Gotthold Ephraim Lessing
Abhandlungen
von dem weinerlichen oder
rührenden Lustspiele

[12] Neuerungen machen, kann sowohl der Charakter eines großen Geistes, als eines kleinen sein. Jener verläßt das alte, weil es unzulänglich, oder gar falsch ist; dieser, weil es alt ist. Was bei jenem die Einsicht veranlaßt, veranlaßt bei diesem der Ekel. Das Genie will mehr tun als sein Vorgänger; der Affe des Genies nur etwas anders.

Beide lassen sich nicht immer auf den ersten Blick von einander unterscheiden. Bald macht die flatterhafte Liebe zu Veränderungen, daß man aus Gefälligkeit diesen für jenes gelten läßt; und bald die hartnäckige Pedanterei, daß man, voll unwissenden Stolzes, jenes zu diesem erniedriget. Genaue Beurteilung muß mit der lautersten Unparteilichkeit verbunden sein, wenn der aufgeworfene Kunstrichter weder aus wollüstiger Nachsicht, noch aus neidischem Eigendünkel fehlen soll.

Diese allgemeine Betrachtung findet hier ganz natürlich ihren Platz, da ich von den Neuerungen reden will, welche zu unsern Zeiten in der Dramatischen Dichtkunst sind gemacht worden. Weder das Lustspiel, noch das Trauerspiel, ist davon verschont geblieben. Das erstere hat man um einige Staffeln erhöhet, und das andre um einige herabgesetzt. Dort glaubte man, daß die Welt lange genug in dem Lustspiele gelacht und abgeschmackte Laster ausgezischt habe; man kam also auf den Einfall, die Welt endlich einmal auch darinne weinen und an stillen Tugenden ein edles Vergnügen [12] finden zu lassen. Hier hielt man es für unbillig, daß nur Regenten und hohe Standespersonen in uns Schrecken und Mitleiden erwecken sollten; man suchte sich also aus dem Mittelstande Helden, und schnallte ihnen den tragischen Stiefel an, in dem man sie sonst, nur ihn lächerlich zu machen, gesehen hatte.

Die erste Veränderung brachte dasjenige hervor, was seine Anhänger das rührende Lustspiel, und seine Widersacher das weinerliche nennen.

Aus der zweiten Veränderung entstand das bürgerliche Trauerspiel.

Jene ist von den Franzosen und diese von den Engländern gemacht worden. Ich wollte fast sagen, daß sie beide aus dem besondern Naturelle dieser Völker entsprungen zu sein scheinen. Der Franzose ist ein Geschöpf, das immer größer scheinen will, als es ist. Der Engländer ist ein anders, welches alles große zu sich hernieder ziehen will. Dem einen ward es verdrüßlich, sich immer auf der lächerlichen Seite vorgestellt zu sehen; ein heimlicher Ehrgeiz trieb ihn, seines gleichen aus einem edeln Gesichtspunkte zu zeigen. Dem andern war es ärgerlich, gekrönten Häuptern viel voraus zu lassen; er glaubte bei sich zu fühlen, daß gewaltsame Leidenschaften und erhabne Ge danken nicht mehr für sie, als für einen aus seinen Mitteln wären.

Dieses ist vielleicht nur ein leerer Gedanke; aber genug, daß es doch wenigstens ein Gedanke ist. – – Ich will für diesesmal nur die erste Veränderung zu dem Gegenstande meiner Betrachtungen machen, und die Beurteilung der zweiten auf einen andern Ort sparen.

Ich habe schon gesagt, daß man ihr einen doppelten Namen beilegt, welchen ich auch so gar in der Überschrift gebraucht habe, um mich nicht durch die bloße Anwendung des einen, so schlecht weg gegen den Begriff des andern zu erklären. Das weinerliche Lustspiel ist die Benennung derjenigen, welche wider diese neue Gattung eingenommen sind. Ich glaube, ob schon nicht hier, sondern anderwärts, das Wort weinerlich, um das Französische larmoyant auszudrücken, am ersten gebraucht zu haben. Und ich wüßte es[13] noch jetzt nicht besser zu übersetzen, wenn anders der spöttische Nebenbegriff, den man damit hat verbinden wollen, nicht verloren gehen sollte. Man sieht dieses an der zweiten Benennung, wo ihre Verteidiger ihre Rechnung dabei gefunden haben, ihn gänzlich wegzulassen. Ein rührendes Lustspiel läßt uns an ein sehr schönes Werk denken, da ein weinerliches, ich weiß nicht was für ein kleines Ungeheuer zu versprechen scheinet.

Aus diesen verschiedenen Benennungen ist genugsam, glaub ich, zu schließen, daß die Sache selbst eine doppelte Seite haben müsse, wo man ihr bald zu viel, und bald zu wenig tun könne. Sie muß eine gute Seite haben, sonst würden sich nicht so viel schöne und scharfsinnige Geister für sie erklären: sie muß aber auch eine schlechte haben, sonst würden sich andre, die eben so schön und scharfsinnig sind, ihr nicht widersetzen.

Wie kann man also wohl sichrer hierbei gehen, als daß man jeden von diesen Teilen höret, um sich alsdann entweder auf den einen, oder auf den andern zu schlagen, oder auch, wenn man lieber will, einen Mittelweg zu wählen, auf welchem sie sich gewissermaßen beide vereinigen lassen? Zum guten Glücke finde ich, so wohl hier als da, zwei Sprecher, an deren Geschicklichkeit es wahrhaftig nicht liegt, wenn sie nicht beide Recht haben.

Der eine ist ein Franzose und der andre ein Deutscher. Jener verdammt diese neue Gattung, und dieser verteidiget sie; so wahr ist es, daß die wenigsten Erfindungen, an dem Orte, wo sie gemacht werden, den meisten Schutz und die meiste Unterstützung finden.

Der Franzose ist ein Mitglied der Akademie von Rochelle, dessen Name sich mit den Buchstaben M. D. C. anfängt. Er hat Betrachtungen über das weinerlich Komische geschrieben, welche bereits im Jahr 1749 auf fünf Bogen in klein Oktav herausgekommen sind. Hier ist der völlige Titel: Reflexions sur le Comique-larmoyant, par Mr. M. D. C. Trésorier de France et Conseiller au Presidial, de l'Academie de la Rochelle; adressées à M. M. Arcere et Thylorier de la même Academie.

[14] Der Deutsche ist der Hr. Prof. Gellert, welcher im Jahr 1751 bei dem Antritte seiner Professur, durch eine lateinische Abhandlung pro Comoedia commovente, zu der feierlichen Antrittsrede einlud. Sie ist in Quart, auf drei Bogen gedruckt.

Die Regel, daß man das, was bereits getan ist, nicht noch einmal tun solle, wenn man nicht gewiß wüßte, daß man es besser tun werde, scheint mir so billig, als bequem. Sie allein würde mich daher entschuldigen, daß ich jetzt gleich beide Aufsätze meinem Leser übersetzt vorlegen will, wenn dieses Verfahren eine Entschuldigung brauchte.

Mit der Abhandlung des Franzosen, die man also zuerst lesen wird, bin ich ein wenig französisch verfahren, und beinahe wäre ich noch französischer damit umgegangen. Sie ist, wie man gesehen hat, an zwei Nebenmitglieder der Akademie zu Rochelle gerichtet; und ich habe es für gut befunden, diese Anrede durchgängig zu verändern. Sie hat verschiedene Noten, die nicht viel sagen wollen; ich habe also die armseligsten weggelassen, und beinahe hätten sie dieses Schicksal alle gehabt. Sie hat ferner eine Einleitung von sechs Seiten, und auch dies habe ich nicht übersetzt, weil ich glaube, daß sie zu vermissen ist. Beinahe hätte ich sogar den Anfang der Abhandlung selbst übergangen, wo uns mit wenigen die ganze Geschichte der Dramatischen Dichtkunst, nach dem Pater Brumoi, erzählt wird. Doch weil der Verfasser versichert, daß er diese Schritte zurück notwendig habe tun müssen, um desto sichrer und mit desto mehr Kräften auf seinen eigentlichen Gegenstand losgehen zu können, so habe ich alles gelassen wie es ist. Seine Schreibart übrigens schmeckt ein wenig nach derkostbaren Art, die auch keine Kleinigkeit ohne Wendung sagen will. Ich habe sie größten Teils müssen beibehalten, und man wird mich entschuldigen.

Ohne weitre Vorrede endlich zur Abhandlung selbst zu kommen; hier ist sie!

[15]

Betrachtungen über das weinerlich Komische

Betrachtungen über das weinerlich Komische,
aus dem Französischen des Herrn M. D. C.

»Die Schaubühne der Griechen«, das unsterbliche Werk des Pater Brumoi, lehret uns, daß die Komödie, nachdem sie ihre bretterne Gerüste verlassen, ihr Augenmerk auf den Unterricht der Bürger, in Ansehung der politischen Angelegenheiten der Regierung, gerichtet habe. In dem ersten Alter der Bühne griff man vielmehr die Personen, als die Laster an, und gebrauchte lieber die Waffen der Satyre, als die Züge des Lächerlichen. Damals waren der Weltweise, der Redner, die Obrigkeit, der Feldherr, die Götter selbst, den allerblutigsten Spöttereien ausgesetzt; und alles, ohne Unterscheid, ward das Opfer einer Freiheit, die keine Grenzen kannte.

Die erstern Gesetze schränkten diese unbändige Frechheit der Dichter einigermaßen ein. Sie durften sich nicht erkühnen irgend eine Person zu nennen; allein sie fanden gar bald das Geheimnis, sich dieses Zwangs wegen schadlos zu halten. Aristophanes und seine Zeitgenossen schilderten unter geborgten Namen, vollkommen gleichende Charaktere; so daß sie das Vergnügen hatten, so wohl ihrer Eigenliebe, als der Bosheit der Zuschauer, auf eine feinre Art ein Gnüge zu tun.

Das dritte Alter der Atheniensischen Bühne war unendlich weniger frech. Menander, welcher das Muster derselben ward, verlegte die Szene an einen eingebildeten Ort, welcher mit dem, wo die Vorstellung geschah, nichts mehr gemein hatte. Die Personen waren gleichfalls Geschöpfe der Erfindung, und wie die Begebenheiten erdichtet. Neue Gesetze, welche weit strenger als die erstern waren, erlaubten dieser neuen Art von Komödie nicht das geringste von dem zu behalten, was sie etwa den ersten Dichtern konnte abgeborgt haben.

Das Lateinische Theater machte in der Art des Menanders keine Veränderung, sondern begnügte sich, ihr mehr oder weniger knechtisch nachzuahmen, nach dem das Genie seiner Verfasser beschaffen war. Plautus, welcher eine vortreffliche Gabe zu scherzen hatte, entwarf alle seine Schilderungen von der Seite des Lächerlichen, und wäre weit lieber ein Nacheiferer des Aristophanes als des Menanders gewesen, wenn er es hätte wagen dürfen. Terenz war kälter, anständiger und regelmäßiger; seine Schilderungen hatten mehr Wahrheit, aber weniger Leben. Die Römer, sagt der Pater Rapin, glaubten in artiger Gesellschaft zu sein, wann sie den Lustspielen dieses Dichters beiwohnten; und seine Scherze sind, nach dem Urteile der Frau Dacier, von einer Leichtigkeit [16] und Bescheidenheit, die den Lustspieldichtern aller Jahrhunderte zum Muster dienen kann.

Die persönliche Satyre und das Lächerliche der Sitten machten also, die auf einander folgenden Kennzeichen der Gedichte von diesen verschiedenen Arten des Komischen, aus; und unter diesen Zügen einzig und allein suchten die Verfasser ihre Mitbürger zu bessern und zu ergötzen. Doch diese letztre Art, welche sich auf alle Stände erstrecken konnte, ward nicht so weit getrieben, als sie es wohl hätte sein können. Wir haben in der Tat kein Stück, weder im Griechischen noch im Lateinischen, dessen Gegenstand unmittelbar das Frauenzimmer sei. Aristophanes führt zwar oft genug Weibsbilder auf, allein nur immer als Nebenrollen, welche keinen Anteil an dem Lächerlichen haben; und auch alsdenn, wenn er ihnen die ersten Rollen gibt, wie zum Exempel in den »Rednerinnen«, fällt dennoch die Kritik auf die Mannspersonen zurück, welche den wahren Gegenstand seines Gedichts ausmachen.

Plautus und Terenz haben uns nichts als das schändliche und feile Leben der griechischen Buhlerinnen vorgestellt. Diese häßlichen Schilderungen können uns keinen richtigen Begriff von der häuslichen Aufführung des römischen Frauenzimmers machen; und unsre Neugierde wird beständig ein für die Kritik so weitläuftiges und fruchtbares Feld vermissen. Die Neuern, welche glücklicher (oder soll ich vielmehr sagen, verwegener?) waren, haben sich die Sitten des andern Geschlechts besser zu Nutze gemacht, und ihnen haben wir es zu danken, daß es nunmehr nicht anders, als auf gemeine Unkosten lachen kann.

Das Jahrhundert des Augustus, welches fast alle Arten zur Vollkommenheit brachte, ließ dem Jahrhunderte Ludewigs des XIV. die Ehre, die komische Dichtkunst bis dahin zu bringen. Da aber die Ausbreitung des Geschmacks nur allmählich geschieht, so haben wir vorher tausend Irrtümer erschöpfen müssen, ehe wir auf den bestimmten Punkt gelangt sind, auf welchen die Kunst eigentlich kommen muß. Als unbehutsame Nachahmer des Spanischen Genies, suchten unsre Väter in der Religion den Stoff zu ihren verwegenen Ergötzungen; ihre unüberlegte Andacht unterstand sich, die allerverehrungswürdigsten Geheimnisse zu spielen, und scheute sich nicht, eine ungeheure Vermischung von Frömmigkeit, Ausschweifungen und Possen auf die öffentlichen Bühnen zu bringen.

Hierauf bemächtigte sich, zufolge einer sehr widersinnigen Abwechselung, der Geschmack an verliebten Abenteuern unsrer Szene. Man sahe nichts als Romane, die aus einer Menge Liebshändel [17] zusammen gesetzt waren, sich auf derselben verwirren und zum Erstaunen entwickeln. Alle das Fabelhafte und Unglaubliche der irrenden Ritterschaft, die Zweikämpfe und Entführungen schlichen sich in unsre Lustspiele ein; das Herz ward dadurch gefährlich angegriffen, und die Frömmigkeit hatte Ursache darüber unwillig zu werden.

