[1] I. Satirische Abhandlungen und Erzählungen.

Von dem Mißbrauch der Satire.

(Vorbericht zur ersten Ausgabe von 1751.)


Einige Ursachen haben mich veranlaßt, diejenigen satirischen Schriften in zwei Teile zusammenzufassen, welche ich seit einigen Jahren in verschiedenen periodischen Blättern einzeln drucken lassen. Die Gefälligkeit meiner Freunde gab mir Gelegenheit, mich dieses Mittels zu bedienen, um das Urteil der Welt zu erfahren und die vernünftigen Kritiken der Kenner mir zu nutze zu machen.

Beides ist mit gutem Erfolg geschehen. Ich bin so glücklich gewesen, daß die meisten meiner Schriften öffentlichen Beifall gefunden haben, und die verbindliche Nachsicht, welche man gegen meine Arbeiten gezeigt, hat mich aufgemuntert, gegen mich selbst desto weniger Nachsicht zu brauchen, und nicht allein diejenigen Fehler auszubessern, welche man auf eine sehr bescheidene Art und mit gutem Grunde dabei ausgesetzt, sondern auch denen so viel wie möglich abzuhelfen, welche bei einer strengen Beurteilung verdient hätten, angemerkt zu werden.

– – Vielleicht giebt es Leser, welche eine Rechtfertigung von mir erwarten, wie ich es habe wagen können, Satiren zu schreiben. Ich bin nicht willens, eine Schutzschrift für mich aufzusetzen. Vernünftigen Lesern würde ich nichts Neues sagen, für unvernünftige aber schreibe ich nicht.

Ich weiß wohl, wie zweideutig die Begriffe sind, welche sich viele von der Satire machen. Sie sind gar zu sehr gewohnt, das Pasquill mit der Satire zu verwechseln. Sie haben zwar gelernt, daß in Pasquill eine Schmähschrift sei, [1] wo man, ohne sich zu nennen, den ehrlichen Namen des andern zu verunglimpfen und ihm Laster oder Verbrechen anzudichten sucht. Sie wissen auch so viel, daß die Satire nur die Laster der Menschen und das Lächerliche einer thörichten Aufführung durch Spotten kennbar zu machen sucht, um anderen einen Ekel davor beizubringen und womöglich die Lasterhaften selbst tugendhaft zu machen. Beides wissen sie wohl, und dennoch seufzen sie über einen Satirenschreiber so sehr als über einen Pasquillanten.

Ich glaube, die Ursachen dieser ungereimten Urteile liegen sowohl an den Schriftstellern als an den Lesern. Ich will mich bemühen, einige Ursachen auseinanderzusetzen, warum viele Leser auf eine so unbillige Art von der Satire urteilen.

Die vorgefaßte Meinung ist wohl eine der wichtigsten ... Wir würden selbst nachdenken müssen, wenn wir den Unterschied zwischen Satire und Pasquill finden wollten; oft aber können wir nicht selbst denken, und noch öfter sind wir zu bequem dazu. Ohne uns also weiter zu bekümmern, sagen wir in kindlichem Gehorsam nach, was unsere Mutter und Großmutter vor uns gesagt haben, und diese waren doch auch christliche Weiber! Dergleichen Leser sind in der That mehr zu bedauern als zu bestrafen. Sie können bei ihrer gemächlichen Unempfindlichkeit immer ganz fromme Leute sein, denn viele Leute sind auch aus Dummheit fromm, und ihre guten Absichten ersetzen das, was ihnen am Verstande fehlt.

Diejenigen sind weit weniger zu entschuldigen, welche auf die Bemühungen, die Laster lächerlich und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und doch unermüdet sind, von ihrem unschuldigen Nachbar alles Böse zu reden, was ihnen der Neid oder andre Leidenschaften eingeben. Vielleicht halten diese es für einen Eingriff in ihr Amt: denn dazu haben sie zuviel Eigenliebe, daß sie ihre Verleumdungen für Bosheit und die Absichten eines Satirenschreibers für Menschenliebe halten sollten. Gemeiniglich rührt ihre Wut aus der Quelle so vieler Laster, aus der Heuchelei her. Sie fühlen es, daß ihre Aufführung schändlich ist; sie haben sich zu lieb, als daß sie solche ändern sollten; sie glauben, genug gethan zu haben, wenn sie ihr einen guten Anstrich geben. Sie eifern auf die Satiren, um auf die Verleumdung eifern zu können, nur unter dieser ehrbaren Maske verfahren sie lieblos mit ihrem Nächsten, ohne den Vorwurf zu befürchten, daß sie gefährliche Verleumder sind. Denn wie wollte der ein Verleumder sein, welcher eben um deswillen die Satiren verflucht? Es kann [2] sein, daß ich diesen niedrigen Geschöpfen zu viel thue. Vielleicht ist die Heuchelei nur in ihren jüngeren Jahren die Ursache dieser Ausschweifungen; bei zunehmendem Alter erlangen sie durch die unermüdete Übung, Böses zu reden, eine solche Fertigkeit darin, daß sie es wirklich mit Überzeugung reden, – daß sie glauben, Buße zu predigen, wenn sie lästern, und daß ihnen die Satire im Ernste verdächtig wird, weil sie allein den Beruf haben, Heiden zu bekehren.

