1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[207] [209]Der Buchstabe Mim.

1.

Würde an des Holden Seite
Mir ein Platz gewährt vom Loose,
Tränk' ich aus des Glückes Becher,
Pflückte des Genusses Rose.
Bitt'rer Wein – der Ssofis Feuer –
Macht für meinen Bau mich beben:
Küsse mich, und nimm, o Schenke,
Lieber du mein süsses Leben!
Toll noch werd' ich, denn ich spreche
Nachts bis Früh vom Liebeskummer
Mit dem Monde nur, und sehe
Nur Pěrīs in meinem Schlummer.
Zucker gab dein Mund dem Trunk'nen,
Wein dein Aug' dem Wirth des Weines:
Ich allein, der stets entbehre,
Hab' von Beiden leider Keines!
Aus dem Bett in's Köschk der Huris
Werd' ich in der Sterbnacht gehen,
Willst du in der Todesstunde
Mir am Pfühl als Kerze stehen.
Jedes windgetrag'ne Stäubchen
Ist ein Ausfluss deiner Güte:
Denke d'rum auch deines Knechtes,
Der sich lang im Dienste mühte!
Nicht ein Jeder, der da dichtet
Spricht in Worten, die gefallen:
Ich nur fing das selt'ne Repphuhn,
Denn mein Falk' hat flinke Krallen.
[209][211]
Geh' und frage China's Maler,
Glaubst du nicht was ich hier sage,
Ob Mănī nicht nach den Mustern
Meines Moschuspinsels frage?
»Guten Morgen!« rief der Sprosser;
Schenke! Auf! Wo weilst du wieder?
Denn es brausen noch von gestern
Mir im Kopf die Harfenlieder.
Hör' von mir, nicht von Hafisen
Was man Rausch und Liebe nenne,
Der ich Nachts bei Mond und Plejas
Gläser nur und Becher kenne.
Treue übt und Wahrheit redet
Wohl nicht Jedermann im Leben:
Sclavisch bin ich dem Ăssāfe
Rechts- und Glaubensruhm' ergeben.
2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[211] [213]2.

Auf dem Heerweg nach der Schenke
Lass mich wandeln für und für:
Eines Schlückchens wegen brauchen
Wir ja alle diese Thür.
Als des Zechens und der Liebe
Ich am ersten Tag gedacht,
Ward nur diese Bahn zu wandeln
Zur Bedingung mir gemacht.
Dort wo Dschem sammt seinem Throne
Winden muss zur Beute sein,
Hätt' ich Unrecht Gram zu trinken:
Klüger ist's, ich trinke Wein.
Hoffend meine Hand berühre
Seines Gürtels theures Gut,
Sitze ich, wie rother Onix,
Mitten in des Herzens Blut.
Prediger, gib uns Verwirrten
Keine Lehre, denn wir schau'n,
Froh des Staub's im Freundesgaue,
Nicht auf Paradiesesau'n!
Geh'n im Tanze doch die Ssofis
Mir mit gutem Beispiel vor:
D'rum zum Gaukelspiele hebe
Ich auch eine Hand empor.
Erdenstaub hat deine Hefe
Kostbar in Rubin verkehrt,
Und vor dir bin ich, der Arme,
Weniger als Stäubchen werth.
Lass, noch eh' vorüber gehe
Dieses Leben, es gescheh'n.
Dass an dir ich freudig möge
Einmal nur vorüber geh'n!
Weil, Hafis, kein Weg mich führet
Nach dem Köschk genannt »Verein«,
Lass' mich mit dem Schwellenstaube
Dieser Thür zufrieden sein!
3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[213] [215]3.

Ist die Zeit noch nicht erschienen
Wo die Freunde sich erbarmen,
Und die Brecher der Verträge
Zum Gefühl der Reu' erwarmen?
Ist denn ihnen keine Kunde
Vom Entfernten zugekommen,
Dessen Busen von dem Feuer
Der Betrübniss ist entglommen?
Wenn mein Stamm nur erst erführe
Was mit dem sich zugetragen,
Dessen Hoffnung er gewesen,
Sicher würd' er ihn beklagen.
Es erschien der holde Frühling,
Und die Fluren grünen wieder;
Doch wo sind die zarten Mädchen?
Wesshalb schweigen ihre Lieder?
Schon erzählte meine Thräne
Was ich barg im Herzensgrunde:
O des wunderbaren Wesens,
Das da spricht mit stummem Munde!
Monde sind nun, wo die Jugend
Was sie wünscht sich sieht gewähren,
Und des Frühlings Lebenswonne
Muss nur ich allein entbehren!'
Wollt o Söhne meines Oheim's
Einen einz'gen Schluck mir reichen,
Denn erkennen lässt die Grossmuth
Sich an ihren edlen Zeichen!
Du, der du die Fürsten alle
Übertriffst an Edelmuthe,
Habe Mitleid! Gott wird's lohnen:
Denn Gewinn nur ist das Gute.
Jedem Freunde wurde Nahrung
Und was sonst ihm frommt gegeben:
Dennoch muss Hafis, der Arme,
Dürftig und verschuldet leben.
4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[215] [217]4.

Des Morgens sprach ich, Reue fühlend:
»Ich will das Loos befragen.«
Da kömmt der Lenz, der Reuebrecher:
Was soll ich nun wohl sagen?
Ein Wort, ein wahres, will ich sprechen:
»Ich kann's nicht länger sehen
Dass, während die Genossen trinken,
Ich müssig sollte stehen.«
Ihr mögt mich als erkrankt im Hirne
Zur Zeit der Tulpen heilen,
Wollt' ich, dem Lustgelag' entsagend,
In einer Ecke weilen.
Ich will auf einen Thron von Rosen
Den Götzenfürsten heben,
Und Hyacinthen und Jasmine
Um Hals und Arm ihm weben.
Weil mir des Wunsches Rose blühte
In dem Gesicht des Freundes,
Verweise ich auf Kieselsteine
Den Schädel meines Feindes.
Zwar bin ich nur ein Schenkenbettler,
Doch wenn ich mich betrinke,
Trotz' ich dem Himmel, und die Sterne
Gehorchen meinem Winke.
Ich, der ich mich nicht eines Bissens
Gewohnt bin zu enthalten,
Ich sollte gegen Weingeniesser
Die Tadelsucht entfalten?
Auf's Wohl des König's nehm' ich, lächelnd
Wie Knospen in der Fülle,
Den Becher, und im Sehnsuchtsschmerze
Zerreiss' ich meine Hülle;
[217][219]
Und wenn des Freund's Rubinenlippe
Mir einen Kuss gegeben,
Wird meine Jugend wiederkehren,
Und doppelt werd' ich leben.
Es will, nur heimlich Wein zu trinken
Hafisen nicht behagen:
Bei Barbiton- und Flöten-Klängen
Will ich es offen sagen.
5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[219] [221]5.

Komm, auf dass wir Rosen streuen,
Wein in uns're Becher giessen
Und, das Dach des Himmels spaltend,
Einen neuen Bau beschliessen!
Wollte kühn das Heer des Grames
Der Verliebten Blut verspritzen,
Eilten wir, ich und der Schenke,
Ihm zu rauben seine Stützen.
In den Wein, den erg'wanfarbnen,
Lasst uns Rosenwasser giessen,
Und des Rauchgefässes Düfte
Lasst mit Zucker uns versüssen!
Schön ist. Sänger, deine Laute:
Lass auch schön den Sang erklingen,
Dass wir klatschen, Lieder trillern,
Stampfen und die Häupter schwingen!
Ost! Wirf uns'rer Körper Erde
Auf den Hohen, dem wir fröhnen,
Dass wir Aug' in Auge schauen
Jenen König aller Schönen!
Dieser prahlt mit dem Verstande,
Jener spricht von frommen Dingen:
Komm, und lasst uns diese Streite
Vor der Streite Schlichter bringen!
Sehnst du dich nach Edens Gärten,
Nun so komm mit uns in Schenken,
Dass wir von des Kruges Fusse
In die Fluth Kiěwsēr's dich senken!
Schlecht verstehen sich die Leute
In Schĭrās auf Wort und Lieder:
Komm, Hafis, in einem andern
Reiche lassen wir uns nieder!
6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[221] [223]6.

Oft schon hab' ich's ausgesprochen,
Und nun sag' ich's abermal:
»Diese Bahn wandl' ich, Entherzter,
Nimmermehr aus eig'ner Wahl.«
Wie den Papagei am Spiegel
So behandelte man mich:
Nur was mich der ew'ge Meister
Sprechen hiess, das spreche ich.
Sei ich Dorn nun oder Rose,
Einen Gärtner gibt's fürwahr,
Und so wie er mich genähret
So gedeih' ich immerdar.
Freunde, schimpft auf mich Entherzten,
Auf mich Blöden nimmer doch!
Schon besitz' ich eine Perle,
Nur den Kenner such' ich noch.
Schmählich auf belappter Kutte
Ist der rosenfarbe Wein:
Schmäle nicht, denn sieh, ich wasche
Sie von Gleissnerfarben rein.
Wer verliebt ist, weint und lachet
Aus gar unterschied'nem Grund:
Wird es Nacht, so sing' ich Lieder,
Und des Morgens klagt mein Mund.
Zu mir sprach Hafis: »O rieche
Nicht zum Staub der Schenkenthür!«
Nimmer schmäle er; ich rieche
Nur chŏtēn'schen Moschus hier.
7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[223] [225]7.

Du machtest mit den schwarzen Wimpern
Mir tausend Scharten in den Glauben;
Komm, lass aus deinem kranken Auge
Mich tausendfache Schmerzen klauben!
O du Gefährte meines Herzens,
Der seiner Freunde nie gedenket!
Die Stunde, wo ich dein nicht denke
Sei nimmer mir vom Loos geschenket!
Die Welt ist alt und schwank; Fěrhāden
Hat sie, o Schmerz, den Tod gegeben,
Und ihr Betrug und ihre Ränke
Verkümmern mir das süsse Leben!
Dem Schönen will ich und dem Schenken
Mit Freuden opfern beide Welten,
Denn als ein Anhang nur zur Liebe
Kann, was die Welt gewährt, mir gelten;
Und wählt der Freund statt mir sich And're,
Ist er der Herr und mag befehlen:
Doch sterben soll ich, wollt' ich jemals
An Freundesstatt das Leben wählen!
In Schweiss getaucht bin ich, gleich Rosen.
Vom Trennungsfeuer unterwühlet:
D'rum bringe, Nachtwind, mir ein Lüftchen
Von Jenem, der den Schweiss mir kühlet!
Der Sehnsucht fromme Überlief'rung,
Die diese Blätter hier bewahren,
Scheint keinen Irrthum zu enthalten,
Da ich sie von Hafis erfahren.
8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[225] [227]8.

Ausser dass sich Glaub' und Einsicht
Los von meiner Hand gemacht
Komm und sag' ob deine Liebe
Andern Vortheil mir gebracht?
Zwar, die Garbe meines Lebens
Ward, durch Gram, des Windes Raub,
Doch betheur' ich meine Treue
Dir bei deiner Füsse Staub.
Nichtig bin ich, gleich Atomen,
Doch das Glück der Liebe trug,
In der Lust nach deiner Wange,
Bis zur Sonne meinen Flug.
Bringe Wein, weil eines Lebens
Lange Frist bereits verfloss,
Seit ich in des Heiles Ecke
Keiner sichern Lust genoss.
Hast du dir, o Rathertheiler,
Nüchtern stets bewahrt den Sinn,
O so wirf kein Wort zu Boden,
Weil ich ein Berauschter bin.
Wie erhebe ich zum Freunde
Dieses Haupt, gebeugt von Schlam,
Da kein Dienst noch, Seiner würdig,
Jemals aus der Hand mir kam?
Schon verbrennt Hafis, doch jener
Holde Freund sprach nimmer noch:
»Senden will ich ihm ein Pflaster
Schlug ich ihm die Wunde doch!«
9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[227] [229]9.

Kehre wieder heim, o Schenke,
Da ich gern im Dienst dir stehe,
Mich nach deiner Knechtschaft sehne
Und um Glück für dich nur flehe!
Dort wo dein beglückter Becher
Überläuft aus vollem Rande,
Lehre du heraus mich treten
Aus des Staunens finster'm Lande!
Zwar in's Meer der Sünden ward ich
Eingetaucht aus hundert Gründen;
Doch die Liebe lernt' ich kennen
Und Erbarmung werd' ich finden.
Schilt nicht, Rechtsfreund, weil durch Zechen
Mir ein übler Ruf geblieben,
Stand's im Buche meines Looses
Doch als Aufschrift so geschrieben!
Trinke Wein! Es kömmt die Liebe
Ohne Wahl und ohne Streben:
Als ein angebornes Erbtheil
Ward mir dies Geschenk gegeben.
Ich, der durch die Zeit des Lebens
Nie verliess der Heimath Gauen,
Sehne nun mich nach der Fremde,
Bloss aus Liebe dich zu schauen.
Zwar im Bild von dir geschieden,
Dir, des Glückes Zufluchtsorte,
Weil' ich doch im Geist und Herzen
Immerdar an deiner Pforte.
Meer und Berg liegt mir im Wege,
Und es schwächt mich meine Wunde:
Chiser, der du Segen bringest,
Steh' mir bei, dass ich gesunde!
[229][231]
Wagt's dein Mund vom Moschushaare
Jenes holden Bild's zu sprechen,
Ostwind, so bedenk' es werde
Meine Eifersucht sich rächen!
Auf dem Bogen deiner Braue
Brachte ich des Blickes Pfeile
Bis zu des Verstandes Ohre,
Lauernd auf die Gunst der Weile.
Seinen Geist vor deinem Auge
Sehnt Hafis sich aufzugeben!
Und dies wähn' ich zu erreichen,
Friste ich nur erst mein Leben.
10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[231] [233]10.

O der frohen Botschaft! Heil und Segen
Stieg nunmehr auf Su Sělēm herab;
Wer die Grösse dieser Huld erkannte
Lobt und preist den Schöpfer, der sie gab.
Doch wo weilt der Bote, der durch Kunde
Solchen Sieges uns so hoch erfreut?
Denn zu Füssen streu' ich ihm die Seele,
Wie man sonst nur Gold und Silber streut.
Wer ein Bündniss brach, der wird erfahren
Wie in Baldem auch sein Glück zerbricht:
Ist doch die Erfüllung der Verträge
Dem Verständ'gen eine Glaubenspflicht.
Wie so günstig Alles sich gestaltet,
Weil nunmehr zurück der König kam,
Und sein Widersacher eine Reise
Nach dem Zelt des Nichtseins unternahm!
Er begehrte von der Hoffnungswolke
Einen Regen der Barmherzigkeit:
Aber nur aus seinem eig'nen Auge
Träufelte die klare Feuchtigkeit;
Und er stürzte in den Nil des Grames,
Und der Himmel sprach zu ihm mit Hohn:
»Du bereu'st in diesem Augenblicke,
Doch zu spät kömmt deine Reue schon.«
Komm, o Schenke, weil die Rose blühet
Und die Zeit nun hohe Lust verspricht;
Bring' den vollen Becher her, und sorge
Um das Mehr dich und das Minder nicht!
Höre was der Weinpocal erzählet:
»Diese Braut, die hochbejahrte, hat
Vielen Freiern schon den Tod gegeben,
Mächtig einst wie Dschem und Kējkŏbād.«
[233][235]
Ford're nicht, o Herz, was Dschem besessen,
Ford're nur das Glas gefüllt mit Wein!
Ganz in gleichem Sinne sang der Sprosser
Dort in Dschem's palastgeschmücktem Hain.
Einen Winkel in der Schenke wählte
Sich Hafis zum steten Aufenthalt.
Wo er lebt wie in der Au der Vogel,
Und der Löwe in dem stillen Wald.
11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[235] [237]11.

