oder hätte es Ausnahmen darunter gegeben, – gewiß ihrer waren sehr Wenige nur, eben durch die Ausnahme selbst die Regel (dem Spruchworte nach) bestätigend.«

Freundlich bewilligte der kommandirende Rittmeister des Depots – ein mir auch nachher durch manches Dienstjahr unvergeßlicher Waffenmeister, von Seelhorst mit Namen – mir noch auf ein paar Tage Urlaub nach Halle, zum Fahrwohl für die geliebten Verwandten dort, von wo ich sodann nach Hornburg zu dem Ersatzkommando, von einem geübten Offizier befehligt, stoßen sollte. Beim Abschiede von dem auch ihm bereits liebgewordnem und seither immerdar liebgebliebnem Aschersleben ward dem werdenden Kriegsmann auch noch ein gar feierlicher Gruß zu Theil. Man durfte wohl sprechen: ein Seegensgruß. Ein alter in Ehren weißgewordner damal verabschiedeter Obrist, ehedem Commandeur des Regiments, ein kleiner Mann mit etwas fremdartig südpreußischem Akzent, was aber just seinem gesammten Wesen etwas treuherzig freundliches verlieh, legte, als sich Fouqué ihm empfahl, beide Hände auf des Jünglings Schultern, und sprach mit feuchtglänzenden Augen: »mein Sohn, Sie sind noch sehr jung und sehr zart, und reiten vielleicht schweren Kriegserschöpfungen, schlimmern Dingen viel, als den Kampfgefahren unseres ehrenwerthen Standes, entgegen. Aber Gott ist in den Schwachen mächtig. Halten Sie sich fest an ihn, und er wird Sie zuruckführen mit Ehren, und vielleicht auch zu meiner Freude hienieden noch.« – Die Weihe des frommen Greisen senkte sich fühlbar durch meine Seele, und er sahe seine frommen Wünsche auch noch zum Theil erfüllet an mir.

Für jetzt harreten meine zunächst in Halle schöne, lebensfrische Stunden, namentlich durch das Beisammensein mit Vetter Karl, jenem alter ego, der sich um ein Jahr später seinem Fritz nachgezogen fand in den preußischen Reiterdienst, freilich, durch Umstände bewogen, in ein andres Regiment. Aber wo die Herzen dergestalt, wie bei jenen Beiden, zusammenschlagen, [99] führt auch die Fügung sie äußerlich, ob nach noch so langer und ferner Trennung, mehrst wunderbarlich wieder zusammen, wie freundlich theilnehmende Leser das im Verlauf dieser Geschichten hoffentlich nicht ohne Vergnügen betrachten mögen.

Für jetzt ergötzten sich die beiden Vettern gemeinsamlich an Reiterübungen, vornehmlich auf des Kornets Reitpferden. Der kleine, bereits etwas alternde Polenschimmel war natürlicherweise, als in die Reihen der Kürassierschwadronen untauglich, auf dem Rittergute Lentzcke zurückgeblieben, und durch drei stattliche Gäule ersetzt worden, worunter ein schöner lichtbrauner Engländer, Apollo geheißen, den Oberrang einnahm. Auf unsern Ritten begleitete uns meist Freund A.G. Eberhard, der um etwa sechs Jahre ältere, schon früher erwähnte Jüngling, seither als Schriftsteller so vortheilhaft bekannt. Die Poesie in seinem Busen schloß sich gern der kriegerischen Begeisterung an, darin jetzt Friedrich Fouqué lebte und webte. Zudem waren die Lebensjahre 17 und 23 schon weit günstiger zum gegenseitigen Verständniß, als die frühere Differenz es zu bieten vermogte. Wir beide, damals Jünglinge geworden, sind auch seither als Männer und Greise mit jeglichem Wiedersehen immer näher zusammengerückt. Eberhard wußte die damal noch ganz neu angeklungnen Weisen der Zauberflöte recht anmuthig zu singen, und belebte dadurch unsre Spazierritte, und tönte manch eine bedeutsame Zukunftsahnung in des jungen Kriegsmannes dichterische Seele.

Zunächst auch handelte sich's von einem Tanzfest, wo Friedrich Fouqué eine eben erst aufblühende junge Dame sehn sollte, die Freund Karl als überaus anmuthig geschildert hatte, und zwar mit großem Recht. Noch am Abend vor dem Aufbruch in's Feld erfreute sich der junge Kriegsmann des Glückes, seine liebliche Tänzerin im Hause seiner Verwandten wiederzusehn, ja auf die Fürbitte einer seiner Mühmchen, die sich neben die anmuthige Freundin mit einzeichnete, entschloß sich diese endlich, sein Denkbuch mit folgenden Zeilen zu ehren, nicht unangemessen in französischer Sprache, weil sie, gleich ihm, von einem Réfugié-Geschlecht abstammte:


[100]

»Les plaisirs sont des fleurs que notre divin maitre

Dans les ronces du monde autour de nous fait naitre.

Chacune a sa saison, et par des soins prudents

Il faut en conserver pour l'hiver de nos ans.

Mais s'il faut les cueillir, c'est d'une main légere.

On flétrit aisèment leur beauté passagere.«


Versuche der 63jährige Dichter und Major auf Deutsch wiederzugeben, was ihn auf Französisch als 17jährigen Kornet mit so ahnungsholden Schauern durchwallete:


»Die Freuden blüh'n ringsher als Blumen, die, entsprossen

Aus Wurzeln seiner Welt, uns Gott hat reich erschlossen.

Jedwed' hat ihre Zeit, und durch der Weisheit Rath

Behüte man sie zart, bis unser Winter naht.

Doch gilt's, zu pflücken sie, gescheh's mit leisen Händen.

Leicht könnt' ein rasches Thun den zarten Glanz verschwenden.«


Mögte ich einen Anhauch tiefer Rührung, mich bei diesen Zeilen durchwebend, in die Seele des Lesers mit eintönen können. Da athmet alles die scheue Zartheit der lieblichen Jungfrau, und – sei mir der Ausdruck hier vergönnt – auch eine Art von würdig altfranzösischem Menuetmaaß läßt sich mit herausvernehmen, voll einer Weltklugheit harmlos kindlichster Art, die sich eignet für die jüngste Blüthe einer vielgeprüften Familie, wie ja wir Réfugiés, wir vom heimisch französischen Boden allsammt vertriebene Glaubensflüchtlinge uns ohne Ausnahme den vielduldenden Familien beizählen dürfen, einen odysseïschen Zug an uns tragend. Elegischer aber noch insbesondre lauten jene Zeilen, wenn wir erwägen, wie das lieblich kluge Kind keinen Lebenswinter erlebt hat, um die sorgfältig und zart abgepflückten Blumen einzuspeichern, ja kaum einen Lebenssommer. Gleich in den ersten Jahren einer beglückenden Ehe ward sie gen Himmel abgerufen. Ich habe sie niemals wiedergesprochen. –

Am Morgen des Aufbruches in's Feld empfand denn auch Friedrich Fouqué die volle Wehmuth des Scheidens vom väterlichen Heerde. Der Kreis, welcher ihn jetzt losließ, war nun der letzte Familienkreis, aus dem er hinaustrat in die freilich [101] schön lockende, aber auch fremd fortan ihn umfluthende Welt. Indem er von diesen liebevollen Menschen schied, schied er von allen den früher zurückgelassenen Lieben noch Einmal und im tiefst innig empfundenem Maaß. Auch an des ritterlich freudigen Schmettau's Wimpern perlten jetzt Zähren. All die Tage her war er sehr frisch und fröhlich gewesen. Fühlte er ja in seiner eignen kraftvoll tapfern Seele, wie sein Zögling durch Gottes Lenkung in den ihm eigenthümlich echt beschiednen Beruf eingetreten war, und sich seiner neuen Bestimmung stets freudiger, feuriger und nicht ohne eigenthümlich frühbeschiedne Gewandtheit anschloß. Aber nun so der ganz unausweichbar letzte Augenblick des Beisammenseins vor uns! Der ernste Gedanke an das Nimmerwiedersehn hienieden in den Seelen aufwachend, und das zwar, wo nur Einer der rühmlichen Todesgefahr entgegengeht, und also der Zurückbleibende den Becher liebender Sorge zwiefach herb zu leeren hat! –

»Jedes Einschlafen« – sagte einst nach seiner sinnvollen Weise mein verewigter Freund Hufeland – »ist ein parzielles Sterben.« –

Jede Trennung ist es gleichfalls, aber ein sehr schmerzliches.

Das empfand nun der junge Kriegsmann in gleichsam konzentrirter Gewalt. Die früherhin zurückgehaltenen, ja von selbst zurückgebliebenen Thränen quollen ihm jetzt über, wie ein Strom, der seinen Damm durchbricht.

Aber die muntern Kampfrosse stampften ungeduldig die Steine draußen, Freund Karls Pferd mit, der dem jugendlichen Herzensfreunde noch bis Hornburg das Geleit geben wollte. Zudem hatten die beiden aufblühenden Ritter beschlossen, im Hinausreiten zur Stadt – Umweg oder nicht – an den Fenstern jener lieblichen Dame vorüber zu ziehen, ob ihnen das gute Glück etwa einen huldreichen Morgengruß vergönnen wolle, für Friedrich Fouqué einen Scheidegruß. Da mußte nothwendig des jungen Kornets überquillende Weichheit andern Gefühlen Raum geben, freudigeren, männlicheren. Auch ward ihm der jungfräulich zarte Gruß an jenem Fenster beschieden, während Apollo unter seines Reiters Sporn und Zügel gar wunderlich auf den Pflastersteinen zu tanzen hatte, und frischen Muthes trabte Fritz, [102] von seinem Karl geleitet, in das frühlingsathmende Feld hinaus. –

O Jugend in Jugend, seeliges Gefild! –


Wir stehen an einem neuen wichtig entscheidenden Lebensabschnitt Desjenigen, für welchen wir die Theilnahme der Leser mit einiger Hoffnung des Gelingens in Anspruch nehmen.

Die erste Waffenprobe steht bevor, die Knabenjahre sind vollständig übergegangen in die Jünglingsjahre, in das Getriebe des wirklichen Lebens das Getriebe des phantastischen Spieles, – sofern der letztre Uebergang möglichst für einen jungen Dichter.

Es mag Manchem ein Widerspruch scheinen, wenn hinzugesetzt wird: fortan muß die Darstellung sich mehr innerlich gestalten und offenbaren, als äußerlich, da ja nun just das Aeußere, das Wirkliche entschiedner und entscheidender den ganzen Menschen, den Gegenstand unsrer Beobachtung, in Anspruch nimmt.

Aber, mit Hamlet sprech' ich, die Bedenklichkeiten und Schwierigkeiten meines jetzigen Beginnens bedacht erwägend und deutlich empfindend: »da, da liegt's.«

Das Wollen und Schaffen des Knaben greift annoch wunderbar ineinander. Was die äußre Welt nicht zur Erscheinung hervortreten läßt, lebt, ja vollbringt sich, dem Gefühl nach, in der Spielwelt, und, wo diese, mit reifendem Heranwachsen des Menschen, ihre Schranken mehr und mehr einengt und endlich verschließt, bleibt noch immer die Traumwelt offner, als wann die vollen Jünglingsjahre das Leben zu Entwurf und Ausführung thatkräftig in Anspruch nehmen. Dann auch zugleich berühren sich unsre Wirkungskreise mit den Wirkungskreisen Andrer, sich wechselseitig bewegend, bestimmend, hemmend bald, und bald wiederum fördernd, ausbildend und vollendend. Somit gehört ihm sein Leben und Schaffen keinesweges mehr so ausschließlich im Eigenthumsrecht an, als früherhin, und er hat Verpflichtungen zu lösen und zu beachten, die ihn Wort und Griffel nur noch in bedingungsweiser Offenheit fügen und führen [103] lassen.»Nichts, als die Wahrheit, stets die Wahrheit!« – es bleibt und bleibe sein unverletzbarer Wahlspruch. Aber: »die Wahrheit immerdar vollständig ohne Rückhalt?« – es würde den Autobiographen oftmal zur unedelsten Verletzung zarter Sitte, geschenkten Vertrauens, und zum Eingriff in fremde Verhältnisse fortreißen. An solchen Stellen trete dann ein rascher Ueberblick ein, der Wahrheit streng' gemäß, dem näher Vertrauten deutlich erinnerungsreich, für jeglichen Leser ausreichend zu einem Blick in des Darstellenden Geist und Herz und Seele, vornehmlich bezeichnend Momente, wo Lieder und Grundkeime zu des Dichters künftigen Liedern und größeren Gebilden bemerkbar wurden: eine Rubrik, welche natürlicherweise mit wachsender Ausbildung und erhöheter Klarheit des Bewußtseins immer mehr an Umfang und Inhalt gewinnen muß. –

Für jetzt aber einen möglichst wahrhaften Blick in das Innre des jungen Kriegsmannes, soweit es dem Greise gelingen will, die Erscheinung seines damaligen Selbst vor seinem jetzigen Selbst herauf zu rufen.

Laßt uns als Motto den Anfang eines seiner viel später gesungenen Lieder vorausstellen, welches uns überhaupt noch auch auf mannigfach späteren Stufen ähnliche Bezeichnungen und Beziehungen darbieten mag.


Ein weiches Herz im Busen,

Ein krieg'risch glüh'nder Sinn,

Manch holder Wink der Musen,

Das ward mir zum Gewinn.


Ja, also lautete der Grundakkord der jungen Seele fürwahr. Das darf ich mit lautrer Gewißheit sprechen. Denn jener, dem Knaben eingepflanzten Wahrheitsliebe hat der Jüngling nie entsagt, auch späterhin der Mann eben so wenig aus den verschiederartigsten Staffeln seines oft sehr mühsam dem Ziel entgegenklimmenden Lebens. Allerdings hat »manch holder Wink der Musen« ihm dabei auch mancherlei phantastisch heitre Verbrämung als Rahmen wirklicher Begebenheiten bei- und eingegeben. [104] Dergleichen aber als Unwahrhaftigkeit schelten zu wollen, wäre nicht minder ungerecht, als wenn man seine größeren oder kleineren rein poetischen Konzeptionen solchergestalt mißdeuten wollte. Das leiseste Einschreiten des Ernstes genügte, um seine gaukelnden Gebilde ihm und Andern als solche offen zu bezeichnen. Ja, eh' er dergleichen überhaupt nach Außen hin mittheilte, pflegte er es Dem, welchen etwa ein Scherz treffen konnte, zu allererst vorzutragen, und nur, wenn dieser es harmlos und unverletzt aufnahm, verstattete sich der Erzähler die weitre Verbreitung. Er darf getrost seine noch lebenden Jugendgenossen, von denen hoffentlich Mancher diese Zeilen lesen soll, als Zeugen aufrufen.

Zugleich lebte und webte in ihm unaustilgbar – und sie webt und lebt noch eben so fort – eine Weichheit und ein Mitleid, auch in Bezug auf die Thierwelt, ja sogar sich ausdehnend auf die sogenannt unbelebten Geschöpfe, wie es vielleicht nur in einem Dichter denkbar ist, Orphischen Ahnungen und Pythagorischen Träumen zugeneigt und anverwandt. In diesem Sinne war er auch abergläubisch zu nennen. Vielleicht mit deswegen, weil man seine Kindheit allzusehr hatte für bloße Verstandesüberzeugungen erziehen und darin einpfählen wollen. Jedenfalls aber wird ein Gemüth, welches man dem Glauben entfremdet, mehr oder minder dem Aberglauben verfallen, und zwar um so mehr, je mehr des wahrhaft poetischen Schwunges ihm ursprünglich beschieden war.

In diesem Jüngling wirkte am nachtheiligsten und gefährlichsten die Willkür seiner träumerischen Gesichte, zum Theil noch Nachhall aus den Kinderspielen her, wo der sich entwickelnde Mensch unendlich Vieles zu sein wähnt, oder sich zu sein vorstellt, nur eben niemals Dasjenige, was er wirklich von Gottes Gnaden ist. Dazu kam bei diesem Jünglinge eine gewisse wunderliche Lebenseil, – ich weiß keinen bessern Ausdruck zu finden, – die man ihm wohlmeinend von frühauf angewöhnt und eingeübt hatte, um ihn vor dem allerdings überaus verderblichen Hinbrüten und langwierig Zeit mordendem Getrödel zu bewahren, womit so oftmal Kinder die schönsten Lebensmomente verlieren, und nur allzusehr das niederdeutsche Kinderhistörchen bei all seinem Drolligen zur schauderhaften Wahrheit wird:


[105]

»Peter, was makst Du da?«

»Nischt.«

»Un Du, Hans?«

»Ick helpe ihm.« 4


Nun hieß es aber für Fritz immerzu bei großen und kleinen Dingen: »Mach', daß du fertig wirst. Nach der Arbeit ist gut ruhen.« An sich wohl recht und gut. Aber dies: »Gut Ruhen!« – wo fand es sich denn? Entweder eine neue Arbeit, oder doch ein neues Schaffen stand hinter dem Vollbrachten, und wenn nun das aber- und abermal beseitigt und überschritten war, – was dann? – Das öde Nichtsthun, wenn's nicht etwa der Schlaf war, also doch wiederum ein Nichts, weil ein Vergessen. Oder allerhöchstens kam nun eine Ergötzlichkeit, ein Genuß, irgend ein sogenanntes Vergnügen, das aber wiederum kein recht eigentliches Genügen werden oder geben konnte, denn dahinter stand ja abermal erneuete Arbeit oder Verdämmern in's Nichtige. Nimmer also, oder doch nur höchst selten, offenbart sich da jenes Gefühl von Stille und Fülle, das ein Vorgefühl des himmlisch-ewigen Friedens in die Seele gießt! Stetige Jagd aber, – o wie spärlich verstreut und rasch wiederum entschwunden die Momente, worin es heißen mogte: errungen! Schier endloses Suchen, und wenn nun einmal gefunden, gleich wiederum die Frage: »Was suchen wir nun?« und nun ein abermaliges Aufstacheln zu Lauf und Begehr in jeder für das Hienieden möglichen Antwort! –

Und nun die unglückliche Verlockung des Selbstgespräches, wohin jeglicher mit Dichtersinn Beliehene nur allzuleichtlich verfällt! Trostloses Getriebe, wann Widerhall und Widerhall einander endlos begegnen, aber jeglicher Schall nur ein machtloses Echo, mehr einem Seufzer vergleichbar, als einem lebendigen [106] Kraftspruch, weil es niemals unmittelbar stark erwacht aus einem ursprünglichen Born des wahrhaftigen Lebens, sondern immer nur höchstens und bestens ein Sehnsuchtsruf bleibt nach Dem, was uns fehlt. Und just, was wir haben, genügt uns nicht, und just, was wir nicht haben, begehren wir, und die Monologe bringen Das zum Bewußtsein, aber zum schmerzlich-zerreißenden, weil nur zum verworrnen.

Bei diesem Jünglinge trat noch die an und für sich ganz erfreuliche Gabe eines seltenstarken Gedächtnisses bedrohlich hinzu. Da giebt's ja eben einen Acker, auf dem just so rasch heilsames Kraut, als giftiges Unkraut gedeihet, und dieses Letztere hegt besonders noch eine vor Andrem stark um sich greifende Wuchernatur. Viele der schönen Lieder und Sprüche, wohl auch ganze Scenen aus edlen Dramadichtungen bewahrte Friedrich Fouqué in seinem Geiste, aber theils war das schon damals aufgetauchte Unwesen der Parodieen mit eingeschossen, und tanzte nun gräulich um die edlen Gestalten her, wie halbtolle Gaukler um einen triumphirenden Helden, – ja um einen rühmlich sterbenden Helden wohl gar! – Theils auch wollte jene kritisirende Autonomie, schon von weit früheren Zeiten her unter dem Namen der nüchternen Wahrhaftigkeit in die Knabenseele eingeschwärzt, dem Jünglinge seine eigene Begeisterung verdächtigen als Flitterstaat, und ihm nur Dasjenige als wirklich gelten lassen, was, wie späterhin die Xeniendichter sich ausdrückten:

»– – fein populär, häuslich und bürgerlich ist.« –

Sodann auch sprach auf höchst alberne Weise die Gewohnheit an damalige Berlinisch-Potsdamer Eleganz mit ein. Was nicht nach dieser Norm zugeschnitten war, durfte nicht gelten, und somit stand auch ein glatt, wie angegossner Paradeanzug obenan, und ähnliche Kleinigkeitskrämerei mehr. Vielleicht bring' ich später noch einige burleske Spuren solcher überaus ernstgemeinter Verdrehtheiten vor. Denn wie ich Euch schon vorhin andeutete:

Es handelt sich ja nicht eben um diesen Einzelnen. Es handelt sich von Symptomen, die durch ein ganzes Zeitalter gingen oder meinethalben zuckten, mithin von manchen Seltsamlichkeiten der Menschennatur überhaupt. Laßt's Euch also immerhin gefallen. –

[107] Komme denn gleich hier auch noch ein andres Uebel im Innern des jungen Kriegsmannes zur Sprache, dem Monologen-Dämon verwandt und doch wiederum was andres. Ich meine: ein gewisses gedankenloses Nachdudeln frühe gehörter Liedesweisen, oder Tanzweisen, ja selbst Marschesweisen im Innern. Anfänglich läßt sich dergleichen recht ergötzlich vernehmen, – ja es mahnt wohl gar an gewisse große und liebe Momente, und der Menschengeist vermeint, sich eine recht edle Umgebung zu bereiten und zu hüten durch solch ein Geleit wandernder Klänge und Melodieen. Bisweilen wohl (nach aller Töne vollkommenstem Leben und Wirken) tönt es als Harmonieen gar. O ja, wahrt es, hütet es in Euerm heiligsten Innern, von wo es dann wundersam heraufsteigen mag, in gewichtiger Stunde, oder auch Ihr selbst es emporrufen könnt, Euch zu kräftigen, zu erheitern, zu mahnen, zu sänftigen, aller geheimnißreichen Fülle nach. Aber nicht muthet ihm zu, so gleichsam Botenweis oder Lauferweis nebenher zu trottiren an Euerm alltäglichsten Gang oder Ritt oder Fuhrwerk, wie sich's nun just fügen mag: Ihr selbst mit Euern Gedanken und Gefühlen oft meilenweit fern davon, – o um Eurer eignen Freuden willen, verfahrt so leichtsinnig nicht mit der innerlich hohen Gabe! Ach, den innern Klängen ergehet es sonst wie den innern Worten! Sie verfallen der kläglich täglichen Gewohnheit, und verlieren nach und nach ihre Macht, wie ein stets gespannter Bogen. Schlimmer noch: es schleichen sich nach und nach schlechte Koloraturen mit ein, sich ausgebend für zierlich edle Variationen, und doch, ihrem ganzen Sinn und Wesen nach, nur schwächlich verdrehete Kinder einer träumerisch elenden Willkür. So brummt und kreischt und murrt die entstellte Melodie im Innern fort, oder macht sich wohl gar, zu der Nebenmenschen Mitplage, auch nach außenhin vernehmlich, und besser nun wär' es, die arme Verstümmelte ganz zu vertilgen, als ihr ein so verzerrtes Leben zu fristen. Aber sie trägt mehrst eine gräßliche Art von Unsterblichkeit an sich, die nur mühevoll und kaum durch gesund erhaltene Klänge und Weisen des Innern so weit zu besiegen steht, daß sie sich in die Stille, gleichsam in eine wohlthätige Ohnmacht versenkt, wo sie dann erst nach geraumer Zeit vielleicht genesen und geheilt wiederum auferstehn kann.

[108] Die so eben geschilderten oder doch angedeuteten Albernheiten, – denn eigentlich schildern läßt sich dergleichen koboldhaftes Gespuk nicht klar – hängen wol gewiß mit jenen zusammen, von denen schon in der Kindheitsperiode geredet ward. Es ist Alles Eine Hydra mit also zahllosen Köpfen, daß ich deren noch mehr aufzählen könnte. Ja ohne Zweifel könnte Jeglicher, der scharf in sich selbst herein zu sehn vermag, die Zahl aus eigner wunderlicher Erfahrung vermehren, ohne daß wir jemal zu Rande kämen. Das wäre aber auch gar nicht nöthig, ja es würde günstigen Falles fruchtlos bleiben für die Besiegung des Monstrums, welches in seiner Hydranatur stets neue und andersgestaltige Häupter vorzustrecken, die größte Macht besitzt. – Möge es mir aber dennoch gelingen, mindestens auch nur da oder dort aufzumahnen zum Kampf gegen all jene unheilbringenden Getriebe, denn – ob auch unbesiegbar durch Disputiren oder Herzählen oder Klassifiziren – besiegbar ist das Monstrum wahr und wahrhaftig.

Und wodurch? –

Die Antwort ist einfach, wie jene auf die Ei-Frage des Kolumbus, wohl einfacher noch; – unwidersprechlicher ohne allen Zweifel:

Haltet Euch an Gottes offenbar tes Wort in aller gläubigen Ein falt, und Er wird Sein seelig kraftvolles Schöpfer-Werk in Euch vollbringen, allem äffischen Hohngegaukel der finstern Mächte zum sieghaftherrlichen Trutz, Euch selber zum freudigen Schutz.

Den im Unisono angestimmten, aber dennoch mißlautenden Chorus – bekanntlich läßt sich das Unisono oftmal sehr dissonirend vernehmen – wider diese treugemeinte Antwort ahne ich von vielen Winkeln und Linien her voraus, und kenne ihn aus mannigfacher Erfahrung. Sein Hauptthema heißt: »Also wiederum Bibelsprüche und Gesangbuchverse sollen unsre Kinder auswendig lernen, wie unsre Väter und deren Großväter?« –

»Ja;« erwiedre ich vorerst in aller Kürze.

Läßt mich aber der Chorus näher zu Worte kommen, so setze ich noch hinzu:

[109] Nicht sowohl auswendig lernen, mein' ich, sondern unermeßlich Tieferes und Mehr: Lernen von Herz in Herz 5. Und dann wird's die göttliche Kraft schon behüten in Euch vor Entweihung, insofern Ihr selbst Euch hütet vor sinnlosem Nachpappern und Nachsingen, denn freilich wäre sonst hier die Sünde um so entsetzlicher. Das hieße, Gottes Wort mit Füßen treten. Aber getrost! So leicht lässet sich Himmelsgröße und Himmelsgabe nicht bezwingen. Schauet zum ewigen Wort auf, so ziehet das Wort sich Euch nach, und neiget sich Euch Hülfe-bringend entgegen. Auch das kleinere Schaffen, auch das kleinste, auch das lastendste, auch das pressendste, Euch aufgegeben hienieden, werdet Ihr dann freudig vollbringen, der göttlichen Aufgabe holdbewußt, in der Arbeit den Lohn findend, im Ausruhen ahnend das ewig friedliche Heil. –

»Wär' es schon so weit gekommen mit dir?« fragt vielleicht Einer, und ich erwidre redlich:

All zeitliches Sein, sofern es taugen mag für die Ewigkeit, ist ein Werden, und ich ringe nach der Ewigkeit, und der fördernden, und der erquickenden Momente giebt es für alle solche Leute, auch im Mitten des freilich noch fluthendwechselnden Zeitstromes, noch viel und mancherlerlei.

In meinem siebzehnten Jahre dagegen gab es für mich Dergleichen annoch selten, mindestens klar bewußt nur kaum.

Und dennoch war ich ein gar fröhlicher Kornet, vielleicht unter Denen, die im Lenz des Jahres 1794 gegen die Franzosen in's Feld rückten, Einer der Allerfröhlichsten.

Kam ja doch jener geistige, ja – laßt mich einmal mit dem Altvater Böhme reden – »seelische« Zwiespalt nicht im Jünglinge zum vollen, und gewißlich nimmer zum dauerndem Bewußtsein. Was überblüht der Jugendgarten nicht? Was überfliegt der Jugendsittig nicht? Was schmückt der kühne Jugendgeist nicht mit Rosen und mit Lorbeern aus? –

Und Lorbeern sieht aus jeglicher Gefahr der Jüngling aufkeimen, sei es auch nur eine Gefahr nicht gradehin heroischer Gattung. Ich bin überzeugt: Wäre Damokles, mit welchem Tyrann [110] Dionysios das todtdrohende Festspiel im tollen Frevel spielte, noch Jüngling gewesen, und zwar ein echter frischer Jüngling, – das am Haar schwebende Schwerdt über seinem Haupte hätte ihm, statt ihn zu verscheuchen, die Freuden des üppigen Mahles nur noch erhöhet. –

Und hier: des ersten Ritterzuges Probe Feind-an! –

Vergönnt mir, diese Wonnen Euch vorzuführen, aber freilich nun minder, wie es das Knabenleben vertrug, schrittweis, als vielmehr in großen Umrissen, in herrlich und blutig, mitunter auch lustig aufsteigenden Einzelgebilden, und nach ergreifenden Eindrücken und Gefühlen, die ganze Innerlichkeit des Jünglings durchwebend mit lyrischer Gewalt. In's Feld! –


Ist es doch, wie ein steter Fest-Ritt, so ein Reiterzug in's Feld. – Ich meine nicht nur den ersten, für welchen denn freilich die Feier doppelt und dreifach gelten mag. Ich meine es überhaupt aus ganzem Herzen so. –

Da weckt uns in der ersten Morgenfrühe der Trompetenruf, der die Reiter mahnt, ihrer Rosse zu pflegen; – dann kommt der zum Satteln; – eine Stunde später der zum Ausrücken. In Worte gebracht, – wie sich's der Schreiber dieser Zeilen, ihn so unzähligemal gehört habend, nicht versagen konnte, es mit allen unsern Kavallerie-Signalen zu unternehmen, – lautet er auf gut Preußisch etwa also:


»In den Sattel flink! Nun ist es Marschirens Zeit.

Die Schwadron ist gereiht

Zu Marsch und Gefecht.

Komme Jeder zurecht!

Jeder in Ehren zurecht!« –


Nun zu Roß, und wo man hingehört; frische Kameradengesichter morgenlich einander grüßend; Abmarsch; die Trompeten wohl auch ein fröhliches Stück dreinblasend oder einen feierlichen Marsch, zum Nachtquartier hinaus. Unter manchem Dache war freundlichere Bekanntschaft gemacht worden, und es winken theilnehmende Gesichter oder Gesichtlein uns nach, wohl auf Nimmerwiedersehn; – aber eben deshalb mischt sich mitunter ein Zug der Wehmuth in das heitre Lächeln, es verklärend und mit einer [111] Mahnung des Ewigen erfüllend, auch selbst dem flüchtigsten Gefühl nicht ganz verloren.

Draußen nun im Freien heben die Reiter abwechselnd Gesang an und fröhliches Gespräch: ihre Lieder nimmer mißlautend, weil ein Sinn für Harmonie und Melodie dem Volke niemalen ganz entsteht, am wenigsten unsern Norddeutschen. Immerdar findet sich eine zweite Stimme, richtig auffassend; wohl auch noch eine oder einige andre wohllautende Anklänge, sollte auch dabei in die sogenannte Fistel mit eingegriffen werden, aber auch dann einer angebornen, nicht unlieblichen Naturgabe gemäß, fast niemals in rohspottender Dissonanz, oder schlimmsten Falles hält solch ein Uebel nicht vor. Bald weiß der Strom des Gesanges sich wiederum in seine wohllautende Bahn zurecht zu finden, und rollet volltönig dahin, Hörer und Singer ergötzend, ja erhebend. Selbst Lieder minder edlen Wortgehaltes – der absolut sündlich schlechten gab es denn doch verhältnißmäßig nur wenige, und im Jahre 13 bei meinem Wiedereintritt in den Kriegsdienst waren sie Gott Lob! meist alle verschwunden – gewannen durch die Wellen des Wohllautes, in denen das nichtige Geschabbel verscholl, einen Anklang höherer Würde und feierlicher Ahnung. Auch sie ja tönten Feind-an, und aus einer oder der andern Singerseele gewiß dem rühmlichen Kampfestode entgegen. Unverkennbar auch waren manche Reiterlieder, wie sie Fouqué späterhin kennen lernte, frei aus dem innern Leben und Weben des Kriegsvolkes hervorgegangen, wie schon aus den Irrungen der Reime, seltsam verbunden mit einer tiefen Echtheit der Gefühle, sich wahrnehmen ließ. Solche Anklänge waren theils epischen Inhaltes, zurückrufend – wenn gleich zumehrst, ähnlich den ältesten Volksliedern, ziemlich undeutlichen Ganges – früher bestandne Gefechte. So kam in einem solchen kleinen Epos, oder nennt's meinthalb Romanze, dabei ich nie ergründen konnte, welche Waffenthat eigentlich darin besungen werden sollte, die Stelle vor:


»Da kam Prinz Bernadott' 6

Wir machten einen Choq

Auf grüner Haide.

[112]

Da ward auch gleich der Berg so roth

Von lauter Patriotenblut.

Sie mußten laufen.«

Es schließt sodann – oder vielmehr, der Schlußvers beginnt – nach echt alterthümlicher Weise:

»Wer hat dies Liedlein denn erdacht?

Ein Kürassier auf der Feldwacht

Auf grüner Haide.«


Das übrige hab' ich leider vergessen. Nur die gar liebliche Weise blieb mir klar im Sinne, und ich habe sie viel späterher bei schönem Anlaß wohl ziemlich erfolgreich angewendet, wie ich es seiner Zeit zu berichten gedenke.

Andere Reiterlieder aber waren auch wiederum aus irgend eines Einzelnen tief ergriffnem Gefühl ganz unmittelbar hervorgegangen, und hatten somit ganz unmerklich Bahn gewonnen in die Seelen der Andern. Von dieser Gattung schloß ein lyrischer Erguß in unbeschreiblich rührender Melodie, und leider weiß ich just von der auch nur die Schlußgänge noch, die Geliebte mit den Worten anredend:


»Pflanze Du auf meinem Grabe

Dann noch ein Vergißmeinnicht.

Was ich hier gelitten habe,

Weiß kein Mensch, als Du und ich.«


Ein riesengroßer, heldenkühner, oftmal furchtbar zorniger Reiter – Kraft hieß er, und führte den Namen mit der That, – sang das Lied auf eine mich besonders rührende Weise. Gewiß, seiner tapfern Seele schwebte dabei irgend ein liebes, nun wohl für immer fernes Bild vor. Die Reime: »Vergißmeinnicht« und »ich«, thaten mir die Ungelahrtheit des vielleicht schon längst entschlafnen Dichters vollkommen kund. Aber gewiß: ein Dichter im schönsten Sinne des Wortes hatte diese Zeilen zuerst gesungen. Jahrelang später empfand ich sie erst ihrem tiefsten Gehalte nach. –

Mit den Marschgesprächen unserer Reiter ging's, wie mit ihren Marschliedern: nur allzu oft rohes, unsittliches Zeug, aber auch oftmal auftauchend aus dem verwilderten Getriebe ein edelkräftiges Gefühl, ein verständiger Spruch, eine leuchtende Vorahnung aus den uns bevorstehenden Krieges- und hoffentlich Siegestagen, wenigstens gewißlich doch Ehrentagen. Denn [113] eine gar herrlichste Verheißung des Kriegerstandes leuchtet aus dem Gedanken:


»Wie's mit uns Glück auch treiben mag,

Wirst Du in Dir nur selbst nicht schwach,

Wird jeder Tag ein Ehrentag.«


Fast allesammt waren wir junges Volk, unserer ersten Prüfung entgegenreitend, und gern redete davon der siebzehnjährige Kornet mit seinen Genossen. Es wurden mancherlei wackre Entschlüsse gefaßt, ausgesprochen, und – wie ich wohl sagen mag – zum beiweiten größten Theil ehrbar gehalten und ausgeführt.

Und die frischen, fröhlichen Gegenden, durch die wir hinzogen, ihre Berggipfel nicht selten gekrönt mit alt-ehrsamen Burggemäuern! Recht, als ob das liebe deutsche Vaterland uns zuwinke: »So Schönes und Gutes zu vertheidigen seid Ihr gewürdigt, und solche Heldenmahnungen aus den Tagen der großen Väter schauen auf eure Bahnen hernieder.« –

Unermüdet bestieg Friedrich Fouqué Burghöhe auf Burghöhe, wo es irgend Zeit und Raum verstatten wollte, um so freudiger, als er dabei mehrst einen andern jungen Offizier – zwar nicht von demselben Regiment, aber mit der Ersatzmannschaft eines andern Kürassier-Geschwaders gleichfalls in seinen ersten Feldzug rückend – zum eben so unermüdeten Gefährten hatte. Auch für die neueste Gegenwart verstanden wir Beide uns gar fröhlich wohl, wenn es galt durch Städte und Städtchen im jubelnden Trompetenklang zu paradiren, und holde Frauengestalten an den offnen Fenstern mit kriegerischer Schwerdtsenkung zu begrüßen. Es war nicht kindische Eitelkeit. Kindliche Lust an den Waffen war es im ritterlichen Gefühl des Frauendienstes, und im Bewußtsein des treumuthigen Entschlusses: »Siegen oder sterben für euch, ihr holdseeligen Gestalten!« –

Am erfreulichsten unter allen schönen Naturgestaltungen erschien es mir, wann das Gestein der Felsen zu Tage trat, wie in dem blühenden Wartburgsthal mitunter, und späterhin öfter, je mehr wir uns den Bergzügen andrer, uns bisher fremder deutscher Gegenden naheten. Durch das Wartburgthal zog mich die Eile des Marsches fürder, ohne daß ich die Burg selbst nah in Augenschein nehmen konnte. So kam [114] es nachher noch zweimal in meinem Leben, aber stets in unvergeßlichen Momenten. Es giebt solche eigenthümliche Erinnerungs- und Vergleichungspunkte auf der Erde für Jedermann, wenn man nur die Wünschelruthe in sich trägt, welche uns erinnert, auf die bedeutsamlichen Anziehungen zu achten. Von irgend was Abergläubischem soll und kann hierbei die Rede nicht sein, wohl aber von Anmahnungen, unser Leben durch solche Aehnlichkeiten und Unähnlichkeiten und Auffassungen fester Standpunkte aus verschiednen Stimmungen her im klaren Zusammenhange zu überschauen. –

So ging es fürder durch das glänzende Frankfurt hin, emporleuchtend aus den lenzesfrischen Main-Auen, wo der stille Strom in seiner sonnigen Silberbläue an die heimische Havel heiter mahnen mogte, und bei der damal weniger verbreiteten Reiselust und Reisegewohnheit kam es dem Kornet schon wie was Rechtes vor, nach Frankfurt gelangt zu sein. Dann durch das rebenumlaubte Hochheim, – den Blick einiger Stunden nach Mainz hinein, und in die Erinnerungen an Krieges- und Siegeskunden der ältern Waffenbrüder aus dem vorigen Feldzuge mit, – weiter, dem Laufe des Rheines auf dem rechten Ufer folgend, gegen Koblenz hin, durch immer schönere Thäler und Ebnen hinab, – noch am Vorabende des Eintreffens beim Regiment ein Nachtquartier im anmuthigen Städtchen Braubach am Rheinesbord, über unserm Häuptern auf schroffer Höhe die altväterliche Marxburg. –

Es waren Frühlingstage im schönsten Sinne des Wortes. –

Gegen die Mitte des andern Tages that sich vor der kleinen fürderziehenden Schaar abermal der Rhein auf und fernher die Mosel, zu seiner Umarmung heiter herbeiströmend, frische Auen und Wiesen und freundliche Dörfer ringsher als in buntherrlicher Tpichweise ausgebreitet, hart am Rhein der alte Ehrenbreitstein auf mächtigem Felsen gegründet, gegenüber das in aller Zier und Anmuth der Gegenwart leuchtende Koblenz. Dort ward der Strom auf der Schiffsfähre, der sogenannten fliegenden Brücke, überschritten, und freudig ritterliche Kameraden kamen uns entgegengesprengt, und jenseit der Stadt nahm uns der feierlich gestrenge Obrist und Regiments-Commandeur in Empfang. –

[115] So war denn der fröhliche Zug vollbracht, und wir traten Jeglicher in das ihm fortan beschiedene Schwadronverhältniß ein, wodurch der Dienst eine ernstere, mehr dem Unterricht für uns Neulinge geweihete Stellung gewann, wie sich das um so mehr eignete und gebührte, als die Stunden des Kampfes nun immer näher heranrückten, und ihre Entfernung nur eben noch höchstens nach Wochen gemessen werden konnte.

Beim Rückblick auf jene lustigen Marschestage hole ich noch ein Lied Vater Gleims nach, gedichtet im Jubel über die Rückeroberung von Mainz, das wir unterweges vielmal gesungen hatten, und vor dem, so oft es mir wieder anklingt, mich immer etwas von jener glückseeligen Frühlingsstimmung anhaucht, welche mir dazumal mein ganzes Leben und Weben erfüllte. Das ehrbarfrische Liedchen, im echtdeutschen Sinne – zugleich auch voll ernster Ahnung – gesungen, verdient hier um so mehr eine Stelle, als ich es in der letzteren, sonst lobenswerthen Sammlung von Gleims Werken zu meinem Bedauern vermißt habe. Könnte ich nur auch die fröhlich kraftvolle Weise dazu mitgeben! Aber das Notenschreiben ward mir nun einmal nicht beschieden, musikalisch treuen Gedächtnisses unerachtet.


Mainzer Siegeslied.


»Stoßet an den vollen Becher

Unter Saitenklang!

Leben sollen Deutschlands Rächer,

Hoch ihr Leben lang!


Weg mit Freiheitskapp' und Bändern

Weg mit Freiheitsbaum!

Dafür ist in Deutschlands Ländern

Keine Spanne Raum.


Kapp' und Baum sind schlechte Schätze

Für ein Deutsches Land.

Unsre Freiheit sind Gesetze,

Und nicht Baum und Band.


Jeder Deutsche Mann soll leben,

Jeder Ordnungsfreund!

Jeder Deutsche Fürst soll leben,

Der es redlich meint!«


[116] Lieder aber aus diesem Ton fanden weniger Anklang im Heere der etwa Sechzigtausend Mann Preußischer Hülfstruppen gegen die Franzosen, zu dem wir nun gelangt waren, als in den alten Provinzen, aus denen wir unsern Zug angetreten hatten. Die exaltirten Hoffnungen, voll deren man vor zwei Jahren aufgebrochen war, kein minderes Ziel, als Paris im Auge, und dann im schauerlichstem Kontraste der verderbliche Rückzug aus der Champagne, – der zwar ehrenvolle, aber dennoch nur wenig erfolgreiche, mehr vertheidigende, als angreifende Kampf im Jahre Drei und Neunzig, beendet durch einen überaus erschöpfenden Winterrückzug, an dessem Schluß man sich nur mit Anstrengung auf dem linken Rheinufer zu behaupten vermogte, es hatte nach und nach die Erwartungen auf einen überhaupt glänzenden Ausgang des Krieges gelähmt, wenn nicht ganz und gar niedergedrückt. Schlimmer noch:

Die Neufränkische Freiheits- und Gleichheits- und Zügellosigkeitslehre hatte, durch jene, fast für Ordalien angesehene Erfolge der Französischen Waffen die väterlichen Begriffe von Ordnung, Sitte und Anstand in den verworrenen Hintergrund eines für Altfränkisch verschrieenen Treibens höchst unziemlich zurückgedrängt. Man begann mehr und mehr zu wähnen, eine neue blendend aufleuchtende Aera möge wohl vollständig Recht behalten, dergestalt vollständig, daß alle früheren Ansichten als durchaus nichtig davor verdämmern mußten. Es gab wohlbegüterte Väter, die schon davon sprachen, ihre Söhne ein Handwerk erlernen zu lassen, blos der unerlaßlich hereindringenden Freiheit und Gleichheit wegen.

Und dennoch hielten diese Sechzigtausend Preußen nicht allein pflichtschuldig, sondern auch freudiglich zusammen, stets gern, ja voll innigen Verlangens bereit, der rühmlichen Gefahr entgegen zu ringen. Und ihr Einigungsband? –

Just das eben dem nüchternen Verstande unerfaßlichste, das – sei zu Bezeichnung moderner Kultur einmal der wunderliche Ausdruck vergönnt – undefinibelste von allen denkbaren Beweggründen that es: Die Ehre.

Es fällt manchmal ziemlich schwer, sich den Auf-und Abgeklärten unsrer Zeit vollkommen deutlich zu machen.

[117] Wo solch eine Schwierigkeit auch an dieser Stelle sich einstemmen sollte, kann der Verfasser eben nicht viel anders, als sich in dies Geschick ergeben.

Doch so viel weiß und empfindet er:

Es war ein unsterblich schönes Gefühl, das ihn an den Rhein- und Mosel-Ufern mit seinen neuen Waffengefährten verband.


Sein Geschick hatte ihn günstig geführt: zur Leibschwadron des Regiments, zusammengestellt die Offiziere noch von den Zeiten des Herzogs her, aus den bedeutungsvollesten und edelsten jungen Rittern, an ihrer Spitze ein fast riesig schöner Heros, der seinen Namen – von Oppen hieß er – nachher in unserm Befreiungskriege auf manchen Schlachtfeldern verherrlicht hat, und erst unlängst als Generallieutenant verstorben ist. Daß er in seinem ruhmvollen Greisenalter noch den Fouqué gern als seinen Waffenschüler erkannte, gehört zu den erfreulichsten Kränzen, welche diesem im Laufe seines Lebens zugewehet sind. Nicht eben ließ die äußerlich gänzende spätere Beförderung sich in jenen Frühlingstagen unserm wackern Anführer nach gewöhnlicher Ansicht prophezeihen, denn nur ausnahmsweis hatte der Herzog den schon etwa 40jährigen Lieutenant zum Führer der Leibschwadron – eine Stellung, nach hergebrachter Sitte einem Major oder mindestens Rittmeister gebürend – ernannt. So viel nun der ehrenden Auszeichnung darin für Oppen lag, so wenig gab es ihm Aussicht auf sogenanntes Avancement. Es gehorte Oppens ganze Tüchtigkeit dazu, von günstigen Umständen unterstützt, ihm nachher zu also raschem Emporsteigen zu verhelfen. Aber auch seinen damalig minderen Wirkungskreis füllte er mit einer Thätigkeit aus und einer Treue, worin freilich einem recht klaren Beobachter die Ahnung bevorstehend größerer Laufbahn hätte aufsteigen mögen.

Unter den übrigen Offizieren der Schwadron – auch in der mir so wunderlich vielgeltenden Eleganz (mit Ausnahme eines Einzigen) meinen Potsdamer, fast kindischen Prätensionen genügend – nenne ich Zweie, weil sie eigentlich schon genannt sind, oder doch bezeichnet, und zwar durch keinen Geringeren, als Goethe.

[118] Erinnert Euch, wie in seiner Schilderung der Kanonade von Valmy – ein Meisterstück der Darstellung und ein Zeugniß klarster Besonnenheit in der Gefahr, worauf wir noch wiederum zurück zu kommen gedenken, – er berichtet, daß ihm ein Standartenjunker des Regiments Weimar angenehm bemerklich geworden sei, ihn durch seine jugendlich weichen Gesichtszüge an dessen holde Mutter mahnend und an manch ehedem mit ihr heiter verlebte geistreiche Stunde. »Unbequem geschaukelt« – setzt er hinzu – »von seinem großen schwarzen Pferde, hielt er die Standarte mit Anstrengung in der noch zarten Hand; aber er hielt sie fest.« – Die ganze Seele ging mir auf vor den Zeilen, denn ich erkannte alsbald die Erscheinung meines geliebten Freundes, den ich bei meinem Eintreffen in der Schwadron als jugendlich frischen Lieutenant gefunden hatte, und ihn dann während des Feldzuges als verbrüderten Freund gewonnen, um ihn nimmermehr wieder zu verlieren. Da gab mir die Muse folgende Reime in mein Denkbuch, und gern zeichne ich sie hier als Erinnerung für Mehre an den edlen Frühverewigten auf. Möge seine Wittwe sie finden, oder vielleicht auch sein Sohn:


»Der Knab', entfaltend hier den ersten Ritterkeim,

Er war Emil genannt, Freiherr von Bechtolsheim,

Und hat seitdem im Spiel mit Schwerdtern und mit Rossen

Als kühner Rittersmann recht freudig sich erschlossen.

Dann rief Gott früh ihn ab. Im heiterstillen Weh

Schrieb ihm zum Denkmal dies sein Waffenfreund Fouqué.«


Den andern edlen Kriegskameraden hat Goethe mit Namen genannt, Freiherrn von Fritsch, den er bei der Rückkehr aus Frankreich nach jenem unbeglückten Feldzug in Trier antraf, wo der edle Jüngling bei einem bedrohlichen Anfall der Franzosen auf das Magazin in Merzig – er war zu dessen Deckung befehligt – volle und schöne Gelegenheit fand, sich das Ritterkreuz zu erwerben. Goethe dankt in seinem Buch ihm gern einige dort geleistete Behülflichkeiten.

Fritsch war eine der edelsten Kriegergestalten, denen Fouqué je auf seiner Bahn begegnet ist, ein unter Goethe's frühe theilnehmendem Anschauen aufgeblüheter Geist in schöner äußerlicher Erscheinung. Späterhin hat die Beiden – des Unterschiedes der Jahre unerachtet – eine brüderliche Freundschaft verbunden.

[119] Mannigfach sahe sich der keimende Dichter nach Weimar hingezogen. Schon durch den Namen des Regimentes, ihm stets absonderlich edel tönend, seit Herzog Bernhard's Tagen her in kriegerischer Beziehung, und durch die Dichter-Heroen, dort noch lebend. Jetzt nun auch ihm die beiden Weimarschen Waffenbrüder im Regimente mit jeglichem Tage lieber werdend!

Laßt mich's hier einschalten, was mir Fritsch in traulichen Stunden nachherigen Beisammenseins mitgetheilt hat, wie Goethe seltsamlich ehedem – es mogte so in den spätern Dreißigen seiner Lebensjahre sein – Kinderfeste bei sich zu halten pflegte. Da mußten ihm die näher Befreundeten (Fritschens Vater, ein angesehener Mann in Weimarschem Civildienst, endlich Minister, gehörte dazu) ihre Kindlein, Mädchen und Bübchen, ohne Weiteres – nicht Aeltern, nicht Aufseher durften sie begleiten – anvertrauen. Es galt hauptsächlich geselligen Tanz. Goethe empfing in völliger Hofgalla seine Gästchen, die er allsammt: »Ihr kleinen Menschengesichter!« zu tituliren pflegte. Er selbst eröffnete ganz feierlich den Ball mit Einer der Dämchen, in welchem Worte (beiläufig bemerkt) ja auch anagrammatisch: »Mädchen« mit liegt. Nach dieser Feierlichkeit aber ließ er dem kindlichen Getriebe freien Lauf, doch so, daß er die »kleinen Menschengesichter« als getreuer Aufseher keinen Augenblick aus den Augen verlor, ihren Tanz, ihre Genüsse bewachend, so daß Keines Nachtheil für Gesundheit oder Sitte zu erleiden hatte, und dennoch Allen unter dieser väterlich gastlichen Obhut unaussprechlich frei und wohl zu Sinne war, und sie auch wiederum zu rechter Zeit, gehörig abgekühlt und wohl eingepackt heimgefördert werden.

Aber zurück zu uns erwachsenen Menschengesichtern von Anno Vier und Neunzig.

In den edelzierlichen, fröhlichen Rund der sieben Leibschwadron-Offiziere war, wie schon angedeutet, gleichsam ausnahmsweis, auch ein ganz kurioses Menschengesicht gerathen: alt dem Aussehen nach, jung den Jahren nach, überaus pedantisch in seinem Benehmen, ungeschickt in jeglicher Bewegung zu Pferd und zu Fuß. Er hatte es an der Art, sich in veraltet juristischen Redensarten, als: »Sintemalen, Dermalen« und ähnlichen Worten vernehmen zu lassen, und lebte stets in Streit und Noth mit seinem Vormund, einem südpreußischen Advocaten, Namens [120] Borrenzius, wegen der Verwaltung zweier dortigen Güter, Freudenthal das eine, Picus das andere geheißen, Beide aber wohl von untermittelmäßiger Bedeutung. Als ihn einstmal der Obrist befragte: »Ich höre, Sie haben Brandschaden auf Ihren Besitzungen erlitten. Wie ist es damit, Herr Kornet?« lautete die verwunderlich stylisirte Antwort: »Mein Herr Obrist, Picus ist allerdings abgebrannt. Freudenthal dermalen steht noch. Borrenzius hingegen ist närrisch geworden.«

Er ist mir längsther völlig aus den Augen verschwunden. Damals aber gehörte er sehr ergötzlich zu den Gegenständen harmlosen Witzes in unsrem kleinen Kreise, auf dem schönen Schlosse des von Obstblüthen wie selig eingeschneiten Dorfes Metternich, wo wir fast in den Verhältnissen eines kleinen ritterlichen Hofhaltes lebten. Denn die zarte Gemahlin unsres kühnen Anführers, eine Art von Elfengestalt, geschmückt mit aller Zier der erlesensten Bildung, verlebte noch dort die letzten Tage der sogenannten Winterquartiere, während welcher damals die Offizierfrauen ihre Männer zu besuchen pflegten 7. Sie leuchtete uns als eine anmuthig lenkende Herrin. Und um uns her die paradiesische Gegend, – mit einem Liede zu reden:


»Wo Mosel sich und Rhein

Mit himmelklaren Armen

In Liebeshuld umarmen!« –


Auch die übrigen Schwadronen des Regimentes ruheten für jetzt, aber unter tüchtigen Vorbereitungen zum nahenden Kampf, noch in gar anmuthigen Kantonnirungen um Koblenz her, und auch dort fand ich der ausgezeichneten Waffengenossen Viele, den Ruf des Regimentes rechtfertigend, welchen es sich überall durch edle Kühnheit und glänzende Ritterlichkeit erworben hatte.

Lasset mich dabei einer freudigen Erscheinung gedenken, Anfangs etwas spröde und herb gegen den jugendlichen Ankömmling, nach und nach aber sich immer freundlicher ihm entgegen neigend, und dann um so standhafter in edler Verbrüderung. Noch jetzt in meinem 63sten und meines Waffenbruders 70sten Jahr, treibt unsre Freundschaft, nach einer Jahre lang weiten Entfernung, [121] wiederum neugrünende Lebens-Reiser. Es war im Feldzuge 1793 mit ehrenvollen Wunden bedeckt worden, vornehmlich bei einer, das eigne Selbst aufopfernden Ritterthat zur Rettung eines sonst edlen, diesmal leider! nicht eben dankbaren Fürsten. Nun, der Benarbte trug sein Bewußtsein im Busen, und weder sein männlich anmuthiges Aussehen noch seine Rüstigkeit hatte auch nur im mindesten darunter gelitten. Vielmehr konnte er als ein rechtes Bild aller frischen Ringfertigkeit gelten, und je mehr ich in das Verstehen des Shakspear eingedrungen bin, je mehr hat sich mir die Gestalt dieses Waffenbruders mit der des freudvoll, mitunter zürnend gewaltigen Percy verwoben, zubenamt Hotspur, oder Heißsporn zu deutsch. So wie ich seinen eigenthümlichen Sinn kenne, mögte es ihm unwillkommen sein, mit seinem Familiennamen vor der Lesewelt bezeichnet dazustehn. Da mir aber sein edles Bild noch manchmal im Gange dieser Erinnerungen wieder erscheinen wird, mag ich es wohl am passendsten mit dem Namen Hotspur benennen. – Wer früherhin sich an der Waffenbrüderschaft des edeln Ritters erfreuen mogte, erkennt ihn wohl ohne Zweifel in diesem Umriß wieder, – vielleicht auch Mancher, der noch jetzt ihm in seinem ehrenvollen Alter nahe steht, – ob er sich selbst, falls ihm diese Zeilen vorkommen? – Er ist eben nicht gewohnt, in den Spiegel zu sehen. Aber in mein Herz einzublicken, hat er nie verlernt, und somit am Klopfen dieses Herzens fühlt er es wohl dennoch: »Das gilt mir!« –

Noch andre waffenbrüderliche Gestalten werden mir aufsteigen im Laufe meiner Blicke auf die durchwallete Bahn. Ich bewahre sie mir gern zur Erheiterung und Erfrischung für ödere Gegenden und dornigere Pfade. –

Für jetzt sah noch alles frisch und jugendlich fröhlich aus, etwa die herbe Gestalt des Obristen ausgenommen, unlängst erst von einem andern Regiment als Commandeur hier herein berufen, dem Corps-Offizier fremd, fremd er dem Corps-Offizier. Ein kleiner, alternder, feierlicher Mann war's, aber mit eigenthümlicher Gabe des Imponirens begabt, und voll unverkennbarer Tüchtigkeit. Weil er sich angewöhnt hatte, in gewissen angenommenen Fällen – im wirklich Geschehenen lobte er selten oder nie – das Wort: »Bon!« zu gebrauchen, hieß er mit seinem [122] Kriegsnamen – (wohl kein Soldat, selbst den großen König und Buonaparte nicht ausgenommen, kommt ohne dergleichen weg, so wenig, als ein römischer Triumphator ohne Legionarspäße) – der kleine Bon, oder auch wegen seiner unbeweglichen Haltung: der alte Thaler. –

Nun, wir junges Volk ließen uns denn auch eben nicht, was man so nennt: »unterkriegen.« Das nahgelegne Koblenz bot uns manche harmlose Freuden, auch Theaterfreuden mitunter, deren Operngesänge noch freudig oder auch sehnsuchtsvoll hinaustönten in Zukunfts-Ahnung durch unsre blühenden einstweiligen Wohnungen in den Dörfern umher.

Auch am edlen Fürstenhofe zu Neuwied waren unsre Offiziere gern gesehen, und schon handelte sich's davon, auch das neue Kornetchen dort einzüfuhren, oder (wie es nach lustigem Cavalleristenspaß hieß): »vorzureiten,« – da hieß es nach ernsterer Fügung: »Halt!« – zugleich auch: »Vorwärts Marsch!« –

Die idyllische Zeit war für dasmal vorüber, – oder vielleicht in solch eigenthümlicher Anmuth vorüber für immer, – die Zeit ritterlich-romantischer Waffenlust hub an. –

Der Befehl zum Aufbruch war da, – längst heiter erwartet, – jetzt frisch und freudig empfangen. Nur Ein edles Herz trauerte in unserm Kreise: das jener anmuthigen Dame. Aber auch diese Trauer war durchleuchtet von jener wehmüthigen Begeisterung, die den ritterlichen Kriegerberuf des geliebten Gatten voll hoher Ahnung anerkennt und liebt. –

Es war eine hübsche Sitte dazumal, daß jede Schwadrons-Standarte – ein Regiment zählte deren fünf – durch den jüngsten Offizier aus der Wohnung des Kommandirenden abgeholt ward, zu Marsch, Uebung oder Gefecht, und eben so dorthin zurückgebracht, wozu dann die Trompeter einen lustigen Ruf bliesen, für dessen Weise – auf den ernsteren Fall – diese Worte passen mogten:


»Munter haben geritten wir,

Mit Ehren haben gestritten wir,

Die Standard' in unsrer Mitt' ist hier.

Stell'n sie hier nieder!

Gilt's bald wieder,

Holen wir sie wieder,

Holen sie zum lustigen Ritte wir!«


[123] Als jetzt Fouqué in der hellen Morgenfrische eintrat, die Standarte abzuholen, fand er die holde Dame in den heißen Thränen des Abschied's von dem geliebten Mann. Aber auch für den Jüngling thaueten Worte des Segens für seine Erstlings-Ritterfahrt von ihren Lippen. Wie er in dem altväterlichen Aschersleben jenen Seegensspruch des greisen Kriegers empfangen hatte, ward ihm jetzt auch in den blühenden Rheines-Gauen holder Frauenseegen zu Theil.

Draußen vor der versammelten Schwadron sprach Oppen noch glühende Krieger- und Ehrenworte in unsre Seelen. Freudiglich ging es fürder. –

Unsern Kornet geleitete von allen heimisch bewahrten Büchern – auch eine nur kleine Bibliothek bekanntlich vermag man nicht mit in's Kriegsfeld zu nehmen – eine Sammlung von Salis Gedichten. Schon dessen Freundschaft für Matthisson, dem sich zu ernster Wehmuth innerlich, vielleicht in Vorahnung eines nicht leidensarmen Lebens, neigendem Jünglinge, absonders lieb, hatte diese Wahl mit bestimmt. Aber auch kriegerische Anklänge, wenn gleich nur leise hin und her verstreut, machten ihm das Büchlein vorzüglich lieb. So die Schlußzeilen des Liedes: »An ein Thal,« wo der Sänger in idyllisch holde Träume versinkt, aber dann sich zur Ahnung eines Heldentodtes emporschwingt:


»Undingbar, keines Fürsten Waffenknecht,

Zu edelstolz, nach Rang und Sold zu werben,

Entsagt' ich nie der bessern Menschheit Recht,

Für Völkerwohl zu siegen und zu sterben.


Dort, wo, gelind in lauer Luft gewiegt,

Die schlanken Pappeln sich zusammen lehnen,

Vergöss', an meine Urne hingeschmiegt,

Mein junges Weib der Treue stille Thränen.«


Noch im Feldzug des Jahres Dreizehn tönten mir jene Klänge bisweilen nach. Daß Salis auch ritterlichen Königsdienst (ohne Zweifel französischen, nach damaliger Schweizersitte), nicht verschmähte, – nur freilich mit Vorbehalt jenes edlen Stolzes, – geht aus einem Gedicht an ihn (von Wem? weiß ich nicht mehr) hervor, das mit den Worten endet:


[124]

»Und ruft die kriegrische Trompete

Dich aus der Hofburg in das Feld,

So nimmst du, nebst dem Schwerdt, die Flöte,

Wie Vater Kleist, mit in dein Zelt.

Und führt dich dein getreuer Schimmel

In deiner Alpen Schooß zurück,

Singst du, wie er, doch unter freierm Himmel,

Des Frühlings Pracht, des Landmanns Glück.«


Beinahe jedoch wäre unserm Jüngling die kriegerische Trompete sehr frühe verhallet für immer, und bevor er noch irgend seinen Waffenberuf zu üben und sich dessen würdig zu zeigen vermogt hätte.

Unweit Bingen war es. Am Rheinesufer unter Blüthenbäumen saß ich mit Fritsch und Bechtolsheim auf dem frischen Rasen, eine Flasche edlen Weines zwischen uns, in meinem Innern immerfort die Worte – ich meine: von Mathisson – wiedertönend:


»Der deutschen Ströme König bist du, Rhein,

Umkränzt von deinen reichen Nektarhügeln,

Wo Bacharach's und Bingens Moosgestein,

In deinem grünlichen Krystall sich spiegeln.«


In das heitre Gespräch herein klangen auch die schaurigen Kunden von Bischofs Hatto Mäusethurm und von den Strudelwundern des unfernen sogenannten Binger-Loches, wo der zürnende Strom schon so manche Schiffe mit ihren Schiffern begraben hatte. Die Lust einer Kahnfahrt kam über die drei Jünglinge, um so kecker, als die beiden an der Ilm Gebornen von frühen Wassergefahren zu erzählen wußten, und der am Havelufer schon als Knabe mit dem breiteren Strom vertraut Gewordne jene nach seiner Ansicht kleinen Abentheuer nicht gelten ließ. Man überbot einander lachend, und ehe sie fast sich's noch selber versahen, saßen sie schon in einem losgebundenen Nachen und schwammen den Rhein hinab, nach ihrer Meinung die Ruder gar wohl und kunstgerecht gebrauchend.

Nach ihrer Meinung! –

Aber des Vaters Rhein Meinung schien eben keinesweges dieselbe zu sein. –

[125] Denn kaum waren die Schiffenden in den Gang des Stromes gekommen, so führte er sie nicht mehr nach ihrem Willen, sondern nach dem seinigen, unaufhaltsam fürder, nach dem Binger-Loch zu. Auch begannen die Wogen in den Nachen hereinzufluthen, und bald sahen nur noch dessen zwei Spitzen aus dem Wasser hervor, die Mitte gänzlich vom stets gewaltiger werdendem Element überschwemmt und merkbar sinkend. Besonnenheit genug zur Vertheilung der Last behielt das junge Volk, indem die zwei Leichtesten, Bechtolsheim und Fouqué, sich an der einen Spitze behaupteten, Fritsch an der andern. Einen Hülferuf hielten sie für unmännlich, weil – so weit das Ding nun einmal gekommen war – für nutzlos. Fouqué dachte bei sich: »die beiden Andern haben's gut! So nach rühmlichen Kampfesprüfungen im Rhein unterzugehn ist eben kein Unglück. Aber ich, – noch keine Kugel pfeifen hören, und nun ertrinken bei einer Lustfahrt!« –

Gott wollte das nicht. Die am Ufer sich – was man so nennt: zufällig – ergehende Dienerschaft der jungen Offiziere ward der Noth noch zeitig genug inne, um besonnen einen Kahn loszubinden, und den Unbedachten an's Ufer zu helfen. Von Erkältung nach der Durchnässung bis an die Brust herauf konnte bei der Jugend und Frische der drei verunglückten Schiffer die Rede nicht sein. Es blieb ein Gegenstand des Spaßes, und der harmlos wechselseitigen Neckerei. –

Bald nachher ward Fritsch – gegen das Ende des vorigen Feldzuges schon zum Dienst ins Hauptquartier des Erbprinzen von Hohenlohe, Führers unsrer Heeres-Abtheilung, berufen – auf's Neue zu dieser ehrenvollen Thätigkeit befördert, und wir begegneten ihm seither nur in einzeln bedeutenderen Momenten des Kriegerlebens wieder. –

Auch Fouqué sahe sich kurz nachher in eine Art von Adjutantur versetzt: nicht aber, wie Fritsch, ausgezeichneter Fähigkeit halber, sondern vielmehr wegen annoch vorwaltender Unerprüftheit. Der Obrist mogte wohl gern mit eignen Augen sehn wollen, was man ihm da eigentlich für ein Kornetchen zugeschickt habe, und befehligte ihn zu sich als zweiten Adjutanten oder sogenannten Galopin. Das war auch wohl das Klügste, was [126] noch vor der Hand mit dem Unerfahrnen, gleichsam Unmündigen anzufangen war.

Am 22sten Mai rückten wir in den Pfälzischen Ort Grünstadt – recht frisch umgrünt seinen Namen mit seiner Umhegung verdienend – ein, die rothen Husaren von Golz, (Obrist Blücher damals ihr Commandeur) ablösend, welche nun eine Stellung weiter gegen Landau vorwärts bezogen.

Es ging fast gegen Abend, als mir Bechtolsheim auf der Straße begegnete, freudig nach seiner kriegerischen Heiterkeit ausrufend:

»Nun Glückauf, zur ersten Waffenprobe, junger Freund! Zu Morgen gilt es. Bei Meckenheim stehn zwanzigtausend Franzosen. Die werden wir in der Frühe angreifen. Dazwischen aber erst noch einen Nachtmarsch! Nutzen Sie die paar Stunden zuvor zum Schlaf, damit Sie nachher desto frischer sind.«

Ich wollte den verständigen Rath benutzen – aber konnt' ich es? Zwar ging ich alsbald in mein Quartier und warf mich auf mein Lager, doch die Bilder des morgenden Tages zogen als eben so viel Ahnungs-und Mahnungsgeister um mich her, durchtönt von Melodieen, ernst verheißend, freudig lockend, feierlich fragend: »Wie wirst du dich halten, junger Mensch, Abkömmling vieler Tapfern, eines großen Feldherrn Enkel? Kampfeslust lebt in dir und muthiger Wille. Wird aber auch das allzumal, du Neuling, vor Andern so recht sichtbar in's Leben treten? Wird deine Unerfahrenheit nicht vor Fremden vielleicht als Unentschlossenheit gelten? Da sei Gott vor! Lieber, tausendfach lieber in Ehren den ersten Kanonenschuß durch die treue Brust!« –

Zum echten Gebet war damal – wir wissen es – der Jüngling noch beiweitem nicht gediehen. Aber dennoch der Anhauch eines Solchen ging wohl mit diesen Gedanken in der jungen Seele auf. Es kam über ihn eine vollständig freudige Zuversicht, und voll unaussprechlicher Heiterkeit ritt er an dem schönen Mai-Abend in die stillaufdunkelnde Nacht hinein, des Kampf-bringenden Morgens Vorläuferin. So ein Nachtmarsch trägt den Charakter einer gar edlen Feier, – wenn er sich nehmlich nach vorwärts richtet. Das Rasseln des Geschützes, der Huftritt der Rosse, das stille und doch wie geisterhaft hörbare [127] Einherziehen des Fußvolkes – es giebt eine ernste Begleitung zu den Erwartungen, die sich regen im Busen des sieghoffenden Kriegers. Dazu kam es, auch bei der geordnetsten Disposition, wohl in der Dunkelheit fast nie abgehn ohne mannigfaches Hin- und Hersprechen und verwandelte Anordnungen in Einzelheiten, das Alles jedoch möglichst leise und dennoch oft mit eifrig bewegter Stimme. Den da und dort seitwärts haltenden Abtheilungen ist, vor dem nähern Vorrücken gegen den Feind, auch wohl noch bisweilen ein Beiwachtfeuer vergönnt, das alsdann seltsame, fast magische Streiflichter in die bereits fürder ziehende Kolonne verstreut.

Bei dem Zusammentreffen unsres Regiments mit einer preußischen Infanterieschaar war es die streitige Frage, wer von den beiden voranziehn solle. Da kam im Dunkel eine hohe Jünglingsgestalt gegen den Obristen, den mir täglich imposanter vorkommenden, herangeritten, und besprach sich mit ihm über die Nothwendigkeit, das Fußvolk voraus zu lassen, wobei er nicht allein ihm widersprach, sondern auch oftmal die Anrede: »Mein Lieber!« sehr ungezwungen gebrauchte, – mir unglaubliche Dinge, meinem kleinen donnernden Zeus gegenüber! Aber was noch mehr war: der donnernde Zeus nahm's geruhig auf, ja, was noch mehr ist, er gab nach. Als ich dann auf mein staunendes Fragen erfuhr, jener junge rasche Ritter sei Prinz Ludwig Ferdinand, minderte sich meine Verwunderung so ziemlich.

Fürder ging es nun durch die Nacht. In die Augen des für ein neues Dasein wie verzückten jungen Kriegers kam lange Zeit keine Mahnung an Müdigkeit, und als spät nach Mitternacht so einige morpheische Körner hereinsprühen wollten, wichen sie vor dem Anblick französischer Wachtfeuer, die fernher aus der Finsterniß vor uns gleichsam aufgingen wie feindlich sprühende Gestirne. Mir kam die Unbewußtheit der Leute dorten von unserm bedrohlichen Heranrücken schauerlich, ja beinah tragisch vor, denn hätten sie irgend was gemerkt, so wäre uns ja schon das Anrufen ihrer äußersten Posten laut geworden und sichtbar das Bewegen von Mann und Roß vor den leuchtenden Flammen, wie mir meine kriegserfahrnen Kameraden es deuteten. Sie saßen also ruhig beisammen, sich gesichert wähnend an der wärmenden Stätte, und wohl mehr an die Stunde der nahenden Ablösung [128] denkend, als an den anrückenden Feind, oder auch Mancher in dämmernde Gedanken versenkt an die holde Heimath, oder in ein traulich flüsterndes Gespräch von Freund zu Freund. Wie bald mogte nun ein furchtbar aus der Dunkelheit losbrechender Ueberfall sie aufschrecken aus holdem Geträum! –

Von unsrer Seite jedoch blieben sie für jetzt unbedroht. Wir umgingen diese Vorpostenlinie, und zogen gegen die Mitte der feindlichen Stellung in der Richtung auf das Dorf Meckenheim, das nun in der anbrechenden Frühdämmerung sichtbar zu werden begann. Aber zugleich auch begannen die Schauer der Morgenfrühe fast unwiderstehlich schlafbringend auf den jungen Kriegsmann in Folge des Nachtmarsches zu drücken. Nur kaum das Aufblitzen der Kanonen unsrer Avantgarde schüttelte ihn endlich ganz und gar wach. Er begann, die Stellung zu überschauen, und meinte sie zu beurtheilen nach Anlehnung, möglichen Angriffspunkten und dergleichen, wie er's früherhin auf Gefechtsplanen in kriegerischen Geschichtsbüchern nicht sonder Erfolg versucht hatte. Aber die Natur sieht uns weit anders an, als so eine Terrainzeichnung, und anders die Schaaren, theils offen aufgestellt, theils halb verdeckt, als die Vierecke, mit welchen man sie uns auf Treffenplänen anzudeuten pflegt. Da gilt's erst noch: Sehenlernen. Aber ich mag wohl sagen mit dem alten guten Spruchworte: Lust und Liebe zum Dinge macht alle Mühe und Arbeit geringe. Noch gegen das Ende dieses ersten Prüfungstages, ja schon in dessen Mitte waren mir die Kriegeraugen bereits so ziemlich aufgegangen.

Allerdings wär' es wohl besser gewesen, wenn Prinz Ludwig meinem Obristen seinen Willen gelassen hätte, der Reiterei die Spitze des Zuges gönnend. Denn obgleich ein ziemlich langer Damm durch tiefen Moorgrund nach dem Dorfe führte, hätte ihn doch die Cavallerie zu Dreien rasch im Trabe, nöthigenfalls im Galopp, zurückgelegt, und dann die überfallnen Franzosen in den breiten Straßen des Dorfes zusammengehauen. So aber, mit Infanterie und Geschütz voraus, und das feindliche Artilleriefeuer beim langsamern Vorrücken des Fußvolkes allzuhoch anschlagend, ließ sich ein sonst wackrer Führer der Spitze auf das Kanoniren ein, wodurch er – wie wir späterhin erfuhren – die noch sorglos schlafenden Franzosen erst weckte, und [129] ihnen jetzt die Dammvertheidigung leicht machte, uns aber den Dammangriff schwer, für Cavallerie nun fast unmöglich.

Freilich rief man uns jetzt im Trabe vor, aber der rechte Moment war verfehlt, und der Kampf gänzlich in eine Kanonade ausgeartet, für den Angreifer die erfolgloseste und verderblichste aller Gefechtsgattungen. In unsrem raschen Vorrücken trug man uns den Leichnam eines eben erst erschossenen Offiziers entgegen. Diese Sorgfalt verkündete einen ausgezeichneten Todten. Man fragte. Einer der edelsten Adjutanten des Erbprinzen von Hohenlohe war es: Lieutenant von Schipp, in ruhmvoll früher Jugend gefallen als erstes Opfer dieses Tages, – auch ein Opfer unbeglückter, weil verrathner Liebe zugleich. Die elegische Geschichte darf hier nicht verkündet werden. Aber sie hat meine Seele zu tief bewegt, als daß ich's mir versagen könnte, sie mindestens andeutend hier mit einklingen zu lassen.

Bald hielten wir nun im feindlichen Geschützfeuer, und freudigen Bewußtseins empfand der Neuling, die Todesboten, rings um ihn sausend und in den Boden einschlagend, auch mitunter Roß und Mann in den Tod darnieder streckend, hatten kein verstörendes Grauen für ihn, obwohl er ihren ahnungstiefen Ernst verstand und empfand. Ja, er konnte lachen, wenn so eine sausende Kugel, mit so vielem Aufwand an Kraft und Kunst abgesendet, wirkungslos dicht neben ihm in den Boden einschlug, und sein gestrenger Obrist sah ihn dann wohl mit verhaltnem Lächeln beifällig an, der Alte wiederum dem Jüngling ein klares Vorbild heitrer Fassung und ruhigen Ernstes.

Freilich als unweit von uns einem Infanteristen der Fuß fortgerissen ward, und das rothe Mark an der verletzten Stelle hervortrat, indem den vor Schmerz und um seine Verkrüppelung Jammerheulenden zwei Kameraden zurückschleppten, – da ging dem jungen Reitersmann eine neue Gattung des Ernstes auf. – Entstellung, – Lähmung – überwältigendes Wehe, – das waren Furien und Harpyien im Vergleich zu den schweigsamen Herolden, die ihren Getroffenen, den alsbald auch schweigsam gewordenen rasch niederstreckten in den stillen Ehrentod. – Dennoch, eine Ahnung des heiligen Wortes: »Beruf!« regte sich in des Jünglings Brust, und sänftigte jene Grauenbilder, so daß [130] er bald wiederum in aller Kampfesfreudigkeit, ja voll heitern Stolzes neben seinem Obristen im Feuer auf und nieder ritt.

Sie waren auch an die Leib-Schwadron gekommen, und der Obrist besprach sich mit den Offizieren, während ein feindliches Geschütz unverkennbar die Zielrichtung nach der Standarte genommen hatte. Immer näher und näher schlugen die Kugeln vor die Mitte des Geschwaders ein. Nach und nach, und von dem braven Standarten-Junker unbemerkt, war dessen Roß schrittweis vor diesen Grüßen zurückgetreten, und so auch die Rosse der zunächst haltenden Reiter. Die Schwadron war in eine innwärts gekehrte Halbmondstellung gerathen. Da ritt ihr tapfrer Führer Oppen gelassen nach dem rechten Flügel hin, und sprach, von dort aus seine Schaar überblickend: »Ihr seid nicht in der Richtung. Die Mitte steht zurück. Wohl weiß ich: das kommt nicht von den paar Kugeln her, die dorten eingeschlagen haben. Aber ein fremder Offizier, der etwa die Leib-Schwadron von Weimar nicht kennte, mögte sich doch vielleicht so was einbilden. Richt't Euch!« rief er mit seiner Donnerstimme, und die Schwadron stand, wie auf ein Lineal gereihet. Und von oben her war gesorgt: auch nicht Eine Verletzung traf Mann oder Roß, obgleich die Schaar noch eine ganze Zeitlang in derselben Stellung hielt. –

Nun kam ein wunderliches Intermezzo. Während auf Befehl der Obrist das Regiment in Zügen hatte abschwenken lassen, um eine Stellung weiter links einzunehmen, und wir unterhalb eines sanften Hügelhanges fortzogen, vom Feinde ungesehn, ertönte plötzlich durch einen vom rechten Flügel uns nachsprengenden Reiter der Befehlsruf: »Regiment Weimar, Halt! Mit Zügen: rechts schwenkt euch, Marsch!« Das Regiment, richtig eingeübt, nur auf die Stimme seines Obristen zu horchen, den es ruhig fürderreiten sah, blieb im gelassenen Schritt, und jenes vergebliche Rufen nahm zu. »Wer kommandirt da an meiner Statt?« fragte, mit Recht zürnend, der alte Kriegsmann. »Ich meine, es ist der Major Massenbach vom Generalstabe«, erwiederte der Kornet, von frühester Jugend her mit einer scharfen Fernsicht begabt, und eben so auch in seiner Aeltern Hause an die feurig edle Erscheinung Massenbachs gewöhnt. –»Woher wissen Sie das?« – »Weil ich ihn von Potsdam her kenne.«[131] – »Sie haben Recht!« erwiderte der Obrist, nun auch den Näherkommenden erkennend, und in ihm den Chef unsres Generalstabes, die rechte Hand des Erbprinzen. Aber das hemmte nicht seinen gerechten Unwillen, und dem unberufenen Rufer entgegensprengend, sprach er: »Wer heißt Sie, Herr Major, ein Regiment kommandiren wollen, das ich befehlige?« – »Der Drang des Augenblicks!« entgegnete der kämpfglühende Massenbach. »Ich konnte Sie nicht gleich finden.« – »Ich aber ritt an meinem Posten, und Sie, Herr Major, sollten doch wissen, wo man den Commandeur eines Preußischen Regiments zu suchen hat.« – »Wohlan, Herr Obrist, wenn Sie um einer Preußischen Formalität willen Preußische Geschütze drangeben wollen: auf Ihr Gewissen! Droben auf dem Hügelzuge hält die reitende Batterie von Lehmann, und ist von feindlicher Cavallerie bedroht.« – »Ich werde zu rechter Zeit dabei sein, Herr Major. Wir Zwei aber sprechen uns nachher vor dem Erbprinzen.« – »Meinthalb, Herr Obrist.« – Und er sprengte zornig von hinnen, nicht aber ohne zwischen den Streit noch die Worte an den Kornet einzustreuen: »Ei, Fritz Fouqué, wo kommst Du her? Ich meinte Dich in Halle auf der Universität!« Zum Antwortbericht war denn freilich eben jetzt auch keine Zeit. Rasch hatte der Obrist zum Einschwenken kommandirt, und im muntern Trabe, die blanken Klingen gezückt, ging es, über einen Feldgraben weg, hügelauf.