Bei vielen ist die Begierde, auf die Satire zu schmähen, nichts anderes als die Sprache einesbösen Gewissens. Davon sind sie überzeugt, daß die rühmliche Absicht der Satire nur diese ist, die Laster zu verfolgen. Weil sie aber so gar unempfindlich noch nicht sind, daß sie ihre eigenen Laster nicht wahrnehmen sollten, so wird ihnen diese Absicht schrecklich. Jeden Streich, der auf die Laster geschieht, fühlen sie auf ihrem Rücken. Können diese wohl etwas Besseres thun, als daß sie diese Satire überhaupt verdächtig machen? Wie viel haben sie zu ihrer eigenen Sicherheit gewonnen, wenn sie diese große Absicht erreichen! Nun mag die Satire wider die Laster eifern: sie ist verdächtig – man fängt an, Mitleid mit den Lastern zu haben, weil man gehört hat, daß die Absichten der Satire boshaft sind und man den armen Nebenchristen um seinen guten Namen bringen will. Hinter dieses Vorurteil verbergen sie sich und genießen ihr Laster ruhig. Sucht man sie in ihrem Hinterhalte auf, entblößt man ihre Fehler, so schreien sie über Gewalt, und man bedauert sie, statt daß man über sie lachen sollte. Sie sind wie die mutwilligen Knaben, welche die Rute verbrennen, um ungestraft mutwillig sein zu können. –

Verschiedene von ihnen sind noch etwas feiner. Sie finden das Lächerliche von ihren Fehlern in einer Satire abgeschildert – sie schweigen hämisch dazu und beseufzen nur das Unrecht, welches andere neben ihnen zugleich leiden müssen; sie verteidigen ihre Mitbürger, um unparteiisch zu scheinen und von diesen wieder verteidigt zu werden. Können sie gar ihre ungerechte Sache zur Sache des Herrn machen, so haben sie doppelt gewonnen, und für einen lasterhaften Heuchler ist nichts zu ehrwürdig. Ein Mann, welcher die heiligen Lehren seines Amts durch ein unheiliges Leben entkräftet, findet sein Bild: er erschrickt und schweigt, er sucht mit boshafter Mühe eine Stelle, nur einen Ausdruck, welcher durch eine unbillige Auslegung den Verfasser zum Religionsspötter machen kann ... Nun ruft er mit freudiger Rache das Wehe aus und verdammt [3] den Verfasser. Sein Pöbel, welchen der Schein blendet, hebt Steine auf und verfolgt im Namen des Herrn denjenigen, welcher nur aus wahrer Hochachtung für die Religion ihren lasterhaften Diener entlarven wollte. In der That sind diese die gefährlichsten Feinde der Satire; aber eben um deswillen verdienen sie kein Mitleid, und die Religion selbst fordert es, daß wir sie, wenn gar keine Besserung zu hoffen ist, ohne Barmherzigkeit vertilgen.

