Karl Philipp Moritz
Andreas Hartknopfs Predigerjahre

Ribbeckenau

[1] Ribbeckenau.

Klang schon fatal in Hartknopfs Ohren, als er zum erstenmale diesen Nahmen hörte. –

Und da er ihn in seiner Vokation mit großen verschlungenen Buchstaben geschrieben sahe, ärgerte sich sein Auge daran.

Ribbeckenau war die Mutterkirche, und Ribbeckenäuchen das Filial davon, wozu der Weg über ein Torfmoor führte.

Hier war es, wo der Knäuel seines Lebens sich in labyrinthische Knoten verwickelte, die nur die Schärfe des Schwerdts wieder lösen konnte.

[1] Wo seine Kraft, die sonst freien Spielraum hatte, zum erstenmale in sich gedrängt, allerley Sprünge und wunderbare Verzierungen in sich selber machte, weil sie sich selbst nicht kannte. –

Durch diese Klemme mußte Hartknopfs Leben selbst noch durchgehen, ehe es ungehemmt in seinem vollen Glanze leuchten, und wohlthätige Klahrheit um sich her verbreiten konnte.

Der, welcher die Nebel der Täuschung so oft verscheucht hatte, mußte noch einmal durch Selbsttäuschung von der edelsten Art geprüft – zu einem höhern Daseyn vorbereitet, und jeder Keim einer unruhigen Wirksamkeit in ihm ausgerottet werden.

Mein Abschied von Hartknopf, als er aus Erfurt gieng

[2] Mein Abschied von Hartknopf, als er aus Erfurt gieng.

Da saßen wir auf der großen Treppe vor dem Dom, und sprachen von Ribbeckenau, wie weit es sey, und wie bald und wie oft ich ihn dort besuchen könnte? und von der Verschiedenheit der Rettiche, die in Erfurt vorzüglich gut sind, und eine von Hartknopfs Lieblingsspeisen waren, wobei er gewissermaßen mit Leib und Seele genoß, wenn er die geheimnißvollen Salzkörner, auf die runden Scheiben streute, und dann auf seiner Zunge das innere Wesen dieser edlen Bestandtheile in ihrer feinsten Auflösung schmeckte.

Seine Gedanken beschäftigten sich in diesem Augenblicke ganz mit der Anpflanzung von Erfurter Rettichen in Ribbeckenau, und ich versprach ihm heilig Rettigsaamen aus Erfurt zu schicken.

Wir giengen alsdann noch auf der Kirschlache spatziren, wo wir uns eine ganze [3] Weile an ein Geländer stellten, und ins Wasser sahen.

Ich begleitete ihn vors Thor hinaus, wo wir in einem Wirthshause einkehrten, hier setzte er sich mir gegenüber und sagte: Ich gehe nun nach Ribbeckenau (bei dem Nahmen erhielt seine Mine einen sehr verdrießlichen Zug) um das Evangelium zu predigen, und du bleibst in Erfurt, um das Evangelium noch eine Zeitlang predigen zu lernen. Du weißt nun den Hörsaal, wo man das lernt; und kennst den Mann, welcher diesen erhabenen Lehrstuhl bekleidet – halte dich fest an ihn, und übe dich im fertigen Nachschreiben, suche ihm die Worte aus dem Munde zu stehlen, noch ehe er sie ausgesprochen hat, und bediene dich der Abbreviaturen, die deiner Hand und deinem Gedächtnisse geläufig sind. – Schreibe auch die unterlaufenden Späße mit auf, denn sie stehen nie am unrechten Orte – und werden dir eine angenehme Erinnerung seyn, wenn du die Vorlesung zum zweytenmale hören solltest – hüte dich sehr Backelaureus oder Magister der Weltweisheit zu werden – und wenn du dich im Predigen übest, so stelle dich an einen rauschenden [4] Wasserfall, wo keines Menschen Ohr den Laut deiner Worte vernimmt – fahre fort, fleißig Kirchengeschichte zu studiren, und nun laß uns noch einen Rettich zusammen essen.

Der Rettig wurde auf einem Teller gebracht – Mit einer feierlichen Mine schälte Hartknopf ihn ab, schnitt runde Scheiben davon, und indem er langsam und nachdenkend die Salzkörner darauf streuete, und die erste Scheibe mir darreichte, blickte er mich ernsthaft an, und sagte: so oft ihr solches thut, so thuts zu meinem Gedächtniß!

Als wir nun hinausgiengen, gab ich ihm noch folgende Verse, die ich auf seinen Abschied gemacht hatte:


Du gehst nach Ribbeckenau

In Erfurt bleibt Dein Freund;

Die Ferne dämmert grau ...

Das trübe Auge weint ...


Doch ist nun über mir

Der Himmel wieder blau,

Denk ich, er lächelt. Dir

Doch auch in Ribbeckenau.


Als ich diese Verse noch an Hartknopf übergeben hatte, steckte er sie, ohne sie zu lesen in die Tasche,[5] und sagte: ich möchte den Rettigsaamen nicht vergessen, er wünsche mir wohl zu leben, und ich möchte ihm nun die Liebe thun, und nach Erfurt zurückkehren, welches ich dann that, und weil wir auf einer Anhöhe Abschied genommen hatten, ihn sogleich aus dem Gesichte verlohr.

Hartknopfs Antrittspredigt

[6] Hartknopfs Antrittspredigt.

Die kleine Kirche in Ribbeckenau war mit sehr vielem hölzernen Schnitzwerk und Zierrathen versehen. Unter andern war auch vorne an der Decke über der Kanzel der heilige Geist in Gestalt einer Taube schwebend abgebildet. Die Arbeit war von Holz und bloß angeleimt.

Als Hartknopf die Kanzel bestieg, schwebte sein böser Genius über ihm.

Ganz in seinen Gegenstand vertieft, dachte er nicht an das, was über ihm war, und die Länge seines Körpers war Schuld, daß er mit der Stirne gerade gegen den einen Taubenflügel rannte, und auf die Weise die schwebende Gestalt des heiligen Geistes zum Schrecken der ganzen Gemeine herabstieß.

Da er sich nun aber dieß, als einen Zufall, der weiter keine Folgen hatte, gar nichts anfechten ließ, und mit der größten Kaltblütigkeit seine Predigt anfieng, als ob gar nichts geschehen [7] wäre, so erschrack die Gemeine noch weit mehr.

Er hub nun seinen Spruch an: im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. –

Also: im Anfang war das Wort, und das Wort war selbst der Anfang.

Dieß deutete er nun auf den Anfang seines Lehramts: was bei ihm wohl anders der Anfang seyn könne, als das bloße Wort, womit er anfienge? Da einmal sein Geschäft darin bestehe, seine Lippen zu bewegen, und tönende Worte hervorzubringen, statt daß andere ihre Arme zur Arbeit ausstreckten, um dem Schooß der Erde ihre Nahrung abzugewinnen, und die Frucht ihrer Mühe selbst mühsam einzuerndten.

Er stellte das nackte Wort, als den leeren Hauch der Luft, als das tönende Erz und die klingende Schelle dar, wenn Liebe es nicht beseelet. –

Liebe beseelte es aber, indem er sprach – denn er war gewilliget zu geben, wo seine Brüder nehmen; er wollte nicht für leeren Lufthauch den Zehnten von allen reichhaltigen Früchen der [8] Erde eintauschen – er wollte den Buchstaben des Worts erst tödten, damit der Geist lebendig mache. –

Als er nun zum erstemale das Wort Geist nannte, blickte die ganze Gemeine, als ob aller Augen sich verabredet hätten, auf einmal nach der leeren Stelle an der Decke über der Kanzel hin, wo die Abbildung des heiligen Geistes in Taubengestalt gewesen war. – Der grobe sinnliche Eindruck behielt von jetzt an auf einmal bis Oberhand – der erste Schrecken war nun vorüber – und wie von einem bösen Dämon angehaucht, verzog sich jede Mine zu einem hönischen schaden frohen Lächeln – und die Herzen verschlossen sich auf immer. –

Die undurchdringliche Scheidewand zwischen Licht und Finsterniß war gezogen. – Das hämische Lächeln trat zwischen die redende Liebe und den aufmerksamen Gedanken – Hartknopf fühlte sich zum erstenmale von seiner nächsten Umgebung gedrückt – er fieng während seiner Rede an, die Gesichter zu bemerken, und kein antwortender Blick begegnete seinem spähenden Auge – eine unbekannte Macht schien die Worte von seinen [9] Lippen zu verwehen, daß sie den Weg zum Herzen nicht fanden.

Unglücklicher Weise ließ er sich noch auf die Worte ein: ich will euch den Tröster senden u.s.w. und alles blickte auf den Bauerknaben, neben welchem die Taubengestalt niederstürzte, und der ihr mit einer komischen Bewegung ausgewichen war.

In dieser Predigt, pflegte Hartknopf, nachher oft zu sagen, habe er den ganzen Druck empfunden, womit die grobe Sinnlichkeit auf dem zarten Gedanken, die unförmliche Masse auf dem Gebildeten ruht – wodurch der Sprößling im Keime zertreten, die Blume zerknickt wird – der Wurm an der aufblühenden Pflanze nagt – der Heldenmuth des Starken in seiner Brust gehemmt wird, und der bildende Genius, indem er die Flügel entfaltet, von seinem umwölkten Jahrhundert darnieder gedrückt, in den Staub sinkt. –

So viel ist gewiß, daß die vielleicht schon verwesete Hand, welche die Taubengestalt an die Kanzeldecke mit nachlässigem Finger befestigte, Hartknopfs schöne Hofnungen, und sein ganzes [10] Gebäude von Glückseligkeit an diesem Orte unwissend untergrub.

Denn dieser erste Eindruck blieb in der Folge seines Lehramts unauslöschlich – Und die ganze angebohrne Würde seines Wesens vermochte nichts gegen die komische Larve des mächtigen Zufalls.

Freilich war auch ein reudiges Schaaf unter dieser Heerde, welches die übrigen angesteckt hatte – dieß war der spruchreiche Küster Ehrenpreiß mit der richterlichen Miene.

Während daß Hartknopf predigte, richteten seine Augenbraunen jeden Perioden, den er sagte, und brachen den Stab über ihm, so oft er das Wort, als die vierte Person in der Gottheit erwähnte – Hartknopf meinte nehmlich, weil man sich doch die Dreieinigkeit, als eins dächte, so könnte auch das Vierte der Einheit nicht schaden – und der Lehrbegrif leide nicht darunter, wenn man sich den alleserhaltenden Vater, den allesbeherrschenden Sohn, den allesbelebenden Geist, und das allesverknüpfende Wort, wie das ewig unveränderliche Feststehende – wie [11] den unerschütterlichen Kubus dächte, der in sich selber ruhend, die rollenden Sphären trägt. –

Ehrenpreiß aber schrieb sich Hartknopfs Ketzereien in seine Schreibtafel auf – und so wie der Erklärer alter Autoren über eine neugefundene Leseart, der Chronickenschreiber über eine Jahrzahl, und der Conchylienliebhaber über ein Schneckenhaus, so freute sich der Küster Ehrenpreiß über jede Ketzerei, die er in irgend eines Menschen Worten oder Gebehrden auffinden konnte, weil dieß nun auch einmal seine Liebhaberei war, die ihm ein besonderes Vergnügen machte.

Mit dem vorigen Prediger war er ein Herz und eine Seele gewesen – denn dieser bedurfte jemand, in dessen Busen er seinen Gift ausschütten konnte, und Ehrenpreiß war ein würdiges Gefäß dazu.

Oft brachten sie bis Mitternacht in vertraulichen Gesprächen zu – sie saßen da – in schwarzen Kleidern, auf Stühlen, und richteten die vergangenen und kommenden Geschlechter der Erde.

Dieß thaten sie im Fluge der hohen Begeisterung; dann aber beschränkten sie sich wieder auf [12] ihre Nachbarschaft, auf die Prediger in dem Kirchensprengel, auf die Menschen welche still einher wandelten, und das Höchstverehrungswürdige im Geist und in der Wahrheit verehrten, auf die natürlichen Menschen, welche durch frohen Genuß der Gabe, dem Geber am besten zu danken glaubten. –

War nun über alle diese Menschen namentlich das Verdammungsurtheil gesprochen, so machten sich beyde den Spruch zu eigen: ihr seyd über wenigem getreu gewesen; ich will euch über vieles setzen!

Damit nun aber auch Ehrenpreiß in diesem Werke geübter werden möchte, so trug sein Prediger ihm die ganze Polemik aus den Heften vor, die er ehemals in Halle eigenhändig nachgeschrieben hatte.

Und als das Kollegium geendigt war, schrieb sich Ehrenpreiß selbst die Hefte noch einmal ab, und trug sie einigen auserwählten Bauern bei verschloßnen Thüren wieder vor, durch welche der edle Saamen dann weiter im Dorfe ausgestreuet wurde.

[13] So war das ganze Dorf nach und nach polemisch geworden, und das Schimpfwort: Du Ketzer! welches man ehemals als eine scherzende Liebkosung brauchte, wurde jetzt mit einem finstern spanischem Ernst ausgesprochen, der nichts Gutes bedeutete.

Ein so unpolemischer Prediger, als Hartknopf, war nun freylich keine sehr willkommene Gabe für solche polemische Bauern. –

Denn die Predigten des vorigen Pfarrers waren überdem gar nicht uninteressant gewesen: er belagerte eine Ketzerei, die er aufstellte, um sie zu bestreiten, gleichsam wie eine Festung, legte selbst Bollwerke umher, womit er sie sich eine Weile vertheidigen ließ, dann lief er plötzlich Sturm, durchbrach die Schanzen, und hieb alles mit der Schärfe des Schwerdts darnieder.

Durch dieß immerwährende Angreifen und Vertheidigen, war den Bauern selbst der dogmatische Lehrbegrif so geläufig geworden, als er ihnen durch den bloßen Vortrag nie hätte werden können. –

[14] Sie waren dadurch gewissermassen kompetente Richter über ihren künftigen Prediger geworden, der nun nie aus dem Gleise rücken durfte, ohne daß sie es merkten. –

Der Geist des verstorbenen Pfarrers ruhte auf der ganzen Gemeine, auf dem Küster Ehrenpreiß aber ruhte er zwiefältig. –

Das Torfmoor

[15] Das Torfmoor.

Mit seinem Stabe in der Hand, und dem Küster Ehrenpreiß zur Seiten, wandelte Hartknopf nun zum erstenmal über das Torfmoor nach Ribeckenäuchen hin.

Zur rechten hatte er die Aussicht über das Torfmoor auf die Haide, zur linken auf den Küster Ehrenpreiß, und einen mit Haidekraut bewachsenen öden Berg, welcher der Kramberg hieß. – Hinter sich sahe er den kleinen spitzigen Thurm von Ribbeckenau, der mit Schiefer, und vor sich den von Ribbeckenäuchen, der mit Schindeln gedeckt war.

Geschähe das am grünen Holze, seufzte er bey sich selber, was wird am dürren werden?

Denn seine Hofnungen waren nun schon verwelkt, und die Gedanken welche er jetzt wieder in Worte kleiden sollte, hatten einmal schon ihren frischen Glanz verlohren.

