Alfred de Musset
Rolla
(Rolla)

Erster Gesang

[17] Erster Gesang.

Sehnt ihr die Zeit zurück, da noch des Himmels Söhne
Durchwandelten die Welt, wo reich der Glaube sproß;
Die Zeit, da, Jungfrau noch, sich Anadyomene
Aus blonden Locken wand der Mutter bittre Thräne
Und auf den Keim der Welt den Thau der Liebe goß?
Sehnt ihr die Zeit zurück, da noch der Nymphen Chor
Den Reigen sonnbeglänzt durch Wasserblumen schlang
Und jäh den trägen Faun im dichten Uferrohr
Aufschreckte aus dem Schlaf mit neckischem Gesang;
Da noch Narzissens Kuß die Quellen beben machte;
Da aus Mykenäs Thor ein gottgezeugter Held,
Vom blutigen Löwenfell umwallt, der weiten Welt
Nach göttlichem Beschluß gerechten Frieden brachte;
Da noch im hohlen Stamm der Waldgott träumend schlief,
Wenn er nicht schaukelnd saß in grünumlaubter Höh'
Und auf des Wandrers Lied das Echo äffend rief;
Da Alles göttlich war, sogar des Menschen Weh;
[17]
Da noch die Welt verehrt, was heutzutag sie schlachtet;
Da man nur mehr geglaubt, je mehr es Götter gab;
Da Alles froh gejauchzt, Prometheus nur geschmachtet,
Dem, wie für Satan auch, der Hochmut grub das Grab?
– Doch da dies alles längst entschwunden ist für immer,
Die Wiege dieser Welt sich wandelte zum Sarg,
Und da des Nordens Sturm des schönen Südens Trümmer
In's düstre Leichentuch des Unterganges barg –
Sehnt ihr die Zeit zurück, da tröstend auferstand
Ein goldnes Säkulum aus Barbarei und Schmach;
Die Zeit, da Lazarus mit neubelebter Hand
Für alle Welt zugleich den Stein des Grabmals brach?
Sehnt ihr die Zeit zurück, da alter Lieder Klang
Auf goldnen Flügeln sich zum lichten Himmel schwang;
Des Herzens Glaube noch, und noch das Werk der Hand
Im jungfräulichen Kleid des frischen Werdens stand;
Da unter Christi Hauch ein neu Geschlecht erwachte;
Da Kirche wie Palast, aus hartem Stein geschlagen,
Zum Himmel sich gestreckt, der schützend sie umdachte,
Und noch auf ihrer Stirn das gleiche Kreuz getragen;
Da Straßburg, Rom, Paris und Köllen an dem Rhein
Anbetend sank auf's Knie im starren Kleid von Stein;
Da wie ein Orgelsang so brausend und so voll
Das Lob der neuen Zeit aus tausend Kehlen schwoll;
Und da, was Märchen nun, noch traute Wahrheit war;
Da ein geschnitztes Kreuz auf heiligem Altar
Dem Sünder Ruhstatt noch in weißen Armen bot –
Da jung das Leben war – und hoffnungsreich der Tod?
[18]
Zu jenen zähl' ich nicht, die des Gebetes Drang
Zum düstern Tempel führt auf schlotternd frommen Füßen;
Mit jenen schleich' ich nicht auf den Kalvariengang,
Die, schlagend an die Brust, des Heilands Wunden küssen.
In deinem Tempel, Christ, verweil' ich ungebückt,
Wo murmelnd zum Gesang, der von der Höhe hallt,
Dein treues Volk sich scheu um graue Pfeiler drückt,
So wie das schwanke Schilf im Hauch des Nordwinds wallt.
Der allzu alten Welt bin ich zu spät geboren.
Vom heiligen Worte wird mein Herz nicht mehr gebannt;
Denn mit der Hoffnung ging uns auch die Furcht verloren,
Seit neuer Sterne Glut den Himmel leer gebrannt.
Des Hirnes Wahnwitz schleift nach nebelgrauen Weiten
Auf's blinde Ungefähr die traumerwachte Welt.
Um morsche Trümmer irrt der Geist der alten Zeiten –
Der ewige Wirbel brüllt – dein letzter Engel fällt!
Nur mühsam tragen dich die Nägel Golgatha's;
Dein göttlich Grabmal ward der wilden Mächte Raub:
Dein Ruhm ist todt, o Christ – auf schwarzen Kreuzen fraß
Selbst deinen heiligen Leib die giere Zeit zu Staub.
Zu küssen diesen Staub – verwehr' es nicht, mein Heiland,
Dem glaubensärmsten Sohn der glaubensarmen Welt!
Und laß beweinen mich dies kalte Welteneiland,
Das nur dein Tod belebt, das ohne dich zerfällt!
Wer nun, mein Jesus, wird von neuem es beleben?
Wer wird für uns, wie du, das reinste Herzblut geben?
Wer wird, was du vollbracht, auf's neue nun vollbringen,
Uns Greise, gestern erst geboren, zu verjüngen?
[19]
So alt ist unsre Welt, wie welche dich geboren;
Das Gleiche hofft sie wohl, doch hat sie mehr verloren.
Aufs neu liegt Lazarus im weltenweiten Sarg,
Doch bleicher, kälter noch, als er ihn einstens barg.
Wo ist ein Heiland nun, der unser Grabmal sprenge?
Und läßt kein Paulus denn sein Wort in Rom erschallen,
Daß gläubig sich ein Volk an seine Lampen hänge?
Wo sind nun Abendmahl und unterird'sche Hallen?
Und wen geleitet nun der wissende Komet?
Wo sind die Füße denn für Magdalena's Thränen?
Wird nicht durch Wolken bald des Himmels Stimme tönen?
Wer ist es, der aus uns zum Gott für uns ersteht?
Die Welt ist nun so alt, so aller Kraft beraubt;
Verzweifelnd schüttelt jetzt wie damals sie das Haupt,
Als Sankt Johannes ihr erschien im Wüstensand,
Bei dessen heiligem Wort plötzlich den siechen Leib
Erschauern sie gefühlt, gleich wie ein schwangres Weib,
Da keimend sie in sich die junge Welt empfand.
Sie sind zurückgekehrt, Tiber's und Nero's Tage,
Ach! Alles, so wie einst, verwehten ja die Winde!
O rettet! Seht, Saturn griff nach dem letzten Kinde!
Der Menschen Hoffnung ist nun aber satt der Plage
Und auch nicht fähig mehr zu neuer Mutterschaft;
Sind ihr vom Säugen doch die Brüste längst erschlafft.

Zweiter Gesang

[20] Zweiter Gesang.