Endlich erschien Corneille, welcher dazu bestimmt war, die eine Szene sowohl, als die andre berühmt zu machen. Melite brachte eine neue Art von Komödie hervor; und dieses Stück welches uns jetzt so schwach und fehlerhaft scheint, stellte unsern erstaunten Voreltern Schönheiten dar, von welchen man ganz und gar nichts wußte.

Unterdessen muß man doch erst von dem Lügner die Epoche der guten Komödie rechnen. Der große Corneille, welcher den Stoff dazu aus einem spanischen Poeten zog, leistete damit dem französischen Theater den allerwichtigsten Dienst. Er eröffnete seinen Nachfolgern den Weg, durch einfache Verwicklungen zu gefallen, und lehrte die sinnreiche Art, sie unsern Sitten gemäß einzurichten.

Von dem Lügner muß man so gleich auf den Moliere kommen, um die französische Szene auf ihrer Staffel der Vollkommenheit zu finden. Diesem bewundernswürdigen Schriftsteller haben wir die siegenden Einfälle zu danken, welche unsere Lustspiele auf alle Europäische Bühnen gebracht haben, und uns einen so besondern Vorzug vor den Griechen und Römern geben.

Nunmehr sahe man alle Schönheiten der Kunst und des Genies in unsern Gedichten verbunden: eine vernünftige Ökonomie in der Einteilung der Fabel und dem Fortgange der Handlung; fein angebrachte Zwischenfälle, die Aufmerksamkeit des Zuschauers anzufeuren; ausgeführte Charaktere, die mit Nebenpersonen in eine sinnreiche Abstechung 1 gebracht waren, um den Originalen desto mehr Vorsprung zu geben. Die Laster des Herzens wurden der Gegenstand des hohen Komischen, welches dem Altertume und, vor Molieren, allen Völkern Europens unbekannt war, und eine neue erhabne Art ausmacht, deren Reize nach Maßgebung des Umfanges und der Zärtlichkeit der Gemüter empfunden werden. [18] Endlich so sahe man auch, in der von den Alten nachgeahmten Gattung, eine auf die Sitten und Handlungen des bürgerlichen und gemeinen Lebens sich beziehende Beurteilung; das Lustige und Spaßhafte wurde aus dem Innersten der Sache selbst genommen, und weniger durch die Worte als durch die wahrhaftig komischen Stellungen der Spiele ausgedrückt.

Bei Erblickung dieses edeln Fluges konnte man natürlicher Weise nicht anders denken, als daß die Komödie auf diesem Grade der Vortrefflichkeit, welchen sie endlich erlangt hatte, stehen bleiben, und daß man wenigstens alle Mühe anwenden würde, nicht aus der Art zu schlagen. Allein, wo sind die Gesetze, die Gewohnheiten, die Vergleiche, welche dem Eigensinne der Neuigkeit widerstehen, und den Geschmack dieser gebietrischen Göttin festsetzen könnten? Das Ansehen des Moliere, und noch mehr, die Empfindung des Wahren, nötigten zwar einigermaßen verschiedne von seinen Nachfolgern, in seine Fußtapfen zu treten, und lassen ihn auch noch jetzt berühmte Schüler finden. Doch der größte Teil unsrer Verfasser, und selbst diejenigen, welchen die Natur die meisten Gaben erteilet hat, glauben, daß sie ein so nützliches Muster verlassen können, und bestreben sich um die Wette, einen Namen zu erlangen, den sie, weder der Nachahmung der Alten noch der Neuern, zu danken hätten.

Ich will unter der Menge von Neuigkeiten, die sie auf unsre Szene gebracht haben, nichts von jenen besondern Komödien sagen, worinne man Wesen der Einbildung zur wirklichen Person gemacht und sie anstatt dieser gebraucht hat: es ist dieses ein feienmäßiger Geschmack, und nur die Oper hat das Recht sich ihn zuzueignen. Auch von jenen Komödien will ich nichts gedenken, worinne die spitzige Lebhaftigkeit des Gesprächs anstatt der Verwicklung und Handlung dienen muß; man hat sie für nichts als für feine Zergliederungen der Empfindungen des Herzens, und für ein Zusammengesetztes aus Einfällen und Strahlen der Einbildungskraft anzusehen, welches geschickter ist, einen Roman glänzend zu machen, als ein dramatisches Gedicht mit seinen wahren Zieraten auszuputzen. Ich will mich vorjezo bloß auf diejenige neue Gattung des Komischen einschränken, welcher der Abt Desfontaines den Zunamen der Weinerlichen gab, und für die man in der Tat schwerlich eine anständigere und gemäßere Benennung finden wird. 2

[19] Damit man mir aber nicht ein Unding zu bestreiten, Schuld geben könne, so muß ich hier die Maximen eines Apologisten der »Melanide«, 3 dieser mit Recht so berühmten Komödie, von welcher ich noch oft in der Folge zu reden Gelegenheit finden werde, einrücken. »Warum wollte man, sagt er, einem Verfasser verwehren, in eben demselben Werke das Feinste, was das Lustspiel hat, mit dem Rührendsten, was das Trauerspiel darbieten kann, zu verbinden. Es tadle diese Vermischung wer da will; ich, für mein Teil, bin sehr wohl damit zufrieden. Die Veränderungen sogar in den Ergötzungen lieben, ist der Geschmack der Natur – – – Man geht von einem Vergnügen zu dem andern über; bald lacht man, und bald weinet man. Diese Gattung von Schauspielen, wenn man will, ist neu; allein sie hat den Beifall der Vernunft und der Natur, das Ansehen des schönen Geschlechts und die Zufriedenheit des Publikums für sich.«

Von dieser Art sind die gefährlichen Maximen, gegen die ich mich zu setzen wage; denn man merke wohl, daß ich von einer aufrichtigen Bewunderung des Genies der Verfasser durchdrungen bin, und niemals etwas anders als den Geschmack ihrer Werke, oder vielmehr das weinerlich Komische überhaupt genommen, angreife. Ich habe mir beständig die Freiheit vorbehalten, den liebenswürdigen Dichtern tausend Lobsprüche zu erteilen, die uns durch sehr wirkliche Schönheiten der Ausführung, durch die Entdeckung verschiedner wahren und sich ausnehmenden Schilderungen und Charaktere, durch die blendende Neuigkeit ihrer Farbenmischung, oft dasjenige zu verbergen wußten, was an dem Wesentlichen ihrer Fabel etwa nichtig oder fehlerhaft sein konnte. Das Genie des Verfassers strahlet allezeit durch, und kann ihm, ohngeachtet der Fehler seines Werks, ein gerechtes Lob erwerben: allein die Fehler seines Werks strahlen gleichfalls durch, und können, Trotz den Bezaubrungen, die das Genie des Werkmeisters angebracht hat, mit Grund getadelt werden.

Nachdem ich also den hochachtungswürdigen Gaben der Künstler [20] in dieser neuen Gattung, Gerechtigkeit widerfahren lassen, so laßt uns ohne Furcht den Geschmack ihrer Stücke untersuchen, und gleich Anfangs sehen, ob ihnen das Altertum Beispiele darbiete, die sie uns zur Rechtfertigung ihrer Wahl entgegensetzen können.

Aus dem leichten Entwurfe, den wir eben jetzt betrachtet haben, ist es klar und deutlich, daß ihnen das griechische Theater keine Idee, die mit dem weinerlich Komischen analogisch wäre, geben konnte. Die Stücke des Aristophanes sind eigentlich fast nichts, als satyrische Gespräche; und aus den Fragmenten des Menanders erhellet, daß auch dieser Dichter bloß die Farben des Lächerlichen, oder derjenigen allgemeinen Kritik gebraucht habe, welche mehr den Witz erfreuet, als das Gemüte angreift.

Die Art und Weise des lateinischen Theaters ist eben so wenig für sie. 4 Es ist ganz und gar nicht die Weichmachung der Herzen, die Plautus zum Gegenstand seiner Lustspiele gewählt hat. Keine einzige von seinen Fabeln, kein einziger von seinen Zwischenfällen, kein einziger von seinen Charaktern ist dazu bestimmt, daß wir Tränen darüber vergießen sollen. Es ist wahr, daß man bei dem Terenz einige rührende Szenen findet; zum Exempel diejenigen, wo Pamphilus seine zärtliche Unruhe für die Glycerium, die er verführt hatte, ausdrückt: allein die Stellung eines jungen verliebten Menschen, der von der Ehre und von der Leidenschaft gleich stark getrieben wird, hat ganz und gar keine Ähnlichkeit mit den Stellungen unsrer neuen Originale. Terenz findet unter der Hand bewegliche Stellungen, dergleichen die Liebe beständig hervorbringt; und er drückt sie auch mit demjenigen Feuer und mit derjenigen ungekünstelten Einfalt aus, welche die Natur so wohl treffen, und auf einen gewissen Punkt fest stellen. Ist aber dieses der Geschmack der neuen Schauspielschreiber? Sie wählen, mit allem Bedacht, eine traurige Handlung, und durch eine natürliche Folge sind sie hernach verbunden, ihren vornehmsten Personen einen klagenden Ton zu geben, und das Komische für die Nebenrollen aufzubehalten. Die Zwischenfälle entstehen bloß um neue Tränen vergießen zu lassen, und man geht endlich aus dem komischen Schauspiele mit einem von Schmerz eben so beklemmten Herze, als ob man die Medea oder den Thyest hätte aufführen sehen.

Bei den Alten also können die Urheber der neuen Gattung ihre [21] klägliche Weise nicht gelernt haben; und ihr Sieg würde nicht lange ungewiß bleiben, wenn er von ihren Beispielen abhinge, oder auch nur von den Beispielen der französischen Dichter, welche bis zu Anfange dieses Jahrhunderts auf unserm Theater geglänzt haben. Der Zusammenfluß so vieler wichtigen Exempel könnte ohne Zweifel eine siegende Überzeugung verursachen; gleichwohl aber will ich diesem Vorteile auf einen Augenblick entsagen, und untersuchen, ob diese neue mit komischen und kläglichen Zügen vermischten Akzente genau aus der Natur hergeholet sind. Ich räume es ein, daß der widrige Gebrauch, dem man zwanzig Jahrhunderte hindurch gefolgt ist, die Vernunft nicht aus ihrem Rechte verdringen kann, und daß ein von ihm geheiligter Irrtum, deswegen nicht aufhöre ein Irrtum zu sein. Ich gebe meinen Gegnern folglich alle mögliche Bequemlichkeit, und sie können, ohne ungerecht zu sein, mehr Höflichkeit und Uneigennützigkeit von mir nicht fordern.

Nach den verschiednen Rührungen des Herzens entweder lachen oder weinen, sind, ohne Zweifel, natürliche Empfindungen: allein in eben demselben Augenblicke lachen und weinen, und jenes in der einen Szene fortsetzen, wenn man in der andern dieses tun soll, das ist ganz und gar nicht nach der Natur. Dieser schleinige Übergang von der Freude zur Betrübnis, und von der Betrübnis zur Freude, setzet die Seele in Zwang und verursacht ihr unangenehme und gewaltsame Bewegungen. 5

Damit man diese Wahrheit in aller ihrer Stärke empfinde, so wird man mir erlauben, ein verhaßtes Exempel anzuführen: denn wenn man nicht überreden kann, so muß man zu überzeugen suchen. In dem ungeheuren Lustspiele »Samson«, reißt dieser von einem mutigen Eifer erfüllte Held, nachdem er das höchste Wesen angerufen, die Tore des Gefängnisses ein, und trägt sie auf seinen Schultern fort. Den Augenblick darauf erscheint Harlequin und bringt einen Kalekutschhahn, und schüttelt sich in komischen Possen aus, die eben so kriechend sind, als die Empfindungen des [22] Helden edel und großmütig zu sein geschienen hatten. Ich bitte, was kann man wohl zu einer Abstechung sagen, die auf einmal zwei so widrige Stellungen zeiget, und zwei so widersprechende Bewegungen verursachet? Kann man noch zweifeln, daß Vernunft und Anständigkeit ihr gleich sehr zuwider sind? Kann man verhindern, daß nicht eine Art von Verdruß gegen den Zusammenlauf nichtswürdiger Zuschauer, welche solche widerwärtige Ungereimtheiten bewundern können, in uns entstehen sollte?

Über eine so närrische Vermischung läßt man ohne Zweifel die Verdammung ergehen: allein es gibt eine minder merkliche, welche eine edlere Wendung hat, und diese ist es, der man wohl will, und zu deren Verteidigung man bis zu den ersten Grundsätzen zurück geht.

Derjenige, sagt man, der das Schauspiel einer Komödie zuerst aufführte, konnte nach keinem Muster arbeiten; er machte sich einen Plan nach seiner Einsicht, und das neue Werk bekam folglich seine Natur und seine Eigenschaften aus dem Innersten seiner Begriffe. Die, welche nachfolgten, glaubten eben so wohl ein Recht zum Erfinden zu haben; unter ihren Händen bekam die Komödie eine neue Form, welche gleichfalls der Veränderung unterworfen war. Diese Veränderungen wurden nicht als Neuerungen ausgeschrien; man hatte es sich noch nicht in Sinn kommen lassen, daß es nicht erlaubt sei, Änderungen zu machen, und die Hirngeburt eines Verfassers anders zu bearbeiten, deren Natur ziemlich willkürlich sein muß. Denn kurz, setzt man hinzu, das Wesen der Komödie, es mag nun bestehen worinne es will, kann doch nimmermehr so unwandelbar festgesetzt sein, als es das Wesen der geometrischen Wahrheiten ist; und hieraus schließt man endlich, daß es unsern Neuern erlaubt sein müsse, die alte Einrichtung des komischen Gedichts zu ändern. Das Beispiel ihrer Vorgänger muntert sie dazu auf, und die Natur der Sache erlaubt es.

So übertäubend als dieser Einwurf zu sein scheinet, so braucht es, ihn übern Haufen zu stoßen, doch weiter nichts, als daß man die Grundsätze desselben zugibt, und die daraus gemachte Folgerung leugnet. Es ist wahr, daß alle Geburten des Genies, so zu reden, ihr Tappen haben, bis sie zu ihrer Vollkommenheit gelangt sind; allein, es ist auch eben so gewiß, daß verschiedne von denselben sie schon erreicht haben, als das epische Gedichte, die Ode, die Beredsamkeit und die Historie. Homer, Pindarus, Demosthenes und Thucydides sind die Lehrmeister des Virgils, des Horaz, des Cicero und des Livius gewesen. Das vereinigte Ansehen dieser großen Männer ist zum Gesetze geworden; und dieses [23] Gesetz haben hernach alle Nationen angenommen, und die Vollkommenheit einzig und allein an die genaue Nachahmung dieser alten Muster gebunden. Wenn es also nun wahr ist, daß das Wesen dieser verschiednen Werke so unveränderlich festgestellet ist, als es nur immer durch die aller verehrungswürdigsten Beispiele festgestellet werden kann; aus was für einer besondern Ursache sollte es denn nur vergönnet sein, das Wesen der Komödie zu ändern, welches durch die allgemeine Billigung nicht minder geheiliget ist.