Die ganze Gegend um ihn her lag schwarz und öde –

[16] In dem ganzen Bezirk, den das Auge sahe, war keine Furche gezogen – kein grünes Fleckchen schimmerte hervor. –

Das Spiel der Sensen erklang auf diesem Boden nie – nie hielten frohe Schnitter hier ihr Mahl. –

Die weidende Heerde fand hier keine Nahrung – der Wanderer keinen sichern Pfad – denn täuschende Wassergraben durchschnitten ablenthalben das lockere Moor. –

Nichts Gebildetes sproßte auf diesem Boden hervor, der unfruchtbar und öde da lag, um selbst in kurzem zu Asche verbrannt zu werden. –

Der Himmel blickte trübe auf die verwaißte Scene herab – und mit schwerem Herzen ging Hartknopf seinen sauren Pfad. –

Er wußte nicht, daß unter dem Thurme, der mit Schindeln gedeckt war, ein paar freundliche Gesichter auf ihn warteten, aus denen der Tag wieder in seine Seele lächeln würde, da er es am wenigsten vermuthete. –

Die Geschwister

[17] Die Geschwister.

In Ribbeckenäuchen war vor der Kirchthüre ein geringer Platz, mit Blumen bepflanzt, da spielten die Knaben im Dorfe. –

Gegenüber war ein bequemes Haus mit Garten und Zubehör. –

Der grüne Platz vor der Kirche mit dem artigen Hause gegenüber gab dem Dörfchen, das nur aus wenigen Feuerstellen bestand, ein heiteres, lachendes Ansehn. –

Das Haus selbst aber, welches dem grünen Kirchhofe gegenüber lag, schloß zwei dem Leibe und Geiste nach verwandte Seelen ein, die hier ein stilles Glück genossen, weil ihre erste Tugend Genügsamkeit war.

Es war nemlich der Pächter in diesem Dorfe, der seit fünf Jahren mit seiner Schwester hier zusammen wohnte, welche zwanzig Jahr [18] alt, zu ihm gezogen war, und seit der Zeit noch keine eigentlich mißvergnügte Stunde zählte. –

Denn alles Unangenehme übertrug sich in den unnennbaren Reitz der Theilnahme des einen an des andern Ruhe, und lößte sich in den schönen Gleichlaut der Gemüther auf, in welchem dieses große Ganze, wie in seinem Mittelpunkte sich vollendet. –

Wo alle Stürme schweigen, das Toben der Elemente aufhört, und die Sonne im stillen See sich spiegelt. –

Wo das Getrennte, das Entfernte sich wiedererkennt und wiederfindet. –

Wo das Labyrinth der Schicksale seinen Endpunkt erreicht, aus dem es sich mit einem Blicke durchschauen läßt, und enthüllet vor unsern Augen liegt. –

Diese Gleichheit der Gemüther, welche verschwisterte Seelen an einander knüpft, schaft mit einem mächtigen Worte, auf jedem Fleck der Erde noch nie gekannte Freuden um sich her, läßt Blumen auf dürrem Boden wachsen; und wandelt den Krainberg, und das Torfmoor von Ribbeckenau, [19] zu weinbekränzten Hügeln, und lachenden Fluren um.

Wo dieser Gleichlaut der Gemüther weilt, da drückt er unverkennbar speine Spur in Aug' und Wange, und zeichnet sich auf der freien und unumwölkten Stirne. – Da wohnt der Unmuth und die finstre Sorge nicht – da fesselt kein Zwang den leisesten Laut der Empfindung – da schämt das Wort sich des Gedanken, die Mine des Wortes, das Wort der That sich nicht.

Dieß war nun zwar auch der Fall bei dem Küster Ehrenpreiß und dem verstorbenen Pfarrer in Ribbeckenau, bei denen sich auch das Wort des Gedanken, die Mine des Worts, und das Wort der That nicht schämte, wenn ihr düstrer richtender Blick und ihre lispelnde, tödtende Zunge, über alle Ketzer und Irrgläubigen aus ihrer Nachbarschaft das unwiderrufliche Urtheil sprach – und über manchem nicht nur in jener, sondern schon in dieser Welt, durch hämische Anklagen den Stab brach. –

Waren dieß nicht auch verschwisterte, ineinandergeschlungene Seelen? – brachten sie nicht auch bis Mitternacht in vertraulichen Gesprächen [20] zu? – Warum soll ihr Gleichlaut kein Wohlklang seyn? –

Gehören nicht die gröbsten und dunkelsten Vibrationen der Saiten, eben so, wie die feinsten und hellsten zu dem vollstimmigen Konzert?

Der frohe Blick hält sich gern an dem frohen, der düstre an dem düstern fest, so wie das trübe Auge dem trüben zu begegnen wünscht. –

Der Küster Ehrenpreiß fand sich verwaiset, als sein Pfarrer todt war; seine Klagen aber waren nicht sanft, oder vielmehr, es waren keine Klagen, sondern ein finstrer Unmuth, eine verdrießliche Unbehaglichkeit, die er in seinem ganzen Wesen fühlte, und immer auf etwas anders, auf irgend eine Kleinigkeit schob, die ihm in den Weg kam. –

Wie konnten auch die Klagen über die Trennung sanft und edel seyn, da die Verbindung selbst rauh und grob gewesen war, und auf Bitterkeit, Grobheit und Rauhigkeit sich gegründet hatte!

Demohngeachtet aber war es auch eine Verbindung und Gleichlaut, der, so lange er dauerte, in der Reihe der Töne sein Recht behauptete, [21] und zwar in grobe Selbstzufriedenheit, aber doch auch, so wie das feinste und zarteste, in Selbstzufriedenheit einwiegte. –

Auch war es gar kein unangenehmes Schauspiel, zu sehen, wie die schwarzen Augenbraunen des Pfarrers und des Küsters Ehrenpreiß sich freundlich einander zunickten. –

Aber freilich zeichnete die Uebereinstimmung auf Stirn und Wange sich nicht so schön, wie bei dem Geschwisterpaar in Ribbeckenäuchen, das nun zum erstenmale Hartknopfs Predigt besuchte, und unter dem Thurm mit Schindeln gedeckt, in einem grünausgeschlagenen Kirchenstuhle, gerade der Kanzel gegenüber, seinen Platz nahm.

Die Wiederholung

[22] Die Wiederholung.

Hartknopf hub nun aufs neue wieder seinen Spruch an: im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, u.s.w. als auf einmal aus dem Kirchenstuhle unter dem Thurm, wie aus einem heiligen Dunkel, die freundlichen Blicke des Pächter Heil den seinigen begneten, während daß dessen Schwester ihre lebhaften Augen noch sanft niederschlug, und der weiblichen Neugier, die sich in ihrem Busen regte, mit zarter Tugend noch ein Weilchen widerstand. –

Sie war einfach und nicht ohne Geschmack gekleidet, ihr Haar hieng in ländlichen Locken herunter; ein Hütchen trat über ihre Stirne hervor, und verdeckte den Strahl, der aus ihren Augen schoß, so oft sie sich niederbückte.

Nicht lange aber, so schlug sie die Augen auf, um Hartknopf, den Prediger anzublicken, dessen Stimme und Laut der Worte sie schon irgendwo [23] gehört zu haben glaubte, und sich doch auf keine Weise zu erinnern wußte, wo und wann? –

Es war, als ob sie in eine dunkle Ferne blickte; als würden Erinnerungen ist ihr aufgeweckt, an etwas, daß einen Augenblick vor ihrer Seele schwebte, und plötzlich wieder verschwunden war.

Sie hieng dem nicht mit ihren Gedanken nach, und in wenigen Minuten waren diese Regungen ganz verschwunden.

Hartknopfs Auge und Seele ruhte während, seiner Predigt auf dem Antlitz des Pächters Heil und seiner Schwester Sophie Erdmuth. –

In diesen beiden Ovalen fand er die ruhige Stimmung seiner Seele, den harmonischen Kreislauf der Dinge, den heitern Himmel, die lachenden Fluren, und jeden Reitz dieser schönen Umgebung wieder, worin wir leben, weben und sind. –

Denn diese Umrisse waren bezeichnend, und bedeutend – die höhere Menschheit leuchtete aus diesen Zügen mit sanftem Schimmer hervor. –

[24] Es war der Tagesanbruch, die ersten Streifen der dämmernden Morgenrüthe.

Die übrigen Gesichter waren mehr oder weniger durch Brutalität entstellt – es war eine chaotische Masse – das wandernde Auge des Menschenforschers fand keinen Platz, auf dem es ruhen konnte. –

Es war, als wäre über die Bildungen eine Furche hingezogen, die sie alle gleich machte. –

Das Bezeichnende und Bedeutende war entstellt, zerrissen. –

Eine neue Schöpfung mußte hier vorgehen, um diese erstorbene zur Erde gesunkene Masse zu beleben, und dann mit dem neubelebten Worte und Blicke zu wechseln. –

Die Taube flog aus und fand einen Oehlzweig, auf dem sie ruhen konnte. –

Hier aber schwebete keine Taubengestalt unglückbringend über Hartknopfs Haupte. –

Kein hölzernes Schnitzwerk entstellte diese Kanzel, und diese Wände. –

Hier wiederholte Hartknopf seine erste Predigt beynahe von Wort zu Wort. –

[25] Er höhlte gleichsam jedes verlohrne Wort, jeden verschwundenen Gedanken wieder – was auf der Kanzel in Ribbeckenau von seinen Lippen verwehet war, fand sich hier in schönerer Ordnung wieder zusammen. –

Denn die Höhe und Tiefe war einmal durch feste Punkte auf horizontalen Linien, und jeder Takt durch einen senkrechten Strich bezeichnet.

Das Ganze wiederhohlte sich daher, wie eine wohlgesetzte Musik, welche des Aufwands von Kunst und Mühe nicht werth wäre, wenn sie nur einmal tönen, und dann in die Luft verweht seyn sollte. –

Durch wiederholte Schläge pflegte Hartknopf wie im Sprüchwort zu sagen, fällt der Baum unter der Axt, und das Eisen schmiegt sich unter dem Hammer. –

Was ist das Leben in der ganzen Natur, der Wechsel der Jahreszeiten, was jeder Pulsschlag, jeder Athemzug, als eine immerwährende Wiederholung ihrer selbst? –

Die Wiederholung des Schönen erwecket nicht Ueberdruß, sondern vervielfältigten Reitz, für den, welcher anfangt seine Spur zu ahnden – [26] und so oft es ihm sich wieder darstellt, diese Spur verfolgt. –

So war Hartknopfs Antrittspredigt ein vollendetes unvergängliches Werk, daß in sich selber seinen Werth hatte, den kein Zufall ihm rauben konnte. –

Und obgleich die Gemeinde in Ribbeckenau sich einmal, und der Küster Ehrenpreiß sich zweimal daran ärgerte, so erreichte sie dennoch ihren Zweck, der in ihr selbst, in ihrem schönen Bau, und dem wohl abgemessenen Verhältniß ihrer Theile lag – wodurch das Ganze eine Kraft erhielt, alles Mangelhafte aufzudecken, und es in seiner Blöße darzustellen; wodurch die Bauren in Ribbeckenau in ihrer Brutalität sich zeigen, und das schadenfrohe Lachen auf ihren verzogenen Lippen erscheinen mußte. –

In welchen Mauren das Ganze dieser Predigt ertönte, da prüfte es die Geister – es konnte, wenn es einmal von den Lippen verhallt war, durch nichts anders ersetzt werden, als durch sich selbst; weil nichts darin war, das sich von seiner Stelle verdrängen ließ.

[27] Wenn Hartknopfs Predigten einst, dem Buchstaben nach, im Druck erscheinen, so wird sich zeigen, daß seine Antrittspredigt in Ribbeckenau alle übrigen in sich faßt, wie die gefüllte Knospe ihre Blätter. –

Daß alles ein Ganzes ist, welches gleich dem belebenden Athemzuge, in jeder Zeile, mit jedem Gedanken, nur sich selbst wiederholet. –

[28] Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Ist es denn hart, die Worte wieder zu sagen, die von den Lippen des sanftesten Lehrers tönten? –

Dem die Geschlechter der Menschen nun tief in das zweite Jahrtausend horchen, und horchen, ohne den leisesten Laut, des göttlichen Sinnes zu vernehmen? –

Das Licht wandelte in der Finsterniß, und die Finsterniß erkannte es nicht.

Ist es die Fassungskraft nicht selbst, die sich erweitern muß, um das Edle aufzufassen? –

Soll der Oehlbaum seine Fettigkeit, der Weinstock seinen edlen Saft lassen, um über den Bäumen zu schweben? –

Da wo die Stimme vernommen wird, wohnet der Geist, die andern Behausungen stehen öde, und sind wandelnde Massen. – Augen, [29] ohne Sehkraft; Ohren, die nicht hören; Arme, die nicht vermögen; Hände, die nicht würken.

Wie der Wind die Wellen kräuselt, so sind sie ein Spiel des Zufalls. –

Wo die Stimme vernommen wird, da tönet sie mächtig wieder; es zeichnet sich im Blick und, Handlung ihre Spur. –

Das leichte senkt, das Lockre dichtet und ründet sich zu einem festen Kern, aus welchem des Lebens edler Baum erwächst. –

Der Sturmwind rauscht, der Donner rollt, das Meer brauset, die Menschenlippe spricht. –

In Wüsten steigen Städte mit Tempeln, und Pallästen Himmelan. –

Das Schiff mit Mast und Segeln tanzt auf den empörten Wellen. –

In tiefen Schachten liegt des Goldes Spur enthüllt. –

Von dem gespannten Bogen fliegt, der befiederte Pfeil, und eilet dem Gedanken nach, der vor ihm schon das Ziel erreicht. –

[30] In seinem Blute sich wälzend ächzt das Wild. –

Die angespannte in sich gedrängte Kraft wirkt durch den Luftraum in die Ferne. –

Sie wohnet in der athmenden Brust des Menschen, und reicht bis an des Himmels Wölbung, und des Oceans ungemeßne Ufer. –

[31] Das Liebesmahl

Bestand aus Milch und Brodt, welches Hartknopf mit dem Pächter Heil und seiner Schwester genoß, ehe er seinen Stab weiter setzte, denn er wollte den Tag noch drey Meilen gehen. –

In Heils Wohnstube war der Fußboden mit einer weichen Decke belegt, und die Wände mit senkrechten blauen Streifen geziert.

In der Mitte stand ein rundes Tischgen, woran diese drei nun saßen. –

Sophien gegenüber hieng ein Spiegel, vor dem sie, wie beim Anfange von Hartknopfs Predigt, nur ein wenig die Augen niederschlug, und sie dann wieder aufschlug. –

Denn der Spiegel verdoppelte die schöne Seene, und stellte sie wie in dem Hintergrunde eines Gemähldes dar, das drei vorzüglich karakteristische Köpfe in sich faßte, die durch ihre Stufenfolge einen Akkord bildeten, dem nur ein fast [32] unmerkliches Etwas zur völligen Harmonie und Reinheit fehlte.

