Als ich von Livland aus zu Schiffe ging

5. Juni 1769.


Sieh, Freund, da fliehn sie hin im Ungewitter,
Die Freunde meiner Jugend! Sie,
[271]
Die liebekühn uns bis zur Grenze folgten
Des alten Oceans.
Am Himmel traten vor des Vaters Antlitz
Die Sterne, Abendstern und Mond!
Er segnet' sie hinweg. Da rief zum Meer uns
Der wehnde Himmelssohn.
Da schied der letzte Kuß. An's Oceanes
Wildwehndem, unabsehbarn Reich,
In reger Lust, im Angesicht des Himmels
Der treuste letzte Kuß,
Der je geschieden ward! Und ach! nie rascher,
So bebend furchtbar schwankender
Hinweggeschieden! Hier an zweer Schiffe
Aufbebend fliehndem Rand –
Ein Ungewitter riß ihn! Ahnungsdonner –
Wie? ahnetest Du ewig ihn,
Den Kuß der Trennung? soll er nimmer werden
Der Kuß des Kommenden?
Zu ihren Hütten kommend! – Zu den Hütten
Der Noth und Freude, wo sie jetzt
Hinkehren – blicken noch vom schwanken Boote
Mit Thränen nach uns her,
Mit Thränen nach uns her! und senden Boten,
Der Freundschaft Seufzer, uns nur weg,
Nur weg zu flügeln! Sieh! da ist ihr Boot nur
Schon Wolke – nur ein Punkt,
Ein schwarzer Punkt im Meer. O Freund, wie Alles,
Einst Alles, Alles uns wird sein
Ein schwarzer Punkt im Meer! Verlorne Freunde
Und Freud' und Lebenszeit
Im Ungewitter abgerissen! Schone,
Du wilder Sohn des Himmels, Du!
Du kehrst mit ihnen eine Welt voll edler
Verlorner Freund' hinab!
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Sie waren edel, waren meiner Jugend
Der schönste Theil! die Lebenszeit
Der Freude! waren mir wie jene Fluren,
Die ich genoß und sang!
Genoß und sang! Dort fliehn sie, Freund' und Fluren,
Genossen und verloren mir,
Wie Lenz', ach! nimmer, nimmer wiederkehrend,
Freund, wie uns einst die Welt! –
Denn sieh, dort sinkt der Himmel, dessen Kindern,
Dem holden West- und Abendroth
Und ihrer holdren Schwester Morgenröthe,
Wir dort um Gunst gebuhlt.
Sieh noch den Himmel, Mann! er wird schon Wolke,
Senkt scheidend schon sein Angesicht
In trüben Meeressaum. Seh' ich Dich wieder,
Du scheidend Himmelszelt?
Seh' ich Dich wieder? Ach, da wall' ich Fremdling
Auf offnem, weiten Meere nun!
Geh', wie ich zu ihm kam! So höre, Himmel,
Des Fremdlings Scheidewort!
Hör es, das dort wie Opferwolke dämmert,
Mein zweites, holdres Vaterland,
Du, dem den Fremdling Ungefähr und Leichtsinn
Warf in den Mutterschooß!
Dein Mutterschooß empfing den Fremdling sanfter
Als sein verjochtes Vaterland!
Ihn sanfter als die eignen Halbgebornen!
Und liebtest mütterlich,
Gabst mütterlich dem Fremdling Wunsch und Hoffnung,
Arbeit und Muse, Freud' und Brod
Und Neidessporn, ihn anzuglühn! und gabst ihm
Der Freunde warmes Herz,
Der Freunde Herz, aus deren Bundesarmen
Ich mich dort bitter weinend rang.
Für Alles! Alles! segnet Dich der Fremdling! –
Mehr sagen kann er nicht!
Und wallet hin auf Meer und Tod! – Ach, Alles!
Wenn, Freund, dem sterbeletzten Blick
[273]
Einst alle Welt, wie jener Mutterhimmel,
In Wolke niedersinkt –
Mit Freund- und Freuden! Hab' und Ruhm und Leben!
Wo, Pilger, wo dann schweben wir
In Wüsten wilden Meers? – hin übern Spiegel
Des Abgrunds? – übern Rand
Der Schöpfungsstätte? Du, wie lange wallen
Wir, Pilger! in der Einöd' dann?
Wo uns kein irrer Vogel singet, keine
Verschlagne Nachtigall! – –
Nicht zweifle, Freund! Sieh, über uns hängt Himmel!
Auch dann hängt Himmel über Dir,
Wenn Alles rückbleibt! Hoffnung nicht! Ich trete
Aufs schwarze Todesschiff
Mit Hoffnung. Zittre, Charon, nicht! Du fährest,
O Charon, einen Göttersohn!
Ein Menschenwesen! – Mehr als Teucer führt uns!
Da ruft schon Stimme: »Land!«

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