Und man glaube nur nicht, daß diese durchgängige Übereinstimmung schwer zu beweisen sei. Man nehme den Aristophanes, Plautus und Terenz; man durchlaufe das englische Theater und die guten Stücke des Italienischen; man besinne sich hernach auf den Moliere und Regnard und verbinde diese tätlichen Beweise mit den Entscheidungen der dramatischen Gesetzgeber, des Aristoteles, des Horaz, des Despreaux, des P. Rapins, so wird man die einen sowohl, als die andern, dem System des kläglich Komischen gänzlich zuwider finden. Zwar wird man die notwendigen Verschiedenheiten zwischen den Sitten und dem Genie der Dichter eines jeden Volks bemerken; zwar wird man, nach Beschaffenheit der Gegenstände, in den Stücken, welche die Laster des Herzens angreifen, einen notwendig ernsthaften Ton antreffen, so wie man in denen, welche mit den Ungereimtheiten des Verstandes zu tun haben, eine Vermischung des Scherzes und des Ernstes, und in denen, welche nur das Lächerliche schildern sollen, nichts als komische Züge und Wendungen finden wird; zwar wird man sehen, daß die Kunst eben nicht verbunden ist, uns zum Lachen zu bewegen, und daß sie sich oft begnügt, uns weiter nicht als auf diejenige innere Empfindung, welche die Seele erweitert, zu bringen, ohne uns zu den unmäßigen Bewegungen zu treiben, welche laut ausbrechen: aber jenen traurigen und kläglichen Ton, jenes romanenhafte Gewinsle, welches vor unsern Augen der Abgott des Frauenzimmers und der jungen Leute geworden ist, wird man ganz und gar nicht gewahr werden. Mit einem Worte, diese Untersuchung wird uns überzeugen, daß es wider die Natur der komischen Gattung ist, uns unsre Fehler beweinen zu lassen, es mögen auch noch so häßliche Laster geschildert werden; daß Thalia, so zu reden, auf ihrer Maske keine andre Tränen, als Tränen der Freude und der Liebe duldet; und daß diejenigen, welche sie quasi-tragische Tränen wollen vergießen lassen, sich nur eine andre Gottheit für ihre Opfer suchen können.

Der Einwurf also, den man aus der willkürlichen Natur der [24] Komödie hergenommen, scheint mir hinlänglich widerlegt zu sein; weil alles, was die vornehmste Wirkung, die ein Werk hervorbringen soll, vernichtet, ein wesentlicher Fehler ist. Wollte man gleichwohl noch darauf dringen, daß die Komödie natürlicher Weise mehr, als irgend eine andre Geburt des Genies, dem Geschmacke des Jahrhunderts, in welchem man schreibt, unterworfen sei, und daß man diesem Geschmacke also folgen müsse, wenn man darinne glücklich sein wolle; so nehme ich diese Maximen ganz gerne an: allein was kann daraus zur Ehre des weinerlich Komischen fließen? Weit gefehlt, daß der allgemeine Geschmack sich dafür erkläre; wenigstens sind die Stimmen geteilt. Es gibt ein auserwähltes Häufchen Zuschauer, bei welchem das heilige Feuer der Wahrheit gleichsam niedergelegt worden, und dessen sichrer und unveränderlicher Geschmack sich niemals unter die Tyrannei der Mode geschmiegt, noch diesen Götzen weniger Tage angebetet hat.

Diesem erleuchteten Teile des Publikums hat man es zu danken, daß sich noch in allen Gattungen jene ausgesuchte Empfindung der Natur und jener vollkommene Geschmack erhält, der, indem er wider die Blendungen gefährlicher Neuigkeiten eifert, zugleich den wirklich nützlichen Erfindungen ihren wahren Wert zu bestimmen weiß. Er ist eben so einfach, als die Wahrheit selbst; oder wenn man lieber dem Lehrgebäude des französischen Odendichters 6 folgen will, so gibt es nur einen gedoppelten, deren Züge hier zu entwerfen nicht undienlich sein wird, damit man den Unterscheid ihrer Charaktere desto besser empfinde.[25] Der erste gibt sich mit den Lastern ab, welche verächtlich machen, und mit den Ungereimtheiten, durch die man lächerlich wird: er belebt seine Bilder mit lachenden und satyrischen Zügen; er will, daß sich jeder in seinen Gemälden erkennen, und über seine eigne Abschilderungen eben so boshaft lachen solle, als ob alles auf Kosten seines Nächsten gehe. Der andere hingegen greift nur gewisse Fehler an, oder besser zu reden, er greift ganz und gar keine an: er sucht mühsam nichts, als traurige und außerordentliche Stellungen, und malt sie mit den allerdunkelsten Farben. Der eine erfreut das Herz und vergnügt den Geist, durch ein lebhaftes und sich ausnehmendes Spiel, welches allen Verdruß verjagt; der andere stürzt uns durch einen traurigen Ton wieder hinein, und gibt sich alle Mühe eure Seele durch gehäufte Erzählungen von Unglücksfällen zu betrüben. Nun wage man es, den Vorzug zu entscheiden, oder leugne die Wahrheit dieser Charaktere.

Meine Gegner werden nunmehr unter ihren Einwürfen wählen müssen; denn ob man schon, durch die Beantwortung aller und jeder, die Materie ergründen würde, so muß ich mich doch, zu Vermeidung der Weitläuftigkeit nur auf die scheinbarsten einschränken.

»Die Komödie ist das Bild der Handlungen des gemeinen Lebens, oder, wenn man lieber will, der gewöhnlichen Laster oder Tugenden, die den Zirkel desselben erfüllen. In der Schilderung so wohl der guten, als schlechten Eigenschaften, bestehet daher ihre wesentliche Beschaffenheit. Das Portrait der Menschen mit Genauigkeit entwerfen, ihre Gemütsneigungen und Gesinnungen auf das deutlichste ausdrücken, und diese Gemälde zum Vorteile der Sitten anwenden; das heißt, auf einmal die großen Gegenstände der Kunst und des Künstlers fassen.«

Obschon diese Grundsätze, überhaupt betrachtet, wahr sind, so können sie doch nicht anders, als auf eine ganz indirekte Weise, auf die komische Dichtkunst angewendet werden. Die Menschen malen, und ihre Gemütsarten mit Genauigkeit ausdrücken, ist ein Zweck, den auch die la Rochefoucaults und die la Bruyere mit ihr gemein haben, die uns zwar Gemälde von Lastern und Tugenden überhaupt, niemals aber dramatische Gedichte haben liefern wollen. Die Schilderungen der guten und bösen Eigenschaften macht also nicht an und für sich selbst das Wesen der Komödie aus; die Wahl und die Mischung der Farben, die Stellung und der Ausdruck der Personen, diese sind es, die ihr vornehmlich Namen, Form und Wesen erteilt haben.

Man muß daher den Gegenstand der Kunst und die Pflicht des [26] Künstlers wohl unterscheiden. Der erstre ist durch den Tadel des Lasters und durch die Anpreisung der Tugend genugsam erfüllet. Der andern aber ein Genüge zu tun, muß der Poet sich notwendig solcher Farben bedienen, welche sowohl den allgemeinen Lastern, dergleichen die Leidenschaften sind, die ihren Ursprung aus dem Herzen haben, als den besondern Lächerlichkeiten, dergleichen die törigten Moden sind, die ihre Quelle in dem Verstande haben, eigentümlich zukommen. Ferner muß er dazu eine anständige Handlung erwählen; er muß sie so einzurichten wissen, daß sie die vorteilhaftesten Wirkungen hervorbringen kann; und muß überall Moral, vermittelst der spielenden Personen, mit einstreuen, welche Vernunft und Erfahrung zu dieser Absicht einmütig bestimmt zu haben scheinen.

Nun ist es aber ganz und gar keine Frage, ob diese Moral aus dem Helden des Stücks fließen soll, oder ob sie vielmehr der Gegenstand aller Züge des Tadels und des Scherzes sein soll. Die neue Gattung scheint die erstre Methode angenommen zu haben: allein sowohl die Grundsätze als die Beispiele sind gleich stark darwider. Nach den Grundsätzen ist die Komödie bestimmt, uns mehr Laster und Ungereimtheiten, die wir vermeiden, als Tugenden, die wir nachahmen sollen, vorzustellen; und nach den Beispielen, kömmt es den Nebenpersonen zu, die Maximen der Weisheit anzubringen. So hat Moliere dem Freunde des Misanthropens, dem Schwager des Orgons, dem Bruder des Sganarelle etc. die Sorge aufgetragen, uns die Grundsätze der Tugenden vorzulegen, die er zu dem Gegenstande unsrer Nachahmung machen wollte; seine Originale aber hat er mit allen Zügen der Satyre, des Tadels und des Lächerlichen überhäuft, von welchen er glaubte, daß sie sowohl zu unserm Ergötzen, als zu unserm Unterrichte dienen könnten.

Aus dem, was ich jetzt gesagt, folgt unwidersprechlich, daß das Original einer wahren Komödie keine gänzlich tugendhafte Person sein könne, wie es die Originale der neuen Gattung sind, und daß dieses ein eingewurzelter Übelstand ist, vor dem uns alle Schönheiten der Ausführung niemals gänzlich die Augen verblenden können. Vergebens wirft man ein, daß die satyrischen Züge, womit man die Originale überhäuft, nicht mehr zum Zwecke treffen; und daß sie unsre Eigenliebe auf andre uns umgebende Gegenstände abzuwenden wisse. 7 Umsonst wird man uns zu überreden suchen, daß die neuen komischen Dichter eben darum[27] desto mehr Lob verdienten, weil sie anstatt der lasterhaften Charaktere lauter Personen, die voller Empfindungen der Ehre wären, eingeführet hätten; daß wir tugendhaften Maximen unser Herz von selbst aufschlössen, und sie mit Vergnügen uns einflößen ließen, wenn man nur ein wenig uns auf der rechten Seite zu fassen wüßte. Alle diese Gründe sind verfänglicher als wahr; blendender als gründlich. Lasset sie uns einmal aus ihren Wirkungen beurteilen, denn diese sind sichrer, als alle Vernünftelei.

Was hat denn nun jene leichte und hochmütige Auskramung schöner und großer Gesinnungen den Sitten genützt? Was für Wirkungen hat denn jene glänzende Moral auf unsre Herzen und auf unsern Verstand gehabt? Eine unfruchtbare Bewunderung, eine Blendung auf wenige Augenblicke, eine überhingehende Bewegung, welche ganz unfähig ist, uns in uns selbst gehen zu lassen. So viele auf das allerfeinste vorbereitete Sittensprüche, so viel zierlich ausgekramte Vorschriften sind für die Zuschauer völlig in Wind gesagt. Man bewundert Melaniden, und betauert sie: allein ihr unaufhörlich kläglicher Ton, und die Erzählung ihrer romanhaften Zufälle, machen auf uns keinen nützlichen Eindruck, weil sie mit der Stellung, worinne wir uns befinden, ganz und gar keine Gemeinschaft haben. Das Schicksal der Aufseherin bewegt und rühret uns, allein ihre ganz besondern Umstände haben mit den unsrigen gar nichts gemein. 8 Wir treffen in uns selbst nichts an, was wir mit den Abenteuern in Vergleichung bringen können, die bloß unter die möglichen Dinge gehören, und also gar nicht für uns gemacht zu sein scheinen. Man wird, wenn man es ja gestehen muß, bei dem Anblicke so sinnreicher Gemälde, ergriffen, durchdrungen, bewegt; allein man fühlet für uns selbst, in diesem Zusammenflusse von Begebenheiten, mit welchen der ordentliche Lauf menschlicher Dinge uns gewiß verschonen wird, weder Reue, noch Scham, noch Furcht.

Ganz anders ist es mit den Schilderungen bewandt, welche der Dichter von den Lastern und von dem Lächerlichen macht; sie [28] finden bei uns allen Statt, und auch der vollkommenste Mensch trägt sowohl in seinem Verstande, als in seinem Herzen beständig den Samen gewisser Ungereimtheiten und gewisser Fehler, welche sich bei Gelegenheit entwickeln. Wir finden uns also in dem Gemälde solcher mit der Menschheit verbundenen Schwachheiten getroffen, und sehen darinne was wir sind, oder wenigstens sein können. Dieses Bild, welches zu dem unsrigen wird, ist eines von den einnehmendsten Gegenständen, und erleuchtet unsre Seelen mit gewissen Lichtstrahlen, die desto heilsamer sind, je fähiger ihre Ursache, die Furcht vor der Schande und dem Lächerlichen, zu sein pflegt, uns zu heilsamen Entschließungen zu bewegen. So ward der stolze und unversöhnliche Haufe der Heuchler durch das Gemälde von den Lastern des scheinheiligen Betriegers zu Boden geschlagen. Tausend Schuldige wurden in Harnisch gejagt, und beklagten sich mit so viel größerer Bitterkeit, je empfindlicher sie waren getroffen worden. Bei den Vorstellungen des George Dandins lassen auch die verhärtesten Ehemänner auf ihren Gesichtern die Bewegung spüren, die sie alsdenn empfinden, wenn ihre Umstände mit den Umständen des Originals allzusehr übereinstimmen; diese Übereinstimmungen sind nicht selten, ob sie schon durch den Mangel der Bildung oder des Genies, durch den Geschmack an Veränderungen und den Eigensinn, so vielfältig gemacht werden, als sie es durch die Verschiedenheit der Geburt sind. Die ohne Unterlaß wieder jung werdenden Schilderungen der Diafoiren haben vielleicht nicht wenig dazu beigetragen, daß die Ärzte ihren blinden Eigensinn für die alte Methode verlassen haben, ohne daß sie eben zu jenen kühnen Versuchen wären gereizt worden, von welchen man schalkhaft genug vorgibt, daß wir dann und wann derselben Opfer sein müßten. Und wem ist endlich unbekannt, daß die muntern und beißenden Züge der gelehrten Weiber und der kostbar Lächerlichen, auf das plötzlichste das schöne Geschlecht von diesen zwei Unsinnigkeiten abgebracht haben?

