Emil Rosenow
Kater Lampe
Komödie in vier Akten

Personen

[466] Personen.

    • Ermischer, Bauerngutsbesitzer und Gemeindevorstand.

    • Frau Ermischer.

    • Maari, die Magd.

    • Neubert, ein großer Spielwarenverleger.

    • Frau Neubert.

    • Hartmann Schönherr, Holzdrehermeister
    • Frau Schönherr
    • Gertrud, Kind
    • Heinerle, Kind
    • Fränzel, Kind
    • Liesel, Kind, , Holzspielwarenschnitzler.

    • Neumerkel, der Gesell.

    • Weigel, Bezirksgendarm.

    • Seifert, Gemeindediener.

    • Frau Seifert.

    • Ulbrich, Landbriefträger.

    • Frau Ulbrich.

    • Eine Anzahl Schnitzlersleute, Waldarbeiter und Bauern.

1. Akt

Erster Akt

Die beiden Ermtschers. Die beiden Neuberts. Ulbrich. Seifert. Weigel. Neumerkel. Maari.
Geräumige Stube im Hause Ermtschers. Weißblau getünchte Stubenwände, an der Decke vertünchte Querbalken. An der Seitenwand links zwei niedrige Fenster mit kleinen Glasscheiben, nach außen Fensterladen, nach innen kurze Kattunvorhänge. Zwischen den Fenstern an der Wand hängend alte Buntdrucke: König Albert und Königin Karola von Sachsen. An der Wand stehend eine altertümliche Holzbank mit Lehne, davor ein Tisch mit blitzsauber gescheuerter Fläche. Daneben Holzstühle. An der Seitenwand rechts eine große plump gestrichene Kommode, darauf Gipsfiguren und allerlei Gegenstände. An der Wand über der Kommode ein Spiegel und eine Menge Photographien. An der Wand, weiter hinten, eine große altmodische Standuhr. Zwischen ihr und der Kommode eine Anzahl Kleidungsstücke an die Wand gehängt; davor zwei Stühle. Hinten in dieser Seitenwand die Türe zur Schlafstube, neben ihr, in der Ecke der Hinterwand, ein großer Kachelofen, in dessen »Röhre« gekocht wird. Im Winkel hinterm Ofen allerlei Gerümpel, Schaufel, Hacke, Besen. Vor dem Ofen eine Holzbank, oben um den Ofen Wäsche zum
Trocknen aufgehängt, auf dem Ofen, bis zur Decke aufgeschichtet, zerkleinertes Holz. Neben dem Ofen das Küchengestell mit Geschirr und Gerät. Daneben der Küchenschrank. In der Mitte der Hinterwand die Türe zum Hausflur, auf der Türfläche aufgeklebt: Schriftstücke – gemeindliche und amtshauptmannschaftliche Bekanntmachungen. Links von der Türe ein Regal, gefüllt mit Akten und allerlei Papieren; eine alte Schreibkommode und auf deren niedergeklappter Schreibfläche Papier und Schreibwerk.
Es ist Wintertag, frühmorgens. Die Fensterläden sind geschlossen, auf dem Tische steht eine brennende Lampe. Aus dem Ofen der Widerschein eines hellen Feuers.

FRAU ERMISCHER
ältere Bauernfrau, noch in Nachtjacke, Unterrock und strähnigem Haar, hantiert am Ofen.
[467]
MAARI
grobes Bauernmädchen, schlüpft vorsichtig herein.
Pst! Se steht oben an der Treppe.
FRAU ERMISCHER.

Une ... alsu is se noch im Hause? Da soll se doch glei' ... Sie greifen eilfertig in den Ofenwinkel nach Knüppel und Besen und schauen durch die Türspalte in den Flur.

MAARI.
Da oben steht se.
BEIDE FRAUEN
lockend.
Hieze – Hieze – Hieze!
FRAU ERMISCHER.
Still, itze kommt se.

Sie fahren plötzlich, übereinander purzelnd, auf den Flur, schlagen mit Besen und Knüppel. Man hört einen dumpfen Fall, das Geklirre vieler zerbrechender Töpfe, Gekreische.
ERMISCHER
dicker, ruppiger Bauer, glattrasiertes Gesicht, struppiges Haar, kommt, wie er aus dem Bette gesprungen, nur in Barchenthemde, Hose, Schlappen, aus der Schlafstube gestürzt.
Himmelkreizdunnerwedder!
DIE FRAUEN
kommen jammernd in die Stube zurück.
ERMISCHER.
Wer hot die Scherben ang'richt?!
FRAU ERMISCHER.
Die Maari hot ...
ERMISCHER
haut mit seinem Pantoffel auf das Mädchen ein.
I, du böhm'scher Brettlochse ...!
MAARI
wütende Abwehr.
Ich ha' nischt zerschmissen, ich schrei' um Hilfe!
FRAU ERMISCHER
sie trennend.
Mon, Mon! Se kann nicht dafür!
ERMISCHER.
Des kost' dich deinen ganzen Dienstlohn, des wärscht du bezahlen!
FRAU ERMISCHER.

Meine schönen Deppe. Zwee Daler ho'n se mich uff'n Olbernhauer Jahrmarkte gekost'! ... Verfluchtig nei', die verdammte Katz'!

ERMISCHER.
Schonn widder die Katz'!
FRAU ERMISCHER.

Nu soll m'rsch uns gefallen lassen, daß dem Neimerkel-Schnitzler sei' hergelof'ne Katz' in unsern Hause 'rimmsteigt, hä? Hurjess's, wenn 'ch se erwischen möcht'!

ERMISCHER.

Ihr hat se nich'? Zwee Fraa'nsmenscher, fer zwee Daler Deppe zerschmissen un' hat se noch ni' emol erwischt?!

FRAU ERMISCHER.
Noch ni' emol erwischt ... Du mit deinen Brotbauche wärscht wohl fixer gewesen!
ERMISCHER
Hand zum Schlage.
Itze hat's geschellt!
FRAU ERMISCHER.
A was hie! Maari, gieh emol un' schaff die Scherben weg.
MAARI
Schürze vorm Gesicht, geht hinaus.
FRAU ERMISCHER.

Wann du e richt'ger Gemeendefierstand [468] wärscht, so gingest du zu dem Scheenherr-Drechslermeester seinen G'sellen und tät'st sprechen: Dein Katzenvieh hat mir für zwee Daler Deppe zerschmissen un' des wärscht du bezahlen. Was braucht der hung'riche Christian ieberhaupt eene Katze? Hä? Der Hungerleider!

ERMISCHER.
Ich wer'sch ihm emol stecken.
FRAU ERMISCHER.

Du wärscht's ihm stecken. Des möcht' ich emol seh'n. Wann du eenen Sechspfinder Brot uff'm Tische hast, dann hast du Kurasche mit 'm Maule, ober was die Gemeende is, die tanzt dir uff der Nase 'rum.

ERMISCHER.
Ei Gottverdimian! Su 'nen Schkandal am frühen Morgen!
FRAU ERMISCHER.
'n friehen Morgen? Um achte!
ERMISCHER.
Um achte, un' da brennt noch deine Lampe?
FRAU ERMISCHER
macht auf einem Stuhl Waschschüssel, Seife, Handtuch zurecht.

I nu, wenn's fei' noch nich' lichte is. Een Schnie liegt im Erzgebirg' eso hoch wie die Häuser. Ihr Leute, ihr Leute, is des een gestrenger Winter! Schaufeln un' hacken wer'n mir müssen, deß mir bloß bis uff die Dorfstraße kommen. Zur Tür hinaus. Maari, schmeiß die Scherben uff'n Hof!

ERMISCHER
öffnet die Fenster und stößt die Laden auf.

Man sieht draußen den Schnee fallen. Ermischer schließt fröstelnd wieder die Fenster. Dunnerschlag esu 'n Schniesteebern! ... Der Botenfuhrmon von Wolkensteen is gestern abend mit 'n Pferden bei Seiffen im Schnie stecken blie'm. Bal' erfror'n ho'n se 'n ins »Erbgericht« nei' geschafft.


Die Stube steht nun in Tagesbeleuchtung.
FRAU ERMISCHER.
Hie is Wasser.
ERMISCHER.
Hä?
FRAU ERMISCHER.
Woschwasser.
ERMISCHER
schüttelt sich.
'ch wasch mich nach'r.
FRAU ERMISCHER
lacht in sich und räumt das Geschirr wieder weg.

Während des Folgenden deckt die Frau den Tisch, indem sie eine Schüssel Suppe auf den Tisch stellt, Löffel und Messer dazu legt. Der Mann sitzt auf der Ofenbank, zieht Strümpfe und dicke Filzschuhe an, Weste und Rock, wickelt sich ein dickes Schaltuch um den Hals und setzt eine Mütze auf.
ERMISCHER.
Is schonn e'was passiert.
FRAU ERMISCHER.
Der Scheenherr wor da mit eener Geburtsanmeldung.
[469]
ERMISCHER.

Nu, do, wieviel Kinder hot'n die Packasch itze rumloofen? Die Leute schaffen sich doch selber 's merschte Unglicke.

FRAU ERMISCHER.
Des sprech' ich ooch. Von was will er se ernähren?
ERMISCHER.

Was de Spielwarenverlag'r in Olbernhau sein, die ho'n schon wieder am Koofgelde reduziert. Fier'sch ganze Schock Holzsoldaten zahlen se itze noch fufzehn Pfeng'. Fier sechzig Stück Holzsoldaten geschnitzelt, geleimt, bemolt: fufzehn Pfeng'. Fier'nen geschnitzelten Holzwagen mit eenen Pferd gab'n se noch zehn Pfeng'. Keene drei Daler hot der Scheenherr itze de Woche. 's is een Elend.

FRAU ERMISCHER.
Un' wegen der Packasche sein bei uns fer zwee Daler Deppe zerschmissen! Sie geht in den Hausflur.
MAARI
ist wieder eingetreten.
ERMISCHER
knufft sie in die Seite.
Herrschte, fer zwee Daler Deppe zerschmissen ...!
MAARI
hinterm Tische, wütend.
Gungksen Se mich nich eegal!
ERMISCHER.
Die wer'ch dir von deinem Lohn abhalten.
MAARI.
Un' des brauch' 'ch mir nicht gefallen ze lassen!
ERMISCHER.

A was hie! Denkste, du wärscht hie in deinen böhmschen Musigkandenstaate? In unsern Gesetzbuche heeßt's: »Is eine fremde bewegliche Sache zerbrochen, un' is der Täter nich' ze entdecken, so hat derjenige, der de dabei g'wesen is, den ganzen Schaden zu ersetzen!«

MAARI.
Was, des soll Gesetz sinn? Da wer'ch mich erkundigen.
ERMISCHER.
Die Gusche hältste, bezahl'n wärschte!
FRAU ERMISCHER
kommt mit einem Brotlaib herein.
O Jess's, o Jess's, imanand der Schkandal! Setzt euch her un' eßt.

Sie setzen sich an den Tisch und beginnen die Suppe zu löffeln. – Man hört, wie im Hausflur jemand den Schnee von den Füßen trampelt.
MAARI.
's is eener haußen.
ERMISCHER.
»'s is eener haußen ...« Er wärd schon 'rei'-komm'n!
FRAU ERMISCHER.
's wärd d'r Briefträger sinn.
ULBRICH
der Landbriefträger, steht in der geöffneten Türe und klopft sich den Schnee ab.

Älterer Mann, Trinkernase, buschige Brauen, ruppiger Schnurrbart, wenig Backenbart. Hose in den Stiefelschäften, derber Knotenstock. Ruft mit überlauter Stimme. Tag ooch!

[470]
DIE ERMISCHERS.
Tag, Ulbrich.
ULBRICH
eintretend.