Was thue ich, o wandelnde Zipresse,
Mit Rosenbeet und Rose, ohne dich?
Was tändle ich mit Hyacinthenlocken,
Was thu' mit liliengleichen Wangen ich?
Ach, weil der Übelwoller mich getadelt,
Erblickte ich dein holdes Antlitz nicht:
Was thue ich? Ich habe ja mit nichten,
Dem Spiegel gleich, ein stählernes Gesicht.
Zieh' hin, du Rathertheiler, und betrachte
Die Trinker nicht mit der Verachtung Blick!
Was thue ich? Der mächtige Gebieter
Der dieses thut, er heisset: das Geschick.
Wenn aus dem Hinterhalt, dem unsichtbaren,
Die Eifersucht als Blitzstrahl auf mich fährt,
Was thue ich? Nur du hast zu gebieten:
Hat meine Garbe doch der Brand verzehrt.
Da es dem Türkenkönig so gefallen,
Und er mich tief in einen Brunnen warf,
Was thue ich, wenn Tēhěmtěn's Erbarmen
Mir nicht die Hand zur Hilfe reichen darf?
Will mir das Feuer, das auf Sina lodert,
Mit einer Fackel nicht zur Seite steh'n,
Was thue ich, der ich im nächt'gen Dunkel
Mir nicht zu rathen weiss im Thal Eĭmēn?
Hafis, den hohen Paradiesesgarten
Betrachte ich als mein ererbtes Haus:
Was thu' ich denn und suche zur Behausung
Mir diese öde, wüste Stätte aus?
12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[237] [239]12.

Will Er mit dem Schwert mich tödten,
Fall' ich nicht Ihm in die Hand;
Will Er mit dem Pfeil mich treffen,
Nehm' ich's an als Gnadenpfand.
Sag' dem Bogen deiner Braue
Pfeile drück' er auf mich ab:
Denn der Tod ist mir willkommen,
Wenn ihn deine Hand mir gab.
Wenn mein Fuss im ird'schen Grame
Aus dem Gleichgewichte weicht.
Wer erscheint als nur Becher
Der die Hand mir helfend reicht?
Du, des Hoffnungsmorgens Sonne,
Steig' empor in deiner Pracht!
Da ich ein Gefang'ner lebe
In der Hand der Trennungsnacht!
Komm herbei, o Greis der Schenke,
Ruf' ich dich um Hilfe an,
Und verjüng' mich durch ein Schlückchen,
Denn ich bin ein greiser Mann.
Einen Eid hab' ich geschworen
Gestern Nacht bei deinem Haar.
Dass mein Haupt an deinem Fusse
Liegen solle immerdar.
Weihe du, Hafis, den Flammen
Dieses Frömmigkeitsgewand
Dass ich es nicht selbst entzünde,
Werd' ich einst zum Feuerbrand!
13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[239] [241]13.

Bist der Morgen, und ich bin die Kerze
Die da brennt in stiller Morgenzeit;
Lächle Einmal nur und, sieh', die Seele
Bin für dich zu opfern ich bereit.
Deine spröde Locke hat mit Maalen
Mir das Herz so reichlich übersä't,
Dass mein Grab, bin ich einst heimgegangen,
Sich verwandelt in ein Veilchenbeet.
Deiner Hoffnungsschwelle zugewendet,
Öffnete mein Augenpförtchen sich,
Dass nur Einen Blick auf mich du werfest:
Doch du warfst, ach, aus dem Blicke mich!
Welche Art von Dank soll ich dir zollen,
Heer des Gram's? Der Schöpfer lohn' es dir!
Selbst am Tag, wo alle uns verlassen,
Weichst du nimmer von der Seite mir.
Meinen Augenstern muss ich beloben,
Denn, besitzt er gleich ein schwarzes Herz,
Weint er doch, aus Mitleid, tausend Thränen:
Wenn ich rechne mit des Herzens Schmerz.
Jeder Blick aus meines Götzen Auge
Strahlt zwar hold und freundlich immerdar,
Aber Niemand sieht dies Spiel der Augen,
Und nur mir erscheint es hell und klar.
Geht der Freund, dem schnellen Winde ähnlich,
An Hafisen's Staube einst vorbei,
Reiss' ich in des engen Grabes Herzen
Sehnsuchtsvoll das Leichentuch entzwei.
14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[241] [243]14.

Seit dein segenreicher Schatten
Meinen Scheitel traf,
Wurde das Geschick mein Diener
Und das Glück mein Sclav'.
Jahre sind's dass aus dem Haupte
Mir entwich das Glück:
Doch die Wonne deiner Liebe
Bracht' es mir zurück.
Nimmer hätte irgend Jemand
Wachend mich erblickt,
Hätte mich nur erst im Schlafe
Dein Gebild entzückt.
Wenn im Gram um dich mein Leben
Auch verfliesst; allein
Glaubst du ohne dich verfliesse
Mir ein Stündchen? Nein.
Mittel meinen Schmerz zu heilen
Gab kein Arzt mir kund:
Krank ist ohne Freund mein Inn'res,
Und mit ihm gesund.
»Bringe dein Gepäck – so sprachst du –
In mein Dorf nicht hin!«
Doch ich schwur's, an diesem Dorfe
Nicht vorbei zu zieh'n.
Einem König und Ăssāfe
Fröhnet Jeder gern:
Ich Hafis, der nied're, diene
Meinem Landesherrn.
15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[243] [245]15.

Ŏrīon' legt' am frühen Morgen
Sein Wehrgehänge vor mich hin,
Als spräche er: »Ich will's beschwören
Dass ich des Königs Sclave bin.«
O Schenke, komm, weil mir die Hilfe
Des thät'gen Glückes ward gewährt
Zu der Erfüllung eines Wunsches
Den von dem Schöpfer ich begehrt.
Gib mir ein Glas: denn bei der Freude
Des Königs Angesicht zu seh'n,
Fühl' ich die jugendlichen Triebe
Im alten Haupte frisch ersteh'n.
Tritt aus dem Weg' mir und beschreibe
Mir Chiser's Quelle nimmermehr,
Denn aus des Königs Glase labt mich
Ein Schlückchen aus der Fluth Kjěwsēr.
O König! Höb' ich auch zum Himmel
Den Thron der Trefflichkeit empor,
Blieb ich doch Sclav an deiner Schwelle
Und Bettelmann an deinem Thor.
Durch tausend Jahre ward mit Hefe
An deiner Tafel ich betreut;
Verlass' ich, d'ran gewohnt, die Stelle
Die freundlich Trank und Kost mir beut?
Und wenn du nimmer Glauben schenktest
Dem was der Knecht gesprochen hier,
So will ich aus Kjěmāl's Gedichten
Nun den Beweis auch liefern dir:
Sollt' ich dir je mein Herz entreissen
Und meine Liebe dir entzieh'n,
»An wen vergäb' ich diese Liebe,
Und jenes Herz, wo trüg' ich's hin?«
[245][247]
Denn meine Liebe zu dem König
Fing mit dem Urvertrage an,
Und, dem Vertrage treu, durchwand'le
Ich meines Lebens Königsbahn.
Mănssūr Sohn Mōhămmēd's, der Sieger,
Ist mein Beschirmer in Gefahr,
Und durch den Segen dieses Namens
Besiege ich der Feinde Schaar;
Und weil der Himmel selbst gedichtet
Die hohe Plejas auf den Schah,
So dicht' auch ich nun helle Perlen:
Denn, wahrlich, Keinem steh' ich nach.
Da ich, wie Falken, meine Nahrung
Stets aus des Königs Hand empfing,
Muss nicht die Beute einer Taube
Mir schlecht erscheinen und gering?
O König, der du Löwen zähmest!
Was kann es dir für Schaden thun,
Wollt' ich, geschützt von deinem Schatten,
Im Reiche stiller Musse ruh'n?
Mir fehlt der Flügel und der Fittich,
D'rum ist's in Wahrheit sonderbar,
Dass ich nach einem Ort mich sehne
Nur von Sĭmūrgh bewohnt, dem Aar.
Es nahm mein Lied, weil's dich besinget,
Schon hundert Herzensländer ein,
Und meine so beredte Zunge
Scheint nur dein tapf'res Schwert zu sein.
Wenn ich, dem Morgenwinde ähnlich,
Am Rosenhain vorüber zog,
War's weder Fichte noch Zipresse
Die freundlich mich dazu bewog:
Dein süsser Duft war's der mich lockte,
Und, in Erinnerung an dich,
Betheiligten der Wonne Schenken
Mit ein paar vollen Bechern mich.
Das Nass von ein paar Traubenbeeren
Ist's nicht was mich berauschen kann!
Ich bin ein Greis, ich bin ein alter
In Schenken grossgezog'ner Mann;
[247][249]
Und mit den Sternen und dem Himmel
Leb' ich in stetem Zank und Streit,
Und richten soll in diesem Falle
Mich meines Königs Billigkeit.
Gottlob dass wieder auf dem Giebel
Der diese Pforte schmückt, der Ton
Den mein Gefieder weckt, vernommen
Vom Pfaue wird am Himmelsthron.
Es drang, mein Herz sich zu erbeuten,
Der Sohn des Löwen auf mich ein:
Doch, mager oder nicht, ich werde
Des Löwenhelden Wild nur sein;
Und in der Werkstatt der Verliebten
Verwische ganz mein Name sich,
Beschäftig' ich mit ander'n Dingen
Als nur mit deiner Liebe mich.
Du, der du mehr Verliebte zählest
Als diese Welt Atome hält,
Wirst du wohl jemals mich beglücken
Der wen'ger als Atome zählt?
Zeig' mir den Mann der deine Reize
Frech abzuläugnen wär' versucht,
Dass in die Augen ich ihm bohre
Das Messer meiner Eifersucht.
Auf mich herab warf seinen Schatten
Der Herrschaft helles Sonnenlicht,
Und um das Sonnenlicht des Osten
Bekümm're ich mich fürder nicht.
Die Absicht dieser Handlungsweise
Ist nicht mir höher'n Werth zu leih'n:
Denn nicht verkauf ich Liebesblicke,
Noch handl' ich süsse Winke ein.
Es liebt Hafis mit ganzer Seele
Den Gottgesandten und sein Haus:
Darüber stellt mein Herr und Richter
Mir wahrlich selbst ein Zeugniss aus.
16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[249] [251]16.

Wesshalb sollt' ich mich nicht sehnen
Bald das eig'ne Land zu schauen,
Wesshalb nicht zum Staube werden
In des eig'nen Freundes Gauen?
Unvermögend zu ertragen
Fremdlingsleiden und Beschwerden,
Will, die eig'ne Stadt betretend,
Ich mein eig'ner Kaiser werden.
In's Geheimniss des Genusses
Und der Liebe will ich dringen,
Und mich als ein treuer Diener
Nur dem eig'nen Herrn verdingen.
Ungewiss ist unser Leben:
Darum kann nur Ein's mir frommen:
Vor dem eig'nen Bild zu weilen
Wenn mein Todestag gekommen.
Weil von Liebe und vom Zechen
Ich bisher nicht konnte lassen,
Will ich künftighin mit meinen
Eig'nen Thaten mich befassen.
Heisst des Glückes fester Schlummer
Und ein tolles Thun mich klagen,
Will ich, was ich heimlich leide,
Meinem eig'nen Ich nur sagen.
Wirst, Hafis, die ew'ge Gnade
Du zur Führerin nicht nehmen,
Will ich bis in ew'ge Zeiten
Vor dem eig'nen Ich mich schämen.
17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[251] [253]17.

Wie kannst von mir du fromme Werke fordern?
Rief ich doch selbst die trunk'nen Männer her.
Als deine trunkene Narcisse herrschte,
Fühlt' ich, es gäbe keine Rettung mehr.
Erschliesse freundlich mir das Thor der Schenke,
Denn Nichts erschloss sich mir durch's Klosterhaus;
Das glaube mir; wo nicht, so bleibt es immer
Ein wahres Wort, und muthig sprach ich's aus.
Durch deine Augen liege ich? o Schenke,
Zerstört und in Ruinen da; allein
Ein Unglück das vom Freunde mir gekommen
Soll tausend Male mir willkommen sein!
Dein Wuchs – so sprach ich – ist dem Buchse ähnlich:
Doch trug es vielfach der Beschämung Frucht
Dass ich ein solches Gleichniss ausgesprochen,
Und eine Lüge dieser Art versucht.
Wenn du dich huldvoll meiner nicht erbarmest,
Empfindest du zuletzt der Reue Schmach:
Bewahre dr'um den Ort dir im Gemüthe
An dem ich dir von meinen Diensten sprach.
Dem Moschus ähnlich schwimmt mein Herz im Blute:
Geringeres hab' ich wohl nicht verdient,
Weil ich so stark mich irrte, und von China
Mit Seinem Haar zu sprechen mich erkühnt.
Zu Feuer bist du, o Hafis, geworden,
Allein den Freund ergriff es leider nicht:
Es ist als ob dem Ostwind ich erzählte
Dass keine Rose hält was sie verspricht.
18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[253] [255]18.

Vierzig Jahre und darüber
Prahle ich mit stolzem Sinn
Dass ich von des alten Wirthes
Dienern der Geringste bin.
Durch des alten Weinverkäufers
Segensvolle Huld geschah's,
Dass von glänzend reinem Weine
Niemals leer sich fand mein Glas.
Hoch in Würde durch die Liebe,
Glücklich durch der Zecher Schaar,
Sitz' ich auf dem Ehrenplatze
In den Schenken immerdar.
Gib doch, weil ich Hefe trinke,
Keiner üblen Meinung Raum!
Denn befleckt ist meine Kutte,
Aber rein bewahrt mein Saum.
Herr! Da ich ein edler Falke
Auf der Hand des Kaisers bin,
Wesshalb trieb man mir die Sehnsucht
Nach dem Neste aus dem Sinn?
Schade ist es, lebt ein Sprosser,
Ähnlich mir, auf dieser Flur:
Trotz der süssen Zunge muss ich,
Gleich der Lilie, schweigen nur.
Persiens Luft und Wasser nähret
Wunderbar gar manchen Fant;
Wer begleitet mich? Ich schaffe
Mein Gezelt aus diesem Land.
Leerst du unter'm Mönchsgewande
Länger noch das Glas, Hafis,
Lüft' ich deiner Thaten Schleier
Bei des Meisters Fest gewiss,
Tūrănschāh's, des Hochbeglückten,
Dessen Huld auf eine Art
Sich gesteigert, dass zum Ringe
Sie an meinem Halse ward.
19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[255] [257]19.

Bewahre Gott! Zur Zeit der Rosen
Leist' auf den Wein ich nicht Verzicht;
Ich, der ich mit Verstande prahle,
Ich thue dies ganz sicher nicht.
Wo weilt der Sänger? Was das Wissen
Mir eintrug und ein frommer Sinn,
Geh' ich der Harfe und der Zither
Und dem Gesang der Flöte hin.
Der Schule nichtiges Geschwätze
Schafft mir zur Stunde nichts als Pein:
Ich will ein Wenig dem Geliebten
Nun gleichfalls dienen und dem Wein.
Wo ist die Treue heut zu finden?
Bring' den gefüllten Becher mir!
Von Dschem, Kjăwūs und Kej erzähle
Ich alsbald die Geschichte dir.
Es schreckt das schwarze Buch mich nimmer,
Weil ich, bricht der Gerichtstag an,
Durch Gottes Huld von solchen Büchern
Wohl Hunderte beseit'gen kann.
Wo weilt denn nur des Morgens Bote?
Die Klage ob der Trennung Nacht
Hätt' ich so gern ihm, dem Beglückten,
Dem Freudenbringer, vorgebracht.
Weil schon im Urbeginn der Zeiten
Mein Staub geknetet ward mit Wein,
So sprich zu meinem Widersacher:
»Warum soll Wein verwehrt mir sein?«
Doch diese Seele, die Hafisen
Der Freund als Darlehn nur vertraut,
Geb' ich an jenem Tag ihm wieder
An dem ich sein Gesicht geschaut.
20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[257] [259]20.