Von allen Wüstlingen der ersten Stadt der Welt,
Die stets, an Laster alt, das Laster jung erhält,
Wo überfüllt der Markt, da Wollust schwach im Zoll,
Kurzum der Stadt Paris, – war's Jakob Rolla wohl,
Der es am ärgsten trieb. – Nie lag im bleichen Strahl,
Der zitternd sich durch's Glas der Schänkenlampe stahl,
Solch ungefüges Kind mit aufgestütztem Arm
Bei lautem Würfelspiel des Tisches Marmor warm.
Nicht eigner Wille war's, der ihn durch's Leben lenkte:
Der Leidenschaften Zug. – Er ließ sie weiter schießen,
So wie ein fauler Hirt den Bach zu seinen Füßen.
Sie lebten voll und wahr – der Körper Rolla's schenkte
Den bleichen Gästen all nur Herberg auf der Reise,
Die bald in blinder Wut das eigne Bett zersetzten,
Bald sich im Finstern selbst grausam zu Tode hetzten
Nach brünstiger Hirsche und nach römischer Fechter Weise,
Und sich berauschten bald bei traulichen Gesängen,
Wie hundert Vögel laut und liebend sich umdrängen,
Wenn sie in einen Busch des Sturmes Laune bannte.
[21]
Sein Vater, ein Baron mit ländlichem Verstande,
Ließ diesen Sohn erziehn wie einen reichen Erben
Und dachte nicht, daß er, trotzdem nur auf dem Lande,
Von seinem Gute selbst die Hälfte schon verzehrte. –
Nun kam's, daß Rolla schon, zu Rüste ging das Jahr,
Sein unumschränkter Herr mit neunzehn Sommern war,
Und Alles kannte, nur – die Kunst nicht, zu erwerben.
Zudem war Arbeit ihm, was für das Schiff die Klippe;
Wenn er von Broterwerb und von Beruf nur hörte,
Umzog verächtlich stets ein Lächeln seine Lippe.
Mit seinem Gute fuhr er fort nun zu schlaraffen
Und blieb der große Herr, als den ihn Gott erschaffen.
Vom müden Herkules, der sich zur Ruhestätte
Den Stein des Scheidewegs erkoren, wird erzählt,
Daß er die Sinnenlust von sich gewiesen hätte
Und als die Schönere die Tugend dann erwählt.
Nun nennt man nichts mehr schön, ob gut, ob schlecht es heiße,
Die Welt, die sitzt und wählt, kann nicht die unsre sein:
Die Wege trat die Zeit so breit auf ihrer Reise,
Daß zwischen beiden nicht mehr Raum ist für den Stein.
So kam denn Rolla nach Paris mit zwanzig Jahren. –
Wer einer Hauptstadt naht, wird auf den ersten Schritt
Schlachthäuser, Kirchhöfe und Mauern nur gewahren;
Und so auch stößt, wer neu in die Gesellschaft tritt,
Auf die Kloaken erst. – Hier schließt sich die Gemeinheit
Breit wie ein Festungswall rings um die heilige Reinheit
Wohl – man verhüllt die Scham – und doch umarmt das Laster
Der Wollust feilen Leib auf offnem Straßenpflaster.
[22]
Die Menschen hielten nie noch Ihresgleichen wert
Bevor er nicht gelöscht in eklen, trüben Pfützen
Die helle, keusche Glut von jenem scharfen Schwert,
Das er von Gott empfing, vor ihnen sich zu schützen.
Rolla war gut, gerad und edel von Natur,
Doch was das Leben glatt und sauber macht: Gewohnheit,
War stets ein Ekel ihm. – Nie folgt' er ihrer Spur
In Freude oder Leid und hielt für Götter nur
Den Tollmut und den Stolz, Stiefbrüder der Gewohnheit.
Er nahm, was er besaß – und in den Tag hinein
Ging's nun mit wilder Lust und zügellosem Jagen.
Nie hat ein Adamssohn im hellen Sonnenschein
Die Weltverächterei so breit zur Schau getragen;
Er ließ das Volk das Volk, den König König sein.
Man sah ihn unverstellt, allein, mit lauter Hast
Den Mummenschanz, den man das Leben nennt, durchstreifen,
Wie Alcibiades die schleppend lange Last
Des goldenen Gewands, durch Gosse und Palast
Den lassen Stolz gleichsam als Königsmantel schleifen.
Es wußte alle Welt, daß er sein Gut verzehrte,
Und, wie er's trieb, wohl kaum drei Jahre brauchen werde.
Die Leute lächelten und konnten's nicht begreifen –
Und dann – so hörte man ihn einstens selber sagen,
Kann eine Kugel ich mir durch den Schädel jagen.
Treuherzig wie ein Kind und wie ein Fürst großmütig,
Gleich wie die Hoffnung hehr und wie das Mitleid gütig,
Hielt Armut er an sich stets für Unmöglichkeit.
Der Panzer, den er trug, war seiner Brust zu weit,
[23]
Geschmiedet wohl allein zum heißen Tag der Schlacht;
Doch dieser Tag war kurz wie eine Sommernacht.
Drei Tage ohne Trank durchbangt das Wüstenroß,
Und der ersehnte Sturm bricht immer noch nicht los,
Der Himmelstrank ihm reicht auf staubigem Palmenblatt.
Die Sonne schwer wie Blei; und unter ihrem Brande
Hängt von der Palme Haupt das Haar so welk, so matt.
Den Brunnen sucht des Roß im weiten Wüstensande:
Die Sonne trank ihn aus; auf heißem Felsenstumpf
Schläft haargesträubt der Leu und brüllt im Traume dumpf.
Die Kraft verläßt das Roß; noch bohrt es in den Sand
Die blutigen Nüstern ein – und gierig schlürft die Glut
Des durstigen Wüstenstaubs das halbgestockte Blut –
Es stürzt und jäh erlischt der großen Augen Brand.
Nicht lange – und es zieht die Wüste schon das bleiche
Und stille Todtentuch um die geliebte Leiche.
Es wußte nicht, daß es den lauten Karawanen,
Und der Kameele Spur im Schatten der Platanen
Nur hätte folgen dürfen und die Stirne bücken,
Um bald in Bagdads Schoß die weichste Streu zu finden,
Und duftig grünen Klee auf goldnen Futterkrücken,
Und Brunnen, welche nie die Sonne kann ergründen.
Wenn alles Leben auch aus Erdenstaub geboren,
Hat sicherlich der Herr besondern Stoff erkoren,
Wenn er im schönsten Strahl der ersten Morgensonne
Ein Wesen schuf, das nie, gleichwie der Lüfte Aar,
Mit überjochtem Hals des Menschen Sklave war,
Dem Freisein Leben heißt und Freiheit Lebenswonne.