Droben fanden wir nun freilich die Batterie von Lehmann, sahen auch in einiger Entfernung Französische Reiterei aufmarschirt, keinesweges aber in so dringend bedrohlicher Haltung, als es Massenbach in seinem Eifer, der nicht selten eine etwas düstere Farbe anzunehmen pflegte, auch diesmal vermeint hatte. Vielmehr bei unsrer Erscheinung zogen jene Reitertrupps ab, und hinter ihre eignen Batterien zurück.

Nach und nach entstand überhaupt eine jener unwillkürlichen Pausen, die bisweilen im Kriege, namentlich bei Postirungsgefechten, etwas herbeiführen wie Waffenstillstand, obgleich keine von beiden Parteien an Aehnliches denkt. Man ist eben ermüdet, und wird deßhalb einstweilen still. So auch hieß der Obrist das Regiment absitzen, während nur einzelne Flanqueurs, und von Seiten der Infanterie Tirailleurs den Feind beobachteten. [132] Das schon am 23. Mai üppig hoch in den Pfälzischen Ebnen aufgeschossene Korn gab uns nach dem Nachtmarsch Erholungsbedürftigen ein natürliches Streulager. Neben meinem Obristen legte auch ich mich, den Zügel meines schönen Apollo um die Hand gewunden, behaglich zum Schlummer.

Wohin meine Seele sich neigte, versetzte mich auch alsbald mein Traum, – in den väterlichen Land-Sitz. Eine Zeitlang auch ging Alles in seiner gewohnt behaglichen Ordnung dorten fürder. Da warf, meinte ich, Einer heftig rasch eine Thür zu, – ein Unwesen, das mein Vater nicht wohl ertragen mogte, – und abermal: »Klapp!« – und: »Klapp!« auf dieselbe Nichtmanier, – »Was giebt's denn heut für ein Getrieb im Haus?« dacht' ich bei mir. – Da noch einmal: »Klapp!« und wie ausgesperrt von der Traumesheimath fuhr ich in die Höh'. –

Auf dem Felde vor dem Dorf Meckenheim lag ich. Das Flinten- und Pistolengeknall hatte wiederum seinen ernsten Wortwechsel begonnen. Rasch saß ich im Sattel, während mein Obrist, gleichfalls schon zu Rosse, sprach: »Nun wirds doch auch Zeit, den Erbprinzen von Hohenlohe zu fragen, wer das Regiment Weimar kommandiren soll: Major Massenbach oder ich?« –

Wir trabten nach der Mitte der Stellung zu, wo uns schon von weitem eine Gruppe vieler gelagerten Offiziere den Kommandirenden und sein um ihn versammeltes Gefolg kenntlich machten.

Massenbach mogte den Besuch des anfragenden Obristen erwartet haben. Er kam uns zu Fuß langsam entgegen, billige Worte der Sühne zu dem verletzten Regiments-Commandeur redend, und das ehrsamliche Spruchwort: »Gut Wort findet gute Statt!« bestätigt sich wohl nirgend schöner, als zwischen tapfern Soldaten, während es unter weibischem Gezänk alle Kraft und Wahrheit verliert. – »Lieber Major«, – sagte mein Obrist, – »wenn ein rascher Eifer Irgendwen über die Gränzen der Form wegreißt in einem bedeutenden Kampfesmoment: – Wer wollte nicht gern bereit sein, zu vergeben und zu vergessen? Es ist Alles gut zwischen uns.« – Die wackern Männer schüttelten einander die Hand, und der Obrist ritt gelassen [133] zu dem Kommandirenden heran mit der einfachen Meldung, was bisher das Regiment an Reitern und Pferden verloren habe. Im Gespräch über den jetzigen Stand des Gefechtes, und wie sich durch zu frühes Allarmiren die Schwierigkeit vermehrt habe, den Franzosen ihre Stellung zu entreißen, erhob sich plötzlich eine bis dahin schlummernde, dunkellockige Jünglingsgestalt, zu dem Feldherrn sprechend:

»Eure Durchlaucht gebe mir das Infanterie-Regiment Romberg, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort: binnen einer Stunde nehme ich das Dorf Meckenheim mit Sturm, und sprenge somit den Centralpunkt der feindlichen Stellung 8

Die Antwort hieß:

»Lieber Prinz, noch ist es nicht Zeit zu so gewaltsam nothwendigen Mitteln, und zum Dransetzen von so vielem Köstlichen. Ich hoffe den Feind auf eine andre Weise aus dem Vortheil zu drängen.«

Und der dunkellockige Jüngling tauchte wiederum gleichsam unter in das Korn, als wolle er von nichts mehr hören, verwerfe man sein heroisches Mittel.

Die Erscheinung war abermal Prinz Ludwig Ferdinand gewesen.

Jenes beabsichtete Rückdrängen der Franzosen schien unser Feldherr durch Angriffe auf beide Flügel ihrer Stellung erreichen zu wollen.

Bald nachdem der Obrist wieder beim Regiment eingetroffen war, empfing er durch Fritsch die Angriffs-Disposition, vermöge deren unsre Reiter in halbe Schwadronen ausgedehnt, die Verbindung mit der sich weiter rechts wendenden Infanterie unterhalten sollten, was auch vermöge des vor Meckenheim sich hinziehenden Moors unschwer zu bewerkstelligen war. Um aber den Feind auch auf dessem rechten Flügel zu bedrohen, sollte zunächst unsre fünfte Schwadron – die des Obristen – mit einer [134] halben reitenden Batterie gegen Hochdorf anrücken, den Feind dahinaus kanoniren, und, wenn das gelinge, ihn auf freiem Felde rüstig angreifen, und somit das Dorf Meckenheim von der Rückseite bedrohen, den Rückzug der dort aufgestellten Truppen beschleunigend, während man unsre eigne linke Flanke durch bei Schifferstadt postirte Oesterreicher für vollkommen gesichert hielt.

Ein wenig dünn war wohl unsre Gesammtaufstellung zu nennen, wie das in Folge des sehr unstrategischen Cordonsystems sich auch auf die taktischen Bewegungen auszudehnen pflegte, und fast ausdehnen mußte, allen bessern Einsichten einzelner Führer von Heeres-Abtheilungen unerachtet. Es hieß damit, aus der Noth eine Tugend machen, und die Tüchtigkeit der Befehlshaber, die treue Tapferkeit der Schaaren, verbunden mit deren Geübtheit in den Waffen, machte auch wirklich manches Schlimme wiederum gut, so daß der Wahlspruch König Franzens stets frisch unter uns vorherrschen durfte: »Sauf l'Honneur!« Auch für diesen 23sten Mai stand noch, in seinen sich zum Abend neigenden Nachmittagsstunden, auf rühmlichen nicht nur, sondern auch günstigen Ausgang zu hoffen.

Zwar als die fünfte Schwadron ihre linke Flügelstellung eingenommen hatte, auf das nachkommende Geschütz wartend, benutzten Französische Tirailleurs – damals eine Hauptwaffe des feindlichen Heeres – das hohe Korn, um uns zu beschießen, auftauchend und wieder untertauchend, in fast spukhafter Manier, ohne daß unsre Flanqueurs auf ihren hohen Rossen ihnen beizukommen vermogten. Die Schüsse summten seltsam, fast nach Bienenweise, nicht mit dem gewöhnlichen Kugelgepfeif, und wir noch unerfahrnes junges Volk lachten über den kuriosen, gar nicht übel klingenden Singsang. Erfahrne Reiter aber sprachen ergrimmt: »Kommen wir zum Einhauen, – heute keinen Pardon dem Patriotenpack 9! Das schießt ja wieder einmal mit gehacktem [135] Blei, – wir sinds schon sonst manchmal gewohnt von ihnen wider alle redliche Kriegsmanier!« –

Glücklicherweise traf jene mörderische Art zu feuern (so ziemlich jede Wunde eine zerreißende Todeswunde) für dasmal nicht, und als unsre Geschütze auffuhren und abprotzten, mogten die feindlichen Tirailleurs meinen, es sei zugleich auch Fußvolk mit angerückt. Sie zogen sich nach Hochdorf hin zurück, und bald waren wir ihres Geknatters ledig. Wohl beantworteten feindliche Geschütze das Feuer der unsrigen, aber diese gewannen mehr und mehr die Ueberhand. Schon zog sich die Besatzung von Hochdorf aus dem in Brand geschossenen Orte seitwärts zurück, auf die Landstraße hervor; – wir durften hoffen, im raschen Reiterangriff über die Ebne vor, des Sieges Früchte zu pflücken; – da sprengte Fritsch heran, und meldete dem in der Batterie haltenden Obristen, die Oesterreicher seien links von uns bei Schifferstadt zurückgedrängt, und somit unser linker Flügel nicht mehr angelehnt. Der Erbprinz gebiete, das Gefecht abzubrechen, und das Geschütz so bald als möglich aus der Gefahr der Ueberflügelung zurückzuziehn. Der Obrist gebot dem Artillerie-Lieutenant Aufprotzen und Abmarsch. »Wir locken ein mörderliches Feuer auf uns«, erwiederte dieser besonnen, – »wenn das unsrige so plötzlich schweigt. Soll ich nicht lieber den Rückzug nach und nach beginnen?« – »Ihre Geschütze sind bedroht, umgangen zu werden; darauf kommts in diesem Augenblick an,« – sagte mein braver Obrist, – »nicht auf unsre mehr oder mindre Gefahr. Protzen sie auf!« – Es geschah, und ein ungeheurer Kugel- und Haubitz-Granatenhagel bestätigten die Voraussagung des Artilleristen. Eine Halbschwadron hielt etwa zweihundert Schritte zur Rechten der Batterie, sichtbar auf der Höhe, um das Feuer des Feindes zu theilen, großentheils aus jungem Volk bestehend, und der unerwartete Geschützregen brachte eine augenblicklich-wirre Bewegung hinein, aber Hotspur führte sie, und seine ritterliche Heldenruhe brachte alsbald wiederum volle Fassung und Würde in die Schaar. Nur eine spaßhafte Erinnerung blieb dabei in dem Kornet zurück. Einer der jungen Reiter, die mit ihm unter der Ersatzmannschaft ins Feld gerückt waren, bückte sich in jenem kurzen Verwirrungsmoment oft und scheu, und Fouqué rief ihn an: »Erinnre Dich, [136] wie wir auf dem Marsch so gern von unsrer ersten Waffenprobe sprachen. Nun ist sie da! Nun halte dich männlich und fest, und laß von Deinem verwünschten Bücken vor den Kugeln.« – »Um Verzeihung, Herr Kornet, hier fliegen sie allzutief!« antwortete er unter fortdauernd höflich aussehenden Reverenzen. –

Wir zogen jedoch unser Geschütz ruhig aus dem Feuer zurück, und weiter an uns Händel zu suchen, hatte der Feind eben keine Lust. Schon begann der Maiabend etwas kühler zu thauen und die Sonne sich tiefer gegen den Horizont zu neigen. »Abgesessen!« hieß es, und der nun tief ermüdete, aber im Herzen kampfesfrische Kornet zweifelte keinen Augenblick, man werde hier übernachten, und am folgenden Morgen der Angriff auf die feindliche Stellung abermal, hoffentlich mit schönem Erfolg, beginnen. Tief schlief er alsbald ein, und dergestalt fest, daß er meinte, die ganze Nacht geschlafen zu haben, als sein Reitknecht ihn mit den Worten weckte: »Es wird hohe Zeit, Herr Kornet. Die Reiter sitzen schon auf.« Die Sonne stand dicht am Erdrund. Es sei ihr Aufgang, meinte der nicht sonderlich orientirte Kornet, und ritt zwischen den Reitern mit den ihnen allerdings verwunderlich klingenden Ermunterungen umher, heute zu Stande zu bringen, was gestern noch nicht gelungen sei. Denn sein vermeintes gestern war noch immer heute, und seine vermeint aufgehende Sonne eine untergehende, wie er's denn freilich nach und nach an der zunehmenden Dunkelheit zu vermerken begann.

Der nächtliche Rückzug nach Grünstadt war beschlossen und ward angetreten, nicht ohne Murren in den Schaaren über unsre Bundesgenossen, weil sie die Stellung bei Schifferstadt nicht gehalten hatten, und somit die Defensive des Feindes zur Offensive geworden war, den linken Flügel des Preußischen Corps bedrohend. Die Franzosen machten indessen keinen Gebrauch davon, zufrieden damit, daß eben wir vom Angriff abließen, und somit hatten wir auf unsrem Nachtmarsch nichts Andres zu bekämpfen, als unsre eigne Ermüdung, die sich allerdings nach so erschöpfenden Stunden belästigend genug erwies. Jene seltsamliche Art von Fata Morgana, welche die Nacht dem überwacht durch sie Hinziehenden, sei es im Kriege, sei es auf Reisen, neckend vorzuspiegeln pflegt, lernte auch der junge Reitersmann und wohl Mancher seiner Genossen zum erstenmal auf diesem[137] Zuge kennen. Da ist es, als führe die Bahn uns durch Stadtgassen hin, von hohen, schönen Gebäuden auf beiden Seiten umgränzt, und habe man einen behaglichen Ruhepunkt erreicht, oder es stehe doch mindestens in den Thüren eine Menge gastlicher Menschen, bereit, uns mit einem Trunk Wassers zu laben, denn just nach dieser Labung verlangt es den kampferhitzten Kriegsmann, wohl auch den recht ermüdeten Wandrer, vor allen denkbarlich irdischen Erquickungen zu allermehrst. Und nun blickst du genauer hin, und gedenkst schon, die Leute dorten anzureden; da blinken durch die Häuser Lichtlein hervor, aber nicht durch die Fenster, sondern durch das Gemäuer, – Sterne sind es am umwölkten Firmament, – in Duft zerrinnen die Häuser, in Duft auch deren Bewohner, – um dich her offenbart sich, an der Häuser Statt, wilder Wald, oder, schauerlicher noch, weites Feld ohne irgend einen bezeichnenden Gegenstand.

Dann ist's auch eine seltsame Erscheinung aus Reiternachtmärschen, wo dann so Roß hinter Roß, gleichfalls müde, hintereinander herschlendert, daß bisweilen dem Reiter wird, als gehe dicht vor ihm ein Schimmel, dem er fast auf die Kroppe reite, und wo er seinem Gaul plötzlich in die Zügel greift, um das Zusammenstoßen zu vermeiden. Die Kameraden lachen laut: »Der hat den Schimmel gesehn!« Es ist dann gewöhnlich kein Schimmel weit herum vorhanden, aber der plötzlich in das unversehens zuckende Auge des Halbschlummernden fallende Dämmerstrahl gestaltet was, wie einen schneeweißen Gaul dicht vor uns.

Oder auch unter dem todtmüden Reiter geht das träumerische Roß etwas aus der Bahn, und geräth etwa auf einen Hügel, wo es dann ermattet stehn bleibt, und nun im Stehen vollends einschläft, bis der lachende Warnungsruf der Kameraden Mann und Roß erweckt.

Freilich auch kommt es mitunter zum ernsten Sturz, aber es pflegt ein schützender Engel dabei obzuwalten. Wenigstens unter all meinen vielfachen Anschauungen dieser Art erinnere ich mich keines schweren Unglücksfalles.

So gelangten wir auch gegen die Morgendämmerung nach Grünstadt zurück, wo denn freilich unsre Erscheinung vielen Schrecken erweckte, denn man vermeinte, die Völkerbefreier seien dicht hinter uns drein, und würden ihr Beglückungssystem in [138] gewohnter verderblicher Manier wiederum zur Execution bringen. Da wir aber unsre Gäule ruhig in die Ställe zogen, und uns zur Ruhe legten, wurden auch die mit Freiheit Bedrohten still, und hofften auf den Schutz der Despotensoldaten voll heitrer Zuversicht.

Eine lustige Art von Rodomontade finde dabei noch unsrer Seits Raum hier.

In allen Geschwadern giebt es welche jener Prahlhansgestalten, wie Shakspear sie in seinem Parolles, seinem Falstaff und Aehnlichen so überaus lustig geschildert hat, und die, wenn man sie erst einmal – mit einem plebejen Ausdruck zu reden – »weg hat,« keinen Schaden mehr anrichten, vielmehr zur Ergötzlichkeit der Braven dienen, und einer Art von Hanswurstprivilegiem genießen. So ein kläglicher und dennoch spaßhafter Gesell hatte sich auch in jenem Abendgefecht vor Hochdorf auf seine Manier ausgezeichnet, indem er zurückritt, jammernd, sein Bein sei ihm weggeschossen, auf die Frage des Chirurgen erwiedernd, es sehe damit gar zu gräßlich aus, und er habe deshalb noch gar nicht hinsehn mögen. Es fehlte ihm jedoch weder ein Bein, noch war er irgend verletzt. Zu seiner Entschuldigung nahm man an, es habe ihn vielleicht ein aufgewühlter Stein an den Schenkel geschlagen. Man wollte den armen Narren ungern als Feldflüchtigen bestrafen, und somit blieb Spaß eben Spaß. Beim Wiedereinrücken in Grünstadt nun tröstete er seine über unsern Rückzug lamentirende Wirthin mit den Worten:

»Sein sie ganz unbesorgt, meine beste Madam. Wir haben einen glänzenden Sieg erfochten, und die Franzosen sind so gut, als vernichtet.«

»Aber warum hat sich Ihr Regiment denn zurückgezogen, lieber Herr Reiter?«

»Meine beste Madam, es waren unsrer zu Viele dorten. Wir standen einander nur im Wege, wir Victorisirenden.« –

Nun – ein Etwas war dran. Das Haupt-Corps unter Feldmarschall Moellendorf war glücklicher gewesen, als wir, den Feind in der That überfallend, und ihn zurückwerfend aus seiner wesentlichsten Stellung, so daß die Meckenheimer Position von selbst aufgegeben werden mußte, und wir nach einigen Tagen [139] ohne Widerstand dorthin vorrückten, und in einem schönen Dorfe, Namens Biel, nach Pfälzer Wohlhäbigkeit fähig, das ganze Regiment aufzunehmen, Quartier bezogen.

Fouqué trat nun wiederum seinen Dienst in der Leibschwadron an, nachdem sich der Obrist durch die Proben vor Meckenheim und Hochdorf überzeugt hatte, man habe ihm nicht etwa ein verzärteltes Muttersöhnchen als Kornet zugeschickt, sondern einen muntern Rittersohn, der hoffentlich in Oppens tüchtiger Schule bald gedeihlich nachholen werde, was ihm an Exerzier- und überhaupt Dienst-Erfahrung mangele.


Nehmt die etwas ausführliche obige Schilderung meines Erstlingstreffens wohlwollend hin.

Theils ist ein Erstlingstreffen immerdar ein gar unvergeßlich ernstes Ding für den Einzelnen, mit dessen Lebensanschauung man sich einmal beschäftigen will. Theils aber auch schildert sich ganz von selbst in diesem Kampf der Gesammtcharakter des Preußischen Rheinkrieges nach der Uebereilung des Zuges auf Paris, wie zur Buße dafür, während der Jahre 1793 und 1794 in der Nuß, oder – wenn Eins lieber Lateinisch reden mag – in nuce. –

Ehrbarer Muth, aber stets wiederum, auch nach günstigen Erfolgen, gehemmt durch eine oft in's Kleinliche gehende Vorsichtigkeit, – stetiges Umblicken nach den Verbündeten: »was werden die thun?« – und zwar mistrauisches Umblicken, weil noch die alte Misstimmung wider Oesterreich aus den Schlesischen Kriegen her unter der Asche einer Scheinversöhnung glimmte. – Murren wider die sogenannten Freunde bei jedem Unfalle von dort herüber, – eben deshalb Neigung zur Defensive, gegen welche selbst kühnste Geister, wie Prinz Ludwig, Obrist Blücher, General Rüchel, – Gott Lob! das Verzeichniß würde lang werden, wollte man's erschöpfend entwerfen, – durchzudringen nur selten vermochten, und dann doch nur durch kleinere Unternehmungen, ohne wesentlichen Einfluß auf den Gang des großen Ganzen. Statt einen erlittnen Unfall durch Vordringen von andrer Seite her wiederum zu bessern, – die [140] einzige Möglichkeit einer kräftigen Vertheidigung, – ging man zwar mit den Vorgehenden vor, wich aber auch mit den Weichenden, und sahe somit die ganze ungeheure Linie, von Dünkerken bis Landau, gehemmt durch jegliches mißglückte Postirungsgefecht, da oder dort vorgefallen. Und die Franzosen verstanden ihren Vortheil allzu gut, um nicht stets ihre ernsteren Angriffe in Berg-und Busch- und Thalgegenden, oder sonst im sogenannt coupirten Terrain zu unternehmen, just da, wo ihre überzählige und sehr gewandte leichte Infanterie das entscheidende Gewicht in die Schaale zu werfen vermogte. –

Woher ich diese Uebersicht schöpfte? Ob schon damal mit Kornetsaugen wunderbar hell-sehend, wohl gar durch kriegerischen Magnetismus und Somnambulismus? Ob ich's erst hinterdrein ausgegrübelt habe am Arbeitstisch? Wenn wir die mysteriosen Wundergaben weglassen, kann es heißen: Beides. Denn allerdings habe ich mich nachher bestrebt, zu studiren und wissenschaftlich zu erfassen, was ich gesehn hatte. Manchen Blick in den Lauf der Zeit verdankte ich aber schon während des Feldzuges dem liebevollen Vertrauen Massenbachs für mich, den er damals hoffen mochte zu erziehen für eine nicht unbedeutende Militairlaufbahn. Frische kriegslustige Jugend nahm er an dem aufsprossenden Soldaten wahr, wohl auch Empfänglichkeit für höhere Anschauungen, und bestrebte sich, ihn rein zu halten von den Wüstheiten der Ordonnanzgesellschaften in den Hauptquartieren, wo dazumal täglich die jüngsten Offiziere aller Regimenter einander ablöseten, um die minder wichtigen Befehle des Feldherrn fördern zu helfen. »Du gehst mir in jene tolle Wirthschaft nicht, Fouqué!« sagte Massenbach. »Jedesmal, daß Du in's Hauptquartier kommandirt wirst, bist Du mein Gast.« – Als nun der Siebzehnjährige Kornet mit einem ganz der Sitte angemessenem: »Wie Sie befehlen, Herr Obrist-Wachtmeister; Sie erzeigen mir viel Ehre!« antwortete, sagte Massenbach edel zürnend: »Höre, Fritz, es gilt hier Eins von Beiden; entweder ich bin für Dich Du undMassenbach, wie seitdem Du denken kannst, oder Du bist für mich fortan: Herr Kornet undSie. Wähle vernünftig!« – Heiter war die Wahl alsbald geschehen, und somit ein gar ungewöhnliches, aber auch gar edel anmuthiges Verhältniß geschlossen.

[141] Um Massenbach her sammelten sich beinah täglich, als um den Chef des Generalstaabes und einen dem Erbprinzen von Hohenlohe innig Befreundeten die ausgezeichnetsten Gestalten des Hauptquartiers. Da ward offen gegeben und empfangen, sowohl wo es sich von reinkriegerischen Gegenständen handelte, – denn daß von Massenbachs jugendlichem Freunde keine Ausplauderei zu befürchten war, verstand sich von selbst, – als auch von andern das Gemüth ergreifenden Dingen sonst. Und da mogte wohl bisweilen über die Lippen des ehrliebenden Knaben manch ein einfacher Spruch hintönen, der tiefer in die Herzen der Welt-Erfahrnen einschlug, als der Redende, wenigstens für den Augenblick, es zu ahnen im Stande war. Ein Beispiel dieser Art mag hier eintreten.

Ein edelheroischer Kriegsmann, in den Zwanzigern seiner Lebensjahre schon als Russischer Staabsoffizier erprüft, und jetzt eine Zierde unsrer Geschwader, sagte einstmal bei Massenbach, mich lächelnd anschauend: »Was soll man nun solch einem jungen Rittermännlein anrathen, wenn sich's von dem Umgange mit Frauen handelt! Sein Herz muß ihm ja doch auch schlagen. Mit leichtfertigen Dirnen sich einlassen, – das wäre Verderben an Seel' und Leib. Ein reines Mädchen mit Liebesversicherungen bethören, die ihm nachher weder Aeltern, noch Onkel, noch Tanten zu erfüllen gestatten, auch das eine Sünde! – Nach der Liebe einer verheiratheten Frau werben, wo ihm eben der freundlich gestattete Zutritt für das freundschaftliche Vertrauen des Ehemannes bürgt, –«

Da unterbrach ihn das edelgereizte Gefühl des aufblühenden Jünglings mit den Worten:

»O pfui doch! Wäre ja das ein niedriger, den eignen Sinn entadelnder Verrath!« –

Der erprüfte junge Ritter sahe den Knaben seltsam an, Andre wiederum seltsam den Ritter, während dieser mit ungewohnter Feierlichkeit sagte:

»Halten Sie Ihr Bewußtsein fort und fort so rein, wie in dieser Stunde, junger Mensch. Es wird Ihnen immerdar wohlthun.« –

Dann brach er das Gespräch ab, und verschwand bald nachher aus der Gesellschaft.

[142] Er hat diesen Feldzug nicht überlebt, sondern ist am Schlusse desselben eines rühmlichen Todes gestorben, vielleicht der letzte Preuße, der in jenem Kriege sein Blut gegen Frankreich vergoß. Erst von Ueberlebenden hat Fouqué nachdem erfahren, warum das einfache Wort so seltsam treffen mußte in ein schuldbewußtes aber edles Herz. –

Oftmal auch wieder befand sich Fritz Fouqué ganz einsam in Massenbach's Quartier, wenn Diesen etwa ein Gespräch mit dem Feldherrn abrief, oder sonst ein wichtiges Schaffen, wobei ihn Jener nicht begleiten konnte. Dann pflegte vor dem Weggehen der ernste Mann, die umhergeordneten Papiere und Bücher sondernd, zu sagen:

»Da! Hier kannst Du was lernen, auch Dich mitunter ergötzen an Wunderlichkeiten. Das und Jenes aber rühre mir nicht an, auch mit den Augen nicht! Dein Ehrenwort darauf.« –

Fritz gab dies Ehrenwort, und hielt es. Von seinen frühesten Jahren her kannte ihn Massenbach in solchem Sinne.

Ebendeshalb durfte er ihm auch Ansichten über den Gang dieses Krieges im Ganzen und Großen anvertrauen unter dem Siegel des Schweigens für Unberufne.

Solch ein, wenn freilich sehr schmerzender Lichtblick über den wahrhaften Stand des Feldzuges ward dem Jüngling am 2. Julius 1794 durch seinen Waffenmeister zu Theil.

Unsere Stellung war an diesem Tage in der Morgenfrühe angegriffen worden, so daß Fouqué, zum Ordonnanzritt kommandirt, kaum während des plötzlichen Allarmblasens und Ausrückens Zeit gewann, sich bei dem Obristen für diesen Dienst zu melden. Der Bescheid hieß: »Bleiben Sie bei mir, bis ich Ihnen die bestimmte Richtung anweisen kann, wo Sie den Erbprinzen finden werden.« –

Im raschen Trabe ging es nun vorwärts nach der Position, denn man hatte uns Kürassieren mit richtiger Ueberlegung zur Schonung der Rosse Kantonnirungen angewiesen, da die wohlgepflegten edlen Thiere weit minder durch ein rasches Vorwärtssprengen angegriffen werden, als durch eine abzehrende Lagerstellung. Wir erlebten bei dem öftern vergeblichen Angreifen des Feindes oft und so auch diesmal das seltsame Schauspiel, die Inwohner [143] der vorliegenden Dörfer mit ihrer Familie und all ihrer beweglichen Habe uns entgegen kommen zu sehn, an Karawanenzüge erinnernd, und dann wiederum, nach sieghaft bestandnem Gefecht, beim Wiedereinrücken in die Quartiere, denselben Leuten zu begegnen, die nun im Vertrauen auf unsern Schutz ihre Wohnungen auf's Neue bezogen. Wir fanden diesmal auf einem schönen Anger vor dem Dorfe Edinghofen das tapfre Husarenregiment Goltz unter seinem nachher Europisch leuchtendem Obristen Blücher von den Feinden kanonirt, aber immerdar vordringend, so daß die Französischen Geschütze sich in den Engpaß zurückzogen, und eine starke Linie Cavallerie aufmarschirte, um die weichende Artillerie zu decken. Unsre Reiter trabten zur Verstärkung der Husaren heran. Aber die Hoffnung auf ein Reitergefecht ward uns vereitelt durch das Abziehen der feindlichen Cavallerie, wodurch denn freilich unsern Husaren die rasch benutzte Gelegenheit ward, einige Geschütze zu erobern. Nun war's hier auf unsern rechten Flügel still, und der muntre Kornet, der sich eigentlich gegen den Befehl seines Obristen dem zum Angriff vortrabenden Regimente gesellt hatte, – er sollte in einer Batterie die Rückkehr des Commandeurs abwarten, – wagte nicht, seinen muthmaßlich zürnenden Zeus zu befragen: »Wo nun aus?« – Gegen den linken Flügel, wo der Erbprinz zu finden sein sollte, ritt er suchend hin, und sand das Gefolg des Hauptquartiers in dem Augenblick, wo eine Kanonenkugel dem Prinzen Ludwig sein Pferd unter dem Leibe getödtet hatte. Ich werde ihn nie vergessen, den Anblick des jungen, blühenden Helden, wie er lächelnd umherging, den Schooß seines Ueberrockes weggerissen von dem bedrohlichen, ihm unschädlich gebliebnem Schuß.

Sein schöner Engländischer Gaul lag in aller Schönheit hingestreckt neben ihm todt. –

Es gab noch so manches anmuthig kriegerische Zusammentreffen an diesem Abend, – ich könnte wohl die Bilder davon aufstellen und zusammenstellen zu einem ernstfröhlichem Krieger-Idyll, – aber der Leser ist in unsrem Zeitalter oftmal, statt eines Freundes, ein Feind, und für den Feind ist so was zu gut, während dem Freunde genügen mag am leisen Hindeuten der Stimmung des Freundes.

[144] Als ich nun mit Massenbach in dessen Quartier mich zusammenfand, fragte er mich, ob ich nicht einige Worte an den uns Beiden so geliebten und ehrenwerthen Grafen Schmettau zu schreiben habe. Er wisse just eine besonders rasche und sichere Gelegenheit zur Förderung an ihn, und so vernehme denn meine Familie allzumal bald, auch an dem heutigen Kampfestage sei ich frisch und gesund geblieben. Rasch war ich über das Papier her. »Kann ich lesen, was Du geschrieben hast?« fragte der Waffenmeister. »Freilich!« hieß die freudige Antwort. Voll feuriger Wehmuth sah er auf das Blatt. Dann sprach er: »Du hast geschrieben wie ein Jüngling soll. Nun will ich was hinzuschreiben, wie ein Mann schreiben muß.« – Und er hielt mir das Blatt mit seiner Handschrift hin, sprechend: »Nun lies auch Du, was ich geschrieben habe.« –

Furchtbarliche Worte waren es, hindeutend auf alle unseelige Folgen des Cordon-Systems, namentlich wie das hervorgehe und hervorgehen müsse aus dem von den Niederlanden uns zugekommnem Operationsplan des Oesterreich'schen General Mack. Späterhin hat Massenbach ein gewichtiges Werk – man darf wohl sprechen: ein militairisches Meisterwerk – durch die Kritik jenes Entwurfes in den Druck gegeben. Hier warf er die Principien davon in etwa zwanzig Zeilen hin voll furchtbarer Klarheit. Schmerzlich gestört in heitern Siegesträumen sah ihn sein Kriegsjünger an, erbleichend wohl das kaum noch erst so frisch erblühende Jünglingsangesicht.

»Es ist eine schwere Zeit, der Du entgegenreifest, Fritz!« sagte Massenbach. »Gewöhne dich immerhin an Spartische Eurotas-Bäder. Wer die nicht zu ertragen vermag, ist am besten daran, wenn er frühe untergeht. Du aber sollst es hoffentlich überstehn.«


»Wenn's nicht genau meine Worte sind, so ist's doch mein Sinn!« – würde ohne Zweifel Massenbach sagen, wenn er noch unter den Lebenden wandelte, ja, er würde sogar seine Form, zu sprechen, nicht ungern wiedererkennen in dieser Wendung. –

Der Lehrling nahm von dem Meister die Ahnung eines möglich trüben Ausganges mit von hinnen, ja vielleicht gar eines [145] noch vor dem Winter nothwendig werdenden allgemeinen Rückzuges – mit Ausnahme einiger festen Punkte – über den Rhein. Doch keinesweges zur Gewißheit wollt' es ihm werden. Dagegen kämpfte seine heitre Jugend an, und auch wohl eine gewisse sanguinisch ihm eigenthümliche Hoffnungsfrische, dem melancholisch-cholerischen Temperament Massenbach's gradehin entgegengesetzt, ja: entgegengestemmt, mögte man sagen.

Einstweilen hauchte der Jüngling in diesen Tagen seinen Ingrimm wider die Franzosen, auch wegen jener verfehlten Hoffnung auf ein Reitergefecht vor Edinghofen, in folgende Hexameter aus:


»Franken, wo war Euer Schwerdt? Zwar sandtet Ihr tödtende Donner,

Daß, zerschmettert im Staub, sich Reiter wälzten und Rosse.

Aber als wir uns nahten im ernsten Glanze der Waffen, –

Zürnend braus'ten die Rosse, hoch wehte die flatternde Mähne,

Und Euch drohten die Krieger mit todtverkündendem Zornblick, –

Ha, da floht ihr zurück, noch eh' wir die Schwerdter entblößten.

Franken, Ihr habt kein Schwerdt. Ihr habt nur blutige Beile,

Um wohlthätige Fürsten und treue verrathene Helden,

Waffenberaubte Krieger, und Priester der Gottheit zu morden.«


Nur allzufrüh indessen zeigte sich auch unmittelbar bei uns Massenbachs trübe Kassandra-Weissagung bestätigt. Nach verschiednen Rekognoscirungen, vielleicht auch absichtlich bloßen Scheinangriffen, um uns zu ermüden und gleichgültig zu machen wider die Bewegungen des Feindes, brach am 14. Julius ein übermächtiger Angriff gegen die Bergstellung unsrer Infanterie in den Vogesen los, ihr beherrschender Punkt der Schänzelberg. In der Ebene ward eben nur mit nichts entscheidendem Cavallerie-Geplänkel gefochten, ganz einem angedeutetem System gemäß. Heldenmüthig schlug sich droben der ehrwürdige General von Pfau, ein Kriegsmann noch aus Friedrichs Zeiten her, aber nur ehrenvoll zu sterben gelang ihm wider die Uebermacht und das schlaue Umgehen der feindlichen Tirailleurs. Die beherrschende Stellung ging verloren, nach hartnäckigstem Widerstand ihrer Vertheidiger. Und nun kam dann jenes Cordon-System in all seiner Verderblichkeit zum Vorschein, einen allgemeinen Rückzug veranlassend, gegen [146] den Rhein zu. Zwar hielten wir uns, wiederum Front machend, in der Gegend von Worms für einige Zeit, die Cavallerie ein Zeltlager beziehend, späterhin sogar wiederum in Kantonnirungen rückend, aber jene trüben Ahnungen breiteten mehr und mehr ihre Trauerfittige aus über die verbündeten Heere. Alles sah eben nur aus, wie ein verzögerter Abmarsch, wobei nur etwa der Einzelne noch Ehre einlegen konnte, Ruhm gewinnen vielleicht, aber ohne den ungünstigen Gang des Ganzen zu hemmen.

Laßt mich aus jener Zeit eine Gestalt hervorheben, die mir lieb geblieben ist, ihrer seltsamlichen Gemüthlichkeit wegen. Mag sein, daß ich diese Schilderung schon einmal in einer Zeitschrift aufgestellt habe. Doch weiß ich's nicht gewiß. Hierher gehört sie jedenfalls, unter dem damals dafür bestimmten Titel:

»Ein Lebenslauf im Voraus.«

»Ein wenig anmuthiger, weniger noch eleganter Jüngling war einer meiner Kameraden im Regiment Weimar. Er war denn eben nicht eigentlich nach meiner Weise, aber geachtet von allen Waffenbrüdern, als heiter, treuherzig und, eines eigenthümlichen Phlegma's unerachtet, stets zuversichtlich in jeder Gefahr. Als poetisch ihn entweder zu tadeln, oder zu loben, wäre wohl eben Niemandem, von je welcher Gesinnung auch, in den Sinn gekommen. Vorzüglich merkwürdig erschien es an ihm, daß er in den beiden frühern Feldzügen so eigenthümlich der Todesgefahr entgangen war: in der Champagne der ihn ohne alle ärztliche Hoffnung niederstreckenden Lagerkrankheit, vor Mainz einem Schuß, der sein Pferd dicht an der Pistolenhalfter getödtet hatte, ohne den Reiter auch nur im Mindesten zu berühren. ›Den will der Tod nicht!‹ hieß es oftmal im etwas überdreisten Scherze. ›Der kann lachend in den bevorstehenden Feldzug reiten.‹ Auch er selbst mogte Aehnliches denken. Eigen war es nur, daß er oft sich aus unsern geselligen Kreisen plötzlich losriß, unaufhaltsam eilig, und dann versichernd, er müsse Briefe schreiben, während man doch gar wohl wissen konnte, daß die Feldpost ihm nur sehr selten Briefe brachte, noch viel seltner von ihm welche mitnahm. Nun, – man lachte, und ließ die Grille gut sein: eine Grille, die er allzu ernsthaft zu nehmen schien, um darüber Spaß verstehen zu wollen oder zu können.

[147] Jetzt im Laufe des Sommers traf ihn die Reihe auf drei Tage zum Piket im Dorfe Karbach, aus uns und Dragonern zusammengesetzt, wo für diesmal ein Dragonerhauptmann den Oberbefehl führte. Mein Kamerad kam am Abend vor dem Abmarsch noch in mein Quartier, wo wir eine harmlose Partie Whist gebildet hatten, die ihm störend vorkam, weil sie das Gespräch hemme, meinte er, begehrend, wir mögten davon ablassen. Umsonst machten wir ihm bemerklich, daß ja die Unbedeutenheit des Satzes keiner Mittheilung in den Weg trete. ›Viel Geld oder wenig Geld!‹ rief er unwillig. ›Das macht's eben nicht. Aber Trumpf und Dame und König, und das Rechten: Warum hast du nicht jenes gespielt, oder was andres! – da kommt kein vernünftiges Wort auf! Und man weiß doch nicht, ob und wie man einander im Kriege wiedersieht!‹ – Seit so längsther war man an keine Vorpostenangriffe der Franzosen gewöhnt, daß man über diese Tragik des sonst so sorglosen Freundes lachte, und er halb verdrießlich von hinnen ging. Fouqué aber, sich wundersam bewegt fühlend, schritt ihm nach, und faßte, vom Geländer der steilen Treppe gebeugt, des Hinabsteigenden Hand, fragend: ›Nicht wahr, wir scheiden doch nicht im Unwillen?‹ Voll innig erwachender Rührung sagte der ältere Kamerad: ›Gewiß, Kornetchen, wir haben einander beide lieb. Gute Nacht, und auf fröhliches Wiedersehn!‹ Somit schritt er nach einem kräftigen Handdruck die Treppe vollends hinunter. – ›Hinunter!‹ Das drang wie mit schmerzlicher Ahnung in die Seele der Drobenstehenden ein.« –

»Am Morgen seiner bestimmten Ablösung ward das Piket, zu welchem er gehörte, überfallen, ohne seine Schuld, er selbst mit mehren Wunden in heldenmüthiger Vertheidigung erlegt. Die braven Reiter und Dragoner hieben den Feind wiederum zurück, und den Leichnam unsres Kameraden heraus.«

»Da lag er nun vor uns, die Stoßwunde auf seinem tapfern Herzen, schöner, als er mir je im Leben erschienen war, ein heiter kühnes Lächeln auf den todtbleichen Lippen.«

»Nach schuldiger Waffenbrudersitte wurden von zuverlässigen Kameraden die nachgelassenen Papiere der Erblichenen durchgesehen; – da fand sich vor, was er in jener uns räthselhaften [148] Korrespondenz aufgezeichnet hatte: Briefe an seine zwei liebsten Freunde im Regimente, aber auf viele, viele Jahre voraus, Jahre, die er niemals mit leiblichen Augen erschauen sollte. Die Freunde und er selbst hatten da bereits nach erkämpftem Frieden den Abschied genommen, und lebten auf ländlichen Besitzthumen, glücklich verehlicht und von lieblichen Kindern umblüht. Sie luden einander ein zu fröhlichen Besuchen, gedenkend der Kämpfe am Rhein, als einer mühevollen aber nun heiter aufleuchtenden rühmlichen Vergangenheit, sich freuend an zahllos häuslichen Heilsbescheerungen. Wie glücklich, wer das Alles in Wahrheit erlebt hätte! Und doch – wie vielen Störungen wäre das allzumal durch die Wirklichkeit unterworfen gewesen! Nun ging es ungestört in idyllischer Lieblichkeit fürder. Wir aber, voll ernster Rührung, mitten unter manchem staunenden Lächeln, empfanden, wie seelig den jetzt Seeligen jene briefliche Träume mogten erquickt, ja entzückt haben.«

»Fürwahr, die Poesie ist ein allgegenwärtiges Wesen, und oftmal in Heimlichkeit erblühen mag sie gar lieblich dort, wo die Außenwelt böotische Nebel, sie für das Eigentlichste des Daseins ausgebend, am überdunkelndsten darüber hinstreckt.« –


Auch Fouqué hielt die ohnehin jetzt seltneren Besuche seiner Muse mehrst verborgen vor fremden Augen. In Bezug auf jenen Ueberfall und den Tod des Waffenfreundes tönte er folgendes Lied hin, das ich wohl als eines der gelungneren hier anführen mag: aber nur sein Freund Bechtolsheim bekam es zu lesen.


»An die Neufranken


»Zurück vom alten Rhein, verderbende Hyänen!

Zurück! Noch schützt ihn unser Schwerdt.

Umsonst bedroht Ihr uns mit mörderischen Zähnen.

Der Deutsche siegt für seinen Heerd.


Zwar drängtet Ihr die Schaar vom hohen Felsensitze.

Die treu und blutig widerstand.

Zwar fiel manch edler Held durch todesschwangre Blitze

Im Kampf für Fürst und Vaterland.


[149]

Noch jüngst traf Euer Dolch den Freund aus unsrer Mitte,

Der früh im Schooß der Erde ruht.

Vergebens stieg zu Gott der frommen Mutter Bitte,

Vergebens focht des Jünglings Muth.


Doch Rache schwören wir an seinem Nasenhügel,

Fluch Eurer Tigertapferkeit.

Prophetisch rauscht um uns der ernsten Muse Flügel,

Die Euch dem nahen Abgrund weiht.«


»Nahe« war nun freilich dieser Abgrund in blos äußerlicher Hinsicht noch nicht, aber desto furchtbarlicher seine Abstürze, wie das die vorüberrauschenden Schein-Erfolge des französischen Revoluztreibens von 1794 bis 1815 inclusive hinlänglich dargethan haben, ja bis 1840, und wer mag ermessen: wie langehin und wie tief noch fort! –

Weit entfernt, die weltlich-poetische Musengabe messen oder auch nur vergleichen zu wollen an weissagender Kraft mit der geheiligten Prophetengabe, sind doch gewisse Aehnlichkeiten zwischen beiden unverkennbar vorhanden. So unter anderm haben solche Ahnungen wenig oder gar nichts mit der Chronologie zu schaffen. Daß sie – wenn irgend echte – erfüllet werden, ist keinem Zweifel unterworfen; –Wann? Dazu gehören Ausleger ganz eigenthümlicher Art. – Doch mögen diese Andeutungen nur für Solche an Werth verlieren, die sich als Anhänger jenes Schildaer Rathsherrn bekennen, der einer Pflanzung zum Besten der Nachwelt mit dem Protest begegnete: »Für die Nachwelt? Hat denn die schon was für uns gethan?« –

Freilich gab es auch in den Dichtungen des hier zu schildernden Jünglings Mancherlei, was rein geeignet gewesen wäre, ihm Ansprüche auf ein Bürgerrecht als Schildaer Stadtpoet zu erwerben. So z.B. in einer ganz ehrbaren Todesahnung begann er die ihn mit dem Heldenlorbeer krönen sollende Katastrophe folgendergestalt:


»Sieh, er eilt – ihm folgen seine Schaaren –

Hin, wo Mars aus Feuerschlünden droht!«


Er aber ritt annoch (dem Kunstworte nach: blind) mit vor dem ersten Zuge der Leibschwadron, ohne selbigen zu kommandiren. [150] Es wären ihm also bei überverwognen Gedanken keine Schaaren gefolgt, keine Rotte, ja nicht einmal ein einziger Reiter, sondern allenfalls nur der Ruf des Schwadronführers: »Herr Kornet, wo, in's Kuckucks Namen, wollen Sie denn hin?« Und im Uebrigen hätte man sich nicht allzusehr um den siebzehnjährigen Tollkopf gekümmert. – Dennoch hatte man ihn lieb unter den Kameraden, und im Hauptquartier war er jedesmal durch Massenbachs ausgezeichnetes Benehmen gegen ihn freundlich empfangen. Der Erbprinz trieb seine Nachsicht gegen ihn so weit, daß, während eines Gefechtes, als der kriegslustige Kornet um Vergunst bat, einem plötzlich in einiger Ferne losbrechendem Husarenangriff beiwohnen zu dürfen, auf einen verneinenden Wink Massenbachs – ein freundliches Ja schwebte schon auf des Feldherrn Lippen – zwar Nein sprach, aber dies Nein motivirte mit den Worten: »Es ist nicht Ihre Waffe. Auch würde Sie Ihre Kürassieruniform zu sehr unter den Husaren bemerklich machen.« Der junge Bursch that unwirsch, und hätte wohl einen herben Verweis verdient. Statt dessen sagte der gütige Feldherr gleichsam entschuldigend: »Sie sehen wohl, Massenbach will nicht, daß Sie sich unnöthig wagen.« – Es waren im Ganzen heitre Tage, von denen man wohl mit Recht in dem obangeführten Liede singen konnte:


»Und früh besonnte Bahnen,

Sie schlossen ihm sich auf.

Beifällig sahn die Ahnen

Auf ihres Enkels Lauf.«


Seltsamer Weise überlief ihn jetzt manchmal eine Art von geistig-französischem Friesel, wie ich's nennen mögte. Er schrieb neben einigen Briefen in dieser Sprache, die nie abgesendet werden konnten, – schon weil die junge Dame, an welche sie gerichtet waren, nicht sonderlich französisch verstand, – einen sehr kurzen epistolarischen Roman, der nicht eben zum Schlimmsten gehören mogte, was er je geschaffen hat. Ein junger Emigrant, Louis von Coucy, in der Condé'schen Legion dienend, erließ an seine in Frankreich gebliebne Geliebte, Anna von Montmorency, Zeilen, die man wohl Herzensworte nennen mogte, worauf sie lakonisch abweisend erwiederte, im Styl einer modernsten Republikanerin. Dann seine Verzweiflung darüber, einem befreundeten Waffenbruder [151] ausgesprochen. Endlich der Bericht seines Reitknechts vom rühmlichen Kampfestode seines Herrn an eben diesen jungen Ritter. Schließlich ein Brief an die junge Dame, von ihrem republikanischen Bruder, noch lakonischer modern, als deren eignes Schreiben, und die ich ziemlich fest im Gedächtniß behalten habe. Hier ist er:

»Hier les ennemis, en se défendant contre une attaque vigoureuse de notre part, ont eté repoussés entièrement. On à trouvé Couci mort sur le champ de bataille. Je sais que te l'amais, ma soeur. Mais rejouis tois, citoyenne. Il etoit ennemi de la liberté.«

»Le citoyen Robert Montmorency.« 10


Ich mögte doch die paar Blätter vollständig wiederum auffinden können. –

Jedenfalls sieht man dabei, auch schon aus den hier bewahrten Erinnerungen, den Moment des Schwebepunktes zwischen den alten, treubehaupteten Rittererinnerungen, und einer wachsenden Theilnahme für das, was die Welt dazumal Freiheit und Bildung zu tituliren begann.

Die bereits eingerissene Leselust übrigens hatte auch in unser Hauptquartier schon eine Leihbibliothek eingeführt; – oder soll ich sagen: eingeschwärzt? Nun freilich in allen weltlichen Dingen hat ja der Teufel seine Klauen mit im Spiel. Hier hatte er durch Heinse's Ardinghello einen recht schlimm dämonischen Angelhaken in die Seelen geworfen. Eben der Genialität des Dichters wegen galt es einen um so schlimmeren Wurf. Mögten dem Leser diese Zeilen als ein Warnungssiegel dienen, als ein ganz unauflösbares Warnungssiegel! Kein Buch unter allen [152] über viel schlimmen Büchern unsrer Literatur hat dem Schreiber dieser Zeilen entsetzlicheren Schaden in die Seele geschleudert, als dieses, etwa ausgenommen die Hildegard von Hohenthal desselben abgeirrten Verfassers, und einige Erzählungen des zu selbiger Zeit berühmten, nicht entfernt aber an die Dichtergabe Heinse's reichenden Meisner. Wie man in den Haushaltungen mit möglichst großen Buchstaben auf etwanige Flaschen voll Rattenpulver: »Gift« zu schreiben pflegt, und an Eingängen zu bedrohlichen Gärten: »Fußangeln« oder »Selbstschüsse«, sollten auch solche Werke, wenn man sie überhaupt im Buchhandel zulassen will, nicht ohne ähnliche Warnungstafeln ausgegeben werden, bei namhafter Strafe des Verlegers oder Verkäufers. – In einem andern Buche jener Zeit lauern auch Giftblumen mitunter, aber von edlen Pflanzen überwältigt und mehrst erstickt. Ich meine den Roman Bouterwecks: »Graf Donamar,« wo das Verderbliche durch einen eben so poetisch sinnigen als ernst ahnenden Bearbeiter gar leicht zu tilgen sein würde. Absonderlich heilsamen Zauber übt es für ein Soldatengemüth, und hat mir dazumal so viel des Edlen in die Seele geströmt, daß ich nicht bereuen darf, es gelesen zu haben. Wessen ich aber in ganz ungetrübter Freude gedenken darf aus jener Zeit, das ist der Ritterroman: »Walter von Montbarry,« eine damals anonyme Dichtung der nun verewigten Benedicte Naubert: im Vorgrunde die edelste Waffenherrlichkeit aus den Tagen der Kreuzzüge, im Hintergrunde die seeligste, ob auch einigermaaßen klösterliche Friedensahnung auf den Hierischen Inseln unter Provenzalischem – fast mögte man sagen – Edenischem Himmel. –

Die Wirklichkeit begann indessen wiederum belebter mit schönem Wetterleuchtem hereinzublitzen. Das Hohenlohesche Corps zog gegen die Stellung des Feindes bei Kaiserslautern vor, und wir hofften auf einen entscheidenden Schlag. »Wir« – sage ich, und verstehe darunter die damal jugendliche Welt, wie denn überhaupt die Jugend bekanntermaaßen stark im Hoffen ist. Die ältern Kriegsleute waren theils zu genau von der Lage der Dinge unterrichtet, um eben noch an ernstliches Vordringen glauben zu können, theils fühlten sie sich ergriffen von jenem ansteckendem Uebel der Zweifelsucht, das seit dem Rückzuge aus der Champagne, wie schon obgeschildert, in dem Preußischen Rheinheer [153] grassirte, zwar nicht entfernt schadend der persönlichen Tapferkeit und Kampfesfreudigkeit, aber doch schon dem damal noch unbenamseten: »Zeitgeist,« in Hinsicht der Erfolge ein absolutes Recht zugestehend. Die schon wankend gewordne Ueberzeugung des Neulings, den wir in's Auge gefaßt haben, erlitt durch jenes Treffen bei Kaiserslautern einen beinah völligen Umschwung. Nicht, daß der Ausgang ungünstig für uns gewesen wäre; im Gegentheil erlitt das Französische Corps uns gegenüber eine entschiedne Niederlage. Aber das Wie gab mir ein Gefühl der Bewunderung für die Sinnesart der Besiegten in die Seele, welches ich bisher noch nicht gekannt hatte, und woraus mich zugleich die alte Stammesverwandtschaft mit seltsamen Schaudern gerührter Theilnahme ergriff. Dazu kam noch, daß für diesmal das wackre Regiment Weimar, mehrer Hoffnungen zum nahen Einhauen unerachtet, ganz in der Reserve blieb, und wir nichts auszudauern hatten, als die üngeheuern Regenströme, die der Himmel an diesem Tage über Kaiserslautern herabgoß, wodurch denn für uns der schönste Antheil an der Siegesfreude verloren ging. Aber die Kriegsgefangnen, wie sie die beglückteren Regimenter – Katte Dragoner, Wolfradt und Blücher Husaren – zurückbrachten! Meist schwer verwundet, wie es bei'm Einhauen der Cavallerie auf Infanterie herzugehen pflegt, zeigten sie eine kecke Fassung, die man nicht ohne krieg'risches Wohlgefallen betrachten konnte, und eine Anhänglichkeit an ihre Sache, unverkennbares Zeugniß ablegend von der ihnen inwohnenden Ueberzeugung, auf ihrer Seite sei das Recht.


Nur einen Zug dieser Gattung.


Einer der Kriegsgefangnen – ganz einfacher Infanterist – gab sich freudig mit mir in's Gespräch, sehr zufrieden, Jemanden zu finden, der fertig Französisch redete, und ihm auch ein bischen Protection, so weit die Kornetsautorität reichen wollte, angedeihen ließ. »Aber« – eine Dichterzeile anzuführen –»mitten in der Freude« kam zufällig ein Kamerad gesprengt, mich bei Namen rufend, und von dem Augenblick war der Kriegsgefangne wie taubstumm für mich, bis er denn endlich nach wiederholtem Befragen mit abgewandtem Gesicht antwortete: 11 [154] »Laissez moi. Vous ètes Français! Vous ètes Emigré. Vous avez trahi votre patrie.« Ich gab mich als Réfugié zu erkennen und als Preuße seit meinem Großvater her. Da war mein guter Mann alsbald wiederum gut, und nach einer ganz tüchtigen Diatribe seinerseits wider Ludwigs XIV. Unrecht gegen die Protestanten, ging unser Gespräch seines zutraulichen Ganges fürder.

Man wolle jedoch dem Jünglinge keinesweges ein plötzlich leichtsinniges Ueberspringen von Einer politischen Ansicht zur Andern Schuld geben. Eine geraume Zeit noch schwebte die Wage. Ihre verschieden sich neigenden und senkenden Schalen werden wir seiner Zeit zu bezeichnen versuchen. Einzig nur gelte vorläufig die Versicherung: Rücksichten auf persönlichen Vortheil haben dabei nie vorgewaltet.

Des offenbar sieghaften Erfolges bei Kaiserslautern unerachtet, ging das Hohenlohesche Corps gleich wiederum in seine alten Stellungen zurück auf höheren Befehl, jenem schon obgerügtem verderblichem System zufolge, ja nach wenigen Wochen über den Rhein zurück. Massenbachs Julius-Prophezeiung erfüllte sich nur allzugenau auf allen Punkten, denn nur Mainz und Ehrenbreitstein blieben auf dem linken Stromesufer von den Preußen besetzt.

Auf unsrer Seite ging der Marsch bei Oppenheim über den Rhein zurück, vermittelst einer Schiffbrücke, bestimmt im Voraus zum nachherigen Abbrechen. Die Regimenter Weimar Kürassier und Katte Dragoner bildeten in den dortigen Pfälzischen Ebnen die Nachhut, noch die Kriegerhoffnung festhaltend, etwa verfolgender Französischer Cavallerie einen tüchtigen Reitergruß zum Abschied entgegen zu blitzen. Mein wackrer Obrist, bei dessen Schwadron ich jetzt stand, gab eine Disposition für ein solches Reitergefecht bereits vorläufig aus, und da er eben nicht gewohnt war, mit Luftgebilden zu ringen, hielten wir uns der heiter ernsten Aussicht ziemlich gewiß.

[155] Die Gegner indeß, hinlänglich gewiß unsres Abzugs, nach der von den Verbündeten nur allzugenau seit zwei Jahren befolgten Systematik, hatten um so mehr beschlossen, uns in Frieden ziehen zu lassen, als ihre Cavallerie, unläugbar persönlicher Tapferkeit unerachtet, an Tüchtigkeit der Gäule, an Kunst der Rossebändigung und an Ringfertigkeit überhaupt sich unsrer Reiterei im Ganzen nicht gewachsen fühlte, wie wir es schon bei sicheren Veranlassungen bemerken konnten. Und nun hier die Hügelebne vor Offenbach, wie zu einem Turnierfeld für muntern Reiterkampf geschaffen! Hätte der Strom an dieser Stelle ein schroffes und waldiges, oder auch nur buschiges Ufer dargeboten, und somit einen Fechtplatz für leichtes Fußvolk, – die Französischen Tirailleurs hätten der Nachhut wohl kaum so ungefährdeten Abzug vergönnt, obgleich auch unsre Füsiliere und Feldjäger zu Fuß ihr Handwerk tüchtig verstanden.

Wir aber hielten, von herbstlicher Nebelfrühe an bis gegen Sonnenuntergang da, vergeblich ein Gefecht erwartend. Der Schmerzensgedanke, so ganz unnöthigerweise, nehmlich was den uns unmittelbar gegenüber unsichtbar bleibenden Feind betraf, die schöne Rheinpfalz verlassen zu sollen, grub sich immer tiefer in die Seelen der braven Reiter ein. Das Fußvolk zog sich hinter uns nach und nach über den Strom ab. Es kann denn auch an uns die Reihe. In der herbstlich schönen Abendstunde rückten wir, die anmuthigen Reben- und Fruchthügel hinunter, dem Strome zu. Der Gesang war für dasmal verstummt in unsern Geschwadern. Pfälzische Truppen, die früher an uns hinmarschirt waren, nahmen's leichter. Sie lachten und sangen, vielleicht hoffend, der Umschwung des Glückes werde sich schon abermal wieder umschwingen, sie zurückführend in ihr schönes Heimathland. Aber die Poesie des Norddeutschen ist, wenn auch eine minder lustige, doch ohne Zweifel eine tiefere. Als nun endlich der Gesang aus unsren Schaaren wiederum aufklang, ließ er sich wehmüthig vernehmen, Schubarts rührendes Scheidelied für die nach Afrika in fremden Sold gegebenen Wirtemberger in schmerzlicher Verwandtschaft anklingen lassend:


[156]

»An Pfalzens Gränze füllen wir

Mit Erde unsre Hand,

Und küssen sie. Das sei der Dank

Für Deine Pflege, Speis' und Trank,

Verlassnes armes Land!« –


Nur Eine Stimme hatte diesen Klang begonnen, aber mehr denn hundert Stimmen tönten alsbald wiederholend mit ein, und nur wenige Augen blieben trocken.

Die Sonne versank, noch ehe wir dem Strom nahe kamen. Da war es in der Dunkelheit, als ob ein lebhaftes Geschieß von jenseit des Flusses aufdonnre. Wie nun? Sollten die Franzosen auf einem andern Punkte durch Umgehung schon vor uns den Rhein überschritten haben, und uns nun bereits vom rechten Ufer feindlich empfangen? Kaum denkbar. Und doch: so groß war die Kampflust, daß, mindestens unter dem jungen Volk, mehr denn Einer diesen wunderlichen Gedanken festhielt, verhoffend, wenn nur der Rückzug irgendwie gehemmt werde, müsse sich auch ein nothgedrungnes Gefecht in einen leuchtenden Sieg verwandeln.

Aber was wir für Geschützfeuer genommen hatten, war das dumpfe Wiederhallen der Rosseshufe auf der Schiffbrücke. Dazwischen im Näherkommen schauerlich das Rufen der Fährleute, die den Ueberhinziehenden die Richtung anwiesen, damit nicht das Gleichgewicht der Brücke verderblich gestört werde. Von jenseit flammten feierlich die Wachtfeuer der am rechten Ufer aufgestellten Infanterie und Artillerie empor, bestimmt, nöthigenfalls der Abmarsch der Reiternachhut zu decken. Aber es drängte uns kein Feind. Bald war auf dem rechten Ufer unser Zug in die schwarze stille Herbstnacht verschwunden, gleichwie verschwunden in die Nacht der Zeit all die schönen Hoffnungen, von denen erfüllt wir im Mai dieses selben Jahres Feind-an gerückt waren.

Am andern Tage, nach einem fast übererschöpfendem Nachtmarsch, sahen wir uns unweit Frankfurt an die Mainufer versetzt, fast wie in absoluten Friedenszustand hinein, umgeben von den anmuthigsten Gefilden, Gärten und Hainen. Keine Furcht vor den Feinden war zu den Bewohnern bis hierher gedrungen, denn – ich darf es ohne alle Uebertreibung sagen – man hielt sich unter dem Schutz der Preußischen Waffen so vertrauensvoll [157] sicher, wie etwa im Sommer vor den Stürmen des Winters. Selbst als dieser endlich ganz real um Neujahr hereinzog, und den Rhein zur gangbaren Eisbahn umgestaltete, über den man selbst mit schwerem Geschütz hätte fahren können, rückten wir zwar natürlicherweise dem Strome näher, aber die Inwohner befürchteten auch da noch nichts von einer möglichen Französischen Invasion, und der Erfolg bewies, daß sie Recht gehabt hatten.

In Frankfurt selbst fanden wir, von allen Seiten aus den Kantonnirungen zuströmendes junges Offiziervolk, die gastlichste und anmuthigste Aufnahme. Meine Schilderung dieser edlen Mainstadt in dem Ritterroman: der Zauberring, den man wohl als wohlbekannt bei dem Leser voraussetzen darf, keimte damals in der Seele des werdenden Dichters, und hat sich nach allgemeinem Urtheil frisch dorten bewahrt, denn mit leiblichen Augen hat er diesen Schmuck Deutschlands nie wieder gesehen, als nur aus weiter Ferne herüber, nach dem Siegesfeldzuge des Jahres Dreizehn, wie wir das späterhin herauszurufen gedenken. –

Freilich, auch Dämonen lauerten dort: namentlich der Dämon des sogenannten Hazard- oder Glückspieles, aber dawider war der fröhliche Kornet zu jener Frist so ziemlich gepanzert, theils durch den heitern Empfang im Hause eines Anverwandten aus Halle, Stabs-Offiziers in der Infanterie, der nach früher bemerkter Sitte seine Frau – sie hatte schon Fritzens Kindheit als gütige Cousine gepflegt – in die Winterquartiere zu sich berufen hatte, theils durch die Erscheinung eines Fräuleins aus einem der ersten Banquier-Häuser Frankfurts. Der preußische Gouverneur der Stadt war dorten einquartiert, und dessen Generaladjutant führte einstmal die junge Dame aus ihrer Loge an den Wagen, während der Kornet ihnen auf dem Gange begegnete. Der junge Mensch blieb wie bezaubert stehen, nur eben seinen schuldigen Reverenz vor der lieblichen Gestalt herausbringend, so daß ihr Führer, ein in jeder Hinsicht erfahrner Ritter, alsbald den tiefen Eindruck wahrnahm, den auch in spätern Gesprächen ich nun achtzehnjähriger Bursch ihm nicht abläugnete. Das ward gelegentlich der Holden wiedererzählt, und man verschaffte dem jugendlichen Kriegsmann – oder Pagen, wenn man's so nennen will – Eintritt in das gastlich glänzende Haus. [158] Die blühende Herrin fand ein ganz artiges Spielwerk an dem jungen Bezauberten, ja auch ihre um Weniges ältere Schwester mit, und Jener konnte mit Crugantino – dem nachher zum Rugantino seltsamlich Avancirten oder vielmehr Regulirten – singen:


»Eine Blond' und eine Braune

Losen um mein armes Herz.«


Nun, von einer Herzens-Angelegenheit freilich war so eigentlich die Rede nicht, aber im Crugantino's-Liede weit weniger noch. Ein recht heitres, edel-sittiges Wohlwollen fand zwischen jenen Dreien statt. Nach altreichsstädtischer Sitte hatten die Fräulein uraltgewohnte Stammesnamen ererbt, die Aelteste: Katharine, die Jüngste: Sabine. Ich läugne nicht, daß dieser Gegensatz mir zu dem überaus elegant modernen Erscheinen der Schwestern einen eigenthümlich anmuthigen Eindruck machte. Und auch an dem Interesse einer kleinen anmuthigen Geheimnißkrämerei fehlte es keinesweges, Dank sei es der Starrheit meines bisweilen griesgramigen wackern Obristen, bei welchem nur höchst ausnahmweis an Urlaub nach Frankfurt zu denken war, und dazu wohnte nun, wie schon erwähnt, der Gouverneur und die Holden unter einem Dach, und vor Jenem hätte ich mich eigentlich sonder Urlaub nie zeigen dürfen. Aber das Dach war nicht nur hoch, sondern auch lang, und nach und nach ward auch durch den mir wohlwollenden Adjutanten der Gouverneur dergestalt günstig gestimmt, daß er mir andeuten ließ, es schade nichts, wenn wir einander manchmal begegneten. Ich möge thun, als sehe ich ihn nicht, und er wolle es dann eben so machen.

Die Frankfurter Bühne trug nicht wenig zu meinen Winterfreuden bei. Freilich regierten damals noch Kotzebue und Konsorten auf dem deutschen Theater, und zum Theil beugte ich mich dem Hergebrachten. Doch erhob sich auch in mir ein widersprechend eigenthümlicher Geist, vornehmlich gestärkt, wo das Geschwätz meinen kriegerischen Gefühlen widersprach.

So unter Andrem wär' es mit mir bei der Tragödie »Rollas Tod« schier zum Ausbruch gekommen, einigermaßen vergleichbar dem durch das Marionettenspiel von Gayferos und Melisandra ergrimmten Don Quixote, vor den Unglücks-Ahnungen des verliebten Cora-Amanten Don Alonso. Der soll nehmlich [159] gegen den anrückenden Erzfeind Pizarro den einen Flügel der Peruaner anführen, und der allertugendhafteste amerikanische Heros Rolla den Andern. Nun wird aber der verliebte Don durch eine schwermüthige Ahnung höchst unkriegerisch ergriffen, und rekommandirt dem Allertugendhaftesten in endlosen Phrasen die künftige Frau Wittwe Cora, ja, er will ihm sogar das Ehrenwort, selbige cidevant Sonnenjungfrau vorkommenden Falles zu heirathen, abdringen, und keine Anmahnung des rüstigen Flügelkommandanten, der Feind rücke an, vermag den unrüstigen aus seiner Sentimentalität aufzurütteln, bis Rolla ihm denn endlich verheißt, sein Remplacant zu werden. – Das war mir denn doch zu toll, und erweckte mir ein Gefühl, völlig einstimmig mit dem maaßlos späteren Schlegelschen Distichons-Pentameter:


»Held ist Alonso so so, welchen sich Cora erkor.«


Ja, wirklich fast, wie der Cavallero vor dem Puppentheater, hätte ich mich beinah in die Handlung gemischt, gezückten Schwerdtes ausrufend: »Will Er Memme wohl vorwärts! Sonst werd' ich Ihm Beine machen!« –

Dagegen entzückten mich einige Ritterstücke, die damals über die Bühne gingen, schon ihrer in der That vortrefflichen Kostume willen. Und wenn in den schon erwähnten antikotzebueschen Distichen A.W. Schlegel mit hinlänglichem Rechte von seines Gegners sentimentalisch aus andern Tugendmodellen zusammengeflickter Dame von Montfaucon späterhin sagen mogte:


»Mit Harsthörnern und Burgen und Harnischen pranget Johanna.

Traun, mir gefiele das Stück, wären nicht Worte dabei!«


konnte man sich sogar die Worte an den oberwähnten Ritterstücken mitgefallen lassen, wenigstens so viel ich mich mich davon erinnern kann. Insbesondre ergriff mich ein Schauspiel – von Hagemann, wenn ich nicht irre, oder Hagemeister – Ludwig der Springer benannt, was denn freilich auch mit deswegen des Eindrucks auf mich nicht verfehlen konnte, weil die Trümmer der Burg Giebichenstein, von wo aus der kühne Graf seine Freiheit durch einen Schwung in die Saale wiedergewann, mir aus dem vielgeliebten Halle von meiner Kindheit her in der Seele leuchteten. Sonst freilich hatte jener Poet eine ziemlich unhistorische Seite der Sage aufgefaßt, oder vielmehr sich [160] zurecht gemacht. Jetzt dagegen, im Beginn der Sechziger meines Lebens, liegt eine nach gründlich historisch angestellten Studien von mir erfaßte Dichtung über diesen echt romantischen Gegenstand druckfertig da. Solchergestalt bieten sich die Bilder eines Dichterlebens wundersam von den verschiedensten und äußerlich fernsten Stufen herüber einander die Hand.

Damals aber im aufblühenden Lenz des Jahres 1795 hieß es:


»Die schönen Tag' und Träum' am Maingestad

Sind nun vorüber.«


Das Vordringen der Franzosen gegen die Stellungen des äußersten rechten Flügels, Holland erobernd, die Engländer zurückdrängend, berief die preußischen Schaaren, Möllendorf an der Spitze zum Schutz der königlichen Provinzen dorthin, während ein andrer Theil zugleich unter Hohenlohe nach den östlichen Gränzmarken gezogen ward, um die stets bedrohlicher um sich greifende Insurrektion der Polen unter drücken zu helfen. General Möllendorf, auf Kämpfe in den niederrheinischen Gegenden, wohl gar auf die westfählischen Hainen rechnend, wollte die vier Kürassier-Regimenter seines Heeres beisammen haben, und zog deshalb auch das Regiment Weimar mit an sich, oder vielmehr nun Byern geheißen. Denn nach langer Vakanz dieser wackern Schaar ward General von Byern, ehemal Commandeur der Garde-du-Corps, zu derem Chef ernannt: ein durchaus edelritterlicher Mann und tüchtiger Offizier. Für Fouqué war dies ein überaus heitrer Lichtblick, indem er der liebenswürdigen Familie von seiner Kindheit her bekannt war, und ein innig gastliches Verhältniß zwischen beiden Häusern, so lang' er zu denken vermochte, obgewaltet hatte. Die Söhne seine kriegerischen Spielgefährten, die später aufblühenden Töchter ihm in edler Damenhuld gütig gewogen.

Der Name: »Weimar« freilich galt meinen Kameraden so viel, daß sie ihn ungern gegen jeden andern, und sei er noch so edel und würdig, vertauschten: so wie sie aber nur einigermaaßen unsern neuen Anführer näher kennen lernten, gehörten ihm die Herzen für immer, und nicht minder lieb, als der Name Weimar war allen binnen kurzer Frist der Name: Byern. Eines der oberwähnten Reiterlieder gab davon Zeugniß. Es mag hier [161] alsbald Erwähnung finden, obgleich erst etwa zehn Monde nachher gedichtet, – wenn man's in seiner schier topographischen Einfachheit also nennen will, wozu ich sehr geneigt bin, weit mehr poetischen Hauch ahnend und athmend aus solchen Naturklängen, der wirklichsten Wirklichkeit entsprossen, als aus all der gemachten Schnörkelei, die man, verbrämt wohl noch gar mit unverstandnen mythologischen Phrasen, Poesie zu nennen pflegt, ja leider gar in tollster Ueberschätzung oft Naturpoesie. Nehme man die Bruchstücke, die ich hier anzuführen noch im Stande bin, so auf, wie ich sie gebe: anspruchlos, die Ahnung einer anmuthig kriegerischen Melodie drüber hinschweben lassend. Ich greife die Paar Zeilen nur gegen den Schluß hin, diesen selbst mit eingeschlossen, wie es gehn will, – hätt' ich mehr, gäb' ich mehr, – also heraus:


»In Aschersleben, in Aschersleben (bis)

Ist unsre Garnison. (bis)

Da müssen wir lernen exerzieren,

Wie auch manoeuvriren.

Auf der Herrenbreite vor dem Thor

Stellt uns der Major.«

Und dann in der Wiederholung die sich als Grundanklang durch das ganze Lied hinziehenden Zeilen:

»Aus Aschersleben (vulgo: seind) sind wir,

Von Gen'ral Byern Kürassier.«


Dann weiter:

»Wir wollen marschiren

Aus Aschersleben heraus.

Da wollen wir streiten

Für das Preußische Haus.

Bei Schießen und Knallen

Muß Mancher auch fallen.

Drum schöpfet, schöpfet frischen Muth,

Weils Blut noch wallen thut.«


»Rufet Vivat! Rufet Vivat!

Der Gen'ral Byern soll leben,

Alle Ober- und Unter-

Offiziere daneben!

Wir alle zusammen

Im Preußischen Lande,

Rufen Vivat, rufen Vivat!

Friedrich Wilhelm soll leben!«


[162]

»Aus Aschersleben sind wir

Von Gen'ral Byern Kürassier!« –


In der Nähe von Cassel kam uns der General entgegen, und der erste Erfolg seiner Freundlichkeit für mich war meine Versetzung zur Leibschwadron, mir von unaussprechlichem Werth, da ich mich nun bei dem täglichen Mittagsessen wie in der Heimath fühlte – einer seiner Söhne war General-Adjutant, und der General selbst im vollkommen väterlichen Ton mir gegenüber, überhaupt der Gesammtumgang voll patriarchalischen Frohsinns und sittlicher Munterkeit, – statt daß an des Obristen Tisch Alles schier noch ein wenig strammer herging, als auf der Parade. Dennoch ergriff mich eine eigne Rührung, indem ich mich bei diesem donnernden Zeus als versetzt von seiner Schwadron meldete, und er mir mit einer Freundlichkeit, die, aus seiner sonstigen Starrheit hervor, etwas absonderlich Bewegliches für mich hatte, sagte: »Ich bin Ihnen wohl manchmal sehr herb und wunderlich vorgekommen. Aber ich meine es gut mit Ihnen, und habe Sie wahrhaftig lieb.« Da empfand ich's, daß ich auch ihn wahrhaftig lieb hatte, aber ich dachte dennoch: »Weit davon ist gut vor'm Schuß!« und blieb meiner Versetzung zur Leibschwadron nicht minder froh.

Kurz vorher noch hatten einige schlimme Differenzen zwischen dem Zeus und mir zu guter Letzt statt gefunden. Die eine Veranlassung dazu war ganz interessanter Art, ja eigentlich erhebender Natur. Auf dem Schloß eines westfählischen Edelmannes nehmlich, wo man uns sehr gastlich empfing, fanden wir noch eine andre Einquartierung vor: eine emigrirte, schon ziemlich bejahrte Gräfin mit einigen Abbé's in ihrem Gefolge, welche der Burgherr voll einer Gastlichkeit bei sich aufgenommen hatte und auf unbestimmte Zeit bewirthete, als seien sie ihm vertraute Anverwandte und Freunde. Doch ergab sich bei einigermaßen näherer Bekanntschaft: es knüpfte Wirth und Gäste durchaus kein andres Band, als eben jene Gastlichkeit, wie aus den guten alten Zeiten herüber, wo vor den offnen Burgen und Häusern und Hütten die sogenannten Gasthäuser unnöthig und also auch unmöglich waren. Jener echte Edelmann äußerte sich im leicht erwachten Vertrauen gegen uns dahin, wenn der Adel aus irgend einem Lande vertrieben werde, sei nichts natürlicher, als [163] daß in einem Reiche, wo der Adelsheerd noch festes Bestehen hätte, man ihn allerwärts den bedrängten Genossen und ihren Treuen so wirthlich bereit und den Zutritt so offen erhalte, als nur irgend möglich. »Gewißlich,« – setzte er hinzu, – »wenn im deutschen Reiche der Dämon, wo Gott vor sei, ähnliche Gewalt gewönne, als einst im Bauernkriege, und es wäre Frieden in Frankreich, wie jetzt bei uns: jedes wohlhäbige Adelshaus dorten würde für mich und andre deutsche Edelleute offen stehn, wie jetzt das meinige für Jene.« – Ob er in diesem Vertrauen Recht hatte? Für die Ritterschlösser der Vendée, und manche sonst von Paris hinlänglich entfernte, dazumal gewiß. Freilich je näher der zentralisirenden Modestadt, je ungewisser wäre das Ding geworden.

Hier nun, am heitern Heerde der Sicherheit noch in jenen Tagen, ward ich Abends zu der kleinen Spielpartie der fremden Dame nebst meinem Obristen mit zugezogen, als abgestammter Franzos, zunächst auch als Dolmetsch mit, indem mein wackrer Befehlshaber durchaus unkundig des Französischen war. Als galanter Ritter jedoch wollte er der Dame allerhand Artigkeiten durch mich übersetzen lassen. Der muntern Französin, die es ihm überhaupt nicht wohl verzeihen konnte, als Mann von Stand und Rang so durchaus kein Französisch zu verstehen, kam diese mediatisirte Artigkeit überaus spaßhaft vor. Dazu trat noch die verunglückte Aussprache mancher französischer Eigennamen, die sich aus dem Munde des alten Unfranzosen vernehmen ließ. Der junge Réfugié zugleich war, seiner Natur nach, überaus empfänglich für jeden Scherz, wie es wohl überhaupt weichen, zur tiefsten Wehmuth gestimmten Gemüthern insbesondere eigen zu sein pflegt, und so entstand öfters zwischen der Dame und ihm ein harmloses Lachen – Gekicher, wie man's auf unbefangnes Deutsch auch wohl zu nennen pflegt, – welches dann wiederum der nichtverstehende Zeus weit mehr, als recht und billig, auf sich bezog, und somit in sehr düstrer Laune gegen seinen Kornet vom Spieltisch aufstand.

