Erster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

Erster Band.

[3] Freundlichen Gruß zuvor.

Da! Ihr lieben Krabauters 1 und Nußknacker, Groß und Klein, da habt Ihr ein Mährleinbuch. Ich denke, Ihr sollt es recht lieblich und lustig finden, aber auch, wie der Titel besagt, lehrhaftig dazu, wenn Ihr sonst wollt; [3] wollt Ihr es aber nicht, so könnt Ihr es auch bleiben lassen, und dann kann ich weder Euch noch mir helfen 2.

Die meisten Mährchen hab ich nicht selbst gemacht, sondern der wahre und eigentliche Verfasser davon ist die Welt, ich aber habe ein wenig daran gebastelt und sie nach meiner Weise zugerichtet (umgebildet nennen sie's jetzt), daß sie Euch möchten ergötzen, aber dabei Euch auch lehren. Sollte mir das gelungen sein, so kommt vielleicht noch ein Bändchen nach, und soll dann dieses schon einholen, aber wenn ich todt gestorben sein werde, so wirds damit nichts. Das sag ich Euch hiermit im voraus.

Je nun! ich hoffe schon, daß Euch das Büchlein gefallen wird, wenn die Proben mich nicht trügen, die ich darüber angestellt habe; aber! aber! ob es die grundhochgelahrten und hochgewaltigen Herren genehmigen werden, die Alles beschnüffeln und beschnarchen, und rümpfen dann die krause [4] Nase bedenklich und sinnend dazu, ohne jedoch den rechten Geruch in der Nase zu haben, und sprechen dann: »der Bettel!« – – ja! ob die es genehmigen werden, das weiß ich denn nicht, und brauch's auch nicht zu wissen; – genug, daß ich ohngefähr weiß, daß das Büchlein gerade nicht anders sein durfte, als es nun so eben ist. Einen guten Rath muß ich Euch aber jedennoch geben. Kommt ein solcher Kettenhund, ders nicht lassen kann, die Leute anzubellen, versteckt's Büchlein! Ihr süßen Goldherzen, versteckt's hurtig und geschwind, und laßt Euch nichts merken, es gibt sonst nur einen Schreck. – Daß übrigens der Hund bellen und der Bär brummen muß, das seht Ihr schon ein; sie sind dazu da, und ist einmal ihre Art und Natur also.

Uebrigens, wenn Ihr mich nicht verrathen wollt, will ich es Euch wohl offenbaren, daß selbst viele dieser gestrengen und allweisen Herren nicht nur als Kinder gern Mährchen gehört und gelesen haben, sondern noch jetzt sie gern hören und lesen, ja daß man heuriger Zeit selbst für solche Kinder Mährchenbücher geschrieben hat, die so groß sind, daß sie zu ihrem Schlafrock ein Dutzend Ellen brauchen 3. Kurz; alle Welt hat die Mährchen gern. Das macht, die ganze Welt besteht [5] aus Mährchen, und das Leben besteht auch daraus und fänge damit an und hört damit auf. Wie das nun aber zu verstehen sei und worin das wieder liege, müßt Ihr Euch einmal, wenn Ihr erst besser herauf seid, selbst ausdenken; denn wer sich Dergleichen nicht selbst ausdenkt, lernt es selten recht aus dem Grunde verstehn. Das Eine kann ich Euch hier allein nur sagen, daß in dem Menschen eine gewaltige große Welt voll Geister und Wunderdinge liegt. Mehr zu sagen könnte nichts helfen.

Was Ihr als grundkluge Nester und grundliebe Marzipan- und Zuckerherzen beim ersten Blick spitz habt, ohne daß Ihr es erst auszudenken nöthig gehabt hättet, ist das: Daß, was in dem Büchlein steht, Alles miteinander nicht wahr ist, und darin habt Ihr recht, ganz recht; ich aber sage, daß Alles was in dem Büchlein steht, Alles miteinander wahr, ganz und vollkommlich wahr ist, und darin hab Ich recht, auch recht, und Ihr könnt es mir aufs Wort glauben und nachsagen.

Nun seht; da hab ich gesprochen, als wär ich zu Hause, und als kennte ich Euch Alle. – Nun! Ihr werdet mir es doch nicht so sehr verübeln, denk ich, zumal wenn ich Euch recht sehr schön darum bitte, welches denn hiermit geschieht. Uebrigens bilde ich mir ein, Euch wirklich Alle zu kennen. – Doch das [6] ist vielleicht nur Einbildung! – Indessen, das Buch muß es ausweisen.


Noch hab ich ein Paar Punkte auf dem Herzen, wovon Euch der Eine ganz allein angeht, und daher auf der nächsten Blattseite auch allein gedruckt ist. Thut mir die Liebe, und überseht und vergeßt ihn nicht, wie ich ihn zwar übersehen, aber nicht vergessen hatte. – Die andern drei Punkte gehen Euch wenig oder gar nicht an. Sie sind aber folgende.


1) Dieses Büchlein ist nicht für solche Kinder geschrieben, wie das Wickelkind ist, das der rothe Kickelhahn, der auf Zeit und Ordnung hält, im Schnabel zur Schule hinträgt, wie es hier, ziemlich zu Ende des Büchleins, im Doktor Allwissend zu lesen steht. Sollte jedoch ein solches Kind schon ordentlich lesen können, so mag es, zumal wenn es sonst gute Gaben hat, ein Bißchen hineinschauen, aber nicht eigentlich lesen. Sollte es aber nun durchaus und durchum gar zu große Lust und Liebe zum Lesen schon mit zur Welt gebracht haben, und nach den ersten sechs Wochen in seinem Verlangen nicht können beschwichtigt werden, so soll es eins von den vielen gedruckten Büchern lesen, in welchem die Bilder der Kickelhahn [7] nebst seiner Krakelhenne gekrikelkrakelt haben, und in welchem Nichts steht. So etwas läßt sich gar leicht und anmuthig lesen, und kostet kein Kopfbrechen.


2) Geb ich aller Welt auf, zu bedenken, ob man nicht den Stahl erst härten und gut machen muß, ehe man ihn polirt, oder ob das Poliren dem Härten vorausgehen darf? – Ist das ordentlich ausgemacht, so ist alles darin enthalten, was ich über dieses Buch und seine Art und Weise für mich zu sagen habe.


3) Hab ich dieses Büchlein nicht selbst gedruckt und die Probebogen vor dem Abdruck nicht gesehen, sonst hätte Manches wohl anders mögen werden. Indessen hat die Hauptsache eben nichts dabei gelitten, und was anzuzeigen noth ist, folgt.


4) Was ich mit diesem Büchlein eigentlich gewollt habe, weiß ich selbst nicht recht; aber andere Leute werdens schon herausbringen.


5) Das letzte ist, was ich schon oben erwähnt habe, und was die nächste Blattseite besagt.


Gehabt Euch wohl!

Fußnoten

1 Nach der heutigen Sprache muß es heißen: »Lieben Gold-, Silber- und Edelsteinkinder; oder: Goldpapiersöhne und Silberpapiertöchter.« So muß ein rechtschaffener Verfasser seine kleinen Lesezwerge, (unter welchen sich jedoch auch tüchtige Bursche finden dürfen) so muß er sie anreden. Ich aber bin nur ein Stümper in solchen hohen Dingen.

2 Eigentlich, was die rechte und echte Lehre betrifft, müßt Ihr sie blos aus solchen Büchern herholen, die vom artigen Märten, vom niedlichen Töffelchen, vom reinlichen Peterchen, von der guten Kathrine, und dann wieder von dem häßlichen Brüllhanns und von der garstigen Schreilise handeln, und bei welchen Ihr, zur Uebung der Aufmerksamkeit, vor langer Weile bald sterben müßt. Andere Lehre ist Euch gar nicht nöthig. Genug, wenn Ihr nur lernt, wie man die Jacke ordentlich und sauber ausbürsten muß. Das reicht zu!

3 Wohl zu verstehen; nicht die Mährchenbücher brauchen so viel Gezeugs zum Schlafrock, sondern die großen Lesebursche.

[8] Nicht zu übersehen, Ihr Lieben!

Leset, wenn Ihr »den lieben Gott und den Schwaben« gelesen habt, noch zu Ende von Seite 140 Folgendes dazu.


Noch immer wandelt der Herr mit uns armen Schwaben und Thoren, und thut uns des Guten gar viel obwohl wir oftmals gar trotzig und hartnäckig sind. Freilich, wir sehen und merken ihn nicht, obwohl wir es recht leicht könnten. – – Und zu den Paar Kreuzerlein, die wir verdient haben, legt er uns gar großes Gut und Gabe zu, die wir nimmer hätten verdienen können.

[9]
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Der kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[10] [2]Das Buch der Mährchen.

[2]

Der kleine Däumling.

Verstand geht vor Körperstärke.


Es war einmal, vor vielen, vielen Jahren, ein armer, recht sehr armer Holzhauer, der hatte sieben kleine scharmante Jungen, an welchen er und seine liebe Hausfrau ihre herzinnigliche Freude hatten, obwohl die kleinen Magen alle Tage essen wollten, und Essen zu schaffen ihnen mitunter sehr schwer ward. Aber sie waren auch mit Brod und etwas Salz darauf zufrieden, denn Fleisch kam nur an den höchsten Festtagen ins Haus; und hungrig gingen sie doch nicht zu Bette.

Der kleinste der kleinen Burschen war auch der jüngste, und wohl kaum 8 Jahr alt, aber ein kluges Kerlchen. Er paßte auf alles auf, sprach eben nicht viel, dachte aber desto mehr, und weil er so klein war, nannten und riefen sie ihn im Hause: kleiner Däumling, oder auch wohl nur Däumling geradeweg.

Es kam ein schweres, sehr schweres Jahr, denn die Ernte war ganz mißrathen, und die Aeltern, der Däumling, und die andern 6 Kinder mußten jetzt oft hungrig zu Bette gehen. Der armen Mutter brach das Herz, und der Vater sah schwermüthig sinnend drein.

Eines Abends waren die Kinder alle schlafen gegangen, aber der Mann saß noch mit seiner Frau am Feuer, denn, weil er Holzhauer war, so hatte er auch Holz genug, um Feuer haben zu können.

[3] »Frau,« sagte er, »die armen Kinder müssen wir wohl dem lieben Gott befehlen, der für sie sorgen wird, da wir es nicht mehr können! Ich will sie morgen mit in den dicksten Wald führen, und Reißholz auflesen lassen, und mich dann heimlich davon machen. Den Rückweg finden sie gewiß nicht! Und wenn sie auch im Walde umkämen, und von wilden Thieren gefressen würden, so ists doch besser, als wenn wir sie vor unsern Augen sollen so langsam verschmachten sehen!«

Die Mutter hatte viele Einwendungen, denn sie hatte ja ein Mutterherz. Aber da der Mann ihr nun so beweglich zu Gemüthe führte, ob sie denn lieber die armen Kinder wolle vor ihren Augen verschmachten und verhungern sehen? da gab sie mit vielen Thränen nach, und legte sich bekümmert zu Bette, und betete zu Gott, daß er doch helfen möge. Daß die arme Mutter die ganze Nacht über kein Auge zuthat, könnt Ihr leicht denken.

Mein Däumling schlief aber eben so wenig, als die Mutter. Er hatte wohl bemerkt, daß die Aeltern etwas Besonderes hatten; er war leise von seiner Schlafstelle aufgestanden, er war unter des Vaters großen Holzschemel heimlich und unbemerkt gekrochen, und hatte Alles, Alles genau gehört. Er ängstete sich nun die ganze Nacht, konnte nicht schlafen, und sann und sann! und am Ende hatte er doch etwas herausgesonnen.

Ohne seinen Brüdern etwas zu sagen, weil er sie nicht ängstigen wollte, und weil sie noch in so süßem, süßen Schlaf lagen, stieg er gar sehr früh vom Lager auf, ging an den Bach, und suchte kleine weiße Kiesel.

»Kommt Kinder!« sagte der Vater; »sollt mit mir in den Wald, und dürres Reißholz lesen. Somit gings fort, und die Kinder wurden in den dicksten Wald geführt.« – »Leset,« hatte der Vater gesagt, »ich will euch schon zu rechter Zeit holen, aber er holte sie nicht, sondern hatte sich ganz heimlich nach Hause geschlichen.«

[4] Da der Vater nicht kam, wurde den Kindern im dicken, dichten Walde unmenschlich bange. Sie riefen, sie schrieen, sie heulten. Aber der Däumling sagte: »seid nur stille, denn ich bring euch gewiß nach Hause.« Und der Däumling brachte sie auch nach Hause, denn er hatte die kleinen weißen Bachkiesel auf den Weg hingestreut, die er in seiner Tasche hatte.

Sie wußten nun alle, woran sie waren, weil Däumling ihnen unterwegs alles gesagt hatte, und getrauten sich deshalb nicht ins Haus hinein, sondern horchten vor der Thür, was Vater und Mutter mit einander sprächen.

Die armen Menschen hatten sich einmal recht herzlich, seit langer Zeit recht von grundaus satt gegessen, denn sie hatten eine Schuldpost bezahlt bekommen, auf welche sie schon lange nicht mehr gerechnet hatten, wohl an 20 Thaler. Da mußte die Frau gleich Fleisch holen, in gewaltiger Menge. Denn sie glaubten bei ihrem entsetzlichen Hunger, sie würden kaum daran genug haben, und hatten so lange, so sehr lange kein Fleisch, nicht einmal gesehen, geschweige denn gegessen.

Als sie nun satt waren, und noch viel übrig geblieben war, fing die Frau an zu weinen, und den Mann einen Rabenvater, einen gottlosen Mann über den andern zu schelten, der seine Kinder den Wölfen und Bären im Walde Preis gäbe. »Ach Gott! ach Gott! rief sie, da ist nun so viel übrig, daß sie alle hätten satt werden können, und mit lautem Geheul schrie sie: o meine Kinder, meine verlassenen Kinder! wo seid ihr? wo seid ihr?«

»Hier sind wir! hier sind wir!« riefen die Kinder alle auf einmal; »hier vor der Thür!«

Gleich wurde die Thür aufgemacht; die Aeltern herzten und drückten die Kinder, und dankten Gott, daß sie alle wieder ohne Schaden da waren, und die Kleinen mußten sich an den Tisch setzen und sich satt essen, denn es war noch genug da.

[5] Aber wie lange können 20 Thaler in theurer Zeit vorhalten? Die armen Leuten dachten zwar, sie könnten nicht alle werden, aber in wenigen Tagen waren sie verzehrt, und die alte Noth brach wieder ins Haus ein, und die alte Angst wieder ins Mutterherz. Die Aeltern hielten wieder heimlichen Rath, und fanden keinen andern als den, die Kinder abermal in den Wald zu führen, aber viel viel tiefer hinein, als das erstemal.

Däumling kriegte das aber weg, und dachte, er wollte sich und die Brüder mit den Kieseln schon zum zweitenmal nach Hause helfen. Aber als der arme Schelm früh aufstand, um Bachkiesel zu suchen, fand er die Thür fest verschlossen. Da mußte er in der Angst das Stück Morgenbrodt, was er lieber selbst gegessen hätte, in Bröckchen heimlich auf den Weg streuen, auf welchem sie der Vater in den allertiefsten Wald hineinführte. »Geh du nur Vater! dachte Däumling, als dieser sich nun fortschlich, wir wollen den Weg schon wieder nach Hause finden.«

Ach sie fanden ihn nicht, die unglücklichen Kleinen, denn die Vögel hatten das Brod gefressen. In der Angst kamen die Kinder immer tiefer und tiefer in den Wald, und selbst der kluge Däumling wußte nicht wo aus noch ein. Dazu wurde es Nacht; es brach ein Sturm mit gewaltigem Heulen, Brausen und großem Platzregen los, und das Geheul gieriger Wölfe glaubten sie auch noch zu hören. Da stieg ihnen vor Furcht das Haar auf dem Kopfe zu Berge.

Däumling stieg nun auf einen hohen Baum, und sah sich überall um, ob denn nirgends ein Lichtschimmer sich fände. Endlich erblickte er ein Licht, und merkte sich die Gegend genau, wo es schien. Auf diese ging es nun unter Furcht und Zittern, in Schmutz und Koth los. Bald zeigte sich das Licht, bald verschwand es wieder, je nachdem der Weg höher oder tiefer ging. Endlich denn kamen sie mit viel Mühe und Noth an das Haus, in welchem das Licht war, klopften an, und eine Frau, die aufmachte, fragte, was sie wollten? Da jammerten sie, und klagten alle Noth und Angst die sie ausgestanden hatten, und baten [6] um ein Nachtlager. Der Frau gefielen die hübschen Kinder, aber sie fing an zu jammern und zu weinen, und schluchzte: »Ach wohin seid ihr gerathen, ihr unglücklichen Kinder? Hier ist ja das Haus des Popanzes, der kleine Kinder auffrißt, weil sie sein liebster Leckerbissen sind! – Wo sollt ich euch hinstecken, ohne daß er euch auswitterte, weil er Menschenfleisch auf viele Schritte weit riecht.«

»Ach, liebe Mutter! wimmerte der kleine Däumling, der für die andern das Wort führte, was sollen wir denn nun anfangen? Denn draußen werden wir auch von hungrigen Wölfen zerrissen? Sollte denn der gnädige Herr Popanz gar nicht zu erweichen stehn? Ach lieber Gott helft uns doch; wir können ja auch nicht mehr weiter! wir sind ja ganz hin.«

Das brach der guten Frau das Herz; sie ließ die Kinder herein, und dachte sie schon eine Nacht hinzubringen, zumal da der Popanz eben jetzt nicht zu Hause war, und vielleicht auch nicht vor dem andern Tag wieder käme. Sie setzte unsere Kinderchen um ein großes Feuer herum, an welchem ein wohlgemästeter Hammel an einem Bratspieß gebraten wurde, zu einem leichten Nachtessen für den Popanz, wenn er etwa nach Hause käme. So ein paar Mundbissen mußten allezeit für ihn bereit sein, er mochte nach Hause kommen wenn er wollte. An diesem Feuer nun trockneten sich unsere Kleinen, und ich glaube die Frau gab ihnen auch ein Paar Bissen zu essen.

Kaum waren sie trocken, und hatten den schärfsten Hunger etwas gestillt, als es mit vier tüchtigen Faustschlägen an die Thürpforte donnerte. Das war der Popanz! Die Frau steckte hastig die Kinder unter ein großes Bette, und machte die Thür auf!

»Wo ist das Essen? – war das erste Wort, was der Popanz sagte; und ob der Wein abgezogen wäre?« war das zweite Wort. Er setzte sich an den Tisch, verzehrte das Hämmelchen, obgleich, was ihm sogar recht war, das Fleisch noch blutete.

[7] Er war mit so wenigem sehr bald fertig und sprach dabei, weil er diese Sache mit großer Innigkeit trieb, kein einziges Wort. Er war fertig, und weil er eben nicht mehr auf den Tisch sahe, dachte er, die Natur muß einmal mit Wenigem zufrieden sein. Indessen schnupperte er doch noch mit seiner vortreflichen Riechnase ein bischen rings umher.

»Frau! sagte er plötzlich, ich wittere Menschenfleisch!«

»Ih! Mann, das ist das Kalb, das ich eben geschlachtet und ausgenommen habe,« antwortete die Frau.

»Faule Fische, Du! rief der Popanz mit Donnerstimme, und mit gräßlichem Gesichte, ich wittere frisches, junges Menschenfleisch.« Er schnupperte und fand die armen Jungen unter dem Bette, und zog sie, einen nach dem andern, hervor!

»Ho! hoh! rief er grimmig; so willst du mich anführen, du Weib? – Warte, dich will ich zuerst fressen, und diese junge Brut dann hinterdrein. Es muß einen herrlichen Leckerbissen geben! – Hätte ich doch nicht gedacht, so etwas Köstliches zu finden!« – Der Mund wässerte ihm schon, und er nahm das wohlgeschliffene Schlachtmesser, das er immer mit sich führte, und wollte die Kleinen schon abgurgeln.

Die Kinder fielen ihm zu Füßen und wimmerten und flehten. Dazu lachte er denn. Aber die Frau stellte ihm vor, daß er ja noch zu essen genug habe, für so tiefe Nachtzeit, und daß er diese hier nicht einmal recht würde genießen können, indem sie nicht mehr recht zugerichtet werden könnten, und daß ja morgen auch noch ein Tag sei, wo das Gute gut schmecken werde.

»Frau da hast du wahrhaftig einmal recht!« erwiederte er, und ließ das schon gehobene Schlachtmesser wieder sinken. »Dazu kommt, daß ich mir zu morgen ein Paar gute Freunde gebeten habe, damit wir einmal einen vergnügten Tag zusammen haben. Na! füttre die Krabauters und bring sie ins Bett. Morgen früh denn sollen sie dran.«

Während des Allen nun hatte der Herr Popanz, damit er beim vielen Sprechen den Gaumen anfeuchtete, einen tüchtigen Becher Wein [8] nach dem andern getrunken, trank nun noch 2 oder drei Dutzend Becher zum Schlaftrunk, und legte sich in seiner Schlafkammer zu Bette.

Die Frau brachte nun die kleinen Knaben in eine andere Kammer, alle sieben in ein sehr großes geräumiges Bette. Hier schliefen auch, in einem andern geräumigen Bette, sieben kleine speckfette und runde Popänzchen; die Kinder des Popanzvaters – lauter Mädchen, die auch schon rohes Fleisch essen konnten, und schon kleine Kinder mit ihren langen scharfen spitzen Zähnen anbissen, um ihnen das Blut auszusaugen, woran denn der Herr Vater seine herzinnige Freude hatte; er hatte daher den kleinen Wehrwölfen leichte Goldkrönchen machen lassen, die sie auch im Bette nicht absetzen durften.

Mein kluger Däumling dachte: »Wer weiß, ob der Popanz nicht in der Nacht aufsteht, und uns abschlachten will? Er ist gar zu lüstern nach Menschenfleisch; und man muß sich vorsehen!« – Er sahe sich denn vor, nahm den im Todtenschlaf schnarchenden kleinen Popanzfräuleins die Krönchen ab, und setzte ihnen seine und seiner Brüder Mützen dafür auf, diesen aber und sich selbst setzte er die Goldkrönchen auf. – Die Brüder waren vor Angst und Müdigkeit in Sicherheit eingeschlafen, aber der Däumling schlief nicht.

Richtig! der Popanz Riese kam in der Nacht in die Kammer, wo die Popänzchen schliefen, und unsere Kinder auch. Er ging an das rechte Bette, wo die Knaben lagen, tappt zur völligen Sicherheit aber, weil es noch dunkel war, auf die Köpfe der Kleinen, und fühlt die goldnen Kronen! »Nun! murmelt er vor sich hin, das wäre eine schöne Geschichte geworden! Ich dachte ich hätte so wenig getrunken, und habe denn doch wohl ein oder zwei Becherchen zuviel genommen!«

Er geht ans andere Bette, wo seine Popanzdämchen schliefen, er fühlt die Mützen, und spricht: »Nun! ihr Bürschchen sollt mir nicht davon kommen. Die Frau hülfe euch sonst wohl noch durch!« – nimmt sein Schlachtmesser, gurgelt ihnen die Kehlen ab, saugt das Blut ein, und legt sich wieder ins Bette.

[9] Däumling weckt nun die Brüder, die sich schnell anziehen müssen, und entflieht mit ihnen durch den Garten. Sie liefen den übrigen Theil der Nacht in großer Angst, auf gutes Ohngefähr, durch den Wald nach Hause zu. Das Ohngefähr war wirklich gut, und am frühen Morgen sahen sie, daß sie auf wohlbekanntem und richtigem Wege waren.

Aber am frühen Morgen sagte der Popanz: »Frau, mache die Jungens zu Mittag zurecht! Ich habe sie alle diese Nacht abgekehlt, damit du nicht winseln und wimmern solltest.«

Da ergab sich denn die gräßliche That! die Frau fiel in Ohnmacht; der Popanz goß ihr ein paar Eimer Wasser über das Gesicht, so daß sie wieder zu sich kam.

»Nun Frau, hole die Meilenstiefeln, sagte der Popanz. Ich will den Hallunken nach, und will sie grimmig martern und tödten. Richte indessen nur unsere Kinderchen, unsere armen Kinderchen an, auf den Mittag! Es ist nun mit ihnen doch nichts anders zu machen, und Menschenfleisch schmeckt gar zu gut.«

Die Frau holte die Meilenstiefeln, womit bei jedem Schritt eine Meile zurückgelegt wurde, und womit man denn in einem Tage hätte um die Erde herum marschiren können. Er zog sie an, ging links und rechts; kreuz und queer, rückwärts und vorwärts, um Alles recht zu durchstöbern. Er war dem Däumling und seinen Brüdern endlich schon sehr nahe, und sie waren nur ein Paar tausend Schritt vom Aeltern-Hause. – Da war zum Glück eine Felsenhöhle, wo Däumling die Brüder hineintrieb. Der Riesenpopanz, vom Hin und Herkreuzen müde, legte sich oben auf den Felsen, und schnarchte bald so, daß die Bäume bebten. – Däumling ließ die Brüder nach Hause gehen, er aber blieb zurück, und zog dem schnarchenden Schläfer die Stiefeln aus, und sich an, und weil sie verzaubert waren, paßten sie sogleich auch auf seine kleinen Beine.

[10] Es war gerade Krieg. Da konnte er seine Stiefeln herrlich brauchen. Denn er brachte die Nachrichten vom feindlichen Heere in einigen Minuten; er bekam von den Briefen, die die Frauen an ihre Männer schrieben, und die Mädchen an ihre künftige Ehegatten, und von den Briefen, die er wieder mit zurücknahm, ein gar großes Geld. Der König zahlte ihm auch nicht schlecht! seine Aeltern und Brüder wurden gar reiche Leute, und der kleine Däumling wurde am Hofe ein großer Mann, obwohl er immer klein blieb. –

Das machte der Verstand, und die Meilenstiefeln.

Ali Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

Ali Baba der Blinde.

Unter den muselmännischen Herrschern war ein sogenannter Khalif, was denn etwas Anderes auch eben nicht bedeutet, als was man jetzt Großsultan nennt, der war Harun Alraschid geheißen, und lebte mit dem berühmten Kaiser Karl dem Großen zu gleicher Zeit. Wenn man vor seinem Thron war, mußte man sich auf gut morgenländisch vor ihm platt auf den Boden mit dem Gesichte und Bauche niederlegen – so etwa, wie ein guter Pudel der kusch macht, wenn ihm der Prügel oder die Peitsche gewiesen wird, und mußte ihn kriechend in allerdemüthigster Demuth »Beherrscher der Gläubigen,« d.h. der Musulmanen (Mahommedaner) nennen, weil diese den rechten Glauben allein hätten. – Nun! bei uns ist, wie Ihr wohl noch künftig lernen werdet, das ganz anders. Da darf man, wenn man Gott und das Gesetz ehrt, gar frei und dreist seine Worte anbringen, nicht nur vor dem Fürsten, wenn man anders vor ihn kommt, denn sonst gehts nicht gut an, sondern auch sogar vor den Ministern und Räthen, wenigstens [11] doch zuweilen. Da bekommt man denn alle Gerechtigkeit, oder vielmehr Gnade, welches ein Wort ist, das Ihr Euch wohl merken müßt, indem es die Gerechtigkeit weit weit aufwiegt, und eigentlich Alles ausnützt! und zwar ganz allein! – Nun? ihr merkt doch wohl, daß ich nur Mährchen erzähle, weil ich so weit und breit es mache – aber, das schickt sich denn einmal nicht anders.


Seine Doppelmajestät, nämlich der Khalif Alraschid, wie wir ihn nun wohl kurz weg nennen dürfen, da er so lange schon todt ist, war ein bischen neugierig, oder auch zuweilen aus langer Weile schwermüthig und ordentlich melancholisch, und wollte Kurzweile haben, oder aber er war, wie man sagt, sehr für die Gerechtigkeit passionirt oder eingenommen, welches denn auch gar nicht zu tadeln ist.

Da nahm er denn gegen Abend oftmals eine Kaufmannskleidung, um zu sehen, wie Recht und Gerechtigkeit gehandhabt würde. Sein erster Minister oder Großvezier, der Glassar hieß, und ein recht tüchtiger Mann scheint gewesen zu sein, und der Oberkammerherr, der Mesrone genannt ward; mußten ebenfalls mit, weil er es haben wollte, und zwar ebenfalls verkleidet. Sie wären wohl manchesmal gern zu Hause geblieben, weil sie des Tags über zu sprechen, schreiben rennen und laufen genug hatten; aber der Khalif wollt' es einmal so haben. So geschah es denn auch, weil er ein Khalif war.

Da kamen denn dem Khalifen in seiner Hof- und Lagerstadt, Bagdad, zuweilen gar seltsamliche Dinge vor.


Einmal kam der Herr Khalif über eine große lange Brücke, an deren Ende ein armer und schon alter blinder Mann saß, der um eine Gabe bat. Der Khalif, der von seinen Unterthanen Geld genug bekommen konnte, gibt ihm, ohne weiter zu untersuchen, ein [12] Goldstück in die Hand. Aber der Blinde faßt nun den Khalifen bei der Hand, und faßt ihn fest.

»Großmüthiger Wohlthäter« sagt er – denn daß er ein Goldstück empfangen hatte, hatte er herausgerochen, oder doch heraus gefühlt – »Großmüthiger Wohlthäter! gebt mir doch ein oder zwei Maulschellen, aber tüchtige, sonst nehm' und mag ich euer Goldstück nicht!«

Der Kalif war, wie Ihr leicht denken könnt, ein gar barmherziger und gnädiger Mann! Ein bischen Aufhängen, Spießen und Kopfabschneiden lassen, das kam freilich alle Tage vor, aber einem Manne ohne Noth eine Ohrfeige geben, und sich damit noch bemühen, das ziemte sich nicht für einen Khalifen. – Er gab ihm einen leichten, ganz leichten Backenstreich! – Aber er wollte doch den närrischen Kauz, der Goldstücke nicht ohne Ohrfeigen haben wollte, näher kennen lernen, und befahl dem Wessir Staffar, dem Blinden zu sagen, wer er sei – – denn das konnte er ja beileibe nicht selbst – – und ihm befehlen, morgen um die und die Stunde vor des Khalifen Thron zu erscheinen. Da kommt denn der blinde alte Mann zu gesetzter Zeit und Stunde, und streckte sich auf Bauch und Gesicht hin, obwohl er eigentlich kaum ein Gesicht mehr hatte, und mußte nun beichten und ansagen, warum er Almosen und zugleich Ohrfeigen von den Leuten erbettle; denn so etwas mußte der Khalif wissen. Da erzählte der Blinde denn also.


»Herr und Beherrscher der Gläubigen!«

Vater und Mutter waren beide gestorben, da ich noch ziemlich jung war, und hinterließen mir ein bischen Vermögen, das ich aber, wie andere junge Leute wohl gethan hätten, keineswegs durchbrachte, sondern, wie ich wußte und konnte, bestens zu vermehren suchte. Ich brachte es auch wirklich dahin, daß ich am Ende, ich selbst ganz allein, 80 Kameele besaß, die ich den Kaufleuten vermiethete, welche [13] in Karawanen 1 dahin und dorthin zogen, und womit ich ein gutes Stück Geld gewann.

Ich war nun wohlhabend genug geworden, aber ich wollte nun auch grundreich, grundreich werden, weil ich wohl schon geitzig geworden war. Ich hatte vielleicht schon zu viel, aber dennoch hatte ich noch nicht genug.

So komme ich denn einmal von Balsora mit den Kameelen, auf welchen ich Waaren für Indien (Hindostan) hingebracht hatte, ledig zurück. Da begegnete mir ein Derwisch (ein muhammedanischer Mönch, der sich vom Beten, und hauptsächlich vom Fasten ernährt) und wir sprechen denn mit einander, nehmen darauf unsern Mundvorrath, und essen im Schatten von ein Paar Dattelpalmen, die günstigerweise da standen, wobei wir denn dieß und das sprachen.

Im Gespräch sagt der Derwisch zu mir, er wisse hier, hier ganz in der Nähe einen Schatz, einen so großen Schatz, daß man, hätte man auch meine 80 Kameele von demselben beladen, nicht einmal einen Abgang bemerken würde. Der Schatz enthielte das reinste Gold und die kostbarsten Steine, und eine Menge der allerseltsamsten Seltenheiten. Ach! da wurde mir mein Herz weich, und ich fiel dem herzguten Derwisch um den Hals, und bat ihn mit lieben Worten, die Herrlichkeiten mir, nur zu zeigen. Und, wenn er nun recht hochgütig sein wolle, so könnten wir ja die 80 Kameele mit Gold und köstlichem Gestein beladen und theilen! Er solle 40 Kameele mit ihren Ladungen haben, und ich die andern 40 auch beladen. [14] So hätte er ja dann doch viel, viel mehr, als er allein für seine Person, in Sack und Tasche fortbringen könne! Und alsdann könne er den Armen viel Gutes thun, und den Armen große, große Freude machen, und sich eine Stufe, eine recht hohe Stufe im Himmel bauen, und ich wollt es ihm ewig danken.

Der Derwisch hörte mir recht nachdenklich und bedächtig zu.

»Mein Bruder! sagte der Derwisch zu mir, Euer Wille möge geschehen! Ich selbst, wie Ihr wißt, bedarf des Gutes und Geldes nur wenig; aber ich will mir bei Euch einen Dank verdienen. Kommt, und führt Eure Kameele mit; sie sollen alle beladen werden! – Folgt mir!«

Ich folgte dem Derwisch mit den Kameelen, und wir kamen nach kurzer Zeit an ein geräumiges Thal, ringsum von hohen Felsen umgeben. Nur durch eine recht enge Schlucht konnte man in das Thal kommen, und meine Kameele mußten allesammt einzeln durch die Schlucht geführt werden.

Das Thal war wunderherrlich und wunderschön! Und als die Kameele alle hinein, und an einen gewissen Ort gekommen waren, sagte der Derwisch, »nun haltet an! Laßt sich, damit wir Zeit ersparen, die Thiere auf die Knie legen! (Im Morgenlande muß ja Alles auf Bauch und Knie liegen, um recht sklavisch und demüthig zu sein – selbst die armen Kameele). Wir können sie dann sogleich beladen. Gebt Acht! und thut dann das Eurige!«

Ei! ich gab schon Acht, denn nach den Schätzen war ich begierig! Er las etwas trocknes Holz zusammen, und machte mit Stahl und Stein Feuer an! Dann nahm er Räucherwerk, und legte es auf die hervorbrechenden Flammen, indem er murmelnd Worte dazu sprach, von welchen ich jedoch kein Wort verstand. Darin mochte wohl seine Kunst bestehen! – Er zertheilte jetzt den Rauch der Flamme, mit murmelnden Worten, und in demselben Augenblick zertheilte und zerspaltete sich auch ein himmelhoher, senkrechter Felsen, und es erschien eine [15] große breite Pforte, obwohl ich vorher den kleinsten Ritz, oder die kleinste Klinze nicht gesehen hatte. Die Pforte war ganz aus demselben Felsen gemacht!

Wir gingen durch die Pforte in eine große, sehr, sehr geräumige Höhle ein, in welcher ein herrlicher unterirdischer Pallast war, den wohl die Erdgeister mochten gebauet haben, denn Menschenhände hätten so etwas gewiß nicht bauen können. O! ich wollte, ich hätte mir alles recht sehr angesehen, aber ich konnte ja nicht, denn ich sahe nur nach den großen, großen Goldhaufen, und nach der unzähligen Menge von Kleinodien, und meine Augen wurden verblendet, weil es mein Herz schon war. Ich weiß nur noch, daß die Schätze in ihren Säcken so geordnet und auf einander gelegt waren, als hätte aller Raum, und selbst der kleinste erspart werden sollen.

Wir nahmen die Säcke und beladeten die Kameele damit, und ich hätte gern dreimal so viel auf meinen Theil Kameele geladen, hätten sie es nur zu tragen vermocht. O Beherrscher der Gläubigen, ich gestehe es, daß ich den ganzen unterirdischen Schatz gern, ach wie gern, gehabt hätte. – Aber dazu wären vielleicht statt meiner 80 Kameele, 80,000 erforderlich gewesen.

Der Derwisch griff mehr nach dem edeln Gestein, und sagte mir weswegen und warum? – Und da that ich es ihm freilich nach! Denn ich begriff bald, daß ein einziger Stein wohl mehr werth seyn könne, als zehntausend Goldstücke!

Endlich denn waren wir mit Aussuchen und Aufladen auf die Kameele fertig, und es war denn wohl Zeit, wieder von hinnen zu ziehen. Aber mein Derwisch suchte und suchte unter den Kostbarkeiten, mit großer Sorgfalt, und nahm zuletzt eine wunderherrlich gedrehte Büchse, die er mit großer Bedachtsamkeit und Vorsicht in die Busenfalten seines Gewandes verbarg, nachdem er mir vorher gezeigt hatte, es sei nichts drinnen, als ein bischen Pommade, oder Salbe.

[16] Nachdem Alles geschehen und herausgeholt war, schloß der Derwisch, unter eben so wunderlichem Murmeln und Zeremonien, die große Pforte wieder. Sie klaffte zu, und der Fels war gerade so Fels, wie zuvor! Niemand konnte eine Oeffnung sehen!

Nun theilten wir! Vierzig Kameele nahm der Derwisch, und vierzig nahm ich, und ich war wohl reicher als mancher Fürst des Morgenlandes, Euch ausgenommen, Beherrscher der Gläubigen. Die Büchse, die der Derwisch nahm, war von einem mir ganz unbekannten Holze, und enthielt eine dickliche Salbe, die keinen Geruch zu haben schien.

Unsere Kameele trieben wir nun, eins nach dem andern, zur Thalschlucht hinaus, und ich führte meine vierzig fort, nach Bagdad zu, der Derwisch aber trieb seine vierzig nach Balsora zu. – Wir sagten uns Lebewohl!

Kaum daß er einige hundert Schritt weit fort war, da kamen die bösen Geister des Geitzes, der Habgier, der Undankbarkeit und des Neides und überfielen mich gewaltig. Vierzig Kameele, und mit solchen Schätzen beladen, sollte ich hergeben? Und was will denn ein Derwisch mit solchen Schätzen? Und dieser zumal? Er ist ja Herr und Meister von allen den unterirdischen Kostbarkeiten, die in dem Felsenpalaste verschlossen sind, und kann sich davon nehmen, so viel ihm beliebt. Nein er muß hergeben, im Guten oder Bösen!

»Heda! Halloh! Haltet! mein Bruder,« schrie ich ihm nach, indem ich zugleich ihm nachrannte. Er hörte mich und hielt.

»Mein Bruder, sagte ich, ich habe nicht bedacht, daß die Kameele sehr widerspenstige, störrige Thiere sind, wenn sie einmal ihren Kopf aufsetzen, und Ihr seid des Handwerks ganz ungewohnt, solche Bestien zu regieren. Ich fürchte, Ihr sollt mit dreißigen derselben noch Noth über Noth haben, und gäbt mir noch zehen ab. Ich verstehe, wie man ihren Eigensinn behandeln muß. Glaubt mirs doch mein Bruder, ich thue den Vorschlag fürwahr nur zu Eurem Besten!«

[17] »Ich glaube selbst, erwiederte er ruhig, daß Ihr Recht habt, mein Bruder. Nehmt Euch in Gottes Namen noch zehn Kameele, und thut den Armen und Nothleidenden nur Gutes davon, denn dazu habe ich das Gut bestimmt gehabt!«

Ich wählte mir zehn Kameele aus, und da ich sahe, daß der Derwisch so gar keine Schwierigkeiten machte, wurde ich gieriger – nein gieriger nicht, denn ich war schon so gierig, daß ich es mehr nicht werden konnte – aber dreister, frecher.

Anstatt dem gutmüthigen Mann für sein reiches Geschenk zu danken, sagte ich: »Mein lieber Bruder, da ich es so gut mit Euch meine, so geb ich Euch zu bedenken, wie viel Noth Ihr auch wohl noch mit dreißig Kameelen haben möchtet; ich glaube es ist gut für Euch, wenn ich Euch noch zehen abnehme!«

»Ihr könnt Recht haben, erwiederte er. Nehmt, und thut Gutes davon!« Ach Beherrscher der Gläubigen, verzeiht! Ich war wie ein Wassersüchtiger; je mehr er trinkt, desto mehr Durst hat er. Mit tausend Vorstellungen, mit Bitten und Flehen, mit Ungestüm, forderte ich von den 20 Kameelen des Derwisches noch zehen, und erhielt sie ebenfalls, mit der Mahnung, daß ich nur einen guten Gebrauch davon machen möchte, und bedenken, daß uns Gott alle Reichthümer recht leicht wieder nehmen könne, wenn wir sie nicht menschenfreundlich anwenden, sondern habgierig behalten wollten.

O! da gelobte ich ihm mit heiligen Betheuerungen den besten Gebrauch zu machen, umarmte und küßte ihn, und bettelte ihm die letzten zehn Kameele mit vielen Worten und Schmeicheleien noch ab.

»Ihr fodert doch vielleicht ein wenig zu viel, mein Bruder, sagte er, indessen ich mache aus Reichthum mir nicht viel, denn Gott bescheert jeden Tag, was der Tag bedarf. Nehmt meinethalben denn auch die letzten zehen Kameele immer noch hin. Gedenkt meiner Ermahnungen, und Gott bewahre euer Herz vor Habgier und Geitz!«

[18] »Sprich nur, dacht ich, du hast gewiß gut sprechen, und giebst nur darum so leicht her, weil du in der Büchse die Mittel hast, zehntausendmal mehr in jedem Augenblick zu bekommen, als die achtzig Kameelladungen betragen. Denn warum hättest du sonst die Büchse so sorgfältig gesucht, und so behutsam im Busen aufbewahrt? – Halt! die Büchse muß auch mein sein, mit Güte oder Gewalt,« so flüsterte der böse Geist mir es ein, und gewiß hätte ich Gewalt gebraucht, da ich viel stärker war als er. Aber ich kannte den Gebrauch der Büchse nicht.

Ich dankte dem Derwisch, den ich küssend zärtlich umarmte. »Gott wolle Euch, sagte ich, Eure Güte und Großmuth hunderttausendfältig vergelten. Aber, mein Bruder, ich bin wißbegierig. Sagt mir doch, was hat es für Bewandtniß mit dem seltsamen Holzbüchschen, und mit der Salbe darin? – Und ich möchte Euch wohl gar inständigst bitten, mir das Büchschen auch noch zu schenken, denn weil ihr doch einmal allen Eitelkeiten und Tand der Welt als Derwisch entsagt habt, was wollt Ihr mit der Salbe im Büchschen?«

Der Derwisch machte gar keine Umstände. Er zog das Büchschen hervor, und gab es mir. »Da habt Ihr es, sagte er mit herzlichster Gutmüthigkeit, ich kann es schon auch entbehren, und ich möchte gern, daß Ihr ganz zufrieden von mir ginget! Da habt Ihr es, mit gutem Willen, und hätte ich noch mehr, so wollt ich es gern Euch auch noch geben. Aber Ihr wißt, ich habe nun nichts mehr, als was ich zuvor hatte, ehe wir in die Felshöhle gingen.«

»Mein Derwisch! mein Bruder! mein Schutzengel! sagte ich, nun mache das Maaß Deiner Wohlthaten voll, und lehre mich, wie man die Salbe, die gewiß, wie ich wohl merke, sehr geheimnißvoller Art sein wird, anwenden muß?«

»Streich ein wenig, war seine Antwort, von dieser Salbe auf das Lied des linken Auges, und du wirst alle Schätze und Herrlichkeiten unter der Erde sehen, wie sie in ihren Höhlen und Klüften [19] flimmernd und funkelnd da liegen. Aber streiche nie, ich bitte dich, etwas davon auf das rechte Augenlied!«

»Warum nicht?« fragte ich!

»Weil du dann blind wirst!« antwortete er.

»Ohoh! du verheelst dein bestes Geheimniß, wie ich wohl merke, dachte ich; und weil er doch die Sache am besten verstehen mußte, so ersuchte ich ihn, indem ich das linke obere Augenlied zumachte, mir etwas Salbe darauf zu streichen. Das that er gern. Und als ich das Auge aufmachte, da sah ich alle Schätze unter der Erde, in ihren weiten und großen Höhlen, in ihren Schluchten und Klüften, Gold und Kleinodien, flimmernd, funkelnd, strahlend, glinzernd. Alles wunderherrlich und unbeschreiblich durch einander. Ich vergaß auch Alles darüber, aber ich kam denn doch wieder zu mir selbst.«

»Hoh! hoh! mein Derwisch, sagte ich zu mir selbst, mich führst du nicht an! Ich merke alles! Gewiß, o! ganz gewiß! bestreiche ich das rechte Augenlied mit der Salbe, so ist es das Mittel, alle diese Schätze zu überkommen. Mit dem einen Auge sieht man wo sie liegen, und mit dem andern erlangt man sie, wenn die Salbe recht darauf gestrichen ist.«

»Mein Bruder! bat ich, bestreicht mir immer das rechte Augenlied ein bischen mit der Salbe; ich denke, mir soll es nicht schaden!«

»Nicht schaden? Ach Gott! Ihr wißt ja, was ich Euch habe gesagt!« Es half nichts, daß der brave Mann mir so herzlich zuredete. Es half nichts! Und da er mir so viele Vorstellungen und Ermahnungen, im Hin- und Herreden gab, ergriff ich ihn beim Kragen, heftig und wild, und sagte:

»Ich will dich abwürgen, du Racker, wenn du meinen Willen nicht thust!«

[20] »O! du mein Gott! sagte er seufzend; ich will ihn thun, weil du es mit aller Gewalt haben willst; aber der Geiz hat dich verblendet, und darum wirst du blind werden.« – »Schwatze nur, dacht ich – es wird eben die Salbe blind machen, mit welcher man so viel sehen kann – so dacht ich,« und ließ mir von ihm das rechte Augenlied bestreichen, was er mit Thränen und Jammern that!

Ach! Beherrscher der Gläubigen, als ich meine Augen nun aufschlug, sahe ich Finsterniß, dichte, dunkle Finsterniß, und also sah ich gar nichts, und war blind! blind!

»O Derwisch! mein herz, herzlieber Bruder, sagt' ich, macht mich wieder sehend! Ihr kennt ja die Geheimnisse der Natur, und wißt so viel!«

»Gott allein kann das nur, den Ihr darum anrufen müßt; ich kann es nicht!« war seine Antwort. Ach, auf all mein Bitten erwiederte er: »ich kann es nicht, ich habs Euch vorausgesagt! – Ihr habt mich ja mit Gewalt gezwungen, obwohl ich Euch brüderlich abmahnte. Nun kann ich nichts mehr ändern!«

So bat ich ihn denn, herzlichst, inständigst, mich mitzunehmen, bis ich durch eine Karawane nach Bagdad kommen könnte; denn wo man her ist, da will man ja immer wieder hin!

Barmherziger Gott! Er überließ mich meinem Schicksale, nahm seine Büchse, und trieb die Kameele mit ihren reichen Ladungen fort. Ich wandelte in der Irre, und wußte nicht, wo Kraut, Staude oder Baum stand! Ach ich konnte nicht sehen!

Aber Gott fügt Alles, und macht auch die harten Menschenherzen weich, und mitleidig, und barmherzig. Es kam eine Karawane, die nach Bagdad zog, und mich mitnahm. Ich nahm mir nun vor, weil mir nichts übrig blieb, auf der Brücke des Tigris zu betteln, [21] aber jeden Geber um eine Ohrfeige anzusprechen, um meine Schuld zu sühnen!

O Beherrscher der Gläubigen, weil ich verblendet war, bin ich blind geworden. – Dieß ist meine Geschichte.


»Du hast groß, groß Unrecht gethan, Alibaba, sagte der Khalif, und bist allerdings blind geworden, weil du so verblendet warst. Bitte doch Gott immerdar um Verzeihung! Indessen sollst du nicht betteln, denn betteln ziemt sich für keinen Muselmann. – Du sollst von meinem Schatzmeister täglich vier Silberdrachmen empfangen, welche für deine Erhaltung hinreichend sein werden. Melde dich bei ihm! Du bist entlassen!«

Fußnoten

1 Eine Menge Kaufleute im Morgenlande, wo es nicht Landstraßen noch Frachtfuhren gibt, sammeln sich an bestimmten Orten, laden ihre Waaren auf Kameele, ziehen durch große Sandwüsten, und können sich nun, da ihrer oft tausend sind, einander unterstützen und gegen Räuber schützen.

Der gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

Der gestiefelte Kater.

Ein Müller starb und hinterließ seinen drei Söhnen eine kleine Mühle, einen tüchtigen Esel, und einen Kater.

Bisher hatten die Brüder recht einträchtig und brüderlich beisammen gelebt; aber da es auf Mein und Dein ankam, da ging es, wie es oft in der Welt zu gehen pflegt, sie wurden uneins und recht unbrüderlich. Jeder wollte das Beste haben. Indessen die beiden ältern Brüder vereinigten sich und sagten, wir wollen den Esel und die Mühle gemeinschaftlich behalten; der Eine mahlt, und der andere bringt die gefüllten Korn- und Mehlsäcke her und hin, und Gürge, der Jüngste, soll den Kater haben, und wir wollen ihm noch einige Groschen Geld dazu geben, nebst vielen Versprechungen, damit er nicht etwa uns beim Gerichtsschreiber verklagt.

[22] Gürge nahm den Kater seufzend an. Daß ihm groß Unrecht geschehe, wußte er wohl, aber die Brüder wollte er nicht verklagen! Und ein bischen dumm war er auch, und ließ sich denn also bereden!

Da saß er in einem Kämmerchen, in welchem nichts war als 2 Holzschemel; auf dem einen saß er, auf dem andern der Kater, Gürge saß und seufzte vor sich hin: »Was fang ich nun an? die paar Groschen werden bald verzehrt sein, und dann muß ich Hungers sterben! Ja! wenn ich Ratten und Mäuse fangen könnte, wie der Kater, da möchte es noch gehen, aber ich glaube, ich könnte sie vor Ekel nicht hinterbringen. Ach du lieber Gott, wie wird mir es gehen!«

Mit vieler Verständigkeit hatte der Kater auf seinem Schemel zugehört, und fing nun gar ernsthaft und gesetzt an zu seinem Herrn zu sprechen 1.

»Herr Gürge! Dir bin ich immer guter gewesen, als den andern beiden. Du hast mich nie geschlagen, aber oft auf deinen Schooß genommen und hinter dem warmen Ofen gestreichelt, und mir oftmals einen guten Leckerbissen gegeben. Ein hübscher Bursche bist du dazu! Verzage nicht! Ich will dir schon helfen! Nur mußt du mir ein Paar Stiefelchen für meine Hinterbeine machen lassen, und einen Ranzen, wo etwa ein Kaninchen oder ein Paar Rebhühnchen hineingehn.«

Der arme Gürge rechnete zwar nicht so gewaltig viel auf des Katers Verheißungen, aber, weil er so listig im Kaninchen-, Vögel- [23] und Mäusefang war, so dachte er, wer weiß? – – Kurz der Kater bekam ein Paar Stiefelchen, und einen kleinen Jagdranzen.

Der Kater zog seine Stiefeln an, und nahm den Ranzen um, in welchen er Kohl und Kleie gesteckt hatte. So zog er auf einen Berg, wo viele wilde Kaninchen ihre Baue und Höhlen hatten. Da streckt er sich mit Katzenlist neben dem Ranzen so aus, als wäre er mausetodt. Es dauert nicht lange, da kommt ein Kaninchen, schnuppert nach dem Kohl und nach der Kleie, und kriecht in den Ranzen; der Kater hält es fest, und erwürgt es mit dem Riemen des Ranzen; denn todtheißen wollte er es nicht. Ihr werdet selbst gleich errathen, warum nicht!

Es war dazumal der Herr König krank gewesen, und hatte ein absonderliches Gelüst, oder Verlangen nach wilden Kaninchen, welches sein Leibessen war, und selbst der Herr Oberlandjägermeister, der wohl an tausend Jäger unter sich hatte, konnte doch kein wildes Kaninchen schaffen. Da ward der König sehr zornig und grimmig, und schrie: »schafft wildes Kaninchen, oder es wird nicht gut!«

Das wußte der Kater, aber wie er es erfahren hatte, hat er keinem gesagt. So kann ich es denn nicht wieder sagen. Indessen, des Königs Hof lag nahe!

Genug, der Kater trug sein wildes Kaninchen an den Hof, und weil er so schön gestiefelt war, wurde er sogleich vor den König gelassen, brachte seine Worte an, und sagte: der Herr Graf Carabas, der von dem Appetit Seiner Majestät zu hören die hohe Gnade gehabt hätte, ließen Höchstdenselben dieses unterthänige Kaninchen behändigen, und sich in allerunterthänigster Unterthänigkeit zu Allerhöchst Majestät Gnaden empfehlen.

»Das ist ein artiger, höflicher, ein sehr lieber Mann, dachte der König; wer muß er denn nur sein?« Aber er fragte jedoch nicht darnach, weil sich das für ihn nicht schickte! denn er war ja ein König! Aber mit allergnädigster Höflichkeit ließ er ihm danken.

[24] Dann bekam der König einen Gelust nach Rebhühnern, aber es konnten wieder keine geschafft werden, weil keine da waren. – Und der König ward abermals sehr zornig und grimmig. Stiefelkater, der das Alles wußte, fing glücklich zwei Rebhühner, die er lieber gern selbst gefressen hätte; indessen trug er sie, im Namen des Herrn Grafen Carabas zum Könige, und empfing einen sehr großen Dank für seinen Herrn, und ein Goldstück für sich zum Trinkgeld – das gab er aber dem Gürgen, weil es keine Maus war.

Und so fuhr der Kater von Zeit zu Zeit fort, Wildpret mancherlei Art, welches gerade in der Hofküche nicht vorhanden war, dem Könige im Namen des Grafen Carabas zu überbringen, und der König gewann den Grafen immer lieber, und sagte: »es ist ein scharmanter Mann.« Aber freilich er kannte ihn nicht weiter, und wenn nicht der Kater immer für frisches Wild gesorgt hätte, würde der Graf bald sein vergessen worden, denn so gehört es sich für hohe Personen.

Der König fuhr mit der Prinzessin Tochter, die wunderschön war, wie es alle Prinzessinnen sind, ein wenig spazieren, aber der Kater wußte Alles. »Nun! sagte er zu dem Gürgen, soll dein Glück noch heute gemacht sein, wenn du mir folgen willst.«

Gürge nickte; und der Kater rieth ihm an, an der und der Stelle eines Flusses zu baden, und seine alten Lumpenkleider sorgfältig unter der Brücke, die über den Fluß ging, zu verbergen. Gürge that es, und badete sich, und wusch sich recht rein! Der Kater blieb aber bei ihm, und ermahnte ihn zuvor, sich nur ganz dreist für den Grafen Carabas auszugeben, und recht vornehm zu thun, eben dadurch, daß er recht dreist thäte. Gürge versprach es, und war ja auch dummdreist genug!

Indem kam der König mit der Prinzessin gefahren, und der Kater schrie aus voller Kehle: »Hülfe! Hülfe! Hülfe! Der Herr Graf [25] von Carabas ersäuft, und die Kleider hat man ihm auch gestohlen! Hülfe!«

Der König erkannte sogleich den wohlbekannten Kater, ließ halten, und durch seine Leibwache den Herrn Grafen aus dem Wasser ziehen, ließ ihn dann aus seiner Garderobe, die er eben sowohl als seine Mundküche auf einigen Rüstwagen hinter sich her fahren ließ, wenn ihm etwa sein Kleid nicht gefiel, oder eine kleine Eßlust anwandelte, – ja! er ließ den Grafen aus dem Fluß ziehn, und in köstliche goldtressene Kleider kleiden, in welchen er sich gar herrlich ausnahm, und hübscher aussahe, als die hübschesten Herren an Hofe.

Er mußte in des Königs Wagen steigen, und gefiel der Prinzessin ausnehmend sehr, und sie hätte ihn sich gleich zum Gemahl erkohren, hätte sie nur gewußt, ob er auch reich genug wäre, denn daß er hübsch genug war, sahe sie wohl. Aber für Prinzessinnen, die keine Königreiche und Fürstenthümer erheirathen, schickt es sich gar nicht Grafen zu heirathen, wenn sie nicht grundunmenschlich reich sind. Die Prinzessin war von ihrer Oberhofmeisterin hinlänglich gehofmeistert und unterrichtet, um zu wissen, daß es auch recht armselige Grafen gäbe, die oft nicht einen Bissen Brod mit Ehren essen könnten, sondern nur auf Borg. Sie wußte sogar, weil sie in der Geschichte gar hochgelahrt war, daß in uralten Zeiten in Italien einmal funfzehn Marquis sogar, die die Nasen noch höher tragen, als ein gemeiner Graf, auf einem Apfelbaum saßen, und mit gesunden aber allzuhungrigen Magen sich um das Dutzend Aepfel zankten und prügelten, welches noch auf dem Baume hing. Ja! unsere Prinzessin war sehr klug! Das könnt Ihr glauben, wenn Ihr sonst wollt!

Nun machte der Kater seine Sachen. – Die Majestät fuhr in Dero Staatskutsche sehr majestätisch, und also sehr langsam, und nicht im Galopp, wie die heutigen Majestäten, wo bei einer Lustreise oft ein Paar Dutzend Pferde fallen. Da wars denn dem Stiefelkater[26] sehr leicht vorweg zu laufen, und er kam an eine große, große Wiesen-Aue, wo an dem Wege zu beiden Seiten die Mäher das Gras mäheten!

»Hört ihr Burschen, sprach er, der König wird gleich kommen, und wenn ihr nicht sagt, daß diese große Aue dem Grafen Carabas gehört, so sollt ihr in zehntausend Millionen Kochstückchen gehauen werden. Das will ich euch in Güte sagen, ihr lieben Leutchen!«

Weiß nicht wie es kam, daß der Kater sich in so gewaltigen Respekt setzte, da doch die Mäher weder Ratten noch Mäuse waren. Jedoch als der König vorbei kam und fragte, wem denn die herrlichen Wiesen der Aue gehörten, sagten die Leute einmüthig: »dem Herrn Grafen von Carabas;« denn sie wollten nicht einmal gern in zehn, vier oder zwei Kochstückchen zerhauen werden, geschweige denn in zehntausend Millionen Kochstückchen, wo sie ja ganz zu Brei und Mus geworden wären! Nein, das wäre zu arg gewesen!

»Ihr habt an diesen Wiesen eine sehr reiche Besitzung, Herr Graf Carabas;« sagte der König. – »Ja, Ihro Majestät, antwortete dieser dreist, weil er in den herrlichen Kleidern schon vornehm geworden war, – ja Ihro Majestät, sie bringen mir freilich schon etwas ein.«

Stiefelkater war indessen schon wieder weit vorweg gegangen, und traf Schnitter auf einem weiten herrlichen Aehrenfelde, das wohl an zweihundert Hufen enthielt.

»Hört, ihr Bengels, sagte er, (denn er war, weil Alles glücklich gegangen war, ein bischen kühn, und selbst ein wenig vornehm geworden) der König wird bald vorbei kommen, und wenn ihr nicht ansagt, das ganze Feld, so weit die Augen reichen, gehöre dem Grafen Carabas, so sollt ihr in Gottesnamen an den Galgen kommen merkt es euch ihr Hunde!«

Das ist gewiß ein hochmögender Herr, dachten die Schnitter denn er spricht so wundersam liebreich und höflich. Als der König [27] kam und fragte, wem diese unermeßlichen Kornfluren zuständig wären? sagten sie alle mit abgezogenem Hute: »Unserm Herrn Grafen Carabas!«

»Mein Gott! sprach der König; Herr Graf, Ihr seid ein überaus reicher Mann!« »Und Sie müssen ein außerordentliches Einkommen haben,« sagte die Prinzessin mit freundlich gnädigen Blicken.

»Ja meine Höchstgnädigen (solche Worte hatte Gürge vom Kater gelernt,) ja wohl, ich habe einige Ursache zufrieden zu sein!«

Der Hinz oder Kater mit den Stiefeln, war derweile schon wieder weit voraus, und kam in einen herrlichen Wald, wo die Holzhauer haueten, die herrlichsten Eichen und Buchen und Tannen. Da wo der Durchgang war, war der Wald kaum eine Stunde breit; aber links und rechts zog er sich in unermeßliche Entfernungen hin.

Der Kater kam, und sagte den Hauern: »in weniger Zeit kommt der König, und wenn ihr ihm nicht sagt, daß der ganze Wald, so weit man links und rechts gehen und sehen kann, dem Herrn Grafen von Carabas gehört, so sollt ihr sehen, ihr Hallunken, wie es euch soll ergehen!«

»Welch ein Wald! sagte der König, als er ankam; welch herrlicher Forst! Welche Hirsche, Rehe, wilde Schweine und anderes Wildpret müssen darin sein? Und wie unermeßlich weit dehnen sich die Waldungen aus. – Wem gehören sie denn?« ließ er fragen. Die Antwort war immer: »dem Herrn Grafen von Carabas.«

»Mein schätzbarer Herr Graf, Sie sind ein beneidenswerther Mann!« sagte der König, und seine Hochachtung stieg immer mehr, als er nun auch die Seen, Teiche, Weiher, u.s.w. sahe, die dem Herrn Grafen gehörten – denn daß sie ihm gehörten, dafür hatte der Kater schon vorauslaufend gesorgt! – und die Prinzessin sah ihn immer liebreicher und gütiger an.

[28] Zuletzt kam der Kater in ein herrliches Schloß mit herrlichen Gärten, Springbrunnen und allen Prächtigkeiten umgeben, und inwendig flimmerte Alles von Gold, Silber und Edelstein. Das Schloß gehörte aber einem Popanz, der nicht sowohl grausam, als hochmüthig, und ein gewaltiger Zauberer war.

Der Kater kehrt in dem Schlosse ein, und sagt, er habe nicht vorbeigehen können, ohne Sr. Gnaden, dem Herrn Popanz, von dessen Wunderweisheit er so viel Unglaubliches gehört habe, seine tiefe Ehrfurcht zu bezeigen, was denn auch sehr gnädig und wohl aufgenommen wurde.

Im Gespräch sagt unser Kater: »Ew. Gnaden sollen sich, wie das Gerücht sagt, in mancherlei Thiere, Elephanten, Löwen und große Tigerkatzen verwandeln können, aber es wird auch nur ein bloßes Gerücht sein.«

Im Augenblick stand brüllend ein gewaltiger Löwe vor dem Kater, der sich ängstlich auf das Kamingesimse flüchtete. Aber im Augenblick darauf war der Löwe fort, und der Popanz war wieder da, und fragte lächelnd den Kater: »Nun? ist es bloßes Gerücht?«

»Mein Himmel, erwiederte der Kater, mir war es unglaublich! Nun freilich hab ich es mit Augen gesehen. Aber weil Ew. Gnaden selbst so hoch und gewaltig sind, so mag es denn sein, daß sie sich auch in hochgewaltige Thiere verwandeln können, aber daß Sie auch in ganz kleine Thiere sich verwandeln können, in eine Ratte oder Maus zum Beispiel, wie man sagt, ist denn doch gewiß und wahrhaftig unmöglich.«

»Nun wir wollen sehen,« sagte der Popanz, und machte sich zu einer ganz kleinen Spitzmaus, und lief auf dem Fußboden hin [29] und her. Da erwischte ihn der Kater. Mit zwei Bissen im Genick war er todt, und der Kater verschlang ihn mit Appetit.

Indem kam der Wagen des Königs über die Zugbrücke gerollt. Der Kater lief ihm entgegen, und hieß ihn im Schlosse des Grafen willkommen!

»Was? auch das Euer, Herr Graf? sagte der erstaunte König. Dieses herrliche Schloß, mit den himmlischen Gärten; und mit den Gebäuden und Höfen? Nun! so etwas Ueberherrliches hab ich in meinem Leben nicht gesehen!« Und als der König erst das Mahl eingenommen hatte – welches aber für die Freunde des Popanzes war zugerichtet worden – hatte tüchtig gebechert, hatte die unmenschlichen Reichthümer gesehen, die im Schlosse waren, da ward der König höchst gnädigst gerührt, und seine Prinzessin in den Gürgen – in den Herrn Grafen Carabas wollt ich sagen, ganz vernarrt, und der König bot ihm seine Prinzessin zur Gemahlin an. Die wurde denn natürlich angenommen, und weil der König keinen Prinz hatte, so wurde der Gürge König, nach des Königs Tode, und regierte ganz entsetzlich löblich, wie alle Regenten.

So half die List der Einfast fort!

Aber der Kater mochte nun keine Mäuse mehr, als etwa einmal zum Zeitvertreib fangen, sondern fraß Braten und Leckerbissen aus des Herrn Grafen und des Königs Küche, und die Prinzessin bewunderte lange Zeit die Schönheit und den hohen Geist ihres Gemahls.

Alles das machte der gestiefelte Kater!

Fußnoten

1 Freilich, im Mährchen sollte der Kater wohl das Maul halten, wenn er die Sache verstände; in der Fabel könnte er so viel sprechen als er wollte, Indessen man sieht, er verstand nicht was sich gehört. Ja! wenn es ein verzauberter Kater gewesen wäre, da wäre es gegangen, aber da wäre das ganze Mährchen anders. – Nun! ich kann ihm das Maul nicht verbieten. So spreche er denn!

Alibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[30] Alibaba und die vierzig Räuber.

Zufall und Glück.


Es lebten in einer persischen Stadt zwei Brüder, welchen der Vater fast gar nichts hinterlassen hatte. Der eine hieß Kaßim, der andere Alibaba.

Dem Kaßim wollte das Glück bald wohl, denn die Frau, welche er geheirathet hatte, erbte kurz nach der Heirath Geld und Gut in Menge, ein großes Waarenlager voll der köstlichsten Handelssachen, ein prächtiges Haus und viele Grundstücke. Kaßim war nun der reichste Kaufmann in der Stadt. Alibaba hingegen hatte lange Zeit keinen andern Erwerb, um Weib und Kinder zu ernähren, als in dem nahgelegenen Walde Holz zu hauen, und auf die drei Esel zu laden, die seinen ganzen Reichthum ausmachten, und dann das Holz zu verkaufen. Das mußte denn Tag für Tag geschehen, denn sonst hätte er nichts zu brocken und zu beißen gehabt. – Aber sein Glück kam nach.

Alibaba war eines Tages auch in dem Walde, und sahe in der Entfernung einen großen dicken Staub aufsteigen. – Er sahe bald darauf einen Trupp Reiter heran traben; man hatte in der Stadt von Räuberbanden gesprochen, die im Walde hauseten. – Das sind die Räuber gewiß, dachte Alibaba, und sie machen dich wahrhaftig todt, wenn sie dich erwischen. Die Räuber denkt man sich immer als Mörder, und häufig sind sie es denn leider auch.

In der Angst ließ Alibaba seine Esel im Stich, und kletterte auf einen hohen vielbeasteten Baum, der neben einem hohen Felsen stand, und in dessen Zweigen er sich ganz und gar verbergen konnte, und da er nun sicher war, so wurde er denn auch neugierig, wie[31] eine Nachtigall, und wollte sehen, wo die Räuber zu ritten, und was sie auf den Pferden hätten?

Zu seinem Erschrecken halten die Räuber unweit des Felsens stille, – er zählte ihrer vierzig. Einer aus dem Haufen, welcher ganz anders gekleidet war als die andern, ließ den Trupp einige hundert Schritte weit hinter sich, ritt aus dem Haufen hervor, bis an den Felsen heran, stieg vom Pferde ab, das er an einen Baum band, stellte sich vor dem Felsen hin, und sprach ernst und feierlich die Worte: »Sesam 1 thu dich auf!«

Es flogen zwei große Flügelthüren auf, die kein menschliches Auge zuvor im Felsen entdeckt haben würde, und nachdem dieß geschehen war, rief und winkte der Hauptmann seinen Räubern, die nun allesamt herantraten, und schwergefüllte Mandelsäcke von den Pferden abhoben, und in den Felsen hinein schleppten.

Alibaba hatte Alles gesehen und Alles gehört, wußte nun woran er war, und verhielt sich ganz mäuschenstill. – In kurzer Zeit und nachdem die Pferde die Gerste gefressen hatten, die man ihnen in Säcken an den Hals gehängt hatte, trabten alle wieder ab; die Räuber einige hundert Schritt weit voraus, der Räuberhauptmann aber blieb noch vor dem geöffneten Felsen, und nachdem seine Leute weit genug fort waren, sprach er wieder mit feierlichem Ernst: »Sesam thu dich zu!« – Und die Felsenthüren flogen zu, und der Räuberhauptmann ritt nun seinen Leuten nach.

Alibaba war nicht so dumm, daß er sogleich von seinem Baume herab gestiegen wäre, denn er dachte, es könnte doch wohl einer von [32] der Bande etwas vergessen haben, und wieder umkehren, dann hätte dieser ihn ja gewißlich kalt gemacht. Aber als er glaubte, er habe lange genug gewartet, und nun sei es wohl an der Zeit, stieg er vom Baume herab, und nun fing er auch um seine Esel wieder an besorgt zu werden. Die Lust nach Schätzen jedoch war auch erwacht! O welche Kostbarkeiten konnten in der Höhle liegen – und er war ja so arm – und den Räubern zu rauben, schien ihm kein Verbrechen, und keine Sünde. Kurz er versuchte, ob sich vor den wohlgemerkten Worten auch ihm die Thür aufthun würde, und ließ indessen die Esel noch ungesucht. – Ach nur Ein Säckchen Gold! das machte ihn ja glücklich!

Er trat zweifelhaft vor den Felsen, und sprach: »Sesam thue dich auf!« und zu seinem Erstaunen that der Felsen sich auf.

Er ging, obwohl etwas zaghaft hinein, und statt ein dunkles Höhlengewölbe zu finden, fand er einen hellen und lichten Raum, weit und groß, wie von Menschenhand bearbeitet, und hoch gewölbt. Das Licht fiel oben von dem steilen Felsen durch eine Oeffnung hinein! – Da fand er die reichsten Stoffe, da fand er seidne Zeuge, da fand er Zeuge von Brokad, und vor Allem Gold und Silber in Massen aufgehäuft, die ihm freilich, dem armen Manne, unermeßlich vorkommen mußten! – Nun! Er sahe wohl, daß so viel Schätze nicht seit heute und gestern konnten gesammelt sein, sondern daß eine Räuberbande, länger vielleicht als seit einem Jahrhunderte, hier ihre Niederlage müsse gehabt haben.

Ja so! – Als er in die Felsengrotte hinein gegangen war, schlugen sich die Felsenthüren von selbst zu ohne daß er es bemerkte, weil er die Schätze sahe. Beim Räuberhauptmann war das auch geschehen, aber es war ihm entgangen. – Er suchte sich Goldsäcke, so viel er glaubte daß seine Esel würden tragen können, und trug sie hin an die Felsenthür. Als er genug hatte, da erst bemerkte er, wie fest und hart die Thür verschlossen war, und es ward ihm [33] nicht wenig bange. Indessen sagte er: »Sesam thue dich auf!« Und plötzlich öffnete sich der Felsen, und er trug seine Goldsäckchen heraus. Dann sprach er: »Sesam thue dich zu!« und es verschloß sich der Fels wieder, so genau und fest, daß kein Menschen-Auge etwas zu entdecken im Stande war.

Nun suchte der Alibaba erst seine Esel, die er denn glücklicherweise bald wieder fand, weil sie in der Nähe gute Nahrung und Grasung gefunden hatten. Er beladete sie, hauete etwas leichtes Holz, welches er über die lieben Goldsäckchen legte, und trieb spät Abends nach Hause.

Er kam in sein ärmliches Haus zur Nachtzeit an, führte die Esel in den kleinen Hof, und nachdem er das Holz abgeworfen hatte, nahm er die Goldsäcke ab, und trug sie zu seiner Frau ins Haus, die Esel aber trieb er in den Stall, und schüttete ihnen Futter ein.

»Alibaba! jammerte die Frau, nachdem sie die Säcke und das Gold darin gesehen hatte, ach haben dich denn der Teufel und die Armuth geblendet, und du hast ehrliche Leute angefallen und – –«

»Ruhe, Ruhe! liebe Frau, erwiederte Alibaba. Wenn es unrecht ist, Räubern das Geraubte zu rauben, dann bin ich freilich ein Räuber.« Und damit erzählte er ihr Alles.

Da war denn Freude die Fülle auch bei der Frau, und sie mußte mit aller Gewalt nun wissen, wie reich der Goldschatz war, den die 3 Eselladungen betrugen, obwohl ihr der Mann vorstellte, das sei ja nicht nöthig zu wissen. Sie aber konnte die Neugierde nicht zähmen, die man namentlich eurem Geschlecht Schuld giebt, ihr Mädchen, und da sie wohl eben nicht gut rechnen und zählen gelernt hatte, und der Mann vor ihrem Schnellmaul sein eignes Maul halten mußte, so erwählte sie einen Ausweg. Sie erborgte von der Frau des Kaßim ein kleines Getreidemaas.

Hm! hm! dachte die Frau Kaßim, was müssen denn die armen Hechte zu messen haben? – das möcht ich wissen? Man sieht, daß [34] sie auch neugierig war. Sie bestrich unten die Zusammenfügung des Bodens mit Talg, und dachte, es muß doch so ein Getreidekörnchen daran hängen bleiben; da weiß ich doch, was die hungrigen Lumps gemessen haben! – Man sieht, daß der Geldhochmuth mit der Neugier, die beide gleich erbärmlich sind, aus ihr sprachen!

Alibabas Frau fing nun an die Goldstücke zu messen, und berechnete, wie viel herrliche Kleider, Schleier und Ringe und allerlei Putz sich davon würde anschaffen lassen, denn sie hatte hübsch viel Mäßchen heraus gemessen, und trug nun das kleine Gemäße sogleich wieder hin, damit die Frau Schwägerin doch sehen möchte, welche pünktliche Wirthin sie wäre, ohne gewahr zu werden, daß sich unten am Talg ein Goldstück angeklebt hatte. Auch bedankte sie sich fein, und mit vielen Worten, damit die Frau Schwägerin auch wissen möchte, sie sei eine recht artige und höfliche Frau, die Lebensart verstände.

Das erste was die Frau Kaßim that, war, das Gemäße zu besehen, und – »o du gerechter Himmel!« schrie sie, »das Lumpenpack das! es mißt das Gold mit Scheffeln, und thut so ärmlich? – Mann! schrie sie, da komm und siehe, was du für ein jämmerlicher Schuft bist; der Alibaba mißt sein Gold nach Maaßen, und nimmt sich nicht einmal die Mühe es zu zählen, und du bist ein ruppiger, räudiger Hund dagegen!« – Und so eröffnete sie denn unter Schelten und Schimpfen auf den Schwager und auf den Mann, alles was sich zugetragen hatte. Man sieht daraus, was für eine gute und gelassene Hausfrau sie war, und welch ein neidloses Herz sie gegen andere Menschen, und namentlich gegen den Herrn Schwager und gegen die Frau Schwägerin hatte. Uebrigens rühmte sie, weil sie sehr bescheiden war, ihre Verschlagenheit und List gegen den Mann, den Dummhut, mit welcher sie Alles heraus gebracht hätte.

Kaßim hatte schon seit der Zeit, da seine Frau die große Erbschaft gethan hatte, mit dem Bruder keinen Umgang mehr gehabt, [35] denn der elende Mensch schämte sich des armen Bruders, weil er reich geworden war, und grollte nun auch, daß der Bruder vielleicht noch reicher möchte geworden sein, als Er war! Und da der Hausdrache, nämlich die zärtliche Gattin, Feuer und Flammen spie, und ihm befahl was er zu thun habe, so rückte er, nach durchwachter Nacht, in erster Morgenfrühe, dem Bruder ins Haus.

»Alibaba,« sagte er, – denn der Name Bruder schien ihm unter seiner Würde, und paßte sich wohl auch nicht, da er in so häßlicher Absicht kam; – »Alibaba, Ihr meßt das Gold nach Scheffeln, und stellt Euch wie ein Bettler. Ich muß wissen, was das heißen soll?«

»Ich verstehe dich nicht, lieber Bruder, sagte Alibaba.«

»Hoh! nur nicht so dumm gestellt! Ich will wissen, woher du zu so vielen Goldstücken kommst, oder ich gehe zum Statthalter, und er soll Alles wissen, und du sollst an den Galgen.« – Es klebte ja noch ein Goldstück am Gemäße.

Alibaba sahe aus den verworrenen und mit Drohungen unterbrochenen Worten des Herrn Bruders dennoch deutlich genug, wie nachtheilig ihm die Neugier seiner Frau geworden sei, und da er überdieß eine grundehrliche und treuherzige Haut war, so eröffnete er dem vornehmen Herrn Bruder Alles. Auch dachte er, der Schatz langt ja mit seinen Schätzen für uns Beide aus.

Kaßim that recht stolz und dumm, welches denn immerdar beisammen und oftmals gar einerlei ist. Der Baba mußte ihm Alles ansagen und genau beschreiben, und that es denn auch ohne Widerrede, zumal da ihn der Kaßim recht brüderlich bedrohte, Alles anzugeben. Er ging ehrlich zu Werke, der Baba nämlich, und zeigte dem Bruder die Worte an, wie er in die Höhle hinein und hinaus kommen könnte.

»Nun weiß ich wohl genug, dachte Kaßim, und weil ich doch weit mehr Esel habe, als der« – denn er schämte sich selbst in Gedanken [36] das Wort: Bruder, zu sagen, weil er so reich und vornehm war, – so will ich schon den größten Theil des Schatzes morgen Abend bei guter Zeit in meinem Hause haben.

Mit 20 Mauleseln, mit leeren Koffern beladen, zog er bei Tagesanbruch aus, und die Koffer wollte er dann aus der Raubhöhle füllen, und so auf gleiche Weise nach und nach dieselbe leeren! – I! ja doch! Das war gar leicht!

Er kommt nach der Beschreibung an die rechte Stelle. Er sagt: »Sesam thue dich auf;« und der Felsen öffnete sich.

Da ging er keck und hochmüthig hinein, und findet mehr Reichthum, als er je gedacht hatte; untersucht jedes Einzelne genau, taxirt es, wie ein Kaufmann thut, nach Thaler und Groschen, und weiß fürwahr nicht, was er unter solchen kostbaren Dingen wählen soll, deren so manche ihm gar noch nicht vorgekommen waren. – Er verschlang Alles mit seinen Blicken, denn als er reich geworden war, war er auch gierig geworden. Er schleppt hier einen Sack, und dort einen Sack fort, und schleppt ihn dann wieder hin, denn dieser Sack da, und jener dort, schienen ihm viel besser.

So verging der größere Theil des Tages, als er denn doch endlich mit seiner Wahl zu Stande kam, und nun nur die Maulesel beladen wollte. Aber die Gier und der Anblick der Schätze hatten ihn alles Gedächtnisses beraubt, und als er mit seinen Schätzen heraus wollte, hatte er das rechte Wort vergessen. »Gerste thue dich auf!« sagte er; aber Gerste that sich nicht auf! – »Weitzen, Hirsen, Mais, thue dich auf!« hieß es nun, aber es war Alles nichts. Nun verlor er in der Angst auch den Kopf eben sowohl, wie er das Gedächtniß schon verloren hatte. Erst hatte er berechnet, was er mit den ungeheuern Schätzen anfangen wollte, wie ihn die Leute anstaunen würden, und welch ein entsetzlich gescheuter Kopf er bei seinem Reichthum sein würde, und nun hatte er gar keinen Kopf! Anstatt sich zu besinnen, ergriff ihn der [37] Schrecken. »Gott wenn du hier in der Höhle verschmachten müßtest, oder, wenn die Räuber kämen, und dich ermordeten?«

Ach du unglücklicher Kaßim! die Räuber waren schon da! Sie hatten einen guten Fang gethan, den sie in der Felsenschatzkammer in Sicherheit bringen wollten. Sie sehen die Maulesel mit den Koffern, sie vermuthen Unrath, und stürzen im vollen Gallopp heran, und die in Furcht gesetzten Maulthiere fliehen davon.

Die Räuber lassen sie fliehen, denn ihnen lag daran, denjenigen zu finden, dem sie angehörten. Einige revieren um den Felsen und in der ganzen Gegend umher, indessen die Andern dem Felsen in gehöriger Entfernung gegenüber halten, der Räuberhauptmann aber dicht vor dem Felsen die geheimnißvollen Worte ausspricht.

Unglücklicher Kaßim! Du hattest im Felsenschatz das Herantraben der Räuber mit Todesangst gehört, du wolltest dich in der Verzweiflung retten, du stürztest auf den Hauptmann so ein, daß er zu Boden fiel, aber die andern hieben dich nieder, und da warst du todt!

Die Räuber gingen in die Grotte und sahen wohl, wie es gemeint gewesen war, und hielten Rath. Es war sehr viel wundersames für sie in der Geschichte. Die Frage war, ob nur Einer mit dem Geheimniß der Felsenhöhle bekannt sei, oder mehrere? Der Eine war glücklich kaput gemacht, aber wie denn, wenn noch Einer darum wußte? – Darauf kam es an!

Sie kamen auf einen Einfall, den sie für recht gut hielten, und zerstückelten den Kaßim, das heißt sei nen todten Leichnam, in vier Theile, und stellten die vier Stücke inwendig in der Höhle, neben der Felsenpforte hin. Sie sahen wohl ein, daß, wenn diese Stücke nachmals fehlen würden, noch ein Mitwisser da sein müsse, den man dann auch kaput zu machen haben würde! Sie nahmen sich vor, die Höhle so lange zu meiden, bis sich der üble Geruch von dem Leichnam würde verzogen haben.

[38] Da es zu Nacht ging, kam die vornehmstolze Frau Kaßims zu Alibaba, der mit Bedacht nicht diesen Tag war ins Holz gegangen, und war über das Ausbleiben des lieben Eheschatzes sehr in Angst und Sorgen. Der Schwager tröstete sie mit gutem Herzen, und hatte keine Unruhe über Kaßims Ausbleiben, und dachte, daß er mit Fleiß wohl erst zu Nacht habe nach Hause kommen wollen, welches denn die Frau Kaßim begriff, und ruhig bis zu Mitternacht wartete. Aber als er da noch nicht da war, verwünschte sie ihre Neugier eben so sehr, als ihr Mann im Felsen seine Geldgier schon verwünscht hatte, brachte die Nacht in Thränen zu, und hätte gern laut geheult und geschrien, und sich die Haare ausgerauft, wenn sie nicht der Nachbarschaft wegen zurück gehalten worden wäre.

Obwohl seine Frau Schwägerin eben nicht hübsch gegen den Baba gewesen war, hatte dieser doch gleich am nächsten Tag seine drei Esel gesäumt und gesattelt, und war in den Wald gegangen. Er sahe die Maulesel nicht, und den Bruder sahe er auch nicht, als endlich nur geviertheilt in der Felsenhöhle. – Weil er ein Bruderherz hatte, that es seinem Herzen weh! Er errieth Alles.

Er machte zwei Packete von den vier verbluteten Viertheilen des Bruders, und beladete einen seiner Esel damit, indem er etwas Holz darüber legte. Die beiden andern Esel aber beladete er mit Goldsäcken, aber freilich auch ein bischen Holz darüber, indem er doch seinen Fund Niemand wollte wissen lassen!

Um die Maulesel konnte er sich jetzt nicht bekümmern!

Somit kam Baba nach Hause, und brachte der Schwägerin den vierzerstückten Gemahl. Zuerst eröffnete er das ganze Geheimniß der eben so treuen als klugen Sklavin Morgane. Sie sah gleich ein, worauf es ankam, und selbst die Wittwe des Kaßim begriff es. – Es war tief Mitternacht!

Morgane ging, damit Alles natürlich möchte aussehen, zu einem Apotheker in der Nachbarschaft, klopfte hastig und heftig an, [39] und fordert eine Arznei, die man nur in sehr gefährlichen Krankheiten anzuwenden pflegte. Sie sagte ihm seufzend, daß ihr lieber Herr krank, sehr krank sei, und der Apotheker bedauerte das, wie es sich gehört!

In der nächsten Mitternacht klopft die Morgane den Apotheker wieder heraus und mit Schluchzen und Heulen – auf die Schauspielerei verstand sie sich, wie Ihr noch fürder hören sollt – fordert eine Essenz, die man nur dann gebrauchte, wenn es auf Tod und Leben ging.

Mit dem allerfrühesten Morgen, wo es eben zu dämmern anfangen wollte, ging Morgane zu einem ehrlichen alten Schuhflicker, der einige Gassen weit davon seine Bube hatte, und immer zuerst auf dem Platze war. Sie sagte: »guten Morgen, Mustafa!« – und nun werdet Ihr es mit Euren feinen Spitzschnäbeln gleich weghaben, daß der Mann Mustafa geheißen ward. Das macht, Ihr seid ganz kluge Spitzmäuse! – »Guten Morgen ehrlicher Mustafa,« sagte sie, und drückte ihm zum noch bessern guten Morgen, ein großes Goldstück in die Hand, welches der alte Knabe schmunzelnd ansahe, weil er so etwas goldnes und blinkerndes in seinem armseligen Schuhflickerleben kaum ein Paar mal gesehen, aber noch niemals besessen hatte. – Ach Gold! Gold! – Gold ist ein verführend Ding, und Königreiche sind dadurch verrathen worden.

»Hübsch Mädchen! hübsch Mädchen!« sagte der alte Papa; »was soll ich dir schaffen? Was soll ich dir thun? Dein Goldstück ist gut und schön blinkernd – aber ist es Deine Sache auch? – Darauf kommt es an, mein Töchterchen!«

Wir sehen, Mustafa war ein ehrlicher alter Bursche.

»Mustafa, sagte Morgane, die Sache ist recht und echt, wie dieses Gold, – sie steckte ihm dabei noch ein Goldstück in die Hand – aber es muß freilich Alles verschwiegen bleiben, und ich muß dir [40] die Augen verbinden, und dich wohin führen, wo du etwas zu flicken finden wirst.«

Der Mustafa glaubte dem lieben hübschen, offenen Gesichte – denn so ein ehrlich und offenes Gesicht, Ihr lieben Herzen, ist ein Empfehlungsbrief Gottes. Aber den zwei herrlichen Goldstücken glaubte er doch auch ein wenig! Er ließ sich die Augen verbinden, und von der Morgane, die ihn erst einigemal im Kreise herumdrehte, führen. Erst in dem Zimmer, wo der zerstückte Leichnam war, nahm sie ihm die Binde ab.

»Hier mein ehrlicher Mustafa, sagte Morgane, hast du deine Arbeit!« Mustafa schüttelte zwar den Kopf, aber er nähete doch die vier Stücken mit Pechdrath, wie ich mir einbilde, zusammen. Die Augen wurden ihm nun wieder verbunden, und er selbst an seine Bude zurück geführt, wo er sich, nachdem Morgane schon lange fort war, die Binde abnahm, und sich bei seiner Bude fand. Noch ein Goldstück hatte sie ihm in die Hand gedrückt.

Morgane war wieder zu Hause, und nun wurde auf gut morgenländisch erst das Todtengeheul angestellt, damit die Nachbarn wissen möchten, hier sei ein todtkalter Mann, und mitheulen könnten. – Das war denn dort die Sitte, und darum geschahe es auch.

Es kam der Iman mit seinen andern Geistlichen, und sie stimmten die Todtengesänge an, und beteten die Gebete für den Todten – aber sie wußten freilich nicht, daß er aus vier Stücken zusammengeflickt war. Für Ein Stück Leichnam sangen und beteten sie nach Herzenslust, und mit großer Inbrunst; aber für vier Stück Leichnamsstücke hätten sie fürwahr das Maul nicht aufgethan. Die Morgane that schreiend und heulend, was sie vermochte, indem sie dem Leichnam folgte. Die Nachbarn thaten eben also.

Und der Kaßim wurde beerdigt, durch vier der nächsten Nachbarn. Im Leben hatten sie vielleicht mit ihm gezankt und gestritten, [41] aber im Tode trugen sie ihn friedlich zum ewigen Frieden. – Das macht, er war nun todt! – Es versteht sich, daß der Baba und die übrigen Nachbarn, die der Leiche folgten, weil es die Zeremonie also erforderte, auch recht kläglich thaten. – Im Tode ist ja Alles gut!

Die Frau des todten Kaßim heulte und schrie zu Hause kläglich und beweglich, so daß es alle Nachbarn hören konnten. – Alle Welt dachte nun, der reiche Kaßim sei natürlichen Todes gestorben. Natürlich wars ja denn auch wohl, daß, wenn Jemand nieder gehauen und in vier Stücke getheilt wird, er wirklich todt sein muß. Ich wenigstens glaube es, und wenn ihr dazu nicht Lust habt, so haltet es, wie ihr wollt!

Sechs oder acht Tage nach der Beerdigung des Bruders schaffte Alibaba alle seine Habseligkeiten, Weib und Kinder mit eingerechnet, in des todten Bruders Haus, und was Euch wundersam bedünken mag, aber doch nach Muselmanns Art Sitte und Gesetz ist – er heirathete die Schwägerin! – Nun lebte denn die ganze Familie beisammen, und der Baba war nun ein ganzer Mann!

Zehn oder zwölf Tage hernach kamen die Räuber wieder zur Höhle, und sahen, daß der todte Mann fort war! Um einen todten Mann sollte man sich eben nicht so sehr kümmern; aber die Räuber waren ganz andern Sinnes, und bekümmerten sich gar sehr darum; denn sie dachten, wenn es der allein ist, der um unser Geheimniß weiß, so muß er noch in der Felsen-Schatzkammer sein, und wir wollen es ganz gern sehen, obwohl wir ihn nicht werden ganz gern riechen können! – Ja! der todte Mann war aber fort – ganz fort! Der Räuberhauptmann vermerkte also, daß außer dem Geviertheilten noch Jemand um das Geheimniß wissen müsse, was selbst seine Räuber nicht wußten, nämlich, wie man den Felsen öffnen könne. Er hatte ihn mit dem Zauberwort geöffnet, aber der todte Mann war fort, und einige Säcke mit Gold und Geld waren [42] auch fort. Er war, wie gesagt, witzig genug zu errathen, daß wenigstens noch Einer um das Geheimniß wissen müßte. Die Kunst war aber, heraus zu bringen, wer denn der Eine sei?

»Wir sind entdeckt und sind verloren, Kameraden, sagte der Hauptmann zu seinem Chor, und entdeckte Alles. – Die Frage ist nur, sprach er nach langer Abrede, wie wir den Spitzbuben ausfindig machen, der das Geheimniß weiß, und uns am Ende um Alles bringen kann, was die braven Vorfahren und wir selbst mit so vieler und großer Mühe zusammen gehäuft haben. Kalt muß er gemacht werden, das sehet Ihr selbst ein, aber wer will ihn aufsuchen? – Wer ihn verfehlt, der muß sterben! Das seht ihr doch auch ein, da die Sache so wichtig ist, und wir, ehe wir weiter stehlen und rauben, erst denjenigen wissen müssen, der uns beraubt!«

Die Räuber sahen als verständige Leute Alles ein. Einer trat hervor und sagte, er wolle den Spitzbuben schon ausfindig machen.

»Es gilt deinen Kopf, Kamerad,« sagte der Hauptmann, »und es ist hier gar nicht zu spaßen! Hast du das begriffen, daß du dein Leben zum Pfande einsetzest?«

Der Kamerad versicherte, er habe Alles recht wohl begriffen, und setzte seinen Kopf, der vielleicht eben nicht viel werth war, zum Pfande ein, und erhielt nun die Erlaubniß Alles zu erforschen. Es war ein patriotischer Mann!

Der Räuber kleidete sich wie ein Reisender, und ging in die Stadt, und kam in früher Morgenzeit dahin, wo der Schuhflicker Mustafa Schuhe flicken wollte: und schon die Pfrieme in der Hand hatte.

»Guten Morgen, Vater!« sprach der Räuber; »Ihr fangt früh an, und könnt noch nicht einmal sehen?«

»Wie? Was?« antwortete der Mustafa; »Ihr müßt mich doch wahrhaftig nicht kennen. Wißt Ihr denn nicht, daß ich der alte Mustafa bin, den die ganze Welt kennt, und daß ich die prächtigsten [43] Augen von der Welt habe. Hoh! hoh! vor nicht sehr vielen Tagen hab ich noch einen geviertheilten Leichnam zusammen genäht, wo es noch viel dunkler war als jetzt.« Man sieht, der alte Papa konnte das Maul nicht halten.

Oho! der Räuber war hoch erfreut, und dachte, es wäre nun ihm schon Alles gewiß genug. »Warum denn einen Leichnam geviertheilt und wieder zusammen geflickt, alter Vater?« fragte er; und der Mustafa sagte gerade so viel als er wußte, obwohl manche andere Menschen in ähnlichen Fällen viel mehr sagen, als sie wissen. Das Maul konnte er, wie gesagt, freilich nicht halten; aber er sagte doch nicht mehr als er wußte.

Mit ein und zwei Goldstücken wußte denn der Räuber bald Alles, was sich und wie es sich zugetragen hatte, und bat den Mustafa, ihm doch wenigstens das Haus zu zeigen, wo er den Leichnam zusammengeflickt hätte, denn Er, der Räuber nämlich, wäre ein gar neugieriger Mann!

»Ja! Haus zeigen? sagte Mustafa lachend. – Sie haben mir ja die Augen verbunden, wie sie mich hinführten, und haben mich dann mit verbundenen Augen auch wieder zurück geführt.«

»Nun! sagte der Räuber, so wirst du dich, so ohngefähr doch, noch zum wenigsten besinnen, wie man dich geführt hat, als dir die Augen verbunden waren. Da hast du noch ein paar Goldstücke; laß die Augen dir verbinden, und führe dann mich wie du denkst!«

Die Goldstücke fingen an dem Mustafa zu gefallen. Er ließ sich die Augen verbinden, ließ sich gehörig erst umdrehen, er wandte sich rechts, er wandte sich links, und traf es fürwahr gerade so, wie Morgane ihn geführt hatte. »Hier fürwahr, wenn mich nicht Alles trügt, muß das Haus sein,« sagte er, indem er inne hielt.

Der Räuber machte ein leichtes Zeichen mit Röthel an das Haus, gab dem Mustafa noch ein Goldstück, und nahm ihm die [44] Binde ab, nachdem er ihn aber erst wieder an seine Bude zurückgeführt hatte. Kaßims Haus war wirklich richtig bezeichnet.

Morgane kam bald darauf aus dem Hause, etwa um Milch zu holen, oder sonst wozu, und weil ihre Guckaugen scharf und hell nach Allem sahen, sahe sie auch das Röthelzeichen. »Was soll denn das?« dachte sie; und brachte was sie dachte, sogleich in Verbindung mit den Räubern. Sie nahm einen Röthelstift aus dem Hause, und bezeichnete ganz genau mehrere Häuser zur rechten und zur linken Hand, eben so, als das ihrige bezeichnet war.

Der Räuber war bei guter Zeit wieder bei seinen Kameraden, und that nicht wenig hochmüthig, daß er Alles ausgeschlauet hatte, und wußte sich viel damit, und der Räuberhauptmann und die andern Räuber lobten und bewunderten ihn; ja! Manche beneideten ihn wohl gar. Er erzählte wie Alles gegangen sei, und wie er den alten Altreiß oder Schuhflicker gewonnen habe.

Der Räuberhauptmann nahm nun seine Maasregeln, und den nächsten Tag war der ganze Trupp im Marsche nach der Stadt zu, aber freilich, um nicht Verdacht zu erregen, nur zu zweien oder dreien auf einmal, und zu verschiedenen Thoren hinein, in verschiedentlicher Kleidung, und mit versteckten Waffen.

Der Hauptmann ging mit dem ausspähenden Räuber allein, (indessen die andern zerstreut auf dem Markte blieben,) um das Haus zu wissen, wo der Räuber von den Räubern wohnte. Denn wer ihnen etwas nahm, war auch ein Räuber, und ein Haupträuber, nach ihren Gedanken, den sie nicht leiden konnten.

»Da sind ja viele Häuser mit Röthel bezeichnet,« sagte der Hauptmann, »welches ist nun das rechte?« – Da stand Hans Dumm, und wußte nichts zu antworten. Der Hauptmann gab seinen Leuten ein Zeichen, und sie entfernten sich alle wieder einzeln aus der Stadt. Der vorwitzige Ausspäher wurde einmüthig zum Tode verdammt und hingerichtet.

[45] Es fand sich dennoch ein zweiter, der seinen Kopf daran wagte, den Räuber, der ihnen gefährlich war, auszuspähen. Der alte Mustafa führte ihn, und empfing seine Goldstücke, der Räuber zeichnete mit Kreide, Morgane bemerkte es wieder, und bezeichnete auf gleiche Weise die benachbarten Häuser, die Räuber kamen unter mancherlei Verkleidung abermals in die Stadt, und siehe da! es war wieder nichts, und der Kundschafter unter den Räubern verlor ebenfalls seinen Kopf, wenn er anders vorher einen gehabt hatte.

»Selbst ist der Mann!« dachte der Hauptmann, und ging in die Stadt. Mustafa empfing seine Goldstücke und führte ihn. Der Hauptmann merkte sich das Haus, ohne alles Zeichen, aber er merkte es sich genau, und nun that er den Räubern seine Vorschläge, die allgemein angenommen und gebilligt wurden.

Es wurden Maulthiere eingekauft, und lederne Schläuche, in welchen man im Morgenlande das Oehl zu bewahren pflegt, in deren einem wirklich Oehl war, die andern aber waren nur mit Oel beschmiert, und die Räuber steckten darin mit guten Dolchen versehen, und der Hauptmann trieb die Maulthiere vor sich her, und hatte sich in einen Oehlhändler verkleidet. Er richtete sich so ein, daß er erst eine Stunde nach Sonnenuntergang in die Stadt kam. Er trieb seine Thiere nach Alibabas Hause zu, welchen er auch noch vor dem Hause sitzend fand. »Herr, sagte er, ich bringe Oehl und komme weit her. Ich will es morgen verkaufen, weiß aber für diese Nacht weil ich unbekannt bin, kein Unterkommen für mich und meine Thiere, vielleicht hättet ihr ein Plätzchen.«

»Nur herein, immer herein, unterbrach ihn der gutmüthige Hauswirth, es ist Platz genug da, für Euch und Eure Thiere.« Die Schläuche wurden in dem Hofe abgeladen, und die Thiere in die Ställe gezogen. Der Hauptmann wollte im Hofe bleiben, wo er freilich seinen Plan am besten hatte ausführen können, aber alle seine Einwendungen und Ausreden halfen nichts gegen Alibabas [46] gutmüthige Höflichkeit. Er mußte ein Nachtessen annehmen, das aber Morgane erst mit Hülfe eines Sklaven zubereitete, und eine Schlafstelle in einer Kammer. Der Hauptmann ging noch einmal in den Hof, öffnete des Athemholens wegen die Gefäße, und sagte seinen Leuten, daß sie sich heraus schneiden sollten, sobald er mit kleinen Steinen würfe.

Morgane war noch mit dem Sklaven in der Küche beschäftigt, um ihrem Herrn, der vor Tagesanbruch ins Bad gehen wollte, eine gute Fleischbrühe zur Stärkung zu kochen. Auf einmal sahe sie, daß die Lampe ausgehen wollte, und daß im Kruge kein Tröpfchen Oehl mehr vorhanden war.

»Ist doch Oehl genug auf dem Hofe! dachte sie. Ein Paar Tropfen Oehl wird der Oehlmann schon für Beherbergung abgeben können.«

Sie geht in den Hof, und will den nächsten besten Schlauch anzapfen, aber indem sie den Schlauch kaum berührt hat, ruft es daraus dumpf und leise hervor: »Ists Zeit?«

Sie erschrickt, aber sie faßt sich sogleich wieder, und weiß woran sie ist. Die geöffneten Schläuche – ja Schläuche mit Oel öffnet man eben – die Zeichen mit Röthel und Kreide – der arme geviertheilte Kaßim u.s.w. – Genug; sie wußte woran sie war, und antwortete ebenfalls leise: »noch nicht! aber bald!«

Sie klopfte nun an alle Schläuche! Aus allen dieselbe Frage, aber auch dieselbe Antwort. Nur der letzte Schlauch enthielt Oehl, und da zapfte sie, unter Mithülfe des Sklaven, der sich ganz still verhalten mußte, einen großen Kessel voll ab, der über dem Feuer siedend heiß gemacht wurde. Sie goß in jeden Schlauch einen tüchtigen Krug voll Krug voll siedendes Oehls hinein, und drückte den Spund darauf. Denen, welche darin waren, verging das Rufen und Schreien; sie waren alle sieben und dreißig gewiß und wahrhaftig ganz ordentlich todt. Wers nicht glauben will, muß einen Thaler geben! Und den bekomme ich.

[47] Jetzt stellt sich die Morgane auf die Lauer. In kurzer Zeit wirft der Hauptmann Steine auf die Schläuche, und horcht – horcht! Aber er erhorcht kein Geräusch; er sieht keinen Kameraden, der herauskäme. Er wirft und wirft, und klettert am Ende geräuschlos zum Kammerfenster hinaus, geht an die Schläuche, fragt, horcht, aber bekommt keine Antwort.

Es wird ihm unheimlich, da er merkt daß seine Leute todt sind, indem doch wohl unter sieben und dreißig lebendigen Menschen Einer das Maul aufgethan haben würde, um eine Antwort zu geben!

Er klettert über die Gartenwand, und macht sich davon. Morgane hatte Alles gesehen – Sie unterrichtet den Herrn von Allem, und beerdigt die todten Räuber, mit ihm, und mit dem Sklaven, der auch eine ehrliche Haut war, in den Garten.

Mausetodt waren sie nun Alle, nur der Hauptmann noch nicht, und Morgane verdoppelt ihre Aufmerksamkeit, denn sie setzte mit Recht voraus, daß der Hauptmann seine Tücke nicht lassen, und dem Baba schon noch einmal zu Leibe gehen würde. – So wars denn auch.

Der Räuberhauptmann überlegte. »Der Hund muß nieder, denn sonst behältst du keinen Pfennig im Felsenschatz. Und wenn er nieder ist, dann erst ist es wieder an der Zeit, eine neue Gesellschaft (Bande) zu errichten. Neun und dreißig brave Kameraden dahin? – Nun du sollst es mit deinem Blute lösen!«

Der Hauptmann erspähete in der Stadt unter mancherlei Verkleidungen Alles. Der Baba hatte schon einen erwachsenen Sohn, der seine eigne Kaufbude hatte, mit goldenen und seidenen Stoffen, Brokaden, Teppichen u.s.w.

Herr Hauptmann kommt, als Kaufmann gekleidet, mit herrlichen köstlichen, aus der Höhle genommenen Waaren, und errichtet sich eine Bude neben Babas Sohn, mit welchem er bald die allerherzinnigste Freundschaft gestiftet hat. Der Sohn, ein noch junges Rotzlöffelchen, ist von der Anmuth, Güte, Freundlichkeit und Höflichkeit des Herrn [48] Budennachbars ganz bezaubert, und erzählt dem Herrn Vater davon, der ebenfalls schon durch die Erzählung entzückt ist.

»Wir müssen dem braven Manne ein Mahl geben, sagt er zu dem Sohne. Führe ihn einmal Abends, so wie durch Zufall, vor meinem Hause vorbei, wo ich dann vor der Thüre sitzen will, um ihn einzuladen.«

So geschahe es denn! Der Hauptmann kam mit dem Sohne; der Vater sprach zu ihm viel liebe und höfliche Worte, wegen der dem Sohne bewiesenen Liebe und Freundschaft, und er wurde zum Abendessen geladen, welches aber erst nach vielen Weigerungen und vielen Zunöthigungen angenommen ward. Zu einem großen festlichen Mahle war Alles auf diesen Fall schon seit langer Zeit bereit. Alibaba empfing den Kaufmann mit unendlicher Gutmüthigkeit, und mit herzlichem Dank für die seinem Sohne bewiesene Güte, und der Kaufmann wußte Alles mit vielen höflichen Worten zu erwiedern, und über den Sohn viele Lobeserhebungen zu machen, die dem Vater gar wundersam wohlthaten.

Er war zwar ins Haus eingetreten, wollte sich aber doch vor der Mahlzeit noch beurlauben, unter dem Vorwande, daß er kein Salz an den Speisen vertragen könne, und sich also bei Tische schlecht ausnehmen würde.

»O! dem ist abzuhelfen, sagte Baba, und ich will in der Küche gleich Anstalten treffen, daß Ihr ungesalzene Gerichte bekommt.«

Morgane bekam ihre Anweisungen, und schüttelte den Kopf. Den närrischen Kautz, der kein Salz essen konnte, mußte sie doch sehen. Sie ging in das Familienzimmer unter irgend einem Vorwand – sahe den Fremden, erkannte bald den Räuberhauptmann, entdeckte in seinem Busen einen wohlgeschliffenen Dolch und nahm ihre Maaßregeln! »Hei! hei! sagte sie bei sich selbst, darum willst [49] mit dem Herrn kein Salz essen, weil du ihn morden willst 2; aber du sollst ankommen! Wart nur!«

Als abgegessen war, und nun, als das Letzte, die Früchte und der Wein kamen, welchen der Muselmann nicht trinken darf, und dennoch trinkt, kleidete sich die Morgane, in die Kleidung einer Tänzerin, that einen goldnen Gürtel um, und steckte einen scharfen Dolch hinein. Zu dem Sklaven sagte sie: »Abdallah, nimm das Tambourin, (Handtrommel) wir müssen den Herrschaften ein Vergnügen machen; ich will tanzen, du sollst spielen.«

So geschahe es. Morgane machte tausend künstliche Sprünge, etwa wie bei uns die Opern- und Ballettänzerinnen. Das ist denn im Morgenlande nichts Ungewöhnliches. Sie tanzte, indem sie den Dolch hoch und tief hielt, und rechts und links damit herum fuhr, mit den künstlichsten Wendungen und Stellungen, und Abdallah strich das Tambourin dazu, daß es tüchtig brummte, und sang auch dazu, so gut er konnte. Und nachdem nun Tanz und Spiel vorbei war, riß sie dem Abdallah die Handtrommel aus der Hand, und der Alibaba, der seine wahre Freude am Tanze und Sange gehabt hatte, legte ihn ein großes Silberstück auf die Trommel; der Sohn auch. Der Hauptmann zog seine Börse aus dem Busen, um der Morgane ein großes Goldstück zu geben, die immer noch ihren Dolch in der Hand hatte! Indem er die Börse zog, stieß sie ihm den Dolch ins Herz, mit einem tüchtigen Stoß. – Und der Hauptmann war eben so todt und kaput, als die andern Räuber allzumal.

[50] Alibaba und der Sohn machten freilich kein schlechtes Lärmgeschrei, aber Morgane machte sie auf das Gesicht des Oehlhändlers, des Kaufmanns, des Räuberhauptmanns, und daß er einen scharfgeschliffenen Dolch im Busen trug, und kein Salz mit seinem Wirthe hatte essen wollen, und noch auf viele andere verdächtige Dinge aufmerksam, und sie begruben den Räuberhauptmann neben den andern Räubern im Garten.

Alibaba war dankbar! »Höre Morgane, sagte er, ich bin dir so viel schuldig! – Wolltest du denn wohl meinen Sohn zu deinem Gemahl nehmen? – Ich weiß dir nicht besser zu danken, du treues Herz du!«

»O! sagte Morgane, wenn er mich nur haben will, so nehm ich ihn gern.«

Der Sohn nahm sie gern, denn sie war eben so hübsch und lieb, als klug und verständig. – Es ward ein sehr glückliches Paar.

Aber zwei Räuber fehlten noch, nämlich die beiden ersten abgeköpften, wovon freilich der Baba nichts hatte wissen können. Sie machten ihm noch Sorgen. Indessen, da sich weiter nun nichts zeigte, fing er an wieder in die Höhle zu reisen, deren Geheimniß er seinem Sohne entdeckt hatte, holte sich Säcke nach Herzenslust, blieb noch eine feine Weile leben, und sein Sohn und seine Ur- und Ururenkel holten sich auch Säcke nach Herzenslust, bis zuletzt nichts mehr im Felsenschatze vorhanden war.

Nun! die Klugheit hatte die Gewalt überwältigt!

Fußnoten

1 Sesam ist ein Getreide, welches im ganzen Morgenlande gebaut wird und unserm Honiggrase sehr ähnlich ist; aber es ist dennoch eine ganz eigne Art Gewächs, aus dessen Körnern man ein helles und süßes Oel preßt. – Aber ich kann es Euch hier nicht deutlicher beschreiben.

2 Wenn der Araber einmal mit Jemand Salz und Brodt gegessen hat, so ist es die heilloseste Heillosigkeit, ihm den geringsten Schaden zuzufügen. Er hält alsdann selbst die wüthendste Rache zurück, und vertheidigt vielleicht, sogar mit seinem Leben, den Andern.

Fortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[51] Fortunat mit seinem Säckel und Wünschhütlein.

Ein nicht reicher Mann zu Famagusta in Zypern, hatte einen Sohn, der wollte hinaus in die Welt, und die Aeltern dachten, so mag er denn hinaus, und sich etwas versuchen, und sehen, wo er sein Glück findet.

Er zog denn fort, zog durch viele Städte und Länder, so übel oder gut er konnte, diente an mehrern Fürstenhöfen ehrlich und treu, und weil er den Herren treu und darum lieb war, wollten ihn die Diener nicht leiden, und trieben ihn, durch die Kunst aller Künste, durch Hofkunst, fort.

Er zog denn fort, fürder und fürder, kam in gute und schlechte Gesellschaft, verthat sein ehrlich erspartes Geldchen, hatte zuletzt gar nichts mehr als guten Appetit, und nichts zu essen, und dachte mit Sorgen, hättest du doch dein Geldchen geschont. Da kam er in einen großen dichten Wald. Er war in einen großen Wald freilich hineingekommen, aber wie sollte er hinauskommen? Er zog der Kreuz und der Queer herum in dem Walde, aber er kam nur nicht hinaus. Wurzeln und Beeren und saure Holzäpfel, waren seine Kost, und das helle klare, liebliche Wasser einer reinen Quelle sein Trank, und das Brummen der Bären, und das Geheul der Wölfe seine Angst und Sorge.

Einmal, da er auch der Herren Bären wegen, die die Könige des Waldes waren, auf einen Baum geklettert war, um zu Nacht darauf zu schlafen, war ihm so ein Waldkönig oder Prinz, nämlich Petz Brummelbär, mit seinen tüchtigen Pratzen und Tatzen nachgeklettert, und trieb ihn von Zweig zu Zweig, immer höher und höher [52] hinauf. Jetzt konnte sich der Fortunat nicht mehr helfen, und zog in der Angst sein scharfgeschliffenes breites Schwert, und hieb und stach auf den Bär.

Der Bär, welcher ein Kerl von Ehre ist, wie ihr wohl wissen werdet, wollte das Stechen und Hauen nicht leiden, hielt sich mit Einer Vordertatze an den Baumast, und will mit der andern dem, der auf ihn sticht und einhaut, eine Antwort geben, wie es sich gebührt. Darüber läßt er die zweite Pratze fahren. Da prasselt er so arg und mit Gelärm vom Baume herab, daß die Thiere, die unten bei einer Quelle waren, gar schleunig davon flohen. Der Fortunat war aber in der Angst auch mit herabgefallen, und zwar also, daß er unten auf dem halbtodten Bären saß, wie auf einem Pferde, und als er sich besann, denselben ganz todt machte, indem er ihn mit seinem Degen todt kikte.

Er sog dem Bären das Blut aus der Wunde, und fand sich sehr erquickt, und wenn er nur gewußt hätte, wie man Feuer anmachen könnte, hätte er von den Bärenpratzen und Bärenschinken ein gar köstlich Mahl halten können. Aber er hatte nun einmal kein Feuer, müde war er gar sehr, und so legte er sich auf das weiche Haarfell des todten Bären, und schlief nach Herzenslust.

Als der Fortunat nach süßem Schlaf aufwachte, steht vor ihm eine schöne Jungfrau, aber er wußte nicht, von wannen sie war, und wie sie daher kam. Aber die Jungfrau sah ihn so lieb und gütig an, daß er ein Herz zu ihr gewann, und sagte: »Helft mir doch aus dem Walde, sonst muß ich umkommen!«

»Sollst nicht umkommen, sagte das Waldfräulein, und will ich dir leicht aus dem Walde helfen, aber ich will dir noch größere Gaben verleihen. Sieh hier meine Säckel, in denselben sind Reichthum, Weisheit, Gewalt, Schönheit, Gesundheit. Wähle dir Eine von den Gaben, die ich dir anbiete, aber nur Eine kann ich dir verleihen. – Wisse, daß ich die Jungfrau Fortuna bin.«

[53] Fortunat besann sich und wählte Reichthum. Hat man Geld, dachte er, so hat man ja Alles, kann sich Ehre und Vergnügen kaufen, kann groß und herrlich werden, und wird auch für weise gehalten.

»Wohl! sagte die hübsche Jungfrau, hier nimm den kleinen Säckel (Säckchen). So oft du hineingreifest, findest du so viel Gold- oder Silberstücke darin, als du haben möchtest. Benutze es gut. Du wirst immer die in jedem Lande gültige Münze finden. – Merke: daß dieser Säckel seine Tugend und Eigenschaft treulich behalten wird, als du und deine Kinder leben, und daß du in jedem Jahr am Ersten des Brachmonats (Junius) ein armes und frommes Mädchen, die einen braven Freier und kein Geld hat, mit vierhundert Goldstücken ausstatten mußt.« – Er gelobte das treulich und die Jungfrau war, nachdem sie ihm den kürzesten Weg aus dem Wald gezeigt, fort, der Säckel aber in seiner Hand.

Fortunat hatte nun freilich durch den willfährigen Säckel des Geldes mehr als er bedurfte, ward aber auch gleich ein wenig hochmüthig, und kaufte dem Grafen des Landes zwei Pferde, über welche dieser mit dem Roßkamm in Handel stand, gleichsam so vor der Nase weg, indem er gar nicht handelte, sondern nur sogleich bezahlte. Das nahm der Graf, weil er doch ein Graf, mithin ein vornehmer Herr und also empfindlich war, hoch übel, und wollte den Fortunat martern, hängen, köpfen, rädern lassen, um anzusagen, wie so ein Lump von Kerl zu so vielem Gelde käme. Hätten des Grafen Herrn und Diener nicht gar sehr für den armen Schelm gebeten und gebettelt, wer weiß wie es möchte gegangen sein, denn der Graf war, wie gesagt, ein gar sehr vornehmer Herr, der ein Paar Menschen schon kann todt machen lassen, wenns ihm beliebt.

Fortunat wurde nun ein bischen klug, und merkte bald, daß der Geringe nicht ungestraft und ungerupft Geld und Gut haben darf, und ging ein wenig vorsichtiger zu Werke. Dazu kam, daß [54] er einen viel versuchten und erfahrnen Mann, Leopold geheißen, antraf, welcher beinahe die ganze Erde der Länge und der Queere durchstrichen war. Den nahm er in seinen Dienst, gab ihm Geld genug, ließ in schalten und walten, Pferde kaufen und Knechte miethen, und weil der Fortunat nun Geld hatte, so war er auch ein Genie, und mußte aller Herren Länder besuchen, aber freilich nicht, wie unsere jungen Genies mit dem Knotenstöcke, sondern zu Pferde, und nicht mit zwei Hellern in der Tasche, sondern mit dem Säckel, der ihm Gold in Menge lieferte, und nicht nur so etwa auf ein halb Jahr, so daß man von ihm auch hätte sagen können:


Es flog 'ne Gans wohl über den Rhein
und kam ein Gick Gack wieder heim,

sondern er nahm sich wohl 15 Jahre Zeit, wo er denn Alles ordentlich und mit Bedacht besehen konnte.

Unter andern kam er nach Hibernia, jetzt Irland geheißen, zu einem armen Kloster, das er reichlich beschenkte, und welchem er auch ein großes Faß Wein verehrte, der den guten Mönchen und selbst ihrem Abte etwas seltenes war, sintemalen in Irland kein Wein wächst. Er hatte ihnen aber auch vom Besten gegeben.

Neben dem Kloster war aber eine große Höhle mit vielen Gängen und Wölbungen, die hieß Sant Patriks Fegfeuer 1, und konnte man sich leicht in derselben verirren, welches ihnen der Abt vorher sagte und sie treulich ermahnte, ja nicht zu weit hinein zu gehen. Er aber dachte sich das Ding gar nicht so schlimm, und ging mit Leopold hinein. Da ward er aber bald inne, daß man guten Rath nicht vorwitzig verachten soll. In Kurzem waren sie verirrt, und wußten nicht wo sie waren, und waren schon zwei volle Tage im Höhlenfegfeuer, kamen aus einem Gang in den andern, hörten [55] nicht das Rufen der Mönche am Eingange, worauf sie sich so sehr verlassen hatten, und wurden von der Angst, vom Suchen und Gehen, und vom Hunger so matt und hinfällig, daß sie ihre Seele der Erbarmung Gottes befahlen.

Den Mönchen wurde aber auch bange, denn sie fürchteten, wenn die beiden umkämen, es möchte kein frommer Wallbruder oder Pilger fürder mehr kommen, deren viele die Höhle besucht, und von welchen das Kloster seinen guten Genieß (Gewinn) gehabt hatte; und die Knechte des Fortunats waren auch in Todesängsten, denn so sollten sie einen so lieben und herzguten Herrn wieder bekommen? Und einen der so reichlich bezahlte?

Die Knechte setzten Alles in Bewegung, und versprachen hundert Rosenobel (oder Kronenthaler), wenn Jemand den Herrn und seinen treuen Leopold retten könne, den sie Alle ja auch recht lieb hatten, weil er so gut und fromm und so verständig war!

O biete nur Jemand viel Geld! Da kann er erlangen, was ein Mensch vermag.

Es fand sich ein Mann, der einst mit Bindfaden die Höhle nach allen Richtungen ausgemessen hatte, und da er hörte, worauf es ankam, und daß er hundert Rosenobel verdienen könnte, durchsuchte er die Höhle überall, und fand auch glücklich die Verschmachteten, erquickte sie zuvor mit Wein und Brodt, und führte sie dann aus der Finsterniß heraus.

Da war große Freude bei Allen!

Nachdem nun der Fortunat noch viel gereist, und viel erfahren hatte, ja beinahe einmal durch einen treulosen Wirth um seinen Säckel gekommen wäre, obwohl er von selbigem keinem Menschen etwas hatte vertrauet, selbst dem treuen Leopold nicht, reiste er wieder nach Famagusta. Da fand er noch seine armen Aeltern, und hielt sie in hohen Ehren, und machte ihnen ein vergnügliches Alter, aber von seinem Glückssäckel sagte er ihnen doch [56] nichts, denn die alten Leute hätten es doch wohl können ausplaudern.

Wer er nun geworden wäre, mußte die Welt freilich auch sehen, aber er selbst hatte ja auch so viel Herrlichkeit und Prächtigkeit gesehen, und baute sich einen großen weiten Palast, mit Gärten und Springbrunnen, und allen Kostbarkeiten, so herrlich, daß ihn der König so treflich nicht hatte. Dazu so baute er, auf einem großen erkauften Platz auch einen großen Dom oder Kirche, zur Ehre Gottes, der ihn gesegnet hatte.

Das machte den König aufmerksam! – Muß das ein Mann sein, dachte er, der so viel verbauen kann! Der hat auf seinen Reisen viel gefunden, und muß mehr können als Brod essen! – Das konnte er denn freilich.

Und kurz und gut, er vermählte ihn mit der Tochter eines armen Grafen, die ihn auch, weil er gar wohlgebildet und gut gestaltet war, gar gern nahm, obwohl die Aeltern das gräfliche Töchterlein gar nicht gern hergegeben hätten an einen bloßen Bürgersmann, hätten sie Geldes und Gutes nur satt gehabt.

Als er aber der lieben Frau Schwiegermutter, und dem hochgebohrnen Herrn Schwiegervater, und den lieben allergnädigsten Comtessinnen Töchtern herrliche Kleider, nebst vielem, vielem Gelde geschenkt, und wohl an drei Wochen oder noch drüber, Feste und Herrlichkeiten, Turniere und Stechen, Tänze und Bälle und leckere Gastmahle gegeben hatte, zu welchem sogar der König mitkam, – ja, da war er der scharmanteste, der allerliebste Herr Schwiegersohn und Herr Schwager.

Das machte das Geld! das Geld. Denn das Geld, das macht hübsch und schön, das macht klug und weise, das macht hoch und gewaltig. Man denkt es freilich nicht, daß im Gelde so viel steckt, aber man sieht es doch tagtäglich, und wenn der Frosch nur Geld genug hätte, könnte er schon ein Elephant werden.

[57] Funfzehn schöne liebe Jahre hatte der Fortunat mit seiner Frau – nein, Gemahlin muß ich sagen – zusammen gelebt, und der liebe Gott hatte ihm zwei tüchtige Jungen – oder Junker – gegeben, aber keine Mädchen, die er und sein eheliches Gemahl wohl auch gern gehabt hätten, aber dennoch nicht bekamen – weil das sich mit Gelde nicht machen ließ.

Fiel dem Fortunat die alte Reiselust wieder ein, da er sahe, daß sein ehelich Gemahl der Töchter keine bekommen würde, und obwohl die Gemahlin ihn gar sehr inständig bat, doch heim zu bleiben, half es doch nicht, und er antwortete ihr, er wolle schon ganzbeinig wieder heim kommen.

Somit zog er von dannen.

So kam er zuerst oder zuletzt, denn ich weiß es nicht mehr, gen Alexandrien, wo ein gar großer und gewaltiger Soldan thronte. Dem verehrte er, kraft seines Säckels, herrliche Kostbarkeiten und Kleinodien, die er in Venedig und Florenz, und da und dort eingekauft hatte.

Deß erstaunte der Soldan und dachte, daß er dem herrlichen und prächtigen Kaufmann, für welchen er ihn hielt, eine Ehre und Ergötzlichkeit schuldig sei, und ladete ihn ein zu Gaste, und zeigte ihm nachher seine Schatzkammer, mit allen Silber und Goldtruhen, und mit allen Edelsteinen und Kleinodien, und der Fortunat bewunderte Alles, und sagte aus purer lauterer Höflichkeit, daß er gar nicht verstehe, wie man so viel hohe Herrlichkeiten so zu- und beisammen haben möchte?

»Spaß das!« sagte der Soldan. »Nichts, gar nichts gegen ein anderes Kleinod, das ich nicht in meiner Schatzkammer, sondern in meiner Schlafkammer bewahre. All meine Schätze sind gar nichts dagegen!«

»Glaub in Unterthänigkeit Euer Hoheiten Alles, sprach der Fortunat, aber das zu glauben, ist mir denn doch fast zu hoch.«

[58] »Nun, du sollst denn schon sehen,« sprach der Soldan, und führt ihn in seine Schlafkammer, holt unter dem Bette aus einer alten Lade, einen alten unscheinbaren Hut hervor, und spricht: »Siehst du, dieses Hütlein ist mir mehr werth, als all meine Schätze; denn die Schätze kann ich allesammt wieder gewinnen, aber so ein Hütlein nimmermehr.«

»Hols Popanz, allergnädigster Herr, sagt Fortunatus, das kann ich nicht glauben; Euer Hoheit belieben zu spaßen. So ein abgeschabtes Hütlein sollt mehr werth sein, als alle Eure übrigen Prächtigkeiten und Herrlichkeiten, die auf Erden nicht zu finden sind!«

»O du einfältiger Fortunat, sagt der Soldan, so wiß denn, wenn ich aufsetze das Hütlein, und wünsche mich alsdann hundert oder tausend, oder auch zehntausend Meilen hinweg, so bin ich im Augenblick gleich da. Ich glaube, ich könnte damit über die Sonne hinaus, doch hab ich das nicht versucht, weil sie mich möchte verbrannt haben. – Aber will ich zu meinen Jägern im Wald zur Jagd, gleich bin ich da; will ich zu meiner Armee, wenn sie gegen den Feind zu Felde liegt, oder gar in Feinds Lager, siehst du, so bin ich auch gleich da, und kann also, wie der liebe Gott, überall sein.«

»Ja, gnädigster Herr, antwortete der Fortunat, weil Ihr es sagt, ist es freilich meine Schuldigkeit es zu glauben; aber Ihr wollet in Gnaden verzeihen, daß ich es fürwahr so für mich selbst nicht glauben kann.«

»Na! sagte der Soldan ein wenig hitzig, so sollst du es denn erfahren. – Dahier, nimms Hütlein, setz es auf, wünsch dich wohin dein Sinn steht, und wünsch dich wieder zurück zu mir.«

Fortunat wünscht sich flugs daheim, zu Weib und Kind, und siehe, da ging es zum Fenster hinaus, er wußte ja selbst nicht wie? – Und da war er da!

[59] Herr Soldan war wohl ein wenig viel dumm gewesen, als er dem Fortunat das herrliche Wünschhütlein anvertraute, und der Fortunat, sonst immer ein ehrlicher Mann, brachts ihm nicht wieder zurück, denn er glaubte, es passe und schicke sich gar treflich und köstlich zu seinem Säckel. Ich aber bin seines Glaubens nicht, sintemal es der rechte Glaube gar nicht war. Er hätt' es sollen wiedergeben, mein ich – ein Spitzbub blieb er doch immer! – Aber er gab es nicht wieder, und Ihr könnt denken, wie der treuherzige Soldan seine Treuherzigkeit bereute. Aber nun half es nicht mehr!

Was die Welt geben kann, hatte der Fortunat, mußte aber drum doch sterben, nachdem sein ehelich Gemahl schon zuvor gestorben war.


Als der Fortunat im Sterben war, ließ er kommen seine zwei Söhne; eröffnete ihnen das Geheimniß vom Säckel und Wünschhütlein und sagte ihnen, des Säckels Kraft hielte nur so lange noch vor, als sie leben würden, denn die Göttin Fortuna hätt' es ihm also gesagt. – Sollten hübsch beide Kostbarkeiten und Wunderdinge beisammen behalten, so könnten sie beide damit recht glücklich leben.

Aber der eine Sohn, der jüngste, wollte hinaus in die weite Welt, und wollt viel Staat und Pracht und Ritterspiel treiben, worin er denn hoch erfahren war. Er hieß Andalos, und stellte dem andern Bruder der Ampedos hieß, all sein Begehren gar mit vielen Worten vor, und sagte ihm:

I) Laß mir den Säckel auf 6 Jahre, und fülle dir daraus zuvor zwei oder drei große Truhen mit Gold, so viel, daß du es nicht mögest verthun können. Behalt auch das Wünschhütel, damit du, wenn du willst, gleich bei mir sein mögest. Nach sechs Jahren kehre[60] ich wieder, und alsdann mögest du sechs Jahre den Säckel nehmen, und damit in der Welt nach Herzenslust umherfahren.

Ampedos war wundergut und sanft, und sprach: »Es wär mir viel lieber, mein Bruder, du bliebest bei mir, aber da du nicht willst, nun so fülle zwei Truhen mit Gold, damit ich denn auch doch habe, und ziehe mit Gott.« Nun so geschah es denn auch. Der Ampedos blieb heim, und nahm nicht mehr aus seinen Goldtruhen, als er eben brauchte, und der Andalos zog weit fort, mit Knechten und Dienern, durch vielerlei Land, stach und turnirte an Fürsten- und Königshöfen, trieb groß Wesen und Pracht, und ward viel bewundert, weil er viel aufgehen konnt lassen. Da war er denn sehr glücklich und froh, und dünkte sich gar hoch und viel, weil er so viel Geld hatte, und auch in allem Ritterspiel, Rennen und Stechen, fast immerdar den Preis und die Ehre davon trug.

Gut macht Muth, und zu viel Gut macht gewöhnlich zu viel Muth, nämlich Uebermuth.

Da kam denn auch seine Zeit und Stunde!

Er war an den Hof gen London gekommen, und hatte dem König und seinem Hofgesinde gar herrliche Mahle und Feste gegeben; ja selbst die Königin und die Prinzessin Tochter, mit ihren Frauen und Jungfrauen, waren bei ihm zu Tanz und Ball, zu Mahl und Fest gewesen, und hatte ihnen allen Alles recht wohl gefallen. Aber die Prinzessin Agrippina genannt, hatte den Augen des Andalos auch recht wohl gefallen, und hätte derselbe sie gar gern zum ehelichen Gemahl gehabt. Aber, was war er denn? – wer wußte es denn? – Sie war denn doch eine hohe Prinzessin, eine Königstochter. Aber wie die Menschen nun denken, so dachte sie auch – Ein Thaler Stand und Würden mehr, gegen zehntausend oder hunderttausend Thaler Geld mehr; – und Grafen und Edelmann und Prinzenkind, gegen Ruffian von Bürgerskind! – Nun man wird ja sehn, wie es wird gehn, und wie Sinn und Gemüth sind!

[61] Dem Herrn König, der sonst ein guter und ernster Mann war, beliebt es doch einmal mit dem Andalos einen Scherz zu treiben, und ihn in große Verlegenheit zu bringen. Da bat er sich denn auf einen Tag mit Gemahlin und Prinzessin, und vielem vornehmen Hofgesindel beim Andalos zu Gaste, welches der auch, wie sichs gebührt, für eine große hohe Ehre aufnahm. Aber heimlich hatte der König verbieten lassen, den Dienern des Andalos kein Holz zu verkaufen, damit er nicht sieden und schmoren und braten lassen könne, und könne man ihn alsdann recht auslachen.

Die herrlichsten Speisen waren eingekauft, und nun war kein Holz da.

Andalos merkte den Spaß, und wußte sich zu helfen. Die Venediger Kaufleute, in deren Händen damals der Welthandel war, hatten in London große Niederlagen von allen Gewürzen und Spezereien. Da ließ er aufkaufen Gewürznägelein, Zimmtrinden, Muskatnüsse, Sandelholz, und ließ dabei braten und kochen.

Als nun Essenszeit kam, zog daher der König mit seinem Hofstaat und mit vielen Dienern und Knechten, damit alle Welt den königlichen Spaß sollte sehen, und der Andalos sich recht möchte schämen. Wer sich aber eigentlich hätte schämen sollen, wäre die Hoheit, Se. Majestät gewesen, nur daß es die Hoheiten eben nicht an der Art haben, ein Bischen zu schamrötheln, indem Alles gut und recht ist, was sie zu thun geruhen.

Seine Majestäten kamen, und rochen schon weit von Andalos Pallaste mit Dero feinen Nasen, einen feinen und überlieblichen und würzigen Geruch, und die Speisen waren zugerichtet und fertig, und Andalos schämte sich nicht, aber der Herr König schämten sich auch nicht.

Nun mußte freilich Andalos ansagen, wie er Alles vermocht hätte, und machte denn auch gar kein Geheimniß daraus. Sie waren aus der Maßen lustig und fröhlichen Muthes, und als die Herrschaften wieder nach Hause eilten, gab der Andalos den vornehmen Herren und Damen [62] kostbare Ringe mit Juwelen, güldene Halsketten und dergleichen, und der gemeinen Dienerschaft gab er Jedem nach Rang und Stand 30 oder 20 oder 10 Golddukaten. Er wollte denn ein wenig dick thun, woran er aber wohl schwerlich klug und recht thun mochte, und er wirds denn auch schon sehen!

Frau Königin hatte eine feine feine Spitznase, und die Jungfer Prinzessin – ich weiß aber nicht ob die Prinzessinnen wirklich Jungfern sind, oder ob man sie so heißen darf, – hatte ein noch viel, viel feineres Näseleinelchen. – So wars!

Da schnüffelten denn Beide, nämlich Mütterlein und Töchterlein mit den Schnüffelnasen, woher wohl der Herr Andalos, dessen Hühner und Gänse doch Niemand kannte, sein unmenschlich vieles Geld haben möchte? Geldschiffe kamen für ihn doch nicht an, und gleichwohl ließ er so viel drauf gehen, als wären alle Wochen nicht blos Geld-, sondern Goldschiffe angekommen.

»Da hat es etwas Apartes und Absonderliches, dachten sie, und das müssen wir heraus bringen!« Freilich, die große Wißbegier, (denn Neugier wars doch wohl nicht, weil es Königin und Königstochter waren, die bekanntlich keine Neugier haben) mußte das auch heraus bringen, und brachte es auch heraus.

»Hör! Du Prinzessin, sagte die Frau Königin, Du mußt ihm das Geheimniß ablocken, denn ich habe wohl gemerkt, daß er in Dich verliebäugelt ist!«

»O! allergnädigste Frau Mutter, das weiß ich von selbst schon,« antwortete die Prinzessin.

Somit wurde denn heimlicher Rath gehalten, wie man dem verliebten Andalos das Geheimniß aus der Seele ziehn möchte, und die Prinzessin stellte sich nun auch in den Andalos, mit Worten und lieblichen Gebehrden verliebt, aber sie war es keineswegs, denn er war ihr viel zu geringe.

[63] Da mußte er denn einmal beichten, wie es denn zuginge, daß er so viel Geld und noch mehr aufgehen lassen könne, als ihr Herr Vater der König; er müsse ja dabei ganz zu Grunde gehen, und blutarm, und am Ende bettelarm werden, und keiner würde ihm dann etwas geben, denn die Welt liege gar sehr im Argen, und die Freundschaft daure niemals länger als das Geld. Dabei that sie denn so treuherzig und liebevoll, als ob wahr und wahrhaftig Alles wahr und ehrlich gemeint sei.

Und weil der Andalos nun so sehr verliebt war, und nun da sie von bettelarm werden sprach, auch ein bischen viel hochmüthig ward, so wollte er ihr zeigen, daß es ihm niemals fehlen könne, und verrieth das Geheimniß von seinem Säckel, und als die Prinzessin sich stellte, sie hielte das nur für Windbeutelei, da zeigte er ihr den Säckel, und machte die Probe damit vor ihren Augen, und schüttete ihr tausend Kronen in ihre Schürze.

Da war denn Herr Andalos ein wahrer Dummhans. Aber das bleibt unter uns. – Freilich wenn sich ein Bürgerskind in eine Prinzessin verliebt, und nun noch hochmüthig dazu wird, so ist er gerade doppelt oder zweimal dumm, der Verliebtheit und des Hochmuths wegen.

Das liebe kluge Töchterlein offenbart nun dem herzlieben hochgnädigen Mütterlein, Alles was sich zugetragen, und was sie gesehen hätte, und brachte ihr die tausend Kronen, die sie kaum zu erschleppen vermocht hatte.

Da wurden denn die beiden gleich einig, daß sie das anmuthige Säcklein haben müßten, und der alberne Peter möge zusehn, wo er ein anderes hernähme.

Das liebe Prinzeßchen hatte sich Größe und Gestalt des tugendreichen Säckels gar genau gemerkt, und ließ mit Rath von Allerhöchst Dero Frau Mutter, ein ähnliches Beutlein von einem Beutler verschaffen, und beschmutzte es so, daß es recht schlapp und verbraucht, und unscheinbar aussahe.

[64] Nun bat die Prinzessin den Peter Dummbart, zum heimlichen Abendessen, von dem, wie sie sagte, die Mutter nichts wissen müsse und dürfe, zu sich. Er trinkt, und trinkt, und am Ende trinkt er denn den Schlaftrunk. Ein einschläfernder, Schlaf machender Trunk war es ja freilich, denn er schlief und schlief wie ein Todter, und die Prinzessin nahm ihm den echten Wunder- und Goldsäckel ab, und hing ihm den falschen dafür an.

Als nun der Andalos, mit großem Verdruß über seinen Bärenschlaf, am frühen Morgen nach Hause kam, weil er mit der Prinzessin nicht hatte gekoset, wie er doch hätte gekonnt, wollt er sich so ein Bischen zerstreuen mit guten Freunden, deren man, wie schon gesagt, immer um so mehr hat, jemehr man Geld hat. Der Haushofmeister, der Alles anschaffen und besorgen mußte, wollte Geld haben.

Andalos, ums Geld nie verlegen, ging besonders, und griff in seinen Säckel, aber der Säckel gab ihm nichts her, obwohl er ihn links und rechts wendete, und so und so kehrte. Kurz der Säckel gab gar nichts her. – Da ward der arme Schelm trostlos, und dachte, er hätte den treuen Säckel wohl zu sehr mißbraucht, und darum habe derselbe seine Kraft verloren. Aber als er sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, und sein Säcklein recht ansahe, sahe er wohl, wie schändlich er betrogen worden war von der schönen Agrippina, der holden Prinzessin.

Er dankt alle seine Diener ab, die gar ungern von einem so guten, lieben und so freigebigen Herrn schieden, – bezahlt waren sie immer im Voraus – giebt ihnen obenein noch ein Zehrgeld, und reitet der Heimath und dem Bruder zu!

Fort war er aus London!

Bruder, spricht er, nachdem er gar kümmerlich und erbärmlich angekommen war, so und so ist mir es gegangen, und so und so [65] bin ich um den Säckel gekommen, und gib mir das Wünschhütlein, ich muß den Säckel wieder haben.

»Ich wollte, du ließest den Säckel Säckel sein,« sagte der ehrliche Ampedos, »denn du weißt ja, daß all seine Kraft verloren ist, wenn wir beide todt sind, und in den Truhen ist ja noch für uns Beide Goldes genug. Sieh hin, ich habe nicht viel verthan, denn ich habe es nicht gebraucht. Sie sind noch voll.«

Aber der Andalos ließ nicht ab und sprach, er wollte lieber das Leben missen, denn das Säcklein. Da gab ihm der gute Bruder Ampedos das Wünschhütlein, und wollt ihm noch Gold dazu geben, aber Andalos nahm fast nichts, und sagte, er wolle sich nun Goldes genug schaffen.

So wars auch. Er wünscht sich nach Venedig, und dann nach Florenz; ließ sich, so wie zur Auswahl, die allerkostbarsten Edelsteine und Kleinodien kommen, und war damit fort und besaß sie, ohne sie gekauft zu haben – kraft des Hütleins.

Das Hütlein brachte ihn denn auch nach London, wo er seine Kleinodien vor einer Kirche auslegte, wo die Agrippina früh morgens mit ihrem Hofe zur Metten oder Messe ging. Damit man ihn aber nicht kannte, hatte er sich eine große Nase über die ordentliche aufgeklebt, und sein Gesicht bemahlt.

Ei wie wurden die Kleinodien begafft und bewundert! und manche wollten sie auch kaufen. Ein paar Ringe verkaufte er denn auch um ein Spottgeld an die Kammerfrauen der Prinzessin, aber die schönsten Kostbarkeiten bot er zu hoch und zu theuer.

Was er damit gewünscht hatte, geschahe. Er mußte zur Agrippina kommen, die sich denn alle Herrlichkeiten besahe, und einige Edelsteine einhandelte, aber, obwohl sie den Säckel hatte, Alles grund wohlfeil, und eigentlich um gar nichts haben wollte.

Nachdem erst der Edelsteinmann sich überzeugt hatte, daß die Prinzessin Agrippina seinen Säckel sorgfältig am Gütel bei sich trug [66] und ihm daraus zahlen wollte, war der Handel bald gemacht. – Sie zahlte daraus. Da setzt' er sein Hütlein hurtig auf, und er umfing sie plötzlich, und wünschet sich in einen wilden dichten Wald, und – Burrheh, Burrheh! – gings durch die Luft mit ihr, in einen wilden dichten Wald, und sie wußte nicht, wie sie durch die Luft daher und dahin gekommen war. – War auch zu wissen weiter nicht nöthig. Genug daß sie da war.

»Ach Gott! ach lieber Gott! wo sind wir denn?« barmet und winselt sie, und thut fürwahr als müßte sie nun umkommen, obwohl die kleine Reise noch nicht zwei Minuten betragen hatte. Den Glücksäckel hatte sie noch an ihrem Gürtel, und dachte in der Angst nicht daran; der Andalos aber dachte wohl daran, und meinte, das schöne herzliebe Säcklein könne ihm ja doch einmal nicht mehr entgehen.

Weiß es nun freilich nicht, warum er sich nicht entdeckte, wer er sei? Er selbst wird es wohl gewußt haben.

Da saß denn das liebe Königskind unter einem Apfelbaume, und ob sie wohl satt und voll war, dachte sie doch, wenn sie nicht Alles hätte, was sie begehrte, müsse sie gleich sterben, denn sie war eine Prinzessin.

Sie schaut zum Apfelbaum hinauf, und sieht so schöne rothbackige Aepfel dort hängen, und bittet den Entführer mit süßen lieben Worten: »Ach wer doch nur ein Paar so schöne Aepfel hätte, damit ich nicht verschmachten müßte.« Sie wäre nicht verschmachtet, aber freilich, ich habs Euch ja gesagt, sie war eine Prinzessin.

Der gute Andalos steigt hinauf in den Baum, weil er das arme Ding nicht will verschmachten lassen; und weil er hinauf steigt, setzte er ihr sein Wunderhütlein auf den Kopf, damit es ihn im Steigen und Apfelbrechen nicht hindere. Von der Kraft und Tugend des Wünschhütleins wußte sie nichts.

[67] Sie hatte es indessen auf, als sie unter dem Apfelbaum saß, und fing an zu seufzen und zu wünschen, sie möchte doch wieder bei der herzliebguten höchstgnädigen Mama, und bei den demüthig gehorsamen Kammerfrauen, und bei ihrem weichen Bettlein sein! – Siehe, da war sie da. Denn Ihr kennt ja die Kraft des Hütleins.

Aber da der Andalos wieder vom Baume herunter war, fand er das Prinzeßchen nicht, und fand nur einen Narren, nämlich sich selbst, und wollte sich ergurgeln, erstechen, erhenken, ersäufen, erhungern u.s.w. – was wohl ganz vernünftig möchte gewesen sein, – ließ es aber dennoch recht sehr schöne bleiben, was noch vernünftiger war.

Herr Andalos hatte nun das Wünschhütlein nicht, und das Säcklein auch nicht, aber Lebensliebe hatte er noch, und lief im Walde dahin und dorthin, und dachte, er sei der armseligste Schächer und Narr auf Gottes Erdboden, worin ich ihm denn auch keineswegs zu widersprechen mich unterfange.

Er lief und lief! und kam wieder an einen gar herrlichen Apfelbaum, von dem er zwei Aepfel abbrach, und selbige mit gar großem Vergnügen aß, die ihm aber nicht sogar wohl bekamen – denn es wuchsen ihm an der Stirne zwei Hörner hervor, urplötzlich und gar nicht langsam, etwa so stark und tüchtig, wie die Hörner eines gewaltigen Ziegenbocks. – Da war er denn ordentlich gehörnt, und wenn er gewollt hätte, hätte er damit können stoßen.

»Ich unglücklicher, erbärmlicher Mensch,« schrie der arme Schelm, nachdem er gefühlt und gemerkt, und am Ende gar im Bache gesehn hatte, was aus ihm geworden, wo soll es denn nun hinaus? – Er schrie es mit vollem Halse, und lief mit den Hörnern gegen die Bäume, aber die Hörner saßen gar fest. Es giebt aber mehr Leute, die sich im Leben die Hörner nicht ablaufen.

[68] Als er nun schrie, heulte und schrie, da kam ein stiller Einsiedler daher und fragte: was lamentirst du denn so gar entsetzlich? Aber der Waldbruder sahe bald, worauf es ankam, denn er sahe die mächtigen Hörner.

»Du unseliger Mensch, wo bist du herkommen?« sagte der Waldbruder. »Dreißig Jahr leb ich in dieser Einöde, und habe Niemand gesehen, und wollte ich hätte dich auch nicht gesehen, indem ich einsam sein will, weil ich ein Einsiedler sein will!«

»Ach lieber, lieber Waldbruder, jammerte Andalos, weißt du keinen Rath gegen die Hörner, damit man mich in der Welt nicht für ein Ungeheuer ansehe, und vor mir davon fliehe?«

Da erklärte ihm nun der Siedler mit großem Ernst, woher die Hörner kämen, und fing mit den Aepfeln im Paradiese an, die auch so viel Unheils gestiftet hätten, und daß die 2 Aepfel, die er gegessen, und die ihn durch ihre Schönheit auch verführt hätten, wie die Urältern, möchten wohl gar Nachkommen oder doch weitläuftige Vettern von jenen Paradiesäpfeln sein. Das setzte er ihm sehr umständlich und andächtig auseinander, daß es der Andalos ordentlich hätte begreifen können, wenn er sonst gewollt hätte. Aber der wollte nur Hülfe; und sprach ihn jammernd darum an.

»Nur ruhig mein Sohn! sprach der Waldbruder, Hülfe soll dir auch werden. Komm mit!«

Damit führte er ihn zu einem Baum, der auch voll schöner Aepfel hing, aber sie sahen ganz anders aus, als die Aepfel, welche Hörner gemacht hatten, und als er zwei Aepfel hatte gegessen, da waren die Hörner so schnell fort, als sie waren gekommen.

Da kam der Andalos nun auf eigene Gedanken, wie er Säckel und Wünschhütlein wieder möchte erlangen. Er bat den Waldbruder um die Hörneräpfel, und um die Hörner vertreibenden Aepfel.

[69] »Nimm mein Sohn, sagte der ehrlich treue Waldbruder, wie viel dir davon gefällt. Die Bäume sind ja nicht mein, und gehören dir so wohl als mir.« – Da nahm der Andalos von beiderlei Arten Aepfeln, dankte dem Waldbruder, und suchte wieder den Weg nach London, wohin er denn auch bald gelangte, indem er eben nicht weit davon war.

Er kam nach London, verstellte sein Gesicht, und klebte sogar ein Auge zu, damit ihn keiner sollte kennen.

Da legte er die wunderherrlichen Aepfel aus, von welchen die Leute gehörnt wurden, wie Ziegenböcke, und rief sie da aus, wo die Prinzessin vorbei ging, und sagte: es seien Aepfel von Damask, und bot das Stück drei Kronen.

Da wollte sie denn freilich niemand kaufen, aber die Prinzessin mußte doch wissen, welche herrliche Aepfel zu drei Kronen der Apfelhändler hätte, und wie solche theure Aepfel schmeckten, und kaufte sich zwei derselben, und aß sie als sie zu Hause war recht gierig, zumal da der Händler sagte, daß man von diesen Aepfeln recht schön würde. Und als sie dieselben gegessen hatte, bekam sie denn auch zwei hübsche stößige Ziegenbockshörner.

Da war denn große Noth, und sie ließ sich, wenigstens vor dem Vater nicht sehen, auch die Kammerfrauen waren so sehr vor ihr erschrocken, als wäre sie der böse Geist.

Leicht könnt Ihr denken, daß der Aerzte viele heimlich berathfragt wurden – aber da konnte kein Arzt helfen.

Der Andalos hatte das Laufen und Rennen der Aerzte wohl gesehen, denn er hatte auf Alles gemerkt, und wußte sich bald bemerklich zu machen, als einen fremden Doctor in der Arzenei, dem nichts zu hoch oder zu schwer wäre.

Es versteht sich, daß er sich verkleidet hatte. Da wurde er denn freilich heimlich berufen, ließ sich Alles erzählen, verhieß Hülfe, indem er schon in Hispanien ein hohes Prinzeßlein von ähnlichem [70] Uebel befreiet habe, – und die Königstochter ward höchlich froh, und verhieß ihm große Summen.

Der fremde Doktor ging in sein Quartier, und überzog eine Hälfte eines Apfels von den heilbringenden Aepfeln mit Rhabarber, Zucker und köstlichen Gewürzen, so daß er höchst lieblich schmeckte. Er machte auch eine wohlriechende Salbe um die Hörner zu salben, und sie, wie er vorgab, geschmeidig zu machen. So geschah es denn, und nun rieth er der ächzenden Kranken, gutes Muths zu sein, und ein wenig zu ruhen.

Richtig! da waren die Hörner um ein Viertheil eingeschwunden, und die Prinzessin war hoch erfreut, und folgte nun dem Wunderdoktor in Allem.

Da gab er ihr einmal einen kleinen Schlaftrunk, weil zur fernern Kur Ruhe sehr noth thue, und während sie schlief, schickt er ihre Kammerfrau fort, um aus seinem Quartier eine vergessene Büchse mit Arznei zu holen. Während dessen sucht er im Zimmer umher, und entdeckt glücklich unter dem Bette das kostbare Wünschhütlein. Agrippinchen, so schlau und listig es war, hatte doch auch dumme Stunden, und hatte nicht gemerkt, daß sie durch Tugend und wundersame Eigenschaft des Hütleins aus dem wüsten Wald war erlöset worden. – Den Glücks- und Geldsäckel hatte sie, als ihr kostbarstes Kleinod um ihren Leib befestigt immerdar gehalten, und das hatte der verkappte Doktorsmann schon ganz im Anfang weggehabt.

Er umfaßte die kluge Prinzessin, und flog mit ihr nach Hibernia zu, und als sie aufwachte, fand sie sich mit dem Doktor wieder in einer wildwüsten Waldgegend. Da riß der Doktor die falsche Nase, den langen falschen Bart, und den scharlachrothen Doktors-und – Scharfrichters Mantel sich ab.

[71] Ihr könnt denken, wie erschrocken die Jungfer Prinzeß war, da sie den Andalos sahe, und dieser sie donnernd und scheltend und grimmig mit harten Worten anfuhr, und ihr all' ihren Lug und Trug, und alle ihre Ränke und Nichtswürdigkeit vorhielt. Aber Ihr könnt auch leicht denken, wie sie nun wimmerte und wehklagte, sich selbst eine thörichte, vermessene und vorwitzige Person schalt, und tausend Entschuldigungen hervorbrachte, und die meiste Schuld auf die Frau Mutter schob, die sie verführt hätte.

Sie bat, sie bat, ach sie bat gar innigst und kniefällig, sie zu der Frau Mutter zu bringen, oder ihr doch die Hörnchen abzunehmen, daß sie wenigstens mit Ehren sich wieder zurück machen könnte.

Andalos ward schon wieder weichherzig, denn er liebte sie doch gar zu sehr; aber er war auch gar zu sehr gewitzigt worden, und dachte sie ein für allemal unschädlich zu machen, daher denn ihr Bitten nichts half. Er brachte sie unweit des St. Patricks Feuer in ein ehrsames Nonnenkloster, gab sie für sein Töchterlein aus, die ein feines Angesicht habe, und der nichts weiter fehle, als daß sie etwas zuviel habe, nämlich die Hörnlein auf dem Kopfe, die ihr niemand abnehmen möge, und daß sie sehr boshaftiger Natur und Art sei, daher es denn wohlgethan sei, sie in Zucht und Buße zu bringen.

Die Aebtin war eine gar ehrwürdige Frau, und gar willig und bereit, die gehörnte Kostgängerin anzunehmen, und sie mit Geißeln und Kasteyen, Metten und Chorsingen, recht zur Buße anzuhalten, nur freilich gegen die Gebühr, die ihr denn der Andalos doppelt und dreifach erlegte, wofür er auch von ihr als ein frommer und großgebiger Herr gar höchlich gerühmt wurde. Er führte nun sein Töchterlein dem Kloster zu, wohin sie gern ging, weil die gehörnte Schönheit nicht an den Hof wieder mochte. Man kann schon denken warum?

[72] Wie es den Aeltern der Verlornen zu Muth gewesen sein mag, ist unnoth zu erzählen. Sie dachten, die Prinzessin Tochter wird schon wieder kommen, wie das erstemal, aber sie kam nicht wieder, und soll, wie man gehört hat, ohne Wiederkommen gestorben sein.


Der Andalos konnte nun seine Reiselust und Prachtlust gar leicht befriedigen, er hatte ja Hütlein und Säcklein. Zuerst jedoch besuchte er den Bruder, den er immer geliebt hatte, und erzählte ihm Alles, wie es gegangen sei. Der Bruder Ampedos ermahnt ihn gar fleißig nun zu Hause zu bleiben, da er von den unglücklichen Glücksgaben so schlimme Erfahrungen gemacht hätte. Sie wollten ehrsam und vergnüglich beisammen leben, und sich allenfalls noch ein Paar Truhen mit Gold füllen. – So meinet es Ampedos.

Andalos wollte jetzt dem Bruder den Säckel lassen aber Ampedos wollte ihn nicht, und blieb dabei, er seie kein Glücks- sondern ein Unglückssäckel, und des Goldes hab er ja in den Truhen genug. Da nahm denn Andalos den Säckel, und der Bruder bot ihm auch das Hütlein an, da er es ja nicht brauche, welches aber Andalos nicht annahm.


Armer Andalos! Dein Glück im Stechen, Turnieren und Rennen und allem ritterlichen Spiel, das dir neben dem Geldglück der Säckel auch schien verleihen zu wollen, daher du allen andern Rittern obgelegen warst, und deine große Pracht und Herrlichkeiten, zu welchen der Säckel Alles hergab, – kurz der Glückssäckel wurde dein Unglückssäckel, wie der Bruder wohl hatte geweissagt, denn er brachte hämische und hochmüthige und mächtige Menschen gegen dich auf.

[73] Es war eine große Pracht und Herrlichkeit an einem Orte auf der Insel Zypern gewesen, und Andalos hatte viel Ehre und Ruhm im Turnier erlangt, und große Feste gegeben, und wollte von da wieder an den Königshof gen Famagusta. Da hatten ihm zwei hochgewaltige Grafen auflauern, seine Diener ermorden, ihn selbst auf eine kleine einsame Insel führen lassen, wo sie ihn in den Stock legten.

Der Bruder hörte, Andalos sei verschwunden, und hielt ihn eben so wohl für ermordet, als seine Diener. Er ahnete wohl, daß es des unglücklichen Säckels wegen sei, suchte beim König Hülfe, und erhielt gute Zusage. Aber damit es ihm mit dem Hütlein auf ähnliche Weise nicht möchte ergehen, nahm er dasselbe, zerhackt' es, und verbrannt es im Feuer, bis daß es zu Pulver ward vor seinen Augen.

Den Andalos hielten die Grafen so hart gefangen, daß ihm im Stock die Beine fast abfaulten. – Sie wollten wissen, woher er so viel Geld habe? Und da ers nicht wollte ansagen, ließen sie ihn jämmerlich und erbärmlich gar vielmals martern, bis er sein Geheimniß offenbarte. Da nahmen sie ihm den Säckel ab, probirten ihn, und fanden es so wie der arme Gemarterte gesagt hatte. Und da ein Bubenstück immer das andere hervor bringt, und sie wohl wußten, daß ein todter Mann nicht mehr klagen kann, so würgten sie ihn mit eigenen Händen ab, damit er gewiß todt sei.

Sie wurden nun eins, daß jeder von beiden ein Vierteljahr ums andere den Säckel haben sollte. Aber nach dem ersten Vierteljahr starb der gute Ampedos auch aus Gram um den Bruder, und – aus Alter.

Als nun der andere Graf das Säcklein versuchen wollte, zog er nichts heraus, (denn der Säckel hatte ja nur Kraft, bis zum Tode der beiden Brüder) er aber dachte, er sei von dem Andern [74] betrogen, und der Säckel sei nachgemacht. Und die Grafen kamen heftig an einander, fuhren mörderisch mit dem Schwerte auf einander hinein, und der eine ward fast tödtlich verwundet. Das erfuhr der König, und es nahm ihn groß Wunder, weil die Grafen bisher in gar herzlicher Vertraulichkeit hatten gelebt. Er bekam Verdacht, forschte bei den Dienern der Grafen nach, und es kam heraus, das ganze Bubenstück, und –


die Herren Grafen wurden gerädert.


Das war denn das Glück des Glücksäckels.

Fußnoten

1 Patricius oder der heilige Patrik, ist Irlands Schutzheiliger.

Cogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[75] Cogia Hassan Alhabbal, oder der Kaufherr und Handelsherr 1 Hassan der Seiler.

Zwei Freunde in Bagdad hatten ihren ewigen Streit, wie man zu Geld und Gut kommen könne, und ob das wohl ein sehr überflüssiger Streit sein mochte, so wollte doch keiner dem andern nachgeben. Die Freunde hießen Saadi und Saad. Der erstere, ein unendlich reicher Mensch, behauptete, nur Geld erwerbe Geld, und mache glücklich; der andere, von mäßigem Vermögen, behauptete, daß wenn der Himmel wolle, man durch das kleinste Ding reich und glücklich werden könne. Wer von beiden Recht mag gehabt haben, möget ihr selbst entscheiden. Indessen wurden sie, wie Ihr schon wißt, über diesen Punkt niemals einig, blieben aber, was beiden zur Ehre gereicht, mit ihren Herzen einig und einander zugethan, obwohl der Saadi so sehr, sehr reich war, und Saad nur zum nöthigen Auskommen hatte.

Eines Tags, als sie mit einander spatzieren gingen, und diesen ewigen Streitpunkt wieder verhandelt hatten, kamen sie bei der Werkstätte eines Seilers vorbei, der in großer Dürftigkeit zu sein [76] schien, und es auch war. Sie sprachen mit ihm, und fragten, was das Gewerbe einbringe, und er sagte: »Meine Dürftigkeit seht ihr schon aus meinem Anzuge. Ich bin ein Seiler wie Ihr seht, und mein Vater, mein Großvater, und mein Urgroßvater sind auch Seiler gewesen, und eben so arm als ich. Wenn jedoch Gott so viel gibt, als wir bedürfen, und Gesundheit obendrein, so ist man ja glücklich genug, denn Viele sind mit vielem Gelde reich zwar, aber vielleicht nicht so heiter und fröhlich als ich!«

Saadi sprach zu ihm: »Ihr treibt, wie ihr sagt euer Gewerbe schon lange, und seid noch in solcher Dürftigkeit? Etwas hättet ihr doch müssen jedes Jahr erübrigen können?«

»Lieber Herr, sagte der Hassan, ich habe eine Frau und fünf Kinder, von welchen keines mich noch unterstützen kann, aber ein bischen Brod und Bekleidung müssen sie doch alle haben, und tausend kleine Nothwendigkeiten wollen alle besorgt und bestritten sein! Und wenn man kaum so viel verdient, als man täglich dringend nöthig braucht, so kann man ja nichts zurück legen!«

Der reiche Saadi begriff das freilich nicht so ganz, denn dazu war er zu reich, obwohl er nichts dazu sagte, aber Saad begriff es.

Saadi stand ein wenig nachdenkend still: »Freilich sagte er, ihr mögt wohl Recht haben, daß Ihr nicht wohlhabender und reicher seid. Indessen nehmt einmahl hier diese Börse mit zweihundert Goldstücken, – (denn ihr wißt wohl, daß die Reichen stets gefüllte Goldbörsen bei sich haben, damit man weiß, daß sie reich sind;) – nehmt diese zweihundert Goldstücke, und sehet zu, ob Ihr mit denselben Euch nicht zu den reichsten Handelsleuten Eures Standes hinaufhelfen könnt.«

»O lieber Herr, sagte der Hassan, der vierte Theil Eurer Gabe würde wohl ausreichen, mich bei meinem ehrlich treuen Fleiß, bei [77] meiner Thätigkeit, und weil ich so wenig bedarf, in der viel bevölkerten Stadt Bagdad reicher zu machen, als die reichsten von meinem Gewerbe.«

Hassan wollte seinem Wohlthäter den Rockzipfel küssen, aber Saadi entfernte sich mit seinem Freunde.

Der Seiler hatte seine zweihundert Goldstücke, und wußte vor Freude nicht wo aus noch ein.

Ihr denkt nun wohl er habe Alles stehn und liegen lassen, und sei im Gallop nach Haus gelaufen; aber das that er nicht, sondern er war ein ordentlicher, gesetzter und vernünftiger und erwerbsamer Mann, und arbeitete, bis die Abendfeierstunde kam. Dann ging er nach Hause. Wir wollen ihn einmal selbst weiter fort erzählen lassen, wie er es dem neugierigen Khalifen Haroun Alraschid erzählen mußte, den ihr schon kennt, zumal, da es nicht abzusehen ist, warum wir ihm unsere Lunge leihen sollten. – Er selbst erzähle!

»Ich hatte mein Geldchen, sagte er zum Khalifen, in die Falten meines Tulbends (Turbans) vertheilt, und war gar nicht Willens meiner Frau von meinem übergroßen Glück etwas wissen zu lassen, denn ich dachte, sie möchte mancherlei Staat und viele schöne Kleider von mir verlangen, in der Meinung, daß die zweihundert Goldstückchen gar niemals alle werden könnten.

Für zehn Goldstücken hatte ich Hanf und Flachs eingekauft, und von denselben auch etwas auf Fleisch verwendet, was wir lange nicht gegessen hatten. Als ich von diesem Kaufe nach Hause ging, und mein Fleisch in der Hand hielt, kommt ein gieriger Geier herab geschossen, und stößt auf mein Fleisch 2. Ach wer Alles wissen könnte! [78] Ich hielt mein Fleisch fest, und dagegen stößt der gierige Geier auf meinen Turban, führt ihn in die Luft mit fort, und mein Schreien und Nachrufen brachten ihn mir nicht wieder, so weit ich ihm auch nachlief. Also war ich hundert neunzig Goldstücke ärmer.«

Ich ging recht traurig nach Hause, und ließ meiner Frau gar nichts merken.

»Vor der Hand freilich, hatten die zehn Goldstücke mir etwas an Hanf verschafft, und mir Vieles erleichtert. Aber lieber Gott, reich konnt ich nunmehr doch nicht davon werden. Ich war jedoch bald wieder zu frieden, tröstete mich so gut ich konnte, und sagte: ›Gott hat mirs gegeben, Gott hat mirs gleich wieder genommen, er weiß schon was er thut, und ich unterwerfe mich ihm recht gern.‹ Was mir am traurigsten dabei war, war, daß mein Wohlthäter, wenn er mich wieder in derselben Armuth fände, denken mußte, ich hätte seine Gaben liederlich verschwendet.«

So dachte er aber auch wirklich, als er nach sechs Monaten bei meiner Seilerbahn vorbeiging, und mich in der nämlichen Armseligkeit traf, wie zuerst, nur daß ich mir einen neuen Turban hatte kaufen müssen.

Ich erzählte ihm meinen Unfall mit aller Umständlichkeit. »Hassan, sagte er, man muß nicht lügen und trügen; Ihr erzählt mir ein Mährchen, gesteht es nur; Ihr habt Euch gute Tage gemacht, wie viele Eures Gleichen, die, wenn sie ein wenig Geld haben, denken, es könne nicht alle werden. – Wie übel ersonnen ist Euer Vorgeben von dem Raub des Geiers. – Seit welcher Zeit stoßen denn die Geier auf Turbane, die ihre Gefräßigkeit doch nicht befriedigen können? Geier suchen ja nur Fleisch.«

»Herr, antwortete ich, ich dulde alle diese Vorwürfe, und will gern noch viel härtere erdulden, denn ich weiß, ich habe sie nicht [79] verdient, und Euch muß ja freilich wohl die ganze Geschichte unglaublich vorkommen.«

»Gut, sagte Saadi, ich will Eurem ehrlichen Gesicht einmal trauen, obwohl mir Alles zu seltsam vorkommt. Hier sind andere zweihundert Goldstücke; nehmt sie, verwahrt sie besser, und wenn ich wieder komme, hoffe ich Euch im Wohlstand anzutreffen.«

»Das ist die Frage, sagte lächelnd Saad;« ich aber dankte dem Wohlthäter viel tausend Mal mit den herzlichsten Worten.

Ihr könnt denken, daß ich mein Gold aufs Beste zu verwahren gedachte. Ich nahm zehn Goldstücke von der Summe, kaufte dafür Hanf, Lebensmittel, und einige Kleinigkeiten. Das übrige verpackte ich in Leinwand, und weil ich es wieder nicht für rathsam hielt, der Eitelkeit meiner Frau etwas davon wissen zu lassen, verbarg ich heimlich das Pack mit den Goldstücken auf den Boden eines Gefäßes voll Kleie, das seit undenklicher Zeit in einem Winkel unsers kleinen Hauses unbeachtet da stand.

Ja! gegen den Geier war ich nun sicher; aber war ich's auch gegen den Zufall? – Ach, wenn der Bettler nichts haben soll, fällt ihm ja, nach bekanntem Sprichwort, das Brod aus der Tasche!

Ich war den andern Tag wieder zu meiner Arbeit gegangen, als daher durch die Gasse gegangen kommt ein Seifenhändler und seine Seife ausruft von der wohlriechenden Art, deren sich die Frauen in den Bädern zu bedienen pflegen, um eine feine zarte Haut zu erhalten. Meine Frau hätte gern solche Seife gehabt, aber nur hatte sie kein Geld, was sie sich jedoch nicht wollte abmerken lassen. »Mann! rief sie den Händler an, können wir vielleicht einen Tausch machen? Ich habe hier Kleie, die steht mir im Wege; könnt Ihr sie gebrauchen, so gebt mir Seife dafür, baar Geld will ich nicht dran wenden.«

»O,« sagte der Händler, »Kleie kann ich schon auch gebrauchen; Geld und Geldeswerth sind mir einerlei.«

[80] Sie wurden des unglücklichen Tauschhandels bald einig, und als ich Abends nach Haus komme, und in den Winkel sehe, wo das Gefäß gestanden hatte – denn daß ich dahin zu sehen gewiß nicht werde vergessen haben, könnt ihr leicht denken – ach unglücklicher Blick, der Winkel war leer!

Frau, sagte ich heftig und zitternd, wo ist das Gefäß mit Kleie, das dort in dem Winkel stand? – Da erzählt sie mir mit geläufiger Zunge, was sie für einen herrlichen, köstlichen Tausch getroffen hätte, und wäre die Kleie, die schon so lange unnütz da gestanden, gegen ein großes, – so großes Stück wohlriechender Badeseife so glücklich los geworden.

Da verzweifelte ich fast, und erzählte ihr mein ganzes Unglück mit den ersten und den andern zweihundert Goldstücken. Und sie fing an zu heulen und zu schreien, und raufte sich in den Haaren, und schimpfte und schalt mich aus.

»Du thörichter, jämmerlicher Mensch, sagte sie, du dummer, erzdummer Mann; sieh, wenn du deiner Frau getraut hättest, da wär das ganze Unglück nicht geschehen, und wir wären nun wohlhabende, und wohl gar vornehme Leute.«

Ich armer Mann, ich konnte ja dagegen nichts sagen, denn zum Theil hatte sie ja wohl nicht unrecht!

Freilich; wir fragten hin und her nach dem Seifenhändler, aber Niemand, weder in unserer noch in den nahgelegenen Gassen wollte ihn kennen. Die Zeit tröstete uns wohl ein wenig; wir waren ja der Armuth gewohnt, aber meine Angst, wenn die beiden Freunde wieder kommen würden, und wie ich mich vor ihnen würde schämen müssen, und vor ihnen verstummen, und wie sie mich für einen ausgemacht schlechten Menschen halten müßten. – Die Angst war sehr groß und kam mir nicht vom Herzen.

[81] Nach langer geraumer Zeit kamen die beiden Freunde wieder, und der Saadi hatte behauptet, ich müsse nun ein gemachter Mann sein, weil nicht immer ein Geier käme, der einen Turban mit Goldstücken wegraubte.

»Das müssen wir erst sehen und erfahren,« sagte Saad. – Indem sie nun unterwegs darüber hin und her redeten, fällt dem Saad ein Stück Blei in die Augen, das auf der Straße lag. Er hebt es auf und steckt es in seinen Busen. – Und so kamen sie denn zu mir. – Ich stand stumm und beschämt vor ihnen, erzählte meinen neuen Unstern, aber Saadi wollte mir nicht glauben. Ich gebe den Versuch auf Euch aufzuhelfen, sprach er empfindlich, und schwieg alsdann.

Nun, sagte Saad, lieber Hassan, Geld und Gut habe ich nicht übrig, aber hier habe ich unterwegs ein Stück Blei gefunden das freilich wohl keinen Asper 3 werth sein mag, indessen, wenn Gott will, können hunderttausend Goldstücke und noch mehr daraus werden. Hier habt Ihrs, nehmt es; haltet es nicht allzu gering.

Saadi lachte hell und laut auf; Saad schwieg still; und ich nahm mit Dank, blos aus großem Respekt, das Stück Blei, und steckte es in meinen Busen, zumal da die Armuth auch den Heller nicht gering achten muß, obwohl ich gar nichts davon hoffte.

Ich kam des Abends nach Haus und hatte mein Bleistück ganz vergessen, als es mir beim Auskleiden herab fiel, und ich es in Gegenwart meiner Frau aufs Kamingesimse legte.

Wir legten uns sämmtlich zu Bette. – In derselben Nacht wollte ein Fischer in meiner Nachbarschaft, seine Netze zum frühen Morgenfischfang zurecht machen, und siehe da, es fehlt ein Stück Blei.

[82] Er stöbert die Frau aus dem Bette heraus und sagt: »Frau mir fehlt ein Stück Blei am Netze; geh, klopfe die Nachbarn heraus aus dem Schlafe, ob sie ein Stück Blei haben, denn in den Buden bekommst du jetzt noch keins, und ich muß vor Tage fort; sage den Nachbarn, was ich auf den ersten Zug bekomme, soll dem gehören, der mir das Blei giebt.«

Die Frau geht von Thür zu Thür, und pocht die Nachbarn aus dem Schlafe, aber findet kein Blei. Da sie wieder zurückkommt, wird der Mann bös und grimmig. »Bist du da, bist du dort gewesen? Bei dem, bei jenem?« fragt er heftig.

»Ja, ja, ja!« schreit sie ihm in die Ohren, daß ers wohl hören konnte, »da bin ich gewesen.«

»Bist du denn auch bei Hassan Alhabbal gewesen?«

»Der wohnt ja an der Welt Ende, spricht die Frau, und ist ein erbärmlicher Lump; es ist eine große Frage, ob du bei ihm noch ein Brodrindchen findest, wie sollte er denn zu Blei kommen, welches er ja in seinem Gewerbe nicht einmal braucht?«

»Gleich geh, du erzdumme Trine, du Balg; sprach der Mann, indem er drohend einen tüchtigen Knüttel empor hob; – gleich geh, oder« – da wies er ihr den Knüttel!! – Die Frau begriff den triftigen Grund und den Knüttel, und ging.

Sie klopft an Hassans Thür; die Frau Hassan guckt zum Fenster hinaus, und fragt nach ihrem Begehren und Verlangen, und freut sich mit vielen Worten, daß sie der Frau Nachbarin mit einem Stück Blei auszuhelfen und zu dienen gerade im Stande sei, und die Frau Nachbarin dankte denn auch mit vielen schönen und höflichen Worten, und verheißt ihr, was der erste Zug brächte, sollte ihr gewiß werden.

Was der erste Zug brachte, war ein großer, wunderschöner, dem Fischer selbst unbekannter Fisch. Er hätte ihn gern selbst behalten, aber er hielt sich auch als ein braver Mann selbst Wort, und der [83] Fisch wurde der Frau des Seilers überbracht, und war groß genug, zum Abendessen für die ganze Familie.

Die Frau schlachtet den Fisch, und dachte: da soll sich der Vater einmal recht freuen, wenn er den wunderschönen Fisch auf dem Tisch sieht, und soll recht rathen, woher ich ihn bekommen habe. – Einen so wunderschönen Fisch haben wir fast gar nicht gesehn. – – Sie schlachtete denn den Fisch, wie gesagt, und fand in seinem Bauche einen Stein, einen glänzenden schönen Stein, welchen sie für ein Glasstück hielt.

Als ich nach Hause kam, zeigte mir die Frau den Fisch, den sie gekocht hatte, und den Stein, und sagte zu mir: »Mann, guck' einmal, der muß ein großes Stück Glas verschluckt haben, sieh, wie hell und glänzend es ist.« – Wir aßen den Fisch mit herzlichem Vergnügen, und wurden alle satt davon. Das Glasstück gab ich den Kindern zum Spiel, und es ging aus einer Hand in die andre. Als nun der dunkle Abend herein gebrochen war, hatte ich das Glasstück auf das Gesimse des Kamins gelegt. Die Kinder sollten zu Bette gehen, allein das Glasstück fing an zu flimmern und zu leuchten, und die Kinder holten es sich wieder vom Gesimse herab, und stritten sich darum wer es haben sollte, und lärmten und schrieen und lachten und weinten gegen und mit einander so gewaltig sehr, daß wir alle erst in später Mitternacht zur Ruhe kamen. – Nun! wir Aeltern hatten denn tüchtig mit hinein geschrieen, und Ruhe geboten, aber es hatte wenig geholfen. Man weiß ja wie Kinder sind, wenn die Aeltern nicht allzu barsch und rauh sind.

Ich hatte, nachdem Alles schlief, noch meine eignen Betrachtungen über die seltsamlichen Redensarten des Saads, und über das kleine Stück Blei, das nicht den zehnten Theil so viel werth war, als der Fisch, am meisten aber über das leuchtende Glas.

[84] »Ei! dachte ich, wenn sich bei dem Glase das Oehl für die Lampe ersparen ließe, das wäre doch für uns arme Leute auch nichts Geringes, und das Stückchen Blei thäte uns schon große Dienste.«

In solchen Gedanken schlief ich ein, hatte aber am andern Morgen Alles so ordentlich verschlafen, daß ich an meine Arbeit ging, ohne weiter an irgend etwas zu denken, als wie ich das tägliche Brod für mich und die Meinen erwerben wollte.

Neben meinem Häuschen wohnte ein reicher Jude mit seiner Frau, und ihre Schlafkammer war von der meinigen nur durch eine sehr dünne Wand abgesondert.

Die Jüdin kam am andern Morgen zu meiner Frau, nachdem ich schon auf die Arbeit gegangen war, und beklagt sich gar sehr über das Gelärm des gestrigen Abends, vor welchem sie und ihr lieber Mann der Joseph, kein Auge hätten zuthun können, so arg wäre es gewesen.

Ih! ja freilich, liebe Nachbarin Rahel, erwiederte meine Frau, es ist uns auch eben nicht viel besser gegangen; wir sind erst recht spät zur Ruhe gekommen, denn die Kinder wollten sich ja mit allem Schelten und Drohen gar nicht beschwichtigen lassen.

»Nun? Main? was hats denn gegebt? – Was hats denn gehabt?« fragte die Rahel meine Frau.

Meine Frau erzählt ihr denn Alles, nach Weiber Art und Weise, vom Bleistück an, das die Fischerin in der Nacht suchte, und von dem herrlichen großen Fisch, der uns Allen so herrlich geschmeckt hätte, bis zu dem leuchtenden, aus dem Bauche des Fisches genommenen Stück Glases, welches alle Ursache des Lärmens der Kinder gewesen wäre, und uns, wenn es nur nicht so bald aufhöre zu leuchten, wie manche hochvornehme und hochgewaltige Herren, uns das Oehl auf lange Zeit würde ersparen können; was sie denn auch hoffte und glaubte, und was für unsere Armuth gewiß recht wünschenswerth wäre.

[85] »Nu! sagte die Rahel, kann man denn nicht sehen das Glas? – Bin doch eine Liebhaberin gewest, von solchem Glase, mein Lebstage lang. Ich möcht es wohl haben, obs freilich nichts nutz ist. Es ist blos des Spaßes wegen, und weil ich einmal den Narren hab gefressen daran.«

»Da seht es selbst an, sagt meine Frau, indem sie ihr das Glasstück vom Kamingesimse herunterholt. – Seht es selbst an, denn ich verstehe solches Gezeugs gar nicht.«

Die Jüdin sah auf den ersten Blick, daß das leuchtende Glas ein Diamant der ersten und seltensten Schönheit war. »Nachbarin, sagte sie, wollt Ihr verkaufen das Glasstückchen, so bin ich die Käuferin, und will Euch geben zwei Goldstück.«

Meine Frau war doch auch einmal klug, und dachte: zwei Goldstück? – das ist viel; hinter dem leuchtenden Glase liegt mehr. »Nachbarin, sprach sie, ohne Vorwissen meines Mannes darf ich es doch wohl nicht verkaufen.«

»Nun, wir wollen doch wohl werden eins des Handels, ich will nur erst gehn und sagen meinem Mann, daß ich habe ein schönes Glasstückchen zu kaufen, ob er's ist zufrieden, damit er mich nicht schilt aus.«

Sie ging zu ihrem Mann, der schon in seiner Bude war, erzählte ihm die Ursache des Lärms von gestern Abend, und von dem wunderherrlichen Diamant, den die dummen Teufels für ein Glasstück ansähen.

Meine Frau einmal zu Verstand gekommen, ging vom Verstand auch nicht ab, denn sie war hartnäckig in allen Dingen. Die Jüdin bot immer mehr und mehr, aber meine Frau blieb dabei, ihr Ehemann, nämlich ich, hätte den Handel zu machen.

Es war Mittagszeit, als ich nach Hause kam, und meine Frau eröffnete mir, wie die Jüdin auf das Glasstückchen immer höher und höher geboten habe, bis auf zwanzig Goldstücken. Das Gebot [86] und Saads Reden, und die Heimlichkeit, mit welcher die Jüdin alles hatte betreiben wollen, fielen mir auf, und machten mich bedenklich, und ich meinte, es möchte wohl gar ein Diamant sein, obwohl ich in meinem Leben noch keinen gesehn hatte.

Die Jüdin unterhandelte mit mir, und ich schwieg stille; – denn wenn man nicht weiß was man thun soll, da schweigt man ja.

»Nachbar, sagte sie, wir wollen machen kurzen Handel. Seht, das Glas möcht ich einmal gern haben, weil ich habe viel ähnliches, und bin doch eine Liebhaberin davon, und biete euch der Goldstücke funfzig. Das ist doch viel Geld!«

Das stieg mir immer mehr in den Kopf, und ich dachte: das muß ein raritätischer Diamant oder so was sein, wenn eine Jüdin so drauf versessen ist, und so hoch und so schnell im Gebot hinaufgeht, und schwieg stille, und sagte blos: »hm,« – und sie bot mir hundert Goldstücke.

Nun wußt ich ohngefähr woran ich war, und daß ich einen der köstlichsten Diamanten besäße, und sagte daß ich ihn unter hunderttausend Goldstücken nicht weggeben würde, und daß andere Juwelirer mir schon noch mehr würden geben.

»Was hilft das lange Hin- und Herreden?« sprach ich, nachdem sie 1000, dann 5, dann 10 und 20, und am Ende 50,000 Goldstücke geboten hatte. »Ich gebe ihn nicht unter 100,000 Goldstücken.« Die Jüdin lief und holte ihren Mann. Der Jude kam, sahe mein Glasstück, den leuchtenden Diamant, und obwohl er selbst kein halbes Goldstück werth sein mochte, hatte er doch viel tausend Goldstücke in seinen Kasten, und hatte mit seinen Glaubens- und Handelsgenossen die hunderttausend Goldstücke bald zusammen gebracht.

Der Diamant war sein; die Goldstücke waren mein.

Gern wäre ich nun dem Saad dankbar zu Füßen gefallen, und dem Saadi auch, aber ich wußte nicht, wo diese Männer wohnten.

[87] Alles Einredens meiner Frau ungeachtet, die gleich an kostbare Kleider und allerlei Staat und Prächtigkeit dachte, verwendete ich das Geld nach meinem Sinn, weil ich wohl wußte, daß man Millionen verschwenden kann, wenn man thöricht damit umgeht. Ich nahm einen Theil meines Geldes, und machte allen armen Seilern, deren es in Bagdad so viele giebt, Vorschüsse, damit sie alle Arten Seilerwaren, vom Schiffstaue an bis zum Hasenzwirn für mich verfertigten, jeder die Waare, auf welche er sich am besten verstand. Jetzt arbeiteten alle Seiler in ganz Bagdad für mich, und da ich jede abgelieferte Arbeit pünktlich und gut bezahlte, so arbeiteten sie gern, und fertigten tüchtige Waare, und ich bin der einzige und alleinige Händler mit Seilerwaare in der Stadt und in der Gegend umher geworden.

Ich mußte große Niederlagen miethen, die weit umher zerstreut lagen, so daß sie sich schwer übersehen ließen. Ich kaufte daher ein überaus großes aber schon fast ganz verfallenes Gebäude, und ließ es neu aufbauen. So groß es aber auch ist, so enthält es doch nur Niederlagen, und so viel Platz, als ich mit den Meinen zur Wohnung brauche.

Nach langer, langer Zeit kamen die beiden Freunde, die meiner ganz schienen vergessen zu haben, durch die Straße, wo ich sonst arbeitete, und verwunderten sich, mich nicht dort bei meiner Arbeit zu finden. Sie dachten, ich möchte gestorben sein, und fragten nach mir; und als sie hörten, ich sei ein reicher Kauf- und Handelsherr geworden, für den alle Seiler in Bagdad arbeiteten, und daß ich einen großen Palast in der und der Straße bewohne, so erstaunten sie noch mehr.

Sie kamen mich aufzusuchen, uns als sie das große Haus sahen, glaubten sie doch, es möchte ein Irrthum vorwalten, und es müsse in einem solchen Hause ein großer vornehmer Herr wohnen. [88] Sie fragten zweifelnd den Thürhüter, ob hier wirklich Cogia Hassan wohne, wie man ihnen gesagt hätte, oder ob man sie fehl gewiesen hätte?

»Ihr seid nicht fehl, sondern ganz recht,« sagte der Thürsteher, »und der Herr wird wohl in dem großen Saale sein, und Ihr werdet schon einen Sklaven finden, der Euch melden wird.«

Ich lief meinen Wohlthätern freudig entgegen, und wollte ihnen den Rockzipfel küssen, was sie aber nicht zugaben. Dagegen umhalseten und küßten sie mich, und ich sagte ihnen beiden den gerührtesten Dank.

»Nun es freut mich, es freut mich von Herzen, Freund Hassan, sagte Saadi zu mir, Euch in dem Zustand zu sehen, den ich Euch immer gewünscht habe. Aber, wenn ihr mir erlauben wollt freimüthig zu sein, so begreif ich fürwahr nicht, warum ihr zweimal ein seltsames Mißgeschick vorgegeben habt, das Euch doch wohl nicht betroffen hat. Ich kann nicht anders glauben, wenn Ihr mich nur nicht für eitel halten wollt, als daß die Paar hundert Goldstücke, die ich Euch zu zweienmalen gab, den Stamm Eures Glücks gemacht haben!«

Saadi setzte das umständlich auseinander, aber Saad schüttelte den Kopf verneinend, obwohl er den Saadi nicht unterbrach, indem er wohl wußte, daß es sehr unhöflich und unanständig sei, einen Andern nicht erst ausreden zu lassen.

»Laß doch Freund Hassan sprechen!« sagte Saad zum Sadi.

Ich mußte denn wohl sagen, wie sich Alles begeben hatte, vom Anfang bis zu Ende. Aber Saadi fand Alles mährchenhaft und unglaublich, den Verlust der Goldstücke eben sowohl, als die Geschichte mit dem Blei, und dem Fische.

Es wollte bald Abend werden, und die beiden Freunde wollten Abschied nehmen, aber sie gaben meinen inständigsten Bitten nach, bei mir zu Abend zu essen, zu übernachten, und mir noch den andern[89] Tag zu gönnen. Sie besahen sich Alles in meinem Hause, sie fragten dieß und das, und waren damit zu meiner Freude, eben so wohl zufrieden, als mit meinem Abendessen, bei welchem ich für Klang und Gesang (Instrumental- und Vokalmusik) und nach unserer Sitte denn auch für Ballettänzerinnen, nach dem Essen gesorgt hatte.

Den andern Morgen fuhren wir, um die schöne Frische und Kühlung des Morgens zu genießen, noch vor Sonnenaufgang auf dem Tigris, auf einer schön ausgeschmückten Gondel, die ich besaß, mit sechs Ruderern nach meinem Landhause, das ich mir gekauft hatte, um doch zuweilen von dem unruhigen und unaufhörlichen Kauf- und Handelswesen einmal ein wenig Ruhe und Erholung zu haben.

Wir kamen an, und meine Gäste verwunderten sich über die Lieblichkeit des Hauses und des Gartens, über die schöne Lage, und über die noch weit schönere Aussicht.

Ein Wald von Orangen- und Zitronenbäumen, mit allen Blüthen und Früchten geschmückt, und mit einem kleinen Bach gewässert, gefiel ihnen am meisten. Der Schatten, das sanfte Murmeln des Bachs, die Frische unter den Bäumen, der Gesang unzähliger Vögel mit schönstem Gefieder, vergnügten sie sehr, und sie blieben fast bei jedem Schritt stehen, um zu schauen und zu hören, und mir ihre Freude und Bewunderung über diese höchst angenehme Besitzung zu erkennen zu geben, und mir ihre Dankbarkeit zu bezeugen, über den schönen Tag, den ich ihnen hätte machen wollen.

Am Ende des Fruchtwaldes stand ein anderer Wald, von hohen Holzbäumen, und hier führte ich sie in ein kleines Häuschen, beschattet von hohen schönen Palmen, um ihnen einige Erfrischungen anzubieten.

Zwei meiner Söhne, die mit ihrem Lehrer der gesunden und schönen Luft wegen auf dem Landhause waren, hatten im Holze Vogelnester [90] gesucht, und eins auf einem sehr hohen Baume gefunden, welches sehr groß und breit war.

Sie baten den begleitenden Sklaven, das Nest ihnen herab zu holen. Er holte es, und siehe da, es war aus einem Turban gemacht, den meine Kinder mir mit großem Freudengeschrei brachten.

Meine beiden lieben Gäste waren über solch ein wunderseltsames Nest eben so verwundert, als ich und die Kinder.

Ich erkannte bald meinen Turban wieder, den mir der Geier geraubt hatte; ich suchte die hundert und neunzig Goldstücke in demselben, vor den Augen meiner Wohlthäter; ich fand sie, ich zeigte sie ihnen. Saadi war erstaunt; er erkannte manche der Goldstücke wieder, die sich besonders auszeichneten, und auch den Beutel, in welchem er mir dieselben geschenkt hatte, und Saad lächelte. – In diesem Punkte war ich nun wohl bei beiden Herren gerechtfertigt.

Aber Saadi äußerte, daß denn doch gewiß die zweihundert andern Goldstücke den ersten Anfang meines Glücks gemacht hätten – denn vom Geld und Golde schien er einmal nicht abgehen zu können. – Indessen sollte mich auch hier der Zufall rechtfertigen.

Wir hatten erst die Hitze des Tages vorüber gehen lassen, und ritten nun spät Abends nach Bagdad, weil die Rückreise zu Wasser gegen den Strom allzuviel Zeit würde erfordert haben.

Wir waren zwei Stunden geritten, als wir in meinem Hause angelangt waren. Es war schon Mitternacht, und die Pferde sollten gefüttert werden. Ich weiß nicht wie es kam, daß meine sonst sehr ordentlichen Leute doch vernachlässigt hatten, Gerste für die Pferde im Vorrath zu haben. In der Mitternacht waren die Magazine alle geschlossen, und in der Nachbarschaft hielt niemand Pferde, und also war keine Gerste zu erborgen 4. Aber ein Gefäß mit [91] Kleie fand einer meiner Sklaven in der Nachbarschaft, und fütterte die hungrigen Thiere damit, und indem er die Kleie unter die Pferde vertheilt, damit jedes doch etwas habe, findet er unten ein schweres Päckchen in Leinwand gewickelt, welches er mir brachte, weil er mich mehrmals hatte erzählen gehört, wie es mir mit dem Turban und mit dem Kleienfaß gegangen sei.

Vor den Augen meiner Freunde knüpfte ich das Leinwandpäckchen auf, und es fanden sich abermals die 190 Goldstücken in demselben.

»Ach, Ihr werthen, hochlieben Herren und Wohlthäter!« rief ich aus; »Gott will mich rechtfertigen bei Euch, damit ich nicht in Euren Augen als ein Lügner und Trüger erscheine!«

Saadi glaubte jetzt Alles!

Ich wagte es nicht ihm die Goldstücke wieder zu geben, oder nur anzubieten, ich bat ihn nur, selbst anzuordnen und zu befehlen, wie sie angewendet werden sollten.

Wir wurden einig darüber, daß diese Goldstücke den Armen gehören müßten. Ich konnte sie ja mit Ehren nicht behalten, da Gott mich so reich gesegnet hatte, und Saadi konnte sie mit Ehren nicht wieder nehmen, wie ich wohl selbst fühlte, und wollte es auch nicht. – Also blieben sie den Armen.

Wir aber sind treue Freunde geworden, die sich herzlich lieben und ehren, und schon manche schöne Freudenstunde mit einander verlebt haben, und noch zu verleben hoffen und gedenken!

»Ach was ist das Leben ohne Freundschaft und Freude!! Und was ist des Menschen Arbeiten und Mühen, ohne ein höheres Geschick!«

So sprach Hassan zu dem Khalifen, und der Khalif nickte ihm einen gnädigen Beifall zu, und entließ ihn! – Da ging er nach Hause.

Fußnoten

1 Cogia zeigt im Arabischen einen vornehmen Kauf-und Handelsherrn an.

2 Im Morgenlande, wo sich niemand darum bekümmert die Straßen von umgefallenem Aase rein zu erhalten, sind die Geier wohlthätige Thiere wie die Hunde, und da sie keiner verscheucht oder stört, so werden sie denn auch dreist und unverschämt.

3 Eine der allerkleinsten Münzen im Morgenlande, etwa 3 Heller am Werth.

4 Im Morgenlande füttert man, wie in vielen Gegenden Deutschlands, die Frachtpferde mit Gerste. Hafer ist dort selten.

Knüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[92] Knüppel aus dem Sack; Knüppel in den Sack.

Der alte Velten lebte im Dorfe Krikskraks. Er war ein ehrlicher, tüchtiger Bauersmann geworden, nachdem er zuvor lange Zeit ein tüchtiger Soldat gewesen war, wie die Schmarren und Narben auf seinem Gesichte bewiesen. Seine Frau war ihm gestorben, aber seine drei Söhne lebten noch; das waren nämlichder Hans, der Töffel und der Martin oder Märten.

Der alte Vater Velten erzählte gar zu gern von seinen Zügen und Kriegen, von seinen Schlachten und Wachten, von seinem Hunger und Durst den er ausgestanden habe; wie hart es da und dort hergegangen sei, wie viele er kaput und mausetodt gemacht habe, und wie er selbst oft in Gefahr gekommen sei, kaput gemacht zu werden, wenn er sich nicht so tapfer hätte gehauen und gehalten. Er sagte umständlich an, wo er da und dort im Quartier gelegen, wie die Wirthsleute gewesen wären, und was er gegessen und gesprochen, und wie viele Länder und Städte, wie viel große Prinzen und Herren er gesehen hätte.

Da hörten denn die Verwandten und Nachbarn und Gevattersleute gar andächtig zu, wenn er dergleichen in den Abendstunden so recht lebendig auf dem Rasensitz vor seinem Hause erzählte, am andächtigsten aber hörten die drei Söhne zu, und die Lust zu reisen, und so viel herrliche und wundersame Dinge selbst zu schauen, kam ihnen an, und ward zur großen Sehnsucht, und ihr Dörfchen ward ihnen zu enge, und wollte ihnen gar nicht mehr gefallen, zumal da sie sich einbildeten, [93] sie müßten ein gar grausam großes Glück in der großen Welt machen.

Da trat denn der älteste, das war der Hans, vor dem Vater hin, und sprach: »Vater! ich will und muß in die Welt hinaus, von der du so viel uns erzählt hast, es will mich nun fürder nicht leiden! Gebt mir mein mütterliches Erbtheil! wenn ihr wollet so gut sein!«

»Hans, sprach der Vater, bleibe noch ein oder zwei Jahre, und ziehe dann in Gottesnamen hinaus in die Welt, wenn du dann noch wirst wollen; denn du bist fürwahr jetzt noch ein wenig dumm, und sie übertölpeln dich gewiß.« – So sprach der Vater.

Was aber auch der Vater Gutes und Verständiges sagte, so blieb der Hans was er hieß, nämlich – Hans, und meinte, ihn sollte niemand übertölpeln, dazu sei er viel zu pfiffig und schlau, und eben, wenn er auch noch ein wenig dumm sei, so wolle und müsse er ja nun ganz klug werden, durch die Reise – denn er dachte, wenn man auch ganz dumm sei, durch Reisen werde man ganz klug, und müsse zu Gold und Ehre kommen. So dachte unser Hans und es giebt der Hänse viel, die auch so denken.

»Nun! sprach der Vater, wenns denn nicht anders sein kann, und du auf deinem Kopfe bestehst, so gebe Gott nur, daß es gut abgeht. Laß dir denn die Nase ein wenig putzen! – Hier hast du dein Mütterliches!«

»Ih! ja doch! – Nase putzen!« dachte der Hans; da müßten sie es gewiß und wahr recht klug anfangen. – Er strich schmunzelnd sein Erbtheil ein, vielleicht wohl an 20 oder gar 21 Thaler, und sagte dem Vater ein freundliches: »Gott behüts!«

Und Hans ging desselbigen Tages, wo er hinein ging in die Welt, weit und immer weiter, und so weit, daß er gar in einen Wald kam und meinte, nun müsse er schon bald über die Welt hinaus sein, und nur der Wald hindere ihn noch daran, denn der Wald [94] sei doch ganz unendlich. – Das war er denn auch wirklich, indem er ja beinahe eine halbe Stunde lang und breit war.

Da kam im Wald zu ihm, ein klein, klein Männlein, mit großem, großem, langem, grauen Barte, und sprach zu ihm: »Guten Abend Hans; wo willst denn hin?«

»In die Welt hinaus, weit, weit hinaus; bin schon den ganzen Tag gegangen; hab mir mein Erbtheil geben lassen, und denke wenn ich noch zwei oder drei Tage so marschire, daß ich um die Welt rings herum sein muß.«

»Ei du scheinst mir ein tüchtiger Bursche, sagte das Männlein, und wirst dich schon durch die Welt durchschlagen, mein ich.«

»Ja ja, sagte dummklug lächelnd der Hans, das mein' ich denn eben wohl auch.«

»Nun, sprach das Männlein; Hans, auf der Reise muß man doch gut essen und trinken, sonst wird man leicht matt und hinfällig, und kann ja nicht weiter fortkommen; gib mir dein Erbtheil, so geb' ich dir ein Tischgen, das heißt, ›Tischen, Tischen deck' dich,‹ und wenn du das sagst, so deckt sichs von selbst, und stehn alle Speisen und Weine darauf, nach welchen dein Herz verlangt.«

So ein Tischchen gefiel dem Hans aus der Maßen wohl, und er ging den Tausch ein, denn so konnte er essen und trinken was ihm gefiel, zu aller Zeit und Stunde, und unser Hans hatte immer guten Appetit, und aß auch gern etwas Gutes, und sein Geschmack war fein, so fein, daß er geräucherten Schinken von Kartoffeln, und Bier von Kofent nicht gut unterscheiden konnte, wenn er auch beim Essen und Trinken die Augen zuthat.

Das Männlein führte den Hans ein Paar hundert Schritte in den Wald hinein. Da stand ein kleines Hüttchen, gebaut aus Moos und Baumrinden. Als Hans hinein trat, so wußt' er vor Staunen fürwahr kein Wörtchen zu sagen, denn das Abendlicht fiel in [95] viel hundert Farben, durch farbige Steine hinein, welche lauter kostbare Diamanten, Rubinen und Saphire waren, wie Jahr gewiß schon gemerkt habt. Der Boden war mit Sammtteppichen belegt, mit wundersamen Silberlilien und Goldrosen durchwirkt, und die Wände bestanden aus einem einzigen Spiegel, in welchem Alles so goldig und silberig und edelsteinig schimmerte und flimmerte, daß der Hans dachte, er sei selbst eine Gold- oder Silberstufe, oder ein großer Diamant, oder so etwas kostbares und herrliches geworden, als er sich in dem Spiegel besah. Die Decke des Hüttleins sah so hoch, so hoch aus, und war so blau wie der Himmel selbst, und schimmerten auch Sterne daran. Es stand aber weiter nichts darin, als ein Polster zum Sitzen, und ein alt Tischchen, das ganz unscheinbar war.

Da sprach das Altmännlein: »das ist das Tischlein deck' dich, nimms hinaus vor die Hütte und probir' es, und wenn der Tausch dich reut, so bring das Tischlein wieder herein, und ich geb' dir dein Erbtheil dann wieder.«

Hans probirte das Tischlein, und sagte: »Tischlein, Tischlein, deck' dich;« und schau, das Tischlein war gedeckt, und auf den vier Ecken desselben standen vier kristallene Flaschen, mit köstlichem goldenen Wein, und in der Mitte standen die herrlichsten Gerichte, und der Hans, der einen guten Magen und scharfe Zähne hatte, aß und trank tapfer, denn sein Lebtag hatt' er so etwas Gutes noch nicht gehabt, und er sagte: »Potz tausend!«

»So wahr ich lebe,« – sagte der Hans dann weiter, nachdem er erst ordentlich satt war, in sich selbst – »das Altmännlein ist doch ein Dummbärtchen. – So ein Tischchen gegen die Paar lumpigen Thaler Erbtheil? – Ei! ei! In zwei Wochen will ich mehr davon abessen, zumal wenn ich mir Gäste bitte!«

[96] Es kamen Handwerksbursche des Wegs gezogen, und ob es wohl im Walde war, so war's doch eine Landstraße. Das müßt Ihr Euch aber selbst zusammen reimen. Die Handwerksburschen ladete er alle ein, und sie mußten mit ihm essen und trinken, wie sie nach und nach ankamen. Da wurden sie alle satt, und fröhlich vom Wein, und zu spätem Abend nahm der Hans Abschied von dem Altmännlein, und sagte: »es bleibt bei unserm Tausch, – Ihr mein Erbtheil; – ich euer Tischlein;« und somit zog er wieder seines gekommenen Wegs zurück. Das Altmännlein rief ihm nach, »nimm dich in Acht Hans, und laß dich ums Tischlein nicht bringen!«

»Hat gute Wege,« sprach Hans zurück, und sagte nochmals: »Adä!«

Da kam er in ein Schenkhaus, wo man aber eben den Gästen nichts schenkte, und der Schenkwirth war höflich und manierlich, aber es kam dem Wirthe doch seltsam vor, daß der Dummhans, der gar nicht klug aussah, so ein veraltetes Tischlein auf dem Rücken mit sich daher trug. Indessen weil er ein Wirth war, so ließ er sich nichts merken, und blieb denn grundgrausamlich höflich, und sprach: »Ihr lieber ehrenwerther Herr, Ihr müßt heut' Abend bei uns mit recht schmalen Bissen fürlieb nehmen.«

»Hä! hä! hä! hä! Nä! nä! nä! nä! so soll's denn dasmal gar nicht werden, sagte der Hans, sondern Ihr sollt einmal mit mir fürlieb nehmen, – und nun werdet Ihr schon sehen!«

»Tischlein, Tischlein decke dich!« sagte der Hans, nachdem er das Tischlein in die Stube gestellt hatte, und flugs war ein gar fein Tischtuch auf dem Tische, und standen Wein und Braten, Fisch und Pasteten darauf, so viel nur Platz darauf war. Da lachte nun Hans recht aus Herzensgrunde und die Wirthsleute mußten mit ihm essen und trinken, aber der Bissen blieb ihnen anfangs im Munde stecken, vor Verwunderung und Erstaunen.

[97] Hans war den ganzen Tag marschirt, und hatte zu Abend zweimal tüchtig gegessen, mit den Handwerkspurschen und mit den Wirthsleuten, so mithin war er denn von Herzen müde, und wie er denn tüchtig essen konnte, so konnte er auch tüchtig schlafen. Darauf verstand er sich auch!

Dem Wirth ging das Tischchen sehr im Kopfe herum. Er hatte zwar ein ganz ähnliches, aber zu dem hätte er tausendmal sagen mögen: »deck' dich!« es hätte sich doch nicht gedeckt.

»Ach Frau! sagte er, so ein Tischchen sollten wir haben. Solche herrliche Gerichte können wir nicht bereiten, und solchen Wein! solchen Wein! hab ich in meinem Leben nicht getrunken, selbst in den Rheinlanden nicht!«

»Und Mann, fiel die Frau ein, das Feuer auf dem Heerde, das Anrichten und Zubereiten der Speisen, und die Küchenmagd könnten wir ersparen, und wenn Gäste kämen, wäre Alles gleich fertig, aufs herrlichste und beste, ohne Mühe, und wir könnten es viel wohlfeiler geben, und da würden wir recht viel Zuspruch bekommen, und würden in kurzer Zeit die allerreichsten Leute.«

»Ja freilich! sagte der Wirth seufzend; aber was hilfts, wir haben nun einmal kein solches Tischchen!«

»Bist du ein Mann, wie ein Hund für 'n Dreier! erwiederte die Frau hitzig; Du bist ja so dumm wie der Dummhans, der von seinem Tischlein kein Wörtchen würde haben gesagt, hätte er nur für zwei Heller Menschenverstand. Geh, nimm ihm das Tischchen weg, und stell deins dafür hin; der Bengel merkt es gewiß nicht!«

Der Wirth schüttelte den Kopf, und sprach: Unrecht Gut gedeiht nicht gut, und kommt nicht an den dritten Erben. Aber die Wirthin setzte ihm mit liebreichen Worten recht zärtlich zu, so daß er nachgab; denn sie sagte:

»Du bist ja viermal so dumm wie der dümmste Ochse! das Glück kommt dir in die Hand, aber du greifst nicht zu; und wenn [98] dir einmal eine Bratwurst vors Maul kommt geflogen, sperrst du gewiß das Maul auf, aber beißest nicht hinein. – Was ists denn mehr? Heute oder morgen bringt den dummen Hans doch Jemand, der kein solcher Pinsel und Schöpshammel ist als du, um das Tischlein! – Warum ist er denn ein so miserabler Peter?«

Solchen beweglichen Worten und Redensarten konnte er Mann nicht widerstehen, zumal da er zu dem Tischlein ein gar großes Gelust hatte, und dachte, »die Frau hat doch wohl nicht unrecht!« – So ging er denn vor Hansens Schlafkammer, und horchte ob der Hans schliefe, und dieser schnarchte daß die Fensterscheiben klirrten, und die beiden Tischchen waren leicht vertauscht.

In einem Rennen rannte der Hans nach dem Aufstehen am andern Morgen nach Hause, und kam an, sein Tischlein auf dem Rücken.

»Was? sagte der Vater; bist du es denn Hans? oder bist du es nicht? du kommst schon am zweiten Tage wieder? bist du denn in der Welt gewesen? – und hast du denn schon dein Glück gefunden?«

»Ja Herzvater, das bin ich selbst, gewiß und fürwahr, da belüg ich Euch nicht, und bin weit hin gewesen, bis zu einem großen Wald, wo lauter Bäume drinn standen, und das Glück habe ich auch wahrhaftig gefunden; das ist nämlich dieses kleine Tischlein, dafür ich mein Erbtheil hingegeben habe, an ein klein Männlein mit langem Barte, das mirs abließ.«

»Dummhut!« sagte der Vater!

»Nä! Vater! – – Klughut!« sagte der Hans. »Seht mich nur nicht so grießgramig an! Ihr sollt schon sehen, was mein Tischlein kann, und sollt Euch Alle verwundern. Ich will Euch Alle heut Abend traktiren, mit Wein und Braten und andern Gerichten, wie Ihr noch niemals gerochen habt, selbst der reiche Herr Pathe, der Oberförster, nicht, und sollt Ihr dazu nicht erst lassen kochen! Laßt [99] nur alle Gevattern und Vettern und Muhmen und Nachbarn zu Abend kommen. Ihr sollt schon sehen, was mein klein Tischchen macht!«

So sagte der Hans, und schmunzelte dazu mit kleinen Augen, und dachte sein Glück sei seine Klugheit – aber das denken ja Viele, die eben nicht allemal Hans heißen, obgleich sie es sind!

»Mit dem Jungen mags doch was Bedenkliches und Absonderliches haben:« meinte der Vater, und meinte auch, daß die dümmsten Hänse ja sehr oft das meiste Glück hätten, und so ladete er denn die Verwandtschaft und Bekanntschaft ein, und der Hans that indessen daheim wie ein vornehmer Herr, und sprach zu sich selbst: »Die sollen einmal recht Nasen und Mäuler aufsperren, und sehen, was ich geworden bin!« – Und das geschah denn auch.

Denn, – als nun Alle beisammen waren, und der Hans den Tisch hatte hingesetzt, sprach der Hans: »Stellt Euch Alle da herum, um mein klein Tischlein, und paßt mir recht auf!« und dann sprach er:

»Tischchen, Tischchen decke dich!« damit sie alle sehen sollten, welch ein Wundermann er wäre. – Aber das Tischchen wollt sich nicht decken.

Da kam der Hans in große Angst und Noth, und schrie wohl hundert Mal »Tischchen decke dich! – Liebes Tischchen decke dich; ich bitte dich gar schön! – Bestie decke dich, brüllte er zuletzt in Unmuth, und schlug mit geballter Faust eine Ecke von dem morschen Tischchen ab, aber decken wollt es sich doch nicht, sondern blieb gar eigensinnig wie es war, nämlich gar kahl und leer, obwohl es so tüchtig gestraft war, daß es nur drei Ecken jetzt hatte.«

Der arme Hans fing erbärmlich an zu heulen und zu weinen. Der Vater Velten aber fing an gewaltig zu donnern und zu blitzen, und das Gewitter schlug ein, denn er schlug mit geballter Faust den Hans, den armen betrogenen, betrübten Hans ein paar Mal mit[100] ganzer Macht und Kraft hinter die Ohren. Und wie es nun bei Gewittern geht, nämlich daß man gern in seinem Hause daheim ist, so gings auch hier; – Verwandte, Bekannte, Gevattern und Nachbarn zogen still und spöttisch ab, und da ihnen nicht mit gutem Essen und Trinken das Maul hatte können gestopft werden, so thaten sie es weit auf, erzählten Alles, und lachten, höhnten und spotteten über den dummen Hans, der toll und dumm geworden sei, und über seinen Vater dazu; – und Hans hieß von nun an im Dorfe und in der Nachbarschaft nur der Dummhans, an welchem Namen ihn Jedermann erkannte.

Hans war aber doch klug, und packt am andern Tage das Tischlein auf den Rücken, geht in den Wald, und will dem grauen Männlein sagen, es reue ihn der Kauf, indem das Tischlein seine Kraft und Tugend verloren habe, und er brächte ihm dasselbe nebst der abgeschlagenen Ecke wieder, und wolle aber auch sein Erbtheil wieder haben.

Ih ja! – Alles gut, aber nur war das Männlein nicht da, das Hüttlein war auch nicht da, und wen er fragte, der sagte, solch ein klein Männchen und Hüttchen wäre dahier niemals gewesen – sie hielten Alle ihn mit seinem Tischchen auf dem Rücken für ein wenig verrückt, und sprachen so unter sich, das muß doch ein ausgemachter Dummhans sein!«

Da hatten sie es freilich getroffen, ohne daß sie es selbst ganz recht wußten!

Der arme Hans ging traurig nach Hause, und hatte doch Einen klugen Gedanken, und sprach zum Vater:

»Vater, in der Welt komme ich wohl nicht fort, das merk' ich schon; aber ich will Euer Knecht sein, und ums Lohn dienen. Nehmt mich an!«

[101] »Es sei also, sprach der Vater. Es muß nicht Alles und Jedes in der Welt fortkommen. Komm du nur im Dorfe fort, und diene ums Lohn!«

So nahm er ihn zu seinem Knecht an, um bedingtes Jahrlohn.

Der Töffel, Veltens zweiter Sohn, dachte: Der Dummhans ist wohl wirklich ein bischen zu dumm, obwohl er doch der älteste von uns ist. Aber ich will auch in die Welt, und will es schon klüger anfangen, mein Glück zu finden.

Da trat er vor den Vater hin, zwang und bettelte ihm das bischen Muttertheil ab, und es ging Alles wie vorher. Der Vater warnte, der Sohn bestand auf seinem Kopf, und zog hinaus in die weite und große Welt, und kam zu Abend in den Wald, und das Altmännlein stand wieder da, und sprach: »Guten Abend Töffelchen! Ich weiß schon, was du im Sinne hast, denn ich weiß Alles schon von dem Hans. Willst du mir aber dein Erbtheil geben, so geb ich dir dafür den ›Esel schlag aus,‹ welcher mein Goldesel ist, und wenn der Esel ausschlägt, so fahren lauter Goldstücke aus seinem Hufe, – so viel, daß du auf einmal zehnmal so viel hast, als dein Erbtheil beträgt.«

Ja! unser Töffel war sehr klug! – »So wie der Hans laß ich mich nicht hinters Licht führen, dachte er.«

»Ja! sagte er zum Altmännchen; den Tausch will ich wohl ein, gehen; aber ist denn auch Alles wahr?«

»Nun da komm und siehe es selbst, und versuche es,« sagte das kleine alte Männchen, und führte den Töffel ein Paar hundert Schritte weit in den Wald hinein; wo ein kleiner mit Stroh gedeckter Stall war, und in dem Stall war das Goldeselein, und es sah in demselben viel prächtiger aus, als in dem prächtigsten Prachtzimmer. Der Esel hatte freilich nur Disteln und Kleie und geschroteten Hafer in seiner Krippe, und Heu in der Raufe, aber die [102] Krippe war von lauterm Gold, und Edelgestein blitzte daran, und die Raufe war von Silber und hellschimmernde Edelgesteine waren auch daran, und das Goldeselein lag auf weichen, weichen Bettchen wohl ausgestrecket.

»Nun probir es;« sagte das Männlein, und sprich den Spruch: »Eselein schlag aus.« – Töffel sagte: »Eselein schlag aus!« Und so geschahe es. Das Eselein erhob sich alsbald von seinem weichen Bettchen und schlug mehrmals aus, und die Goldstücken flogen und stoben umher, und weil der Töffel sehr klug war, und sich nicht wollte anführen lassen, so wiederholte er die Probe einigemal, und allezeit traf es richtig zu.