Dritter Gesang

[24] Dritter Gesang.

Wie? – Ist's ein Schneegebild, ein Marmorwerk, um das
Die goldne Lampe gießt, gedämpft durch mattes Glas,
Von Seide blau umflort, den regen Flimmerkreis?
Nein, Schnee ist bleicher noch und Marmor nicht so weiß.
Es ist ein schlummernd Kind. – Durch seine offnen Lippen
Enthaucht von Zeit zu Zeit ein Seufzer süß und zart;
Kaum seufzen Algen so, wenn nach der Meeresfahrt
Der Zephyr Abends kost um ihre grünen Klippen,
Wenn er des Ostens Duft enthaucht aus feuchten Lippen
Und an die nackte Brust der Blumenliebchen sinkt,
Wo er bei Kuß und Kuß den Thau vom Schilfe trinkt.
Es ist ein Kind, das schläft, von Seide überdacht,
Ein fünfzehnjährig Kind – fast schon ein junges Weib;
Doch Alles knospet erst an diesem süßen Leib.
Der kleine Cherubim, der ihren Schlaf bewacht,
Blickt allzu zärtlich fast auf seine Schwester nieder.
Wie goldne Flut umfließt das Haar die zarten Glieder;
[25]
Sie sprach wohl ein Gebet vor Anbruch dieser Nacht,
Und will es wieder thun, sobald die Nacht verfließt,
Da noch die kleine Hand des Halsschmucks Kreuz umschließt.
Sie schläft; o schaut sie an: – die Stirn, wie stolz und rein!
Um alle Schönheit gießt der Herr den süßen Schein
Der Scham, wie er mit Thau behaucht der Knospe Blust.
Nackt schlummernd liegt sie da, ein Händchen auf der Brust.
Das Dunkel ist es selbst, das ihre Schönheit hebt:
Denn wie der Dämmerschein um ihre Glieder bebt,
Glaubt man, des Dunkels Geist hat nicht den Mut, den kalten
Und schwarzen Mantel auch um diesen Leib zu falten.
Des Priesters stiller Tritt, leis hallend von den Mauern,
Macht nimmermehr das Herz so glühendfromm erschauern,
Wie ihres Odems Hauch, wie ihrer Seufzer Lied.
Betrachtet dies Gemach: Orangen, frisch erblüht,
Hier Bücher, Arbeitszeug; dort beugt ein Palmzweig stumm
Sich wie in tiefer Qual aus seinem Eckverließ.
Ja seht ihr euch denn nicht nach Gretchens Spinnrad um
In diesem traulichen und keuschen Paradies?
Wie ist der Kindheit Schlaf so keusch doch und so mild!
Schuf ihr die Schönheit nicht der Herr als starken Schild?
Und ist die Liebe nicht, die in der Jungfrau facht,
Wie ein Gebet zu Gott? Man fühlt beim Nahedringen
Erschauern in der Luft des Seraphs rege Schwingen,
Der eifersüchtig treu vor ihrem Lager wacht.
Du bleiche junge Maid, wenn nicht die Mutter dein,
Wer dann mag diese Frau vor deinem Bette sein,
Die bald empor zur Uhr, bald nach dem Feuer blickt
[26]
Und mit dem grauen Haupt so ungeduldig nickt?
Weß harrt sie noch so spät? Wenn's deine Mutter ist,
Für wen erhebt sie sich und riegelt gleich darauf,
Wenn deinem Vater nicht, die Thüre leise auf?
Marie, dein Vater starb ja doch vor langer Frist!
Für wen bestellt dies Weib mit eigner Hand den Tisch?
Wozu die Kerzen all? – Wer da nur kommen mag?
Doch wer es sei, du schläfst; was sollte man bei dir, –
Die Träume deiner Nacht sind keuscher wie der Tag
Und ach, noch viel zu jung für sündige Begier!
Und wem, am Feuer dort, gehört der Mantel doch?
Er ist bespritzt mit Kot und trieft von Regen noch:
Der deine ist's, Marie, der Mantel eines Kindes!
Dein schönes Haar ist feucht. Die Hände und die Wangen
Sind hell dir aufgeglüht im rauhen Hauch des Windes
Wohin nur hast du dich im Sturm der Nacht vergangen?
O nein, o nein! dies Weib ist deine Mutter nicht!
Man hat gesprochen! – Still! – Sieh – unbekannte Weiber
Stehn an der offnen Thür – da schwankt vorbei ein Licht –
Und andre, wirr das Haar und halb entblößt die Leiber,
Das Antlitz rot von Schweiß, sieht man auf dunklen Gängen
Mit scheuer Stille sich entlang den Mauern drängen –
Und halb erkennbar zeugt ein letzter trüber Schimmer
Von einer Orgie noch in einem fernen Zimmer:
Zerschelltes Glas Damast, den man mit Wein begoß –
Da gellt ein Lachen auf – die Thüre fällt in's Schloß.
Marie! O sprich, es war ein Trugbild, das zerflogen,
Ein toller Koboldstraum, der ängstend mich betrogen –
[27]
Die Mutter ist dies Weib – und alles schläft und ruht!
Es ist ein feines Oel, mit Blumenduft versüßt,
Was deine Haare netzt; und deinem Herzensblut
Entstammt das keusche Rot, das deine Stirn umfließt.
Doch horch! es hat geklopft – und von des Flures Platten
Durchschauert hellen Klangs ein Tritt die stille Nacht –
Und näher schwankt ein Licht, begleitet von zwei Schatten ...
Wie, magrer Rolla, du? Was hat dich hergebracht? – –
O Faust! Hast du denn nicht zu sterben einst gewähnt,
Als der gefallne Geist in jener Schauernacht,
Wie einen Schatten leicht, von Zauberglut umfacht,
Dich in den Raum entführt, der unter euch gegähnt?
Warst du es nicht, der laut die letzten Flüche schrie,
Tanzend zu heiligem Sang und klatschend in die Hände,
Und schlugst du etwa nicht, zur letzten Blasphemie,
Dein sechzigjährig Haupt an deine morschen Wände?
Auf blauem Lippenrand hat dir das Gift gekocht;
Und als dein dunkles Thun der Tod erst abgepocht,
Stieg er noch Hand in Hand mit dir hinab die Reihe
Der tausend Stufen all bei deiner Höllenweihe.
Zu alt, um aufzugehn, ist dir das Herz gesprungen,
Wie winterzeits im Frost der harte Fels erklafft.
Du grauer Gottesfeind, als dir die Uhr geklungen,
Riß deines Wissens Baum aus seiner Wurzeln Haft.
Der Todesengel sah erstaunt dich starren Mutes
Aus deinem hagern Arm noch einen Tropfen Blutes
Erzwingen, als du dich dem bösen Feind verschrieben.
O – über welches Meer, durch welcher Grotte Dunkel,
[28]
Durch welchen Myrtenhain und welchen von Oliven,
Um welches Schneegebirg und dessen keusch Gefunkel
Ist je im Morgenrot so klare Luft geschwebt,
Wie jener warme Hauch des keimereichen Windes,
Der, feucht von Frühlingsthau, dein graues Haupt umbebt,
Da dich der Himmel schloß, damit du neubelebt,
In's jungfräuliche Kleid des fünfzehnjährigen Kindes.
Fünfzehn! – O Romeo! Das Alter deiner Braut;
Die Zeit, da euer Glück der Morgen überholte,
Der dich beim Lerchenschlag auf schwankem Seil geschaut