Die Liebe welche bei dem Mahle herrschte, verdeckte dieß Etwas, und knüpfte unvermerkt ein schönes täuschendes Band, zwischen diesen sich so nahe verwandtscheinenden Seelen, die in vertraulichen Gesprächen über die eigentlichen Lebenspunkte, und über das, was der Mensch in jedem Augenblick des Lebens zu seiner Glückseligkeit thun und nicht thun kann, sich immer näher aneinanderschlossen. –

Während diesen Gesprächen vernahm Hartknopf zum öftern en sanftes Echo aus seiner gehaltenen Predigt wieder. – Ganz leise hatten die Saiten angeklungen, die seine Worte berühren wollten, nur einige waren verstummt geblieben. –

Bey diesem Liebesmahle verschwand allmälig das Torfmoor und die unglückbringende Taubengestalt über Hartknopfs Haupte. –

Die ersten Worte des Pächters, womit er ihn in sein Haus geführt hatte, tönten immer noch angenehm in seinen Ohren.

[33] In diesem Hause wohnet Heil, sagte der Pächter, indem er ihn hineinführte, und Seegen, antwortete Hartknopf, indem er ihn umarmte. –

Der Pächter Heil sagte dieß dem Ansehen nach kindische Wortspiel, mit einem so freundschaftlichen Händedruck und bedeutenden Blick auf Hartknopf, und zugleich mit einem so edlen Selbstgefühl, daß Hartknopf auf einmal harmonisch in dieses Wortspiel mit einstimmte. –

Und Seegen! setzte er hinzu, und gewiß war seine ganze Seele bewegt, indem er dieß sagte, er fühlte die Macht dieser Worte, sobald sie aus der Fülle des Herzens strömen; und aus dieser Fülle des Herzens die Kraft erhalten, womit der sterbende Patriarch das Hörn des Ueberflusses über seine Sühne ausschüttete, welche auf kommende Geschlechter seinen Seegen fortpflanzen. –

Nicht so harmonisch griff der Seegen ein, welchen er auf der Kanzel und vor dem Altar, der seegengewohnten Gemeinde gab. –

Er machte nehmlich statt des Kreuzes mit dem Mittel- und Zeigefinger nur einen geraden Querstrich zweimal durch die Luft, woran die ganze [34] Gemeinde, so oft er es that, und der Küster Ehrenpreiß zwiefach sich ärgerte. –

Dergleichen Kleinigkeiten wurden in Hartknopfs Gemeinde zu sehr wichtigen Dingen, und verwickelten ihn in der Folge in tausend Verdrießlichkeiten, deren er sich nicht im mindesten versahe. –

Für jetzt aber nahm er Abschied von dem Geschwisterpaar, da es hoch Mittag war, um den Herrn von G... zu besuchen; dieser wohnte drei Meilen weit von hier, bey dem Dorfs Nesselrode, wohin der Weg durch einen Fichtenwald führte, der eine Strecke hinter Ribbeckenäuchen seinen Anfang nahm, und unsern Wanderer auf seinem Wege vor den Strahlen, der Sonne schützte, welche schon anfiengen, den ausgetrockneten Boden zu sengen. –

Der Fichtenwald

[35] Der Fichtenwald.

Hier war nun alles auf einmal so todt und einförmig – und Hartknopf wanderte ganz allein. –

Es war Ebbe in seiner Seele geworden – die angenehmen Bilder standen tief im Hintergründe. –

Er horchte auf den Tritt seiner Füße, und stand zuweilen still, und machte mit seinem Stabe Figuren in den Sand. –

Mit dieser Handlung begannen die fürchterlichsten Stunden seines Lebens – dieß war das Zeichen der gänzlichen Leerheit, der Selbstermangelung, des dumpfen Hinbrütens, der Theilnehmungelosigkeit an allem. –

Als er von dem Pächter Heil und seiner Schwerster Abschied nahm, da war seine Mine noch heiter und froh – sobald er aber aus der Thür getreten war, und niemand mehr um sich sah, seufzte er: Ach Elias! und seine Lippen schlossen sich wieder. –

[36] Er eilte mit starken Schritten dem Fichtenwalde zu – und als er ihn erreicht hatte, und in sein heiliges Dunkel trat – fühlte er auf einmal seine Brust von einem großen Gefühl erweitert, daß aber eben so plötzlich sich wieder verlohr, als es entstanden war. –

Es war die große leblose Natur, welche er in diesem Augenblicke fest an sich schloß, und die sogleich wieder allen Reiz für ihn verlohr – weil das schimmernde zarte Gebildete das Große verdunkelte, und doch war das zarte Gebildete nicht stark genug, das Große in seinem Umfange festzuhalten, und es dem Liebenden zur Morgengabe zu bringen. –

Es entstand ein schrecklicher Kampf in Hartknopfs Seele – das Leere wollte die Fülle, das Chaos die Bildung verdrängen. – Nichts war der Mühe des Festhaltens, nichts des Fliehens, und nichts der Anschließung werth. –

Ohne Gedanken, ohne Empfindung, zog er noch immer Figuren im Staube, als sein guter Genius seine Hand leitete, und er auf einmal unwillkührlich den Nahmen Elias auf den Boden schrieb. –

[37] Durch diese trostreichen Züge stärkte die Hand des Engels ihn, und der Kelch gieng dießmal noch vor ihm vorüber. –

Er gieng mit schnellen Schritten vorwärts, in der Kühle des Waldes. – Er hatte einen Punkt gefaßt, an dem er sich wieder halten konnte, dem sich das übrige unterordnete. –

Seine Phantasie fand wieder freyen Spielraum – er dachte sich in der Stube des Pächter Heil mit der weichen Fußdecke, und den blauen senkrechten Streifen an den Wänden. –

Dann beschäftigten seine Gedanken sich mit dem Hrn. v.G..., den er nun persönlich sollte kennen lernen, nachdem er schon lange im Briefwechsel mit ihm gestanden. –

[38] Der Herr von G...

Dieser Herr v.G.. war ein Greiß von achtzig Jahren, der Hartknopfs Vater gekannt hatte, und den Sohn zum Prediger berief. –

Er hatte schon lange seine Gattin und Kinder überlebt – so daß alle seine Gedanken den irrdischen Sorgen entrückt waren, und sich nun mit etwas jenseit beschäftigten, daß sie nicht fassen konnten. –

Nichts konnte sich wohl mehr entgegengesetzt scheinen, als die Meinungen Hartknopfs und des Herrn v.G...

Der Herr v.G.. war für das Leichte, Auf lodernde, Himmelanstrebende. –

Hartknopf für das Schwere, sich niedersenkende, in sich selbst ruhende. –

Der Herr v.G... liebte die Pyramidalform. –

Hartknopf den Kubus. –

[39] Und doch trafen beide immer in gewissen Punkten zusammen. –

Dann war es, als ob sie sich über einem Abgründe die Hände reichten. –

Der Hr. v.G.. hatte von seiner Jugend an mystische Schriften gelesen, und seine ganze Denkart hatte dadurch eine gleichsam zugespitzte Richtung bekommen, sie eilte immer zu früh dem Ende zu, ehe sie noch die Fülle gefaßt hatte. – Das Fassende erhielt dadurch eine gewisse Einengung, worin Bäume, Pflanzen und Thiere nicht Platz finden konnten.

Das Körperliche blieb ausgeschlossen – das Geistige schwebte oben. –

Zwischem dem, was zusammen gehört, und sich nach einander sehnt, war eine Kluft befestiget, die der Hr. v.G.. nicht sähe, weil er selber in dieser Kluft stand. –

Hartknopf zog einen Brief des Hrn. v.G.. aus der Tasche, den er ihm nach Erfurt geschrieben hatte, und las ihn noch in dem Fichtenwalde durch, da er sich, an einen Stamm gelehnt, ein paar Minuten ausruhte. –

[40] Er wollte die gewohnten Züge seiner Hand erst wieder vor seinen Augen erneuern, eh' er den Mann persönlich sahe. –

Die Buchstabenschrift des Hrn. v.G... flammete, wie sein Geist in die Höhe – wodurch aber der Nachtheil entstand, daß die untere Zeile oft in die obere eingrif, und die Züge sich untereinander verwirrten.

Hartknopfs Buchstaben standen mehr senkrecht in dichtgeschlossener Reihe aneinander – so daß auch die Wörter sich fast zu nahe aneinander drängten, und oft eine ganze Zeile wie ein einziges Wort aussähe. –

Der Brief des Hrn. v.G.. an Hartknopf lautete also:

»Da mein bisheriger Prediger in Ribbeckenau am 8ten dieses gestorben ist, so lasse ich an meinen lieben Andreas Hartknopf in Erfurt, folgende Anfrage ergehen: ob derselbe noch gewilligt ist, diese von mir ihm zugedachte, nunmehro erledigte Pfarrstelle, zu übernehmen? –

Da ich hieran nicht zweifeln kann, so sehe ich mit Verlangen dem Augenblicke entgegen, wo unsre Worte und Gedanken sich unmittelbar [41] einander begegnen können – dem, ich weiß doch, daß mein Andreas auch seine noch nie gesehenen Freunde liebt. –

Ich möchte ihm noch die Hand geben, ehe ich scheide; denn ich stehe am Rande und harre auf meine Auflösung – der aber, den ich hier zurücklasse, wird durch harte Prüfungen vollendet werden. –

Ich lade ihn ein zu der Schule des Kreuzes; denn er soll nachfolgen seinem Herrn und Meister. –«

Die Kinderlehre

[42] Die Kinderlehre.

Während daß Hartknopf durch seinen Fichtenwald auf Nesselrode zuwanderte, war der Küster Ehrenpreiß schon wieder über das Torfmoor nach Ribbeckenau zurückgekehrt, um dort den Nachmittagsgottesdienst zu halten. –

Als nun die Kinder des Dorfs um dem Altar versammlet standen, faltete er seine Hände und betete:

»Erhalt uns o Herr die reine Lehre. Alle Irrgläubigen aber, welche dein Wort verdrehen, mache zu Schanden um deiner Liebe Willen!«


Nun war die erste Frage:


Ehrenpreiß. Als Lucifer oder der Teufel, von Gott abfiel; wer stieß ihn da vom Himmel hinunter?

Die Rinder. Gott!

Ehrenpreiß. Wie kam er also vom Himmel herunter?

[43] Ein Bauerknabe. Plötzlich!

Ehrenpreiß. Aber wie oft soll ich euch noch sagen: ihr müßt auf das Vorhergehende merken! Ihr begreifts nicht! – wann ich euch frage: wie kam er vom Himmel herunter? so heißt ja die Antwort nach dem Vorhergehenden: Gott stieß ihn herunter? – merkt doch auf die Worte! es heißt ja: Gott stieß ihn herunter!


Wie kam er also vom Himmel?


Die Kinder. Gott stieß ihn herunter. –

Ehrenpreiß. Was ist durch den Teufel in die Welt gekommen?

Die Kinder. Die Sünde.

Ehrenpreiß. Durch wen sind wir von Sünden erlößt?

Die Kinder. Durch Christum!

Ehrenpreiß. Wen sandte Christus seinen Jüngern, da er gen Himmel fuhr?

Die Kinder. Den Tröster!

Ehrenpreiß. Als aber der heilige Geist bey der Taufe Christi in Gestalt einer Taube vom Himmel herab kam, wer sandte, ihn da vom Himmel?

Die Kinder. Gott?

[44] Ehrenpreiß. Wie kam also der heilige Geist vom Himmel herunter? (Hier horchte Ehrenpreiß sorgfältig auf die Antwort.)

Einige Kinder. Gott stieß ihn herunter. –

Ehrenpreiß. Nein Kinder (fiel er als wär' es abgeredet ein) Menschen stießen ihn herunter, die den dreieinigen Gott nicht erkennen, und des Herrn Wort verdrehen, welche Sünde nicht vergeben werden soll, weder in dieser noch in jener Welt! –

Gehet hin in Frieden!

[45] Hartknopfs Besuch bey dem Hrn. von G...

Die Sonne neigte sich zum Untergange, als Hartknopf aus dem Fichtenwalde trat. –

Das Dorf Nesselrode lag gerade vor ihm in einer fruchtbaren Ebene, und in einiger Entfernung zur Rechten das herrschaftliche Schloß, dessen Fenster im Glanze der Abendsonne schimmerten.

Der Pfad zum Schlosse des Hrn. von G.. führte vor Nesselrode vorbei über ein schönes Aehrenfeld. Der Fahrweg aber gieng durch das Dorf, und war mit einer Allee von Weidenbäumen bepflanzt.

Da wo nun der Fahrweg und der Fußweg dem Schloßthore gegenüber zusammentraten, stand Hartknopf noch eine Weile still, und schauete durch den Thorweg, über den Hof, [46] bis an die Stuffen vor der Thür welche braun angestrichen war, und gegen die ganz weiß abgeputzte Vorderseite des Hauses auffallend abstach. –

Die braune Thür eröfnete sich, und Hartknopf blickte beim Strahl der Abendsonne zuerst in dieß Heiligthum, das einen Geist umschloß, der in seiner sterblichen Hülle weit über die Erde emporragte, und doch in den Bezirk dieser Mauren, auf diesen einzelnen Fleck, seine bestimmte Wirksamkeit hingeheftet hatte; und gleichsam nur noch mit den Spitzen der Zehen diesen Punkt der rollenden Kugel berührte, die nun bald unter ihm weggewälzt, seinem spähenden Blicke in die ungemessene Ferne sich entziehen sollte.

Ein alter Diener des Herrn von G.., führte Hartknopf eine Treppe hinauf, in ein grün tapezirtes Zimmer, wo der Herr von G.. vor dem Spiegel stand, und sich den Bart eingeseift hatte, um sich zu halbieren, welches er, eine Stunde vor Sonnenuntergang selbst zu thun gewohnt war.

Er eilte mit dem eingeseiften Barte auf Hartknopfen zu, dieser aber bat ihn, er möchte sich [47] nicht stöhren lassen, und setzte sich so lange auf einen Stuhl, bis der Herr von G.. sich den Bart abgenommen hatte. Dabey gab er auf seine Augen und Hände Acht, wie die Schärfe des Scheermessers das Kinn des Greisen umwandelte – während daß in der ruhigen Mine ein schöner Zug nach dem andern sich enthüllte, und endlich um die Lippen das jugendliche bewillkommende Lächeln sich verbreitete, womit der Herr von G..., nachdem er sich halbiert hatte, seinen langgewünschten Freund an seinen Busen brückte.

Die Empfindungen Hartknopfs und des Hrn. von G.... trafen in einem Punkte zusammen. – Beyde suchten die Bewegung, welche in ihren Gemüthern herrschte, erst wieder einzuwiegen, ehe sie sich einander mittheilten.

Daher fand es der Herr von G... ganz natürlich, daß Hartknopf, ohne weiter etwas zu sagen, sich an ein Klavier setzte, das in der Stube stand, und folgende beiden Lieder sang und spielte, welche der Herr von G... in einer freilich [48] noch etwas unpoetischen Sprache, aus dem Französischen übersetzt hatte.