Ei Gottverdimian, is des e Wetter! Eenen Schnie schmeißt's rieber aus'n Böhmischen! Des wärd uffs Friehjahr een Hochwasser geben.

ERMISCHER.

Des wärd wieder e Jahr fier uns Bauern. Das bißl Kartuffeln un Hafer, wos mir dahie ziehn kon, wärd uns ooch noch verkümmert, wann 's Wasser den Boden wegreißt.

ULBRICH
kramt in seiner Tasche, gibt Ermischer lachend eine Anzahl Briefe.
Hie wärd racht sein; alles von der Amtshauptmannschaft.
FRAU ERMISCHER.
Wärm dich e bill' aus, Ulbrich.
ULBRICH.
Jo, ich dank' schie.
ERMISCHER.
Des is wieder e bill' Arbeit.
ULBRICH.

Nu, des wärd keen Tod sinn, Ermischer. Wann de nu haußen 'rimloofen müßt's im Unwetter? Laß gut sinn, du sitzt in d'r warmen Stube un' lachst uns aus.

ERMISCHER.

Des is Gemaare. Was de e Bauer is, der hot in den itzigen Zeitleeften nischt ze feixen. Un' nu ooch noch Fierstand von der großen Gemeende ...!

ULBRICH.

Ich gloobe gar ... Schallende Lache. Ihr Leute, der Ermischer stellt sich hin un' barmt! Du sollst doch fei' die Gusche halt'n, du hast doch dei' Glicke gemacht.

ERMISCHER.
Su spricht eener, der's nich' besser weeß.
ULBRICH.

Ei gor! Wenn's eener weeß, wie du vom armen Kegeldrechslerjung' zum Bauergutsbesitzer ruffkommen un' Gemendefierstand worden bist, so weeß ich's. Hähä!

FRAU ERMISCHER.
Nu, was soll denn des nu eegentlich?
ERMISCHER.
Laß 'n doch. Aus den Kerl guckt ja d'r pure Neid.
ULBRICH.
Nu heer emol, nu weeßte ... m'r macht emol seinen Spaß ...
ERMISCHER.

Ich kenn' die Späße schonn. Deß ich nich' mehr g'wesen bin wie ihr, un' deß 'ch nu doch der reiche Bauer un' d'r Öberschte in d'r Gemeende bin, des is eure Rache.

ULBRICH.

Heer uff, Ermischer, heer uff! Derweg'n sollt 'ch neidisch sinn? Pö! Öberschter in d'r Gemeende! Was heeßt'n des. Heute biste's un' morgen biste's nimmer.

BEIDE ERMISCHERS
triumphierend.
D'r Ermischer is uff Lebenszeet gewählt!
ULBRICH.

Des weeß 'ch schonn. Was heeßt 'n des: uff Lebenszeet. Wenn dir d'r Herr Amtshauptmann nich' grien is ...

BEIDE ERMISCHERS
unruhig.
[471]
ERMISCHER.
Sett 'n wann weeß 'n su 'n stoob'ger Landbriefträger, wos der Herr Amtshauptmann von mir spricht?
ULBRICH
aufgebracht.

Nu do ... nu Gott verdimmich. Wann 'ch ooch bloß 'n Postbote bin ... Un' ich sag' d'rsch, Ermischer: e Postbote erfährt manches, was dir ze wissen not täte.

FRAU ERMISCHER.
Denn rickt doch 'raus mit d'r Sprache.
ULBRICH.

Jja, ich weeß, was ich weeß ... Des is ieberhaupt eene Gemeenheet von dir: stoob'ger Landbriefträger! Höhnisch. Verstehste, bei dem vor'gen Amtshauptmann warschte Hahn im Korbe, aber wos d'r itzige is, mit dem wärd mei' guter Ermischer nich lange Seide spinnen. Tag ooch.

FRAU ERMISCHER.
Nu, du wärscht doch nich in d'r Wut fortgehn, Ulbrich ...?
ULBRICH.
Ich hab' keene Zeit.
ERMISCHER.
Ich sprech' bloß: wann eener wirklich e Finkl weeß, denn rickt 'r damitte raus, verstanden?
ULBRICH.
Gut denn, wenn du denkst, daß ich dir was vorlüge ...
DIE ERMISCHERS
gemachte Nichtachtung.
ULBRICH.

Also ... vorige Woche bring' 'ch den Herrn Amtshauptmann deine Wahl uff Lebenszeet nach Neihausen, wo er uff Inspektion war. Zieht seine Tabakspfeife hervor. Des große gelbe Kuvert; ich wußt' doch, was drinne war, hähä.

DIE ERMISCHERS.
Schonn recht, schonn recht.
ULBRICH.

Da sitzt 'r in der Gaststub' vom »Deutschen Haus« mit 'n Assessor bei 'n Friehsticke. Un' ich sprech': »Schie guten Morgen, Herr Amtshauptmann«, sprech' ich. He, habt 'r nich' een Schwäfelholz fier mich?

FRAU ERMISCHER.
Maari, rasch, 'n Schwäfelholz. Siehste nich', deß unser guter Ulbrich sei' Pfeffe roochen will?
MAARI
hat das Zündholz schon gebracht.
ULBRICH
entzündet gemächlich die Pfeife.

Jo, un' do geb' ich 'n den Brief, un' derweilen er ihn uffmacht, mach' 'ch mir noch e bill' in meiner Tasche zu schaffen. Da liest 'r: »Beschluß des Gemeinderats ... Gemeindevorstand Ermischer ... Wahl auf Lebenszeit ...« un' kaum liest er des, da schlägt 'r so eene höhnische Lache an un' spricht zu dem Assessor: »Ich hab's ja gewußt, in dem Nest, da wird immer der Dümmste Bürgermeister!«

[472]
ERMISCHER
schießt hinter dem Tische vor, packt Ulbrich beim Kragen.
Itze machste, daß de 'naus kommst!
FRAU ERMISCHER.
Mon! Mon!
ULBRICH.
I du Heiligkreizdunnerwedder, du host's doch wissen woll'n!
ERMISCHER.
'naus! 'naus!
ULBRICH.

Ich ko' schonn alleene gieh'n, aber des wärd dir noch leid tun, Ermischer. In der Türe. Des wärd 'n Postdirekter in Olbernhau gemeldt! Plötzlich schreiend. Un' des will nu e Gemeendefierstand sinn! Schlägt hinter sich die Türe zu.

ERMISCHER.
Su een Kerl!
FRAU ERMISCHER.

Des g'schieht dir ganz recht. Ze was läßt du dich mit dem Kerl ein. Unter der Türe müßtest du den am Morgen abfertigen. Aber du bist ja keen Mon!

ERMISCHER.
Ruhig biste ...!
FRAU ERMISCHER.

I ja, bei mir kannste's a'bring'n, aber von so eenen Dingerich läßte dich verjaxen. Lache. Der Dümmste is Bürgermeester!

ERMISCHER.
Gleich kannste eene erwischen!
FRAU ERMISCHER.

Nu, ich sag' nischt, Mon. Ober daß du dir gar keenen Reschpekt verschaffst ... Sie räumt den Tisch ab und redet dabei vor sich hin.

ERMISCHER
Brille auf der Nase, liest die eingelaufenen Briefschaften, wirft dabei der Frau wütende Blicke zu.
FRAU ERMISCHER.

Was de mei' Vater war, bei dem standen de Ortsleute hie an der Türe un' trauten sich nich' 'rein, esu 'nen Reschpekt hatten se! ... Ich sag' nischt ... sag' ich was? Lache. D'r Dümmste! Un des muß sich mei' Mon sagen loss'n! Ich sag' nischt, nee ... aber ...!

MAARI
hat auf dem Stuhl Waschgeschirr zurecht gemacht.
Hie wärd recht sein.
ERMISCHER.
Hä?
MAARI.
Woschwasser.
ERMISCHER.
'ch wasch mich nach'r.
FRAU ERMISCHER
ängstlich.

Un wenn nu d'r Amtshauptmann dir wirklich nich' grien is un' er läßt dich absetzen, hä? Dann sein mir um unsern schienen Posten un' ham die Blamage obenein.

ERMISCHER
steht ratlos.
FRAU ERMISCHER.
Des macht, du mußt d'r emal eenen Reschpekt verschaffen!
[473]
MAARI
räumt das Waschgeschirr wieder weg.
SEIFERT
kommt herein.

Vierziger; schmächtiger, verhungerter Mann, schmale Backen, bißchen Schnurrbart. Demütig, verängstigt. Abgeschabte Uniform: Hose, Jacke, Mütze ohne Schirm, Hirschfänger an der Seite. Tag, Herr Gemeendefierstand; Tag, Frau Ermischer; Tag ooch Maari.

ERMISCHER.

Halber neine! Des nennst du eenen zuverläss'gen Gemeendediener? Wann du deine Dienstzeit nich' einhalten kannst, so muß e anderer Poll'zeier her, verstehste!

SEIFERT.

Ich ho' mir den Hirschfänger schleefen lass'n müssen, Herr Fierstand, un' was der Schmied is, der hot gar eso lange geteepst.

FRAU ERMISCHER.
Den Hirschfänger?
SEIFERT
zieht ihn behutsam aus der Scheide.
Jawoll, Frau Ermischer. Itze is 'r ober wieder fein im Geschicke. 's ging nich' länger meh'.
ERMISCHER.
Wie ofte läßt du denn deinen Hirschfänger schleefen, hä?
SEIFERT.

Nu, Herr Fierstand, die Maari hot doch imanand Holz d'rmitte gespalten un bei'n Holzspalten nutzt 'r sich ä'm ab. Im »Erbgericht« taten se am Sonntag wetten; mit aller Gewalt wollten se ha'm, ich sollt' eenen durch un' durch stechen. Wenn de mei' Hirschfänger ooch bloß durch den Rock ging, wollten se fier 'nen Daler Schnaps ga'm.

ERMISCHER.
Un des Schleefen kost'?
SEIFERT.
Drei Neigroschen, Herr Fierstand.
ERMISCHER.
Wird nich' bezahlt.
SEIFERT.
Nu do, Herr Fierstand ...
ERMISCHER.

Wird nich' bezahlt. Dir wer'sch 's emal beweisen! Eene Ausgabe machen uff Gemeendekosten, ohne deß de mich fragst!

SEIFERT.
Nu do, nu do ...
ERMISCHER.

Wenn du deinen Hirschfänger schleefen lassen willst, so hast du erscht eene »gehorsamste Eingabe« an deinen Fierstand zu machen. Dann setz' ich's uff die Tagesordnung vom Gemeenderat. Betreffs: »Gemeendedienerhirschfängerschleefenlassens«. Dann hat der Gemeenderat deinen Hirschfänger zu besichtigen, ob's ooch not is, un' denn beschließt er über die Ausgabe un' denn kannste schleefen lassen un' eher nich'!

[474]
FRAU ERMISCHER
hat die Säbelspitze mit dem Finger berührt.

O Jess's, o Jess's, so eene scharfe Waffe. Seifert, ich sag' d'rsch: deß de nich etwa'n, wenn de uff'n Sonntag im »Erbgericht« Tanzuffsicht hast, deß de nich etwa'n bei'n Streite blank ziehst. Du haust ja denn Leuten gleich e' Loch in'n Kopp!

SEIFERT
steckt vorsichtig den Hirschfänger wieder ein.

Nee, ich wer' mich fiersehn. Ober wenn se gar eso frech wer'n ... Der Herr Fierstand macht die Anordnunge un' ich muß 'n Reschpekt verschaffen!

ERMISCHER.
Wie sagste, Reschpekt? Hast fei' racht. Hie sein die drei Neigroschen fier'sch Schleefenlass'n.
SEIFERT
nimmt überrascht das Geld.
Ich dank' schie, Herr Fierstand, ich dank' ooch schie.