Dieser hatte nicht eben viel Arges daraus, wie er denn just nie zu den Argdenklichen gehört hat, und freilich auch darum – beiläufig gesagt – in diesem Erdenleben schier unglaublich oft zu kurz gekommen ist. Für dasmal war in der That nichts allzu [164] bedenkliches an der Sache, aber jedenfalls hätten ihn seine Gespräche mit den ernsten Geistlichen im Gefolge der Gräfin selbst über noch so anderweit Wichtiges in den nächsten Momenten hinausgehoben. In den Worten dieser Männer lag manch ein ahnungsreicher, man dürfte wohl sagen: prophetischer Wink. Nur wiederum, wie schon sonst in Betreff der Ahnungen angedeutet, mit der Chronologie mußte man's nicht allzugenau nehmen. Sie empfanden in der Unrechtlichkeit jener neumodischen Empörungs-Wirthschaft und in derem Widerspruch gegen all göttliches Gesetz und göttliches Verheißungswort volle Gewißheit für deren Nichtbestehens. Ja, auch den Waffen der gegen das tollgewordne Frankreich Verbündeten sagten sie den Sieg voraus, wenn gleich nach vielen der herbsten Mühen und Anstrengungen. In des jungen Réfugié's ringende Seele fiel ein Blick alter Treuherrlichkeit und frühgepflegten Ehrenritterthums, alle modernen Giftnebel verscheuchend. Voll freudiger Kriegshoffnungen bestieg er am andern Morgen sein Roß, und erwiederte den durch die duftige Frühluft ihm nachtönenden Scheidegruß der Geistlichen: »A revoir à Paris!« – »Auf Wiedersehn in Paris!« – aus voller Seele.

Nun, es sollte denn eigentlich wohl heißen: »Auf Wiedersehn im Paradies!« wo das Wiederfinden unendlich seeliger sein wird, als in der neuen Babel. Die guten Patres schlafen, und schliefen ohne Zweifel vor längst in ihren Kammern, ehe preußische Heere ihre sieghaften Banner durch die Gehege der sich als Weltherrscherin träumenden Franzosenstadt hineintrugen, und auch ich war, gleich nachdem wir im Jahre 13 den Feind über den Rhein zurückgedrängt hatten, durch überstandne Kriegsbeschwer auf das Krankenlager verwiesen. Doch begegnet haben sich unsre Seelen gewiß in der Gott preisenden Siegesfreude auch so.

Eine andre ehrwürdige Emigrantengestalt erschien uns, als wir an einem einsam gelegenen Bauerhof auf der westfählischen Haide vorüberzogen, an einer (wie es Justus Möser mit uralt-germanischem Ausdrucke schön benennt) Wehrfeste: ein Haus, dessen Thür, eigentlich Thorweg, beinahe die Vorderseite einnimmt, zugleich den vom Hintergrunde des großen Flures – eine Diele heißt man es dort – aufsteigendem Heerdesrauch freien Ausgang bietend, denn von Schornsteinen ist die Rede nicht. Zu beiden Seiten [165] ziehn sich die Viehställe entlang, und hinter dem Heerde giebt's noch ein kleines Gemach, eher aber einem Aufbewahrungsort des besseren Hausrathes vergleichbar, als einem Wohnzimmer. Die Familie hält sich gewöhnlich um den Heerd versammelt, und schläft in eingetäfelten Betten mit Schiebfächern an den Wänden herum, ähnlich den sogenannten Kojen auf den größeren Strom- und Seeschiffen. Ob nun mein Emigrant sich vielleicht als Heerdesherrn eines also bescheidnen Besitzthumes hier angekauft haben mogte, vermittelst einer kleinen Trümmer aus dem großen französischen Schiffbruch, oder sich nur durch ähnliche Mittel hier eingemiethet? – Ich vermuthe beinahe das Erste. Denn er trug, ein ältlich schöner großer Mann, die gewöhnlich westfählische Bauerntracht, einen altgermanischen von grauem, selbstgewobnem, aber sehr reinlich gehaltnem Tuch, und bewahrte äußerlich die Erinnerung an seinen Ritterstand nur durch ein französisches Ludewigskreuz im Knopfloch. Mit einer vornehm ruhigen Haltung, als lasse ein Obrist sein Regiment vorbeimarschiren, sah er unsern Zug an, und grüßte die Offiziere höflich ernst. Unwillkürlich ergriff Alle ein Gefühl der Ehrfurcht vor der wundersamlichen Gestalt, und erwiederten wir seinen Gruß mit geziemender Beachtung. Welche Erfahrungen mogten an dieser hohen Stirn vorübergezogen sein! Welche Schmerzen sie gefurcht haben, und innerlichen Kampfes zusammengezogen diese festgeschloßnen Lippen! –

Das seltsame Haideleben sollten auch wir, einstweilen vorübergehend, kennen lernen.

Noch sehe ich es mit den Augen verwundernder Erinnerung, als wir zum ersten Mal in eine sogenannte Bauerschaft einquartiert wurden, und, statt eines erwarteten Dorfes, auf unabsehbarer, baumloser Haide, nur einzelne Wohnungen in weiter Ferne bemerklich, ein Häuflein Bauern antrafen, bei ihnen unsre Quartiermacher, zwar, wie gewöhnlich, Quartierzettel vertheilend, und die Mannschaft aufrufend, aber nur, um sie den Bauern als Führern zuzutheilen, die dann mit ihnen dahin und dorthin, sobald Sammelplatz und Stunde zum Aufbruch für morgen bestimmt war, von dannen zogen, verschwindend am Horizont, so daß sich höchstens nur die Weltgegenden noch bestimmen ließen, wo man sie nöthigenfalls wiederum aufzusuchen [166] habe. Mit den Offizieren ging es eben so: völlige Vereinzlung bis aufs Zusammentreffen am nächsten Morgen.

In einer solchen Einsamkeit, als Fouqué sie zum erstenmal erlebte, überkam ihn ein fast schmerzliches Gefühl der Oede. Die Muse jedoch kam dazu voll süßer Freundlichkeit, und brachte ihm folgende Reime mit, die hier einen Platz finden mögen, weil sie zugleich auch spätere Dichtungen über urdeutsches Leben und Weben, wie sie z.B. der Altsächsische Bildersaal enthält, in ihren Grundahnungen anklingen lassen:


»Fort, Ihr Grillen! Meint Ihr, weil die Flur

Hier mit Wiesengrün sich nicht bekränzet,

Weil kein See in ihrer Mitte glänzet,

Meint Ihr darum, Euer sei die Flur?

Nimmer! Nimmer! Wißt, daß die Natur

Auch auf braunem Haidekraute thronet,

Auch in Wüsten ihrem Liebling lohnet,

Und ihn leitet auf der Freude Spur.

Schwestern sind die Freud' und die Natur.

Seht, die Phantasie mit leichten Tritten

Schwebt heran, und Blum' und üpp'ges Grün

Sproßt vom Moosgrund unter ihren Schritten.

Ich will mit ihr durch die Fluren ziehn,

Jedes düstre Wähnen will ich fliehn,

Und mich freuen ob der reinen Sitten,

Die voll frischer Kindeseinfalt mitten

In Westfahlens öden Gauen blühn.

Ja, so bauten unsre Väter Hütten,

Als sie rauh und stolz und kühn

Keinen Römer über'm Rheine litten.

Zwar der Römeradler fliegt

Nicht durch Deutsche Lande, seit besiegt

Unter Winfelds alten Eichen

Varus kalt und blutig liegt.

Aber merkt, wie halb im Weichen

Und auf seiner Brüder Leichen

Dort der Angle mit dem Franken keiegt.

Ihm zu Hülfe, daß nicht Deutsche Gauen

Wiedrum fremde Krieger schauen!

Für den Krieger, der im Kampfe fällt,

Blühn die Palmen einer bessern Welt.«


[167] Kaum indessen hatte der Marsch uns in die heitre Umgegenden von Iburg und Osnabrück geführt, so verschwanden und versanken mehr und mehr jene kriegerisch erhebenden Aussichten. Wir machten Halt, bezogen ruhige Kantonnirungen, und nicht lange, so kam die Friedensbotschaft. – Keine Oelzweigtaube für die Mehrsten von uns! – Denn auch die von dem Zeitgefluth am verderblichsten Angespülten aus der Schaar empfanden es schmerzlich, daß Preußen das Herzogthum Cleve an die Republik Frankreich abtrat! Ueberhaupt, daß nur irgend von Abtreten die Rede war! Man gedachte voll männlich ernster Wehmuth daran, wie Preußen, ja schon Brandenburg unter dem großen Kurfürsten bisher nur zu wachsender Kraft seine Friedensschlüsse unterzeichnet hatte, – und nun zum erstenmale das Aufgeben eines Landestheiles! Einer blühenden Provinz! Und wär' es ein dürrer Sandhügel gewesen: er mußte unverletzbar sein nach unsrem Gefühl, sobald er erst Einmal durch den Preußischen Adler als zum Königlichen Reiche gehörig bezeichnet war. Wohl hätte man sich hier an Shakespear's Hamlet erinnern mögen, wie er sich gestachelt fühlt zu der vor ihm schwebenden dunkeln Rachethat, weil vor seinen Augen der junge Norwegsheld Fortinbras einen Heerzug beginnt um den Anspruch auf einen Gau, welcher nur kaum hinlänglichen Raum bieten würde, die deshalb aufgebotne Heergeschwader zu stellen und zu ordnen. Aber es gilt das Recht! Es gilt die Ehre! – Nur war uns Shakspear damal noch allzuverstümmelt zugekommen, und den Bearbeitern galt der ganze Fortinbras in ihrer Bühnenklugheit als Ueberfluß. – Aber da eben fühlen und sehen wir, wie tief der Dichter aus dem Grundquell der Natur geschöpft hatte. Zahllos wackre Kriegerherzen schlugen mit seinen gedichteten Heldenseelen, ohne je von ihnen vernommen zu haben, im gleichen Takt. Vornehmlich stimmte mein jugendlich frischer Kamerad Bechtolsheim in dieses Gefühl mit mir zusammen. Wäre Fritsch noch bei uns gewesen, der hätte den Dreiklang vollständig gemacht. So aber hatte ihn an jenem sieghaften Tage bei Kaiserslautern die Tapferkeit, mit welcher er an der Spitze Oesterreichischer Dragoner in feindliches Fußvolk einbrach, zum Rittmeister gefördert, ihn zugleich aus unserm Regiment in die Adjutantur des [168] Erbprinzen von Hohenlohe versetzend. Er fehlte mir und meinesgleichen sehr. –

Die heitre Seite des Westfählischen Auseinanderwohnens ging uns jetzt in der blühenden Gegend um das Kirchspiel Dissen her auf: ein hübscher Flecken, beinahe Städtchen zu nennen, wo Chef, Commandeur und ihre nächsten Umgebungen bequemes, ja behaglich zierliches Unterkommen fanden, während uns in den Bauerschaften ringsher Einquartirten, der anmuthige Weg dorthin nicht sowohl eine Mühe, als vielmehr ein fröhliches Lustwandeln ward. Auch fehlte es nicht an lieblichen Frauengestalten im Kirchspiel und unfern, die manchen vom Offizier-Corps bereiteten kleinen Festen ihre Theilnahme nicht entzogen, gewiß, dorten edlem Anstand und zarter Sitte zu begegnen. Auch der Prediger zu Dissen, ein junger ehrsamer Mann, führte seine, bei dem Unverehlichten wohnende recht anmuthige Schwester diesen heitern Kreisen zu, und zwar, wenn es etwas weitere Ausflüge galt, zu Roß, auf gut ritterlich hinter dem Bruder aufgesessen, an die Fahrten des Landpredigers von Wakefield mahnend, ohne daß irgend Jemand Anstoß daran genommen hätte. Wie lange überhaupt noch die gemeinschaftlich angelsächsische Sitte in beiden jetzt so äußerlich fernen Stämmen manch verwandtschaftliche Erinnerung behauptet, ganz Niedersachsen mit eingeschlossen, ist wirklich der Beachtung werth, auch in Bezug auf das Sprachliche mit. Nicht jedoch will ich behaupten, daß in dem Wakefielder Pfarrgehöft auch die Pferdewartung auf ähnliche Weise gehandhabt worden sei, als in dem Dissener. Denn als ich einstmal in diesem einen Besuch abstattete, sah ich zu meinem großen Erstaunen, wie auf dem großen Hausflur – Diele dorten geheißen – der Pfarrherr mit einem mächtigen Stock seinem an der Halfter angebundnen Reitgaul ganz gelassen in taktrechten Pausen Hieb auf Hieb austheilte.

– »I, Herr Pastor,« – fragte ich, – »was hat Ihnen denn ihr ehrliches Roß zu Leide gethan?« –

»Zu Leide, Herr Kornet?« – hieß die Erwiederung. – »Nicht das Mindeste. Er muß ja doch aber gereinigt werden. Ich klopfe ihn ein Bißchen aus. Nachher komme ich mit der Bürste nach.« –

[169] Kurz, es ergab sich: er behandelte den Gaul völlig wie einen Rock, und dessen ruhige Haltung bewies, wie auch er seinerseits nicht das mindeste Arge daraus nahm, sondern sich in das Reinigungsexperiment vielmehr dankbarlich fügte.

Ein schier unlöschbares Gelächter brach aus dem Munde des Kornets, und der Pastor lachte wieder eben so arglos über dies Lachen, meinend: »Andre Lande, andre Sitten!« –

Ueberhaupt ließ das gegenseitige Wohlwollen auch nimmer das leiseste Misverhältniß oder Misverstehen in unsern dorrigen Wechselbeziehungen zu, und so viel ich weiß, erstreckte sich diese verträgliche Heiterkeit auch auf Reiter und Bauer. Wenigstens ist mir nicht das mindeste Rechten und Verklagen, wie es doch sonst wohl aus langwährenden Kantonnirungen, bald von einer, bald von andrer Seite aufzusteigen pflegt, aus jenen Tagen mehr erinnerlich. –

Wir hatten das Westfählische Landleben von mehren Seiten erprüft. Auch das Stadtleben dort sollten wir kennen lernen, wenigstens einigermaaßen. Im nach und nach erfolgendem Abziehen nach unsern Friedens-Garnisonen gelangten wir in die Nähe von Preußisch-Minden, und verweilten dort noch einige Zeit auf dem linken Weserufer. Ein gewisser alberner Hochmuth: »Auch ich war in Berlin, in Potsdam, in Frankfurt am Main!« ließ mich zu Anfang den Umgang der Westfählischen großen Welt eher meiden als suchen. Da schlug meine Stunde.

In einer frischen Eichenwaldung war's, wo sich die elegante Gesellschaft aus Minden zu einem ländlichen Mittagsmahl versammelt hatte, in der Nähe eines gewöhnlichen Gasthofes, dessen man jedoch völlig entbehren zu können vermeinte auf dem grünfesten Rasen, unter den hochgrünen Baumschatten, durch welche die Junius-Sonne nur eben so vielen Glanz hereinstrahlte, als zur Vergoldung der Festesanstalten tauglich war, ohne die labende Haineskühle zu stören. Auch unser Offizier-Corps war dort eingeladen. Nur eigentlich weil die Andern hinritten, ritt ich mit hin, aber schon fernher zog mich das Gewimmel der edelgeschmückten Gestalten unter dem laubigen Grün an: Frauen in weißen oder buntfarbig zarten Gewanden, von Gold und Silber leuchtende Uniformen der Kriegsleute, deren edle Rosse und [170] die glänzenden Wagen der Damen umher, – und dann die ländlich einfache Bühne des Festes, durchtönt von Symphonieen, Tanzweisen und Marschklängen wohllautender Instrumente, – es trägt das Allzusammen so ein seltsam anmuthiges Gepräge an sich, mährchenhaft an jene phantastische Idyllenwelt der romantischen Poesie mahnend, – Spanier und Italier sind vorzüglich reich daran, – wo Ritter und Schäfer, Prinzessinnen und Burgfrauen und Hirtinnen so gastlich vertraut mit einander umgehen, als seien sie ein Chorus voll harmonischer Einheit, und das Leben ein fröhliches Spiel: die Genossen nur zu dessen erhöheter Mannigfaltigkeit und geistvoller Lust in verschiednen Kostumen erscheinend, mitunter auch – aber nur ausnahmweis – in verschiednen Dialekten redend, meist jedoch Alle sich ein und derselben edelzierlichen und wohllautenden Sprache erfreuend.

Hier nun ging dem achtzenjährigen Kriegsmann die Erscheinung einer zarten, erst eben erblühenden Jungfrau edlen Stammes auf unter den grünen Schatten, ihr Geist fein gebildet, vornehm und einfachst natürlich ihr ganzes Benehmen. Man konnte sie keine glänzende Schönheit nennen, aber eine unaussprechliche Sanftmuth war über die holde Gestalt gegossen, wie sie mir niemal anziehender erschienen ist. Meine Seele empfand in leisen, innigen Schauern: hier war ihr etwas für das Leben Unvergeßliches erschienen.

Ein plötzlich heraufziehender Sturmregen störte uns den erwarteten Tanz im Freien, und trieb uns in den dörflichen Gasthof. Nie hab' ich es deutlicher empfunden: Nicht der Ort adelt die Gesellschaft, wohl aber die Gesellschaft den Ort. Es war ein recht erlesener Kreis jugendlicher Gestalten versammelt, und unter anmuthiger Musik erhoben sich unsre Reigen in edler Zier, als leuchte ein Pallastsaal um uns her. Man wird bei solchen Veranlassungen leichter bekannt, als bei förmlicheren Festen. Mehr, denn einmal, ward mir die Ehre zu Theil, meiner holdseligen Erscheinung die Hand zu bieten. Sie schwebte, wie eine Elfe im Tanz. Da fragte ich meinen zufälligen Nebenmann, den Sohn einer angesehenen Adelsfamilie in Minden, wer meine Tänzerin sei, und hielt meine Worte der zarten und innigsten Bewunderung nicht zurück. »Es ist meine Schwester«; erwiederte [171] er wohlgefällig. Wie auf alle Zeiten herzverbrüdert fühlte ich mich ihm seit diesem Augenblick. Auch er war zu Pferde hier, und wir beschlossen alsbald, für den nahenden Heimritt Genossen zu bleiben. Wir haben einander nachher selten wiedergesehn, aber stets in erneueter Innigkeit und ernster Freude. So viel ich weiß, lebt er noch, obgleich um einige Jahre älter als ich. Mögten ihm diese Zeilen zu Gesicht kommen. Er würde sich schon wieder erkennen, und seiner holdseeligen Schwester Bild zugleich wurde mit aufsteigen vor seiner zartfühlenden Seele. Laßt sie uns Eloisa benennen in diesen Blättern. Sie hieß anders in der Zeit. Was hat aber diese Zeit – die so oftmal gehässig rohe – zu schaffen mit solchen Erscheinungen und solchen Erinnerungen! –

Mir ist in diesem still wehmüthigem, tief ernstem Augenblick, mir, dem 63jährigen Alten, den vielleicht die sommerliche Garteuluft, in der ich dieses schreibe, für dieses Jahr zum letztenmale grüßt, als hörte ich die nun Verklärte von ihren Schwestern-Engeln: »Eloisa!« grüßen. Heißt sie jetzt anders, so erfahr' ich es wohl nun droben bald. –

Erwartet weder Roman hier aus meiner Jugendgeschichte, noch auch nur ein romanhaftes Verhältniß. Romantisch könnte es eher heißen für Leser, die in ihren Seelen einen Akkord für dergleichen empfinden.

Die, welchen das fehlt, mögen sich fortdauernd dem Kukkuk ergeben, wie ich denn wirklich Jemanden gekannt habe, – und noch dazu war's kein Mode-Genie, noch ein Witz-Prätendent, sondern eben nur ein guter beschränkter Mensch, – welcher ganz unbefangen erklärte, den Kukkuksgesang ziehe er bei weitem dem Liede der Nachtigall vor, ja, er verscheuche bisweilen, so gut sich's thun lasse, diese, um Jenen ungestörter zu vernehmen. Also: dem Kukkuk, was des Kukkuks ist! –

Meine äußerlich kleine Geschichte, Eloisen gegenüber, läßt sich in wenigen Worten darstellen, und so will ich's auch nach besten Kräften versuchen, das ganze lebensgeschichtliche Verhältniß in einen zusammengezognen Rahmen gleich hier einwebend und im Voraus beendend, vielleicht wohl mir noch manchen Rückblick vorbehaltend in dies verschwiegne, von Schmerzen umhegte reine Jdyllion. Nehmt es auf, wie man's Euch giebt.

[172] Eifriger, sich zu den Mindener Tanzgesellschaften einzustellen, war jetzt Niemand, als der von zwei frommen Blauaugen gefangne Kornet, und auch im glänzenden Saale dort versagte ihm so wenig, als bei jenem ländlichen Feste, die holde Jungfrau jemals ihre zarte Hand. Weiter gingen für jetzt die Wünsche des Achtzehnjährigen nicht, gegenüber der etwa Funfzehnjährigen. Die reine jugendliche Liebe genügt sich im holden Spiegel zarter Erwiederung, meinend, es könne ja niemal anders werden, nur seelig im Gefühl des Liebens und der Ahnung des Geliebtseins. Die Hoffnungen möglich höhern Glückes dereinst liegen träumerisch annoch wie die Blüthenblätter in der unerschlossenen Knospe. Es ist ein himmlischer Maienzustand. Schmach dem tückischen Käfer, der annagend ihn zu verstören wagt! –

Ein solcher hatte sich gefunden. –

Wie ward dem armen, noch kaum erst so innig frohen Jüngling, – nie ward ein jungfräuliches Wesen reiner geliebt, als Eloisa durch ihn, – da späterhin bei dem nächsten Tanzfeste die freundliche Gestalt seinen Gruß nur kaltfeierlich erwiederte, und für jeden Reigen, zu dem er sie auffordern mogte, versagt war. – Nun, allzuoft nicht hat er sie in die Kosten einer wiederholten Abweisung versetzt. Sein Gemüth war niemal und in keinem Verhältniß auf albern demüthige Bettelei gestellt. Aeußerlich eben so kalt, und eben so formell höflich, als sie (man hätte die Zeile des Dichters in diesem Schmerzensmoment auf die durch fremde Schuld geirrten Zwei anwenden mögen, obzwar in weit verschiedenem Sinn:

»Verwandte Seelen verstehen sich ganz!«)

trat der Jüngling von der Jungfrau zurück, versäumte keinen Tanz, um nicht als ein Abgewiesener dazustehn, und suchte sich endlich sogar einzubilden, für eine junge blühende Wittwe besondres Wohlgefallen zu empfinden, ihr all seine ganz freundlich angenommene Aufmersamkeit widmend. Manchmal ward es ihm, als streife ihn Eloisens Blick flüchtig, aber ernst, wie fragend: »so ist er nun wirklich ein Leichtsinniger?« Aber sein verletzter Stolz hielt ihn fern. Sie schieden ohne alle Erklärung: der Jüngling unter äußerer Lustigkeit einen herben Schmerzenspfeil im Herzen, einen der herbsten vielleicht, die sein wahrlich nicht schmerzenarmes Leben ihm je geboten hat.

[173] Späterhin erfuhr er von treuer Hand, der Käfer, welcher die erste wahrhafte Liebesknospe seines Lebens im Aufkeimen zernagt hatte, sei ein Jemand gewesen, schon ziemlich weit in die Mannesjahre hineingerückt, wenigstens dem Aussehen nach, denn er war kahlköpfig wie Sokrates, zugleich aber, obgleich verlobter Bräutigam, gern tändelnd mit Liebeleien, in sich harmloser Art. Dergleichen gedachte er nun auch, Eloisen gegenüber, zu beginnen, und da sie eben kein sonderliches Wohlgefallen an seinen Artigkeiten kundgab, legte er sich auf's väterlich wohlmeinende Warnen vor dem Kornet, ihn als einen leichtsinnigen Schmetterling schildernd, der die Blumen umgaukle sonder Herz und Empfindung. Daher jene plötzlich in den heitern Lebens-Mai hereinfallende Kälte. Als Fouqué es vernahm, war er durch Ort und Verhältnisse schon weit von Eloisa getrennt. Dennoch haben sie einander wiedergesehn (sie bereits Wittwe geworden, er längst verehlicht) nach vielen Jahren, sich nun vertraulich über jene lieblichen Lenzesmonde besprechend. Es war ein Wiedersehen, wie nach dem seeligen Sterben: ohne Wunsch, ohne Schmerz, ohne Erwartungen, aber reich an stiller Freude und fortan störungsloser Freundschaft. Heiter blicke ich der unlängst nachher von dieser Welt Geschiedenen nach, auf ein ewiges Wiedersehen im Himmel hoffend, wie es das so eben angedeutete hienieden vorgebildet hat. –

Doch zurück in jene Tage und meine Gefühle.

Seltsam war es, daß der Jemand, mir ehedem nicht grade besonders lieb, aber doch weiter nicht störend, vielmehr mir als tüchtiger Kriegsmann achtbar, seit er meine Herzensfreude durch sein unbefugtes Dazwischenreden geirrt hatte, etwas Abstoßendes in seiner ganzen Erscheinung für mich hatte. Nicht der leiseste Argwohn keimte noch damal in mir wider ihn auf. Ich wußte nicht einmal, daß er im Hause meiner Holden bekannt war. Dennoch: ein Gefühl der Antipathie regte sich von da an wider ihn in mir, das ich instiktmäßig nennen möchte. Vergebens rang ich dawider an, ja schalt mich darüber selbst aus. Obgleich wir in äußerlich ganz freundlichen Verhältnissen zu einander blieben, steigerte sich doch in mir ein warnend entfremdendes Gefühl, mir wie zuraunend: »Hüte Dich: Ihr beide gehört nicht zusammen.« –

[174] Mag übrigens sein, daß er nicht gradehin falsch gehandelt hatte, vielmehr vor sich selbst sein Gerede als etwas Verdienstliches aufstellend, indem er mein ganzes innerliches Wesen und Sein durch und durch misverstand. Ich richte nicht. Das Beste, für die Ewigkeit Gültige hat er ja doch nimmer vermogt mir zu rauben.

Eine – laßt mich einmal mit Leibnitz reden – prästabilirte Harmonie zwischen meinem Waffenfreunde Bechtolsheim und mir hob sich dagegen in jenen Momenten immer deutlicher und mir höchst wohlthuend hervor.

Durch all das bunte Wolkenspiel äußerer Fröhlichkeit, das ich um mich her auszubreiten wußte, drang sein theilnehmendes Auge klar in mich ein, und gewahrte dort nicht allein das Leben und Weben einer tiefen innigen Wehmuth, sondern ahnte auch das Warum. – »Fräulein Eloisa!« sprach er einstmal ganz leise und voll einer, seiner sonstig raschen Lustigkeit ungewohnten Milde. Da quoll mir mein Leid aus dem Herzen, und zugleich gestand ich ihm, daß in einer seltsamen Bilderverwechselung mir es oftmal vorkomme, als walte das Unrecht auf meiner Seite, und habe Eloisa über Kränkung zu klagen, nicht aber ich. In solchen Stimmungen nannte ich die abgewandte Geliebte Marie von Beaumarchais, und konnte bitterlich weinen, bei dem Gedanken, ihr himmellklares Auge ruhe thränenhell auf mir, wie fragend: »warum hast Du mir das gethan?« – Und ich war mir ja doch keiner Schalkheit, keiner Unzartheit, sei es auch nur in Gedanken, bewußt. Des Freundes zarte Theilnahme goß Oel und Wein in meine Wunden. –

Wenn die Frauen, wie man wohl halb neckend sagt, allstets Recht wider uns behalten, – oder vielmehr über uns, weil in zartester Hinsicht in der That über uns stehend, – was Wunder, daß dem jungen Kriegsmann sein Verhältniß auch hier so wundersame Gebilde hervorrief, ihm Reugefühle erweckend, wo er nur Leidesgefühle zu empfinden brauchte! – Es gilt und giebt da nichts eigentlich zu rechten. Es ist einmal so. –

An wehmüthig ernsten Mahnungen fehlt es überhaupt eigentlich nicht bei einem kriegerischen Heimzuge aus dem Felde, wenn auch die Freude, ja, der Jubel noch so mannigfach dazwischen [175] vorleuchtet. Und diese Blicke des Ernstes nehmen je mehr zu, je mehr man sich der Heimath nähert, je mehr also die Bande süßer Erinnerung uns umweben. Wie manche von diesen hat der Krieg blutig oder tragisch sonst gewaltsam zerrissen! Da heißt es denn mannigfach so, wie es Bürger für seine Lenore in die kraftbegabten Saiten singt:


»Und überall, all überall,

Auf Wegen und auf Stegen,

Zog Alt und Jung dem Jubelschall

Der Kommenden entgegen.

›Gott Lob!‹ rief Kind und Gattin laut,

›Willkommen!‹ manche frohe Braut.

Ach, aber für Lenoren

War Gruß und Kuß verloren.«


Ja, manch ein bleiches Thränengesicht sahe auch im Jahre 1795 zwischen den freudigblühenden Reihen, die uns empfingen, empor, oder barg sich, abwärts gewendet, vor den Glücklichen in die Schatten des eignen Grams. Es gab ein echtes Bild des menschlichen Lebens, wie wir es allsammt erfahren, und es der junge Kriegsmann zum Erstenmal in der Wirklichkeit so großartig anschaute, und so tief ahnungsreich mitempfand.

Wir wollen hier einen augenblicklichen Halt machen, vor einer in mannigfacher Wichtigkeit neuen Periode seines Erdenwallens.


Sammle dich, mein Geist, zu der Anschauung deiner Fürderschritte, während des Jugendlebens, das dich auf dem irdischen Pfade, zwischen Blüthen und Lichtern – auch Irrlichter gab es leider darunter – und Schatten und Stürmen geleitet hat nach dem Mannesalter empor. –

Sammle dich!

Ringe darnach, verwandten Gemüthern diese Wandelbahn so darzustellen, daß sie ihnen klar und wahrhaft vor die Augen trete, insofern sie dein Innres getreulich erschließen mag, und deine Bildung als Dichter, und als Schriftsteller überhaupt.

Hüte dich aber, mein Geist, auf der immer ernster werdenden Bahn solche Gestalten ja nicht mit hereinzuziehn, deren [176] Stellung und Sein der Oeffentlichkeit fremd bleiben muß. Aus Kindheits- und Erstlings-Erinnerungen der Jugend kann und soll schon eher manche Erscheinung, ja manch ein wirklicher Name mit an das Licht treten, indem die Gestalten in der natürlichen Ferne der Zeit mehrst nur nach Einzelheiten vor uns hinziehn, ja oftmal fast in unbestimmten Umrissen verdämmern, wie von einem breiten, längst überschifften Stromes- oder See's-Jenseit-Ufer nach dem Diesseit-Strande herüber. Ohne das Heraufrufen solcher Gebilden aber würde der Rückblick auf das damalig eigne Leben und dessen Entwickelung völlig undeutlich ausfallen müssen, denn in jenen Tagen der irdischen Morgenfrühe leben wir mehr aus und in Andern, als eigentlich durch uns selbst.

Später jedoch, wo das wachsende Jünglings- und endlich Mannes-Alter unsre Eigenthümlichkeit (wie in den Zügen des Antlitzes und in der Gesammt-Erscheinung nach Außen, so auch in der Selbstbewußtheit des innern Daseins) immer bestimmter und schärfer ausdrückt, und wir stets mehr von Innen nach Außen leben und wirken, als von Außen nach Innen herein, wird auch dem Autobiographen das Recht und die Pflicht, seine eignen Bildungsstufen deutlich – soweit er das nach besten Kräften vermag – vor dem Leser kund zu geben. Dagegen schränkt ihn die schuldige Beachtung auf das Zartgefühl annoch mit uns Wandelnder in der Zeit, mehr und mehr ein in Berichten über das äußerlich Erlebte. Je entschiedner die Darstellung sich der Gegenwart nähert, je ernster und erwägenswerther wird jene Beachtung.

Scheue sich indeß kein Leser, etwa dem Memoiren-Styl und Inhalt jetziger Tage geneigt, als solle es fortan fehlen an persönlichen Darstellungen und Anekdoten.

Der Verfasser hat viel mit Personen Umgang gehabt, die der Geschichte angehören, sei es als Krieger, als Staasmänner, als Schriftsteller, oder die doch sonst in ihrer Zeit als von Vielen betrachtete und beachtete Erscheinungen dastehn, und denen gegenüber es somit nicht als Unbescheidenheit gelten mag, wenn er den Eindruck offenbart, welchen sie just auf ihn machten. So darf er auch manches Denkwürdige von ihren Worten und Handlungen mittheilen, was der Lesewelt, ja wohl eigentlich der Welt [177] überhaupt angehört, ohne bis jetzt noch Bahn dahin gefunden zu haben.


Der heitre Eindruck, welchen Aschersleben im vergangnen Jahr auf den jungen Kriegsmann bei seinem Aufbruch in's Feld gemacht hatte, bestätigte sich bei seiner Rückkehr nun auf das anmuthigste. In der nicht unansehnlichen Stadt regte sich ein geistig wissenschaftliches und fröhliches Leben, und wir aus dem Felde Heimkehrenden brachten Empfänglichkeit dafür mit und frische Lebenlust: unsre Stabs-Offiziere in reichlich begabter Stellung und gastlich heitern Sinnes, wir jugendliches Volk erprüften Muthes froh, gern dem edlen Frauendienste sittig ergeben, unermüdlich gewandt im Tanzesreigen, kühn zu Roß, an harmlosen Neckereien unerschöpflich reich: – lauter frisch anmuthige Elemente zur Geselligkeit, vornehmlich da viele holde Frauengestalten in unsern Kreisen leuchteten.

Unsrem werdenden Dichter befing eine nur eben aufblühende Jungfrau das Herz, nach und nach jene räthselhafte Mindner Erscheinung daraus fortleuchtend, um so eher, als eben damals die neblige Räthselhaftigkeit in Eloisa's Benehmen noch nicht im Mindesten aufgehellet war. Dies neue Verhältniß wob sich nach und nach immer lieblicher und fester zusammen, und gedieh nach Jahren zu heiterm Brautstand und Ehebund, und hätte glücklich, ja glückseelig ohne Zweifel, für Fouqué durch alle Zeit so fortgedauert, hätte sein rasches und annoch sehr jugendliches Gemüth die ihm frühe beschiedene Engelsseegnung in ihrer ganzen Fülle zu schätzen gewußt. Dazu jedoch war der Jüngling nur augenblicklich klar und würdig genug. Daher ward diese Ehe nach einigen Jahren getrennt, einzig und allein durch seine Schuld, keinesweges aber im leisesten Unfrieden, sondern von beiden Seiten mit ernster und milder Wehmuth.

In späteren Jahren hat eine klar geschwisterliche Freundschaft kund gegeben, wie demuthvoll Fouqué zu bereuen, und wie erhaben jene holdseelige Frau zu verzeihen vermogte. –

Wie im zarten Gefühl eines aufkeimenden Bräutigamsstandes der junge Soldat sich unter dem angedeuteten heitern Verhältnissen [178] glücklich fühlen mogte, ermißt wohl ein jeder Leser, in dessen Gemüth die schöneren Erinnerungen der Jugend noch lebendig sind. Dazu kam inzwischen ein zweimonatlicher Urlaub nach der Heimath. Als diese anfänglich so heiß ersehnte Vergunst nach einiger Zögerung eintraf, empfand ich mich bereits dergestalt eingeflochten in das Ascherslebensche – wem's Latinirt vornehmer klingt, benenn' es meinthalb Askanische – Lebens-Idyll, daß ich nun gern wohl noch länger dorten verweilt hätte. Dennoch: nur Einmal erst den Fuß im Bügel, und der Magnet des Vaterheerdes übte stets gewaltiger sein holdseeliges Recht. Mein und meines Reitknechts Roß empfanden's, doch glücklicherweise überstanden sie's auch. Schmettau war mir entgegengeritten bis nach dem Landsitz einer befreundeten Familie, und erwartete seinen Zögling gegen den Mittag oder Abend eines Tages, in dessen Früh-Mahlstunde schon Fritz, von der holdgastlichen Hausfrau geleitet, aus den innern Gemächern des Hauses überraschend in den Versammlungssaal eintrat. Das war eine Freude! Eine Freude, jener ungetrübten Reinheit voll, wie sie uns Sterbliche, dafern wir den Sinn dafür nicht verloren haben oder verschlossen, an die Wonnen des Paradieses mahnt, wie das vornehmlich in jeglichem, von Liebe durchleuchtetem Wiedersehen liegt. Und hier nun der edle Waffenmeister, den aus dem Flügelkleide getreulich aufgepflegten jungen Rittersmann von seinem ersten Prüfungsjahr ehrsam und frisch wiederkehren sehend, freudig theilnehmende Freunde umher! Auf dem Rittergute Nennhausen bei Rathenow geschahe das, dem Orte, wo in den reiferen Jugendjahren bis in die zum Altar führenden Manneszeiten hinein Fouqué nachher noch so viele der Wonnen und Schmerzen erleben sollte, und so viele der aufsteigenden Lieder in seiner Seele vernehmen, sie nachtönend im beseeligenden Wiederhall. Jetzt noch schlummerte das Alles in einem träumerischen Hintergrunde der Ahnungswelt für ihn, wo es sich freilich stets wundersam geregt hatte, so oft er, schon im Knabenalter, Nennhausen und dessen sinnige Park-Anpflanzungen betreten hatte. Für jetzt aber ging es bald nach Lentzcke zurück, nach der lieben idyllischen Heimath. O, des Augenblickes, wo er, aus den Schatten des mächtigen Buchenwaldes hervorreitend auf den sonnig weitgrünen Anger, an dessen fernem Rande das freundliche Dorf nun [179] wiedersah! Wie umschwebt, umhaucht erschien es ihm von allen den Knaben- und frühesten Jünglings-Ahnungen, in Spiel und anderm Geträum erwacht, und nun zum Theil erfüllt, zum weit größeren Theil doch die Schwelle berührend und das offne Thor, von wo die ernsteren und höheren Stufen des Gelingens Berg-an leuchteten ja gleichsam winkten! –

Ein Gefühl, das sich zur Entzückung steigerte, als im Näherkommen die Gestaltungen der Familie sichtbar wurden, dem Wiederkehrenden entgegen wandelnd. Wie flog da das edle lichtbraune Roß, Apollo geheißen, über die Wiese hin! Und dann: abgesprungen der Reiter, und in die offnen Arme seiner Lieben gerannt, den muntern Gaul seiner Laune überlassend, bis Schmettau, über die fröhliche Wildheit von Reiter und Roß lachend, nachgesprengt kam, und den tanzenden Lichtbraunen wiederum einfing.

Der Vater in seiner wachsenden Alterschwäche war nicht mit herausgegangen. Aber als wir nun das Dorf betraten, – da stand er mitten in der breiten Gasse, den hohen Krückenstab, an den er sich zu lehnen pflegte, zurücksinken lassend in beide gen Himmel ausgebreitete Arme, die großen thränenfunkelnden Augen emporgerichtet dahin, von wo alles Gute kommt, mit fester, feierlicher Stimme laut sprechend:

»Ich danke dir, mein lieber HErr und Gott, daß du mir meinen lieben einzigen Sohn mit Ehren und gesund wiederum aus dem Felde Zurückgeführt hast!«

Dann erst umfaßten sich liebkosend Vater und Sohn. Voll feiernd gerührter Theilnahme standen die aus ihren Wohnungen herzugeeilten Dörfer und Dörferinnen umher. –

Noch jetzt in meinem 63sten Lebensjahre werden mir die Augen seelig feucht vor der Erinnerung.


Wer mir bei diesen Anschauungen Theilnahme schenkte, fühlt auch den Anklang der heitern Zeit, die von da an über den kleinen Familienkreis hinzog. Ein kurzer Besuch in Potsdam, wo auch die elegante Welt den jungen erprüften Degen mit freundlicher Auszeichnung empfing, erhöhete dessen freudige Stimmung. [180] Es ward schon früher bemerkt, wie vielen Werth er auf dergleichen legte; – wohl etwas übervielen. Doch bekenne ich Alter noch jetzt gern: in dieser Beziehung seh ich an Jünglingen lieber ein Zuviel, als ein Zuwenig. Echt germanische Sitte hegt und heiligt den Frauendienst, der jene edle Zier und Gewandtheit als unerlaßliche Bedingung mit sich führt, nicht nur im Ritter- und höheren Bürgerstande, sondern auch – jedes nach seiner Weise – durch mannigfache Abstufungen bis in das einfachste Bauerleben hinab. Der Blumenstrauß auf dem Hute des Tyrolers und des Ritters Helmzimierde – es ist all Eins, und zwar schön und gut.


Wiederum rückgekehrt nach Aschersleben, lebte Fouqué in den obangedeutetem waffenbrüderlich frohem Dasein heitre Tage fürder. Sei es vergönnt, noch ein paar wunderliche Züge daraus rasch hinzuwerfen.

Die frische Jugendkraft der muntern Genossen allsammt, angehaucht von einem poetischen Anfluge, machte sich auch bisweilen durch eine eigne Gattung von Nachtwanderungen Luft, die man wohl hätte Nachtwandelungen heißen können. Dann wurden weiße Tücher und Hemden übergehängt, daß die Gestalten völlig verhüllt erschienen. Einige nahmen eine Tragbahre auf die Schultern, worauf irgend etwas Hochragendes, gleichfalls weiß verhüllt, ähnlich einem Sarge, gelegt ward, während die Uebrigen paarweis voran und hintennach gingen, leise und hohl allsammt ein nichtartikulirtes Gemurmel anstimmend, und so ging es im gespenstisch langsamen Zuge durch die dunkeln Straßen hin und wieder, voll schauerlicher Ergötzung. Hinter den Fenstern der Häuser lauschten dann die erweckten Bewohner beim Dämmerlicht ihrer Nachtlampen, und so lange die Sache noch neu blieb, gingen dann wohl am folgenden Tage Gerüchte durch die Stadt von bevorstehenden Ereignissen, durch jene nächtlich räthselhaften Erscheinungen angedeutet. –

Oder auch wir erhoben zu Nacht unter einander neckenden Krieg, mit Wassereimern uns befehdend, die aus den vielen in den Gassen stehenden Brunnen leicht wiederum nach jeglicher Salve gefüllt wurden.

[181] Einstmal ergriff Einem von uns die Lust, die Stadt glauben zu machen, wir hätten in der Nacht eine Schlittenfahrt gehalten, und zwar in der just waltenden hohen Sommerzeit. Und was Einen ergriff, ergriff mehrst Alle durch Jenen mit.. Schellengeläut und Knallpeitschen wurden herbeigeschafft; die Nacht, allen wunderlichen Späßen günstig, erzeigte sich bald nach dem gefaßten Beschluß dergestalt wolkenreich und schwarzmantelig, als man es von einer guten Verbündeten nur immer erwarten kann, und so ging es denn mit Geknall und Geschell und Geruf: »Hopp! Hopp!« auf unsern eigenen Beinen durch die Stadt hin, wohl über zwei Stunden lang, wo dann die endlich siegende Ermüdung das fröhliche Völklein zur Ruhe trieb, und der Stadt völlige Nachtstille zurückließ. –

Aber, wie schon angedeutet: deren Bewohner waren dem fröhlichen Völklein um ähnliche Uebermuthstreiche keinesweges abhold, fühlend, es sei damit rein auf harmlosen Spaß abgesehn. Andrerseits auch hatten sie ihre Herzensfreude an der ritterlichen Jugend, wenn die bei den Waffenübungen so freudig und rüstig erschien und bei Festen so edelgalant. Sie waren überhaupt gewohnt, sich stolz auf ihre Garnison zu fühlen, wo es den Offizieren auch keinesweges an Sinn und Geist für wissenschaftliche Bildung fehlte. Hatte doch schon vor dem Kriege ihr Anführer, der edle Herzog von Weimar, sie reif gefunden, einen geistreichen Schriftsteller, Magister Sangerhausen, zu Vorlesungen für sie über die Bestimmung und Würde des Kriegsmannes zu veranlassen. Nachher kam das Werklein in den Druck, und durch eine jener bisweilen eigens vorkommenden Verflechtungen schon frühe in die Hand des künftigen Kornet Fouqué, längst ehe er noch ahnen konnte, dereinst dieser edlen Schaar anzugehören. Jetzt bildete sich bald wieder in Aschersleben ein geselliger Kreis von mehrst Offizieren unter der damalig modern üblichen Benennung Casino, für Journal- und sonstige Lecture bestimmt. Wie es damit ernstlicher gemeint war, als für bloße Unterhaltung, zeigte sich an der Aufnahme von Posselts Annalen, ja von Schillers Horen, und der Abwesenheit aller ganz frivolen Schreiberei. Aus den Horen sprach's mich an, gleichwie ein ganz neu erst heraufbeschworener, und doch schon uralt geheimnißreich wirkender Geist. Ich ahnte ihn, aber ich verstand seine Worte nicht anders,[182] als nur fragmentarisch höchstens. Irgend etwas ernstsinnig zu studiren war der leicht durch's Leben flatternde Frühlingsvogel durchaus unfähig zu jener Zeit, weil es ihm sogar an gutem Willen fehlte dafür. Und doch lebte und webte ein Etwas in ihm, das ihn immer und immer wiederum hinzog nach den Heimlichkeiten jenes Wunderbaues, durch welchen die Stunden der Zeit hinwandelten ihren deutsamen Reigen, und winkten und mahnten, und abmahnten, mit Zeichen und Klängen und Blicken. Sie sahen bisweilen so ernst und streng aus und beinah kalt, ja erkältend, und doch wallete ein leises lindes Hauchen aus ihrem tief innerstem Leben hervor, kommend vom Herzen, dringend zum Herzen. Das Mysteriose ihrer Erscheinungen mehrte sich noch durch das Verschweigen der Autornamen. Man wußte einstweilen nur eben: Friedrich Schiller führet den Reigen, genug um zugleich zu wissen, die hier laut werdenden Stimmen gehören gefeierten, ja von obenher geweiheten Geistern an. Erst am Schlusse eines bestimmten Zeitraumes sollte der Schleier von hinnen wallen, für jegliches Werk auch den Werkmeister offenbarend. Als ein gutes Zeichen für das künftige Gedeihen des Frühlingsvogels mogte es gelten, daß er seine liebste Freude an den »Gesprächen deutscher Ausgewanderten« fand. Aus welchem Meistergenius sie aufgestiegen sind, wissen wir jetzt Alle.

Mit dem eignen Gesange wollte sich's aber noch immer nicht wieder zum rechten Schwunge bei dem Jünglinge gestalten. Wohl regte sich's. Auch flatterten einzelne Lieder auf. Aber sie sanken wiederum zurück, selbst ihrem Sänger nicht genügend; mogte das nun in einem kräftigeren oder doch bewußterem Erwachsen der Kritik bei ihm liegen, oder hatte die – obgleich für ihn damal harmlose – Weltlust die Fittige seiner Muse allzuvielfach belastet und bestaubt: – es war so, und er fing an zu zweifeln an dem wahrhaften Leben seiner Sangesgabe.

Ihm sollte geholfen werden. Zwar just nicht für dasmal durch den Krieg, aber ddch in kriegerischer Form und kriegerischer Aussicht. Das Kürassier-Regiment von Byern ward (nachdem das frühere Leben in der Garnison etwas über Ein Jahr gedauert hatte, worin der fröhliche Kornet zum Lieutenant vorgerückt war) zu der sogenannten Demarkations-Linie mit bestimmt, – späterhin passender die Weser-Armee benannt, – [183] wodurch das nördliche Deutschland gegen die Franzosen, mit Oesterreich im Kriege, mit Preußen annoch im Frieden, beschirmt werden sollte, und sich auch wirklich in jener Epoche beschirmt sah.

Der Abschied von Aschersleben gehörte sur Viele von uns – für mich wesentlich mit – zu den schmerzlich erhebenden Ereignissen:


Schmerzlich im Leiden,

Wenn Lieb' von Lieb' muß scheiden,

erhebend, ja sogar erfreulich,

Weil jung Soldatenblut

Auf Krieg stets hält gestellt den Muth.


Wie friedlich der ganze Zug auch eingeleitet und ausdrücklich angekündet ward, – wir junges Volk dachten und sprachen untereinander:


Wenn aus der Trompete das: »Marsch!« hat geschallt,

Bläst sie sobald nicht wiederum: »Halt!« –


Nun diesmal that sie's dennoch. Schon in der Gegend zwischen Bückeburg und Minden bezogen wir Kantonnirungs-Quartiere und zwar dergestalt friedlicher Einrichtung, daß wohl auch dem Kampf-Hof fendsten alle Aussicht auf nahen Krieg und Sieg entschwinden mußte. Da es nun aber einmal so bestimmt war, hatten wir Byernschen Kürassier alle Ursach, unser gutes Glück zu preisen.

Wie ein gefeieter und gefreieter Sitz der edlen Sitte und Anmuth stieg aus der kleinen und freundlichen Stadt Bückeburg das Schloß der Fürstin Juliane, Vormünderin ihres noch im Knabenalter lebenden Sohnes, empor, wo alles Schöne und Gute sinnig gastlichen Zutritt fand. Neben ihr blüheten ihre zwei anmuthigen Töchter, die Eine als holde Jungfrau so eben in die Bahn des erwachsenen Alters tretend, die Andre ein liebliches Kind. In der edlen Weise jenes früher erwähnten westfählischen Burgherrn erkannte auch die Fürstin es als Pflicht, den französischen Ausgewanderten nach Möglichkeit Asyle zu bereiten. Mag sein, daß ihr Wohlwollen dabei oftmal mißbraucht und hintergangen ward. Aber einen höchst ehrenwerthen Stamm solcher Ausgewanderten hatte sie gleich Anfangs um sich gesammelt, und Gott lohne ihr, was sie an Denen gethan hat. Daß [184] von diesen Gästen kein Uebermaaß französischer Art und Weise das dortige Leben überschwemmen konnte, dafür war durch einen tüchtigen Grund echt deutscher Bildung gesorgt, wie ihn der große Graf Wilhelm von der Lippe als Kriegsmann und Landesvater bereits vor vielen Jahren gelegt hatte. Seine Anstalten und Anlagen, ob äußerlich klein, zeigten sich weit auswirkend und hochwichtig in ihrer tiefen Bedeutsamkeit für das gesammte deutsche Vaterland. Aus seiner Kriegsschule war Scharnhorst hervorgegangen, schon dazumal rühmlich anerkannt als kriegerischer Schriftsteller, späterhin aus Hannoverschem Dienst, wo er bis zum Major vorgerückt war, als Obrist in das Preusische Heer eintretend, vorbereitend nachher allermehrst dorten den Errettungskampf durch weise, den lauernden Unterdrückern unmerkbarliche Vermehrung des Heeres und Waffenübung des Volkes, Landwehr, freiwillige Jäger und Landsturm dergestalt anlegend, daß, als nun die rechte Stunde schlug, es nur des königlichen Aufrufes bedurfte, um All das, wie durch einen Zauberschlag in's Leben zu rufen; – bei Lützen dann hinströmend sein tapfres Blut; endlich in Prag mit letzter Anstrengung seine Lebenskraft aushauchend im gelungnen Bestreben, Oesterreichs Kraft zur raschen Schilderhebung zu wecken wider den gemeinsamen Verderber.

Au stummen Denkmalen seiner großen Entwürfe hatte Graf Wilhelm die kunstreiche Festung Wilhelmstein hinterlassen, mitten im Steinhuder See auf das System einer allgemein deutschen Reichsvertheidigung – Jeder nach Kraft und Oertlichkeit das Seinige – hindeutend, menschlicher Kraft unüberwindlich; – auch viele sinnreiche Modelle für Kriegsmaschinen, Befestigungen, Waffen und Aehnliches sonst.

Als Sinnbild und Erinnerung seiner Herzenliebe und seines Herzenleides leuchtet aus einer anmuthvoll dichten Waldung hervor das nun einsame, zuliebst von ihm bewohnte Landschloß: Der Mindnerbaum, sammt dem Grabesdenkmal der geliebten Gattin, später auch, seiner treuen Anordnung nach, sein eignes geworden. – Ernste Sagen von seinem beglückten Idyllenleben dort, späterhin seiner frommen Trauer, umschweben die im Styl der Schlösser und Gärten des großen Königs Friedrich, seines Zeitgenossen, erbauete, damals nach und nach in Ruinengestalt sinkende [185] Wohnung, wo ich bisweilen meinte, das Wehen und Weben des Heldengeistes zu vernehmen.

Wo es aber wahr und wahrhaftig waltete, das war – zunächst dem Fürstenhause – unverkennbar in so mannigfach edlen Geistern, welche der kleinen Stadt Bückeburg eine große Bedeutsamkeit verliehen, im Nachhauche jener deutschen Bildung, welche Graf Wilhelm durch heiter beschützte Gelehrte, unter denen hier nur des geistreichen Schriftstellers Abbt gedacht werden mag, um sich aufblühen hieß.

Der Auffallendste, zugleich aber auch von Anfang alsbald Ergreifendste für mich war der Leibarzt der Fürstin, Dr. Faust. Noch unlängst ward seiner zu den wiederholten Feiern des Dr. Jenner und der von ihm aufgefundenen Schutzblattern in vorzüglichen Ehren billig gedacht, als Verpflanzers und Förderers jenes heilbringenden Systems in Deutschland.

Was gingen nun freilich den kecken Kürassier-Lieutenant und galanten Tänzer Fouqué die Systeme an? Was ihn die Heilkunde? Was überhaupt ihn Alles in der Welt, wenn es nicht den Reiterdienst galt, oder edler Sitten Zier und ritterliche Ehre, oder unmittelbar eindrang in sein unter der Hülle des Leichtsinnes weich und stolz schlagendes Herz! –

Aber wenn so der Dr. Faust ihm gegenüber stand, – sei es in der Hofgesellschaft (denn Courfähig war er für die geistvolle Fürstin, nicht nur als ihr Leibarzt, sondern schon vermöge seines ganzen Seins und Wesens, wie alle geistvolle Menschen überhaupt) oder sei es in sonst irgend andrem geselligen Zusammentreffen, – zog den Jüngling die seltsam kräftige Erscheinung des Mannes gleichsam in Magnetenart an.

Ich mögte des Bildner-Griffels mächtig sein, um ihn darzustellen, in seiner kraftvoll ruhigen Haltung, sein männlich scharfes aber nicht schroffes Antlitz heiter harmlos in die Welt hinausblickend, klar durchschauend, was vorging, und dabei – man sah es deutlich – auch ihm schon recht, wenn Andre tief hereinblicken mögten in ihn. Er hatte nichts da drinnen zu verhehlen.

Seine Tracht richtete er einzig und allein nach der Ansicht des heilsam Bequemen ein, wie er sie in einem gedruckten Büchlein als Rathgeber empfohlen hatte: der Hals ohne Binde, das Haar [186] puderfrei und rund abgeschnitten, die Schuhe oder Stiefel nicht über einen Leisten geformt, sondern rechter Fuß vom linken gesondert, wie es der Bau der Zehen erfordert. Man sieht: mannigfach seitdem hat die Mode ihm nachgegeben. Er gab nimmer das Mindeste der Mode nach. Doch zeigte er sich dabei nicht unbillig gegen Andre. Er wußte Jeden nach dessen Art zu erfassen. Der geputzte und geschniegelte Lieutenant Fouqué war ihm schon recht, denn er merkte auf den bessern Impuls. Als einstmal böse Zungen über den Jüngling – versteht sich: in dessen Abwesenheit – herzogen, ihn der Windbeutelei beschuldigend und der Eitelkeit, verhielt sich Dr. Faust anfänglich ganz neutral. Da aber Jemand im Uebermaaß der Schmähsucht losbrach: »zudem auch schminkt der junge Mensche seine Wangen!« erwiederte Dr. Faust mit seiner gewohnten kräftigen Stimme: »Damit ist es nichts. Ein Windbeutel mag er sein, wenn Ihr so wollt, wenigstens vor der Hand noch, aber einer weibischen Albernheit ist er unfähig. Da liegt seine Bahn fern ab. Zudem muß ich als Arzt das Ding besser verstehn. Sein weißrothes Angesicht kommt von keiner Schminke her, sondern von einer Anlage zur Schwindsucht. Bildet sich die gehörig aus, wie es bei seinem raschen Tanzen und Reiten wohl geschehen mag, so ist er bald geliefert.«

Fouqué erfuhr es wieder, lachenden Muthes. Aengstliche Gier nach langem Leben ist nie sein Fehler gewesen, und der kräftige Arzt ward ihm nur desto lieber. Auch bewährte dieser, was die Mediziner Prognosis nennen, durch seinen Ausspruch als ihm eigen. In der That war Fouqué späterhin mitunter von auszehrenden Uebeln bedroht, wenn gleich wiederum durch Gottes Huld errettet, – errettet auch in geistiger Hinsicht vom unter Blumen in seinem Innern lauerndem Verderben.

Zwischen all dem wachsenden Gewimmel heiter edlen Umganges, Tanzfesten, geselligen Theatervorstellungen (bald Französisch, bald Deutsch) am Hofe der Fürstin, wozu sich Fouqué mit ehrender Güte eingeladen sah, erschauete Dr. Faust das eigenthümlichste Wesen des Jünglings dergestalt, daß er ihm endlich in einer annähernden Stunde – gesegnet sei sie mir für immer! – sagte:

[187] »Wissen sie, welch ein Buch recht wie ausdrücklich für sie geschrieben ist? Johannes Müllers Schweizergeschichte.«


Die wenigen Worte, von solch einer Stimme gesprochen, zündeten, und richteten Fouqué's Geist nicht nur auf das empfohlne Meisterwerk, und nach und nach daran empor, sondern weckten auch die Lust des Studiums überhaupt in ihm, die so längsther eingeschlafne. Schon früher hatte freilich die Einsamkeit in den Bauerschaften und Wehrfesten, wo wir rings um Bückeburg einquartirt lagen, – wunderbarlichem Abstich zu dem geistvoll glänzenden Leben in Burg und Stadt! – mich wiederum auf das Vergnügen am Lesen, bereits in der Kindheit mir theuer, mehr und mehr hingewiesen. Wohl konnte ich Winterabende in meinem Bauerstübchen behaglich, einem Buch gegenüber, verleben, wenn gleich aus dem nahgelegnen Bückeburg die Geselligkeit mir winkte, und kein Dienstgeschäft mich zurück hielt. Eben so erging ich, zur Sommerzeit, mich gern lesend in dem ernsten Buchenhain um meine Wehrfeste her. Aber dergleichen kam doch immer nur ab und zu in Zwischenzeiten, und was ich las, hing, seiner Auswahl und Zusammenstellung nach, mehrst von einer Mindener Leihbibliothek ab, wohin ich allwöchentlich meinen Reitknecht, sein Pferd beladen mit mächtiger Bücherlast, hin und zurück spedirte. Die Anstalt war keinesweges vom Uebel. Unsittliches gab es durchaus nicht in der Sammlung, wohl aber leuchteten bisweilen echte Goldgebilde daraus hervor und mir in die junge Seele: vornehmlich Herders Briefe und Jean Pauls Hesperus. Dies Sterngebilde stieg vor mir auf, ein Bote aus einer andern Welt für mich. Die ersten Zeilen und Seiten verstand ich nur mit mühelicher, doch bereits gern aufgeregter Anstrengung. Sobald ich aber des Schlüssels zu diesen magischen Pforten einigermaßen mächtig war und ward, zog es mich schier gewaltsam fürder durch die labyrinthischen Säle und Gänge, einem noch unerkannten aber hoch und seelig verheißendem Ziele nach. In meiner Entzückung theilte ich den Fund auch andern mir lieben Geistern, insbesondere weiblichen, mit, und blieb starr vor Erstaunen, daß ich mit meiner leuchtenden und klingenden Waare so wenig Beachtung fand. Der Grundton dabei hieß: »ich verstehe das Alles durchaus nicht;« wozu dann der höfliche, mitunter [188] wohl auch heimlich spottende Nachsatz noch gewöhnlich kam: »Wer zum Verständniß so begabt ist, als Sie, steht zu beneiden.«

Es that mir weh', aber es irrte mich nicht, wie denn fremde (vollends gar fremdartige) Urtheile nie just viel über mich vermogt haben. Ich zog denn auch diesmal mich – in dieser Einen Hinsicht vergleichbar den Schnecken – in meine innerlichst geistige Wohnung zurück, und blieb dorten mit meinem lieben Dichter allein. Ja, meine Begeisterung für seine Poesie ging so wunderlich weit, daß ich eine Zeitlang wähnte, diese Darstellungsweise sei die allein echtgültige, alles bisher Angeklungene nur präludirende Frage, suchend nach der jetzt erst aufgegangenen Symphonie-Herrlichkeit.

So versuchte denn auch ich, mit in den mächtigen Tönesturm einzustimmen, denn die Muse begann, ihre Fittige stets anregender um mein lauschendes Haupt wiederum her zu schwingen. Doch empfand ich bald, Jean Paul sei eben so unnachahmbar als gewaltig. Ein Brief, den ich in dieser verwirrten Ikarus-Schwungperiode an einen edlen Freund richtete, blieb unbeantwortet, weil Jener mich, um so mehr, als er noch nichts von Jean Paul gelesen hatte, für rein verrückt geworden hielt, und erst nach einiger Zeit sich zu seinem Trost eines Bessern überzeugen konnte.

Als ein günstiges Gegengewicht für die andere Schale kamen in jener Zeit mir einige Schriften von Friedrich Rochlitz vor Augen und in die Seele: klar, gemüthlich, die Wirklichkeit wiederspiegelnd, und zugleich der Schwung der Poesie unverkennbar durchhinhauchend in kräftiger Ursprünglichkeit und eigenthümlicher Fülle.

Zwischen die hier bezeichneten Geister ausgezeichneten Ranges woben sich noch mehre Andre mit ein, im Chorus allesammt wohlthätig für den abermal seine Seelen-Harfe anklingen fühlenden Dichter. Auch fügte sich's, daß eben in dieser Zeit sein ehemaliger Lehrer Hülsen wiederum aufgetaucht war, von Zürich aus, wohin ihn mannigfach geniale Fahrten und Studien geführt hatten, nach der Heimath schreibend. Der ehemalige Schüler vernahm es kaum von dorther, so flog auch schon ein Brief von ihm nach der Schweiz, durch Hülsen bald mit innigem Jubel beantwortet, [189] und – an die Unterrichtsstunden in Lentzcke auf das anmuthigste erinnernd – mit dem Hellenischen Gruße voran: Χαιρε, χαιρε, και παλιν χαιρε, και χαιριζων χαιρε! (zu Deutsch etwa: »Sei froh! Sei froh! Und abermal sei froh: Und in lauter Freuden sei froh!«) Der Briefwechsel ging fürder, und trug nicht wenig dazu bei, den Schwung des neu erwachenden Jünglingsgeistes zu fördern und zu heben.

Das Alles jedoch führte wohl einzeln leuchtende Lichtstunden herauf, glückseeligen Inseln vergleichbar im verworrenem Gewoge der Außenwelt, aber der Beginn eines klarbewußten Studiums über irgend einen fest ergriffnen Gegenstand wollte sich durchaus noch immer nicht hervorheben, bis Dr. Faust jene magisch heilsamen Worte gesprochen hatte.

Ja, wie für mich geschrieben in mannigfachster Beziehung war die Eidgenossengeschichte durch Johannes Müller. Zumehrst, wie es auch Dr. Faust bereits mit angedeutet hatte, ergriffen mich die kriegerischen Schilderungen, aber auch gleich zum Eingange hob mich's wundersamlich empor, wie der Meister die Gestaltung des Landes mit wenigen machtbeliehenen Sprüchen hinstellt. Und selbst die strenge Wucht seiner Rede, gar manchem Leser schwerfällig erscheinend, gewann mich für desto fleißigeres Forschen, so daß ich auch keine der schier unzähligen Anmerkungen und Citate unbeachtet ließ. Ich schien mir wie befangen und gebunden in einen Zauberkreis, aber einen solchen, den ich nicht ohne Frevel brechen dürfe.

Somit erwachte in mir ein Gefühl jenes heitern Ernstes, jener erhebenden Anstrengung, jener beseeligenden Ringermühen, womit uns das geistige Berganklimmen nach den Höhen des Wissens erfüllt. Ich sah umher nach wissenschaftlichen Gegenständen, und verfiel zuvörderst auf die Erlernung der Engländischen Sprache, wozu ich schon in der Kindheit Versuche gemacht hatte, einzig nur durch die Trägheit und das Ungeschick zweier successiv herbeigerufener Sprachmeister gehemmt. Jetzt erbot sich gefällig Professor Benzler in Bückeburg mir zum Lehrer, und das Werk begann. Zwar gleich im Anfang drohete es wiederum mit Stocken, nicht durch des Meisters Schuld, aber durch die des Schülers, dem bei seiner Entwöhnung von allem regelrechten Denken [190] die Anfangsgründe dergestalt ermüdend und abschmeckend vorkamen, daß er schon im Begriff stand, unter dem Vorwande von Dienstgeschäften sich mit höflichstem Danke zurückzuziehen. Da ging in ihm ein heilsamliches Erschrecken auf, und er empfand: »Was du als zwölfjähriger Knabe so nebenher lerntest zur Ergötzlichkeit und wohl schon weiter damit vorgeschritten warest, als jetzt beim Wiederbeginn, das willst du im Anfang deiner Zwanziger Lebensjahre bei Seit legen, vermeinend, es sei zu schwer für deine geistige Kraft? Mensch, was soll aus dir werden, wenn du fortfährst, also abzusterben von innen heraus!« – Und er nahm sich zusammen, und ließ nicht wiederum ab von der Bemühung, bis er zur staunenden Freude des Meisters in kurzer Zeit sonder Anstrengung einige der leichtern Werke: zum Beispiel den Vicar of Wakefield undThomsons Seasons, für sich ohne alle Beihülfe zu lesen vermochte. Daß er sich nachher dann selbst schon fürdergeholfen hat, versteht sich für Jeden, der wissenschaftliche Stimmungen und Richtungen kennt, von selbst.

Der Forschungsgeist des jungen Mannes wandte sich nun auch zu philosophischen Studien. Aufgemuntert durch literarisch gebildete Männer, die mehr und mehr ihn ihrer Aufmerksamkeit würdigten, und ihm gern Zutritt in ihre Kreise und zu ihren Gesprächen gönnten, wagte er sich sogar an Kant's Werke, mit dem minder Schwierigen beginnend, – dem damal erscheinendem: »Streit der Fakultäten,« – und nach und nach zu dem Schwierigern aufsteigend. Ob er das Dargebotene hinlänglich verstand? Das soll just nicht behauptet werden. Aber ein die Kräfte übendes, treu gewissenhaftes Ringen stieg doch jedenfalls daraus hervor, und die Grund- Anschauungen blieben ihm nicht fremd.

Eine eigne Plage bei'm Anschauen abstrakter Schriften entsprang ihm aus seiner früheren leichtsinnigen Art zu lesen, vereint mit einer, dem Dichter allerdings wohl an sich unerlaßlichen Phantasie-Fähigkeit, Worte in Bilder umzusetzen – gleichsam zu übersetzen, wenn man es also heißen will.

Das war ihm schon in seiner Kindheit begegnet vor Lehrsätzen oder Versen, die sein junger Verstand noch nicht nach ihrem rechten Sinne zu fassen vermogte, und die auch zugleich in seinem Herzen, wie bereitwillig stets es sich öffnete, keinen lebendigen[191] Nachklang weckten, ihrer allegorischen Künstelei wegen, und weil sie eben überhaupt allzuviel aus Redensarten bestanden. Nehmt mit einem kindischen Exempel dieser Art fürlieb. Die Sache läßt sich sonst nicht deutlich machen, und bei Bekenntnissen dieser Art kommt es hauptsächlich auf Deutlichkeit an.

Da hörte er oft in einem Liedchen, von André komponirt, an ein kleines Mägdlein gerichtet, die Worte singen:


»Und die Einfalt deiner Sitten,

Die dich jetzt zum Engel schmückt,

Ist dann nicht mehr wohlgelitten,

Wird durch Kunst und Zwang erstickt.


Drum, geliebte holde Kleine,

Freue dich noch ungestört,

Da von deinen Spielen keine

Strenger Wohlstand dir verwehrt.«


Die Melodie war ziemlich eben so leiernd, wenn gleich ohrenkitzelnd, als die versificirte Ermahnung zur Lustigkeit mit ihrer perspektivischen Modeansicht langweilig, und bei der schier endlosen Wiederholung suchte der etwa sechsjährige Knabe Trost und Schutz vor dem ihn ergreifenden Ueberdruß, indem er die Gestalten sichtbarlich agiren ließ. Jene: »Sitteneinfalt« erschien ihm als ein liebliches Hirtenmädchen, die ein Herr: »Zwang« und eine Madam: »Kunst« als meuchelmörderisches Ehepaar boshaftiglich realiter erstickten. Weil er aber in solchen Tableaux mouvants auch gern achtungswerthe Männer mit heraufrief, und hier Niemand übrig war, als Meister: »Wohlstand,« erschien dieser als ein zwar strenger, doch zugleich gutmüthiger Präceptor, der den Kindern nicht an's Leben wollte, also ihnen auch die Spielstunden nicht unnöthig verkürzte.

Just nicht in gleich kindischer Manier, aber doch eben so unabweislich bewegte sich mir späterhin in rein wissenschaftlichen Werken, mogten sie noch so tief gedacht und geistvoll dargestellt sein, phantastisches Geträum zwischen den Zeilen, und wandelte jedes bildliche Wort – wie z.B. »die Ehre gebietet«, oder: »das Gesetz wehrt ab«, u. dgl. sonst – in Erscheinungen um.

Erst sehr nach und nach und nur durch strenges Ringen ward ich frei von dieser Geistesplage, – oder doch mindestens [192] freier. Denn, redlich herausgesprochen: noch jetzt regt sich in mir bisweilen ein solch verdrießliches Kobold-Murren und Rasaunen, je verdrießlicher, je minder es zu Worte kommen darf.

Mache ein Pädagog aus diesem Winke, was er kann. Dem Uebel zu begegnen, ist und bleibt bei phantasiebegabten Kindern schwierig, doch eben deshalb der ernstlichsten Ueberlegung und Bemühung werth. –

Daß Fouqué bei seinen wissenschaftlichen Strebungen nicht eben in die Gefahr eines vorherrschenden Pedantismus gerathen mogte, läßt sich aus jenen weit anderseits Gefahr drohenden Gaukeleien ermessen. Jedenfalls aber hätte eine herrlich dort leuchtende Helden-Erscheinung ihm die Lust an Ritterwaffen und Ritterzier wach und frisch erhalten: Prinz Ludwig Ferdinand von Preußen. Die Heroengestalt, dem jungen Kriegsmann vor drei Jahren wundersam auftauchend erschienen unter den Nächten und Wettern des Feldzuges, zeigte sich nun in allem Glanze der Herrlichkeit bei Festen und Reigen, zumehrst auf einem anmuthigen Sammelpunkte der schönen Welt, einem glänzenden Badeort vergleichbar. In alten Tagen hatte dort ohne Zweifel ein Klausner unter den damal noch tief dunkel-einsamlichen Hainesschatten gewohnt. Daher die Benennung der: »Klause,« niederdeutsch: »Kluus,« die sich – seltsamer Gegensatz zu den glänzenden, keinesweges klausnerischen Versammlungen dort! – noch bis auf die heutige Stunde erhalten hat. Von allen Seiten der Weser-Armee strömten dorten Offiziere zusammen, und der leuchtendste Waffenschmuck war stillschweigend-anerkannte Bedingung dabei. Mehre Offizier-Damen waren in der nun ganz anerkannten Friedensruhe den Gatten und Vätern gefolgt, und edle Frauen der Umgegend verschönten ebenfalls den anmuthigen Kreis. In dessen Mitte strahlte Prinz Ludwig, stets, wie sich's denken läßt, umgeben von den ausgezeichnetsten unter den jugendlicheren Kriegsgenossen. An den sinnigen Hoffesten im Schlosse der Fürstin nahm er öfters Theil, auch an den theatralischen Darstellungen, ausgezeichnet hier, wie in Allem, was er unternahm.

Fouqué, von enthusiastischer Bewunderung ergriffen für ihn, hielt sich doch lange fern aus dem Kreise, der sich um ihn drängte. Der Prinz hatte ihn dennoch bemerkt, oder vielleicht just eben [193] deshalb, und sich sogar an jene allersrüheste Bekanntschaft in Berlin erinnert, wie es Kameraden dem Jüngling mittheilten, und ihn aufmunterten, sich dem Prinzen zu nähern. Fouqué erwiederte: »Wenn ein königlicher Prinz und General mir die Ehre erweisen will, mich in Seine Nähe zu ziehn, braucht es ja nur eines Winkes von ihm. Mich aber unberufen zu ihm zu drängen, bin ich zu demüthig, oder auch zu stolz, – vielleicht auch beides zugleich.«

Unlängst nachher redete Prinz Ludwig ihn von selbst an, und zwar so unbefangen freundlich, als seien sie Jahre lang in stetiger Bekanntschaft geblieben. Fouqué nahm es in gleichem Sinne ehrerbietig auf, und hatte sich seither bei jedem Zusammentreffen der Huld des Prinzen zu erfreuen.

Ja wohl: zu erfreuen. Hier ist das Wort völlig an seiner Stelle. So wenig der Jüngling sich dem jungen Helden hatte aufdringen wollen, so gehoben fühlte er sich nun durch dessen Beachtung, und stets machtvoller empfand er die eigenthümliche Gewalt, welche des Prinzen Geist auf andre Geister auszuüben pflegte. Oefters wohl hat er es näheren Freunden gestanden:

»Unwürdiges kann der Prinz Ludwig von Niemandem fodern. Aber Unbedachtes, Ueberkühnes, Ausgelassnes und Dergleichen, – wer weiß! Und ob ich ihm dann widerstehen würde? Kaum kann ich's denken. Und somit gilt er mir für meist unwiderstehlich.« –

Dazu kam noch die Ahnung in mir: »dieser stirbt einst des Schlachtentodes auf dem Bette der Ehren!« – just in den fröhlichsten Augenblicken am entschiedensten aufsteigend, um eine manch Anderm vielleicht unsichtbare Heldenglorie für das blühende Fürstenhaupt zu weben.

Auch daß es bekannt war, wie er sich in stilleren Stunden dem tieferen Studium der Musik hingab, wie dem der Strategie und sonst andren wissenschaftlichen Gegenständen, erhöhete meine Theilnahme für ihn, günstig rückwirkend auf meine eignen Bestrebungen in dieser Gattung. –

Eine viel andre Lockung drohete mir aus den fröhlichen Tagen der Kluus her zur Verlockung zu werden.

[194] Ein Emigrant seltsamlicher Art erschien plötzlich unter seinen Genossen, die aber sammt und sonders nicht von ihm zu wissen behaupteten, ja auf scheu mysteriose Weise sich mehrst völlig fern von ihm hielten. Er nannte sich Rolland, richtete sich als Weinhändler auf dem eleganten Kluuswirthshause ein, und gab sich als frühern Französischen Marineoffizier an. Auch wollte er als Ausgewanderter Ungrischer Husarenkadet gewesen sein, welches letztre seltsam klang, indem das Aussehen des braungelben, etwas blatternarbigen, breitschultrigen Mannes schon allzustark auf die Vierzig oder drüberfort hinwies, um ihn sich noch so vor weniger Zeit in der jugendlichen Stellung eines Husarenkadetten zu denken. Nach geschlossenem Frieden auch Oesterreicher Seits, sprach er, sei er nun zurückgetreten, und habe das Geschäft eines Weinhändlers begonnen, weil er von seinen angesehenen Verwandten nur durch Weinsendungen Unterstützung empfangen könne.

Auch das klang räthselhaft genug. Was jedoch kümmerte sich Fouqué darum! – Ihm eigentlich misfiel der düstre Mann. Aber sollen einmal Menschen zusammenkommen, geschieht's dennoch: so oder anders. –

Die wachsende Theilnahme für Frankreich, namentlich durch Buonaparte's Italische Siegeszüge, vielmehr Siegesflüge angeregt, nebst der schon angedeuteten Irrmeinung, Preußen und Frankreich seien eigentlich natürlich Verbündte, hatte bei der Weserarmee die Marseillerhymne in ausnehmenden Schwung gebracht. Nun hörte man sie gern bei uns durch Fouqué anstimmen, der auf nichts Kunstgerechtes dabei Anspruch machte, aber kräftig, wie er zu kommandiren wußte, aus freier Brust heraussang. Und die ihn dabei jedesmal ergreifende Begeisterung that ein Uebriges, nämlich das Beste.

In gewissem Sinne mag das von allem Gesange gelten; – auch selbst den kunstreichsten nicht ausgeschlossen. –

Nun erhob sich eines Tages in einem Bückeburger Gasthause wieder einmal unter einigen Offizieren jene Hymne, und Fouqué war Vorsänger. In einer Fensterbrüstung saß Rolland nachdenklich abgesondert nach seiner düstern Weise, das rabenschwarz-gehaarte Haupt in die aufgestützte Hand gelehnt. Vor den Klängen [195] des Liedes belebten seine Züge sich mehr und mehr, die kleinen dunkeln Augen begannen zu blitzen, wie ferne Gestirne durch mitternächtiges Dunkel. Er stimmte in den Chorklang leise mit ein, ganz leise zu Anfang, im Fortgang immer lauter, – es war wie ein aus kleinem Rinnsal entsprudelnder Quell, immer gewaltiger anschwellend und sich verbreitend im kühnerem Rauschen; – endlich sang er in gewaltigen Tönen voll schön männlicher Kraft alle Zeilen mit hindurch, und eine seltsame Freudigkeit strahlte über das nicht mehr trübe – man mögte sagen: »entfinsterte« – Antlitz.

Fouqué aber mogte wohl immer finstrer anzuschauen sein. Im Sinne ward es ihm so, und sobald der Gesang verhallet war, – dergleichen zu unterbrechen, ist ihm stets wie eine Gattung von Sünde vorgekommen, – trat er vor den Fremdling hin, in französischer Rede sprechend: »Ich bin erstaunt mein Herr, über ihre musikalische Begleitung, noch mehr aber darüber, daß sie sogar auch die Worte mitzusingen beliebten.« –

Wiederum legte sich das frühere Dunkel über Rollands Antlitz. Er stand auf, und sprach voll ruhiger Fassung:

»Ich hätte gemeint, dergleichen sei vergönnt in einem öffentlichen Gastzimmer, mir eben so zugänglich, als andern. Hab' ich indeß dadurch wider das hier Gebräuchliche verstoßen, so bitte ich, mich zu entschuldigen.«

»Es war nicht das;« entgegnete Fouqué. »Meine Verwunderung entstand nur daher, daß eben Sie als Emigrant in diesen begeisternden Hymnus mit einstimmten, Sie, der Sie Ihr nach Freiheit ringendes Vaterland nicht nur verlassen haben, sondern auch dawider angekämpft als Oesterreichischer Husar.«

Rolland zuckte die Achseln und sagte: »Man fühlt oft anders, als uns zu handeln vergönnt ist. Keinenfalls jedoch werde ich wieder in Ihre Lieder einstimmen.« Damit sank er in seine düstre Stellung zurück, und Fouqué ging zu seinen Kameraden.