Hartknopf kannte diese Lieder schon, und fand sie gerade aufgeschlagen auf dem Klavier liegen; das erste war das Wiegenlied selbst, und das andre noch eine Kadenz dazu.

Das Wiegenlied

[49] Das Wiegenlied.
Ein Lied des heiligen Johannes vom Kreuz, dem Buch, Aufsteigung des Berges Karmel vorgesetzt.

Als die Aengsten mich umgaben,
Ganz entzündt in finstrer Nacht,
Ward die Lieb in mir erhaben,
Und ihr fester Bund gemacht.
O Glück! ich ging ohne Sehen
Aus der Selbstheit gänzlich aus,
Als ich frölich sahe stehen,
Weine Ruh- und Friedenshaus.
Ich gieng durch verborgne Stege,
Sicher in der Dunkelheit,
Taumelnd, ohne Furcht im Wege,
Ungestalt und ganz verkleidt;
[50]
Ja in Finsterniß verborgen,
Schritt ich aus mir selbsten aus!
Ach! o Glück! da ohne Sorgen,
Ich in Ruhe fand mein Haus.
Keiner konnte mich erkennen,
Noch die Seligkeit der Nacht:
Mein Herz hatte in sich brennen,
Ein verborgnes Licht und Tacht:
Doch verdeckt, und ohne Schauen;
Licht und Führer heimlich bleibt:
Und in dieser Nacht und Grauen,
War ich blind, und ganz betäubt.
Diese mir verborgne Leiter
Brachten mich in Sicherheit,
Führeten mich immer weiter,
Bis zum Tag der Ewigkeit,
Wo Gott selbsten Licht und Sonne,
Und das Liebes-Feuer ist,
Friede, Freude, Ruh und Wonne,
Und mal, alles Leid vergißt.
Nacht, die lieblich führen thäte:
Du bist schöner dunkle Nacht,
[51]
Als der Glanz der Morgenröthe:
Denn du hast in Eins gebracht
Braut und Bräutigam vermählet:
Dieser hat nun inniglich
Seine Braut, die er erwählet,
Ueberformet ganz in sich.
Mein Geliebter, ohne Schmerzen,
Still und sanft regierete
Und entschlief in meinem Herzen,
Das in Liebe grünete:
Da die Cedern und die Rosen
Sich bewegten in der Lust
Sanfte thät ich ihm Liebkosen
Unter diesem süßen Duft.
Morgenroth, dein sanftes Wehen,
Hat zerstreut mein ganzes Heer,
Kein Begehren konnt bestehen,
Denn der Freund vertrieb es gar,
Da mir klarer Hand er drücket
Meinen Hals, den er verletzt,
Alle Sinnen sind entzücket,
Und ich aus mir selbst gesetzt.
[52]
Nunmehr hab ich ganz vergessen,
Wo das Aug sonst hingericht,
Liebster, du hast mich besessen,
Auf dich leg ich mein Gesicht.
Ich hab alles gar verlassen,
Es verschwindt, und ist nicht mehr:
Ich mag nicht Gedanken fassen,
Sie sind bey dem Lilien-Heer.

Die Kadenz

[53] Die Kadenz.

Als der Morgenröthe Wunder
Glänzte vor der Sternenbahn,
Fiel ein Tröpflein Thau herunter
In den großen Ocean:
Da der Tropfen nun die Weiten
Dieses Meeres sahe hier,
Dessen Unermeßlichkeiten,
Wie erstaunte er dafür!
Da er sich auch wollte setzen
In Vergleichung, sagte er:
Wie gering bin ich zu schätzen
Zu vergleichen mit dem Meer!
Wahrlich, wo das Meer zu sehen,
Der so große Ocean,
Muß ich mir ein Nichts gestehen,
Einen Schatten, Traum und Wahn!
[54]
Als er so ein Nichts sich sahe,
Und das Meer, so weit, so groß,
War die Perlen-Muschel nahe,
Schloß ihn ein in ihren Schoß!
O wie wurd' er da verwandelt
Ja zur Perle nun gemacht,
Groß, veredelt, wohl behandelt,
Zur Vollkommenheit gebracht.
Auch der Himmel gab den Seegen
Daß der Perle hoher Preiß
Gar nichts wäre gleich zu wägen
Auf dem ganzen Erden-Kreiß;
Bis der König sie bekame,
Setzte sie in seine Kron,
Hoch berühmet wurd ihr Nahme.
Schauet hier der Demuth Lohn!

Doktor Martin Luthers Tischreden

[55] Doktor Martin Luthers Tischreden.

Während daß Hartknopf die Lieder spielte, ward der Tisch für vier Personen gedeckt, und die Frau St... mit ihrer Tochter traten herein.

Die Mutter mochte im fünfzigsten, die Tochter im dreißigsten Jahre seyn. –

Hartknopf wurde von ihnen freundlich bewillkommet, und man setzte sich zu Tische, wo das Gespräch bald heiter und froh wurde, und auf allerley weltliche Dinge fiel.

Hartknopf erzählte von Erfurt, von den drei Brunnen und vom Steigerwalde; und von seiner Art periodisch zu studiren, die dem Herrn von G... gar großes Vergnügen machte.

Sie kamen nun auf das Universitätsleben zu sprechen, und der Herr von G.. erzählte von einem Duell, daß er in seiner Jugend gehabt hatte.

[56] Nun kamen politische Gegenstände an die Reihe, worin der Herr von G.., der selbst einen beträchtlichen Gesandschaftsposten bekleidet hatte, reelle Kenntnisse besaß.

Die Jungfer St.... würzte das Gespräch mit einem leichten spottenden Witze, womit sie den wichtigen Weltangelegenheiten wieder ein komisches spielendes Ansehen zu geben, und die Ueberwichtigkeit der Dinge immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen wußte.

Die Frau St.... belebte die Einfälle ihrer Tochter durch einen launichten mütterlichen Ernst, womit sie ihr dieselben verwieß.

Die Jungfer St... fragte schalkhaft, ob Hartknopf die Bekanntschaft des Pächter Heil, eines sehr braven Mannes noch nicht gemacht habe – und Hartknopf wäre über diese Frage beinahe in Verwirrung gerathen, so wunderbar überraschte sie ihn – durch den Ton und die Miene, womit die Jungfer St... diese Frage an ihn that.

Denn der Pächter Heil und seine Schwerster standen wie zwei verschlungene Buchstaben in seinem Gedächtniß, deren Züge sich in einander [57] verwickelten, und das Verwickelte zog die Verlegenheit nach sich. –

Hartknopf half sich so gut er konnte, und die Jungfer St... erbarmte sich seiner, und fing an, mit dem Herrn von G.... über Rußland und Pohlen zu sprechen.

Die Jungfer St.... hatte bei einer blassen Gesichtsfarbe ein fast zu feuriges Auge, welches dem Auge des Hrn. von G.... oft mit einer Lebhaftigkeit begegnete, die mehr als Ehrfurcht bezeichnete, weil die Jungfer St... wirklich mehr als Ehrfurcht gegen den edlen Greis hegte, der ihrer ganzen Liebe werth war.

Sie war unter den Augen des Herrn von G.... in diesem Hause aufgewachsen, in welches ihre Mutter im sechs und zwanzigsten Jahre schon als Wittwe in Dienste getreten war, um der Verwaltung des Hauswesens, noch bei Lebzeiten der Gemahlin des Herrn von G.... welche sehr kränklich war, vorzustehen.

Der Herr von G.... besaß auch selbst in seinem Greisenalter noch eine gewisse jugendliche Lebhaftigkeit, die ihn und andre oft seiner Jahre vergessen machte.

[58] So schien diesen Abend sein Puls schneller zu schlagen, sein Blut jugendlicher in seinen Adern zu fließen – und endlich erklangen auch vom Saft der edelsten Trauben angefüllt die Gläser. –

Das Gespräch lenkte sich noch einmal eigensinnig auf den Pächter Heil und auf die Liebe, und Hartknopf bewafnete sich dießmal mit Doktor Martin Luthers Tischreden, die er aber in diesem Cirkel nicht nennen durfte, und sagte: indem die Jungfer St... ihr Glas mit dem seinigen anklang, folgende Losung:


Wein und Liebe, und Gesang!


Nun war schon vorher die Rede von dem treflichen Gesänge der Jungfer St... gewesen, welches Lob sie bescheiden von sich abgelehnt hatte, nun aber nicht ferner konnte, da sie auf Befehl des Herrn von G.... es bestätigen muste.

Sie sang und spielte also zum Beschluß der Mahlzeit folgendes kleine Lied, welches der Hr. von G... ebenfalls aus dem Französischen der Madam .... in seine Art Verse übersetzt hatte, und fast zu gern es immer wieder hörte:


[59]
Zu glauben, daß man grade geht,
Blind seyn, und sich verirren;
So geht ein Narr voll Gravität,
Die Bücher ihn verwirren,
Und in seiner Gelehrsamkeit
Ist er blind, thöricht jederzeit.

Hartknopf fieng schon an, über dieß Lied ein wenig verdrießlich zu werden – denn er konnte die Mystick wohl leiden, bis auf den Punkt hin, wo sie das menschliche Wissen ausschließt, und für Thorheit achtet. – Hartknopf hatte sehr viel Achtung für alles menschliche Wissen, es mochte sich aufwärts oder abwärts erstrecken; am liebsten war es ihm aber, wann es von der Ceder bis zum Ysop reichte – und weil dieß so selten in diesem Leben der Fall ist, so mochte er gerne fremdes Wissen dem seinigen ansetzen, um sich allmählig eine Leiter zu bauen, auf der er ein wenig über die Erdfläche emporsteigen, und um sich her schauen konnte. –

Wer ihm da nun eine Stuffe unter den Füßen wegbrach, den mußte er wie einen hämischen Feind betrachten, der ihm ein unschuldiges Vergnügen misgönnte, und beinahe so betrachtete er [60] den Herrn von G... in dem Augenblick, da die Jungfer St... auf dessen Befehl das obige Lied sang.

Er lenkte, da es vorbei war, das Gespräch sobald wie möglich, auf Kenntnisse und Wissenschaften, und gestand ein, daß er sie zur Leiter brauche, weil er nicht fliegen könne; und derjenige, welcher fliegen könnte, doch immer sehr unrecht thäte, wenn er dem, welcher es nicht könnte, noch dazu die Leiter wegrücken wollte.

Das wollte nun der Herr von G... wahrlich nicht, sondern es war eine ganz andre Ursach, weswegen er das Lied gerne hörte, die aber Hartknopf nicht wußte; den es daher auch gar nicht gereuete, daß er den Herrn von G... durch seine harten und spitzigen Worte tief beleidigt hatte; denn ihm war es nur um die Sache zu thun, und er sahe nur die Kluft vor sich, welche zwischen ihm, und dem Herrn von G.... lag, aus dessen Hand er in dem Augenblick die seinige zog. –

Der Herr von S... dachte sich nehmlich bei dem Namen voll Gravität in dem Liede, unter andern den verstorbenen Pfarrer in Ribbeckenau; [61] welcher wirklich Gelehrsamkeit besaß, und dem Herrn von G...., der sich anfänglich mit ihm eingelassen hatte, in seinem Leben manches Herzeleid verursachte.

In der Freude seines Herzens, da er nun seinen theuren Hartknopf mit dessen Vorgänger verglich, ließ er die Jungfer St.... das Lied singen, und dachte nicht daran, daß es auf Hartknopf eine so widrige Wirkung, thun könnte.

Freilich hatte der Herr von G... einen Widerwillen gegen den Stand der Prediger überhaupt, und trauete ihnen nicht viel zu, wie folgende Stelle in einem seiner Briefe beweißt, welcher mir zu Handen gekommen ist:

»Wie Herr Pastor Dannemann steht, so stehen die meisten Pastores, die wirklich Gott fürchten, aber bei ihren Lehrbegriffen stehen bleiben. Sie verstehen nicht, was mystische Schriften sind, indem sie keine Erfahrung davon haben. Es ist auch nicht gut, sich mit solchen, wenn sie nicht was tiefes erkennen, noch haben, allzubekannt zu machen, weil man leicht mit einem Heuchler könnte bekannt werden, der sich gut zu seyn stellen könnte, und [62] alsdann könnte ein solcher einem leichtlich Verfolgung und allerlei Leiden erwecken.«

Nun kamen aber noch mehrere Dinge zusammen, welche die Vorliebe des Herrn von G... zu dem obigen Liede, wo nicht entschuldigen, doch erklären. –

Es war nehmlich gerade damals eine Schrift wider die Schwärmerey erschienen, welche viel Aufsehens machte, deren Verfasser mit einer Selbstgenügsamkeit ohne Weichen, und mit einer bittern Unduldsamkeit alles in eins warf, was ihm freilich eins zu seyn schien; welcher so wenig Sinn hatte, das Zarte von dem Groben zu unterscheiden, daß dies Buch freylich den Hrn. von G... empören mußte, statt ihn aufmerksam zu machen.

Folgende Stelle schien ihm besonders hart, und er konnte sie nie ohne Unwillen lesen:

»Wer es auch sey, der euch von einem innern Worte, von höhern Offenbarungen spricht – hütet euch vor ihm, wie vor der Pest die im Finstern schleicht – er ist ein bübischer Gleißner, oder ein intoleranter Dummkopf und in dem einen Fall so gefährlich wie in dem andern.«

[63] Nun war der Herr von G... weder ein Gleißner noch ein Dumkopf, und sprach doch auch von einem inneren Worte, und von etwas, das er für höhere Offenbarungen hielt – die Stelle in dem Buche würde ihm aber doch nicht so hart aufgefallen seyn, wenn der ganze Geist des Buches wider die Schwärmerey ihn nicht schon gedrückt hätte. –

Denn es war ihm immer unerklärbar, daß es irgend jemanden möglich gewesen sey, so zu schreiben – seine Zartheit des Denkens konnte jene Grobheit nicht übertragen, sondern erlag darunter. –

Nun hatte er aber bey aller Ertödtung der Eigenheit hoch immer noch so viel Selbstgefühl, daß er wohl wußte, eine Denkkraft, welche die Sachen fein zu nehmen vermag, sey mehr als eine solche, die dieß nicht vermag.

Dieß hob ihn selbst wieder in seinen Gedanken empor – und nährte den kleinen mystischen Uebermuth, der ihm zuweilen anwandelte. –

Der Narr voll Gravität stand dann vor ihm, der in seine Worte ein Gewicht legen wollte, daß seine Gedanken nicht hatten.

[64] Dieß war die sonderbarste Mischung von Ueberlegenheit und Schwäche, die man sich denken kann – und eben daraus entstand das Disharmonische jenes unmerklichen Uebermuthes bei dem Herrn von G... welchen Hartknopf nicht ertragen, und seinen Spott darüber nicht zurückhalten konnte.

Als ihm aber der Herr von G... die oben angeführte Stelle in dem Buche zeigte, welches broschürt auf dem Klavier lag; so wurde die Miene des Spottenden allmälig wieder sanft und gut.