Ermischer liest Briefe, Frau Ermischer hantiert in der Stube, Maari schält Kartoffeln.
SEIFERT.
Is schonn ewas ze tun, Herr Fierstand?
FRAU ERMISCHER.

Ze tun, freilich, ze tun is immer fier eenen fleiß'gen Menschen. Geh' emal un' scheef'l den Schnie weg.

SEIFERT.

Jawoll, Frau Ermischer, jawoll. Holt hinter dem Ofen Hacke und Schaufel hervor, wirft dabei Ermischer fragende Blicke zu.

ERMISCHER
hat lange gedruckst.
Also ... des macht der Seifert ä'm nich'!
FRAU ERMISCHER.
Hä?
ERMISCHER.

Des gieht nich' meh' mit denn Gemeendediener. Bal' muß 'r Hiehner fittern, bal' muß 'r Wäsche uffhängen, bal' muß 'r Kartuffeln ausmach'n. Itze soll 'r Schnie schaufeln. Des gieht nich' meh'. Im Gemeenderat tat eener sprach'n: »Wäscheuffhängen, so eene weibsleutische Beschäftigung verträgt sich nich' mit der Würde eener Polizeiperson.« Un' se ho' 'nen alle recht ga'm.

FRAU ERMISCHER.
Is gutt, is gutt. Da bleibt 'r da, d'r Gemeendediener. Maari, gieh' du emal Schnieschaufeln.

Maari nimmt Hacke und Schaufel und geht hinaus.
FRAU ERMISCHER
macht Seifert Zeichen.

Da mög' meintswegen der Gemeendediener uff der Ofenbank verfaulen ... Ich halt' 'n zu keener Arbeit an ... ich nich'.

SEIFERT
hat sich währenddem auf die Ofenbank gesetzt, den Kartoffelkorb zwischen die Knie genommen und schält nun Kartoffeln.
[475]
ERMISCHER.
Was sagen denn die Leute ... ei nu, nu schält 'r doch Kartuffeln!
FRAU ERMISCHER.
Wann 'r doch nich' müßig sein will!
SEIFERT.
's sieht's doch keener, Herr Fierstand.
ERMISCHER
brummt in sich hinein.
Alsu, was sagen se im Ort?
SEIFERT.
Nu, was soll'n se sagen. Imanand sprechen se von dem Neimerkel-Drechsler seiner Katze.
FRAU ERMISCHER.
Ho' ich's nich' g'saht, Mon? Du mußt emal dazwischen fahren.
ERMISCHER.
Was is 'n des mit der Katze?
SEIFERT.

Nu, des is eene komische Geschichte, Herr Fierstand. Was der Scheenherr-Drechslermeest'r is, der hat eenen neuen Gesell'n ang'nommen, un' wie 'r ankommt, bringt 'r eene Katze mitte, hähä! Die hat 'r uffgezog'n, spricht'r, un' an dem Tier hängt 'r dran.

ERMISCHER.
Hähä! Was gieht's uns an.
FRAU ERMISCHER.

Des gieht uns schon ewas an. Wann se in allen Häusern 'rimsteigt, un' nischt als Schaden un' Ärger macht. Da muß emal ewas gescheh'n.

ERMISCHER.
Nu, m'r könnt' ja mal hingieh'n zu 'n Scheenherr. Ich wer' mich emal drum bekümmern.
WEIGEL
der Bezirksgendarm, ist eingetreten.

Hübscher, schneidiger Kerl, eitel Affektiert nachlässig. Uniform sächsischer Gendarmerie: graue Hose mit grünen Streifen, dunkler Rock mit grünen Aufschlägen, Käppi mit Silberstreifen. Kurzen Säbel an der Seite, Patronentasche, Doppelflinte über die Schulter gehängt.

SEIFERT
aufgesprungen, Kartoffelkorb hastig unter die Bank gestoßen, Positur, mit lauter Stimme.
Tag, Herr Schandarme!
ERMISCHER
erschreckt.
Tag, Herr Schandarme!
FRAU ERMISCHER
überfreundlich.
Ei gor, der Herr Schandarme! Tag ooch, Tag ooch.
WEIGEL.

'n Morgen. Ein Wetter is das heute! Seitenblick auf Seifert und den Kartoffelkorb. Ein Wetter ... ja. Na, Sie ha'm wenigstens 'nen warmen Ofen.

FRAU ERMISCHER
sieht nach dem Feuer.
Ei jo. Wenn Se sich vielleichte e bill' auswärmen wollen ...?
WEIGEL.

Ja, wer'n w'r machen. Wärmt sich behaglich am Ofen aus. Ha, so'n Ofen an so 'nem Wintertag ... die reinste Medizin. Bedeutsam. Ich hab' 'nen Brief für Sie, Herr Vorstand, direkt von der Amtshauptmannschaft.

[476]
DIE ERMISCHERS
erschreckt.
ERMISCHER
in gemachtem Gleichmut.
So, so ... Mecht'n Sie 'n mir nich' ga'm, Herr Schandarme?
WEIGEL
mustert Seiferts Uniform.
Mann Gottes, was is denn das? Da baumelt ja 'n Knopp! Wahrhaftig!
SEIFERT
hilflos.
ERMISCHER.
Des is een liederlicher Dingerich, der Kerl!
WEIGEL.

Aber ... dafür tragen Sie doch die Verantwortung, Herr Vorstand. Nu freilich, Sie sind doch sein Vorgesetzter. Mich geht's ja nichts an, aber ... wenn das der neue Herr Amtshauptmann sähe ...

FRAU ERMISCHER
kramt nach Nähzeug.
Su eene Liederlichkeet, es is 'ne Schande. Glei' gehste her un' nähest dir den Knopp an.
SEIFERT
kommt verschüchtert herbei.
WEIGEL.
Ja aber ... wer hat denn nu dem Gemeindediener zu befehlen?
ERMISCHER.
Denn Poll'zeier ho'n ich zu befehl'n! Den Knopp näheste d'rheeme an.
WEIGEL
lacht vor sich hin; legt beim Ofen seine Sachen ab.

Ja, ja. Wissen Sie, wenn zu meiner Militärzeit in der Kompagnie 'mal 'nem Manne 'n Knopp fehlte, den Skandal vom Hauptmann sollte einer hören! Haha! Aber's geht nichts über militärische Akkuratesse.

ERMISCHER.
Nu, des will ich meenen. Was e gedienter Mon is, der weeß des zu schätzen.
WEIGEL.
Ha'm Sie denn gedient?
ERMISCHER.
Nu do, Herr Weigel, no aber ... Mir sein Gefreiter bei den Dresdner Grenadieren gewesen!
WEIGEL.
Ach nee ... so, so. Wichtig. Daß ich in meinem Militärverhältnis Sergeant bin, wissen Se doch?
ERMISCHER.
Ei freilich ... ha'm Se den Brief nich' da?
WEIGEL.

Ach, der Brief. Hör'n Sie, das scheint 'was sehr Unangenehmes zu sein; is mir vom Herrn Amtshauptmann selbst übergeben worden.

BEIDE ERMISCHERS
sehr unruhig.
WEIGEL.

Überhaupt, der neue Herr Amtshauptmann! Wenn man ihn so reden hört über die verschiedenen Gemeindevorstände ... ja, ja, der wird 'mal Ordnung schaffen.

ERMISCHER.
Ich möcht' wissen ... bei mir is nischt in Unordnung.
[477]
FRAU ERMISCHER.
Bei uns is fei' all's im Geschicke.
WEIGEL.

Hab' ich denn was gesagt? Man hört bloß so allerlei. Man unterhält sich doch oft miteinander, der Herr Amtshauptmann und ich ... Steht vor dem Spiegel und bürstet sein Haar.

FRAU ERMISCHER
schmeichlerisch.
Fei' een hibscher Kerl sein Se ä'm doch, Herr Schandarme!
WEIGEL.

Nu guckt bloß 'mal die gute Frau Ermischer an! Wie finden Sie denn das, Herr Vorstand? Übrigens ... das hat mir schon manche gesagt, hähä!

FRAU ERMISCHER.

Des gloob' ich; da hört m'r ooch allerhand. Übermütig. Dessentwegen ha'm Sie doch ooch aus der Dresdner Pfläge fortgemußt!

WEIGEL.
Was, ich ... ich hätte ...?
FRAU ERMISCHER.

Nu freilich; des wor doch eene Geschichte mit 'ner Kellnerin. Derwegen sein Sie doch stroofversetzt wor'n ins Gebirge.

WEIGEL.
Aber das is doch stark! Wer untersteht sich, über mich dergleichen zu erzählen?
FRAU ERMISCHER.
Aber, Herr Weigel, ich ho's nich' böse gemeent ...
WEIGEL.

Also so was wird im Ort 'rum erzählt? Wissen Sie, Herr Vorstand, ich muß dringend ersuchen, daß Sie den Leuten sagen: es setzt 'n paar Monate Zwickau, wenn ich das anzeige. Nimmt seine Sachen.

ERMISCHER.
Sie wer'n doch nich' fortgehn, Herr Schandarme? Frau, gib emal eenen Eibenstöcker.
FRAU ERMISCHER
holt Gläschen und Schnapsflasche.
WEIGEL.
I wo ... ich wer' hier. Nachher heißt's bloß: man schnäpsert draußen 'rum.
ERMISCHER.
Nu nee, bloß emal, daß Se sich erwärmen.
WEIGEL.

Nee, danke. Wissen Sie, ich nehm's peinlich genau mit dem Dienst. Wo ich 'was sehe, da wird's gemeldet. Da kenn ich keine Rücksichten.

ERMISCHER.
Des weeß ich schon, Herr Weigel, un' dessentweg'n mecht' ich mich ooch stell'n mit Sie.
WEIGEL
geschmeichelt.
So, so ... na ja. Man hat schon seinen Einfluß, wenn man auch bloß Gendarm ist.
ERMISCHER.
Also, tun Se emol Bescheid, Herr Weigel.
WEIGEL.

Na, wenn Sie's so auffassen, als ob ich Streit suchte, das is nich' meine Art. Trinkt. Großartig, so'n Eibenstöcker. Der [478] is nich' umsonst berühmt .... Aber mit Ihnen bin ich ernstlich böse, Frau Ermischer.

FRAU ERMISCHER.
I ja, ich ho' des bloß eso in meinen dummen Gedanken gesagt. Des dürfen Se nich' schiefnehmen.
WEIGEL.

Was ich da vorhin sagte, von Einfluß ... ja, hören Sie, lieber ... lieber Ermischer, was haben Sie sich denn eigentlich zuschulden kommen lassen, hä?

ERMISCHER
der zusammenzuckt, als Weigel ihn »lieber Ermischer« anredet.
Ich? Aber nischt, Herr Schandarme.
WEIGEL.
Na, wissen Sie, der Brief ... – Zieht ihn hervor – der Herr Amtshauptmann hat mir anvertraut ...
FRAU ERMISCHER.
Hie is noch 'n Kleener, Herr Schandarme.
WEIGEL.
Nee, nee, jetzt is 's wirklich zuviel.
ERMISCHER.
Ober so trink'n Se doch, Herr Schandarme. Was spricht er denn, der Amtshauptmon?
WEIGEL.

Na, wenn Sie mich so nötigen und weil's kalt ist ... Trinkt. Großartig! Nee, wissen Sie, ich erzähl's Ihnen 'n andermal. Sie werden ja auch alles aus dem Briefe sehen. Legt ihn auf den Tisch.

DIE ERMISCHERS
in großer Angst.
WEIGEL.

Was, halber zehne? Nu heißt's aber losgeh'n! Meinen ganzen Bezirk muß ich noch abkloppen. Hinausgehend. Gemeindediener, nähen Sie sich Ihren Knopp beizeiten an, verstanden?