Es hält dem Seelenangesichte
Mein Körperstaub den Schleier vor;
O Wonne, heb' ich einst den Schleier
Von diesem Angesicht empor!
Und da für mich, den holden Sänger,
Kein solcher Käfig passen kann,
Eil' ich – ein Vöglein jener Wiese –
In's Rosenfeld hin zu Rĭswān.
Warum ich kam, wo ich gewesen,
Nicht klar erfasste es mein Sinn:
O Schmerz, dass ich in eig'nen Dingen
So ganz und gar unwissend bin!
Wie sollte pilgernd ich umkreisen
Die weite Flur der heil'gen Welt,
Da meinen Leib im Erdenhäuschen
An Brettern man befestigt hält?
Ich, der den Schauplatz nur der Huris
Für meine Heimath anerkannt,
Soll nun den Gau der wüsten Zecher
Betrachten als mein Vaterland?
Wenn aus dem Blute meines Herzens
Des Moschus süsse Düfte weh'n,
So staune nicht: verwandt durch Leiden
Bin ich dem Rehe von Chŏtēn.
Sieh auf das gold'ne Stickwerk nimmer
Das reich mir ziert des Hemdes Rand,
Denn innerhalb des Hemdes nähr' ich,
Der Kerze gleich, geheimen Brand.
O komm und nimm Hafisen's Leben,
Wie sich's vor ihm entfaltet, hin,
Denn Niemand hört, bist du am Leben,
Das kühne Wort von mir: Ich bin.
21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[259] [261]21.

Wird der Fussstaub meines Liebling's
Seine Hand mir nicht entzieh'n,
Male ich die Schrift des Staubes
Auf das Brett des Blickes hin.
Käme, fordernd meine Seele,
Ein Befehl von Ihm mir zu,
Übergäbe, gleich der Kerze,
Ihm die Seele ich im Nu.
Scheint dem Freund mein Herz ein falsches,
Das nicht Probe hält beim Kauf,
Zähle ich aus meinem Auge
Silber das cursirt ihm auf.
Schüttle nicht den Saum des Kleides,
Nah' ich, Sohn des Staubes, dir:
Denn kein Wind kann, nach dem Tode,
Meinen Staub verweh'n von hier.
Untersinkend, hofft' ich immer
Mich umschlinge deine Hand:
Doch die Welle meiner Thräne
Bringt vermuthlich mich an's Land.
Deine schwarze Doppellocke
Die Verliebter Leidenschaft
Kraft und Festigkeit gegeben,
Nahm mir Festigkeit und Kraft.
Sei mir treu am heut'gen Tage,
Und gedenke jener Nacht
Die voll Gram's ich im Gebete
Werde haben zugebracht.
Bringe mir von jenem Weine
Nur ein Düftchen, holde Luft!
Von des Rausches Folgen heilet
Mich dann sicher jener Duft.
[261][263]
Mit dem Lobe deiner Locke
Stets beschäftigt ist mein Wort,
Und tatar'sche Moschusdüfte
Haucht es d'rum auch immerfort.
Weil Sein Mund, Hafis, mir theuer
Wie die eig'ne Seele ist,
Gibt mir der Moment das Leben
Wo mein Mund die Seele küsst.
22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[263] [265]22.

Als der Zeit ganz angemessen
Seh' ich's gegenwärtig an
Nach der Schenke auszuwandern,
Und da froh zu weilen dann.
Nur ein Buch und eine Flasche
Sei dort freundlich mir gesellt,
Dass ich listige Genossen
Nie erblicke auf der Welt.
Nach dem Weinpocale greifend,
Such ich Heuchlern fern zu sein,
Wähle nämlich mir hienieden
Nur ein reines Herz allein.
In befleckter Kutte prahlte
Gar zu sehr mit Tugend ich,
Schäme d'rum vor Schenkenwangen
Und vor färb'gem Weine mich.
Alle werd' ich überragen,
Frei wie der Zipressenbaum,
Glückt es mir von Weltgelüsten
Abzuziehen meinen Saum.
Unbild deckt mein Herz mit Staube;
Doch, o Gott, gestatte nicht
Dass sich je mein Spiegel trübe,
Der da glänzt wie Sonnenlicht.
Viel zu eng' ist ja mein Busen
Um zu tragen Seinen Schmerz;
Nicht gewachsen solcher Bürde
Ist mein gramerfülltes Herz.
Sei ich Zecher in der Schenke,
Sei ich in der Stadt Hafis,
Bin die Waar' ich die du schauest;
Und noch schlechter überdies.
Beim Ăssāf steh' ich in Diensten:
Mich zu kränken hüte dich!
Denn, wenn ich ein Wort nur spreche,
Rächt er selbst am Himmel mich.
23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[265] [267]23.

Auf! Lasst uns der Ssofis Kutte
Tragen in der Schenke Haus,
Tragen frommer Bräuche Mantel
Auf den Trödelmarkt hinaus!
Wir verstopften uns die Ohren
Vor des Pred'gers Fabelwort!
Tragen wir die Schmach der Possen,
Thoren gleich, noch länger fort?
Dass die Siedler alle greifen
Nach dem Glas voll Morgenwein,
Tragen wir die Morgenharfe
Zu des Wirthes Thor hinein.
Als Geschenk der Reise tragen
Für den trunk'nen Cālěndēr
Wir den Teppich frommer Bräuche
Und den woll'nen Mantel her.
Pflanzt' auf uns'ren Weg ein Frömmler
Desshalb Tadelsdorne hin,
Tragen wir aus Rosengärten
In der Strafe Kerker ihn.
Unser Wollkleid, das befleckte,
Bringe uns nur Spott und Hohn,
Tragen wir, bei solcher Tugend,
Noch der Wunder Ruhm davon.
Wenn das Herz, die Zeit nicht schätzend,
Sich enthält der Thätigkeit,
Tragen wir nur Scham von hinnen,
Als die einz'ge Frucht der Zeit.
Immer regnet es nur Tücken
Von dem hohen Himmelsdach:
Auf! Dem Weinhaus übertragen
Wir den Schutz vor Ungemach.
[267][269]
Werden wir im Feld der Lüste
Lang noch irren, und bis wann?
Lasst uns um die Strasse fragen,
Die zum Ziel uns führen kann.
Jenen Bund den wir geschlossen
In dem sicher'n Thal mit dir,
– Sprichst du: »Zeige dich:« wie Moses –
Tragen zur Erfüllung wir;
Schlagen deines Ruhmes Pauke
Auf des Himmelsthrones Knauf,
Tragen deiner Liebe Fahne
Auf das Himmelsdach hinauf,
Und die Erde deines Gaues,
Uns zum Ruhme allzumal,
Tragen morgen auf dem Scheitel
Wir in's Auferstehungsthal.
Giess' Hafis, dein Wangenwassser
Nicht vor jedes Nied'ren Thor:
Tragen wir dem Herrn der Nöthen
Lieber uns're Nöthen vor!
24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[269] [271]24.

Auf! Und lasst uns von der Schenke Pforte
Die Eröffnung uns'rer Lust verlangen;
Lasst uns sitzen auf des Freundes Strasse,
Und verlangen das wornach wir bangen!
Auf dem Weg zum Heiligthum der Liebe
Mangelt uns das Zehrgeld für die Reise!
Lasst ein Zehrgeld von der Thür der Schenke
Uns verlangen nach der Bettler Weise!
Zwar in stetem Laufe ist begriffen
Uns're ganz mit Blut befleckte Zähre:
Doch verlangen wir dass sich ein Bote,
Den an Ihn wir senden, rein bewähre.
Nach dem Wohlschmack deines Kummermaales
Mögen fruchtlos uns're Herzen bangen,
Wenn vom herben Kummer deiner Liebe
Jemals wir Gerechtigkeit verlangen!
Deines Maales Pünktchen lässt sich nimmer
Auf des Blickes Zeichnerbrettchen malen,
Wenn dazu wir Tinte nicht verlangen
Von den Männchen die im Auge strahlen.
Fleht mein Herz dass um den Preis der Seele
Ihm dein Mund ein Küsschen nicht verweig're,
Spricht dein Mund, so süss wie Zucker lächelnd:
»Wir verlangen dass den Preis man steig're.«
Dass ein duft'ges Exemplar besitze
Dieses Herz, von schwarzem Gram befangen,
Wollten wir die holde schwarze Farbe
Von dem Moschus deines Flaum's verlangen.
Weil der Gram, den wir um dich erdulden,
Nur im frohen Herzen ist zu finden,
So verlangen Frohsinn wir, in Hoffnung
Gram um dich und Kummer zu empfinden.
Bis wie lang bist du, Hafis, gesonnen
Noch zu sitzen an der Schule Thüren?
Auf! Verlangen wir dass nun der Schenken
Off'ne Thüren uns zur Freude führen!
25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[271] [273]25.

Geht dein Traumgebild vorüber
An der Augen Rosenau'n,
Tritt das Herz an's Augenfenster
In der Absicht es zu schaun'n.
Komm, denn Perlen und Rubine
Streu' ich dir zu Füssen hin,
Schaffe aus des Herzens Schatze
Sie in's Augenmagazin.
Keinen Wohnort, deiner würdig,
Schau' ich rings in der Natur:
Ich nur bin's und dieses Auges
Heller Winkel ist es nur.
Als ich dich zuerst erblickte,
Sprach das Herz: »Wenn allenfalls
Unglück d'raus entsteht, so büsse
Für mein Blut des Auges Hals!«
Mich zerstören wollte Morgens
Meiner Thränen wilder Lauf:
Doch es hielt am Saum des Auges
Meines Herzens Blut ihn auf.
Weil ich deine Ankunft hoffte
Legt' ich, bis der Tag erschien,
Gestern Nachts des Auges Fackel
Auf die Bahn des Windes hin.
Habe Mitleid mit dem Harren
Jenes, der die ganze Nacht
Herzensblut durch's Augenfenster
Auf die Wange strömen macht!
Wenn du menschlich bist, so schiesse
Auf Hafis den Pfeil nicht ab;
Jenes Aug's das, herzdurchbohrend,
Manchem Mann den Tod schon gab!
26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[273] [275]26.

O froher Tag an dem ich scheide
Von diesem wüsten Wohngebäu',
Und, Seelenruhe nur verlangend,
Dem Seelenfreunde folge treu!
Wohl weiss ich es, den Fremdling führe
Sein Weg nach keinem Ruhort zwar;
Doch jenes wirren Haares Düfte
Folg' ich voll Hoffnung immerdar.
Dem Oste gleich, mit krankem Herzen,
Mit einem Leibe matt und schwach,
Folg' ich der wandelnden Zipresse
In luftiger Begierde nach.
Der düst're Kerker Alexander's
Erfüllt mein Herz mit Grauen schon;
D'rum reise ich, mein Bündel schnürend,
Bis in das Reich des Salomon.
Es kümmern nicht sich flinke Reiter
Um den der schwer beladen schleicht:
Kommt mir zu Hilfe, fromme Leute,
Auf dass ich wandle froh und leicht!
Wenn auf dem Haupte, gleich dem Rohre,
Ich wandeln muss auf Seiner Bahn,
So schreite ich mit wundem Herzen
Und thränenvollem Aug' heran,
Werd' ich einst frei von diesem Grame,
Thu' ich wie ich gelobt zuvor,
Und gehe, frohe Lieder singend,
Gerade bis zum Schenkenthor,
Und tanze, so wie Sonnenstäubchen,
In luft'ger Leidenschaft für Ihn,
Und wandle bis zum Quellenrande
Der strahlenreichen Sonne hin.
Führt mich die Strasse, gleich Hafisen,
Heraus nicht aus dem wüsten Ort,
So ziehe mit dem Heereslager
Des herrschenden Assāf's ich fort.
27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[275] [277]27.

In dem Schenkenraum der Maghen
Stellt sich Gottes Licht mir dar;
Sieh' dies Wunder, welch' ein Licht ist's,
Und wo werd' ich es gewahr?
Herr! Wer sind die Hefentrinker
Dieser Schenke, deren Thür
Eine Kibla aller Nöthen,
Ein Altar geschienen mir?
Liebe, Rausch und Spiel mit Schönen
Gleichen einem hohen Amt,
Und dem Wirken deiner Gnade
Dank' ich selbe insgesammt.
Krame nicht, o Pilgerkönig,
Deinen Hochmuth vor mir aus,
Denn du schau'st das Haus, ich aber
Schaue froh den Herrn im Haus.
Niemand hat von China's Düften
Und vom Moschus aus Chŏtēn
Das geseh'n was jeden Morgen
Ich vom Morgenwind geseh'n.
Um den Mittelpunkt der Einheit
Läuft, gleich fern, der Kreis herum,
Und ich schau' es ohne Frage
Um das Wie und das Warum.
Moschusdüfte will ich lösen
Von des Götzen Lockenhaar:
Doch zu fern liegt der Gedanke!
Irrthum nur werd' ich gewahr.
Herzensgluthen, Thränenströme,
Seufzer Morgens und bei Nacht
Seh' ich sämmtlich durch die Blicke
Deiner Huld hervorgebracht.
[277][279]
Der Gedanken Wege sperret
Stets dein Bild, dein holdes, mir:
Wem entdeck' ich was ich schaue
Hinter diesem Vorhang hier?
Freunde, scheltet nicht Hafisen
Weil er Augenspiele trieb:
Denn ich seh's, er ist von Jenen
Denen werth Ihr seid und lieb!
28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[279] [281]28.

Freunde, lasst die Zeit der Rosen
Uns der Lust und Freude weihen,
Lasst dem Wort des alten Wirthes
Uns das Ohr der Seele leihen!
Grossmuth wohnt nicht bei den Menschen,
Und da Freuden schnell vergehen,
Frommt's den Teppich zu verkaufen,
Und dafür Wein zu erstehen.
Wonnig wehen holde Lüfte;
Sende, Gott, uns einen Zarten,
Dass wir Rosenwein geniessen,
Schauend seiner Wange Garten!
In den Weg verdienten Leuten
Tritt des Himmels Orgelbauer:
D'rum, wie sollten wir nicht klagen,
Brausen nicht bei solcher Trauer?
Als die Rose sott, begossen
Wir sie nicht mit Weinesfluthen:
Darum sieden wir in Sehnsucht,
Und in der Entbehrung Gluthen.
Lasst vermeinten Wein uns trinken
Aus der Tulpe Glas! – Von hinnen,
Böse Blicke! denn wir kamen
Ohne Lied und Wein von Sinnen.
Wem, Hafis, kann man das Wunder
Jemals mitzutheilen wagen,
Dass wir Sprosser sei'n und schweigen
In der Rose Wonnetagen?
29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[281] [283]29.

Gestern Nachts lenkt' ich den Strom der Thränen
In des Schlummers Weg und hemmte ihn,
Und, des Flaum's gedenkend deiner Lippe,
Malt' auf Wasser ein Gemäld' ich hin;
Und, des Freundes Braue vor dem Blicke,
Und mit angebranntem Mönchsgewand,
Trank ich auf das Wohl der Altarnische
Einen Becher aus, der vor mir stand;
Und das Antlitz des Geliebten zeigte
Meinem Blicke sich im Strahlenlicht,
Und ich sandte Küsse aus der Ferne
Nach des Mondes hellem Angesicht;
Auf des Schenken Antlitz lag mein Auge,
An dem Klang der Harfe hing mein Ohr,
Und dem Auge sagt' ich und dem Ohre
Künftig noch ein gröss'res Glück bevor.
Deines Angesichtes Traumgemälde
Malt' ich Nachts bis hin zur Morgenzeit
Auf die Künstlerwerkstatt meines Auges,
Das sich leider nie des Schlaf's erfreut.
Bei den Worten dieses schönen Liedes
Griff der holde Schenke nach dem Glas;
Er begann dies Lied mir nachzusingen,
Und ich trank vom reinsten Rebennass;
Und ein jedes Vöglein der Gedanken,
Das vom Lustzweig aufgeflattert war.
Fing ich wieder, da ich sanft es lockte
Mit dem Saitenschwinger, deinem Haar.
Fröhlich ging Hafisen's Zeit vorüber,
Und ein wunscherfüllendes Geschick
Hab' ich d'rum den Freunden auch verkündet
In Bezug auf Leben und auf Glück.
30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[283] [285]30.