Ja, sagte Hartknopf, mir fällt immer jener lahme Schulmeister ein, der in seiner Schulstube saß, die Ruthe und den Stock ans Fenster gesteckt, und dazwischen durchsähe, wie die Jungens im Dorfs schwärmten. –

Ach, wie sie schwärmen! seufzte er – wenn ich sie wieder habe, wie will ich sie züchtigen. –

Der Herr von G... lächelte und sagte: die schwärmende Biene saugt den Honig!

[65] Wohl! erwiederte Hartknopf, aber sie wohnet und bauet den Honig in ihrem Korbe! –

Hiemit wünschte man sich einander gute Nacht. –

Die Frau St... wieß Hartknopfen sein Lager an – und ihre Tochter begleitete den Herrn von G...

Elias

[66] Elias.

Die Züge dieses Namens schienen noch nicht ganz verweht zu seyn, als Hartknopf am folgenden Tage, bei seiner Rückkehr von dem Herrn von G..., wieder auf denselben Fleck, in dem Fichtenwalde kam, wo er mit seinem Stabe Figuren in den Staub schrieb.

Eine süße Ahndung kam in Hartknopfs Seele – es war ihm noch aufbewahrt, unter dem Hochgerichte von Gellenhausen, den alten Rektor Emeritus wieder zu sehen, – denn dieser war sein Lehrer und Meister – sein Ellas –

Es war der einzige Freund seiner Jugend, an dessen Hand er zuerst den Felsen erstieg, an Abgründen wandelte, dem Wasserfalle horchte, dem kommenden Sturme entgegen gieng, und in der einsamen Hütte sich vor dem Regen barg. –

[67] Wenn schwarze Gewitterwolken hinter der Stadt sich aufthürmten, wie ein Berg, und die Sonne mit ihrem Glanze dicht auf dieser Dunkelheit ruhte – so eilten Hartknopf und sein Lehrer mit ein paar Schritten durch den Gärten hinaus ins Freie, und standen, wie das erste Menschenpaar, auf dem einsamen Erdkreise, vor der mächtigen Erscheinung, im dämmernden Lichte da. –

Dann war wie ein Traum in des Knaben Seele seine Kindheit, sein Beginnen, sein Wandeln an seines Führers Hand. – Es däuchte ihm Täuschung, und war doch wirklich. – Die süße Täuschung währte, so lange das Licht die Nacht umsäumte – war aber die Sonne hinter dem Wolkenberge ganz versunken, so war auf einmal alles wieder so gewöhnlich: – auf dem Thurme schlug der Seiger – man eilte durch den Garten in die Stube – da waren die weissen Wände – das Dintenfaß und der Bücherschrank – man setzte sich an den Tisch, und lernte Sprachen.

Wenn aber Himmel und Erde mit Macht in des Knaben Seele sich spiegelten, und die zarte [68] aufschiessende Knospe auseinander drängten, so hieng sein schmachtendes Auge am Auge seines Lehrers, das ihn allein verstand. –

Wenn dann im Glanze des Vollmondes die kleine Stadt mit dem spitzen Thurm vor ihnen lag, und Berg' und Thäler rund umher, und das Entfernteste wie ein Gewölke sich am Horizonte gelagert hatte; so saß Elias auf dem abgehauenen Stamme der Elche, und der wunderbare Knabe stand vor ihm, und horchte auf die göttlichen Lehren, die wie Honigthau von den Lippen träuften, und von des Knaben Seele aufgefaßt, wie ein Kleinod in das Innerste seines Busens verschlossen wurden.

In der nächtlichen Stille erhub Elias seine Stimme und sprach:

»Die unendliche Erde, die dich trägt verschmäht den Kuß deines Fußes nicht, denn deine Scheitel ist ihre Krone.« –

Hier legte er seine Hand auf des Knaben Haupt, und ließ sie an seinen Locken hinuntergleiten.

»Dein leisester Fußtritt bebt in ihre innersten Tiefen.« –

[69] »Sie lockt den steigenden Vogel, und den befiederten Pfeil mit sanftem Zuge an ihre Brust zurück. –

Aus ihr strömt Lebenskraft in deine Adern, wenn du aufrecht stehst, und wenn du wandelst. –

Sieh diesen Baum und jene wallenden Saaten. –

Sie gab deinem Körper die Biegsamkeit des Halmes, vereint mit der Stärke des Baumstammes – und deine Fingerspitzen pflücken Blumen, die ihrem Schooß entsprießen.

Dein Blick schauet himmelwärts – sie aber heftet ihn wieder auf das Kraut und auf das Steinchen zu deinen Füßen. –

Sie ist die Allesernährende, Große, Geheimnißvolle. –

Wer sich an sie schmiegt, der sitzt im Rath der Götter. –

Sie hat mit dir geredet, und grüßt dich mit dem Kusse meines Mundes!«

Der Umweg

[70] Der Umweg.

Er fühlte sich angezogen und zurückgestoßen, als er den Thurm von Ribbeckenäuchen wieder vor sich sah. –

Die Straße gieng durch das Dorf, ein Fußweg gieng vorbei – sollte er die gerade Straße oder den krummen Fußweg gehen?

Er gieng die gerade Straße nicht; denn sein Innerstes war mit sich selbst im Streit. –

Hier war es, wo seine Lebensbahn aus dem Gleise wich – auf diesem Fußwege um das Dorf bildete sich im Kleinen ab, was Jahre hindurch ihn quälen würde. –

Für ihn war die breite Heerstraße, welche vom Aufgange bis zum Niedergange die Länder durchschneidet, die von den Menschen nach ihren Zungen und Sprachen benannt sind. –

[71] Der Fußweg um das Dorf aber vollendete und verlohr sich in sich selber – und Hartknopf fühlte durch diese sanfte Krümmung sich unwillkührlich angezogen, von der andern Seite in das Dorf wieder zurückzukehren.

Die süße Täuschung erhielt in seiner Seele die Oberhand – das häusliche stille Leben stellte sich ihm mit seinen reizendsten Farben dar – das wirthbare Stübchen mit dem runden Tischgen – der grüne Kirchplatz, dem Fenster gegenüber, und die spielenden Knaben des Dorfs. –

Auf dem krummen Fußwege, der sich durch die grünen Saaten schlängelte, mahlte seine Phantasie, das in sich selbst vollendete ruhige Leben aus, das kein höher Ziel als sich selber kennt, und seinen schönen Kreislauf mit jedem kommenden Tage wiederholt.

So wie hier der Weg in die Krümmung sich verlohr – verlohr sich seine Aussicht in das Leben im süßen Traum vom Erwachen zu frohen Tagen, vom Genuß des Lebens und der Gesundheit bei dem harmonischen Wechsel der Jahreszeiten.

[72] Das Vermiedene stellte sich ihm nun so reihend dar, eben weil er es geflissentlich vermeiden wollte – da rächte es sich an seiner Phantasie mit den Farben des Morgenroths, worin alle seine Gedanken und Bilder sich kleideten. –

Ob es gleich die schwüle Zukunftschwangere Mittagsstunde war, in welcher er gut dem einsamen Pfade um das Dorf gieng. –

Dieser hohe Mittag lud ihn in den wirthbaren Schatten ein, wo sanfte Kühlung herrschte, wo schon die Blicke ihn willkommen hiessen, die ihn gestern so freundlich wiederzukommen baten.

Alles war so stille auf dem Felde und im Dorfe – nur die summende Fliege weckte das Ohr zu horchen, und leise Wünsche stahlen sich in die Seele des Einsamen, der mit schnellern Schritten vorwärts gieng, je näher er sich am Ziele sah. –

Am Ziele, das im Widerschein der Phantasie sich dicht vor seine Augen hingezaubert hatte, und bald, da er es fest zu umfassen glaubte, in die ungemessene Ferne plötzlich wieder zurückwich. –

[73] Aber auch dieser Wirbel vermochte den Strom nicht in seinem Laufe zu hemmen, welcher Dämme durchbrach, und sich sein Bett durch Felsen wühlte. –

Die willkommene Thür des Pächter Heil eröfnete sich, und nahm den Wanderer ein. –

Sophie Erdmuth saß in einer Ecke, und nähte, als Hartknopf in die Stube trat – sein erster Blick fiel auf sie – ihn bewillkommend stand sie auf, und erwiederte durch einen sanften Händedruck seinen Blick voll ernster Liebe.

Er aß bei dem Pächter Heil das Mittagsmahl, und als er über das Torfmoor nach Ribbeckenau wieder zu Hause kehrte, ertönte ihm unterwegens folgende Sinfonie.

Die Sinfonie

[74] Die Sinfonie.

Am Abend kehren die Schritter heim vom Felde, und schleppen ihre Sensen nach. –

Dem Hungrigen ist das Mahl, dem Müden die Lagerstatt bereitet. –

Sie grüßen das Dach der gewohnten Hütte, und das kleine Fenster in der leimernen Wand. –

Sie lagern sich ehe die Dämmerung kömmt, und schlummern bis die Lerche erwacht. –

Dann hebt das neue Tagewerk an – und immer wächst die Mühe je höher die Sonne steigt. –

Und wenn der Schweiß von der Stirne träust, so labt ein erquickender Trunk den Gaumen. –

Bis die Stunde des Mittagsmahls mit schwerem Schritt heranrückt. –

Nun lagern die Müden sich in den Schatten, verzehren hastig ihr Mahl, und eilen schnell [75] wieder an ihr Werk, denn ein Gewitter steigt herauf. –

Die Donnerschwangere Wolke lähmt den Arm, die Hände werden laß.

Aber siehe! von Abend her erhebt sich ein kühler Wind, die Wolken zertheilen sich – das drohende Gewitter zieht vorüber. –

Nun ist der Schweiß getrocknet – die Sensen heben sich in schnellerm Takt, die Aehren fallen dichter – das Feld ist leer. –

Nun, denkt der Arbeiter bei sich selber, eilt der Abend näher – ich werde bald auf dem Lager liegen. – Es dauert nicht lange mehr. –

Und während er noch so denkt, ist es schon Feierabend. –

Langsam geht er zu Hause – ihm ist das Bette einladender als der Tisch. –

Eilend nimmt er das Mahl zu sich, um sich zu der morgenden Arbeit zu stärken, und Zeit zum Schlaf zu gewinnen. –

Kaum hat er sich niedergelegt, so ist Gedanke und Bewußtseyn ihm entflohen, bis die Liebe zur Arbeit ihn mit der Morgendämmerung wieder weckt.

[76] Der Prediger schlummert noch ein Weilchen, aber nicht lange mehr – er grüßt die Morgenröcke in der Laube in seinem Garten hinter der Pfarrwohnung. –

Er durchwandert die schmälen Pfade zwischen den angepflanzten Beeten, und sieht was keimt, und was im Mutterschooß der Erde noch verschlossen bleibt. –

Dann eilt er auf die Wiese durch das Gartenthürchen, und saugt aus Blumen und Kräutern den Honig seiner Rede. –

Hier lernt er betrachten und unterscheiden, was in der einfachsten Bildung mannichfaltige ist, und lernt das Mannichfaltige wieder vereinfachen, wie den Strauß von Blüthen. –

Hier ordnen sich seine Predigten an die horchende Menge, und an den einsamen Traurenden. –

Er spähet den wunderbaren Bildungen in ihren ersten Keimen nach, und ahndet leise, wo er nicht fiel zu denken wagt. –

Die einsame Stunde mit dem Schleier umhüllt, verfliegt ihm schnell, und macht der geselligen im Rosenfarbenen Gewande Platz. –

[77] Sie kommt im holden Reihentanz mit ihren Schwestern und ladet den frohen Einsamen in ihre Umarmungen ein. –

Die Pfarrwohnung ist doch bequem, obgleich die Stuben schiefwinklicht sind. – Auch in schiefwinklichten Stuben wohnt die stille Freude und süßes Lebensglück. –

Da steht in einer Ecke der braune Bücherschrank, und in der andern der pyramidalische Aufsatz zum weißen hellklingenden Porzellain.

Das alles ist so glänzend und so schön – die Griffe an den neugemachten Thüren sind polirt – die Küche ist hell und groß – die Fenster des Studierzimmers sind nach dem Garten zu – und grüne Vorhänge schützen gegen den brennenden Sonnenstrahl.

Und wohnt die Lieb' in Hütten des Landmanns, so wohnt sie doch viel bequemer in der zierlichen Pfarrwohnung, die wie ein Pallast über die Hütten emporragt, und wo der Rauch vom Heerde nicht aus der Thür zieht, sondern durch den Schornstein in die Luft empor steigt. –

[78] Hier tönen oft in stillen Stunden die Saiten des Klaviers – und sind ein sanfter Wiederhall vom schönen Lebenswohllaut. –

So fliehen die Tage hin, und kehren niemals wieder? – Dieselben nie – denn das Zufällige verschwindet, aber das Wesen der Dinge erneuert sich in ewiger Jugend. –

Hartknopf lernt den Grobschmidt Kersting kennen

[79] Hartknopf lernt den Grobschmidt Kersting kennen.

Der kam links von einem benachbarten Flecken auf einem schmalen Wege über das Torfmoor hergewandert, als die Sonne sich schon zum Untergange neigte – da gesellte er sich zu dem Prediger Hartknopf, dessen erste Predigt in Ribbeckenau er in einem dunkeln Winkel in der Kirche mit lauschendem Ohre vernommen hatte.

Denn er mochte sich der Gemeinde nicht zeigen, weil er eine zu seltene Erscheinung in dieser Kirche war, deren Schwelle bey Lebzeiten des vorigen Pfarrers sein Fuß niemals wieder betrat, nachdem er sich einmal an Gestalt und Gebehrde des Redenden geärgert hatte.

Bei dem ersten Abendgruß aber fand Hartknopf seinen Mann an diesem geraden und unbiegsamen Wanderer durch das Leben, der mit [80] festem Tritt den Boden zeichnete, der ihn trug, mit freiem Auge in die Weite um sich her blickte, und mit wohlwollenden Anstande Hartknopfen seine Rechte bot.

Dieser Grobschmidt Kersting war ein stiller Einwohner in Hartknopfs Pfarrdorfe – allein er war wegen seiner Geschicklichkeit in Pferdekuren in der ganzen umliegenden Gegend berühmt.

Daß er aber auch Menschenkuren durch die Zaubermittel einer wohlabgewogenen, aus dem Innersten des Herzens strömenden Beredsamkeit verrichtete, darum rühmte ihn niemand, denn niemand wußte es, der gebessert von ihm gieng, durch wessen Rath er gebessert sey, – weil Kersting den Menschenarzt unter dem Pferdearzt und Grobschmidt so fein zu verstecken wußte, daß ihn unter dieser groben Hülle niemand ahndete.

Ich lernte diesen merkwürdigen Mann, welchen ich, da ich Hartknopfen besuchte, in Ribbeckenau nicht vorfand, erst viele Jahre nachher, auf einer Reise von Hannover nach Braunschweig, auf dem Postwagen kennen, nachdem er schon lange in einer ganz andern Lage gewesen [81] war, und doch noch immer Vergnügen daran fand, unter dem Titel eines Grobschmidts seinen Rang und Werth unter den Menschen vor neugierigen Augen zu verdecken.