SEIFERT
Positur.
Jawoll, Herr Schandarme. Gu'n Morgen, Herr Schandarme.
WEIGEL.
'n Morgen. Geht nachlässig hinaus.
DIE ERMISCHERS.
'n Morgen, Herr Schandarme. Bal' wieder, bal' wieder!
FRAU ERMISCHER.
Ach Gott, ach Gottchen, Mon, was kann des sein mit dem Brief?
ERMISCHER.
Ich trau' mich gar nich, 'n uffzemach'n.
SEIFERT.

Wann's bloß nich ... die Ortsleute sprechen gor eso dumm, wenn's bloß nich dem Herrn Fierstand seine Absetzung is.


Angstvolles Schweigen.
FRAU ERMISCHER.
Was nützt des. Nimm d'r e Herze, Mon, un' mach'n uff.
ERMISCHER
nimmt den Brief.

»Durch den Bezirksgendarmen zu bestellen, weil mit gestriger Post versäumt.« Reißt ihn auf. »Der dortige Gemeindevorstand Ermischer wird hiermit [479] beauftragt, dem Spielwarenverleger Neubert, daselbst, zu eröffnen, daß der bei diesseitiger Verwaltungsbehörde eingereichte Umbauplan für sein Fabrikgrundstück genehmigt ist.« ... Ei Gottverdimian, un' dessentweg'n die Angst! Wütendes Fäusteballen.

FRAU ERMISCHER.

Jo, is 'n des ...? Un' des läßt du dir gefallen. So eene Frechheet läßt du dir von dem Schandarm'n bieten?

SEIFERT
lacht in sich hinein.
ERMISCHER.
Ich kann mich gar nimmer halten!
FRAU ERMISCHER
höhnische Lache, Händeklatschen.

Ihr Leute, ihr Leute! Da mecht' m'r doch ...!Erneutes Gelächter. Eso geht nu der Schandarme mit dir um! 'n Wochener dreie is der Dingerich nu hie im Gebirg, stroofversetzt ho'n se ihn von Dresden, du biste sei' Fiergesetzter un' läßt dir so eene Schande bieten!

ERMISCHER.
Stille biste!
FRAU ERMISCHER.

Ei gor, itze mecht's an mir auslassen. Nu, des wär' erscht ... Du bist je gor kee Mon! Wie 'r do 'nausging! Geste. »Blast m'r 'n Stoob weg.« Un' wie 'r dir die zwee Schnäpse 'rausgeluxt hat, un' wie 'r dastund: »Mei' lieber Ermischer.« Höhnische Lache. Der Schandarm spricht zu dem Gemeendefierstand: »Mei' lieber Ermischer.«

ERMISCHER.
Uff der Stelle beschwer' 'ch mich bei der Amtshauptmannschaft.
FRAU ERMISCHER.

Mach' 's nich', se lachen dich bloß aus, se ha'm ja keenen Respekt. Un' se ha'm ooch recht. Nu sag' m'r bloß, Seifert, is 'n des e Gemeendefierstand! Sitt'r drei Tagen hat 'r sich ni' mehr gewaschen!

ERMISCHER.
'ch wasch mich nach'r!
FRAU ERMISCHER.

I ja, des kenn'n mir, des sprichste den ganzen Tag: »'ch wasch mich nach'r.« Un' wenn's Abend wärd, so heeßt's: »Itze is 's nimmer der Mühe wert, 'ch wasch mich morgen.« Un' wenn 'r sich ja eemol wäscht, so fährt 'r mit 'n zwee Zeigefingern ins Wass'r un' reibt se sich e bill' durchs Gesichte un' denn is 'r fert'g. Un' fier den sollen se 'nen Respekt ha'm!

ERMISCHER
wütender Faustschlag auf den Tisch.

Itze is Schluß! Nu hab' ich's satt mit der Stichelei! Su een stichelndes Weib is g'rad wie'n Nag'l im Schuh; des sticht un' sticht, ob m'r geht oder steht bis m'r ganz wilde wird!!

[480]
FRAU ERMISCHER
eingeschüchtert.
Nu ober ... recht ho' ich doch?
ERMISCHER.

Recht haste, un' von itze un' von heute ab wärd's ä'm anders dehie. Ich muß mir emol 'nen Respekt verschaffen un' des an dem erschten, was mir itze in die Quere kommt!

SEIFERT
langer Hals am Fenster.
Ich gloobe ... weeß Gottchen, Herr Fierstand, da kommt d'r Neibert-Verlag'r mit seiner Fra' 'rieber.
FRAU ERMISCHER.
I was ... un' wie's dahie aussieht! Mon, fix, fix, bind' dir eenen neuwasch'nen Kragen um.
ERMISCHER.
Nu, des fehlte ... Is des deine Kurasche? Ich bin hie der Fierstand eso dreckig wie ich bin!

Klopfen.
FRAU ERMISCHER.

Herein! Öffnet die Türe, zu den Eintretenden kriechend freundlich. Ei gor, der Herr Neibert un' Fra' Neibert'n. Des is aber emal eene Ehre fier uns. Mechten Sie nich e bill' 'reinträten? Seifert, 'n paar Stühle fier die Herrschaften.

SEIFERT
der sich unaufhörlich verbeugt hat, schleppt zwei Stühle herbei.

Die Neuberts sind eingetreten. Neubert: ein großer, hagerer Mann, harte Züge, dünner Schnurrbart, goldene Brille, die er beim Sprechen oft auf die Stirne emporschiebt, um den Sprechenden scharf zu fixieren, dann wieder herabrückt; kostbarer Pelzmantel, Pelzmütze, Stock. In seinen Bewegungen und Reden beständig etwas nervös Überstürztes, hastige Sprechweise. – Frau Neubert: gleichalterig, dick, behäbig, hochnäsig. Ebenfalls in Pelz, Muff, modischem Hut. Bäurisch aufdringliche Eleganz. Ausgeprägter Leipziger Dialekt.
NEUBERT.
Danke, danke sehr. Gu'n Morgen, Herr Gemeindevorstand. Nimm d'r 'nen Stuhl, Auguste.
ERMISCHER.
Tag ooch, Herr Neibert.
FRAU NEUBERT.

Dank' scheene. Is 'r ooch reene, der Stuhl? Nee, wissen Se, meine gute Frau Ermischer, ich hab' Se nämlich e neies Kleed an, un' das mecht' 'ch noch e bill' schonen.

FRAU ERMISCHER.

I, was Sie denken, Fra' Neibert'n, bei uns gieht's eso sauber her. Unsere Stühle, die können Se ablecken, sprech' ich immer.

FRAU NEUBERT
ärgerliche Lache.
[481]
NEUBERT.
Also, Herr Vorstand, ich bin hergekommen ... ich muß jetzt 'mal nachdrücklich Ihre Hilfe verlangen.
FRAU NEUBERT.

Ja, heern Se, Herr Ermischer, das geht eefach nich länger. Wenn Sie das dulden, da kann 'n anständiger Mensch hier im Ort nich' mehr länger blei'm ...

NEUBERT.
Aber Gustel, so laß mich doch selbst reden.
FRAU NEUBERT
sich setzend.

Nee also, da zieh' 'ch wieder nach Leipz'ch, das lass' ich m'r von der Bevölkerungsklasse nich' bieten.

NEUBERT.

Die Sache is die, Herr Vorstand: heute morgen geht meine Frau in die Bodenkammer, wo wir die Wäsche und die Kleidungsstücke aufbewahren ...

FRAU NEUBERT
aufgesprungen, fast weinend.

Nee, Frau Ermischer, da kann 'ch Sie kee Bild von machen, das kann 'ch kee'n lebendigen Menschen beschrei'm! Nich' e Stück Wäsche kann 'ch mehr benutzen, unser Pelzwerk ...!

NEUBERT.
Ja, wirst du mich denn nu reden lassen!
FRAU ERMISCHER.
Mon, ho' 'chs mir nich' gedacht, 's is die verfluchte Katze!
NEUBERT.

Ich hab's zuverlässig festgestellt, das Tier gehört 'nem Hausschnitzer, der beim Meister Schönherr wohnt. Aufgeregt. Ich verlang' meinen ganzen Schaden ersetzt, jawohl, das verlang' ich! Die Gemeindebehörde is mir verantwortlich, wenn sie solche Zustände duldet!

ERMISCHER.
Also ... ich wer' mich emal um die Sache bekümmern.
NEUBERT.

Bekümmern. Wann denn, hä? Heute, morgen, nächstes Jahr? Ich muß mit aller Entschiedenheit verlangen, daß die Behörde ...

ERMISCHER.

Nur ruhig, Herr Neibert. Mit der Hitzigkeet is da nischt geschehn. Ich wer' gleich heute 'nen Schaden feststell'n, 'ne Anzeige mach'n, 'nen Bescheid nachsuchen, un' denn wer' m'r ja sehen.

NEUBERT
Brille auf die Stirn geschoben, fixiert Ermischer; rennt dann nervös lachend umher.
FRAU NEUBERT.

Nee aber, Herr Ermischer, so eene Umständlichkeet. Überhaupt mir sein jetzt die greßten Steierzahler in d'r Gemeende. Immer heftiger. Wenn mir nich' wär'n mit unserer Fabrike, so müßte der Ort Hunger leiden. Und deshalb will 'ch ästimiert sein ...!

NEUBERT
dicht vor Ermischer.
Das geht überhaupt nich' länger [482] mehr mit Ihnen! Hier muß 'n anderer Gemeindevorstand her.
ERMISCHER.

Nu, da muß 'ch bitten, Herr Neibert, un' wenn Sie ooch d'r Höchstbesteuerte sein, hier steh'n Sie vor Ihrer Beheerde ...

NEUBERT.

Ach, kommen Sie mir doch nich' mit solchen Geschichten! Der ganze Ort lebt sozusagen von mir und Sie wollen sich mir gegenüber auf die Behörde 'rausspielen!

ERMISCHER
unbeholfen.
Also, nu muß 'ch Ihnen ernstlich ersuchen ...
NEUBERT.
Nu, das fehlte noch! Das wäre ...!
FRAU NEUBERT.
Mann, Mann, nu biste wieder gleich so heftig.
FRAU ERMISCHER.

Nee, Herr Neibert, wenn Sie uns glei' eso patzig kommen, des könn'n mir uns ooch nich' bieten lassen.

NEUBERT
zu Ermischer.

Sie haben keine Autorität. Hier gehört als Gemeindevorstand 'n Jurist hin, der sein Assessorexamen gemacht hat. Da ha'm die Leute auch Respekt.

ERMISCHER.
I ja, aber was des kosten soll!
NEUBERT.
Das is egal, dafür sind sie aber auch schneidig!
ERMISCHER.

Ach so, jo freilich ... Was des a'langt, Herr Neibert, schneidig sein, des kenn'n mir ooch; des kenn'n mir Bauern eso gutt wie 'n Assess'r. Gemeendediener!

SEIFERT
kommt vor; Positur.
Herr Fierstand?
ERMISCHER.
Gemeendediener, wiss'n Sie, wo dehie im Ort der Schnitzlersg'sell wohnt, der sich eene Katze hält?
SEIFERT.

Jawoll, Herr Fierstand, glei' hie ieber die Straße 'nieber, bei'n Meest'r Scheenherr. D'r G'sell heeßt Neimerkel un' hat als äußeres Kennzeechen eenen Buckel.

ERMISCHER.

Is recht. Itze geh'n Sie nieber, verhaften den Neimerkel wegen Erregung öffentlicher Ärgerlichkeeten un' führ'n 'nen direktemang uffs Gemeendeamt vor.

SEIFERT.
Jawoll, Herr Fierstand.
ERMISCHER.
Allongsch marschee!
SEIFERT
geht stramm hinaus.
NEUBERT.
Na also ... da bin ich wirklich neugierig.
ERMISCHER.