Nun das war denn gut Tauschen! Töffel gab sein Erbtheil und nahm den Esel, mit den von ihm aufgelesenen Goldstücken, und machte links um, nach Hause zurück.

Des Abends aber mußte er in demselben Wirthshause bleiben, wo der Bruder Hans geblieben war, und machte seine Sachen überaus witzig und sagte dem Wirthe: »Nehmt mir mein Goldeselein recht wohl in Acht, und gebt ihm ein sanft weiches Bettlein, wofür ich Euch morgen recht wohl will zu Dank sein. Nur nehmet Euch gar sehr in Acht, daß Ihr nicht etwa sprecht: ›Eselein schlag aus,‹ sonst gehts Euch nicht gut. Das will ich Euch nur gesagt haben!« – Nun dacht' er, er wäre recht sicher! und sie müßten gewaltig sich fürchten.

Solche Reden fielen aber dem Wirth gar sehr auf, und er machte ein sinniges Gesicht, und erzählte der Frau alles, was der Töffel gesagt hätte, und was er für Bedenklichkeiten habe, und daß der Esel vielleicht ein gefährlich grausames Thier sein möge.

»Mann! sagte die Frau, mit dem Esel ist es gewiß wie mit dem Tischchen, denk ich. Laß uns probiren. Es mag seine eigne Bewandniß damit haben. – Sieh Mann! wenn du nun des Nachts hintrittst an die verwahrte Stallthür, und sprichst durchs Astloch [103] oder die Spalte: ›Esel schlag aus!‹ so kann er doch dich nicht treffen! – Das wirst du doch wohl verstehen, du Esel?«

Der Mann, der doch Kopf hatte, und wo er ihm fehlte, denselben von der Frau theils geliehen, theils aber auch zurecht gesetzt bekam, verstand es ganz und gar, und da er schon einmal ein Spitzbube gewesen, wurde es ihm schon leichter, es zum zweiten Mal zu werden, denn das Böse führt zum Bösen, und bringt den Menschen dahin, daß er denkt, das Böseste sei das Beste.

Der Wirth ging zur Stallthüre des Goldeseleins. Die Gier nach Gold war einmal wach und lebendig geworden, denn sonst hätt' er ja mit dem Tischlein des Goldes und Gutes wohl übergenug mögen haben.

Beim hellleuchtenden Monde sahe er, wie ruhig und sanft das fromme Eselein auf seinem Bettlein lag und schlief, und daß das Eselein doch kein grimmiger brüllender und reißender Löwe sei, der die Leute verschlinge, sondern nur ein Esel, von ganz gewöhnlicher Mülleresel Art und Weise.

»Will 's doch einmal wagen, dachte der Wirth, weil es doch nur ein Esel und weil die Thür des Stalls doch fest verschlossen ist, und der Esel nicht sogleich heraus, und dich fressen kann: – wills wagen!«

Der Wirth wagt es, und ruft vor der Thür: »Goldeselein schlag aus!« – Und das Eselein schlug aus, nachdem es von seinem weichen Bettlein aufgestanden war, und als es ausgeschlagen hatte, so rauschelten die Goldstückchen aus den Hufen, und das Eselein legte sich wieder nieder. Das sahe der Wirth beim Mondenschein, denn der Stall war hell und licht genug durch seine Spalten und Ritzen, wie wenn ein Paar Fenster wären drinnen gewesen.

Da der Wirth das Goldeselein sogar friedlich und sanftmüthig sahe, da bekommt er einen gewaltigen Muth, und ein wahres Heldenherz, und macht sich in den Stall hinein, und liest die Goldstücke [104] auf; ja er unterfing sich sogar, das Eseleinchen noch ein paar Mal die Probe machen zu lassen, die denn auch recht gut ablief.

»Nun da siehst ja doch, Mann! was großes Unglück der Esel gebracht hat, wenn man zu ihm spricht, schlag aus; sprach zu ihm die Frau, der er die glänzenden Goldstücken zubrachte. Das Tischchen und das Eselchen gehören doch offenbar zusammen. Gehe gleich, und kauf ein anderes Eselchen in der Mühle im Thale, das dem Goldesel ähnlich sieht, denn da haben sie ihrer von allen Sorten.«

Der Wirth ging in der Mitternacht zum Müller hinab, und kaufte ein ganz ähnliches kleines Grauschimmelchen um wenige Thaler, und zog es in den Stall, und den Goldesel zog er in die Scheune, und verbansete ihn mit Stroh, daß ihn keiner finden konnte.

»Hei! hei! juchhei!« rief der Wirth zu seiner Frau. »Nun ist Alles gemacht! Nun will ich ein neues Wirthshaus bauen; ich will mir ein großes Rittergut, oder gar eine Grafschaft kaufen, oder noch mehr, und will ein reicher vornehmer Mann werden – recht reich und vornehm, wie die vornehmsten Leute! Hei, hei! hei! schrie er fast überlaut, und warf dabei seine Mütze hoch in die Höhe!«

»Nun! da seh ich doch, daß du ordentlich nun anfängst verständig zu werden! sprach die Frau; du lieber Michel,« und streichelte ihn dazu.

»Ih ja wohl! du herzliebe Grete, nun hats keine Noth, denn der Verstand kommt immer mit dem Gelde, und ich will es nun wohl dem Klügsten gleich thun; das kannst du mir gar sicherlich glauben.« Und weil sie nun eben sehr gutwillig jetzt war, so glaubte sie's ihm auch und sprach: »am Kopfe hat dirs ohnedieß ja niemals gefehlt, du hübscher herzlieber Michel!«

Der Töffel zog mit frühem Morgen von dannen nach Hause, zum Vater hin, und zu Hansen hin, und meinte der Hans sollte sich recht schämen. Und so kam er denn nach Hause, und die liebwerthe [105] Vetterschaft, Verwandtschaft, Nachbarschaft und Gevatterschaft mußte wieder zusammen gerufen werden zu Abend, obwohl der Vater großes Bedenken hatte, und kopfschüttelnd meinte, Ein Esel brächte den andern gebracht!

»Nun! gebt einmal recht Acht, und schaut gar wohl auf, sagte der Töffel sehr schlau. Ihr sollt nun einmal sehen, wie klug ich gewesen bin, und sollt sehen Euer blaues Wunder! Wenn ich spreche: ›Esel schlag aus!‹ da schlägt er hinten und vorn, mit allen Vieren auf einmal aus, und aus seinen Hufen fliegen lauter Goldstücken hervor, und Ihr sollt Euch auflesen, so viel Ihr wollt und mögt, denn ich will Euch allesammt glücklich machen!«

»Das wäre ja recht wunderherrlich und gut! dachten die Zusammengerufenen; nur gebe Gott, daß es nicht geht wie bei dem Hans.«

Aber gerade so gings auch. Der Esel sollte ausschlagen, und die Goldstücken sollten herum fliegen, aber der Esel rührte und regte sich nicht, so viel der Töffel auch rief, und die Nachbarn und Verwandten lachten schon heimlich, und sahen sich einander recht schlau und bedenklich an.

Da nahm der Töffel die Faust, die störrige Bestie zur Ordnung zu bringen, und puffte den Esel aufs Kreuz und auf den Kopf, und sprach: »Esel schlag aus!« – – Und der Esel schlug nun auch wirklich ein paar Mal gar tüchtig aus; indem er sein: yah, yah! schrie, und traf dabei den Töffel so kräftig an Kopf und Brust, daß dieser umfiel. Aber die Goldstückchen fielen nicht heraus.

Die Freunde und Bekannten schlichen sich davon, mit spöttischem Schmunzeln, und erzählten aller Welt vom dummen Töffel, den der Goldesel braun und blau geschlagen hätte. Dem Töffel schrieen jetzt die Kinder im Dorfe überall nach: »Töffel Yah! ha ha! Goldesel Yah! Schlag aus, Esel schlag aus – Esel! Esel!«

[106] Es half nichts daß Töffel hinging, das Männlein zu suchen, denn er fand es ja nicht, kehrte gar tief und betrübt zurück, und diente von nun an dem Vater auch als Knecht, und wenn man vom dummen Töffel sprach, so wußte das kleinste Kind, wer gemeint war.

Nun wollte der jüngste Bruder, der Märten in die Welt hinaus. Er war immer der nachdenklichste, aber auch der stillste und folgsamste gewesen, aber dasmal schlugen doch des Vaters Ermahnungen und Bitten nicht bei ihm an. »Laßt mich auch ziehen, Liebvater sprach er; vielleicht gehts besser mit mir, und wenn es auch nicht so ginge, so dien' ich Euch dann, wie meine Brüder als Knecht, und wir sind dann wieder einander ganz gleich.«

»So zieh denn hin mit Gott! sprach der Vater, und sieh dich vor,« und gab ihm sein Erbtheil. Die Leute im Dorfe hielten sich freilich sehr über den dummen alten Vater auf, und meinten, er müsse närrisch im Kopfe sein, aber der Vater ließ den Sohn ziehen.

Da kam der Märten denn in den Wald zum Altmännlein wie die beiden andern Brüder, und das Männlein sprach zu ihm: »Märten ich weiß, du bist ein ehrlicher Bursche, und still und fromm. Ich will dir eine Gabe geben, – die letzte die ich noch geben kann, wenn du mir dein Erbtheil gibst! Hier ist ein Sack mit einem tüchtigen Knüttel drinn, und wenn du den in die Tasche steckst, und sprichst: ›Knüttel aus dem Sack,‹ so prügelt er Alles blitzheidelbeeren blau, bis du sprichst: ›Knüttel in den Sack,‹ dann ist der Knüttel wieder in seinem Sack und in deiner Tasche, und er thut Niemand mehr etwas, und Alles ist gut – freilich aber, du wirst mir es nicht glauben. Ich bin dasselbe Männlein, welches dem Hans und dem Töffel das Tischchen deck' dich und das Goldeselein gegeben hat, um welche sie der listige Wirth im Wirthshause dort an der Waldhöhe gebracht hat. Aber freilich, du wirst mirs nicht glauben!«

[107] »Mein Väterlein! Ihr seht mir doch gar zu grundehrlich aus, sprach der Märten, ich glaube Euch gern; hier ist mein Erbtheil, und gebt mir nur dagegen den Knüttel aus und in den Sack.«

So war denn der Tausch gemacht, und das Männlein ermahnte noch den Märten, sich ja in Acht zu nehmen vor dem trügerischen Wirthe.

Märten kehrte zu Abend bei dem Wirthe ein, und forderte etwas Brod und Bier, für die Paar Dreier, die nicht zu seinem Erbtheil gehörten, sondern die er sich beim Vater verdient hatte. Das Erbtheil hatte er ehrlich dem Männlein gegeben, und gedacht, wenn der auch nicht ehrlich sein sollte, willst du es doch sein, denn er hatte immer gehört: »Ehrlich währt am längsten,« und glaubte es auch!

Als er nun mit seinem Sack und Knüttel zu Bett ging in seine Schlafkammer, sagte er:

»Lieben Leutchen, daß nur keiner in meine Kammer kommt, und etwa spricht: ›Knüttel aus dem Sack,‹ sonst könnt es ihm übel ergehen. – Ich will Euch gar recht sehr gewarnt haben.«

»Mann, sagte die Frau, hast du was gemerkt? Das hat gewiß wieder etwas zu bedeuten, und giebts wohl wieder da etwas zu fischen; und aller guten Dinge sind ja drei.«

»I ja freilich Frau, sprach der Wirth, wenn man nur wüßte obs gut abliefe, und der Knüttel nicht einen durchbläute, daß man lendenlahm würde. Die Sache ist mir doch bedenklich und verdächtig.«

»Michel, du bist ein Rindvieh, und bleibst ein Rindvieh bis an dein seliges Ende, sprach die Frau zum Mann, in ihrer gütigen und manierlichen Manier. Wer weiß, ob uns nicht der Knüttel mehr Glück und Gut bringt, als das Tischlein und der Goldesel, und[108] man vielleicht davon recht jung und gesund, und wohl gar obendrein schön wird.«

»Ja Frau, sprach der Mann, da kannst du, weiß Gott, doch Recht haben, und da wollen wir beide hin auf gehen, wenn er im festen Schlaf ist, und die Sache versuchen.«

So gingen sie denn mitsammen hinauf. Und der Wirth sprach: »Knüttel aus dem Sack.« Da fuhr der Knüttel hinaus, und zerbläute dem Wirth und der Wirthin die Achseln, die Schultern, den Rückgrat, die Lenden, die Waden, und Summa Summarum Alles was an ihrem Körper war, vom Kopf bis zu den Fußzehen, und das Prügelbrod fiel hageldicht und blitzschnell, und der Märten, der eigentlich mit Vorsatz noch gar nicht geschlafen hatte, hatte seine wahre Herzenslust und Freude daran, und rief noch einmal: »Knüttel aus dem Sack,« und der Knüttel verdoppelte seinen Eifer und seine Schläge, und der Märten lachte wie ein Kobold, denn wo die Wirthsleute hinliefen, in die Kammern oder Stuben, da prügelte der Knüttel drauf los, und half nichts, daß sie ihm die Thür vor der Nase zuschlugen, und zuletzt selbst in den Keller krochen und flüchteten, denn der Knüttel hörte zu knütteln nicht auf, und der Märten, der auch immer hinter drein war, hörte zu lachen nicht auf. Da baten sie ihn hoch, himmelhoch: »Herr, lieber Herr, laßt doch den verdammten Knüttel ruhn, und erbarmt Euch unser, wir werden ja sonst noch zu Mus und Brei geschlagen.« Da erbarmte er sich denn, und der Knüttel fuhr wieder in seinen Sack.

»Nun ihr Spitzbuben, sagte er, nun gebt mir das Tischchen deck dich, und das Goldeselchen Schlagaus morgen heraus, oder ihr sollt sehen!« – –

»Ja, ja, ja, o Gott ja! lieber gnädiger barmherziger Herr, riefen sie heulend, das sollt Ihr morgen Alles haben.«

[109] Als aber der Morgen kam, suchten sie Ausflüchte und sagten, »daß sie gestern Alles nur in der Angst zugesagt hätten, und hätten gar nicht gewußt, was sie hätten vor Angst und Schmerz gesprochen, denn sie hätten gar kein Tischchen deck dich, und kein Goldeselein Schlagaus.«

Märten nahm sich die Mühe nicht viel Umstände zu machen, und liebte das Hin- und Herreden überhaupt gar nicht. »Knüttel aus dem« –

»Herr, lieber Herr, um Gotteswillen, schrieen die Wirthsleute, wir haben noch genug von dieser Nacht her, hier habt Ihr das Tischchen deck dich, und das Goldeselein dazu.«

Märten erprobte erst, ob Alles seine Richtigkeit hätte. Das Tischchen deckte sich, und er hielt ein gutes Frühstück, und Wirth und Wirthin mußten mit essen, wiewohl ihnen aller Appetit vergangen war, und Goldeselein schlug aus, und die Goldstücke sprühten umher wie Feuerfunken.

Behaltet das Gold, sagte der Märten, fürs Nachtlager, packte das Tischlein dem Eselein auf den Rücken mit großer Sorgfalt, hatte den tapfern Knüttel in der Tasche, und kam mit allen drei Zauberstücken gegen Abend im Dorfe an.

»So wahr ich lebe, sagte der Vater, da ist der Märten auch wieder am zweiten Tage schon da, wie die andern, und wird wohl eben so nach Hause geschickt sein, wie Hans und Töffel, und im Dorfe werden sie uns alle für närrisch halten.«

Alt und Jung im Dorfe waren auch bereits zusammen gelaufen, und lachten und juchheiten, und dachten, nun gäbs wieder einen rechten Haupt- und Generalspaß, und einige von den lieben Vettern, Gevattern, Muhmen und Basen waren mit in die Stube gedrungen, und wollten schauen und hören. Sie dachten: der Eine ist [110] mit dem Tisch, der Andere mit dem Esel gekommen, und der Dritte kommt nun mit Tisch und Esel zugleich. Da giebt es doppelt zu lachen!

»Kommt Herzvater, sagte der Märten, und kommt, lieben Brüder Hans und Töffel;« und setzte sein Tischgen mitten in die Stube, und sprach dem Tischchen heimlich zu: »Tischchen deck dich.« – Da stand das Tischchen voll der herrlichsten Gerichte, und an jeder Ecke eine Flasche mit köstlichem Wein. Märten aber ladet die lieben Bekannten und Verwandten gar nicht ein, mit zu essen. – Dann flüsterte er dem Esel, den er mit in die Stube genommen hatte, heimlich ins Ohr: – »Goldeselchen schlag aus« – Goldeselein schlug hinten und schlug vorn aus, und die Goldstücke stoben und flogen umher.

Les't sie nur auf, sagte der Märten zu den Leutchen in der Stube, die Lachens wegen gekommen waren, und sie ließen sich das nicht zweimal sagen, wußten nicht wie Alles zuging, und waren ganz ernsthaftiglich geworden, obwohl sie sich beim Ripsen und Rapsen nach den Goldstücken überschlugen, und einer den andern überpurzelte.

Es waren so viel in Haus und Stube gedrungen, daß Niemand mehr hinein ging.

»Nun,« sagte Märten, »muß ich Euch doch auch eine Ehre anthun, und eine kleine Belohnung dafür geben, daß Ihr über den Vater und über die Brüder so gelacht und gespottet habt, und sprach: ›Knüttel aus dem Sack.‹« Da tanzte der Knüttel auf den Buckeln lustig und ordentlich vergnüglich herum, und verfolgte die Davonlaufenden durchs ganze Dorf. Der eine bekam einen Klaps von der Seite, der andere einen tüchtigen Puff auf den Rücken, der dritte einen Schmiß auf die Nase, und alle wurden bezahlt.

[111] Somit bekamen sie denn einen gewalttigen Respekt vor dem Märten, zumal da er ihnen gutmüthig oft sein Tischchen decken ließ; – vor dem Goldesel noch mehr Respekt, wie sich von selbst versteht, denn wenn ein Esel Gold hat, so kann er ein Doppelesel sein, und ist doch ein respektables Thier, und wird wohl gar für ein Menschenkind gehalten; – aber vor dem Knittel hatten sie den allermeisten und allertiefsten Respekt, denn das wißt ihr doch, daß der Knüttel die ganze Welt regiert und kommandirt.


Aus wars.

Der eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[112] Der eiserne Armleuchter.

Die Derwische oder muhamedanischen Mönche, die sich gerade nicht immer in ein Kloster einsperren lassen, ziehen im Morgenlande dahin und dorthin, leben von Almosen, und können gar mancherlei Künste außer dem Essen und Trinken, und wissen, wie es in der Welt zusteht und zugeht.

Ein solcher Derwisch wurde krank zu Balsora, und wurde von einer Wittwe, die ihn gütig und freundlich bei aller ihrer Armuth aufnahm, treulich verpflegt. Er hatte sich zwar seine Arzneien selbst verschrieben, aber, wie er gern gestand, die liebreiche Pflege hatte noch mehr gethan, als die Kraft seiner Arzeneien.

Als er nach einigen Monaten völlig gesund war, wollte er der sorglichen Pflegerin seine Dankbarkeit bezeugen, und sprach zu ihr: »gib mir deinen Sohn mit Mutter, deinen Nardan, der Dir, wie ich wohl sehe, zur Last ist, und den ich zu einem tüchtigen Mann machen will, wenn er selbst es wird aus sich machen wollen. Er ist sechszehn Jahr alt, und so ist's denn wohl an der Zeit, daß er die Welt und die Menschen sieht, und sie kennen lernt. Er soll ein Jahrer drei mit mir reisen, und Du, gute Mutter, sollst weiter keine Sorge mit ihm haben, wenn sich der junge Mensch nur dazu anläßt.«

[113] Die Mutter überließ gern ihren Nardan dem ehrwürdigen Derwisch; denn wo hätte sie ihn besser können unterbringen.

Der Derwisch zog mit seinem Zögling weit und breit umher; er zeigte ihm Alles, was zu sehen war; er lehrte ihn Alles was er lernen konnte, und ließ es ihm an gar nichts fehlen.

Nardan hatte mehr Worte als Herz, und wollte dem Derwisch seine Dankbarkeit immerdar vielwortig bezeugen.

»Mein Sohn, sagte der ernste Derwisch, die Dankbarkeit, die rechte und echte, spricht nur durch Thaten, und vielleicht kommt die Gelegenheit bald, wo du sie in dieser Sprache wirst gegen mich aussprechen können, der ich nur allein traue.«

Drei Jahr waren sie gereist, als sie plötzlich in einer wilden Gegend mit überhangenden schroffen Felsen sich eingeschlossen sahen. Der Jüngling fürchtete sich sehr, der Derwisch aber sagte ihm: »wir sind nicht weit von Magrebi, wo ich mich gewöhnlich aufhalte, und zugleich an der Stelle, wo Du Deine Erkenntlichkeit endlich beweisen kannst. Merke auf! schweige! folge.«

Erblassend sahe der Jüngling dem Derwisch ins Auge, und dachte, es gölte sein Leben; da er aber in diesem Auge nur die gewöhnliche Güte und Freundlichkeit fand, so ward er wieder stolz und kühn, und verhieß und schwur seinem Führer, derselbe möge ihm anbefehlen was er wolle, es solle Alles treulich, unverzüglich und genaulich vollbracht werden.

»Wir wollen das sehen,« sprach der Derwisch, und hieß ihm einiges dürres Gereisig zusammentragen, zündete dasselbe mit einem Glase an, welches wohl ein Brennglas sein mochte, und streute in die auflodernde Flamme ans einer Büchse, die er hervorzog, wohlriechende Körner, indem er Worte dazu sprach, von welchen Nardan keines verstand.

Die Erde öffnete sich, und eine Treppe von weißen Marmorstufen führte in die Tiefe der Erde hinab.

[114] »Hier, mein Sohn, sprach der Derwisch, hier will ich nun sehen, ob Du erkenntlich bist, und Deine Versprechungen halten willst. Diese Treppe führt in eine tiefe Erdhöhle, und enthält unermeßliche Reichthümer. Laß Dich von ihnen ja nicht verblenden, sondern geh gerad' aus, so wirst Du bald und leicht einen eisernen Leuchter finden mit zwölf Armen. Den nimm, und bring ihn ohne Verweilen mir her. Gefahr ist gar nicht dabei, wofern du mir pünktlich folgst.«

Als Nardan etwa zwanzig oder dreißig Stufen hinabgekommen war, kam er in einen weiten weiten Saal, der auf Pfeilern ruhte vom schönsten Gestein. Am Ende desselben stand der Leuchter, den er wohl sahe, der aber sehr unscheinbar war und alt. Links und rechts befanden sich aber große Zimmer und Gemächer, angefüllt mit unermeßlichen Schätzen von Edelsteinen und gemünztem Golde, die in großen Haufen aufgeschüttet da lagen, und die um so mehr leuchteten und glänzten, weil der Saal sowohl als die Gemächer mit vielen tausend Lichtern erhellt waren. Der junge Mensch vergaß darüber ganz und gar den Leuchter und die Dankbarkeit gegen den Wohlthäter, und dessen ernstes Wort, und füllte seine Taschen, und selbst die Falten des Turbans, mit den schönsten Gesteinen von Diamanten und Rubinen. Aber er war kaum damit fertig, so schloß sich donnernd die Oeffnung der Höhle zu, und die Lichter verlöschten eins nach dem andern. Mitten in seiner Angst ergriff er jedoch noch eilig den eisernen Armleuchter, denn daß er etwas ganz besonderes sein müsse, hatte er sich wohl vorher ein wenig bedacht, indem ja sonst der Derwisch denselben nicht diesen unermeßlichen unterirdischen Schätzen vorgezogen haben würde. Aber die Angst that gewiß das Meiste.

Den Leuchter hatte er wohl nun, aber wie er aus der Höhle hinauskommen sollte, das wußte er nicht. Indessen that auch hier die Angst wieder was sonst die kalte und ruhige Ueberlegung thut. [115] Das letzte Licht war erloschen. Er suchte und tappte aber, eben in der Angst, nach einem Ausgang mit Seufzen und Beben, und fand zuletzt auch einen. Es war eine mit Dornen dick und dicht überwachsene Oeffnung, durch welche einige Lichtstrahlen in die Höhle fielen, und aus welcher er glücklich hervor stieg, obwohl er etwas an Kleid und an Haut in den Dornen mußte sitzen lassen.

Er hatte sich während seiner Angst und seines Suchens seine Undankbarkeit und seinen Ungehorsam gegen seinen Wohlthäter mit thränenden Augen vorgeworfen, und sich selbst versprochen, wenn nur der Himmel ihn wieder heraus hülfe, er wolle ja niemals mehr so undankbar sein! – Nun wollte er denn seinem Wohlthäter den eisernen Leuchter behändigen, aber der Derwisch war nicht da, wie sehr er auch rief und schrie. Recht dankbar war er gewiß auch jetzt nicht, sondern vielmehr mocht er wohl denken: »was nützt dir der alte unscheinbare eiserne Leuchter, der für den Verkauf nicht zwei Groschen gilt, und dessen Tugenden du nicht kennst; – und wer weiß, ob ihn nicht der alte wunderliche Derwisch, der sich ja aus nichts in der Welt etwas macht, blos seines Alterthums wegen nur so zur Rarität hat haben wollen?«

Er behielt den Leuchter indessen, obwohl er ihm nichts werth schien, denn der kleinste seiner Edelsteine war ja zehntausend Mal mehr werth. Wenigstens glaubte er's also.

Er wollte nun mit seinen Schätzen nach Hause zu der Mutter, und wollte mit denselben ein wenig groß und hochmüthig thun, nur wußte er nicht, wie er zur Mutter hinkommen sollte, von der er viel, viel hundert Meilen entfernt zu sein glaubte.

Auf gutes Glück machte er sich auf den ersten besten Fußpfad, den er vor sich sah, und fand sich zu seinem Erstaunen – wie? das wußte er selbst nicht, – nach wenigen Schritten vor der Hausthüre der Mutter.

[116] Da erzählte er der Mutter, was, und auf welche Weise sich in den drei Reisejahren Alles begeben, und was er gesehen, gehört und gelernt, und zuletzt erfahren hätte, und dabei zog er ganze Hände voll von Edelsteinen aus seiner Tasche hervor, und schüttelte sie aus seinem Turban heraus, so, daß die Mutter vor ihrem Glänzen und Strahlen die Augen beinahe zudrücken mußte.

Sie wollten nun eben überlegen, was für einen Gebrauch sie von den unermeßlichen Reichthümern machen wollten, als die Edelsteine allesamt in der Luft verschwanden. Sie griffen schreiend ihnen nach, aber sie ergriffen nur die Luft. Freilich! mancher sucht hohe Dinge, und ergreift nur Luft und Dunst. – Sie suchten auf dem Tische, und sie fanden nichts von Edelsteinen, sie schauten und suchten in allen Winkeln der kleinen Stube, und – es war nichts da!

Als nun Nardans vornehme Gedanken mit seinen Edelgesteinen in die Luft geflogen waren, warf er sich seine Undankbarkeit und seinen Ungehorsam aufs neue vor. »Ach, rief er verzweifelnd, was ich mir heimlich und verstohlen zueignen wollte, das ist dahin; aber der Leuchter, den ich für den Derwisch geholt hatte, der ist mir geblieben.«

Als der Abend kam, steckte Nardan das Abendlicht auf einen der Arme des Leuchters, und schau, sogleich erschien ein Derwisch, der schnell, und immer schneller um den Leuchter herum tanzte und kreiselte, und zuletzt nach einer Stunde einen Asper hinwarf.

Nardan hatte alle Klugheit des Geizes, und steckte in der nächsten Nacht deshalb zwölf Lichter auf des Leuchters Arme, und es erschienen zwölf Derwische, tanzten und drehten sich eine Stunde um den Armleuchter herum, warfen jeder ihren Asper hin, und verschwanden. Nardan steckte neue Lichter auf, aber kein Derwisch erschien, der einen Asper hingeworfen hätte, und nach vielen Versuchen sahe er denn recht wohl ein, daß der Armleuchter innerhalb [117] vier und zwanzig Stunden seine Dienste nur einmal verrichtete. Es war immer ein kleiner Zuschuß, den Sohn und Mutter mit den zwölf Aspern für jeden Tag erhielten, zumal in einer Zeit, wo Alles so wohlfeil war.

Dem Nardan war das lange nicht genug, und er dachte, wer weiß was dir der Derwisch für den rostigen Armleuchter schenkt? wenn du ihm denselben überbringst. – Er wollte, wie Ihr wohl seht, die Wurst nach der Speckseite werfen, nahm den Leuchter, und reiste nach Magrebi.

Er hatte sich eingebildet, der Derwisch würde in einer kleinen Zelle eines Klosters wohnen, aber wie erstaunte er, als man ihn zu einem Pallast hinwies, wo Alles voll Bedienten wimmelte, und von Pracht und Herrlichkeit glänzte und schimmerte. Er hatte das Herz nicht nach dem Derwisch zu fragen, und drückte sich in einen Winkel.

Da kam einer der Diener, und sprach zu ihm: »komm nur, Nardan, mein Herr und Gebieter, der Derwisch, hat Dich schon lange erwartet.« Er führte ihn mit diesen Worten durch viele Zimmer und große Säle, und in dem letzten und größesten Saal fand er den Derwisch auf einem reichen Sopha, nachdenklich, aber auch nachlässig vornehm ausgestreckt.

Nardan, in Verlegenheit über alle diese Pracht und Herrlichkeit, aber mehr noch seines bösen Gewissens wegen, stammelte und stotterte, und wollte mit abgebrochenen Worten seine Dankbarkeit und Treue rühmen, daß er ihm, seinem Wohlthäter, mit so viel Aufopferung und Verleugnung eine so lange und weite Reise nachgezogen sei, um ihm den Leuchter zu überbringen, dessen Tugenden er wohl wisse.

»Schweig! Ich kenne Deine Undankbarkeit, mein Sohn! – sprach der Derwisch. Nichts weißt du, aber ich weiß so viel, daß Du mich nicht betrügen wirst. – Ich weiß schon was dich herführt [118] – Deine Habsucht, Deine Geldsucht, Deine geheimsten Gedanken sind mir bekannt. Hättest du des Armleuchters verborgene Tugenden gekannt, du hättest ihn fürwahr nicht wieder gebracht! Aber du kanntest nur die Paar Asper, die er dir täglich lieferte, und giertest nach Vielen, indem du auf meine Güte rechnetest. – Verrechnet sollst du dich nicht haben; aber die Tugenden des Armleuchters, die du dir einbildest zu kennen, sollst du zu Abend erst kennen lernen, und schauen, wie viel Geld und Gut er gewähren kann, wenn man seine Tugenden aus ihm heraus zu holen versteht. Aber deswegen habe ich ihn fürwahr nicht gewünscht, sondern weil er das Werk eines weisen Mannes, und eine große Seltenheit ist; denn Seltenheiten liebe ich gar sehr. Hätt ich Gold und Edelsteine gewollt, so hätt ich sie aus der Höhle gar leicht erhalten mögen, ohne dich eben sowohl als ohne den Leuchter. Aber deine Dankbarkeit wollt' ich sehen, von der du so viel Geschwätz machtest, und so wenig gehalten hast.«

»Doch ich will nicht noch mehr Worte machen, denn was du nicht Gutes und Tüchtiges aus dir selbst machst, machen die Worte auch nicht aus dir. – Hier siehst du den Schlüssel zu allen meinen Schätzen. Wähle dir daraus was dir gefällt, sei es auch was es sei. Morgen werden drei Kameele bereit sein, sie damit zu beladen. – Ich bin deiner Mutter Dank schuldig!«

Am Abend steckte der Derwisch in Nardans Gegenwart 12 Lichter auf den Leuchter; zwölf Derwische kamen und tanzten, und empfingen vom Lehrer des Nardans jeder einen Streich auf den Hintern mit einer Gerte, schütteten große Goldhaufen aus und verschwanden.

»Da sieh!« sagte der Derwisch, und gab ihm den Schlüssel.

Nardan nahm den Schlüssel, und schloß damit zwölf hohe, weite gewölbte Säle auf, alle angefüllt mit Gold und Edelstein nicht nur, sondern auch mit tausendfältigen Seltenheiten, und mit Kunstwerken,[119] die zum Theil mehr mochten werth sein für den Kenner, als alles Gold und Gestein.

Am andern Morgen beladete Nardan seine drei Kameele, die schon bereit standen, mit den Schätzen, die er sich ausgesucht hatte, und ein Pferd für ihn selbst, und eins für den ihn begleitenden Sklaven standen gleichfalls bereits vor dem Palaste, gesattelt und gezäumt.

Ein Mensch, der einmal undankbar in seiner Habgier geworden ist, obwohl er jetzt statt achtzehn Pfennigen des Tages sonst, einen unermeßlichen Reichthum für hundert Menschenalter hatte, kennt keine Grenzen mehr in seiner Leidenschaft, bis sich die Leidenschaft in sich selbst zerstört und aufgerieben hat, und Frohmuth und Glück, und am Ende den Menschen selbst mit.

Nardan gehörte zu diesen undankbar habgierigen Menschen, welche, wenn sie viel hatten, mehr haben wollten, und wenn sie noch mehr hatten, wollten sie Alles haben.

»Was will denn der alte dumme Mann, der doch als Derwisch nichts braucht, und nicht Weib noch Kinder hat, mit den unermeßlichen Schätzen die er besitzt? Er hat ja mehr als er bedarf, sein ganzes Leben lang. – Aber er ist unersättlich, und will noch obendrein mit dem Leuchter groß thun. Ich werde mir kein Gewissen machen, denselben heimlich mit zu entführen, denn ich habe ihn ja fast mit Lebensgefahr heraus holen müssen, aus der Tiefe der Erde; – Und so entführte er ihm denn den Armleuchter, der offen und frei in einem der gewölbten Säle dastand, indem er denselben in einem der Säcke, die mit Gold und Edelgesteinen gefüllt waren, verbarg. – Wer war der Unersättliche??«

Er kam mit seinen Schätzen nach Hause, und die Mutter hatte unendliche Freude, daß das liebe, herzliebe Söhnlein wieder da war, und noch mehr Freude darüber, daß es mit so reicher Ladung da war, welche er im Hause, so gut möglich, in Sicherheit brachte.

[120] Nardan konnte es kaum erwarten, daß es Abend wurde. Er zündete den Armleuchter mit zwölf aufgesteckten Lichtern an, nachdem er seine Haselgerte in die Hand genommen hatte, und die zwölf tanzenden Derwische erschienen. Mit der Gerte gab er jedem derselben einen tüchtigen Schlag auf den Hintern, aber mit der rechten Hand, wie er zu thun gewohnt war, denn er hatte nicht darauf Acht gehabt, daß der Derwisch den Schlag mit der linken Hand gegeben hatte.

Anstatt daß die zwölf Derwische Säcke voll Gold und Edelsteine sollten hinwerfen, zogen sie Knüttel unter ihren Kleidern hervor, und prügelten ihn so entsetzlich, daß er von seinen Sinnen nicht wußte, und einige Stunden dalag, wie ein todter Mann.

Als er wieder zu sich selbst kam, waren die Kameele fort, die abgeladenen Ladungen derselben waren fort, der Sklave mit den beiden Pferden war fort, und der Armleuchter war auch fort; aber die mit Blut unterlaufenen Striemen und Schwielen am ganzen Körper waren nicht fort, sondern blieben und schmerzten, noch über ein halbes Jahr.

Nardan war so erbärmlich armselig und dürftig als zuvor.

Und das war denn wohl die gerechte Strafe der habgierigen Undankbarkeit.

Das BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[121] Das Bauermädchen.

Es war eine regierende Königin, die ein wenig alt geworden war, nämlich ein ganz klein Bischen nur über 90 Jahr. Die Paar zahnstummel im Munde wackelten, und sie konnte nur noch Brei essen; die trüben und triefenden Augen waren fast erblindet, der Kopf wackelte auch hin und her; der Rücken war krumm, der Athem stinkend, und sie konnte weder gehen, noch stehen, noch liegen.

Gleichwohl hatte die alte Närrin, eigensinnigerweise, gar keine Lust zu sterben, obwohl sie nicht mehr leben konnte, sondern wollte vielmehr wieder, nicht nur jung, sondern sogar auch schön werden.

Da bat sie denn ihre Frau Pathe, die eine Fee war, gar hoch und sehr, sie wieder jung und hübsch zu machen, wie die Frau Pathe oft zu sein schien, obwohl dieselbe etwa 500 oder wohl gar 1000 Jahr älter sein mochte, als das liebe Pathenkindchen.

»Der Wunsch kann schon erfüllt werden, sagte die Pathe, nur daß sich ein junges Mädchen finden, das sich gegen dein Alter, deine Gebrechen, deinen Stand und Rang, aber auch gegen deine kleinodien, Diamanten und Juwelen vertauschen will.«

»Nun ich will ihm gern Alles hingeben, was ich habe und besitze, wenn ich nur wieder jung und hübsch werde,« sagte die Königin.

[122] Nun suchte die Fee, und es fanden sich viele lumpige, aber junge und gar hübsche und gesunde Bettlerinnen, die gern wollten Königin sein, denn der Niedrigste will immer gern der Höchste sein, – aber als sie die Frau Königin sahen, waren sie doch ganz bedenklich und darum auch verständig geworden, und bedankten sich des Tausches. Sie meinten: was hilfts Essen und Trinken, Geld und Gut, Macht und Pracht und Herrlichkeit und Alles zu haben, wenn man davon keinen Gebrauch mehr kann machen! – Besser ein gesunder Zahn und ein Stück Brod darauf, als keine Zähne und keinen Magen zum Verdauen bei den herrlichsten Speisen.

Das waren gewiß keine dumme Leutchen! – So erbärmlich, so häßlich und ekelhaft, als die alte Frau Königin, begehrten sie ja gar nicht zu sein. – Ja doch! Rang und Stand, Geld und Gut, Herrlichkeit und Pracht, machen ja nicht für sich selbst und allein glücklich und froh!

Die Fee fand endlich ein lustig fröhliches und armes Ding von Bauermädchen auf, das in seiner leichtsinnigen Unbedachtsamkeit, gegen hohen Stand und Rang ihre Jugend und Schönheit wollte hingeben.

Das kleine dumme Ding dachte, nun müßte es gar überglücklich sein, wenn es so gar groß und gewaltig, und so sehr, sehr reich würde. – So denken denn freilich Viele, die eben nicht vom Dorfe her sind.

Der Tausch geschahe, und im Augenblick erbleichten die frischen rothen Wangen des Mädchens, die ganze Haut wurde voll Falten und Runzeln, Kopf und Zähne wackelten, die Haare waren eisgrau geworden, und es selbst höchst mürrisch und griesgramig.

Die Fee öffnete eine Schachtel, aus welcher im Umsehen eine große Menge Bedienten hervorsprangen, kaum so groß wie ein Goldkäfer, [123] die aber im Augenblick so groß wie andere Bedienten waren, und mit großer Ehrfurcht den Winken der neuen Königin zu Befehl standen.

Es wurde ein herrliches Mahl aufgetragen, und die neue Königin wurde von zwei Bedienten zu der Tafel geführt; denn allein zu gehen, dazu war sie ja viel zu schwach. Aber sie hat vor allen Speisen einen Ekel, und die Tafelmusik betäubt den alten angegriffenen Kopf; sie hustet daß sie zerspringen möchte, sie will auswerfen, und bespeit sich das Kinn, welches wie ein Knochen weit weit vor dem Munde hervorragte, und da sie sich in den großen Wandspiegeln ersieht, erschrickt sie vor sich selbst.

Ach sie fühlte sich sehr unglücklich!

Aber die vorige Königin fühlte sich auch nicht glücklicher. Sie war einmal an die Hoheit, Gewalt und den Glanz gewöhnt, welchen sie jetzt nur zusehen mußte. Denn, als sie jung geworden war, hatte sie auch die groben Kleider und Schuh, und die schmutzigen Strümpfe, und die lumpige zerrissene Schürze des Bauermädchens überkommen, und die Wache wollte die Bauerntrulle nicht einmal in dem Winkel leiden, in welchen sie sich hineingedrückt hatte.

Da wollte sie fast weinen!

Unser vormaliges Bauermädchen bemerkte das. »Frau Königin sagte es: ich sehe wohl, es gefällt Euch Euer neuer Stand sehr schlecht, und mir geht es in meinem jetzigen auch nicht besser. Wollt Ihr, so laßt uns unsern Tausch aufheben, und Jedes bei seinem Stande bleiben!«

Augenblicklichst war der Tausch von beiden Seiten aufgehoben; und Jedes war wieder geworden, was es zuvor gewesen war.

Aber wie es denn mit vielen Menschen so geht! – wenn sie nicht recht wissen was sie wollen, und was ihnen heilsam ist, so sind [124] sie nimmer zufrieden. Kaum war der Tausch geschehen, als er auch beiden Theilen gereute, und sie die Fee angingen, noch einmal sie zu verwandeln. Die Königin wollte wieder Bauermädchen, und diese wieder Königin sein, die Fee aber sagte, sie wüßten nicht was sie wollten, und solche Kunststücke würden von ihr nur einmal gemacht.

Die alte Königin heulte und schrie. Da sie so eben erst ganz frisch erfahren hatte, wie jung die Jugend, und wie schön die Schönheit sei, und wie gesund die Gesundheit, so kam ihr ihr Zustand ganz unerträglich vor. Nichts war, was sie zufrieden machen konnte, und Niemand am Hofe hatte eine gute Stunde bei ihr. Nachdem sie noch einige Monate geklagt, gejammert, gekeicht, gezankt, gekiffen, gescholten und geschmält hatte, so arg sie nur immer noch konnte, so starb sie.

Und das war gut, für sie und für ihren Hof.

Unser Bauerkäthchen aber war wieder lustig und guter Dinge geworden, seitdem sie zu ihren heimischen Fluren zurückgekehrt war, und aß ihr schwarz Brod mit Milch, mit größerm Vergnügen, als damals an der Tafel im Schlosse die herrlichsten Gerichte.

Eben tanzte sie singend an einem Festtage mit ihrem Gespielen einen Ringeltanz, (ich denke es war: Ringel, Ringel Rosenkranz u.s.w.) am Ufer eines klaren Bachs, auf einer Wiese voll von schönen Blumen, als sie erfuhr, daß die alte Königin todt sei. Da ward sie noch munterer und fröhlicher, und sagte: »O wie gut, daß die Fee nicht meine albernen Wünsche erhört hat! Ich war eine dumme Käthe! die Alte ist todt, ich aber lebe noch; kann essen und trinken, kann arbeiten und schlafen, kann singen und springen, mir wackelt kein Zahn, und kein Finger thut mir weh, und der Hans wird mein Mann, wenn wir nur erst noch ein Paar Thaler zum Anfang unserer Wirthschaft werden erspart haben.«

[125] Da stand plötzlich die Fee vor ihr, und sprach: »Es freut mich Käthe, daß du zur rechten Vernunft gekommen bist. Was indessen deine Heirath betrift, so will ich dir, wenn du magst, einen mächtigen und reichen Mann schaffen, bei dem du täglich Fisch, Braten und Wein, Bedienten und Kutsche und Pferde und alle Herrlichkeiten haben sollst.«

Käthchen besann sich gar nicht, sondern sagte stracks: »dank Euch gar schön, meine gütige hochgnädige Fee; bin nun auch ein Bischen klug geworden, und weiß daß Zufriedenheit und Glück, bei Arbeit und Gesundheit, oftmals eher in der kleinsten Hütte versteckt sind, als sie in den großen Palästen herumrasaunen. Ich behalte den Hans, der mich gar herzlich lieb hat, und ich hab ihn wieder lieb, und wenn wir nur erst noch ein Paar Thaler« – – –

»Halt meine Tochter, sagte die Fee, du sprichst, wie ich es gewünscht und auch erwartet habe. Stand und Macht gewähren selten das echte Glück, und Gleich und Gleich soll sich zusammengesellen. – Du wirst, wie ich hoffe, mit deinem Hans, bei Arbeit und Ehrlichkeit, zufrieden leben, und für den ersten Anfang in deiner Wirthschaft geb ich dir hier hundert Goldstücke, und nicht mehr, wie ich leicht es wohl könnte, denn es möchte dir nicht gut sein. Wende sie gut an, und richtet Euch ein. – Was man selbst erwirbt, macht mehr Freude, und wird besser zu Rath gehalten, als was so vom Himmel herabfällt.«

Die Fee gab ihr das Gold in die Hand, und als Käthe ihr danken wollte, war sie fort.

Käthe lief zu ihrem lieben Hans, und die beiden beratheten sich den ganzen Abend, wie sie ordentlich und verständig das erschrecklich viele Gold anwenden wollten.

[126] Und sie kauften sich ein artiges Häuschen mit einem hübschen Garten, und wohl an sechs Acker Feld dafür, arbeiteten und wurden wohlhabend, und konnten noch Vielen im Dorfe wohlthun, und waren zufrieden, und an den Festtagen froh. Sie hatten einander recht lieb, und Käthe dankte dem Himmel, daß sie keinen reichgewaltigen Herrn zum Mann bekommen hatte, sondern den guten, treuen und fleißigen Hans, und mußte lachen, daß sie einmal, so auf ein Paar Stunden eine halbtodte Königin gewesen war.

Rosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[127] Rosenmund und Bramarbas.

Ein angesehener und begüterter Mann auf dem Lande, der mit seinem Nachbar in immerwährender Feindschaft lebte, hatte zwei Söhne. Den einen hatte die Mutter Rosenmund geheißen, weil er so hübsch und so freundlich aussahe, und so gutmüthig, wie er denn auch wirklich ward; den andern hatte der Vater seines grimmigen Aussehens wegen, Bramarbas geheißen, denn er dachte, der müßte eine gewaltige Kriegsgurgel werden, die 10,000 mit einem Streich niederhiebe, und wenigstens General oder wohl gar Korporal werden müsse. Und in der That wurde er auch ein gewaltiger Held, der nicht 10,000 sondern wohl gar 100,000 niedermachte, nur freilich nicht mit dem Schwerdt, sondern mit dem Maule, aus dem er es hervor gurgelte, was er Alles noch thun, und wie er es anfangen wollte!

Da er doch eigentlich mit dem Maule oder mit der Gurgel keine Mücke todtschlug, so hätte man ihm seine Prahlhansigkeit schon können nachsehen, aber daß er hämisch und tückisch war, selbst gegen den gutmüthigen Bruder, das war schlecht und teuflisch.

Rosenmund war der Freund von dem Sohne des Nachbars, der eben so gut und liebenswürdig war, als er selbst. Beide lebten in rechter Liebe und Eintracht, und kümmerten sich wenig um die Händel der Väter. Aber Bramarbas machte den Bruder beim [128] Vater verhaßt, und sagte, daß derselbe dem Nachbar Alles hinterbringe was im Hause vorgehe. Darüber wurde der Vater sehr ungehalten, und faßte einen Haß gegen den Rosenmund, und als nachmals Bramarbas dem Vater weiß machte, sein Bruder sei vom Nachbar überredet, den Vater zu vergiften, glaubte es der Vater, und schlug den armen Jungen ganz blutig, stieß ihn zum Hause hinaus, und drohte ihn ganz todt zu schlagen, wenn er sich wieder erblicken würde lassen.

Da ging Rosenmund weinend in die Welt, und wußte nicht wohin, denn er kannte die Welt noch nicht, und seufzte: »was soll ich nun anfangen?«

Am Abend war er in einen Wald gekommen, und vor Ermattung fiel er in der Höhle die er gefunden hatte, und wo er auf einem Mooslager sich hinlegte, in einen tiefen Schlaf.

Am andern Morgen, eben als er erwachte, stand eine Dame vor ihm, die ihn gar freundlich ansahe, und ein weißes Pferd an der Hand führte. Die fragte ihn, ob er nicht eine weiße Hindin (Hirschkuh) von sechs weißen Windspielen verfolgt, hätte vorüber laufen gesehen?

»Ach lieber Gott nein!« antwortete er sehr betrübt. Die Dame, der sein unschuldiges Gesicht gefiel, und seine Bekümmerniß weh that, fragt ihn, was ihm denn fehle, er sollts ihr doch offenbaren.

Da erzählte der arme Jüngling Alles treuherzig und traurig, und sagte: »Nun hab ich keinen Menschen mehr, der sich mein annimmt, denn die Mutter darf es nicht, weil der Vater so böse auf mich ist. Nun weiß ich nicht, was ich soll anfangen, denn Niemand kann mir ja helfen!«

»Die Unschuld findet überall Hülfe, mein junger Freund, sagte zu ihm die freundliche Jägerin, wie du gleich sehn sollst. Bewahr sie dir nur, und sei wahr und gut. Nimm diesen Ring, und laß ihn nicht abhanden kommen. Steck ihn an deinen Finger. Drehst [129] du den Diamant desselben einwärts, so bist du unsichtbar; steckst du den Ring an den Goldfinger, (der nächste am kleinen Finger) so scheinst du der Königsprinz in dem Lande, wo du dich aufhältst, und an Gefolge und Bedienten, und an Geld und Gold soll dir es nicht fehlen, steckst du ihn an den kleinen Finger, so bist du wieder, was du eigentlich bist. Gebrauche die Gabe mit Vorsicht und Gerechtigkeit, und Güte!«

Sie schwang sich auf ihren weißen Zelter, (leichtes Pferd) und war ihm pfeilschnell aus den Augen.

Wie leicht wär es Rosenmund nun gewesen, sich an seinem Bruder zu rächen; aber dazu war er viel zu edel. Er machte sich aber mit seinem Ringe unsichtbar, ging in des Vaters Haus, und zeigte sich dann sichtbar der geliebten Mutter, der er Alles erzählte, und durch des Ringes Kraft, die derselbe am Goldfinger hatte, erschien er hieraus als der Königssohn vor dem Hause der Aeltern mit vielen prächtigen Pferden und Dienern.

Sein Vater erschrack, da er den Prinzen in seinem Hause sahe, und war in großer Verlegenheit, und kam in noch größere, als der Prinz nach seinem zweiten Sohn fragte, den er eben so wohl als den ältesten mit an seinen Hof nehmen wolle. – »Er ist nicht hier, sagte der geängstete Vater, der jetzt wußte, wie sehr Unrecht er dem jüngern Sohne gethan hatte. Er ist nicht hier. Ich hatte ihn eines Fehlers wegen vielleicht etwas zu hart gezüchtigt, da ist er mir entlaufen.«

»O! hättet ihr doch erst Güte versucht, wenn er wirklich Unrecht gethan hatte, das wäre väterlicher gewesen, antwortete der Prinz. Indessen gebt mir denn nur den Aeltesten mit, ich möchte gern etwas aus ihm machen.« – Der Vater gab ihn gern hin.

Der wahre Königsprinz war vor einiger Zeit mit einer Flotte zur See gegangen, um auf einer entlegenen Insel Krieg zu führen, aber sein Schiff war vom Sturme an unbekannte Küsten verschlagen, [130] wo es zertrümmert, und der Prinz von einem wilden Volke gefangen genommen wurde. Am Hofe betrauerte man ihn als todt. Jetzt nun kam Rosenmund in Gestalt des wahren Prinzen an den Königshof, und König und Königin fielen vor Freuden fast in Ohnmacht, und umarmten ihn viel hundert Mal, und das ganze Land jauchzte und jubelte, und die Feste und Freudenfeuer dauerten an acht bis vierzehn Tage, denn es hatte alle Welt den Prinzen sehr lieb gehabt, weil er so sanft und gut war, wie Rosenmund auch.

Eines Tages nun ließ Rosenmund den Bruder zu sich kommen, und sagte: »ich weiß, wie übel du an deinem Bruder gethan hast, der dir niemals etwas Leides hat zugefügt; ich weiß Alles auf das genaueste, und du wirst selbst fühlen, was du verdientest.«

Da fiel Bramarbas ihm zu Füßen, gestand in der Angst Alles, und bat um Gnade. Rosenmund antwortete: »ich verzeihe dir gern, obwohl du gar sehr schwer gefehlt hast, und dein Bruder, der mein Liebling ist und den du gleich sehen sollst, auch, und zwar von Herzen; aber sorge daß du gut wirst, und warte hier.«

Rosenmund ging hierauf in ein Nebenzimmer, und kam in wenigen Augenblicken in seiner wahren Gestalt, mittelst der Eigenschaft des Ringes, zum Bruder wieder zurück. Dieser fiel ihm mit heuchlerischer Reue und mit erlogenen Thränen um den Hals, bat um Verzeihung, und entschuldigte sich, so gut als er nur konnte.

»Es ist dir Alles vergeben mein Bruder, sprach Rosenmund, und soll auch Alles vergessen werden; aber ich bitte dich sehr, ändere deinen Sinn, du wirst nicht glücklich mit ihm!«

Die Brüder trennten sich, nachdem Bramarbas tausend Mal des Bruders Großmuth gepriesen hatte, und Rosenmund nahm wieder die Prinzengestalt an; aber in seiner wahren Gestalt kam er mehrmals zu seinen Aeltern, und beschenkte sie mit vielem Golde, welches er überreichlich vom Könige bekam.

[131] Es entstand ein gewaltiger Krieg mit einem benachbarten gleich mächtigen Reiche. Rosenmund machte sich unsichtbar, und ging an den Hof des feindlichen Königs, wo er alle Rathschläge hörte, und Alles vernahm, wie man den Feldzug führen wollte. Da ward es ihm denn leicht, allen Anschlägen der Feinde zuvor zu kommen, zumal da ihm der König die Oberfeldherrnstelle übergeben hatte. Er verwirrte alle Unternehmungen der Feinde, er schlug sie daher, wo er sie nur sahe, und brachte bald einen sehr rühmlichen Frieden zu Stande.

Jetzt dachte nun König und Königin daran, den herzgeliebten vermeintlichen Sohn mit einer liebenswürdigen Prinzessin eines benachbarten, auch mächtigen Königs zu vermählen.

»Wenn du das thätest, so wäre es Betrug, dachte Rosenmund, und nimmer könnt' daraus Gutes erfolgen. – Der rechte Prinz muß herbei!«

Mit solchen Gedanken ritt er auf die Jagd, tief in den Wald hinein, und traf die Fee, seine Wohlthäterin, und erzählte ihr Alles was sich zutrug, und wie er den rechten Prinzen so gern den Aeltern möcht wieder bringen.

»Ich habe mich nicht in der betrogen, mein Sohn, sprach die Fee; du bist gut, und du wirst es bleiben. Geh an den Strand des Meeres, hinter dem Walde, da wirst du ein Schiff finden, das dich leicht und sicher und schnell zum Königssohn soll hin und wieder zurückbringen.« – Die Fee verschwand.

Rosenmund ging an den Hof zurück, und unter dem Vorwand, daß es ihm in einem benachbarten Reiche nicht ganz richtig scheine, zog er fort, ging zu Schiffe, und kam gar bald an die Insel, wo der rechte Kronprinz die Kühe mußte weiden. Er nahm ihn schleunigst auf sein Schiff, und brachte ihn in wenigen Tagen an den [132] Hof seines Vaters, wo Rosenmund seine wahre Gestalt nun wieder annahm.

Rosenmund eröffnete dem Könige nun Alles, wie es vom Anfange an sich hätte begeben, und gab ihm seinen echten Sohn wieder, der so lange ein Viehhirte gewesen war. Da ward der König und die Königin gar höchlich verwundert und erfreut, und den Sohn und seinen Erlöser drückten sie ans Herz, und sagten zum Rosenmund: »du sollst auch unser Sohn sein, aber der Bramarbas soll an den Galgen.«

Aber der Bruder bat sehr für ihn, und der König ließ ihm seine Dienste am Hofe.

Rosenmund aber, der wohl gesehen hatte, es sei selten einmal bei der Hoheit viel Frieden und Glück, selbst nicht an dem Hofe dieses guten Königs, wo sie sich heimlich einander neideten und verfolgten, kehrte in die Stille seines Landlebens zurück zu den Aeltern, und lebte mit ihnen vergnügt und froh, indem der Vater ihn auch recht liebgewonnen hatte, weil er so gut war, und von des Königs Güte mehr hatte mitgebracht, als sie Alle lebenslang brauchten. Der Prinz besuchte ihn fleißig, und war ihm mit treuer Liebe zugethan, und hätte ihn so gern wieder mit an den Hof genommen, er aber blieb wo er war.

Den Zauberring wäre aber Rosenmund auch gern wieder los gewesen, und ging deshalb fast täglich nach der Höhle, wo er zuerst die Fee hatte getroffen. Er traf sie endlich wieder, und gab ihn der Fee mit tausend herzlichem Danke zurück.

»Warum willst du ihn nicht behalten, fragte die Fee, mein Rosenmund?«

»Ach! sagte er, ich habe ja durch ihn schon Alles was ich bedarf, um zufrieden zu sein. Was soll ich denn mehr? – – Ich fürchte, ich könnte ihn einmal schlecht anwenden, denn Zeit und Stunde sind nicht immer sich gleich, und das Menschenherz ist gar veränderlich. [133] Ich könnte wohl einmal auf den Gedanken kommen, damit zu schaden.«

»Du bist mein Liebling, sagte die Fee, du bist weise geworden, weil du immer gut warst, und hast nicht unrecht. Sei zufrieden und froh!«

Die Fee nahm den Ring, und sagte, sie wolle ihn Jemand geben, der durch denselben seine Strafe finden solle. Güter und Gaben wären nur in der Hand des Guten wohlthätig, in der Hand des Bösen würden sie gefährlich, und brächten den Bösen zuletzt selbst ins Verderben.

So sagte die Fee, und gab den Ring dem Bramarbas. Sie eröffnete ihm, das sei der Ring, dem Rosenmund all sein Glück verdanke, und den er nun nicht mehr haben wolle. »Nimm ihn, sprach sie, und mache einen guten Gebrauch davon.« So sprach sie und verschwand.

»Schönen Dank für die köstliche Gabe, du dumme Fee, sprach der Bramarbas. Hätt' ich den Ring zuvor gehabt, ich hätt' ihn keinem Andern gegeben, und von mir soll ihn nun und nimmermehr jemals Jemand bekommen, und will ich schon Gebrauch davon machen. Da ich den Ring habe, soll mirs nicht fehlen!«

Es fehlte ihm dennoch. – Wenn man sicher, hochmüthig und bösartig ist, so geht man am Ende doch unter.

Bramarbas wollte sich großen Reichthum und Gewalt durch seinen Ring verschaffen, und dachte wohl gar daran, wie er König werden könnte.

Er schlich unsichtbar überall herum, er ermordete die Reichen und nahm ihr Geld, und wollte zuletzt den Thronerben auch ermorden, um selbst König zu werden; er ging ungesehen in den Staatsrath, hörte Alles, und entdeckte es den Feinden des Landes. Der König und seine treuen Räthe sahen sich verrathen und verkauft, und wußten nicht woher, und von wannen es kam? Aber da der [134] Bramarbas täglich auf unbegreifliche Weise reicher und reicher wurde, und frecher und unverschämter dazu, so vermuthete man, er habe vielleicht dem Bruder den Ring entwendet, und sei der Anstifter alles Unheils.

Man stellte einen gescheuten, aber unbekannten Menschen an, der sich beim Bramarbas als den heimlichen Gesandten eines benachbarten Königs ausgab, und ihm unermeßliche Summen versprach, wenn er alle Staatsgeheimnisse verrathen wolle.

Er verrieth dem Angestellten Alles, aus Geldgier und Schadenlust, und da ihm der Angestellte Vorsicht und Klugheit empfahl, meinte er höhnisch, die sei denn eben nicht nöthig, weil er diesen Ring habe, dessen Kraft und Tugend ihn ganz sicher stelle, wie er übermüthig ausprahlte.

Uebermuth thut selten gut. – Der, den man angestellt hatte, berichtete Alles getreulich.

Man ergriff unversehens den Bramarbas im Bette, man zog ihm den Ring ab, und hing ihn nach Verdienst und Würden an den Galgen, und Jedermann sprach: »dem geschieht Recht!«

Aber als es Rosenmund erfuhr, trauerte er gar sehr, und seufzte bei sich selbst: »hätt' ich es doch nur gewußt, vielleicht hätt' ich dich können losbitten, und vielleicht wärst du auch besser geworden!«

Aber das half nun nichts mehr, denn er war einmal ordentlich und tüchtig gehenkt, und außer Rosenmund klagte kein Mensch um ihn.

Der liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[135] Der liebe Gott und der Schwabe.

Es war in der guten alten Zeit, als der liebe Gott einmal auf Erden wandelte, um zu sehen, wie es da und dort zustände, aber ohne daß ihn Jemand erkannt hätte. Da kommt des Weges daher gegangen ein Schwäblein, und spricht zum lieben Gott, »laß uns zusammen reisen!« Das war der Herr wohl zufrieden, und also reisten Beide zusammen weiter.

Kamen sie eines Tages an zwei Dörfer, die nah aneinander lagen, und in beiden Dörfern wurde geläutet mit den Glocken.

»Was wird denn da geläutet?« fragte das Schwäblein.

»Das will ich dir sagen, antwortete der liebe Gott: Siehst du! in dem einen Dorfe lauten sie zu einer Hochzeit, und in dem andern ist eine Leiche, die sie wollen hinaus tragen.«

»Ei! da geh ich ins Hochzeithaus, spricht der Schwabe; da gibts einen guten lustigen Tag mit Essen und Trinken, und mit Tanzen und Springen und andern herrlichen Dingen.« Und damit geht er ins Hochzeithaus, juchheisat dort mit, wartet aber den Gästen auch fein mit auf, trägt Fisch und Braten auf, und langt selbst dreist zu, schenkt die Becher voll, und trinkt fleißig mit aus, macht lustige Schwänke und Schnurren, und treibt mancherlei poßirliches Wesen, daß die Gäste lachen mußten. Und als die Hochzeit alle war, da schenkten sie ihm ein Paar Kreuzerlein, die er für ein groß Gut hielt. Es waren ihrer an drei Stück.

[136] Der liebe Gott aber war derweil ins Leichenhaus gegangen, und weil der Todte ein guter Mann gewesen war, der von allen Leuten beweint und beklagt wurde, und war auch noch nicht hoch in die Jahre, so befiehlt der liebe Gott dem Todten im Namen Gottes, er solle wieder lebendig werden, und wieder aufwachen, welches denn der Todte auch that. Da war große Freude bei allen Leuten, und sie verehrten dem lieben Gott an hundert Goldgülden, die er denn auch annahm, weil man auf Reisen mit Gelde immer besser fortkommt.

Auf dem Wege kamen die beiden Reisenden bald wieder zusammen, und das Schwäbli thut gar groß und breit mit den Paar Kreuzerlein die es verdient hatte, und hätte gegessen und getrunken dazu nach Herzenslust. Da sagt' ihm der liebe Gott, er habe auch etwas verdient, denn er habe den Todten wieder lebendig gemacht, und zeigt dem Schwaben die hundert Goldgülden.

Da wirft das kluge Schwäbli flugs seine Paar Kreuzer in des lieben Herrgotts Säckel; so auf gemeinschaftliche Kasse, und spricht: »Alles für uns Beide! Alles gemei; gleichviel mir und dir; welches denn auch der liebe Gott gar wohl zufrieden ist.«

Sie waren etwa ein Paar Tagereisen weiter gezogen, und hatten unterwegs eben nichts Rechtes zu essen gehabt, da sahen sie am Walde einen Schäfer mit seiner Heerde, und der liebe Gott schickt den Schwaben hin, daß er ein Lämmlein kaufen sollte, welches der Schwab auch brachte und zubereitete, während der liebe Gott ein wenig im Walde spatzieren ging.

Als nun der Schwab kochte, schwamm die Leber vom Lämmlein immer oben auf, und ob er dieselbe gar oft ins Wasser mit dem Kochlöffel hinunter drückte, kam sie doch immer wieder hinauf, und schwamm oben auf dem Wasser, und roch dem Schwaben so lieblich in die Nase, daß er sein Messer zog, schnitt das Leberlein kühnlich in zwei Stücke, und aß es auf.

[137] Als nun der liebe Gott wieder kam, vermißt er sogleich das Leberlein, und fragt den Schwaben, ob er es gegessen hätte? Das leugnet dieser gar hartnäckig zweimal und dreimal, und als der Herr ihm recht ernst und liebreich vorhält, daß er es doch nur bekennen möge, denn er sei ja ganz mutterseelen allein beim Kessel gewesen, da wird er gar trotzig und ungeberdig, und spricht sogar und bleibt dabei, die Lämmer hätten gar keine Leber, und der liebe Gott kann gar nichts dagegen bei ihm ausrichten, schweigt lieber still, und zieht mit dem trotzigen Gesellen weiter.

Kommen sie hierauf wieder an zwei Dörfer, in welchen beiden geläutet wird, und es war wieder, wie das erste Mal. Das eine Geläut galt einem Todten, das andere einem Hochzeitpaare.

Da wollte denn der Schwab sich hundert Goldgülden verdienen, und sagt zum lieben Gott, er wolle dasmal ins Leichenhaus, und fragt gar freundlich, wie es denn der liebe Gott gemacht habe, als er den Todten erweckt habe?

Da antwortete der liebe Gott, er habe die Hand auf den Todten gelegt, und habe demselben mit rechtem Ernst im Namen Gottes befohlen, wieder lebendig zu werden. Da wär der Todte lebendig geworden.

»Nun da will ichs denn wohl eben so gut ausrichten als Ihr,« sagt unser Schwäbli; und der Herr antwortete ihm: »Ja! so du die rechte Kraft und den rechten Sinn dazu hast, so magst du es wohl ausrichten.«

Der Schwabe vermeint, die Kraft und den Sinn habe er denn wohl auch, und geht ins Leichenhaus, wo Alles wehklagt und weint, und er spricht, wenn sie ihm hundert Goldgülden gäben, möcht er den Todten leicht wieder erwecken. Aber die Leute wollten ihm das nicht glauben, denn er sah nicht darnach aus, daß er Todte erwecken könne. Da aber vermaß und verschwor er sich, daß ers wohl ausrichten wolle, wenn er nur hundert Goldgülden bekäme, [138] und wo ers nicht vollbrächte, sollten sie ihn an den nächsten Baum aufhenken. Da verhießen sie ihm denn das Geld.

Das Schwäbli machts nun gerad so, als ihm gesagt war, aber der Todte blieb todt. Er versucht es noch einmal, und auch zum dritten Mal; aber der Todte blieb todt, und konnte zum Leben nicht kommen. Da ward das Schwäbli recht tollköpfisch und unwirrsch, und sprach: »Nun! wenn du denn nicht wieder ins Leben willst, so bleib ins Kukuks Namen todt, und liege so lange du willst.« Und damit wollte er sich auf und davon machen; aber die Leutchen waren schneller als er, hielten ihn fest, und holten eine Leiter, die sie an einen hohen Baum lehnten, und thaten ihm einen tüchtigen Strick um den Hals, und er mußte die Leiter hinauf.

Es war eben die höchste Zeit, als der liebe Gott daher kam, und dem Schwaben verhieß, er wolle ihn erlösen, und statt seiner den Todten gewißlich lebendig machen, nur solle der Schwab bekennen, daß selbiger das Leberlein gegessen habe. Das wollte der aber auch auf der Leiter nicht, und wie hoch und sehr der liebe Gott ihn auch bat, halfs doch nicht, und das Schwäbli blieb dabei, er habe das Leberli nicht gessen, und die Lämmli allzumal hätten kein Leberli.

Da sollte der arme Schwab nun gehenkt werden. Aber der liebe Gott konnte das doch nicht übers Herz bringen, sondern ging hin, und machte den Todten lebendig, und bekam die hundert Goldgülden und erlöste das Schwäblein, und zog mit demselbigen fürbaß (weiter).

Als sie nun einen Tag oder drei wieder mitsammen waren gegangen, setzt sich der liebe Gott auf einen schönen grünen Hügel, und ruht aus, und der Schwab setzt sich neben ihn, und ruht auch aus.

Da hebt der liebe Gott an, und spricht zu dem Schwaben: »Hör du lieber Gesell, es ist nun an der Zeit, daß Jeder von uns seines eigenen [139] Wegs ziehe; denn wo ich hin muß, kannst du nicht mit.« Und der liebe Gott zog den Säckel hervor, und theilte das Geld in drei Häuflein, die alle ganz gleich waren, und auf jedes Häuflein kam eins von den Kreuzerlein des Schwaben. Und der liebe Gott nahm ein Häuflein und gab es dem Schwaben, und sagte: »Das ist dein!« Eins aber nahm er für sich, und that es in das Säcklein, und sprach: »das ist mein!« – Da fragte das Schwäbli: »Aber lieber Gesell, wem soll denn das dritte Häuflein?« – denn er hätte es gern mögen haben. Da sprach der liebe Gott: »das soll der haben, der das Leberlein hat gessen, und gewißlich kein Anderer.«

Da sprach das Schwäbli: »Herr! das Leberli hab ich dennoch wahrhaftig geeßt.«

Und so that das Geld, was der Galgen nicht hatte vermocht.

Der Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[140] Der Fischer und seine Frau.

Dicht an der großen See, ich weiß nicht mehr wo? wohnten ein Fischer und seine Frau in einer schmutzigen armseligen Fischhütte, von verfaultem Schilfrohr, in welcher weder Bett noch Stuhl war, und sie konnten sich doch nicht darin regen noch rühren.

Den ganzen Tag ging der Fischer auf den Fischfang, von dem alle beide lebten.

Einsmals hatte der Fischer einen großen Butt 1 gefangene – so groß, und zog ihn aus dem Wasser heraus.

Der Butt sagt zu ihm: »Laß mich los Fischer, du sollst dir auch was wünschen, das will ich dir geben. Ich bin kein ordentlicher Butt, sondern ein verwünschter Prinz.«

»Nun da lauf nur wieder hin ins Wasser,« sagte der Fischer, und trug ihn wieder zum Wasser. »Butts die sprechen können, mag ich so nicht haben. – Na! nun bist du wieder drinn!«

[141] »Nun Fischer, wünsche dir etwas, sagte der Butt.« Der Fischer aber wußte eben nichts, was er sich wünschen sollte, denn er hatte ein zufriedenes Herz, und darum hatte er Alles und meinte, er brauche ja nichts.

Als er nun nach Hause kam zu seiner Frau, da erzählt er ihr, er hätte einen Butt gefangen, den wäre ein verwünschter Prinz gewesen, und hätt ihn sehr gebeten, ihn wieder ins Wasser zu setzen, und dafür sollt er sich auch denn etwas wünschen.

»Nu Mann, was hast du dir denn gewünscht?« fragt die Frau. – »Habe nichts gewünscht, antwortet der Mann, was sollt ich denn wünschen?«

»O du heillos dummer Mann, fährt ihn die Frau an, das ist sehr schlimm! du bist und bleibst ein armer Tropf. Geh gleich, und ruf den Butt, und wünsch dir ein klein artiges Häuslein, damit wir aus dem schmierigen Hundeloch heraus kommen.«

»Ne Frau, das geht nicht,« sagt der Mann, und kraut sich hinter den Ohren; das nimmt der Butt übel. Aber die Frau sprach: »Geh! du Stock! – – Da wirds eben was haben? – Geh nur, der Butt wird dirs schon geben.«

Da mußte der Mann gehen, weil es die Frau also haben wollte, aber er ging mit Angst.

Als er an die See kam, sah sie gelb und grün. Der Fischer aber stellte sich ans Ufer und sagte:


»Mandje! Mandje! Timpe te
Butje! Butje! in der See,
reck den Kopf mal in die Höh'
meine Frau die Marzebill
nicht so will als ich wohl will.«

Er hatte seinen Spruch kaum hergesprochen, da reckte der Butt seinen Kopf aus dem Wasser hervor, und fragte:

»Was will sie denn?«

[142] »Sie will gern ein klein artiges Häuschen, und will nicht mehr in der alten Schmierhütte wohnen,« sagte der Fischer.

»Geh nur hin, sagte der Butt, sie ist schon darinnen.«

Der Mann ging hin, und fand seine Frau in der Thür eines netten Häuschens mit hübschen Stuben und Kammern, und mit einer hübschen Küche. Und hinter dem Hause war ein Hof mit Hühnern und Enten, und hinter dem Hofe war ein Garten, da standen Bäume darinnen, und grüner Waaren gar viel.

»Sieh Mann! sagte die Frau, ist es denn nun nicht viel besser?«

»Na! sagte der Mann, da wollen wir denn auch recht vergnügt darin leben!«

»Ih, sprach die Frau, das wollen wir erst noch sehen!«

Nach etwa ein acht oder vierzehn Tagen, spricht die Frau:

»In dem kleinen Lumpending von Häuschen wird mirs zu eng. Es ist alles zu klein; ich will ein groß steinern Schloß haben. Geh zum Butt, er soll uns ein groß steinern Schloß schaffen!«

»Ach Frau, spricht der Mann, es ist ja so hübsch in dem Häuschen. Ich mag nicht gern zum Butt hingehen, er möchte recht böse werden.«

»Kikel Kakel! spricht die Frau. Geh du nur hin; der Butt kann das schon geben, und gibt es gern. Geh du nur!«

»Da ging der Mann, weil es die Frau haben wollte, wieder zum Butt hin, aber das Herz war ihm so schwer. Und als er an den See kam, war das Wasser zwar still und ruhig, aber violet und grau und dunkelblau.«

Der Fischer trat ans Ufer und sprach:


[143]
»Mandje! Mandje! Timpe te
Butje! Butje! in der See,
reck den Kopf mal in die Höh,
meine Frau die Marzebill,
nicht so will als ich wohl will.«

»Nun was will sie denn?« fragte der Butt.

»Ach ich trau mirs nicht zu sagen, und bin ganz betrübt; – Ein großes steinernes Schloß will sie haben.«

»Geh nur hin, sagt der Butt; sie ist schon im Schlosse.«

Da ging der Mann hin, und traf die Frau vor einem großen prächtigen Palast. »Sieh Mann, was das alles nun wunderschön ist,« sagte die Frau, und ging mit ihm ins Schloß hinein, und wies ihm die vielen Bedienten, die blanken mit Gold getäfelten Wände, die goldenen Stühle und Tische, die großen wunderschönen Spiegel und Gemälde, von welchen sie beide nichts verstanden, und die ihnen dennoch gefielen, und den großen Garten, der über eine halbe Meile lang und breit war, und hinten war ein großer Wald daran, mit Hirschen, Rehen, Rephühnern und anderm Gewild, und in den Ställen auf dem Hofe waren die schönsten Pferde.

»Nun dahier auf dem schönen Schlosse wollen wir doch gewiß bleiben,« sagte der Mann.

»Das wollen wir erst uns bedenken, und es beschlafen,« sagte die Frau, die schon wieder neue Wünsche bei sich im Herzen trug.

»Mann, sagt sie am andern Morgen, geh hin zum Butt; ich muß König werden, über alles Land weit und breit umher!«

»Ach Frau, wozu wollen wir König werden? spricht der Mann. Wir habens hier so gut. Ich mag nicht König sein, und der Butt wird nun einmal gewiß böse.«

»Paperlapap, sagte die Frau; geh du nur hin!«

[144] Da ging der Mann zum Butt, aber mit gar schwermüthigem und betrübtem Herzen, und die See war ganz schwarz, und das Wasser wallte und brudelte von unten auf, gleich als wäre es unwillig und mürrisch.

Der Mann sprach wieder:


»Mandje! Mandje! Timpe te
Butje! Butje! in der See,
reck den Kopf mal in die Höh,
meine Frau die Marzebill
will nicht so, als ich wohl will.«

»Na? was will sie denn?« fragt der Butt.

»Ach, sagt der Mann, nun will sie gar König werden.«

»Na! geh nur hin, sie ist es schon;« sprach der Butt.

Und als der Mann zum Palast kam, waren dort viele Soldaten, und viel Trompeter und Pauker, und die Frau saß auf einem hohen Thron von purem lauterm Gold, und der Thron war mit Edelsteinen besetzt. Und zu den beiden Seiten des Thrones standen die vornehmen Hofleute, Herren und Frauen und Mädchen wunderschön, die ihr alle mußten aufwarten, sie aber hatte eine goldene Krone auf, und befahl allen zusammen.

»Bist du denn nun König, Frau?« fragte der Fischer.

»Ja das bin ich nun, sagte sie, das siehst du ja!«

Da sahe sie der Mann eine Weile an und sagte: »Frau, das steht dir recht schön, wenn du König bist. Aber nun wollen wir auch nichts mehr wünschen.«

»Nein Mann! das König sein dauert mir schon viel zu lange, ich muß nun auch Kaiser werden!«

»Ach das kann ja der Butt nicht! – ich mags ihm nicht sagen.«

Aber die Frau wollt es haben, und da mußte der Mann zum Butt gehn, zumal da sie nun gar König war.

[145] Und die See wallte, und ein kahler rauher Wind fuhr drüber hin; das Wasser war schwarz und dick, und der Fischer hatte das Herz nicht, den Butt zu rufen, denn er meinte, nachdem der Butt so viel geschenkt hätte, sei die neue Forderung gar unverschämt. Aber weil er sich fürchtete vor seiner Frau, zumal da sie ihm als König recht majestätisch hatte ausgesehen, sprach er doch seinen Spruch:


»Mandje! Mandje! Timpe te,
Butje! Butje! in der See,
reck den Kopf mal in die Höh,
meine Frau die Marzebill
nicht so will als ich wohl will.«

»Nun? was will sie denn?« fragt der Butt.

»Ach! sagte der Fischer, nun will sie gar Kaiser werden!«

»Geh nur hin, sagt der Butt, sie ist das schon.«

Und da traf sie der Mann viel herrlicher und prächtiger und viel gewaltiger als gestern, und standen um ihren Thron große Riesen, so groß und hoch wie ein Thurm, und kleine Zwerge, so klein als ein kleiner Finger, und Fürsten und Grafen und Herren, die ihr unterthänig waren, standen vor ihrem Thron.

»Frau, sagte der Mann, bist du nun Kaiser?«

»Ja, sagte sie, das bin ich nun.«

Und dem Manne gefiel sie abermal in ihrer Majestät und Pracht und Gewalt, und er sahe sie sich so recht an und sagte: »Frau, das läßt dir so schön, wenn du Kaiser bist!«

»Was ist das eben, sprach sie; ich muß nun auch Papst werden!«

»Frau, sagt der Mann, das geht ja nicht gut; das kann der Butt gewiß nicht!«

[146] »Snake nicht! sagt die Frau. Ich will nun absolut Papst werden, und wenn der Butt kann Kaiser machen, kann er auch Papst machen.«

Da ging der Mann zitternd und bebend hin an den Strand. Die Knie wollten ihm einbrechen, und er konnte die Glieder nicht still halten. Der Wind sauste; das Wasser war wie kochend und schlug himmelhohe Wellen, der Himmel war dunkel überzogen, und an den Seiten blutroth, und es war, als wollte ein schwer Gewitter losbrechen, mit Sturm und Krachen.

Aber der Mann fürchtete die Frau mehr, als Sturm und Meeresgebrause und Gewitter, und sprach:


»Mandje! Mandje! Timpe te,
Butje! Butje! in der See,
reck den Kopf mal in die Höh!
Meine Frau die Marzebill,
nicht so will, als ich wohl will.«

»Nun? was will sie denn?« fragt der Butt.

»Ach nun will meine Frau auch Papst werden,« sagte er.

»Geh nur hin, sagt der Butt, sie ist es schon.«

Da traf sie der Mann auf einem Thron, der reichte bis zum Himmel, und sie hatte drei herrliche Kronen auf, und vornehme geistliche Herren standen um ihren Thron, demüthig und mit niedergeschlagenen Augen, und große Wachskerzen brannten in zwei Reihen in ihrem Saal.

»Frau, bist du nun Papst?« fragt der Mann.

»Ja freilich bin ichs,« sagte sie.

»Nun, sagte der Mann, nun sei zufrieden. Weiter kannst du nun doch nichts werden, denn du bist ja nun Alles.« Sie aber [147] meinte, das ließe sich erst noch überlegen. Und sie überlegte denn, aber sie fand nichts mehr für ihre Gierigkeit, bis die Sonne aufging. Da wollte sie denn auch Sonne und Mond auf- und untergehn lassen, und wollte der liebe Gott werden, und der Mann sollte deshalb hingehen zum Butt. Und als der Mann nicht wollte, ward sie ganz grimmig, und riß sich ihr Leibchen auf, und wollte mit Gewalt werden wie der liebe Gott, obwohl der Mann sagte, das könne ja der Butt nicht, denn er sei ja lange so hoch und mächtig nicht als der liebe Gott. Aber das half nichts, weil sie einmal vor Hochmuth ganz verrückt war geworden, und der Mann mußte zum Butt hin. Aber der Himmel war ganz finster, der Sturm heulte grausig, und zerknickte die stärksten Bäume, die Schiffe wurden wie Strohhalme umher gejagt, und die leuchtenden Blitze und die krachenden Donner waren furchtbar, und die Wogen gingen thurmhoch und hatten weiße Kronen von Schaum. Bebend ging der Mann hin und sprach:


»Mandje! Mandje! Timpe te
Butje! Butje! in der See,
reck den Kopf mal in die Höh,
meine Frau die Marzebill,
nicht so will als ich wohl will.«

»Nun was will sie denn noch?« fragt der Butt.

»Ach sie will werden als der liebe Gott.«

»Geh nur hin, sagte der Butt; sie sitzt schon wieder in der Schlammhütte.«

Da fand sie der Mann denn wirklich, schluchzend und heulend. Und der sanfte Mann wurde auf einmal grimmig, und schalt sie: »du schändliches hochmüthiges Thier, nun hast du es. Weil du in deiner Gier nicht konntest genug bekommen und nicht hoch genug hinauf kommen, hast du Alles verloren!« – Aber die Frau [148] schämte und grämte sich, und hatte das Befehlen und das Sprechen verloren. Hätt sie jetzt das kleine Häuschen gehabt, wie wär sie so glücklich gewesen. Der Mann ging zwar hin und rief den Butt, weil die Frau so sehr jammerte und flehete, und wollte nur das kleine Häuschen wieder haben, aber der Butt war nicht mehr zu Hause.

Und der Mann wurde recht tollköpfig, und ging heimlich davon, und ließ die Frau in der Schlammhütte, und darin mußte sie bleiben all ihr lebenlang.

So gehts denn oft!

Fußnoten

1 Das ist gewißlich der Heilgebutt gewesen, der 400 Pfund schwer wird, und zu den Schollen oder Plattfischen gehört, welche aussehen, als wären sie breit und platt gedrückt. Nur ist unser Butt hier ein Prinz oder noch mehr.

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[149] Gott un de Düwel.

As de lewe Gott alle Deere erschapen hadde, da wolde de Mulap, de Düwel, dem lewen Herrgott et nakmaken, und da makte he Geise oder Zikken met sienen lanken Swänzen. As nun de Geise up de Drift gingen, blewen se immer mit den Swänzen an den Dornenstrükern hängen, und de Düwel moßte henn, und moßte sei mit den Swänzen losmaken, und weil dat tau ofte kam, worre he ganz dull, und bitet den Zicken de Swänze so wiet aff, da t man noch en kleen, kleen Stümpken öwerblief. Da konnen se nu vor sik selwsten up de Drift gahn, un de Düwel brokt nicht to helpen!

Aber Gott de Herre sach tau, wie de bösen Deere sine Böme afschälten, und sine Wienstöcke verdarbten, un sik de besten Krüter up Bärg und im Dale rutnaschten; datt konn' he nich lieden, denn et jammerten ehm de armen Böme un Stökke un hübschen Planten, und he lät siene Jagddeerken, de Wolwe un de groten Hunne los, un de territten de Geise un fraten se up.

Da worre de Böse recht bös, un trat vor den Herrn, und seggte: »du hast mir mien Vieh to Schannen maket, Herre, wat soll datt heeten?«

»Watt hast du solch Deere makt, die öwerall in mien groten Gahrten mie Schaden daun?« seggte drupp de lewe Gott.

»Ja seggte de Böse, wie konn ich ett denn anners maken, as ik selwest bin? Du wetest ja woll, dat ik nich anners kann, als Schaden öwerall anrichten. Du most mir miene Geise betalen!

[150] »Na! du saßt es denn ok hebben, seggt de lewe Gott, und dat Geld is ok schon aftellt, aber ich gäf dier't nich eher, as bis dat Ekenlob von den Bömen heraf is.« – Dat war de Düwel rofreden!

As nun dat Lob herabfallen war, da kam de Düwel, un fodert sien Geld. Da sprak de Herre, un schüddelt mit dem Koppe: »Ne! – Da is nich wiet von Kunstantinopel noch ene Eke, die hefft noch all ehr Lob.«

Da wolle de Düwel den Bom sauken, und ehm dat Lob affstrüffeln, he konn aber den Bom nich finnen, und saukt und saukt, un löppt woll da und dorthenn, in den Sandwösten herum, und öwerall rum, un finnt den Bom, aber erst lang Tid nahher, und strüffelt ehm alles Lob af.

Da fahrt he, wie en Stormwind wier na Hus, un will nu dett Gelleken hewwen. He hats aber nich kriegt, denn mit dem Sauken un Herumlopen had he seß Monat taubracht, un de Ekkerböme hadden schon alle ehr Lob upt Nüe gebracht, un war de Düwel recht anneführt, un moßt siene Schuld fahren laten.

Awer, da worre he recht grimmig und wild, und hat den Zikken de Ogen uteritten, und siene davor innesetzt. Da hewwen denn de Geise noch hüte to Dage enen Stutzswanz, un glühige Düwelsogen, un de Düwel selwsten kommt, wie en schwarter Zoddelbock, mit glühigen Ogen, wenn he de Lüde bedrögen will, und hatt dann ok Hörner up dem Koppe, womit he as en Zikkenbock toßt.

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[151] Gott und der Teufel.

Als der liebe Gott alle Thiere erschaffen hatte, da wollte der Maulaffe, der Teufel, dem lieben Herrgott es nachmachen, und da machte er Geisen oder Ziegen mit feinen hübschen langen Schwänzen. Als nun die Geisen auf die Trift gingen, blieben sie immer mit den Schwänzen in den Dornsträuchern hängen, und der Teufel mußte hin, und mußte sie mit den Schwänzen los machen, und weil das zu oft kam, wurde er ganz toll, und biß den Ziegen die Schwänze so weit ab, daß nur noch ein kleines, kleines Stümpfchen überblieb. Da konnten sie nun für sich selbst auf die Trift gehen, und der Teufel braucht ihnen nicht weiter zu helfen.

Aber Gott der Herr sah zu, wie die bösen Thiere seine Bäume abschälten, und seine Weinstöcke verdarben, und sich die besten Kräuter auf Berg und im Thal heraus naschten. Das konnte er nicht leiden, denn es jammerten ihn die armen Bäume und Stöcke und hübschen Pflänzchen, und er ließ seine Jagdthierchen, die Wölfe und großen Hunde los, und die zerrissen die Geisen, und fraßen sie auf.

Da wurde der Böse recht bös, und trat vor dem Herrn und sagte: »Du hast mir mein Vieh zu Schanden gemacht, Herr, was soll das heißen?« – »Was hast du solche Thiere gemacht, sprach der Herr, die überall in meinem großen Garten mir Schaden thun?«

[152] »Ja, sagte der Böse, wie kann ich sie denn anders machen als ich selbst bin? Du weißt ja wohl, daß ich nichts anders kann, als überall Schaden anrichten. Du mußt mir meine Geisen bezahlen.«

»Na! du sollst es denn auch haben,« sagte der liebe Gott, und das Geld ist auch schon abgezählt, aber ich gebe dirs nicht eher, als bis das Eichenlaub von den Bäumen herab ist. – Das war der Teufel zufrieden.

Als nun das Laub herabgefallen war, da kam der Teufel, und foderte sein Geld. Da sprach der Herr, und schüttelte mit dem Kopf: »nein – da ist nicht weit von Konstantinopel noch eine Eiche, die hat noch all ihr Laub.«

Da wollte der Teufel den Baum suchen, und ihm das Laub abstreifeln, er konnte aber den Baum nicht finden, und sucht, und sucht, und läuft wohl da und dort hin, in den Sandwüsten herum, und überall herum, und findet endlich den Baum, aber erst lange Zeit nachher, und streifelt ihm alles Laub ab.

Da fährt er wie ein Sturmwind wieder nach Hause, und will nun das Geldchen haben. Er hats aber nicht bekommen, denn mit dem Suchen und Herumlaufen hatte er 6 Monate zugebracht, und die Eichenbäume hatten alle ihr Laub aufs Neue gebracht, und war der Teufel recht angeführt, und mußte seine Schuld fahren lassen.

Aber da wurde er recht grimmig und wild, und hat den Ziegen die Augen ausgerissen, und seine dafür eingesetzt. Da haben denn die Geisen noch heut zu Tage einen Stutzschwanz und glühige Teufelsaugen, und der Teufel selbst kommt wie ein schwarzer Zoddelbock, mit glühenden Augen, wenn er die Leute betrügen will, und mit Hörnern auf dem Kopfe, womit er als ein Ziegenbock stößt! –

Geschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[153] Geschwisterliebe, oder die drei Königskinder.

Ein König von Persien hatte, wie der Khalif Harun Alraschid, die Gewohnheit, des Abends in seiner Residenz verkleidet umher zu wandeln, und Alles zu beschleichen.

Da sah er einmal durch ein Schlüsselloch, und horchte an der Thür, – ob sich das schickte, weiß ich nicht, – und sahe drei Mädchen, drei Schwestern, die waren wunderschön, und die papelten und schwatzten mit einander, und die jüngste war die schönste.

Die Mädchen sprachen so darüber, wen Jedes von ihnen wohl am liebsten zum Manne haben möchte, und die Aelteste wünschte sich des Königs Koch, weil sie alsdann täglich die köstlichsten, niedlichsten Speisen hätte, von welchen sie eine Liebhaberin war. Die Mittlere wünschte sich den Becker des Königs, denn da hätte sie Kuchen und Torten, und der Koch würde den Becker wohl auch nöthig haben; beide brauchten einander, und also hätte sie auch Braten und Fisch. – Die Jüngste wünschte sich den König selbst.

»Ei ja! sagten die Schwestern, du bist nicht dumm, denn da hättest du Alles was wir haben, und noch viel mehr obendrein. Aber so hohe Gedanken haben wir nicht, wie du hast!«

[154] »O! wir wünschen ja auch nur, sagte die Jüngste, und Wünsche hat man umsonst. Wenn ich aber eine große und schöne Prinzessin wäre, da würde ich mir ihn im Ernste zum Gemahl wünschen, weil er so gut und liebenswürdig ist, und ein so schöner Mann obendrein.«

Dem König gefiel es sehr, was das hübsche Mädchen sagte, zumal da es aus treuem ehrlichen Herzen kam, denn es wußte ja nicht, daß es der König behorchte, und das Mädchen gefiel ihm aus der Maßen. Er ging fort, ohne zu irgend einem seiner beiden Begleiter, die weder etwas gesehen noch gehört, sondern in ehrerbietiger Entfernung hinter ihm gestanden hatten, nur Ein Wörtchen zu sagen. Er dachte sich aber das Seine, und hatte überhaupt in derlei Dingen gar viel und mancherlei Gedanken.

Am andern Tage, als der König auf seinem Throne saß, und die Fürsten und Herren demüthig um denselben herstanden, obwohl sie übrigens gar hohe gewaltige Herren waren, da wurden zum Erstaunen Aller drei schöne Mädchen vorgelassen.– Es waren die drei Schwestern.

Und als sie vor seinem Thron standen, sprach der König, der sonst immer sehr ernst war, sie gar holdselig und liebreich an.

»Ihr lieben hübschen Kinder, sagt mir doch, was Ihr gestern zu Abend mit einander geplaudert habt, und besonders was sich eine jede von Euch gewünscht hat?«

Da wurden die Mädchen recht verlegen und verwirrt, und blutroth. Sie merkten wohl, worauf es gemeint war, wollten es aber nur nicht gern sagen, zumal vor so vielen Ohren.

Was half es? Sie mußten es dennoch sagen!

Und die Aelteste, welche die dreisteste war, hub an und sprach: »Wir wußten eben in der Dämmerung nichts Besseres zu thun, als zu plaudern und zu wünschen, und ich wünschte mir – ach ich schäme mich aber – den Koch Eurer Majestät, denn da hält ich[155] immer etwas Gutes zu essen, und dürfte nicht sorgen. Aber es war nur ein Wunsch!«

Der König winkte. Der Koch trat herein, und der König sprach: »da habt einander, und lebt nur glücklich und vergnügt!«

Die zweite Schwester war durch das Beispiel der ältesten schon gar dreist geworden, zumal da sie nun absahe, wie es etwa ergehen könnte, und thät ihren schönen Mund auf und sprach:

»Großmächtiger Herr! ich wünschte mir Euren Becker, denn gute Torten, und schöne Kuchen mit Mandeln, Rosinen und Pistazien schmecken freilich sehr gut – und, setzte sie schalkhaft hinzu, wir Mädchen lieben ja süße Leckerbissen.«

Der König lächelte; der Hofbecker trat herein, und – Beide wurden ein Paar.

»Aber was hast Du dir denn gewünscht; du liebe holde Kleine?« fragte der König die Jüngste.

»Ach! sagte die, ich kann es nicht sagen,« und schlug die Augen so verschämt nieder, und glühte wie eine eben erst aufgebrochene Rose.

»Könntest du mich denn wohl lieb haben?« fragte der König sehr, sehr freundlich.

»Ach!« sagte das gute Kind! und konnte nichts mehr sagen; und schämte sich gar sehr.

Nun! Ihr seht schon, wie das gegangen sein mag. – Sie wurde die Gemahlin des Königs, wie denn das im Morgenlande sehr in Art und Ordnung war, und noch heutiges Tags ist, daß, wenn man König und Herr ist, man nicht gerade Prinzessinnen und Gräfinnen heirathet, welche es ohnedieß dort nicht viel giebt, sondern die, welche man recht lieb hat. Bei uns aber ist es doch etwas anders, und nur das Geld macht etwa eine Ausnahme, und Stand und Rang binden sich mit dem Vermögen oder mit dem Geld und Zahlwerth zusammen, oder vielmehr, vertauschen sich mit [156] einander, wo es denn so oft nach dem alten Sprüchwort geht, daß, wer tauschen will, will auch betrügen!

Hier aber war eine rechte und herzliche Liebe von beiden Seiten, und die lebten denn auch herzlich, innig und glücklich mitsammen, und das arme Mädchen war nun auch, ohne alle Mühe und Schwierigkeit, eine hohe Prinzessin, oder vielmehr Königin geworden. Denn, wenn es sein soll, kann man leicht etwas so Hohes und Großes werden. Aber sie blieb im Herzen demüthig, und achtete die Schwestern eben so wohl als zuvor. Aber die Schwestern waren nicht so.

Die Kochs- und die Beckersfrau waren reicher geworden, als sie sich jemals hätten träumen lassen, aber als nun ihre Schwester noch mehr als sie selbst geworden war, so nahmen sie ihr das ordentlich übel, und sannen neidisch auf böse Anschläge, indem sie dachten, einer von ihnen sei es wohl eher zuständig gewesen, Königin zu werden, und Jede dachte in ihrem Herzen, ihr selbst hätt es am meisten gebührt. Daß nun die Schwester glücklicher geworden war, als sie, wenn anders Hoheit, Glanz und Reichthum Glück zu nennen sind, hätte sie ja wohl sehr erfreuen sollen, aber sie betrachteten es gleichsam als ein Verbrechen, das gegen sie begangen wäre, und beschlossen sich zu rächen, sobald die Gelegenheit sich fände.

Die Gelegenheit fand sich denn bald. Die Königin wollte niederkommen, und die beiden Schwestern boten sich ihr als Wartefrauen an, welches Anerbieten von der Königin recht dankbar angenommen wurde; denn in den Händen der Schwestern dachte sie sich am besten bewahrt. – Ach, sie war grade in die schlechtesten Hände gefallen!

Sie war niedergekommen mit einem sehr hübschen Knaben – einem Prinzen muß ich sagen – aber die Schwestern hatten gräßliche Gesichter gemacht, und hatten gesagt, es sei ein Mondkalb, und hatten den kleinen Ankömmling mit List und Kunst um so verdachtloser [157] beiseit geschafft, weil sie die Schwestern waren, und hatten den Prinzen in einen Kasten auf einem der Kanäle des Gartens gesetzt, die den Königspalast umgaben.

Die Schwestern sagten dem Könige, das Mondkalb, welches ihre Schwester gebracht habe, sei recht häßlich und ungestaltet. Der König hatte auf einen schönen Prinzen gerechnet, zog ein sauer Gesicht, gab sich aber zufrieden.

Zum zweitenmale kam die Königin wieder mit einem schönen Prinzen in die Wochen, aber die Schwestern sagten, sie habe ein rauchhariges abscheuliches Seekalb gebracht, und das Gesicht des Königs wurde sehr finster. Der Prinz wurde wieder auf demselben Kanal in einem Kasten ausgesetzt, und schwamm auf dem Kanale fort, wie zuvor das ältere Brüderchen.

Und im dritten Jahre kam ein hübsches munteres Mädchen, welches aber die Schwestern als einen gar häßlichen schwarzen Kater beschrieben, und setzten es ebenfalls auf den Kanal – Den Muth, die armen Kinder verschmachten zu lassen, hatten sie schon, nur nicht den Muth, dieselben gleich abzuwürgen; darum setzten sie dieselben aus.

Aber der König, der niemals recht zugesehen und nachgefragt hatte – – denn sonst wäre das Mährchen ausgewesen – – wurde recht zürnig und grimmig auf die Gemahlin, die ihm lauter Ungeheuer gebar, und wollte solch eine Gemahlin nicht haben.

Wer das Unglück hat, hat die Schuld, und so wars auch hier. Der König ließ an einen der Tempel, die in seiner Stadt waren, ein enges Gitter, so etwa wie einen Käfig, bauen; er ließ die Königin in dieses Gitter einsperren, und er gab sogar den grausamen Befehl, daß Jeder, der in den Tempel ging, der Unglücklichen ins Gesicht speien sollte, weil sie ein Ungeheuer wäre, das nur Ungeheuer gebäre. Aber keiner gehorchte dem Befehl gern, denn Jeder wurde gerührt, von ihrer Schönheit und von ihrem Leid, und [158] Manche dachten auch, was kann denn die Unglückliche dafür, daß sie Ungeheuer zur Welt gebracht hat?

Aber was wurde denn aus den armen unschuldigen Kinderchen? die mußten denn doch wohl umkommen?

Nein die kamen nicht um; die schützte der Himmel.

Der Oberaufseher der königlichen Gärten und Anlagen, hatte sich schon seit mehrern Jahren vom Hofe unter irgend einem Vorwand zurück gezogen, denn das Treiben und Wirren, die Falschheit und Erbärmlichkeit des Hoflebens konnte ihm nicht gefallen, der ein ehrlich schlichter Mann war, und recht gebildet dazu. Er hatte sich in einiger Entfernung vom Königspalast ein herrliches Landhaus erbauet, lieblicher und anmuthiger als der Königspalast selbst, obwohl nicht ganz so geräumig. Viel herrliche große Gärten, viel Fluren, Auen und Pflanzungen gehörten zu dem Landhause, und ein großer Wald zog sich um die Besitzungen rings umher.

Hier lebte er in glücklicher Abgezogenheit, obwohl immer noch in Verbindung mit einigen gleich treuen und redlichen Seelen am Hofe, die gleicher Gesinnung mit ihm waren, aber nicht so reich als er, um sich vom Hofe zurückziehn zu können.

Von ihnen erfuhr er die Vermählung des Königs, die Gesinnungen der Schwestern der Königin, die Niederkunft der Letztern, und daß sie ein Mondkalb zur Welt gebracht hätte.

Er schüttelte, während er in seinem Garten hin und her wandelte, über dieß Alles den Kopf gar sehr, und indem er noch sinnt und noch wandelt, schau! da kommt auf dem Kanal daher geschwommen ein kleines Kästlein, und pipt und wimmert etwas darin.

Er zieht das Kästlein ans Land; er läßt es durch einen seiner Arbeiter in sein Zimmer tragen, öffnet es allein, und findet einen lieblichen Knaben darin, und dankt für die Bescheerung Gott, – denn er hatte sich wohl seit vielen Jahren Kinder gewünscht, aber der liebe Gott hatte ihm keins gegeben.

[159] Nun hatte er ein Kind; und ob er zwar ein recht braver Mann war, so war er doch auch am Hofe gewesen, und errieth schon, wessen Kind es eigentlich sein mochte.

Noch zweimal kamen Kästlein mit Kindern geschwommen, wurden aufgefischt, und mit Freude und Dank vom Oberaufseher der Gärten aufgenommen, zumal das kleine liebe Ding von Mädchen im letzten Kästlein, denn nun hatte er doch zu zwei Knäblein ein Mägdlein, und mehr begehrte er nicht.

Er wußte weß Abstammung sie waren, wie wir gesehen haben, aber er dachte es sei nicht Noth daß die Kinder selbst es wüßten! Sie wurden gesäugt durch Ammen; sie wurden belehrt durch Lehrer in aller Wissenschaft und Kunst, selbst im Reiten und Jagen, und die Prinzessin – ei, ich wollte sagen, das liebe Kind von Mädchen, lernte Alles mit, und der alte Oberaufseher hatte seine Freude daran, wie sie so lustig und fröhlich heran wuchsen, und konnte sie ohne Liebe nicht ansehen, denn sie waren seine eigenen Kinder geworden, und sie selbst hielten sich auch für nichts Höheres; und Besseres hätten sie ja ohnedieß nicht werden können, als sie mit einem Stück ehrlicher Bürgernatur, vereinigt mit einem Stück einer menschenfreundlichen Königsnatur vereinigt wurden. – Sie lernten Alles gemeinschaftlich, nur die Prinzessin lernte noch die Zither, – in unsern Zeiten hätte sie die Guitarre lernen müssen, wie sich von selbst versteht, eben weil man sie nur zu schlagen und eben nicht lange spielen zu lernen braucht, indem das Geklimpere meistens so von sich selbst schon geht. – Ein rothes Band an dem Saitenkasten wäre dann die Hauptsache gewesen.

Der liebe herzige Vater, den sie mit Recht immer für ihren wahrhaftigen Vater gehalten hatten, starb, ohne daß er seinen Kindern ihre Abstammung entdeckt hatte. Er wollte daß sie zu ihrem eigenen Glück in ihrem jetzigen Stande bleiben sollten, das Schicksal aber wollte es anders.

[160] Bahman der älteste Prinz, und Perwis der zweite, waren auf die Jagd geritten, aber die Schwester, Parizade geheißen, war dießmal zu Hause geblieben, obwohl sie sonst öfter mit den Brüdern zu Wald geritten war, mit Jagdspieß und Jagdmesser, und auch ihr Wild erlegt hatte.

Es kam an ihren Palast eine sehr alte Frau, die grade sogleich die Prinzessin antraf, und sie um die Erlaubniß bat, ihr Gebet in demselben verrichten zu dürfen, indem die Stunde des Gebets gekommen sei. – Warum sie nicht draußen im Schatten der schönen Bäume beten wollte, die doch wohl einen bessern Tempel Gottes bildeten, als ein todter Palast des bloßen Weltlebens, weiß ich nicht. – Doch war in dem Palast eine kleine Berkapelle, in welche sie Parizade freundlich hinein wies.

Nachdem die fromme Alte gebetet hatte, ließ die Prinzessin ihr Alles auftragen, was dieselbe erquicken konnte, und sie hatte unter hundert Dingen das Aussuchen.

Sie hatte sich erquickt, und nun führte sie die gütige Parizade im Hause und in dem Garten und Anlagen herum. Darauf ruhten Beide aus.

»O! sagte die Alte, ich bin weit umher gewandert in der Welt, aber so etwas Wunderherrliches, so mit Sinn und Geist gedacht, und mit Kunst ausgeführt, hab ich noch nie gesehen!« – Man sieht, daß die alte Person eine Kunstkennerin war. »Aber, setzte sie hinzu, wären in diesen Anlagen noch drei Stücke, so würden sie wohl in der Welt nicht mehr zu übertreffen sein, wie ich glaube.«

»Welche Stücke wären denn das, gute Mutter? fragte die Parizade; – und sollten sie denn nicht zu erlangen stehn?«

»Wärens wohl, sagte die Alte, aber stehen schwer zu erlangen, und sind Viele die darnach ausgingen zu Grunde gegangen! – Ich habe sie übereilt erwähnt, und wünschte dieselben unerwähnt gelassen zu haben, denn ich sehe auf Eurem Gesichte, Ihr hättet diese drei [161] Stücke recht gern – und doch, sie sind ja entbehrlich, und wenn ich alte schwache Frau nichts davon gesagt hätte, hättet Ihr sie auch nicht vermißt, und wärt so glücklich gewesen als zuvor. – Thut so wohl und forschet nicht weiter, denn ich könnte es Euch, weil Ihr so gar gut seid, nicht abschlagen, Alles zu eröffnen, – aber laßt es gut sein. Ihr habt ja des Schönen genug, und mehr als Ihr bedürft, von allen herrlichen Sachen!«

Freilich! wenn Parizade kein Mädchen gewesen wäre! – Nein sie mußte die drei absonderlich seltsamen Stücke wissen, um, wo möglich, dieselben herbei zu schaffen.

»Sagts doch nur, gute, liebe Mutter, damit ich sie doch wenigstens kenne, sprach sie; denn wenn es zu gefährlich ist, begehr ich ihrer nicht weiter.«

»Nun, so habts denn, weil Ihr es wollt, sagte die Alte: – Was der Schönheit noch fehlt, ist der sprechende Vogel, der aber freilich gar anders spricht, als ein Staarmatz oder Papagei, nämlich, er spricht viel vernünftiger als mancher Mensch. – Dann kommt der singende Baum, in welchem alle Instrumente und Stimmen wohnen; und das goldgelbe Wasser, welches in einem Marmorbecken in einem großen dicken Strahl, wie eine Garbe in die Höhe steigt, und in das Becken wieder zurück fällt.«

»Mutter, herzliebgute Mutter, sagte die Prinzessin, von so wundersamen Dingen hab ich niemals nur etwas gehört; aber Ihr müßt auch so gut sein, und mir sagen, wo dieselben zu haben sind?«

»Das will ich denn Euch auch noch sagen, zum Dank für Eure gastlich freundliche Aufnahme, obwohl ich abermals wünschte, Ihr schlügt Euch diese Dinge ganz aus dem Sinn.«

»Nein, gute Mutter, nein! Es ist nur der Seltenheit wegen!« erwiderte Parizade.

Die Alte sagte ihr hiermit Alles, und ging dann weiter.

[162] Die Brüder kehrten am Abend von der Jagd zurück, und fanden die geliebte Schwester in tiefem seltsamen Nachsinnen, dessen Grund sie ihnen nicht wollte eröffnen, denn sie wußte, daß die Brüder, die keinen Wunsch ihr unbefriedigt ließen, um dieser seltsamen Dinge willen Alles, selbst das Leben dran setzen würden, und dann könnte sie die Brüder verlieren, ohne welche ihr die Welt nichts werth war.

Aber die Brüder drangen so lange und so bittend in sie, daß sie ihnen Alles gestand, was die alte Frau erzählt hatte, und sich eine thörichte Närrin schalt, daß sie über solche Dinge sich hätte beunruhigen können, die am Ende vielleicht in der Welt gar nicht vorhanden wären.

Bahman und Perwis, die sich heimlich berathschlagten, waren darüber einig, daß die Schwester diese Wunderdinge haben müsse, aber darüber konnten sie nicht einig werden wer sie suchen und holen sollte, denn jeder derselben wollte das Verdienst darum haben. Bahman, der Aeltere, behauptete das Vorrecht seiner Geburt. Er ging zu der Schwester hin, und berichtete ihr, daß er nach den drei Wunderdingen auszöge, und es schien ihn gar nicht zu rühren, daß die Schwester bat, flehte, weinte, und ihm vorstellte, daß sie vor Angst sterben müsse, und wenn Er umkäme, auch nicht am Leben bleiben könne. Genug, er ließ sich nicht bewegen, obwohl ihm sein Herz schwer war, sondern versicherte, er hoffe glücklich zu sein, denn er dachte er sei ja tapfer und kühn. Damit zog er fort. Zuvor hatte er der Schwester ein Messer gegeben, mit der Bitte, es von Zeit zu Zeit anzusehen und es zu betrachten, und gesagt, es gehe ihm gewiß recht wohl, so lange das Messer blank und rein bleibe, aber wenn ein Blutstropfen daran hinge, dann sei er todt aus Liebe zu Ihr.

Diese Worte klangen Parizaden noch furchtbar in den Ohren nach, als der Bruder schon aus ihren Augen war.

[163] Täglich, ja stündlich beinahe zog sie das Messer hervor, und fand es wie sie wünschte, blank und rein, zu ihrem Entzücken.

Bahman hatte seine besten Waffen mit, mit welchen er Alles auszurichten gedachte, weil er sich einbildete, die Faust allein mache den tapfern Mann.

Er zog seines Weges, nach der Anweisung, welche die alte Frau der Schwester gegeben hatte, indem er weder zur Rechten noch Linken auswich. Er durchreisete auf diese Weise ganz Persien, wo er nach 20 Tagen in öder und unbekannter Gegend einen uralten Derwisch unter einem Baume fand, in der Nähe einer Strohhütte. Der Derwisch sonnte sich, und war höchst häßlich. Der Rücken war gekrümmt wie ein Sprenkel, die schneeweißen Augenbrahnen und Kopfhaare hüllten das ganze Gesicht ein, und der Lippenbart hing bis zum Bart des Kinns herab, und verschloß den Mund. Die Nägel an Händen und Füßen waren länger, als die eingetrockneten Finger jemals selbst gewesen sein konnten.

Es gehörte zu der Anweisung, die Parizade von der Alten empfangen hatte, diesen Derwisch nach dem Wege zu dem Berge zu befragen, auf welchem die gesuchten Seltenheiten sich fanden.

Obschon der Alte wie ein gräßliches Ungeheuer aussahe, hatte Bahman dennoch keine Furcht, und redete ihn an, und fragte nach dem Wege zum Berge, aber die Antwort war ein dumpfes Gemurmel, welches das dicke Gebüsch des Bartes nicht durchdringen konnte. Bahman sahe bald woran es lag, daß er kein Wort verstand. Da nahm er eine Scheere, schnitt dem Derwisch die Haare weg, wobei dieser ruhig still hielt, und brachte sein Anliegen vor.

Der Derwisch ermahnte ihn sehr, von seinem gefährlichen Wagstück abzustehen, in welchem viel Herren, Ritter und Helden untergegangen wären, die stärker und älter gewesen wären als er, und hätten mehr Erfahrung gehabt als er, indem sie weit und breit in der Welt wären umher gewesen, und hätten sich Viel versucht.

[164] »Sagt mir die Gefahren nur, ehrwürdiger Vater,« bat Bahman, mit vielen Schmeicheleien.

Mein Sohn sagte dieser, du sollst Alles getreulich wissen, weil du es so haben willst.

»Wenn du an den Berg der Wunderdinge kommst, so wirst du auf ihm eine Menge schwarzer Steine antreffen, fast von unten an bis oben hinauf. Siehe das sind die Fürsten und Ritter, welche dasselbe suchten was du suchst. Sie wurden nebst ihren Pferden in solche Steine verwandelt, indem, während sie hinauf stiegen, Stimmen hinter ihnen erschallten, spottend, drohend und donnernd. Da wurden sie furchtsam, wollten umkehren und sich mit der Flucht retten, aber indem sie sich nur umsahen, waren sie schon versteint. Ich hatte es ihnen eben sowohl zuvor gesagt, als dir, mein Sohn, aber sie glaubten mir eben so wenig als du, und darum sind sie untergegangen.«

»Hohoh! nein ehrwürdiger Vater, erwiederte Bahman! Vor bloßen Stimmen bin ich eben nicht gewohnt mich zu fürchten, wenn sich auch meine Vorgänger mögen gefürchtet haben. Solche kindische Furcht kenne ich gottlob nicht. Habt Dank für Eure Nachricht, und thut mir nur den Gefallen noch, mir Anweisungen über den Weg zu geben, den ich zu nehmen habe.«

»Du willst es also, sprach der Derwisch, und bedenkst nicht, daß der in der Gefahr umkommt, der sich muthwillens hineinbegibt.«

Mit diesen Worten zog derselbe eine Kugel aus seinem lumpigen Kittel, und gab sie dem kühnen Helden, mit dem Bedeuten, er solle dieselbe nur vor sich hinwerfen, so würde sie vor ihm sich hinrollen, und ihn des rechten Weges schon führen.

Bahman empfahl sich dankend, nahm die Kugel, setzte sich aufs Pferd, und warf die Kugel vor sich hin, und diese rollte so schnell, daß er mit seinem flüchtigen Araber kaum zu folgen im Stande war.

[165] Er kam glücklich an dem Fuß des Wunderberges an, an welchem die Kugel zu rollen aufhörte, stieg vom Pferde, welches fest auf seinem Platze blieb, obgleich er demselben den Zügel hatte auf den Hals gelegt; er besah sich den Berg von allen Seiten, und fand überall die schwarzen Steine. Der junge Fant dachte, ihm könne es nicht fehlen, und fing an den Berg zu besteigen.

Kaum war er vier Schritte den Berg hinan, so flüsterte es hinter ihm heimlich, mit leisen Stimmen, gleichsam als ob ers nicht hören solle:

»Seht doch den albernen Burschen! den närrischen Narren! – Laßt ihn nur laufen! – Wo der hin will, dahin kommt er nun und nimmermehr! – Er hätte immer können zu Hause bleiben.«

»Flüstert und spottet nur immer, dachte Bahman, ich werde mich nicht daran kehren.«

Aber je höher er stieg, desto stärker wurden die Stimmen. »Haltet den unvernünftigen Bengel auf, und gebt ihm Stockschläge. – Bewahre! riefen andere Stimmen, thut ihm nichts; Ihr sehet ja, daß er ein junger Dummhans ist, ein jämmerliches Wichtlein, ein Milchbart der noch nicht einmal Flaum (Dunen) auf der Lippe hat. – Es ist ja ein scharmantes Kerlchen, und ein gar zartes dazu, und wenn Ihr ihn unsanft anrührtet, so möchte er schreien; das klänge nicht gut; und er würde wohl gar zu Brei. – Schade ums junge Leben! – – Nicht Schade! Schlagt den Laffen immerhin todt.« So lauteten die Stimmen.

Bahman stieg noch einige Schritte höher, aber schwankend und zitternd, und die Stimmen folgten ihm gewaltiger und verworrener nach, wie das Rauschen und Brausen des Meers bei grimmigem Sturm, mit darunter hallendem Donner.

»Nun würgt ihn ab!« rief plötzlich eine donnernde, brüllende Stimme dicht hinter ihm, da er kaum bis auf die Mitte des Berges gekommen war.

[166] Da erbebte sein Herz; er vergaß des Derwisch Rath, er wendete sich um und wollte entfliehen, und ward zum Stein, und sein Pferd desgleichen.

Parizade hatte täglich mehrmals Bahmans Messer beschaut, welches sie an ihrem Gürtel mit goldnem Kettchen befestigt hatte, und hatte sich gefreut, daß ihr Bruder immer so gesund und wohlbehalten sei. – Aber da sie es wieder einmal zieht, o Himmel, da hängt an der Spitze ein Blutstropfen, und die Klinge ist mit Blutflecken angelaufen.

Parizade erhebt ein herzzerschneidendes Geschrei, klagt sich an als die Unglücksstifterin, jammert und weint, und läßt sich vom Perwis nicht trösten. Sie schilt die Alte, sie schilt sich selbst, sie schilt ihre verderbliche Neugier.

»Schwester, sagt Perwis, ich will den Bruder erlösen und die Wunderdinge holen; vielleicht bin ich glücklicher als er.«

Es ging mit Allem, wie es beim Bahman ging. Die Prinzessin fleht und stellt ihm vor, daß sie ja ganz und gar verwaist sei, wenn auch er fortzöge. – »Und Perwis, setzte sie hinzu, wenn du auch umkommst, wie soll ich denn noch leben? – Perwis, lieber Perwis, bleib bei mir!«

Perwis war gerührt, aber er blieb nicht. »Hoffe das Beste, geliebte Parizade, sagte er, ich will sehr behutsam sein. Nimm diesen Rosenkranz; laß täglich seine Kügelchen abrollen, und wenn sie einmal stocken und nicht mehr rollen wollen, so weißest du mein Schicksal. Gott schütze dich!«

Er entfloh ihren Thränen, indem er mit seinem Pferde schnell davon eilte. Er fand den Derwisch mit seinen Ermahnungen, und als diese nicht fruchteten, erzählte ihm derselbe des Bruders Schicksal, und da auch dieß fehlschlug, so gab er ihm alle Anweisung und auch die rollende Kugel, und Perwis kam an den Berg.

[167] Er erstieg den Berg, und die Stimmen waren eben so hinter ihm her, wie beim Bahman, aber er achtete ihrer wenig, so stark und gewaltig sie auch waren. Etwas war er über die Mitte der Berghöhe hinauf, da rief drohend eine starke Stimme: »Steh nur wenigstens du feiger ehrloser Hund, der du auf kein Schimpfen achtest, damit ich dich züchtige, wie du es verdienst! – Ist denn dein Degen von Marzipan?«

Da vergaß sich Perwis, weil es seiner Ehre zu nahe sei, solche Schmach zu ertragen. Er zog seinen Säbel, um den Gegner anzugreifen, als er sich aber umwendete, war er schon zum Stein geworden, und sein Pferd desgleichen.

Ach! und der armen Parizade Rosenkranz flockte, und kein Kügelchen wollte mehr rollen.

Sie schrie jetzt nicht, sie jammerte nicht. – Aber warum nicht? Sie hatte den traurigen Fall gefürchtet, und war schon lange einig mit sich selbst darüber, was sie thun wollte. – Entweder die Brüder von der Steingestalt erlösen, wenn es ihr anders beschieden sei, oder mit ihnen versteint zu werden.

Sie sagte eines Tags ihren Leuten, daß sie eine Reise vorhabe, und befahl was gethan werden sollte. Ihrem Haushofmeister gab sie die Aufsicht und den Befehl über Alles, und am nächsten Tage war sie am frühsten Morgen in bereit gehaltener Mannskleidung schon eine Strecke fort, ohne daß noch eine Seele im Hause erwacht war. Daß sie reiten konnte, wie unsere vornehmsten Damen und jagen dazu, und mit Jagdspieß und Lanze umgehen, was diese nicht können, wissen wir schon.

Sie gelangte ohne alle Gefahr bei dem Derwisch an, und kam, wie man zu sagen pflegt, ein wenig krumm herum, um zu erfahren, wo die drei Wunderdinge wären, von welchen man in aller Welt so viel Erhebens mache.

[168] »Liebes, hübsches Mädchen, sagte der Alte, ich erkenne dein Geschlecht, ungeachtet deiner Verkleidung; ich weiß was du zu wissen begehrst, und will es dir gern sagen, zumal da ich deine löbliche Absicht, die Brüder zu retten, auch weiß. Aber bedenke, daß deine beiden Brüder an diesem Unternehmen gescheitert sind, weil sie sich nicht wollten rathen lassen. Geh wieder nach Hause mein Kind, und vergiß dein Unglück, indem du Andere glücklich machst!«

»Lieber ehrwürdiger Vater, macht meinen Entschluß nicht wankend, erwiedert Parizade. Was soll mir denn ein Leben ohne meine Brüder?«

Was ihr der Derwisch auch von Gefahren, und insonderheit von der Furchtbarkeit der Stimmen sagte, sie blieb unerschütterlich. Sie empfing die Kugel und nochmals die Warnung, sich nicht umzusehen, und kam am Fuße des Berges an. Aber die Stimmen, welche hinter ihr drein sein sollten, machten sie doch ein wenig bedenklich, obwohl sie Herzhaftigkeit genug besaß. Jedoch, sie war ja ein Mädchen, und also klug und listig, und fand bald den rechten Rath, nachdem sie sich ein wenig bedacht hatte.

Sie nahm Baumwolle, die sie mit sich führte, und stopfte sie in die Ohren, so dicht als nur möglich; dann nahm sie Wachs, wovon sie auch etwas in ihrem Reisekästchen hatte, und klebte es fest und dick über die Baumwolle. So, dachte sie, kannst du doch die Stimmen so furchtbar und donnernd nicht hören, daß sie dich erschrecken und deine Sinne verwirren sollten. Und nachdem sie sich noch einmal gesammelt und Alles gehörig überlegt hatte, fing sie den Berg zu ersteigen an.

Die Stimmen erhoben sich. »Einfältiges Mädchen; du eben! – – Seht doch die kleine Närrin! Setzt sie an die Spindel, denn sie will den Knaben spielen!« – Je höher hinauf, desto donnernder die Stimmen. Aber die schwächern hatte sie kaum gehört, und die stärksten machten nur einen geringen Eindruck auf sie, obwohl mehrere [169] Schimpf- und Spottreden darunter waren, die besonders ihr Geschlecht angingen. Sie stieg um so muthiger weiter, da sie sahe, daß sie den Gipfel des Berges bald würde erreicht haben.

Sie war eben hinauf gekommen, als der kleine Vogel, mit dem Brüllen eines Löwen, welches sich doch für einen sprechenden Vogel gar nicht schickte, ihr entgegen donnerte: »Bleib Närrin wo du bist, und nahe dich nicht zu deinem Verderben!«

Aber sie nahete sich dennoch mit schnellen Schritten, legte die Hand auf den goldnen Käfig des Vogels, riß mit der andern Hand die Baumwolle und das Wachs aus beiden Ohren, und sprach:

»Vogel du bist nun mein, und sollst mir nun und nimmermehr wieder entkommen!«

»Schöne und kühne Dame, antwortete der nun höfliche Vogel, das ist auch nun und nimmermehr möglich, nachdem Ihr mich mit so viel Klugheit und Muth gewonnen habt. Ihr seid von nun an meine recht liebe Herrin, der ich allezeit ergeben und treu zugethan sein werde. Das will ich Euch einsmals beweisen, indem Ihr durch mich erfahren sollt, wer Ihr seid, denn das wißt Ihr selbst noch nicht!«

Der Parizade gefielen die artigen Worte, obwohl sie die letztern gar nicht verstand, und ihren Vogel für einen närrischen Kauz hielt, der mit unter denn auch eben nicht klüger spreche, als andere Vögel zu sprechen pflegen.

»Vogel! du gefällst mir, sagte sie; aber es gibt noch Mancherlei was ich fordere. Du mußt mir das gelbe Wasser verschaffen, was sich auf diesem Berge findet, und dann auch den singenden Baum.«

Der Vogel machte Ausflüchte mancherlei Art, und wollt' es nicht gern thun. Aber Parizade sprach: »Vogel du bist mein Sklav' und mußt mir gehorchen;« denn der Sklav hat keinen eignen Willen, [170] sondern der Wille seines Herrn muß der seinige sein, und unser kluge Vogel begriff das wohl, und zeigte ihr demnach Alles an.

Das gelbe Wasser fand sich nicht weit in einem großen Marmorbecken, aus dem es in hohen Garben aufstieg, und wieder herab fiel, welches einen herrlichen Anblick gab. – Aber sie wußte nun freilich nicht, wie sie das Wasser in ihr Schloß bringen sollte. Der Vogel aber wußte es, und zeigte ihr einen Krug am Rande des Beckens. »Nimm den, sprach er, und fülle ihn mit Wasser, und führe ihn mit heim; gieß sein Wasser in ein Marmorbecken, und es wird sich Alles begeben, wie hier.«

Parizade that also.

Der singende Baum stand in einem Gebüsch unsern des Beckens, mitten unter mehrern Bäumen, und war kenntlich an den schönen, sanftlieblichen Stimmen allerlei Art, die aus ihm hervor kamen, und war sehr hoch und stark, aber sie brach nur einen Zweig davon ab, und nahm ihn mit. Das hatte sie der Vogel gelehrt.

»Vogel, sagte sie, ich danke dir sehr schön; es ist aber noch Eins übrig zu thun. Du mußt mich lehren meine Brüder aus den Steinen wieder zu erwecken, und auch den übrigen Steinen wieder zu ihrer Gestalt zu verhelfen.«

Das ging dem Vogel viel schwerer ein als das Vorige, und er suchte sich mit allem Fleiß und Kunst davon los zu winden. Es half ihm aber nichts, denn die Prinzessin sagte: »Weißt du, daß du mein Sklav bist, Vogel?« das wußte er denn freilich und sprach: »Im Hinabsteigen vom Berge gießet auf jeden Stein einen oder zwei Tropfen aus dem Kruge.«

Parizade that also, und es kamen die Menschen allzumal, die Herren und Knechte, und auch die Pferde aus den Steinen hervor, und die Brüder umarmten die Schwester, und sagten, sie hätten allhier nur ein wenig ausgeruht.

[171] Als sie nun aber hörten, wie sich Alles hatte begeben, da fielen sie der Schwester um den Hals, und die andern Erweckten waren vor Entzücken und Dankbarkeit ebenfalls ganz außer sich.

Der ganze Zug setzte sich in Bewegung – es versteht sich, nachdem sie einander erzählt hatten, wie es ihnen ergangen sei, und dann auch, wie sichs gebührt, tausend Lobeserhebungen für die kühne und edle Retterin beigefügt hatten. So wie der Zug fortging wurde er immer kleiner, indem hier ein Theil zur Rechten oder Linken sich in seine Heimath begab, der andere Theil dorthin sich wendete, bis zuletzt die Geschwister allein auf ihrem Landhause ankamen, wo sie froh und glücklich in herzlicher Eintracht und Liebe beisammen lebten, und wieder ihre alte Lust trieben, nämlich die Jagd.

Die Prinzessin hatte ihren Wundervogel, in einen großen und herrlichen Gartensaal gehängt, und alle Singvögel kamen aus den Wäldern und Fluren, und wenn der Wundervogel erst angestimmt hatte, sangen sie alle lustig und lieblich mit. Den Zweig vom singenden Baum hatte sie unter andere schöne Bäume nahe beim Wohnhause hinpflanzen lassen. Er wuchs nicht etwa, sondern schoß hoch und schnell auf, und wurde eben so groß als der Baum, von dem er genommen war, und sang auch sogleich wieder wunderherrlich. Mitten im Garten war ein großes weites Marmorbecken. Da hinein goß Parizade das goldgelbe Wasser, und flugs fing es an zu wallen, und stieg in hohen Garben empor, in welchen die Sonnenstrahlen blitzten und spielten, worauf denn die Garben in das Becken zurück fielen, und wieder empor stiegen.

Die ganze Nachbarschaft war voll von diesen unerhörten Dingen, und kamen dieselben zu schauen, was Jedem erlaubt war.


[172] Während die Brüder auf die Jagd gingen, war meistens die Schwester zu Hause, und besorgte die Hausangelegenheiten. Zuweilen jedoch begleitete sie dieselben, obwohl seltener als sonst.

Einsmals hatten die Brüder weit ab von ihrem Parke gejagt, als sie auf den König von Persien trafen, der in derselben Gegend des Waldes Jagd hielt. Sie wären ihm gern ausgewichen, allein das war unmöglich. Sie stiegen vom Pferde und fielen vor ihm nieder, mit der Stirn zur Erde.

Der Sultan sahe, daß sie eben so gut gekleidet waren als die Herren seines Hofes, und befahl ihnen aufzustehen. Er besahe sich dieselben vom Kopfe bis zur Fußzehe, ohne ein Wort. Sie gefielen ihm sehr an Gesichtsbildung, Gestalt und Manieren.

»Wer seid ihr denn?« fragte der König.

»Herr, antwortete Bahman, wir sind die Söhne des verstorbenen Oberaufsehers der Gärten Ew. Majestät, und leben hier in der Nähe in dem Landhause, das er uns hinterließ. Er hat uns befohlen darin zu verweilen, bis wir im Stande sind, Ewer Majestät Dienste zu leisten, und alsdann eine Anstellung in Unterthänigkeit von Ewer Majestät Gnade zu erflehen.«

»Wie ich sehe, sprach der König, seid ihr Liebhaber von der Jagd?«

»Herr, erwiederte Bahman, darin üben wir uns fleißig, um einst desto glücklicher die Feinde Sr. Majestät jagen zu können, wie es die alte Gewohnheit unseres Volks ist.«

Dem König gefielen die Antworten der jungen Leute eben so wohl, als ihre Personen ihm gefallen hatten, und er sagte, es werde ihm Vergnügen machen, wenn er selbst sie jagen sähe; sie möchten sich das Wild, welches sie jagen wollten, selber erlesen.

Damit gings fort, und Bahman erlegte einen großen Löwen, und Perwis einen starken Bären, mit solcher Furchtlosigkeit und Gewandtheit, daß darüber der König erstaunte. Hierauf erlegte der [173] ältere Bruder einen mächtigen Bären, und der jüngere einen grimmigen Löwen.

»Halt! sagte der König, wir wollen zu jagen aufhören, denn Ihr möchtet mich sonst um alle meine Jagd bringen.«

Er ladete sie ein, ihm sogleich an seinen Hof mit zu folgen, sie aber entschuldigten sich damit, daß sie eine Schwester hätten, die über ihr Außenbleiben in Todesangst sein würde, weil sie alle drei in höchster Eintracht lebten, und eins ohne die beiden andern nichts thäte.

»Das gefällt mir, sprach der König; aber morgen wollen wir wieder hier jagen, sagt Eurer Schwester, was ich wünsche, und bringt mir Antwort.« Aber sie vergaßen aus Müdigkeit der Schwester zu sagen, was sich zugetragen hatte, und legten sich zur Ruhe.

»Nun? was hat die Schwester gesagt? fragte der Sultan am andern Morgen. Hat sie ihre Einwilligung gegeben, Euch bei mir zu haben?«

Bahman und Perwis waren in großer Verlegenheit, und mußten gestehen, daß sie es aus Ermüdung vergessen hätten.

Ohne unfreundlich zu sein, empfahl ihnen der König, sie möchten es denn heute Abend nicht vergessen. Das versprachen sie auch, vergaßen es aber eben auch wieder, wie das erstemal.

Der Sultan zürnte wiederum nicht, denn die Jünglinge gefielen ihm gar zu sehr. Er zog drei kleine goldene Kugeln aus seinem Busen hervor, die er Bahman gab, indem er lächelnd sagte: »Wenn diese Kugeln heute Abend aus Eurem Gürtel fallen, werden sie Euch an meinen Wunsch erinnern.«

Wie man aber den Wunsch eines Königs so unverzeihlich vergessen kann, weiß ich freilich nicht; wenn Ihr es aber wißt, so sagt mir es auch. – Der leiseste Wunsch eines Königs ist ja, wie wir Alle wissen, sonst ein gewaltiger Befehl.

[174] Es wurde nun wieder gejagt, und da der Abend kam, hätten sie ohne die drei Goldkugeln, die auf dem Boden hinrasselten, gewiß wieder Alles vergessen und verschlafen. – Seltsam, daß sie es nicht vergessen hatten, mit dem König die beiden Tage zu jagen, sondern nur der Schwester von des Königs Wunsch zu sagen. Aber weil es in einem Mährchen steht, so müssen wir es glauben, wenn wir auch eben nicht wollen.

Die Brüder eröffneten nun der Parizade, wie sie mit dem König gejagt hätten, und was derselbe wünsche. Das machten die drei Kugeln, welche das Gedächtniß ersetzt hatten.

Parizade kam in große Unruhe. »Euch, sagte sie, ist des Königs Wunsch ehrenvoll, aber für mich ist er sehr betrübend. Einem Sultan darf man nicht leicht etwas abschlagen, denn wenn man ihren Wünschen nicht folgt, so wird man gezwungen ihren Befehlen zu gehorchen. – Doch wir wollen nichts beschließen, sondern ich will erst den Vogel befragen.«

Dieser Vogel war, wie ihr wißt, kein lustiger Vogel, aber ein kluger. Man legte ihm die Sache vor, und nach einigem Besinnen, wobei er ganz ernsthaft aussahe, sagte er: »dem Wunsche des Sultans könnt Ihr nicht ausweichen, und Ihr müßt ihn sogar hernach zu Euch, durch Bahman und Perwis, zu Gaste bitten!«

»Ach! so soll ich denn ohne die Brüder leben?« seufzte Parizade.

»Keineswegs, sprach der Vogel, sondern Ihr sollt immer beisammen bleiben!«

Am andern Morgen eröffneten die Brüder dem Sultan, sie hätten mit der Schwester gesprochen, und ständen Ewer Majestät allerunterthänigst zu Befehl.

Der König antwortete ihnen mit unbeschreiblicher Güte, brach bald die Jagd ab, und sie mußten ihn zu seinem Palast hin begleiten, [175] indem er ihnen hieß, ihm zur Rechten und Linken zu reiten, eine Ehre, über welche selbst der Großweßir neidisch wurde.

Die Hauptstadt erstaunte über die Schönheit und über das geistvolle Gesicht der Jünglinge, und die meisten wünschten, der Himmel möchte dem Könige und dem Lande zwei solche Prinzen gegeben haben.

Sie mußten mit dem Könige essen – wieder eine Ehre, die im Morgenlande höchst ungewöhnlich ist. Hierauf führte der König sie überall im Palast umher, und sprach über Mancherlei, und hatte allenthalben Gelegenheit, ihre Kenntnisse und Geschicklichkeiten, und ihre tiefen Einsichten zu bewundern, und wünschte, sie möchten seine Kinder sein.

Die Jünglinge beurlaubten sich. Aber vorher hatten sie dem Sultan den Wunsch ihrer Schwester in Unterthänigkeit dargelegt, morgen nach der Jagd in ihrem Landhause ein wenig auszuruhen. Sie unterständen sich, sagten sie, diese Bitte zu wagen, obwohl sie alle drei und ihr Landhaus nicht würdig wären, durch den Glanz Sr. Majestät so hoch beglückt zu werden.

Der Sultan versprach zu kommen, und hielt am andern Tage Wort.

Parizade mußte nun denselben Abend noch mit großem Fleiß daran denken, wie man den Herrscher empfangen und bewirthen sollte, und da sie selbst keinen Rath wußte, wie das Alles anzufangen sei, so mußte wieder der Vogel deshalb den Schnabel aufsperren, und ordnete Alles so herrlich an, als ob er seit 40 Jahren Hofmarschall und Koch gewesen sei. Vor allen Dingen bestand er auf eine Schüssel Gurken, gefüllt mit Perlen.

»Was? rief Parizade, Perlen zum Füllsel für Gurken? Wer hat jemals etwas so Thörichtes gehört? ich denke fast, du seist zu Zeiten ein wenig verwirrt. Was soll der Sultan mit einem Gericht, das nicht zum Essen ist. Er möchte vielleicht den Werth eines solchen [176] Gerichts bewundern, aber er würde es uns auch wohl als Hochmuth auslegen. – Zudem würden alle meine Perlen zu einem so wunderlichen Gericht schwerlich zureichen.«

»Thut nur, Herrin, was ich sage, antwortete der Vogel. Ihr werdet schon sehen, wozu es dienen wird. Was die Perlen betrifft, so werdet Ihr deren am Fuß des ersten Baums in Eurem Park, zur rechten Hand, mehr finden als Ihr braucht. Ihr dürft nur ein wenig in der Erde nachwühlen lassen.«

Es geschah also, und man fand einen hübschen kleinen Koffer, mit Perlen gefüllt, die von mittler Größe waren, und mit welchen der Koch Gurken füllen mußte.

Der Sultan kam, und Parizade warf sich ihm zu Füßen. Aber der Sultan hob sie auf und bewunderte ihre glänzende Schönheit, und sagte, die Brüder und die Schwester wären einander würdig.

Der Sultan ließ sich Gebäude und Garten zeigen, und wunderte sich, daß Alles so schön und richtig angelegt sei, denn er verstand sich auf diese und auf alle andere Sachen in der ganzen Welt, wie alle Sultane. Aber er war höchst betroffen, mehr als es Jemand sagen kann, als er das in Garben steigende und fallende goldgelbe Wasser sahe, und wollte wissen, durch welche unbekannte Kunst das Wasser so hoch getrieben werde, und so goldgelbe Farbe habe, wie der edelste Wein. Und als er dem singenden Baum nahe kam, suchte er die Musiker, die das herrliche Konzert aufführten, und war erstaunt als er keinen fand, und wollt es nicht glauben, daß der Baum den Konzertmeister und das Musikantenchor ganz allein mache. Und als er in die Nähe des Saales kam, sahe er, daß auf den Bäumen ein großer Chor von Vögeln allerlei Art saß, welche lustig drein sangen, schlugen, pfiffen und trillerten, jeder Vogel nach seiner Weise.

Es versteht sich, daß von allen diesen Wunderdingen der Sultan Auskunft haben mußte, und er erfuhr denn auch Alles, und [177] konnte vor Verwunderung nicht zu sich kommen, und diese Verwunderung wuchs, als der Vogel den Sultan anredete:

»Willkommen hier, gewaltiger Herr, sprach er; Ihr bringt große Ehre in dieses Haus, aber Ihr sollt auch große Freude daraus mit zurück nehmen. Der Himmel segne Eure Regierung und verlängere Euer Leben.«

»Vogel! ich danke dir schön, war die Antwort; du bist ein ganz kluger Bursche, obwohl ich nicht Alles verstehe, was du meinst.«

Bei dem Mahle, welches nun aufgetragen wurde, hatte die Majestät einen unvergleichlichen Appetit, und sprach von Dem und Jenem, am meisten aber freilich von den drei Wunderdingen.

Jetzt kamen die Gurken mit Perlen. »Wie? sagte er, hat man denn jemals gehört, daß Gurken mit Perlen gefüllt werden? Seit wenn ißt man denn Perlen?« – Und dabei sahe er die Geschwister fragend an. Die kamen in große Unruhe und Verlegenheit, denn sie wußten kein Wort zu antworten; aber der Vogel half ihnen heraus.

»Sultan, sagte der Vogel sehr ernst, du wunderst dich über Gurken mit Perlen, und du hast dich nicht gewundert, daß deine Gemahlin Mond- und Seekälber und Kater gebracht hat, und hast nicht einmal darnach gefragt?«

Der Sultan ward betroffen. »Ich habe den Hebammen geglaubt,« antwortete er verlegen.

»Und diese Hebammen waren die Schwestern deiner Gemahlin, antwortete der Vogel, und waren neidisch auf das Glück derselben, und du, o Sultan! warst zu leichtgläubig!«

Hierauf erzählte der Vogel Alles, was sich zugetragen hatte, und daß diese Gärtnerskinder allhier, die Kinder des Sultans seien, wie er sich leicht überzeugen werde, wenn er des Kochs und des Bäckers Frauen scharf wolle befragen lassen.

[178] »O ich bin schon völlig überzeugt, sagte der Sultan; denn mein Herz hat mich ja immer zu ihnen hingezogen!« Und damit lagen Vater und Kinder einander in den Armen, und jubelten und weinten, und drückten sich ans Herz.

Wie es nun weiter kam, das kann sich Jeder leicht auslegen. Die Königskinder mußten mit an des Vaters Hof, und der Vogel, der singende Baum und das goldgelbe Wasser, wurden auf eben dieselbe Weise mitgenommen, wie damals vom Berge. Die Königin holte der König aus dem Käfig, bat sie tausendmal um Vergebung, küßte sie schön, und führte sie mit großer Pracht an den Hof. Da fand sie ihre schönen Kinder, und vergaß alles Leid im Augenblick.

Aber die bösen Schwestern, die nicht leugnen konnten, mußten das Leben hergeben.

Vierzehn Tage war in der Königsstadt Alles erleuchtet, und auf Königs Kosten lebte Jedermann herrlich und in Freuden.

Und die königliche Familie liebte sich von Herzen; und als der Sultan starb, da war er todt, und der Prinz Bahman ward König an seiner Statt.

Meisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[179] Meisterstücke dreier kunstreichen Brüder.

In einem Dorfe in Frankreich lebt ein Mann noch jetzt, wenn er nicht schon vor 2 oder 300, oder gar vor 1000 Jahren gestorben ist, welches ich nicht wissen kann, der heißt oder hieß Simonett oder Simonchen, oder auch nur Monchen, und erst da er fünf Frauen gehabt hatte, bekam er mit der fünften 3 Kinder auf einmal, und also Drillinge, und zwar lauter Söhne.

Die Drillinge wuchsen lustig und frisch hinauf, und wußten wie Frühstück, Mittags- und Abendbrot schmeckte, denn sie waren gar nicht krank im oder am Magen.

Nun! dachte der Vater, da ihr denn so tüchtig und manierlich appetitlich essen könnt, so muß doch ein rechter Geist und Verstand in euch stecken.

Er nahm die Jungen vor, nachdem sie gehörig groß waren, und sagte:

»Hört einmal ihr großen Bengel; ihr seht ein, daß ich nicht ewig leben kann. Sterben muß Jeder einmal. Und es muß Jeder von euch in die Welt hinaus, und soll sich etwas versuchen, und etwas lernen und umsehen; – das ist sehr nöthig; denn sonst bleibt [180] ihr dumm und tölpisch, und wißt nicht wie ihr einen Bissen Brot erwerben sollt, obwohl ihr wißt wo's Maul ist, da man ihn hinein steckt. – Seht ihr das auch ein, ihr großen Schlingel?«

»O ja! Herzvater, so viel sehen wir schon ein!« antworteten sie alle drei.

»Nun paßt weiter auf, sprach der Vater, und merkt fein auf meine Worte. Das bischen Hütte was ich habe, der kleine Kräzgarten, und die paar Ackerchen Feld, die werden keinen fett machen, wenn sie in drei Theile gehen, und keiner von Euch könnte davon eine Maus nebenbei ernähren. Seht! Hört! und merkt auf! Ich habe gedacht, ich will euch auf ein Jahr in die Welt senden, und wenn ihr dann wieder kommt, sollder Häuschen, Höfchen und Ländchen bekommen, welcher das meiste gelernt hat. Seid ihr das alle zufrieden?«

»Ja, ja! Herzvater ja! das sind wir zufrieden!« sprachen die Söhne.

Somit zogen die Drillinge hinaus in die weite Welt, so weit, so weit, als man in einem Jahre kommen kann, und sahen vieler, vieler tausend Herren Länder und Städte, und versuchten sich etwas, und lernten gar wundersame und künstliche Dinge.

Nach einem Jahre waren sie denn alle glücklich wieder nach Haus gekommen, wohl um des Vaters Gebot zu ehren, oder vielleicht, – ich aber weiß es nicht, – der Mutter Töpfe zu beschnüffeln, denn auf der Reise setzt es oft schmale Bissen.

Nun das versteht sich, daß Vater und Mutter ihnen um den Hals fielen, als sie ankamen, und die Söhne fielen den Aeltern wieder um den Hals. –

Nun Kinderchen, herzliebe Kinderchen, sprach der entzückte Vater, sagt an, was ihr auf euren Reisen für Kunststücke gelernt habt.

[181] »Ich bin ein Barbier geworden,« sagte der erste.

»Ich bin ein Hufschmidt geworden,« sagte der zweite.

»Ich bin ein Fechter geworden,« sagte der dritte.

Nun das ist ja recht sehr schön und löblich, sprach der Vater, weil er doch auch etwas sagen mußte; es kommt nur darauf an, ob ihr auch eure Sachen alle ordentlich gründlich – zu verstehen, so aus dem rechten gründlichen Grunde meine ich, gelernt habt?

»Ja, Vater, ja gewiß, gewiß und fürwahr, aus dem allergründlichsten Grund haben wirs gelernt, das könnt Ihr nur glauben!« sprachen die Söhne.

»Na! sprach der Vater, wer seine Sachen am besten kann, der solls Hüttchen und Feldchen haben.«

Indem sie so davon sprachen, kommt daher gelaufen Herr Lampe, der Haase, im vollen schnellen Rennen. Der Barbier hat seinen Scheerbeutel sogleich bei der Hand, nimmt ihn unter den Arm und ist schneller und flinker als das Häslein; läuft dem Häslein nach, und ob es wohl so fix rennt als ein Haas laufen kann, hat ihm doch der Barbirer im Mitlauf das Bärtlein eingeseift, und so glatt und scharmant und so rein geputzt, als obs Häslein auf dem Stuhl ihm still gesessen hätte, und hätte die Serviette vorgethan gehabt.

»Hm! sagt der Vater, gar höchlich verwundert, du wirst das Hüttchen wohl erlangen.«

»Hm! sagt der Schmidt, das wollen wir sehen;« und so eben kam ein Reuter im vollem Gallop mit seinem Pferde daher. – Der Schmidt mit Hammer und Zange hinter dem galloppirenden Pferde drein, reißt demselben die Hufeisen ab, und legt dafür neue auf, ohne daß dem Gallop oder dem Pferde oder dem Reuter im mindesten ein Aufenthalt und Nachtheil geschieht.

»Nun, sagt der Vater, da mag der Henker wählen oder entscheiden. Das ist mir zu hoch und zu fein! – Da weiß ich nun nicht – – –«

[182] Lächelnd hatte der Fechter dabei gestanden, und nach dem Himmel hinauf gesehen. Eben brach eine Gewitterwolke los, mit gewaltigem Platzregen. Mein Fechter nicht faul, sondern flink aus dem Hause hinaus, und schwingt sein Fechterschwert so um sich herum, und so hin und her, daß ihm kein einziger Regentropfen etwas anhaben konnte. Der Gewitterregen war vorüber, und der Fechter war ganz trocken.

»Na! da seh einer Gottes Wunder, sagte der Vater, da machts mit einander selbst aus, wers Hüttchen haben soll.«


Wo Liebe und Friede im Herzen wohnen, da sind solche Sachen leicht ausgemacht. Die Brüder fielen sich um den Hals, und sagten, wir bleiben beisammen. Und da sie so gewaltig kunstreich waren, so fehlte es ihnen ja nicht an Nahrung. Der eine barbierte, der andere beschlug die Pferde, der dritte gab Unterricht im Fechten, und alle jungen Offiziere und Studenten nahmen Stunde bei ihm, und Alle hatten zu leben.

So wars!

Die VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[183] Die Verjüngung.

Ja doch! wie man wieder jung, schön und gesund obenein werden kann, daran hat man denn nun wohl schon in der uralten Heiden- und Griechenwelt gedacht, nur ist es kein einzigs Mal damit gut und glücklich abgegangen, ein einziges Mal ausgenommen, weil Jemand das Kunststück machte, der es gar ordentlich und genau verstand.

Da der Herr noch je zuweilen auf Erden wandelte, strich er auch einmal mit Sankt Petern herum, und kehrt' zur Erholung in eine Schmiede ein, wo er gar willig und gern ward aufgenommen.

Da kommt ein armer Bettelmann, gedrückt und gebückt, von Hunger und Kummer, von Alter und Sorgen, und bat um ein Almosen.

»Wo hat dirs denn gefehlt, du lieber armer Mann? sprach der Herr, gütig und freundlich.«

»Ach Gott, antwortet traurig der Bettler, es hat mir immer so an Allem gefehlt; doch ging es ja ziemlich leidlich gut, als ich noch jung war, obwohl oft des Hungers viel mehr war, als der Speise. – Ja wer noch jung wäre und rüstig! – Aber nun muß ich ja Almosen bitten!«

»Sollst wieder jung werden und rüstig,« der Herr zum Bettler sprach, und zum Schmidt sprach er: »Laß mich deine Esse gebrauchen, mein Schmidt!«

[184] »Ja sprach der Schmidt, das vergönn ich Euch gern, lieber Herr. – Gebraucht Euch meiner Eße, so viel Ihr mögt und wollt.«

Da mußte der Petrus Kohlen herbei tragen, und die Schmiedebälge recht tüchtig anziehen, so daß er ordentlich dabei schwitzte, weil es gar ungewohnte Arbeit ihm war.

Und als nun die Glut gar gewaltig und hoch war, und ordentlich Flammen spielte, ergriff der Herr den kleinen, armen, alten Bettelmann mit einer tüchtigen Zange, und steckt ihn ins Feuer. Der Schmidt und seine Schwiegermutter sahen zu, und dachten, der Mann müsse verbrennen, und getrauten sich doch nichts zu sagen, weil ihnen Alles so seltsam und wunderbarlich an dem fremden Manne vorkam.

Ja doch! der Mann lobte vielmehr Gott den Herrn mit lauter Stimme, und sang wie eine Lerche, weil ihm in der Feuersglut so gar sehr wohl war, und sprach, er säße im Feuer so wie man nach schwüler Hitze im kühlen Thau sitze.

Das wunderte sie Alle.

Und als das arme Männlein ganz durchglüht war, zog es der Herr wieder mit der großen Zange heraus, und löschte es im Löschtrog ab, wie man Stahl ablöscht, wenn er fein hart und auf die Dauer werden soll.

Der arme alte Mann ging als ein Jüngling von dannen, mit Lob und Dank. Da wollte nun die alte Schwieger des Schmidtes die das Alles mit hatte angesehen, mit ihrer verrunzelten Haut auch gern wieder jung werden, und dachte, dann würde sie Jedermann lieb haben; – und nachdem der Herr weggegangen war, bat sie den Schwiegersohn, der auch Alles gut gesehen und recht aufgepaßt hatte, er solle es mit ihr grad eben so machen, wie der Fremde mit dem Bettlersmann.

[185] »Nun, machen will ichs recht gern, sprach der Schmidt zu der Alten, denn Ihr wißt schon, daß wir Euch Alle lieb haben; nur helf Gott, daß es gelingt!«

Und damit legte er Kohlen zur Eße, ließ die Schmiedebälge ziehen, und steckte die Schwiegermutter in die angehende Glut. Es weiß Niemand, warum es nicht gerathen ist. Aber das weiß man, daß die alte Frau bald anfing erbärmlich zu schreien, und daß sie der Schmidt in der Angst heraus kneipte mit der großen Kneipzange, und sie nach aller Kunst im Löschtrog ablöschte.

Geholfen hatte es aber gar nichts. Die alte Frau wimmerte und jammerte, und war die Haut voll Brandblasen geworden.

Freilich man muß nicht nur nachahmen, sondern selbst Meister sein, wenn es soll gut in irgend einer Kunst gehn.

Reinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[186] Reinhald das Wunderkind.

Vor alten Zeiten lebte ein reicher, reicher Graf, ich weiß nicht mehr wo? – Der hatte Städte und Schlösser, Felder und Wälder, und sein Einkommen war sehr, sehr groß.

Da gings ihm denn, wies vielen überreichen Herren ergangen ist. So vieles Gut, meinte er, könne ja gar nicht alle werden, und darum lebte er alle Tage herrlich und in Freuden, mit Banketen, Turniren, Bällen und andern Festen, mit Bret und Würfelspiel, und wenn ein Ritter bei ihm einkehrte, gab er ihm drei Tage lang ein Fest.

Sein Hof hatte die schönsten Edelknaben zur Aufwartung, und Läufer Jäger und andere Diener, allesammt prächtig gekleidet, und die theuersten Pferde und Jagdhunde. Das hatte er Alles zu seiner Lust, und dabei mocht es ihm auch wohl recht sehr gefallen, wenn man allenthalben vom reichen Graf und von der Herrlichkeit seiner Hofhaltung sprach.

Er gehörte zu denjenigen Reichen, wie es ihrer viele gibt. Sie wissen wohl, wie man in Lust und Freude viel Geld und Gut verthut, aber wie man einen einzigen Thaler nur erwerben kann, das haben sie nimmermehr gelernt.

[187] Unser Graf kam immer tiefer und tiefer herunter, und hatte die wunderliche Scham, daß er es nicht wollte merken lassen. Darum trieb er das alte Wesen immerdar fort, so lange es nur ging, und verpfändete lieber eine Stadt nach der andern, ein Schloß nach dem andern, eine Besitzung nach der andern, als daß er sich eingeschränkt hätte. Aber am Ende wurden doch die Diener abgedankt, die Juwelen und Pferde verkauft, die Hunde todtgeschlagen, und der Graf zog mit seiner frommen Gemahlin und drei wunderschönen Töchtern auf ein altes Waldschloß, was er vielleicht sein lebelang niemals gesehen hatte. Da lebte er kärglich und dürftig, und seine Kost war Wurzeln und Beeren, und allenfalls einmal ein Stück Wild, das wollt ihm gar nicht zu Sinne und Halse. Wär er immer arm gewesen, so hätt es nichts ausgemacht, und er hätte wohl mögen zufrieden sein, aber er warverarmt, – er war, was noch mehr ist, durch eigne Schuld verarmt, und das ist viel schlimmer. Da wurde er denn sehr unmuthig, und tobte und lärmte und wetterte im Hause herum, und die Seinen, die doch keine Schuld hatten, hatten es sehr schlimm bei ihm.

Der Wald, in welchem der Graf sein Wesen trieb, war verdächtig, und es hieß, es sei nicht richtig darin, und darum wurde er denn auch der Zauberwald geheißen, zumal da Niemand, der tiefer in den Wald hinein gekommen war, aus demselben zurückkehrte.

Einmal war der Graf mit seinem Jagdspieß tiefer in den Wald hinein gekommen, als sonst. Er hatte lange gejagt und nichts erjagt, und setzte sich ermüdet unter eine alte Eiche, und hohlte sein Brot mit Salz aus dem Jagdranzen hervor.

Da schritt ein ungeheurer Bär auf ihn zu, vor dem er gewaltig erschrack, zumal da er auf Bärenjagd sich gar nicht gerüstet hatte. Den Jagdspieß, welchen er dem Ungethüm entgegen hielt, zerknickte es wie einen Strohhalm, und brummte ihm zu:

[188] »Was hausest und jagst du in meinem Wald, du Räuber? Wisse daß du mit deinem Leben mir verfallen bist, und mit dem Leben sollst du auch büßen!«

»O! freßt mich nicht, gestrenger Herr Bär, jammerte der Graf, ich will Euch Euren Honig nicht rauben. Habt Ihr aber Appetit, so will ich Euch geben, was ich vermag, aber es ist freilich nur Hausmannskost.«

Hierauf bot er dem Bär all' seinen Mundvorrath an. Aber dieser brummte unwillig:

»Was bietest du mir für elende Kost? Ich bedarf ihrer nicht. Aber ich will deines Lebens schonen, gibst du mir deine älteste Tochter Wulfhilde zur Frau!«

»Gern! Gern! edler Bär,« antwortete der Graf in der Todesangst. Aber er hatte doch gleich eine List ersonnen, und setzte hinzu: »Es versteht sich aber jedoch, daß Ihr nach Landesgebrauch die Braut löset, und selbst kommt, sie heim zu führen?«

»Es gilt! sprach der Bär, und hielt dem Grafen die rauhe Tatze hin, um einzuschlagen. In acht Tagen lös ich sie mit einem Zentner Gold, und führe Wulfhilden heim.« Und damit trabt er seiner Höhle zu.

Der Graf eilte aus dem furchtbaren Walde, und kam in später Abendzeit, zitternd und ermattet, auf seinem Waldschloß an.

Er erzählte am andern Morgen was ihm begegnet war, und was er in der Angst habe versprechen müssen. Da weinten und schrien Mutter und Töchter überlaut, und keine konnte sich trösten.

Aber der Vater ging finster und stumm hinaus, und besahe sich die Mauern und Graben des Schlosses und sah zu, ob das eiserne Thor noch haltbar sei, und fand Alles noch tüchtig genug, einem dickköpfigen Bären den Eingang zu verwehren, indem er doch nicht durchs Schlüsselloch werde hinein schlüpfen können. Er zog die Zugbrücke auf, verwahrte alle Zugänge, und brachte Wulfhilden in ein [189] festes, wohl vermauertes Kämmerlein, hoch oben im Wartthurm. – So hielt er sich denn völlig sicher.

Sechs Tage waren vergangen, und der siebente brach an. Da erhob sich vom Walde her ein gewaltiges Getöse und Halloh. Peitschen knallten, Hörner schallten, Reiter trabten mit Rossen heran, und es näherte sich ein prächtiger Wagen, wie von lauter Gold und Silber, und die Reiter, die den Wagen umgaben, waren allesammt herrlich gekleidet.

Der Wagen kam bis ans Schloßthor, und es stieg ein schöner Prinz in Sammt und Silberstück gekleidet, aus demselben heraus. Perlenschnuren mit Diamanten liefen um seinen Hut, und eine goldene Kette hing um seinen Hals. Riegel und Schlösser des Thores und der Thüren öffneten sich von selbst, und die Zugbrücke fiel von selbst herab. Rasch, wie ein Sturmwind, flog der Prinz die Treppe hinan, und brachte zwei Augenblicke darauf die bebende Braut in seinen Armen herab, und trug sie in seinen Wagen.

Ueber dem Getöse war der Graf erwacht, und sahe seine Tochter dahin führen, und erhob ein großes Jammern und schrie ihr nach: »Ade, mein Töchterlein; fahr wohl, fahr wohl, du Bärenbraut!«

Und die Mutter, die auch aufgewacht war, suchte nach dem Töchterlein im ganzen Schloß, und fand es nirgends, aber oben in der Kammer der Warte fand sie einen silbernen Schlüssel auf einem Tische, den nahm sie mit herab.

Drei Tage verlebte das Haus in Jammern und Wehklagen, dann ging der Graf aus dem Trauergemach um frische Luft zu schöpfen. Da stand auf dem Hof eine Kiste von glänzend polirtem Ebenholz, die recht schwer war zu heben. Er merkte schon was drinnen war, und schloß mit dem Schlüssel die Kiste auf, und fand einen Zentner Golds in schöne Münzen ausgeprägt.

[190] Da erwachte im Grafen der alte Geist der Thorheit, und die geraubte Tochter und alles Herzeleid waren vergessen. Und das Banketiren und Tafeln, und Hofhalten mit Dienern, Jägern, Pferden und Hunden ging wieder von vorne an, denn so viel Gold konnte nicht alle werden. Aber es ward doch in kurzer Zeit alle, und die Gläubiger kamen, und räumten ihm das alte Waldschloß aus, und ließen dem Grafen fast nichts übrig, als einen alten Jagdfalken. Das herrliche Leben war vorbei, und das kümmerliche fing wieder an.

Voll Ueberdruß und Langweile ging er mit seinem Federspiel (Falken) auf die Jagd, aber nicht in den Walde, vor welchem er große Scheu trug, sondern auf das weite Blachfeld, das vor demselben lag.

Eines Tages ließ er den Falken steigen. Der kreiste hoch in den Lüften umher, und da sein Herr ihn lockte, wollte er nicht zurückkehren, sondern schwebte dem grauenvollen Walde zu, wohin der Graf ihm nicht zu folgen wagte.

Plötzlich stieg ein mächtiger Adler aus dem Walde auf, und über den Falken hinauf, der ängstlich und geschwind zu seinem Herrn zurückkehrte, um Schutz zu suchen. Der Adler aber fuhr ihm nach bis zu dem Grafen hin, und schlug einen seiner mächtigen Fänge (Klauen) in die Schulter des Grafen, indessen er mit dem andern den armen Falken zerquetschte.

Der Graf suchte zwar sich mit dem Jagdspieß gegen den gewaltigen Aar (Adler) zu schützen, aber der Aar zerknickte ihm den Jagdspieß eben so leicht, als der Bär.

»Verwegener, kreischte der Aar, was wagst du dich in mein Jagdgehege in der Luft? – Das gilt dein Leben.«

Der Graf hatte schon bei dem Bären eine lehrreiche Erfahrung gemacht, und sagte: »Seid nur nicht ungnädig, gnädigster Herr! [191] Es ist Alles wider meinen Willen geschehen. Den armen Falken habt Ihr ja auch schon bestraft. Speiset ihn nach Belieben.«

»Heute lüstert mich einmal nach Menschenfleisch, sprach der Aar, und du scheinst mir ein guter Bissen.«

»Ach Gott, jammerte der Graf, ist denn gar kein Abkommen? Fodert doch Alles was ich habe, nur schont meines Lebens.«

»Gut, sprach der Adler; giebst du mir deine zweite Tochter Adelheid, so schone ich dein. Ich will sie lösen mit 2 Goldstufen, jede von einem Zentner, und in sieben Wochen hohl ich das Mädchen.«

Der Graf war das zufrieden, und ging ganz wohlgemuthet heim, denn nun bekam er wieder Gold, und konnte also auch wieder in Saus und Braus leben; doch sagte er daheim kein Wort, und klagte nur über den Falken, der sich verflogen habe. So ersparte er sich die Vorwürfe der Seinen, und seiner Tochter den Schmerz.

Sechs Wochen waren um. Adelheid wußte, was ein Mädchen thun muß, das einmal eine gute Hausfrau werden will, und spann das feinste Gespinnst, und konnte es selbst weben, und bleichte das zarte Gewebe auch selbst, am frühen Morgen, auf frischem Rasen, beim kühlen Thau.

Eben war sie mit Bleichen am Morgen des siebenten Tages beschäftigt, als daher gezogen kam, ein Zug Ritter und Knappen. Adelheid verbarg sich hinter einen blühenden Rosenstrauch, denn sie war noch im Morgenkleide. Der schönste Ritter in dem Zuge sprang vom Pferde und sprach: »Ich sehe dich schöne Adelheid, ich liebe dich lange; o komm mit mir, und werde mein Gemahl!«

Das war ihr zu unerwartet, und sie fiel in Ohnmacht ins Gras, und als sie erwachte, hielt sie der Ritter in seinen Armen fest, und sie war schon viel tausend Schritte vom väterlichen Schlosse entfernt.

[192] Als die Tochter nicht zum Frühstück kam, welches die Mutter bereitet hatte, da wurde der Mutter bänglich zu Muthe. Sie suchte und rief da und dort, und zum Scheine half der Graf suchen und rufen. Als er nun während dessen an den Rosenbusch kam, siehe da lagen zwei große Eier, jedes von einem Zentner, und dem Grafen lachte das Herz im Leibe. Doch bei den Goldeiern bekam die Gräfin Verdacht, und der Graf entdeckte ihr auch Alles.

Es half ihr nichts, daß sie den ruchlosen Vater mit Thränen schalt; er schwieg, bis sich ihr Eifer gelegt hatte, und brachte seine Eier in Sicherheit, that drei Tage als ob er Leid trüge um den Verlust der geliebten Tochter, und fing dann das alte Unwesen wieder an.

Nun hatte er nur noch eine Tochter, die lieblich holde Bertha, die bei jedem Ritterspiel mit demjenigen Ritter tanzte, welcher den Preis davon trug.

Die edelsten Ritter kamen von nah und von fern, immer einer schöner und adlicher als der andere, und bewarben sich um Bertha's Hand; aber Bertha konnte zu keiner Wahl kommen.

Es währte nicht lange, da waren die Goldeier auch verthan, das Schloß ward wieder wüste und leer, und die alte Kärglichkeit und Dürftigkeit zogen statt des Prunkens und Prachtens abermals ein, und der Graf durchstrich unmuthig Feld und Flur.

Er hatte einmal ein Völklein Rebhühner verfolgt, und war dabei dem grausigen Walde nahe gekommen, aber er wagte sich nicht hinein, sondern ging an der Brahne (am Rande) hin. Da sahe er einen großen Fischweiher, den er sein Lebtag noch nicht gesehen hatte. In dem silberklaren Wasser des Teichs spielten muntre Forellen und scherzten im Wasser, – und der Teich sah gar nicht gefährlich aus. Hier wird es manch gutes Gericht geben, dachte der Graf, ging nach Hause und strickte sich ein Fischernetz, und schon am andern Morgen war er am Ufer des Teichs, auf welchem er [193] einen kleinen Nachen fand. Der Nachen kam ihm eben recht, und er ruderte lustig auf demselben umher, und warf sein Netz aus, fing mehr Forellen als er fortbringen konnte, und der Mund wässerte ihm schon von dem köstlichen Mahle, das er halten wollte.

Aber als er zurück wollte, stand einige hundert Schritte vom Ufer der Nachen so fest, als sei er aufgenagelt, und der Graf brachte ihm mit aller Kraft nicht von der Stelle. Rings um den Nachen umher wich das Wasser zurück, der Kahn schien sich zu heben, und immer weiter vom Ufer sich zu entfernen, und der Weiher dehnte sich zu einem mächtigen See aus, und der See schwoll, und seine Wogen und Wellen schäumten und brausten, und er ward mit Entsetzen gewahr, daß ein gewaltiges Seeungeheuer den Nachen auf dem Rücken trug. – Er bebte!

Das Meerwunder tauchte unter, erhob nun seinen großen greulichen Kopf aus dem See, sperrte den Rachenschlund auf und sprach: »du Tollkühner! was störst du meine Fluthen, und willst meine Unterthanen fangen? Wisse, daß dein Leben verfallen ist.«

Der Graf war nun schon zu bekannt mit solchen Dingen, als daß er sich nicht leicht von seiner Bestürzung erholt hätte. Er sprach zum Fisch:

»Hochgewaltiger Herr Behemot, verletzt das Gastrecht nicht, und gönnt mir das Gericht Fische. Solltet Ihr einmal zu mir kommen, so sollen Euch Küche und Keller auch offen stehen.«

»Hoh! sprach der Fisch; der Stärkere frißt den Schwächern. Du willst meine Unterthanen verschlingen, dafür verschling ich dich.«

Und damit riß das drohende Ungethüm den Rachen noch eins so weit auf, gleich als wollt es den Rachen mit sammt dem Mann verschlingen. Da bat der Graf flehentlich um sein Leben, und das Ungeheuer schien sich zu bedenken.

»Gieb mir deine Tochter zum Weibe, sprach es, so sollst du dein Leben gewonnen haben.«

[194] »Ja! sagte der Graf, gern! Ihr seid schon ein stattlicher Eidam; aber womit wollt Ihr die Braut lösen?«

Der Fisch antwortete, er habe köstliche Zahlperlen auf dem Grunde seines Sees, von welchen er ihm drei Scheffel verhieß, und in sieben Monaten werde er seine Braut heim holen.

Das Forellengericht, was der Graf heimbrachte, schmeckte Allen sehr wohl. So etwas Gutes hatten sie lange nicht gegessen; aber die gute Bertha wußte nicht, wie theuer ihr dieß Gericht konnte zu stehen kommen.

Der Vater schwieg.

Der Mond hatte sechsmal gewechselt, und als der siebente Vollmond kam, machte er eine Reise ins Land, denn er wollte nicht Augenzeuge sein von Berthas Entführung und von dem Jammer der Mutter.

In der Mittagsstunde, als der Vollmond eingetreten war, meldete sich vor der Schloßpforte ein bekannter Ritter mit großem Gefolge, der ehemals oft den Ritterspielen beigewohnt hatte, die der damals noch reiche Graf veranstaltete. Er hatte vielmals mit der schönen Bertha getanzt, und oft den Ritterdank (den Preis des Sieges) aus der Hand derselben erhalten, und weil er nie Wein trank, hatte man ihn im Scherz den Wasserritter genannt.

Die Gräfin schämte sich ihrer Armuth, weil sie reich gewesen war. Sie konnte dem Ritter nichts vorsetzen. Aber der Ritter verlangte nichts als einen frischen Trunk aus dem kühlen Felsenbrunnen des Schlosses. Bertha holte den Trunk. Aber der Gräfin fiel ein, daß sie eine köstliche Wassermelone im Schloßgarten habe, und ging hin, dieselbe zu holen, um damit den Ritter zu bewirthen. Aber als sie zurückkam, war Bertha fort, der Ritter war fort, das Gefolge war fort, und alles Suchen und Wehklagen, waren vergebens. Im Vorhause aber waren drei Säcke von neuer Leinwand hingestellt, und waren gefüllt, aber die Mutter achtete in ihrem Schmerz gar nicht darauf, [195] denn sie war ja nun ganz einsam und verlassen. Aber der Graf, welcher zurück gekommen war, zu rechter Zeit, achtete mehr darauf, als auf die ganze Geschichte von Berthas Entführung, und als er die Säcke öffnete, und lauter Zahlperlen darin waren, von der seltensten Güte, und groß wie große Gartenerbsen, da tröstete sich selbst die Gräfin, denn sie dachte, ein Eidam, der solche Geschenke machen könne, müsse von hohem Stande und großem Reichthum sein, und so wäre er denn kein Ungeheuer. Der Graf wußte es besser, aber er ließ sie bei ihrem Glauben.

Der Perlenschatz war unermeßlich, und wurde nach und nach zu Gelde gemacht. Es wimmelte auf dem Schlosse von Juden und Juwelieren, die um die köstlichen Perlen handelten. Der Graf löste alle seine verpfändeten Schlösser, Städte und Ländereien ein, und kaufte noch neue Besitzungen dazu, und zog auf sein schönstes Schloß. Niemand wußte, woher ihm wieder auf einmal so großes Gut zugekommen war. Sein Hofstaat wurde wieder eingerichtet, aber mäßiger und vernünftiger als vorher. An das ehemalige Sausen und Brausen, Bankettiren und Turniren ward nicht mehr gedacht, denn es war keine Tochter mehr zu verhandeln. Der Graf lebte in großer Behaglichkeit, die Gräfin aber in großer Bekümmerniß. Sie legte die Trauerkleider, in welchen sie Leide trug um ihre Töchter, nicht mehr ab, und wäre der Tod gekommen, so wär er ihr sehr erwünscht gewesen.

Aber die arme Mutter sollte noch Freude erleben. Sie gebar dem Grafen einen Sohn, ein wunderliebliches Kind, und weil es kam, da die Gräfin kein Kind mehr hoffen konnte, so wurde es Reinhald das Wunderkind geheißen, und brachte große Freude ins Haus der Aeltern.


[196] Als der junge Knabe ziemlich heraufgewachsen war, wußte er das ganze Geheimniß von den verlornen drei Schwestern. Die Mutter hatte so oft geweint, wenn sie ihm liebkosete, denn sie dachte an die drei Töchter mit Mutterherzen, und Reinhald fragte dann: »ach liebe Mutter was weinst du?« und weinte gar oftmals mit, obwohl er noch nicht verstand warum? Und zuletzt erfuhr er Alles, was sich zugetragen hatte, ausführlich von der Mutter, und behielt es Alles gar genau. Da wünschte er denn, er möchte schon groß und wehrhaft und zum Ritter geschlagen sein, dann wolle er ausziehen die Schwestern zu erlösen.

Er wurde denn groß, bekam Wehr und Waffen und wurde zum Ritter geschlagen. Nun begehrte er sogleich Urlaub vom Vater, denn er gab vor, er wolle nach Flandern einen Zug thun. Der Vater war gar hoch erfreut, daß sein Sohn solch ritterlichen Muth hatte, gab ihm schöne Pferde und kostbare Waffen, und viel Knappen und Troßbuben.

Reinhald zog fort; aber bald lenkte er von der Heerstraße ab, und nach dem alten Waldschlosse zu, wo er über Nacht herbergte. Am frühen Morgen macht er sich ganz allein davon, da Alles noch im festen Schlafe lag, ließ sein Gefolge zurück, und eilte auf seinem edeln Falben dem Zauberwalde zu. Niemand wußte, wo er geblieben war.

Immer tiefer kam er in den Wald, und immer dichter wurde das Gebüsch; Alles war einsam und öde. Er mußte vom Pferde absteigen, und sich mit dem Schwerte in der Faust Weg machen, Felsen hinan klettern, und in Abgründe hinab steigen. Er kam zuletzt in ein grünes liebliches, von hohen Felsen umgebenes Thal, wo er eine tiefe Felsengrotte entdeckte, vor welcher sich etwas regte, das einer Menschengestalt ähnlich sahe. Der kühne Jüngling schlich sich hinter den Bäumen hin, der Grotte gegenüber, und stellte sich so, daß er nicht konnte entdeckt werden.

[197] Da sahe er eine junge und schöne Dame sitzen im Grase, und auf ihrem Schoße einen kleinen Bär, der gar nicht absonderlich aussahe, und dem sie dennoch recht herzlich und freundlich liebkosete. Zu ihren Füßen trieb ein etwas älteres Bärenkind sein Spiel, schlug Purzelbäume, machte Männchen, und wollte den kleinen vom Schooße herunter haben, und die Dame hätschelte und streichelte ihn auch.

»Das ist die Bärenbraut, das ist Wulfhilde,« dachte der junge Ritter, und trat plötzlich aus seinem Hinterhalte hervor.

Wulfhilde – denn sie war es wirklich, erschrack so sehr, daß sie den kleinen Bär von ihrem Schoos ins Gras fallen ließ. Sie trat dem Jüngling entgegen und sagte mit ängstlicher Hast: »Flieh, Jüngling, flieh eilends! Hier hauset ein Bär, der Alles zerreißt!«

Aber Reinhald wollte nicht fliehen. Er überzeugte Wulfhilden, daß er ihr Bruder sei, und bestand darauf bei ihr zu bleiben.

Da führte ihn denn die Schwester, weil er nicht weichen und wanken wollte, in die Höhle, aber mit Angst und Beben, wie das werde ablaufen. In der Höhle war ein Lager von Moos, worauf der Bär mit seinen Jungen schlief; gegenüber aber stand ein großes prächtiges Bette mit seidenen Vorhängen, worin Wulfhilde schlief. Reinhald mußte sich unter dem Bette verstecken, und sollte sich nicht räuspern, nicht niesen, noch auch sonst das leiseste Geräusch machen, damit ihn der Bär nicht merke, und zerreiße, weil die Schwägerschaft beim Schwager Bär gar nichts gelte.

Kaum war er unter dem Bette, als der Bär brummend in die Höhle trat, und mit blutiger Schnauze überall umher schnupperte. Er hatte des Ritters edeln Falben im Walde aufgespürt, und zerrissen.

Wulfhilde saß auf ihrem Bette mit beklemmtem Herzen, denn sie merkte, daß der Herr Bär sehr übler Laune war. Sie liebkosete ihm zärtlich, sie streichelte ihm das rauche Haar, sie krauete ihm [198] hinter den Ohren, aber er war grämlich und achtete nicht darauf. »Menschenfleisch!« brummte er. – »Herzensbär, sagte Wulfhilde, wie sollte hier Menschenfleisch herkommen?« – »Menschenfleisch!« brummte er stärker und grimmiger, und spionirte um das Bette der Gemahlin herum, wobei dem herzhaften Ritter der Angstschweiß vor die Stirne trat. Der Bär kümmerte sich wenig darum, daß ihn seine Gemahlin bedräuete, und ihn fortgehen hieß von ihrem Bette. Eben wollte er den Dickkopf unter die Bettlade zwängen; aber da faßte sich Wulfhilde aus lauter Angst ein muthiges Herz, und gab dem Bär einen tüchtigen Fußtritt in die Weichen. Da kroch der Bär, demüthig zwar, aber noch immer ein wenig brummelnd, auf das Lager zu seinen Kleinen hin, sog an seinen Tatzen, leckte die Jungen, und schlief so fest ein, daß er schnarchte.

Nun war die Gefahr vorbei, und die Schwester versah den Bruder mit Zwieback und Wein. Auch er fiel bald in tiefen Schlaf, und schnarchte eben so arg, als der Schwager Bär.

Als Reinhald am andern Morgen erwachte, war die Höhle verschwunden, und er lag in einem prächtigen Bette, welches in einem Zimmer stand, das reich und kostbar ausgeschmückt war. Er rieb seine Augen, welchen er nicht trauen wollte, er ergriff eine silberne Schelle die da stand, und schellte, und ein nett gekleideter Bedienter trat herein, fragte nach seinen Befehlen, und meldete, daß seine Schwester und ihr Gemahl, Albert der Bär, ihn sehnsüchtig erwarteten.

Reinhald fürchtete sich vor dem Bären, aber der war ein schöner Prinz geworden, und die beiden kleinen Bären allerliebste kleine Prinzchen; die Höhle war ein großes prächtiges Schloß geworden, voll herrlicher Geräthe, Haiducken, Läufer und Diener, und Alles war anders.

Albert und Reinhald waren gleich mit einander herzlich vertraut, und Reinhald erfuhr nun, daß sein Schwager sechs Tage mit seinen [199] Kindern in Bären verwandelt würden, und das Hofgesinde würde auch verwandelt, in Dachse, Füchse, Marder, und die Hofdamen in Eulen, Fledermäuse und anderes Gethier. Am siebenten Tage aber erhielte jeder wieder seine angeborne Gestalt und Natur, und Wulfhilde sei an einem solchen glücklichen Tage von ihm heim geführt worden, und habe im Anfang gar sehr geweint; aber nun sei sie Alles schon längst gewohnt. Sie Beide liebten sich herzlich, und jeden siebenten Tag wären sie alle gar hoch vergnügt. Uebrigens habe der Zauber über Wulfhilden gar keine Macht. Sie bliebe Tag und Nacht, was sie sei.

Einen schönen Tag hatten sie zusammen verlebt, in Herrlichkeit und Lust, als Albert seiner Gemahlin etwas heimlich zuflüsterte. Es war nämlich an der Zeit, daß Reinhald nun bald Abschied nehmen mußte, weil die Stunde der gefährlichen Verwandlung herannahte, wo Albert wieder ein grimmiger Bär wurde, der, seine Gemahlin ausgenommen, keines Menschen dann schonen konnte. Der Schwager Reinhald wollte zwar gar nicht gern fort, allein es mußte so sein.

Reinhald fragte beim Abschied, was er denn thun könne den Zauber zu lösen? »Nichts, mein Bruder,« antwortete der Schwager; und nahm dabei drei Bärenhaare aus seiner Tasche und gab sie Reinhald. »Achtet sie nicht gering, sprach Albert; und wenn Euch einmal etwas zustößt, so reibt sie zwischen den Händen.«

In einem herrlichen Wagen, bespannt mit 6 Rappen, und begleitet von vielem Gefolge, fuhr Reinhald von dannen, und sausend ging es dahin. Noch funkelten am Nachthimmel die Sterne, aber als nach einer Stunde die Sterne erbleichten, erlöschten auch die Windlichter am Wagen, und die Morgenröthe schimmerte am Himmel herauf. Reinhald saß plötzlich auf der Erde, ohne zu wissen wie? und sahe noch wie sechs schwarze Ameisen mit einer Nußschale fort gallopirten, und merkte wohl, jetzt müsse die Stunde der Verwandlung eingetreten sein.

[200] Drei Tage lang zog Reinhald im Walde umher, ohne daß ihm etwas Seltsames begegnete. Aber am vierten Tage rauschte ein Adler hoch über ihm hin, und ließ sich auf einem Neste nieder, welches auf einem großmächtigen Eichbaume erbaut war. Aus seiner Größe vermuthete das Wunderkind, es möchte wohl gar der Schwager Aar sein, und verbarg sich vor seinen Fängen und Schnabel im Dicklicht.

Der Adler flog nach sieben Stunden vom Neste, und nun trat der Ritter hervor, stellte sich unter die Eiche, und rief Adelheid seine Schwester bei Namen, und sagte ihr, er sei Reinhald das Wunderkind.

»Ach, bist du mein Bruder, so sei mir willkommen, sprach es vom Gipfel der Eiche herab, denn ich bin einsam;« – und damit fiel eine seidene Strickleiter herab, auf welcher er bis zum Gipfel und ins Adlernest hinauf kam. Das Nest war fest und geräumig, und die Schwester saß auf einem Thronhimmel, ringsum mit starkem Wachstaffent gegen die Witterung geschützt und mit Atlas inwendig ausgeschlagen, und auf dem Schooße hatte sie ein Adlerei, das sie ausbrütete.

Edgar, ihr Gemahl, war auf sechs Wochen verwünscht, und in der siebenten wurde er erst wieder ein Mensch. Die erstern Wochen mußte Reinhald in einem hohlen Baume abwarten, wo ihn die Schwester von ihren Vorräthen versorgte. Sie warnte ihn vor Edgars scharfem Adlerblick, und erzählte er habe erst gestern drei Knappen des Bruders, die diesen im Walde aufsuchten, die Augen ausgehackt, und die Leber ausgefressen. Mit der Schwester aber konnte Rein und Gespräch halten, wenn der Adler vom Neste flog, denn unter sieben Stunden kehrte er niemals wieder zurück.

Als nun die gute Stunde der Verwandlung kam, da gab es ein Freudenfest. Das Nest war auch zum Schlosse geworden, wie zuvor des Bären Höhle, und fehlte es daselbst an keiner fürstlichen Pracht noch Lust, die sieben Tage währten.

[201] Am Abend des siebenten Tages bat Edgar den Schwager, er möchte nun scheiden, und nicht in seinem Gehege verweilen, damit er nicht wider Willen ihm Leides thun müsse. Und als Reinhald fragte, ob er ihn und die Schwester denn gar nicht könne erlösen? sagt der Schwager: »Nein,« wofern er nicht den Schlüssel der Bezauberung fände. Wenn er aber dazu ersehen sei, werde sich Alles schon selbst fügen. – Damit zog Edgar drei Adlerfedern aus seiner Tasche, und gab dieselben dem Reinhald, damit er sie zwischen den Händen riebe, wenn er einmal in Noth käme.

So schieden sie nun von einander, mitten in der Nacht, und als die Sonne aufstieg, war das Schloß verschwunden, welches zuvor über alle Bäume hatte hervor geragt, und war das Wunderkind vorher durch herrliche Alleen vor Waldbäumen gegangen, so befand es sich nun in einer traurigen Einöde, auf einem Felsenabhang, welcher sehr schroff war. Da erblickt es auf dem Felsen einen großen See, wo es die Schwester Bertha zu finden verhoffte.

Drei Tage arbeitete sich Reinhald durch Sumpf und Moor, durch dichten Wald und Gebüsch, ehe er an den See kam, und wie er daran gekommen war, ging er am Ufer hin, und suchte die Wohnung der Schwester. Aber da war nirgends ein Gebäude. Er rief die Schwester, aber Niemand antwortete. Er befahl den Forellen, sie sollten der Schwester ansagen, ihr Bruder, das Wunderkind sei so eben ganz frisch angekommen, aber die dummen Fische verstanden ihn nicht, und schwammen spielend davon.

»Finden muß ich sie dennoch,« sagte Reinhald; und weil er schwimmen konnte wie die Forellen im See, legte er sein Wehr und Waffen ab, behielt nur sein Schwert, und stürzte sich in den See. Und als er lange geschwommen war, da sahe er einen dünnen Nebel aufsteigen, und steuerte darauf zu, und fand eine hohle Säule von Bergkrystall, die ragte ein wenig über dem Wasserspiegel hervor, und es stieg daraus ein wohlriechender Rauch auf. Er [202] hielt sie für den Feuerschlott (Eße) von der Wohnung seiner Schwester, und stieg kühnlich hinein. Er hatte sich auch nicht getäuscht, sondern kam in das Schlafgemach der holden Schwester, die eben beim Frühstück saß, welches über einem kleinen Feuer von Sandelholz warm erhalten wurde. Sie erschrack nicht wenig, als ein Paar Menschenbeine aus dem Schlotte herunter zappelten, und ein Menschenkörper nachfolgte, und sank ohnmächtig auf ihren Stuhl zurück, aber Reinhald rüttelte sie wieder zurecht, und gab sich ihr zu erkennen, und als sie ihn bat, sich schnell zu entfernen, damit er sich und sie nicht ins Unglück bringe, sagte er: er fürchte sich gar nicht, und er verließe sich auf sein gutes Schwert. Ohs nun damit großer Ernst mochte gewesen sein, kann wohl leicht zu errathen stehen, denn er sagte doch auch zu der Schwester, sie möchte einen Versteck für ihn suchen.

»Ach du siehst ja, sprach die geängstete Bertha, daß die Wohnung von Kristall, und alles so durchsichtig ist wie die Luft.« Da er denn aber nicht weichen noch wanken wollte, wußte sie in der Angst keinen andern Rath, als den Bruder in der Holzkammer zu verbergen, und zu dem Ende verschränkte der Ritter das Holz und verbarg sich darin, und Bertha schmückte sich so schön als sie vermochte, damit sie dem Fischungeheuer gefalle, wenn dasselbe nun käme, und es desto weniger etwas Verdächtiges vermuthen möge, wenn es die Krystallwohnung umkreiste, welches es täglich einmal that.

Das Rauschen und Brausen der Wellen, und ihr Wirbeln um den Glaspalast her, meldeten die Ankunft des großen Fisches. Er stand außen vor Berthas Gemach, und glotzte die schöne Frau mit seinen Augen stier an, verschluckte Ströme von Wasser, und stürzte sie wieder aus seinem Schlunde hervor. Bertha war in unsäglicher Angst, die sich auf ihrem Gesicht verbreitete, denn sie konnte nicht wie viele Damen heiter sehen, wenn sie Traurigkeit und Angst hatte, und nicht freundlich, wenn sie Haß und Zorn im Herzen trug. Der [203] Seekönig faßte Verdacht, und umkreiste tobend das Glashaus als wollte er es zersprengen. Bertha bebte vor Angst, aber zum Glück konnte das der Fischgemahl nicht sehen, denn er hatte durch seinen Ungestüm das Wasser getrübt. Da zog er denn ab.

Alle Tage umkreiste das Ungeheuer wohl dreimal den Glaspalast, und durchspähete mit seinen Glotzaugen alle Winkel desselben. So gingen fast 6 Monat hin, aber im siebenten trat mit dem Vollmond die Stunde der glücklichen Verwandlung ein, und Reinhald befand sich beim Aufwachen in einem königlichen Palast, auf einer wunderschönen Insel mit Marktplätzen, Lustgärten und schönen Gebäuden versehen, und auf den Kanälen schwammen lustige Gondeln hin und her, und Alles war voll Leben, Gewerbe und Lust.

Mit seinem Schwanger, Ufo genannt, wurde Reinhald recht vertraulich, denn er konnte einen ganzen Monat lang bei ihm bleiben, weil Ufo immer nur den ganzen siebenten Monat ein Mensch war.

Aber eines Abends wurde dem Ritter gesagt, daß es Zeit sei Abschied zu nehmen, und der Schwager Ufo sprach ihm ernstlich zu, er möge nun nach Hause reisen, und seine bekümmerten Aeltern erfreuen, die ihn überall suchen ließen.

Ufo merkte, daß seine Worte wenig Eingang fänden, und nahm daher drei Fischschuppen aus seiner Tasche, und gab sie dem Schwager, und sagte: »Reibe sie zwischen den Händen, wenn dir einst Hülfe wird noth thun.« –

Eine reich gezierte Gondel brachte Reinhald ans Ufer. Kaum war er ausgestiegen, so verschwand die Gondel, und die Insel mit ihren Bewohnern, Gärten und Plätzen war zugleich mit verschwunden. Der junge Ritter befand sich an derselben Stelle, wo er in den See gesprungen war, und fand auf derselben alle seine Waffen wieder.


[204] Das Wunderkind zweifelte nicht, es sei bestimmt den Schlüssel der Bezauberungen zu finden, weil es doch Wunderkind heiße, und durchstrich den Wald dahin und dorthin, wohl sieben Tage lang. Um die endlosen Wildnisse zu überschauen, erkletterte es einen himmelhohen Felsen, bis auf die Spitze. Da erblickt es in einem von Felsen umschlossenen, mit Tannen und Zypressen umkränzten Thale einen seltsamen großen Bau, wie wenn ein altes Todtendenkmal dort aufgerichtet wäre, und sehr große Marmorsäulen, welche ein Gebälke trugen. Unter denselben war ein großes Thor von Stahl, mit starken Bändern und Riegeln, und es hing ein Schloß davor, größer als ein Ochsenkopf. Und ein großer schwarzer Stier marschirte im Grase vor dem Thore auf und ab, gleichsam wie eine Schildwache.

Reinhald meinte, hier müsse der Schlüssel der Bezauberung zu erhalten stehen, und beschloß den Stier zu erlegen. Er kletterte von seiner Felsenspitze herab, und kam demselben immer näher. Aber der Stier that gar nicht, als ob er ihn sähe. Als aber Reinhald immer näher kam, da lief der Stier schnaubend hin und her, rannte dumm wie ein Stier mit den Hörnern gegen den Felsen, daß große Stücke davon abflogen, und stampfte mit den Füßen die Erde, daß sie in Staub aufflog.

Der Stier kam auf den Ritter zu, und dieser führte einen gewaltigen Hieb auf ihn, um ihm mit Einem Streich den Hals abzuhauen. Aber das Ungethüm war verzaubert, und das Schwert zersprang in Stücken, und Reinhald behielt nur das Heft in den Händen. Jetzt wollt' er den Stier mit der Lanze abwehren, die aber zerknickte wie ein Schilfrohr. Nun war Reinhald wehrlos, und das grimmige Unwesen erfaßte ihn mit den Hörnern, und schleuderte ihn in die Luft wie einen Ball, und lauerte nun auf, um ihn, wenn er herab fiele, mit den Füßen zu zertreten, oder mit den Hörnern aufzuspießen. Zu seinem Glück fiel Reinhald zwischen die Aeste eines [205] hohen Baums. Da war er aber auch nicht sicher, denn der Stier stieß so gewaltig gegen den Stamm, daß sich der Baum aus seinen Wurzeln hob, und umstürzen wollte. Da wars denn aus mit dem Muthe des Ritters. In der höchsten Angst jedoch, fielen ihm die Haare des Barenschwagers ein, und er rieb dieselben aus Leibeskräften.

Da kam sogleich mit großen Schritten ein mächtiger Bär daher getrabt, der kämpfte einen harten Kampf mit dem Stier, und zerriß ihn zuletzt. Aber aus dem Bauche des Stiers flog ein streuer Entvogel mit großem Geschrei in die Höhe. Reinhald merkte nun wohl worauf es ankam, und rieb schnell die Federn vom Schwager Aar zwischen den Händen. Da kam hoch in den Lüsten daher ein mächtiger Adler, vor welchem der Entvogel sich furchtsam ins dicke Gebüsch nieder duckte, so daß ihn der Adler nicht erspähen konnte. Aber Reinhald hatte gesehen, wo er sich niederließ, und scheuchte ihn auf und verfolgte ihn, und der Entvogel flog immer weiter und weiter, bis endlich der Wald lichter wurde. Da flog der Vogel nach dem Weiher zu, und alsbald stieß der Adler auf ihn und zerriß ihn; aber indessen der Vogel zerrissen warde, ließ er ein Ei in den Weiher fallen.

Da rieb Reinhald die Schuppen von dem Schwager Ufo, und sogleich kam im Weiher ein großer Fisch, der verschluckte mit dem weit aufgesperrten Rachen das Ei, und spie es ans Land.

»Da steckt der Schlüssel der Bezauberungen darin,« dachte Reinhald, und als er das Ei mit einem Steine aufschlug, lag fürwahr ein kleiner Goldschlüssel darin. Mit diesem eilte er zum stählernen Thor zurück, und obwohl der Schlüssel für Schloß und Thor viel zu klein schien, sprangen beide doch auf, alsbald sie vom Schlüssel nur angerührt wurden, und die mächtigen eisernen Riegel schoben sich von selbst zurück.

[206] Der Ritter stieg in düstres Gewölbe hinab, und ging durch sieben prächtige Zimmer, die mit sieben Thoren versperrt waren, welche durch Berührung mit dem Goldschlüssel sich sogleich aufthaten. In allen Zimmern brannten die prächtigsten Kerzen.

Reinhald kam darauf auch in sieben Kammern, und zuletzt in ein Kabinett. Hier lag eine wunderschöne junge Dame auf einem Ruhebettlein; aber sie lag im Todtenschlaf, denn ihr Schlaf war bezaubert. Reinhald scharrte, hustete, schneuzte sich, nieste, aber das schöne Todtenbild blieb unerwecklich. – – Ihr gegenüber befand sich auf einer Marmorsäule eine seltsame Tafel von Alabaster, und wundersame schwarze Zauberzeichen waren darauf eingegraben. Sein Geist verrieth dem Ritter, dieß sei der Talisman, von welchem alle Zaubereien des Waldes abhingen.

Er wollte den Talisman zernichten, und schlug mit seiner mit eisernem Handschuh gewaffneten Faust tüchtig darauf, und die Schläferin fuhr schreckhaft auf, aber sie versank sogleich wieder in festen Todtenschlaf, als die Schläge aufhörten. Das geschahe noch einigemal, aber weil Reinhald die Tafel nur erschüttern, aber nicht zerschmettern konnte, so wachte das Mädchen auch nicht völlig auf. Da nahm er die Tafel zwischen beide Hände, und warf sie mit großem Krachen auf den Marmorboden. Alsobald zertrümmerte sie in viele Stücke, und die Schläferin erwachte nun ganz, und Reinhald sagte ihr vor allen Dingen, daß er das Wunderkind sei, und erzählte was sich hätte begeben, und die Erwachte dankte ihm mit vielen süßen und holden Worten. – Alles wie sichs gehört.

Lange dauerte es, ehe sich Beide aus den tiefen Höhlengängen heraus ans Tageslicht fanden, denn alle Lichter, welche zuvor gebrannt hatten, waren erlöscht. Aber als sie heraus gekommen waren, erzählte ihm die Auferweckte ihre ganze Geschichte.

»Hildegard heiße ich, hob sie an, und bin eine Tochter des Fürsten von Pommerland. Zornebock, der Fürst der Sorben wollte [207] mich haben zu seiner Hausfrau, aber weil er ein Heide war, und ein Riese, und ein abscheulicher Schwarzkünstler obendrein, so mochte ich ihn nicht, und der Vater mochte ihn auch nicht. Da bekriegte er den Vater, und schlug ihn in der Schlacht todt, und nahm ihm all sein Land. Ich floh zu Vaters Schwester, der Gräfin Vohburg, denn meine drei Brüder, die tapfere Ritter waren, waren auf Ritterzügen auswärts. Als ich einmal mit dem Oheim auf die Jagd wollte reiten, brachte mir ein unbekannter Stallmeister im Namen seines Herrn, den er aber nicht nennen wollte, einen wunderschönen Schimmel, und bat, ich möchte ihn erst versuchen, und wenn er mir gefiele, behalten; dann wolle er mir seinen Herrn schon nennen. Herrlich war das Pferd, und reich mit Gold und Edelsteinen geschmückt, und es gefiel meinen Augen gar sehr. Auch sahe es so sanft und fromm aus – und ich dachte ja nichts Arges. Es ging anfangs so lenksam, und so leicht, daß es die Erde kaum mit den Hufen berührte. Es setzte über Hecken und Graben, man fühlte es kaum, und kein Reiter konnte ihm folgen.

Mir stieß ein weißer Hirsch auf, den ich verfolgte. Neckend führte er mich immer weiter und tiefer in den Wald, und da ich ihn nicht einholen konnte, wollt ich umkehren zu den Jägern, die weit hinter mir waren. Da widerstrebte mir das Roß und bäumte sich wild, streckte zwei große Flügel aus, Kopf und Hals verwandelte sich in einen Vogelhals mit Greifenschnabel, und es stieg mit mir sausend in die Luft, und hielt vor einer stählernen Pforte eines alten Schlosses stille.

Es kam der Stallmeister, der mir früh den Schimmel anbot, und half mir aus dem Bügel. Er führte mich durch viele Prachtzimmer, worin viel Gesellschaft war. Der Stallmeister war aber Zornebock selbst, der nach wenigen Tagen in Gestalt eines langen Zigeuners um meine Liebe flehte, aber ich verabscheute ihn von Herzen. [208] Mehrmals bat er, ich möchte ihn doch lieb haben, ich sollte es ja recht sehr gut bei ihm haben. Aber wenn ich meinen Abscheu blicken ließ, so wurde er wild und wüthend, und dräuete, er wolle mich unter den Trümmern des alten Schlosses begraben; – das wünschte ich ja eben.

Einmal stürzte er in voller Wuth aus meinem Zimmer, da bebte die Erde unter mir, und das Schloß schien in den Abgrund hinein zu rollen. Ich verlor meine Besinnung, und sank in einen Todesschlaf, aus dem er mich aber nach Tagen oder Wochen oft wieder erweckte, und bat: ich sollte ihn lieb haben. Das konnt ich nicht, und kein Mensch hätte es gekonnt. ›Nun so schlaf denn,‹ sagte er, und hob die Tafel auf die Säule, die Ihr zertrümmert habt. Da schlief ich denn, ich weiß nicht wie lange. Er sagte mir zuvor noch, daß er meine Brüder und alle ihre Leute in große und kleine Thiere verwandeln wolle, wenn ich ihn nicht lieb würde haben. Ich weiß aber nicht, ob er das wird wahr gemacht haben?« – Also erzählte Hildegard.

Reinhald erzählte ihr dagegen nun von seinen Abentheuern, woraus sie wohl sahe, daß ihre Brüder von Zornebock seien wirklich verwandelt worden.

Indem sie noch darüber sprachen, kamen daher Pferde und Wagen, Reiter und Fußleute und allerlei Volk. Das waren die drei verzauberten Schwäger mit ihren Kindern und Leuten, die nun alle wieder Menschen waren. Alle umhalseten und küßten sich, und zogen nun nach dem alten Waldschloß, und schickten nach dem alten Graf und der Gräfin, die sogleich zum Waldschloß hin fuhren.

Da war denn viel Freude und Herrlichkeit, ein ganzes Jahr lang. Dann zog Albert der Bär fort, und kaufte das Land Bernburg, wo er die Stadt gleiches Namens erbauete. Edgar der Aar zog in die Schweiß und bauete Aarburg, die von ihm, wie der [209] Fluß Aar, der daneben fließt, den Namen hat. Ufo aber der Delphin, eroberte ein Land in Frankreich, welches daher das Delphinat (Dauphiné) hieß. Zornebock war im Kriege gegen die Königin Libusa in Böhmen umgekommen, die noch mehr Künste konnte als er, und so konnte er denn Niemanden mehr etwas thun. Reinhald aber heirathete die schöne Hildegard, die Schwester der Schwäger, und blieb mit ihr bei den alten Aeltern in rechter Liebe; und Alle lebten nun in großem Vergnügen, und in Lust und Freude, bis ans Ende.

Esels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[210] Esels Glück.

Eine Königin hatte zwar Alles, indem sie Königin war, aber keine Kinder, und das verbitterte ihr all ihr Glück und Herrlichkeit, und sie dachte, sie hätte so eigentlich gar Nichts. – Da plagte und plackte sie denn den Himmel mit ihren Bitten so lange, bis sie ein Kind bekam, aber das Kind war ein klein artig Eselein, mit gar seinen langen Oehrlein. Da entsetzte sich die Königin, und wollte das niedliche Thierchen ins Wasser werfen lassen; aber der König verbot das alles Ernstes, denn das Eselein gefiel ihm aus der Maßen wohl, und er dachte: es ist doch immer mein Sohn, obwohl es ein wahrer Esel ist, und meinte, was einmal der Himmel hätte bescheert, das müsse man halten der Ehren werth. Und darauf er: klärte er vor allen Großen seines Hofs öffentlich, der Esel sollte sein Thronfolger werden; denn er mochte wohl denken, wenn Löwen und Tiger und Stiere auf Thronen gesessen haben, warum nicht zuweilen auch ein Esel?

Den Großen des Reichs schien das Ding zwar bedenklich, allein sie behielten das bei sich, und rühmten den königlichen Gedanken des Königs – denn weil der Gedanke von dem König kam, so mußte er auch königlich sein, – und übrigens wären die großen Herren am Hofe ja recht klein geworden, hätte sie sie der König von seinem Hofe gejagt.

[211] Also wurde der kleine Eselprinz aufgezogen und wohl gepflegt, und die Ohren wuchsen ihm hübsch hoch und gerade hinauf, und die Schneider hatten mit ihm keine Noth, denn seine tüchtige Haut war sein Kleidchen.

Und bald ward das Eselein am ganzen Hofe beliebt, denn es machte tausend poßirliche und kurzweilige Sprünge, und spielte mit aller Welt, die am Hofe war, und wenn Musik, welche es gar sehr liebte, an Ball- und Festtagen gemacht wurde, so tanzte es darnach gar manierlich und verwunderlich.

Das Eselein ging zu einem berühmten Spielmann in der Nachbarschaft, der oft am Hofe aufgespielt hatte, und sprach: »Mein Spielmann, ich möcht' deine Kunst wohl lernen, und die Laute auch so gut schlagen können, als du, und ich wollte dirs wohl gut lohnen.«

»Ach liebes Junkherrlein, sprach der Spielmann, das möcht ein schwer Ding sein, denn Eure Fingerchen sind nicht so allerdings dazu gemacht, und die Saiten möchtens nicht aushalten.« Aber das Eselein ließ nicht ab, und der Spielmann nahms in die Lehre, zumal weil es doch ein Prinz war, und es war so fleißig und aufmerksam und so anstellig, daß es in kurzer Zeit dem Meister fast gleich kam, und daß es am Hofe aufspielte, und sich Alle verwunderten, und bei sich sprachen: »Wer hätts denn gedacht, daß ein Esel könnte die Laute schlagen lernen?« – Er konnts aber.

Einsmals ging er nachdenksamlich spazieren, kam an einen Brunnen, und sahe seine traurige Gestalt, und ward, weil er so unmenschlich aussahe, auch unmenschlich betrübt, und aus Betrübniß zog er hinein in die Welt, obwohl er leicht wissen konnte, daß er deshalb nicht aufhörte, ein Esel zu sein. – Er zog hinein in die weite Welt, und nahm seine Laute und einen treuen Gesellen mit; – er zog dahin und dorthin, und sähe viel Esel und anderes Gethier, und noch sonst viel und mancherlei, und kam zuletzt in ein [212] Reich, wo ein alter König regierte, der eine wunderschöne Tochter hatte, und ein recht braver und lieber Mann war.

»Hier wollen wir bleiben, lieber Geselle,« sprach der Esel, und klopfte ans Schloßthor, stark und immer stärker; aber es that ihm Niemand auf, weil man nicht wußte, obs ein Esel von Stand und Range war, welcher da klopfte; – denn die andern gelten nichts.

Als nun nicht aufgethan ward, spielte er lustig und traurig, lieblich und bekümmerlich die Laute mit seinen Füßen.

Da lief der Thürhüter zum König, und sprach: »da ist vor dem Schloßthor ein wundersamlicher Esel, der Einlaß begehrt, und die Laute wunderlieblich schlägt.«

»Ei, sprach der König, laßt mir den Spielmann nur flugs herein.« So kam er denn hinein, und ließ mit seiner Laute sich hören, und alle lachten über den Lautenisten, und verwunderten sich doch auch über ihn.

Das Eselein sollte nun aber auch gespeist werden – nämlich, wohl verstanden, unser Eselein sollte nicht gespeist oder gegessen werden, und zu einer guten Mahlzeit und Fleischbrühe dienen, sondern er selbst sollte eine gute Mahlzeit halten. So hieß man es denn sich zu den Knechten und Dienstvolk setzen, und essen; aber das wollte es nicht, und sagte, das schicke sich nicht für seinen Rang. »Nun hieß es, so setze dich denn zu den Kriegsleuten.« – Aber das Eselein wurde gar böse und zornig wie ein Leu, und sprach: »das sind ja doch auch nur Knechte, Sackerlot! Ihr denkt wohl, ich sei nur so ein gemeiner Müller- oder Stallesel? da irrt Ihr gar sehr; ich bin gar ein vornehmer Esel; nämlich ein Prinzenesel oder Eselprinz, und wenn Euch das noch nicht deutlich genug ist, so wißt daß ich ein Prinz und ein Esel zugleich bin, und also neben dem König sitzen muß, denn es schmeckt mir nur an königlicher Tafel.« – Und damit schlug er hinten aus, und schrie: »Yah, hah, hah, Yah!«

[213] »So solls denn auch sein,« sprach der König, dem der lustige und anmuthige Esel gefiel; und er saß neben dem König, und aß und trank mit ihm.

Das Eselein blieb eine feine Weile am Hofe, nur wurde es jeden Tag trübseliger, das machte, der Esel hatte die wunderschöne Prinzessin gar lieb gewonnen, dachte aber sie würde ja doch keinen Esel zum Gemahl nehmen, und darin dachte er nicht eselsdumm, sondern eselsklug. – Ih nun! dafür wars denn auch kein gemeiner gewöhnlicher Kakesel, sondern ein vornehmer Esel; – denn je vornehmer der Esel, desto klüger, und mancher Esel ist schon deshalb grundklug, weil er sich vornehm und gelehrt stellt, wenn ers auch grade nicht ist.

So trat er denn vor den König mit traurig gesenkten Ohren, und niederhängendem Kopfe, und begehrte seinen Urlaub.

Der König sprach: »Ach was ist dir denn, du lieber Esel? du siehst ja so sauer wie ein Essigtopf; was willst du denn haben? Du weißt ja daß ich dich nicht lassen kann, weil ich dich so lieb habe. Willst du Gold? – willst du Silber? – willst du Kostbarkeit und Edelgestein? willst du mein halbes Reich? ich will dirs ja herzlich gern geben.«

Aber der Esel sprach: »Nein, nein! Nein, nein!« und schüttelte mit dem Kopfe kläglich dazu.

Der König hatte doch etwas gemerkt, und sprach: »ich möchte dich gar zu gern behalten, und fröhlich und guter Dinge sehn. Möchtest du denn wohl gar mein Töchterlein wollen haben?«

Da sagte seufzend der Esel: »Ja, ja! Yah, ja! das möcht ich so gern.«

»Nun so sollst du es denn haben, sprach der König; denn er dachte in seinem Herzen, 's ist doch fürwahr einerlei, ob meine Tochter diesen Esel bekommt oder einen andern; denn Esel ist Esel.«

[214] Der Esel wurde lustig und guter Dinge, und es wurde eine große und prächtige Hochzeit gehalten.

Als nun der Esel mit der Prinzessin in der Hochzeitskammer war, legte er die Eselshaut ab, und wurde ein stattlicher jugendlicher Prinz, welches der König sogleich erfuhr, weil er einen alten treuen Diener sich in der Brautkammer hinter den Tapeten hatte verstecken lassen.

Der Diener hatte erzählt was sich begeben hätte, und rieth nun in der nächsten Nacht, wenn der Esel seine Haut wieder ablegte, dieselbe ins Feuer, zu werfen und zu verbrennen, um der Eselei ein Ende zu machen.

So geschah es, und der Esel wurde und blieb nun ein ordentlicher Mensch, und die Prinzessin hatte ihn gar lieb, weil er so fein und schön war, und so manierliche Sitten hatte.

Ei nun, das ist keine Kunst. Wenn man einmal die Kunst gelernt hat die Eselsbaut abzulegen, so lernt man auch wohl die, alsdann ein ordentlicher Mensch zu werden.

Aber es ist doch nur ein wahrhaftiges Mährchen.

Die kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[215] Die kluge Trine.

Die Trine war Hansens Braut und war hübsch, und klug obendrein, denn sie wollte nur essen und schlafen und nicht arbeiten, welches doch ganz klug war. Aber die Leute im Dorfe hießen sie nur, »die dumme Trine,« weil sie selbst recht dumm waren, und nannten sie auch wohl, »die faule Trine.« Wir wollen aber gleich sehn, daß sie sehr klug und auch flink war.

Es war einsmals nach dem Mittagsbrot, nachdem sie ein paar Stündchen genickt hatte, daß sie mit sich selber sprach – denn sie papelte mit sich selber sehr gern, und unterhielt sich selbst, wenn sie eben nicht aß oder schlief.

Sie sprach: »was soll ich nun machen? – Soll ich nun essen oder schlafen, oder auf die Arbeit gehen? – – Ih die Arbeit wird mir nicht gleich davon laufen, und geschlafen hab ich ja schon ein paar Stündchen; so will ich denn lieber ein wenig essen!«

Und damit ging sie über den Schrank und holte sich ein halb Brodlaibchen, ein Pfundchen Speck, und ein Rothwurstchen, nicht dicker etwa als ihr eignes Aermchen, und knabbert ein bischen daran, bis Alles auf war. – Nun das war ja denn freilich nicht viel, zumal das Mittagsessen schon zwei Stündchen vor über war.

[216] Nachdem eines aufgeknabbert war, ward sie darüber müde, obschon es nicht viel gewesen war, und schlief noch ein klein Bischen ein. Als sie nun aufwachte, war sie flink auf, aber da ging es schon spät auf die Nacht. Da sprach sie: »ja, gegen die Nacht hin kann man doch nicht mehr auf die Arbeit gehen, und schlief wieder ein wenig ein.«

Einsmals hatte sie auch so ein wenig sich wieder zur Ruhe gelegt, und lag in süßen Schlaf verfallen; als der Hans kam, und sie in ihrer Kammer fand. Der nahm sein Messer, und schnitt ihr den Rock ab, bis auf die Knie.

Trinchen wachte bald darauf auf, und denkt: »nun mußt du fürwahr zur Arbeit,« und ging denn auch auf die Arbeit, aufs Feld hinaus.

Als sie nun hinaus kommen war, sah sie den gar sehr kurzen Rock, dergleichen sie ja sonst keinen hatte getragen. Da ward sie irr und erschrack sehr, und wußt nicht ob sie es selbst war, oder ob sie es nicht war, und fragt sich selbst: »bin ichs, oder bin ichs nicht?« – Aber sie wußte sich aus der Verwirrung nicht so gar gleich heraus zu finden, weil es denn doch eine gelehrte Sache war, und sie die Gelahrtheit eben nicht hatte gelernt.

Aber die Trine war doch klug und gar witzig, und dachte: »ich will mir doch schon heraus helfen.« Du willst nach Haus gehen, sprach sie zu sich selbst, und fragen, ob du es denn bist, oder nicht bist? denn die Andern werden's schon wissen, wie es ist.

So that sie denn auch!

Sie geht zurück ans Haus, klopft ans Fenster und spricht:

»Ist denn Hansens Trine drinnen?«

[217] »Ja! die wird denn wohl drinnen sein, und in ihrer Kammer schlafen!« war die Antwort, denn die Leutchen dachten, sie schliefe gewiß wieder.

»Nun da bin ich die Trine ja nicht, sagte sie vergnügt, da bin ich eine Andere, und gehöre ins Dorf nicht.«

Und somit geht sie zum Dorf hinaus, und soll heute noch wieder kommen.

Wo sie denn aber so recht eigentlich geblieben, hat man auch nicht können erfahren. Genug daß sie fort war, und daß der Hans über die Trine kein Leide trug, obwohl sie so klug war.

Der vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[218] Der vortheilhafte Schweinehandel.