Aber wie ein Pfeil saß es ihm in der Brust: er hatte einen unbeschützten, ganz einsam stehenden Fremdling unfreundlich behandelt, und mit völlig unbefugten Vorhaltungen ihm einen Lichtblick verstört und verscheucht, der einmal für sein schwer umdüstertes Leben aufgegangen war. Nach einer Weile trat er[196] rasch wieder zu Rolland hin, ihm seine Reue aussprechend, mit angebotener Wahl, ob er dies Wort vor allen Anwesenden feierlich wiederholen solle, oder ob der Gekränkte Genugthuung mit den Waffen begehre. Rolland wies beides mit männlichem Ernste zurück, erklärend, des jungen Kriegsmannes Worte seien keinesweges so beleidigender Art, um einer dergestalt ersten Palinodie zu bedürfen. Zudem sei ihm, bei der Neuheit seines Erscheines hier, jedes Aufsehen unerwünscht. So war denn die Sache mit einem freundlichen Hand in Handlegen beiderseits abgemacht, das ohnehin den Anwesenden kund gab, wie die Sache stehe, und das Wohlgefallen an der jugendlichen Offenheit seines früheren Gegners rief abermal ein streifendes Sonnenlicht über die Zuge Rollands. –

Seit dieser Stunde rückten die beiden Menschen einander immer näher. Auch sah sich Rolland durch seinen jungen Freund nun vertraulicher in dessen waffenbrüderliche Kreise eingeführt, und manch ein frisches Französisches Kriegslied, auch wohl ein Liebeslied mitunter, klang aus Rollands Seele, in die der jungen Preußen herein, während Fouqué unverholen seinen Enthusiasmus für Buonaparte aussprach, den damals im reinen Sonnenglanze des Ruhmes nach den zwei ersten Italischen Feldzügen leuchtenden Heldenjüngling. »Wer gewürdigt wäre, unter Dem zu kämpfen!« rief Fouqué oftmal feurig aus. Da sprach einstmal in vertraulich einsamer Stunde Rolland mit ernstem Lächeln: »das hängt ja nur von Ihnen ab. Mein Bruder ist einer der Adjutanten in Buonapartes Gefolge, und verhilft mir hoffentlich bald zur Heimkehr nach Frankreich und zu ehrsam kriegrischer Anstellung dorten, sammt völliger Vergessenheit meiner Auswanderungsfahrt. Bin ich erst so weit, so führ ich Sie mit. Wollen Sie nur kräftig das Große selbst.«

Staunend und forschend sah ihn Fouqué an. In seiner, dem Mistrauen sonst von Natur Gott-Lob gar fremden Seele stiegen finstre Gebilde auf, ihn mahmend an manch ein schon obangedeutetes Gemunkel über Rolland, zunächst von den andern Ausgewanderten begonnen, als sei er ein heimlicher Agent der Republikanisch-Französischen Regierung unter der Larve eines Emigranten, und sein Weinhändlergeschäft aus der Kluus nur ein schlau angelegtes Nest, um von dort aus den Zustand der [197] Preußischen Weserarmee zu erkunden und deren Stimmung, zu ergründen, vornehmlich die der Offiziere.

Dafür wäre allerdings der Vergnügungsort der Kluus gutgewählt gewesen, durchtönt und durchleuchtet von Allem, was Geister aus der alltäglichen Zurückgezogenheit rasch heraufzubeschwören vermag, auch die Goldhaufen des grünen Pharaotisches nicht ausgeschlossen. Durch solche Gedanken plötzlich für den Moment umdüstert, erwiderte ich kalt abweisend:

»Ich bin ein Preuße!«

Rolland aber verwies mich auf jene sogenannt natürliche Verbindung zwischen Frankreich und Preußen, hob mir die zuversichtliche Hoffnung auf den Wiedergewinn der Besitzungen meines vertriebnen Aeltervaters hervor, und setzte hinzu, ohne Zweifel werde der König von Preußen als Alliirter der Republik mir gern die Erlaubniß zu einem solchen Uebertritt ertheilen, da es doch einerlei sei, ob ich im Preußischen Kürassierkollet, oder in irgend einer französischen Uniform für die gemeinsame Sache kämpfe. Auch mein Vater werde gern in einen Schritt willigen, der unsrer gesammten Familie den früheren rechtmäßigen Glanz wiedergewinne, ja wohl noch erhöhe. –

Von einem seeligen Taumel fühlte sich der Jüngling ergriffen, und als ihn Rolland auffoderte, seine Bedingungen näher anzugeben, die man, wenn irgend billig, gewiß erfüllen werde, da man Preußische Reiteroffiziere für das Französische Heer gern gewinnen möge, begehrte Fouqué für sich, um bald zu tüchtiger Wirksamkeit vorzuschreiten, die Stellung eines Jägerrittmeisters – die Chasseurs a Cheval hatte er im Rheinkriege zumehrst sich gegenübergesehn – mit einstweiliger Anstellung im Gefolge des General Buonaparte. Rolland fand die Gewährung leicht.

Wunderbare Träume erfüllen, von dieser Stunde an, die Seele des jungen Kriegers. Er sahe sich schon im Gefolge des Siegers von Lodi und Arcole rühmlichen Gefahren entgegenfliegen, dann wohl eines Heldentodes sterben, durch einen anerkennenden Blick Napoleons überreich belohnt, oder auch als Sieger wiederum nach errungenem Frieden die Preußische Heimath besuchen, von allen Lieben und Waffenbrüdern freudigstaunend [198] empfangen. Denn, daß ihm in zwischen eine Anzahl allbekannter Kriegsthaten gelungen sein mußten, lag natürlicherweise außer allem Zweifel.

Als Hauptgestalt jener Visionen allzumal prangte, wie sich's versteht, Napoleon Buonaparte, welchen die jugendliche Phantasie sich nach dem Typus des Prinzen Ludwig Ferdinand formte. Ein blühender Held mußte gewiß auch jener sein, an edler Waffenpracht und anmuthiger Sitte reich, eine Achilleïsche Erscheinung, Freunden als ein Freudengestirn leuchtend, Feinden als ein verblendender, aber selbst auch ihnen herrlicher Blitz. Und was noch das Bild vor dem Prinzen voraus hatte, war die republikanische Gleichheit, dem Feldherrn eine völlig uneingeschränkte Waffenbrüderlichkeit verstattend, sobald man nicht unter dem Gewehr stand. Namentlich im Kreise seiner Adjutanten sah er den General ganz als Freund, Gedanken mit Gedanken vertraulich austauschend, Seele an Seele voll der edelsten Begeisterung zündend. –

O mir! Welch ein Erwachen wäre das geworden, dem wirklichen Buonaparte und seiner Umgebung gegenüber! 12

Der Jüngling ward behütet vor einem also herben Geschick. Durch die Liebe ward er behütet.

Als nun endlich Rolland in seinen Entwürfen weit genug vorgerückt war, um jetzt öffentlich als Französischer Infanterie-Capitain zu erscheinen, und den jungen Freund aufforderte, baldmöglichst seinen Abschied zu nehmen, um ihm auf den ersten Wink folgen zu können, hielt diesen das immer fester seither sich windende Band seeliger Liebe zurück, und er blieb ein Preuße, – Gott Lob! – Rolland zwar wollte ihm spätere Reue weissagen, das Idyllische dem Heroischen vorgezogen zu haben, und es finden sich in Fouqué's späteren Liedern wohl dergleichen Stimmungen angeklungen. Aber wie sind die endlich ganz verhallet vor dem großen Erwachen Deutschlands zur Vertheidigung des Glaubens, der Treue, der Ehre! Auch die edle deutsche [199] Muttersprache mahnte ihn liebreich ernst zurück von Allem, was ihn ihr hätte zu entfremden vermogt. Entfremdet ja hätte es ihn zugleich von seiner Muse. Davon ging ihm bereits in Mitten jener Traumzeit eine Ahnung auf.

Zwischen seinen Siegsgesichten nehmlich von Napoleonischen Schlachten regte sich in ihm auch das Begehr, Französische Kriegslieder zu dichten. Aber wie frisch und rüstig auch die von Rolland erlernten ihm aus der Seele über die Lippen quollen: mit den eignen wollte es nicht fort. Es lag nicht an der Sprachschwierigkeit; er redete dazumal das Französische ziemlich eben so fertig, als das Deutsche. Sobald er aber in jener zu dichten begann, rann es ihm wie halbgeschmolznes Eis durch die Adern, selbst seine bis dahin lebendigsten Phantasiegebilde verblaßten und schwanden, – er fühlte es, die Muse wandte sich ab. Wenn er jedoch sich wiederum zu den lieben deutschen Lauten wandte, kam auch sie wiederum ihm freundlich grüßend entgegen. Er füllte die hölzernen Fenster-Brüstungen seiner Bauernstube mit eingegrabnen Reimen und Sprüchen, die vielleicht noch heut zu Tag dorten sichtbar sein mögten, wenn Jemand sich die Mühe gäbe, drauf zu achten. Auch unter die Kupferstiche seiner damaligen Französischen Helden, womit er seine Wände auszierte, schrieb er Distichen, von welchen eins für Pichegru mir noch erinnerlich ist. Der Schmerz hatte es ihm diktirt, als er vernahm, der sonst von ihm so bewunderte Held habe sich zum Verräther misgestaltet. Also hieß es:


»Besser wär' es Dir wohl, im rühmlichen Staube zu liegen,

Groß durch kriegrischen Ruhm, größer durch Vaterland's Dank,

Als den Lorbeer des Sieg's, von Helden in's Haar Dir gewunden,

Schuldig niedern Verrath's, schmählich welken zu sehn.«


Am Beschluß dieser Versuchungsperiode noch ein Blick zurück, Rolland, nach dir, außen kalt verschlossener, innen glühender Mensch! –

Was er unter seiner wunderlichen Räthselhaftigkeit auch barg, für wahr; er rang und meinte, stets das Rechte zu thun, und auch mit seinem jungen Freunde hatte er's gewiß redlich und liebevoll im Sinn. Daß er unter Buonaparte mit nach [200] Aegypten geschifft sei, ward mir für gewiß gesagt, auch daß er dort unter den Säbelklingen der Mamelucken ehrbar gefallen sei.


Wenn somit vor Fouqué's Geistesaugen der Vorhang einer ihm seltsamlich aufgegangen Zukunftsperiode wiederum verhüllend für immer niedersank, dämmerte eine früheste Erinnerung bald nachher, als anmuthiges Räthsel vorüberschwebend, ihm auf. –

Es war auf einer, sein Herz mit den süßesten Hoffnungen belebenden Urlaubsreise, daß er nach mühsamwinterlichem Tagesritte durch abscheuliche Wege eines Spätabends in der Stadt Hildesheim ankam.

An der wenig besetzten Wirthstafel kam der ermüdete Rittersmann einem freundlichen Manne gegenüber zu sitzen, an dessen Seite seine Ehegattin: Pfarrer und Pfarrfrau vom Lande, wie sich's vermuthen ließ, und bald aus einigen zufälligen Aeußerungen deutlich kundgab. Der junge Soldat, nach seiner ihm angebornen offnen Weise und just noch auf dieser mühvollen Fahrt überaus heiter gestimmt, ließ sich bald mit den Beiden in ein Gespräch ein, eben, wie sich's denken läßt, nicht gar tiefen, aber doch gefällig anziehenden Gehaltes. Vorzüglich die beiden Männer besprachen sich voll stets inniger gefühlter Theilnahme mitsammen. Nach und nach begann die Frau, ihren Ehemann freundlich, aber mit wachsender Dringlichkeit zu mahnen zum Aufbruch für die tiefer hereindunkelnde Nacht, im heftig aufsteigendem Sturm- und Schlackerwetter, nach ihrer doch nicht ganz nahe geleg'nen Heimath. Auch der Kriegsmann sah die Nothwendigkeit ein des früheren Schlafes für den zu Morgen bevorstehenden raschen und weiten Ritt. Aber immer und immer wiederum fiel irgend ein trauliches Wort zwischen Pfarrherrn und Ritter, das auf's Neue sie aneinander knüpfte zum fürdern Gespräch. Es war so etwas – um einmal gelehrt zu sprechen – von prästabilirter Harmonie dabei. Fouqué sahe freundlich liebe Züge vor sich, die er schon vor langer lieber Zeit – man mögte sprechen: uralter, wäre nicht der junge Soldat zu jung dafür gewesen – erblickt hatte. Den Pfarrer schien ein ähnliches Gefühl ergriffen zu haben. Und doch brachte Keiner [201] von Beiden das Wort über die Lippen: »Wie heißest du, Genoß?« Es schien überflüssig, also auch zudringlich, also auch vom Uebel. –

Sie schieden in herzlicher fast wehmüthiger Freundlichkeit von einander. –

Wer der Pfarrherr war, mag sich späterhin – ich denke: in wohl noch weit mehr, denn Muthmaaßlichkeit, – ergeben, und der Leser, welcher es der Mühe werth hielt, Fritzens Knaben-Erinnerungen im Sinn zu behalten, merkt es vielleicht schon jetzt.


Eines Morgens in der Frühe trat der älteste Unteroffizier von Fouqué's Detachement eilig ins Gemach mit den Worten: »Die Schwadron soll sich rasch sammeln, Herr Lieutenant, auf der Aue vor Bückeburg. Die Packen werden mitgenommen.« – Vom Warum war nichts gesagt. Fouqué meinte in seinem kriegträumendem Sinne, die Franzosen mögten irgendwo die Demarcations-Linie gewaltsam überschritten haben, und es gelte nun, sie wieder zurück zu werfen. »Auch gut!« dachte er bei sich. »Und nun sehr gut, daß ich von meinem Rolland völlig abließ und von Frankreich. Das also war die gerühmte Bundesfreundschaft der Republik zu Preußen? Wohlan! drauf und dran!« –

Das Gefühl in sich war ganz richtig, nur mehr in prophetischer Art, als für den nächsten Augenblick.

Denn für jetzt galt es noch keinen Krieg, sondern den Treueid an Friedrich Wilhelm den Dritten, da Friedrich Wilhelm der Zweite in die Gruft seiner Väter hinabgestiegen war.

Frisch, wie die helle Morgenfrühe, war das Gefühl der Schwörenden für ihren jugendlichen König, wie denn wohl überhaupt nur selten ein neuer Herrscher mit so freudigen und heitern Erwartungen von einem Volke begrüßt worden ist, als eben dieser. Von den furchtbaren Prüfungsloosen, die das noch jetzt so heiter leuchtende Geschick in den wolkigen Falten der Zukunft verborgen hielt, ahnte wohl damal noch Niemand das Mindeste. Sahe die Zeit auch allerdings gar ernsthaft aus, so [202] ließ uns doch das Vertrauen auf unsern gleichfalls ernsten, aber muthig frommen, vom reinsten Willen beseelten jugendkräftigen Herrscher mit Zuversicht hoffen, auch den bedrohlichsten Ereignissen sieghaft zu begegnen. Sein milder Sinn war auf Ruh' und Frieden gestellt. Das wußten wir Alle. Aber nur edle Ruhe galt es und edlen Frieden. Trat da eine Verletzung ein, so war gewiß unser ritterlicher König zum Kampf bereit, – genug, um uns jugendlich kriegslustiges Volk auch für den vielleicht nahen Schwung unsrer Schwerdter mit den freudigsten Hoffnungen zu beleben. Wie dem jungen Degen, dessen Lebenslauf wir betrachten, dabei insbesondre zu Sinne war, – es ermißt sich leicht aus einem Rückblick auf seine Kinderjahre, so vielfach in ritterlichen Spielen mit dem nun thronbesteigendem Herrscher verlebt.

Solche und ähnliche Gefühle belebten sich allwärts um so frischer, da unser König, unlängst nach seinem Regierungs-Antritt, die Weser-Armee mit seinem Besuche beehrte, seine holdseelige Gemahlin Luise in seinem Geleit, und wir auf der Petershagener Haide ein großes Lager bezogen, welchem anhaltende Regengüsse, auf die öde Gegend herabströmend, nichts von Ermattung, minder noch von Verdrossenheit anzuhaben vermogten. Endlich als König und Königin erschienen, – ritterliche Herrlichkeit mit leuchtender Frauenhuld im Bunde, – verzog sich das trübe Wetter, und ein strahlender Himmel sah auf unsre Kriegsübungen vor den zwei erhabnen Erscheinungen herab. –


Eine seltsamlich-ernste Ahnungserfüllung trat um diese Zeit in Fouqué's eigenstes Leben herein.

Als wir ausrückten, um das Uebungs- und Fest-Lager zu beziehen, sprach zu ihm ein Kamerad – ein hoher, schöner Jüngling, Deutscher von Abstammung und Namen, Ostindier von Geburt, Engländer nach seiner frühesten Erziehung, (William Freiherr von Danckelmann hieß er), sanft und geduldig im gewöhnlichen Lebenslauf, Einmal gereizt aber in Löwenzorn auflodernd, – »Bruder«, sprach er mit ernstem Lächeln, »uns Beiden steht etwas bevor.« – »Ja freilich«, erwiederte Fouqué lachend, »Uebungstage stehn uns bevor, wo man ausgescholten [203] werden kann, umgeritten, in Arrest geschickt, stürzen mit dem Pferde, – wohl gar, was aber Gott verhüten wolle, weil es allzuschmälig ist, vom Pferde fallen, – getroffen werden vom Propfen eines ungeschickt losgebrannten Kanons, im Gesicht pulververbrannt durch ein zu nah abgeschossenes Gewehr, und ähnliche Fatalien, uns theilweis auch schon selbst vorgekommen. So was aber kann Einem so ziemlich bei jeglichem Exerzieren oder doch Manoeuvriren begegnen. Warum eben diesmal mehr, als sonst? Und warum just uns Beiden?« –

Der Freund sah ihn sehr ernst an, und sagte: »Spotte nicht, Bruder. Einen Zweikampf gilt es Dir und mir.«

»Was giebt es der Art zwischen uns?« fragte der Andre, nun ebenfalls ernsthafter werdend.

»Nichts, davon ich bis jetzt noch weiß«; hieß die Antwort. »Mein Ehrenwort darauf. Aber Du kennst meinen Glauben an Träume, und von frühester Kindheit her, schon an den Ufern des Ganges, hab' ich ihn bestätigt gefunden. Merk: ich sahe Dich bluten an der linken Seite durch meine Hand, stark bluten, – und die Fürstin war nicht fern.«

»Nun«, – entgegnete Fouqué wiederum lachend, – »die liebe Dame würden wir doch keinesfalls zur Sekundantin berufen!« Und Danckelmann lachte mit, und Alles schien vorbei. Es schien.

Bald nach jener Heerschau geschah es, daß zwischen den Beiden über eine ihnen äußerlich ganz fremde Zweikampf-Sache Ansichten, einander völlig entgegengesetzt, scharf hervortraten. Im Gespräch darüber – es erhub sich in einem Seiten-Gemach des Fürstlichen Schlosses, und also ganz leise – sprang über Danckelmann's Lippen ein Wort, das Fouqué mit der Reinheit seiner Ehre unverträglich fand. Der Zweikampf auf den Degen war alsbald verabredet, und nun ging das Gespräch seines ernsten Ganges ruhig fürder, an dessen Schluß Danckelmann sagte: »Bruder, ich habe Dich misverstanden, und mein Ausdruck vorhin war ein übereilter und also nichtig. Bist du zufrieden mit dieser Erklärung?« »Als Dein Freund: Ja!« entgegnete Fouqué. »Als Edelmann und Offizier: Nein. Laß Blut fließen und den Flecken fortwaschen, der sonst auf meiner [204] Ehre haften und rosten könnte.« – »Du hast Recht, Bruder!« sagte Danckelmann, und auch der begütigende Zuspruch zweier zu Kampfzeugen erwählten Waffenbrüder vermochte das einmal beschlossene nicht wieder zu wenden. Und dem war gut so, denn ohne es ahnen zu können, waren die feindlichen Freunde belauscht worden, und zwar von Uebelwollenden, die ohne Zweifel nur allzugern irgend Nachtheiliges von Preußischen Offizieren aufgefaßt und im dunkeln Klatschgemunkel weitergefördert hätten. Jetzt ward alles frank und frisch abgemacht. Gleich nach beendetem Hofkonzert und sogenannter Assemblee gingen Danckelmann und Fouqué in die Reitbahn der Hofburg, wo der große Graf Wilhelm von Bückeburg so oftmal edle Reiterkünste geübt hatte, auch vor den Augen der Damen, – Zeuge deß eine für sie mit vergoldetem Geländer zierlich eingerichtete Bühne in der Höhe, – und waren des bedeutsamen Turnierplatzes froh. Sie standen heiter plaudernd am Eingange, während die im hellen Sommerabendlicht aus der Burg heimwandelnden Damen und Männer an ihnen vorübergingen, und warteten, bis der freundlich begrüßte Zug vorüber war, damit nicht etwa das Klingengeklirr verrathe, man sei diesmal nicht zum Rossebändigen hier, sondern zu weit ernsterem Schaffen. Als eine etwas unschöne Dame vorüber ging, stets mehr suchend als gesucht beim Reigen der Hofbälle, sprach Fouqué leise zu seinem Genossen: »Was meinst Du, sollen wir sie auf den Balkon in die Bahn laden als Kampfrichterin, den Sieger lohnend mit einem zarten Kuß?« – »Nein, Bruder, mit nichten!« – entgegnete Danckelmann lachend, – »Du kommst sonst in Gefahr, zum Mörder an mir zu werden. Aus Angst vor dem Preise mögt' ich vielleicht blindlings in Deine Klinge laufen.« – Dann schritten wir in die Bahn, und die Thür schloß sich hinter uns. Noch eine brüderliche Umarmung, kund gebend: was nun auch komme, es kommt in Liebe, los von allem Zorn und Haß! Und die Klingen kreuzten sich. Ein kurzes heftiges Gefecht, und Fouqué blutete aus zwei tiefen Armwunden. Danckelmann war mit einem Hiebe in den glücklicherweise neu eleganten Hut davon gekommen, abwehrend die Schneide, die bis dicht auf den Kopf gedrungen war, und somit blieb ein tragischer Ausgang verhütet. Die nicht mehr feindlichen Freunde lagen einander in [205] den Armen, und der Friede war geschlossen, unverbrüchlich fortan für ein ganzes Erdenleben und drüber hinaus Gott-Lob! wie es der Schreiber dieser Zeilen empfindet in einem seeligen Gefühl, während sein Genoß ihm schon seit Jahren vorausgegangen ist in die friedliche Ewigkeit. Als wir uns späterher nach einer etwa zwanzigjährigen inzwischen eingetretenen Trennung, wiedersahen, schon nah am Halbjahrhundert unsres Lebens, wurden die Armwunden Fouqués nicht vergessen, und beide Freunde waren erfreut, daß die Denkzeichen sich so gut erhalten hatten. –

Wie nun, gleich nach ausgefochtnem Kampfe, die Beiden so einander friedlich gegenüberstanden, während Fouqués Wunden verbunden wurden, sprach Danckelmann: »Bruder, was sagst Du nun zu meinem Traum? Da blutest Du ja nun, mir gegenüber, auf der linken Seite!« Denn auch der linke Arm, und vorzüglich Der war im verwilderten Hin- und Herhauen getroffen. »Wo bleibt aber die Fürstin?« fragte lächelnd der Verwundete. »Nun, wir waren vorhin und sind ja immer doch in ihrer Nähe;« erwiederte Danckelmann. Und als späterhin Fouqué sich wiederum genesen vor der Fürstin zeigte, sprach die gütige Frau scherzend: »Wissen Sie wohl, daß die beiden Herren Kämpfer mir nach alter guter Sitte schwer verfallen sind? Sie haben den Burgfrieden verletzt, denn die Reitbahn liegt noch mitten im Burgbann, wo jedes Gefecht mit scharfen Waffen streng verboten ist.« Und somit denn trat die Nähe der Fürstin aus jenem Traumgesichte wiederum seltsamlich genug hervor.


Bald nach diesem blutigen Ritterstücklein ging das heitre Leben in und um Bückeburg für uns zu Ende. Wir wurden beordert, in das Hildesheimische zurück zu gehn. Der verwundete Fouqué erhielt vom Regiment noch einigen Nachurlaub bis zum Antritt eines längern Königlichen Urlaubs, der ihm in die Heimath Bahn gab, um die Erbschaft seines Vaters in Empfang zu nehmen und zu ordnen. Ja wohl: die Erbschaft seines Vaters! Ein schwerwiegendes Wort. –

Daß der ehrwürdige Greis mehr und mehr den letzten Pforten sich nahe, war schon durch einige Briefe angedeutet worden. Es kam auf den entscheidenden an. Blieb der aus, so blieb [206] noch Hoffnung. Fouqué schickte eines Abends bei der Heimkehr von unvermeidlichem Besuch hin, um die Entscheidung zu erfahren. »Kein Brief!« hieß die Antwort. Da begann die arme junge Seele wiederum hoffend aufzuathmen. Es ward zu einem Buch gegriffen, das eigenthümlich heitre Unterhaltung verhieß. Der Lesende fühlte sich anmuthig ergriffen. Es war einer jener behaglichen Augenblicke, wo man sich so recht ungestört einem harmlosen Genusse hingiebt, im Bewußtsein, für die nächsten Momente falle nichts eben Schmerzliches herein. Armes, blindes Ding, das Mensch geheißen ist! – Gleich darauf öffnete sich die Thür, und eine gleichgültige Stimme sagte:

»Ach ja, es hat sich dennoch ein Brief an Sie gefunden, und ein schwarzgesiegelter zwar.« –

Ach ja, es war die Kunde von meines Vaters Tod. – Wie doch der Weltlauf seine Dornen oftmal so recht schmerzlich zu spitzen und einzubohren weiß! –

Was meine Thränen am anmuthigsten begleitete, waren Hölty's Verse, die mir eben dazumal, wie berufen von höherer Gewalt, auftauchten, und wozu mir mannigfache Melodieen beschieden wurden:


»Seelig Alle, die im Herrn entschliefen,

Seelig, Vater, seelig bist auch Du.

Engel brachten Dir den Kranz und riefen,

Und Du gingst zu Gottes Ruh!«


Und nun noch einen Scheideblick auf Bückeburg hin, und auf seine anmuthigen Umgebungen! Auf die von mir im Geiste liebtreu bewahrten und mannigfach festgehalten in meinen späteren Dichtungen; namentlich in den Kunden von Welleda und Ganna für den Altsächsischen Bildersaal. – Du hainumschatteter Harlberg mit deinen mächtigen Steinbrüchen, von der einen Seite führend nach dem Eilsener Heilquell, von der andern nach dem edlen Fürstenschloß, wohin meine Muse den Heerd des getreuen Wehrfesters Witholf für uralte Tage später verlegt hat! Und du, heitre Bauerschaft, Röcke, die Dichtung nannte dich nachher den Röckabusch, in deren Buchenschatten ich so manchen [207] ahnungstiefen Seufzer verhauchte, so manche jubelvolle Stunde verlebte, so manchen Sturm der Leidenschaft zu bekämpfen hatte! –

Denn nicht stets in idyllischer Milde vergingen mir die Tage dort. Dazu war ich zu jung, zu glühend, zu unbedacht, zu sündig. Die Kluusbank mit ihrem verlockenden Golde auf grünem Teppich hatte Theil daran, aber doch nicht wesentlichen. Denn eine höhere Fügung bewahrte mich vor allem Spielerglück. Mit Ausnahme von drei bis höchstens vier günstigen Erfolgen verlor ich fort und fort mein Geld, und büßte dann meinen Leichtsinn im nächtigen Schlaf, wo mich ein Traumgeneck mächtige Summen gewinnen ließ. Erwachend alsdann faßte der noch immer Getäuschte nach der unter seinem Kopfkissen liegenden Börse, sich des Goldes darin zu erfreuen, – ach, und sie war leer, bis auf einige Batzen etwa, die nicht des Vorzuges theilhaftig geworden waren, auf dem grünen Tische mit erscheinen zu dürfen. –

Wohl empfand er alsdann das Komische der Situation, aber auch zugleich das Pressende derselben, und nicht wenig trugen diese Koboldsträume dazu bei, ihm eine solche Gattung von Wagnissen zu verleiden. Für eine fortgesetzte Spielerlaufbahn war er ohnehin durch sein ganzes raschbewegliches Weben, Leben und Sein verdorben, Gottlob! und seine Verluste waren nie beträchtlich genug, um sein äußeres Glück wesentlich zu untergraben. Das Schlimmste dabei war: in allerhand Geldverlegenheiten gerathend, – nie doch, Gott sei Dank! in erniedrigende – sahe er wohl ein, nur durch den Beistand seines dazumal noch Jahrelang lebenden, liebevollen Vaters könne er sich heraus ziehen, aber er scheuete den Brief, der dazu führen sollte, wie die Pest, und doch wagte er nicht, irgend was Andres zu schreiben, als eben diesen unerlaßlichen Brief. Drum schrieb er, durch eine lange, innen-trübe, außen lustigthuende Zeit hin, wiederum einmal gar nichts, und scheuete sich auch vor seinem Quartier, weil die stillen Wände ihn zu mahnen schienen: »Ans Werk!« Wer weiß, wohin Das furchtbarlich auf die Dauer hätte führen mögen. Ein edler, geistbegabter Waffenbruder sah es durch, und schrieb an Fouqué's Stelle nach dessen Familie, worin er übrigens völlig unbekannt war. Gott lohne es ihm noch in der [208] Ewigkeit, in die er bereits eingegangen ist 13. Durch diesen freundlich raschen Schnitt in die Wunde ward Alles leicht und günstig beseitigt, und eine heilsame Stille in des Jünglings Treiben und Gemüth wiederhergestellt, – so weit nehmlich das auf dessen damaliger Bildungsstaffel überhaupt möglich war.

Eine höchst ernste Anschauung sandte Gott auch um selbige Zeit in die oftmal überschwindelnde Seele.

Ein Rittmeister des Regiments, rüstig an Leib und Geist, tüchtig und kraftvoll im Kriegsdienst, aber einem ausgelassenen Wandel ergeben, übrigens dem jungen Manne sehr günstig und lieb, war plötzlich vom Schlagfluß getroffen, und starb unmittelbar darauf. Fouqué ritt hin, seinem Begräbniß beizuwohnen. Da lag der noch jüngst frische Kriegsmann im Sarge vor ihm, das Antlitz kohlschwarz, wie das eines Dämons, und auch eben so wildzornig verzerrt, als in vergeblich toller Widersetzung gegen eine höhere, gegen die allerhöchste Macht. Alle Schrecken eines ungeläuterten Sterbens ergriffen des Jünglings Seele, und oftmal seither ward es ihm zu Nacht im Traum, auch bisweilen im Wachen, als wolle der verfinsterte Mann ihn besuchen, und ihm klagen sein jenseitig furchtbares Leid.

Es mogte ihm heilsam, ja unerlaßlich sein, denn seine rasche, just weil wehmüthig weiche, auch kühnfliegende Sinnesweise hatte nur allzu oft mit den Schrecken des Todes willkürlich gespielt, wähnend, selbst denen dürfe ein muthiger Kriegsmann trotzig herausfordernd begegnen. Da mogte nur irgend ein Seelenschmerz hereinbrechen, oder blos hereinzubrechen drohen, so hieß die freche Antwort: »Was mir allzuschwer zu tragen fällt, schüttl' ich ab. Niemand kann mich zwingen, in einer Welt annoch zu hausen und zu weilen, die mir Unwürdiges bietet oder Herzzerreißendes. Ich gehe. Jenseits wird mir die ewige Huld schon ein Geschick bereiten, das ich zu tragen und zu ertragen vermag. Muthmaaßlich aber geht es überhaupt von Stern zu Stern, und somit von Erhebung zu Erhebung, jegliches neu beginnende Leben ein vollkommneres, und auf dieser leuchtenden [209] Stufenleiter einer maaßlosen Herrlichkeit entgegen.« – Doch waren es eben nicht äußere Störungen, die ihn solcher Art in selbstmörderisches Geträum zu drängen oder zu locken vermogten. Für dergleichen Widerwärtigkeiten fühlte er sich schon rüstig genug zum Bahnbrechen hienieden. Wo aber sein Herz innerlich zu bluten begann vor Verletzungen – meist immer nur gewähnten – treuer Liebeshuld, winkte ihm oftmal die Parze: »Komm!« und es verkleidete sich ihm dann der wüste Frevel in süß elegische Wehmuthslust. Ja, eines Abends, wo er in also getrübter Stimmung nach seiner Kantonnirung heimgesprengt kam, wäre ohne Zweifel die Tollmannsthat geschehen, hätte nicht sein alter Reitknecht auf das Gebot: »Lade zu Morgen früh die Pistolen. Ich will nach dem Ziel schießen!« erwiedert: »Es sind keine Kugeln vorräthig, und auch kein Blei im Haus, um neue zu gießen. Auch nicht einmal Schießpulver ist vorhanden.« Heftig fuhr der Jüngling los, was das für eine Unordnung sei im Quartier eines Cavallerie-Offiziers. Der treue Bursch trug es ruhig und stumm, sei es nun, daß er sich wirklich nachlässig fühlte, sei es daß ihm seines Lieutenants düstres Wesen unheimlich vorkam, und er es für pflichtmäßig hielt, die gefahrdrohenden Waffen zu verläugnen. Ich vermuthe das Letztere, und danke dem wohl nun schon zur Ewigkeit im hohen Alter mir vorangegangnem Getreuen. Bevor noch am folgenden Tage das wiederholt Begehrte herbeigeschafft werden konnte, war das Misverständniß, woraus der wilde Entschluß aufgestiegen war, in Lieb' und Milde aufgelöst. Welch ein fürchterliches Ding wäre dem ungestüm Bethörten das Erwachen gewesen Jenseits! – Und jene furchtbare Leichengestaltung trat nun auch seither oftmal streng warnend dazwischen, wenn wiederum ähnliche Versuchungen herandrangen. –

Aber nicht also vom Reigen schauerlicher Gebilde umwogt will ich scheiden von Euch, Ihr doch mehrst heitern Jahre in und um Bückeburg. Grüßen will ich hinüber nach Euch im Lichte manch holder Erscheinung, die mir dorten aufgestiegen ist, und mir unvergeßlich vor der Seele schwebt, während auch ich wohl unvergessen bin manch edlem Gemüth, das annoch lebt und webt im irdischen Reigen aus jenen Zeiten herüber. Von Manchen seither vernahm ich's durch heitre Grüße, von Andren ahn' ich [210] es zuversichtlich. Und Ihr, die Ihr inzwischen mir vorangeschwebt seid in die ewige Welt, vielleicht umhaucht Ihr mich in dieser ernsten Stunde liebseeliger Erinnerungen mit dem Gruße der Weihe: »Komm uns als ein Geseegneter nach, Du Alter, Getreuer, in das Reich der ewigen Jugend! Es ist gut sein, hier Oben im Licht.«


Einige Monate zunächst verlebte Fouqué auf Urlaub an seinem heimathlichen Heerde, wo sich auf seine Einladung der rückgekehrte Hülsen angesiedelt hatte, verehlicht mit einer Muhme seines jungen Freundes, und eine Erziehungsanstalt für drei Knaben unterhaltend. Es gab eine ganz friedlich anmuthige Zeit, in welcher Fouqué es untemahm, sich philosophischen Studien zu nähern, und auch den seit so langer Zeit liegen gebliebnen Homer wiederum in der Ursprache zu lesen. Hülsen ging ihm dabei zur Hand, aber freilich nur so nebenbei. Vieles hatte sich in einem neu angenommenem Systeme aus dessem Gesichtspunkte zur Pedanterie scheinbar entstellt, was doch wesentlich zum positiven Wissen und Schaffen erforderlich war, und nur allzuoft verschwamm darüber sein an sich wahrhaft geniales Wirken in Unbestimmtheit und Nebel. Fouqué indeß ließ sich die einmal ihm erwachte Studiumslust seither nicht wieder verkümmern, und zwischendurch rankten sich als anmuthig kraftvolle Arabesken die Räthsel des damal aufleuchtenden Athenäums der beiden Schlegel empor, und schaute der Franz Sternbald Ludwig Tiek's voll romantisch tiefer Bedeutsamkeit herein. Der Weltgang dagegen verdüsterte sich schmerzlich vor Fouqué's Blicken, als sein Heros Buonaparte in den Syrischen Wüsten verschwunden schien, und gegen die noch immer für Freiheitskämpfer in seiner Meinung geltenden Franzosen Suworow mit seinen Russen in Italien, Erzherzog Karl in Deutschland sieghaft vordrang. Da entrang sich ihm ein Lied, wofür ihm Hülsen, als er es ihm auf einem Abendgange über die heimathlichen Auen hin vorsprach, von Freude und Wehmuth glühend um den Hals fiel. Es hieß also:


[211]

»Lodert nicht Gefühl in meinem Herzen

Auf der Wahrheit heiligem Altar?

Bebt' ich je in Mitten der Gefahr?

Blieb ich kalt bei meiner Brüder Schmerzen?


Und doch halten Bande heil'ger Pflichten

Mich zurück am väterlichen Heerd,

Da, mit Freiheit und mit Recht bewehrt,

Völker ihre Unterdrücker richten.


Ueber freigekämpfte Rebenhügel

Stürmt von Norden her der grause Krieg,

Und es wendet ungetreu der Sieg

Nach Fortunens Laune seine Flügel.


Helden sinken in gerechten Schlachten,

Ach umsonst! Fort donnert der Despot.

Denn von seiner Sclaven Blute roth,

Wird er freier Menschen Leben achten?


Und ich soll in träger Ruhe träumen?

Kundig führt mein Arm das Reiterschwerdt.

Ha, ich wär' des dumpfen Schlummers werth,

Könnt' ich fröhlich unter'm Schatten säumen!


Laß mich nicht, Geschick, im Gram verderben,

Führe mich zu Moreau's blut'ger Schlacht.

Siegend muß ich sehn der Freiheit Macht,

Oder unter ihren Trümmer sterben.«


Auch damit war so etwas Poetisch-Prophetisches angeklungen, wenn gleich in einer gar andren, man konnte wohl sprechen entgegengesetzten Erfüllung. Wir wollen's zu seiner Zeit bemerken.


Fouqué fand das Regiment in Kantonnirungen bei Hildesheim wieder, der General in dem hübschen Städtchen Eltze einquartirt, was somit einen heitern Vereinigungspunkt für die Geselligkeit bildete. Dort vernahm er von einer jungen Dame Kunde von einer lieben, unlängst erst untergesunkenen Erscheinung aus seiner frühesten Kindheit her. Fricke, sein erster Lehrer, war Prediger in Eltze gewesen, jene Dame seine Schülerin, dann Freundin. Oftmal hatte er in sei nen Gesprächen mit ihr [212] des kleinen Fritz gedacht, und wie das Kind ihm, er dem Kinde so inniglieb gewesen sei. Auch von jenem Briefe, – dem halberwachsenen möcht' ich ihn benennen, – den ich ihm in meinem etwa 15ten Jahre geschrieben hatte, war öfters die Rede gewesen, und es war ihm leid, ihn nicht beantwortet zu haben, wofür ich jedoch die beste Entschuldigung fand und empfand in der knabenhaften Sentimentalität jenes sonst allerdings gutgemeinten, ja aus dem Herzen emporgestiegenen Schreibens, worin ich mir anmaßte, gefunden zu haben, was Hölty sich für den Eintritt seiner höheren Mannesjahre wünschte: einen Silberbach, eine Wiese, einen Wald. Und damit behauptete ich, zufrieden zu sein, ich, noch vor der Vorschwelle meiner Lebensbahn stehend, und, wie ein etwas triviales, aber hier vollkommen zutreffendes Sprüchwort sagt: »Weder Fisch, noch Fleisch!« Darauf mild zu antworten, wie es die Intention verdiente, und zugleich ernst zurechtweisend, wie es die kindische Abirrung nothwendig machte, war freilich eine Aufgabe, die nicht so im Husch gelöst werden konnte, und nach längerm Zögern um so mehr gänzlich liegen bleiben mußte, als der Lehrer seinen mit der Eierschaale auf dem Kopf aus dem Neste davon gelaufnen Kiebitz 14 im Strom der Welt nicht mehr äußerlich wiederzufinden wußte.

Und doch haben sie einander ohne Zweifel wieder gesehn schon hienieden, wenn freilich von beiden Seiten unbewußt.

Jener Landgeistliche, mit welchem Fouqué auf winterlichem Reiseritt an der Abendtafel in Hildesheim vor einigen Jahren in gegenseitigem Wohlgefallen sich zusammengefunden hatte, – jetzt erst fielen ihm die Schuppen von den Augen, – nach allen zutreffenden Umständen war es ohne Zweifel Fricke gewesen. Daß mir die Gestalt weit kleiner beim Wiedersehn erschien, lag in der Natur der Dinge, denn als er von mir ging, zählte ich kaum sechs Lebensjahre, als ich ihn wiederfand, über zwanzig, und wir messen – oft in mehr, denn einer Hinsicht, wo nehmlich wir richtig messen – nach der eignen Höhe. Dagegen zog mich der anmuthige Ausdruck in den treuherzig weichen Zügen des damal etwa Vierzigjährigen nicht umsonst so innig an, und als ich [213] des Räthsels Lösungswort vernahm, ward es mir leicht, das zuerst gesehene Jünglings-Antlitz deutlich in das zuletzt gesehene Mannes-Angesicht zu übersetzen. – Warum Keiner der Zwei sich wechselseitig so angezogen fühlenden Menschen den Andern nach seinem Namen fragte, – weiß ich's? – Es war vielleicht noch in manchem Sinne allzusehr mitten unter dem Flügelschwunge der Zeit, und sollte bewahrt bleiben zum klaren Anschauen im stillen Lichte seeliger Ewigkeit. – Also sei es. Amen. –


Während des Aufenthalts dort, in einem Städtchen, Gronau geheißen, wuchs in Fouqué's Geiste die Gabe der Poesie immer stiller und ernster empor, aber freilich nur fast ausschließlich lyrischer Gattung. Die Seele des jungen Mannes war allzu lebhaft von eigner Sehnsucht, eignen seltsam geahnten Wonnen, eignem tief empfund'nem, allen andern Menschen verschlossenem Weh ergriffen, um sich an epische oder dramatische Darstellungen mit gehöriger Freiheit wagen zu dürfen, oder auch nur zu wollen. Jene individuelle Lieder indessen strömten, wie Regen, und blüheten auf, wie Blumen. Man wolle jedoch dabei an keine Verweichlichung denken. Das Studium des Griechischen ging fürder, die Odyssee vornehmlich erfassend, und die kriegerischen Studien wurden immer ernster betrieben, theils nach Venturini und Tempelhof, theils auch der Befestigungs- und Belagerungs-Krieg nach Struensee, wo denn, weil unerlaßlich, die früher zurückgewiesene reine Mathematik wiederum hervorgesucht und fleißig durchgearbeitet ward, mit so vielem Erfolg, als Fouqué's von Natur geringe Gabe für diese Seite des Wissens es nur immer zulassen wollte. Das philosophische Ringen ward ebenfalls getreulich fortgesetzt, nach Kant vornehmlich, zum Theil auch schon nach Fichte.

Daß der Reiterdienst, vornehmlich beim Exerzieren und in Uebungs-Patrouillen, von dem jungen Rittersmann rüstig und nicht ohne anerkannte Tüchtigkeit vollbracht wurde, versteht sich bei seiner angebor'nen Raschheit und Lust zum Kampfe von selbst.

Viele und erhabene Freuden bereitete ihm in diesen Tagen die Freundschaft, desgleichen auch viele unaussprechlich tief einschneidende [214] Schmerzen, – Beides aber als ernste Staffeln zum ewigen Heil, wofür ich Gott nicht genugsam zu danken vermag. –

Auch im Aeußern übte die Phantasie oftmal ihr anmuthiges Recht. So lag eine verfallene Kapelle unweit Gronau, Leichensteine mit uralt ausgehauenen Gestalten der Begrabnen rings umher, oberhalb eines schroffen Abhanges, wohin Fouqué seine träumerischen Wanderungen zu richten pflegte, mit ihm unterweilen auch einige Waffenbrüder. Beim Einbruch einer dunkeln Sommernacht ward einstweilen dort ein kleines geheimnißreiches Fest verabredet im engeren Kreise. Etwa fünf bis sechs Genossen saßen um ein vor dem Eingange angezündetes Feuer her und besprachen sich von alten Sagen und von Träumen der zukünftigen Lebensbahn. Dazwischen klangen mitunter Lieder an, aber nur leisen Tones. Durchans war es diesmal auf keine Mystifikation Andrer abgesehn, sondern man freute sich nur an der eignen schauerlichen Lust. Die Kapelle jedoch stand seit langer Zeit schon im Rufe gespenstigen oder doch geisterhaften Besuches, und so vernahm denn, einige Tage nachher, die Genossenschaft zu ihrem stillen Ergötzen auch das Gerücht, es sei wieder von seltsamen Visionen regsam geworden an dem schauerlichen Orte. Ja, ein sinnig muthvoller Stabs-Offizier des Regiments hatte bereits sein Pferd satteln lassen, um das ihm aus seiner Kantonnirung von den schaudernden Bewohnern gezeigte Spuk-Licht näher zu untersuchen, als ihn eine zufällig eintreffende Meldung momentan an den Schreibtisch bannte, und nachher war unser mysterioser Reigen bereits heimgegangen. Schade, daß er nicht kam! Der ältre Ritter hätte sich – er sprach es späterhin selbst aus – gern für ein halb Stündlein in unsern abenteuerlichen Kreis gesellt, und durch das gegenseitigeWerda-Rufen und die nachherige Verständigung hätte sich ein frisches Element mehr in die Nachtscene eingewoben. Fouqué feierte den Abend mit folgenden Reimen, an denen die Genossen sich erfreueten:


Siehst du an dem schroffen Thalesrand

Unter alten Bäumen die Kapelle?

Epheu flüstert an der grauen Wand,

Gräser wanken auf der morschen Schwelle.

[215]

Wie berührt von leiser Geisterhand

Murmelt aus dem Thal herauf die Welle.

Höre, was der ernsten Sage Laut

Vom geweihten Ort mir hat vertraut.


Oft, wenn Vollmond über Fichtenhöhn

Fernher seine milden Strahlen sandte,

Hat der Landmann schaudernd es gesehn.

Wie ein seltsam Feuer dort entbrannte.

Durch die Zweige glüht' es furchtbar schön,

Daß es fern den kühnen Forscher bannte.

Dann in der hochernsten Stunde Lauf

Stehn die Geister aus den Gräbern auf.


Und mit feierlichen Liedern geht

Um die Flamme rings der Todtenreigen.

Ritter sieht in alter Majestät

Mitternacht hervor bewaffnet steigen,

Sieht, die Hände faltend zum Gebet,

Sich der frommen Mönche Chor verneigen.

Frühgestorbner Bräute Myrthenkranz

Flimmernd leis' im blassen Mondschein-Glanz.


Ist der ernste Kreisgang dann vollbracht

Unter der Kapelle heil'gen Bäume,

Wandeln sie in feierlicher Pracht

Deutend hin, wo gute Menschen träumen.

Doch nur bis das Morgenroth erwacht,

Dürfen Grabgestalten oben säumen.

Dann zum Schlummer unter'm Leichenstein

Sinkt die bleiche Bildung wieder ein.


Stehe hier eine Beichte mit, eine Schmerzensbeichte zwischen andren heitern Erinnerungen. –

Ein jugendlicher Reiter von Fouqué's Detachement erkrankte schwer an einem Brust-Uebel, und seinem Lieutenant, wann er ihn pflichtgemäß im Quartier visitirte, war eine angenehme Reinlichkeit dorten öfters aufgefallen, auch machten ihm sich auf dem Tischlein liegende fein beschriebne Papierblätter bemerklich, woraus er fast die Vermuthung schöpfte, der Jüngling sei poetischer Natur, und übe sich mit Versuchen in Reim oder doch sonsten dichterischer Art. Aus an und für sich ganz ehrenwerther Bescheidenheit enthielt er sich des Forschens nach jenen Zeilen, [216] fühlend, ihm stehe als Vorgesetztem kein Recht darüber zu. Ach, hätte er es doch aber lieber gethan, versteht sich auf geziemend bescheidne Weise! Dann hätte sich wohl ein Verständniß zwischen Reiter und Offizier entwickelt, das den Letztern verhindert hätte, in die Barbarei – ja eine Barbarei war es! – des sonst tüchtigen Wachtmeisters einzustimmen, der vom Sterbelager des Erkrankten ein ehrbares Mägdlein drohend fortgewiesen hatte, weil sich solch ein Besuch nicht mit der hergebrachten Quartier-Ordnung vertrage. Schweigend und weinend war das arme Kind von hinnen gegangen, – schweigend und seufzend hatte der Todesnahe mit gefaltenen Händen gen Himmel geblickt. –

Und als der gestrenge Herr Wachtmeister dem gestrengen Herrn Lieutenant, den Vorgang meldete, konntest du, Fritz Fouqué, befangen von der kleinlichen Scheu, nicht weichlich zu erscheinen, eben nur bei der kalten Form beharren, mit barscher Stimme sprechend: »So recht, Wachtmeister!« – Und es hätte dir doch nur einen Hauch gekostet, dem armen Jüngling sammt seiner frommen Pflegerin die letzten Stunden des wehmüthigen Erdenlebens zu erleichtern und zu versüßen! –

Verzeihung, ihr lieben Beiden! Ich habe schon oft voll herbstem Bereuen bei der Erinnerung gelitten. Mögte diese öffentliche Beichte einen Theil meiner Schuld hinwegnehmen können. Sie wird mir nicht leicht, diese Beichte. Aber eben darum: Verzeihung! – und ich fühl' es: mein Herz ist leichter seit dieser Stunde. –


Noch einen andern jungen Reiter sollten wir dort begraben, oder vielmehr dorten im Sterben zurücklassen, aber in Bezug auf ihn hat sich Fouqué nichts vorzuwerfen. Vielmehr nahm Der von seinem Lieutenant rührend dankbaren Abschied, als er in dessen zur Gültigkeit erforderlichen Gegenwart sein Testament aufgesetzt hatte. Fouqué reichte ihm bei'm Abschiede die Hand, und sprach: »Nun, ich hoffe noch immer auf Deine Wiederherstellung, und daß Du mir bald nach Aschersleben nachkommst.« – Der bleiche Jüngling aber schüttelte leise sein abgezehrtes Antlitz, und erwiederte mild lächelnd:

[217] »Nein, Herr Lieutenant, nicht für dasmal ziehen Sie mir voran. Ich bin es, der Ihnen bald voranziehen wird. Mögen Sie mir heiter und im Frieden nachziehen, wann auch für Sie dereinst die Stunde zum Auf bruch schlagen wird.« –

Es sind nun wohl beinahe vierzig Jahre seitdem verlaufen, und die noch übrigen Jahre, Monden, Tage, Stunden bis zum Abmarsch für mich gezählt. Gott erfülle mir alsdann seelig des freundlichen Jünglings Wunsch.


Mit dem Scheiden aus den Hildesheimer Kantonnirungen häuften sich mir die Todesmahnungen: namentlich eine dem ganzen Regiment überaus schmerzlich unerwartete.

Unser edelritterlicher Anführer, General-Major von Byern, hatte uns noch kurz vor dem Abmarsch dem erhabnen Herzog von Braunschweig, dem Sieger von Pirmasens und Kaiserslautern, in schön gelungner Reiterübung rüstig vorgeführt.

Er gedachte, eine Badereise nach Pyrmont anzutreten, mehr des Ergötzens als irgend eines bedeutenden Krankens halber, und auf meine im Gespräch einst hingeworfene Frage, ob er nach unsrem Abmarsche vielleicht noch ein paar Tage in Eltze verweilen werde, entgegnete er nach seiner traulichen Weise:

»I nicht doch, Kinder. Ohne Euch mögte ich nicht einmal todt hier sein.« –

Er blieb todt ohne uns zurück. –

Eines schönen Morgens, nachdem er noch gütig mit einem vorübergehenden Unteroffizier aus dem Fenster gesprochen hatte, fand ihn gleich darauf der Kurschmidt, ihm Rapport über eines seiner Reitpferde abstatten wollend, am Boden liegen, gestorben, ruhig hingestreckt, ohne die mindeste Verzuckung. –

Ja, das war ein schöner Leichnam, eben so die Milde des Todes offenbarend, als jener früher geschilderte dessen Schrecken. –

Von allen Seiten waren wir zusammengeströmt auf die Kunde, den geliebten Führer noch Einmal feiernd im Tode zu begrüßen.

[218] Als ich vor ihn hintrat, ward mir, er sehe mich mit der ernstfreundlichen Miene an, die man an ihm gewohnt war, wenn er eine Meldung von gewichtigerer Art empfing, oder ähnliche Befehle austheilte. Leider hab' ich ihn nie im Treffen erblickt, aber gewiß, da hat der schon von früh' auf kampfgeübte Degen dann eben so ausgesehn, wie sich das ermessen ließ, wenn er sein wackres Regiment in raschen Reiterübungen lenkte, und der wohllautende Donner senes Befehlsrufes erscholl. Nun waren diese Lippen verstummt hienieden für immer. –

Und doch: wir konnten's nicht fassen. Wir meinten noch immer, – je länger wir ihn ansahen, je mehr, – diese freundlichen Augen, jetzt so fest geschlossen, müßten noch wiederum aufleuchten in früherer Kraft und Freudigkeit. Wir ließen dem Regimentsarzt keine Ruhe, bis er den Leichnam in ein Bad brachte, ihm die Ader schlug, – ach, es gab nur die Bestätigung der trüben Worte:


»Hin ist hin, todt ist todt!« –


Wir haben ihn in Eltze begraben, seine Leib-Schwadron ihm folgend im Trauerzuge zu Roß, die blanken Klingen unter den linken Arm gesenkt, nach dem ernsten Kommandoruf: »Verdeckt das Gewehr zur Leiche!« – Dann die drei Salven aus dem Karabiner und beiden Pistolen ihm nachgesandt, unsre Rosse brausend und schäumend unter uns, aller Offiziere und Reiter Blicke feucht, wohl manche perlenhell, ja überfließend, – und es war vollendet. –

Wenige Tage nachher brachen wir zum Heimzuge nach Aschersleben auf. –

Mir weht bei der Erinnerung der Kehr-Vers eines Reiterliedes durch den Sinn, wie ich's wohl sonst in Wort und Weise nur auf die Trennung eines liebenden Paares voll tiefer Bewegung angewandt habe. Die Todten aber sind uns, dafern wir sie im Leben lieb hatten, ja allsammt Geliebte der heiligsten Art, und es mag solchen Allen der wehmüthige Nachhall gelten:


»Hab' ich Dir was zu Leid gethan:

Ruf' Dich um Verzeihung an.

Reich' mir Deine Hände,

Weil es geht zum Ende.«


[219] Die geistige Anschauung des eignen Selbst wird immer vorherrschender an dieser Stelle. Von Außen geschah nur wenig Bemerkenswerthes, von Innen unermeßlich viel. Es werde berichtet, was irgend davon vernehmlich herauf will aus dem tief innerlichen Getriebe.


Früher hatte der junge Mann die Blüthen seiner Muse voll tiefster Verschwiegenheit gehegt, nur sehr wenigen erlesenen Freunden hin und her einzelne Anklänge davon mittheilend.

Wohl tauchte bisweilen ein Bewußtsein in ihm auf, ähnlich dem Worte Correggio's: »Anch'io son pittore.« Aber nur um so entschiedener hielt er sich an den Beschluß, bei seinen Lebzeiten von ihm beschiedenen Mysterien der Muse nichts zu veröffentlichen. Schon hatte er an fremden Schmerzens-Beispielen gesehn, wie herb oftmal Edles von der Tadelsucht Mitlebender aufgenommen werde. Hatte ja doch selbst Schiller in überspannter Korrektheit erklärt: Bürger sei kein Dichter, und vielleicht damit das ohnehin blutende Herz Bürgers vollends gebrochen. Furcht war es nicht, was davor in Fouqué's Seele brach, wohl aber edle Scheu, seine lieben Blumen von Irgendwem beworfen zu sehn mit Staub, wohl gar – je nachdem der Werfer nun eben genaturt sei – mit noch Schlimmerm. Dazumal jedoch auf eine gewisse Pietät der Ueberlebenden gegen die Abgeschiedenen bauend, meinte er, einst über seinem Grabe möge ausblühen, was er in tiefer Stille gesäet, gehegt und gepflegt habe hienieden. Man wolle ihn dabei nicht so arg mißverstehen, als habe er, wie ein geistreicher Schriftsteller sagt,»ein gewisses ausnehmendes Mitleid der Deutschen mit gestorbenen Leuten« als captatio benevolentiae in Anspruch nehmen wollen. Er wollte und erwartete nur eben reine Unpartheilichkeit für die Lieder eines Abgeschiedenen. Dann, meinte er im stillen Vertrauen auf die ihm gewordne Gabe, würden sie sich schon von selber Bahn machen. Die Stimmung war so übel nicht, und ermuthigte ihn, ja trieb ihn zu Dichtungen größern Umfanges, zuvörderst zu einem metrischen Drama: Richard und Blondel. Von frühester Kindheit auf hatte ihn die Sage von der Errettung des Königs Löwenherz, aus der mit Verrath [220] bereiteten Gefangenschaft, durch die sinnige Treue seines edlen Minstrel, angezogen. Jetzt entquoll sie ihm in dramatischer Form, einfältig, ungekünstelt, kraftvoll, wie ich wohl sagen mag. Ein Tyroler Hirtenmädchen, Mathilde geheißen, hat den König bei ihren abendlichen Thaleswanderungen auf den Mauern einer alten abgelegnen, streng bewachten Veste wandeln sehn, und hält ihn für den Geist eines abgeschiednen Helden. Blondel vernimmt es durch sie, nachdem er schon im Begriff war, seine Nachforschungen in dieser Gegend als nutzlos einzustellen. Jetzt beginnt er, die alte Burg mit Liedesklang zu umgehn, vernimmt seines Helden Stimme im Echoklang, und befreiet ihn durch eine kühne Waffenthat. Ich hab' es späterhin weiter und kunstgerechter in einer im Druck aufgetretenen Dichtung ausgeführt 15, aber wenn ich an das frühere einfache Werklein denke, kann ich doch nicht umhin zu beklagen, daß ich es in einem jener Anfälle von kritisch pedantischer Tugendwuth, worauf ich schon früher in diesen Blättern hindeutete, vernichtet habe. Während ich an dem Werklein arbeitete, kam mir das poetische Schaffen in seeliger Verschwiegenheit für irgend einen Gegenstand dergestalt unerlaßlich zum Leben vor, daß ich oft wildfremde Leute mir darauf ansah, meinthalb während einer langweiligsten Whistpartie: »was mag wohl Der oder Jener jetzt an Poesie-Gebilden unter der Feder haben?« – Wie mir bei dem Ringen nach jener Darstellung zu Sinne war, mag der Nachruf darthun, den ich hintönte, als ich für dasmal mein Ziel erreicht hatte!


»Lebe denn wohl, mein Blondel! Du hast durch das tägliche Leben

Oft mir den sandigen Pfad lieblich mit Blumen bestreut.

Wenn im Gewirre der Welt die klügelnden Menschen sich drängten,

Schwebte mein sehnender Geist Dir in Dein Alpenthal nach.

Mogten umdüstert sie auch sich Gold zum Götzen erwählen,

Deine romantische That zeigte mir Leben und Licht.

Wolle die Muse mich bald zu neuen Gesängen begeistern,

Daß ich ein Seeliger sei mitten in irdischer Nacht!«


[221] Wie es geschah, daß meine poetischen Geheimnisse, Richard und Blondel zuvörderst, sich vor den Augen eines gelehrten Schulmannes in Aschersleben entfalteten, weiß ich nicht mehr genau. Aber eben deshalb ging es wohl gewißlich naturgemäß und nothwendig damit zu. Weiß man doch auch eben nicht genau, wie die Knospe sich entfaltet vor dem Licht, und vergebens hab' ich mich als Kind, mitunter auch wohl – ich bekenn' es – als Jüngling abgemühet, ein Zuschauer des kleinen Wunders zu werden. Ja, auch das Wachsen der Grashalme – (just: »Gras wachsen zu hören,« wie das Spruchwort von Superklugen sagt, maaßte ich mir nicht an, aber das: »Sehen« des Vorganges wollte mir gar nicht unmöglich vorkommen) – hielt oftmal meine Aufmerksamkeit eben so lange, als vergeblich befangen. –

Ein Licht aber wahrlich lebte in jenes Mannes Seele, wenn gleich von Wolken des modernen Unglaubens eben so umdüstert, als seine poetischen Produkte von der Nichtbeachtung seiner äußern Umgebung, etwa Gelegenheits-Gedichte abgerechnet, deren leichte und witzige Wendungen den Leuten doch allzusehr in die Augen sprangen, als daß sie das heitre Funkenspiel hätten völlig übersehen können. Burkardt hieß er, und mit dem so gut als völlig anonymen: »B« bezeichnet, hatten kleine Sprüche von ihm Zugang in Schillers Musen-Almanach gefunden, wovon mir noch folgende Zeilen in der Erinnerung, ja in der Seele geblieben sind:


»In der Liebe Wunden träufelt,

Hoffnung ihren Balsam oft.

Aber wo Vernunft verzweifelt,

Ach! da glaubt die Lieb' und hofft.«


Er schrieb geistreiche Kritiken über belletristische Werke für die Jenaer Literatur-Zeitung, ohne daß man irgend in ihm den Verfasser erkannte, nächste Freunde ausgenommen, unter welchen Dr. Michaelis obenan stand, ein gemüthlich geistvoller Arzt, durch Burkardt näher mit Fouqué verbunden, so daß die Dreie manch heitern Abend mitsammen feierten, ohne je an ein literarisches Bekanntwerden zu denken. Fouqué ward dadurch in seiner schon erwähnten äußerlichen Abgeschlossenheit bei Lebzeiten als Dichter um so mehr bestärkt, als er sich der bestimmtesten [222] Ahnung hingab, er werde das dreißigste Lebensjahr nicht erreichen. Dann mogten sie mit seinem poetischen Nachlaß beliebig verfahren, und oftmal konnte er mit stillem Wohlgefallen bei dem Gedanken verweilen, wie sein Bild in der Erinnerung unter den Waffenbrüdern und Ortsgenossen nach seinem Tode weilen möge, just dann erst ihnen ganz lebendig und klar.

Burkardt ging in seiner poetischen Abgeschiedenheit so weit, daß er eine von ihm gedichtete Tragödie, Maria Stuart, sobald er vernahm, Schiller bearbeite denselben Stoff, nicht allein unter seine Papiere vor der Welt vergrub, sondern auch vor seinen Freunden Michaelis und Fouqué, die zwar unter dem Siegel der Verschwiegenheit, von deren Existenz wußten, durchaus aber keine fürdre Mittheilung zu erringen vermogten. Und noch jetzt bin ich überzeugt, daß grade die eigenthümliche Dichter-Begabung Burkardts vollständig für diesen Gegenstand geeignet war. Leider ist aber auch nach seinem Heimgange nichts davon aufgetaucht, und ich weiß nun nicht mehr, wo und wie sich eine Nachforschung deshalb anstellen lasse. –

Mir selbst ward der oben angeklungne Wunsch nach neuen Musen-Bescheerungen bald erfüllt: zwar einstweilen nur in einer Reihe von langsam aufsteigenden Gebilden, sich erst nach und nach gestaltend, bevor ich die Feder anzusetzen wagte, aber eben deshalb um so gewisser echte Musen-Bescheerung in der Idee, mogte auch an der Ausführung noch so Mannigfaches zu tadeln bleiben.

Wohl mögte ich es bei dieser Veranlassung aufblühenden Kunstgenossen recht dringend empfehlen, solche Visionen ja nicht eher in Worte zu bringen, bis ein klar gewordnes Bewußtsein uns dazu berechtigt, ja recht eigentlich antreibt. Dann wird, ob auch nichts gradehin Vollendetes, doch das möglichst Gute daraus, wie die einstweilen erstiegne Bildungsstufe und vorhandne Kraft es gestatten.

Diese für damal dem jungen Dichter in dramatischer Form vorschwebende Gestaltung hieß Guglielmo. Ein sicilischer Fischerjüngling war es, in ein wehmüthiges Fatamorgana-Mährchen träumerisch ahnungsvoll versenkt. Ein junger Ritter, Fernando, hatte eine Zeit lang in idyllischer Lust unter den Fischern gelebt, und sich vornehmlich mit Guglielmo befreundet. Dann, plötzlich [223] verschwindend, hatte er den Stachel verletzter Freundestreue in des Fischers ohnehin zur Schwermuth geneigtem Sinne zurückgelassen. Nun kehrt Fernando wieder, doch eben nur weil überwältigt von Leidenschaft zu des Freundes Braut, vor welcher bedrohlichen Gluth er geflüchtet war. Die Braut schenkt ihre treulose Mitgunst dem treulosen Freunde. Da landen räuberische Araber an der Insel, und entführen das neu verlobte Paar. Guglielmo fliegt zu ihrer Befreiung an der Spitze seiner Genossen herbei, und erringt Beider Errettung durch seinen sieghaften Tod. –

Auch von dieser Dichtung – die kritische Pedanterei hat sie gleichfalls vernichtet – schweben mir noch Fragmente vor, deren einige hier, um den Ton des Ganzen zu bezeichnen, Raum finden mögen, wie auch ein Anruf, oder doch dessen Beginn, während einer erneueten Urlaubsreise in Potsdam gedichtet:


»Ach, Guglielmo, entschwinde mir nicht! Mit irdischer Klugheit

Drängt ein geschäftiger Schwarm mich in's gewöhnliche Gleis.

Kaum, daß in friedlicher Nacht mir Götter und Helden erscheinen,

Und mich ein seeliger Traum aus dem Gewirre befreit.

Suche denn Du auch mein Lager. Zwar wird der Tumult mich erwecken,

Aber ich trete gestärkt unter das Menschengewühl, –«

Da verhallet der Schluß vor meiner Erinnerung. –
Aus dem Drama selbst klingen mir noch folgende Zeilen nach.
Fernando spricht, als er die allzuheißgeliebte Braut des Freundes zum heimlichen Gespräch erwartet:

»Sie liebt mich! – Frevler, darfst Du Dir's gestehn? –

Wie bin ich elend in des Glückes Nähe! –

Es rauschen feierlich des Meeres Wogen; –

Wer hat das Glück zur Erd' herabgezogen?

Horch! – Ja, es ist der Holden leichter Tritt.

Sie kommt, und Lieb' und Hoffnung kommen mit.«


Zum Schluß ruft die bereuende Braut dem sterben den Guglielmo nach:

»Fleuch, Heiliger, zu jenes Thrones Stufen,

Den Engel, Deine Brüder, hell umgeben!

[224]

Sie haben längst Dir liebend zugerufen,

In ihrem Kreis dem reinen Licht zu leben.

Dort naht das Glück Dir lächelnder und milder,

Und abwärts ziehn Morgana's Rebelbilder.«


Aus eben diesen Tagen ist mir auch noch folgendes Lied im Sinne geblieben.

»Ach, warum weiter, Du eilende Welle,

Führst Du den sehnenden Menschen durchs Leben!

Nimmer verweilend auf blumiger Stelle,

Kann er der Freude sich nimmer ergeben.


Weit schon hinter seinen Schritten

Liegt die schöne goldne Zeit

Wunderholder Kindlichkeit.

Welt und ihrer Lust geweiht,

Hat er tiefes Leid erlitten.


Und aus seinem Blick entschwunden

Ist der Zukunft goldner Schein.

Nur Erinn'rung noch allein

Mag zum Kranz im Blumen reihn

In der heil'gen Weihe Stunden.


Fliehe, Du eilende Welle denn immer!

Mag Dich beschwören der Sterblichen Keiner.

Doch in des Liedes unsterblichem Schimmer

Wandelst Du sanfter, und glänzest Du reiner.


Sturmwind saus't mit wolk'gem Flügel

Ueber Deinem dunkeln Gang.

Sieh', Du eilst die Wüst entlang.

Fern verhallt ist Festes-Klang,

Blumen welkten auf dem Hügel.


Aber freundliche Gestalten

Treten aus der dunkeln Nacht.

Wunderbarer Schimmer lacht,

Ausgeströmt von höh'rer Macht,

Wo die milden Engel walten.


Du auf des Lebens verrinnender Welle,

Singe den Schützenden freundliche Lieder,

Und es entblühen in lieblicher Helle

Blumen der lächelnden Kindheit Dir wieder.«


[225] Sei hierbei bemerkt, wie ein lieber, nach dem Guten und Schönen ringender, aber – Gott-Lob zwar nicht Antichristischer – doch nach damaliger Mode-Antichristlicher weit die Antike einseitig überschätzender Freund das Liedchen voll gerührter Anerkennung lobte, nur mit eingelegtem Protest gegen die »Engel«. Er hatte jedoch in seinem hellenischen Eifer aus der Acht gelassen, wie Engel (Ἀγγελος) aber selbst ein hellenisches Wort ist, und: »Bote« bedeutet.


Eine andre Dichtung jener Tage rang, die wunder baren Geschichten des Königs Arthur zu besingen, und zwar in historischer Weise, wie sie uns aus andern, als den provenzalisch-romantischen Quellen, wo der Held als Artus emporstieg, zu Theil geworden sind. Es sollte sich hier, nach Gibbon, von seinem Untergange durch seinen verrätherischen Vetter Mordred, zugleich aber auch diesen mit in den Tod reißend, handeln. Schon als Knabe hatte Fouqué ein ähnliches Drama in der Arbeit gehabt. Nun aber sollte es sich schöner und reicher gestalten, und zugleich manch eine seither eigens erlebte Herzensempfindung spiegeln, die Königin Genievra als tragisch zarte Erscheinung heraufbeschwörend, den Ritter Lanzelot als einen ihr in edler Sehnsucht rein dienenden Helden, leidend um ihre Irrungen, rühmlich untergehend im Kampf, erst mit dem letzten Hauch das Bekenntniß aushauchend:


»– – – Ich habe

Genievren sehr geliebt! –«

Der Dichtung stand ein Prologus voran, also beginnend:

»Die Sage wandelt ihren stillen Gang

Im Schimmer längst erloschner Feenzeiten.

Sie zieht mich fort mit schaurig süßem Drang,

Und will uns manchen holden Traum bereiten.

Vernimmst Du gern den ahnungsreichen Klang?

Willst Du mich lauschend auf der Fahrt begleiten?

Komm, Lieber, komm! Schon regt sich wunderbar

Der Zaub'rer und der Frau'n und Helden Schaar.« –


Dann, nach etwa drei nachfolgenden Stanzen, hub die Einleitung auf eine mich noch jetzt eigenthümlich bewegende Weise an.

[226] Scene: in den Walisischen Gebirgen zu Nacht. Arthur und sein Knapp Alpin liegen schlafend, von den Geisterklängen uralter Zeiten umschwebt, wie vom erinnerndem Traumgeflüster. Mir sind folgende Zeilen bis jetzt gegenwärtig geblieben:


Eizelne Stimmen.

»Wo schwebt noch meiner Harfentöne Spiel? –

Wo ist der Berg, auf dem ich blutend fiel? –

Weiß Keiner, wo die hohc Warte stand,

Die ich verfocht für Braut und Vaterland?« –


Chor.

»Vergebens! Ach auf immer ist entschwunden,

Unwiderbringlich weit

Die alte Zeit

Mit ihren Wonnen und mit ihren Wunden!«


Ja, diese gesammte Arthurs-Dichtung selbst klingt mich nun an, wie jene Geisterstimmen, sich zu nimmer beantworteten Fragen in einander webend, nimmer gestillter Sehnsucht und Wehmuth voll. –

Das hat abermal mein eigner furor criticus verschuldet. –

Was mich um diese Zeit von fremden Dichtungen am erquicklichsten anhauchte, waren Schillers nach und nach, wie Sterne am Späthimmel aufleuchtende historische Tragödien: Wallenstein, – versteht sich: mit eingeschlossen das treffliche Lagergemälde, – Maria Stuart, und die Jungfrau. Zugleich auch zogen mich mehr und mehr die Gebrüder Schlegel an, ohne daß ich zu Anfang noch ahnen konnte, sie würden bald ihre kritischen Pfeile gegen meinen innig verehrten Schiller abschießen, ja, ich selbst möge späterhin mit eintreten in das ihnen unbedingt nachrückende Heergeschwader. Vielmehr trauete ich mir Eigenkraft genug zu, um eines ganz eigenthümlich freien Weges für mich zu wandeln, dem ersehnten Ziel entgegen. Aber es ward die mythische Geschichte vom Magnetenberge im Weltmeer und den Schiffen. Anfangs unmerklich angezogen, gestaltete sich nach und nach die Bahn zu Planeten-ähnlicher Umkreisung des Centrums, oder eigentlich mehr als Planeten-gleich, denn die Umkreisung ward mehr und mehr spiral-förmig, enger und immer [227] enger dem Mittelpunkte zugewendet, und so aus einer Uranusferne nach und nach in eine Merkursnähe gerathend, ja, endlich in das Centrum ganz und gar hineinfallend, – wäre das möglich oder auch nur denkbar, so lange noch irgend eigene Atmosphärenkraft in Stern oder Seele vorhanden ist.

Zumehrst in den: »Charakteristiken und Kritiken,« von jenen beiden Brüdern gesammelt, fühlte sich Fouqué angezogen durch den Aufsatz A.W. Schlegels über Gottfried August Bürger. Auch noch jetzt erkennt er diese Kritik als ein edelstes Meister- und Musterwerk ihrer Gattung an. So viele Liebe und so viele Strenge! Ja, eben so viele Strenge just, weil so viele Liebe! Schlegel mögte den theuern Meister so gern durchaus so vollkommen sehn, als ihm durch Gott die Fähigkeit dazu in die reichbegabte Seele gelegt ward. Wo der Dichter hinter dem erhabnen Ziele zurückblieb, wie lautet des Freundes Tadel so wehmüthig ernst, und wie zeigt er so deutlich den Moment der Abirrung an, und die Bahn zum Bessermachen so klar, darthuend, wie das Mangelhafte mehrst weit entschiedener in dem Chamäleonsdinge Zeitgeist lag, je nachdem es sich just zu jenen Tagen gestaltet hatte, als im Dichter selbst, wie aber auch manche Entstellung aus oft wunderlichen Angewöhnungen hervorging, die er bei ernster Beachtung gar wohl zu besiegen vermocht haben würde, ohne darum an echter Eigenthümlichkeit auch nur das mindeste einzubüßen! Für Einen Punkt jedoch behauptete Fouqué sich gegen A.W. Schlegel im Widerspruche lange Zeit hindurch fest: in dem Urtheil über Ossian, den der Meister in jener Kritik so nebenbei wegwerfend als moderne Maske behandelt hatte. Diesmal behielt der Schüler am Ende Recht, wie wir das zu seiner Zeit nachzuweisen gedenken. – Einstweilen hatte sich des jungen Mannes dichterisches Treiben so nach und nach – pian-pianino sagt der Italier – in Aschersleben bemerklich gemacht, sehr wider dessen eignen Willen. Aber als nun das neue Jahrhundert heranrückte, ersuchte ihn, sehr demuthvoll durch die dritte Hand, der Gastwirth unsrer gewöhnlicher Tanz- und sonstig eleganten Gesellschaften um einige Verse für den Antritt des neunzehnten Säculums, die der Nachtwächter mitten in der Festversammlung zur Scheidestunde beider Zeiträume hersagen solle. Fouqué übernahm's in einer neckenden Laune, erweckt durch das [228] viele Gerede, was man, nach seiner Meinung höchst übertrieben, von dem sogenannt philosophisch-aufgeklärtem neuen Jahrhundert aus vollen Backen preisend ergehn ließ, wobei ihm noch der schier unvermeidliche Reim von: »bewundert« auf: »Jahrhundert« oft zu lachen gab. Er schrieb folgende Reime hin:


»Hört, Ihr Herrn, und laßt Euch sagen!

Zum letztenmal hat die Glock' geschlagen

Im alten scheidenden Jahrhundert,

Das Mancher belacht und Mancher bewundert!

Ist aber Alles einerlei.

Ging vieles Großes schon vorbei:

Warum nicht Euer kleines Leben?

Müßt Euch nun doch 'mal drin ergeben.

So tanzt und lacht nur immerzu.

Aufklärung spielt gern Blindekuh.

Hat Euch so Vieles jüngst gefallen,

Laßt Euch auch diesen Spruch gefallen.

Er meint's gewißlich gut mit Allen.

Und widersprach ich was unbescheiden, –

Vom Nachtwächter könnt Ihr's immer leiden.«


Aber man meinte denn doch, von Seiten der Besteller, die Dosis sei etwas allzuherb gerathen, und möge kaum auf Nachsicht, minder noch auf Beifall hoffen. Fouqué selbst gestand es lachend ein, und war billig genug, nach einiger Ueberlegung das Sprüchlein umzuformen, im Grund auch weit mehr seiner eignen, mehr ernst ahnungsreichen als satyrischen Gabe angemessen. Es hieß nun so:


»Hört, Ihr Herrn, und laßt Euch sagen!

Die Glock' hat Zwölf geschlagen.

Ich rufe das alte Jahrhundert ab!

Es geht nun in sein ew'ges Grab.

Die Zeit hat eine ehrne Stimme,

Fällt Pracht und Glanz vor ihrem Grimme,

Und ich ihre nächtliche Zunge bin.

Verzeiht drum meinem ernsten Sinn,

Wenn ich mich dräng' in den lichten Saal,

Und ernst Euch anred' allzumal.

Doch Eure bunte Fröhlichkeit

Will nicht gemahnt sein an die Zeit.

[229]

Bleibt denn bei Euerm Spiel und Springen.

Ich will in der Nacht es weiter singen.« –


In allem mannigfach innern und äußern Ringen schrieb der werdende Dichter einen Roman: »der Minnesinger,« den er seither einem poetischen Freunde geschenkt hat, und der somit dem Auto da Fé andrer früheren Dichtungen entgangen ist, zugleich auch der gegenüberstehenden Klippe des unzeitigen Hervortretens im Angesichte der Welt. Denn ein andres ist's, von den nähern Freunden des Autors bisweilen rückblickend beachtet zu werden und von ihm selbst, als sich aufzustellen und den Wettlauf zu beginnen in der öffentlichen Rennbahn. –

Mehr und mehr jedoch empfand Fouqué das Bedürfniß einer vollkräftig kritischen Beurtheilung seiner dichterischen Versuche, ja eines entschiedenen und entscheidenden Meisterspruches über seinen Dichterberuf im Ganzen und Großen. Die Freunde: Hülsen, Burkardt, Michaelis, auch andre ihm Nahestehende noch sonst, hatten ihm zwar manch ein ermunterndes Wort zugesprochen, unter ihnen A.G. Eberhard, schon damal zum gerngelesenen Schriftsteller gediehen, den Fouqué bei seinen heitern Besuchen in dem verwandtschaftlich befreundetem Halle bisweilen zum Vertrauten seiner poetischen Geheimnisse machte. Aber wer mogte mit Bestimmtheit sagen, wie vielen Antheil just eben die persönlich freundschaftliche Gesinnung an all diesen günstigen Ansichten haben mogte? – Und ein mittelmäßiger, nur eben tolerirter Poet erschien dem raschen Jüngling – er mogte wohl eben nicht Unrecht haben – als ein Unding.