Und euren Abschiedskuß, der nimmer enden wollte!
Fünfzehn! – Die heilige Zeit, nach der der Lebensbaum,
Vom Wüstensand umdroht, an der Oase Saum,
Um seine goldne Frucht den Hauch der Reife legt,
Und weit die Luft durchwürzt, wie Asiens Palmenbaum,
Wenn er im Windhauch nur die duftigen Zweige regt.
Fünfzehn! – So schien das Weib, da unter Gottes Strahl
Zum Leben es entsproß, von Unschuld so umglänzt,
So überreich an Reiz, daß Gott mit dieser Zahl
An seiner goldnen Schaar des Wachsens Zeit begrenzt.
O Eva! Edenslust! Weshalb bist du verblüht! –
Sorgloses blondes Kind, du hast ja fallen müssen!
Dein Fall hat auch den Mann mit sich herabgerissen,
Doch ist dein Herz für ihn darum nur mehr erglüht!
Kam' Eden dir zurück, es wäre neu verloren:
Du weißt, daß dich der Mann zum Erdengott erkoren –
Und ließest deshalb gern mit ihm dich neu verjagen,
Um liebend bis an's Grab sein Elend mitzutragen.
[29]
Rolla betrachtete in Wonne und in Trauer
Das schöne Kind, das fest im weiten Bette schlief –
Ich weiß nicht, welch ein Schreck, fast wie Gespensterschauer
Ihm wie mit einem Schlag durch alle Knochen lief!
Marie galt schweres Geld. – Als Kaufpreis dieser Nacht
Hat er den letzten Sou still lächelnd hingegeben.
Das wußte, wer ihm freund; so hatte kurzbedacht
Beim Herweg Rolla heut sich selbst das Wort gegeben:
Nach Tagesanbruch sieht mich Niemand mehr am Leben.
Der schönsten Jahre drei – aus einer schönen Jugend,
Drei Jahre reich an Lust, drei Jahre arm an Tugend,
Sie schwanden wie ein Traum, wenn sich der Morgen zeigt,
Wie einer Lerche Sag, die in die Lüfte steigt.
Und diese bange Nacht – die letzte Nacht im Leben –
In der ein Sterbender noch betet innerlich,
Da schon die Lippe starr – in der ein Schächer sich
So nah der Gottheit fühlt, daß Alles wird vergeben –
Der Dirne gab er sie, der Sünde und dem Leib –
Er – der ein Mensch, ein Mann, ein Christ! Und dieses Weib,
Ein Kind, ein Blüthenhalm – an Laster doch so stark,
Schlief, da es ihn erharrt, auf seinem offnen Sarg!
O brich zusammen, Welt, daß sich die Kindheit rette!
Ob es nicht besser wär', hier auf dem offnen Bette
Mit Sicheln diesem Leib die Schönheit wegzumähen
Und diesem weißen Hals die Knochen abzudrehen?
Ob es nicht besser wär', auf dieses Engelsbild
Mit erzumschützter Hand erhitzten Kalk zu hügeln,
Eh man es gleichen muß dem See mit klarem Schild,
[30]
Darin sich leuchtend Stern und Blume wiederspiegeln,
Auf dessen Grund jedoch das Gift der Hölle quellt.
»Mein Gott! Wie ist sie schön! Welch reicher Schatz der Welt!
Welch einen ersten Kuß hätt' Liebe hier bereitet;
Getragen welche Frucht, sofern sie nur gezeitet!
Mein Gott, wie ist sie schön! Wie wär' in reinster Pracht
Solch keuscher Lampe einst der Liebe Glut entfacht.«
Armut! Armut! Du bist die Kupplerin, nur du!
Du hast auf dieses Bett ein solches Kind gedrängt,
Wie Hellas dem Altar Dianens sie geschenkt.
Da sie gebetet – schau – fiel ihr das Auge zu! ...
Gebetet! – Großer Gott! – Zu wem? – Du zwangst dies Kind,
Auf gleichen Knieen stets zu fluchen und zu beten.
Wie Grillen zirptest du erst schwach im Abendwind,
Eh in der Nacht an's Bett der Mutter du getreten,
Die schluchzend schlaflos lag – sprachst dann in's Ohr ihr leise:
»Dein Kind ist Jungfrau – schön – hör' Weib, das steht im Preise!«
Du hast sie aufgeputzt, beim Opfergang zu prangen,
So wie man Todte schmückt, die man zu Grab will legen.
Du bist's, die diese Nacht, da sie hierhergegangen,
Am Mantel sie geschleppt durch Blitz und Sturm und Regen.
Wie hätte sich vielleicht ihr Schicksal dann gewendet,
Wenn mit dem Leben ihr der Herr auch Brot gespendet!
Was wäre diese Stirn der Scham ein schöner Thron!
Kein Unkraut hätte man auf solchem Feld gelesen!
Weißt du wohl, was du thatst, du armes, junges Wesen?
Dein Name war Marie nun heißt er Marion;
Was ihn verkleinert hat, das Elend ist's gewesen,
[31]
Und nicht die Sucht nach Gold. – Die man erst halb verdarb
In diesem eklen Haus, auf diesem Lasterherd,
In diesem Schandenbett, wenn sie nach Hause kehrt,
Reicht sie der Mutter noch das Gold, das sie erwarb.
O, ihr beweint sie nicht, ihr Damen einer Welt,
Wo man das Spitzentuch sich vor das Antlitz hält
Vor allem, was nicht reich und fröhlich ist wie ihr!
Auch ihr beweint sie nicht, ihr Mütter eurer Kinder,
Ihr stoßt den Riegel vor an eurer Töchter Thür,
Doch unterm Ehebett bergt ihr den eignen Sünder –
Verworfen insgeheim – doch öffentlich ästhetisch.
Ihr liebt so rosig schön, anständig und poetisch;
Des Hungers Schreckgespenst habt ihr ja nie gesehen
Mit murmelndem Gesang vor eurem Lager stehen,
Wie es euch stieren Blicks die bleiche Lippe bot
Und einen Kuß begehrt für eine Rinde Brot.
O du mein Säkulum! Gleicht dein verruchtes Muß
Dem Gange aller Zeit? O rauschend wilder Fluß,
Der sich vom kalten Blut zerrissner Leichen rötet –
Du trägst sie still in's Meer! – Und diese alte Welt,
Die zuschaut, wie sich hier die Menschheit zeugt und tödtet
Und starr sich auf der Bahn um ihre Sonne hält,
Will schneller ihre Last nicht gegen Himmel tragen,
Um bald bei Gott zu sein, bei ihm sich zu beklagen!
Nun gut, wenn's schon so ist, erhebe deine Stirne,
Beug auf die nackte Brust, du schöne, junge Dirne.
Es strömt und perlt der Wein, es haucht der Wind so frisch
Und rollt des Vorhangs Weiß um deinen Spiegeltisch.
[32]
Welch wunderschöne Nacht! – Ich bin's, der sie gedungen!
Weit weniger Angst hat einst des Heilands Herz durchdrungen
Beim letzten Gang, als Lust auf meinem mich durchsprüht.
Ein Hoch der Liebe nun, von Trunkenheit umschlungen,
Wobei aus jedem Kuß der Wein Hispaniens glüht!
Nun mag des Taumels Geist dies Ruhebett umkreisen
Und wonneströmend uns in seine Arme reißen!
Dir Bacchus, Liebe dir, will dieses Glas ich füllen!
Ein Hoch der Zeit, die flieht, dem Tode und dem Leben!
Wollt ihr vergessen: trinkt! – Ein Hoch dem freien Willen,
Dem Golde und der Nacht, der Schönheit und den Reben!