Denn, so wie viele die Sucht haben, mehr zu scheinen als sie sind; so hatte er den Fehler weniger scheinen zu wollen als er war.

O wie fühlte ich damals mein Herz erweitert, als ich diesen simplen Mann, der sich beim Ausfahren am Stadtthore als Grobschmidt angegeben hatte, auf dem Postwagen hinter mir sitzend, mit seinem zehnjährigen Sohne Worte der Weisheit, eine seltne Sprache reden hörte, die nur hier und da aus einem Munde noch wiederhallt, damit sie im Gedächtniß der Menschen nicht ganz verlösche. –

Seine Worte hoben allmälig die Scheidewand weg, die durch Alter, Sitten, Stand und Sprache Menschen von Menschen sondert. –

Die Menschen fanden sich und kannten sich wieder vom Aufgange bis zum Niedergange und wunderten sich, so lange sich verkannt zu haben. –

[82] Der hohe Gedanke der immerwährenden sich stets verjüngenden Menschheit durchbebte die Seele. –

Wir hatten die Wälle und Thürme von Braunschweig schon im Angesicht – wir alle waren einige Minuten still – der Knabe schmiegte sich gerührt an seinen Vater – und ein armer pohlnischer Jude, der mitfuhr, hub in hebräischer Sprache den Psalm an herzusagen.

»Wenn die Hülfe aus Zion kommen wird, dann werden wir seyn wie die Träumenden.«

»Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens seyn.«

»Da wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an ihnen gethan;«

»Der Herr hat Großes an uns gethan; des sind wir frölich.«

»Herr, wende unser Gefängniß, wie du die Wasser gegen Mittag trocknest.«

»Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten.«

»Sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Saamen, und kommen mit Freuden, und bringen ihre Garben.«

[83] Der Jude dachte nicht daran, ob ihn jemand verstand, oder nicht, da er den Psalm hersagte, und alles war aufmerksam und still im sympathetischen Mitgefühl der Menschheit, die sich sehnet, dem Druck entnommen zu seyn, der auf ihr liegt, und in ihrer angestammten Grüße wieder zu schimmern.

Der Grobschmidt Kersting stieg vor dem Thor vom Wagen ab, und ließ uns in einem angenehmen Staunen zurück über den wunderbaren Mann, den wir in unsrer Mitte gehabt hatten.

Nie werde ich seine Gestalt und die Würde und Wahrheit in seinem Blick vergessen, womit er die Gemüther beherrschte – denn damahls ruhte auch Hartknopfs Geist auf ihm, mit dem er nun bei Sonnenuntergange auf Ribbeckenau zuwanderte, und zum erstenmal die süßen Worte der Erkennung vom Anbeginn verwandter Seelen mit ihm wechselte.

Diese Erkennungsworte lösen sich immer wieder in einen einzigen hohen Begrif auf, der heißt:


Humanitas.

Der Küster Ehrenpreiß und die Bauern

[84] Der Küster Ehrenpreiß und die Bauern.

Als sie nahe am Dorfs waren, begegnete ihnen der Küster Ehrenpreiß mit einigen Bauern, und murmelte für sich die Worte:


par nobile fratrum!


Die Bauern fragten ihn, was das hieße, und er sagte: ein paar saubere Brüder! Die werden schöne Dinge anrichten!

Der eine hat bei seiner ersten Predigt schon das Signal gegeben, und der andere stand in einem Winkel in der Kirche und horchte, was der neue Prophet sagen würde.

Die Bauern schüttelten bedenklich die Köpfe über den neuen Propheten, der mit dem Atheisten und Goldmacher Kersting in das Dorf zurückkehrte.

[85] Und als sie nun gar sahen, daß Hartknopf den Kersting in sein Haus begleitete, und dieser dann die Thüre hinter sich zuschloß, so machten sie das Zeichen des Kreuzes, und giengen mit gen Himmel emporgehobenen Augen auseinander.

Das Abendmahl

[86] Das Abendmahl.
»Brannte nicht unser Herz in uns, da er auf dem Wege mit uns redete?«

Kersting. Beliebt noch eine Hälfte von der Taube.

Hartknopf. Ich habe genug von der Taube.

Kersting. Sie ist nicht hölzern.

Hartknopf. Ich mag nicht an die hölzerne erinnert seyn.

Kersting. Nein, es wäre auch Schade darum, das schöne Bild so zu entstellen. – Mir ist die Taube im hohen Liede das zarteste Sinnbild der Liebe, ohne welche das Leben leer ist. –

Hartknopf. Warum noch einmal auf denselben Punkt.

Kersting. Weil ich ins Herz treffen will. – Wir haben nur von der himmlischen Weisheit gesprochen, die muß sich nothwendig in einem [87] sterblichen Leibe zu den Sterblichen herabsenken, und heißt alsdann:Sophia Erdmuth.

Hartknopf schwieg, und Kersting schenkte zwei Pokale voll Wein, die wurden schweigend ausgeleert. –

Und nun stimmten die allgemeinen Begriffe sich allmälig zur Individualität herab.

Man träumte sich ein süßes Lebensglück, das den Sterblichen so nahe läge, wenn sie es nur ergreifen wollten.

Die Gedanken verkehren sich in Scenen von häußlicher Glückseligkeit, von ruhigem Beyeinanderseyn, und vergessen der weiten Welt umher.

Ein treuer Handschlag versiegelte das Freundschaftsbündniß. – Hartknopfs Entschluß ward tief in seinem Busen fest, und als ein verlobter Bräutigam verließ er noch diesen Abend die Schwelle seines Gastfreundes.

Mein Besuch bei Hartknopf in Ribbeckenau

[88] Mein Besuch bei Hartknopf in Ribbeckenau.

Ich fand ihn im Garten, wie er Bohnenstangen setzte, und er bewillkommnete mich unter den Bohnenstangen.

Er war nun der völlige Hauswirth geworden, denn er hatte auch Bienenkörbe, die er mir zeigte. –

Ich brachte ihm wieder Rettigsaamen mit, denn der, den ich schickte, hatte auf seinen Feldern noch nicht gedeihen wollen.

In seinem Antlitz glänzte eine heitere Freude – und dann zuweilen wieder ein tiefes Nachdenken.

Er hatte mir schon geschrieben, daß er verlobt sey. – Ich wünschte ihm Glück dazu, und er dankte mir bloß mit einem Händedruck. –

[89] Nun war auf den nächsten Sonntag gerade eine große Feyerlichkeit in Ribbeckenau, bei welcher ich mit zugegen war. –

Die Kirche in Ribbeckenau hatte nehmlich hundert Jahre gestanden, und feierte nun ihr erstes Jubelfest, und Hartknopf hatte schon allerley Veranstaltungen getroffen, um diese Feierlichkeit recht glänzend zu machen.

Ribbeckenau schien wirklich seine Welt geworden zu seyn – er hatte einen Zauberkreiß um sich her gezogen, der das, was er umschloß, in seinen Gedanken zu einem Elysium umschuf.

Das Jubelfest

[90] Das Jubelfest.

Der festliche Tag war nun da; man läutete die Glocken – die benachbarten Dorfschaften hatten sich versammlet – die Menge der Zuhörer fand in der Kirche nicht Platz. –

Der Grobschmidt Kersting war bei diesem Jubelfeste verreißt. –

Musik und Rede sollten nun vereint auf die Zuhörer wirken.

Vokal- und Instrumentalmusik war beisammen, denn aus dem nächsten Städchen waren die Chorschüler zu diesem Fest geladen, und der adjungirte Kantor aus eben diesem Städtchen dirigirte die Musik.

Die Musik sollte sich mit einem vollstimmigen Hallelujah schließen, und Hartknopfs Rede mit einem Hallelujah in die Musik einfallen.

[91] Welcher Genius ihn auf diesen sonderbaren spielenden Einfall brachte, ist mir noch jetzt ein Räthsel.

Wie nun ein Unglück selten allein kömmt, so war die alte Emporkirche, auf der die kleine Orgel stand, lange nicht so gedrückt und erschüttert worden, als jetzt durch die Bewegungen der Sänger und Saitenspieler, und vorzüglich durch den Fußtritt des adjungjrten Kantors, welcher den Takt trat.

Nun stand aber oben auf der Orgel, gerade der Kanzel gegen über, mit losen Füßen, wie schwebend, ein großer vergoldeter Engel. – Dieser fieng zuerst allmählig an zu nicken, so wie der Kantor mit dem Fuß auftrat – und nachdem er verschiedenemale vorwärts genickt hatte, stürzte er auf einmal mit gewaltigem Sturze mitten unter die Sänger, die ihm Platz machten, und unbeschädigt aber erstaunt und erschrocken um ihn her standen.

Der mächtige Fußtritt des Kantors machte, daß die Musik noch wieder in Takt kam.

Hartknopf trat auf die Kanzel, und das bedeutende Hallelujah, womit das Chor sich schliessen, [92] und die Predigt sich anfangen sollte, wälzte sich nun erst durch eine Anzahl Fugen hindurch – wo der Alt, nach einer Pause immer einfiel, mit Ha! – Ha! – so daß die letzte Silbe von Hallelujah, und dieses Ha! zusammen trafen, um den abgebrochenen Freudenschrei desto vollkommner nachzubilden; in welchen denn Hartknopfs Hallelujah von der Kanzel einfallen sollte.

Nun hatte der herabgestürzte Engel zwar einige Unordnung erregt – aber alles gieng doch noch gut, bis auf den Altisten, neben welchen er dicht niedergestürzt war, und der sich noch nicht von seinem Schreck erhohlet, und in der Angst unrecht pausirt hatte, so daß er nun auf einmal, da die ganze Musik vorbei war, mit seinem Ha! – Ha! aus vollem Halse nachkam, und dieses nachgebliebene Ha! Ha! mit Hartknopfs feierlichem Hallelujah von der Kanzel gerade zusammen traf, welches den lächerlichsten Kontrast machte, den man sich denken kann.

Die Jubelpredigt

[93] Die Jubelpredigt.

Schade um sie! – daß durch ein feindseliges Geschick ihr Eindruck gehemmt, ihre erschütternde Kraft gelähmt wurde!

Und doch auch nicht Schade um sie! denn sie wird eben so wie Hartknopfs Antrittspredigt ihren innern Werth behalten, wenn gleich die Herzen und Sinnen der Bauern in Ribbeckenau da, durch nicht gerührt wurden.

Hartknopfs Predigten sind geschrieben, und sind ein heiliges Buch, worin für kommende Zeiten Trost und Stärkung liegt.

Aber die Bauern in Ribbeckenau blickten nur nach den leeren Stellen an der Kanzel, und auf dem Orgelgesimse. –

Und ich selbst konnte mich des Lächelns kaum erwehren, wenn ich an das verunglückte Hallelujah dachte.

[94] Alle diese Zufälligkeiten sind aber nun abgefallen, und Hartknopfs Worte glänzen wieder in ihrer ursprünglichen Reinheit und Klarheit.

»Die Zeiten rollen fort und kehren wieder – es ist nichts neues unter der Sonne.« –

»Steh still, o Wanderer, auf dem Pfade und blicke noch einmal zurück, bis dahin wo des Himmels Wölbung auf der Nacht des Waldes ruht.« –

»Du tratest aus dem Dunkel in das Freie, und was du sahst schien dir nicht unbekannt.« –

»Dein Ohr vernahm die längstgewohnten Töne wieder – und du warest schnell der Sprache dieses Landes kundig.« –

»Du fügtest dich in Sitten und Gebräuche, als brächtest du sie selber mit herüber.«

»Du sprachst von dem, was vor Jahrhunderten geschahe, wie von den Angelegenheiten deines Hauses.« –

»Du wußtest dich so schnell in das verwickelte Labyrinth, in das du kamst, zu finden, als wär' es deiner eigenen Hände Werk.« –

[95] »Dir lächelte mit dem Strahlenhaupte, verjüngt aus Morgenwolken dein alter Freund entgegen.« –

»Den hieß dein Auge mit seinem ersten Blicke willkommen – und sieht sich nimmer satt.« –

»Und nimmer hört dein Ohr sich satt – denn keine Zunge erschöpft, was in dem Innersten deines Busens in tiefe Nacht sich hüllt.« –

Das Hallelujah

[96] Das Hallelujah.

Mußte nothwendig mißglücken, weil es zu einer gesuchten, veranstalteten Scene bestimmt war, die, wenn sie geglückt wäre, einen unauslöschlichen Mißlaut in Hartknopfs Leben gebracht hätte. –

Nur seine eingeengte Kraft konnte eine solcheKrümmung in sich selber machen, die possirlich werden mußte, sobald die veranstaltete – Scene mißlang.

Aber die verborgene Federkraft in seinem Busen dehnte sich mit Macht, und zersprengte die Posse wieder.

Dies gekünstelte und gesuchte Hallelujah bestrafte sich selbst, und wurde durch das Ha! Ha! des Altisten von der Orgel in seiner Geburt ersticket.

Dies Ha! Ha! und der herabgestürzte Engel warfen über die ganze Feierlichkeit eine komische [97] Larve, und was von dem Feierlichen nicht ächt war, das verwehte, wie Spreu vom Winde.

Warum sind die Anekdotenbücher so voll von komischen Predigergeschichten? Warum hat man nichts lieber als Erzählungen von Unschicklichkeiten und Lächerlichkeiten des Pfarrers auf der Kanzel?

Kömmt es nicht daher, weil man einen gewissen angenommenen feierlichen Ernst schon voraussetzt, mit dem das geringste Komische weit mehr, als im gemeinen Leben absticht?

Und würde dieß wohl der Fall seyn, wenn die Predigten sich mehr der vertraulichen Unterredung, so wie bei den ersten Christen, nähmen? – wenn der Predigtstuhl wenig erhaben wäre und der Prediger weniger stolz auf die Gemeinde zu seinen Füßen herabsähe?

Bei der gewöhnlichen Unterredung fallen die Besonderheiten der Menschen nie so sehr auf, als wenn sie öffentlich auftreten und mit einer gewissen angenommenen Feierlichkeit reden; dann wird erst jede Kleinigkeit bemerkt, die vorher unbemerkt blieb, und der Lacher und Spötter findet reichen Stof.

[98] Das gesuchte Feierliche war sonst so ganz und gar Hartknopfs Sache nicht, daß er dießmal gleichsam aus seinem Wesen hinweggedrängt schien, da er von der Kanzel in das Hallelujah von der Orgel einfiel. –

Aber er verkannte sich auch selbst in diesem Augenblicke – er glaubte, er sey zum Prediger in Ribbeckenau gebohren, und brach darüber in ein falsches Hallelujah aus, daß sich augenblicklich selbst an seinem Urheber rächte.

Sophia Erdmuth

[99] Sophia Erdmuth.

Ihre jungfräuliche Seele bildete sich unter dem Einfluß eines sanften Gestirns. –

Sie wuchs unter den Blumen, und mit den Bäumen in ihres Vaters Gatten auf. –

Sie schlug vor dem blendenden Glanze der Himmelswölbung bescheiden ihre Augen nieder, und bückte sich herab zu dem Veilchen, das mit gesenktem Haupte auf der Wiese stand. –

Die liebende Natur mit Morgenroth und Wies' und Wald war selbst die Freundin und Gespielin ihrer Jugend. –

Dem väterlichen Hause entwachsen führte ihr Bruder sie in seine stille Wohnung, wo sie mit ihm fünf goldene Jahre lebte.