Es giebt noch andere Feinde der Satire. Diese sind die traurigen Leser. Sie sind wirklich nicht untugendhaft, sie hassen die Laster von Herzen, sie würden es zufrieden sein, wenn man alle Lasterhafte dem Teufel mit Leib und Seel' übergäbe; aber spotten soll man nur nicht über das Laster. Ich weiß nicht, wie diesen engbrüstigen Leuten zu helfen ist, vielleicht weiß es mein Barbier. Die Eigenliebe der Menschen wird durch nichts so empfindlich gerührt, als wenn man sie lächerlich macht. Sie bleiben gleichgültig, wenn ich ihnen sage, daß ihre Laster abscheulich sind; wenn es hoch kommt, so werden sie verdrießlich. Aber alsdann schämen sie sich, wenn ich ihnen ihre Schoßsünden, ihre Fehler, mit denen sie sich brüsten, von der lächerlichen Seite zeige. Wir können unsern Kindern die äußerlichen Fehler des Übelstandes nicht leichter abgewöhnen, als wenn wir solche vor ihren Augen nachahmen; sie sehen alsdann, wie häßlich sie lassen und schämen sich. Wollen wir erwachsenen Personen weniger Einsicht zutrauen? Wenn ich die Absicht habe, zu bessern, so thue ich am vernünftigsten, ich wähle diejenigen Mittel, welche die Erfahrung bewährt hat. Es wird gut sein, wenn ich mit diesen traurigen Feinden der Satire gemeine Sache mache: sie sollen mit den Lastern zanken, ich will über die Laster spotten. Vielleicht sind wir glücklicher, wenn wir mit vereinten Kräften unsre Mitbürger tugendhaft zu machen suchen: sie mit »Feuer und Schwert,« ich aber mit Scherz.

Wenn ich sage, daß viele um deswillen Feinde der Satire sind, weil sie nicht wissen, was die Ironie sei, und worin deren Stärke und Schönheit bestehe, so sage ich wirklich etwas, welches dem guten Geschmack meiner Landsleute eben nicht zur Ehre gereicht. Inzwischen ist es doch wahr, und alles was ich thun kann, ist dieses, daß ich mich in ihrem Namen schäme .... Was soll man mit diesen Leuten anfangen? Man schicke sie wieder in die Schule! Da mögen sie den Vossius lernen und sich erklären lassen, was die Figur der Ironie heiße.

Nichts ist gemeiner als die Frage: Wer hat dir aber den [4] Beruf gegeben, Satiren zu schreiben? Das ist leicht zu beantworten ..... Das Laster zu schrecken, die lächerlichen Fehler den Menschen verächtlich vorzustellen, vernünftige Bürger zu schaffen, alle Welt mit mir glücklich zu machen: sind auch diese Ursachen nicht wichtig genug? ... Ich werde mich weiter verantworten, wenn man eben diese Frage an alle diejenigen thut, welche Bücher schreiben. –

..... Ich habe aber oben gesagt, daß die Verfasser ebensowohl als die Leser an den üblen Begriffen Ursache sind, welche sich viele von der Satire machen, und ich getraue mir zu behaupten, daß sie die allermeiste Schuld daran haben.

Wer den Namen eines Satirenschreibers verdienen will, dessen Herz muß redlich sein. Er muß die Tugend, die er andern lehrt, für den einzigen Grund des wahren Glückshalten. Das Ehrwürdige der Religion muß seine ganze Seele erfüllen. Nach der Religion muß ihm der Thron der Fürsten und das Ansehen der Oberen das heiligste sein .... Er liebt seinen Mitbürger aufrichtig. Ist dieser lasterhaft, so liebt er den Mitbürger doch und verabscheut den Lasterhaften. Die Laster wird er tadeln, ohne der öffentlichen Beschimpfung die Person desjenigen auszustellen, welche lasterhaft ist und noch tugendhaft werden kann. Er muß eine edle Freude empfinden, wenn er sieht, daß sein Spott dem Vaterlande einen guten Bürger erhält und einen andern zwingt, daß er aufhöre, lächerlich und lasterhaft zu sein .... Er muß liebreich sein, wenn er bitter ist. Er muß mit einer ernsthaften Vorsicht dasjenige wohl überlegen, was er in einen scherzhaften Vortrag einkleiden will. Mit einem Wort, er muß ein rechtschaffener Mann sein.

Wären alle Satirenschreiber dieses, so glaube ich gewiß, die meisten ihrer Feinde würden ihre öffentlichen Freunde werden, und diejenigen, welche nicht dazu gemacht sind, vernünftig zu denken, würden sich wenigstens vor der Welt schämen, länger ihre Feinde zu heißen. Es ist wahr, wir würden, wenn diese strengen Regeln beobachtet werden sollten, ein paar hundert Satirenschreiber weniger haben. Aber das ist auch in der That alles, was man dem Vaterlande nur wünschen kann. So lange dieser Wunsch unerhört bleibt, so lange haben die Verfasser die meiste Schuld, daß die Satiren so vielen Lesern verdächtig sind.

