An Salis

Durch der Alpengewälde Nacht, am Tosen
Wilder Ströme der Tief', o Salis, wandelt
Ueber Wolken dein Freund am grauen Bernhard
Sinnend und einsam.
[204]
Aus Gedanken der Schwermut weckt mich plözlich
Hier am Zackengeklipp' der Sturz der Dranße;
Hochauf siedet der Schaum, dumpf brüllt der Klüfte
Donnernder Aufruhr.
Herrlich kleidet die Felswand ob der Brücke,
Von den Wogen des Abgrunds bis zum Gipfel
Mit dem luftigen Kreuz, der Alpenrose
Brennender Purpur.
Höher streb' ich empor; mit jedem Schritte
Beut die schimmernde Blumenwelt voll neuer
Wunderformen im reichsten Schmelz ein schönres
Zaubergemälde.
Hier auf duftendem Grün, im Sonnenglanze,
Wiegt, o reizendes Bild! wie auf safirner
Urn', am Saume der blauen Enziane
Sich der Apollo.
Ziegen weiden umher; die Alpenlerche
Singt ihr einsames Lied; aus fernen Thälern
Schallt das Muhen der Heerd' und ihrer Glocken
Dumpfes Geläute.
[205]
Dein gedenk' ich, o Salis, mit der Sehnsucht
Heisser Thräne! der Berge Pracht umfloren
Plözlich trübende Schleier; nur dein Bildnis
Dämmert im Nebel.

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