Vierter Gesang

[33] Vierter Gesang.

Voltaire, schläfst du denn auch zufrieden und gelassen?
Grinst auch dein Lächeln noch um die entfleischten Zähne?
Man nannte deine Zeit zu jung, um dich zu fassen:
Taugt dir die jetzige? Wir sind ja deine Söhne!
Es stürzen über uns des Tempels tausend Sparren,
An welchem Tag und Nacht dein reger Arm minirt.
Die Erde mußte dich mit Ungeduld erharren,
Die achtzig Jahre lang du schmeichlerisch hofirt.
Wohl höllisch war die Glut, die ihr für euch gefühlt.
Erhebst du niemals dich von deinem Ehebette,
Darauf ihr euch umarmt, vom Grabgewürm durchwühlt?
Schaut nie dein Geisterblick aus seinem Knochenbette
Der frommen Schlösser Grab, der Klöster öde Stätte?
Was sagen sie dir dann, die Riesen, die getödtet,
Die Mauern, die verstummt, die Tempel, die vergessen,
Die für die Ewigkeit dein heißer Hauch verödet?
Was klagt dir jedes Kreuz? Was klagen dir die Messen?
[34]
Wenn nächtens dein Gespenst des Heilands Kreuz umkreist,
Sprich, blutet er dann noch, wenn deine Faust es rüttelt,
Bis, wie du heiß ersehnt, der Nägel Dreizahl reißt,
Wie Blumen, die ein Sturm vom schwachen Stengel schüttelt?
Hältst deine Mission du würdig nun beendet?
Und wie der Schöpfung Herr, da er sein Werk vollendet,
Findest auch du es gut und Alles wohlgeraten?
Dann darf ich dich zu Gast bei meinem Helden laden.
Du brauchst nur aufzustehn – denn Rolla ist der Mann,
Mit dem sich der Komthur zu Tische setzen kann.
Siehst du die Kinder hier, die seufzend sich umwinden?
Wie ihre Glieder nackt sich in einander binden,
Scheint es, als ob ein Leib zwei Seelen bergen müßte.
Ein Schluchzen, wild und fremd, halb Jauchzen, halb Gestöhn,
Bricht ihrer Lippen Schluß, erschüttert ihre Brüste.
In Ohnmacht sank die Lust da sie die Beiden küßte.
Um ihres Anblicks Gunst, der ach, so jugendschön,
Verließe selbst das Volk der Sterne seine Bahn –
Und sieh – den Beiden ist die Liebe nur ein Wahn!
Wer aber lehrte sie die himmelsvollen Worte,
Die doch die Liebe nur, aufquellend aus dem Herzen,
Erstockend gießen darf durch trockner Lippen Pforte?
O Weib! Seltsames Heim der Wonnen und der Schmerzen!
Du mystischer Altar, darauf man Opfer bringt,
Bei deren That der Fluch zwischen Gebete klingt!
Kennst du das Paradies, die Luft, darin sie lebt:
Die Sprache ohne Volk – dies Kind der Ewigkeit –
[35]
Die Sprache, die von selbst, seit Adams grauer Zeit,
Sobald der Rausch beginnt, auf jeder Lippe bebt.
Welch eine Blasphemie! Zwei Engel ohne Liebe!
Zwei Herzen, rein wie Gold, die wohl des Himmels Söhne
Dem Vater trügen zu, bewundernd ihre Schöne.
Thränen? – Und Liebe nicht? – Das murmelnde Getriebe
Der traumvergessnen Welt, der Wind, der säuselnd streicht,
Die Nacht, die im Genuß der süßen Lust erbleicht,
Ein Duft, der Wollust haucht, der Wein, den man vergoß,
Die Küsse ohne Zahl, und ach, vielleicht ein Sproß
Des Elends mehr, der einst dem Tag die Fäuste ballt ...
Und keine Liebe! – Nein! Nur ihre Spukgestalt!
Ihr Klöster enggewölbt, ihr Zellen fahl und bloß,
Darin das Wort verstummt – die Liebe kennt nur ihr!
Ihr Schiffe dumpf und kalt, ihr glaubensgrauen Hallen,
Wer euch geküßt, ist stets in Ohnmacht noch gefallen.
Kommt! Oeffnet euren Schoß, umschließt die Beiden hier,
Die wild um Sinnenlust in einem Bette werben,
Das nur gemacht, darauf zu schlafen und zu sterben!
Laßt doch ihr Herz einmal durch eure Thore ziehen!
Reißt mit dem härnen Strick die Lenden ihnen auf!
Begießet ihre Stirn mit eisig kalter Tauf,
Zeigt ihnen doch, wie man mit frommen, wunden Knieen
Der Grüfte steinern Dach berutscht, und fragt sie dann,