Kein Pasquillant ist zu lasterhaft, er flüchtet sich hinter die Satire ... Seine Bosheit ist gefährlicher als die Tücke [5] des Straßenräubers .... Er ist unwürdig, daß wir seiner weiter gedenken.

Wir sind sehr geneigt, die Fehler an unsern Feinden lächerlich zu machen und schmeicheln uns, daß wir eine Satire schreiben, wenn wir dieses thun. Ich zweifle daran. Schreiben wir aus redlichem Herzen? Schreiben wir, unsern Feind zu bessern? Hat er die Fehler auch wirklich an sich, die wir Lächerlich machen? Drei schwere Fragen! Wie leicht betrügen wir uns selbst, wenn wir dasjenige für einen Trieb der Menschenliebe halten, welches wohl nichts als eine aufwallende Hitze der Rachbegierde ist ... Schwachheiten machen wir zu Verbrechen, und was wir bei uns Versehen heißen, das stellt uns der Haß an unseren Feinden als die abscheulichsten Laster vor. Wie können wir verlangen, daß dasjenige eine Satire sein soll, was wir, wenn es wider uns gerichtet wäre, eine rachsüchtige Verleumdung nennen würden! Ich glaube auch, daß es sehr unvorsichtig ist, wider seinen Feind Satiren zu schreiben... Er darf nur sagen, daß wir von ihm beleidigt sind und daß wir als Feinde schreiben, so hat er seine Fehler verteidigt und kann ganz ruhig lasterhaft bleiben ... Wir werden der Welt verdächtig, anstatt daß wir die Fehler unseres Feindes lächerlich machen wollen.

Wenn wir bei manchen die Ursachen untersuchen wollten, warum sie mit so vieler Bitterkeit wider die Fehler der Menschen eifern, so würden wir finden, daß es aus Mißgunst und aus ihrem schwarzen Geblüt herkomme .... Unter hundert Satiren wider die Pracht und Verschwendung der Reichen kommen gewiß fünfzig aus der Feder solcher Verfasser, welche innerlich mit dem Himmel murren, daß sie durch ihre Armut gehindert werden, auf eine so prächtige und verschwenderische Art wie jene, lasterhaft zu sein. Sie sind Bettelmönche, welche Mäßigkeit predigen. In ihren Augen ist ein Reicher ohne Unterschied ein ungerechter Mann .... Sind dergleichen Scribenten nicht selbst daran schuld, daß der Verschwender und die Wucherer die Satire verdächtig machen?

Es ist ein Unglück für die Satire, wenn sie denen in die Hände gerät, welche witzig genug sind, Lachen zu erregen, aber nur aus Mutwillen spotten. In der That sind sie weder boshaft noch neidisch, aber sie sind mutwillig; sie wollen nicht gern allein lachen, die Welt soll mitlachen ... Sie sind froh, daß es Fehler giebt, sonst könnten sie nicht witzig sein ... Sie warten nicht, bis ihr reisender Verstand durch die Erfahrung die gründliche Einsicht erhält, welche nötig ist, das Herz eines [6] Lasterhaften zu durchforschen, um nur diejenigen Fehler zu züchtigen, welche eine Züchtigung verdienen. Nein, sobald sie vernehmlich reden und leserlich schreiben können, sobald reden und schreiben sie Böses. Sie spotten, ehe sie denken lernen, und weil noch immer viel Gutes unter dem Mutwillen eines so lebhaften Jünglings verborgen liegt, welches sich gemeiniglich mit den Jahren durcharbeitet, so wird man finden, daß sie aufhören zu spotten, sobald sie anfangen zu denken ...... –