Ich gebe zu, daß andre Charaktere, welche eben sowohl getroffen waren, keine so merkliche Wirkungen gehabt haben. Der eingebildete Kranke hat nicht alle Orgons von ihren Dünsten befreiet; es sind nicht alleMenschenfeinde gesellschaftlicher, noch alle Grafen von Tufiere bescheidner geworden. Allein was ist der Grund davon? Er ist dieser: weil die Fehler von dieser Art das rechtschaffne Wesen nicht angreifen, und weil man so gar in der Welt Leute antrifft, die sich eine Ehre daraus machen. Zärtliche Leibesbeschaffenheiten setzen gemeiniglich zärtliche Seelen voraus.

[29] Eine strenge und unwillige Gemütsart ist fast immer mit viel Rechtschaffenheit verbunden; der Herzog von Montausier hielt es nicht für seiner unwürdig, ein Menschenfeind zu sein. Und ein gewisser Stolz endlich, entstehet nicht selten aus einer vernünftigen Empfindung seiner eignen übersehenden Größe. Das Vorurteil ringet bei solchen Gelegenheiten glücklich mit den Spöttereien des Tadels, da es Gegenteils gegen die komische Schilderung eines Lasters des Herzens, oder einer Lächerlichkeit im gesellschaftlichen Leben, oder einer Ungereimtheit des Verstandes, gewiß nicht bestehen wird. Der Gegenstand der beschämenden Bemerkungen der Zuschauer, will man durchaus nicht sein, es koste auch, was es wolle; und wenn man sich auch nicht wirklich bessert, so ist man doch gezwungen sich zu verstellen, damit man öffentlich weder für lächerlich noch für verächtlich gehalten werde.

Und so wären wir denn endlich auf die letzte Ausflucht gebracht, welche über alle Beispiele und Gründe sieget. Diese neue komische Gattung, sagt man, gefällt; 9 das ist genug, und die Regeln tun dabei nichts.

Man berufe sich nicht zur Bestätigung dieser zu allgemeinen und eben deswegen gefährlichen Maxime auf den Einfall Sr. Hoheit des Prinzen über die regelmäßige aber verdrüßliche Tragödie des Abts von Aubignac. Die Anwendung der Regeln verursachte den Fall dieses Stücks gar nicht; sondern die schlechte Colorite seines Pinsels schlug es nieder. Doch weil ich mir vorgenommen habe meinen Gegnern nur solche Gründe entgegen zu setzen, von welchen ich selbst überzeugt bin, so will ich es ihnen vorläufig einräumen, daß das kläglich Komische große Bewegungen und oft angenehme Empfindungen verursache. Allein, wenn ich auf einen Augenblick die ganze Frage dahinaus laufen lasse, bei welcher Gattung das größere Vergnügen anzutreffen sei, so behaupte ich, daß jene neuere uns kein so mannichfaltiges und natürliches Vergnügen verschaffen könne, als die Gattung welche in dem Jahrhunderte des Moliere herrschte.

Zuerst findet man in den weinerlichen Komödien alle die rührungslosen leeren Plätze, die man bei Lesung eines Romans findet. Sie sind eben so wie diese mit erzwungnen Verwicklungen, mit außerordentlichen Stellungen, mit übertriebenen Charakteren angefüllt, welche oft wahrer als wahrscheinlich sind; und wenn sie in unsrer Seele jene, nichts weniger als willkürliche, Bewegungen verursachen, die sie auf einige Augenblicke bezaubern, so kömmt es [30] daher, weil wir bei dem Anblicke auch der erdichtesten Gegenstände gerührt werden, wenn sie nur mit Kunst geschildert sind. Allein man merke wohl, daß die Rührungen weder so einnehmend sind, noch eben dieselbe Dauer und eben denselben Charakter der Wahrheit haben, welchen die getreue Nachahmung einer aus dem Innersten der Natur geschöpften Stellung hervorbringt.

In der Tat, wenn die dramatischen Erdichtungen uns um so viel lebhafter rühren, je näher sie der Wirklichkeit kommen, so müssen die Erdichtungen der neuen Gattung so viel schwächere Eindrücke machen, je entgegengesetzter sie der Wahrscheinlichkeit sind. Es ist ein Wunderwerk der Kunst nötig gewesen, um uns die Abenteuer einer Frau annehmlich zu machen, die nach siebzehn Jahren einer heimlichen Vermählung und eines eingebildeten Gefängnisses, auf einmal sich aus dem Schoße ihrer Provinz aufmacht, und nach Paris kommt, einen untreuen Mann aufzusuchen, der sie, ob er sie schon alle Tage zu sehen bekommen könnte, doch nicht eher, als bei der Entwicklung findet. So und nicht anders ist der romanenhafte Grund beschaffen, auf welchen das Gebäude des weinerlich Komischen gemeiniglich aufgeführt ist, oder vielmehr notwendig aufgeführt sein muß; und diesen muß sich der Zuschauer gefallen lassen, wenn er anders Vergnügen daran finden will. Die Oper setzt bei weitem nicht so viel Triebfedern in Bewegung, um uns durch das Glänzende ihrer Auszierungen zu verblenden, als das kläglich Komische Täuschungen anwendet, um eine schmerzhaft angenehme Empfindung in uns zu erwecken.

Die Eindrücke des Vergnügens, welche das wahre Komische hervorbringt, sind von einer ganz andern Beschaffenheit. Es geschiehet allezeit mit einem stets neuen Vergnügen, so oft wir jene von der Natur erkannte Schilderungen, dergleichen der Menschenfeind, der Geizige, der Stumme, der Spieler, der Mürrische, der Ruhmredige und andre sind, wieder vorstellen sehen, oder sie aufs neue lesen. Oder, wenn wir uns in kleine Stücke einlassen wollen, wird man es wohl jemals satt, die wahren komischen Auftritte zu sehen, zum Exempel die Auftritte des Harpagons mit der Euphrosine, des Valers mit dem Meister Jacob, des bürgerlichen Edelmanns mit seinem Mädchen und seinen verschiednen Lehrmeistern, die pedantische Zänkerei des Trissotins und des Vadius; oder auch in einer höhern Art, das feine und sinnreiche Gespräch des Merkurs mit der Nacht, die verleumdrische Unterredung der Cölimene mit dem Marquis und ihre sinnreiche Art, der spröden Arsinoe ihre spitzigen Anzüglichkeiten wieder zurück [31] zu geben? Verursachen uns wohl die am meisten glänzenden Moralien, wann sie auch bis zum Tränen getrieben werden, jemals ein so lebhaftes, ein so wahres und ein so daurendes Vergnügen?

Doch die Verringerung und Schwächung unseres Vergnügens, oder die Unnützlichkeit einer ernsthaften und traurig spruchreichen Moral, ist der gegründeste Vorwurf noch nicht, den man der neuen Art von Komödien machen kann: ihr vornehmster Fehler ist dieser, daß sie die Grenzen gar aufhebt, welche von je her das Tragische von dem Komischen getrennt haben, und uns jene ungeheure Gattung des Tragikomischen zurück bringet, welche man mit so vielem Grunde, nach verschiednen Jahren eines betrieglichen Triumphs, verworfen hat. Ich weiß wohl, die neue Art hat bei weitem nicht so viele und große Ungereimtheiten; die Verschiedenheit ihrer Personen ist nicht so anstößig, und die Bedienten dürfen darinne nicht mit Prinzen zusammen spielen: allein im Grunde ist sie doch eben so fehlerhaft, ob schon auf eine verschiedne Weise. Denn wie die erstre Art die heroischen Personen erniedrigte, indem sie ihnen bloß gemeine Leidenschaften gab, und nur die gewöhnlichen Tugenden aufführte, die zu dem heldenmäßigen der Tragödie lange nicht erhaben genug sind; eben so erhöhet die andre die gemeinen Personen zu Gesinnungen, welche Bewunderung erwecken, und malt sie mit Zügen jenes reizenden Mitleids, welche das unterscheidende Eigentum des Trauerspiels ausmachet. Beide sind also dem Wesen, welches man dem komischen Gedichte zugestanden hat, gleich sehr zuwider; beide verdienen also einen gleichen Tadel, und vielleicht auch eine gleiche Verbannung.

Als das Tragikomische zuerst aufkam, glaubte man, ohne Zweifel, das Gebiete der komischen Muse erweitert zu haben, und billigte also anfangs diese kühne Erfindung. Mit eben dieser Einbildung geschmeichelt, triumphieren auch jetzo die Anhänger der neuen Gattung; sie suchen sich zu überreden, der Weg der Empfindung sei gleichfalls eine von den glücklichen Entdeckungen, welche der französischen Szene den höchsten Grad der Ausschmückung gegeben habe; sie wollen durchaus nicht einsehen, daß die Empfindung, welche gewissen Gedichten, zum Exempel der Elegie und dem Hirtengedichte, so wesentlich ist, sich ganz und gar nicht mit der komischen Grundlage verbinden lasse, welche das Theater notwendig braucht, wenn sie ihren Originalen denjenigen Ton geben will, der im Ergötzen bessert. Man betriege sich hier nur nicht: wir haben zwei sehr unterschiedne Gattungen; die eine ist die nützliche, und die andre die angenehme: weit [32] gefehlt also, daß das weinerlich Komische eine dritte ausmache; sie schmelzt vielmehr beide Gattungen in eine einzige, und machet uns ärmer, indem sie uns reicher zu machen scheinet.

Wann die wirklich komischen Fabeln gänzlich erschöpft wären, so könnte man die Erfindung der weinerlichen Charaktere noch eher vergeben, weil sie wenigstens, als eine Vermischung des Wahren und Falschen, das Verdienst haben, uns auf einen Augenblick zu rühren, wenn sie uns auch schon durch die Überlegung verdrüßlich werden: allein es ist derselben noch eine sehr große Menge übrig, welche alle neu sind, und die man, schon seit langer Zeit, auf der Bühne geschildert zu sehen gewünscht hat. Wir haben vielleicht nicht ein einziges getreues Gemälde von verschiednen Sitten und Lächerlichkeiten unsrer Zeit; zum Exempel, von der gebietrischen Leutseligkeit unsrer Hofleute, und von ihrem unersättlichen Durste nach Vergnügen und Gunst; von der unbesonnenen Eitelkeit und wichtigen Aufgeblasenheit unserer jungen Magistratspersonen; von dem wirklichen Geize und der hochmütigen Verschwendung unsrer großen Rentmeister; von jener feinen und manchmal ausgelassenen Eifersucht, welche unter den Hofdamen, wegen der Vorzüge des Ranges, und noch mehr wegen der Vorzüge der Schönheit, herrschet; von jenen reichen Bürgerinnen, welche das Glück trunken macht, und die durch ihre unverschämte Pracht den Gesetzen, dem Wohlstande und der Vernunft Hohn sprechen.

Auf diese Art würden sich tausend nützliche und glänzende Neuigkeiten dem Pinsel unsrer Dichter darbieten, wenn sie nicht von der Liebe zu dem Besondern verführt würden. Sollten sie wohl von der Schwierigkeit, solche feine Charaktere zu schattieren, welche nur eine sehr leichte Auftragung der Farben erlauben, zurückgehalten werden? Allein könnten sie nicht, nach dem Beispiele des Moliere, an den Nebenrollen dasjenige einbringen, was ihnen an der Unterstützung des Hauptcharakters abgehet? Und brauchen sie denn weniger Kunst darzu, wenn sie uns in Komödien eingekleidete Romane wollen bewundern lassen, oder weniger Genie, um sich in dem engen Bezirke, in welchen sie sich einschließen, zu erhalten? Da sie nur auf eine einzige Empfindung, des Mitleidens nämlich, eingeschränkt sind, so haben wir vielmehr zu fürchten, daß sie uns, durch die Einförmigkeit ihres Tones und ihrer Originale, Frost und Ekel erwecken werden. Denn in der Tat, wie die Erkennungen beständig mit einerlei Farben vorbereitet, herzugeführet, und aufgeschlossen werden, so ist auch nichts dem Gemälde einer Mutter, welche ihr und ihrer Tochter [33] Unglück beklagt, ähnlicher, als das Bild einer Frau, welche über ihr und ihres Sohnes Unglück Tränen vergießt. Fließen aber hieraus nicht notwendig Wiederholungen, die nicht anders, als verdrüßlich sein können?

Wie weit übertrifft das wahre Komische eine so unfruchtbare Gattung! Nicht allein alle Charaktere und alle Stände, nicht allein alle Laster und Lächerlichkeiten sind seinen Pfeilen ausgesetzt; sondern es hat auch noch die Freiheit die Farben zu verändern, womit eben dieselben Originale, und eben dieselben Ungereimtheiten gemalt werden können. Und auf diesem Wege findet man nirgends Grenzen; denn obschon die Menschen zu allen Zeiten einerlei Fehlern unterworfen sind, so zeigen sie dieselben doch nicht immer auf einerlei Art. Die Alten, in dieser Absicht, sind den Neuern sehr ungleich; und wir selbst, die wir in den jetzigen Tagen leben, haben mit unsern Vätern sehr wenig ähnliches.

Zu den Zeiten des Moliere und der Corneillen, besonders zu Anfange ihres Jahrhunderts, konnte man die gelehrten und witzigen Köpfe von Profession mit griechischen und lateinischen Zitationen ausgespickt, über ihre barbarischen Schriftsteller verdüstert, in ihren Sitten grob und unbiegsam, und in ihrem Äußerlichen nachlässig und schmutzig vorstellen. Diese Züge passen schon seit langer Zeit nicht mehr. Das pedantische Ansehen ist mit jener tiefen Gelehrsamkeit, die aus Lesung der Originale geschöpft war, verschwunden. Man begnügt sich, wenn ich so reden darf, mit dem bloßen Vernis der Literatur, und den meisten von unsern Neuern ist ein leichtes und sich ausnehmendes Mundwerk anstatt der gründlichen Wissenschaft, welche ihre Vorgänger besaßen. Ihre Erkenntnis, sagt man, ist mannigfaltiger, aber eben deswegen auch unvollkommner. Sie haben, wenn man will, mehr Witz; aber vielleicht desto weniger wahres Genie. Kurz die meisten von ihnen scheinen von den alten Gelehrten nichts beibehalten zu haben, als die beklagenswürdige Erbitterung, ihre Personen und ihre Werke unter einander zu verlästern, und sich dadurch in den Augen ihrer Zeitgenossen und der Nachwelt verächtlich zu machen.