Nicht einmal ein Schwank, sondern eine Schnurre; aber gar lustig und lieblich zu lesen.


Ist aber Alles nicht wahr.


Es war einmal ein Menschenkind, der keinem Menschen etwas zu Leide that, außer daß er ihnen die Schweine so bei Gelegenheit stahl, und dabei so künstlich und geschickt zu Werke ging, daß niemand wußte, wohin die Schweine gekommen waren, und also keiner auf ihn rathen konnte.

Daß er ein grundehrlicher Dieb war, ersieht sich daraus, daß er alle vier Wochen in der Beichte dem Pater beichtete, er habe vier oder fünf oder sechs Schweinchen dem und dem gestohlen.

»Das mußt du wieder erstatten, mein Sohn, sagte der ernste Pater im Anfang, und sollst mir das Geld dafür bringen, damit ichs den Leuten wieder gebe, und du vor der Welt nicht zu Schanden wirst.«

»Ja, ja, Herr Pater, sagte er, das muß ich, und sehe es wohl ein,« und brachte dem Pater auch das Geld, und der ehrwürdige Pater stellt es den Bestohlenen gewissenhaft unter dem und jenem Vorwand wieder zu.

[219] Dauert nicht so lange, kommt Peter Mäffert wieder, und beichtet kläglich: »hochwürdiger Herr Pater, habe wieder Schweine gestohlen, vier oder fünf.«

»Ei, ei, sagt kopfschüttelnd der brave Pater, das mußt du dir abgewöhnen, das Schweinestehlen, und die Schweine mit Gelde erstatten.«

»Ja, ja, hochwürdiger Vater, ich will mir's abgewöhnen, und Euch das Geld für die Schweine bringen; und er brachte das Geld, und der fromme Pater erstattete es.«

Noch drei oder vier Mal kam der Dieb, und bekannte: »hochwürdiger Vater! ich habe wieder ein paar Schweinchen gestohlen,« und erstattete auch diese Schweinchen wieder im Gelde.

Als nun der Schweinediebstahl gar nicht aufhörte, da wurde doch endlich der Pater eifrig und zornig, und sprach: »kannst du denn das Schweinemausen gar nicht lassen? – und ist dirs denn angeboren? – oder gar angezaubert?«

»Ach Herr, 's ist mir wohl weder angeboren noch angezaubert, denk ich, und ich würd's wohl lassen können.«

»Nun, sprach der Pater, warum lässest du's denn nicht?«

»Ach lieber Herr Pater, das will ich Euch ehrlich sagen: Geht, wenn ich die Schweine kaufen will, muß ich den Hallunken ja geben was sie fordern, denn sie wissen schon, daß ich Schweine haben muß zu mei nem Handel; aber wenn ich sie ihnen mause, und dieselben durch Eure gütevolle Hand wieder erstatte, so mache ich mir den Preis selbst, und komme viel wohlfeiler dazu.«

So sagte er!

Abu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[220] Abu Haßan.

Ein Kaufmann zu Bagdad, der alten Stadt der arabischen Khalifen, hatte eine Frau hinterlassen, und einen Sohn, und weil er sehr reich war, auch viel, sehr viel Geld. Daß ers hinterließ, das macht, daß er gestorben war, denn sonst hätt er es gewißlich noch selbst behalten.

Der Sohn war an 30 Jahr alt, als er seines Vaters Erbe wurde, und begriff wohl, es sei eine herrliche Sache sorgenfrei und lustig leben zu können, mit so vielem Vermögen. Das war aber auch das Einzige, was er so recht begriff, denn an Verstand hatte ihm der knauserige Vater eben nicht mehr hinterlassen, als was er so von sich selbst mit zur Welt gebracht hatte. Der Herr Vater aber hatte blos darum viel hinterlassen, weil er an allem erknauserte, selbst an der Bildung des Sohnes – doch was geht uns der Geldkasten vom Vater an, zumal da er todt ist; wir haben es mit seinem Sohn zu thun, mit Abu Haßan, der noch lebt, und nun erst recht zu leben sich vornahm; so nämlich wie Er sich das rechte Leben dachte. Eingezogen und kärglich war er gehalten worden, nun sollte es aber ganz anders gehen, denn er konnte es ja den Söhnen der reichsten Väter gleich oder gar zuvor thun, weil er Geld genug hatte.

Er theilte sein Geld und Gut in zwei gleiche Theile – den einen Theil zu Jubel und Lust, den andern aber, für welchen er [221] Landgüter kaufte, bestimmte er für den Fall, daß, wenn der erstere versaußt sein würde, er immer noch anmuthig und anständig davon leben könnte. – Man sieht, daß von des Vaters vorsichtiger Kaufmannsnatur auch auf ihn etwas war übergegangen.

Haßan, der so lange wie ein Einsiedler gelebt hatte, und hatte fast keinen Menschen gekannt, fand auf einmal eine große Menge Freunde, die so viel Liebenswürdigkeiten und Tugenden an ihm fanden, daß er gar nicht begreifen konnte, wo dieselben auf einmal herkämen, und wie sie so lange in ihm hätten verborgen bleiben können, zumal da ihn der Vater immer nur Dummhut, Tölpel, Freßsack und Taugenichts und mit andern so schönen und anmuthigen Namen genannt hatte.

Die Liebenswürdigkeiten und Tugenden aller Art fanden sich aber da, als er den Freunden die glänzendsten Feste gab, die vom Abend an, bis zum Anbruch der Morgenröthe währten. Da waren die ausgesuchtesten Gerichte, aus den fernsten Gegenden der Erde; die seltensten und feinsten Weine, von denen sie eigentlich keinen Tropfen trinken durften, weil sie Muhamedaner waren, – sie thaten es aber doch, und tranken tapfer drauf los. Da waren die theuersten Spielleute, die herrlichsten Sängerinnen mit Engelstimmen, Tänzerinnen wunderschön, und in allen Sprüngen und Hüpfen gewandt; die schönsten Sklaven und Sklavinnen dienten bei Tische, und am Ende schloß sich immerdar das Fest mit einem Ball, wo Alles durcheinander ging.

So ging es Abend für Abend und Nacht für Nacht, und Alles was in dem großen und reichen Bagdad, hoch und vornahm, glänzend und reich, kunstreich und kostbar war, fand man bei Abu Haßan beisammen.

Aber die Herrlichkeit konnte doch ewig nicht währen. Sie hielt etwa zwei Jahr aus, und dann war es damit auch wirklich aus.

[222] Und da nun die Stille und Einsamkeit in Haßans Haus eingezogen, waren die Freunde mit ihren Lobpreisungen seiner Liebens würdigkeit und Großmuth ausgezogen, und ließ sich keiner erblicken. Es war als wären sie alle gestorben, obwohl Haßan noch viele der selben auf den Straßen lebendig sahe, die ihm aber sämtlich schon auf hundert oder gar tausend Schritt auswichen.

Das kränkte den Haßan sehr, und er grämte sich darob mehrere Tage, und saß mit unterstütztem Kopfe in seinem Sofa gar trübsinnig. Nicht das verlorne Geld that ihm weh, sondern die Untreue derer, die sich seine Freunde hatten genannt, und hatten ihm Liebe und Treue auf Noth und Tod geschworen mit theuern Schwüren, und nun thaten, als habe er niemals gelebt. – Den weltklugen und selbstsüchtigen Leuten mit feinen Schnüffelnasen begegnet so etwas nicht leicht, und den ausgemachten Spitzbuben noch weniger, aber Haßan kannte die Welt nicht, und war eine treuherzige Haut.

Es kränkte ihn, und er grämte sich darob so sehr, daß er ordentlich verfiel. Die Mutter wollte ihn trösten, und sagte, er habe ja noch genug, und könne ruhig in die Welt hinein sehen, und sich noch manchen guten Tag machen. Aber Haßan antwortete, das sei es auch nicht, was ihm so weh thue; aber daß die Menschen, die er so lieb gehabt habe, so – so – ach so gar grundschlecht wären, das habe er nicht erwartet, und schmerze ihn weit mehr.

Da setzt ihm denn die Mutter auseinander, daß es nun einmal in der Welt leider also zustehe und zugehe, und heiße das der Weltlauf, in den man sich denn schon müsse schicken, wenn man sich nicht täglich wolle ärgern oder betrüben!

»Ach Mutter! rief Haßan, was Ihr da sagt, das ist gar nicht gut, sondern erbärmlich! Ach einen treuen Freund fürs Leben, nur Einen einzigen möchte ich haben; dem wollte ich auf Leben und Tod zugethan bleiben. Ich will suchen, ob ich ihn finde? – Vielleicht ist unter meinen Abend- und Tischgenossen, doch noch Eine treue [223] Seele – vielleicht finde ich sie heraus, und ich habe mirs schon ausgedacht, wie ich das anfangen will.«

»Mein Sohn! antwortete die Mutter, Gott lasse dich finden, was du sucht. Aber rechne nicht gar zu gewiß darauf, sondern glaube mir, es ist ein sehr rarer Fund. Und was deine Spieß- und Spaßgesellen betrifft, so rechne auf diese am wenigsten, denn bei denen war Alles nur Spaß. Es waren Maul-, Tisch- und Bouteillenfreunde, die ihrem Maul, deinen Gerichten und Weinen sehr freundschaftlich zugethan waren, aber nur Dir nicht – Glaube mir!« –

Haßan glaubte zwar, aber nicht so grad hin, und nicht so durchaus, und so that er denn, was er sich ausgedacht hatte, und was schon Viele in ähnlichen Lagen gethan haben.

Er geht zu denjenigen seiner Abendgenossen, die er noch für die besten hielt, stellt ihnen seine Lage und jetzigen Nothstand vor, und ohne ungroßmüthig zu erwähnen, daß er sich ja fast ganz allein um ihretwillen erschöpft habe, bittet er blos um ein Darlehn, womit er sich wieder aufhelfen könne, verspricht pünktliche Rückzahlung, und macht sogar Hoffnung, daß er, wär er nur erst wieder hinauf, dann auch mit seinen Freunden manchen vergnügten Abend wieder verleben wolle. – Ein ehrliches und gutes Herz, meinte Haßan, würde sich doch finden.

Haßan hatte sich verrechnet. Der Eine bedauerte mit den allerhöflichsten Worten, daß er in Verzweiflung sei, ihm gerade jetzt nicht helfen zu können, – er habe große Auslagen gehabt, habe erst gestern und vorgestern da und dort verliehen, und sei dermalen selbst in einiger Verlegenheit; aber die andern Freunde würden gewiß sich eine Ehre und ein Vergnügen daraus machen, ihm zu willfahren, – mit vielen Betheurungen seiner innigsten Freundschaft und Liebe, schob er ihn ganz mählig und sanft zur Thüre hinaus, und empfahl sich ihm nochmals.

[224] Haßan ging zu einem Andern, und dachte: Vielleicht Der! Aber der machte wenig Umstände mit ihm, und sagte höhnisch: »Wie mans treibt, so gehts! und bat, ihn mit solchem dummen Ansinnen zu verschonen, denn er werde kein solcher Narr sein, einem Bruder Lüderlich seine blanken Goldstücke zu leihen, die doch wieder in einigen Wochen verschwelgt wären. Des Ueberlaufs von solchem Gesindel sei ohnedieß schon zu viel.« – Haßan ging.

Ein Dritter sagte zu Haßan, er müsse wohl ein wenig im Kopfe verwirrt sein. Sein Gesicht sei ihm ganz fremd, und als Haßan das übel nehmen wollte, ließ er den Unverschämten durch seine Bedienten kurzweg zur Thüre hinaus werfen.

Ein Vierter stellte sich auch ganz fremd, und nahm ein Paar kleine Silberstücke, und sprach: »hier mein Freund!« und damit wollte er sie ihm geben; Haßan aber ging, und biß vor Grimm die Zahne zusammen.

»Das ist also die Freundschaft! die Freundschaft der Welt! sagte Haßan. So sieht sie also aus? – Nun wir wollen uns vor der Freundschaft der ganzen Welt künftig in Acht nehmen.«

Er machte sich seinen Plan, wie er jeden Abend vergnügt sein wolle, ohne irgend einen Menschen in ganz Bagdad. Die Mittel dazu gaben ihm sein gut gefüllter Goldkasten und sein reiches Einkommen von den Gütern. Er bat sich jeden Abend einen von den vielen Fremden, und namentlich von den vielen auswärtigen Kaufleuten, die nach Bagdad kamen, und nahm sich fest vor, keiner sollte öfter bei ihm zu Abend essen, und zur Nacht beherbergt werden, als ein einziges Mal. So führte er es auch aus. Früh wurde schon das Schönste und Beste, was nur irgend zu haben war, angeschafft, und zu Abend setzte sich Haßan auf eine Brücke, und bat den ersten besten Fremden, der ihm gefiel, höflichst, bei ihm zu essen und zur Nacht zu bleiben. Da hatte er denn alle Abende lehrreiche und angenehme und oft lustige Unterhaltung, denn die [225] Fremden hatten viel gesehen und gehört, und manche steckten voll Scherze und Schnurren, und die köstlichen Gerichte und Weine trugen das Ihre zur Fröhlichkeit bei. Nach Mitternacht erst begab man sich zur Ruhe, denn Haßan hatte Zeit genug auszuschlafen.

Haßan befand sich bei seiner neuen Lebensweise sehr wohl, und hatte schon viele Abende vergnüglich zugebracht, als er eines Abends den Khalifen Harun Alraschid bittet, den er nicht kannte, weil er sich mit Mesrour seinem Oberkämmerer und einem begleitenden Sklaven hatte verkleidet, so, daß ihn Niemand erkennen konnte. Haßan hatte ihn ohnedieß nie gesehen, denn die Sultane des Morgenlandes allzumal lassen sich nur sehr selten sehen.

Die seltsame Einladung belustigte den Großherrn, und er nahm dieselbe an, zumal da ihn Haßan von seiner Lebensweise und von seinen stets neuen Abendgästen unterrichtete. Haßan erschien ihm als ein sonderbarer Kautz, welchen er näher müsse kennen lernen.

Sie aßen mit einander, und Haßan, mit der Hoheit seines Gastes unbekannt, überließ sich seiner fröhlichsten Laune, die der Khalif geflissentlich mit vermehren half, zumal da er sich schon einen gnädigen großherrlichen Spaßscherz mit dem lustigen Wirth ausgedacht hatte. Seine großgläubige Majestät sahen zwar gar gravitätisch aus, hattens aber dick hinter den Ohren, wenns anders erlaubt ist, von hohen Potentaten also zu sprechen.

Sie aßen nicht blos mit einander, sie tranken auch mit einander, ordentlich wie sichs gebührt. Haßan schenkt sich zuerst eine Schale voll ein und trinkt, und singt dazu ein fröhliches Trinklied und schenkt dann dem Khalifen ein, der seine Schale köstelnd ausschlürft, den Wein gut findet, ohne zu singen. So geht es hin und her, und dabei sagen sich beide die höflichsten und artigsten Sachen. Der Khalif gefiel dem Haßan, und Haßan gefiel dem Khalifen.

Mitternacht war heran gekommen, und wenn man so gut getrunken hat, wie diese Beiden, so will man denn auch gehörig ausschlafen. [226] Der Khalif bezeigt seinem Wirthe die innigste Dankbarkeit, und wünscht dieselbe thätig beweisen zu können. Hätte Haßan ein Verlangen, so möge er es ihm eröffnen, vielleicht könne er es ihm gewähren, denn er sei selbst am Hofe nicht unbekannt.

»Ich, erwiederte Haßan, habe eigentlich in der ganzen Welt nichts zu wünschen, denn es fehlt mir nichts. Aber der Iman unsers Viertels, und vier andere Spitzbuben von Graubärten, die meine Nachbarn sind – ja! wenn ich die einmal so recht tüchtig könnte durchbläuen lassen, daß sie es so ein vier Wochen auf dem Buckel juckte, das sollte meine Herzenslust und Freude sein! – Ich wollt' ich wär einmal nur einen einzigen Tag Khalif, dann sollt es geschehen.«

»Ei! sprach der Khalif; so heilige Leute!«

»Ja doch, erwiederte Haßan! heilige Heuchler, die alle Tage sich versammeln, und über Alles lästern und leumden, was im Viertel vorgeht, und stiften lauter Unheil und Händel an, und anstatt in ihren Koran die Nase zu stecken, stecken sie die Schnüffelnasen in fremde Angelegenheiten, und alle Nachbarn und ehrlichen Leute fürchten sich vor diesen Spitzbuben; und den Iman kann ich nun vollends nicht leiden, denn der alte Bengel brüllt wie ein Löwe, wenn er früh morgens von seinem Spitzthurm (Minaret) herab zum Gebet ruft, wo man doch noch im besten Schlafe liegt.«

»Ja freilich, sprach der Khalif, wenns so ist so muß man sehen, wie man den alten Heuchlern aufs Kollet kommt – Laßt mich einmal sorgen! Vielleicht gelingt es mir. Ich will indessen jetzt von Euch dankbaren Abschied nehmen, damit ich Euch morgen nicht im Schlafe zu stören brauche, weil ich gewohnt bin früh aufzustehen.«

»Thut nach Eurem Belieben, sprach Haßan, und macht nur morgen früh beim Fortgehn die Thüre ordentlich zu, wenn ich noch schlafe.«

[227] Das versprach der Khalif, füllte den Nest des Weins, der noch in der Flasche war, halb in seine Schale, und trank ihn zur schuldigen Danksagung; die andere Hälfte goß er in Haßans Schale, in welche er aber sehr geschickt ein Schlafpulver gebracht hatte, das er immer bei sich führte. Er bot die Schale seinem Wirthe, dessen Augen schon gläsern und schläfrig waren, mit der gefälligsten Art dar, und dieser leerte sie auf einen Zug. – Aber sie war kaum geleert, so sank er auch schon im tiefsten Schlaf aufs Sofa hin.

Jetzt rief der Khalif den Mesrour und seinen Sklaven, ließ den Haßan auf die Achseln laden, und in seinen Palast tragen. Die Kammerdiener mußten den festen Schläfer auskleiden, und in das Bett des Khalifen legen, der, um sich einen rechten Hauptspaß zu machen, auf der Stelle seine Befehle für den folgenden Tag gab. Alles lief darauf hinaus dem Haßan einzubilden, er selbst sei der Khalif. – Ich weiß nicht, ob der Großherr diesen Spaß mit seinem großherrlichen Genie sich selbst ersonnen, oder nur von andern Genies abgelernt hat; denn solcher Spaß ist öfter von hochgewaltigen Herren gemacht worden. – Genug, der ganze Hof und selbst Giafar der Großweßir bekam höchst gnädig strengen Befehl, den Haßan in allen Dingen wie den Khalifen zu behandeln, und nach dessen Willen überall zu verfahren, er möge gebieten, was ihm beliebe. Daß der Allergnädigste Alles am andern Tage sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden, und daß er keinen einzigen Spaßaugenblick verlieren konnte, dafür war Sorge getragen.

Haßan erwachte. Sein Bette, sein Nachtkleid, sein Zimmer und die Verzierungen desselben, die Gefäße von Gold und Silber mit Edelsteinen besetzt, die schwarzen Sklaven, die mit kreuzweis über die Brust gefalteten Armen schweigend und demüthig unweit des Bettes standen, und die wunderschönen reichgeschmückten Sklavinnen, mit Flöten, Hoboen, Zimbeln und Handtrommeln – allesammt [228] seines Winks und ihres Dienstes gewärtig – – was sollt er aus dem Allen machen?

»Wach ich? – träum ich? fragt er sich selbst, und war an sich selbst irre. – Nein das ist doch Wachen! – Aber es kann ja nicht Wachen sein, denn sonst müßt ich ja wohl, bei Gott, der Khalif sein, so groß und herrlich ist Alles – ich träume also. – Aber das ist doch wahrhaftig ein Traum, der wie Wachen scheint. – Wer bin ich denn? – Es sieht mir aus, als wär ich ein Bischen Khalif, und bin doch, ich weiß es gewiß, nur Abu Haßan, der Bruder Lustig, der sich um die ganze Welt nicht kümmert, seitdem er die Weltfreundschaft hat kennen gelernt, und den der alte Heuchler der Iman immer verlästert. – Nun Geduld nur; ich wills schon noch heraus klauben, wer ich denn so eigentlich bin, und ob ich träume oder wache?«

Aber er konnte es doch nicht so stracks heraus bringen. Da trat eins der schwarzen und stummen Gesichter auf ihn zu, und thät seinen Mund auf, und sprach:

»Beherrscher der Gläubigen! Nach Eurem eigenen hohen Befehl muß ich bitten, aufzustehen; die Morgenröthe glänzt schon am Himmel!«

»Dumrian, rief Abu Haßan, ich weiß besser wer ich bin. – Ich wäre eben der rechte Beherrscher der Gläubigen! Ich schlafe bis in den Tag hinein, du Narr, und deine Morgenröthe, du Mohrengesicht, geht mich gar nichts an. – Laß mich träumen, Hans Narr.« – Damit legt er sich auf die andere Seite.

Bald kam ein anderer Schwarzer. »Beherrscher der Gläubigen, sprach er; die Sonne will aufgehen; die Stunde des Gebets naht sich.« –

»Hol der Popelmann deine Stunde, sagte Haßan, ich schlafe nicht nach Stunden, sondern so lange ich will, und alleweil träum ich, ich sei der Khalif.«

[229] »Ei, mein gnädigster Herr, das seid Ihr ja auch gewiß und wahrhaftig, sagte Mesrour der Oberkammerherr, der eben heran rat; und die Geschäfte warten auch schon auf Ewre Majestät. Die Emirs und Fürsten sind schon alle versammelt, erwartend, ob Aller-Höchstdieselben Dero allerhöchsten Thron zu besteigen, und Dero Allerhöchstgnädige Befehle zu ertheilen geruhen wollen.« – Es versteh: sich, daß Mesrour auf dem Bauche lag, indem er zu dem Allerhöchsten diese höchst freimüthigen Worte sprach.

Haßan wurde immer mehr an sich selbst irre, und immer mehr unwillig, und beinahe so unwillig, als nur immer ein Khalif werden darf, und rief: »Schweig du schwarzer Dickkopf mit deinem Breitmaul, und laß mich fortträumen. – Du weist den Henker wer ich bin.«

»O, antwortete Mesrour, Euer Sklav wird nie vergessen, wer Ihr seid! –Ihr seid der Herr der Welt, und der Herrscher von ganz Arabien, und der Sohn der Sonne, und das Kind der Aeltern der Gestirne, und der Allerallmächtigste und Allerunüberwindlichste Herr, vor dessen Blicken die Geister und die Menschen zittern, und wenn Ihr Eure Augenbrahnen runzelt, so sieden und wallen die Meere, denn Ihr seid Harun Alraschid!«

Haßan sahe stumm und starr den Sprecher eine Weile an. Dann sagte er: »Höre Bruder! Einer von uns Beiden ist rein toll – entweder Du, oder Ich. – Am Ende, glaub ich, wir alle Beide.«

»Das verhüte Gott in Gnaden, sprach Mesrour, aber Ew. Majestät belieben wahrhaftig zu scherzen, oder ein sehr böser Traum muß Ew. Majestät irre gemacht haben.«

»Ja, träumen mag ich wohl, brummte Haßan, aber ich will mir gleich aus dem Traume helfen. Wartet nur.«

Da stand ein kleiner schwarzer Mohr – so ein Page, das heißt, so ein junges Jüngelchen von 15 oder 16 Jahren, welches die vornehmen [230] Aeltern an den Hof zu thun pflegen, damit es dort recht höflich und recht grob, recht klug und recht dumm, recht kriechend und recht hochstolz werden, und vor allen Dingen die Kunst lernen soll, Nichts zu thun, dafür aber nachmals einen Titel sich geben zu lassen, und tüchtiges Geld für die geleisteten Dienste obenein.– Ja so ein Bürschlein, einen Pagen, Gott sei bei uns – sahe er, und sprach: »Hört einmal lieb jung gnädiges Herrlein, Ihr seid doch dahier am Hofe, und seht mir so hübsch klug und gescheut, und so hübsch einfältiglich daneben aus; nun sagt mir einmal, was ich denn bin, oder was ich nicht bin?«

Dem Knaben – nein, dem jungen Herrn, hatten die alten Junkherren, schon heimliche Zuflüsterungen mit etwas Seiten, und Rippenstößen gegeben, und weil denn das junge Kerllein schon im funfzehnten Jahre klüger war, als es im dreißigsten hätte werden können, so sagte es:

»Mein hochgnädigster Herr! ich weiß zwar eigentlich fürwahr nicht, was und wer Ihr seid; aber Ihr seid doch eigentlich wahrhaftig und gewiß ein hochgebietender Herr!«

»Nun da seh eins Gotts Wunder, sprach Haßan; nun weiß ich doch wer ich bin! – Der Junker ist ein geborner Hofmann, so scharf und tiefsinnig spricht er, und weder Er noch ein anderer Mensch kann klug dar aus werden.«

»Hört einmal, Ihr lieben scharmanten Dingerchen mit Euren Musikinstrumenten, fuhr Haßan fort, kommt einmal der Reihe nach her, und sagt mir einmal wer Ihr seid, und wer ich bin, und ob ich wache oder träume?«

Die Erste trat heran, und sagte: sie heiße Perlenauge; die Andere sprach: ihr Name sei Rosenmund; die Dritte nannte sich Morgenröthe; die Andern allzumal hatten ihre seltsamen kostbaren Namen, z.B. Abendschein, Elsenbeinzahn, Pfauenschwanz, Mondscheinstrahl, Silberblick, Goldfunke u.s.w. – und nannten sich [231] alle so hübsch und niedlich, wie wir jetziger Zeit, wo wirs auch gelernt haben, unsere Töchter zu nennen pflegen, z.B.: »Li li; Lu lu; Tu tu; Lo lo; Mi mi 1« u.s.w. »Nun, sagte Haßan, du Rosenmaul, oder du, Ratten- oder Affenschwanz, oder du, Perlenschnauze u.s.w. sagts einmal ehrlich, und rein von der Leber weg, wer bin ich denn eigentlich und ordentlich?« Aber auf sein Befragen wußten sie wahrhaftig nichts weiter, als daß er der Beherrscher der Gläubigen wäre, und damit er völlig erwachen und sich ganz besinnen möchte, spielten sie fein und lieblich auf, tanzten und sangen dazu, und der in sich selbst verwirrte Haßan dachte: »Nun wenn ich also einmal der Khalif wider Willen sein soll so, so will ichs denn auch sein; aber ich begreife von dem ganzen Handel gar nichts, und Gott allein weiß, wie ich dazu komme. Aber ich will jedoch regieren und befehlen, daß es eine Art haben soll, weil es nicht anders sein kann.«

So stand er denn auf, ließ sich ankleiden von mehr als sechszig Paar Händen, was er sonst mit seinem einzigen Paar Händen allein gekonnt hatte, und da er nun angethan war, mit königlichem Kaftan und Turban, führten ihn die Großen des Reichs in den Staatsrath, und halfen der Majestät auf den Thron herauf, und die Umstehenden, die Emirs und Fürsten wünschten ihm mit lauten Ruf, Gesundheit und langes Leben; – denn Weisheit und Verstand brauchten sie ihm nicht zu wünschen, weil er, wie jeder Sultan, so viel davon übrig hatte, daß er fürs ganze Land abgeben konnte.

Giafar streckte sich vor dem Throne nieder, berichtete dieß und das, ohne daß Haßan in seiner Betäubung wußte, worauf es ankam. »Machts, wie ihr wollt;« dachte er, und half sich so gut durch als er konnte. Nur den Iman und die vier Graubärte vergaß[232] er nicht, und Giafar erhielt Befehl, dieselben öffentlich auspeitschen zu lassen, mit dem Ausruf, daß sie Händelmacher und Friedensstörer und Lästermäuler wären. Giafar ließ stracks den Befehl vollziehen, und erstattete Bericht, wie sie sich gebehrdet und wie sie geschrieen hätten. – So wars dem Haßan denn eben recht.

Hierauf bekam Giafar Befehl, der und der alten Frau, die in demselben Viertel wohne, wo der Iman mit seinen Genossen geochsenziemert worden war, zweitausend Goldstücke zu schenken, (es war seine Mutter, die er aber sich schämte als Mutter anzuerkennen, seitdem er Khalif war), – Giafar ließ auch das vollziehen und erstattete Bericht von dem Danke der alten Frau, die gar nicht gewußt habe, wie sie zu dieser hohen Gnade von dem Beherrscher der Gläubigen käme.

»Das will ich schon glauben, sagte Haßan, ich aber weiß es recht gut, wie sie dazu kommt.«

Haßan, wie man sieht, hatte in kurzer Zeit das Regieren recht ordentlich gelernt, denn er konnte nach Belieben auspeitschen lassen, und Goldstücke verschenken. Es lag ihm aber in der That nicht sehr an den Regierungssachen, und er dankte dem Himmel, als die Sitzung des Staatsraths zu Ende war, und es nun ans Essen und Trinken ging, worauf er sich viel besser verstand, und womit er den ganzen übrigen Theil des Tages zubrachte. Es ging in viele Säle und Zimmer, und in jedem Saale und Zimmer waren andere Gerichte, andere Weine, andere Früchte, und auch andere Sängerinnen und Tänzerinnen, so schön, als sie auf der Erde nicht vorhanden sind, und auch gar nicht vorhanden sein können. Hier aber waren sie doch da! – Und er suchte den Korallenlippen, den Perlensträußern, den Morgensternen, den Mondscheinsstrahlen, den Blütendüften, und wie die Mädchen weiter hießen, die schönsten Früchte aus goldnen Becken aus, und sie mußten ihm in den besten Weinen mit Bescheid thun, welches sie auch recht gern thaten, denn [233] das konnten sie gar gut, indem sie es längst gelernt hatten. – Sie tranken und sangen; sie sangen und tranken, und Haßan trank und sang auch mit, und kümmerte sich am Ende gar nicht mehr darum, wie er ein so großer Herr geworden sei, denn es war ihm genug, daß er es war, und in seiner Ueberfreude erwischte er diese und jene Jungfer beim Arm, und hopsasate mit ihr durch den Saal, und lachte und jubelte dazu. – Wer aber noch mehr lachte, war der wirkliche Khalif, der Alles, Alles mit angesehen, und sich oftmals vor Lachen den hochgnädigen Bauch gehalten hatte, damit der sich nicht ausschütte.

Guter, treuherziger Haßan, das Regieren hattest du so bald begriffen, und du warst Khalif, und dachtest nur an deine Freude, aber nicht daran, daß du nur der Narr eines – – Khalifen warst. Armer Haßan! du mußtest schwer büßen, ohne Etwas verschuldet zu haben; aber es geht einmal in der Welt nicht anders.

Der Abend war gekommen, und mit dem letzten Glase Wein empfing Haßan wieder ein Schlafpülverchen, und wurde in seine Wohnung zurück getragen, und in seine Schlafkammer gelegt. – Die Thür der Schlafkammer ward aber offen gelassen, mit Fleiß, denn also hatten es seine Majestät befohlen, die grade in solchen Dingen kleiner Art recht sehr groß waren.

Armer Haßan! Du erwachst in deiner Hauskammer, du rufst Perlenstrauß, Rosenmund, Korallenlippe, Morgenstern u.s.w. – rufst, rufst, und brüllst beinahe am Ende, aber es kommt ja Niemand, als die gute, alte Mutter, die zu dir spricht: »Guten Morgen, mein Sohn! – was fehlt dir denn? – du schreist ja so sehr!«

»Dein Sohn, Ich? – du alte Person du? – du Alte – alte. – – Weißest nicht einmal, daß ich Beherrscher der Gläubigen bin; der Statthalter Gottes, und wohl am Ende eben so viel als der [234] liebe Gott selbst? – das weißest du nicht einmal, Du, alte Frau Bursche? – Gleich fort du – aus meinem Gesicht fort!«

Aber die gute arme Mutter wußte ja nur, daß er ihr Sohn war, und merkte wohl, daß er etwas wirre und toll im Kopfe geworden war, und auch wohl einen dummen, bösen Traum gehabt hätte, und wollte ihn zurecht, und auf andere Gedanken bringen. – So sagte sie denn: »Mein Sohn! mein lieber Sohn! sieh doch nur umher in deine Schlafkammer! – deine Tische und Sofas und Alles – da ist ja Alles nicht wie bei dem Khalifen. Du mußt dich ja erinnern, daß dieß Haus, diese Kammer, diese Geräthe« – –

»Ja Mutter! ja! unterbrach er sie, ich erinnere mich wahrhaftig. Ich bin der Khalif gar nicht, und du liebe Mutter, bist meine gute herzliebe Mutter. – Aber ich muß recht närrisch geträumt haben!«

»Ja das muß wohl sein, mein Sohn, sprach sie, und wollte ihn nun von den tollen Einbildungen ganz abbringen, und erzählte ihm deshalb, was sich gestern begeben hätte. – Wie der Iman auf Befehl des Khalifen wäre geochsenziemert worden, mit seinen Genossen, und wie sie selbst, – Gott wisse allein wie? von dem Khalifen mit zweitausend Goldstücken wäre beschenkt worden.«

Das erzählte sie; aber sie hatte, statt besser, Alles ärger gemacht, und Haßan fuhr heftig auf, mißhandelte die Mutter in Wort und That, und wollte nunmehr durchaus und durchum der Khalif sein, und die Nachbarschaft wurde rege und wach, und brachte den armen verwirrten Menschen ins Narrenhaus, wo man auf gut muhamedanisch, welches auch wohl je zuweilen gut christlich ist, mit tüchtigen Ochsenziemern ihm nach Herzenslust die Vernunft einzutreiben versuchte, weil so ein Ochsenziemer in der Welt mehr helfen muß, als der größeste und vornehmste Doktor der Weltweisheit.

Einige Monate hatten sie täglich ein- bis viermal auf Haßan unmenschlich losgehauen, ehe sie ihm die Khalifengedanken hatten [235] heraus hauen können. Endlich aber trieb der Prügel Macht und Herrscherkraft dennoch die Khalifengedanken aus, und Haßan begriff, er sei ein ganzer Narr gewesen, und kam, auf Fürbitte der Mutter, aus dem Stock-, und Prügelhause wieder in sein eignes Haus. Er und die Mutter waren bald darüber ganz und gar einig, wie er zu den seltsamen Khalifengedanken gekommen sei. – Sie blieben dabei, daß daran der Kaufmann Schuld wäre, der beim Weggehen des Morgens die Thür der Schlafkammer habe offen gelassen, und so habe denn leicht ein tückischer Nachtgeist herein schleichen, und Haßans Sinne durch einen schweren bösen Traum verwirren können.

Nachdem erst Rücken, Arme und Lenden wieder geheilt waren, fing Haßan sein ehemaliges Abendleben abermals an, und vergaß dabei den Khalifen und die ganze Welt.

Nicht sogar oft hatte er auf der Brücke zu Bagdad gesessen, und sich jeden Abend einen neuen Gast geladen, als der Kaufmann wieder daher kommt, und zwar in der nämlichen Begleitung wie das erstemal, der durch das Auflassen der Schlafkammerthür Schuld an dem bösen Traum gewesen war. Haßan wollte nichts mit ihm zu schaffen haben, und wendete sein Gesicht ab, da der Kaufmann bei ihm vorbei ging. Der aber sahe ihn recht gut, denn er war eigentlich um Haßans willen gekommen, und wußte wie Alles gegangen, und wie tüchtig der arme Haßan durchgehauen war; aber weil er doch so ein großmüthiger und hochgnädiger Monarch war, der an Haßan so herrliche Gaben zur Belustigung hatte entdeckt, wollte er sich noch einmal ein Späßlein machen.

»Ja wahrhaftig, das seid Ihr ja, mein Bruder Haßan!« redete er ihn an, und wollte ihn umarmen. Haßan aber sagte ihm ganz trotzig, daß er sich Gruß und Umarmung recht höflichst verbäte, und der Herr Kaufmann möge in Gottes Namen sich seiner Wege scheeren. Aber der Khalif wußte den ehrlichen und also auch dummen Haßan mit süßen Worten, Umarmungen und Schmeicheleien [236] aller Art, so zu bethören, daß dieser den Thürauflasser wieder mit sich zum Abendessen nahm, und treuherzig alles Unheil erzählte, das ihn betroffen hätte. Es ging, wie am ersten Abend. Haßan bekam ein Schlafpulver, und wurde abermals in den Palast des Khalifen gebracht und ins Bett gelegt, wo er beim Erwachen Alles wieder so fand, wie das erste Mal, die schwarzen Herren und die weißen, und die Sklavinnen mit ihren Musikinstrumenten und Kehlen, und mit ihren Tanzsüßen – und der Herr Khalif war wieder in seinem Versteck, und sahe Allem mit großer Lust zu.

»Potz Popelmann! rief Haßan, indem er sich die Augen rieb, da träume ich schon wieder Khalifens, und mags doch gar nicht sein! – Das macht aber der verwünschte Galgenstrick der Kaufmann, der mir, so wahr ich lebe, die Thür wieder aufgelassen hat. Aber ich will kein Narr sein und mich für den Khalifen halten, denn das Stockhaus und die Hiebe von Herrn Ochsenziemer habe ich wahrhaftig noch gar nicht vergessen.«

Die Morgensterne und die Perlensträußer und die Korallenlippen wollten ihn überreden, er sei der wahrhaftige und leibhaftige Khalif, und es sei allerhöchste Zeit in den Staatsrath zu gehen.

»Ihr seid leibhaftige Närrinnen, rief Haßan ärgerlich, Ihr dummen Dinger wißt den Henker, wer ich bin? Ich will schlafen, sag ich Euch, bis der böse Satan von Traumgeist zum Satan geht, und mich verläßt; und laßt Rath halten und Khalif sein, wer Lust hat – ich für meine geringe Person bedanke mich fein dafür.«

Da faßten ihn die Mädchen an – denn so wars ihnen befohlen – und trugen ihn in seinem großsultanischen Kaftan bis mitten in den Saal, und setzten ihn auf des Khalifen Seßel; und nun tanzten und sprangen und musicirten und trillerten sie in wilder Lust um ihn so arg und lärmend herum, daß man selbst das überlaute Gelächter des Khalifen nicht hören konnte.

[237] »Seid Ihr denn Alle toll, so will ichs auch mit sein!« rief Haßan, sprang vom Sessel auf, erwischte eine und die andere der Mädchen bei der Hand, und sprang lärmend und schreiend und jubelnd mit ihnen im Kreise herum, bis er ganz außer Athem war, und sich auf den Sessel erschöpft hinwarf.

»Jetzt wollten sie allzumal ihn überreden, er sei der Khalif, und müsse in den Staatsrath, wo gar viele Geschäfte seiner warteten. – Gestern habe er ja den Iman und die Graubärte auspeitschen, und die Mutter eines gewissen Abu Haßans mit zweitausend Goldstücken beschenken lassen. Sie erinnerten ihn an die Speisen und Getränke, die Seine Majestät gestern zu genießen beliebt hätten, und hätten selbst, höchst übergnädig und höchsteigenhändig, Dero unwürdigen Sklavinnen Früchte und Schalen mit Wein geschenkt, und wie zu Abend nun Alles wäre zu Ende gewesen, hätten Se. Majestät geruht sich zur Ruhe zu begeben, und hätten nur bis heute früh auch wirklich recht sanft geruht.«

Haßan sahe die Mädchen, den Großweßir und den Oberkämmerer mit stummen Nachdenken an. – »Wahrhaftig, sagte er alsdann, Ihr habt vollkommen recht – so ists gewesen – und ist doch, so wahr ich lebe, kein einziges wahres Wort daran wahr. – Seht! Ich bin der Khalif, und bins auch nicht, und möchte eigentlich wohl wissen, wer ich bin? – – Ihr aber seid schlaue Bestien, und ist nur Schade um Eure glatten Mädchengesichter, daß sie so hübsch sind. – Der Henker werde klug daraus; und mit eurem Staatsrath bleibt mir zehn Schritte vom Leibe, das will ich Euch gesagt haben.«

»Ach Himmel, riefen die Mädchen, Ewre Majestät belieben heute gar nicht ordentlich zu erwachen!«

»Da habt Ihr wieder recht, sagte Haßan; mir ist selbst so als träumte ich; und dann ist mir auch, als wachte ich – – – aber wart, dahinter will ich gleich kommen. – Du da, Perlenmuschel [238] – oder Korallenzinke, komm einmal eins von Euch her, und beißt mir mit Euren Elfenbeinzähnen da hier ins rechte Ohrläppchen, damit ich weiß ob ich wache; und machts ein wenig derb, damit ichs auch ordentlich fühle.«

Da biß ihn eins der Mädchen so gewaltig ins Ohrläppchen, daß er aufsprang und überlaut anfing zu schreien. Aber da fing der ganze Lärm der Musik wieder an; die Mädchen umtanzten ihn wieder, und er sprang in halber Verzweiflung mit ihnen herum, walzte wie närrisch mit ihnen durch den Saal, überschrie und überlärmte Alle, riß die Khalifenmütze vom Kopf und warf sie zu Boden; zog den Khalifenkaftan aus, und sprang mit den Füßen darauf herum, und trieb es so toll und arg, daß der Khalif aus seinem Versteck hervor sprang und rief: »Hör auf, Haßan, hör auf! ich muß vor Lachen ja sterben!«

Jetzt war dem Haßan auf einmal Alles klar und er erkannte in dem Khalifen den verkleideten Kaufmann. »Heda! rief er, Ihr seid also der Kauz von Kaufmann, der die Schlafzimmerthür bei den Leuten aufläßt, daß sie tolle und thörichte Träume bekommen, und im Hirnkasten verwirrt werden? – Kommt mir nur wieder Patron, ich will Euch schön nach Hause leuchten. – Aber da wir Beide beisammen sind, so sagt mir doch, wer von uns ist denn der rechte Khalif, Ihr oder ich? damit ich nur wieder weiß woran ich bin?«

Der Hof erblaßte bei solchen Worten, die Haßan sprach. Der aber wußte recht wohl, was er that, und der Khalif konnte zu lachen nicht aufhören. »Haßan, sagte er, und umarmte ihn zugleich, Haßan du bist mein Bruder, und kommst nun und nimmermehr nicht wieder von mir weg. – Und Khalif werd' Ich wohl sein, und habe Lust das Aemtchen noch eine Weile zu behalten.«

»Da thut Ihr recht wohl daran, erwiederte Haßan, ich mag das Amt ohnedieß nicht, weil ich ein Haar habe darin gefunden. Bleibt denn Khalif, regiert aber hübsch mit ein wenig Menschenverstand, [239] welcher der Regierung, wie ich mir habe sagen lassen, gar nicht schaden soll.«

Der Khalif versicherte, er wolle sein Bestes thun. Haßan blieb am Hofe, und war der einzige Mensch, der zu aller Zeit und Stunde freien und unangemeldeten Zutritt zum Großherrn hatte, und was mehr sagen will, auch das Recht des freien und ungeheuchelten Wortes. Dafür aber wußte er auch den Großherrn durch tausend lustige Dinge zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Er war dem ganzen Hofe lieb, er belustigte Alle, er schadete Niemand, er nützte Vielen, und selbst Giafar bediente sich seiner, um dem Khalifen Manches vorzubringen, was er selbst zu sagen nicht wagen durfte. – Von seinen närrischen Dingen hat uns die Geschichte nur eins aufbehalten, und das sollt Ihr lesen.


Der Khalif hatte eine Gemahlin, die hieß Zobeide, und Hassan hatte sich eine Frau unter den Hofdamen der Zobeide ausgesucht, die eben so närrisch und lustig war, als er selbst, und hieß, ich weiß nicht recht wie? – etwa Rosenblatt, oder Nelkenstiel, oder Je länger je Lieber, oder so etwa. Kurz einen Namen hatte sie, das weiß ich gewiß.

Haßan war der Liebling des Khalifen; Rosenblatt die Lieblingin der Frau Khalifin. Beide hatten den Kopf voll lustiger Schwänke, und Haßan sann sich einmal einen Schwank aus, der Monate lang Hof und Stadt zu lachen machte.

»Hör du Bursche, sprach Haßan zu seiner Frau, du hast einen anschlagigen Kopf, und sollst mir einen Spaß mit ausführen helfen, wo wir sie Alle zum Narren haben wollen, und sie sollen Alle lachen, [240] meinen Papa Khalif, und deine hochvornehme Stumpfnase Zobeide nicht ausgenommen. Sie sollen Beide genarrt werden, und Beide lachen; wir aber wollen am meisten lachen!«

»Nun! ich will schon helfen, so viel ich kann; sagte die Bursche Rosenblatt, sag nur worauf es ankommt?« – Da sagte Haßan, »wir müssen beide sterben, Frau Bursche; darauf kömmts an.«

»Sterben? entgegnete Rosenblatt, das ist kein Spaß mehr, Bursche Haßan. Stirb du, wenn dirs gefällt, drei oder vier Mal, nur stirb allein, denn ich will noch so ein hundert oder tausend Jahr leben bleiben.«

Sie verständigten sich denn schon Beide, und der Spaß ging an, und sie stellten sich Beide todt, nämlich wahr und wahrhaftig mausetodt, aber sie stellten sich nur so, und so blieben sie dennoch am Leben.

Haßan ging zum Khalifen, und that ganz jämmerlich und betrübt, und weint dazu, und spricht, er sei nun ein verlassener Wittwer, weil seine Frau plötzlich Todes verschieden sei. Der Khalif wundert sich, daß das junge muntere und rührige Ding von Frau schon gestorben sei, zumal da sie die Lieblingin seiner Gemahlin gewesen war. Er beklagt zwar den Haßan gar sehr, und spricht: »du armer Schelm, du mußt es zu ertragen suchen.« Aber er nahm in der That keinen Theil daran, daß sie gestorben war, weil sich das für einen Khalifen gar nicht schickt – denn es schickt sich sogar nicht für ihn, wenn ein paar Millionen Menschen in seinem Lande vor Hunger und Elend umkommen, nur eine Miene zu verziehen, wenn er an ders ein rechter Khalif ist.

Rosenblatt ging zur Khalifin Zobeide, und hatte einen Wittwenschleier über das Gesicht, und sagte und klagte unter vielen Thränen und Schluchzen, ihr herzlieber, köstlicher, himmlischer Haßan, das treue Herz, die gute Seele, sei ihr plötzlich abgestorben, und nun sei sie eine arme Wittib, und habe keinen Menschen mehr, weder [241] im Himmel noch auf Erden, als den lieben Gott. – Zobeide beklagt das arme junge Weib, und den armen lustigen Haßan mit vornehmen Worten, die ordentlich aussahen, als wären sie menschlich und mitleidig. So war es Sitte. Was aber noch mehr Sitte war, war dieß: der Khalif sendet seinen Mesrour den Oberkämmerling an seine Gemahlin, und läßt hoch und sehr bedauern, daß ihr Liebling, das Rosenblatt, gestorben sei; diese denkt, der Herr Khalife sei nicht recht bei Troste, und läßt vielmehr darüber ihr Beileid ihm bezeigen, daß sein Liebling, der Lustigmacher Haßan, gestorben sei. – Nun gabs ein Hin- und Herlaufen in dem Palast, denn es wurde eine Ehrensache zwischen dem hohen Paar, wer Recht habe. Jetzt kamen sie von Seiten des Khalifen, nachzusehen, wer eigentlich gestorben sei? ob Haßan oder Rosenblatt; jetzt von Seiten der Khalifin. Haßan und seine Frau standen lauernd am Fenster. Kam von Seiten des Khalifen Jemand, nachzusehen, wer eigentlich die Leiche sei, so legte sich Rosenblatt aufs Leichenlager, den Schleier über dem Gesicht, und Haßan saß an dem Lager, mit dem Thränentuch vor den Augen; kam aber Jemand von Seiten Zobeidens, so legte sich Haßan hin, mit dem Turban über dem Gesichte, und seine Frau saß untröstlich am Lager.

So gerieth denn der ganze Hof in Aufruhr und Lärm und Streit, wer eigentlich von Beiden gestorben sei, und gab ein Beschicken hin und her, einen ganzen halben Tag lang. Der Khalif mit seinen Dienern behauptete, Rosenblatt sei todt, denn die und die Abgesandten hätten es ja mit ihren Augen gesehen, aber Zobeidens abgeschickte Damen hatten doch auch gesehen, daß Haßan als Leiche da lag. – Kurz die Hofherren und Hofdamen stritten sich auf Blut und Leben, und gaben einander in den allerhöflichsten Ausdrücken die allergröbsten Redensarten, und der Khalif und dessen Gemahlin ließen sich auch empfindliche Spitzigkeiten sagen, die durch ihre höchste[242] Geschliffenheit recht ungeschliffen waren, und jeder Theil dachte, der andere Theil sei so ein wenig verrückt.

Der Khalif wurde am Ende ganz ungeduldig und ging zu seiner Gemahlin, aber der ganze Handel wurde nicht um ein Haarbreit mehr als zuvor berichtigt – jedes blieb bei seiner Meinung; Haßan ist todt, hieß es hier; nein, Rosenblatt ist todt, hieß es dort – die Redensarten wurden immer höflicher, d.h. gröber. Der Khalif hatte seine schwarzen Kämmerer allzumal auf seiner, Zobeide ihre Hofdamen sammt und sonders auf ihrer Seite.

Da war kein Rath, als der Khalif und dessen Gemahlin gingen beide ins Todtenzimmer. Aber Haßan hatte gut aufgepaßt, und sie hatten sich nun Beide hingelegt, und als der Khalif mit seiner Gemahlin eintrat, waren sie alle Beide todt.

Nun stritten sich Harun und Zobeide darüber, wer zuerst wohl wäre gestorben, und wer, aus Liebe und Betrübniß dem Andern nachgestorben wäre, und daß sich der Hof mitstritt, versteht sich von selbst. Einig konnten sie nicht werden. – Da sprach der Khalif: »Zehntausend Goldstücke gäb ich, sagte mir Jemand, wer von beiden zuerst gestorben ist.« – »Die bekomme ich, rief Haßan, denn ich hab eigentlich den ersten Gedanken gehabt zu sterben, und das Blatt, das da liegt, erst nach mir. Ich bin aber wieder aufgelebt, und alleweile wird das Blatt auch aufleben;« welches es denn auch that.

Der Khalif lachte, mithin der Hof auch – Alles war frisch und munter und Haßan bekam zehntausend Goldstücke.

Fußnoten

1 Mu muh! fehlt uns aber noch, welches zur ernsten Beherzigung hiermit angezeigt wird.

Der Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[243] Der Schmidt, der Tod, und der Teufel.

In gar feine und unrichtige Reimverslein gebracht.


Es war Sankt Petrus mal eingekehrt

bei einem Schmidt, der war hochgeehrt

bei allen Kumpanen und lieben Nachbaren,

die nur im Städtlein zu finden waren. –

Der Schmidt wohnt' aber in Jüterbock

und hatt' einen weißen und schwarzen Rock

Und Feiertags trug er einen stattlichen Stock. –

Zu dem kam unbekannt der heilge Petrus

und sagte ihm einen freundlichen Gruß;

bat daß er ihn doch beherbergte zur Nacht. –

»Das mir ja viel Freude und Ehre macht!«

sprach zu ihm der Wirth, der gastliche Mann,

und also Petrus in's Haus hinein kam.

Der Fremde, der wurde gar gut gehalten,

gekost von den Kindern, und auch von den Alten;

wußt ja zu erzählen viel seltsame Sachen

die jetzt sie zu weinen, zu lachen dann machen;

die Wirthin richt't zu das Schönste und Beste,

und Petrus begab sich gesättigt zu Neste.

[244] Und als er aufstanden am andern Morgen,

sprach der Apostel: »ich möcht nicht gern borgen;

zur Zahlung gewähr ich drei Wünsche dir hier

doch sagst Du sogleich auf der Stelle sie mir.«

Der Wirth thät sprechen: »Du großmüthig Mann,

gern ich ohn Lohn dich beherbergt würd' han.

Indeß wenn Du es mir leicht kannst gewähren,

so will ich denn auch drei Wünsche begehren.«

»Da hinter dem Ofen da steht mein Gessel,

den mach mir zur unbezwingbaren Fessel,

daß Niemand heraus kann, wenn ich nicht will,

sondern muß sitzen ganz mäuschenstill,

bis ich ihn werde heißen aufstehen,

da mag er, mit Gott, dann weiter gehen.«

»So soll es denn sein du bravlieber Schmidt! –

Nun theil den zweiten Wunsch auch gleich mir mit.«

Es sprach der Schmidt: in meinem Garten,

da steht ein Baum, – ich hab müssen warten

auf die Frucht nun schon seit so langen Jahren;

die Spitzbuben immer behender da waren,

nicht fragend, ob das Obst sei zur Reife gekommen? – –

So bitt ich dich denn in Züchten und Frommen,

laß sitzen die Dieb' auf dem Baum, und schwitzen,

die mich bestehlen in Säcken und Mützen,

bis ich sie werde erlöset han;

denn ich will haben mein Gaudium (Freude) dran!

»Nun wohl! sagt Petrus; es sei dir gewährt,

mein fromm gut Wirth gar hoch geehrt.

[245] Besinne dich nun, was du zum Dritten willst haben.

Es ist die Letzte von meinen Gaben!«

»Herr, sprach er, hier hab ich 'nen Kohlensack,

von dem ich denn wohl gern wünschen mag,

daß, stiege einer einmal hinein,

er sich nicht möchte wieder befrein,

ich gäbe denn auch erst meinen Willen mit drein.«

»Sollst haben, auch haben dieses dritte Verlangen,

der Petrus sagt. – Ich seh, deine Zangen,

die immer haben recht fest gehalten,

keinen bessern Wunsch wollen lassen fürwalten;

Es geht bei dir Alles aufs Festhalten hinaus,

doch mach ich mir ein großes Vergnügen daraus,

daß ich deinen Wünschen zu Willen kann sein.« –

Hierauf der Petrus empfiehlet sich fein.

Da zieht nun fürder der fromme Mann

Den nächsten hohen Berg hinan,

und kam gar bald aus den Augen des Schmiedes. –

Es schien nun, es sei Alles am Ende des Liedes.

Das wars denn nun nicht! – Nach einigen Zeiten

der Tod gar hochbeinig daher thät schreiten;

der Schmidt ihn aber auf dem Sessel ließ reiten.

Es war gekommen der Knochenmann,

hatt' Rock nicht, noch Wamms, noch Hosen angethan,

sondern das bloße Gerippe nur an;

und hatte verkündet dem armen Schmidt,

daß er nun müßte ihn nehmen mit,

dort unten hinab, wo Alles ist todt

denn er sei, er selbst, der leibhaftige Tod.

[246] Der Schmidt sprach: »kanns einmal anders nicht sein,

so muß ich freilich mich geben darein;

doch ist es hart, das könnt Ihr mir glauben. –

Wollt Euch derweil auf meinem Sessel verschnauben,

will nur ein wenig zurecht mich machen,

bevor ich renne in Euren Nachen.«

Da setzt der Tod sich denn auf den Sessel,

merkt bald sich gehalten mit geheimer Fessel.

Der Tod sich schüttelt und rüttelt, und regt,

vom Sessel ihn aber nichts los bewegt.

Der Schmidt ist froh, nimmt Hammer und Zange,

und zwickt und hämmert den Tod so lange,

daß der Tod sich fürchtet, der schlag ihn noch todt,

denn der Tod war in gar zu erbärmlicher Noth.

Da bat der arme Wicht: »ach laß mich nur leben,

so will ich zehn Jahre dir Frist ja noch geben!«

Zehn Jahr sind um – da kommt der Tod,

Und 's gab aufs neue eine große Noth.

»Weh! weh! sprach der Schmidt,« ich seh' es wohl ein,

es ist gekommen mein Stündelein;

so muß es denn einmal geschieden sein! –

»Doch möcht ich auf die Reise einen Apfel mit nehmen,

und will mich dann weiter um die Welt nicht grämen.

Ihr seid ja so luftig, und seid ja so leicht,

drum mir zu Gefallen Ihr den Baum wohl besteigt.«

Der Tod war dazu gar willig und munter,

kommt aber vom Baume nun nicht wieder herunter.

Der Schmidt so stracks holt die rüstgen Gesellen,

den Tod mit eisernen Stangen zu prellen. –

[247] Die Arbeit war ihnen gar herzlich sehr lieb,

zerbläuten mit den Stangen den Apfeldieb.

Der Tod nicht eh' kam aus Schmerzen und Schmach,

als bis er dem Schmidt erst eidlich versprach,

er wollt sich ganz und gar seiner begeben,

und lassen bis alle Ewigkeit leben.

Ach lendenlahm, und ganz trübselig bemüht

der Tod nunmehr von dannen zieht,

und dacht, den groben Schmidt hol der Teufel,

der hätt mich geschlagen zu Brei ohne Zweifel,

hätt ich nicht in meinen groß Aengsten und Nöthen

ihm Alles versprochen und kläglich gebeten.

Der Schwarze kam eben entgegen gegangen

und dacht, mich soll doch wahrhaftig verlangen,

was den Tod so hinken und lahmen macht?

Und als er seine Worte nun angebracht,

der Tod ihm die Litanei ganz erzählt

und den Schwarzen zu seinem Rächer erwählt.

Der Teufel zum Schmidt kam, sprach, wollte ihn holen,

er möchte nur schmieren die Schuhe und Sohlen,

und möchte ihn lassen zur Stube hinein,

es könnte ja einmal nun anders nicht sein.

»Wird nichts draus, der Schmidt sprach, es müßte denn sein,

du führst durchs Schlüsselloch in die Stube mir ein,

damit ich dadurch denn doch ganz gewiß wüßt:

daß du der leibhaftige Schwarze bist.«

»Wenns weiter nichts ist, das ist mir schon recht!« –

[248] Ach armer Teufel, wie erging dirs so schlecht!

Der Schmidt den Sack hatt' gehalten vors Loch,

in welchen der Teufel gar kühnlich kroch, –

denn daß er ein kecker und kühnlicher Patron,

das wissen wir Alle gar längstens schon. –

Der Schmidt aber schnell den Sack zuband,

seine Gesellen, die waren sogleich zur Hand,

und schmied'ten den Teufel mit großen Hammern,

bis er erbärmlich fing an zu jammern,

und schlugen mit voller und köstlicher Lust,

bis dem Bösen der Athem ging fast aus der Brust.

Hätten sies Schlüsselloch nur tüchtig verstopft,

hätten sie den Teufel wohl weidlicher geklopft,

und hätten zuletzt ihn wohl gar noch gehenkt. –

der hatt' sich aber kläglich durchs Loch gezwängt,

und floh davon, und schrie in der Luft:

»Hol der Henker den Grobian, den unhöflichen Schuft.«

Das Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[249] Das Galgenmännlein, oder der böse Geist im Glase.

Ist man erst einmal in der Gewalt des Bösen, so kommt man schwer, ach recht schwer wieder daraus los, und ehe man nicht davon wieder los ist, kommt kein Friede ins Herz, und keine Freude ins Leben. Aber Ihr werdet das schon von selbst ersehen, in Reichards Begebenheiten.


Reichard war ein junger Kaufmann in Deutschland, und hatte gar hübsches Gut und Geld von den Aeltern ererbt. In Deutschland aber waren damals trübselige und klägliche Zeiten, weil es Krieg war, in welchem der Handel und Wandel fast ganz aufhörte.

So begab sich denn Reichard nach Italien, in die reiche Stadt Venedig, die nach allen Gegenden der Erde hin handelte, und dadurch unermeßliche Reichthümer hatte zusammen gebracht, und weil die Reichthümer dorten zu Hause waren, so war auch das Wohlleben und alle Pracht und Ueppigkeit dort und recht gute Gelegenheit, mitten unter dem größesten Reichthum in die größeste Armuth zu gerathen.

[250] Reichard lebte hier herrlich und in Freuden, und dachte nicht an Handel und Wandel, sondern nur an seine Lust. Nichts war ihm für sein Vergnügen zu theuer und kostbar, und in dem Gasthause, wo sich alle Abende die reichen Taugenichte der Stadt versammelten, fehlte er niemals. Da wurde gezecht, geschlemmt, gespielt, gelärmt bis zum Anbruch der Morgenröthe, und noch sonst allerlei nichtswürdiges und böses Werk und Wesen getrieben, und funfzig Dukaten oder noch mehr, waren oft in wenigen Stunden verthan. Reichard sahe wohl, wie Mehrere in dieser Gesellschaft all ihr Geld zusetzten, und hatten sie erst das Geld verloren, so achtete sie von allen ihren Trink- und Spielgesellen, mit welchen sie lustig gelärmt und geschwärmt hatten, kein einziger mehr. Er sahe das wohl, aber doch ward er dadurch nicht klug, und so ging denn in kurzer Zeit sein Geld auf die Neige, und die lustige Vergnüglichkeit seines Wesens und Lebens ging auch auf die Neige, und seine Kumpane hatten das bald genug weg.

Unter den Lärmbrüdern im Gasthause war ein Hispanier, der aber eben nicht mitlärmte, sondern nur dem Lärmen zusahe. Er war fast immer stumm und verschlossen, und auf dem finstern und hagern Gesicht lag eine Unruhe seltsamer Art. Dennoch wurde er von der wild jubelnden Bande recht gern gesehen, denn er schonte kein Geld, und hielt die Schwärmbrüder oft wochenlang in allen Genüssen frei.

Eines Abends war Reichard recht traurig, weil all das lustige überherrliche Leben für ihn bald zu Ende gehn mußte. Da giebt ihm der Spanier einen Wink, und geht mit ihm in eine grausige Einöde vor der Stadt, wo er sich auf ein altes verfallenes Gemäuer mit ihm setzt. Dem Reichard wurde es unheimlich zu Muthe, als sollte es sein Leben gelten.

Der Hispanier sprach zu ihm also: »Hör junger Gesell, mit deinem Gelde gehts sichtlich zu Rande, das läßt sich wohl merken. [251] Willst du aber, so sollst du bald im Stande sein, in jedem Augenblick und zu jeder Stunde so viel Gold zu haben, als du nur wünschen magst. Ich bin im Besitz des Mittels dazu, und verkauf dirs für wenige Dukaten.«

»Was? sagte Reichard – Ihr könnt in jedem Augenblick so viel Gold haben, als Ihr wollt – was kann Euch denn noch am Gelde liegen, daß Ihr mir das Mittel verkaufen wollt? – Und warum wollt Ihr denn desselben gern los sein? – – Das ist mir zu hoch!«

»Ich will Euch reinen Wein einschenken, erwiedert der Hispanier. Vielleicht habt Ihr einmal von den kleinen furchtbaren, aber zum Glück seltenen Wesen gehört, die man Galgenmännlein nennt? Es sind schwarze kleine Teufel mit Hörnchen auf dem Kopf, und sehen überhaupt so aus, als der große Teufel selbst, und werden in kleinen Gläsern eingeschlossen. Besitzt Jemand solch ein Männlein, so ist alle Lust und Freude und alles Gold der Welt sein, so lange er lebt, aber die Seele ist dem Bösen verfallen, wenn der Besitzer stirbt, ohne vorher das furchtbare Männlein in andere Hände gebracht zu haben, welches nur durch Verkauf geschehen kann, indem man immer etwas weniger dafür nimmt, als man selbst gegeben hat. Meins kostet mich zehn Dukaten; gebt mir dafür neune, so ist es Euer. – Ich bin wider Willen zu der gefährlichen Waare gekommen, indem mir es ein betrügerischer Mann als eine Naturseltenheit verkaufte.«

So ein Wesen hätte Reichard gern gehabt, das ihm alle Freude der Welt könne gewähren, und zweifelte nicht, er werde es schon leicht wieder los werden, sobald er es sattsam gebraucht habe, aber er war in Venedig so oft schon betrogen worden, daß er auch hier fürchtete angeführt zu werden, welches er dem Hispanier ganz ehrlich gestand.

[252] »Du armseliger Wicht, fuhr dieser ihn zornig an, denk an mein Fest von gestern Abend, um zu verstehen, ob ich dich um deine Paar lumpigen Dukaten betrügen will.«

Reichard wollte das Wesen gern besitzen und bot fünf Dukaten. »Narr! sagte der Hispanier, gib mir meinetwegen nur Einen Dukaten, oder nur einen Heller; genug wenn ichs nur los bin. Ich forderte neun Dukaten nur zu deinem Besten, und zum Besten derer, die nach dir das gefährliche Ding werden kaufen, damit nicht zu früh es Einer für die niedrigste Münze in der Welt erstehe, und dann unwiederbringlich in Teufels Klauen falle. Du weißest ja, daß es Jeder um geringeren Preis wieder verkaufen muß, als erst erstand.«

Aber Reichard wollte nur fünf Dukaten geben, gab sie, und erhielt ein gläsernes Fläschlein, worin er beim Sternenlicht ein schwarzes Wesen wild auf und niederfahren sah. Er machte mit dem Dinge die Probe sogleich, wünschte sich sein Kaufgeld doppelt zurück, und hatte so stracks zehn Dukaten in der Hand.

Heiterer als sie gegangen waren, kamen Beide ins Wirthshaus zurück, der Eine deshalb, weil er ein so herrliches Ding besaß, der Andere weil er ein so gefährliches Ding losgeworden war, und die noch zechenden Gesellen wunderten sich, daß Beide so trübselig gewesen und nun so heiter geworden seien. Beim Reichard fanden sie bald, warum er so vergnügt sei, denn er gab mit vollen Händen dem Wirthe Gold aus seinen Taschen, damit dieser noch um Mitternachtszeit ein köstliches Mahl zurichte, und noch genug hätte, um für mehrere Tage alle seine Eß- und Trinkgesellen im herrlichsten Saus und Braus zu erhalten. – Der Hispanier nahm an dem Allen keinen Theil mehr. Er sagte noch in der Mitternacht den Genossen ein kurzes: »lebt wohl!« und soll sogleich in ein Kloster gegangen sein, um im härenen Kleid, unter anhaltendem Gebet und [253] mit zerfleischenden Geißelhieben abzubüßen, was er auf seinem Gewissen hatte, dessen wohl etwas viel sein mochte. Glücklich hatte ihn also der kleine Teufel gar nicht gemacht.


Wie es nun Reichard trieb, und welch ein Leben er leben mochte, ist wohl unnoth zu erzählen. Er lebte mit einer Buhldirne, kaufte sich Schlösser und Landhäuser, und Güter, gab königliche Bälle, und das Herrlichste und Kostbarste, was nur zu haben war, das durfte ihm nicht fehlen. Daß er recht liederlich und gottlos ward, und aller Tugend und Ehrbarkeit vergaß, das läßt sich leicht denken.


Seine Buhldirne saß eines Tags mit ihm auf einem seiner Landhäuser am Ufer eines klaren Bächleins, und beide schäkerten und scherzten. Da ersahe die Dirne, daß eine kleine Kette um seinen Hals hing, und zog dieselbe hervor, und entdeckte das Galgenmännlein im Fläschchen, welches an der Kette hing. Das Männlein machte tausend Sprünge, welches sie belustigte; aber als sie den Unhold nun näher ansahe, und sahe wie gräßlich und häßlich er aussahe, schrie sie mit Entsetzen: »pfui Teufel; das ist ja wohl gar eine garstige Kröte.« Damit warf sie das Fläschchen ins Wasser.

Wie erschrocken war Reichard! Er sagte, das Gläschen hätte eine Naturseltenheit enthalten, die ihm lieb gewesen wäre, indessen dauere sie ihn nicht so sehr viel, zumal da er sie wieder haben könne. Aber wir wissen besser, wie viel ihm daran gelegen war, und er bedachte, was nun zu thun sei. Der Galgen- und Goldteufel war fort, aber er hatte noch sein Schloß, seine Landhäuser, seine Grundstücke, und noch Dukaten in seiner Tasche. Als er allein war, und [254] nun in die Tasche nach den Dukaten griff, siehe da kommt ihm die Flasche mit dem Galgenmännlein in die Hand, und jetzt erst begriff er ganz, daß ohne Verkauf das gefährliche Ding nicht von ihm weichen und lassen würde, und jubelte hoch darüber. – Ach hätte er gewußt, wie viele Angst und Höllenqual er noch würde ausstehen, um den Höllengeist los zu werden, er hätte fürwahr nicht gejubelt, und er jubelte auch da nicht mehr, als er den bösen Geist im Glase ansahe, um zu ersehen, ob er denn der rechte wäre? Der rechte war es zwar, aber er hatte eine so gräßliche und grimmige Gestalt.

Wars bei Reichard hoch hergegangen, so ging es jetzt freilich noch höher, und aufs allerhöchste her, und Venedig, das reiche üppige Venedig, konnte oft nicht schaffen, was er begehrte. – Die Wünsche des thörichten Menschen sind ja oft größer als die ganze Welt.

So wars eine Weile gegangen, als unser Lüstling krank wurde, sehr krank, und obwohl er das Galgenmännlein um Besserung ersuchte, so erfolgte doch keine und des Arztes Rath und Kunst war auch nicht im Stande einer durch Ausschweifungen erschöpften und zerrütteten Natur alsbald wieder zu helfen. – Er selbst hätte es durch Enthaltsamkeit und Mäßigkeit vielleicht am besten gekonnt, hätt' er es ernstlich gewollt.

Während er so krank da lag, hatte er einmal in der Nacht einen gar sonderlichen bösen Traum. Es war als ob die Arzneigläser, die auf dem Tische vor seinem Bette standen, in Bewegung kamen, und eins derselben tanzte und sprang, und rennte den andern Gläsern klingend gegen Hals und Bauch. Das war aber das Glas mit dem Galgenmännlein. Und da träumte ihn weiter, wie er das Galgenmännlein anrufe und bitte, es möge ihm doch helfen, und wenn es das nicht könnte, ihm doch wenigstens die Gläser nicht zerschmeißen; aber das Männlein tanzte und sang in der Flasche: »hei! hei! Was hilft dir dein Stöhnen und Klöhnen, du [255] bist ja mein, und nimmer will ich dich lassen. Hei! hei! hei! hei! in die ewige Pein kommst du hinein; der Schwarze läßt mit sich nicht spaßen.«

Und damit machte sich das Galgenmännlein lang und dünn, wie einen Faden, und kroch aus dem verpechten Glase hinauf, obwohl Reichard den Pfropfen fest zuhielt, und wurde ein langer schwarzer Mann, welcher sich mit großen Fledermausflügeln gräulich drehte und tanzte, und schwirrte dazu mit den häßlichen Flügeln. Ja am Ende legte er die Brust so kalt und rauch an Reichards Brust, und umwickelte ihm mit den Flügeln, und drückte ihn mit denselben fest an sich, und die Fledermausaugen und das ganze Gesicht sahen fürchterlich und grimmig ihn an.

Da erwachte er in kaltem Todesschweiß, und es war ihm, als kröch eine schwarze Kröte ihm eilig von der Brust über den Bauch, und schlüpfte in die Tasche des Nachtkleids hinab, und als er darnach hingriff, ergriff er das unheimliche Ding in der Flasche.

Ach! der arme Mensch hatte den bösen schrecklichen Träume noch viel, vor welchen die Knie ihm tagelang erbebten, und die Glieder erzitterten. Aber die Träume wären wohl nicht so böse gewesen, wäre das Leben nur besser gewesen.

Während er so Nächte lang da lag, voll Angst und Schrecken, und von den Träumen höllisch geängstet, hatte er oft den Dienern geschellt, aber sie hatten im Todesschlaf gelegen, und es war keiner gekommen. Das mochte wohl der Geist im Glase gemacht haben. Aber die Buhldirne, die sonst immer in der Nähe war, hätte der Geist wohl nicht eingeschläfert, kam eben so wenig zu ihm, obwohl sie in seiner Nähe immerdar gelauscht hatte – der Dukaten wegen, denk ich immer, weil sie so nichtswürdig und schändlich war.

So lag er denn in seiner Krankheit so oft allein, ach so oft allein, und dachte nur daran, wie er, hätte Gott nur erst ein wenig geholfen, des Galgenmännleins sich möchte entledigen.

[256] Zuerst dachte er dabei an seinen ehrenwerthen und frommen Doktor, der ein großer Naturliebhaber war, und ein gelehrter Mann obenein. Der erbot sich zwar, das seltsame Wesen zu kaufen, und am Arztlohn etwa abzurechnen, wollte aber, da er eben nicht reich war, nur drei Dukaten geben. Ach dafür gab es der Kranke gar gern, und was er empfangen hatte, das gab er den Armen, denen er vorher, da er hunderttausende von Dukaten verthat, keinen Heller hatte gegeben. Jetzt aber, da er den Klauen des Satans wollte entgehen, gab er das lumpige Sündengeld von drei Dukaten hin.

Ehe er noch das Galgenmännlein beim Arzte angebracht hatte, hatte er sich ein Paar tüchtige Säckel mit Dukaten unter sein Kopfkissen, und in sein Bette gewünscht, und nun da er es verkauft hatte an den Arzt, suchte er nach den Dukaten, von welchen er wußte, daß sie da gewesen waren, und die jetzt dennoch nicht da waren. – – Daß aber die Dirne immer in der Nähe seines Zimmers gewesen sei, hörte er von Allen, und daß sie von seinen Golddukatensäcken nichts wissen wollte, und behauptete, er sei ein Narr, der sich das Alles im Fieberwahn eingebildet hätte, hörte er von ihr selbst, und wußte nun, was Art und Natur sie war, und fing sie an zu verachten, was er schon viel früher hätte thun sollen.

Aber wie sollte er sich helfen, da die Dukaten fort waren, und das Gold- und Dukatenmännlein auch. – – »Hm!« dachte er, »hab ja noch Schlösser und Güter, die will ich verkaufen, aber er verkaufte sie nicht.«

Er hatte der Nichtswürdigen in seiner Tollheit Blätter gegeben, mit seiner Unterschrift und Siegel unterhalb, und oben waren die Blätter weiß geblieben und leer, damit das zarte, liebe, herzige Herz, oben drauf schreiben konnte, was es wünschte und haben wollte, und es ihm an gar nichts fehle. Sein untenstehender Name bezahlte ja Alles, oder vielmehr das Galgenmännchen.

[257] Jetzt aber, wie er seine Besitzungen wollte verkaufen, fand er, daß er nichts zu verkaufen hatte, denn es stand auf dem leergelassenen Raum der weißen Blätter, ordentlich und gehörig, daß er diese Schlösser, und jene Landhäuser und Güter, an die und die Dame, an seine Buhldirne nämlich, um den und den Preis verkauft habe. – Er hatte nichts mehr als 30 Dukaten, und war nun recht grimmig und wild, und hätte sich, die Welt, und Gott und seinen Teufel ermorden mögen. – O ja! so weit bringt es der Mensch schon, wenn er recht schlecht wird.

Da trat sein Arzt herein, den er hart und gewaltig grimmig anfuhr, und zu ihm sprach: – »Geld zu haben kommt Ihr doch her! Aber gebt mir lieber ein Giftpulver, daß ich der Marter los werde. Geld hab ich nicht mehr!«

»Behaltet Euer Geld, werther Herr; um Geld und Lohn hab ich ja nie gedient, obwohl ich des Geldes gar nicht zu viel habe. – Aber ich hab mir eine recht kräftige, lebenstärkende Arzenei ausgedacht, die einzige, die Euch vielleicht noch aufhilft. Ich habe sie, während ich herkam und Ihr schlummertet, mit dem Recept in Euren Schrank gestellt. – Wollt Ihr mir meine Auslage geben, an 2 Dukaten, so ist sie Euer. – Die zwei Dukaten wurden gern gegeben. Lebt wohl, und werdet endlich einmal ganz gesund,« sagte der Arzt, und ging davon, und Reichard rief ihm tausend Dank nach.

O! als er in den Schrank sahe, fand er ein Glas in ein beschriebenes Papier verhüllt, und in dem Glase den furchtbaren Geist, wieder, der von ihm gar nicht schien ablassen zu wollen. Auf dem Papier aber stand: »Bube! um meine Seele wolltest du mich bringen, indem ich deinen Leib wollte genesen machen! O rette deine Seele aus den Klauen des Satans, ist es noch möglich.«

Ach! wie erschrak Reichard, daß er abermals den Galgenteufel erkauft hatte, und zwar um lumpige zwei Lumpendukaten. – Ach hätt ich es doch das erste Mal um 10,000 Dukaten erkauft – [258] dacht er – und wollte nun so, wie im Scherz und Spielerei das schreckliche Ding, bei der Buhlerin anbringen, nachdem er sich aber zuvor erst doppelt so viel Dukaten gewünscht, als er unter dem Kopfkissen gehabt hatte. Er hatte die Dukaten und legte den größesten Theil bei einem Kaufmann nieder, und ließ sich einen Schein darüber geben, und dachte, es hätte nun keine Noth mit ihm, zumal er in allen Lüsten schon satt und übersatt war, und mit viel Wenigerm nun auszukommen gedachte. Unter Lachen und Scherzen nahm ihm die Buhldirne das seltsame Ding um einen Dukaten ab. Er aber, statt zu fliehen vom bösen Geiste, weit weg, in ein anderes Land, zechte, lärmte, spielte, schwelgte bei der listigen Buhlerin noch einige Monate lang, denn er hatte den falschen Ehrgeitz, zeigen zu wollen, daß es nirgends ihm fehle, und konnte auch von seinen Lüsten nicht ablassen.

Und als es nun dennoch zu fehlen anfing, ging er sein niedergelegtes Geld sich geben zu lassen; aber da wollte Niemand, weder von ihm noch von seinem Gelde etwas wissen, und sagte ihm dreist unter die Augen, er sei ein Narr, und als er wild wurde und seinen Schein hervor zog, so war ein weißes Blatt Papier geworden, und ohne Zweifel hatte der Kaufmann mit solcher betrüglichen Dinte geschrieben, die nach weniger Zeit völlig verlöscht, ohne eine Spur zurück zu lassen. Also war auch hier kein Seegen beim Gelde des Galgenmännleins, und Reichard ging leichenblaß fort.

Was sollte er thun? verhungern wollte er doch nicht, und eben so wenig sich todt schießen, denn er liebte das Leben noch sehr. – Er hatte noch einige Dukaten in seiner Tasche, und kaufte sich für einen Theil derselben einen Tabuletkram, und jedes Büchschen in dem Kleinkram hatte er etwa zu vier Groschen eingekauft. Er zog mit dem Krame umher, und verkaufte einige Tage lang, und war mit der schmälsten Kost zufrieden, oder mußte es vielmehr sein. – Das war Alles in demselben reichen und großen Venedig, das so [259] lange ihm nicht reich und nicht groß genug für seine Ausschweifungen gewesen war. – Doch ging es so gut mit seinem Verkauf, und die Käufer gaben, was er sich kaum zu fordern getraute, so gern, daß er anfing zu denken, er könne wohl wieder ein wohlhabender Mann werden.

Aber woher kam denn solch Glück? – Das kam von dem Galgenmännlein, welches er, ohne es zu wissen, wieder in seinem Tabuletkasten hatte.

Er war eines Abends in die Herberge gekommen, und hatte seinen Kasten abgesetzt, als einer der Umstehenden, der seinen Kram besah, ihn fragte, was denn das da, das in dem Fläschchen so närrische Purzelbäume mache, für ein poßirliches und garstiges Ding sei? – Da sahe er mit Schrecken was er hatte, und bot allen, die da waren, das Wesen um drei Groschen an, denn für vier Groschen hatte er selbst es gekauft. Aber Niemand mochte es kaufen, denn es grausete Jeden, der es nur ansahe.

Der, welcher es ihm verkauft hatte, wollte es auch um keinen Preis wieder und sagte, er solle sich zu seiner ehemaligen Buhlerin scheren, von der er es mit anderm Spieltand erkauft hätte.

Er ging hin, aber er wurde die Treppe mit sammt seinem Kram herab geworfen durch die Diener der Lustdirne, die das Männlein eben darum wieder verkauft hatte, weil es sie so gräßlich ansahe.

Angst und Entsetzen überfiel Reichard, und überfiel ihn immer mehr, da Alles was er versuchte, das Männlein los zu werden, ganz fehlschlug.

Er wollte sehen, obs an einem andern Orte besser gelänge, wünschte sich wieder unermeßlich viel Geld, und reiste glänzend nach Rom. Hier, meint er, könnts ihm nicht fehlen, aber das Galgenmännlein tanzte immer toller und vergnügter in dem Gläschen auf und ab, gleichsam als ob nun seine Dienstzeit bald um, und Reichard dem Teufel gewiß sei.

[260] Reichard hatte in Rom bald in den größesten und vornehmsten Gesellschaften Zutritt; das machte sein Geld; aber er wurde auch überall für toll gehalten, das machte weil er seine Naturseltenheit, von der er doch so sehr viel Rühmens machte, um lumpige drei Groschen aller Welt wollte aufdringen, da sie doch niemand mochte, indem sie, wenn sie Jemand besah, recht gräßlich aussah.

Sein Entsetzen, seine Angst, sein Grausen stiegen mit jedem Tage, und seine bösen Träume wurden immer wilder und fürchterlicher, und nirgends fand er auf Erden mehr Ruhe. – Da ging er in der Verzweiflung in einen Krieg, der damals in Italien von zwei kleinen Fürsten geführt wurde. – Er bedachte nicht, daß, wenn eine Kugel oder ein Säbelhieb ihn recht tüchtig träfe, er sterben müsse, und dann dem Teufel auf ewig verfallen sei. Das that aber eben die Verzweiflung, daß er nicht wußte was er that; und jetzt beten zu Gott konnte er auch nicht mehr, so gern er wohl es jetzt gemocht hätte. Er konnt es nicht mehr! – Ach er hatte zu Gott, so lange er das höllische Männlein besaß, und lange zuvor nicht gebetet – er hatte es erst nicht gewollt, und nachmals nicht mehr gekonnt.

Er ging in den Krieg hinein; er ging aber auch bald wieder hinaus, denn er konnte das Knattern und Pfeifen und Sausen der Kugeln schon im ersten Treffen nicht ertragen; und selbst die Trompeten, die ihn zum Hauen und Stechen riefen, waren ihm zuwider, obwohl er sich tüchtig und treflich mit mehrern Knechten gerüstet hatte. Aber am meisten zog er wieder darum aus dem Kriege, weil er zum Besinnen gekommen war, und nun bedachte, wem er gehöre, wenn er im Treffen bliebe.

Er floh zurück, in einen dichten Wald, tiefer und tiefer hinein, legte dort Harnisch und Schwerdt und alle Waffen ab, und machte es dem Pferde auch leicht, dem er Sattel und Zeug abnahm und er selbst legte sich ermüdet hin, und schlief wohl ein Paar [261] Stunden. Da hörte er Stimmen, er wollte sie aber nicht hören, sondern lieber noch schlafen. Aber eine Donnerstimme rief: »wenn du todt bist, du Hund, so sag es nur, da braucht man sein Pulver nicht zu verplatzen!«

Da mußt er schon aufstehen, und sahe, wie ihm ein Soldat eine gespannte Muskete auf die Brust hielt, und sechs andere schon seinen wohlgespickten Mantelsack, sein Pferd und was er sonst hatte, sich hatten zu eigen gemacht, als wohlerworbenes Gut, wofür sie jegliche Beute ansahen, wie die Soldaten zu thun pflegen, die das Genommene als gegeben betrachten.

Da bat Reichard gar sehr um Gnade. Aber weil er nicht wußte, ob er sie würde erhalten, indem der Musketenmann gar zu grimmig aussahe, und doch seine Seele bedachte, so flehte er: »Wenn Ihr mich todt wollt schießen, so kauft mir nur vorher dies Fläschchen mit dem schwarzen Dinge drin ab; – für drei Groschen sollt Ihr es haben.« – »Narr, sagte Einer da gegen, das Ding nehme ich, aber ohne Geld;« und damit nahm ers, und steckts in seinen Busen.

»Nehmt immerhin, sprach Reichard, aber ich fürchte, es wird nicht bleiben, wenn Ihrs nicht ordentlich gekauft habt?« – Aber da lachte der Kriegsmann, denn er dachte, er wollt es schon fest halten.

Ach Gott! die Kriegsknechte waren von dannen gezogen, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, er aber hatte das furchtbare Männlein richtig wieder in seiner Tasche, gleichsam als wolle und könne es von ihm nun und nimmermehr ablassen; der Kriegsmann aber, der es genommen hatte, fand es nicht wieder, und lief bis zum Reichard zurück, und denkt er habe das seltsame Thier im Grase verloren, und sucht es. Reichard sagte aber, es sei ein so seltsames Ding, daß es nun und nimmermehr bei irgend einem Menschen würde bleiben, gäb man nicht Etwas dafür. Für drei[262] Groschen könne er es ja haben. Aber der Kriegsgurgel, der die drei Groschen zu viel waren, wollte nur Einen Groschen geben, wofür es denn Reichard mit Freuden abließ, aber auch nun mit leichter Tasche dastand. Er hatte nichts mehr als seinen Groschen. Aber seiner Seele war ja auch leichter geworden. – Jedoch was sollt er nun anfangen? Einen frischen Lebensmuth hatte er gewonnen, seitdem er des Männleins war ledig geworden, aber an Lebensmitteln fehlte es ihm sehr, weil er kein Geld in der Tasche hatte.

Er ging wieder unter die Kriegsleute und diente einer andern Parthei, und war nun ein Fußknecht geworden. – Wie ihm jetzt mochte zu Muthe sein, wußte Er wohl nur allein. Vorher Taschen und Säckchen voll Dukaten, jetzt nur ein Paar Dreier im schlaffen Lederbeutlein.

Er wollte nach einem Löhnungstage sein Glück in einem Marketenderzelt im Würfelspiel versuchen, denn an solches Spiel war er ja schon lange gewöhnt. Er gewann, er gewann viel, aber am Ende hatte er Alles wieder verspielt, und kein Kamerad wollte ihm nur ein paar Groschen borgen. Er zog im Aerger die Patronen aus seiner Patrontasche heraus, und setzte sie aufs Spiel, und verlor sie an denselben Soldaten, dem er sein Männlein hatte verhandelt, denn wo das Männlein war, da war auch das Glück, nämlich das unglückliche Glück.

Am andern Morgen, als Reichard noch lange nicht hatte ausgeschlafen, kommt der Korporal und schreit: »Heh! heda! heh! der Musterungsaufseher kommt in einigen Stunden, sieht Alles durch, und wer dann seine Patronen nicht hat, wird, wie ihr schon wißt, erschossen.«

Reichard hatte noch fünf Heller in der Tasche, mit welchen er, nachdem er lange vergebens in alle Gezelten herum gelaufen war, zuletzt zu dem kam, der ihm vorhin das Galgenmännlein, und sodann im Glücksspiel seine Löhnung abgenommen hatte, und der [263] ihm am Ende nach vielem Betteln, fünf Patronen für fünf Heller aus Barmherzigkeit abließ, weil er sie gerade übrig hatte, und für einen braven Kamerad wollte gehalten sein.

Die Musterung ging glücklich vorüber, ohne daß Einer wäre erschossen worden. Darum gingen Alle zu den Marketendern, und thaten sich gütlich, nur Reichard nicht, der keinen Heller mehr besaß, und an einem Stück trockenem Brodte trübsinnig kauete. – »Ach, seufzte er, wer doch jetzt nur Einen von den Händevoll vergeudeten Dukaten hätte. – Und der Dukaten war sogleich in seiner Hand. Da erschrack er sehr, und dachte an das Galgenmännlein. In der That war der kleine Schwarzkünstler bei ihm, und hatte bei den Patronen des Kameraden gelegen, und war auch wie eine Patrone in Papier eingewickelt. Das erfuhr er von dem Kameraden, als dieser es wieder forderte, sagend, er habe es ihm aus Versehen statt einer Patrone gegeben.«

Wie gern gab Reichard das unheimliche Wesen zurück. Aber weil es von ihm gar nicht wollte ablassen, sondern immer bei ihm sich wieder einstellte, so überfiel ihn ein entsetzliches Grausen, und er warf den Dukaten mit Abscheu fort, und lief, lief, so weit ihn die Füße nur trugen, tief hinein in den dichtesten Wald, wo er zu Abend ganz müde und verlechzt an einem Baum niedersank, und sich nur eine Feldflasche voll Wasser wünschte.

Im Augenblick stand die Flasche mit Wasser vor ihm. – Da entsetzte sich der arme Mensch, griff in seine Tasche, und ergriff die Flasche mit dem furchtbaren Wesen.

Er fiel ohnmächtig in Schlaf, und einer seiner gräßlichen Träume kehrte wieder. Das Galgenmännlein zog sich aus der Flasche heraus, und legte sich in furchtbarer Gestalt auf seine Brust. Dagegen wollte er sprechen, und sagte, das Männlein es gehöre ihm nicht mehr an, denn er habe es ja verkauft. –

[264] »Handel gilt nicht – gilt gar nicht, grinste der böse Geist. Hast mich für einen Heller mit den Patronen gekauft; hättest mich ja wohlfeiler müssen verkaufen; hast mich aber zurück gegeben, werde nun wohl nicht wanken und weichen von dir, und habe dich, denk ich, gewiß.«

Da erwachte er schrecklich, und rannte an einen Felsensturz hinan, und schleuderte das Fläschlein hinab; aber das war im Augenblick wieder in seiner Tasche.

»Weh! weh! schrie er durch die Nacht des Waldes – er brüllte es beinahe vor Angst und Grausen; weh! weh! weh mir! Sonst wars meine Freude, wenn es wiederkehrte, jetzt wird es mein Jammer, mein ewiger, ewiger Jammer.«

Einem Rasenden gleich lief er in der Nacht im Walde her und hin, und bei jedem Schritt klirrte es in der Tasche. Er nahm am frühen Morgen das Fläschlein, er warf es hin und sprang wüthend darauf mit den Füßen, und wollte den bösen Geist erwürgen, aber das Fläschlein war sogleich wieder in der Tasche, und ging ein höhnisches Gelächter daraus hervor.

»O Teufel! Teufel! rief er grimmig, Teufel laß ab.« Aber wer dem bösen Geist einmal sich hat hingegeben, von dem läßt er wohl nun und nimmermehr ab.

Reichard suchte nach einer Münze, die geringer wäre als ein Heller, suchte überall und fand keine, fragte überall darnach, und wurde überall ausgelacht und für toll gehalten. So waren Monate hingegangen, Monate voll Höllenqual. Ach die Hoffnung loszukommen mußte er wohl aufgeben, aber den Wunsch darnach konnte er ja nicht aufgeben.

Da hatte er sich einmal in einem felsigen Gebirge verirrt, und lag fast ohnmächtig da, als es mit schweren Rosseshufen über dem Boden daher hallte. Und es kam ein großer Mann auf einem hohen schwarzen Pferde, der sahe so häßlich aus, als trug er lauter [265] Unheil in sich, und hatte ein prächtiges aber blutrothes Kleid an. Reichard erbebte, als er ihn sahe.

»Was so betrübt Gesell? sprach ihn der Mann mit furchtbarer Stimme und gräßlicher Gebehrde an; du siehst wie ein Kaufmann, hast du etwa zu theuer eingekauft?«

»Ach zu wohlfeil vielmehr,« sagte Reichard erbleichend, und fürchtete der gräßliche Mann führe ihn mit sich davon zum Orte der ewigen Qual. – Er glaubte es sei der Böse.

Aber der sagte gemildert zu ihm: »Trügt mich nicht Alles, so bist du der Mensch, der nach einem Halbheller sucht – wahrscheinlich um so ein Ding los zu werden, das man Galgenmännlein nennt? – Bist duDer, so sprich!«

»Ja! ja! der bin ich leider!« war die leise bebende Antwort.

»Na! nur getrost Patron, des Dinges sollst du schon loskommen. Ich suche ein solches schon lange, und bin dir deshalb wohl einige Wochen lang nachgezogen. Ich weiß welche Bewandtniß es mit dem gefährlichen Dinge hat. Freilich hast du blutwenig für das Ding gegeben, und ich kenne keine Halbheller, obwohl ich weit in der Welt bin umher gezogen. Aber es soll Rath werden, wenn du mir folgst.«

»Auf des Gebirges anderer Seite wohnt ein Fürst, der nichts weiter kann als jagen. Morgen will ich ihn schon von seinem Gefolge entfernen, und ihm ein greuliches Unthier über den Hals hezzen, von welchem du ihn befreien sollst. – Bleib hier bis Mitternacht, und wenn der Mond über jenem Felsenzacken steht, dann, aber nicht eher nicht später, gehe die finstre Kluft zur Linken entlang – weile nicht, eile nicht; nicht zu langsam nicht zu schnell geschritten, dann kommst du in dem Augenblick an, wo das Unthier ihn erpackt. Greif es furchtlos an; Dir soll es weichen, und sich von dir vom schroffen Ufer des Meers lassen hinunter stürzen. Dann begehre vom Fürsten, der dich wird lohnen wollen, nichts, als daß er dir [266] einige Halbheller lasse prägen, wovon ich mir einige einwechseln, und für einen derselben dein dir grausiges Ding abkaufen will. Wenn du die Halbheller wirst haben, dann findest du mich am Schwarzbrunnen. Jede Kindermuhme wird dir sagen wo er liegt.«

Fort war im Umsehen der Reiter mit seinem Roß. Ach Reichard suchte die Erlösung von dem Männlein und seiner Angst. – So ging er denn zitternd und bebend, genau nach der Anweisung, seines Ganges, auf welchem es ihm gar unheimlich bedünkte, weil es rings um ihn so gar grausig still und öde war, und vor Allem, weil er kein gutes Gewissen hatte. Doch begegnete ihm Nichts.

Die Morgenröthe blitzte herauf. Da wurde ihm weniger unheimlich. – O! Licht! Licht! erhellt Alles, auch den finstersten Trübsinn der Seele. Licht ist Leben und Heiterkeit zusammen.

Da kam er bald an eine Stelle, wo der Fürst unter den Klauen eines Unthiers lag, ähnlich einem Affen, mit Löwenrachen und Tazzen, und harig, zottig und riesig lang, und gewaltiges Hirschgeweih auf dem Kopfe. Hätt er sich vor dem ewigen Verderben nicht fürchten müssen, so hätte er sich gewiß vor diesem Ungeheuer gefürchtet. So aber ging er mit seinem tüchtigen Knotenstocke wiewohl bebend darauf los. Und da er sich eben nur genaht hatte, entfloh es, mit Heulen und Brüllen, und Reichard, der durch die Flucht des Unthiers kühn war geworden, folgte ihm nach, bis es vom Felsenrand des Meeres sich hinab stürzte.

Der erlöste Fürst erhob seinen Retter bis zum Himmel, mit lobpreisenden Worten, und versprach ihm Alles, was er ihm zu geben ihm Stande sei.

Da sagte Reichard, daß er nicht viel verlange, sondern bäte nur den Fürsten, aus absonderlichen Ursachen, ihm einige Halbheller um Gotteswillen schlagen zu lassen.

[267] Der Fürst sah denn freilich seinen Retter mit großen Augen an, und dachte: »Muth mag der wohl haben, aber gewiß fehlt es ihm sonst wo – etwa im Kopfe.«

Aber es fehlte ihm im Herzen – und die Halbhellerlein wurden geprägt, weil es der Fürst zugesagt hatte, und so leichte Zusage leicht halten konnte.

»Aber, wollt Ihr denn weiter nichts?« fragte der Fürst. »Nein! weiter nichts,« sagte Reichard – denn Geld und Gut waren ihm ja in selbigem Augenblicke gar nichts, Alles aber, wie er des schrecklichen Dienstmännleins, und seiner entsetzlichen Angst los möchte werden.

Er ging zum Schwarzbrunnen, von welchem man ihm furchtbare Beschreibung machte, und welcher auch eben nicht erfreulich aussahe, zumal da man durch eine finstere Höhle hindurch mußte.

Er war hindurch, und sahe sich eingeschlossen in einem tiefen Bergkessel, an dessen einer Seite das schwarze Roß des Mannes mit blutrothem Kleide unangebunden, regungs- und bewegungslos stand, mit hochgehaltenem Kopfe; des Rosses Reiter selbst aber wusch sich dem Rosse gegenüber in einem Born, der schwarzes Wasser hatte, schwärzer als Dinte; und so sah denn der Reiter mit dem rabenschwarzen Gesicht, und blutrothem Kleide so gar fürchterlich aus, waß Reichard erschrack.

»Ruhig, mein Bursche, sagte der Reiter des Schwarzrosses. Ich bin einmal der Dienstmann des Bösen, und ihm mit Leib und Seele schon lange verfallen, und thue schon, was er verlangt, weil ich muß; und Er thut freilich, was ich will, das muß er denn auch, denn unser Kontrakt lautet einmal so. Aber es gibt mir der Knauser nur jährlich zweimal hunderttausend Dukaten für alle meine Mühe, und dabei muß man kargen und sorgen. Daher bedarf ich des Galgenmännleins, und wenn ich es habe, kann ich in Einem Monat Millionen verthun, und will sie verthun, denn der Satan [268] von Satan muß mir sie schaffen. – Einmal komme ich doch nun von ihm nicht los, und so will ich denn jetzt ihn quälen, weil er mich nachher quälen wird. – Gib mir das Galgenmännlein her – Hier ist der Halbheller, den ich mir zu verschaffen gewußt habe. Deine Halbheller behalte zum Andenken, wenn du willst.«

Das Galgenmännlein ging nun in die Hand, und aus dieser in die Tasche des Fremden. Es sahe gar grimmig aus, und machte sich recht schwer in der Tasche.

»Sieh aus, wie du willst, Patron, sagte der Fremde; das gilt mir gleich. – Mache dich schwer wie du willst, ich will dich schon leicht machen, denn ich will so viel Gold fordern, daß du es nicht mehr sollst schaffen können.«

Damit eilte der Mann auf dem Schwarzroß fort, und war in wenigen Minuten aus Reichards Augen.


Reichard war frei, aber nicht fröhlich; ruhiger, aber nicht ruhig und heiter, sondern feierlich, ernst und still, wie in sich selbst sinnend, denn es lag noch das vorige böse Leben auf seinem Herzen, die alte Verderbtheit und das – böse Gewissen, und noch in manchen Träumen ängstete das Galgenmännlein ihn. – Ganz frei wurde er erst, als Gott ihn durch den Tod befreiete.


O! hüthet Euch vor dem Teufel, denn der wohnt in der Hölle nicht allein, sondern auch im Herzen; und achtet das Gewissen, in welchem Gott wohnt, und wohnt er darin einmal, so ist er auch im Herzen, mit Friede, Hoffnung und Freude.

Ich denke Ihr sollt mich verstehen!!!

Prinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[269] Prinzessin Schneeweißchen.

Die Prinzessin Schneeweißchen war die Tochter einer großen und vornehmen Königin, deren Gemahl wohl an hundert Hufen Land, oder gar noch mehr Land hatte, nämlich wohl an hundert und Eine Hufe. – Die Mutter war gar sehr schön, aber zweimal so eitel als sie schön war, und weil die Tochter täglich schöner wurde, so gefiel ihr das gar nicht, und sie dachte, es dürfe Niemand schöner sein als sie; denn die Eitelkeit verdirbt selbst das Mutterherz, sonst hätte sie ja an Schneeweißchens Schönheit große Freude gehabt.

Die Königin hatte einen Zauberspiegel, der ihr alle Morgen mußte ansagen, sie wäre die schönste Person in der Welt, und dabei ihr im Spiegel ihre Person zeigen, damit sie es selbst sähe. – Glauben mocht sie es ohnedieß gern, ohne daß sie es hätte zu sehen nöthig gehabt.

Auf einmal wird der Spiegel ganz einfältig und dumm, und sagt ihr: – sie sei zwar die schönste Person weit und breit umher, aber die allerschönste sei ihre Tochter, die Prinzessin Schneeweißchen, und vielleicht noch hundert oder tausendmal schöner als sie, und also die schönste in der Welt. – Das war ihr denn sehr entgegen, eben weil sie viel Eitelkeit, und grade darum wenig Mutterherz hatte, wie Ihr schon wißt.

[270] »Schneeweißchen die Schönste? sagte sie, undIch nicht? – Nun das muß denn doch anders werden. – Schneeweißchen muß nieder!«

Da sollte ein Jäger, dem sie vertraute, Schneeweißchen in den Wald führen und todt machen, und zum Wahrzeichen Lunge und Leber zurück bringen, die sie selbst doch wohl aus lauter mütterlicher Liebe essen wollte, und zwar mit Pfeffer und Salz.

Der Jäger nimmt Schneeweißchen in den Wald – tief, tief hinein. Aber wenn Ihr denkt, er habe es abgewürgt, so irrt Ihr Euch sehr. Schneeweißchen sah ihn so traurig und bittend an, und er hatte ein mitleidig Herz. – Einen jungen Frischling fing und kehlte er ab, und brachte der Königin, was sie für ihren mütterlichen Appetit verlangte.

Lunge und Leber, vorgeblich von Schneeweißchen, aß die Mutter. – Aber sie waren vom abgefangenen Frischling.

Schneeweiß hatte der Jäger indessen im großen weiten Walde lassen gehen, denkend, sie käme nicht wieder, weil der Wald so groß und lang und breit war, mehr aber noch, weil Schneeweißchen so treuherzig versprochen, es wolle nimmer zurückkehren.

Das arme Mädchen lief und lief, weit weit in den Wald hinein bis es Abend war geworden. Da fand es ein kleines Häuschen, das gehörte sieben kleinen Zwergleins, die aber nicht zu Hause waren, sondern bei ihrer Arbeit im Berge. – Schneeweißchen ging ins Häuschen, denn es war so müde, so hungrig und durstig, und fand alles darin niedlich und klein, und sauber und rein. Da stand ein Tischlein mit sieben kleinen Tellern, und neben jedem Teller lag ein Löfflein, ein Messerlein, und ein Gäblein, und ein Becherlein stand auch dabei, und, wie es sich für kleine Leutchen paßt und schickt, so waren alle Geräthe, und also auch die kleinen Bettchen, die an der Wand standen.

[271] Weißchen, weil es so unschuldig und arglos war, und nicht dachte, es könne ihr Jemand das übel nehmen, und weil es auch so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Brot und Gemüß, trank aus jedem Becherlein einen oder zwei Tröpfchen Wein, und wollte nun gern schlafen, weil es gar zu sehr müde war, und legte sich in ein Bettchen, das ihm aber nicht paßte, und wollte ihm keins passen, als das letzte und siebente, worin es denn sanft einschlief.

Da kamen zur Mitternacht die Zwerglein von ihrer Arbeit nach Haus, und steckten sich sieben Lichtlein an, und sahen dann, daß Jemand im Häuslein gewesen war.

Da sprach das Erste: »Wer hat auf meinem Stühlchen gesetzt?«

Da sprach das Andere: »Wer hat von meinem Tellerlein geeßt?«

Das Dritte sprach: »Wer hat von meinem Müschen pappt?«

Das Vierte: »Wer hat mit meinem Gäblein zutappt?«

Das Fünfte: »Wer hat mit meinem Messerlein schnitten?«

Das Sechste: »Wer mein Brötlein zertheilt in der Mitten?«

Das Siebente: »Wer hat aus meinem Becherlein nippt?«

So sprachen die kleinen Männlein.

Da sahen sie sich um und suchten. Das Eine sagte: »da hat was in meinem Bettchen gelegen,« und die andern, nachdem sie zusahen, sagten allesammt: »in meinem Bettchen hat auch was gelegen.« – Und im siebenten Bettchen fanden sie denn das liebe Schneeweißchen, das sie mit allen sieben Lichtchen besahen, und das ihnen allen gefiel, weil es so sanft und so unschuldig da lag und schlief, aber auch wohl, weil sie allzumal so herzliebe und gute Leutchen waren.

Sie weckten das liebe Kind nicht etwa auf, sondern ließen es schlafen im Bettchen, und gingen recht leise und sacht, damit es nicht möchte erwachen. Und der siebente Zwerg, in dessen Bettchen das liebe schöne Kind lag, legte sich zu den übrigen Zwergen – in jedes seinem Bettlein ein Stündlein.

[272] Da war denn die Nacht herum, und Weißchen wacht auf, und nun fragten es die kleinen Männer, wer sie denn sei, und wie sie daher komme?

Und da sagte sie ihnen Alles, wie es ergangen, und wie die Mutter so schlimm sei gewesen. – Nun aber wisse sie gar nicht wohin?

»Sollst bei uns bleiben, lieb Weißchen, sagten die Zwerge allzumal; – bei uns bleiben und unser Schwesterlein sein, aber auch unsern Haushalt verwalten, und wenn wir im Berge arbeiten, Alles versehen, kochen und nähen, betten und waschen, reinlich und ordentlich halten Alles im Hause, und Abends das Essen zurecht halten, wenn wir aus den Bergwerken kommen, weil wir da hungrig sind, und dafür wollen wir dich lieb, recht grundlieb haben, und du sollst gewiß und fürwahr unser liebes Schwesterlein sein, wenn du das willst.«

Das wollte sie denn recht gern, und die Zwerglein ermahnten und baten sie nur noch, keinen ins Haus zu lassen, denn die böse und garstige Mutter würde nicht ruhen, zumal da sie den Zauberspiegel habe, und so eitel, so recht sehr eitel sei.

Ja! die liebguten Zwerglein wußten recht wohl, was sie sagten, aber das arglose Schneeweißchen wußte es ja nicht, und verstands nicht so recht, denn sie war so unschuldig.

Die Mutter trat wieder vor den Spiegel und fragte – denn die Eitelkeit ruht nicht, selbst wenn sie eine Tochter glaubt umgebracht zu haben – fragte den Spiegel wieder, und erfragte sich nichts Angenehmes, denn der Spiegel sagte aus: sie sei die Schönste rings umher, nur die Tochter Schneeweißchen, jenseits der Berge, sei viel, viel schöner.

[273] Da erbleichte sie. Aber sie wußte auch gleich, die Tochter müsse bei den Zwergen sein, denn sie wohnten ja jenseits der Berge, und Niemand sonst weiter.

Da verkleidete sich die Königin, und färbte ihr Gesicht ganz gelb, und ging wie eine alte Krämerin vor das Haus der Zwerge, und bot ihre Waare feil, welche aus Schnürriemen bestand, die der Weißchen gar wohl gefielen. Und weil die alte Frau so ehrlich und treuherzig that, ließ sie dieselbe ins Haus, erhandelte sich einen Schnürriemen. Die alte Krämerin aber sagte: »du bist gar übel geschnürt, du liebes Kind, so schleppig und lose; ich will dich einmal schnüren, wie es ordentlich sein muß.« Und da schnürte sie das arme Kind so fest, daß es todt hinfiel.

Als die Zwerge zu Mitternacht heim kamen, da erschracken sie sehr, denn ihr liebes Schneeweißchen lag todt auf dem Boden. Aber sie merkten denn bald, daß die böse Mutter müsse dagewesen sein, und daß das Mädchen zu fest geschnürt sei, und schnitten den Riemen entzwei. Da ward es wieder lebendig, und die herzguten Zwerglein freuten sich sehr, und ermahnten und baten gar sehr, keins wieder ins Häuschen zu lassen.

Die Königin fragte den Spiegel bald abermal, und der sagte wiederum aus, Schneeweißchen sei dennoch am schönsten, so schön sie auch selbst sei.

So sann sie denn Tag und Nacht darauf, wie sie dennoch das arme Mädchen wollte verderben, und ersann sich einen sehr giftigen Kamm, verkleidet sich anders, und kommt zu Schneeweißchen und klopfet an die Thür. Aber das Mädchen sagt, es dürfe Niemand hinein lassen, denn die Zwerglein hättens verboten. Da aber zog die böse Mutter den blinkenden, glitzernden Kamm hervor, und sagte, der sei so wohlfeil und wunderschön, und weil Schneeweißchen [274] denn doch ein Mädchen war, gefiel ihr derselbe gar sehr, und es macht auf und kauft ihr den Kamm ab; und die Krämerin ging fort. Als aber Schneeweißchen den Kamm in die Haare hatte gesteckt, fiel es todt nieder.

Das wußte die Königin wohl, und dachte: »Nun bist du gewiß todt, und wirst nicht wieder erwachen.« – Als aber die Zwerge nach Hause kamen, sahen sie gleich wieder was geschehen war, und weil sie viel Mittel wußten, brachten sie das angenommene Schwesterlein wieder ins Leben, und als die grundböse Mutter den Spiegel aufs neue befragte, hatte ihr Giftkamm ihr doch nicht geholfen, und Schneeweißchen war dennoch die schönste.

Da ergrimmte die Königin zornig und sprach: »das häßliche Ding soll sein Leben hergeben, oder ich wollt lieber mein eigenes Leben hingeben.«

Da machte sie heimlich in ihrer heimlichsten Stube, wohin Niemand kommen durfte, weil sie ihre bösesten Giftkünste darin trieb, einen schönen rothbackigen Apfel zurecht, so schön, daß, wer ihn sahe, Lust dazu bekam. Aber die eine Hälfte war recht giftig vergiftet. Nun hatte sie sich als Bauersfrau verkleidet, und ging ans Haus der Zwerglein und klopfte an, und wollt den Giftapfel verkaufen. Aber Schneeweißchen sagte, es lasse nun und nimmermehr Niemand wieder ins Häuschen hinein, denn sie dürfe es nicht, und sei ihm gar sehr hart verboten.

»Oho! sagte die Bäuerin – weiß es wohl, daß es böse Leute giebt, die man nicht muß ins Haus lassen; aber so bin ich nicht, und meine Aepfel will ich wohl los werden, denn die machen munter und frisch, und recht heiter und gesund.« Somit schnitt sie denn den einen Apfel entzwei, den nämlich, der so stark zur Hälfte vergiftet [275] war, aß davon die unvergiftete Hälfte, und bot die schönste, aber vergiftete Hälfte Schneeweißchen durchs Fenster als ein Geschenk an – und die Aepfelhälfte war so gar lockend, daß Schneeweißchen sie nahm, davon ein Stücklein abbiß, aß, und todt nieder fiel.

»Nun bist du gewiß und wahrhaftig todt,« die Königin sprach, und ihres Weges davon ging. – Und als sie den Spiegel fort und fort befragte, so hieß es denn immer, daß sie die Schönste sei im Lande und gar in der Welt.

»Nun! sprach sie, so wird sie wohl nicht wieder erwachen.« – Lange blieb sie nach dem Zeugniß des Spiegels nun die Schönste.

Die lieben Zwerglein waren ganz und gar untröstlich, als sie Mitternacht von der Arbeit im Berge nach Hause kamen, und sahen das liebe Schwesterlein todt, und konnten ihm nicht mehr helfen, mit all' ihrer Weisheit und Kunst. Sie saßen und weinten drei Tage lang bitterlich und kläglich an ihrem Sarge, den sie vom köstlichsten Holze hatten gezimmert. Aber als sie es wollten begraben, sahen sie, daß es noch so gar frisch und lebendig aussahe, und die schön weißen und rothen Backen noch hatte. Da machten sie einen gläsernen Sarg, zu welchem die Luft zukonnte, legte es hinein, setzten es bei, und ein Zwerglein nach dem andern wachte jedes einen Tag und eine Nacht lang bei ihm. Sie hofften ja, es müsse wieder aufleben, weil sie es wünschten; wachten eins nach dem andern lange beim Sarge, denn Schneeweißchen blieb wie es war, weiß und roth, und verwesete gar nicht, und hätt es die schön blauen Aeuglein können aufthun, so hätt es fürwahr gelebt.

Da kam einmal ein Prinz, der kam weit her, und war viel gereist, und hatte auf den Reisen viel gesehen und erfahren und gelernt. Der ging zu dem gläsernen Sarge, und sahe Schneeweißchen; [276] und als ers gesehen hatte, wars ihm, als könne er nun und nimmermehr wieder von ihm ablassen, so wunderschön schien es in seinen Augen, und er sagte den Zwerglein, sie möchten ihm das liebliche Kind geben. Aber die wollten nicht, obwohl er ihnen sein halbes Königreich abtreten wollte; denn, sagten sie, wie können wir es denn geben, da es uns lieb, so lieb ist, als obs unser Schwesterlein wäre?

»Aber wenn ichs nun wieder lebendig mache, wollt Ihr mir es auch dann nicht geben?« fragte der Prinz.

»Ja! ja! gern, von Herzen gern, sagten die Zwerge, wenn wir sie lebendig sehen, so ist ja Alles recht gut.«

Und der Prinz, der wohl gemerkt hatte, daß Weißchen noch leise athmete, und daß ihr von einem giftigen Apfel etwas war im Halse stecken geblieben, und der ein Mittel gegen solche Dinge wußte, machte, daß das Stück Apfel heraus ging, und Schneeweißchen ward wieder lebendig.

Und der Prinz heirathete Schneeweißchen. Aber die böse Königin sahe in ihren Spiegel, der ihr seit langer Zeit immer hatte gesagt, sie sei die Schönste in der Welt. Und jetzt wieder sagte der Spiegel, Schneeweißchen sei tausend Mal schöner. Da wurde sie grimmig und wüthend, und hätte die Tochter gern mit dem Brotmesser erstochen, nur wußte sie nicht, wo diese war, indem der Spiegel davon nichts hatte gesagt, und wovon er das erste Mal nichts sagte, sagte er zum zweiten Male kein Wort, man mochte ihn fragen so viel man wollte, denn er war ein kurzköpfiges, protziges Ding.

Aber die Königin wurde zur Vermählung einer Prinzessin geladen; da fuhr sie denn hin, um ihre Schönheit recht glänzen zu [277] lassen, und die Prinzessin und den ganzen Hof zu beschämen. Wer die Prinzessin war, hatte sie gar nicht gewußt, denn es hatte es ihr Niemand gesagt. – Und als sie hinkam, war es Schneeweißchen, die tausend Mal schöner war als sie – da erschrack und erblaßte die Königin. Aber die Zwerglein waren auch auf der Hochzeit des lieben Schwesterleins, und weil sie dachten, daß Strafe sein müßte, hatten sie Pantoffeln von Eisen geschmiedet, und hatten sie glühend gemacht. Die Königin mußte in den glühenden Pantoffeln tanzen, kam mit abgebrannten Füßen nach Hause, und wurde von Allen verabscheut; Schneeweißchen aber hatte alle Welt lieb.

Ein kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[278] Ein kalmuckisches Mährchen von der Flasche und dem Kreisschwinger.

Es lebte vor uralter Zeit ein wilder hochmüthiger Mann im Lande Barschis, der Niemand über sich leiden wollte, und selbst nach seinem Khan oder Fürsten nichts fragte, der doch viel mächtiger war als er.

Da sprach der Khan zu dem Manne: »du nichtswürdiger hochmüthiger Mann, fort mit dir, fort aus meinem Reiche; such dir ein anderes Reich.« – So sprach der Khan, und der wilde Mann ging aus dem Reiche des Khans.

Auf dem Wege, den der Mann nahm, erreichte er eines Mittags einen Wald, und fand in dem Walde ein umgekommenes Pferd, und nahm von demselben den Kopf, knüpfte sich diesen an den Gürtel, und kletterte auf einen Baum.

Gegen Mitternacht versammelten sich unter dem Baum ein großer Haufen von Geistern (Tschädküre) die auf Pferden von Baumrinde saßen, und auch Mützen von Baumrinde aufhatten, und um den Baum sich herum lagerten.

Nachher versammelten sich noch andere Geister, und lagerten sich auch um den Baum. Sie saßen aber auf Pferden von Papier, und hatten auch papierne Mützen auf.

[279] Während die unten Versammelten mancherlei Speise und Getränk zu sich nahmen, blickte der Mann ängstlich vom Baume herab, und dadurch löste sich der Pferdekopf von dem Gürtel, und fiel unter die Geister herab, die sich gewaltig entsetzten, und mit großem Geschrei dahin und dorthin entflohen.

Am andern Morgen stieg der Mann von seinem Baume herunter und sprach: »diese Nacht waren hier doch so viele Speisen und Getränke, und nun ist Alles verschwunden.« Indem er so sprach und sich umsahe, fand er eine Brantweinsflasche von Leder, wie die Kalmucken sie zu verfertigen pflegen, und weil er gern wollte trinken, legt er die Flasche an den Mund. Da stürzten aus derselben Fleisch und Kuchen und andere eßbare Dinge herab.

Der Mann sprach: »diese Flasche ist ein Wünschelgefäß, das Alles was verlangt wird herbei schafft, darum so nehm ichs mit.« Und so nahm ers denn auch mit.

Hierauf ging er seines Weges weiter und fand einen Mann, der hielt ein Schwert in der Hand. »Wozu hältst du dieß Schwert in der Hand?« fragte Jener.

Der Mann antwortete: »dieses Schwert ist Kreisschwinger geheißen. Spreche ich zu demselben: dort hat mir Jemand meine Sachen entwandt, geh und bring sie zurück und tödte den Menschen, so geht es und bringt mir die Sachen, und tödtet den Menschen.«

Hierauf versetzte der Erste: »Alles was du wünschest gibt dir dieses Gefäß. Wenn du willst, so laß uns tauschen.«

Sie tauschten nun, aber nach geschehenem Tausche hieß es: »Kreisschwinger hole mir meine Flasche zurück und tödte den Menschen.« Und Kreisschwinger ging hin, und tödtete seinen vorigen Herrn, und brachte die Flasche zurück.

Da er noch weiter fort ging, fand er einen Menschen, der einen eisernen Hammer in der Hand hielt. Den fragte er: »wozu hältst du diesen Hammer in der Hand.« – Der Andere antwortete: [280] »Schlag ich neun Mal mit diesem Hammer die Erde, so entsteht eine eiserne Mauer von neun Kreisbogen.«

Da sprach der Erste: »Laß uns tauschen; ich geb dir die Flasche welche dir Alles gewährt.«

Sie tauschten hierauf; aber als der Tausch geschehen war, mußte Kreisschwinger die Flasche zurück bringen, und den Menschen tödten.

Als der Mann weiter kam, fand er einen Menschen, der einen Sack von Ziegenfell auf dem Schooße hielt, und fragte: »wozu hältst du diesen Sack?« Der antwortete: »dieser Sack ist ein wunderbares Ding. Schüttelt man ihm so regnet es; schüttelt man ihn sehr so regnet es sehr.«

Da hieß es wieder: »so laß uns gegen die Flasche tauschen, die dir Alles gewährt.«

Als der Tausch nun geschehen war, mußte Kreisschwinger wieder hin, den Mann tödten, und die Flasche zurück bringen.

Als nun der Mann alle diese wunderbaren Dinge besaß, sprach er bei sich: »Nun wird mir der Khan nichts können anhaben, und wenn er noch zweimal so grimmig und gewaltig wäre, und ich gehe in sein Reich dennoch wieder zurück.«

Er kehrte zurück, verbarg sich aber am Tage in der Nähe des Palastes. Als aber die Mitternacht hereinbrach, nahm er den eisernen Hammer, und schlug damit neunmal die Erde. Da entstand eine eiserne Mauer von neun Kreisbogen.

Am andern Morgen sprach der Khan: »diese Nacht war hinter dem Palaste ein gewaltiges tock, tock.« Da sahe die Khanin hinaus und sprach, hinter dem Palaste sei eine eiserne Mauer von neun Kreisbogen entstanden.

Der Khan versetzte voll Grimm: »Sicher ist der wilde Bösewicht wieder gekommen, und hat dieß angerichtet; aber wir wollen doch sehen, wer von uns soll unterliegen, Er oder ich?«

[281] Nun ließ der Khan das ganze Volk aufbieten, und es mußte mit Blasebälgen, mit Holz und Kohlenhaufen kommen, um die eisernen Mauern hinweg zu schmelzen, und den Mann mit den Seinen selbst mit zu zerschmelzen; und die Glut fing an.

»Ach Sohn, sagte die Mutter, die mit ihm in den Kreisbogen war, das Feuer des Khans zerstört die wundervollen Mauern, und wir werden müssen verbrennen.« Der Sohn aber sprach: »Mutter sei ohne Sorgen; ich finde schon Mittel.«

Da schüttelte er den ziegenfellenen Sack, und schüttelte ihn heftig und immer heftiger, und also regnete es immer heftiger, und am Ende so heftig, daß nicht nur das Feuer gelöscht und die Blasebälge, Holz und Kohlen hinweg geschwemmt wurden, sondern daß sogar ein großer See entstand.


Wie es nun aber weiter gegangen ist, weiß Niemand. Ich will Euch aber sogleich noch ein Mährlein erzählen, das in wundersamer aber unerklärbarer Aehnlichkeit bei uns zu Hause ist, und wo es ein ordentliches Ende hat; – aber jene sind auch nur Kalmucken, da kann man eben nicht Mehreres fordern.

Das Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[282] Das Mährlein von der Serviette, dem Tornister, dem Kanonenhütlein, und dem Horn.

Es waren drei Brüder, die waren gebürtig aus dem Schwarzwalde, wo es, wie in Gebirgsgegenden gar oft, nicht viel zu zehren und zu ernähren gab. Die Aeltern waren sehr arm, und waren am Ende auch gar gestorben, und die Söhne hatten Nichts.

Da zogen sie fort, zumal da sie zu Hause doch Haus und Hof nicht brauchten zu verlassen, weil sie Beides nicht hatten, und gingen nach Spanien, wo damals des Geldes und Goldes sehr viel sein sollte, so viel, daß die Leute nicht wußten, was sie damit sollten anfangen.

Dort, meinten sie, müsse es sehr leicht sein, ein paar Hutköpfe voll Gold mit von zu bringen, und nachmals davon sich recht gütlich zu thun auf Lebenszeit; und also zogen sie hin.

Sie kamen nach Hispanien, obwohl sie nicht wußten wo es lag, und Weg und Steg gar nicht kannten; und kamen an einen Berg, der bestand aus lauter Silber, von welchem der älteste Bruder so viel nahm, als er fort zu bringen im Stande war, denn er dachte, besser könnt es nicht kommen. Und er ging damit heim.

[283] Die andern Beiden dachten, es könnte schon noch besser kommen, und der Silberberg bliebe ihnen ja immer gewiß. Darum zogen sie weiter.

Und sie kamen an einen Berg, der war von purem lautern Gold. Der zweite wußte nun nicht, was er besseres thun konnte, als Gold zu nehmen, so viel nur immer fort zu bringen war, und ging damit nach Hause.

Dem Dritten aber war das nicht genug. Das Gold bleibt dir ja immer, dachte er; vielleicht findest du wohl gar noch einen Berg mit herrlichem Edelgestein. Da hat man in einer Tasche voll mehr, als an Golde auf einem vierspännigen Wagen.

Er war in einen Wald gekommen, der gar kein Ende wollte nehmen, und war drei Tage umher geirrt, hatte aber keinen Menschen getroffen. Hungrig und durstig war er gar sehr, und wäre so gern aus dem Walde gewesen, um wieder zu Menschen zu kommen; denn der Mensch will zum Menschen immerdar, und warum das so ist, möget Ihr selbst Euch ausdenken.

Er stieg auf einen hohen, hohen Baum, um zu sehen, wo der Wald wohl zu Ende ginge, der ging aber nirgends zu Ende, und was er sahe waren Bäume, und Spitzen und Gipfel von Bäumen, aber nichts weiter.

»Ach könnt ich nur einmal noch mich so von Herzen satt essen und trinken; aber hier ist kein Haus und kein Mensch.«

So sprach er zu sich selbst, und stieg vom Baume herab.

O wie war er da so glücklich, als er unter den Bäumen einen gedeckten Tisch fand, besetzt mit vielerlei köstlichen Gerichten, und herrliche blinkende Weine standen auch mit darauf.

Er fragte nicht viel, wem der Tisch mit allen den Dingen gehöre, weil er sehr hungrig und durstig war, sondern aß und trank sich recht satt. Er ließ den Tisch stehen, nahm aber das Tischtüchlein mit sich, denn er hatte, ich weiß aber nicht wie? weg gekriegt, [284] daß wenn ihm Hunger und Durst ankam, er das Tüchlein nur auszubreiten und zu wünschen brauche, so stand flugs Alles darauf. – Es läßt sich aber leicht heraus bringen, wie er darauf kam. Ihr aber sollt es ergründen.

Nachdem er noch zwei Tage im Walde gegangen war, woraus er sich des Tüchleins wegen, das ihn versorgte, nicht eben viel machte, kam er zu einem Köhler, der brannte Kohlen, und röstete sich Kartoffeln; und der Köhler bat ihn gutherzig zu Gaste.

»Ich will nicht dein Gast sein, sagte er da, sondern du sollst der meinige sein!«

Der Köhler sprach: »du bist sehr spaßhaft; denn du hast ja keine Lebensmittel bei dir.«

»Die werden sich schon finden,« antwortete er ihm, breitete sein Tischtüchlein aus, und es stand sogleich Alles darauf, was nur zu wünschen war, und der Köhler aß tapfer mit, denn sein Lebtag hatte er etwas so Gutes nicht gegessen.

»Tausend und Hundert, sagte der Köhler, aber erst nachdem er recht satt war, so ein Tüchlein möcht ich schon haben, denn das könnte mir hier im Walde recht gut thun, wo immer gar nichts zu haben ist. Ich habe auch so ein wundersam Wünscheding, nämlich einen alten Tornister; wenn ich mit der Hand auf den schlage, kommt jedesmal ein Gefreiter mit sechs Mann Soldaten, mit Ober- und Untergewehr heraus, und thun was ich will. Was hilft mir das aber im Walde?«

»Wenn du Lust hast können wir tauschen,« sagte der Schwarzwalder, und der Tausch wurde mit großen Freuden vom Köhler aufgenommen.

Der Schwarzwalder war kaum dreißig Schritte fort gegangen, so klopft er auf den Tornister, und der Gefreite mit seinen sechs Mann stand da, und fragte: »Was verlangt denn mein Herr?«

[285] »Geht hin, hieß es, zum Köhler dort, und holt das Tischtüchlein, was ich bei ihm gelassen habe.«

Das Tüchlein wurde alsbald ihm wieder zurück gebracht.

Nun kam er zu Abend zu einem andern Kohlenbrenner, der hatte auch nichts Bessers als Kartoffeln, und wollte ihm gern davon abgeben. Aber das Tüchlein mußte sich wieder decken, und der Köhler mit ihm essen, wozu sich dieser auch gar nicht erst nöthigen ließ, weil es ein gar dreister Mann war.

»Das ist ein wundersam herrliches Ding, Euer Tüchlein da, sagt der Köhler, und möcht ich wohl gern so eins haben, wüßt ich nur, wie ichs könnte erlangen. – Wohl hab ich auch Etwas, was wohl so viel werth ist als das Tüchlein, nämlich ein Hütlein, recht alt; aber setzt man es auf, und dreht es um, so gehn ganze Batterien Kanonen, und schießen Alles darnieder; aber was mach ich im Walde damit. Ich kann doch die Bäume nicht niederschießen, denn die fragen darnach nichts – aber so ein Tüchelchen? – Ei ja!«

»Hier nimms Tüchelchen, und gieb mir das Hütchen,« sagte der Andere, und der Tausch war fertig. – »Das ist doch ein ganzer Narr,« dachte der Köhler; hatte es aber kaum gedacht, so kam der Gefreite mit seinen sechs Mann, und nahmen das Tüchlein ihm ab.

Mit einem dritten Köhler ging es nicht anders. Er hatte auch nur Kartoffeln, aber auch ein klein Korn, das er gegen das Tüchlein austauschte. Blies man aber auf dem Hörnchen, so fielen alle Festungen, Städte und Dörfer um, selbst wenn sie gar nicht einmal da waren. – So schlimm war das Hörnchen. Der dritte Köhler behielt das Tüchlein nicht länger, als die beiden andern.

Unser Mann hatte nun köstliche Sachen beisammen, und wollte damit wieder nach Hause und die Brüder besuchen, die bei ihrem Silber und Golde gar vornehme Leute waren geworden, und in [286] köstlichen Kleidern gingen, und sich seiner so sehr schämten, daß sie ihn gar nicht als Bruder wollten erkennen, weil er so abgerissen war.

Er aber nahm das Ding übel, denn er war krausköpfig, klopft auf seinen Tornister, und läßt den unbrüderlichen Brüdern die schönen Kleider voll schlagen, so daß es der Rücken mit fühlte. Freilich kamen die Bauern den Brüdern zu Hülfe, weil diese so gar grausam reiche Leute geworden waren. Wären sie noch arm gewesen, wäre kein Mensch ihnen zu Hülfe gekommen.

Was halfs, daß die Bauern kamen? Er klopft 20 oder 30 Mal auf seinen Tornister, so steht eine Kompagnie Soldaten da, und haut die Bauern so durch, daß sie mit großem Geschrei davon laufen.

Von dem Ungebührniß hört denn der König, der gar ein sträflicher und scharfer Herr war. Was halfs aber, daß er ein Regiment Soldaten schickte, die wurden ja alle in die Flucht geschlagen; denn es war leicht so oft auf den Ranzen zu klopfen, daß eine kleine Armee heraus kam. Es half auch nichts, daß diehalbe Armee des Königs gegen den verwegenen Burschen ausrückte, denn dieser ließ aus seinem Ranzen eine ganze Armee heraus rücken, und des Königs Soldaten liefen alle davon, zumal da sie viel tüchtiger und besser zu Fuß exerzirt waren, als zu Armen und Fäusten.

Und als der König Alles gegen den tollen Menschen aufbietet, so läßt derselbe nicht nur Leute genug aufmarschiren, sondern dreht auch das Kanonenhütlein, daß Alle, und sogar der Majestät selbst, und der Prinzessin, die sich vor Soldaten sonst gar nicht fürchtete, am wenigsten wenn sie recht tapfer und schön waren, sondern nur vor Spinnen und Fröschen, das Herz im Leibe erbebte.

Der König mußte Friede, und den tollen Menschen zum Reichsvormund, und selbst zum Gemahl der Prinzessin machen, die aber den gemeinen Kerl gar nicht gemocht hatte; und wünschte ihn los [287] zu werden. Sie schwatzte ihm, mit süßen Schmeicheleien das Geheimniß vom Tornister ab, und gewann den Tornister selbst, und nun ließ sie marschiren gegen ihn; aber mit dem Kanonenhütlein machte er bald wieder Friede, und die Prinzessin blieb sein. Die weiß ihn aber auch um das Hütlein zu berücken, und denkt, nun hab sie ihn gewiß. – Er aber hatte das Hörnlein noch; da bläst er ganz unsinnig darauf, als der Feind auf ihn anrückte. Und die Soldaten fielen über den Haufen, die Festung auch, das Königsschloß auch, die Stadt mit, und Alle wurden dabei erschlagen, selbst der König mit der Prinzessin.

Nun wurde er selbst König, und blieb es, so lange er lebte.

Des Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[288] Des Maulthiers Zaum.

Es saß der König Artus von England mit seinen Rittern und Helden um seine runde Tafel. Die Ritter die gewöhnlich mit ihm daran saßen, hießen die Ritter der Tafelrunde, und wurden für hochehrenwerthe Helden allerwärts und in allen Landen gehalten, die vor keinem Abentheuer, oder vor Riesen, Mohren und Zauberern erbebten. Doch mochte es wohl einen oder den andern darunter geben, der mehr mit dem Maul tapfer war, als mit Faust und Herz, wie wir gleich hören werden.

Artus saß einst auch einmal mit seinem Rittern an einem schönen Morgen im Mai an der Tafel und frühstückte, und die Königin stand auf dem Erker, und sahe hinaus in den lieblichen Mai, und ließ sich von seinen Lüften anwehen, und sahe die schönen Blüthen der Bäume, und hatte ihre Freude daran. Damals konnte man an Höfen noch sich über so etwas freuen, und fuhr noch nicht aufs Land, um in der schönen Natur Karte zu spielen, und zu sagen: »wie war es doch ein so lieblicher Tag; und welch herrliches Spiel haben wir gespielt!« – Damals wars nicht so!

Auf einmal rief eine der Hofjungfrauen: »Seht, o seht doch was daher kommt, über den Anger daher, und in vollem Trab.«

[289] Es kam nämlich daher eine feine Reiterin auf einem zierlichen Maulthier, das weder Zaum noch Zügel hatte. Für die Langeweile eines Hofjüngferchens, welches doch nicht mit ihrem Putz alle überflüssige Zeit hinbringen konnte, war so eine Reiterin ein wichtiges Ding, und selbst das sattel- und zaumlose Maulthier, gab seinem eigenen Maule oder Mündchen zu thun auf ganze Tage lang.

So schnell, als wär ihr Thier ein Vogel, war die Reiterin über den Anger geritten, und hielt im Hofe des Schlosses, wo Ritter und Knappen und Hofdienerinnen der Ankommenden entgegen eilten, welche so schön war wie eine Fee.

Auf ihr Begehren führt man die Reiterin in den Saal des Königsschlosses, wo der König, Herr Artus, und die Frau Artussin, die Königin, nebst dem ganzen Hofe sich hatten versammelt.

Da fällt sie auf ihre Knie nieder und klagt ihr Leid, und sagt mit bittern Thränen: »Sie sei die allerbeklagenswertheste unter allen Jungfrauen, wo sie nicht wieder erhalte, was man ihr geraubt hätte, und was ihr lieber sei gewesen, als ihr Leben und als die ganze Welt. Ach wenn sie hier am Hofe der Helden keinen Retter finde, wolle sie sich ins Grab legen und traurig sterben.«

Da nahmen sie Alle Theil am kläglichen Leid des schönen klagenden Mädchens und fragten, welches sein Leid sei, und wie ihm denn zu helfen stehe?

Da bittet die Jungfrau, man möge sie nicht für wahnsinnig halten – all ihre Noth komme von einem geraubten Zaume her, und wer ihr den wieder bringe, den wolle sie gern als Magd dienen, oder auch ihn heirathen, wenn er sie haben wolle.

Gern hätten sie Alle die wunderschöne Jungfrau gehabt, aber das ging nicht an, denn sie waren verheirathet, bis auf zwei Ritter, die hießen Herr Gries und Herr Gawin. Der letztere war der Neffe des Königs, war aber dasmal nicht zu Hause, sondern mochte wohl auf Abentheuer ausgezogen sein.

[290] Herr Gries war ein gar tapferer Mann, zumal wenn er unter den Frauen und Dirnen des Hofes saß, wo er oft mit seinem Worte zwölf Riesen auf einem Streich todt schlug, ohne daß sie dagegen einen Mucks sagen durften, und die Frauen und Mädchen des Hofes zweifelten an seiner übernatürlichen Tapferkeit keineswegs, indem er ihnen die honigsüßesten Worte sagte, und die allerlieblichsten Schmeicheleien, und konnte auch überdieß seinen Anzug so schön beschicken. – Ja! wer so etwas kann, der ist gewiß auch grausam tapfer, wenn er ein Ritter oder Soldat ist, zumal wenn er obenein recht schön zu Pferde sitzen und schön tanzen kann, wie Herr Gries, denn eine größere Bürgschaft der Tapferkeit, kann es dann weiter nicht geben.

Ihr wißt also hiermit, wer Herr Gries war, und wie unmenschlich tapfer und heldenmüthig er war, und so wars ihm ein Spaß, es mit so einem Hasenfuß und Lump aufzunehmen, der, weil er nur einen Zaum stahl, wahrscheinlich nicht einmal ein ordentliches Schwert hatte, womit er drohen oder gar einhauen konnte. Mit so einem Burschen wurde Herr Gries bald fertig und es hatte derselbe blos vom Glück zu sagen, wenn er ihn nicht mit den bloßem Maule schon todschlug.

Solch ein gewaltiger Held war Herr Gries, und da hier nun mit kleiner Mühe und Fährlichkeit große Ehr und Ruhm zu verdienen waren, und ein wunderschönes Kind dazu, so erbietet er sich sogleich der Zaum zu holen, und kräht von seinen Thaten, ehe sie gethan sind, und verheißt dem Fräulein, sie solle nur glauben, daß der Zaum so gut als in ihrer Hand sei, und will nur wissen, wo er eigentlich zu holen sei?

Da sagt ihm das Fräulein, er möge sich nur auf das Maulthier setzen, welches ihn sicher und schnell an Ort und Stelle bringen würde, und zugleich auch so sanft als kein Feenwagen.

[291] Vor so einem Maulthiere fürchtete sich Herr Gries gar nicht, welches ihn nicht nur schnell, sondern auch sanft, und vor allen Dingen sicher zu Ort und Stelle bringen würde. – So macht er denn rings umher dem Hofe, und den Frauen (Damen) insonderheit, seine Kratzfüße und Reverenze, und schwingt sich unverzagt und kühn auf das Thier.

Das Thier saust nur so dahin, schnell und sanft, und bringt Herrn Gries an einem Wald, aus dem es wie Löwengebrüll ihm entgegen schallt.

Potz Stern! – mit Löwen ist eben nicht zu spaßen, denn die Bestien haben einen gewaltigen Rachen, und heillose Zähne darin, und Vorsicht ist eine edle Tugend. – Da nun aber ein solch grausames Vieh einen Menschen leicht abwürgen und auffressen kann, so war es Herrn Gries doch wohl nicht zu verargen, daß er ein wenig still hielt und an allen Gliedern erbebte.

Er war schon ein wenig in den Wald hinein, als er nicht nur Löwengebrüll hörte, sondern auch bald Löwen sahe, die wirklich wie wahrhaftige Löwen aussahen, und eben umkehren wollte. Aber als die Löwen das Maulthier sehen, so fliehn sie von dannen, und wie sie gar nicht mehr zu sehen waren, bekommt Herr Gries all seinen Muth wieder, und eigentlich wohl noch mehr, als er zuvor schon gehabt hatte, denn so eine Heldenseele erholt sich gar leicht, und kommt sogleich wieder zu sich selbst, und wird noch grimmiger als zuvor. – Herr Gries reitet nun, als sei Alles gethan, tiefer und tiefer in den Wald.

Nun gehts bergan, bergab, bis das Maulthier und Herr Gries – ei nein! – vielmehr Herr Gries und das Maulthier, in ein tiefes finsteres Thal kommen, das mit Felsen umgrenzt war – – Hier war nun gar kein Scherz, denn das Felsenthal hatte in dem Felsenhöhlen Drachen in Menge, welche aus dem weiten Schlund ihrer Rachen Flammen und Rauch hervor spien, und schon mit dem [292] Rauch die bravsten Leute konnten kaput machen. – Hier schnaubt ein Lindwurm aus einer Höhle hervor, schnaubt, faucht und speit Flammen Rauch und Giftqualm – dort ein anderer aus einer andern Höhle; – und die kleinen Lindwürmer, helfen den alten schon mit. – Da wars denn gewiß kein Spaß, und Herr Gries schrie, was ihm kein Mensch verübeln kann: »daß Gott erbarm, daß Gott im hohen Himmel mein sich gnädig erbarm! Hier geh ich kaput! – Das machten die Lindwürmer!«

Er ging aber nicht kaput, denn das Maulthier ging mitten durch das garstige Gewürme hindurch, dem es da und dort einen Hufschlag auf die Nase gab, und das überhaupt vor dem Maulthier weit mehr Respekt zu haben schien, als vor dem Maul von Herrn Gries, der, ich weiß nicht wie und warum? nicht mehr Maul noch Arm und Schwert, noch Auge und Ohr hatte – gewiß hatte er den Schwindel.

Aber er kam in eine Aue, wo sich Alles wieder fand, was er verloren hatte, Maul, Arm, Auge und Ohr, denn es war kein Löwe und Lindwurm in der Aue, sondern nur schöne Blumen und kleine rieselnde Bäche, mit klaren hinperlenden Wellen, und mit Vergißmeinnicht an den Ufern, waren da, und die allerlieblichsten Bäume standen da und dort beisammen.

Da hast du dich denn doch, recht wie ein Held gehalten, denkt Herr Gries; und ist ja nun Alles vorüber. – Herr Gries ritt behaglich weiter.

Im Weiterreiten ragt aus hohem dunklen Gebüsch ein Schloß hervor. Dort, dachte er, wäre der Zaum, und müsse dort sein, und wenn auch der Zaum nicht darinnen wäre, müsse er dennoch ins Schloß, denn es müsse drinnen sehr hübsch sein, weil es ja von außen so glänzend und herrlich sei. (Herr Gries hielt etwas auf die Außenseite). So ging es denn weiter. Aber wenn man auch weiter kommt, und immer weiter, so ist man deshalb, fängt man [293] es nicht recht an, noch nicht dort, wo man sein will. So gings unserm Helden – so geht es selbst manchen Gelehrten, und so gehts in der Welt überall, und mancher der General hat wollen werden, hats kaum zum Korporal gebracht. Das ist aber freilich auch keine Maus, sondern ein Ding, welches einen Degen an hat.

Herr Gries ritt hastig aufs Schloß zu, und wäre wahrhaftig hinein gekommen, wie er sichs vorgenommen hatte, wäre nicht ein breiter wildrauschender Strom um das Schloß her geflossen, der unsern kühnen Abentheurer keineswegs gefiel. Indessen der Strom war einmal da, und rauschte und strömte immerdar fort.

Herr Gries sucht und sucht nach einer Brücke, weil es doch unvernünftig sei, keine Brücke über einen solchen Strom zu bauen, aber statt der Brücke zeigt sich seinem Augen nichts, als nur ein schmaler Stab von Eisen.

Der müßte getrunken haben, denkt Herr Gries, der über einen solchen Stab reiten wollte, denn man könnte da fürwahr ins Wasser fallen, und sich die Kleider naß machen, wo man gewiß den Schnupfen davon trüge, weil das Wasser verdammt naß macht. Am Ende könnte man gar ertrinken.

»Hohl der Henker den Zaum, und die dumme Grete dazu, die ihn haben will,« denkt Herr Gries, und kehrt wieder um in Gottes Namen, und kommt frisch und gesund zu seiner liebsten Tageszeit, nämlich zur Mittagszeit, d.h. Essenszeit, wieder zu Artus altem Königssitz, Kardigan geheißen, zurück, nachdem er doch kaum eben erst Abschied genommen hatte.

Herr Gries tritt hoch und hehr in den Königssaal ein, und stolziert in demselben herum, und zwar mit heiler Haut, und als man nach dem Zaum fragte, so sagte er ihnen, der sei gar nicht zu haben. Durch Löwen und Lindwürmer, die zu Tausenden auf ihn hätten gelauert, und durch ähnliches Ungeziefer, wäre er freilich geritten, denn vor solchem Ungethier hab er sich niemals gefürchtet, [294] aber über einen Strom zu traben, über welchen nur ein schmaler, haardünner Eisendrath führe, sei unmöglich gewesen, und würde es Niemand unternommen haben, er möchte auch sein, wer er sei. – So sagte Herr Gries.

Aber bei den hochtrabenden Worten des Herrn Gries, sah das zuhörende arme Kind, das den Zaum seines Maulthiers so gern wieder gehabt hätte, und weinte recht bitterlich. Ach dachte es, die Helden hier sind so hoch gepriesen, in allem Land, sind sie aber alle nicht besser als dieser Herr Gries, bekomm ich meinen Zaum wohl nun und nimmer mehr wieder. – Und da wollte die gefühlvolle Seele vor Jammer sterben, blieb aber jedoch noch eine Weile am Leben. – Die Sache war aber nämlich diese.

Herr Gries prahlte, und das arme Jungfräulein mit ihren schönen Aeuglein weinte, und der Zaum war nicht da.

Da kommt von seinem Zuge zurück HerrGawin, ein ehrenwerther und tapferer Ritter, und als er Alles gehört hatte, sagte er:

»Ich bin nicht von vielen Worten, schöne Dame, aber was ich vermag, thue ich gern für Euch, und für jede junge Dame die so hold und lieb ist als Ihr seid. Wie es wird werden, kann ich nicht wissen. Aber an meinem guten Willen, soll es gewißlich nicht fehlen.«

Herr Gawin denkt an Essen und Trinken nicht, obwohl er sonst einen guten Mundbissen auch nicht verschmähete. Es war aber hier nicht Essens- sondern Ehrensache, und so läßt er sich kürzlich unterrichten, setzt sich aufs Maulthier, und reitet davon.


Es war schon Abend, als Herr Gawin reitet, aber dem macht das nichts aus, zumal da der Mond hell schien. – Das Maulthier lief vogelschnell. Der Löwenwald und das Thal der Drachen [295] werden ohne Furcht zurück gelegt, und mit den ersten Morgenstrahlen erblickt Herr Gawin das Schloß, den Strom und die Brücke, die aus dem schmalen geschliffenen Stab Eisen bestand.

»Immer drüber hin, dachte Herr Gawin, denn durch das lange Besinnen wird der Eisenstab doch nicht breiter;« und er ritt drüber hin, und kam wohlbehalten hinüber, und sein Maulthier hatte keinen falschen Tritt gethan. (Denn ohne Zweifel war es ein gefeietes Maulthier.) Es würde ihn aber eben so wenig hinüber gebracht haben als Herrn Gries, hätte er das Herz nicht auf der rechten Stelle gehabt. Der echte Muth entscheidet in vielen Dingen, und hilft zum glücklichen Ausgang.

Herr Gawin war drüben, und ritt getrost auf das Schloß zu. Da thut sich auf einmal ein Thor auf, und ihrer sieben zu Roß, wohl bewehrt mit Schwert und Lanze sprengen ihn an. Er aber lehnt sich an einen Baum und sagt ihnen, daß wenn er nur des Maulthiers Zaum bekäme, es gar keiner Händel weiter bedürfe.

»Sehr wohl! sagten sie höhnisch; der Zaum muß freilich dein sein, wie sich von selbst versteht, es liegt nur an der Kleinigkeit, daß du ihn uns erst abgewinnen mußt.«

»Hoh, hoh! antwortet der Ritter, wenns so gemeint ist, so bin ich dabei; kommt an! zwei oder drei, oder meinethalben allesammt auf einmal, mit Euch nehm ichs noch auf.«

»Hört Herr Isegrimm, spricht einer aus den sieben mit großem Spott, nehmt gute Lehre an, damit Ihr wohlbehalten nach Hause kommt. Der Tröpfe hats mehr gegeben, die den Zaum haben wollten, und sind ohne Kopf davongeschwommen.«

»Nimm die Antwort,« sprach Herr Gawin grimmig, flog mit seinem Maulthier auf den Großsprecher zu, und spaltet ihn mit Einem Hieb vom Kopf an bis auf den Sattelknopf. Und nun da er einmal in der Arbeit war, so ging es frisch. Hier fliegt ein Arm [296] dort ein Stück Kopf oder Schulterblatt, und so gings blitzschnell fort, bis sie alle sieben auf dem Platze geblieben waren.

Der Ritter, heiß von der Arbeit, wischt sich den Schweiß von der Stirne, und glaubte nun sei Alles vorüber. Das wars aber nicht, denn die Leichen fangen an sich in einem dicken Dampf zu verwandeln, aus welchem im Augenblick sieben große Drachen mit greulichen flammenspeienden Rachen hervor tra ten.

Daß Herr Gawin stutzt, ist nicht zu verwundern; aber er that, was sich von Helden seiner Art erwarten läßt; er haut auf die Drachen ein, und sein Maulthier hilft ihm muthig, und stößt und schlägt auch mit, bis nach einigen Minuten die Ungeheuer erlegt sind, deren Feuer zum Glücke nur kalt gewesen war.

Aber in das Schloß kam er darum noch nicht, obwohl eine kleine Pforte aufstand, denn die ganze Burg drehete sich mit so furchtbarer Schnelle herum, als ob sie von dem gewaltigsten Wirbelwinde gedrehet würde. Die Pforte in demselben war blitzschnell jetzt hier, und jetzt blitzschnell verschwunden. Wie sollte er da hinein kommen?

Wer auf einem glatten Eisenstab zu reiten den Muth hatte, besann sich auch hier nicht lange. Er stellt dem Schlosse sich gegenüber, und in dem Augenblick als die Pforte kam, sprengt er hinein, und kaum daß er hinein ist, so hört das Schloß auf sich zu drehen, und steht wie ein Schloß stehen muß, nämlich fest. Aber den Zaum hatte er darum noch lange nicht.

Herr Gawin schaut auf. Da steht vor ihm ein Elephant, und auf dem Elephanten ein Mohr mit einer Keule. Der Mohr war himmelhoch, und die Keule so dick wie ein Eichbaum. Doch auch der macht den Ritter nicht zu fürchten, sondern er redet das schwarze Riesengesicht an, und sagt ihm warum er her gekommen sei, nämlich blos um den Zaum seines Maulthiers zu haben, den er ihm doch herbei holen möge.

[297] »Was? was? was für ein einfältiges Fordern, schnaubt ihn der Mohr mit wüthigem Grimm an. Du, den Zaum? So ein klein Ding? So ein Marzipanmännchen? das will den Zaum? Weißt du auch daß man hier so einen Zaum nicht so sogar fix herholt. Die Welt wollt ich dir eher geben wenn ich sie hätte, als so einen Zaum. Nimm guten Rath an, mein Kerlchen; geh wieder nach Hause, und sprich du wärst da gewesen.«

Herr Gawin hört die Reden, die aus dem breiten rothen Mohrenmaul kamen, ohne zu ergrimmen an, und sagt ruhig: »So werde ich den Zaum mir schon selbst müssen hohlen; mein Schatz.«

»Ja, das ist ein Anderes, sagt höflich der Riese; wenn Ihr ihn selbst hohlen wollt, so ist er gewißlich Euer; nur möcht es vorher so etwas an Armen und Beinen und Kopfe kosten. Indessen bemüht Euch nur herein, denn das Mittagsmahl wird eben aufgetragen sein, und das versäum ich nicht gern. Nach der Tafel ists noch Zeit genug ein Paar Worte zu sprechen.«

Herr Gawin nimmt die Einladung an, und Beide gehen hinein und setzten sich in dem goldnen Saal um den Tisch, und der Mohr macht der artigsten Wirth, als wäre er eben erst aus der Residenz gekommen.

Er legt seinem Gaste vor, er sucht ihm das Beste aus, schenkt fleißig den köstlichsten Wein ein, und vergißt auch als Wirth nicht den Gast mit Worten und mancherlei Spaß und Scherz zu unterhalten, worauf er sich aber nicht so gut verstand, als auf Braten und Wein.

Der Gast ißt und trinkt, aber mäßig, spricht nicht viel, und läßt den höflichen und vergnügten Wirth über seinen Witz selbst lachen. Natürlich! Herr Gawin hatte ja nur seinen Zaum im Sinne.

Kaum ist abgetischt und: »gesegnete Mahlzeit!« gewünscht, so fragt Herr Gawin schon: »Wo ist mein Zaum?«

[298] »Habt doch Geduld, Herr Ritter, entgegnete der Mohr. Wer will denn sogleich nach Tische an solche Dinge denken? Das stört die Dauung und ist gar nicht gesund. Ihr seid ja hier gern gesehen, und der Zaum, auf welchen Ihr so versteuert und versessen seid, entgeht Euch ja nicht.«

Dem Ritter gefiel der Aufschub gar nicht, indessen da das Mohrengesicht so höflich war, so durfte er nach Ritter Art und Sitte der damaligen Zeit, nicht widerstehn, und schlendert mit ihm in den Garten, wo er sich, weil er müde war, und mehr noch, um der Unterhaltung des Mohren los zu werden, unter einen schattigen Baum hinstreckt, und unter dem Gesang der Waldvögelein einschlummert, und zuletzt recht fest einschläft.

Die Sonne war nahe am Untergehn, als Herr Gawin erwacht, und ehe er noch die Augen recht aufgethan hatte, schon rief: »Wo ist mein Zaum?«

»Tausend! sagte lachend der Mohr, der sich nicht fern von ihm hatte gelagert, das heiße ich mir doch einen Zaum! Ich glaube Ihr habt sogar von ihm geträumt.«

Ein Konzert von hundert lieblichen Stimmen, ertönte jetzt aus dem nahgelegenen Gartensaal, und der Mohr versicherte den Ritter, es werde nur ihm zur Erde gegeben, und wofern es ihm beliebe, möge er sich gütigst ein wenig in den Saal bemühen. Solcher Höflichkeit mochte Herr Gawin nicht widerstehen. Er schien aufmerksam den Tönen zuzuhören, aber er dachte doch nur an den Zaum.

Die Musik war kaum zu Ende, als Gawin nach seinen Zaum fragen will, als aber auch sogleich der höfliche schwarze Goliath ihn zum Abendessen einladet, das schon bereitet da stand.

Was war für Herr Gawin anders zu thun, als daß er sich mit zur Tafel setzte, wo er aber taub und stumm da saß, und nur vor langer Weile an dem Braten nagte; denn wir wissen schon was ihm in Gedanken lag, und daß man über den Gedanken sehr leicht [299] den Magen vergessen kann, obwohl viel öfter noch über den Magen die Gedanken vergessen werden. Er nagte und kauete ein wenig, aber er that es mit Verdruß. In dessen, die Höflichkeit und gute Rittersitte litten es nicht anders, als daß er den Wirth ehrte, indem er zu essen schien. Gilt doch noch jetzt die Sitte oftmals mehr, als das, was eben jedesmal vernünftig und nöthig wäre, und man darf vielmals eher schlecht sein, als unhöflich.

Ein Abendessen, wie lang es auch währen mag, nimmt dennoch ein Ende. Da es zu Ende war, sagt Herr Gawin, nun wär es denn doch wohl Zeit, endlich einmal den Zaum herbei zu holen.

»Nun das wäre schön,« meinte der Riese, »so in später Abendzeit einen Gast gehn zu lassen, der ihm so werth sei. So etwas würde ihm, dem Wirthe, ewig Schimpf und Schande bringen, und könne nimmermehr zugegeben werden. Morgen sei auch noch ein Tag.«

Also mußte Herr Gawin zur Nacht bleiben, obwohl er sich dazu zwingen mußte. Doch zwingen und müssen ist immer einerlei, man mag sich selbst zwingen oder gezwungen werden. Ich weiß nicht, ob ihr mich versteht, ich weiß nur, daß ich es sagen muß, und daß Ihr mich werdet einmal lernen verstehen.

Herr Gawin bleibt zur Nacht, und das schönste Zimmer im Schlosse, und das schönste Bette im schönsten Zimmer, waren ihm ausgesucht. Man sieht doch, daß der Mann, der anfangs so fauchen konnte, so viel Lebensart hatte. Aber das werdet Ihr, seid Ihr nur einmal erwachsen, oft beisammen finden, und es scheint auch als gehöre es zuweilen ordentlich beisammen. – Unser Mohr war ein Mann von Welt.

Herr Gawin wird durch schöne dienende Knaben, nach damaliger Weise ins Schlafzimmer geleitet, denn vielleicht hätte er sonst das Thronhimmelbette, was königlich hoch und glänzend da stand, nicht können finden.

[300] Die Knaben waren kaum abgetreten, so kommen wunderschöne Mädchen, ihm den Schlaftrunk zu reichen, und das goldene Waschbecken darzubieten, und zu erfragen, was er sonst möchte bedürfen. Aber Gawin bedurfte ihrer nicht, denn er konnte sich im Nothfall schon selbst behelfen, und dachte nur an seinen Zaum. Er bat die schönen Kinder, sich nicht weiter zu bemühen, da sie ihm den Zaum doch wohl nicht würden verschaffen können. – Das könnten sie nicht, und darum traten sie ab.

Der Mohr mochte wohl ganz weltklüge Gedanken haben, wie er durch Braten und Wein, durch Herrlichkeit, Ueppigkeit und Pracht, durch hübsche Gesichter, und durch alle Schwelgereien und Lüste den braven tapfern Ritter von seinem Vorhaben abbringen wollte, welches aber bei Herr Gawin mißlang. Herr Gawin hielt treu und fest, an Ritterehre, an seinem gegebenen Wort, welches er lösen mußte, und vor Allem an Gott und an der Furcht Gottes.

Der Tag war angebrochen, und Herr Gawin hatte ausgeschlafen. Er wappnet sich, und nachdem das Frühstück mit dem Mohren eingenommen war, spricht er wieder von dem Zaum, den er nun haben, und damit fortziehen müsse. – Seid so gut und gebt mir den Zaum, sagt Herr Gawin zum Mohren.

Der Mohr versetzte: »wenn Ihr es denn mit Gewalt wollt so sei es denn auch. Gern wär ich schiedlicher und friedlicher mit Euch ausgekommen, sehe aber wohl, daß es nicht gehen will. – So muß es denn nun einen Kampf zwischen uns beiden geben, und wenn ich um meinen Kopf kürzer bin, dann werdet Ihr den Zaum erhalten.«

Nachdem sich beide Partheien erst die ordentlichen höflichen Bitterkeiten gesagt hatten, kam es zum Kampf.

Den ersten Streich des Mohren wich Gawin geschickt aus, sonst wär er ein wenig mit der Keule desselben, zu Pappmus und Brei ganz ordentlich geschlagen worden. Kaum zieht der Mohr vom [301] verfehlten Keulenhieb den Arm zurück, um zum zweiten Streich auszuholen, da fliegt auch schon des Mohren Arm durch Gawins Schwert herunter.

Und der Mohr flieht mit gräßlichem Geheule davon. Das machte ihm aber nicht eben viel aus; denn er nahm neue Gestalten an, indem er nicht blos ein Mohr sondern auch ein Zauberer war, und er greift in diesen Gestalten den Gawin an – als Drache, Leu, Einhorn, Tiger, Hyäne und Greif. Aber der Ritter blieb Ritter, nämlich muthig und beherzt; und als der Mohr sich endlich in einen Greif verwandelt, trifft er denselben so gewaltig und gut, daß des Greifen Kopf und Kamm herabfliegt. Und als das gräßliche Unthier stürzt, erbebt das Schloß.

Der Riese war fort, aber statt dessen stand nun ein Zwerg da, der mit vielen Verbeugungen und zierlichen Gebehrden sprach:

»Gott soll Euch gesegnen, höchst edler tapfrer Herr, und Euch Gesundheit geben und langes Leben. Die Frau des Schlosses sendet mich, und läßt Euch zur Tafel laden.«

Wir wissen, daß unser Ritter die höflichsten Sitten der Ritterschaft kannte und ehrte, und also folgt er dem Zwerg in einen Saal, wo ein herrliches Mahl für zweie zugerichtet war. Die Herrin des Schlosses aber war so glänzend und überschön, daß Herr Gawin fast verdutzt vor ihr stehen blieb, indem gar zu große Schönheit die Leute nicht nur oftmals allein verdutzt, sondern wohl gar thöricht und so ein wenig verwirrt gemacht hat, zumal wenn die Schönheit so schön gekleidet ist, als bei unserer Dame. Vor Aschenbrödels freilich, wird Niemand verdutzt stehen bleiben, wenn sie auch noch so schön wären, bevor sie sich nicht gewaschen und ein wenig hübsch angezogen haben; denn Reinlichkeit und Kleid haben eine wundersame Gewalt.

Die Herrin des Schlosses aß so, als lebte sie von der Luft, that wehmüthig und betrübt, und dann ward sie lebhaft und munter, [302] und sieht Gawin mit lieblichen Blicken an; aber der merkt nicht darauf, sondern läßt es im Essen und Trinken sich wohlschmecken, und denkt nur an seinen Zaum, und als abgetragen war, wiederholt er den alten Spruch: »Wo bleibt mein Zaum?«

Da fängt sie bitterlich an zu weinen, und spricht, er sehe so fromm und mild aus, und verlange doch ihren Tod. Das ist aber Herr Gawin viel zu hoch, und er spricht, daß er ja fürwahr nichts wolle als seinen Zaum. Da fängt sie ihm denn an Alles zu erklären.

»Ich bin die Fee von diesem Schlosse, sagt sie, und was ihr weit und breit umher seht mit allen Hügeln und Thalen und Auen, ist mein, und wo noch etwas sollte fehlen, das schafft mein Zauberstab in einem Augenblick herbei. Wie Ihr seht, bin ich noch jung, und wenn mich mein Spiegel und meine Eitelkeit nicht belügen, wohl auch nicht ganz unhübsch, und dazu hab ich vor vielen meinen Schwestern einen Vorzug, nämlich den, daß ich immer so bleibe, wie ich jetzt bin. – Aber wenn Ihr eigensinnig auf den Zaum besteht, ist Alles, ach Alles für mich verloren, und nichts was mich erfreuet, ist forthin mehr mein.«

Das war dem Ritter wieder zu hoch und räthselhaft, und bat er deshalb gar höflichst, ihm doch die eigentliche Bewandtniß der Sache so auseinander zu setzen, daß es ein braver Rittersmann könne verstehen.

»So hört denn Alles sprach sie. Mein Vater war einer der ehrwürdigsten und weisesten Druiden 1, und verstand alle geheimnißvollen Künste, daher ihn alle Welt ehrte und fürchtete. Er hinterließ nur mich und meine Schwester. Die Schwester war schön, [303] ich aber? – o Herr ich kanns Euch nicht sagen; – ich – ich war es gar nicht. Der Vater wollte mich trösten, und gab mir dieses Schloß und einen Feenstab, womit ich Drachen und Mohren, Riesen und Zwerge, drehende Schlösser und noch vielmehr hervor zaubern kann. Der Schwester aber gab er das gefeite Maulthier mit dessen Zaum. Das schien so wenig, und war doch vielmehr als ich hatte empfangen, denn ach! Herr Ritter – verzeiht, ich bin ein Mädchen! – wer den Zaum hat, hat unverwelkliche Jugendschönheit, und selbst die Häßlichsten werden durch seinen Besitz die Schönsten. Die Schwester war so schon schön und überschön, und ich war es ja nicht. Was wollte sie mit dem Zaum? – ich aber hatte ihn nöthig. Und nun Herr Ritter errathet ihr Alles. Wer mir den Zaum nimmt, nimmt mir mein Leben. Fordert ihn nicht von mir, Herr Ritter! Ich will der Schwester Alles was ich habe gern zum Ersatz geben, wenn sie mir nur den Zaum läßt. Seid gütig, und nehmt mir ihn nicht ab, und, wenn ich Euch gefalle, so bleibt hier, und theilt mit mir Alles – Alles!«

Herr Gawin wußte wohl, was die schöne Dame meinte, und war von ihrem Schmerz gerührt. Er entschuldigte gern ihren Raub, obschon er ihn nicht gutheißen konnte, und ihr himmlisches Gesicht und Wesen gefielen ihm sehr, aber unser Ritter war ein Mann von Wort und Ehre.

»Holde Dame, sagte er, wer sollte Eurer Schönheit nicht huldigen, und Euern Besitz nicht wünschen? Ich wollte Euch immer dar gern höchlich verehren, mein Lebelang. Aber verzeiht, ich habe wegen des Zaums mein Wort gegeben, und das ist etwas mehr als mein Leben, denn in meinem Worte liegt meine Ehre.«

Die Dame sieht wohl, mit welchem festen starken Manne sie es zu thun hat, und mit lautem Schrei befiehlt sie dem Zwerg den Zaum zu bringen, wendet weinend ihr Angesicht ab, und eilt in ein [304] anderes Zimmer. Man kann schon denken warum? – Die Schönheit und der Zaum waren ja zugleich dahin.

Armes Mädchen! du jammerst den Ritter, aber sein Wort muß er doch halten!

Der Zwerg bringt den Zaum; der Ritter zäumt sein Thier damit, welches vor Freuden darüber, daß es den Zaum wieder hat, lustige und poßirliche Sprünge macht. Er reitet zurück, ohne daß ein Strom, oder eine Eisenstabsbrücke, oder Drachen und Löwen da waren.

Und das Maulthier flog zu seiner Herrin zurück, als hätte es den Winden zehntausend Flügel abgeborgt, und berührte mit seinen Hufen kaum die Spitzen des Grases.

Er war in einigen Stunden wieder an des alten Königs Artus altem Hofsitz, und brachte den Zaum. Der König und die bravsten Helden der Tafelrunde umarmten den wort- und ehrenfesten Genossen, der, wie so oft sich auch hier wieder hatte bewährt, und die Damen des Hofes selbst dachten, er sei beinahe so heldenmüthig als Herr Gries, und vielleicht, wenn das möglich sei, wohl noch etwas mehr.

Und das Angesicht der Herrin des Maulthiers glänzte wie Morgenröthe. Sie drückte ihm dankbar die Hand. – Herr Gawin ward ihr Gemahl.

Manche Damen am Hofe des Altkönigs Artus, die wirkliche Hofdamen waren, rümpften das vornehme Näslein, und sagten, den hätten sie nimmer gemocht. – Andere, die zwar Damen am Hofe, aber nicht Hofdamen waren, schwiegen und dachten: den hätten wir gern gemocht, und die Herrin des Maulthiers mochte ihn am allergernsten; und der alte Held Artus hatte seine Herzenslust und Freude über das herrliche Paar.

Fußnoten

1 Religionsdiener, vornämlich bei den alten Deutschen und den Galliern.

Der Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[305] Der Fischer, der Geist und der König der schwarzen Inseln.

Ein alter Fischer stand am Strande des Meers, und hatte von Mitternacht an sein Netz ausgeworfen, und nichts, gar nichts gefangen, auch das kleinste Fischlein nicht. Der arme alte Mann mit seinem dünnen Haar zittert vor Nässe und Frost. Ach und zu Hause warteten seine vier hungrigen Kinder und sein Weib, zu welchen er nun mit leeren Händen zurück kehren sollte, welches ihm schon im Voraus das Herz brach.

Er seufzt zu Gott auf, daß er ihm doch einen einzigen Zug möchte gelingen lassen, ach den Hunger, den nagendsten Hunger der Seinen nur zu stillen. »Drei Züge, sagt er, will ich noch thun, so abgemattet ich auch bin; ach wenn doch Einer darunter glücklich wäre.«

So wirft er das Netz ins Meer, und zieht es bald schwer, recht schwer wieder heraus. Wie stärkt ihm die Hoffnung Herz und Arm über den glücklichen Fang, den er gethan haben wird, und er freut sich schon der Freude der Kleinen daheim. Und, o du barmherziger Gott, ist es möglich? – als das Netz heraus ist, ist es voll dickes Schlammes, vermischt mit Sand und Steinen.

[306] Die Thränen stürzen dem alten Manne aus den Augen und weinend wäscht er sein Netz aus, und wirft es zum zweiten Male ins Meer, und zieht es abermal sehr schwer herauf. Er fängt aufs neue zu hoffen an. Und als das Netz heraus ist, ist das Gerippe eines Eselskopfes darin.

Da wird der Fischer wüthend und wild, und will schon verzweifeln, und der böse Geist der Verzweiflung flüstert ihm zu: »Was hilft dein Weinen und Toben. Das Meer ist tief genug, dich von all deiner Mühe und Qual zu erlösen. Stürz dich hinab, so hat Alles ein Ende.«

Aber die Hoffnung weicht nicht so gar leicht und so ganz von dem Menschen, sondern bleibt seine treue Gefährtin, um ihn in so vielen trübseligen Fällen, in Noth und Elend zu stärken. Der Fischer thut seinen letzten Zug, und denkt: »nun vielleicht dießmal!«

Schwer ist das Netz wieder, und schwerer noch als die beiden vorigen Male. Er zieht es mit großer Mühe und Anstrengung herauf, sieht voll Erwartung hinein, und hat keinen einzigen Fisch, aber ein länglichrundes verrostetes Gefäß ist in dem Netze.

»Da muß ein Schatz drin sein, bei meiner Treu, spricht freudig der alte Fischer, wie könnt' es denn sonst so schwer sein?« – Doch wäre auch nichts darin, dennoch ists für mich ein köstlicher Fand; denn wenn es die Frau erst ein wenig gescheuert hat, kann ichs zum Rothgießer hintragen, und wir haben für unsere Kinder Brot auf mehrere Tage.

Er setzt sich hin um ein wenig zu verschnaufen, und besieht sich seinen Fund noch einmal. Da entdeckt er am Rande des Gefäßes ein großes seltsames Siegel, das ihn Wunder nimmt. Er besieht es sich, aber mit großer Vorsicht, daß es nicht beschädigt werde, weil er nicht wissen konnte, was es sei? Er hebt den Deckel von dem Gefäße ab, und setzt ihn in den Sand, und schaut nun in das Gefäß hinein, um zu sehen was darin ist. – Nichts fand er darin, welches[307] ihm denn unbegreiflich schien, weil das Gefäß doch so schwer gewesen war.

Indem er sinnt, wie das möglich sei, und zugehen könne, steigt ein dicker grauer Rauch aus dem hohlen Bauche des Gefäßes, und hebt sich hoch und immer höher bis an die Wolken hinan, und wird größer und immerfort größer. Dann verbreitet sich der Rauch weit umher, über Land und See, und legt sich wie Gebirge darauf. Und nun wird der Tag verfinstert, und es blitzt und donnert in den Rauchbergen, und ein Sturm erhebt sich, der heulend das Meer thurmhoch aufwühlt.

In Todesangst mit kaltem Schweiß übergossen, steht leblos wie ein versteinter Mensch der Fischer da. Und es folgt plötzlich eine Grabesstille.

Der Rauch wälzt und ballt sich in und über einan der, wie die großen Nebel in den Gebirgen, und gewinnt eine Gestalt und ein ungeheurer Riesengeist bildet sich aus dem Rauchnebel, unter dessen Fußtritten Feuerflammen heraus fuhren, und die Ufer erbebten. – Der Fischer verging fast vor Angst, und seine Knie schlugen zitternd heftig zusammen.

»Nun bin ich frei! sprach mit Donnerstimme der Geist – aber Dich Fischer muß ich erwürgen!«

Da erwacht bei dem armen Menschen, der vor wenigen Minuten sich noch ins Meer stürzen wollte, die allmächtige Liebe zum Leben, und er flehet den donnernden Geist sein zu schonen, zumal da er noch ein Weib und vier kleine Kinder habe.

»Gern, sagte der Geist, gern wollt ich dein schonen, und wollte sogar dich reich machen, denn du hast mich ja aus dem maledeiten Gefängnisse erlöst, in welchem ich 1500 Jahr bin eingeschlossen gewesen; aber ich darf nicht, wie du gleich hören sollst.«

»Mein Name ist Eblis, und ich gehöre zu denjenigen Geistern, welche die Gewalt Gottes nicht anerkennen wollten, und den [308] Kampf gegen ihn versuchten. Sieben tausend Geister, alle sehr machtig, gehorchten meinen Befehlen. Salomo überwand mich aber durch Hinterlist, und verschloß mich in dieses unglückliche Gefäß, welches er mit seinem unbezwinglichen Siegel verwahrte 1. Wisse, daß Geister leicht Welten zertrümmern können, aber gegen die Macht dieses all mächtigen Zaubersiegels vermag kein Geist in der Welt etwas.

Salomo ließ mich in dieses Meer werfen, wo ich alle meine Macht anwendete das Gefäß zu zersprengen, aber das Siegel war viel gewaltiger denn ich. Da verhieß ich in den ersten fünfhundert Jahren dem, der mich befreien würde, alle Gewalt und Ehre der Erde, denn ich konnte sie ihm leicht gewähren. Aber es kam Niemand. In den andern fünfhundert Jahren verhieß ich meinem Retter alles Geld und alle Lust, welche die Erde nur hat, und Niemand kam. Da wurde ich grimmig und wild, und schwur meinen Erlöser zu würgen. Der Schwur hat mich nachmals vielfältig gereut, allein er war nicht zu ändern. Was Geister schwören ist unverletzlich. Ich bedauere dich, armer Mensch, aber ich kann dir nicht helfen.«

Der Fischer hatte sich ein Herz gefaßt, während der Geist Alles so ordentlich erzählte, und dachte: »der läßt wohl ein Wort mit sich sprechen, sonst hätte er dich leicht können gleich anfangs ermorden.«

»Großer Eblis, sprach der Fischer, Ihr seid kein großmüthiger Geist, und ich glaube Ihr wollt mich nur verderben, darum [309] gebt Ihr einen solchen Schwur vor, so wie Ihr auch nur vorgebt, daß Ihr in dem Gefäße gesteckt habt. Wie kann eine solche Gestalt, die bis zum Himmel reicht, und wie ein Gebirge dasteht, in dem Gefäße gewesen sein, das kaum drei Spannen lang ist. Das ist ja nicht möglich, und müßt ich es erst mit meinen eigenen Augen sehen, eh' ich es glaubte. – Dann wollt ich es glauben, daß es mit Eurem Schwur seine Richtigkeit hat.«

Der Geist, der auf die Ehre seines Wortes hielt, sprach eifrig: »Du bist einfältig, wie alle armseligen Menschenkinder, und kannst nicht verstehen, wie weit die Gewalt eines Geistes geht, und wie vielerlei Gestalt und Gebild ein Geist annehmen kann, und wie er groß und klein, Luft und Nebel, Schatten und Körper kann werden. Nun so sieh denn mit deinen eigenen Augen, damit du meinem Worte glaubest.«

Damit verwandelte sich der Geist wieder in Rauch und Nebel, der sich verbreitete, wallte und änderte, und sich in das Gefäß mehr und immer mehr herab senkte und zusammen drängte, bis die ganze Masse des Rauchnebels wieder darin war. Da kam dann eine schwache wie durch Rauch erstickte Stimme aus dem Gefäße, und sagte zum Fischer: »Sieh her und glaube!«

Der Fischer that das dann auch, und schlug zugleich den Deckel mit Salomons Siegel auf das Gefäß, und der Geist saß in demselben wieder so fest und sicher verschlossen, als die vorigen anderthalb Jahrtausende.

»Fischer was thust du?« rief die Stimme noch schwächer in dem Gefäße, als zuvor, denn der Deckel war drauf.

»Ich thue dich eingesperrt haben, wie du zuvor eingesperrt warst, weil du die Menschen willst abwürgen, die dich erretten, und will ich dich nun so weit und tief ins Meer hinein versenken, daß dich vor der Welt Ende gewißlich Niemand soll finden.«

[310] Der Geist wurde grimmig, weil er überlistet war, und wollte nicht gern gute Worte geben, und versuchte noch einmal seine stärksten Kräfte, das Gefäß zu zersprengen, aber es half ihm nichts gegen die Kraft von Salomons Siegel, und er merkte wohl, daß alle seine Anstrengungen nichts würden fruchten. Da wurde ihm denn übel zu Muthe, und die ganze Pein der Langeweile und der unbequemen Lage im Gefäß, fiel mit dem Gewicht der ganzen Hölle auf ihn. Wohl hätte man sollen glauben, daß ein so großer Geist, der sieben tausend andere unter sich hatte, sich mit seinem eigenen Geiste einige Jahrtausende leicht hätte sollen unterhalten, und, wie es großen Geistern zusteht, in jede Lage sich finden können. Unsere großen Geister können sich zwar nicht immer mit ihrem Geiste unterhalten, weil derselbe oft ausgegangen ist, wie ein ausgegangenes Feuer, und darum unterhalten sie sich mit Narrenspossen; aber in jegliche Lage sich finden, so lange sie noch Brot haben, das ist ihnen sehr leicht. Unser großschlachtiger Geist aber konnte weder das Eine noch das Andere, obwohl er ein so gar großer Geist war.

So ging dann dem Eblis der Muth aus, und er gab dem armseligen Fischer himmlisch gute Worte ihm aufzusperren, wofür er ihn so gewiß und auf Geisterehre glücklich machen wolle, als gewiß er der große Eblis sei.

»Will dich dennoch, in Gottes Namen, in die tiefsten Tiefen des Meeres schmeißen, sagte der Fischer, denn wer soll dem Worte eines so treulosen Geistes trauen?«

Da schwur im Gefäße der Geist seine höchsten Geisterschwüre, und verhieß dem Fischer wer weiß wie viel, und der gute alte Fischer ließ ihn wahrhaftig wieder heraus. – Ob ich es würde gethan haben, weiß ich fürwahr nicht.

Aber der Geist, nachdem er aus der Büchse wieder als ein Rauchnebel gekommen war, hielt Wort, wie es nicht immer bei großen Herren und großen Geistern der Fall ist.

[311] Der Geist nahm eine, wiewohl etwas riesige Menschengestalt an, und sprach: »Komm du Altvater; so viel du bedarfst, soll dir schon werden.« Der Alte folgte, obwohl mit kurzem Athem, und großer Anstrengung, den Riesenschritten, an die er nun eben nicht gewöhnt war. Es ging durch Moor und Sumpf und Gesträuch, durch Dick und Dünn, durch Berg und Thal, durch Feld und Wald; und es war nur ein Wunder, wie das der Alte mit seinem hohlen Magen konnte aushalten. Das machte aber die Gespanntheit auf Geld und Glück.

Sie waren eine Weile gegangen, und kamen an einen See, der sich wie ein Spiegel längs eines todten Thales hinstreckte, und auf jeder Seite mit einem Hügel begrenzt war, auf welchem schwarze Tannen standen.

Der Fischer ist befremdet. Er kannte alle die Gegenden meilenweit rings umher, besonders die, wo Wasser mit Fischen war. Aber diesen See hatte er noch niemals gesehen. Nun! er errieth wohl, daß er mit einem Geiste zu thun hatte, und es hier nicht so gewöhnlich natürlich Ding und Wesen war, sondern Geisterei und Zauberei.

Der Geist merkte ihm Alles was er dachte auf dem Gesichte ab obwohl er vorher, als er von dem Fischer wieder eingesperrt wurde, ihm nichts abgemerkt hatte. Aber der Geist sagte nichts, als: »Gieb Acht, und merk dir Weg und Steg genau; hier wirds für dich so viel zu fischen und zu fangen geben, als dir noth ist. Nur, bei deinem Leben, wirf jeden Tag dein Netz nicht öfter als einmal aus.« Das letzte hatte der Geist, der wohl wußte, wohin der betonende Nachdruck gehöre, mit solcher Donnerstimme gesprochen, daß rings umher Alles erbebte, und dem Fischer die Sinne vergingen.

Als der Alte wieder zu sich selbst kam, war der Geist fort, und nur seine Stimme hallte über den See noch nach. – Er sahe die Fische im klaren See in solcher Menge scherzen und spielen, als er [312] noch niemals beisammen gesehen hatte. Auch waren ihm die seltsamen, und unbeschreiblich schönen und großen Arten von Fischen völlig fremd. »O! rief er, das giebt ein Gericht für die Tafel des Sultans. Niemand, als der, darf solche Fische essen.«

Er thut einen Zug, und siehe, vier große Fische zappeln in seinem Netze, von vier verschiedenen Farben; der eine gelb, der andere blau, der dritte roth, der vierte silbergrau, und alle in den Farben über den ganzen Leib so glänzend, wie keine andern Fische in der Welt.

In fröhlicher Hoffnung trottet der alte Mann nach der Sultansstadt zu, und fühlt nicht wie er so müde und matt ist. Er eilt nach Hofe, und will seine Fische dem Sultan selbst bringen, damit ihn das Dienerpack nicht mit kleiner Münze abfertige. Der Staatsrath, in welchem der Sultan, während der Verhandlungen, des Morgens noch ein wenig Nachruhe zu halten pflegte, war kaum zu Ende, so zeigt unser Fischer dem Großherrn die Fische. Dem machen sie eine wundergroße Freude, und er schickt sie durch des Großweßirs Hand, dem Oberküchenmeister, damit dieser selbst so seltenes und köstliches Wasservieh selten und köstlich zubereiten möchte. – Was so prächtig aussähe, müsse noch prächtiger schmecken, meinte der Sultan, und um den Geschmack wars ihm weit mehr zu thun, als um die Farben. Dem Fischer aber ließ er Vierhundert große Goldstücke auszahlen.

Denkt Euch den überglücklichen Alten, wie er in seiner Freude und fast wie trunken nach Hause trabt, und mit dem Sultan selbst kaum würde getauscht haben, aus Furcht, es möchte dieser nicht noch einmal so viel Goldstücke besitzen. Der bittersten Dürftigkeit scheint eine mäßige Summe unendlich viel. – Denkt Euch aber auch die Freude der Kinder und ihrer Mutter, und wie einmal nun ein hoher herrlicher Festtag in die kleine Hütte einkehrt, mit Lust und Jubel, mit Sattwerden, und selbst mit Kuchen und Braten. – Das war [313] ein guter Tag, und der Alte besahe seine Goldstücke wohl zehnmal, und überzählte sie immer wieder aufs neue, und ließ sie gegen die Sonne blinken und glänzen.

Nun hatte der Großweßir die Fische aus Sultans Hand empfangen, mit eigner Hand auch dem Oberküchenmeister zugetragen, und demselben mit Ernst eingeschärft, dieselben aufs Beste zu bereiten, damit Seine Majestät recht möchten vergnügt werden, indem Dieselbe vierhundert Goldstücke dafür hätten bezahlen lassen.

Der Oberküchenmeister war selbst ein sehr feiner Züngler, und wohl ein eben so feiner, als der Sultan, und als ein alter erfahrner Hofmann wußte er recht wohl, daß ein Großherr lecker müsse gegessen und gut verdaut haben, wenn er bei guter Laune bleiben sollte, und die Geschäfte ihren ordentlichen Gang sollten gehen. Was Wunder, da es bei den vornehmen Hofleuten selbst nicht anders war, und wie bei den Krebsen der Kopf im Magen saß, oder doch der Magen im Kopfe, welches ganz einerlei ist. Und weil seine Exzellenz der Oberküchenmeister ihr Fach so wohl verstanden, als schwerlich der Großweßir das Seinige, und an einer Tunke (Sauce) ein Pfefferkorn zuviel so gewiß hätten heraus geschmeckt, daß es dem Obermundkoch beißend genug hätte werden sollen – ja, weil das Alles Se Exzellenz wußten und verstanden, bereiteten Dieselben die Fische selbst, nachdem sie sich vorher in die Küche begeben und eingeschlossen, die Mundköche aber entfernt hatten.

Gebraten waren die Fische schon auf Einer Seite, und der Oberküchenherr steht mit der Gabel da, dieselben in der Pfanne umzuwenden. Da überfährt es ihn plötzlich wie Geisterschauer, und die schwarzen Küchengewölbe werden mit hellem Goldglanz erfüllt, und die alte rußige Mauer berstet auf einmal, und eine Dame tritt aus der Oeffnung hervor, so jung und schön und zart, als es nicht zu beschreiben ist. Die Majestät ihrer Gestalt, die himmlisch schönen Augen, das glänzende weißatlaßene Kleid mit güldenem Gürtel [314] und Edelsteinen darauf, die goldgelben Haare, die Perlenschnur um ihren Busen, die Rubinspangen um den Arm, und was sonst noch hieher gehören könnte – – von dem Allen wollen wir uns einmal die Beschreibung schenken.

Der Oberküchenherr verstand sich nicht blos auf die Küchenkunst, sondern auch auf Diamanten und auf Perlen und auf Schönheit, und erschrack und verblindete fast; aber die Dame achtete feiner gerade eben so viel, als ob er nicht da wäre, oder niemals hätte da sein können. Mit großer Würde und mit Ernst tritt sie zur Pfanne, sieht auf die Fische, und schlägt mit dem Myrtenreis in ihrer Hand die Fische sanft auf den Kopf, und spricht zu den großen Bengels von Fischen gar höflich und zärtlich:

»Fischlein, Fischlein, thut ihr Eure Pflicht?« –
Die Fische, die schon halb gebraten, antworteten nicht.
Die Dame berührt sie sanft noch einmal mit dem Myrtenreis, und spricht:
»Fischlein, Fischlein, thut ihr eure Pflicht?«

Aber die schon halbtodten und halbgebratenen Bestien blieben dumm und stumm. Da sie aber zum dritten Male mit dem Myrtenreis einen tüchtigern Klaps auf die Nase mochten bekommen haben, antworteten sie alle, indem sie die Köpfe in die Höhe hielten, ordentlich wie sich es gehört, wenn man höflich sein will; und was sie antworteten, darin war nicht einmal ein Fischverstand, der von ihnen wohl wäre zu verlangen gewesen, geschweige ein Menschenverstand; aber sie antworteten doch und sprachen:


»Der Pflicht vergessen
wir Fische nie;
haben viel Müh
und wenig zu essen,
baun spät und früh
uns luftige Schlösser,
[315]
und hättens gern besser;
wollens erringen,
könnens nicht zwingen,
waten bis an die Knie,
rathen und treffens nie.«

So war der grundgelehrte Singsang der befragten Fische, aus dem selbst der weiseste Derwisch nicht hätte klug werden können. Aber die Dame schien doch aus demselben klug zu werden, und damit wohl zufrieden zu sein. Das machte, sie hatte wohl die Gaben dazu, die freilich nicht Jedermann hat; Vielen von unsern Damen fehlt diese Gabe aber auch nicht, wie man aus den Büchern sieht, welche sie lesen.

Die Fische, nachdem sie zuvor mit aufgereckten Köpfen gesungen hatten, senkten die Köpfe nun, und waren stumm wie Fische. Und die Dame stößt die Pfanne hierauf um, und geht zurück durch die Mauer.

Daß die Dame fort war, so schön sie auch war, ist dem Oberküchenherrn gar nicht unlieb; aber daß die mit der Pfanne umgestoßenen Fische zu Kohlen und Asche waren verwandelt worden, macht ihn untröstlich, denn wie soll er vor dem Sultan bestehen, wenn dieser die Fische begehrt?

Zum Glück stehn Magen und Kopf immer in naher Verwandtschaft, mithin auch der Oberküchenmeister und Großweßir. Der Erstere entdeckt sich dem Letztern, der denn auch aushilft, und Seiner Sultanischen Majestät eröffnet, daß solche Fische nur erst durch die Zubereitung von Tag und Nacht so viel Hochgeschmack könnten erhalten, um dem Gaumen der hochgroßsultanischen Majestät zu gefallen.

Wenns einmal so ist, dachte der Sultan, (denn es zu sagen war unter seiner Hoheit) so mag es drum sein, weil morgen doch auch ein Tag ist. Gern hätte er indessen die Fische schon zwischen den Zähnen gehabt.

[316] Der Großweßir läßt den Fischer kommen, und gibt strengen und straflichen Befehl, den andern Morgen vier ganz gleiche Fische zu bringen.

Dem armen Alten wird es ganz unheimlich. Wie? wenn er den Weg zu dem See nicht wieder fände, von dem ohnedieß keine Seele jemals etwas gewußt hatte? Wie wenn er sich auch zum See fände, doch nicht gerade Fische finge von anbefohlener Größe und Farbe, und der Weßir ließe ihn alsdann abgurgeln? So hätte der Geist seinen Schwur, den zu erwürgen, der ihn befreie, dennoch gehalten, nur auf eine andere Manier – O! Geistern sei niemals zu trauen.

Er ängstet sich mit quälenden Gedanken die ganze Nacht, und als der Morgen graut, nimmt er sein Netz und geht. O Glück! da ist der See, und in dem Netze zappeln auf den ersten Zug vier Fische, eben so groß und glänzend und von eben solchen Farben als die gestrigen, die er mit freudiger Eil zum Großweßir trägt, und dafür von diesem, der ebenfalls hoch erfreut war, wieder vierhundert Goldstücke empfängt.

Glücklicher Weßir! glücklicher Fischer!

Der Großweßir schließt sich selbst mit in die Küche ein, um zu sehen, wie es kommen werde, und es kam Alles wie gestern. In dem Augenblick als die Fische in der Pfanne gewendet werden, spaltet sich die Mauer, die schöne reichgekleidete Dame tritt mit ihrem Myrtenreis aus dem Spalte hervor, schlägt dreimal auf die Fische, und fragt, ob sie ihre Pflicht thäten, und diese heben ihren artigen und tiefsinnigen Spruch wieder an, und beten ihn mit aufgereckten Köpfen genau so her als das erste Mal. Die Dame stößt die Pfanne um, und die Fische verkohlen, und die Dame verschwindet durch die Oeffnung der Mauer, die sich von selbst wieder verschließt.

Daß sich die beiden Herren in der Küche dem Umstoßen der Pfanne nicht widersetzten, ist recht begreiflich, denn wer nimmt es [317] gern mit einer Dame auf, wenn Er höflich, und die Dame noch obenein schön und reich ist. Man möchte wohl denken, sie hätten vor Furcht nicht gewagt, das Umstoßen der Pfanne zu hindern, man denkt aber grundfalsch, denn so hohe Herren fürchten sich niemals, zumal wenn sie in der Gunst des Sultans fest stehen, denn dann können sie thun was ihnen gefällt, ohne daß Henne oder Hahn darum krähen.

Was war aber nun für die beiden Herren zu thun, um den Sultan zu beschwichtigen? Daß der ihnen von dem Vorgange kein Wort glauben würde, wußten sie gewiß, denn der Sultan war ein gewaltig großer Philosoph, und was er nicht begriff, das glaubte er nimmermehr.

Der Fischer wird sogleich beschieden, und soll stracks noch vier solcher Fische schaffen, damit sie vor Tische noch fertig sein könnten. Aber der Fischer erinnert sich noch gar wohl der donnernden Drohung des Geistes, und giebt zu seiner Entschuldigung vor, die Reise zum See sei viel zu weit, und erst in vier und zwanzig Stunden könne er wieder vier solche Fische liefern.

Da standen die Herren! – Sie beratheten sich lang und breit, wie nun zu helfen stehe, aber wie oftmals, kam auch hier aus dem Berathen kein Rath.

Und als der Sultan bei Tische rief: »die Fische herbei!« – denn sie waren seiner Ungeduld schon viel zu lange geblieben – muß der Weßir zitternd erzählen, was in der Küche vorgegangen sei.

»So? sagt der Sultan; morgen will ich das selbst mit ansehen,« und strich ungläubig seinen Knebelbart dazu, und kein Gericht schmeckte ihm nun mehr, weil er die Fische nicht hatte, von welchen er meinte sie müßten in der Schüssel und gebraten doch tausend Mal schöner sein, als lebendig im See. Aber das wissen wir ja schon.

[318] Der Fischer kommt am dritten Morgen und bringt aufs neue vier Fische, geht mit vierhundert Goldstücken heim, und ist nun ein reicher, reicher Mann.

Der Sultan ist mit in der Küche, besieht sich die Fische haarscharf, und will ein Gespräch mit ihnen anfangen, indem er denkt, wenn sie halb gebraten könnten sprechen, müßten sie es bei lebendigem Leibe noch besser können, welches denn aber nicht also war, denn die blieben stumm wie die Fische.

Es geht denn wieder in der Küche wie es zweimal schon gegangen war, nur daß in dem Augenblick, als die Fische gewendet werden, ein riesiger Mohr statt der Dame aus der Mauerspalte kommt, mit einem Stab in der Hand, mit dem er die Fische etwas tüchtig auf die Nase tippt, daher sie denn nicht erst dreimal sich tippen lassen, um in voriger Weisheit und mit dem gewöhnlichen Spruch anzusagen, daß sie ihrer Pflicht nicht vergäßen. Und als die Fische verkohlt sind, ist der Mohr fort.

Der Sultan reibt sich die Stirn und sinnt, denn ein sinniger Herr war er. – So seltsame Dinge, denkt er, müssen begreiflich gemacht werden, und das Wunderbare muß davon ab.

Der Fischer muß kommen. »Es hat etwas Seltsamliches mit deinen Fischen, spricht der Sultan, wo hast du sie her?« Der Fischer zeigt mit dem Finger auf einen Berg, hinter dessen Höhen der See liege, aus welchem die Fische gefischt wären. Der Sultan aber kennt in dieser Gegend, in der er so oft zu jagen pflegte, keinen See, und der Weßir eben so wenig. – Dahinter muß man kommen.

Der Hof bekommt Befehl zum Aufbruch, und in kurzer Zeit ist Alles bereit. Der Fischer zieht als Wegweiser voran, der Sultan mit seinem Hofe hintennach. –

– Es war kein kleiner Auflauf, als der Hof durch die Straßen zog, und alle Welt zerbrach sich den Kopf, was das könne zu bedeuten haben, aber es blieb im Kopfe stecken, und wollte gar nicht [319] heraus kommen! Ja wäre eine tüchtige Armee mit gezogen, da hätten Alle gewußt, das gebe Krieg.

In drei oder vier Stunden waren sie am See, der zwischen den vier Hügeln lag, die Keiner jemals gesehen hatte, und in dem See schwammen und spielten die Fische von den bekannten vier Farben, einzeln und in Zügen.

Der Sultan muß wissen, wie das Wesen zusammen hängt. Es werden Zelte am Ufer des Sees aufgeschlagen, und, was das Nöthigste war, ein Gezelt mit einer Küche vor allen andern.

Alles lag am nächsten Tag noch im tiefsten Schlafe, als der Sultan den Großweßir kommen läßt, und zu ihm spricht: »Ich habe mir vorgenommen hinter alle diese Seltsamkeiten zu kommen, und das allein zu vollbringen. Du bleibst hier, regierst statt meiner, wie immer, und sprichst, ich hätte Kopfweh, oder Magenkrampf, oder wäre verdrießlich, oder wäre in tiefsinnigen Gedanken. Obs schon nicht wahr ist, so müssen es die Leute doch glauben, und da ists eben so gut, als ob es wahr wäre. – Bin ich in sieben Tagen nicht wieder da, so ziehe nach der Stadt zurück, und laß dann den Himmel walten und sorgen.«

Der Sultan geht nun am Ufer des Sees hin, wo Alles todt und einsam und still ist. Die Luft selbst weht hier nicht einmal. So geht der Sultan mehrere Stunden und sieht und entdeckt nichts; aber als die Morgenröthe herauf glänzt, glänzt ihm auch von fernher ein Schloß entgegen, wie wenn es von hellpolirtem Stahl wäre.

Und nun wollen wir mit dem Sultan schon hinter Alles kommen, obwohl wir kein Wort davon werden verstehn! – Er aber versteht es gewiß.

Fußnoten

1 Dieses Siegel spielt in der Geister- und Mährchenwelt des Morgenlandes eine große Rolle. Selbst in der Bibel wird Salomos hohe Weisheit gepriesen, obwohl derselbe zuletzt ein gar großer Narr wurde.

Der König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[320] Der König der schwarzen Inseln.

»Nun da wirds kommen; sprach der Sultan, als er das Schloß sahe; da steckt, ich wette darauf, der Schlüssel zu dem Geheimnisse von dem See und den Fischen, von der Dame und den Mohren, und ich will mir fürwahr das Haupthaar nicht eher lassen scheeren, bevor ich nicht Alles heraus habe. Das schwöre ich bei meinem Bart.«

Die sultanische Hoheit kommt dem Palast immer näher, aber es wird ihr immer unheimlicher zu Muthe, denn es kommt ihr weder Mensch, noch Thier entgegen, und selbst kein Käfer summt in der Luft, kein Heimchen zirpt auf der Erde. Alles ist todt – ganz todt!

Der Sultan kommt zum Schloß. O wie so prächtig ist überall Alles! so, daß an seinem eigenen Hofe das bißchen Glanz und Herrlichkeit nichts, gar nichts dagegen war; aber freilich überall wohnte auch hier der Tod – so grausig war es und stille, und in dem schönen Garten, der das Schloß umgab, war keine Mücke, keine Fliege und kein kleines Fischchen in dem Teiche, der ohne Welle da lag. Selbst keine Lust regte sich, keine Blume bewegte sich, kein Laubblatt und kein Grashalm nickte oder schwankte. – Todt, todt, Alles todt und stumm und still!! Am hellen Tage war es hier, [321] wie an andern Orten in der Nacht, die ja eben durch ihre Stille so öde und schauerlich furchtbar ist.

Indem der Sultan umherwandelt, ob nichts Lebendiges sich finde, hört er doch Töne, stöhnende ächzende Töne von fernher. Da erblickt er, sich umschauend, in der Mitte eines Teichs einen von hohen finstern Tannen umkränzten dunkelschwarzen Dom, aus welchem das Aechzen zu kommen schien. Je näher er kommt, je lauter wird das Klagegestöhn. Und der Sultan kettet einen Kahn am Ufer des Teiches los, und fährt zum Dome hinüber, steigt die Stufen hinan, tritt ein, und geht von Zimmer zu Zimmer, durch deren hohe und dunkle Fensterbogen nur mühsam das Licht sich drängt.

In einem weiten und hohen Saal findet er einen Fürsten, eine blitzende Königskrone auf dem niedergesenktem Haupt, und das todtenfahle abgezehrte Gesicht hat Augen voll Thränen, und der Jammer sitzt darauf kläglich und traurig. Der prachtvolle Scharlachmantel, der schlaff von seinen Schultern herabhängt, macht sein Aussehen gar nicht heiterer. – Ach Pracht und Glanz machen ja niemals ein heiteres Angesicht, wohl aber das Herz und frischer fröhlicher Lebensmuth und ein Stück Brot für gesunden Magen.

Der Unglückliche auf dem Thron, in Thränen und Jammer versenkt, bemerkt den König nicht, der hereingetreten war. Er hatte es ja nur mit sich selbst zu thun.

Da spricht der Sultan: »Verzeihe! dein Klagen dringt mir nicht bis ins Ohr allein, sondern dringt zerreißend bis in mein Herz. – Sprich was dir fehlt? Vertraue mir, ich bin ehrlich und treu (das war unser Sultan fürwahr) und kann ich dich retten, wär es auch mit meinem Leben, so will ich es unternehmen.«

Da erhebt der arme junge Mann auf dem Thron sein Haupt, und sieht den Sultan mit bethränten Augen stumm und staunend an, schweigt erst, und spricht dann: »Ist es ein Gott oder ein Mensch, der sich meines Elendes erbarmt?«

[322] »Ein Mensch, ein sterblicher Mensch bin ich, spricht der Sultan, bin der Sultan Visapur, und wollte dir gern helfen, wenn Hülfe Noth ist, und ich sie gewähren kann.«

»Gewähren kann! – kann?« sagt schmerzlich der junge Fürst. »Ach, Gott allein wird sie nur können gewähren!«

Aber Sultan Visapur sprach mit ihm hin und her, und vermaß sich hoch und theuer, er wolle ihm helfen, und wär es auch mit seinem Leben, ohne daß er wußte, wo es dem Prinzen fehle, bis dieser ihm seine ganze Geschichte erzählte, und weit weit dazu ausholte.

Er sprach zum Sultan:

»Niemand kann mir wohl helfen! Mein Elend ist einzig in seiner Art. Was ich fühle, das möchte noch sein, aber was ich nicht fühle, Gott, das ist zum Erbarmen, und ist unerträglich!«

»Nun, dachte der Sultan, nun merk ichs wohl, woran es dem fehlt. Es rappelt ein klein wenig bei ihm oben unter der Krone. Wenn hier sonst sich nur Menschen fänden, so möcht ich fast denken, sie hätten ihn zum Narren und Papierkönig gemacht!«

Unser allweise Sultan irrte sich dasmal, und fand es am Ende selbst, nachdem er die Geschichte des unglücklichen jungen Monarchen anhörte, welche also lautete:

»Mein menschenfreundlicher Herr Sultan! Seht hier zuerst, ehe ich weiter erzähle, Schultern, Brust und Rücken« – indem nahm er den von Haaren gewebten, aber mit Edelgestein besetzten Scharlachmantel ab, und da brach dem gutherzigen Sultan das Herz, denn Alles, Alles war von Geißelhieben zerfleischt und zerrissen, geschwollen und mit Blutstriemen unterlaufen, bis an die Hüften hinab.

»Gott! o Gott! ruft Visapur, ist das möglich?«

»O, spricht der junge König darauf, das Aergste sieh hier!« – Und damit hebt er nun auch von den bedeckten Lenden den Königsmantel [323] ab, und der Sultan sieht alles Gebein und Fleisch des armen jungen Fürsten in schwarzem Marmor verwandelt, wofür er es eher nicht halten will, als bis er es erst befühlt und betastet hat.

Der Sultan ist außer sich vor Schmerz und Erstaunen, und will die Geschichte des Halbversteinerten recht genau wissen, um ihm, wie er nochmals betheuert, wenn er könne, zu helfen. So erzählt dieser denn:

»Mein Unglück ist mein Weib! – Ich heiße Uzim Oschantei, und bin der König der schwarzen Inseln, und dieser See, um den die vier Hügel stehen, war einst mein Königssitz.«

»Kaum daß ich meinen Thron bestiegen hatte, heirathete ich das schönste Weib der Erde, und war in ihrem Besitz, o wie glücklich, wie überglücklich! Die Welt mit aller ihrer Herrlichkeit schien mir gar nichts gegen dieses Kleinod. – – Ich lebte mit meiner Gemahlin fünf Jahre, die mir wie einzelne Tage dahin gingen, und nimmer, wie ich dachte, konnte es jemals weniger glücklich gehen: Ach wie hab ich mich betrogen!«

»Ich lag einst im leisen Schlummer im Garten auf einem Sopha. Es war ein sehr warmer Tag. Da kommen zwei Dienerinnen der Königin, und denken, ich sei fest eingeschlafen, und wehen mir frische Luft mit Wedeln von Blumen zu. – Ach hätte ich doch einen Todtenschlaf gehabt, so wär ich ja glücklich geblieben!«

»Sieh! sprach eins der Mädchen zu dem andern, wie schön unser junge König da liegt, und wie schön und sanft er schlummert. Ach! er würde so sanft nicht schlummern, der gute Herr, wenn er sein Unglück wüßte.«

»Was für ein Unglück?« fragte das andere Mädchen.

»Wie? das weißest du nicht? versetzte das erste, was Alle am Hofe wissen, daß es unsere Königin mit einem garstigen Mohren hält, mit dem sie des Nachts ihre verdammten Zauberkünste treibt, die wohl noch dem Reiche und dem Könige zum Verderben gereichen [324] werden. Er ist anfangs ihr Lehrer und Meister in der Zauberei gewesen, jetzt aber mag sie ihn darin weit übertreffen, und bedient sich seiner wohl nur noch als eines Gehülfen. Sie scheint ihn aber auch ordentlich lieb zu haben, und gern bei ihm zu sein, und vielleicht hat sie ihn lieber als den König.«

»Wie wäre denn das aber möglich? fragte die andere Dirne, da doch der König beständig bei ihr ist; sie kommen ja niemals einander von der Seite.«

»Wie übel bist du unterrichtet, versetzte die Erste. – Weißest du denn nicht, daß sie dem König, so oft er sich zur Ruhe begiebt, einen Schlaftrunk im goldenen Becher beibringt? Er glaubt es sei frisches Wasser, etwa aus einem Wunderquelle, worauf sichs herrlich schlafe; wenigstens schläft er so fest darauf, daß er bis Anbruch der Morgenröthe sich nicht einmal rühren kann. Sie aber eilt in den Garten zu dem häßlichen Mohren.«

»Wie war mir zu Muthe! fuhr der Sultan fort. Wie mußt ich an mich halten, bei den schrecklichen Worten, die ich hörte. Himmel und Erde lagen auf meiner Brust!«

»Ich hatte die Kraft meiner selbst Herr zu sein, und that denn, als ob ich so nach und nach erwache; aber als ich nun wieder allein war, Gott! Gott! wie war mir!«

»Ich sank in dumpfer, starrer Betäubung an einem Felsenbach hin.« »Es ist unmöglich, rief ich, es ist zu gräßlich! zu höllisch! Mein Weib eine Zauberin? – Und der Mohr ihr lieber denn Ich! – Es ist unmöglich! – Und doch! doch! Der ganze Hof scheint das Geheimniß meines Unglücks und meiner Schande zu wissen.«

»Was half es, hin und her zu sinnen, zu brüten und zu ächzen? Ich mußte mich schon bis zu Abend zu fassen suchen, und mich stellen, als sei ich wie sonst. Wie ich es vermocht habe weiß ich nicht, aber das weiß ich, es waren Stunden der Höllenqual, die ich bis zu Abend verlebte, der mir eine Ewigkeit auszubleiben schien. – [325] Gewißheit, nur Gewißheit suchte ich, und ach! ich bekam sie furchtbar genug.«

»Als mir vor Schlafengehen das treulose Weib nach Gewohnheit den goldenen Becher darbot, trat ich damit an ein Fenster, und schüttete den Trank unbemerkt hinaus; den Becher gab ich zurück, worauf wir uns zu Bette verfügten, wo ich mich bald fest eingeschlafen stellte.«

»Bald stand die Elende auf, – ich sahe Alles bei dem hellen Lichte des Vollmonds – warf ein leichtes Nachtkleid über, bückte sich über mich hin, um sich nochmals zu überzeugen, daß ich fest genug schlafe. ›Schlaf, schlaf, sagte sie dann; und möchtest du nimmermehr wieder erwachen. – Aber diese Zeit soll auch nicht mehr fern sein!‹ damit eilte sie davon.«

»O! daß ich meinen Augen und Ohren hätte mißtrauen können! Ich konnte es aber ja nicht.«

»Ich fuhr in den Kaftan, den Säbel unter dem Arm, und schleiche ihr durch alle Gänge und Hecken des Gartens nach. Ihr Verlangen trieb sie so sehr zu eilen, daß ich, der ich ohne Geräusch so schnell nicht nachfolgen konnte, sie bald aus den Augen verlor.«

»Ich suchte sie in Grotten, Sälen, Gebüschen, Wäldchen und Lauben, und endlich klang mir ihre Stimme aus einem Gebüsche hervor. Ich schleiche leise näher und näher, und o Entsetzen! sie halten sich traulich umschlungen, der Mohr und mein Weib. Sie sprechen von meinem Untergange, und wie der Mohr dann, sei ich nur erst aus dem Wege, den Thron besteigen solle, und wie das Alles verdachtlos zu beginnen, und auszuführen stehe. – Himmel und Hölle! wie hab ich es können hören!«

Die Wuth stählte meinen gelähmten Arm, und mit Einem Hieb war der Mohr vom Schädel bis zum Nabel gespalten. – – – O! hätt' ich doch den Schädel des treulosen Weibes gespalten, so wär ich nicht in diesem entsetzlichen Zustande. Aber ich glaube, die[326] Elende war mir noch werth. – »Flieh, rief ich ihr zu, flieh vor meinem Grimme, damit dieser allein für sich und dich büße!«

»Ach büßen! büßen! – ich allein mußte büßen. – Sie schoß nur Einen Blick auf mich, und ich stand da, wie eine Bildsäule von Stein, unvermögend Arm oder Fuß zu regen. Dann warf sie sich bei dem sterbenden Mohren verzweifelnd nieder; bald brüllte sie vor Schmerz, daß Alles rings umher erbebend wiederhallte, bald sank sie auf ihn hin und umarmte ihn, drückte ihn mit Strömen von Thränen an ihr Herz, verhüllte sein Todtengesicht in ihre schwarzen Haare, und rief ihn, der nicht mehr hörte, mit den zärtlichsten Namen. Dann zerraufte sie sich ihr schönes Haar, zerriß sich Arme und Wangen, und schwur dann so schreckliche Schwüre, sich an dem Mörder eines so kostbaren Lebens bis zur vollen Sättigung zu rächen, daß der Mond davor zu erbleichen schien.«

»Und ich stand und sahe und hörte dem Allen zu, und mußte es sehen und hören, denn ich konnte ja kein Glied rühren und regen. Ich war erstarrt!«

»›Hinweg mit ihm, hinweg aus meinem Gesicht!‹ schrie sie den unsichtbaren Geistern zu, die ihre Diener waren. ›Hütet sein bis zum Tage des großen Gerichts!‹ – Und von unsichtbaren Händen wurde ich aufgehoben und in einen finstern Kerker gebracht, wo ich die Jammernacht durchächzte und mich gern umgebracht hätte, hätte ich nur die Kraft dazu gehabt; aber ich blieb erstarrt!«

»Der Morgen brach an. Da wurde ich aus meinem Kerker gerissen, und sahe sie in tiefste Trauer gehüllt, vom Haupt bis über die Füße. Aus ihren Augen schossen wüthig die Flammenblitze der Rache auf mich, die auf ihren glühenden Wangen loderte, und doch – o Gott sie war so schön! so schön noch immer!«

»Maulaffe du! – Noch schön?« brummte der Sultan Visapur in seinen Bart. Der halbversteinte König aber fuhr zu erzählen fort.

[327] »Ach! rief die Königin, er ist todt, todt auf ewig für mich, der mir das Theuerste auf Erden war; todt! todt! Aber hier, wo ich jammern muß, soll auch nichts mehr leben und sich freuen, sondern ringsumher Alles, Alles elend sein, wie ich selbst. Und du Verhaßter, sprach sie zu mir sich wendend, Du! – tödten will ich dich nicht! Die Strafe wäre zu große Wohlthat für dich. Leben sollst du, leben! und ich will dein Leben noch Jahrhunderte verlängern; aber du sollst nur leben zu deiner Qual. Du sollst den Tod als eine barmherzige Wohlthat von mir erwinseln, aber empfangen sollst du ihn nicht.«

»Dreimal schlug sie mit ihrem Zauberstaube auf den Boden, und die Finsterniß der schwärzesten Nacht verschlingt den leuchtenden heraufgekommenen Tag. Dagegen leuchten die Blitze, die rollenden Donner krachen, und es fahren Flammen aus den Tiefen zischend herauf. Ich verliere die Besinnung, und als diese wiederkehrt, bin ich wie du mich gesehen hast – halb versteint, und was mir gehört hat, ist Alles verwandelt, – Alles öde! Meine herrliche Königsstadt nicht mehr, sondern an ihrer Stelle ein See, und die Bewohner in Fische verwandelt, von viererlei Farben, die Muselmanen silbergrau, die Juden gelb, die Christen blau, die Heiden roth.«

»Ach und nun! nun sitz ich hier und jammre in meinem Schmerze, und in der Pein der Langeweile, vom Morgen bis zum Abend, und vom Abend durch die Nacht bis wieder zu dem Morgen. Wie lang ich nun schon so jammere und weine, weiß ich nicht mehr, aber es ist lange, ach! so sehr lange! Und mit jedem Morgen kommt das rachedürstende Weib, hebt den härnen Scharlachmantel von meinen striemigen, striemigen Schultern, und geißelt, geißelt mich, bis ihr der Athem entgeht, und ihre Rache ergötzet sich an meinem Aechzen und Stöhnen. Kein Erbarmen ist bei ihr, und ich, – kann mich nicht wehren.«

[328] So klagte der arme König, und Thränengüsse unterbrachen seine Klagen. Der gute Sultan Visapur weinte bitterlich mit ihm, denn sein Herz war weich.

Und als sie sich ausgeweint hatten und konnten nun nicht mehr weinen, nimmt Visapur das Wort und spricht, und schwört einen großen gewaltigen Schwur dazu, daß er sein Haupt nicht eher sanft niederlegen und auf keinem Sopha schlafen wolle, bis er nicht Hülfe geschafft habe, und der grimmigen Tigerin das Leben genommen. Er fragte nun, wo er dieselbe treffen könnte?