Gestern Abends sagte ich: »Der Sehnsucht
Ihn zu schauen will ich mich erwehren.«
»Wo sind Ketten? – sprach Er – den Verrückten
Will ich eines Anderen belehren.«
Seine Hochgestalt nannt' ich Zipresse;
Da im Zorne wandt' er sich von hinnen!
Wird mein Bild durch Wahrheit schon beleidigt,
Freunde, sagt, was soll ich dann beginnen?
Sprach ich Worte, die ich schlecht gewogen,
O mein Herzensräuber, so verzeihe!
Sei auch freundlich, dass ich dem Gemüthe
Das verlorne Gleichgewicht verleihe!
Jenem Zarten hab' ich es zu danken
Dass ich schuldlos an der Gelbsucht leide;
Schenke, gib ein Glas mir, dass ich wieder
Mein Gesicht in's Roth der Rose kleide!
Sage, Lüftchen, du von Leila's Stätte,
Ob's um Gotteswillen lang noch währe
Dass ich Fluren in des Oxus Fluthen,
Und in Trümmer Wohnungen verkehre?
Ich, der zu des Freundes Schönheitsschatze
Bin gelangt, dem unermesslich reichen,
Will in Zukunft zu Cărūnen machen
Hunderte von Bettlern die mir gleichen.
Mond, beglückter Herrscher, lass Hafisen,
Deinen Knecht, dir im Gedächtniss leben,
Dass für's Glück ich jener Reize bete
Die sich täglich strahlender erheben!
31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[285] [287]31.

Zum Meer mach' ich das Aug' und werfe
Auf's Feld hinaus den Duldermuth,
Und werfe unter solchem Treiben
Das Herz tief in die Meeresfluth.
Aus sündigem, beklemmten Herzen
Seufz' ich nur Einmal auf; allein
In Adam's und in Eva's Sünde
Werf' ich dadurch den Brand hinein.
Des Himmels Pfeil hab' ich empfunden;
Gib Wein mir, dass, vom Rausch entbrannt.
Ich einen Knoten möge schürzen
Hoch auf Orīŏn's Köcherband!
Den Bodensatz des Glases spritz' ich
Hinauf auf diesen Wanderthron
Und fülle diese blaue Kuppel
Mit einer Harfe Jubelton.
Man trifft des Herzensglückes Summe
Nur wo der Herzensräuber weilt;
Auch will ich keine Mühe sparen
Bis dass ich jenen Ort ereilt.
Mond mit der Sonnenhaube, löse
Doch deines Kleides Schleifenzier!
Ich werfe dann, gleich deinem Haare.
Das düst're Haupt zu Füssen dir.
Hafis, ein Irrthum und ein Fehler
Ist's, sich zu stützen auf die Zeit;
Warum verschieb' ich denn auf morgen
Die Wonne die das Heut' mir leiht?
32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[287] [289]32.

Deines Auges Krankheit raubte
Mir die Sinne gestern Nacht;
Doch die Anmuth deiner Lippe
Hat sie mir zurückgebracht.
Deinen Flaum, den moschusgleichen,
Liebe ich nicht erst seit heut:
Dieses Neumondglas berauschet
Mich bereits seit langer Zeit.
Meinen festen Sinn belob' ich,
Weil, bist du auch hart und rauh,
Doch mein Fuss nie müd' geworden
Aufzusuchen deinen Gau.
Hoffe nicht dass ich gesunde
Ich, der stets in Schenken weilt:
Zechern – sagt' ich – will ich dienen,
Bis der Tod mich einst ereilt.
Hundert Fährlichkeiten drohen
Jenseits auf der Liebe Bahn:
Sage nicht: »Mein Leben endet,
Und geborgen bin ich dann.«
Künftig kümmert mich kein Neider
Der mit Marter pfeilen naht:
Bin ich doch bei dem Geliebten
Der da Bogenbrauen hat.
Küsse auf dein Onixkästchen
Sind wohl nimmer mir verwehrt,
Denn die Lieb' und Treue liess ich,
Warst du hart auch, unversehrt.
Ein gar kriegerischer Götze
Plünderte mein Herz, und schwand;
Wehe, fasst des König's Gnade
Mich nicht hilfreich bei der Hand!
Bis zum Himmel hebt Hafisen's
Stufe der Gelehrtheit sich:
Doch der Gram den du mir schaffest,
Hoher Buchs! erniedrigt mich.
33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[289] [291]33.

All' mein Leiden kömmt vom Freunde,
Und so auch die Arzenei;
Und mein Herz ward ihm zum Opfer,
Wie es auch die Seele sei.
Das was schöner ist als Schönheit
Anmuth nennt man's insgemein –
Das besitzt mein Vielgeliebter,
Und auch jene nennt er sein;
Nur ein Abglanz seiner Wangen
Scheinen beide Welten mir:
Offen hab' ich's dir verkündet,
Sagte es auch heimlich dir.
Hinter'm Vorhang, theure Freunde,
Sagt ein Wörtchen Euch mein Mund:
Aber das was man gesprochen
Wird durch Weitersagen kund.
Jene trunkene Narcisse
Sie vergoss, ach, all' mein Blut,
Während jene wirre Locke
Grausam auch ein Gleiches thut.
Kein Vertrauen lässt sich fassen
Zu den Dingen dieser Welt;
Ja, auch mit dem Lauf des Himmels
Ist es Anders nicht bestellt.
Denk' an Jenen der da grausam
Meinem Blute stellend nach,
Kühn den Bund den er geschlossen
Und auch die Verträge brach.
Wie jetzt an ihr Ziel gekommen
Des Vereines frohe Nacht,
Schwinden auch die bösen Tage
Die die Trennung hat gebracht.
[291][293]
Seines Maales Bild, verspritzte
Schon gar oft mein Augenblut,
That es klar und unverhohlen,
Wie es auch es heimlich thut.
Keine Furcht kennt der Verliebte
Vor dem Richter. Bringe Wein!
Auch Verbote eines Herrschers
Schüchtern nimmermehr ihn ein.
Dass Hafis der Liebe fröhne
Ist dem Vogte wohlbekannt,
Ist es selbst auch dem Assāfe
In der Salomonen Land.
34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[293] [295]34.

In heimlichen Hause der Wonne
Da wohnet ein Götze, mir theuer,
Für dessen Gesicht ich und Locke
Ein Hufeisen halte in's Feuer.
Ich bin ein Verliebter, ein Zecher
Und trinke, wenn Lieder ertönen,
Und diese erhabenen Würden
Verdank' ich der Huri, der schönen;
Und glaubst du in diesem Bezuge
Mir fehl' es an Kopf und Verstande,
So bin ich des Morgens durch Seufzer
Das Haar dir zu kräuseln im Stande;
Und wenn in das Lusthaus der Zecher
Die Füsse du wünschest zu setzen,
So will ich mit zuck'rigen Liedern
Und lauterem Weine dich letzen;
Und seh' ich den Flaum des Geliebten
In grünlichem Farbenschein prangen,
So will ich mit blutigem Wasser
Mir färben die eigenen Wangen.
Doch bringe mir Pfeile der Wimpern
Und Panzer aus Lockengeflechten,
Denn mit dem verwundeten Herzen,
Dem leidenden, hab' ich zu fechten!
Hafis, weil der Gram und die Freude
Vergänglicher Art sind hienieden,
So ist es das Beste, ich wahre
Mir in dem Gemüthe den Frieden.
35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[295] [297]35.

Beschauung ward gestattet,
Umarmung auch und Kuss:
D'rob dank' ich meinem Glücke
Und auch dem Schicksalsschluss.
Geh', Frömmler; wenn der Glücksstern
Mein wahrer Glücksstern war,
Fasst meine Hand den Becher
Und auch des Holden Haar.
Ich tadle nicht das Zechen
Noch das Betrunkensein;
Schön ist des Götzen Lippe,
Doch auch der süsse Wein.
Herz! Frohe Kunde bring' ich:
Es lebt der Vogt nicht mehr;
Wein füllt die Welt, auch füllt sie
Ein trunk'nes Götzenheer;
Nun schaut kein böses Auge
Mich aus verstecktem Ort,
Fort ist der Widersacher,
Und auch die Thrän' ist fort.
Sich das Gemüth zu trüben
Ist nicht der Klugheit Brauch:
Begehr' ein Liederbüchlein,
Bring' eine Flasche auch!
Begiess' der Liebe Opfer
Mit Seiner Lippe Wein:
Der Staub wird dann rubinfarb
Auch moschusduftend sein.
Es lebet was da lebet
Durch Hoffnung nur auf dich:
D'rum wirf nun deinen Schatten,
O Sonne, auch auf mich!
[297][299]
Da deiner Schönheit Segen
Den Blumen Schimmer gab,
So regn' auch, Gnadenwolke,
Auf mich, den Staub, herab!
Du fingst zwar selbst den Klügsten:
Doch fürchte Gott! Nebstdem
Auch den Assāf, der rechtlich,
Und mächtig ist wie Dschem.
Ein Hort des Reich's und Glaubens,
Macht seine Herrscherhand
Das Meer zum Reichthumsschachte,
Zum Glückesschacht das Land.
Der Himmel, zur Erinn'rung
An seinen lichten Sinn,
Weiht Morgens ihm die Seele,
Streut Sterne auch auf ihn.
Mit Rechtsinn, deinem Schlägel,
Fängst du der Erde Ball,
Ja auch den weitgedehnten,
Den blauen Himmelswall.
Nach deinem raschen Willen
Bewegt sich auch behend
Auf seinem Mittelpunkte
Das hohe Firmament.
So lang der Zweck des Himmels
Und seines Kreisens Brauch
Die Jahr' und Monde wechselt,
Und Herbst und Frühling auch,
Fehl's deines Ruhm's Pallaste
An grossen Männern nicht,
Auch nicht an schlanken Schenken
Mit rosigem Gesicht!
Hafis, der viele Perlen
Zum Lob dir streute, stand
Beschämt und auch erröthend
Vor deiner Grossmuth Hand.
36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[299] [301]36.

Ich weihe mich dem Dienst der Schenke
Bereits seit langer Zeit,
Und handle wie ein Reicher handelt,
Gehüllt in's Armuthskleid.
Es sog der Wahrheit edle Düfte
Mein Prediger nicht ein;
Horch! In's Gesicht will ich's ihm sagen,
Doch kein Verläumder sein.
Das Repphuhn mit dem holden Gange
Im Liebesnetz zu fah'n,
Erwarte ich im Hinterhalte
Der günst'gen Stunde Nah'n,
Und eile, gleich dem Ost, zum Freunde
Hin über Stock und Stein,
Und Königskraut und Rose bitt' ich
Behilflich mir zu sein.
Ein Netz ist meines Liebling's Locke,
Sein Blick ein Unglückspfeil:
Vergiss nicht, Herz, was ich ermahnend
Hier spreche dir zum Heil.
Es trägt die Erde deines Gaues
Mich künftighin nicht mehr:
Hold warst du, Götze, mir; nun mach' ich
Die Bürde minder schwer.
Verhüll' das Aug' das Böses schauet,
Du, stets zur Huld bereit,
Bei dem was ich mit Frechheit übe
In stiller Einsamkeit!
Ich sollte – Gott bewahr's! – die Rechnung
Des jüngsten Tag's nicht scheu'n?
Das Loos will morgen ich befragen,
Doch heut' will ich mich freu'n.
[301][303]
Ein Amen ruft der Geist, der treue,
Der Gott zur Rechten steht,
Wenn für des Reich's und Volkes Kaiser
Ich flehe im Gebet.
O Fürst! Das Höchste zu erreichen
Hoff' ich nur aus dem Grund
Weil, o Erhab'ner, deine Schwelle
Zu küssen wünscht mein Mund.
Hafis benennt mich dieses Kränzchen,
Und Säufer jener Kreis;
Sieh wie ich durch ein freches Wesen
Das Volk zu täuschen weiss!
37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[303] [305]37.

Meine eig'ne Hand, die kurze,
Lastet schwer auf mir,
D'rum erröth' ich vor den schlanken
Hochgestalten hier.
Fasst kein Freund mit Kettenhaaren
Meine Hand, o dann
Heb' das Haupt ich in die Höhe
Wie ein toller Mann.
Frag' mein Auge, willst du wissen
Was der Himmel macht,
Denn des Nachts zähl' ich die Sterne
Bis der Tag erwacht.
Dankbar küsse ich des Bechers
Vollgefüllten Rand,
Denn mit des Geschickes Räthsel
Macht er mich bekannt.
Meinem eig'nen Arme bin ich
Minder dankbar nicht,
Weil zur Peinigung der Menschen
Mir's an Kraft gebricht.
Wenn ich für die Weinverkäufer
Fromme Wünsche sprach,
Komm' ich nur – was ist es weiter? –
Schuld'gem Danke nach.
Mich vom Boden aufzuheben
Bist du nicht gewillt,
Wenn mir auch statt jeder Thräne
Eine Perl' entquillt.
Trink' ich Blut auf diesem Felde,
O so schilt mich nicht!
Denn tatar'schen Moschusrehen
Geb' ich Unterricht.
Ein berauschtes Haupt besitz' ich,
Gleich Hafisen, zwar,
Doch auf jenes Hohen Gnade
Hoff' ich immerdar.
38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[305] [307]38.

Komm' ich abermals vorüber
An dem wüsten Maghenhaus
Spiel' ich den Ertrag der Kutte
Und des Teppich's eilends aus.
Klopf' ich mit der Reue Thorring,
Frömmlern ähnlich, heute an,
Wird vom Schenkenwächter morgen
Mir das Thor nicht aufgethan.
Wäre doch die Flügelfreiheit
Eines Falters mir verlieh'n!
Nur nach jener Wange Lichte
Eilte ich im Fluge hin.
Lässt du mich, der Harfe ähnlich,
Nicht im Schosse ruhen dir,
O so schmeichle, wie der Flöte,
Mit dem Hauch der Lippen mir!
Umgang selbst mit Huris meid' ich,
Denn ich fehlte wahrlich sehr
Hätte ich, bei deinem Bilde,
Noch mit Anderen Verkehr.
Keinem Menschen will ich klagen
Was mein blutend' Herz erfuhr,
Ist mein einziger Vertrauter
Deines Grames Schwert ja nur.
Das Geheimniss meiner Trauer
Hätte gern die Brust bewahrt;
Doch das nassbesäumte Auge
Hat es nun geoffenbart.
Aus des Staubes Käfich schwang' ich
In die Luft, wie Vögel, mich:
Hoffend dass der Königsfalke
Mich zur Beute mache sich.
Würde auf Hafisen's Leibe
Jedes Haar zum Haupt; fürwahr
Alle legt' ich dir zu Füssen,
Wie dein eig'nes Lockenhaar.
39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[307] [309]39.