Da brauch'n Sie gar nich' neigierig ze sein. Itze wärd emal druffgedrickt. Reißt das Fenster auf. Seifert! Deß du ihn herbringst! Bind' 'n mit Stricken, nimm dir 'nen freiwill'gen Feierwehrmon ze Hilfe, wann 'r dir ze stark is!

NEUBERT
hat sich steif hingesetzt.
[483]
ERMISCHER.
So, dem hergelof'nen Dingerich wer' ich's emal beweisen.
FRAU NEUBERT.

's wär' recht scheene von Sie, Herr Ermischer, wenn Sie uns beiständen. Mein guter Mann meent's, weeß Gottchen, gar nich so beese wie's klingt. Er is bloß wieder so uffgeregt in der letzten Zeit ... tja ... er hat wieder mit seine Gallensteene zu tun. Dessentwegen wer'n mir im Sommer ooch wieder nach Karlsbad müssen ... tja ... 'ne Villa ha'm m'r schon gemiet'. Was des 'n Geld kost', meine gute Frau Ermischer! Na, mir kenn'n's ja Gott sei Dank bezahl'n ...

NEUBERT.
Wirst du nu so gut sein und den Mund halten?
FRAU NEUBERT.
Ach Gott nee, m'r wird doch noch 'n Wörtchen sagen dürfen!

Geschrei im Hausflur. Maari kommt jammernd hereingelaufen. Ihr bloßer Arm blutet.
MAARI.
Ach Gott, ach Gott, mei' Arm, mei' Arm!
FRAU ERMISCHER.
Mädel, Mädel, was haste? 's wärd doch nich' d'r Arm gebrochen sinn?
MAARI.
Ausg'rutscht bin ich beim Schnieschaufeln un' ho' m'rn ganzen Ellbogen uffgeschmissen!
DIE BEIDEN FRAUEN
betrachten und verbinden des Mädchens Arm.
NEUBERT
läuft mißvergnügt in der Stube umher.
ERMISCHER.
Des is eene Pucht! Erscht zerschmeißt se fier zwee Daler Deppe, itze zerschmeißt se sich 'nen Arm!
MAARI
blitzwütend herausschreiend.

Hör'n Se doch emol uff mit Ihre Deppe! Ich ho' se nich' zerschmissen. Des is ja bloß, deß 'r mir von den lapp'gen fufzehn Daler Dienstlohn uffs Jahr ooch noch zwee abziehn könnt'. Wenn Sie etwa'n denken ... da pack' 'ch meine Siebensachen un' fahr' heem zu meiner Mutter! Rennt wütend hinaus.

DIE NEUBERTS
sprachlos.

Draußen großer Lärm von einer aufgeregten Männerstimme.
SEIFERT
unter der Türe.

Aber so komm'n Se doch zewenigstens 'rein, Herr Neimerkel. Ich kon doch nich d'rfier, ich tu' doch bloß meine Pflicht.

NEUMERKEL
kommt herein.

Kleiner verwachsener Mensch mit großem Höcker. Glattes, schmales, pfiffiges Gesicht, unter der Mütze feuerrote Haare. Hände in den Hosentaschen, viel zu kurze, vielfach geflickte Arbeitshosen, Schlappantoffel, aufgewickelte blaue Schürze, hemdärmelig, Kattunhemde. Des soll [484] sich eener gefall'n lassen; von d'r Straße weg festnehm'n, als ob m'r e Dieb oder e Verbrecher wär'!

ERMISCHER.
Ruhig biste!
NEUMERKEL.

Nu des fehlte ... Sie meenen wohl, weil ich e armer, verkrippelter Mensch bin, muß ich uff mir 'rimmdeppern lass'n?

ERMISCHER.
's deppert keener uff dir 'rimm.
NEUMERKEL.

Ich laß mir kee' Unrecht tun, ich geh' mit meiner Sach' durch die ganze Beamtenschaft bis ans öberschte Gericht!

ERMISCHER.
Des hat hiemit nischt ze tun.
NEUMERKEL.

Mei' Vater tat m'rsch sagen: Linus, tat 'r sagen, du hast eenen Buckel, du kannst dir nich alleene helfen. Wann se dir ewas tun wollen, da machste Schkandal. Mach e Geschrei, deß die Leute zusamm'nloofen, nach'r kriegste geholfen!

NEUBERT.
Das wird Ihnen hier nichts nützen. Ich hab' Anzeige gegen Sie erstattet.
ERMISCHER.
Deine Katze leeft in allen Häusern 'rumm.
NEUMERKEL.
Da müßt 'r de Türen zumachen, da kann se nich 'nein.
FRAU ERMISCHER.
Zu was brauchst denn du ieberhaupt eene Katze, hä?
NEUMERKEL.
Dadrieber bin ich keenen lebend'gen Menschen Rechenschaft schuldig.
FRAU NEUBERT.

Nee, sone Frechheet! Sie ... Sie ...! Eenen Pelz für achtzig Mark ...! Sie sollten bloß emal den Pelz sehen, Herr Ermischer, uff dem hat se die Nacht zugebracht ...

NEUMERKEL.
I ja, des wird so schlimm nich sinn. Da geh'n Sie uff'n Sommer ooch keene Motten 'nein.
NEUBERT.

Sie sind ein ganz frecher Patron! Herr Ermischer, den lassen Sie kurzerhand durch den Gendarmen auf die Amtshauptmannschaft bringen.

NEUMERKEL.
Da muß ich protestieren! Ich verlang' 'n Verheer un' eene Zeugenvernehmung.
NEUBERT.
Ihnen wird man's schon beweisen, was Sie zu verlangen ha'm!
NEUMERKEL.
Nu, wegen Ihre Fra' loof' 'ch mit'n Schandarm'n nich' bis uff die Amtshauptmannschaft 'nein.
FRAU NEUBERT.
Nu heer' bloß, Mann, der Mensch! Jetzt beleidigt 'r mich obenein.
NEUBERT.
Also ... wenn Sie frech werden, sag' ich Ihnen ...!
NEUMERKEL.
Ei jo, packen Se mich nur an, ich schrei' um Hilfe.
[485]
ERMISCHER.
Aber itze ... Faustschlag auf den Tisch. Ruhig seid 'r!
NEUBERT.

Ja aber ... Fixiert Ermischer, rennt nervös lachend umher. »Ihr! Ihr!« ... Hör'n Sie 'mal, das verbitt' ich mir von Ihnen, versteh'n Sie mich? Für Sie bin ich »Herr Neubert« un' nich »ihr«!

ERMISCHER.
Wann m'r doch sein eegen Wort nich' versteht in dem Schkandal.
NEUBERT.
Is denn das überhaupt'ne Vernehmung? Sie führen ja noch nich 'mal 'n Protokoll.
ERMISCHER.
Was gibt's denn da ze protekollieren, die Sache is doch klar.
NEUBERT.
Die is ... die is klar?
DIE NEUBERTS
brechen in ein höhnisches Gelächter aus.
NEUMERKEL.

Nu, wird denn des Verheer noch lange dauern? Ich ho' zweelf Schock Holzsoldaten ze schnitzen. Denkt ihr, deß die von alleene wer den?

ERMISCHER.
Du wärscht hie so lange warten, wie's mir paßt, verstanden?
NEUBERT.

Sie und Ihr sauberer Meister werden vom nächsten Liefertag an überhaupt freie Zeit kriegen. Ich bin Ihr Brotgeber ...!

NEUMERKEL.

I ja, d'r »Brotgeber« im Ort is d'r Bäckermeester Kluge, un' wegen Ihre Fra' lass' 'ch mich von dem Gemeendefierstand nich' schikanieren.

FRAU NEUBERT.
Nu heer' bloß, Mann, jetzt schimpft 'r mich wieder. Er hat gesagt: schikanieren.
NEUBERT
zu Ermischer.

Er hat gesagt: schikanieren, das heißt, er wirft Ihnen vor, daß Sie mit rechtsverdreherischen Mitteln ... Sie versteh'n doch: schikanieren, das is Beamtenbeleidigung.

ERMISCHER.

Was, des hat 'r sich unterstanden? Seifen, itze schmeißte den unverschämten Menschen vierun'zwanzig Stunden ins Spritzenhaus.

NEUMERKEL.

Un' des is eene Vergewaltigung, da ruf' ich den ganzen Ort ze Hilfe! Er läuft lärmend hinaus. Seifen geht unschlüssig hinter ihm her. Man hört draußen bis zum Schluß Neumerkels lärmende Stimme.

ERMISCHER.

Mit dem Burschen wer'n mir nich' fertig. Ich wer' zu seinem Meest'r gehen un' verlangen, deß 'rn entläßt. Dann sein m'rn los aus'n Ort.

[486]
NEUBERT
der umhergelaufen ist.
Sie können sich ja überhaupt nich' helfen, Sie stehen ja den Geschädigten noch nich' mal bei.
ERMISCHER.
Nun aber ... des is doch ...
FRAU ERMISCHER.
Mei Mon hat sich wegen Sie 'rimmgestritten ...
NEUBERT.
Sie lassen sich beschimpfen, vor Ihnen hat ja kein Mensch Respekt!
ERMISCHER
ebenso heftig.
Un' mit Ihre Hitzigkeet kommt m'r ieberhaupt nich' zu 'nem geordneten Verhandeln.
NEUBERT.
Weil Sie kein Protokoll führen.
ERMISCHER.
Nee, weil Sie schrei'n wie e Besessener!
NEUBERT.
Wa – was, was ha'm Sie ...!
FRAU NEUBERT.
Aber Mann, Mann, reg' dich nich' auf!
NEUBERT.
Wie'n Besessener! Das is ... das lass' ich mir nich' bieten von Ihnen!
FRAU NEUBERT.
Du kriegst wieder deinen Anfall, dir tritt die Galle ins Blut! Sie drängt ihren Mann zur Türe.
ERMISCHER.
Un' ich lass' mich nimmer anschrei'n von Sie!
FRAU ERMISCHER.
Sie denken, weil Sie der Reichste im Ort sein, sein mir Ihre Schuhputzer.
NEUBERT.
Ich will bloß mein Recht von Ihnen.
FRAU NEUBERT.
Mir wollen bloß ästimiert sein.
ERMISCHER.
Un' ich ho's satt. Itze mach' ich keenen Schlag mehr in der Sache!
FRAU NEUBERT.
Mir wer'n schon unser Recht kriegen.
NEUBERT.
Ich wer' mich über diese Wirtschaft beschweren.

Sie rennen aufgeregt hinaus.
FRAU ERMISCHER
an der Türe.
Un' wenn Sie noch eso viel Geld ho'n, mir Bauern lassen uns nich' kommandieren!
ERMISCHER
fällt erschöpft auf einen Stuhl.
Un' hie soll sich nu eener Respekt verschaffen!

Der Vorhang fällt.