Der König der schwarzen Inseln antwortete, die Königin habe sich in einem finstern Hain von dunkeln Cypressen einen trübsalvollen Aufenthalt durch ihre Geister bauen lassen, den sie den Palast der Thränen nenne. Hier liege der Mohr in kläglichster Gestalt, der nicht leben und nicht sterben könne. Sie erhalte ihn durch ihre furchtbare Kunst, mehr den Schein des Lebens, als das Leben selbst. Er liege, ringe und kämpfe, geistlos und bewußtlos zwischen Leben und Tod, und die offenen stieren Augen sähen nichts mehr. Sterben werde er nicht, das mache ihre Kunst, und leben könne er nicht, das sei über ihre Kunst. – Sie besuche ihn täglich, und klage und jammre über ihn.

»Nun, ruft der Sultan Visapur, dem Jammer muß ich ein Ende zu machen suchen. Ich gehe. Lebt wohl indessen, wenn Ihr es könnt.«

Er geht und achtet nicht auf den Nachruf des unglücklichen Königs; geht, sucht und findet den Palast der Thränen im dunkeln Cypressenhain, und trifft die Königin bei ihrem Mohren, in ihrem Schmerz, in ihren Thränen versunken. Da ward es ihm leicht, unbemerkt nahe heran zu kommen, und der Königin mit einem einzigen Streich den Kopf abzuhauen. Im Augenblick war sie todt, und der Mohr auch; denn mit ihr ging die Kunst auch aus, den [329] sterbenden Mohren noch lebend zu erhalten. Der Sultan haute dem Mohren den Kopf ebenfalls ab.

Beide Köpfe bringt Visapur nun im freudigen Triumph dem Könige der schwarzen Inseln.

»Da seht! spricht er zu ihm, und hält ihm die Köpfe hoch empor! Seht es ist mir gelungen! Nun wird doch wohl Alles sein, wie es muß. Gottes Gerechtigkeit hat sie beide gefunden!« 1

Da fällt der Marmorschach, den er hatte erlösen wollen, und der sich, seinem Bedünken nach, hoch hätte erfreuen müssen, beinahe in Ohnmacht, und seufzt: »Ach Gott, nun ist Alles verloren!«

Visapur, der seine Sache so wohl gemacht zu haben sich bedünken ließ, dachte: »das Paviansgesicht von Schach weiß wahrhaftig nicht was es will. Nun ist es ihm wieder nicht recht! Erst flennt er und heult wie ein Knabe, und nun fängt der Breikerl wie der sein Lamentiren an.«

»Was fehlt denn nun noch?« fragt er den Steinprinz.

»Ach, daß ich nun Stein bleibe, jammert dieser, und der See, See und die Fische bleiben Fische, und Alles wird so todt und stumm bleiben, als es ist. Es konnte Niemand helfen als die Königin, die sich vielleicht wohl noch hätte erweichen lassen, denn ich hatte sie ja so lange auf den Händen getragen; aber nun! – nun ist Alles dahin!«

»So wimmert nur nicht gar zu sehr, erwiedert der Sultan Visapur. Weiß Gott, daß ich es gut meinte, und wenn's nun fehlschlug, [330] so dauert es mich. Aber es muß doch noch Ein Mittel geben, Euch zu helfen!«

»O ja! das gibt's denn wohl, wimmerte der armselige König fort; aber wer kann es herbeischaffen? Der, welcher es gekonnt hätte, ist auch nicht mehr da.«

»Nun so sprecht doch wenigstens, wer oder was für ein Heiliger das war? sagt der Sultan. Ich will ihn suchen, wenn er irgend noch zu haben ist.«

»Hört ein Geheimniß, erwiedert der Inselkönig; – es war ein Eselskopf.«

»Eselskopf selbst! denkt der Sultan, der mit dir noch richtig vorhanden ist;« er sagt es aber nicht, sondern schüttelt nur ungläubig den Kopf. Er sagt es deswegen nicht, weil es unhöflich gewesen wäre, und weil er bedenkt, wie viel oftmals in der Welt von Eselsköpfen abgehängt hat, und bittet um nähere Erläuterung.

»Der Eselskopf, fuhr jener fort, war das Werk eines großen Geistes, und unserm Reich als Schutz und Schirmvoigt geschenkt. Er lag im Königsschatze mit Gold und Edelgestein geschmückt, und lag daselbst seit mehrern Jahrhunderten, woraus Ihr allein schon seine Wichtigkeit ersehen könnt.«

»Ja wohl! sagt der Sultan, der immer noch sehr ungläubig bleibt, weil er ein Philosoph war. Aber fahret doch fort!«

»Uzim Oschantei fuhr fort.« Neben dem Kopf lag ein großes Buch mit dicken Decken von Gold und mit seltsamen Zeichen und Figuren darauf. Es war in einer uralten Sprache geschrieben, wovon keiner mehr ein Wort verstand, und enthielt viele Gemählde auf goldnem Grund in bunten lebendigen Farben. Beides beschrieb das Schicksal des Reichs und den Schädel des Kopfs, und wie wiederum Alles zusammenhinge mit dem Schicksal unsers Königsstammes.

[331] Der Eselskopf war so heilig, daß er je alle sieben Jahre dem ganzen Lande gezeigt wurde, indem man ihn auf einem prächtigen mit Blumen bekränzten Wagen überall umherfuhr. Er hatte die Eigenheit alle Bezauberungen zu zerstören, wo er nur hinkam, und alles Geister- und Feenwerk verschwand vor ihm. (Freilich, dachte Visapur, verschwindet vor Eseln das Geisterwesen). Die Königin, die dem Reiche und mir gefährlich werden wollte, hätte Nichts können ausrichten, so lange dieser Kopf da war, dieses Reichskleinod und Schutzherr des Thrones und des Landes. Sie wußte ihn heimlich zu entwenden, und ließ ihn ins Meer versenken, in dessen Grund nun all' meine Hoffnung begraben ist.«

»Mein Herr Bruder, sprach Visapur, ich bin zu übereilt gewesen, wie ich wohl einsehe. Esel und Eselsköpfe will ich Euch aus meinem Reich wohl verschaffen, und wenn Ihr wollt zu Tausenden, falls es Euch helfen könne. Ob aber unter solchen Köpfen sich Einer nur findet, in welchem ein Kopf ist, weiß ich nicht – am wenigsten ob ein solcher zu erhalten stehe, der Euch zu Hülfe und Dienste sein könne. – Ich will indessen mein Bestes thun, und eine Prämie darauf setzen lassen, damit an allen Küsten meines Reichs nach dem Eselskopf gefischt werde. Indessen laß ich Euch einen Theil meines Hofs da, damit Ihr nicht Langeweile habt, indessen ich in meinem Reiche Befehle zum Nachsuchen stelle. – Laßt uns hoffen, mein Herr Bruder, der Anfang scheint mir doch gut.«

Der Sultan geht zu seinem Hoflager und stellt die Befehle, einen Eselskopf zu fischen, und setzt eine unglaublich hohe Belohnung darauf. Die Leute aber denken, der Sultan sei selbst ein – Kopf, nämlich etwas verrückt geworden. Aber der alte Fischer dachte nicht also, der schon einmal einen Eselskopf zu seinem Verdruß herausgefischt hatte und wohl einsahe, daß hier Wunder über Wunder im Werke waren. Er wurde aufmerksam, besann sich des gefischten [332] Eselkopfs, lief an den Strand des Meeres nach demselben, um wieder Goldstücke zu fischen, fand ihn am alten Orte, bringt den Eselskopf dem Sultan, und siehe da! es ist der gewünschte Kopf, gegen den keine Bezauberung besteht.

Der Kopf hat kaum den Schach berührt, so wird er mit dem Unterleibe wieder, was er war; der See wird zur Stadt; die Fische werden zu Menschen; die ganze Gegend ringsumher wird zu einem großen, sehr großen Reiche, und der Fischer empfängt von beiden Sultanen so viel Gold und Kostbarkeit, daß er nicht wußte wohin damit, und also hieß er ein glücklicher Mann.

Aber der brave Visapur wußte nun in der That nicht, wo er war, und wie er zu seinem Reiche gelangen sollte, weil es Niemand im Lande der schwarzen Inseln kennen wollte. Doch fanden sich am Ende einige Handelsleute, die zuvor Fische gewesen waren und dasselbe kannten, weil sie dorthin Handel getrieben hatten. Sie sagten ihm den Weg dahin. Manche sagen, der Sultan habe zehn Jahre Zeit gebraucht, um wieder nach seiner Residenz zu kommen, Andere aber behaupten, er sei so weit von derselben entfernt gewesen, daß er in hundert oder gar tausend Jahren nicht hätte können hinkommen, und so sei er denn noch heutigen Tages unterwegs. – Ich aber kann das nicht wissen, sonst wollt ich es ehrlich berichten!

Fußnoten

1 »Die göttliche Nemesis hat sie beide ereilt,« sollte es eigentlich heißen, wenn es hoch gelahrt und vornehm neu klingen sollte. Aber der Verfasser ist ein wenig einfältig, und weiß nicht, was so ein Thier, die Nemesis nämlich, frißt. Andere mögen ihr Futter wohl kennen, aber daß sie das Thier selbst kennen, davon hat er eben nichts gemerkt.

Der Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[333] Der Geist im Glase, oder das vorige Mährchen noch einmal, aber auf andere Weise.

Ein armer Tagelöhner auf dem Lande, der sich meistens nur vom Holzhauen nährte, hatte einen Sohn, der von Kindesbeinen an zu des Vaters Erwerb sich nicht wollte schicken, und wenn er nur ein paar Spähne sollte auflesen, stellte er sich dazu gar langsam und tölpisch; das machte, der Sohn hatte große Gedanken, oder wie es der Vater nannte, große Mäuse und Ratten im Kopfe, und wollte durchaus und durchum ein hochgelahrter Mann werden, wohl gar ein Magister oder so etwas. Darum saß er lieber bei den Paar Büchern, die er hatte, als daß er dem Vater geholfen hätte, und wollte einmal auf die hohe Schule gehen, obwohl der Vater ihm immer vorpredigte, er möge von den Narrenspossen ablassen, denn es komme dabei doch nichts heraus.

Der Vater sprach oft über seinen Sohn mit dem Gevatter Schulmeister im Dorfe, der sich auch einen Magister nannte, und behauptete, aus dem großen Bengel werde gar nichts, denn essen und trinken könne er so gut als einer im Dorfe, und wohl noch mehr, aber er wolle niemals Etwas thun. Der Schulmeister antwortete [334] allezeit, das käme daher, weil er ein Genie sei, wie man das nannte, die arbeiteten und lernten nichts, verständen aber Alles, ohne daß man wüßte, woher es ihnen zukäme, und würden allzumal hochgelahrte und vornehme Leute.

Weil nun Alles nichts helfen wollte, so ließ der Mann den Sohn auf die hohe Schule ziehen, gab ihm die Paar Thaler mit, die er seit vielen Jahren erspart hatte, und sagte: »Gehe Gott, daß es gut geht!«

Die Paar Thaler konnten nicht weit reichen, und der Vater hatte nichts mehr auf den Sohn zu verwenden. So kam denn derselbe nach einem Jahre von der hohen Schule zum Vater zurück, und sprach: »Vater, ich will bei Euch bleiben, und helfe Euch Holz hauen und in Klafter und Malter setzen.«

»Dazu bist du zu dumm, Matthias, antwortete der Vater, und wirst es nicht ausrichten, denn du hast dein Lebtage nichts gethan. Auch habe ich nur eine Axt, und kein Geld dir eine zu kaufen.«

»So geht hin und borgt eine Axt,« sagte der Sohn, der hartnäckig auf seinem Kopfe bestand, und Alles besser wußte, weil er doch ein Student war gewesen. Also borgte der Vater eine Axt für ihn, und sie gingen mit einander in den Wald und hieben Bäume um und zerspalteten sie.

Als nun der Mittag gekommen war, sprach der Vater: »Wir wollen nun ein wenig ausruhen und unser Mittagsbrot essen.«

Der Sohn nahm sein Brot auf die Hand und wollte damit in dem Walde herumgehen, der Vater aber sprach: »Du bist ein Narr und machst dich mit dem Herumstreifen nur müde, daß du dann nichts mehr kannst arbeiten.«

Der Sohn aber ging in den Wald, und suchte nach Vogelnestern, und kam zu einer großen uralten Eiche, wo er herumstöberte, wiewohl nichts da zu suchen war, noch zu finden. Er setzte sich [335] dann auf eine große hervorragende Wurzel und aß die letzten Bissen Brot, da hörte er eine dumpfheisere Stimme, die rief: »Laß mich heraus; laß mich heraus!« Er horchte auf die Stimme, konnte es aber nicht herausbringen, wo sie war. »Wo bist du denn?« fragt er, aber es ruft nur immer heiserer: »Laß mich heraus! laß mich heraus!«

»Ja, ich weiß ja nicht, wo du bist, sprach der Student, wie kann ich dich denn herauslassen?«

»Such unter der Eichwurzel; unter der Eichwurzel!« hieß es hierauf. Und als der Student dort suchte, fand er in einer Höhlung eine Glasflasche, aus welcher die Stimme gekommen war, und in der Flasche war ein seltsames Wesen; fast wie eine Eidechse.

Da rief es wieder aus der Flasche: »Zieh den Pfropfen ab; zieh ab, daß ich heraus kann!«

Der Student zog den Pfropfen ab, und ein riesig langer und rußiger Kerl stieg aus dem Glase herauf. Das war ganz begreiflich und natürlich ein Geist, und als der Geist aus dem Glase heraus war, fragt er den Studenten: »Weißt du wohl, was für Lohn du verdient hast, darum weil du mich aus dem Glase hast befreit?«

»Wie kann ich das wissen?« antwortet der Student unerschrocken, – – denn weil er doch selbst ein großer Geist oder Genie und noch dazu ein jähriger Student war, so fürchtete er sich gar nicht vor Geistern.

»Wie kann ich das wissen? sagte er großmüthig; ich will es gern umsonst gethan haben, wenn du mir nichts dafür schenken magst.«

»Ja schenken! antwortet der Geist; das Genick muß ich dir dafür einknicken – da kann dir das Schenken nichts helfen.«

»Ho hoh! spricht der Student, so hurtig geht das noch nicht; und du hättest das eher sagen sollen, da stäkest du noch in dem [336] Glase. Und da müssen erst noch mehr Leute gefragt werden, ehe das gleich so geht.«

»Leute hin, Leute her, erwiedert der Geist, du mußt den verdienten Lohn haben, denn ich bin nicht nur so aus Gnade in das Glas eingeschlossen gewesen, wie du leicht denken kannst, und weil ich lange in dem Glase habe sitzen müssen, so schwor ich zuletzt im Aerger, dem das Genick zu brechen, der mich befreien würde, und da ich der große Geist Mafech bin, so muß ich mein Wort halten; wär ich ein kleinerer Geist, so hätt' ichs nicht nöthig.«

»Flausen das! versetzte der Andere; wie willst du großer Riese in dem engen Glase gesteckt haben? Mir machst du nichts weiß, denn ich bin ein Student mußt du wissen. Du bist ein Händelmacher und suchst nur eine Gelegenheit, wie du mir ankommen kannst; aber es soll nicht sogleich gehen. Kannst du aber wieder ins Glas hinein, so will ich dir glauben; aber das kannst du nun und nimmer nicht.«

Der Geist ward entrüstet, daß er das nicht können sollte, und begab sich wieder ins Glas, und sagte, als er drinnen war: »Nun siehst du es doch?«

»Ja nun sehe ichs, sagte der Student; weis' nur einmal her;« indem er that, als wolle er Alles recht besehen, und steckte den Pfropf wieder auf.

»Was soll das heißen?« fragte der Geist hierauf, und der Student antwortete, das heiße nichts anders, als der Geist solle nun bis in Ewigkeit, oder noch ein Paar tausend Jahr länger in der Flasche bleiben.

Da gab der Geist himmlisch gute Worte, und verhieß, er wolle den Studenten recht glücklich machen: der aber wollte ihm kein Wort glauben, bis der Geist sich recht sehr hoch bei allen Geistern verschwor, er wolle thun, was er ihm verheißen hätte. Da glaubt es der Student und ließ den Geist wieder heraus.

[337] Nun gab der Geist seinem Erretter ein Pflaster, und sagte: Das Pflaster würde so lange dauern als der Student lebe. Bestreiche man nur mit dem einen Ende eine Wunde oder einen Beinbruch, so werde Augenblicks Alles wieder heil; bestreiche man aber Eisen mit dem andern Ende, so werde es zum feinsten Silber.

Damit war der Geist fort.

Der Student machte einen Hieb mit seiner Axt in einen Baum, und hielt sein Pflaster an die Wunde des Baums, da war die Wunde des Baums gleich wieder heil. Dann bestrich er mit dem andern Ende des Pflasters seine Axt, da war sie von lauter Silber geworden.

Der Student ging nun zum Vater zurück, der aber war lang schon an der Arbeit und schalt ihn, daß er ein Thunichts sei, und als der Student sagte, das solle schon eingebracht werden, wurde der Vater noch böser, und sagte am Ende: »Haue den Baum dort um, du Faullenzer!«

Der Student hieb auf den Baum, aber, weil die Axt von Silber war, legte sie sich sogleich um. Er ging nun zum Vater und sprach: »Was für eine Axt habt Ihr mir da gegeben, da kann ja Niemand mit arbeiten; seht, wie sie sich umgelegt hat!«

»Du Unglücksvogel, sagte noch zorniger der Vater, welcher reines Silber nicht kannte und blöde Augen hatte, deine Hülfe bringt mir nur Schaden und Noth.«

Der Sohn sagte zwar, daß er selbst schon diese Axt bezahlen wolle, aber da wurde der Vater höchst böse und sprach: »Du Bettelbube, hast keinen Heller in der Tasche; wovon willst du sie bezahlen? Das sind Studentenkniffe und damit bleib mir vom Leibe.«

Der Student, weil er mit der Axt nicht mehr fortarbeiten konnte, ging mit derselben in die Stadt zu einem Goldschmidt und fragte ihn, was er für die Axt geben wolle. Der war ein ehrlicher Mann und sagte, so viel Geld habe er nicht, solch eine Axt von so feinem [338] Silber zu bezahlen; der Student wollte aber nehmen, was der Goldschmidt hätte. Der gab ihm dreihundert Thaler, und borgte noch einige Hundert dazu.

Mit so vielem Gelde kam der Student wieder nach Hause. Dem Nachbar bezahlte er für die geliehene Axt zweimal so viel, als der gefodert hatte; dem Vater gab er über hundert Thaler, damit sich derselbe etwas zu Gute thun könne, und verhieß ihm, es solle ihm niemals fehlen. Er selbst aber ging mit dem übrigen Gelde auf die hohe Schule zurück, und studirte so sehr aus, daß gar nichts mehr vom Studiren in den Kopf hinein wollte. – Und weil er das Pflaster hatte, das alle Wunden heilte, und ihm Silber aus Eisen machte, soviel er nur mochte, so wurde er der berühmteste Doktor in der Welt und das allergrößeste Genie. Denn das Glück oder die Unverschämtheit machen die Genies.

Die Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[339] Die Knappen Rolands.

Vom großen und gewaltigen Roland hat doch Jedes von Euch gehört, will ich wohl hoffen? Er war ja des alten Kaiser Karls des Großen Vetter, und sein bester Obergeneral, und tapfer, so tapfer, daß es ihm einerlei war, ob ihm zehntausend oder noch mehr gegenüber standen, denn er hieb sie mit Einem Streiche zu Boden. – Da war es denn eben keine Kunst, daß Kaiser Karl allezeit über seine Feinde den Sieg davon trug, wo ihm der Vetter Roland zu Hülfe war. Indeß hat Jedermann seine Stunde, wo er auch einmal unterliegen muß, möge er auch sein, wer er wolle. So war es denn auch mit dem Vetter Roland.

Karl hatte blutige Händel mit den Mohren oder Mauren, welche Spanien erobert hatten, und nun auch über das große Pyrenäengebirge gehen wollten, welches zwischen Spanien und Frankreich liegt, und mit seinen hohen Bergen eine mächtige Grenzscheide beider Länder macht. Sie wollten Frankreich, und sodann alle Länder in Europa nehmen, so weit sie nur kommen konnten, indem sie dachten, ihnen gehöre die Welt doch einmal, und darum müßten sie dieselbe auch haben. – Nun vorher und nachher haben Viele, nur dem Scheine nach wohl ein wenig anders, aber in der Hauptsache doch immer dasselbe gedacht, und gemeint, was sie haben wollten, [340] das gehöre ihnen, wie sie es haben könnten, und Macht hätten, es zu nehmen. In der Macht liegt meistens das Recht!

Die Mohren wollten Alles haben, Karl aber hätte auch gern Alles gehabt. So gab es denn blutige Händel, in welchen Viele umkamen, und gesunde lebenskräftige Menschen zu todten, kalten, blutigen Leichnamen wurden, aber das machte nichts aus, sondern wer den andern Theil zuletzt untertreten konnte, das machte Etwas aus – nämlich Alles. Wer das konnte, der hatte Recht!

Roland stritt gegen die Mohren, und es kam zu einer grimmigen Schlacht am Fuße des Pyrenäengebirges, an einem Orte, der Ronceval geheißen ward; Roland hatte mit seinem guten Schwert Viele niedergehauen, aber dasmal wurde er selbst auch niedergehauen, denn die Mohren hatten ihre Ritter und Helden, die Arme und in den Armen Kraft hatten, eben sowohl als Karl.

Schwer verwundet, gequält von brennendem Durst, und fast ganz verblutet und verschmachtet lag der tapfere Held Roland da, und seine Knappen und Waffenträger waren im heißen Feuer der Schlacht von ihm abgekommen, welches man damals, wo der Knappe seinem Ritter mit Blut und Leben beistehen sollte, für eine große Schande hielt und mit der höchsten Verachtung bestrafte.

Roland stieß in sein Horn, um Karln ein Zeichen zu geben, es sei mit ihm, seinem Vetter, zu Ende. Karl hörte des Hornes gewaltigen Ton, obwohl er mit seinem Heere acht Meilen davon stand, und ließ alsbald aufbrechen, um Hülfe zu bringen, aber es war damit zu spät. Roland hatte sich blasend die Adern im Kopfe zersprengt, und das güldene Horn, auf dem er blies, war geborsten. Da Roland nun nicht mehr war, das Herz des Heers, so hatten die Mohren den Sieg leicht errungen.


[341] Der Held war gefallen; das Heer war geflohen und die meisten waren niedergehauen, aber die Knappen Rolands waren glücklich entronnen, vielleicht weil sie sehr gut zu Fuße waren. Sie hatten sich tief ins Gebirge gerettet, und waren bis in öde Wüsten gekommen, wo sie von dem Getümmel des Kriegs nichts mehr vernahmen, was ihnen auch schon sehr lieb und recht war. Aber was ihnen gar nicht lieb und recht war, war der Durst und der Hunger, die ihnen sehr hart zusetzten. Und nirgends sahen sie ein Haus oder eine Hütte, und Weg und Bahn waren ihnen völlig unbekannt.

Sie beratheten sich zwar, wie sie sich sättigen, und dann wieder zum Heere zurückkehren könnten; aber aller Rath war vergebens. Dazu kam, daß der Schwertträger Andiol Rolands gutes Schwert auf der Flucht verloren hatte; der Schildhalter Amarin hatte in der Angst den Schild von sich geworfen, um schneller zu fliehen, und Sarron, der Sporenträger, wußte nicht wo die goldenen Sporen seines Herrn geblieben sein mochten. Wären sie ohne diese kostbaren Dinge vor das Angesicht des Kaisers Karl gekommen, es würde ihnen übel gegangen sein, und vielleicht wäre er ihnen an die Kehle gekommen.

Unter vergeblichen Berathungen brach die Nacht herein, die so trübe war, daß kein Sternlein am Himmel schimmerte. Dabei war eine tiefe Stille in der Einöde, die nur zuweilen durch das widrige Geheul großer Nachteulen grausend unterbrochen wurde. – Was sollten sie thun?

Sie streckten sich unter eine Eiche, und hätten so gern das Grausen der Nacht und den nagenden Hunger verschlafen. Das aber gelang ihnen durchaus nicht, wie viel Mühe sie sich auch darum gaben. So wollten sie denn durch Gespräch die lange Nacht kürzen, und fingen mit einander an zu plaudern, und sehnten sich nach dem Anbruche des Tages. Indem erblickt Einer ein Licht, welches sie anfangs für ein Feuermännchen (Irrlicht) halten. Das Licht [342] aber blieb immer an derselben Stelle, woraus sie schlossen, es müsse das Licht einer einsamen Hütte oder eines Hauses sein, wo sich Rath für ihren hungrigen Magen würde finden. Sie erhoben sich von ihrem Rasen, und gingen auf das Licht zu, bei welchem sie auch ankamen, aber erst nachdem sie oftmals sich gestoßen und Gesicht und Hand zerritzt hatten, und über Steine gestolpert oder gefallen und gegen Bäume und Aeste angerannt waren.

Sie langten auf einem freien Platz vor einer steilrechten Felsenwand an, und fanden zu ihrer großen Freude einen Kochtopf auf einem Dreifuß über dem Feuer, welches eben das gesehne Licht gemacht hatte. Bei den Flammen des Feuers entdeckten sie eine Höhle im Felsen, über welcher sich Eppichranken (Epheuranken) herabwanden, und die mit fester Thüre verschlossen war. Sie zweifelten nicht hier müsse ein frommer Einsiedler seine Wohnung haben, der sie ohne Zweifel gastfrei aufnehmen und reichlich bewirthen werde, denn in einer so einsamen entlegenen Gegend sei er gewiß nicht ohne Vorräthe.

Andiol pochte an und begehrte Einlaß. Da rief es von innen mit Weiberstimme heraus: »Wer pocht? Wer pocht so spät noch an meine Thür?«

Andiol sprach: »Thut uns auf, liebes Weib, und laßt drei müde und matte Wanderer ein, die vor Hunger und Durst fast verschmachten.«

»Geduld! rief die Stimme in der Höhle; Geduld! daß ich mein Haus beschicken und meine Gäste mit Ehren aufnehmen kann.«

Nun das ließ sich gut hören und Vieles erwarten, und obgleich ihre Geduld sehr ungeduldig war, so warteten sie denn doch.

Andiol horchte an der Thüre und hörte ein großes Geräusch, wie wenn die ganze Wohnung aufgeräumt, gekehrt und gescheuert würde. Aber das währte so unendlich lange, daß zuletzt die Ungeduld doch ausbrach, und Andiol auf gut soldatisch mit tüchtiger Faust [343] andonnerte. Da, meinte er, müsse sich die Thür flugs aufthun, weil es anderer Orten auch so gewesen sei. Allein die Thür that sich nicht auf, sondern es hieß: »Gemach! ich bin keineswegs taub, daß Ihr draußen so lärmt. Erst will ich mir die Haube aufsetzen, damit ich mich ordentlich vor Euch kann sehen lassen. Schüret indessen das Feuer draußen unter dem Topfe, daß Alles recht siede, und nascht mir nichts von der Brühe.«

Sarron war schon in Held Rolands Küche ein fleißiger Topfgucker gewesen und hatte mit seiner Nase immer das Beste auszuwittern gewußt; wie hätte er hier diesen Topf sehen können, ohne ihn zu untersuchen. Während Andiol lärmte und Amarin vor Müdigkeit, mit guter Hoffnung für seinen Magen, eingeschlafen war, schlich er zum Topf, hob den Deckel auf, fuhr mit der Fleischgabel in den Topf hinab, und zog einen großen fetten Stacheligel herauf. – Die Eßlust verging ihm sogleich, doch sagte er den Gefährten nichts, um ihnen den Appetit nicht zu verderben, falls etwa der Igel mit leckerer Zubereitung aufgetischt würde.

Von Andiols Lärmen war Amarin aus seinem Schlummer erwacht, gesellte sich zu diesem und lärmte, drohete und stritt mit ihm gegen die Inwohnerin, und beide hätten die Thür gern gesprengt, hätten sie es nur vermocht; denn ob sie wohl vor den Mohren waren ein wenig davon gelaufen, so hatten sie doch Soldaten-Herz und Tapferkeit genug, es mit einem Weibe aufzunehmen, zumal ihrer zwei oder drei gegen Eins. Aber das Lärmen und Tosen und Drohen half ihnen gar nichts, und die feste Thür blieb fest zu.

Endlich wurden beide Theile, nämlich die Wirthin und die Klopfenden, doch über den Einlaß einig. Aber, o Unglück, nun hatte in der Eil die Wirthin den Schlüssel zur Höhlenthür verlegt, und sogar auch die Lampe umgestoßen, und so ging denn die Geduldsprobe der Wanderer aufs neue an.

[344] Wie freuten sie sich, als nun nach langem Harren die Thür aufgethan wurde; aber o weh! sie wurde ihnen mit höflichster Art sogleich wieder vor der Nase ungestüm zugeschlagen. Das machte ein großer schwarzer Kater mit großen glühigen Feueraugen, der beim Oeffnen der Thür heraus gewischt war.

Die Hauswirthin schalt und schmähete auf die ungestümen Gäste, die durch ihr Lärmen das liebe Hausthier aus dem Schlafe geschreckt hätten, daß es davon geflohen wäre, und drohete, wenn die Lärmer und Pocher den Kater nicht einfingen und wiederbrächten, sollten sie über ihre Schwelle nicht kommen.

Fürwahr, das lautete gar untröstlich. Andiol sprach mit verbissenem Grimme: »Das ist eine verdammte Hexe, die uns erst stundenlang äfft, und nun sollen wir ihr sogar den Hund von Teufelskater wiederholen. Kommt Kameraden, wir sprengen die Thür, und nehmen, was die Vettel nicht geben will.«

Das war freilich wieder echt soldatisch, und Amarin stimmte gleich bei, aber Sarron sahe weiter, und rieth sehr ab. Er sagte, daß er hier seltsame Dinge ahne, und daß sie wohl mit großer Uebermacht möchten zu kämpfen bekommen. Besser wär es, zu thun was die Höhlenbewohnerin wünsche, bis sie ermüde, ihre Geduld zu erproben.

Die beiden andern sahen, der Rath sei gut, und nahmen ihn an. So setzten sie denn dem schwarzen Hauskater gemeinschaftlich nach, und machten Jagd um ihn einzufangen, das war aber vergebliches Thun, denn der hatte sich mit seinen Krall- und Häkelpfoten auf den Gipfel der höchsten Eiche hinauf gemacht. Man hätte es nicht gewußt, wo er sich aufhielt, da er selbst noch schwärzer war, als die Nacht, aber seine zärtlich queilende Nachtmusik, womit er sich ohne Zweifel seiner Frau Liebsten bemerklich machte und zu seinem hohen Thron einladete, und seine Glühaugen, welche durch die Finsterniß leuchteten, verriethen ihn.

[345] Keiner wußte Rath als der weise Meister Sarron, der sich in allen freien Künsten von Kindheit auf geübt hatte und hatte es darin zu einer großen Vollkommenheit gebracht. So konnte er denn auch wehmüthig und melancholisch miaulen, wie eine Katze, durch welche anmuthige Kunst er glücklich den Kater vom Baume herablockte und einfing.

Jetzt war die Höhlenthür offen und die Wirthin trat ihnen entgegen. Aber es schauderte sie vor dem Anblick derselben, denn sie war ein dürres Todtengebein mit runzlichter Pergamenthaut, den verknöcherten Leib umgab ein lang herabreichendes dunkles Kleid von Karmeliterfarbe, und in der Hand hielt sie eine Mistelstaude, mit welcher die Angekommenen zerimoniös berührt wurden, welches denn, statt des Bewillkommens zu nehmen war.

Die Wirthin winkte den Gästen, sich an einen Tisch zu setzen, auf welchem Milchspeisen, frisches Obst und geröstete Kastanien aufgetragen waren, aber nichts weiter. Sie machten bald reine Arbeit in den Schüsseln, wobei Sarron besonders gar eilfertig war, denn er fürchtete, der Igel möchte noch nachkommen, und wollte solchen Leckerbissen seinen Kameraden keineswegs verkümmern. Aber der Igel kam nicht, und der schlaue Sarron vermuthete, die Wirthin selbst möge wohl das Fett desselben gebrauchen, ihr altes Lederfell einzusalben, damit es geschmeidig bleibe und nicht in den Falten zerbräche.

Sie wollten nun gern aufs Lager, aber die Alte hielt sie noch lange hin, denn das Ruhebettlein sei nicht sogleich fertig, wie sie sagte. Offenbar sahen sie, daß sie gefoppt wurden; aber was half es, sie mußten warten, obwohl ihnen die müden Augen zu und die Hände herabfielen. Sie warteten denn, aber mit großem Grimm im Herzen gegen die Alte, an welche sie sich jedoch nicht getrauten.

Als nun die Lagerstelle fertig war, siehe da war sie zwar weich und einladend, aber nur für Eine Person geräumig genug, und jeder [346] von den Dreien wollte zuerst aufs Lager, denn Jeder war so müde und fertig als der Andere.

Da kam es unter den Dreien zuerst zum Wortwechsel und am Ende zum Faustkampf, und alle alte Kameradschaft galt bei keinem mehr, weil keiner das Lager entbehren mochte. Da lagen sie sich denn bald in den Haaren und zerrauften und bläueten sich einander, so viel sie noch Kraft hatten, ohne daß Einer die Oberhand behielt. Jetzt hatte sich dieser, jetzt jener aufs Lager hingeworfen, indessen die beiden andern sich befausteten und rauften; aber der Dritte wurde von den Zweien immer wieder aufgejagt.

Die Alte sahe dem Raufspiel eine feine Weile zu. Aber da wurde ihr denn doch der Kampf zu arg. Sie berührte mit ihrem Mistelstengel die Erhitzten, und sie standen stumm und starr, wie Bildsäulen, da, und konnten nicht von der Stelle.

»Hört, Ihr Bursche, sagte sie, nun vertragt Euch in Güte, oder Ihr sollt stehen bis zu Anbruch des Tages oder noch länger. Nehmt Vernunft an, Goldsöhne. Es sind noch drei Stunden ehe es Tag wird, da könnt Ihr wechseln und Jeder kann wenigstens noch Eine Stunde weich liegen.«

Sie nahmen Vernunft an und folgten, denn sie fürchteten die Mistelgerte. Die Nacht ging hin, und unsere alte Drude oder Zauberin – denn das war sie gewiß, und der Mistel war ihr Zauberstab – hieß ihre Gäste freundlich weiter ziehen, was sie auch recht gern thaten. Sie gab aber zuvor noch Jedem ein Andenken zum Abschiede, weil sie ihren Kater so geschickt eingefangen hätten. Andiol bekam einen verrosteten Kupferpfennig, Amarin ein kleines Tischtüchlein und Sarron einen alten ledernen Däumling.

Sie glaubten sich vor der Alten verspottet, und hätten ihr wohl gern ihre Gaben ins Gesicht geworfen, allein die Mistelstaude hielt sie im Zaum. Schweigend gingen sie. Als sie aber erst einige tausend Schritte fort waren, da lärmten und tobten sie über die alte Vettel, Hexe, [347] Pergamentfell, Igelfresserin, und welche Namen sie sonst noch fanden, ihren Unmuth recht muthig aus, denn nun waren sie sicher. Und nun meinten sie auch, sie hätten das überalte Wesen nicht so ungestraft lassen, sondern ihm aus seinen Kisten und Kasten, nachdem man sich erst der Zauberruthe bemächtigt hätte, so viel Gold als nur möglich mitnehmen sollen. Denn daß sie viel Gold müsse darin haben, war bei ihnen gar nicht in Zweifel.

Sie hatten also nun das große Wort. Freilich erstnun, wohl wissend, daß weit von dem Schuß gut für den Mann ist.

Das große Wort hatte insonderheit Andiol geführt, um den Andern die Lungen einigermaßen zu ersparen, und im Grimm warf er nun seinen Kupferpfennig weit von sich fort. – Amarin machte es mit seinem Tischtüchlein nicht anders, indem ihm solch ein Lappen in einer Wüste nichts könne helfen, wo es nichts zu essen gäbe. Aber der grundweise Sarron dachte, den Däumling kannst du leicht tragen, denn vielleicht kann aus dem Scherze noch Ernst werden.

Die Kameraden verlachten ihn als einen Thoren, daß er den alten Däumling behalte, er aber ließ sich nicht irren, sondern machte Proben damit, und steckte den Däumling auf den Daumen der rechten und hierauf auf den Daumen der linken Hand, und wandelte mit den Gefährten weiter.

Auf einmal bleibt Amarin stehen und fragt verwundernd: »wo ist denn Sarron hingekommen, er war ja eben erst noch bei uns?« »Laß ihn, erwidert Andiol, der ist gewiß zurückgegangen, um das Lumpenzeug zu suchen, was wir weggeworfen haben, denn er denkt Wunder, was für geheime Kräfte darin sind.«

Wie erstaunt war Sarron, welcher dicht neben seinen Kameraden ging. Nun wußte er das Geheimniß der empfangenen Gabe, und machte Versuche mit derselben, um ganz gewiß zu sein, daß er sich damit unsichtbar machen könne. Während die Gefährten still standen, und seines Nachkommens warteten, schritt er schnell voraus [348] und rief: »Was säumt ihr faulen Menschen denn? wollt Ihr denn gar nicht von der Stelle?« Da horchten sie hoch auf und liefen eilends vorwärts bei ihm vorüber, ohne ihn zu sehen. »Nun wo ist er denn?« fragten sie und gingen immer weiter. Da rief er hinter ihnen: »Wo seid Ihr?« Und so rief er bald hinter, bald vor ihnen, bald auf dieser, bald auf jener Seite. Anfangs gingen sie der Stimme nach, und suchten ihn, aber hernach befiel sie ein Schauder, denn sie meinten, er sei von einer Felsenwand gestürzt, und sie hörten nur die Stimme seines Geistes, und als er nun sich sichtbar machte, und plötzlich vor ihnen stand, entsetzten sie sich aufs heftigste.

Da entdeckte er ihnen des Däumlings Geheimkraft, und gab ihnen Proben von derselben, sie aber standen ganz vor Erstaunen verdutzt, und wollten ihren eigenen Augen nicht trauen. Als sie aber zu sich selbst gekommen waren, liefen sie im schnellesten Laufe nach den weggeworfenen Gaben zurück. Lange und mühsam suchten sie, und voll Angst, ob nicht das verschmähete Gut bereits wieder in die Kisten der Drude zurückgekehrt sei? sie beklagten schon bitterlich ihren thörigten Eifer und ihre Einfalt, Dinge als nichtsnutzig weggeworfen zu haben, die von unermeßlichem Werth wären.

Indessen sie waren glücklich. Amarin fand sein Tüchlein an einen Dornstrauch hängend im Winde flattern. Viel mehr Mühe kostete es den verrosteten Pfennig zu finden; jedoch fand er sich auch.

Glückliche Menschen! die jetzt vor Freude weder Müdigkeit noch Hunger und Durst fühlten, obwohl sie noch nicht wußten, wie die Gaben gebraucht werden mußten. – Daß ihnen die Gaben einst verderblich werden könnten, darauf fielen sie gar nicht.

Nachdem es mit der ersten großen Freude vorbei war, meldeten sich Müdigkeit, Hunger und Durst aufs neue wieder. Sie lagerten sich in dem Schatten eines dickbelaubten Baums und machten Versuche, Amarin mit seinem Tüchlein, Andiol mit seinem Pfennig.[349] Amarin knöpfte das Tüchlein andächtig ins Knopfloch, und sprach heimlich sein Tischgebet: »Aller Augen warten auf dich, Herr,« aber es kam keine Mahlzeit, wie er gewünscht und gehofft hatte. Andiol nahm seinen Pfennig und legte ihn zu den Paar andern Pfennigen, die er noch in der Tasche hatte. Darauf fing er an zu zählen, vorwärts und rückwärts mit der linken und mit der rechten Hand, und meinte, es müsse mehr werden, weil es gewiß doch ein Heckepfennig wäre; es blieb aber genau so viel als es war.

So saßen sie still und stumm und halb verschmachtet und unmuthig unter dem Baum. Plötzlich reißt Sarron dem Andiol das Tüchlein weg, breitet es auf den Rasen aus und spricht: »Tüchlein bescheer uns einen tüchtigen gutgekochten Schinken, Weißbrot vollauf dazu und gut zu trinken.«

Im Augenblick stand das Eßwerk da, was sie begehrt hatten, und sie fielen gierig darüber her, ohne zu bemerken, daß es am Trinken fehle. Aber als sie anfingen nach dem Schinken zu dürsten, fühlten sie wohl was fehlte, und es wollten Andiol und Amarin die Gabe schon wieder tadeln, als Sarron rief: »Halt, Kameraden, nicht voreilig! Wo ein gut Backhaus ist, findet sich nach altem Sprichwort auch ein gut Brauhaus. Er nahm das Tüchlein, von welchem sogleich Alles verschwand, was darauf noch übrig geblieben war, wendete es um, und wünschte Wein in Menge und zwar vom Besten. Augenblicks stand auf dem willigen Tüchlein ein großer Henkelkrug, gefüllt mit dem edelsten Wein. Sie sprachen fleißig dem Kruge zu und wurden fröhlich und selig, und das Tüchlein ward hochgelobt, die alte gute herrliche Mutter aber auch, die es ihnen gegeben hatte. Andiol hatte während des Trinkens mit seinem Pfennig neue Versuche gemacht und die Kraft desselben kam zum Vorschein, als er ihn erst auf der Vorderseite betrachtet hatte, um sein altes Gepräge zu beschauen, und ihn sodann auch auf der Rückseite besah. Er wollte den Pfennig schon wieder muthlos beistecken, als er [350] unter demselben ein Goldstück fand, eben so dick und groß als der Pfennig selbst war. Jetzt wußte er, wie er der Wünschgabe beikommen konnte.

Nun! der Jubel war allgemein! In der Freude liefen sie zurück, und wollten dankbar der guten Drude um den Hals fallen, aber sie fanden die Felsenwand und die Grotte nicht wieder. Ohne Zweifel hatte der Geist des Weines sie irre geführt, vielleicht waren auch Felsen und Höhle verschwunden.

Sie durchzogen nun die Gebirge hin und her, und kümmerten sich wenig darum, wie viele Tage das dauerte, denn sie hatten zu essen und zu trinken, und ihrer waren ja drei, mithin hatten sie auch Gesellschaft. Endlich kamen sie an eine Landstraße, die führte zu der Hauptstadt eines spanischen Königreichs, und sie entschlossen sich, sich nach dieser Stadt zu wenden. Sie nahmen sich vor beisammen zu bleiben, um ihrer Gaben gemeinschaftlich zu genießen, und sich damit einander auszuhelfen. Darüber gaben sie sich Handschlag und Wort. Sie gaben sich Beides, aber Menschenherz verändert sich, wie sich die Lagen des Lebens ändern, wenn man nicht recht stark und standhaft ist.

Sie kamen in die Stadt und sahen den Glanz des Königshofes, und verliebten sich alle drei in die wunderschöne Prinzessin Urraka, die von der ganzen damaligen Welt angebetet wurde, und weil sie so hohe Wunderdinge besaßen, meinten sie, daß sie wohl ein Recht hätten nach einer hohen Prinzessin zu streben, eben sowohl als die vornehmsten Herren des Reichs. Das aber wurde ihr Verderben, zumal da die Prinzessin so listig und schlau war, und auch tückisch dazu, sie aber nur Schildknappen-Verstand und Ehrlichkeit hatten. Eifersüchtig entzweiten sie sich bald genug, und trennten sich, damit Jeder seines eigenen Weges gehen möchte. Doch versprachen sie sich, daß Keiner des Andern Geheimniß wolle verrathen. Sie sahen ein, wie höchst nothwendig das war.

[351] Andiol, der seinen verrosteten Pfennig in gute Uebung setzte, schaffte sich erst große Haufen Gold, und dann erschien er bald als ein herrlicher Herr, und trieb große Pracht. Die Leute mochten errathen, wer er sei, denn aus ihm selbst wurden sie nicht klug, und da sie ihn für einen unechten Sohn Karls hielten, hatte er gar nichts dagegen.

Er begab sich an den Hof und durfte es, weil er so überreich und glänzend war. Urraka bemerkte ihn bald, bemerkte aber auch ebensobald an seiner Schildknappen-Art und Weise, daß er, wie es sich nicht selten beisammen findet, reich und dumm zugleich sei. Sie nahm sich vor, ihn erst auszubeuteln und leicht zu machen, und ihn dann mit Hohn und Spott abziehen zu lassen. So hatte sie es schon mit vielen vornehmen und reichen Herren gemacht, die ihr zu Ehren und Lust große Feste und Bälle und Gastmahle gegeben hatten, und wenn sie dadurch arm geworden waren, mußten sie schimpflich von dannen.

Bald war er der Prinzessin näher gekommen, und je mehr er that, sie zu vergnügen, desto mehr tolle Dinge verlangte sie, um ihn arm zu machen. Seen wurden ausgetrocknet, Berge geebnet, Ebenen gebergt, Springquellen und Wasserfälle, Bäder und Säulengänge, Lustwälder und Grotten angelegt – und Andiol bestritt mit dem verrosteten Pfennig Alles. Die Prinzessin konnte das freilich nicht begreifen, denn in kurzer Zeit hatte Andiol mehr aufgewendet, als das ganze kleine Königreich werth war.

Amarin war indessen von seinem Tüchlein immerdar satt und wohlgenährt geworden, aber er hatte kein Hemd und fast keinen Rock mehr auf dem Leibe und beneidete den Andiol sehr, der in Pracht und Herrlichkeit und in der Nähe der Prinzessin leben konnte, und durch seinen Pfennig Alles habe, was sein Herz wünschte. So ging er einmal auf den Markt, recht trübsinnig und verstimmt. Da wird eben des Königs Mund- und Leibkoch ausgepeitscht. Der Herr [352] Koch hatte der Majestät ein nicht völlig gutes Gericht geliefert; der Magen Sr. Majestät hatte das übel vermerkt, und dafür den Rücken des Kochs, der es entgelten sollte, in Gnaden auspeitschen lassen.

Da kam dem Amarin ein ungemein geistreicher Gedanke bei, nämlich königlicher Mundkoch zu werden, indem er sich auf die Kunst seines Tüchleins verließ. Er meldete sich als einen reisenden Koch, und obwohl man ihm, der wie ein Landstreicher aussahe, gar wenig traute, gab man ihm doch ein Probestück der Kochkunst auf, das er in einer verschlossenen Küche bereiten sollte. Es galt ein Spanferkel im feinsten Geschmack zu liefern. Er forderte das Spanferkel in begehrter Art von dem Tüchlein, empfing es, richtete es auf einer silbernen Schüssel an, wie er es in Rolands Küche gesehen hatte, und o Wunder! das Gericht behagte der mißlaunigen Majestät so wohl, daß Dieselben es ganz und allein aufaßen, und gestanden, so etwas Ueberfeines sei noch nicht auf Dero Zunge gekommen. Amarin wurde gut gekleidet, um vor dem König erscheinen zu können, wurde zum Leibmundkoch ernannt, mit vielen Lobeserhebungen wegen seines ausgezeichneten Genies, und erhielt den Rang eines Majors von der Armee.

Er lieferte von nun an so überköstliche Gerichte, mit Gewürzen und Früchten aus allen Erdtheilen, daß er Oberküchenmeister und zuletzt gar noch dabei Oberhofmarschall wurde.

Die Prinzessin hatte bisher den König nach ihrem Willen am Gängelbande geleitet, vorzüglich durch leckere Gerichte und Brühen, aber jetzt wurde derselbe gar störrisch und widerspenstig, wenn sie etwas wünschte, weil ihre Küchenkünste weit übertroffen wurden. Das verdroß sie gar sehr, denn sie wollte überall die Klügste sein. Mit glatten Worten suchte sie sich den Amarin zum Freunde zu machen, damit er ihr an Hoffesten irgend eine Schüssel bereitete, die Alles übertraf und die sie für ihr eigenes Kunstwerk ausgab, damit sie [353] auf diese Weise durch den Magen des Königs den Weg zu seinem Herzen fände, und auch wohl zu seinem Kopfe.

Andiol und Amarin waren nun beide am Hofe und aßen und tranken oftmals an Königstafel mit einander, aber sie ließen sich nicht merken, daß sie je einander gekannt hätten. – Wo aber der dritte Gesell, Sarron, geblieben sei, das wußte keiner von ihnen.

Aber Sarron war auch am Hofe, nur daß er sich nicht sehen ließ. Er aß von Amarins Tische, er lebte von Andiols Golde, und richtete Alles so gut ein, daß keiner derselben einen Verdacht schöpfte; ja er hatte selbst eher Bekanntschaft mit der Prinzessin gehabt, als seine ehemaligen Kameraden, denn er war unsichtbar in das Gemach derselben eingetreten und hatte ihr zugeflüstert: »Urraka, ich bin ein Engel, aber deine Schönheit hat mich vom Himmel herabgezogen.«

Es versteht sich, daß Urraka anfangs beinahe vor Schrecken den Tod hatte, aber da solche Besuche öfter kamen, gewöhnte sie sich so sehr daran, daß sie mit dem Engel schöne Gespräche hielt. Was ihr aber dabei auffiel, war, daß der Engel in seinen Ausdrücken etwas derb und plump war, und gar keine singende und klingende Silberstimme hatte, wie sie sich einbildete, daß es sein müsse, sondern eine knatternde und ratternde grobe Bauernstimme. Da verlangte es sie denn darnach den Engel zu sehen, aber erst nach vielem Bitten verhieß der, ihr Verlangen zu stillen.

Der Engel erschien ihr eines Tages im seltsamen flatternden Rosenatlaskleide mit blauem Unterfutter, aber er hatte breite Fäuste, und ein breites braunes Angesicht ohne Geist im Auge und ohne alle Lieblichkeit in Geberde, und seine ganze Gestalt war die eines tüchtigen vierschrötigen Bengels. Gern hätte sie noch mehr gewußt, aber der Engel war klug und wurde sogleich wieder unsichtbar.

Daß hier etwas Wunderbares im Werke sei, wußte Urraka nun wohl, aber mehr wußte sie nicht. Ein Zufall kam ihr zu Hülfe.

[354] Sarron schlich häufig am Hofe hinter der Prinzessin unsichtbar her, und bemerkte mit innerm Grimm, wie sie so freundlich und liebreich gegen Amarin that, und ob er wohl wußte, das geschähe der Gerichte wegen, ärgerte es ihn doch, und er spielte dem Amarin einen argen Possen.

Bei einem Hoffeste hatte Amarin wieder einmal ein köstliches, überköstliches Gericht für den König vom Tüchlein gewünscht, welches ihm, als wär es von der Hand der Prinzessin bereitet, in einer verdeckten Schüssel vorgesetzt werden sollte. Hoch hatte Amarin diese Schüssel gerühmt, und der König seine ganze rüstige Eßlust darauf verspart. Aber o Schrecken und Jammer! als die Decke von der Schüssel aufgehoben wurde, war sie leer, ganz leer.

Der König ward grimmig und hob die Tafel auf, die Prinzessin fiel in Ohnmacht, der Hofmarschall und Oberküchenmeister wurden leichenblaß.

Nachdem die Prinzessin wieder zu sich gekommen und auf ihr Zimmer gegangen war, mußte Amarin erscheinen.

Sie hatte den unsichtbaren Engel mit dem verschwundenen Gericht leicht in Verbindung gebracht; Amarins Kochkunst war ihr auch schon längst verdächtig gewesen, und ihre verstellte Freundlichkeit sollte nichts anders als das Geheimniß derselben ergründen.

Jetzt fuhr sie den halbtodten Amarin, der vor ihr auf den Knien lag und um Gnade flehete, mit grimmigen Worten an, und drohte ihn als Zauberer verbrennen zu lassen, falls er nicht alles gestehe. Da gefleht der arme Tropf in der Herzensangst sein Geheimniß, und das Geheimniß der beiden Genossen.

So stracks mußte der Thor sein Tüchlein ausbreiten und zur Probe eine reife Muskatnuß in frischer Schaale herbeiwünschen; und sie war da. Aber statt nach der Nuß zu greifen, griff sie nach dem Tüchlein, riß es fort und warfs in eine Truhe (Lade), die sie ins Schloß schlug.

[355] Ohnmächtig fiel der betrogene Mensch zu Boden, denn all sein Verdienst und sein Glück war in der Truhe verschlossen. Sie aber ließ ihre Diener kommen, und befahl ihnen, sie von diesem Menschen zu entledigen, der die fallende Sucht habe.

Der unsichtbare Engel wurde um seinen Däumling auf andere Weise gebracht. Bei einem Abendbesuch ließ er sich, trotz seiner Unsichtbarkeit, eine Schale Wein nach der andern einnöthigen, weil Urraka es als ein Zeichen seiner Liebe forderte. Die letzte Schale enthielt aber einen tüchtigen Schlaftrunk, und der Engel fiel in wenigen Augenblicken wie ein Bleisack zu Boden, und schnarchte bald wie ein Bär.

Obgleich er immer noch unsichtbar war, kraft des Däumlings, so war er jedoch nicht unfühlbar. Man fand die Stelle wo er lag sehr leicht, und der Däumling war bald herausgetastet und abgezogen. Sichtbar lag der Engel nun da, und dienstwillige Hände trugen ihn in der Nacht hinaus, und legten ihn in einen Winkel der Stadt hin. Wie ihm beim Erwachen zu Muthe gewesen sein möge, ist zu beschreiben ganz unnöthig.

Den Goldpfennig mußte aber Urraka auch noch haben. –

Andiol mußte sie einmal in aller Frühe zur Messe begleiten, welches er gähnend that. Unter den angestellten Bettlern war ein Blinder, der recht gut sehen konnte. Andiol gab ein Goldstück nach dem andern aus seinem Säcklein, in welchem der Wünschpfennig war. Alle Bettler bekamen, aber der arme Blinde bekam nichts, denn kaum hatte er ein Goldstück im Hutkopf, so nahmen es ihm die Andern.

»Halt fest!« sagte Urraka, riß im Nu dem Andiol den Säckel aus der Hand, und gab ihn in die Haud des Blinden, der im Umsehen damit verschwand. Andiol erschrak so sehr, daß er keines Wortes mächtig war, und wurde darüber noch von den begleitenden Hofleuten ausgelacht. Er faßte sich jedoch wieder, begleitete die Prinzessin, [356] und ließ nach der Messe die genaueste Nachfrage nach seinem Säckel halten, in welchem eine alte verrostete Schaumünze sich fände, die ihm gar werth sei. Aber wie großen Lohn er auch verhieß, der Säckel fand sich nicht wieder; – – Urraka hatte ihn, denn der Blinde war ihr Hofnarr.

Man sieht wohl ein, daß die thörigten drei Abenteurer am Königshofe sich nicht länger halten konnten. Einige Meilen von der Köngisstadt fanden sie sich wieder zusammen. Der Uebermuth ihres Glücks hatte sie getrennt, ihr Unglück vereinigte sie wieder. Sie nahmen Kriegsdienste, und hätten wohl, wie einst, oftmals lustig und guter Dinge sein können, aber die verschwundene Herrlichkeit lag ihnen von nun an immerdar im traurigen Sinn.

Ja! großes Glück und große Gabe wollen mit Mäßigung und Vernunft benutzt sein, denn sonst kommt aus dem Uebermuth oftmals der Unmuth, und aus der Freude der Jammer!

Der GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[357] Der Geisterring.

In einem fast ganz von Felsen umschlossenen, der Welt aber ganz unbekannten Thale lebte ein glückliches Hirtenvolk. Weil das Thal so schön und so fruchtbar war, und Hirten und Hirtinnen so unschuldig und voll Liebe, hatten sie es das Thal des Friedens genannt. Die reichen Auen und Triften gaben den Heerden reichliche Weide, und die Heerden nährten und kleideten die Einwohner. Schattige Wälder zogen sich anmuthig da und dort durchs Thal hin, und an den Abhängen standen Fruchtbäume, die zu allen Jahrszeiten Blüthen und Früchte hatten, und hauchten Wohlgeruchduft, und trugen das lieblichste Obst. Die milde Luft war heiter, und von Sturm und Ungewittern wußten die ältesten Bewohner des Thales nichts.

Wie hier die Natur war, waren die Menschen auch. – Alles schön, mild und sanft. – Sie hatten keine Oberherren, nicht Fürsten noch Richter, denn sie hatten keine Händel und Unfrieden unter einander; sie wußten nicht, was Haß und Neid war, und kannten selbst nicht einmal die Namen davon; und Gesetze bedurften sie also auch nicht, denn sie liebten sich ja untereinander herzlich, und die Liebe ersetzt alle Gesetze, und wo sie wohnt, thut Keiner dem Andern weh.

[358] O glückliches, seliges Thal! Wer doch zu deinen Bewohnern könnte gehören! – Doch das Glück fände sich überall wohl, fänden sich nur immer Herzlichkeit und Liebe.

Aber wo ist auf Erden das Glück, welches vollkommen wäre? Der Segen und der Friede des Thales kamen von einem mächtigen Zauberer her, der einsam auf einem Berge in der Nachbarschaft wohnte und die guten Hirten unter seinen Schutz genommen hatte; aber von ihm kamen auch, wenn vier Jahre verflossen waren, der Jammer und der Schmerz und die Wehklage der Hirten und Hirtinnen.

Mit jedem vierten Jahre kam der Zauberer, Astramond genannt, und Alle sahen mit Furcht und Zittern dem Tage entgegen, wo er eintraf. Alle jungen Hirtinnen des Thales mußten ihm vorgestellt werden, die sechzehn Jahre erreicht hatten, und Eine darunter wählte er sich aus, und nahm sie in seinem Wolkenwagen mit; Niemand wußte weswegen oder warum und wozu? Da zitterten die Aeltern schon lange vorher für ihre Töchter, und die jungen Hirten für die Freundinnen und Gespielinnen, mit welchen sie aufgewachsen waren, und mit denen sie fröhliche Feste und Tänze gefeiert hatten. Je näher die Zeit kam, wo Astramond erschien, desto trübsinniger und freudenloser wurden Alle.

Einer der Hirten dieses Thales – sein Name warSadick – hatte eine Tochter, der Liebling aller ihrer Gespielinnen, obwohl sie das schönste Mädchen im Thale war. Sie hieß Naide. Sadick hatte auch noch einen Pflegesohn, Nadir genannt, den er wie einen eigenen Sohn liebte.

Er hatte ihn in den Tagen, als Naide geboren wurde, am Ufer des Meeres in einem Körbchen gefunden, welches ein kleines niedliches Hündchen mit seinen Pfoten aus allen Kräften nach dem Gestade des Meeres zutrieb. Er wuchs mit Naide kindlich und fröhlich auf, und wurde der schönste junge Hirte des Thales, und dazu von allen andern Hirten geliebt. Nadir und Naide waren die Seele [359] aller Spiele und Freuden, und das Fest war nur halb, an welchem sie fehlten.

Der Tag des Unglücks nahete heran, an welchem Astramond kommen und wählen würde, und Naide war so eben sechzehn Jahr alt geworden. Naide sahe den Tag kommen, aber ohne Unruhe, nicht aber also ihr Gespiele. Naide, die bescheidene sanfte Naide dachte, es habe keine Noth, daß der Zauberer sie nehmen würde, denn die andern Mädchen des Thales seien ja viel, o sehr viel schöner als sie. Aber Nadir meinte, es sei ja kein einziges Mädchen des Thales so schön und so hübsch als seine Gespielin; es könne nicht fehlen, daß der Zauberer sie wählen würde, so bald er sie nur mit einem einzigen Blicke würde gesehen haben. Der arme Nadir! Sein Herz hatte die ängstlichsten Beklemmungen, und er wollte dem Zauberer entgegen gehn, wenn derselbe käme, und ihn auf den Knien bitten, ihm seine Naide zu lassen.

»Das thue nicht, mein Sohn, sagte Sadick, dem er sich entdeckt hatte; das thue ja nicht! Du würdest den Zauberer gerade dadurch aufmerksam machen, da er sie sonst vielleicht übersieht.«

Naide war ruhig gewesen, aber sie war es nicht mehr, als sie Nadirs Angst sahe. Und sie konnten nun beide nichts thun, als sich ängstigen. Die armen Herzen! Es half freilich nichts, und kam daraus kein Rath hervor, aber wer kann es denn lassen, wenn er in solchen Beklemmungen sich befindet? – Und wie die Liebe die Freude erzeugt und den Muth, so auch den Schmerz und die Angst; das werdet Ihr einst schon erfahren.

Der Morgen des Unglücks und des Jammers brach an für alle Bewohner des Thales. Alle Mädchen, die in den letzten vier Jahren, sechzehn Jahr alt geworden waren, wurden mitten in der Aue in einem von Laubzweigen erbaueten Saale in Reihen gestellt, und um den Saal standen alle jungen Hirten, deren Gespielinnen in [360] dem Laubsaale waren, fürchtend und zagend. Alle standen in stummer Angst da, und unter ihnen Nadir mit todtbleichen Wangen.

Plötzlich stand der Zauberer in dem Saale, Güte und Ernst und Ruhe auf seinem Gesicht, zugleich aber auch einen Ausdruck von Kummer. Mit gleichgültigem Auge betrachtete er flüchtig die Mädchen. Nadir hatte Naiden sein Hündchen mitgegeben, denn weil es so außerordentlich klug war, so trauten Beide ihm Alles zu, und hielten es für eine wohlthätig schützende Fee, und Nadir hatte gemeint, es könne die Gespielin schützen, wenn Gefahr sich finden sollte. Ruhig hatte das kleine Thier sich gehalten, aber als Astramond eintrat, zitterte es heftig am ganzen Leibe, und wollte entfliehen. Naide, um den kleinen Liebling nicht in der Menge zu verlieren, nahm es auf den Arm, und darüber wurde der Zauberer aufmerksam. Er betrachtete sich Naiden, er betrachtete das Hündchen, er gerieth in seltsame Gemüthsbewegungen, die sich auf seinem Gesichte ausdrückten, er berührte Naiden mit seinem Stabe, und im Augenblicke saß sie mit dem kleinen Hund an Astramonds Seite im Wolkenwagen, der blitzschnell den Augen der Nachschauenden entrückt war.

Die rückbleibenden Mädchen mit Aeltern und Gespielen freuten sich, daß sie das traurige Loos nicht betroffen hatte, aber es war um die Freude der guten Seelen geschehen, als sie den armen unglücklichen Nadir in Verzweiflung sahen. Sie trösteten, sie bedauerten, sie umarmten ihn, aber was half es ihm jetzt? Sonst war er durch ihre Theilnahme und Liebe so glücklich gewesen! – jetzt mußten sie ihn wie einen Todten nach Hause tragen. Wie todt lag er auch da, und als er erwachte, war er einem Wahnsinnigen gleich. Die Pflegeältern standen um sein Lager, und sahen ihn mit Jammer und Mitleid an; und als er wieder wüthen wollte, sagte Sadick sauft zu ihm: »Ach, mein Sohn, sind wir denn glücklicher als du?«

[361] Da besann sich Nadir, er drückte den treuen Aeltern, die er kläglich ansahe, die Hand; er nahm Trost und Ermahnung an, und nach einigen Tagen, in welchen er trübsinnig hinbrütete, fing die Hoffnung an in ihm zu erwachen, daß vielleicht die Gespielin noch zu gewinnen stehe, und als er erst bis zur Hoffnung gekommen war, kam er auch bis zu dem Entschluß, Naiden zu suchen; – ein Entschluß, den die liebevollen Aeltern sehr billigten, indem sie darauf rechneten, es könne sein Schmerz dadurch gemildert werden. Sie selbst ließen sich ihren Jammer nicht merken.

In einigen Tagen denn ging Nadir, Naiden zu suchen, und der Vater begleitete ihn bis zu einer gewissen Stelle des Gebirges, von wo aus sich Nadir in einem Felsengewirre verirrte.

Er kletterte und wand sich in seinem Gram in den dürren Felsen dahin und dorthin, und hatte schon acht Tage zugebracht, während welcher er aus den Waldbächen getrunken, wilde Beeren gegessen, und unter Felsenvorsprüngen auf kahlem Stein gerastet hatte. Er wußte nicht, wo er war, und sein verwirrter Kopf hatte nicht wahrgenommen, daß er immer im Kreise umhergegangen war. Da sah er auf einmal, er sei nicht tausend Schritte von der Stelle, wo er von Sadick Abschied genommen hatte. Er fiel in Verzweiflung darüber, und wurde ganz kraftlos, und in dieser Kraftlosigkeit sank er zu Boden, und mit dem erschöpften Körper schlummerte er ohnmächtig im Gefühl seines Elendes ein.

Er erwachte. Er erwachte gestärkter und ruhiger, und machte sich ordentlich daraus einen Vorwurf. Als er sich aber eben recht anklagen wollte, bemerkte er, er sei ganz wo anders als da, wo er eingeschlafen war – nämlich in einem freundlich schönen Zimmer, in einem weichen Bette, und zu den Füßen seines Bettes sein schwarz weißes kluges Hündchen, und auf seiner Achsel eine weiße Taube, zahm und fromm, von der er aber nicht wußte, wie sie daher kam?

[362] Sein Hündchen nahm er auf seinen Arm, und drückte den treuen Gefährten und Lebensretter an sich, und küßte ihn, und als er das Hündchen fragte: »Weißt du nichts von der lieben Naide?« da schlug das Täubchen mit lustigen Flügeln, und das Hündlein wedelte mit dem Schwanze und war gar fröhlich.

Nadir liebkosete nun beide Thiere, und es war ihm, als kehrten Ruhe und Hoffnung in ihn zurück, als mit ten unter dem Liebkosen ein ernster Mann voll Majestät ins Zimmer trat und zu ihm sprach:

»Ich bin der, der dir Verschmachteten das Leben rettete, aber der dir auch deine Naide und dein Hündchen genommen hat, weil ich hoffe, es soll gut sein, dir sowohl als mir. Ich bin Astramond.«

Nadir fiel höchst bewegt zu den Füßen des Mannes und weinte, und das Hündchen, ja selbst das Täubchen weinten mit. Astramond aber hob ihn auf und sagte: »Halte mich nicht für grausam, weil ich Naiden entführte; liebe sie immer, ich bin dir nicht entgegen, Wisse, daß wir beide, Du und Ich, einander zu unserm gegenseitigen Glück unentbehrlich sind, Du aber Naiden eher nicht besitzen kannst, bevor nicht der Ring der Geister in deinen Händen ist. Du wirst aber diesen Ring haben, wenn Du mir folgst.« –

»Höre!«

»Gehe sieben Tagereisen nach Mittag zu. Dann kommst du an den Palast des Geisterkönigs. Fordere den Ring der Geister, der Dir nicht wird verweigert werden. Ist er durch dich in meine Hände gekommen, so ist Naide auf immer dein. Mehr darf ich dir nicht sagen. Das Hündchen und das Täubchen kann ich dir nicht mitgeben. – Geh, und sei vorsichtig!«

Wie entzückt war Nadir, daß er Naiden wieder erlangen sollte. Er versprach den Ring der Geister um diesen Preis aus dem Mittelpunkt der Erde zu holen. Das Hündchen und die weiße Taube hätte er freilich so gern mitgehabt, der Zauberer aber sagte noch [363] einmal, er dürfe sie ihm nicht geben. So ging denn Nadir ohne sie.

Er ging, und ging mit tüchtigen Schritten, denn es galt ja Naidens Besitz. Er ging so rüstig, daß er schon am Morgen des siebenten Tages den Palast des Geisterkönigs Geonchas weit von fernher leuchten sahe, indem derselbe von lauter Edelsteinen erbauet war.

Gern wär er fortgeschritten, aber seine Kraft war von zu schnellem Gehen erschöpft, und er legte sich unter den Schatten eines Palmbaums hin, um ein wenig zu ruhen. Aus der Ruhe aber wurde ein süßer Schlummer.

Beim Erwachen fand sich Nadir in einem Zelte von Goldstoff, auf einem reichen Sopha liegend. Am Ende des Sophas saß ein Mann mit düsterer, aber majestätischer Miene, und seine Züge waren den Zügen Astramonds sehr ähnlich.

»Höre mich, mein Sohn! redete der Mann ihn an. Ich bin Astramonds Bruder, und ein Opfer seiner boshaften Künste, obschon ich eben sowohl ein Zauberer bin wie er. Seit meiner Geburt war er feindselig gegen mich. Mir selbst konnte er freilich nicht schaden, aber eine Fee, die meine Geliebte ist, konnte er mir rauben, weil ich einen Augenblick nicht wachsam genug war. Er hält sie in Gestalt eines kleinen Hundes gefangen, deine Naide aber in Gestalt einer weißen Taube. Dir und mir hilft nichts als der Ring der Geister, den Niemand erhalten kann als du. Wir wollen uns seiner zu unserm Glück und zur Rache gegen ihn bedienen. Sobald du den Ring hast, den Niemand wider deinen Willen dir nehmen kann, darfst du dich nur zu mir her wünschen, so bist du da. Mit dem Ringe bist du dann sein Herr. Leb wohl, Nadir. Ich könnte dich mit einem Namen nennen, der dir Ehrfurcht und Liebe abnöthigen würde, aber es ist noch nicht an der Zeit. – Morgen erwarte ich dich in meinem Palast.«

[364] Der Unbekannte verschwand und Nadir ging. Ihm waren die Worte dieses Unbekannten seltsame Worte, so dunkel und so klar! – Rache an einem Bruder nehmen, das war seinem sanften Herzen sehr fremd. Und dann – schien es denn nicht, als ob derselbe hätte sagen wollen, daß er sein Vater sei? welches sehr gut mit der Freundlichkeit zusammenstimmte, womit ihn der Mann behandelt hatte. Das Hündchen wäre dann gar seine Mutter?

Nadir wußte nicht klug daraus zu werden, und kam in Gedanken zu dem Palast des Geisterkönigs, von dessen Winken alle unsichtbaren Mächte abhingen. Hier wurde er freundlich aufgenommen, gütig bewirthet und sodann, weil es schon spät Abends war, in das Gemach der Träume geführt, welches nur denen wiederfuhr, welchen der Geisterkönig vorzüglich wohl wollte. Die, welche darin schliefen, erfuhren hier ihr Schicksal in Traumgestalten, denn in Worten durfte es ihnen selbst dieser gewaltige Geisterfürst nicht offenbaren. Auch Nadir träumte.

Es war ihm, er sei da, wo er des vorigen Tages den Unbekannten unter dem Zelte von Goldstoff traf. Dieser Unbekannte und Astramond waren dort auch, und zwischen ihnen stand ein ehrwürdiger Greis. Diesem gegenüber sah er ein Wesen, nach Angesicht und Gestalt weit über die menschliche Natur erhaben, obwohl menschenähnlich in aller Art. Sähe man es an, so wurden die Augen geblendet, wie wenn sie vom Sonnenglanze geblendet würden.

Der Greis übergab dem fremdartigen höheren Wesen einen Ring, in welchem ein geschnittener Türkisstein gefaßt war, und kaum hatte das überirdische Wesen den Ring empfangen und an den Finger gesteckt, so war es auch verschwunden, und der Greis und Astramond verschwanden mit ihm. Aber der Unbekannte von gestern blieb, und schien ihm Naide, seine geliebte Naide an der Hand mit Freundlichkeit zuzuführen. Entzückt flog er ihr im Traume entgegen, aber kaum war er ihr bis zur Umarmung nahe, so verwandelte sie sich [365] in eine andere Mädchengestalt, und der Unbekannte war in die Erde versunken.

Der Traum war aus, und Nadir erwachte; aber das Traumgesicht stand so lebendig vor seiner Seele da, als wär der Traum wachend vorgegangen. Er dachte den Traumgebilden nach, und hätte gern gewußt, was sie wohl möchten zu bedeuten haben; aber er brachte nichts Ordentliches heraus, denn einen Weissagergeist hatte der unerfahrne Jüngling ja nicht.

Indem er so sann und dachte, oder vielmehr noch nachträumte, ward er zum König der Geister beschieden, und erkannte in ihm beim ersten Anblick Denjenigen, der im Traumgebilde aus des Greises Hand den Türkisring empfing, und wie ihn der Anblick desselben schon im Traume geblendet hatte, wurde er nun noch mehr wachend geblendet, wiewohl der Geisterkönig mit mildem und huldvollem Auge ihn ansahe.

»Jüngling! sagte der Herr der Geister, ich kenne dich wohl! Ich weiß, du bist gut und recht, und darum liebe ich dich. Nun werde auch weise! – Hüte dich vor Fallstricken und vergiß empfangene Wohlthaten nicht! – Du empfängst ein Kleinod von mir, welches dich zum König der Erdwelt machen kann; benutze es mäßig und gerecht, sonst wirst du dennoch nicht glücklich damit, denn nur das Herz macht glücklich, und nicht die Macht. Das merke dir recht wohl, mein lieber Sohn! – Traue nie dem Schein, sondern suche die Wahrheit! – Erinnere dich deines Traums!«

So sprach Geonchas, der König der Geister, und gab ihm den Ring, den Nadir mit tiefer Ehrfurcht empfing. Der Geisterfürst entließ ihn hierauf.

Nadir wünschte sich in den Palast des Unbekannten von gestern und war, kraft des Ringes, im Augenblick dort. Es war Alles darin so schön als kaum in irgend einem Zauberschlosse in der Welt, und an schöne Knaben und Mädchen fehlte es eben so wenig, als[366] an Glanz und Herrlichkeit, doch war das Ansehn der Menschen und der Dinge düster. Nadir stand und sann den dunkeln Worten nach, welche der Geisterkönig zu ihm gesprochen hatte, als der Unbekannte, der Herr des Palastes, hereintrat und ihn mit seinem ganzen Hofe bewillkommte.

Nachdem dieser Nadirn mit der artigsten Freundlichkeit durch alle Säle und Zimmer geführt und ihm alle Kostbarkeiten und Seltenheiten gezeigt hatte, ging er mit ihm in den wunderschönen Garten, wo sie sich in eine einsame Laube niederließen. Hier wünschte derselbe Nadirn mit ausgesuchter Theilnahme und ungewöhnlicher Zärtlichkeit Glück zu dem Kleinod, das er von Geonchas empfangen hatte. Er suchte sodann den Jüngling dahin zu bringen, ihm diesen Ring zu überlassen, sowohl Naiden zu befreien, als den Zauberer Astramond zu bestrafen. Er sagte ihm: »Wie groß auch, mein lieber Sohn, des Ringes Gewalt ist, so ist sie es doch nicht in den Händen eines Jeglichen, und würde dir gegen den mächtigen Astramond wenig helfen, weil du in den Geheimnissen der Zauberei ganz unerfahren bist, in welche man tief eingeweiht sein muß, wenn man ganzen und glücklichen Gebrauch von dem Ringe machen will.«

Alles ging darauf hinaus, Nadir solle ihm den Ring anvertrauen, und dann gewiß sein, noch vor Abend den Zauberer Astramond zu seinen Füßen zu sehen, und seine Gespielin wieder zu haben. Ader Nadir erinnerte sich seines Traumes und der Worte Geonchas. Selbst die Art, wie ihn der Unbekannte überreden wollte, und daß er bloß Rache gegen einen Bruder im Sinn zu haben schien, mochten ihm gar nicht gefallen. Auch dachte er, es sei immer noch Zeit, einer fremden Hand den Ring zu vertrauen, zuvor wolle er erst versuchen, wie weit er selbst mit demselben komme. Kurz: Nadir behielt seinen Ring unter dem Vorwand, daß er sich von einem so hohen Kleinod nicht sogleich wieder trennen könne.

[367] Da runzelte sich die finstere Stirn des Zauberers, aber nur einen Augenblick, dann war sie wieder glatt und heiter. Treuherzig fuhr er fort: »Nun wohl, du sollst sehen, ob ich es ehrlich mit dir meine. Naiden dir wieder zu schaffen, vermag ich wohl durch meine Gewalt allein, und du sollst sie bald besitzen; aber daß sie dir nicht in Kurzem Astramond wieder entführe, das vermag ich nicht zu verhindern.«

Der Zauberer klatschte in die Hände, und sogleich eilte sein ganzer Hof herbei. »Freunde, sagte er, unterhaltet meinen liebenswürdigen Gast und zerstreuet seine Schwermuth, denn ich werde einige Stunden abwesend sein.« Hierauf fuhr er in seinem Wolkenwagen davon.

Nadir, im tiefen Sinnen über alle die Wunderdinge, welche ihm begegnet waren, nahm an den Vergnügungen wenig Theil, womit man ihn unterhalten wollte. Die seltenen kostbaren Dinge, welche man ihm zeigte, die Musik und die Tänze, die Schauspiele und der hellerleuchtete Saal mit der köstlich besetzten Tafel machten wenig Eindruck auf ihn, und um so wenigeren, da er einen großen Zwang und einen düsteren Trübsinn auf allen Gesichtern bemerkte, ungeachtet Alle Heiterkeit und Freude zu erkünsteln suchten.

Nadir stand bald von der Tafel auf, und unter dem Vorwande ruhen zu wollen, ließ er sich ein einsames Gemach anweisen. Kaum ist er in demselben, so tritt der Zauberer hinein, und – o welch Entzücken! – hat Naiden an der Hand. »Da hast du die Entbehrte, sagt der Zauberer, und nun sei wieder froh!«

Nadir war froh; Naide war auch froh. Sie drückten sich die Hände, sie konnten sich nicht satt aneinander sehen und stammelten nur einzelne Worte. Naide fand zuerst die Sprache wieder.

»Nadir, sagte sie, lies in meiner Seele, wie glücklich ich bin, daß wir uns wieder haben. Aber laß uns zuerst dankbar sein gegen unsern [368] Retter und Wohlthäter; ich kann es nur mit Worten sein, du kannst es mit der That durch deinen Ring.«

»Nein, nein! unterbrach sie der Zauberer großmüthig, Ihr seid mir nichts schuldig; was ich für Euch that, that ich für mich selbst mit, und wünsche nur das Eine, daß Nadir Vertrauen zu mir fasse. – Ich lasse Euch allein, denn Ihr werdet zu sprechen haben.«

Sie waren allein, und Nadir wollte sich seinem Entzücken, das durch die Gegenwart des Zauberers war zurückgehalten worden, nun ganz überlassen; allein Naide sagte: »Nadir, berührt mich mit Eurem Ringe!« Nadir wollte wissen, wozu? allein sie bat, fast mit Thränen im Auge, noch einmal: »berührt mich mit Eurem Ringe, Nadir! – Ihr seid betrogen!«

Nadir erschrak und berührte sie, und eine schöne Mädchengestalt stand vor ihm, aber es war nicht Naide. In diesem Augenblick der Verwandlung stürmte der Zauberer ins Zimmer, Wuth im Auge. Er hob den Zauberstab gegen das Mädchen, das sich angstvoll hinter Nadir zu retten suchte. Nadir, noch in voller Bestürzung, berührte mit seinem Ringe den Wüthenden, und dieser stand da starr und fast wie eine Bildsäule von Stein.

Nadir bedurfte einiger Zeit sich zu erholen. Mit Erstaunen hatte er die beiden letztern Proben von des Ringes Allgewalt gesehen; mit Erstaunen betrachtete er den unbeweglich da stehenden Zauberer und doch auch mit heimlicher Furcht. Doch glaubte er bald an den Schutz des Ringes.

»Du unglücklicher Mensch, sprach er zu dem Unbeweglichen was hast du nun von deinen tückischen Absichten? Den Bruder und mich hast du verderben wollen, und dagegen hat Dich das Schicksal getroffen. – Kraft des Ringes aber verlang ich, sprich, was ist aus Naiden geworden?« sprich aber die Wahrheit!

[369] Jetzt kam wieder einiges Leben in den Erstarrten, obwohl er auf seiner Stelle blieb. Die Zauberruthe fiel ihm aus der Hand, und die Lippen fingen an sich zu regen. – Er sprach.

»Ich unterliege der stärkern Gewalt, und muß schon die Wahrheit sagen, falls ich es auch nicht wollte. Ich muß sogar noch mehr sprechen, als ich wollte, denn die Gewalt des Ringes zwingt mich dazu, und mein Sträuben hilft nichts.«

»Naide ist nicht in meiner Gewalt, sie ist sicher und wohl bewahrt bei Astramond. Meine Absicht war, Astramond zu verderben, Naiden, die ich gesehen habe, zu rauben, und selbst deinen Untergang zu bewirken, sobald ich in dem Besitz des Ringes wäre. O! daß ich die Wahrheit sprechen muß – muß! – – Höre, wer ich bin!«

»Ich heiße Neraor und bin in der That Astramonds Bruder, nur etwas jünger als er. Wir sind beide die Söhne eines Mannes, der in allen geheimnißvollen Künsten der erste und erhabenste war, und dem kein Zauberer den Rang streitig machen konnte. Alle Geister standen unter seinem Gebot, nur nicht der König der Geister, der aber dagegen sein Freund war.«

»An dem allgewaltiger Talisman, an dem Ringe nämlich, der jetzt in deinem Besitz ist, arbeitete mein Vater viele Jahre seines Lebens. Wir waren noch Jünglinge als das Werk vollendet war, und da wir in geheimnißvollen Künsten von dem Vater selbst sehr gut unterrichtet waren, so begriffen wir denn auch den Werth des Ringes sehr gut, und jeder wünschte ihn allein zu besitzen. Ich, der ich meinen Bruder nie eben geliebt hatte, fing jetzt an, ihn zu hassen – kurz, es fingen böse Händel unter uns an, die niemals mehr aufhörten und den Vater beunruhigten, der sich viel vergebliche Mühe gegeben hatte, uns zu vereinen. Da alle seine Mühe nun fruchtlos war, ließ er uns beide eines Tages kommen, und strafte uns mit harten Worten, und sagte, es solle nun keiner von [370] uns den Ring besitzen, der zwischen uns nur Haß und Feindschaft errege. In unserer Gegenwart warf er denselben in ein Gefäß mit Wasser, welches zu sieden und brausen anfing, als er einige geheimnißvolle Worte darüber ausgesprochen hatte. Dann stieg ein Adler aus dem Gefäße herauf und, den Ring im Schnabel, verschwand er vor unsern Augen in der Luft, nachdem der Vater ihm befohlen hatte, den Ring zu dem Geisterkönig zu bringen, wo derselbe bleiben solle, bis ihn nach dem Willen des Schicksals einer unserer Söhne erhielt. Er wiederholte es, daß ihn keiner von uns selbst besitzen werde. Aber wer zuerst sich des Herzens eines tugendhaften und liebenswürdigen Mädchens würde würdig machen und sie zur Gemahlin, und mit ihr einen Sohn bekäme, der hätte in diesem Sohn den Besitzer des Ringes und den mächtigsten Sterblichen der Erde.«

»Der Vater mochte freilich wohl auf diese Weise unsern Bruderzwist beilegen wollen, indem er jedem von uns den Besitz des Ringes unmöglich gemacht hatte, aber unser Haß entflammte nun erst recht heftig.«

»Wir Brüder durchreisten die Erde; Astramond, um eine Gemahlin zu suchen, wie der Vater sie bestimmt hatte; ich aber folgte ihm nach, um aus aller Macht sein Glück zu vereiteln.«

»Die Tochter des Königs der unbekannten Inseln war ihrer blendenden Schönheit wegen eben so berühmt, als ihrer Tugend und Liebenswürdigkeit wegen. Mein Bruder zog dorthin – ich zog ihm nach, sobald ich Nachricht davon bekam. – Ich komme dort an, ich trete ins Zimmer, und finde die Prinzessin und meinen Bruder beim König, und alle drei schienen schon einig: aber die Prinzessin war schöner, o viel schöner als das Gerücht sie beschrieb, Hoch und stolz und mit drohenden Mienen bewarb ich mich auf der Stelle um sie.«

»Der König kannte meine und Astramonds Macht, und durfte es mit keinem von uns verderben.«

[371] »Ich will Euch einen Vorschlag thun, meine Prinzen, sagte der König, den Ihr ohne Zweifel werdet billigen müssen. Ich kenne Eure Verdienste und Tugenden. – Er kannte nämlich unsere Macht! – Seid Ihr es zufrieden, daß der meine Tochter erhält, welcher mein Volk glücklich macht?«

»Wir waren es Beide zufrieden.«

»Acht Tage nahm sich Jeder von uns Zeit, seine Anstalten zu machen. Binnen diesen Tagen folgte ich der Prinzessin auf allen Schritten und wurde immer mehr gewiß, daß Astramond in ihrer Gunst weit höher stand, denn ich, wodurch mein Haß gegen ihn immer mehr und mehr stieg.«

»Ich sann ernstlich darauf, wie ich den Preis gewinnen möchte. Reichthümer, dachte ich, sind es, die den Menschen der Mühe und Noth des Lebens überheben und ihm alle Lust und Freude gewähren; darum eben werden sie ja von Allen gewünscht, und Jeder strebt darnach.«

»Damit mein Bruder mir nicht zuvorkommen möchte, behauptete ich trotzig, daß Astramond das Recht der Erstgeburt in diesem Falle nicht dürfe geltend machen. Wir müßten entweder beide zugleich handeln, oder aber das Loos entscheiden lassen. – Ich fürchtete, er könnte auch auf meinen Gedanken gefallen sein, und hoffte ihn recht beschämt zu sehen, wenn ich eher als er denselben ausgeführt hätte.«

»Astramond lächelte und versicherte, er wolle hier sein Recht keineswegs geltend machen, und sei es um so mehr zufrieden, daß ich zuerst die Probe ablege, weil es ihm doch keinen Nachtheil bringen würde.«

»Sein Lächeln und seine Ruhe bei dieser Versicherung erbitterten mich aufs Höchste; indessen ich rechnete nun mit Gewißheit auf den Preis und auf seine Bestürzung, und nahm mir noch vor, mich zu seiner Zeit überdieß noch furchtbar an ihm zu rächen.«

[372] »Der bestimmte Tag kam. Das Volk der Stadt war auf einem großen Platze versammelt. Ich sprach: ›Ihr sollt Alle reich, Alle glücklich werden, lieben Freunde!‹ und schlug mit meinem Stabe die Erde, und unermeßlich viele Goldberge quollen überall aus dem Boden herauf. Ein Freudengeschrei erfüllte die Luft, das aber bald genug durch das Jammergeschrei der Unglücklichen unterbrochen wurde, die im Drängen nach den Goldhügeln zerquetscht oder erdrückt wurden.«

»Die Hügel verschwanden beinahe so schnell, als ich sie hatte entstehen lassen. Ich ließ neue Hügel aus dem Boden hervorsteigen, bis zuletzt Niemand mehr Gold fortbringen konnte. – Astramond blieb bei dem Allen zu meinem Erstaunen ganz ruhig.«

»Dieser Tag und die folgenden vergingen in tollem Lärmen und Schwelgen. Betrunkene taumelten sinnlos auf den Straßen umher; Händel und Schlägereien gab es überall: die Geringen höhnten die Hohen, denn sie hatten nun auch Gold, und nach den Gesetzen fragte Niemand in dem allgemeinen Taumel. Keiner wollte mehr arbeiten, sondern Alle nur jubeln, und in der Stadt war bald nicht mehr so viel an köstlichen Getränken und Speisen und an Sachen der Pracht und Ueppigkeit vorhanden, als verlangt wurde; auch nahmen sich die Kaufleute kaum die Mühe, ihre Waaren zu verkaufen, denn sie hatten ja Gold genug, oder sie ließen ihre Vorräthe nur um ungeheure Preise ab. Hie und da wurden die Kaufladen gestürmt, und da der Mangel einzutreten drohete, indem sich Niemand die Mühe gab Zufuhren kommen zu lassen, so stand bald Alles darauf, in einen allgemeinen Aufruhr auszubrechen. – Das sahe ich Alles. Schämen konnte ich mich nicht; aber ich ärgerte mich, ich wurde ergrimmt, und meine Wuth gegen Astramond stieg immer höher, denn nun hatte ich ihm ja offenbar vorgearbeitet und es ihm recht leicht gemacht, den Preis davon zu tragen, wiewohl ich nicht wußte, wie er das anfangen wolle.«

[373] »Astramonds Tag kam. Er zog mit seinem Stabe einen weiten Kreis in die Luft, und dann noch einen und sprach: ›Nun ist es gut!‹ Das Volk sah ihn bedenklich, fast könnte man sagen, höhnisch an, denn sie sahen ja nichts, und ich selbst war höchst verwundert. Aber wenn auch das Volk nichts sahe, so fühlte es doch bald desto mehr. Es gerieth über alles Volk ein Friede, eine Herzlichkeit und ein gegenseitiges Vertrauen, die sonst so Vielen ganz fremd gewesen waren. Bekannte, Nachbarn und Ehegatten, die in Feindseligkeit und langjährigem Zwist gelebt hatten, fielen sich versöhnt und liebend in die Arme. Gastmahle wurden gegeben, bei welchen die Freude neben der Mäßigkeit und Ordnung wohnte. Man suchte sich überall auf, man wollte Geld und Gut mit den Andern theilen, wenn sie dessen nicht genug hätten, aber Niemand nahm es, denn Jedermann fühlte sich glücklicher, als Geld und Gut machen können. Ueberall trat zugleich das arbeitsame Leben in seine alte Stelle ein, aber weit mehr Freundlichkeit und Gefälligkeit als einst. Handel und Wandel waren regsamer als jemals, und in zwei Tagen waren Vorräthe aller Art in Uebermenge vorhanden. Die Arbeit brachte Vergnügen und der Abend der Ruhe liebes trauliches Gespräch mit Nachbarn und Bekannten, und die Nacht liebliche Träume im gesunden Schlaf und Heiterkeit beim Erwachen am andern Morgen. Alle fühlten sich glücklich.«

»O! Astramond hatte den Geist der Liebe und den Geist der Ordnung über das Volk ausgegossen, und dieses, und nicht der König allein erkannte ihm die Hand der Prinzessin einstimmig zu. Meiner aber spottete man. ›Das laßt mir einen Weisen sein, hieß es, der die Menschen durch Gold allein beglücken will!‹ Man hatte sehr vernünftige Gedanken über die natürlichsten Quellen des Menschenglücks, und ich konnte die Wahrheit derselben nicht abläugnen, aber mich ärgerten sie doch.«

[374] »Ich sann wüthend auf schreiende Rache, nahm aber, um sie sicherer ausführen zu können, den Schein der gelassenen Gleichgültigkeit an. Ich wußte, daß Astramonds argloses Herz leicht konnte hintergangen werden.«

»Astramond mochte schon mehrere Monate verheirathet sein, als ich seine Gemahlin bei Gelegenheit einer Jagd entführte, ohne daß er im Stande war auf mich Verdacht zu werfen, denn meine Anstalten waren mit listiger Sicherheit getroffen.«

»Ich brachte die Prinzessin auf eine fern entlegene unbekannte Insel, und ihre Jammerthränen waren mein Labsal, und die Verzweiflung, in welcher sich Astramond befinden mußte, meine Wonne, mein Entzücken.«

»Die himmlische Schönheit der Prinzessin wirkte jedoch mit der Zeit auf mich. Ich unterließ sie zu quälen, ich fing an sie heftig zu lieben, aber sie verabscheute mich je länger je mehr. Da wollte ich ihres Gemahles Gestalt annehmen, aber ich konnte es nicht dahin bringen, welche Zauberkünste ich auch anwendete. Mir widerstand eine unbekannte Gewalt.«

»Mir war in einer Nacht der Geist des Vaters erschienen, mit einem strahlenden Schwert in der Hand, dessen Griff ein einziger Rubin war, und welches er gegen mich aufhob. ›Du elender Bösewicht, sprach der Greis, deine Versuche sollen vergebens sein. Verhüte dein Unglück!‹ – – Der Geist sprach es deutlich und vernehmlich und donnernd genug, als daß ich es hätte überhören können.«

»Noch versuchte ich vielfältig alle meine Kunst, mich in Astramonds Gestalt hineinzustehlen, ja hinein zu zwingen, aber nimmer wollt es mir gelingen. Alle Gestalten konnte ich annehmen, nur diese einzige nicht.«

»Ich wurde wüthend, und um so wüthender, weil die Prinzessin schwanger war, und aus den Prachtzimmern, worin die Prinzessin gelebt hatte, verstieß ich sie in ein tiefes modriges Gewölbe, [375] wohin sich niemals ein Sonnenstrahl hätte hineinstehlen können. – O! ich hatte teuflische Absichten, recht teuflische! – – Aber nach einigen Monaten erscheint mir der Geist des Vaters mit seinem Flammenschwert wieder, und spricht zu mir, mir Zorn in den Augen: ›Nimm ein Schiff und durchfahre mit des Bruders Weib alle Meere, und quäle es nimmerdar mehr. Zittre, wo du nicht gehorchst!‹«

»Ich gehorchte, aber freilich nur, weil ich mußte, denn mich trieb eine unwiderstehliche heimliche Gewalt.«

»Einen Monat lang segelten wir auf der See dahin und dorthin, ohne daß uns etwas Besonderes wäre aufgestoßen. Die Prinzessin brachte während dieser Zeit einen Sohn zur Welt, – Dich, Nadir.«

»Es kam nicht lange nach dieser Zeit ein Schiff auf uns zugesegelt. Da wir uns einander nahe genug waren, sahe ich, daß es von Astramond geführt wurde. Und sehen, uns einander wüthend angreifen, war Eins. – Ich suchte Astramond, um mit Einem Streiche unsern Kampf und meinem Haß zu enden, ich traf auf ihn, aber er hatte das strahlende Flammenschwert in den Händen, mit welchem der Vater mich bedroht hatte, und gegen welches ich nicht vermochte zu bestehen. Mein Blut erstarrte, meine Haare sträubten sich empor, meine Knie zitterten, meine Leute wurden bei meinem Anblicke muthlos. Wir wollten fliehen, wurden aber genommen und in Ketten geschlagen. Ich, die Prinzessin und ihr Sohn wurden vor Astramond vorgeführt. Dieser, der durch sein Elend mißtrauisch und grillig geworden war, zweifelte nicht, seine Gemahlin habe sich mit gutem Willen von mir entführen lassen, und in der ersten Uebereilung seines Zorns verwandelte er sie in eine schwarzweiße Hündin, und ließ sie nebst dem jungen Knaben im Korbe, den er nicht für den seinigen hielt, ins Meer werfen. Ich riß ihn nicht aus seinem Irrthum. Mir ließ er die Fesseln abnehmen, indem er sagte: ›Ich will dich nicht tödten, du Unwürdiger, denn du bleibst doch immer [376] mein Bruder. Geh und lebe, und wenn es dir noch möglich ist, so werde besser!‹«

»Ich wurde in ein Boot gesetzt, erreichte in wenigen Tagen das Land, und bauete mir diesen Palast, wo ich meinen Gram, meinen Unmuth, meinen Grimm durch mancherlei Zerstreuung zu heilen versuchte, und doch nicht geheilt habe. Es machte mir Vergnügen, den Aeltern ihre schönsten Söhne und Töchter zu entführen, und ich hatte meine Freude an dem Schmerz der Aeltern und der entführten Kinder, aber ich war dennoch nicht froh. Ich erfuhr, daß es Astramond auch nicht sei, und unweit des Thales der Ruhe und des Friedens in seinem Schmerze versunken lebte. Vor einigen Wochen erfuhr ich, er habe seine Gemahlin unter der Gestalt einer schwarzweißen Hündin wieder gesunden, und diese habe sich erboten, ihre Unschuld zu beweisen, wenn er seinen und ihren Sohn nach dem Ringe der Geister senden wolle. – Er that es, nachdem er zuvor deine Naide entführt und sie in eine weiße Taube verwandelt hatte, damit du nicht durch sie von der Reise zurückgehalten werden möchtest. – Das Uebrige weißt du selbst. – Räche dich nun und vertilge mich!«

»Rächen will ich mich auch, sagte Nadir, aber auf deine Art Rache verstehe ich mich nicht!«

Nadir wünschte, daß seine Aeltern und Naide erscheinen möchten, und im Augenblicke erschienen sie durch die Zaubermacht des Ringes, auf einem Wagen von weißen Tauben gezogen. Die Prinzessin aber war keine Hündin mehr, sondern hatte ihre Gestalt und Schönheit wieder, wie vor sechzehn Jahren, indem die Jahre der Verwandlung nicht zu ihrem Leben gerechnet wurden.

Nadir gab dem Vater seinen Ring, sich dessen immerdar zu bedienen. »Nein, mein Sohn, sagte Astramond, behalte du ihn, du bist würdig ihn zu besitzen. Nur einen Augenblick will ich Gebrauch [377] davon machen, und zwar gegen Neraor, um mich zu rächen.«

»Du willst ihn doch nicht verderben, mein Vater?« fragte Nadir.

»Ich will mich rächen, sagte dieser, wie du dich selbst gerächt haben würdest.«

Da gab ihm Nadir den Ring, und Astramond berührte mit demselben Neraors Stirne und Herz, und sprach: »werde weise und gut!«

In demselben Augenblick war es demselben als verzöge sich ein Nebel, der bisher sein ganzes Innere verhüllt hätte, und er wurde von Stund an tugendhaft und gut. Aber er blieb von nun an auch traurig und schwermüthig, wegen der Erinnerung voriger Schlechtheit und wegen der bitteren Reue darüber.

Astramond und seine Gemahlin vereinigten sich wieder mit Liebe und Zärtlichkeit; Nadir und Naide wurden ein beneidenswerthes Paar; allen eingesperrten Prinzen und Prinzessinnen gab Neraor ihre Freiheit wieder, und beschenkte sie mit den köstlichsten Gaben, daß sie allesammt glücklich wurden, er selbst aber blieb immerdar trübsinnig, wie sehr auch Astramond und seine Gemahlin und Nadir mit Naiden ihn zu erheitern suchten. Nur je zuweilen erheiterte ihn das Glück der Lieben, die er hatte verderben wollen, und die ihn geschont und gerettet hatten.


[378] Der Schlechten, die wie Neraor sind, giebt es noch viele, denn diese Art stirbt nimmermehr aus; aber leider! der Ring ist verloren gegangen, der sie gut machen könnte, und sie selbst denken nicht daran, besser zu werden, sondern bleiben wie sie sind bis ans Ende; – nämlich schlecht, so schlecht, daß sie selbst Brüder können hassen. O durch Gerechtigkeit und Liebe wären sie selbst und Alle mit ihnen glücklich und froh und selig gewesen!

Das Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[379] Hans kommt durch seine Dummheit fort:
Das Glück des Faulen und Dummen.

Ein kalmuckisches Mährlein.


Vor alter Zeit lebten in einem großen Lande ein Mann mit seiner Frau; und weil das Land groß war, so hatten sie alle Beide Platz genug darin.

Der Mann hatte schlechte Eigenschaften, und wollte nur essen, trinken und schlafen, aber zu arbeiten hatte er niemals Lust, und die Frau mußte alles allein verrichten. Weil aber Zweie essen und trinken wollten, aber nur Eins arbeitete, so konnte das Wesen nur so lange dauern, als das ererbte Vermögen des Mannes vorhielt. Nachmals kam der Mangel ins Haus, den man daran ersahe, daß man Nichts sahe.

Einst sprach da die Frau zum Mann: »Du Faulsack! Durch dein schlechtes Leben hast du all dein großes Vermögen durchgebracht. Es ist hohe Zeit, daß du auch etwas thust. Steh doch auf vom Lager, und während ich auf dem Felde bin, gehe hinaus und schaue umher.«

[380] »Wenn's eben nicht mehr ist, dachte der Mann; das will ich denn wohl noch machen können;« und so stieg er denn des Tags ein paarmal vom Lager auf, und sahe nach allen Gegenden umher. Das that er gewöhnlich alsdann, wenn er ohnedieß nicht mehr schlafen konnte.

Einstmals schauete er auch so ein wenig umher und sah hinter der Pagode (Götzentempel) Leute mit Heerden und Lastvieh vorbeiziehen. Die Leute waren fort, aber dagegen häuften sich auf einem Platze, Füchse und Hunde und Vögel mit großem Gelärme zusammen.

Der Mann hätte nicht nöthig gehabt zum Platze hinzugehen, denn die Frau hatte ihm ja nur geheißen ein wenig umherzuschauen, nicht aber zu gehen. Indessen ging er doch hin, weil er gern wissen wollte, was es dort gäbe, obwohl die Neugier sein Fehler sonst gar nicht war. Hatte er zu essen und zu trinken vollauf, so ging ihm die ganze Welt weiter nichts an. Dasmal ging er aus Langeweile doch hin.

Als er hinkam fand er einen Darm (ledernen Schlauch) mit Butter gefüllt, den nahm er, obwohl es doch Mühe machte, denselben aufzuheben, und er sich darnach bücken mußte, und legte ihn daheim auf ein Gestelle.

Als die Frau nun vom Felde zurückkam, wurde sie den Darm mit Butter gewahr, und fragte: »Wo ist dieser Darm mit Butter gefunden?« Der Mann antwortete: »Ich schauete ein wenig umher, da hab ich den Darm denn gefunden, und hab ihn auch mitgenommen.« Die Frau sprach hierauf: »Wer immer zu Hause auf dem Lager bleibt, findet nichts. Du bist nur einige Tage daher ein paar Augenblicke ausgegangen, und hast schon so viel gefunden!«

Da fuhr ein besonderer Geist in den Mann, zumal weil der Butterdarm ihm gar sehr gefiel, und er sprach zu der Frau: »So [381] schaff mir denn ein Pferd und Kleider und einen Leithund, damit ich umherziehen und suchen kann.«

Die Frau schaffte ihm, was er verlangt hatte, und der Mann nahm seinen Bogen, setzte sich zu Pferde, zog den Hund am Leitseil hinter sich her, und ritt auf gut Glück in die Welt hinein.

Schon war er über mehrere Flüsse gekommen, als er einen Fuchs ansichtig wurde, den er verfolgte, weil der Fuchspelz eine schöne Mütze für seine Frau gäbe. Der Fuchs flüchtete aber in eine Höhle. Da legte der Mann seine Kleider nebst Bogen und Pfeil auf den Sattel des Pferdes, und an den Zaum des Pferdes band er den Leithund, dann nahm er die Mütze und bedeckte damit den Eingang der Höhle und wollte den Fuchs in die Mütze treiben und darin fangen. Der Fuchs blieb aber im Loche. Da ergriff er einen Stein und schlug damit oben auf die Höhle. Da fuhr der Fuchs aus der Höhle heraus, die Mütze kam auf den Kopf des Fuchses, der damit in vollem Rennen davon lief. Das Pferd erschrak vor dem bemützten Thiere, der Leithund aber erschrak nicht mit, denn er roch schon, daß es ein Fuchs war und wollte den Fuchs verfolgen. Somit liefen denn Pferd und Leithund davon, und waren in ein Paar Augenblicken dem Manne aus den Augen. Er suchte sie zwar, aber er fand sie nicht, und blieb zurück ohne Pferd und Hund, ohne Bogen und Pfeil, ohne Mantel und Mütze und ohne alle Bedeckung des Körpers.

Wo sollte der jämmerliche Mann nun hin? Nach Hause getraute er sich nicht, aus Furcht vor der Frau. – So zog er denn weiter und immer weiter, bis er in das Land eines mächtigen Khans oder Fürsten kam. Wer aber wissen will, wie er sich bis dahin hat durchgeholfen, der muß ihn selbst darum fragen, denn darüber kann ich Niemand berichten, indem der Mann es mir nicht gesagt hat.

Weil er sich schämte, verkroch er sich in einen der Ställe des Khans und zwar, weil er doch in kein Mauselöch ging, in einen [382] großen Heuhaufen hinein, so tief hinein, daß nur die beiden Augen hervorsahen.

Nicht lange nachdem er sich verkrochen, lustwandelte die Gemahlin des Khans zwischen den Ställen und Viehhöfen hin und her, denn das sind dort die Alleen. Sie trug am Leibe den Wunderstein oder Talisman, auf welchen das Heil des ganzen Reichs ankam, aber sie verlor ihn, und der Mann im Heu sahe das wohl, kam aber aus dem Heu nicht hervor, um es an zusagen. Die Khanin ging nach dem Palaste zurück und vermißte den Stein nicht – das machte, sie war eine hohe Person. Der Stein wurde aber mit Viehdünger und anderm Unrath auf einen großen Misthaufen geworfen, und kein Mensch merkte es. Der aber im Heuhaufen saß, hatte es wohl gemerkt, aber er blieb stumm und sagte kein Wort.

Am andern Morgen wurde der Wunderstein denn doch vermißt. Da war große Noth am Hofe, und die Zauberer und Wahrsager, Seher und Zeichendeuter mußten allesammt herbei, und unter Paukenschlag wurde dem Volke verkündet: »Der Wunderstein, der Schutz und Schirm des Reichs, sei abhanden gekommen, und wer ihn wiederbringen könne, solle viel Pferde und Kühe und Kameele und Schaafe bekommen, (welche dort, wo man das Geld nicht kannte, fast den einzigen Reichthum ausmachten). Aber Niemand von den Zauberern wußte, wo der Wunderstein hingekommen war, und was sie nicht wußten, das sagten sie denn auch nicht, – so weise waren sie schon. Wo der Stein aber sein könnte, das wußten sie wohl, und das sagten sie auch; nämlich er könnteda und er könnte dort vielleicht sein. Freilichkonnte er überall sein, nur war er nicht da und nicht dort, sondern ganz wo anders. Aber der es wußte, der sagte es anfangs gar nicht.«

Es gab ein so großes Rennen und Laufen und Hin-und Herfragen um den Wunderstein, daß selbst der Mann im Heu am Ende aufhorchte, und so viel hörte, daß er zuletzt auch sahe, worauf es [383] ankäme. Da erhob er sich mit halbem Leibe aus dem Haufen, bis ihn Jemand erblickte und ihn fragte: »Wer bist Du?«

»Ich bin ein Zauberer,« antwortete der Mann.

»Nun so gehe zum Khan, hieß es da. Der Wunderstein des Reichs ist verloren gegangen, und alle weise Leute haben ihn nicht wieder können herbeischaffen. Siehe, ob es dir gelingt; der Khan will es reichlich vergelten.«

»Ja! den will ich gewiß schaffen, sagte der Mann, der alle Stunden klüger und listiger wurde, obwohl er so dumm blieb als zuvor; den will ich gewiß schaffen, nur kann ich mir keine Kleider schaffen, das geht über meine Kunst, und darum bin ich nackt; und Essen kann ich mir auch nicht schaffen und bin sehr hungrig.«

Dem Khan wurde gesagt, es liege ein nackter Zauberer im Heuhaufen, der gewiß ein sehr weiser Mann sei und den Stein zu schaffen versprochen habe. Da bekam der Mann Kleidung und Essen und wurde vor den Khan geführt.

»Was bedarfst du zum Zauberwerk?« fragte der Khan.

»Ich bedarf eines Schweinkopfs, fünf fünffarbiger Tücher und eines großen Balings 1 war die Antwort. – Dessen bedarf ich.«

Was er bedurfte bekam er, und stellt darauf den Schweinskopf mit den fünffarbigen Tüchern geschmückt an einen Baum und der Baling wird daneben befestigt. Der Mann aber saß drei Nachtzeiten in sinnender Betrachtung am Baume.

Am festgesetzten Tage versammelte sich das Volk, und der Zauberer legte das lange weite Gewand, dieDurga, um, welche auch zum Zauberwerk gehörte.

[384] Als das Volk beisammen war, nahm der Zauberer den Schweinskopf und schwenkte ihn nach dem Volke zu dahin und dorthin, und sprach: »Da ist er nicht, und dort ist er auch nicht.«

Da wurden die Leute sehr froh, weil keiner unter ihnen den Wunderstein verheimlicht hatte.

»Nun! sprach der Zauberer, da der Stein unter den ehrlichen Leuten nicht ist, so wollen wir ihn denn wohl anderwärts finden.«

Hierauf zog er singend nach dem Palaste des Khans, der ihm, mit seinen Begleitern im feierlichen Gesange mitsingend, nachfolgte.

Als nun der Zauberer zum Misthaufen kam, blieb er stehen, und das Volk blieb mit ihm stehen.

Der Zauberer nahm eine seltsame Miene an, sahe den Misthaufen an, schauete starr auf eine einzige Stelle und sprach, indem er auf die Stelle zeigte: »Hier muß der Stein liegen!«

Da lag denn der Stein wahrhaftig.

»O! großer Zauberer! großer, größester Zauberer!« schrie das Volk und der Khan und sein Hof schrien am lautesten.

»O du großer und weiser Mann, sprach der Khan, sag' an, womit ich dich lohnen kann; du sollst es Alles empfangen!«

Der Zauberer dachte blos an seine verlornen Sachen und sprach: »Wenn ich ein Pferd habe mit Sattel und Zeug, Rock mit Mantel und Mütze, Bogen und Pfeil, einen Leithund und noch dazu einen Fuchs, so bin ich zufrieden.«

Der Khan sprach: »Das ist ein seltsamer Mann, der nur so wenig fordert,« und befahl, man solle ihm alles geben, was er verlange, und noch zwei Elephanten dazu mit Fleisch und Butter beladen.

Mit solchen Gütern zog der Mann fort und kam nach Hause zu seiner Frau.

[385] Die Frau hatte ihn schon von ferne bemerkt, und wenn sie auch ihn nicht bemerkt gehabt hätte, hätte sie doch die beiden belasteten Elephanten bemerkt, denn für solche Dinge hatte sie Falkenaugen.

Sie kam ihm nahe bei der Wohnung mit erquickendem Trank der Götter, mit Branntwein 2, entgegen und umhalsete ihn und küßte ihn und sprach: »Mann! du glücklicher Mann! Wie hast du so schöne Kleider an? und wie hast du die Elephanten mit so vielem Fleisch und Butter erlangt?«

Der Mann erzählte, wie Alles gegangen sei, recht umständlich, und wußte sich mit seiner Weisheit nicht wenig; aber die Frau sagte:

»Du erbärmlicher Pinsel! Nicht mehr hast du gefordert? – Morgen geh ich mit einem Schreiben an den Khan.«

Die Frau, welche wohl eine Gelehrte sein mochte, und wenn auch nicht, wie unsere Damen, eine Schriftstellerin, doch eine Briefstellerin, schrieb den Brief mit folgenden Worten, im Namen des Mannes also:

»Weil mir bewußt war, daß der verlorne Wunderstein beim Khan ein großes Uebel würde zurücklassen, so hab ich das Pferd nebst dem Hunde und Fuchse verlangt. Was mir aber der Khan zu meiner Belohnung will senden, das steht noch in seinem Belieben.«

So weise Worte ließen das Herz des weisen Khans nicht ungerührt; und er sandte dem Zauberer die kostbarsten Dinge. Dieser aber lebte von nun an mit seiner Frau recht ruhig und vergnügt, und verlangte in der Welt Gottes nichts weiter, denn er dachte, er hätte genug. Er aber sollte noch vielmehr haben, indem das Glück [386] der Vormund der Dummen ist. So brauchte er denn den Verstand gar nicht und Arbeitsamkeit auch nicht, sondern, wie Viele, nur die einzige Kunst, das Glück auf seiner Seite zu haben.

In einem benachbarten Lande hatte ein Khan sieben Söhne, die waren in einem Walde lustwandeln gegangen. Da kam ein herrliches Mächen daher mit einem Büffel. Der älteste Sohn fragt: »Mädchen, wer bist du? – Und was machst du mit dem Büffel?«

Sie aber sprach: »Ich bin die Tochter eines Khans und reise umher, die Welt zu besehen, und der Büffel muß mich begleiten, denn ich reite auf ihm, wenn ich müde bin.« – Das Mädchen aber und der Büffel waren zwei böse Geister, Mangusch genannt, und waren ausgezogen, Menschen auszusaugen und zu verderben.

Die Söhne des Khans allzumal hatten keine Frau. Da sprach der älteste: »Mädchen! willst du mich freien?« – Sie antwortete: »Wenn ich dir hübsch genug bin, will ich dich freien.« – Hübsch genug war sie ihm aber, und also freiten sie sich denn.

In kurzer Zeit aber starb der älteste Sohn des Khans, und die fünf andern Khanssöhne heiratheten das Weib alle nach einander und starben auch alle nach einander, denn das Leben wurde ihnen von der Mangusch ausgesogen. Und als sie der jüngste Sohn des Khans geheirathet hatte, wurde auch dieser sehr krank, und der alte Khan gerieth in große Sorge und Noth, weil der junge Khan nur noch sein einziger Erbe und Thronfolger war.

Die Hohen und Weisen am Hofe wußten keinen Rath mehr. »Wir haben, sagten sie, bei der Krankheit der Khanskinder das Beste gerathen, was wir nur wußten, und es hat nichts geholfen, denn alle sechs sind gestorben. Wir wissen nichts weiter zu rathen. Aber zwei Gebirge von uns wohnt ja der gewaltige Zauberer, der den Wunderstein wieder herbeigebracht hat; den laßt uns holen.«

Es wurden vier reitende Boten zu ihm gesendet, die sagten ihm an, was sie begehrten. »Eine Nacht muß ich mich bedenken, sagte [387] der Zauberer zu den Boten, und morgen sollt Ihr Bescheid haben, was hier zu thun ist.«

Er erzählte während der Nacht seiner Frau den Vorgang. »O weh! sagte die Frau. Bisher warst du der wundervolle Zauberer, nun aber ist es mit deinem Wissen zu Ende. Doch zu reisen bist du gezwungen.«

Am andern Morgen sprach der Zauberer zu den Boten: »Mir ist im Traum ein glückliches Zeichen geworden. Wir reisen noch heute.«

Er that sein langes Gewand um, band seine Haare auf dem Scheitel zusammen, nahm den Rosenkranz 3 in die linke Hand und in der rechten hielt er den Schweinskopf mit den fünf fünffarbigen Tüchern.

So kam er zu der Wohnung des Khans. Die beiden Mangusch aber hatten ihn schon im voraus gar sehr gefürchtet, denn sie hatten von der Gewalt des Wundermanns so Vieles gehört und sahen ihn nun in diesem Zauberaufzug, und dachten, er hat ganz das Ansehen und die Gebehrde eines wissenden Mannes.

Der Zauberer trat zu dem kranken Khan ein, stellte einen Baling auf das Kissen seines Lagers und den Schweinskopf zu den Füßen desselben. Darüber gerieth des Khans Frau in gewaltige Angst und vergaß die Seele des Kranken zu ängsten und schlüpfte zur Thüre hinaus. Hierauf ließ die Krankheit sogleich etwas nach, und der Khan fiel in einen festen, stärkenden und tiefen Schlaf, so daß man auch den Athem nicht hörte.

Da wurde es aber dem Zauberer sehr bange und er sprach: »Die Krankheit ist schlimmer geworden.« Und als er nun rief: »Khan! [388] Khan!« und dieser keinen Laut von sich gab, so glaubte er, der Kranke sei verschieden, ihm aber würde es übel ergehen. Da nahm er den Schweinskopf und wollte durch die Thüre sich retten. Weil es aber schon dunkele Nacht war, so kam er in die Geldkammer. Da rief es: »Diebe! Diebe!« – Er entfloh und kam in die Geschirrkammer. Da rief es: »Greifet den Dieb!« So gings in noch manche Kammer und überall rief es: »Diebe! Diebe! und – greifet, haltet den Dieb!« Da lief er vor Angst in den Stall, um am andern Morgen zu entweichen.

In dem Stalle lag ihm aber ein Büffel im Wege und lag so müde da, als hätte er eine weite, weite Reise gemacht. Der Büffel aber war der andere Mangusch. Der Zauberer nahm den Schweinskopf und schlug den Büffel damit zwischen die Hörner. Da sprang der Büffel zitternd auf und entfloh eilends.

Der Zauberer schlich dem Büffel nach, und hörte, daß dieser zur Frau des kranken Khans sprach: »Der Zauberer weiß Alles! Er wußte, daß ich im Stalle lag und hat mir mit seinem schrecklichen Zeichen drei gewaltige Schläge gegeben! Wie wird es uns ergehen!« – Ach! antwortete sie, mir ist sehr bange! Schlimm, sehr schlimm wird es uns gehen! Morgen läßt er die Männer versammeln mit Wehr und Waffen, und zu den Weibern spricht er: »Schafft Brennmittel herbei!« Dann sagt er: »Führt den Büffel herbei; und wenn du erschienen bist, so schlägt er dich mit seinem Zeichen, und weil alles Sträuben nicht hilft, so mußt du deinen angenommenen Körper ablegen und deine wahre Gestalt annehmen. Dann wird das Volk mit Schwertern und Spießen über dich herfallen, dich erst tödten, und dann auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Hierauf läßt er mich auch herbeiführen und es wird mir nicht besser ergehen. O ich fürchte mich sehr!«

»So? sagte der Zauberer, nachdem er Alles gehört hatte; so ist es? Da ist ja die Sache ganz leicht gethan!«

[389] Jetzt ging er mit dem Schweinskopf zum Kranken und stellte den Baling auf, und nachdem er seine Zauberworte gemurmelt hatte, fragte er, wie sich der Kranke befände? Da hieß es, der sei seit der Ankunft des Zauberers in einen stärkenden Schlummer verfallen und befinde sich nun viel besser.

»Nun! sprach der Zauberer, so lasset morgen das sämmtliche Volk sich versammeln und die Weiber zu zwei Scheiterhaufen Brennholz mitbringen.«

So geschahe es. Als nun am andern Morgen die Scheiterhaufen aufgebauet waren und der Büffel war vorgeführt worden, legte der Zauberer seinen Sattel auf den Büffel und reitet ihn dreimal im Kreise herum, murmelt Zauberworte und schlägt den Büffel dreimal mit dem Schweinskopf und spricht: »Leg deinen Körper ab und nimm deine wahre Gestalt an.«

Mit diesen Worten war der Büffel in einen greulichen Mangusch verwandelt. Seine Augen trieften von Blut, seine Nasenlöcher dampften von giftigem Qualm und die häßliche Zunge hing weit zum Maule heraus; seine gekrümmten Unterhauer (Zähne) reichten bis zu der Brust und die Oberhauer bis über die Stirne. So gräßlich sahe das Unthier aus, welches nun von dem ganzen Volke angefallen und getödtet wurde. Dann wurde es in Stücke zerhackt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Jetzt wurde die Khanin auch herbeigeführt und kam mit lautem Geschrei, und es erging ihr, wie dem Büffel. Sie könnte gegen die Macht des Schweinskopfs nicht bestehen und mußte ihre schöne Gestalt ablegen und wurde zum häßlichsten weiblichen Mangusch, der auch getödtet und zerhackt und verbrannt wurde.

Der Zauberer bestieg nun sein Pferd, um nach dem Hofe des Khans zu reiten, dessen Prinz nun völlig wieder gesund war, aber er kam erst am dritten Tage an den Hof, denn das Volk ließ ihn nicht von sich. Es pries das Lob des großen Zauberers; es verbeugte [390] sich tief vor ihm; es gab ihm viele Geschenke; es streuete nach der Landessitte Getreidekörner über ihn, (denn Blumenbekränzung kannten sie nicht) und überall mußte er einkehren und sich mit dem Besten bewirthen lassen.

Als nun am dritten Tage der Zauberer zu dem Palaste kam, sprach der Khan zu ihm: »Wie kann ich nun wohl dich lohnen?«

Der Zauberer sprach: »In unserm Lande sind wenig Nasenhölzer, die wir den Ochsen durch die Nasenknorpel ziehen könnten, um sie damit zu lenken. Gib mir dergleichen Hölzer.«

So sprach er. Der Khan aber dachte, wenn der Mann nicht so gewaltig weise wäre, so würde ich ihn erzdumm halten, so schlechtes Ding fordert er für so großes Werk. Er ließ ihm aber drei Säcke mit Nasenhölzern geben und noch sieben Elephanten dazu, beladen mit Fleisch und Butter. Damit kehrte der Mann nach Hause zurück.

Nahe bei seiner Wohnung kam ihm die Frau mit Brantwein entgegen, und als sie die Elephanten sahe, sprach sie: »Jetzt bist du ein wackerer Mann geworden!« Und als sie ins Haus gegangen waren, fragte die Frau: »Wie bist du zu so großen Geschenken und Gütern gekommen?«

Der Mann antwortete: »Ich habe den Khanprinz gesund gemacht und zwei böse Mangusch verbrannt, die ihn krank machten, und habe mir Nasenhölzer zum Geschenk geben lassen, und die Elephanten gab mir der Khan noch zu.«

»O du erbärmlicher Tropf! rief die Frau, für so große Verrichtung hast du nichts weiter gefordert als Nasenhölzer – Wie dumm!«

Sie nasete ihn um der Nasenhölzer willen entsetzlich, und der Mann wußte gar nichts zu sagen.

[391] Die Frau schrieb einen Brief an den Khan, als wäre er von ihrem Manne geschrieben, und trug denselben zum Khan hin. Der Brief aber lautete also:

»Weil dem Zauberer bewußt war, daß von dem großen Uebel des Khanssohns ein kleineres Uebel zurückbleiben würde, hat er die Nasenhölzer gefordert. Was aber der Khan dem Zauberer zur Belohnung will geben, das stehet in seinem Belieben.«

Der Khan, ein weiser Herr, sprach: »Der wissende Mann hat recht! Mein Prinz wäre ohne ihn gestorben, und das Reich wäre zu Grunde gegangen. Meine Räthe und Diener und am Ende ich selbst hätten den beiden Mangusch gewiß zur Speise gedient.«

So sprach der Khan und sandte dem wissenden Manne Elephanten, Kameele und Tragochsen in Menge, alle beladen mit kostbaren Geschenken.

Der Mann aber mit dem Schweinskopfe konnte nun essen und trinken und schlafen aus all seinen Kräften sein Lebelang. Aber das that er denn auch!


Also aber wie hier, geht es nicht allein in der Kalmuckei zu, sondern auch bei uns, wie Ihr so straks an dem Doktor Allwissend sollt abnehmen.

Fußnoten

1 Ein heilig gehaltenes Bild von Teig, meistens in Gestalt einer Pyramide. (Die Pyramidenform scheint der alten Zeit des Morgenlandes sehr eigen).

2 Die Kalmücken machen ihren Brantwein aus Stutenmilch, seltener aus Kuhmilch. Sie nennen dieses Getränk, welches sie sehr lieben, Kymiß.

3 Er ist erst aus dem Morgenlande zu uns gekommen. Schweinsköpfe aber waren schon vorher in Menge da.

Der Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[392] Der Doktor Allwissend, oder der Doktor Kikeriki.

Es war einmal, ich denke im Schlaraffenlande, wohin es offenbar gehört, ein armer Bauer, der lebte in einem armen Dorfe, und hieß Krebs, er war aber kein Krebs, sondern er hieß nur so.

Die Leute im Dorfe sagten, er sei ein dummer Teufel, wovon Er aber kein einziges Wort glaubte. Denn, dachte er bei sich selbst, »Du hast doch große Gedanken im Kopfe, nur daß du sie nicht von dir geben kannst.«

So mocht es denn auch wohl sein. Im Kopfe lagen die großen Gedanken gewiß, aber eben so gewiß kam kein einziger heraus, sondern er behielt sie allesammt bei sich. Daß es aber recht große Gedanken waren, nahm er daraus ab, daß er immerdar wünschte, ein recht großer und vornehmer und reicher Mann zu werden, vor dem die Leute den Hut abnehmen müßten, und der sich alle Tage gütlich thun könnte ohne zu arbeiten. Er blieb aber derweil wer er war; nämlich ein kleiner Bauer, aber mit großen Gedanken.

[393] Eines Tages hatte er mit seinen zwei magern Ochsen ein Fuderchen Holz in die Stadt gefahren, und es bei einem vornehmen Arzenei-Doktor für zwei Thaler verkauft. Als ihm nun die zwei Thaler ausgezahlt wurden, saß der Doktor gerade zu Tisch und aß und trank das Schönste und Beste, und die Stube, worin er saß, war so prächtig und herrlich.

Da kroch der erste große Gedanke aus dem Kopfe des Krebses heraus und er dachte, wenn ich so ein Doktor könnte werden, da hätt' ich es gut! Daß ers aber werden konnte, wußte er wohl, aber nur das wußte er nicht, wie er es anfangen sollte.

Also blieb er noch ein Weilchen stehen, faßte sich ein Herz, und fragte endlich den Doktor, ob er nicht auch ein Doktor werden könnte? – er möchte es gar zu gern werden!

»Ja! sagte der Doktor, wenn du das Geheimniß weißt, so ist es leicht geschehen. – Dir aber will ichs vertrauen.«

»Du mußt deine zwei Ochsen und den Wagen verkaufen. Dafür kaufst du dir ein Abecebuch, es muß aber in Goldpapier gebunden sein, und hinten auf der letzten Seite inwendig muß der rothe Göckel- oder Kikelhahn stehn, der das Wickelkind im Schnabel hat, und es zur Schule hinträgt. Ein solches muß es sein, sonst hilfts dir zu nichts. Es kostet aber viel Geld, nämlich achtzehn Pfennig.«

»Alsdann laß dir ein Schild mahlen, und darauf schreiben: ›Hier wohnt der Doktor Allwissend.‹ Das Schild kostet noch mehr als das Buch, und wohl noch mehr als acht oder zwölf Groschen. Aber haben mußt du es doch!«

»Hierauf schaff dir ordentliche Kleider an, nämlich einen rhabarberfarbnen Rock und eine geblümte Weste, bis über die Knie reichend, damit du recht vornehm und weise aussiehst, denn du bist freilich wohl schon weise, aber du siehst doch nicht so recht darnach aus, worauf doch eigentlich Alles ankommt. Der Rock aber wird das denn schon machen.«

[394] Diese drei Dinge sind die Hauptstücke. – Willst du, so magst du in die Apotheke gehn, und dir die und die Arzneien kaufen. Die kannst du mengen und mischen unter einander, wie dirs gefällt, denn es kommt nichts darauf an, obwohl es zur Doktorei auch ein klein Bißchen gehört. Und wenn du nicht weißt, wo aus noch ein, so nimm ein ganz klein Gläschen frisch Wasser und laß etwas drunter thun, daß es gefärbt aussieht, und ein wenig gut riecht. – Merk's dir. Davon werden 20 bis 30 Tropfen verordnet, aber beileibe nicht mehr, denn sonst könnt es gefährlich werden und der Kranke darüber kaput gehen. Hilfts denn der Krankhei nicht ab, hilfts doch der Dokterei zu.

Der Bauer that denn, wie ihm geheißen war worden, gar gewissenhaft.

Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch nicht viel, da wurden einem reichen Grafen viele Säcke mit Gold gestohlen, und es wurde nicht herausgebracht, wo die Dukaten möchten hingekommen sein, obwohl man viel nachfragte und große Belohnung darauf setzte, denn die, welche es wußten und sie hatten, sagten kein einziges Wörtchen.

Nun hieß es: der Doktor in dem und dem Dorfe, der müsse es wissen wer das Geld habe, denn er heiße:der Doktor Allwissend, und also müsse er Alles wissen.

Der Graf dachte: »Das ist wahr!« und ließ den Wagen anspannen und fuhr ins Dorf und fragte, ob Er der Doktor Allwissend sei?

»Ja freilich; Der bin ich, antwortet der Doktor. Wer sollte es denn sonst sein als Ich?«

Da erzählt ihm der Graf, er sei bestohlen um großes Geld, aber die Diebe könne er nicht herausbringen, denn die sagten kein Wort. Der Doktor möge doch mitkommen und es untersuchen, denn Hausdiebe würdens wohl sein. Das wurde denn auch verheißen, aber [395] seine Frau, die Grete, müßte auch mit, sagte der Doktor Allwissend. – Denn die Grete war gar schlau und gab ihm immer den besten Rath.

Grete durfte denn mit, und hatte ihre beste Mütze aufgethan und ihre beste Schürze angethan, indem sie doch nun eine Doktorfrau geworden und sogar zu einem Grafen mitfuhr.

Als sie ins Grafenschloß kamen, war die Tafel gedeckt, und der Doktor mußte zuvor erst mitessen, und die Grete, seine Frau, mußte auch mitessen. – So setzten sie sich denn zu Tische.

Als sie nun aßen, kommt der erste Bediente mit einem herrlichen Gericht, welches dem Bauer gar lieblich in die Nase roch. Der stößt der Grete in die Ribben und spricht: »Kuck einmal, Grete! es ist das Erste.« Er meinte nämlich, es sei das erste Gericht, der Bediente aber, der mit den andern Bedienten das Geld gestohlen hatte, und schon vorher in Furcht war, meinte, der Doktor habe gesprochen: Er sei der erste Dieb. Das sagt er den andern Bedienten, die darauf allzumal in große Furcht mit geriethen.

Als der zweite Bediente das zweite Gericht brachte, stieß der Doktor die Grete wieder an und sagte: »Du, Grete! das ist das zweite!« Da machte der Bediente, daß er wieder hinauskam.

Dem dritten Bedienten war es nicht besser gegangen.

Der vierte Bediente brachte jetzt eine verdeckte Schüssel, und der Bauer sollte nun sagen, was in derselben wäre, da er einmal der Doktor Allwissend sei. Aber er konnt es nicht wissen und sprach in der Angst: »Du armer Krebs, was fängst du nun an?«

Richtig! Er hatte es getroffen, denn Krebse waren in der Schüssel, und der Graf war vor Erstaunen außer sich und rief: »Nun wenn er das weiß, so weiß er gewiß auch, wer das Geld hat.«

Aber der Bediente zupfte den Doktor heimlich an dem Rock, und gab ihm heimliche Winke, daß derselbe zu den Bedienten hinausging. Da gestanden die vier Bedienten, sie hätten das Gold gestohlen [396] und wollten es gern heraus geben, nur möchte er sie, um Gott, nicht verrathen, sonst kämen sie alle an den Galgen. Dabei versprachen sie ihm großes Geld, nämlich so viel sie nur hätten, und führten ihn an die Stelle, wo das Geld lag, womit denn der Doktor zufrieden war, und wieder hinein ging.

Als nun abgegessen war, sagte er: »Nun will ich in meinem Buche suchen, wo das Geld ist?« Damit suchte er in seinem Abecebuche nach dem Kikelhahn.

Es war aber noch ein fünfter Bedienter im Hause, der hatte sich den Doktor recht angesehen und hatte bei sich bedacht: »Der Kerl sieht dumm wie ein Ochse und ist tölpisch wie ein Bauernflegel, was willder eben wissen?« Er trauete jedoch nicht ganz recht, weil er ein böses Gewissen hatte, und kroch in den großen Ofen, um zu hören, was der Doktor wisse und herausbringen würde?

Da nun dieser nach dem rothen Kikelhahn suchte, und konnt ihn nicht finden und wendete ein Blatt nach dem andern um, indem er bei jedem Blatte die Finger an den Lippen naß machte, sagte er: »Ich weiß doch daß er drinnen steckt, und heraus will ich ihn auch schon bringen!«

Der Bediente im Ofen meinte, das gehe auf ihn, und sprang mit Angst zum Ofenloche hinaus und sagte zu den Andern: »der verwünschte Kerl weiß wahrhaftig Alles!«

Nun zeigte der Doktor dem Grafen wo das Geld lag, aber wer es gestohlen habe, das wollte er nicht ansagen.

Der Graf gab ihm viel Geld, die Bedienten gaben ihm auch was sie nur hatten und er wurde nun weit und breit berühmt, und durch seine Kuren immer reicher, wenn sie auch niemals halfen, denn wenn der liebe Gott nur half, so kam es auf seine Rechnung, als ob Er es gethan hätte.

[397] Genug, er wurde berühmt und reich, und also auch vornehm und groß und war und blieb der Doktor Allwissend.

Aber es hatten Einige gemerkt, daß er seine großen Gedanken blos aus dem Kikelhahn hervorbrachte, und sie nannten ihn nur den Doktor Kikerikiki. Er aber machte sich gar nichts daraus und nannte sie nur»dumme Peter« und blieb doch immer was er war, nämlich der Doktor Allwissend.

Der WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[398] Der Wundervogel.

Es lebten einmal in einem Lande sechs Jünglinge, die waren mit einander aufgewachsen und zusammen in die Schule gegangen, und hatten sich von Grunde des Herzens lieb. Der eine war ein gewaltiger Rechner geworden und hatte schon ausgerechnet, wie lange der liebe Gott leben könne; der andere war ein Schreiner (Tischler) geworden und bauete so wundervolle Schränke, so wundervoll, daß sie von selbst immerdar mit Kleidern aller Art und mit allerlei Eßwaaren sich anfüllten; der dritte war ein Maler, der Menschen und Thiere so natürlich malte, das sie lebendig wurden und ihm oftmals davon liefen, wenn er sie nicht mit tüchtigen Stricken an die Hauspfosten anlegte der vierte war ein Arzt, dem es ganz einerlei war, ob ein Todter schon ein halb Jahr oder noch länger im Grabe lag, er konnte Beides, den Todten wieder lebendig und gesund machen; der fünfte war ein Schmidt, dem es ein Spaß war, himmelhohe Felsen auf seinen Ambos zu legen und mit zwei Schlägen seines Hammers in Staub zu verwandeln, und es machte ihm gar nichts aus, wenn auch die Felsen gar nicht da waren, er zerpulverte sie dennoch; der sechste aber war Nichts, weil er keine Kunst gelernt [399] hatte; aber er brauchte auch keine und war dennoch sehr Viel, denn er war begütert.

Auf einmal gefällt es den Jünglingen in der Heimath nicht mehr, sondern es treibt und es drängt sie so sehr, und sie müssen die Welt sehen. Da reisen sie mit einander fort, und sehen Menschen und Schafe, Bäume und Sträuche, ein paar Berge und Bäche, blauen und bewölkten Himmel, und ob es wohl auch eben nicht viel anders war als zu Hause, standen sie doch da und dort voll Bewundrung still und schauten mit großen Augen und mit weit geöffnetem Munde drein – denn der Mund mußte mitschauen helfen – und sprachen: »Welch eine schöne Natur!« – Sie waren nämlich aus der neuesten Schule.

Endlich stand ihnen das Zusammenreisen gar nicht mehr an weil sie alle mit einander immer nur Ein und dasselbe sahen, Jeder aber gern etwas Eignes und Besondres sehen wollte, so beschlossen sie denn sich an irgend einem Orte zu trennen, wo sie sich leicht könnten wiederfinden.

Als sie nun zu einem Flusse gekommen waren, der sechs Mündungen hatte, beratheten sie sich. Jeder von ihnen wollte an einer der Mündungen stromauf gehen und sich Alles besehen, allein zu einer gewissen Zeit wollten sie sich wieder an der Stelle versammeln, wo sie jetzt waren.

Ehe sie aber von einander gingen, pflanzte Jeder einen Baum, den er seinen Lebensbaum nannte; denn so lange der Baum grüne, sollt es ein Zeichen sein, daß es dem, der ihn gepflanzt hatte, wohlgehe; wäre der Baum aber verwelkt, so wär es ein Zeichen, es gehe ihm übel und vielleicht sei er gar todt, und die Andern sollten ihn dann nach der Gegend hin suchen, nach welcher er zugegangen wäre.

So trennten sie sich.

Der begüterte Jüngling fand bald eine Quelle und einen schönen Lusthain dabei, und in dem Haine ein sehr hübsches Haus. [400] Vor dem Hause saßen ein ehrwürdiger Alter mit einer Alten, die fragten: »Jüngling, wo kommst du her, und wo willst du zu?« – Der Jüngling antwortete: »Ich komme weit her und will mir die Welt ein wenig besehen.«

Die Alten sahen sich den Jüngling recht an und sprachen darauf: »Bleib du bei uns, mein Sohn! Die Welt ist überall die Welt und sie ist es auch hier. Du siehst uns so gut und so fromm aus und wir haben keinen Sohn; aber wir haben eine Tochter, die ist gewiß recht sehr gut und sehr hübsch, die wollen wir dir geben, wenn sie deinen Augen gefällt, und Geld und Gut dazu, so viel du nur magst, denn wir haben Alles, nur keinen Sohn!«

Der Jüngling bedachte sich nicht lange und blieb bei den Alten und als er die Tochter erblickte, ward ihm sein Herz sehr bewegt, und er sagte bei sich: »Wie gut hab ich gethan, daß ich die Heimath verließ! Dieß holde Kind ist tausendmal schöner, als die Schönste unter den Feen, und er bat die Alten um die Tochter, die sie ihm gern gaben, um so mehr, weil auch dem Mädchen der Jüngling gefiel, den es für den schönsten unter allen Jünglingen hielt.«

So blieb denn der Jüngling gar gern und lebte mit den Alten und mit seinem lieben und schönen Weibe ruhig und froh.

Eines Tags hatte die junge Frau beim Baden ihre wunderschönen Ohrengeschmeide am Ufer abgelegt und vergessen, und auch die köstlichen mit Perlen geschmückten Armspangen, und als sie dieselben an der Stelle suchte, wo sie von ihr waren hingelegt worden, waren sie fort.

Es hatten aber nach ihr an derselben Stelle die vornehmen Diener des Fürsten gebadet, der ein so gewaltiger Fürst war, daß er gar nichts nach Unterthanen, Rechten und Gesetz fragte, denn sein Wille war Gesetz und Recht.

Die Diener fanden die herrlichen Geschmeide und brachten sie dem Fürsten, der sie mit Erstaunen betrachtete und nach der ihm angebornen [401] Weisheit sogleich herausbrachte, so prächtige kunstvolle Geschmeide müßten einem Weibe angehören, das noch viel schöner wäre als die Geschmeide, und unter allen Weibern das schönste in der Welt.

Es versteht sich, daß er solch eine Schönheit sogleich zu seiner Gemahlin erkohr, und dagegen seine jetzige Gemahlin, die er immer bisher für ein Wunder von Schönheit gehalten hatte, ganz absetzen wollte.

Die Diener bekamen Befehl, gegen den Ursprung des Flusses hinaufzuziehen und die Frau zu suchen, der die Geschmeide gehörten »Fürchtet meinen Zorn, sprach der gewaltige Fürst, und kommt nie wieder vor meine Augen, wo ihr das Weib nicht mitbringt.«

Sie fanden die Frau bald und wurden von ihrer Schönheit geblendet. »Komm, sagten sie zu ihr, der Fürst will dich haben!« – Das arme Weib sträubte sich zwar und weinte und bat, denn es wollte von dem Jüngling nicht lassen, aber es half nichts. Und der Jüngling klagte und flehte weinend und mit Händeringen: »Laßt mir, o laßt mir mein Weib!« Die Diener aber antworteten: »Dummer Mensch! Was der Fürst will, das will er, und damit kannst du zufrieden sein!« – Er konnt' es ja aber gar nicht.

Als die Frau vor den Fürsten gebracht wurde, ward er entzückt und sprach: »Schafft meine Gemahlin fort; sie ist gegen diese ein Saurüssel.« – (Er war starker Ausdrücke gewohnt, denn er hatte sich darin immer gegen seinen Hof geübt).

»Ich nehm' dich zu meiner Gemahlin,« sprach er zu der Frau. Die treue Seele aber sagte ganz unschuldig, sie möchte ihn nicht haben, denn sie hätte schon einen Mann, von dem könne sie nun und nimmermehr lassen.

Der Fürst wurde grimmig und wild, denn nie hatte noch Jemand gewagt, ihm widerspenstig zu sein, es half ihm aber nichts. Sie weinte nur und sagte: »Ich kann ja nicht!« Da wurde er [402] selbst weich und der zornige, herrische Mann hätte bald mitgeweint, denn ihre Thränen bewegten ihn tief und sehr.

So bat und flehete er denn wehmüthig um ihre Liebe und sagte: »So nimm mich doch nur; du sollst mich gewiß noch lieb haben!« aber es half ihm nichts. So stellte er ihr nun seine Fürstenmacht und Pracht vor und was für eine große Frau sie werden würde, aber – es half ihm nichts. Da wurde er wüthend und rasend und drohete, sie mit Feuer und Schwert zu vertilgen, – aber es half ihm nichts. »Ich kann nicht, ich kann ja nicht!« war ihr einziges klagendes Wort.

Da ließ der Fürst den Jüngling von seinen Dienern umbringen, denn er hoffte, wär' der erst aus dem Wege, so werde Alles viel besser gehn.

Die Diener tödteten den Jüngling, legten ihn in eine Grube und wälzten ein großes Felsstück darauf, aber es ging nicht besser.

Als die verabredete Zeit gekommen war, versammelten sich die Wanderer zu ihren Lebensbäumen, und alle ihre Lebensbäume standen so frisch und so grün, nur der Baum ihres lieben Gefährten war ganz welk und sogar dürre. Sie gingen den Fluß hinauf, ihn zu suchen, aber sie fanden ihn nicht. Da rechnete der Rechner es aus, daß der Jüngling getödtet und an der und der Stelle in eine Grube versenkt sei, über weicher ein großes Felsenstück läge. – Da fanden sie ihn bald.

Aber den Felsen konnten sie nicht wegschaffen. Da nahm der Schmid seinen Hammer, schlug zweimal auf das Felsenstück, und es flog in Staub auf. Der Schmid zog den Todten aus der Grube herauf. – Aber leider, der Todte war todt!

Da kam der Arzt und bereitete ein Wasser und einen Saft. Mit dem Wasser wusch er den Leichnam, und von dem Safte brachte er demselben ein paar Tropfen, und dann noch einmal, und wieder noch einmal ein paar Tropfen zwischen die Lippen, und wieder noch [403] ein paarmal. Und der Todte fing an leise zu athmen, die Glieder fingen an zu zucken, sie regten sich dann, und nach wenigen Stunden war der Jüngling zum vollen Leben wieder erwacht.

Nun erzählte der Jüngling, wie es ihm gegangen, und wie er so grausam um sein holdes liebes Weib gekommen sei durch des Fürsten Gewaltthätigkeit, der ihn hätte tödten lassen und seine Frau bei sich behielte, ob sie schon lieber bei ihm wäre.

Da hielten sie Rath, wie sie dem bösen Fürsten das Weib möchten entführen, aber da sie allesammt keinen Rath fanden, sprach der Schreiner: »Ich will schon Rath schaffen.«

Und der Schreiner machte einen großen Wundervogel einen Garudin (oder Phönix), so einen, wie man auf der Erde nicht trifft. Der war so eingerichtet, daß er zwei Wirbel hatte, und je nachdem man den einen oder den andern Wirbel drehete, je nachdem flog der Vogel höher oder tiefer, gerade aus oder seitwärts.

Aber der Vogel, so künstlich er war, sahe dennoch nach gar nichts aus, und schien ein bloßes Stück Holz, und ob er schon überall hinfliegen konnte, hätte ihn doch Niemand für einen rechten Vogel gehalten, denn ihm fehlten die Federn, woran man ja, nach altem Wort, die Vögel erkennt.

Da half der Maler, und malte den Vogel so künstlich und trefflich an, daß ihn alle Welt für einen lebendigen Vogel hielt.

Der Jüngling erhob sich hierauf mit dem Vogel, in dessen Bauch er sich verbarg, hoch in die Lüfte, umschwebte das platte Dach der fürstlichen Wohnung und ließ sich drauf nieder. Der Fürst und seine Diener sprachen: »Von so einem Vogel haben wir niemals etwas weder gesehen noch gehört. Der ist gewißlich vom Himmel gekommen.«

Der Fürst aber sprach zu der Frau des Jünglings: »Begieb dich aufs Dach, und biete dem Vogel mancherlei Speise, damit er sich aussuche. Von deiner Hand wird er am liebsten es annehmen.«

[404] Ihr sagte ihr Herz schon, wer der Vogel sein könnte, denn sie hatte immer auf den Jüngling gewartet, der ihr so viel und mancherlei von den kunstreichen Reisegefährten erzählt hatte. Jetzt war er da und gab sich ihr zu erkennen.

Da stieg sie mit ihm in den Bauch des Wundervogels hinein, der sich nun in die Luft erhob. Der Fürst sahe das, und sahe es jammernd, und meinte, weil sie zu schön und zu gut für diese Erde gewesen sei, habe sie der Himmel gen Himmel geführt.

Ach! der Jüngling und seine Gattin dachten auch, sie wären nun im Himmel, da sie sich wieder hatten, aber es wurde ganz anders.

Die Schönheit hat schon Vielen die Köpfe verrückt, daß sie die Zeit und das Leben und Geld und Gut darauf gewendet und dran gesetzt haben. So ging es hier auch.

Als der Jüngling zur Erde herabgekommen war, und die Gefährten das himmelschöne Weib sahen, wollte es Jeder für sich allein haben, und sie hörten allesammt nicht auf den flehenden Jüngling, sie möchten ihm doch die Holde nicht wieder rauben, die sie ihm ja eben erst wieder verschafft hätten. Aber sie hörten nicht drauf denn wenn auch ihre Ohren nicht taub waren, so waren es doch ihre Herzen. Mit Einem Worte, sie waren Alle bei dem Anblick der Frau fast halb rasend geworden.

Der Rechner sprach: »Die Frau gehört mir, mir ganz allein! Hätt ich nicht berechnet, wo der Jüngling lag, so hätte ihn keiner von Euch gefunden, und seine Gattin wäre im Palaste des Fürsten geblieben.«

»Hoh! hoh! sprach der Schmidt, mir muß sie gehören, denn dein Rechnen hätt es niemals gemacht. Ihr hättet das Felsstück alle zusammen nicht weggebracht, wo nicht ich es zertrümmert hätte.«

»Nein, mir muß sie gehören, sprach der Arzt. Was half dein Rechnen, du Rechner, und dein Felsenzertrümmern, du Hammerschmidt? [405] Es wurde eine Leiche aus der Grube gezogen, die ich erst lebendig gemacht habe.«

»Possen! sprach der Schreiner, das Weib will Ich haben. Der Jüngling konnte tausend Jahr leben, und wäre niemals zu seinem Weibe gelangt, hätt ich nicht den Wundervogel geschaffen.«

»Dem hab Ich erst Leben durch die Farbe gegeben, sagte der Maler, sonst hätte dem todten Holzstock wohl nie Jemand Speise gebracht. Ich verlange das Weib.«

So sagten und stritten sie gegen einander gar entrüstet und heftig, und hörten nicht des Jünglings und seiner Gattin flehende Bitten, obschon sie so lange Freunde gewesen waren.

Da sie nicht einig konnten werden, fuhren sie mit ihren langen Messern wüthend auf einander los, und blieben Alle kläglich auf dem Platze.

Ich weiß nicht, wer von den Unglücklichen das meiste Recht hätte gehabt, so lange der Jüngling noch lebte, ich denke aber immer, eben der hatte es, nicht nur am meisten, sondern allein. Ihr mögt es jedoch ausmachen.

Aber die arme junge Frau ging hin, und trug Leide! Leide! um ihren lieben Jüngling, und folgte ihm bald nach.

Da hatte der Jüngling sie doch!

Der tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[406] Der tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut Kartenspiel.

Es war einmal ein alter reicher und großer Herr, der hatte ein einziges Töchterlein, das war wunderschön, und die schönste Jungfrau im ganzen Lande, die wollte er verheirathen, ehe er stürbe, es war aber kein Freier da. Darüber könnte man sich freilich wohl wundern, denn auf die bloße Schönheit allein bekommt ein Mädchen meistens schon einen Freier, und wenn es so übermenschlich reich ist, wie unser Kind, so hat es die ganze Welt zu Freiern. Warum hatte denn nun unser Jungfräulein keinen?

Damit hatte es seine eigene Bewandniß. – Unser alter Herr wollte sein Töchterlein gern Jedem geben, und wär' er auch gemeiner Leute Kind, aber es galt eine Probe der Herzhaftigkeit.

Der alte Herr war einmal in früherer Zeit eine herzhafte Kriegsgurgel gewesen, und hatte sich aus Bomben und Granaten gar nichts gemacht, und ehe ihm nicht das Schnupftuch in der Tasche brannte, wich er keinen Haarbreit von seiner Stelle. Weil er nun [407] selbst so herzhaft gewesen, so dachte er, wer nicht herzhaft sei, sei gar kein rechter Mann, und einen solchen sollte sein Töchterlein nicht haben. – Ich denke, daß er wohl etwas recht hatte.

Die Probe, welche er aufgab, war aber die, drei Nächte in seinem alten Schlosse zu wachen, in welchem zwar keine Seele wohnte, aber alle Nacht wohnte und hauste ein Höllenlärm darin mit Rasseln und Prasseln, als sollte das ganze Schloß untergehen.

Nun fanden sich zwar Freier in Menge, aber da sie hörten, welch eine Probe sie ablegen sollten, so schlichen sich Viele davon und sagten, der alte Kerl sei ein Narr mit seiner Probe, denn was brauche man denn der Herzhaftigkeit? Wenn man nur so viel Gegenwart des Geistes behalte, in der Gefahr hurtig davon zu laufen, so sei das genug und übergenug. – Einige Freier wagten sich des Nachts ins Schloß, aber kein einziger kam wieder heraus, obwohl sie hineingekommen waren. Da geschahe es denn, daß wohl in einem ganzen Jahre kein Freier sich weiter meldete.

Nun war ein junger und hübscher Bursch, der hatte Herz für zehn Mann und noch mehr, und war gar arm. »Willst dich zum Freier melden, sagte er; hast nichts zu verlieren in der Welt, kannst aber viel gewinnen, und – – vielleicht ist Dir es beschieden.«

So stellt er sich denn von dem alten Herrn hin und spricht, er wolle das Töchterlein gern haben und auch drei Nächte im alten Schlosse wachen, denn davor fürchte er sich gar nicht.

Der junge hübsche Bursch, der so keck da stand, gefiel dem Alten und dem Töchterlein gefiel er auch und Beide wünschten, es möcht ihm das schwere Werk gelingen.

»Du darfst dir noch etwas mitnehmen ins Schloß, sagte der alte Herr, aber es müssen leblose Dinge sein.«

Da bat sich der junge Bursch eine Schnitzbank aus, eine Drehbank und Feuer, welches alles ihm auch ins Schloß in einen großen hohen Saal getragen wurde.

[408] Als es nun anfing dunkel zu werden, geht er selbst auch hinein, macht sich sein Feuer an, stellt die Schnitzbank mit dem Schnitzmesser daneben und setzt sich auf die Drehbank.

Anfangs war es ganz stille im alten Schlosse und es rührte sich keine Maus. Als es aber gegen Mitternacht kam, fings an zu rumpeln und zu rauscheln. Erst sachte, ganz sachte, dann stärker und immer noch stärker und zuletzt so arg, daß Alles knallt und knackt, Piff, Paff! He! Holla! Halloh! Krik! Krak! Knarr! Puff! und immer ärger und ärger.

»Wenns weiter nichts ist, sagte der Bursch, so rasaunt nur so viel euch gefällt. – Das kann ich schon leiden!«

Jetzt aber ist es auf einmal ein klein Bißchen stille. Darnach raschelts im Schornstein, und endlich kommt ein Bein aus dem Schornstein und tritt auf und stellt sich gerade vor den Burschen hin.

»Hedah!« ruft der; auf Einem Beine steht man nicht, – noch eins her!

Da kommt noch ein Bein aus dem Schornstein herab und stellt sich auch vor ihm hin.

»Nun sinds zwei, sagt der Bursch, nun ists gerade genug!« Es kam aber noch ein Bein und wieder noch eins und immer so fort, bis ihrer neun waren.

»Aha! sagt er, das geht auf Kegelspiel los; das spiele ich gern; – aber schafft auch die Kugeln.«

Da lärmt und tobt es entsetzlich und es fallen zwei Köpfe herab aus dem Schornstein.

»Gut, spricht er, nun können wir spielen, aber die Kugeln sind mir nicht rund genug.« Damit nimmt er die Köpfe und setzt sie in die Drehbank und dreht sie rund. »So seid ihr recht!« sagt er, und stellt die Beine ordentlich wie Kegel auf und bosselt mit den Köpfen darauf hin und ruft: »So geht es gar herrlich!«

[409] Da aber kamen drei große schwarze Kater, mit feurigen Augen, die gingen ums Feuer herum, aber weit davon, und thaten ganz kläglich und schrien: »Huh! wie uns friert! wie uns friert! Au! au! miau! wie uns friert!«

»Narren! so setzt euch ans Feuer und wärmt euch! sagt unser Bursch; Ihr braucht ja gar nicht zu frieren!«

Da setzten sich die Kater hin, und als sie sich gewärmt hatten, sagten sie: »Kamerad! wollen ein wenig in der Karte spielen, die Zeit zu vertreiben.«

»O ja! sprach er, das können wir machen; aber da muß ich euch erst die garstigen langen Nägel verschneiden, sonst häkelt ihr die Karten zu Schande und könnt nicht einmal ordentlich ausspielen.« Damit packt er sie beim Fell ins Genick und hob sie auf die Schnitzbank, wo er ihre Pfoten fest schraubte. Sie fingen erbärmlich an zu schreien, er aber schlug ihnen die Köpfe ein, und trug sie ein in einen kleinen Teich im Schloßhof.

»Da habts, ihr Bestien! sagte er; ihr sollt mir nichts mehr anhaben! Ja freilich! wenn der Teufel eine Maus wäre, da könnte ihn jedes Kater leicht fressen!«

Als er nun mit den Katzen fertig war, und wieder in den Saal zurückgekehrt, setzte er sich zum Feuer, weil es in selbiger Nacht sehr kalt war. Aber da kamen viel schwarze Hunde und Katzen aus allen Winkeln und Ecken und machten ein greuliches Gelärm im Saale, schrien, queilten, heulten und bellten, zerrten ihm seine Feuerbrände auseinander und wollten ihm das Feuer ganz auslöschen. Er warnte sie zwar, die Narrenspossen bleiben zu lassen, aber das half ihm zu gar nichts. Da nahm er sein Schnitzmesser und hieb kräftig ein. Hier gabs eine Kopfwunde, dort ging ein Fuß oder ein Schwanz verloren und Viele blieben todt auf dem Platze, und was nicht todt blieb, das stob oder schlich sich davon. Die Todten trug [410] er abermals in den Teich, und blies hierauf sein Feuer wieder an, und ärmte sich aus.

Darnach war er sehr müde und legte sich in ein großes hübsches Bette, welches in einer Ecke stand. Als er aber eben anfing einzuschlafen, fängt das Bett an zu fahren, wie wenn es eine Kutsche wäre, und fährt im ganzen Schlosse herum, Trepp auf, Trepp ab, auf Boden und Säle, in Küchen und Keller.

»Das geht hübsch! rief er; so habe ichs gern! – Nur noch ein Bißchen geschwinder.«

Jetzt ging es, wie im Sturm, herauf und herunter, gerade und schief, Hopp! Hopp! Ho! Hoh! bis endlich das Bette umschlug, das Oberste zu unterst.

»O nein! sagte er, das Fahren versteht ihr nicht;« stieg aus dem Bette auf und legte sich zu seinem Feuer, und schlief nun ruhig und ungestört, bis in den Tag hinein.

Als nun der alte Herr den andern Tag ins Schloß kam, und ihn so recht fest schlafen sah, meint er, es sei ihm übel gegangen und sagte wehmüthig: »Der hübsche Bursche ist auch todt!« Der aber war nicht todt, sondern lebte noch und erwachte, weil er nun ausgeschlafen hatte.

Deß war der alte Herr gar höchlich erfreut, und der junge Bursche erzählte ihm, wie Alles gegangen sei, und hielt noch zwei Nächte im Schlosse aus, wo Alles fast eben so ging, als in der ersten Nacht.

Da die drei Nächte überstanden waren, bekam der junge Mann das schöne reiche Kind, und war mit ihm gar überglücklich und froh, und es war es mit ihm auch. Am allerglücklichsten aber war der alte Vater.

Daß die Hasenherzen, die nicht ins Schloß gemocht hatten, nun spotteten und kluge Gesichter und mancherlei Auslegung machten, das kümmerte die drei Glücklichen nicht.

Die NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[411] Die Nebelkappe.

Die Hannse kommen freilich, wie Ihr schon gelesen habt, gar häufig durch ihre Dummheit fort, aber allemal doch nicht, zumal dann nicht, wenn sie dabei hochmüthig sind. Ich denke immer, der Hochmuth schadet ihnen dann mehr, als die Dummheit. – Lasset es uns sehen.


Der Niklas (auch ein Hanns, wiewohl er Klas hieß) war schon in der Schule ein witziger Junge, der es im funfzehnten Jahre allbereits bis zum Buchstabiren gebracht hatte (versteht sich, daß der Schulmeister ordentlich nachhalf); und im Rechnen war er so weit, daß er die Zahl Zehn schon mit 01 schreiben konnte; im Schreiben aber war er so gelehrt, wie die großen Gelehrten, deren Handschrift kein Mensch lesen kann, und sie selbst zuweilen auch nicht, aber die größesten Gelehrten, wie gelehrt sie auch schreiben konnten, übertraf er hierin doch Alle zusammen, denn seine Handschrift war lauter Malerei mit Kreide und Kohle, an Wänden und Thüren.

[412] Das Wesen im Hause wollte ihm nicht schmecken, außer zur Mittagszeit, und nur im Winter, wenn die Schlachtzeit mit dem Wellfleisch und den Würsten kam, war er dabei. Mit dem Felde macht er sich auch eben nicht mehr zu schaffen, als daß er zuweilen ein Paar Metzen Kartoffeln ausnahm, um sie in der Asche zu rösten und zwischen den Mahlzeiten, nach dem Frühstück und dem Vesperbrot, nebenbei aus der Asche zu verzehren. Am liebsten war er im Walde, Vogelnester zu suchen und Brombeeren, Himbeeren, Erdbeeren, wilde Süßkirschen, Nüsse und Elsebeeren zu pflücken, und darnach zur Erholung unter einem Baum auf weichem Rasen zu schlummern.

Niklas kannte seine Gaben und wollte ganz hochgelahrt werden, daher verlangt es ihn immer nach Nürnberg, wo sie Alles hatten, und also auch hohe Gelahrtheit. Der Vater aber ließ ihn nicht hin und sagte ihm, er sei ein Brummochse. Da brummte Niklas denn wirklich, und dachte, der Vater verstehe den Henker davon!

Als der Vater gestorben war, sagt er, nun wolle er in die Stadt gehen, und recht weise und hochgelahrt werden, ehe acht Tage ins Land kämen, denn weil er den Verstand schon lang hätte, brauche er nur noch die Weisheit und Gelahrtheit. Die Verwandten laufen zusammen und wollen ihm steuern und wehren. »Geh nicht, Klas, sagen sie, du kommst dort übel an, denn in der Stadt sind sie pfiffig und schlau. – Bleib bei uns, Klas, – bleib, lieb Klasmännchen: du kommst, weiß der Himmel, schlecht an!«

»Wie Ihrs versteht! sagte Klas, ich bin wohl schlauer als die!«

Klas nahm sein Geld – wohl an dreißig Gülden, welches gar viel war in der damaligen Zeit. Er zieht die blaue Sonntagsjacke von Fries an, den rothen Brustlatz von Kalmank mit blanken zinnernen Knöpfen darunter, die grünen weiten Beinkleider von Rasch wurden angethan und mit Bandschleifen von weißem Zwirnband am Knie gebunden; die gelben Strümpfe mit grauen Zwickeln stehen [413] den wohlgenährten Waden recht schön; die Schuhe sind mit Fischthran wohl eingeschmiert und die Zinnschnallen darauf, die ihm doch nur sechs Kreutzer kosten, glänzen wie vom feinsten Silber. Er setzt den Achtgroschenhut auf, und steckt die zwei schönsten Sichelfedern darauf, die der Kikerihahn auf dem Hofe aus seinem Schwanze hatte hergeben müssen. Dann nimmt er den herrlichen großen, aus dem Walde geschnittenen Schlehdornenstock, dem er ringelweis die Schale abgeschält hatte, daß er weiß und dunkelgrau aussah, und nun, da Alles fertig ist, geht er nach der Stadt und hebt die Beine hoch und vornehm auf.

»Die sollen einmal das Maul aufsperren, die Leute in der Stadt, wenn ich hereinkomme,« denkt der Klas und hatte wahrhaftig recht gedacht, denn als er kam, sperrten sie es weit auf und sagten: »das ist ein Esel, ein dummer Dorfteufel!« Er aber hört nichts davon, und denkt, sie bewundern und loben ihn sehr.

Er geht in das Gasthaus zum grünen Esel, denn das Schild zog ihn sehr an, und er meinte, es sei das beste Gasthaus der Stadt. Das wars aber gar nicht, denn nur Lumpengesindel kehrte darin ein.

Er sieht sich in der Gaststube um und bewundert Alles in seinem Herzen, obwohl eben gar nichts Bewundernswerthes darin war, aber es war doch viel anders, als auf seinem Dorfe.

Da sitzen drei Lumpenhunde an einem Tische, mit abgeschabten Röcken und leeren Taschen und Magen, aber mit hochweisen Mienen. Die sehen es dem Niklas gleich an, weß Geistes Art und Gelahrtheit er ist. Sie waren überall das Land durchstrichen, hatten sich für hochweise, wohlerfahrne Leute ausgegeben, hatten Manchen hinters Licht geführt, und solche Menschenkinder, wie Niklas war, die hatten sie gleich weg. – Man nannte sie damals fahrende Schüler.

[414] »Setzt Euch zu uns, liebster Herr, sagten sie zu ihm, denn Ihr habt wohl auch viel erfahren und gesehen, wie wir, und seid wohl auch weit her.«

»Ja, weiß Gott, das bin ich, sagte Klas: bin fünf Stunden weit her, aus Kraks dort hinten vor, und habe unterwegs Alles gesehen.«

»Ei, das ist ein Vieles! sagten sie, – so rückt denn doch näher, damit wir Eurer angenehmen Gespräche um so leichter genießen.«

Er setzt sich zu ihnen hin und hört sie von den Wunderdingen erzählen, die sie da und dort gesehen, gehort und erfahren hätten, in Ländern mit wundersamen Namen.

»Das sind gewaltige Leute, denkt Klas, die sind noch weiter gewesen als du, und von solchen muß man schon etwas lernen.«

Da läßt er sich denn Braten und Fisch geben und Wein – Alles vom Besten, und bittet die Wundermänner mit ihm zu essen, damit er immer mehr von ihnen hören möchte. Darauf hatten die Wundermänner in der That es abgesehen, und wenn sie vorher so viel Maulwerk von ihren Fahrten machten, so wars gar nicht deshalb, weil sie das Maul schon abgefüttert hatten, damit es dafür auch ordentlich sprechen könnte, sondern sie ließen es erst sprechen, damit es sich das Futter dadurch verdiene. Das fand sich denn auch, wie sie es schlau hatten berechnet.

Der Niklas hatte sie gebeten, seine Gäste zu sein, und sie hatten es angenommen, aber bloß ihm zur Liebe, weil er so artig und gefallig sei, und so aufmerksam zuhorche und so verständig sei, was sie nicht überall gefunden hätten. Sie selbst brauchten sehr wenig, und lebten fast mehr von der Luft, als vom Essen; besonders aber lebten sie von der Weisheit.

Und nun erzählten sie aus dermaßen, daß der Klas das Essen vergaß, so ein großer Freund er auch davon war, und während sie so erzählten, langten sie in Gedanken da und dort zu, und Niklas [415] ließ neue Schüsseln und neue Weinflaschen kommen, so sehr gefiel ihm die Erzählung der Wundermänner, die ihn so hoch beehrten.

Weil sie ihm nun als einem grundverständigen Menschen so wohl wollten, erzählen sie ihm nicht blos von den Wunderdingen, die sie gesehen hätten, sondern auch von denen, welche sie besäßen. Die wären aber allesammt daheim, bis auf Eines, das sie immer nöthig hätten, weil sie überall zu lernen und Alles erfahren müßten. Das sei eine alte unscheinbare Nebelkappe von Leder, die kein Mensch zu einem Kreutzer bezahlen würde, der ihre Tugend nicht wisse, aber wer sie wisse, der gäbe ein Königreich dafür. Wer die auf den Kopf stülpe, werde unsichtbar und könne überall hin, ohne daß Jemand ihn merke. Es wären solcher Kappen nur zwei in der Welt, und wenn sie in schlechte Hände kämen, würden sie groß Unheil anrichten. Sie hätten dieselbe von dem großen Weisen Merlin in Schotenland bekommen. Die andere Kappe könne aber auch keiner erlangen als sie. Sie aber hätten sie nicht nöthig, so lang sie beisammen blieben.

Da bettelte Klas nun, weil es doch zwei solcher Kappen gäbe, und sie ihm so gut wären, sie möchten die eine ihm ablassen – und er wolle den besten Gebrauch davon machen!

Da sieht ihm einer der fahrenden Weisen lang und ernst ins Gesicht und spricht dann zu dem andern: »Der junge Mann ist sehr weise und gut! Seid Ihr es zufrieden, so will ich ihm die Kappe geben. Ich denke, sie soll in gute Hände gerathen! – Ihr kennt die Bedingung, unter der wir sie ihm hingeben dürfen.«

Die Andern besannen sich lange im tiefsinnigen Schweigen. Dann sprachen sie zu dem Ersten: »Gib ihm die Kappe; er ist ja weise und gut. Aber gib sie ihm unter bewußten den Bedingungen.«

»Nimm sie denn hin, sagte der Erste zum Niklas sehr ernst und feierlich. Nie mache zum Hehlen und Stehlen falschen Gebrauch [416] davon, sondern nur zum Lernen und Schauen! Darauf gib Wort und Handschlag vor Gott dem Allwissenden! – Wir haben Eil und müssen fort.«

Er gab hurtig Wort und Handschlag und war tiefgerührt.

»Du mußt aber, hieß es weiter, zwanzig Gülden für die Koppe zahlen, denn du weißt ja, das 10 mal 2 zwanzig macht und fünfmal genommen Hundert ist. Du siehst also hierauf schon ein, da wir die Nebelkappe eben so hoch haben dem Merlin vergüten müssen, daß wir sie dir nicht wohlfeiler ablassen dürfen, und daß du sie auch keinem Menschenkinde weder um mehr, noch um weniger ablassen darfst, und verschenken darfst du sie gar nicht, selbst nicht deinem Sohne, wenn du einen hättest. – Wir hoffen, du begreifst das?«

»Gott ja! ich begreife es, und ich dank Euch gar schön und viel tausendmal, sagte der Klas, und zahlte die Gülden. Die Weisen aber drückten ihm die Hand, sprachen, er solle gut bleiben und die Kappe nicht mißbrauchen, und machten sich fort.«

Sinnend und schweigend hatte der Klas gesessen, als die Weisen schon lange fort waren. – »Na! denkt er, nachdem er sich ein wenig von dem Wundern erholt hatte, so will ich doch die Nebelkappe ein Bißchen aufsetzen und sehen, wie man sie gebrauchen muß, und will ein wenig unsichtbar in der Stadt herumschlenderiren.« Da setzt er denn seine Kappe auf und den Hut darüber, nimmt den schönen Stock in seine Hand und will sich in Nürnberg Alles besehen. Den Wirth wollt' er bezahlen, wenn er wieder käme.

Aber der Wirth hatte hinter dem Ofen im Winkel gesessen, und als der Niklas in der Nebelkappe davon wollte, denkt er, der will ihm entwischen, packt denselben bei dem Kragen und spricht: »Freundchen, Hundekerl, Dorfteufel – bezahle erst, Patron, so ist es hier Sitte!«

[417] Da spricht der Niklas: »Was lärmt Ihr denn so? Sehen könnt Ihr mich ja doch nicht, denn ich habe die Nebelkappe auf.«

»Ich will dich schon kappen, du Kappnarr, du Hollunke«, sagt der Wirth; pufft ihn mit seinen Fäusten und sagt: »nun siehst doch, daß ich dich sehe, du Fratz?« – und läßt sich acht Gülden bezahlen.

Da sahe der arme Niklas, daß er nicht unsichtbar war, und kam mit etwa zwei Gulden trübselig nach dem Dorfe, woher er gekommen war.

Ach! sie gaben ihm dort viel lächerliche und garstige Schimpfnahmen, als sie die Geschichte erfuhren, und Niklas war hoch betrübt.

Wohl würde er sich getröstet haben, hätte er nur gewußt, daß es hohen und weisen Männern zuweilen auch nicht anders ergeht, denn daß sie verlacht und verspottet werden, blos weil sie die Kappe aufhaben, anfangs auch eine Nebelkappe, dann eine andere.

[418]
Zweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

Zweiter Band.

[1] Gleichsam als Vorrede.

Daß das Mährchenbuch Beifall bei der Jugend und deren verständigen Freunden, so wie in öffentlichen Blättern gefunden hat, kann dem Verf. schon der ernstern Zwecke wegen nicht gleichgültig sein, welche er bei dieser Arbeit hatte, und die ja auch in diesem Theile wohl sichtlich genug hervortreten. Unter mehrern Beurtheilern, wäre er namentlich dem ihm unbekannten in der H.A.L.Z. der klaren und wahren Ansicht des Büchleins wegen, Verbindlichkeit schuldig, nur daß er sich hier derselben nicht wohl füglich entledigen kann. Einen Irrthum aber, welcher jedoch sehr nahe lag, hat Verf. zu berichtigen, den, daß in der von dem Hrn. Rec. ausgehobenen Stelle der Vorrede des 1sten Theils, keineswegs Recensenten, sondern gar andere Leute gemeint waren, – nämlich jene verrosteten, vertrockneten Seelen, die den Sitz und Quell des geistigen Lebens nicht kennen, und es dem lieben Gott als einen Mißgriff zeihen, daß er dem Menschen auch ein Bißchen Phantasie mit schönen bunten, flammenden, strahlenden und flatternden Lichtern und Bildern mitgetheilt hat, von welchen freilich aber die Schatten – oft recht finstere, unzertrennlich sind. Solcher Gottesbeßerer sind bis auf den heutigen Tag eben nicht wenige, und was sich bei ihnen nicht mit ihrer strohenen, saft und kraftlosen Vernunft vertragen will, der eben nichts weiter fehlt, als ein wenig Verstand –[1] ja das ist verdammliche Waare und muß verbrannt werden! – Alles Land der Erde muß mit Kartoffeln und Kraut bebaut werden, aber Blumen werden nicht gelitten. Der Verf. hatte diese Art, zum Theil wenigstens, wie er glaubte, in der Note S. IV der Vorrede bezeichnet, und rathet noch sich vor ihrem Brummen und Murren, Schelten, Toben und Wüthen zu hüten. – Uebrigens kann der Verf. gegen Recensenten, zumal gegen solche, welche wie die Seinigen, und insonderheit wie der Erwähnte, eine Einsicht in die Sache haben, über welche sie sprechen, und Billigkeit genug ihre eigene Ansicht nicht so ganz und gar und allemal für infallibel zu halten, – gegen solche kann er um so weniger hadern, da er mit ihnen, o seit vielen Jahren schon, an vielerlei Orten und Enden in ordentlicher Collegenschaft steht, obwohl er leider einige Zeit daher sich auf die Altmeister und Faulbank ausstrakelt, und nun zusieht, wie es Andere treiben, worüber er freilich mitunter seine eigenen Gedanken hat.

Ueber Vieles, was auch bei diesem Büchlein noch sonst in Rede gestellt werden könnte, scheint es dem Verf. dieses noch nicht an der Zeit, sich näher herauszugeben. Vielleicht daß Rath und Zeit, eben mit der Zeit wird. Der Himmel wolle indeßen vorerst nur aller Saalbaderei steuern und dazu alle braven und tüchtigen Recensenten und pädagogischen Männer sich laßen berufen fühlen. – Ach, es ist zuviel Land mit tauben Saamen besäet!


Den 11. Febr. 1820.

[2]
Das Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen
1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[3] [2]Das Buch der Mährchen.

[2] 1. Das Glückskind.

Ein armer Bauersmann, welcher Martin hieß, hatte zwei Kinder, die er gar herzinnig liebte. Es waren ein Sohn und eine Tochter.

Als er nun auf seinem Todtenbette lag, da rufte er sie Beide zu sich und sagte:

»Ihr herzlieben Kinder, ich muß nun von Euch scheiden; aber obgleich ich sterben muß, so lebt doch der liebe Gott immerfort, und wenn Ihr Euch recht lieb haben werdet, und Du Wanst recht ordentlich wirst arbeiten lernen, so wird Alles schon gut gehen!« Wanst aber war sein Sohn.

Der Vater sagte weiter: »Daß ich Euch nicht viel hinterlaßen kann, wißt Ihr ja. Als ich Eure seelige Mutter heirathete, brachte sie mir ein Paar alte Holz-Schemel und einen Strohsack mit ins Haus. So hab ich auch noch meine Henne, meinen Nelkenstock, und diesen Silberring hier. Den Topf aber mit dem schönen Nelkenstock und den Silberring, die ich beide schon so manche Jahre aufbewahrt habe, hat mir eine vornehme Frau geschenkt, welche in meiner Hütte einmal zur Nacht blieb, und von welcher ich heutiges[3] Tags nicht weiß, wer sie war, oder woher sie kam, und wohin sie zog. Denn es schickte sich nicht darnach zu fragen.

Sie sagte, ich möchte des Nelkenstocks gar fleißig warten und ihn begießen, den Ring aber aufs beste bewahren; sie sollten aber alle beide Dir, liebe Tochter, zugehören, und Dich einmal trösten, wenn Du recht arm und verlassen sein würdest. Dennoch sollte ich Dich ›Glückskindchen‹ nennen, welches ich auch gethan habe. – Da hier! Glückskind, nimm was dein ist, Ring und Nelkenstock; das Uebrige gehört dem Wanst.«

Der Vater starb nach einigen Tagen; die Kinder nahmen, Jedes was ihm gehörte, und blieben beisammen.

Glückskindchen hatte den Bruder Wanst gar sehr lieb, und dachte er würde sie auch recht lieb haben, welches aber nicht geschahe, denn, als sie sich einmal auf einen von Wanstens zwei Schemeln setzen wollte, jagte er sie davon weg, setzte sich selbst ganz hochmüthig auf den Einen Schemel, und auf dem andern strakelte er tölpisch seine Strampel- und Pampelfüße aus, die gar dick und stämmig waren.

»Die Schemel sind mein«, sagte er übermüthig und vornehm; »Du kannst Deinen Ring behalten und Deine Nelken!«

Das Glückskind weinte im Stillen seine bitterlichen Thränen, und wußte nun nicht einmal, wo es sich hinsetzen sollte. Ach! daß der Wanst so garstig sein könnte, das hätte sie ja nimmerdar geglaubt; um desto weher that es ihr denn.

Stehend hatte sie bis zum Abendeßen ein wenig genäht, aber Wanst hatte großthuig und nichtsthuig auf seinen Schemeln geruht, und als Abendeßenszeit kam, holte er sich ein Paar Eier von denen, welche die Henne seit einigen Tagen gelegt hatte, kochte sie, und aß sie nebst einem großen Stück Brodt, wovon noch etwas Vorrath da war. Aber der Schwester gab er weder Brodt noch Ei.

[4] »Das ist für mich,« sagte er, »und ist mein.« Du magst zusehen, woher Du etwas zu eßen willst nehmen. »Versuche das hier,« sagte er, »indem er ihr die Eierschalen zuwarf; ich habe nicht mehr für Dich. Doch gibt es noch Frösche im Sumpfe genug, die magst Du dir holen.«

Da ging das arme Kind still weinend in sein Kämmerlein und klagte dem lieben Gott seine Noth. Im Kämmerlein aber düftete es mit gar lieblichem Geruch. Das thaten die Nelken, die frisch und herrlich da standen, und über welche das Mädchen sich so herzinnig freute, daß es den Bruder und den Hunger vergaß und aufhörte zu weinen.

Da sah es nun seinen Nelkenstock an. Der aber war ziemlich trocken. Da sagte Glückskindchen:

»Ihr lieben, süßen, holden Nelkenblumen, wie sollt ich denn Euer vergeßen. So schön riecht ihr, und habt so prächtige Farben! Nein ihr sollt mir nicht dürsten!«

Drauf nahm sie den Krug und eilte im Mondenschein zum Brunnen, Waßer zu schöpfen, und die Blumen zu erfrischen. Der Brunnen war aber weit, und sie hatte sich müde gelaufen, als sie hinkam, und setzte sich an dem kühligen Brunnen nieder, um erst ein wenig auszuruhen. Sie hatte ja daheim ohnedieß nichts zu schaffen und zu eßen.

Als sie so da saß, da kam ein großes Wesen und Gethue daher, mit großer Pracht und Herrlichkeit, und eine vornehme Frau war darunter, mit einer Krone auf dem Haupte, die glänzte im Silberlicht des Mondenscheins gar wunderherrlich, wie Diamanten und Perlen, aus welchen denn eben die Krone bestand, und viele hochgeputzte Frauen und Herren begleiteten die vornehme Frau mit großer Ehrfurcht.

[5] Die Vornehme ließ sich an der Quelle des Brunnens nieder, wo liebliche und lustige Bäume standen. Ein Armstuhl wurde ihr hingesetzt, mit weichen Kißen belegt und überzogen mit Goldbrokat; ein Schenktisch wurde ihr hingestellt mit goldenen und krystallhellen Gefäßen und auf einem andern Tische, unfern davon, ward eine köstliche Mahlzeit aufgetragen, und eine Musik von Hörnern und Saitenspiel begann sanft und süß.

Das war aber Alles in einem einzigen Augenblicke da, so als ob es schon längst dagewesen wäre.

Das Glückskind hatte sich während das Alles vor ging, blöde und schüchtern und gleichsam wie vor Angst, hinter einen Fliederstrauch versteckt, indem es dachte, es gehöre nicht zu den vornehmen und glänzenden Leuten. Da ging es ihm wie vielen erwachsenen Leuten, welche sich auch vor den Vornehmen und Glänzenden gern verbergen, oder wenn sie hervor müßen, vor ihnen kriechen, als wären sie Würmer und keine Menschen, jene aber wären es, und müßten Alles allein gelten. So etwa mocht es dem armen Kinde sein.

Glückskind hatte sich versteckt, aber die vornehme Frau, welche eine Königin war, und daher wie die Königinnen meistentheils, ein recht scharfes Auge für kleine Dinge hatte, – die Königin sahe sie doch, und ließ sie durch einen ihrer vornehmen Diener heran rufen.

Dehmüthig und sanft und sittig schämig stand das schüchterne Mägdlein mit gesenkten Augen vor der Königin, der es gar aus dermaßen gefiel.

»Was machst Du denn hier, Du liebes holdes Kind?« fragte die Königin gütig, weil sie selbst recht sehr gut war; »fürchtest Du Dich denn nicht, so allein am Abend?«

[6] »Fürchten?« antwortete das holde Kind; »gar nicht! Ist doch der liebe Gott bei mir und seine heiligen Engel sind auch da. Und ich habe ja auch nichts, was mir Einer nehmen könnte. Ich habe nur diese Kleidchen von Leinwand, und einen Nelkenstock und einen Silberring, die sind aber zu Hause, und den Nelkenstock, der so gar schön riecht, den wollt ich begießen und mir Waßer dazu aus dem Brunnen holen.«

»Hast Du denn schon Abendbrod geßen?« fragte die Königin. »Ach nein, noch nicht,« antwortete Glückskind. »Es war nicht viel da – nur zwei Eier und ein Stück Brodt, das hat der Bruder gegeßen.«

Da mußte sich Glückskind an der Königin Tisch setzen, und wurde ihm das beste aufgetragen, und mußte es eßen. Es aß aber nur ein wenig, denn es war so blöde.

»Worin denn,« fragte die Königin nun, »wolltest Du das Waßer schöpfen, die Nelken zu tränken? Du hast ja keinen Krug mit Dir?«

»O doch!« sagte das Mädchen; »ich hab ihn hier unten auf die Erde heimlich hingesetzt.« Da griff es darnach und wollt ihn der Königin zeigen. Da war wohl ein Krug da, aber der war von Gold und so schwer, daß er sich kaum ließ erheben, und war besetzt mit funkelnden Edelsteinen.

»So einen schönen Krug hast du?« fragte die Königin: »Ach nein!« antwortete das Mädchen betrübt, »der ist nicht mein; meiner war nur ein irdener Krug, und der ist nun fort und ich habe keinen andern. O! meine armen Nelken; sie dürsteten so sehr.«

»Nun,« sagte die Königin, »so nimm diesen da, und sei nur getrost. Schöpfe Du nun!« Aber als das Mädchen schöpfen wollte, war der Krug schon voll von Waßer, welches köstlich und erquickend roch.

[7] »Daraus sollst du Deine Blumen begießen,« sagte die Königin freundlich, »so werden sie recht wunderschön blühen und riechen. Geh hin und komm wieder, ich werde hier noch eine kleine Weile bleiben.«

Da lief das Mädchen eiligst nach Haus und wollte der gütigen Königin den schönen Nelkenstock aus Dankbarkeit bringen, wenn es ihn erst würde getränkt haben.

Als das arme Kind aber in sein Kämmerlein kam, wo der Nelkenstock im Fenster gestanden, da war er fort, denn der garstige Wanst hatte ihn fortgenommen und versteckt, und statt desselben einen Kohlkopf hingestellt. Da wurde das Mädchen recht tief betrübt, denn es hatte sich so recht herzinnig drauf gefreut der gütigen Königin auch Etwas zu schenken.

Da es nun nichts Besseres hatte, nahm es den Silberring, und sagte der Königin, wie es mit dem Nelkenstock so gar übel ergangen sei.

Die Königin nahm den Ring an, und steckte denselben an ihren Finger, indem sie sagte: »Ich nehme den Ring von Dir, Du gutes Kind; und bleibe Du nur so sanft und fromm, und habe Geduld, nur noch eine kleine Weile, so wird schon Alles gut werden!« Hierauf setzte sich die Königin in ihren prächtigen Wagen, und sechs schneeweiße Pferde flogen mit ihr so schnell davon, als ob sie Vögel wären.

Als nun das Mädchen wieder in sein Kämmerchen kam und den Kohlkopf noch im Fenster sahe, wurde sie auch einmal böse, weil ihm der garstige Wanst die Freude mit dem Nelkenstocke verderbt hatte, und warf recht unwillig den Kopf zum Fenster hinaus.

Da schrie es mit kläglicher Stimme: »Ach mir sind ja alle Ribben im Leibe zerbrochen – Ich bin ein Kind des Todes!«

[8] Glückskindchen dachte nicht, daß es der Kohlkopf sein könne, von dem die Wehklage käme, sondern ging hinaus zu sehen, wer es denn wäre? da war ihm der Kohlkopf im Wege und es stieß denselben mit dem Fuße fort und sagte: »Geh, Du garstiges Ding, das die Stelle meines lieben Nelkenstocks vertreten wollte!«

»Thue mir doch nicht unrecht,« antwortete der Kopf; »Du solltest mich nicht an der Stelle gefunden haben, hätte mich nicht Jemand ins Fenster gestellt. Setze mich nur wieder zu meinen Kameraden hinaus, so will ich Dir auch sagen, daß der hämische Wanst Deine Nelken in seinen Strohsack versteckt hat.«

Das Mädchen erschrak anfangs ein bißchen über den sprechenden Kohlkopf, denn es wußte noch nicht, daß es der Kohlköpfe recht viel in der Welt gibt, welchen die Sprache gar nicht fehlt, wohl aber fehlen die Gedanken; aber bald hatte es sich von dem Schrecken erholt und trug mitleidig den Kohlkopf an seine Stelle. Aber dann trauerte es wieder, weil es nicht wußte, wie es den Nelkenstock aus dem Strohsack bekäme, denn der garstige Wanst würde es doch nicht erlauben, denselben hervorzuholen.

Indem das Glückskind so trauerte, sahe es die Henne des Bruders so eifrig auf dem Hofe kratzen, daß der Staub davon weit umherflog. Das Mädchen griff nach der Henne und erhaschte sie und sagte: »Wart! du sollst mir den Nelkenstock bezahlen!«

»Sei doch barmherzig, flehte die Henne; ich bin ja nicht schuld; wie kann ich denn für den Nelkenstock büßen?« – Da war des Glückskindes Aerger gleich verflogen und es ließ die Henne frei.

»Zur Dankbarkeit,« sagte nun diese, »will ich Dir Etwas offenbaren, zumal ich das Kakkern und Pappern gar zu sehr lieb habe. Du denkst, Du seist des alten Martins, des gestorbenen Bauers, Kind und Wanst sei Dein Bruder, dem ist aber gar nicht also, sondern [9] Du bist eine Prinzeßin und Deine Mutter ist eine Königin. Die hatte schon sechs schöne Töchter geboren, aber der König war wunderlich und sehr schlimm und vermaß sich hoch und sehr, wenn die Königin wieder in die Wochen käme und brächte ihm keinen Prinzen, so wolle er sie erstechen, und da die Königin eben wieder schwanger war, so ließ er sie so gleich in einen festen Thurm stecken und gab ihr Wächter und befahl denselben im grimmigen Zorn, die Königin und ihr Kind gleich umzubringen, wenn sie eine Prinzeßin brächte.«

Die unglückliche Königin ängstete sich fast halb todt, ehe sie noch niederkam, und als sie nun niederkam, da hatte sie eine Prinzeßin, und das warst Du. Sie entfloh mit Dir aus dem Thurm, denn sie hatte sich schon lange vorher eine Strickleiter gemacht. Sie lief so weit als sie nur Kraft hatte, und kam zu uns in dieses kleine Häuschen, wo sie nicht weiter konnte. Sie erzählte uns ihr grausames Unglück, und bat mich ihr Kind groß zu säugen, nämlich Dich. »Ich aber war damals Martins Frau, und that das gern und bin also Deine Amme. Deine Mutter starb wenige Tage nachher, denn sie hatte gar zu viel ausgestanden; wir aber, Martin und ich, behielten Dich bei uns, und hatten Dich so lieb, als ob Du unsere leibliche Tochter wärst.«

Da ich nun immer gern schwatzte und plauderte, so erzählte ich auch einmal diese ganze Geschichte einer schönen Frau, die prächtig gekleidet war, und wohl etwas Großes sein mochte. Diese aber berührte mich mit einer kleinen Gerte und da wurde ich auf einmal zur Henne. »Nun,« sagte sie, »plaudere und schwatze so viel du willst!« »Das hab ich denn auch ordentlich gethan und unaufhörlich gekrikelkrakelt und gegackert.«

[10] »Als nun der arme Martin von seiner Arbeit nach Hause kam, fand er mich nicht. Er suchte mich mehrere Tage lang, aber das war ja alles vergeblich. Da dacht er denn endlich, ich möchte vielleicht in den Wald gegangen sein und wäre von den Wölfen gefreßen worden, oder sei im Fluße ertrunken und von dem Strome fortgeführt worden.«

»Nach einiger Zeit kam die vornehme Frau noch einmal und gab Deinem Pflegevater den Ring und den Nelkenstock, da ich eben auf dem Hofe war und Würmerchen suchte; sie befahl ihm auch, wie Du heißen solltest. Indem sie aber noch da war, kamen zwanzig grimmige Trabanten, die hatte Dein wirklicher Vater, der König ausgesendet, Dich zu suchen und umzubringen. Das ist aber gar nicht geschehen, wie Du wohl weißt, sondern die vornehme Frau sagte leise nur ein Paar Worte, da waren die Trabanten allzumal in Kohlköpfe verwandelt. – Siehe, nun weißst Du, daß Du eine Prinzeßin bist.« »Ich wundere mich nur, daß ich auf einmal wieder sprechen kann, was ich vorher gar nicht gekonnt habe, und der Kohlkopf, den Du aus dem Fenster warfest, konnte es auch. Ich denke das hat Etwas zu bedeuten.«

Also plauderte die Henne, und zwar froh, daß sie es konnte, weil sie so lange den Sprechschnabel hatte halten müßen.

Glückskind sann allen diesen Wunderdingen nach, aber es konnte sich nicht daraus finden. »Wenn ich nun auch eine Prinzeßin wäre, wäre ich denn nun glücklich? Wenns allen Prinzeßinnen so zu Muthe ist, wie mir, so steht es mit ihnen sehr übel. Ich wollt, ich wäre das Gänsemädchen im Dorfe, das hat doch sein Stück Brodt, springt lustig auf der Wiese herum, sucht Blumen, windet Kränze daraus, und singt sich sein fröhliches Liedchen.«

Jetzt fiel dem Glückskinde der Nelkenstock wieder ein, und als [11] es in die Stube trat, war zum Glücke Wanst nicht da, sondern war in den Wald gegangen. So wollte es denn den Strohsack aufmachen und den Nelkenstock herausholen; aber da kam ein großes Heer von großen garstigen Ratten mit häßlichen langen Schwänzen aus dem Sacke hervorgeschoßen, grimmig und bößig auf Glückskind zu.

»Ach, ihr lieben, lieben Nelken,« rief es, »wie soll ich euch nun erretten!«

Als aber die Ratten nicht aufhörten auf das Mädchen zuzufahren, verfolgten es in der Stube und wollten in sein Gesicht hinaufspringen, lief es in der Angst zu dem Kruge von Gold und sprengte Waßer auf die Ratten, die alsbald mit hastiger Angst davon liefen und sich in ihre Löcher verkrochen.

Jetzt holte Glückskind seine lieben Nelken aus dem Strohsack, aber die trauerten mit hängenden Köpfchen und waren beinahe verschmachtet.

»O ihr lieben schönen Blumen,« sagte Glückskind, indem es den Stock mit dem Waßer aus dem Goldkruge begoß, »erholt euch doch wieder!« Das thaten die Blumen, sobald sie begoßen waren, und richteten die Köpfchen frisch in die Höhe und dufteten einen wunderlieblichen Geruch, und das Mädchen freuete sich sehr. Und aus dem Nelkenstock kam eine angenehme Stimme, die sprach ganz leise.

»O Glückskindchen, wie bist Du so sanft und so gut und auch so schön; und ich bin Dir auch so gut, so sehr gut!« Mehr sagte die Stimme des Nelkenstocks nicht, aber das war schon genug, um das Glückskind beinahe in Ohnmacht zu bringen. Es hatte zwar den Kohlkopf und die Henne sprechen gehört, aber die Stimme aus dem Nelkenstock kam ihm zu bedenklich und wunderlich vor.

[12] Indem es darüber noch nachsann, kam Wanst aus dem Walde nach Hause, und wurde wild und grimmig, da er sahe, daß der Nelkenstock gefunden war und wieder so schön blühete und so herrlich roch. Er packte mit seinen Fäusten die Schwester beim Arm, riß sie in der Stube umher, gab ihr einige Püsfe, und schleppte sie mit Schimpfen zum Hüttchen hinaus, bis fast an den Wald: »Da!« sagte er, »siehe zu, wie du durchkommst, oder laß dich von den Bären auffreßen, aber zu mir komm nicht wieder, sonst schlag ich dich todt auf dem Flecke!«

Das arme Glückskind war recht unglücklich und hatte beinahe alle Besinnung verloren. Erst hatte es so hübsche Worte vom Nelkenstock gehört, und nun so fürchterliche von Wanst, und sollte nun in den wilden Wald voll wilder reißender Thiere.

Als Glückskind aus der Betäubung zu sich selbst kam, stand die hohe schöne Frau wieder da, die ihm den goldenen Krug geschenkt hatte. Sie sprach:

»Ich bin die Königin dieser Wälder, und weiß Alles, was vorgegangen ist, denn ich bin eine Fee. Ich habe gesehen, wie übel dich Wanst hat behandelt, der doch dein Bruder sein will. Soll ich ihn dafür züchtigen?«

»Ach nein!« antwortete Glückskind, »das kann mir ja nichts helfen, und er wird drum wohl nicht anders, als er nun einmal ist, und ist doch immer mein Bruder. Wenn ich nur wüßte wohin? so verlangte mich gar nie mehr nach dem Hüttchen, wo doch keine Liebe ist und kein Friede.«

»Dein Bruder sollte er sein,« sagte die Waldkönigin, »dein wirklicher Bruder? der tölpische rohe Mensch, der dir so übel thun konnte? Das glaub ich nimmermehr.« »Hat man denn dir nicht gesagt, wer du bist?«

[13] »Eine Henne,« antwortete es, »hat mir davon Etwas gesagt, aber das war so wunderliches Zeug. Wer weiß daraus klug zu werden? Was ich nach ihrem Gekrakel sein soll, ist viel zu hoch für ein armes Bauernkind, als daß ich mirs einbilden sollte? Wanst ist doch wohl mein Bruder!«

»Er ist es nicht, du liebes bescheidenes Mädchen,« sagte die Königin, »und du bist wirklich eine Prinzeßin; und bist das Kind meiner eigenen lieben Schwester. Ich hätte dir auch gern eher geholfen, aber ich hatte noch nicht die Macht dazu; dir aber ist es vielleicht gut gewesen, daß du so niedrig und arm bist erzogen worden, so bist du bescheiden und dehmüthig geblieben, und weißst wie Armuth und Noth thue. Könnt ich es machen, so sollten mir alle Prinzen und Prinzeßinnen also erzogen werden – die Zeit deiner Prüfung ist aber vorüber.«

Indem sie noch also sprachen, trat ein Jüngling daher, heiter und schön wie ein Engel, einen Kranz von schönen Nelken auf dem goldenen Lockenhaar; der grüßte die Königin sittig und lieblich, indem er sich auf die Kniee vor ihr niederließ, und ihre Hand küßte.

»Willkommen, mein Sohn, mein geliebter Sohn!« sagte die Königin liebreich; »jetzt ist deine Bezauberung vorüber! und du und das Glückskind, dem du deine Erlösung verdankst, werdet von nun an recht glücklich sein.«

»Meine Leute,« fuhr sie fort, »die dich in deiner er sten Kindheit warten sollten, hatten dich an eine Stelle gebracht, welche ich ihnen zu betreten verboten hatte, und hatten dich außer Acht gelaßen, um mit einander zu schäkern und zu scherzen. Da erhielt ein gewaltiger Zauberer Macht über dich, welcher immer mein Feind war, und verwandelte dich in einen Nelkenstock. Den Nelkenstock erlangte ich durch meine Macht wieder, und brachte ihn in die Hütte, wo Glückskind [14] wär; und gab ihn dem Bauer und einen Silberring dazu. Wie der wieder in meine Hand zurückkehrte, so wußt ich daran, daß die Bezauberung ein Ende hatte; und du, liebes Mädchen, hast ihn mir aus Erkenntlichkeit gebracht, weil der garstige Wanst dir deinen Nelkenstock gestohlen hatte, den du mir schenken wolltest. Das Waßer, womit du die wiedergefundenen Nelken begoßest, ist aus dem Wunderbrunnen, und treibt alles Unheil ab, und gibt den verwandelten Dingen die vorige Gestalt wieder. – Kommt nun, und zieht mit mir in mein Reich!«

»O! meine Königin, meiner Mutter Schwester, darf ich nicht eine Bitte thun?« sagte bescheiden das Glückskind mit niedergeschlagenen Augen.

»Sage mir deine Bitte, mein liebes Kind, du bist ja die Tochter meiner Schwester, und jetzt bin ich ja auch deine Mutter!«

Da bat Glückskind die Fee, sie möchte doch die Henne wieder zum Menschen machen, denn sie sei doch ihre Amme gewesen, und die Kohlköpfe auch, und den Wanst möchte sie auch zum Menschen machen, nämlich zu einem solchen, der recht sanftmüthig und liebreich würde, und möchte ihm viel Geld schenken; denn sein Vater habe es doch, nämlich das Glückskind, auch mit erzogen und ernährt.

»Du gutes Kind,« sagte die Fee, und ging mit ihrem Sohn und mit Glückskind zu Wansts Hütte, und berührte mit der Zauberruthe die Henne und die Kohlköpfe, da wurden sie wieder, was sie gewesen waren. Aber Wansten, sagte sie, könne kein Geist und keine Fee zu einem rechten Menschen machen; dazu müße ein Jeglicher sich selbst machen. Zu viel Geld würde ihn vollends verderben. Sie ließ ihm aber, nachdem sie ihm seine schlechte Art und Natur recht hatte verwiesen, auf Glückskinds Fürbitte den Goldkrug mit den Juweelen; die solle er verkaufen und sich dafür ein Haus [15] bauen und Garten und Feld dazu kaufen, damit er zu thun habe und dabey auch glücklich werde. Wanst hörte das in dem Winkel in welchen er sich hingestellt hatte, und sperrte das Maul auf.

Es kam der Wagen der Fee mit den sechs schneeweißen Pferden, die sie mit ihrem Sohn und mit Glückskind in ihr Reich brachten.

2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

2. Das gutmüthige Mäuschen.

Es war einmal ein König und eine Königin, die waren gar herzensgut, und wollten alle ihre Unterthanen glücklich machen und froh; und suchten das auszurichten, so sehr sie vermochten. Da wurden sie freilich von ihren Unterthanen von Herzen geliebt, und waren in solcher Liebe viel glücklicher, als durch alle Gewalt und Geld und Pracht, denn nur die Liebe macht das Herz glücklich und froh. Ihr Land hieß allenthalben: das glückliche Land; und es wäre wohl Jedermann gern in dem glücklichen Lande gewesen, wenn es nur angegangen wäre.

Aber kein Glück ist beständig und gewiß.

Ein abscheulicher König in der Nachbarschaft hatte an nichts Gefallen, denn an Mord und Blutvergießen und an aller Art Unheil, welches er nur immer anrichten konnte, und Elend und Greuel wohnten in seinem Lande. Da war nicht gut wohnen, und Niemand mochte da wohnen, der nicht mußte.

Der böse Tyrann kam mit seinen Kriegsgurgeln und Soldaten und fiel in das glückliche Land ein. Da wurde geraubt und geplündert [16] und gemordet, und die Angst und der Schrecken zogen ihnen überall voran, und die Verheerungen folgten nach.

Der gute König zog mit seiner Armee zwar dem bösen entgegen, aber der Seinigen waren zu wenig und ob er wohl tapfer mit denselben focht, verlor er dennoch die Schlacht und sein Leben verlor er auch, und der böse König zog nun nach der Stadt hin, wo die gute Königin wohnte.

Als diese nun das ganze Unglück gehört hatte, wurde sie recht krank und mußte sich ins Bett legen.

Bald war der Wüthrich mit seinen Soldaten in der Stadt, ging aufs Schloß ins Zimmer der Königin und befahl ihr wild, sie sollte aufstehen und mit ihm gehen, und als sie vor Angst kein Glied regen konnte, wurde er so wüthend, daß er sie bei ihren schönen langen Haaren aus dem Bette riß und sie fortschleppte und ließ sie hinter sich auf sein großes schwarzes Pferd setzen, und als sie kläglich wimmerte und ächzte, sagte er: »Schrei! schrei und winsele! winsele! das hör ich recht gern!«

Er hätte die Unglückliche gewiß laßen aufhängen, aber er hatte gehört die Königin müße bald ein Kind zur Welt bringen, das würde wunderschön werden, und er beschloß, wenn es ein Prinz sei, wolle er es mit der Mutter erwürgen laßen, wäre es aber ein Mädchen, so solle es seinen einaugigen Sohn heirathen, der zwar noch klein, aber doch schon ein Ungeheuer an Gestalt war und an Bosheit des Herzens, daher das selbst böse Hofpack ihn heimlich nur Prinz Unhold oder auch Teufelslarve nannten.

Die Königin wurde in einen festen Thurm in einer elenden Kammer eingesperrt, wo sie des Nachts auf einem schlechten Strohlager liegen, den ganzen Tag aber spinnen mußte, und [17] nichts zu eßen bekam, als ein Paar kleine Hände voll Erbsen; die in bloßem Waßer geweicht waren, und ein kleines Stücklein Brodt.

Die Ungeduld, zu wißen, ob ein Knabe oder ein Mädchen zur Welt kommen würde, trieb den bösen König. Daher bat er eine Fee zu Gaste, und ging mit ihr in den Thurm der kranken Königin, damit sie ihm Gewißheit verschafte. Die Fee jammerte es, die bleiche, kranke und so schöne Frau zu sehen, die so sanft und geduldig auf ihrem Strohlager lag. Sie tröstete heimlich die arme Königin, und dem Wüthrich sagte sie, es werde dieselbe eine sehr schöne Tochter gebären.

»Das rettet ihr ihr Leben!« sagte der Tyrann. »Trifft aber die Wahrsagung nicht ein, und ist das Mädchen nicht schön, so laß ich sie an einen Baum hängen und an ihrem Halse ihr Kind.«

»O wie unglücklich bin ich!« jammerte die Königin. »Ist das Kind nicht schön, so werden wir beide umkommen, und ist es schön, so muß es das boshafte Ungeheuer heirathen und zeitlebens unglücklich sein. Ach was soll ich anfangen und wie soll ich mein Kind retten, wenn es geboren ist?«

Eines Tages saß die arme Königin auch in Thränen und Jammern, spinnend am Rocken, als ein niedliches Mäuschen daher geschlüpft kam und nach Brosamen suchte. »Du liebes kleines hungriges Ding, sagte die Königin sehr traurig, hier suchst du vergebens, wo ich selbst fast halb verhungern muß. Suche doch da, wo du Etwas finden kannst.« Die Maus aber hüpfte ganz lustig hin und her, machte Männchen und that gar nicht scheu.

»Da!« sagte die Königin, »hier hab' ich noch zwei Erbsen, die will ich dir geben, obwohl ich sie selbst gern äße!« und damit warf [18] sie ihm die Erbsen hin, welche das Mäuschen verzehrte. Als aber die Königin wieder auf ihren Tisch sahe, stand auf demselben ein gebratenes Rebhun und feines Weißbrod lag dabei.

»Ei,« sagte die Königin, »das ist gewiß von der mitleidigen Fee, die mich in meinem Kerker mit dem Tyrannen besucht und getröstet hat.«

»Wie schmeckte das Rebhun so herrlich! die köstlichsten Gerichte an ihrer Tafel hatten ihr sonst niemals so lieblich geschmeckt. Aber jetzt hatte sie ja so lange entbehrt und gedarbt.«

Als sie aber sich halb gesättigt hatte, fiel ihr ihr Kind ein, das in wenigen Tagen zur Welt kommen mußte, und da fing sie an, bitterlich zu weinen und ließ das Eßen stehen. »Ach,« seufzte sie tief, »ist denn keine Rettung für uns?«

Da holte Mäuschen ein Paar Halme aus dem Strohsacke und spielte damit, sahe die Königin dazu recht vergnüglich an, und ließ die Halme dann liegen.

Da sann die Königin, und wie man denn wohl Manches in der Noth ersinnt, worauf man sonst nicht wäre gefallen; und werden dann oft Kleinigkeiten, auf welche man sonst nicht achtete, eine große Sache, so ging es hier auch.

»Wie Mäuschen?« sagte sie noch sinnend; »meinst du vielleicht, es ließe sich ein Körbchen aus Stroh für das Kind flechten? Und ein Seil das Körbchen daran vom Thurm herabzulaßen, damit es ein Vorbeigehender an sich nehme? meinst du das? – Ja fürwahr das wird gehen!«

Die Königin wurde ordentlich vergnügt über diese Gedanken und fing fleißig an zu flechten, erst an dem Körbchen, dann an dem Seil, und da sie kein Stroh mehr im Strohsacke hatte, schleppte ihr das Mäuschen viel Strohhalme zu, die es durch sein Löchelchen [19] hereinzog. Es bekam jetzt so viel Erbsen und Brosamen, als es nur wollte, und dafür standen immer auf dem Tische viel beßere Gerichte, wohlschmeckend und gesund, aber nicht eben leckerhaft.

Eines Tages sahe die Königin aus dem Fenster, denn sie mußte doch wißen, wie lang das Seil sein mußte, um das Kind daran herabzulassen. Auch ging zum Glück eine alte ehrbare Frau vorbei, die sahe hinauf und sagte: »Ich weiß deine Noth wohl, du arme Gefangene, und bin bereit dir zu dienen.« Da bat die Königin dieselbe, alle Abend unter das Fenster zu kommen, wo sie nächstens ein Kind wollte am Seile herablaßen, deß sollte die Frau sich annehmen und sie wolle es ihr gut vergelten, hätte Gott nur erst aus dem Thurm geholfen.

Die Alte sagte: »nach Geld und Gut frag ich nicht sehr, denn ich habe deßen so viel ich brauche, aber ich habe zuweilen ein seltsam Verlangen ein fettes Mäuslein zu speisen. Fange doch einige und tödte sie und wirf sie vom Thurme mir zu, so will ich dafür mich deines Kindes erbarmen.«

»O ich Unglückliche,« rief die Königin und weinte, »ich Unglückliche! Es ist nur ein einziges Mäuschen auf meiner Kammer, das ist so freundlich und zuthulich, und ist meine einzige Gesellschaft. Mein Herz würde mir brechen, wenn ich es tödten sollte!«

»So?« sagte die Alte spöttisch. »Nun wenn du deine Maus lieber hast, als dein Kind, so ist es mir auch recht; ich will schon noch Mäuse anderswo finden!« Damit ging sie murrend davon.

Aber die Königin war nun untröstlich und sahe das Eßen nicht auf ihrem Tische, und das freundliche Mäuschen nicht, das in der Kammer umherspielte.

In derselben Nacht brachte die Königin ein wunderschönes Kind zur Welt, welches ein Mädchen war. Die Königin küßte es mit [20] tausend Thränen und jammerte: »Wer wird dir nun helfen, du kleiner holder Engel? Ach ich muß von dir scheiden; ich muß!«

Sie legte das Kind ins Körbchen und band das Körbchen ans Seil. Sie hatte einen Zettel mit zum Kinde gelegt, darauf stand, es sollte Thränenblüthe heißen, und sei ein sehr unglückliches Kind.

Als sie es nun wollte herablaßen, und hatte es zuvor noch geküßt, kam die kleine Maus und sprang zum Kinde ins Körbchen. Da sprach die Königin: »Ach du liebes kleines Thier, du weißest nicht, wie viel du mich kostest. Vielleicht mein armes Kind! Ich sollte dich tödten, aber das konnt ich nicht übers Herz bringen.«

Da that die Maus das kleine Spitzmaul auf und fing an zu sprechen, worüber die Königin gewaltig erschrack, weil sie das nicht vermuthet hatte. Die Maus sprach aber: »Es soll dich auch nicht gereuen, was du gethan hast.«

Als sie das gesagt hatte, verwandelte sich die Maus; die kleinen Vorder- und Hinterpfoten streckten sich aus und wurden Hände und Füße, und der kleine Kopf wurde ein Menschenkopf und Angesicht, und wuchs Alles an ihr größer und immer größer, und stand zuletzt die Fee da, welche sie mit dem bösen König besucht hatte.

»Königin,« sprach die Fee, »ich wollte dein Herz nur prüfen, weil mich gleich anfangs dein Unglück jammerte, und ich habe dich sanft und gut gefunden. Ich war die Maus nicht nur, sondern war auch die alte Frau. Nun will ich mich deines Kindes treulich annehmen, und es soll einmal deine Freude und dein Stolz sein!«

Jetzt ließ die Fee die Kleine am Seile herunter, und verwandelte sich wieder in eine Maus, denn sie mochte wohl nur in dieser Gestalt zum Thurme hinaus können. Die Fee kroch als Maus zum [21] Thurm hinaus, am Seil herab, aber als sie hinabkam, war das Kind fort.

Da kroch sie zitternd wieder zu der Königin hinauf und klagte ihr das Unglück und sagte, das habe die böse Fee Gangrüne angerichtet, die sei ihre Feindin, die ihr alles Gute verderbe; dabei sei sie sehr mächtig, und man werde ihr nicht leicht das Kind wieder nehmen können. Da erbleichte die arme Königin und die Fee kroch vor Schaam und Kümmerniß ins Mauseloch.

Der böse König wußte, daß in der vergangenen Nacht das Kind gekommen sein müße, und kam am andern Morgen es zu sehen, und fragte: »Wo ist das Kind?« Als die Königin zitternd sagte, es sei fort und eine böse Fee habe es ihr mit List und Gewalt genommen. Da wurde der König grimmig und sagte: »Nun sollst du hängen, wie ich es dir gedroht habe, und ich will dich selbst mit dem Stricke am Baume hinaufziehen, und meine Lust dran haben.«

Hiemit zog er die Königin bei den Haaren hinter sich her, zu zu einem Walde hin, wo er auf einen Baum stieg und die arme Verlaßene am Stricke hinaufziehen wollte. Aber die gute Fee stieß unsichtbar den ruchlosen König vom Baume herab, daß er einen schweren Fall zur Erde that, und sich Arme und Beine heftig zerschlug.

Indem ihm nun seine Leute zu Hülfe kamen, führte die Fee die Erlöste in ihrem Luftwagen davon.

Funfzehn Jahre waren der armen Königin traurig vergangen. Sie hatte zwar bei der guten Fee Alles, was ihr Herz nur verlangen konnte, aber doch ihr liebes Kind nicht, nach welchem ihr Mutterherz am sehnlichsten verlangte. Da konnte ihr ja alles Andere nicht helfen. Nach funfzehn Jahren aber hörte man, der Sohn des bösen Königs, der Prinz Unhold, wolle sein Gänsemädchen heirathen, [22] die aber möge ihn durchaus nicht haben. Er habe ihm schon die kostbarsten Brautkleider geschenkt, allein sie wolle dieselben nicht anziehen. Darüber wunderte sich alle Welt gar sehr.

Da der Unhold aber dachte, er wolle das Mädchen zur Heirath schon zwingen, so waren die Gäste bereits gebeten und kamen in kurzer Zeit wohl hundert oder tausend Meilen weit her; denn die Meilen mochten damals wohl sehr klein sein. Die Gäste kamen, aber das half doch Alles nichts, es wurde doch keine Hochzeit.

Die gute Fee war auch mit unter den Gästen, denn sie hatte sich wieder in ein Mäuschen verwandelt und kroch in ein Kämmerchen neben dem Gänsestall, worin das Gänsemädchen wohnte. Da lagen die kostbarsten Kleider, Bänder, Spitzen, Ringe und kostbare Steine auf dem Boden neben dem Mädchen, das Mädchen aber war gar schlecht gekleidet und dennoch sahe es die prächtigen Sachen nicht einmal an.