Es ist also nicht sowohl die Erschöpfung der Charaktere und des Lächerlichen, noch die Begierde nützlicher zu sein, noch die Vorstellung eines größern Vergnügens, welche uns die Gattung des weinerlich Komischen verschafft hat, sondern vielmehr die Schwierigkeit, den Ton des Moliere zu erreichen, oder vielmehr die Begierde unsre Bewunderung durch die glänzenden Reize der Neuigkeit zu überraschen. Diese Krankheit, welche dem Französischen Genie so eigen ist, erzeugt die Moden in der Literatur, und steckt [34] mit ihren Sonderlichkeiten sowohl alle Schreibarten, als alle Stände an. Unsre Neugierde will alles durchlaufen; unsre Eitelkeit will alles versuchen; und auch alsdenn, wenn wir der Vernunft nachgeben, scheinen wir nicht sowohl ihrem Reize, als unserm Eigensinn gefolgt zu sein.

Wann diese Betrachtungen wahr sind, so ist es leicht, das Schicksal des weinerlich Komischen vorher zu sagen. Die Mode hat es eingeführt, und mit der Mode wird es vergehen, und in das Land des Tragikomischen verwiesen werden, aus welchem es gekommen ist. Es glänzet vermöge der schimmernden Blitze der Neuigkeit, und wird eben so geschwind, als diese, verlöschen. Das schöne Geschlecht, welches der geborne Beschützer aller zärtlichen Neuerungen ist, kann nicht immer weinen wollen, ob es gleich immer empfinden will. Wir dürfen uns nur auf seine Unbeständigkeit verlassen.

Unter die Gründe, warum man den Geschmack an dem weinerlich Komischen wird fahren lassen, gehöret auch noch die äußerste Schwierigkeit, in dieser Gattung glücklich zu sein: die Laufbahn ist nicht von großem Umfange, und es wird ein eben so glänzendes und bearbeitetes Genie, als das Genie des Verfassers der Melanide ist, dazu erfordert, wenn man sie mit gutem Fortgange ausfüllen will. Der Herr von Fontenelle hat einen Ton welcher ihm eigen ist, und der ihm allein unvergleichlich wohl läßt; allein es ist unmöglich oder gefährlich ihn nachzuahmen. Der Herr de la Chaussee hat gleichfalls seinen Ton, dessen Schöpfer er ist, und dem es mehr in Ansehung der Art von Unmöglichkeit, seine Fabeln nicht nach zu kopieren, als in Ansehung der Schwierigkeit, sie mit eben so vieler Kunst und mit eben so glänzenden Farben vorzutragen, an Nachahmern fehlen wird.

Doch alle Kunst ist unnütze, wenn die Gattung an und für sich selbst fehlerhaft ist, das ist, wenn sie sich nicht auf jenes empfindbare und allgemeine Wahre gründet, welches zu allen Zeiten und für alle Gemüter verständlich ist. Aus dieser Ursache vornehmlich wird die Täuschung des neuen Komischen gewiß verschwinden; man wird es bald durchgängig überdrüssig sein, die Auskramung der Tugend mit bürgerlichen Abenteuern verbunden zu sehen, und romanenhafte Originale die strengste Weisheit, in dem nachgemachten Tone des Seneca predigen, oder mit den menschlichen Tugenden, zur Nachahmung des berühmten Maximenschreibers, sinnreich zanken zu hören.

Lasset uns daher aus diesem allen den Schluß ziehen, daß keine Erfindungen vergönnt sind, als welche die Absicht zu verschönern [35] haben, und daß die Gattung des weinerlich Komischen eine von den gefährlichen Erfindungen ist, welche dem wahren Komischen einen tödlichen Streich versetzen kann. Wenn eine Kunst zu ihrer Vollkommenheit gelangt ist, und man will ihr Wesen verändern, so ist dieses, nicht sowohl eine in dem Reiche der Gelehrsamkeit erlaubte Freiheit, als vielmehr eine unerträgliche Frechheit. 10 Die Griechen und die Römer, unsre Meister und Muster in allen Geburten des Geschmacks, haben die Komödie vornehmlich dazu bestimmt, daß sie uns, vermittelst der Kritik und des Scherzes, zugleich ergötzen und unterrichten soll. Alle Völker Europens sind hernach dieser Weise mehr oder weniger gefolgt, so wie es ihrem eigentümlichen Genie gemäß war: und wir selbst haben sie in den Zeiten unsers Ruhmes, in dem Jahrhunderte angenommen, das man so oft mit dem Jahrhunderte des Augusts in Vergleichung gestellet hat. Warum will man jetzt Thalien nötigen die traurige Stellung der Melpomene zu borgen, und ein ernsthaftes Ansehen über eine Bühne zu verbreiten, deren vornehmste Zierde allezeit Spiel und Lachen gewesen sind, und beständig ihr unterscheidender Charakter sein werden?


Versibus exponi tragicis res comica non vult

Horaz in der Dichtkunst.


Hier ist die Schrift des französischen Gegners aus. Ob es nun gleich nicht scheint, daß sie der Hr. Prof. Gellert gekannt habe, so ist es dennoch geschehen, daß er auf die meisten ihrer Gründe glücklich geantwortet hat. Weil sie dem Leser noch in frischem Andenken sein müssen, so will ich ihn nicht lange abhalten, sich selbst davon zu überzeugen. [36] Nur habe ich eine kleine Bitte an ihn zu tun. Er mag so gut sein, und es dem Hrn. Prof. Gellert nicht zuschreiben, wann er finden sollte, daß er sich diesesmal schlechter ausdrücke, als er sonst von ihm gewohnt ist. Man sagt, daß auch die besten Übersetzer Verhunzer wären.

Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel

Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung
für das rührende Lustspiel

Man hat zu unsern Zeiten, besonders in Frankreich, eine Art von Lustspielen versucht, welche nicht allein die Gemüter der Zuschauer zu ergötzen, sondern auch so zu rühren und so anzutreiben vermögend wäre, daß sie ihnen so gar Tränen auspresse. Man hat dergleichen Komödie, zum Scherz und zur Verspottung, in der französischen Sprache comedie larmoyante, 11 das ist die weinerliche genennt, und von nicht wenigen pflegt sie als eine abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels getadelt zu werden. Ich bin zwar nicht Willens, alle und jede Stücke, welche in diese Klasse können gebracht werden, zu verteidigen; sondern ich will bloß die Art der Einrichtung selbst retten, und wo möglich erweisen, daß die Komödie, mit allem Ruhme, heftiger bewegen könne. Dacier 12 und andre, welche die von dem Aristoteles entworfene Erklärung weitläuftiger haben erläutern wollen, setzen die ganze Kraft und Stärke der Komödie in das Lächerliche. Nun kann man zwar nicht leugnen, daß nicht der größte Teil derselben darauf ankomme, obgleich, nach dem Vossius, 13 auch dieses zweifelhaft sein könnte; allein so viel ist auch gewiß, daß in dem Lächerlichen nicht durchaus alle ihre Tugend bestehe. Denn entweder sind die reizenden Stücke des Terenz keine Komödien zu nennen; oder die Komödie hat ihre ernsthaften Stellen, und muß [37] sie haben, damit selbst das Lächerliche durch das beständige Anhalten nicht geschwächt werde. Denn was ohne Unterlaß artig ist, das rührt entweder nicht genug, oder ermüdet das Gemüt, indem es dasselbe allzusehr rührt. Ich glaube also, daß aus der Erklärung des Aristoteles weiter nichts zu folgern ist, als dieses, was für eine Art von Lastern die Komödie vornehmlich durchziehen soll. Es erhellt nämlich daraus, daß sie sich mit solchen Lastern beschäftigen müsse, welche niemandem ohne Schande, obschon ohne seinem und ohne andrer Schaden, anhängen können; kurz, solche Laster, welche Lachen und Satyre, nicht aber Ahndung und öffentliche Strafe verdienen, woran sich aber doch weder Plautus, noch diejenigen, die er unter den Griechen nachgeahmet hat, besonders gekehrt zu haben scheinen. Ja man muß so gar zugestehen, daß es eine Art Laster gibt, welche gar sehr mit eines andern Schaden verbunden ist, als zum Exempel die Verschwendung, und dennoch in der Komödie angebracht werden kann, wenn es nur auf eine geschickte und kunstmäßige Art geschieht. Ich sehe also nicht, worinne derjenige Lustspieldichter sündige, welcher, in Betrachtung der Nützlichkeit, die Regeln der Kunst dann und wann bei Seite setzt, besonders wenn man von ihm sagen kann:


Habet bonorum exemplum: quo exemplo sibi
Licere id facere, quod illi fecerunt, putat.

Es sei also immer die sinnreiche Verspottung der Laster und Ungereimtheiten die vornehmste Verrichtung der Komödie, damit eine mit Nutzen verbundene Fröhlichkeit die Gemüter der Zuschauer einnehme; nur merke man auch zugleich, daß es eine doppelte Gattung des Lächerlichen gibt. Die eine ist die stammhafte und, so zu reden, am meisten handgreifliche, weil sie in ein lautes Gelächter ausbricht; die andere ist feiner und bescheidener, weil sie zwar ebenfalls Beifall und Vergnügen erweckt, immer aber nur einen solchen Beifall und ein solches Vergnügen, welches nicht so stark ausbricht, sondern gleichsam in dem Innersten des Herzens verschlossen bleibt. Wann nun die ausgelassene und heftige Freude, welche aus der ersten Gattung entspringt, nicht leicht eine ernsthaftere Gemütsbewegung verstattet; so glaube ich doch, daß jene gesetztere Freude sie verstatten werde. Und wenn ferner die Freude nicht das einzige Vergnügen ist, welches bei den Nachahmungen des gemeinen Lebens empfunden werden kann; so sage man mir doch, worinne dasjenige Lustspiel zu tadeln sei, welches sich einen solchen Inhalt erwählet, durch welchen es, außer der Freude, auch eine Art von Gemütsbewegung hervorbringen kann, [38] welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber ungemein süße ist. 14 Da nun aber dieses alsdann sehr leicht geschehen kann, wenn man die Komödie nicht nur die Laster, sondern auch die Tugenden schildern läßt; so sehe ich nicht warum es ihr nicht vergönnt sein sollte, mit den tadelhaften Personen auch gute und liebenswürdige zu verbinden, und sich dadurch sowohl angenehmer als nützlicher zu machen, damit einigermaßen jener alten Klage des komischen Trupps bei dem Plautus abgeholfen werde.


Hujusmodi paucas Poetae reperiunt comoedias,
Ubi boni meliores fiant.

Wenigstens sind unter den Alten, wie Scaliger erinnert, sowohl unter den Griechen als unter den Römern, verschiedene gewesen, welche eine doppelte Gattung von Komödie zugelassen, und sie in die sittliche und lächerliche eingeteilet haben. Unter der sittlichen verstanden sie diejenige, in welcher die Sitten, und unter der lächerlichen, in welcher das Lächerliche herrschte. Doch wenn man nicht allein darauf zu sehen hat, was in der Komödie zu geschehen pflegt, sondern auch auf das, was darinne geschehen sollte, warum wollen wir sie nicht lieber, nach Maßgebung des Trapps, 15 also erklären, daß wir sagen, die Komödie sei ein dramatisches Gedicht, welches Abschilderungen von dem gemeinen Privatleben enthalte, die Tugend anpreise, und verschiedene Laster und Ungereimtheiten der Menschen, auf eine scherzhafte und feine Art durchziehe. Ich gestehe ganz gerne, daß sich diese Erklärung nicht auf alle und jede Exempel anwenden lasse; allein, wenn man auch durchaus eine solche verlangte, welche alles, was jemals unter dem Namen Komödie begriffen worden, in sich fassen sollte, so würde man entweder gar keine, oder doch ein Ungeheuer von einer Erklärung bekommen. Genug, daß diese von uns angenommene Erklärung von dem Endzwecke, welchen die Komödie erreichen soll, und auch leicht erreichen kann, abgeleitet [39] ist, und auch daher ihre Entschuldigung und Verteidigung nehmen darf.

Damit ich aber die Sache der rührenden Komödie, wo nicht glücklich, doch sorgfältig führen möge, so muß ich einer doppelten Anklage entgegen gehen; deren eine dahinaus läuft, daß auf diese Weise der Unterscheid, welcher zwischen einer Tragödie und Komödie sein müsse, aufgehoben werde; und deren andre darauf ankömmt, daß diejenige Komödie sich selbst zuwider wäre, welche die Affecten sorgfältig erregen wolle.

Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beider Gattungen möchten vermengt werden. Die Komödie kann ganz wohl zu rühren fähig sein, und gleichwohl von der Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie weder eben dieselben Leidenschaften rege macht, noch aus eben derselben Absicht, und durch eben dieselben Mittel, als die Tragödie zu tun pflegt. Es wäre freilich unsinnig, wenn sich die Komödie jene großen und schrecklichen Zurüstungen der Tragödie, Mord, Verzweiflung und dergleichen, anmaßen wollte; allein wenn hat sie dieses jemals getan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit, und weiß von dem Adel und von der Hoheit der Handlung nichts; sie weiß nichts von den Sitten und Empfindungen großer Helden, welche sich entweder durch ihre erhabne Tugend, oder durch ihre außerordentliche Häßlichkeit ausnehmen; sie weiß nichts von jenem tragischen hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr aus einander setzen wollte. Was hat man also für einen Grund, zu behaupten, daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der Tragödie einen Eingriff tue? Können denn die kleinen Übel, welche sie dieser oder jener Person zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung, welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Komödie ihre Rührungen herholt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigentums der Tragödie anmaße. Man sage mir also, wenn rühret denn diese neue Art von Komödie, von welcher wir handeln? Geschicht es nicht meistenteils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und außerordentliche Liebe vorstellet? Was ist aber [40] nun zwischen der Liebe, welche die Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht jene heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeizes, entweder unzertrennlich verknüpfet, oder unglücklich zertrennet wird; es ist nicht jene lärmende Liebe, welche von einer Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden, und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zuschauer gemäß zu sein pflegt. Es ist daher im geringsten keine Vermischung der Kunst zu befürchten, so lange sich nicht die Komödie mit eben derselben Liebe beschäftiget, welche in der Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Ansehung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände eben so weit, als in Ansehung der Stärke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einerlei halten kann; ja wie so gar die Gewalt, die sie über die Gemüter der Menschen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn, und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Locken schlägt, und mit lächelnd trauriger Miene und angenehm unruhigen Augen seinen Kummer verrät: eben so, sage ich, ist die Liebe, welche in beiden Spielen gebraucht wird, ganz und gar nicht von einerlei Art und kann also auch nicht auf einerlei, oder auch nur auf ähnliche Art rühren. Ja es fehlt so viel, daß die Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tragödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie vielmehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beistimme, welche, durch das Ansehen einiger alten Tragödienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, besonders die zärtlichere, sich für sie schickt, und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht darinne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Inhalte eines Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen heftigern Gemütsbewegungen, welche der Tragödie Hoheit, Glanz und Bewunderung erteilen, gelegentlich beigefügt werden, damit sie dieselben [41] bald heftiger antreibe, bald zurückhalte, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, welches man der Tragödie vorgeschrieben hat, und welches aus der Natur einer heroischen Tat hergeholet ist, zeiget deutlich genug, daß es allein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben, was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Teil bei Seite gesetzt, im Rührenden vermag, kann sich die Komödie mit allen Recht anmaßen. Der vortreffliche Corneille erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein die Liebe herrschet, wann es auch schon in den vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie, sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Komödie sei. 16 Wie viel weniger kann daher dasjenige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das Wesen des Trauerspiels angenommen zu haben scheinen? Das, was ich aber von der Liebe, und von dem Anspruche der Komödie auf dieselbe, gesagt habe, kann, glaube ich, eben so wohl von den übrigen Stücken behauptet werden, welche die Gemüter zu bewegen vermögend sind; von der Freundschaft, von der Beständigkeit, von der Freigebigkeit, von dem dankbaren Gemüte, und so weiter. Denn weil diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschaffnen, nicht aber zu einem großen und der Tragödie würdigen Manne machen, und also auch vornehmlich nur Zierden des Privatlebens sind, wovon die Komödie eine Abschilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rechte anmaßen, und alles zu gehöriger Zeit und an gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die Gemüter auf eine angenehme Art zu rühren, darbieten können. Allein auf diese Art, kann man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt, und von denjenigen weniger besucht werden, welche durch ein heftiges Lachen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der berühmte Wehrenfels 17 saget, weise, gelehrte, rechtschaffne und kunstverständige Männer ergötzen wird, welche mehr auf das schickliche, als auf das lächerliche, mehr auf das artige als auf das grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabei nicht klatschen, [42] so wird sie doch denen gefallen, welche, mit dem Plautus zu reden, pudicitiae praemium esse volunt.