»Du mußt vor die rechte Schmiede gehn!« sprach er endlich keck entschlossen zu sich selbst. Das alte Sprüchwort mag wohl noch aus jenen urgermanischen Nordlandsagen herstammen, wo die Helden sich ihre Waffen selbst schmieden, und also Schmidt und Held mehrst in Eins zusammenfallen. Und welche gewaltigere Heldenschmiede für die Poesie gab es damal anerkanntermaaßen in Deutschland, als Meister Goethes Wohnsitz: Weimar! Der kriegrische Herzog Karl August, als Inspekteur über 4 Kürassierregimenter, worunter sein ehedem eignes Regiment, nun Quitzow geheißen, wiederum in den Preußischen Kriegsdienst eingetreten, [230] bewilligte dem jungen Kriegsmann gern Urlaub für einige Wochen nach seiner Hofburg, und nahm ihn mit gastlicher Gütigkeit auf. Wie Fouqué dort voll glühender Sehnsucht und ehrerbietig scheuer Lust zuerst vor Goethes Augen hintrat, wie er eben Aufmunterung genug empfing, um sich gekräftigt zu fühlen für seine künftige Poetenbahn, und dennoch ein weise günstiges Geschick die unmittelbare Lebensfrage noch hinausschob, die Frage: »Erkennst Du mich für einen Dichter oder nicht?« – somit den knospenden Poeten sowohl vor überschwänglichem Jubel bewahrend, als vor möglicherweise niederpressendem Gram, – es ist in einem jüngsthin durch mich an's Licht gegebnem Büchlein: »Goethe und Einer seiner Bewundrer« geschildert worden. Für hier genüge dieser andeutende Umriß, auf künftig deutlichere, ja klarschöne Annäherung zwischen dem Meister und Fouqué hindeutend.

Zu manch heitrem Gespräch mit der damaligen Hofdame Amalie von Imhof, einer auch äußerlich höchst anmuthigen Erscheinung, Dichterin der:»Schwestern von Lesbos,« als Malerin, und als Sängerin zur Guitarre fast gleichbegabt, verhalf mir mein Leben in der Hofgesellschaft. Ich durfte ihr bisweilen meinen Besuch in ihrem Kapellengleichem Gemach abstatten, – bekanntlich ist das überall ein hergebrachtes Recht der Hoffräulein wie der verehlichten Frauen – und die Erinnerung daran klingt aus folgenden Zeilen wieder, die ich ihr damals darbrachte, von ihr bis in weit spätere Zeit noch des Aufbewahrens werth geachtet:

Der Pilger.

Am 3. Februar 1802 in Weimar.


Viele Pilger gehn aus ihrer Heimath,

Fromm entzündet von der heil'gen Sehnsucht

Nach geweih'ten Bildern und Altären,

Doch nicht Alle finden, was sie suchen.

Wem ein Gott den schönen Wunsch erfüllte,

Wer, von hohen Bildern süß durchdrungen,

Näher sich dem reinem Himmel fühlte,

Muß den andern Pilgern es verkünden,

Wo die Heiligen und Engel wohnen.

Drum vernehmt, Ihr Freunde, meine Worte.


[231]

Zweifelnd ging ich durch die stumme Wüste,

Wie von allem Göttlichen verlassen,

Sang für mich wohl kleine, fromme Lieder,

Sah wohl träumend seltsame Gebilde,

Doch dem schnell Erwachten zeigte nimmer

In der Oede sich das Heiß-Ersehnte;

Bis mir fernher wundersame Klänge

Tief zum neubelebten Herzen drangen.

Und da fand ich auf geweihter Schwelle

Bilder von der Jungfrau und den Heil'gen,

Die der zarten Kunst geweihter Pinsel

Schönen Träumen nachgebildet hatte.

Blumen dufteten vor den Gebilden,

Wie zum Opfer ihre Knospen öffnend;

Und von schönen Lippen klangen Lieder,

Alte wunderbare Kunde bringend

Von der heiligen Elisabetha 16.

Als ich zögernd schied von heil'ger Stelle,

Ging ich nicht mehr einsam durch die Wüste;

Töne klangen um mich her, und Bilder

Wiesen mich hinauf zum lichten Himmel.


Pilger, die Ihr rein das Ew'ge suchet,

Wandelt hoffend zu der heil'gen Stätte,

Daß Ihr neu belebt von hinnen scheidet.


Nächst dieser holden Erscheinung blieb mir noch als dauernder Freudengruß aus Weimar herüber die Freundschaft des Dr. Friedrich Majer, sein Name mir schon aus Ludwig Tiek's poetischem Taschenbuch herüber bekannt, obgleich er mir als ein gewissermaaßen unaussprechlicher galt, bis ich nun erfuhr, »Maier« [232] werde er ausgesprochen. Jener seltsamen Rechtschreibung zufolge pflegte ihn Goethe seinenMagier zu nennen, theils wohl zum Unterschied von dem Freunde Maier, im Schillerschen Briefwechsel so oft genannt, mehr aber noch in Bezug auf Majers genial mythologische Studien, sich von Island nach Indien erstreckend, ja späterhin bis in die wirren Abgöttermisbildungen Amerika's hinein. Wir gedenken, diesem mir innig theuern, jetzt schon längst von der Erde entschwundenen Freunde noch mehrmal im Laufe der vorliegenden Betrachtungen zu begegnen.


Von den drei Dichterheroen, neben Goethe das wundersam vierfache Kleeblatt in Weimar bildend, sahe Fouqué Herder und Schiller. Aber den Erstensah er nur, sich nun einmal zur Goetheschen Entscheidungsaudienz wie ausschließlich getrieben fühlend, und es für lächerliche Unbescheidenheit haltend, so, wie der Reihe nach, gleichsam vorzufahren bei den größten Berühmtheiten. Mit Schiller führte ihn ein günstiges Geschick in einer Abendgesellschaft bei Goethe zwar in's Gespräch, aber eine irgend bedeutsamere Annäherung zu dem erhabenen Dichter ward ihm erst um etwa zwei Jahre später im Badeort Lauchstädt zu Theil, wovon dann seiner Zeit Einiges mitgetheilt werden mag. – Wieland, in gemüthlicher Trauer um seine verstorbene Ehegattin, verlebte diesen Winter, der großen Welt fernbleibend, auf seinem Landgute Osmannstädt. Der junge Aschersleber Anacharsis aber war schon allzusehr in die Schlegel-Tieksche Schule vertieft, um den Verlust seines Anblickes hinlänglich zu beklagen. –

Heimgekehrt nach seiner Garnison, manche Himmelsahnungen im Busen, vernahm er nun bald nachher noch aus einem Briefe Hülsens, die Gebrüder Schlegel, zu jener Zeit in Berlin anwesend, hätten, aus durch ihn mitgetheilten Dichtungen Fouqué's, dessen keimenden poetischen Genius freundlich anerkannt. –

Was fehlte jetzt dem jugendlichen Poeten noch, um in die Sterne hineinzufliegen? –

Eine seinem Sinn angemessene Wirklichkeit und Wirksamkeit. –

[233] Seine Träume für eine solche führten ihn jetzt nicht mehr nach Frankreich, obgleich sein Idol Napoleon wieder sieghaft – mindestens behauptete der wundersame Heros dies Letztere – aus Syrien und Aegypten heimgekehrt war. Aber Fouqué begann irre zu werden an der Sonnenhaftigkeit einer Erscheinung, die ihn nach grade gemahnen wollte, wie ein Meteor, vorzüglich nachdem aus dem republikanischen Feldherrn ein Oberconsul auf zehn Jahre geworden war, endlich gar ein Oberconsul auf Lebenszeit. Freilich, noch als Freund Burkardt in einem Festliede nach der Weise:»God save the king« unsern König in Bezug aus das republikanisch-moderne Frankreich apostrophirte:


»Sein großer Consul hält

In seiner neuen Welt

Dich, was er nicht begehrt,

Der Krone werth!«


sang Fouqué jubelnd mit, verhoffend, die Träume seiner raschen Phantasie dennoch mit den tiefen Treugefühlen seines Herzens dereinst vereinen zu dürfen. Aber wieder und immer wieder in seinem Innern regte sich die schaurig unwillige Ahnung der Begehrungen Napoleons, nicht nur nach einer Krone, nicht nur auf gut papistisch nach Dreien verlangend, vielmehr nach den Kronen aller Welt, und wohl gar – in dämonischer Unersättlichkeit wachsend – noch drüber hinaus.

Jedenfalls wandten sich die Träume des jungen Dichters für eine denkbar erhebende Wirklichkeit jetzt nach Griechenland hin, angeregt durch Hölderlins – ihm durch Hülsen empfohlenen – Roman: Hyperion. Die Hoffnung für äußerlichen Erfolg begründete sich einigermaaßen durch die dazumal fast allgemein verbreitete Sage, ein Türkischer Häuptling in Macedonien, kühn und erfolgreich gegen die Pforte auftretend, Ali Pascha (wo ich nicht irre) geheißen, sei ein ehemaliger Preußischer Cavallerie-Major, durch Unglücksfälle aus den Vaterlande vertrieben, und nun die befreiende Wiederbelebung der alten Hellas versuchend. Wohl mogte dort heitern Empfang der jugendliche Reiteroffizier Fouqué finden, nicht ungeübt in ritterlicher Waffenlenkung und strategischer Wissenchaft, glühend für Freiheit und Hellenische Herrlichkeit! –

[234] Ihm kam die Sache dermaaßen plausibel vor, daß ihm nichts so unverständig schien, als Zweifel an dem Erfolg. Nur hakte und häkelte sich's freilich an dem ersten Loslassen der Bewegung: an dem Freimachen seines Vermögens, um die Fahrt nach Ali-Pascha's Hauptquartier zu bewerkstelligen.

Anders aber mußte seine Stellung werden, als jetzt. Das war jedenfalls in ihm beschlossen.

Ach, ich will es nur bekennen: es lag noch eine viel tollere Traumesbasis vor. Erbauen freilich ließ sich diese keinesweges. Sie mußte so von selber kommen. Aber warum auch das nicht? Hier in wenigen Worten das unsinnige Geträum.

Irgend ein Vorgesetzter (am liebsten ein Prinz, aber der Träumer nahm auch allenfalls mit einem simpeln Major fürlieb) mußte ihn dergestalt verletzen, daß ein Zweikampf nothwendig und sodann sieghaft bestanden ward. Nun zwang die Strenge der Militärsubordination den Sieger zur ehrenhaften Flucht, ja endlich zum völligen Verschwinden. Da nahm er dann nothgedrungen einen fremden Namen an, wenn's sein mogte, einen hinlänglich romantischwunderlichen, und übte sein auf Dilettantenbühnen – auch in Aschersleben selbst, wo solche Ergötzlichkeiten nicht selten durch das Offiziercorps veranstaltet und weither aus der Umgegend besucht wurden – oft gepriesenes Schauspielertalent, und ward im ganz erneueten Leben ein großer, hochberühmter Künstler. Und ob dieser Erfolg noch fern hinausliegen mogte: los war er doch alsbald von aller ihm stets verhaßter werdenden Wirklichkeit, allabendlich ein Andrer, zumehrst ein Held, oder ein edel untergehender Liebender, oder ein geheimnißreicher Fremdling, oder ein wundersamer Einsiedler, und dergleichen mehr, – überhaupt aber ein seeliger Proteus. Immerdar seelig! Denn auch den außen prosaïschen Tag fülleten ihm ernste Studien für die Magie des bevorstehenden Abends. Und die Ruhe der Nacht belebten ihm holde Erinnerungen der ersiegten Künstlerumkränzungen, und ahnende Gesichte für die neu zu gewinnenden.

Dergestalt frisch lebten und labten diese Künstlervisionen, daß auch die unmittelbare Anschauung einer wandernden, in Aschersleben mondenlang weilenden Komödiantengesellschaft, ihr Sorgen [235] und ihr Leid, ihr Borgen, ihren Streit und Zank und Neid inmitten kaum papierner Herrlichkeit ungenirt zur Schau tragend, mich nicht losmachen konnte von meinem Wahnwitz. Wenn nur erst ein echter Geist der Kunst und Liebe dahinein leuchtete, – und wie mogte ich zweifeln, ihn zünden zu helfen! – so mußte ja Alles sich von selbst adeln, meinte ich. Nur Einen Abend die Wonnen echter Darstellung empfunden, und Alle mußten fühlen, sie waren in Arkadien gewesen, ja in Elysium, und konnten keine schönere Lust empfinden, als den Eintritt wiederum dahinein! –

Nun, wohl mir, daß ich so wenig auf die Bretter gerathen bin, als unter die Räuberschaaren Ali-Pascha's.

Darin jedoch behielt die Ahnung recht, daß es anders ward mit meiner Stellung, völlig anders, und zwar noch im Jahre 1802.

Bei'm Aufbruch zu einer abermaligen Urlaubsreise in die Heimath und zu den zwei Haupt- und Residenzstädten umschwebten mich Ahnungen, als kehre ich entweder gar nicht wieder in mein jetziges Verhältniß zurück, oder es müsse doch in meinem Innern sich tief und stark Verwandelndes ereignen. Zudem that sich jene beim ersten Nachtwächterliede für das Säcularfest hervorsprühende satyrische Ader mehr und mehr kund, wenngleich sie Gott-Lob! nimmer die Oberhand gewann in meinem Geiste, minder noch in meinem Gemüth. Aber in einer Nacht, wo ich die Hauptwacht befehligte, fiel mir beim Schreiben an einen Freund die Frage ein, was ich denn eigentlich hier bewache und wovor. »Meint Einer,« – dachte ich lachend, – »man werde die gute Stadt Aschersleben von dannen tragen? Und wohin?« – Da stieg mir ein neckisches Gebild auf von dem Elfengeist 17 Puck, wie es dem, als einem muthwilligen Knechte Oberons, eingefallen sei, in einer Freistunde seinen Spaß mit der guten Stadt Aschersleben zu treiben. Alsbald entsprudelte mir folgende, [236] theilweis noch für mich erinnerliche Kinderei, wofür ich die wahrhaft gute Stadt Aschersleben im vollen Ernst um Vergebung bitte. Sie ist mir innig lieb in der Erinnerung geblieben, und ich wünsche sehnlich, sie noch einmal wiederzusehn. Aber des jugendlichen Poeten Muthwill gehört mit zu seiner vollständigen Schilderung, und mag als Nachhall der früher erwähnten nächtigen Gespensterzüge, sommerlichen Schlittenfahrten und ähnlicher Jugendspäße hier in den mir noch erinnerlichen Fragmenten wohlwollende Aufnahme finden:

Das translocirte Aschersleben oder die Walpurgisnacht.

Puck.
Endlich einmal sind wir freigegeben!
'S wär auch wahrlich ein elend Leben,
Immerfort tanzen wie gezähmte Affen,
Nach Fug und Regel der Schlarraffen,
Die immerfort schwatzen von Ziel und Maaß,
Nicht kommend zum Ernst, nicht kommend zum Spaß. –
Seht Ihr, Kam'raden, wohl das Nest?
Das steht in Grund und Boden fest
Auf echter Halberstädt'scher Erde,
Daß ja nichts Poet'sches daraus werde.
Die Thürme ragen spitzig heraus,
Die Häuser stehn verwirrt und kraus.
Innen wandelt mancher Magister,
Bestaunt nur von seiner Schule Geflister.
Doch wähnt er, seiner Weisheit Schall
Durchtöne Deutschlands Gauen all.
Auch vernimmt man Rosses-Gestampf und Gebraus,
Sieht Reiter zücken ihre Klingen aus, –
Meint Ihr, sie mögten mit Riesen streiten?
Nein, Sie soll'n in der Reitbahn reiten.
Feld-Obersten schreien die Kreuz und Queer,
Als kommandirten sie ein Heer,
Und als wollten sie ziehn alle Welt hindurch, –
'S gilt nur 'ne Revue bei Magdeburg. U.s.w.

Dann schlägt Puck vor, man wolle sich den Spaß machen, Aschersleben während dieser Nacht nach Sizilien zu versetzen. [237] Das kommt aber doch den Elfen schier allzubedenklich vor, und sie repliziren:


Ein Elfe.
Was Kuckuk! In die Blumenfelder?
Ein Andrer.
In die feiernden Lorbeerwälder?
Ein Dritter.
Zu den duftigen Blüthengeweben?
Ein Vierter.
Da würden die Dryaden ja eben
Ein Jammergeklag' ob uns erheben!
Puck.
Ich mein', Ihr seid schon angesteckt,
Seit Ihr den Dunst der Stadt geschmeckt.
Ihr schwatzt von Rücksichten groß und klein.
Verwirrung ist Lust, und nur die allein!

Die Uebersiedelung wird beschlossen und vollbracht unter dem Chorsang:

Nur vorwärts, liebes Aschersleben!
Mußt Dich nun einmal drin ergeben.
Rasch geht die Fahrt ob See und Land,
Rasch, heimlich, – Halt! Wir sind am Strand. –
Ein Bürger (aus dem Thor tretend).
Ich muß fein früh' in meinen Garten,
Um tüchtig Kraut und Kohl zu warten.
Nach Tisch dann geh' ich auf 's Schützenhaus,
Und der Magister bildet mich aus.
(plötzlich erschrocken stehen bleibend).
Potz Donnerwetter, Herr Bürgermeister,
Hält den Staat ein so schwacher Kleister?
Wo blieb mein Krautgarten? Der ist mein
Da lass' ich auf keinen Vertrag mich ein.

Aehnliches Lamento bricht los, und dringt bis in die Mitte der Stadt.
Ein Kriegs-Obrister (aus dem Schlaf erwachend).
Schildwacht, was giebt's dort für Spektakel?
Schildwacht.
Ja, wer versteht das Kikelkakel!
Sie reden von nichts, als Bumen und Blüthen.
[238] Kriegs-Obrister.
Da soll man nun nicht toben und wüthen,
Stört Einen gar ein dummes Schaf
Mit solchem Unsinn aus dem Schlaf!
Der Unteroffizier der Hauptwacht (herzulaufend).
Ach, halten's der Herr Obrist zu Gnaden!
Ich kann wahrhaftig nicht für den Schaden,
Und meld' es mit kläglichem Erbangen:
Die Reitbahn ist zum Kuckuk gegangen.
Kriegs-Obrister.
Die Stadt seh' ich aber doch immer noch.
Unteroffizier.
Mit Verlaub, die Rechnung hat ein Loch.
Innen haben wir Alles behalten,
Vor dem Thor nur thut der Kuckuk walten.
Kriegs-Obrister.
So leg' ich mich wieder auf die Ohren.
Reitbahn verloren, Alles verloren.

Nun kommt auch der Magister herbei, und hilft eifern über den Verlust des außer dem Thor gelegnen Schützenhauses, wo er vor einem geselligen Publikum sieghaft zu doziren gepflegt, wie auch bedauern das jetzige Minus an Kohl draußen und das Plus an Blüthenhainen. Die Dryaden klagen dazwischen über die verwirrende Ansiedelung. Der Magister disputirt heftig wider sie, und negirt ihre Existenz nach Kräften.


Chor der Dryaden.
Ach, Oberon, sind's Deine Elfengeister,
Die uns muthwillig solche Gäste sandten?
Zurück mit diesen Barbarn, holder Meister,
Zum Norden, wo sie selbst sich hinverbannten!
Der Magister.
Verbannten? Im Norden, da ist man klug,
Da gilt des Aberglaubens Trug
Blutwenig, Ihr schwärmenden Nymphen nur, –
Oberon.
Still, still! Der heiligen Natur,
Ihr Elfen all', Ihr übermüthig tollen,
Der hättet nicht Ihr trotzen sollen.
[239]
Bringt Jen' in ihren Kreis zurück.
Ein Jeder kennt sein eigen Glück.

»Ein Jeder kennt sein eigen Glück???« –

Das dreifache Fragezeichen geziemt uns Sterblichen allen gar wohl hinter diesem Satz.

Aber was wir nicht kennen: Gott kennt es, und bescheert es uns, sofern wir nicht allzu hartnäckig widerstreben, und bescheert uns auch zugleich die unerlaßliche Vaterzüchtigung mit, vermöge deren wir behütet werden zum ewigen Heil.


Fouqué erfuhr's, und erfährt es noch zugleich für jegliche Stunde.


Jene dreimonatliche Urlaubsreise näherte sich ihrem Ziel, und noch war nichts, gar nichts geschehen, was auf die geahnete Veränderung seiner Laufbahn hindeuten mogte. Schon begann er innerlich die frühere Ahnung zu belächeln als eine durchaus Elfenhafte Neckerei.

Da ergriff und verwickelte ihn die schmerzliche Geschickeswendung eines Freundes, dem er sich verpflichtet fühlte, das Geleit zu geben auf einer Reise an den Schleswiger Ostseestrand, nicht äußerlich bedrohsam für denselben, denn es ging aus Freundesarm in Freundesarm, wohl aber galt es, den schwer-innerlich Getroffnen auch nicht Stundenlang aus freundlicher Leitung zu verlieren.

Wohl hatte die Fahrt für Fouqué das Bedenkliche, daß der Königliche Urlaub ihm nur für das Inland ertheilt war, und somit die Ueberschreitung der Gränzen ihm Unannehmlichkeiten zuziehn konnte, ohne dazu ausdrücklich eingeholte Vergunst. Dazu aber ließ das Drängende des Augenblickes ihm keine Zeit, wofern er dem Freunde in That und Wahrheit behülflich sein wollte. Somit dachte er bei sich: »Komme, was kommen mag!« und griff rasch und frisch in den Loostopf einer verhüllten Zukunft, unter fremdem Namen in bürgerlicher Kleidung die seltsamliche [240] Fahrt getrost antretend. Der gute Wille fand Schutz, und Alles ging äußerlich störungslos von Statten, wenn freilich nicht ohne mannigfach geistige und gemüthliche Anstrengung. Zunächst als Erquickung beschieden, lag vor ihm das Hoffen auf die Anschauung des Meeres, vielfach, seit den früheren Knabenjahren schon, vergeblich von ihm ersehnt. Einstmal war er als Kind schon ziemlich nahe zu dem Strande der Ostsee hingerathen, und hoffte zuversichtlich auf die feierliche Bekanntschaft. Es traten Hemmungen dazwischen, die er natürlich in seiner kindischen Abhängigkeit nicht zu besiegen vermogte. Gott Lob! Der erst keimende Dichtergeist hätte dazumal noch nicht sich hinlänglich erschließen können, um auch nur einigermaaßen die feierliche Riesenerscheinung in sich aufzunehmen und abzuspiegeln. Jetzt ging es schon besser. Laßt mich etwas verweilen bei den erhabenen Erinnerungen.

Unsre Fahrt ging mit Extrapost Tag und Nacht. Es gab Ursach, mehrst inn're, zur Eil. »Das Meer! Das Meer!« klang es dabei in Fouqué's Seele fort und fort, seitdem nur die Möglichkeit zur Anschauung vorhanden war. So geschah es denn eines Frühmorgens, daß nach durchfahrner Nacht er, aus dem Ermüdungsschlummer auf offner Postkalesche aufwachend, plötzlich, von einem Hügelhang herabschauend, entzückt flüsterte: »Das Meer! Das Meer!« Nicht rief er's, wie etwa Xenophons zehntausend Griechen, nach zahllosen Mühen und Irrungen ihres Rückzuges durch Kleinasien zum Anblick des Pontus Euxinus gelangt, jubelten: »Θαλαττα! Θαλαττα!« Zum lauten Jubeln war seine Seele viel zu feiernd hoch gestimmt. Erflüsterte nur: »Das Meer! Das Meer!« Und den trüblich schlummernden Freund stieß er leise weckend an, und deutete hin auf die Herrlichkeit vor seinen Blicken, wie da rosige Frühwolken schwebten über dem spiegelnd unermeßlichen Raum, –

Es war aber nicht das Meer. Das lag noch Stundenweit fern. Es waren Morgennebel, überwogend und umhüllend eine weite, sich an unsern Hügel heranziehende Ebne. Bald erkannte das Fouqué deutlich, aber die Vision ließ in seiner sehnenden Seele nicht mindre Erhebung zurück. Der schmerzlich müde Freund war in seinen Schlaf wiederum eingesunken, ohne sich deutlich des Vorgefallnen bewußt worden zu sein. – Geht es [241] nicht oftmal dem Poeten ähnlichermaaßen auf seiner Fahrt durch diese Nebelwelt? Auch selbst geliebten und liebenden Freunden gegenüber! –

Selbigen Tages noch offenbarte sich wirklich, aber erst im Abendlicht und fern am Horizont herüberleuchtend, das ersehnte Meer. Jetzt lenkte Fouqué's Fahrtgenoß zuerst des jüngern Freundes Aufmerksamkeit auf den Silberstreif, der zwischen der grasigen Hügelebne hervor blinkte, unmittelbar berührend das klare Himmels-Gewölb, ja fast verschwimmend darin. Nun durchbebte, durchwebte, durchwallete ein seelig stiller Schauer des Schauenden Seele. O wie würde er wortfrei preisend gebetet haben, hätte er damal schon wahrhaft zu beten vermogt! –

Ans Ziel der Reise gelangt, in der Nähe von Kiel, überließ sich Fouqué der Führung eines dort angesessenen, längst zuvor schon – ob ungesehen – geliebten Freundes, um auf einem Spazierritte an den Meeresstrand zu gelangen. Der sinnige Geleiter führte dergestalt, daß man zu Anfang die See völlig aus den Augen verlor, und es aussah, als gerathe man vorerst noch tiefer in das Land. In einem Dorfe machte man endlich Halt, überließ die Rosse dem Schenkwirth zur Pflege, und ging einem schönen Buchenhaine zu, der Hügel-an führte, und mit seinen Riesenstämmen und lieblichen Schatten die ganze Aufmerksamkeit des Fremdlings in Anspruch nahm, die Sehnsucht nach dem hier wohl sehr fernen Meer einstweilen zurückdrängend.

Da faßte der Führer dessen Arm, und ihn rasch noch etwa zwanzig Schritte Hügel-an ziehend, rief er in freudiger Begeisterung:

»So führe ich den Sohn der Natur hinaus an den Anblick ihrer Herrlichkeit!«

Sie traten hervor aus den schattigen Hallen. –

Da standen sie vor der Ostsee, am hohen Strandabsturz, ganz nah und dennoch tief unter ihnen wogend das friedliche Fluthgeroll, unermeßlich weit voll sonniger Pracht ausgedehnt das mächtige Halbrund. –

Noch jetzt – mehr denn ein Viertel-Jahrhundert liegt dazwischen – werden meine Augen seelig feucht vor der Erinnerung. –

[242] Laßt mich noch etwas weilen dabei. –

Diese wundersam gefärbten breiten Streifen, sich über die blaugrüne Fläche hinziehend, bald das Dunkelblau bestimmt vorherrschend, bald das Lichtgrün, bald sogar der Purpur, an des Homerosπορποροειδης – an den hellenischen Küsten mag es wohl allerdings den Hauptcharakter bilden, – mahnend, hier aber das Ganze mehr einer Wiese ähnlich, einer unermeßlichen, einer stets in sich beweglichen, und durch die leisen, weißgekräuseten Wellen-Kronen abgetheilt und bezeichnet in ihrem wundersam regelrecht freiem Tanz! –

Wo kommt Ihr her, Ihr geheimnißreich flüsternden Wandrer? – Aus der Unermeßlichkeit! Vielleicht aus der Brandung eines von uns annoch unentdeckten Eilandes. – Mögtet Ihr es uns zurauschen, was sich dorten bewegt an Lieb' und Leid, an Wonn' und Weh, an Kriegs- und Siegeslust? – Vernehmlicher schon beginnet Ihr zu tönen, – aber da verstäubet Ihr verhallend am Muschelgestade zu unsrem Fuß, und rollet zurück in den großen Räthselreigen, um anderwärts Kunde von uns hinauszutragen, – gleich unvernommen von Jenen, als am diesseitigen Gestade von uns! –

O du Abbild der träumerischen, noch nicht durch Offenbarung erleuchteten Ewigkeit in Zeit, von Zeit in Ewigkeit, herüber und hinüber! –


Finster und schaurig in meiner Seele sah es zu jener Zeit aus, je schauriger und finstrer, je mehr die Sehnsucht nach ewigem Morgenlicht sich zu regen begann, oftmal den Wahn erweckend, nun steige die geistige Sonne in mir empor, oder sei wohl gar schon emporgestiegen bereits, nur daß etwa Frühnebel annoch die Herrlichkeit des Tagesgrußes umhüllen mögten.

In den Vorstunden der äußerlich annahenden Frühdämmerung pflegt wohl just Aehnliches in der Natur einzutreten.

Der träumende Mensch sieht innere Gebilde gewähnten Erwachens, und schläft doch nun erst recht schwer und fest.


[243] Ein schönes Gestirn ging indessen beglückend auf über des jungen Dichters Haupt. Geleuchtet hatte es ihm schon vorlängst in seinen früheren Träumen, ja in seinen ritterlichen Knabenspielen bereits. Denn die Mägdlein blühen ja viel früher auf zu voller jungfräulicher Blumenschönheit, als wir aus unsren Eichenkämpen zum selbständigen Jünglingsdasein erwachsen und aufgrünen.

Jetzt ergriff mich – in meinem 25sten Lebensjahr – die Ahnung, es könne Wirklichkeit werden mit jenen Traumesspielen, und die nun als wunderschöne Wittwe, in allen Glorien erhabener Geistesbildung leuchtende Gestalt sich mir vielleicht entgegenneigen zum seeligen Bunde. Deutlich auf solch eine süße Herrlichkeit zu hoffen, wagte ich noch nicht. Und auch sie selbst hatte sich wohl noch nicht ihr eigentliches Gefühl für den sich in ihren Strahlen entfaltenden Dichtergeist gestanden. Da sang er, während einer kurzen Entfernung, folgende Liedesklänge für sie in Bezug auf einen Lorbeerzweig, den die schönen Hände jüngst für ihn mit einem Myrthenzweige zusammengeflochten hatten, die Worte auf den Umschlag hinzufügend: »Empfangen Sie den Lorbeer und den Myrthenzweig, und vergessen Sie nie, wie hoch die Kunst, wie schön die Freundschaft ist.«


»Mich hatte streng' Geschick von Dir vertrieben,

Zurücke mich gebannt zum engen Heerde.

Da fühlt' ich schon leibeigen mich der Erde,

Und wußte kaum zu hassen, noch zu lieben.


Die früh're Kraft mit frischem Muth zu üben,

Sprengt' ich in's Feld hinein auf munterm Pferde,

Doch war der Sehnsucht ängstliche Beschwerde

Zur Seite stets mir Eilendem geblieben.


Nun wie ein Held, der sich mit Schuld beladen,

Floh ich, die Götter suchend, zum Altare,

Von mir der Musen zartem Bund' errichtet.


Hier mogte nichts dem frommen Priester schaden.

Mir blühte frisch Dein schöner Kranz im Haare,

Sobald ich liebend nur von ihm gedichtet.«


Beim Wiedersehn las er es ihr, und vor dem Laut der ausgesprochnen Worte ging, wie mit einem Zauberblitze, den [244] Beiden ihr gegenseitiges Gefühl auf. Der Seelenbund war geschlossen, – für jetzt noch tief verborgen vor der Welt.


Späterhin durch die kriegrischen Herbstes-Uebungen nach Berlin berufen, fühlte ich schon damal, wie das neue Verhältniß mich vermuthlich aus dem Preußischen Waffendienst abberufen würde. Ohne ein fortan ländlicher Stille frei geweihtes Leben, in behaglicher Wohlhabenheit wirkend, ließ sich der aufbühende Liebesbund nicht begründen. Ich sah vor mir in ein Elysium hinein. Aber auch die ritterlich durchwallete Bahn, durchwallet in freudigster Waffenbrüderlichkeit sammt edlen Genossen, behauptete ihr hold ernstes Recht an mich. Vollends gar der Gedanke an etwa erneueten Krieg in den Reihen dieser wackern Reiterschaar! – Aber davon war für jetzt die Rede keinesweges. Ein Augusteischer Friede schien sich über Preußen gelagert zu haben. Somit bekämpfte Fouqué seine Wehmuth im Hinblick auf die geliebten, bald nun abzulegenden Waffen mit einer wunderlichen Herbigkeit, von sich weisend, fast verhöhnend die Exerzier-Uebungen in einer für den Krieg unzugänglichen Zeit. Am Abend seines Eintreffens in Berlin, wo er zugleich wieder mit jener geliebten Frauen-Erscheinung zusammentreffen sollte, entströmte ihm folgendes Sonett:


»In welch ein Leben bin ich hingerathen!

Hier scheint die Lust zur Poesie erstorben,

Des Rhythmus kühner Wunderschwung verdorben!

Die Menschen alsammt spielen nur Soldaten.


Wer hörte je von raschen Heldenthaten,

Wo man des Marsches Takt erst recht erworben!

Wo der Vandalen Kinder und der Sorben

Um Tritt und Richtung klüglich sich berathen!


Doch freut der Dichter sich, den Ort zu grüßen.

Von seinen Lippen tönen Festgesänge.

Er fühlt sich wie im schönen Heiligthume.


Wohl mag die Lieb' ihm Alles hold versüßen.

Dem Glücklichen entblüht im Weltgedränge

Aus früh'stem Traum die ew'ge Wunderblume.«


[245] Ja, ihm blühte ein wundersames Glück auf in der Ehe mit dieser edlen Erscheinung, in welcher eine bis dahin schlummernde, sich nur eben mehrst in geistvollen Briefen äußernde Dichtergabe nun erwachte, und später auch der Lesewelt die Verfasserin rühmlich kund gab: zuerst pseudonym als Serena, dann unter ihrem rechten Namen: Karoline, Baronin de la Motte Fouqué, geborne von Briest.

Bald war für mich das Gesuch um Entlassung aus Königlichem Kriegsdienst eingereicht und in Gnaden ertheilt, und die Hochzeit auf dem schönen Landsitze Nennhausen, von sinnigen, weit ausgedehnten Parkpflanzungen umgeben, gefeiert.

Mitzeuge der Trauung war der nun verewigte Professor Bernhardi, als Philolog und humoristischer Schriftsteller ehrenvoll bekannt, einer der Ausgezeichneten unter den kraftvollen Geistern, die damal an der Spitze der sogenannt neupoetischen Schule standen.

A.W. Schlegel, dazumal in Berlin vielbesuchte Vorlesung haltend, war durch diesen schönen Beruf abgehalten, der auch an ihn ergangnen Ladung zur Feier beizuwohnen, doch sandte er bald nachher folgendes Glückwünschungs-Sonett:


»Wohl that'st Du, Freund, entfremdet äußerm Glanze,

Vom Staat verlieh'ne Waffen abzulegen.

Doch angeerbt bleibt treu Dir Sporn und Degen.

Du schwingst im Lied nun alter Ritter Lanze.


Und lieblich sproßt die liebevolle Pflanze

Der Myrthe Dir, im Schatten Dich zu hegen,

Und wie Du sorgsam wirst die Zarte pflegen,

Sproßt sie, o Wunder! Dir zum Lorbeer-Kranze.


Wie gerne krönt' ich seegnend bei dem Feste

Die holde Braut, die Dir Dein Herz gefunden,

Mit jedes Lobes Strahlen-Diademe!


Empfange denn von fern als gute Gäste,

Auf diesem Blatt zum Bild' in Eins gewunden,

Der seel'gen Lieb' und Poesie Embleme.«


Der entzückte Sänger antwortete mit beibehaltnen Endreimen – »Wiedersendung des Pfeiles« hieß es nachher in Pindarischer Weise der Meister – also:


[246]

»Hoch blühte Vorwelt in des Ruhmes Glanze.

Zum Streben, alles Niedre abzulegen,

Verbanden Ritter sich, viel wackre Degen,

Für Gott und Damen schwingend Schild und Lanze.


Verwelkt ist nun der Minne blum'ge Pflanze,

Kaum darf man Gottesfurcht im Stillen hegen.

Doch Sänger sind's, die alter Weisheit pflegen,

Sich krönend mit dem selbst-errung'nem Kranze.


Wie ehmals schmücken sie der Freunde Feste,

Durch edle Lieder, wundersam erfunden,

Verherrlichend der Liebe Diademe.


So sandtest freundlich Du uns edle Gäste.

Im lieblichsten Verein zum Strauß gewunden,

Erschienen uns die herrlichsten Embleme.«


Der tiefsinnige Justus Möser weist irgendwo nach, wie die drei Staffeln des ritterlichen Bildungsganges –: Edelknecht, Knapp, Ritter – sich vollständig in der Erziehung des Handwerkers abspiegeln –: Lehrling, Gesell, Meister.

Mit den schönen Künsten geht es eben so, wo es nehmlich nach dem guten Rechte zugeht, ohne dem Treiben der sogenannten Böhnhasen ungebührlich wilden Lauf zu verstatten, sei es, daß man mit Meisel, Pinsel, Klängen, Erzguß, oder Worten bilde.

Jener Hochzeitsgruß mogte wohl zugleich als Lehrlingsbrief gelten. Desgleichen die kurz zuvor erfolgte Sendung eines Sonettes, durch den Meister nach Petrarca übersetzt, mit brieflich ausgesprochner Beziehung auf den Schüler also schließend:


– – – – – – – – – – – – – – – – – –

»Arm kommst Du, nackt, Philosophie, geschritten!«

So spricht das Volk, nur trachtend, zu gewinnen.


Wenig Gefährten auf dem andern Wege

Find'st Du. Drum muß ich, edler Geist, Dich bitten,

Nicht fahren laß Dein großgeherzt Beginnen.


Man wolle übrigens nicht wähnen, A.W. Schlegel habe es dem befreundeten jungen Schüler allzuleicht gemacht mit dem Treppensteigen.

[247] In eingebildet kühner Genialität hatte früherhin der junge Mann vermeint, – ja wohl: vermeint, – das gehe nun so im Schwunge Gipfel-an. Der Beglückte, welchem einmal ein echter Meister zugerufen habe: »In Dir wohnt Poetengeist!« lebe und webe nun eigentlich schon droben auf dem Gipfel, und habe fortan weiter nichts mehr zu thun, als mit den seeligen Göttern sich's wohl sein zu lassen, hintönend bei Nektar und Ambrosia, was ihm in der begabten Seele sich emporheben möge. So, schon gleich nachdem er jenen freundlichen Empfang zu Weimar gefunden hatte, und sodann durch Hülsen den Schlegelschen Gruß vernommen, jubilirte er frisch los, wie folgt, in einem ziemlich verrückten Hymnus, titulirt:


»Der Dichter Preisgesang beim Festmahle

»Mit Lorbeern Euch das Haar geschmückt!
Mit Zweigen festlich den Pokal umschlungen!
Dem Dichter, der ein hohes Ziel errungen,
Gebühret Laub, vom Phöbus-Baum gepflückt.«
»Euch, edle Genossen,
Erwachsen die Sprossen
Im warmen sizilischen Thal
Zum Kranze bei Feier und Mahl.«
»Erwecket die gewohnte Lust,
Und wiegt den Geist auf goldnen Saiten-Schwingen!
Laßt kühn den Wohllaut aus der Kehle dringen,
Wie er Euch sehnend schwellt die hohe Brust!«

Die Erinnerung wird undeutlich. Es ist auch eben nicht viel daran gelegen. Ungefähr so ging es fürder, nachdem noch die Rede gewesen war vom:


»– – – – – freundlichen Spiel,

Das Göttern und Helden gefiel.«

»Wallt freudig hin auf hoher Bahn!

Und Lieb' und Lust kommt strahlend Euch entgegen.

Nie kümmr' Euch, was da drunten sich mag regen!

Laßt den Werlaßnen ihren dumpfen Wahn.«


»Doch mögten sie ringen,

Euch frech zu bezwingen,

So schmettre der himmlische Strahl

Zurück sie in's irdische Thal!«


[248] Somit war denn der verachtende Generalpardon, kaum nur erst den armen Philistern zugestanden, auf den Fall ihrer etwa intendirten Emancipation feierlichst bedrohend wieder zurückgenommen. Mit diesem Aktus nun war – sei zum Schluß der hohen hellenischen Redensarten auch eine etwas plebej-niedersächsische vergönnt – das ganze Gedicht: »all' alle,« zu einiger Verwunderung des sich also feierlich selbst creïrt habenden Poeten selbst. Er hatte wohl seinen Jubelsang auf noch weit mehr Strophen angelegt. Aber freilich war der Schwung auf dem Parnassus-Gipfel allzurasch gewesen, um nicht einige Brustbeklemmung und Othemlosigkeit zu hinterlassen.


Gegen solche Ueberschwänglichkeiten war nun der regelrechte Gang in der Schlegelschen Schule ein treffliches Mittel.

Die Echtheit der Dichterbegabung in des Schülers Brust hatte der Meister theils in metrischen Grüßen, – wir sahen es, – theils im traulichen Gespräch lieb'voll ehrend anerkannt. Um so wohlthätig strenger nun konnte er, ohne zu entmuthigen, jede Stufe der Parnassus-Wanderung überwachen, verhütend, daß keine derselben überhüpft oder überflattert werde. Die Sprachstudien dienten dabei zu heilsamen Zügeln. Vorerst ward die tönendste aller heutig-europischen Zungen, die Spanische, dem Aspiranten zur Erlernung aufgegeben, und mit freudigster Lust ging er auf das holde Ringen ein, zugleich auf das Studium und die Uebung ihrer edelschwierigen Maaße: Espinele, Glosse, assonirende Vierfüßler, durch weitausfliegende Romanzen und dramatische Scenen hin. Gleichsam zwillinghaft verband sich damit die Erlernung des Italischen, und die gründliche Auffassung seiner auch von den Spaniern benutzten schönen Formen: Sonett, Octave, Terzine, und andrer mehr, auch in die Lieblichkeit des mehrst tändelnden, und oftmal doch gar ernst, ja schwer wiegenden Triolet's, und in andre kunstreiche Form-Verzweigungen hinein.

Der Lehrling studirte fleißig, mehrst zu des Meisters freundlicher Anerkennung. Auch das Griechische und Lateinische ward dabei keinesweges aus dem Auge gelassen. Schon vor Jahren, in Aschersleben, hatte Fouqué angefangen die Anabasis des Xenophon [249] aus dem Griechischen in das Deutsche zu übertragen, und hätte vielleicht nicht übel gethan, die Arbeit fortzusetzen und zu Ende zu führen, vornehmlich der militairischen Andeutungen wegen, die er bei stetem Studium der Kriegskunst und Kriegsgeschichte sich schon dazumal zu liefern im Stande gesehn hätte. Für jetzt aber nahmen ihn seine poetischen Schularbeiten fast ausschließlich in Anspruch. Wollte er sich bisweilen einreden, in jene frühere Ueberschwänglichkeit zurückfallend, er sei bereits hinaus über die Lehrlingsstufe, wohl über die Gesellenstufe gar, so wußte der Meister bald mit gutmüthiger Ironie ihn wieder auf die ihm geziemende Stelle zurückzuführen. So, als er einstmal beschlossen hatte, sich den Dichternamen Cölestin beizulegen, – eben nur weil ihn selbiger ganz himmlisch-romantisch anklang, – erwiederte der Meister ganz freundlich auf desfalls geschehene Anfrage mit der Rückfrage: »Warum eben Cölestin? – Cölestin hieß der Pabst, welcher seine ihm zu Theil gewordne allerhöchste Würde freiwillig niederlegte, an welcher Demuth jedoch Dante Alighieri so wenig zu preisen findet, daß er sogar die dadurch erzeugte Handlung mit dem furchtbar strengem Ausdruck stempelt: ›il gran rifiuto‹ (der große Abfall). – Jedenfalls aber muß einer, der sich die dreifache Krone vom Haupt nehmen will, sie vorerst schon drauf sitzen haben.« – »Das ist richtig!« empfand, sich selbst heiter auslachend, Fouqué, und von seinem Cölestinusthum war fortan keine Rede mehr. –

In diese Zeit fällt eine Reise nach Dresden, die ihn noch immer ansieht als ein überaus heitrer Lichtblick seines Lebensganges. Zum erstenmal erschau'te er all die anmuthigen Herrlichkeiten dieser Stadt, und daß er sie mit empfänglichem Sinn erschau'te, bewies ihm ihr mehrfaches Wiederschauen in spätern Jahren, wo ihm bei so mannigfach umgewandeltem Geist und Sinn, und nach so vielen ergreifenden Erlebnissen von Innen und Außen, stets dieselben Gegenstände als liebliche und erhebende Bekannte mit unverwandelter Frische begrüßten.

Namentlich bei den Bildern des trefflichen Gemäldesaales trat dies ein. Solche, die er sich als etwa 27jähriger Jüngling zu Lieblingsgegenständen seiner Betrachtung und Bewunderung erkoren hatte, blieben es späterhin auch noch dem 40jährigen Manne. –

[250] Der heitre Dresdner Aufenthalt schien ihn auch damal näher zusammenführen zu sollen mit Heinreich von Kleist, dem gewißlich in der deutschen Literatur nie vergessenen Dichter des Käthchens von Heilbronn, des zerbrochnen Kruges, – u.s.w. u.s.w. u.s.w., wie man wohl mit weit besserem Recht hinzufügen könnte, als es hinter manchen Titulaturen gebräuchlich ist. Damals hatte Kleist sein überkräftig wunderliches Schauspiel: »Die Familie Schroffenstein« in Druck gegeben, ohne Autornamen. Fouqué wußte davon, ohne es bisher gelesen zu haben.

Nun hätte man meinen sollen, es seien Elemente genug vorhanden gewesen, die Beiden einander zu nähern, und zwar auf's allerinnigste. Jeder, ob zwar in verschiedenen Schaaren, hatte den letzten Rhein-Feldzug im Jahr 1794 als erste Waffenprüfung mit durchgefochten, einander im Jahr 1795 zu Potsdam in heitrer Geselligkeit als jugendlich elegante Ritter antreffend, und Wohlgefallen an einander findend. Seither waren sie Beide aus dem Kriegsdienst zurückgetreten, sich poetischen Studien ergebend. Auch jetzt freueten sie sich wechselseitig des Zusammentreffens in Dresden, – und dennoch blieben sie einander in poetischer Hinsicht gänzlich fern und unzugänglich. Wie das kam? Heinrich Kleist gehörte der Wielandschen Schule an, Fouqué der Schlegelschen, und beide waren, was sie waren, immerdar aus glühender Seele ganz. Sie hielten sich denn in ihren Gesprächen – denn einander geistig fern bleiben konnten und wollten sie nicht – an die Kriegskunst.


Auf der Heimreise von Dresden ward Lauchstädt berührt, und für einige Tage dorten verweilt. Schiller gebrauchte die dasigen Heilquellen. Nicht mehr mit der frühern seeligen Bewunderung vermogte Fouqué den poetischen Heros anzublicken. Die Kritiken der neu-romantischen Schule hatten ihm diese Freude umdüstert. Aber ein geehrtes Haupt stand ja dennoch vor ihm, und er wagte sich getrost an ihn, sich auf die frühere Bekanntschaft in Weimar berufend. Die hatte nun Schiller ganz natürlicher Weise völlig aus dem Gedächtniß verloren. Wie sollte der gekrönte Poet eines vor Jahren gesehenen, flüchtig gesprochenen[251] Kürassier-Lieutenants gedenken, der noch keine Zeile hatte drucken lassen, und vielleicht auch nicht einmal als Aspirant des Parnassus dem droben thronenden Helden genannt worden war! Doch schien ihm jetzt die unbefangne Annäherung des jugendlichen Mannes wohlzugefallen, und auch der Feldherrnname von dessen Großvater kam ihm in's Gedächtniß zurück. Er sah es denn ganz gern, daß Fouqué sich in den paar Tagen öfters dem Schillerschen Gefolge anschloß, bestehend aus jüngern Dichtern, Schriftstellern sonst, und Schauspielern, das dem großen, feierlich einherschreitendem Manne nachschritt, und ihm auch in ein kleines Kaffeehaus zu folgen pflegte, wo es alsdann wohl zu interessanten Diskussionen kam. Doch wurden solche dergestalt unter dem Vorsitze Schillers abgehalten, daß wenn der Meister sein Votum in eine der Wagschalen warf, etwa wie zu Rom ehedem Brennus sein Schwerdt, das Abwägen zu Ende war, und der Sieg entschieden für die begünstigte Schale.

Damit aber ließ Fouqué sich nun keinesweges abfinden. Vielmehr hatte er, dem Präses gegenüber, versteht sich in schuldig äußrer und innrer Ehrerbietung, noch meist immer eine Antwort, wohl auch eine neue Frage in Bereitschaft, wovor das strittige Thema wiederum sich emporhub, einer sogenannt ricochettirenden (aufsetzenden) Geschützeskugel ähnlich.

Freilich suchte solchen Emancipationen der absolut bewundernde Chorus durch ein mächtiges Unisono zu wehren, vielleicht gar in dem Reisenden einen Ketzer aus der Schlegel-Tiekschen Schule witternd. Aber Schiller, nach seiner milden Großartigkeit, trat jedesmal dazwischen, freies Feld gebietend für seinen Gegner, und jene lauten Wellen gaben sich alsbald auf das: »Quos ego« ihres Neptunus zur Ruhe.

Stehe Beispielweis hier die möglichst genaue Wiederholung eines solchen Gespräches. –

Die Rede hatte sich zu dem antiken Trauerspiel gewendet, und zu dessen wünschenswerther Belebung auf der modernen Bühne. Fouqué sprach seine vorherrschende Sehnsucht nach den Tragödien des Aeschylos aus, und durch Schiller befragt, welche von diesen erhabnen Dichtungen ihm die zunächst erwünschteste zur Darstellung sein mögte, nannte er ohne Bedenken den Prometheus, hinzufügend:

[252] »Nur freilich fehlt es bis jetzt an einer genügenden Uebersetzung. Vielleicht aber wären Sie selbst, Herr Hofrath, geneigt, uns eine solche zu schenken.«

»Wir haben ja die Uebersetzung des Grafen Friedrich Stolberg;« entgegnete Schiller, hinzufügend: »gewiß kein verwerfliches Werk.«

Und Fouqué wiederholte lebhaft: »O gewiß nicht verwerflich! Nichts Verwerfliches ist je von den edlen Stolbergsbrüdern geschaffen worden. Aber hier liegt eine wesentliche Irrung zum Grunde: in Betreff des Sylbenmaaßes, mein' ich. Was die Chöre angeht, – da fühle ich mich nicht gelehrt genug, um ein bestimmtes Urtheil auszusprechen, wenn mir's gleich vorschwebt, als gäb' es dort noch mancherlei Unzureichendes. Aber zweifelsohne war es ein durchweg störender Irrthum, die Trimeter des Aeschylos in fünffüßige Jamben umzuwandeln, ja, sich dabei auch den weiblichen Ausgang nach Belieben zu gestatten, und die häufigen Uebergänge aus einer Zeile in die andre, wodurch jenes ohnehin sehr freie Maaß fast in Prosa aufgelöset wird.«

Einige Stimmen tadelten diese Ansicht als rigoristisch, und für die Freiheit des Dichters beeinträchtigend.

Fouqué entgegnete:

»Mitnichten, werthe Herrn. Dem echten Dichter sind die sogenannten Schwierigkeiten der kunstgerechten Maaße nicht zwängende Gewichte, sondern hebende Schwingen. Und Stolberg würde das auch hier erfahren haben, wäre er bei seiner Uebersetzung von dem obigen Gesichtspunkt ausgegangen. Denn namentlich für Aeschylos, und ganz vornehmlich für seine Prometheus-Tragödie bleiben die Trimeter unerlaßlich. In welcher mindern Form können Götter und Titanen sich ausdrücken, – oder vielmehr Titanen und Götter, denn Jene haben hier den Vorrang, prophetische Heroen einer uralten Machtwelt über die neu aufgetauchten, dem zukünftigen Untergange schon im Voraus geweiheten Erscheinungen, – als in dem schwerwiegenden Gang' und Klange des Trimeters!«

Ein wackrer Schauspieler, dessen gewaltig wohllautende Stimme just wie geschaffen für jenes Heldenmetrum erklang, erwiderte schier unwillig:

[253] »Was man uns endlich noch alles anmuthen wird! Nun sollen wir uns unter andrem auch in Trimetern vernehmen lassen!«

Schiller entgegnete freundlich:

»Und warum das nicht, mein Lieber? Schon in meiner Johanna haben's die Jungfrau und Montgommery prätendirt. Ueberhaupt: so was macht sich bei'm er sten Anblick, wie mehrst alles gute Neue, schwierigbedenklicher, als es ist. Da erinnert Euch einmal, wie es mit den Jamben auf unsrer Bühne ging, als ich meinen Don Carlos dorten einführte. Ich will just nicht behaupten, daß er in wirklichen Jamben geschrieben sei. Aber es hatten doch welche werden sollen 18. Und Euch allen schienen sie es damals nur allzusehr geworden. Wo ihr dem Jambus durch ein: ›Ach!‹ oder: ›Oh!‹ oder: ›Hm!‹, oder mindestens durch einen Seufzer einen Genickstoß versetzen konntet, geschah es nicht mehr, denn gern. Jetzt – ich sprech' es in freudigster Anerkennung – verhält sich's bei Euch grade umgekehrt. Verläßt Euch bisweilen im Vortrag metrischer Dichtungen momentan das Gedächtniß, so bestrebt Ihr Euch, das etwa verletzte [254] Maaß wiederherzustellen, nicht nur durch jene Interjectionen, sondern auch wohl durch eine geschickt veränderte Wortfügung, und zwar mehrst mit dem günstigsten Erfolg, so daß man fast der Autor selbst sein muß, um der Variation inne zu werden, und auch dann noch seine Lust daran findet. Also auch mit dem Trimeter werdet Ihr schon zu Rande kommen.« –

Der Schauspieler blickte geehrt und freudig drein, von der liebevoll anerkennenden Zurechtweisung erquickt, und das Gespräch wandte sich nun frisch zu der Möglichkeit, den Prometheus auf die Bühne nach ihrem gegenwärtigen Zustande hervorzurufen. Schiller hörte den Vorschlägen und Einwendungen eine Zeitlang behaglich zu. Endlich sprach er:

»Ich habe wohl sonst manchmal an solche Dinge gedacht, und will Euch sagen, was mir einstweilen dabei herausgekommen ist. Der Kothurn ist wohl gut, die schöngeformte plastische Larve (zugleich durch akustischen Kunstbau vergewaltigend die Stimme) desgleichen, wo es gnügt, Erscheinung und Redeton des Künstlers bis zur Heroen-Würde zu steigern. Aber für dies Aeschylische Titanen-Gebild kommen wir auch damit noch nicht aus. Da könnte mir es nur an phantasmagorischen Glanzbildern genügen in durchaus übermenschlichen Dimensionen, die riesigen Worte – ›Pferderückenbrecher-Worte,‹ wie sie Aristophanes in seiner tollen Spottes-Laune hieß, ohne ihnen dadurch im mindesten zu schaden – durch Sprachröhre hervorgedonnert, von schon an sich mächtigen Stimmen! – Und bei der fast durchaus stationären äußern Haltung just dieser Tragödie läßt sich gar wohl die Möglichkeit einer ähnlichen Darstellung denken, wo dann die anmuthig weichen Gruppirungen der Okeaniden um den gefangenen Titanen her just in zarten Lichteffekten wiederum den anmuthigsten Kontrast, gegen den durch Fesseln, mehr noch durch eigenstarren Propheten-Sinn unbeweglichen Heros bilden würden. Auch nur so, meine ich, würde, im Gegensatze zu dem flüchtigen Götterboten Hermes, der riesige Okeanos auf seinem Flügel-Greif sich hinlänglich hervorheben.« –

Wir Andern saßen lauschend im Kreise umher. Auch in Schillers gewaltigsten Dichtungen habe ich seinen Titanengeist [255] nie gewaltiger empfunden, als in diesen so wie gleichsam träumerisch hingeworfenen Umrissen. –

Nach ähnlichen Gesprächen geschahe es ein paarmal, – das hier Geschilderte und Angedeutete drängte sich in wenige Tage zusammen; so reich vermag ein echter Genius auch den mindesten Zeitraum auszustatten, – daß Schiller den jungen Fremdling darauf anredete, wie sie dieselbe Richtung nach ihren Wohnungen hätten, und gütig hinzufügte: »Wollen wir mitsammen gehn?« Und der Weg war nicht so gänzlich kurz. Wohl kam es dem also Geehrten bisweilen in den Sinn, sich dem Meister als aufstrebenden Dichter zu offenbaren. Aber wozu sollte das eigentlich führen in dieser Kürze des Beisammenseins? Auch stand wohl die damalige Entfernung der neuern Schule von Schiller, bisweilen in völlige Opposition ausartend, dazwischen. Es unterblieb. Aber jenes ihm durch Schiller erzeigte Wohlwollen nahm doch im Geiste Fouqué als ein erhebendes und bestätigendes Zeichen mit zurück. –

Er war dazumal wie besessen von einer albernen Lust, sich gedruckt zu wissen. Ihm begann eben das jetzt vorzuliegen, als eine unerlaßliche Staffel, von welcher an er sich erst als wirklich installirten Schriftsteller betrachten könne. Die Hand auf's Herz: ist es nicht Manchem von Euch, liebe Leser, mit ähnlichen Nebendingen ähnlich ergangen? –

Ich hatte dazumal ein Poëma von des heiligen Bonifacius Beruf, Sieg und Martyrtod geschrieben: dramatisch, und in den mir aufgegebnen kunstreichen Maaßen. Doch auch eine einfach kirchliche Melodie war dazwischen mir aufgestiegen, und zwar an gehöriger Stelle, nehmlich da, wo die neugetauften Sachsen ihre erste christliche Feier halten. Was davon mir noch gegenwärtig ist, klang also:


»Du hast mich eingeladen

Durch Winke sonder Zahl

Zum Denkmal Deiner Gnaden,

Dem theuern Liebesmahl,

Ich ach! blieb kalt im Sinne,

Wie sehr Du Dich bemüht.

Nun hat mich rechte Minne

Nach Deinem Blut durchglüht.


[256]

Ist noch nicht ganz zerrissen

Durch meine Schuld der Bund,

So thu' es mir zu wissen

Durch Deines Priesters Mund.

Ich liege tief im Staube,

Doch sonder Hoffnung nicht.

Es zeigt mir frommer Glaube

Von fern ein tröstend Licht.«


Es war so ein ahnender Anklang, aber freilich vom echten Kirchenliede noch fern, – fern wie ein phosphorisches Dämmerleuchten vom Strahl der aufgehenden Sonne.

A.W. Schlegel hatte diese Dichtung nebst ähnlichen, mit ziemlicher Billigung aufgenommen, und so bildete sich Fouqué während jener kleinen Reisefahrt immer fester ein, es werde bei seiner Heimkehr sich das Werklein durch des Meisters Anordnung gedruckt vorsinden, und zwar in ausnehmend eleganter Form. Kein Tüttelchen davon! Kein Gedanke daran! –

Was er vorfand, war unter andern gleichgültigeren Briefen ein gar seltsamliches Schreiben, und zwar von einem Anverwandten, von dessen Dasein er früher nur dunkel irgend etwas geahnt hatte.

Ein alter katholischer Geistlicher war es, gleichfalls La Motte Fouqué geheißen, angehörig einem in Frankreich zurückgebliebenen Zweige des Stammes, und nunmehr der Letzte seines Namens. Auch auf diesen Zweig, obgleich streng in der Päbstlichen Kirche verharrend, hatte sich die Verfolgung wider die evangelische Linie ausgedehnt, den Besitz der erblichen Burgen und Güter, mit Uebergehung jener nächsten Lehens-Vettern, einem entferntern Verwandten, dem Prinzen Tallemont, zutheilend. Nachher war vollends im Lavastrom der Revolution Alles verstört, was der rückgebliebnen Familie sonst angehört hatte. Durch einen ausgewanderten, dann wiederum eingewanderten Priester hatte Fouqué schon früher Nachricht von dem erlöschenden Stammeszweige vernommen, und war mit jenem Letzten desselben in Briefwechsel gerathen. Diesmal schrieb ihm der Alte voll dringender Ermahnung, wiederum zurückzutreten zu dem alten, echten Glauben der einzig wahren Mutterkirche. Noch strecke sie die Hände lieblich ermahnend nach dem übergetretenen Sohn aus. Ob denn [257] nicht jener Abfall die einst so glänzende Familie aus all ihrer Pracht und Herrlichkeit gestöret habe? Aus den Regenten einer Baronie seien ja nun die Nachkommen umgewandelt in beschränkte Besitzer eines dunkeln Privatvermögens! Wiederkehren möge deren jetzt einziger Manneserb, wiederkehren in die Gemeinde katholischer Gläubigen. Dann werde eine höhere Fügung ihm auch schon helfen zur Wiederkehr nach Frankreich, und zum Wiedereintritt in die väterlichen Hallen, dorten aufweckend das Heerdesfeuer in aller jetzo allzulang entschwundenen Herrlichkeit alter großer Tage. Und was die Sorge für das Heil der Seele betreffe, – ob man denn sichrer gehen könne, als wenn man der Leitung einer Kirche folge, die sich als alleinseeligmachende kund gebe! Die protestantische Lehre dagegen selbst gebe ja zu, man könne seelig werden auch als Katholik. Irrigsten Falles denn sei also Nichts verloren beim Uebertritt, Alles jedoch verloren, wenn auf päbstlicher Seite das Recht stehe, für den in der Ketzerei Beharrenden. Also! –

Man sieht wohl, in dieser ganzen Argumentation lag allzuviel der casuistischen Wunderlichkeit, um einen Geist zu irren, nicht ungeübt im ernsten Ringen Kantischer und Fichtescher Gymnastik, und, ob auch noch so dämmernd vorerst, ergriffen von der Sehnsucht, das Rechte zu thun, einzig um des Rechten willen. So wies er denn die Anforderung alsbald in einem freundlichen Antwortschreiben fest entschlossen von sich ab. Das war denn nun der zweite Zug gewesen, der den Refugié's-Ur-Enkel (ehedem durch den revoluzischen Kriegsmann Roland, nun durch den papistischen Priester La Motte Fouqué) wiederum zurückrufen wollte nach Frankreich. Und obenein unverkennbar meinten es jene beiden Menschen nach ihrer Weise gut mit ihm; und ihre geistigen Waffen waren somit nicht eben kraftlos.

Der letztre Angriff begab sich überdem zu einer Zeit, wo das Gemüth des jungen Mannes eher zumFür, als zum Wider in Betreff des Katholizismus restimmt war.

Es ging ihm, – manch andrer suchenden Seele wohl ist es eben so ergangen, – wie den zum Christenthum bekehrten Völkern der alten Zeit: erst Katholizismus, dann gereinigt evangelisches Christenthum.

[258] Nach den Bekenntnissen am Eingang dieses Werkes kann es den achtsamen Leser nicht befremden, wenn ich mich als einen gutmeinenden Heiden betrachten muß, bis mindestens in mein dreißigstes Jahr herein, – ja, noch drüber hinaus, obgleich, namentlich von dem ernsten Zeitpunkt des Jahres 1806 her, in einer Art von Ascension begriffen.

Zunächst aber zogen mich die Herrlichkeiten des katholischen Kirchendienstes an, und die Legendenwunder, allzumal im edelsten Glanze dargestellt durch die Dichtungen der neu-romantischen Schule, der ich angehörte mit Seel' und Leib. Mein erster Gedanke, bei jener durch die zweite Heirath völligen Umgestaltung meines Lebensganges, war es denn auch, mit der Geliebten zugleich wiederum einzutreten in die Gemeinschaft der alten Kirche.

Und was ich dabei träumte von Andachtsstätten, zu errichten an den geheimsten Stellen des Forstes in der neuen Heimath, – von Reisefahrten nach Italien, – von weit wunderlicheren Dingen noch sonst, – Gott weiß es, und die thörichten sündhaften Eitelkeiten darin hat er – zuversichtlich hoff' ich es nach seiner Gnade – dem Träumer, ihn ernstläuternd, verziehen.

Der wirklichen Ausführung jener Gaukeleien stemmte sich glücklicherweise mannigfach die Außenwelt entgegen, und die Träume selbst wurden gereinigt, geadelt, erhoben durch die Bekanntschaft mit Jakob Böhme's Werken.

Eben diese wunderbare Erscheinung, die bestimmt war, mich auf den einzig sichern Boden einfach festzustellen, und mir zu zeigen das einzig ringenswerthe Ziel, war es, welche man dazumal höhnend anstaunte als den Gipfel aller Wunderlichkeiten, deren sich die romantische Dichterschule schuldig mache.

Während jenes heitern Aufenthaltes in Weimar sagte mir einst Amalie von Imhof, die zarte Muse von Lesbos, im Gespräch über den Schlegel-Tiekschen Musenalmanach, es blühe freilich dorten gar manche schöne Blume, doch auch untermengt mit gar manchen wunderlichen Verzerrungen. So der Schluß des lieblichen Liedes von Tiek an Novalis:


[259]

»Du wirst daß letzte Reich vekünden,

Das Tausend Jahre soll bestehn,

Wirst überschwänglich Wesen finden,

Und Jakob Böhmen wiedersehn.«


Das streife doch wirklich ans Burleske, wähnte die holde Jungfrau. Diesmal jedoch zeigte sich ihr sonst so demüthiglenksamer Troubadour schier widerspännig, wie denn all und jede Autorität, so gern er sich wahrhaft erhabnen Geistern unterordnet, nur bis auf einen gewissen Punkt hin Gewalt über ihn hat, selbst auch so holdweibliche Autoritäten, wie diese, nicht ausgenommen. Er vertheidigte Jakob Böhme's ihm bereits im ersten Schimmer aufleuchtende: »Aurora«, – auch: »Morgenröthe im Aufgange« benannt, – und vernahm somit, gelesen freilich habe die holde Gegnerin vom Jakob Böhme auch keine Zeile bis jetzt. Aber das wisse ja alle Welt, der gute Görlitzer Schuster sei eben nur ein verrückter Schwärmer gewesen. Nun, Fouqué ließ deshalb nicht ab, ihm auf Tritten und Schritten nachzuspähen und nachzugehen, und der Erfolg ward ihm ein seegenbringender für Zeit und Ewigkeit.

Freilich: in der nächst vorliegenden Zeit hatte es noch Zeit damit. Vor der Hand suchte der junge Dichter nur nach den leuchtenden Räthselbildern in den Gängen des mysteriosen Baues. Aber die Bibelsprüche, dort eingegraben, und der fromme, oft wiederholte Wunsch des Autors: »Ach, mögte doch alle Welt zum heiligen Grundquell der Wahrheit, zur Bibel, geleitet werden, und alsdann aller meiner Bücher vergessen!« – es drang mehr und mehr in die Seele des phantastischen Lesers ein, und strömte mit erweckenden Schauern in sein Herz.

Aeußerlich fühlte er sich dergestalt beglückt in seiner damaligen Stellung, daß er bei jeglichem Aufschlagen der Augen aus dem Schlafe seelig staunend um sich her sah, wie fragend: »Bist Du es denn selbst? Und alle diese Himmelsblüthen, auf Dich herniederthauend, – sind sie denn wahr und wahrhaftig Dein?« –

Innerlich indeß, und oftmal just in den fröhlichsten Momenten des Bewußtseins all seiner Wonnen, raunte die Mahnung an den Tod und somit an die Vergänglichkeit aller irdischen Lust herein, und es ward ihm zu Sinne wie jenem Schwelger, der an der üppigen Freudentafel plötzlich des Schwerdtes [260] inne ward, schwebend an einem dünnen Haare grad über seinem eigenen bekränztem Haupt. Und zwar diesmal im noch nie zuvor also gekanntem, ganz unphantastisch-ernstlichem Grauen. –

Solchergestalt ging das stille Wirken heimlich machtvoll fürder, von jeglichem Menschenauge und Menschenohr unvernommen, selbst beinah unverstanden annoch Demjenigen, in dessen tiefstem Innern es sich begab. Aber – zu seiner Zeit mehr davon. –


Im Jahre 1803 bescheerte Gott unsrer Ehe ein Töchterlein, das in der Taufe die Namen Marie Luise Karoline erhielt, und Marie gerufen ward, ein liebes, frischblühendes Kindchen. Unter den Pathen gegenwärtig befand sich A.W. Schlegel, dem der hochbeglückte Vater nun auch noch ein geistiges Kind vorzeigte: eine kleine Sammlung romantischer Dichtungen, die der Meister sehr günstig aufnahm, und sie bald, sich als Herausgeber nennend, in den Druck gab, unter dem Titel: »Dramatische Spiele.« Fouqué erhielt bei dieser Veranlassung den Dichternamen: »Pellegrin«, auf welchen Schlegel, das Büchlein an die Gattin des Dichters übersendend, freundlich die Zeile des Petrarca anwandte:

»Dolce parole, oneste e pellegrine.«

Dies Austreten vor der Welt unter A.W. Slegel's anerkennender Firma mogte wohl für den anklimmenden Parnussusjünger die Stufe eines Knappen oder Gesellen bezeichnen. Um jene Zeit auch ließ zwischen Schlegel und Fouqué sich das trauliche: »Du« vernehmen.

Die dramatischen Spiele selbst waren freilich annoch Schülerwerk, aber durchaus redliches Schülerwerk: entsprungen aus innerlich im Geist aufgestiegnen Gebilden, gefertigt mit Liebe und Lust und voll ernster Treue, allesammt in den kunstreichen Formen der Spanischen Poesie, Eines ausgenommen, die Minnesinger betitelt, und auch in deren, sorgfältig aus der Manessischen Sammlung studirten Maaßen gearbeitet.

Auch in der bildenden Kunst ja freut man sich gern an Werken, kaum ähnlicher Staffel entsprossen, theils zur Vervollständigung der Gesammtanschauung einer Künstlerlaufbahn, theils [261] auch in behaglicher Lust an den noch unentfalteten Knospen selbst.

Die hier vorliegenden mögen sich durch die folgende Schluß-Espinele, an die Zuschauer gewendet, des ersten Spieles am besten bezeichnen lassen:


»Also in der Väter Tagen

Spielte kindlich froh die Minne,

Lockte Ruhm der Ritter Sinne,

Wie die Sänger davon sagen.

Fändet Ihr wohl selbst Behagen,

Nach dem Urquell hinzusehn?

Euch im Garten zu ergehn,

Den wir schwach gezeigt im Bilde?

Frommer Muth und treue Milde

Finden stets ihn offen stehn.«


Auch die Zueignung des kleinen Drama »Aquilin«, an die unaussprechlich geliebte Gattin gerichtet, finde noch, den Ton des Ganzen charakterisirend, Raum:


»Deutschland sah früh glorreicher Dichtung Tage.

Die Lieder tönten kräft'ger stets und linder.

Durch Schwerdt und Harfe zwiefach Ueberwinder,

Hielt unsrer Väter Hand richtend die Wage.


Aus fabelhafter Zeit ging Lust und Klage

Vergnüglich auf, dem Rufe der Erfinder,

Die lieb und freundlich, wie unschuld'ge Kinder,

Sich Spiel vergönnten auch mit frommer Sage.


Sie wußten, treu dem Heil'gen, nicht verwund' es

Der frische Scherz, nicht arglos frohe Possen;

Solch Streben sei andächtig, wie Tragödie.


Drum weih' ich Dir zur Feier jenes Bundes,

Der segnend unsre Herzen hält umschlossen,

Die kühn des Eh'stand's spottende Komödie.«


Zwischen dem Strauß dieser frisch ritterlichen Blüthen hob sich, einer Lilie vergleichbar, eine Legendendichtung hervor: »des heiligen Johannes Nepomucenus Märtyrertod«, gleichfalls in jenen kunstvollen Südlands-Maaßen abgefaßt, zugleich sich dem Ernste der Tragödie bereits annähernd, noch in spätern Tagen dem [262] Verfasser zu seiner Freude wiederum unerwartet begegnend, was zu seiner Zeit berichtet werden mag.


Vielleicht während jener Periode wäre der Gesell allzusehr in die Gewalt seines Meisters gerathen, was denn doch allemal zuviel und somit vom Uebel ist. Zwar blickte A.W. Schlegel – vielleicht an Gabe der poetischen Kritik von Keinem jemal übertroffen, von sehr Wenigen nur erreicht – klar in die eigenste Eigenthümlichkeit seines Schülers herein. Als dieser, von den Düften der Calderonschen Gärten wie berauscht, meinte, überhaupt neige sein dichterisches Leben, Wesen und Sein sich vornehmlich dem Süden zu, und lange in diesem Irrthum verharrete, sagte und schrieb ihm Schlegel mehr denn Einmal: »der eigentliche Magnet in Dir steht nach Norden.«

Wie richtig der Meister sah, hat der Erfolg später bewiesen. Dennoch: es war für Fouqué die Zeit gekommen, ganz allein auf eignen Füßen fürder zu wandeln. Und die dazu treibende Fügung stand vor der Thür, so wenig wir auch daran dachten.

Vielmehr war schon für den Sommer 1804 ein längerer Besuch Schlegels in Nennhausen bestimmt verabredet, wo dann Fouqué so ganz unter des Meisters unmittelbarster Aufsicht seine Studien und Arbeiten zum Ziel emporzutreiben, wohl gar zu flügeln verhoffte.

Da trat die Erscheinung der Frau von Staël in Berlin dazwischen, und A.W. Schlegels näheres Anschließen an die geistreiche Fremde, welches zugleich einige Entfremdung früherer Freunde mit sich brachte, bis dann endlich die Reise nach Coppet uns den geliebten Meister und Genossen für viele Jahre völlig entführte.

Die romantische Schule ging somit überhaupt einer Art von Auflösung in Betreff heiter persönlicher Wechselbeziehungen entgegen. Fouqué blieb einstweilen nur in unmittelbar inniger Berührung mit Bernhardi und durch diesen mit Wilhelm von Schütz, dem Dichter des Lacrymas, welchen man auch wohl in jener Beziehung Lacrymas Schütz benannt hat. Ein Genius, den beiweitem noch die Welt in seiner Tiefe, Räthselhaftigkeit und Vielseitigkeit nicht hinlänglich anerkannt hat. Aber nur Geduld, Freund: Es wird schon kommen: wär' es auch über Deinem Grabeshügel erst! –

[263] Fouqué dichtete damals die Romanzen vom Thale Ronceval, aus dem altdeutschen Heldengedichte des Stryker die Sagen entnehmend, zur Form seine geliebte spanische Sangweise erwählend, und gewißlich hier mit vollem Recht. Das kleine Werklein – nicht einmal der Name Pellegrin stand darauf – in seiner Anspruchlosigkeit zündete, weil aus tief ahnender Kriegerseele entsprossen, mannigfach. Eine albern spöttelnde Rezension oder vielmehr Parodie – in der Jenaer Literatur-Zeitung – verhallete, und kam nicht einmal dazu, den Dichter anders zu ärgern, als nur höchst momentan, indem ihm alsbald von seiner Muse eine lustige Antikritik beschieden ward, an deren Abdruck er weiter nicht dachte, denn als sie hingeschrieben war, fand sich der Dichter schon vollständig zufriedengestellt. Ob ich die Plänkerei hier noch losblitzen lasse? Warum nicht! Macht es doch wohl einem oder dem andern der Leser Spaß. Zur Erläuterung: dem mit der Ziffer »Ahl« unterzeichnetem Angreifer schien es als vorzüglich unstatthaft gegolten zu habrn, daß die Schlußromanze durchgehend auf »Ronceval« gereimt war, und seinen grimmigen Hohn darüber hatte er in unabgesetzten Zeilen solchergestalt ausgelassen:

»Diese Romanzen, allezumal aus dem Thal Ronceval, die in ihren Assonanzen durch der alten Dogen Saal, wie in spanschen Stiefeln, tanzen, geben deutlich zu beachten eine rechte Versequal, und thun die, so sie beachten, weilen auch ihr Inhalt schaal, führen in ein Jammerthal, welches kahl.«


Antwort des Dichters.

»Unbekannt mit Reim und Wohlklang,
Ja, selbst mit der Sylben Zahl,
Parodirt sich, rezensirend,
Selbst der Kritikaster: ›Ahl.‹
Ahl? Warum denn Ahl geheißen?
Glatt und schlüpfrig ist ein Aal,
Dieser starr und steif und holprig.
Nein, nicht darum heißt er Ahl.
Oder weil er den Berührer
Straft mit rascher Kampfesqual?
Nein, ich fass' ihn eben tüchtig,
Und es ruckt mir nicht einmal.
Oder, – nein, kaum läßt sich's denken, –
[264]
Ist's wohl gar ein Schuster-Aal,
Der sich – arge Contrebande! –
Zwischen Phöbus Pfeile stahl?
Ach, es wird sich noch ergeben,
Dies sei nur ein Pseudo-Aal!
Sei's. Man muß dem Armen helfen,
Und an Reimen ist er kahl.
Find' er hier, die ihm gebühren:
Fahl, fatal und illegal.«

Um selbige Zeit erschienen zwei Schauspiele von Pellegrin in Druck, ebenfalls in jenen ihm so lieben Spanischen Maaßen, eines: »der Falke« betitelt, eines: »Das Reh.« Hinter den phantastischen Frauen-und Ritter-Gestalten lauschte eine Naturbezeichnung auf Luft und Erde, wie es denn in jenen Zeiten der romantischen Schule gern geschehen war, aber es lebte und webte auch noch weit Bessres darin: ein Herz, in liebevoller Sehnsucht glühend, und ein kriegrischer Geist, nicht ohne Kriegs-Erfahrung und Kriegs-Verstand. Letzteres offenbart sich vornehmlich durch die Schilderung eines Treffens im Schauspiel: »der Falke.« – Die metrische Behandlung war nun bereits vollständig sicher und wohllautend. Eigentlich sollten die Elementarbilder noch späterhin vervollständigt werden durch zwei andre Schauspiele: »Der Goldfisch« und: »der Salamander«, und vielleicht noch ein fünftes dazu kommen: »der Eremit«, hindeutend auf das Ur- und Grundelement, in – ich will es nur frisch herausbekennen – Jakob Böhmeschen Prinzipien. Wer noch jetzt etwa sich darüber und dawider klassisch ereifern mögte, wolle gefälligst seinen Unmuth damit beschwichtigen, daß weder der Goldfisch, noch der Salamander, noch der Eremit anderweitig vorhanden sind, als in meiner Phantasie. Freilich muß ich bekennen: es ist mir leid um die Stockung, und wären jene zwei Kreaturen in meinem Jünglingsalter ans Licht getreten, so mögte wohl noch jetzt der Eremit ihnen nachkommen. Denn der wäre dazumal wohl schwerlich emporgestiegen. Ich war zu jung dazu, wie ich denn jetzt für Salamander und Goldfisch zu alt bin. Mögte doch einem der wackern Dichterjünglinge, die mir jetzt ihr Vertrauen schenken, die Lösung des Abenteuers dereinst beschieden [265] sein! Entweder des Ganzen, oder so, daß Ihr mir Salamander und Goldfisch zuführtet, ich Euch den Eremiten! – Aber das sind wohl nur eben Träume, wie so Vieles in der Welt. –

Den Falken und das Reh schickte der jugendliche Dichter mit folgender Zueignung an seinen Meister in die Welt hinaus:


An A.W. Schlegel.

