282. Das Gespenst auf Gramm.
Die Gräfin Anna Sophia Schack war früh Witwe geworden. Sie lebte nun auf Gramm in Saus und Braus und führte die leichtsinnigste Wirtschaft. Zuletzt verschwor sie dem Teufel ihre Seele. Diese sollte er nach einer bestimmten Zahl von Jahren an dem und dem Abend holen, sobald ihr Wachslicht auf dem Tische niedergebrannt wäre; und von nun an ging's fast noch toller auf Gramm her als früher. Der Abend [188] kam und das Wachslicht stand vor der Gräfin, die nun mit einem Male von namenloser Angst ergriffen ward. Sie ließ den Prediger rufen und vertraute ihm ihr Geheimnis: da riet er ihr, die Kerze auszulöschen und das noch übrige kleine Stück in der östlichen Mauer der Kirche einmauern zu lassen. Das geschah, und der Böse hatte keine Macht über sie. Bald aber brach Feuer in der Kirche aus. Es war früh am Morgen und die Gräfin war noch im Bette, als sie die Nachricht erhielt. Sogleich aber sprang sie auf und in ihrem leichten Morgenanzuge ohne Schuhe an den Füßen eilte sie nach der eine Viertelmeile entfernten Kirche und ermunterte durch ihre eifrigen Zureden und Bitten das Landvolk zum Löschen des Feuers, so daß wenigstens die östliche Mauer geschützt ward. Seit dieser Zeit war die Gräfin ganz verwandelt, Frohsinn und Heiterkeit waren dahin und ein nagender Kummer brachte sie ins Grab. Doch um Mitternacht wird im Schlosse eine schöne Frauengestalt in schneeweißem Kleide gesehen, die händeringend mit gesenktem ängstlichen Blick und angehaltenen Schritten von einem Zimmer zum andern wandelt und zuletzt sich in den obern Saal des Mittelgebäudes begibt, wo sie, vor die Ofennische tretend, einige Minuten auf ein paar Blutflecke unbeweglich hinstarrt und dann wehklagend verschwindet. – Eine junge Gräfin, die in späteren Jahren einmal auf Gramm zum Besuche war und am Klavier saß und spielte, hat das Gespenst so erschreckt, daß sie bald darnach starb. Niemand geht noch ohne Grauen auf das alte Schloß.
Schriftliche Mitteilung. Vgl. Nr. 59. – Wolf, Niederl. Sagen Nr. 456. Thiele, Danm. Volkes. II, 84.