Wie anderwärts man noch von Liebe reden kann!
Ihr stummen Mönche sogt mit trankesgierem Mund
Der Liebe Ewigkeit aus eurer Kelche Grund.
Ihr habt den Herrn gesucht bei Sonnenlicht und Kerzen,
[36]
Und saht im Traume dann ihn mit durchstochnem Herzen,
Und saht, wie grüßend er durch's goldne Fenster schwand,
Wenn zu der Orgel Klang das Morgenrot erstand. –
So schuf die Liebe euch den Himmel schon auf Erden!
Sieh, greiser Arouet – der Mann da, lebensprühend
Und diese schöne Brust mit Küssen überglühend,
Der Mann wird morgen schon zu Grab getragen werden.
Wie, du mißachtest ihn? – Laß ab, das darfst du nimmer,
Er las ja, was du schriebst Nichts beut ihm mehr auf Erden
Den allerkleinsten Trost, den schwächsten Hoffnungsschimmer.
Wenn Glaubenslosigkeit zur Wissenschaft sollt' werden,
Wird Rolla noch berühmt und du wirst nur geehrt,
Wenn diese Nacht dein Grab zu theilen er begehrt.
Glaubst du, wenn Rolla nur die ärmste Hoffnung fühlte,
Der schwächste Faden nur ihn noch am Leben hielte,
Er hätte seinen Tod durch solch ein Bett entehrt?
Der Tod! – O laß ihm nur den leisesten Gedanken,
Daß er ein Schritt nur ist nach einem schlimmen Orte,
Dem schlimmsten, was verschlägt's? Er wird darum nicht wanken,
Wird lächelnd zusehn nur, wie durch des Weltalls Pforte
Sein bleicher junger Freund die freie Seele trägt
Und huldigend dem Herrn der Zeit zu Füßen legt.
Dein Werk ist's, Arouet! – Schau dir den Menschen an:
Er ward, wie du gewollt! – Seit sich dein Mund geregt,
Seit gestern ist es erst, daß man so sterben kann. –
Als Brutus über Roms Ruinen ausrief: »Tugend,
Du bist ein Name nur!« – rief er's nicht lästernd aus,
Denn ihm war Alles hin, sein Ruhm, sein Heim und Haus.
[37]
Sein schöner Lieblingstraum: des Staates freie Jugend,
Sein Weib, sein Freund, sein Blut und seines Heeres Massen.
Nichts hoffte er sich mehr von Glück und Erdenlauf.
Doch wie auf Trümmern er so dasaß, ganz verlassen,
Zu sterben schon gewillt, sah er zum Himmel auf –
In diesem weiten Feld war Alles ihm belassen,
Hier atmete sein Herz die Luft der Hoffnung doch:
Ihm blieben ja sein Schwert und seine Götter noch!
Was aber bleibt denn uns, was uns, den Gottesmördern?
Ihr blöden Widder, sprecht – was meint ihr denn zu fördern,
Wenn vom Altare ihr den Nazarener reißt,
Wenn ihr sein blutig Kreuz tief in den Abgrund schmeißt,
In den es polternd stürzt, um nimmer zu erstehen?
Und was dann wollt ihr – sprecht – auf seinem Grabe säen?
Den Menschen hofftet ihr nach eurem Wunsch zu kneten,
Und auch die Welt! Seht doch – nun ist es gegenwärtig!
Wie herrlich eure Welt, und euer Mensch – wie fertig!
Die Berge sind gestürzt, die Thäler eingetreten!
Ihr habt den Lebensbaum gestutzt, so klag, so triftig;
Wie säuberlich und blank sind eure Eisenstraßen;
Alles ist groß und schön – nur eure Luft ist giftig!
Ihr habt so stolz darin die Worte tönen lassen,
Die mit dem Sturm der Nacht in alle Ferne fliegen.
Schreckliche Götzen sind aus ihrem Schwall erstiegen –
Und vor dem grausen Bild entfloh der Vögel Heer.
Die Frömmelei ist todt, man straft die Priester Lügen,
Doch auch die Tugend stirbt, man glaubt an Gott nicht mehr;
Der Edle prunkt nicht mehr im Alter seines Blutes,
[38]
Der Divan des Bordells ist nun sein Adelsitz;
Das Wort ist herrenlos, ein Findelkind des Mutes,
Und frei des Menschen Geist, wie Wolkenzug und Blitz.
Dafür begehrt das Volk der Stiere wilden Kampf;
Wenn einer arm und stolz – elend und reich auf Erden,
So ist er nicht mehr Narr genug, um Mönch zu werden –
Er thut's der Mode nach und athmet Kohlendampf.