»Wer triebe wohl, unkundig der Behandlung,
Sein Schiff durch nie erprobter Brandung Schmettern?
Wer träte, fern von schützenden Errettern,
Durch Zauberwälder an die schwier'ge Wandlung?
Doch führerlos befährt – viel dreist're Handlung! –
Der Poesie Weltmeer auf morschen Brettern
Manch neuer Geist, will ihre Höh'n erklettern,
Nicht achtend Circe's Stab und die Verwandlung.
Der alten Sitte treu, andächtig bebend,
Stand ich am Port, stand an des Waldes Hallen;
Da führtest Du mich ein in's Land der Geister.
Wenn, ferne See'n und Alpen überschwebend,
Die Klänge meiner Zither Dich umschallen,
So nimm sie freundlich auf, geliebter Meister!«
Und also kam es.

Ohne daß Fouqué auch nur die mindeste Veranstaltung getroffen hatte, die kleine Gabe dem geehrten Freunde zukommen zu lassen, war sie an Diesen gelangt, zugleich die Romanzen vom Thale Ronceval mit. Das brachte dem Sänger einen herrlichen Brief ein von des Freundes Hand.

So lange nun schon getrennt, so langes Schweigen nun schon zwischen Beiden gelegen, und jetzt ein ganzer Strom liebevollster Ergüsse des Meisters an den Schüler, überreich aus Jenes reichem Geiste strömend! Ja, die förmlich ehrende Lossprechung aus dem Gesellen- oder Knappenstande! Man durfte diesen Brief, in mehr denn Einem Sinne, einen Meisterbrief nennen, oder auch einen Ritterschlag. Er erfüllete die kühnsten Hoffnungen, mit welchen Pellegrin vor Jahren in den Lehrlingsstand getreten war, ja er übertraf sie, und wahrlich: das wollte nicht wenig sagen, wenn wir uns an deren stolzen Fittigschwung, wie [266] er vorhin angedeutet ward, erinnern wollen. Namentlich erhielten die Romanzen vom Thale Ronceval ein hohes Lob, und der Schlußgesang mit dem durchgeführten Reim auf Ronceval ward als ein echter Choralklang bezeichnet. Da ließ sich nun wieder einmal so recht in voller Lustigkeit hinunterblicken auf jene schon oben abgefertige Ahl-Recension, und auch ernstlichere schon hin und her erlittene Angriffe verschwanden in Nichts vor dem Spruche des Meisters und dem durch ihn beschiedenen Kranz.

Pellegrin arbeitete um diese fröhliche Zeit an der: »Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin von Bretagne,« aus einem alten Roman in Prosa entnommen, von dem Dichter im gereimten Dialog bearbeitet, mit eingeschobenen epischen Sätzen nach dem Maaße des Heldenbuches. Diese Arbeit gewährte ihm viele Freude, und fand auch bei ihrer Erscheinung unter dichterischen Genossen mannigfachen Anklang. Von dem größeren Publikum – meinte er – sei sie fast gänzlich übersehen, wie ihr denn auch, so viel er weiß, gar keine Recension zu Theil ward, einer Taktik zufolge, wie man sie dazumal eine Zeitlang beharrlich genug wider die Dichter der romantischen Schule durchführte, ohne daß dennoch das Ding sonderlich anschlagen wollte. Auch was den guten Ritter Galmy betraf,so erfuhr Jahrelang nachher sein Dichter, daß er am Ostseestrande, namentlich in Stralsund, mannigfach geliebt sei von Männern und Frauen, und zwar zu einer Zeit, wo Pellegrin selbst eben diese Dichtung schon fast gänzlich aus den Augen verloren hatte.

»Ubi effectus, ibi causa,« sagen die Gelahrten. Und in der That mögen die frischen Baumgärten und leuchtenden Blumenanger, in denen Ritter Galmy mit der schönen Herzogin sich ergeht, und manch eine waffenglänzende Kampfesbahn, darin er für ihre und Bretagne's Ehre kämpft, auch wohl noch heut zu Tage des Beschauens nicht unwerth sein.

Was sonst in jener Zeit gedichtet von ihm ward, ist so ziemlich verschollen, und es ist nichts daran verloren. Der freigegebene Schüler wußte von dieser Freiheit nicht den gehörigen Gebrauch zu machen, um so weniger, als gewisse Irrungen zwischen den Meistern der Schule, durch äußerliche Verhältnisse erzeugt, auch das schön wiederum geschlungne Band zwischen [267] Schlegel und Fouqué abermal verstörten, wenn freilich keinesweges gänzlich zerreißen konnten.

Das Verhältniß zwischen Bernhardi und Fouqué dagegen ward immer inniger, mancher abweichenden Ansichten unerachtet, und beide Freunde wirkten vortheilhaft auf einander, indem Dieser sich zu gründlich philologischen, auch philosophischen Studien angeregt fand, Jener die längst zurückgelegte Leier abermal anklingen ließ. Bernhardi hatte eine eigenthümliche Lust an gemeinschaftlich ausgeführten Dichtungen, und daraus entstand ein Werklein: »Schillers Todtenleier, ein Prolog von Bernhardi und Pellegrin,« wozu Bernhardi die Idee erfaßt hatte, auch den Anfang hingeschrieben, dann aber wünschte, Pellegrin möge vollends den Entwurf hinausführen. Es geschah mit Innigkeit, und das Ganze machte günstigen Eindruck. Als Notiz für die Literatur jener Tage mögte schon einiges Interesse in dem Umstande liegen, daß zwei Mitglieder der sogenannt neuen Schule dem von selbiger Seite allzuoft misverstandnem Schiller einen liebevollen Scheidegruß nachsangen. Die Grundanschauung der dramatisch gehaltnen Dichtung war: Schiller, als Knabe in wüstem Waldthal zu nächtig gewitternder Stunde verirrt, aufsteigend um ihn seiner künftigen Dichtungen Visionen. Was in der Ausführung jedem der zwei Verfasser angehöre, beschlossen sie zu verschweigen, und es versteht sich, daß der annoch überlebende Fouqué Wort hält und halten wird.

Ein andres heitres Verhältniß in jenen beglückten paar Jahren bildete für mich das Nahewohnen meines ältesten und frühesten Freundes, ja gewissermaaßen Erziehers, wo es manch edelritterliche Tüchtigkeit und Sitte galt, des Grafen Schmettau. Wir betrachteten sein liebes Bild schon in diesem Werke. Jetzt lebte der edle alte Kriegsmann in überaus glücklicher Ehe mit einer sehr kränkelnden, aber hoch- und zartgesinnten Frau vom Stamme derer von Rüchel, und wir sahen einander oft in wechselseitigem Besuche. Es waren jedesmal Sonnentage.

Einst traf ich an seinem liebgastlichen Heerde mit dem General-Lieutenant von Rüchel zusammen, der, damal auf dem Glanzpunkt seiner leuchtenden Bahn stehend, mir schon früher wohlwollende Beachtung erwiesen hatte, und mir jetzt ehrendes [268] Bedauern über meinen Rücktritt aus dem Kriegsdienst aussprach. Es war im Jahre 1805, und wir meinten schon ganz dicht am Aufgange großer Ereignisse im Kampfe wider Napoleon zu stehn. Dieser hatte sich bereits die Kaiserkrone aufgesetzt, und dadurch war in meiner Seele der letzte Schimmer des Nimbus geschwunden, früher so glanzhaft dorten sein Heldenbild umstrahlend. Mein heißer Wunsch ging dahin, den abtrünnigen Republikaner, den unritterlichen Mörder des Buchhändler Palm und des Herzogs von Enghien, gestürzt zu sehn von der mehr denn Einmal usurpirten Herrscherstelle, und Deutschland gesichert vor seinen Gewaltstreichen, vornehmlich die deutsche Ursprache gerettet vor drohender Uebersandung und Erstickung durch das französische Geschwätz. Und nun einem Kriegsmanne, wie Rüchel, gegenüber, der im Begriff stand, das preußische Schwerdt wider den Gewaltmann zu zücken, einem Zögling des großen Friedrich, schon in den letztern Kriegen wider Frankreich ruhmvoll als Heerführer erprüft! – Es bedurfte der vollinnigen Liebe Fouqué's für Weib und Kind und seine damal so glücklich begründete Stellung, um nicht den General zu bitten: »Nehmen Sie mich mit auf Ihre Ehrenbahn!« Und dennoch: hätte Rüchel es ihm angeboten, einzutreten als Einer seiner Abjutanten, so war ein frisches Ja bereit. Rüchel dagegen, wie er es nachher ausgesprochen hat, erwartete nur eine Anfrage des jungen Mannes, um einzuschlagen, sich jedoch ein Gewissen daraus machend, ihn durch einen Antrag zuvörderst abzulocken aus den erlabenden Pflichten der neubetreten häuslichen Bahn.

Somit galt es denn einstweilen noch Friede für mich, – auf Jahresfrist auch freilich noch Friede für das Vaterland, – dafern man einen Zustand Frieden heißen mag, wo bereits der Riesenschatten des heranwandelnden Entscheidungs-Krieges über das Land sich ahnungsdicht hereinzulagern begann. Preußen besetzte Hannover, und Nord-Deutschland blieb annoch still.


In dieser Zeit ward mir es, mehrst durch Bernhardi's Vermittelung, beschieden, dem gewaltig philosophischen Genius Fichte näher zu treten.

[269] Ich hatte ihn freilich schon einige Jahre zuvor, bei meinem Lehrlings-Eintritt in die romantische Schule, was man so zu nennen pflegt: »kennen lernen.« Das heißt, ich hatte bei Tische neben ihm gesessen, manchmal: »Guten Tag und Guten Weg« mit ihm gewechselt, – aber dabei und bei Aehnlichem war es auch zwischen uns Beiden geblieben. Ich war noch nicht reif, die erhabne Erscheinung nach ihrer Ganzheit in mein Innres aufzufassen, Fichte dagegen wußte von mir wohl eben zu Anfang nicht viel mehr, als daß ich zufällig vorhanden war. Wenigstens ließ er mich nicht sonderlich Näheres über diesen Punkt vermerken, und ich war viel zu entfernt von Allem, was ein triviales Spruchwort: »sich anvettern« heißt, um ihm weiter nachzugehn. Philosoph und Poet – so tröstete ich mich – seien ja keinesweges nothwendig zur Wechselbekanntschaft persönlich verbunden. Dennoch ließ ich nicht ab, seine Werke zu studiren.

Bernhardi, mit Beiden innig befreundet, brachte auch Beide näher zusammen. Als Fouqué einiger metrischen Dichtungen Fichte's inne ward, vornehmlich zweier Sonette so erhabensten Gehaltes, wie dieser edlen Form wohl je mag eingehaucht worden sein, empfand der junge Dichter die allseitige Macht jenes erhabnen Genius. Stets tiefer und inniger ging ihm in der geistigen Verbindung mit Fichte ein wahrhaftes Heil auf. Zwar keinesweges einig mit dem gewaltigen Philosophen über die höchste Anschauung, – vielmehr an seinem Jakob Böhme hielt er, wenn einstweilen auch nur noch ahnungsdämmernd, fest, – freute und erhob ihn die kraftvolle Fichtesche Dialektik, mehr noch der hohe Charakter des Mannes selbst. Fichte dagegen erkannte gern die poetische Gabe seines befreundeten Gegners an, wie auch dessen redliches Streben nach Wahrheit, fern und los von aller schwächlichen Nachtreterei, und neigte sich ihm stets vertraulicher entgegen.

Um eben diese Zeit fand die erste Annäherung statt zwischen Chamisso und Fouqué, und dieser gab einige Gedichte für den sogenannten grünen Almanach ein, der sich jedoch in diesem, seinem dritten Jahrgange zu einem rothen umwandelte. Ob ein Zeichen wachsenden Erblühens? Ich mögte es doch bejahen, wenngleich er der Letzte seiner Art war. Dies lag in den Zeitumständen, wie solche der deutschen Literatur, absonderlich der [270] poetischen, bald nachher so hemmend in den Weg traten. Die eigentlichen Begründer des Almanachs – Chamisso, Varnhagen, Wilhelm Neumann – zeigten sich in diesem Jahrgange beträchtlich vorgeschritten an innrer Klarheit und Kunstfertigkeit der Formen, obgleich die damaligen Meister der romantischen Schule diese Jünglinge noch nicht vollständig anerkannten. Es war eine Ungerechtigkeit, absonderlich in Bezug auf Chamisso, dessen Uebertritt, oder besser: »Heimkehr« aus der neufranzösischen zu der deutschen Sprache, als der Mutter aller ursprünglich germanischen Rede, schon an sich eine allzu beachtenswerthe Erscheinung war, um seine Dichtungen so oberflächlich als Jugendversuche flüchtig zu überblicken, und bis auf Weiteres einstweilen ad acta zu legen. Aber auch die Namen Varnhagen und Neumann stehen seither in einem Lichte, welches kundgiebt, wie man schon dazumal ihren Aufgang bei geziemender Beachtung besser hätte würdigen mögen. Jenes Nichtbeachten von Seiten der Meister jedoch, mitunter wohl gar durch Achselzucken begleitet, gab den drei wackern Jünglingen Veranlassung, die Echtheit ihres Bestrebens durch eine ruhmwürdige Beharrlichkeit zu bewähren, und, je ungünstiger das Wetter von Außen sich anstellte, je tiefer und fester ihre Wurzeln in den Grund zu senken. Möge noch oft manch ein edler, frühe mißkannter Dichtergeist Kraft schöpfen aus Jener Beispiel, und Labung aus ihrem dennoch rühmlichen Erfolg.

Das Jahr 1806 stieg herauf, wohl von Vielen in seiner schweren Bedeutsamkeit ahnend angeschaut, von Niemandem vielleicht jedoch die plötzlich gegen dessen Ende so viel des Schönen und Guten zerschmetternden Donnerschläge für möglich erachtet.

Im Sommer galt es eine Badereise nach Nenndorf, in der Nähe von Bückeburg. Welche süßschmerzliche Erinnerungen dort aufwachten, und auch schon unterweges, auf der früher so oft betretenen Bahn! – Wer das Frühere mit Theilnahme las, empfindet sie wohl von selbst schon mit. Darum lieber hier eine neue, ziemlich wundersame Erfahrung.

Bei guter Zeit zum Uebernachten in Helmstädt eingetroffen, kam es mir in den Sinn, den von Vielen fast für einen Magus angesehenen, – von Andern fast zum Gaukler hinabgewürdigten[271] – Hofrath Beireis aufzusuchen. Er war nicht daheim, aber sein Diener, des räthselhaften Greisen gleichaltriger Gefährt, empfing mich freundlich, und meinte, ich möge nur binnen eines Stündleins wiederkommen. Dann werde ich seinen Herrn finden, müsse aber ihn nicht allzulange aufhalten, damit er noch beizeiten zu dem Kindtauffeste eines Kollegen gelange, denn der Herr Hofrath pflege sich sonst wohl mit Fremden festzusprechen. Aber er selbst wolle mir dann schon einen Wink geben, wenn es an der Zeit zum Aufbruch sei. Mir gefiel diese Treuherzigkeit des alchymistischen Knappen gar wohl, von dem die Sage berichtete, er sei des Meisters Gefährt gewesen in jenen schlaflos geheimnißreichen Nächten, wo man den Stein der Weisen gesucht und gefunden habe. Und habe sich daraus kein Gold ergeben, so sei doch mindestens Karmin herausgekommen, und daher ein gewaltiger Reichthum. Vielleicht gar habe man auch ein Lebens-Elixier bereitet, hinlänglich zur irdischen Unsterblichkeit. Der greise Zauberknapp sahe schon mythisch genug aus für dergleichen Fahrten, und als er mich, indem ich wiederkehrte, in ein Gemach führte, mit dem Bedeuten, der Hausherr werde gleich hereintreten, sahen auch die Umgebungen magisch genug aus: das Zimmer mit alter schöner Haute-Lice tapezirt, schien, obgleich geräumig, sehr eng', wegen seiner ungewöhnlichen Höhe. Drin standen physikalische Instrumente umher, zum Theil mir ganz unbekannter Art, alle leuchtend blank. An der Erde lehnte gegen die Wand ein Gemälde, etwa ein Viertel Manneshöhe, von sehr untergeordnetem Werth, muthmaaßlich aus den Zeiten der Caracci, einige Apostel oder sonst Heilige darstellend. Der Alte, bemerkend, daß ich meine Aufmerksamkeit – es waren sonst keine Bilder im Gemach – dorthin wendete, sprach:

»Dies ist ein überaus köstliches Gemälde. Der Herr hat es erst neuerdings bekommen, und kann sich noch gar nicht von ihm trennen, um es in der Sammlung aufzustellen.« – »Kennen Sie den Namen des Mahlers?« fragte ich. – Und er versetzte mit großer Zuversicht: »O freilich. Es ist von dem berühmten Caroluccio.« –

Erfreut über die höchst unerwartete Bekanntschaft einer so funkelnagelneuen Berühmtheit, könnte ich meine Gesichtsmuskeln eben kaum nur in dem geziemenden Ernst erhalten, während zu [272] meiner Linken die Wand sich langsam von Oben bis Unten aufthat. Und durch die Tapetenthür – denn bald ergab es sich als eine solche, aber dergestalt eingefugt, daß man bisher nichts hatte von ihr bemerken können, und ihrer wunderlichen Höhe wegen imposant, – hereintrat feierlich ein kleiner, hagrer, todtbleicher Mann mit scharfen, bedeutsamen Gesichtszügen, die Augen wie dunkle Funken leuchtend, seine galonirte Sammetkleidung nach altfränkischer Hofsitte, den Galantriedegen an der Seite, das hochauffrisirte Haar stark gepudert und in einen Haarbeutel auf dem Rücken zusammengefaßt. Ich hätte fast an eine Erscheinung des berühmten Caroluccio selbst gedacht, der seine Realität gegen meine Zweifel in Anspruch nehmen wolle. Aber für Dasmal war es der Hofrath Beireis, der mich, den ihm völlig Unbekannten, – denn von Pellegrin hatte er, ungeachtet seines Vielwissens, begreiflicherweise nie etwas vernommen, – mit der höflichsten, ja liebenswürdigsten Gastlichkeit empfing. Er fragte, was ich in der kurzen ihm und mir für dasmal beschiedenen Zeit zu sehen wünsche, und mein Wunsch nach altdeutschen Bildern schien ihn zu erfreuen. So brachte er denn Stück auf Stück herangetragen, eifrig und rüstig hin und wieder laufend: Bilder von unwidersprechlicher Echtheit und großem Kunstwerth, nur Jegliches seltsam aus der Rückseite mit einem lateinischen Distichon von des Besitzers Hand bezeichnet, voll der unmäßigsten Anpreisungen, somit auch auf das Tüchtige und Schöne einen Anstrich des Lächerlichen durch Uebertreibung werfend. Aber wir kamen dennoch gut miteinander zurecht, und nur auf wiederholt mahnende Winke des mystischen Greisenknappen schieden wir, wie es mir denn auch jetzt noch schwerfällt, von dieser angenehm seltsamen Erinnerung zu scheiden.


Der Bade-Aufenthalt in Nenndorf war im Ganzen eben ein Bade-Aufenthalt gewöhnlicher Sorte: langweiliges Ringen nach Kurzweil. Aber einzelne bedeutende Erscheinungen leuchteten dennoch dazwischen empor.

Chamisso kam zweimal von Hameln, wo er als preußischer Infanterie-Lieutenant in Garnison stand, zu Pellegrin herüber, die Beiden schlossen innigen Dichter- und Herzensbund miteinander. [273] Er hat vorgehalten, wenn auch späterhin von einigen Zeitnebeln getrübt, dennoch im Wesentlichen treu vorgehalten bis an's Ende, und ich hoffe, meinen Adelbert einst in großen Freuden da wiederzufinden, wo es keine Nebel mehr giebt und keine wankenden Freunde mehr. Dich grüß' ich noch immer mit dem Gruße, womit Du mich hienieden so gern zu grüßen pflegtest: »Mein Vieltreuer!« –

Noch einen Blick auf die höchst anmuthige Erscheinung zweier Schwestern: Däninnen von Abstammung, Ostindierinnen von Geburt. Lebt Ihr noch hienieden, Ihr Holden? Ihr seid mir längst entschwunden seither. Elisa, die Aeltre der Beiden, schenkte meiner Frau eins jener wundersam feinen Goldkettlein, welche in ihrer Heimath durch Neger – unter dem Wasser, sagt man, – gewoben werden, meine Frau ihr dagegen ein Gold-Kleinod in Gestalt einer Zither, und ich fügte diese Espinele hinzu:


»Fern am Indischen Gestade

Flicht man Gold zu goldnen Banden,

Bild aus heißen Morgenlanden,

Aus der Sonne glüh'ndem Bade.

Sehnsucht sucht dahin die Pfade,

Weckt im Abendlande bang

Aus bewegter Brust Gesang,

Hall't im Ton der Zither-Saiten, –

Laß die Zither Dich begleiten,

Ahn' aus ihr der Liebe Klang.«


Die Zeiten des holden Geträumes, der lieblichen Tändeleien liefen ab. Gewitter donnerten herauf, aber, wie wir Preußen fast Alle zuversichtlich hofften: ruhmvolle Gewitter.

Ein wackrer Emigrant, Herr von Bousmard, damals preußischer Ingenieur-Major, als kriegerischer Schriftsteller ausgezeichnet, sprach einst im vertraulichen Kreise, wo es von so bestimmten Sieges-Erfolgen im Voraus jubelnd laut ward:

»Eins kann ich Euch sagen: Die Leute uns gegenüber jubiliren in gleicher Zuversicht. Wie der Würfel nun also auch zu liegen komme: Eine Partei von Beiden wird sich unmäßig verwundern.«

[274] Daß der wackre Altfrank nicht aus Kleinherzigkeit also sprach, gab er nachher bei der Vertheidigung von Danzig kund durch einen rühmlichen Tod.

Falls jenes Verwundern an uns kommen sollte, hielt ich mich bereit, dem König abermal meine Dienste anzubieten. Konnte ich's denn noch? –

Im Oktober, dem Monat unsrer damalig frohesten Geburtstag-Feste in der Familie, war auch Schmettau mit seiner Gattin nach Nennhausen gekommen. Siegeskunden liefen umher: General Soult sei mit 60,000 Mann völlig vor dem Fürsten Hohenlohe erlegen. Es giebt manchmal solche dämonische Glückgespenster, – diese hier stellten sich beglaubigt genug an, – die mit ihren vorüberzuckenden Lügenlichtern uns die nachfolgende Unglücksnacht nur um so schrecklicher schwärzen.

Erst kam die Nachricht vom Tode des Helden-Prinzen Ludwig Ferdinand. Wie mir seine Erscheinung seit meiner frühesten Jugend ein kriegrisches Sternbild war, ein leuchtender Mars am Firmamente, hat dies Buch geschildert. Nun war er mir schmerzlich versunken in die Todesnacht. Aber einen frühen Heldentod hatte ich längst geahnet für ihn, auch selbst ja bei glänzendfrohen Reigen und Festen, und mein Schmerz um ihn war nur tief, doch rein. Die Botschaft sprach nur von seinem Tode, nicht von seinem Ueberwundensein.

Am Morgen des 14. Oktobers, als ich mich in den Pflanzungen erging, vernahm ich die dumpfen Kanonendonner fern herüber durch die duftigen Frühnebel. »Es ist die Schlacht!« sprach ich zu mir selbst, und meine Seele glühete, wehmüthig empfindend: »Jetzt nun, wie bin ich der ehemal am Rheingestade winkenden ernsten Freundin so fern!« – Das Feuer schien sich weiter abzuziehn. Viele hatten das Gleiche vernommen. Alle hofften auf Sieg. Man wußte die trübe Wahrheit noch nicht. Die Unsrigen waren bereits umgangen, und der vordringende Feind drängte sie von der graden Rückzugstraße abwärts. –

Meine Gesammtstimmung in diesen Tagen allen, sprach sich in einem Liede aus, wovon ich nur noch Trümmer aus der Erinnerung hervorzurufen vermag:


[275]

»Ich weiß wohl noch die Zeit,

Wo ich in tapfern Reihen,

Dem Tode mich zu weihen,

Stand fertig und bereit,

Wo bei'm Trompetenklang

Durch's schlachtbereite Lärmen,

Zum Sammeln und zum Schwärmen

Mein freud'ges Rufen klang!


Ich weiß wohl noch die Zeit!

Nun soll ich's anders wissen,

Soll all die Freude missen,

Und ferne sein vom Streit.

– – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – –


O schmerzlich schöne Zeit,

Wann Namen der Geehrten,

Der hoch im Kampf Bewährten,

Die Welt durchklingen weit!

Wie dann mit dir, mein Sinn?

Mich preist nicht mit die Feier,

Verklingen wird die Leier,

Mein Leben welkt dahin.


– – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – –

Zieht, Waffenbrüder, fort!

Ihr kommt aus droh'nden Wogen

Siegreich einst rückgezogen,

Und ich versink' im Port.«


Eines heitern Nachmittages, bald nach jenen fernherdonnernden Kampfesgrüßen, stand ich mit Schmettau allein im heitern Versammlungszimmer, eine damal von mir unternommne Tragödien-Dichtung besprechend. Ich war von der Eintrittsthür abgewendet, deren leises Oeffnen weiter nicht beachtend. Da sprach der sonst so frisch gefaßte edle Greis, dorthin blickend, mit plötzlichem Erblassen: »Herr Gott!« –

Auch ich, dorthin umblickend, mag wohl erblaßt sein.

[276] Denn in der weitaufgerissenen Thür stand ein wackrer junger Offizier, des Hauses Freund, jetzt Adjutant eines ausgezeichneten Generals, aber todtbleich und seine Züge verstört, einem unheilkündendem Gespenst ähnlich. Dabei sagte er mit beinah tonloser Sprache:

»Alles ist verloren. Wir sind in zwei Schlachten erlegen. Binnen acht Tagen werden die Franzosen in Berlin einrücken.« – »Noch nicht!« erwiederte ich voll trotzigen Zorns: »Erst kommen noch wir Andre dran. Es giebt viele krieggeübte Männer im Lande. Nur Waffen ausgetheilt! Und ein mächtiger Landesaufstand unterstützt das Heer.« –

Männer aus den verschiedensten Ständen hatten sich allwärts in gleicher Gesinnung geregt, und daß sie es echt meinten, gewannen sie um sieben Jahre später Gelegenheit, vollständig zu beweisen durch die That. Jetzt aber versicherte man uns, und stellte sich's nur allzubald von selbst uns dar: Widerstand sei unmöglich geworden, weil es an irgend festen Vereinigungspunkten in der flachgelegenen Mittelmark und Priegnitz fehlte, alle Waldungen seit längsther gelichtet, alle ehedem feuchte Wiesen trocken gelegt, offen dem Feinde jeglicher Zugang, und die Französischen Heere mit reißender Schnelligkeit in die Fußtapfen der weichenden Preußischen eintretend. Es war diesmal vorbei für die kriegsüberfluthete Gegend mit allem Widerstand. –


Daß somit auch Fouqué sich wehrlos festgebannt sah an seinen Heerd, war ihm ein tiefes, früher nicht für möglich geachtetes Wehe. Nun versuchte er auch in dieser Bannung sein Mögliches zu leisten, um diesen Heerd schützen zu helfen. Nacht auf Nacht, während die Familie von dem allgemeinen Landeskummer im Schlaf ausruhete, durchwachte er, um zur Hand zu sein, mit begütigender Aufnahme und bedachtem Rath, – weiter blieb uns Gedrückten ja keine Vertheidigung mehr, – wenn etwa der vordringende Feind im Dunkel auch zu unsrem sonst so friedsam gastlichem Dorf hereindringen sollte. Die Muse wachte mit ihm. Von den ihm eingegebnen Nachtwächterliedern, wie sie wohl allsammt mit Recht heißen könnten, obgleich gar verschiednen Inhaltes, [277] ist gar wenig mehr übrig geblieben in der verworrnen Zeit. Namentlich beklagt er dabei den Verlust einer wunderlichen Dichtung, wo Einer in eine von Geistern behausete Trümmerburg eintritt, bald hinabwandelnd durch die tiefen Gewölbe fort, bald sodann die schwindligen Steigen empor, endlich von luftigen Thurmeszinnen überschauend bis an den Horizontkreis die umdunkelte Flur, allwärt begegnend räthselhaften Geistergestalten oder von ilnen geleitet und umflüstert, – aber es ist untergetaucht in das dazumal Chaotische Gefluth. Einen jener Nachtgesänge nur hab' ich festgehalten, aus der Liebe zu meinem Sangesmeister emporgestiegen und meine Sehnsucht nach ihm ausathmend. Möge das Lied, obgleich schon sonst abgedruckt, auch hier eine Stelle finden.

Glosse.
An A.W. Schlegel.

Thema.
Aus dem Abgrund mich erschwin gend,
Weck' ich die bekannten Töne,
Daß sich Alles mild versöhne,
Lieb' und Streit in Eins verschlin gend

Sehnend, aber unbewußt
Dessen, was mein Sehnen weckte,
Bald mich kos'te, bald mich schreckte,
Rang ich nach des Liedes Lust.
Gütig nahm an seine Brust
Mich der Meister, mahnte dringend,
Rief, in hohen Liedern klingend,
Mich zum Streit mit dumpfem Wahn,
Und ich flog die neue Bahn,
Aus dem Abgrund mich erschwingend.
Espinelen und Sonette
Flossen in die Saiten mir,
Und der edlen Glosse Zier,
Oft zu kunstgepriesner Wette.
Aber bald im eignen Bette
Rang ich, Bach, nach wildrer Schöne,
[278]
Folgte tragischer Kamöne,
Kühn in schäum'ger Wellen Streit.
Nun aus der Vergangenheit
Weck' ich die bekannten Töne.
Denn auf Ewig muß ich lieben,
Trauter Meister, Deine Spuren,
Wandle sehnend durch die Fluren,
Waisenkind, Dir fern geblieben.
Willig nun von Euch getrieben,
Ihr, so edler Schule Söhne,
Holde Espinelen-Töne,
Ruf' ich mein entschwundnes Glück
In den heut'gen Kreis zurück,
Das sich Alles mild versöhne.
Neu gestaltet sich die Erde,
Kronen sinken, Kronen steigen,
Wilder stets der roll'nde Reigen,
Fremder jegliche Geberde.
Doch in dräuender Beschwerde,
Zwischen Kriegern, feindlich ringend,
Unter Waffen, wild erklingend,
Weil' ich vor des Meisters Bild,
Rühre Saiten kühn und mild,
Lieb' und Streit in Eins verschlingend.

Diese Nachtwachen freilich waren, in Bezug auf die erwarteten Franzosen unnöthig gewesen, aber sie hatten doch die übrige Familie beruhigt. Eines Mittags dagegen kam aus einem anderthalb Meilen entfernten Bivouak ein Schwarm von etwa Zweihundert Infanteristen angezogen, ausgesandt, um Lebensmittel herbeizuschaffen, großen oder größten Theils gesonnen, noch sehr viel Anderes zu suchen und zu finden. Und dabei kein Offizier kein Unteroffizier, nicht irgend ein Befehlen und Gehorchen! Jeder für sich! – Zum Halt und Schutz für die blos mit ihren Infanteriesäbeln bewaffnete Menge erschienen nur Vier völlig ausgerüstete Voltigeurs: wackre Männer zum Glück, die das hereindrohende Unheil – von Brand und Plünderung ward bereits gemurmelt – rüstig abwendeten in Vollmacht eines vorhandenen Französischen Sauvegardenbriefes, der jedoch mit seiner papiernen Autorität wohl bald unterlegen sein mögte, wenn nicht unterstützt [279] durch die Waffen jener vier Braven. Sie verspürten bald in Fouqué den ehemaligen Kriegsmann und gehorchten ihm, dies ausdrücklich erklärend, für jetzt als ihrem Offizier. Auch schon ehe sie noch ihr Schirmvogtsamt übernahmen, legte sich manche wilde Woge der fluthenden Menge vor Fouqué's frisch militairischem Wesen und raschem Französisch-Reden. Es ging Alles ohne bedeutenden Schaden ab. Das Nennhauser Kirchenbuch bewahrt ein dankbares Andenken davon, eingezeichnet durch die Hand des ehrwürdigen Pfarrherrn, wie ich das nach Jahren, wegen irgend eines mir aufgetragenen Geschäftes zum Einblick veranlaßt, voll tiefer Rührung erblickte.


Nun kam auf trüben Herbst ein trüberer Winter. Zwar blieb, seit jenem Anfall, unsre Gegend von unmittelbarer Heimsuchung der Feinde befreit, aber die finstern Kunden von fortgesetzten Unfällen des Heeres flogen gleich eben so vielen Raben herein, widriger und verzerrender noch ein Froschgequäk und Krötengepfeif bösartig feiler, das Unglück höhnender, die Feder misbrauchender Schriftsteller. Sie verbreiteten und vergrößerten und verzerrten jegliche unsren Heerschaaren widerfahrne Unbill, und erniederten nach schlimmstem Vermögen – die Lüge rüstig mit zur Hülfe rufend – den Ruhm unsrer edelsten Feldherrn und andern Helden. Ja, auch die Grüfte derer, die den Tod der Ehre auf dem Schlachtfelde gefunden hatten, scheueten sie sich nicht, umzuwählen und zu entweihen. O, des zerreißenden Jammers! –

Das – und wie unzählbar viel Anderes noch! – hemmte, ja verstörte jegliche Freude und jeglichen, auch den geistigen Genuß. Selbst was als Tröstung gelten mogte, tauchte sich in die Farbe der allgemeinen Trauernacht. So, bald nach der Gefangennehmung des Hohenloheschen Corps bei Prenzlau, wozu das wackre Regiment Quitzow mitgehörte, sandte mir ein Freund die erheiternde Kunde, von den fünf Schwadronen seien die zweie des linken Flügels glücklich der Gefangenschaft entkommen, wie ich denn überhaupt schon wußte: das ganze Regiment, die mir so unaussprechlich theure Waffenbrüderschaar, hatte mitten unter dem unglücklichen Ringen bei Auerstädt mit anerkannten Ehren [280] gestritten. Freudenlichter wollten in meiner Seele aufzucken. Aber gleich wiederum stieg das pressende Weh in mir empor: Zwei Schwadronen gerettet! Also drei Schwadronen gefangen! Unter ihnen die Leibschwadron, die Standarte mit, die ich so oft als Jüngling zu Marsch und Treffen und Uebung abgeholt hatte und wiederum zurückgeführt an ihre Stelle! Das letztre geschah allzeit unter fröhlichem Trompetenklang, dem ich seither einmal die Worte untergelegt habe:


»Munter haben geritten wir,

Mit Ehren haben gestritten wir,

Die Standart' in unsrer Mitt' ist hier!

Stell'n sie hier nieder.

Gilt's bald wieder,

Hol'n wir sie wieder,

Holen zum lustigen Ritte sie wir.«


Die wohllautenden Jubelklänge drangen auch in jener Stunde durch meine Seele, – schmerzlich durch die nun blutende Seele! Die Standarte der Leibschwadron in Feindeshand! – Noch vor einem Jahr erst hatte ich das Regiment wiederbegrüßt bei den sogenannten Herbstmanoeuvern um Potsdam, innig empfangen von den Waffenbrüdern allzumal, wiederum, wie ehedem, einhersprengend mit ihnen, mich freuend an ihrer Herrlichkeit und Kraft, – und nun! – Ja, ich mußte mich in mein Kämmerlein sperren, um ungesehen zu weinen, heiß zu weinen, wie ein Kind! –

Warum ich's jetzt vor aller Welt so bekenne? –
Die Scharte ist ausgewetzt, und ich durfte mit zur Hand sein, als sie ausgewetzt ward.

Te Deum laudamus!


Und somit wiederum zurück in mein stilltröstendes, dazumal vor der Welt noch meist ganz heimlich wallendes und waltendes Dichterleben.

Ein Roman, Alwin benannt, hatte schon längst in meinem Innern gekeimt, mitunter auch bereits geblühet. Das Leben eines Jünglings um die Zeit des dreißigjährigen Krieges sollte dargestellt werden, eines poesiebegabten Jünglings, zugleich voll [281] heitrer Kriegeslust und wackrer Kriegsgewandheit. Wonn' und Weh, Glanz und Bedrängniß, Zorn und Wehmuth sollten ihn durch das Leben führen, in eine tief ahnende, still göttliche Erkenntniß der höchsten, einzig gültigen Wahrheit hinein, und somit endlich noch zum Frieden der Liebe schon hienieden, zum Leben auf einer seeligen Insel, von all dem tollen Weltgewirre scheidend für immer ihn und die holdseelige Geliebte, und den erhabnen Sangesmeister. In diesem Sinne schloß das Buch mit den Worten:

»Und das heilige Rügen nahm sie in seine begeisternden Waldungen auf.«


Ein theilnehmend sinnverwandter Leser ahnet wohl schon aus diesen hingeworfenen Grundstrichen, daß von manchem Wiederschein aus des Dichters bisherigem Leben die Rede mit war, wenngleich von den buntesten Phantasiespielen verkleidend umwoben und umrankt.

Das Werk brachte seinem Dichter holde Lichtlein in sein umflortes Leben, und gewann ihm auch aus der Fremde herüber wohlgewogne Freunde. Unter ihnen leuchtete Jean Paul Friedrich Richter hervor, schon früher durch Bernhardi auf Pellegrin aufmerksam gemacht, und durch dessen Vermittlung ihn freundlich begrüßend. Der junge Dichter fühlte manche sehnsuchtvollen Träume, aufgestiegen aus dem Röckabusch, der Westphälischen Pforte und andern anmuthvollen Stellen zwischen Minden und Bückeburg, – später auch um Hildesheim her, – nun beseeligend eintreten in die Wirklichkeit. Das ehrend anmuthige Verhältniß zu Jean Paul wird uns noch öfter hereinleuchten in die wechselnde Lebensbahn des Dichters. – Zunächst noch stand ihm ein herbster Schmerz auf seiner Wallfahrt bevor. Friedrich Graf Schmettau, sein freundlich ritterlicher Waffenmeister in den Knabenjahren, sein sich stets jugendfrisch erhaltender Freund in allen seitherigen Phasen des Lebens, starb im Jahre 1807 an einem Schlagflusse plötzlich zu Potsdam. Fouqué vernahm nur erst noch von bedrohlichem Erkranken. Er eilte hin im Fluge. Spätabends trat er in die erst jüngst bezogne, ihm noch völlig unbekannte Wohnung des Freundes ein. Auf dem ganz dunklem [282] Flur umhertappend, noch immer einiges Hoffen auf günstigere Wendung im Herzen, fragte er in die Finsterniß hinein: »Wohnt hier nicht der Graf Schmettau?« – »Der ist ja todt!« antwortete gleichgültig eine fremde Stimme. – Ich trat in's Gemach. Da lag die Hülle des lieben Abgeschiednen, sanft, freundlich, in volle Preußische Uniform sorgfältig gekleidet. Neben ihm saß die edle Wittwe in tiefen Trauergewanden, unter ihren heißen Thränen lächelnd, bald zu dem theuern Leichnam hernieder, bald empor zu Gott. – Einen Schleier über meinen Jammer! –


Der Friede von Tilsit war geschlossen. Aber nun kam noch erst für die Brandenburger Marken der schwere Druck lastender Besatzung des sich ausruhenden Feindes, in trotzig gespreizter Behaglichkeit aussaugend das Land, ein ganzes Jahr hindurch und noch drüber.

Unter vielen störenden Gestaltungen erhob sich für mich eine mir lieb unvergeßliche: die des Husarenobristen Lempériere, eines Kriegsmannes von echtem Schrot und Korn, eines fröhlichen Altfranzosen von etwa Sechs- und dreißig Jahren, wie man sich ihn nur wünschen mogte. Noch um etwa Zwanzig Jahre später begrüßten wir einander abermal im heitern Briefwechsel mit dem alten unvermindert frischem Freundesvertrauen, als hätten wir uns gestern erst gesprochen. Die Muse vermittelte das, und das Wie wollen wir an gehöriger Stelle berichten. Für jetzt noch berichten wir, was sie zu jenen Tagen mit ihrem Dienstmannen verkehrte, und Manches, was sonst in dessen Innern vorging.


In mein dreißigstes Jahr getreten, wollte mir nun fast klar werden, wie jene frühere Ahnung, ich werde selbige Stufe nicht erreichen, ihre Erfüllung gefunden habe, und zwar nach wundersamer Orakelweise, von dem beschränkten Menschengeist in irrender Auslegung aufgefaßt, späterhin erst sich eigentlich offenbarend im Erfolg. Freilich: gestorben war ich nicht. Aber gestorben war das Heer, dessen Herrlichkeit mir so unerschütterlich vorgekommen war, gestorben die Ruhmesglorie des Preußischen [283] Reiches. Thor ich, den ich für einen Tod ansah, was eben nur ein ernster Ohnmachtsanfall war, das nahende Genesen verkündend! –


Ich dichtete in dieser Zeit noch einiges Dramatische, vorzüglich ein Trauerspiel, Francesco Sforza benannt, und aus einem ernsten Studium der Historie Fiorentini (Florentinische Geschichten) des Macchiavelli hervorgegangen, wie auch sonst aus verwandten Werken. Wohl darf ich sagen: keine meiner Arbeiten im reiferen Alter ist je ohne möglichst gründliche historische Vorarbeit begonnen worden und an's Licht gestiegen. Es mogte mit diesem Trauerspiel gar so übel nicht aussehen, so viel ich mich davon erinnere. Einstmal gab ich es unter der damaligen, durch Napoleon veranlaßten, Hemmung des Buchhandels einem Freunde zur beliebigen Verfügung in die Hand oder vielmehr ganz und gar als Geschenk hin, und weiß nicht, wo es seither geblieben ist. –

In stets näher befreundete Verbündung trat ich um selbige Zeit mit Varnhagen, Neumann und Ludwig Robert, wie auch mit Eduard Hitzig, damals Buchhändler, jetzt Criminaldirektor. Chamisso war gewissermaaßen in seiner seltsamen, aber tief innigen Eigenthümlichkeit das bindende Element zwischen uus eigentlich doch wohl mannigfach unter einander abweichenden Naturen. – Neumann und Varnhagen hatten einen Doppelroman begonnen, nach der Weise, wie es früher Bernhardi und Fouqué im Sinne getragen hatten, und späterhin Jean Paul in seinen köstlichen »Flegeljahren« Aehnliches darstellte. Namentlich hat Neumann durch Parodieen Johannes Müllers und Jean Paul's gar Treffliches geleistet, und der Letztre hat sich in seiner edel harmlosen Genialität nachher selbst daran erfreut. Fouqué schrieb, eingeladen, einige Kapitel dafür. Durch die Ueberkeckheit eines Mitarbeiters gerieth leider das Werk in's Stocken. Nur der erste Theil ist unter dem Titel: »Karls Versuche und Hindernisse« im Druck erschienen.

Fouqué fühlte sich um diese Zeit vornehmlich ergriffen durch die erneuet in's Studium genommenen Tragödien des Aeschylos. Dabei meinte er, seines Amtes wohl möge es sein, die ihm inzwischen [284] vertraut gewordne Nibelungensage, ihn nachziehend zu den altnordischen, durch Torfaeus und Andre aufbewahrten Gebilden, in Tragödien zu behandeln, in dem Sinne, wie Hellenische Bühnendichter die durch Homeros angeklungenen und bewahrten Kunden nach anderweitigen Sagenzweigen bearbeitet hatten. Auf Anlaß eines Fragmentes nach dem Buch von der wundersamen Historie des gehörnten Siegfried, durch Fouqué vor Jahren gedichtet, hatte schon gleich bei der ersten Bekanntschaft A.W. Schlegel ähnliche Saaten in die Seele seines jugendligen Schülers gestreut.

Die Arbeit gedieh sichtlich, auch heiter mit gefördert durch freundliche Bekanntschaft mit den zwei wackern Nibelungenrhapsoden Büsching und von der Hagen. Bald erschien Sigurd der Schlangentödter, im vorliegenden Cyclus das erste Heldenspiel – dem Dichter war diese Benennung als nothwendig aufgegangen für die Gattung, – im Druck, würdig ausgestattet, bei Hitzig. Auf dessen Wunsch auch stand nicht mehr Pellegrin, sondern der wirkliche Name des Verfassers auf dem Titelblatt. Die immer zunehmende Innigkeit seines Verhältnisses zu Fichte veranlaßte die Zueignung an den Philosophenheros, worin zugleich die Identität zwischen Pellegrin und La Motte Fouqué ausgesprochen ward. Das Werk zündete mannigfach. Die Krone der darauf gestreueten Kränze bildete Jean Pauls Recension in den Heidelberger Jahrbüchern, eine Ehre, die auch den beiden nachfolgenden Heldenspielen: »Sigurds Rache« und: »Aslanga« zu Theil ward, nachdem zuvor schon: »Alwin« von dem humoristischen Poeten in all der Jugendfrische kritisirt worden war, die dessen Dichter bei der Arbeit voll seeliger Erinnerungen aus dem Lenze seines Lebens durchhaucht hatte. –


Noch mögen hier die Reime mit vorkommen, die Fouqué bei einer Familiengartenfeier¡ für des Königs Geburtstag seinem Töchterchen in den Mund legte:


»Wißt Ihr's? Es ist Geburtstag heute,

Giebt Blumen, Kuchen, Obst und Wein.

Dem guten König gilts, Ihr Leute,

Ihr müßt geputzt und artig sein.


[285]

Ach, käm' er endlich aus der Ferne

Mit seiner engelschönen Frau!

Dann strahlten uns zwei fromme Sterne,

Der Himmel würde klar und blau.


Das wär' ein Fest! Das wär ein Leben!

Wir flöchten Blumen hell und bunt,

Und dürften sie ihm selber geben,

Und freundlich lächelte sein Mund.


Und gäb's dann schon der Blumen minder,

Wär' nicht mehr hell genug ihr Glanz,

So faßten wir uns an, wie Kinder,

Und wären All' ein Blumenkranz.«


Schauerlich gegen so Viele der geistigen und gemüthlichen Freuden – wir werden sie noch immerdar sich mehren sehn – stach es ab, wie das Vaterland nicht nur von Außen, sondern auch von Innen fort und fort mit Untergang bedrohet war. Der Unwille gegen die Fremdlingsherrschaft, ein an sich nothwendiges, ja lobenswerthes Gefühl, verbunden mit der schmerzenden Unmöglichkeit, unmittelbar Befehle von dem fernen, unaussprechlich geliebten Landesvater zu empfangen, hatte allerlei geheime Verbündungen erzeugt, die sich naturgemäß mehr und mehr untereinander verzweigten. In dem uns umgebendem Dunkel und nach dem ausartungsfähigem Zustande des zeitlichen Daseins konnte es nicht fehlen, daß auch allerhand bösliches Gezücht mit ausgebrütet ward, und die Lüge mannigfach Harpyienkrallen hereinstreckte in das Gewebe. Als Fouqué durch einen – seither auf dem Siegesfelde bei Kulm rühmlich gefallnen – Ehrenmann aufgefordert ward, sich der bereits sehr zahlreich angewachsnen Verbündung anzuschließen, stellte er dabei für sich folgende Bedingungen:

»Kein Meuchelmord des Feindes oder sonst Ueberfall und Ueberwältigung desselben unter gastlichem Dach, misbrauchend sein Vertrauen.«

»Das feierliche Ehrenwort jedes Vorgesetzten: Alles, was geschehe und geschehen solle, geschehe im Namen und auf ausdrücklichen Befehl des Königs, unsres Herrn.«

[286] Der ehrenwerthe Bote nahm die Bedingungen an, und sprach:

»Ich sehe, Sie versprechen schwer. Doch eben deshalb auch fühl' ich: man kann fest bauen auf das Halten Ihrer Versprechungen. – Hätten Sie noch irgend eine Privatbedingung hinzu zu fügen?« –

Fouqué erwiederte:

»Nicht Bedingung, wohl aber Wunsch. Gern wüßte ich einen sichern Zufluchtsort für Weib und Kind, wann nun der blutige Reigen anhebt. Aber wie gesagt: es ist nur Wunsch, keinesweges Bedingung: Ich kann auch auf den Gott, welcher die Liebe ist, alle Sorge legen für meine Lieben, auf Ihn ganz allein.«

»Recht!« sagte der Ehrenbote. »Aber glücklicherweise kann ich Ihnen auch dieses Wunsches Erfüllung zusichern. Es sind zuverlässige Anstalten getroffen, gleich in des Unternehmens Beginn eine Festung zu überrumpeln, und Ihre Lieben sollen eine sichre Zuflucht dorten finden.« –

Der Vertrag war geschlossen. –


Um diese Zeit ward Undine gedichtet, zuerst entsprossen aus einem treuherzig ernsten Berichte des alten Theophrastus Paracelsus, den ich dazumal in seinem wunderlichem Deutschlatein studirte. Ja, Undine, du Liebesblüthe meiner Gott-beschiedenen Muse, zwischen räthselschweren Nebeln, unter bedrohlichem Wettergewölk erschlossest Du Dich lind und fromm, in Deinem Kelch die Thränenperlen sehnender Wehmuth, und wohl mag ich Dir nochmals hier zusingen, was ich Dir bei Deinem zweiten Auftreten Angesichts der Lesewelt zusang:


»Undine, liebes Bildchen Du,

Seit ich zuerst aus alten Kunden

Dein seltsam Leuchten aufgefunden,

Wie sang'st Du oft mein Herz in Ruh!


Wie schmiegtest Du Dich an mich lind,

Und wolltest alle Deine Klagen

Ganz sacht nur in das Ohr mir sagen,

Ein halb verwöhnt, halb scheues Kind!


[287]

Doch meine Zither tönte nach

Aus ihrer goldbezognen Pforte

Jedwedes Deiner leisen Worte,

Bis fern davon man hört' und sprach.


Jetzt wollen sie nun abermal

So Kund' als Gruß von Dir vernehmen.

Darfst Dich, Undinchen, gar nicht schämen,

Nein, tritt vertraulich in den Saal.


Grüß sittig jeden edlen Herrn.

Doch grüß vor Allem mit Vertrauen

Die lieben schönen Deutschen Frauen.

Ich weiß, Die haben Dich recht gern.


Und fragt dann Eine wohl nach mir,

So sprich: Er ist ein treuer Ritter,

Und dient den Fraun'n mit Schwerdt und Zither

Bei Tanz und Mahl, Schlacht und Turnier.«


Nach schmerzlich durchlebten Monden, oftmal die Lieben um mich her von Frieden sprechen hörend und von Entwürfen dafür, wann Alles nur erst wiederum in das völlig gesicherte Gleis zurückgetreten sei, in mir das ernste Bewußtsein: »Ihr steht auf einem Vulkan!« – zogen denn endlich die Franzosen aus Berlin ab, und über die Elbe zurück.

Alles that einen freien, frischen Athemzug. Hielten die feindlich Befriedeten oder die befriedeten Feinde auch allerdings die drei Oderfestungen immer noch besetzt, und standen sie am linken Elbufer stets marschfertig wenige Meilen von Berlin, – man fühlte sich doch los von ihrem Anblick und dem unmittelbarem Heerdesjoch. Und im Fall ihres Losbrechens konnte man ihnen jetzt offen und im guten Krieg entgegenrücken.

Kehrte auch das erhabne Königspaar noch nicht alsbald, wie wir gehofft hatten, nach Berlin zurück, – Preußische Truppen doch rückten ein, Schill mit seinen Husaren zuvörderst.

Somit hatte jene verderbliche Geheimnißkrämerei ein Ende, wenigstens für mich und Viele Meinesgleichen, die, wenn man uns noch mit solchen Dingen kommen wollte, antworteten:

»Der tapfre General Léstoc befehligt im Namen des Königs die [288] Hauptstadt und die Provinz. Was wir fortan zu thun und zu lassen haben, werden wir schon durch ihn vernehmen, und zwar durch ihn allein, bis unser König selbst kommt.« –

Für ein Festmahl, welches zu Spandau die Stände des Havelländschen Kreises dem dort eingerückten Brandenburger Kürassier-Regiment gaben, hatte Fouqué solgendes Lied gedichtet:


(Mel.: Bekränzt mit Laub etc.)

»Wohlauf! Wohlauf! Des neuen Morgens Röthe
Beleuchtet unsre Bahn.
Hell klingt und grüßt die Preußische Trompete,
Und Preußens Krieger nahn.
Schwer zog und tief auf allen unsern Wegen
Ein schwarzer Wolkenlauf.
Nun jauchzt dem Tag manch frohe Stimm' entgegen:
Du lieber Tag wohlauf!
Die fern am Strand der Weichsel rühmlich stritten,
Dem Krieg gesprengt ihr Blut,
Und auch Die hier im Vaterlande litten
Mit treuem Bürgermuth.
Wir Alle nun, zum trauten Bund vereinigt,
Mir bieten uns die Hand:
Im Feu'r der Noth, was unrein war, gereinigt,
Und echtes Gold erkannt.
Wohlauf! Wohlauf, Ihr rühmlichen Bewährten,
Uns winkt ein günst'ger Stern.
Der leucht' uns stets als treulichen Gefährten
Für unsern Heerd und Herrn.«

Das Lied ward voll inniger Begeisterung gesungen, und Fouqué fand gar manch einen persönlich eignen Anklang, indem, was noch vom wackern Regiment Quitzow in der Armee lebte, den Brandenburger Kürassieren einverleibt war. Einige tüchtige Unteroffiziere, aus den vergangnen Tagen her, traten ihm gleich am Morgen mit dem Gruß treuherzig entgegen: »Sie haben sich unsrer nicht zu schämen, Herr Lieutenant. Wir haben den alten Ruhm festgehalten, und vornehmlich bei Auerstädt, – da haben wir die Franzosen redlich zusammengehauen.« –

Seit diesen Stunden stand mein Entschluß fest:

[289] »Sobald das Kriegsfeuer wieder losbricht, – zu den Brandenburger Kürassieren gesellst du dich.« –

Schill war Einer der Mahlesgäste, empfangen, wie überall dazumal im Zenith seiner Glorie, mit jubelndem Beifall, gleich bei seiner Einfahrt in die Stadt, ehrend begrüßt von holden Frauen und stattlichen Männern, ein Liebling aller ehrsamen Preußen. Aber es lag wie ein Gewölk über seinem ganzen Wesen, und er hat es wohl mannigfach ausgesprochen, seine hohe Stellung schwindle ihn an. Als ich am Abende jenes Festes ihm vorgestellt ward, und die Hoffnung aussprach, über kurz oder lang unter seinen Befehlen für König und Vaterland zu kämpfen, sagte er mit einem seltsamen Lächeln: »Sie machen sich große Gedanken von mir!« und setzte, nach seiner Vorliebe für Schillersche Redewendungen hinzu: »Jedem von uns haben die Sterne seine Bahn bestimmt. Sollte ich dereinst Ihren Erwartungen nicht entsprechen, so halten Sie sich überzeugt, daß die Schuld an den Sternen lag, oder an meiner eignen Schwäche, wahrlich aber am Mangel meines guten und getreuen Willens nichts.« –

In jenen Tagen hatte ich in Bezug auf den leuchtenden Helden der Gegenwart, so zwischen Ernst und Spaß im geselligen Kreise, ein Lied gedichtet. Es ging nach einer alten, schon früher hier angedeuteten Reiterweise des Regiments von Quitzow, und wie ich mich denn damals mit dem Studium der Volkslieder beschäftigte und mit deren Auffindung, nahm es absichtlich manche Reimfreiheiten, auch Wunderlichkeiten des Provinzialdialektes auf, wie: »seind« für:»sind« u.s.w. Hier dessen mir noch im Gedächtniß lebende Ueberbleibsel:


»Ihr lieben Preußen insgemein,

Die gerne frisch und lustig seind,

Und treu ergeben

Dem König und dem Deutschen Land,

Nehmt Euch ein volles Glas zur Hand,

Laßt Schill hoch leben!


Als schon die schlimme blut'ge Schlacht,

Nicht weit von Au'rstädt, war vollbracht

Zur bösen Stunde,

[290]

Da hat sich Schill auf's Pferd gemacht

In Magdeburg und nicht geacht't

Seiner tiefen Wunde.


Er ritt so keck wohl aus dem Thor,

Ritt hin durch's ganze Ney'sche Corps,

Konnt Kein'r ihn halten.

Er ritt wohl über'n Oder-Fluß.

›Hier‹ – sprach er – geht's von Neuem los.

Frisch Stand gehalten!«

Nun schilderte das Lied das Sammeln der Freischaar in Kolberg. Dann ging's weiter:

»Man sah der guten Jäger viel.

Die nahmen sich genau auf's Ziel

Die Voltigeure,

Und Reiter und Husaren auch,

Die hieben ein nach Preuß'schem Brauch

Auf die Chasseure.


Und zeigte wo sich ein Kurier,

Gleich hieß es: Meine Preußen hier,

Nehmt Den gefangen!

Auch Waffen- oder Geld-Transport

Nahm man ohn' Säumen mit sich fort,

Dem Feind zum Schaden.


Als drauf nun endlich Friede war,

Und nach 'nem ganzen langen Jahr

Das Land uns eigen,

Da hieß der König nach Berlin

Den Schill gleich mit Husaren ziehn,

Zuerst sich zeigen.«

Dann Schills Jubelempfang in der Hauptstadt. Endlich:

»Giebt's künftig wieder Kriegesbrand,

Woll'n Alle wir für Fürst und Land

Mit Schill marschiren,

Und thun nach braver Preußen Brauch:

Gut drauf gehn, und hernach denn auch

Brav jubiliren!«


Die Waare bestand ihre Probe gut. Denn nachdem, eben nur zum Vertheilen unter Freunde, eine kleine Anzahl Exemplare [291] ganz einfach abgedruckt war, sahe man bald an Schenkenthüren und in Bauern- und Tagelöhnerhäusern den kolorirten Schill zu Roß im Holzschnitte prangen, an beiden Seiten jene Liedeszeilen um ihn her gedruckt. –

Wie dies edle Gestirn, durch fremde Magnetenkraft fortgezogen, und irregeleitet aus seiner Bahn tretend, unterging, wissen wir Alle, und die Schilderung, wozu wohl sonst der Schreiber dieser Zeilen aus mannigfach sichern Quellen beitragen könnte, gehört nicht hierher. In der ersten Zeit nach Schill's Aufbruch und Abmarsch, worin ich eben nur eine rasche Avantgarden-Bewegung sah, hoffte ich noch immer aufs Nachrücken mit ganzer Macht, und hielt mich dazu bereit. Das Gouvernement aber sprach ausdrücklich die Misbilligung des Königs aus. Für Fouqué gab es nun keine Frage mehr. Einen Rettungserfolg annoch hoffte er für die edelverlockte erlesene Schaar durch Einschiffung nach England. Nun empfing er die Trauerkunde von Schill's und der Seinen Erliegen in und um Stralsund, zugleich mit dem erstem Briefe von Jean Paul, auf der Ueberschrift bemerkt: »Dichter des Sigurd«, der Schluß: »Das Leben sei Ihnen so günstig, wie die Muse.« – O unser Leben trägt ein schauerlich unterschiedenes Janus-Antlitz! –

Hoffnungen für die Errettung Deutschlands vom Frankenjoch, vielleicht auch für eigne rühmlich rechtmäßige Teilnahme am Kampfe blühten oder keimten noch immer, so lange Oesterreich den ehrenvoll erhobenen Schild hoch hielt im Gefecht. Die Schlacht von Regensburg hatte diese Gefühle nicht zu lähmen vermogt. Die Schlacht von Aspern steigerte sie zur Entzückung. Die Schlacht von Wagram hemmte sie. Der bald darauf erfolgte Friede warf sie zu Boden. –

Um diese Zeit geschah es, daß Fouqué, bei einer Zusammenkunft mit Berliner literarischen Freunden zwischen Berlin und Potsdam, durch Ludwig Robert einen Brief Heinrichs von Kleist empfing, im Wesentlichen dieses Inhaltes:

»Wir beide sind nun wohl als Dichter mündig geworden, und der Schule ledig. Es wäre drum an der Zeit, daß wir einander auch in dieser Hinsicht die Hände böten zum heitern Bund' und Verkehr.« Mit hoher Freude ging Fouqué darauf [292] ein, noch eigenthümlich ergriffen durch die Andeutung, es werde sich bei einem verheißenen Besuche Kleist's in Neunhausen eine ganz wunderbar, bis jetzt noch völlig verschwiegne »prästabilirte Harmonie« zwischen Beiden offenbaren.

Was damit gemeint war? – Lange blieb Fouqué in völliger Ungewißheit darüber. Erst viel später vernahm er, daß Heinrich Kleist in seiner tiefen Schwermuth, zunächst jetzt über den drohenden Untergang Deutschlands, überhaupt jedoch seinem Wesen eigen, schon vorlängst mit Selbstmordgedanken umgegangen war. Einem Geiste, wie dem seinigen, konnte die Halbschied des Daseins nicht genügen, wie wir sie hienieden wahrnehmen, und die Glaubenssonne, welche uns dessen andre Hälfte aus dem Weltmeer spiegelt, war ihm nicht aufgegangen. So hatte ihn denn eine unbegränzte Sehnsucht ergriffen, hinter den Vorhang zu schauen ins Allerheiligste, zugleich aber auch der trübe Wahn, es genüge am Sterben um dahinein zu treten. Er hatte schon zweimal den Antrag befreundeten Menschen ausgesprochen, ihn auf dem ernsten Entdeckungsgange zu begleiten, und sich durch ihr Zurückweisen nicht nur verletzt gefühlt, sondern sogar entfremdet. Mogte ihm nun eine Ahnung aufgestiegen sein von den Schwindelgängen, welche Fouqué, wie schon angedeutet, früherhin an solchen Abstürzen bestanden hatte? Bestimmtes darüber konnte ihm denkbarlicherweise nicht kund geworden sein. Auch enthielten Fouqué's Dichterwerke wohl keine sichtbare Spur davon. Oder war es, was die Gelehrten Idiosynkrasie zu benennen pflegen? Jenes wundersame Gefühl, welches uns gleichsam magische Blicke bisweilen in die Seele des Andern zu thun vergönnt? – Wir kennen solche geheimnißreiche Anziehungen. – Doch laßt mich hier mit Wieland sprechen:


»Verstummend blieb' ich stehn an dieses Abgrunds Rand.«


An derselben Stätte empfing Fouqué jenen Gruß von Heinrich Kleist, wo wenige Monde nachher der irre geleitete Dichter die Geliebte und sich in die Ewigkeit hinüber riß am seeigen Uferstrand unter düstrem Fichtenschatten. Friede sei mit ihm! –


[293] Noch eines Andern innig befreundeten Heimgang um diese Zeit werde gedacht. Hülsen war mit seiner im Schleswigschen Lande, seiner jetzigen Heimath, ihm gewonnenen wunderschönen Frau zum Besuch in das Vaterland zurückgekehrt, wo sie ihm ein holdes Töchterlein gebar. Alte Bande erneute er, vornehmlich auch mit seinem ehemaligen Zöglinge Fouqué. Durch Hülsens Studien und Verkündigungen der Naturphilosophie, durch Fouqué's immer ernstlicher werdendes Ringen nach der Göttlichen Bibeloffenbarung schienen jedoch Beide sich in wissenschaftlicher Hinsicht nur mehr und mehr von einander zu entfernen. Es schien eben nur so. Liebe ja vermittelt, wo sie ewiger Art ist, jegliche Divergenz. –

Eines Abends, wo der jüngere Freund den älteren eine Strecke weit heimgeleitete nach dessen nahegelegenem einstweiligen Wohnort, und sie durch eine sandige Fichtenwaldung wandelten, sprang die Kinde von Beider Herzen. Man kam auf Natur-Abgötterei zu sprechen. »Meinst Du denn«, – sagte Hülsen, ein seeliges Leuchten aufgehend aus seinen großen dunkeln Augen, – »meinst Du denn wirklich, diese sogenannt wirkliche, diese endliche Natur sei es, die ich preise? Ihre Idee ist es, worauf mein ganzes Ringen sich stellt. Nicht dieser Sand, der unsre Schuhe füllt«, setzte er lächelnd hinzu, – »nicht dieser Harzgeruch aus Kieferstämmen und Kiefernadeln, – nicht Das und Aehnliches ist es, was ich Natur nenne. Was da war vor aller Zeit, was da schwand in der Zeit, was da wiederkommen wird in alle Ewigkeit, – aber wir stammeln allesammt nur an dem Mysterium, und für heute trennt uns das tiefer hereinschattende Dunkel. Die Deinigen mögten sich ängsten über Dein allzulanges Ausbleiben. Zudem wolltest Du ihnen ja den Anfang Deiner Dichtung von Karl des Großen Geburt und Jugend noch heut Abend vorlesen. Also wende Dich zum Heimgang. Aber auf morgen komm herüber zu mir. Da wollen wir einander die Herzen vollends erschließen.« – Wir schieden voll seeliger Rührung. Tages darauf kam ich mit hochklopfendem Herzen. Aber ich fand den Freund erkrankend und sehr matt. Er schob die verheißenen Mittheilungen auf ein andermal hinaus, und dies Andermal ist für das Diesseit niemal gekommen. Er fiel in eine schwere Krankheit, und das Ansteckende derselben [294] veranlaßte den Arzt, jeden Verkehr zwischen den beiden Familien streng zu untersagen. Nur als Leichnam durfte ich den Freund wiedersehn, aber als einen schönen Leichnam, das Lächeln des besiegten Schmerzes auf den Lippen.


Die Jahrhundertfeier von des Großen Friedrich Geburtstag sollte mir zu Berlin in mannigfacher Hinsicht gar tief bedeutsam werden.

Am Vorabend derselben hatte ich nach heitrem Gewohnheitsrecht wieder einmal den verehrten Fichte besucht. Ich fand ihn mit Weib und Sohn – dieser damals noch in den Knabenjahren – allein, und um so rücksichtsfreier gestaltete sich das Gespräch zwischen ihm und mir, also auch um so tiefer. Bald gerieten wir an den Hauptpunkt: Erlösung. Durch den Gott-Menschen? Durch die sittliche Kraft in dem Menschen selbst? Die trennenden Gegensätze zwischen uns Beiden traten an's Licht hervor, ernst, redlich, und je schroffer, jemehr Fichte mir im Disputiren überlegen war. Das Gefühl des Unterliegens schärft die Geistesstimmung bis zur Herbigkeit, und meine angeerbte altfranzösische Heftigkeit blies in die Kohlen. Zudem war ich zwar im Innersten meines Daseins fest überzeugt von der Sache, die ich verfocht, aber zur eigentlichen That – um mich eines trefflichen Fichteschen Ausdruckes zu bedienen – war die Ueberzeugung in mir nicht gereift. Ich wußte vom Licht, aber noch hatte ich es nicht erlebt. Sonst – Dialektik hin, Dialektik her – wäre ich durch nichts aus jener demüthigen Festigkeit der Verteidigung gekommen, die einem christlichen Bekenner geziemt, namentlich einem so erhabnen Widersacher gegenüber. Nun jedoch regte sich das Ringen beinahe zum Streit an, und die kräftigen Stimmen beider Kämpfer hoben sich mehr und mehr. Hausfrau und Sohn, außerdem an eine bürgerlich sittige Stunde des Schlafengehens regelrecht gewöhnt, blieben staunend und wohl nicht sonder alle Sorglichkeit wach, bis endlich die Glocke Ein Uhr anschlug. Das brachte den jüngern Streiter zur Besinnung, und er brach auf, mit herzlicher Bitte um Verzeihung wegen der verstörten Nachtruhe, mehr noch wegen seiner ungeziemenden Heftigkeit im Gespräch mit einem solchen Mann. Lächelnd entgegnete Fichte: [295] »Meinen Sie denn, junger Freund, ich könne Sie lieb haben, wenn Sie nicht aller sogenannten Rücksichten vergessen könnten, im Ringen für Etwas, Ihnen von Herzen theuer? Holen Sie mich morgen zum Spaziergange ab, und sein Sie dann mein Gast zum Mittagsessen in der deutschen Tischgesellschaft.« – Gesagt, gethan. Auch Gneisenau und der kunstgesinnte Fürst Anton Radziwill waren zufällig Genossen, und machten sich voll ehrender Freundlichkeit mit dem Dichter Fouqué bekannt, ein inniges Verhältniß anknüpfend, das erst mit dem Tode beider trefflichen Männer für die Zeit aufgehört hat, für die Ewigkeit nimmermehr. Die Aussicht auf den heranziehenden Befreiungskrieg regte sich in Aller Herzen, und klang an mitunter aus deutungsreichen Worten der Gespräche. In dieser Stimmung kam man darauf, die herrliche Ode Ramlers für des großen Friedrich bescheidne Siegesheimkehr aus dem siebenjährigen Kriege vorzulesen, die anhebt:


»Schäme Dich, Camill,

Da Du mit Vier Sonnenpferden

In Dein errettetes Rom einzogst!«


vorzulesen. Fouqué ward aufgefordert, den Vortrag zu übernehmen; ihn aber hatte eine gewaltige Heiserkeit bei dem nächtig kalten Heimgange von jener glühenden Disputation befallen, und ich mag hinzusetzen: glücklicherweise. Denn nun las Fichte, und zwar so herrlich donnernd, daß wohl nur der Homerische Zeus im Stand gewesen wär, ihm den Preis streitig zu machen. Eine tiefe Begeisterung, stark und ernst, wie die Zeit, ergriff durchdringend die Genossen des Mahles. Als dieses zu Ende ging, füllte Fichte seines Gastes und sein eignes Glas mit dem Reste des edlen Champagnerweines, und sprach: »Wohlan, auf Du und Du!« – Staunend erwiederte der also hoch Geehrte: »Wie wäre das denkbar?« – auf Fichte's ernsten, fast unwilligen Frageblick hinzusetzend:

»Ein Du aus Ihrem Munde lieber, verehrter Freund, wird mich erheben und kräftigen. Aber ich vermag es, Ihnen gegenüber, nicht herauszubringen.«

Da sprach der geistige Heros in all der unwiderstehlichen Gewalt seiner feurigen Milde:

[296] »Mein Sohn, hast Du Deinen Vater nie Du genannt?«

»Ja wohl, Du herrlicher Vater!« rief ich aus.

Und der Bund stand in Kraft.


Aus den Regungen jener vorbereitenden Tage werde hier noch ein Lied aufbewahrt, – wenn gleich nur stellenweis, wie Sibyllische Sprüche von irgend einem unbekannten Sänger aus der Mitte des Volkes hervorgetönt, oder vielleicht von gar keinem Einzelnen, sondern eben nur zusammengeströmt von mehren Rhapsoden, wie etwa ein Strom aus unterschiedlichen Quellen. Es klang in einer lustigen Melodie, und ging damal vielfach von Mund zu Mund.


»Seid lustig, Ihr Brüder! Es freuet uns prächtig.

Der Kaiser von Frankreich ist Kolberg's nicht mächtig.

Er ließ war durch den Trompeter ansagen,

Daß er die Stadt Kolberg und die Festung wollte haben.


Der brave Kommandant antwortete drauf:

›Wir geben die Festung von Kolberg nicht auf.

Wir haben Kanonen und Pulver und Blei.

Es sind auch noch recht brave Preußen dabei.‹«


Nun eine Lücke von einigen Strophen. Dann schließt es mit den Zeilen:

»So haut auf die Lunten, und laßt einmal knallen!

Laßt Bomben, Granaten und Kugeln dreinfallen!

Und liegt auch die Stadt schon halb in Asche,

Doch brennet das Schnupftuch noch nicht Tasche.«


Für den Jahreswechsel von 1809 zu 1810 hatte Fouqué zu einem improvisirten Sylvester-Spiel im Familienkreise, wobei seine schöne Gattin, die neu aufblühende Zeit bezeichnend, als: »Jucunde« auftrat, einen Schlußchor gedichtet, jenes Volkslied gleichsam zum Thema wählend. Hier die annoch vorhandnen Fragmente:


»Seid lustig, Ihr Brüder! Es freuet uns prächtig.

Des Land's ist der König, des Heerdes wir mächtig.

Erfreut Euch der neuen, der blühenden Zeit,

Und seid sie recht kräftig schützen bereit!


[297]

Getreu seid dem Lande, getreu seid dem König.

Das Klagen und Pinseln, es fruchtet Euch wenig.

Laßt hin sein, was hin ist, und haltet nur fest,

Was uns nun der Himmel des Guten noch läßt.


Sie sagen, schwach sei'n wir vor mächtigen Heeren.

Doch denke nur Jeder: Wir woll'n uns brav wehren.

Damit hat schon früher manch kleinere Macht

Die siegendsten Helden zum Fliehen gebracht.« –


Da verhallet mir das Lied. Daß aber in dem Poetischen auch hier Prophetisches lag, bewies die Folgezeit. –

Im Uebrigen war gegen das »Klagen und Pinseln« allerdings nicht genugsam anzukämpfen in jenen Tagen, wo auch sonst Wohlmeinende eine Art von Bürgertugend in dem »Aechzen und Krächzen« zu finden vermeinten, wogegen Goethe den kräftigen Protest einlegte:


»Einer wollte mich erneuen,

Macht' es schlecht, verleih mir Gott!

Achselzucken, Kümmereien,

Und er hieß ein Patriot.

Ich verfluchte das Gewäsche,

Nannte meinen alten Lauf.

Narre, wenn es brennt, so lösche!

Hat's gebrannt, bau wieder auf!«


Nicht zu meinen geringsten herben Lebensplagen gehörte dazumal diese Aechz- und Krächzelust um mich her. Aber: Vorüber! Vorüber! –


Nachdem wir nun endlich die verehrte königliche Familie wiederum in unsrer Mitte sahen, ward es auch mir zu Theil, noch einmal des Anblicks unsrer engelschönen Königin gewürdigt zu werden. Es war in Berlin, wo sie im Theater erschien, an der Seite ihres erhabenen Gemahls, auf den sie mehrmal im Gespräch die wahrhaft himmelblauen Augen mit unaussprechlich rührendem Ausdruck richtete. Ob vielleicht schon damal in ihrer holden Seele die Ahnung webte, sie werde nicht lange mehr des schwergeprüften Helden tröstende Geleiterin seyn? – Eins weiß ich. Als sie, nach zu jener Zeit üblichen Sitte, beim Fortgehn die Versammlung mit gnädiger Neigung begrüßte, empfand ich [298] tief, und sprach es auch auf dem Heimgange durch die dunkeln Straßen meinem Freunde Bernhardi aus:

»Wohl hab' ich mitunter gemeint, wir Preußen könnten ruhig unser Kriegsunglück ertragen, uns nun im Frieden wendend auf Kunst und Wissenschaft, etwa wie es der große Friedrich sich vorgenommen haben soll, wenn die Schlacht bei Molwitz verlorengegangen wäre für ihn. Aber jetzt nicht also! Jene engelklaren Augen wurden mit Thränen getrübt durch Buonaparte. Geweint haben sie um unsern Druck. Wir müssen kämpfen, und sie freudig leuchten sehn um unsre Siege!« –

Ach, so gut sollte es uns nicht werden! Noch eh' uns die Tage des Errettungskrieges aufgingen, ward Königin Luise abgerufen aus dieser leidenvollen Welt in die ewige Herrlichkeit.

Ich sang ihr Folgendes nach.


»Brandenburgisches Aerndte-Lied.«

»Die vollen Aehren winken
So reich, so wild.
Die hellen Sensen blinken
Die Garbe schwillt.
Da wollen wir beginnen
Den Aerndtesang.
Ach, aber zwischen innen
Hall't Glockenklang!
Die Trauerglocke läutet
Vom Dorfe her.
Wir wissen, was es deutet:
Sie lebt nicht mehr!
Zwei Augen ruh'n im Grabe,
So fromm und blau.
Und auf die Gottes-Gabe
Fällt Thränen-Thau.«

Als ich um diese Leidenszeit aus einem Briefe vernahm, Jemand habe den König im Charlottenburger Schloßgarten allein gehn sehen, ergriff mich dies: »allein« mit von Wehmuth überquillender Gewalt. Unter meinen einsam strömenden Thränen brachen mir die Gelübdesworte laut hervor:

»Verlasse mich Gott, wenn jemal ich Dich verlasse, mein edler, schwergeprüfter König!« –

[299] Gott- Lob, daß ich's hinschreiben darf mit ehrlich reingebliebnem Gewissen in der Wetterschwüle wie in den Gewittern jener prüfungsschweren Tage.


Die Muse bescheerte inzwischen ihrem Pfleglinge viel Tröstendes und Erfolgreiches. Im Jahre 1811 erschien das Schauspiel: Eginhard und Emma. Schon vor zehn Jahren und drüber, in jenen Aschersleber Zeiten, hatte dem Jünglinge, neben andern poetischen Gegenständen, auch diese Gestaltung vorgeschwebt, aber ein damal ihn trügender Wahn von puristisch weichlichem Schönheits-Jdeal wollte sich nicht mit jenem Forttragen des Geliebten über den Schnee durch die Geliebte vertragen; so ward der Stoff bei Seite gelegt: glücklicherweise, wie ich wohl sagen mag. Denn jetzt ging die Bearbeitung rüstig und rasch von Statten, auch sie durch eine Jean Pauls-Recension geehrt. –


Eines Abends geschah es im traulichen Gespräch mit der geliebten Gattin, daß ich ihr, einer altfranzösischen Novelle wegen, an der sie damals arbeitete, mancherlei zu berichten hatte über die Formen jener Ritterwelt. Es geschah mit regem Eifer, und sie sprach endlich: »Unbegreiflich, daß Du Dich noch nie an einer Dichtung aus der Zeit, worin Deine Altväter in Frankreich kämpften und siegten, versucht hast.«

Der Gedanke zündete, und bald stiegen ihm die Lichter des Zauberringes nach und nach daraus empor.