Jetzt nun trat der Prinz Unhold zum Gänsemädchen und sagte: »Nun ists hohe Zeit, du nichtswürdiges Ding; nimm mich und habe mich lieb, oder ich schlage dich rein todt!« Das Mädchen aber hatte Herz und antwortete: »Wer kann dich denn lieb haben? Du bist ja gar nicht liebenswürdig, sondern abscheulich. Ja! an deine häßliche Ungestalt wollt ich mich wohl noch gewöhnen, denn die hast du dir nicht selbst gegeben, aber du bist auch so boshaft und grausam und tückisch. Darum will ich dich nicht und mag dich nicht. Schlage mich lieber nur todt, das ist viel beßer für mich.«

Der Unhold wußte nicht, was er anfangen sollte und ging fort. Die kleine Maus aber verwunderte sich über den Muth des Mädchens, aber noch mehr über seine wunderherrliche Schönheit.

Am andern Morgen trat die Fee in Gestalt einer Hirtin zum Mädchen, als es die Gänse wieder hüthete und fragte nach Allen. [23] Da erzählte die schöne Gänsemagd, daß sie Thränenblüthe heiße, und wäre der bösen Fee Gangrüne entlaufen, die sie immer gequält und gepeitscht hätte ohne Schuld, und nun wäre sie hier ein Gänsemädchen geworden und wolle das lieber bleiben ihr Lebelang, als den garstigen bösen Prinzen heirathen, oder sich lieber heut Abend in den finstern Thurm einsperren laßen und darin bis zum Tode bleiben, wie der Prinz ihr gedroht habe, wo sie ihn nicht heute noch nähme.

»Ich weiß nun Alles,« sagte die Hirtin; »laß dich nur einsperren; ich helfe dir schon.«

Thränenblüthe wurde eingesperrt; aber in derselben Nacht verwandelte sich die Fee in eine Maus, und biß dem König, jetzt in das eine und jetzt in das andere Ohr, daß das Blut häufig darnach floß. Hiernach rannte sie behend zu dem Bette des Prinzen, und macht es ihm eben so und zerkratzte ihm auch noch das Gesicht. Und als der König wieder ein bißchen eingeschlafen war, biß sie ihm in die Nasenspitze, daß er vor Schmerz brüllte und die Zunge heraussteckte; da biß sie ihm die Zungenspitze ab, daß er wüthend wurde und die Maus überall suchen ließ und selbst mit bloßem Degen suchen half. Die kleine Maus hatte indeßen aber schon wieder dem Unhold das eine Auge fast ausgebißen, das er noch hatte. Da wurde der auch wüthend, nahm seinen Degen, rasete, so arg er noch konnte, im Schloße umher und hieb links und rechts um sich. Da schimpfte der Vater auf ihn und schlug ihn mit dem Degen. Das wollte er aber nicht leiden und hieb und stach nach dem Vater, und der Vater hieb und stach nach dem Sohne. Da rannten sie sich beide den Degen durch den Leib, und blieben beide auf der Stelle todt. Thränenblüthe wurde von dem Volke aus dem Kerker erlöst, und zur Königin ausgerufen, weil sie so schön war und so viel erlitten [24] hatte, und weil ihr Vater auch ein König gewesen war. Mutter und Tochter und Fee waren nun froh.

Das machte Alles die kleine Maus; denn wie klein man auch sei, wenn man nur Feenverstand hat, und weiß es also recht anzufangen, da kann man gar viel.

3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

3. Rothkäppchen.

Es war einmal ein klein lieb hübsches Mädchen gewesen, welches alle Leute lieb hatten, weil es so freundlich und zuthulich war, das ward Rothkäppchen geheißen, weil ihm seine Mutter immer ein rothes Käppchen anzog, welches dem Kinde am liebsten gefiel.

Wenn nun bei den Aeltern etwas Guts war, Kuchen, Braten und Wein, so mußte Rothkäppchen der Großmutter davon Etwas bringen, und die Großmutter hatte das Kind gar allzusehr lieb, wohnte aber wo anders, wohl eine Viertelstunde von dem Orte, wo Rothkäppchen wohnte.

Da sagte einmal seine Mutter zu ihm: »Rothkäppchen, du mußt zur Großmutter gehen und sollst ihr den Kuchen hier und diese Flasche mit Wein bringen, denn sie ist krank und liegt im Bette; und der Wein soll sie erquicken. Grüß sie fein von uns und sei hübsch; nimm dich in acht, daß du die Flasche nicht zerbrichst, und die arme Großmutter hätte dann nichts. Und, hörst du, gehe mir ja nicht vom Wege ab, etwa in den Wald, denn da wohnt der garstige Wolf, der könnte dir Leides zufügen und dich beißen.« Damit [25] putzte sie das Kind noch ein wenig und strich ihm das Käppchen recht glatt.

Das Kind versprach der Mutter, es wolle recht folgen und bei Leibe vom Wege nicht abgehen. Es freute sich aber, daß es zur Großmutter gehen durfte und konnte ihr Etwas bringen.

Als es nun unterwegs so am Walde vorbeikam, schien die Sonne recht lieblich hinein, und es sahe gar schöne Blumen drin stehen. »Ih!« dachte es, »ein bißchen so vorn im Walde da darfst du wohl gehen, die schönen Blumen zu pflücken, da wird der Wolf wohl nicht sein.«

So ging es ein wenig vorn in den Wald und pflückte die Blumen, und sah immer schönere und noch schönere stehen, und kam immer tiefer und tiefer in den Wald.

Da kommt der Wolf eben daher, aber das Kind kannte ihn nicht und fürchtete sich auch nicht vor ihm, denn der Wolf hatte ein freundliches Gesicht angenommen, weil er Böses zu thun gedachte, da konnte man es so leicht nicht merken, welch ein heilloses Thier er war, als wenn er grimmig hätte ausgesehen.

Der Wolf sagte: »Guten Morgen, Rothkäppchen; wo willst du so früh denn schon hin?«

»Schön Dank,« sagte Rothkäppchen; »ich will zur Großmutter, die ist krank und kann nicht aus dem Bette; da bring ich ihr Kuchen und Wein, daß sie wieder gesund wird, das habe ich hier unter der Schürze.« Damit deckt es das Schürzchen von der Seite auf und zeigte es ihm.

»Wo wohnt denn deine Großmutter, lieb Rothkäppchen?« »Weißst du das nicht?« sagte das Kind. »Ih die wohnt ja nicht weit von dem Walde, dort in dem grünen Hause, unter den drei [26] Eichen und stehen schöne Haselhecken um den Garten, da wachsen schöne Nüße drauf, die schenkt mir die Großmutter alle.«

»Nun da grüß die Großmutter von mir,« sagte der Wolf, »und such dir auch noch Blümchen, die kannst du ihr mitnehmen, damit sie sich freuen kann.«

Damit eilte der Wolf fort, das Kind aber pflückte sich noch Blümchen. Er hätte das Kind wohl gleich jetzt gern gefreßen, aber er wußte, der Jäger war nicht weit, und er wollte auch Großmutter zugleich mit freßen.

»Da will ich einmal ein Morgenbrod haben, als in sehr langer Zeit nicht!« sagte der Wolf und war in einigen Augenblicken am Hause der Großmutter und pochte an die Thür; und als diese fragte, wer da poche? sagte er: er sei Rothkäppchen und bringe Kuchen und Wein. Da sprach die Großmutter: »Mach nur die Klinke auf, denn ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.« Da machte der Wolf die Thür auf, ging ans Bett der Großmutter, und weil Niemand da war, verschluckte er die alte Frau ganz und gar.

Aber er wollte das liebe Rothkäppchen auch noch freßen, und zog der Großmutter Kleid an und setzte ihre Haube tief ins Gesicht, legte sich ins Bett und zog die Vorhänge zu, damit man ihn nicht so leicht kenne.

Jetzt kam Rothkäppchen mit dem Kuchen und Wein und mit den Blumen. Es trat ans Bette und zog die Vorhänge zurück und wunderte sich. »Großmutter,« sagte es, »was hast du für große Ohren?« – »Daß ich dich beßer hören kann!« sagte der Wolf. – – »Großmutter, was hast du für große Augen?« – »Daß ich dich beßer sehen kann.« – – »Großmutter, was hast du für große Hände?« – »Daß ich dich beßer faßen kann!« – – »Großmutter, [27] was hast du für ein großes Maul?« – daß ich dich beßer verschlingen kann!

Somit sprang der Wolf auf und verschluckte das arme Rothkäppchen. Darauf, weil er zu voll war, legte er sich ins Bette und schlief und schnarchte ganz greulich.

Da ging der Jäger vorbei, und als er die Thüren offen stehen sahe und so laut darinnen schnarchen hörte, dacht er: Was ist das? Du willst doch ein bißchen hineinsehen. Als er nun den Wolf im Bette sahe, aber nicht die Großmutter, da wußte er, daß der Wolf die Großmutter gewiß gefreßen hatte. Aber er wollte nicht schießen, damit er die Großmutter nicht mit träfe, denn die möchte vielleicht wohl noch leben, sondern er nimmt sein Jagdmeßer und schneidet dem Wolf den Bauch auf. Da springt erst Rothkäppchen hervor und sagt: »Wie war ich erschrocken! Es war so dunkel im Wolfsbauche!« Hierauf holt der Jäger die Großmutter auch hervor.

Da waren alle drei vergnügt. Die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein und der Jäger bekam auch ab; der Jäger nahm den Pelz von dem Wolfe, der war groß und schön und viel Thaler werth; und Rothkäppchen sagte: »Ich will mein Lebtag nicht wieder thun, was die Mutter verboten hat!«

4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

4. Das Röslein.

Es lebte ein reicher, reicher Kaufmann im Morgenlande, der ein recht sehr lieber und guter Mann war, und Hali hieß.

Der Kaufmann hatte drei schöne Töchter, die hießen Kadidja, Zemire und Sumi, Sumi war aber die jüngste und schönste [28] und auch die sanfteste und bescheidenste und offen und fröhlich, darum sie denn der Vater am liebsten hatte. Die beiden andern Mädchen aber waren über die maßen hochmüthig und herrschsüchtig und verachteten andere Mädchen die weniger Geld hatten als sie, und darum hatte sie im Hause kein Mensch lieb, und in der Stadt auch Keiner.

Der Kaufmann that alle Jahre mit seinen Knechten und Kameelen eine große Reise, wo er kostbare Waaren in andere Länder brachte, und kaufte dafür wieder andere herrliche Waaren ein, die selten und theuer waren, und an welchen er zu Hause sehr viel Gewinn hatte. Also wurde er immer noch reicher. Es dauerte aber solch eine Reise wohl ein halb Jahr und drüber; und wenn der Kaufmann dann wieder nach Hause ge kommen war, legte er den Töchtern seine Waaren aus, damit sie sich Eins und das Andere Stück zum Geschenk aussuchen möchten. Da wählten sich die beiden Aeltesten allemal recht kostbare Dinge, Kleider und Schmuck, die recht in die Augen fielen und weithin schimmerten und glänzten, und sollten Neid erregen bei ihren Freundinnen; aber Sumi meinte, von solchen theuren Dingen würde man nicht froher und beßer, und bat sich meist nur ein Paar Kleinigkeiten aus, und die Schwestern dachten dann und sagten es ihr auch, sie sei ein recht dummes Ding, das nicht wiße, was schön sei, aber Sumi kehrte sich wenig daran und konnte wohl gar darüber lachen.

Als nun einsmals der Vater wieder fortreisen wollte, sagte er zu den Töchtern: »Von den Waaren, die ich zurückgebracht habe, ist Euch beiden Aeltesten immer keine gut genug gewesen, drum saget an, was ich Euch mitbringen soll und du Sumi sollst mir auch sagen, was du gern hättest.«

Da forderten die ersten Perlenhalsbänder und diamantene Ohrringe, und Kleider mit Gold und Silber durchwirkt und kostbare [29] rothe Schawls, wohl tausend Thaler an Werth, die weit hin flammten und leuchteten; Sumi aber sagte: »Du lieber Vater, so prächtige Dinge machen mich nicht froh; bring mir aber ein schönes, ein recht schönes Röslein mit, mit ein Paar Knospen daran.« Mit Vaterfreuden sahe Hali auf sein bescheidenes Kind.

Er zog fort, zog dahin und dorthin, und was die ältesten Töchter sich gewünscht hatten, das hatte er leicht gefunden und hatte viel Geld dafür gegeben, und hätte gern dreimal so viel gegeben, wären sie nur dadurch innerlich recht glücklich geworden; aber das Röslein für Sumi konnt er so leicht nicht finden. Rosen waren überall genug da, aber so schön, so wunderschön, als er es so gern für seine liebe Sumi gehabt hätte, konnt er keins finden, und fand sich auch eins, so wußte er nun nicht, wie er es sollte bewahren, damit es ihm nicht auf dem langen Heimwege verwelke.

Als er auf dem Heimwege weiter und weiter kam, war die Rosenzeit lang schon vorüber, und der Vater war so betrübt darüber, daß ihn all das viele Geld nicht erfreuen konnte, welches er auf dieser Reise gewonnen hatte. Wo sollt er nun ein schönes Röslein für Sumi hernehmen, da es schon Herbst geworden war, und der Wind schon viel rothe und gelbe und bleiche Blätter von den Bäumen herabwehete und manche derselben schon kahl waren.

Hali zog weiter und weiter und fand keine Rosen, sondern immer mehr kahle Bäume und Hecken. Aber einmal eines Mittags, wo die Sonne sehr heiß brannte, kommt er in eine Gegend, wo alle Bäume und Hecken noch blüheten und grünten und klare, frische Quellen rieselten da und dort, und die ganze Gegend war ein großer Garten. Da verwunderte er sich und ließ die Kameele und Pferde und die Knechte ruhen, und er selbst wollte in dem Garten lustwandeln.

[30] »Wie ist denn hier,« sagte er zu seinem treuesten und erfahrensten Diener Jusuf, »wie ist denn hier Alles so anders, als überall, woher wir gekommen? Hier sind ja Frühling und Sommer beisammen.«

»Ja Herr,« antwortete Jusuf, »das ist ja auch HerrMordis Garten,« und sagte das so leise und bedenklich, als könnt es gefährlich sein darüber zu sprechen.

»Wer ist Mordi?« fragte der Herr; aber der Diener bat ihn gar sehr, jetzt nicht weiter zu fragen; es sei hier nicht an der Zeit und gar nicht geheuer. Wenn sie nur erst aus dem Garten wären, dann wolle er ihm Alles erzählen.

Hali lächelte, und indem er durch den Garten lustwandelte, sagte er: »Du treuer Alter hast gewiß einmal wieder Mährchen im Kopfe, und trägst Angst, wo es nicht noth ist;« aber Jusuf bat ihn nochmals mit einer Art Heimlichkeit und Schüchternheit jetzt zu schweigen, und zeigt ihm hinten ein herrliches glänzendes Schloß, und sagte: »dort wohnt er!«

Viel schöne Blumen standen an den Wegen im Garten, aber kein Röslein. Endlich fand er doch ein, eben erst aufgeblühetes mit 2 schönen Knospen – es war das einzige im Garten, und so schön, als er noch keins gesehen hatte; das wollte er für Sumi brechen und in feuchtes Moos einpacken, damit es die zwei Tagereisen frisch bliebe, die er noch bis nach Hause hin hatte. Aber Jusuf fiel vor ihm auf die Knie und flehte: »brecht nicht, lieber Herr, brecht nicht! Ihr brecht Euch selber den Tod! Herr Mordi leidet es nicht, daß man ihm nur ein Gräslein abrupfe.«

»Narr!« sagte Hali unwillig, »ich kann die Rose mit Golde ja zehnfach aufwiegen.« Er hörte nicht mehr auf das Flehen des treuen Dieners und brach die Rose, und ergötzte sich dran und freuete sich, [31] und als er sie einige Augenblicke in Händen gehabt, verwies er dem Jusuf seinen Glauben an Mährchen.

»Eilt aus dem Garten, Herr, eilt! eilt!« bat Jusuf, und hatte kaum die Worte gesprochen, als die Diener und Knechte keuchend und mit Entsetzen von verschiedenen Seiten herbei liefen und schrien – »Es kommt! – Kommt, rettet Euch! – lange Ohren! – – Feueraugen! schrecklichen Rachen mit langen Zähen! – – stehn aus dem Maul weit hervor! – – Zunge hängt zum Halse hinaus! Rettet Euch!«

Jetzt brüllte es fürchterlich, und in Einem Augenblicke stand ein schwarz schuppigt Ungeheuer da, mit Schlangenschwanz und Drachenkrallen, und langen Zähnen und hervorhängender Zunge und Schlappohren und mit Hörnern auf dem Kopf.

Jetzt wollte Hali sich retten, aber vor Entsetzen konnte er nicht von der Stelle. Im Augenblick hatte das Ungeheuer seinen Schwanz um den Kaufmann geschlungen und ihn mit zwei Krallen mörderisch bei den Achseln gepackt, und sahe ihm mit seinen Flammenaugen blutlechzend ins verblaßte Gesicht.

»Hast mir mein Röslein gebrochen,« sagte es mit dumpfen Gebrülle, »dafür brech ich dir den Hals!«

Was half dem Hali sein Jammern und Wimmern; was halfs, daß er dem Unthier erst zehn, dann zwanzig und zuletzt alle seine hundert Kameele mit ihrer Ladung zur Lösung anbot, das Ungeheuer wurde nur noch grimmiger und drückte ihm die Krallen noch schmerzlicher und tiefer ein, und sagte: deines Bettels bedarf ich nicht, ich hab deßen tausendmal mehr denn Du? Löse Dich beßer, und gib mir Sumi, deine Jüngste, zu eigen, für welche du das Röslein brachst. Und als der Kaufmann abermals bitten wollte, schlug ihm das böse Ungeheuer die Kralle in den Hals und knirschte mit den [32] Zähnen. Da sagte in der entsetzlichen Angst Hali sein liebes Töchterlein dem Unthiere zu, und mußte ihm schwören mit einem großen Schwur ihm daßelbe am dritten Tage zu geben, wo er es durch seine Diener werde abholen laßen.


Trauernd zog Hali nach Hause und der treue Jusuf trauerte mit ihm, denn er liebte seinen guten Herrn. Mit einem Gesicht voll des allertiefsten Jammers trat Hali in sein Haus ein und grüßte die Töchter und drückte Sumi zweimal an sein Herz. Sie sahen es wohl, daß den Vater Etwas tief bekümmere, aber die beiden ältesten Töchter kümmerte es wenig, denn sie waren nur gierig nach den Geschenken und konnten die Zeit nicht erwarten, bis sie dieselben in Händen hatten. Sie bekamen, was sie gewünscht hatten, und noch viel Schönes mehr, denn der Vater ließ sie noch aussuchen, was ihnen von seinen kostbaren Waaren gefiel. Darüber beachteten sie nicht, wie betrübt des Vaters Angesicht aussahe, und als sie sich mit den kostbaren prächtigen Dingen nun putzten, vergaßen sie es ganz und gar und sprachen nur davon, daß sie nun viel schönere Sachen hätten als die Töchter des Fürsten, und daß sich alle vornehmen Mädchen vor Neid über sie ärgern würden. Ja wohl! wenn man so gesinnt ist, denkt man an Vaters Kummer und Mutter Thränen nicht!

Sumi hatte ihr Röslein bekommen und war wohl kindlich froh darüber und dankbar, aber sie sahe des Vaters inneren Jammer und fragt ihn, was ihn betrübe? und bat ihn nicht traurig zu sein.

»Ach du armes Kind,« sprach der Vater, »du wirst es noch früh genug erfahren, was mich bekümmert; aber hole doch jetzt deine Gespielin, dein liebes Besenstielchen.« Sumi holte es gleich. Es [33] war ihre liebste Gespielin aus der Nachbarschaft, die nicht oft genug bei ihr sein konnte, obwohl sie nur das Kind eines Besenbinders war, denn es war ein gar sehr liebes Kind, welches der Sumi auch recht ähnlich sahe. Hali hatte, wie immer, auch dießmal dem Besenstielchen hübsche und nützliche Geschenke mitgebracht. Die gab er ihm, als es Sumi geholt hatte.

»Ach Vater!« sagte Sumi, »ich bin so froh, daß du mir das schöne Röschen gebracht, welches so lieblich riecht, als wären alle duftenden Blumen der Welt darin, und hast nun auch mein liebes Besenstielchen beschenkt. Aber nun sag auch, was dich so traurig macht, sonst kann ich ja auch nicht vergnügt sein.«

»Armes, armes Kind! einmal mußt du es doch erfahren!« Da erzählt ihm der Vater Alles, was sich in dem Garten begeben hatte, und wie übermorgen Herr Mordi seine liebe Sumi würde holen laßen, gewiß um sie aufzufreßen!

»Ach!« sagte Besenstielchen, »Ihr armer Herr Hali; dort in Mordis Garten habt ihr das Röslein gebrochen, wo die Blumen immerdar blühn? Ja, wer das thut, der ist ihm zu eigen verfallen, und wird von ihm gefreßen, wenn er sich vor ihm fürchtet. Nein, da soll die liebe Sumi nicht hin, denn die würde sich gewiß vor ihm fürchten!«

Als Hali fragte, woher es das wiße? antwortete Besenstielchen, es wiße das Alles von der Großmutter, deren Aeltern hätten nicht weit von Herr Mordis Garten gewohnt, und die Großmutter hätte ihm so viel davon erzählt, daß es ihm vorkäme, als sei es schon lange mit Herr Mordi bekannt. Es wolle hin zu ihm, und der würde viel davon wißen, ob es Sumi sei oder nicht.

»Ach gutes Kind,« sprach Hali, »das kann dein Vater nicht zugeben;« aber Besenstielchen antwortete, daß der Vater ja noch zehn [34] Kinder und die alten Großältern zu ernähren habe, und sei oft kein Krümchen Brodt im Hause; der würde es gerne sehen, wenn er ein Eßmaul los würde.

Besenstielchens Vater gab es zu, denn er meinte sein Kind würde sich mit Herr Mordi schon durchhelfen und könne bei ihm vielleicht sein Glück machen, und sie Alle einmal aus der Noth ziehen.

Das war nun Alles richtig und Herr Mordi gab Besenstielchens Vater viel Geld und Gut.


Als am dritten Tage in aller Frühe Besenstielchen wie Sumi angekleidet war worden, kam eine herrliche Kutsche mit prächtigen Pferden und mit Läufern und Dienern und einer jungen Kammerdienerin und holten Besenstielchen ab.

Herr Mordi wartete ihrer am Thore des Gartens, und seufzte: »Ach wenn sich nur das liebe Kind nicht fürchtet, sonst muß ich es ja zerreißen, weil mich die böse Mutter also verwünscht hat, daß ich muß. Darüber bin ich nun schon neunhundert Jahre ein Ungeheuer.«

Indem er so seufzte und klagte, kam die Kutsche an und Besenstielchen stieg aus; aber stracks waren die Menschen in Affen und Pudel verwandelt und die Kammerdienerin in ein schönes Misekätzchen. Da verwunderte sich Besenstielchen und fragte: »Seid Ihr denn nicht eben erst Menschen gewesen?« und die Pudel bellten: Wau, wau! Das Kätzchen schrie: Miau; und die Affen wackelten mit den Köpfen und schnitten seltsame Gesichter, und alle nickten mit den Köpfen; das sollte denn heißen: Ja, ja!

Jetzt kam Herr Mordi. Besenstielchen überlief es mit heimlichen Grausen, indeßen hatte es sich ihn wohl tausendmal nach der [35] Beschreibung der Großmutter also vorgestellt, wie es ihn jetzt sahe und faßte sich desto leichter.

»Fürchtest dich doch nicht, Kind?« fragte Herr Mordi; »mußt dich ja nicht fürchten!«

»Ich fürchte mich auch gar nicht ein Bißchen. Was sollt ich denn fürchten?« antwortete Besenstielchen.

»Aber wenn ich dich nun mit meinen großen Feueraugen ansehe, dann doch?« »Gar nicht,« antwortete Besenstielchen; »deine Augen sind lange so groß und feurig nicht, als unser Heerdfeuer, oder als das Feuer in Nachbars Schmiedeeße.«

»Aber meine langen Schlappohren? meine großen Zähne?« »O,« sprach Besenstielchen, »ich habe einen Elephanten gesehen, der hatte viel längere Schlappohren als du und viel größere Hauer.«

»Das ist ja sehr gut, Sumi,« sagte Herr Mordi. »Komm nun! ich will dir den Garten zeigen und das Schloß, da wirst du viel schöne Sachen sehen, die ich dir schenken will.« Damit wollt er sie mit seiner Kralle anfaßen und führen. Sie aber sagte: »Bleib mir ein Bißchen vom Leibe, Herr Mordi; fürchten thue ich mich gar nicht vor dir, aber du bist mir zu häßlich.«

Herr Mordi seufzte und blieb dem Mädchen einige Schritte vom Leibe, und zeigte ihm vielerlei Schönes.

»Aber ich sehe ja keine Menschen,« sagte Besenstielchen. »Hast du denn keine Kinder zum Spielen für mich?«

»Alles Schöne und Liebe sollst du haben, mein Kind,« sagte traurig Herr Mordi, »und Alles was dein Herz nur begehrt, aber Menschen nicht. Ach das ist es ja eben, du hast ja gesehen, was aus dem Menschen hier wird.« – »Thiere, die klug sind wie Menschen, und thun Alles, was du verlangst, aber sie haben keine Menschengestalt und Sprache.«

[36] Als er sie so umherführte, kamen sie in ein schönes kühles Birkenwäldchen. Da vergaß sich Besenstielchen und rief: »Ei was sind das für schöne Birken! Wie viel Besen könnte mein Vater binden, wenn er die hätte!«

»Wie?« sagte Herr Mordi verwundert; »du bist also Besenstielchen, des Besenbinders Tochter, aber nicht Sumi, des Halis Tochter?«

Die Kleine wollte sich herausreden, aber das ging nicht, denn sie hatte schon zu viel gesagt, und konnte gar nicht läugnen, wer sie sei, zumal da sie das Röslein nicht hatte, welches Hali für seine Sumi brach, und welches, wie Herr Mordi sagte, niemals verwelke.

Herr Mordi ließ seinen Wagen, seine Pferde und Diener kommen, und befahl Besenstielchen sogleich zurückzubringen.

»Besenstielchen,« sagte er, »hüte dich wieder zu kommen, denn das wäre dein Unglück; aber dießmal magst du frei zurückgehen, weil du aus Liebe zur Sumi mich hast wollen betrügen, und darum sollst du auch das Gold haben, welches du im Wagen wirst finden. Sage dem Hali, weil auch Er mich hat wollen betrügen, soll ers mit schwerer Krankheit büßen.«

Wie erschrak Hali, als Besenstielchen wieder kam, und einer von Mordis Dienern ins Haus trat und Sumi forderte, und mitnahm. Jammernd schrie ihr der Vater nach und streckte seine Hände nach ihr aus. Die ältern Schwestern aber machten sich nichts daraus, daß Sumi fort mußte, und auf des Vaters Jammern achteten sie nicht, wohl aber auf die schönen Pferde, die wie Pfeile dahinschoßen, und auf den Wagen, der wie von Gold und Edelstein schimmerte. Ja! meinten sie, wenn sie dergleichen einmal haben sollten, da wären sie vollkommen glücklich und wollten nach der ganzen Welt [37] nichts fragen. Aber um des Vaters Schmerz kümmerten sie sich wenig, und unter sich sagten sie: »Was heult denn der Vater nur um die dumme Gans? An der ist ja gar nichts gelegen. Wenn sie auch Mordi frißt, was machts denn?« Und wenn der Vater ihnen klagte, wie unglücklich er sei, warfen sie ihm vor, er sei ja selbst Schuld daran, weil er die Rose für sein Herzblättchen durchaus habe abbrechen müßen.

Der Vater hätte diese Häßlichen aus dem Hause stoßen sollen, aber er war viel zu gütig und sanft. Doch klagte er den harten Herzen sein Leid nicht mehr, sondern nur noch dem treuen Jusuf, der mit ihm weinte.

Sumi, die sich von Besenstielchen hatte erzählen laßen, wie es ihm bei Mordi ergangen war, gewöhnte sich bald an Herr Mordi und fürchtete sich nicht vor ihm, und Herr Mordi war so gut gegen sie, und merkte auf Alles, was ihr Freude konnte machen. Das artige Misekätzchen war immer bei ihr, half ihr beim Anziehen, ging mit ihr in den Garten, haschte ihr schöne Vögel, biß sie aber nicht, sondern brachte sie der Herrin, welche die Vögelein besahe und nach ein Paar Augenblicken wieder frei ließ; die Pudelhunde aber und die Affen thaten gern und gleich, was Sumi nur wünschte, und brachten und trugen wieder fort, wie sie es verlangte.

Da hätte Sumi wohl können glücklich und froh sein, aber den Vater konnte sie ja nimmer vergeßen, das machte sie dann traurig, und an Mordi konnte sie sich auch nicht gewöhnen. Ja! sie war ihm im Herzen wohl gut, weil er so liebreich und sanft war, aber seine Gestalt war gar zu widrig und abschreckend, und wenn er sie zuweilen recht flehend bat, ihn nur ein wenig, ein ganz klein wenig zu streicheln, da überliefs ihr die Haut und sie vermocht es nicht.

[38] So hatte sie lange Zeit bei Herr Mordi gelebt, und da dachte sie einmal so recht innig daran, daß sie nun so gar nichts von dem herzlieben Vater wiße, nicht wie es ihm ergehe, und daß er sich gewiß um sein liebes Kind grämen werde, denn er werde wohl denken, es sei entweder gefreßen, oder es gehe ihm recht übel. Darüber weinte sie sehr.

Als sie nun so, betrübt bis in den Herzensgrund, weinte, trat Herr Mordi in ihr Zimmer und brachte ihr ein Körbchen voll der schönsten Blumen und Früchte, und sahe sie mitleidig an und fragte: »Was weint denn meine Sumi? Will dir es denn hier gar nicht gefallen?«

»Es gefiele mir Alles wohl recht gut,« antwortete sie, »aber ich weiß ja nicht, was der arme Vater macht; der hat sich vielleicht schon um mich zu Tode gegrämt?«

Da rief Herr Mordi einen Pudel, der mußt ihm seinen Spiegel bringen, den hielt er Sumi vor, und sagte: »denk nur an den lieben Vater, so wirst du sehen, was er macht.«

»Da sahe sie des Vaters Haus und kannte Alles wieder, und was im Hofe, Hause und Garten war, zog vor ihren Augen vorüber; der treue Hofhund; die Knechte, die in die Ställe gingen zu Pferden und Kameelen; die Diener, die den Handel besorgten mit allen Waaren, und viele andere Dinge.« »Aber wo bist du denn, Vater?« rief sie.

Da war er in einer Gartenlaube, wo er traurig saß, bleich und abgemattet, und nur Jusuf war bei ihm, der treue Knecht, und als er aufstehn wollte, mußte er an Krücken schleichen, und der treue Jusuf half ihm dabei.

»O! ist denn keine von den Schwestern da, den kranken Vater zu warten?« rief sie; »wo sind sie denn?«

[39] Da zeigte ihr der Spiegel die Schwestern. Sie waren an einem Badeorte, weit von des Vaters Wohnung, und tanzten im wilden Tanze durch lange beleuchtete Säle. Dann eilten sie zu Tische, wo sie sich mit vielen Andern drum herum setzten, und nahmen große Hände voll Gold und legten es auf den Tisch, und Einer hatte einen größern Haufen von Gold und einen großen Haufen Blätter mit wunderlichen Bildern, die vertheilte er unter die Uebrigen.

»Da spielen sie;« sagte Herr Mordi, »und deine Schwestern, die den armen Vater Vater sein laßen, sind mit dabei, denn sie sind überall, wo es Spiel und Tanz gibt und bekümmern sich um den Vater gar nicht. Er hat Niemand als den Arzt und den treuen Jusuf, die ihm aber doch nicht helfen können.«

»Ach! wär ich nur bei dir, du lieber kranker Vater,« schluchzte Sumi überlaut, »ich wollte dich warten und pflegen, und solltest du wohl wieder genesen! Ach wär ich nur bei dir, aber« – – – –

»Diener laßt anspannen,« rief plötzlich Herr Mordi seinen Pudeln, und Sumi sagte: »Willst du denn auch fort, Herr Mordi, und ich soll ganz allein sein, und Keinen haben, der mich tröstet?«

»Du gutes Kind!« sagte Herr Mordi, »Ich will nicht fort, und ich kann auch nicht, aber Du mußt ja fort; dich verlangts ja nach dem kranken Vater so sehr. Es ist im Wagen Alles, was du an Kleid und Schmuck, oder an Geschenken für Besenstielchen, oder für wenn du willst, etwa gern haben möchtest. Aber die Hauptsache ist dieses Fläschchen. Darin ist Thau von dem Lebensbaume, mit welchem du den Vater vom Tode erretten sollst, aber du sollst mich auch damit einmal erretten, darum verbrauch ihn nicht ganz, wenn ich dir werth bin. Grüße den Vater und vergiß mein nicht! Sechszig [40] Tage darfst du aus sein, aber komm lieber einen Tag früher wieder! Ich bitte dich vergiß mein nicht!«

Da gelobte Sumi, sie wollte ihn nimmer vergeßen, und könnt es auch nicht, da er gegen sie und gegen den Vater so gut sei.

»Halte Wort, Sumi, halte Wort! nimm den Zauberspiegel mit und sieh um den dritten Abend vor Schlafengehen hinein und siehe nach mir, und wenn du mich krank siehst, dann eile mit dem Balsamthau zu mir. Wiße; wenn du um den dritten Tag nicht nach mir siehst, so schrumpfe ich unter unaussprechlichen Schmerzen um Etwas zusammen, und wenn das zwanzigmal geschehen ist, so bin ich ganz hin. Ach, Sumi, vergiß mein nicht!«

Da gelobte ihm Sumi noch einmal, sie wollte ihn fürwahr nicht vergeßen, nahm den Zauberspiegel und stieg in den Wagen, und Misekätzchen sprang auch mit ein, und sie sagte Herrn Mordi: »Leb wohl!« und sagte auch weinend: »Es thut mir recht leid, daß ich dich nun soll so allein laßen; aber ich will recht oft nach dir sehen.« Damit gab sie ihm die Hand ein ganz klein wenig, denn Herr Mordi war ihr schon lange immer weniger häßlich vorgekommen, je mehr er so gut gegen sie war. – Das geht aber meistentheils fast immer so.


Aber wie wars indeßen dem armen Hali ergangen?

Wo seine ruchlosen Töchter waren, wußte er nicht, und um seine Sumi grämte er sich, und ward krank und elend, und wäre in seiner einsamen Bekümmerniß vergangen ohne Jusuf und den treuen Arzt. Auch die Diener bekümmerten sich wenig um ihn, weil sie dachten, lang könnts doch mit ihm nicht mehr dauern, und dann könnt er ihnen weiter nichts helfen.

[41] Alle Tage wurde es schlimmer mit Hali, und einstmals sagte derselbe, »mich träumt immer von einem himmelblauen Balsam, der mir alle Glieder durchströmt, und von dem ich wie neu verjüngt würde, wenn ich nur ein wenig davon hätte; aber so einen Balsam gibts denn wohl nicht!«

»Freilich gibts einen solchen,« sagte der Arzt, »und möchte der Euch allein wohl helfen können, aber wie sollen wir ihn denn erlangen? Er fließt aus den Blättern eines Baums, der einzig und allein in Mordis Garten steht, und haben ihn viele holen wollen, aber das Leben dabei eingebüßt.«

Als Hali das hörte, wollte er verzweifeln, nicht weil er bald sterben müßte, sondern weil er so gern noch Gewißheit über Sumi gehabt hätte. Ihm war es immer, als müße sie noch leben, obwohl er sich so sehr grämte, als wäre sie schon gestorben.

Der Arzt rief alle Diener Halis zusammen, und fragte: »Euer lieber, guter Herr, der Euch viel Wohl that hat gethan, ist nun recht sehr krank, und ich weiß nicht, ob ich ihn werde am Leben erhalten. Es gibt aber noch ein Mittel ihn gewiß zu erretten, wenn ich nur wüßte, wer ihn von Euch am allerliebsten hätte?«

Da wollte ihn Jeder am allerliebsten haben und sein Leben für ihn laßen, wenn es Noth hätte. Das sagten sie Alle, aber Jusuf schwieg. Noth hätte es denn eben, meinte der Arzt, und das Leben müße freilich gewagt werden. Er sagte ihnen, ihr lieber Herr sei nur durch den Thau vom Lebensbaume zu retten, der in Mordis Garten stehe, und fragte, wer ihn den holen wolle?

Da hatten sie tausend Ausreden. Der Eine meinte: Ja! wenn er nur gewiß wüßte, daß der Thau hülfe, wollt er denselben schon holen, und sein Leben dran wagen; aber als der Arzt sagte, der Thau helfe gewiß, sprach er, das könne er nicht glauben. Der [42] Andere hatte gar zu nöthig im Hause zu thun, und konnte nicht abkommen; der dritte sprach: Er wolle den Herrn wohl aus 20 und noch mehr Mördern und Räubern heraushauen, wenn es sein müßte, aber mit dem Mordi möge er nichts zu schaffen haben, das sei ein grauwaltiges Ungeheuer. So hatte ein Jeder eine andere Ausrede. Und als der Arzt ihnen nun recht beweglich wollte zureden, sagten sie zu ihm, er sei ein Narr, und sollte sie ungehudelt laßen; und möchte lieber selbst hingehen und den Thau holen, obwohl sie recht gut wußten, daß er den Herrn nicht durfte verlaßen, wenn der nicht stracks sollte sterben. Und da er nun nicht aufhörte zu bitten, wurden sie wild und drohten ihm die Jacke auszuklopfen, wenn er das dumme Maul nicht halte.

Da sahe der Arzt wohl, daß all sein Reden und Bitten nichts fruchte und ließ sie gehen. Jusuf aber war da geblieben und hatte immer geschwiegen.

Als die Andern nun weg waren, sagte er zum Arzte: »Herr, lehr mich den Baum kennen und sagt, wie er aussieht und wie ich den Thau muß bekommen? – Ich will gehen und ihn bringen, wenn ichs vermag?«

»Du? du treue Seele du?« rief der Arzt, »du bist ja so alt und matt, und bist dem Herrn so nöthig; er hat ja Keinen als dich!«

Jusuf sagte, er wolle gehen und die Paar Jahre seines Lebens, die ihm noch möchten beschieden sein, für den Herrn gern dran setzen.

Derweil sie beide davon noch hin und her redeten und Jusuf sich unterweisen ließ, wie er den Thau für seinen Herrn erlangen möchte, raßelt eine Kutsche mit Leuten daher. Das war Sumi.

»Ach!« rief Jusuf, »du kommst eben recht, den guten Vater [43] noch einmal zu sehen; denn wer weiß, ob ich den Lebensthau erlange, den ich ihm holen will?«

»O! bleib nur, du treuer Jusuf,« rief Sumi, »den Lebensthau bring ich ja mit; den hat mir Herr Mordi gegeben!«

»Habt Ihr den Lebensthau?« sagte der Arzt, »o dann ist Alles gut! Zeigt ihn mir, ob er es ist? – Ja, er ists! er ists!« sprach er, da er ihn gesehen und ein Paar Tropfen versucht hatte. »Er ists! Bleibt aber jetzt hier Sumi, damit, wenn der Vater Euch sieht, er nicht vor Freuden sterbe.«

Ein neues Leben durchströmte Halis Adern, als er nach und nach ein Schälchen des himmelblauen Thaues genommen hatte. Er war wie verjüngt, und als nun Er und Sumi sich einander in den Armen lagen, da waren beide seelig!

Zwei Monate sollten die Feste dauern, die Hali in seiner Freude aller Welt geben wollte, und sollten so glänzend und herrlich sein, als sie kein Fürst geben konnte.

Sumi, in der Freude beim Vater zu sein und auch bei Besenstielchen, und in dem Rausche von Festen, die den Kopf betäuben und darum vergeßlich machen, hatte nicht daran gedacht in den Zauberspiegel zu schauen, wie es dem einsamen Mordi ergehe. Darüber waren viel Tage vergangen.

Da sagte eines Abends Käthchen, die Kammerdienerin, die in Mordis Garten nur das Misekätzchen war: »Nun ist es bald an der Zeit, daß wir zurückeilen, wenn wir Herr Mordi noch wollen am Leben finden.«

Da erschrack Sumi und rief: »O der arme, arme Mordi! o der undankbaren Vergeßlichkeit!«

Sie sahe in den Spiegel. Da lag Herr Mordi kläglich und elend im Garten und war fast zu einer bloßen Haut zusammengefallen, [44] und es war, als ob sie in seinem Gesichte lesen könnte, und stände darauf geschrieben: »ach Sumi! du hast mein vergeßen; nun muß ich elend sterben!«

Das Mädchen erblaßte. »Käthchen nimm den Lebensthau; wir müßen gleich in der Nacht fort, ohne Abschied, der uns nur aufhielte. Mordis Leben ist in Gefahr!«

Da ging es gleich fort, denn die Pferde waren immer den Augenblick angespannt, wenn man es wünschte. Niemand aber wurde die Abreise inne, denn es lag Alles tief im ersten Schlaf.

Als nun Sumi wieder in den Garten war angekommen, suchte sie Herr Mordi, und konnt ihn nicht finden. Sie schrie in großer Angst: »Mordi! ach lieber Mordi, wo bist du?« aber es antwortete keine Stimme. Da suchte sie wieder, da rief sie wieder, aber sie fand ihn nicht.

Da wollte Sumi verzweifeln und händeringend jammerte sie: »Ach er ist todt! Mordi ist todt! Nun bin ich auf immer untröstlich!«

Nach vielem Rufen und Suchen, sahe sie Etwas im Grase liegen, – sahe näher hin, und es war Herr Mordi, aber ganz klein geworden und zusammengeschrumpft und abgezehrt. Er lag, wie ohne Leben da. Sie aber kniete nieder zu ihm; da athmete er noch ein wenig und ächzte noch leise und sahe sie mit trüben traurigen Augen an.

»Armer! armer Mordi!« sagte sie betrübt, »stirb nicht! ich habe den Lebensthau;« und indem sie es sagte, legte sie weinend die eine Hand an seinen Hals und streichelte ihn mit der andern den Kopf.

Da war aber Mordi plötzlich verschwunden, und es lag ein kranker Mensch da in Königskleidern.

Sumi fragte: »Was ist das? Wo ist Mordi?«

[45] »Ich bins;« ächzte er schwach – »Lebensthau!«

Jetzt füllte sie ihm etwas Lebensthau ein, und er erholte sich so, daß er die Flasche selbst nehmen und in kleinen Zügen trinken konnte, und als er Alles ausgetrunken, stand er da, ein schöner Jüngling gesund und blühend.

Jetzt waren beide glücklich, Sumi und Mordi. Mordi aber erzählte: seine Mutter habe viel böse Zaubereien getrieben, darüber hab er sie einmal gescholten, sie aber habe darauf einen Zauberspruch über ihn gesprochen, wodurch er zum Ungeheuer geworden. Da habe er die Menschen freßen müßen, die Etwas abgebrochen hätten in seinem Garten, und alle die Mädchen auch, die ihm zu eigen verfallen wären und sich vor ihm gefürchtet hätten. Nun sei er erlöst, weil sie ihn gestreichelt habe. »Ach liebe, schöne Sumi, ich will dir dankbar sein, so lang ich lebe. Ich bin nun ein Mensch, und alle meine Thiere sind auch wieder Menschen geworden. Aber ich bin auch ein König und habe ein großes Reich. O wenn du mich lieb haben und Königin werden wolltest, dann wäre ich erst recht glücklich. Dein Vater und Besenstielchen und der treue Jusuf müßten dann bei uns leben, und den bösen Schwestern möchte alles Geld und Gut des Vaters bleiben, sie würden doch nicht dabei froh; weil sie nicht gut sind. Wir aber wären glücklich.«

»O!« antwortete Sumi, »gut bin ich dir im Herzen schon lange gewesen, weil Du immer so gut und liebreich warst, nur deine Gestalt war gar zu sehr unhübsch. Nun aber will ich deine Königin gern werden, wenn es dich glücklich macht; denn du hast ja dem Vater das Leben erhalten!«

Da umarmte Mordi entzückt seine Sumi, und als die Diener daran wohl merkten, was vorging, machten sie vor Freuden einen greulichen Lärm in Schloß und Garten, und die, welche vorher Pudel [46] gewesen waren, bellten vor Lust mit drunter Wau! wau! und Kätzchen sagte vor Lust: »Mau!« Herr Mordi aber und Sumi hatten ihr großes Vergnügen daran.


Es war am andern Morgen sehr früh, als Hali erwachte und seine Sumi besuchen wollte, aber Sumi und Käthchen und Pferde, Wagen und Diener waren fort. »Ach! seufzte Hali, so hast du mich wieder verlaßen! aber wo bist du denn jetzt hin?«

Er suchte auf ihrem Zimmer und fand alle kostbaren Kleider und allen Schmuck, der Sumi gehörte, aber was half ihm das? sein liebstes Kind fand er doch nicht. Da fiel ihm aber ein wunderlicher Spiegel mit seltsamen Rahmen voll Bilder und unbekannter Zeichen in die Augen. Das war aber eben der Zauberspiegel, den Sumi in der Angst um Mordi vergeßen hatte.

»Ach,« sagte Hali, »könntest du mir zeigen, wo meine Sumi ist?« und sahe in den Spiegel hinein. Da erblickte er sie, wie sie eben vogelschnell in den Garten einfuhr; er sahe sie angstvoll suchen; er sahe an ihrem Munde, daß sie Jemand riefe. Dann fand er sie bei dem abgezehrten Mordi und es war ihm, als ob er nun Alles verstehe, was sich begebe, und der gute Mordi dauerte ihn sehr. Aber als Sumi den armen Mordi streichelte und derselbe auf einmal ein Mensch ward und, nachdem er den Lebensthau getrunken, ein schöner blühender Jüngling da stand, und die Thiere auch zu Menschen geworden waren, da wußte er Alles.

»Ich muß hin, ich muß zu meinem Kinde hin!« rief er, und erzählte dem Jusuf, was er im Spiegel gesehen hatte, und sagte, daß er bei Sumi bleiben und nimmer zu den bösen Töchtern wiederkehren wolle. Der treue Diener aber wollte auch mit und bei seinem [47] Herrn leben und sterben. Und Besenstielchen wurde geholt und gefragt, ob es auch mit wolle, und immer wolle bei Sumi bleiben? Das wollt es sehr gern, und sein Vater wollte es auch gern.

Da bestellte Hali einen treuen Wächter über sein Haus, und schrieb ein Paar Zeilen an seine ungerathenen Töchter, darin stand, sie möchten sich in Alles friedlich theilen; er käme nimmer mehr wieder.

Da fuhr er mit Sami und Besenstielchen und mit dem Zauberspiegel fort, und nahm sonst weiter nichts mit sich, und als sie in Mordis Garten ankamen, standen schon Mordis schnelle Pferde und Wagen bereit, alle drei zu holen. Das war nun aber nicht nöthig.

Da wars eine Freude! Da wars eine Seligkeit! die keines Menschen Mund aussprechen konnte. Sumi wurde Königin; Besenstielchen hatte auch ein Herz gefunden, das gut und treu war, und der alte Sami wurde von Allen geehrt und geliebt und sagte: »Ich lebe im Himmel!« Darin lebten sie aber Alle, weil sie Alle gut waren.


Halis ältere Töchter schienen auch im Himmel zu leben, aber es war dennoch nicht wahr, sondern es schien nur so. Sie tanzten, sie spielten, sie saßen und aßen an herrlichen Tafeln, sie fuhren dahin und dorthin, sie konnten sich prächtig putzen und thaten das auch, aber sie waren nicht dabei vergnügt. Hatten sie im Spiel verloren, war ein anderes Mädchen öfter als sie zum Tanz aufgefordert, oder wurde als schön gelobt, oder hatte ein neues Kleid, das man hübsch nannte, das ärgerte sie heimlich sehr, und sie trugen[48] eitel Haß und Neid im Herzen. Das merkte Jedermann wohl und darum hatte sie Niemand lieb.

Sie erfuhren Sumi, die Schwester, sei wiedergekommen, herrlich und prächtig, und sei die Schönste im ganzen Lande. Da war es ihnen, als hätten sie Gift genommen; aber weil sie wußten, der Vater sei sterbenskrank, trösteten sie sich und sagten unter sich: der treibts nicht mehr lange, dann wollen wir das dumme Ding aus dem Hause werfen, und es soll nichts von der Erbschaft haben.

Als sie nun darauf hörten, der Vater sei wieder gesund und blühend wie ein Jüngling und gäbe herrliche Feste, wegen seiner Genesung und Sumis Wiederkunft, da erschraken sie, und wurden fast wüthend vor Grimm.

Da sie aber einen Boten bekamen, der Vater und Sumi seien fortgereist und wollten nimmermehr wiederkehren, und sie sollten sich theilen in all sein Gut; da freuten sie sich; aber es dachte schon Jede, wie sie es anfangen wollte das beste Theil zu erlangen und mehr als die Andere, und zankten sich auf dem Heimwege schon heftig, wer dieß oder das sollte haben.

Als sie nun zur Theilung kam, da ging das Elend erst recht an. Jede wollte haben, was die Andere begehrte, und da schimpften sie einander und wurden immer häßiger und feindseliger. Als aber Sumis köstliche Kleider und Juweelen zur Theilung kamen, die schöner waren, als sie auf Erden für alles Geld zu erkaufen standen, da brach die Wuth ganz aus. Keins wollte nur ein einziges Stück von den herrlichen Sachen laßen. Sie schimpften, sie schlugen sich und zerkratzten sich fluchend das Gesicht. Von nun an haßten sie sich tödtlich, verleumdeten sich und machten das Leben sich grundschwer.

Sie hatten, so lange der Vater lebte, Umgang gehabt mit den Töchtern des Fürsten, aber zu diesen durften sie nun nicht [49] mehr kommen, weil sie so schlecht sich betrugen. Man verachtete sie.

Da wollten sie nun zeigen, sie könnten wohl herrlicher leben als diese und hätten mehr Geld, und dazu wollte es die Aelteste der Jüngsten, und die Jüngste der Aeltesten an Pracht und Glanz zuvorthun, aber weil sie niemals etwas Nützliches gethan hatten, und hatten sich um keine Wirthschaft bekümmert und der Vater nicht mehr da war, der immer aufs neue erwarb, so waren sie in wenigen Jahren ganz zu Grunde gerichtet und wurden so arm, so sehr arm, daß sie ihre schönen Sachen verkaufen und hernach betteln gehen mußten.

Aber weil sie Jedermann verachtete und keiner bemitleidete, wollte man ihnen oft das Stückchen Brodt nicht einmal geben, und sie wären beinahe verhungert.

Da mußten sie aus Noth zum Lande hinausziehen in andere Länder, und bettelten herumwandernd vor den Thüren ihr Brodt.

5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

5. Martin und Ilse.

Martin und Ilse waren Bruder und Schwester, und waren recht sehr arme Kinder, denn die Aeltern hatten noch viel Kinder mehr und konnten ihnen nicht satt zu eßen geben. Da mußten denn Martin und Ilse in den Wald und Erdbeeren suchen, die aßen sie zu einem kleinen Stücklein Brodt, und die übrigen trugen sie nach der Stadt zum Verkauf und brachten das Geld den Aeltern.

[50] Einstmals gingen sie auch in den Wald, aber die Erdbeeren waren schon selten. Da mußten sie tiefer und immer tiefer hinein, und wußten nun bald nicht mehr, wo sie waren und konnten sich gar nicht zurecht finden.

Als es nun schon Abend geworden war, da hatten sie entsetzliche Angst und gewaltigen Hunger. Aber da fanden sie auf einmal auf einem grünen Platze ein artiges Häuschen, und als sie hinkamen, da war das Häuschen von Brodteig gebacken und das Dach war von Kuchen und die Fenster von weißem Kandiszucker, und die Fensterrahmen von Marzipan.

Die hungrigen Kinder fragten nicht lange, wem das Häuschen gehöre und ob sie auch davon eßen dürften, sondern weil es sie hungerte, so brachen sie vom Häuschen ab, was losging und aßen. Aber das hätte können übel ablaufen. Indem sie nämlich eben Jedes noch eine Kandisfensterscheibe losbrechen, wars drinnen als säng es mit feiner Stimme:


»Knasper, knusper Kneischen;
was knaspert an mein'm Häuschen?«

Da erschracken die Kinder, ließen die Scheiben fallen und wollten davon laufen. Aber es trat ein altes kleines Mütterchen aus der Thür, die war ganz zusammengeschrumpft und sagte gar freundlich: »Ach! Ihr armen Kinderchen; Ihr habt Euch gewiß verirrt; da kommt nur herein, Ihr sollts gut haben.«

Als sie nun drinnen waren, gab ihnen die Alte Nüße und Aepfel, Milch und Reißbrei und auch schönen Wein dazu. Da wurden die Kinder recht froh und dann auch recht müde. Die Alte aber hatte schon zwei weiche Bettchen bereitet, darein legten sie sich und schliefen recht süß.

Die Alte aber war eine böse Hexe, die den Kindern sehr nachstellte, [51] schlachtete sie und aß sie, denn wenn sie ein Kind gegeßen hatte, wurde sie wieder um drei Jahre jünger. So war sie wohl schon tausend Jahr alt geworden. Sie konnte aber nur solchen Kindern Etwas anhaben, die sie zu einem Unrecht verführen konnte, über die andern aber hatte sie keine Macht. Sie hatte das Brodhäuschen dahin gebaut, daß die Kinder davon abbrechen sollten, hätten die Kinder das nicht gethan, so hätte sie ihnen auch nichts thun können.

Früh ehe es noch Tag war, stand das böse Weib auf und trug den Knaben in einen Stall, der hatte ein eisernes Gitter, und Ilsen weckte sie und sagte: »Steh auf, du Faullenz, mach Feuer an, hole Waßer und koche gut Eßen. Deinen Bruder hab ich in den Käfig gesperrt, da sollst du ihn füttern, bis er recht fett ist, dann will ich ihn schlachten.«

Ach wie weinte das arme Mädchen, aber es half ihm nichts. Es mußte alle Tage dem armen Bruder gute Speisen kochen und ihn trösten und hatte doch selbst keinen Trost!

So oft auch die Hexe den Knaben besahe, nahm er doch nicht zu. Das machte die Angst. So wollte sie denn das Mädchen zuerst eßen.

Es waren wohl vier Wochen so hingegangen, da sagte sie eines Morgens: »Mach hurtig, Mädchen, und thue deine Arbeit; heute soll dein Bruder dran, wenn er auch noch magerer wäre, ich will nun länger nicht warten, ich will derweile den Teig zurecht machen, damit wir auch Brodt haben. In ein Paar Wochen schlacht ich dich auch!«

Ilse wollte vor Angst vergehen; aber sie mußte Waßer zum Sieden bringen, die Alte aber heizte den Backofen. Ilse seufzte zu dem lieben Gott und rief ihn an.

[52] Jetzt rief die Alte: »Komm her, Mädchen, und sieh, ob das Brodt recht braun ist; meine alten Augen können es nicht mehr erkennen. Setz dich hier auf das Brett, das will ich in die Höhe heben, und denn kannst du in den Ofen hinein gehen und zusehen, ob das Brodt gar ist?«

Das Mädchen merkte die Bosheit der Alten gar wohl, sagte, dergleichen habe es noch niemals gemacht, und wüßte sich dabei nicht anzustellen; die Alte möcht ihr er vormachen. Das that die denn auch, und setzte sich aufs Brett.

Ilse war stark, denn sie hatte viel arbeiten müßen, aber die Hexe war dürr und sehr leicht. Ilse schob sie wer weiß wie weit in den Ofen, und als sie zurück wollte, stieß sie dieselbe mit dem Brette wieder hinein, und schlug die Ofenthür zu, daß sie gar jämmerlich verbrannte.

Nun suchte Ilse die Schlüßel zum Gitterkäfig, und als sie diese gefunden, ließ sie den Bruder heraus. Da waren die Kinder recht froh und dankten dem lieben Gott, und aßen sich seit langer Zeit wieder zum erstenmal mit Freuden satt, und nahmen auch noch Speise auf den Weg mit.

Hierauf suchten sie im Häuschen Alles durch und fanden viel Perlen und Edelgestein, die nahmen sie auch mit für die Aeltern. Dann machten sie sich auf den Weg, und kamen bald an bekannte Stellen, und als es Abend ward, waren sie wieder zu Hause.

Und die Aeltern waren so glücklich, so sehr glücklich! Sie hatten die Kinder acht Tage hintereinander gesucht, und als sie dieselben nicht fanden, da war ihr Herz bekümmert. Nun waren sie aber wieder da, und hatten so viel mitgebracht, daß sie einen großen Edelhof hätten kaufen können, oder wohl gar noch viel mehr.

6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[53] 6. Die Schlange.

Es ging ein armer Jüngling in dem Dienst eines Königs, dem er aufwarten mußte. Alle Mittage holten sie aus des Königs geheimer Kammer eine Schüßel, die wurde erst aufgetragen, wenn alle andere Gerichte abgenommen und alle Tischgäste weggegangen waren, und kein Mensch wußte, was in der Schüßel war, der Jüngling aber hätte es gern wißen mögen.

Einstmals sollte er in dem geheimen Zimmer des Königs ein wenig aufräumen. Da fand er von ohngefähr die verdeckte Schüßel. Ein bißchen hinein sehen wirst du doch wohl dürfen, dachte er; aber ich weiß nicht, ob er darin recht hatte.

Als er nun hineinsahe, war eine gekochte, weiße Schlange darin, und es zog ihn, als müßte er davon ein wenig kosten. Und er kostete davon ein ganz klein Stückchen.

Er hatte das Stückchen kaum gegeßen, so verstand er die Sprache aller Thiere, und hörte, was die Vögel vor dem Fenster miteinander sprachen.

Deßelbigen Tages war der Königin ihr kostbarster Ring weggekommen und die Königin dachte, der Jüngling habe den Ring genommen; aber ich weiß es nicht, warum sie das dachte. Wäre sie keine Königin gewesen, so hätte sie aussagen müßen: »Warum?« aber so hatte sie es nicht nöthig.

Nun hieß es, wo er den Ring nicht wieder schaffe, solle er das Leben hergeben. Das machte ihn denn sehr traurig.

Der Jüngling ging in seiner Noth auf den Hof; da saßen ein Paar Enten am Waßer und sonnten sich. Er hörte aber, wie die Enten mit einander vertraulich plauderten, und sprach die eine zu der andern:

[54] »Mir ist so fatal im Magen; das macht ich bin so dumm gewesen und habe den Ring der Königin in Gedanken mit verschluckt, den das faule Kammermensch mit ausgekehrt hat. Es drückt mich recht sehr!«

Es ist doch gut, wenn man Etwas versteht, dachte der Jüngling, und bat den Leibkoch des Königs die Ente zu schlachten, und weil sie ihn alle recht lieb hatten, so that es der Koch auch, fand den Ring und trug ihn dem Könige hin, der darüber sehr froh war, denn er hatte den Jüngling auch lieb.

Der König ließ den Jüngling kommen und sagte: »fordere von mir, was du gern hättest, Gold oder hohen Rang, ich will dirs gerne geben!«

Da forderte er seinen ehrlichen Abschied, und als der König ihn fragte, weshalb? sagte er:

»Herr König, ich habe nichts als meine Ehre. Die hab ich so gut als mancher Königssohn, und vielleicht wohl zuweilen noch beßer, und wo die so leicht gekränkt werden darf, da mag ich nicht bleiben!«

»Aber willst du denn gar nichts von mir haben?« fragte der König. Da bat er sich denn, um seinen Herrn nicht zu betrüben, ein schönes Pferd aus, und als er das hatte empfangen, zog er von dannen.

Am andern Morgen kam er an einen Teich. Da waren drei Fische im Schilfrohr und konnten nicht wieder ins Waßer und ächzten: »Hier müßen wir umkommen.« Da stieg er vom Pferde und brachte sie ins Waßer. Sie aber sagten: »Wir wollen dir das im besten gedenken!«

Er eilt weiter und hörte wie ein Ameisenkönig zu den Leuten in seinem Haufen sagte: »Da kommt das große Thier, das Pferd [55] wird uns zertreten.« Er aber sagte: »Nein!« und ritt zur Seiten. Aber der Ameisenkönig sprach: »Es soll dein Schade nicht sein!«

Nun fand er auch auf der Reise junge Raben, die waren aus dem Neste gefallen und konnten noch nicht recht fliegen, die jammerten untereinander: »Nun müßen wir vor Hunger sterben und verderben.« Er aber sprach: »Nein! Es steht geschrieben, der Herr speist die jungen Raben,« und damit nahm er Fleisch aus der Tasche, welches ihm der Koch mitgegeben, und fütterte sie recht satt. Sie aber sagten: »das wollen wir dir einmal vergelten.«

Nun kam er in eine große Stadt. Da hieß es, wer das ausrichte, was die Prinzeßin fordere, der solle sie haben und kein Anderer; aber wer sich dazu anböte und es nicht ausrichten könne, der gäbe den Kopf her.

Der Jüngling dachte, dein Kopf ist schon einmal um eines lumpigen Ringes willen in Gefahr gewesen, so kannst du ihn wohl um eine Prinzeßin wagen? Da meldete er sich als Freier.

Die Prinzeßin ließ ihn ans Ufer des Meeres führen und einen Ring hinein werfen, den sollte er wieder bringen. – Man ließ ihn allein; Er aber verließ sich auf die Dankbarkeit der Fische. Gut! daß es keine Menschen waren, da wäre er sehr verlaßen gewesen. Aber es kamen die drei Fische, und der mittelste brachte in einer Muschel den Ring. – Es war der rechte.

Nun wurden zwei Säcke Hirsenkörner des Abends ins Gras geschüttet, die sollten des andern Morgens auf einem Haufen beisammen sein. Da kam der Ameisenkönig, und brachte sie mit seinen Leuten zusammen.

Nun hätte ihn die Prinzeßin gern genommen, weil er so gutmüthig und so hübsch war, aber weil er kein Prinz war, so war er für sie kein rechter Mensch. So verlangte sie denn, er [56] sollte ihr das Waßer der Schönheit holen, bei dem sie immer jung und schön bliebe. Das wußte er aber nicht zu finden, doch ging er darnach aus.

Indem er noch darnach fragte, wo er es finden könne, kamen die drei Raben und brachten ihm das Waßer in einem Fläschlein, er aber brachte es der Prinzeßin.

Da nahm sie ihn.

7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

7. Der tapfere Schneider.

Es war ein klein Städtlein, wo ein Schneider drinn wohnte, der machte den Leuten die Kleider. Aber er machte den Leuten die Kleider gar nicht recht gern; denn er dachte sein Gewerk und Handthierung, sei zu gering und leicht für Manneskraft und Geist und hätte sollen armen Wittwen und Waisen verbleiben, damit die auch Etwas hätten sich davon zu ernähren, und dachte auch, eben deshalb habe man auf das edle Schneiderthum mancherlei Spott und Schimpfverse gemacht, die ihm Jedermann, zu Hohn und Trutz, wiße und laut singe.

So dacht er und meinte, weil es ein Schneider doch täglich mit Stechen zu thun habe, so hätte er sollen Soldat werden, denn er werde außer dem Stechen auch das Hauen gar leicht erlernen, zumal da die Scheere ja gar nichts anders als ein zweischneidiges Schwerdt sei. Er für seine Person sei gewiß ein General geworden oder wohl gar noch mehr, nämlich ein Lieutenant, die immer weit mehr Muth und Heldenherz und Kriegskunst hätten, als die ältesten Generale.

[57] In solchen hohen Gedanken saß einmal das Schneiderlein und schneiderte, und vor ihm lag ein Stück Musbrod, das er sich noch eine Weile wollte aufheben, bevor er es äße.

Da kamen Fliegen und setzten sich auf das Musbrod, die scheuchte er weg mit einem Tuchlappen, denn es ordentlich auf Leben und Todt mit ihnen aufzunehmen, schien ihm doch allzubedenklich. Als sie es aber allzuarg trieben und wollten ihm das Mus ganz und gar vom Brodt freßen, faßte er sich ein Herz und schlug in der Angst sieben große Fliegen todt.

Da erschrack er vor sich selbst, und sagte: »Potz! Was für ein groß Mann ich bin!« denn er wußte nicht, wie er solches große Werk hatte vollbringen können, und hätt ers sich selbst nicht geglaubt, wo ers nicht vor Augen gesehen. Da aber merkte er denn wohl, daß er zu großen Dingen geboren sei. Da gab er das Schneiderthum auf, machte sich aber zuvor einen breiten Gürtel um seinen Leib, darauf stand mit großen goldenen Buchstaben: »Sieben auf einen Streich geschlagen!« Das hatte er sich mit Goldfaden hinein gestickt. Dazu hatte er sich nun auch einen blanken Harnisch machen laßen, aber das Schwerdt hatte er vergeßen, oder es schien ihm nicht nöthig, denn er mochte wohl denken, der Harnisch schütze ihn genug.

So zog er in die Welt sein Glück zu versuchen und nannte sich Großherz.

Er ging in das Land eines großen Königs bis zu dem Schloße deßelben, wo er sich in dem Hofe hinlegte und schlief. Die Diener aber, die hin und her gingen und den glänzenden Harnisch sahen und lasen die gewaltigen Worte auf dem Gürtel, thäten das dem König kund und sagten, er möcht wohl ein trefflicher Kriegsmann sein und könnt einmal großen Dienst leisten, wenn es sollte Krieg setzen.

[58] Da ließ der König ihn rufen und fragt ihn, ob er wollt Dienst nehmen? Ja! sagt er, deswegen sei er gekommen; man sollt ihm aber ein Schwerdt verleihen, dieweil er das seinig gegen den Stahlharnisch eines Riesen auf der Reise zubrochen.

Da überkam er Dienst und Schwerdt und großen Sold, und wurde von Allen sehr hoch gehalten, und thaten sie gar freundlich gegen ihn, weil sie sich sehr vor ihm furchten.

Alsbald er das merken that, ward er trotzig und höhnisch und suchte Händel mit den Kriegsleuten; aber es wagte sich keiner mit ihm, denn weil er sieben auf Einen Streich hatte geschlagen, würde er mit jeglichem einzelnen Mann bald fertig werden, wie stark der auch sein möchte.

Da sahen ihn Alle sehr scheel an, beredeten sich, gingen zum König und begehrten ihren Urlaub, wenn der Großherz im Dienst bleibe.

Deß wußte der König und seine Räthe keinen Rath, denn wollte er den Großherz aus dem Dienst thun, so könnt er ihm Land und Leute umbringen, und sich selbst zum Könige machen; und sollt er seinen Kriegsleuten Urlaub geben, das wäre noch weniger gut, dann möchte Großherz so eher thun, als ihm gefalle.

Da sagt der König den Kriegsmännern, wartet ein Weil noch; ich will mir einen Rath erdenken, daß wir mit Fügen und Art des Großherzes loskommen.

Als nun der König sich eines Dings ersonnen hätt, ließ er den Großherz kommen, sagend, er habe gar wohl vernommen, welch ein gewaltiger Kriegsmann derselbe sei, und sollte er ihm helfen gegen zwei Riesen im Walde, die ihm großen Schaden thäten mit Rauben und Würgen. Er wolle ihm dazu hundert Reiter zu Hülf geben, und wenn er es wohl hätte vollbracht, solle er seine Tochter [59] bekommen, und das halbe Königreich zum Erbgut nehmen. Der König aber dachte, das laße sich nimmer vollbringen und käme er also des gefährlichen Dienstmannes los.

Da sagte Großherz, solches wolle er wohl vollbringen und braucht er nicht einmal der hundert Reiter dazu.

So verfügte er sich demnach zu dem Wald, ließ aber die Reiter außerhalb bleiben, ging allein in den Wald und lugt und schauet, wo die Riesen wären. Da fand er sie schlafend unter einem Baum und schnarchten sie also sehr, daß sich die Zweige an den Bäumen davon bogen.

Da laß der Schneider sich Steine auf, stiege nun auf den Baum, darunter die Riesen schnarchten, und warf Einen derselben mit einem spitzen Stein auf die Stirn, so daß derselbe erwachte und fragte den Andern, warum er so hart ihn habe geschlagen? Der antwortet, er habe ihn nicht geschlagen, sondern gar sanft geschlafen. Hierauf als sie beide schon wieder schnarchelten, wirft er den Andern an die Stirn. Der fragt den Ersten, warum er denn nun ihn schlage? Dieser antwortet, er hab ihn nicht geschlagen, sondern schon wieder recht sanft geschlafen.

Als sie nun wieder beide schliefen, wirft er den Ersten und den Andern so heftig, als er vermochte, daß sie beide auffuhren, und fingen so arg an zu zanken und zu schreien, daß es die draußen vor dem Walde hörten, und dachten, jetzt gehe es los, und waren heilfroh ihrer eigenen Haut wegen. Die Riesen aber rißen Bäume aus und schlugen so grimmig zu, daß sie bald nach einander beide verschieden.

Als der Schneider das sahe, stieg er vom Baum; schlug dem Riesen mit seinem Schwerdte an etlichen Theilen ihrer Leiber einige [60] Wunden, und sagte den Reitern, sie könnten die Riesen nun holen, denn er habe sie getödtet, und lägen unter einem Baum.

Die Reiter glaubten das keineswegs, aber als sie in den Wald gingen und die Riesen todt fanden, da glaubten sie es.

Nun war dem König sehr angst, als der Riesentödter die Prinzeßin und das Erbgut forderte. Er hatte das Herz nicht ihm dieselben zu versagen, nur wäre noch Eins und das Andere zu thun, dann würde er beides erlangen.

»Sagt an, was es ist,« sagt hochtrotzig das Schneiderlein, »ich will es vollbringen!«

Da ward dem König übel und weh, und dachte: das ist ein Unhold, und sagte: es sei ein heilloses und grauwaltiges Einhorn im Lande, das thäte an Leuten, Fischen und andern Gethier so gar vielen Schaden, daß es das Land noch verwüsten werde, das solle er fangen.

»Ich will es schon fangen,« sagte der Schneider, ging mit einem starken Seil in den Wald, wo das Einhorn immer war, und ließ die Reiter wieder vor dem Walde! Da kam das Einhorn daher in voller Wuth gegen den Schneider und wollt ihn durchbohren. Der aber sprang, als es ganz nahe war, hinter eine große Eiche, aber in der blinden Wuth hatte das Einhorn mit dem Horn sich tief in die Eiche gerannt, und blieb darin stecken. Da schleift ihm der Schneider das Seil um den Hals, und das andere Ende machte er an einem andern Baum fest, und hieb und stach mit seinem Schwerdt auf das Thier. Das aber wurde ganz wild und wollte sich losreißen, zog darüber das Seil ganz zu, daß es davon erstickte.

Als das nun vollbracht war, furchte der König sich noch vielmehr, und sagte: Es sei nur noch Eins zu verrichten, nämlich ein groß wild Schwein zu fahen, das Alles im Walde und Felde verwüste.

[61] »Das will ich schon auch ausrichten, sprach er, aber dann gebt mir, was Ihr verheißen, oder es wird nicht gut!«

Da ging er in den Wald, aber die hundert Jäger, die ihm der König hatte mitgesandt, ließ er auch vor dem Walde, und ging allein hinein. Und als er das Schwein aufgefunden, machte er es erst recht wild, und rief: »Hußa, hußah!« und da es ihn nun schäumend verfolgte, steckte er sich immer hinter die Bäume, lief dann fürder, und rief immer wieder: »Hußa!« bis er das Schwein an ein kleines aber festes Waldkirchlein brachte, deßen Thür offen stand. Da lief er hinein, und das Schwein ihm nach. Er aber, leicht wie er war, sprang zum Fenster hinaus, und während das Schwein ihn wüthend im Kirchlein suchte, war er schon wieder vom Fenster zur Erde, und schlug die Thüre des Kirchleins zu.

So ward also das Schwein gefahet.

Und als nun der König sich weiter nicht wußte zu helfen, da gab er ihm die Prinzeßin, die ihn aber mit Seufzen und Weinen nahm, und sich um alle die großen Dinge nicht kümmerte, die der tapfere Schneider gethan hatte, denn sie hätte viel lieber einen schönen Prinzen genommen, der noch gar nichts gethan hätte als Reiten und Jagen. Das aber machte unserm Schneider wenig Unruh und Sorgen. Und als er erst König geworden war, fürchteten sich alle Königs und Fürstenleute in der Nachbarschaft vor dem König Großherz und blieb sein Land in Frieden, so lang er regierte.

8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[62] 8. Die goldene Gans.

Ein armer Bauersmann hatte drei Söhne, die waren denn alle drei nicht eben mit so viel Verstand versehen, daß sie davon hätten abgeben können; aber die beiden Aeltesten waren sehr hochmüthig und glaubten, sie seien gewaltig kluge Menschen und nur der Jüngste sei dumm, weil er blos gutmüthig und gefällig war, und machte kein Prahlens von ihm selbst. Sie nannten ihn darum den Dummling.

Da wollt der Aelteste eines Tags in den Wald gehen und Holz fällen, und der Vater sollte ihm eine Axt dazu geben.

»Du bist ein Tolprian, sagte der Vater, und verstehst das Ding eben recht, und wirst mit einer Wunde im Fuße heimkommen.« Tolprian aber ruhete nicht eher, bis er die Axt hatte, und verlachte heimlich den Vater.

Als er in den Wald ging, hatte ihm die Mutter einen Fladen oder Kuchen in die Tasche gegeben, damit er zum Appetit etwa einmal hineinbeißen könnte, denn das rechte Frühstück hatte er schon daheim bekommen.

In dem Walde schleicht ein altes eisgraues Männlein daher, das recht verhungert aussahe. Das bat ihn: »Gib mir von deinem Kuchen ein Stücklein; ich bin gar sehr hungrig!«

»Will meinen Kuchen schon selbst eßen;« antwortete er und ging weiter und fing an einen Baum umzuhauen, aber die Axt fuhr tief bei einem Hieb ab, und tief ihm in den Arm. So mußte er denn heim gehen.

Nun ging der zweite Sohn in den Wald, und das eisgraue Männlein war auch wieder da und bat um ein Stücklein Kuchen; aber der gab ihm eben so wenig als sein Bruder. Er hieb sich aber [63] beim Baumfällen so sehr ins Bein, daß ihn die Holzhauer in der Nähe, die auf sein Klagschrei herbeikamen, auf einer Trage nach Hause bringen mußten.

Nun ging der Dummling in den Wald, und dem begegnete das graue Männlein mit seinem Hungergesicht und mit seiner Bitte nur um ein Stückchen Kuchen auch, und der Dummling sagte: »du siehst so hungrig aus, Altvater, ich aber habe schon gefrühstückt, und kann es schon aushalten. Da hast du den Kuchen ganz!«

Da aß das Graumännlein den Kuchen mit großem Vergnügen, und als es denselben verzehrt hatte, sprach es: »komm mit; ich zeige dir einen Baum, den sollst du fällen, und wirst Etwas darunter finden.«

Als der Baum nun umfiel, saß eine große goldene Gans darunter, die er mit sich nahm, und damit in ein Wirthshaus ging, wo es übernachten wollte. Aber er blieb nicht in der großen Stube, sondern er ließ sich ein Kämmerlein allein geben und setzte die Goldgans mitten hinein und schlief ein.

Die drei Wirthstöchter hatten die Goldgans recht gut gesehen und hätte jede gern eine schöne blinkende Goldfeder davon gehabt. Da sagte die Aelteste: »Ich will einmal hinein gehen, und wenn ich nicht gleich wieder da bin, so kommet mir nach.«

Als sie nun hinein kam, wollte sie der Gans eine große Flügelfeder ausziehen, blieb aber mit den Fingern daran sitzen und konnte nicht los. Weil sie nun nicht gleich wieder zurückkam, gingen ihr die andern Zwei nach. Die Aelteste bat sie hoch und sehr, sie sollten die Gans nicht anrühren, sie blieben sonst auch daran sitzen; aber das half nichts, denn die Lust nach einer Goldfeder war gar zu groß, und sie dachten auch, es möcht ihnen beßer gelingen. Da faßten sie die Gans an, und blieben auch fest.

[64] Am andern Morgen recht früh, als noch Niemand im Hause aufgestanden war, nahm der Dummling die Gans unter dem Arm und ging damit fort und die drei Wirthstöchter mußten auch mit fort.

Der Wirth und die Wirthin waren aufgewacht, hatten die Töchter gerufen, sie sollten aufstehen und arbeiten, die aber waren nicht da, sondern fort, und als sie dieselben überall suchten, im Hause und Hofe, und fanden sie nicht, sahen sie auf die Straße. Da zogen die Mädchen hinter dem jungen Burschen drein. Noch halb blos, liefen die Aeltern scheltend den Töchtern nach und sagten: »Ihr gottlosen Dirnen, habt Ihr keine Schaam mehr, dem jungen Burschen am hellen Morgen so nachzulaufen?« Damit faßen sie die Töchter an den Rock, um sie mit Gewalt abzuziehen, blieben aber selbst hängen, und mußten nun auch mit fort.

Als sie nun so hintereinander hergehen, kommen zwei Bauern, die wollten mit ihren Hacken aufs Feld. Die baten sie sehr, sie doch los zu machen. Die Bauern nahmen die Hacken und wollten damit den Wirth und die Wirthin und dann die Andern abziehen, blieben mit den Hacken aber auch fest, und mußten hinter den Andern mit fort.

Als sie nun schon in ein anderes Dorf waren gekommen, traten daher der Pfarrer und sein Küster hinter ihm drein. Da flehten sie kläglich, der Herr Pfarrer möchte sie doch befreien. Der gute Mann wollte das gern thun, obwohl er dachte, das Ding möchte nicht ganz richtig sein; er zog an den Bauern aus Leibeskräften, blieb aber sitzen und mußte mit fort. Der Küster aber, obwohl er gesehen, wie es dem Herrn Pfarrer erging, wollte doch nicht denselben verlaßen, sondern ihn aus alter Liebe und Gevatterschaft abziehen, da mußte er denn auch hinter ihm drein.

[65] So ging der Zug fort, weiter und immer weiter und schrie: »Macht uns los! macht uns los! wir sitzen hier fest und können nicht ab.«

Da liefen viel Leute herzu, und wurde ein großer Lärm und auch ein Gelächter, aber weil sie wohl merkten, daß es allhier mit rechten Dingen nicht zugehe, wollte sie keiner losmachen.

So kamen sie in eine große Königsstadt, und ein großer Haufen Volks kam mit und wollte sehen, wie die Sachen zu Ende liefen. Der König derselben Stadt aber hatte eine schöne Tochter, die hatte noch Niemand freundlich gesehen, und hatte nie keinmal in ihrem ganzen Leben gelacht. Da ließ der König eben als der Zug in der Stadt ankam, in allen Straßen ausrufen: wer seine Tochter könne zum Lachen bringen, der solle sie haben, und wäre er auch nur eines Bauern Sohn.

Als der Dummling das hörte, zog er stracks mit seiner Gans und denen, die dran hingen, aufs Schloß, und viele tausend Leute zogen mit und lärmten, und schrien allzumal, obwohl die hintersten nicht einmal wußten, was vorging.

Als sie nun auf dem Schloßhof ankamen, zog das Gelärm den König ans Fenster, und die Prinzeßin auch; die aber, als sie das Alles sahe, fing so laut an zu lachen, daß es lauter war als der Lärm.

Der Dummling ging nun mit seiner Goldgans und deren Anhang zum König, bei dem die Prinzeßin auch war, und sagte: »Nun! gnädiger Herr König Majestät, nun werdet Ihr mir wohl Eure Jungfer Prinzeßin geben. Ich bin der Dummling, wenn Ihr es noch nicht wißt, denn das ist mein Name.« Die [66] Prinzeßin aber lachte noch in eins fort, und konnte zu lachen nicht aufhören.

Der König aber sprach: »Ja wohl, mein Bursche! Die Jungfer Prinzeßin sollst du haben, weil ich mein Königswort halten muß, und weil es die Dummlinge am weitesten bringen.«

Die Prinzeßin aber sagte: »Ich nehme den jungen Burschen, weil er mich zu lachen gemacht hat. Mir ist mein Lebstage so wohl nicht gewesen als nun, da ich lachen kann. Nur muß er beßere Kleider anziehen, da wird er denn auch schon Verstand genug haben!« – Damit so lachte sie wieder aus Leibeskraft.

Während das aber so vorging, merkten die, welche an der Gans hingen, daß sie immer weniger und weniger festsaßen, und waren zuletzt ganz los. Da wollten sie wieder heim gehen, aber das litt der König nicht, sondern tractirte sie erst mit Kaffee und Kuchen, und dann kam Schweinebraten gewaltig fett, und Hirsebrei kam zuletzt, und Schnaps war vollauf da.

Nun durften sie gehen.

Sie gingen, nachdem sie sich fein bedankt, und sagten unterwegs zu einander: »Das ging hoch her; fast so hoch wie auf Michels Hochzeit, wenn noch Kalbskopf mit Rosinen dabei gewesen wäre.«

Und als sie nach Hause gekommen waren, wußten sie nicht genug zu rühmen, wie viel Ehre ihnen der König angethan hätte.

9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

9. Hans mein Igel.

Ein reicher Bauer hatte kein Kind, und das betrübte ihn sehr, denn er wußte nun nicht, wem er sein vieles Geld hinterlaßen sollte. [67] Wenn die andern Bauern sagten, es sei doch betrübt, gar keine Kinder zu haben, wenn man so viel Geld habe, so wurde er oft ganz desperat und sagte zu seiner Frau: »Ich wollt, ich hätte ein Kind, und sollts auch ein Igel sein!«

Da brachte seine Frau ein Kind, aber sie sahe es mit Thränen an, denn es war eben ein Igel, und sie sagte zum Manne: »nun hast du es! du hast uns verwünscht!« aber das half nun Alles nicht mehr, und sie mußten ihm auch einen Namen geben und hießen ihn: »Hans mein Igel.«

Sein Lager machten sie ihm hinter dem Ofen, und fütterten ihn auf, und wünschten herzlich, er möchte nur wieder sterben, aber der Wunsch wurde nicht erhört, und so blieb er denn am Leben.

Als er acht Jahr geworden war, wurde in der Stadt ein Markt gehalten, da wollte der Bauer hingehen und fragte seine Frau und die Magd, was er ihnen sollte mitbringen, und die sagten es ihm, und dann wurde auch Hans mein Igel gefragt, was er gern haben möchte? Da sagt er: »Väterchen, bringt mir einen Dudelsack mit, daß ich schön drauf spielen kann!« Der Vater brachte einen Dudelsack mit, und als er den hatte, sagte er: »Nun Vater, geht in die Schmiede und laßt mir den rothen Göckelhahn beschlagen, auf dem will ich mit dem Dudelsack wegreiten und nimmermehr wiederkommen.«

Da wurde der Vater sehr froh, daß er ihn los werden sollte, ließ den Göckelhahn beschlagen, Hans mein Igel setzte sich drauf und ritt davon, nahm aber auch Schweine und Esel mit, die wollt er im Walde hüten.

Im Walde mußte der Hahn mit ihm auf einen hohen Baum fliegen, da saß er und hütete und spielte den Dudelsack dazu, der klang wie eine Orgel. So blieb er viele Jahre im Walde, bis die [68] Heerde sehr groß war geworden und er viel tausend Schweine und Esel hatte. Sein Vater aber meinte, er sei längst todt.

Als er nun einstmals auch spielte, kam ein König daher, welcher sich im Walde verirrt hatte, der hörte die Musik, die klang ihm so schön. Da sendete er seinen Diener, der mußte sich umschauen, woher die Musik käme. Der sahe auf einem hohen Baum ein wunderlich klein Thier sitzen, halb wie ein Hahn und halb wie ein Igel, woraus er nichts wußte zu machen, und kam zurück und sagte es dem König an.

Der König sprach zum Diener, frage, warum es auf dem Baum sitzt, und ob es den Weg in mein Königreich nicht weiß?

Hans mein Igel stieg von dem Baume und versprach dem König, er wollte den Weg ihm zeigen, der König müße ihm aber verschreiben, was ihm zuerst entgegen käme, wenn er nach Hause gekommen sei. Das verschrieb ihm der König und Hans mein Igel führte ihn nun den rechten Weg.

Als der König nach Hause kam, lief ihm seine Tochter zuerst entgegen und küßte ihn. Da gedachte der Vater, was er versprochen hätte und erzählt es der Prinzeßin, daß er sie an ein wunderliches Thier habe verschreiben müßen, wenn er zum Walde hätte herauskommen wollen; er habe aber geschrieben, das Thier sollt sie nicht haben, denn es könne gewiß nicht einmal lesen. »Das ist gut, sagte die Prinzeßin, denn ich wäre auch gewiß nicht hingegangen.«

Hans mein Igel blieb im Walde, hütete seine Heerde und pfiff lustig auf dem Dudelsack.

Da kam ein anderer König, der hatte sich auch verirrt, und wußte auch nicht, wo er zu Hause gehörte, und als er die schöne Musik hörte, mußte sein Laufer zusehen, woher das käme. Und als der den Göckelhahn sah und Hans mein Igel obendrauf saß, fragte ihn [69] der Laufer, was er da oben vorhätte? »Da hüt ich meine Heerde« sagte Hans mein Igel. Hierauf sagte der Laufer; sie wären in den Wald wohl hineingekommen, nämlich Er selbst und sein alter König aber sie wüßten nicht wieder heraus, und fragte, ob er den Weg nicht wiße?

Hans mein Igel kam herab, ließ sich wieder verschreiben, was dem Könige zuerst zu Hause entgegen kommen würde, ritt dann auf dem Göckelhahn voraus und führt ihn den Weg.

Als er nicht weit mehr vom Hause war, sah ihn seine Tochter die lief ihm entgegen und umhalste und küßte ihn, und konnte sich nicht satt freuen, und fragte ihn, wo er so viele Jahre in der Welt gewesen sei? Da erzählte ihr der Vater Alles, und das auch, daß er sie an ein klein häßlich Ding von Hahn und Igel habe verschreiben müßen. Da meinte die Prinzeßin, das sei nun freilich schlimm Ding, aber weil es der Vater versprochen, müße es gehalten werden, und wenn das Ding käme, wolle sie mit ihm gehen.

Hans mein Igel hütete immerfort seine Esel und Schweine, bis ihrer so viel wurden, daß sie im Wald nicht mehr Platz hatten. Darauf sandte er zu seinem Vater und ließ ihm sagen, daß er mit einer großen Heerde Schweine und anderer Thiere käme und alle Leute im Dorfe sollten schlachten, so viel sie nur möchten. Da betrübte sich sein Vater, daß Hans mein Igel noch lebe, aber der trieb eben seine Heerde auf dem Göckelhahn ins Dorf. Da gabs einmal ein Schlachten!

Hans mein Igel sagte: »Väterchen, laßt mir meinen Göckelhahn noch einmal vor der Schmiede beschlagen, dann reit ich fort und komme gewiß im Leben nicht wieder.« So geschah es.

Da ritt Hans mein Igel in das Reich des Königs, dem er zuerst den Weg gezeigt hatte, aber der König hatte befohlen, wenn [70] Einer auf einem Hahn käme mit einem Dudelsack, auf den sollten sie hauen und stechen, und trommeln und pfeifen. So wollten sie auch thun, aber Hans mein Igel flog über das Thor, vor das Fenster des Königs, und drohte, es sollt ihm und seiner Tochter nicht gut gehen, wo er nicht hielte, was er versprochen.

Da wurde dem König sehr bange, und der Prinzeßin auch, und sie zog mit ihm in einem Wagen mit sechs Schimmeln bespannt, und mit vielen Bedienten, und mit vielem Geld und Gut. Hans mein Igel aber saß mit dem Göckelhahn und dem Dudelsack neben der Prinzeßin im Wagen.

Als sie nun ein Stück in den Wald hinein waren, sagte Hans mein Igel: »du falscher Aschenbrödel, dich mag ich nicht, ich will dir aber deine Falschheit bezahlen.« Damit zerstach er sie mit seinen scharfen Stacheln an den Händen und im Gesicht und überall, daß sie sehr blutete und häßlich aussahe. So mußte sie nun mit Schimpf und Schande wieder umkehren und mochte sie kein Mensch nehmen, weil sie nicht einmal Hans mein Igel gemocht hatte.

Hans mein Igel ritt weiter und kam in das andere Königreich, deßen Könige er auch aus dem Walde geholfen hatte. Aber da ging es ganz anders. Da war schon bestellt, wenn Der und Der käme, so undso, da sollten sie trommeln und pfeifen und Juchhei rufen, und ihm Thore und Thüre aufmachen, und ihn aufs beste empfangen. Das geschahe denn auch.

Als ihn die Prinzeßin nun sahe, war sie doch sehr erschrocken, denn Hans mein Igel sahe gar allzu seltsam und widrig aus; aber weil sie es dem Vater versprochen hatte denselben zu nehmen, so tröstete sie sich, daß es nun einmal nicht anders sein könne, und dachte, man muß sich in Vieles ergeben.

[71] Hans mein Igel wurde von ihr nun willkommen geheißen, und sie setzte sich an der Tafel an seine Seite, da aßen und tranken sie mit einander und führten verständige und lustige Gespräche, und sie gewann ihn ordentlich ein Bißchen lieb, ein ganz klein Bißchen, und dachte; »Ih nu! so möchte es schon angehen, wenn er nur ein wenig weniger garstig wäre.«

Als sie sich nun nach der Tafel untereinander den Ehren- und Gesegnetemahlzeitkuß gaben und sollte die Prinzeßin den Hans mein Igel küßen, machte sie das Mäulchen ganz klein und spitz und streckte und berührte seine Schnauze mit ihren Lippen nur ein ganz klein klein wenig. Aber da that es einen gewaltigen Platz, denn die Igelhaut sprang auf einmal von Hans mein Igel ab, und raßelte auf den Boden dahin, und Hans mein Igel dehnte und reckte sich ein paarmal und stand wie ein schöner Engel da.

Da freuten sich Alle, aber die Prinzeßin und Hans mein Igel am meisten, und nach drei Tagen ward Vermählung gehalten, und die Beiden lebten von nun an recht glücklich, und der alte König war heilfroh.

Hans mein Igel wollte nun seinen Aeltern sich zeigen und sie an den Hof nehmen, denn er schämte sich ihrer nicht, aber als er ins Dorf kam, da waren sie schon gestorben, und da schenkte er das Bauerngut einigen guten Leuten im Dorfe.

Als nun der alte König nach etlichen Jahren starb, da wurde ein Anderer König, und das war Hans mein Igel. Und als derselbe nun löblich regierte und rechte Ordnung im Volke hielt, wußte die Prinzeßin wohl, woher das kam und wo ers gelernt hatte.

10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[72] 10. Der ganz kleine Däumerling.

Ein armer Dorfschneider hatte einen Sohn, der war ganz klein geblieben, denn weil er niemals satt zu eßen hatte, konnt er nicht wachsen, und war nicht größer geworden, als ein guter Mannsdaumen, aber Herz hatte er wohl drei Ellen hoch. Das war viel! Und pfiffig und geschickt war der Däumerling auch.

Als ihm der Vater nun nicht satt zu eßen konnte geben, wollt er auf die Wanderschaft gehen. Das lobte der Vater, und damit sein Sohn ihm Ehre machte, sollte er wohlgerüstet in die Welt ziehen, damit die Leute sagen möchten: »Das ist ein ganzer Mann; weßen Kind mag er sein?«

Der Vater nahm eine Stopfnadel und machte einen Knopf von Siegellack dran, und nahm dann ein Stück von einem Grashalm und steckte die Nadel in die Röhre deßelben hinein. Dann nahm er einen grünen feinen Zwirnsfaden, und band ihm diesen um den Leib!

»Sieh! sagte der Vater, hier schenk ich dir diesen Degen mit der Scheide, den ich dir hier in dein grünes Wehrgehenk stecke. Zieh den Degen nicht ohne Noth, und fang keine Händel an; aber dich zu schützen und deine Ehre zu vertheidigen, sollst du ihn ziehen. Und so geh mit Gott!« – Da ging er.

Zuerst kam er bei einem Meister in Arbeit, wo ihm das Eßen nicht gefiel, und er machte Spott und Stichelverslein auf die Meisterin, die sich das eine Weile gefallen ließ, aber endlich auch böse wurde, und einen Tuchstreifen nahm und sagte: »Du Grashüpferling, willst dich noch mausig machen, als wärst ein großer Kerl? – Hast noch einmal das Maul auf, will ich dir einen Klapps versetzen, daß du über die Stadt naus sollst fliegen.«

[73] »Grashüpfer? – Klapps geben?« sagte der Däumerling zürnig. – »Das ist gegen meine Ehre!« steckte sein Schwerdt an, setzte einen Fingerhut als Sturmhaube auf und wollte der Meisterin zu Leibe. Als er aber damit nichts auszurichten vermochte, braucht er das Maulschwerdt und fing an zu schimpfen. Die Meisterin wollte ihm jetzt im Ernst mit dem Tuchstreifen eins geben, er aber hüpfte unter die Lappen und schimpfte, und wenn sie ihn da fort hatte, saß er gleich in der Schublade und schimpfte, und dann wieder der Meisterin auf dem Nacken und schimpfte und kikte sie auch ein wenig mit seinem Degen.

Endlich erwischte ihn die Meisterin, und warf das kecke Ding zum Hause hinaus.

Däumerling machte sich nichts draus; dachte; »ein Kerl wie du findet schon Unterkommen;« und wandert hüpfend weiter, bis er in einen großen Wald kam, wo Räuber beisammen saßen, die wollten des Königs Schatzkammer bestehlen. Das ward ihnen aber sehr schwer; weil sie große starke Leute waren, die man leicht merken konnte.

Als sie nun den kleinen Schneider sahen, dachten sie, das sei der rechte Mann, der ihnen wohl helfen könnte, und sagten zu ihm: »Hör! du bist gewiß ein pfiffiges Kerlein, wie die kleinen Leut allzumal.«

»Ja das denk ich!« sagte er, und das Lob that ihm aus dermaßen wohl, weil ihn noch nie Jemand gelobt hatte, und so ließ er sich willig finden, in die Schatzkammer des Königs zu schleichen, und den Räubern das Geld herauszuwerfen.

Er macht sich in der Abenddämmerung in den Schatzkammerthurm, und die Schildwache bemerkt ihn gar nicht, weil er so klein [74] und weil es schon so dämmerig war. Er findet ein Mauseloch unten in der Mauer und kroch in die Kammer hinein.

Nun saß er drinnen, und warf einen Thaler und ein Goldstück nach dem andern den Räubern aus dem Fenster zu, aber es wurde ihm sehr sauer, denn das Geld war so schwer.

Die Räuber reichten ihm des Nachts Eßen und Trinken auf einer Stange zu, da konnt er denn mehrere Tage in der Schatzkammer aushalten, und des Nachts die Thaler herabwerfen.

Als nun der König in die Schatzkammer kam, sahe er wohl, wie viel Geld ihm fehlte, und stellte mehr Wachen vor die Thür. Die Wachen hörten es auch im Gelde rascheln und klimpern, gingen hinein und wollten den Dieb erwischen. Der aber steckte in einer Ecke unter einem Thaler, und rief: »hier bin ich!« und als die Wachen hinliefen, war er schon wieder in eine andere Ecke gehüpft und rief: »Hier! hier! sucht!« Dann wieder in die dritte und vierte, und wieder in die erste Ecke, und rief immer wieder: »hier! sucht! hier!«

Und als die Wachen nun ein kleines Ding über die Thaler hinhüpfen sahen, dachten sie, es wäre der Kobold, und machten sich eilends hinaus. Der Däumerling aber warf noch viele Thaler und Goldstücke hinaus, bis fast gar nichts mehr drinn war. Da setzte er sich selbst auf einen Thaler und flog damit zum Fenster hinaus.

Nun war er den Räubern recht lieb geworden. Sie theilten das Geld im Walde, und der Däumerling bekam ein großes Theil, er konnte aber davon nichts fortbringen. Da vergruben es ihm die Räuber, die recht ehrliche Leute waren, unter eines großen Eichbaums Wurzeln, wo es sich sein Vater holen könnte, und weil er so ein pfiffiger und kecker Kerl war, und ein gewaltiges Schwerdt hatte, so wollten sie ihm einen Schnurrbart aufsetzen und ihn zum [75] Räuberhauptmann machen; er hatte aber keine große Lust dazu, sondern wollte sein Glück noch versuchen und sich in der Welt umsehen, damit er nachher von sei nen Fahrten und Thaten zu Hause erzählen könnte.

Also wurde der Däumerling Hausknecht in einem Wirthshause, das an der Straße lag. Aber die Mägde konnten ihn bald nicht leiden, weil er Alles sahe, ohne daß sie ihn sahen, und gab sie denn auch wohl an. Da wollten sie ihm auch einen Schabernack anthun und eine Magd raffte ihn einmal, gleichsam als sähe sie ihn nicht, mit einem Korbe Grummt zusammen, und legte das Grummt den Kühen vor. Da wurde er mit dem Grummt verschluckt und steckte in der Kuh.

Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet, denn sie war sehr fett. Er rief zwar: »Ich bin drinnen; bin drinnen!« aber unter dem Gelärm der Leute hörte es Keiner.

Als nun die Kuh in ihre Theile zerhackt wurde, hatte er rechte Noth sich vor den Hackbeilen zu retten; aber die Noth wurde noch viel größer, als ein Stück von dem Rindfleisch zerstampft wurde, um davon mit Schweinefleisch Schlackwurst zu machen. Er schrie und schrie, bis er heiser war, aber vor dem Stampfen und Getöse hörte es kein Mensch, und er wurde mit in den Wurstdarm gefüllt und in die Feuereße zum Räuchern mit aufgehängt. Hätt er nicht in der Wurst Wurst zu eßen gehabt, so wäre er vor Hunger gestorben; so aber ging es noch gut ab. Er hatte sich eine Höhlung in der Wurst gefreßen und machte dann sich mit seinem Schwerdt ein Loch in die Schale, und marschirte nach Hause, weil er sahe, wie übel es in der Welt herging.

Unterwegs, als er ein wenig ausruhte und hinter einer Scheune eingeschlafen war, pickt ihn ein Sperling in den Arm. Da erwachte [76] er und sagte: »Da ist mir der Armknochen entzwei gebißen; nun bin ich zum Handwerk untüchtig.« So machte er denn um so eher, daß er nach Haus kam. Aber da kam noch ein garstiger Fuchs, der sahe ihn und wollte ihn aufschnappen, denn er hielt ihn für eine Maus.

Da rief er in der Angst: »Herr Fuchs, laßt mich doch gehen! Ich bins ja!«

Da sahe ihn der Fuchs erst recht an und sagte: »Wahrhaftig ich dachte schon, es wäre eine Maus, und da bist dus nur! dich will ich los laßen, wenn du mir zwei Krakelhüner von deines Vaters Hofe gibst.«

Die sollt er gewiß haben, sagte der Däumerling, denn der Vater würde sich recht freuen, wenn er seinen Sohn wieder hätte, und nun hörte, wie es demselben ergangen sei.

Also kam der Sohn zum Vater nach Hause und erzählte demselben, wie es ihm ergangen sei. Da ward der Vater recht hochmüthig auf seinen Sohn, und aber auch recht froh, des Geldes wegen im Walde, das er sich nach und nach auf einem Schiebebock holte.

Nun war Alles vollauf da. Die Hüner aber, die der Fuchs bekommen sollte, hatte die Mutter des Däumerlings gleich am ersten Abend geschlachtet, und als nun der Fuchs nach einer Woche kam und sie holen wollte, waren sie schon verzehrt.

Aber da mußte der Fuchs denn sich mit ihnen zu Tische setzen und aß und trank Wein dazu. Und dann gaben sie ihm zwei harte Thaler, aus des Königs Schatzkammer, dafür könnte er sich auf dem Markte wohl sechs Krakelhüner kaufen und einen Kickelhahn dazu.

[77] Die aber kaufte sich der Fuchs auch, und fraß sie mit seiner Frau und seinen Kinderchen; aber den Däumerling hatte er nicht gefreßen.

Und das war sehr hübsch!

11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

11. Das kluge Schneiderlein.

In der alten Zeit war einmal eine Prinzeßin, die war recht hochmüthig auf ihre Schönheit und auf das Land, welches sie regierte, nachdem ihre Aeltern gestorben waren. Kamen nun aus andern Ländern große Fürsten und Herrn, die sie freien wollten, so gab sie ihnen solche scharf und tiefsinnige Dinge zu errathen auf die Keiner errathen konnte, wie klug ers auch anfing. Der Eine sollte ihr ansagen, wie viel Eier ihre Henne in diesem Jahre gelegt hätte? der Andere, wie vielmal sie vorgestern geniest hätte? der Dritte, wohin sie ihre Perlen verschloßen hätte? So scharf waren die Fragen.

Wenn nun die Freier solche gewaltig witzige Aufgaben nicht zu lösen vermochten, ließ sie dieselben mit Schimpf und Hohngelächter vom Hofe jagen. Die ärgerten sich dann mächtig und wünschten, daß sie einmal einen Schneider bekommen möchte, der eben so witzig sei, als sie; und das geschahe auch.

»Die ärgern sich, sagte die Prinzeßin, weil mir Keiner von ihnen klug genug ist;« und am ganzen Hofe gaben sie ihr Recht. Sie aber, um die Freier noch mehr zu ärgern, ließ bekannt machen: [78] »Wer ihre Frage auflöse, den wolle sie nehmen, und wenn es auch gleich nur ein Schneider wäre, denn nur ein solcher sei ihrer Hand werth, der ihren Sinn enträthseln könne.«

Da kam denn viel Lumpenpack an ihren Hof, wollte rathen und trafs nicht und wurde mit Prügel fortgejagt.

So kam denn einstmals auch ein Schneider und ließ sich ihr Räthsel vorlegen. Sie sagte: »Ich habe zweierlei Haare auf dem Kopf, von was für Farben sind die?« Der Schneider antwortete frisch: »das eine ist von Gold, das andere von Silber; das sind die zweierlei Farben.« Da wurde die Prinzeßin vor Schrecken bleich, denn der Schneider hatte es getroffen. Woher er es aber wußte, hat er Keinen gesagt.

Die Prinzeßin erholte sich ein Bißchen und sprach dann: »damit hast du mich noch nicht gewonnen, sondern du mußt noch diese Nacht bei meinem großen Bär schlafen, der unten im Stalle liegt. Bist du dann noch morgen lebendig, so fahren wir gleich zur Trauung.«

Deß war der Schneider wohl zufrieden, ließ sich eine Geige geben, einen Schraubenstock und große Nüße. Darauf suchte er sich glatte runde Kiesel, die so groß waren wie die Nüße und ging damit in den Stall. Die Prinzeßin aber dachte, nun sei sie des Schneiders gewiß los, denn wer noch zu dem Bär in den Stall gekommen war, war nicht lebendig geblieben.

Als nun der Schneider in den Stall gebracht wurde, kam der Bär auf ihn zu und wollt ihm mit den Pratzen willkommen heißen und dann damit an sein Herz drücken, daß ihm der Athem wäre ausgegangen. Der Schneider aber sprach: »Halt Bursche! mit dir will ich schon noch fertig werden!«

[79] Alsbald holte der Schneider eine Nuß heraus und knackte die auf und aß den Kern. Da stand der Bär da und verwunderte sich, und wollte auch ein Paar Nüße haben. Flugs griff das Schneiderlein in die Tasche, und gab dem Bär einige. Das waren aber die Kiesel.

Der Bär aber steckte die Kiesel ins Maul und drückte mit den Kinnbacken und drückte, aber die wollten nicht aufknacken. Da wunderte sich der Bär, daß er so ein dummer Klotz sei und sagte zum Schneider: »beiß mir die Nüße doch auf, mir wills nicht glücken.«

»Da sieh, was für ein Kerl du bist, sprach der Schneider, wenn du das nicht einmal kannst.« Und er nahm die Steine, hatte aber schon Nüße in der Hand, und: knack! knack! gingen sie auf.

»Nun, sagte der Bär, das ist verwunderlich. Wenn ichs so ansehe, dächt ich, ich sollts wohl auch können; laß michs noch einmal probiren.«

Darauf gab ihm der Schneider abermals Steine und der Bär biß aus Leibeskräften darauf, daß ihm die Zähne weh thaten, aber es wollte nicht knacken.

»Das macht, weil deine Kinnbacken zu schwach sind;« sagte der Schneider, und der Bär konnts gar nicht begreifen.

Als nun das vorbei war, nahm der Schneider die Geige unter dem Rock hervor, und strich eins auf, das lustig und lieblich war und tanzte und hopste dazu im Stall in der Kreuz und der Queer. Dem Bär gefiel das so gar zu sehr schön, daß er sich aufrichtete und tanzte mit und brummelte lieblich dazu.

Als sie nun beide im Stall eine Weile hin und her getanzt hatten, war der Bär müde, und sagte: »Hör, das Geigen gefällt mir. Ist es denn schwer?«

[80] »Schwer ists gar nicht, sagte der Schneider, wenn man den rechten Verstand dazu hat. Siehst du! hier mit der Linken leg ich die Finger auf und mit der Rechten streich ich auf, dann geht es lustig: Hopsa; juchhel! vivallallera!«

Damit strich der Schneider auf, so wundersam lustig, daß dem Bären das Herz im Leibe hüpfte und knackte.

»Hör! sagte der Bär; das Geigen ist gar zu hübsch. Willst du es mich lehren, so könnt ich mir selbst aufgeigen und dazu tanzen, so oft ich wollte.«

»Lehren will ichs dich wohl, sagte der Schneider; aber laß einmal deine Pratzen besehn, wie es mit den Nägeln steht, ob die nicht zu lang sind?«

Und als der Schneider die Nägel besehen hatte, sagte er, sie wären viel zu lang, er wolle sie ihm abschneiden, dann ging es noch eins so leicht.

Da holte der Schneider den Schraubstock und der Bär mußte seine Pratzen drein legen, die schraubte der Schneider so fest, daß der Bär sich nicht rühren konnte und große Schmerzen erlitt.

Aber der Schneider sagte: »nun warte, bis mir Jemand eine Scheere bringt, dann will ich dir die Nägel verschneiden.«

Damit legte er sich in einen Winkel aufs Stroh, und schlief sanft und fest, der Bär aber brummte erbärmlich.

Die Prinzeßin hörte das Brummen und dachte, jetzt habe der Bär seine rechte Lust und Freude am Schneider, und zerwalke ihn, als ihm der Athem ausginge, und meinte, nun sei sie den erbärmlichen Freiersmann los.

Aber, als man am andern Morgen nachsahe, war derselbige munter und frisch, wie eine Karausche.

[81] Nun konnte die Prinzeßin kein Wort mehr widerreden, und fürchtete sich auch vor dem Schneider, der so schwere Dinge vollbracht hatte, und meinte, er möge wohl mehr können als Brodt eßen. Das aber war wahr und wahrhaftig wahr.

Als sie nun mit dem Schneider zur Trauung fuhr, kam der Bär wüthend dem Wagen nachgelaufen, denn sein Wärter hatte ihn wieder los gemacht. Die Prinzeßin hörte ihn schnauben und sagte in großer Angst: »Nun wird er uns Alle umbringen.« Aber der Schneider war flink; stellte sich auf den Kopf und streckte die Beine zum Fenster heraus, und rief dem Bär zu: »Kennst du den Schraubstock? Wart, du sollst wieder hinein; ich will dir die Nägel verschneiden!«

Der Bär gerieth in Angst und lief eilends zurück, denn er dachte, es sei der Schraubestock.

Und also ward nun das Schneiderleinelchen der Gemahl der weisen und schönen Prinzeßin.

Da war es ein Leben!

12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

12. Die sechs Diener.

Eine alte Königin hatte ein großes Reich und eine schöne Tochter, welche die schönste war auf der ganzen Welt, und freieten große Könige und Prinzen um dieselbe. Aber die Königin war eine sehr böse und sehr mächtige Zauberin, und wenn ein Freier kam, mußte er einen großen Eid thun, was ihm die Königin aufgäbe, das wolle er vollbringen, oder seinen Kopf hergeben.

[82] Da steckten nun wohl an zwanzig Köpfe auf dem Schloßthore, von welchen jeder einst gedacht hatte, er habe Kopf genug seinen Kopf zu retten.

Da nun aber so viele die Köpfe verloren hatten, ließen sich die Andern dadurch ein klein Bißchen warnen, und fand sich lange Zeit Keiner, der um die Prinzeßin anhielt, blos weil er auf seinen Kopf ein wenig hielt.

Es hatte aber ein Königssohn schon lange um die Prinzeßin wollen werben, sein Vater aber litt es nicht, denn er fürchtete, es möchte der Prinz den Kopf auch verlieren, wie so viele andere Prinzen, die auch Leute von Kopf waren. Da wurde derselbe Prinz nun aus Sehnsucht krank, und kränker und immer kränker und verwelkte wie eine Blume, die ein böser Wurm im Herzen anfraß. Die Aerzte sagten, es stehe ihm nicht zu helfen, wenn ihn der König nicht reisen ließ.

Also hatte der König keine Wahl; hier gewißer Todt; dort doch ungewißer. »Zieh hin, sagte er; vielleicht bist du glücklich!«

Als der Sohn nun seinen Willen hatte, ward er alsbald gesund, und zog hin.

Auf der Reise kam er in einen Wald, da fand er einen Mann, der lag auf der Erde und war so gewaltig dick, daß er in der Ferne wie ein Berghügel aussahe.

»Wie bist du so ungeheuer dick worden?« fragte der Prinz.

»Ich dick? erwiederte der Mann; jetzt bin ich ja gar nicht dick und bin ganz zusammen gefallen, denn ich habe heut erst sechs Backofen voll Brodt und 2 Stückfaß Wein gehabt, da ist mir ganz miserabel zu Muthe; aber wenn ich mich so recht auseinander thue, da bin ich dreitausendmal dicker. Ich heiße auch derDicke.«

[83] »Du bist mir schon recht, sagte der Prinz; willst du mir dienen, so ziehe mit mir.« Da zog der Mann mit ihm.

Als sie weiter gekommen waren, fanden sie Einen, der lag auch auf der Erde und hielt sein Ohr an die Erde.

»Was machst du da?« fragte der Prinz.

»Ich horche ein Bißchen, antwortete der, was sie tausend Meilen von hier stampfen und toben und blasen. Es wird wohl eine Schlacht sein, denn es sind so viel Huftritte und Menschentritte und Schwerdtergeklirre dabei. – Man heißt mich den Horcher.«

»Was macht man am Hofe der bösen Königin jetzt?« fragte der Prinz.

Der Horcher legte sein anderes Ohr an die Erde und horchte. »Eben jetzt, sagte er darauf, knappen sie einen Freier den Kopf ab, der gestern um die Prinzeßin geworben hat, und hat das erste Bund (Aufgabe) nicht lösen können, das ihm gegeben ward. So hör ich die Leute sprechen.«

»Geh mit, wenn du mir dienen willst,« sagte der Prinz. Da ging er denn auch mit.

Alle drei zogen fürder, und fanden Einen, der sich der Länge lang ausgestreckt hatte, und war so lang, daß man eine halbe Viertelstunde gehen mußte, ehe man vom Kopf bis zu den Füßen und von den Füßen wieder bis zum Kopfe kam.

»Was tausend bist du lang!« sagte der Prinz; der aber antwortete: »das ist noch gar nichts, denn wenn ich mich recht ausdehnen will, sehe ich weit über die höchsten Berge hinweg.«

»Wenn du mir dienen willst, so gehe mit,« sagte der Prinz. Da ging er denn auch mit.

Als die Vier weiter gingen, saß Einer mit verbundenen Augen da, und der Prinz fragte: »Warum hast du das Tuch um die Augen?«[84] – »Ja, sagt der, wenn ich sie nicht verbunden hätte, so wär das nicht gut; denn was ich so geradehin ansehe, das springt voneinander.«

»So geh auch mit mir, wie die Andern, wenn du mir dienen willst.«

»Ja das will ich schon,« sprach der, und ging mit.

Nun fanden die Fünf im Weitergehen Einen, der lag in der heißesten Mittagssonne gegen einen Felsen angelehnt, wo die Strahlen so sehr brannten, daß es Niemand erleiden konnte. Der aber zitterte am ganzen Leibe, daß die Glieder zusammen klapperten.

»Hast du das Fieber? fragte der Prinz, daß du so zitterst?« »Nein, antwortete er, aber in der Sonnenhitze frierts mich desto mehr, je heißer es ist; aber je kälter es ist, desto heißer wirds mir, und im dicken Eise kann ichs vor Hitze nicht aushalten.« »Das ist kurios, sagte der Prinz; aber, du Narr, da hättest du dich nicht an den Felsen legen müßen, sondern in den Schatten.«

»Ja freilich, sagt der Zittermensch, aber ich dacht eben nicht dran, denn weil ich in tiefen Gedanken war, so konnt ich nichts denken!« der Prinz hieß ihn auch mitgehen, und er ging gleichfalls mit.

Da nun die Sechs noch weiter gingen, kamen sie über einen hohen Berg, da stand Einer, der schauete überall sich um, dahin und dorthin.

»Was schaust du da?« fragte der Prinz. »Das thue ich zu meiner Lust, sagte er, denn meine Augen sind so hell, daß ich die ganze Welt durchschauen könnte. Seht her! da! eben alleweile frißt dort eine Krähe hinter dem Pfluge einen Maikäferwurm. Das ist aber auch freilich nicht weit, sondern nur fünfhundert Meilen von hier.«

[85] »So einer fehlte mir noch, sagte der Prinz, und nahm ihn dann auch mit.«

Nun kamen sie in die Stadt, wo die böse Königin und die schönste Prinzeßin wohnten. Der Prinz ging zur Königin und sagte, er wollte um die Prinzeßin werben.

»Das magst du wohl thun, antwortete sie; aber so will ich dir denn dreimal Etwas aufgeben, wenn du das jedesmal lösest und zu Stande bringst, will ich dann die Tochter dir laßen. Zuerst mußt du mir einen Ring schaffen, den hab ich in den und den großen Fluß fallen laßen.«

Der mit den hellen Augen mußte nun sehen, wo der Ring im Fluße liege, und da er ihn in einer großen Tiefe gefunden, trank der Dicke oberhalb des Orts, wo der Ring war, das Waßer so lange weg, bis der Lange in die Tiefe hinabgereicht und den Ring genommen hatte.

Als der Prinz den Ring der Königin brachte, sagte sie: »das ist gut! denn es ist der rechte Ring; aber nun kommt der zweite Bund. Dort auf der Wiese weiden meine dreihundert Ochsen. Dazu will ich dreihundert Stückfäßer Wein bringen laßen. Die mußt du verzehren und darfst nur einen einzigen Gast zu Hülfe dabei nehmen.«

Da nahm er seinen Dicken zum Gaste, und als der sahe, was hier zu thun sei, sagte er: »Da kann man sich doch endlich einmal so ziemlich satt eßen und trinken.« Er aß die dreihundert Ochsen mit gutem Appetit, und den Wein trank er gleich aus den Fäßern; ein oder zwei Stückfaß auf einmal.

Als das nun auch gethan war, sagte die Zauberin; so weit hat es noch keiner gebracht als du. So will ich dir denn auch etwas ganz Leichtes aufgeben, und dann ist Alles ausgerichtet.

[86] »Heut Abend bring ich dir die Jungfrau; da setzt Ihr Euch beide zusammen, Ihr dürft aber nicht einschlafen, vor Mitternacht zwölf Uhr, wo ich selbst komme. Bist du denn eingeschlafen, so verlierst du den Kopf.«

Der Prinz war behutsam und dachte: »das möchte wohl gar das Schwerste sein,« und als die Prinzeßin hereingeführt wurde, hieß er alle seine Diener in die Kammer kommen. Den Dicken stellt er gegen die Thür, daß kein Stäubchen hinein konnte und der Lange mußte sie alle umschlingen, daß keiner davon konnte. Nun, dacht er, würde es wohl gehen.

Sie wachten bis über eilf, da überfiel sie allesammt ein fester Schlaf, den sie nicht abwehren konnten, denn es war ein Schlaf, den die Zauberin gemacht hatte.

Es war nur noch eine Viertelstunde vor zwölf Uhr, da wachten sie auf, aber die Prinzeßin war, während sie schliefen, von der Zauberin fortgeschaft.

»Halt! sagte der Helle, und strengte seine Augen recht an; sie sitzt mitten in einem Felsen; aber ich kann bei Nacht nicht recht wißen, wie weit es wohl sein mag.«

Da horchte der Horcher! »Ja! sagte er, sie sitzt im Felsen und klagt jammerlich über ihr Elend und spricht: der Prinz sei ihr Liebstes, seitdem sie ihn einmal gesehen, und nun müße sie in tiefer Felsenkluft sitzen. – Der Felsen wär aber kaum dreihundert Stunden weit.«

Der Lange nahm nun den mit den verbundenen Augen, und hockt ihn auf seinen Rücken, und trug ihn in einigen Minuten zu dem Felsen hin. Hier nahm er ihm die Binde hinterwärts ab, und der Felsen zersprang in viel Millionen Stücken, daß es krachte, und im Augenblicke schlug er die Augen zu, und verband sich wieder mit [87] der Binde; der Lange aber nahm die Prinzeßin auf seinen Arm, den Felsensprenger aber auf seinem Rücken, und sie waren so bald wieder da, daß noch hübsch fehlte, ehe es zwölf schlug.

Schlag zwölf war die alte böse Hexe da, und sahe, daß Alle wachten, und die Prinzeßin wieder da war. Mürrisch sagte die böse, alte Hexe, es sei nun Alles gut, und nahm die Tochter mit sich auf ihre Kammer.

Es war aber noch lange nicht Alles gut, sondern gar böse. Die Alte beredete die Tochter, am andern Tage zu sagen, der Prinz habe wohl vollbracht, was die Königin hätte aufgegeben, aber das gehe sie nichts an. Sie wolle ihm auch Etwas aufgeben, welches er erst ausrichten müße, ehe sie ihn nähme.

So sagte sie denn am andern Tage auch, und gab ihm auf, er solle Jemand aufsuchen, der in einem großen brennenden Haufen Holz sich wohl hielte, und unversehrt aus dem Feuer hervorginge. Das hatte die Alte sich ausgesonnen und hatte gedacht, wenn ihm die Diener auch Alles zur Liebe thäten, so würden sie doch Solches nicht thun.

Der Holzhaufen wurde zusammengelegt und angezündet, und der Frostige stieg nun in den brennenden Haufen, welcher die Flammen bis zum Himmel trieb und bis zum dritten Tage brannte, ehe er erlosch.

Als derselbe nun erloschen war, kam der Frostige aus der Asche hervor und war ganz erstarrt und sagte: wenn der Haufen noch einen einzigen Tag gebrannt hätte, so wär er gewiß erfroren.

Die schöne Jungfrau sollte sich nun mit dem Prinzen vermählen, denn die Zauberin wußte nicht mehr, was sie sollte ersinnen. Aber als Beide zur Kirche fuhren, wollte sie nun noch Gewalt versuchen und sendete all ihr Kriegsvolk nach, den Prinzen und seine [88] Leute niederzumachen. Der Horcher aber hatte Alles gehört, was das böse Weib im Sinne hatte, und sagte zu dem Felsensprenger: »Nun wollen wir einen rechten Spaß haben mit dem schlechten Pack. Siehe sie nur recht scharf an, daß sie alle zerspringen.« Das that der denn, und Reiter und Fußvolk zersprangen in Splittern, als ob sie aus Glas gemacht gewesen wären. Die alte Zauberin aber, die in ihrem Wagen nachgefahren war, um die Sache mit anzusehen und auch zu kommandiren, sah er besonders noch recht scharf an. Da zersprang sie so sehr, daß sie zu einem Häufchen Staub wurde.

Nun überkam der Prinz die Prinzeßin. Er reiste nun mit ihr nach seinem Schloße. Aber, weil es ihn sehr hatte geärgert, daß sie ihn auch hatte wollen in Gefahr bringen, blieb er mit ihr eine halbe Stunde vor seinem Schloße in einem Dorfe und sprach: »Jetzt sollst du wißen, du garstiges Aas, wer ich bin. Ein Schweinehirt bin ich, aber kein Prinz, und weil du mir nach dem Leben getrachtet hast, und bist so hochmüthig gewesen auf deine Schönheit, sollst du nun dein Lebtag die Säue hüten; und wenn du nicht ordentlich thust, was dir befohlen ist, sollst du die Peitsche schon kosten, denn das Karbatschen hab ich gelernt.«

Sie bekam nun einen groben Kittel, ein Paar alte Strumpfsocken statt der Schuhe und Strümpfe und grobes Brodt kaum satt, und mußte die Säue hüten. Da klagte sie ganz kläglich, und weinte lauter Thränen, und reuete es sie sehr, daß sie so hochmüthig gewesen, und habe die Mutter nicht gehindert, so brave Prinzen hinrichten zu laßen, und auch wollen helfen ihren Mann ins Verderben bringen.

Sie hütete die Säue, und er hütete sie mit. Er war aber von nun an gütig und freundlich gegen sie, und brachte ihr zuweilen [89] ein Band für zwei Dreier und einen Pfennigkuchen mit aus der Stadt.

Als nun ihr Herz ganz zerbrochen und zerknirscht war, sprach er eines Tags: »Komm, wir wollen ein wenig wohin gehen, wo es recht lustig herzu geht,« und führte sie in sein Schloß. Da wurde denn Alles offenbar, und sie fiel vor dem Prinzen nieder, und weinte auf seine Hände und bat ihn, er möchte ihr doch verzeihen; sie wolle fortan nicht mehr so garstig sein um ihrer Schönheit willen.

Da umarmte er sie gar holdselig und freundlich, und sagte: »bleib nur dabei, du Liebe, da werden wir gewiß recht glücklich sein.«

Sein Diener behielt der Prinz bei sich. Der Felsensprenger war im Kriege so gut wie zehntausend Kanonen und sprengte Armeen auseinander; der Horcher wurde sein Spion und verrieth ihm Alles, was in andern Ländern und an andern Königshöfen vorging; der Hellseher mußte sehen, wie es die Richter und Räthe und Amtleute in seinem Lande mit den Unterthanen treiben; der Frostige mußte die tiefsten Wein und Goldkeller bewachen, in welchen er sich wohl befand; der Lange wurde sein Laufer, und wenn hundert Meilen weit Etwas hinzubringen war, war er hundertmal schneller wieder da, als alle Couriere der Welt.

Da war es freilich keine Kunst, daß es in seinem Lande in Friede und Gerechtigkeit herging, und sich alle Unterthanen wohl befanden.

Aber was machte er mit dem Dicken? – Da derselbe wie alle dicken Leute keinen Geschmack hatte, so mußte er diejenigen im Lande auffreßen, welche Recht und Ordnung um Geld verkaufen und die Wittwen und Waisen und ehrlichen Leute hatten auffreßen wollen, [90] z.B. alle Wucherer, ungerechten Sachwalter etc. und er merkte kaum, daß er giftiges Unkraut gefreßen hatte. Das machte, er hatte keinen Geschmack, aber einen guten Magen.

13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten.

Es gab eben keine Kriege in Afrika und Asien mehr, wo der Hauptmann Felsenschneider sengen, brennen, stechen, hauen und nach Herzenslust eßen und trinken konnte.

Auf seinen Streifereien kommt er in einer Wüste zu der Grotte eines Derwisches, und sagt: »Heiliger Mann, hast du nicht etwa ein Paar hundert Nüße für einen hungrigen Magen?«

»Die Ratten haben mit ihren guten Zähnen alle meine Nüße gefreßen und die Schalen übrig gelaßen. Doch liegt noch ein großes Stück Zwieback vor meiner Thür.« Damit zeigte er auf einen Stein, der über sechs Fuß lang war.

»Ist das deine Speise? sagte der Hauptmann, so kenn ich dieß Backwerk wohl, und die Pyramiden sind davon zusammengebacken. Es ist freilich ein wenig schwer verdaulich; indeßen Hunger thut weh.« Somit hieb er sich mittelst seines Säbels eine drei Finger starke Scheibe mit einem einzigen Hieb ab, zerbröckelt sie mit den Händen und zermalmt sie mit den Zähnen.

Der Derwisch bewunderte den Mann und seinen Säbel und dachte, den müße er sich zum Freunde ma chen, ruft den Hauptmann [91] herein und theilt einige große Ziegenkäse und den Schiffszwieback mit ihm, den er noch besaß. Man trägt beides in großen Stößen auf den Steintisch in der Grotte auf und setzt einige ungeheure Krüge dazu auf, worin Waßer mit Honig vermischt war.

Die Mahlzeit war mäßig, denn es hätten schwerlich über zwölf Personen davon gesättigt werden können, und der Derwisch ergreift nun den Krug und leert ihn auf einen Zug aus.

»Bruder, sagt der Hauptmann, du mußt bis auf die große Fußzehe hohl sein, und hast auch nicht ein einzigesmal abgesetzt!«

»Ach ich habe mich schon viel gebeßert, versetzte der Derwisch. Ich hieße Trinkaus, und hätte sonst wohl Ströme ausgetrunken, hätt ich das Waßer nur eben so sehr geliebt, als den Wein. Das Trinken hat mich aber eben zum frommen Manne gemacht. Ich war bei einem Freunde in Georgien, aus deßen Keller es mir so lieblich entgegen roch, daß ich hinabstieg. Da liegen etwa ein Dutzend kleine Fäßer voll Wein, nicht größer als die Orhofte. Ich fange davon an zu kosten, und trinke in Gedanken den Wein aus. Darüber kommt der Wirth herbei und behandelt mich wie einen Saufaus. Meine dumme Hitze überläuft mich und ich schlage den Mann todt. Hinterher that mir das sehr leid, und um den Todtschlag abzubüßen bin ich in die Wüste gegangen und ein Derwisch geworden, und treibe nebenbei ein Bißchen Pflanzen und Sternkunde.«

Nun erzählte der Hauptmann auch Einiges von seinen Thaten. Einmal, sagt er, habe er sogar die Hauptstadt eines ganzen Landes erobert, und das Land obendrein, aber Er selbst und sein Degen ganz allein, denn die feigen Hunde von Soldaten wären nur immer dann zur Hand gewesen, wo es zu Freßen und Saufen gegeben, allein niemals beim Fechten. »Als ich nun aber König geworden [92] war, fuhr er fort, fand sichs, daß ich über keinen einzigen Menschen zu herrschen hatte.«

»Wie? fragte Trinkaus, du wirst doch nicht Weiber und Kinder vertilgt haben?«

»Bei Gott ja!« sagte der Hauptmann, »ich vertilgte sie von grundaus, denn sie fluchten und schimpften mir, warfen Steine auf mich und hetzten die Hunde gegen mich an. Da hab ich im rasenden Grimm Alles niedergemacht.«

»Du bist gewiß bei einigen von unsern jungen Helden in der Schule gewesen, versetzte der Derwisch, die, wenn sie erst gesiegt haben, im allzugroßen Heldeneifer zu morden, zu sengen und brennen nicht aufhören können, weil sie einmal im Zuge sind. Oftmals lodert schon dann ihr Heldenmuth in Mord und Feuerflammen auf, wenn noch gar kein Feind da ist. Aber, mein Bruder, für einen Helden wie du bist, ziemt sich solche Sitze nicht mehr. Ich wüßte ein Stück Arbeit für dich, wo sich diese Hitze sehr abkühlen und viel Ehre gewinnen ließe.«

»Was ists für eine Arbeit?« fragte der Hauptmann, und der Derwisch antwortete: »Es gilt ohne Armee eine Festung zu erobern, die weder Thore noch Mauren noch Gräben hat. Die Mühe, welche du dabei haben würdest, würde die Hitze ziemlich mildern.«

»Höre, mein heiliger Bruder, versetzte der Hauptmann, wenn du Wein in deinem Kruge gehabt hättest, so wüßte ich wohl, was ich denken sollte. – Ein Feldherr ohne Armee? – eine Festung ohne Thore, Mauern und Graben?«

»Ja doch, ja!« sagte der Derwisch; »zehn Stunden von hier ist die Festung Kikelalah. Sie liegt auf einem sechszig Fuß hohen Felsen, der rund um ganz glatt behauen, und ganz senkrecht ist. Die [93] Einwohner sind lauter Soldaten und laßen sich in Körben, deren jeder zehn Mann faßt, von den Mauern herab, um auf zwanzig Stunden umher den Tribut einzutreiben. Die Festung steht unter dem Tyrannen Dickstab, den alle Welt fürchtet, und wenn du den wirst vertrieben haben, kannst du selbst nach deinem Belieben herrschen; so gut wie der, ohne daß dir Jemand darf drein reden.«

»Bruder, sagte der Hauptmann, das will ich auch, – auf meine Ehre, ich will regieren, denn die Kunst scheint mir gar nicht schwer, und der Bursche, der Dickstab, muß von dem Neste herunter und du sollst sehen, wie ich arbeiten will. Nur etwas Armee möcht ich doch haben. Laß uns eine werben, es gibt ja des verlaufenen Gesindels noch genug in der Welt.«

»Ist nicht noth, erwiederte der Derwisch. Du sollst eine Armee von acht Marschällen haben, deren Jeder allein ein Reich umkehren könnte, und ich bin der geringste unter ihnen. Du siehst wohl ein, daß acht große Generale mehr sind denn acht große Heere. Du weißt ja, wo eine Schlacht ist gewonnen oder eine Festung erobert worden, so spricht alle Welt von der Einsicht und Tapferkeit des Obergenerals und kein Mensch von den Soldaten, aus welchen die Armee besteht. Du siehst also ein, daß diese ganz überflüßig ist.«

»Wohl denn, sagte der Hauptmann, so mache mich nur mit den Generalen bekannt.«

Der Derwisch vertröstete ihn auf den andern Morgen, und sagte, daß sie viel Geschick und Naturgabe hätten, nur den Verstand müße ihnen der Anführer leihen. Felsenschneider meinte, daß sie um so tauglichere Soldaten sein würden, je dümmer sie wären, denn sie würden desto beßer blindlings gehorchen. Er erkundigte sich aber nun auch, was für eine Art Mensch Dickstab sei!

[94] »Der ist ein etwas riesiger Mann, antwortete der Derwisch, und ist von Kopf bis zu den Füßen in Stahl geharnischt, wobei er sich aber so leicht und schnell bewegt als ein Vogel. Er führt keine Waffe als eine hundertpfündige Keule von Erz, mit welcher er so leicht spielt, als sei es ein dünnes Bambusrohr. Mit diesem verdammten Dinge hat er uns zwei unserer Besten todt geschlagen, den Eisenarm, der mit jedem Faustschlag einen Mann niederstreckte, und den Stahlzahn, der mit seinen Hauern die Menschen wie Lerchen aufspießte.«

»Die sollen gerächt werden, sagte der Hauptmann; aber jetzt laß uns schlafen gehen.«

Als sie am andern Morgen spatzieren gehen wollten, kamen drei Männer. »Die sind von unsern Leuten, sagte der Derwisch, und heißt der EineSchauescharf, denn auf vierzig Stunden weit sieht er die kleinste Nadel auf der Erde; der Andere heißt Zieltreffer, und wird in gleicher Entfernung einen Apfel nicht mit seinem Pfeile verfehlen; und der dritte, Spalteluft genannt, würde den Pfeil in fünf Minuten zurückbringen.«

Der Derwisch hatte das kaum ausgesagt, so waren die Drei schon da, und er rühmte ihnen den herrlichen Anführer, welchen sie gefunden hätten, um an ihrem Feind Dickstab volle Rache zu nehmen. – »Aber, setzte er hinzu, kommt Ihr denn ohne Proviant?«

Da antwortete Zieltreffer; »Großbuckel bringt etwas Weniges mit. Er hat ein jähriges Kalb auf dem Rücken und unter dem Armen ein Paar Ohmen Wein. Er ist nur erst in einen Garten gegangen, um Gemüse und Sallat mitzunehmen und wird bald da sein.«

[95] Kaum war das Wort ausgesagt, so war Großbuckel mit seiner Last da, die er so leicht trug, als wär es ein Säckchen Federn gewesen.

»Sieh General, sagte der Derwisch, das ist unser Packwagen, der Großbuckel, uns Proviant zuzubringen, und die gemachte Beute fortzutragen, wäre sie auch noch so schwer.«

Der General bekam einen Gelust nach dem Kälbchen, und der Derwisch sagte: »Schauescharf, wo bleibt denn unser Koch?«

Schauescharf sahe sich umher. »Sieh da! sprach er, er ist hier ganz nahe, aber er vertreibt sich die Zeit, Wachteln zu fangen, die in großen Zügen über seinen Kopf hinfliegen, rupft sie und bratet sie mit seinem Athem.

Daß dich den Schuft! rief Trinkaus, so ungebührlich an einem Musterungstage an sein Vergnügen zu denken! daß dich! An einem solchen Tage muß der Soldat höchst ordentlich sein. Darnach mag er Bürgern und Bauern nach seinem Belieben thun, und schlemmen und zechen. Aber es ist wahrhaftig an der Zeit, daß wieder Mannszucht hergestellt werde, denn auch das Faulthier Immerschlaf ist nicht da, um Vergatterung zu schlagen.«

»Ha! sagte Schauescharf, der schnarcht dort im Schatten, daß die Bäume beben.«

Spalteluft bekam Befehl die Beiden eiligst herbeizubringen. Sie waren fast im Augenblicke da. Der Koch, Blasefeuer genannt, mußte nun das Kalb braten, welches Gutbuckel an den Spieß gesteckt hatte. Dazu hatte er nichts weiter nöthig als sanft mit seinem Munde zu blasen. Wenn er gewollt, hätte er auf diese Weise einen ganzen Erzgang in Fluß bringen können. Immerschlaf mußte Vergatterung schlagen. Er trommelte nur ganz sanft mit den [96] Fingern auf seinen Bauch, und es war, als ob zehntausend Trommeln im Gange wären.

Es fehlte an einer Schüßel, die Bratenbrühe aufzufaßen. Da haut der Hauptmann oder Obergeneral mit seinem Sonnensäbel von dem Steinzwieback vor des Derwisches Grotte eine tüchtige Scheibe ab, und bringt auch eine Vertiefung darin an. Ein Stück Granitfelsen mitten in der Grotte hinderte mit Bequemlichkeit Tafel zu halten, aber der Hauptmann hieb den Vorsprung des Felsens Stück für Stück ab, und jedes Stück glich einer marmornen Tischplatte, der nichts fehlte als die Politur.

Der Braten wurde indeßen durch das linde sinnige Blasen des Kochs gleichsam wie vergoldet. Hätte er stärker geblasen, so wäre derselbe verkohlt, aber Blasefeuer verstand die Kunst einen guten Bißen zu bereiten, und hatte sich schon vorgenommen, wenn es ihm einmal an einem Unterkommen fehle, Mundkoch in einem vornehmen Hause zu werden, wo er sich gewiß dreimal so gut stände, als der Lehrer der jungen Familie, zumal da er das Holz ersparte.

Die Tafel wurde angerichtet und Immerschlaf strich sich, sein Vergnügen auszudrücken, ganz sanft den Bauch, aber das machte so einen fürchterlichen Lärm, daß man ihn bitten mußte aufzuhören. »Hm! sagte er, was habt Ihr denn? Aller Spektakel in der Welt, und alles Treiben, Rennen, Laufen, Raßeln und Praßeln kommen ja von Magen und Bauch her.«

Man aß und trank, und Trinkaus, eingedenk des Gelübdes ein frommer Mann zu werden, blieb bei seinem Honigwaßer, bis nach der Mahlzeit, wo er, gleichsam den Mund auszuspülen, so ein kleines Schlückchen Wein von etwa dreißig Kannen aus dem Kruge nahm.

[97] Während man tafelte, fanden sich noch zwei Vermißte ein, nämlich Greifwolke und Weitmacher. Trinkaus las ihnen den Text nicht schlecht, indeßen aus alter Kameradschaft bekamen sie doch noch zu eßen und zu trinken, nur mit der Verwarnung, künftig beßer Ordnung zu halten, denn der neue Hauptmann werde nicht Alles nur so hingehen laßen.

Als man aufgestanden war, sagte Trinkaus: »Wohlan, Kameraden, es ist nun wohl an der Zeit, daß wir uns über unsern gemeinschaftlichen Zweck ernstlich berathen, und vor allen Dingen darüber, was wir zum Abendeßen werden nöthig haben. Denn was kann man für Rath halten mit ausgehungerten Magen.

Schauescharf, Zieltreffer, Spalteluft, habt Acht. Sieh dich um, Schauescharf, wir müßen vierhundert Pfund Wildprett haben, denn wir haben diesen Mittag eine Hungermahlzeit gehalten, und zwar Wildprett von viererlei Sorten; aber zartes, liebster Freund, sehr zartes, meines schwachen Magens wegen.«

Schauescharf hatte bald erspäht, was verlangt wurde; Zieltreffer mußte eine Pike aufpflanzen und grade dahin zielen, wohin ihn Schauescharf anwies. »Wie weit?« fragte Zieltreffer. »Funfzehn Stunden und dreißig Schritt« war die Antwort. – Der Pfeil flog ab. – »Der Damhirsch liegt!« rief Schauedurch.

»Nun, hieß es, Spalteluft, leg deine Babuschen an und bring uns das Wild.« – Das geschahe auf der Stelle, und auf gleiche Weise wurde noch dreierlei Wild erlegt, eingebracht und von Gutbuckel abgestreift, ausgewirkt und an den Spieß gesteckt.

Trinkaus sieht indeßen den Brodsack nach, und findet nur noch hundert und siebzig Pfund Brodt. »Da wären wir schön angekommen, sagt er, wenn ich nicht nachgesehen hätte. – Schauescharf, sieh, wo frisches Brodt ist?«

[98] »Dreißig Stunden von hier, zu Waßer, ist ein ganzer Backofen voll, der noch vor Wärme raucht, und eben ist der Bäcker fortgegangen, um das Brodt abkühlen zu laßen;« sagt Schauescharf.

»Spalteluft, hieß es, mache dich auf und schließe den Handel.« Dieser war bald geschloßen. Das Brodt war in der Grotte, ehe es der Becker vermißte.

Die Gesellschaft hatte Durst. »Greifwolke, sagte der Derwisch, greif die oben hinziehende Wolke, nöthige sie ihren Vorrath herzugeben, obschon sie vielleicht etwas hageln möchte. Gefrornes ist ja ein Leckerbißen.«

Greifwolke nimmt einen Knauel Seide aus der Tasche, und wirft es gegen die Wolke hinauf. Ein Faden davon fällt wieder aus der Wolke herunter, an welchem sich Greifwolke hinaufhaspelt, welchen ohnedieß noch der Wolkendunst sichtlich hinaufzuziehen scheint. Als er oben ist, quetscht und schnürt er die Wolke zusammen und nöthigt sie ihren ganzen Vorrath herzugeben, der in einem dichten und milden Regen zur Erde herabfällt und in Krügen aufgefangen wird.

Man löschte den Durst, aber Waßer erkältet den Magen und Regenwaßer obenein ist so weich und üblich. Der Hauptmann wünschte, man möchte das Waßer mit einigen Flaschen starken Dattelbranteweins verbeßern können.

Schauedurch hatte bald einige ziemlich weite Flaschen entdeckt, die in der Entfernung von zehn Stunden auf den Altan hingesetzt waren, um an der Sonne den darin enthaltenen Lebensgeist recht destilliren zu können, und Spalteluft holte sie sogleich. – »Ha! sagte Trinkaus, hätte der nur die Kräfte von Gutbuckel, so wäre er der nützlichste Kamerad unter uns Allen.« Auch der General Felsenschneider war in guten Appetit gekommen, und wünschte zum [99] Abendnachtisch einige Feigen von der besten Sorte aus Afrika. Spalteluft mußte sich sogleich aufmachen, um Afrikas Garten ein wenig zu durchstöbern, erhielt aber zugleich Befehl, in einer halben Stunde wieder da zu sein, indem man seiner vielleicht noch weiter bedürfen möchte.

Noch ein Mann aus der hohen Generalität war dem Obergeneral unbekannt. Dieß war Weitmacher, der eben mit kreuzweis übereinander geschlagenen Armen da saß, gleichsam tief sinnend.

Der Obergeneral begehrte Auskunft über das Thun dieses Mannes, aber der Derwisch vertröstete ihn auf heute Abend, wo er denselben werde arbeiten sehen.

Die Braten waren im besten Braten, aber Spalteluft war noch nicht wieder da: Schauescharf mußte sich umhersehen, und rief auf einmal: »Seht den Schlingel; er hat mehr Feigen in den Magen als in den Korb gesammelt, und ist auf dem Korbe eingeschlafen. Die Araber der Wüste streifen eben in der Nähe umher, und werden ihn nicht nur den Korb nehmen, sondern auch die Babuschen, in welchen seine Schnellläufigkeit steckt. Dann haben wir ihn gehabt. – Zieltreff, oben auf dem Aste des Baumes, unter dem er schläft, sitzt ein Vogel. Schieß ihn herab, damit er durch den Fall des Vogels aufgeweckt werde.«

Zieltreffer ließ sich Richtung und Entfernung angeben. Die letzte betrug fünf und siebenzig Meilen. Schauescharf sieht dem Schuße nach und sagte: »Der Vogel ist herab, und der Schläfer ist erwacht.« Zwei Minuten drauf war derselbe mit den Feigen da.

Nachdem man zu Abend gegeßen hatte, wurde Weitmacher gerufen das Zelt aufzuschlagen, weil es sich für Kriegsleute, die in einer Unternehmung begriffen wären, nicht zieme in der Grotte zu schlafen.

[100] Weitmacher hatte einen kleinen Beutel an dem Gürtel hängen, von der Größe eines Hünereies. Er war mit vier dünnen Schnuren zusammengeschnürt, an deren Ende ganz feine Stahlnadeln hingen. Jetzt schnürt er den Beutel auf und bläst hinein, worauf derselbe sogleich die Größe einer ziemlichen Melone erhält. Nachdem er noch einmal hineingeblasen, kann er schon den Kopf hineinstecken, und indem er fortbläst, erweitert sich der Raum so sehr, daß der ganze Körper hineingeht. Endlich steht, durch fortgesetztes Blasen, ein Zelt da, welches Platz für zwanzig Mann hat. Die Stahlnadeln waren zu starken eisernen Zeltpflöcken geworden, und das Zelt wurde mit Piken unterstützt.

Der Hauptmann verwunderte sich sehr, aber wie stieg seine Verwunderung, als er erfuhr, daß Weitmacher sein Zelt so weit ausdehnen könne, daß dreißigtausend Menschen darunter Platz hätten.

In dem Augenblick, als das Zelt aufgeschlagen war, hört man einen Lärm wie von tausend Trommeln, den Immerschlaf hervorbrachte, indem er seine Backen ganz leise strich. Dieß war der Zapfenstreich.

Nachdem man Alles aufgezehrt hatte, wurde Rath gehalten. Man kam überein, den Dickstab dadurch aus seinem Felsenneste hervorzulocken, daß man das Land rings umher verheeren und ihn mit seinen Soldaten in Hungersnoth bringen wolle. – Man stellte hierauf Wache aus, und schlief unter dem Zelte ein. Immerschlaf schlief einige tausend Schritte weit davon, denn sein bloßes Athmen tönte wie ein rollender Donner, und wenn er etwa nur mit zurückgezogenem Athem einige Töne angab, so waren es Trompetentöne von solcher Stärke, daß Jeder davor erbebte.

Am andern Morgen hielt der General Musterung und fand Alles in schönster Ordnung. Hierauf mußte sich Schauescharf umsehen, [101] und entdeckte Mancherlei, was aber dem Herrn General eben nicht anstand, indem er keinen Gebrauch davon zu machen wußte. Weil man den Vormittag fasten mußte und auf dem Zuge sich nicht aufhalten konnte, so war sein Hauptabsehen auf eine schon fertige Mittagsmahlzeit für ihn selbst und seine Mannschaft gerichtet.

Das Glück wollte dem General wohl. Schauescharf entdeckte in einem zehn Stunden entfernten volkreichen Flecken die Zurüstungen zu einem gewaltig großen Hochzeitmahl. – »Gut,« sagte der General, »sie sollen es zurüsten, wir aber wollen es schmausen. Blasefeuer soll auf gut soldatisch den Flecken, mit Ausnahme des Hochzeithauses, nach den Regeln der neuen Kriegskunst in Brand stecken, obwohl uns das eigentlich zu nichts helfen kann; aber man muß doch sehen laßen, welche Helden wir sind, und wenn der Schrecken erst vor uns her geht, haben wir desto leichteres Spiel. Uebrigens treiben wir unsere Kurzweil, wie es sich fügen will. – Ich, für meinen Spaß, werde mich der Braut bemächtigen und werde den Leutchen mein Recht dazu mit meinem Degen schon hinlänglich beweisen. Ihr Uebrigen ergötzt Euch nach Belieben. Es soll mir eine Hauptlust sein, wenn sie nun Alle wimmern, jammern und heulen.«

Man setzte sich in Marsch. Zwei Stunden vor dem Flecken mußte Spalteluft noch einmal Umschau im Hochzeithause halten. Er brachte im Augenblicke die Nachricht, daß man es hier nur mit Götzendienern zu thun haben werde, die in diesem Augenblicke vor ihren Götzenbildern einen jungen Stier mit vergoldeten Hörnern schlachteten, deßen Fleisch erst in einigen Stunden gahr sein könne.

[102] »Tausend,« sagte der General, »da haben wir desto mehr Fug und Recht nach Herzenslust zu wüsten, denn wir müßen doch unsern Eifer gegen die Götzendienerei an den Tag legen. Nicht so, Derwisch?«

Als man bei dem Hochzeithause angelangt war, geht Felsenschneider hinein. »Was,« sagt er, »man richtet hier Hochzeit aus; man setzt sich zu Tische ohne mein Wißen?«

Die Leute entsetzten sich. »Himmel,« riefen sie, »wir sind verloren! Das ist der Tyrann! das ist der Dickstab.«

»Ihr Lumpenpack,« rief Felsenschneider; »Ihr lügt! Was hats da zu tyrannen. Ich bin ja der Bräutigam des schönen Kindes da, und es soll keinen andern Mann haben als mich.« Damit wollte er sich der Braut bemeistern.

Jetzt fängt ein tüchtiger Faustkampf an. Man ergreift Beile, Meßer, Prügel, Stühle und anderes Geräthe und fällt über den Räuber her, der tüchtige Püffe und Ohrfeigen austheilt, jedoch sein Sonnenschwerdt aus Schonung noch nicht ziehen will. – Mit einemmal fing Immerschlaf an zu niesen, und warf durch Gewalt dieses Niesens, von welchem selbst das Haus schwankte, Alles zu Boden, oder zum Hause hinaus und die Braut selbst war mit davon geflogen und hatte sich alsdann versteckt. Der General lachte.

Indeßen hatte Blasefeuer so gut gearbeitet, daß man im ganzen Orte Feuerlärm machte. Immerschlaf mußte nun Vergatterung schlagen und Alle setzten sich zu Tische.

Die Leute im Orte hatten ein Kommando von Dickstabs Soldaten geholt, welches in der Nähe stand. Es betrug funfzehn wehrhafte Mann. Da dieses hörte, daß diese Räuber gar nicht furchtbar wären, und nur Einer davon ein Schwerdt habe, auch von den Leuten des Orts gewiß würden bewältigt worden sein, hätte nicht [103] Einer darunter eine so malitiöse Niese gehabt, so bekam es einen großen Muth, und brach ins Hochzeithaus mit gezogenen Säbeln ein. Der Anführer will auf Immerschlaf einhauen, der aber niest blos noch einmal, und der Anführer vergaß: »wohl bekomms!« zu sagen, denn er überschlug sich wie ein Purzelmann von Holunder Mark, und als er wieder auf seinen Füßen stand, spaltet ihm der General den Kopf. Ein Anderer wurde in der Mitte durchgehauen; der Dritte verlor die Achsel mit dem Arm, ein Vierter ein Paar Beine, u.s.w. Da nahmen die übrigen mit viel Kriegslist und Gegenwart des Geistes Reißaus, und vertrauten ihren Beinen, weil die Arme zu ihrem Heil nicht hatten zureichen wollen.

Als nun die Feinde tapfer auf der Flucht waren, wurden sie auch eben so tapfer verfolgt. Greifwolke läßt hageln; Blasefeuer bläst ihnen nach und hätte sie alle zu Asche gebrannt, wären sie nur still gehalten; Immerschlaf niest ihnen nach, und von den acht oder neun, die entkommen waren, überschlugen sich die Meisten erst, ehe sie weiter laufen konnten. Selbst der Derwisch Trinkaus, der immer sein heiliges Buch, den Koran, in der Hand führte, schlägt mit diesem Heiligthum Einigen kühnes Muthes hinter die Ohren, denn er wußte wohl, daß sie sich nicht zur Wehre setzen würden. Die armen Flüchtlinge blieben am Ende doch allesammt auf dem Platze, denn Felsenschneiders Klinge verschonte keinen Einzigen.

Nun erst konnten sie recht vergnügliches Mahl halten, in Fisch, Braten und Wein, zumal da sie daßelbe mit der Erzählung ihrer ruhmwürdigen Thaten würzen konnten, die der kluge General mit großer Belobung anerkannte. Um sich für ihre Verdienste zu belohnen, tranken sie des Weins so viel, daß sie neben dem Tisch in süßen Schlaf versanken. – Der Heldenthaten waren für diesen Tag genug!

[104] In den nächsten Tagen wütheten und tobten, verheerten und zerstörten, lärmten und schwärmten, und schwelgten sie eßend und trinkend, gar hoch und sehr, und trafen sie etwa auf ein kleines Kommando Soldaten, so gings demselben wie dem ersten. Immerschlaf nieste und trompetete die Soldaten um und um, und der General und die nun auch mit Säbeln bewehrte Armee, brauchten den ohnmächtig zu Boden liegenden Feinden nur die Köpfe abzuhauen. Im Lande war Alles in Verzweiflung, aber die Siegreichen waren es beinahe auch. Sie hatten zu viel und sehr gesiegt, und fanden Niemand mehr, den sie sieden, kochen und braten konnten, damit er ihnen Gesottenes und Gebratenes zurichtete, denn alle Welt war mit den Verräthern davon geflohen.

Dickstab achtete indeß der Klaglieder wenig, die ihm von seinen Unterthanen in die Ohren geschrien wurden, denn er, Er, der mildgnädige Herr, wie er sich nennen ließ, hatte ja noch Alles, was sein Herz erfreuete. Indeßen hatte jedoch ein erfinderischer Kopf ein Mittel ausgesonnen, solch einen grimmen Feind mit Vortheil zu bekämpfen. Er hatte nämlich die längst vergeßenen Turn und Gymnasien – nein! gymnastischen Anstalten wieder hervorgesucht, und insonderheit die Kunst der Balearen oder die edle Schleuderkunst, in welcher er Unterricht gab; eine Kunst, die er nebst manchen Balg- und Raufkünsten den Knaben abgesehen, und nun in seiner Anstalt geimpft und veredelt hatte.

Zum Unglück entdeckte Schauescharf die Unternehmungen des erfinderischen Kopfes, und in eben dem Augenblicke, da er den Mund aufthat, seinen Schülern die hohen Vorzüge und den mannichfaltigen Gebrauch, dieser Kunst anzupreisen, flog ein Pfeil von Zieltreffers Bogen ihm in den geöffneten Mund, und Mann und Kunst waren miteinander zugleich todt.

[105] Nun wollte es doch dem Tyrannen selbst zuletzt an die Kehle gehn, und er berief einen alten schlauen Sterndeuter zu sich, der einzig und allein seinen geheimen Rath ausmachte. Dickstab dachte, ein einziger guter Kopf sei beßer, als hundert hirnlose. Er setzte demselben Alles auseinander, was geschehen war und was zu besorgen stand.

Der Sterndeuter antwortete: »Ich weiß bereits Alles und habe an Abhülfe gedacht. Die seltsamen Kräfte dieser Menschen sind magisch, und können nur durch recht kleine Mittel entkräftet werden, die um so beßer sind, je natürlicher sie sind. Gegen Immerschlafs Gelärm ist Baumwolle in den Ohren recht gut. Blasefeuern muß man ins Maul spritzen, um sein Feuer auszulöschen. Schauescharfs Talent kann in der Nähe nichts mehr schaden; Zieltreffers Pfeil geht nicht durch Stahl; der Laufer Spalteluft ist wenig schädlich und kann leicht aufgefangen werden; Greifwolkens Kunst hängt an einen Faden, den man zerschneiden kann; Trinkaus ist gar nicht zu fürchten, wo es nichts zu saufen gibt, und eben so wenig Weitmacher und Starkbuckel, die Beide nur zum Gepäcke gehören. Aber zu fürchten ist Felsschneider mit seinem Sonnenschwerdt – ein greulicher Mensch, der niemals Gutes gethan hat, weil die Gestirne ihm übel mitgespielt haben. Er würde selbst deine Keule von Erz zerhauen. Das soll ihm aber nichts helfen, denn ich kenne das Mittel ihn zu Schanden zu machen, wenn du mit deinen Leuten dich nach meiner Angabe bewaffnen und mir folgen willst.«

»Das versteht sich, sagte Dickstab; laß Alles einrichten, wie es dir gut scheint; ich billige es, wie seltsam es auch aussehen möge.«

[106] In wenigen Tagen war Dickstabs Armee, aus dreihundert Mann bestehend, in Stand gesetzt; und da Alles fertig ist, laßen sich diese in Körben aus der Festung herunter. Sie waren allesammt in Stahl geharnischt und stellen sich in drei Reihen auf, Dickstab als Anführer voran.

Schauescharf berichtet Alles und sagt aus, daß Dickstab mit einem Dinge behelmt sei, das wie ein Küchentopf aussähe, und sein Schild sei fünf Finger dick. Felsschneider freut sich den Feind in der Ebene zu haben, und beide Heere stehen einander bald nahe genug entgegen. Dickstabs Leute im ersten Gliede haben blanke Schwerdter; im andern Gliede sind sie mit Scheeren, im dritten mit Spritzen bewaffnet.

»Als sie einander nahe genug sind, hält Felsschneider erst nach Art der uralten Helden eine Anrede an den König Dickstab, worin er ihn des Küchentopfs wegen, mit vieler Höflichkeit einen Prinzen der Küchenjungen nennt, und ihn auffordert den ersten Streich zu führen.« Dickstab nennt seinen Gegner einen Fleischerjungen und Straßenräuber, lehnt großmüthig die Ehre des ersten Streichs ab, und fordert ihn auf selbst denselben zu wagen. Dazu läßt sich Felsschneider nicht zweimal auffordern, holt aus und führt einen gewaltigen Hieb auf den Kopf; aber der Hieb prallt so entsetzlich von dem Topfhelm ab, daß des Generals Faust heftig erschüttert wird. Er führt den zweiten Hieb gegen das Schild, und die Klinge des Sonnenschwerdtes zerspringt. Felsschneider sieht, daß er auf einen hohlen Kürbis und auf ein Schild von Käse gehauen hat. Nun soll Blasefeuer helfen, aber alle Spritzen sind auf seinen Mund gerichtet; sein Feuer erlöscht und er gibt blos einen erstickenden Dampf von sich. Zieltreffers Pfeile knicken an den Stahlharnischen ab; Greifwolke hat ein ganzes Heer von Wolken mit Hagel zusammen [107] geballt, aber man schneidet den Faden seines Knauels entzwei, und der Hagel stürzt in großen Maßen auf des Generals Leute herab. Nun soll Immerschlaf helfen, und macht auch ein furchtbares Gelärm, aber der Feind mit der Baumwolle in den Ohren höret wenig davon, aber Felsschneiders Leute ergreifen vor Schrecken die Flucht. Er selbst wird umzingelt, und fällt unter einigen Keulenstreichen Dickstabs; Blasefeuer erstickt in seinem eigenen Rauche; Immerschlafs Bauch platzte vor großer Anstrengung; die Uebrigen aber kamen alle wohlbehalten davon; am ersten Spalteluft, der die schnellsten Füste hatte.

14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen.

Der König Zornrunzel herrschte in einem großen Lande in der Tartarei. Weil er immer unmuthig, zornig, unzufrieden mit aller Welt, herrisch, argwöhnisch und daher oft grausam war, so hatte man ihm den Namen Zornrunzel gegeben und darüber seinen wahren Namen beinahe vergeßen.

Dieser König hatte einen Sohn, der eigentlich Liebesmund hieß, den aber alle Welt nur Prinz Krummbuckel nannte. Der Rücken war gekrümmt und hatte einen ansehnlichen Häcker, dergleichen sich auch auf der Brust fand; seine Beine hätten einem Dachshunde recht schön gestanden; der Mund war von einem Ohr bis zum andern gespalten; die Nase war wie der Rüßel eines Ferkels und die Schielaugen waren ein wenig stark triefend.

[108] Trotz seines garstigen Namens, war dieser Prinz allgemein geachtet und geliebt, denn seine Einsicht und seine freundliche Güte, sein Bestreben Allen gefällig zu werden, so weit es möglich war, söhnte Jedermann mit ihm aus, und ließ es bedauern, daß er so ungestalt war. Wer öfter mit ihm umging, dachte kaum mehr an die Unform seines Körpers, die man überhaupt bald ertragen lernt, wenn hingegen eine häßliche Seele ewig unerträglich bleibt.

Der König Zornrunzel suchte seine Staaten immer mehr zu vergrößern, und hatte vorzüglich ein mächtiges Nachbarreich ins Auge gefaßt, welches nur eine einzige Erbin hatte. Mit einer Heirath zwischen dieser und seinem Sohne dünkte ihm Alles abgemacht. Bei fürstlichen Personen, meinte er, komme es in Ansehung der Verheirathungen gar nicht drauf an, ob beide Theile einander gefielen, oder wie liebenswürdig sie wären, sondern nur auf Staatsverhältniße.

Zornrunzel glaubte seine Absicht um desto leichter zu erreichen, da die Erbin des Nachbarreichs von Gestalt fast eben ein solches Scheusalchen war, als sein Prinz, aber ebenfalls auch ihrer angenehmen Gemüthsart und aller übrigen vortrefflichen Eigenschaften wegen so geliebt, als dieser.

Die Prinzeßin hieß eigentlich Weltauge, aber man nannte sie gewöhnlich nur Prinzeß Murmelthier, man dachte sich aber mit der Zeit nichts mehr dabei.

»Die Beiden, dachte König Zornrunzel, geben ein wunderliches Paar, das man so häßlich auf der Welt nicht mehr finden kann, und die Prinzeß Murmelthier, die gewiß auf Erden kein Mensch begehren wird, wird Gott danken müßen, daß sie noch ein Prinz zur Gemahlin verlangt.«

[109] Nachdem der König das Bildniß der Prinzeßin Murmelthier erhalten hatte, ließ er den Prinzen kom men, und sagte: »Nimm dieses Gemälde und gewöhne dich daran. Das Original soll deine Gemahlin werden!«

Tausend dehmüthige Ausreden des Prinzen konnten den Willen des Vaters nicht ändern. »Wahrhaftig, sagte dieser, dir mit deinem Schweinrüßel steht es eben an, ekel zu sein; du bist ja selbst ein vollkommenes Scheusal.«

»Leider bin ich das, versetzte der Prinz, und habe Mühe genug mich selbst zu ertragen, aber unmöglich würde es sein, außer mir noch ein gleiches Scheusal zu ertragen.«

»In der That, mein theurer Prinz, sagte der König mit grimmigen Stirnrunzeln und zornfunkelnden Augen, in der That, du bist wohl ein wenig allzuzart in deinem Geschmack; ich hoffe, er wird sich in dem bekannten Prinzenthurm ändern.«

Der König ließ den Prinzen in eine uralte, große und mit vielen Thürmen versehene Burg einsperren, die ehedem zum Gefängniß für widerspenstige Prinzen diente. Weil aber, wie uns die Weisen lehren, mit der Zeit Alles viel vollkommener wird, (selbst die Kriege, die Seuchen, die Verachtung der Menschenrechte, die Nahrungslosigkeit u. dgl. m.) so hatten sich im Verlauf von zwei Jahrhunderten gar keine Prinzen gefunden, als lauter artige. Krummbuckel hätte nun artiger als alle seine Vorgänger sein sollen, aber er machte eine Ausnahme, und darum kam er in den Thurm, wo aus Mangel an widerspenstigen Prinzen das Meiste verfallen und das noch Vorhandene so uralt war, als wär es vor Erschaffung der Welt schon da gewesen.

Was sollte der Prinz hier mit sich selbst anfangen? hier wo er nicht einmal Ratten und Mäuse zur Gesellschaft hatte. – Er verlangte [110] Bücher zu seiner Unterhaltung und bekam die Erlaubniß aus der alten Thurmbibliothek sich deren so viele bringen zu laßen, als nur immer da wären; aber sie waren so alt, daß er nicht einmal darin lesen konnte. Er nahm andere und immer wieder andere, und studirte und muthmaßte und verglich, bis er da und dort einigen Sinn herausbrachte.

König Zornrunzel ließ erst, seitdem der störrige Prinz eingesperrt worden war, um die Prinzeß Murmelthier für seinen Sohn anhalten. Wie sträubte sich die arme Prinzeßin, als man ihr das Bildniß des überaus häßlichen Gemahls zeigte; wie bat sie, sie immerdar ledig bleiben zu laßen! Aber wie vergeblich war Alles! Ihr Herr Vater, der die Verbindung für seinen Staat für sehr vortheilhaft hielt, und eben nicht zu den weichherzigen Naturen gehörte, hielt ihr einen Spiegel vor. »Da! sagte er, schau hinein, und danke Gott.« – Alle ihre Thränen bewegten ihn nicht; sie mußte mit dem Gesandten des Königs Zornrunzel ab reisen.

Indeßen, bis die Prinzeßin ankam, ging es dem Prinzen Krummbuckel recht trübselig. Niemand durfte ein Wort mit ihm sprechen; die alten Bücher waren so schwer zu verstehen; die Gemächer und Säle waren so groß und hohl; die Kost bestand aus schmalen Bißen und bloßem Waßer und Tage und Nächte waren so lang. Hätten die Hüter nun noch dem Prinzen, wie sie eigentlich angewiesen waren, übel begegnet, so wäre sein Elend noch größer gewesen. Das aber konnten sie nicht über das Herz bringen.

Eines Tages wandelte der Prinz in einer großen Galerie auf und ab, und dachte seinem traurigen Schicksale nach, das ihn so mißgestaltet gemacht hatte, und ihm nun gar noch ein Scheusal von Gemahlin aufdringen wollte, als seine Augen von ohngefähr auf die bemalten Scheiben der Fenster fielen. Er erstaunte über die Richtigkeit [111] der Zeichnungen und über die Lebhaftigkeit der schönen Farben. Er hätte gern gewußt, was die auf den Scheiben vorgestellten Geschichten bedeuten sollten, aber das vermochte er nicht herauszubringen.

Höchst verwundert war er aber, als er auf einem Gemälde sich in seiner ganzen verzerrten Gestalt höchst genau und richtig abgebildet erblickte. Er wußte ja doch, daß binnen zweihundert Jahren kein menschliches Wesen in diese alte Burg gekommen war. Er fand sein Bildniß auf vielen andern Scheiben so vorgestellt, als ob er im obersten Geschoß des großen Thurms sich befinde, in welchem seine Wohnzimmer waren; auf einigen Bildern war es, als ob er in einer Mauer Etwas suche, und auf andern wieder, als habe er in der geöffneten Mauer einen goldenen Korkzieher gefunden. Daneben sahe er auch ein wunderschönes Mädchen mehrmals dargestellt, deßen Gesichtsbildung höchst geistreich war. Es zog seine Augen immer auf dieses schöne Bild hin, welches ihn wundersam bewegte. Er wußte nicht, wie und warum es ihm beim Anschauen deßelben so seltsam ward, und warum er davon nicht los konnte. Genug, er sahe so lang darauf hin, bis die Nacht einbrach.

Er war in sein Zimmer zurückgekehrt und nahm zu Zerstreuung seiner Gedanken das erste beste Buch, was ihm in die Hand fiel. Die Pergamentblätter deßelben waren am Rande mit schönen aber wunderlichen Figuren bemahlt, die Deckel von Gold mit verschlungenen Buchstaben von blauem Schmelz. Er fing in dem Buche an zu blättern, und siehe das Wunder! er findet dieselben Geschichten, in gleicher Größe, Art, Kunst und Farbe darin, die auf den Fensterscheiben standen. Darunter waren Zeilen geschrieben, von welchen er aber mit aller Mühe kein Wort, ja selbst keinen Buchstaben [112] und keinen Zug verstand. Aber es kam noch seltsamer und wunderlicher.

Er blättert weiter und findet auf dem einen Blatte ein ganzes Chor kleiner Musiker. Kaum hatte er sie recht angesehen, so fangen die kleinen Leute an lebendig zu werden. Sie streichen auf ihren Geigen auf, sie flöteniren und harfeniren, trompeten und blashornen, Alles zwar nur sehr schwach und leise, aber doch munter und lustig, fein und lieblich. »Wozu soll die Musik?« dachte der Prinz, aber es fand sich bald, wozu sie sollte, denn auf dem nächsten Blatte fanden sich Herren und Frauen, alle prächtig geschmückt, weil ein Ball gegeben wurde, wo alle Welt sich drehete und tanzte. – So ohngefähr wußte der Prinz nun wohl, wie das mit dem vorigen Blatte zusammenhing. Er sahe, daß hier ein großes Fest gegeben wurde, aber warum und wozu, das wußte er freilich nicht. Daß man aber von einem Balle nicht mit trockenem Munde weggehn würde, durfte er vermuthen. In Wahrheit fand er auch auf dem nächsten Blatte ein herrliches Gastmal, welches ihm würzig und lieblich entgagen duftete. An großen Tafeln saßen kleine Personen und aßen und tranken, und Eine darunter nahm den Becher, und sagte, indem sie sich zu ihm wendete: »Auf dein Wohlergehen, liebster Prinz. Denke daran, uns unsere Königin wieder zu schaffen, welches dein Schade nicht sein soll. Wolltest du nicht daran denken, möchte dirs übel bekommen.«

Der Prinz, von allen vorherigen Wunderdingen ohnedieß schon mitgenommen, gerieth bei diesen Worten in solches Entsetzen, daß er das Buch zu Boden fallen ließ, er selbst aber fiel ohnmächtig gleich hinterdrein.

[113] Seine Wächter hatten den Fall gehört, liefen herbei und brachten ihn wieder zu sich selbst. Sie fragten: was ihm zugestoßen sei. Er antwortete, er bekomme so wenig und so schlecht zu eßen, daß es kein Wunder sei, wenn er abfällig werde und in seiner Phantasie Dinge zu sehen geglaubt habe, deren doch keins in der Wirklichkeit vorhanden sein könne.

So dachte er in der That auch da noch, als er sich völlig wieder erholt hatte, denn er hatte den Weltweisen zugehorcht, die Alles was ihnen zu hoch ist, recht leicht und gemüthlich erklären, indem sie es Aberglauben, Phantasie und Einbildung nennen.

Die Hüter, die den Prinzen liebten, brachten ihm, gegen das scharfe Verbot des Königs, gute Speise und Trank, mit welchen sie sich selbst hinlänglich versehen hatten. Als er sich gelabt hatte, nahm er in Gegenwart der Wächter das Buch wieder vor und sahe von allem vorhin Gesehenen eben so wenig noch Etwas, als seine Wächter. So wußte er nun, woran er war, und welche Macht der Magen über den Geist hatte.

Als er aber des andern Tages wieder in die Gallerie ging, und fand wieder Alles wie des Tages zuvor, da fing er doch an, an der Phantasie zu zweifeln, zumal da er sehr gut gegeßen hatte, welcher der Phantasie gar nicht zuträglich sein soll. Er vermuthete, daß hierunter ein Geheimniß liegen müße, welches es auch sein mögen und suchte dahinter zu kommen.

Er stieg mühsam ins oberste Stockwerk hinauf; schlug an verschiedenen Stellen mit einem Hammer gegen die Mauer, bis er eine Stelle fand, die ihm hohl zu sein schien. Er öffnete dieselbe und fand einen goldenen Pfropfenzieher, mit dem er nichts anzufangen wußte. Indem er darüber nachsann, fällt ihm ein großer Eckschtand in die Augen, der alt und unscheinbar in einem Winkel stand. Er [114] suchte überall an demselben, da und dort, aber er fand kein Schloß. Es fiel ihm aber ein kleines Loch in die Augen, in welches er den Korkzieher steckte. Er drehte und zog dann mit aller Macht, und der Schrank ging auf, und es fand sich, daß die schlechte alte Außenseite das schönste Innere verbarg. Die Schubfächer waren von Ambra, von Bergerystall, von den seltensten Bernsteinstücken, von der köstlichsten Perlmutter, und enthielten die kostbarsten Sachen allerlei Art, worunter die Juweelen die unbedeutendsten waren.

Der Prinz besahe den Inhalt aller Schubfächer, deren unglaublich viel waren. In einem der letzten Fächer fand er einen kleinen Schlüßel, welcher aus einem einzigen Smaragd geschnitten war, und rings umher alles, leuchtend wie ein Karfunkel, bestrahlte; und als er mit demselben eine kleine Thüre, unten am Boden des Schrankes, aufschloß, lag ein noch heller strahlender und leuchtender wirklicher Karfunkel darin, der als Deckel über eine Schale von kostbarem aber seltenem Gestein lag.

Welch ein Anblick, als er den Deckel abhob, und in der Schale eine im Blute schwimmende Menschenhand fand, die ein reich besetztes Bildniß zwischen den Fingern hielt. Seine Haare sträubten sich, seine Knie schlugen zusammen, sein Herz stockte. Jedoch er war ein Prinz; er faßte sich und dachte an alle Wunder, die ihm schon begegnet waren, und insonderheit an die gefährlichen Worte der kleinen Person auf dem Pergamentblatte. Er heftete seinen Blick auf die Hand. »Unglückliche Hand, rief er, welchem zärtlichen Prinzen, oder welchem tapfern Helden magst du angehört haben, und welche boshafte Tücke hat dich von dem Arme abgehauen, deßen Zierde du warst. Kannst du ein Zeichen noch geben, so laß mich wißen, was ich für dich thun kann; ich stehe gern zu deinen [115] Diensten, und habe ein Herz Alles für dich zu unternehmen, was ich vermag.«

Die Hand, welche solchen Anerbietungen nicht widerstehen konnte, fing an ihre Finger zu bewegen und sich dadurch verständlich zu machen; denn die Fingersprache war in jener alten Zeit sehr bekannt und verständlich.

»Siehe! sprachen die Zeichen der Finger, siehe in diesem Bilde die Angebetete, von welcher mich die Wuth der Eifersucht getrennt hat. Dir ist es aufgehoben, viel für uns zu thun. Aber gehe jetzt sogleich auf die Gallerie und bemerke die Stelle, die von den einfallenden Strahlen der Sonne am meisten vergoldet wird. Suche dort, und du findest mein Kleinod.«

Die Hand hörte auf zu sprechen, wie sehr auch der Prinz wünschte, daß sie fortplaudern möchte. Sie antwortete ihm auf alle seine Fragen nicht mehr.

Da er wohl erachten konnte, es möchte auf eine solche Hand doch viel ankommen, so stellte er sie in ihrer Schale wieder an ihren Ort, verbarg den Korkzieher in die Mauer, an die Stelle, wo er ihn gefunden hatte, und eilte in die Gallerie hinab, um das Weitere zu erfahren.

Als er eintrat, zitterten klirrend die Fensterscheiben. Er sah, daß die Sonnenstrahlen auf das Bild eines jungen Mannes fielen, deßen Schönheit und Hoheit ihn anzogen. Er schob das Gemälde fort, und stellte es an einen andern Platz, fand aber hinter demselben nur ein Getäfel von Ebenholz mit goldenen Leisten, wie es überall an den Wänden der Gallerie sich fand. Er sah aber, um sich Raths zu erholen, nach den Gemälden der Fensterscheiben, die ihm ja bis hieher Alles angedeutet hatten, und fand, daß er das Getäfel aufschieben müße. Er versuchte [116] das; es gelang und er trat in einen Saal von Porphur mit schönen Bildsäulen. Der Saal führte zu einer Treppe von Agatstufen, an den Lehnen mit Gold eingelegt. Als er die Treppe hinauf gestiegen war, kam er wieder in einen Saal, der mit den kostbarsten, hellglänzendsten Lazur ausgelegt war. An den Saal stieß eine Reihe der prachtvollesten Zimmer, in welchen Alles wohl erhalten und mit den herrlichsten Malereien und andern Kostbarkeiten versehen war.

Er kam zuletzt in ein Geheimzimmer, wo er eine Dame auf einem Bette ruhend fand, welche vollkommen dem Gemälde zu gleichen schien, das die abgehauene Hand zwischen den Fingern hielt. Sie schien im Schlummer zu liegen, aber in einem sehr unruhigen, und dem schönen Gesicht waren tiefe Züge eines dauernden Grams eingedrückt.

Mit aufmerksamer und mitleidiger Theilnahme betrachtete unser gutherzige Prinz die Schläferin. Ihre athmende Brust hob sich, und sie fing an im Schlafe zu sprechen, obwohl anfangs sehr unvernehmlich. »Denkst du, Grausamer, sagte sie in unterbrochenen Worten, ich würde dich lieben? – Dich? – hast die liebe Hand abgehauen – sie ist dir furchtbar. – – Lieben? Dich? – Nein nimmermehr! – dich! dich! dich! mein theurer Prinz – dich; ja dich wiedersehen!«

Thränen liefen über die Wangen der Schlafenden, indem sie dieß sagte. Während der Prinz sie in seinem Herzen beklagte und ungewiß war, ob er sie aus ihrem traurigen Traum erwecken sollte, erhob sich eine liebliche Musik, wie von einem Chor von Nachtigallen und Grasemäcken. Gleich darauf kam, von vielen Singvögeln begleitet, ein Adler geflogen, der überaus groß war und einen goldenen Zweig in seinen Klauen hielt, besetzt mit Rubinen, welche wie Kirschen [117] gestaltet waren. – Unverwandt heftete der Adler seine Augen auf die schlafende Schöne, schwang dann seine Flügel, um auf dieselbe hinzufliegen, und in seinen zitternden Schwingen und Federn lag unverkennbar ein Ausdruck voll Sehnsucht, aber eine unsichtbare Gewalt schien ihn zu hindern bis zu derselben hinzugelangen. Er betrachtete sich nun den Prinzen mit scharfem Auge, flog dann auf denselben zu und überreichte ihm den Zweig. Dabei erhoben die Vögel ein fröhliches, aber durchdringendes Singen und Zwitschern.

Der Prinz brachte den Adler, den Zweig und die schlafende Dame in seinen Gedanken in Verbindung, und hatte darüber keinen Zweifel, daß hier ein Zauber walte. Er nahm den Zweig und berührte die schöne Schläferin damit, die in demselben Augenblick erwachte, den eben mit einem traurigen Schrei entfliehenden Adler erblickte und ihm, die Arme nach ihm ausbreitend, nachrief: »Bleib! o mein Geliebter, bleib.«

Er blieb nicht und die Dame wendete sich jetzt zu dem Prinzen. »Ich weiß, was ich dir schuldig bin, sagte sie; dir verdank ichs, daß ich aus einem Schlaf erwacht bin, der schon zweihundert Jahr gedauert hat, und an welchem die verhaßte Liebe eines Zauberers Schuld war. Es steht in meiner Macht dir zu vergelten, sage nur, was du wünschest; ich bin eine Fee.«

»Ich bin wenig zu beklagen, antwortete der Prinz, obwohl die Natur ein wenig allzu ungünstig gegen mich gewesen ist. Alles, was ich wünsche, ist, Euch zu dienen, und, wenn ich es vermag, Euch zu Eurem Geliebten zu verhelfen.«

»Großmüthige Seele, sagte sie, du verdienst glücklich zu sein; sei äußerlich so schön, als du es innerlich bist.« Bei diesen Worten berührte sie ihn mit ihrem Zweig, und in dem Augenblick war er [118] verwandelt und hundert Meilen weit davon in einen Wald versetzt, der ihm ganz unbekannt war.

Die Wächter des Prinzen waren in der höchsten Noth, als sie des Abends den Prinzen nirgends fanden, denn dem Könige durften sie die Wahrheit nicht wißen laßen. Er hätte sie gewiß, als Mitschuldige an des Prinzen Verschwinden, grausam gestraft. Sie ersannen einen Rath, nahmen den Kleinsten unter ihnen, machten ihm zwei große Buckel, legten ihn in das Bette des Prinzen und benachrichtigten den König, daß derselbe sehr krank sei. Der König sagte bei sich selbst: »Finten sind das! Pfiffe sinds! Der Patron will nur wieder aus dem Kerker.« – »Es ist gut,« sagte er sehr gleichgültig zu dem, welcher diese Nachricht brachte, und entließ ihn.

Während der Prinz im Kerker war, kam die Prinzeßin Murmelthier in einer Sänfte, wohl eingepackt, am Hofe Zornrunzels an. Als dieser sie noch viel mißgeschaffener fand, als er gedacht hatte, empfing er sie mit Spott. »Ei, mein schönes Prinzeß Murmelthierchen, sagte er, Ihr habt fürwahr mit Eurer allerliebsten Figur eben Ursach gehabt, Euch gegen meinen Krummbuckel zu sträuben. Es ist wahr, der Kerl ist häßlicher als ein alter Kater, aber Ihr seid ja tausendmal häßlicher als er.«

»Sie irren sich, gnädiger Herr, antwortete die Prinzeßin, wenn Sie Ihre feinen Höflichkeiten für das Mittel halten, Liebe in mir zu Ihrem Prinzen zu erwecken. Ich weiß, wie mich die Natur gemißhandelt hat, eben darum aber sollten Sie, wenn Sie edel wären, meiner schonen. Indeßen erklär ich hiemit fest, daß ich eher als Prinzeßin Murmelthier sterben, denn als Königin Krummbuckel leben will.«

»Das wäre der Tausend, mein schönes, weises Kind! sagte der König. Aber damit soll Eure Weisheit nicht loskommen. [119] Ich habe mich einmal in den Handel eingelaßen, und habe so einige Hoffnung, trotz Eurer Ungnädigkeit ihn auszuführen.«

Es ist Schade, daß wir nicht so ausführlich beschreiben dürfen, mit welchen anmuthig spitzen Worten sich noch beide Theile ein wenig zu prickeln und anzubohren fortfuhren. – Indeßen wurde der König aufgebracht, entfernte sich ohne weiter zu antworten, und ließ die Prinzeßin in ihre Zimmer bringen.

Sie wurde bald allgemein von den Hofdamen geliebt, aber sobald diese zu Gunsten des Prinzen Krummbuckels wirken wollten, wurde sie sehr ernst, und brach das Gespräch ab, denn so weise sie war, wollte sie dennoch keinen Gemahl, an dem nichts gut wäre, als blos die Herzensgüte. Das gute Kind fühlte sehr wohl, daß es ein eignes intereßantes Ding um eine erträgliche Menschengestalt ist.

So war es eine Zeitlang gegangen; als der König die Nachricht von dem erdichteten Tode seines Prinzen bekam. Jetzt kam er beinahe von Sinnen, nicht weil sein Prinz todt war, sondern weil mit deßen Tode alle Vergrößerungsplane gescheitert waren. Er mußte einen Gegenstand haben, an welchem er seine Wuth auslaßen konnte, und er nahm die Prinzeßin dazu und ließ sie sogleich, statt des Prinzen, in den Thurm einsperren. Die Arme wußte nicht, warum sie so übel behandelt wurde; sie sprach stark zu ihren Hüterinnen gegen das ihr zugefügte Unrecht, aber Niemand wagte, dem Könige es zu hinterbringen.

Die Prinzeßin mußte sich fügen. Zu ihrer Unterhaltung ging sie täglich auf die Galerie, dort die Gemälde zu betrachten. Sie konnte nicht begreifen, warum sie dort überall ihre eigene armselige Figur abgebildet fand, und hielt es für eine rachsüchtige Tücke des Königs, zumal da sie überall auch die Bildniße einer wunderschönen Schäferin und eines eben so schönen Schäfers auf den Gemälden antraf. [120] Sie vermuthete, es sollte die Häßlichkeit ihrer eigenen Ungestaltheit durch den Abstich zu ihrer Kränkung noch auffallender werden, und sie wurde es auch für ihr eigenes Gefühl, ach schmerzlich genug! »Wie glücklich, sagte sie mit Thränen, müßen so schöne Leute sein!«

Sie hatte kaum ihre Augen getrocknet, so sieht sie, nicht ohne Entsetzen, ein altes Weib vor sich stehen, tausendmal häßlicher als sie selbst, zerlumpt gekleidet und mit einem weißgelben Muffe versehen.

»Prinzeßin, sprach die Alte, ich habe deine Worte gehört und tadle sie nicht. Wie gering ich dir auch scheinen möge, so bin ich doch mächtig genug dich so schön zu machen, als diese Schäferin, und dieser liebenswürdige Schäfer würde dann dein Liebhaber werden. Indeßen könnt ich dir nicht dafür stehen, wie es dann mit deinem Herzen aussehen würde; denn die Schönheit hat schon Viele verdorben. Ich habe blos deinetwegen diesen Muff mitgebracht. Hauchst du am gelben Ende hinein, so erlangst du Schönheit; am weißen Ende hineingehaucht, wirst du immer tugendhafter und edler.«

»Gib mir den Muff, liebe Alte, sprach die Prinzeßin; hier braucht es keines langen Wählens.« Sie nahm den Muff und hauchte ins weiße Ende hinein. »Wohl dir!« sprach die Alte und verschwand.

Das Gefühl, nach dem Rechten getrachtet zu haben, beruhigte die Prinzeßin, wenn zuweilen das Verlangen nach gefälliger Bildung in ihr zu lebhaft werden wollte. Sie hoffte nichts weiter als Erlösung aus ihrem Kerker, aber sie hoffte vergebens, denn ihr Vater, den sie mit einem großen Kriegsheer zu ihrer Befreiung[121] erwartete, wußte nichts von ihrer Einkerkerung, weil ihre Briefe an ihn aufgefangen waren.

Sie hatte die Zeit berechnet, wo ihr Vater mit seinem Heere da sein könnte, und stieg mit einer unsäglichen Mühe und mit vielem Ausruhen bis in das oberste Stockwerk des Thurms, wozu sie fast einen halben Tag brauchte. Sie sahe zum Fenster hinaus, nach des Vaters Armee, und ersahe nichts. Sie ruhte sich aus, und schauete alsdann im Zimmer umher. Sie sahe eine Stelle in der Mauer, die ihr erst frisch und schlecht zugeflickt zu sein schien. Sie untersuchte die Stelle und fand den Korkzieher. Sie fragte; »wozu soll der hier?« – Sie entdeckte den Schrank und das Loch darin; sie öffnete den Schrank mit vieler Mühe; sie durchsuchte denselben, sie fand die im Blute schwimmende Hand, sie entsetzte sich so sehr, daß sie die Schale beinahe hätte fallen laßen. Aber eine feine Stimme rief ihr zu: »Muth! Muth! dein Glück hängt an diesem Abentheuer!« Sie wußte nicht, woher die Stimme kam, aber sie vertraute derselben. »Was aber soll ich thun?« sagte sie zweifelnd so vor sich hin. »Nimm die Hand! Nimm die Hand! wisperte die Stimme! – Unter dein Bettpfülben verbergen; – dem Adler geben, der ans Fenster kommt!«

Mit Grausen zog sie die Hand aus dem Blute, die aber im Augenblick wie eine Wachshand wurde. Sie umwickelte dieselbe mit einem Tuche, und steckte sie in ihren Rock.

Eben kamen ihre Aufwärterinnen, die sie überall im Thurme mit Angst gesucht hatten; nahmen sie mit Freuden und trugen sie die Stufen herab. In den nächsten zwei Tagen ereignete sich nichts, aber in der dritten Nacht schlug beim Schein des Vollmondes ein großer Adler in der Mitternacht ans Fenster. Die Prinzeßin öffnete es ihm und reichte ihm die Hand dar, die er in seine Klauen nahm [122] und damit verschwand. Einen Augenblick darauf stand ein Jüngling vor ihr, in Götter Schönheit; sein Diadem von Diamanten funkelte wie ein Gürtel von Sternen um seine Stirne, und sein Ansehn war blendend, als wär er aus einem höheren Reiche der Wesen gekommen; in der Hand hatte er das Bildniß der Dame, die wir schon kennen. »Prinzeßin, sagte er, ich danke dir viel, und bin glücklich. Werde auch glücklich!«

Bei diesen Worten berührte er sie mit dem Bildniß der Dame, und sie entschlummerte in Ohnmacht. Als sie erwachte, glaubte sie zu träumen, denn sie fand sich am Ufer eines Baches, und wußte nicht, wie sie dahin gekommen war. Es weiß ja freilich so Mancher nicht, wie er dahin oder dorthin gekommen ist, und denkt denn doch, es müße so sein. Aber als sie sich im Bache bespiegelte, und sich nun so ganz dem Bilde der Schäferin auf den Glasscheiben ähnlich fand, da wußte sie nicht, ob sie es selbst noch wäre, oder ob ein seltsamer Wahnsinn sie überfallen habe? – Sie war eine Schäferin, und doch war sie eigentlich eine Prinzeßin, wie sie gar wohl sich erinnerte. Sie trug, wie die Schäferin im Bilde, einen weißen Anzug vom feinsten Mußelin, mit Brabanter Kanten, die schon zweitausend Jahr vor ihrer Erfindung, heimlich allgemein bekannt waren, und einige strahlende Diamanten hielten den Gürtel besetzt. Sie war eine Prinzeßin und eine Schäferin, und, was die Hauptsache war, sie war schön. Ihr Schäferstab war dick vergoldet, wie man sich denken kann, und die Bänder um den Hut waren mit Edelsteinen besetzt, wie sich ebenfalls von selbst versteht, weil es eine Schäferprinzeßin war. – Seltsam, daß sich eine am Ufer des Baches weidende Schaafheerde bei ihr einfand, sich um sie her lagerte, als hätte sie ihr schon lange angehört, und der hütende Spitzhund, mit Namen Philax, sich vor ihr auf die Hinterbeine [123] niedersetzte, und, wedelnden Schwanzes, ein Stücklein Brodt von ihren schönen Händen schmeichelnd erharrte.

»Was bin ich denn nun eigentlich?« fragte sie sich selbst. »Schäferin oder Prinzeßin?« – Sie wußte sich die Frage nicht zu beantworten. Hirtin zu sein, war so süß; Prinzeßin zu sein, war so hoch und erhaben. Prinzeßin aber und Hirtin zugleich, war Alles in Allem und in Einem.

Sie wußte nicht einig mit sich zu werden und schlummerte unter dem Schatten eines schönen Baumes in ihren zweifelnden Gedanken ein.

Ziemlich ähnlich war es dem Prinzen gegangen. Er fühlte, daß eine völlige Umwandlung mit ihm vorgegangen war, und er sahe dieselbe mit eigenen Augen, als er an einen klaren, von hohen Erlen umschatteten Teich kam und im Waßer des Teiches seine Gestalt erblickte. Er fand, daß er bis auf die kleinsten Züge dem Schäfer glich, welchen er auf den Fensterscheiben gesehen hatte, bis auf die Kleidung sogar. Selbst eine Heerde Schafe fand sich auch bei ihm ein, so, als ob sie nie einen andern Herrn gehabt hätte, und der treue Hund mit freundlich wedelndem Schwanze fehlte der Heerde auch nicht. Sogar für eine Hütte hatte der Zauber gesorgt, die Alles enthielt, was ein Schäfer zu seinem Glücke verlangen kann. Sie lag am Ende des Waldes in einem blumenreichen, von schönem Silberbach durchschlängelten Thale. An beiden Ufern des Baches standen die Hütten friedlicher Hirten unter Fruchtbäumen.

Bald war der Prinz mit den gutmüthigen Hirten des Thales bekannt, und hatte mit ihnen schon eine Zeitlang gelebt; aber wie schön auch Alles war, dennoch fand er sich sehr einsam und allein.

Als er eine Zeitlang im einförmigen Hirtenleben zugebracht hatte, kommt er durch Zufall an den Ort, wo die schöne Schäferin [124] schlummert. Wie ward es ihm, da er sie selbst erblickte, die schon im Bilde sein Herz bewegt hatte. Er zitterte, er kniete neben ihr nieder und war im Anschauen der himmlischen Gestalt versunken. – Sie erwachte und war betroffen, den schönen Schäfer auf den Fensterscheiben hier lebendig zu sehen. Beide näherten sich bald einander, denn sie waren einander ja schon durch die Gemälde bekannt, und daher liebten sie sich auch einander sehr bald, obwohl Keins in dem Andern etwas Höheres vermuthete, als Schäfer und Schäferin.

Sie erzählten sich, wie oft sie einander gesehen hätten. Da gab es Fragen, da gab es Antworten, da gab es Bewunderung und Erstaunen, und sie wußten nun, wer sie waren, und fühlten, daß sie vom Schicksal für einander bestimmt wären, obwohl sie sich in ihrer vorigen Gestalt so sehr von einander gegraut hätten.

Sie blieben, was sie jetzt waren, und verlangten nicht in das Leben der vorigen Hoheit zurück. Sie hatten Gesundheit, Unschuld, Frieden und Liebe, und waren glücklich dadurch. Er lehrte die Hirten des Thales Bäume veredeln, eßbare Kräuter erziehen und mancherlei Künste mehr, und Sie lehrte die Hirtinnen mancherlei weibliche Künste, die zur Anmuth und Bequemlichkeit des Lebens dienen.

Aus dem Thale, worin sie lebten, stammt das schöne Hirtenleben her, welches späterhin in Arkadien wieder recht aufblühete, und aus diesem Thale dorthin gekommen war.

15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[125] 15. Die Zauberflöte.

Nicht weit von der Hauptstadt des Landes Kohrasan, mitten in einem unendlich großen Walde, lag ein wunderherrliches Schloß, welches vor Jahrtausenden ein König der Geister hatte erbauen laßen.

Lange war das Schloß unbewohnt geblieben, jetzt aber wohnte eine mächtige Fee darin, die für grausam und gefährlich ausgeschrien war, weil sie nicht jeden vorwitzigen Narren erlauben wollte, aus bloßer Neugier ihr Schloß auszuspähen, und dann Dinge davon zu erzählen, an welchen kein Wort wahr war.

Der König von Kohrasan hatte einen Prinzen, derLulu hieß, und ein großer Liebhaber von der Jagd war, die er denn auch in dem großen Walde fast täglich trieb, zumal da des Wildes zu viel war. Er hütete sich aber dem Gebiete der Fee zu nahe zu kommen, denn es war bekannt, daß das selten ganz ungeahndet geschehen durfte: »Man muß Niemand beleidigen,« sagte er, »aber auch Niemand fürchten, wenn man Frieden haben will.«

Es war eines Tags eine große Jagd im Walde, und Lulu hatte sich vorgenommen, auf kein geringeres Wild zu jagen, als auf einen Tiger, deren es viele im Walde gab. Er ließ daher das kleinere Wild, Luchse und Füchse, ungehindert gehen. Aber jetzt kam ein mächtiger Tiger daher, der eine überaus schöne weiße Gazelle verfolgte. »Da ist mein Wild!« sagte er, und setzte dem Tiger nach. Dieser konnte die Gazelle nicht erlangen, die ihm durch ihre leichte Behendigkeit mit den künstlichsten Sprüngen und Wendungen immer entging, aber er konnte eben so wenig an den Tiger kommen. Es ging dahin und dorthin, bergauf bergab; er kam in Gegenden, wohin er noch niemals gekommen war, und ehe er sich deßen [126] versahe, fand er sich mitten in dem großen Garten, der das Schloß der Fee umgab. Tiger und Gazelle waren im Gehölze verschwunden.

»Gut! sagte der Prinz, bin ich doch nicht aus Vorwitz hieher gekommen!« und wollte eben wieder umkehren, als die blitzenden Thorflügel des Schloßes aufsprangen und die Fee in einem Strahlengewande hervortrat, welches wie Blendspiegel blendete. Aber selbst auch aus ihren Augen gingen Lichtströme aus.

Sie schritt wie eine aufsteigende Morgensonne auf ihn zu. Er aber verbarg die Augen hinter seinen beiden Händen, um nicht zu erblinden, und als er am Rauschen ihres Gewandes ihre Nähe merkte, sagte er: »zürne nicht, hohe Fee, ich bin nicht durch Schuld des Vorwitzes, sondern des Zufalls in deinem Garten!«

»Ich weiß es, sagte die Fee. Laß deine Augen frei. Aller Lichtglanz ist nur denen gefährlich, deren Herz finster ist, deins aber ist unschuldig und hell; ich kenne dich lange!«

Er schlug seine Augen auf, und eine Frau stand vor ihm voll hoher Würde, voll Güte und Freundlichkeit auf ihrem Angesicht. Das that ihm sehr wohl, wie immer es wohl thut, wo sich Hoheit mit Güte paart.

Sie nahm ihn mit in ihr Schloß, und sagte, sie bedürfe seiner Dienste. Da sprach er, sie möge über seinen Willen und seine Kraft befehlen, er sei recht willig und bereit zu Allem.

»Was ich fordere, sagte sie nun, erfordert nicht Macht und Stärke, aber Klugheit und Geist. Unweit von hier wohnt ein Zauberer, der mir durch einen unglücklichen Zufall einen vergoldeten Feuerstuhl entwendete, den ich von deinem und meinem Urstammvater, dem weisen Dschiamschid, ererbt habe, und der mir über das ganze Reich der Geister eine unbeschränkte Gewalt ertheilte. Ich kann [127] ihn nur durch einen Jüngling wieder erhalten, der noch im Herzen ganz rein und schuldlos ist, wie du, und ich vertraue dir.«

»Der Zauberer, zu dem ich dich sende, ist eben kein großer Geist, aber doch wachsam, weil er sehr argwöhnisch ist, einer Jungfrau wegen, die er geraubt hat und eingesperrt hält. In deiner natürlichen Gestalt würde er dir nimmermehr trauen. Hier! nimm diesen Ring, der dir jede Gestalt gibt, die du wünschest; du wirst ein Greis oder ein Jüngling, je nachdem du seinen Diamant ein oder auswärts drehst; und wenn du in Gefahr solltest kommen, so wirf ihn in die Höhe, dann bin ich im Augenblicke bei dir. Nimm auch diese Flöte. Du kannst alle Leidenschaften damit hervorrufen und besänftigen, und Liebe und Zorn erregen und stillen. Die Anwendung von beiden Stücken überlaß ich deiner Klugheit. Sei vorsichtig. Das Beste, was ich besitze, sei dein Lohn!«

Sie führte ihn in ihrem Wolkenwagen so weit, daß sie ihm das Schloß des Zauberers zeigen konnte, durfte ihn aber nur bis hinter eine Bergspitze bringen, um von dem Zauberer nicht entdeckt zu werden.

Ein Paradies lag zu seinen Füßen, als er die Bergspitze erstiegen hatte. Durch liebliche Blumenaue floß ein silberheller Strom in tausend schlängelnden Windungen, mit welchen er liebliche Inseln einschloß. Jetzt stürzte er über Gestein rauschend hinab, jetzt zog er still und ruhig dahin. Hügel mit Fruchtbäumen, Lustwäldern und wildes Gesträuch schmückten die Aue und bewachsene Anhöhen stiegen immer höher, bis sie sich an einen dichten Wald anschloßen, welcher das Thal von allen Seiten umgab. Auf einer Anhöhe in der Mitte des Thales stand ein Schloß, welches wie hellpolirter Stahl schimmerte.

Dieß war das Schloß des Zauberers, zu welchem Lulu hinschritt, nachdem er durch den mit dem Diamant einwärts gedreheten Ring sich zum Greise mit einem Eisbarte verwandelt hatte.

[128] Als er an das Schloß kam, war nirgends ein Eingang. Es schien ein einziger ungeheurer Thurm, der auf einem hohen und steilen Stahlfelsen stand, auf welchen hinauf zu kommen ohne Flügel unmöglich schien.

Lulu setzte sich unter einen Baum, in einem schattigen Orangenhain und blies auf seiner Flöte, und die Flöte gab Töne, wie er sie noch niemals gehört hatte und die sein Innerstes bewegten tief und wundersam. Blies er sanft, so war es, als spräche lispelnd der Abendwind mit den Blättern der Baumgipfel, oder als seufzten die Nachtigallen unter den Bäumen; oder als sänge eine Mutter dem Kinde ein leises Wiegenlied. Hauchte er stärker, so hallten gewaltige Chöre von den Bergen mit tauschenden Winden und brausenden Fluten, und der Donner rollte in lauten Schlägen darunter.

Lulu erkannte nun die geheimen Kräfte der Flöte und sahe, wie mannichfaltige Anwendung sie zuließ. Er blies ein trauerndes Klaglied und es war, als ob ihm die Bäume und Wälder, und die Hügel und Thäler und Rehe und Hirsche und alles Geflügel zuhörten. Aber im Schloße wollte sich Niemand regen. Da stieß er ein paarmal heftig in seine Flöte und das Wild floh erschrocken in den Wald, und das Schloß schien zu erbeben.

Der Zauberer war dadurch im Schlafe erschreckt, sahe zum Fenster hinaus und rief hinab: »Was dudelst du hier unter meinem Fenster, du Dudeldei, und störst meinen Schlaf? Such dir einen andern Platz, oder ich will dir einen anweisen!«

Lulu that nicht, als ob er ihn höre; sondern spielte ein lustiges, liebliches Stück, trillernd und hüpfend; als sollt es zum Tanz gehen. Der Zauberer spitzte die Ohren und öffnete den Mund, als wollte er die Töne verschlingen: »Der alte Eisbart, versteht seine[129] Sache,« sagte er; und ich muß ihn doch sehen. Er legte seinen Morgenrock an, schlich durch ein Hinterpförtchen aus dem Schloße, und stand auf einmal vor dem Spielmann.

Lulu erschrak fast vor dem rauchhaarigen Riesen mit Wurstlippen, Hängebacken und weitem Schlappbauche, der mit kleinen Schweinsaugen ihn anblinzelte, die tief im rothhaarigen Kopfe lagen.

»Du pfeist gar hübsch, alter Eisbart, will ich dir sagen; denn ich verstehe Etwas von deiner Sache, das kannst du mir glauben.«

»Ei, antwortete Lulu, das will ich Euch denn wohl glauben, denn Ihr seid ja ein stattlicher Herr, der gewiß weit in der Welt umher gewesen ist, wo man so Etwas schon lernt. Euch glaub ichs, aber mir selbst freilich hätt ichs nimmermehr geglaubt!«

»Höre! sagte der Zauberer, willst du Dienst bei mir haben, und mein Spielmann werden?«

»Nein, Herr! ich diene Niemand, antwortete Lulu; der Spielmann und der Sänger müßen frei sein, wie die Vögelein Gottes unter dem Himmel, sonst werden Klang und Stimmen heiser. Auf hohen Befehl spielts und singts sich nicht gut!«

»Bist ein närrischer Kautz, bei meiner Treu! lachte der Zauberer; aber trage nur die Nase nicht gar zu hoch; man will ja doch leben!«

»Zu leben find ich überall, sprach Lulu, denn wo ich hin komme und wo mein Spiel gefällt, da hab ich Alles vollauf. Ich könnte schon Schätze gesammelt haben, aber was mach ich damit? Hab ich Kleid und Speise und einen Becher guten Wein, so hab ich, was ich brauche; und wo ich mit meinem Spiel eine frohe Stunde kann machen, da bin ich recht willig und bereit, [130] und habe meine Freude daran. Für Geld aber ist meine Kunst viel zu hoch!«

»Nun, das heißt das Maul voll nehmen;« sagte der riesige Mann.

»Gar nicht! erwiederte der alte Spielmann. Ich mache die Traurigen fröhlich, und tröste sie; ich errege Mitleid und Thränen; ich besänftige den Zorn der Frauen, errege Liebe, mache zärtlich, empfindsam, und noch vieles Andere mehr, Alles durch Macht und Gewalt meiner Töne.«

»Nun, das heiß ich aufschneiden!« sagte der Zauberer, aber Lulu stellte sich sehr beleidigt, steckte seine Flöte ein und schien fortgehn zu wollen.

Der Zauberer hielt ihn beim Arm, und sagte, er möge doch Spaß verstehen; fragte ihn, wer er sei? und woher er sei? und als er vernommen, der Spielmann sei als eine verlaßene Waise von einem Derwisch aufgenommen, der hab ihm das Spiel gelehrt, und diese Flöte geschenkt, mit welcher er die Welt durchzogen, da machte der Zauberer denken, er sei sicher bei diesem Alten, und kam mit dem Antrage hervor, mit in sein Schloß zu gehen, und ein störriges Ding von Jungfrau, das ihn nicht heirathen wollte, ihm mit seiner Flöte geneigt zu machen.

»Herr, sagte Lulu, Ihr fordert grade das Schwerste von mir, das mir gar oft wohl auch gelungen ist, aber nicht allemal. Indeßen will ich es Euch zur Liebe versuchen; aber nach einigen Stunden muß ich weiter ziehn!«

»Du darfst aber nicht mit meiner Frau sprechen, sagte der Zauberer.«

»Sehr wohl, erwiederte Lulu entrüstet; was geht mich denn seine Frau und seine Burg an? Geh der Herr hinein und pfeife [131] seiner Frau so viel süße Worte vor, als dem Herrn beliebt. Ich aber ziehe meines Weges.«

Kurz: Lulu ging, nach manchem Hin und Herreden, mit ins Schloß. Der Zauberer schlug an den Felsen von Stahl, und es öffneten sich zwei Thorflügel, deren Fugen zuvor das schärfste Auge nicht bemerkt hätte, und schloßen sich von selbst wieder zu, als sie hinein waren.

Es ging eine dunkle Wendeltreppe hinauf, dann durch einen finstern Gang, dann durch viele verschloßene Thüren und endlich in einen geräumigen Saal; der sein Licht von einem einzigen Fenster empfing, das mit starken Eisenstäben vergittert war.

Hier saßen neun zarte weißgekleidete Jungfrauen und spannen an elfenbeinernen Rädern, und die zehnte stand an einem Tisch mit güldener Weife und weifte ab, was die andern gesponnen hatten. Ein dickbauchiger, breitmauliger Zwerg war Aufseher, und welche der Jungfrauen nicht fein oder nicht fleißig spann, der gab er mit seiner Gerte einen Hieb auf die Finger.

»Setz dich dort in dem Winkel, Alter, sagte der Zauberer. Diese hier sind meine Trotzköpfe, die immer halsstarriger werden, je strenger ich bin. Aber wir wollen schon sehen, wer es am längsten wird aushalten. Die Spulen sollen von heut an täglich größer und die Weife immer schwerer werden, und ehe nicht die Spulen voll gesponnen und die Weife abgeweift ist, gibt es keine Mahlzeit und keinen Schlaf. – Nun spiel auf, Alter; die Mädchen haben lange nicht getanzt.«

Die armen Mädchen seufzten und einige Thränen fielen heimlich aus den Augen, aber die Schönste unter Allen, die Weiferin, gab dem Zauberer einen verachtenden Seitenblick und sahe nach dem Spielmann, und da sie einen ziemlich zusammengerunzelten Alten [132] sahe, wendete sie gleichgültig die Augen von ihm ab. Der Alte aber war von ihrem himmlischen Gesichte so betroffen, daß er zitternd seine Flöte fallen ließ, ein Stück nach dem andern.

»Als er die Stücke wieder zusammengefügt hatte, spielte er ein klagendes, seufzendes Lied, wie wenn Gefangene in ihrem Kerker klagen und nach Freiheit und Luft seufzen.«

Die Mädchen weinten heiße Thränen und die Hände sanken. Sidi, die schöne Weiferin, sahe dem Alten ins Gesicht, und Zauberer und Zwerg sperrten den gaffenden Mund auf, als ob die damit auch hören wollten.

Das Klagelied ging in ein schwebendes, hüpfendes Tanzlied über, zu welchem die Rädlein lustig schnurrten; aber die Töne wurden bald wieder klagend, schmachtend und seufzend, die Räder standen still, die Mädchen holten tief Athem und die schöne Sidi schien wehmüthig süß zu träumen.

Der Zauberer meinte, das heulige, wehmüthige Pfeifen lange nichts, denn die Mädchen heulten so schon genug, aber der Alte stellte sich gleich wieder zornmüthig und drohte zu gehen.

»Aber, fragte der Zauberer, meinst du denn, Alter, daß dein Pfeifen schon ein Bißchen geholfen habe?«

»Nun, sagte der Alte; hat denn der Herr nicht gesehen, wie sie traurig geworden sind und haben Thränen geweint, und weiß nicht einmal, welch ein gut Zeichen das ist? Laße mich der Herr noch drei oder vier solcher Stückchen gespielt haben, da soll er schon sehen. Aber der Herr sollte auch selbst Etwas für sich thun, und mir meine Kunst nicht selbst verderben.«

»Nun?« fragte der Zauberer.

»Was? fuhr der Alte fort; der Herr will in der Welt gewesen sein, und geht hier vor der Mädchen Augen in seinem Nachtkittel [133] umher. Da mag er ihnen ja freilich gar wunderschön gefallen! Zieh der Herr sich beßer an, leg er den reichsten Schmuck an, und sodann plag er die armen Dinger nicht durch die Hiebe seines dicken Zwerges und durch allzuviele Arbeit. Denkt er denn, die Liebe der Jungfrau durch Martern zu gewinnen?«

»Hör, Alter, sagte der Zauberer, indem er ihm auf die Achsel klopfte, du bist mir ein Schlaukopf. Was die Kleidung betrifft, darin hast du fürwahr recht, und der Zwerg soll mich ankleiden. Spiele ihnen indeßen noch ein Paar hübsche Stückchen.«

Damit gingen Zauberer und Zwerg aus dem Saal.

Sie waren kaum heraus, als die Jungfrauen zu flüstern anfingen, aber ohne im Spinnen aufzuhören, denn das Tagewerk wollte gethan sein.

Jetzt drehete Lulu seinen Ring und stellte sich, ein schöner goldlockiger Jüngling, vor Sidi hin, die heftig erschrack. »Keine Furcht! schöne Sidi, flüsterte der Jüngling. Ich bin der Sohn des Königs von Kohrasan, und eine Fee sendet mich zu Eurer Aller Befreiung. Nur sage mir, wo der Goldstahl ist, auf welchem so viel ankommt.«

»O Jüngling, rief Sidi erblaßt, verbirg dich eilends! fliehe, du bist verloren, wenn dich der Zauberer entdeckt, und keine Mache wird dich vor seinen Geistern beschützen, und den Geisterstahl wirst du niemals erlangen, denn er trägt ihn in seinem Busen bei Tag und Nacht, läßt selbst bei Tage sich von seinen starken Geistern in dem obersten Gipfel des Thurmes bewachen, und sogar sein Liebling, der Zwerg, weiß nicht, wo er schläft. O fliehe! fliehe!«

Lulu nahm Sidi bei der Hand und sagte: »Wie könnt ich fliehen, da ich deiner Befreiung wegen hergekommen bin, und dich nun auch selbst gesehen habe. Wie könnt ich? – Eile, schöne Sidi, wenn du noch Etwas von dem Stahle weißst, es mir zu entdecken. [134] Der Zauberer kleidet sich prächtig an, um dir zu gefallen, und wird bald wieder da sein. Ich habe dich durch mein Spiel ihm sollen geneigter machen; stelle dich doch, als ob du es ein wenig geworden wärst, damit er Vertrauen zu meinem Spiel gewinne, welches vielleicht meinem Vorhaben sehr dienlich werden kann.«

Lulu wollte weiter sprechen, aber eine Spinnerin, die vor dem Saale gelauscht hatte, kam schnell herein und rief: »Er kommt.« Da waren sie allesammt sogleich bei ihrer Arbeit, Lulu aber als Greis wieder in seinem Winkel, wo er so heimlich pfiff, daß man es vor der Saalthüre vor den schnurrenden Rädern kaum hören konnte.

Der Zauberer wollte beim Eintritt schon murren, als er das liebliche, leise Flüstern Lispeln der Flöte hörte, das ihm gefiel. Er hatte sich durch seine Geister so reich schmücken laßen, daß er die Kostbarkeiten an Stoffen, Perlen und Diamanten kaum tragen konnte.

»Hat deine Kunst Etwas geholfen?« fragte er den Spielmann? »Das mein ich gewiß,« antwortete dieser; »aber freilich werden sie über Eure Strenge wohl noch ein wenig maulen; gebt ihnen jedoch nur ein Mal, oder ein kleines Fest, so werden sie ihren Unwillen auch bald vergeßen.«

Der Zauberer wollte doch sehen, was das Spiel geholfen hätte, und näherte sich der Weiferin mit süßen Gebehrden.

»Zürnst du noch auf mich, liebe Kleine? sagte er, mit einer Stimme, die er so süß machte, als er nur konnte. Hast du mirs vergeßen?«

Er würde eine schlimme Antwort erhalten haben, aber Lulu nahm seine Flöte unter den Arm, drehete seinen Ring, stellte sich hinter Zauberer und Zwerg, und sahe als schöner Jüngling bittend [135] die Jungfrau an, die nun erröthend und mit ängstlicher Schaam die Augen niederschlug. Das hielt der Zauberer für ein sehr gutes Zeichen, und das war es auch wohl, aber nur freilich für ihn nicht.