Die Schreibart, deren man sich bei der Satire bedient, will mit einer außerordentlichen Vorsicht gewählt sein, wenn sie nicht anstößig werden und den Leser wider die Satire aufbringen soll. Viele glauben, recht herzhaft zu lehren, wenn sie recht anzüglich schreiben. Sie murren die Fehler der Menschen an, anstatt daß sie mit ihnen lachen sollten; aus Liebe zur Wahrheit schimpfen sie und thun sehr unrecht. Kommt ihre Herzhaftigkeit nicht aus einem bösen, so kommt sie wenigstens aus einem groben Herzen her: das ist alles, was man zu ihrer Entschuldigung sagen kann ... und dennoch sind sie allemal weit erträglicher als der ungezogene Witz derer, welche nicht satirisch sein können, ohne unflätig zu sein. Ich kenne Männer, welche sich einbilden, sehr fein zu denken, welche im stande sind, einen ganzen Abend lang eine Gesellschaft beiderlei Geschlechts mit den gröbsten Zweideutigkeiten zu unterhalten, ohne ein einzigesmal rot zu werden. Sie sind gemeiniglich die ersten, die über ihre satirischen Einfälle lachen, und sie zwingen dadurch wenigstens ihren Wirt, aus Gefälligkeit mitzulachen. Vernünftige aber werden einen so niederträchtigen Witz verabscheuen. Verhängt es nun der Himmel in seinem Zorne, daß ein dergleichen ungesitteter Mensch gar schreibt und seine Satiren, wie er es nennt, drucken läßt: was für einen Begriff müssen die Leser von einer Satire bekommen? ....

Viele gehen in ihrem Eifer, das Lächerliche der Menschen zu zeigen, gar zu weit und verschonen keinen Stand. Es giebt in allen Ständen Thoren, aber dieKlugheit erfordert, daß man nicht alle tadle, ich werde sonst durch meine Übereilung mehr schaden, als ich durch meine billigsten Absichten nützen kann. Der Verwegenheit derer will ich gar nicht gedenken, welche mit ihrem Frevel bis an den Thron des Fürsten dringen und die Aufführung der Oberen verhaßt oder lächerlich machen wollen ... Sie haben selbst noch nicht gelernt, gute Unterthanen zu sein; wie können wir von ihnen erwarten, daß sie uns die Pflichten eines vernünftigen Bürgers [7] lehren sollen! – Es giebt andre Stände, welche zwar so heilig nicht sind, daß es ein Verbrechen wäre, das Lächerliche an ihren Fehlern zu entdecken, bei denen aber doch dieBilligkeit erfordert, daß man es mit vieler Mäßigung thue. Ich rechne darunter die Lehrer der Schulen. Die Jugend ist ohnedem geneigt genug, das Fehlerhafte an denjenigen zu entdecken, deren Ernsthaftigkeit ihren Mutwillen im Zaume halten soll. Wollen wir sie durch bittere Satiren auf ihre Lehrer noch mutwilliger machen? Gesetzt, ein solcher Lehrer hat seine Fehler ... viel leicht ist er eigennützig, pedantisch, vielleicht ein elender Scribent. Es kann sein. Werfe ich ihm diese Fehler vor, stelle ich ihn dem Gelächter seiner Schüler bloß, gesetzt auch, daß ich es aus redlichem Herzen thäte, um ihn zu bessern, so werde ich allemal mehr schaden als nützen ... seine Schüler werden glauben, ein Recht bekommen zu haben, demjenigen nicht zu gehorchen, welchen die Welt für lächerlich hält ... Ein Schüler, bei dem dieses Vorurteil die Oberhand gewinnt, wird selten als ein redlicher Mann sterben ... In der That erschrecke ich allemal, wenn ich sehe, daß ein Schulmann unter die Geißel der Satire fällt. Ihn bedaure ich selten, aber die Folgen davon sind mir zu ernsthaft. Und thun dergleichen Lehrer wohl unrecht, wenn sie der Jugend fürchterliche Begriffe von der Satire beizubringen suchen?

Die Geistlichen haben gemeiniglich das Unglück, daß der Witz satirischer Köpfe auf sie am meisten anprallt. Ich bin sehr unzufrieden damit ... Sie sind nicht über die Satire erhaben, das räume ich ihnen nicht ein; viele sind tief unter derselben, wenn man sie nach ihrer unanständigen Aufführung beurteilen soll, und viele würden gar zu sorglos sein, wenn ihre ehrwürdige Kleidung sie vor allen Streichen der Satire schützte. Dennoch glaube ich, daß man nicht vorsichtig genug dabei verfahren könne ... Die Religion läuft Gefahr, verächtlich zu werden, wenn man die Fehler desjenigen verächtlich macht, welcher gesetzt ist, die Religion zu predigen. Das Volk ist nicht allemal einsehend genug, einen Unterschied zwischen der Person desjenigen, der sie lehrt, und zwischen seinen Lehren selbst zu machen. Wage ich nicht zu viel, wenn ich einen bessern will und dadurch in Gefahr komme, das Ansehen der ganzen Religion zu schwächen, welche man dem Volke nicht ehrwürdig genug vorstellen kann? Ist ein Geistlicher, wirklich lasterhaft, so überlasse man ihn der Obrigkeit .... Hat er lächerliche Fehler, so muß unsere Satire so [8] allgemein sein, daß nur die Fehler lächerlich werden, seine Person aber, so viel als möglich ist, verdeckt und unerkannt bleibt .... Ist er ein Ignorant und doch exemplarisch, so verehre man ihn wegen seines guten Wandels und verzeihe ihm seine Unwissenheit. Durch Donatschnitzer kommt die Kirche nicht in Gefahr ....