Überlass die Locke nicht dem Winde
Weil du mich dem Wind' sonst überliessest;
Unternimm den Bau nicht des Gekoses,
Weil du meinen Bau sonst niederrissest.
Lass die Wange hell im Feuer glühen,
Und du machst auf Rosen mich vergessen;
Lass empor den schlanken Wuchs sich heben,
Und du machst mich frei von den Zipressen.
Suche nicht Berühmtheit in den Städten,
Denn du machst mich sonst durch Berge streichen;
Sei nicht spröde, wie Schĭrīn gewesen,
Denn du machst mich sonst Fěrhāden gleichen.
Trink' nicht Wein in Anderer Gesellschaft,
Denn sonst würde Herzblut mein Getränke;
Denke nicht an alle Stammgenossen,
Dass ich deiner künftighin gedenke.
Lass dein Haar sich nicht zu Ringen formen,
Dass du mich nicht anzuketten strebest;
Gib dem Antlitz nicht des Wassers Schimmer,
Dass du nicht dem Wind' mich übergebest.
Werde nicht zum Freunde Unbekannter,
Weil du sonst mich von mir selber scheidest;
Kümm're dich um And'rer Leiden nimmer,
Weil du sonst mir jede Lust verleidest.
Werde nicht zur Kerze jeden Saales,
Dass du mich nicht gar verbrenn'st am Ende;
Wende nicht das Haupt, dass meine Klage
Nicht empor ihr Haupt zum Himmel sende.
Habe Mitleid mit mir armem Manne,
Und erschein', wenn Hilfe ich verlange,
Dass mein lauter Hilferuf nicht etwa
Bis zum Thürstaub des Ăssāf's gelange!
Sei nicht immer grausam, wie der Himmel,
Denn du tödtest sicher sonst Hafisen:
Füge dich, dass mir die Gunst der Sterne
Das verleih' was sich als Recht erwiesen.
40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[309] [311]40.

Wie mach' ich es möglich, o Götze,
Den Gram deiner Liebe zu tragen,
Und soll ich den Gram wohl noch länger
Ergiessen in nächtlichen Klagen?
Mein Herz, wie von Diwen besessen,
Ist, ach, durch kein Mittel zu retten,
Es sei denn ich machte zur Stelle
Dein lockiges Haar ihm zu Ketten.
Das Ganze der eig'nen Verwirrung,
Mit der deines Haares verbunden,
Im Einzelnen treu zu beschreiben
Hat Niemand noch möglich gefunden;
Und wollte ich, was ich gelitten
Seitdem du mich grausam verlassen,
Dir schildern – vergebliche Mühe! –
Kein Buch wär' im Stand' es zu fassen;
Und wenn ich die eigene Seele
Begierig zu schauen verlange,
So mal' ich mir treu vor die Blicke
Das Bild deiner lieblichen Wange;
Und wüsst' ich das Mittel gelänge
Dich mir zu vereinen in Liebe,
Verspielt' ich das Herz und den Glauben,
Wobei ich im Vortheil noch bliebe.
O Prediger, bleib' mir vom Leibe,
Und sprich nicht vergebens, gleich Thoren!
Denn Jener nicht bin ich der wieder
Den Lügen verschliesset die Ohren.
Die Hoffnung, Hafis, ist entschwunden
Der bösen Gewalt zu entrinnen;
So hat es das Schicksal beschlossen:
Was kann ich dagegen ersinnen?
41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[311] [313]41.

Wird das Haar dir zu berühren
Nochmals meiner Hand erlaubt,
Schlage ich mit deinem Schlägel
Manches ballengleiche Haupt.
Als mein langes Leben hab' ich
Stets dein Lockenhaar erkannt:
Doch von diesem langen Leben
Liegt kein Haar in meiner Hand.
Gibt den Machtbefehl der Ruhe
Heute Nacht, o Kerze, mir,
Denn im Herzensfeuer schmilz' ich,
Einer Kerze gleich, vor dir!
Übergeb' ich einst, gleich Flaschen,
Laut auflachend, meinen Geist,
Sollen Jene für mich beten
Die man deine Trunknen heisst.
Ein Gebet von mir, Beflecktem,
Kann kein wahrhaft frommes sein;
Darum schmelze ich und brenne
Tret' ich in die Schenke ein.
Lässt in Tempeln und in Schenken
Sich dein Wahngebilde schau'n,
Mach' ich zu Altar und Zither
Deine beiden Augenbrau'n.
Wenn einst Nachts mir deine Wange
Meine Einsamkeit erhellt,
Hebt mein Haupt sich, wie der Morgen,
Hoch empor in alle Welt.
Löblich wird auf diesem Wege
Meinem Thun ein End' gemacht,
Wenn die Liebe zu Ăjāsen
Mich um meinen Kopf gebracht.
Wem, Hafis, soll ich des Herzens
Gram vertrau'n, da heut zu Tag
Mir als innigster Vertrauter
Nur der Becher taugen mag?
42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[313] [315]42.

Jahrelang folgt' ich dem Pfade
Zechender Gesellen hier,
Bis ich, auf's Fětwā der Weisheit,
Eingekerkert die Begier.
Nach Ăncā's entfernter Stätte
Ging ich nicht auf eig'nes Glück:
Mit des weisen König's Vogel
Legt' ich diese Bahn zurück.
Sich enthalten, sich berauschen
Hängt nicht von uns Beiden ab:
Ich gehorchte dem Befehle
Den der ew'ge Fürst mir gab.
Durch die ew'ge Gnade hoff' ich
Einzugeh'n in's Paradies,
Wenn ich auch als Schenkenpförtner
Mich gar häufig brauchen liess.
Wenn ich alter Mann genossen
Joseph's theurer Gegenwart,
War's, weil ich im Trauerstübchen
So geduldig ausgeharrt.
Schatz der Wünsche! Deinen Schatten
Wirf auf's Herz, das wunde, mir,
Denn dies Haus hab' ich verwüstet
In der Leidenschaft zu dir.
Schenkenlippen nicht zu küssen
Nahm ich mir gar reuig vor:
Nun zerbeiss' ich mir die Lippe
Weil ich Thoren lieh mein Ohr.
Suche nur bei Gegensätzen
Die Frfüllung; denn, fürwahr,
Sammlung des Gemüthes fand ich
Nur durch jenes wirre Haar.
[315][317]
Sitz' ich auf des Lieder-Diwan's
Ehrenplatz, was wundert's dich?
Diente doch durch viele Jahre
Einem Herrn des Diwan's ich.
Lass den ersten Strahl dich wecken,
Suchend, wie Hafis, das Heil:
Denn an Allem was ich wirkte
Hat das Glück des Coran's Theil.
Am gewölbten Himmelsaltar
Fühlet kein Hafis die Lust
Die ich, durch das Glück des Coran's,
Zu erwerben mir gewusst.
43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[317] [319]43.

Erhitzt ist mir der Kopf vom Weine,
Und laut tönt meiner Stimme Schall:
»Den Hauch, der Leben mir verleihet,
Den fordr' ich nur von dem Pocal!«
Es setzt der finst're Trotz des Frömmlers
Auf kein berauschtes Antlitz sich:
Ein Kuttenjünger nur der Zecher,
Der immer frohen, bleibe ich.
Erschliesst mir freundlich nicht die Pforte
Des alten Wirthes güt'ger Sinn,
An welche Pforte soll ich pochen,
Wo wend' ich mich um Beistand hin?
Wirf mir nicht vor, dass ich von selber
Auf dieser Wiese spross empor:
Denn nur wie man mich nährt und pfleget,
Nur eben so spriess' ich hervor.
Erblicke hier kein Haus der Andacht,
Und keine Schenkenstube dort:
Denn Gott mag selber es bezeugen:
Ich bin bei ihm an jedem Ort.
Es ist der Wegstaub des Verlangens
Die Alchymie der Seligkeit;
Dem Glücke jener Ambraerde
Hab' ich zum Sclaven mich geweiht.
Von Lust nach eines schlanken Schönen
Berauschender Narciss' entbrannt,
Lieg' ich, den Becher in den Händen,
Wie Tulpen an des Baches Rand.
Als Schwindelkopf ward ich zum Mährchen:
Es zogen mich des Freundes Brau'n
In ihren zartgeschweiften Schlägel,
Und als ein Ball bin ich zu schau'n.
Bring' Wein, denn auf's Fětwā Hafisen's
Wasch' ich vom reinen Herzen flugs,
Durch des Pocales reichen Segen
Den Staub mir ab des Gleissnertrug's.
44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[319] [321]44.

Komm, Ssofi, lass vom Leib uns ziehen
Das Mönchsgewand der Gleissnerei;
Lass, als unbrauchbar, uns durchstreichen
Dies schnöde Bild der Heuchelei!
Wir geben das Gelübd' des Klosters
Und seine Spenden hin für Wein,
Und tauchen in der Schenke Wasser
Den Mantel des Betruges ein.
Berauscht geh'n wir hinaus und tragen
Von uns'res Gegners Tafelschmaus
Den Wein als Beute fort, und schleppen
Den Liebling an das Thor hinaus;
Und dem Geheimniss des Geschickes,
Das nie aus seiner Hülle bricht,
Dem ziehen wir in uns'rem Rausche
Den Schleier von dem Angesicht.
Lass uns ein edles Werk vollbringen,
Weil sonst uns Schande überfällt
Wenn wir, mit dem Gepäck der Seele,
Einst wandern in die and're Welt;
Und räumet morgen man nicht willig
Die Gartenflur Rĭswān's uns ein,
Zieh'n wir die Knaben aus den Sälen,
Die Huris aus dem Himmelshain.
Wo winkt uns freundlich Seine Braue?
Dem Neumond ähnlich, wollen wir
Den Ball des Firmaments berühren
Mit eines Schlägels gold'ner Zier.
Hafis! Auf solche Art zu prahlen
Steht uns fürwahr gar übel an:
Was strecken wir die Füsse weiter
Als uns're Decke reichen kann?
45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[321] [323]45.

Durch Lebensfrist schon schreit' ich rüstig
Voll Sehnsucht täglich durch das Land,
Und poch' an eines Edlen Pforte
Beständig mit des Fürspruch's Hand.
Fern meinem Mond, der Liebe wecket,
Soll mir kein Tag vorüberzieh'n:
D'rum stell' ein Netz ich auf die Strasse
Und setz' in's Netz ein Vöglein hin.
Weil des Cypressenbaumes Schatten
Ich Hoffnung nähre zu erspäh'n,
Richt' ich der Liebe Ruf an Jeden
Den holden Gang's ich nah'n geseh'n.
Ich weiss, die Trauer nimmt ein Ende
Und die Geschichte färbt sich bunt
Durch's Ach, das täglich Früh und Abends
So blutig steigt aus meinem Mund.
Ěwrēnk und Gūltschehrē, wo weilt Ihr?
Wo ist der Treu' und Liebe Bild?
Jetzt bin nur ich's der in der Liebe
Als Muster der Vollendung gilt.
Zwar weiss ich, jener Trost des Herzens
Weist meinen Herzenswunsch zurück,
Und dennoch mal' ich Wahngebilde
Und loose auf beständ'ges Glück!
Und hab' ich auch mich selbst verloren,
Verschwörend, wie Hafis, den Wein,
So trink' ich manchmal doch ein Gläschen
In einem geistigen Verein.
46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[323] [325]46.

Der Festtag erschien, und d'rum lasse
Ich heute den Plan in mir reifen,
Des Fastenmond's Werke zu opfern,
Und nach dem Pocale zu greifen.
Schon leb' ich durch mehrere Tage
Von Wein und von Bechern geschieden;
Doch brachte mir viele Beschämung
Der Umstand, dass ich sie gemieden.
Das Leben in einsamer Stille
Vermag ich nicht länger zu tragen,
Und sollte der Frömmler der Zelle
Den Fuss auch in Ketten mir schlagen.
Der Pred'ger der Stadt zwar ertheilet
Mir väterlich heilsame Lehren;
Ich aber bin Keiner von Jenen
Die Jemand noch könnte bekehren!
Wo weilt wer dem Thorstaub der Schenke
Die Seele zum Opfer gegeben?
Ich lege diess Haupt ihm zu Füssen
Und nehme vor ihm mir das Leben.
Wein trink' ich und hab' auf die Schulter
Der Gottesfurcht Teppich gehangen;
Doch weh, wenn das Volk je erführe
Ich sei nur in Lügen befangen.
»Hafis – sagt das Volk – o bedenke
Das was ein Betagter dir sagte!«
Nein; heut ist ein Wein mir, ein alter,
Viel lieber als hundert Betagte.
47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[325] [327]47.

Liebesspiele, jugendliche Reize,
Wein, an Farbe dem Rubine gleichend,
Traute Kränzchen, gleichgesinnte Zecher,
Eine Trinklust, nie ihr Ziel erreichend;
Holde Schenken mit dem Zuckermunde,
Frohe Sänger, süss zu sprechen wissend,
Tischgenossen redlichen Gemüthes,
Laut're Freunde, guten Ruf's geniessend;
Ein Geliebter der durch Mild' und Reinheit
Selbst den Lebensquell zum Neid bewegte,
Und ein Herzensräuber dessen Schönheit
Selbst des Vollmond's Eifersucht erregte;
Ein Gelag das jedes Herz erfreuet,
Wie ein Köschk im hohen Paradiese,
Rings umhegt von einer Rosenlaube,
Wie des Heilgebäudes Gartenwiese;
Eine Reihe gutgesinnter Gäste,
Feine Männer auf den Ehrenplätzen,
Freunde die Geheimes treu bewahren,
Zechgesellen die die Freunde schätzen;
Wein, so roth wie Rosen, kräftig, bitter,
Und verdaut mit Leichtigkeit und Schnelle,
Dem, als Kost, sich der Rubin des Holden,
Und der Onix der da schwätzt geselle;
Schenkenwimpern die die Schwerter zücken,
Und zur Beute die Vernunft verlangen,
Schöne Locken die als Netze dienen
Um die Herzen schlau darin zu fangen;
Ein gar feiner, launiger Geselle
Wie Hafis, der süsse Lieder singet,
Und ein Edler der verzeihen lehret
Wie Kăwām, des Geistesfackeln schwinget;
Wer sich solchen Umgang nicht verlanget,
Dessen Lust soll sich in Leid verkehren;
Wer nach solchem Hochgenuss nicht strebet,
Dessen Leben soll nicht länger währen!
48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[327] [329]48.

Vor den Staub den deine Füsse treten
Legt' ich hundertmal das Antlitz hin,
Hielt mich stets in gänzlicher Entfernung
Von des Volkes heuchlerischem Sinn.
Allen Ruhm der tugendhaften Ahnen,
Der hinauf durch viele Jahre reicht,
Weihte ich dem Glase und dem Schenken,
Dessen Antlitz einem Monde gleicht;
Und der Schule Bogengang und Kuppel,
Und was streitend Weisheit dort bespricht,
Weihte ich den Freuden dieses Lebens
Und des Lieblings Rosenangesicht;
Und ich legte keine schwere Bürde
Auf ein Herz das baar an Kräften war,
Und ich knüpfte das Gepäck des Lebens
Jederzeit nur an ein einz'ges Haar;
Und des Heiles Königreich bezwang ich
Nimmermehr durch einen Kriegerschwarm,
Und den Grund zum Herrschaftsthrone legt' ich
Nimmermehr durch einen starken Arm.
Jenem Paar bezaubernder Narcissen
Brachte willig ich die Seele dar,
Und das Herz auch legte ich mit Wonne
Hin vor jenes ind'sche Sünbülhaar.
Welch' ein Spiel treibt wohl des Freundes Auge
Das die Macht der Zauberei besitzt,
So dass ich auf seines Blickes Zauber
Meines Lebens ganzen Bau gestützt;
Und, gelagert in der Hoffnung Ecke,
Jenen gleich, die nach dem Neumond schau'n,
Richtete ich des Verlangens Auge
Hin auf jene hold geschweiften Brau'n.
[329][331]
Fern von Seiner lieblichen Narcisse
Legte ich, mit schwermuthvollem Sinn,
Wie berauscht, mein Haupt, dem Veilchen ähnlich,
Auf die Spitze meines Kniees hin.
Nur Genuss, Hafis, sei dein Bestreben
Denn die Barschaft »Einsicht und Verstand«
Für den Freund mit kettengleicher Locke
Hinterlegte ich als Unterpfand.
Und du sprachst: »Hafis, an welchem Orte
Mag dein Herz, das irrende, nun sein?«
In die Ringe jener zarten Häkchen
Deiner Locken legt' ich es hinein.
49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[331] [333]49.