»Ja, du zürnst nicht mehr! sagte der Zauberer, du sahst, wie treu ich dich liebe; willst du mir denn auch nun ein wenig gut sein?«

Lulu hatte indeßen die rechte Hand auf sein Herz gelegt, und blickte sehnsüchtig die Jungfrau an. Diese aber sagte: »Wenn ich dich nun lieb hätte, würdest du mich und meine Jungfrauen von der Sklavenarbeit befreien?« Das versicherte der Zauberer mit theuren Schwüren, Lulu aber breitete die Arme gen Himmel aus.

»Beweise mir deine Liebe durch Thaten, sagte Sidi zum Zauberer, blickte aber dabei verstohlen auf Lulu, du wirst ja dann sehen, ob ich dich lieben werde.«

Das war dem Zauberer ein köstliches Wort, und er wollte in seinem Entzücken die Jungfrau umarmen. Da drehete Lulu schnell seinen Ring und stieß so heftig in die Flöte, daß das Schloß erbebte, die Thüren erzitterten und die Fenster klirrten. Der Zauberer fuhr erschrocken zurück und die Mädchen erhoben ein Angstgeschrei. Selbst Lulu erschrack, lockte aber sogleich schmeichelnde besänftigende Töne aus der Flöte hervor. Das war sein Glück, denn der Zauberer hatte schon die Hand ans Schwerdt gelegt und rief grimmig: »du alter Gaudieb, was bläsest du so gräßlich? Nimm deine Kehle in acht, das will ich dir rathen!«

Lulu entschuldigte sich, er habe unversehens einen falschen Griff gethan, den die Flöte nicht ertrüge, ohne laut aufzukreischen, der Zauberer aber rieth ihn, sich vor den falschen Griffen zu hüten.

Sidi bat den Zauberer schmeichelnd dem Alten zu verzeihen, der ja so viel schönes geblasen habe; die Flöte möge wohl ein wunderliches [136] empfindliches Ding sein. Dabei klopfte sie ihm sanft die Wangen.

Der Zauberer kam darüber außer sich, und wollte gleich Hochzeitmahl halten, wie sehr Sidi auch bat, nur noch einige Tage zu warten, damit sie sich erst erholen und vorbereiten könne, aber er meinte, das seie nur jungfräuliche Verstellung, denn sie blühe ja wie eine Rose, und die Aeuglein blinkten wie Sterne.

Er hörte weiter auf keine Einreden, sondern schlug mit dem Stahl Feuer. Funken sprühten daraus zahllos hervor, und die Funken verwandelten sich in eben so viel Geister, in Schützen mit blinkenden Waffen, die den Meister umringten.

Dieser sprach: »Die Hälfte von Euch durchstreife die Gegend rings umher. Alles werde durchsucht; gebt Nachricht! die andere Hälfte besetze das Schloß von Innen und Außen. Fort!«

Die Schützen verschwanden sogleich; der Stahl sprühete noch einmal Funken, und es kamen eine Menge Sklaven und Sklavinnen, reich gekleidet. Der Zauberer befahl: »Räumt auf: schafft der Braut die reichsten Kleider und den kostbarsten Schmuck und sorgt für ein köstliches Mahl!«

Im Augenblicke waren Weife und Räder verschwunden, große helle Fenster wurden in den Mauern sichtbar, und eine Tafel von Elfenbein erhob sich in der Mitte des Saales. Die schöne Sidi seufzte schwer. Sie sahe, welch ein trauriges Loos sie sich durch ihre verstellte Freundlichkeit gegen den Zauberer bereitet hatte. Wo sollte sie Rettung finden?

Sie stand in traurigen Gedanken, als die Sklavinnen sie abholten, um sie zum Feste zu schmücken; der Zauberer aber zog den Alten bei Seite und sagte: »Hör, Alter! deine Kunst ist freilich nicht unrecht. Sidi zürnt nicht mehr, und zeigt eben keinen Widerwillen, [137] aber liebreich ist sie doch auch noch nicht! Ich dächte, du spieltest bei der Mahlzeit noch ein Paar sanfte Stückchen, die ihr das Herz zurecht setzen.«

»Nun, antwortete der Alte, das hab ich ja vorher schon gemeint und will es recht gern thun.«

»Ich bin dir vielen Dank schuldig; sagte der Zauberer, und wenn Alles gut abgegangen ist, will ich dich lohnen. Sprich, was verlangst du?«

»Es scheint, erwiederte der Spielmann, Ihr habt ein etwas schwaches Gedächtniß. Ich meine, Ihr wüßtet es schon, daß ich für meine Kunst nichts nehme als eine gute Bewirthung.«

»Ja, sprach der Zauberer, es ist wahr, das hast du gesagt, und das soll dir auch werden. So bald meine Braut so ist, wie ich es wünsche, wird für dich und meinen Zwerg besonders gedeckt, und wenn du gegeßen hast, wird dich einer meiner Schützen über das Gebirge begleiten.«

»Nun, fürwahr, sprach der Alte, Ihr seid doch ein grundedelmüthiger Mann. Nachdem ich Euch mit meiner Kunst gefällig gewesen bin, wollt Ihr, da die Sonne schon sinkt, so gefällig sein, mich unter freien Himmel übernachten zu laßen, wahrscheinlich weil Ihr denkt, so eine alte Natur ist gegen Schnupfen und Erkältung abgehärtet und so stählern als Euer Schloß. Ich merke, daß Ihr ein vornehmer Herr seid. Gott erhalte Euch bei Eurem hochvornehmen Zartgefühl.«

Hiermit steckte er seine Flöte ein, griff nach seinem Wanderstabe und wollte gehen. Der Zauberer wurde unruhig, daß seine Braut so lange blieb. Das böse Gewissen fürchtet überall Gefahr, und obwohl er seine Geisterschützen ums Schloß gestellt hatte, und wußte, [138] daß keine Mücke herein oder heraus konnte, ward ihm doch unheimlich.

»Bleib!« sprach er zum Alten und ging der Braut nach; aber zu den Schützen, die im Saale geblieben waren, sprach er: »Laßt, bei harter Züchtigung, den alten Burschen hier nicht aus dem Saal!« – »Und du, fuhr er den Alten an, thust du nicht, was ich eben dir befohlen habe, so laß ich einen Eichbaum spalten und dich hineinklemmen, und du sollst darin bleiben, bis dir Geier und Raben Herz und Leber ausgefreßen und Hirn und Augen ausgehackt haben.«

»Hoh! hoh!« sagte der Spielmann, indem der Unhold ging, aber es war ihm nicht wohl ums Herz, indem er es sagte. Indeßen wollte er doch auch wißen, wo die schöne Sidi sei, zu welcher sein Herz ihn beim ersten Blick hingezogen hatte. Er setzte seine Flöte an und lockte lustige, schwirrende und trillernde Töne aus ihr hervor. Die Geisterschützen und Sklaven sahen ihn staunend an; er aber war darüber der Saalthüre immer einige Schritte näher und näher gekommen und jetzt wollte er unbemerkt hinaus. Da erfaßte ihn der garstige Zwerg mit einem Zetergeschrei beim Rockzipfel und wollte ihn halten. Lulu wollte sich nicht mit Gewalt losreißen, weil er Lärm befürchtete. So blies er denn ein Liedchen, welches neckend und doch auch zornig war, wo es schäkerte und scherzte und wiederum summte, knurrte und brummte, und endlich Alles böse und beißig wurde.

Da knirschten die Schützen und Sklaven mit den Zähnen, und ballten die drohenden Fäuste gegen den Zwerg. Der aber wurde auch tückisch, schalt die Schützen und Sklaven mit grimmiger Gebehrde, daß sie den alten Spielmann nicht zurück gehalten hätten, und drohete ihnen mit der Gerte, womit er sie auf Befehl des Zauberers [139] oft hatte züchtigen müßen. Da wurden sie noch wilder, fuhren über den Zwerg her, stießen ihn und schleuderten ihn wie einen Ball aus einer Hand in die andere. Jetzt schwebte er an diesem, jetzt an jenem Ende des Saales; jetzt an der Decke, jetzt an dem Boden; jetzt wirbelnd im Kreise umher, und das so blitzschnell, daß ihm der Athem entging.

Während die Geister mit dem Zwerge ihr grimmiges Ballspiel trieben, schlich Lulu dem Zauberer nach, und kam durch mancherlei Gänge in ein Zimmer, deßen Thür ein wenig aufklaffte und worin gesprochen wurde. Es war die Stimme des Zauberers welche sagte: »Liebe Barsine, sei ruhig; ich habe den Feuerstahl durch dich; das soll dir nie vergeßen werden. Wie grausam würde sich die Fee an uns beiden rächen, käme der Stahl, den du ihr raubtest, wieder in ihre Hände. Laß mich nur erst ihre Tochter, die Sidi, geheirathet haben, dann sind wir sicher, und will sie dann mir weh thun, trifft es ihre Tochter ja mit. Dann will ich deine Treue vergelten, und dein Sohn Barka (der war sein Zwerg) soll der Erbe meiner Macht und Wißenschaft werden. – Jetzt muß ich fort, und vor allen Dingen erst erforschen, was die Fee etwa im Schilde führt.«

Lulu lief zurück, der Zauberer aber stieg auf die Zinne seiner Burg mit einem Sehrohr und sahe nach dem Waldschloß der Fee. Die saß mit einigen Feen und Königinnen lachend und scherzend bei Tafel. »Vor der bin ich jetzt wohl sicher,« sagte er und stieg von der Zinne hinab. Er konnte aber nicht sehen, daß die Fee in ihrem großen Spiegel Alles wahrnahm, was auf seiner Stahlburg vorging. In diesem Spiegel sahe Niemand etwas Besonderes, als nur sie allein. Eben hatte sie das lustige Ballspiel der Geister mit dem Zwerge gesehen und heimlich darüber gelächelt.

[140] Als Lulu in den Saal zurück kam, spielten die Geister noch Fangball mit dem Zwerge. Lulu besänftigte sie durch ein Paar Töne und sie warfen ihn in den Winkel eines Sofas, wo er athemlos keuchte.

Jetzt traten der Zauberer von der einen Seite, und die Prinzeßin im Wunderglanze ihrer Schönheit und ihrer Kleidung von der andern Seite in den Saal. Die Schützen standen in Ordnung, und Lulu war in seinem Winkel. Der Zwerg hatte sich vom Sofa erhoben und machte dem Alten ein grimmiges Gesicht, die Schützen aber hieb er mit seiner Gerte auf die Hände.

Der Spielmann, der die Jungfrau in ihrer Schönheit aber auch in ihren Thränen sahe, sann und sann, wie er dem bösen Zauberer seine Beute entwinden wollte. Er hatte viel Rath, aber keiner ließ sich ausführen, und so sann er immer wieder auf neuen Rath, der aber auch nichts taugte. Er wollte fast verzweifeln. Das würde er wohl unterlaßen haben, hätte er bedacht, daß da und dort sie zu Dutzenden beisammen sitzen um Rath zu ersinnen, und finden nichts als Unrath.

Der Zauberer trat zu seiner weinenden Braut. »Was weinst du, hold Liebchen,« sprach er. »Hab nur Geduld, du sollst dich noch recht freuen.« Er führte sie zur Tafel, und ihre Jungfrauen saßen zu beiden Seiten. Die Geister trugen auf, der Zwerg war der Mundschenk.

»Nun, Alter spiele! so was, wie meine Braut gern hört, so – so recht sanft und beweglich; das höre ich auch gern.«

Sidi hatte eben den Alten innig angeblickt, und er spielte, spielte so wundersam froh und entzückt, heiter und seelig, und so seltsam unaussprechlich, und doch wieder für Sidi so verständlich, [141] als wären die Töne Worte, und wollten ihr sagen: »Freue dich, Holde! du bist gerettet!«

Seine Töne setzten die aufwartenden Geister und Sidis Jungfrauen in Bewegung und sie schwebten, hüpften und tanzten nach dem Lufthauch der Flöte, als wären sie selbst lauter Luft. Alle waren begeistert und der Zauberer, der ohnedieß einen Becher nach dem andern getrunken hatte, schien seinen Argwohn verloren zu haben; aber der Zwerg, dem noch alle Ribben weh thaten, war sehr übellaunig und suchte den Alten der Flöte zu berauben, welcher er das Ribbenweh verdankte.

»Lieber Herr, sprach schmeichelnd der Zwerg, hätt ich die Flöte des Alten, so könnt ich dir alle Abend ein hübsches Liedchen blasen; ich dächte, ich wollte die Griffe bald lernen, wenn sie mir einer von deinen Geistern zeigte. Dann hättest du den wunderlichen Alten nicht nöthig; der dich vorhin so häßlich erschreckte.«

»Ei, du feiner Bursche, rief der Zauberer, das ist ein prächtiger Einfall!« »Hast du es gehört, Alter, rief er dem Spielmann zu, du sollst deine Pfeife meinem Knaben geben, der wird sie bald blasen lernen.«

»Ei, antworte Lulu, das will ich gern glauben; nur daß ich denn nicht wüßte, wie ich mich durch die Welt bringen sollte, und müßte noch auf meine alten Tage verhungern.«

»Kannst ja deinen prächtigen Fingerring mit dem Diamant verkaufen, sagte der Zwerg tückisch.« – Sorgfältig hatte ihn Lulu zu verbergen gesucht, aber der Zwerg hatte denselben entdeckt, als sich Lulu in der Saalthür von ihm losreißen wollte.

»Was? rief der Zauberer; einen Ring hast du? den hab ich ja gar nicht gesehen. Zeig ihn doch einmal! Wo hast du ihn her?«

[142] Jetzt war der Alte in großer Noth. Wenn die Flöte nicht noch eine besondere Kraft hat, dachte er, so bleibt mir nichts übrig, als den Ring in die Höhe zu werfen.

Er trat, gleichsam als wär er aufgebracht, dem Zauberer einige Schritte entgegen: »Das heißt doch Gastfreiheit! Ich diene dem Herrn aufs beste bei seiner Braut, zum Dank soll ich ihm noch meine Flöte, meine Erhalterin, da laßen. Ob denn der Herr nicht ein Bißchen Schaam mehr hat? – Nun! gegen seine Geister kann ich nicht streiten. Ich blase mir noch ein Stückchen, das letzte, und dann fahre wohl, du treue, liebe Gefährtin. – Ihm, Herr, wirds aber nicht zum Seegen gedeihen.«

Er sahe die Flöte wehmüthig an, er seufzte, er setzte sie an die Lippen. Sidi war in der höchsten Angst.

Es war das süßeste Wiegenlied, was Lulu seiner Flöte entlockte; es war wie ein leises Hin- und Herschaukeln, ein sanftes Lullen, ein mildes Wehen zartes Lufthauchs. Alles wurde still und stumm, die Augen fielen zu; die Köpfe nickten; die Gäste lehnten sich an ihre Sitze, die Schützen waren mit dem Gewehr im Arm und die Sklaven mit den Schüßeln auf den Händen wie versteint, und Alles lag zuletzt in dem allerfestesten Schlafe, der Zauberer am meisten, der sehr viel Wein getrunken hatte.

Lulu küßte dankbar seine Flöte, trat zu dem Zauberer hin und zog ihm leise den Stahl aus dem Busen, der in einer ledernen Tasche steckte. Indem er den Stahl untersuchte und unversehens eine Stahlfeder berührte, erwachten die Geister, sahen sich verwundernd an und machten gegen Lulu so dehmüthige Gebehrden, als ob sie seine Befehle erwarteten. – Indem er sich besann, was er mit dem Unhold anfangen sollte, regte sich Sidi im Schlummer. Er drehete seinen Ring und weckte sie ganz auf. »Du bist erlöst, [143] schönes Mädchen, rief er entzückt. Siehe den Geisterstahl in meiner Hand!«

Sidi sank ihm dankbar in die Arme, und beide hielten sich lange und schweigend umschloßen.

»Bring mich nun zu meiner Mutter!« bat Sidi. »Sie soll dir meine Befreiung verdanken, denn sie ist mächtig und gütig; es ist die Fee Perine.«

»O wie glücklich! rief Lulu; Sie eben ist es, die mich hieher gesendet hat, und hat mir Flöte und Ring gegeben, und eine schöne, schöne Verheißung obendrein. Nun verstehe ich Alles.«

Sidi erzählte nun, wie sie hieher gekommen. »Mein Vater war der König Sabalem von Kaschmir, der seiner Weisheit und Tugend wegen im ganzen Morgenlande berühmt war. Meine Mutter schätzte ihn sehr hoch und nahm ihn zum Gemahl.«

»In den ersten Wochen ihres Glücks hatte meine Mutter den Geisterstahl nicht mit sonstiger Sorgfalt bewacht. Der tückische Zauberer dort hatte dem Stahl schon lange nachgetrachtet und die Barsine, eine Sklavin meiner Mutter beredet, ihr denselben zu entwenden. So gerieth er in seine Hände, da er ihn aber nicht recht zu gebrauchen verstand, so fingen die mächtigsten Feen und Geister viel Unfug an, und es entstanden Kriege und Empörungen und verderbliche Zeiten. Da zog sich meine Mutter im tiefen Gram in ihr Waldschloß zurück.«

»Als ich 14 Jahr alt war, erzählte mir meine Mutter die Geschichte ihres Verlustes. Der Zauberer, sagte sie, sei immer in Furcht, er möchte wieder um den Stahl kommen, und sie könnte ihn dann etwa züchtigen. Er werde daher gewiß Alles anwenden, mich in seine Gewalt zu bekommen. Ich sei nur innerhalb des Schloßgartens [144] sicher, deßen Grenzen zu übertreten sie mir deshalb verbot.«

»Eines Abend ging ich mit meinen Jungfrauen im Garten lustwandeln. Einige Schritte vor uns hüpfte ein Rabe, der sich wenig um uns kümmerte. Er flatterte von einem Blumenbeete zum andern, wühlte mit dem Schnabel in dem Boden, zerpickte meine schönsten Blumen, biß sie an den Stielen ab, oder trat sie mit den Füßen nieder. Wir scheuchten den Unverschämten, wir warfen mit kleinen Steinen nach ihm; dann flatterte er schreiend weiter und fing seinen Unfug von neuem an. Unvermerkt gefiel uns das kindische Spiel. Wir liefen ihm nach, wir warfen nach ihm. So kamen wir in der Dämmerung unvermerkt über die Rasengrenze des Gartens. Ach unglückliche Unvorsichtigkeit, durch welche die Mutter den Stahl und ich die Freiheit verlor! – Es war zu spät, als ich den Irrthum bemerkte, und eiligst zurückfliehen wollte. Der Zauberer trat aus dem Gebüsch, schlug den Stahl und rief mit Donnerstimme: ›Halloh! Jäger heraus! die Tauben entfliehn!‹ Da ward jeder Funke ein starker Mann, und wir wurden durch die Luft in dieses Schloß entführt.«

Der Zwerg, der stehend eingeschlafen war, schwankte während dieser Erzählung auf seinen schwachen Krummbeinen hin und her, und stieß jetzt mit der Nase so heftig auf eine scharfe Stuhlkannte, daß er erwachte. Er dehnt die Glieder, er reibt sich die Augen, er sieht den Jüngling und die Jungfrau im Fenster kosen und erschrack. Er stößt den Zauberer an, und als das nicht hilft, zieht er ihn bei den langen Ohren, und kniff hinein. Da der erwachte, zeigt ihm der Zwerg die Beiden im Fenster. Wüthend springt der Zauberer auf und will wie ein Blitz mit gezücktem [145] Schwerdt auf den Jüngling eindringen, der sich kaum zur Wehre setzen kann. Das hatte er aber auch nicht nöthig, denn die Schützen stellten sich vor ihn und wurden seine Schützer, und die Sklaven fielen dem Zauberer in den Arm und hielten ihn fest.

Von dem lauten Schrei Sidis erwachten die Mädchen. Lulu warf nun seinen Ring in die Höhe; der Zauberer aber sahe, daß er um den Geisterstahl gekommen war. Da gab er freundliche Worte und sagte: »Du hast mich betrogen, es soll dir aber nichts helfen, denn ohne meinen Willen kommt Niemand aus diesem Schloße. Gib mir den Stahl zurück, der für dich von keinem Gebrauch ist; nimm dafür Sidi und ihre Jungfrauen hin, und noch so viel Diamanten und Kostbarkeiten, als ihr fortbringen könnt.«

»O! wie großmüthig! rief Lulu. Sehe der Herr: das ist das rechte Gemüth! das ist eine edle Gesinnung; obwohl sie ein Bißchen spät kommt. Beliebe sich aber der Herr zu erinnern, daß ich ein Nachtlager mir auf seiner Stahlburg gewünscht habe; dabei wollen wirs laßen.«

Der Zauberer bebte vor Wuth, aber er vermochte nichts mehr gegen die Macht des Stahles. Eben dachte er auf einen Rath, als die Decke des hohen Saales wie ein Nebel verwallte, und im Sonnenglanz die Fee Perine auf ihrem Wolkenwagen herabschwebte. In der Angst verwandelte er sich in einen Falken, aber die Fee beugte sich aus dem Wagen ein wenig seitwärts und schlug den Falken mit der Hand. »Sei ein Uhu, sagte sie, denn diese Gestalt ziemt sich beßer für dich!« Plötzlich wurde er zum schwarzgrauen Uhu, der im hellen Sonnenglanz der Fee geblendet, sich an den Wänden den Kopf fast zerschmetterte, bis er endlich auf ein Fenster stieß, das [146] er für freie Luft hielt. Das Fenster zerbrach, und der Uhu kam mit blutigem Kopfe davon.

Zitternd war der Zwerg unter den Tisch gekrochen, aber die Fee sagte: »Komm nur hervor, Barka; du thust mir leid, und ich würde dein gern verschonen, aber du hast die tückische Natur mit deinem Vater, dem Zauberer, gemein, obwohl du nicht weißest, daß er dein Vater ist. So werde denn ein Leichenhun.« Da ward der Zwerg zu der kleinsten Eule, zum Käutzlein, und flog dem Vater durch das zerbrochene Fenster nach.

»Jetzt sind wir glücklich; sagte die Fee zu Lulu und Sidi, die vor ihr knieten, und zärtlich ihre Hände küßten. Dir, liebe Tochter, hätte ich längst gern geholfen, aber ich konnte nicht, denn ich stehe unter höherer Macht. Ich war im Glücke zu sorglos, und habe dafür schmerzlich gebüßt, wenn ich in meinen Spiegeln deine Trübsal sahe.« »Lulu, ich danke dir, und meine Tochter ist dein. Du bist unser Retter, und der Erste, dem meine Flöte gehorchte, weil du reines Herzens warst. Glaubt mir es, Kinder, alle schönen, himmlischen Töne des Lebens klingen nur aus reinen Herzen hervor.«

Hierauf fragte sie: »Wo ist Barsine?«

Barsine trat zitternd hervor und warf sich weinend vor ihr nieder.

»Du hast mir sehr weh gethan, Barsine, sagte die Fee sanft, ich hatte es nicht um dich verdient. Aber ich weiß, du hast es bereuet, und Reue versöhnt, zumal da du aus Uebereilung gefehlt hast. Du ziehst wieder mit mir, und wirst mich wohl nicht mehr verrathen.«

»Nimmer! nimmer!« sagte Barsine mit bebender Stimme.

[147] Die Geister entließ sie, bis auf neuen Ruf, ihres Dienstes, und hieß sie fröhlich sein. Das waren sie auch, denn sie wußten, welch gütige Herrin sie war, und hatten geseufzt, als sie dem Zauberer unterthan werden mußten.

Jetzt bildete sich ihr Wolkenwagen wieder, in welchem die Prinzeßin mit ihren Jungfrauen und Lulu und auch Barsine Platz hatten. Sie umfuhr auf demselben dreimal die Stahlburg, indem sie dazu eigene Töne aus der Flöte hervorlockte, die wie silberns Zymbeln klangen, und immer lieblicher wurden; aber dann gingen sie in Mißlaute über und wurden wild und verworren und immer wilder, als wollten alle Elemente brausend und schnaubend im Grimme sich einander vernichten. Und als sie zum drittenmal die Stahlburg umfahren war, bebte es, daß die Luft davon wogte, und mit dem Krachen von tausend Donnern zerfiel die Burg, und deckte den Boden mit einer Lage von Sand und Staub.

Jetzt schwebte der Wagen weiter, bis zum Waldschloß der Fee. Dort waren Sidis und Lulus Väter, und es wurde ein herrliches Vermählungsfest gefeiert.

16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

16. Das Goldvögelein.

Es waren zwei Besenbinderjungen, die eine Schwester hatten, und waren alle drei herzgute Menschen, die aber wenig zu brocken und zu beißen hatten, seitdem die Aeltern todt waren. Indeßen halfen sie sich durch, so gut sie konnten, und lebten einträchtig; die Brüder holten Birkenreiser und banden Besen daraus, [148] und die Schwester verkaufte die Besen und führte den kleinen Haushalt von dem Erlös.

Zuweilen ging es ärmlich her und wollte nicht zulangen, dann munterte sie der zweite Bruder auf, der gar ein vergnüglicher Bursche war und sagte: »Potz Hundert! Potz Fünfundzwanzig; Besenbinders Kinder verderben nicht, wenn sie auch einmal darben müßen, und wenns der Himmel will, werden wir, noch vornehme Leute.«

Einsmals waren sie auch in den Wald gegangen und der Jüngste war auf einen großen Baum geklettert, um die Aeste abzuhauen. Da fand er ein artiges dunkelfarbiges Vögelchen auf einem Neste sitzen. Das flog nicht fort, sondern sah ihn mit hellen Augen recht zutraulich an.

»Ei! sagte der junge Bursche, du bist ja ein recht lieb niedliches Vögelein! Du weißt es wohl ordentlich, daß ich solchem hübschen lieben Herrgottsthierchen nichts thue?« Dabei streichelte er das Vöglein, welches fromm sitzen blieb und mit dem Kopf nickte.

Da sahe er, wie unter dem Einen Flügel, etwas Goldenes hervorschimmerte, und sagte: »Laß dir dein Flügelein aufheben; da schimmerts drunter hervor wie Gold!« Aber da hob das Vöglein den Flügel von selbst auf, und es lag unter demselben ein kleines Goldei.

»Darf ichs dir wegnehmen? fragte der junge Bursche, oder, kannst du es ausbrüten? da will ichs dir laßen.«

»Wegnehmen!« sagte der kleine hübsche Piepvogel, und nickte mit seinem Köpfchen dazu.

Der junge Bursche ging mit dem kleinen Goldei zum Goldschmidt, welcher sagte, es sei so feines Gold, als es noch niemals gesehen hätte, und gab ihm viel blanke Silberthaler dafür. Am [149] andern und am dritten Tage fand er wieder ein Goldei, welches der Goldschmidt bekam.

Nun hatten sie schon viel Geld, wohl gar an sechszig Thaler, und der junge Bursche sagte: »Nun, da schauts, daß Besenbinders Kinder Glückskinder sind; da haben wir schon so viel Geld, daß wir wohl hunderttausend Schock Millionen Besen dafür kaufen könnten, oder noch weniger, und die Schwester kann nun schon einmal Pfannkuchen backen.«

»Aber am vierten Morgen war kein Ei mehr da. Das Vöglein aber fing nun an mit Verstand zu sprechen und sagte: Bring mich an den Goldschmidt; das soll Euer Aller Glück sein, und meins auch.«

Der junge Bursche brachte den Vogel in einem Gebauer, und bat: »Hebt mir ihn auf!«

Als aber der Goldschmidt mit dem Vögelein allein war, sang es:


»Wer ißt mein Herzlein
wird bald König sein;
wer ißt mein Leberlein
hat alle Tage ein Goldbeutlein.«

Den Vogel mußt du haben! dachte der Goldschmidt und rief die Besenbinders Kinder und sagte: »laßt mir das Vögelein ab; es gefällt mir so sehr. Dafür will ich Euer Schwesterlein heirathen, und Ihr sollt auch bei mir bleiben und sollt es gut haben!« Da ließen sie ihm das Vöglein ab.

Als aber Hochzeitstag war, da hatte er das Vöglein todt gemacht und gerupft und die beiden Brüder sollten es am Spieße braten und Acht haben, daß nichts verdürbe, er aber wollte dann den Vogel allein eßen.

[150] Als nun derselbe bald genug gebraten war, fällt ein klein Stückchen heraus. »Das will ich doch kosten!« sagt der Eine und ißt das Stückchen. Bald darnach fällt wieder ein Stückchen ab; »das soll für mich sein!« sagte der Andere und aß es.

Darnach war der Vogel genug gebraten, und sie brachten ihn dem Goldschmidt, der mit dem Schwesterlein schon beim Hochzeitmahl saß. Der suchte gleich nach Herz und Leber, die wollte er geschwind eßen, aber die waren fort. Da ward er sehr grimmig und sagte: »Wer hat Herz und Leber gegeßen?« – »Ih!« sagten die Brüder, »das werden wir wohl gewesen sein. Es fielen ein Paar Krümchen ab, die haben wir genommen!«

»Habt Ihr mir Herz und Leber gegeßen, Ihr dummen Jungen,« sagte der Goldschmidt, »so behaltet den Vogel auch, und die dumme Trine, Eure Schwester, die mag ich nun auch nicht!«

Damit jagte er sie alle drei zum Hause hinaus, und jammerte nun darüber erbärmlich, daß er den Vogel nicht selbst gebraten hätte. Warum hatte es aber der Narr nicht vorher bedacht, denn nun halfs ihm nicht mehr.

Als sie nach Hause kamen, aß der Aelteste den Vogel, denn der zweite wollte ihn nicht, weil es sein liebes Goldvögelein war, und die Schwester wollte ihn auch nicht, weil sie durch ihn um ihren Bräutigam gekommen war. Da aß ihn der Aelteste. Aber er hatte ihn kaum gegeßen, so stand eine schöne Prinzeßin vor ihnen, an der war Alles wie Goldglanz, die sagte: »Nun bin ich endlich erlöst; Ihr aber sollt alle drei mit in mein Reich kommen.«

Als sie dahin gekommen waren, heirathete die Prinzeßin den Aeltesten, der das Herz gegeßen hatte. Da war er nun König. Der Andere, der die Leber gegeßen hatte, fand alle Morgen einen Beutel mit Gold, und weil er nun ein hübscher und lustiger Bursche [151] war und so reich dazu, so nahm ihn die Schwester der Prinzeßin. Nun hätte er sich selbst können ein Reich kaufen, das wollte er aber nicht, denn er konnte die Regierungssorgen nicht leiden.

Darauf kam der Bruder der Prinzeßin, und wollte seine Schwestern besuchen. Der hatte sein eigenes Reich, und war noch nicht vermählt, denn es hatte ihm Keine gefallen, als er aber Besenbinders Tochter sahe, so gefiel sie ihm gleich gar sehr, er aber dem Mädchen auch. Da nahmen sie sich einander.

Da waren sie Alle recht froh. »Ja!« sagte der zweite Bruder; »wenn man einen Glücksvogel hat, so kann auch aus Besenbinders Kinder etwas Großes werden, ohne daß man Verstand dazu braucht.«

17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

17. Die drei Federn.

Es hatte ein König drei Söhne, unter welchen der Jüngste für ein Bißchen dumm gehalten wurde, weil er so still und friedlich war. Hätte er mehr Lärm und wirkliches dummes Zeug gemacht, so würde man ihn schon für klug gehalten haben, wohl gar für eine Art Teufelskerl, oder für ein Genie.

Der Vater wußte nicht recht, wem von den Söhnen er das Reich hinterlaßen sollte, da wollte er denn sehen, wer das meiste Glück hätte. So schickte er denn seine drei Söhne in die Welt, und sagte, wer ihm das feinste Stück Linnen mitbrächte, sollte das Reich haben. Sie möchten darnach in der Welt umher suchen und könnten dabei auch noch Mancherlei hören und sehen, was ihnen gut wäre.

[152] Der König nahm drei Federn, blies sie eine nach der andern aus den Fenster seines Schloßes in die Luft. Die eine flog nach Abend, dahinaus mußte der älteste Sohn ziehn; die zweite flog nach Morgen, das war der Weg für den zweiten; die dritte fiel auf einen großen Stein herab, der nicht weit von dem Palaste war. Da mußte denn der dritte Sohn zu Hause bleiben, und wurde darüber noch von den Brüdern geneckt, daß er nun bei dem Stein das feine Linnenwebe suchen möchte, da hätt ers ganz nahe.

Die beiden ältern Brüder zogen hin, und der dritte aber setzte sich auf den Stein und weinte bis zum Abend. Da kam es ihm vor, als ob sich der Stein hin und her schöbe, und zuletzt war er auch fortgeschoben, und nun kam eine Marmorplatte mit einem Ring zum Vorschein. Als die aufgehoben war, fand er eine Treppe, die stieg er hinab und kam in ein großes unterirrdisches Gewölbe, da saß ein Mädchen am Webstuhl und webte Linnengarn.

Das Mädchen sah ihn in die Augen und fragte: »hast du geweint?« – »Ja!« sagte er, »ich habe sehr geweint;« und erzählte nun wie übel es ihm ginge. Da schenkte ihm das Mädchen ein Stück der allerfeinsten Leinwand und sagte: »feiner bringen es deine Brüder gewiß nicht!«

Als er wieder auf die Erde hinauf kam, war er eben so lange Zeit weggewesen als die Brüder, und wußte nicht, wie das zuging, denn es kam ihm vor, als sei er nur ein Stündchen unter der Erde gewesen.

Da nun Jeder dem Vater sein Stück Linnen vorzeigte, war des Jüngsten seins noch einmal so fein als der Andern ihre Stücken.

Nun hätte dem Jüngsten das Reich gehört, das machten ihm aber die Brüder streitig und meinten, es müße noch eine Probe gemacht werden.

[153] Da verlangte der König den schönsten Teppich. Wer den bringe, der solle das Reich haben. Der König blies die drei Federn in die Luft, und da ging es wieder wie das erstemal. Diese flog nach Abend, jene nach Morgen und die dritte fiel wieder auf denselben Stein. Da lachten die Brüder den Jüngsten wieder aus, daß der abermals da bleiben müße. Dasmal aber weinte er nicht, sondern hob den Stein auf und ging in das Gewölbe. Da saß das Mädchen und webte einen Teppich aus den allerfeinsten Faden mit brennenden Farben und wunderschönen Blumen, den gab sie ihm.

Als die drei Brüder nun ihre Teppiche zeigten, war des Jüngsten seiner so schön, daß man die andern Teppiche nicht ansehen mochte. Aber die Brüder stritten wieder und meinten, aller guten Dinge müßten drei sein.

So sagte denn der König, wer die schönste Jungfrau heimbrächte, bekäme das Reich. Darauf ging es mit den drei Federn abermals so wie vorher.

Da ging der Jüngste wieder in das Gewölbe und klagte dem Mädchen sein Leid. Das aber hieß ihn in dem Gewölbe weiter gehen, da fände er die Schönste auf Erden. Er fand aber nur große Kammern voll Gold und Edelsteinen und einen großen Frosch, der an einem Teich saß, der sprach: umfaße mich und versenk dich mit mir im Waßer. Das sagte der Frosch ihm dreimal, da that er es denn; aber kaum hatten sie das Waßer berührt, so hielt er die schönste Jungfrau auf Erden in seinem Arm, gegen welche die Jungfrauen der Brüder ordentlich garstig aussahen.

Aber das Reich machten ihm die Brüder noch einmal streitig und sagten, der solle das Reich haben, deßen Jungfrau bis zu dem Ring hinaufspringen könne, der mitten im Saale hing. Die Jungfrauen der beiden ältern Brüder sprangen und sprangen, aber vergeblich. [154] Die Jungfrau des dritten aber hatte den Ring mit dem ersten Sprunge ganz leicht erlangt.

Die Brüder wollten ihm dennoch das Reich nicht laßen, aber der König sagte: »Nun sei es genug!« und der dritte bekam das Reich, und heirathete die Jungfrau.

Da wurden die Brüder zornig gegen ihre Jungfrauen und jagten sie fort, weil sie ihnen das Reich nicht hatten erspringen können.

18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

18. Die Nelke.

Ein König hatte sich lange besonnen, wem er wohl heirathen sollte. Er wollte ein Mädchen haben, die ein gutes Herz hätte, sanft und fromm, bescheiden, still und sittsam wäre und aus dem Mittelstande herstammte, denn da, meinte er, bekäm er gewiß etwas Gutes. Es war aber nicht leicht, ein solches gutes Kind zu finden und darum mußte er sich so lange besinnen.

Zuweilen glaubte er gefunden zu haben, was er suchte, aber wenn er recht zusahe, war es nicht wahr.

So sann er denn auch einmal, indem er eben am Fenster stand, da die Leute zur Kirche gingen. Da sah er ein wohlgekleidetes Mädchen mit in die Kirche gehen, das sahe so wunderlieblich aus und so sittig, und es war ihm, als stände es auf ihrem Gesicht geschrieben, daß sie herzensgut sei.

Weil er ein König war, so hatte er es bald heraus, wer sie sei, nach Stand und Gemüth, und es war Alles so, wie er wünschte. [155] Da bat er sie, ihn zu heirathen, und weil er ein grundguter Herr war, so that sie es, und sie waren beide recht glücklich, daß sie einander hatten; als aber der liebe Gott der Königin ein Prinzchen bescheerte, da waren sie noch viel, viel glücklicher.

Nun aber wußte der König wieder nicht, wen er zum Pathen des Kindes nehmen sollte, denn in Dingen solcherlei Art hatte er seine eigenen Gedanken und war gar nicht voreilig. Als er darüber nun nicht mit sich einig werden konnte, so dachte er: »Ich will ein Bißchen unbekannt und verkleidet ausgehen und der Erste, der mir auf der Straße begegnet, soll mein Gevattermann und des kleinen Jungen sein Pathe sein.«

Da begegnete ihm ein Mann, schlicht gekleidet, mit ernstem Angesicht, den eben Niemand zu kennen schien. Dem ging er von weitem nach, sahe, wo er wohnte, und als er sich nach ihm erkundigte, wußte Keiner eben Etwas von ihm, als daß er sich mit der Welt nicht viel abgehe, sondern lebe so vor sich hin, thue aber Niemand etwas zu Leide, Vielen Gutes, jedoch im Stillen.

»Das ist mein Mann!« sagte der König, ging hin und bat ihn zu Gevattern.

Der Mann kam, bat aber, daß er das Kind allein zur Kirche tragen dürfe, die verschloßen werden müße. Das wurde ihm denn versprochen.

Es hatte aber ein neugieriger Gärtner, dem der Wunsch des Mannes seltsam vorkam, sich vorher in die Kirche geschlichen und versteckt. Der sahe, wie der Mann das Kind auf seinen Armen zum Altar trug, machte Zeichen über daßelbe, sprach Worte über das Kind, und verlieh ihm die Gabe, daß Alles, was es wünschen würde, ihm gewährt sein solle.

[156] »Das soll dir ein Vortheil sein,« sagte der Gärtner und sann sich Böses aus.

Als die Königin einmal mit dem Kinde auf dem Arme im Schloßgarten spatzieren ging – denn das Kind ließ sie niemals von sich – brach plötzlich aus dem Gebüsch ein Bär auf sie ein, der hatte zwei Hörner am Kopfe, Greiffüße und greuliche Krallen, womit er der Königin, die in Ohnmacht fiel, das Kind entriß und dabei brummte: »Ich will es freßen.« – Die Wärterin aber war gleich davon gelaufen.

Die Aeltern waren trostlos, der Bär aber fraß das Kind nicht, denn es war der Gärtner, der sich vermummt hatte.

Der Gärtner trug das Kind weit, weit weg in einen Wald, wo weit und lang keine Menschen wohnten, als ein Förster, der sein alter Schulkamerad war. Dem offenbarte er Alles und stellte ihm vor, was sie einmal für Gewinn von der Gabe des Prinzen haben wollten.

Der Förster hatte eine Tochter, die war von gleichem Alter mit dem Prinzen und wuchs mit ihm auf. Sie hieß Marie.

Die Kinder wuchsen auf und spielten und lernten mit einander und ließen nicht von einander. Der Prinz wurde ein Jägersmann und war brav und ehrlich, und Marie besorgte den Haushalt, und war sanft und fromm, aber auch klug und schlau. Weil der Gärtner oft kam, wenn der Prinz im Walde war und heimlich viel mit ihrem Vater zu sprechen hatte, paßte sie auf und brachte Alles heraus, und sagte es dem Prinzen.

»Gut,« sagte der Prinz; »aber von dir laß ich nun und nimmermehr, obschon ich ein Prinz nun bin, denn wir sind beisammen aufgewachsen und mit einander zusammengewachsen, wie die beiden Linden im Walde, die du ja kennst.«

[157] Als nun bald darauf der Gärtner einmal wieder kam und von dem Prinzen, der immer darauf gelauert hatte, erblickt wurde, verwünschte der ihn zu einem Pudel, seine Marie aber wünschte er zu einer Nelke.

Er ging sogleich an seines Vaters Hof, ließ den verwandelten Gärtner als Pudel neben sich herlaufen, aber seine Marie steckte er als Nelkenstrauß vor seine Brust.

Er ward Jäger am Hofe seines Vaters, der den ernsten, stillen Burschen bald recht lieb gewann und mit ihm, ach wie oft, ganz allein auf die Jagd ritt. Wenn Niemand ein Wild erlegt hatte, so brachte er immer von allerlei Art. Das war aber keine Kunst, weil er ja nur zu wünschen brauchte. Er verlangte auch keinen Lohn für seinen Dienst und auch kein Eßen, ob es ihm gleich der König schon tausendmal angeboten hatte. »Nein, gnädiger König,« sagte er dann immer, »ich will Euch nur aus Liebe dienen.« – Eine eigene Kammer hatte er gefordert, die er verschließen konnte, und hatte sie bekommen.

Seine Kameraden fanden das Alles wunderlich und wurden auch wohl ein wenig neidisch und späheten und Einer sahe einmal durchs Schlüßelloch. Schau! da saß der Jäger vor einem Tisch, der mit den herrlichsten Speisen und auch mit Wein besetzt war, und ein hübsches Mädchen saß ihm gegenüber, und beide aßen und sprachen mit einander vergnügt und vertraulich. Das Eßen hatte sich der Jäger nur zu wünschen nöthig gehabt, und seine Marie durfte ja keine Nelke bleiben, wenn er daheim war, sondern bekam ihre natürliche Gestalt.

Die Jäger brachen auf seine Stube ein, als er einmal nicht zu Hause war, und meinten, sie müßten große Reichthümer finden, aber sie fanden nichts als eine wunderschöne Nelke, in einem Glase [158] mit Waßer. Deß wunderten sie sich sehr, die Nelke aber trugen sie ihrer Wunderschönheit wegen zu dem König. Dem gefiel sie ganz unaussprechlich, und er beschloß sie dem Jäger für großes Geld abzukaufen. Aber als die Nelke im Zimmer des Königs war, trauerte sie und ließ die Blätter hängen.

Der Jäger kam aus dem Walde, der König bot ihm großes Geld für die Nelke, der Jäger aber sprach: »Nein, edler Herr, die Nelke taugt nicht in Euren Händen – seht, wie sie die schönen Blätter hängen läßt. O nein! liebe Nelke,« sagte er, indem er sie nahm, »dich laße ich ja nun und nimmermehr!«

Da fing die Nelke an, sich wieder frisch aufzurichten und einen wunderlichen Geruch umher zu verbreiten.

»Was sind das für wunderliche Dinge, mein Sohn?« fragte der König.

Ja! sprach der Jäger, Euer Sohn bin ich wirklich, und damit entdeckte er dem Vater Alles. Der Pudel mußte gestehen, denn der Prinz verwandelte ihn wieder in den Gärtner, und als er gestanden hatte, wieder in einen Pudel. Die Aeltern waren überfroh; die treue Marie mußte den Prinzen gleich heirathen, und der Pudel mußte Pudel bleiben und unter dem Tische der Stallknechte sein Brodt und seinen Knochen suchen. – Alles, Alles im Schloße, in der Stadt und im Lande war froh, aber der Pudel war es nicht.

19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[159] 19. Das Waßer des Lebens.

Ein König, der drei Söhne hatte, wurde so krank, so sehr krank, daß keine Arztneien mehr helfen wollten. Da dachten sie, er müßte sterben, und die Aerzte hatten das auch gesagt.

Die Söhne gingen in den Garten und weinten. Da kam ein altes Männlein, das sagte: »Was weint Ihr, und seid so betrübt in Eurer Seele?« Da erzählten sie ihm, der Vater sei so krank, und könne ihm nichts mehr helfen; da würde er sterben müßen, und dann wäre er todt!

»Ja,« sprach der Alte, »das ist schon wahr; aber ich weiß doch ein Mittel, wenn er das braucht, so soll er schon leben bleiben; das ist nämlich das Waßer des Lebens, welches aber sehr schwer zu finden ist.«

»Das will ich schon finden!« sagte der älteste Prinz, der ein wenig hochmüthig war, und dachte, weil er doch einmal der Kronerbe würde, so könnts ihm nicht fehlen.

Er bat den kranken König um Urlaub, um das Waßer des Lebens zu holen. Der König wollte ihm denselben nicht geben, weil das Werk so gefährlich sei; aber weil der Kronprinz doch gar zu sehr bat, der König aber auch gar zu gern noch ein kleines Weilchen leben wollte, so ließ er ihn gehen. Der Prinz aber dachte, find ich das Waßer des Lebens, so erb' ich das Reich um so eher gewiß; sonst könnt es der Vater wohl gar noch einen von den andern Brüdern schenken.

Der Prinz zog fort, nachdem er sich erst nach dem Waßer des Lebens hatte erkundigt, und zog weiter und immer weiter, viele Tage lang.

[160] »Wohinaus, lieber Herr, wohinaus so geschwind?« fragt ihn ein kleiner Mann, der am Wege stand.

»Brauchst du es auch zu wißen, du Knirps du?« sagte der Prinz hochmüthig, und ritt weiter.

»Nun so reit, daß du nimmermehr hinkommest;« rief ihm der kleine Mann erzürnt nach.

Da kam der Prinz in eine Bergschlucht, wo sich die Berge immer enger und enger zusammendrängten, und er zuletzt gar nicht mehr umwenden konnte, ja nicht einmal absteigen. Da mußte er denn halten bleiben.

Der König wartete auf ihn, er sollte zurückkommen, und das Waßer des Lebens mitbringen. Als er aber nicht wieder kam, forderte der zweite Prinz Urlaub vom Vater, das Waßer des Lebens zu holen. Er dachte: wenn der Bruder todt ist, so wird dir das Reich Niemand nehmen, wenn du das Waßer bringst. Der König wollt ihn erst nicht ziehen laßen, ließ ihn aber doch ziehen. Auf dem Wege stand der kleine Mann wieder, und fragte: »Wohin so geschwind?« und die Antwort hieß: »Gehts dich auch an, du kleiner Lump?« – Und damit gings fort.

Der kleine Mann aber verwünschte ihn auch, und es ging ihm wie seinem Bruder, und mußte in der Bergschlucht stecken bleiben.

Als nun der auch nicht wieder kam, bettelte der jüngste Prinz so lange bei dem Vater, bis der ihn ziehen ließ. Und als er nun auch an den Zwerg kam, und der ihn fragte: »Wohinaus so geschwind?« antwortete der Prinz: »Ich suche das Waßer des Lebens für den armen kranken Vater, aber der liebe Gott weiß, wo ich es finden soll?«

[161] »Nun,« sagte der kleine Mann, »du sollst es finden, weil du nicht so hochmüthig bist, wie deine Brüder. Hier rechts reit ab, da liegt ein verwünschtes Schloß, wo der Brunnen ist, aus dem das Waßer des Lebens kommt. Aber da geb ich dir eine eiserne Ruthe; damit schlage dreimal an das eiserne Thor des Schloßes, dann springt es auf; und wenn du hineinkommst, so liegen zwei Löwen da, die bewachen den Brunnen und haben den Rachen weit auf. Aber nimm hier die zwei Brodte und gib sie ihnen; jedem eins, dann werden sie dir nichts thun. Dann hole das Waßer und eile, daß du vor zwölf Uhr aus dem Schloße bist, sonst schlägt sich das Thor zu, und du kommst so bald nicht wieder hinaus.«

Der Prinz dankte ihm freundlich, und kam ins Schloß, und schöpfte aus dem Brunnen. Darnach wollte er sich noch ein wenig umsehen und kam in einen Saal, wo lauter verwünschte Prinzen drin waren, denn der Prinzen, die man verwünscht, hats immer viel gegeben. Er zog ihnen die Ringe ab und nahm dann ein Schwerdt und ein Brodt, die da lagen. Hierauf kam er in ein Zimmer, wo eine Prinzeßin war. Die küßte ihn, und sagte: »Du hast mich erlöst, und über ein Jahr komm, da sollst du mich und mein Reich haben.« – »Aber mach, daß du vor zwölf aus dem Schloße kommst.«

Er hätte sich gern ein wenig ausgeruht auf einem Bette, das da stand, aber er wußte, daß man nicht allezeit ruhen kann, wenn man will. Er eilte hinaus, und dicht hinter ihm schlug das Thor zu, und schlug ihm den Sporen vom Stiesel ab, denn es war grade zwölf Uhr.

Als er zurückkam, dankte er dem kleinen Manne, und dieser sagte ihm, an dem Schwerdte und an dem Brodte habe er großes [162] Gut. Mit dem Schwerdte könne er große Heere schlagen und mit dem Brodte ganze Völker speisen, und würde nicht alle.

Nun fragte er nach seinen Brüdern; da sagte ihm der kleine Mann, wo sie wären, wollte sie aber nicht erlösen, weil sie hochmüthig wären; weil aber der Prinz gar zu sehr bat, gab er sie los, sagte aber zu ihm: »Nimm dich vor ihnen in Acht; sie sind sehr falsch.«

Als sie nun alle drei beisammen waren, erzählte der Jüngste, daß er das Waßer des Lebens hätte, und bekäm auch übers Jahr eine wunderschöne Prinzeßin, mit einem großen Reiche.

Sie ritten fort und kamen durch drei Länder, da waren Krieg und Hungersnoth drin, aber der Jüngste half bald mit seinem Schwerdte und mit dem Brodte.

Als sie nun auf dem Rückwege über das Meer kamen und der Jüngste eingeschlafen war, nahmen ihm die Aeltesten das Lebenswaßer, und füllten dafür bittersalziges Meerwaßer in seine Flasche.

Da sie nun wieder zu Hause waren, brachte der jüngste Prinz das Waßer des Lebens dem Vater, weil es aber Meerwaßer war, wurde derselbe noch kränker davon. Darnach aber kamen die andern Prinzen und sagten, sie hätten das rechte Lebenswaßer, jenes sei aber Gift gewesen. Da trank der alte König das Waßer und wurde so frisch und gesund wie in den jungen Tagen.

Die bösen Brüder gingen nun zum jüngsten Bruder und höhnten ihn; sagten, wie sie ihn hätten betrogen, und übers Jahr wollte sich einer von ihnen die Prinzeßin holen; wenn er aber dem Vater davon etwas sagte, wollten sie ihn todt machen.

Weil der alte König glaubte, der jüngste Sohn habe ihn vergiften wollen, so befahl er seinem Leibjäger mit dem Prinzen tief in den Wald auf die Jagd zu gehen und denselben heimlich zu erschießen. [163] Als sie nun in den Wald kamen, sagte der Jäger: »Prinz, ich soll Euch heimlich erschießen, aber weil Ihr so ein lieber, leutseliger Herr seid, so kann ichs nicht übers Herz bringen. Flieht und rettet Euer Leben!« Da floh der Prinz.

Nach einiger Zeit kamen bei dem alten Könige große Wagen an mit Gold und Edelgesteinen; die sollte der jüngste Prinz haben und waren von den Königen gesendet, welchen er mit Schwerdt und Brodt geholfen hatte.

Da fiels dem alten König aufs Herz, sein Sohn möchte wohl unschuldig sein, zumal da er immer mehr mochte gemerkt haben, wie tückisch die andern Beiden waren.

Da fing er laut an zu jammern: »Ach wenn doch mein Sohn noch lebte! ach wenn ich ihn nur nicht hätte tödten laßen!« und wollte sich gar nicht zufrieden geben und Niemand konnte ihn trösten. Da tröstete ihn aber der Jäger und sagte: »Ich habe ihn nicht getödtet, denn ich konnt es nicht über das Herz bringen.«

Der alte König fiel dem Jäger um den Hals und küßte ihn, und ließ in allen Reichen bekannt machen, sein Sohn sollte wiederkommen, und verhieß großes Geld und Gut dem, der ihn brächte.

Als aber die Prinzeßin in ihr Reich gekommen war, ließ sie eine große Straße vor ihrem Schloß machen, die war golden und glänzend. Zu ihren Leuten hatte sie aber gesagt, wer mitten über die Straße hinritte, der sei ihr Bräutigam, die aber nebenbei ritten, das wären die rechten nicht.

Da nun die Zeit bald um war, kam der erste Prinz des alten Königs, und wollte sich für den Erlöser der Prinzeßin ausgeben, als er aber an die Straße kam, ritt er rechts derselben nebenher, weil sie so schön war. Wie er aber ans Schloßthor kam, da hieß es: er sei der rechte nicht und möchte nur wieder nach Hause gehen.

[164] Bald drauf kam der zweite Prinz und ritt links neben der Straße, und am Thore hieß es wieder: er sei der rechte nicht, und möchte nur wieder nach Hause gehen.

Da nun das Jahr ganz um war, machte sich der Jüngste auf, und vor Verlangen bei seiner Prinzeßin zu sein, sahe er die Straße gar nicht, und jagte mitten drauf hin zum Schloß.

»Der ist der Rechte!« sagte die Prinzeßin, und machte Hochzeit mit ihm, und gab ihm ihr ganzes Reich. Sie erzählte ihm aber nun, daß sein Vater großes Verlangen nach ihm trüge. Da machte er sich gleich auf und kam zu seinem Vater, und entdeckte ihm nun, wie es die Brüder gemacht hätten.

Der Vater wollte die bösen Brüder hinrichten laßen, die aber hatten sich schon fort gemacht und Niemand wußte wohin.

Der alte Vater aber gab seinem Sohne sein Königreich auch. Da hatte der Sohn nun zwei Reiche und die andern Beiden hatten gar keins.

20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

20. Der dumme Xailun.

Der Xailun nämlich war hübscher Leute Kind zu Bagdad, und fehlte ihm eben gar nichts als ein wenig Menschenverstand, oder so Etwas Aehnliches, was wie Verstand aussahe, womit viele vornehme und gelahrte Leute sich gar gut durch die Welt helfen, und für gar witzig gehalten werden. So Etwas hatte er aber nicht, und weil er demnach so gar dumm war, daß er sich auch nicht einmal klug stellen konnte, so gaben ihm die Aeltern ein verständiges [165] und braves Weib, die Oithba, und meinten, die werd ihn schon anders machen, und den Kopf zurechtsetzen.

Sie fand denn auch bald, daß er eine grundgute Seele sei, und wär er nur nicht so faul, so verschlafen, so gefräßig und so grunddumm gewesen, hätte kein Mensch an ihm Etwas aussetzen können. Aber er schlief bis gegen den Mittag, aß für sechs oder acht Mann, und lief dann überall in Bagdad umher, und wo ein Zusammenlauf Volks war, mußte er auch mit darunter sein, schauete und gaffte mit seinem aufgesperrten Maul mit drein, wußte niemals, was es gab, bekam aber oft seine tüchtigen Püffe mit ab, und kam mit blauem Auge und verbundenem Kopfe nach Hause.

Sein Bißchen Vermögen war bald drauf gegangen. Oithba liebkosete und bat ihn, er möge doch ein anderer Mensch werden, und Etwas durch Arbeit verdienen, das wollte aber nicht helfen, wiewohl er sonst sehr folgsam war.


Eines Tags sollte er Wäsche aufhängen und trocknen; als aber seine Frau nachsahe, lag die Wäsche an der Erde; er aber sprach mit einem Karduon 1, der an einem Steinhaufen saß, und zu Xailuns Worten mit dem Kopfe nickte, welches diesen Thieren eigen ist.

»Was machst du da?« fragte Oithba. – »Ich spreche ein Bißchen mit meinem Vetter;« antwortete er. – »Ist denn der Karduon dein Vetter?« fragte Oithba weiter; und er antwortete: [166] »Ei ja freilich!« und wendete sich zum Thiere und fragte: »Nicht wahr, du bist mein Vetter?« und der Karduon nickte dazu mit dem Kopfe.

Oithba wurde ungeduldig, gerbte ihm das Fell ziemlich mit einem da liegenden Stecken durch, und befahl ihm die Wäsche aufzuhängen. Das that er und sahe ganz verdutzt dazu aus.

»Wart!« dachte Oithba. »Es ist gut, daß du dich fürchtest. Furcht regiert die Welt, sonst würde sich kein Mensch um den Khalifen kümmern. Wart! du sollst arbeiten, und die Kinder mit ernähren lernen, du stämmiger Schlunks.«

Sie befiehlt ihm tausend Dinge im Hause zu thun und zu ordnen, und wo er säumen will, macht der Stecken ihm Lust. Als er aber einen Augenblick Luft hat, entwischt er aus dem Hause, läuft in Bagdad umher, gerathet in ein Menschengedränge und kommt, wohl zerbläut und zerprügelt, spät Abends nach Hause, wo er von Oithba nicht mehr mit dem Stecken, sondern mit einem Prügel, noch einige Nachhülfe bekam.

Oithba verband ihm darauf die Wunden und predigte ihm des andern Morgens lang und breit vor, er müße ein anderer Mensch werden und vor allen Dingen Arbeit suchen, und wo er künftig keinen Verdienst ins Haus bringe, soll er keine Kost weiter haben als Prügelkost.

Während der drei oder vier Tage, daß er noch braun und blau blieb, und sich inne halten mußte, klang die ewige Predigt: »werde ein anderer Mensch und arbeite, oder du bekommst Prügel.«

So jagte sie ihn denn eines Tages heraus, nachdem er wieder heil war, und befahl ihm Brodt mitzubringen, wenn er nicht geprügelt sein wollte.


[167] Er geht suchend umher und kommt vor einem Beckerladen vorbei. Das Brod roch und sahe so niedlich und appetitlich, Becker und Beckersbursche waren rothwangig und wohl genährt – und Xailun geht in den Laden hinein, und meinte, wenn er hier so ein vierzehn Tage nach Herzenslust von dem schönen Brodte eßen könnte, würde er werden wie der Becker, so schön und feist; dann wäre er ja ein ganz anderer Mensch.

Der Becker findet einen tüchtigen stämmigen Burschen an ihm, und nimmt ihn in Arbeit. Er muß mit dem Handbeil kleine Reifigbündel zum Heitzen hacken, bekommt ein schönes großes Brodt zu Mittage, und da der Becker hört, daß Xailun Weib und Kinder zu Hause habe, gibt er ihm des Abends drei Brodte mit, die bringt Xailun nach Hause und wird von Oithba nicht wenig gelobt.

Als er andern Tags zu lang schlafen wollte, wird er mit dem Stecken aufgeweckt, und muß zum Becker. So ging es acht Tage hintereinander. Das Brodt des Beckers wollte ihm aber nicht mehr so gut schmecken als am ersten Tage, und ein anderer Mensch war er auch nicht geworden, denn er bekam noch alle Tage seine Schelte und auch wohl Prügel.


Er sucht herumlaufend ein anderes Unterkommen und kommt zu einem berühmten Speisewirth, der ihn in Dienst nahm. Da gab es nette, wohlgekleidete Leute, welchen die Behaglichkeit und das Fett auf dem Angesicht glänzten, und er denkt hier in kurzer Zeit ein ganz anderer Mensch zu werden. Des kostbaren Eßens geht von den Neigen genug ab, sich recht voll zu stopfen; ein Bißchen Tisch auf und abdecken, Schüßeln auftragen und abtragen und dergleichen, ist gar keine Arbeit, und des Abends bringt er eine große, hoch aufgehäufte [168] Schüßel mit den Ueberbleibseln von mancherlei Speisen spät nach Hause. Da es so viel, und kein Brodt ist, denkt Oithba, er habe gestohlen und fängt in ein wenig umgekehrter Ordnung an, ihn erst ganz ordentlich auszuprügeln, und sodann auch ordentlich auszufragen. In ihrem Verdachte geht sie mit Xailun zum Speisewirthe, und dieser voll Achtung gegen so große Ehrlichkeit gibt ihnen noch mancherlei Geschenke mit.

Jetzt gab es weder Schelte noch Prügel. Xailun ging gern zu seinem Herrn, und brachte immerdar genug mit, um seine Familie zu erhalten. Auch wollte er durchaus ein anderer Mensch werden, und eben so vollwangig aussehen wie die Andern im Speiseladen, deshalb er sich auch öfters in dem Metallspiegel besahe, der im Laden hing.

»Was machst du da vor dem Spiegel?« fragte sein Herr. »Ja!« sagte er, »da will nun meine Frau haben, ich soll ein anderer Mensch werden, und da besah ich mich im Spiegel, aber es will nicht und will nicht!«

»Hm!« sagte der Speisewirth, der ein Spaßvogel war, »wenn du dich ändern willst, so könnt ich dir dazu verhelfen. Der Küchenjunge ist gestorben, und du kannst in seinen Dienst treten!«

Ja, meinte Xailun, wenn er die Kleidung mit bekäme, so wollte ers wohl, denn er habe den lieben Gott ja schon so lang gebeten, ihn zum andern Menschen zu machen.

Er wurde Küchenjunge und bekam die rußige Kleidung deßelben zur Lust aller Leute im Hause. Er aber war vergnügt wie ein Eichhörnchen, wenns Nüße knackt, und dachte, nun sei er mit der Kleidung zugleich ein anderer Mensch geworden.

Er muß aufwaschen in schmieriger Kleidung und durch eine Ungeschicklichkeit kommt der Ruß von den Geschirren an seine Hände [169] und in sein Gesicht, und als er einen Augenblick Zeit hat in den Spiegel zu sehen, kommt er sich so abscheulich vor, daß er in der Angst nach Hause läuft. – Doch! denkt er, nun bin ich ja wohl ein anderer Mensch und Oithba wird mich nicht kennen.

Sie kannte ihn auch nicht gleich, als er kam, und nahm als ein entschloßenes Weib den Prügel, um den schmierigen Rüpel aus dem Hause zu treiben; allein da er schrie und da sie seinen Bart sahe, erkannte sie ihn bald, aber weil er aus dem Dienst gelaufen war und nichts mitgebracht hat, bekommt er der Prügel noch mehr. Man sieht, sie hielt einige Stücke auf die Hauptgrundwißenschaft, durch Prügeln Alles zu beßern.


Xailun bekommt seine Kleidung wieder, und im Verlangen ein anderer Mensch zu werden, kommt er bei einem Pastetenbecker an, in deßen Laden die höchste Nettigkeit war. Die Arbeit, die man ihm aufgibt, kann er verrichten, und die Pasteten schmecken gut! schmecken aus dermaßen gut, und er darf so viel davon eßen, als ihm beliebt, deßen aber sehr viel war. Hier hofft er so ganz anders zu werden, daß seine Frau ihn bald nicht mehr wieder erkennen soll. Des Abends bringt er gar liebliche Pasteten mit nach Hause und erzählt, wie er nun auf dem Wege sei gewiß ein anderer Mensch zu werden.

Es kam das große Fest der Musulmänner, der Rhamadan, und Xailun mußte nun Pasteten herumtragen und verkaufen. Man machte ihm begreiflich, welche Münze er für diese und für jene Pastete nehmen müßte. Es ging Alles gut und die Rechnung, die er ablegte, war richtig.

Aber es trat ein neues Unglück für den armen Xailun ein, [170] wie denn alle guten Köpfe nicht ohne große Prüfungen bleiben können. Er mußte zum Esel werden, der die Mühle trieb, weil der eigentliche Esel gestorben war, das Mehl zu fehlen anfing, und die Nachfrage nach Pasteten sehr groß war.

»Du mußt mir das Mehl mahlen;« sagte der Meister, »denn der Esel ist gestorben und ist nicht gleich ein anderer zu haben.« Xailun war sehr willig, denn er wußte nicht, welche mühselige Arbeit der Esel hatte, und meinte, sie sei so leicht, wie seine bisherige.

»Aber ich werde doch auch andere Kleidung bekommen?« fragte Xailun.

»Freilich!« sagte der Pastetenbecker; »die Kleidung des Vorfahren.« So steckte man ihn denn in das Zeug des Esels, stellte ihn in die Mühle, trieb ihn an, klatscht ihn mit der Peitsche, bis er, da die Stunde kam, triefend von Schweiß ausgespannt wurde, und zum Mittagseßen eine derbe Kost vorgesetzt bekam, wie sie sich zu der schweren Arbeit schickte, nämlich harte Saubohnen, die er kaum zerbeißen konnte, mit Zwiebeln und stinkenden Leinöhl angerichtet.

Nach der Mahlzeit wird er wieder eingeschirrt, und da der volle Magen mit den unverdaulichen Bohnen ihm die Arbeit recht schwer machen, und es doch gefördert sein will, bekommt er die Peitsche in vollem Maaße. Aber kaum ist er zu Abend ausgespannt, so läuft er mit Kummt, Gurt und Riemen und mit Staubmehl eingepudert über die Gaße zu Oithba, die ihn ganz ordentlich durchgerbt, nachdem sie sich von Allem erst hat erzählen laßen.

Der arme Xailun betrübte sich, daß er noch kein anderer Mensch geworden sei, und das ausgestandene Leid machte ihn auf einige Tage krank.


[171] Den dritten Tag wurde er wieder hinausgejagt Arbeit zu suchen, und ein anderes Wesen zu treiben.

»Anderes Wesen?« sagte er, und sann darüber; aber es war ihm zu hoch, und sinnend kam er vor die Stadt zu einem Garten, worin Bäume mit Granaten, Orangen, Aepfeln und allerlei anderen Obst standen.

»Hier wollt ich wohl anders werden, wenn ich nur eßen dürfte, so viel ich wollte,« sagt er zu sich selbst und geht in den Garten hinein, wo eben der Gärtner die reifsten und schönsten Früchte abnimmt und seiner Frau zureicht, welche sie zierlich in Körbe legt.

Xailun bietet sich an und wird angenommen. Er nimmt Aepfel ab und ißt eben soviel, als er abgenommen hat, und es wird ihm nicht gewehrt. Man setzt ihm ein kleines Dienstlohn für den Monat aus, wovon er aber kein Wort begreift. Man sagt ihm, er solle es für die Arbeit haben, die im Garten vorkomme, aber dabei denkt er blos daran, Früchte abzunehmen, und dabei nach Herzenslust zu eßen. Er ißt Abends und Mittags mit seinem Herrn und den übrigen ganzen Tag ißt er Obst, und denkt, nun könne die Aenderung nicht mehr fern sein und Oithba sollt ihn nicht mehr erkennen, wenn er wieder nach Hause zurückkehre. Er war nämlich bisher auch Abends und Nachts beim Gärtner geblieben und Oithba hatte Sorge seinetwegen, konnte ihn aber nicht aufsuchen, denn sie lag im Kindbett.

Xailun mußte von Zeit zu Zeit Obst auf Eseln zu Markte bringen und die Ochsen zur Tränke führen, mit welchen gepflügt wurde, und die er, der guten Bekanntschaft wegen, seine Kameraden nannte. Aber von den Kameraden verunglückte einer und Xailun mußte ändern und sollte eine zeitlang deßen Stelle vertreten. Man legte ihm das Joch auf und man umhüllte ihn mit Ziegenfellen, gegen [172] die Stiche des Ungeziefers, das dennoch jede bloße Stelle und jedes Loch fand und ihn jämmerlich zerstach.

Diese Aenderung gefiel ihm nicht und am Abend lief er eilends bis nach Bagdad. Die Thore waren aber schon geschloßen, so muß er denn sich auf dem Begräbnißplatz unter ein überbautes Grab legen.

Es kommen in der Frühe drei Todtengräber um eine Leiche zu beerdigen, und finden einige Gräber aufgewühlt, und die Leichen sind fort. »Ha!« rufen sie entsetzt, »da ist der böse Geist wieder in der Nacht da gewesen und hat die Leichname gefreßen!« und als sie jetzt den Xailun erblicken, rufen sie voll gräßlichen Schreckens: »da ist der böse Leichengeist!« 2

Der dadurch erwachte Xailun fährt auf, sieht drei blinkende Grabscheite auf sich gerichtet, womit sie zitternd sich ihn vom Leibe halten wollten, und setzt in der Angst mitten durch die Todtengräber. Da diese sehen, daß er sich fürchtet, so bekommen sie wieder Herz, setzen ihm nach, rufen: »der Leichengeist! der Leichengeist! haltet ihn auf! schlagt ihn todt!«

Der Volksauflauf wird sehr groß; alle Welt schreit, »der Leichengeist! haltet auf! schlagt todt!« aber alle Welt läuft aus Furcht vor dem wunderlichen Wesen her, und wagt nicht Hand anzulegen, und die mitlaufenden Hunde bellen zwar, halten sich aber in der Entfernung.

Xailun kommt glücklich in sein Haus, aber Oithba, die ihn nicht kennt, denkt, das Unthier will ihr Kind freßen, und treibt ihn entschloßen [173] mit dem Prügel hinaus. Da die Leute sahen, daß er sich vor Prügeln fürchtet, so laßen sie es daran nicht fehlen, legen Hand an und bringen ihn in das Gefängniß, wo ihn der Stockmeister mit Zittern und Beben empfängt.

Es zeigte sich bald, daß er ein Mensch war, und weil einige von seinen Nachbarn mit unter dem Volkshaufen waren, die seine Gutmüthigkeit bezeugen, so bringt man ihn zur Oithba, die ihn herzlich bemitleidet, ihn pflegt und seine Wunden verbindet.

Tags drauf legt sie ihr Kind in einem Korbe auf ihre Eselin, und in einen andern Korb den Kummt und die Ziegenfelle und zieht mit einigen Nachbarn zum Gärtner, dem sie erzählt, was für Unheil er angerichtet hat, und ihm das Dienstlohn abfordert. Um nur keine Händel zu bekommen gibt ihr der Gärtner zwei Zechinen (Ducaten), welches viel mehr war, als der Lohn betrug.


In einigen Tagen hatte sich Xailun erholt und Oithba fängt die alte Predigt an, er müße endlich ein anderer Mensch werden, und für den Haushalt verdienen. Aber was war zu machen? da er schon überall gewesen war.

Oithba hat einen glücklichen Gedanken. Da er schon Pasteten verkauft hatte, so macht sie ihn zum Handelsmann. Er muß eine Erdart graben, welche man Kindern in die Wiegen streut, weil sie alle Feuchtigkeit einschluckt. Mit dieser Erde wird die Eselin beladen. Xailun setzt sich hinten drauf und ruft durch die Straßen Bagdads: »Erde für Kinder! Erde für Kinder!«

Eine Weile geht die Sache gut, aber dann nickt der Ausrufer ein, und die Eselin führt ihn nach Belieben dahin und dorthin, bis zu den Thoren hinaus, wo sie am Euphrat säuft und dann nach ihrem [174] Stalle zurückeilt, in welchem sie ihr Füllen hat. Xailun schläft fort, und als die Eselin zur niedrigen Hausthür hinein will, stößt er sich so heftig mit dem Kopfe gegen die Schwelle, daß das Haus dröhnt und er mit blutendem Kopfe und Nase von dem Thiere herabfällt.

Oithba errathet Alles, wäscht ihn, gibt ihm einige Maulschellen, sagt, er solle Arbeit suchen, und würde er nun nicht bald ein anderer Mensch, so solle er so viel Schläge haben, daß er den Himmel für eine Sackpfeife ansehen solle, aber nicht ein einziges Stückchen Brodt.


Xailun denkt, der liebe Gott möge wohl draußen unter freiem Himmel seine Bitte, ihn zu einem andern Menschen zu machen, beßer hören, als im Geräusche von Bagdad. So geht er denn sehr weit von Bagdad hinaus.

Hier findet er die Steintrümmer eines Palastes und auf einem der Steinhaufen einen Karduon, der ihn mit hellen Augen ansieht.

»Ei, Herr Vetter,« sagt Xailun, »wohnst du denn auch hier?« und als das Thier mit dem Kopf nickte, sagte er: »Nun, das ist hübsch, daß du mich noch kennst und mich verstehst; aber so sprich auch mit mir.« Der Karduon nickte und nickte und sprach nicht. Darüber wird er ungeduldig und droht, den Vetter mit einem Steine zu werfen, wofern er nicht spräche, und da das nicht geschahe, wirft er wirklich mit einem Stein nach ihm, und das Thier verkriecht sich unter dem Steinhaufen.

»Wart nur!« sagt Xailun hitzig, »du sollst schon sprechen;« und räumt den Steinhaufen hinweg, findet aber den Vetter nicht, wohl aber eine schwarze Marmorplatte mit einem Ringe, an dem er die [175] Platte aufhebt, und sieht nun eine Treppe, die zu einem weiten Gewölbe führet.

»Aha!« sagt er, »da wohnt also der Vetter! das ist wohl sein Lusthaus? Nun! ich will ihn doch aufsuchen,« und somit geht er in das Gewölbe hinunter.

Hier findet er gleich am Eingange mehrere Töpfe, und meint, hierin bewahre der Vetter seinen Vorrath, nimmt den Deckel von einem Topfe ab, und bringt eine Hand voll Goldstücken heraus, die er für Möhrenscheiben hält, wie sie seine Frau der Eselin zum Futter schnitt.

Tief hinten in dem Gewölbe war es ganz finster. Dort meinte er, würde sich der Herr Vetter wohl aufhalten, aber er konnte ihn freilich dort nicht finden. »Kommt nur vor, Vetter!« rief er, »oder ich nehme Euch Eure Möhrenscheiben weg und bringe sie unserer Eselin.« So that er auch wirklich, als der Vetter nicht kam, und stopft seinen Turban mit den Scheiben voll, nachdem er erst Klettenblätter, die am Eingange standen, hineingelegt hatte. So hatte er es einmal von einer Frau gesehen, als sie Pflaumen geschenkt bekommen hatte.

Er versucht eine und die andere Scheibe unterwegs, aber er wirft sie weg, weil sie viel zu hart zum Zerbeißen sind. »Nun,« sagte er, »die müßen noch tüchtig gekocht werden, oder die Eselin muß beßere Zähne haben als ich.« Er kam nach Haus, erzählte Alles, und meinte der Vetter würde sich recht ärgern, daß er ihm die Scheiben weggenommen habe. Oithba wußte: bald, woran sie war, und sahe, daß das Glück den Dummen immer am günstigsten ist, daher sie es auch in der Welt sehr weit bringen.

Da sie aus allen Umständen abnahm, daß der Ort kaum einige Stunden von der Stadt sein könne, und da der Dummling auch [176] den Eingang zum Gewölbe aufgelaßen hatte, weil der Vetter ihn schon selbst wieder bedecken würde, so nahm sie ihren Entschluß, sattelt die Eselin, legt Säcke in die Körbe, kauft vom besten Brodt für Xailun, damit er unterwegs zu beißen habe, und läßt sich den Weg zum Lusthause des Vetters von ihm zeigen.

Es war noch Alles, wie es Xailun gelaßen hatte, und selbst der Deckel war nicht auf den Topf gestülpt. Sie füllt die Säcke mit Scheiben, die ihr Mann herauftragen muß, der es mit seinem spitzen Verstande bemerkt, daß sie etwas schwerer sind, als Säcke mit Möhren. Xailun schreit mit voller Kehle nach dem Vetter, den er gar zu sehr liebte, welches sie ihm aber verbietet, weil es dem Herrn Vetter in den Ohren wehthun würde. Er muß dagegen, nachdem die Eselin volle Ladung hatte, die Platte wieder auflegen und Steine darüber herwerfen und kam in der Dämmerung unangehalten nach Hause, weil zur selben Zeit noch keine Accise und Mauth war, die Alles wißen muß, Alles anhält und auch nach Belieben behält.

Oithba war eine verständige Frau. Sie wußte, daß die Kadis und die Gerichtspersonen überhaupt eine besonders starke Goldwitterung haben, da sie hingegen von Personen, denen es daran fehlt, nicht einmal wißen, ob sie in der Welt sind. Sie verbarg ihren Scheibenschatz höchst sorgfältig und von dem, was in dem Turban gewesen war, schaffte sie sich nach und nach manche Bequemlichkeit und ihrem Manne beßeres Eßen und einen neuen aber schlichten Rock, jedoch Alles so unmerklich, daß es nicht auffallen konnte.


Einsmals will sie dem Xailun auch ein gutes Eßen machen, und schickt ihn aus, Fleisch, Reiß und Kichererbsen einzukaufen, und gibt ihm zu jeder Waare ein besonderes Geldpäckchen.

[177] Es ist bekannt, daß große Genies meistens ein schwaches Gedächtniß haben, weil das Gedächtniß ins Genie geschlagen ist. Das war der Fall mit Xailun. Fleisch und Reiß hatte er behalten und gekauft und bringt es der Oithba, aber das Wort Kichererbsen hatte er vergeßen.

Oithba schreit, ihm das vergeßene Wort dreimal in die Ohren und schickt ihn wieder aus. Er sagt sich das Wort unaufhörlich vor, und denkt es nun schon zu behalten; aber da begegnete ihm unglücklicherweise einer seiner ehemaligen Kameraden, und sagt:

»Potz tausend, Xailun, du hast ja einen neuen Rock, und bist viel hübscher als damals, wo du Esel und Ochse warst und Leichen aus den Gräbern verzehrtest; und sieh mal, was für einen scharmanten Bauch du dir angeschafft hast!«

Xailun ward ganz verwirrt. »Ach,« seufzte er, »wär ich doch nur ein ganz anderer Mensch, daß mich Niemand mehr kennte und wüßte, daß ich ein Ochse und Esel gewesen bin.« Darüber vergaß er das Wort, und mußte abermals seine Frau fragen, die sagte es ihm, und ließ es ihn zwanzigmal wiederholen, und drohete ihn ärger zu prügeln als je, vergäße ers noch einmal. Da sagte er: »Kichererbsen! Kichererbsen!« immer laut vor sich hin.

Da stößt er auf einen Perlenhändler, der ruft: »Perlen, Perlen!« Der neugierige Xailun weiß nicht, was Perlen sind, fährt aber, wie er Andere thun sieht, in eine von den Schachteln mit Perlen, nimmt eine Hand voll heraus, und, um sein Wort nicht zu vergeßen, ruft er: »Kichererbsen! Kichererbsen!«

»Was, du Bengel?« sagt giftig der Handelsmann; »willst du Spitzbube meine Waare verdächtig machen?« und damit schlägt er unbarmherzig auf ihn ein, und bei jedem Puff sagt er, Perlen! heißts, Perlen!

[178] Xailun spricht bei sich selbst: »ich glaube fürwahr, so hieß es auch, was Oithba sagte,« und ruft nun laut vor sich hin, »Perlen! Perlen!« dann aber, als ers glaubt gewiß zu behalten, leiser: »Perlen! Perlen!«

Da kommt er an den Laden eines Mannes, dem diesen Morgen Perlen gestohlen waren. Der mochte wohl auch so eine Art Genie sein wie Xailun und dachte: Der Kerl hat meine Perlen gewiß; er hat vorhin viel lauter gerufen und nun er an meinen Laden kommt, ruft er mit halber Stimme. Der Mann erwischt ihn beim Kragen, und da Xailun erschrickt, zweifelt er nicht mehr, der sei der Dieb, kommt aber doch endlich dahinter, daß er sich geirrt hat, zumal da ihm die Nachbarn den rechten Verstand leihen.

»Aber,« sagt er, »warum rufst du denn Perlen?«

»Ja!« sprach Xailun noch ängstlich, »wie soll ich denn sagen?«

»Sage: Es ist nicht wahr!« antwortete der Kaufmann ärgerlich und ließ ihn stehen.

»Es ist nicht wahr!« rief er nun; aber da kam er zu einem Platz wo Jemand: Masch: rief. 3 Dagegen rief Xailun, es ist nicht wahr, und bekam richtig wieder Prügel, mit dem Bedeuten, es heiße Masch!

Das Wort sagte er wieder laut vor sich hin und kommt an das Ufer des Euphrats, wo ein Fischer schon seit einigen Stunden vergebens auf guten Fang wartet.

»Masch! Masch!« sagte Xailun und bekommt das Fell wieder ausgeklopft, weil der Fischer glaubt, er wolle mit diesem Worte [179] den Fang behexen. Xailun fragt wieder kläglich, wie er denn sagen müße? »Stelle dich hieher zu meinem Netze,« sagt der Fischer, »und sprich: Im Namen Gottes: für Einen lieber sieben und zwar von den größesten und ansehnlichsten!«

Aber Xailun meint, so lang sei das Wort wohl nicht gewesen, das seine Frau ihm gesagt habe, der Fischer versichert ihn aber, er sei ein Rindvieh; das Wort habe allerdings so geheißen, und müße so lang sein. Da mußte er es denn sagen. Aber als der Fischer sein Netz heraus zog, lief er eilends davon und ruft: »für Einen lieber sieben;« das Uebrige hatte er sogleich wieder vergeßen.

»Für einen lieber sieben!« ruft er, indem eben die Leiche eines Kadis zur Grabstäte gebracht wird. Man erstaunt über solche Ruchlosigkeit, man macht ihm heftige Vorwürfe, man droht.

»Ach lieber Gott!« sagt Xailun; »ich weiß gar nicht mehr, wie ich sagen soll?« – Eine alte Sklavin hilft ihm aus der Noth und spricht: »Sage,« »Gott erhalte seinen Leib, und nehme sich der armen Seele an!«

So sagt er auch so lange, bis ihm ein todter Esel in einer engen Gaße entgegen gekarrt wird. »Gott erhalte seinen Leib und nehme sich seiner armen Seele an!« ruft er. Da fällt Alles über ihn her mit Prügeln und Schimpfen. »Hund! Ungläubiger! Schwein!« rufen sie und wollen ihn todt schlagen, aber ein Satz über die Karre rettet ihn! Aber daß man ihn einen Ungläubigen gescholten hat, zwingt ihn laut aufzuheulen, denn er war ein guter Muselmann. Oithba mußte den armen, gutmüthigen Tropf trösten, und bedauert das vielfältig ausgestandene Leid, das er ihr, wie ein Kind der Mutter, klagte.


[180] Ungern ließ jetzt Oithba ihren Xailun ausgehen, da es ihr nicht schwer ward, ihn zu erhalten. Sie wollte nicht, daß er das Stadtmährchen würde und immer in neue Händel geriethe, auch fürchtet sie, er möchte einmal von den Möhrenscheiben plaudern. Er aber konnte das Herumwandern nicht laßen, und war oftmals fort, ehe sie sich deßen versahe, besonders weil er um so leichter ein anderer Mensch zu werden hoffte.

So war er auch einmal eines Tages zur Stadt hinaus gekommen, und erblickte von fern einen Wald. »Halt,« denkt er, »da sind recht viel Obstbäume; da kann ich Obst eßen, so viel ich mag, und dann kann es doch wohl noch anders mit mir werden.« Wie erstaunte er aber, als er auf so hohen Bäumen kein Obst fand.

Er hört tiefer im Gehölz ein Geschrei, läuft nach seiner Weise darauf zu und kommt unter Räuber, die eben ihren Raub theilen. Sie nehmen ihn gefangen, sehen wohl, wie dumm er ist, rathschlagen aber doch, ob sie ihn nicht ihrer Sicherheit wegen umbringen sollen. Da kommt Einer aus der Bande und sagt an, daß Reiter schnell gegen sie vordrängen und zwar von mehrern Seiten, worauf die Räuber sich schleunigst fortmachten und dachten weder an Xailun noch an ihre Beute.

Xailun öffnet die Packe und will wißen, was darin ist, als die Reiter eben ankommen, ihn als einen Raubgesellen gefangen nehmen und ins Gefängniß liefern, ohne daß er recht wußte weswegen? Man machte es ihm aber bald verständlich.

Er kam in einen Kerker, wo der höchst gefährliche und schlaue Räuber Fetah verwahrt wurde, dem schon der Todt zuerkannt war. Dieser merkt im Gespräch bald, welch einen Dummling er vor sich habe, fragt ihm Alles ab, was ihm begegnet war, und hört, daß er[181] immer so gern ein anderer Mensch hätte werden wollen, und hätte es nicht vermocht, mit aller seiner Mühe nicht.

Fetah ergreift das zu seinem Vortheil. Er hatte sich vor seiner letzten Räuberei Bart und Haare schwarz gefärbt, und dicke Augenbrahnen aufgeklebt, und sich überhaupt schwarz gemacht wie ein Neger. Xailun aber war in Vielem in seiner Gestalt dem Fetah sehr ähnlich.

»Xailun,« sagte er, »du hast es nicht recht angefangen mit dem Anderswerden. Ich will es dich lehren, und wir wollen beide zusammen ganz andere Menschen werden. Dann würde dich deine Frau nicht mehr prügeln und Niemand dich für einen Spitzbuben ansehen. – Wir wollen einmal beide einander die Rücken zukehren, und du sollst gegen Mittag hin um Verwandlung zu dem lieben Gott beten, ich aber gegen Mitternacht hin.«

So geschah es. Fetah taucht ein Schnupftuch in seinen Waßerkrug und wäscht sich Haare und Bart ab, schwärzt aber dagegen bei der angezündeten Lampe die Hände mit Ruß, kehrt sich dann um und fragt: »Nun, Xailun, habe ich mich nicht geändert? – Schau! so will ich dich auch ändern und dir meine Züge auf dein Gesicht bringen.« Damit schwärzt er ihn im Gesicht, (Haare und Bart deßelben waren ohnehin schon sehr schwarz) und wechselt nun auch die Kleider mit ihm. Fetahs Rock war aber viel beßer und neuer, als Xailuns Rock.

Von den Räubern, unter welche Xailun gefallen war, hatte man mehrere aufgegriffen, die beim Verhör von ihm aussagten, er sei ein dummer Teufel, den sie im Walde gefunden und sich mit ihm belustigt hätten. – Das Gericht beschloß den einfältigen Menschen loszugeben. Man läßt den Pinsel kommen, für welchen der Stockmeister der veränderten Kleidung und des andern Gesichts wegen den [182] Fetah hält; der Richter bedauert ihn und spricht: »Geh nach Hause, du armes Thier, und wenn es möglich ist, so sei künftig nicht mehr so grund hageledumm.«

Jetzt läßt der Richter den vermeintlichen Fetah kommen, nämlich den Xailun. Man liest ihm einen ganzen Bogen voll Unthaten her, die er begangen haben soll und von welchem er kein Wort weiß, und man liest ihm auch sein Urtheil vor, das lautet: »Mit dem Strange vom Leben zum Tode!«

»Wer hat denn das Alles gethan?« fragt Xailun. »Steht denn nicht auf dem Papiere, daß ich ein ganz anderer Mensch bin? Seht mich auch nur darauf an!«

Alles, was er noch sagte, war eben so verkehrt, aber die Richter denken, Fetah will sie durch verstellte Einfalt betrügen, sie aber laßen sich nicht irre machen, sondern geben den Befehl zur Hinrichtung.

Oithba hatte indeßen ihren Mann überall gesucht, auf Straßen und in Hospitälern, und kommt zuletzt auch ins Gefängniß, wo man ihr sagt, man habe einen sehr einfältigen Menschen losgelaßen. Da geht sie nach Hause und denkt, er wird schon da sein, weil er zu Brodte gewöhnt war. Er ist aber nicht da. Sie geht hierauf wieder ins Gefängniß und hört, daß ein Anderer, der mit dem Einfältigen zusammengeseßen eben zum Hochgericht geführt werden soll. Sie geht mit und kennt ihren Mann anfangs in der Verkleidung und Gesichtsfärbung nicht. Aber bald entdeckt sie ihn an einer Menge von närrischen Manieren, Stellungen und Gebehrden, aber doch noch nicht ganz gewiß. Als er aber vor dem Thore bei einem Steinhaufen vor einem Karduon stehen bleibt und ihn: »Guten Morgen, Vetter!« anredet und sich nicht sogleich von demselben will wegbringen laßen, da weiß [183] sie, wer er ist, fällt dem Richter zu Füßen, sagt ihm, das sei ihr armer blödsinniger Mann, und nachdem sie ihn überall abgerieben hat, erkennen Alle aus seiner Nachbarschaft den armen Xailun, der seiner Frau auf ihre Fragen antwortet, der Andere, der neben ihm geseßen, habe ihn so aufgeputzt und verschmückt, daß er nun ein ganz anderer Mensch geworden sei.

Jetzt kam ein Reiter gesprengt und versicherte den Richter, dieser hier sei Fetah nicht, denn er sei mit demselben oft handgemein gewesen und habe ihn eben wieder eingefangen.

Der Richter ließ den Xailun wieder auf so lange ins Gefängniß zurückgehen, bis er dem Khalifen Bericht erstattet hätte. Er kam jedoch bald los.


Xailun wurde ordentlich nachdenklich und meinte, wenn er nur das Haus, wo der liebe Gott wohne, einmal finden, und ihm seine Noth selbst klagen könne, da würde es beßer mit dem Anderswerden gehen als jetzt, wo ihm seine Frau bald wieder gekannt hätte.

So entwischt er denn einmal wieder, geht dahin und dorthin, und wenn man ihn fragt, sagt er, er suche das Haus, wo der liebe Gott wohne. Viele bedauern den armen Menschen, Andere machen sich einen Spaß mit ihm und weisen ihn an verschiedene Orte, und ein Hauptspaßnarr, der sich sehr witzig bedünkte, wies ihn in den Palast des Khalifen.

Da kam er denn in die rechten Hände, denn an den Höfen der Statthalter Gottes wohnen ja die Einsicht, der Ernst, die Menschenfreundlichkeit und das barmherzige Mitleid.

[184] Die Khalifenknechte wollen ihrem Herrn, sich aber noch mehr, eine lustige Stunde machen, und Einer derselben führt ihn durch viele Zimmer und Höfe.

»Ei! der liebe Gott wohnt doch recht prächtig und schön!« schmunzelte der glückliche Xailun. Unter lautem Jubel und Halloh führte man ihn bis in die Pforten des Thronsaals, denn, wie wir bereits wißen, geruheten der Beherrscher der Gläubigen an einem Hofspaße hohes Wohlgefallen zu finden.

»Dort, auf dem Thron da, sitzt er,« flüsterte der Thürhüter ihm zu, »nun gehe hin und sprich mit ihm.« Xailun ging hin.

»Ei, wie bist du so schön, du lieber Gott du!« sagte er, »und funkelt Alles um dich her, und nun ich dich einmal habe, so will ichs dir auch sagen, daß ich ein Küchenjunge gewesen bin, und ein Ochse, ein Esel und ein Hexenmeister, und ein Straßenräuber, den sie hinrichten wollten, und ein böser Leichengeist. Das hat mir aber Alles nichts geholfen, denn meine Frau hat mich doch wieder erkannt, und ich habe richtig meine Prügel bekommen. Kurz und gut, lieber Gott, mach mich nun auf einmal zu einem andern Men schen, daß sie mich gar nicht wieder erkennt. Der Karduon ist aber mein Vetter!«

Der Khalif hatte große Mühe ernsthaft zu bleiben bei diesem und vielem andern tollen Zeuge, das der Schwachkopf durcheinander vorbrachte; befahl aber den Thürhüter ihn in ein anderes Zimmer zu bringen und ihn dort zu verwandeln.

Tausend tolle Dinge nahm man nun mit ihm vor. Man gab ihm die niedlichsten Speisen und die köstlichsten Weine. Er wußte nicht, was für ein Getränk der Wein ist, aber er ließ es sich wohl schmecken. Man brachte ihm ein Schlafpülverchen bei, man badet und salbet ihn, schminkt ihn, kräuselt sein Haar, scheert ihm den [185] Bart ab, bekleidet ihn mit himmelblauen Gewand, schmückt ihn mit einer Sonne von Edelsteinen und mit Perlenschnüren, legt ihm Schärpe und Stirnbinde um, zieht ihm Halbstiefel an und läßt ihn unter dem Thronhimmel eines prächtigen Spiegelsaales auf einem Sofa ausschlafen.

Er wacht unter den Tönen der Musik auf und erblickt sich überall in den Spiegeln des Saales der von zweihundert Wachskerzen erleuchtet war, und hält die Bilder für Engel, die er mit seiner Nasenspitze berührt, um sie zu küßen. Er weiß in der Betäubung nicht einmal Etwas zu denken, geschweige zu sagen.

Endlich kommt er ein wenig zu sich selbst. »O!« sagt er, »was ist denn aus mir geworden?« – »Komm her, Xailun, und sieh es mit an, daß du es meiner Frau wieder sagen kannst! – Ihr, die Ihr so schön seid,« sagt er zu den Spiegelbildern, »sagt, wo ist der arme Xailun? Ich werde weinen, wenn ich ihn nicht mehr sehen soll!«

Eine Stimme von oben herab sagt ihm, er selbst sei Xailun und auf seine Fragen erfährt er, die schönen Bilder in den Spiegeln, deren Nasenspitzen so kalt wären, seien alle er selbst.

Da wollte er den lieben Gott bitten, ihm die Bilder zu schenken, damit er sie zu seiner Frau tragen könnte, und als man ihn fragte, ob er nicht lieber beim lieben Gott bleiben wolle, sagte er: »ja! alle Tage fünf Stunden, die übrigen bei Oithba, die ja seine Frau sei und mit der er Kinder habe. Nun würde sie ihn gewiß nicht prügeln, da sie ihn nun gar nicht erkennen könne.«

Es ging ein ganzer Tag unter den herrlichsten Festen hin, und der Khalif, der von Allem Zeuge war, war unbeschreiblich belustigt. Xailun aber meinte, er sei im Paradiese; aber als es wieder in die Nacht ging, kam er in die Hölle, denn die Herren Sklaven machten [186] sich mit ihm ein Späßchen ihrer Art, und einige von den hohen zartfühlenden Damen des Hofs halfen mit Rath und Anschlägen.

Der arme Xailun hatte wieder ein Schlafpülverchen bekommen. Man zieht ihm rauche Ziegenfelle an, an welchen, vorn an der Hand, Geierkrallen befestigt sind; man bedeckt ihm den Kopf mit einer gehörnten Bockslarve; setzt an die Stelle der Augen große feuerfarbige Glasaugen und verunstaltet ihn aufs fürchterlichste.

So tragen sie ihn in ein unterirrdisches Gemach, das sie mit Spiegeln behängen und mit Lampen erleuchten. Sie weiden sich nach seinem Erwachen an den Ausbrüchen seines Entsetzens, an seinem Heulen, Schreien, Wimmern und Jammern. – Das war eine Lust! eine rechte Hoflust, bei welcher es ein Wunder war, daß der arme Blödsinnige nicht wahnsinnig wurde. Vielleicht schützte ihn das Eine gegen das Andere.

Ihn erlöst der Sklavenaufseher, der beim Anbruch des Tages die Sklaven nicht fand, und bald herausbrachte, wo sie steckten. Er läßt Xailun ordentlich wieder bekleiden und ein sehr gutes Frühstück vertilgt alle Angst. Xailun sieht sich bartlos in einer Spiegel, und gefällt sich. Er sei ein junger Muselmann geworden, meint er, und werde seiner Frau desto beßer gefallen. Daß er nicht bei dem lieben Gott selbst, sondern nur bei deßen Statthalter, dem Khalifen, und im Palaste deßelben sich befinde, hatte man früherhin schon ihm entdeckt.

Der Aufseher berichtet dem Khalifen den Sklavenunfug von vergangener Nacht. Der Khalif sagt: »sie sollten gepeitscht werden, hätt ich nicht selbst Veranlaßung gegeben. – Aber laß Oithba kommen. Ich will die Frau sehen, die einen solchen Bären mit Prügeln gebändigt, und ihn sich doch so, anhänglich gemacht hat. Ich muß ihr den Verdruß vergüten.«

[187] Oithba wird beschieden, und man erzählt ihr Alles, was mit Xailun im Palaste ist vorgegangen. Sie, als ein gescheutes Weib, nimmt sogleich ihre Maaßregeln, um Vortheil aus dem Vorfall zu ziehen. Sie kleidet sich anständig an, hängt an jede Seite des Gürtels einen Beutel mit tausend Zechinen, wirft den Schleier über, und läßt sich zum Thron des Khalifen führen, vor dem sie sich niederwirft.

»Oithba,« sagt der Khalif, »du weißst, was in meinem Palaste mit deinem Manne vorgegangen ist. Sein Blödsinn ist Ursache davon, und wird ihn noch in tausendfältiges Unheil verwickeln, unter welchem du auch mit leiden mußt. Ich erbiete mich, deine Ehe mit ihm zu trennen, und ihn in eine Versorgungsanstalt bringen zu laßen.«

»O, hoher Herr,« erwiederte Oithba; »Xailun ist vor Gott mein Mann, und der Vater meiner Kinder, und von Grunde des Herzens gutmüthig. Gott hat ihn mir mit seinem schwachen Verstande anvertraut. Wolltest du ihn einsperren laßen, so würd ich untröstlich sein, denn ich weiß, wie unglücklich er sein würde. Hätte er Jemanden in seiner Blödheit Schaden gebracht, hier, Herr, ist mein ganzes Vermögen, zwei tausend Zechinen, womit ich ersetzen will.«

Dem Khalifen gefiel sehr, was sie sagte; die Treue, die Gewißenhaftigkeit der Frau, und ihr zwar nicht schönes, aber geistvolles Gesicht gefielen ihm. Er sagte dem Oberkämmerer ein Paar heimliche Worte, und dieser ging und kam mit einer Schatulle zurück in welcher viertausend Goldstücke waren; zugleich brachte er den Xailun mit, in einen Ehrenpelz gekleidet, denn obwohl die Dummheit oft Etwas auf den Pelz bekommt, kann sie doch auch oft zu Ehrenpelzen kommen.

[188] »Oithba,« sagte der Khalif, »hier ist dein Mann, den ich um deinetwillen mit einem Ehrenpelze habe bekleiden laßen. Nimm hier auch viertausend Zechinen von mir zum Geschenk; sei glücklich mit Xailun, und bedarfst du meiner, so komm!«

»Nun ein anderer Mensch, ein ganz anderer!« rief Xailun zu seiner Frau, die ihn mit sich nahm.


Jetzt, da es in Bagdad hieß, der Khalif habe der Oithba eine große Kiste voll Gold geschenkt, konnte sie von ihren heimlichen Schätzen unbesorglich Gebrauch machen. Sie kauft ein geräumiges Haus am Markte, schafft erst des Abends mit Xailun ihr Gold hinein, kauft demnächst Geräthe allerlei Art und richtet sich nett und bequem, aber nicht auffallend und prächtig ein. Sie kauft sich ein tüchtiges Maulthier, besucht damit des Vetters Lusthaus einigemal mit Xailun ganz allein, und holt ihm die Möhrenscheiben allesammt ab, die er nicht hatte eßen mögen.

Jetzt miethet Oithba auch Sklaven und unter denselben einen sehr verständigen, welcher blos dazu bestellt ward, Xailun in Aufsicht zu nehmen, daß er in der Stadt keine dummen Streiche beginge, und wenn der Sklav sagte: »Oithba wills nicht haben,« so folgte er ihm. So lebte Xailun ganz nach seiner Lust, aber ohne dumme Streiche zu machen, an welche mit der Zeit das Andenken immer schwächer wurde.

Oithba half einen braven Kaufmann, der auf dem Fall stand, mit zehntausend Zechinen, unter dem Vorwande, daß er ihrem Xailun immer gütig und freundlich begegnet sei. Sie nahm keine Zinsen. Der Kaufmann half sich, zahlte wieder und rühmte Oithbas[189] Großmuth. Sie lieh noch einigen andern Kaufleuten, unter gleichem Vorwande.

Man hörte bald davon, wie viel sie drauf gebe, daß man dem Xailun gut begegne, und wo nun dieser sich sehen ließ, hatten seine Sklaven ihn vor den Umarmungen und Liebkosungen und Anerbietungen zu retten, womit man ihn überhäufen wollte.

Oithba wurde bald überall verehrt, denn es hieß, sie habe Antheile an den Unternehmungen der reichsten Handelshäuser.

Da nun noch obenein Oithba einen so guten Tisch führte, daß selbst vornehme Beamte des Khalifen sich dabei einfanden, und Xailun so ein und die andre Redensart von den Gästen aufgeschnappt hatte oder von den Sklaven zugeflüstert bekam, auch ganz manierlich bei Tische sich hatte gebehrden gelernt, gleich den vornehmsten Herrn, so sprach Niemand mehr vom dummen Xailun. Und ließ er auch je zuweilen etwas Albernes heraus, so hieß es: er sei ein angenehmer und spaßhafter Herr.

Das machten das schöne Gold und die guten Bißen!

Fußnoten

1 Eine Eidechse mittlerer Größe, die in Steinhaufen wohnt und, wie mehrere, eben nicht scheu ist. Wir haben, wie es scheint, ähnliche in unsern Gegenden.

2 Es sind bekanntlich Hyänen, welche die Leichname ausscharren, aber der Aberglaube der Morgenländer schreibt das Geistern zu, die sich gern bei den Gräbern aufhielten.

3 Eine Art kleiner Linsen, die das Fieber vertreiben sollen, wenn sie an gewißen Tagen des Jahres verkauft werden.

21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

21. Einige Stückchen von Rübezahl.

Rübezahl hatte schon Jahrtausende zuvor, ehe noch Menschen daselbst wohnten, im Riesengebirge gehaust, denn er war der Geist des Gebirges, der in den innersten Tiefen und Schluchten deßelben eigentlich sein Wesen treiben und über die Berggeister [190] Aussicht führen mußte, welche Gold und Silber und anderes Metall, oder böse Gifte und Wetter zu bereiten hatten.

Er hatte alle Launen und Arten eines großen Geistes, und richtete tausenderlei Unfug und tolle Streiche an, wenn er auf die Oberwelt kam und wenn er sich müde getobt hatte, dann wurde er ernst und griesgramig und in sich verschloßen, wie große Geister zu sein pflegen, und stieg in seine Gebirge hinab und blieb eine feine Weile drinnen.

1. [Er mochte einmal so ein drei oder vierhundert Jahr in den Tiefen]

1.

Er mochte einmal so ein drei oder vierhundert Jahr in den Tiefen seines Gebirges zugebracht haben, als er wieder auf die Oberwelt herauf kam, und sich auf den höchsten Schneegipfel des Gebirges stellte und umherschauete. Wie fand er Alles verändert! Da standen Dörfer, Häuser, Hütten; da weideten Heerden auf Triften; da waren bebauete Ackerfelder und schöne Obstpflanzungen; da rauchten in den Wäldern die Meiler; da standen Warren auf den Berghöhen; da fuhren Wagen mit Pferden, und starke Ochsen gingen im Pfluge, und das war Alles auf seinem Berggebiete und ohne seine Erlaubniß. Er wußte nicht, wie das Alles zugegangen war und wie es gekommen sei, denn er hatte nie Aehnliches gesehen.

Bald bemerkte er, daß eine kleine Art Wesen tausend Dinge trieb, und daß sie es sein möchte, die die ganze Gegend also verändert hätte. Er hatte sich nicht geirrt. Die Veränderung kam von Menschen her, welche er noch nicht kannte.

»Das sind ganz kluge Dinger,« dachte er; »du willst näher mit ihnen bekannt werden und eine Weile zusehen, wie sie es treiben, [191] und wenn dirs nicht mehr gefällt, dem Wesen auf einmal ein Ende machen.«

Er schlich unter den Menschen herum, denn er hatte Menschengestalt angenommen, und sahe ihr Thun, ihr Arbeiten und Schaffen, ihre Mühe und Fleiß, ihre Liebe und ihren Haß, ihr Hauswesen, ihre Ehen, ihre Kinder, und bekam einige Achtung vor der Kraft des Menschen.

Er sahe die Töchter der Menschen, und wußte nicht, woher sein Wohlgefallen an manchen derselben rührte, denn der rechte große Geist muß gegen Alles gleichgültig bleiben; Gefühl und Empfindung verrücken ihm nur die Einsicht.

Einsmals erblickte er sieben schöne Jungfrauen, aber eine darunter war die schönste, und viel schöner als alle Menschentöchter, die er bis jetzt gesehen hatte, sie war aber die Tochter eines Fürsten, und Rübezahl wurde wunderbar bei ihrem Anblick bewegt.

Die Mädchen sangen liebliche Lieder; sie pflückten sich Blumen und wanden Kränze daraus, und schmückten ihr Haupt damit; sie tanzten auf weichem Rasen um ein helles Waßerbecken, und suchten dann Walderdbeeren, sich damit zu erfrischen. Sein Wohlgefallen an Allem, was er sahe und hörte, wuchs.

Die Jungfrauen gingen lustwandelnd am Abend zurück, aber Rübezahl blieb sinnend auf der Stelle, wo er ungesehen gestanden hatte, und wußte nicht, wie ihm war. Er stand mehrere Tage lang unbeweglich und sahe auf den Ort hin, wo die Jungfrauen gesungen und getanzt hatten und sehnte sich nach der schönsten unter ihnen.

Sie kamen nach einiger Zeit wieder und Rübezahl fühlte sich glücklich, er wußte aber nicht warum? Er verwandelte sich in eine Nachtigall, um in der Nähe beßer zu sehen und zu hören. Da wuchs sein Wohlgefallen immer noch mehr an der Schönsten unter den[192] Schönen, und er beschloß sie zu besitzen und zu eigen zu haben, um sich an ihrem Anblick immerdar zu weiden, und ihre Liebe zu gewinnen, wie er es unter den Menschenkindern gesehen hatte.

Die Fürstentochter tanzte mit ihren Gespielen am Waßerbecken, und mitten im Tanz fand sich ein Jüngling plötzlich mit ein und tanzte unter den Erschrockenen mit, umschlang die Fürstentochter und war mit ihr im Augenblicke verschwunden. In seinen Armen trug er die Ohnmächtige zu seinem Palast, gegen welchen ihres Vaters Burg eine elende Hütte war.

Als sie erwachte, fand sie sich auf einem weichen Ruhebette in Kleidern wieder, deren mit Edelgestein besetzter Gürtel das Fürstenthum ihres Vaters dreimal bezahlt hätte. Der Jüngling lag zu ihren Füßen und flehete um Verzeihung für seinen kühnen Raub, zu welchem ihn eine geheime Macht gedrungen hätte. Er sagte ihr, daß er der Herr des Gebirges sei, zeigte ihr alle Pracht und Herrlichkeit der großen Zimmer und Säle in seinem Schloße, und den großen Garten, welcher das Schloß umgab, mit Bäumen bepflanzt voll goldener Früchte mannichfalt und überschön, und mit würzigen Blumen aller Art in herrlichen Farbenspielen geschmückt; mit Lauben und Lustgebüschen, mit Bächen und Waßerbecken lieblich und lustig geziert, und auf den Bäumen und in den Gebüschen wohnten die kleinen Sänger mit himmlischen Stimmen und herrlichem Federkleid.

Der Berggeist führte die Fürstentochter mit liebkosenden Worten umher, sie aber blieb traurig und schwermüthig, und obwohl er ein mächtiger Geist war und zärtliche Worte hatte, konnte er doch ihre Schwermuth nicht zerstreuen.

»Wenn sie nicht einsam wäre,« dachte der Berggeist, »ging es vielleicht beßer.« Er ging sogleich auf ein Rübenfeld, zog ein Dutzend [193] Rüben aus, legte sie in ein Körbchen und brachte sie zu Emmy, denn so hieß die Prinzeßin. Dazu gab er ihr ein buntgeschältes Stäbchen und lehrte sie den Gebrauch deßelben.

Emmy schlug leise eine Rübe mit dem Stäbchen und rief: »Brinhild!« und Brinhild, die vertrauteste ihrer Gespielinnen unter den Jungfrauen, stand vor ihr, und umarmte sie mit Freudenthränen. Die übrigen Jungfrauen wurden nun auch mit dem Stabe aus Rüben geschaffen, und alle Rüben wurden verwandelt, und zweie darunter wurden zur Lieblingskatze und zum Schoßhündlein gestaltet.

Nun waren sie glücklich und froh und es ging durch Gänge und Lauben des Gartens und durch Zimmer und Säle des Palastes, und Emmys Augen glänzten vor Freuden.

»So wird es gehen!« sprach der Geist, und wußte sich viel mit seinem geistvollen Gedanken, Emmys Einsamkeit zu beleben.

Mehrere Tage hatte die Lust und Herrlichkeit mit den geschaffenen Kreaturen gedauert, als Emmy gewahr ward, daß dieselben so allgemach anfingen etwas altfarbig und altschrumpfig zu werden, und daß es mit der Jugendfröhlichkeit immer mehr abnahm.

Als sie eines Morgens sich aus dem Bette erhob, kamen die Hofdienerinnen keuchend und hustend und ganz zusammengefallen herein, und Hündlein und Kätzlein fielen um, und konnten mit Mühe nur wieder auf, um noch ein Paar Schritte zu taumeln und wieder kraftlos hinzufallen.

Das jammerte und ärgerte die Prinzeßin und sie rief laut den Geist, der dehmüthig ihr sich nahete und im harten Zorn gescholten ward. Sie forderte von ihm ihren Gespielinnen Jugendschönheit und Munterkeit wieder zu geben, und auch Bläffart und Mizert wieder zu beleben.

[194] Das sei über seine Kraft, sagte der Berggeist, denn Kraft und Saft der Natur sei in den Rüben verzehrt. Möge sie sich aus frischen Rüben frische Gesichter mit frischen Leben schaffen, und die alten verwelkten Gestalten mit einem Schlage wieder zu dem machen, was sie wären gewesen und dann wegwerfen laßen.

Das letztere that die Prinzeßin zuerst. Sie kannte die Hofsitte ja, mancherlei Gestalten am Hofe zu sehen, die wenig Wesen hatten, obwohl viel Wesens machten, und gab den Gestalten den Abschied, und zwar in diesem Fall ohne alle Pension, und andere Gestalten mit gleichem Rübenverstand und Rübenherzen traten an deren Stelle.

So half sie sich eine Zeitlang hin. Neue Abschiede, neue Anstellungen, neue Lust und Freude und neue Gleichgültigkeit, und im Neuen immer das Alte.

Eben waren wieder ein Dutzend Rübengesichter in Gnaden aus höchst eigner Bewegung entlaßen, aber es waren keine neuen zu haben, denn es fing an Winter zu werden und der große Geist, der so viel vermochte, konnte doch keine Rüben schaffen, wie er mit Schaam und Bestürzung dehmüthig bekannte, obwohl er sahe, daß das seiner Sache keineswegs förderlich war. – Die Schöne kehrte dem Geist zornmuthig den Rücken und ließ ihn stehen.

In Bauerngestalt zog er in die nächste Stadt, kaufte Rübensaamen, mit welchem er einen Acker Landes besäete, und zu deren Wartung er ein Paar tüchtige Berggeister bestellte, die unter dem Acker ein beständiges Feuer unterhalten mußten. Emmy ging wohl zu dem Ackerfeld hin, blieb aber trübe und düster, und der Geist hatte kaum das Herz ihr recht nahe zu kommen. Er fühlte ihre Empfindlichkeit, hoffte aber das Beste, wenn erst nur wieder Rübengesichter zu haben sein würden. Hätte er gewußt, daß Emmy [195] schon die Verlobte des Fürsten Ratibor sei, so hätte er wohl weniger gehofft. Emmy und Ratibor liebten sich herzlich, und seitdem die Braut verschwunden war, floh der Bräutigam die Menschen und irrte im Sturm und Unwetter in finstern Wäldern umher.

Im wiedergekehrtem Frühlinge waren die getriebenen Rüben zur Reife gekommen, und Emmy bildete sich wieder freundliche bekannte Gestalten daraus. Aber schlau, wie sie, als ein Mädchen, war, machte sie damit auch Versuche zu ihrer Befreiung und glaubte, daß auch ein großer Geist wohl noch überlistet werden könnte.

Sie machte eine ganz kleine Rübe zur Biene, und lehrte sie da und dahin zu fliegen, zu Ratibor dem Fürsten, und ihm ins Ohr zu summen, »deine Emmy lebt noch; der Geist vom Berge hat sie!«

Das Bienchen horchte genau auf, und flog von dem Finger der Lehrerin fort, aber noch vor den Augen derselben wurde es von einer Schwalbe weggeschnappt.

Mehrere andere Versuche verunglückten auch; aber als sie eine plauderhafte Elster sandte, so glückte es. Die Elster sagte den eingelernten Spruch, und beschied den Verlobten auf einen gewißen Tag, auf die und die Stelle, am Fuße des Gebirges.

Emmy, nachdem sie wußte, daß Ratibor unterrichtet sei, wurde gegen den Berggeist immer freundlicher, wie sie vorher nie gewesen war, und da er so sehr bat, ihn mit ihrer Hand und Gunst zu beglücken, willigte sie ein und setzte einen Tag fest, an welchem sie ihn zum Gemahl nehmen wolle, hätte er zuvor erst eine Probe von seiner Beständigkeit abgelegt, die sehr leicht sei.

Das war der überfrohe Berggeist zufrieden und willig. Am festgesetzten Tage, morgens sehr früh, erschien Emmy in ihrem schönsten und reichsten Putz, mit ihren holdesten Gebehrden und sagte zum Geiste, welcher vor Freuden schon zitterte:

[196] »Mein Geliebter! ich muß wißen, ob du gefällig und treu sein wirst. Geh! und zähle auf dem Rübenfelde, wie viel Rüben drauf stehen! Sieh! die Probe ist leicht. Verzählst du dich aber um eine einzige, so seh ich, daß ich dir nichts werth bin, und dann soll keine Macht mich zwingen dich lieb zu haben. – Ich aber weiß, wie viel der Rüben darauf stehen!«

Der Geist fing an zu zählen; aber die Rüben standen so unerdentlich und verworren unter einander, hier in dichtem Haufen beisammen, dort einzeln, daß er eine geraume Zeit nöthig hatte, mit Zählen durchzukommen.

Um recht gewiß zu sein, zählte er noch einmal, aber er brachte eine ganz andere Zahl heraus, und zum drittenmahl war die Zahl wieder anders. Darüber war aber viel Zeit vergangen.

Endlich glaubte er die Zahl richtig herausgebracht zu haben, und eilte freudig zu Emmy, ihr dieselbe anzugeben; aber Emmy war nicht da. Er suchte sie im Garten, in den Lauben und Gehölzen, an den Quellen und in Gebüschen, aber Emmy war nicht da. Er durchsuchte den ganzen Palast mit allen Kämmerlein und Winkeln, aber Emmy war nicht da, und so laut er auch überall rief, antwortete ihm dennoch keine Stimme.

Jetzt schöpfte er Verdacht, er möchte betrogen sein. Da sauste er wüthend auf die Bergzinnen, und von einer derselben sahe er Emmy auf einem Zelter, wie sie eben mit Ratibor und deßen Gefolge über die Grenze seines Gebietes hinüberflog.

Da knirschte er mit den Zähnen, ballte ein Paar Wolken zusammen und schleuderte einige entsetzliche Blitze ihnen nach. Die aber trafen nur eine alte Grenzeiche, welche sie zersplitterten, denn die Verlobten waren schon zwanzig Schritte über sein Gebiet hinaus.

[197] Jetzt schwur er im Grimme die Menschen und all ihr Werk zu vernichten, soweit seine Macht reiche; schwur es, und wollte es sogleich vollbringen; aber er konnt es nicht, denn eine höhere Macht widerstand ihm.

Er kehrte seufzend in seinen Palast und in den Garten zurück, die seine Geisterkraft hervorgezaubert hatten, er seufzte und klagte; er zerstörte dann Alles so schnell, als er es hervorgebracht hatte, und verbarg sich in die untersten Tiefen seines Gebirges.

Aber unter den Leuten wurde es bald ruchtbar, wie der Berggeist betrogen sei worden, indem er Rüben gezählt hatte, und das Volk nannte ihn seit dieser Zeit mit dem Spottnamen Rübezahl. Aber der Geist wurde wüthend, wenn er künftig diesen Namen hörte, der doch schon in aller Munde war, ehe er wieder aus seinen Klagehöhlen auf die Erde heraufkam.

2. [Nachdem Rübezahl einige hundert Jahre etwa in den Tiefen der Erde]

2.

Nachdem Rübezahl einige hundert Jahre etwa in den Tiefen der Erde, Jammer und Noth seiner verunglückten Liebe den Klüften und Höhlen und den Erdfeuern und unterirrdischen Strömen geklagt hatte, wurde ihm doch sein Trauern zu langweilig, und er zog wieder auf die Oberfläche des Gebirges hinauf, und trieb sein Unwesen mit den Menschen, zumal mit denen, die ihn beim Spottnamen Rübezahl riefen. Aber zuweilen war er doch gnädig.

Ein Bauer war mit seinem Weibe und sechs kleinen Kindern verarmt, denn sein reicher Nachbar hatte ihm Haab und Gut abgerechtet, und die letzte Kuh war drauf gegangen und nichts war ihm geblieben als das hohle Häuschen und der leere Hof.

Wie sollt er seinen Kindern Brod schaffen? Arbeitete er auch vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, so reichte doch sein [198] Verdienst nicht zu die Kleinen zu sättigen. Und wenn er nun von der Arbeit nach Hause kam und die Kinder ihn anschrien: »Bringst du Brodt, Vater? uns hungerts so sehr!« oder, wenn sie Jedes ein Stücklein Brodt bekamen, und fragten: »Vater hast du nicht noch mehr?« und er hatte dann nichts, da wollte es ihm das Herz zerreißen.

Der arme Mann sann und sann, und sann nichts heraus, als daß er sich mit hundert Thalern von grundaus helfen könnte, denn hundert Thaler waren damals ein großes Geld.

»Frau,« sagte er eines Tags, »du hast hinter dem Gebirge so reiche Vettern. Ich will hin; vielleicht daß der liebe Gott Einen unter ihnen das Herz lenkt, und er mir soviel auf Zinsen leiht, als wir brauchen!«

»Das gebe Gott!« sagte mit schwacher Hoffnung die Frau, denn sie kannte ihre Vettern, die nach ihr und den Ihrigen niemals gefragt hatten.

Am andern Morgen sehr früh tröstete er die Seinen und sprach: »mein Herz sagt mirs, ich finde einen Wohlthäter!«

Rüstig schritt er, mit einer Brodrinde in der Tasche, den ganzen Tag zu, bis er des Abends müde und matt zu den Vettern kam, und ihnen mit Thränen seine Noth klagte und um Hülfe flehete. Aber mit welchen bittern Hohnworten wurde er von den reichen und hochmüthigen Filzen weggewiesen!

Der sagte: »Ich kenne Euch ja gar nicht;« Jener: »Einen solchen Lump, wie du, habe ich nicht zum Vetter;« der dritte sprach: »Mach, daß du fort kommst, du Wicht, mich führst du nicht an;« und der Vierte warf ihn, ohne ein Wort zu sagen, zur Hausthür hinaus und riegelte sie ab.

[199] Mit einem Herzen voll Jammer wankte er davon, und nahm sein Nachtlager unter Gottes Himmel in einem Heuschober.

Am andern Morgen, als er wieder ins Gebirge kam, überfiel ihn Gram und Angst mit großer Gewalt. Er hatte den Arbeitslohn von zwei Tagen verloren, und war so hin, daß er auch den dritten nicht würde arbeiten können; und wenn ihm nun das abgehärmte Weib und die ausgehungerten Kinder entgegen wimmerten, und er brächte ihnen leere Hände und kein Geld und kein Brod, o! o! wie sollt es das Vaterherz aushalten!

Er sann wieder, aber er fand wieder kein Mittel zur Hülfe. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeist bei. »Ich will bei ihm Hülfe suchen, ich will ihn bei seinem Spottnamen rufen;« sagte er zu sich selbst, »und schlägt er dich todt, so siehst du den Jammer deiner Kinder nicht mehr, und kommst der Quaal los.«

Da rief er in der Verzweiflung: »Rübezahl! Rübezahl! komm!!« Rübezahl hatte gute Ohren und stand alsbald vor ihm, wie ein rußiger Köhler, mit fuchsrothem struppigem Bart und glühenden Augen, riesig und lang, bewaffnet mit einem mächtigen Schürbaum, den er grimmig erhob, den frechen Höhner niederzuschlagen.

»Hört mich, Herr vom Berge,« sagte der Bauer mit seinem Gesichte voll Kummer; »ich habe Euch nicht aus Muthwillen gerufen, sondern aus Angst und Noth!«

Das kam dem Berggeist besonders vor; so wollte ers denn hören; und die kummervolle Miene des Mannes zog ihn auch an.

Der Bauer erzählte, wie arg es ihm ergangen sei, erzählte von seinem Weibe und Kindern und von den unbarmherzigen Vettern, und schloß mit der Bitte, ihm hundert Thaler zu leihen, die er mit [200] Zinsen in drei Jahren wieder bezahlen wolle. Mit hundert Thalern sei ihm geholfen.

»Narr! sagte der Geist zornig, bin ich ein Wucher und Zinsjude? Geh zu deinen Brüdern, den Menschen, und borge so viel du bekommen kannst, mich aber laß in Ruhe, wenn dir deine Haut lieb ist!«

Es war dem Bauer, als wär es dem Geiste mit seinem Zorn nicht so ganz harter Ernst. Er schildert ihm nochmals den Jammer des Weibes und der Kinder, und bittet abermals um hundert Thaler. »Wollt Ihr mir nicht helfen, setzte der Bauer hinzu, so schlagt mich nur mit der Schürstange todt, damit ich die Quaal der Meinen nicht sehen darf. Der Gram wird mir ja doch das Herz abfreßen! So aber komm ich auf einmal davon.«

Mitleid zu fühlen schickte sich für einen so großen Geist, als der Bergherr war, gar nicht; aber das ganz Eigene von ihm Geld zu erborgen, und das besondere Zutrauen gefielen ihm.

»Komm«, sagte der Geist, und führte den Bauer tiefer waldein, bis in ein Felsenthal, zu welchem sie sich durch dichtes Gesträuch hindurch arbeiten mußten. Sie kamen sodann in eine finstere Höhle, tiefer und immer tiefer hinein, und der Bauer hörte das Rauschen und Brausen der Bergwaßer und ward ihm dabei unheimlich zu Muthe. Bald aber hüpften kleine blaue Flammen vor ihnen her und der dunkle Felsengang wurde zum großen Gewölbe, in welchem helle Lichter flackerten.

Da stand eine große Braupfanne, voll lauter Thaler bis an den Rand. »Da nimm! sagte der Geist, so viel du bedarfst, und wenn du schreiben kannst, so stelle mir einen Schuldschein.« Schreiben konnte aber der Bauer. Er zählte sich höchst gewißenhaft [201] hundert Thaler ab, der Geist aber schien sich darum gar nicht zu kümmern, drehte ihm den Rücken zu und suchte die Schreibesachen aus einem Schranke hervor; aber der Bauer nahm deshalb keinen einzigen Thaler mehr. Er schrieb den Schuldschein, so gut er vermochte, und der Geist schloß denselben in einen eisernen Kasten ein. »Geh nun! sagte er zum Bauer; nütze dein Geld; merk dir den Eingang ins Felsenthal, und vergiß den Zahlungstag nicht, denn ich bin ein strenger Schuldherr. – Da! sagte er, indem er einen großen Griff in die Braupfanne that, – das ist für deine Kinder, und steht nicht auf dem Schuldschein.«

Tausend Dank sagte der Bauer dem Geiste; fand sich bald aus dem Felsengange heraus, merkte sich die Stäte genau, und ging durch Freude an allen Gliedern gestärkt, rüstig nach Hause, wo ihn die Kinder um Brod anschrien, die Mutter aber trostlos weinend im Winkel saß, weil sie schon wußte, wie viel auf die Vettern zu rechnen war.

Aber welch eine Freude da, als der Vater den Queersack öffnete und nahm Bretzeln und Weißbrod für die Kinder, und Grütze zum Brei, und Fleisch und Wurst heraus, welch er Alles in der Stadt gekauft hatte. Wer kann solche Freude beschreiben!

Der Bauer, der es nicht für gut hielt, der Wahrheit nach auszusagen, wer ihm das Geld geborgt hätte, lobte die Vettern der Frau, die hätten ihn freundlich empfangen, gut bewirthet und willig das Geld geliehen!

Da that sich die Frau auf ihre reichen und liebreichen Vettern Etwas zu gut, und rühmte dieselben aller Welt. Die Freude ließ ihr der Mann recht gern.

Jetzt ging ein neues Leben und Arbeiten in des Bauers Hause an, und mit hundert wohl angelegten Thalern ließ sich viel machen. [202] Alles, was unternommen wurde, ging zum Glück und lag ein sichtliches Gedeihen auf dem Gelde des Bergherrn. Ein Acker nach dem andern, ein Heuschlag nach dem andern wurde gekauft; das Vieh war weit und breit umher das schönste, und im dritten Jahre schon hatte der Bauer ein Paar Hufen Feld, und ein Paar tüchtige Pferde zur Bewirthschaftung; und wohl viermal so viel baar, als seine Schuld ausmachte.

Der Zahlungstag kam! Weib und Kinder thaten die besten Sonntagskleider an und freuten sich die reichen Vettern besuchen und zeigen zu können, daß sie ehrliche und wohlhabende Leute waren. Hans mußte anspannen und sie kamen bald aufs Riesengebirge, wo der Wagen an einer Stelle halten mußte, der Bauer aber mit den Seinen ausstieg. Hans sollte fortfahren und auf der Höhe unter den drei Eichen warten und die Pferde derweil grasen laßen, er aber wolle mit den Seinen einen anmuthigen Fußpfad gehen, obwohl derselbe ein wenig um sei.

Darauf ging er durch das Gebüsche waldein, immer tiefer hinein, schauete dahin und dorthin, als ob er suchte, und die Frau glaubte schon, ihr Mann habe sich verirrt. Aber jetzt sagte er ihnen, wie es ihm bei den reichen Vettern gegangen sei, und wer ihm geliehen habe, und erzählte Alles genau, und lobte den Berggeist, vor dem sie sich fürchteten, mit Thränen im Auge, indem er ihnen vorstellte, wie glücklich sie jetzt wären, und wie elend vor drei Jahren.

Nun hieß er sie warten und ging allein, die Felsenhöhle zu suchen, aber es war nirgends ein Eingang, obwohl er gewiß wußte, daß er auf der rechten Stelle sei, wo er vor drei Jahren hineingegangen war. Er klopfte mit einem Stein an den Felsen, er klingelte mit dem Geldsack, er rief dem Berggeist zu kommen und das [203] Seine zu nehmen, aber kein Berggeist erschien. Da ging er mißmuthig zu den Seinen zurück. Ihn drückte das Geld, deßen er so gern los sein wollte. Er setzte sich mit den Seinen auf den Rasen und wartete, aber es kam Niemand.

Da probirte der Bauer das alte Wagstück noch einmal und rief: Rübezahl! Rübezahl! obwohl ihm die Frau den Mund wollte zuhalten. – Auf einmal kam der jüngste Knabe zitternd zur Mutter und sagte, dort hinter dem Baum sei ein schwarzer Mann. Da krochen die Kinder ängstlich zusammen; der Vater aber ging hin und sahe nichts.

Eben wollte der Bauer noch einmal zum Felsen, dort noch stärker anpochen und rufen, und wenn dann Niemand käme, das Geld am Felsen hinlegen; da möcht es der Bergherr sich holen. Aber indem er seinen Vorsatz der Frau kund that, brauste es in den Wipfeln der Bäume, der Wind trieb dürre Grashalme und Laubblätter vor sich her und jagte kräuselnde Staubwolken in dem Wege auf, worüber die Kinder sich freueten.

Unter dem Laube wurde nun auch ein zusammengerolltes Papierblatt über den Weg getrieben, nach welchem die Kinder vergeblich haschten. Endlich warf der eine Knabe seinen Hut darauf, nahm es auf, und weil es so weißes Papier war, bracht ers dem Vater. Da war es der Schuldschein, unter welchem geschrieben stand: »Zu Dank bezahlt!«

Da ward der Bauer sehr froh. »O! rief er, mein Wohlthäter kennt nun meine Ehrlichkeit und mein dankbares Herz!«

Jetzt wollte er nach Hause umkehren, aber die Frau ruhete nicht eher, bis der Mann zu den reichen, filzigen und hochmüthigen Vettern fahren ließ, welche sie durch ihren Wohlstand recht zu kränken gedachte; aber die kränkte sie gar nicht, denn sie waren nicht[204] mehr da, sondern gestorben und verdorben, und die Gehöfte, welche sie bewohnt hatten, waren an neue Herren gekommen.

Hochmuth und Unbarmherzigkeit kamen bei ihnen vor dem Fall, unser Bauer aber wurde täglich wohlhabender und wurde dabei von Allen geliebt, die ihn kannten, denn er war arbeitsam und fleißig, half seinen Nächsten gern, und war gar nicht hochmüthig.

3. [Es saßen eines Abends mehrere Bauern in einem Wirthshause am Fuße]

3.

Es saßen eines Abends mehrere Bauern in einem Wirthshause am Fuße des Riesengebirges beisammen und hatten gegeßen und getrunken, und fingen nun an einen jungen Menschen zu necken, der blöde und still im Winkel hinter dem Ofen saß und schien ein fahrender Schüler 1, obwohl er gar nicht so dreist und unverschämt war, als diese zu sein pflegten.

Als in den Geschichten, welche die Bauern einander erzählten, einigemal des Berggeistes unter dem Namen Rübezahl erwähnt wurde, that er sehr furchtsam und bat auch, aber recht dehmüthig, sie möchten doch solcher gefährlichen Dinge nicht gedenken, und absonderlich den Namen Rübezahl vermeiden, zumal es schon gegen die Nacht gehe. Da erzählten sie aber solcher Geschichten nur immer noch mehr und nannten alle Augenblicke den Namen Rübezahl, damit er sich recht sollte fürchten.

Als er sie noch einigemal gebeten, abzulaßen von solchen Erzählungen, sagten sie zu ihm, er solle vielmehr aus denselben etwas [205] Gutes an nützlicher und erbaulicher Lehre herausnehmen. Das müße er als ein fahrender Schüler doch können.

Ja! meinte der Schüler, das dächte er wohl zu können, aber er hätte kein Herz dazu, denn sie möchten es ihm übel auslegen, und Händel an ihm suchen, er aber sei gar furchtsam und friedlich.

Da lachten die Bauern, und versprachen sich eine gute Lust mit ihm, verhießen ihm aber Frieden und auch freie Zeche, wo er seine Sache recht verstehe. – Da erzählte denn Einer.

»Es wollt einmal ein Mensch ein Zauberbüchlein haben, woraus er Wetter machen, Vieh behexen und wieder die Verzauberung lösen, sich verwandeln und unsichtbar machen, und die Goldschätze aus der Erde heraufbringen und viel andere Dinge ins Werk setzen könne. Da wollt er denn ein gewaltiger und reicher Mann werden. Er dachte aber Rübezahl würd ihm ein solches Büchlein schon geben, wenn er ihn darum bäte. So ging er denn auf dem Gebirge fleißig umher, bis er nach langer Zeit einmal den Rübezahl fand. Der saß als ein eisgraues Männlein vor einer Höhle, und gab ihm ein Büchlein, als er begehrt hatte. Da er aber nach Haus kam und das Büchlein probiren wollte und aufschlug, da waren es Baumblätter, mit den Fasern und Linien, aber mit keinen Buchstaben.«

Nun sollte der Schüler die nützliche Lehre herausziehn. Der besann sich ein wenig und sagte dann leise:


»Wer Wunderdinge leisten will,
der höre zu, aufmerksam still,
was die Natur für Werke treibt
und schau; was sie in Bücher schreibt.
Dem Klugen stehn die Bücher auf,
der Tölpel bringt draus nichts zu Hauf.
[206]
Wer recht ein Baumblatt lesen kann,
wird auch daraus ein rechter Mann.
Kommst drüber Du mit Holz im Kopf,
so bist und bleibst ein dummer Tropf.«

»Herr, sagte der Bauer, welcher erzählt hatte, meint Ihrs damit auf uns?« Dabei schlug er mit der Faust mächtig auf den Tisch.

»Ja! riefen die Andern, auf uns meint ers; wir sind die Tölpel und dummen Tröpfe, weil wir niemals Etwas aus Baumblättern haben lesen können!«

»Da seht nun selbst, liebe Herren, daß ich wahr gesagt habe, sprach fast weinend der Schüler. Seht! Ihr suchet eine Ursach gegen mich. Hätte ich doch nur geschwiegen!«

Da redeten ihm die Bauern wieder gutmüthig zu, und sagten, es sei nicht so böse gemeint, sondern sollte nur Scherz sein, und nöthigten ihn eins zu trinken.

»Nun, lieber, fahrender junger Herr, sagte ein anderer Bauer, nun will ich auch einmal Etwas von Einem Eures Gleichen erzählen. Da wollen wir auch unsere Lust dran haben.«

»Es zog einmal ein solcher Gesell, wie Ihr, übers Gebirg; hatte einen grimmigen Stoßdegen angethan zu Schutz und Trutz; hatte eine Zither im Arm, spielte drauf und sang lustige und närrische und auch wohl leichtfertige Lieder dazu.«

»Ach! der war viel dreister als ich;« sagte der Schüler blöde. »Freilich, Herr! das wollt ich selbst meinen;« sagte der Bauer schmunzelnd, und erzählte dann weiter.

»Als nun so der Schüler fürbaß zieht, kommt Einer seines Gleichen hinter ihm drein und gesellt sich zu ihm. Da führten sie [207] allerhand seltsame und leichtfertige Reden und Gespräche. Der neue Gefährte borgt dem Andern die Zither ab, um ihn ein hübsches Lied mit artiger Weise zu lehren, hat aber das Saitenspiel kaum, so ist er damit alsbald oben auf dem Wipfel eines hohen Baumes, so schnell wie eine Eichkatze, und musizirt erst fein und anmuthig, dann so garstig und häßlich, daß der fahrende Schüler sein Spiel wieder zu haben begehrt. Aber der oben im Baumwipfel gibts ihm nicht, sondern singt garstige Schandlieder auf die Liebste des fahrenden Schülers, der darauf zornig den Degen zieht, und den Andern herabkommen heißt, um einen Gang mit ihm, auf Tod und Leben zu machen. Da stürzt krachend die Zither auf die Steine herab, als sollt sie in tausend Stücken zersplittern und ein scheußliches Gesicht steht vor ihm und kreischt ihm gräßliche Worte entgegen, daß er davon in Ohnmacht fiel. Als er wieder zu sich kam, merkte er wohl, mit wem er zu thun gehabt, nahm seine Zither, die noch ganz war, schlich stillschweigend mit ihr über das Gebirg, und kam sobald nicht wieder.«

»Das will ich wohl glauben, sagte ein Bauer, und ist der Jüngling wohl gar unser blöder Schüler hier gewesen, der uns nun seinen Spruchreim sagen soll.«

Da sagte der Schüler den Reim, der hieß aber also:


»Wem eine Zither Gott verliehn,
der preise damit dankbar ihn,
und brauch zu Narrentheiding nicht,
was Gott ihm selbst hat zugericht.
Doch spielt er auch einmal nicht recht,
so ist er drum noch selbst nicht schlecht.
[208]
Die Zither springt nicht gleich entzwei.
Nur daß er künftig sittig sei,
und seiner Lieder zarte Blüthe
vor garstigen Gesellen hüte.«

»Wahrhaftig, sagte ein Bauer, das soll uns gelten! Garstige Gesellen! hüten! – So? – – Herr, laßt das Sticheln: oder Ihr sollt es sehen!«

»Ei laßts gut sein, sagte ein Anderer; wir wollen ihm auch schon Eins anhängen, denn wir sind wohl so pfiffig als er.« Das meinten sie denn Alle, und so zechten sie wacker fort, und ging der Handel noch gütlich ab.

Darauf erzählte ein Dritter.

»Einmal hatte ein vornehmer Mann einen großen Ingrimm auf einen Andern. Dem wollt er grausame Worte schreiben und that es auch; aber der Rübezahl war ihm in die Feder gekrochen, und machte, daß alle Worte grade umgekehrt und wiedersinnig auf das Papier kamen, und statt daß es hatte heißen sollen: ›Du bist ein meineidiger Schuft; und ein Großhanns: und, ich schlag dich noch todt, wenn ich dich einmal treffe,‹ und dergleichen mehr, stand es ganz anders da und hieß: ›Ich bin ein meineidiger Schuft, und nicht werth dir die Schuhriemen aufzulösen, und bin ein Großhans; ich werde mir aber einmal das Fell tüchtig durchgerben, und schlage mich noch todt, wenn ich mich einmal treffe.‹«

Das gefiel den Bauern aus dermaßen und wünschten sie, es möcht ihnen einmal Jemand den tollen Brief vorlesen, wenn er ihn hätte, dieweil sie selbst nicht lesen gelernt hätten.

[209] Da sagte der Schüler, die Lehre ist dasmal kurz und lautet:


»Wer will verbrühn den Nachbarsmann,
fing meistens klüger sonst was an;
denn wenn ers nicht genau beschaut,
verbrüht er sich die eigene Haut.«

Hierauf sagte der Student, er wüßte wohl ein artiges Kunststück, wie das mit dem Briefe; da brauchten sie gar nicht lesen zu können, sondern könnten es selbst mit anschauen und dabei mitspielen, aber das könnt er ihnen vormachen, wenn sie einwilligten und es zufrieden wären.

»Nur drauf; nur angefangen, lieber Herr Schüler, jauchzten die benebelten Bauern, das soll ein wahrer Spaß werden, wie auf einer Hochzeit; nur frisch.«

Da schritt der Schüler vor den Zechgästen im Kreise herum und machte vor dem Munde eines Jeglichen einige Zeichen in der Luft und sprach wunderliche Reime dazu, die lauteten aber also:


»Die Zung und auch die Katze
sind Thiere; schlau genug,
wie man die Andern kratze
sich selber krau die Glatze –
die Zung und auch die Katze,
sie könnens Zug um Zug,
die Eine mit der Tatze,
die Andre mit dem Spruch.
Die Zung und auch die Katze
sind doch nicht schlau genug,
[210]
daß sie sich selbst nicht kratze
und Andern kraun die Glatze. –
Die Zung und auch die Katze
zwingt Zauber Bannes Zug.
Nun, liebe Zunge, schwatze
und sprich verkehrten Spruch.«

Die Bauern hatten ihre Lust dran, daß der blöde Schüler so dreist und herzhaft geworden sei, und meinten, das habe ein guter Trunk gethan, und wenn man ihm erst noch beßer werde zugetrunken haben, dann müße die Lust mit ihm erst recht angehn.

Als nun der Schüler sich wieder auf die Ofenbank ruhig hatte niedergelaßen, bracht ihm ein Bauer ein volles Glas zu, und sprach: »Nun frisch! nun muß ich trinken, bis ich umfalle, oder es wird nicht gut abgehen!«

»So thut nur nach Eurem Gefallen; sagte der Student gelaßen.«

»Ja! sagte der Bauer barsch, nach Eurem Belieben sollt Ihr thun ganz und gar, und wenn mirs im mindesten einfiele, Euch dran zu hindern, – Herr! kurzum, da könnt es leicht kommen, Ihr zähltet mir Etwas auf.«

»Hanns, riefen die Andern, wie sprichst du denn so wunderlich?« Einer aber, von dem sie dachten, er sei unter ihnen der Klügste, weil ers ihnen so oft vorgesagt und bewiesen hatte, sprach gar ernsthaft: »Laßt meinen ehrlichen Nachbar Hanns. Was hats da zu wundern? Ja! wenn mirs paßirte, der ich so ein stummer dummköpfiger Kerl bin. Aber der Hanns ist nun schon einmal ein Bißchen klüger, dem müßt Ihrs zu gut halten.«

Die Bauern sahen einander voll Erstaunen an. Endlich sagte Einer: »Ich glaube, wir haben den Studenten abscheulich behext!«[211] – Ja, riefen Andere, uns ist es gleich so vorgekommen; und Alle wurden nun zornig und wild, und schrien: »Es hilft nichts vor, der Student muß uns zusammen hauen, bis wir keinen heilen Knochen mehr haben. Wir habens ihm gar zu arg gemacht. Wart, das soll uns schön bekommen.«

Sie merkten wohl, daß sie immer das Gegentheil von dem sagten, was sie sagen wollten, aber sie konnten nicht anders, und wurden deshalb nur desto toller und wilder, und wollten im grimmigen Zorn über den fahrenden Schüler her.

»Du mußt uns todt schlagen!« riefen sie mit verwirrten Sinnen, indem sie ihn todt schlagen wollten, aber es pfiff ein Zugwind durch die Gaststube und alle Lichter erlöschten. Dagegen saß ein großer Schuhuh mit leuchtenden feurigen Augen auf dem Ofen und schnaubte die Empörten an, deren Grimm sich stracks in Furcht umwandelte.

Sie wollten die Thür suchen, fanden sie aber nicht, und riefen kläglich: »Wir sind Hexenmeister, sind Kobolde, sind der Rübezahl; das hätte der Student ja gleich wißen sollen.«

»Ruhe doch, liebe Gesellen! schnarrte der Schuhuh, ich bin ja auch ruhig, und bin der Student noch und der Vogel der Weisheit, und habe mich gar nicht verwandelt. Aber ich bin der Rübezahl, und wir sind tausend Klafter tief unter der Erde, in meiner Schatzkammer. Fürchtet Euch gar nicht, liebe Zechgenoßen; Ihr habt mir einen guten Trunk gegeben; so will ich denn dankbar sein. So seht her. Das Dach ist von Gold und die Sparren sind von Demanten. Brecht Euch durch und nehmt mit, was Ihr fortbringen könnt.«

Erst kletterten sie aus Angst, Einer auf des Andern Schulter, und als sie nun durch waren und den Sternenhimmel sahen, dachten [212] sie an das goldene Dach und an die demantenen Sparren. Nun fingen sie recht an hinein zu arbeiten, und wollte ein Jedweder soviel als nur möglich von den Schätzen mit heimbringen, am meisten der Wirth.

Aber als der Morgen heraufleuchtete, sahen sie, daß sie mit Dachsparren und mit Stroh und Schindeln, woraus das Dach war, sich recht schwer belastet hatten. Gold aber und Demanten hatte keiner.

Wenn aber künftig ein Reisender ins Wirthshaus einkehrte, der still war und blöde, neckte ihn Niemand mehr, weil sie Rübezahl geneckt hatte.

Fußnoten

1 Herumziehende Studenten – waren Gauner und Leutbetrüger, gaben große verborgene Weisheit vor, und lebten von der Einfalt derjenigen, die sich betrügen ließen.

22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

22. Mograby.

Der fluchwürdigste Zauberer und der größeste an Gewalt, der ärgste aber an Bosheit war Mograby, das furchtbarste Werkzeug des Zatanai. Ueberall schweifte er auf Erden in tausend Gestalten umher, zu sehen wo er Unheil anrichten und Seelen verführen könnte, um das Reich seines Meisters zu vergrößern.

Mograby war auf dem höchsten Gipfel seiner Macht, als in Syrien Kalib zu Tadmor regierte, ein gewaltiger Fürst, der dreimal hunderttausend Reiter hatte, von welchen siebenmal siebentausend seine Leibwache waren. Seine Hauptstadt schimmerte von Palästen und allen Herrlichkeiten, weil Gewalt und Pracht fast immer beisammen sind.

Sultan Kalib hatte Alles, aber nur keinen Sohn, welcher der Erbe seiner Macht und seiner Reichthümer werden konnte, das verbitterte [213] ihm sein ganzes Leben. Er ließ in allen Tempeln bitten, der Himmel möchte ihm einen Sohn schenken, er spendete reiche Allmosen aus, er bauete große Spitäler, aber er bekam keinen Sohn.

Als er nun schon etwas alt zu werden anfing, und über seinen vergeblichen Wunsch recht unmuthig und mürrisch geworden war, hatte sich ein Mann in den Palast eingeschlichen, der wie ein Landmann gekleidet war, und Aepfel zum Verkauf ausrief. Der Mensch hatte ein widriges Gesicht, und ein Pflaster auf dem rechten Auge. – Es war Mograby.

»Aepfel! Aepfel! Aepfel für Leute, die keine Kinder haben!« rief er. »Was hast du!« fragte verwundernd der Großweßir, der eben zum König wollte. Der Händler wiederholte es ihm, und eröffnete ihm die geheimnißvolle Kraft seiner Aepfel.

»Wenn das wahr ist, sagte der Großweßir, was du von deinen Aepfeln rühmst, daß der Genuß derselben Kinder verschafft, so mußt du bald reich werden als ein König!«

»O nein! antwortete Mograby; denn mein Baum trägt im Jahre nur eine einzige Frucht, aber diese hat auch die Wunderkraft, ein Kind zu gewähren, gewiß in sich, so wie sie auch von Aussehen wunderschön ist.« Mograby deckte seinen Korb auf und hob die Baumblätter ab, die den Apfel verdeckten, welchen der Weßir mit großer Aufmerksamkeit betrachtete.

Indeßen kam der Hofnarr herbei und mochte sich mit seinen Späßen an den Händler, neckte ihn, und fragte, ob er ihm nicht auch ein Kind schaffen könne.

»Nimm diese große Haselnuß, antwortete Mograby, und setze sie dir an deine Nasenspitze, dann wirst du ja sehen, was sich begibt!«

Der Narr, in der Hoffnung, die Gelegenheit zu mancherlei Spaß zu bekommen, nahm die Nuß, setzte sie mit vielen Grimaßen [214] an seine Nase, und siehe da, sie saß fest und wurde fleischern, und der Narr hatte eine kleinere Nase auf der großen, worüber die Hofbedienten ein greuliches Gelächter erhoben. Die Bitten des Narren, ihm die fatale Nasenzugabe wieder abzunehmen, blieben unerhört. »Behüte! sagte Mograby, das würde dein eigner Schade sein! du hast so viel Mühe gehabt, Gelächter zu erregen, die kannst du jetzt ersparen, denn man wird schon lachen, wenn man dich nur ansieht.« Merke dabei: daß man sich erst seinen Mann recht ansehen muß, ehe man ihn neckt.

Der Weßir geht nun, nachdem er Augenzeuge von dem Kunststücke mit der Nase gewesen ist, zum König, gibt demselben Bericht, und sucht ihn zu überreden, den Apfel um jeden Preis zu kaufen, denn es sei seine Pflicht auf Erbfolge für den Thron zu denken, und das Land gegen künftige Kriege zu sichern. – Wozu wüßte ein Hofmann nicht Vorwand!

Der König findet die Sache zwar bedenklich, aber wie oft sind unsere Wünsche mächtiger als unsere Vernunft. Er läßt sich den Apfel zeigen und findet ihn unübertrefflich. Aber ehe er in nähere Unterhandlung mit dem Verkäufer tritt, muß sich derselbe erst umkleiden laßen. Nun konnten Seine Majestät sich mit demselben einlaßen, nun es mit der Bekleidung seine Richtigkeit hatte, und boten dem Mograby viertausend Zechinen für den Apfel, wofern derselbe nur Sicherheit stellen könne, daß die gepriesene Kraft des Apfels nicht fehlen werde.

»Für die Sicherheit der Wirkung setze ich diesen Ring hier zum Pfande, sagte Mograby, indem er einen Ring aus seinem Körbchen nahm, sehet zu, ob er nicht wenigstens zwanzigtausend Zechinen werth sei?«

Man fand ihn noch mehr werth, und fragte, wie viel er denn verlange?

[215] »Werdet nicht entrüstet, gnädigster Herr, erwiederte Mograby. Es gibt Dinge, die um kein Gold feil sind, und mein Apfel ists auch nicht. Mir fehlt daßelbe, was sich deine Majestät wünschet – ein Sohn, der der Erbe meiner Reichthümer und meiner Wißenschaften sei. Die Kraft des Apfels ist für mich verloren, obwohl sie für dich sicher ist. Daher ist meine Bedingung, daß das erste Kind, welches durch des Apfels Kraft deiner Majestät Gemahlin bekommen wird, mein sei, wenn es ein Sohn ist, dein aber, wenn es eine Tochter ist.«

Der König gerieth in Wuth über die Unverschämtheit des Apfelhändlers, und wollte schon der Leibwache befehlen, den Nichtswürdigen niederzusäbeln, aber der Minister, der dem König oft mit dem Verstand aushelfen mußte – zuweilen sogar mit Unverstand – schlug sich auch hier ins Mittel.

»Gnädigster Herr, flüsterte der Minister seinem Herscher, in einem Winkel des Thronsofas, ins Ohr – er wußte aus langer Erfahrung, welch eine Macht solches Einflüstern hat – der Nichtswürdige wäre werth, niedergehauen zu werden, allein daß er auch gern einen Sohn haben möchte, ist ihm wohl nicht so ganz zu verargen. Laßt ihn doch seine Schätze, mit welchen er nicht scheint zu wißen wohin? auf Euren Prinzen vererben. Erwägt auch, daß der Schuft schon alt und ganz kraftlos ist. Ich glaube, der lebt kein halbes Jahr mehr. Die Hauptsache aber ist, daß ein König bei dreihundert tausend Reitern nicht Wort zu halten braucht, wie ein gemeiner Mann!«

Das letzte begriff der König am ersten, denn es war ihm seit langer Zeit sehr geläufig geworden. Man wurde eins, dem Verkäufer den Prinzen, den des Apfels Kraft hervorbringen würde, als Sohn zu überlaßen.

[216] Mograby unterrichtete den König nun über den Gebrauch des Wunderapfels. »Schneide, sagte er, den Apfel in zwei Hälften, ehe du mit deiner Gemahlin dich schlafen legst. Die eine Hälfte gib der Gemahlin, die andere iß selbst, und indem Ihr beide eßet, sprichst du laut die Worte: ›O du verborgene Macht, die du die Kraft in den Apfel gelegt hast, gewähre uns ein Kind!‹«

Zu rechter Zeit und Stunde wurde ein Prinz geboren. Da war große Freude, aber auch große Bekümmerniß, daß der alte unheimliche Kerl sich melden, und den Prinzen fordern möchte, aber der meldete sich nicht. Der Prinz wuchs munter und frisch heran, und wurde von keinen Kinderzufällen geplagt, und als nach einigen Jahren der Apfelhändler sich noch nicht sehen ließ, dachten König und Weßir, derselbe sei todt. Nur wenn sie die sonderbare Nase des Hofnarren ansahen, wollte es ihnen zuweilen doch etwas bedenklich vorkommen.

Als Habed, so hieß der Prinz, dazu alt genug war, wurde er dem gelehrtesten Manne des Reichs und dem Obervorsteher der Geistlichkeit zu Lehre und Zucht übergeben. Der behielt ihn bei sich im Hause, und erzog ihn als ein ausgelernter Prinzenhofmeister recht steif und förmlich. Da durfte er nicht etwa lustig und frei und fröhlich mit andern Kindern spielen, die ihm etwa gefielen, falls sie zu tief unter ihm standen; oder – nein die Söhne der Krongroßbeamten waren seine Gespielen einzig und allein, und die waren Alle abgerichtet ihrem künftigen Herrn mit der allertiefsten Ehrfurcht zu begegnen und sich keines vertraulichen Wortes zu erdreisten. So lernten sie denn selbst auch ein gutes Stückchen Hofkunst, schon in der Kindheit.

[217] Als Prinz Habed nun bald das vierzehnte Jahr er reicht hatte, übertraf er alle seine Gespielen an Schönheit, Geist und Kenntniß, wenigstens sagte es der alte Gelehrte. Der entzückte Vater dachte schon daran, daß ihm sein Sohn nun bald helfen könnte, Land und Leute regieren. Mograby war ganz vergeßen.


Es meldet sich eines Tags ein Fremder in reicher Kleidung, und erhält Zutritt zu dem Könige; der umgeben von seinen Großen auf dem Thron saß.

Ein Schreckensruf fährt aus Aller Mund! »Es ist Mograby!« und er war es. »Herr, sagt er, ich erinnere dich an unsern Vertrag und dein Fürstenwort. Ich habe dir die Freude an dem Prinzen an vierzehn Jahr gelaßen, jetzt aber fordere ich meinen Sohn, um ihn nach meiner Hand und Weise zu erziehen.«

Die zornfunkelnden Augen des Königs machten den Forderer nicht unruhig, denn er war keiner seiner Hofleute.

Der Weßir hielt ihm eine lange Rede, ihm seine Frechheit zu Gemüth zu führen, und ihn von der Raserei seiner Forderung zu überzeugen, aber Mograby sprach: »Weßir, ich spreche nicht mit dir, sondern mit dem Sultan, der sein Wort lösen muß.«

»Leibwache her! schrie der ergrimmte Fürst; greift und bindet ihn und schlagt ihm den Kopf ab. Er soll erfahren, wie Sultane ihr Wort lösen.«

Mograby wird auf den Schloßhof geführt und geköpft, und der Kopf rollt wie eine Kugel auf dem Boden herum, und als sie nun stille liegt, sieht man einen in der Mitte entzwei gehauenen Kürbiskopf, und zugleich einen mit Reißstroh ausgestopften Sack, der sich [218] von selbst entzündet, und einen gräßlichen Dampf verbreitet. Damit war Alles vorüber.

Jetzt saß der Fürst mit allen seinen Räthen rathlos und verwirrt da, und Keiner ersann ein taugliches Mittel.

Als der König am andern Morgen ausreitet, aber, aus Furcht vor Mograby, mit so viel Leibwache, als nur immer Platz hatte, stellt sich ihm auf einmal ein Derwisch in den Weg.

»Ich fordere meinen Sohn!« spricht der Derwisch. – Es war Mograby! Die Wache muß den Tollkühnen greifen und ihn todt schlagen, und sie schlagen ihn auch rein todt, und als er nun todt ist, liegt ein Sack mit Erbsen da, die überall auf dem Platze umherrollen, und dann verschwinden.

Jetzt wurde der gute Rath immer noch theurer, und Hof und Land flehten um Hülfe zum Himmel.

Indeßen berathfragte man auch einen berühmten Sterndeuter. Dieser bespricht eine Schlinge mit Zauberworten, und versichert, Mograby sei gewiß in des Königs Gewalt, könne Jemand demselben nur schnell genug die Schlinge überwerfen und zuziehen. Das getraute sich der Hofnarr gar gut zu können, denn er war weit und breit der geschickteste Taschenspieler.

Am andern Morgen reitet der Sultan zum Tempel, den Sterndeuter und den Hofnarren zu beiden Seiten. Da springt ein Esel aus einem offenen Stall und brüllt den König furchtbar an: »Ich bin Mograby; gib meinen Sohn her!«

Gleich will der Narr die Schlinge überwerfen und der Sternseher eilt auch herbei. Sie bekommen Jeder einen tüchtigen Schlag von den Hinterhufen des Esels, der in die Erde versinkt. Plötzlich ist dagegen der Narr in einen kleinen schäbigen Esel verwandelt, aber ohne Schwanz und Ohren, welche sich beide am Hintern und am [219] Kopfe des Astrologen finden, deßen Verwandlung jedoch nur einige Stunden dauert. Auch der Narr wurde wieder zum Menschen.

Der Sultan setzt seinen Zug zu der Moschee mit Grausen fort, und des Prinzen Hofmeister muß, als der Oberste der Geistlichkeit, die heiligen Gebräuche verwalten, indeßen er den Prinzen mit seinen Gespielen in einen Hinterhof verschloßen hat.

Es saß aber mitten im Hofe auf einem großen Baume eine Eule mit einem Fläschchen im Schnabel, und während die Knaben spielen, läßt sie ein Tröpfchen aus dem Fläschchen auf den Kopf des Prinzen fallen. Der Prinz ist auf einmal fort und statt seiner ist eine Maus da, die ängstlich ein Loch sucht; aber die Eule stürzt auf die kleine Maus herab, und führt sie davon. – So hatten es die Gespielen gesehen.

Als der König in seinen Palast zurückkehrt, findet er auf seinem Tische ein Blatt von Mograby. »Dein Sohn, hieß es in demselben, gehört der Macht, die du anriefst, als du den Apfel aßest. Ich werde ihn dieser zubringen!«

Der Weßir kam mit dem Prinzenhofmeister. Die Bestürzung und die Angst waren groß, der Thränen viel und die Aeltern wollten verzweifeln. – Der Hofmeister tröstete, der Himmel werde den Prinzen erretten; sein Herz sei gut; sein Glaube an Muhamed stark, und seinen Koran könne er fast auswendig. So könne er weder am Leibe noch an der Seele untergehen. –

Mograby gab seiner Maus den Menschenkörper erst tief in einer Wüste wieder, und fragte den Prinzen in widriger Gestalt, und mit barscher Stimme und Gebehrde: »Kennst du mich?« – »Nein, antwortet der erschrockene Prinz; wie sollt ich denn; da ich dich niemals gesehen habe?«

[220] »Wohlan! so sollst du mich kennen lernen, sagte der Zauberer, indem er dem Prinzen eine entsetzliche Ohrfeige gab. Ich bin Mograby.« Der arme Jüngling, der nicht einmal eines Verweises gewohnt war, als nur des allersanftesten, war betäubt und bestürzt.

»Du schläfst nicht und träumest nicht, Knabe, sagte der Zauberer. Ich heiße Mograby. Hast du nie von mir gehört?«

Habed antwortete, er habe wohl etwas von einem Apfel gehört, den Mograby gebracht, und den sein Vater und seine Mutter zusammen gegeßen hätten.

»Was gaufst du von deinem Vater und deiner Mutter? sprach der Zauberer; du bist aus den Kernen meines Apfels entstanden.«

Habed versicherte, seine Mutter habe ihn geboren; da empfing er aber die zweite, viel fürchterlichere Ohrfeige, und die Gestalt des Zauberers war noch viel gräßlicher und grimmiger geworden.

»Ich will dich lehren, sagte Mograby, weßen du bist, dein sogenannter Vater und Mutter taugen nicht einmal zu Mauleseln in meinem Stalle. Laß sehen, ob du etwa von dieser Raçe bist!«

Er besprengte ihn mit ein Paar Tropfen Waßer, das sich in einem hohlen Felsstück gesammelt hatte, und Habed wurde zum Maulesel, den der Zauberer bestieg und mit den unbarmherzigsten Hieben zum schnellsten Rennen antrieb, so lange, bis er kraftlos niederstürzte. Habed wollte Muhamed anrufen, brachte aber nur Töne hervor, vor welchen er selbst erschrack.

Sie waren am Fuße eines fürchterlichen Felsengebirges, das mitten in der Wüste da stand, als Habed niederstürzte.

Noch hieb der Zauberer so lange auf ihn los, bis er seinen Arm nicht mehr heben konnte. »Dir fehlts an Erziehung,« sagte er, »aber ich will sehen, was ich aus dir noch herausbringe.«

[221] Es schöpfte Waßer aus einer aus dem Felsen rieselnden Quelle und bespritzte ihn damit, indem er sagte: »Knecht des Schatanai, nimm deine Gestalt wieder an!«

Da lag der arme Habed in menschlicher Gestalt, mehr als halbtodt, und zerrißen von blutigen Wunden und mit unterlaufenen Striemen. Der Zauberer tauchte ihn in die Quelle, wodurch der grausam Verwundete wieder zu sich selbst kam.

Mograby lehnte ihn an den Felsen an, und fragte: »Nun, sage mir, Habed, weßen Sohn bist du?«

Bei der guten Lehrart, die Mograby hatte, konnte die Antwort nicht fehlen. Es war dieselbe, die noch da und dort im Gange ist, wenn man den Leuten guten Willen machen will, Gut oder Blut herzugeben, Vermögen aufzuopfern und Heldenmuth zu bekommen. Es ist eine ganz sichere Lehrart.

»Ich bin doch wohl, versetzte kläglich der arme Habed, der Sohn des Apfels und also dein Kind; aber da sei doch auch mitleidig gegen mich!« Ach, was lehrt die Angst und Noth dem Menschen nicht sprechen! Lehrt sie doch Tyrannen wie Gott verehren!

»Dein Glück, sagte der Zauberer, daß du zur Erkenntniß kommen willst. Ich denke schon, es wird noch Etwas aus dir herauszubringen sein; zumal da ich das verhaßte Blut der Treulosen, deren Kind du zu sein glaubtest, aus dir heraus habe. – Es hat mir leid gethan, daß ich dir Schmerzen machen mußte; aber es war der kürzeste Weg. – Und nun! sei gehorsam und gescheut, so wirst du einen guten Vater an mir haben, der dich aber durch Poßen von Macht und Hoheit eines Fürstensohns, womit man dich schon verzogen hat, nicht will zum ganzen Narren werden laßen. Willst du aber nur selbst, so sollst du höhere Gewalt und auch Weisheit erlangen, als kein Fürst auf Erden hat.«


[222] Mograby nahm aus einem Beutel ein Büchlein, machte ein Feuer an, um welches er, heimliche Worte sprechend, herum ging, warf einiges Räucherwerk hinein und sagte endlich überlaut: »Mächtiger Schatanai, König des Erdkreises, zwei deiner Kinder wollen sich in deinem Freudengarten erquicken; öffne ihnen den Eingang!«

Da bebte der Erdboden und einige Donnerschläge durchdröhnten die Felsen und der halbtodte Prinz sank ohnmächtig hin, aber der Zauberer hielt ihm eine Eßenz vor, die ihn wieder zu sich selbst brachte. Vor den Zauberworten hatte sich eine dunkle Grotte im Felsen geöffnet, durch deren Windungen der Zauberer seinen Zögling führte. Als sie hindurch waren, schloß sich die Grotte wieder mit donnerähnlichen Krachen.

Sie traten in eine herrliche Gegend, wo die lieblichste Luft wehete, Gewächse und Blumen in außerordentlichen Fülle und Schönheit prangten, Quellen rieselten, da und dort Heerden weideten ohne Schüchternheit und Scheu, und prächtig gefiederte Vögel durch die Lüfte flatterten, und von weitem erblickte Habed einen überaus großen Palast von schimmerndem Glanze.

»Siehe, ob es hier schön ist? mein Sohn, sprach Mograby. Alles, was du hier siehst, gehört mir, aber dir eben so wohl, wenn du mir folgen wirst. Aber das ist das Geringste von dem, was ich dir zugedacht habe. Du hättest wohl nicht gedacht, wie lieb dich dein Vater Mograby hat, weil er dich züchtigte, aber die dummen Fürstengrillen mußten erst aus dir heraus. Du hättest gewiß gedacht, die ganze Welt wäre für deine Laune gemacht, wärst du in deiner vormaligen verhätschelnden Zucht geblieben, und hättest gemeint, für alle deine dummen Prinzeneinfälle müßtest du noch hohe Verehrung erlangen; hier sollst du es aber beßer lernen.

[223] Ich selbst werde dich erziehen, mein Sohn, und dich nicht fremden Händen anvertrauen, wie der that, welcher dein Vater sein wollte. Damit dich Niemand verwöhne, hab ich alle Leute aus dem Palaste gejagt, du aber sollst dennoch vergnügt leben und ich selbst will dich bedienen, weil ich dein wahrer Vater bin.«

Während der Zauberer so sprach, wurde seine gräßliche Gestalt immer erträglicher und freundlicher, und der Prinz fand sich in einer sonderbaren Verwirrung des Gemüthes, voll Zweifel und Vertrauen, voll Widerwillen und Zuneigung, die Furcht aber herrschte hervor, und machte ihn vorsichtig.

Der Palast war weit prächtiger, als der seines Vaters, aber nirgends ein menschliches Wesen darin, und alle Thüren waren geöffnet. Durch Säle und Gänge ging es in ein Nebengebäude mit Springbrunnen und Waßerbecken, deßen krystallhelle Strahlen in wunderbaren Farben und mit allen Lichtern des Regenbogens spielten. Die weichsten Sofas, die kostbarsten Geräthe schmückten die Säle und Zimmer, und vier hohe Fenster, die das Licht einfallen ließen, enthielten vier Vogelhäuser von Golddrath, wo das luftige, farbenglänzende Gefieder zwitscherte und sang und unter Blumen, unter duftenden Orangenbäumen und Luststräuchern hüpfte und spielte.

»Hier soll dein Studirzimmer sein, sagte Mograby, wenn es dir gut genug ist. Ruhe auf einem Sofa aus, indeßen ich das Abendeßen besorge, du wirst der Ruhe wohl nöthig haben. Auch werd ich dir ein Bad besorgen, welches alle deine Schmerzen heilen wird.«

Der Prinz versank in tiefe Gedanken; aber der Zauberer brachte ihm bald ein Körbchen des auserlesensten Obstes, und als Habed davon gegeßen hatte, führte er ihn ins Bad, in einem Saal, voll der herrlichsten Wohlgerüche. Er salbte ihn, er drückte, wie mit weicher [224] Mutterhand die schmerzhaften Stellen, und in weniger Zeit war der Prinz so heil und frisch, als er am Morgen dieses Tages gewesen war. Der Zauberer kleidete ihn sogleich in den bequemsten Nachtanzug und führte ihn zum Abendeßen in einen mit lauter Kronenleuchtern erhellten Saal, wo die ausgesuchtesten Gerichte und die erquickendsten Weine sich fanden.

Habed aß mit bester Eßlust, und während er dem Mograby gegenüber saß, fiel es ihm immer mehr auf, daß derselbe das Gesicht eines ehrwürdigen Greises hatte, und selbst die Stimme so mild und sanftklingend geworden war.

»O! sagte Habed auf einmal in seiner Unbedachtsamkeit; du bist gewiß doch der böse garstige Mann nicht, der mich entführt und in einen Maulesel verwandelt und mich so entsetzlich gehauen hat?«

»O! mein Kind, hieß die Antwort, ich bin furchtbar häßlich, triefäugig, einäugig und zornig, wenn man mir widerspenstig ist, und wenn ich Leute mit Verdruß ansehen muß; aber gegen einen lieben Sohn bin ich immer so, wie du mich jetzt siehst. Hältst du mich denn aber für deinen rechten Vater?«

»O gewiß! erwiederte Habed, der schon die Blitze des Grimmes in den Augen des Alten sahe! Gewiß! jetzt wüßte ich nicht, wer es sonst sein könnte!«

Der Zauberer umarmte ihn zärtlich. Habed that sich bei Tische gütlich, ging und schlief, und verschlief Schmerzen, Angst und Bedenklichkeit.

»Komm, mein Sohn! sagte am andern Morgen der weckende Alte zu Habed. Der Morgen ist so schön, ich will dich ankleiden!«

Mograby legte seinem Sohn eine leichte Jagdkleidung an. Der Morgen war so schön, als Habed noch keinen erlebt hatte, auch hatte [225] er noch nie eine so reizende Gegend gesehn. Tausend Dinge wurden ihm gezeigt, die er noch gar nicht, oder so schön und herrlich nicht gesehen hatte. Der Zauberer unterrichtete ihn, daß sie mitten in einem, von den Felsengebirgen des Atlas umschloßenen Thale sich befinden, welches er mit Quellen, Pflanzen und allerlei Gethier versehen, und aus einer dürren Sandwüste in einen Lustgarten umgeschaffen habe. Hier möge Habed sehen, was des Menschen recht ausgebildete Kraft vermöge, und er wolle ihm zu dieser Ausbildung verhelfen.

Sie kamen an das Ufer eines klaren Baches, in welchem lustige Fische spielten. Eine Gazelle, die am Ufer des Flußes stand, um zu trinken, erlegt Mograby mit seinem Pfeil, und bald darauf Habed ein junges Reh, welches aus dem Gebüsche hervorsprang. Bald drauf schoß der Zauberer mit seinem Pfeil einen Fisch mitten in den Fluthen. Habed sprang ins Waßer und holte ihn. Der anstellige Lernling bekam von seinem Meister Lobpreisungen und liebkosende Worte.

Mograby zeigte seinem Sohn den Hünerhof, den Viehhof für das Zucht und Schlachtvieh; die Menagerie für wilde und reißende Thiere, Löwen, Tiger u. dgl. und dann ein sehr großes Vogelhaus, wo die Vögel unter lauter Bäumen und Gesträuchen lebten, deren Früchte, Beeren und Samen ihnen angenehm, und die aus allen Erdtheilen hier zusammengebracht waren. Der Rasenboden des Vogelhauses wurde von einer klaren Springquelle bewäßert, aus welcher sich in kleinen Gerinnen das Waßer überall hin vertheilte. In dem Baumgarten, durch welchen sie zurückgingen, pflückte sich Habed die schönsten Früchte, die er in sein Studirzimmer trug, wo er eine andere Kleidung fand, die er anlegte.

O wie glücklich wäre der Jüngling gewesen, der sich frei regen [226] und bewegen durfte, hätte nicht heimliche Furcht und stilles Verlangen nach den Aeltern gemartert. Die liebkosenden Worte des Alten thaten ihm wohl, aber es blieb eine gewiße Beängstigung dabei in seinem Herzen.

Mit den schönsten Vergnügungen unterhält der Zauberer von nun an seinen Sohn und bezeigt ihm eine innige Liebe. Das junge Herz vergißt die erlittenen Mißhandlungen immer mehr; sein Mißtrauen und seine Beklemmungen verlieren sich immer mehr, und Habed, der scheinbar frei und unbeschränkt leben darf und keineswegs den Zauberer immer zum Geleitsmann hat, fühlt sich immer glücklicher und fängt täglich immer mehr an zu glauben, der ehrwürdig freundliche Alte möchte dennoch wohl sein wahrhaftiger Vater sein, obwohl er sich im Herzen nicht recht dazu verstehen konnte, seine Mutter nicht für seine Mutter zu halten, so sehr ihn auch der Zauberer mit seinen Vorspiegelungen gegen Mutter und Vater einzunehmen suchte.

Der Prinz lebte aber nicht etwa blos unter zerstreuenden Vergnügungen, sondern der Alte zog ihn auch allgemach in seine geheimen Wißenschaften hinein. Er versprach ihm viel Wunderdinge zu lehren, wie die Zedern ihre Gipfel vor ihm neigen, die Löwen sich vor ihm dehmüthigen, und die Stürme auf seinen Wink gehorchen sollten. Solche geheime Künste haben schon viele angezogen, aber auch dann in die Abgründe des Verderbens hinabgezogen, zumal junge Menschen, die am meisten geneigt sind, sich irre führen zu laßen, besonders wenn das ehrwürdige Angesicht eines erfahrnen Greises mit wohlwollendem treuherzigen Worten den Betrug vollendet.

Der Alte führt seinen Zögling in die Bibliothek. »Hier, sagte er, findest du die besten Werke über alle Fächer der menschlichen [227] Erkenntniß, und hier kannst du den Anfang mit deinen Studien machen. Ich werde dir, wo es nöthig ist, schon nachhelfen, und wenn du guten Willen hast, so wird Alles leicht werden und schnell vor sich gehen.«

Habed warf sich mit großem Eifer auf die Wißenschaften, besonders weil ihm die verborgenen Dinge anzogen. Mograby half überall nach, und so waren die Fortschritte reißend. Oftmals mußte der Lehrer den Schüler in seinem allzugroßen Eifer unterbrechen, damit er sich durch Jagd und Fischerei wieder erholte, oder den Reitstall besuchte, wo er Pferde fand, viel schöner, als er sie in den Ställen seines Vaters nicht getroffen hatte, und dazu noch in größerer Menge. Der Prinz war schon im Reiten geübt, aber Mograby lehrte ihn, mit den Pferden so zu sprechen, als ob sie Menschen wären, die ihn verständen.

Nach und nach lernte Habed immer mehr geheimnißvolle Kunstdinge. Eine erlegte Gazelle berührte er nur mit dem Stabe, und sprach Ein Wort, so zog sich das Wild selbst die Haut ab, und zerlegte sich in Stücke. Er sagte der Pfanne nur: »Pfanne, thue, was dir gebührt,« so praßelte das Fleisch von selbst und wandte sich um. So war es mit Allem, was die Küchensachen anging.

Diese Künste, sagte der Zauberer, lehre er dem Prinzen deshalb zuerst, damit sich derselbe leicht helfen könne, wenn Mograby genöthigt wäre abwesend zu sein, welches schon morgen früh der Fall sein würde. Auf die Worte: »im Namen des Herrn der Geister, gehorche dem Kinde vom Hause;« würde ihm Alles unterthan sein. Mograby ermahnte ihn, seine Studien fortzusetzen. Zu seinen Erholungen stände ihm Alles bereit und alle Thüren würden sich ihm willig öffnen.

[228] Habed fand sich am andern Morgen allein, und theilt seinen Tag genau so zwischen Studien und Vergnügungen, als ihm vorgeschrieben war, und that es um so williger, weil er wohl sahe, wie viel er durch Mograby in aller Art Wißenschaft weiter gekommen war, als vorher. Er hätte jetzt selbst Lehrer seines gewesenen Hofmeisters sein können. Die Dankbarkeit band ihn immer fester an den Alten, obwohl es ihm unmöglich war, Liebe gegen ihn zu empfinden, wie gegen seine Aeltern.

Eines Tags sagte er in seinem Studienzimmer laut vor sich hin: »die Naturlehre und die Größenlehre (Physik und Mathematik) möchte ich am liebsten einzig und allein studiren, aber das ist mir verboten, und ich wäre höchst undankbar gegen so viele Güte meines Wohlthäters, der mich schon so weit gebracht hat, wenn ich nicht blind folgen wollte.«

Es war ein Glück für Habed, daß er so dachte und es laut sagte. Mograby war nicht abwesend, sondern unsichtbar auf allen Tritten bei ihm, um die Gesinnungen seines Zöglings genau kennen zu lernen. Er erschien wieder am Tage darauf, und Habed erzählte demselben, was Mograby schon wußte, nämlich wie weit sein Zögling es in Wißenschaften und Leibesübungen in den Tagen daher gebracht, wie er die Kleiderkammer gezwungen, ihm andere Kleider zu liefern, und wie er sich zum Herrn über Alles gemacht habe.

Mograby war entzückt über die Dankbarkeit und Aufrichtigkeit seines Zöglings, denn seine Hoffnung wuchs dadurch, in kurzer Zeit aus demselben ein mächtiges Werkzeug des Schatanai zu bilden, und sich durch ihn bei seinem Oberherrn noch größere Gunst zu erwerben.

Nach mehrern Monaten, in welchen Habed in geheimnißvollen Dingen unglaublich weit vorgerückt war, mußte Mograby im Ernst verreisen und zwar auf ungewiße Zeit.

[229] »Wahrscheinlich, sagte er zu Habed, werde ich dießmal länger von dir abwesend sein müßen, als es meine Liebe zu dir wünscht. Indeßen, es ist jetzt an der Zeit, daß du deine Studien verdoppelst. Was deine Vergnügungen betrifft, so kennst du fürwahr unsern Bezirk noch lange nicht durchaus. Ich habe dir von Vielem nichts eröffnet, weil es dir größere Freude machen wird, es selbst aufzufinden. – Hier sind die Schlüßel zur Bibliothek, die dir von nun an offen steht. Komm! wir wollen hinein!«

Als sie hineingekommen waren, fuhr er fort: »Dieses Fach hier enthält vierzig Bände, die zu den vierzig Pforten aller geheimnißvollen Weisheit führen. Du sollst dir nur vor der Hand die zwölf ersten recht zu eigen machen. Du wirst viel daraus lernen, aber ich verbiete dir eher eine Anwendung davon zu machen, als ich wieder da bin.«

Habed mußte dem Zauberer sein Ehrenwort geben, daß er ihm hierin folgen wollte. Der Zauberer umarmte seinen Zögling zum Abschiede aufs zärtlichste. Ein schwacher Stoß von Erdbeben und einige dumpfe Donnerschläge waren das Zeichen seines Durchgangs durch die Felsen.


Der Prinz nimmt sogleich, nachdem er allein war, den ersten von den zwölf Bänden, der ihm anfangs ganz unverständlich ist, aber er findet bald, daß die Deutung auf Rechnungen beruht, und, wie bei allen Wißenschaften, ging es auch hier desto leichter und schneller, je beßer das Vorhergehende begriffen war, und je tiefer er hineinkam, und in wenigen Tagen war er mit allen zwölf Bänden durch.

[230] Er wagte sich an den dreizehnten Band, aber hier halfen ihm alle seine Mühe und seine schwersten Rechnungen gar nichts. Er bittet den großen Propheten Muhamed um Erleuchtung, den er beinahe schon vergeßen hatte. Er geht mit Bitten zum Propheten zu Bette, und hat ein Traumgesicht, welches ihm den Schlüßel zum Verständniß des Buchs gibt, indem es ihn anweist, daß er (gegen Sitte der morgenländischen Sprachen) von der Linken zur Rechten lesen, und dann Rechnungen anstellen solle, wodurch er alle Nachweisungen erhalten werde.

»Bist du mit deiner Arbeit fertig, hieß es im Traum, so geh in des Zauberers Zimmer, wo du eine weiße marmorne Bildsäule finden wirst. Gib dieser eine Ohrfeige auf den rechten Backen und sprich: ›Thue deine Schuldigkeit für das Kind vom Hause:‹ so wird sie auf die Seite treten, und die Wand hinter ihr wird sich öffnen und du wirst mancherlei Dinge sehen.«

Habed war sogleich völlig wach, geht in die Bibliothek, und nimmt den dreizehnten Band und arbeitet so emsig, daß er mit Anbruch des Tages so weit ist, als er zu sein wünscht. Ein Capitel in diesem Bande hatte ihn vorzüglich beschäftigt; das: wie man erfahren könne, ob ein Thier ein verwandelter Mensch sei, und wie man ihm die Sprache wiedergeben könne. Der Prinz nahm sich vor an den Löwen und Tigern Versuche anzustellen und glaubte dabei sein Ehrenwort nicht zu brechen, welches er ja nur für die Nichtanwendung der ersten zwölf Bände gegeben hatte.

Er geht zuvor aber erst in das Zimmer des gefährlichen Zauberers, findet die Bildsäule, gibt ihr eine Ohrfeige und kommt in ein großes Vogelhaus, wo lauter Vögel sich finden, welche leicht sprechen lernen. »Wer da? Wer da?« schreien sie allzumal, nur ein [231] großer Hara (Papagei) schrie nicht, welcher mit einer Stahlkette an der Klaue gefeßelt war.

»Warum liegst du an der Kette?« fragte der Prinz; bist du denn so böse? – Der Vogel nickte traurig mit dem Kopfe. – »Warum sprichst du nicht? bist du vielleicht ein verwandelter Mensch?« – Der Vogel nickte noch trauriger.

»O! sagte Habed, Muhamed, den ich angerufen habe, hat mich gewiß nicht ohne Ursach hieher geführt.«

Auf einmal schrieen alle Vögel, »Muhamed! Muhamed!« und der Hara war sehr unruhig.

»Laß mich drei Federn von deinem Kopfe nehmen;« sagte der Prinz zu dem Hara; und der Vogel hielt den Kopf hin. Habed zündete ein Feuer an, warf Räucherwerk und die drei Federn hinein und sprach: »Bist du ein Mensch, so sprich wieder.«

»Leider bin ich ein Mensch, sagte der Hara bekümmert, und ein sehr strafbarer, denn ich habe mit dem Zauberer viel Böses begangen, aber ich sehe, Gott ist barmherzig und hat uns in dir einen Helfer gesendet.«

Als der Prinz fragte, ob er ihm menschliche Gestalt wiedergeben könne, sagte der Vogel: »Ja, aber erst dann, wenn du den Bösewicht besiegt hast. O! fuhr er fort; du scheinst nicht zu wißen, wo du bist. Es gibt deren viele hier, die noch weit unglücklicher sind als ich, und die der gräßliche Zauberer mit den langsamsten Qualen hinmartert. – Gehe, Prinz, und richte eine Mahlzeit von leichten Speisen zu. Nimm einen Wagen und fahre bis zum Fuße des Gebirges gen Osten und vergiß nicht, vom Lebenselixir mitzunehmen, welches du ja kennen wirst. Gib der schwarzen Bildsäule, die du dort antreffen wirst, eine Ohrfeige auf den linken Backen, gehe mit Licht in die Höhle, die sich dir zeigen wird, und deren Eingang [232] das Fußgestelle der Seule verdeckte, und findest du dann noch vier unglückliche Schlachtopfer am Leben, dann kannst du mich auch erlösen.«

Den Prinzen grauste es bei den letzten Worten, aber er eilte, um Alles zu vollbringen, indem er seufzte: »unter welche schändliche Macht bin ich gerathen! O Muhamed rette uns!«

Habed kam zur Bildsäule und stieg auf einer Treppe in ein großes Gewölbe hinab, in welchem er bald genug ein Wimmern und Aechzen vernahm. Er kam zur Oeffnung eines Brunnens, über welchem Menschenkörper, in denen zum Theil noch Leben war, mit den Füßen aufgehenkt waren. Unter Vielen findet er noch vier, welchen er mit dem Elixir ein wenig wieder ins Leben half, sie behutsam auf seinen Wagen ladete und zu dem Palaste hinbrachte. Durch kostbare Arzeneien und durch die zugerichtete Speise kehrten sie wieder ins volle Leben zurück, und dankten ihrem Erretter mit Thränen, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß derselbe kein Werkzeug des Bösewichts sei.

Nachdem sie sich stark genug dazu fühlten, erzählten sie, wie sie hierher gekommen waren. Es fand sich, daß sie allesammt Prinzen waren, um welche Mograby ihre Aeltern durch seine boshaften Künste betrogen hatte, und daß sie auf ziemlich gleiche Weise, wie Habed, waren gemißhandelt worden. Auch der Hara erzählte seine Jammer und Leidensgeschichte. Er war eine Prinzeßin von Yemen in Arabien, und eine zeitlang die Frau des Zauberers gewesen, den er daher am besten kannte, zumal da er in der Zauberkunst es noch viel weiter gebracht hatte, als der Prinz Habed. Durch einen Geist, den Zulma – so hieß die Prinzeßin – aus Mograbys Gewalt heimlich erlöst hatte, wußte sie die ganze Zaubergeschichte dieses [233] Bösewichtes, und die Art, wie die Macht deßelben vernichtet werden konnte, wovon sie den Prinzen genau unterrichtete.

»Macht Euch, Ihr Prinzen, sprach sie, unverzüglich auf und bemächtigt Euch der vereinigten Asche von Mograbys Aeltern, die unter der Ebene vor den Thoren der Stadt Harenahy verborgen ist. Du, Habed, hast in dem Waldgarten Mograbys unmöglich einen Vogel unbemerkt laßen können, welcher einst Salomo gehörte und Feßefzeh genannt wird. Sein Herr hat ihn mit wunderbaren Eigenschaften begabt. Sucht ihn und sprecht: ›Lieber Vogel, wir greifen dich im Namen Salomos, zum Dienste des großen Propheten Muhameds;‹ so wird er sich selbst Euch in die Hände liefern. Tödtet ihn sodann, welches er, wie ich weiß, erwartet und wünscht; bewahrt seine Federn sorgfältig, verbrennt dann zuerst sein Herz, und sodann seinen Körper. Nehmt die Hälfte von der Asche des erstern und streut sie auf ein Räucherwerk, so wird sich der Felsen Euch zum Durchgang öffnen. Seid Ihr hierauf in die Wüste gekommen, so nehme ein Jeder von Euch eine Schwanzfeder, zwei Schwungfedern und zwei Kronenfedern von dem Vogel, und sprecht: ›Federn von Salomos Boten, bringt die Arbeiter des Propheten ans Werk;‹ und Ihr werdet Euch schnell vor Haranhys Thoren unter Palmbäumen finden, von welchen sich einer an Wuchs und Größe auszeichnet. Zieht um demselben einen Kreis von dreißig Schritten, werfet einen Theil von Asche des Vogelkörpers auf die Rauchpfanne und räuchert im Kreise umher, und die Erde wird erbeben und an der rechten Stelle unter den Wurzeln des Baumes die Oeffnung sich finden, welche zu dem Grabmale der Aeltern Mograbys führet.«

Alles geschahe, wie der Hara, oder vielmehr Zauberer, gesagt [234] hatte, aber auch für das, was weiter erfolgen würde, hatte sie Unterricht ertheilt.

Habed hob die Marmorplatte ab, welche die Oeffnung des Grabmals bedeckte, und ging mit seinen Begleitern auf einer Treppe in finstere Tiefen hinab. Die Federn von Salomos Vogel flatterten leuchtend vor ihnen voraus. Sie kamen in eine lichte Ebene, über welche sich ein reiner blauer Himmel wölbte. Rieselnde Quellen durchperlten die Ebene und das lieblichste Obst aller Art stand überall lockend und reitzend.

Sie waren Alle hungrig und durstig, aber sie erquickten sich nicht mit dem Obste, sie tranken nicht aus den Quellen. Habed war von dem Hara gewarnt worden. »Streiter des Propheten, rief er seinen Gefährten zu, das Große und Schwere wird nur durch Versagungen erlangt. Enthaltet Euch! Wir sind nicht des Eßens und Trinkens wegen hieher gedrungen. Meidet die Fallstricke des bösen Zaubers.«

Sein ermuthigender, tapferer Zuruf siegte über das Verlangen der Gefährten. Aber jetzt kamen sie in eine Sandebene, wo die scheitelrechte Sonne sie fast zu verbrennen drohete und sie bis über die Knöchel im Sande, wie in glühenden Kohlen wadeten. Hie und da aber liefen am Wege schattige, kühlende Baumgruppen hin, unter welchen der Rasen sammetweich und erfrischend war; aber es waren auch nur Versuchungen des Zaubers, die sie, obwohl nur mit großer Ueberwindung, besiegten. – Eine noch listigere Falle war ein Feld mit Mohn, durch welches sie hindurch mußten. Die Mohnblumen machten betäubt und schläfrig. Hätte nicht Habed angeordnet, die Blumen, so weit sie dieselben vom Wege aus erreichen könnten, nieder zu treten, so hätten sie sich gewiß der Schlaftrunkenheit hingegeben und wären vielleicht einige Jahrhunderte [235] schlafend geblieben. Aber durch Habeds Anordnungen retteten sie sich, denn der Schlaftaumel wich von den umnebelten Sinnen.

Sie kamen an einen Hügel, auf welchem ein großer Dom glänzte. Ein unergründlich tiefer Graben umzog den Hügel; aber unsere Helden konnte er nicht aufhalten, denn Feßsefzehs Federn trugen sie hinüber. Unter vielen Treppen, die den Hügel hinaufführten, fanden sie die einzig haltbare durch Räuchern mit der Vogelasche auf, die andern aber verschwanden.

Sie kamen bis an die Schwellen des Doms. Vier goldene Pforten führten in denselben hinein, aber nur durch Eine konnte man hineinkommen, durch diejenige, deren Gold, bei der Beräucherung mit der Vogelasche, unverändert blieb. Dieß war die Pforte gegen Osten hin, die sich mit dem Getöse eines Donners öffnete, als Habed dreimal mit seinem Schwerdte an derselben anklopfte. Ein greulicher Riese trat aus der Pforte gegen Habed hervor und hob eine stählerne Keule auf, ihm den Schädel zu zerschmettern. Aber ehe diese niederfiel, hatte der Prinz den Riesen, im Namen der vier und zwanzig Bücher des Ananias beschworen, und die Gestalt des Ungeheuers zerfloß in einem schwarzen Dampfe. Einen der Prinzen bestellte Habed, mit gezucktem Säbel den Eingang der Pforte zu bewachen, indem er selbst zu der zweiten Pforte ging, aus welcher zwei große Löwen hervorbrachen, die aber ebenfalls in Dunst zergingen, da sie bei Salomos Siegelring beschworen wurden. Der Wächter der dritten Pforte, ein ungeheurer Lindwurm, löste sich auf gleiche Weise auf, als er bei Muhameds Säbel dazu aufgefordert wurde. Ebenfalls verwandelte sich in der vierten Pforte ein Beil, das haarscharf war, und viele Zentner wog, in demselben Augenblick, als es auf Habeds Hals niederzufallen drohete, [236] in ein Bündel leichter Flaumfedern, da es bei Moses Stab beschworen wurde.

Alle Pforten waren geöffnet, und in jede derselben hatte Habed einen seiner begleitenden Prinzen als Hüter gestellt, die bei jeder Gefahr, welche von Außen drohete, im Namen Muhameds die Säbel schwingen mußten. Diese Vorsicht war sehr nöthig, weil in demselben Augenblick, als Habed durch die goldene Pforte gegen die Mitte des Doms vordrang, die Geister aller Elemente losgekettet wurden, um die Bildsäule des Obersten der bösen Geister, des Satanai oder Kokopilesobehs, nebst der Urne zu entführen, in welcher die Asche von Mograbys Aeltern enthalten war.

In ungeheurer Riesengestalt saß die goldene Bildsäule Kokopilesobehs auf einem goldenen Thron. Aus den Augen fuhren Blitzflammen, und ein feuriger Pfeil zielte furchtbar nach Habeds Herzen, aber Pfeil und Bogen zergingen in Rauch, als sie von dem Prinzen bei den heiligen Buchstaben auf der Stirnbinde des Hohenpriesters der Juden beschworen wurden. Jetzt entriß der kühne Held der Bildsäule den Fingerreif, welcher, so groß er auch war, sich an Habeds Finger anschmiegte und ihn zum Herrn des Geisterreichs machte. Hierauf bemächtigte er sich der Urne, worauf die Vernichtung des Zaubers ankam und die auf den Knien der Bildsäule ruhete. Mit der verkehrten Hand, an welcher der Prinz den Ring trug, schlug er das riesige Bild und sprach: »Verruchtes Bild des bösesten Wesens, sei vernichtet durch die Mächte, die dir das Dasein gaben.«

Die Geister des Ringes hatten die Bildsäule gemacht und diese mußten sie auch wieder vernichten. Sie kamen unter lauten Donnerschlägen, und die finsterste Nacht erfüllte den Dom. Mit einem Krachen, als ob eine Welt untergehen wollte, wurde der Koloß gestürzt [237] und verschwand. Jetzt war der ganze Zauber vernichtet, der in dieser unterirrdischen Gegend geherrscht hatte. Der Dom zerfiel in Staub, der Himmel mit seinem Lichte, die Quellen, die Bäume – Alles war plötzlich verschwunden, und nichts blieb übrig als eine ungeheure natürliche Erdhöhle mit ihren Gängen und Schluchten. Habed behielt seinen Muth, obwohl er mit seinen Gefährten in der dicksten Finsterniß stand und nicht wußte, wohin er sich wenden sollte.

Er bemerkte ein schwaches Leuchten an dem Ringe, und rieb denselben. Da sprühten hell leuchtende Funken aus dem Ringe und ein Geist in Menschengestalt mit vier andern in Thiergestalt trat hervor und sprach: »Befiehl den Elementen; mit diesem Ringe bist du ihr Meister.«

»So schaffet Licht für uns, befahl Habed, und eins der Thiere fing an zu leuchten und tausend Fackeln erhellten die Erdhöhle. Bevor wir zurückkehren, sprach Habed, haben wir, gleich auf der Stelle, noch eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen. Zulma muß ein Zeichen haben, daß unser Werk gelungen ist, und ihrer Feßeln entledigt werden.« Er nahm seine Rauchpfanne und warf drei, aus dem Federkragen des Hara mitgenommene Federn in die Gluth und sprach einige Worte dazu, die ihm der Hara gesagt hatte. In demselben Augenblicke fielen dem Hara die Stahlfeßeln ab, und er merkte daran, daß das große Werk gelungen war.

Als sie nun aus der Höhle an das Tageslicht gekommen waren, meinten die Prinzen, daß sie mittelst der wunderbaren Federn ein Jeglicher in seine Heimath zurückkehren wollten.

»Thut was Euch gefällt, sagte Habed unwillig, und vergeßt, nachdem Ihr nun frei seid, aller der Unglücklichen, die nach ihrer Erlösung seufzen, und der Dankbarkeit gegen den armen Hara, ohne [238] deßen Rath Ihr noch allesammt unter Mograbys Gewalt ständet. Geht! Ich kehre allein zurück! zum Wohnsitz des Zauberers, und hoffe das Werk zu vollenden.«

Die Schaam, die sie, obwohl sie Prinzen waren, doch in sich fühlten, half, wie so oft, auch hier dem Gefühl der Pflicht und Ehre nach, und sie betheuerten, daß sie ihn, ihren Führer und Retter nimmermehr verlaßen wollten, und daß sie sehr unrecht gedacht hätten.


Sie kamen wieder in den Wohnsitz Mograbys an, und hörten über sich eine wohlbekannte Stimme, welche rief: »Glück zu! wenn Habed den Ring und die Urne mitbringt.« Es war die Stimme des Haras, der sich auf Habeds Schultern niederließ, und dem er Urne und Ring zeigte.

»Laß uns eilen, Prinz, sagte sie; rufe den Sklaven des Ringes, und befiehl ihm das älteste und räudigste Schaaf herbeizubringen, welches in diesem Bezirk befindlich ist, denn wir bedürfen deßelben zu einem Opfer.«

Nachdem der Geist des Ringes seine Befehle erhalten und wieder verschwunden war, das Schaf zu holen, fühlten die Prinzen das Bedürfniß des Eßens und Trinkens. Aus Furcht, daß sie einem Menschen das Leben nehmen möchten, wenn sie eins von den vorhandenen Thieren schlachteten, und vielleicht auch weil ihnen die Zurichtung der Speisen zu lange dauerte, forderte Habed den Geist der Urne, indem er die Handhaben derselben sanft rieb.

Ein großer Mohr stand vor ihm, mit einem glänzend goldenen Halsbande und empfing den Befehl, Speise und Trank in der aus [239] gesuchtesten Art zu schaffen; denn, wie von jeher und immerdar wollen die Helden sich gütlich thun, wenn sie große That vollbracht haben. Der Mohr legte zum sklavischen Zeichen seines Gehorsams die Hände kreuzweis über die Brust – ein Zeichen, welches Niemanden zu sklavisch bedünken kann, der es weiß, wie tief wir in Europa vor Gewalthabern das Haupt beugen und gesenkt halten, und mit welcher knechtischen Dehmuth die Augen niedergeschlagen werden müßen.

Ehe man noch zur Tafel gehen konnte, erschien der Geist des Ringes wieder mit einem höchst alten Schafe, welchem die vier Füße fest und scharf zugeschnürt waren. Es hatte kein Härchen Wolle mehr auf dem nackten, mit rauher, aufgesprungener Rinde bedecktem Leibe; der eine Hinterfuß war eine Handbreit kürzer und der Schenkel deßelben stark aufgeschwollen.

»Verwünschte Bestie, stöhnte mit kurzem Athem der Geist des Ringes, indem er das Thier auf die Erde warf; so alt und steif es zu sein scheint, glaubte ich doch kaum, daß ich es mit allen meinen Kameraden würde einfangen können, so gelenk und flüchtig sprang es. Wo eine Fliege, wo ein Sonnenstäubchen kaum hindurch konnte, war es entschlüpft, und wo es uns mit dem Kopfe stieß, waren die Stöße so gewaltig, daß sie Kieselsteine könnten zu Staub gemalmt haben, und so unvorhergesehen, als ein Blitzstrahl vom heitern Himmel. Die Bestie ist zuverläßig einmal ein ausgelernter Hofmann gewesen, der sich überall leicht durchzuwinden weiß, und seine tüchtigen Stöße immer unvermuthet anbringt.«

»Der Geist hat nicht unrecht, sagte Zulma, denn die Mutter des Zauberers hat dieses Geschöpf mit außerordentlichen Kräften [240] begabt, als sie in seinem Schenkel den Talisman verschloß, von welchem das Leben ihres Sohnes abhängt.«

»So tödte das Thier,« sprach Habed zum Geiste des Ringes. »Es tödten? erwiederte der Geist; das steht in keines Geistes Gewalt; aber schlage du es mit deinem Ringe, so wird es sterben.«

Habed schlug es mit seinem Ringe. Das Thier wand und krümmte sich und verschied unter gräßlichem Aechzen. Nachdem der Prinz die Schenkelgeschwulst ebenfalls mit dem Ringe geschlagen hatte, zerplatzte die Beule, und es kam ein Goldblech zum Vorschein, auf welchem dieselben Zeichen eingegraben waren, die auf dem Ringe standen.

Jetzt nun hatte der Prinz Alles, worauf das Leben des Bösewichts beruhete, und wollte sogleich die Erde von dem Ungeheuer befreien, wenn sie sich sämmtlich erst würden gesättigt haben. Das Schicksal des Unholds aber, deßen Zeit um war, führte ihn seinem Untergange selbst entgegen, denn er kam an, als die Prinzen noch bei Tafel saßen und mit dem Hara über ihn Rath hielten. Der dumpfe Donner und die Erderschütterung, die allezeit den Durchgang durch den Felsen begleiteten, verkündigten sein Herannahen.

Mograby hatte sich zu Mußul befunden und wieder auf eine ungeheure That gesonnen, die er mit Hülfe seiner vertrautesten und anhänglichsten Dienerin, Medschine, ausführen wollte. Medschine war bei ihm in mancherlei Gestalt, am meisten in Gestalt eines Püppchens oder eines Stäbchens, das auf seinen Fingern tanzte. Mitten in einem solchen Tanz entschlüpfte das Stäbchen seinen Fingern und zerbrach in Stücken. Das geschahe [241] in demselben Augenblick, wo der Dom unter Harenahys Ebene vernichtet wurde.

Ein ungeheures Entsetzen überfiel den Bösewicht, als ihm sein Stäbchen ungetreu wurde. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete, und daß es nun mit seiner Macht aus sei. Dennoch flüchtete er sich in seine Burg, um hier in den Zauberbüchern sich Raths zu erholen. Es wäre ihm aber, da er mit seiner Macht fast gar nichts mehr ausrichten konnte, unmöglich gewesen so schnell dahin zu gelangen, hätte er nicht die Federn von Salomos Vogel gehabt, die er allezeit bei sich führte. Mit ihnen gelangte er an den Felsen und öffnete sich den Durchgang auf gewöhnliche Weise.

Er tritt auf sein Zauberland, und die Geisterschaaren, die sich bei seiner Wiederkunft sonst knechtisch um ihn herandrängten, weichen ihm geflißentlich aus, und selbst der kriechendste aller seiner Sklaven, kehrt ihm den Rücken zu. Er hatte nicht Zeit, lange darüber zu sinnen, denn die Gewalt der Federn riß ihn fort und führt ihn in das Zimmer, wo die Prinzen und der Hara noch an der Tafel sitzen. In einer halb furchtbaren, halb lächerlichen Gestalt ist er da, denn in Mußul hatte er sich in einen Fakir vermummt. Ein zerrißenes, verschabtes Schaffell schlug um Schultern und Lenden. Die häßlichen braunen Glieder waren voller Narben scheußlicher Wunden, die zum Theil noch ekelhaft eiterten und bluteten. Sein struppiges Haupt und Barthaar war fuchsroth gefärbt; seine Augen rollten wild im Kopfe, wie bei einem Beseßenen; um den Hals hing ein langer Rosenkranz, und in der Hand führte er das Meßer noch, womit er sich die Glieder zerfetzt hatte, um einen Fakir recht natürlich vorzustellen.

[242] Solchergestalt kam er in das Zimmer und wollte mit dem aufgehobenen Meßer auf den Hara zustürzen, aber, schneller als er, hatte Habed schon die Geister des Ringes gerufen, und befahl ihnen, den Verruchten zu feßeln. Dieser verfluchte mit schäumenden Munde den Hara, den Prinzen und am fürchterlichsten den Propheten Muhamed.

»Knebelt ihm den ruchlosen Rachen, befahl der Prinz den Geistern, tragt ihn mitten in den Hof seines Palastes, schmiedet ihn an vier eiserne Ketten, thürmt einen Scheiterhaufen um ihn auf und laßt ihn braten.« Die Geister gehorchten, denn wer den Ring besaß, der war ihr Gebieter.

An einem stählernen Pranger wurde der Unhold fest geschmiedet und den Geistern aufgetragen, dafür zu sorgen, daß die Asche des Zauberers unvermischt bliebe, denn die Entzauberung der Menschen, die jetzt noch Thiergestalt hatten, war nur dann erst möglich, wenn Mograbys Asche der Asche seiner Aeltern beigemischt wurde. So hatte Zulma den Prinzen gelehrt. Sie sagte ihm überdieß noch, daß er den Talisman, an welchem des Zauberers Leben hing, mitten in die Flammen des Scheiterhaufens werfen müßte. »Ja, setzte sie hinzu, wenn dir mein Rath etwas gilt, so wirf auch den Ring ins Feuer. Er gibt dem Besitzer zu viel Gewalt, als daß er ihn nicht häufig mißbrauchen sollte. Auch die vierzig magischen Bücher müßten nach meinem Erachten in die Flammen kommen, damit die heillose Kunst, so viel möglich, von der Erde vertilgt werden möge.«

Habed befolgte den Rath Zulmas. Im heiligen Glaubenseifer wurden nicht nur Talisman, Ring und Bücher, sondern Alles, was irgend durch die Kunst des Zauberers bereitet worden war, kräftige Arzeneien und Elixire aller Art, und selbst sogar verschiedene Naturseltenheiten den Flammen überliefert.

[243] Erst als der goldene Talisman im Feuer schmelzend zerfloßen war, verließ die ruchlose Seele den Zauberer, und als auch der Ring in der Macht der Flammen zerstört worden war, verschwanden der Palast und alle Anlagen rings umher in Rauch, und was darin war eingesperrt gewesen, wurde frei. Diejenigen unter den Thieren, welche Menschen gewesen waren, versammelten sich in einem weiten Kreise um den Prinzen, als erwarteten sie von ihm die Erlösung aus thierischer Hülle. Selbst Löwen und Tiger standen zahm und wartend im Kreise.

Bis sich die Gluth des Scheiterhaufens so weit verlor, daß man Mograbys Asche daraus hervorholen konnte, besahe sich der Prinz mit dem Hara die Schätze, welche des Zauberers Raubsucht hier aus allen Gegenden der Erde aufgehäuft hatte. Sie fanden die köstlichsten Waaren und Stoffe, Gold und Silber, gemünzt und zu kunstvollen Gefäßen, verarbeitet, Diamanten und andere Edelsteine, aus welchen zum Theil die kostbarsten Schalen und Becher geschnitten waren. Alle Kostbarkeiten und Seltenheiten der Erde fanden sich in unglaublicher Menge, und, was das Nothwendigste war, Vorräthe für die Lebenserhaltung in so großer Maße, daß eine Armee damit Monate lang hätte können beköstigt werden. Nun war Habed außer Sorgen, wie in diejenigen wohl ernähren wollte, welche die Menschengestalt wieder erhalten würden. Zum Fortbringen aller dieser Dinge fehlte es nicht an Lastthieren, an Elephanten, Kameelen, Pferden und Mauleseln.

»Jeder, sagte der Hara, wird aus der Menge das Seine herausfinden. Das Uebrige ist herrenloses Gut, was du mit Recht dir zueignen darfst. Ich für mein Theil will mir aus den Haufen auch Etwas nehmen.« Nach diesen Worten zupfte der Hara mit dem Schnabel ein höchst feines Florgewebe aus einem Waarenhausen [244] hervor, zog es in die Höhe und flatterte darauf, wie auf einer Wolke, hoch in die Luft.

Man kehrte zurück. Habed nahm die Asche Mograbys und vermischte sie mit der Asche seiner Aeltern. Der Hara rief ihm von seiner Florwolke herab: »Zünde auch ein Rauchwerk an und wirf alle Federn von Feßefzeh darauf, die du mit deinen Gefährten noch hast, und wirf die Asche davon nach allen vier Winden zu.«

Kaum war das geschehen, so erhob sich ein Rufen, Schreien, Jauchzen, Weinen und Schluchzen durcheinander. Es kam von den Tausenden, die wieder Menschengestalt gewonnen hatten, und jetzt wie aus einem Traum erwacht waren.

Die Verwandelten sammelten sich, als sie zur Besinnung gekommen waren, in Haufen, indem ein Jeder seine Bekannten und Landesleute aufsuchte. Es wurden Anordnungen getroffen, zu der auf den nächsten Morgen bestimmten Abreise. Es wurden Anführer der verschiedenen Karawanen gewählt; aber Habed ward einstimmig als Obergebieter anerkannt, von welchem ihre Dankbarkeit die nöthigen Befehle eben so gern annahm als befolgte. Ein Kreis von Freiwilligen sammelte sich um ihn und um seine Gefährten und so wurden alle Einrichtungen leicht zu Stande gebracht, welche für eine weite Reise erforderlich waren, die mehrere Tage durch Sandwüsten hinzog. Jeder suchte sein Eigenthum, aber keiner wollte mehr nehmen, als ihm gehörte – ohne Zweifel lag noch ein Stück Zauberei auf der Gegend, denn in der wirklichen Welt geht es ein wenig anders zu – Habed behielt also sehr viel als Eigenthum, obwohl er es erst nach vieler Ueberredung dafür gelten ließ, weil er sehr großmüthig und edel war.

Nachdem Alles zur Abreise besorgt und nun einige Ruhe wieder eingetreten war, ging Habed überall umher, fragt und erkundigt [245] sich nach Allem und findet am Fuße eines Baumes ein traurig da sitzendes, tief verschleiertes Frauenzimmer.

»Armes Kind! Wer bist du?« fragt er. »Ja wohl armes, recht armes Kind! antwortet es, das sich nicht zu seinem Vater wieder hinwagen darf, sondern zu Mekka, am Tempel des Propheten, als Büßerin das einsame Leben vertrauern will, weil es sich von dem Bösewicht Mograby verführen ließ!«

Habed hörte schon an der Stimme, bei den ersten Worten, daß die unglückliche Zulma es war, welche hier saß. Er wußte, daß Unglück und Schuld nur der Einsamkeit angehören können, und sagte nichts, sie von ihren Gedanken abzubringen, aber er tröstete sie mit sanften und zarten Worten, und war auf der ganzen Reise ihr aufmerksamster und treuester Hüter und Beschützer.

Am andern Morgen setzte sich der Zug in Bewegung. Der Felsen brauchte nicht erst beschworen zu werden, einen Durchgang zu öffnen, denn er war mit der allgemeinen Entzauberung auch entzaubert worden, und von unten bis an die Spitzen weit genug gespalten, um den Elephanten und Kameelen hinlänglichen Raum zu gestatten.

Ueberhaupt war Alles anders geworden. Das milde Klima war glühend heiß. Die Berggipfel von Sand, die bisher fest wie Mauern gestanden, rollten locker und gemachsam in die Thäler hinab; die Pflanzen, welche noch standen, waren dem Verwelken schon nahe und die Bäche dem Versiegen, und Alles deutete auf eine traurige Sandwüste. Die ganze Thierwelt dieser Gegend zog den Karawanen nach, als wär es ihr offenbart worden, daß sie hier hätte umkommen müßen.

Man zog durch einen der ödesten Theile der Sahara oder großen Wüste; man macht da und dort den Einwohnern bewohnter Gegenden [246] bange, indem man in so großer Zahl kam; man verständigte sich jedoch leicht. In einigen Monaten war das große Heer sehr geschmolzen, denn es waren ihrer Viele schon da und dorthin abgegangen, je nachdem die Wege ihrer nähern oder entferntern Heimath zuführten.

Von so Vielen, was sich auf der Reise begab, kann hier nichts erzählt werden. Genug, daß sie Alle glücklich nach Hause kamen, und Viele durch Habeds Freigebigkeit, weit wohlhabender, als sie waren, da sie Mograby in seine Raubburg einsperrte.

Was aber den Prinz Habed insonderheit betrifft, müßen wir mit einigen Worten erwähnen.

Man hatte um den Prinzen im ganzen Lande Trauer und Bettage angeordnet, ohne daß sich ein schwacher Schein von Hoffnung gezeigt hätte, die jedoch der alte fromme Scheick, Habeds Hofmeister, in dem Herzen der unglücklichen Aeltern zu erhalten suchte, welcher immer behauptete, daß das Böse dem Guten zuletzt dennoch unterliegen müße.

Der erste Strahl von Hoffnung ging ihnen da auf, als bei dem Hofnarren die zweite Nase verschwand. Man vermuthete daraus, daß es mit der Macht des Zauberers zu Ende gehen müße, und der große Prophet sich seines unglücklichen Bekenners wieder annehme, und man vervielfältigte die Gebete.

Nach zwei Monaten erhielten die glücklichen Aeltern Nachricht von dem Herannahen ihres Sohnes, der einen Eilboten vorausgeschickt hatte. Stadt und Land legten die Trauer ab, und man schickte dem Prinzen einen großen Theil der Leibwache entgegen. Im nächsten Monat kam er mit seiner Karawane an, und lag in den Armen seiner Aeltern und seines Lehrers, und am Hofe und [247] im ganzen Lande feierte man Freudenfeste, die erst nach vielen Wochen aufhörten.

23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin.

Ein König hatte in seinem Garten einen großen weitgeasteten Baum, der trug alljährlich viel goldene Aepfel, und Gold liebte der König gar sehr, denn je mehr der Baum Aepfel trug, desto mehr Abgaben konnte er seinen Unterthanen erlaßen. Es wußte kein Mensch, wie der Baum in den Garten gekommen war, aber er stand nun daselbst seit Menschengedenken, und war, so weit seine Aeste reichten, ein Gitter von starken Eisenstäben um denselben, und zu der Gitterthür hatte Niemand den Schlüßel als der König. So, dachte er, könnte ihm kein Apfel entgehen, der reif geworden war und von dem Baume abfiel; abfallen ließ er sie aber alle, denn sie fielen nicht zu Schanden, wie andere Aepfel, und je reifer sie geworden waren, desto feiner war das Gold.

Aber in einem Jahre kamen doch einmal ein Apfel nach dem andern fort. Darüber ward der König sehr ungehalten und forschte, wer seine Goldäpfel ihm stöhle, aber er brachte es nicht heraus. So befahl er denn seinem Gärtner, er solle des Nachts unter dem Baume wachen. Das that denn der Gärtner auch treulich, aber als Mitternacht kam, befiel ihn der Schlaf ein wenig und er wollte ein Bißchen einnicken, denn er meinte, wenn [248] der Dieb käme, so würde er leicht wieder aufwachen. Darüber schlief er fest ein, und als der Morgen kam, war der schönste Apfel des Baumes fort, worüber der König sehr zornig wurde.