2. Akt

[487] Zweiter Akt

Die Familie Schönherr. Neumerkel. Die beiden Neuberts. Die beiden Ulbrichs. Ermischer. Seifert. Weigel.
Wohn- und Arbeitsstube des Schnitzlermeisters Schönherr. Niedriger, schmuckloser, einfach getünchter Raum. In der Hinterwand rechts die Türe zum Hausflur, sie ist geöffnet und man erblickt im Flur aufgeschichtetes Rundholz, ein paar große Tragkörbe und, auf einem Brett längs der Wand, allerlei Gerümpel. An der Hinterwand neben der Türe steht eine große altertümliche Drechslerdrehbank, auf welcher aus Holz gedrehte Schnitzreifen und Handwerkszeug umherliegen. Darüber, an der Wand, ein Zeugbrett mit Dreherwerkzeug. Um die Bank am Boden Späne, Holz etc. in der wirren Unordnung eben unterbrochener Arbeit. In der Ecke des Hintergrundes, links, steht der große Kachelofen, davor die Ofenbank und unter und auf ihr Holzeimer und irdene Töpfe. Neben dem Ofen, an der linken Seitenwand, ein alter Schrank. Vor dem Ofen eine plumpe Wiege, ein Säugling darin. In der Mitte der linken Seitenwand die Türe zur Schlafstube. Weiter vorn an der Wand mehrere grobe Kalenderbilder: Stülpner, der erzgebirgische
Räuberhauptmann, Barbara Uttmann, die Erfinderin der erzgebirgischen Spitzenklöppelei und eine allegorische Darstellung vom Segen des erzgebirgischen Bergbaues. Vor der Wand eine alte Kommode und zwei Holzstühle. In der Seitenwand rechts zwei niedrige, durch Kattungardinen verhangene Fenster, die zur Straße führen. Zwischen den Fenstern im Rahmen ein buntes verräuchertes Meisterdiplom. Ein großer und breiter Arbeitstisch steht, fast diese ganze Seitenwand füllend, da. Davor ein paar Stühle, darüber, am Draht von der Decke herabhängend, eine unansehnliche Arbeitslampe. An der Wand, hart an der Türe, an einem Rechen aufgehängt, Kleidungsstücke aller Art. Das ganze Zimmer macht einen armseligen Eindruck.
Es ist Tag. Im Ofen brennt Feuer. Am Tische arbeiten die Kinder. Gertrud, eine Sechzehnjährige, blaß, mager, ärmliches Röckchen, sitzt am Tisch und schlägt »Tiere« aus. Vor sich hat sie den halben Schnitzreifen liegen, von welchem sie mit Schnitzmesser und Hammer zollbreite Stücke abspaltet, die zu einem Haufen vor ihr liegen. Heinerle, kleines, schmächtiges Jungelchen in Arbeitsschürze, sitzt neben ihr und schnitzelt »Tiere«, indem er mit dem Schnitzmesser so viel Holz von den Stücken abschneidet, [488] daß die Beine,
Hals und Kopf der Tiere heraustreten. Fränzel und Liesel, zwei kleine Mädchen, sitzen auf dem Tische. Fränzel leimt an den Kopf der Tiere winzige Hörnchen und Öhrchen. Liesel tupft mit einem Farbpinsel schon weiß gefärbten Tieren »scheckige Flecken«. Den Kindern geht ihre Arbeit mit außerordentlicher Schnelligkeit von der Hand. Sie singen dazu. Frau Schönherr, verhärmte, krank aussehende Frau, Hals und Schultern in dickes Umschlagtuch verpackt, farbbekleckste Schürze umgebunden, hockt vor dem Ofen am Boden und rührt Wasserfarbe. Sie hat einen großen Holzbottich vor sich stehen und rührt mit einem Holzstiel in dem gefärbten Wasser, schöpft prüfend eine Handvoll und läßt dann aus einer Tüte Farbe zu.

DIE KINDER
singen unbeholfen.
1

Der Schäfer trieb die Herde aus –
Ein Kindlein hört er schrei'n.
Ich hör' dich wohl, ich seh' dich nicht.
Im hohlen Baum da stecke ich.
Im hohlen Baum, im hohlen Baum.

Wer hat dich denn hineingesteckt?
Die Braut, die da zur Kirche geht.
Die junge Braut, wie kann das sein?
Sie trägt ein grünes Kränzelein,
Ein schön' Grünkränzelein.

Herr Schäfer, ach erbarmet Euch
Und setzt mich an den Kirchensteig.
Da ruf' ich laut: Du Bräutchen fein,
Nimm ab dein schön' Grünkränzelein.
Mußt wieder mein lieb' Mutter sein.
FRÄNZEL.
Mutter, muß ich noch lang leimen?
FRAU SCHÖNHERR.
Frag' nich' egal, Fränzel. Mach deine vier Schocke un' denn biste fertig.
HEINERLE.
Een faules Stick is des. Wann die emal was mach'n muß, nach 'r barmt se den ganzen Tag.
GERTRUD.
Liesl, wärscht du gleich uffhör'n!
FRAU SCHÖNHERR.
Was is aber ooch?
[489]
GERTRUD.
Se tuppt mir imanand mit'n Farbpinsel uff die Hand. Mach' deine »Scheckigen« fertig.
FRAU SCHÖNHERR.

Nich' zanken, Gertrud, se is ä'm noch een Kind ... Liesl, wärscht du glei' ...! Paß uff, wenn der Vater kommt.

HEINERLE
zählt seine geschnitzelten Tiere.

Fünfun'fufz'g – sechsun'fufz'g – sechzig. Wieder e Schock. Steigt gemächlich vom Stuhl und bindet seine Schürze ab. Itze is Feierabend.

FRAU SCHÖNHERR.

Der Jung', nee der Jung'. Keene drei Käse hoch, un' arbeit' fier zwee Gesellen. Komm' her, Heinerle, ich geb' dir e Kußl. Sie küßt ihn zärtlich ab. Un' nu wärsch d'r was sagen. Sie will aufstehen, hält sich plötzlich jammernd die Hüften. U je, u je, u je ...!

GERTRUD
springt herbei.
Mutter ... was is'n? Nu sieh dich doch ooch fier.
FRAU SCHÖNHERR.

's is nischt. Ich bin ä'm ze früh uffgestanden, ich hätt' noch 'ne Woche liegen blei'm soll'n. Aber m'r hat ja zu viel am Halse.

GERTRUD
ängstlich.
Mutterle, Mutterle! Setzt sich wieder zu ihrer Arbeit.
FRAU SCHÖNHERR
ist schlürfend zur Wiege gegangen und hat den Säugling herausgenommen.

Nu wärsch d'r ewas sagen, Heinerle. Itze geheste uff die Gasse un' da nimmste dei Schwesterle uff den Arm.

HEINERLE
nimmt behutsam das dick in Tücher verpackte Kind.
Is recht.
FRAU SCHÖNHERR.
Aber deß de fei' uffpaßt! Halt' ooch's Tuch gut zu, deß keen kalter Wind ans Kleene kommt.
HEINERLE.

'ch wär' schon uffpassen. Tänzelt hinaus und singt. »Wann de Kirmes is, wann de Kirmes is – da schlacht' mei' Vater 'nen Bock. – Da tanzt mei' Mutter, da tanzt mei' Mutter – da wackelt ihr der Rock!«


Gelächter der Kinder.
FRAU SCHÖNHERR.

Des is fei' een Schlingel! Zu den Kindern. Halt uff mit der Arbeit. 's is Essenszeit un' der Vater muß uff den Augenblick kommen. Sie hantiert am Ofen.


Gertrud ist aufgestanden, die Kinder sind vom Tische herabgesprungen. Gertrud bindet die Farbschürze um, nimmt einen Armvoll geschnitzter »Tiere«, wirft sie in den Farbbottich und rührt mit einem Holzstiel darin herum. Dann legt sie ein Brett über die Lehnen zweier Stühle und breitet die farbennassen [490] »Tiere« zum Trocknen darauf. Währenddessen haben die beiden kleinen Mädchen den Tisch abgeräumt.
NEUMERKEL
dickes Tuch um den Hals gewickelt, dünne Jacke, durchfroren von der Winterkälte, zieht einen plumpen Holzschlitten mit zwei mächtigen Tragkörben Schnitzware bepackt, in den Hausflur; blickt behutsam in die Stube.
GERTRUD.
Ei gor, der Neimerkel. Was haste gelöst?
NEUMERKEL.
Pscht! Pscht! Is der Meester da?
FRAU SCHÖNHERR.

Nee, mir warten ooch schonn. Die Körbe bemerkend. Ja, is 'n des ... Ach du lieber Gott, du bringst ja die Ware wieder mitte?

NEUMERKEL.

Pscht! Pscht! Kommt in die Stube; leise, seinen zerrissenen Rockärmel zeigend. Da, schaut 'mal mei' Klüftchen. Hä?

FRAU SCHÖNHERR.
Nu sag' mir bloß, was des zu bedeuten hat?
NEUMERKEL
schreit heraus.
'nausg'schmissen hat mich den Neibert sein Kommis!
DIE FRAUEN.
Un' die Ware?
NEUMERKEL.
D'r Neibert-Verlag'r nimmt nischt mehr!
FRAU SCHÖNHERR
lautes Wehklagen.

Ihr Leute, ihr Leute, was fangen mir an! Er hat se doch bestellt die Holzsoldaten, die Häuseln, die Beemeln ...!

NEUMERKEL.
Aber wenn er se nu nich' nimmt, hä?
FRAU SCHÖNHERR.

's kost' uns unser Holz, unser Farb', unser Material, 's is 'ne Woche Arbeit. Ich ho' 's nötig zu Brote ...!

GERTRUD.
Warum nimmt 'r se denn nich?
FRAU SCHÖNHERR.
Ja, warum nimmt 'r se nich, hä?
NEUMERKEL.

Warum? Weil ich uffgemuckt hab' uff'm Gemeendeamt wegen den Neibert seiner Katzeng'schicht', der verfluchten!

FRAU SCHÖNHERR.

Hab' ich's nich' gedacht: 's is wegen der verdammten Katze! Aufgebracht. Is des een Gesell? Müssen mir uns wegen deiner Katzeng'schicht' mit unser'n Verlag'r ieberwerfen?!

NEUMERKEL
ebenso.
Muß ich mich wegen meinen Meester'nausschmeißen lassen?!
FRAU SCHÖNHERR.
Un' dein Katzenvieh kommt 'naus.
NEUMERKEL.
's gutt. Denn geh' ich ooch.

Ulbrich kommt herein.
ULBRICH.
Is des een Schkandal dahie ... Tag ooch.
FRAU SCHÖNHERR.

Tag ooch, Ulbrich. Mir ha'm ooch uns're [491] Not. Auf die Körbe weisend. Da, schau'n Se nur, des is liegengebliebene Schnitzware.

ULBRICH.

Ei der Tausend ...! Des is doch 'n Schlag für euch Leute. 's is leicht fier drei Daler Holz un' Farbe. Warum nimmt 'r denn nischt, d'r Neibert?

FRAU SCHÖNHERR
zeigt achselzuckend auf Neumerkel.
ULBRICH.
Aha, a so. Pfeift durch die Zähne.
NEUMERKEL
wütend.

Ich weeß schon, deß ich im Wege bin. Ich wer' euch nich' lästig fallen. Ich pack' mei' Sach' und tipple nuff ins Vogtland, nach Klingental, wo die Musikinstrumente gemacht wer'n.

ULBRICH.
Und dein Katz', die schenkst d'r Frau Neibert'n, hä?
NEUMERKEL.
Nee, die macht mit nuff.
ALLE
Gelächter.
NEUMERKEL
eifrig.

Des is bloß, weil ihr's nich' versteht. Warum soll 'n armer Mensch nich' ooch was ha'm, wo er dran hängt?

ULBRICH
gutmütig lachend.
Jo, jo. Setzt sich auf die Tischkante. Wie bist'n du ieberhaupt an die Katze 'kommen, hä?
NEUMERKEL.

Das war halt so: sie hatten mich in Marienberg aus der Arbeit g'schickt, und ich wußt' nimmer, was ich fier Hunger und Kummer machen sollte. E Stickl trocken Brot in der Tasche, bin ich von Marienberg weggetippelt. Und wie ich vor die Stadt komme, springt eene Herde Kinder da 'rimm, die wollen eene Katze – een kleenes, zitt'riges, verhungertes Tierl – mit Steenen totschmeißen. Da hat sich mir's Herze z'sammengekrampft, als wär' des Tierl'n armer Mensch. Müssen se denn an allem, was hilflos is, ihre rohe Gewalt üben! Mit eenem Prügel hab' ich die Kinder davongejagt, des Katzl uff den Arm genommen und denn sein mir zwee losg'gangen. Wie een paar Kameraden! Beim eenen Bauer hab' ich 'n paar Pfeng' erbettelt, beim andern hab' ich ihr Milch d'rfier gekooft. So hab' ich se groß 'bracht und nu hang' ich an dem Tierl.

