König Nomans Zins

(Nach altbretonischen Heldenliedern.)


Um die Meeresbuchten zieht der Nebel,
Zieht in Wolken um des Schlosses Türme,
Das vom Felsen auf den Strand herabsieht;
Horch, da klingt vom Tal herauf das Hifthorn,
König Noman kehrt zurück vom Weidwerk,
Mit den Jägern kehrt er, mit den Bracken.
Jeder trägt, was er im Forst erbeutet,
Der den Auerhahn und der den Rehbock,
Doch der König selbst, der starke Waldherr,
Trägt den Preis der Jagd, den mächt'gen Eber.
Als der Zug die Brücke nun erreicht hat,
Steht am Gattertor, des Königs harrend,
Von Arez der achtzigjähr'ge Häuptling.
Um ihn stehn im Halbkreis seine Söhne,
Schwarzgewaffnet all, in schwarzen Kleidern,
Zorn und Kummer auf der düstern Stirne.
Freundlich zu dem Alten tritt der König:
»Sei gegrüßt an unsern Pforten, Häuptling!
Sei gegrüßt und sprich, was dein Begehr ist,
Und warum du kommst im Trauerkleide?«
Ihm versetzt der Greis: »Wohl mag ich trauern;
Große Not und Schmach ist mir geschehen,
Mir und dir und unserm ganzen Volke.
Denn als jüngst zur starken Burg von Rennes
Du den Zins gesandt an Frankreichs König,
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König Karl, den sie den Kahlen heißen,
War's mein jüngster Sohn, der blonde Kado,
Der die Wagen führte mit den Schätzen.
Ungepanzert zog der Ahnungslose,
Galt es doch, ein friedlich Werk zu schlichten.
Aber da man nun im Schlosse droben
Wog die Säcke, war zu leicht der eine;
Denn es fehlten sieben Pfund an tausend.
Da ergrimmte der Wardein von Frankreich,
Tobt' und schrie: ›So sei's denn Blut für Silber!
Was der Fürst nicht zahlt, das zahlt der Bote!‹
Wuterfüllt den Lanzenknechten winkt' er,
Daß sie sich auf meinen Knaben stürzten.
Wie ein Wildpret stachen sie ihn nieder,
Und den Leichnam warfen sie vom Walle.« –
Also spricht der Greis. Die tiefe Stimme
Zittert ihm vor ungeweinten Tränen.
Doch der König steht verstummt, es fesseln
Schmerz und Ingrimm furchtbar ihm die Lippe;
Mit gewalt'ger Faust das Haupt des Ebers
Preßt er, daß das Blut in dicken Tropfen
Niedersprüht auf sein Gewand von Linnen;
Dann, gefaßt, ersetzt er diese Worte:
»Sei getrost, o Greis! Du sollst erfahren,
Daß im Himmel droben noch ein Gott lebt
Und ein König, der dich rächt, auf Erden.
Bei dem Haupte dieses Ebers schwör' ich's:
Nicht vom Saft der Rebe will ich trinken,
Noch dies Blut von meinem Kleide waschen,
Bis die Schmach, die uns geschehn, getilgt ward!«
Spricht's und schreitet ins Gewölb des Tores;
Schweigend folgen ihm die düstern Gäste.
Wie verwandelt stehn des Schlosses Hallen,
Seit der König geht im blut'gen Kleide.
Kein Gesang mehr schallt und kein Gelächter,
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Staub bedeckt die festgewohnten Tafeln,
Und die Spinnen weben am Kredenztisch;
Nur der Waffenschmiede dumpfes Hämmern
Klingt empor vom Zwinger, und die Brücke
Dröhnt vom Hufschlag rasch entsandter Boten.
Aber als zum andernmal im Jahre
Nun der Tag sich naht, den Zins zu zahlen,
An den Strand hinab mit seinen Dienern
Zieht der Fürst, ein seltsam Werk befehlend.
Kiesel heißt er sie am Ufer sammeln,
Flache Kiesel, wie das Meer sie auswirft,
Heißt sie die, als wären's Silbermünzen,
Häufen, wägen und in Säcke schnüren
Und die ganze Last auf Wagen schichten.
Schwertumgürtet steigt er dann zu Rosse,
Steigt zu Roß mit stattlichem Gefolge,
Und die Wagen führt er selbst nach Rennes.
Als der Zug nun anlangt vor der Feste,
Wohl verwundert's den Wardein von Frankreich,
Daß der König selbst den Zins geleitet;
Doch sein Kleid von Scharlach umgeworfen,
Eilt' er flugs hinab, das Tor zu öffnen.
»Sei willkommen«, spricht er, »König Noman!
Steig herab vom Roß und auf die Reise
Laß dir einen Becher Weins gefallen!
Auch ein silbern' Waschgefäß voll Wassers
Soll man bringen; dein Gewand ist blutig.«
Doch der König spricht mit finstrer Stirne:
»Laß den Wein, Wardein, und laß das Wasser!
Trinken und das Blut von meinem Kleide
Will ich waschen, wenn der Zins bezahlt ist!« –
Schweigend schreiten sie empor die Stufen
Nach dem Saal der Burg, die Knechte folgen
Keuchend unter dem Gewicht der Steine.
Dort, wie's Brauch ist, wägen sie die Säcke,
Wägen sie auf erzbeschlagner Wage,
Die herabhängt vom Gewölb' der Halle.
[123]
Richtig wird der erste Sack befunden
Vom Wardein und richtig auch der zweite;
Doch beim dritten Sacke ruft der Franke:
»Haltet ein! Nicht reicht, was ihr gebracht habt!
Wieder fehlen sieben Pfund an tausend!«
Ruft's und beugt sich grollend auf die Wage,
Mit der Faust den Sack hinabzustoßen.
Doch der König springt herzu, und sausend
Fährt sein Schwert dem Frechen in den Nacken,
Fährt durch Fleisch und Bein mit scharfem Hiebe,
Daß das Haupt, vom blut'gen Rumpfe springend,
In die Schale rollt mit dumpfem Klange.
»Wohl! Nun ist die Zahl der Pfunde richtig!
Bringt sie meinem Vetter Karl und sagt ihm:
Nur noch Kiesel zinst ihm der Bretagner!«
Starr noch vor Entsetzen stehn die Franken,
Als der König schon zu Rosse sitzet;
Lachend sprengt er aus dem Tor der Feste.
Aber draußen stößt er in sein Hifthorn,
Sieh, da blitzen Lanzen rings und Schwerter,
Schar an Schar mit flatternden Panieren
Nahn die Männer jedes Gaus, es führt sie
Von Arez der achtzigjähr'ge Häuptling.
Bald im Sturm gewinnen sie die Feste,
Und von Schlacht zu Schlacht, von Sieg zu Siege
Folgen sie dem königlichen Adler.
Also ward der letzte Zins an Frankreich
Blutig ausgezahlt durch König Noman.

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