Ich lieb' einen reizenden Jungen
Der neu erst erblühte zum Leben,
Und flehte zu Gott im Gebete,
Die Lust dieses Gram's mir zu geben.
Ich liebe und zeche und äugle,
Und will es vor Niemand verschweigen;
D'rum wisse auch du es: mir seien
So zahlreiche Tugenden eigen.
Mir treibt die besudelte Kutte
Die Röthe der Scham auf die Wangen,
Indem ich durch hundertlei Künste
Die Kutte mit Lappen behangen.
Hoch brenne dein Licht, durch den Kummer
Den Er dir geschaffen, o Kerze!
Sieh, ich auch stand auf, mich umgürtend
Zu einem ganz ähnlichen Schmerze.
Bei solchem Erstaunen der Liebe
Ist aller Gewinn mir entronnen:
An Herz und an Seele verlor ich
Das was ich an Kummer gewonnen.
Ich will, wie Hafis, in die Schenke,
Zerschlitzten Gewand's, mich begeben:
Dann herzt mich vielleicht jener Holde
Der neu erst erblühte zum Leben.
50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[333] [335]50.

Für den Weltschmerz, dessen Grenzen
Ich stets weiter sehe weichen,
Seh' ich wohl kein and'res Mittel
Als den Wein, den erg'wangleichen.
Ich entsage nicht des Wirthes
Mir so freundlichem Verkehre,
Denn ich seh' in dieser Sache
Nichts was Nutzen mir gewähre.
Niemand gibt bei diesem Rausche
Mir nur Eines Schlückchens Labe;
Sieh, ich seh' hienieden Keinen
Der ein Herz im Busen habe.
Miss an des Pocales Sonne
Deiner Lebensfreuden Höhe,
Weil ich das Gestirn der Zeiten
Nicht beharrlich günstig sehe.
Für ein Herz zeugt nur die Liebe:
Halte dich an sie für immer;
In der Stadt bei uns'ren Scheïchen
Seh' ich dieses Zeichen nimmer.
Um das Härchen Seiner Mitte,
D'ran das Herz ich fest gebunden,
Frag' mich nicht: denn selber seh' ich
Aus der Mitte mich verschwunden.
Über die zwei nassen Augen
Ruf' ich tausend Male Wehe!
Weil ich, ach, trotz zweier Spiegel,
Sein Gesicht nicht deutlich sehe.
Seit dein schlanker Wuchs dem Bache
Meines Auges ward entrissen,
Seh', an der Cypresse Stelle,
Ich nur Wasserströme fliessen.
Mir genügt das Schiff Hafisens:
Denn auf keinem and'ren Meere
Seh' ich eine Redewaare
Die so herzerfreuend wäre.
51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[335] [337]51.

Ich sprech' es offen aus vor Allen,
Und was ich sprach macht mich zufrieden:
»Ich bin der Liebe Knecht; es fesselt
Kein Jenseits mich und kein Hienieden.«
Ein Vogel bin ich heil'ger Haine;
Erklär' ich dir der Trennung Bangen,
Und wie ich den Begebenheiten
In's aufgestellte Netz gegangen?
Ein König war ich und bewohnte
Erhab'ne Paradiesesauen;
Mich brachte Adam in dies Kloster,
Wo nur Ruinen sind zu schauen.
Doch Thuba's Schatten, holde Huris,
Und Teiche mit beblümtem Rande
Sind aus dem Sinne mir entschwunden
In Lust nach deinem Heimathlande.
Kein Astrolog hat noch ergründet
Ob mich mein Stern zum Glück erkoren;
Herr, unter welchem Sternenbilde
Hat Mutter Erde mich geboren?
Seit, Sclaven ähnlich, ich im Ohre
Der Liebesschenke Thorring trage,
Muss stets ein neuer Gram erscheinen
Der spottend: »Wohl bekomm' es!« sage.
Mein Herzblut trinkt das Augenmännchen,
Und das mit Recht, wird Jeder denken;
Musst' an der Männer Herzenswinkel
Ich selber denn das Herz verschenken?
Nur das Elīf des Freundeswuchses
Erscheint auf meines Herzens Blatte;
Was soll ich thun, da mich der Meister
Kein Zeichen sonst gelehret hatte?
Mit deiner Locke wisch' Hafisen
Die Thränen aus dem Angesichte,
Auf dass ihr Strom nicht unaufhaltsam
Den Lebensbau zu Grunde richte.
52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[337] [339]52.

Ein Fětwā des Wirth's besitz' ich,
Und ein Wort, ein altes, spricht:
»Dort nur ist der Wein verboten
Wo's an einem Freund gebricht.«
Ich zerreisse diesen Mantel,
Denn er hüllt nur Falschheit ein:
Umgang mit Nichtgleichgesinnten
Ist dem Geiste Höllenpein.
Dass mit Hefe mich besprenge
Des Geliebten Lippenpaar,
Weile ich am Schenkenthore
Schon durch manches lange Jahr.
Weil mein alter Dienst Ihm etwa
Schon aus der Erinn'rung schwand,
So erinn're, Morgenlüftchen,
Ihn an's alte Freundschaftsband!
Sollte, selbst nach hundert Jahren,
Meinen Staub dein Duft umweh'n,
Würde mein Gebein, mein morsches,
Tanzend wieder aufersteh'n.
Hundert Hoffnungen mir gebend
Stahl mein Herz der Herzensdieb:
Doch gewiss hält sein Versprechen
Wem ein edler Sinn verblieb.
Ängstige dich nicht! o Knospe,
Schmachtest du in Banden auch,
Denn dir werden Hilfe bringen
Morgenluft und Abendhauch.
Sorge auf ganz ander'n Wegen
Für dein Wohlergeh'n, o Herz,
Denn des Arztes Mittel heilen
Nimmer des Verliebten Schmerz.
[339][341]
Strebe nach des Wissens Perle:
Trägst nach Jenseits sie mit dir:
Doch mit Gold und Silber wurden
Andere betheiligt hier.
Unzerreissbar sind die Netze
Wenn's an Gottes Huld gebricht,
Denn den steinbeworf'nen Satan
Überwält'gen Menschen nicht.
Fehlt, Hafis, dir Gold und Silber,
Danke Gott für dein Geschick:
Rechtlichkeit und Sängergaben
Sind sie nicht das höchste Glück?
53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[341] [343]53.

Wenn ich als Diener auch
Des Kaisers mich bekunde,
So bin ich Kaiser doch
Im Reich der Morgenstunde.
Im Ärmel einen Schatz,
Den Beutel leer gelassen,
Bin ich das Wunderglas
Und bin der Staub der Strassen
Von Ruhe nüchtern zwar,
Allein von Hochmuth trunken,
Bin ich der Einheit Meer
Und bin in Schuld versunken;
Und lässt das Liebchen »Glück«
Den Blick hold auf mir hangen,
Bin ich, dem Monde gleich:
Der Spiegel seiner Wangen.
Bei'm König wachen Glück's
Bin ich durch alle Nächte
Als Wächter aufgestellt
Für seine Kronenrechte.
Sag' ihm: »Zu Nutze mög'st
Mein Streben du dir machen,
Denn ruhig schlummerst du,
Und meine Augen wachen.«
Mănssūr, der König, ist
Vom Orte unterrichtet
Nach dem ich das Gesicht
Des Strebens hingerichtet.
Aus Blut ein Leichentuch
Bestimme ich den Feinden;
Doch der Erob'rung Kleid
Bereite ich den Freunden.
[343][345]
Die Farbe des Betrug's
Befleckt nicht meine Wange:
Ich bin der rothe Leu
Und bin die schwarze Schlange.
Sprich: »Was Ihr ausgeborgt
Das gebt zurück Hafisen
Du selbst gestand'st es ja
Und ich, ich hab's bewiesen.
54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[345] [347]54.

Jenem, dessen Fuss mich grausam,
Gleich dem Strassenstaub zertrat,
Küsse ich den Staub, nicht ruhend
Bis sein Fuss verzieh'n mir hat.
Bin von Jenen nicht die klagen
Dass du hart sei'st: Gott bewahr'!
Bin ein treuer Knecht und Diener,
Glück dir wünschend immerdar.
An dein Lockenhäkchen knüpfte
Ich ein langes Hoffnungsband,
Und es möge ja mir nimmer,
Kürzen des Verlangens Hand!
Bin ein Stäubchen, dem die Stunden
Froh im Gau bei dir vergeh'n;
Doch mich wird, o Freund – so fürcht' ich –
Unverhofft der Wind verweh'n;
Bin ein Ssofi aus der Klause
Einer heil'gen Welt; allein
In dem Kloster nur der Wirthe
Kehr' ich gegenwärtig ein.
Morgens gab der Greis der Schenke
Mir das Glas das Welten weist,
Zeigend mir in jenem Spiegel
Wie du gar so reizend sei'st.
Auf! Mit mir, dem Strassenbettler,
Eile nach der Schenke hin,
Und dann sieh' wie hoch an Würde
Ich in jenem Kreise bin!
Trunken zögst du fort, der Sorge
Um Hafis gabst du nicht Raum
Ach, wenn um mein Ach ergriffe
Deiner holden Reize Saum!
Froh vernahm ich's als des Morgens
Der Monarch des Ostens sprach:
»Bin ich Kaiser auch, so dien' ich
Doch als Knecht dem Tūrănschāh.«
55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[347] [349]55.

Macht mich auch des Herzens Feuer
Einem Weinfass ähnlich gähren,
Muss ich doch, verschloss'nen Mundes,
Schweigend mich mit Blute nähren.
Wer des Liebling's Lippe wünschet,
Trachtet nach dem eig'nen Leben:
Sieh, mit aller Kraft der Seele
Richtet sich darauf mein Streben!
Wird vom Grame frei zu werden
Meinem Herzen je gelingen,
Wenn der Götzen Locken-Inder
Stets mein Ohr versieht mit Ringen?
Mein Bekleiden mit der Kutte
Soll nicht Frömmigkeit bedeuten;
Hundert gar geheime Fehler
Berg' ich d'runter vor den Leuten.
Ich, der nur den reinsten Inhalt
Einer Humpe will geniessen,
Könnte eines Wirthes Worten
Freventlich mein Ohr verschliessen?
Eig'ner Tugend zu misstrauen? –
Gott soll mich davor bewahren!
Nur dass ich zuweilen trinke
Mögt ihr als gewiss erfahren.
An dem Tage der Vergeltung
Hoffe ich, dass Gottes Gnade,
Trotz der Feinde, meine Schulter
Nicht mit Sünden überlade.
Für zwei Körner gab mein Vater
Eden's Glück und seine Ruhe;
Ungerathen will ich heissen,
Wenn ich nicht um Ein's es thue.
Wenn auf diese Art der Sänger
Einfällt in den Ton der Minne,
Raubet mir das Lied Hafisen's
Bei dem Reigentanz die Sinne.
56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[349] [351]56.

Wenn mich auch die Sorge quälet,
Dass die Gegner auf mich schmähen,
Werd' ich doch des Rausches Reize
Nie vor mir verschwinden sehen.
Schnöd ist selbst die Tugend Jener
Die im Zechen Schüler heissen;
Kann da ich, der Weltverruf'ne,
Frommer Werke mich befleissen?
Nenne mich Vernunftberaubten,
Einen König wirrer Köpfe:
Bin ich auf der ganzen Erde
Doch der grösste aller Tröpfe.
Mal' mit Herzblut mir ein Zeichen
Auf die Stirn, damit man wisse
Dass ich, ein bestimmtes Opfer,
Dir, o Ketzer, fallen müsse.
Traue mir; dann aber ziehe
Eilends fort, um Gotteswillen!
Wüsstest sonst dass diese Kleider
Einen Nicht-Děrwīsch verhüllen.
Eile, Wind, mein blutend' Liedchen
Einem Freunde vorzutragen
Der mir in die Seelenader
Wimpernflieten eingeschlagen.
Heb' den Saum auf vor dem Blute
Meines Herzens; du begreifest
Dass du selber dich besudelst
Wenn du an die Wunde streifest.
Hab' als Scheïch und hab' als Zecher
Nichts zu schaffen mit den Leuten:
Selbst bewahr' ich mein Geheimniss
Und begreife meine Zeiten.
57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[351] [353]57.

Geh' aus dieser Fremdlingsstätte
Ich zurück in's eigne Haus,
Geh' ich, wo ich hin auch gehe,
Künftig mit Bedacht nur aus.
Komme ich von dieser Reise
Glücklich in der Heimat Schoss,
Geh' ich, wie ich es gelobte,
Schnurstracks auf die Schenke los.
Um zu künden was die Wand'rung
Mir gebracht für einen Lohn.
Geh' ich an das Thor der Schenke
Mit Pocal und Barbiton.
Zwar der Liebesbahn Bekannte
Trinken stets mein Blut; allein,
Geh' ich klagend je zu Fremden,
Will ein schlechter Mann ich sein.
Nur des Liebling's Lockenkette
Fessle meine Hand; doch ach,
Geh' ich länger noch den Wünschen
Eines tollen Herzens nach?
Seh' ich Seine Braue wieder,
Hochgewölbt wie ein Altar,
Geh' ich hin und niedersinkend,
Bring' ich Dankgebete dar.
O des Glück's wenn, gleich Hafisen,
Ich dem Reichswesir vereint,
Trunken aus der Schenke gehe
In das Lusthaus mit dem Freund!
58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[353] [355]58.

Schürzte auch mir Seine Locke
Einen Knoten in mein Thun,
Hoff' ich doch, durch Seine Gnade,
Eine frohe Lösung nun.
Halte meiner Wangen Röthe
Für der Freude Zeichen nicht:
Denn, wie durch ein Glas, so schimmert
Herzblut mir durch's Angesicht.
Durch des Sängers Weisen werde
Aller Fassung ich beraubt;
Ach, mir ist in diese Weisen
Einzustimmen nicht erlaubt!
Vor das Heiligthum des Herzens
Stell' ich Nachts mich wachend hin,
Einlass in dies Zelt gewährend
Dem Gedanken nur an Ihn;
Und es schlief durch Seinen Zauber
Meines Glückes Auge ein;
Doch das Lüftchen, das mich gnädig
Wieder weckt, wo mag es sein?
Jener Zauberdichter bin ich,
Dem aus seinem Schreibe-Rohr,
Durch die Wundermacht des Wortes,
Zucker quillt und Kand hervor.
Ich betrat der Liebe Wüste,
Hoffend hundertfält'ges Glück;
Führer des verirrten Herzens,
Lass mich ja nicht hier zurück!
Niemals kann ich Ihn erblicken:
Gleich dem Winde eilt Er fort!
D'rum, wem sage ich, er sage
Meinem Freund ein holdes Wort?
»Alles trägt – so sprach Er gestern –
An Hafis der Falschheit Spur.«
Sprich, mit wem hab' ich zu schaffen
Als mit deinem Thürstaub nur?
59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[355] [357]59.