Alsbald klar vor Augen lag der Grundgedanke: Deutschland, Wurzel des Ritterthumes; – aus ihm sich fortrankend über die Welt hin, dessen Zweige in Lieb' und im edleren Streit; – also für die vorliegende Darstellung: ein deutscher Ritterheld, auf den Abenteuerfahrten eines langen, überkühnen Lebens aus mannigfach wechselnden Liebesbündnissen Kinder hinterlassend, die einander begegnen zu wundersamen Verwebungen ihres Geschickes; – endlich Alles sich gewitterhaft zusammenziehend über des Greisen Haupt; – Wolken, die sich in schrecklichen Donnerschlägen entladen, doch endlich Seegen herniederthauen; – süßeste [300] Friedensversöhnung, gleichwie im heitern Choros, zum Schluß-Akkord. –

Ich gab mich sogleich nach gefaßtem Ueberblick ans Werk, der Muse vertrauend für jeden Schritt, mehr und schöner vertrauend noch Dem, welcher die Muse mir gesendet hat zur Geleiterin, ganz in dem Sinne der Einfalt, wies sich's ausspricht in dem Vorwort, dem Werke beigefügt. Oder auch, es mit einem lieblichen Stolbergswort auszudrücken, zuversichtlich bittend:


»Leite mich an Deiner Hand

Wie ein Kind am Gängelband!«


Es waren seelige Stunden, welche mir während dieser Arbeit aufgingen, täglich mich lösend von dem alltäglichen Joch, wie es denn doch wohl am End' auch auf das allerbeglückteste irdische Leben preßt. So rang ich mich heiter fürder bis gegen das Ende des zweiten Theils. Dann aber begann ein Dunkel aufzusteigen, vor der Frage: Wie nun weiter! Wie nun soll Bertha gelangen zu der allanerkannten Herrlichkeit, vermöge deren das ehedem kleine Mühmchen, fast in Veilchendemuth vor Otto's Füßen blühend, nun emporgerankt ist zu einer Sonnenrose, nach welcher kaum noch das geblendete Antlitz des Ritters emporzublicken wagt! Denn diese Aufgabe lag gleich von vorn herein klar vor des Dichters Blicken. Aber nun das Wie der näher und näher vorzubereitenden Umwandlung! –

Als Heroine mit Siegeswaffen in der Hand konnte nun einmal Mühmchen Bertha nicht erscheinen, ohne sich selber zu vernichten, ihrem innersten und eigenthümlichsten Wesen nach. Sie zu einer Königin oder Kaiserin incognito zu avanciren, und dann mit Eins die Hülle fallen zu lassen? Ein abgenutzter Behelf, und dann: wie hätte Bertha's Herrlichkeit an sich durch eine blos genealogische Erhabenheit in's gehörige Licht gelangen mögen! Und was wäre Otto für ein Schwächling, hätte nur eben solch eine Aeußerlichkeit ihm da Herz in demüthiger Liebe zu öffnen vermocht für die ehedem fast nur Bemitleidete! Unmöglich. Da wußt' ich nicht aus, noch ein. Oder gänzlich inne zu halten mit der Arbeit, bis mirs deutlicher würde? Fast eben so unmöglich. Da würde ja dem ganzen magischen Gewebe seine nur durch stetiges Fürderwirken bedingte Einheit gehemmt und [301] somit zerrissen. Dazu kam noch, daß die Dichtung fest auf historischen Grund gebauet war. Es galt die Zeit um den Kreuzzug des Ritterkönigs Richard Löwenherz. An keine allzukühne Erfindung einer erfolgreichen That oder großen Schickung, davon die Historie nicht gewußt hätte, war somit zu denken. –

Der Dichter sahe still sorgend in sich herein, und leise hoffend Himmel- auf. Keinem der Freunde vermogte er seine Sorge zu vertrauen. –

Da kam es seltsam in einer Nacht mit ihm. Aus tiefem Schlaf und dunkelm Geträum erwachend, gingen ihm bei vollem Bewußtsein alles Aeußerlichen innen Gedanken auf und Gebilde: Ostia und dessen Hafen-Bedräuung durch einen arabischen Emir, von dem bezwungnen Spanien aus heransegelnd mit einem mächtigen Geschwader, und den päbstlichen Sitz Roma mit unvermeidlichem Sturz bedräuend. Alles erzittert. Zum ehrlichen Untergangskampf und Martyrtode nur sammeln sich einige italische Schaaren, mit Waffen kaum nur versehen, an Waffenübung schwach. Da hat während der Ueberfahrt ein geraubtes Lamm den fürchterlichen Seelöwen zum einzig beseeligenden Glauben bekehrt. Bertha ist das Lamm, Emir Nureddin der Löwe. Und landend empfängt er vom Pabste die heilige Taufe, und Bertha durch den dankbaren Oberhirten einen wundersamen, über die ganze Christenheit hinausleuchtenden Heiligungsseegen. Friede bleibt es in und um Rom. –

Aber die weltliche Geschichte – war ja doch nichtsgeschehen im blos weltlichen Sinne – braucht nichts davon zu wissen, und das seelige Gelingen taucht wiederum unter in der Dichtung ahnungsquillende Fluth. –

So weit empfand es deutlich der nachtwachende Dichter. Aber die Nacht lag tief, still, finster um ihn her. Keine Lampe an seinem Lager, nicht Griffel und Blatt ihm zur Hand. Auf keine Weise wollte er die Nachtruhe des Hauses stören. Zu wachen beschloß er bis an den Morgen, um ja auf keine Weise das ihm so seltsam Beschiedne wiederum zu verlieren. Doch eben die Anstrengung sich des Schlafes zu erwehren, erschöpfte mehr und mehr die ermüdete Natur. Das Bewußtsein schwand. Aus tiefem Schlaf am hellen haben Morgen erwachend, schrak der [302] Dichter zusammen, fürchtend, nun seien die Gaben der Nacht versunken und verloren vor der Blendung des Tages. Aber in sich hereinblickend fand er Alles wohlbewahrt vorhanden, und schritt voll hoher Freude fürder auf seiner Bahn.

Nun fehlte noch Eins: die klare Anschauung von Bertha's Gestalt. Die übrigen Erscheinungen standen ihm deutlich genug vor Augen, Gabriele von Portamour unter Andrem sahe fast aus, wie seine Frau, – aber um Mühmchen Bertha schwebte ein verhüllendes Schleiergewölk annoch, und doch nun bald mußte sie daraus hervortreten in ihrer mehr und mehr aufleuchtenden Herrlichkeit. Auch dazu ward Rath.

Eingeladen zum Mittagsmahl bei einer befreundeten Nachbarfamilie, hatte ich wohl vernommen, eine als schön und geistreich vielbewunderte Verwandte sei dort eingetroffen. Die Gesellschaft war in einer kleinen heitern Gartenhalle beisammen; nur jene noch nie von mir gesehene holde Frau fehlte noch. Da auf einmal geht, mir gegenüber, eine Seitenthür auf, und herein leuchtet die schöne Gestaltung, und zieht im freundlichen Grüßen gegen die Versammlung die Thür nach sich zu, so daß die Schleppe des Kleides mit erfaßt wird, und die Dame unwillkürlich einige Augenblicke lang regungslos stehn bleibt, in leichter Verlegenheit überaus anmuthig lächelnd. »Bertha von Lichtenried!« klang es in mir, und ich konnte fortan das Centralbild meiner Dichtung in klarer Gestaltung ausmalen. –

Mir war ein etwas wunderlicher Titel für das Werk eingekommen: »Waffenhallen und Minnelauben.« Und doch, wenn ich noch jetzt die Vielheit der Gestaltungen an mir vorübergehen lasse, und wie sie sich so in der Folgereihe mehr und mehr entfalten und ausbilden in Kampf und Liebe, – ich kann noch heut zu Tage die Benennung nicht so übel finden. Aber: »Gut ist Gut und Besser ist Besser,« sagt ein wackres altes Spruchwort. Meine Frau trat dazwischen, nach echter Frauenweise auch das Urtheil der Welt bedenkend, und mildernd den schrofferen Sinn des Mannes, der da sprach: »Was Welt und ihr Urtheil! Eben dieser Titel paßt für meinen Bildergarten, und wer sich an der eigenthümlich geformten Thür ärgert, paßt wohl selbst nicht in den Garten herein, und mag drum gern vorübergehn.« [303] Freilich mögte Mancher draußen geblieben sein, der Thüre wegen. Und es ist wohl sehr die Frage, ob die Dichtung unter jener Ueberschrift in so vielen der lebenden Sprachen zur Sprache gekommen wäre, als jetzt. Aber: »Der Zauberring,« – als die sinnige Gattin diesen so einfachen und dennoch so umfassenden Namen dem Dichter vorschlug, hätte er wohl durchaus verblendet sein müssen und in Eigensinn verstockt, um nicht alsbald den leuchtenden Fund aus holder Hand anzunehmen. –

Es war im Jahre 1811, wo jenes Werk beendet ward, und zugleich abermal der französische Gigant seine Erzkeule schwang, um das ritterliche Preußen zu zerschmettern. Wir standen zum ehrenden Todeskampfe bereit, und manch ein edler Kriegergeist fühlte und sprach voll muthiger Resignation: »Wahrlich, man hat denn wohl auch nachgrade genug gelebt.« –

Aber noch für dasmal zog das entscheidende Wetter vorüber. Von beiden Seiten wurden die kriegrischen Anstalten wiederum eingestellt, und zwar plötzlich auf eine Weise, die man überraschend nennen konnte, und wobei noch wohl jetzt manch ein ungelösetes Räthsel obwaltet.


Fouqué wandte sich nun in der einstweiligen Friedensruhe wiederum ganz auf die Winke der Muse: um so eifriger nur, je weniger sich auf die Dauer der Windstille bestimmt rechnen ließ, und je mehr also vollbracht werden mußte, derweil sie annoch vorhanden war.

In dieser Zeit traten folgende Werke ans Licht:

1) Die beiden Hauptleute. Novelle. Als Sommerheft für eine Quartalschrift: die Jahreszeiten, wo für den Frühling Undine den Reigen eröffnet hatte. Ein Spanier und ein Deutscher, unter Kaiser Karl dem Fünften Algier erobern helfend, aus dem Sonnenlande dorten, ja selbst aus der glühenden Wüste noch Blumen des Glaubens, der Ehre, der Liebe pflückend, versöhnt wegen eines Ehrenstreites durch den großen Alba selbst, und beglückt sodann durch seelige Ehebündnisse an Einem Tage –Das ist der Grundriß. Die Darstellung mahnt [304] an den Ton der Spanischen Dichtungen, aber im tiefsten Grunde leuchtet das Germanische Leben und Weben herdurch.

2) Vaterländische Schauspiele. Zwei Bände. Das Erste, Waldemar der Pilger, hatte seit meinen Knabenjahren in mir geschlummert, aber doch schon auch sich lebhaft in mir geregt, indem ich stets den sogenannt falschen Markgrafen Waldemar als den Echten angesehn hatte, jetzt aber auch durch gründlich historische Studien davon überzeugt ward und bin. Eine fast zugleich mit der Dichtung gedruckte kleine Abhandlung führt den Satz aus. Die Brandenburgischen Ritter im Schauspiel, aus den edlen Geschlechtern derer von Bredow, Rochow, Byern, Jagow, Alvensleben nach Urkunden heraufgerufen, sotten, meinte ich zu Anfang, im Niederdeutschen Dialekt reden, wie alle Brandenburger im Gegensatze zu dem Hochdeutschen des Markgraf Ludwig und seiner Baiern, auch so die Verschiedenheit unter beiden Stämmen ausdrückend. Aber obgleich ich das Niederdeutsche hinlänglich verstand und auch wohl nötigenfalls sprach, war mirs doch nicht grammatisch klar genug, um darin zu schreiben. Weniger noch konnte ich die erforderliche Kenntniß bei meinen Lesern voraussetzen.

Das zweite Schauspiel: die Ritter und die Bauern, enthält eine Darstellung aus dem Litthauer Verwüstungs-Einbruch in die Marken, Adel und Bauerstand in ihrer Grundeinheit, Zwietracht und Versöhnung darstellend.

Zum Dritten: die Heimkehr des großen Kurfürsten, eine Familienkunde aus dem getreuen Stamme derer von Briest – mein damaliger Schwiegervater war der letzte Manneserb dieses Namens – mit in des Landesherrn Sieg über die Schweden verwebend.

Viertens: »Die Familie von Hallersee«, aus dem blutigen Getümmel der Schlacht von Liegnitz das noch weit tiefere und höhere Ringen zwischen dem heiligen Glauben und ritterlichem Ehrgefühl gegen Voltaireschen Unglauben und moderne Sittenfrechheit hervorhebend.

Fünftens und Sechstens erschienen in der Reihe endlich: Zwei Dichtungen aus der Altgermanischen Zeit, wohl kräftig und innig ihrer Natur und Ausführung nach, aber der modernen Welt vielleicht allzufern, um gehörig von ihr aufgefaßt zu werden.

[305] 3) Der Todesbund, ein Roman. Auf Anrathen eines Freundes erschien er anonym, um einmal zu versuchen, was die Leihbibliothekare und ihr Publikum – vielleicht etwas entfremdet dem Dichter des Sigurd durch dessen altnordische Wundersamlichkeit – zu dieser von einem Ungenannten dargebotne Gabe sagen würde. Sie gefiel, und Hitzig gefiel sich in dem harmlosen Scherz – oder geschah es vielleicht, um der eben angedeuteten Absicht willen? – auf das Titelblatt der ersten Undinen-Ausgabe zu setzen: »von dem Verfasser des Todesbundes.« Das gab – wer hätt' es denken sollen! – zu dem Gerücht Veranlassung, Held Gneisenau sei der Dichter der Undine, und zwar indem man den sogenannten: »Tugendbund«, von welchem damals Vieles gefabelt und gefaselt wurde, wohl ohne Zweifel in der vergrößernden Dunkelheit den Gaul für einen Elephanten ausgebend, mit: »Todesbund« für identisch hielt, und wiederum den wackern Gneisenau für identisch mit einem insgeheim antifranzösischen Bundesstifter, welchem Beruf, wie all und jedem heimlichen Treiben, er sich fern hielt durch sein ganzes offenfrisches Leben und Wirken lang. Er selbst erzählte mir gleich bei unsrer ersten Bekanntschaft jenes unwillkürliche Undinen Plagiat, und wir Beide lachten herzlich darüber mitsammen. Jedenfalls: Ehre genug für Undinchen, daß man Gneisenau für ihren Vater halten konnte. Was nun aber obbesagten: »Todesbund« anbetrifft, so ist das Werklein, obzwar auf dem Boden neuerer Zeit erbaut, recht durch und durch phantastisch. Doch auch tief wahrhafte Herzen- und Schmerzen-Laute seines Autors klingen herdurch, und bilden die Seele des Ganzen. Als Fouqué es einst seinem damal so ganz und gar innig vertrauten und ihn verstehenden Chamisso vorlas, und den darin verwebten Sagentraum eines Wahnsinnigen beendet hatte, rief der davon tief ergriffene Hörer: »Wo hast Du den Stoff hergenommen?« Und auf die Antwort: »Aus mir, oder vielmehr aus dem Musenborn in mir«, sagte Chamisso, – o könnte ich doch seinen wunderlich rührenden französisch-deutschen Akzent in den Typen mit ausdrücken! – sich ernst neigend: »Ah Sapperlot, ich gratulire!« –

4) Numancia, Trauerspiel des Cervantes in sorgfältig metrischer Uebersetzung. Ein Rezensent tadelte diese als steif, und führte zum Beweise gleich den Eingang an, vergaß [306] aber, das Original daneben zu setzen, vielleicht auch sogar, es selbst dagegen zu halten 19. Oder verstand er überhaupt nicht sonderlich Spanisch? Sonst würde er bemerkt haben, daß eben des wackern Cervantes Scipio, oder dorten: Cipion, etwas Schulmeisterliches an sich hat, aus dem Bestreben hervorgegangen, das rechte Musterbild eines Feldherrn deutlich aufzustellen, weshalb der gleichsam vorererzirende Heros, oder Eroe auf Spanisch, sich unzähligemale selbst erläutern muß. Der Uebersetzer aber kann, soll und darf seinen Autor nicht anders wiedergeben, als Solcher sich selbst giebt. Hätte dar Rezensent sich auf eine Vergleichung der bewegteren und erhabneren Stellen der Dichtung einlassen wollen und können, ihm wäre doch vielleicht eine Ahnung aufgegangen von der Begeistrung, die den Uebersetzer beseelte im Ringen mit Cervantes wundersamer Schöpfung. Im Uebrigen fand seine Leistung mannigfach Anerkennung, und brachte ihm auch aus Heidelberg herüber einen freundlichen Gruß ein von der Lesbischen Sängerin Amalie von Imhof, damals schon Frau von Helvig. Sie hatte, während eines jahrlangen Aufenthaltes in Schweden, seither noch nichts von des früheren Freundes übrigen Dichterarbeiten vernommen, ward aber bald mit ihnen bekannt, und bald auch erzeigte sie mir die Ehre, mich zum Genossen für [307] ihren Wiedereintritt in die deutsche Literatur anzunehmen. Wir gaben gemeinschaftlich das Taschenbuch der Sagen und Legenden heraus, oder vielmehr: wir verfaßten es gemeinschaftlich, indem gewisse Verhältnisse uns nöthigten, einige uns zuerst dargebotne Beiträge zurückzuweisen, worauf wir dann beschlossen, das Werk ohne alle fremde Beihülfe durchzuführen. Es sind zwei Jahrgänge erschienen, und beifällig aufgenommen worden.

Außerdem lieferte ich in jenen Tagen noch Arbeiten für unterschiedliche Zeitschriften, und begann endlich in Geleitschaft meines Freundes Wilhelm Neumann eine Monatschrift herauszugeben: die Musen. Und die einzelnen Gedichte? – Wer zählt die Blumen und Blüthen im Lenz! –

Außerdem vollendete ich die Rittergeschichte von den Fahrten Thiodolf des Isländers, wie ich meine, eines meiner gelungensten Werke, und durch meine Isländischen Studien rüstig unterstützt. Aber diese Dichtung erschien erst Jahre nachher, indem sie zuvörderst an die Campesche Buchhandlung nach Hamburg gesendet war, und dorten lange konfinirt blieb durch des bald nachher losbrechenden Krieges wechselnde Gewitter.

Auch jene bei dem schon vorhin erwähnten ahnungsreichem Gespräch mit Hülsen genannte Dichtung von Karl des Großen Geburt und Jugend vollendete ich in den kunstreichen Maaßen des Titurel, nach einer durch den Freiherrn von Aretin im Baierschen Kloster Weihenstephan aufgefundnen und im Druck bekannt gemachten Sage.

Später kam ein Trauerspiel: die Pilgerfahrt, kühn und wohl auch überkühn in der Anlage, daher vielleicht kaum völlig ausführbar, aber nicht ohne Fleiß gearbeitet, und nicht ohne einzeln gelungene Momente.

Beide Dichtungen überließ ich gänzlich der Verfügung eines innigst geliebten Freundes, der sie auch späterhin zum Druck befördert hat, mit Vorworten von seiner Hand versehen. Es war Franz Horn. Und einen Scheidegruß an ihn, oder vielmehr einen ewigen Vereinungsgruß für den lieben Verklärten hauchte mir eben jetzt im Freien unter purpurgoldigem Abendroth, einen herrlichen Ausblick durch eine grünende Landschaft vor mir, die Muse in die Seele. Hier ist er, lieber Leser, – und hier ist er, lieber Franz Horn!


[308] Am 30sten Julius 1840.
Heil Dir, traulicher Freund, ein Treuester unter den Treuen,
Welche mir Gott hat bescheert auf viel wechselnder Bahn!
Himmelan Du gewendet den Geist allstets, und den Blüthen
Hier auf der lieblichen Welt immer doch heiter vertraut,
Lernend von Oben her, und lehrend in kindlicher Klarheit,
Edlerer Jugend ein Licht! Nicht nur der Jugend allein.
Mir, dem Reiferen zwar an Jahren, hast Du gekündet
Manch Bahn- weisendes Wort durch die umdunkelte Zeit.
Und mein Zithergesang, mein Mahnung klirrendes Schwerdt auch
Fand in Deinem Gemüth wiederhallenden Klang.
Immer verstandest Du mich, Du stets von mir auch Verstandner.
Ja, noch jetzt, da voran Du auf der seeligen Bahn –
Seelig, ob schmerzenreich einzogst in die heiligste Halle,
Fühl' ich Dir Treuen mich nah, grüße Dich traulich noch heut.

Zu den schönsten und erhebendsten Bekanntschaften jener Tage, ja meines ganzen Lebens gehörte die liebevolle Annäherung der beiden Dichterbrüder Stolberg, zunächst vermittelt durch Friedrich Perthes, den würdigen Schwiegersohn des Wandsbecker Boten, von dem mir gleichfalls ehrende Grüße zukamen. Da stand ich nun inmitten der mir liebsten und ehrwürdigsten annoch lebenden Dichterheroen aus meiner Knaben- und Jünglingszeit, und sie nahmen mich auf in ihren Kreis als Einen, der zu ihnen gehöre. Es schien ein vollstrahlender Gipfelpunkt meines Ringens und meiner Freuden.

Aber unter meinen Füßen bebte, nach wie vor, die Erde vor den Donnern des, ganz Europa, ganz absonderlich mein geliebtes Preußisches Vaterland als einen nächsten Zielpunkt bedräuenden Giganten. Freilich ein Scheinbündniß war zwischen Preußen und Frankreich im Jahr 1812 geschlossen worden. Wie es aber französischer Seits damit gemeint war, zeigte sich bald im endlosen Wortbruch Napoleons. Die Festungen sollten zurückgegeben werden, und Berlin unberührt bleiben von den gegen Rußland vorrückenden französischen Heerschaaren, sprach der Vertrag. Die Oderfestungen blieben besetzt, und selbst auch Spandau, Angesichts der Hauptstadt, in welche die Truppen des sogenannten Alliirten einrückten, die Preußischen Befehlshaber [309] mit höflichem Dank für gehabte Mühe gänzlich aller Sorge, weil nehmlich ihres Amtes, entledigend. Damals, ich bekenn' es, hab' ich Gott im verzweifelndem Jammer um meinen Tod gebeten. Schien ja doch meines, nach der Potsdamer Halbinsel zurückgedrängten Königs Sicherheit selbst bedroht. »Nun dann! Sterben an seiner Seite, oder sterben im rücksichtslosesten Ringen mich durchzuarbeiten bis zu ihm!« – Das war mein fester Entschluß.

Zwar zog der Feindfreund wiederum etwas mildere Saiten auf, und manche geheime Hoffnung hegten wir Treuen auf künstigen Errettungskampf wider das Fremdlingsjoch. Aber auch dabei: welch furchtbar bedräuende Gefahren für Weiber und Kinder und alle Unbewaffneten schaueten abermal herein!

In einer schweren Nachtstunde entrang sich mir darüber das folgende


Gebet.
Du Urquell aller Güte,
Du Urquell aller Macht,
Lindhauchend aus der Blüthe,
Hochdonnernd ans der Schlacht!
Allwärts ist Dir bereitet
Ein Tempel und ein Fest,
Allwärts von Dir geleitet,
Wer gern sich leiten läßt.
Du siehst in dies mein Herze,
Kennst seine Lust und Roth.
Mild winkt der Heimath Kerze,
Kühn ruft glorwürd'ger Tod.
Mit mir in Eins zusammen
Schlingt hier sich Kindleins Huld,
Und draußen leuchten Flammen,
Abbrennend Schmach und Schuld.
Bereit bin ich, zu sterben
Im Kampf, der Ahnen werth,
Nur sichre vor Verderben
Mir Weib und Kind am Heerd.
Eins ist mit Dir die Liebe,
Die diesen Beiden quillt,
Dein auch sind muth'ge Triebe,
Davon die Brust mir schwillt.
[310]
Kann es sich mild gestalten,
So laß es, Herr, geschehn,
Den Frieden künftig walten,
Und Sitt' und Ruh' bestehn.
Wo nicht, so gieb zum Werke
Uns Licht in Sturmes Nacht.
Du ew'ge Lieb' und Stärke,
Dein Wille sei vollbracht.
Wohin Du mich willst haben,
Mein Herr, ich steh' bereit:
Zu frommen Liedes-Gaben,
Wie auch zum harten Streit.
Dein Bot' in Schlacht und Reise,
Dein Bot' im stillen Haus,
Ruh' ich auf alle Weise
Doch einst im Himmel aus.
Amen.

»Wohlan denn Krieg! Weil alle Welt
Krieg will, so sei es Krieg!
Berlin sei Sparta, Preußens Held
Gekrönt mit Ruhm und Sieg!«

So sang der ehrwürdige Gleim im Beginn des siebenjährigen Krieges, und schon da ich als Jüngling in meine Erstlingskämpfe zog, tönten diese Worte durch mein Inn'res. Jetzt galten sie noch im maaßlos ernsterem Sinn. Ja wohl: Berlin sei Sparta! Um Sieg oder Tod galt es. Und zusammengedrängt, wie die Rede der Sparter, – »Lakonisch« auch hat man's benannt nach ihrem Gau Lakonien oder Lakedämon, – sei der Bericht von des Dichters Theil an den Waffenthaten des Jahres Dreizehn. Die Geschichte eines Feldzuges im Ganzen und Großen läßt sich in keine Denkschrift vom Leben des Einzelnen mit einsenken, der nicht Befehlshaber war, sondern eben nur in untergeordneter Stellung ehrbar mitfocht, wie so viele Tausende. Nehmt denn meine Umrisse hin, wie ich sie Euch zu geben vermag.

Fouqué war durch eine auch in weltlicher Hinsicht hoch erhabne Erscheinung zu dem annahenden Entscheidungskampfe nur noch klarer begeistert worden, und fühlte sich dadurch überhaupt [311] angeregt zum ernstlicherem Ringen nach einem Lichte, da da leuchtet über alte Zeit hinaus. Dies geschah im Winter von 1812 zu 1813, mitten unter dem trüben Gewimmel der aus Rußland zurückwankenden Französischen Soldatengespenster, und der von Westen zur Kriegserneuung dagegen frisch und kraftvoll neu vorrückenden Franzosen. Von jeher ein Freund auch äußerlich leuchtender Waffen, kaufte er sich für die Dinge die da kommen sollten, ein wunderschönes Schwerdt mit ritterlich grader Klinge. Wie er's genauer besah, war's ein Französischer Reiterdegen. »Auch gut!« dachte er. »Bin ich doch doch auch ein Franzos, der ich Dich gegen Franzosen führen soll, Du wackre Klinge!«

Der Aufruf des Königs zur Bewaffnung der freiwilligen Jäger erscholl. Fouqué genoß die zufällige Ehre, der Erste zu sein, der sich als Solcher bei dem Landrath des Kreises, dem wackern Herrn von Bredow auf Sentzke, späterhin selbst als Landwehr-Brigadier rühmlich kämpfend für die gute Sache, meldete. Der Aelteste unter Seinesgleichen war der neue Jäger wohl gewiß, denn er zählte bereits 36 Jahr, und ward auch schon vielleicht deswillen zum Führer der aus dem Havelland zusammentretenden und sonst sich ihnen anschließenden freiwilligen Jäger für den Marsch nach Breslau ernannt. Theils zu Roß und theils zu Fuß mochten es deren etwa Siebzig sein. Es war ein ernster, aber ein schöner Moment, als Fouqué in der Februar-Morgenfrühe von dem heimischen Heerde schied, von seiner Gattin geseegnet, mühsam nur sich loswindend aus den Armen seines bitterlich weinenden Töchterleins, und nun aufgesessen den paar Jägern, die sich schon in Nennhausen vorläufig zu ihm gefunden hatten, mit freudiger Stimme und feuchten Augen zurief: »Hoch lebe der König! In Gottes Namen: Vorwärts Marsch!« –

Zu Potsdam in der Garnisonkirche, einige Tage nachher, empfing, in den Morgenlichtern zum weitern Aufbruche nach Schlesien, die nun gesammte Schaar an des Großen Friedrich geöffnetem Grabgewölbe die Einseegnung durch den Gott-begabten Bischof Eylert 20. Und Aller Herzen schlugen hoch, und Aller Augen und Geister blickten Himmel-an. Auch sahe der Himmel freundlich [312] zu uns hernieder, an diesem 24sten Februar schon Frühlings-hell und Frühliugs-mild, und als wir nun durch den Lustgarten, vom Großen Friedrich gepflanzt und ausgeschmückt, vonhinnen zogen, und holde Frauen grüßend nebenher wandelten, und die Menge jubilirend uns zurief, da ward's uns herrlich zu Muth in dem neu angetretenen Beruf, und ein wackrer Jäger-Jüngling rief aus: » Sollt' es uns jemal müd' und schwer werden im Krieg, da wollen wir gedenken an den 24sten Februar, und wiederum frisch sein und stark, wie es rechten Preußen geziemt.« – Sie haben Wort gehalten, Gott-Lob! wie in vorherrschender Stimmung die freiwilligen Jäger alle sammt. –

Gut und frisch, und, den Umständen nach, auch schon gehorsam genug erwies sich das junge Volk unterweges. Es waren muthvoll fröhliche Tage, und Gottes Leitung half günstig zwischen uns begegnenden überzähligen Rheinbündnern hindurch, die denn freilich nicht so ganz genau wußten, – denn die politischen Wageschalen schwankten ja annoch, – was sie eigentlich aus und mit uns machen sollten. Für das:»Mit uns machen« hätten sie freilich keine wohlfeile Beute gefunden. Widerstand auf Tod und Leben war in der kleinen Schaar bereits feierlich beschlossen.

Endlich, nachdem noch zwischen Baierschen Truppen und uns ehrbarliche Militairbegrüßungen gewechselt waren, trafen wir gleich selbigen Abends auf Russische Kosacken, die uns mit Jubelruf und Umarmungen begrüßten. Wer hätte gemeint, man könne so mit aller Welten in Frieden leben! Wir mußten herzlich darüber lachen. Es war denn freilich des Friedens: »letzter Lebensblitz.«

An Liedern unterweges hat es nicht gefehlt. So sang der Anführer seinen Jäger-Jünglingen auch das Lied vor:


»Frisch auf zum fröhlichen Jagen!«


und fröhlich und frisch haben sie's nachgesungen, und ist es nachdem erklungen durch das ganze Preußische Herr, mitunter auch wohl noch weiter, und ist noch immer nicht verklungen bis auf den heutigen Tag. –

Wir gelangten nach Breslau ohne irgend eine wesentliche Störung des Zuges. Huldreich empfangen, ward Fouqué zur Königlichen Tafel befohlen.

[313] Ein feierlicher Moment war es, wo der König hereintrat, voll höchst ritterlicher Schönheit anzuschauen die hohe Heldengestalt im weißen Garde-du-Corps-Kollet, worin er eben Heute seiner Garde-Reiterei die Heerschau abgenommen hatte. Ein kriegrisch ernster Marsch erklang aus dem Nebenzimmer im Augenblick, wo wir uns zur Tafel setzten, und neben den König setzte sich sein zartes ältestes Töchterlein im Beginn eben erst aufblühender Hulden (jetzt Kaiserin von Rußland), und vor uns im Geiste stand die große auf Sieg oder Tod empor leuchtende Kriegeszeit, entscheidend über Alles, was uns lieb war und sein sollte und mußte auf Erden! – Mir klang in der Seele das Lied an:


»Mit seinen Rittern zur Tafel saß der Held,

So hoch und herrlich, wie der Mond vor den Sternen geht,

Und in Aller Herzen war freudiger Muth geschwellt.

Wie die Erde von Blumen, wenn die Mailuft weht.« u.s.w.


Am Abend traf ich zusammen mit einem edlen innig vertrauten Kriegsgefährten aus den fröhlichen Tagen her, wo wir mitsammen in dem wackern Aschersleber Kürassier-Regiment gedient hatten. Als angesessner Sachse und durch heilige Familienbande gehalten, schon längst aus dem Preußischen Kriegsdienst zurückgetreten, konnte er jetzt nicht so rasch zu den Waffen greisen, als sein treulich glühendes Herz es begehrte. Aber er that auch jetzt, wie immerdar, was Pflicht und Ehre gebot. Und laßt mich dieses Abends gedenken, wo eine ganze Freuden- und Wehmuth-leuchtende Vergangenheit, wie abschiednehmend, zwischen uns Beiden vorüberzog, und mich meinen Wassenbruder hier einstweilen mit dem Namen Standfest bezeichnen, der sein ganzes Wesen ausdrückt. Wir werdan ihm abermal begegnen. –


Jetzt fürder auf der großen Bahn.

Durch des Königs huldreichrs Wort nach jenem Gastmahl war Fouqué's dargebotner Dienst als reitender Jäger zwar angenommen, aber der Sechsunddreißiger, in Betracht früherer [314] Kriegsdienste am Rhein, vorläufig, da er sich doch als Gemeiner gemeldet hatte, als Lieutenant angestellt, bis die spätere Wahl der Freiwilligen entscheide, ob er bei ihnen bleiben oder sonstenwohin, etwa in ein Hauptquartier, beordert werden solle.

Gönnt mir immerhin den Stolz es auszusprechen, daß außer mir nur dem wackern Norweger, Professor Henrich Steffens, die Ehre der Königlich vorläufigen Ernennung zum Lieutenant der Freiwilligen zu Theil geworden ist, wie mir bei der Reiterei, so ihm beim Fußvolk. Es giebt mir eine gar zu erfreuliche Genossenschaft, um sie unerwähnt zu lassen.


Nun in Gottes Namen in's Feld! – Bis Dresden gab's keine Hemmung, und auch dort nur die vom weichenden Feinde gesprengte schöne Elbbrücke. Unnütze Barbarei! Das Hinderniß war in wenig Stunden beseitigt, und rasch wiederum ging es dem Feinde nach, oder nun vielmehr entgegen, denn er begann sich zu stemmen in der Gegend um Lützen. Wir rückten durch das schöne Muldethal in die anmuthige Gegend um Altenburg, und voll guter Vorbedeutung erschienen uns die treuherzigen Bauersleute dort in ihrer altdeutschen Tracht, wenn sie munter als Boten vor uns hinschritten, oder uns gastlich in ihren stattlichen Häusern empfingen. Vierzehntägig angestrengter Vorpostendienst im Flecken Meuselwitz an der Spitze von Dreißig Jägern brachte mich, obgleich es dabei noch nicht zum Gefechte kam, in immer nähere Beziehung zu meinen kecken Freiwilligen, und vor- und nachher erfreute mich die edelste Gastfreiheit in Altenburg, hier, wie mannigfach auf dem Zuge, mir kündend, wie meine Lieder gut angeklungen hatten in vielen Herzen. –

Vorwärts nun wieder!

Die Schlacht bei Lützen donnert los in all' ihrer blutigen Herrlichkeit, und die Sonne des zweiten Mai leuchtete freundlich herein. Freilich war es kein Sieg, den sie beleuchtete, wohl aber eine Ehrenschlacht, den Preußischen Waffenruhm im vollen echten Glanze wiederum aufstrahlen lassend vor Feind und Freund.

[315] Die Brandenburger Kürassiere und ihre Jäger zersprengten einhauend ein sich tapfer verteidigendes Quarré, an ihrer Spitze Prinz Wilhelm, Bruder der Königs, unter ihm erschossen sein Pferd! Im gefahrdrohenden Augenblick waren auch die Jäger dem fürstlichen Helden treu helfend nah. –

Als sie nachher unter dem gewaltigsten Geschützesdonner hielten, trabte eine anmuthige Jünglingsgestalt an ihnen vorüber, vorwärts gegen den Feind. »Wer ist der freudigliche junge Offizier?« hieß es. Und auf die Antwort: »Der Kronprinz von Preußen!« jubelte ihm ein fröhliches Hurrah zu. Er lächelte dankend, und sprengte weiter vor.

Ein zweiter Angriff unter unsrem tapfern Führer, Major Grafen Hacke, gewann uns ein feindliches Kanon, das den Freiwilligen übergeben, und von Einigen aus ihnen, weil die Bespannung theils davongejagt war, theils verwundet, mit rascher Jünglingskraft aus dem Feuer gezogen und gesichert ward.

Die Schlacht stand, – wie ein sehr angemessener Kunstausdruck heißt. Sie stand, bis einbrechende Dunkelheit die Heere ablassen hieß vom gegenseitigen Ringen, zuletzt dem Moment vergleichbar, wo zwei gleich starke Ringer scheinbar bewegungslos just in höchster Kraftanstrengung einander erfaßt halten.

Ein Nachtangriff, durch uns Reiter allzumal unternommen, misglückte, weil viel zu früh losbrechend in edelkriegrischer Ungeduld, und somit die feindlichen Bivouac's noch völlig unter den Waffen findend. Da folgte eine schwere Nacht, denn die in der Dunkelheit eingerissene Unordnung ließ beinah eine völlige Zersprengung der Reiterei befürchten. Der Morgen aber hatte großentheils Alles wiederum in Ordnung gebracht, und der befohlne Rückzug zeigte in kriegrischer Ruhe, auch diese wohl schwerste Prüfung:nächtliche Verwirrung hatte das neugeschaffne Preußenheer tüchtig überstanden. Die Franzosen ihrerseits waren gleichfalls schon zum Rückmarsch aufgebrochen, wie es uns die von patroullirenden Kosacken eingebrachten Pulverwagen, nebst andrer dem Nachzug abgenommener Beute, kundgaben. Erst nun, da die Gegner merkten, daß wir uns wandten, kamen sie uns nach, aber sehr vorsichtig und fernher. Nur scharfblickenden [316] Augen wurden bisweilen auf den Höhen die Flanqueurs ihrer Avantgarde sichtbar.


Fouqué hatte in der Lützner Schlacht ein Pferd verloren, bei'm Einbrechen in's Quarré durch einen Bayonnetstoß erstochen, und eine Schramme über die Stirn mit herausgebracht, aber nur durch seine eigne scharfe Klinge, in die er stürzend gefallen war, sodann aus dringendster Gefahr zunächst durch einen Donschen Kosacken errettet, unterstützt nachher durch einen tapfern Freiwilligen. Hertel hieß der getreue Mann.

In jener düstern Nacht stürzte Fouqué auf eine nicht unwichtige Botschaft ausgesendet, mit seinem scheu überschlagenden Rappen – (denn, wie er späterhin gesungen hat:


»Aus Lützens Ebnen lag sein treuer Gelber« –)


in ein fast grundloses Wasser, und nur der göttliche Schutz errettete ihn vom Ertrinken. Wohl sprach er, wiederum völlig zur Besinnung gekommen, scherzend, für dasmal sei er, wie Tamino in der Zauberflöte, oder auch wie Tiek's gestiefelter Kater, durch Feuer und durch Wasser gegangen. Aber es blieb dennoch bei ihm ein gar ernstes Angedenken für das ganze Leben zurück. Die plötzliche Erkältung des aus der Schlacht und dem Nachtkampf her noch Glühenden, und die Unmöglichkeit, seine völlig durchnäßten Kleider für die nächsten Tage zu wechseln, hat seiner Gesundheit eine nie mehr völlig schwindende Erschütterung gegeben.


Noch eine Erinnerung aus der an hier nicht allsammt aufzuzeichnenden Erinnerungen so reichen Lützener Schlacht. Als gegen Abend die Franzosen durch einen Haubitzgranatenhagel versuchten, die Preußische Reserve-Cavallerie – die Brandenburger gehörten dazu mit – zu sprengen oder doch zu verwirren, und zwar keine Furcht, aber doch ein unwilliges Gemurr unter den ermüdeten Jägerjünglingen laut ward, daß die Alliirten uns abzulösen versäumten, sprach Fouqué aus seinem so oft fröhlich von ihnen gesungenem Jägerliede sie an:


[317]

»Der König hat gesprochen:

Wo sind meine Jäger nun?«


»Hier!« rief aus kühner Brust ein braver Jüngling zurück, und: »Hier!« klang es laut von Stimm' auf Stimme, und sie hielten fest und regungslos, wie Bildsäulen.

Bald nachher besang sie Fouqué in einem Liede, wo folgende Strophe das wackre junge Volk recht dem Leben in jenem heißen Kampfeswetter schildert:


»›Hurrah! Hurrah!‹ so riefen sie laut,

Und rasch in den Feind geritten,

Den Tod gegrüßt, wie die blühende Braut,

Gejauchzt in der Waffen Mitten,

Dann wieder geruhig den ganzen Tag

Geschaut in der Kugeln Hagelschlag.«


Mit schmerzlichen Gefühlen zogen wir durch das schöne Muldethal zurück, das wir nur jüngst mit viel andern Hoffnungen betreten hatten. Aber erprüft fühlten wir uns, und voll fester Zuversicht, im treuen Beharren endlich dennoch den Siegeskranz zu gewinnen.

Bei Meißen ging's über die Elbe zurück. Jener echte Freund Standfest kam zu uns in den Bivouac, uns erlabend mit köstlichem Wein, uns aushelfend mit Allem, was sein war, und sich freuend an unsrer auch im Mislingen frisch geblieben Kampfeslust. »Du,« – sprach ich zu ihm, »wohl thätest Du am besten, lieber gleich mit uns zu reiten. Weiß ich ja, daß Du vollständig ausgerüstet bist, und wenn Du das Nachrücken der Franzosen erwartest, erfahren sie vielleicht, wie gut deutsch Du gesinnt bist, und stellen Dich vor ein Kriegsgericht, also auch vor die Flintenläufe.« – »Möglich!« erwiederte er stark und still. »Aber reite ich jetzt mit Euch, ließe man vielleicht meine Anverwandten darunter leiden. Besser, ich bad' es allein aus.« Und er blieb, der wackre Standfest, und Gottes Hand blieb schützend über ihm, und späterhin ward es ihm dennoch vergönnt, die früher so wohlgeprüfte Klinge abermal umzugürten für das gute deutsche Recht. –

[318] Im Bivouac bei Meißen geschah es, daß die nun zeitig gewordnen Wahlen der Freiwilligen Jäger für die Lieutenantsstellen in der Schwadron zur Sprache kamen. Fouqué, als Aeltester der provisorisch Dienst leistenden Offiziere, erwartete nicht, daß die Wahl auf ihn fallen werde. Denn die unerlaßliche Strenge, womit er als früh eingeübter Cavallerist auf Rossespflege und alles damit Zusammenhängende achten mußte, wie überhaupt sein Ernst in der Handhabung des sogenannt kleinen Dienstes mogte, bei allem sonst ganz freundlichem Verhältniß, der noch ganz unexerzierten Jünglingsschaar oft überaus lästig gefallen sein. Auf den Fall einer anderweitigen Wahl hatte ja der König ihm auch anderweitige Anstellung verheißen. Da diese wohl nur in einem Hauptquartier stattfinden konnte, wäre vielleicht für künftige Beförderung dadurch besser gesorgt gewesen, auch hätte minder erschöpfende Anstrengung stattgefunden, als bei den Jägern, und vielleicht hätte des kriegrischen Poeten Gesammtgeschick eine äußerlich weit günstigere Wendung genommen, als es sich seither gestellt hat. Aber dem sollte nicht also sein. Als der beauftragte Rittmeister an's Abstimmen gehn wollte, rief die gesammte Jünglingsschaar – ein paar bärtigwackre Genossen darunter mit –: »Unser ältester Lieutenant soll bei uns bleiben!« – Feurig rief er zurück, lachend und dennoch feuchten Blickes: »Ich bin Euer, Ihr liebes wunderliches Volk!« – Und durch diese schöne Erinnerung hat ihm Vieles seither sich versüßt im seltsam wechselndem Leben. –


Auf einige Tage nach Sagan zurückbefehligt, um aus dem dortigen Depot die wunden oder kranken, nun etwa wieder dienstfähig gewordnen Reiter und Pferde für die Reserve-Cavallerie heranzuführen, erlebte Fouqué einen der wundersamlich erschütterndsten Momente seines Daseins.

Einquartirt in einem edelgastlichen Hause und in der Morgenfrühe noch schlafend in schwerer Mattigkeit nach jenem Wassersturze, ward er durch rasche Tritte, die Treppe herauf eilend, erweckt. Der wackre Militärkommandant des Ortes trat herein, und Fouqué rief aus: »Giebt's Botschaft von der Armee, Herr Obrist?« und griff bereits nach Waffen und Kleidern. »Nicht [319] das, mein Lieber;« hieß die Antwort. »Bleiben Sie liegen. Es ist ein alter Bekannter, den ich Ihnen zuführe.« Und in die offengebliebne Thür trat ein Greis mit fast gänzlich kahlem Haupte, im langen grauen Oberrock, auf einen hohen Wanderstab vornübergebeugt, die fast erloschnen Augen fest und ernst nach Fouqué herüber gerichtet, ganz einem schwergedrücktem Pilgrim vergleichbar. »Kennen Sie ihn nicht?« fragte der Obrist. Fouqué verneinte staunend. Da leuchteten die Augen des Fremdlings plötzlich wie Flammen empor, und mit edelzürnender Stimme rief er machtvoll aus: »Kennst Du mich nicht, oder willst Du mich nicht kennen?« – Und es war Massenbach. »Undankbarster aller Menschen ich, wenn ich Dich nicht kennen wollte!« rief Fouqué zurück. »Du, mein gütiger Freund, als ich ein Knab war! Du mein rühmlicher Waffenmeister am Rhein! Du mir immerdar lieb und hold in jeglichem Verhältniß!« – Und das alte schöne Vertrauen blühete gleich wieder in voller Frische. Massenbach war gekommen, dem König seine Dienste auf's Neue anzubieten, namentlich für etwanige Gebirgsstellungen in Schlesien, des vordringenden Feindes rechte Flanke bedrohend, falls wir bis darin zurückgehen müßten. »Das wird erst noch in der Stellung von Bautzen entschieden, und in wenigen Tagen hoff' ich dabei zu sein!« erwiederte Fouqué. Er rieth dem ältern Freunde, zufällig wissend, wie der König gegen Diesen, durch die von ihm verfaßten unglücklichen Memoiren und andre Druckschriften ähnlicher Art, aufgebracht sei, nicht unmittelbar hinzutreten vor den Monarchen. Massenbach hat den Rath befolgt, sich zunächst in das Hauptquartier des General Kleist begebend, aber kaum war dies zur Kunde des Königs gekommen, als er auch dem General den Befehl zuschickte, den Obristen Massenbach sogleich zu entferne. Ohne jene trüblichen Druckschriften hätte gewiß eine Versöhnung mit dem gütigen Könige stattgefunden, und vielleicht hätten sich nun Lorbeerzweige um Massenbach Greisenhaupt gewunden. Ich habe den edlen Unbeglückten seit jener uns Beide tief erschütternden Stunde nie wiedergesehn. –


[320] Die Schlacht von Bautzen ward geschlagen, und nach rühmlichem Widerstande der Preußen und Russen verloren. –

Fouqué genoß noch der Ehre, sein Kommando, aus etwa 60 wiederhergestellten Reitern und Pferden unterschiedlicher Regimenter bestehend, im heißesten Momente mit in das Feuer zu führen, und es sahe im frischen Vorwärtstraben darnach aus, als wolle der Sieg uns krönen. Aber der Befehl kam zum Halt. Unlängst darauf auch der zum Abmarsch. Die Brandenburger Kürassiere und ihre Jäger halfen den Rückzug decken mit einer festen Mannhaftigkeit, welche kein uns nachgesandter Haubitzgranatenhagel zu stören vermogte.


So ging es denn wiederum zurück, nach Schlesien hin, voll tiefer Schmerzensgefühle. Daß uns jedoch der Feind auf dem Fuße folgte, wie es beinah täglich kleine Gefechte uns zur Nachhut Befehligten kund gaben, zeigte wenigstens, daß er nicht auf das ihm jetzt beinah offenliegende Berlin vordringe. Dies Nachrücken in Schlesien hinein konnte ihm von Böhmen aus verderblich werden, wenn, wie wir mit stets wachsender Zuversicht hofften, Oesterreich sich für uns erklärte.

So, und überhaupt im hoffenden Vertrauen, hielten wir uns frisch unter den Beschwerungen und Entbehrungen des Rückzuges.

In einem jener Gefechte, mehrst aus Kanonaden bestehend, gereichte es mir zur sonderlichen Erhebung, den Berg, Landskrone geheißen, vor Augen zu haben. Dorten ja war meinem Jakob Böhme als Hirtenknaben seine erste Wundervision aufgegangen. »Trifft's mich hier,« – dachte ich, – »so trifft's mich in heiter ernsten Mahnungen an das Ewige, Hochherrliche.« –

Eines Tages sprach unser Brigadechef, Obrist von Dolffs, an den Jägern vorüberreitend zu mir: »Fouqué, die Schwadron hat eine rechte Zierde verloren, seit Ihr schöner Gelber auf dem Lützner Schlachtfelde liegt.« –

»Ach, bald sollte unsre ganze Brigade eine noch weit erhabnere Zierde verlieren: unsern edelritterlichen Anführer selbst!« –

[321] Das Treffen bei Hainau, wo der bis dahin nur fernher nachdonnernde Feind, gestachelt durch Napoleons ungestümes Begehr nach: »Resultaten,« uns endlich nahe genug kam, um ihn zu erfassen, war des Obristen von Dolffs ruhm- und siegreicher Todestag. Noch am Frühmorgen sah ich den ritterlich schönen Kriegsmann, geschmückt wie zum Feste, auf einem edlen Rosse, hoch und schlank, wie er selbst, sinnig langsam einherreiten, wie von heiter hohen Ahnungen und Erinnerungen umschwebt, zurückkehrend von der Kampfesebne Besichtigung, bis wohin er die Gegner heranzulocken hoffte. Es gelang ihm, aber er selbst empfing im kühnen Angriff die Todeswunde, schmerzlos, unentstellt die edle Gestalt. Erst als wir mit zehn eroberten Geschützen fürder zogen, ging von Geschwader zu Geschwader die Frage: »Wo ist unser Obrist?« – Keine Antwort. – Unser Obrist lag auf dem Gefilde seiner Ehren still. –


Von da an wagte sich der Feind nicht mehr an unsre Nachhut –

In der Gegend um Schweidnitz stellte das Heer sich auf. Die Herzen schlugen, des Rückgedrängtseins unerachtet, den alten muthigen Takt.

Zwei feindliche Offiziere, die sich in einer Kurierchaise unsern Vorposten allzunah gewagt hatten, wurden kriegsgefangen. Man meinte, sie verhehlten Wichtiges, und Fouqué ward erkoren, sie in ihrem eignen Wagen nach dem Hauptquartier zu geleiten, mit dem Auftrag, sich zu stellen, als verstehe er kein Französisch, sei auch verdrießlich vor Uebermüdung, und wolle schlafen. Vielleicht komme er so aus den Gesprächen beider Heer'n hinter ihre kriegerisch-politischen Geheimnisse. Das Erste- und Letztemal in seinem Leben, daß er sich auf's Belauschen gelegt hat! Aber diesmal war's doch wirklich ehrsam gebotne Kriegslist. Bald indeß konnte er sich losmachen aus der seiner Natur so fremdartigen Verstellung. Die zwei Herr'n zeigten in ihrem Dialog, worin sie sich unter Andrem über die um Schweidnitz her angelegten Verschanzungen ausließen, so ausnehmend wenig kriegerische Einsicht, daß man ihnen offenbar Unrecht that, in dem Verdacht, als seien sie mit wichtigen Aufträgen geheimnißreich beladen. Ich [322] ließ denn meine schläfrige Verdrießlichkeit fallen, erklärend, ich hätte nun ausgeruht, und zeigte mich ihnen in der Freundlichkeit, die besiegten Kriegsmännern von Seiten ihrer Gegner gebührt.

Wir kamen tief in der Nacht im Hauptquartier hinter Schweidnitz an, und bei der Unbedeutenheit des Fanges erkannte ich für unnütz, die Ruhe der Befehlshaber zu stören. Am andern Morgen traf ich auf einen wackern jungen Garde-du-Corps-Offizier, mir von sonsther schon bekannt, jetzt im Gefolge Blüchers. Er sah trüb und niedergeschlagen aus, und auf meine Frage drüber entgegnen er: »Ja so! Sie wissen's noch nicht. Waffenstillstand!« Ich schrak zusammen. »Waffenstillstand!« rief ich. »Was soll das bedeuten!« – »Was es bei Napoleon immer zu bedeuten pflegt: Frieden. Und welch ein Friede jetzt!« – Ich fühlte mich, gleich dem edlen Jünglinge, wie durchdonnert. Im selben Augenblick trat Blücher auf den Vorsaal heraus. Ich stattete ihm meine unbedeutende Meldung ab. »Gehn sie nur dorten hinein,« sprach er, »und melden Sie's auch dem General Gneisenau. Der Gneisenau muß Alles wissen: Großes und Geringes.« – Ich ging, und ward mit der Herzlichkeit empfangen, die mir der Held von Kolberg schon bei jener ersten Bekanntschaft in Berlin erwiesen hatte, und kräftiger Trost quoll aus der Heldenseele in die meinige. »Der Waffenstillstand schadet uns nicht;« sprach er in all der frischen Zuversicht, die auch unter den ungünstigsten Umständen stetig ihn belebte, und Andre durch ihn mit. »Friede wird's nicht. Dazu ist Jener nun zu hochmüthig aufgeschwellt, und unser König und Kaiser Alexander sind zu groß, um sich in demüthigende Bedingungen zu schmiegen. Zieht Jener neue Heerschaaren aus Frankreich und Spanien heran, so üben wir unsre Landwehren vollends ein, und auch Oesterreich gewinnt Zeit, einen bestimmten Entschluß zu fassen, ohne Zweifel einen edlen Entschluß. Im Uebrigen weiß ich offiziell nicht mehr als Sie, aber so zeigt sich's mir im Sinn, und ich meine, mit vollem Recht.« In dem Augenblick trat Blücher herein, und ich wollte mich zurückziehn. Gneisenau winkte mir, zu bleiben. Nachdem die beiden erhabnen Genossen Einiges mitsammen besprochen hatten, sagte Gneisenau, mich mit Namen vorstellend: »Sehen Sie, Eure Excellenz, das ist der Kriegsfänger unsres Heeres.« Held Blücher sagte sehr freundlich [323] zu mir: »Schön, mein Sohn, das ist mir lieb.« Gneisenau sprach, mich entlassend: »Halten Sie fest, was ich Ihnen mitgeteilt habe, und breiten Sie's nach Kräften aus unter den Waffenbrüdern.«

Wie aus einem Stahlbad' entstiegen, trabte ich wiederum frisch zum Regimente zurück.


Die Waffenruhe brachte mir einen Urlaub in die Heimath. –

Goldne Tage! Seelige Tage fast! – Solch ein Wiedersehn! Und eben der ernste Hintergrund, nach einigen Wochen mich wiederum hinaus in's Feld des Kampfes und der Ehre winkend, hob die blumige Oasis der Gegenwart nur um so lieblicher hervor. Ist es ja doch mit dem ganzen Erdenleben just eben so. Was wär's es darum, stände nicht an seinem Ziele der ernsteste aller Engel! Wir hienieden heißen ihn: Tod. –

Während jenes raschen Maifeldzuges hatte mir die Muse, zwischen den mir keck entklingenden, mannigfach von den Kameraden nachgesung'nen Kriegsliedern, auch noch ein gar wundersamliches Bild aufbewahrt. Zuerst war es mir in einer, kurz vor des Kampfes Beginn zu Berlin aufgestellten Gemäldegalerie erschienen: das Oelgemälde einer schönen, seltsam aussehenden Frau, ihre Tracht zwischen dem Europischen und Orientalischem mitten inne, ihr Blick anziehend und abstoßend, herb und mild. Aus der Altitalischen Schule schien das kleine Bild herzustammen, aber Niemand konnte den Meister nennen, oder überhaupt Näheres davon berichten. Auf mich machte es einen fast magischen Eindruck, so daß es die Freunde nur: »die Here« zu benennen pflegten, weil immer und immer wiederum davor sie mich antrafen, wie einen Gebannten, wie ich denn in der That von den andern vielgepriesnen Bildern dieser Ausstellung – bei meinem sonst eigenthümlich scharfem Gedächtniß, namentlich für Gegenstände der bildenden Kunst, – mich auch keines Einzigen mehr zu erinnern weiß. Die: »Here« dagegen, obgleich ich das Gemälde nie wiedersah, nicht einmal wissend, wohin es geschwunden ist, lebt noch jetzt vor meinem geistigen Auge, und hat sich nach und nach zur Corona gestaltet, der magischen Heldin [324] meines unter diesem Namen bekannten Rittergedichtes. In der heimatlichen Ruhe begann ich an die Darstellung meiner Zauberin zu gehen. Stehe hier der Anfang des Liedes:


»Der ernste Krieg, der Fürst von Deutschlands Kriegen,

Der über Tod und Leben trägt Gewalt,

Nicht fragend nur, ob Fürst und Volk erliegen,

Nein, ob noch fürder Deutsche Zunge schallt,

Ob Nacht, ob Klarheit soll auf Erden siegen, –

Er macht für Wochen, still erwägend, Halt.

Und mild, als wie befriedet, hält umwunden

De Heimath mich in seegenreichen Stunden.


Da kommt die Muse grüßend hergegangen,

Und spricht zu mir von manch erhabnen Bildern,

Die, wenn Geschütze brüllten, Schwerdter klangen,

Mir ahnend wußten kühnen Trotz zu mildern.

Sie will, ich soll noch Dichterkränz' erlangen,

Soll, was sie ahnend haucht, in Worten schildern,

Und, wie zum Trotz den wild empörten Zeiten,

Erzählend greifen in die goldnen Saiten.


So sei es denn. Und ruhe jetzt, mein Schwerdt,

Bis Dich Trompetenklänge neu erwecken.

Die Muse winkt. Es scheint, als sei ihr werth,

Wer zu ihr aus der Schlachten blut'gen Schrecken 21

Nicht ohne Sieg, nicht ohne Ruhm auch, kehrt.

Schwellt, meines Liedes Seegel! Wir entdecken

In kühner Fahrt durch manch ein zaubrisch Land

Wohl hoh're Lust, als wir noch je gekannt.« –


Die Gesänge begannen und schlossen auf diese Weise stets mit irgend einem Gebilde der ernst bedeutungsvollen Gegenwart, so daß die phantastischen Erscheinungen gleichsam davon umwoben und umhegt wurden, wie von eben so vielen Rahmen. Für Jener eigentliches Thema und Centrum mogte die absichtlich wie derkehrende Schilderung der Zauberin Corona gelten:


»Schau' diese dunklen Brauen, finstren Locken,

Und dieser Augen mondlich trüben Schein,

Wie jeder Zug, als tönten Grabesglocken,

Sich hüllt in tiefe Todesnebel ein,

[325]

Daß bang' davor des Lebens Pulse stocken,

Und jedem Hoffen sich's entgegnet: Nein!

Und doch, ein leises lindes Liebesthauen

Bebt ahnend nieder durch das strenge Grauen.«


Die Tage der freudigen Ruhe vergingen. Frischfreudig wiederum ging es in's Feld. –

Ein gar edler junger Freund war mir seit jener Zeit beschieden, mit mir ziehend fortan gegen den Feind: Philipp Veit, 22 ein Sohn Dorothea Schlegels aus erster Ehe, Friedrich Schlegels Stiefsohn, klar und heiter wie der Frühling, ernst und sinnig, wie der Herbst. Welch ein Seegen dieser Jüngling, als Freiwilliger in unsre Schwadron eintretend, für mich ward, vermag ich kaum zu schildern. Sein inniges Festhalten an mir, seine geistvollen Anschauungen und Gespräche auf dem Marsch und in der Beiwachtruhe, seine ritterliche Kriegsfreudigkeit im Gefecht, klarster Besonnenheit voll, in tiefer Seele leuchtend ihm der seelige Christenglaube, – es rührte, hob, erfreuete meinen Geist, als eine stets erneuende Quelle seeliger Jugend.

Ueberhaupt wob sich ein heitrer Bund edler Dichterfreunde, schon im Maifeldzuge begonnen, immer schöner zusammen, worin wir mit stets wachsender Freude den wackern Dichter Max von Schenkendorf emporblühen sahen; wie Götz mit gelähmter Hand (ein früherer Zweikampf trug die Schuld), bot er stets auch rühmlich der Gefahr die Brust entgegen, wie Götz. –

In so anmuthig befreundeter Umgebung – und wohl mag man hinzufügen: unter befruchtenden Gewittern rühmlicher Gefahr – gedieh Corona mehr und mehr, großenteils mit Bleistift auf rohes Papier, wie es eben vorhanden war, an der Erde liegend geschrieben, und dann erst in den seltnen Kantonnirungsmomenten mit Feder und Dinte festgehalten. –

Die früherhin den Dichter umwehende Ahnung des Ehrentodes stieg jetzt wiederum auf, namentlich im Heranrücken auf [326] Dresden durch Böhmen vor, das: »klangreiche Böhmenland,« wie es unser Max ansang, welches uns jetzt durch den Bund mit Oestereich geöffnet war. In Einem der wunderherrlichen Berg- und Burgthäler, die sich uns kundgaben, entstand mir folgender Zweisprach:


Der Tod.
Ich neige mich zu Dir hinab
Im nächt'gen Traum, und mahn' an Grab,
Un's nahe, blut'ge Dich.
Der Dichter.
Noch halt Dich von mir, ernster Tod.
Manch schönen Sanges Morgenroth
Lockt noch in's Leben mich.
Der Tod.
Wenn das Dich schirmte vor Gefahr,
Da müßtest leben immerdar,
Käm'st nie in's Himmelreich.
Der Dichter.
Mein lieber Tod, da sprich Du gut.
Denn stets entquillt mir Sanges-Muth,
An Bildern stark und reich.
Der Tod.
Drum mache Dich alsbald gefaßt.
Du sehntest Dich nach Ruh' und Rast, –
Der Dichter.
Nun giebt sie mir die Schlacht?
Der Tod.
Ja wohl, mein Freund.
Der Dichter.
Drum freudig auf!
Beide.
So fliegen wir im heitern Lauf
An's Licht aus Traumes Nacht.

Sehr nahe kam denn abermal der ernste Bote seinem Sänger in der Schlacht von Dresden und obenein mit so eigenthümlich [327] ernster Seelenmahnung, wie vielleicht noch nie. Aber das gehört mehr in eine Beichte, als in eine Lebensbeschreibung.

Die Schlacht – nachdem Tages vorher schon der Sturm auf die Stadt verunglückt war – ging verloren. Wir zogen nach Böhmen zurück. Ein schwerer Ausspruch, als wir ihn vernahmen! Um so schmerzlicher, als auf unsrer Seite Alles weit eher gut gegangen war, als übel, und wir mit dem nächsten Morgen auf ruhmvolle Erneuerung des Ringens gehofft hatten. Ja, man munkelte gar schon wieder von Frieden! Das Entsetzlich, was sich denken ließ nach einer wider Napoleon Buonaparte verlorenen Schlacht. –

Als nun der trübliche Rückmarsch entschieden war, quollen mir folgende Gebetesworte, wie Himmelsthau – hat ja Der es auch an der Art, in die welkenden Blumen herabzuträufeln, und dann wieder emporzuduften, als ein geheimnißreicher Hauch – in die Seele:


»Herr Gott, Dein Wille soll ergehn.

Ich armes Menschenkind,

Ich kann ihn leider nicht verstehn.

Ich bin zu blöd' und blind.


Doch heb' ich zu Dir auf in Müh'

Das schmerzgeschlag'ne Haupt,

Und denke spat, und denke früh:

Dort schaut, wer Diesseit glaubt.« –


Beten hilft. Ergebung an Gott begann heilend in meiner zerrissenen Seele, zu walten; und kaum 48 Stunden später, so wetterte die schöne Siegesschlacht von Kulm los, wo wir unter Kleist-Nollendorf in den Rücken des trotzig vorgedrung'nen Vendamme'schen Corps einbrachen, und nach dessen verzweiflungstrotzigem Widerstande der glänzendste Sieg um unsre Schaaren flog. Ein feuriges Kriege- und Sieg'slied erklang aus Fouqué's jubelnder Seele in dem schönen, blutig errung'nen Töplitzer Thal, anhebend:


»Der Sieg schwang seine goldnen Flügel

Durch's Kampfesthal,

Und wie Altäre stehn die Hügel

In seinem Strahl.«


[328] Karl Borrowäus von Miltitz, eben damals bei'm Heer eingetroffen, um unter den Oesterreichischen Schaaren zu kämpfen, verlieh den Worten eine begeisterte Weise, und so wird das Lied wohl noch hin und wieder gesungen. Zu lesen steht es in meinen gesammelten Gedichten.


Doch eben jenes holdleuchtende Thal ward die Wiege manch schmerzlicher Prüfung für Viele, auch für mich. Schon das für uns Krieger in untergeordneter Stellung unverstandne Zögern des erhabnen Oberfeldherrn Schwarzenberg war uns eine wahrhafte Plage. Der Jubel über die hereinströmenden Siegeskunden von Großbeeren, der Katzbach, Dennewitz, gleichsam schwesterlich unsre Kulmer Victoria begrüßend 23, entzündete stets lebendiger, schmerzlich zuletzt unsre Sehnsucht nach einem Entscheidungsschlage. Wohl von höhergestellten Kriegsleuten mogte Aehnliches dem Oberfeldherrn dringend vorgestellt werden, und es gehören diese langen Wochen des weisen Zögerns, worin der Leipziger [329] Entscheidungssieg vorbereitet ward, gewiß zu Schwarzenbergs allerschwersten, aber ebendeshalb auch glorreichst bestandenen Prüfungen. –

Nach manch kleinen Gefechtsanfängen, – so nur kann ich's nennen, denn zum eigentlichen Kampfe gedieh es nicht, wenigstens für uns nicht, – ergriff das immermehr um sich greifende Kranken auch mich. Namentlich kamen fürchterliche Brustkrämpfe dazu, die nicht selten mit augenblicklichem Tode droheten, wohl größtenteils Folgen jenes nächtlichen Wassersturzes nach der Lützener Schlacht. Meine mir sehr wohlwollenden Vorgesetzten hatten mehrmal Entwürfe gemacht, mich dem die angegriffene Kraft völlig erschöpfendem Jägerdienst zu entziehen durch Anstellung in einem Hauptquartier. Versteht sich: so daß mir das Theilhaben an den Gefechten unverkümmert bliebe. Die Sache aber hatte sich noch immer nicht gestaltet. Nun, als ich auf dem nur allzuquellenreichen Boden um Töplitz eines Abends schwer erkrankt in meiner Hütte lag, entrangen sich der gepreßten Brust folgende Reime:


»Wohlan, so sei's! Ich soll erblassen,

Den Lieben fern, im fremden Land.

Wohlan! Ich leist' auch Das gelassen,

Mein König und mein Vaterland.


Ich habe frisch für Euch gerungen

In mancher heißen Heldenschlacht,

Hätt' Euch noch manch ein Lied gesungen,

Wohl manche That für Euch erdacht.


Das will man nicht, will umgestalten

Den Dichter in ein andres Ding.

Da kann sein Leben nicht mehr halten,

Vergeht, wie Manches schon verging.


Von Weib und Kind laßt nicht mich sprechen.

Da wird die Brust mir allzu voll,

Und mögte los die Klage brechen,

Was sie doch jetzt nicht darf, noch soll.


Vielleicht entkeimt aus meinem Grabe

Ein Eichenreis dem fremden Land.

Das weih' ich Euch als letzte Habe,

Mein König und mein Vaterland.«


[330] Man hatte mich mehrmal aufgefordert, aus dem Lager nach irgend einem Ort zu meiner Wiederherstellung abzugehn. Ich vermogt' es lange nicht, so gegenüber den Höhen, auf denen der Feind sich zeigte, vor mir, um das durch uns verschanzte Kloster Mariaschein, das aufgefahrne Geschütz, bereit den etwa über den Geiersberg andringenden Feind einstweilen zu begrüßen, bis er weiter vorrücke in den Bereich unsrer Klingen herein.

Endlich überfiel die Krankheit mich eines Frühmorgens wiederum dergestalt, daß ich mein Unvermögen, zu Rosse zu steigen, deutlich empfand, und nun den mir so oft vergeblich dargebotenen Antrag annahm. Während man den Wagen zurüstete, der mich vonhinnen führen sollte, und die Freunde mich abschiednehmend umstanden, trat ein so fürchterlicher Brustkrampf ein, daß er mich zu Boden riß. Ich vernahm das leise Weinen Eines der trauten Genossen, sonst immer in fester Klarheit des Geistes ruhig gefaßt, und wie er seufzend flüsterte: »Nun ist es vorbei!« –

Seltsamlichstes aller Gefühle! Und doch mußt Du mir wiederkommen, gesteigert wiederkommen, – vielleicht mir Drei- und Sechzigjährigem sehr bald. –

Damals aber, Du lieber, weinender Waffenbruder Ferdinand, war es denn freilich nicht vorbei mit mir. Vielmehr noch Vieles, unermeßlich viel der Schmerzen, Gott-Lob aber auch sehr viel der erhebenden Freuden hatte Dein Friedrich zu erfahren auf diesem rollenden Erdball. –

Von jenem schrecklichem Brustkrampf erstand ich bald wieder, wenngleich todesmatt, so daß ich auf den Wagen gehoben, fast getragen werden mußte. Die Heilung im Städtlein Postelberg – der Kreis der Freunde hieß es lieber Apostelberg, weil sie Alles um ihren Dichter her zu adeln oder gar zu heiligen liebten – ging langsam aber sicher fürder, theils unter der Leitung des genialkühnen Regimentsarztes, der das Ding nach Soldatenweise rasch entscheidend angriff, theils nachher unter der uneigennützigen Pflege eines wackern Oesterreichischen Arztes dort. Mögte er noch leben, und sich's fügen, daß er hier meinen innigen Herzensdank herauslese, auch für die Bücher, mit welchen er den langsam Genesenden sinnig versorgte. Sein Name ist mir [331] im Strom der Zeiten unverantwortlicherweise untergesunken. Vielleicht, daß er selbst, oder Jemand aus seiner Familie ihn mir noch wiederum hervorrufen kann, wodurch man mich lebhaft erfreuen würde. –


Dem über die Berge nach Sachsen vorausgezognen Regiment konnte ich endlich wiederum nachreiten, wenngleich noch immer voll schwerer Mattigkeit. Aber dort hinten, mit ehrliebender Ungeduld im Herzen, spürend mit kriegrischem Einblick, der Entscheidungsschlag um Leipzig her müsse nahe vorhanden sein, wär' ich doch nimmermehr genesen. Auch mein tüchtiger Arzt in Postelberg fühlte das klar, und gab mir, nun selbst zum Aufbruch rathend, seinen Seegen mit auf den Weg.

Ich ritt und ritt, und die Bahn schien sich unter meinen Rosseshufen zu verlängern, denn immer bestimmter ward meine Vermuthung, bei Leipzig beginne der Entscheidungskampf, oder sei wohl schon losgebrochen gar.

Unterweges noch ein geistiger Erquickungsgruß durch das Zusammentreffen mit zwei geistigen Heroen, den Ministern Wilhelm von Humboldt und von Stein.

In Altenburg, der treuen Stadt, noch eine kurze, gastlicherquickende Rast für Mann und Roß, wo man mich noch, vom Frühling desselben Jahres, traulich wieder erkannte. Als ich zufällig auf der Straße stand, indem Einer meiner braven Regimentskameraden, durch einen Lanzenstoß an der rechten Hand kampfesunfähig geworden, vom Schlachtfelde zurückgeritten kam, und ich mit ihm einige Worte heimlich gewechselt hatte, drängten sich alsbald mehre Bürger um mich her, forschend nach dem Stand der Dinge. »Ihr wackern Männer,« sprach ich, »Wahrheit ist nicht allein gut Ding, sondern auch das alleingute Ding vor allen. Entschieden ist noch nichts. Man schlägt von beiden Seiten sich wacker. Der Ausgang steht bei Gott. Morgen hoff' ich selbst ehrlich mitzufechten.« – »Wenn nun die Schlacht verloren ginge,« – hieß es weiter, – »da kämen die Franzosen wohl wiederum nach Altenburg?« – »Ja leider!« erwiederte ich. »Wir wollen uns redlich dawider anstemmen.« – Und sie sprachen, wie aus Einer Stimme: »Kommen Die, da [332] wird es uns gräulich ergehn. Ei nun, wohlauf, unsrer lieben Preußen zu pflegen, so lang' davon welche noch bei uns sind!« – Ich verbürge die Echtheit dieser Altenburger Bürgerworte mit meinem eignem Wort.

Am Heerde des Buchhändler Brockhaus war mir wiederholt der gastlichste Empfang bereitet, jetzt, wie früher im Lenz. Damals hatte mir der Hausherr als Ehrengeschenk einige Bücher mitgegeben, so viel deren mein kleiner Mantelsack und der meines Reitknechtes zu fassen vermogte. Die Perle darunter war Amaliens von Imhof neueste Dichtung: »die Schwestern von Corcyra,« und eben auf der letzten Seite standen, das geniale Werk beschließend, die Worte:


»Aber der Glückliche heißet hienieden, welcher in Thatkraft

Reine Hände um Himmel erhebt, und gleich dem Leontes

Stirbt für das Vaterland, wie schön er gelebt für die Freundschaft.«


Längsther waren mir diese Klänge meiner Lesbischen Muse als eine rühmliche Todesweihe erschienen. Jetzt belebte sich mir die Ahnung auf's neue, als ich am Frühmorgen des 18ten Oktobers 1813, von Altenburg rüstig aufbrach, zu der Entscheidungschlacht auf den Leipziger Ebnen hinaus. Ganze Züge von Verwundeten begegneten mir, und gaben schon durch ihr Dasein, mitunter auch durch wenige rasch gewechselte Worte, soweit mir die Eil es verstattete, kund, ich komme noch zu rechter Zeit, um Antheil zu haben, an den ernsten Wundern dieses Kampfes. Gegen Abend gelangte ich in den Kreis der von allen Seen losgebrochnen und noch immerdar unermüdet brüllenden Donner. Wohl mogte man sich versucht fühlen, zu meinen, die Erde bebe unter diesen Wettern. In meiner mannigfachen Schlachtenerfahrung hatte ich Dergleichen noch nie vernommen. Erfreut, in dem vielverschlungnen Todesreigen endlich Preußen aufzufinden, hielt ich mich einstweilen zu einer Schwadron brauner Husaren, wo man mich freundlich aufnahm. Schon begann die Abenddämmerung aufzusteigen, als ein Offizier von der Feindes-Seite her auf edlem Roß langsam gegen uns vorgeritten kam, in welchem wir alsbald einen Sachsen erkannten. Was konnte er wollen, so allein? Etwa Zweikampf mit Einem von uns vor der Schwadron haltenden Offizieren? Das wäre just nichts Unerhörtes gewesen in der [333] Neufranzösischen Kriegsgeschichte, wo sich diese altritterliche Sitte, wie zu Trotz dem modernen Revoluzgetriebe, noch immerdar erhalten hatte. Um so eher mogte ein braver Sachse auf solche Gedanken kommen. Wir etwa fünf Offiziere ritten ihm denn langsam entgegen, ihm die Wahl lassend, Wen von uns er zum Einzelkampf hervorrufen wolle, falls er aber Neckerei treibe und wiederum zurücksprenge, war's beschlossen, ihn zu jagen gemeinschaftlich. Er aber winkte mit dem weißen Tuch, und rief uns entgegen, er führe uns einige Bataillone zu, übertretend zur Deutschen Sache. Morgen würden noch andre Schaaren folgen. –

Die Schlacht verstummte mehr und mehr. Die Nacht senkte sich tiefer und tiefer vom Himmel hernieder. Da beschloß ich, die Rödersche Kürassier-Brigade, zu welcher ich gehörte, aufzusuchen, wäre aber fast zwischen Dunkelheit und Wachtfeuerblendung bei dem Dorfe Probstheide in die Franzosen hineingerathen zu Tod oder Gefangenschaft. Die Warnung eines wackern Infanterie-Kameraden hielt glücklicherweise den nächtigen Reiter zurück.

In der leuchteuden Frühe des 19. Oktober gelangte ich endlich zu meinen Waffenbrüdern. Es ist so was doch immer wie eine Heimkehr in die Familie. Zwar als ich mich dem edeln General von Röder meldete, sah er mich bleichen Rittersmann von der traurigen Gestalt wehmütig an, sprechend: »Sie sind zu frühe gekommen. Sie werden bald wiederum den Erschöpfungen erliegen. Indeß, fern von der rühmlichen Gefahr hätten Sie's ja doch auch nicht lange mehr ausgehalten. Also: willkommen!« – Die Waffenbrüder empfingen mich herzlich. –

Gleich darauf hieß es: zu Roß und Vorwärts. Wir erwarten einen heißen Tag. Unter einigen inzwischen an mich eingelaufnen Briefen war auch einer von A.W. Schlegel, aus Schloß Charlottenburg geschrieben, wo er sich im Gefolge des Kronprinzen von Schweden befunden hatte. Wie seltsam die stillen Zeiten von Nennhausen vor mir aufstiegen, als mich die Zeilen des geliebten Meister's so friedlich ansahen, während ich feierlich dem Entscheidungskampf entgegenzog!

Wir hielten eingeschwenkt in der uns angewiesenen Stellung. Das in verwichner Nacht mir noch so bedrohliche Dorf Probstheide [334] hatten wir, vorbeiziehend, vom Feinde geräumt gefunden. Jetzt begrüßten uns wieder, überhinsausend, die Erstlinge des feindlichen Kanonenfeuers. Gegen unsern linken Flügel her ließ sich der langgezogne Französische Kommandoruf hören. »Nun gilt es!« winkte Ein glühendes Auge dem Andern zu.

Da kam unser König von vornher langsam zu uns herangeritten. Ein freudiges Hurrah wollte losbrechen, ihn zu begrüßen. Er winkte abwehrend, und sagte: »Der Feind ist noch nicht weit, und braucht just nicht zu vernehmen, wo die Reserve-Cavallerie hält.« Feierliche Stille. Unser damaliger Regimentsführer, der brave Major von Loebell, 24 ritt mit der schuldigen Meldung vor. Da sagte der König und sein Antlitz leuchtete im Glanz der Morgensonne, schöner noch im Glanz der edelsten Siegesfreude:

»Ich gratulire zur gewonnenen Bataille.«

Was könnt' ich hinzusetzen, stände mir auch des Raumes hier mehr zu Gebot! –

Wem Gott einen Kriegersinn bescheert hatte, und ein deutsches Herz, – Gott-Lob, an Beiden fehlte mir's nicht, – mußte empfinden vor den Königsworten: mit dieser Siegesschlacht war Deutschland frei bis an den Rhein. Meine Freudenthränen glühten, und stürzten mir über die Wangen hinab, ohne daß ich sie hemmen konnte, wie ich so dahielt, Gewehr auf, in kriegerischer Haltung regungslos.

Es war ein Jubelcentrum meines Lebens.

In manchem nachkommenden Dunkel und Weh der irdischen Pilgerfahrt hat mich dieser Gipfellichtsstrahl erleuchtet und erquickt und vor Murren behütet. Wer das zu erleben gewürdigt ward, sollte der nicht auch willig hinnehmen, was ihm zu erleben beschieden ward an trüblichen Stunden? –


Am Abend noch ein fröhlicher Einritt bei Freund August Apel in Leipzig, dem Dichter so manch geheimnißreicher Schauersage, [335] dem sinnigen Metriker, dem so viel begabtem glücklichunglücklichem, geheimnißreichem Manne. Eine Thräne seinem Andenken! – Diesmal durfte ich einem edlen dort versammelten Kreise von Frauen und Männern der kriegerische Freudenbote sein, an Widerstand des Feindes auf diesseitigem Rheinufer sei nicht zu denken. O, des Lieder-durchklungenen Feierabends! –


Fürder nun ging es in der nächsten Morgenfrühe, dem flüchtenden Feinde rastlos nach. Mit Jubelklängen der Kriegsmusik und freudigschallendem Kriegsruf begrüßten wir einander: Preußen, Russen, Oesterreicher. Erfüllung schönster Hoffnungen schwebte lichthell über und vor uns her.

Ernster und ernster doch immer ward mit jeglichem Tage die Siegesfahrt: unter unsern Schritten die wahrhaft zahllosen Leichname der erschöpft in den Tod gesunkenen Feinde, zwischen ihren gefallnen Rossen und zertrümmerten Geschützen, neben uns herwankend die Gespenster annoch lebender Flüchtlinge, waffenlos, wahnsinnig, im herben Gefühl des absoluten Besiegtseins und des schmählig zerbrochenen Uebermuthes, verfolgt von Fluch und Bedräuung, mit unter gar von Mißhandlung der vor Kurzem nur erst durch sie selbst mißhandelten wehrlosen Inwohner der Deutschen Gauen.

Freudiger doch und freudiger auch ward mit jeglichem Tage die Siegesfahrt.