Als Hartknopf über die Schwelle trat, veränderte sich der Lebensplan. –

[100] Es war an einem schöngewählten Frühlingstage in der stillen Laube im Garten, als Hartknopf, welcher schon ihr Herz besaß, um ihre Hand anhielt, die der Pächter Heil mit Bruderliebe in die seinige legte, und sagte: sie ist dein!

Schreiben des Herrn von G... an Hartknopf

[101] Schreiben des Herrn von G... an Hartknopf.

»Ich wünsche Sr. Wohlehrwürden, meinem lieben Andreas zu seiner Verbindung von Herzen Glück, in dem Verstande nehmlich, worin er und ich das Glück zu nehmen gewohnt sind – nicht als ob wir es schon ergriffen hätten, oder ergreifen könnten, sondern als diejenigen, die da harren, bis ihre Auflösung kömmt. – Bis dahin muß ja Leid und Freude übertragen, und eins ins andere gerechnet werden, weil man sonst auch bei den glücklichsten Evenements nicht auskömmt.« –

»Die Jungfer Sophie Erdmuth ist, so weit ich sie kenne, ein sehr sanftes und gutes Frauenzimmer, welche richtig urtheilt. Sie wird einen Mann sehr glücklich machen, der von nun an in seinem Gleise fortwandelt, und sich weder zur [102] Rechten noch zur Linken umsieht. – Da nun die Kreuzesschule, wozu ich meinen lieben Hartknopf eingeladen, durch diese Verbindung ein Paradieß für ihn zu werden scheint, so wünsche ich denn, daß dieß Paradieß bald möge durch ihn bevölkert, und ich zum Zeugen des Erstgebohrnen mit gerufen werden, so lange ich von den Begebenheiten auf dieser Erde noch ein Zeuge seyn kann. Es ist sehr wahr, was er schreibt, daß die Sonne noch nicht aufgegangen sey, unter der wir leben und wirken können, daß wir und kommende Geschlechter noch in Zelten im Dunkel des Waldes übernachten, und harren müssen bis die Morgenröthe anbricht – – und so kann ich es ihm auch wahrlich nicht verargen, daß er sich sein Zelt aufschlägt, und in der kalten Morgenlust nicht unter freiem Himmel liegen will.«

»Damit er nun aber auch das Zelt mit Quasten und Franschen verzieren könne, bitte ich, Inliegendes als einen kleinen Beitrag zu seiner ersten Einrichtung anzunehmen. – Und so wollen wir denn in Geduld den Tag des Aufbruchs aus dem Lager erwarten, und uns bis dahin einrichten [103] so gut wir können, aber ja die Stäbe nicht zu fest einschlagen, sondern die Erde umher locker lassen, damit wir nicht langsam erfunden werden, wenn es gilt, schnell zu seyn. – Der innere Friede sey mit uns!«

Die Trauung

[104] Die Trauung.

Diese verrichtete der alte Superintendent Tanatos. –

Sein Urältervater hieß Tod, und nannte sich Tanatos, als er in Erfurt Magister wurde.

Der alte Superintendent Tanatos verrichtete die Trauung selber, weil er seinen Substituten die Gebühren nicht gönnte.

Er wußte nicht, daß dieser Trauungsakt sein letzter war.

Der weite Priesterrock hieng über der hagern Gestalt – die Augen lagen tief im Kopf. –

Die Knie wankten – das Haupt bebte – die Zähne schlotterten im Munde. –

Mit beiden Händen faßte er das hundertiährige Formular, das eiserne Klammern hatte, und las die Flüche des alten Testaments dem neuen Ehepaare vor: Zu dem Manne sagte er:

[105] »Verflucht sey der Acker um deinetwillen. Dorn und Disteln soll er dir tragen und im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brodt essen, bis daß du wieder zur Erden werdest, von der du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zur Erden werden.«

Und zum Weibe sprach er:

»Mit Schmerzen sollst du Kinder gebühren, und dein Wille soll deinem Manne unterthan seyn, und er soll dein Herr seyn.«

Es kam an die Worte: »bis der bittere Tod euch scheidet!« –

In sich gekehrt und ernst stand das Brautpaar da. –

Die letzte entscheidende Frage wurde mit einem leisen Ja! beantwortet – die Ringe wurden gewechselt – das Band war geknüpft, und die furchtbare Ceremonie endigte sich mit der Gratulation des alten Superintendenten Tanatos, dessen Gesicht sich zu einem Lächeln verzog, womit er dem Brautpaare Glück wünschte, und Hartknopfen und Sophien die knöcherne Hand reichte.

Das Hochzeitkarmen

[106] Das Hochzeitkarmen.

Wurde von dem Kandidat Hund, einem Anverwandten des Pächter Heil, der kürzlich die Universität verlassen hatte, überreicht, und hub an, wie folget:


Wehklagen, und bang Seufzen vom Graunthale des Abgrunds her
Sturmheulen, und Strombrüllen, und Felskrachen das laut niederstürzt
Und Wuthschreien, und Rachausrufen erscholl dumpf auf!
Als Adam im Gesicht sah' was geschehen einst, im Gericht wird!
Goldpallast, und bemooßt Dach
Stürzen ein – –
Aber Liebe wird im Schatten
Stiller Nächte sicher seyn –
Unaufhörliches Begatten
Hüllet sich in Dunkel ein –
[107]
Bleibt dem Forscher unerklärbar
Macht den Weltbau unzerstörbar,
Lächelt aus des Lagers Ruh
Heulender Verwüstung zu. – u.s.w.

Dieser Kandidat Hund glaubte sein Gedicht durch die Stellen zu verzieren, die er aus Klopstocks Messiade gestohlen hatte.

Er war ein sonderbarer Mensch, in dessen Kopfe viel und mancherley durch einander lief. –

Er hatte auf dem Wege von Ribbeckenäuchen bis Ribbeckenau das Torfmoor mit Blumen bestreuet, die er sich von einem Bauer in einem großen Korbe nachtragen ließ.

Der Tanz der Liebesgötter

[108] Der Tanz der Liebesgötter.

Sie gaukelten über der Pfarrwohnung in Ribbeckenau im Schimmer der Abendröthe.

Die Bauren von Ribbeckenau rieben sich die Augen, da sie den Schimmer sahen, und wurden dadurch geblendet – denn die Fenster der Pfarrwohnung warfen einen hellen Glanz von sich –

Sie war in einen Feenpallast verwandelt, in welchem die Königin der Liebe thronte. –

Sie hatte sich auf einer Abendwolke herabgesenkt, und theilte nickend mit den sanften Augenbraunen ihre Befehle aus. –

Dann huben die Liebesgötter in mannichfaltigen verschlungenen Bewegungen den geheimnißvollen Tanz in der Abenddämmerung an, und schlossen ihn nicht eher, als bis die Morgendämmerung sich am Himmel zeigte. –

[109] Sterblichen Ohren unvernehmbar ertönte die ganze Nacht hindurch die Luft von süßen Lauten, welche den Tanz beseelten.

Die funkelnden Sterne leuchteten dazu, und die Stille der Nacht feierte die wonnevolle Scene. –

Dreimal näherte sich der Schlafgebieter mit den Schlummerkörnern, aber Pfeil und Bogen der Tanzenden verscheuchten ihn.

Der Grobschmidt Kersting besucht das neue Ehepaar

[110] Der Grobschmidt Kersting besucht das neue Ehepaar.

Ich war den Tag vorher abgereißt, als Kersting von einer kleinen Reise wieder zurückkam, und seinen ersten Besuch bei dem neuen Ehepaare machte.

Er war weder ein Zuhörer von der Jubelpredigt, die ich mit angehört hatte, noch Zeuge bei der Trauung gewesen, sondern war während der Zeit mit Pferdekuren in der benachbarten Gegend beschäftigt.

Als er nun in die Pfarrstube trat, so fand er die Neuvermählten am Fenster stehend, und ihm den Rücken zukehrend. – Auf einmal trat er zwischen sie, und sie fuhren unwillkührlich, mit einem kleinen Schreck auseinander; er aber fügte sie wieder zusammen, legte schweigend ihre Hände ineinander, und eine Thräne stand in seinem Auge. –

[111] Nun dachte Hartknopf an den ersten Abend, wo sie von der himmlischen Weisheit sprachen, und sein Entschluß zuerst in seiner Seele fest wurde.

Sophie aber schlug die Augen nieder, wie damals, als sie in dem dunkeln Kirchstuhle saß, und Hartknopfs Blicke zuerst den ihrigen begegneten.

Und was war es, daß eine Thräne in Kerstings Auge stand, als er die Hände der Liebenden ineinander legte?

Er hatte Sophien lange gekannt – – so wie sie ihn – er kannte ihren ganzen Werth – und wußte seinem angebeteten Freunde kein höheres Opfer als dieß zu bringen. – –

Wie ein köstliches Kleinod drückte Hartknopf seinen Freund an seinen Busen – und Sophie schlug die Augen auf, und freuete sich tief im Herzen, daß zwei edle Männer vor ihr standen, die als Freunde sich umarmten.

Alles, was nun noch gesprochen ward, war gegen die stumme Scene unbedeutend.

Im Entzücken schwimmen

[112] Im Entzücken schwimmen.

Ist es nicht Ausgehen aus sich selbst? Urbergehen in ein Etwas, das wir nicht sind? Ruhen in einer sanften Umgebung, mit der wir eins sind?

Hebt das Entzücken nicht da erst an, wo das Gefühl der eingeschränkten Ichheit mit allen seinen Qualen aufhört, und ein höheres edleres Leben seinen Anfang nimmt?

Hat die Sprache selbst einen höhern Nahmen für das Entzücken, als den, welcher auf dieß süße Ausgehen aus uns selber deutet: wo wir die Sorgen die uns drückten, ausziehen, wie ein Kleid, und in erneuerter Jugend hervortreten, die sich selber nicht faßt, und ihre Götterkraft nicht kennt?

Aber die Stunde der Auflösung ist noch nicht da. –

Die Schildkröte zieht sich in ihr felsenfestes Haus zurück – der Igel in sein Stachelnnest.

Der schwüle Tag

[113] Der schwüle Tag.

Zwei Tage waren im süßen Taumel leicht und frölich dahin geflohen, der dritte war schwül und schwer. –

Schwarze Gewitterwolken lagerten sich am Horizonte, und eins drückende Hitze lähmte die Glieder. –

Sophie war in diesen Stunden ganz glücklich in ihrer Stube und an ihrem Tischchen, Hartknöpfen aber ward die Stube zu enge, und er gieng allein aus.

Nicht unzärtlich – sein scheidender Blick voll Liebe versenkte Sophien in eine süße Ruhe, worinn die Momente ihr unbemerkt vorüberflohen – sie hatte nun keine Wünsche mehr, und fühlte doch keine Leere, – der schöne Umkreis ihres Daseyns war nun ausgefüllt.

Ihr droheten die Gewitterwolken nicht, und ihre Brust athmete sanft unter der drückenden Luft. –

[114] Als Hartknopf nun aus dem Hause trat, begegneten ihm ein paar hämische Bauern, die sich gerade über seine Jubelpredigt, und den herabgestürzten Engel mit einander unterhielten.

Sie grüßten ihn, und sprachen dann wieder leise und hohnlächelnd zusammen. –

Hartknopf eilte, daß er aus dem Dorfe kam, da begegnete ihm beym Ausgehen aus dem Dorfe der Küster Ehrenpreiß, der ihm aus einer Art von höhnendem Respekte immer eine tiefe Verbeugung machte, die Hartknopfen ärgern sollte.

Hartknopf ärgerte sich zwar darüber nicht, aber es war ihm doch fatal, daß er mit diesen Menschen nun leben mußte.

Er gieng über einen schmalen Damm nach dem Krainberge zu, der schwarz und öde vor ihm da lag.

Auf der braunen Fläche der Heide ruhte die Nacht des umwölkten Himmels. –

Hin und wieder stand einsam ein gekrümmter Baum, welcher dem dürren Boden mühselig entwachsen war.

Und zwischen dem öden Heidekraut, stieg Hartknopf den sandigten Pfad hinauf.

[115] Als er nun oben war, und in das Thal auf das Torfmoor hinunterblickte, so sähe er die beiden spitzen Thürme von Ribbeckenau und Ribbeckenäuchen in fürchterlicher Nähe vor sich nebeneinander stehen.

In diesem Bezirke lag nun sein Leben, seine Reisen, sein Wirkungskreiß – hier endigte sich seine Laufbahn, und war wie auf einer Landcharte ihm vorgezeichnet.

Immer näher zog das Dunkel, immer schwüler wurde die Luft, und immer gepreßter sein Athemzug. –

Der alte Superintendent Tanatos reichte ihm wieder die knöcherne Hand – das Hochzeitkarmen mit der bangen Wehklage tönte wieder in sein Ohr. –

Der dunkelumwölkte Himmel ruhte wie eine schwarze Decke über der Erde, und die kleine Thurmspitze von Ribbeckenau schien sich in dem niedrigen Gewölke zu verlieren. –

Einsam trauerten ein Paar dürre Baumstämme auf der Heide. – Das niederbückende Alter hatte sie beschlichen. –

[116] Mit schnellen Schritten wandelte Hartknopf die Anhöhe wieder herab – denn der Tag hatte sich geneiget; und so wie er hinunterstieg, zog sich immer enger und enger sein Horizont um ihn zusammen. –

Wie ein Traum waren vierzig Jahre verschwunden, und er gieng auf eben diesem Flecke gebückt am Stabe und immer noch wanderte ihm zur Seite der Küster Ehrenpreiß mit ihm über das Torfmoor, dann schloß sich die Laufbahn auf immer. –

Alles lief nun in einem fürchterlichen Punkte, in einer traurigen Spitze aus. –

Unaufhaltsam lief der Sand im Stundenglase, und das Ziel war da, nichts war dazwischen als die einförmige Wiederkehr dessen, was schon da war. – Schrecklich eröfnete sich der Abgrund dicht vor den Füßen des Wanderers. –

Das enge Grab war nun da – die Erde scholl dumpf auf den Sarg – keine Aussicht, kein Gedanke an die Zukunft mehr. –

Alles verbauet, verschlossen, und gehemmt – zwischen öden Mauren, die des Tages Glanz verdeckten. –

[117] So wie nun Hartknopf über den kleinen Dorfkirchhof zu Hause kehrte, erleuchtete ein Blitz, strahl die goldene Schrift an den Kreutzen auf den Grabhügeln – sie flammte einen Augenblick, und verlosch wieder in schwarze Nacht. –

Die Kirchhofsmauer lief so enge zu, die Grabhügel waren so dicht aneinander gedrängt. –

Auf einmahl sähe sich Hartknopf vor der Thüre seines Hauses, sein liebend Weib empfing ihn mit ausgestreckten Armen, und er erwachte wie aus einem schweren Traume. –

Die Schmiede

[118] Die Schmiede.

