3. An meine Schatten-Quelle 1

Vom goldnen Becher rinnt der Saft der Reben,
Indem mein froher Mund dich neugebohrne grüßt,
In deine Silberwelle, die so sanft und eben
Durch Blumenbüsche schattigt fließt.
[2]
O Quellen-Königin! – Voll klopfenden Verlangen
Beth ich und opfere, damit es ihm gelingt
Dem vollen Mond, der mit erhitzten Wangen
Sich aus des Abgrunds Armen schwingt.
Schon blickt er auf in seinem Schimmerlichte; –
Schon steigst du wieder aus der Dämmerung hervor
Voll Herrlichkeit – zwar flattert deinem Schneegesichte
Ein Wittwen-Trauerschleyer vor.
Sey mir gegrüßet, die du aus dem Reich der Nächte
Gestiegen, nun mit neuem mächtgen Glanz!
Um deine Silberschläfe will ich flechten,
Den blumumwundenen Binsenkranz.
Wie damals er um deine Stirne saußte,
Als fürchterlich durch Büsche, neben deinem Haupt,
Des schönsten Jünglings Sieges-Wagen braußte,
Sein Streitroß dampfend dich umschnaubt.
Der Morgen fand ihn, Schönste dich zu retten
Vom Drachen, der mit stolzer Zaubermacht,
Neunmal neun Monden dich an goldnen Ketten,
In deiner Schattenfluth bewacht.
Voll Liebe brannt dein Herze zu dem Schönen
Der wie ein Gott das Schwerd dem Kampf entgegen trug,
Da zitterte für ihn dein Aug in bangen Thränen;
Erschrocken sankst du auf den Nymphen-Krug;
Bis daß des Sieges hoher Ruf dich weckte,
Den der Posaunen-Mund durchs Thal und Klippen stieß,
[3]
Und seine blutge Faust der Jüngling nach dir streckte,
Die Fessel dir von deinem Nacken riß. –
Frohlockend sprangst du aus der Silberwelle,
Hiengst mit umschlungnem Arm, als wie das falbe Licht
Des frühen Morgensterns – so klar und helle
Um deines Jünglings Angesicht!
Doch Göttin, ach! betrogen vom Geschicke
Genossest du nicht lange dieser süßen Lust:
Denn, ach! dein Jüngling fiel mit starrem Blicke
Herab an deine Götter-Brust!
Ach! damals horchten deiner Trauerklage
Des Hügels schnelle Nymphen und die Flußgöttin.
Mit ungekämmtem Haar lagst du dreymal drey Tage,
Und schluchz'st und jammertest um ihn.
Bald drangst du deine Wellen durch das Reich der Schatten
Zurück, am Strohm der Finsterniß
Dich mit dem holden Jüngling noch zu gatten,
Den von dir das Verhängniß riß.
Nur mit dem Vollmond blickst du, Göttin, wieder,
Mit Zwang aus seinem Arm gerissen, an das Licht.
Dann öfnet sich ein Strohm von Trauer-Lieder,
Voll deiner kläglichen Geschicht,
Der sanfte, durch des Schmerzens laute Töne
So sanft, wie deine Fluth durch Blumen fließt,
Der jedes Hörers Herze unter bangen Thränen
Mit Wehmuthswonne übergießt.

Fußnoten

1 Der Dichter fand an dem Abhange eines Berges eine von Gesträuchen beschattete Quelle, die, wie ihm die Bewohner der dasigen Gegend versicherten, gemeiniglich im Vollmond sich am stärksten ergießet. Dieser Umstand gab ihm Gelegenheit zu dem Gedicht.

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