ULBRICH.

Aber eene komische Geschichte is 's ä'm doch. Haha! ... Nu, Gertrudl, du schuft'st doch fier zehne. Wirscht du denn deine Ausschteier z'sammgeschnitzelt ha'm, wenn der Schatz kommt?

GERTRUD
lacht.
Mei' Schatz? Er muß fei' noch warten.
ULBRICH.

I ja, ich weeß Bescheid. Trällert. »Eisenbah', Eisenbah', Lokemativ, wenn de mei' Schatzl siehst, gibste 'nen Brief.«

HEINERLE
läuft mit dem Kinde herein.
Der Vater kommt!
[492]
ULBRICH.
Ei nu, ei nu, wird er dir ooch was mittebracht ha'm, Heinerle, hä?
FRAU SCHÖNHERR.
Gib emal 's Kleene her, deß mir's legen. Bettet den Säugling in die Wiege.
MEISTER SCHÖNHERR
tritt in den Hausflur.

Großer älterer Mann, ärmliche Kleidung, derber Knotenstock, kurze Pfeife, zwei ineinandergesetzte Tragkörbe auf dem Rücken.

ULBRICH.
Tag, Hartmann.
SCHÖNHERR.
Tag ooch, Ulbrich. Wo treibt dich denn der Wind her?
ULBRICH
gibt ihm.
E Briefl, Hartmann.
SCHÖNHERR.

Ja, ich dank' schie. Er setzt die Körbe hin und zieht sich aus. Warum hat denn der Gesell die Schnitzware noch nich' zu'n Neibert geschafft, hä?


Stille.
SCHÖNHERR.
Hä?
NEUMERKEL.

Der Neibert-Verlag'r nimmt keene Ware mehr vom Meester. Sei' Kommis hat mich 'nausg'schmissen. Zeigt seinen zerrissenen Rock.

SCHÖNHERR.
Was is des? Der Neibert bestellt bei mir Ware un sei' Kommis schmeißt meinen Gesell'n 'naus?
FRAU SCHÖNHERR.
Des macht, weil Fra' Neibert'n sich ieber den Gesell'n seine Katze krank geärgert hat.
SCHÖNHERR.

Über den ... Kraut sich lachend den Kopf. Nu denk dir 'mal, Ulbrich ... hähä ... also, der Neimerkel hat eene Katze.

ULBRICH.
Ich weeß, ich weeß ...
BEIDE
ausgelassenes Gelächter.
NEUMERKEL.

Des is ja bloß den Neibert seine Wut. Er hat sich's emal in den Kopp gesetzt: die Katze muß 'raus. Er denkt, wir müssen alle nach seiner Pfeife tanzen.

FRAU SCHÖNHERR.

Hast fei' recht, Neimerkel. »Mir sein die Großen«, spricht Fra' Neibert'n, »mir befehlen. Die andern sein die Lumpenpackasch.«

ULBRICH.

Ja, ja. Se tun sich fei' dicke, die Neiberts, seit sie die größte Spielwar'nfabrik ha'm. Un' wie sie herkamen, waren se doch ooch weiter nischt.

SCHÖNHERR.

Een Spekulante war er, nischt weiter! ... Er hat die hausindustriellen Meester für sich liefern lassen, un' wie er's ganze Absatzgebiet in Händen hatte, da baute er seine Fabrike und machte die selbständigen Meester der Reihe nach [493] kaputt. Aber des kann ich dir sagen: mich bringt er nich' kleene. Mir Schönherrsch sitzen hie oben im Erzgebirg' seit'r zweehundert Jahren. Mir ha'm des Spielwarenschnitzeln uffgebracht hie in den Gebirgsdörfern und eh' ich in Neiberts Fabrike geh', eher fließt's Wasser den Berg 'nuff.

ULBRICH
im Gehen.

Viel Glick. Denn sorg' nur, deß die Ware fortkommt. 's Holz könnt 'r nich essen ... Na, Heinerle, was wirschte sagen, wenn der Ulbrich itze zum Kramer 'nein geht und kooft dem Heinerle fier 'n Fimfer Zuckersteng'ln?

HEINERLE, FRÄNZEL, LIESEL umspringen ihn jubelnd.

ULBRICH
lachend.
Da sein se dabei ... Tag ooch. Er geht mit den Kindern hinaus.
GERTRUD
geht hinterdrein.
DIE SCHÖNHERRS.
Tag ooch, Ulbrich.
SCHÖNHERR
hat den Brief aufgerissen und gelesen; wirft ihn wütend in die Ecke.
Des is ooch so e Blutsauger!
FRAU SCHÖNHERR.
Was is denn, Mann?
SCHÖNHERR.

Der Arnold-Koofmann in Grüntal schreibt: wenn mir liegengeblieb'ne Schnitzware hätten, so nimmt er sie fier Kaffee und Mehl und Brot in Zahlung.

FRAU SCHÖNHERR.

Ei gor, und hernach'r verkooft er sie fier scheenes Geld uff'm Jahrmarkt. Uns gibt 'r nich eemol den Holzwert.

SCHÖNHERR
sitzt niedergedrückt am Tische.

Die ha'm eene Witterung wie die Schießhunde ... Aber was will 'ch machen. Eh' mir hungern, müssen wir ihm die Sach' hinbringen.

FRAU SCHÖNHERR
seufzt.
NEUMERKEL.

I ja, Meester, ich weeß schon. Ich bin dahie im Wege. Schicken Se mich fort, denn hat der große Neibert seinen Willen und nimmt Ware, soviel ihr schnitzelt.

SCHÖNHERR.

Und rennt im Orte 'rum und spricht: »Ich hab' den Meister Schönherr gezwungen, seinen Gesellen fortzuschicken. Er muß springen, wie ich pfeif'.« Nee, du bleibst!


Unter der Türe tauchen die beiden Neuberts auf.
NEUBERT.
Guten Tag, Meister ... Komm nur 'rein, Gustel, komm nur 'rein.
SCHÖNHERR
aufgesprungen.
Ach nee ... nu, der kommt mir g'rade recht!
FRAU NEUBERT.

Guten Tag. Hüstelt. Aber eene Luft is das hier drinne ... so eene stickige, ärmliche Luft. Es schlägt eenen [494] richtig uff die Lunge. Möchten Sie nich' een Fenster öffnen, Frau Scheenherr'n?

FRAU SCHÖNHERR
öffnet ein Fenster.

Wenn's Brandholz gar so teuer is, da muß m'r am Wintertag schon die Löcher zumachen, deß die Wärme bleibt. Schiebt zwei Stühle hin.

NEUBERT
bemerkt Neumerkel.
Da is er ja ... he?
NEUMERKEL.
Nu, hie hat Ihr Kommis nischt 'nauszuschmeißen!
NEUBERT.
Wenn Sie frech und unverschämt werden, so bleibt eben nichts übrig, als Sie 'nauszupfeffern.
NEUMERKEL.
Und meinen zerriss'nen Kittel, den wärd Ihr Kommis mir ersetzen, sonsten wärd druff geklagt.
FRAU NEUBERT.

Ach Gott, was des is, Meester Scheenherr ... solches Gelumpsch, wie Ihr Geselle am Leibe hat ... da können Se 'n 'mal nach die abgelegten Sachen von meinem Mann schicken.

FRAU SCHÖNHERR.
Da wär'n mir uns bedanken!
SCHÖNHERR.

Dadrum handelt sich's ieberhaupt nich'. Die Sach' is, deß Sie bei mir Ware bestell'n un' nach'r nehm' Sie se nich' ab. Da steht nu die Ware ...

NEUBERT.
Ich will sie ja nehmen, Meister.
SCHÖNHERR.
Die können Sie gar nich' mehr kriegen, die is schon verkooft.
NEUBERT
verdutzt.
Schon verkauft? Wer hat sie denn gekauft?
SCHÖNHERR.
Der Arnold-Verlag'r in Grüntal hat se gekooft.
NEUBERT
Brille auf der Nase, fixiert Schönherr; rennt dann lachend in der Stube umher.

Na, wissen Sie, den Verleger, den kenn' ich. Der wohnt neben dem Galgen und heißt: – Gebärde des Gurgelabschneidens. – kxs!

SCHÖNHERR
wütend.
Und wenn's der Halsabschneider is, 's is immer noch besser wie gor niemand.
NEUBERT
Hände auf Schönherrs Schultern.

Meister Schönherr, zum Dunnerwetter ... woll'n wir uns doch vertragen! Ihre Ware is ja tadellos. Das is bestes astfreies Fichtenholz, da is Leim und Farbe gut getrocknet, das is akkurat gedreht und geschnitzelt, da fehlt nich' ein Stück am Schock. Ich will ja auch wieder Ware nehmen; aber ... seh'n Sie, Meister ... Sie müssen mir auch entgegenkommen.

SCHÖNHERR
lauernd.
Nu, wie soll ich kleener Meester dem großen Fabrikanten Neibert entgegenkomm'n?
NEUBERT
blickt auf Neumerkel Ja .
.. also ... das möcht' ich Ihnen unter vier Augen sagen.
[495]
SCHÖNHERR.

Du lieber Gott ... was Sie mit mir zu reden ha'm, des wird die Fra' und der Gesell' schon heeren können.

NEUBERT
guckt seine Frau an; ärgerliche Bewegung; rennt in der Stube umher.
FRAU NEUBERT
plötzlich wütend herausschreiend.

Und kurz und gut, die Frechheit mit Ihren Gesell'n seiner Katze, das lassen mir uns nich' länger gefallen!

DIE SCHÖNHERRS UND NEUMERKEL
höhnische Mienen.
NEUBERT.
Gustel, so schweig doch ...
FRAU NEUBERT.

Ach was hie! Mir sein die reichsten Leute im Ort und das gibt's nirgends woanders, daß die, wo's Geld ha'm, sich von der ärmeren Bevölkerungsklasse auf der Nase 'rumtanzen lassen müssen!

FRAU SCHÖNHERR
ebenso.
Wenn mir ooch arm sein, mir zahlen so gut unsere Gemeendesteuern wie Sie!
SCHÖNHERR.
Mir sein so gut Menschen wie Sie, Fra' Neibert'n!!
NEUMERKEL.

Ihr Kommis hat mich 'nausg'schmissen, da wärd noch eene Gerichtsverhandlung d'raus, mir sprechen uns noch vor'm Landgericht!

NEUBERT.

Ich werd' Ihnen noch zeigen, wegen was es'ne Gerichtsverhandlung gibt! Sie werd' ich schon noch aus dem Orte 'rausbringen!

SCHÖNHERR.
Nu, des möcht' ich seh'n, wer 'nen Gesell'n, der bei mir in Arbeit is, aus dem Ort 'rausbringt!
NEUBERT.
Ich bring' den nichtsnutzigen Patron 'raus, ich ... versteh'n Sie?
NEUMERKEL.

Wer is een »Patron«? Sie denken wohl, weil ich een hilfloser Mensch bin, muß ich mich beschimpfen lassen!

FRAU NEUBERT.
Mann, reg' dich nich' uff. Bleib' bei Verstande, tu's mir zuliebe.
NEUBERT
rennt in der Stube umher.
FRAU NEUBERT
nach einer Pause.