Stadt und Städtlein und Dorf empfangend mit Jubelgruß und Gottesdank ihre Befreier von dem schmählig pressendem Fremdlingsjoch, unsre Trompeten fröhlich blasend, bald den feierlichen Regimentsmarsch, bald lustige Feldstücke, unsre Kriegsleute dazwischen anstimmend manch frisches Soldatenlied, nicht selten auch: »Frisch auf zum fröhlichen Jagen!« –


Was den Sänger dieser und ähnlicher Kriegslieder anbetrifft: der welkte leiblich mit jedem Tage des angreifenden Marsches immer sichtbarlicher dahin, während innen sein Geist immer preisender emporblühete im Gottesdank für die herrliche Gottesgabe. Wie [336] sich's von selbst versteht, gedieh dabei Corona auf's frischeste, wie es sich auch aus dem Rahmenbildern der damal gedichteten Gesänge ergiebt. Ueberhaupt mag für die hier geschilderten und die nächstfolgenden Zeiten dies Werk Erläuterung finden durch Corona, und Corona durch dieses Werk.

So oft uns die Eil des Verfolgens einige Rast ließ, versank er in einen todesähnlich tiefen Schlaf, aber dann kam beinah immer ein furchtbares Geträum über ihn, als sei die Schlacht bei Leipzig verloren, die Heeresmacht der Verbündeten zersprengt, der Feind im vollen Siegeszuge auf Berlin. Schaudernd fuhr der Schläfer empor, und die freudige Wirklichkeit umfing ihn mit beseeligenden Lichtern. »An die Pferde!« – »Aufgesessen!« – klang der frische Befehlsruf, und dem Feinde ging es wiederum nach im raschen Zuge, im Zuge nach dem erkämpften Rheinesufer der rechten Seite hin. Wie froh und stolz dann saß ich wiederum im Sattel, obgleich fast mehr hinaufgeklommen, als mich hinaufgeschwungen! Die Mattigkeit nahm bewältigend überhand. Der Regimentsarzt erklärte amtlich: »Noch Ein Bivouac, und Sie sind rettungslos verloren, Herr Lieutenant.« – Da ward das Abschiedsgesuch vorläufig eingegeben, der Ritt gegen den Feind jedoch fortgesetzt, bis dieser über den Rhein war, und die siegenden Schaaren Halt machten. –

Ein vorläufiger Urlaub des wohlwollenden General Röder, dem ermatteten Kriegsmann ohne sein Begehr angeboten, wies diesen vorerst zur Erquickung aus den beengten, wegen Fouragemangel oft wechselnden Kantonnirungen nach Weimar. Unterweges – Zwei seiner liebsten Waffenfreunde begleiteten ihn bis zu dem uralten Heldenschlosse Dörnberg – kam durch einen Ordonnanzreiter die Meldung nach, Fouqué sei vorlängst – schon bald nach der Schlacht von Kulm, auf Antrag seines wackern Regiments-Commandeurs Grafen Hacke, – zum Rittmeister ernannt, und nur im Drange des unermeßlich Wichtigeren die Nachricht bis jetzt ausgeblieben. Es war denn doch ein gar labendes Ehrentrünklein mit auf den Rückweg des Ermatteten, ob man gleich mit den Worten eines neckischen Soldatenliedes wohl hätte singen können in Bezug auf ihn:


»Unser Rittmeister ist ein braver Mann,

Nur Schade, da er nicht mehr reiten kann.«


[337] Von Bißleben, dem Hauptquartier vor dem berannten Erfurt aus, sandte ihn General Kleist-Nollendorf mit ehrenvollstem Empfang gleich fürder nach der Heimath, wenn es ihm so recht sei. Doch möge er wohlthun, sich erst noch in Weimar ein paar Tage auszuruhen.

Goethe leuchtete damals noch als sichtbare Centralsonne vieler Gestirne. Wie Fouqué von ihm ehrend aufgenommen war beim raschen Besuch auf der Feindesverfolgung, wie er jetzt wiederum gütig empfangen ward auf der Heimfahrt als Krankender, – ein vor Kurzen von ihm an's Licht getretnes Büchlein: »Goethe und Einer seiner Bewundrer« stellt es ausführlich dar. Hier nur so viel: Fouqué nahm das erfreuende Bewußtsein, Goethe erkenne ihn als Dichter an und habe ihn als Mensch lieb, mit sich heim.

Heim! –

Es ist dies ein tiefbedeutsam lieblicher Klang unsrer Deutschen Sprache. –

Fouqué, an den letzten Heimgang durch seine von Kriegsbeschwer völlig erschütterte, ja zerrüttete Gesundheit auf das ernstlichste gemahnt, genoß diese – wie er zuversichtlich meinte – Scheidestunden seines Lebens in dem stillen Abendglanze, den er von seinen frühesten Erinnerungen her unter allen Tageszeiten vornehmlich zu lieben gewohnt war, so wie unter allen Jahreszeiten den Herbst.

Corona ward in diesen Friedestunden vollendet, die Troubadoursage: »Sängerliebe« begonnen und ausgeführt. Aus dem Felde der Ehren sandte noch sein König ihm den Johanniter-Orden nach: »für bewies'ne hohe Liebe gegen König und Vaterland,« wie das Kabinetsschreiben sich ausdrückte, nebst dem Rang als Major der Cavallerie. Glückwünschungsworte seiner Feldherrn begleiteten die Kunde. Schön aufgelöset schien das Ringen seines Erdenlebens in einen seeligen Akkord.

Epilog

[338] Epilog.

Was soll ich Euch fürder berichten von den Nachklängen, oftmal noch hold harmonischen, oft aber auch herb dissonirenden, in welche jener Akkord sich aufgelöst hat seither! –

Eine gewisse dichterische Sehnsucht und Lust, im vollseeligen Einklange das Werk austönen zu lassen, mögte mir Halt gebieten an dieser Stelle meiner Bahn, zumal, da Corona in ihren Randgemälden das Wesentlichste meiner nächstfolgenden Ereignisse noch mit andeutet.

Aber der Historienschreiber tritt hier in einen Konflikt mit dem Poeten.

Was Diesem als ein Schuß über das Ziel hinaus gelten würde, gilt Jenem als unerläßliche Aufgabe zur Vervollständigung des Ganzen.

Wohlan! Ein Versuch zur Vereinung.

Man sollte ihn für leicht ansehen, weil diese Beiden hier eben nur Einer sind. Aber im Gegentheil: deswegen just hat es seine Schwierigkeiten.

Nichts destoweniger: an's Werk. –

Der Poët mag sich damit zufrieden stellen, daß seine Arbeit fortan aus Nachklängen besteht, Nachklängen jenes Schlußakkordes, mehr des lyrischen Charakters in und an sich tragend, als des Epischen, und somit sich hinströmend in freien Ergüssen. –

Der Historienschreiber mag sich daran genügen lassen, an den Rand des Stromes, bisweilen auch in des Stromes Mitte, Bahn zeigende Pfähle aufzustellen mit erläuternden Inschriften. So ist wohl beiden ihr Recht geschehen, zugleich auch dem Leser billig das seinige.


Das erste Ausruhen am frei und friedlich gewordnen Heerde war ein fast seeliges zu nennen: Freundesgrüße von nah und fern, [339] ungehemmtester Umgang mit der Muse, frisches Bewußtsein erfüllter Ehrenpflicht, jeglicher Morgengruß von Weib und Kind ein erneutes Gefühl des labenden Wiedersehens. –

Aber die Denkmünze hatte ihre Kehrseite. Als in der Neujahrsnacht die Waffenbrüder über den Rhein gegangen waren, klopfte das kriegerische Herz des jetzt zur Ruhe gewiesenen, leiblich ermatteten Heerdmannes voll unvertilgbarer Sehnsucht nach den strengen Freuden des Kampfgefildes. Und so ging das Gefühl fürder, begleitend die Waffenthaten des Jahres Vierzehn.

Ein eigen Dilemma auch gab es in seinem Geiste, als es nun galt, ein kurz vor der Lützener Schlacht geschehenes Gelübde zu erfüllen: nämlich die Weihung seines schönen Schwerdtes, falls er es mit Siegesehren zurückbringe, in die Nennhauser Kirche. Als es nun Trennung von der vertrauten Waffe galt, kamen ihm Ablösungsgedanken in den Sinn. Aber nicht einmal der große Frankenkönig Chlodowig hatte ja sein edles Roß in ähnlicher Stellung von der Kirche zu Tours wiederum lösen dürfen. »Wie sollte denn der Major Fouqué um seine liebe Waffe markten?« sprach ich mit lachender Wehmuth mich selbst an, und noch jetzt hängt, ein Schild mit erläuternder Inschrift darunter, die gute Klinge an der Nennhauser Kirchenwand. Ich meinte damals, sie mehrst Allsonntäglich wiederzuschauen. – Es ist viel anders geworden. – Fahr wohl, Du ehrliches Schwerdt, und mahne Dörfner und Dörfnerinnen bisweilen noch an ihren alten Freund, vornehmlich auch ihren jetzt hochgreisenden Pfarrherrn, meinen vielgeprüften Freund! Und möge er ihnen noch lange kraftvoll das Wort des Lebens an geweiheter Stätte verkündigen!


Ernst an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnte mich in den Tagen der beglückten Heimkehr der Heimgang meines väterlichen Freundes Fichte in die Ewigkeit, wie es denn überhaupt der himmlische Vater nicht fehlen ließ an Erinnerungen, wie endloshoch das Ewige leuchte über Allem, auch dem Herrlichsten in dieser Zeitlichkeit. Die Erschöpfung meiner Gesundheit hielt fort und fort den geistigen Boden dafür aufgelockert. Sonst hätte mir dazumal wohl das irdische Leben allzulieb werden mögen und [340] mich kaum loslassen wollen aus seinen freudigen Blüthen-und Blumen- und Frucht- und Lorbeergärten. Die siegreiche Heimkehr des Königs leuchtete als eine Freudensonne in Mitten mannigfach froher Lebensstunden. Einen Ausspruch des frommen Kronenträgers, des Mannes nach dem Herzen Gottes, bei der großen Siegesfeier im Jahre 1814, an mich gerichtet, hab' ich jetzt nach seinem Heimgang in folgendem Sonett aufbewahrt, und ich meine, die Zeilen gehören ganz unerlaßlich hierher:


Der König sprach bei'm Fest nach hohem Siege

Zu einem Rittersmann: »Hätt'st Du gemeint,

Als wir das Schwerdt erhoben auf den Feind,

Uns blüh' so reiches Heil aus heil'gem Kriege?«


Der sprach: »Herr, daß der Sieg voran Euch fliege,

Hofft' ich gewiß, Euch, heil'gem Recht vereint,

Kaum doch, daß also ganz und wie versteint

Der übermüthge Feind vor Euch erliege.«


Da sah der König seinen Rittersmann

Mit ernstem Beifallslächeln heiter an,

Und sprach: »Das konnt' auch eben Niemand meinen.


Der Herr hat's, und der Herr allein gethan.« –

O wie hochherrlich wird in Edens Hainen

Der König jetzt in Siegsdemuth erscheinen!


Was mich selbst betrifft, so lebte ich dazumal in einem jener äußerlich behaglichen, innen Gefahr drohenden Lebensmomente, wo alle Welt gut von uns redet. Verwundert war ich eigentlich darüber nicht. Meinte doch ich es gut mit aller Welt, warum die Welt nicht eben auch gut mit mir, sobald ich nur einmal erst ihre Beachtung auf mich gezogen hatte. Ja, ich wünschte mir in jenen Tagen wohl mehr denn Einmal recht eifrigen Ernstes einen tüchtigen Gegner, um mich an ihm zu messen, und auch auf diese Weise meiner Gott-beschiedenen Kraft inne zu werden. Menschenkind, das gehört unter die Bescheerungen, die auch ohne Dein Wünschen zu kommen pflegen! Und ich erfuhr's reichlich, wie meine Leser vielleicht schon wissen mögen und jedenfalls noch hier vernehmen sollen.

[341] Gewiß aber ist es, daß in den Freudenlichtern allgemeiner Anerkennung oftmal geheimnißreich warnend der Bibelspruch in mir aufstieg:


»Hütet Euch, wenn alle Welt Euch wohlredet.«


Der erste Donner, welcher mich aus dem Geträum irdischer Paradiesesruhe und Freudigkeit aufschütteln sollte, traf ganz Deutschland mit, ja man darf wohl sagen, ganz Europa, und somit in mannigfachen Schwingungen den ganzen Erdenrund zugleich. Sollte ja doch selbst die bis dahin fast unbekannte Insel Sanct Helena dadurch eine wundersam unsterbliche Berühmtheit erlangen. –

Als Napoleon Buonaparte in Frankreich gelandet war, gab es der Leute überviel, die da gradhin meinten, nun stehe er wiederum, wie Hannibal vor den Pforten Rom's, vor den Mauern sämmtlicher beliebigen Hauptstädte, rachevoll bedräuend.

Das meinte nun zwar Fouqué auf keine Weise. Den Ernst des Ereignisses jedoch empfand er auf alle Weise tief, und für sich selbst um so schmerzlicher, als er seine löbliche Kraft, nach wie vor, so durch und durch zerrüttet fühlte, daß an ein unbedingt frisches Zu-den-Waffen-greifen, wie im Jahre Dreizehn, Diesmal nicht für ihn zu denken war. Jedes Unwohlsein mahnte ihn schmerzlich daran. Jedes momentane Aufraffen seiner ermatteten Natur schien ihn zu mahnen, ja zu schelten: »Träger Mensch, und Du sitzest noch nicht im Sattel?« – Endlich schlichtete den innern herben Kampf ein unwiderruflich fester Entschluß: »Kommt der Feind irgend mit Macht über den Rhein, so reite ich zum Heere, krank oder nicht, und reite und helfe mitringen, bis der Feind wiederum hinübergedrängt ist, oder die Unmacht mich vom Rosse wirft.« – Ich machte Dies und die feierliche Verpflichtung, nie und unter keinerlei Umständen den losgeworden Usurpator mit dem Monarchentitel zu ehren, durch den Druck bekannt, und schrieb auch in diesem Sinne an Gneisenau mit der Bitte, mich auf jenen Fall unter seine Adjutanten aufzunehmen. Er schrieb zurück:

[342] »Sollte eintreten, was Gott und deutsche Tapferkeit verhüten wolle, so werde ich gern Streu und Schüssel mit Ihnen theilen, und sie herzlich willkommen heißen.«

Ich fühlte mich beruhigter fortan, und stellte eine längst beabsichtete Fahrt nach Hamburg an, von meinem Töchterlein begleitet, das ich, sollte mein Verhältniß mich rasch vorwärts rufen, getrost im Schutze meines wackern Freundes Friedrich Perthes zurücklassen konnte. Die brüderlichste Einigung zwischen ihm und mir verwob uns in jenen schönen Tagen innig, und hat vorgehalten bis Heut, mitten unter allen geistigen Stürmen und Nebeln der Zeit, und wird vorhalten, geliebt's Gott, die seeligen Aeonen der Ewigkeit hindurch.

Einen mir in Hamburg gewordnen überaus ehrenden Antrag der drei Nordlichen Hansastädte mußte ich leider zurückweisen, weil dazu eine Gesundheit gehörte, welche die Erschöpfungen des Krieges, wackern Beispiels halber, mit dem geringsten Soldaten theilen mußte, nicht nur allein die freudigen Gefahren des Krieg's, woran es im Blücher-Gneisenau'schen Hauptquartier genügt haben würde. Aber mein Dank für das ehrende Vertrauen der edlen Hanseaten und meine Liebe zu ihnen blieb und bleibt sich gleich. Wie mir einst ein frischer Jüngling aus Hamburg sagte: »Wär ich kein Hanseat, mögt' ich ein Preuße sein!« konnte und kann ich voll gleich freudigen Gefühles erwiedern: »Wär' ich kein Preuße, mögt' ich ein Hanseat sein!« –

Es zog mich fürder nach Lübeck, und über Kiel, wo in der Nähe Christian Stolbergs Halle zu Windebuy mich gastlich empfing, und das geliebte Meer mich zum Zweitenmal – wohl zum Letztenmale, muß ich Dreiundsechziger hinzusetzen, nicht ohne sehnendes Seufzen, – anwogte, durch andre edle Ritterburgen fürder, nach Bremen wiederum südlich gewendet. Hier traf die Siegeskunde von Belle Alliance ein, und gönnte mir den Einblick in die vor aller wahrhaft großen Freude fromm glühenden echten Hanseatenherzen, stets dahin emporleuchtend, von wo alles Licht herniederströmt, und eben deshalb so still und stark und frei. –

Gedenket meiner, Ihr edlen wirklichen Freunde in den Hansastädten und in Kiel und auf den Holsteinschen und den Schleswigschen [343] Burgen und in Eutin, so viel Eurer noch leben, und wisset, noch immer tönt es in meiner dankbaren Seele nach, was ich in einem Liede über jene Freudenfahrt sang:


»Ob ich zurück auch späh' nach meiner Kindheit Lenze,

So schön war's damals nie!« –


Auch noch einer holden Fahrt im Jahre Sechzehn möge gedacht werden, nach Burg Scharffenberg hin, an den Elbstrand zwischen Meißen und Dresden, wo mich mein damalig Musikalischer Genoß, meine Reime und Töne aushauchend, gastlich empfing, Karl Borromäus Freiherr von Miltitz. Wie so gar dichterischwohl mir da zu Sinne war, möge dies Lied, einer schon früher von dem Freund gesungenen Melodie angepaßt, verkünden, voll Ahnung nahender, schwer trüblicher Tage:


»Wo blieb der Hain, der Bergeshain,

Durchsichtig hell im Sonnenschein?

Die Ebne dehnt sich weit umher.

Ich seh' den Hain nicht mehr.


Wo blieb die Burg, das Heldenhaus,

Durchweht von lieblich ernstem Graus?

Das liegt so fern, so ungesehn,

Und meine Seufzer wehn.


Wo hebt der Burgherr Schwerdt und Schild?

Wo preist er Gott in Liedern mild?

Ich hört' ihm zu, manch lieben Tag.

Run tön' ich's fernher nach.


Wo strahlt wie süßes Mondenlicht

Der holden Burgfrau Angesicht?

Das lächelt über ferne Au'n.

Im Lied nur kann ich's schau'n. –


Das sang der Sänger tändelnd so,

Noch auf der Burg recht frisch und froh.

Doch ahnend drang wehmüthig Lust

Mir schon durch Herz und Brust.


Das muß nun so mit Sängern sein.

Rauscht Wehmuth uns der Sommerhain,

Singt man in Herbstes Scheideblick

Herauf entschwund'nes Glück.«


[344] Entschwund'nes Glück. – Ja wohl: mehr und mehr sollte das im Fürderschreiten die Losung dieses Dichterlebens werden.

Noch einstweilen ging er mit völlig frischer, gänzlich ungestörter, vielmehr durch Beifall und Liebe von allen Seiten gehobener Kraft an den Beginn des Altsächsischen Bildersaals, einer ganzen Dichtungsreihe, ihm geweckt und durch Vorstudien bereitet, durch einen geschichtskundigen Freund in Hamburg, einen echten Hanseaten. Schon auf Scharffenberg vollendete Fouqué das Vorspiel zu dem HeldenspieleHermann, und als er es auf der Heimreise dem dichterischen Freunde August Apel auf dessen Landgut Ermlitz bei Leipzig vorlas, meinte Der, es müsse sich zu der Aufführung eine große Genossenschaft verbünden, unter fürstlich grandiosem Schutz, und die Bühne kein Brettergerüst sein, sondern ein freies Waldthal, etwa im Harz, keine Zuschauer erforderlich, als die zufällig frei zusammenströmenden, die Darstellenden aber sich frei genügen lassend, ohne Rücksicht auf Jene, am kindlich kühnen Spiele der Darstellung selbst, von Waffenübungen keck durchwoben. –

O man hegte dazumal mitunter gar riesig große Gedanken für die Kunst im neu erstandnen Deutschland. –


Aber auch die reale Bretterbühne sollte mir für dasmal eine große Freude bringen: die Aufführung in Berlin meiner mit E.T. Hoffmann (Kreisler) gemeinschaftlich als Oper gestalteten Undine. Sie gewann sich glänzenden Beifall. Denn Hoffmanns geniale Musik ward gelungen ausgeführt, – namentlich fand Undine in Fräulein Johanna Eunike eine lieblichste und kunstreichste Darstellerin, – und der General-Intendant Graf Karl Brühl (wohl nie hat es einen Trefflicheren in diesem Amt gegeben) ließ die durch Schinkel selbst entworfnen Dekorationen durch Gropius ausführen, wie denn auch die Kostume sinnig und prachtvoll hervortraten. Vielleicht fand sich kaum je ein gleich günstiger Verein von Talenten aller Art, gleich wohlwollend und eifrig für die Darstellung eines Bühnenwerkes verwendet.


Aber: – Sic transit gloria mundi –


[345] oder, wie Matthison singt:

»So vergehn des Lebens Herrlichkeiten,

So entfleucht das Traumbild eitler Macht!« –


kaum war Undine Zwei- bis Dreimal über die Bühne gezogen, so sank durch einen plötzlich ausgebrochnen Brand die prachtvolle Bühne selbst in nichtige Asche zusammen. – Undine hat – so gewogen und nach Kräften hülfbereit ihr auch mein edler Freund Brühl blieb – durch mannigfach seltsame Hemmungen seither die Berliner Bühne nicht anders wiederum betreten, als tanzend: in einem Ballet nehmlich. Es mag dem guten Kinde gar eigen zu Gesicht gestanden haben. In Danzig dagegen ist sie schon vor Jahren als Oper, nach durchgängig sorgsam dramatischer Umarbeitung von ihres Dichters Hand, trefflich komponirt von dem dortigen Musikdirektor Girschner, auf das günstigste empfangen worden. 25 Aber in Berlin ist sie noch bis heute nicht wieder erschienen. Es wären mancherlei Geschichten von Undinchens Theater-Schicksalen zu erzählen, aber wohl nicht Eine mögte so heitern Wiederhall in verwandten Geistern finden, als ihn das Mährchen von ihrem Lieben und Leiden in mannigfachen Landen gefunden hat. –

Auch die Provenzalische Sage: »Sängerlie be« trat dazumal an's Licht: eine Lieblingsblüthe meiner Muse, aus leuchtenden Farben selige Todesahnungen hauchen. –

Im Uebrigen war selbige Zeit – das Jahr 1816 und weiter – noch immer für mich eine jener seltsamen Epochen, in welchen der Warnungsspruch gilt: »Hütet Euch, wenn Euch alle Welt wohlredet!«

Nicht selten drang mir dies ernste Mahnen in's Herz, oder vielmehr: es klopfte an am Herzen, ernst, leise, dennoch vernehmlich. Um aufzuthun, und einzulassen das heilsam strenge Wunderwort, führte drinnen die Selbstgefälligkeit und überhaupt manch eitles Gewirr und Getrieb noch viel zu gebieterisch das Wort. –

[346] Inzwischen war von mir ein Roman im Druck erschienen: Die wunderbaren Geschichten des Grafen Alethes von Lindenstein, eine Dichtung aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, manch eignes erlebtes Leiden und Freuen mit hineingewoben, namentlich auch jene Stimmung zwischen Kampfeslust und Heerdeshuld in den obangeführten Gebet: »Du Urquell aller Güte, Du Urquell aller Macht!« – Das Werk war unvollendet geblieben vor den losbrechenden Kämpfen des Jahres Dreizehn. Jetzt ward in stets ernsthafterer Gewissenhaftigkeit ein dort vorhandner sündlicher Flecken hinausgetilgt und das phantastisch wunderliche Räthselgeflecht aufgelöst in einen – ich darf es nach manch treulichem Ringen sagen – reinen Schluß-Akkord.

Auch erschienen, in ähnlicher Weise wie ehedem Sigurd, vier Heldenspiele, und sodann gesammelte Gedicht mit Vor- und Nachklängen, bezeichnend die verschieden Lebensperioden. Auch Thiodolf der Jsländer ward seiner früheren Belagrungshaft in Hamburg los und ledig. Dabei gab ich auf den Wunsch des Buchhändler Schrag das Frauentaschenbuch heraus, durch manchen Jahrgang fort mich mit vielen ausgezeichneten Geistern Deutschlands in lebhaft erfreulicher Verbindung erhaltend.

Der Altsächsische Bildersaal ward rüstigfrisch durchschritten, und die Dichtung: »Welleda und Ganna« war im Winter von 1818–19 auf bald etwa zwei Drittheil vollendet, als mich in Berlin ein furchtbares Kranken ergriff. Es war der Ausbruch jener frühern Kriegserschöpfung. Mein genialer Arzt, Heinrich Meier, meines stets kränkelnden lieben Franz Horns Schwager, dem ich eben deshalb mit Recht zutraute, er werde einen Dichter nach Billigkeit zu behandeln wissen, hatte mir schon vor Jahren bei der ersten Konsultation gesagt: »Sie scheuen den Tod nicht, und begehren volle Wahrheit. Also frisch heraus! Entweder Ihre Natur welkt nach und nach sanft hin, oder sie ermannt sich bald zum gefahrvollen Kampf. Im letztern Fall hoff' ich auf Sieg.« Als er nun jetzt zu dem schwer Erkrankten beschieden ward, sprach er: »Wohlan, lieber Major, der Kampf ist da! Aber nun auch strenge Subordination gehalten. Sonst bürg' ich für nichts.« – Anfänglich sollte sich der Dichter sogar des Dichtens enthalten. Doch bald ward dem wackern Arzte die Contradictio in adjecto bemerklich. Denn da wirrte sich [347] schauerlich Traum und Wachen in Eins. Also mit ärztlicher Vergunst ward wieder zur Arbeit an Welleda und Ganna geschritten. Seltsam genug ging es damit zu. Die durch Schlagflußanfälle tiefgesunkne, sonst bei mir vor und nachher so ausgezeichnet rege Gedächtnißkraft hatte mich in dieser Krankheit ungewiß gelassen über das Gestern Geschriebene an jeglichem Heute, wo ich es fortsetzen wollte. Man hätte mir es eben so gut für die Dichtung eines andern geistig verwandten Freundes ausgeben mögen, und mit klarem Sinn wäre gelobt worden, was lobenswürdig erschien, gebessert, wo etwa die Eile des Aufschreibens, vom Geiste rasch fürdergetrieben, einzelne Nachlässigkeiten veranlaßt hatte. Klar sodann zugleich arbeitete ich mich in den Strom hinein, und konnte mich von ihm auf's heiterste fürdertreiben lassen, alles Gute und Schöne festhaltend, wie es Ufer und Widerschein mir darbot. Just in dieser Zeit dichtete ich die Canzone, in das tiefste Wesen meiner Dichtung verwoben, beginnend:


»Die Schmerzen

Im viel zu warmem, viel zu treuem Herzen,

Sie lodern,

Und können doch kein Licht zurückefodern.

Im Dunkel nur entlang

Sollst Du, o Tröstungsquelle, mir, Gesang,

Durch's arme Leben,

Beschwörst die Furcht, beschwichtigst Angst und Beben!« –


»So etwas können nur wir Jünglinge dichten!« schrieb ihm der damal schon fast Siebzigjährige feurige Christian Stolberg im Gefühl der nimmerwelkenden Dichterjugend auf die Mittheilung zurück. –


Ich genas, trotz dem, daß gleich in die Erholungszeit ein ganzer Schmerzenszug von dräuenden Familienleiden hereinbrach, und auch wirklich ein geliebtes Haupt in den Tod hinunter sank. Statt gestützt zu werden, mußte der langsam Genesende stützen, und durch Gottes Huld gelang es ihm.


Gedichtet ward in dieser Zeit, außer der Vollendung von: »Welleda und Ganna,« nun in voller Klarheit aller Geisteskräfte [348] durchgeführt, auch ein Trauerspiel: »Hieronymus von Stauf,« zur Preisbewerbung für die Bühneneröffnung in München. Man wollte mir nachher sagen, die Dichtung sei nah daran gewesen, zu siegen. Die historischen Studien dazu waren tüchtig, das Ganze mit vieler Liebe gearbeitet, und mögte wohl dem Aristotelischen Begehr nach einem edelverlockten, mitleidswerth und kraftvoll untergehendem Helden der Tragödie einigermaaßen entsprechen.


Nach einigen Monden konnte der früher Gelähmte wiederum ohne Beihülfe, ja auch ohne sich nur auf seinen Stab zu stützen, in den schönen, weitgedehnten Nennhauser Pflanzungen rüstig umhergehn, und da nun auch alle Familiensorge verschwunden war, sang er: »Ein Lied nach schweren Leiden,« wie es im Vierten Band seiner Gedichtsammlung mit abgedruckt ist. Es schließt mit den Worten:


»Das rechte Lied nach Leiden

Stimmt man dort Oben an.«


Ja wohl! –

Denn Leiden andrer Art griffen hienieden in des Sängers Leben ein, nachdem jene früheren allsammt vorübergezogen waren, und er nun gewähnt hatte, zu einer Gattung irdischen Paradieses durchgedrungen zu sein im befreiten Vaterlande, von seinen Landesgenossen geehrt und geliebt.


Die erste Mahnung, daß er mißverstanden werden könne in seinen vaterländischen Bestrebungen, ja wohl bereits von einer großen Zahl mißverstanden sei, überhaupt, daß es in diesem Sinne mitten in Deutschland Antipoden gebe, hatte sich dem bis dahin völlig Arglosem kurz vor jenem Erkranken in Berlin bei einem großen wissenschaftlichen Festmahle kundgethan. Der Abend war einigermaßen symbolisch zu nennen für seine Schriftstellerbahn in jener Zeit. Zu Anfang jubelndes Mitsingen eines von ihm gedichteten Festliedes, donnernder Beifallruf hinterher, der ihn zu Dankesworten drängte, worin er die ehrende Freudigkeit des Berufes aussprach, in unsrer Zeit ein Deutscher Dichter zu [349] sein. Keine Stunde verging, so fühlte er sich eben so gedrängt durch mehre wunderlich konfuse Trinksprüche einiger Mahlesgenossen, seinerseits einen zweifelsohn – so dachte er – Alle vereinenden Trinkspruch auszubringen. Die vielfach anwesenden holden Frauen nickten und winkten ihm Veifall, die Mehrheit der Männer stimmte freudig ein. Aber es gab ein Wespennest unter den Freudenblüthen des Gartens, und dahinnein hatte er unbewußt gestört. Ein gar seltsamliches Gelärm erhub sich, zwar durch die Gutgesinnten entschlossen unterdrückt, aber doch den Spruch bestätigend: »Ubi effectus ibi causa!« Zu Deutsch: »Wo's raucht, giebt's Brand,« – wenn auch einstweilen nur noch in Kohlen. –


Von da an war es, auf Seiten einer gewissen Partei und soweit selbige das zu bewirken vermogte, um Fouqué's sogenannte Popularität gethan. –

Er hat aber dennoch fortgefahren, zu leben und zu wirken, und lebt und wirkt annoch, und eine frisch seither aufgeblühete Jugend sammelt sich kraftvoll dichtend um ihn her, und wackre Männer halten an ihm fest, und edle Frauen winden ihm Kränze. –

Was will er mehr, um freudiglich fürderzuringen im Strome der Zeit, und dem willkürlichen Getrieb' entgegen, das man sich: »Zeitgeist« zu benennen herausgenommen und angewöhnt hat! –


Als vor Jahren in Berlin ich einen wackern Gegner, Einem jener Widersacher, die mir vollkommen redlichen Willens und Wollens gegenüberstehn, auf der Straße antraf, und wir in liebevoller Wehmuth mit einander ins Gespräch kamen, die schönen Tage ehmal störungsloser Verbrüderung herausrufend, quollen mir die Worte aus dem Herzen:

»Dennoch, Du Lieber, sind wir nicht geschieden. Denk an die Prismafarben. Da mag dem Einen vielleicht Grün scheinen, was dem Andern Blau, dem Einen Gelb, was dem Andern Roth, aber Wer das Eine reine, weiße Licht in allen Farben [350] ahnet und versteht, ist dennoch im tiefsten Grunde mit allen in dieser Hinsicht Gleichgesinnten einig, ja Eins. So ist es mit uns Beiden. Und was die Zeit nicht zu einigen vermag, das einigt einst seelig und herrlich die Ewigkeit.«

Gut Wort fand gute Statt. –

Ihr lieben Widersacher allzumal, redlich ringend gegen mich an aus bester Ueberzeugung, wie auch ich anringe gegen Euch, lasset auch bei Euch gute Statt finden jenes Wort, denn wahrlich: es ist gut Wort, schon weil ein gutgemeintes.

Von den Zänkern um des Zankens willen, von den Schmähern um der Schmählust willen kann hier die Rede nicht sein, und müßte eigentlich, wenn's nach den Rechten ginge, überall keine Rede sein, als etwa die, womit sie sich untereinander behelfen möchten. –

Man hat mich dazumal und auch hin und wieder seither befragt, wessen man sich eigentlich von mir zu versehen habe. Offen und frei hab' ich jedesmal geantwortet, auch schon Einmal gedruckt, in den mit meinem edeln Freunde Friedrich Perthes gewechselten Briefen über den Adel. Aber gern und willig sprech' ich es hier abermal öffentlich aus:

Ihr habt Euch alles dessen von mir zu versehen, wessen Ihr Euch von einem einfach Bibel-gläubigen Christen versehen könnt, nicht mehr noch weniger, so Gott mir Kraft verleiht, – denn von Ihm al lein kommt meine Kraft, – und zwar gemäß den Pflichten und Rechten, in welche Gott mich hieniden gestellt hat. Ob man bei solcher Gesinnung Bauer, Bürger, Edelmann oder Fürst sei, ob geistlichen oder weltlichen Standes, bleibt an sich Einerlei. Das ist die Gleichheit die vor Gott gilt und auch vor Menschen, insofern sie an Gott glauben, und also auch Göttlichen Sinnes genannt werden können. Das ist die Einigkeit, ja Einheit, welche sich just in den mannigfachsten Rechten und Pflichten, wenn treulich erkannt und geübt, am herrlichsten entfaltet in seeliger Harmonie, im sich hienieden stimmenden Chorgesange für den Himmel. Die Zeit kann trügen, die Ewigkeit nicht. Der Zeitgeist kann trügen, der aus dem Ewigen offenbarte Gottesgeist nicht.


[351] Da habt ihr meine öffentliche Beichte, und somit auch mich selbst, insofern es vor Euer Forum gehören darf.


In mein allerliebstes Innerstes griff, bald nach der leiblichen Genesung, eine geistliche zu vollbringen bemüht, ein jugendlicher Freund, der Gottesgelahrtheit beflissen, gewaltig, ja man möchte fast sagengewaltsam herein. Er hatte den Freiheitskampf als Freiwilliger in einem rühmlich ausgezeichneten Infanterie-Regiment mitgefochten, und nebst einer ehrbaren Schußwunde auch den Offizierrang mit herausgebracht, war aber zu seinen theologischen Studien zurückgekehrt. Schon vor dem Kriege hatte ihn seine bedeutende Dichtergabe zu mir geführt, und es bestand in dieser Hinsicht zwischen ihm und mir das heiterste Verhältniß von Schüler zu Meister. Eines Tages aber schrieb er mir einen Brief gar andrer Gattung. Statt der erwarteten poetischen Mittheilungen, Anfragen, auch wohl gelegentlich Danksagungen für Aehnliches, gab es eine Bußpredigt, ihm aus einer plötzlichen Erweckung ausgegangen, über die Lauheit und Halbheit meines Wandelns und Ringens nach dem ewigen Heil. Ich schrak zusammen, waffnete mich jedoch bald wiederum mit gewissen bequemen Schildern und solchen Stützen und Krücken, welche das Hinken auf beiden Seiten – wie es der gewaltige Prophet Elias nannte – vor dem Hinkenden selbst unmerklich machen. Schon war ich im Begriff, dem Freunde zu antworten, er möge sich keine unnütze Unruhe machen meinetwegen. Zwischen meinem Gott und mir stehe Alles gar gut, – und was der selbstgefälligen Sprüche solcher Art es mehr zu geben pflegt. Es kam anders, und zwar auf Anregung meines bisher nur mehrst poetisch geliebten Jakob Böhme. –

Auch das gehört mehr in eine Beichte, als in eine Biographie. Nähere Andeutungen darüber jedoch findet der etwa darnach verlangende Leser in einem von mir vor ungefähr zehn Jahren an's Licht getretnem Büchlein: »Jakob Böhme. Ein biographischer Denkstein.«

Mein erwachter und mehr stets erwachender Ernst für das Eine, was noth ist, brachte mich in mannigfach nähere Verhältnisse zu Solchen, denen ein gleiches Bewußtsein aufgegangen war.

[352] Doch freilich ermangelte es auch dabei der Anfechtungen nicht.

Viele der wohlmeinenden und wahrhaft Gläubigen begannen, jede Anwendung poetischer Gabe auf sogenannt weltliche Gegenstände für sündlich anzusehn und zu erklären, und viele Aufforderungen von jener Seite herüber ergingen an Fouqué, seine Dichterkraft ausschließlich auf Geistliches zu verwenden. Als er sich nicht fügen wollte, erging manch Anathema über ihn: von Einigen ausdrücklich ausgesprochen, von Andern eben nur kundgegeben durch herbes Zurücktreten von dem ihnen ärgerlich gewordnen Bruder. Sie irrten, wenn sie's für Leichtsinn ansahen. Viel zu ernst schon war dazumal Fouqué in seinem Innern geworden über Zeit und Ewigkeit, als daß er Betrachtungen solcher Art hätte mit hergebrachten Weltsprüchen über die Seite werfen wollen und können. Schwer gerungen hat er darob vor Gott. Aber davon weiß nur Gott und er. Doch statt der Verwerfung sei nes weltlichen Dichterberufes ward ihm Bestätigung zu Theil, ja Erhöhung seiner Gabe, die er fortan, versteht sich, weit öfter, als schon in frühern Tagen, in geistlichen Liedern und Sprüchen austönen ließ. Mehre davon sind vor der Welt erschienen, andre – und zwar wohl zahllos zu nennende – liegen in seinen Papieren aufgezeichnet, und mögen erst nach seinem Heimgange dem künftigen Sammler reichlichen Stoff bieten zur Auswahl für etwanige Bekanntmachung. Für damal indeß gewann er frischen Muth, denjenigen Eif'rern, – Bruder Zelotes im Zauberringe mochte ihm als ahnungsmahnendes Vorgebild, oder (Bergschottisch zu reden) second sight dafür gegolten haben, – die nicht ablassen wollten mit Donnerworten gegen seinen Beruf, entschlossen zu erwiedern, und zwar mit seinem Jakob Böhme: »Höret auf. Euer Treiben turbiret mich.« – Daß er nicht sündigte mit dieser Abweisung, haben die Klarsten und Edelsten aus ihnen seither freundlichst anerkannt, und es liegen fortan keine Berge zwischen uns, ja nicht einmal Hügel mehr, – es müßten denn mitunter Maulwurfshügel sein. Und deren achtet bekanntlich ein rüstiger Wandrer nicht, das Ziel im Auge, zur Seite unfern die befreundeten Fahrtgenossen.


[353] Freilich nicht Alle, die ehedem auf ungehemmter, mit Kranzgewinden ausgeschmückter Bahn sich lustiglich mir zugesellt hatten, sind bei mir geblieben in den Tagen so mannigfacher Anfechtungen. Manche haben sich den Gegnern zugesellt: wie ich's von den Mehrsten zuversichtlich hoffe, in eigenthümlichster Ueberzeugung, und dann – Freunde nach wie vor. Andre sind Halbfreunde geworden, nicht kalt nicht warm. Gott verzeihe ihnen die Lauigkeit. Ihr aber, – Gott-Lob, es sind Eurer Viele, – die Ihr liebevoll fest an mir gehalten habt bis an Euer Grab, und noch jetzt mit mir wandelt in alten, guten, endlos frischjugendlichen Liebestreuen, nehmt hier meinen erneueten Dank und Gruß. Ihr erkennt Euch, ob ungenannt, in diesem Spiegel.

Von den Vorangezognen, denen noch in diesem Werke nicht eigentliche Abschiedsworte geweihet wurden, laßt mich einige nennen, der Welt zumehrst bekannt, und mögten den jetzt Verklärten die kleinen Denktafeln an ihren Gräbern, falls ihnen bewußt, auch wohlgefällig fein.


Held Gneisenau.


Der Mann der Treue, das weiß die Welt, für König und Vaterland, und wahrlich auch für Jeden, dem er Einmal sein großes Herz zugewendet hatte, und welcher so erhabner Gabe nicht unwerth geworden war. Gott-Lob, er hat mich deren würdig erachtet bis zu seinem, für uns Unzählige, die ihn liebten und ehrten, noch immer allzufrühem Heimgange. Oft hab' ich neue Lebenskraft und frische Lebensfreude geschöpft aus dem Born seines gewaltigen Geistes, denn der Zutritt zu ihm war mir nimmer verschlossen. Er vergönnte mir es, ihm mein streng historisch gehaltnes Epos, Bertram du Guesclin, zuzueignen, und war zufrieden mit dem Ringen, was ich dort unternommen hatte, voll eben so vieler Wahrhaftigkeit, als die uralten Heldendichter nach ihrer tiefften Ueberzeugung, die Geschichte in poetischer Form darzustellen, den Wahn widerlegend, als sei Poesie und streng wahrhafte Historie unverträglich, da sie doch vielmehr im tiefsten Grunde ganz untrennbarlich Eins und Dasselbe sind. Seine Briefe bleiben mir noch jetzt heiterleuchtende Sterne in mancher tieferen Erde-Nacht.


[354] General-Lieutenant Freiherr von Valentini.


Als jugendliche Männer begrüßten wir uns zuerst. In frisch heitrer wissenschaftlicher Mittheilung geleiteten wir einander durch das Leben bis an das Ende des vielfach begabten Mannes, an waffenbrüderlicher Freundlichkeit das rechte Musterbild eines echten Kriegers. Eben deshalb auch lebt in seinen militärischen Lehrwerken ein wahrhaft beflügelter und beflügelnder Dichtergeist. In einer dieser gelehrten Arbeiten, für die höhere Kriegskunst unsterblich deutete er auf mein Epos vom Bertram du Guesclin als auf ein tüchtiges Soldatenbuch hin. Erfreulicher ist nimmermehr ein Kranz mir beschieden worden.


Amalie von Helvig, geborne von Imhof.


Ja, es war mir beschieden, die holde Sängerin von Lesbos während ihrer letztern Lebensjahre, wohl ein Decennium hindurch, wiederzusehn, und ihr nahe zu stehn in vertraulich poetischer Mittheilung, wie es, in jenen früheren Ahnungstagen zu Weimar, mein sehnsuchtsvoller Traum gewesen war, nur eben kaum zum Wunsche sich emporwagend. Ihrem wundersam viel begabtem und viel erfahrnem Gatten, einem echten Nordmann, stand ich, aus gar verschiedenartigen Gesichtspunkten her, oftmal geistigringend gegenüber, doch stets in freundlicher Anerkennung des Einen zum Andern. Und so stehen er und ich noch bis auf den heutigen Tag, und ich rühme mich Dessen gern.


Zelter,


der kraftvolle Tönemeister, der vielleicht entsprechendste Freund für Goethe, schloß mir sein eben so künstlerisch freies, als treulich altpreußisches Wesen und Sein in frischer Vertraulichkeit auf Das waren Stunden der Fülle, die ich mit ihm in seinen, wie magisch von Melodieen und Harmonieen durchhalleten schönen Wohnungsräumen gelebt habe. Oft hat mich's umschwebt als Vision einer mythischen Novelle: so ein klangesmächtiger Riese in seiner klingenden Burg, lieblich rätselhafte Gebilde hin und wieder wallend, – wer weiß, was noch geschehen kann, es sei denn, meiner letzten Tage Abend komme bald.


Fürst Anton Radziwill.


Gott lohne es ihm noch in der Ewigkeit, wie er mich oft mit den Klängen seiner gewaltigen Compositionen erhoben und erquickt [355] hat, und mit sinnigen Gesprächen über die Kunst. Vor Allem Einmal, wo ich in einer der trübsten Epochen meines Lebens zu ihm kam. Die Anmeldung zögerte ungewohnt, zu meinem Befremden, fast zu meinem Unwillen. Ist ja der innerlich tief Leidende – vergesset das nie, Ihr Beglückten! – auch äußerlich leicht verletzbar. Hier lösete sich's auf das lieblichste. Der Fürst trat mir mit den Worten entgegen: »Willkommen! Weil ich hier mit einem wackern Clavierspieler meine Faustcompositionen durchgehe, wollte ich für Niemand zu Hause sein. Aber wie könnte ein Dichter zu viel sein zwischen Componist und ausübendem Musiker. Nun erst ist das Trio fertig. Willkommen!« Und das Werk, schon bis zur Kerkerscene gelangt, ging fürder. Radziwill deklamirte zu dem Clavierspiel auf eine so tief ergriffne, also auch ergreifende Weise, daß selbst sein fremdartiger – Polnisch-Deutscher – Accent der Wirkung nicht Eintrag that, vielmehr, so klang es mir, sie noch auf eigenthümliche Weise seltsam erhöhete. Meine gedrückte Seele hob sich mehr und mehr auf ihren gelöseten Schwingen, und als nun vollends das von ihm hinzugefügte: »Gloria in excelsis!« anklang, fühlte ich den Anhauch ewiger Sphären, und Freudenthränen empfand ich in meine Augen quillen. »Ich kann es Ihnen nicht aussprechen, was Sie mir Heut gegeben haben!« sprach ich bei'm Scheidedanke zum Fürsten. Ja wohl: Scheidedank. Bald darauf rief ihn Gott ab zu höheren Harmonieen, und wir hatten einander zum Letztenmal gesehen, – hienieden, mein' ich. Aber: »Gloria in excelsis!«


August Ferdinand Bernhardi.


Du sinniger Schulmann, Du ernsthumoristischer Dichter, Du tiefgründender Sprachforscher, Du unerschütterlicher Freund in allen Wechselfällen des Lebens, – Dich hatte mir Gott schon weit früher von der Seite genommen. Aber viele Jahre lang hast Du mich voll rührender Bruderliebe geleitet, und unser Verhältniß für die Ewigkeit gilt. –


Franz Horn.

Länger beliebst Du bei mir, Du klar aufschauend zum Himmel,
Keine Stunde, wo nicht Ewiges ahnte Dein Geist.
Liebreich ziehst Du mich nach in die nun bezogene Heilswelt,
Liebreich mahnest Du mich: »Mühlicher Pilger, halt aus!«
[356] Den verklärten Brüdern Stolberg.
Am 25sten Mai 1821.

Einsam ging ich entlang die tiefgrün schattende Pflanzung,
Süß vom durchhellenden Blick liebender Sonne bestrahlt,
Wo mir so oft sie genaht, die holdbegeisternde Muse,
Dann mich geleitend zurück in das verschwiegne Gemach,
Daß ich dem Kiel und dem Blatt vertraute die heimlichen Sprüche,
Selbst mir bewahrend ihr Licht, Andern auch kündend ihr Licht.
Heut so ging ich und sann, – und wieder mir nahte das Mägdlein,
Heischend den kindlichen Dank, daß mir ein neues Gebild –
Längst in die Seele gestrahlt durch sie, mein erquickliches Sternbild, –
Hatte nach ringendem Kampf fest sich gestaltet im Sang:
Des Verfolgten Gebild, der kühn im blutigen Kampfreihn,
Viel geduldig in Noth, selbst im verkennenden Schmähn,
Viel geduldig, – auch da! – hindurch sich steuerte muthvoll
Zwischen umbrandetem Riff, trauend dem leitenden Licht! –
Ach, ich dank' ihr so gern! – Doch Thränen entquollen im Dank mir,
Und sie lächelte mild: »weine nur, weine Dich aus!«
Niemand weiß es ja besser, als ich, wenn dieses Dein Lied galt,
Wer es in Dir hat erweckt, Ihm Dir es gönnte, zu weihn!
Friedrich, den ich gekränzt vom ersten Erwachen des Lichtblicks
In der begeisterten Brust an das ernstliche Ziel,
Wo ihm sein Herz nun brach, sein treues, liebendes Herz brach,
Liebend im Scheidegewölk, liebend im ewigen Strahl,
Der es nun heilend verklärt! – Ich weiß, er gab Dir dies Lied ein:
Deutsche Rittergewalt, freudiglich immer und fromm
Ringend mit wachsender Noth, mit Weh von innen und außen,
Aber nur höherer Kraft trauernd, der eigenen nicht!
Trauend dem ewigen Gott, und treu der heiligen Ehre, –
Singe das, sprach er, o Freund! – Singe das, sprach ich, o Freund!
Ach, nun zog er Dir fort, voran in's seelige Dunkel.
Dunkel nur Dir, nicht Ihm, – denn was Du ahnest, Er schaut's! –
Nicht mehr kannst Du ihm bringen Dein Lied, nicht jenem Geliebten,
Seinem Genossen im Sang, wie auch in Wonnen und Weh,
Weil Ihm nach er geschwebt, dem Bruder der liebende Bruder,
Und um die Beiden zugleich sehnende Thräne Dir quillt! –
Heitre den Blick im Gesang! Die Thräne durchries'le die Saiten,
Aber die stürzende nicht, nein, die gesänftigte nur!
Also ziemet es sich, als Christ um Christen zu weinen,
Seeliges Wiederschau'n leuchtend in hoffender Brust!
Nur Mairegen – befruchtender Schau'r und blumenerweckend,
Ries'le dahin! Es vernimmt froh ihn das seelige Paar!

[357] Sollte ich Alles aussprechen, was ich für die edlen Dioskuren Stolberg, vor und nach ihrem Heimgange, sang und empfand, – wie mögt' ich in den vorliegenden Blättern Raum finden dazu! –

Das Werk, dessen Epilog jene Klänge bilden, hätte wohl verdient, mehr bekannt zu werden, als es, meines Wissens, geworden ist. »Der Verfolgte,« ein Ritterroman in Drei Bänden, enthält Spiegelbilder aus der innern Welt im Verein mit echten Darstellungen aus der uralten Helden- und Sagenzeit. So auch zwei andre Ritterromane gleichen Umfanges, dazumal gedichtet und erschienen: »Wilde Liebe« und »Ritter Elidouc,« Letztrer zunächst auf eines altedlen Troubadours Reime begründet.

Weit mehr Beachtung fand, wie billig, die von mir dazumal mit pflichtschuldiger Anstrengung ausgearbeitete Lebensbeschreibung meines Großvaters, des Generals der Infanterie, Baron de La Motte Fouqué, vom Großen König Friedrich ruhmvoll anerkannt als Feldherr und innighold als Freund. Neben der Wichtigkeit des Gegenstandes nahm auch die Ausführung des Buches in militärisch-historischer Hinsicht die Aufmerksamkeit des kriegerischen Publikums in Anspruch, insbesondre ein entschiedener Anfall wider all und jedes Spionierwesen, als unsittlich, und eben so unnütz obenein. Da stellten sich ihm viele, an sich gar achtbare Stimmen entgegen, die Unsittlichkeit alles Spionirens zwar eingestehend, aber zugleich behauptend, es sei nun einmal eine trübe Notwendigkeit damit, und wer zuerst davon abstehe, setze sich in unverantwortlich-verderblichen Nachtheil gegen das Feindesheer. Fouqué dagegen blieb bei dem Hauptsatze fest: Was unsittlich ist, kann nie wahrhaft vorteilhaft sein, und gab an, wie man statt unzuverlässiger Kundschafter auf schändlichen Wegen lieber zuverlässige Soldaten auf ehrlichen Wegen belohnen könne und solle, um Nachrichten vom Feinde einzuziehn. Gneisenau entschied für Fouqué durch den einfach großen Erfahrungssatz: »Wir fanden in Frankreich keine Spione wider Napoleon und sein Heer, und haben gesiegt. Wenn's gegen solch einen Feldherrn und solch ein Heer ohne Spione ging, gehts allerwärts ohne Spione. Quod erat demonstrandum.« –


[358] Während Fouqué mit einer jener obgenannten drei Roman-Dichtungen eifrig beschäftigt war, ward in Berlin die Verlobung der jetzigen Kaiserin Alexandra von Rußland durch den prachtvollen Festzug aus Thomas Moore's erhabnem Ostland's Gedicht Lalla-Rukh würdig gefeiert. Fouqué, als Kaschmirscher Ritter im Zuge mitgehend, empfing von der erhabnen Braut einen Wink, das Gedicht aus dem Engländischen ins Deutsche zu übersetzen, und nahm ihn voll freudiger Begeisterung auf. Daß die Arbeit für gelungen gelten mag, vieler Schwierigkeiten des Versbaues unerachtet, während seine eigne Dichtung ungehemmt freudig vorrückte, diene mit zum Beweis, wie ein poetisches Uebersetzen, wo das Original selbst in wahrhafter Poesie lebt und webt, keine drückende Lastarbeit ist, sondern vielmehr ein kräftigendes Meerbad, das den Geist auch zu anderweitigem Ringen erquicklich anregt.


Bald nachher ward auf gar anmuthige Veranlassung eine Novelle angefangen und vollendet, die Sophie Ariele heißt. Sie ist gewissermaaßen eine Schwester der Undine, welche auch noch andre Geschwister hat. Mit diesen Verwandten ging es folgendermaaßen zu. Daß eine Quellnymphe noch fürderrieselnde Bächlein aussendet, versteht sich ohnehin von selbst. So geschah es denn, daß Undinen, – wie es schon in der äußerlichen Anlage vorbestimmt war, – auch, indem sie selbst als Frühling lächelnd aufgetaucht war, drei andre Jahreszeit-Novellen folgten: die zwei Hauptleute, eine kriegerische Dichtung, die sommerlichen Gewitter und ihren Seegen darstellend,Aslaugo's Ritter, von herbstlichen Ahnungsträumen duftig umhaucht, und als Winterbote Sintram und seine Gefährten, welcher sich beinah so viele Freunde gewonnen hat, als Undine, und einer überaus trefflichen Uebersetzung ins Engländische sich erfreut, wo die Strengheit der Sprache dem Urbilde just hier vielleicht an mehren Stellen den Preis abgewonnen hat.

So gesellte sich denn auch späterhin dem Wassermädchen Undine die mir überaus lieblich erschienene Sophie Ariele als Sylphide zu, und späterhin rief noch eine dritte Novelle die beiden [359] andern Elementargeister in den Beschwörungskreis der Poesie herauf.


Es sind der damaligen Gebilde zu Viele, um sie allesammt hier anzuführen, wenn sich die Biographie nicht in einen Catalogue raisonné umgestalten soll. Ohne meinen Namen ist Keines davon erschienen. Grüße sie denn mit gütiger Teilnahme, freundlicher Leser, wenn sie dir irgendwo vor Augen kommen sollten. –

Nur einige Arbeiten aus jenem Zeitraume müssen hier noch ausdrücklich erwähnt werden.

Zuvörderst: »der Réfugié, ein Roman.« Eine Darstellung der innern und äußern Stellung jener Glaubensflüchtlinge, oder vielmehr ihrer Nachkommen, in dem ihnen so gastlichen Norddeutschland, verwoben mit Kampfesbildern aus dem Freiheitskriege. Jenes braven französischen Husaren-Obristen Lampériere, aus den Erinnerungen vom Jahr 1808 den Lesern dieser Blätter bekannt, war gleichfalls im Roman gedacht, und sein edles Soldatenbild mit raschkecken Zügen gezeichnet. Wohl hatte ich im Jahre Dreizehn stets unter den Kriegsgefangnen nach ihm geforscht, bereit, wie sich's versteht, Alles mit ihm zu theilen, was theilenswerth war. Auch träumte ich dazumal oft von der ernstheitern Möglichkeit, wir könnten einander begegnen zu Roß, die Klinge zur Hand, und, wie sich's ebenfalls versteht, mitsammen ringen im rühmlichen Ehrengefecht. Auf keine von beiden Weisen hatten wir uns gefunden. Jetzt war einstmal sein Sohn, Knabe noch, zu der holden Mutter, einer Deutschen von Geburt, die uns ehemal in Nennhausen besucht hatte, rasch hereingetreten, ausrufend: »Mutter, in dem Buch hier steht etwas von meinem Papa!« Und die alten Erinnerungen erwachten, und manche freundliche Brieftauben, Licht aus Dunkelheit erweckend, flogen zwischen uns hin und her.


Inzwischen verfaßte ich die Lebensbeschreibung des verewigten General der Infanterie von Rüchel, auf den mich ehrenden Wunsch seiner edlen Nachgelassenen. Es galt das In's-Licht-stellen [360] eines echten Heldenlebens, schon in des großen Friedrich Heldenschule früh entblüht, dann ruhmvoll reifend unter den Gewittern der Kriege wider das revoluzische Frankreich und in den nächstfolgenden Friedensjahren glänzend, endlich unter den Unglückswolken des Jahres 1806 außenher umdunkelt, aber mit dem eigenen Blute sich Bahn sprühend und brechend zu dem entschlossensten Widerstande gegen die Uebermacht im Jahre 1807, und somit herrlich wiederum aufstrahlend, auch von seinem Könige Friedrich Wilhelm dem Dritten ehrenvoll anerkannt.

Das Buch erwarb dem Verfasser manch ehrenden Beifall, namentlich von dem erhabnen Erzherzoge Karl von Oesterreich, dem Sieger von Aspern, aber auch viele Abgunst ward ihm dadurch auf andern Seiten genährt, wenn auch nicht eben laut, um desto mehr heimlich wirkend im Stillen. Denn der wackre Rüchel, kühn und frei Allem sich entgegenstemmend, was er in der Zeitrichtung als verderblich erkannte, galt vielen Leuten für einen Obskuranten, also auch sein Biograph mit.

Ja, als ich gleich nach Ktzebue's Ermordung Warnungsjamben an Deutschlands Jugend ertönen ließ, voll ernster Trauer den weichmüthig edlen Jüngling Sand scheidend von seiner gräßlichen Kannibalenthat, mich berufend auf meine Waffenbrüderschaft als Mann mit den blühenden Freiwilligen, warnend vor dem wiederum auftauchenden Gespenst des verzerrten und verzerrenden Voltaire, – da meinte ein (wie gewöhnlich ungenannter) Recensent, ich sei nicht mit dem Zeitalter fortgeschritten, und mogte sich dabei rühmen, das Organ vieler Leute zu sein. –

Ja, ihr lieben Leute, ich bekenn' es euch gern und laut:

Ich erkenne den Zeitgeist für keinen Flügelmann, dem man unerlaßlich nachererziren müsse für jeglichen Griff, und als einem Vordermann nachmarschiren auf jeglichen Tritt, sondern für einen der Geister, die man prüfen soll, nach Anweis der heiligen Schrift, ob sie von Gott seien.

Und der Meuchelmord ist nicht von Gott.

Und keine Untreue ist von Gott.

Und keine Lüge überhaupt ist von Gott.

Und kein Hassen ist von Gott.

[361] Sondern die brüderliche Liebe, und die Treue, und die Wahrheit, und alle echte Liebe überhaupt, – die sind von Gott.


In diesen Tagen mannigfach geistiger Kämpfe, auch einstmal wiederkehrenden Kränkelns, – es schien abermal bedenklich damit werden zu wollen, – geschah es, daß die Anwesenheit der Kaiserin von Rußland Veranlassung zu einem Turnierfest in dem Schloßhofe des vom großen Friedrich unweit Potsdam erbaueten Pallastes gab. Huldreich dazu eingeladen sahe Fouqué mit freudigster Ueberraschung, wie die erhabensten Damen und Preisvertheilerinnen des Turniers (und sie selbst erzeigten ihm die Ehre, es ihm auszusprechen) als Bilder des Zauberringes erschienen. Die Kaiserin Alexandra als Blancheflour verlieh ihm huldreichst eigenhändig das Silberzeichen der weißen Rose, sonst nur den unmittelbaren Theilhabern des Festes ausgetheilt. Es waren hochfeierliche Stunden, denn ein echter Rittersinn webte durch das Ganze, die großen Zeiten der Urväter abspiegelnd in den Geistern der ringfertigen Enkel.


Der Dichter des Zauberringes fühlte sich wunderbar genesen von allem früherem Krankheitsweh durch diese Anschauungen einer Großes und Schönes verheißenden ritterlichen Gegenwart.


»Der liebe Gott schickt warmen Wind, wenn das Lamm geschoren ist,« sagt ein altes schönes Spruchwort. –

Man mag indeß auch mit gleichem Rechte sprechen:

»Der liebe Gott schickt warm Gefieder für die Vögel, wann ein herber Winter aufzieht.« –


Auf solche Weise ging es dem armen Sangvogel, von welchem sich es allhier handelt, mit jenen erhebenden Turnierfreuden. Denn wahrlich, wahrlich: eine herbe Leidenszeit zog nach und nach für ihn herauf.


[362] Nicht lange nachher, so begann die bis daher so blühende Gesundheit seiner unaussprechlich geliebten Gattin Erschütterungen zu erleiden. –

Leiden sind das, welche in die tiefsten Wurzeln einer liebenden Seele eingreifen. –

Im Julius des Jahres 1831 hatte dies Erkranken einen bedenklichen Grad erreicht. Doch konnte ich noch immer nicht an den wirklichen Untergang eines Gestirns glauben, welches mir seit so vielen Jahren als Centralsonne meines Lebens erschienen war. –

Am 20. Julius hatten wir uns noch heiter einander gute Nacht gewünscht. –

Ja: Gute Nacht. –

In der ersten Morgenfrühe des ein und zwanzigsten Julius erwachte ich von heftigem Thürenschlagen und raschem Hin- und Hergehen in dem jetzt außerdem so tiefstillem Hause.

Erstarrendes Entsetzen fuhr durch meine Gebeine. –

Für einige Momente noch wagte ich zu hoffen, vielleicht hätte ich sonst überhaupt Langschläfriger nach gestrig langem Nachtlesen bis hoch in den Tag hineingeschlummert, und die Bewegung im Hause gelte vielleicht nur eben einem heiter unerwarteten Besuch am gastlichen Heerde, –

Für einige Momente, –

Länger nicht, –

Denn über die unten geschlossenen Fensterladen dämmerte von Oben das erste Morgengrau herein. –

Ich fuhr zitternd in die Kleider. –

Da, – die Thür geht rasch auf, – meine Tochter Marie steht drinnen, –

»Vater,« – ruft sie mit bebender Thränenstimme, – »Vater, komm! Ach, Mutter ist sehr krank!« –

Und gleich darauf wieder hereinwankend, winselt sie:

»Vater, eile Dich! Eile Dich! Sie stirbt!« –

Ich eilte mich. – Ich kam. Die geliebte Gattin starb unter meinen Hülfe leistenden, unter meinen betenden Händen. –

[363] Kein Laut mehr von ihren süßen Lippen. –

Aber mein Jammer war nicht gottlos. Ich darf sagen: mein Jammer war fromm. –


Und so saß ich Vereinsamter denn gegen 4 Uhr Morgens in dem für mich nun verödetem Hause still in meinem ganz einsamlichem Gemach, und las in der Bibel. Im 14. Kapitel des Evangeliums Johannis las ich, Vers 16 bis 21. Wer den rechten Sinn für so was hat, nehme seine Bibel zur Hand, – oder wenn er unglücklicherweise noch das Buch der Bücher nicht bei sich haben sollte als sein holdes Eigenthum, so lasse er sich es von einem Glücklicheren reichen, – und lese die Stelle nach.

Ich, indem ich sie las, empfand eine tiefe Sehnsucht nach dem Empfang des Heiligen Mahles, eine dringende, ja beinah drängende Sehnsucht. Aber ich mogte den geliebten Landpfarrer, meinen echten Seelsorger, – Lympius heißt dieser wahrhaft evangelische Geistliche, – nicht wecken lassen aus seinem vielleicht noch recht süßem Morgenschlummer mit solch einer Schmerzenskunde.

Harrend saß ich, bis der Schmerzenstag höher heraufsteige. –

Da hat es an meine Thüre gepocht, leise, leise.

Voll seltsamlich seeligen Schauderns sprach ich: »Herein!« –

Und herein trat der ehrwürdige Prediger Lympius, dem die Kunde der schweren, mich betroffenen Fügung schon in dieser Morgenfrühe durch milde göttliche Fügung zugekommen war, ich weiß nicht mehr: wie.

Gottes Geist aber trieb ihn, mir zum Trost, und da stand es vor mir, das liebe, ehrwürdige Angesicht.

Wir weinten uns miteinander aus, recht mild und still.

Dann gab ich ihm mein Verlangen nach dem Heiligen Mahl zu erkennen, und er sprach zu mir:

»Folgen Sie mir nach einem Viertelstündlein in meine Wohnung. Dann finden Sie Alles bereit.« –

Er ging.

Ich folgte.

[364] So frischduftig hell der schöne goldige Sommermorgen! So freundlich alle die einfach stillen wohlbekannten Gegenstände um mich her! –

Wie so oft war ich dieses Weges anders gegangen! – Es war zugleich er Kirchweg. – Und nun! –

Mir begegnete ein Durchreisender aus der Nähe, und grüßte mich mit behaglicher Freundlichkeit, ohne – sahe man wohl – noch zu wissen, was geschehen war. Die Leute hatten mich lieb rings umher. Ich dankte so ganz freundlich. Ach, Du lieber Gott, aber mein Inn'res! –

Nun trat ich in die still behagliche Pfarrwohnung ein. – Ach, auch das wiederum so ganz anders, als sonst! – Mit verweinten Augen winkte mich die Magd in das Wohnzimmer. Da standen schon auf weißgedecktem Tischlein die Geräthe zum Heiligen Mahl. –

Wenige Momente, und der liebe Pfarrherr trat herein in seiner Amtstracht.

Er verwaltete das heilige Mysterium in heilsamer Beziehung auf mich Weinenden.

Gottes Friede kam in meine Seele. –

Hosianna! –

Halleluja! –

Amen! –


Eine schwere Wittwerzeit war es, die nun über mich heraufstieg. Dazu legte die Cholera ihre verderblichen Riesenschatten über das Land und die Lande weit umher, und noch sonst mancherlei Schmerzliches und Herbes griff störend in mein Leben ein.

Die Muse verließ mich nicht.

Eine seit vielen Jahren in mir umhergetragene Ritterdichtung, Parcival, nach des alten Wolfram von Eschenbach Epos, aber in völlig eigenthümlich freier Darstellung unter den mannigfachst wechselnden Formen der Poesie, keimte mir jetzt am Grabe der geliebten Entschlafenen auf, und ward vollendet. Möglich, daß die sehr umfassende Arbeit nun erst über meinem[365] Grabe an's Licht treten mag. Druckbereit liegt sie jedenfalls. Als Denkmal jener Trauerzeit erschien seither im Verlage von Freund Perthes ein Büchlein:


»Von der Liebeslehre.«


Ich mag es wohl eine süße Frucht aus herben Tagen nennen, und den Leser dorthin weisen, mit der Ueberzeugung, ihm Gutes zugewiesen zu haben.


Den lindernden Balsam der Freundschaft und holder Kindheit und Jugend-Erinnerungen ergoß in meine blutende Seele ein Aufenthalt bei A.G. Eberhard auf seinem anmuthigen Landsitze zu Giebichenstein unweit Halle an der Saale.

Gott lohn' es Euch, Ihr lieben, Ihr zum Theil nun seither schon verklärten Seelen, was Ihr dazumal des Lieben und Guten an Eurem Freunde gethan habt.

Meine neue Laufbahn für einen Beruf als Lektor in Halle bereitete sich dorten vor, im Jahre darauf, ob ziemlich spät am Lebensabende schon, dennoch – ich darf es sagen – mit Jugendkraft betreten und fortgeführt bis Heute, und, will's Gott, fürder noch durch manch ein Jahr. Hat mir ja doch Gott eine jugendlich holde Gattin als Liebes- und Lebens-Genossin zugeführt! Hat Er ja doch einen edlen Hörerr-Kreis aufblühender Dichterjünglinge und ehrenwerther Männer, ja auch sinnig holder Frauen um mich versammelt, und wecken deren klar wiederhallende Geister mir oftmal neuerhebende Anklänge dessen, was ich ihnen über Poesie und deren Geschichte, auch während der Wintermonde über Zeitgeschichte vorzutragen mich berufen fühle! Begegnen doch so viele Beweise des liebevollen Zutrauens und der erquickenden Ehrerbietung mir in der treuen Saalestadt, aus der ich vor nun 46 Jahren hinritt auf meinen Erstlings-Feldzug an den Rhein, und wo ich nun den Eyclus meiner Bahn völlig zu beschließen hoffen darf! Ward mir ja doch von der geliebten Gattin am 29. Oktober 1839 ein blühend frischer Knabe geboren, dem ich folgende Liedesklänge entgegensang: –


[366] 1.

Nimm hin, mein Sohnlein, Deinen ersten Degen.

Für jetzt noch ist die Waffe Dir zu groß.

Doch mehr stets ring' Dich, Ritterblümlein, los

Zum Rittersmann durch Gottes heil'gen Seegen.


Dann muthvoll wall 'auf Gottes heil'gen Wegen:

Im Frieden mild, fromm, hold, zum Kampfgetos,

Wann Treu' und Ehre winkt, auf Hieb und Stoß

Ringfertig stets, Du selbst ein wackrer Degen!


Ein Preußendegen! Und erring' ein Kreuz,

Wie's einst Dein Vater sich im Feld' errungen,

Daß er im Himmel spreche noch: »Mich freut's!«


Und wolle Gott, daß auch in Liedeszungen

Du einst austönest kräft'gen Jubeldank,

Wie jetzt Dein Vater Schwerdtesgruß Dir sang.


2.

Alt-edler Meister Hildebrand von Bern,

Der einen jungen Held hast auferzogen

Zum edlen Schwung durch kühne Kampfeswogen,

Einpflanzend ihm all frommen Wissens Kern!


Wie las von Dir die Kund' ich stets so gern,

Schon als noch Jugendkräne mich umzogen,

Und Jugendlieder flatternd mich umflogen,

Und dacht: »Ach glich' ich einst dem alten Herrn!«


Nun trat ich schon seit Jahren in den Orden

Der alten Herr'n, bin drin vertraut geworden,

Und doch klopft jugendfrisch mir noch die Brust.


Ja, frischer noch, als an der Jugend Borden,

Weil ich der edlen Waffenmeister-Lust

Am neugebornen Sohn mir ward bewußt.


Von jenen letztern Jahren wäre freilich hier noch viel des Ausgeführteren nachzuholen.

Aber mit den Autobiographieen geht es auch in dieser Hinsicht, – mit vielem Schaffen im Leben gleichfalls, wo nicht mit allem, – wie mit dem Berg-an-Steigen. Hier gilt das Gleichniß vornehmlich dahin:

Je näher annoch die zurückgelassenen Gegenstände, je mehr decken sie einander, bis zur Undeutlichkeit.

[367] Je weiter abwärts hinter uns zurückgeblieben, je leichter übersehbar gruppiren sie sich, und vergönnen dem Blick ein um so richtigeres Urtheil über ihre Gestaltung und ihr gegenseitiges Verhältniß zu einander.

Sollte ich noch ein Dezennium oder was drüber auf dieser Erde wallen und wallfahrten, so fände sich auch vielleicht ein Standpunkt, um das jüngsther Durchlebte, hier nur in Umrissen Angedeutete, näher auszuführen, vielleicht wohl gar mit Farben auszufüllen.

Leuchtet mir ja, wie bei meiner Rückkehr nach dem lieben Halle vor neun Jahren, wo mich die Worte so heilsamlich ahnend ergriffen, noch immer vom Giebel der Frankeschen Stiftungen der auch dort so schön bestätigte Spruch des Propheten Jesaïas um das Adlerbild her entgegen:

»Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln, wie Adler, daß sie laufen, und nicht matt werden, daß sie wandeln, und nicht müde werden.«

Fußnoten

Note:

1 Anmerkung. Eine bedeutsame Stelle im Generalstabe.

Note:

2 Anmerkung. Beiläufig gesagt, der Satz der Pariser Akademie: »Il ne faut pas ensanglanter la scene,« trägt zwar, wie so Vieles von dorther Kommende, sein Albernes in sich, wenn man ihn zur unabweichlichen Richtschnur annimmt. Wohlverstanden jedoch in ziemender Begränzung, trägt er, wie gleichfalls gar Vieles von dorther Kommende, seine beachtenswerthe Wahrheit in sich. Das Sterben ist allerdings ein viel zu ernster Aktus, um so leichtsinnig vor die Augen der Zuschauer heraufbeschworen zu werden. Doch just, weil es ein ernster Aktus ist, gehört seine Anschauung, wo es nehmlich die Muse gebietet und nicht etwa die Effekthascherei damit gaukeln will, in die Tragödie streng' unerlaßlich herein – wie ja in's diesseitige Leben überhaupt.

Note:

3 Anm. Ein Landgut des Besungenen.

Note:

4 Anm. Die inn're Richtigkeit des Fündleins wird durch eine gelehrte Bescheinigung verbürgt, wo ein Gymnasiums-Direktor bei dem Bericht über den zerstörenden Brand seines Schulgebäudes folgenden Satz niederschrieb und abdrucken ließ: »Ich, um das Ganze desto besser zu übersehen, blieb gänzlich unthätig, worin der Herr Collaborator B. mich auf das kräftigste unterstützte, während mein Schwager, der Conrektor W. in den obern Zimmern das Nehmliche that.« –Relata refero. Aber ich weiß es aus Munde des damal gepriesenen Collaborators selbst.

Note:

5 Anm. Diesmal zitire ich sogar die Franzosen, aber freilich die Altfranzosen: »Apprendre par coeur.«

Note:

6 Anm. Seltsam prophetischer Spaß wider den damal republikanischen General. Und wie sehr hat's der Erfolg noch überflügelt! –

Note:

7 Anm. S. die zarte Schilderung solcher Tage in des Großen Friedrich »Art de la Guerre.«

Note:

8 Anm. Jenes Regiment garnisonirte in Friedenszeit zu Bielefeld, und seine Kantonnisten bestanden aus wackern Westfahlen; seine Offiziere bildeten eine eben so muthig rasche, als fein und edel gebildete Rittergenossenschaft.

Note:

9 Anm. Das Regiment Weimar hatte schon früher seit dem Holländischen Kriege die Benennung: »Patriot«, womit sich die dortigen Rebellen sehr ungeziemend schmückten, als etwas Verwerfliches zu brauchen, wie damal auch die treugebliebnen Holländer, in der Gewohnheit. Wir sahen es schon vorhin in einem Liedesfragment.

Note:

10 Anm. Zu Deutsch etwa:

»Gestern wurden die Feinde, sich wider einen rüstigen Angriff unsrer Seits vertheidigend, völlig zurückgeworfen. Man hat den Couci todt auf dem Schlachtfelde gefunden. Ich weiß: Du liebtest ihn, meine Schwerer. Aber freue Dich, Bürgerin. Er war ein Freiheitsfeind.«

Note:

11 Anm. Zu Deutsch etwa: »Lasßt mich, Ihr seid Franzos! Ihr seid Emigrant. Ihr habt Euer Vaterland verrathen.«

Note:

12 Anm. In einem in druck-bereit liegenden Roman: »Abfall und Buße, oder die Seelenspiegel,« habe ich das mich sehr tragisch ergreifende Bild einer solchen Lebenswendung ausgemalt.

Note:

13 Anm. Von Oertzen hieß er, und starb als Major a.D. vor mehren Jahren in der Mecklenburg'schen Stadt Güstrow.

Note:

14 Anm. Siehe: Shakespear's jungen Osrik im Hamlet.

Note:

15 Anm. S. Taschenbuch der Sagen und Legenden von Amalie von Helwig und L.M. Fouqué, auch des Letztern gesammelte Gedichte.

Note:

16 Anm. Ein überaus liebliches Idyll Amaliens schilderte Mädchen am Brunnen in der Wartburgs-Nähe, sich mit frommen Sagen von der heiligen Fürstin wechselseitig erlabend. Die vielbegabte Künstlerin hatte es in ein altväterlich gemahltes Büchlein zierlich eingeschrieben zur Gabe für ihre sinnig erhabne Herrin, die damal regierende Herzogin Luise von Sachsen-Weimar. Gedruckt erschien die Dichtung nach vielen Jahren auch in dem Taschenbuch der Sagen und Legenden, herausgegeben durch Amalie von Helvig, geb. von Imhof, und L.M. Fouqué.

Note:

17 Anm. Eschenburg in seiner Shakspears-Uebersetzung nennt ihn so – ich weiß nicht warum – statt des in der Urschrift befindlichen Namens: Droll, den auch A.W. Schlegel wiederum hergestellt hat. Ich aber hatte damals noch nicht aus der Quelle getrunken.

Note:

18 Anm. Daß der Meister in seiner liebenswürdigen Selbstkritik sich eben nicht allzuscharf getadelt habe, giebt gleich der Beginn jener sonst so grandiosen Tragödie kund. Pater Domingo eröffnet sie mit den Worten:

Schreiben wir es einmal ohne Versabsätze hin, und zwar mit Gedankenstrichen, wo der Schauspieler nothwendig pausiren muß, um das vergebliche Bemühen des Beichtvaters anzudeuten, der den Prinzen gern in's Gespräch bringen mögte:

»Die schönen Tage in Aranjuez sind nun vorüber. – Eure Königliche Hoheit verlassen es nicht heiterer. – Wir sind vergebens hier gewesen.«

Der kann dabei an irgend ein bestimmtes Metrum denken? – Und doch bilden diese Zeilen einen Typus der gesammten metrischen Behandlung.

Note:

19 Anm. Zur Beurtheilung für den Spanisch lesenden Leser mögen jene ersten Vier Zeilen mit ihrer vom Kritiker gerügten Berdeutschung hier stehen:

»Un cuidado que sale de quicio« – wörtlich: »Eine Soge, die aus der Angel fährt,« auf eine Thür anspielend, könnte wohl nicht unpassend durch Hindeutung auf Wellen, die »ihrem Bord' entstreben«, wiedergegeben werden, wenn man auf Deutsch überhaupt verständlich werden wollte.

Note:

20 Anm. Damals noch Hofprediger.

Note:

22 Anm. jetzt Galerie-Direktor in Frankfurt am Main, leuchtend im Kreise unsrer trefflichsten Maler.

Note:

23 Anm. Als wir Brandenburger just angetreten waren, um in gottesdienstlichem Dank die Siege von Kulm, Großbeeren und an der Katzbach zu feiern, kam unser eben so tapfrer als milder Brigade-Chef, General von Röder, langsam herangeritten. Vor den abgesessenen Jägern stehend, sah ich auf seinen edlen Zügen einen tiefen Ernst, und meinte schon, es sei irgend eine nachtheilige Botschaft in die Freude gefallen. Er winkte mich zu sich heran, und sprach feierlich: »Ein neuer Sieg. Der Feind ist bei Dennewitz durch General Bülow gänzlich geschlagen. Sie können's den Jägern in voller Gewißheit mittheilen.« – Ich stand, wie erstarrt, sprechend: »Herr Gott, daß ist ja fast zu viel der Gnaden!« – »So ist mir's auch zu Muth!« sagte der General.

Da entstanden in mir die Schlußzeilen jenes oberwähnten Siegsgesanges:

Note:

24 Anm. Jetzt General-Lieutenant und Kommandant von Berlin.

Note:

25 Anm. Die beiden jetzt verklärten Kunstgeister Zelter und Fürst Anton Radziwill erklärten bei einer Concertaufführung die Composition für ein Meisterwerk.

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