– Wie kann sich derjenige rühmen, daß seine Absicht sei, die Tugend allgemeiner zu machen, welcher gegen die Religion leichtsinnig ist! Ein solcher Mensch wird lasterhaft, um nicht lächerlich zu sein. Von denen will ich nicht reden, welche unter dem gemißbrauchten Namen der Satire sich Mühe geben, den ganzen Bau unseres Glaubens zu erschüttern .... Ich will nur eines Mißbrauchs gedenken, welcher, wenn ich freundschaftlich urteilen soll, mehr Leichtsinn als Bosheit verrät. Es giebt gewisse Gebräuche in der Kirche, welche gleichgültig sind und zur Religion selbst nicht gehören; sie machen den geistlichen Wohlstand aus. Man hüte sich ja, diese lächerlich zu machen! Ist das Volk abergläubisch, so wird es unsre Schriften verabscheuen; ist es so leichtsinnig wie wir, so wird es bei diesen gleichgültigen Gebräuchen nicht still stehen, sondern wesentliche Stücke der Religion auch für gleichgültig halten und endlich über die ganze Religion spotten lernen.

Es gab in Deutschland eine Zeit, wo die Satire nicht anders als auf Kosten der Bibel witzig sein konnte ... Ich freue mich, daß wir uns von diesem verderbten Geschmack, das ist der gelindeste Name, den man dieser Thorheit geben kann, wieder erholt haben. Worin bestand der Witz? Nicht in dem Gedanken, den man vorbrachte, sondern in der Art, wie er vorgebracht ward. Das kam den Zuhörern lustig vor ... sie fanden dieses Mittel sehr bequem, spaßhaft zu sein, ohne daß es nötig gewesen wäre, Verstand zu haben ... in kurzer Zeit ward dieser Mißbrauch so allgemein, daß niemand witzig war als so ein bibelfester Lustigmacher. Man hätte sich wenigstens darum solcher Scherze schämen sollen, weil wir dadurch einen Eingriff in die Rechte des niedrigsten Pöbels thaten. Man gebe nur einmal acht: sobald ein Stallknecht sich fühlt, daß er seiner denkt als die Viehmagd, so wird er sie mit einem Spaß aus der Bibel oder einem geistlichen Liede überraschen! Das ganze Gesinde schreit vor Lachen, alle bewundern ihn bis auf den Ochsenjungen, und die arme Viehmagd, welche so witzig nicht ist, steht beschämt da. Dersatirische Stallknecht: man lasse ihm seinen angeerbten Witz! ....

[9] Darauf bin ich stolz, daß in meinen satirischen Schriften alles mit möglichster Sorgfalt vermieden ist, was einigen Leichtsinn gegen die Religion verraten oder als ein Mißbrauch der Schrift oder Gesänge angesehen werden könnte. Ich habe dieses jederzeit für meine erste Pflicht gehalten, und man wird Stellen finden, wo ich eine wahre Hochachtung gegen die Religion und ihre Diener ernsthaft genug geäußert habe. Desto empfindlicher hat es mir sein müssen, da ich erfahren, daß man einer von meinen Schriften diesen Vorzug sogar gerichtlich streiten machen wollen. [Rabener spricht nun hier zunächst seine ernstliche Ansicht über den Eidschwur aus und wiederholt dann aus den »Br. Beitr.« eine ironische Abhandlung über dieses Thema, indem er hinzufügt: Ich war so glücklich, daß dieser Aufsatz bei vernünftigen Lesern Beifall fand.]