Ich komme nunmehr auf den zweiten Einwurf. Rührende Komödien, sagt man, widersprechen sich selbst; denn eben deswegen weil sie rühren wollen, können entweder die Laster und Ungereimtheiten der Menschen darinne nicht zugleich belacht werden, oder, wenn beides geschieht, so sind es weder Komödien noch Tragödien, sondern ein drittes, welches zwischen beiden inne liegt, und von welchem man das sagen könnte, was Ovidius von dem Minotaurus sagte:


Semibovemque virum, semivirumque bovem.


Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beispiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Denn wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nämlich, mit Beibehaltung der Freude und der komischen Stärke, auch Gemütsbewegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Innersten der Handlung fließen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiednen Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl tun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemütsarten, wenn sie sich hinlänglich äußern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bei welchen sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt sein müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn diejenige Komödie, die sich am meisten mit Verspottung der Laster beschäftiget, nichts destoweniger die Gemüter der Zuhörer durch ernsthaftere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine große Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maße geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius inarescere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner [43] angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Szene, sogleich eine ernsthafte folgen lasse, wodurch das Gemüt, welches sich durch das Lachen geruhig erholt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüter der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beigesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüter genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bei eben denselben Affekten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Szenen auf den bequemen Ort versparet, welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug tun, sondern kann auch noch dabei das Gemüt in Bewegung setzen. Freilich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bei. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemütsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen können: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zürnen, bald trauren, und bald über die Zufälle derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen erlaubt sein wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Loses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Los wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Taler gewonnen hatte, und war auf eine anständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermutet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verloren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beiden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein angenehmes Schauspiel, sehr [44] lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergeholet, sondern in der Natur der Sache gegründet, und freiwillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vorteilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit einer angenehmen Rührung des Gemüts schließet, nicht tadelhafter, als ein Gastgebot, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabei genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.

Es ist aber noch eine andre Gattung, an welcher mehr auszusetzen zu sein scheinet, weil Scherz und Spott weniger darinne herrschen, als die Gemütsbewegungen, und weil ihre vornehmsten Personen entweder nicht gemein und tadelhaft, sondern von vornehmen Stande, von zierlichen Sitten und von einer artigen Lebensart sind, oder, wenn sie ja einige Laster haben, ihnen doch nicht solche ankleben, dergleichen bei dem Pöbel gemeiniglich zu finden sind. Von dieser Gattung sind ungefähr »Die verliebten Philosophen« des Destouches, die »Melanide« des la Chaussee, das »Mündel« des Fagan, und der »Sidney« des Gressets. Weil nun aber diejenige Person, auf die es in dem Stücke größten Teils ankömmt, entweder von guter Art ist, oder doch keinen allzulächerlichen Fehler an sich hat, so kann daher ganz wohl gefragt werden, worinne denn ein solches Schauspiel mit dem Wesen der Komödie übereinkomme? Denn obschon meisten Teils auch lustige und auf gewisse Art lächerliche Charaktere darinne vorkommen, so erhellt doch genugsam aus der Überlegenheit der andern, daß sie nur der Veränderung wegen mit eingemischt sind und das Hauptwerk ganz und gar nicht vorstellen sollen. Nun gebe ich sehr gerne zu, daß dergleichen Schauspiele in den Grenzen, welche man der Komödie zu setzen pflegt, nicht mit begriffen sind; allein es fragt sich, ob man nicht diese Grenzen um so viel erweitern müsse, daß sie auch jene Gattung dramatischer Gedichte mit in sich schließen können. 18 Wenn dieses nun der Endzweck der Komödie [45] verstattet, so sehe ich nicht, warum es nicht erlaubt sein sollte? Das Ansehen unsrer Vorgänger wird es doch nicht verwehren? Es wird doch kein Verbrechen sein, dasjenige zu versuchen, was sie unversucht gelassen haben, oder aus eben der Ursache von ihnen abzugehen, aus welcher wir ihnen in andern Stücken zu folgen pflegen? Hat nicht schon Horatius gesagt:


Nec minimum meruere decus, vestigia graeca
Ausi deserere.

Wenn man keine andre Komödien machen darf, als solche, wie sie Aristophanes, Plautus und selbst Terenz gemacht haben; so glaube ich schwerlich, daß sie den guten Sitten sehr zuträglich sein, und mit der Denkungsart unsrer Zeiten sehr übereinkommen möchten. Sollen wir deswegen ein Schauspiel, welches aus dem gemeinen Leben genommen und so eingerichtet ist, daß es zugleich ergötze und unterrichte, als welches der ganze Endzweck eines dramatischen Stücks ist; sollen wir, sage ich, es deswegen von der Bühne verdammen, weil die Erklärung, welche die Alten von der Komödie gegeben haben, nicht völlig auf dasselbe passen will? Muß es deswegen abgeschmackt und ungeheuer sein? In Dingen, welche empfunden werden, und deren Wert durch die Empfindung beurteilet wird, sollte ich glauben, müsse die Stimme der Natur von größerm Nachdrucke sein, als die Stimme der Regeln. Die Regeln hat man aus denjenigen dramatischen Stücken gezogen, welche ehedem auf der Bühne Beifall gefunden haben. Warum sollen wir uns nicht eben dieses Rechts bedienen können?

[46] Und wenn es, außer der alten Gattung von Komödie, noch eine andre gibt, welche gefällt, welche Beifall findet, kurz welche ergötzt und nützt, übrigens aber die allgemeinen und unveränderlichen Regeln des dramatischen Gedichts nicht verletzet, sondern sie in der Einrichtung und Einteilung der Fabel und in der Schilderung der menschlichen Gemütsarten und Sitten genau beobachtet; warum sollten wir uns denn lieber darüber beklagen, als erfreuen wollen? Wenn diese Komödie, von der wir handeln, abgeschmackt wäre, glaubt man denn, daß ein so abgeschmacktes Ding sich die Billigung, sowohl der Klugen als des Volks, erwerben könne? Gleichwohl wissen wir, daß dergleichen Spiele, sowohl in Paris, als an andern Orten, mehr als einmal mit vielem Glücke aufgeführet worden, und gar leicht den Weg zu den Gemütern der Zuhörer gefunden haben. Wenn nun also die meisten durch ein solches Schauspiel auf eine angenehme Art gerühret werden, was haben wir uns um jene wenige viel zu bekümmern, welche nichts dabei zu empfinden vorgeben? 19 Es gibt Leute, welchen die lustige Komödie auf keine Art ein Genüge tut, und gleichwohl hört sie deswegen nicht auf, gut zu sein. Allein, wird man sagen, es gibt unter den so genannten rührenden Komödien sehr viel trockne, frostige und abgeschmackte. Wohl gut; was folgt aber daraus? Ich will ja nicht ein jedes armseliges Stück verteidigen. Es gibt auch auf der andern Seite eine große Menge höchst ungereimter Lustspiele, von deren Verfassern man nicht sagen kann, daß sie die allgemeinen Regeln nicht beobachtet hätten; nur Schade, daß sie, mit dem Boileau 20 zu reden, die Hauptregel nicht inne gehabt haben. Es hat ihnen nämlich am Genie gefehlt. Und wenn dieser Fehler sich auch bei den Verfassern [47] der neuen Gattung von Komödie findet, so muß man die Schuld nicht auf die Sache selbst legen. Wollen wir es aber gründlich ausmachen, was man ihr für einen Wert zugestehen müßte, so müssen wir sie, wie ich schon erinnert habe, nach der allgemeinen Absicht der dramatischen Poesie beurteilen. Ohne Zweifel ist die Komödie zur Ergötzung erfunden worden, weil es aber keine kunstmäßige und anständige Ergötzung gibt, mit welcher nicht auch einiger Nutzen verbunden wäre, so läßt sich auch von der Komödie sagen, daß sie nützlich sein könne und müsse. Das erstere, die Ergötzung nämlich, wird teils durch den Inhalt der Fabel selbst, teils durch die neuen, abwechselnden und mit den Personen übereinstimmenden Charaktere, erlangt. Und zwar durch den Inhalt; erstlich, wenn die Erwartung sowohl erregt als unterhalten wird; und hernach, wenn ihr auf eine ganz andere Art ein Genüge geschieht, als es Anfangs das Ansehen hatte, wobei gleichwohl alle Regeln der Wahrscheinlichkeit genau beobachtet werden müssen. Dieses hat so gewiß seine Richtigkeit, daß weder eine wahre noch eine erdichtete Begebenheit, wann sie für sich selbst auch noch so wunderbar wäre, auf der Bühne einiges Vergnügen erwecken wird, wenn sie nicht zugleich auch wahrscheinlich ist.


Respicere exemplar vitae morumque jubebo
Doctum imitatorem.

Bei jeder Erdichtung nämlich verursacht nicht so wohl die Fabel selbst, als vielmehr das Genie und die Kunst, womit sie behandelt wird, bei den Zuschauern das Vergnügen. »Denn derjenige, sagt Wehrenfels, 21 erlangt einen allgemeinen Beifall, derjenige ergötzt durchgängig, welcher alle Personen, Sitten und Leidenschaften, die er auf der Bühne vorstellen will, vollkommen, und so viel möglich, mit lebendigen Farben abschildert; welcher die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu fesseln, und ihrem Busen alle Bewegungen mitzuteilen weiß, die er ihnen mitzuteilen für gut befindet.« Denn nicht nur deswegen gefällt die Komödie, weil sie andrer abgeschmackte und lächerliche Handlungen, den Augen und Gemütern darstellet; (denn dieses tut eine jede gute Satyre) sondern auch weil sie eine einfache und für sich selbst angenehme Begebenheit so abhandelt, daß sie überall die Erwartung des Zuschauers unterhält, und durch dieses Unterhalten Vergnügen und Beifall erwecket. Denn wie hätten sonst fast alle Stücke des Terenz, [48] so viel wir deren von ihm übrig haben, und auch einige des Plautus, als zum Exempel die Gefangnen, in welchen durch die Darzwischenkunft eines Simo, eines Chremes, eines Phädria, eines Hegio, ein großer Teil derselben, nicht nur nicht scherzhaft, sondern vielmehr ernsthaft wird; wie hätten sie, sage ich, sonst gefallen können? Wenn nun aber zu dem Ergötzen nicht notwendig eine lächerliche Handlung erfordert wird; wenn vielmehr eine jede Fabel, die der Wahrheit nachahmet, und Dinge enthält, welche des Sehens und Hörens würdig sind, die Gemüter vergnügt: warum sollte man denn nicht auch dann und wann der Komödie einen ernsthaften, seiner Natur nach aber angenehmen Inhalt geben dürfen? 22 »Auch alsdann empfinden wir eine wunderbare Wollust, wenn wir mit einer von den Personen in der Komödie eine genaue Freundschaft errichten, für sie bekümmert sind, für sie uns ängstigen, mit ihr Freund und Feind gemein haben, für sie stille Wünsche ergehen lassen, bei ihren Gefahren uns fürchten, bei ihrem Unglücke uns betrüben, und bei ihrer entdeckten Unschuld und Tugend uns freuen.« Es gibt viel Dinge, welche zwar nicht scherzhaft, aber doch deswegen auch nicht traurig sind. Ein Schauspiel, welches uns einen vornehmen Mann, der ein gemeines Mägdchen heiratet, so vor die Augen stellet, daß man alles, was bei einer solchen Liebe abgeschmacktes und ungereimtes sein kann, genau bemerket, wird ergötzen. Doch laßt uns diese Fabel verändern. Laßt uns setzen, der Entschluß des vornehmen Mannes sei nicht abgeschmackt, sondern vielmehr aus gewissen Ursachen löblich, oder doch wenigstens zu billigen; sollte wohl alsdann die Seltenheit und Rühmlichkeit einer solchen Handlung weniger ergötzen, als dort die Schändlichkeit derselben? Der Herr von Voltaire hat eine Komödie dieses Inhalts, unter dem Titel »Nanine«, verfertiget, welche Beifall auf der Bühne erhalten hat; und man kann auch nicht leugnen, daß man nicht noch mehr dergleichen Handlungen, welche Erstaunen erwecken, und dennoch nicht romanenhaft sind, erdenken und auf das gemeine Leben anwenden könne, als welches von dem Gebrauche selbst gebilliget wird.