Die nächste Nacht sollte des Gärtners ältester Sohn wachen. Das that dieser auch und wachte, nur nicht in den Stunden von Mitternacht bis Sonnenaufgang, wo er ein Bißchen geschlafen hatte. Am andern Morgen war wieder ein Apfel fort. Nun mußte des Gärtners zweiter Sohn wachen, dem gings aber eben nicht beßer. In der nächsten Nacht sollte nun der jüngste Sohn wachen. Der hatte das voraus gesehen, und hatte schon von Nachmittag bis Abend geschlafen, um desto beßer wachen zu können. Darum schlief er denn auch nicht ein.

Als Mitternacht gekommen war, sahe er beim Mondschein einen Vogel rauschend durch die Luft daher ziehen, der schimmerte wie lauter Gold und Edelgestein. Als der Vogel nun eben einen Apfel abpicken wollte, nahm der Bursche seine Armbrust und schoß einen Bolzen auf den Vogel. Der Bolzen traf den Vogel nicht recht, sondern schoß ihm nur eine Feder aus, die er am andern Morgen dem Könige brachte.

Der König sahe die Feder recht an und hielt sie so und so gegen die Sonne, und weil er, auch ohne seine Räthe, oft wußte, was zu einer Sache war, so sahe er auch hier bald ein, daß die Feder so viel werth sein mochte, als sein ganzes Königreich. Da sagte er zum Gärtnerburschen: »du bist ein tüchtiger Bursch, ich muß dich belohnen.« Da gab er ihm ein blankes Stück Geld, das war ein neugeprägtes Viergroschenstück.

Als der König nun die Feder wieder besahe und immer wieder, bekam er eine rechte Lust zu dem ganzen Vogel, und ließ seine Räthe zusammenkommen und fragte seine Räthe, ob Niemand wiße, [249] wo der goldene Vogel zu haben sei. Da wußten sie nun Alle, wo er etwa sein könnte, aber wo er wirklich wäre, das wußten sie nicht, und meinten, das werde wohl Niemand auf Erden wißen, als vielleicht der Vogel selbst, den müße man darüber fragen.

»Das soll geschehen, sagte der König, ganz über die Weisheit der Räthe erstaunt, und ich denke immer, setzte er hinzu, können wir den Vogel erst einmal fragen, so wißen wir auch schon, wer er ist.«

Der älteste Sohn des Gärtners wollte nun ausziehen den Goldvogel zu suchen, das war dem Könige schon recht, indem er von seinen weisen Räthen keinen einzigen entbehren konnte. Der Gärtnerssohn kam bis an einen Wald, an deßen Rande ein Fuchs saß. Dich will ich belauern, dachte der Bursche, nahm seine Armbrust und legte den Bolzen darauf.

»Schieß nicht auf mich, sagte der Fuchs; ich weiß, wohin du gedenkst und will dir guten Rath geben, den goldenen Vogel zu bekommen.« Aber der Bursche dachte, was will dir ein solch unvernünftiges Thier rathen. Er nahm den Bogen und drückte den Bolzen ab, aber er fehlte und der Fuchs zog eilends waldein.

Des Abends kam der Bursche in ein Dorf, da standen zwei Wirthshäuser einander gegenüber, und eins davon sahe gar kläglich und ärmlich aus, aber in dem andern gings lustig her, mit Tanzen und Spielen. Da hinein ging er, lebte im Saus und Braus, blieb, so lange sein Geld vorhielt, und vergaß darüber den Vogel und die Heimath.

Da der älteste Sohn immer und immer nicht wiederkam, zog der zweite aus, den Vogel und den Bruder zu suchen. Dem gings eben so mit dem Fuchse wie seinem Bruder. Er schoß nach dem Fuchse, traf ihn aber auch nicht. Als er nun zu den beiden Wirthshäusern [250] kam, stand sein Bruder im Fenster deßen, wo es so herrlich herging und sagte: »Bruder, hier herein; hier geht es gar lustig!« Da ging er hinein, tanzte und trank, spielte und lärmte, und vergaß Vogel und Heimath.

Als nun der auch nicht wieder kam, da wollte der Jüngste fort. Der Vater aber ließ ihn ungern ziehen, und dachte, er würde auch ausbleiben, denn es möcht ihm ein Unglück zustoßen, wie es die beiden Andern würde betroffen haben; aber zuletzt mußte er ihn dennoch ziehen laßen.

Der traf den Fuchs auch, welcher ihn bat: »schieß nicht auf mich!« da sagte er: »Nein! was sollt ich dich schießen? Leben willst du ja auch, und der Wald hat ja Platz genug für dich und hast mir ja nichts gethan.«

»Nun!« sagte der Fuchs, so will ich dir auch guten Rath geben, denn ich weiß, was du suchst, nämlich den Vogel und deine Brüder. Die Brüder aber findest du im nächsten Dorfe in einem Wirthshause, wo es gar herrlich hergeht. Da kehre nicht ein, sondern in dem Wirthshause gegen über, das nach gar nichts aussieht. Ich aber will dich dorthin bringen, weil du so gutmüthig bist. Setz dich nur auf meinen rauchen Schwanz, da kannst du deine Kräfte dann sparen.

Der Jüngste setzte sich auf, und es ging nun schnell dahin, und als er im Dorfe war, folgte er dem Rathe des Fuchses und kehrte in das geringe Wirthshaus ein. Lärmen und Schwärmen war nicht darin, aber Ordnung, Reinlichkeit und gesunde Kost.

Am andern Morgen stand der Fuchs wieder auf dem Wege und sagte: »Ich will dich zu dem Schloße bringen, wo der Goldvogel ist, und du sollst ihn erlangen, wenn du mir folgst! Ich bringe dich auf meinem Schwanze bis nahe ans Schloß. Das wird unter[251] Mittag sein. Da wird vor dem Schloße ein großer Haufen Soldaten liegen, die allesammt schlafen und schnarchen. Geh du nur mitten durch sie hin, sie werden gewiß nicht erwachen. Geh grade im Schloße fort, so kommst du in eine Stube, wo der Goldvogel im hölzernen Käfig liegt. Daneben hängt aber ein Käfig von Gold, in den sollst du den Vogel nicht stecken. Das merk dir! Und nun setze dich auf.«

Nun ging es über Stock und Stein, und sauste nur so, und gegen Mittag waren sie am Schloße und die Soldaten schliefen, und im Schloße schlief auch alle Welt.

Glücklich kam der Bursche bis in den Saal, wo der Vogel nur im schlechten Holzkäfig hing, obwohl sich neben ihm der wundersam glänzende Goldkäfig befand.

Glanz und Gold haben schon Viele verblendet, und verblendeten ihn auch. »Was soll es in aller Welt denn schaden,« dacht er, »den Vogel in den schönen Käfig zu setzen? Es läßt sich ja gar keine Ursach davon angeben!«

Der Vogel hatte ganz ruhig geseßen, als er mit dem Käfig herabgenommen wurde und sich greifen laßen, aber als der junge Bursch ihn in den Goldkäfig stecken wollte, erhebt er ein solches Mordgekreisch, daß Alles im Schloße aufwacht. Der Vogeldieb wird gefangen genommen und am andern Morgen von dem König zum Tode verurtheilt. Jedoch, sagte der König, sollst du Gnade erhalten, und den goldenen Vogel noch obendrein, wenn du mir das goldene Pferd bringen kannst, welches geschwinder läuft als der Wind.

Da macht er sich bekümmert auf den Weg, denn er wußte viel davon, wo das goldene Pferd zu finden sei.

[252] Als er eine Strecke vom Schloße entfernt war, steht der Fuchs wieder da. »Nun, sagt er, wie ists denn, wenn man guten Rath in den Wind schlägt?« – »Ich weiß aber, was du nun suchst und will dir dazu verhelfen, und dich zu dem Schloße hinbringen, wo das goldene Pferd steht. Es wird Alles wieder im tiefsten Schlaf liegen und du kannst ohne Gefahr das Pferd aus dem Stall ziehen, nur lege ihm keinen von den goldenen Satteln auf, die du im Stalle finden wirst, sondern laß ihm den Holzsattel, den es auf hat, sonst geht es wieder nicht gut!«

Auf dem Schwanz des Fuchses kam er bald ans Schloß, und es traf Alles ein, wie es der Fuchs gesagt hatte.

Als er nun das Pferd aus dem Stalle ziehn wollte, das stumm und traurig an der Krippe stand, und die herrlichen goldenen Sättel sahe, die dort hingen, dacht er: »Das kann doch gewiß nicht schaden, wenn du dem Pferde einen goldenen Sattel gibst! Es würde ja mich die ganze Welt auslachen, wenn ich mit einem Holzsattel auf einem Goldpferde daher geritten käme!«

Er sucht unter den Satteln grade den herrlichsten aus, der mit Perlen und Steinen besetzt war. Kaum hatte er denselben aufgelegt, so fängt das Pferd vor Freuden an laut zu wiehern und schlägt hinten und vorn aus. Die Stallknechte wachen auf, der Dieb wird gefangen, und wieder den andern Morgen zum Tode verurtheilt. Doch soll ihm das Leben geschenkt sein und Pferd und Vogel dazu, wenn er die wunderschöne Prinzeßin bringen könne.

Da ging er nun traurig seines Weges, und ärgerte sich über seine Thorheit und seufzte darüber, aber was half das? – zum Glück war der Fuchs wieder da, der ihn erst ausschalt, und dann guten Rath gab, und sagte:

[253] »Nachts um zwölf Uhr kommt die Prinzeßin aus dem Bade, der gib einen einzigen Kuß, dann wird sie dir willig folgen; aber laß sie durchaus nicht Abschied von ihren Aeltern nehmen.« – Der Fuchs brachte ihn nun auf seinem Schwanze zum Schloße der Prinzeßin.

Er traf die Prinzeßin und gab ihr einen Kuß und sie sagte, sie ginge gern mit ihm, aber sie müße erst Abschied von dem Vater nehmen. Das wollte er aber nicht zugeben. Als sie nun aber gar zu sehr weinte und bat, da gab er es zu, daß sie hinging den Vater noch einmal nur zu sehen. Aber als das geschahe, wurde Alles im Schloße wach, und er wurde gefangen.

Der König verkündigte ihm Gnade und sagte ihm die Prinzeßin auch zu, wenn er den großen Berg dort in acht Tagen abtragen könnte, der ihm die Aussicht versperre. Der Berg aber war so groß, daß zehn tausend Mann ihn in acht Monaten nicht abzutragen vermocht hätten. Aber er trug ihn dennoch ab, denn der Fuchs that das Beste dabei. Der König gab ihm die Prinzeßin, mit der er stracks von dannen zog.

Auf dem Wege kommt der Fuchs, und gab ihm listige Anschläge, wie er die Prinzeßin für sich behalten und dennoch auch Vogel und Pferd bekommen solle. Nämlich, wenn er zu dem Könige komme, der die Prinzeßin verlangt habe, und dieselbe nun brächte, so würde solche gewaltige Freude sein, daß sie den Verstand fast verlören, und das Goldpferd würde man ihm gleich geben, dann solle er sich darauf setzen, Allen die Hand zum Abschiede geben, der Prinzeßin aber zuletzt, die er dann mit einem Schwunge aufs Pferd ziehen, und heidi! davon reiten müße. Einholen werde ihn Niemand.

So geschah es denn auch. Nun sprach der Fuchs, der sich wieder zu ihm eingefunden hatte, weiter: »Wenn du nun an das Schloß [254] kommst, wo der Vogel ist, so bleib auf dem Pferde sitzen und sprich, du gäbest eher das Pferd nicht her, bis du den Vogel mit dem Käfig nicht in der Hand hättest, und wenn du ihn dann hast, so reite davon. Indeßen, bis du kommst, warte ich draußen vor dem Schloße.«

Das lief auch gut ab und sie zogen fort. Der Fuchs lief immer mit, und so ging es denn weiter und immer weiter. Als sie nun in einen Wald kamen, sagte der Fuchs zu dem Jüngling: »Nur sollst du mir lohnen für Rath und Mühe. Schieße mich todt und haue mir dann Kopf und Schwanz ab.«

»Ei! sagte der Jüngling, das wäre ein schöner Lohn für deine Liebe und Treue; das kann ich nicht über das Herz bringen.«

Der Fuchs mochte noch so viel sagen, daß man es ja leicht merken könne, er sei kein ordentlicher Fuchs, da er ja wie ein Mensch spräche; der junge Bursch sagte: »Weil du ein Fuchs bist, so bist du auch klug, und stellst dich nur so, als ob du sprechen könntest. Ich kann dich unmöglich tödten, du herzlieber Fuchs.« – »Nun, sagte der Fuchs, so will ich dir noch einen guten Rath geben: kaufe kein Galgenfleisch und setze dich an keinen Brunnenrand!« Damit ging er in den Wald.

Als nun der dritte Sohn in das Dorf kam, wo er zuerst eingekehrt war, war ein großer Aufruhr, denn man führte seine Brüder zum Galgen. Die hatten in dem prächtigen Wirthshaus in lauter Halloh gelebt und schlechte Dinge genug gesehen, die machten sie bald genug auch mit, und als sie kein Geld mehr hatten in Sausen und Brausen zu leben, hatten sie ein paarmal ein Bißchen gestohlen, und sollten nun ein Bißchen an den Galgen. Sonst waren sie brave Bursche gewesen, aber das Vergnügen hatte sie verdorben. – Obwohl es nun Galgenschwengel geworden waren, kaufte der Bruder [255] sie dennoch mit vielem Gelde los. Die Leute sagten: er sei ein Narr; die Bestien wären kaum des Stricks werth; aber er dachte, es sind doch immer meine Brüder; und nahm sie mit sich.

Aber die Brüder hatten unterwegs heimlichen Rath gehalten, und als sie im Walde sich an einen Brunnen lagerten, setzte sich der Jüngste an den Brunnenrand. Da stürzten sie ihn rücklings in den Brunnen hinab. Sie aber brachten die Prinzeßin, das Pferd und den Vogel zum König und sprachen, sie hätten es erbeutet, und erhielten dafür große Ehre und Macht. Aber die Prinzeßin weinte, das Pferd fraß nicht, der Vogel pfiff nicht.

Als aber der jüngste Bruder bis unter das Waßer des Brunnens hinabgesunken war, dachte er an das Wort des Fuchses und sagte: »Ich bin doch so dumm als ein Bund Stroh, und muß nun hier elendiglich umkommen.«

»Nein, sagte der Fuchs, der wieder gleich da war, ich bring dich durch einen unterirrdischen Gang wieder ans Tagslicht, wenn du mir gelobst, mich nachmals zu tödten und Kopf und Schwanz abzuhauen.« Das gelobte er nun und wurde von dem Fuchs herausgebracht, und als er nun den Fuchs getödtet und mit ihm gethan hatte nach seinem Verlangen, siehe da war es der Bruder der wunderschönen Prinzeßin.

Die beiden gingen nun an den Königshof, und erzählten, wie es sich zugetragen hatte, und die Prinzeßin hörte auf zu weinen, das Pferd fraß und der Vogel pfiff; die Brüder aber fielen vor dem König nieder und baten um Gnade. »Ja, sagte der König; Gott möge Euch gnädig sein!« und ließ sie henken. Da kam das Galgenfleisch dennoch an den Galgen, und der Jüngste bekam die Prinzeßin und ward gehalten wie der Sohn des Königs.

[256] Als aber der König nachher ein wenig über die Geschichten nachdachte, sagte er zu dem Jüngsten und zu dem gewesenen Fuchse: »Ich kann fürwahr aus den Dingen nicht recht klug werden, und kann mir es nicht gut zusammenreimen und herausbringen, es will nirgends recht klappen.«

»Das geht uns eben so;« sagten die Beiden.

»Ja so! sagte der König darauf, das ist etwas Anders!«

24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

24. Die Söhne der Quelle.

Ein König hatte eine schöne Stieftochter, die er nicht leiden konnte, denn alle Prinzen, die an des Königs Hof kamen, wollten die Stieftochter heirathen, aber nach seinen eigenen Töchtern fragte kein Mensch. Sie waren zwar auch schön genug, aber die schönste Schönheit, welche die Stieftochter hatte, hatten sie nicht, das war die Schönheit im Gemüthe. Sie waren hochmüthig, geziert, hämisch und lästerten über Alles.

Da verstieß der König seine Stieftochter, und sandte sie mit ihrer Amme in ein altes Waldschloß, und befahl ihr, sie möchte ihm nicht wieder vor Augen und an seinen Hof kommen, bis nicht ihre Stiefschwestern verheirathet wären. Doch war er noch barmherzig, und gab ihr viel Gold mit und ein Zauberschiff, daß sie überall in der Welt umherreisen könnte, wenn sie Langeweile hätte. Das that sie denn auch, und war bald hie und bald da.

Als sie nun einsmals wieder zu ihrem Waldschloß zurückgekommen war, ging sie in den Garten, wo sie immer am liebsten lustwandelte, [257] und kam zu der Felsenquelle, wo das schönste Plätzchen im ganzen Garten war, und wo sie oft stundenlang geseßen hatte.

Siehe, da lagen am Rande der Quelle auf weichem Grase zwei nackte kleine Knäblein wunderschön, die sahen im Gesicht ganz gleich und waren von einerlei Größe, und man hätte sie nicht unterscheiden können, hätte nicht der Eine ein klein braun Fleckchen am linken Arme gehabt.

Die kleinen Knaben sahen die Prinzeßin mit lieben hellen Augen an und lächelten, und streckten die kleinen Aermchen nach ihr aus, und es war, als wollten sie sprechen und: Mutter: sagen.

»Ja! Eure Mutter will ich sein, ihr liebholden Englein,« sagte die Prinzeßin, und rief ihrer Amme, und sagte zu ihr: Sieh einmal, da hat mir der liebe Gott zwei Kinder bescheert, die sollen mein sein! Nun brauchen wir nicht mehr umher zu reisen, nun haben wir genug zu thun. Wir wollen die Kleinen auf die schöne Insel bringen, die wir im großen Meere gefunden haben. Da sollen sie groß wachsen.

Da nahm die Prinzeßin die Kinder auf ihren Arm und drückte sie an ihr Herz, und wollte sie in das Schloß tragen. Da sprach die Amme: »Nicht also, meine Tochter; denk, wenn die Mutter der Knäblein käme, und fände sie nicht, wie sie erschrecken und jammern würde! Wolltest du wohl einer Mutter ihre Kindlein nehmen?«

»O weh!« rief die Prinzeßin und setzte die Kinder auf ihren Schoß und gab ihnen zu eßen und zu trinken, und tändelte mit ihnen. Aber sie ging den ganzen Tag nicht von der Quelle [258] weg, und wenn Etwas im Laube rauschte, ängstete sie sich und dachte, es käme die rechte Mutter ihre Kindlein zu holen.

Als es aber spät Abend geworden war, und kam keine Mutter, die nach den Kleinen sahe, da wußte sie, daß die Kinder nun ihr gehörten, denn so lange ließe keine rechte Mutter ihre Kinder unversorgt liegen.

Sie trugen die Kleinen ins Schloß und legten sie in weiche Bettlein, und pflegten sie sehr, und nachdem sie noch ein Paar Tage gewartet hatten, ob sich die rechte Mutter etwa noch finden möchte, aber keine gekommen war, stiegen sie ins Zauberschiff und seegelten durch die Luft nach der glückseligen Insel. Dort war kein kalter Winter und kein glühender Sommer, sondern nur immerdar lieblicher Frühling und Herbst mit Blumen und Früchten.

Nun mußten die Knaben aber Jeder einen Namen bekommen, damit man sie rufen und unterscheiden könne, zumal da sie einander so ähnlich sahen. Da berathschlagten sie sich über die Namen, und benannten sie, weil sie dieselben an der Quelle oder Brunnen gefunden hatten, den Einen Brunnenstark, weil sein Angesicht und Gebehrde ernst waren, und den Andern Brunnenhold, weil er freundlicher und milder aussahe.

Die Knäblein wuchsen unter dem schönen Himmel kräftig und stark auf, spielten ihre glücklichen Spiele, und die freundliche Mutter und auch die Amme spielten zuweilen mit, erzählten ihnen aber auch gar viel von dem, was sie in der Welt gesehen und erlebt hätten, und die Kleinen hörten aufmerksam zu und lernten gar viel dabei.

Aber als nun die Knaben zwölf Jahr alt geworden waren, sahe die Prinzeßin wohl ein, daß ihre Kinder in die Welt müßten, um selbst zu sehen, wie es drinnen herging, und müßten ein Werk und [259] Geschäft lernen, indem nicht Jedermann auf einer einsamen glücklichen Insel lebenslang leben kann, und nicht leben soll, weil der Mensch den Menschen angehört. Aber auch die Knaben selbst trieb es hinaus in die Welt, von der die Mutter so viel erzählt hatte.

Die Prinzeßin trennte sich mit Schmerzen von ihren Lieblingen, aber sie trennte sich doch. »Kann man ja doch nicht immer beisammen bleiben, sagte sie, und weiß man ja auch nicht, wie es ihnen einmal ergehen wird, wenn ich todt bin. Sie müßen etwas Rechts erlernen, daß sie sich selbst forthelfen können. Aber sie sollen selbst wählen.«

So setzte sie sich dann mit den Knaben und mit der Amme in das Zauberschiff, und fuhr mit ihnen dahin und dorthin, bis sie an eine große volkreiche Stadt kamen, worin ein großes Getümmel war, denn es wurde ein Fest gefeiert, zu welchem die Leute von allen Seiten und Orten herbeikamen.

Die Amme führte die Knaben in die Stadt an die Pforten des Haupttempels. Da sahen die Knaben die Leute, welche herauskamen, aber die Meisten wollten ihnen sogar nicht recht gefallen. Aber da trat ernst und mit kräftigem Schritte ein Mann heraus, in grünem Kleide, ein kurzes Schwerdt an der Seite.

»Zu dem möchten wir, sagten die Knaben; der gefällt uns am meisten!«

Da redete die Amme den Mann an und sagte: »Wolltet Ihr wohl die Knaben zu Euch nehmen und erziehen, und in Eurem Werke anlehren? – Meine Herrin sollte es Euch gut lohnen! Die Knaben sind folgsam und fromm.«

»Ja, nimm uns du Mann! sagten die Knaben und sahen ihn recht treuherzig an.«

[260] »Lohnen?« sagte der Mann, und runzelte die Stirn ein wenig. »Wißt Ihr nicht, daß es Dinge gibt, für die sich kein braver Mann lohnen läßt?« – Darauf wandte er sich zu den Knaben und blickte sie mit rechter Liebe an, und sagte: »Kommt mit, ihr braven Bürschlein, ich denk', es soll was Rechts in Euch stecken, das wollen wir herausholen, so Gott will. Ihr seht mir so aus, wie ich euch wünsche.«

Darauf sagte er der Amme, daß er ein Waid und Waldmann sei, und weil er keine Kinder habe, sollten die Knaben seine Erben werden nach seinem Tode, wenn sie brav blieben. Den Lohn aber solle die Prinzeßin einem Armen geben, oder wem sie sonst wolle. Damit nahm er die Knaben mit.

Die Knaben waren in ihr rechtes Werk und Wesen gekommen, und wuchsen im Sturm und Wetter kräftig und stark auf, und wurden brav und fromm wie ihr Lehrer und Pflegvater selbst, und der mit seiner lieben Hausfrau konnten es sich fast bald nicht mehr anders denken, als daß die Beiden immer ihre Söhne gewesen seien. Sie hatten ihr Waidwerk und Forst und Gartenwesen von Grundaus gelernt, und als darüber etwa sechs Jahr um waren, wollten sie weiter in die Welt hinaus.

Die Alten wollten sie um der Welt willen nicht gern von sich laßen, und die alte Mutter weinte bittere Thränen, der Vater aber sprach: »Laß sie, Mutter; sie müßen hinaus, und kann das anders nicht sein!« aber indem er es sprach, wurden die Augen ihm auch recht naß.

Sie gaben den jungen Leuten neue Kleider und Wäsche mit, und die alte Mutter holte zwei Jagdmeßer aus ihrer Kammer, wo Meßer und Gabel beisammen steckten, und sagte: »die sollt Ihr zu meinem Andenken tragen und bewahren. Die hat mir eine alte [261] Frau an meinem Brauttage verehrt und gesagt, ich sollte sie meinen Söhnen geben, wenn die einmal in die Welt zögen. Kämen die nun an einen Kreuzweg, wo sie von einander schieden, dahin und dorthin, so sollten sie die Meßer in einen Baumstamm stecken, und wer zuerst wieder dahin käme, der sollte nach des Andern Meßer sehen. Wäre das noch blank, so sei es ein Zeichen, der Bruder lebe noch und geh es ihm wohl, allein wenn es rostig sei, wär es ein sehr übel Zeichen.«

Also gab ihnen die Mutter die Meßer und weinte in ihr Schürztuch. Der Vater aber sprach zu den Beiden:

»Junge Leute denken oft, in der Welt seien lauter goldene Berge und Freude die Fülle und lauter Paradiesgärten; aber es geht in der Welt eben her, wie in der Welt, wunderlich und traurig, seltsam und verdrießlich, kläglich und angstvoll, und zuweilen nur ein wenig lustig mit unter. Wenns nun Euch einmal nicht mehr gefallen wird, da wißt Ihr, wo Ihr zu Hause seid, und kommt wieder zu uns. – Gott befohlen!«

So sagte er und wendete sich weinend um.

Die Alten lebten nun wieder einsam und allein und sehnten sich immer nach ihren Kindern, die schon wieder da sein sollten, da sie kaum ein halb Jahr fort waren.

Als aber nach einigen Jahren die Prinzeßin kam und nach den Kindern fragen wollte, waren die Alten todt, und von ihren Söhnen wußte kein Mensch Etwas.

Die Brüder waren beide mit einander gezogen, und kamen in einen sehr großen, dicht verwachsenen Wald, wo sie zuletzt fast nicht mehr durchkonnten. Da ruhten sie ein wenig aus. Auf einmal hörten sie ein dumpfes Brüllen, als sie noch nie gehört hatten und[262] fürchteten sich beinahe ein wenig, obwohl sie nicht wußten warum, da es doch nur ein Ton war.

Indem sie darüber nachdachten, ein Jeder für sich, kam eine Löwin daher, trat vor sie hin und brüllte laut, indem sie ihnen ins Angesicht sahe.

»Das klang mir fast so,« sagte Brunnenhold, als wollte die Waldkönigin sagen: »Geht jetzt nicht weiter, sondern wartet!«

»Nun ja doch! so klangs ja auch, sagte Brunnenstark; ich hab es nicht anders verstanden.« – Und indem sie darüber noch sprachen, kam die Löwin wieder, trug zwei Junge in ihrem Rachen, setzte sie vor ihnen hin, wedelte mit dem Schwanze, brüllte und ging wieder waldein. Es kam ihnen aber vor, als habe die Löwin gebrüllt: »Nehmt sie; Ihr werdet sie brauchen.«

Die beiden Brüder wanden zähe Zweige und legten die Jungen daran, um sie mit sich zu führen. Sie waren aber kaum damit fertig, so hörten sie wieder ein Brummen. Dann rauschte es durch die Büsche, und eine Bärin trug zwei Jungen im Maul und legte sie vor ihnen nieder, und es war, als hieße ihr Brummen: »Nehmt sie, Ihr werdet sie brauchen!«

Sie wunderten sich und wanden sich wieder zähe Gerten zum Leitseil für die jungen Bären, und während sie noch damit zu thun hatten, heulte es von einer andern Seite des Waldes, und eine große Wölfin brach durchs Dickig mit zwei Jungen im Maule, die sie zu ihren Füßen legte, und dann mit emporgehobenen Kopfe heulte: »Nehmt sie; Ihr werdet sie brauchen!«

Solches schien ihnen freilich wundersam, und hatten sie ihre eigenen Gedanken darüber.

Nachdem Beide miteinander noch eine Weile gezogen waren, kamen sie an einen Kreuzweg. Da wurden sie Raths von einander [263] zu scheiden, der Eine dahin, der Andere dorthin. So hätte doch Jeder sein eigenes Abentheuer, und fänden auch wohl ihre erste Mutter wieder. Sie steckten, Jeder sein Meßer in einen Eichbaum, und beredeten sich nach ein Paar Jahren wieder an diese Stäte zu kommen und sich zu treffen.

Jeder nahm drei von den Thieren mit.


Nach einer langen Zeit kam Brunnenhold in eine Stadt, wo es still drinnen war, wie im Grabe, und die Häuser waren mit schwarzem Flor überzogen, und schwarze Fahnen weheten vom Schloße und Rathshause, und klägliche Jammermelodien wimmerten leise aus den Tempeln hervor.

Er trat in eine Herberge, aber der Wirth reichte ihm keine Hand, und hieß ihn nicht willkommen. Er forderte einen kühlen Trunk Wein, und der Wirth setzte denselben wortlos auf den Tisch und sagte nicht: »Wohlbekomms!«

Da fragte Brunnenhold: »Sagt mir doch an, was gibt es in Eurer Stadt, daß Ihr so stumm und trübselig seid?«

»Ach! wißt Ihr das nicht? seufzte der Wirth, so könnt Ihr es leider bald selbst mit ansehen. – Seht drüben auf jenem Berge den viereckten Stein, das ist der Drachenstein. Da wohnt ein siebenköpfiger Drache mit sieben Jungen; dem müßen wir alle Neumond eine Jungfrau opfern, die er verschlingt, und das ist immer die, welche zuletzt sechszehn Jahr alt ist geworden. Thun wir das nicht, so will er Alles im Lande verheeren und verschlingen. Und nun hat es dasmal die Königstochter getroffen, die wir so lieb haben,[264] weil sie so gut und so schön ist. Die muß Mittag hinausgebracht werden.«

»Aber ist denn kein Ritter da, ders mit dem Drachen aufnähme?«

»Ei ja doch! antwortete der Wirth; wenn es so zum Spiel wäre, so aus Spaß und Lust, die Lanze zu schwenken und Bolzen nach dem Ziel zu schießen, da hätten wir ihrer genug; aber gegen den Drachen ist eben keiner zu Hause. Sie haben zwar sonst immer ein großes Maul mit Hauen und Stechen und sind auch recht tapfer gegen den Bürger, aber es mit den sieben Feuerrachen des Unthiers aufzunehmen, das am ganzen Leibe Schuppen hat, wie wenn sie von Stahl wären, dazu haben sie gar keine Lust. – Und was könnt es auch helfen? Wenn man auch dem Ungethüm einen oder den andern Kopf abhaute, so wachsen andere an deßen Stelle. Es haben es einmal oder zweimal Ritter mit ihm aufgenommen, und haueten ihm einen Kopf ab, da fraß er sie auf, und bekam immer mehr Köpfe.«

Jetzt kam ein Herold durch die Straßen, der ließ vor sich herposaunen und rief mit lauter Stimme: dem wolle der König seine Tochter geben und sein Reich dazu, der sie von dem Rachen des Drachen errette, möge er auch sein, wer er wolle.

»Ja, ruf nur,« sagte der Wirth; »du hast nun schon drei Tage gerufen und hat sich keiner gefunden, und wird sich denn heute wohl auch keiner finden!«

»Wer weiß das?« sagte Brunnenhold, indem er seinen Becher bezahlte, und fortgehen wollte.

»Herr, sagte der Wirth, der ihm ins Gesicht sahe, ich merk Euch wohl ab, daß Ihr Etwas im Sinne habt. Führt es doch ja nicht aus; es wäre Schade zum Euch. Ihr verliert Euer junges [265] Leben, denn so ein Drache ist kein Bär oder Leu, mit welchen ein tüchtiger Jägersmann wohl vielleicht noch fertig werden mag. Bleibt, bitt ich Euch!«

Aber Brunnenhold nahm seine Thiere und ging nach dem Drachenstein, wo er dieselben von ihren gewundenen Gerten, welches ihre Ketten waren, losmachte und sich mit ihnen hinlagerte.

Da es nun Mittag geworden war, kam der traurige Trauerzug aus der Stadt, der brachte das arme Opfer, die Prinzeßin, verhüllt in schwarzen Flor. Junge Mädchen trugen Todtenkränze von Rosmarin und weißen Rosen, und die Knaben Zypreßenzweige, die warfen sie um die königliche Jungfrau im Kreise umher, als sie auf den Drachenstein gestiegen war, und gingen dann weinend davon und sahen sich nicht mehr um.

Und als sie nun so verlaßen und jammernd da stand und die Hände zu Gott aufhob, kam Brunnenhold mit seinen Thieren hervor und sahe die schöne Jungfrau an, und sagte: »Habt guten Muth, mein theures Fräulein. Ich und meine Thiere wollen es mit dem Drachen wagen. So betet zu Gott, daß er uns Allen helfe; Ihr aber sollt von dem Steine hinabsteigen, und wir wollen oben bleiben.« Die Jungfrau ließ sich hinabgeleiten, als sie aber den holden Jüngling recht ansahe, da that es ihr im Herzen so weh, daß er sein Leben dran setzen sollte, und würde ihr doch nichts helfen, und wollte wieder statt seiner hinauf. Brunnenhold aber litte das nicht, sondern sie mußte unten bleiben.

So lagerte er sich denn auf den Stein.

Da kam es von fernher wie eine dunkle Wolke gezogen, vor der sich die Sonne verfinsterte. Das machte aber der Drache, der herangezogen kam, und als er Brunnenhold auf dem Steine ersahe, sogleich mit seinem mittelsten Rachen verschlingen wollte. Der schlägt ihm [266] aber mit Einem Schlage das Haupt ab, und seine Thiere sogen das hervorquellende Blut ein, daß der Kopf nicht nachwachsen konnte. Den Drachen wurden alle seine Köpfe, wie er sie den Einen nach dem Andern aufthat, abgeschlagen und die Thiere sogen das Blut ein und wurden so stark davon, daß sie den ungeheuren Leib in Stücke zerrißen und von dem Drachenstein herabschleppten. Darauf aber suchten der Löwe, der Bär und der Wolf die sieben jungen Drachen auf, die mit dem Alten gekommen waren, und hatten dem Alten mit fauchen geholfen, aber als es demselben so übel erging, verkrochen sie sich in eine Felshöhle. Darin fanden sie Brunnenholds Thiere und zerrißen sie.

Nun zeigte der Kämpfer der edeln Jungfrau den Drachen. Die fiel ihrem Erretter mit Thränen um den Hals. »Nun bist du mein, sagte sie, und nun komm zum Vater.« – »Ja! ich bin dein, du holde Königstochter, sagte der Held, aber jetzt kann ich nicht mit dir. Ich muß meine Mutter suchen und meine lieben Pflegältern, die sollen unsern Bund seegnen. Darum harret mein ein Jahr und einen Tag; find ich sie in dieser Zeit nicht, so kehre ich wieder.« Damit sie ihn aber wieder erkenne, schlug er von seinem Jagdschwerdt die Spitze ab, und gab sie ihr. Da schieden sie von einander.

Brunnenhold schlug den Drachenköpfen die Zähne aus, verbarg sie in einer Höhle unter dem Drachenstein, und zog in die Welt, die Mutter und die Pflegältern zu suchen.

Auf dem Wege nach der Stadt mußte die Jungfrau durch einen Wald. Da sprang ein rußiger riesiger Köhler mit einer Keule hervor, und drohete mit gräßlichen Verwünschungen, er schlüge sie todt, würde sie ihm nicht einen schweren Eid schwören, ihrem Vater zu sagen, er habe mit seiner Keule dem Drachen die Köpfe zerschmettert. Die Jungfrau fiel knieend vor ihm nieder, und verhieß [267] ihm Geld und Gut, so viel er nur möchte; aber der Köhler wurde noch wilder und grimmiger und hob die Keule schon zum Todesschlag auf. Da vergingen ihr fast die Sinne, und sie schwur in der Angst den schrecklichen Eid.

Da ließ er sie ziehen, ging auf den Drachenstein, schlug den Köpfen die Schädel ein, und nahm sie mit sich in seine Hütte. Bald darauf kam ein prächtiger Wagen mit Dienern, die holten den Köhler, welchen der König mit Ehren empfing; ließ ihn bekleiden und die Drachenköpfe nebst der Keule in die Schatzkammer bringen.

Als nach einigen Tagen die Hochzeit sein sollte, fiel die Königstochter vor ihrem Vater nieder und bat flehend um drei Jahre Aufschub. Der König hätte ihr die Bitte wohl gern gewährt, denn der grobe Köhler wollte ihm gar nicht gefallen, aber er hatte sein Königswort vor allem Volke gegeben und wollte es halten, zumal die Tochter keine Ursache weiter vorbrachte und nur sagte, sie habe einen hohen Eid schwören müßen, Nichts zu offenbaren. Dennoch erlangte sie ein Jahr und einen Tag Aufschub, weil es der Köhler zufrieden war.

Bald war die Zeit um und der Hochzeittag kam, aber Brunnenhold war noch nicht gekommen, und der König wies seine knieende Tochter, die um neuen Aufschub bat, fast zürnend ab, und sagte, was nicht zu ändern stehe, dem müße man sich ergeben. Sie habe doch immer dem Köhler das Leben zu danken. Darauf hieß sie der König in die Küche gehn und ihm sein Leibgericht bereiten, welches sie allein nur konnte.

Brunnenhold war weit in der Welt umhergezogen und hatte die Mutter nicht funden, und die lieben Pflegältern waren todt. Da kam er deßelbigen Tages, als die Prinzeßin in der Küche das Eßen bereitete, in die Königstadt wieder, und war der Freude darin [268] die Fülle in Musik und Tanz und fröhlichem Lärm, und waren Alle gar festlich mit Kleidern und Bändern geschmückt.

Er ging wieder zum alten Wirth, der ihn mit bedenklichen Lächeln Willkommen hieß und sagte, »das trifft sich ja artig. Vor Jahr und Tag waret Ihr auch da, und wolltet den Drachen tödten.«

»Nun? lebt denn der noch?« sagte Brunnenhold verwundert.

»Behüte! sagte der Wirth, der ist nun schon lange ganz todt; den hat ein starker Köhler getödtet. Der war pfiffig und ließ dem Drachen die Köpfe und schlug ihm nur mit der Keule die Schädel ein, so konnte kein Kopf wieder nachwachsen, aber darauf war noch Niemand gefallen. Dafür heirathet er auch heute die Prinzeßin.«

»So? sagte Brunnenhold; das wollen wir erst sehen. Ich werde meinen Löwen mit meinem Jagdmeßer senden, der soll mir den Halsschmuck der Prinzeßin bringen. Daran will ich merken, ob sie an ihren wahrhaftigen Erretter noch denkt?«

»Lieber Herr, lachte der Wirth, daraus wird denn nun wohl nichts werden, und wollt ich wohl hundert Goldstücken drauf wetten. Und ob Euer Thier schlau sein mag und grimmig, laßen es doch die Wachen nicht ein.«

Sie wetteten Beide, und Brunnenhold sprach zu dem Löwen wie zu einem Menschen, sagte ihm, was er zu thun habe, und gibt ihm das Jagdmeßer in den Rachen. Der Löwe ging aufs Schloß, als hätte er den Weg dahin schon lange gewußt; die Wachen nehmen die Flucht, die Leute in der Küche fliehen in die Kammern und Spelsegewölbe und einige klettern die Eße hinauf, und die Prinzeßin steht in der Küche allein. Da tritt der Löwe freundlich wedelnd vor sie hin, und reicht ihr das Jagdmeßer dar. »O, mein Erretter ist[269] da!« ruft sie freudig, nimmt dem Löwen das Jagdmeßer ab und ließkoset ihm. Der Löwe sahe immer wedelnd mit seltsamen, aber freundlichen Augen nach dem Halsschmuck der Prinzeßin, und sie wußte nicht, was er wollte. Sie bot ihm Fleisch, aber das mochte er nicht, sondern blickte nach dem Halsschmuck. Jetzt sahe sie aber auf das Jagdmeßer, und fand ein Papier am Hefte, darauf stand: »Ich bin da, holde Braut. Bitte den Vater, daß ich ihn sprechen darf, in seinem vollen Rath noch vor der Trauung. Zum Zeichen, daß du mich noch liebst, sende mir deinen Halsschmuck!«

»Das wars also, was du wolltest, du treues kluges Thier, sagte die Prinzeßin, und band dem Löwen den Halsschmuck um, der freudig damit zu seinem Herrn eilte.«

Schreiend setzte sich der Wirth auf seinen großen Stuhl, als der Löwe mit dem Schmuck hineintrat, denn seine Beine wollten ihn nicht tragen. »Ach, meine schönen Goldstücke! meine schönen Goldstücke!« jammerte er. Als er sich ein wenig erholt hatte, nahm er hundert Goldstücke aus seinem Schranke und zählte sie mit bebenden Händen dar. Aber Brunnenhold sagte: »behaltet nur Euer Geld; ich habe deßen nicht nöthig.« Da ward der Wirth froh und fiel ihm vor Freude und Dank um den Hals.

Aber die Königsjungfrau ging zu ihrem Vater und bat knieend und weinend für einen Fremden um Gehör in vollem Rathe, und sogleich. Dem König war das bedenklich. Er fragte, was der Fremde so eiligst verlange? aber sie antwortete, das habe er Niemanden offenbart, und wolle es selbst sagen.

Da versammelte sich der Rath, indeßen Brunnenhold geholt wurde.

Der sprach zum König: »Allergnädigster Herr, als ein junger Waldmann, möcht ich gern Kenntniß haben von allem Gethier auf [270] Erden. So ist meine Bitte denn diese, Euren künftigen Eidam, der einen Drachen erlegt hat, zu bewegen mir Bescheid zu geben auf einige Fragen.«

»Das wird er schon gern thun,« antwortete der König, dem der junge Mann gar sehr wohl gefiel.

»So sagt mir denn, sprach Brunnenhold zum Köhler, wie das Thier gestaltet war, wovon Ihr das Land befreiet habt?«

Der Köhler, dem gar nicht wohl zu Muthe war, sagte so Etwas daher, welches auf viel Thiere auf Erden paßte. Der Drache sei ein greuliches Thier, sagte er, und haben sieben Köpfe gehabt, und einen Schwanz und einen Bauch auch, und in dem Kopfe große glühige Augen und einen Rachen am Kopfe und ein Maul auch! die sperrte er weit auf!

»Was spricht denn der für albernes Zeug?« dachte der König. Aber Brunnenhold sprach weiter: »so habt die Gunst und sagt mir, hatte der Drache auch Junge?«

»Junge? antwortete der Köhler: Nein, die hatte er nicht.«

»So sagt mir jedoch, sprach Brunnenhold, wo Ihr den Drachen begraben habt; so dürft ich vielleicht eine Ribbe von demselben meinem Könige schicken, der ein großer Liebhaber von solchen Dingen ist.«

Der Köhler wurde immer verwirrter, und sagte, er habe den Drachen auf dem Steine liegen laßen und sich nicht darum bekümmert, wo er geblieben sei.

»Aber, fuhr Brunnenhold fort, die einzige Frage könnt Ihr mir gewiß beantworten, da ihr den aufgesperrten Rachen des Unthiers gesehen habt. Hatte es denn auch Zähne?«

Da wurde der Kohlenbrenner grob, wie viele Leute, wenn sie sich nicht mehr zu helfen wißen, und sagte: »Es ist genug, daß ich [271] das Thier erschlagen habe. Ob es Zähne hatte oder nicht, darum fraget es selbst, wenn Ihr es wißen wollt; um solchen Quark hab ich mich nicht bekümmert.«

Der König wurde immer bedenklicher, und als Brunnenhold den König um Vergunst für einige Fragen an ihn selbst und an die Räthe bat, erhielt er dieselbe.

Er sprach: »Großer König! Wenn Jemand eine Nuß fände, würde er die Schale behalten oder den Kern?«

»Den Kern! den Kern!« das versteht sich ja! Ehe er den Kern wegwürfe, behielt er wohl lieber die ganze Nuß.

»Wenn nun aber, fuhr Brunnenhold fort, Jemand den Kern besäße und ein Anderer die Schale, wer hätte die Nuß wohl zuerst gehabt?«

»Das ist keine Frage, hieß es; wer den Kern hat, besaß die Nuß zuerst.«

»So mein ich es auch, mein gnädigster Herr, sagte der Waldmann, und nun bitte ich noch um die Gnade, laßet die Drachenköpfe hieher bringen.«

Als die gebracht waren, setzte Brunnenhold die Zähne, die er aus der Höhle wieder genommen und zu sich gesteckt hatte, in die Stellen des Rachens ein, wohin sie gehörten, erzählte nun Alles, beschrieb die Höhle, wo die sieben Jungen von seinen Thieren waren zerrißen worden, und das daselbst die Köpfe und andern Stücken müßten vorhanden sein.

Da fuhr der König den todtbleich gewordenen Köhler an: er sollte sogleich bekennen, dann könne ihm noch das Leben geschenkt sein.

Da knieete der Köhler nieder, bekannte Alles und bat um sein Leben. Das wurde ihm auch geschenkt, aber damit er nicht noch [272] mehr Böses verübte, wurde er in ein Gefängniß gesetzt auf Lebenslang. Aber der neue Eidam gefiel dem König sehr wohl, und er umarmte denselben inbrünstig und gab ihm noch deßelbigen Tages sein Töchterlein Brunolde, und ließ ihn mit vieler Pracht unter einem Thronhimmel umher tragen und zum Könige krönen.

Aber wie glücklich das neue Paar lebte, kann Niemand beschreiben. Brunnenhold half dem Vater ein Bißchen mit regieren und konnt es bald recht ordentlich und fand es leichter, als ers sich gedacht hatte, obwohl er es niemals gelernt hatte. Und da er so gerecht und so mild war, gewann ihn das ganze Volk bald von Herzen lieb.

Von seinem Waldwerk ließ Brunnenhold aber nicht ab, obwohl er zu regieren hatte. Es waren der schädlichen Thiere zu viel in den Wäldern, der mußten weniger werden. Seine treuen Thiere halfen ihm dabei munter und lustig; und wenn die Jagd gut war, blieben sie alle vier über Nacht im Walde, und kamen des andern Abends erst wieder, von Brunolden sehnlichst erwartet.

Aber einmal kam der Jäger nicht wieder. Er hatte gejagt weit umher und hatte kein Wild getroffen. Er wollte schon wieder heimkehren, da kam eine weiße Hindin aus dem Gebüsch, der setzte er mit seinen Thieren nach; aber sie war ihnen zu schnell und zu klug, und hatte sie am Ende so weit geführt, daß er nicht wußte, wo er war. Er suchte den Heimweg und fand ihn nicht. Die Sonne war schon eine Weile unter und er mußte mitten im Walde auf einem weiten Platz bleiben, wo schöne Kräuter wuchsen und ein klarer Quell sprudelte. Sein Löwe jagte noch umher und brachte ihm einen Hasen, als der Mond schon aufgegangen war.

Er streifte den Hasen ab und weidete ihn aus; steckte zwei Aeste in den Rasen, die oben ein Gäblein hatten, und legte in die Gabeln [273] einen Stock, woran er den Hasen wie an einen Bratspieß steckte. Nachdem er nun Feuer angezündet hatte unter dem Hasen, drehete er denselben am Spieße und pfiff auf einem Baumblatte ein lustiges Jagdstückchen dazu. Löwe und Bär und Wolf lagen schlafend oder doch ruhend um ihn her.

Der Hase war noch nicht gebraten, so kommt ein kleines, steinaltes, verschrumpftes Weib, das schien kaum schleichen zu können, that recht frierig, hauchte in die Hände und wimmerte dazu: »Ach, wie michs friert! wie michs friert!« und dabei ging es um Brunnenhold und seine Thiere in weiten Kreisen umher, immer klagend: »wie michs friert! Ach, wie michs friert!«

»Nun, sagte Brunnenhold, siehst du denn das Feuer nicht, alte Frau? wer hindert dich denn dich zu wärmen?«

»Ja, sagte sie, da will ich lieber erfrieren, als mich von deinen Thieren freßen laßen!« Und als ihr Brunnenhold sagte, seine Thiere wären zahm und thäten Keinem etwas zu Leide: da sagte sie, sie wollte sich gar gern ans Feuer setzen, dürfte sie nur mit dem kleinen dünnen Rüthlein Jedes ein wenig berühren; sie habe so ihren Glauben daran. Brunnenhold wollte das anfangs nicht zugeben, aber weil ihn die alte Frau jammerte, that er es endlich dennoch. Da berührte sie leise die Thiere und heimlich Brunnenhold auch mit. Da sanken sie alle viere in Schlaf, und wurden zu vier schwarzen glatten Steinen.

Brunolde und ihr Vater ließen den Gemahl und Sohn mit Angst und Thränen suchen all überall; aber da ihn nach drei Monaten kein Mensch gefunden hatte, legte sie Trauerkleider um ihn an und beweinte ihn als todt, und der alte König trauerte [274] und weinte von Herzen mit und hatten Beide keinen frohen Tag mehr.


Fünf Jahre war Brunnenstark umhergezogen und hatte Unholde, Drachen und Lindwürmer, Einhörner und große Löwen erlegt, die die Länder verheerten. Das, meinte er, sei sein rechter Beruf, weil er die Kraft und Stärke dazu habe. Aber nun fand er kein Ungeheuer mehr, sondern alles Volk weit und breit lebte in Ruhe und Frieden. Da zog er zum Scheidewege hin, zu der Eiche, in welche er mit dem Bruder die Meßer hineingesteckt hatte. Aber der Baum war an der einen ganzen Seite krank, vom Wipfel bis zur Wurzel und die Blätter waren vergelbt; und als er das Meßer herauszog, fing er bitterlich an zu weinen, denn das Meßer war über und über verrostet. Er setzte sich unter die Eiche und konnte nur jammern: »Ach, mein Bruder! mein holder, mein sanfter Bruder!«

Er blieb den ganzen Tag jammernd und wimmernd unter dem Baum und die Nacht auch, und klagte, vor sich hingebeugt: »Ach, mein Bruder!«

Als am andern Morgen die Sonne aufgegangen war, hatten seine drei Thiere sich gestreckt und gedehnt und kamen nun zu ihrem Herrn, schmeichelten sich an ihm an, liefen dann vor ihm hin ein Paar Schritte weit, kamen wieder zu ihm, liefen wieder vorhin, und sahen ihn so wunderlich an, als wollten sie sagen: »Komm mit uns; hier ist es nicht gut für dich! Da ging er mit ihnen, aber trauernd. Seine Thiere hetzten und jagten in den Forsten umher, er aber [275] jagte nicht mit. Hätten ihn seine Thiere nicht mit Wildpret versorgt, so wäre er fast verkommen.«

Wohl nach drei Wochen kam er eines Morgens früh in die Stadt, wo Brunolde war, sich dort ein wenig zu erholen und umzukleiden. Da wird ein fröhlich Gelärm in der Stadt, und Alles wird rege und ruft: »Er ist da! Er ist wieder da! und seine drei Thiere auch mit!«

»Ach, was habt Ihr ausgestanden, lieber Herr! wie seid ihr so bleich und abgezehrt! Wie wird sich der alte König freuen, und Eure Gemahlin!« So sprechen sie zu ihm.

Er weiß nicht, was die Leute wollen; er weiß nicht, ob er im Traum, oder verzaubert ist; aber die Menschen führen und treiben ihn noch dem Schloße zu, und Brunnenstark ist ganz betäubt.

Als ihn Brunolde erblickt, fällt sie in Ohnmacht, und der alte König fällt ihn um den Hals und weint. »O, du Herzens und Schmerzenssohn, ruft er, wie ist dirs ergangen?«

Nun freilich sieht er wohl, daß hier sein lieber Brunnenhold gewesen sei, den Drachen getödtet habe und sei Gemahl der trauernden Brunolde geworden. Und weil er dem Bruder so gleich war, hatte drei Thiere wie der, und auch solch einen grünen Jagdrock, da hielten sie ihn für Brunnenhold.

Da entdeckte er den unglücklichen Irrthum, den er gern hätte verschwiegen, und als er denselben entdeckt hatte, war des Klagens und Jammerns im Königshause kein Ende, und schlich Jeder seines Weges in trauriger stummer Stille dahin. Der alte König ging tagelang in seinen Gemächern auf und ab, dann setzte er sich auf seinen Stuhl und weinte, und dann ging er wieder mit seiner Jammermiene, und die Diener sagten: »Ach, der arme, arme, alte Greis!« Und Brunolde lag in Schmerzen und Grämen tief versenkt [276] und konnte sie Niemand trösten. Sie konnte nicht mehr weinen, sie rang nur die Hände und seufzte und sahe Jeglichen mit stieren Augen an.

Da konnte Brunnenstark nicht länger die Quaal der Armen mehr ansehen, und machte sich heimlich eines Tags mit seinen Thieren davon, und schweifte in den Wäldern umher, und hätte so gern sein Herzeleid vergeßen, aber das ging nicht.

Eines Tags hatte er sich tief in einem Walde verirrt, denn eine weiße Hindin hatte ihn dahin und dorthin geführt, und er hatte sie nicht können erholen, und mußte die Nacht auf einem grünen Platze zubringen. Er sandte seine Thiere aus, sich Futter zu suchen, und ihm auch Etwas Nahrung mitzubringen. Derweil besahe er sich den Platz, sahe vier glatte schwarze Steine und einen Waldmanns Bratspieß, wie sein Pflegvater ihn und den Bruder zu machen gelehrt hatte, und steckte noch ein Hase am Spieß, gebleicht von Sonne und Luft und Regen.

Er machte sich ein Feuer an, und als ihm der Löwe einen Hasen mitbrachte, richtete er denselben zu und steckte ihn an den Spieß, den er fleißig umdrehte.

Und als die Thiere sich um ihn her gelagert hatten, das Feuer hoch aufflackerte und der Hase recht bratete, kam die alte Frau wieder, die zu dem Bruder gekommen war, und klagte wieder: »Ach, wie michs friert! Wie michs friert!« Denn Klagen und Großprahlen haben Viele gelernt, die die Leute betrügen wollen. Es ging Alles so, wie es bei Brunnenhold war gegangen, und sie wollte nur ein wenig, ein ganz klein wenig die Thiere mit ihrem Gertlein berühren. Und als ihr Brunnenstark sagte, er laße seine Thiere nicht einmal scheel ansehen, noch weniger aber berühren, wollte sie es doch thun. Da sprang Brunnenstark auf, schleppte sie zum Feuer, [277] legte sie mit den Ketten seiner Thiere an einen Stein, und sagte: »Nun kannst du dich wärmen; aber sprich nicht weiter, du unheimliches Weib, oder es gilt dir dein Leben.«

Nachdem sie sich gewärmt hatte, nahm sie ihr Rüthlein, sprach heimliche Worte darüber, und sagte: »Herr, Ihr habt mich laßen wärmen, nun will ich auch Euch einen Gefallen erzeigen. Nehmt mein Rüthlein und berührt die Steine damit; ich weiß, Ihr werdet mir danken!«

»Das kann ich wohl thun, dachte Brunnenstark, dabei ist wohl nichts Besorgliches.« Er berührte die Steine, und siehe! da verwandelten sich die Steine in Löwe und Bär und Wolf, und der letzte in den Bruder.

Die Brüder erkannten sich bald und urmarmten sich, und die Thiere liebkoseten einander. Brunnenhold meinte, er habe hier nur ein wenig geschlafen, weil ihn eine weiße Hindin auf der Jagd so sehr ermüdet, und da flackere das Feuer und brate der Hase noch, den er angesteckt habe, den wollten sie nun mit einander eßen. Als es ihm aber Brunnenstark anders wollte erzählen und er wollt es nicht glauben, da sagte die Alte: »Seht, lieber Herr, ich hab Euch verzaubert und mit Euren Thieren zu schwarzen Steine gemacht, aber ich durfte nicht anders.«

Und nun bat die Alte gar schmeichelnd, Brunnenstark möcht ihr den Kopf abhauen, da würd er ein sehr gut Werk thun. Er müße aber alsbald den Kopf ins Feuer werfen und verbrennen, darnach von der noch warmen Asche dreimal eine Handvoll über seinen Kopf nach Abend zu werfen, dann würd er sehen, wie gut er gethan habe.

Brunnenstark dachte, die Alte sei närrisch, und hielt es für groß Unrecht, Leuten so ohne allen Grund und Ursach die Köpfe [278] abzuhauen, sie aber bat gar zu sehr, und sagte, er thue ihr eine große Wohlthat. Da mußte die Alte niederknien und der Kopf flog herunter, den warf er ins Feuer, wo derselbe bald hell genug brannte, weil er so dürr war, der Leib aber versank in die Erde.

Jetzt setzten sich die Brüder zusammen auf den Rasen, aßen den Hasen und sprachen dabei von dem, was sie gethan und ausgestanden hatten, und beklagten, daß sie von der lieben Mutter auch gar nichts hätten erfahren.

Indem sie so sprachen, war der Kopf zu Asche geworden, und Brunnenstark nahm nun eine Handvoll Asche und warf sie über seinen Kopf nach Abend und that mit der zweiten und dritten Handvoll gleich also, aber da rollte und schlug es wie Donner rings umher, und sie standen in einem wunderherrlichen Garten, in welchem ein großes Schloß glänzte, mit unzähligen Lichtern erleuchtet. Es tönte wunderliebliches Getön aus dem Schloße, und als die Jünglinge in daßelbe hineingingen, kam ihnen eine Jungfrau entgegen, die umarmte Brunnenstark und sagte: sie sei die alte Frau, die habe er erlöst, und nun gehöre sie ihm mit ihrem ganzen Lande, wenn er sie möchte. Da war Brunnenstark glücklich, und sie hielten sogleich den Brauttanz, mit vielen Rittern und Frauen. Darauf gingen sie zum festlichen Mahl und aßen und sprachen zusammen.

Da meldet auf einmal ein Diener, es sei ein Schiff aus der Luft gekommen und habe im Garten sich niedergelaßen. Die Brüder eilten stracks in den Garten hinab. O Freude! Es war das Zauberschiff! aus welchem die Mutter und die Amme ausstiegen. Da war es nun für Alle eine glückliche Nacht.

Am andern Morgen aber bat Brunnenhold die Mutter um ihr Zauberschiff, zu seiner Brunolde zu reisen. Aber die Mutter mit [279] der Amme, der Bruder mit seiner Gemahlin und die sechs Thiere fuhren auch mit.

Als sie nun ankamen, da gab es glückliche Tage, die keine Zunge aussprechen kann. Der alte König, der so lange aus Herzeleid geweint hatte, weinte nunmehr aus Freude und sagte: »Nun kann ich doch glücklich sterben!«

25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

25. Viole und Holdherz.

Ein König und eine Königin hatten eine einzige Tochter, und waren sehr glücklich in ihrem Besitz, denn es war ein sanftes, sittsames und frommes Kind, und die Aeltern freuten sich, wenn sie daßelbe nur ansahen, und den Leuten am Hofe war es fast eben so, wiewohl dergleichen an Höfen sehr selten sein soll. Sie hieß aber Viola.

Viola bekam von der Mutter, welche vor Freuden oft nicht wußte, was sie Alles dem geliebten Mädchen schenken sollte, die prächtigsten Kleider und die kostbarsten Juweelen und Steine in großer Menge; aber Viola schmückte sich nur an hohen Festen damit, und kleidete sich an den andern Tagen schlicht und einfach, welches der Mutter auch wieder recht wohl gefiel, indem ja ihr schönster Schmuck immer ihr blieb: das war nämlich ihr sanftes Herz, ihre stille Tugend.

Am Königshofe lebte zur selben Zeit ein häßliches altes Wesen, Grunzau genannt, häßlich am Körper, wofür sie nichts konnte, häßlicher noch am Gemüth. Sie war nach der Königin die Vornehmste [280] im Lande, denn sie war Herzogin und unermeßlich reich. Bei dem Könige, der ein wenig geitzig war, galt sie um ihres Reichthums willen so viel wie eine Königin, bei allen andern Menschen galt sie für nichts, als für eine garstige Kröte, der man so weit auswich, als man immer nur konnte.

Weil sie eine Herzogin war, und obendrein so reich, daß sie sich wohl zwei Königreiche hätte kaufen können, wären sie nur feil gewesen, so war sie auch in ihren Gedanken unendlich weise und von bezaubernder Schönheit. Ihre Diener und Dienerinnen sagten ihr das auch ins Angesicht, und sie nahm es ohne Erröthen an, weil sie wußte, daß es wahr sei. Aber bei aller ihrer Weisheit und Schönheit war sie dennoch nicht glücklich am Königshofe, denn sie konnte Violen nicht leiden, weil diese Jedermann für liebenswürdig hielt. »Wie kann nur ein Mensch, sagte sie, das kleine Murmelthier für liebenswürdig halten? Wenn mir mein Spiegel nicht schmeichelt, bin ich gewiß doch viel hübscher.« Ei ja freilich war sie das, die feuerrothen Haare, wie flammend! das Plunschgesicht, wie lieblich! Die sanften Augen, mit den triefenden Thränen, wie gefühlvoll! Das weite Maul so voll Platz für viel holdseliger Rede!

Aber was half das? – Genug, sie hielt sich für sehr gekränkt durch Violens Schönheit, die aller Welt gefiel, zog vom Hofe fort, und begab sich auf eines ihrer Schlößer.

Nach einigen Jahren starb Violas Mutter, und die Tochter beweinte den Todt derselben mit kindlichen Thränen sehr lange Zeit und auch der König betrübte sich lange Zeit sehr.

»Aber wer kann denn immer betrübt sein? dachte der König. Die Betrübniß ist ein langweilig Ding.« Nun hätte er zwar Feste und Hofbälle und Spiele können anbefehlen, aber [281] weil das Geld kostete, so liebte er es nicht. So zog er denn fleißig auf die Jagd, die nichts kostete, und ließ die Räthe indeßen regieren.

Eines Tages, wo es gewaltig heiß war, hatte er sehr lange gejagt, und sehnte sich nun nach einem kühlen Obdach und nach einem frischen Trunk. Da sagte man ihm, das Schloß der Herzogin Grunzau sei ganz in der Nähe. So ritt er denn hin.

Die Herzogin führte den König in ihre weit und hochgewölbten Keller, die mit Kerzen erleuchtet waren und waren so hell wie der Tag. Dieß, sagte sie, sei der kühlste Ort in ihrem Schloße und ein frischer Trunk würde sich wohl auch darin finden. Das ließ sich denn freilich wohl glauben, indem alle Kellergewölbe voll großer Stückfäßer lagen, über deren Menge und Größe der König erstaunte.

»Frau Herzogin, sagte der König, was macht Ihr mit diesen Vorräthen von Wein, die Ihr ja nimmermehr zu verbrauchen vermögt?«

»O! antwortete sie, ich bin eine Liebhaberin von solchen Weinen, die halten sich ewig.«

Sie nahm einen Hammer und schlug den außerordentlich großen Zapfen des einen Faßes aus. Da rollten Dukaten zu Tausenden heraus. »Hm,« sagte sie, »das ist mir wunderbar!« Sie schlug noch mehr Fäßer auf, aber es stürzten immer Dukaten oder Perlen oder Edelsteine heraus.

»Seht doch!« sagte sie, »da haben mir die Bestien von Bedienten meine köstliche Weine ausgetrunken und dieses Lumpenzeug dafür hingelegt; indeßen sollen Ew. Majestät nicht dürsten.«

Da holte sie einige Flaschen des herrlichsten Weines und einen goldenen Becher, mit kostbaren Steinen besetzt.

[282] Der König trank den herrlichen Wein, ohne an seiner Lieblichkeit einen Geschmack zu haben, denn der Anblick der Kostbarkeiten hatte seine Augen und sein Herz verblendet.

»Lumpenzeug nennt Ihr das, sagte er, indem er mit der Hand auf die Dukaten und Perlen und Steine zeigte. – Lumpenzeug? O! wer es doch hätte!«

»Könnt Ihr ja haben, Herr König, sprach die Grunzau, nur freilich müßt Ihr mich auch mit dazu nehmen!«

Das war der König sogleich von Herzen zufrieden, denn die Grunzau war in diesem Augenblick, in seinen Augen, die Schönste auf Erden. Sie aber sagte: »Ja, mein Herr König, ich will Euer Gemahl werden, und alle meine Schätze sollen Euer sein, aber Eure Tochter muß mir gehorchen, wie wenn ich ihre rechte Mutter wäre. Ich will sie ziehen, wie mirs beliebt, und Ihr selbst dürft mir nicht drein reden.«

Die Gier nach Schätzen verblendete das Vaterherz, und er bewilligte Alles.

Unruhig fuhr er nach Hause. Die besorgte Tochter fragte, ob ihm etwas Uebles begegnet? Da sagte er: »O nein! vielmehr etwas Gutes. Ich habe ein holdseeliges Wild gefangen, das ist die Grunzau, die will ich heirathen, mit allen ihren Schätzen.«

»Die? rief Viola bestürzt; die? – holdseelig?«

Aber der Vater wollte seine Schaam vor der Tochter in Zorn verhüllen, und sagte aufgebracht: »Schweig; sie ist deine Mutter, und du sollst ihren Willen befolgen, als wär er der meine. Geh und kleide dich aufs prächtigste an, denn ich will sie heute herholen.«

Viola verstummte und ging betrübt, sich ankleiden zu laßen, aber sie war ja so folgsam. Ihre Kammerdienerin, mit der sie ausgewachsen [283] war, sahe ihren Kummer, und fragte, was ihr auf dem Herzen liege?

»Dir darf ich es klagen,« sagte die Prinzeßin. Der Vater heirathet die Grunzau – ein Ungeheuer, das mich haßt, und das ich nun lieb haben soll, wie meine Mutter. O, wie soll ich das können!

Die Dienerin rieth ihr, ihren Widerwillen zu bezwingen, schon darum, damit die Grunzau keine Gelegenheit finde, ihr weh zu thun.

»Ja! sagte sie, das will ich ja freilich auch; gebe der Himmel nur, daß mir es gelinge!«

Viola hatte sich lieblich ankleiden laßen, und sahe sehr schön aus, schön wie ein Engel, aber mit dem Gesichte voll Betrübniß, wie ein trauernder Engel.

Die Herzogin hatte sich auch so schön und so prächtig laßen kleiden und schmücken, als nur immer möglich. Sie glaubte, wie viele Thörinnen, daß man von Kleid und Schmuck die Schönheit erborgen könne; – aber die Häßlichkeit stach dagegen nur desto auffallender ab.

Sie hielt ihren Einzug zu Pferde, wie die Königinnen in der uralten Zeit thaten, als man noch keine Kutschen kannte. Daß sie reitend den Einzug halten wollte, geschahe darum, daß alle Welt sie ganz sehen und vor Bewundrung erstaunen sollte, und das geschahe denn auch, denn man erstaunte über eine so häßliche Nachteule, die Königin werden sollte, und die Leute auf der Straße schimpften ganz laut auf ihren dummen König und beklagten die holde Prinzeßin.

Diese aber war, ehe die Grunzau einzog, in einen schattigen Hain gegangen, denn dort konnte sie ungestört weinen und ihr hartes Geschick beseufzen.

[284] Sie war im tiefsten Kummer versunken, als auf einmal ein schöner Edelknabe vor ihr knieete, vor dem sie nicht wußte, woher er gekommen sei, aber sie meinte, er gehöre zum Hofstaat der Herzogin.

»Prinzeßin, sagte der Jüngling, Ihr werdet erwartet!«

Da fragte sie ihn – denn es war ihr, als müßte sie ihn fragen – wie lang er im Dienste des Königs oder der Herzogin sei? – »Dem Könige diene ich nicht und der Grunzau auch nicht, aber in Eurem Dienste stehe ich, gern und freiwillig.«

Das kam der Prinzeßin gar wundersam vor und wußte es nicht zu deuten und sagte: »Wie soll ich denn das verstehen?«

»O Viola! sagte der Jüngling kühn; du jammerst mich! Ich bin kein Edelknabe, ich bin der Prinz Holdherz, der ja nicht sogar unbekannt ist, und bin schon in mancherlei Gestalt und selbst unsichtbar bei dir gewesen, du Holdseelige. Ich habe die Gabe, zu scheinen, was ich will, oder gar nicht zu erscheinen von meiner Mutter. Stände dir nicht schwere Prüfung bevor, so wäre ich noch im Verborgenen geblieben. – Viola, ich liebe dich deiner Sanftmuth und Tugend wegen, und werde von heut an immer, sichtbar oder unsichtbar, bei dir sein.«

Viola wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie ließ sich von dem Jüngling zu einem milchweißen Pferde führen, das er im Schloßhof für sie bereit gehalten hatte. Sie stieg aufs Pferd, und Holdherz führte es am Zügel.

Sie ritt der Grunzau entgegen und das Volk bewunderte sie und den schönen Edelknaben und das prächtig gebaute und geschmückte Pferd, deßen Zaum und Decke von Juweelen blitzten.

Die Herzogin kam auf ihrem Pferde, das aber neben dem Pferde der Prinzeßin wie ein schäbiger Fuhrmannsgaul aussahe.

[285] »Wie? sagte sie grimmig, so soll ich denn schon bei meinem Einzuge von dieser Kreatur gedehmüthigt werden? – Sie soll ein schöneres Pferd reiten als ich? – Nein! lieber nicht Königin sein!«

Da befahl der König Violen abzusteigen und die Herzogin zu bitten, ihr Pferd anzunehmen. So geschah es ohne Murren von Violens, und ohne Dank von der Herzogin Seite. Zwei Edelleute mußten diese auf dem Pferde halten, und der Edelknabe Violas mußte es am Zaum führen, damit Alles sanft ginge. Deßen ungeachtet wurde das Pferd wild, bäumte, hieb um sich und ging im wüthendsten Rennen mit der kreischenden Reiterin durch, die sich an den Mähnen anhielt, dennoch aber abgesetzt, und weil sie im Bügel hängen blieb, eine große Strecke geschleift wurde, wozu das Volk jauchzte und hallohte. Kleider, Schmuck, falsche Haare und Zähne und Wulste lagen da und dort auf dem Wege umher. Ein Paar Löcher im Kopfe, ein Paar Wunden an Armen und Beinen mißgönnte ihr Niemand.

Als man sie ins Bett brachte, fluchte sie vor Wuth über Violen. »Diese Nichtswürdige, wüthete sie, hat das Pferd nur deshalb geritten, daß es mir gefallen und ich dann den Hals darauf brechen soll. Werde ich nicht schreiend gerächt, so geh ich wieder auf mein Schloß.« Der König knieete am Bette des Scheusals und übergab sein sanftes Kind den Händen deßelben; Viola mußte kommen und wurde, von vier alten Weibern, mit Ruthen jämmerlich gepeitscht! »Haut! haut! schrie der Satan vom Weibe, bis alles Blut herausgeht, und die weiße Haut braun und blau wird.«

Geduldig wie ein Lamm, hielt Viola still. Das wurde ihr aber ganz leicht. Holdherz hatte die Rüthen in weiche Blumen [286] verwandelt, und den alten häßlichen Weibern allzumal die Augen verblendet. Sie dachten mit Ruthen gehauen zu haben!

»O Holdherz, seufzte Viola, als sie unter Schimpfen zur Thür war hinausgestoßen worden; ich weiß, was ich dir schuldig bin. Mein Herz soll dir dafür ewig verbunden sein!«

Viola stellte sich sehr krank, und Grunzau war so froh darüber, daß sie bald wieder heil wurde. Viola aber hatte daran einen sehr glaublichen Vorwand, den widrigen Hochzeitfeierlichkeiten sich zu entziehen.

Da der König wohl wußte, daß der böse Drache, der nun sein ehelich Gemahl war geworden, eben so mit aller Gewalt schön sein wollte, als er dagegen verlangte reich zu sein, ließ er das Drachengesicht von seinen Malern abkonterfeien und in alle Länder versenden. Aber obwohl all die Maler ihr Bestes gethan hatten, das häßliche Gesicht ein wenig erträglich zu machen, wurde dennoch an allen Königs und Fürstenhöfen darüber gelacht. Die Grunzau aber freuete sich, daß ihre Schönheit aller Welt bekannt würde.

Und als der König nun gar ein Kampfspiel halten ließ, worin vier der stärksten, aber nicht der besten Ritter seines Hofes verfechten mußten, die Gemahlin des Königs sei die Schönste der Erden, da war sie sehr glücklich. Der König hatte den Tag des Kampfspiels beniemt, und viel Ritter waren von fremden Ländern und Orten gekommen, aber Keiner wollte gegen die Ritter der Grunzau kämpfen, denn die Gekommenen sagten ziemlich laut, hier sei keine Ehre zu holen; man würde sie ja Zeit Lebens verspotten, wenn sie nur eine Lanze gegen die Schönheit eines Ungeheuers einlegen wollten. Jedermann sahe ja auf den ersten Blick, wie grundabscheulich sie sei.

Die Königin saß unweit des Kampfplatzes unter einem prächtigen Thronhimmel und sie war anfangs gar höchlich betroffen, daß [287] kein Ritter gegen sie in die Schranken trat; aber der König und seine vier Ritter schmeicheiten ihr, das sei die Macht ihrer unbestreitbaren Schönheit, gegen welche ja keiner mit ehrlichem Herzen kämpfen könne. Da ward sie hoch entzückt und sagte bei sich selbst: »Das ist ja wahr; aber ich hätte mich selbst kaum für so schön gehalten!«

Schon wollte der Hof den Kampfplatz verlaßen, in dem sich kein Ritter gegen die Schönheit der Königin fände, als in der Entfernung eine Trompete erklang und bald darauf ein Ritter in die Schranken ritt 1, welcher mit überlauter Stimme behauptete, die alte Schachtel, die eine Königin sein wolle, sei die häßlichste Meerkatze auf Erden und die scheußlichste an Leib und Seele; Viola aber sei die Schönste auf Erden.

Da ergrimmten die vier Ritter und ritten, gegen alle Ehre und Sitte, alle Vier auf einmal auf den Angekommenen zu. Der aber tummelte sein Pferd und traf sie so gewaltig mit seiner Lanze, daß sie allzumal rücklings in den Sand stürzten, und ihre Rippen ihnen krachten. Dann ritt er zu den Schranken hinaus. Die Ritter aber, die vor denselben hielten, riefen: »Meerkatze! Scheußliche!« und Alle zogen davon.

Der Ritter aber, der die vier Andern in den Sand gestreckt hatte, war Holdherz, bei deßen Ausruf die Königin in Ohnmacht gefallen war. Sie wollte dann ersticken, als sie ein wenig wieder zu sich selbst gekommen war; und als sie noch mehr zu sich selbst kam, raste und wüthete und tobte sie sehr, gleich einem grimmigen angeschoßenen [288] Thiere; und: »Viola ist die Schönste auf Erden!« klang ihr wie ein unaufhörlicher Donner in den Ohren, und sie mußte ja nun dieser Nebenbuhlerin ihrer Schönheit los werden, auf welche Art es auch wäre.

In tiefer Mitternacht ließ sie Viola aus ihrem Bette reißen, in eine Kutsche werfen und sie mitten in einen weit, weit entlegenen Wald aussetzen, der voll reißender Thiere war.

Viola wußte nicht, in welcher Wildniß sie sich befand. Weg und Pfade waren hier nicht. Das Heulen der wilden Thiere klang fürchterlich in ihre Ohren, und wenn sie von diesen nicht zerrißen wurde, so mußte sie doch ein Raub des Hungers werden. – »O Holdherz! rief sie in ihrem Jammer, wüßtest du doch mein Elend, du kämst deiner unglücklichen Viola zu Hülfe!«

In dem Augenblick, als sie es sprach, war der Wald erleuchtet und an jedem Baum hing eine brennende Lampe. Sie stand am Eingang einer Allee, an deren Ende ihr ein herrlicher Palast entgegen glänzte. Ein leichter Wagen, mit Hirschen bespannt kam geflogen und Holdherz saß in dem Wagen und bat Viola einzusteigen. Er fuhr sie durch viele Gegenden des Waldes. Sie sahe tanzende Schäfer und Schäferinnen, sie sahe überall fröhliches Völklein bei Singen und Trinken vergnügt und spielende Kinder darunter, und Alles im Walde war Leben und Lust.

»O! sagte sie; wie ists hier so schön! Ich dachte in eine grausige Wildniß gekommen zu sein, und fürchtete mich sehr.«

»Es war eine Wildniß, sagte Holdherz, ehe du kamst, theure Viola; aber meine Mutter, die dich eben so lange liebt als ich, hat Alles durch ihre Macht verwandelt, damit dir dein Aufenthalt hier gefiele. Jetzt laß uns zu ihr.«

[289] Sie fuhren nach dem Palast zu, aus welchem liebliche Töne erklangen. Die Königin empfing Violen und umarmte sie. »Sei willkommen, du liebes Herz! sagte sie, ich habe dich lange geliebt! Vergiß deine ruchlose Mutter und lebe hier glücklich!«

Viola lebte hier glücklich. Lust und Freuden wechselten und Alles, nur die Bitten, die Prinz Holdherz an Violen that, sich mit ihm zu vermählen, wechselten nicht; aber Viola wies diese Bitten standhaft ab. Sie versicherte den Prinzen, sie werde ihn ewig lieben, aber zur Vermählung mit ihm müße ihr Vater erst einwilligen.

»Der Vater wird sich dennoch um mich betrüben, obwohl er mich nicht lieben darf, sagte Viola eines Tages; aber ich möchte wohl wißen, was die Grunzau über mein Verschwinden ihm vorgebracht hat?«

Holdherz führte sie auf einen hohen Thurm, in deßen obersten Zimmer eine Marmortafel dicht neben einem Fenster stand. Unbekannte Zeichen standen auf der Tafel. »Lege, sagte er, deine linke Hand auf diese Tafel, und den kleinen Finger der rechten in dein Ohr, und schaue zum Fenster hinaus.«

Sie that es und sahe und hörte. Die häßliche Grunzau erzählte dem König mit vielen Verwünschungen, Viola habe sich im Keller erhenkt, und der König weinte, sie aber schalt ihn seiner Thränen wegen. Dann sahe sie, wie die Grunzau ein hölzernes Bild in die Kleider Violas einhüllen, in einen Sarg legen und forttragen ließ zum Erbbegräbniß. Darnach sahe sie, wie viel Volks ihrem Sarge folgte und hörte wie es schluchzte und wie Einige sagten: »Die Königin hat sie vergiftet.« Alsdann erblickte sie den König in seinem innerstem Gemach. Da saß er stumm und traurig vor einem Tisch mit Speisen, von [290] welchen er keine einzige anrührte. Er rang jetzt die Hände und sahe mit Thränen zum Himmel auf, und jetzt verhüllte er mit beiden Händen die Augen und schluchzte.

Da ergriff sie eine heftige Sehnsucht nach dem bekümmerten Vater und sie verlangte zu ihm zurück, und es half nichts, daß Holdherz sie bat zu bleiben, und ihr sagte, sie gehe ihrem Unglück entgegen.

»Ach! rief sie, mein Vater weint!«

Da rief Holdherz, und der Hirschwagen kam, und Beide setzten sich ein. Nachdem sie ein Paar Augenblicke gefahren waren, entstand hinter ihnen ein gewaltiges Krachen und Praßeln. Viola sahe sich um und sahe den Palast mit seinen Thürmen und Gebäu den einstürzen.

»Was ist das?« fragte sie erschrocken.

»Ich will,« antwortete Holdherz seht ernst, »das Andenken an die Paar glücklichen Tage vernichten, die ich mit dir dort verlebt habe. Glaube mir, du wirst nicht eher wieder hineinkommen, als dann erst, wenn du begraben sein wirst.«

»O zürne nicht mit mir, du Lieber, bat ihn Viola, ich bin ja vielmehr zu bedauern als du!«

Als sie in die Königsstadt einfuhren, machte Holdherz sich und die Prinzeßin, die Hirsche und den Wagen unsichtbar. Ohne von Jemand gesehen zu werden, kam sie bis in das Zimmer des Königs und warf sich vor ihm nieder. Er erschrack heftig, denn er meinte, er sähe den Geist seiner Tochter. Sie aber erzählte ihm Alles, und bat, sie heimlich auf ein entferntes Schloß zu schicken, wo sie vor der Bosheit der Stiefmutter sicher wäre.

Der arme Vater! Er ließ den Sarg öffnen und das angekleidete [291] Holzbild wurde gefunden; aber er gerieth nicht darüber in Zorn, denn er fürchtete die Grunzau viel zu sehr.

Diese erfuhr sehr bald was vorging, schoß wüthend in das Zimmer des Königs, lärmte, raste, drohete fortzureisen und setzte den schwachen König so in Furcht und Zittern, daß er seine unglückliche Tochter dem bösen Drachen auslieferte, der sie in den armseligsten Kleidern in einen dumpfigen Keller schleppen ließ, wo sie nichts hatte als schwarzes Brodt und Waßer und etwas Stroh zum Lager.

Die unglückliche Viola dachte, sie sollte hier ihr Leben verjammern, aber sie hatte doch das Herz nicht ihren Geliebten um Hülfe anzurufen, denn es schien ihr, er müße zürnen, denn sie sei seinen Wünschen zu sehr entgegen gewesen.

Aber der Grunzau war es nicht darum zu thun, die Prinzeßin eingesperrt zu halten, sondern sie suchte Ursach dieselbe täglich zu schlagen. Sie ließ eine alte Zauberin kommen und berathfragte sich mit ihr. Diese brachte ihr am andern Morgen ein ungeheures Bund Garn, deßen Faden so fein waren, daß man sie hätte zerblasen können, und waren dabei untereinander gewirrt. Mit diesem Garn sperrte die böse Stiefmutter die unglückliche Viola in eine entlegene Kammer, und sagte: »Hier, Jungfer Taugenichts, ist ein wenig Arbeit für deine zarten Finger. Ist das Garn nicht vor Sonnenuntergang ganz aufgewun- oder ist nur ein einziger Faden davon zerrißen, so will ich dich so zerhauen laßen, daß die Stücken von deinem Leib herabfliegen sollen. Ich will dich lehren wider meinen Willen wieder aufzuleben.«

Was half es, daß Viola klagte und jammerte; sie mußte sich ja doch an die Arbeit machen. Aber kaum hatte sie einige [292] Augenblicke das Garn zu entwirren versucht, so waren schon dreißig und noch mehr Faden zerrißen.

Da warf sie in Verzweiflung das Garn zu Boden und sagte: »Lieg da, du Unglücksbund, du bringst mir den Todt!« – »Ach Holdherz, seufzte sie dann, könnte ich dich nur einmal sehen und Lebewohl dir sagen!«

Da ging die Kammerthür auf und Holdherz trat ein. »Viola, sagte er, ich halte Wort, dir immer zur Hülfe nahe zu sein!« – Er nahm einen kleinen Stab und schlug dreimal das Garn damit; da war es entwirrt; und als er noch dreimal das Garn geschlagen hatte, so war es auch aufgewunden. »Gedenke mein!« sagte er, und war fort.

Noch vor Sonnenuntergang kam die Grunzau mit den vier alten Weibern, die alle mit Ruthen versehen waren – aber das Garn war aufgewunden und kein Tadel daran zu finden. Innerlich war die Grunzau ergrimmt. Sie gab vor, Viola habe da und dort das Garn beschmutzt, gab ihr zwei heftige Ohrfeigen, und ließ sie wieder in den Kerker bringen.

Die Zauberin mußte etwas Anderes aussinnen. Sie brachte am nächsten Morgen ein großes Faß voll Federn von allen Arten kleiner Vögel, von Zeisigen, Hänflingen, Finken, Sperlingen, Lerchen und andern Vögeln mehr. Die Federn waren sehr untereinander gemengt, und Viola sollte sie nun aussuchen und jede Art in Hausen besonders legen.

Viola fand es unmöglich, die Federn auseinander zu lesen. »Ja, sagte sie, wenn Holdherz da wäre! Aber er kann ja nicht immer da sein!«

»Er ist aber schon da!« rief es, und Holdherz stieg aus dem Faße voll Federn herauf, die durch Kraft des Stabes bald [293] auf die befohlne Weise in Ordnung lagen. Der Abend kam, die Federn, sagte die böse Stiefmutter, lägen da und dort nicht ganz recht, die Prinzeßin bekam ihre Ohrfeige und mußte wieder in den Kerker.

Die Zauberin und die Grunzau verzweifelten Etwas auszusinnen, was Ursach gäbe die Prinzessin bis aufs Blut geißeln zu laßen. Die Zauberin aber nahm ihre ganze Kunst zusammen und ersann Etwas. Die Bosheit ist ja immer sinnreich, wo es auf Unheil ankommt. Sie brachte eine große Schachtel. »Laßet, sagte sie, laßet die Prinzeßin diese Schachtel auf Euer Schloß tragen, verbietet ihr aber dieselbe aufzumachen, das wird sie nicht laßen können, weil sie ein Mädchen ist; verbietet es ihr aber recht sehr, so wird sie es um so weniger laßen.«

Viola mußte in ihren erbärmlichen Kleidern die Schachtel aufs Schloß der Herzogin tragen. Wer sie auf dem Wege gehen sahe, sagte: »das muß ein verkleideter Engel sein!« Die Leute hatten wohl recht. Schönheit und Unschuld beisammen, bilden immer ein Engelgesicht.

Viola sah nicht in die Schachtel, aber sie wollte dieselbe auf einer Waldwiese, mitten im Walde, einige Augenblicke hinsetzen und ausruhen, denn die Schachtel war sehr schwer. Als sie aber dieselbe niedersetzte, versahe sie es ein wenig und der Deckel sprang auf. Im Augenblick kam eine ganze Armee kleiner Leute aus der Schachtel, nicht größer als ein Fingerglied lang ist. Es kamen kleine Männer, kleine Frauen, kleine Musikanten mit Geigen und Flöten, kleine Köche und Köchinnen, kleine Stühle, Tische und Bänke kamen und mancherlei anderes Ding. Alles ganz klein, hübsch und poßirlich. Einer unter den kleinen Leutchen war ein Riese, denn er war fast eines Fingers lang und [294] mochte vielleicht der König der Schaar sein, weil er gar majestätisch und gravitätisch einher marschirte, und eine Goldkrone aufhatte.

Die kleinen Leute hüpften und sprangen auf der Wiese umher und tanzten, und die Musikanten strichen dazu auf und bliesen lustig und lieblich. Andere machten die Tische zurecht und setzten Stühle heran, worauf sich wieder Andere hinsetzten und aßen und tranken.

Das sahe sich nun wohl ganz gut an und Viola hatte einige Augenblicke ihre Freude daran; aber als sie die Männlein und Fräulein wieder in die Schachtel haben wollte, hatten diese keine Ohren dazu, sondern liefen eilig davon, dahin und dorthin; die Musikanten nahmen ihre Geigen, die Köche ihre Töpfe und Bratspieße mit. Viola scheuchte sie, bald hier, bald dort nach der Schachtel dazu, aber sie waren so behende und hurtig wie die Wiesel. Jetzt waren sie allesammt im Walde, jetzt auf der Wiese, und dann wieder ein Theil im Walde, ein anderer auf der Wiese.

Da stand Viola und wußte nicht, was sie anfangen sollte.

»Ach theurer Holdherz,« rief sie, »wirst du auch hier mir helfen können? O wenn es möglich ist, komm! komm und hilf!«

Eben kam ihr Helfer aus dem Walde daher. Er sagte: »Ich bin der Grunzau viel Dank schuldig, denn ohne sie würde meine liebe Viola wohl schwerlich an mich denken!« Aber Viola antwortete betrübt: »Ach Holdherz, du thust mir groß Unrecht!«

Holdherz schlug mit seinem Wunderstabe dreimal an die Schachtel, und das kleine Volk rannte in Haufen herbei, hüpfte in die Schachtel und stellte sich darin so ordentlich zurecht, wie Soldaten.

[295] Holdherz brachte Viola auf seinem Wagen bald bis an das Schloß. Als sie aber ankam, ließ sie der Schloßaufseher nicht hinein. »Du bist zwar ein engelhübsches Kind, sagte er, aber doch nur eine Bäurin; die darf ich nicht hinein laßen.« Da forderte Viola ein Zeugniß, daß sie mit der Schachtel da gewesen sei und bekam es. Holdherz aber brachte sie in seinem Wagen bis an die Stadt.

Als nun die Grunzau sahe, daß sie gegen die Unschuld nichts ausrichten konnte – sie wußte aber nicht, warum nicht, denn sie wußte nicht, daß die Unschuld meistentheils einen Helfer und Retter findet – da faßte sie in Rache und Wuth den Höllengedanken, die gehäßige Tochter jämmerlich unkommen zu laßen. Sie hatte tief hinten im Walde am Garten ein großes Loch graben laßen, dahin mußten ihre Henkershelfer Violen des Nachts tragen und hineinwerfen und einen großen Stein darauf legen. So wollte sie dann sagen, Viola sei fortgekommen, sie wiße nicht wie?

»O! nun bin ich lebendig begraben und muß jämmerlich umkommen, wimmerte Viola. Leb wohl! leb wohl! du treuer Holdherz und sei recht glücklich, und gräme dich nicht um mich!«

Indem sie so jammerte, erweiterte sich die Höhle und wurde es darin helle und immer heller, und es kamen Bäume zum Vorschein und am Ende stand ein Schloß da, und war ihr Altes so bekannt. Aber es war ja Holdherzens Zauberschloß, vor dem sie sich befand. Da sie nun hörte, daß sie der Vater auf Verlangen seines bösen Weibes verstoßen wollte, als eine Entlaufene, da hielt sie sich für frei von väterlicher Gewalt, und Holdherz wurde ihr Gemahl.

Sie war schon drei Wochen vermählt, da sagte ihr Gemahl: »Wir wollen deinen Vater besuchen!« Das geschahe alsbald.

[296] In großer Pracht und Herrlichkeit kam das schöne Paar an den Hof. Das Volk jubelte, der Vater freuete sich innig; aber als die Grunzau hörte, Viola habe einen mächtigen und wunderschönen Prinzen zum Gemahl, den, der sie eine Meerkatze genannt hatte, und nun das schöne Paar sahe, da wurde sie so wüthend und wild, daß sie schäumte. Da traf sie der Schlag, daß sie starb.

Fußnoten

1 Womit bei den alten Ritterkämpfen der mit Sand überlegte Kampfplatz umgeben war.

26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

26. Prinz Beder.

Es hat immer solche Ungläubige gegeben, wie es ihrer heutiges Tags noch genug gibt, die zu Trotz aller sichern und wahrhaftigen Nachrichten, dennoch an keine Meermenschen glauben wollen.

So ein Ungläubiger war ein Sultan in Persien. An die Fische im Meer glaubte er eben sowohl als an die Vögel unter dem Himmel, er glaubte sogar an den drei Meilen langen Seekraken an die große Seeschlange, die mit ihren Armen die größesten Kriegsschiffe umwindet, sie in die Tiefen hinabzieht, und dann verschluckt; er glaubte auch an den Vogel Roch, der einen Palast zwischen seine Klauen nimmt und davon trägt, aber an Meermenschen glaubte er durchaus nicht. Indeßen kam ihm der Glaube davon in die Hand.

Der König wollte in seinem Palast das Schönste auf Erden von allerlei Art beisammen haben, denn das allein nur sei für ihn gut genug, dachte er. So hatte er denn auch eine Menge der schönsten Sklavinnen zusammengekauft, die das Auge nur gern ansahe und die im Palaste dienen mußten.

Einsmals brachte ihm aber ein Sklavenhändler eine Sklavin, [297] so schön, das er fast blind geworden wäre, hätte er sie das erstemal allzulange angesehen. – Er kaufte sie für schweres Gold, ließ ihr die schönsten Kleider und Juweelen reichen und sie durch die Frauen in seinem Palaste drei Tage lang hintereinander durch Baden, Salben, Schminken und dergleichen, noch einmal so schön machen als sie schon war.

Nach den drei Tagen er sie in ihren Zimmern. Da saß sie mit nachläßig aufgestützter Hand am Fenster und sahe schweigend und sinnend ins Meer herab, und als der König eintrat, blickte sie denselben kaum von der Seite an, blieb in ihrer Lage und schauete fort und fort ins Meer.

»Ich bin ja der Sultan!« sagte er zu ihr; aber sie rührte sich nicht. »Die ist dumm oder stumm,« dachte er; was gafft denn die Närrin ins Meer, statt meine Herrlichkeit anzuschauen. Jedoch er verzieh es ihr, weil sie so wunderschön war, und tröstete sich damit, daß sie wohl schlecht erzogen sein möchte, daß aber dieser Fehler durch Hofdamen, Tanz- Sing- und Musikmeister in ein Paar Monaten leicht möchte verbeßert werden, und trat näher zu ihr.

»Sonnenauge, sagte er zu ihr, Mondesglanz, Granatblüte, Licht meiner Seele, sprich, o sprich! Ich erhebe dich zu meiner Gemahlin, aber sprich, wo bist du her? – wer sind deine glücklichen Aeltern? – wie bist du zur Sklavin entwürdigt, die du zur Königin des Himmels geboren bist? O sage es mir!«

Der König plauderte wie ein Staarmatz, der eben im guten Zuge ist, sie aber blieb stumm und gleichgültig und da mußte er denn auch endlich wohl aufhören.

»Wofür hat denn das dumme Ding ein so hübsches Schnäutzchen, wenn sie nicht damit sprechen will? sagte der Sultan halb ärgerlich, als er von ihr ging. Die Andern plaudern und schwatzen [298] und klappern bis zum Unausstehlichen, und diese ist unausstehlich stumm!«

Der König glaubte aber nicht ganz an ihre Stummheit, sondern hielt sie für Wirkung eines tiefen Grams und hoffte immer noch sie zum Sprechen zu bringen. Er aß mit ihr, er fragte, wie ihr die Speisen schmeckten? ob der Anblick des Meeres sie vergnüge? ob sie die Nacht wohl zu ruhen geruht habe? Er bemühete sich ihren Gram durch Tanz und Sang, durch Feste und Spiele aufheitern zu laßen, und als Alles nichts helfen wollte, so fragte er: »wie ihr ihre Kleider gefielen? sie wären wohl zu schlecht? sie dürfte nur über beßere befehlen!«

Als sie aber auch nun nicht sprach, da wußte er gewiß; daß sie stumm war, heirathete sie aber dennoch in der Desperation seiner Liebe. So eine Liebe, wie sie der Sultan hatte, macht blind und scharfsichtig, stumm und beredt, traurig und entzückt, weich und wild, verzagt und desperat. Er heirathete sie und gewöhnte sich bald an ihr Stummsein, zumal da sie nicht taubstumm war, sondern Alles verstand, was der König ihr sagte.

Nach einiger Zeit kam sie mit einem Prinzen in die Wochen. Vor Entzücken darüber sprach und that der König seltsames Ding; er setzte den ganzen Palast in Aufruhr; er fiel der Königin tausendmal um den Hals; er küßte den Bart des Oberkämmerlings und hüpfte mit ihm im Zimmer herum; er wollte, daß alle Welt im ganzen Reiche gleich auf der Stelle mit Wein und Braten und dem herrlichsten Obste bewirthet werden sollte und sollte tanzen und Juchhei rufen dazu. Zu dem Allen hatte die Königin heimlich gelächelt aber da er nun auch große Säcke mit Gold bringen ließ und sie den Tempeldienern zusandte, um glückliche Niederkunft zu beten, da fing die Wöchnerin an laut zu lachen. »Du kannst lachen? du kannst [299] lachen? rief noch entzückter der Sultan, möchtest du doch auch sprechen können.«

»Ich kann es, mein König, und werde von nun an sprechen!« Das Erstaunen darüber machte den Lärm der Freude stumm, und in einigen Augenblicken hieß es überall am Hofe und in der Stadt: »die Königin kann sprechen!« und Manche sagten sogar: »die stumme Königin kann sprechen!«

Der König forschte, als er mit seiner Gemahlin allein war, nach der Ursach ihres langen Schweigens. »Krone der Kronen,« sagte er, »ich bin seeliger als Gott selbst. Aber nun sprich auch, warum du so lange stumm warst?«

Da sprach sie denn.

»Herr, erzählte sie, ich heiße Gülnare oderMeerrose und bin die Tochter eines mächtigen Meerkönigs.« – –

»Was? fiel er ein; Meerkönigs? unten im Meer? Menschen dort? Staaten, Länder, Könige, Fürsten und Herren? – Gegen alle Philosophie und Vernunft?«

»Warum denn nicht? fragte sie; ist doch des Meeres weit mehr als des Landes. Aber laßet mich fortfahren.«

Mein Vater hinterließ das Reich meinem Bruder Saleh, aber ein boshafter Nachbar überfiel diesen so unvermuthet, daß ihm kaum Zeit blieb, sich mit mir und unserer Mutter und mit einigen Getreuen in eine unbezwingliche Festung zu retten.

Saleh faßte einen kühnen Gedanken, sein Reich wieder zu gewinnen; aber, sagte er zu mir, da unser Unglück und unsere Erniedrigung in den Reichen des Meeres bekamt sind, so bin ich zuerst für deine Sicherheit besorgt. So schön du bist, würde sich doch der kleinste Meerkönig für entwürdigt halten, dich zum Gemahl zu nehmen, [300] denn du bist unglücklich mit mir; ich will dir einen Erdkönig suchen.

Darüber wurd ich entrüstet und es kam zwischen uns beiden zu harten Worten. Im Unmuth erhob ich mich aus den Tiefen des Meeres und begab mich auf die Mondinsel, wo ich es ganz bequem hatte. Ich hielt mich für sicher, aber als ich einsmals schlief, überfiel mich ein Sklavenhändler mit seinen Leuten, band mich und führte mich fort. Er verkaufte mich an einen Kaufmann, dieser wieder an einen andern, bis ich endlich zu Euch kam, wo ich mir vornahm, meine Erniedrigung zu verschweigen; aber Euer großes Entzücken und Eure Liebe haben mir den Mund geöffnet.

Mit manchem Kopfschütteln und mit: »So? und Hm?« hatte der Sultan zugehört. »Also doch wahr und wahrhaftig eine Waßerwelt! – Meerprinzen und Meerfräulein, jung und alt! Ich hätte es nimmermehr geglaubt, wenn Ihr mir es nicht sagtet und selber daher wärt. Aber wie gehts und stehts denn dort unten bei Euch zu?«

Herr, sagte Gülnare, es geht dort unten fast so zu, wie hier oben auf der Erde bei Euch. Wir gehen auf dem Boden des Meeres umher, bauen Städte und Schlößer; säen, pflanzen und ernten mancherlei Meergewächs; eßen Meerthiere; athmen Waßer ein, wie Ihr die Luft einathmet; lieben und bekriegen uns, tragen Kleider, die aber nie naß werden; haben aber ungemein scharfe Augen; bewegen uns schneller als der Sturm; haben Feste und Tänze und Wettrennen; Paläste von Marmor oder Korallen oder noch köstlicherm Gestein; haben Marställe mit Seeroßen, vorzüglich zu Lustbarkeiten, und besitzen Gold, Perlen und Edelsteine in großer Menge. Der Staaten und Reiche sind mehr [301] als auf der Erde, die Sitten verschieden, aber alle Meermenschen sprechen nur eine Sprache, nämlich die des großen Propheten Salomo.

Gülnare äußerte den Wunsch die Ihrigen zu sehen, um sie mit ihrem Gemahle bekannt zu machen. Dieser antwortete, er wünsche das Nämliche, wiße aber kein Mittel es zu bewerkstelligen. Da eröffnete ihm Gülnare, daß die Kinder des Meeres Wunderkräfte besäßen, wovon er Augenzeuge sein sollte, wollte er nur in das anstoßende Kabinet gehen und durch das Gitter Alles mit anschauen.

Der König ging hinein und Gülnare warf ein Stück Aloeholz auf glühende Kohlen, und während das Holz verbrannte, sprach sie unverständliche Worte dazu. Da fing das Meer an zu brausen, öffnete sich und ein schöner Jüngling mit meergrünem Barte erhob sich aus demselben und nach ihm eine ältliche majestätische Dame mit fünf jungen Damen, so wunderschön als Gülnare. Allesammt schwebten über dem Meere hin und von dem Gestade durchs geöffnete Fenster zu Gülnaren hinein. Es waren der König Saleh mit seiner und Gülnarens Mutter und Nichten. Zärtlich und weinend umarmten sie sich untereinander.

Nachdem sie sich beiderseitig mit ungemeinen Höflichkeiten ihre ungemein große Liebe bezeugt hatten und hatten sich alle Begebniße erzählt, waren sie Alle sehr froh. Gülnare hatte einen liebenden und hohen Gemahl, und Saleh war wieder im Besitz seines Reiches.

Jetzt ließ Gülnare Erfrischungen herbeibringen und ladete ihre Gäste dazu ein. Diese aber wurden im Gesicht, wie wenn Feuerflammen darauf spielten, Blitze schoßen aus den Augen, Rauch und Flammen aus Mund und Nasen und der König in seinem Kabinet[302] gerieth in große Angst, als Gülnare eben zu ihm kam, und ihn hereinzutreten bat.

»Hm! sagte der König, das möcht ich wohl gern, aber die feurigen Gesichter stehn mir keineswegs an.«

Da beruhigte ihn seine Gemahin. »Meine Verwandten sind, sagte sie, blos wegen verletzter Höflichkeit unwillig; darüber daß sie ohne Eure Erlaubniß in Eurem Palaste eingetreten sind und nun auch eßen sollen ohne die Ehre Eurer Gegenwart.«

»Nun! nun!« sagte der König, und gedachte, daß auch unter Menschenkindern um verletzter Höflichkeit willen oft mehr Feuer und Flammen gespien würden als verletzter Gerechtigkeit wegen, und, um so grimmig große Höflichkeit nicht noch grimmiger zu machen, ging er, aber zitternd, zu ihnen, und freute sich höflichst des hohen Glücks und der unverdienten Ehre ihres glänzenden und entzückenden Besuchs.

Unter den ausgesuchtesten Höflichkeiten genoßen sie die ausgesuchtesten Leckerbißen und Weine und wurden bald mit einander in großer Zierlichkeit vertraut.

Nach der Tafel wurde den Verwandten der junge Prinz gebracht. König Saleh nahm ihn auf seine Arme, wiegte und schaukelte ihn und pries seine blendende Schönheit und im Anfall von entzückter Freude sprang er mit ihm zum Fenster hinaus und ins Meer hinunter.

Der Sultan that einen großen gewaltigen Schrei, aber sie wollten ihn alle beruhigen. »Das ist eine Höflichkeit, sagten sie, die wir ihm schuldig sind. – –«

»Die mich bis zum Tode erschreckt hat,« fiel der Sultan ein. »Das macht nichts, antwortete die alte Dame mit weisen Gebehrden; Ihr habt nichts zu befahren. Ueber Euren Sohn hat Saleh [303] die Worte gesprochen, die auf Salomos Siegelring stehen, und Ihr sollt wißen, daß er auch die Natur seiner Mutter hat und ihm das Meerwaßer eben so zusagt als die Luft. Er kann künftig eben sowohl auf dem Boden der Abgründe leben, als auf dem Boden der Erde.«

Der Sultan zitterte aber, bis Saleh mit dem Kinde wieder kam. Sie nannten es nun, ohne den Sultan zu fragen, Beder, das heißt, Sonnenblume des Meeres. Der Sultan ließ es sich gefallen, denn er fürchtete der Höflichkeit Feuerrachen. Jetzt aber kam eine Höflichkeit, die er für eine wahre und wahrhaftige erkannte. Saleh hatte ihm in einem Kästchen aus Korallen und Perlmutter ein kleines Geschenk mitgebracht. Es waren dreihundert Diamanten, von der Gröste der Taubeneier, und ein einziger derselben so viel werth, als das Königreich Persien; es waren eben so viel Rubinen und Smaragden und Perlenschnüre. – Der Sultan ward verblendet und stumm, als ihm dieses kleine Geschenk überreicht wurde, und trug es in seine geheimste Schatzkammer.

Nach mehreren Tagen reisten Gülnarens Verwandten unter vielen Thränen, die zur Höflichkeit gehörten, wieder ab, nachdem sie dem König versprochen hatten ihn oft zu besuchen, indem er selbst nicht so wie der Waßerprinz und die Waßerprinzeßinnen des Meerwaßers gewohnt sei, und unter allen Waßern nur mit den gebrannten recht gut bekannt wäre.

In aller Kunst und Wißenschaft war der Prinz Beder schön im zwölften Jahre so vollkommen, daß seine Lehrer gegen ihn nur als Dummbärte anzusehen waren, und als er funfzehn Jahr alt war übergab ihm sein alter Vater die Regierung, die er so weise regierte, daß die Weßire sich vor ihm schämen mußten und bekennen, daß er den König Salomo weit überträfe.

[304] Er richtete und schlichtete Alles selbst, so viel nur möglich; er richtete alle Anstalten beßer ein; er gab große Summen für Wittwen und Waisen, für Greise und Verlaßene her; er reiste im Lande verkleidet herum, zu sehen, ob Alles wohl zustehe; er ließ sein Volk nicht von den Soldaten placken und mißhandeln, weil sie von der Arbeit und dem Fleiße des Volkes leben müßten; er erlaubte dem Mächtigen keine Gewaltthätigkeiten; er ließ die Lehrer seines Volkes reichlich besolden, und wollte das Volk gern selbst zum Gefühl der echten Menschenwürde und der angebornen unverlierbaren Menschenrechte erheben; – mit einem Worte er war ein König, wie sie nicht immer alle gewesen sind, und sein Volk liebte ihn, so roh es auch noch war.

In einigen Jahren schon war Alles im Lande in der löblichsten Verfaßung, als der alte Herr, sein Vater, starb, der an dem Sohne seine herzinnige Freude gesehen und Gülnaren tausendmal die Hand dankbar dafür gedrückt hatte, daß sie ihm solch einen Sohn geboren hätte. Er starb, weil er nun eben nichts mehr auf der Erde zu thun hatte, und wurde beklagt, wie es Sitte war, und Beder regierte fort. Aber der König Saleh kam mit Mutter und Nichten um Gülnaren und Beder zu trösten, und vielleicht auch um zu sehen, wie der neue König regiere und ihm mit ihrem Rath auszuhelfen. Das wollte insonderheit die alte Dame, Gülnarens Mutter, weil Niemand beßer regieren konnte als sie. Als sie aber ersahen, wie trefflich Beder Alles geordnet hatte, behielten sie ihren Rath.

Eines Abends, nachdem die Mahlzeit genommen war, fielen dem König Beder, der deßelben Tages mit Regieren viel Noth und Mühe gehabt hatte, mitten in der Unterredung die Augen zu. Sie dachten, er schliefe und flüsterten leise, aber halb wachte er noch, und[305] bald war er wieder, obwohl mit geschloßenen Augen, ganz wach, denn was er hörte, ging ihn an.

Man lobte seine Schönheit, den Ruhm seiner Regierung, und der König Saleh sagte, es sei hoch an der Zeit ihn zu verheirathen. Er selbst wolle ihn eine unter den Meerprinzeßinnen aussuchen, die jetzt die Schönste auf Erden sei, nämlich Giahauren, die Tochter des hochmüthigen Königs von Samandal; aber eben dieses Hochmuths wegen möchten sich viel Schwierigkeiten finden, daher man dem jungen König jetzt noch nichts sagen müße.

Der aber hatte sich während der Berathschlagung schon bis zum Tode verliebt. Die Flüsternden hatten nichts davon gesagt, ob die Prinzeßin verständig oder dumm, eine gezierte Närrin oder einfach und schlicht, herrisch oder sanft wäre; mit einem Worte, er wußte nichts von ihr, als daß sie die Schönste auf Erden sein solle, (nämlich das Waßer mit dazu gerechnet), aber das war ihm genug und alles Uebrige, Weisheit, Witz und Anmuth seiner Erwählten, erfand er sich mit glühender Einbildung selbst.

Durch tausend Seufzer und Thränen und Bitten überredete er seinen Oheim mit ihm sogleich, ohne Vorwißen Gülnarens, in das Meerreich abzureisen. Saleh gab seinem Neffen einen Ring, in welchen dieselben geheimnißvollen Zeichen eingegraben waren, die auf Salomos Siegelring standen. Sie erhoben sich nun Beide in die Luft und schwebten nach dem nahgelegenen Meere zu, stürzten sich hinein und kamen bald in Salehs Palast an.

Bald begab sich Saleh nach des Königs Samandal Palast, und überreichte diesem stolzen Könige die allerreichsten Geschenke in Diamanten und andern kostbarsten Juweelen. Dieser nahm sie, gegen seine sonstige Gewohnheit, gar übergnädig an. Dieß machte dem König Muth, für seinen Neffen, den er den allervollkommensten [306] und allermächtigsten Erdkönig nannte, um die schöne Giahaure zu werben.

Da erhob der König von Samandal ein so unmäßiges Lachen, daß er in seinen Lehnstuhl zurücksank. Als er sich erholt hatte, fragte er den König Saleh, ob er denn närrisch geworden sei, daß er um die Tochter des größesten Königs für einen Bettelbuben zu werben sich unterstehe?

Saleh antwortete auf so ungeschliffene Worte mit sehr geschliffenen und spitzen. Aber da funkelten die Augen des Königs von Samandal von Blitzen und die Donner brüllten bald nach den Blitzen mit großer Majestät; sie brüllten: »du Hund von einem Hunde, Sohn eines Hundes; Oheim eines Hundes, du hündischer schäbiger Hund, wer bist du? Greift den Elenden, donnerte er seinen Trabanten zu, und knüpft ihn wie einen Hund auf!«

Mit seinem damaszirten Säbel, von dem Schwerdte des Schwerdtfisches gemacht, arbeitete sich König Saleh durch die wenigen Leute, aus welchen Samandals Leibwache bestand, und fand in dem Hofe des Palastes tausend von seinen Hofbedienten und Verwandten, die ihn seine weise, immer auf Sicherheit bedachte Mutter nachgeschickt hatte, weil sie die ungestüme Art des Königs von Samandal kannte. Dieser wurde sogleich gefeßelt und bewacht, aber Giahaure war nirgends zu finden, denn, erschreckt von dem Lärm bei des Vaters Gefangennehmung, hatte sie sich auf die Flucht begeben, und mit ihren Weibern auf eine wüste Insel gerettet.

Von Salehs Leuten waren einige sogleich entflohn, als der wilde Samandal ihren Herrn wollte aufknüpfen laßen und brachten die Trauerbotschaft zur Mutter Salehs. Beder erfuhr sie sogleich, und da er sich den Anblick seiner Großmutter nicht auszuhalten getraute, floh er eilends davon; weil er aber im Schrecken seine ganze [307] topographische Geographie vergeßen haben mochte, kam er, statt nach Persien, auf die wüste Insel, wo Giahaure war, die er gleich nach seiner Ankunft erblickte, und sogleich auch für das hielt, was sie war.

Nachdem er sie mit zierlichen Redensarten begrüßt und bedauert hatte, erzählte sie ihm, wer sie sei, und wie unglücklich sie wäre, indem ihr Vater in Feßeln gelegt sei, sie aber vielleicht ihr Leben einsam auf dieser menschenleeren Insel werde vertrauern müßen.

Der junge scharfsinnige König sahe nun wohl, wie die Geschichte zusammenhing, und, um die arme Geliebte zu trösten, erzählte er ihr den ganzen Handel, sagte ihr, wie derselbe nur um seinetwillen hergekommen sein dürfte, und wie sie des Vaters Feßeln leicht lösen könnte, wollte sie ihn nur ihrer Gegenliebe würdig finden, um welche er flehentlich bäte.

Sie sprach freundliche Worte zu ihm, indem sie ihm die Hand reichte, und wandelte mit ihm dahin und dorthin, bis sie zu einer Quelle kamen, aus welcher sie eine Hand voll Waßer schöpfte, womit sie den jungen König bespritzte und in einen Vogel verwandelte.

Der arme Vogel war ein wenig verdutzt und wußte nicht, wie Er, als ein so scharfsichtiger und berühmter Prinz so hätte hineintappen und sich so übel berücken laßen können? – Er flog traurig dahin und dorthin, und kam von einer kleinen Insel zur andern.

Gülnare erfuhr bald genug, was sich mit ihrem geliebten Beder bis zu seiner Flucht begeben hatte, ersann einen glaublichen Vorwand seiner Abwesenheit und regierte indeßen. Sie zweifelte nicht ihn bald wiederzusehen, und tröstete sich damit.

Dem verwandelten Vogel hatte Giahaure seine Schönheit nicht nehmen können, sich selbst aber konnte sie den Gedanken an diese Schönheit nicht nehmen, und hätte den Vogel gern wiedergehabt, [308] der aber war weit hingeflattert, und in das Netz eines listigen Vogelstellers gerathen. Dieser verkaufte ihn an den König, welcher aus freien Willen hundert Goldstücke dafür gab, weil der Vogel so wunderschön war, und weil er dachte, so ein wunderschöner Vogel müße durchaus tolles Zeug plaudern können, womit er sich gar zu gern unterhielt. Das konnte der Vogel aber nicht, er konnte nicht einmal: Pip: sagen.

Als aber der König den wunderschönen Vogel seiner Gemahlin zeigte, wußte diese als eine weise Frau sogleich, daß derselbe ein Mensch sei, und zwar der König Beder aus Persien, ein Sohn Gülnarens, ein Neffe des Königs Saleh, und der Enkel seiner Großmutter. Kurz sie war eine wahre und wahrhaftige Frau und verstand sich daher auf die Verwandtschaft der Familien, aber sie verstand sich auch darauf den Vogel zu entzaubern und gab ihm seine natürliche Gestalt wieder.

Nachdem er, wie sich von selbst versteht, dem König des Landes seine Geschichte erzählt hatte, bat er denselben ihn wieder nach Persien zurückbringen zu laßen. Das geschahe auch; aber das Schiff, auf welchem er abfuhr, scheiterte an einem Felsen einer Insel.

Beder hatte sich gerettet, aber als er vom Strande aus tiefer ins Land hinein wollte, kamen von allen Seiten Löwen und Bären, Ochsen und Kühe, Pferde und Esel und allerlei andere Thiere und widersetzten sich ihm brüllend, brummend und schreiend, aber er sahe wohl, daß sie ihn nicht freßen wollten. Da bekam er ein Herz und drängte sich durch. Aber sie umzingelten ihn wieder und wollten ihn abhalten weiter vorzudringen; er aber kam abermals und dann noch einmal durch. So ließen sie ihn denn nun gehen.

[309] Nach einigen Stunden gelangte er zu einer Stadt, in welcher Alles wie ausgestorben war, obgleich Buden da und dort standen, in welchen aber Niemand sich befand. Er ging Straße auf und ab und Keiner begegnete ihm. Endlich fand er einen ehrwürdigen Greis in einer Bude mit Obst, der ihn zu sich hineinwinkte und in einem Winkel verbarg. »Um Gott, mein Sohn, fragte der Greis, wie kommt Ihr in diese unselige Stadt der Zauberkönigin, die lauter Böses stiftet? Mit Jünglingen, so schön wie Ihr seid, lebt sie vierzig Tage lang in Herrlichkeit und üppigem Schwelgen. Die Jünglinge, die sie berückt hat, dachten, sie wären ins Freudenreich gekommen, zumal die Königin wunderschön ist, aber mitten im Rausche der Freude taumelten sie in die Abgründe des Schreckens hinab, denn sie wurden von der Königin in Thiere verwandelt.«

»Ich verstehe, guter Vater, sagte Beder, was Ihr meint. Durch schwelgerische Freude ist gar Mancher schon zum unvernünftigen Vieh geworden!«

»Wie wahr das auch ist, versetzte der Alte, so meine ich es doch noch wahrer, nämlich ganz wörtlich. Ohne Zweifel haben Euch mancherlei Thiere von dieser Stadt wollen abhalten ohne Euch zu beschädigen, obwohl Löwen und Bären darunter waren. Sehet, das waren verwandelte Menschen, die Euch warnen wollten?«

Beder erschrack sehr, indeßen der Greis richtete ihn wieder auf und sagte: »ich hoffe, Ihr sollt in meinem Hause sicher sein, denn die Königin hat einige Achtung gegen mich. Sie weiß wohl warum? Ich will Euch für meinen Neffen ausgehen, den ich zu meiner Hülfe zu mir genommen habe. So wird es schon gehen!«

Beder drückte dem Greise dankbar die Hand und sagte: »Seid mein Vater!

Die Stadt war nicht unbewohnt, aber die Leute darin scheueten [310] sich ohne Noth auszugehen, der boshaften Königin wegen, die Ihnen viel Gewalt und Schaden that. Man hielt sich darum möglichst eingezogen. Dennoch war es nach einigen Wochen der Königin zu Ohren gekommen, welch einen wunderschönen Neffen der Greis habe, und wenige Tage darauf ritt sie mit ihrem Hofstaat, worunter auch schöne Jungfrauen waren, im Glanz durch die Stadt. Man wußte voraus, wenn sie kam, denn alles Volk mußte alsdann aus seinen Häusern auf die Straße und: Vivat! rufen, bis ihm die Kehle heiser war, und mußte sich entzückt stellen, obwohl es im Herzen die böse Hexe verfluchte.

Sie kam und war bald bei der Bude des Greises, mit dem sie sich in ein freundliches Gespräch einließ. Es schien, als ob sie, nur wie von ohngefähr, den schönen Jüngling bemerkte.« »Der darf nicht, sagte sie, in dieser Bude versauern. Er soll an meinem Hof glänzen, wie ein Morgenstern, und ich will ihn so hoch machen, als noch Keiner auf Erden gewesen ist!«

Der Greis suchte unter vielerlei Vorwand den Neffen zu behalten; die Königin hatte aber noch listigern Vorwand denselben zu begehren, und da der Neffe, von der Königin Schönheit verblendet, ganz stumm sich verhielt, so willigte der Alte ein, doch bat er sich aus, den Jüngling noch einen Tag zu behalten.

Diesen Tag benutzte der Greis denselben über sein Betragen zu unterrichten. Er gab ihm zugleich zwei kleine Kuchen mit, von welchen er sagte, sie würden sich frisch und wohlschmeckend erhalten. »Neun und dreißig Tage, sagte er, könnt Ihr sicher sein, aber in der Nacht drauf schleicht auf Socken in das Kabinet, das am Zimmer der Königin sich findet; sehet durch das Loch in der Tapete rechter Hand, durch welches das Licht aus dem Zimmer fällt, und wenn Ihr sie Dieß und Das thun [311] sehr, so verfahrt dann am andern Tage, wie ich Euch gelehrt habe.«

Am andern Tage kam gegen Abendzeit der ganze Hofstaat der Königin, um auf einem prächtigen Pferde den armen Beder abzuholen. Das Volk bewunderte laut die Schönheit des vorbeiziehenden und fluchte heimlich der Zauberin, deren Opfer er werden sollte.

In aller Ueppigkeit und Schwelgerei verlebte Beder neun und dreißig Tage im Palaste der Königin. Gegen ihre Liebkosungen verhielt er sich freundlich und gefällig, aber sie blieben ihm verdächtig. Jeder Tag brachte neue Feste, aber er ließ nicht seine Sinne berauschen. Er aß und trank, er sang und tanzte mit, aber er hielt sich nüchtern und verständig und darum tugendhaft und rein im Herzen.

Als die bedenkliche Nacht kam, sahe Beder durch das Tapetenloch des Kabinets. Die Königin stand vor einem Kästchen, aus welchem sie eine Büchse mit gelben Pulver hervorholte. Sie streuete einen seinen Strich von dem Pulver queer über das Zimmer. Daraus entstand ein Bach mit klaren Waßer. Sie schöpfte aus diesem Bach, knetete unter Hermurmeln geheimnißvoller Worte, Mehl damit in einem Gefäße, that noch aus verschiedenen Büchsen dazu, und backte von dem Teige einen Kuchen auf Kohlen. Der Bach verschwand auf ein Paar Worte, der Kuchen war gebacken, die Königin legte sich wieder ins Bette und Beder schlich in sein Schlafzimmer zurück. – Grade war Mitternacht vorbei und die Hähne kräheten zum erstenmal.

Als beide am andern Tage zusammenaßen, brachte die Königin den Zauberkuchen, den sie als ein Meisterstück ihrer Backkunst rühmte und nöthigte ihn denselben zu versuchen. Er schien willig [312] dazu, vertauschte aber geschickt ein Stück deßelben mit einem Stück von denjenigen Kuchen, welche ihm der Alte gegeben hatte, und sagte, er sei vortrefflich. Kaum aber hatte er den Kuchen gegeßen, so besprengte sie ihn mit Waßer und sagte: »Lege deine Menschengestalt ab, du Verworfener, und werde ein schäbiger, hinkender, einäugiger Gaul.«

Beder war erschrocken, sie aber war es auch, weil ihre Kunst trog, faßte sich jedoch im Augenblick und sagte: »Noch habt Ihr kein rechtes Vertrauen zu mir. Das wollte ich eben prüfen. Ihr seid aber erschrocken; wie konntet Ihr es, da Ihr wißt, wie sehr ich Euch liebe?«

»O! sagte Beder, wenn man plötzlich mit kalten Waßer besprützt wird, erschreckt man ja immer.« »Aber, gnädigste Frau, fuhr er fort, so vortrefflich Euer Kuchen ist, so glaub ich, daß meine Mutter fast eben so vortrefflich zu backen weiß. Sie hat mich die Kunst gelehrt, in der ich aus Dankbarkeit den Alten, der mich aufnahm, unterrichtet habe, damit er vom Verkauf derselben einigen Vortheil beziehe. Sie finden vielen Abgang, wie ich höre, und ich selbst laße mir von Zeit zu Zeit einen davon kommen. Noch gestern hab ich mir einen bestellt und vielleicht ist er schon angekommen.«

Beder stand auf, den zweiten Kuchen zu holen, den ihm der Greis gegeben hatte. »Hier ist der Kuchen, sagte er beim Wiederkommen; nun habt die Gnade und versucht ihn, und wenn er Euch schweckt, so sag ich Euch, wie er zubereitet wird und kann es Euch auch zeigen.«

Die Königin nahm ein Stück und aß es, aber dann stand sie auch besinnungslos da. Da nahm Beder Waßer aus der Trinkschale, besprützte sie damit und sagte: »Teuflische Zauberin, werde zu einer Stute.«

[313] Im Augenblick war sie es geworden und vergoß häufige Thränen und neigte den Kopf zu Beders Füßen, er aber führte sie zum Stall, und wollte sie satteln und zäumen laßen, aber seltsamer Weise wollte kein einziger Zaum paßen. So ließ er denn durch einen Stallknecht die Stute zu dem Greise hinführen, der bald einen Zaum fand, womit er sie aufzäumte.

»Nun, Herr, sagte der Greis, seid Ihr frei, und werdet wohl thun auf diesem Thiere in Euer Reich zu reiten. Solltet ihr daßelbe einmal verkaufen, so behaltet den Zaum.«

Beder ritt fort und kam nach sieben Tagereisen in eine große Stadt, wo ihn ein neugieriger Greis anredete und mit ihm ins Gespräch sich einließ. Darüber kam ein altes, ziemlich zerlumptes Weib herbei, welches sich das Pferd genau besahe. »Ach Herr, sagte die Frau, wenn Ihr das Pferd mir abließet, so wollt ich Euch ewig loben.« Sie erzählte, ihr Sohn habe ein Pferd gehabt, das sei diesem so ähnlich, daß man Beide gewiß nicht würde haben unterscheiden können; aber es sei vor vier Tagen gestorben und er sei darüber so außer sich, als sei ihm Gott und alle Welt abgestorben. »Ach, wie glücklich wär ich, setzte sie recht kläglich hinzu, wenn der gnädige Herr mir dieses Pferd abließe!«

Als das Weib allzudringend wurde, wollte sich Beder dadurch von ihr losmachen, daß er sagte: »Ich will Euch das Pferd ablaßen, aber nicht unter fünftausend Goldstücken!« So viel, dachte er, kann ja das zerlumpte Weib nimmermehr besitzen. Aber wie erschrack er, als die Frau sagte: »Es gilt!« und zwei große Beutel mit Gold unter der Kleidung hervorzog, die sie so leicht hob, als wären es Pflaumfedern.

Beder erschrack nun über seine Unvorsichtigkeit und sagte, mit dem Verkaufe sei es ja nur Spaß, denn er könne das Pferd nicht [314] laßen. Da aber sagte der Greis: »Mein Herr, im Handel und Wandel spaßt man in dieser Stadt nicht, und jede Unwahrheit gilt das Leben! darauf verlaßt Euch.«

Das Leben war Beder doch lieb. Er stieg bestürzt vom Pferde, welches die Alte sogleich beim Zügel ergriff. Mit einer Hand voll Waßer und mit zwei Worten hatte sie daßelbe wieder zur natürlichen Gestalt gebracht. Die Alte war aber die Mutter der Königin, die erst von ihr die Zauberkunst erlernt hatte. Sie pfiff jetzt und Augenblicks erschien ein scheußlicher Geist, der die Königin nebst dem König Beder in den Palast der Erstern wieder zurückbrachte.

Wie verwünschte nun die Königin den unglücklichen Beder! Sie verwandelte ihn in eine große Fledermaus und gab einer Sklavin den Befehl sie einzusperren und verhungern zu laßen. Die Sklavin aber gab dem Thiere Nahrung und dem Greise, deßen Freundin sie war, brachte sie Nachricht von dem, was sich begeben hatte.

»Garan!« rief der Alte mit einer besonderen, quikenden Stimme; und sogleich erschien ein Geist. Dieser bekam seine Anweisung und war die Minute darauf in Persien, in dem königlichen Palaste und stand in freundlicher Gestalt vor der Königin Gülnare und deren anwesenden Mutter, der er Alles berichtete, was ihm aufgetragen war.

Gülnare war entzückt. Trommeln und Pauken mußten wirbeln und Trommeten und Hörner blasen, um die Rückkunft des Königs zu verkündigen. In zwei Augenblicken war eine große Macht unter Salehs Anführung aus dem Meere aufgestiegen, in drei Augenblicken hatte dieselbe Stadt und Palast der Zauberkönigin erfüllt. Diese wurde niedergemacht und das Volk jubelte über seine Erlösung, und Beder wurde wieder der allerschönste Erdkönig, den [315] Gülnare nicht satt genug küßen und herzen konnte. Man zog mit dem Alten und mit der mitleidigen Sklavin durch die Luft nach Persien. Der Alte verlangte für seine Dienste nicht Gold noch Stelle. »Was soll ich damit? sagte er; gebt mir ein ruhiges Alter, das ist Alles, was ich wünsche. Braucht Ihr meinen Rath, so will ich Euch damit dienen; braucht Ihr ihn nicht, so ists desto beßer. Gebt mir indeßen ein Stück Garten, damit ich Etwas zu schaffen habe; denn das Leben ohne Thätigkeit ist Todt für mich.«

Der Alte ward zufrieden gestellt; die Sklavin war auch zufrieden, denn sie blieb keine Sklavin, aber Gülnarens Freundinn blieb sie; alle Welt war zufrieden, nur Seine Majestät, der König Beder waren es nicht, denn Hoch Sie verlangten nach Giahauren.

»Wie? Sprach König Saleh zu ihm, bist du ein Kind oder ein Mann? Sie, die dich berückt, die dich in einen Vogel verwandelt hat und hat dir ihre Verachtung sattsam zu erkennen gegeben, willst du noch heirathen? Hast du noch Ehre in dir?«

Es half nichts, was der König Saleh auch sagen mochte. Beder antwortete, er habe wohl viel Ehre, aber noch weit mehr Liebe welche die Ehre verschlungen hätte, und der Prinzeßin habe die Mißhandlung gewiß schon längst gereut. – Er sprach viel thörichtes Zeug.

Man ließ den König von Samandal kommen, den seine Gefangenschaft ganz erträglich vernünftig gemacht hatte; denn als Beder vor ihm niederfiel und ihn um die Tochter bat, sagte er: »Wem kann sie anders gehören als dem liebenswürdigsten Prinzen auf Erden?«

Giahaure wurde aufgesucht und auf der wüsten Insel bald aufgefunden. »Der ruhmwürdigste Monarch der Erde, sagte ihr Vater [316] zu ihr, nachdem sie angekommen war, der erste Monarch auf Erden, verlangt Eure Hand, und gibt Euch dadurch einen Vorzug vor allen Prinzeßinnen der Welt.«

Den Vorzug ließ sie sich nicht entgehen und gab dem König Beder also ihre Hand, zumal da er schön war. Sie soll ihn aber nachher noch oft in einen Staarmaß, Gans, Tölpel und andere Vögelarten verwandelt haben. Doch weiß man das nicht mehr so ganz genau. Aber das ist gewiß, bei der Vermählung wurden in der Hauptstadt Redouten zu Gunsten der Armen gegeben, die kosteten an zweimal hunderttausend Goldstücke, und die Armen bekamen zwanzig Goldstücke davon. Da hatten sie eine Freude! nämlich die Armen!

27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

27. Die Brunnennixe.

In Schwabenland lebte ein mannlicher Ritter, Wackerbart genannt, auf seinem festen Raubschloße. Es galt damals das Recht, wo die Faust vorankommt und dann das Recht schon nachfolgt, nämlich dasFaustrecht. Wer den Andern niederwerfen konnte mit Schwerdt und Lanze, der hatte allezeit Recht, und Schwerdt und Lanze hatte jeder Ritter und seine Knappen und Knechte hatten die nämlichen Waffen. Damit übten sie nun weit und breit im Lande umher das Recht aus, nahmen dem schwächeren Nachbar seine Burg und sein Gut, fielen Kaufleute, die mit Waaren daher kamen, auf offener Heerstraße an, und nahmen ihnen Geld und Waaren ab, und thaten Alles, wozu sie die Macht hatten. Das war das Recht [317] damaliger Zeit. Jetzt haben wir dieses Recht nicht mehr, sondern dagegen ist das Kanonenrecht aufgekommen.

Damals aber galt das uralte Faustrecht noch, welches Wackerbart als ein mannlicher Ritter, tapfer und gewißenhaft ausübte, und daher ringsumher im Lande so gefürchtet war, daß, wenn es hieß: »Wackerbart kommt!« Alles floh, wie eine schutzlose Heerde Schafe, wenn der Wolf kommt.

Kam er von seinen Streifzügen wieder zurück und hatte seine Rüstung abgeschnallt, so war er ein ganz guter Mann gegen Weib, Kinder und Gesinde. Die tugendsame und fromme Hausfrau saß an ihrem Rocken oder Webstuhl, wenn der Hausherr nicht daheim, sondern auf Weglagerung war. Ihre zwei Töchter hielt sie zu Häuslichkeit und Züchtigkeit an, denn sie sollten auch einmal brave Hausfrauen werden, welches in ihren Augen etwas gar Ehrwürdiges und Hohes war. Solche hohe Weltdamen, wie sie heutiges Tags der liebe Gott bescheert, kannte man damals noch nicht.

Wie glücklich und zufrieden wäre die treffliche Frau gewesen, hätte ihr Wackerbart nicht Freibeuterei getrieben, die ihrem Herzen sehr weh that. Er gab ihr, wenn er heimkehrte, das Beste von der Beute; reiche mit Gold und Silber durchwirkte Kleider, Armspangen und Perlen, aber sie verschloß das Alles traurig in ihre Truhe (große Kiste oder Lade), weil die Thränen der Unglücklichen dran hingen, die ihr Gemahl beraubt hatte.

Sie wollte den Himmel mit ihrem Gemahl versöhnen, indem sie den Armen so viel Gutes that, als sie nur immer vermochte, und Wackerbarts Gefangenen so viel Erleichterung schaffte, als sie nur vermochte.

Es war eine Felsenquelle am Fuße des Schloßberges mit köstlichem Waßer. Hier versammelten sich oftmals die Armen der [318] Nachbarschaft, die sie speisete und beschenkte, und hier lustwandelte sie am liebsten, wenn ihr die alte Burg in des Hausherrn Abwesenheit zu öde und dumpf und enge wurde.

Einsmals blieb ihr Gemahl sehr lange ans und es wurde ihr so wie so bange, es möchte ihm ein Unglück begegnet sein. Wie oft fragte sie den Zwerg, der Wacht auf der Thurmwarte hielt: »Kleinhänsel, erschauest du nichts? Kleinhänsel, hörst du nichts trappeln?« Aber Kleinhänsel sagte immer traurig: »Nichts! nichts!« – Dann trieb sie oftmals die Angst an den krystallhellen Brunnen, wo sie sich hinsetzte und zum Himmel aufsahe und weinte und seufzte.

So saß sie auch einst unfern vom Brunnen, da kam es ihr vor, als ob ein leichter Schatten den Rand deßelben umschwebte, doch achtete sie in ihrer Betrübniß nicht drauf. Aber sie sahe gar bald, daß wirklich eine Gestalt da war. Die hielt sie für die Nixe der Quelle, und das war sie denn auch.

Die Nixe hatte ein holdes mildes Angesicht und winkte ihr mit der Hand. Da wollte sie verzagen, nicht aus Grauen vor der Nixe, sondern weil sie glaubte, ihre Erscheinung zeige den Tod des Gemahls an, denn es hieß seit undenklicher Zeit, wenn die Nixe erscheine, bedeute es ein großes Unglück. Aber die Nixe kam, faßte sie freundlich bei der Hand, küßte ihre Sirn und führte sie in die Grotte, aus welcher die Quelle hervorsprudelte, und sagte: »Sei ruhig, du theures Weib; dein Gemahl ist geborgen und ist bei dir, ehe die Morgenröthe zum zweitenmal leuchtet. Ich aber liebe dich lange, weil dein Herz so rein ist, wie das Waßer meines Brunnens. Ich habe nicht Macht für Dich und die Deinen gar viel zu thun; ich will dir aber offenbaren, daß du deinen Gemahl nicht wirst betrauern. Aber einer holden Tochter, die du noch gebären wirst, stehen seltsame Dinge bevor, und du wirst sie nicht lange pflegen.«

[319] Darob weinte das liebe treue Mutterherz schon im Voraus; aber die Nixe tröstete sie und sprach: »Gott wird sie schützen, und ich will mütterlich thun, was ich vermag, obwohl es nicht viel sein wird. Aber merke: ich muß ein Recht an das Kind haben, und will darum, daß du mich mit zur Pathe beim Kinde erwählst. Nimm aber auch das in Obacht, daß mir das Kind den Pathenpfennig zu seiner Zeit bringe, dem ich ihm einbinden werde.«

Hierauf nahm die Nixe einen glatten Bachkiesel und gab ihm der Burgherrin. »Nimm! sagte sie, und laß durch eine treue Magd den Kiesel zu rechter Zeit und Stunde in den Brunnen werfen, so werd ich bei der Taufe erscheinen.« Die Nixe versenkte sich in den Brunnen.

Am andern Tage gegen Mittag trompetet Kleinhänsel von der Thurmwarte gar lustig herab, und Herr Wackerbart, der mannliche Ritter, zieht mit seinen Lanzenknechten und Reisigen ein und hat großes Gut erbeutet.

Als sie nach einem Jahr Hoffnung hatte, eines Kindes zu genesen, offenbarte sie es dem ehlichen Gemahl, der darob eine große Freude empfand. Aber wie sollte sie es anfangen, die Nixe des Brunnens zur Pathe zu erwählen? Es hatte großes Bedenken zu sagen, was ihr am Brunnen begegnet war. Herr Wackerbart möchte große Einwendungen gehabt haben und die Mitgevattern große Sorge, und hätten wohl gar von Seelenverkauf an Hexen und böse Geister gesprochen. Wie sollte sie es anfangen?

Die Klugheit des Weibes siegte, und als er sich wieder zum neuen Raubzuge rüstete, forschte sie nach, gegen wen der Zug gehe? Das hatte sie sonst niemals gethan.

»O neugieriges Weibervölklein,« sagte Herr Wackerbart lächelnd; »das will doch Alles wißen, was ihm zu wißen weder noth [320] noch gut ist. – Aber wie kommts denn, du ehrenwerthe Hausfrau, daß du auf einmal neugierig bist? Warst es ja sonst nicht!«

»O, sagte sie, ist man einmal so lange um sein Gemahl so beängstigt gewesen, als ich um dich bei deinem letzten Raubzuge, da wird man wohl neugierig. – Und was willst du denn uns Weiber anschuldigen? Du und dein Männergeschlecht sind vielleicht neugieriger als wir. Ich möchte fürwahr die Probe nicht machen!«

»Nicht machen? sagte er ernst. Bei mir mache sie immer, mein liebes Gemahl.«

Sie schien sich ordentlich auf eine Probe zu besinnen. Dann sagte sie endlich: »Soll ich dir eine Probe aufgeben?«

»Gib sie, liebes Weib, sie sei welche sie wolle!«

»Welche sie wolle? versetzte sie; das vollen wir sehen. Ich habe für unser Kind, das uns Gott bescheeren will, mir im Herzen eine Pathe ersehen, die Ich wohl kenne, die aber Du nicht kennst. Wenn ich sie nun zur Pathe bitte, wirst Du Dich enthalten können zu fragen, wer sie ist?«

Wackerbart reichte ihr seine Hand und sagte: »Ich werde nicht fragen!«

Wackerbart war wohl ein Raubritter, aber kein schleichender Bube. Wo er Hand und Wort gegeben, das hielt er heilig und treu, denn das war ihm Ehrensache.

Jetzt hatte sie freie Hand. Nach einigen Wochen kam ein Töchterlein zur Welt, und der Vater bat die Gevattern, die allsammt am Kindtaufstage eintrafen.

[321] Da sie nun meistens schon da waren, berief die Mutter des Kindes eine vertraute Dienerin, gab ihr den Kiesel und sagte: »Wirf diesen Kiesel stillschweigend in den Nixenbrunnen. Vielleicht daß es meinem Kinde ein Glück bringt.«

Die treue Magd that, wie ihr befohlen war, und ehe sie noch wiederkehrte, trat eine hohe, aber unbekannte Frau ins Gemach, wo die Pathen allesammt versammelt waren, neigte sich hoch und dehmüthig gegen Herren und Frauen und sagte kein Wort, und Niemand hatte das Herz sie zu befragen: Wer? oder von Wannen?

Der Täufer kam; die Pathen stellten sich, und die Unbekannte stellte sich oben an, nahm das Kind und hielt es zur Taufe zuerst.

Sie war so schön; sie war so züchtig und sittig; ihr Kleid war waßerblaue Seide, und Perlen, wie sie fast Keiner gesehen, schmückten nebst den kostbarsten Steinen ihr Gewand, und der Zipfel ihres Schleiers war naß, als wäre er so eben erst aus Waßer gezogen. Die Mitgevattern erstaunten, sannen, riethen, wer die Fremde sein möchte? und achteten nicht auf die Worte des Täufers, der das Kind Mathilde nannte.

Die Taufhandlung war vorbei und die Pathen traten glückwünschend ans Bette der Wöchnerin, und begabten den Täufling mit reichen Geschenken, aber die Fremde zog einen sorgfältig eingewickelten hölzernen Bisamapfel 1 hervor, legte ihn auf die [322] Wiege des Kindes, küßte Mutter und Kind auf die Stirne und ging.

Alle wären gern laut geworden und hätten sich ihre Gedanken und Bemerkungen über das elende Ge schenk mitgetheilt, aber weil die Aeltern des Kindes schwiegen, konnten sie nur unter einander flüstern. Der Ritter Wackerbart hätte das Geheimniß von der fremden Pathe seiner Hausfrau gern abgelistet, aber sein gegebenes Ritter- und Ehrenwort hielt ihn ab zu fragen, und sie konnte schweigen. Der Bisamapfel ward in ihrem Schatzkästlein sorgfältig verwahrt.

Ehe noch Mathilde ohne Hülfe gehen konnte, starb ihre Mutter, eben als ihr Gemahl auf einem Zuge abwesend war. Als dieser wiederkehrte, stieß der Zwerg in sein Horn, aber es waren traurige Töne, die er blies. »Das weißagt Unglück!« rief der Ritter, und als er in den Schloßhof hineinsprengte, war, nach damaliger Sitte, eine Laterne ohne Licht, an welcher ein schwarzer Flor flatterte, vor der Hausthür ausgestellt und die Fensterladen waren verschloßen. Das waren die Leichenzeichen. Und als der Ritter eintrat, da lag die fromme treue Hausfrau auf der Bahre mit Blumen geschmückt; die ältern Töchter, in Flor gehüllt, weinend zu ihren Häupten, die kleine Mathilde mit Blumen spielend zu den Füßen.

Da brach dem Ritter das Herz und er jammerte laut und trug Leid um sie in tiefer Einsamkeit und Stille. Das aber konnte bei ihm nicht lange dauern, denn auf Zügen und Fahrten zu sein, war seine andere Natur geworden.

Bald brachte er eine Gemahlin wieder ins Haus, die war gar andern Sinnes als die Entschlafene. Mit ihr ging ein prächtig verschwenderisch Leben mit Banketen und Lustgelagen, [323] Schlemmen und Zechen an, und das arme Gesinde, das Liebe und Sanftmuth gewohnt war, wurde herrisch geplagt und gehudelt. Die beiden ältesten Töchter der Entschlafenen wurden in ein Frauenkloster gesteckt, und die Kleine bekam eine entlegene Kammer und eine Amme, denn die hochgebietende Frau mochte sie nicht vor Augen haben.

Der Aufwand wurde so groß, daß Wackerbart, obwohl er dem Faust- und Raubrecht unermüder oblag, bald nicht mehr so viel herbeiliefern konnte, als verschwelgt ward. Da wurde dann von dem vergnügungssüchtigen Weibe Alles durchsucht und geplündert und verkauft oder verpfändet, was die Vorfahrerin hinterlaßen hatte.

Als einsmals fast gar nichts mehr da war, hielt die Verschwenderin wieder eine Durchsuchung, und, welch ein Funde sie trifft auf ein Geheimfach, welches das Schatzkästlein der Verstorbenen enthielt! Da funkelten Juweelen, Demantringe, Ohrengehänge, Armspangen, Perlenschnuren und anderes Geschmeide mehr. Sie durchsahe Alles genau, schätzte es und rechnete, wie viel sich damit ausrichten laße und wie lange es ausreichen könne.

Der hölzerne Bisamapfel war ihr auch in die Hände gefallen und sie wußte nicht, was sie daraus machen sollte und wie er hieher käme. Er war unscheinbar, leicht wie eine Nußschale und wie sie ihn schüttelte, klapperte es nicht. Sie wollte ihn aufschrauben, aber er war fest verquollen. »Wer weiß, dachte sie, wie er daher gekommen sein mag?« und warf ihn als unnütz aus dem Fenster.

Wenn Etwas sein soll, fügt sich schon Alles. Die kleine Mathilde saß eben mit ihrer Puppe spielend im Zwingergarten, [324] als der Apfel herabflog. Der war ein köstliches Spielstück für die kleine Verwaiste, und sie bracht ihm Tagelang nicht aus der Hand.

Einsmals um Abendzeit war die Amme mit dem Kinde zum Felsenbrunnen gegangen. Das Kind wollte eßen, aber die Amme hatte noch nicht Lust, in das Schloß zurückzukehren. Sie ging in das Gebüsch, um demselben Himbeeren zu suchen. Während deß spielte die Kleine mit dem Apfel, warf ihn in die Höhe und fing ihn wieder. Da mißlang ein Wurf und der Apfel fiel in den Brunnen, und im Augenblicke stand eine schöne Frau da.

Das Kind erschrack und meinte, es sei die böse Stiefmutter, von welcher sie immer gestoßen und geschlagen ward. Aber freundlich und liebkosend zog es die schöne Frau an sich, reichte ihm den Bisamapfel wieder, nahm es auf den Schooß und sagte: »Ich bin deine Pathe, du arme Verlaßene, und will mich deiner annehmen. Komm nur oft hieher, du sollst mich immer hier finden. Wenn du ein Steinchen in den Brunnen wirfst, so bin ich gleich bei dir. Aber spiele nicht mehr mit dem Apfel, sondern bewahre ihn sorgfältig. Wenn du einmal groß bist, soll er dir drei Wünsche gewähren. Aber schweige davon gegen Jedermann. Damit verschwand die Pathe.«

Das Unglück hatte die Kleine schlau und klug gemacht. Sie nähete den Apfel in das Unterfutter ihres Kleides, und schwieg. Das kleine Ding verlangte von nun an oft zu dem Brunnen zur freundlichen Pathe. Die Amme konnte dem schmeichelnden Kinde nichts abschlagen, zumal da ihm das Vergnügen an dem Brunnen wie von der Mutter angeboren schien. War es aber erst an dem Brunnen, so ersann es immer einen Vorwand die Amme [325] zu entfernen. Dann fiel das Steinchen, und die holde Pathe war gleich bei dem Kinde und lehrte es Mancherlei.

Schön blühte Mathilde zu einer Jungfrau herauf, aber sie blühete einsam. Nie wurde sie zu den Banketen im Hause gezogen, und war auch dazu nicht gekleidet. Der Tag verging unter Arbeit, und der Abend mit der Freundin und Lehrerin am Brunnen.

Eines Abends war die Pathe recht traurig und wehmüthig und im Mitgefühl weinte auch Mathilde. »Du weinst? sagte die Pathe; ach, du armes Kind, weißt nicht warum? Es ist die Vorahnung deines Schicksals, die dich weinen macht. Wiße, es steht nahe bevor! Die Burg wird wüste stehen, ehe die Herbstfrucht reift. Wenn eines Abends die Dirnen mit leeren Eimern von meinem Brunnen zurückkehren, dann ist das Unglück nahe Nimm deinen Bisamapfel wohl in acht, der dir drei Wünsche gewähren soll und laß ihn nie von dir. Sei in den drei Wünschen vorsichtig und klug!«

Die Pathe lehrte sie noch einige geheime Eigenschaften des Apfels, und sie schieden unter Schluchzen und Weinen.

Ehe die Waitzenernte vollbracht war, kamen eines Abends die Dirnen bleich und erschrocken vom Felsenbrunnen mit leeren Krügen und Eimern wieder und sagten aus: die weiße Frau sitze wehklagend und händeringend am Brunnen und das bedeute nichts Gutes. Nun gingen die Knechte hinaus und fanden, daß es wahr sei. Weil ihrer viel waren, faßten sie sich ein Herz und gingen auf die Gestalt zu; als sie aber hinkamen, war dieselbe verschwanden und der Felsenbrunnen war leer. Im Schloße ward Alles bestürzt und ängstete sich über die Deutung. Mathilde [326] wußte sie, schwieg und saß trübsinnig in ihrer einsamen Kammer.

Auf Wackerbarts Burg hatte man in immerwährenden Freudentaumel gelebt, und die Raubereien des Ritters wurden immer ärger und ließen für den Handel der reichen Stadt Augsburg keine Sicherheit mehr. Der Bund der schwäbischen Städte mahnte den Ritter mit Drohen, den Unfug abzustellen, aber wie konnte er das, da das verschwenderische Weib immer Mangel hatte an Gelde und Gute. Er mußte ja schaffen, und glaubte auch mit den Drohungen sei es so großer Ernst nicht. Es war aber Ernst, und ehe er es gedacht hatte, wehten die Bundesfahnen vor seiner Burg, mit Roß und Mann und allerlei Geschütz wohl versehen.

Es gab heftige Kämpfe und Wackerbart vertheidigte sich mit den Seinen mannlich; aber als ihm eines Tages ein Bolzen durchs Hirn flog und er todt hinsank, da war Alles verloren. Die Belagerer merkten, daß Uneinigkeit im Schloße war, stürmten daßelbe, gewannen es und schlugen nun in der Wuth gegen den Räuber Alles darnieder, was ihnen vorkam, selbst die Verschwenderin wurde mit allen ihren Kindern ohne Barmherzigkeit erschlagen. Das Schloß wurde geplündert und in Brand gesteckt.

Mitten in dem wüthigsten Getümmel der fremden Kriegsknechte warf Mathilde ihren Schleier über, drehte den Apfel dreimal in der Hand umher und sprach: »Hinter mir Nacht und vor mir Tag: daß mich Niemand erblicken mag.« So geschahe es und sie kam ohne Unfall auf die Landstraße und wandelte auf derselben fort und wußte nicht wohin. Vor Ermattung sank sie am Abend in einer Strohhütte, die auf dem Felde stand, [327] hin. Sie sahe noch einmal nach der väterlichen Burg zurück; aber da, wo sie gestanden hatte, war der Himmel blutroth von Flammen, die aufstiegen und niedersanken. Sie wußte, woran sie war, und schlief weinend ein.

Des andern Tages gab ihr eine gutherzige Bäuerin Brode und Milch; sie tauschte von derselben grobe Bauernkleider ein und kam mit Fuhrleuten, die Kaufmannsfracht brachten, nach Augsburg.

Womit sollte sie sich erhalten? Der armen verlaßenen Ritterstochter blieb nichts übrig als Magddienst zu suchen, den sie nicht sogleich fand, da sie nicht sagen durfte, wer und woher sie sei.

Es hatte zur selben Zeit ein hoher und reicher schwäbischer Graf, Konrad, einen prächtigen Palast in Augsburg, den er aber nur im Winter bewohnte, denn im Sommer zog er auf seinen großen Gütern, oder zu seiner Lust in der Welt umher. Die Schließerin in dem Palaste war als ein böser Drache in der ganzen Stadt bekannt. Sie hieß Frau Trude.

Eines Tages hatte Frau Trude das Gesinde mit ihrem Schlüßelbunde und mit Töpfen und Besenstielen so wacker zerarbeitet, daß es größtentheils davon gelaufen war. Da kam Mathilde und bat um Dienste. Sie hatte sich unkenntlich gemacht, hatte sich eine hohe Schulter gepolstert; Gesicht und Hände mit Rußwaßer gewaschen, um gelb auszusehen wie eine Zigeunerin, und das schöne Lockenhaar hatte sie unter einem groben Tuche versteckt.

Als sie Frau Trude gefragt, ob sie waschen und platten, nähen, spinnen, stricken, kochen, braten und backen könne und Mathilde Alles bejahete, da nahm sie dieselbe zur Küchenmagd an.

Mathilde war so sanft, so fleißig und geschickt, daß das alte böse Stück Weib fast immer milder und beßer wurde. Sie ward [328] durch solche Tugenden, am meisten aber durch Mathildens Sanftmuth und nachgiebiges Dulden überwunden.

Gegen den Winter kam Graf Konrad mit einem Heer von Dienern; aber was kümmerte das Mathilden, die in ihrer Küche genug zu thun hatte. Die Arbeit läßt ja fremde und unnütze Gedanken so leicht nicht aufkommen. – Und wer im Hause fragte denn nach dem Zigeunermädchen?

Aber das Zigeunermädchen sahe den Grafen Konrad, der ein wunderschöner Mann war, hoch und kräftig gewachsen, und den ganz Augsburg seines Reichthums und seiner Schönheit wegen ohne Ausnahme preisete und ehrte. Sie sahe ihn mit Wohlgefallen, sie sahe ihn so gern, und wußte nicht warum? Er aber sahe nicht nach ihr hin, und das that ihr weh; aber sie wußte nicht warum? Sie dachte an ihn und versah darüber in ihrem Küchenwesen da und dort eine Kleinigkeit, so daß der Drache fast fauchen wollte.

In der reichen Handelsstadt ging der Winter in allerlei Lust und Vergnügung dahin. Bälle, Tänze, Spiele und Gesang, Turniren, Stechen und Ringelrennen wechselten miteinander ab, und Graf Konrad war bei Allem mit; aber Mathilde war in ihrer Küche traurig und betrübt.

Da ward dem Kaiser ein Prinz geboren, und die Stadt Augsburg stellte ein dreitägiges Freuden und Ehrenfest auf dem großen Rathssaale an, zu welchem alle Grafen und Herrn aus der Nachbarschaft und alle schönen Jungfrauen geladen waren. Des Tages war Ritterspiel mit Stechen um hohen Preis, und des Abends war Tanz, der bis zum Morgen währte.

Mathilde war ein Mädchen; wie hätte sie dem Verlangen widerstehn können, an all dieser Pracht mit Theil zu nehmen, alle [329] Schönen der Gegend kennen zu lernen und – mit Konrad zu tanzen.

Als die Küche beschickt und bald Schlafenszeit war, da säuberte sie sich von aller Verunstaltung und der Bisamapfel mußte einen schönen Anzug liefern. Der quoll aus dem Apfel mit allem Schmuck hervor und paßte genau für ihre schöne Gestalt. Dreimal drehte sie den Apfel in der Hand um mit den Worten:


die Augen zu
bleibt alle in Ruh,

und ein tiefer Schlaf fiel auf die Schaffnerin und auf alles Gesinde und ungesehen kam Mathilde in den Tanzsaal.

Es war allen Anwesenden, als sei eine Göttin des Himmels gekommen und ein heimliches Flüstern lief durch den ganzen Saal, ein Flüstern der Bewunderung und des Fragens wer ist sie?

Niemand konnte Auskunft geben. Konrad bat ihr die Hand zum Tanz, die sie mit sanftem Erröthen annahm. Ihr leichter angenehmer Tanz entzückte Alle, und Konrad tanzte fast nur mit ihr denn sein Herz war alsbald in Liebe gegen sie entzündet worden. Er forschte, wer und von wannen sie sei? aber sie wich geschickt seinen Fragen aus. Sie war von dem Saale mit Hülfe ihres unsichtbar machenden Bisamapfels auf einmal verschwunden, und kam wieder auf ihre Kammer, ohne von einem der ausgestellten Diener gesehen worden zu sein, und nahm wieder die vorige häßliche Gestalt an.

Mathilde hatte dem Ritter auf vieles Flehen zugesagt, des nächsten Abends wieder zu kommen. Der Ritter hoffte, harrte zweifelte und die Zeit wollte nicht vorwärts, aber der Abend kam dennoch und mit ihm Mathilde.

Wohl hatte sie Bedenken, dem Apfel den zweiten Wunsch abzunehmen, [330] der für einen wichtigern Fall des Lebens aufgespart werden könnte, aber ein heimliches Verlangen zog sie zum Saal, und daß sie ein neues Kleid haben müßte, litt keinen Zweifel – Sie war ja ein Mädchen! Wie hätte sie in dem Kleide des vorigen Abends noch einmal erscheinen sollen? Was würde man gesagt, was würde man gedacht haben?

Der Wunderapfel mußte ein neues Kleid liefern, viel schöner und reicher an kostbaren Schmuck und Steinen als das erste, aber auch Konrad glänzte in aller Pracht und Herrlichkeit seines Standes.

Als sie Beide müde waren vom Tanze und sich in ein Seitengemach begeben hatten, da konnte Konrad nicht länger an sich halten und trug ihr Herz und Hand an. Mathilde sagte: »Wohl sind die mir viel werth, denn Ihr seid ein edler Mann, allein Ihr wißer ja nicht, wer ich bin? Wie bald möchte Euch Eure Wahl gereuen.« Da sagte er, er nähme Gott zum Zeugen, sie solle sein ehelich Gemahl werden und wär sie die Tochter des allerniedrigsten Mannes in Schwaben, nur aber eine züchtige sittige Jungfrau. Damit zog er einen Demantring von großem Werth von seinem Finger und gab ihr denselben, zum Zeichen der Treue. In drei Tagen wolle er allen Grafen, Rittern und Herrn ein festliches Mahl geben, dem solle sie beiwohnen, da werde er die Ehestiftung machen laßen. Mathilde trug Sorge, ob sie einwilligen sollte, es kam ihr Alles zu schnell und sie sagte nicht Ja, sagte aber auch nicht Nein.

Da wurden drei Tage die kostbarsten Zurüstungen zu einem großen Verlobungsmahle gemacht, und als der dritte Tag gekommen war, kamen die Geladenen allzumal auch, Herren und Frauen in Glanz und Pracht, aber die Braut wollte nicht kommen. Da ward aus dem Freudenmahle ein stummes Trauermahl, bei welchem der [331] Ritter im tiefen Trübsinn saß und seufzend nach dem Gedecke hin schauete, das an der Tafel unbesetzt geblieben war.

Als die Gäste davon geschlichen waren, ging Konrad in sein einsamstes Gemach und jammerte, und am andern Morgen war es, als läg er im heftigsten Fieber. Da kam das Haus in Aufruhr, und die Aerzte wurden gerufen, aber er nahm ihre Tränke nicht und keiner konnte ihn trösten, oder heilen und von seinem Gram abbringen.

So dauerte es sieben Tage, und er verwelkte wie eine zerknickte Blume. Daran erkannte Mathilde, daß Konrads Liebe treu sei; ach und es war ihr ja auch recht weh ums Herz gewesen, am Tage des Gastmahls und nachher. Nun sollte es mit Beiden anders werden.

Als am siebenten Tage früh Alles verzweifeln wollte, sagte Mathilde zu Frau Gertrud: »Habet nur Muth; unser Herr wird nicht sterben; Ich habe diese Nacht einen guten Traum gehabt.« – Den Traum mußte die Alte sogleich wißen, denn Träume galten ihr allezeit als hohe und unzweifelhafte Offenbarungen.

Mathilde erzählte: »Mir war es, als wär ich bei meiner Großmutter daheim, die lehrte mich ein Süpplein von neunerlei Kräutern kochen und sagte, das sollte ich dem Herrn zurichten so würde er, nähme er nur drei Löffel davon, gewiß und wahrhaftig wieder gesund!«

»Das ist nicht von ungefähr, sprach Frau Trude. Flugs richte dein Süpplein zu, so will ichs ihm bringen, und nicht eher aufhören zu bitten, bis er davon. Etwas genießt!«

Graf Konrad gedachte, heut sei es sein Letztes, als eben die Schaffnerin hereintrat und ihm das Süppchen brachte, welche [332] Mathilde gar köstlich mit Gewürz und allerlei Kräutern zugerichtet hatte. Sie hatte aber auch heimlich den Demantring mit hineingeworfen.

Um der Zudringlichkeiten der geläufigen Zunge der schwatzhaften Alten los zu werden, zwang er sich einige Löffel Suppe ein, und bemerkte, indem er mit dem Löffel auf den Grund der Schale traf, daß Etwas auf dem Boden derselben lag, was er heraufholte. Da war es sein Demantring und war auf einmal um alle trübsinnige Gedanken geschehen, die Augen glänzten wieder und der Ritter aß mit Lust die Suppe bis auf den letzten Löffel. – Das war eine Wundersuppe, und Alle lobten dieselbe aus allen Kräften.

Konrad wollte nun wißen, wer die Suppe bereitet habe, ließ sich aber von dem gefundenen Ringe nichts merken. Die Zigeunerin mußte sogleich vor ihn gebracht werden, obgleich die Schließerin sagte, sie sei gar zu häßlich und schmutzig.

Als sie nun in ihrer Häßlichkeit zu ihm eintrat, und er Jedermann hatte hinausgehen geheißen, fragte er, wie sie zu dem Ringe gelangt sei, der in der Suppe gelegen? Sie aber antwortete: »Den Ring hab ich von Euch. Ihr habt mich damit beschenkt, am zweiten Tanzabend, wo Ihr mir Eure Liebe gelobtet. Nun sehet selbst, ob ich Euch noch anstehe?«

»Wie?« sagte Konrad verwirrt. Das ist ja nicht möglich. Es fuhren ihm seltsame Gedanken durch den Kopf, denn er meinte, seine Familie wolle ihn von seinem Vorhaben abbringen. Er suchte das Mädchen auszuforschen und sagte: »Seid Ihr die Jungfrau, der ich mich mit dem Ringe gelobt habe, so nehmt nur die Gestalt an, die Ihr auf dem Tanzboden hattet, und seid dann meiner Treue gewiß. Wo nicht, so laß ich Euch ausstäupen.[333] – Ja freilich! auf die Gestalt eines Menschen und eines Dinges kommt gar viel an.«

Sie hielt ihm eine sträfliche Rede, daß er die Schönheit mehr achte, als Unschuld und Tugend, und setzte ihre Worte also zierlich und geschickt, daß der Ritter darob erstaunte. Jedoch versprach sie sich in der Gestalt zu zeigen, in der sie ihn auf dem Tanzsaale entzückt hatte, nur daß er sie auf ihre Kammer gehen und sich reinigen und umkleiden ließe.

Das geschahe denn auch, und die Schließerin hielt vor der Kammerthür Wache. Sie aber trat nach weniger Zeit im Glanze der Schönheit, in welcher sie auf dem Saale erschienen war, vor den Ritter, der vor ihr kniete, ihr abermals den kostbaren Ring an den Finger steckte und sagte: »Behalt ihn auf ewig, du Theure!«

»Nicht also rasch; sagte die Jungfrau, hört erst, wer ich bin und wie mirs ergangen.« Hierauf erzählte sie ihm Alles, selbst das Geheimniß des Bisamapfels. – Er hörte kaum drauf und nach zwei Tagen wurden sie ehelich zusammen gegeben, und die Gastereien und Tänze wollten anfangs gar kein Ende nehmen.

Einige glückliche Jahre waren vorübergegangen und Mathilde achtete in ihrer Seligkeit des Bisamapfels kaum mehr. Sie wünschte nur noch die Mutter ihres Gemahls zu sehen, um ihr die mütterlichen Hände zu küßen, aber Konrad hatte mancherlei Ausrede und Vorwand, warum das jetzt noch nicht angehe und führte sie auf seine Güter, bald dahin, bald dorthin, nur nicht auf das, wo die Mutter sich aufhielt. Zuletzt begab er sich auf ein Gut mit ihr, welches unfern ihrer väterlichen zerstörten Burg gelegen war. Hier weilte sie gern. Sie weinte auf den Gräbern der Aeltern. »Ach! seufzte sie, wenn sie doch noch lebten, damit sie sich freuen könnten über mein Glück!« Aber, so sollte sich denn doch die Brunnennixe mit[334] ihr freuen, denn das Herz sucht im Glück eben sowohl Theilnahme, als im Unglück. Darum ging sie zu dem Brunnen und warf zuerst kleine Steine hinein, und zuletzt den Bisamapfel, aber es erschien keine Gestalt und den oben aufschwimmenden Bisamapfel mußte sie selbst wieder herausfischen.

Mathilde wurde auf diesem Gute von einem schönen Knaben entbunden. O, wie seelig war sie da, und ihr Gemahl mit ihr. Sie ließ das Kind nicht aus ihren Armen; obwohl eine verständige Amme gemiethet war, die des Kindes sorgfältig hüten sollte.

Es gab Freudenfeste im Schloße, die drei Tage gedauert hatten. Als aber in der dritten Nacht Alles, ermüdet von dem Rausche der Freuden, im tiefen Schlaf lag, wandelte auch Mathilden der Schlummer an, und als sie erwachte, war der Knabe aus ihren Armen.

»Amme, wo ist mein Kind?« rief sie voll Entsetzen. »Die Amme erwachte, rieb sich die Augen und sagte noch schlaftrunken, das junge Herrlein habt Ihr ja in Euren Armen!«

Da war es nicht! ach es war nirgends und nur ein Paar kleine Blutstropfen wurden auf dem Fußboden bemerkt.

Da schrie die Amme: »Ach, daß sich Gott erbarme! So hat der Währwolf das liebe Kind geholt und davon getragen. – Die Aeltern waren trostlos, die Amme war es mit ihnen. Mathilde behielt ihren Gram im Herzen, obwohl sie sich, aus Liebe zu dem Gemahl, zwang heiter zu scheinen.«

Es kam ein zweiter Knabe, schön und lieblich wie der erste, und der Graf feierte wieder drei Freudentage, wo selbst die Thürhüter von den edelsten Weinen trunken wurden, und in der dritten Nacht ging es wieder, wie das erstemal, obwohl die sorgsame Mutter den Knaben in ihrem Bette behalten, mit ihrer goldenen Halskette den [335] Leib des Kindes umschlungen und die Enden der Kette an ihrem Arm befestigt hatte. – Ein Gelenk der Kette war mit scharfer Scheere durchschnitten.

Die Amme erhob ein Jammergeschrei, das überall im Schloße wiederhallte. Konrad eilte herbei und als er das Unglück hörte, zuckte er sein Schwerdt und wollte die Amme tödten.

»Du schändlicher Satan, brüllte der wüthende Ritter, gebot ich dir nicht zu wachen?«

Da fiel das Weib nieder und stöhnte: »O, ich habe gewacht! Ach, hätt ich es nicht! so hätt ich die gräßliche That nicht gesehen! Bringt mich nur um, damit ich nur das grausende Andenken los werde. O! aus Barmherzigkeit bringet mich um!«

»Was? was hast du gesehen? sagte der erschrockene Graf. Bekenne frei, oder ich laße dich foltern!« Die Amme weigerte sich und sagte: »Laßet mich lieber tödten; es ist beßer für Euch und für mich!«

Da wollte der Graf nur um so eher das furchtbare Geheimniß wißen, nahm das Weib in sein Gemach und mit Drohungen und Verheißungen brachte er Alles heraus.

»Euer Gemahl, sagte das Weib, ist eine gräßliche Zauberin, und hat die Kindlein mit einer scharf geschliffenen Demantnadel durchs Herz gestochen, da sie dachte, ich schliefe, und hat aus den Knöchlein der Kleinen und aus Kräutern einen Trank wollen bereiten, daß sie immer schön bleibe und immer Eure Liebe behalte; denn, Herr, Euch liebt sie über alle maaßen! Komm, du lieber Kleiner, sagte sie zu dem zweiten, und drückte ihn dazu an ihr Herz und küßte ihn; komm, du sollst zu deinem Brüderlein gehen; und wenn noch ein Brüderlein kommt, das send ich dir auch nach, denn aus Dreien kann ich den Zaubertrank der Schönheit und Liebe bereiten.« [336] Damit durchstach sie sein Herz mit der Nadel und ließ es ein wenig ausbluten. Dann öffnete sie den Bisamapfel, aus dem kam eine Flamme, die das Kind in einem Augenblick verzehrte, und nur die zarten Knöchlein und die Asche übrig ließ, welche sie in einer Schachtel sammelte, die sie unter der Bettlade versteckt hat.«

Der Graf war vor Entsetzen zum Stein geworden. Da er wieder zu sich kam, befahl er dem Weibe Keinem ein Wort von der ungeheuren That zu offenbaren. Er verstellte sich, ging mit dem Weibe zu seiner Gemahlin, küßte und tröstete die Jammernde, bis die Amme heimlich das Schächtlein hervorgeholt hatte, das sie dem Ritter auf sein Gemach brachte.

»Ach, welch ein Teufel der Hölle, mit einem Engelsangesicht! stöhnte der Ritter. Und doch, ich liebe die Unselige noch; aber sie soll sterben; sie darf ja nicht leben!«

Der Haushofmeister bekam mit großem Eifer und Strenge Befehl, wie er sollte zu Werke gehen. Der alte Mann jammerte im Herzen sehr, denn alles Hausgesinde betete die sanfte, milde Hausherrin an; aber er mußte gehorchen.

Der Ritter verreiste auf einige Tage, und Mathilde sollte des Tages darauf ein Bad nehmen, weil es der Hausarzt verordnet hätte zur Stärkung. Sie wollte es nehmen, aber es war in der Badstube eine Glut wie in der Hölle. Da wollte sie umkehren; aber sie wurde mit starken Armen hineingestoßen, und die Thüren verschloß und verriegelte man.

Die Unglückliche errieth ihr Schicksal und den schändlichen Verdacht. »Konrad! schrieb sie mit einer silbernen Nadel an die weiße Wand, ich sterbe unschuldig!« Darnach legte sie sich auf ein Ruhebett und ergab sich in den Todt. Aber als sie in der Todesangst sich umher warf, da entfiel ihr der Bisamapfel. Sie [337] nahm ihre letzte Kraft zusammen, hob ihn vom Fußboden auf und mit den Worten: »O Pathe, kannst du, so hilf mir von dem Tode der Schande!« öffnete sie ihn.

Da quoll ein kühl feuchter Nebel hervor, der die Flammen auslöschte und die Glut verschlang, und aus dem Nebel trat die Pathe hervor, an ihrer Hand Mathildens ältesten Knaben, auf ihrem Arm den Säugling. »Wohl dir, sagte die Pathe, daß du dir einen Wunsch aufspartest; aber wie verderblich konnt es dir werden, daß du das Geheimniß des Apfels offenbartest. Hier sind deine Kinder, die die stolze Mutter deines Gemahls durch die tückische Amme wollte ersäufen laßen, weil sie glaubte, es seien die Kinder einer nichtswürdigen Küchenmagd. Die Amme wollte die Kinder ersäufen, und trug sie glücklicher Weise zu meinem Brunnen.«

Die Pathe erzählte, wie sie die Amme als eine Kindermörderin bei dem Gemahl mit listiger Erfindung verklagt habe, und sagte ihr von der Schachtel, und daß nur Hüner und Taubenknochen in derselben gewesen wären. Hierauf sagte sie: »Dein Gemahl ist nicht mehr fern, und du wirst bald gerechtfertigt an seinem Herzen liegen, und nimmermehr wieder eines Wünschapfels zu deinem Glücke bedürfen.« Damit verschwand sie.

Die Diener, welche innerhalb des Badegemachs noch Stimmen gehört hatten, wollten das verloschene Feuer wieder anschüren, aber es wollte nicht brennen. Darüber kam der Graf Konrad und fragte bebend: »Lebt sie noch? O öffnet, öffnet!«

Was der Graf im ersten Grimm, der ihm das Nachdenken benahm, anfangs geglaubt hatte, wurde ihm immer mehr zweifelhaft. Er gedachte der Frömmigkeit seiner schönen Gemahlin und fing an sich zu ängsten und die Angst trieb ihn zurück.

[338] Wie überglücklich waren sie Beide, als sie einander mit Liebe und Entzücken in den Armen lagen und die geliebten holden Knaben gerettet waren.

Die Bübereien der Amme waren bald klar, und die listige Schlange wurde in die Badstube geworfen, wo sie elendiglich erstickte, indem die Ofenflammen, wie von selbst gleichsam, frisch und lustig wieder aufflackerten. Die alte böse Schwiegermutter, da sie hörte, wie es gegangen sei, starb vor Aerger, und die vielgeprüfte Unschuld hatte den Sieg behalten, und hatte von nun an den Himmel auf Erden.

Fußnoten

1 Statt der Riechfläschchen hatte man, selbst noch vor sechzig Jahren kleine hölzerne Büchsen, in welchen sich eine silberne Büchse befand, innerhalb welcher man starkriechende Sachen gegen Anwandlungen von Ohnmachten bewahrte, die meistentheils wohl von dem Moschus- oder Bisamthiere oder von der Zibethkatze genommen waren.

28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen
1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

28. Kalmückische Mährchen.

1.

Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten viel Lehrlinge ihrer Kunst; aber die Lehrlinge lernten nicht viel, denn die Meister oder Profeßoren waren so weise, daß sie die Schüler eben nicht sehr mit Weisheit überhäuften, und viel Ferien gaben, damit die Schüler Zeit hätten, Alles von sich selbst herauszubringen. Außer den ordentlichen und bestimmten Feierzeiten, hatten die Meister bald den Husten, bald den Schnupfen, bald eine nothwendige Geschäftsreise auf vier oder fünf Tage, bald eine dringende Abhaltung – nämlich ein großes Gastmahl. So behielten denn die Jünger, mit den heiligen Feier- und Festtagen, über ein halb Jahr Zeit zum Selbststudiren.

[339] In so vieler Zeit hätte sich nun wohl etwas Tüchtiges erlernen laßen, aber ich weiß nicht, wie es kam, daß die jungen Lummrians grade dadurch träger und fauler wurden, und die weisen Meister wußten es trotz ihrer Weisheit auch nicht und betrübten sich darüber tief nicht blos bis ins Herz, sondern bis in den Magen hinein, indem ihr einziger Wunsch war, die Jünger sollten die Meister einst nach ihrem Leben einmal übertreffen, und so sollte es immer fortgehen, bis endlich das Weltheil gekommen wäre.

Da war einmal ein junger sinnender Schleffel, der war ein Prinz, nämlich ein Chans Sohn, der brachte in den Ferien so Mancherlei heraus, und war bis so weit gekommen, daß er sich in ein Pferd verwandeln konnte.

Als ein verwandeltes Pferd trat er vor die sieben Meister hin und wieherte.

Nach vielem Sinnen brachten sie es heraus, das sei ein magisches Pferd, worin sich einer ihrer Schüler verwandelt habe, welches ihnen aber gar nicht gelegen war, denn der Schüler möchte die Meister wohl gar am Ende zu Eseln machen; und wenn auch nicht das, würde er doch, als ein noch unreifes Genie, die edle Kunst der Magie sehr unvorsichtig anwenden, und wohl gar so gemein machen, daß kein Mensch mehr an die Wunderbarkeit und Vortrefflichkeit derselben glaubte. Um das Dunkel ihres Heiligthums zu schützen, beschloßen sie das Pferd zu tödten, und griffen es in Gestalt von sieben Löwen an.

Das geängstete Pferd sprang in den nahen Fluß und nahm die Gestalt eines Fisches an. Die sieben Weisen verwandelten sich in sieben Reiher, verfolgten den Fisch und hätten ihn beinahe gefangen, aber er nahm die Gestalt einer Taube an, sie hingegen wurden zu sieben Habichten, die die arme Taube über Berge und Thäler und [340] Flüße verfolgten, bis sie zur beruhigenden Höhle gelangte, wo sie sich in den Busen eines Oberweisen, Nangasuna, verbarg.

Was mag das bedeuten? dachte Nangasuna, daß diese Taube von sieben Habichten verfolgt wird? »Taube, fragte er, wie kommst du hieher?« Da erzählte die Taube die Ursache und sagte: »Es werden sieben Bettler kommen und um Nangasunas Rosenkranz bitten. Dann will ich mich in das größeste Kügelchen des Kranzes verwandeln, du aber geruhe dieses in den Mund zu nehmen und den Rosenkranz von dir zu werfen. Also geschahe es, und die weggeworfenen Kügelchen des Kranzes wurden zu Würmern, und die sieben Bettler wurden zu sieben Hünern und fraßen die Würmer. Da ließ Nangasuna das größeste Kügelchen aus seinem Munde fallen, das verwandelte sich in einen Menschen mit einem Schwerdte in der Hand.«

Als nun der Mensch mit dem Schwerdte die sieben Hüner getödtet hatte, ward der Oberweise in seiner Seele betrübt und sagte: »Indem ich einen einzigen Menschen am Leben erhalte, werden sieben getödtet. Dieß ist wahrlich nicht gut.«

Auf diese Worte erwiederte der Andere: »Wiße, daß ich ein Chans Sohn bin; und wenn das nicht genug ist, so will ich dir dienen, mich von Sünden zu reinigen.«

Der Oberweise versetzte: »Weil gegen einen Chans Sohn die die ganze Welt nichts ist, so ist es gut, wenn ihrer auch siebenmal hunderttausend wären getödtet worden; dennoch aber sollst du mir dienen. Geh in den kühlen Hain der Todten, wo Siddikür weilt, der oben von Gold und unten von Erz und deßen Kopf mit Silber bedeckt ist. Nimm ihn und bring ihn. Wer mir ihn bringt, den mach ich zum tausendjährigen Menschen auf Erden.«

Darauf begann der Jüngling: »Den Weg, welchen ich machen [341] muß, die Nahrungsmittel, deren es bedarf, und Alles, was ich beobachten muß, geruhe mir, o Nangasuna, zu sagen.«

Dieser versetzte: »Also geschehe es.« Eine Meile von hier, nach Morgen zu, gelangst du zu einem finstern Walde, durch welchen ein schmaler Pfad nur hindurch führt. Hier wohnen lauter Gespenster. Sie werden alle um dich herumkommen, dann rufst du mit lauter Stimme: »Gespenster Chu lu chu lu ssochi;« dann werden sie zerstieben. Hierauf wird kommen ein Haufen nackter Gespenster, dann sprich: »Chu lu chu la ssochi.« Dann werden Kindergespenster kommen, dann sprich: »Ri ra ri ra padra.« Hierauf wirst du in der Mitte des Hains finden den Siddikür, sitzend neben dem Wunderbaum. Erblickt er dich, so steigt er hinauf. Dann nimm die Mondaxt und drohe mit wilder Gebehrde den Baum umzuhauen, so kommt er herunter. Zum Forttragen nimm diesen hundert Menschen befaßenden Sack und zum Festschnüren dieses hundert Klaftern lange Seil. Dieser unvergängliche Kuchen ist deine Reisekost. Hast du nun aber die Last auf dem Rücken, dann wandere hieher und sprich nicht.

Alles geschahe also, wie Nangasuna gesagt hatte, und Siddikür wurde in den Sack gesteckt und fortgetragen.

2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

2.

Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches Wunderding zur Welt, einen Maßang. Es war ein Mensch mit Hörnern eines Ochsen und einem langen Kuhschwanz. Der Vater ward unmuthig und sagte: »Der stößigen Menschen sind schon so viel, ich will ihn tödten, aber der Maßang sprach: ›Tödte mich nicht, Vater, du sollst auch belohnt werden.‹« »So bleib denn am Leben, sprach der Vater, aber geh fort.«

[342] Der Maßang ging fort und kam ins Innere eines Haines, deßen Bäume waren dunkel. Im Haine aber stand ein schwarzfarbiger Mensch, den fragte der Maßang: »Wer bist du?« – »Ich bin, war die Antwort, ein schwarzfarbiger Mensch, denn ich bin vom Haine geboren und heiße Iddär. Ich folge dir nach, wohin du auch gehest.«

Beide gingen weiter und kamen zu einem dichten Grasplatze. Da fanden sie einen grünen Menschen, den fragten sie: »Wer bist du?« – »Ich bin, versetzte dieser, ein grüner Mensch, denn ich bin vom Grase geboren und heiße Gägär. Ich will Euch begleiten.«

Die Drei kamen an einen Schilfplatz, wo sie einen weißen Menschen fanden, den fragten sie: »Wer bist du?« – »Ich bin, antwortete der, ein weißer Mensch und bin vom Schilfe geboren. Ich heiße Addär und will Euch begleiten.«

Darauf zogen alle Vier weiter und gelangten zu einem Berge, und in der Vertiefung des Berges fanden sie eine große Hütte, in welcher vollauf war zu eßen und zu trinken. Sie fragten nicht, wem das gehöre, sondern sie aßen und tranken und blieben in der Hütte.

Jedes Tags sollten drei von ihnen auf die Jagd ziehen und der vierte die Hütte hüten und Alles besorgen.

Den ersten Tag blieb der Waldsohn Iddär in der Hütte, und kochte Fleisch für die Andern, als eine Alte die Leiter anlegte und zur Thüre hineinkam. »Wer da?« rief er, und als er nun hinsahe, war es eine kaum spannenlange Alte, die einen Tragsack auf dem Rücken hatte, nicht größer als ein kleiner Apfel.

»Oh! sprach die Alte, so Einer sitzt jetzt da. Du kochst Fleisch und hast auch Milch. Laß mich doch ein wenig davon kosten. Ich bin klein und brauche nicht viel. Als sie aber von Fleisch und Milch [343] ein klein wenig gekostet hatte, verschwand Beides und die Alte entfernte sich.«

Der Waldsohn schämte sich, daß die Speisen weg waren und fürchtete sich vor den Andern, nicht wißend, wie er sich sollte entschuldigen. Da er nun aus der Hütte blickte, fand er zwei Pferdehufen. Diese nahm er und machte eine Menge Pferdetritte damit um die Hütte und schoß einen Pfeil in den Hof.

Die Jäger kamen nach Haus und fragten: »Wo ist Fleisch; wo ist Milch?« Der Waldsohn antwortete: »Es kamen hundert Leute zu Pferde, drangen ins Haus, nahmen Fleisch und Milch und schlugen mich halb todt. Geht selbst hinaus und schauet es. Da schaueten sie hinaus, fanden die Pferdetritte und den Pfeil und sprachen: ›deine Worte sind wahr.‹«

Am andern Tage blieb der Grüne in der Hütte zurück, dem ging es gleich also. Weil er aber zwei Rinderfüße fand, machte er eine Menge Tritte damit um die Wohnung und sagte: »Es kamen hundert Leute mit beladenen Kühen und raubten die Speisen.«

Am dritten blieb der Weiße in der Hütte, dem ging es nicht beßer. Er machte mit zwei Maulthierfüßen viel Maulthiertritte und sagte, hundert Leute, auf Maulthieren ankommend, hätten die Speisen genommen.

Am vierten Tage blieb der Maßang daheim und bereitete die Speisen. Da kam die Alte und sagte: »Ha, so Einer sitzt dießmal da! – Laß mich doch von Milch und Speise ein wenig kosten?« Aber Maßang dachte, diese Alte ist gewiß die drei vorigen male dagewesen. Thu ich, was sie verlangt, so weiß ich nicht, was daraus kommt. Darum sagte er: »Alte! ehe du kosten darfst, mußt du zuvor erst mir Waßer schaffen. Er reichte ihr aber einen durchlöcherten Eimer, den nahm sie. Als er ihr aber nachsahe, wurde sie [344] höher und immer höher und endlich so hoch, daß sie an den Himmel hinanreichte.«

Während sie Waßer schöpfte und wieder schöpfte und doch nichts bekam, durchsuchte der Maßang den Tragsack der Alten. Er nahm ein Darmseil, einen eisernen Hammer und eine eiserne Zange heraus, und legte ihr einen verrotteten Hanfstrick und hölzernen Hammer und Zange hinein.

Als die Alte zurückkam, sprach sie: »Ich kann mit deinem Eimer nicht schöpfen. Willst du mir aber nichts zu eßen geben, so laß uns sehen, wer der Stärkste ist?« Damit band die Alte den Maßang mit dem verrotteten Strick, den er zerriß. Aber das Darmseil, womit der Maßang die Alte band, konnte sie nicht zerreißen.

»Hierin hast du gesiegt, sagte sie, nun aber wollen wir mit der Zange uns zwicken.« Sie zwickte ihn, aber das half nichts; er aber zwickte ihr ein großes Stück Fleisch aus der Brust, daß sie schreiend ausrief: »O Jüngling! du hast eine unbarmherzige Faust.«

Als nun die Alte mit dem Hammer auf den Maßang schlug, flog der Hammer von dem Stiel und Maßang blieb unverletzt. Darauf nahm der Maßang seinen Hammer, den er im Feuer erst glühend gemacht hatte, und schlug damit Schlag auf Schlag auf die Alte, daß sie, mit Blut und Brandblasen bedeckt, lautheulend entfloh.

Als die drei Gefährten rückkehrten, sagten sie: »Maßang, du hast gewiß zu dulden gehabt.« Er aber antwortete: »Ihr seid feig und habt gelogen, ich aber habe die Alte bezahlt. Auf! wir wollen ihr nachgehen.«

Sie folgten der Blutspur, welche sie zu einer furchtbaren Felsenhöhle führte, von großer Tiefe. Auf dem Boden derselben lag [345] die blutige Leiche der Alten, unter Haufen von Gold und Erz, unter Panzern und Schwerdtern.

»Seht! sagte der Maßang, wie das Finstere in Finsternißen wohnt! Aber die Frage ist, wer will hinabsteigen und die kostbaren Sachen mir zureichen?« Die Gefährten entschuldigten sich und sagten: »Wir gehen nicht, denn gewiß ist die Alte eine Schumnu (Hexe.)«

Da ließ sich Maßang in die Tiefe hinab und reichte den Gefährten die Sachen. Die aber wurden geblendet von dem reichen Gute und sprachen untereinander: »Ziehen wir den Maßang hinauf, dann behält er Alles für sich; wir gehen lieber mit den Sachen davon, dann muß der Maßang sterben.«

»Treuloser Verrath!« jammerte Maßang; »soll ich hier sterben?« Er suchte nach Speise umher, aber in der Höhle war nur Rinde zu finden. Maßang pflanzte darauf die Rinde in die feuchte Erde und sagte: »Bin ich ein wahrhafter Maßang, so müßen drei große Bäume aus diesen Rinden erwachsen.«

Nach diesen Worten legte sich Maßang zur Leiche der Alten, aber wegen der unreinen Berührung der Leiche schlief er mehrere Jahre.

Als er erwachte, ragten drei große Bäume bis über den Eingang der Höhle hervor, an welchen er freudig heraufkletterte.

Er begab sich alsbald nach der Hütte, wo er zuvor hatte gewohnt; die Hütte war aber verlaßen. Da nahm er feinen eisernen Bogen und seine Pfeile, und machte sich auf, die Gefährten zu suchen. Diese hatten Häuser gebaut und Weiber genommen.

»Wo sind Eure Männer?« fragte Maßang die Weiber. – »Unsere Männer sind auf der Jagd,« versetzten die Weiber. Da ging Maßang hinaus dieselben zu suchen.

[346] Sie kamen eben zurück und erzitterten heftig, als sie ihn erblickten und sprachen: »O! daß wir so übel gethan haben! Der Maßang wird uns tödten!« Sie gingen zu ihm hin und sagten kniend: »du bist der Gerechte, wir aber haben gesündigt. O tödte uns nicht! Nimm unsere Häuser und Kinder und Weiber und all unser Gut, aber tödte uns nicht!«

Hierauf sprach Maßang: »Fürwahr Ihr waret nicht redlich! Aber behaltet, was Ihr habt, und lebt wie zuvor. Ich gehe den Vater zu lohnen.« Und er zog weiter.

Die Gefährten sahen ihm traurig nach und sprachen: »Wie ist er so großmüthig. Wie ist der Geist in dem häßlichen Körper so hoch und so mild. Laßet uns werden, wie er ist!«

Maßang kam in ein unbekanntes Land. Da fand er einen Brunnen am Wege und aus dem Brunnen schöpfte ein herrliches Mädchen. Das Mädchen ging und wo es hintrat, sproßten wunderliebliche Blumen unter seinen Tritten hervor. Maßang folgte dem Mädchen nach, denn es war ihm, als zög es ihn nach.

Da kam er mit dem Mädchen in den Himmel und Churmusta, der Beschützer der Erde, kam ihm entgegen und sagte: »Tängäri (Himmelssohn), ich habe dich lange erwartet; es ist gut, daß du herkommst. Wir haben täglich mit dem Heere der Schumnus zu streiten, welche die Erde verderben wollen. Morgen sieh unserem Kampfe zu, übermorgen sei unser Gefährte. Die weißen Schaaren sind die Tängäris, die schwarzen aber die Schumnus.«

Als am dritten Tage die weiße Schaar von der schwarzen bedrängt ward, spannte der Maßang seinen Bogen, zielte nach dem Auge des Führers der Schwarzen und traf ihn, daß er heulend entfloh und seine Gefährten mit ihm.

[347] Churmusta sprach: »deine That ist belohnenswerth, aber geh und verrichte noch Eins. Durch einen kleinen Umweg gelangst du zur Höhle der Schumnus; geh ohne zu zagen und sprich: ›Ich bin ein Menschenarzt.‹ Führt man dich zu dem Schumnuchan, den Pfeil aus dem Kopfe zu ziehen, dann bewege den Pfeil, streue sieben Getreidearten gen Himmel und stoße den Pfeil tief in den Kopf.«

Maßang umherirrend gelangte an die Höhle und klopfte an die Thüre. Da trat ein altes Schumnuweib hervor mit feuerspeiendem Munde und fragte: »Was hast du gelernt?« »Ich bin ein Menschenarzt,« antwortete Maßang. Da wurde er in die Wohnung geführt, und betrachtete die Wunde des Chans und rüttelte an dem Pfeil. »Schon, sprach der Chan, ist mir viel leichter geworden.« Da stieß Maßang plötzlich den Pfeil in die Wunde bis zu der Mitte hinein und streuete das Getreide gen Himmel, und klirrend fielen Ketten von Himmel. Während Maßang die Ketten ergriff, schlug ihm das feuerspeiende Schumnuweib mit einem eisernen Hammer auf die Brust, daß von dem Schlage sieben Sterne entstanden, und Maßang wurde an den Ketten gen Himmel gezogen. »O, sagte der Maßang, nun bin ich gestorben und kann dem Vater nicht lohnen!«

»Weil du den Schumnuchan getödtet hast und ein dankbarer Sohn bist, sollst du den Vater dennoch belohnen. Nimm die Tängäritochter und gehe mit ihr zur Erde zurück zum Vater, und lebe so lange mit ihr auf der Erde, bis hundert Jahr um sind.«

Das Mädchen nahm Maßang bei der Hand und sprach: »Ich will dich zur Erde hinführen.«

Als sie waren zum Vater gekommen, sagte die Tängäritochter: »Gib acht, was ich thue!« Da schüttelte sie die rechte Hand und [348] Haufen von Gold und Erz fielen herab, dann schüttelte sie die linke Hand und es kamen Speisen und Getränke hervor. Hierauf ging sie in weiten Kreisen um die Hütte des Vaters, und es entstanden Lusthaine mit Fruchtbäumen, Wiesen und Blumen und Quellen! Darauf sagte sie: »Nun will ich deine Gemahlin werden,« und berührte die Hörner und den Kuhschwanz, daß sie abfielen. »Siehe, sagte Sie, nun hast du genug den Vater zu lohnen!«

Als nun die Drei noch hundert Jahre in Frieden und Glück gelebt hatten; gingen sie zu Churmusta in den Himmel.

3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

3.

In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte von seiner ersten Gemahlin einen Sohn, der hieß Sonnenschein. Nach dem Tode derselben heirathete der Chan wieder und bekam einen Sohn, der hieß Mondschein.

Die Brüder liebten einander von Herzen, aber als sie erwachsen waren, sagte die Chanin zu ihrer Vertrauten: So lange der ältere Chans Sohn lebt, ist er der Erbe des Reichs und Mondschein hat nichts; ist aber der Aeltere aus dem Wege, so wird er Chan. Ersinne ein Mittel.

»Das Mittel hab ich ersonnen, versetzte die Vertraute. Narrani ist uns treu. Wenn der mit dem Chans Sohne jagt, soll er ihn heimlich umbringen.«

Mondschein vernahm diese Worte und sprach zu dem älteren Bruder: »dir steht meine Mutter nach dem Leben, damit das Reich ich erbe. Das ist nicht gut. Laß uns beide entfliehen!«

»Ich will entfliehen, versetzte der Aeltere; du aber bleibe bei Vater und Mutter.« – »Ich kann nicht bleiben, sagte der Jüngere, wo du bist, da will ich auch sein und nirgends anders.

[349] Als sie mit einem Sack voll Kuchen schon weit weg gezogen waren durch Ebenen und Berge, suchten sie einen Fluß und gelangten zuletzt an einen, der war vertrocknet. Da sank Mondschein kraftlos zur Erde. Aber der Bruder sprach zärtlich: verzweifle nicht und bleib hier. Ich gehe und suche Waßer auf jener Höhe.«

Nach langem vergeblichen Suchen kam Sonnenschein wieder und fand den Bruder verschmachtet. Da klagte er weinend um den Bruder: »Ach, wärst du geblieben!« Er bedeckte in zärtlicher Liebe die Leiche des Bruders mit Steinen, und als er den Seegen des Wiedersehens gesungen, wanderte er über zwei Anhöhen und kam an die Thür einer Höhle. Innerhalb der Höhle saß der weise und fromme Greis Arschi.

»Woher kommst du?« fragte der Greis. »Deine Gebehrden verrathen riefe Rührung.« Der Jüngling erzählte ihm Alles.

Arschi nahm Heilmittel und Waßer und ging mit dem Jünglinge zum Steingrabe des Bruders und brachte diesen ins Leben zurück.

»Werdet Beide meine Söhne,« sprach der Greis und sie wurden es und blieben bei dem Alten. Der Alte unterrichtete sie in mancher Kunst und mancher Tugend, wovon Chans Kinder oftmals nichts lernen, und sie waren glücklicher, denn in dem Palaste des Vaters.

In diesem Lande herrschte ein furchtbarer Chan von großer Macht, aber mächtiger als er waren zwei Krokodile, welche die Quellen des Flußes verstopften, womit die Felder bewäßert wurden, wofern ihnen nicht ein Jüngling geopfert wurde, geboren im Tigerjahre. Sie wohnten aber in einem Sumpfe nahe an den Quellen.

Es kam die Zeit des Opfers, aber man suchte vergebens nach [350] einem Sohne des Tigerjahres und das ganze Volk gerieth in Angst und Zagen.

Da traten Leute zum Chan und berichteten: »Nicht weit von hier, wohnt am Fluße der alte Arschi und hat einen Sohn des Tigerjahres. Wir sahen ihn, als wir das Vieh tränkten.«

Nachdem das der Chan vernommen, sandte er zehn Boten mit Schwerdtern und sprach: »Geht ihn zu holen.«

»Was habt Ihr zu suchen? fragte Arschi, als sie an die Thür klopften.« Der Chan, versetzten diese, spricht zu dir: »Du hast einen Sohn des Tigerjahres. Sende ihn mir; das Reich bedarf deßelben.«

Arschi antwortete: »Wie könnt Ihr so sprechen? Wer sollte bei mir einsamen Alten wohl wohnen?«

So sprechend ging er hinein, verschloß die Thüre und versteckte den Jüngling in ein Faß, worin man Branntewein brennt, legte den Deckel darauf und verklebte die Ritzen. Als nun die Boten, zertrümmernd die Thüre hineindrangen, Alles durchsuchten, den Jüngling aber nicht fanden, sagten sie: »Weil der Gesuchte nicht hier, soll auch im Hause nichts bleiben, und Arschi muß umkommen.« So sprechend zogen sie die Schwerdter, aber der Jüngling sprach: »Haut meinen Vater nicht; ich bin hier.«

Die Boten nahmen ihn mit sich und Arschi blieb weinend und klagend zurück.

Da nun der Jüngling in die Wohnung des Chans trat, sah ihn die Tochter des Chans und wurde von Mitleid bewegt, schlang ihre Arme um seinen Nacken und sprach: »du darfst nicht sterben;« und als man ihn fortführen wollte, ihn ins Waßer zu werfen, rief sie: »Werft ihn nicht, oder werft mich auch mit ins Waßer.«

Wegen dieser Worte ergrimmte der Chan und sprach: »Weil [351] diese Dirne so wenig bedacht ist für die Wohlfahrt des chanischen Reiches, so werde sie, mit dem Sohne des Tigerjahres zusammengebunden, den Krokodilen vorgeworfen.«

Als nun der Jüngling mit dem Mädchen zusammengebunden ins Waßer geworfen war, sprach er: Warum mußt du sterben, du himmlisches, mitleidiges Mädchen; mich mochte man opfern, weil ich ein Sohn des Tigerjahres bin! – »Nein, du dankbares Herz, versetzte das Mädchen, wie solltest denn du umkommen; da du aus Liebe und Dankbarkeit zu Arschi sprachst:« »Hier bin ich!« »Nein ich sterbe gern mit dir, da bleiben wir beisammen. Doch fürcht ich mich sehr.« So sprachen sie.

Die gefräßigen Ungeheuer hörten diese Worte, und wie auch menschenwürgende Menschenungeheuer zuweilen Anwandlungen von Großmuth und Mitleid haben, so hatten sie dießmal die Krokodile, vielleicht weil sie schon übervollen Fraß gehabt hatten. Sie setzten Beide ans Ufer zurück.

»Komm, Jüngling, jetzt mit mir nach dem Palaste, und bleibe bei mir,« sagte das Mädchen; er aber versetzte: »Hab ich meinen Vater Arschi gesehen, so komm ich, und ungetrennt leben wir alsdann beisammen.«

Als der Jüngling an die Höhle des Greises kam, hörte er denselben laut jammern: »Mein Sohn! mein Sohn!«

»Jammre nicht, mein Vater, jammre nicht, rief draußen der Jüngling; es ist gerettet dein Sohn und steht draußen.« Da öffnete Arschi die Thür, und sie lagen sich einander in den Armen und der Jüngling erzählte von dem Mitleide der Krokodile.

Als auch die Chanstochter wieder zu dem Palaste zurückgekommen war, wunderten sich der Chan und das Volk. Sie aber erzählte von dem Mitleide der Krokodile, und das Volk ging sich tief [352] verneigend dreimal um die Chanstochter herum und sangen ihr Lobgesänge.

»Es ist sehr gut, sagte der Chan zum Mädchen, daß du wieder da bist, aber der Sohn des Tigerjahres ist wohl umgekommen?«

»Nein, sprach das Mädchen, die Krokodile haben mir nur seiner Milde wegen das Leben geschenkt!«

»Das ist ein Wunder!« riefen der Chan und das Volk, und der Chan gebot seinen Ministern: »Auf! bringt mir den Jüngling und seinen Vater Arschi mit Ehren und Freuden.«

Sie brachten dieselben und Mondschein nahmen sie auch mit, und das Volk wandelte neunmal um sie lobsingend herum.

»Wundervoller Jüngling, sprach der Chan, bist du wohl wirklich ein Sohn des Arschi?« Der Jüngling antwortete: »Ich und dieser hier sind Söhne des Chans Güchanas. Weil meine Stiefmutter aus Liebe zum eigenen Sohn mich zu tödten beschloßen, bin ich entflohen und begleitet von meinem jüngern Bruder aus Liebe, sind wir zu Arschi gekommen und sind seine Söhne geworden!«

»Edelherzige Jünglinge! edelherziger Greis!« rief der Chan. Er überhäufte sie mit Ehren und Geschenken und gab dem ältesten Jüngling seine Tochter zur Gemahlin. Er sandte darauf die Drei mit großer Begleitung zum Chan Güchanas.

Als sie nahe zum Palaste deßelben waren gekommen, schrieben sie diesen Brief:

»Zu dem chanischen Vater sind, zurückkehrend, beide Brüder gekommen.«

Seit vielen Jahren hatten Vater und Mutter über ihre Söhne gejammert, und waren im Jammer alt und finster geworden und einsam geblieben. Der Chan sandte viel Leute ihnen entgegen. Als aber die Chanin den Aeltesten und seine himmlische Gemahlin [353] erblickte, und die Leute und Schätze, welche sie mitbrachten, ward ire Mißgunst so groß, daß sie Blut spie und starb, denn das Glück der Guten ist das Unglück der Bösen.

4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

4.

Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der hatte drei Töchter, die abwechselnd die Kälber hüten mußten.

Als einst die älteste Tochter beim Hüten eingeschlafen war, ging ein Kalb verloren. Sie suchte das Kalb und kam zu einem Hause mit rother Thüre und ging hinein. Erst kam sie zu einer goldenen, dann zu einer silbernen, dann zu einer ehernen Pforte, und fand nun einen Käfig mit Gold und in dem Käfig saß eine weiße Eule.

»Was willst du?« fragte der Vogel.

»Ich, war die Antwort, habe ein Kalb verloren, und bin gegangen es zu suchen.«

Der Vogel sagte darauf: »Werde meine Frau, dann sollst du dein Kalb finden, sonst aber nicht.« Das Mädchen aber versetzte: »Eine Vogelfrau mag ich nicht werden, und sollt ich das Kalb nimmerdar wieder erlangen, denn die Vögel gehören zum Vieh.«

Am folgenden Tage war die zweite Tochter eingeschlafen und ein Kalb ging verloren. Sie kam auch zum Vogel und sollte seine Frau werden, sie aber sagte: »Ich mag nicht.«

Als es am dritten Tage der jüngsten Schwester nicht anders erging und sie zum Vogel ging, sagte dieser zu ihr: »Werde meine Frau, dann sollst du dein Kalb haben.« Hierauf sprach [354] das Mädchen: »Dein Wille möge geschehen; ich bin es zufrieden.« So wurde sie denn die Frau des Vogels.

Nach einiger Zeit geschahe es, daß ein dreizehntägiges Fest bei einem Tempel gefeiert wurde, und sich zum Zusehen eine Menge Menschen versammelte, die Vogelfrau auch mit darunter.

Unter den Weibern war sie die Erste, und unter den Männern war Einer, der auf einem Schimmel um die Versammlung herumritt und alles Volk rief: »Der ist der Erste.«

Der Vogel fragte die zurückgekommene Frau: »Welche waren wohl unter den versammelten Männern und Weibern die Ersten?« Die Frau sprach: »Unter den Männern war es Einer, der auf einem Schimmel herumritt, den ich aber nicht kannte, unter den Weibern aber war ich es selbst wohl.«

Daßelbe geschahe eilf Tage immer wieder. Am zwölften Tage aber saß die Vogelfrau neben einer Alten, die fragte: »Wer wird wohl heute der Erste sein?« Darauf versetzte sie: »Unter den Männern ist es der auf dem Schimmel, unter den Weibern bin ich es. O, wär ich mit diesem Manne verbunden, aber mein Gemahl ist nur ein Vieh, denn er ist nur ein Vogel.«

So sprach sie weinend. Aber die Alte versetzte: »Sprich nicht dergleichen Worte. Der Reiter auf dem Schimmel ist ja eben dein Gemahl.

Geh morgen nicht in die Versammlung, sondern verbirg dich im Hause, bis dein Gemahl das Vogelhaus verläßt, den Schimmel aus dem Stalle zieht, und in die Versammlung reitet. Verbrenne alsdann das Vogelhaus, so wirst du ihn immer in seiner wahren Gestalt erblicken.«

[355] Die Frau that, wie ihr gerathen ward und verbrannte das Vogelhaus. Als der Mann nun nach Hause zurückkam, wunderte er sich, daß die Frau schon da war. Dann fragte er: »Wo ist mein Vogelhaus?« Die versetzte: »Ich habe es verbrannt.« – Der Mann aber klagte und sprach: »Himmel! das ist sehr übel. Das Vogelhaus war meine Seele; gleichwie bei Andern ihr Gold, ihre Kleider, ihr Ehrenstand ihre Seele sind.« Da klagte die Frau mit ihm und sprach: »Was ist nun wohl anzufangen?« Darauf versetzte der Mann: »Jetzt gibt es keinen andern Rath mehr, als daß du hinter die Thüre dich setzest, und Tag und Nacht mit dem Schwerdte raßelst. Hört das Raßeln auf, so kommen die Tschädkürs und reißen mich fort. Sieben Nachtzeiten kämpfe ich gegen die Tschädkürs.«

Nach solchen Worten sperrte die Frau ihre Augenlieder mit Hölzern auseinander und nahm das Schwerdt und raßelte damit. So durchwachte sie sechs Nachtzeiten. Aber in der siebenten Nacht fielen ihr die Augen nur einen halben Augenblick zu, und plötzlich rückten die Tschädküren den Vogelmann hinweg. Da lief ohne Nahrung, sinnlos und jammernd die arme Vogelfrau umher und rief: »O mein Vogelmann! mein lieber, lieber Vogelmann!«

Als sie lange, lange gesucht, hörte sie des Gemahls Stimme aus einem Fluße. Sie lief auf den Fluß zu und erblickte den Gemahl neben einem Tschädkürriesen, der hatte siebentausend Paar Stiefeln auf dem Rücken. »Ueber dein Wiedersehen und deine Treue bin ich gar hoch erfreut! sprach der Vogelmann. Ich muß Waßer für die Tschädküre tragen, und habe alle diese siebentausend Paar Stiefeln bei dieser Arbeit verbraucht. Hast du mich lieb und willst mich wieder haben, so eile zurück und [356] baue mir ein neues Vogelhaus, und weihe es mit Seegenssprüchen zur Seele. Dann kann ich zurück.«

Schnell wie der Wind verschwand er bei diesen Worten. Die Frau aber eilte nach Hause, machte ein Vogelhaus und weihete es ein.

Da erschien der Vogelmann auf dem Dache des Hauses und ging in sein Vogelhaus. Aber da erhielt er seine Gestalt, die er reitend auf dem Schimmel gehabt hatte, und sagte: »Nun bleib ich immer bei dir, wie ich jetzt bin; denn du hast mir durch deine treue Liebe die Seele wiedergegeben, denn treue Liebe ist die Seele des Lebens, und darum bist du meine Seele von jetzt an.«

5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

5.

Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und Tugend und Geist, das zwei Meilen weit von ihm wohnte, und sagte: »Du bist meine Gemahlin!« Das hielt er aber noch heimlich, denn das Mädchen war nur die Tochter eines gemeinen Hausvaters.

Der Chanssohn starb, ohne daß das Mädchen davon erfuhr. In einer Nacht, da eben der Mond war aufgegangen, hörte es an der Thüre klopfen und der Chanssohn trat herein. Da ging es ihm freudig entgegen und bewirthete ihn mit Arack und Kuchen.

»Gemahlin, sprach des Chans Sohn, komm mit mir.« Sie folgte ihm und Beide gelangten zur chanischen Wohnung, aus welcher ein Schall von Klangbecken und Pauken hervordrang.

»Chan, was ist das?« fragte die Gemahlin. »Weißest du das nicht? antwortete dieser; es wird mein Leichendienst gehalten.«

»Dein Leichendienst? sagte sie betroffen; was ist denn dem Sohne des Chans widerfahren?« – »Er ist verschieden, war die Antwort, und wird dich in jeder Vollmondsnacht besuchen.«

[357] »Wie aber, fragte sie, wirst du mich können besuchen, wenn du verschieden bist?«

»Weißest du nicht? versetzte der Verschiedene, daß treue Liebe nimmer verscheidet, sondern dauert bis über das Grab!« Damit verschwand er. Sie aber jammerte ihm laut nach und rief: »Chan! Chan! kehre wieder. Ach warum bist du verschieden!«

Als im nächsten Vollmond der Verschiedene wieder zu ihr kam, sagte sie mit Thränen: »Es ist schön, daß du in jeder Vollmondsnacht zu mir kommst, allein viel schöner wär es, du könntest alle Nacht zu mir kommen!« Darauf erwiederte der Chans Sohn: »Wenn du Muth hättest, dann könnt ich wohl kommen; aber du bist noch zu jung und wirsts nicht vollbringen!« – Darauf sprach sie: »Treue Liebe wagt Alles, und selbst das Leben; ich will es vollbringen!«

Der Chans Sohn sprach hierauf: »So begib dich denn in der nächsten Vollmondsnacht eine Meile von hier zu dem Eisenalten und reiche ihm Arack. Hierauf gelangst du zu zwei großen Widdern; ihnen gib diesen würzigen Kuchen. Weiter triffst du auf einen Haufen Bewaffneter mit Panzern und Rüstungen, diesen gib Fleisch und Kuchen. Von dort gelangst du zu einem großen schwarzen Gebäude mit Blute bedeckt und statt der Fahne ist eine Menschenhaut aufgestellt. An der Thüre des Hauses stehen zwei Höllendiener, welchen du Ehrenopfer von Blut reichen mußt. Jetzt gelangst du ins Haus und triffst neun schreckliche Beschwörer und neun Herzen, die stehen um einen Chansthron und eins darunter ist noch frisch und blutend, die andern achte sind alt. Das sind aber die Herzen von Chanen und ihren Söhnen. Die acht Alten aber werden rufen: ›Nimm mich! Nimm mich!‹ Das frische aber wird rufen: ›Nimm mich nicht!‹ Das aber sollst du nehmen, denn es ist mein Herz, damit [358] lauf eilends zurück, aber du darfst dich nicht umsehen. – Hast du dieß Alles vollbracht, dann darf ich allnächtlich zu dir kommen.«

Zwar das Mädchen fürchtete sich sehr, aber die Liebe besiegte die Furcht, und es ging in nächster Vollmondsnacht, theilte die Opfer aus und gelangte in das Gebäude. »Nimm mich nicht,« rief das frische Herz, aber das Mädchen nahm es dennoch und eilte mit demselben davon.

Die neun Beschwörer liefen nach und riefen: »Haltet! haltet, den Dieb des Herzens!« aber die beiden Höllendiener sagten: »Wir haben Blut zum Ehrenopfer bekommen; wir halten nicht!« Die Beschwörer riefen den Bewaffneten zu; die aber sagten: »Wir haben Kuchen und Fleisch bekommen; wir halten nicht.« – Jene riefen den Widdern zu, die aber sprachen: »Wir haben würzigen Kuchen bekommen, wir halten nicht.« Da riefen sie dem Eisenalten zu, der aber sagte: »Ich habe Arack bekommen und halte sie nicht!«

Jetzt ging das Mädchen nach Hause ohne Furcht, und als es hineintrat, stand der Chanssohn im Feierkleide da und umschlang den Nacken des Mädchens und sprach: »Nun hab ich mein Herz wieder und bin wieder durch treue Liebe lebendig.«

Sie gingen hierauf zu den Aeltern des Jünglings, welche heftig erschracken. Aber des Jüngling erzählte, was sich hatte begeben, und wie ihn das treue Mädchen wieder lebendig gemacht hätte. Da wurde es seine Gemahlin.

6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

6.

In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen Acker und kaufte dafür drei Klaftern Tuch, Handel damit zu treiben und reiste in ein anderes Land.

[359] Auf dem Wege sahe er einen Haufen Kinder, die hatten eine Maus an einer Schnur und warfen sie ins Waßer und zogen sie wieder heraus. Da bat er die Kinder barmherzig zu sein und die Maus laufen zu laßen, die aber sagten trotzig: »Was geht das dich an? Wir laßen sie nicht!« Da gab er ihnen eine Klafter des Tuches und die Maus war befreiet.

Bald darauf fand er einen Haufen anderer Kinder, die hatten einen jungen Affen gefangen, den schlugen sie und schlugen ihn sehr, und sagten: »Spring! spring ordentlich! spring beßer!« Aber der junge Affe konnt es noch nicht und machte jammervolle Gebehrden.

Der Mann erbarmte sich des Affens und wollte ihn losbitten, aber weil ihn die Kinder nicht losließen, gab er ihnen die zweite Klafter Tuch, da ließen sie ihn los.

Weiter davon hatte ein Haufen Knaben einen jungen Bären, auf welchem sie ritten und ihn prügelten. Da mußte er sein letztes Tuch hingeben, ehe sie den Bären in den Wald ließen.

Nun hatte der Mann nichts zu handeln und nichts zu zehren und dachte: »Was soll ich nun anfangen?«

Als er so denkend weiter ging, fand er auf einer Schilfwiese ein großes Stück seidenes Zeuges mit Goldblumen durchwirkt, das war sehr kostbar. »So hat denn, sprach er zu sich selbst, der Himmel das Tuch siebenfältig ersetzt, um der Barmherzigkeit willen, die du geübt hast.« Aber bald dachte er anders.