Ich weiß aber nicht durch welchen unglücklichen Zufall diese Monatsschrift den Bauern eines Dorfes im Voigtlande in die Hände gespielt wird ... Der Geistliche des Ortes hört etwas davon, und weil er nichts als einzelne Stellen hört, so ist es ihm zu gute zu halten, daß er solche außer ihrem Zusammenhang für verdächtig hält. Auch das will ich bei ihm noch entschuldigen, daß er auf der Kanzel sowohl, als bei dem Kindtaufessen, ängstlich wider diese Schrift eifert – wider diese gefährliche böse Schrift, die er noch nicht gesehen hat. Kurz, er macht Lärmen, und der Gerichtsverwalter tritt ins Gewehr ... man will das böse Buch heraushaben, es kommt endlich und man behält's im Arrest ... Anfänglich glaubte ich auch, die Bauern hätten einen oder den anderen Ausdruck unvorsichtig gemißbraucht. Wäre dieses gewesen, so würden sie diejenige Strafe verdient haben, welche ein solcher leichtsinniger Mißbrauch nach sich zieht; aber nein! davon findet sich in den Akten nicht die mindeste Spur ... Man treibt die Untersuchung weiter, man will alle wissen, die in diesem Buche gelesen haben ... Man nennt meine Schrift: Verwegenste Sätze von Geringschätzung der Eidschwüre, gottlose, gewissenlose Lehren, ein ärgerliches Wesen, öffentliches Ärgernis, Verführung unschuldiger Herzen, skeptische Sätze u.s.w. Und wo kommt denn Ihnen alle diese Weisheit her, mein Herr, daß Sie in meinem Buche so viel Giftiges finden, welches vor Ihnen niemand gefunden hat und nach Ihnen niemand finden wird? Kann denn ich was dafür, daß Ihre Bauern ein Buch gelesen haben, das weder für Ihre Bauern noch für Sie geschrieben ist? ... Da ich Gelegenheit gehabt habe, mich zu verantworten, so bin ich geneigt, ihm ein Vergehen zu verzeihen, dessen er sich, wie ich [10] aus christlicher Liebe hoffe, mit der Zeit schämen wird. Ich wünsche ihm mehr Gutes, als er von mir Böses gesagt hat ...

Ehe ich schließe, muß ich noch eines Fehlers gedenken, welcher sich bei der Satire sehr oft äußert, und an dem die Verfasser sowohl, als die Leser schuld sind. Manche sind nicht imstande, Satiren und lebhaft zu schreiben, wenn sie nicht einen aus dem Volke herausheben, und seine Laster oder lächerlichen Gewohnheiten der Welt zur Schau stellen. Sie verfolgen und zerarbeiten ihn so lange, bis er der ganzen Welt verhaßt oder lächerlich ist ... Derjenige, welchen wir auf diese Art dem Hasse oder dem Gelächter preisgeben, ist nunmehr ganz außer dem Stande, sich zu bessern, wie ein Missethäter, den man an der Stirne gebrandmarkt hat. Die öffentliche Schande muß ihn zur Verzweiflung bringen, und er wird öffentlich lasterhaft, da er es vorher vielleicht nur heimlich war. Ich glaube aber auch, daß wir selbst bei der persönlichen Satire, dieses ist ihr eigentlicher Name, Gefahr laufen, parteiisch zu werden. Aus allgemeiner Menschenliebe fangen nur an, seine Fehler zu tadeln, und aus Eigenliebe fahren wir fort, ihn ohne Barmherzigkeit niederzureißen, sobald er Mut genug hat, sich zur Wehre zu stellen. Ich will diesen Satz mit nichts beweisen als mit unseren gelehrten Streitigkeiten. Ich glaube dieser Beweis geht über alle. Außer der Gefahr, in welche sich auf diese Art ein Satirenschreiber begiebt, sich aus seinen Schranken zu verirren, wird er selbst sehr viel dabei verlieren. Ich habe das Herz nicht, einen Verfasser zu fragen, ob er nicht für die Nachwelt schreibe – wenigstens würde ich sehr betreten sein, wenn man mich auf mein Gewissen darüber fragen wollte ... Können wir wohl hoffen, daß wir durch die persönliche Satire diesen großen Zweck erlangen? Ich glaube es nicht. Unsre Satire wird nur denen gefallen, welche den lächerlichen Menschen kennen, den wir züchtigen. Wollen wir diesen Thoren mit verewigen? Wird die Nachwelt, die von ihm nichts mehr weiß, als wir von ihm gesagt haben, mit eben dem Vergnügen unsre Schrift lesen, wie es allenfalls die jetzt Lebenden thun? ... Boileau, dessen Witz vielleicht bitterer als aufrichtig war, hat einen großen Teil der Unsterblichkeit seinen Scholiasten zu danken. Viele Schriften von Swift kommen uns abgeschmackt vor, weil wir in Deutschland die Originale nicht kennen und die Gelegenheit nicht mehr wissen, welche seine persönlichen Satiren [11] veranlaßt haben. Thun wir uns also durch dergleichen »persönliche Satiren« nicht selbst Schaden?