Fünfter Gesang

[39] Fünfter Gesang.

Rolla stand auf und trat zum Fenster rasch hinüber,
Da auf die Dächer er die Sonne steigen sah.
Der Wagen schwere Last zog träge schon vorüber.
Die bleiche Stirn gebeugt, so stand er wortlos da.
In lange Bäche Bluts zerfloß das Wolkenmeer –
So riß, als Jesus schrie, der Engel klagend Heer
In Fetzen seinen Flor mit all den blutigen Falten.
Ein Wandersängertrupp, recht grämliche Gestalten,
Sang auf dem öden Platz ein überlebtes Lied.
Wie alter Weisen Klang, die ng man wert gehalten,
In schwerer Stunde doch erst recht die Brust durchzieht!
Wie packen sie das Herz! Man fühlt die Zeit zurück,
Und – schaut man sie so alt, dann feuchtet sich der Blick.
Sind sie die Seufzer wohl des Dämons der Ruinen,
Und des Gedenkens Geist, schluchzt er denn nicht aus ihnen?
Wie Vögel zwitscherten sie hell in muntrer Hast
Durch reiner Kindeslust goldglänzenden Palast.
Sie wissen welke Blust noch einmal aufzufärben,
Und wie sie uns gewiegt, so gehn sie mit uns sterben.
[40]
Da wandte Rolla sich und seine Augen trafen
Das Mädchen; müd und matt, war's wiederum entschlafen.
So flohen beide denn des Schicksals starre Not,
Das Kind durch seinen Schlaf, der Mann durch seinen Tod.
Sieht man zum schönen Tag im Herbst die Sonne steigen,
So scheint der Berge Schnee vor ihr das Haupt zu neigen;
Die silberweiße Stirn der wachgeschreckten Nacht
Umgießt ihr erster Kuß mit goldesroter Pracht.
Die keusche Jungfrau schrickt wohl so in sich zusammen,
Wenn in der Sommernacht ihr Herz zur Liebe reift,
Und der geheimste Wunsch, der sie mit Flügeln streift,
Macht ihre weiße Stirn in Scham so rot erflammen.
O Sonne! Weltenfürst! Dein Lieb ist diese Erde;
Ihr jüngrer Bruder hält sie schlummernd fest umschlungen;
Der Jugend Ewigkeit hast du dir ausbedungen,
Damit der Erde Glanz durch sie verewigt werde!
»Ihr Schwalben leichtbeschwingt, die dort ich fliegen sehe,
O sagt mir, sagt mir doch, weshalb ich sterben gehe!
Selbstmörder! – Ekles Wort! – O daß ich Flügel hätte,
Mit Schwalben flög' ich dann in Gottes Luft zu Wette!
Was soll dies Morgenrot? O Erde, Himmel, sprecht!
Was soll denn noch ein Tag der Welt, so alt, so schlecht?
Ihr grünen Rasen all, ihr dunklen Meere, sagt,
Wenn rot zum Horizont des Morgens Feuer steigt
Und ihr dabei nichts fühlt, was ihr in euch dann tragt,
Das schlagen macht ein Herz und starre Kniee beugt?
Wer hat dem Sonnengott dich, Erde, angetraut?
Wem gilt dein Vogelsang, dein Morgen, weiß bethaut?
[41]
Was soll's, wenn jetzt dein Reiz mein Herz so heiß besteht?
Was soll das Alles mir – mir, der nun sterben geht!«
Warum denn Liebe auch? – Weshalb klang dieses Wort
In Rolla's Herz und Hirn erschauernd fort und fort?
Welch unsichtbarer Mund, welch ferne Stimme grollte
Dies Wort ihm ewig zu, jetzt, da er sterben sollte?
Warum gerade ihm, der wüst und sinnlos fast
Ein Leben Tag für Tag im Weinhaus hingepraßt;
Ihm, der dies Leben stets verachtet; jede Lieb'
Aus Laune oder Haß gehöhnt in Ernst und Scherz;
Für welchen dieses Wort stets Lüge hieß und blieb;
Der, wie ein Veteran euch zeigt vernarbten Schmerz,
Stolz lächelnd trug zur Schau sein steingeworden Herz,
Durch dessen Rinde nie das kleinste Blümlein trieb;
Gerade ihm, dem Mann, der ohne Weib und Herd,
Der unter freier Luft, dem Schicksal abgekehrt,
Mit seiner Jugend stets den Sturmwind spielen ließ,
Der wie ein gelbes Blatt vom dürren Baum sie riß.
Und jetzt, da dieser Mensch sein Glas zur Neige trank,
Auf dieses Sterbebett zum letzten Fluche sank,
Nachdem der Stunden Rest in Sünden er verbracht;
Jetzt, da ihm alles aus; schon nah die stete Nacht,
Den letzten Funken ihm des Lebens auszudüstern:
Wer wagt dem Sterbenden von Liebe da zu flüstern?
Wenn sich der junge Aar zum Rand des Nestes hebt,
Indeß er starren Aug's die Mutter scheiden sieht,
Wer hieß es ihm, wenn er von hinnen plötzlich schwebt
Und durch die Luft sich schwingt, die blauend ihn umzieht?
[42]
Er schloß die Fänge nie und brauchte nie die Schwingen.
Wer spricht da Mut ihm ein, beschwört ihm das Gelingen?
Er fühlt, er ist ein Aar – es lockt der Wind – er steigt.
Der Adler lebt empor im gleichen Sonnenstrahl,
In dem der Wurm ersteht, der Hund und der Schakal,
Die in dem Kot vergehn, der ihre Mütter zeugt,
Den Bauch gestrotzt vom Heer der ekelschwangern Eier.
Doch schafft sich die Natur nur deshalb solche Last,
Da deren sie bedarf zu ihrer Felder Mast,
Zu ihrer Schätze Fund, zur Nahrung ihrer Geier.
Wenn aber die Natur an einem Liebling werkt,
Sie, die von oben schaut, wie man im Staube hudelt,
Nützt ein Geheimniß sie, das ihren Schöpfling stärkt,
Daß selbst die ganze Welt ihn nimmer ihr besudelt.
Je seltener die Art, je fester sind die Normen.
Taucht die Natur sie auch in ihrer Sümpfe Schwärze,
So weiß sie doch zu wohl, daß an Carrara's Erze
Des Himmels Thräne selbst niemals entklärt die Formen.
Der Mensch, dem die Natur aus ihren besten Erden
Die allerbeste Form gebaut mit sichrer Hand,
Kann selbst drei Jahre lang zum eklen Wüstling werden,
Ersticken mit Gewalt des Geistes hellen Brand –
In seines Herzens Nacht entrollt die kalte Schlange
Der Ringe Tausendzahl doch über kurz und lange.
Domingo's schwarzes Volk, nach wieviel bangen Wochen,
In Stumpfsinn hingekeucht mit wutverbissner Lippe,
Hat deiner Kinder Heer den Freiheitsraub gerochen
Und seiner Fesseln Haft am Ende doch gebrochen,
[43]
Gleichwie ein jäher Sturm, an seines Hasses Klippe?
So lohte heut dein Geist aus seinem Aschenbette,
So sprang heut schrillen Klangs, o Rolla, deine Kette,
Und die Erinnerung mit hellem Brande schwirrt
Durch all das Wüstenland, das taumelnd du durchirrt.
Ersticke immer nun des Lebens letzten Funken,
Tanze mit nacktem Fuß auf den zerschellten Flaschen,
Und in dem letzten Toast, zum letztenmale trunken,
Magst du das weite Nichts mit schlaffen Armen haschen!
Das Nichts! Sein Schatten – sieh – wie er sich weiterspinnt –
Und mehr und immer mehr der Sonne Klarheit trübt –