War dem Pfarrhause schräg gegenüber, mit einem grünen Platze, der mit Bäumen beschattet war, wo zwischen den Blättern die Funken flogen. –

Hartknopf konnte aus seiner Studierstube das Getöse der Hämmer auf dem Ambos hören, und dann schlug sein Herz stärker, – unwillkührich machte er das Buch zu, und konnte nicht auf der einsamen Stube bleiben.

Die Jahre seiner frühsten Jugend traten in ihrer Kraft und Blüthe vor seine Seele.

Um seine Schultern schlotterte die Löwenhaut – und auf die schwere Keule stützte sich sein Arm. –

Die Welt lag vor ihm offen vom Aufgange bis zum Niedergänge. – Er bahnte zwischen Ungeheuern durch Wüsten sich seinen Weg, bis aus den dunklen Zweigen, die goldne Frucht [119] ihm entgegen blinckte, und er sie dem seufzenden Stamme mit kühner Hand entriß.

Heimlich stahl er sich aus dem Hause fort, und eilte hinter die Bäume, welche die Schmiede versteckten; dann lehnte er sich über die halbe Thür am Eingange, und blickte sehnsuchtsvoll Nach dem glühenden Ofen hinüber, während daß die Funken um seine Locken spielten. –

Unter den wiederholten Schlägen ebnete sich der Huf, das starre Eisen spitzte sich.

Das Unförmliche bekam Gestalt und Form. –

Nun konnte er nicht länger widerstehen – es dauerte nicht lange, so stand er in der Mitte der Arbeitenden, führte den Hammer wie sie, und die öbere Thür ward angelehnt, damit der Küster Ehrenpreiß nicht etwa vorübergehen, und seine Blicke dies Heiligthum entweihen mochten.

Hier brachte Hartknopf auch in dem bittersten Leiden noch manche süße Stunde an der Seite seines Freundes zu, und stählte seine Brust zur Ertragung alles Ungemachs und aller Widerwärtigkeiten des Lebens.

[120] Wenn er denn aber wieder zu Hause mußte, so wusch er sich sorgfältig die Hände, damit sein liebendes Weib die Spuren der ungewohnten Arbeit nicht entdecken möchte.

Hartknopfs Klage

[121] Hartknopfs Klage.

Vom Mittag kommen Heuschrecken
Wie eine düstre Wolke,
Sie senken sich und fliegen wieder auf –
Das Feld ist leer –
Die mit Mühe den Acker pflügten,
Und die Saat ausstreuten,
Gehen der Erndte verlustig –
Sie arbeiteten im Schweiß ihres Angesichts
Um Ungeheuer zu füttern,
Die den Fleiß der Mühevollen
Als eine süße Beute verschlingen. –
Von wannen kömmt der Trost den Edlen,
Die durch Schmach betrübt sind,
Weil sie einsam stehen,
Und in fernen Zonen
Weit umher zerstreut sind –
Sie sehnen sich im Stillen,
Und wünschen sich zu kennen,
[122]
Und möchten sich zu einem Chor vereinen,
Und einer sich im andern wieder finden –
Sie haben sich verlohren
Und suchen sich vergebens –
Sie trauren in den Wäldern
Und mischen ihre Seufzer
In Philomelens Klage.
Was rauschen über Berge über Meere
Mir für Stimmen, was für Töne mir entgegen,
Die die Lust mit leisen Flügeln
An mein Ohr hinüberträgt? –
So viel Sprachen, so viel Zungen,
Die harmonisch sich begegnen,
Und nach einem Ziele streben.
Wo sie alle sich vereinen,
Gedanken mit Gedanken
In süßen Lauten wechselnd –
Ach, auf dem seeumspülten Felsen!
Möcht' ich gern die Hand dir reichen
Der du hülflos, einzeln stehst –
Aber die Parze hat ihn zerschnitten.
Den Faden, der mich an dich knüpfte –
Zerrissen ist der Menschen Leben
Von ihres Daseyns Anbeginn –
[123]
Sie müssen sich vergeblich sehnen,
So lange der Tag am Himmel wellt
Und wenn die Sonne untergeht,
So haben sie noch nicht gefunden,
Was sie bei Tagesanbruch suchten.
Dies ahndet schon dee Kinderseele
Die dunkel in die Zukunft schaut,
Wenn bei des Lichtes erstem Gruß
Das neugebohrne Auge weint.

Hartknopf steckt den Küster Ehrenpreiß in einen Graben

[124] Hartknopf steckt den Küster Ehrenpreiß in einen Graben.

Denn dieser machte es ihm auf dem Wege, wenn sie über das Torfmoor nach dem Filial giengen, gar zu arg. –

Er fieng an von den Wolken zu sprechen, um auf die Glaubenslehren zu kommen, worüber er mit Hartknopfen disputiren wollte. –

Bleib' er bei seiner Nadel! sagte Hartknopf, denn Ehrenpreiß war seines Handwerks ein Schneider, und rede er nicht dumme und thörichte Worte! –

Nun mochte aber Hartknopf seine Ohren verstopfen, so hörte doch sein Begleiter nicht auf, den ganzen langen Weg ihm noch länger, und jeden sauren Schritt ihm noch saurer zu machen.

Eines Sonntags waren sie nun auch ohngefähr die Hälfte des Weges gegangen, als Ehrenpreiß, da ihm Hartknopf noch kein einziges Wörtchen [125] geantwortet hatte, anfieng witzig zu werden, und allerlei Anspielungen auf die Taube, auf den Engel, auf das Hallelujah, u.s.w. machte –

Dies hörte Hartknopf eine Weile an, bis sie mitten im Torfmoore vor einem schlammigten Graben vorbeikamen. – Da faßte er, ohne ein Wort zu sagen, den Küster Ehrenpreiß, ehe dieser sechs versahe, beim Halskragen, und steckte ihn, so wie er war, bis an den Hals in den Graben – woraus er ihn nicht eher wieder erlößte, bis er ein unverbrüchliches Stillschweigen auf dem Wegt angelobt hatte. –

Und nun sieng Hartknopf an zu reden und sprach die ganze übrige Hälfte des Weges dem Küster Ehrenpreiß mit mächtiger Stimme in die Seele, dieser aber gieng triefend neben ihm her, und erkühnte sich nicht einen Laut von sich zu geben, so lange sie noch neben dem Graben giengen. Als sie aber im Dorfe ankamen, machte er ein groß Geschrei, und drohte Hartknopfen zu verklagen, der selbst den Gesang in der Kirche anstimmen mußte, weil Ehrenpreiß ganz mit Schlamm bedeckt, vor keinem Menschen erscheinen konnte.

Auszug aus einem Briefe, den Hartknopf an mich schrieb

[126] Auszug aus einem Briefe, den Hartknopf an mich schrieb.

Dieser Brief schilderte mir Hartknopfs Zustand, wie er in Stunden des frohen Muths zu seyn sich vornahm, nicht wie er wirklich war, – er verschwieg mir den innern Kampf seiner Seele um sein Beispiel lehrreicher für mich zu machen.

Jahre nachher deckte er mir den Schleier auf, und ließ mich in die schreckliche Dunkelheit seines damaligen Zustandes blicken, den er mir in seinem Briefe mit diesen sanften Worten überkleidete:

»Ich schiffe nun, mein Lieber, den Lebensstrom hinunter – alles athmet Ruhe und Stille um mich her.« –

»Ohne Geräusch und Sorgen eilen die Stunden hin. – Kaum bin ich ausgelaufen, und finde mich am Ziele« –

»Unsere Hütten sind gebauet, wir haben unsere Wallfahrt vollendet.« –

[127] »Der Seiger unsrer Dorfuhr tönt am Morgen, und am Mittage, und am Abend den stillen Frieden in unsre Seelen, und macht uns vertraut mit unsern Wohnungen.«

»Wir gehen friedlich unsern Weg, und dulden, und tragen uns einander mit Sanftmuth, weil wir vereint zum Grabe wallen.«

»Der Rettigsaamen gedeiht auf unsern Feldern, mein Garten steht in voller Blüthe, und die Gefährtin meiner stillen Tage ist hoch schwanger.« –

»So ist denn alles, wie es seyn kann, und muß, u.s.w.«

Freundschaft und Zärtlichkeit

[128] Freundschaft und Zärtlichkeit.

Das Pfand der Liebe war nun da – Hartknopfen war ein Sohn gebohren, und das feste Band der Ehe war noch unauflöslicher zugezogen.

Der Herr von G.... übersandte ein reiches Angebinde, weil er Schwachheit halber als Taufzeuge nicht zugegen seyn konnte.

Kersting aber feierte mit Hartknopfen diesen Tag in hohem Freundschaftsgenuß; er drückte ihm oft bedeutend die Hand – und Hartknopf sah in ihm eine feste Stütze bei allen Widerwärtigkeiten des Lebens, einen sichern Gewährsmann und Bürgen für seine Ruhe. –

Zartere Bande knüpften ihn nun an Weib und Kind, aber stärkere an seinen Freund, an den er sich im Sturm und Ungewitter hielt.

Die Freundschaft nimmt die Zärtlichkeit in ihren Busen auf, und schützt sie gegen die rauhen [129] Stürme, und gegen den kalten Hauch der Luft. –

Die Freundschaft verbirgt die Zärtlichkeit in den ernsten Stunden, wo sie unerbittlich und strenge die Mine des Hasses annimmt.

Sie ist höher als die Zärtlichkeit, daurender als die Liebe, stark wie die Tugend, und mächtig wie der Verstand. –

Der geheimste Kummer

[130] Der geheimste Kummer.

ist derjenige, welchen Liebende sich selber gern verschwiegen, gern vor sich selbst verbergen möchten: – daß sie dem geliebten Gegenstande das nicht zu seyn vermögen, was sie ihm zu seyn doch sehnlich wünschen. –

Daß immer qualenvoller ihr Zustand wird, jemehr sie sich zwingen wollen, noch immer das zu seyn, was sie nicht mehr sind. –

Wenn die regen Gefühle in ihrem zartesten Vereinigungspunkte mit einander uneins werden.

Das höchste Opfer

[131] Das höchste Opfer.

Giebt es noch wohl ein höheres, als wenn die Liebe sich selber dahin giebt, um ihrem Gegenstande, den sie umfaßt, die Freiheit zu schenken, wornach die Seele im innern Kampfe mit sich selber schmachtet? –

Wenn der aufstrebende Geist durch zarte in sein Wesen verwebte Bande sich gefesselt fühlt, welche zu zerreißen seiner Empfindung selbst den Tod droht.

Wenn denn die mitleidsvolle Liebe selber die Bande lößt, um den Entfesselten frei und froh zu wissen; so hebt sie durch dieß Opfer sich über sich selbst empor – sie dehnt sich gleich dem milden Aether aus, und wird durch leise Wünsche der Schutzgeist des Irrenden auf seinen Pfaden.

Die Trennung

[132] Die Trennung.

Sie ist das erste große Gesetz der Natur. –

In ihr liegt der Keim zu allen Bildungen. –

Sie ist die Mutter der Schmerzen und die Gebährerin der Wonne.

Sie erneuert unaufhörlich die Gestalten und erhält das Ganze in ewiger Jugend. –

Da, wo die Schere den Faden zerschneidet, beginnet ein höherer Anfang. –

Das Grab der Liebe ist die Wiege der Weisheit, welche höher ist denn alle Vernunft, und welche eben deswegen sehr viel Vernunft voraussetzt, auf die sie sich stützen kann. –

[133] Diese Weißheit findet einen Punkt, wo der Schmerz der Trennung aufhört, das bittere Scheiden süß, und jede Versagung leicht wird.

Wo alle Entbehrungen aufhören, und die Fülle des Daseyns eintritt. –

Eine Lücke in Hartknopfs Geschichte

[134] Eine Lücke in Hartknopfs Geschichte 1.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – Mit der Schärfe des Schwerdts war der Knoten nun durchgehauen. – Der Scheidebrief war da, und Sophie Erdmuth küßte ihn mit tausend Thränen, und versiegelte mit diesem Kuß ihr großes Opfer. –

Den Scheidebrief begleitete ein Schreiben an Hartknopf, worin ihm die gebetene Entlassung von seinem Amte ertheilt wurde.

[135] Der Pächter Heil führte seine Schwester mit ihrem Knaben wieder in sein Haus – und Kersting begleitete sie.

Der Küster Ehrenpreiß hatte Hartknopfen beim Konsistorium angeklagt, und die Bauren aufgehetzt, daß sie ebenfalls gegen ihn eingekommen waren – nun schrieb er sich triumphirend Hartknopfs Schicksal zu.

Fußnoten

1 Diese Lücke wird sich aus Hartknopfs vertrautestem Briefwechsel ergänzen.

Täuschung und Würklichkeit

[136] Täuschung und Würklichkeit.

Wenn die Wasserwage
Das Unebne gleich macht,
So ist es still in der Seele des Weisen –
Es ist nicht die Stille des Grabes,
Sondern der hohen Mittagsstunde,
Wenn die Arbeiter im Felde ruhn,
Kein Lüftchen sich bewegt,
Und nur die summende Fliege
Dem Ohre vernehmbar wird.
Der Müde ruht im Schatten der Eiche,
Und goldne Träume umgaukeln seine Stirn.
Wie nächtliche Nebel rollen die Sorgen hin –
Die Sonne der Freuden glänzt –
Es hüpfen goldne Wellen
Auf sanftbewegter Fluth –
Und grüne Büsche spiegeln
Sich in dem klaren See –
[137]
Der Träumer spricht: hier laßt uns Hütten baun!
Sein Genius steht lächelnd neben ihm
Und zieht den Vorhang mit Gebüsch und klarem See hinweg –
Nun ist die steile Felsenhöhe wieder da,
Die schon so oft dem Aengstlichträumenden erschien. –
Soll ich denn diese steile Höh' erklimmen?
Soll ich des Lebens Weg denn stets
Auf ungebahnten Steigen wandeln? –
Mit Muth erfüllt des Träumers Busen
Der Knab' im glänzenden Gewand –
Dem Schlummrer wird die Seele größer
Das Blut in seinen Adern,
Eilt schneller – und der Fels sinkt ein –
Ein leichter Sprung bringt ihn ins Weite –
Des Wandrers Schritt ist ungehemmt
Und unbegrenzt sein Blick. – –

Der Abschied

[138] Der Abschied.

Dank euch, ihr großmüthigen Seelen, daß ihr den Scheidenden sanft und gut entließet.

Ihr hattet ihn eine kleine Weile gefangen gehalten, und ließet ihn wieder in sein großes Element entschlüpfen. –

Am frühen Morgen brach Hartknopf auf. –

Sophie Erdmuth, an Kerstings Arm gelehnt, und der Pächter Heil begleiteten ihn vor das Dorf hinaus. –

Er hatte Muth in ihre Seelen gesprochen, aber sie sahen ihm mit weinenden Augen nach. –

Und Hartknopf nahm seinen Stab, und wanderte nach Osten zu.

[139] Der Küster Ehrenpreiß aber stand hinter einem Busch, und sagte triumphirend: den Hartknopf habe ich moralisch todt geschlagen!

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