Wie unendlich sind die Vorzüge, welche die allgemeine Satire vor der persönlichen hat! Dadurch, daß ich Laster oder Fehler, welche vielen zugleich gemein sind, zum Gegenstand meiner Satire wähle, vermeide ich bei billigen Lesern den Vorwurf, daß ich aus Privatleidenschaften, aus persönlichem Hasse, aus Begierde mich zu rächen, schreibe. Gewinnt ein Autor so viel, so hat er schon halb gewonnen. Er kann gewiß hoffen, daß seine Satiren bessern werden, und da er den Beifall der vernünftigen Welt auf seiner Seite hat, so muß der Lasterhafte sich schämen, ihn anzufeinden ... Er hat noch Zeit, tugendhaft zu werden, und die Welt soll es nicht erfahren, daß er lasterhaft gewesen ist ... Kann meine Eigenliebe mehr verlangen als die schmeichelhafte Vorstellung, daß, wenn ich die satirische Geißel wider die Ungereimtheiten meines Nachbars aufhebe, sich alle Thoren eines ganzen Landes bücken? Wird aber dieses geschehen, wenn ich ihnen sage, daß ich meinen Nachbar meine? Eine allgemeine Satire bleibt der Nachwelt immer neu...

Ich habe mich vor persönlichen Satiren in meinen Schriften mit allem Fleiß gehütet. Die Charaktere meiner Thoren sind allgemein; nicht ein einziger ist darunter, auf welchen nicht zehn Narren zugleich billig Anspruch machen können. Zeichne ich das Bild eines Hochmütigen, so nehme ich die unverschämte Stirne von Bav, die stolzen Augenbraunen von Mäv, die vornehmdummen Blicke von Gargil, die aufgeblasenen Backen vom Krispin, die trotzige Unterkehle vom Kleanth, der aufgeblähte Bauch von Adrast, den gebieterischen Gang vom Neran; und aus diesen sieben schaffe ich einen hochmütigen Narren, der heißt Suffen. Können Bav und Mäv, können die übrigen sagen, daß ich sie gezeichnet habe? Suffen wird noch leben, wenn sie alle tot sind, und ein jeder von ihnen wird wohl thun, wenn er sich denjenigen Fehler abgewöhnt, welchen er in dieser Kopie lächerlich findet. Habe ich mir auch eine einzige Person zum Original genommen, so bin ich doch sorgfältig bemüht gewesen, so lange an ihm zu arbeiten, bis das Original ... zu einem neuen Original geworden ist.

Ich bin diese Vorsicht meiner Pflicht und der allgemeinen Menschenliebe schuldig gewesen. Desto weniger aber können es diejenigen neugierigen Leser verantworten, welche so vorwitzig sind und zu diesen allgemeinen Charakteren [12] dennoch gewisse Personen aussuchen, welche darunter gemeint sein sollen. Es ist dieses ein sehr gewöhnlicher Fehler der Menschen. Darf ich es wohl sagen, woher er rührt? ... Es ist eine gewisse Bosheit in uns, die uns in einer beständigen Beschäftigung erhält, die Fehler anderer auszuspähen ... Vielleicht glaubt unser Nachbar, die Satire geht auf uns, und wir lachen wohl zu gleicher Zeit beide übereinander. Verdient nicht unser boshafter Vorwitz die schärfste Satire? Durch unsre Auslegungen wird dasjenige eine Persönliche Beleidigung, was der Verfasser in der billigen Absicht geschrieben hat, keinen zu beleidigen, sondern alle zu bessern. Es ist wahr, für den Verfasser ist es sehr vorteilhaft, wenn man an zehn Orten zugleich den Thoren findet, den er auf seiner Stube geschildert hat ... Aber diese Schmeichelei muß ihm so schätzbar nicht sein, als der Ruhm, daß er nur die Fehler der Menschen verfolgt, die Menschen aber als ein vernünftiger Mitbürger liebt. Jener Beifall kitzelt nur seinen Witz; dieser aber macht, daß er ein Recht erhält, auf sein redliches Herz stolz zu sein. – – –

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