Wir müssen uns nunmehr zu den guten Charakteren selbst wenden, welche hauptsächlich in der Komödie, von welcher wir handeln, angebracht werden, und müssen untersuchen, auf was für Weise Vergnügen und Ergötzung daraus entspringen könne. Die Ursache hiervon ist ohne Zweifel in der Natur der Menschen und [49] in der wunderbaren Kraft der Tugend zu suchen. In unsrer Gewalt wenigstens ist es nicht, ob wir das, was gut, rechtschaffen und löblich ist, billigen wollen oder nicht. Wir werden durch die natürliche Schönheit und den Reiz dieser Dinge dahin gerissen: und auch der allernichtswürdigste Mensch findet, gleichsam wider Willen, an der Betrachtung einer vortrefflichen Gemütsart, Vergnügen, ob er sie gleich weder selbst besitzt, noch sie zu besitzen, sich einige Mühe gibt. Diejenigen also, aus welchen eine große und zugleich gesellschaftliche Tugend hervorleuchtet, pflegen uns, so wie im gemeinen Leben, also auch auf der Bühne wert und angenehm zu sein. Doch dieses würde nur sehr wenig bedeuten wollen, wenn nicht noch andre Dinge dazu kämen. Die Tugend selbst gefällt auf der Bühne, wo sie vorgestellt wird, weit mehr als im gemeinen Leben. Denn da bei Betrachtung und Bewunderung eines rechtschaffnen Mannes, auch oft zugleich der Neid sich mit einmischet, so bleibt er doch bei dem Anblicke des bloßen Bildes der Tugend weg, und anstatt des Neides wird in dem Gemüte eine süße Empfindung des Stolzes und der Selbstliebe erweckt. Denn wenn wir sehen, zu was für einem Grade der Vortrefflichkeit die menschliche Natur erhoben werden könne, so dünken wir uns selbst etwas großes zu sein. Wir gefallen uns also in jenen erdichteten Personen selbst, und die auf die Bühne gebrachte Tugend fesselt uns desto mehr, je leichter die Sitten sind, welche den guten Personen beigelegt werden, und je mehr ihre Güte selbst, welche immer mäßig und sich immer gleich bleibet, nicht so wohl die Frucht von Arbeit und Mühe, als vielmehr ein Geschenke der Natur zu sein scheint. Mit einem Worte, so wie wir bei den lächerlichen Personen der Bühne, uns selbst freuen, weil wir ihnen nicht ähnlich scheinen; eben so freuen wir uns über unsere eigne Vortrefflichkeit, wenn wir gute Gemütsarten betrachten, welches bei den heroischen Tugenden, die in der Tragödie vorkommen, sich seltner zu ereignen pflegt, weil sie von unsern gewöhnlichen Umständen allzuentfernt sind. Ich kann mir leicht einbilden, was man hierwider sagen wird. Man wird nämlich einwerfen, weil die Erdichtung alltäglicher Dinge weder Verlangen, noch Bewunderung erwecken könne, so müßte notwendig die Tugend auf der Bühne größer und glänzender vorgestellet werden, als sie im gemeinen Leben vorkomme; hieraus aber scheine zu folgen, daß dergleichen Sittenschilderungen, weil sie übertrieben worden, nicht sattsam gefallen könnten. Dieses nun wäre freilich zu befürchten, wenn nicht die Kunst dazu käme, welche das, was in einem Charakter Maß und Ziel zu überschreiten [50] scheinet, so geschickt einrichtet, daß das ungewöhnliche wenigstens wahrscheinlich scheinet. Ein Schauspiel, welches einem Mägdchen von geringem Stande, Zierlichkeit, Witz und Lebensart geben wollte, würde den Beifall der Zuschauer wohl nicht erlangen. Denn


Si dicentis erunt fortunis absona dicta,
Romani tollent equites peditesque cachinnum.

Allein wenn man voraussetzt, dieses Mägdchen sei, von ihren ersten Jahren an, in ein vornehmes Haus gekommen, wo sie Gelegenheit gefunden habe, ihre Sitten und ihren Geist zu bessern: so wird alsdann die zuerst unwahrscheinliche Person wahrscheinlich. Weit weniger aber können uns auserlesene Sitten und edle Empfindungen bei denjenigen anstößig sein, von welchen wir wissen, daß sie aus einer ansehnlichen Familie entsprungen sind, und eine sorgfältige Erziehung genossen haben. Die Wahrscheinlichkeit aber ist hier, nicht so wohl nach der Wahrheit der Sache, als vielmehr nach der gemeinen Meinung zu beurteilen; so daß es gar nicht darauf ankömmt, ob es wirklich solche rühmliche Leute, und wie viele es derselben gibt, sondern daß es genug ist, wenn viele, so etwas zu sein scheinen. Dieses findet auch bei den tadelhaften Charakteren Statt, die deswegen nicht zu gefallen aufhören, ob sie schon die Beispiele des gemeinen Lebens überschreiten. 23 So wird der Geizige in dem Lustspiele, ob er gleich weit geiziger ist, als alle die Geizigen, die man alltäglich sieht, doch nicht mißfallen. Der Thraso bei dem Terenz ist so närrisch, daß er den Gnatho und seine übrigen Knechte, als ob es Soldaten wären, ins Gewehr ruft, daß er sich zu ihrem Heerführer macht, und einem jeden seine Stelle und seine Pflicht anweiset: ob nun aber gleich vielleicht niemals ein Soldate so großsprechrisch gewesen ist, so ist dennoch die Person des Thraso, weil sie sonst alles mit den Großsprechern gemein hat, der Wahrheit nicht zuwider. Eben dieses geschieht auch auf der andern Seite, wenn nämlich die Vortrefflichkeit einer Person auf gewisse Art gemäßiget, und ihr, durch die genaue Beobachtung der Wahrscheinlichkeit in den andern Stücken, nachgeholfen wird. Es finden sich übrigens in uns verschiedne Empfindungen, welche dergleichen Charaktere glaubwürdig [51] machen, und das übertriebne in denselben zu bemerken verhindern. Wir wünschen heimlich, daß die rechtschaffnen Leute so häufig als möglich sein möchten, gesetzt auch, daß uns nicht so wohl der Reiz der Tugend, als die Betrachtung der Nützlichkeit, diesen Wunsch abzwinget; und alles was der menschlichen Natur in einem solchen Bilde rühmliches beigeleget wird, das glauben wir, werde uns selbst beigelegt. Daher kömmt es, daß die guten Charaktere, ob sie gleich noch so vollkommen sind, und alle Beispiele übertreffen, in der Meinung die wir von unsrer eignen Vortrefflichkeit, und von der Nützlichkeit der Tugend haben, ihre Verteidigung finden. Wenn nun also diese Charaktere schon des Vergnügens wegen, welches sie verursachen, billig in dem Lustspiele können gebraucht werden, so hat man noch weit mehr Ursache, sie in Betrachtung ihrer Nützlichkeit anzuwenden. Die Abschilderungen tadelhafter Personen zeigen uns bloß das Ungereimte, das Verkehrte und Schändliche; die Abschilderungen guter Personen aber zeigen uns das Gerechte, das Schöne und Löbliche. Jene schrecken von den Lastern ab; diese feuern zu der Tugend an, und ermuntern die Zuschauer, ihr zu folgen. Und wie es nur etwas geringes ist, wenn man dasjenige, was übel ansteht, kennet, und sich vor demjenigen hüten lernet, was uns dem allgemeinen Tadel aussetzt; so ist es Gegenteils etwas sehr großes und ersprießliches, wenn man das wahre Schöne erkennt, und gleichsam in einem Bilde sieht, wie man selbst beschaffen sein solle. Doch diese Kraft haben nicht allein die Reden, welche den guten Personen beigelegt werden; sondern auch dasjenige, was in dem Stücke löbliches von ihnen verrichtet und uns vor die Augen gestellet wird, gibt uns ein Beispiel von dem, was in dem menschlichen Leben schön und rühmlich ist. Wenn also schon dergleichen Schauspiele, dem gewöhnlichen und angenommenen Gebrauche nach, sich mit Recht den Namen der Komödien nicht anmaßen können; so verdienen sie doch wenigstens die Freiheiten und Vorzüge der Komödie zu genießen, weil sie nicht allein ergötzen, sondern auch nützlich sind, und also denjenigen Dramatischen Stücken beigezählt werden können, welche Wehrenfels, am angeführten Orte, mit folgenden Worten verlangt. »Endlich sollen unsre Komödien so beschaffen sein, daß sie Plato in seiner Republik dulden, Cato mit Vergnügen anhören, Vestalinnen ohne Verletzung ihrer Keuschheit sehen, und was das vornehmste ist, Christen aufführen und besuchen können.« Diejenigen wenigstens, welche Komödien schreiben wollen, werden nicht übel tun, wenn sie sich unter andern auch darauf befleißigen, daß ihre Stücke eine [52] stärkere Empfindung der Menschlichkeit erregen, welche so gar mit Tränen, den Zeugen der Rührung, begleitet wird. Denn wer wird nicht gerne manchmal auf eine solche Art in Bewegung gesetzt werden wollen; wer wird nicht dann und wann diejenige Wollust, in welcher das ganze Gemüt gleichsam zerfließt, derjenigen vorziehen, welche nur, so zu reden, sich an den äußern Flächen der Seele aufhält? Die Tränen, welche die Komödie auspresset, sind dem sanften Regen gleich, welcher die Saaten nicht allein erquickt, sondern auch fruchtbar macht. Dieses alles will ich nicht darum angeführt haben, als ob jene alte fröhliche Komödie aus ihrem rechtmäßigen Besitze zu vertreiben wäre; (sie bleibe vielmehr ewig bei ihrem Ansehen und ihrer Würde!) sondern bloß darum, daß man diese neue Gattung in ihre Gesellschaft aufnehmen möge, welche, da die gemeinen Charaktere erschöpft sind, neue Charaktere, und also einen reichern Stoff zu den Fabeln darbietet, und zugleich die Art des Vortrags ändert. Wenn es Leute gibt, welche nur deswegen den Komödien beiwohnen wollen, damit sie in laute Gelächter ausbrechen können, so weiß ich gewiß, daß sich die Terenze und die Destouches wenig um sie bekümmern werden. Denjenigen aber zu mißfallen, welche nichts als eine ausgelassene und wilde Possenlust vergnügt, wird wohl keine allzugroße Schande sein. Es werden auch nach uns einmal Richter kommen; und auch auf diese sollten wir sehen. Flaccus hat schon einmal sein kritisches Ansehen gebraucht, und den Ausspruch getan:


At proavi nostri Plautinos et numeros et
Laudavere sales; nimium patienter utrumque
(Ne dicam stulte) mirati.

Vielleicht werden sich auch einmal welche finden, die uns darum tadeln, daß wir bei Annehmung des rührenden Lustspiels, uns allzuunleidlich, ich will nicht sagen, allzuhartnäckig erwiesen haben.


So weit der Hr. Prof. Gellert! Ich würde meinen Lesern wenig zutrauen, wenn ich nicht glaubte, daß sie es nunmehr von selbst wissen könnten, auf welche Seite die Wage den Ausschlag tue. Ich will zum Überflusse, alles, was man für und wider gesagt hat, in einige kurze Sätze bringen, die man auf einmal übersehen kann. Ich will sie so einrichten, daß [53] sie, wo möglich, alles Mißverständnis heben, und alle schweifende Begriffe in richtige und genaue verwandeln.

Anfangs muß man über die Erklärung der rührenden oder weinerlichen Komödie einig werden. Will man eine solche darunter verstanden haben, welche hier und da rührende und Tränen auspressende Szenen hat; oder eine solche, welche aus nichts als dergleichen Szenen besteht? Meinet man eine, wo man nicht immer lacht, oder wo man gar nicht lacht? Eine, wo edle Charaktere mit ungereimten verbunden sind, oder eine, wo nichts als edle Charaktere vorkommen?

Wider die erste Gattung, in welcher Lachen und Rührung, Scherz und Ernst abwechseln, ist offenbar nichts einzuwenden. Ich erinnere mich auch nicht, daß man jemals darwider etwas habe einwenden wollen. Vernunft und Beispiele der alten Dichter verteidigen sie. Er, der an Scherz und Einfällen der reichste ist, und Lachen zu erregen nicht selten Witz und Anständigkeit, wie man sagt, bei Seite gesetzt hat, Plautus hat die »Gefangnen« gemacht und, was noch mehr ist, dem Philemon seinen Schatz, unter der Aufschrift »Trinummus« abgeborgt. In beiden Stücken, und auch in andern, kommen Auftritte vor, die einer zärtlichen Seele Tränen kosten müssen. Im Moliere selbst, fehlt es an rührenden Stellen nicht, die nur deswegen ihre völlige Wirkung nicht tun können, weil er uns das Lachen allzugewöhnlich macht. Was man von dem schleinigen Übergange der Seele von Freude auf Traurigkeit, und von dem unnatürlichen desselben gesagt hat; betrifft nicht die Sache selbst, sondern die ungeschickte Ausführung. Man sehe das Exempel, welches der Franzose aus dem Schauspiele, »Simson«, anführt. Freilich muß der Dichter gewisse Staffeln, gewisse Schattierungen beobachten, und unsre Empfindungen niemals einen Sprung tun lassen. Von einem Äußersten plötzlich auf das andre gerissen werden, ist ganz etwas anders, als von einem Äußersten allmählig zu dem andern gelangen.

Es muß also die andre Gattung sein, über die man hauptsächlich streitet; diejenige nämlich, worinne man gar nicht lacht, auch nicht einmal lächelt; worinne man durchgängig weich gemacht wird. Und auch hier kann man eine doppelte [54] Frage tun. Man kann fragen, ist ein solches Stück dasjenige, was man von je her unter dem Namen Komödie verstanden hat? Und darauf antwortet Hr. Gellert selbst Nein. Ist es aber gleichwohl ein Schauspiel, welches nützlich und für gewisse Denkungsarten angenehm sein kann? Ja; und dieses kann der französische Verfasser selbst nicht gänzlich in Abrede sein.