Ich liebe ein freundliches Antlitz
Und herzenanziehendes Haar;
Ein trunkenes Auge entzückt mich,
Auch Wein, ist er lauter und klar.
Du sagtest ich solle dir deuten
Das Räthsel vom ewigen Bund;
Erst wenn ich zwei Becher geleeret,
Da thu' ich es willig dir kund.
Wer Liebe empfindet, der leiste
Auf Rettung aus Flammen Verzicht;
Hoch rag' ich empor wie die Kerze:
D'rum schrecke durch Feuer mich nicht!
Ein Mensch bin ich, stammend aus Eden;
Allein ich besuchte die Welt,
Wo Liebe zu mondgleichen Jungen
Zur Stunde gefangen mich hält.
Gewährt mir das Glück seine Hilfe,
Und ziehe beim Freunde ich ein,
So fegen die Locken der Huris
Das Lager vom Staube mir rein.
Schĭrās ist ein Fundort der Reize,
Für Lippenrubine ein Schacht:
Dies kränkt mich, den Edelsteinhändler,
Der leider schon Bankbruch gemacht;
Und weil mir manch' trunkenes Auge
Gar oft in der Stadt hier erschien,
So bin ich berauscht, wenn in Wahrheit
Ich jetzt auch kein Trinker mehr bin.
Es ist diese Stadt von sechs Seiten
Erfüllt mit der Schönen Gekos,
Und sämmtliche Sechs wollt' ich kaufen,
Wär' leider nicht Armuth mein Loos.
[357] [359]Hafis, mein Gemüth hat, wie Bräute,
Im Glanze zu zeigen sich Lust;
Doch mangelt mir leider ein Spiegel:
D'rum fährt mir ein Ach aus der Brust.
Hafisen versetzt der Gedanke
An Thoren in flammende Gluth:
Wo weilet der Schenke? er giesse
Auf's Feuer mir kühlende Fluth!
60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[359] [361]60.

Ich erhebe Nachts die Hände
Im Gebete himmelwärts,
Um ein Mittel aufzufinden
Gegen Deiner Trennung Schmerz.
Schon erliegt das Herz, das kranke; –
Weggefährten, steht mir bei,
Dass ich einen Arzt ihm bringe
Und ihm reiche Arzenei!
Jenen der mich schuldlos kränkte,
Mit dem Schwerte schlug und floh,
Bringt mir heim, um Gotteswillen,
Dass ich wieder werde froh!
Bitte das Gemüth der Zecher,
O mein Herz, dir beizusteh'n,
Denn die Sache ist gar schwierig:
Fehler könnte ich begeh'n.
Lass mich auf der Bahn der Lüste,
Aus dem Götzenhaus der Brust
Seufzer, Pfeilen gleich, entsenden
Und geniessen Siegeslust!
Dürr schon ward der Freude Wurzel:
Doch wo ist der Schenke Bahn,
Dass ich dort durch Luft und Wasser
Wachse blühender heran?
Eines schwachen Vogels Schatten
Lässt kein grosses Werk gescheh'n:
Lasst mich denn um eines Huma
Glückbetheilten Schatten fleh'n!
Es entfloh mein Herz; wo aber
Kam Hafis, der Sänger, hin?
Lasst mich denn mit Instrumenten,
Wenn er singt, begleiten ihn!
61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[361] [363]61.

Von geliebten Freunden
Hofft' ich Freundschaft nur:
Doch im Wahn verfolgte
Ich die falsche Spur.
Ob der Baum der Freundschaft
Je wohl Früchte beut,
Jetzt, wo ich geschäftig
Samen ausgestreut?
Manches ward gesprochen;
Hat sich wer beklagt;
Auch dem Anstand habe
Niemals ich entsagt.
Viel zu schwätzen pflegen
Die Děrwīsche nicht:
Denn mit dir zu streiten
Würde sonst mir Pflicht.
Eine List des Krieges
Barg dein holder Blick,
Doch ich hielt ihn leider
Für des Friedens Glück.
Nicht von selbst gefällst du,
Schöner Rosenstrauch:
Ich ja übermachte
Dir des Segens Hauch.
»Warst, Hafis, es selber
Der das Herz mir gab;«
– Sprach Er – »Zöllner sandte
Ich an Niemand ab.«
62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[363] [365]62.

Sei gegrüsset, Vogel du des Glückes,
Du, der stets als Freudenbot' erscheint,
Sei willkommen! Welche Kunde bringst du,
Wohin willst du? Führt der Weg zum Freund?
Herr! Es leite diese Karawane
Deine Huld, die ewige, an's Ziel,
Weil durch sie das Liebchen glücklich wurde,
Und der Gegner in die Schlinge fiel.
Zwischen mir und zwischen dem Geliebten
Endet nie der zänkische Verkehr:
Denn was keinen Anfang hat genommen,
Das gelangt auch nie zum Ende mehr.
Weil des Holden Sonnargleiche Locke
Es gebieterisch von mir begehrt,
Nun so ziehe ruhig fort, o Meister:
Eine Kutte bleibt mir streng verwehrt.
Meinen Geist, den Vogel dessen Lieder
Man von Sidra's hohem Wipfel hört,
Hat das Körnchen deines Maales endlich
In das Netz gelockt und schlau bethört.
Allzu stolz geberdet sich die Rose:
Lass denn gnädig du die Wange schau'n!
Unschön ist die Haltung der Zipresse:
Schreite du denn zierlich durch die Au'n!
Meinem Auge, dem nur Blut entträufet,
Ist der Trost des Schlummers nicht gewährt:
Wen ein Schmerz, ein tödtender, befallen
Hat des Schlafes Wohlthat stets entbehrt.
Dass du meiner niemals dich erbarmest
Hab' ich Herzberaubter dir gesagt;
Auch behaupt' ich's, und die Zeit wird kommen,
Wo dich reut was du zu thun gewagt.
Wenn Hafis zu deinen holden Brauen
Hin sich neigt, so thut er wohl daran,
Denn es siedeln die beredten Männer
In dem Winkel sich des Altar's an.
63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[365] [367]63.

Wir sorglose, trunkene Männer,
Wir gaben das Herz aus der Hand;
Wir sind die Vertrauten der Liebe
Und geistig dem Weinglas verwandt.
Man schoss aus den Bogen des Tadels
Auf uns schon gar häufig und viel,
Seitdem durch des Seelenfreund's Braue
Wir glücklich getroffen das Ziel.
Das Brandmaal des Morgens, o Rose,
Du trägst's erst seit gestriger Nacht:
Wir aber, wir sind Anemonen,
Die mit auf die Welt es gebracht.
Gesetzt uns're Reue erweckte
Im Wirthe Betrübniss und Leid,
So heiss' ihn den Rebensaft klären:
Zum Widerruf sind wir bereit.
Durch dich nur wird Alles gefördert,
Ein Blick nur, o Führer, von dir,
Und unsere Ohnmacht zu allem
Erkennen, wie billig, dann wir.
Erblicke nicht stets wie an Tulpen
An uns nur Pocale und Wein;
Nein, blick' aufs Maal auch; wir brannten
Dem blutenden Herzen es ein!
Du sprachst: »All' die Farben und Bilder,
Hafis, was bedeuten sie dir?«
So lies doch nicht falsch und nicht irrig:
Ein Blatt, ein ganz reines, sind wir.
64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[367] [369]64.

Ziele mit dem Wimpernpfeile
Nimmer nach dem Herzen mir,
Denn vor deinem kranken Auge
Sehn' ich mich zu sterben hier.
Deiner Schönheit Summe reichet
Zur Vollendung schon hinan:
Gib denn mir davon den Zehent,
Mir, dem gar so armen Mann.
Jener Vogel, der sein Liedchen
Morgens und allabendlich
Von des Himmelsthrones Dache
Laut erschallen lässt, bin ich.
Fülle mir mit Wein den Becher,
Denn, da Liebe mich beglückt,
Bleibt mein Glück ein ewig junges,
Wenn mich auch das Alter drückt.
Meines Busens Räume füllten
Also mit dem Freunde sich,
Dass das Denken an mich selber
Mir aus dem Gemüthe wich.
Nur der Wein und nur der Sänger
Sei'n in Rechnung mir gebracht,
Wenn das Rohr des Schreiberengels
Sich zum Schreiben fertig macht;
Und in jenem Streit, wo Keiner
Freundlich um den Andern frägt,
Werde ich zu grossem Danke
Für des Wirthes Huld bewegt.
Wirst du wohl noch lang, o Frömmler
Mich bethören, wie ein Kind,
Dessen Köder Gartenäpfel
Oder Milch und Honig sind?
[369][371]
Mit den Weinverkäufern habe
Ich geschlossen den Vertrag
Mich nur an das Glas zu halten,
Nahet einst des Grames Tag.
O des frohen Augenblickes
Wo der Stolz des Rausches mir
Unabhängigkeit gewähret
Von dem König und Wesir!
Denn in meinem Busen bergen
Mannigfache Schätze sich,
Blicket auch der Widersacher
Mit Verachtung nur auf mich.
Abgewandt hat von Hafisen
Sich mein Herz in dem Moment
Wo zum Freund mir ward der Schenke,
Er, von dem mich nichts mehr trennt.
65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[371] [373]65.

Lieb' und Schöne meid' ich nimmer.
Nimmer auch den Weinpocal;
Hundertmal hab' ich's verschworen,
Nimmer thu' ich's abermal.
Thuba's Schatten, Hurisköschke
Und des Paradieses Reich
Stelle ich dem Staub im Gaue
Meines Freundes nimmer gleich.
Schon ein Wink genügt dem Manne
Dem's an Einsicht nicht gebricht,
Und verblümt hab' ich gesprochen
Und ich wiederhole nicht.
Zornig sagte mir der Alte:
»Geh' und lass die Liebe ruh'n!«
Es bedarf nicht erst des Streites,
Bruder, nimmer werd' ich's thun.
Mir genügt ja schon als Tugend
Dass mit Schönen in der Stadt
Auf der Kanzel liebzukosen
Stets mein Blick vermieden hat.
Wo der eig'ne Kopf mir stehe,
Weiss ich wahrlich selber kaum,
Bis ich nicht den Kopf erhebe
Mitten in der Schenke Raum.
Tadelnd sprach der Rathertheiler:
»Meide den verbot'nen Wein!«
Und ich sprach: »Nicht jedem Esel
Wünschte ich mein Ohr zu leih'n.«
Nur vernünftig sind die Dinge
Die der alte Wirth bespricht;
Doch du sagst Unmöglichkeiten
D'rum verzeih', dir glaub' ich nicht.
Des betagten Wirthes Schwelle
Ist, Hafis, ein sel'ger Ort.
Und den Staub an dieser Pforte
Werd' ich küssen immerfort.
66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[373] [375]66.

Ich gab den Unterricht des Morgens
Für Sehnsucht nach dem Weinhaus hin,
Und opferte dem Seelenfreunde
Der Andacht heiligen Gewinn.
Die Garbe hundert weiser Männer
Wird lichterloh in Brand gesetzt
Durch jenes Maal das ich, der Tolle,
Mir in das eig'ne Herz geätzt.
Der ew'ge Herrscher hat die Schätze
Des Liebesgrames mir beschert.
Seit den Ruinen dieses Hauses
Das Angesicht ich zugekehrt.
Nie wurde noch ein gröss'rer Heuchler
Bedeckt von einem Ordenskleid,
Dem ich als Grundbau unterlegte
Das Mienenspiel der Trunkenheit.
Ich öffne keiner Götzenliebe
Die Herzensbahn wie einst zuvor,
Denn Seiner Lippe Siegel legte
Ich nun an dieses Hauses Thor;
Und jenen Kuss, um dessentwillen
Der Frömmler mir gereicht die Hand,
Ich legte ihn mit reinem Sinne
Hin auf des Weinpocales Rand.
Gottlob, des Herzens und des Glaubens
War, wie ich selber, auch beraubt
Der Mann, an dessen Weisheitspflege
Und helle Einsicht ich geglaubt.
Dies Schiff, stets hin und her getrieben,
Wie fördert es den ferner'n Lauf?
Ich opferte ja meine Seele
Für diese selt'ne Perle auf.
Ich war, Hafisen gleich, zufrieden,
Erschienst du mir im Bilde nur;
O Herr, wie dürftig ist mein Streben
Und wie befremdender Natur!
67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[375] [377]67.

Auf des Auges Werkstatt malte
Dich mir hold die Phantasie,
Und von einem Bild, dir ähnlich,
Hört' ich nie und schaut' es nie.
Als ich Herr zu werden hoffte,
Sucht' ich deine Knechtschaft mir;
Als ich Lust zu herrschen fühlte,
Wählte ich den Dienst bei dir.
Mit dem Nordwind um die Wette
Dich verfolgend, kam ich doch
Bis zum Staube der Zipresse
Deines Wuchses nimmer noch.
An des Lebens Tag verzweifeln
Hiess mich deiner Locken Nacht,
Und dem Herzenswunsch entsagen
Deines Mundes Herrschermacht.
Nur dein schwarzes Auge klag' ich
Und den schönen Nacken an,
Wenn ich, gleich dem scheuen Rehe
Fliehen muss vor Jedermann.
Wie viel Tropfen schon entlockte
Mir dein Quell, so süss und rein,
Und wie täuschte dein Rubin mich,
Der da Handel treibt mit Wein!
Und wie viele Wimpernpfeile
Schoss'st du auf mein wundes Herz,
Und wie trug nach deinem Gaue
Ich so viele Lasten Schmerz!
Bringe mir vom Gau des Freundes
Nur ein Stäubchen, Morgenluft!
Hoffnung gab dem blut'gen Herzen
Immer jener Erde Duft.
[377][379]
Wie an Knospen glitt ein Lüftchen
Seines Gau's an mir vorbei,
Und des armen Herzens Hülle
Riss bei seinem Duft entzwei.
Bei dem Staube deiner Füsse
Und Hafisen's Augenlicht!
Ohne deine Wange strahlte
Meines Auges Fackel nicht.
68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[379] [381]68.

Ich kam ja nicht an diese Pforte
Auf dass ich Rang und Ruhm begehre:
Ich kam auf dass vor Missgeschicken
An diesem Ort ich sicher wäre.
Ich wandle nach dem Haus der Liebe,
Und fernher von des Nichtseins Strande
Kam ich den weiten Weg gegangen
Bis in des Daseins frohe Lande.
Ich sah den Flaum auf deiner Wange
Im frischen Grün, gleich einer Wiese.
Und kam, um dieses Kraut der Liebe
Zu holen, her vom Paradiese.
Mit einem solchen Schatz des Wissens,
Bewacht vom treuen Geist, dem Horte,
Kam ich, so dürftig wie ein Bettler.
Zu eines Königshauses Pforte.
Wo ist der Anker deiner Milde,
O Segensschiff, lass mich ihn finden!
Denn auf dies Meer der Gnade kam ich
Ganz eingetaucht in meine Sünden.
Der Glanz vergeht. O Wolke, tilge
Das Unrecht das ich mochte üben!
Ich kam ja, in das Buch der Thaten
Mit schwarzen Lettern eingeschrieben.
Hafis, befreie dich für immer
Von diesem wollenen Gewande:
Denn dieser Karawane folgend,
Kam ich mit einem Feuerbrande.
69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[381] [383]69.

Ich spreche Böses nicht, und neige
Mich nicht zur Ungerechtigkeit;
Ich schwärze keiner Menschen Wange,
Und bläue nicht das eig'ne Kleid.
Schlecht ist es, Arme oder Reiche
Mehr oder weniger zu schmäh'n,
Und das Gerathenste ist immer,
Nie böse Thaten zu begeh'n.
Ich schreite schön einher zu Fusse
In aller Wand'rer Angesicht,
Und kümm're mich um schwarze Pferde
Und um geschmückte Sättel nicht.
Ich schreibe in das Buch des Wissens
Nie eine falsche Stelle ein,
Und füge das Geheimniss Gottes
Nicht zu dem Blatt der Gaukelei'n.
Am Klügsten ist's, dass, wenn der Frömmler
Mir den Genuss des Weines wehrt.
Ich ihn mit keinem Weine ehre,
Der lauter ist und rein geklärt;
Und setzt der König ohne Achtung
Die Zecherhefe an den Mund,
So gebe ich in keinem Falle
Ihm Lauterkeit und Treue kund.
Den Schiffbruch der verdienten Männer
Begünstiget der Himmel sehr:
Am Klügsten ist, mich nicht zu stützen
Auf dieses aufgehang'ne Meer;
Und sprach ein Neider irgend Böses,
Und zürnet der Gefährte dann,
So sprich zu ihm: »Sei guten Muthes!
Wir hören keinen Dummen an.«
Hafis, hat sich der Feind geirret,
Lass mich darum ihn schelten nicht,
Und sprach er wahr, lass mich nicht streiten
Mit Einem der da Wahrheit spricht.
70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[383] [385]70.