Er wächst und sie erlischt. die Ewigkeit beginnt –
Und niemals liebst du mehr, du, der noch nie geliebt!
Bleich drückte Rolla nun das Fenster zu. Ihm bebte
Die Hand, als er vom Stock ein kleines Blümchen brach.
»Ich liebe,« sprach es laut, »und sterbe, glühend, ach,
Vom Kuß des Zephyrs noch, der mich ja auch belebte.
Was unrein war an mir und meinen Glanz entweihte,
Das haucht' ich ängstlich aus, um mich für ihn zu schmücken,
Der mir die Stirn geküßt in meinem Purpurkleide.
Magst nun entfalten mich, und mir das Herz zerdrücken!«
Ich liebe – heißt das Wort, das laut die ganze Welt
In alle Winde schreit, die es zum Himmel tragen.
Wenn unsre Erde einst in's alte Nichts zerfällt,
Wird dumpf noch dieses Wort ihr letzter Seufzer klagen.
Ihr murmelt es ja auch in euren reinen Höhen,
Ihr Fackeln Morgenlichts, dies traurig süße Wort!
Die zarteste von euch, da Gott euch ließ entstehen,
[44]
Schwang durch des Aethers Plan in heißer Glut sich fort.
Des Mittags hellen Stern, den ewig jungen Gatten
Zu suchen, irrte sie durch all des Weltalls Schatten.
Ein eifersüchtiger Stern hat sich ihr nachgestohlen;
Die andern zogen aus, die beiden heimzuholen.
Rolla stand regungslos und schaute auf Marie.
Was hatte dieses Weib in ihren Zügen nur,
So fremd, und wieder nicht, so ein »ich weiß nicht wie« –
Ihn überlief ein Frost, wie er's noch nie erfuhr.
Die Dirne da, war denn nicht seine Schwester sie?
Dies traurige Gemach, war über Jahr und Tag
Es denn nicht auch bestimmt zu ihrem Sterbezimer?
Und hörte er nicht schon der Kranken leis Gewimmer,
Verblutend an dem Weh, an dem er selbst erlag?
»O diesem süßen Bau, der kleinen zarten Hütte
Naht der Verfall sich schon, wenn auch mit trägem Schritte.
Ja, Schwester bist du mir – und meine Kirchhofsäule,
Die bleich und regungslos am offnen Grab ich finde,
Vom Schlafe leicht umflort, indeß ich niedereile.
Marie erwache nicht! – Dein Wachen ist die Sünde,
Jedoch dein Schlaf ist rein – dein Schlaf ist deine Tugend.
Ihm gilt es, wenn ich nun der Wimpern Netz dir küsse;
Er ist es, armes Kind, den ich zum Abschied grüße;
Er, der noch nicht verkauft das Kleid der keuschen Jugend;
Er, den ich lieben kann, da ich ihn nicht bezahlt!
Er, der im Traum noch glaubt an Kindheit und an Tugend,
Und der mit dir, Marie, nichts theilt, als die Gestalt.
[45]
Mein Gott! Muß diese Form man nicht für himmlisch halten?
Wie fließt sie schmiegsam weich durch all des Linnens Falten!
Wenn Liebe wie ein Schwan, der durch die Wogen taucht,
Das schwärmerische Lied zu schmücken, mehr nicht braucht,
Als an der Wirklichkeit die göttliche Kontour,
Und von der Schönheit stets den äußern Schimmer nur;
Wenn Liebe, die man täuscht ohn Unterlaß auf Erden,
Und die das weiß, ewig, aus Furcht geheilt zu werden,
An ihrem Götzenbild die Illusion allein
Sich ängstlich wahren muß, um ja nur krank zu sein –
Was such' ich dann umher? Der Jugend warme Wahrheit,
Liegt sie denn nicht vor mir in ihrer schönsten Klarheit?
Liebe! Hier hast du mich! – Was kümmert dich Marie?
Wenn du ein Duft nur bist, magst du mein Herz umziehen,
So lang am Stocke noch die Blume ist im Blühen.«
Sanft legte Rolla sich auf's Lager zu Marie,
Und Wang an Wang, so daß der laue Hauch sich einte;
Sein müdes Auge schwamm, als ob es Thränen weinte,
Dann flammte es empor und dann erlosch es wieder.
Marie erseufzte tief und hob die schweren Lider.
»Ich hatte,« sprach sie dann, »gar einen eignen Traum.
Da lag ich – hier im Bett, jedoch ich schlief nicht mehr.
Ein Kirchhof, tief und breit, so schien mir dieser Raum,
Von Knochen weiß besät der Gräber schwarzes Heer.
Es trugen durch den Schnee drei Männer einen Sarg
Und setzten ihn dann ab, um ihr Gebet zu sprechen.
Die Bahre schloß sich auf – du warst es, den sie barg.
Ich sah ein schwarzes Blut aus deiner Stirne brechen,
[46]
Plötzlich erhobst du dich, tratst an das Lager hier,
Erfaßtest meine Hand und murmeltest zu mir:
Was treibst denn du dahier und nimmst den Platz mir ab?
Da schaut' ich um mich her – ich lag – auf einem Grab.«
Und Rolla meinte drauf: »Mein süßer Schatz – ach gar –
Dein Traum ist, wenn nicht schön, zum mindesten recht wahr.
Willst du das wieder sehn, so hast du nicht vonnöten,
Daß du erst lange träumst. Ich will mich heute tödten!«
Da lächelte Marie und sandte einen Blick
Zum Spiegel. Rolla's Bild warf dieser bleich zurück.
Da wurde ihr Gesicht noch blässer als das seine.
»Was ist nur heut mit dir?« so frug sie dann verwirrt.
»Was mit mir ist?« sprach er – »beim Himmel, liebe Kleine,
Weißt du denn nicht, daß ich seit heute Nacht ruinirt?
Das weiß ja alle Welt! – Drum muß ich sterben gehen,
Und kam die Nacht hieher, noch einmal dich zu sehen.«
»Ja hast du denn gespielt?« – »O nein, ich bin ruinirt!«
»Ruinirt?« frug sie; und wie zur Statue gerührt,
Ließ sie den vollen Blick starr auf der Decke ruhn –
»Ruinirt? Ruinirt? Hast du denn keine Mutter? Hör!
Verwandte? Keinen Freund? Auf Erden niemand mehr?
Und tödten willst du dich? Weshalb willst du es thun?«
Vom weichen Kissen hob plötzlich das Haupt Marie,
Und süßer glomm ihr Blick als wie in allen Tagen.
Es bebte ihr der Mund im Drang von tausend Fragen,
Doch keine wurde laut – nur schluchzend neigte sie
Ihr Angesicht auf seins zu einem langen Kuß. –
»Jakob – zürnst du, wenn ich um etwas bitten muß?«
[47]
So schluchzte sie – »du weißt, Jakob – Geld hab ich nie –
Denn was du mir auch gabst, nahm mir die Mutter ab –
Jedoch – dies Halsband hier – 's ist Gold – soll ich's verkaufen?
Du nimmst das Geld und spielst – laß, Jakob – ich will laufen ....«
Ein mattes Lächeln war die Antwort, die er gab;
Drauf zog ein Fläschchen er hervor, trank's langsam leer,
Neigte sich über sie und küßte ihren Schmuck.
Dann sank auf ihre Brust sein Haupt mit leisem Druck –
Und als Marie es hob, da war es kalt und schwer.
Durch diesen keuschen Kuß ließ er die Seele scheiden,
Und, einen Augenblick, hatten geliebt die Beiden.
[48]

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