Worauf kömmt es also nun noch weiter an? Darauf, sollte ich meinen, daß man den Grad der Nützlichkeit des neuen Schauspiels, gegen die Nützlichkeit der alten Komödie bestimme, und nach Maßgebung dieser Bestimmung entscheide, ob man beiden einerlei Vorzüge einräumen müsse oder nicht? Ich habe schon gesagt, daß man niemals diejenigen Stücke getadelt habe, welche Lachen und Rührung verbinden; ich kann mich dieserwegen unter andern darauf berufen, daß man den Destouches niemals mit dem la Chaussee in eine Klasse gesetzt hat, und daß die hartnäckigsten Feinde des letztern, niemals dem erstern den Ruhm eines vortrefflichen komischen Dichters abgesprochen haben, so viel edle Charaktere und zärtliche Szenen in seinem Stücke auch vorkommen. Ja, ich getraue mir zu behaupten, daß nur dieses allein wahre Komödien sind, welche so wohl Tugenden als Laster, so wohl Anständigkeit als Ungereimtheit schildern, weil sie eben durch diese Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben, am nächsten kommen. Die Klugen und Toren sind in der Welt untermengt, und ob es gleich gewiß ist, daß die erstern von den letztern an der Zahl übertroffen werden, so ist doch eine Gesellschaft von lauter Toren, beinahe eben so unwahrscheinlich, als eine Gesellschaft von lauter Klugen. Diese Erscheinung ahmet das Lustspiel nach, und nur durch die Nachahmung derselben ist es fähig, dem Volke nicht allein das, was es vermeiden muß, auch nicht allein das, was es beobachten muß, sondern beides zugleich in einem Lichte vorzustellen, in welchem das eine das andre erhebt. Man sieht leicht, daß man von diesem wahren und einigen Wege auf eine doppelte Art abweichen kann. Der einen Abweichung hat man schon längst den Namen des Possenspiels gegeben, dessen charakteristische Eigenschaft darinne besteht, daß es nichts als Laster und Ungereimtheiten, [55] mit keinen andern als solchen Zügen schildert, welche zum Lachen bewegen, es mag dieses Lachen nun ein nützliches oder ein sinnloses Lachen sein. Edle Gesinnungen, ernsthafte Leidenschaften, Stellungen, wo sich die schöne Natur in ihrer Stärke zeigen kann, bleiben aus demselben ganz und gar weg; und wenn es außerdem auch noch so regelmäßig ist, so wird es doch in den Augen strenger Kunstrichter dadurch noch lange nicht zu einer Komödie. Worinne wird also die andre Abweichung bestehen? Ohnfehlbar darinne, wenn man nichts als Tugenden und anständige Sitten, mit keinen andern als solchen Zügen schildert, welche Bewunderung und Mitleid erwecken, beides mag nun einen Einfluß auf die Beßrung der Zuhörer haben können, oder nicht. Lebhafte Satyre, lächerliche Ausschweifungen, Stellungen, die den Narren in seiner Blöße zeigen, sind gänzlich aus einem solchen Stücke verbannt. Und wie wird man ein solches Stück nennen? Jedermann wird mir zurufen: das eben ist die weinerliche Komödie! Noch einmal also mit einem Worte: das Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides. Man glaube nicht, daß ich dadurch die beiden erstern in eine Klasse setzen will; es ist noch immer der Unterscheid zwischen beiden, der zwischen dem Pöbel und Leuten von Stande ist. Der Pöbel wird ewig der Beschützer der Possenspiele bleiben, und unter Leuten von Stande wird es immer gezwungne Zärtlinge geben, die den Ruhm empfindlicher Seelen auch da zu behaupten suchen, wo andre ehrliche Leute gähnen. Die wahre Komödie allein ist für das Volk, und allein fähig einen allgemeinen Beifall zu erlangen, und folglich auch einen allgemeinen Nutzen zu stiften. Was sie bei dem einen nicht durch die Scham erlangt, das erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar. Hieraus scheinet die Regel des Kontrasts, oder derAbstechung, geflossen zu sein, vermöge welcher man nicht gerne eine Untugend aufführt, ohne ihr Gegenteil mit anzubringen; ob ich gleich gerne zugebe, daß sie auch darinne gegründet ist, daß ohne sie der Dichter seine Charaktere nicht wirksam genug vorstellen könnte.

[56] Dieses nun, sollte ich meinen, bestimme den Nutzen der weinerlichen Komödie genau genug. Er ist nämlich nur die Hälfte von dem Nutzen, den sich die wahre Komödie vorstellet; und auch von dieser Hälfte geht nur allzuoft nicht wenig ab. Ihre Zuschauer wollen ausgesucht sein, und sie werden schwerlich den zwanzigsten Teil der gewöhnlichen Komödiengänger ausmachen. Doch gesetzt sie machten die Hälfte derselben aus. Die Aufmerksamkeit, mit der sie zuhören, ist, wie es der Herr Prof. Gellert selbst an die Hand gibt, doch nur ein Kompliment, welches sie ihrer Eigenliebe machen; eine Nahrung ihres Stolzes. Wie aber hieraus eine Beßrung erfolgen könne, sehe ich nicht ein. Jeder von ihnen glaubt der edlen Gesinnungen, und der großmütigen Taten, die er siehet und höret, desto eher fähig zu sein, je weniger er an das Gegenteil zu denken, und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet. Er bleibt was er ist, und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, daß er sie schon besitze.

Wie steht es aber mit dem Namen? Der Name ist etwas sehr willkürliches, und man könnte unserer neuen Gattung gar wohl die Benennung einer Komödie geben, wenn sie ihr auch nicht zukäme. Sie kömmt ihr aber mit völligem Recht zu, weil sie ganz und gar nicht etwas anders als eine Komödie, sondern bloß eine Untergattung der Komödie ist.

Ich wiederhole es aber noch einmal, daß dieses alles nur auf diejenigen Stücke gehet, welche völlig den Stücken des la Chaussee ähnlich sind. Ich bin weit entfernt, den Herrn Gellert für einen eigentlichen Nachahmer desselben auszugeben. Ich habe beide zu wohl gelesen, als daß ich in den Lustspielen des letztern, nicht noch genug lächerliche Charaktere und satyrische Züge angetroffen haben sollte, welche aus den Lustspielen des erstern ganz und gar verwiesen sind. Die rührenden Szenen sind bei dem Herrn Gellert nur die meisten; und ganz und gar nicht die einzigen. Wer weiß aber nicht, daß das mehrere oder wenigere, wohl die verschiedne Gemütsart der Verfasser anzeigt, nicht aber einen wesentlichen Unterscheid ihrer Werke ausmacht?

[57] Mehr braucht es hoffentlich nicht, meine Meinung vor aller Mißdeutung zu sichern.

Fußnoten

1 Durch dieses Wort habe ich das Französische Contraste übersetzen wollen. Wer es besser zu übersetzen weiß, wird mir einen Gefallen tun, wann er mich es lehret. Nur daß er nicht glaubt, es sei durch Gegensatz zu geben. Ich habe Abstechung deswegen gewählt, weil es von den Farben hergenommen, und also eben so wohl ein malerisches Kunstwort ist, als das französische. Üb.

2 Ich gestehe es, nichts ist lächerlicher, als über Namen zu streiten; es ist aber auch eben so lächerlich, einen bekannten und bestimmten Namen einer Sache beizulegen, der er nicht zukömmt. Der Name einer Komödie kömmt dem weinerlich Komischen nicht besser zu, als der Name eines Epischen Gedichts den Abenteuern des Dom Quichott zukömmt – – Wie soll man also diese neue Gattung bezeichnen? Eine in Gespräche gebrachte pathetische Deklamation, die durch eine romanenhafte Verwicklung zusammen gehalten wird etc. Man sehe Principes pour lire les Poetes im 2ten Teile.

3 Lettres sur Melanide. Paris, 1741.

4 Man redet hier von dem lateinischen Theater bloß nach Beziehung auf die zwei Schriftsteller, die uns davon übrig sind.

5 Es ist nicht der Körper, welcher in dem Schauspiele lacht oder weinet; es ist die Seele, die von den Eindrücken, die man auf sie macht, gerühret wird. Wann sie durch das Pathetische bewegt, und durch das Komische erfreut wird, so ist sie zu gleicher Zeit ein Raub zweier gegenseitigen Bewegungen – – Wie erstaunlich ist es für den menschlichen Geist, so schleinig und ohne Vorbereitung, von dem Tragischen auf das Komische über zu gehen, und von einer zärtlichen Erkennung, auf die Schäckereien eines Mädchens und eines Petitmaiters etc. Principes, eben daselbst.

6 Der Verfasser zielt hier auf eine Stelle in des Rousseau Briefe an Thalien. Sie ist so trocken schön, daß ich sie nicht zu übersetzen wage. Wenn ich mich nicht irre, so ist es eben die, welche der Herr von Voltaire an einem Orte sehr scharf getadelt hat. Man sehe, ob Rousseau mehr darinne sagt als, daß es mit dem Geschmacke eine kützliche Sache sei, und daß er notwendig entweder gut oder schlecht sein müsse.

Tout institut, tout art, toute police

Subordonnée au pouvoir du caprice

Doit être aussi consequemment pour tous

Subordonnée à nos differens gouts.

Mais de ces gouts la dissemblence extreme,

A le bien prendre, est un foible probleme;

Et quoi qu'on dise, on n'en sauroit jamais

Compter que deux; l'un bon, l'autre mauvais etc.

Üb.

7 Lettres sur Melanide.

8 Der Stoff einer Komödie muß aus den gewöhnlichen Begebenheiten genommen sein; und ihre Personen müssen, von allen Seiten, mit dem Volke, für das sie gemacht wird, eine Ähnlichkeit haben. Sie hat nicht nötig, diese ihre Personen auf ein Fußgestelle zu erhöhen, weil ihr vornehmster Endzweck eben nicht ist, Bewundrung für sie zu erwecken, damit man sie desto leichter beklagen könne; sie will aufs höchste, durch die verdrüßlichen Zufälle, die ihnen begegnen, uns für sie ein wenig unruhig machen. Dubos kritische Betrachtungen T. II. S. 225.

9 S. den Prolog des Lustspiels »Liebe für Liebe«.

10 Da alle Künste aneinander grenzen, so laßt uns noch die Klagen hören, welche Hr. Blondel in seinem 1747 gedruckten Discours sur l'Architecture führet. Es ist zu befürchten, sagt er, daß die sinnreichen Neuerungen, welche man zu jetziger Zeit, mit ziemlichem Glück einführt, endlich von Künstlern werden nachgeahmt werden, welchen die Verdienste und die Fähigkeiten der Erfinder mangeln. Sie werden daher auf eine Menge ungereimter Gestalten fallen, welche den Geschmack nach und nach verderben, und werden ausschweifenden Sonderlichkeiten den schönen Namen der Erfindungen beilegen. Wann dieses Gift die Künste einmal ergriffen hat, so fangen die Alten an unfruchtbar zu scheinen die großen Meister frostig, und die Regeln allzu enge etc. etc.

11 S. die Vorrede des Hrn. v. Voltaire zu seiner »Nanine« im IX. Teile seiner Werke, Dresdner Ausgabe.

12 In den Anmerkungen zu des Aristoteles Dichtkunst Hauptst. V. S. 58. Pariser Ausgabe von 1692. Aristote en faisant la definition de la Comedie decide, quelles choses peuvent faire le sujet de son imitation. Il n'y a que celles qui sont purement ridicules, car tous les autres genres de mechanceté ou de vice, ne sçauroient y trouver place, parce qu'ils ne peuvent attirer que l'indignation, ou la pitié, passions, qui ne doivent nullement regner dans la Comedie.

13 In seiner Poetik. lib. I. c. V. p. 123.

14 Permagna enim, sagt der vortreffliche Engländer, Joseph Trapp, est discrepantia inter istam tristitiam, quae in tragoedia dominatur, et istam, quae in comoediam admittitur. Illa tanquam hiemalis tempestas, diem pene integrum nubibus et tenebris obvolvit: interspersis tantum raris et brevibus lucis intervallis: haec actionem dramaticam, tanquam coelum tempore aestivo plerumque sudum, nubibus non nunquam, sed rarius, intercipit. Praelect. Poet. p. 323. edit. alt. Londini 1722.

15 An angef. Orte S. 314 und folglich.

16 S. die erste Abhandlung des P. Corneille über das dramatische Gedicht.

17 In seiner Rede von der Komödie. S. 365. Diss. var. argum. Parte altera. Amstelod. 1617.

18 Wenn der Endzweck der Komödie überhaupt eine anständige Gemütsergötzung ist, und diese durch eine geschickte Nachahmung des gemeinen Lebens verschafft wird: so werden sich die verschiedenen Formen der Komödie gar leicht erfinden und bestimmen lassen. Denn da es eine doppelte Art von menschlichen Handlungen gibt, indem einige Lachen, und andre ernsthaftere Gemütsbewegungen erwecken: so muß es auch eine doppelte Art von Komödie geben, welche die Nachahmerin des gemeinen Lebens ist. Die eine muß zu Erregung des Lachens, und die andre zu Erregung ernsthaftrer Gemütsbewegungen geschickt sein. Und da es endlich auch Handlungen gibt, die in Betrachtung ihrer verschiednen Teile, und in Ansehung der verschiednen Personen von welchen sie ausgeübt werden, beides hervorzubringen fähig sind: so muß es auch eine vermischte Gattung von Komödien geben, von welcher der »Cyclops« des Euripides, und der Ruhmredige des Destouches sind. Dieses hat der jüngst in Dennemark verstorbene Hr. Prof. Schlegel, ein Freund dessen Verlust ich nie genug betauren kann, und ein Dichter der eine ewige Zierde der dramatischen Dichtkunst sein wird, vollkommen wohl eingesehen. Man sehe was in den Anmerkungen zu der deutschen Übersetzung der Schrift des Herrn Batteux, Les beaux Arts reduits â un même principe, welche vor einiger Zeit in Leipzig herausgekommen, aus einer von seinen noch ungedruckten Abhandlungen, über diese Materie angeführet worden. S. 316.

19 Es scheint als ob man auf unsere Komödie dasjenige anwenden könne, was Cicero von dem Wert einer Rede gegen den Brutus behauptet. Tu artifex, sagt er, quid quaeris amplius? Delectatur audiens multitudo et ducitur oratione et quasi voluptate quadam perfunditur. Quid habes quod disputes? Gaudet, dolet, ridet, plorat, favet, audit, contemnit, invidet, ad miserationem inducitur, ad pudendum, ad pigendum, irascitur, miratur, sperat, timet: haec proinde accidunt, ut eorum, qui adsunt, mentes verbis et sententiis et actione tractantur. Quid est quod expectetur docti alicujus sententia? Quod enim probat multitudo, hoc idem doctis probandum est. Denique hoc specimen est popularis judicii, in quo nunquam fuit populo cum doctis intelligentibusque dissensio. Cic. in Bruto p. 569. s. edit. Elzev.

20 In der Note zu dem ersten Verse der Dichtkunst.

21 In angeführter Rede S. 367.

22 Wehrenfels am angeführten Orte.

23 Hiervon haben die Verfasser der »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters«, S. 266 und fol. sehr geschickt gehandelt. Die Abhandlung, welche der Herr Professor hier mit seinem Beifalle beehrt, ist von dem sel. Hrn. Mylius. [L.]

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