Ich versprach dem Holden, dass, so lange
Seel' und Leib in mir vereinigt blieben,
Ich die Freunde seines theuren Gaues
Wie die eig'ne Seele würde lieben.
Freuden, die ich einsam still geniesse,
Hat mir jenes Licht Tschĭgīl's gewähret;
Augenschimmer so wie Herzenshelle
Hat mir jener Mond Chŏtēns bescheret.
Da ich nun, nach Wunsch und Lust des Herzens,
Die ersehnte Einsamkeit errungen,
Acht' ich's nicht, wenn in des Haufens Mitte,
Mich verläumden böse Lästerzungen.
Wenn auf mich auch hundert Heere Schöner
Hinterlistig einen Angriff wagen,
Preis' ich Gott; mir wurde ja ein Götze
Der im Stand ist jedes Heer zu schlagen.
Neider! Schliess' heut Nacht um Gotteswillen
Deine Augen nur für Eine Stunde,
Denn zu sprechen hab' ich hundert Worte
Insgeheim mit Seinem stummen Munde.
Wenn ich Seines Glückes Rosengarten
Froh durchwandle, dann, Gottlob, vermisse
Ich die Tulpe und die weisse Rose
Und das zarte Blatt nicht der Narcisse.
Kluger Greis, du darfst mir nicht verwehren
In der Schenke fürder einzusprechen,
Denn mein Herz, entsagt' ich dem Pocale,
Würde schmählich die Verträge brechen.
Wein besitz' ich, den man leicht verdauet,
Einen Freund, der einem Bilde gleichet;
Traun, kein Sterblicher ist im Besitze
Eines Freund's, der an den Meinen reichet!
[385][387]
Ein Zipressenbaum schmückt meine Wohnung,
Und in seines hohen Wuchses Schatten
Kann des Hain's Zipresse ich entbehren
Und des Buchses auf den grünen Matten.
Mir gebührt's, durch Sein Rubinensiegel,
Eine Macht wie Salomon zu üben:
Im Besitz des allergrössten Namens
Kann kein Ahriman die Lust mir trüben.
Zwar berüchtigt ist Hafis als Zecher,
Er, der mässig pflegte sonst zu leben;
Doch was fürcht' ich? Ward mir ja hienieden
Ein Ěmīněddīn Hăssān gegeben.
71.70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[387] [389]71.

Wer bin ich denn, dass deine Seele,
Die duftende, mich nicht vergisst?
Du Gnädiger, du, dessen Thürstaub
Die Krone meines Hauptes ist!
Wer lehrte dich dem Diener schmeicheln?
O sag' es, Herzensräuber du!
Ich traue ähnliche Gefühle
Den Nebenbuhlern nimmer zu.
Lass deine Huld, o heil'ger Vogel,
Mich freundlich leiten auf der Bahn!
Lang ist der Weg; ich aber trete
Die allererste Reise an.
O Morgenlüftchen überbringe
Den Ausdruck Ihm der Dienstbarkeit!
Er möge meiner nicht vergessen
In dem Gebet der Morgenzeit.
Des frohen Tag's, an dem ich endlich
Von diesem Orte scheiden kann,
Und mich die Weggefährten fragen
Ob deinem Gaue schon wir nah'n!
O wolle mir die Pfade zeigen
Nach deiner trauten Einsamkeit,
Auf dass ich Wein nur mit dir trinke,
Und nimmer trinke Erdenleid!
Erhaben ist der Dichtkunst Würde,
Und sie besiegt das Erdenrund:
Es fülle d'rum des Meeres Kaiser
Mit hellen Perlen mir den Mund!
Willst du der Liebe Perle fischen,
Hafis, so habe auch den Muth
Das Aug' zum Thränenmeer zu machen,
Und dann zu tauchen in die Fluth.
72.71.70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[389] [391]72.

Du blick'st auf mich, und meine Leiden
Vermehr'st du augenblicklich mir.
Ich blick' auf dich, und augenblicklich
Vermehrt sich meine Lust nach dir.
Du frägst nicht nach, wie es mir gehe?
Was hast du denn im Sinne? sprich!
Du müh'st dich nicht um meine Heilung:
Wie? weisst du denn nicht leidend mich?
Ist's Recht, mich in den Staub zu schleudern?
Und dann vorbei zu geh'n an mir?
O komm' und frage wie's mir gehe!
Dann werde ich zum Wegstaub dir.
Ich lasse deinen Saum nicht fahren
Als nur im Grabe, und auch dann
Hängt – kömmst am Grabe du vorüber –
Mein Staub sich deinem Saume an.
Dein Liebesgram hemmt mir den Athem:
Sprich, bis wie lang bethörst du mich?
Du liessest mich zu Grunde gehen
Und sagest nicht: »Erhole dich
Ich forderte von deiner Locke
Zur Nachtzeit einst mein Herz zurück,
Da sah ich dein Gesicht, und schlürfte
Aus deines Mundes Glas das Glück;
Flugs zog ich dich an meinen Busen:
Da kräuselte sich hold dein Haar,
Und, meine Lippe an der deinen,
Bracht' ich dir Herz und Seele dar;
Und als du auf die grünen Felder
Lustwandeln gingest ohne mich,
Da löste eine rothe Thräne
Von meiner gelben Wange sich.
Sei du nur freundlich mit Hafisen,
Mag dann der Feind erblassen auch:
Wenn nur bei dir ich Wärme finde,
Was liegt am kalten Feindeshauch?
73.72.71.70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[391] [393]73.

Bin nicht der Zecher der's vermöchte
Dem Wein und Schönen zu entsagen;
Auch weiss der Vogt dass ich wohl nimmer
Solch' eine Handlung würde wagen.
Ich, der so lang auf Jene schmähte
Die es verschworen Wein zu trinken,
Ich wäre toll, verschwör' ich selber
Den Wein zur Zeit wo Rosen winken.
Die Liebe gleicht dem Perlenkorne: –
Ich tauche d'rum in's Meer der Schenke;
Wo wird das Haupt zum Vorschein kommen,
Das Haupt, das ich darein versenke?
Ich, der ich einen Schatz besitze
An Perlen- und Rubinenthränen,
Ich sollte mich nach Segensspenden
Der hochgestirnten Sonne sehnen?
Ich, der, als Bettler, Schätze habe
Die eines Herrschers würdig wären,
Ich sollte auf den Himmel hoffen
Der nur Gemeine pflegt zu nähren?
Narcissen zechen, Tulpen bechern!
Und mich, mich will man Wüstling nennen?
Ich hab', o Herr, der Händel viele:
Wen soll als Richter ich erkennen?
»Sei fromm!« sprichst du zur Zeit der Rosen;
»Von ganzem Herzen« würd' ich sagen,
Müsst' ich nicht erst um ihre Meinung
Die Schönen und den Becher fragen.
Wenn Freundesgnade die Verliebten
Zur Feuerqual verdammen sollte,
Soll ich erblinden, wenn mein Auge
Nach Himmelsquellen spähen wollte;
[393][395]
Und würd' ich plötzlich eine Weide,
Und leer wie sie, die Früchtelose!
Wie sollt' ich dann das Haupt erheben
Aus Scham vor dem Gesicht der Rose!
Und wusch das Sammelbuch der Rose
Der Morgenwind im Gnadenthaue,
So soll mein Herz ein falsches heissen:
Wenn ich auf Bücherblätter schaue.
Zwar mich befleckt der Staub der Armuth;
Doch müsst' ich vor mir selbst erröthen,
Hätt' ich, um mir den Saum zu netzen,
Das Nass des Sonnenquell's vonnöthen;
Und weil Vertrag und Bund des Himmels
Nicht die gehoffte Achtung finden,
Schliess' ich mit dem Pocal Verträge,
Und will mich mit dem Glas verbinden.
Den Zaum ein wenig angehalten,
Mein Türke, Aufruhr du der Städte,
Dass Wangengold und Thränenperlen
Ich auf die Reisebahn dir bette!
Ein Minnespiel, nach Art der Zecher,
Kann meinem Handeln jetzt nicht frommen:
Doch sollt' ich – einmal d'rein verfallen –
Auf andere Gedanken kommen?
Aus dem Rubin – so sprach man gestern –
Strömt Kandel dir; allein bedenke
Dass, bis mein Mund ihn nicht verkostet,
Ich jenem Wort nicht Glauben schenke.
Die Altarnische deiner Braue
Begehr' ich von der Gunst der Sterne,
Damit ich dort so Früh als Abends
Die Wissenschaft der Liebe lerne.
Ich, der des wahren Paradieses
Schon heute freudig kann geniessen,
Ich sollte einem Pred'ger glauben
Der mir's erst morgen will erschliessen?
Ein Sclav' bin ich Mănssūr's, des König's,
Doch dürfte es ganz nahe liegen,
Dass ich des Ostens lichten König
Durch Kraft vermöge zu besiegen.
[395][397]
Gescherzt hat gestern mit Hafisen
Dein Mundrubin; allein bedenke
Ich sei es nicht der solchen Mährchen
Von seiner Seite Glauben schenke.
Zur Zeit der Rosen Tugend üben?
– Sei klug Hafis – welch ein Beginnen!
Ein »Zu dir flücht' ich« will ich beten,
Und eines Ander'n mich besinnen.
74.73.72.71.70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[397] [399]74.

Wo weilt die frohe Kunde deiner Liebe,
Dass ich beseligt ihr entgegen ziehe
Und, als ein Vogel heiliger Gefilde,
Dem Netze dieser Erdenwelt entfliehe?
Bei deiner Liebe sei es hier geschworen!
Willst du als deinen Diener mich erkennen,
So will ich freudig dem Gelüst entsagen
Gebieter mich von Zeit und Raum zu nennen.
Dass du den Regen deiner Leitungswolke
Herab mir sendest, Herr, ist meine Bitte,
Eh der Moment erscheint wo ich, als Stäubchen
Empor mich schwinge aus der Menschen Mitte.
Nie ohne Wein und nie auch ohne Sänger
Verfüge auf mein Grab dich zum Besuche,
Auf dass ich mich, bei deinem süssen Dufte,
Zum Tanz erhebe aus dem Leichentuche.
Bin ich gleich alt, so magst du doch nicht minder
Mich einmal Nachts mit Innigkeit umfangen,
Auf dass ich jung mich deinem Arm entwinde
Wenn in der Früh die Sonne aufgegangen.
Erhebe dich, lass deinen Wuchs mich schauen,
O Götze du von lieblicher Geberde,
Auf dass, Hafisen ähnlich, ich entsage
Der eig'nen Seele und der Lust der Erde!
75.74.73.72.71.70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[399] [401]75.

Beginn' ich beim Abendgebete
Der Fremdlinge weinend zu stöhnen,
Erzähl' ich gar selt'ne Geschichten
In fremden und klagenden Tönen;
Und weine, des Freund's in der Heimath
Gedenkend, so stark, dass auf Erden
Der Brauch und die Sitte des Reisens
Durch mich zur Unmöglichkeit werden.
Ich bin ja dem Lande des Freundes,
Nicht fremdem Gebiete, entsprossen:
D'rum sende, allmächt'ger Beschützer,
Mich wieder zu meinen Genossen!
Beim einigen Gotte beschwör' ich
Dich, Führer, mir Hilfe zu bringen,
Um wieder im Gaue der Schenke
Die Fahne der Freude zu schwingen!
Wie könnte der rechnende Scharfsinn
Mich unter die Greise versetzen?
Ich spiele ja Spiele der Liebe
Mit einem noch kindischen Götzen.
Mich kennt nur der Ost und der Nordwind,
Und sonst kennt mich Niemand hienieden:
Mein Theurer, denn ausser dem Winde
Ward, ach, mir kein Trauter beschieden!
Die Luft in der Wohnung des Freundes
Ist Wasser, das Leben mir spendet:
O bringe mir, Ostwind, ein Düftchen
Schĭrăsischer Erde entwendet!
Die Thräne erschien, um die Schande
Mir offen in's Antlitz zu sagen:
Ein Hausfreund war's, der mich verrathen:
Wen soll ich nun diesfalls verklagen?
Die Harfe Sŏhrē's liess am Morgen
– Ich hört' es – die Worte erklingen:
»Ich bin aus der Schule Hafisens,
Der lieblich kann sprechen und singen.«
76.75.74.73.72.71.70.69.68.67.66.65.64.63.62.61.60.59.58.57.56.55.54.53.52.51.50.49.48.47.46.45.44.43.42.41.40.39.38.37.36.35.34.33.32.31.30.29.28.27.26.25.24.23.22.21.20.19.18.17.16.15.14.13.12.11.10.9.8.7.6.5.4.3.2.1.Zweiter BandDiwan des HafezLyrikḤāfeẓ, Šams o'd-din MoḥammadDer Buchstabe Mim

[401] [403]76.

Obgleich ich alt geworden bin
Und herzenskrank und schwach,
So ward ich doch stets wieder jung
Sobald ich von dir sprach.
Gottlob, dass noch ein jedes Ding
Das ich von Gott begehrt,
Wenn ernstlich ich darnach gestrebt,
Mir immer ward gewährt!
Am Heerweg ew'gen Glückes stieg
Ich auf des Glückes Thron,
Und, wie die Freunde es gewünscht,
Mit einem Weinglas schon.
Geniesse, junger Rosenbaum,
Des Glückes Frucht, denn ich
Erhob zur Nachtigall der Welt
In deinem Schatten mich!
Bekannt war von der Welt mir einst
Kein Buchstab' und kein Laut:
In deines Grames Schule erst
Ward ich damit vertraut;
Und seit dein Schelmenblick mich traf,
Seit jener frohen Zeit,
Ward ich von jeder Schelmerei
Der künft'gen Zeit befreit.
Seit jenem Tag erschloss sich mir
Des Sinnes hohes Thor,
An dem des Wirthes Wohnhaus ich
Zum Aufenthalt erkor.
Das Schicksal weiset unbedingt
Mich an die Schenke an,
So sehr dagegen und dafür
Ich auch bisher gethan.
[403][405]
Mich macht' nicht Jahr und Monat alt,
Der falsche Freund allein
Der, gleich dem Leben, mir entflieht,
Gab mir des Alters Schein.
Die Huld des Herrn gab gestern Nacht
Die frohe Kunde mir:
Hafis, bereue! für der Schuld
Vergebung bürg' ich dir.
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[405] [407]77.

Welche Verwirrung wohl ist's die im Laufe des Mondes ich sehe?
Voll ist von Tücke – ich seh's – so auch von Bosheit die Welt.
Mit den Müttern im Krieg und im Streite sind immer die Töchter,
Und den Vätern – ich seh's – wollen die Söhne nicht wohl.
Dumme nur trinken sich voll mit Sorbet aus Rosen und Zucker
Und die Weisen – ich seh's – nähren mit Herzblut sich nur.
Der arabische Zelter ward unter dem Sattel verwundet,
Und der Esel – ich seh's – trägt einen Halsring aus Gold.
Meister! Vernimm nun den Rath Hafisen's: »Geh' hin und thu' Gutes!«
Ist dieser Rath doch – ich seh's – mehr als ein Perlenschatz werth.