Es kamen Leute daher und sahen das Zeug und fragten: Woher hast du das kostbare Seidenzeug? Das Zeug ist mit andern Stücken aus der Schatzkammer des Chans gestohlen. Nun haben wir endlich den Dieb gefunden; aber, wo hast du die anderen Sachen?«

[360] Sie führten ihn vor den Chan, welcher sprach: »Weil du so Unziemliches begangen, so lege man dich in einen großen Kasten, den man mit einem Nagel von Holze verschließe, gebe dir zwei Brodte mit und werfe dich ins Waßer.«

Also geschah es. Aber der Kasten blieb bald hängen am Ufer. Die Luft im Kasten ward bewegt, und der Priesterssohn wäre beinahe erstickt, aber da knasperte Etwas am Holznagel und rief ihm zu: »Nun drücke ein wenig am Deckel!« und als er drückte, wurde es eine kleine Spalte und der Eingesperrte bekam ein klein wenig Luft und erkannte durch die Spalte die Maus, welche er losgekauft hatte.

Die Maus sprach zu ihm, »halte dich noch ein wenig, bis ich meine Gefährten herbeirufe; für mich allein ist es zu schwer!«

Die Maus kam mit dem Affen und mit dem Bären. Der Affe erweiterte die Spalte so viel, daß der Bär mit seiner Pratze hineinkonnte und darauf den Kasten mit Gewalt aufbrach, daß jetzt der Mann herauskonnte und sich auf einem Rasenplatze mitten im Fluße niederließ. Alle drei Thiere brachten ihm hierauf Obst und allerlei Speisen.

Am andern Morgen erblickte der Mann am Ufer einen hellen Schein und sandte den Affen hin. Der Affe brachte ihm einen glänzenden Stein, der ein Wunderstein war.

Da wünschte sich der Mann ans Land, und als er auf dem Lande war, wünschte er sich einen Palast und alsbald stieg mitten auf einem großen Platze ein Palast empor mit allen Gebäuden, Thieren und kostbaren Geräthen, und mancherlei Bäume standen umher, und Springbrunnen trieben lieblich helles Waßer aus Marmorbecken gen Himmel. In diesem Palaste wohnte er nun und behielt seine drei Thiere bei sich.

[361] Nach einiger Zeit kamen Kaufleute nach dieser Gegend, die staunten, sagend: »Wo kommt der Palast her? Hier war sonst ein wüster Platz!« Sie befragten den Priesterssohn und dieser zeigte ihnen den Wunderstein und erzählte ihnen alle seine Schicksale.

Da sprach der Eine: »Nimm Alles, was wir haben, nur laß uns den Stein.« Gutmüthig gab er ihnen den Stein, und ließ ihnen auch ihre Ladungen, »denn, sagte er, ich bin ja glücklich und reich genug!«

Die Kaufleute waren aber nicht dankbar wie die Thiere, denn sie waren nur Kaufleute, und die Gutmüthigkeit hielten sie wie Viele, die nicht Kaufleute sind, für Einfalt.

Als am andern Morgen der Priesterssohn erwachte, saß er im Fluße auf dem Grasplatze und war Alles verschwunden.

Indem er trauernd da saß, kamen die Thiere und fragten: »Was ist dir geschehen?« Als er ihnen erzählt, sprachen Jene: »Du bist fürwahr zu beklagen; aber sprich, wohin ist der mit dem Steine gegangen? – Wir wollen ihn suchen gehen.«

Als sie nun zu dem kamen, der den Wunderstein hatte, sagten Bär und Affe: »Maus, schau umher, wo sich der Wunderstein findet!«

Die Maus schlüpfte durch alle Löcher und kam in ein geschmücktes Gemach, wo der Kaufmann schlief, welcher den Stein bekommen hatte. Der Stein hing am Ende eines Pfeiles, und der Pfeil steckte in einem Reißhaufen, und neben dem Reißhaufen lagen zwei angebundene Katzen. Da wagte die Maus sich nicht an den Wunderstein, und sagt es den Gefährten.

Der Bär war immer träge und daher immer dumm, weil Beides zusammengehört, und sagte: »So ist also kein Mittel [362] mehr; laßt uns demnach zurückkehren.« Der Affe aber widersprach ihm, sagend: »Wohl gibt es vielleicht noch ein Mittel. Maus! gehe zu dem Kaufmann und benage ihm sein Haar, und in der nächsten Nacht siehe, wer neben dem Kißen des Kopfes wird angebunden sein.«

Als am nächsten Morgen der Kaufmann sein Haupthaar benagt fand, band er zu Abend die Katzen ans Kopfkißen an.

Die Maus konnte aber in der nächsten Nacht nicht an dem Pfeil zum Wunderstein hinan. »Nun, sagte der Bär, da gibt es denn weiter kein Mittel; kommt, laßt uns umkehren.« Der Affe aber sagte: »Wohl gibt es dennoch ein Mittel; laßt uns nur nicht gleich verzagen. Maus! gehe und durchwühle den Haufen Reiß bis der Pfeil umfällt, dann bringe den Stein im Maule hieher.«

Die Maus schleppte den Wunderstein bis zum Loche, sie konnte ihn aber nicht durchbringen, denn der Stein war zu groß. Das klagte sie denn den Gefährten. »Nun, sagte der Bär, so gibt es weiter kein Mittel, und wollen wir wieder nach Hause, denn der Affe und ich können doch nicht durch das Mauseloch kriechen.« Aber der Affe erweiterte das Loch mit seinen Pfoten, bis die Maus mit dem Steine hindurchkonnte.

Jetzt wanderten sie zurück, und da sie durch einen Fluß kamen, setzte sich die Maus ins Ohr des Bären, der Affe aber, den Wunderstein in dem Munde, auf den Rücken deßelben.

Als sie in den Fluß kamen, rühmte sich der Bär, daß er auch einmal Etwas that und sagte: »Seht! ist das nicht gut, daß ich Euch alle Drei tragen kann: Affe, Maus und Wunderstein? Aber das macht, weil ich stärker bin als Ihr.«

[363] So sprach er noch Mancherlei, aber Keins antwortete ihm, denn die Maus schlief vor Müdigkeit von der vielen Arbeit, und der Affe hatte den Stein im Munde.

Als nun keine Antwort erfolgte, wurde der Bär recht grollig und sagte: »Wollt Ihr nicht antworten, so werf ich Euch beide ins Waßer.«

»Thue es nicht!« sprach der Affe; und der Wunderstein fiel aus dem Munde ins Waßer.

Als sie jetzt über den Fluß waren, zürnte der Affe, sagend: »Du, Bär, bist doch wahrlich ein dummes Thier!« Da erwachte die Maus und fragte: »Was gibt es?« und der Affe erzählte Alles und sprach: »Den Stein aus dem Waßer zu bringen ist schwerer als Alles. Jetzt wollen wir fortgehen, dahin und dorthin.« Die Maus aber versetzte: »Ich will es versuchen, den Stein aus dem Waßer zu bringen. Ihr Beiden setzet Euch weiter ab.«

Die Maus lief längs des Flußes auf und ab, gleichsam als wäre sie ängstlich; da sprachen die in dem Waßer, »Maus, was hast du für Unruhe?«

Die Maus sprach: »Wißt Ihr denn das nicht einmal, daß ein großes Heer anrückt, das alle Waßerbewohner aus dem Waßer will treiben?«

»O Unglück, riefen die Waßerbewohner; so rathe denn, was nun zu thun sei.«

»Es bleibt, sprach die Maus, kein anderes Mittel, als Steine herbeizutragen und am Ufer einen Damm aufzuführen.« So sprach sie, und die im Waßer brachten Steine aus der Tiefe des Flußes, und endlich brachte ein großer Frosch den Wunderstein und sagte: »Der Stein ist recht schwer!«

[364] »Maus, du bist klug,« sagte der Affe, als der Stein da war. Darauf kamen sie bald zum Priesterssohn, der aber kaum noch lebte. Als er aber den Stein wieder hatte, wünschte er sich ans Land, wünschte dann wieder einen Palast, geschmückt wie der erste, und noch mehr.

Den Stein ließ er nun nicht mehr von sich, aber die drei treuen Gefährten auch nicht. Der Bär aß und schlief; der Affe aß und tanzte und die Maus aß, und schlüpfte durch alle Winkel und Löcher, und der Priesterssohn litt keine Katze im Palaste.

7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

7.

Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes Land voller Marktplätze, in welchen viel Volks lebte. Das Land war sehr fruchtbar, wenn der Fluß übertrat, der durch das Land floß und die Felder durch Ueberschwemmungen fruchtbar machte. Der Fluß trat aber nicht alle Jahr über, und dann kam über das Land großes Elend und Hunger. Das machten aber zwei böse große Krokodilfrösche, die wohnten an den Quellen des Flußes, in einem großen Sumpfe.

Die Frösche fraßen gern Menschenfleisch. Da mußte man ihnen von Zeit zu Zeit einen Menschen in den Sumpf werfen, an welchem sie eine zeitlang zu zehren hatten, wenn aber das nicht geschahe, so verstopften sie die Quellen des Flußes und dann verdorrte das Land. Dann warf man einen Menschen, den das Loos traf, in den Sumpf, worauf sie das Waßer wieder frei ließen.

Einst traf nun das Loos den Khan selbst, den Fröschen zur Mahlzeit geliefert zu werden. Der Khan hätte nun gern ein Paar [365] Dutzend der Unterthanen den Fröschen zur Mahlzeit gegeben, aber das ging zur selben Zeit und in selbigem Lande gar nicht, denn die Unterthanen waren hochmüthig und keck und meinten: Gottes Wille und Fürstenwille seien zweierlei Ding, und sie brauchten sich nicht so allein freßen zu laßen, sondern die Großen seien so lange sterbliche Menschen, als der Todt sie noch fräße. Kurz es waren verzweifelte Leute.

Also sollte der Khan den Fröschen überliefert werden, und obwohl derselbe behauptete, das ganze Land und die ganze Welt ginge zu Grunde, wenn Er nicht mehr regiere, so wollten die Unterthanen doch kein Wort davon glauben, und half deshalben kein Weigern.

Der Khan wollte sich den Fröschen ausliefern laßen, aber sein Sohn, ein hochherziger Jüngling, gab es nicht zu. Jetzt gab es einen Wettstreit der Ehre, der Liebe, der Zärtlichkeit.

»Ich bin alt, mein Sohn, sagte der Vater; bleibe du und herrsche nach den Gesetzen! Ich aber will gehen, weil es anders nicht sein kann.«

»O Tängäri (Himmelsabkömmling), rief der Sohn, das geht nicht an. Du hast mich mit Sorgfalt gepflegt; jetzt muß ich dir danken! Wenn Khan und Khanin zurückbleiben, was bedarf es denn meiner, zumal da der Brüder noch drei sind!« So sprach er, und das Volk wandelte jammernd um ihn im Kreise herum 1, und begab sich dann wieder zurück.

Der Sohn des Khans hatte von früher Kindheit an einen Gespielen gehabt, den Sohn eines armen Mannes, mit welchem [366] er aufgewachsen war und gelebt hatte. Er ging zu diesem und sprach: Lebe nach dem Willen der Aeltern und lebe vergnügt! »Ich gehe zum Besten des Reichs, mich von den Fröschen verzehren zu laßen.«

Der Sohn des armen Mannes sagte: du Khanssohn! Ich bin mit dir aufgewachsen; wir haben zusammen gespielt, wir haben zusammen gelebt; so laß uns, wenns sein muß, zusammen auch sterben.«

Beide machten sich auf und gingen zu den Fröschen und kamen an den Rand des Sumpfes. Da hörten sie die beiden Frösche, deren einer gelb und der andere blau war, über mancherlei Dinge sprechen. Da sagte der gelbe Frosch: »Der Khans Sohn und sein Begleiter werden kommen, die sollen uns eine köstliche Speise sein. Aber wüßten die Beiden es, wenn sie Jeden von uns den Kopf mit dem Schwerdte zerspalteten und der Khanssohn mich gelben Frosch verzehrte, und des armen Mannes Sohn dich blauen Frosch, daß sie dann Gold und Erz speien würden, so viel sie wollten, und würden hohe Männer werden, und würden die Quellen nicht mehr verstopft, das wäre für uns sehr übel.«

Der Khanssohn verstand die Sprache von allen Geschöpfen, und also begriff er die Rede der Frösche. Und als die Frösche Menschenfleisch witterten und die Köpfe an dem Rande des Sumpfes hervorsteckten, da zerspalteten sie die Köpfe der Frösche und aßen sie, und ging ihnen Gold und Erz aus dem Munde nach Herzenslust.

Der Gefährte sprach nun: »Die Frösche sind beide getödtet: der Lauf des Flußes wird nicht mehr gehemmt; laß uns also nach unserm Lande zurückkehren.«

Doch der Khanssohn verstattete dieß nicht und sprach: »Kehren wir nach unserm Lande zurück, dann wird es heißen: ›es [367] sind Gespenster gekommen, und alles Volk wird fliehen vor uns;‹ laß uns lieber noch weiter ziehen, es wird uns nichts fehlen, denn wir haben Gold und auch Erz.«

Als sie darnach wandelnd über einen Berg zu einer Brannteweinhütte gelangten, in welcher zwei Weiber von reizender Bildung wohnten, Mutter und Tochter, da sprachen sie also: »Wir wollen Branntewein kaufen!« Die Weiber fragten: »Was habt Ihr für Branntewein zu geben?« Da spien sie Gold und Erz, und die Weiber ließen die Wanderer in die Hütte, reichten ihnen Branntewein in Menge, machten sie trunken, warfen die Trunkenen aus der Hütte hinaus und behielten das Gold und das Erz.

Beide erwachten und zogen weiter bis an die Mündung eines Flußes, und wurden in einem Hain einen Haufen zankender Kinder gewahr. »Worüber, sprachen sie, zankt Ihr Euch wohl?«

»Wir haben, hieß es, im Walde hier eine Mütze gefunden und Jedes begehrt sie.«

»Wozu, fragten die Wanderer, dient denn die Mütze?«

Diese Mütze hat die Eigenschaft, versetzten die Kinder, daß, wer sie aufsetzt, weder von Tängäri, noch Menschen, noch Tschädkürn gesehen kann werden.«

»Nun, so begebt Euch denn bis an das Ende des Waldes und kommt laufend zurück. Ich verwahr indeßen die Mütze und reiche sie dem Ersten von Euch, der von dem Laufe zurückkommt.«

So sprach der Khanssohn, und die Kinder liefen, aber fanden die Mütze nicht, denn der Khanssohn hatte sie auf den Kopf des Begleiters gesetzt. »Eben war sie doch da, sprachen die Kinder, und jetzt ist sie weg.« Nachdem sie die Kinder, ohne sie zu finden, gesucht, gingen sie jammernd zurück.

[368] Jene zogen noch weiter und fanden in einem Walde einen Haufen zankender Tschädkürn und sprachen: »Worüber zankt Ihr Euch wohl?«

»Ich, riefen sie Alle, habe mich dieser Stiefel bemächtigt!« »Wozu dienen diese Stiefel?« fragten sie.

»Wer diese Stiefel anzieht, versetzten die Tschädkürn, erreicht das Land, das er wünscht.«

»Nun, hieß es, so begebt Euch an jenen Weg, und wer zuerst laufend hieher kommt, soll diese Stiefel bekommen.«

Auf diese Worte liefen die Tschädkürn, aber die Stiefel waren in den Busen des Begleiters gesteckt, der auf dem Kopfe die Mütze hatte. Die Tschädkürn sahen die Stiefel nicht mehr, suchten vergebens und gingen zurück.

Hierauf zogen der Fürst und sein Begleiter die Stiefel an, Jedweder Einen, und wünschten sich nach dem Wahlplatze eines khanischen Reichs. Sie wünschten und kamen an, und legten sich schlafen, und früh am Morgen erwachend, befanden sich Beide in der Höhlung eines großen Baumes, mitten auf dem Wahlplatze des Reichs, wo eben das Volk versammelt war, einen heiligen Baling zu werfen. »Auf weßen Kopf der Baling fällt, sagte das Volk, der sei unser Khan.«

So sprachen sie werfend, aber der Baling des Schicksals fiel auf den Baum.

»Was ist das? sprach das Volk verwundernd; erwählet zum Khan ist ein Baum?« – »Laßet uns sehen, hieß es von Andern, ob nicht der Baum etwas Fremdes verberge?«

Als sie nun nachsahen, traten der Khanssohn und der Begleiter hervor. Aber das Volk stand im Zweifel und fragte: »Wer soll denn nun Khan sein?«

[369] »Laßet es den sein,« sprach der Begleiter, »denn er ist schon eines Khans Sohn und speiet Gold, ich aber bin eines armen Mannes Sohn und speie nur Erz.«

Da sagte das Volk: »So soll er denn Khan sein, du aber sei sein Minister.«

In der Nähe des khanischen Palastes befand sich ein hohes Gebäude und jeden Tag begab sich die Khanin dahin. »Warum, dachte der Minister, geht wohl jeden Tag in diese Wohnung die Khanin?«

So denkend setzt er die Mütze auf und folgte der Khanin durch die geöffnete Thüre von einer Treppe zur andern, bis zu dem Dache hinauf. Sie legte Kißen und Polster aufeinander, bereitete mancherlei Getränke und Speisen und zündete zum Wohlgeruch Weihrauch und Kerzen an. Der Minister aber setzte sich mit der unsichtbar machenden Mütze in einen Winkel und blickte nach allen Seiten umher.

Bald darauf entschwebte dem Himmel ein großer reitzender Vogel. Die Khanin empfing ihn mit duftenden Kerzen. Der Vogel setzte sich erst auf das Dach und sang lieblich, dann kam er zur Khanin und lagerte sich auf die seidenen Polster und genoß von den Speisen und Getränken.

Der Vogel sprach mit der Khanin und sagte: »Nun bist du Gemahlin des Khans, den dir das Schicksal beschied; doch was hältst du von ihm?« Die Khanin antwortete: »Ich kenne den Fürsten zu wenig, um von seinen Vorzügen und Mängeln zu sprechen.«

Die Zeit war vorübergegangen; die Khanin hüllte sich in ihre Kleider und ging in den Palast zurück.

Am folgenden Tage folgte der Minister der Khanin wie das vorigemal und vernahm diese Worte: »Morgen will ich als Wundervogel, [370] deinen Gemahl besuchen.« Die Khanin aber sprach: »Es sei also.«

Als die Zeit vorüber war, kehrte die Khanin zurück, aber der Minister erzählte seinem Herrn Alles, und sie hielten Rath, den Vogel zu tödten. Als nun am andern Morgen der Vogel kam, fing ihn der Minister, der die Mütze aufhatte, und der Khan hieb ihm mit dem Schwerdte den Kopf ab. Dann wurde der Vogel ins Feuer geworfen, und als er anfing zu brennen, verwandelte er sich und wurde zum Jüngling von unvergleichlicher Bildung. Als der Jüngling erkannt ward, war er der Bruder der Khanin.

Unsichtbar in der Mütze ging oft der Minister umher und sahe, was sich begab. Sich nahend einem Hause erblickte er durch eine Spalte der Thür einen Menschen, der ein Eselsbild ausbreitete und sich auf dem Bilde umherwälzend, erhielt er die Gestalt eines großen Esels und lief als Esel umher und schrie wie ein Esel. Dann wälzte er sich von neuem und erschien wieder in Menschengestalt. Zuletzt nahm er das Papier, rollte es zusammen und steckte es in die Hand eines Burchans (Götzenbild).

Der Mann kam heraus; der Minister aber ging unsichtbar hinein und eingedenk der schlechten That in der Branntweinshütte, geht er zu der Branntwein verkaufenden Mutter und ihrer Tochter und sprach mit verschlagenen Worten: »Euch für Eure Wohlthat zu lohnen bin ich zu Euch gekommen.« Mit diesen Worten reichte er den Weibern drei Goldstücke, und die Weiber sprachen: »Du bist wirklich ein guter Mensch, aber wie bist du wohl zu dem Golde gekommen?«

Der Minister antwortete: »Hin und her mich wälzend auf diesem Papiere, habe das Gold ich erlangt.«

[371] Nach diesen Worten sagten die Weiber: »So vergönne uns doch, daß wir uns ebenfalls wälzen.« Beide wälzten sich und wurden in Esel verwandelt.

Der Minister führte die Esel zum Khan und der Khan sprach: »Gib sie hin, daß sie Erde und Steine tragen, so sind sie bestraft.« So sprach er, und die Esel mußten drei Jahre Erde und Steine tragen und ihr Rücken ward wund und mit Blut und Eiter bedeckt. Da sahe der Khan ihre Augen voll Thränen und sprach zu dem Minister: »Quäle die Thiere nicht mehr, sie sind nun genug gestraft.«

Hierauf holte der Minister das Papier, und als sie sich darauf herumgewälzt hatten, waren sie zu zwei zusammengeschrumpften Weibern geworden. Aber der Khan ließ sie ernähren.

Fußnoten

1 Nach der Sitte der Lama Religion, wo ein Fürstensohn, der sich fürs Volk aufopfert, wie ein göttliches Wesen angesehen wird; ich denke mit großem Recht.

29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

29. Kodadad.

Ein König von Babylon war gewaltig mächtig, denn er war ein König und hatte viele Titel, und das ganze große Land, welches nach seinem Bedünken blos für ihn geschaffen war, stand ihm mit allen Menschen und Schätzen zu Gebote. Also wollt er überall seinen Willen haben, eben sowohl als der liebe Gott, oder noch ein Bißchen mehr. Uebrigens war er, bis auf die ungnädigen Launen, ein sehr gnädiger Herr, und seine Unterthanen liebten ihn, und waren unmenschlich patriotisch. Auch war ihnen der Patriotismus zu allem Ueberfluß noch anbefohlen.

Er hatte von seinen Gemahlinnen neun und vierzig Prinzen, die schönsten, scharmantesten und liebenswürdigsten jungen Herrn in [372] der Welt. Er wollte aber nun durchaus funfzig Prinzen haben, damit das halbe Hundert voll sei, und als die zuletzt genommene Gemahlin ihm auf seinen Befehl den funfzigsten nicht brachte, fing er an sie zu verabscheuen, und verstieß sie nicht nur als eine Ungehorsame und Widerspenstige, sondern wollte auch die Erde von solch einem Ungeheuer gesäubert wißen, und der Großvezier hatte alle Beredsamkeit nöthig ihr nur das Leben zu retten, und ihr einen Aufenthalt bei dem König Samer, ihrem Verwandten, zu bewirken.

Sie war aber wirklich guter Hoffnung von ihrem Gemahl und brachte einen Prinzen, zehnmal so schön und liebenswürdig vom ersten Lebenstage an, als seine Brüder allzumal. Als das der König von Babylon erfuhr, war er sehr froh, denn sein Wille war ja geschehen. Er befahl ihn Kodadad zu nennen, und ihn bestens zu erziehen, bis er ihn zu sich fordern würde.

Kodadad lernte Alles, was ein Prinz wißen muß, reiten und fechten, schwimmen und jagen und schießen und so zierlich und hofmanirlich und fürstlich seine Worte und Redensarten setzen, daß er schon im achtzehenten Jahre ganz vollkommen und allgemein bewundert ward. Vor Allem aber zeichnete sich sein edler, angestammter Heldenmuth aus.

Eines Tages trat er vor seine Frau Mutter und redete also: »Gnädigste Frau! mir ist es hier schon lange zu enge. Ich fühle, daß ich aus königlichem Blut stamme und es unrühmlich für mich ist, hier der Ruhe zu pflegen, indeßen der König, mein Herr Vater, von seinen neidischen Nachbarn angefallen wird. Meine Brüder werden den Ruhm seiner Schlachten mit ihm theilen; aber warum würdigt er mich nicht an seiner Seite zu fechten? – Ich will als ein Unbekannter meine Dienste ihm anbieten; er wird sie annehmen, und wenn ich tausend ruhmwürdige Thaten werde gethan [373] haben, dann wird er seiner mich werth finden, und dann erst will ich mich ihm entdecken.

Diese Rede machte auf seine Mutter und auf den König Samer gewaltigen Eindruck und sie ließen ihn ziehen, obwohl die Mutter viel Thränen weinte.

Kodadad ritt ein milchweißes Pferd mit Zügel und Hufeisen von Gold, und blauer Atlasdecke mit Perlen überstreut. Der Griff seines Schwerdts war ein einziger Diamant, und Rubinen besetzten die silberne Scheide. Köcher und Bogen, die er auf den Achseln trug, waren mit Steinen und Perlen besetzt. Nur waren nach seinem ungemeinen Scharfsinn die Schneide des Schwerdts und die Spitze der Pfeile nicht damit besetzt.

In diesem Aufzuge sahe man gleich, was für eine Art Prinz er war, und so konnte es keine Schwierigkeit haben, dem Könige von Babylon vorgestellt zu werden, welcher von seiner schönen Liebenswürdigkeit, von seinem milchweißen Pferde, von seinen prächtigen Waffen und von seinen tapfern Redensarten so bezaubert wurde, daß er ihm eine hohe Anstellung in seiner Armee gab.

In der nächsten Schlacht hatte er sich mit Heldenruhm bedeckt; er war mit seinem Geschwader überall gewesen, wo es mißlich stand; er hatte seine Soldaten zum Muth mit gewaltiger Stimme angefeuert; ja, er hatte kühnlich auf sie eingehauen, wenn sie nicht auf den Feind einhauen wollten; mit einem Worte, Ruhm und Glück des Tages gehörten ihm am meisten an. Aber zu erkennen gab er sich noch nicht, denn sein edles Gemüth hatte sich selbst noch nicht genug gethan.

Er wurde der Liebling des Königs, seines Vaters, der sich nicht mehr von dem lieblichen Angesicht und von den geistvollen Reden dieses Angesichts trennen konnte. So ward er denn auch der [374] Liebling des Hofes, deßen erste Minister ihn täglich besuchten, sich seines Wohlseins zu versichern und ihre Ergebenheit ihm zu bezeugen; so ward er der Liebling des Heeres und des Volks. Der König vertraute ihm sogar die Oberaufsicht über die neun und vierzig Prinzen, seine Brüder, und glaubte ihn dadurch am höchsten zu ehren.

Daß der König ihn so sehr liebte, verdroß schon die Prinzen, aber als er nun gar ihr Hofmeister wurde, fingen sie an höchst erbittert auf ihn zu werden, um so mehr, da er nicht nur eben so jung war als sie, sondern auch aufs Hofmeistern sich recht gut verstand.

Wie sollten sie seiner nun los werden? – Gern hätten sie ihn ermordet, aber das war nicht thulich. »Laßt uns ihn mit List ins Verderben locken,« sprach der Eine, der von den Hofpagen und Kammerjunkern und Offiziren der Leibwache mancherlei List gelernt hatte. Wir bitten den Oberhofmeister um Erlaubniß zur gefahrlosen Jagd; er gewährt sie, wir aber wenden uns zu einer entfernten und unbekannten Stadt und verweilen dort eine Zeitlang. Der König wird unseres Ausbleibens wegen unruhig; er wird ängstlich; er wird grimmig gegen unsern Herrn Aufseher, und läßt er ihn nicht hinrichten, welches am vernünftigsten wäre, so jagt er ihn doch gewiß zum Popanz, und wir sind ganz unschuldig!«

Die Brüder erstaunten über den Witz dieses Anschlags und priesen denselben, und erbaten sich Erlaubniß zur Jagd, die sie unter dem Versprechen deßelben Tages wieder zu kommen erhielten.

Sie waren drei Tage abwesend, als der König nach ihnen fragte und Kodadad ihm sagte, sie hätten auf Einen Tag Erlaubniß zur Jagd erhalten. Der König wurde zwar unruhig, jedoch meinte er, neun und vierzig wohlbewaffneten starken jungen Leuten könnte eben kein großer Unfall begegnen. Als er jedoch am siebenten Tage [375] die Prinzen noch nicht wiedersahe, wüthete er auf den Oberinstructions und Edukationsmeister ein und sagte: »Du Hund von einem Fremdling, mußt du Königssöhne so ziehen laßen, ohne sie zu begleiten. Mißbrauchst du also meiner Gnade? Schaffe sie in Kurzem herbei, oder dein Verderben soll gewiß sein.«

Kodadad eilte aus der Stadt und suchte die Verlornen allenthalben, zwischen Bergen und in Thälern, in Städten und Dörfern, in Palästen und Hütten und fand sie nicht, und war untröstlich darüber.

Nach einigen Tagen Umherirren kam er in eine große Ebene, in deren Mitte sich ein Palast von schwarzem Marmor erhob. »Dort sind sie vielleicht,« hoffte er, und eilte dem Palaste zu, der überall mit ehernen Thoren dicht und fest verschloßen war, und in demselben wohnte die traurige Stille des Todes. Aber an einem Fenster erblickte er eine Dame von hoher Schönheit, so schön wie in einem Mährchen, aber mit Haaren, die verwirrt bis über die Mitte des Leibes herabhingen und mit zerrißenen Kleidern. »Flieh, Jüngling, flieh! rief sie ihm zu; flieh eilends. Erblickt dich der scheußliche Negerriese, so ists um dein Leben geschehen. Er säuft Menschenblut und frißt die Armen, die in seine Hand fallen, und hat einen Tigerkopf mit gräßlichen Zähnen.«

»Seid unbesorge, schöne Dame, sagte Kodadad, und sagt dagegen mir nur, wer Ihr seid?«

Wie eilig die Eil auch war, Unheil abzuwenden, konnte sie doch dem hübschen Milchbart die Antwort nicht versagen. Sprechen ist doch gar zu süß, und Sprechen von sich selbst am allersüßesten.

»Ich bin eine vornehme Jungfrau aus Kairo, sprach sie [376] und wollte nach Bagdad, aber unweit dieses Schloßes traf mich der Schwarze, schlug meine Leute todt, fraß zweie davon auf und führte mich hieher. Und nun verlangt das Ungeheuer, ich soll ihn zum Gemahl erwählen, oder sterben. Was soll ich Aermste, thun? – – Aber rette dich doch! Was säumest du hier? Der Neger kommt gleich zurück.«

Der Neger war schon zurück und erschien so eben auf einem großen schwarzen Pferde, und der Prinz entsetzte sich über den Unhold, aber er floh nicht, sondern zog kühn sein Schwerdt.

»Ergib dich, kleiner Sperling, sagte der Neger; ich thue dir nichts, ich will dich blos freßen, und das erkenne als Wohlthat. Sieh! ich habe alle Unterthanen meines Reiches aufgefreßen und sie haben es Alle als Gnade erkannt, weil ich es also verlangte.

»Heran, du witzelnder Bösewicht,« rief Kodadad, »dein Leben zu vertheidigen.« – Sie trafen an einander und der Riese empfing eine tiefe Wunde über das Knie, die so sehr schmerzte, daß er ein lautes Gebrüll erhob, von welchem Wald und Ebene bebten.

Er nahm seinen Säbel, um mit aller Kraft dem Gegner solch einen Hieb zu versetzen, daß ein zweiter nicht nöthig wäre; aber der Prinz, im geschickten Ausbeugen aller Art, vom Hofe her, sehr geübt, beugte aus; der Säbel sauste durch die Luft, und ehe der Riese denselben zum zweitenmale erheben konnte, lag sein Arm mit dem Säbel auf der Erde, und der Neger stürzte so laut nieder, daß Alles umher erbebte, und ehe er sich aufraffen konnte, hatte der mannliche Held Kodadad den Tigerkopf vom Rumpfe abgehauen.

Die Dame, die dem Kampfe ja hatte zusehen müßen, erhob ein Freudengeschrei und rief ihm zu: »Wahrhaftig, Ihr müßt ein Prinz sein, so hoch und gewaltig ist Eure That. Vollendet Eure hochherzige Edelthat; nehmt die Schlüßel des Palastes und der Gefängniße [377] aus den Taschen des Ungeheuers und gebt uns Allen die Freiheit.

Er schloß die Pforte des Eingangs auf, wo ihm die Dame schon entgegen kam und mit kniendem Dank vor ihm niederfallen wollte, welches er freilich nicht zugestand, weil er wohl gelernt hatte, was sich schickte und ziemte.

Indem sie im Gespräch begriffen waren, hörte der Prinz ein Jammern und Wehklagen, und man berichtete ihm, es seien die an Ketten liegenden, im finstern Kerker schmachtenden Gefangenen, von welchen das Ungeheuer sich täglich Einen herausgeholt hätte zum Fraß.

Er nahete sich mit seinen Schlüßeln und hörte das Geheul nun entsetzlich werden, denn Jeder von den Eingesperrten fürchtete, ihn möchte das traurige Loos treffen, von dem Wüthrich verzehrt zu werden. Als sie aber einen menschenfreundlichen Erretter fanden, da verwandelte sich das Geschrei in einen Freudenruf und in Ausbrüche des Entzückens. – O! das läßt sich ja denken!

Wie erstaunte der Prinz, unter den Gefangenen, als sie erst ans Licht gekommen waren, alle seine Brüder zu finden, und keinem anders als ungefreßen.

O! mit welchen schönen Worten bezeigte er ihnen seine Freude, sie aber dagegen ihre Dankbarkeit; Alle aber erhoben die Tapferkeit und Großmuth des Erretters.

Jetzt wurden die Raubschätze des Negers, deren unermeßlich viel waren, aufgesucht und hervorgebracht, und Jedermann nahm, was ihm gehört hatte. Kameele, Pferde und Esel, die ebenfalls der Neger geraubt hatte, waren in Menge vorhanden, um die Waaren fortzuschaffen.

Sie zogen ab, nach allen Erdgegenden zu, mit tausend Danksagungen [378] gegen den Prinzen, nur die Dame blieb zurück. Kodadad fragte dieselbe, wohin sie wünsche, denn er werde sie nimmermehr ziehen laßen, ohne sie zu begleiten. Daßelbe versicherten die übrigen neun und vierzig Prinzen.

Da fing die Dame jämmerlich an zu jammern und sagte: sie wünsche eigentlich aus der Welt, denn sie sei eine vertriebene Königstochter, und habe nun gar keine Heimath, und wiße nirgends hin; man möge sie ihrem unglücklichen Schicksal überlaßen. Kodadad erwiederte, eine Dame von ihrer Schönheit und von solchen vortrefflichen Eigenschaften werde überall eben so viel Liebe als Verehrung finden, und die Achtung der Welt gewinnen; aber wenn sie die Hand ihres Befreiers nicht zu gering hielte, so könnten sie ja sogleich Hochzeit machen in dem Schloße des Negers, und die Prinzen könnten Zeugen sein.

Also geschahe es, denn die Dame liebte nicht viele Umstände. Küchen und Keller waren im Negerschloße wohl versehen und überhaupt fehlte nichts, um ein Freuden- und Ehrenmahl auszurichten.

Nachdem sie sich alle so satt gegeßen und getrunken hatten, daß sie nicht mehr konnten noch mochten, rasteten sie eine Nacht, sich von allem Ungemach zu erholen. Am andern Morgen nahmen sie ein leichtes Frühstück, packten so viel Vorräthe auf, als sie fortbringen konnten und vergaßen insonderheit der Weinschläuche nicht.

So zogen sie lustig und wohlgemuth fort und waren nur noch eine Tagereise von Babylon. Da lagerten sie sich in einer schönen und anmuthigen Ebene, und weil sie große Liebhaber von Naturfreuden waren, indem in der schönen und lieblichen Natur alle Speisen und Getränke lieblicher schmecken, so ließen sie es sich recht [379] wohl sein und sprachen den Schläuchen so oft zu, bis der letzte Tropfen geleert war.

Da konnte es Kodadad nicht über das Herz bringen, sich seinen Brüdern länger zu verheimlichen und glaubte, sie würden unendlich froh sein, wenn sie in ihm den funfzigsten Bruder fänden. O! er hätte noch einen Tag schweigen sollen, bis sie wieder an dem Hofe des Vaters gewesen wären, aber er war ja von Liebe und Wein berauscht. Weil er die Prinzeßin besaß, und Wein genug getrunken hatte, vergaß er, daß er eigentlich seinem Vorsatze gemäß noch 998 rühmliche Thaten zu vollbringen gehabt hätte, ehe er sich entdecken durfte.

Des Nachts, als Kodadad und seine Gemahlin in ihrem Gezelte schliefen, hielten die Brüder heimlichen Rath ihn zu erwürgen. »Es bleibt uns, sagten sie, nunmehr nichts Anders übrig. Der König liebte ihn so schon mehr als uns; wie wird er ihn jetzt lieben, wenn er ihn als einen Sohn erkennt, und als einen solchen Sohn, der allein einen Riesen besiegte, welchen wir neunundvierzig zusammen zu bewältigen, nicht glaubten im Stande zu sein. Gewiß macht er ihn zum Erben seiner Krone, zur beschimpfenden Erniedrigung für uns Alle, die wir uns dann an den Stufen seines Thrones in den Staub werfen müßen.«

Die Brüder eilten in Kodadads Zelt und durchbohrten ihn mit vielen Stichen, zogen davon und kamen an den Hof des Vaters, der über die schon verloren gegebenen Söhne hoch erfreut war.

Sie sagten dem Vater von dem Riesen eben so wenig als von Kodadad, sondern wandten zur Entschuldigung des langen Ausbleibens nur das vor, daß sie der Begierde nicht hätten widerstehen können, die Welt ein wenig zu besehen, und baten den Vater um Verzeihung [380] und erhielten dieselbe in der Freude, in welcher er war, sehr leicht.

Indeßen lag Kodadad in seinem Blute, und seine Gemahlin erfüllte die Luft mit ihren Jammerklagen. »O du armer Kodadad, rief sie, warum hast du dich mit mir verbunden? Ich habe dich mit in das Unglück verstrickt, zu dem ich einmal geboren bin. O, der heillosen, undankbaren Brüder! wie konntet Ihr einen Bruder ermorden, der Euch das Leben errettet hat. Wie höllenschwarz müßen Eure Seelen sein!«

So klagte sie mit mancherlei Worten, allein sie war verständig genug zu wißen, daß alles Klagen keine Hülfe schafft, die hier vielleicht doch noch möglich sein konnte, indem der Verwundete noch einigermaaßen zu athmen schien.

Sie lief nach einem großen Dorfe, welches in der Nähe war, suchte einen Wundarzt und fand einen, einen erfahrnen und gutmüthigen Mann, mit welchem sie zurückeilte. Aber, welch ein neuer Jammer! Kodadad war fort. Sie glaubte, ein wildes Thier habe ihn fortgeschleppt und zerrißen, und erneuerte ihr Wehgeschrei so schmerzlich, daß es dem guten Wundarzt das Herz zerriß. Er nahm die arme Verlaßene in sein Dorf und in sein Haus mit zurück, und begegnete ihr mit Sorgfalt und Achtung. Sie blieb mehrere Tage in ihrem stillen seufzenden Gram, oder in ihrem lauten Jammer, und wenn der gutherzige Wirth sie trösten wollte, wurde ihr Schmerz nur noch wilder. Der gute Mann, obwohl er ein Wundarzt war, bedachte nicht, daß manche Wunden erst ausbluten müßen, ehe sie anfangen zu verheilen, und daß der Schmerz seine Zeit hält.

Er fing es anders an. Er bat sie, sich ihm zu vertrauen, und ihm ihr ganzes Schicksal zu offenbaren. Vielleicht ergäben sich Mittel [381] der Hülfe oder der Rache – und sie erzählte ihm Alles. Das war das rechte Mittel ihrer Quaal eine Linderung zu schaffen. Das Herz fühlt sich immer erleichtert, wenn es mitleidigen Seelen seine Noth erzählen darf, und jedes Stück der Erzählung nimmt ein kleines Stück des Jammers mit fort.

Sie hatte ihm Alles eröffnet. Darauf sagte er: »Ihr müßt Euren Gemahl an diesen Buben rächen. Ziehet an den Hof des Königs; ich bin überzeugt, Ihr findet Gehör und Gerechtigkeit, und, wenn Ihr es wünscht, so begleite ich Euch als Euer Stallmeister und auch als eine Art Zeuge.«

Sie zogen fort und herbergten in der ersten Karavanserei der Königsstadt. Man fragte den Wirth, wie es bei Hofe zugehe? »Da geht es jämmerlich und erbärmlich zu, antwortete dieser. Der König hat einen Sohn gehabt, der längere Zeit unbekannt an seinem Hofe lebte und unbekannt der Oberhofmeister der andern Prinzen war. Die Mutter deßelben, die lange Zeit bei einem ihrer Verwandten gelebt hat, ist jetzt bei ihrem Gemahl, unserm König. Beide Aeltern haben den Sohn in aller Welt suchen laßen, aber nirgends von ihm nur eine Spur aufgefunden, und Beide sind untröstlich. Es sind zwar noch neun und vierzig Prinzen da, allein das sind hämische Bengel, welchen Niemand gut ist. Gott sei uns gnädig, wenn einmal Einer davon auf den Thron kommt. – Jedoch davon darf man nicht sprechen, denn die Herren am Hofe befehlen schon, was ein Unterthan sprechen und was er nicht sprechen muß. Also! reinen Mund gehalten!«

Nach diesem Berichte des Wirthes sahe der Wundarzt wohl, wie verschwiegen man sein müße, damit die Herren Prinzen nichts erführen, welchen es nach dem Brudermord um ein Paar Mordthaten mehr wohl eben nicht ankommen mochte.

[382] Er ging an den Hof, besahe sich, unter dem Vorwande seine Neugier zu stillen, Dieß und Das und sprach mit Dem und Jenem. Da kam eben Kodadads Mutter, Pirusen genannt, mit ihrem Gefolge daher, um in den Tempel zu gehen, und dort zu beten und Allmosen auszutheilen. Der Wundarzt folgte ihr, und bei der Rückkehr aus dem Tempel trat er zu einem Sklaven und sagte: »Bruder! ich habe der Königin ein Geheimniß zu offenbaren; könnte ich nicht durch Euch zu ihr geführt werden?« – »Ja! antwortete der Sklav, wenn Euer Geheimniß den Prinzen Kodadad betrifft, sonst aber gewiß nicht; denn sie will von nichts Anderem in der Welt hören, als nur von ihm.« – »Eben von ihm möchte ich mit ihr sprechen,« versetzte der Wundarzt. Darauf erwiederte der Sklav: »So folgt mir nur dreist, ich werde Euch melden.«

Der Wundarzt erhielt sogleich Zutritt und erzählte der Königin die traurige Geschichte. Als diese von dem Meuchelmord des Sohnes hörte, erblaßte sie und fiel wie todt nieder. Mit großer Mühe erholte sie sich wieder, besann sich einige Augenblicke und sagte zum Wundarzt: »Gehet wieder zu der Prinzeßin, der Gemahlin meines unglücklichen Sohnes, und meldet ihr, der König werde sie bald als Schwiegertochter erkennen: Eure Treue aber soll nicht unbelohnt bleiben.«

Pirusen überließ sich nun ihrem Jammer ohne Rückhalt, und klagte laut um ihren Sohn. Die Heftigkeit ihres Schmerzes hatte sich noch nicht gemildert, als der König in ihr Gemach trat und bald genug die schreckliche Geschichte ausführlich berichtet erhielt!

»Die Ungeheuer, rief er, die teuflischen Ungeheuer! Brut der Hölle! ich will euch euer Gift nehmen!«

Im höchsten Grimm herrschte er dem Vezier zu, tausend Trabanten zu nehmen, die Prinzen zu verhaften, und in den Thurm [383] zu sperren, welcher das Gefängniß der Mörder war. »Haßan, sagte er zu dem Vezier; du haftest mit deinem Kopfe, daß keiner von ihnen entkomme.«

Der Befehl war vollzogen, und der Vezier mußte nun die Gemahlin Kodadads auf einem weißen Maulthier im prächtigen Gefolge herbeiführen. Der Wundarzt mußte sie auf einem prächtigen Tartarpferde auch mit begleiten. Man kann sich schon denken, daß Alles vergoldet, verdiamantnet und verrubint war; daß das Volk jubelte und jauchzte, und alle Welt über die sonnenstrahlende Schönheit der Dame fast erblindete, und braucht das nicht eben allemal besonders erzählt zu werden, weil es sich ohnedieß allemal also gehört.

Wie es ihrem Range gebührte, so wurde die Prinzeßin von dem Könige empfangen, der ihr schon an der Pforte des Palastes entgegen kam. Dennoch war es ein trauriger Empfang. Die junge Königin warf sich dem Könige zu Füßen, benetzte dieselben mit Thränen und schluchzte; Pirusen wehklagte laut und der König sahe mit stummen, starrem Schmerze wie ein Verzweifelnder zu. Die junge Fürstin faßte sich zuerst und forderte Gerechtigkeit gegen die Mörder ihres Gemahles, obwohl sie Prinzen vom Geblüte wären.

»Mörder sind Mörder! sagte der König, und solches Gezücht muß von der Erde vertilgt werden. Uebrigens will ich meinem Sohn, obwohl uns sein Leichnam fehlt, erst ein Leichenbegängniß halten laßen.«

Es wurde ein Dom in einer großen Ebene erbauet und unter einem Gewölbe ein Grabmal errichtet zum Andenken des Verstorbenen, mit einem Bildniße dar auf, welches ihn vorstellen sollte.

In kurzer Zeit war der Dom fertig, denn man hatte viel Arbeiter angestellt. Der Tag des Traueraufzugs erschien, der König [384] voran und die Großen seines Hofs hinter ihm. Sie gingen in den Dom und lagerten sich auf den schwarzen goldgeblümten Atlasteppich, mit welchem der Fußboden belegt war. Hierauf eilt eine Schaar Trabanten mit Trauerfloren dreimal um den Dom mit gesenktem Haupte und klagte: »O du Held, warum können dir unsere Schwerdter nicht mehr nützen? Ach, warum hat der König der Könige geboten, und der Todesengel hat ihm gehorcht! O Kodadad!«

Es kamen nun hundert Greise mit ehrwürdigen weißen Bärten und ritten auf schwarzen Maulthieren. Einsiedler waren es und fromme Heilige, deren Jeder ein heiliges Buch auf dem Haupte trug, das er mit der einen Hand hielt. Sie ritten dreimal um den Dom und klagten: »Ach warum bist du nicht so alt geworden als wir? Warum können dich unsere Gebete nicht mehr erwecken? Aber der Herr des Lebens hat dich gerufen! O! Kodadad!«

Es kamen hundert Jünglinge und Jungfrauen auf weißen Pferden und ritten dreimal um den Dom und sagten weinend: »Ach, warum lebst du nicht mehr, wie wir, und blickst deine Brüder und Schwestern nicht an? Aber die Jugend verblüht und die Stärke schlief ein. O Kodadad!«

Es kamen hundert Kinder, Knaben und Mädchen, mit Kränzen von Zypreßen und Rosen, und zogen dreimal um den Dom und klagten: »O wer soll unser Vater sein, da du bist hingegangen in die Tiefe? Aber die Blätter verwelken und die Blumen verblühn bald. O Kodadad.«

Darauf erhob sich der König mit seinem Hof und sie gingen dreimal herum, aber der König konnte nur jammern und weinen und rufen: »O mein Sohn! mein Sohn Kodadad!«

[385] Vierzehn Tage dauerten die Todtengebete um den Entschlafenen in den Tempeln. Am funfzehnten sollten die gefangenen Prinzen hingerichtet werden, und das Volk wartete mit Ungeduld darauf, und die Gerüste wurden schon errichtet. Aber in der Nacht liefen schlimme Nachrichten ein, und der König berief seinen Divan (Staatsrath). Noch in der Nacht bekamen die Vezire und Emirs Befehl mit ihren Soldaten aufzubrechen und mit dem frühesten Morgen zog der König mit seinen Hauptleuten und Armeen selbst aus. Es hatten sich nämlich die von Kodadad besiegten großen und kleinen Fürsten aufs neue gegen den König von Babylon verbunden und hatten Alles so heimlich gehalten, daß sie nur noch vier starke Tagereisen von der Hauptstadt entfernt waren.

Es kam bald zu einer Hauptschlacht. Muth und Tapferkeit waren von beiden Seiten einander gleich; des Würgens war viel, und der Sieg schwankte bald auf dieser Seite und bald auf jener. Zuletzt wandte er sich auf die Seite der Feinde, und Babylons Macht war beinahe so umwickelt, daß der größte Theil der Armee sich hätte ergeben müßen, als große Schaaren Reiter dem Feinde in den Rücken fielen und ein entsetzliches Metzeln und Würgen unter den Erschrockenen begann. Die Verwirrung wurde bald bei dem Feinde allgemein.

Der König von Babylon, deßen Heer durch die unerwartete Hülfe neuen Muth bekam, griff wieder mit frischem Feuer an und in kurzer Zeit war die Niederlage vollendet.

Der König bewunderte die Reiter, deren Muth er den Sieg verdankte und war begierig den Anführer kennen zu lernen. Dieser kam ihm bald entgegen und es war Kodadad! Der König wurde stumm und stark vor Schrecken und Freude, [386] einen geliebten Menschen zu sehen, deßen Todtenfeier er schon begangen hatte. Er fiel ihm laut schluchzend in die Arme und rief: »O mein Sohn! mein lieber Sohn! O Kodadad!« Dann rief er: »O, wie hat mich der Himmel so lieb, daß ich dich an mein Herz drücken kann. Ich weiß Alles, mein Sohn! Alles! deine Tapferkeit, deinen Edelmuth und die Schändlichkeit deiner Brüder, die aber, sobald wir zurück sind, ihren Lohn empfangen sollen. – Und wie wird deine Gemahlin sich freuen, die bei deiner Mutter in meinem Palaste ist!« Als Kodadad das hörte, ward er entzückt.

Der König sandte fliegende Boten voraus, und das Gerücht von dem, was sich begeben hatte, war in zwei Stunden im Palast und in der Stadt verbreitet.

Als sie nach einigen Tagen in die Stadt einzogen, rief das jubelnde Volk: »O Kodadad! O Heil dir! Heil dir Kodadad! Und der König ließ dem Volke die herrlichsten Freudenfeste veranstalten.

In dem Palaste war ein lautes Getümmel, als sie ankamen. Die Freude und die dazu gehörigen Thränen floßen in Strömen. Nachdem der Rausch der ersten Entzückungen vorüber war, mußte Kodadad erzählen, wie er gerettet worden sei, und wie er im rechten Augenblick habe können zu Hülfe kommen?

»Ein mitleidiger Bauer, erzählte Kodadad, sieht mich blutend in dem Zelte liegen, nimmt mich auf sein Maulthier und führt mich in sein Haus. Wirksame Heilkräuter sucht er, quetscht sie und legt sie auf meine Wunden. In acht Tagen war ich wieder hergestellt. Ich blieb bei ihm und zeigte ihm meine Erkenntlichkeit durch einige Diamanten. Bald war ich mit den gutmüthigen Bewohnern in der Umgebung bekannt, und weil ich [387] noch Edelsteine genug hatte, um ihnen wohlzuthun, auch beliebt. – Zufällig drangen die Gerüchte von dem Bündniße der Fürsten gegen meinen Herrn und Vater bis zu uns; ich stellte Kundschafter aus, und da ich die Anstalten erfuhr, welche die Fürsten machten, wurden mir die Gerüchte bald zur Gewißheit.

Jetzt gab ich mich zu erkennen. Ich fand viel Liebe, denn man hatte von meinem Glücke in der ersten Schlacht, und von der Erlegung des gefürchteten Riesen gehört. Ich reiste umher; ich feuerte die jungen Leute an; sie stellten sich willig zur Vertheidigung des Vaterlandes, und bald fanden sich mehr, als ich nöthig zu haben glaubte. – So ist der Verlauf der Sache.«

Neue Entzückungen, Bewunderungen, Lobpreisungen! aber auch neuer Grimm des Königs gegen die Prinzen. Morgen sollten sie hängen. Aber Kodadad und seine Mutter baten sie mit dringenden Bitten beim Könige vom Tode los.

Er schenkte ihnen das Leben; ließ sie aber in einem wohlverwahrten Schloße unter Aufsicht. Sie durften überall umhergehen, wohin sie wollten, aber nur daß die Wache bei ihnen war, und sie dem Vater nie vor Augen kommen durften.

Das Volk fluchte ihnen, wo es sie sahe; es folgte ihnen mit Verwünschungen und Steinregen nach; es rief: »Mörder! Höllenbrut! schändliche Brüder!«

Mehrere von ihnen vergifteten sich; einige starben vor Aerger oder vor Gram; die meisten entflohen in einem günstigen Augenblicke, aber wohin sie sich auch zerstreueten, waren sie wie geächtet und fanden nirgends Hülfe und Dienst. Sie quälten das Leben so hin. Aber der ehrliche Wundarzt blieb bei Kodadad, der den Thron erbte.

30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[388] 30. Das Zauberpferd.

In der uralten Heidenzeit wurde in Persien das Fest des Neujahrs mit großen Gelärm, mit Schauspielen, Tänzen und Gaucklerkünsten, mit Klang und Sang, mit Saus und Braus und Schmaus wohl vierzehn Tage hintereinander gefeiert, und vierzehn Tage gingen noch nachher darauf, sich von den Freudenfesten zu erholen.

Dieses Fest zog viele Ausländer an den Königshof nach Schiras, der alten Hauptstadt Persiens. Es kamen Prinzen, Fürsten und Herren, es kamen Gelehrte, Künstler aller Art und auch solche, die aus der Tasche in die Tasche spielten; natürlich fanden sich auch Lummerer, Müßiggänger und Pflastertreter, welchen das Jahr zu viel Tage hatte, mit welchen sie nichts anzufangen wußten, und Lungerer, die hier oder da einen guten Bißen wohlfeil zu erschnappen suchten, von allen Arten. Mit einem Worte, es kamen viel artige, feine, weltgewandte Leute, die Pracht und Herrlichkeit des Festes mit anzuschauen.

An einem der Tage dieses Festes trat vor den Thron des Königs ein Indier mit einem Pferde aus Holz, welches prächtig aufgezäumet und gesattelt, und so kunstvoll gearbeitet war, daß man es kaum von dem schönsten persischen Pferde unterscheiden konnte.

Der Indier rühmte dem König sein Holzpferd als das größeste Wunder der Welt an, dieser aber antwortete ihm: »Dein Pferd ist allerdings höchst künstlich gearbeitet, allein es gibt schon noch Künstler in meinem Lande, die ein ähnliches hervorzubringen im Stande sein würden, oder das Deinige wohl gar noch überträfen.«

[389] »Herr, versetzte der Indier, es ist auch nicht die äußere Gestalt, worin der Werth meines Pferdes beruht, sondern deßen geheimnißvoller Gebrauch. Wer mit diesem bekannt ist, kann auf demselben nach allen Weltgegenden, in sehr kurzer Zeit und schneller als ein Vogel, durch die Luft hinkommen.«

Der König, welcher der Seltsamkeiten und Wunderdinge schon viele besaß, nahm sich vor auch dieses Pferd zu besitzen, was es auch kosten möchte; doch wollte er, als ein bedächtiger Herr, zuvor erst eine Probe von der Tugend deßelben mit seinen eigenen Augen sehen.

Sogleich trat der Indier in den Steigbügel, schwang sich leicht auf das Pferd, und erbat sich des Königs Befehle, wohin er auf seinem Luftpferde reiten solle?

Etwa sechs Meilen von Schiras lag in blauer Ferne ein hoher Berg. »Begib dich dorthin, sprach der König; du wirst am Fuße dieses Berges einen Palmbaum finden, der jetzt eben in der Blüthe stehen muß; bringe mir zum Wahrzeichen einen Blüthenzweig, so werde ich über die Schnelligkeit deines Pferdes urtheilen können.«

Der Indier drehete einen Wirbel, der sich aus der Mähne des Pferdes ein wenig erhob, und im Augenblick sauste daßelbe durch die Luft hin und stieg so schnell und hoch, daß es in zwei Augenblicken die schärfsten Augen nicht mehr sahen. Das ganze Volk begleitete ihn mit lautem Jubelgeschrei.

Kaum war eine Viertelstunde vorbei, so erschien er schon wieder in der Höhe und ließ sich mit dem blühenden Zweige zur Erde herab, welchen er zu den Füßen des Königs niederlegte.

Jetzt war der König entschloßen, das Pferd um jeden Preis zu erlangen, denn solch ein kostbares Kleinod hatte er in seinem [390] Schatze nicht, und dieses allein schien ihm mehr werth, als alle übrigen Kostbarkeiten, die er besaß, zusammengenommen.

»Ich danke Dir, sagte er zu dem Indier, daß Du mich mit einer solchen Kostbarkeit bekannt gemacht hast, und um Dir zu beweisen, wie hoch ich es achte, bin ich bereit es zu kaufen, wenn Du es ablaßen willst.«

»Herr, erwiederte der Indier, ich wußte wohl, daß der mächtigste Monarch auf Erden, der seiner Weisheit wegen allenthalben gepriesen ist, mein Wunderpferd nicht nur schätzen, sondern auch zu besitzen wünschen würde, und ich bin bereit, es den hohen und edeln Wünschen Ewrer Majestät zu überlaßen. Aber ich weiß nicht, ob Ihr die Bedingung zu genehmigen geruhen werdet, unter welcher ich es allein abstehen kann. Ich habe dem Meister und Erfinder deßelben meine einzige Tochter dafür gegeben und demselben versprochen, es nur durch Tausch in andere Hände kommen zu laßen.«

»Wohl! antwortete der König, ich bin zum Tausch bereit. Wähle Dir unter meinen Provinzen und Städten eine aus, welche Dir gefällt, ich trete sie Dir ab.«

Die Gedanken des Indiers aber gingen um Vieles höher hinauf. »Herr, sagte er, verzeihet. Nur um den Besitz der Prinzeßin, Eurer Tochter, kann ich mein Pferd vertauschen.«

Die Großen des Hofs lachten theils, theils wurden sie unwillig, theils bedenklich über die ausschweifende Forderung des Indiers, der König selbst aber schien sichtlich zu schwanken. Das Pferd war einzig in seiner Art, aber die Prinzeßin in der ihrigen gar nicht. Was sollte er thun?

Als der Thronerbe Firuz Schah, ein feuriger Prinz, die Unschlüßigkeit des Vaters merkte, sagte er: »Wie? gnädigster Herr, ist es möglich, daß Ihr einen Augenblick über die vermeßene [391] Forderung dieses Gaucklers zweifelhaft sein könnet? Ich bitte Euch zu bedenken, was Ihr Eurem uralten Fürstenstamm schuldig seid; was fremde Höfe sagen würden? und ob der verwegene Indier nicht vielleicht daran denken möchte, mit der Prinzeßin ein Recht auf den Thron zu erlangen und durch nichtswürdige Künste das Reich zu erlangen, wo alsdann auch das Pferd wieder in seinen Besitz käme.«

Der Vater schwieg so still, als hätte er in unsern Tagen gelebt, wo die in kurzer Zeit weise gewordenen Söhne die Väter hofmeistern. Er schwieg still und dachte blos das Seinige, und als er genug gedacht hatte, sprach er laut: »Wir wollen Uns nicht übereilen. Auch wird es gerathen sein, noch eine Probe mit dem Pferde vorzunehmen, aber durch eine andere Person als den Indier selbst.«

Kaum hatte der König das gesagt, als Prinz Firuz, der seine Kühnheit und seinen Scharfsinn gern bewundert sahe, schon auf dem Pferde saß und durch die Lüfte, zum Erstaunen des ganzen Volkes, dahin flog, und Allen aus dem Gesicht kam.

Der Indier warf sich erschrocken vor dem Thron des Königs nieder, und sagte: »Herr, ich bürge für kein Unglück, das dem Prinzen widerfahren kann. Seine Hoheit hat ohne Zweifel wahrgenommen, daß ich beim Aufsteigen in die Luft einen Wirbel drehete. Aufgestiegen ist er nun auch, aber er hat an das Herabkommen nicht gedacht. Entdeckt er nicht noch einen sehr verborgenen Wirbel, so kommt er bis über die Sterne hinaus und fährt in den Himmel; ich aber bin unschuldig.«

»Unschuldig? Du verruchter Schwarzkünstler? brüllte des Königs Löwenzorn. Unschuldig? – Sperrt ihn in das engste und festeste Gefängniß, und ist der Prinz nicht in drei Monaten zurück, so soll er mit seinem Leben mir zahlen!«

[392] Was auch der Indier, ja selbst der Großvezier vorstellten, so half es nichts. Der Sultan beharrte dabei, was Er wolle, das sei die wahrhafte Gerechtigkeit, und alle Sultane der Welt, die jemals gewesen wären, oder jemals kommen würden, wären oder würden mit ihm gleiches Glaubens sein.

Darin hatte er Recht, und mithin wurde der Indier eingesperrt; das Fest aber endigte sich kläglich.

Prinz Firuz mit seinen hohen Gedanken stieg höher und immer höher, und es wurde ihm immer banger und banger und in der Angst begriff er, daß man zu hohe Gedanken haben und in der Welt zu hoch steigen könne.

Er stieg! Er drehete und zog an dem Wirbel hin und her, aber er stieg, und war bald über die Erde hinaus, von der er keinen Berg und kein Thal, kein Land und kein Meer mehr sahe. Das aber sahe er, daß seine Scharfsichtigkeit Blödsichtigkeit, und seine Kühnheit Dummheit gewesen sei. Er fürchtete sich die erhabene Physionomie an den Mond, oder an den Sternen zu zerschellen, oder gar über Gott hinauszukommen, über den siebenten Himmel hinaus, in die leere Unermeßlichkeit, wo die Prinzen sich eben so wenig zu finden wißen als andere Menschenkinder, wie sehr sie auch Philosophen sein mögen.

Mitten in seiner Angst dachte er: »Ich bin der Prinz Firuz, und mein Vater ist König von Persien – es kann daher mir nichts Uebels begegnen.«

Sein Glaube betrog ihn nicht. Er hatte endlich wohl geahndet, daß vielleicht zum Hinunterreiten ein anderer Wirbel nöthig sein möchte als zum Hinaufsteigen. Er suchte und fand. Unter dem rechten Ohre des Holzpferdes fand er einen sehr verborgenen [393] Wirbel, welchen er kaum gedrehet hatte, als er zur Erde herabsank, aber in mäßiger Bewegung.

Tiefer und immer tiefer sank das Pferd herab, indeßen es immer mehr und mehr dunkel ward. Er war zuletzt schon wieder unter dem aufgegangenen Monde herab und sehr beunruhigt über den Ort, wo sich das Pferd herablaßen möchte, als es auf einmal nach Mitternacht still stand.

Entkräftet stieg er ab und fand sich auf dem platten Dache eines großen Palastes, welches ringsumher mit einem Marmorgeländer umgeben und mit Bäumen und Blumen besetzt war. Eine Treppe führte von dem Dache in den Palast hinunter, aber er zweifelte, ob er dieselbe hinabsteigen sollte, denn er wußte nicht, wo er war und ob man ihn feindselig oder freundschaftlich aufnehmen würde?

Indem er noch schwankte, kam eine Dame im leichten Nachtkleide die Treppe herauf. Es war die Prinzeßin von Bengalen, die hier auf ihrem Landhause sich aufhielt, und weil sie nicht hatte schlafen können, heraufgekommen war der lieblichen Nachtkühle zu genießen.

Sie erschracken Beide ein wenig vor einander, aber Firuz Schah sahe bald, daß er eine Prinzeßin vor sich hatte, und warf sich vor ihr nieder ihre Gnade anzuflehen. Er sagte, wer er sei und erzählte ihr das Wunder seines Hierseins, nebst aller Gefahr und Noth auf seinem Luftritte, und indem er ihr, trotz des trüglichen Scheins der Nacht, viel Artiges über ihre Anmuth und Schönheit gesagt hatte, bat er um ihren Schutz.

Prinz, sagte sie, Ihr seid in ein Land gekommen, wo die Gastlichkeit und Menschlichkeit mit allen ihren milden Sitten zu [394] Hause sind. Aber Ihr bedürft ohne Zweifel Nahrung und sodann der Ruhe, und sollt mir ein willkommener Gast sein.

Hierauf führte sie ihn in den Palast hinab in einen prächtig erleuchteten Saal, weckte ihre Leute und ließ eine Menge Gerichte auftragen, von welchen er wählte, was ihm gefiel, und sich dann zur Ruhe begab.

Weil der Prinz herzlich müde war, so hatte er eben noch nicht Zeit gehabt sich in die Prinzeßin zu verlieben, obwohl er bei dem Schein der Wachslichter gesehen hatte, wie wunderschön sie war. Er legte sich nieder und schlief fest.

Nicht also aber die Prinzeßin. Sie begab sich auch zur Ruhe, aber sie schlief nicht, sondern war beunruhigt, denn das Bild des schönen Prinzenjünglings stand immer vor ihren Augen, wiewohl dieselben geschloßen waren.

Am andern Morgen schmückte sich die Prinzeßin sehr sorgfältig, denn sie wußte wohl, daß Kleid und Schmuck mit Geschmack ausgewählt, die Schönheit erhöhen.

Sie ließ sich bei dem Prinzen zuerst anmelden, und dieser war bereit sie zu empfangen.

Hier setzten die Beiden sich mit den allerzierlichsten und gekünsteltsten Worten und Sitten einander in die angenehmste Unterhaltung von der Welt, aber nicht nur mit verbindlichen und lieblichen Redensarten und Worten, sondern auch mit entzündenden Blicken und Gebehrden beschoßen sie sich, und den Prinzen trafen die Augen und Mienenpfeile der Prinzeßin also sehr, daß selbst die Sporen an seinen Halbstiefeln verwundet wurden.

Bald war die Rede von ewiger Treue und Liebe, und von dem Glück einer solchen Luftluftreise, die Herzen zusammenführt, welche Natur und Schicksal für einander bestimmt hätten. In [395] zwei Tagen sprachen die sämmtlichen Hofleute der Prinzeßin von der seltsamen Gunst des Schicksals, zwei Liebenswürdigkeiten, so seelenverwandte Seelen einander zuzuführen, und behaupteten das wundersame Holzpferd müße eigends dazu erfunden sein, daß beide prinzliche Naturen zum gegenseitigen Anschauen ihrer Göttlichkeit hätten gelangen können.

Acht Tage waren schon verfloßen, ohne daß seine Hoheit, der Prinz Firuz, an Allerhöchstdero Herrn Vater gedacht hätten, als aber die Prinzeßin ihn aufforderten, dem König, ihrem Herrn Vater, sich vorzustellen, deßen Hauptstadt nur einige Stunden entfernt war, fand großes Bedenken statt, weil Seine Hoheit weder Kleid noch Gefolge noch Geld hatten, welches Alles von der Prinzeßin anzunehmen, das Zartgefühl Höchstderoselben fast zu verwunden schien. Dagegen fand es Prinz Firuz nicht unzart, die Prinzeßin zu überreden, sich mit ihm auf das Zauberpferd zu setzen, und dem Könige Persiens sich als künftige Schwiegertochter vorstellen zu laßen.

Sie hatte alle Anstalten getroffen, daß, außer ihren Vertrautesten, Niemand im Palaste ihre Abwesenheit bemerkte. In zwei, drei Tagen glaubte sie durch die Kraft des Holzpferdes mit dem Prinzen wieder zurück zu sein und dieser könnte in den wenigen Tagen Alles dazu einrichten, daß ihm ein großes Gefolge nachkäme, mit welchem er sich denn dem Könige von Bengalen vorstellen und um die Prinzeßin werben könnte.

So hatten sie es sich Beide ausgedacht.

Die Reise ging fort, und in wenigen Stunden war man in der Nähe von Schiras. Es verstehet sich aber, daß der Prinz nicht auf dem Holzpferde mit der Prinzeßin in Schiras einzog; denn das wäre sehr unschicklich gewesen; sondern er stieg mit ihr auf einem [396] nahen Landhause des Königs ab, und ließ sie unter der Pflege des Hausverwalters, er selbst aber ritt auf einem prächtigen Pferde an den Hof des Königs von Persien.

Das Lärmen mit Pauken, Hörnern, Trompeten und Trommeln, das Jauchzen des Volkes und die Verwirrungen der Freude, welche die Ankunft des Prinzen hervorbrachte, sind nicht zu beschreiben, und waren um so größer, da man schon Trauer um ihn, als um einen Todten, angelegt hatte. Der Indier wurde hochgnädig in Freiheit gesetzt mit dem Bescheid, sich sein Unglückspferd auf dem Landhause zu holen und damit zu entfernen.

Der Prinz erzählte dem Vater, was ihm begegnet sei, und bat um deßen Einwilligung zur Verheirathung mit der Prinzeßin von Bengalen, die er augenblicklichst erhielt.

Der König wollte in seiner großen Freude die Prinzeßin mit seinem ganzen Hofe selbst abholen, in seinen Palast einführen und sogleich mit seinem Prinzen vermählen, aber alle diese frohe Mühe hatte ihm der Indier erspart.

Voller Wuth und sinnend auf Rache eilte er zum Landhause, wo sich sein Pferd befand. Daß auf demselben eine Prinzeßin von Bengalen, die Braut des Prinzen, mitgekommen sei, hatte ihm nicht verborgen bleiben können, da sich das Gerücht davon am Hofe und in der Stadt verbreitet hatte.

Der Indier kam auf dem Landhause an, und der gutmüthige Hausverwalter freuete sich über die Befreiung deßelben, denn er wußte, um welcher ungerechten Ursache willen derselbe eingekerkert worden war.

»Den König, sagte der Indier, hat vor Freuden über die Rückkunft seines Sohnes der Schlag gerührt, und die Aerzte geben ihm nur noch einige Stunden Leben. Er will noch vor seinem Ende [397] die Gemahlin seines Prinzen sehen, der von seinem Bette nicht weg darf. Ich soll sie eiligst auf meinem Pferde ihm zuführen. Laß die Prinzeßin einen großen Schleier überwerfen und sich sogleich hinter mich aufs Pferd setzen.«

In der Bestürzung geschahe, was der Indier verlangte, und dieser erhob sich mit der Prinzeßin auf dem Pferde in die Luft.

Eben hatte der König den Zug nach dem Landhause angetreten, als der Indier mit lautem Frohlocken über der Stadt mit seiner Beute erschien und dem Könige und deßen ganzem Hofe Trotz bot.

Was half alles Jammern und Wehgeschrei und was nützen alle Verwünschungen! Der Indier hatte die Prinzeßin und flog mit ihr davon.

Der Prinz Firuz war entsetzt über die listige Bosheit des Indiers, aber er begriff, daß hier nur Entschloßenheit und Muth vielleicht noch retten könnten, nicht aber unthätiges Klagen. Er setzte seinen Gang nach dem Landhause fort, wo der Verwalter, der schon von dem Unheil unterrichtet war, vor ihm niederfiel und den Todt von der Hand des Prinzen erwartete. Dieser aber entschuldigte ihn und klagte seine eigene Unvorsichtigkeit an.

Der Prinz ließ sich aus einem nahgelegenen Kloster eine Derwischkleidung bringen, versahe sich mit Perlen und Diamanten statt des Reisegeldes, und ging in der Mitternacht fort, mit dem festen Vorsatz nicht wiederzukommen, er hätte denn seine Seele, sein Leben wiedergefunden, nämlich die Prinzeßin. Er ging fort, aber freilich aufs Ungewiße hin.

Noch deßelben Tages kam der Indier in das Paradies der Welt, in das Königreich Kaschmir, unweit der Hauptstadt in einem Lustgehölze an. Da es ihn hungerte und die Prinzeßin Durst hatte, so ließ er sich nieder, stieg mit der Prinzeßin vom Pferde ab, und[398] ging umher Obst zu suchen, welches Hunger und Durst zugleich stillte, und fand deßen bald genug.

Als Beide sich mit dem Obste erfrischt hatten, wollte der Indier mit der Prinzeßin weiter ziehen, sie aber weigerte sich, sich wieder aufs Pferd zu setzen. Seine liebkosenden Worte waren vergebens, seine Drohungen waren es auch. Da wollte er sie mit Gewalt hinaufheben, aber sie widersetzte sich mit der Kraft der Verzweifelung, sie stieß den Indier, sie kratzte ihn mit den Nägeln, sie schlug ihn mit geballter Faust ins Gesicht; das würde ihr jedoch wenig geholfen haben, denn gegen die Stärke des Indiers hätten sich ihre Kräfte bald genug erschöpfen müßen. Aber ihr entsetzliches Gekreisch half.

Mitten im heftigsten Faustkampfe kam eine Schaar Reiter daher, die Beide umringten. Sie bestand aus dem Sultan von Kaschmir und deßen Gefolge, mit welchem er von der Jagd zurückkehrte.

»Wer bist du? fragte der Sultan den Indier, und was hast du mit dieser Dame vor?« – »Herr, sagte der freche Mensch, wer hat sich darein zu mischen, wenn ich mein ungehorsames Weib züchtigen will?«

Da erhub die Prinzeßin ihre flehende Stimme und sagte: »Herr, glaubt diesem trotzigen Räuber nicht, der mich auf diesem verwünschten Zauberpferde dem Prinzen von Persien geraubt hat. Ich bin eine Prinzeßin von Bengalen.«

Der Sultan war ein Herr von tiefer Einsicht und von schneller Gerechtigkeit und von unerschütterlichem Muthe. Er las in der erhabenen Miene der Dame, in ihrer Schönheit und in ihren thränenvollen Augen die Wahrheit ihrer Aussage und mit einem einzigen Streich seines guten Säbels flog der Kopf des unbewehrten Indiers ab.

[399] Da lagen Kopf und Rumpf des Räubers und die Prinzeßin war von ihm befreit.

Der Sultan von Kaschmir war auch ein Herr von Welt und Lebensart und beklagte den Unfall, welcher der Schönen widerfahren sei, ließ sie in seinen Palast bringen und sie auf die ausgesuchteste Weise von den Damen seines Hofes bedienen und entfernte sich, indem er ihren Dank verbat, damit sie sich völlig erholen könne.

»Das ist ein edelmüthiger Fürst, dachte die Prinzeßin, und in seinen Gesinnungen fast so erhaben als der Prinz Firuz. Ohne Zweifel wird er uns Beide wieder miteinander vereinigen, wenn er unsere Liebe und unser Unglück gehört haben wird.«

Am andern Morgen wurde die Prinzeßin durch den Lärm der Pauken und Trommeten und anderer Instrumente aus süßem Schlummer geweckt. Sie wußte nicht, wozu der Lärm solle, und ob er nicht gar ihr zu Ehren angestellt sei? – Sie stand auf und kleidete sich so kostbar an, als sie konnte.

Kaum war sie mit ihrem Schmuck fertig, als der Sultan, der sich davon hatte Nachricht geben laßen, ins Zimmer trat und ihr erklärte, der Freudenlärm sei zu Ehren ihrer Vermählung mit ihm selbst, zu welchem er sich sogleich entschloßen hätte, als er sie im Gehölze erblickte.

Die Prinzeßin fiel in Ohnmacht, als sie von der Ehre hörte, die ihr zugedacht war. Der Sultan bildete sich ein, das sei eine Folge vom freudigen Schrecken, und gab sich alle Mühe sie bald wieder zu sich zu bringen; sie erholte sich aber nicht so schnell wieder, als er gehofft hatte, und als sie wieder zu sich kam, war sie überaus entkräftet.

In ihrer Entkräftung aber hatte sie noch Kraft genug über ihre Lage nachzudenken. Sie sahe, daß der edelmüthige Sultan [400] ein Mann sei, mit dem man nicht lange handeln könnte, und nahm ihre Maaßregeln. Sie fing an irre zu reden und sprach in unterbrochenen Zwischenräumen immer verworrener. Sie schien zu schlummern und fuhr dann heftig aus dem Schlummer auf; ja, endlich fuhr sie auf den Sultan zu, als wollte sie über ihn herfallen und schrie dazu, als ob sie mit dem Indier handgemein geworden wäre.

Der Sultan wurde bestürzt, entfernte sich, und überließ die Kranke ihrem Frauenzimmer; aber aus der Hochzeit ward deßelben Tages nichts, und die nächsten Tage ward auch nichts daraus, denn die Verwirrung wollte sich nicht geben.

Es wurden nach und nach die gelehrtesten Aerzte des ganzen Königreichs herbeigerufen, die wirklich auch allesammt sehr gelahrt herausbrachten, daß diese Krankheit eine Art wahnsinniger Verrückung, fast etwa wie eine Naserei sei, von welcher einige Arten heilbar wären, andere aber unheilbar. Sie verordneten Pulver, Pillen und Tränke, welche die Kranke auch zuweilen in guten Stunden einnahm, zuweilen aber den Aerzten an den Kopf warf. Niemals ließ sie einen Arzt so nahe an sich kommen, daß er ihr den Puls befühlen konnte. Wollte es aber einer wagen, so gerieth sie in Wuth, sprang zu und zerkratzte ihm das Gesicht so sehr, daß aus der gelahrten Miene eine Jammermiene wurde. Zuletzt wollte sich gar kein Arzt mehr finden, welcher Lust hatte den großen Lohn zu verdienen, welchen der Sultan dem verhieß, welcher die Prinzeßin heilen würde.

Firuz Schah war indeßen in aller Herren Ländern umhergereist, und hatte nach Neuigkeiten von Prinzen und Prinzeßinnen und von den Fürstenhöfen gefragt, aber er hatte nichts erfahren. Endlich hörte er in Indien viel von einer Bengalischen Prinzeßin reden, die [401] an dem nämlichen Tage ihren Verstand verloren, an welchem der Sultan von Kaschmir sich mit ihr hätte vermählen wollen.

Jetzt hatte Firuz einen Fingerzeig und reiste nach der Hauptstadt Kaschmirs, eilte an den Hof des Sultans und ließ sich ihm vorstellen. Er that sehr geheimnißvoll und sagte, obwohl er nur ein Derwisch und kein Arzt sei, habe er doch auf seinen langen Reisen und durch vieles Nachdenken manche wunderkräftige Arzeneien aufgefunden, auf welche die Herren Aerzte nicht zugekommen wären. Verhalte es mit der Krankheit sich also, wie man ihm beschrieben hätte, so wolle er, wenn man ihm in Allem gewähren ließe, seinen Kopf als Pfand für ihre Heilung einsetzen. Er sprach mit so viel Sicherheit, als wär er ein Jahrlang als Marktschreier umhergezogen, und der Sultan faßte großes Vertrauen zu ihm und ließ ihn gewähren.

Der Derwisch betrachtete die Prinzeßin erst von einem höher liegenden Kabinette aus. Er sahe sie, er hörte sie ein trauriges Lied singen, und er wurde überzeugt, daß sie seine vermißte Angebetete und die Krankheit Verstellung sei, und schritt zur Kur.

Als er sich, nachdem sich Jedermann bis aus der geöffneten Thür des Zimmers hatte entfernen müßen, dem Bette der Prinzeßin allzusehr nähern wollte, vergaß sie den Respekt gegen die Derwischkleidung und wollte auf den Herannahenden zu. Er aber fing leise an die erste Strophe eines persischen Liedes zu singen, welches er sie gelehrt hatte. Sie wurde aufmerksam und ließ ihn mit der zweiten Strophe so nahe herankommen, daß er ihren Puls befühlen konnte.

Die Prinzeßin hatte ihn ungeachtet der Verhüllung bald erkannt, und indem er heimliche Worte zu ihr murmelte und seltsame Zeichen dazu machte, gab er ihr nur Anweisung, wie sie zu Werke gehen solle, und auf welche Weise sie sich befreien wollten. Sie [402] sollte nur, mit mancherlei Rückfällen, allmählig gesund zu werden scheinen, und auf dem Zauberpferde wolle er sie davon führen.

Wie erfreut war der Sultan über den außerordentlich günstigen Anfang der Heilung; und als am dritten Tage die Prinzeßin den Sultan empfing und mit ihm vernünftige Worte sprach, war er so entzückt, daß er fast Luftsprünge in seiner Sultanskrone gemacht hätte. Er erklärte den Derwisch für den ersten und einzigen Arzt der Welt, zum geheimen Oberbergrath und zweitem Oberstallmeister, zum geheimen Schlüßelträger und zufolge deßen, natürlich, zum ersten Leibarzt, der ihm Unsterblichkeit verschaffen müßte.

Seit acht Tagen waren die Anwandelungen der Prinzeßin immer seltener und schwächer geworden, aber in den nächsten acht Tagen kam es nicht weiter mit ihr. Früh vier Uhr hatte sie jeglichen Tag heftige Anwandlungen, und der Derwisch sagte, hier sei noch Etwas von Zauberei verborgen, wohinter er, alles Fragens bei der Prinzeßin ungeachtet, nicht kommen könnte. Hätte er nur heraus, woran es hier hinge, so sollte sie der Sultan jede Stunde heirathen können.

»Wetter! sagte der Sultan; Herzensfreund! Sie ist auf einem verdammten Pferde, welches in meiner Schatzkammer steht, durch die Luft hier angekommen, und in dem Pferde liegt die Zauberei gewiß und wahrhaftig, glaube ich!«

Euer Scharfsinn betrügt Euch nicht, sagte der Derwisch. Dann schwieg er mit sinnender Miene und zählte und rechnete an den Fingern; dann that er seinen Mund auf und sagte: »Befehlt, daß man mir in Allem, was ich verordnen werde, streng folge; übermorgen um fünf Uhr soll sie gesund sein, oder ich will mein Leben verloren haben.«

[403] Uebermorgen kam. Alles Hofgesindel stand im Schloßhofe in frühester Morgenstunde im Kreise, und in der Mitte des Kreises stand das Zauberpferd; rechts deßelben die Prinzeßin, links der Derwisch, und an jeder Seite ein Hofdiener. In einem innern und engern Kreise dampften Wunderkräuter auf heißen Pfannen und dicker Rauch stieg zum Himmel auf. Jetzt mußten die Diener der Prinzeßin aufs Pferd helfen und daßelbe sinnig und stillschweigend herumdrehen, indem er mancherlei wohlriechendes Kraut und Holz mit murmelnden Worten auf die Pfannen warf, unter welchen ein Feuer war unterhalten geworden.

Jetzt, als der Rauch am dicksten aufstieg, rief er den Dienern zu: »Eilt schnell in den äußern Kreis und rettet Euch.«

Indem sie entflohen, schwang er sich aufs Pferd, drehete den Wirbel, stieg in die Luft auf und rief dem Sultan und dem Hofe, freundlich mit der Hand winkend, ein: »Lebt wohl!« zu.

Dahin flogen sie. Wie aber der Sultan ihnen nachfluchte, dann jammerte, dann sich einmal übers andere einen Esel, einen rechten dummen Waldesel schalt, worin er eben sowohl Recht behielt wie in allen übrigen Dingen; wie die Reitenden die beiderseitigen Aeltern aufsuchten und diese überglücklich waren, sie aber sich dann vermählten und grausam überglücklich waren, und was dergleichen mehr ist, ist zu erzählen nicht nöthig.

31. Ahmed und Paribanu30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

[404] 31. Ahmed und Paribanu.

Ein mächtiger König von Indien hatte drei Söhne. Der älteste Prinz hieß Hußein, der zweite hieß Ali und der jüngste hieß Ahmed. Mit diesen Prinzen war zugleich eine Nichte des Königs aufgewachsen und erzogen worden, weil ihr Vater frühzeitig gestorben war. Ihr Name war Nurunnihar.

Als sie erwachsen war, dachte der König von Indien darauf, sie an einen benachbarten König zu verheirathen, aber da fand es sich, daß alle seine drei Söhne mit großer Leidenschaft in die Prinzeßin verliebt waren, und jeder derselben forderte sie von dem Vater zur Gemahlin.

Der Vater stellte jedem der beiden jüngern Prinzen besonders vor, ihrer Liebe zu Gunsten des ältern Bruders zu entsagen; sie aber hatten tausend Einwendungen, und wenn der Vater ihnen dieselben widerlegt hatte, so behaupteten sie, es sei ihnen unmöglich ohne die Prinzeßin zu leben. Hußein behauptete hartnäckig das Nämliche.

Der Vater sahe, welchen Haß und Bitterkeit, und wie viel Verwirrungen im Hause und Lande eine so unglückliche Liebe unter den Brüdern erzeugen würde, und wußte nur noch ein Mittel, welches er mit seinem königlichen Ansehen unterstützte.

»Die Prinzeßin selbst, sagte er, soll einen von Euch wählen, und wer dann sich widerspenstig bezeigt, den will ich Landes verweisen.«

Die Prinzen waren mit diesem Ausweg zufrieden, denn jeder schmeichelte sich, daß ihn die Wahl treffen müße und keinen andern Bruder, weil er sie am heftigsten liebe. Der Vater aber war hoch [405] erfreut, seine Prinzen so vernünftig und alle Verwirrungen gehoben zu wißen, und bildete sich auf seine Weisheit nicht wenig ein.

Aber wie betroffen war der König, als die Prinzeßin hartnäckig die Wahl verweigerte. Wie kann ich denn wählen? allergnädigster Oheim, sagte sie, da ich sie alle drei gleich lieb habe, weil sie alle gleich schön, gleich weise und gleich liebenswürdig sind.

Es ist meinem Herzen unmöglich eine Wahl zu treffen, zumal da ich mittelst derselben dem Einen einen Vorzug zu geben schien und die beiden Andern betrüben müßte. »Nein, gnädigster Herr, wählet Ihr selbst, welchen ich als meinen Gemahl ehren und lieben soll.«

Gegen so viel Zartheit konnte der arme König mit aller seiner Weisheit nicht auskommen, und quälte sich Tag und Nacht um einen andern Ausweg zu finden. Endlich fand er einen, der ihm ganz vorzüglich zu sein schien.

»Gehet auf Reisen, meine Söhne, redete sie der Vater an; und wähle sich Jeder ein eigenes Land, das er besuchen will. Wer mir nach einem Jahre die wundersamste Seltenheit mitbringt, der soll die Prinzeßin haben.«

Bei sich selbst dachte auch der König noch, daß während der Zeit eines Jahres schon manche Liebe sei vergeßen worden, und neue Gesichter neue Neigungen erzeugt hätten. Ueberdieß glaubte er noch mit Recht, es könnte den Herren Söhnen sehr zuträglich sein, einmal eine zeitlang fremdes Land und Volk, fremde Kunst, Art und Sitte zu sehen.

Die Prinzen ritten nach einigen Tagen als Kaufleute verkleidet fort, jeder von einem vertrauten Hofbedienten begleitet, der als Sklave verkleidet war, und nöthingenfalls seinem jungen Herrn ein wenig Verstand leihen konnte.

In dem ersten Nachtlager, neben welchem sich der Weg nach [406] drei verschiedenen Weltgegenden hin theilte, wurden sie eins, sich über ein Jahr hier wieder zu versammeln und dann zusammen zu dem Vater zurückzukehren.

Der älteste Prinz reiste mit einer Karawane nach dem Königreiche Bisnagar. Er brauchte drei Monate, um durch Wüsten und fruchtbare Länder, durch Gebirge und Thäler dorthin zu gelangen. Er wählte sich die Hauptstadt zu seinem Aufenthalte und kehrte in dem großen Khan ein, wo die fremden Kaufleute ihre Herberge hatten, um bei ihnen die Seltenheiten und Wunder fremder Länder und Reiche und die Sitten und Gebräuche der Völker zu erkundigen.

Er besahe sich den königlichen Palast und wollte es sich selbst nicht glauben, daß derselbe größer, herrlicher und kostbarer sei, als der Palast seines Herrn Vaters.

Er bemerkte den lebendigen Handel der Stadt, die köstlichen Waaren verschiedener Erdgegenden, die bewundernswerthen Arbeiten der Künstler, die großen Reichthümer und den Prachtaufwand der reichen Einwohner, und sahe mit Vergnügen die Kauf- und Handelsplätze und die Buden der Kaufleute, Künstler und Handwerker mit den vortrefflichsten Rosen und andern kostbaren Blumen geschmückt.

Eines Tages war er im Besehen so vieler Neuheiten und Kostbarkeiten, die sich in den verschiedenen Quartieren der Stadt befanden, recht müde geworden. Er bat einen Kaufmann um eine Ruhestelle in deßen Bude, und sie wurde ihm freundlich bewilligt.

Nicht lange hatte er geruht, als ein Ausrufer vorbei ging, mit einem Teppiche auf dem Arme, der weder sehr groß noch kostbar war, und den derselbe für dreißig tausend Thaler ausbot. Er rief den Rufer, besahe den Teppich, schüttelte den Kopf und sagte: [407] »Mein guter Freund, ich begreife nicht, wie man einen solchen Teppich zu solchem Preis ausbieten kann?«

»Ich glaube es schon, versetzte der Rufer; aber, mein Herr, es gibt Dinge, die nicht Jedermann sogleich begreift, und es ist Manches unscheinbar, was dennoch hohen Werth hat. – Ihr werdet es, mein Herr, noch weniger begreifen, wenn ich Euch sage, daß Ihr diesen Teppich nicht unter funfzig tausend Thaler erkaufen könnt.«

»Das ist seltsam!« sagte der Prinz. – »Ja freilich!« erwiederte der Ausrufer. »Er hat indeßen eine Tugend, die noch seltsamer als der Preis ist, und diesen grade durch ungewöhnliche Niedrigkeit seltsam macht.«

»Ihr sprecht in Räthseln, mein werther Herr;« sagte der Prinz empfindlich. – »So ist er fürwahr, allerwerthester Herr;« antwortete der Ausrufer. »Indeßen wird Euch Alles klar sein, sobald Ihr wißen werdet, welch eine Tugend dieser Teppich hat. Setzet Euch drauf; wünschet Euch dann, wohin Ihr wollt, und Ihr seid im selben Augenblick dort!«

»So?« sagte der Prinz mit langgezogenem Ton, und dachte sogleich, daß eine solche Seltenheit wohl schwerlich einem seiner Brüder aufstoßen möchte. Er machte die Probe mit dem Teppich, setzte sich mit dem Ausrufer darauf, wünschte sich in den Khan auf seine Zimmer, und war im Augenblick dort.

Nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, zahlte er den Preis und behielt den Teppich.

Jetzt hatte er Zeit genug sich überall im Lande um zusehen und den königlichen Palast, die Tempel der Götter, die Aufzüge und Tänze und Feste zu Ehren der Gottheiten, die Künste der Gauckler, und tausend andere Dinge zu beschauen. Das Alles aber beschäftigte [408] ihn lange so sehr nicht, daß er nicht noch sehr viel Langeweile sollte gehabt haben, zumal da es keiner eigentlichen Rückreise bedurfte, indem er mit seinem Wunschteppich in einem Augenblicke wieder an den verabredeten Ort der Zusammenkunft sein konnte. Da ihn überdieß die große Sehnsucht quälte, der schönen Nurunnihar näher zu sein, so wünschte er sich plötzlich einmal in einem starken Anfall von Liebe und Langweile in die Nachtherberge zurück, war in demselben Augenblick mit seinem Begleiter dort, und wartete einige Monate mit Schmerzen auf die Rückkunft seiner Brüder.

Ali, der zweite Prinz des indischen Königs, war in der Gesellschaft mehrerer Kaufleute die Straße nach Persien gezogen, wohin er auch nur nach langer und beschwerlicher Reise gelangte und ebenfalls in der Hauptstadt einen Khan zu seiner Herberge wählte, in welchem sich Kaufleute aufhielten.

Gleich am ersten Tage als er die Stadt durchwandelte, um die Reichthümer und Prächtigkeiten derselben zu beschauen, bemerkt er unter den vielen Ausrufern Einen, der ein kurzes, kaum zollstarkes elfenbeiners Rohr in der Hand hielt, und es für dreißig tausend Thaler ausschrie.

Der Prinz fragte einen Kaufmann in der nächsten Bude: »Fehlts denn dem Menschen dort mit dem elfenbeinern Rohr etwa ein wenig oben im Hirn?«

»Es mag freilich wohl Vielen dort fehlen, versetzte der Kaufmann, indeßen müßte es bei diesem seit gestern erst rappeln; denn er war bis jetzt der kenntnißreichste und geschätzteste aller Ausrufer in unserer Stadt, dem man grade die kostbarsten und seltsamsten Sachen anvertraute. Laßet Euch in meiner Bude nieder und verziehet ein wenig; er wird bald wieder zurückkommen, dann wollen wir ihn fragen.«

[409] Ali setzte sich in die Bude neben den Kaufmann, und als der Ausrufer rückkehrte, rief der Kaufmann denselben an und sagte: »Dieser Herr hier hat Euch in übeln Verdacht, weil ihr so ein unbedeutendes Rohr von Elfenbein zu so ungeheurem Preise ausruft.«

»Mein Herr, sagte der Ausrufer, indem er zu Ali sich wandte, Ihr seid es nicht allein, der mich des Rohres und seines Preises wegen für verrückt hält; wüßtet Ihr indeßen die Tugend deßelben, Ihr würdet Euch nicht wundern, daß der wahre Preis zwanzigtausend Thaler höher ist, als der ausgerufene.«

»Wie so?« fragte der Prinz, und der Ausrufer erwiederte: »Nehmet das Rohr, haltet das Auge an das Glas deßelben und wünschet zu sehen, was Euch beliebt.«

Der Prinz wünschte die Prinzeßin Nurunnihar zu sehen, und im Augenblick erblickte er sie fröhlich und guter Dinge im wohlbekannten Zimmer am Putztisch, von ihrem Frauenzimmer umgeben. Darauf wünschte er seinen Vater zu sehen, und er sahe ihn auf seinem Throne mitten unter seinen Vezieren und Räthen und der Großvezier schien über eine wichtige Angelegenheit zu sprechen. Er verlangte noch dieß und das zu sehen und sahe es.

Der Kauf war bald geschloßen, und Ali glaubte, daß ihm die Prinzeßin gewiß, denn er hielt es für unmöglich, daß eine gleich kostbare Seltenheit sich noch auf der Erde finden könne. Er durchreisete das Land nach allen Richtungen, kehrte dann zurück und fand seinen ältern Bruder schon in der Herberge vor.

Ahmed war nach Samarkand in der Tartarei gereist und hatte sich bald genug mit den Waarenplätzen bekannt gemacht. Gleich in den ersten Tagen rief ein Ausrufer einen künstlichen Apfel um dreißigtausend Thaler aus. Der Prinz fragte nach der Tugend des Apfels. Der Ausrufer gab ihm Bescheid und sagte, dieser Apfel [410] sei wohl das größeste Kleinod der Welt. Er heile alle und jede Krankheiten überhaupt und alle Fieber noch insonderheit, wenn man nur ein ganz klein wenig daran röche oder ihn auch nur an die Nase halte. Er erzählte ihm, daß ein sehr großer Naturkundiger, der alle Pflanzenkräfte gekannt hätte, sein ganzes Leben darauf gewandt habe, solch einen Apfel aus den kräftigsten Dingen zusammen zu setzen. Ihn selbst hätte ein so plötzlicher Todt hinweggenommen, daß er sich seiner Erfindung nicht habe bedienen können.

Die umstehenden Kaufleute bekräftigten die Aussage des Ausrufers und setzten hinzu, daß die erstaunlichsten Kuren mit diesem Apfel seien vollbracht worden. »Was brauchst vieler Versicherungen?« rief einer der Umstehenden, »die Probe läßt sich sogleich an meinem kranken Freunde in der Nachbarschaft machen, welchen alle Aerzte aufgegeben haben. Er liegt wie eine Leiche schon seit acht Tagen, und athmet nur noch unmerklich.«

Man ging hin; man machte den Versuch, und der Kranke athmete sogleich wieder kräftig und stark, die Augen wurden helle, die Wangen blühten und der Genesene forderte Speise.

Der Prinz kaufte den Apfel, er mußte aber ebenfalls funfzigtausend Thaler dafür zahlen und zahlte sie gern; ja, er gab vor Freuden dem Ausrufer noch zweihundert Goldstück zur Belohnung.

Der Prinz wunderte sich in seinem Herzen über die Narren, die einen solchen Wunderapfel verkauften, mit welchem sie in einem einzigen Jahre bei reichen Tagedieben und Schwelgern und bei begüterten Alten, die gern unsterblich sein wollen, zehnmal so viel spielend hätten verdienen können, als sein Verkaufpreis war. Indeßen was kümmerte das ihn; hatte er doch nun, wie er sich schmeichelte, die Prinzeßin.

[411] Nachdem er die Tartarei dahin und dorthin durchzogen hatte, war es Zeit zur Heimkehr und er kam ohne Unfall in der Herberge an, wo er die Brüder schon vorfand.

Die Brüder besprachen sich nun über ihre Reisen und Jeder rühmte sich, er habe ein unübertreffliches Wunderding gekauft und es unendlich theuer bezahlt, aber dennoch unendlich tief unter seinem Werth, denn man könnte in kurzer Zeit weit mehr damit erwerben.

Nach und nach kams denn zum Vorschein, welch kostbares Stück ein Jeglicher erhandelt hatte, und Jeder zeigte das Seinige den Andern. Es fiel ihnen auf, daß sie Alle zu gleichen Preisen gekauft hätten, und Jeglicher zwanzigtausend Thaler über die erste Forderung hatte geben müßen. Aber es wurde Jedem ganz unheimlich zu Muthe, wenn er bedachte, daß alle drei Seltenheiten von gleich wundersamen Werthe wären und keines ein vorzügliches Recht auf die Prinzeßin geben möchte. Indeßen kam es doch erst auf die Probe an, ob jegliches Wunderding die gepriesene Eigenschaft auch wirklich besitze.

»Nehmt mein Rohr und versucht es,« sagte Ahmed zu Hußein. Dieser nahm das Rohr, sahe hinein mit dem Wunsche Nurunnihar zu erblicken. Plötzlich erbleichte er und ließ das Rohr vor Schrecken beinahe fallen. »Ach, es ist Alles vergebens! rief er schmerzlich; Nurunnihar liegt in den letzten Zügen und unser Vater steht weinend mit den Aerzten neben ihrem Bette.« Die Brüder erbleichten nun ebenfalls.

»Hußein, rief Ahmed, laß sehen, ob dein Teppich sich bewährt. Kommt! wir wollen uns auf den Teppich setzen und zu der Kranken hinwünschen.«

Sie setzten sich auf den Teppich, wünschten, und waren in demselben Augenblick im Zimmer der Prinzeßin zum Schrecken der [412] stummen Aerzte, der heulenden Frauen und des weinenden Vaters. Sie vergaßen alle zierlichen Höflichkeiten und Worte und blickten traurig auf die geliebte Kranke. Ahmed aber nahm den köstlichen Apfel und hielt ihr denselben dicht unter die Nase. Gleich darauf schlug Nurunnihar die Augen auf, rieb dieselben, sahe die Umstehenden an und wußte nicht, wie sie daher kamen, oder was sie nur wollten? Es war ihr, als ob sie von einem langen, recht erquickenden Schlafe erwacht sei.

»Willkommen, liebe Vettern, sagte sie zu den Prinzen, indem sie ihnen die Hand reichte. Es freut mich, daß Ihr gesund wieder von Eurer Reise zurück seid!«

Nachdem bei Allen die erste Freude vorüber war, kam bei dem Könige und den Prinzen das Leid nach; denn wer nun die Prinzeßin besitzen sollte, blieb jetzt eben so unentschieden als zuvor.

»Meine Söhne, sagte der Vater, ich bin in neuer und peinlicher Verlegenheit. An sich sind Eure drei außerordentlichen Dinge von ganz gleich unschätzbaren Werth, und zu der Rettung der Prinzeßin hat Jedes gleich viel beigetragen. Wäre das Rohr nicht gewesen, so hättet Ihr von der Krankheit Nurunnihars nichts gewußt; ohne den Teppich wärt Ihr nach ihrem Tode angekommen, und ohne den Apfel hätte sie nicht können genesen. Ruhet heute aus, vielleicht kommt guter Rath über Nacht.«

In der That war der auch über Nacht gekommen, und der König hatte ein leichtes Auskunftsmittel, gleichsam wie im Schlafe, gefunden.

Er ließ die Prinzen am andern Morgen mit Pfeil und Bogen auf die große meilenlange Aue kommen, die zur Reitbahn diente, und es wurde angenommen, derjenige solle der glückliche Besitzer der Angebeteten sein, deßen Pfeil am weitesten fliegen würde.

[413] Hußein spannte den Bogen und schoß sehr weit, aber Alis Pfeil flog weiter hin. Jetzt schoß Ahmed, aber kein Auge sahe seinen Pfeil zur Erde fallen. Man suchte überall, man lief dahin und dorthin, man vermuthete, der Pfeil Ahmeds möchte weiter geflogen sein als die beiden andern, aber man wußte es doch nicht gewiß. Man hatte über eine halbe Stunde hinaus nach dem Pfeile gesucht, und das war weiter als die stärksten Helden der alten Zeit je einen Pfeil hatten schießen können.

Der König berathete sich auf der Stelle mit den Großen seines Reichs, wem die Prinzeßin zufallen sollte? und sie entschieden einstimmig für Ali, denn Ahmeds Pfeil wurde, aller Einwendungen deßelben ungeachtet, als gar nicht gültig angenommen, weil er gar nicht vorhanden war.

Noch deßelbigen Tages wurden die Vermählungsfeierlichkeiten begonnen. Hußein wollte denselben nicht beiwohnen, denn sie hätten sein Herz zerrißen. Er verließ den Hof, entsagte dem Rechte den Thronfolge, ging in die Einsamkeit und wurde ein Derwisch, der bald in den Ruf einer großen Heiligkeit kam. Das machte fehlgeschlagene Liebe.

Ahmed wollte eben so wenig Feierlichkeiten beiwohnen, die ihm höchst peinlich sein mußten, aber der Welt zu entsagen war er gar nicht gewillet. Jetzt beschäftigte ihn sein Pfeil. Er suchte denselben mit aller Anstrengung und war darüber in Gedanken wohl eine Stunde weit gegangen. Er wollte umkehren, aber es war ihm, als würde er durch eine heimliche Gewalt fortgezogen, und er ließ sich leicht ziehen, da ihn Alis Glück weiter vom Hofe abtrieb.

Er war wohl, träumend über die wunderbaren Dinge, welche sich ereignet hatten, vier Meilen weit von dem Hofe entfernt, als er ganze Reihen schroffer Felsen gewahr ward, die er gar nicht [414] kannte, zum Beweise, daß er zu Hause wirklich nicht zu Hause war.

Als er an den Felsen heran kam, fand er einen Pfeil an der Erde liegend, den er für den seinigen erkennen mußte, wie oft und genau er ihn auch besahe und wie unglaublich es auch war, daß derselbe so weit geflogen sein sollte. »Das sind Wunder über Wunder!« sagte er zu sich selbst. Indem er, seinen Pfeil in der Hand haltend, längs des Felsens in tiefen Gedanken dahin schlich, kam er in ein Felsenthal, ging hinein und erblickte eine eiserne Pforte, die sich nach einwärts öffnete, als er daran stieß.

Er ging in eine Höhle hinab, und bald umfloß ihn ein Licht, welches zwar Alles erhellte, aber doch ganz anders als das Tageslicht. Als er etwa einige hundert Schritte mählig und sanft herabgeschritten war, erblickte er einen überaus geräumigen Platz und in der Mitte deßelben einen Palast, wie er noch niemals gesehen hatte, obwohl er ein Jahr lang auf Reisen gewesen war. Zugleich trat eine Dame aus dem Palaste in Begleitung einer Schaar reichgeschmückter Jungfrauen. Ihre Schönheit war göttlich und Ahmed hatte sie kaum gesehen, so war Nurunnihar aus seinem Herzen und also auch aus seinem Gedächtniß vertilgt. Indem er ihr entgegen gehen und dann vor dem Glanz ihres Sonnenantlitzes niederfallen und anbeten wollte, rief sie ihm mit lauter Stimme zu: »Willkommen Prinz Ahmed! Wie lange hat mein Herz sich Eurer ersehnt!«

Erstaunt über sein Gekanntsein und über die kühne Deutlichkeit zärtlicher Ausdrücke, wollte er sich nun niederwerfen und fragen, welches Glück ihm das Vergnügen gewähre, von ihr gekannt zu sein; aber sie bat ihn in ihren Saal zu treten, wo sie mit mehr Muße plaudern könnten!

[415] »Welch ein Saal! Welch ein Glanz, wie Morgenlicht und Mondschein untereinander! Welch eine edle Bauart! Welch ein rein erhabener Styl! Wie kräftig und mild! Wie prächtig und anziehend! Es ist das Abbild des Himmels mit seinen Sternen!«

Also rief unser Prinz aus, der wohl wußte, wie man sein ästhetisches Gefühl zu Tage legen muß, wenn man es mit feinen Sinnen dahin gebracht hat, die sanfte Rundung einer braunschweiger Mettwurst von der geschmackvollen Plumpheit eines Hamburger Rinderbratens mit Kritik unterscheiden zu können.

Die Dame schien wohl von der recht vornehmen, aber nicht von der ästhetischen Sorte und sagte lächelnd: »Ihr beliebt artig zu spaßen, mein Prinz. Dieß hier ist mein schlechtestes Landhaus, auf welchem ich mich aber am liebsten aufhalte, weil es so einfach ist.«

Sie ersuchte ihn sich zu ihr aufs Sofa zu setzen und sagte: »Prinz, Ihr sollt wißen, daß ich eine Tochter eines Genius bin, der eine große Macht besitzet, und Paribanu heiße. So werdet Ihr Euch denn auch nicht wundern, daß ich sowohl Euch als Eure Familie längst kenne, eben sowohl als die Prinzeßin Nurunnihar, und die Geschichte Eurer Liebe zu ihr. Ihr, für Eure Person scheint mir eines höhern Glücks würdig, als Ihr in dem Besitz dieser Dame würdet gefunden haben. Ich war es, die Eurem ältesten Bruder den Teppich, Ali das Rohr und Euch den Apfel in die Hände brachte. Heute war ich bei Eurem Pfeilschießen unsichtbar gegenwärtig, fing Euren Pfeil, welcher nicht einmal über Hußeins Pfeil würde hinausgekommen sein, mitten im Fluge auf und führte ihn bis dahin, wo Ihr ihn gefunden habt.

[416] Ihr errathet leicht, daß ich es auf Euch abgesehen hatte, und da die höhern Geister von den Kleinlichkeiten der Erdkinder nichts wißen, so sag ich es Euch frei, daß es nur auf Euch ankommt, der glücklichste Sterbliche zu werden.«

Ahmed verstand, was sie meinte. Er fiel vor ihr nieder und wollte ihr den Saum des Kleides küßen, sie aber reichte ihm dagegen lächelnd die Hand. Noch deßelben Abends wurden Beide ein Paar, denn die Geister haben nicht Zeit, sich mit den Umständlichkeiten der Alltagsmenschen abzugeben.

Beim Abendeßen waren sie allein am Tische, wo sich Köstlichkeiten an Speisen und Weinen fanden, von welchen Ahmed noch nie gehört hatte. Sie genoßen reichlich und mit Entzücken, indeßen schöne Jungfrauen in Chören mit Saitenspiel und Gesang das herrliche Mahl würzten. Dann kamen tanzende Genien und Feen in großen Schaaren und ergötzten die Neuvermählten, so lange es Paribanu, ihrer Herrin, gefiel.

Die Pracht und Herrlichkeit, welche Ahmed am andern Tage sahe, als ihn Paribanu in Zimmern und Gärten herumführte, ist nicht zu beschreiben. Diamanten wie Hünereier, Trinkgefäße von Rubinen und Smaragden, die mehrere Kannen befaßten, Pfirsichbäume, die über zehntausend Früchte trugen, Weinreben stark und hoch wie große Eichbäume, deren Zweige mit reichen Laub und Früchten beladen, zur Erde herabhingen und große Lauben bildeten und ähnliche Dinge gehörten zu den geringsten Kleinigkeiten.

Sechs Monate waren dem glücklichen Paar unter tausend Abwechselungen der Lust und Liebe und Freude dahingegangen, und Ahmed hatte in seinem Glück Vater und Hof und Prinzeßin und Brüder vergeßen. Nun aber fiel es ihm doch ein wenig [417] aufs Herz, wie bekümmert der Vater seinetwegen sein möchte. In der That dachte dieser, der Prinz könnte aus Desperation in alle Welt gegangen sein, oder sich gar ein Leides gethan haben, wie man denn solcher traurigen Exempel auch damals schon viel hatte.

Es wurden Eilboten in alle Gegenden des Reichs gesendet mit Befehlen an die Statthalter, den Prinzen anzuhalten, mit dem nachdenklichen Zusatze, »falls er ankäme.« Als er nun aber nirgends ankam, so wurde der Vater untröstlich und bat den Vezier mit Thränen Mittel auszusinnen, den Aufenthalt des verlornen Sohnes zu entdecken.

Der Vezier sann und sann, aber vergebens. Aber was er nicht ersann, erklügelte ein Untervezier – das nämlich, daß eine große Wahrsagerin und Zauberin ganz im Verborgenen in der Stadt lebe, ein altes böses Stück Weib, aber in ihrer Kunst klug wie der Fürst der Finsterniß selbst. »Laß sie so böse sein als sie will, sagte der Großvezier, wenn sie uns jetzt nur Rath schafft.«

Die Zauberin mußte kommen, und erhielt große Verheißungen für den Fall, daß sie den Aufenthalt des Prinzen herausbringe. Einen ganzen Tag arbeitete die Zauberin mit aller ihrer Wißenschaft, brachte aber nur so viel heraus, daß der Prinz noch lebe, aber nicht wo? »Es muß, sagte sie, dabei etwas Besonderes obwalten, sonst hätte ich es gewiß ausgefunden.«

Da der Prinz erst wieder an seinen Vater anfing zu denken, so erzählte er auch oft und gern von ihm, aber in seinen Erzählungen herrschte eine gewiße Schwermuth und Sehnsucht, die aus dem Wunsche entstand, den Vater einmal wieder zu sehen – ein Wunsch, welchen laut werden zu laßen er nicht wagte.

[418] Paribanu hatte ihrem Gemahl sein Verlangen bald abgemerkt. »Prinz, sagte sie, Ihr habt den natürlichen Wunsch Euren Vater zu sehen. Ziehet immer hin, aber bedenkt, wie ungeduldig mein Herz Euch wieder zurückerwarten wird. Ich werde Euch zwanzig von meinen Leuten zu Pferde mitgeben, die Euch keine Schande machen sollen. Zieht hin und bleibet einige Tage, sagt Eurem Vater, daß Ihr glücklich seid, aber sagt ihm nicht, wo Ihr Euch aufhaltet, und nicht von Eurer Vermählung und meinem Stande. Ich habe gute Gründe zu dieser Bitte.«

Es erhob sich ein großes Freudengeschrei, als der Prinz mit seinem Gefolge einzog, bei welchem das schlechteste Pferd das Leibpferd des Sultans an Feuer und Schönheit und an Reichthum des Schmucks weit übertraf.

Der Vater weinte Freudenthränen und wollte nun wißen, wie es ihm ergangen sei? Mit tausend Worten und Höflichkeiten berichtete der Prinz dem Vater, daß er unaussprechlich glücklich sei, aber das Uebrige sei ganz und gar ein Geheimniß, welches nicht enthüllt werden dürfe.

Drei Tage lang dauerten die Festlichkeiten am Hofe und am vierten eilt Ahmed wieder in aller Frühe fort und überraschte seine Gemahlin, die ihn noch lange nicht zurückerwartet hatte. – Der Prinz stattete seit dieser Zeit alle Monat einen dreitägigen Besuch bei dem Vater ab, und jedesmal, wenn er ankam, war sein Gefolge reicher und glänzender gekleidet als die vorigenmale.

Einigen überweisen Vezieren, die unglücklicherweise zu den Günstlingen des Königs gehörten, wollte das sehr verdächtig vorkommen. »Wovon kann der Prinz solchen Aufwand bestreiten? fragten sie, da er keine Güter und kein Einkommen hat. Warum kommt er so glänzend? und warum ist er gegen die Hofdiener [419] und gegen das Volk so freigebig, wenn es nicht darum ist, die Augen der Leute zu bestechen und ihre Herzen zu gewinnen, um einst den Vater vom Throne zu stürzen. Und was hätte er auch sonst nöthig seinen Aufenthalt zu verbergen? Zuverläßig ist er in der Nähe, um sogleich den nächsten günstigen Augenblick zu ergreifen. Seine Pferde und Leute sind ja so frisch, wenn er ankommt, als ob er einen Spatzierritt gemacht hätte. – Und wer weiß denn, ob ihm nicht noch die Entscheidung des Königs über den Besitz der Prinzeßin Nurunnihar so grollend im Herzen sitzt, als sei ihm großes Unrecht geschehen!«

Unser indischer König wollte seinen tief und weitsehenden Vezieren anfangs das Ohr nicht leihen. Er liebte seinen Sohn und fühlte, daß er von diesem geliebt wurde; aber die Veziere wußten wohl, daß man durch öftere Wiederholungen einen Verdacht am Ende zur Gewißheit erheben kann. – Der König fing an zu glauben, daß seine Krone wackelnd werde, und wurde nun mißtrauisch.

Die Zauberin wurde berufen und empfing ihre Aufträge. Sie spähete den Wegen des Prinzen nach, und da dieser in einer Gegend der Felsen verschwand, wo kein Mensch, weder zu Fuß noch zu Pferd einen Weg haben konnte, so schloß sie, daß er wohl einen Verkehr mit der Welt der Genien haben möchte. Dieß ward ihr um so gewißer, als sie längs der Felsen hinschlich, und weder eine Höhle noch sonst einen Eingang entdeckte, indem die eiserne Pforte nur denjenigen sichtbar war, welchen Paribanu wohlwollte.

Die Zauberin erhielt für diese erste Nachricht einen kostbaren Diamant und die Erlaubniß ganz nach eigenem Bedünken ferner zu verfahren.

[420] Als die Zeit kam, wo der Prinz den Vater wieder zu besuchen pflegte, ging die Zauberin zum Felsen und legte sich an diejenige Stelle deßelben, wo der Prinz verschwunden war.

Der Prinz kam am frühen Morgen zum Felsen heraus und fand das arglistige Weib winselnd und ächzend dort liegen und sich kläglich an dem Boden krümmen und winden. Er war mitleidig und fragte, was ihr fehle? Sie aber sahe ihn kläglich mit halbgebrochenen Augen an und sagte mit matter Stimme: »Fieber! Fieber! – Kann nicht weiter! – – Kein Mensch hier!«

Der Prinz ließ sie von seinen Leuten durch den Felsen zu dem Palast seiner Gemahlin bringen, und sie derselben empfehlen. Er selbst ritt, ohne abzusteigen, weiter.

»Saget dem Prinzen, sprach Paribanu zu den Leuten, die ihrem Herrn nun nachritten, nachdem sie das Weib überbracht hatten, saget ihm, daß wir uns schlechten Dank verdienen werden.«

Sie ließ die Kranke in ein prächtiges Zimmer führen und zur Ruhe bringen. Dann ging eine von den Dienerinnen hin und kam mit einer Schale voll Waßer zurück. »Trinkt das, gute Frau, sagte sie; es ist Lebenswaßer aus dem Löwenbrunnen, welches vor Ablauf einer Stunde Euer Fieber unfehlbar hebt.«

Mit vielen Grimaßen und scheinbaren Widerwillen trank das Weib und legte sich dann, sorgfältig zugedeckt, hin, gleichsam die Ausdünstung abzuwarten.

Die Zauberin wäre gern wieder aus dem Bette gewesen, aber des Scheins wegen mußte sie die Stunde abwarten, bis zu deren Ablauf man sie allein gelaßen hatte. Sie saß schon völlig wieder angekleidet, als die Dienerinnen zurückkamen und rief ihnen entgegen: »O, wie vielen Dank bin ich Eurer Gebieterin schuldig! Wie erquickt bin ich! Das ist ein wahrhaftiger Wundertrank!«

[421] Man führte sie in dem Palaste herum, um allen Augen verblendenden Glanz und alle Pracht deßelben zu sehen, und zuletzt brachte man sie in einen Saal, wo Paribanu auf einem goldenen Thron saß, umgeben von Schaaren von Feen, deren Schönheit überirrdisch war. Sie wollte vor Paribanu niederfallen und danken, die aber kam ihr zuvor und sagte: »Ich freute mich, liebe Frau, daß Ihr so bald wieder hergestellt seid. Laßet Euch noch, wenn es Euch ergötzt, in den übrigen Zimmer meines Palastes und auch in meinen Gärten umherführen, erquickt Euch dann, und setzet Eure Reise glücklich fort!«

Sie ließ sich umherführen und das Erstaunen über alle die Wunder, die sie sahe, verschloßen ihr den Mund; und als sie von den Führerinnen hörte: dieß sei unter sieben tausend Palästen, die ihre Gebieterin in dem unermeßlichen Umfang ihres Reiches besäße, grade der geringste, wurde es ihr schwindelnd.

Unter mancherlei Gesprächen kam sie bis zur eisernen Pforte, wo man sie heraus ließ. Kaum hatte sich die Pforte hinter ihr wieder geschloßen, als sie sich umkehrend dieselbe genau ins Auge faßen und Platz und Stelle merken wollte. Aber es war keine Pforte vorhanden.

Die Zauberin eilte, dem König Bericht zu erstatten, und als es geschehen war, verstärkerte sie den Verdacht des Königs, indem sie sagte: der Prinz werde ja wohl aus Ehrfurcht und Kindesliebe nicht nach dem Throne des Vaters trachten, aber wer bürge denn für die ehrgeitzigen Absichten seiner Gemahlin? Seine Majestät möchten immer geruhen ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu richten. Derselben Meinung waren die Günstlinge, die auch anwesend waren, und weil sie entschloßene Maaßregeln liebten, riethen sie, den Prinzen mit seinem Gefolge beim nächsten [422] Besuch in sichern Gewahrsam zu nehmen, bis man selbst sicher sei. Dieß sei das untrüglichste und sicherste Mittel.

»Weise Herren, sagte das Weib, Euer Gedanke ist höchst vortrefflich, aber ich fürchte doch, es möchte zu viel Aufsehen machen also zu verfahren, und die Begleiter des Prinzen, die ohne Zweifel Genien sind, möchten für menschliche Festhaltungsmittel zu luftig und geschickt sein, und sich bald frei machen.« – »Beßer dürfte es sein, Seine Majestät der König forderte Etwas von dem Prinzen, was selbst die Gemahlin deßelben zu leisten nicht im Stande wäre. Dann bliebe er vielleicht aus Schaam in seinem unterirrdischen Reiche und käme nie wieder.«

Dieser Rath gefiel Allen darum, weil keiner einen beßeren wußte. Aber was sollten sie denn fordern?

Darauf hatte das Weib auch schon gedacht. »Ewre Majestät, sagte sie, fordere doch ein Zelt, welches ein einziger Mensch mit der Hand umfaßen kann, und worunter dennoch die ganze Armee Ewrer Majestät Platz haben möge.«

Das war ein übergöttlicher Gedanke, und als am andern Morgen Ahmed seinen Vater besuchte, sagte dieser mit vielen Worten, daß ihm der Zufall das Glück des Prinzen verrathen habe. Er sei der Gemahl einer wunderschönen und sehr mächtigen Fee, die auch ihm, dem Vater ihres Gemahls, Etwas zu Gunsten thun werde, und ihm unglaubliche Ausgaben ersparen könne. – Hierauf kam dann die Bitte um ein Zelt hervor, wie es die Zauberin angegeben hatte.

Der Prinz erstaunte über die Entdeckung seines Geheimnißes und noch mehr über das seltsame Ansinnen seines Vaters. Nie hatte er selbst noch die Macht seiner Gemahlin auf die Probe gesetzt, und wußte nicht, wie weit diese reiche, aber daß sie ein [423] solches Zelt hervorzubringen im Stande sein werde, bezweifelte er sehr. Indeßen versicherte er den Vater, den Wunsch seiner Gemahlin vorzutragen, und setzte hinzu: »Wenn ich aufhören sollte Ew. Majestät zu besuchen, so ist es ein Zeichen, daß ein solches Zelt unter die Unmöglichkeiten gehört.«

Seine Majestät machten noch viele Worte, aber Ahmed reiste sogleich ab und kam bei guter Zeit nach Hause, aber mit verdrießlichem Gesicht.

Paribanu errieth bald, was vorgegangen sein möchte und befragte den Prinzen, aber erst nach vielem Bitten erfuhr sie, daß dem König seine Vermählung bekannt sei, und den höchst seltsamen Wunsch deßelben.

Paribanu erinnerte ihn an die Worte, die sie ihm hatte sagen laßen, als er ihrer Pflege das kranke Weib empfehlen ließ. Sie erklärte ihm, wie Alles zusammenhing, und was man befürchte, denn die Genien, welche den Prinzen in Gestalt von Reitern begleiteten, hatten genau bemerkt, was am Hofe des Königs vorging.

»Prinz, sagte sie, Ihr scheint geglaubt zu haben, die Gewährung des Wunsches Eures Vaters übersteige meine Kräfte, aber es gibt noch schwierigere Dinge, die ich ohne Mühe hervorbringen kann. Eröffnet mir nur künftig ohne Zurückhaltung, was Euer Herr Vater wünscht. Mir liegt daran ihm zu beweisen, wie hoch ich Euch ehre.«

Sie ließ ihre Schatzmeisterin rufen. »Nurgihan, sagte sie, bringe mir das größeste Gezelt aus meinen Schatzkammern;« und sie brachte es. Es war so klein, daß man es in der Hand gemächlich verbergen konnte und Ahmed mußte es sich ansehen. Er schüttelte aber leise den Kopf und sahe bedenklich aus. Paribanu lächelte über ihn, und sagte: »Nurgihan, gehe und spanne das Zelt auf der großen [424] Ebene auf, damit der Prinz sehe, ob es seinem Herrn Vater auch recht sei?«

Als das Zelt aufgespannt war, fand es Ahmed so groß, daß das Heer seines Vaters zweimal darunter Platz gehabt hätte. Vor Erstaunen blieb er stumm, und küßte nur dankbar die Hände seines Gemahlin.

»Prinz, sagte diese, ich merke wohl, daß Euch das Zelt groß genug scheint, wißet aber auch, daß es sich nach der Zahl der Gelagerten ausdehnt oder verengt, so daß es auch für einen einzigen Mann nur eben die rechte Größe hat. Erquickt Euch, mein geliebter Gemahl, und bringt es sodann noch heute Eurem Herrn Vater. Er soll nicht denken, daß Ihr erst Mühe gehabt hättet, ein solches Gezelt von mir zu erlangen, und eben so wenig, daß ich erst Mühe gehabt hätte daßelbe hervorzubringen.«

Mit seinen leichten Rennern war der Prinz noch bei guter Zeit bald wieder beim Vater und behändigte ihm das Zelt. Der Vater erschrack, denn er hatte die Rückkunft des Prinzen nimmer wieder erwartet. Aber es wurde ihm ganz unheimlich zu Muthe, als am andern Morgen das Zelt aufgeschlagen wurde, und sich ohne alles Zuthun immer mehr und mehr erweiterte, bis es Platz hatte für sechsmalhunderttausend Mann, und dann sich wieder verengte bis zu dem Raum für Einen Mann.

Der König hielt wieder geheimen Rath mit der Zauberin und den Günstlingen, und die Zauberin rieth, das Waßer des Lebens aus dem Löwenbrunnen von dem Prinzen zu fordern. Sie wußte wohl, daß Lebensgefahr dabei war daßelbe zu holen, denn sie hatte es von den Dienerinnen Paribanus gehört.

Ahmed erstaunte, als er hörte, was sein Vater forderte, und [425] meinte, der Vater habe wohl mit dem Gesundheitsapfel können zufrieden sein, um sein Leben zu erhalten.

Als der Prinz zurückgekehrt war, brachte er tausend danksagende Worte vom Vater zurück, aber er eröffnete zugleich den neuen, noch seltsamern Wunsch, den er sehr mißbilligte.

»Laßet es gut sein, antwortete Paribanu. Man sucht Euch zu verderben; das soll aber nicht gelangen. Laßet Euch zwei Pferde bereit halten, laßet einen Hammel schlachten und in vier Theile theilen, und legt diese Theile auf eins der beiden Pferde, auf das andere aber setzet Euch selbst. Sodann nehmt diesen Knauel Zwirn. Morgen mit frühem Tage reitet fort, und sobald Ihr aus der eisernen Pforte seid, werfet den Knauel vor Euch hin. Er wird anfangen zu laufen und nur erst aufhören, wenn Ihr an den offenen Pforten einer alten Burg seid. Innerhalb derselben liegen vier Löwen; zwei wachen und zwei schlafen; aber die wachenden werden die schlafenden brüllend erwecken, sobald sie Euch gewahr werden. Ihr aber reitet dreist zu und werfet ihnen die Hammelsviertel hin, so werden sie Euch gehen laßen. Eilet dann auf den Burghof, in deßen Mitte Ihr den Brunnen mit dem Lebenswaßer antreffen werdet. Schöpfet eilends mit einem Gefäße, das Ihr mitnehmen müßet, aus dem Brunnen, und kehret schnell zurück, damit die Löwen noch beim Freßen sind, und Ihr desto sicherer durch sie hin könnt. – Uebrigens sollt Ihr wißen, daß dieses Waßer von Kobolden und Erdgeistern in unterirrdischen Tiefen durch Feuer bereitet wird. Es gibt den Feigen Muth, macht die Muthigen rasend, die Stummen beredt, lehrt tanzen und taumeln, schafft festen Schlaf, benebelt die Weisen, daß sie die Dinge nicht unterscheiden können, verursacht, daß die Schwachen tausendfältiges tolles Ding [426] begehen, richtet viel Händel an, und wird einmal in künftigen Zeiten in Schlachten Wunderdinge verrichten. Die Menschen werden es nämlich nach zehntausend Jahren erfinden und es ebenfalls Lebenswaßer, oder Aquavit oder wohl auch Brantwein nennen.«

Der Prinz kam Allen getreulich nach. Die Löwen brüllten zuerst und fraßen alsdann, ohne sein zu achten. Das Waßer wurde geschöpft und die Rückkehr war sicher. Aber zwei der Löwen folgten ihm nach. Der Prinz zog seinen Säbel, sahe aber bald, wie freundlich dieselben waren und vertrauete ihnen. Einer derselben ging seitwärts in einem Bogen um ihn herum, um einige Schritte vor ihm vorauszukommen und ihm voran zu gehen; der andere ging hinter ihm drein. Beide schienen ihn schützen zu wollen, sie begleiteten ihn aber nur bis an die Pforten des Königspalastes und kehrten friedlich im schnellen Trabe zu rück.

Als der Prinz das Lebenswaßer gebracht hatte, dankte ihm der König abermals mit vielen schmeichelnden Worten, die Veziere aber ärgerten sich, daß derselbe der Gefahr entgangen sei.

Wieder ein neues Stück hatte die Hexe ersonnen, deßen Wirkung gewiß unfehlbar sein sollte. Der König forderte, als ein großer Liebhaber von Seltenheiten, einen kleinen Mann, anderthalb Fuß hoch, mit einem schwarzen Barte von dreißig Fuß Länge, der auf der Schulter eine eiserne Keule von fünfhundert Pfund trüge und mit derselben so leicht als mit einem Spazierstöckchen handthieren, aber zugleich sprechen könnte. An einem solchen Kerlchen hätte er dann eine Seltenheit, wie man sie an keinem Fürstenhofe fände, an welchen man schon damals, um sich [427] vor der lieben Langeweile zu retten neben Hofnarren auch Zwerge hielt, welche um so höher geschätzt wurden, je garstiger und widersinniger sie gebildet waren.

Was der Prinz auch einwenden mochte, der Vater bestand auf einen so verzerrten Zwerg.

Als er das kindisch eigensinnige Verlangen seiner Gemahlin vortrug und tausend Bedenklichkeiten äußerte, lachte dieselbe und sagte: »Diese Aufgabe ist leichter, als Euer Herr Vater wohl gedacht hat, denn den kleinen Mann, welchen derselbe verlangt hat, findet er bis aufs Haar in meinem Bruder Schaibar, der eine ehrliche Haut ist, nur ist er blutdürstig und fürchterlich rachsüchtig, wenn man ihn beleidigt hat. Ich will ihn kommen laßen, aber erschreckt nicht vor seiner fürchterlichen Gestalt.«

»Ist er Euer Bruder, versetzte fein der Prinz, so kann ich ihn ja nicht mit Furcht und Abscheu, sondern nur mit Liebe und Ehrfurcht ansehen.«

Schaibar wurde durch ein auf Kohlen gestreutes Räucherwerk herbeigerufen und trat mit gebietrischem Schritte ein. Sein dicker Bart starrte dreißig Fuß lang vorweg und sein eben so dicker Knebelbart ging weit bis über die Ohren hinauf und bedeckte ihm das Gesicht. Die kleinen Schweinsaugen lagen tief im Kopfe, der mit einer spitzen Kappe bedeckt war; dabei hatte er vorn und hinten einen Buckel.

»Was ist das für ein Mensch?« fragte er die Fee mit funkelnden Augen, indem er auf den Prinzen zeigte, welchen ein kaltes Grausen überlief. Als ihn aber seine Schwester Bericht gethan und um Verzeihung gebeten hatte, ihn nicht zur Hochzeit eingeladen zu haben, indem er damals mit einem Kriegszuge [428] hätte zu schaffen gehabt, wurde er sehr freundlich, und bot dem Prinzen seine Dienste an.

Als er hörte, worauf es ankam, wollte er sogleich den Marsch antreten; allein die Schwester bat ihn das bis Morgen zu verschieben, indem sie ihm noch manche Nachricht und deßen Vater bisher vorgegangen sei.

Bei früher Tagszeit kamen Ahmed und Schaibar in die Hauptstadt, wo Alles mit Entsetzen vor dem Ungeheuer flohe. Auch die Wachen im Königspalast entflohen mit Zittern und Beben, und so kamen Beide ohne Hinderniß in den großen Saal, wo der König, umgeben von seinen Ministern, auf einem Thron saß.

Ohne erst zu erwarten, daß er dem Könige vorgestellt wurde, ging Schaibar auf den Thron zu und fuhr den König mit furchtbarer Stimme an: »Du hast mein begehrt. Hier bin ich. Was willst du?«

Der König hielt beide Hände vor die Augen und hätte sich auch gern die Ohren damit zugehalten, um den Donner der furchtbaren Stimme nicht zu hören. Vor Entsetzen konnte er nicht antworten. »Was willst du?« fragte Schaibar noch zweimal schrecklicher, und als er abermals keine Antwort empfing, rief er: »Sprich!« und schlug ihn zugleich mit der geschwungenen Keule todt, ehe es der Prinz verhindern konnte. Einmal ins Todtschlagen gekommen, schlug er links und rechts die Veziere und Günstlinge todt, auf jeden Schlag Einen, um sie für den Unrath zu bezahlen, welchen sie dem König statt guten Rath gegeben hätten. Nur der Großvezier blieb verschont, weil er Alles, was vorgegangen war, immer widerrathen hatte. Aber die Zauberin mußte herbeigeholt werden. Zitternd fiel sie vor dem Schrecklichen nieder. »Ha,« sagte Schaibar, [429] »du zitterst, du hast das Fieber wieder; ich will dirs vertreiben;« und damit schlug er ihr den Kopf ein.

Mit dem Allen war Schaibar noch nicht zufrieden, sondern er drohete der ganzen Stadt den Kopf einzuschlagen, wofern sie nicht freiwillig seinen Schwager Ahmed zum König ausriefen. Das geschahe mit tausend Freuden und lautem Jubelruf, der Keule wegen, und die Großen des Reichs huldigten dem Prinzen mit großem Entzücken, und nachdem Schaibar seine Schwester geholt hatte, wurde auch dieser gehuldigt, denn obwohl sie eine mächtige Königin unter der Erde und geistiger Natur war, verschmähete sie doch den Thron eines Erdkönigs nicht.

Der König bezeigte sich gnädig gegen den Bruder Ali, der an allen Händeln keinen Antheil genommen hatte, und schenkte ihm auf lebenslang eine große Provinz. Hußein sollte sich ebenfalls eine Provinz aussuchen, aber er blieb lieber als Derwisch in seiner Einsamkeit, wo er nicht leicht zu befürchten hatte, daß ihm der Kopf könnte eingeschlagen werden.

32. Der gelbe Zwerg31. Ahmed und Paribanu30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

32. Der gelbe Zwerg.

Eine Königin hatte von vielen Töchtern nur eine einzige übrig behalten, die aber soviel werth war als hundert andere; das heißt, ihre Schönheit war so entsetzlich grausam schön, daß hundert der schönsten Prinzeßinnen auf Erden zusammen genommen so schön [430] nicht waren, als sie allein, und darum wurde sie mit Recht Wunderschön genannt.

Die Mutter machte ihr Töchterchen schon frühzeitig zu ihrem Abgott, und that dem schönen Kinde allen Willen, denn wenn es geweint hätte, so hätte es ja häßlich ausgesehen und hätte sich die Aeuglein roth weinen können. Da wurde denn das liebe Goldkind, welches der Mutter bald über den Kopf wuchs, eigensinnig, trotzig, schnippisch, gebieterisch, auffahrerisch und so wetterwendisch und launisch, daß es oft selbst nicht wußte, was es wollte. Dennoch sagten die Mutter und die Hofdamen, das Alles stehe ihm ganz unvergleichlich, aber in der Stadt, wo die Leute keinen Geschmack haben mochten, sagten sie überlaut, das sei Alles ganz unerträglich.

Mit der Zeit dachte die Mutter zuweilen selbst, wie die Leute in der Stadt, nur sagte sie es nicht laut, denn sonst hätte es das wunderschöne Kind sehr übel genommen, wäre böse geworden, und die Mutter hätte alsdann keine gute Stunde gehabt. Sie tröstete sie jedoch damit, daß sich Vieles wohl legen würde, wenn ihr Wunderschönen erst so groß gewachsen wäre, daß sie einen Prinzen nehmen könnte. So groß wurde sie denn aber bald, und die Mutter ließ sie nun von hundert Malern abkonterfeien, welche die geschicktesten in der Welt waren, und jeder derselben mußte hundert Bildniße machen, welche die Königin an auswärtige Höfe, als echte Waare, versendete.

Kaum waren die Bildniße an den Königshöfen angekommen und nur ein einziges mal angesehen worden, so ging das Unheil los, denn viele Könige und Prinzen wurden närrisch, andere wurden ganz toll; einige wurden krank bis zum Tode, andere starben wirklich dahin wie Fliegen, und was nicht starb, das blieb am Leben und rannte in Schlafrock und Pantoffeln, durch dick und dünn, durch [431] Dorn und Hecken an Wunderschönchens Hof hin, fiel vor ihr nieder, betete sie an und sprach: »nimm mich! nimm mich, oder ich sterbe!«

Die Könige und Prinzen waren zu Tausenden angekommen, und gaben der Prinzeßin zu Ehren Feste, die viele Millionen kosteten; sie ließen so viel aufstreichen und geigen und pfeiffen, blasen und trompeten, daß zuletzt nicht mehr so viel Instrumente geliefert werden konnten, als verlangt wurden; sie ließen auch zum Lobe der Wunderschönheit so viele Gedichte machen, daß man von den Klingreimen allein zwei Winter hindurch die Feurung am Hofe und in der Stadt bestreiten konnte.

Die Prinzeßin ließ das Alles geschehen, aber sie wurde so wenig davon bewegt, daß sie nur ihren Hohn darüber hatte. Wenn die Liebhaber murren wollten, wies sie ihnen höflich die Wege und sagte: »Ihr könnt Euch ja fortscheeren;« und wenn dieselben vor Herzeleid weinten, so lachte sie die Heulpeter hell aus.

Die Mutter that ihr die sanftesten Vorstellungen und wies sie darauf hin, wie jung, wie schön, wie vornehm, wie mächtig, wie reich ihre Freier wären, aber damit richtete sie nichts aus. Sie wußte nicht mehr, was sie thun sollte, um den Stolz und den Eigensinn des Töchterleins zu brechen, und wollte daher eine Fee zu Rathe ziehen, welche in der Weisheit sehr gewaltig und berühmt war und die Fee der Einöde hieß. Aber sie behielt ihre Weisheit gern für sich selbst, und ließ sich daher rund um von Löwen bewachen. Wer nun nicht wußte, wie man mit den Löwen auskam, der konnte nimmermehr zur Höhle der Fee gelangen. Zum Glück aber wußte es die Königin.

Sie backte Kuchen von feinstem Waitzen- und Hirsenmehl, that gestoßenen Kandiszucker dazu, und Fett von Schildkröteneiern. [432] Die Kuchen legte sie in einen Korb, mit welchem sie sich unbemerkt und ganz allein auf den Weg machte. Weil sie aber des Gehens ungewohnt war und des Tragens auch, so setzte sie sich unter einen Baum nieder um ein wenig auszuruhen, schlief aber darüber sanft ein, und als sie wieder erwachte, war zwar der Korb noch da, aber die Kuchen waren allzumal fort.

Das Unglück wäre nun wohl so groß nicht gewesen, denn sie konnte ja nach Hause gehen und einen andern Kuchen backen, aber sie hörte schon von allen Seiten das Brüllen der herannahenden Löwen, die den Kuchen schon gerochen hatten.

Da überfiel sie ein solches Entsetzen, daß sie nicht aus der Stelle konnte und in der Todesangst sich nur fest an den Orangenbaum anklammerte, unter welchem sie geschlafen hatte.

Sie hörte über sich im Laube des Baumes rauschen, und als sie hinauf sahe, saß ein kleines Zwerglein, kaum einer Elle hoch, zwischen den Zweigen des Baums, das brach sich Orangen ab und speisete sie; der Zwerg aber sahe ganz gelb aus.

Als nun die Königin zu ihm hinauf sahe, sahe er schmunzelnd zu ihr hinunter und sagte: »Ach, Ihr seids, Frau Königin? Nun, nun! die Löwen seh ich schon kommen, und sie machen einen guten Schritt, und Ihr habt keinen Kuchen mehr; so werden sie Euch denn selbst freßen, denn die Bestien haben immer guten Appetit. – Indeßen ist Hülfe noch möglich, nur müßt Ihr mir Wunderschönchen zur Frau geben, denn so ein Persönchen such ich nun schon seit hundert Jahren zu Lande und zur See.«

Sie erschrack, als sie den Zwerg jetzt näher betrachtete, vor deßen Häßlichkeit, und noch mehr von dem immer lauter werdenden Brüllen der Löwen. In der Angst schwieg sie ganz.

[433] »Wie?« sagte der gelbe Zwerg, »Ihr besinnt Euch noch? – Seht dort auf den Hügel hin!«

Die Löwen erschienen eben auf der Höhe des nahen Hügels. Doppellöwen waren es, die zwei Köpfe, zwei Schwänze und acht Beine hatten, vierfache Reihen Zähne und vier fürchterliche Augen, die Haare aber waren feuergelb.

»Ihr sollt Wunderschönchen haben!« stammelte die bebende Königin; aber der Zwerg antwortete schnippisch! »So? – Nun? – Nein, nun ist mir der Appetit nach ihr vergangen.«

Die Königin mußte nun den Zwerg auf das allerdemüthigste bitten, daß er die Prinzeßin nur annähme. Als sie das gethan und Er dazu genickt hatte, öffnete sich eine Thür im Orangenbaum, und die Königin sprang hinein, und der Baum schloß sich wieder. Es war aber in der That auch hohe Zeit, denn die Löwen waren ganz nahe, und sprangen der Königin nach, bekamen aber für dasmal nichts, weder Kuchen noch Menschenfleisch.

Die Königin war nun in dem Orangenbaum, in welchem es wunderlich aussahe. Sie kam auf ein Feld, wo nichts stand als Dornensträucher und Distelstauden. Ein Sumpfgraben mit Modergeruch zog sich fast ganz um das Feld herum, und aus einer kleinen schmutzigen Hütte trat der krummbeinige Zwerg in Holzschuhen hervor. Das Kerlchen hatte eine schmutzige gelbe Jacke an, einen Kahlkopf, Lappenohren, Schweinsäugelein und quittengelbes Gesicht, und war übrigens guter Laune.

»Willkommen hier, liebe Schwiegermutter,« sagte er. »Es freut mich, daß Ihr selbst den kleinen Palast sehet, wo ich mit meinem Schönchen wohnen will. Er ist nicht allzugroß, aber er hat Platz für uns Beide, zumal da ich selbst mich mit wenigem Raum begnüge. Die Gegend ist pläsirlich, und mein Schönchen soll sich [434] einen Esel halten, wenn sie etwa spatzieren reiten will, denn Disteln sind ja genug da. Die fetten Frösche im Graben gewähren ihr ein eben so nahrhaftes als gesundes und leichtes Eßen und das Waßer in demselben hat einen angenehmen Geschmack und ist erquickend. Ihr seht, wie gut sie es haben wird, zumal da ich sie nie verlaßen, und mit meiner immer heiteren Laune recht aufgeräumt machen will.«

»O Wunderschönchen! O Schicksal! O Jammer! O Elend! O Quaal!« rief die Königin; fiel in Ohnmacht und fand sich, als sie wieder zu sich kam, so munter und wohlbehalten in ihrem Bette, daß sie die ganze Geschichte für einen lebhaften Traum erklärte. Als sie aber ihr Nachtzeug besahe, welches zwar höchst fein, aber quittengelb und von ganz eigenem ihr gänzlich unbekannten Zuschnitt war, da wurde ihr ganz unheimlich zu Muthe. Sie wurde unruhig, ängstlich, stumm und in sich verschloßen, und fiel zuletzt so tief in das melancholische Fach, so in eine Art Schwermüthigkeit, meine ich, daß sie auch nicht mehr eßen und trinken mochte vor lauter tiefsinnigen Gedanken. Die Hofleute fragten sich untereinander: »Was mag denn der fehlen?« aber beantworten konnte es Keiner. Wir aber wißen, daß Alles eigentlich von der fatalen, grausamlichen Schönheit der Prinzeßin herkam, die zuletzt auch alle Prinzen in Tiefsinn und Schwersinn brachte, obwohl sie von Kindesbeinen an daran gar nicht gewöhnt waren.

Die Prinzeßin war, wenn man ihre Fehler abrechnete, eine Person von sehr vortrefflichem und gefühligem Herzen – sie hatte Gemüth, und mithin ward sie von dem Zustande der Mutter sehr affizirt – angegriffen gleichsam.

Sie wollte durchaus wißen, was der Mutter fehle, wie derselben zu helfen stehe, und auch, ob sie selbst durchaus heirathen solle, [435] und beschloß die Fee der Einöde um Rath zu fragen. Sie hatte ebenfalls solche löwenbesänftigende Kuchen gebacken, wie ihre Mutter, legte sie in den Korb und ging damit fort.

Als sie unter den Orangenbaum kam, lachten und lockten sie einige wunderliebliche Orangen an. Sie setzte ihr Körbchen nieder, brach einige ab, und erquickte sich damit. Als sie nun aber weiter wollte, waren Korb und Kuchen fort. Sie ängstigte sich darüber und weinte. »Was weinst Du, schönes Kind?« fragte sie das gelbe Zwergmännchen, welches vor ihr stand, ohne daß sie wußte, wie? – Sie antwortete: »Sollt ich denn nicht weinen, da mein Korb mit dem Kuchen fort ist, den ich so nothwendig brauche um bösen Geschöpfen das Maul zu stopfen?«

Es gab ein Wort das andere, und so erfuhr denn der Zwerg bald, was er ohnedieß schon wußte. Unter andern klagte sie ihm ihre Noth, daß sie heirathen sollte, und hätte noch keinen Prinzen gefunden, der ihrer würdig wäre. Sie wiße nun nicht, was sie thun solle? »Was ist denn da zu besinnen? versetzte er, da Euch die Mutter schon versprochen hat.«

»Versprochen? Mich? Die Mutter? Ohne mich zu fragen? erwiederte sie heftig; nein, das wagt sie nicht; das darf sie nicht wagen. Wer wäre denn der, den sie gewählt hat für mich?«

»Prinzeßin, sagte Zwergmännchen, indem er sich mit überholdseeligen Gebehrden vor ihr knieend niederließ: ich bin der Glückliche, auf welchen ihre Wahl gefallen ist, und hoffe Euch nicht zu mißfallen.«

»Du vollends!« sagte die Prinzeßin.

»Ja! antwortete der Zwerg. Indeßen muß es grade nicht sein. Jedoch nehmt Euch in Acht, daß sich die Löwen nicht aufs innigste mit Euch vermählen, die dort eben herankommen.«

[436] In großen Sätzen und brüllend kamen die Löwen daher, und in der Angst rief die Prinzeßin: »Ich nehme dich, allerliebster Zwerg; ich nehme dich, aber rette mein Leben.«

»Dich vollends! antwortete höhnisch der Zwerg; – laß dich noch lieber freßen.«

Knieend und mit gefalteten Händen bat sie ihn, sie zu retten und als Frau anzunehmen. Sie verhieß alle Zwerge der Welt zu heirathen, wenn sie ihr Leben nur erhalte. – »So nehme ich dich denn,« sagte der Zwerg, indem sie, der ganz nahen Löwen wegen, bewußtlos niedersank.

Sie fand sich auf ihrem Zimmer im Bette, als sie die Augen aufschlug, mit der feinsten Wäsche angethan und mit einem Ring an dem Finger, der aus einem einzigen gelben Haare gemacht war, und so dicht anschloß, daß sie ihn mit aller Mühe nicht abziehen konnte.

Jetzt wurde nun die Prinzeßin ganz in sich gekehrt und alles Bitten und Fragen der Mutter brachte nichts aus ihr heraus. Ach, sie hätte jetzt lieber irgend einen der verschmäheten Prinzen genommen, als den gelben Zwerg, obgleich sie keinen von denselben lieb hatte, aber sie wußte nicht, wie sie es mit guter Art anfangen sollte.

Ihr Glück half ihr. Es kamen die Landstände und drangen darauf, daß sie sich zum Wohle des Landes vermählen sollte. Um des Zwerges loszukommen that sie, als ob sie die Nothwendigkeit der Forderung einsähe und wählte den schönen, mächtigen und reichen König der Gold und Silberminen, der nahe daran gewesen war, vor heftiger Liebe den Verstand zu verlieren, aber diese Wahl rettete seinen Verstand, seinen Scharfsinn, seinen Witz, seine Gemüthlichkeit und sein Leben. Was die andern Prinzen betrifft, so gingen sie nach dieser Wahl fast allesammt kaput. Sechs und dreißig [437] steckten sich Steine in die Taschen und sprangen ins Waßer; sieben und zwanzig stießen sich mit ihren Degen durch den Leib, daß sie starben; fünf und vierzig suchten bei fremden Fürsten Kriegsdienste und stellten sich mitten in den Kugelregen vor die Batterien hin, die zweitausend sechshundert Jahr nachher erfunden wurden, zu welchem sie aber das Pulver nicht erfunden hatten; acht und neunzig krochen nach Hause kläglich und mühselig zurück und starben am Aechzen, Stöhnen, Herzweh und andern dergleichen miserabeln Krankheiten. Mit Einem Worte, Alle kamen ganz elendiglich um, und es wurde damals eine große Verzweiflung unter den Leuten in allen Landen, denn sie wußten nun nicht, wie sie regiert werden sollten, weil ihre Prinzen nun Heidi gegangen waren.

Der glückliche Bräutigam, der bei dem Tode der andern Prinzen erst zum rechten Leben kam, ließ seine Gold- und Silberflotten kommen, deren Schiffe das ganze Meer so sehr bedeckten, daß keine Seeschwalbe zwischendurch fliegen konnte. Die Prinzeßin fing an den Gewählten immer mehr lieb zu haben, und der Hochzeitstag wurde angesetzt, an welchem es glänzend hergehen sollte.

Es wäre auch glänzend und herrlich hergegangen, wären nicht zwei dumme Truthähne gekommen, die an einer alten Schachtel zogen, hinter welcher ein altes Weib mit ihrer Krücke hinkte, die eine rothe Sammtkappe auf, und eine altmodische Kontusche an hatte.

Die Alte hob ihren Krückenstab gegen die Königin und gegen die Prinzeßin auf und sagte drohend: »Hoh! Frau Königin! Hoh! Jungfer Prinzeßin! Wollt Ihr denn meinem guten Freunde, dem gelben Zwerge, Euer Versprechen nicht halten? – Fürchtet Ihr nicht, daß es Euch übel bekommen möchte? – Bei meiner Kappe, den Zwerg sollt Ihr nehmen, Jungfer Prinzin, denn Ihr habt es ihm versprochen und Eure Mutter hat Euch ihm auch zugesagt.«

[438] Mutter und Tochter waren sehr betroffen, als sie sich so entdeckt sahen, aber der König der Gold- und Silberminen, ein kühner und heldenmäßiger Herr, wollte dem Handel ein Ende machen, erhob sich gewaltig gegen das alte Weib und drohete der armen Hinkebein mit seinem scharfen Säbel das Garaus zu spielen, wofern sie nicht Reißaus nähme.

Aber da erhob sich ein anderes, eben so heldenmüthiges Herz. Der Schachteldeckel zersprang mit lautem Knallen und prallte bis an die Decke hinauf, und der gelbe Zwerg, auf einer großen, kohlschwarzen Katze reitend, trat zwischen der Alten, welche die Fee der Einöde war, und zwischen dem wüthenden König, der auf alle Reden des Zwergs gar nicht hörte, sondern von Morden, Hauen, Stechen, Luftsprengen und Zerhacken wüthige Redensarten führte.

Der Zwerg schäumte vor Wuth, der Katzenrappe bekam die Sporen, fing fürchterlich an zu heulen und machte so gewaltige Sprünge, daß ihm Jedermann auswich, nur nicht der König, der dem Zwerg mit kaltblütigem Grimm auf den Pelz rückte. Dieser zog ein breites Schlachtschwerdt hervor und forderte mit hohen Reden den König zum Zweikampfe auf dem Schloßhofe heraus.

Kaum standen die Helden auf dem Kampfplatze, so, daß sie einander im Auge das Weiße sehen konnten, so wurde die Sonne dunkel und blutroth und eine furchtbare Nacht verfinsterte Alles. Zischende Blitze unterbrachen die Nacht, die Donner rollten, die Winde heulten, die Uhus schrien, und die Welt wollte erbebend untergehen. Die beiden Hähne, welche den Zwerg gezogen hatten, waren große Riesen geworden und spien Feuerströme auf den jungen Helden, welcher aber so viel Faßung und Muth behielt, daß die Prinzeßin, welche nebst ihren Hofdamen von dem Balkon herab, [439] mit vor die Augen gehaltenen Händen zusahe, davon gerührt wurde und den Prinzen immer lieber gewann.

Warum nun die beiden Helden mit ihren Schwerdtern nicht auf einander ein und zuhieben, davon steht nichts in den alten Chroniken geschrieben; Folgendes aber steht darin geschrieben.

Die Fee erschien in Gestalt einer Furie auf dem Balkon; feurige, zischende Schlangen waren ihr Haupthaar, ihr Reitthier war ein geflügelter Greif mit grausamlichen Krallen und Schnabel, und in der Hand führte sie eine Lanze, mit welcher sie, mir nichts, dir nichts, Wunderschönchen durch und durch stieß, daß sie hinfiel und blutete.

Als der König das sahe, wollte er der Geliebten zu Hülfe eilen, aber der Zwerg mit seinem Katzenpferde war schneller, riß Wunderschönchen aus den Armen der Hoffräulein, und flog mit ihr über das Dach hinweg und davon, und der König stand so unbeweglich da, als wäre er versteint, aber er kam bald wieder in Bewegung, denn eine unsichtbare Macht führte ihn ebenfalls durch die Luft fort. Somit waren sie nun Beide fort, der Geliebte und die Geliebte.

Die Fee war es, welche den König fortgeführt hatte, denn sie war beim ersten Erblicken deßelben durch Liebe zu ihm in lichterlohe Flammen gesetzt und gedachte ihn zu heirathen. Da sie ihn nun zur Gegenliebe glaubte vorbereiten zu müßen, indem sie selbst in ihrer natürlichen Gestalt ein häßlich altes Schätzchen war, so trug sie ihn in ein finsteres, tiefes und großes Erdloch, wo Schlangen und Unken drinn waren und große Ketten an den Wänden befestigt, mit welchen der König umschlungen wurde.

Als derselbe erst ein wenig zu sich gekommen war und nun sahe, wo er sich befand, erschien ihm die Fee in der reizendsten Gestalt und bedauerte ihn über sein Schicksal. Er sahe wohl, daß er mit der [440] Fee der Einöde zu thun hatte, denn er kannte sie an den Greifenklaun, die sie niemals verbergen konnte, welche Gestalt sie auch annahm. Er that aber nicht, als ob er sie erkenne, und täuschte sie durch glatte Worte. »Er merkte wohl,« sagte er, »daß ihn die Fee der Einöde aus Liebe entführt und hieher gebracht habe, und es werde ihm nicht schwer werden sie wieder zu lieben, zumal da sie als Fee so mächtig sei; aber das ist nicht recht, setzte er hinzu, daß sie meinem Feinde, dem Zwerg, beigestanden hat und mich hier eingekerkert hält. Sollt ich mich auch aus Liebe zu ihr verzehren müßen, so werd ich ihr dennoch nicht die mindeste Spur davon verrathen, so lange sie mich hier gefangen hält.«

Die Fee ließ sich hintergehen, entdeckte ihm, wer sie sei, und führte ihn auf einem Wolkenwagen weit in den Lüften fort. Auf dieser Luftreise kamen sie über ein Schloß, deßen Mauern hellpolirte Stahlwände waren, welche solche mächtige Brennspiegel bildeten, daß, was auf zehntausend Schritte sich näherte, sogleich zu Asche verbrannt wurde. Wie ward dem Prinzen ums Herz, als er in dem Garten dieses Schloßes sein allerliebstes Wunderblümchen fand, welches in einem Gebüsche an einem Bache saß und weinte. Gern hätte er sich zu ihr hinabgestürzt, nur war es ihm ein wenig zu hoch. Die Prinzeßin hatte ihn aber auch gesehen und weil die Fee sich so gar ausnehmend schön gemacht hatte, dachte sie, er sei ihr ungetreu geworden, und liebte ihn nun noch heftiger, zumal da sie schon seit gestern achtzehn Jahr alt war.

Der König ließ sich nicht abmerken, daß er die Prinzeßin erblickt hatte. Er kam mit der Fee auf einer Blumenwiese an, voll schattiger Bäume und kühlender Quellen, und im Hintergrunde [441] derselben stand ein herrlicher Palast, vor welchem sich der Wolkenwagen niederließ. Chöre schöner Mädchen kamen ihnen singend und spielend entgegen, und führten den König in ein herrliches Zimmer.

Der König hatte den Plan die Fee dahin zu bringen, daß sie mit ihrem Freunde, dem gelben Zwerg, bräche, in der Hoffnung, es würde alsdann Wunderschönchen erlöst werden. Darum log er ihr Liebe und erhob ihre Schönheit. Sie glaubte ihm um so williger, weil sie sich liebenswürdig und schön hielt, aber gegen den Zwerg konnte er sie nicht aufbringen, »denn,« sagte sie, »er ist mein ältester Freund und so mächtig als ich.«

Nach einiger Zeit erhielt der König die Erlaubniß am Gestade des Meeres sich zu ergehen. Entkommen konnte er ihr nicht, denn ein großer reißender Strom umzog die Wieseninsel dem größesten Theile nach. Der übrige Theil stieß ans Meer, welches sie daselbst so wild und stürmend gemacht hatte, daß kein Fahrzeug sich heranwagen konnte.

Eines Tags sitzt der König in seinen trübseligen Gedanken am Meeresufer und klagt den Wellen sein Leid und preist ihnen Wunderschönchens Schönheit. »Ach, ruft er, ihr stürmischen, brausenden, sausenden Wellen, könntet ihr mich von der alten, häßlichen Runkunkel, von der garstigen Meerkatze erlösen, ich wollte euch umarmen und die schönsten Gedichte auf Euch verfertigen laßen – aber ihr sollt mich, selbst wider euren Willen, erlösen, denn ehe ich mich mit dem häßlichen Runzelfell vermähle, vermähl ich mich lieber mit euch, und stürze mich in euer naßes Grab.«

Also klagte und tobte der arme König, und nicht vergeblich. Die Wellen hatte sein ungeheurer Schmerz gerührt. Es rauschte im [442] Schilfe, welches zwischen zwei Felsenklippen stand, und es tritt ein Meerfräulein von großer Schönheit über dem Waßer hervor. Ihr Oberleib war mit ihrem goldgelben langen Haupthaar bedeckt, der Unterleib aber war ein langer Fischschwanz.

»Mich sendet das Meer zu dir, sagte das Fräulein, dich zu erretten und dich zu deinem treuen Wunderschönchen zu bringen, welches den garstigen Zwerg nicht mag.«

Die Meerjungfer brach ein großes trocknes Schilfrohr ab, blies es dreimal an und sagte: »Schilfrohr, liebes Schilfrohr, liege hier auf dem Sande am Strande, und gehe nicht fort, bis die Fee dich abholt.«

Auf einmal bekam das Schilfrohr Gestalt und Kleidung des Goldminenkönigs, und lag blaß und abgezehrt am Ufer, als sei er vom Meere ausgeworfen. Das Meerfräulein nahm nun den König auf seinen Fischschwanz und brachte ihn in kurzer Zeit wohlbehalten an das Schloß des Zwerges, denn an der Meerseite hatte der Zwerg die furchtbaren Stahlspiegel nicht angebracht. »Wunderschönchen, sagte seine Retterin, sitzt wieder an dem Bache, wo du sie zuletzt sahest und sehnt sich nach dir. Ehe du zu ihr gelangen kannst, werden dich noch manche Feinde aufhalten wollen, aber nimm diesen Demantsäbel; er ist gut gegen Alles; leg ihn nur nicht aus der Hand und lebe wohl.« Sie gab ihm den Degen, und seegelte zurück, denn sie war neugierig zu wißen, was die Fee beginnen würde.

Es war ihr der Liebhaber zu lang geblieben, darum ging sie ihn zu suchen und heimzuführen, damit er nicht etwa in feuchter Abendluft einen Schnupfen davon tragen möchte. Sie fand ihn bald, aber todt – todt ausgestreckt auf dem Strande. Sie erhob ein gräßliches Geschrei, vor welchem das Meer selbst entsetzt zurückfuhr. [443] In Verzweiflung und Wuth des Schmerzes warf sie sich über den kalten Leichnam her, und wusch ihn mit ihren Thränen. Dann fuhr sie noch wüthender auf und erwürgte funfzig Stück von den kostbaren Jungfrauen, die sie begleitet hatten, so leicht als wären es junge Rebhüner gewesen. Sie waren das Todtenopfer für den Geliebten. Dann rief sie zwölf Feen, mit welchen sie ein Grabmal bauete, wohin sie den Leichnam legten.

Unser Prinz aber mit seinem Demantschwerdt war, während ihn die Fee beisetzte, frisch und munter wie ein Eichkätzchen, und muthig wie ein Löwe, und suchte sein Schönchen. Es rückten Greife, Drachen und ungeheure Fledermäuse gegen ihn an; es kamen ihrer sechs in greulicher Gestalt auf Krokodilen daher gejagt und schoßen lauter Spieße aus den Rachen auf ihn; es traten Riesen mit Schuppenpanzern und Stahlkeulen auf, aber mit seinem Degen hatte er leichte Arbeit; er schwang ihn nur, so lief der größeste Theil der Ungethüme davon, einige aber, die Stand halten wollten, wurden mitten entzwei gehauen.

Als er glaubte, alle Abentheuer wären bestanden, kamen zwei Dutzend junge Mädchen, allesammt schöner als die Morgensterne, und wollten ihn mit Blumenketten aufhalten, die sie ihm über den Weg zogen. »Halt, schöner König, sagten sie; die Wache für diese Gegend ist uns übertragen, und wo wir unsere Schuldigkeit versäumten, wär es unser Unglück und deines. Auch wirst du ja gegen uns schwache Mädchen kein Held sein wollen.«

Der König wußte fürwahr nicht, was er thun sollte, denn die armen Dinger schienen ihm so unschuldig und so hübsch, aber heimlich rief es ihm in die Ohren: »Haue zu, sonst ist es dein Unglück.« Da hieb er tapfer die Blumenketten, die oftmals stärker als Eisenketten feßeln, entzwei, die Mädchen flohen und in zwei Augenblicken [444] war er bei seiner geliebten Prinzeßin. Er umarmte sie und sie umarmte ihn wieder, aber die Gedankenlosigkeit, in welche ihn dieses Umarmen versetzt hatte, ließ ihn den Diamantsäbel aus der Hand fallen. Schnell hüpfte der Zwerg hinter einem großen Kohlkopfe, wo er sich versteckt gehalten hatte, hervor, und bemächtigte sich des Säbels, deßen Tugend er kannte. In ihrem Entzücken merkten sie es nicht einmal; hätte aber auch nichts mehr geholfen, wenn sie es gemerkt hätten.

Mit einigen hergemurmelten Worten rief der Zwerg zwei große Riesen herbei, die den König feßelten. Der Zwerg drohete dem König mit dem Tode, wofern er nicht der Prinzeßin sogleich entsage und diese auf der Stelle ihm ihre Hand gäbe; aber, gesegnete Wahlzeit, das thaten sie nicht. Sie wollten lieber todt mit einander leben, als lebend, getrennt von einander das ganze Leben lang todt sein.

Da wurde der Zwerg wild, nahm den Diamantsäbel und stach dem König ins treue Herz, daß derselbe todt hinfiel. Jetzt drohete der Zwerg der Prinzeßin sie auch zu herzstechen, wenn sie ihn nicht nähme. Sie aber sagte, indem sie dem Zwerge den Säbel schnell aus der Hand riß: »Du häßlicher, garstiger Zwerg, das sollst Du nicht, denn ich will mich schon selbst erstechen und mit meinem Prinzen vereinen.« Da bat der Zwerg: »O Du Allerschönste, das thue doch nicht an Dir und an mir.« Nein, sagte sie, an mir will ich es auch nicht thun, aber an Dir. Also hieb sie den Zwerg über die Glatze, daß er todt hinfiel. Nun waren zweie kaput. Jetzt hätte sie sich selbst gern auch ein Leides gethan und das zarte Herz durchbohrt. Sie wußte aber nicht, ob das recht sein möchte? Sie ging daher an den Hof ihrer Mutter, an welchem noch einige Prinzen, die mit zu den närrischen gehörten, tiefsinnig umhergingen und sie [445] suchten. Einer davon kam bei ihrem Anblick wieder zu paßabeln Verstand. Den nahm sie, und blieb glücklich am Leben.

Das war das Ende von dieser Mord-, Jammer-, Thränen- und Wundergeschichte.

33. Dornröschen32. Der gelbe Zwerg31. Ahmed und Paribanu30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

33. Dornröschen.

Eine Königin hätte sogern, ach sogar allzugern ein Kind gehabt, und bekam doch keins, so sehr sie sich auch eins wünschte. Da wurde sie ganz traurig und weinte und sagte: »Was hilft uns nun unser schönes Königreich, da wir es keinem eigenen Kinde hinterlaßen können?«

Als sie so einmal an einem klaren Bach unter schönen Bäumen hinging und sah große und kleine Fische im hellen Waßer spielen und sich jagen, und sahe die Vöglein ihre Jungen füttern, die über das Nest herauskuckten und pipten, da sagte sie recht traurig: »Ach, die Vöglein haben ihre Kinderchen und die Fische auch, aber ich – ich habe kein Kind!«

»Sollst eins haben! Sollst eins haben!« rief ein Vöglein vom Baume herab.

»Eine Tochter! Eine Tochter!« rief ein Krebs, der den Kopf aus dem Waßer heraussteckte.

»Uebers Jahr! Uebers Jahr!« rief eine Stimme, die sich nicht sehen ließ. Da wurde die Königin recht froh, und alle Leute im Schloße hatten es gut bei ihr; o! wie gut!

[446] Und als das Jahr um war, bekam die Königin eine Tochter, die nannten sie Röslein. Da war nun große Freude im ganzen Lande, und der König gab ein Fest, zu welchem er alle Feen, die im Lande waren, einladen ließ, deren zwölf waren. Die begabten das Kind mit schönen Gaben, nur die zwölfte begabte es nicht gleich, weil sie sich erst auf etwas recht Gutes besinnen wollte.

Als die Feen bei Tische saßen und aßen, jede auf einem goldenen Teller, da schnurrte es und burrte es zum Fenster hinein, als ob eine ganze Armee Maikäfer kämen, und es trat eine Fee herein, die sahe recht häßlich aus, weil sie so zornig aussahe.

»Ach, das gibt ein Unglück, sagte der König; die haben wir vergeßen. Die ist rachsüchtig, weil sie so empfindlich ist.«

Da wollten sie ihr einen Platz am Tische geben, hatten aber keinen Goldteller mehr. Da setzten sie ihr drei silberne Teller hin, und die Königin holte ihr einen Strauß von Diamanten, und legte denselben vor ihre Teller hin. Die Fee aber sahe recht hämisch aus und sagte: »Ihr habt mich verachtet, weil Ihr mich nicht eingeladen habt; ich verachte Euch und Eure Speisen und Diamanten auch – ich brauche sie nicht; aber ich sage Euch, ehe Eure Tochter funfzehn Jahr alt sein wird, soll sie sich an einer Spindel stechen und todt hinfallen.« Damit zog sie schnurrend wieder fort.

Es waren Alle gewaltig erschrocken, aber die zwölfte Fee sagte: »Beruhigt Euch. Es ist gut, daß ich mich mit meiner Gabe nicht übereilt habe.«

Sie trat an die Wiege des Kindes und sagte: »Du wirst dich stechen und todt hinfallen, aber du wirst nicht todt bleiben, sondern erweckt werden zu seiner Zeit.«

Der König ließ Alles, was nur einer Spindel ähnlich sahe, im ganzen Schloße aufsuchen und fortschaffen, und das Kind wuchs [447] lustig auf und wurde sehr schön. Das war gut! Aber es wurde auch sehr liebenswürdig, weil es gütig, freundlich und sanft war; das war noch viel beßer. Man sahe das liebe Kind nur gern an; man that Alles, was man ihm an den Augen abmerkte, und alle Leute sagten, unser kleines Prinzeßchen ist ein Engel.

Schon war die Prinzeßin eine Weile ins funfzehnte Jahr gegangen und ihre Aeltern waren im Garten, als sie im Schloße umherging, welches sie oft that und mit allen Leuten gar freundlich sprach. Da kam sie an eine Thurmthüre, die sie offen fand, da sie vorher dieselbe immer mit großen Riegeln verschloßen gefunden hatte. Sie muß doch wißen, wie es in dem Thurme aussieht und geht hinein, steigt eine Treppe hinauf und wieder eine und dann noch einige, kommt dann zu einer kleinen Thür, die sie mit dem daran steckenden Schlüßel öffnet. Da trat sie in eine kleine Stube, in welcher ein kleines reinliches Mütterlein saß und spann. Das hatte sie noch nie gesehen, darum gab sie recht acht und sagte: »Ob ichs denn auch wohl könnte?« – »Ja, liebes Prinzeßchen, sagte freundlich das Mütterlein, das könnt Ihr nicht wißen, bis Ihr es nicht versucht habet.« Die Prinzeßin wollt es versuchen, nahm die Spindel, stach sich damit in den Finger und versank sogleich in einen Todesschlaf.

In demselben Augenblick verfiel Alles im Schloße in festen Schlaf; der König und die Königin, die aus dem Garten zurück waren, schliefen ein; die Bedienten und die Kammermädchen schliefen mitten im Herumlaufen und Plaudern ein; der Koch, welcher dem Küchenjungen eben nach den Haaren griff und ihn raufen wollte; die Küchenmagd, die das abgebrühete Hun rupfen wollte, die Pferde in den Ställen, die Hunde auf dem Hofe, die Fliegen an den Wänden, die Mäuse in den Löchern, der schnurrende Bratenwender und [448] der Dreifuß auf dem Heerde, ja selbst das Küchenfeuer und die Tauben in der Bratpfanne – kurz Alles schlief ein. Das war einmal ein Schlaf!

Aber um das Schloß fing sich schnell eine Dornenhecke an herumzuziehen und die Dornhecke wuchs höher und immer höher, bis endlich über das Schloß hinaus, weil Unkraut immer am schnellsten groß wird.

Viel Prinzen wußten, daß ein gar schönes und liebliches Röslein im Schloße war, und kamen und wollten es befreien, wollten die Dornhecken mit dem Schwerdte zerhauen oder sich durchdrängen, aber das half nichts. Blutig gefetzt kehrten sie wieder zurück und manche sollen sogar in den Dornhecken kläglich umgekommen sein. Seit der Zeit nun hieß die Prinzeß Röslein nur Dornröslein.

So stand das Schloß und das Dorngehäge wohl hundert Jahr und noch länger, und wußte Niemand mehr, was in dem Schloße vorgegangen war, als ein einziger alter Mann im Lande, dem es sein Großvater erzählt hat, und der in der Nähe des Schloßes wohnte. Dieser erzählte einem Königssohne, der einmal vorbeizog und ein wißbegieriger und heldenmüthiger junger Herr war, was sich begeben hatte, und wie es den Prinzen gegangen sei.

»Das muß ich doch selbst sehen, sagte der junge Held, und will mich daran versuchen.«

Er ging nach dem Schloße zu, aber eine Dornenhecke fand er nicht, sondern nur lauter Blumen, die in schönen Kreisen das Schloß umgaben, und vor welchen er sich gar nicht fürchtete. Hätten sie ihm einen Widerstand geleistet, so hätte er sie mit seinem Säbel durchgehauen und sich einen Weg gebahnt zu Dornröslein hin. Aber Blumen sind ja nicht blos schön, sondern auch sanft. Darum wichen sie aus, als er herankam, und ließen ihm offenen Weg.

[449] Er schritt hindurch, und als er hindurch war, wurden die Blumen hinter ihm sogleich wieder zu Dornhecken, darum vielleicht, daß kein anderer Prinz ihm etwa des lieblichen Rösleins wegen nachschliche, denn er war der Rechte, der es erlösen sollte.

Als er ins Schloß kam, schlief Alles noch so, wie es eingeschlafen war, König und Königin, Diener und Dienerinnen, Pferde und Hunde, Katzen mit der athmenden Maus im Maule, Koch und Küchenfeuer, gebratene und nicht gebratene Tauben, – schliefen und schniebten mit dem Athem laut und stark, und wo er hinging, da lags im Schlaf, sanft und süß und stille und nichts hörbar als der Athem.

»Ja! sagte der Prinz, wenn ich nur wüßte, wie ich die wieder aufwecken könnte, denn in einem natürlichen Schlafe liegen sie doch gewiß nicht. – Und wo ist denn das schöne Röslein; das möcht ich doch gar zu gern sehen, zumal wenn sie so herzensgut ist, als der alte Mann gesagt hat, weil das eben das Schönste an der Schönheit ist, wie ich glaube.«

So hatte er mancherlei Fragen, worauf er aber keine Antwort erhielt, besahe sich Alles, hielt seine Selbstgespräche, daß alle Welt so ruhig und fromm da läge, und Keins dem Andern Leides thue, und kam auch zu kleinen Kindern, die hatten ihre Püppchen im Arm und hatten sie an ihr Herz gedrückt und lächelten im Schlafe, und fand kleine Hundchen, die an der Mutter sogen und mit ihr schliefen. – Ja dergleichen fand der Prinz viel, aber Dornröslein fand er nicht, und wanderte in dem geräumigen, weiten Schloße weiter und immer weiter.

Er kam zuletzt in den alten Thurm, der noch immer offen stand, er stieg die Treppen hinauf, er kam in das Stübchen, wo Dornröschen umgesunken war und schlief. Er knieete neben dem holden [450] Kinde nieder und sahe es recht an. »Ach,« sagte er, »bist du so hold, so gut, so freundselig, als du schlafend aussiehst, so solltest du meinem Herzen recht werth sein, wärest du auch so wunderschön nicht.«

Es war, als flüsterte es ihm ein: »Küße! küße leise und zart ihre holdseligen Lippen!«

Da beugte er sich nieder und berührte ihre Lippen leise und sanft, und Dornröschen rieb sich die Augen und sahe ihn lächelnd an; die Kinder erwachten und liebkoseten den Puppen; die Hundchen fingen an um ihre Mütter zu spielen; die Katze machte einen Krummbuckel, mit ausgereckten Talpen sich drehend; das Feuer knisterte und schlug Flammen; die Tauben praßelten im Tiegel; der Koch sahe den Küchenjungen freundlich an, zog die Hand, die ihn raufen wollte, zurück, reichte sie ihm und sagte: »guten Morgen, Matthies; nun wollen wir recht kochen, denn wir waren ein Bißchen eingenickt.«

Alles war erwacht; Alles war Liebe und Friede und Freundlichkeit, und der Prinz und Dornröslein wurden von den glücklichen Aeltern gesegnet, und heiratheten sich.

34. Der glückliche Holzhacker33. Dornröschen32. Der gelbe Zwerg31. Ahmed und Paribanu30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

34. Der glückliche Holzhacker.

Ein König hatte seine hübsche Tochter und sein Land demjenigen versprochen, der ihm die drei goldenen Haare bringen würde, die auf dem Kopfe eines großen Popanzmännchen saßen, der dreißig Ellen lang war und weit davon in einem Walde wohnte, in einem großen Schloße tief unter der Erde.

[451] Popanzmännchen war eigentlich etwas dummlig im Kopfe, aber das wußte Niemand als seine Frau, die ihn, wie an einem seidnen Fädchen lenken konnte, die Andern aber hielten ihn für einen sehr weisen Mann, der wahrsagen und guten Rath ertheilen könnte, wenn er wollte. Die Kraft dazu steckte aber in den drei Goldhaaren, und darum wollte sie eben der König haben.

Nun kamen zwar viele Prinzen, Grafen und Herren, die um der hübschen Tochter willen dem Popanz zu Leibe gehen wollten, und wollten ihn todt schlagen und die drei Haare dann ausraufen und dem Könige bringen, wenn er sie nicht gutwillig wollte hergeben. Sie meinten, es würde sich der große Kerl vor ihnen fürchten und nicht viele Umstände machen, aber weil er etwas dumm wär, so hatte er gar keinen Respekt vor ihnen und wenn sie mit Davonlaufen davon kamen, hatten sie von großem Glück zu sagen. Manchem derselben hatte er mit einem Griff das Köpfchen eingedrückt und ihn mit großem Wohlbehagen gespeist, denn je zuweilen hatte er einen Bißen Menschenfleisch gern, weil es ihm guten Appetit zu den andern Speisen machte, zu Kohl und Rüben, die er Fuderweise, oder zu Schafen und Fetthämmeln, die er hundertweise verzehrte, und die seine gewöhnliche friedliche Kost ausmachten.

Weil er nun aber so dumm als grob war, wollte sich kein vornehmer Herr mehr mit ihm abgeben, und also bekam der König die drei Goldhaare nicht.

Nun war auf dem Schloßhofe ein junger Holzhacker, der Holz spaltete und ganz hübsch war. Die Prinzeßin hatte ihn oft durchs Fenster gesehen und er gefiel ihr. O! dachte sie, wenn der doch dem Vater die goldnen Haare verschaffte, das wäre sehr gut, denn sonst kommt wohl am Ende gar noch ein alter abgedankter Soldat mit einem Stelzbein, der Herz hat wie ein sechs Groschen [452] Brodt groß und hat sich im Kriege versucht und bringt dann die Haare; und der Vater hält ihm gewiß Wort.

Sie ließ den jungen Holzhacker zu sich kommen und sagte: »Hör einmal, ich kann dich wohl leiden, und wenn ich dir gut genug bin, so sollst du mich haben, aber die goldenen Haare mußt du dem Vater schaffen.«

Er schlug die Augen verschämt nieder und sagte: »Ach Gott, das ist ein groß Glück. Ich gehe zum Popanz und in die Hölle, wenn es sein muß; und komm ich nicht wieder, so glaubt nur, daß ich gewiß todt bin.«

Als der Jüngling fortgezogen war, sagte die Königstochter dem Vater, was sie mit dem Holzhacker verabredet hätte. Der Vater antwortete: »Bringt er die Goldhaare, so soll er mir recht sein.« Aber der König hatte viele Zweifel und dachte, daß ein gemeiner Holzhacker nimmermehr zu Stande bringen würde, was alle Prinzen nicht hatten ausrichten können, aber die Prinzeßin hatte in ihrem Herzen ein gar großes Vertrauen zu ihrem lieben Holzhacker.

Der junge Holzhacker kam auf seiner Reise zum großen Popanzmännchen zuerst an eine große Stadt. Da fragt ihn der Thorwärter, wer er denn sei? und was er verstehe? und was er könne? – »Ich kann Alles,« war die Antwort. – »So mache unsere Prinzeßin gesund, sagte der Thorwärter, die kein Arzt heilen kann.« – Ja! antwortete er, wenn ich wiederkomme.

In einer andern Stadt wurde er auch gefragt, was er wiße und könne. »Alles!« war seine Antwort. »So sag uns denn, hieß es, warum unser schöner Marktbrunnen vertrocknet ist. Wir haben kein Waßer und werden bald aus der Stadt müßen.« – Wenn ich wiederkomme, sagte der Holzhacker und ging weiter.

[453] Er kam an einen Feigenbaum, der verwelken woll te. Ein Mann, der neben dem Baum stand, fragte ihn ebenfalls, was er wiße und könne, und als er geantwortet hatte: »Alles,« sprach der Mann: »so sag mir, warum mein Feigenbaum welkt und keine Früchte will tragen?« – »Wenn ich wiederkomme,« sagte er, ging weiter und kam zu einem Fischer, der mußte ihn über das Waßer fahren, und der fragte auch, was er wiße? und als er wieder antwortete: »Alles;« sprach der Fischer: »so sage mir denn, wenn werd ich einmal abgelöst werden, und ein Anderer die Leute überschiffen?« – »Wenn ich wiederkomme,« hieß es.

Als nun der Holzhacker in das unterirrdische Schloß des Popanzmännchen gekommen war, so sahe es in demselben gar nicht glänzend und prächtig aus, sondern rußig und schwarz. Das kam von den vielen Feuern, an welchen die Braten gebraten wurden, die Popanzmännchen aß. Dießmal steckten nur sechs halbjährige Kälber am Spieße, und die Frau des Popanzchens stand dabei und gab acht, daß sie nicht verbrannten.

Der Holzhacker grüßte sie fein und sagte: »Guten Tag, Frau Popanzmännchensfrau, ich bitte Euch fein, schafft mir die drei Goldhaare von dem Kopfe Eures Mannes. So möcht ich auch gern wißen, warum eine Prinzeßin nicht wieder gesund werden kann? warum ein tiefer Marktbrunnen ohne Waßer ist? warum ein Feigenbaum keine Früchte bringt und warum ein Fischer nicht abgelöst wird?«

Die Frau erschrack und sagte: »du armer Schöpschriftel, welches Unglück führt dich hieher. Mein Mann wird bald nach Hause kommen und frißt dich gewiß ungebraten, denn er hat seit langer Zeit kein Menschenfleisch gehabt, und hat eine feine Witterung davon. Die Goldhaare gibt er nimmermehr her – doch, weil du ein [454] so hübsches junges Blut bist, so verstecke dich hier unters Bette, ich will sehen, ob ich dich noch retten kann.«

Als der Holzhacker ein Weilchen unter dem Bette gelegen hatte, kam das Popanzmännchen zu Hause und sagte: »Guten Abend, Frau. Es freut mich, daß du da so gut bratest, aber die sechs Kälberchen thun es heute nicht. Ich bin viel umher gelaufen und habe guten Appetit. Ih nun, wenn ich die Paar kalten Hammel noch dazu verzehre, so werd ich mich schon einmal behelfen müßen.«

Indem er so sprach, zog er sich aus und setzte sich dann auf seinen Stuhl und verschniefte ein Bißchen. Auf einmal fing er an die Nase zu rümpfen und schniffelte mit derselben hin und her und rief plötzlich aus: »Ei Menschenfleisch! Menschenfleisch! ich wittere Menschenfleisch! das ist herrlich! da will ich doch gleich ein wenig umhersuchen.«

»Stör mir nichts um, sagte die Frau, ich habe eben erst mit Mühe und Noth ein wenig aufgeräumt, so willst du es gleich wieder in Unordnung bringen. Immer hast du nur Menschenfleisch in der Nase, aber wo solls denn nur herkommen?«

»Na! na!« sprach Popanzmännchen; »so belfere nur nicht gleich; ich will ja still sein und bin auch müde. So gib denn nur die Kälber her; aber wahr ists doch, daß du mir keinen guten Bißen mehr gönnst.«

Er aß und trank nun gehörig und ging dann mit seiner Frau zu Bette. Bald war er eingeschlafen, blies erst ein wenig mit dem Athem, schnarchelte dann ein Bißchen und fing dann an so recht aus Herzensgrunde zu schnarchen, daß die Fenster klangen. Da packte die Frau das eine Goldhaar, riß es ihm aus warf es dem Holzhacker unter das Bett. – »Au!« schrie der Mann, »was Henker raufst du mich denn?« – »Ih!« sagte sie, »ich hatte einen [455] recht schweren Traum, da muß ichs in der Angst gethan haben.« »Was hast du denn geträumt?« fragte er. Sie antwortete: »Mir träumte von einer Prinzeßin, der konnte kein Mensch helfen.« – »Ich ja freilich, sagte er; aber sie sollten nur die weiße Unke weg thun, die unter ihrem Bette versteckt ist.« Damit legte er sich auf die andere Seite und schnarchte bald wieder überlaut. Da riß sie ihm das zweite Goldhaar aus und warfs unter das Bett. – »Bist du toll, Weib, du raufst mich ja erbärmlich?« – – »Ach, liebster Mann, ich war in einer Stadt, da wimmerten die Leute, daß ihr großer Brunnen kein Waßer mehr gebe, und ich sollte ihnen helfen. Als ich nun in den tiefen Brunnen hinabsahe, war mirs, als müßt ich hinabfallen, und da werd ich mich wohl an deinen Haaren gehalten haben.« – »Ach! sagte er schon wieder halb schlafend, wenn sie den weißen Stein nicht herausholen, der unten im Brunnen liegt, bekommen sie kein Waßer. A–ber – rau–fe mich nicht m––e–hr.«

Schon schlief er wieder ganz fest, da riß sie das dritte Haar aus und warfs dem Holzhacker zu. »Bestie, ich schlage dich noch todt, fuhr Popanzmännchen wild auf.« Da küßte sie ihn und sagte: »Schlaf nur wieder ein, du Herzensmann; ich habe diese Nacht nur so dumme Träume. Da klagte einer, sein Feigenbaum wolle nichts tragen.« – – – »Halts Maul, sagte er, daß ich schlafen kann. Soll die Maus wegfangen, die an den Wurzeln nagt, dann wird er schon tragen. Aber nun rathe ich dir, komm mir nicht wieder, sonst setzts eine Kopfnuß.«

Es dauerte länger als die beiden vorigenmale, ehe er wieder einschlief, endlich aber fing er dennoch an köstlich zu schnarchen. Die Frau wagte es und zupfte ihn heftig an der Nase. Da gab er ihr eine Ohrfeige, daß ihr Kopf dröhnte. Sie aber fing an zu weinen [456] und zu jammern, daß sie nicht einmal träumen dürfe, und wäre doch nicht ihre Schuld. – »Nun, gib dich nur zufrieden, sagte er; es ist auch was dummes mit deinem Träumen; – was wars denn nur wieder?« »Ich fuhr über ein Waßer, und der Fährmann klagte mir, daß Niemand käme ihn abzulösen, und als der Nachen ans Land kam, stieß er so heftig an, daß ich fürchtete ins Waßer zu fallen, da hielt ich mich an den Pfahl, an welchen die Kette des Nachens gelegt wird; das ist deine Nase gewesen.«

»Ei, über den Dummhanns von Fischer; kann er denn nicht den Nächsten, welcher überfahren will, anhalten und ihm das Ruder geben? Dann ist er ja abgelöst. Aber nun weck mich nicht wieder, sondern laß mich noch die Paar Stündchen bis gegen den Morgen hin schlummern, sonst wird es nicht gut.«

Der Holzhacker kroch, als Popanzmännchen wieder tüchtig schnarchte, unter dem Bette hervor, gab der Frau stillschweigend die Hand, drückte sie ihr, machte viele Verneigungen und begab sich fort.

Als er zum Fischer kam, wollte derselbe Bescheid haben. Er aber ließ sich klüglich erst herüberfahren, dann sagte er ihm, wie es anzufangen sei. Als er zu dem Mann kam, der den unfruchtbaren Feigenbaum hatte, sagte er ihm: »Tödte nur die weiße Maus, die an den Wurzeln des Baums nagt, so wird er wieder frisch und tragbar.« Der Mann fragte, was er ihm zur Belohnung geben sollte, da forderte er ein Regiment Infanterie, welches flugs da war und hinter ihm drein marschirte. Als er darauf in die Stadt kam, wo der leere Brunnen war, und, nachdem man den weißen Stein weggenommen hatte, sogleich voll des klarsten Waßers wurde, wollte man ihn auch belohnen. Er forderte ein Regiment Cavallerie, welches auch im Augenblicke hinter ihm drein marschirte. [457] Als er nun weiter in die Stadt kam, wo die Prinzeßin krank lag und gleich wieder gesund worden war, sobald man die Unke weggenommen hatte und der König ihn fragte, womit er belohnt sein wollte, forderte er vier Wagen mit Gold. Die bekam er gleich, und so viel Pferde dazu, als nöthig waren das Gold fortzuziehen.

Endlich kam er wieder in seine Heimath. Seine Soldaten und seine Goldwagen ließ er vor der Stadt, er selbst aber nahm die drei Goldhaare und brachte sie dem König, und forderte nun die Prinzeßin.

Da sagte der König: »Mit den Goldhaaren hat es seine Richtigkeit, und meine Tochter sollst du haben, aber eine Morgengabe solltest du ihr billig bringen.« Da ließ er seine Soldaten und seine Goldwagen kommen. Die waren Beide dem Könige sehr willkommen und er gab ihm sein Kind desto lieber, und alle Welt war vergnügt.

35. Der Eisenofen34. Der glückliche Holzhacker33. Dornröschen32. Der gelbe Zwerg31. Ahmed und Paribanu30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

35. Der Eisenofen.

Eine alte böse Zauberhexe hatte einen liebenswürdigen und reichen Jüngling verwünscht, aber warum? das weiß ich nicht, ich denke aber darum, weil die Bösen das Böse nicht mehr laßen können, wenns ihnen auch nichts hilft, sondern wenn es Andern nur schadet.

Sie hatte den Jüngling verwünscht, daß er in einem großen Walde in einem Eisenofen sitzen sollte, und er mußte lange Jahre [458] darin sitzen, liegen und stehen, denn darin herumzugehen, das ging nicht wohl an.

Eine schöne Jungfrau kam einmal zu dem Eisenofen, die war schon im Walde neun Tage umhergeirrt, und wußte nicht, wie sie sich wieder sollte nach Hause finden. Sie war einmal Erdbeeren suchen in den Wald gegangen, da war sie immer tiefer hineingekommen, da hatte sie den Rückweg gesucht und nicht können finden, und zuletzt war ein Bär gekommen, der hatte sich hoch aufgerichtet und hatte sie brummend mit aufgesperrten Rachen umarmen wollen. Da war sie eilends davon gelaufen und hatte sich elend den Hunger gestillt. Das arme Kind! bald war es aus Angst gelaufen und aus Müdigkeit der Angst eingeschlafen; bald hatte es sich hingesetzt und konnte kaum aufstehen, stand aber doch wieder auf; bald weinte es und sagte, es ist doch nirgends so hübsch, als wenn man bei seinen lieben Aeltern und Geschwistern ist, und bald wollt es verzweifeln und wünschte, der garstige rauche Bär wäre nur wieder da und fräße es auf, da wäre es doch aller Noth und Quaal los. So kam es mit Angst und Thränen und müde und abgezehrt zum Eisenofen und sahe nicht ein Bißchen mehr hübsch aus.

Als sich die Jungfrau beim Eisenofen befand, fragte es sie: »Wo kommst du her, liebes Mädchen? und wo willst du denn hin, liebes Mädchen? und wer bist du denn, liebes Mädchen?«

Sie dankte dem lieben Gott, daß sie nur wieder eine Menschensprache hörte und bekümmerte sich wenig darum, wer sie denn eigentlich fragte, und antwortete und klagte all ihr Leid und ihren Jammer, und daß sie den Weg nach Hause nun nicht zurück finden könne, zu Vater und Mutter und zu Geschwistern hin.

[459] »Wenn du mich heirathen willst, sagte der Ofen, sollst du schon wieder hinkommen.« Aus Angst und Verlangen nach Hause sagte sie: »Ja, ich will dich heirathen.«

Der Eisenofen sagte ihr, wie sie wieder nach Hause kommen könnte, wohin sie auch in einigen Stunden kam, aber sie mußte auch versprechen wieder zu kommen und mit einem Meßer ein Loch ins Eisen des Ofens zu bohren.

Als sie wieder zu Hause war, fiel ihr der alte Vater vor Freude um den Hals und sie erzählte nun Alles, was sie ausgestanden, aber auch was sie versprochen hätte, nämlich einen alten verrosteten Eisenofen zu heirathen, der eben so schlimm sei, als ein Kachelofen.

Der alte Vater erschrack, meinte aber doch, was man versprochen habe, müße man halten. Sie aber meinte das gar nicht und sagte, es grausete ihr so sehr vor dem alten Ofen. Da gab der alte gute Vater nach und meinte, sie möge es denn machen, wie sie dächte.

Sie meinte aber, der Ofen hätte doch keine Augen, obwohl er Ohren zu haben schiene, und beredete die Müllerstochter zu dem Ofen hinzugehen und mit einem Meßer daran zu bohren und zu schaben. Das that die auch wohl einen Tag und Nacht lang, aber am Ofen konnte man nicht sehen, daß Jemand mit einem Meßer daran gearbeitet habe.

Als es Morgen geworden war, riefs in dem Ofen, »ich dächte, der Tag müßte wohl anbrechen.« – »Ja freilich, sagte das Müllermädchen, die Mühle meines Vaters fängt wieder an zu klappern.«

»Also bist du ein Müllerskind,« sprach der Eisenofen; geh gleich und sage, es solle die Jungfrau kommen, die dich gesandt hat.

[460] Sie sagte das, aber die Jungfrau wollte dennoch nicht gehen, sondern beredete eine sehr schöne Sauhirtentochter, die sie mit köstlichen Kleidern angethan hatte, zum Eisenofen zu gehen. Diese ging, bohrte und arbeitete an dem Ofen, und konnte kein Bißchen Eisen abschaben. Als nun der Tag anbrach, rief es im Ofen: »Wie lange mags noch sein, ehe die Sonne aufgeht?« – »Ei, die ist schon aufgegangen, mein Vater tutet schon auf seinem Horn, daß sie die Schweine herauslaßen.«

»Also bist du eines Schweinshirtenkind, sagte es im Ofen; geh gleich hin und sage, die Rechte soll herkommen, und käme sie nicht, so sollte sie schon an mich denken!«

So mußte sie denn nun selbst zum Ofen hin, wo sie mit ihrem Meßer in zwei Stunden ein kleines Loch gearbeitet hatte. Sie schauete durchs Loch und erblickte einen schönen, schönen Jüngling, der ihr im Herzen wohlgefiel.

Da arbeitete sie erst recht mit dem Meßer und das Loch wurde bald so groß, daß der Jüngling herauskonnte. Der fiel ihr alsbald um den Hals und sagte: »Du bist meine Braut, denn du hast mir aus dem Ofen geholfen.«

Sie bat ihn, daß sie dürfte zu ihrem Vater gehen und ihm sagen, wie es mit dem Eisenofen abgelaufen, und wie glücklich sie selbst sei, damit der arme Vater sich tröste.

Da lobte sie der Jüngling, daß sie den Vater trösten wollte, und sagte ihr: »Geh immer hin, aber sprich nicht über ein Stündchen mit ihm, sonst möchtest du mich nicht wieder treffen.«

Die Jungfrau ging zum Vater und sprach über drei Stunden mit ihm, und als sie in den Wald kam, war kein Ofen da, denn er war schon über zwei Stunden verschwunden über Glasberge und [461] Schneideschwerdter hin. Da jammerte sie sehr und verwünschte ihre unglückliche Plauderhaftigkeit.

Neun Tage hatte sie gesucht und nicht gefunden und war so hungrig und matt, daß sie nicht mehr fortkonnte. Sie setzte sich auf einen Baumsturzel und schlief, und als sie aufwachte, war es Mitternacht. Da sahe sie Licht schimmern, das konnte nicht weit sein. Sie ging auf das Licht zu und kam an ein klein, alt verfallen Häuschen und sahe durchs Fenster hinein. Da sahe sie nichts als lauter Frösche, groß und klein, die hatten kleine Hauben mit Bändern auf den Köpfen und grüne und gelbe Röckchen an und hüpften lustig und munter untereinander durch, und was das Beste war, da stand ein fein gedeckter Tisch mit Braten und Kuchen und mit silbernen Bechern voll Wein. Ja, da faßte sie sich ein Herz und klopfte an. Alsbald rief einer der größesten Frösche:


»Jungfer grün und klein,
Jungfer Hutzel Hüpfebein,
hutzle hin und hutzle her,
schau hin, wer etwa draußen wär?
schaue hin und laß es rein.«

Da machte ein kleiner Frosch auf, und als die Jungfrau eintrat, wurde sie von Allen schön willkommen geheißen und mußte sich setzen, eßen und trinken und erzählen, wie es ihr ergangen sei. Sie sagte, nun wolle sie wandern über Berg und Thal, über Land und Meer, bis sie den Liebsten gefunden.

Der große Frosch hub seinen Spruch wieder an und sagte:


Jungfer grün und Jungfer klein,
Jungfer Hutzel Hüpfebein,
hutzle hin und hutzle her,
bring meine große Schachtel her.

[462] Als die Jungfrau des Nachts in einem schönen weichen Bette ausgeruht und Frühstück gegeßen hatte, nahm der große Frosch drei Nadeln aus der Schachtel, und gab ihr die, damit sie damit über den Glasberg kommen könnte; und gab ihr ein Pflugrad, um über drei schneidende Schwerter zu kommen, und dann noch drei Nüße, die sollte sie wohl in acht nehmen.

Als sie an den Glasberg kam, steckte sie die Nadeln ein und setzte die Füße davor, und kam so immer weiter vorwärts und endlich über den Berg hinüber. Darauf versteckte sie die Nadeln und merkte sich den Ort. Als sie zu den drei schneidenden Schwerdtern kam, stellte sie sich aufs Pflugrad und kam hindurch, das Rad aber versteckte sie auch. Und als sie nun noch über ein großes Waßer gekommen war, gelangte sie in ein großes, schönes Schloß, in welchem ihr Liebster wohnte, und bot sich für geringen Lohn als Küchenmagd an, und wurde angenommen.

Das Schloß gehörte aber einer Prinzeßin, die den Jüngling gern heirathen wollte und ihn darum in ihr Schloß genommen hatte; er aber mochte sie nicht haben, das wußte sie. Als nun die neue Küchenmagd des Abends aufgewachsen hatte, knackte sie eine Nuß auf. Da kam ein Kleid heraus, so schön als keins auf Erden war. Da gabs ein Verwundern im Schloße und die Prinzeßin kam und wollte das Kleid haben. Die Magd sagte: »Wenn ich eine Nacht vor Eures Bräutigams Kammer darf schlafen, so sollt Ihr das Kleid haben.« Das wurde ihr erlaubt.

Da lag sie vor der Kammer und weinte und klagte; »Ich hab dich aus dem Eisenofen erlöst; ich hab dich gesucht; ich bin über den Glasberg gegangen und durch schneidende Schwerter, und bin über ein großes Waßer gefahren.« So jammerte sie, aber der Jüngling[463] hörte es nicht, denn die Prinzeßin hatte ihm heimlich einen Schlaftrunk gegeben.

Am andern Abend gab die zweite Nuß noch ein viel schöneres Kleid, und Alles ging wie am ersten Abend. Sie jammerte überlaut, aber der Jüngling schlief fest. Aber die Diener waren von dem Jammer des armen Mädchens bewegt und sagten am andern Morgen ihrem Herrn, weil sie ihm gut waren, heimlich, was sich die beiden Nächte zugetragen hätte und warum er so fest geschlafen habe.

Als nun am dritten Abend aus der dritten Nuß das allerschönste Kleid kam, und die Magd wieder vor des Jünglings Kammer liegen durfte, der Jüngling aber den Schlaftrunk heimlich weggeschüttet hatte, erkannten sich die Beiden und flohen des Nachts davon, schifften über das große Waßer und auf dem Pflugrad durch die schneidenden Schwerdter, und mit den Nadeln über den Glasberg. Als sie aber ans Froschhaus kamen, war es ein großes Schloß geworden und die Frösche waren wieder Menschen und allesammt waren erlöst.

Der Jüngling aber und die Jungfrau vermählten sich.

36. Der Jäger35. Der Eisenofen34. Der glückliche Holzhacker33. Dornröschen32. Der gelbe Zwerg31. Ahmed und Paribanu30. Das Zauberpferd29. Kodadad7. [Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes]6. [In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen]5. [Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und]4. [Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der]3. [In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte]2. [Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches]1. [Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten]28. Kalmückische Mährchen27. Die Brunnennixe26. Prinz Beder25. Viole und Holdherz24. Die Söhne der Quelle23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin22. Mograby21. Einige Stückchen von Rübezahl20. Der dumme Xailun19. Das Waßer des Lebens18. Die Nelke17. Die drei Federn16. Das Goldvögelein15. Die Zauberflöte14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten12. Die sechs Diener11. Das kluge Schneiderlein10. Der ganz kleine Däumerling9. Hans mein Igel8. Die goldene Gans7. Der tapfere Schneider6. Die Schlange5. Martin und Ilse4. Das Röslein3. Rothkäppchen2. Das gutmüthige Mäuschen1. Das GlückskindDas Buch der MährchenZweiter BandDie NebelkappeDer tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut KartenspielDer WundervogelDer Doktor Allwissend, oder der Doktor KikerikiDas Glück des Faulen und DummenDer GeisterringDie Knappen RolandsDer Geist im GlaseDer König der schwarzen InselnDer Fischer, der Geist und der König der schwarzen InselnDes Maulthiers ZaumDas Mährlein von der Serviette, dem TornisterEin kalmuckisches MährchenPrinzessin SchneeweißchenDas Galgenmännlein, oder der böse Geist im GlaseDer Schmidt, der Tod, und der TeufelAbu HaßanDer vortheilhafte SchweinehandelDie kluge TrineEsels GlückReinhald das WunderkindDie VerjüngungMeisterstücke dreier kunstreichen BrüderGeschwisterliebe, oder die drei KönigskinderGott und der TeufelGott un de DüwelDer Fischer und seine FrauDer liebe Gott und der SchwabeRosenmund und BramarbasDas BauermädchenDer eiserne ArmleuchterKnüppel aus dem Sack; Knüppel in den SackCogia Hassan AlhabbalFortunat mit seinem Säckel und WünschhütleinAlibaba und die vierzig RäuberDer gestiefelte KaterAli Baba der BlindeDer kleine DäumlingDas Buch der MährchenErster BandMärchenLöhr, Johann Andreas ChristianDas Buch der Mährchen

36. Der Jäger.

Ein junger Bursch hatte das Schloßerhandwerk gelernt und war eine feine Weile in der Welt umhergezogen, als ihm sein Handwerk nicht mehr gefallen wollte, weil es eben nicht viel Verdienst brachte, indem zur selben Zeit die Leute so ehrlich waren, daß sie weder Schlößer noch Schlüßel brauchten. Auch war er auf der Wanderschaft des Umherstreifens so gewohnt geworden, daß es ihm gar nicht gefiel, wenn er bei seinem Handwerke viel sitzen und stehen mußte. Da [464] wählte er sich die Jägerkunst und ging in einen großen Wald sich einen Jäger zu suchen, der ihn lehren könnte.

Als er so in dem Walde war, begegnet ihm ein Jäger im grünen Rock, den fragt er, ob er ihn die edle Jägerei lehren wollte? Der sagte: »Ja! gehe nur mit mir.«

Er ging mit und blieb einige Jahre bei ihm. Darnach wollte er doch wieder in die weite Welt hinaus, denn im Walde wurde es ihm so einsam.

Der Jäger gab ihm statt des Lohnes eine Windbüchse, wenn man damit schoß, so traf man Alles, wornach man zielte. Der junge Bursch nahm die Büchse und schritt damit weiter und kam wieder in einen großen Wald, in welchem er sich verirrte und lief wohl drei Tage darin herum und wußte nicht, wo er war.

Am dritten Tage setzte er sich auf einen hohen Baum, damit er nicht mit den wilden Thieren zu thun hätte. Als es Mitternacht geworden war, sahe er ein Licht in der Ferne. Er merkte sich die Gegend genau, stieg herab von dem Baume und ging nach dem Lichte zu, welches immer viel größer und größer wurde, und als er nahe heran kam, saßen drei große Riesen um ein großes Feuer, an welchem sie einen großen Ochsen brateten und große Stücken Fleisch, die schon vorher am Feuer gebraten waren, in den großen Mund hineinstecken wollten.

Der junge Bursch war zwar drei Tage im Walde gewesen, hatte aber eine so lustige Natur, daß er sich noch einen Spaß machen wollte, nahm seine Büchse und schoß dem einen Riesen das Stück Fleisch dicht vor dem Munde weg, eben als er es in den Mund stecken wollte.

[465] »Das war gut getroffen!« sagte der Riese und nahm sich ein anderes Stück Fleisch. Als er aber dem Zweiten und dann auch dem Dritten das Fleisch vor dem Munde wegschoß, da erstaunten sie und sagten: »Der muß unter den Scharfschützen gewesen sein; das wäre ein Mann für uns, wenn wir nur wüßten wo er steckte?«

»Hier bin ich! sagte er, und bin ein gelernter Jäger und wornach ich ziele, das treff ich.« – »So bleib bei uns, sagten sie, wir wollen zusammenziehn.« Er sprach: »Ja, das wollen wir.«

Nachdem sie sich satt gegeßen und getrunken hatten, schliefen sie am Feuer ein. Am andern Morgen sagten sie, sie wüßten ein Schloß vor dem Walde, hinter einem großen Waßer, und bei dem Schloß sei ein Thurm und in dem Thurme wohne die wunderherrlichste Prinzeßin. Aber es läge dort ein schwarzer, zottiger Hund, der mache einen solchen Mordlärm, daß Jedermann erwache, im Schloße und im Thurme, sobald ein Mensch sich nähere. Sonst schliefen sie meistentheils immer.

»Wenns weiter nichts ist, sagte er, so will ich schon helfen; das Hundchen das schieße ich todt, wenn ich nur wüßte, wie ich über das Waßer käme?«

Da nahm ihn ein Riese auf den Arm und trug ihn hinüber, und die beiden andern Riesen folgten ihm nach und ehe noch der Hund bellen konnte, war er schon todt geschoßen.

Jetzt wollten die Riesen in den Thurm, der Jäger aber sprach: »Bleibt draußen, und laßt mich nur erst zusehen.«

Er ging hinein und Alles lag im tiefsten Schlaf. Im ersten Zimmer hing ein silberner Degen, auf welchem ein goldener Stern [466] war und stand des Königs Name darauf. Der Jäger dachte in seinen Gedanken: ein Degen von Silber? das mag mir eben der rechte sein. Allein auf dem Tische daneben lag ein versiegelter Brief. Er that, als sei der Brief an ihn auf und brach ihn auf. Da stand in dem Briefe geschrieben, wer den Säbel hätte, könnte Alles ums Leben bringen.

Der Jäger machte mit dem Säbel ein großes Loch in die Thüre, das ging sehr schnell; rief dann den Riesen und sagte, sie müßten durch das Loch kriechen, denn die Thür ginge nicht auf. Da nun der erste bis an die Achseln durch das Loch war, hieb er ihm mit dem silbernen Degen den Kopf ab, und zog den Körper herein. Also ging es dem zweiten und dritten auch. So war die Prinzeßin erlöst.

Er kam nun in ein Zimmer, darin schlief die Königstochter. Er nahm einen ihrer köstlichen Pantoffeln und schnitt einen Zipfel von ihrem prächtigen Halstuch ab, steckte Beides in seinen Ranzen und machte sich fort. Den Silberdegen nahm er aber auch mit.

Als nun der König die Riesen todt fand, fragte er die Prinzeßin, wer das gewesen sei, der das gekonnt hätte, und sagte ihr, daß sie den nehmen müße; sie aber antwortete: »Lieber Vater, ich weiß es nicht, ich habe geschlafen.«

Da nun die Prinzeßin aufstand, fehlte der eine Pantoffel und der Zipfel am Halstuche war fort, und als der König nun den ganzen Hof zusammenkommen ließ und forschte, wer die Riesen getödtet hätte, wußte Niemand es.

Es war aber ein alter Hauptmann am Hofe des Königs, ein langer, stokiger Kerl mit großen Steifstiefeln über den Klapperbeinen, mit einem Auge, der sahe grauwaltig und häßlich aus. Als der [467] nun merkte, daß kein Mensch wußte, wie die Riesen umgekommen waren, trat er auf und sagte, er hätte die Riesen umbracht, mit seinen eigenen zwei Händen, sie hätten ihm aber auch heiß zu schaffen gemacht.

»Der? sagte das Hofvolk verwundert, der vor einem Strohhalm davon läuft, wenn man ihm damit zu Leibe geht? das muß nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.« Sie sagten es aber nicht laut; aber der König sagte laut: »Hast du die Riesen umgebracht, so bist du für meinen Schwiegersohn gar nicht zu gering, und sollst meine Tochter haben.«

Die Tochter aber sprach: »Ach lieber, lieber Vater, ehe ich den heirathe, so schlagt mich lieber nur gleich todt, oder laßt mich in die weite Welt gehn, so weit mich die Beine tragen.«

Da wurde der König aus der maaßen wild, und sie mußte gleich ihre schönen Kleider abthun und schlechte anlegen, und er befahl ihr, daß sie einen Handel mit Töpfen und anderem irdenen Geschirr an fangen und die Waaren dazu von einem Töpfer borgen, sich damit an eine Straßenecke hinsetzen und dieselben verkaufen sollte. Das that sie auch und dachte, der schlechteste Topf ist doch beßer als der erbärmliche Tropf, den ich heirathen soll, und war ordentlich vergnügt.

Als ihr aber zwei Husaren, auf Anstiften des Königs, durch die Töpfe ritten und ihre Pferde zwischen denselben herumtummelten, da ward sie traurig und weinte, aber den häßlichen Hauptmann mochte sie doch nicht haben. Sie ging zum Töpfer hin, erzählte ihm ihren Unfall, bat um neuen Borg, bekam ihn aber nicht.

[468] Nun ging sie zum Vater und bat, er sollte sie in die Welt ziehen laßen – das könne er ihr ja gewähren, er sei ja sonst immer so gut gewesen, aber nun sei er um des garstigen Kerls willen so garstig geworden.

»Herzenstochter,« sagte der Vater, »wenn ich nur nicht im ersten Eifer dummer Weise mein Wort gegeben hätte! Von mir laßen kann ich dich ja nicht. Kommt Zeit, kommt Rath. – Ich laß dir aber ein Häuschen im Walde bauen, klein aber nett; darin sollst du sitzen und kochen für Jeden, der eßen will und kein Geld dafür nehmen. – Ich will schon sorgen.«

Sie setzte sich ins Häuschen, auf deßen Schilde stand: »Heute umsonst und morgen fürs Geld:« und kochte für Jeden, der es verlangte, und das dauerte eine ziemliche Zeit.

Der Jäger war eine Zeitlang in der Welt umhergezogen, hatte sich Mancherlei versucht und kehrte nun wieder zurück. Da hörte er von der seltsamen Wirthin, die umsonst speiste, und nahm seinen Weg hin, fand das Häuschen und ließ sich zu eßen geben. Den Silberdegen hatte er um den Hals hängen.

Als er gegeßen hatte, aber nicht eher, sahe er das Mädchen an und sahe, daß es bildschön war, und ihm war es, als hätte er es schon einmal gesehen. Sie aber fragte ihn: wo er her sei? woher er komme? wohin er wolle? und wie er zu dem Silberdegen gelangt sei, auf welchem ihres Vaters Name stehe?

Da wurde nun Alles bald deutlich und freuten sich die Beiden recht herzlich, gingen zu dem König und offenbarten ihm Alles.

[469] Der König sagte: »Es ist mir recht lieb so, und hab ich Dergleichen schon längst vermuthet, nur daß ich so thöricht dich dem Storchbein zuerkannte. Aber nun soll sich Alles schon finden.«

Der König ließ ein großes, großes Mahl ausrichten und der Jäger saß mit dabei, aber gekleidet wie ein Prinz und der Hauptmann auch. Da wurde denn ein wenig gegeßen und getrunken, und als sie nicht mehr konnten noch mochten, fingen sie allerlei Fragspiele an, und der König fragte: »Was hat derjenige verdient, der sich rühmt, er habe Löwen und Riesen erwürgt, da er doch vor einer Maus davon läuft, und bringt dadurch Andere um den Dank?« Der Hauptmann sagte: »den muß man in Stücken zerreißen, denn das ist ein schlechter Kerl.«

»Das bist du,« sagte der König zornig, indem zugleich der Jäger den Pantoffel, den Tuchzipfel und das Silberschwerdt hervorbrachte. »Das bist du, und soll dir geschehen, wie du gesagt hast.«

Da wurde der Hauptmann bleich, gestand und bat um sein Leben. Das wollte ihm aber der König nicht schenken, weil jedoch die Prinzeßin und der Jäger sagten, Narren müße man laufen laßen und nicht todt machen, denn es lohne der Mühe nicht, verhieß ihm der König das Leben, doch sollte er ihm nie wieder vors Angesicht kommen, sonst müßte er baumeln.

Da lief der Hauptmann, was er konnte und wußte; die Leute am Hofe lachten und freueten sich, und wer nun nicht errathen kann, wie es weiter ging und wer die Prinzeßin bekam, der solls auf den Nimmermehrstag erfahren.

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