Nee, also das ... das kann uns doch kee' Mensch verdenken, daß mir hier emal die Geduld verlieren. Was mir schon ausgestanden ha'm, seit mir die Fabrike hie ha'm! In erregter, sich überstürzender Sprechweise. Erscht, wie mir das Haus am Mühlteich hatten, konnten mir den ganzen Sommer ieber keen Ooge zutun, weil jede Nacht und jede Nacht'n hundert Frösche uff'm Wasser lagen und quakten. Da mußten wir extra den Nachtwächter bezahlen, daß 'r nachts mit 'ner langen Fuhrmannspeitsche 's Wasser [496] klitschte, damit sie sich nich' 'naufgetrauten. Denn schaffte sich der Kanter italienische Hiehner an, da fing der Hahn nachts um halber zwee schon an: – Nachäffend. – »Kä-ke-rä-kä!« Da hat mein Mann eigens 'nen Prozeß anstrengen müssen, daß 'r gezwungen wurde, den Hahn zu schlachten. Und kaum is das überstanden, da kriegt dem Schmied sein Hund die dolle Wut, da wird euch e halbes Jahr lang die Hundesperre über'n Ort verhängt ..., daß m'r egal Angst hatte, m'r wird von 'nem dollen Hunde gebissen. Und kaum is das ... da kommt der hergeloof'ne Mensch mit seiner Katze, die eenem die ganze Wäsche ruiniert ...!

FRAU SCHÖNHERR.
Nu, 's wird sich doch noch eener 'ne Katze halten dürfen!
NEUBERT.
Eine Katze, ja ... vorläufig. Aber wenn sie Junge kriegt, so sind's sechse, sieben.
NEUMERKEL.
's is ja een Kater.
NEUBERT.
Ach, das is ja ganz egal.
NEUMERKEL.
Nee, das is nich' egal.
NEUBERT
Brille auf der Nase, glotzt ihn an; dann.

Ach, Sie dummer Mensch, machen Sie doch Ihre faulen Witze anderswo! Rennt umher, bleibt plötzlich vor Schönherr stehen. Also, Meister, nu hab' ich's satt! Ich lass' Ihnen die Wahl. Entweder Sie schaffen den Menschen fort, oder Sie kriegen nich' für einen Neugroschen Arbeit mehr zu besehen.

SCHÖNHERR.
Und jetzt schick' ich ihn gerade nich' fort!
NEUBERT.
Dann werd' ich Ihnen anders kommen.
FRAU NEUBERT.
Mir ha'm uns an andere Stellen gewend't, mir werden schon unser Recht kriegen.
SCHÖNHERR.
Wenden Sie sich an wen Sie Lust ha'm, itze setz' ich ooch meinen Kopp uff.
FRAU SCHÖNHERR.
Keen Mensch kann uns zwingen, wenn wir nich' wollen.
NEUBERT
in höchster Wut hinausstürzend.
Das wird sich finden.
FRAU NEUBERT
hinterher.
Euch wer'n mir's eemal beweisen.
FRAU SCHÖNHERR.

Nee, Mann, also des ... des darfst du dir nich' gefallen lassen. Die Leute tun ja in ihrem Hochmut g'rade, als ob m'r nich' Luft schnappen dürfte ohne sie.

NEUMERKEL.
Die treten eenen vollends unter die Füße!
SCHÖNHERR.

Nur ruhig, ruhig ... Wegen so eener ... – Lache. – so eener Sache hätt' ich mich nie mit'n Neibert überworfen, aber wenn er denkt, er kann mir eso ufftrumpfen, da werd' [497] ich's ihm zeigen. In die Drehbank tretend. Und nu genug. Astel her, daß Reefen fertig werden. Er beginnt zu drehen.

NEUMERKEL
schafft aus dem Hausflur Holzklötzer herein, als Frau Ulbrich, kleine, dicke, geschwätzige Frau, Kopftuch, atemlos hereinstürzt.
FRAU ULBRICH.

Tag ooch, Neimerkel. Sein die Scheenherrsch da? Freilich, da sein se ... Nee, Meester, also nu schlägt's ein bei euch!

DIE SCHÖNHERRS.
Tag, Fra' Ulbrich'n. – Was wird denn sein? – Nu sagt bloß, was is denn?
FRAU ULBRICH.
Mei' Mon schickt mich, ich bin ganz außer Atem ... es is e'was im Gange, spricht 'r.
SCHÖNHERR.
Was wird ooch im Gange sinn?
FRAU ULBRICH.

Der Ermischer schickt den Seifert durch den ganzen Ort nach dem Gendarmen. Suchen kommen se bei euch.

SCHÖNHERR.
Suchen? Nach was suchen?
FRAU ULBRICH.
Nach was suchen se bei den Schnitzlersleuten? Nach gestohl'nen Holze!

Alle zucken zusammen.
FRAU SCHÖNHERR
wilde Wut.

Was, Holzdiebe soll'n mir sein? Mir ehrlichen Leute, die mir jedes Finkl Holz uff der Auktion koofen?

FRAU ULBRICH
am Fenster.
Sie kommen die Gasse 'nuff, sie sein da.
NEUMERKEL
setzt sich vergnügt auf den Tisch.
Nu, do mögen se kommen. Hie sein keene Holzdiebe.

Man hört Stimmen im Hausflur.
FRAU ULBRICH
laut.

Ich wer' Se emal e bill' Farbe reiben, meine gute Fra' Scheenherr'n. Läuft zu dem Farbbottich und rührt Farbe, dabei die Vorgänge mit langem Halse verfolgend.

GERTRUD
kommt verstört mit den Kindern herein.
Mutter, Mutter! Da kommt der Ermischer mit Poll'zei ...!

Schönherr steht hochaufgerichtet in der Stube. Die Kinder drücken sich scheu in den Ofenwinkel. Ermischer und Seifen erscheinen unter der Türe. Ermischer mit wichtiger Miene in Joppe,
Jägerhütchen, langen Stiefeln; Seifert hinter ihm, ängstlich, einen großen, mit Deckel verschlossenen Henkelkorb am Arm, den er neben die Türe stellt.
SCHÖNHERR
verhaltene Wut.
Sollt' des recht sein, Sie suchten bei mir nach gestohl'nem Holze?
FRAU SCHÖNHERR.

Da muß der Ermischer zu den Schnitzlerschleuten [498] gehn, die die Ware halb verschenken. Hie wärd jed's Feckel Holz gekooft.

SCHÖNHERR
reißt aus seiner abgegriffenen Brieftasche zitternd Scheine hervor.

Hie sein die Auktionszettel un' da im Hausflur liegt mein Holz. Den will 'ch kennen, der mich zu 'n Holzdiebe macht!

ERMISCHER.

Mir kommen nich' wegen Holzdiebstahl, wegen e'was weit Schlimmer'n. Zieht ein großes Schriftstück hervor. Sie sein der Meester Scheenherr?

FRAU SCHÖNHERR
höhnische Lache.
Er kennt seine Nachbarsleute nimmer!
SCHÖNHERR.

Un' dobei war ich schon lange selbständiger Meest'r, wie er noch als verhungerter Kegeldrechslerjung' 'rumlief.

ERMISCHER
heftig.
Des hat hiemit nischt zu tun. Itze bin ich d'r Fierstand, un' ich verlang' 'nen Reschpekt!

Alle sehen sich verdutzt an, dann plötzlich höhnisches Gelächter, in welches auch Frau Ulbrich
und die Kinder einstimmen.
ERMISCHER.

Ei gor ... den Briefträger seine. Dacht' ich's mir doch, deß euch die Neubegierde nich' schlafen ließe.

FRAU ULBRICH.
Nu, ich möcht's ooch gern wissen.
ERMISCHER.
Des könnt 'r ooch wissen. Entfaltet das Schriftstück. Hie wohnt een Schnitzlergesell Neimerkel ...
NEUMERKEL
auf dem Tische, strampelt mit den Füßen.
Hie hängt 'r.
ERMISCHER.

Der mit eener zugeloof'nen Katze allen Ortsbewohnern Schaden und Ärgernis bereitet. So bin ich denn beauftragt: – Halb lesend. – »die dem etc. Neimerkel gehörige Katze in Gewahrsam ze nehmen und eso lang behördlich uffzuheben, bis der etc. Neimerkel den den klagbaren Ortseinwohnern verursachten Sachschaden ersetzt hat oder eine anderweitige Hebung der Schwierigkeiten gefunden ist« ... eso steht's und dessentwegen verlang' ich das Objekt 'raus.

SCHÖNHERR
steht vorne, greift sich an den Kopf und lacht höhnisch vor sich hin.
NEUMERKEL.
Da lass' ich mich nich' d'ruff ein. Ich verlang' een instanzenmäß'ges Prozeßverfahren.
FRAU SCHÖNHERR.

Laß dir's nich' gefallen, Neimerkel. Denkt 'r etwa'n, mit armen Leuten könnt' 'r Hohn un' Spott treiben?

ERMISCHER.
Wenn Sie's nich' im Guten 'rausgeben, so wärd danach gesucht.
[499]
FRAU SCHÖNHERR
Faustschlag auf den Tisch.
Un' mir geben's ä'm nich'!
ERMISCHER.

So ... na, denn wer'n mir ja seh'n.Gebt zur Türe. Herr Schandarme. möchten Se nich' emal 'reinkommen?


Stille.
SCHÖNHERR
hat grimmig die Fäuste geballt.
GENDARM WEIGEL
kommt langsam herein, stellt sich breitbeinig inmitten der Stube hin.
Was gibt's denn?
ERMISCHER.
Der Hausbesitzer Schönherr widersetzt sich der behördlichen Verfügung.
WEIGEL.
Da gibt's nischt zu widersetzen. Verstanden?
FRAU ULBRICH
hinausrennend.
Nee, nu laßt mich, nu muß ich aber loofen ...!
SCHÖNHERR
nimmt einen Schlüssel vom Wandnagel und gibt ihn Ermischer.

Eh' ich mich mit Sie 'rumstreite, wegen so eener Sache ... so eener ...Greift sich lachend an den Kopf. Hie is der Bodenkammerschlüssel. Oben is se eingesperrt.

NEUMERKEL.
Aber Meest'r, da bin ich nich' einverstanden ...
SCHÖNHERR.
Hie hab' ich ze sagen, und du wirst dich fügen.
ERMISCHER.

's recht. Herr Schandarme, der Gemeendediener hot 'nen Korb mittebracht, wo er se 'neintun kann. Sie möchten emal mit 'nuffsteigen ...

WEIGEL.

Ich ...? Aber die ganze Sache is doch der Gemeindebehörde zur Durchführung übergeben. Hier steht's ja. Ich kann da wirklich nich' ...

ERMISCHER.
Sie sein aber doch abgeschickt, uns beizesteh'n ...
WEIGEL.
Gewiß. Das tu' ich ja auch. Ich halte derweilen hier unten die Ordnung aufrecht.
ERMISCHER.
So ... hm ... Betrachtet den Schlüssel, dann Seifert und den Gendarm.
SCHÖNHERR.
Und nu verlang' ich, daß Sie Ihres Amtes walten und uff dem schnellsten Wege mein Haus verlassen.
WEIGEL.
Ja, da hat der Meister ganz recht.
ERMISCHER.
Nu ja ... des heeßt ... hm.
FRAU SCHÖNHERR.
Ich gloobe gar ... der Ermischer färcht' sich!
DIE SCHÖNHERRS, NEUMERKEL UND DIE KINDER
höhnisches Gelächter.
ERMISCHER.
Ich fürchten ...? Nu, des wäre ... Seifert, allongsch marschee!
SEIFERT
nimmt den Korb und geht hinter Ermischer hinaus.

Während des Folgenden hört man von draußen das dumpfe [500] Lärmen einer sich ansammelnden und immer stärker werdenden Menschenmenge.
WEIGEL.

Ja, Meister, da seh'n Sie's nu. Unsereiner muß seine Pflicht tun, ganz egal, was es is. Guckt in die Wiege. Na, Kleine, ks – ks – ks ... Ich bin gar nich' so, aber wenn's nu' 'mal von einem verlangt wird ... nich' wahr?

FRAU SCHÖNHERR.

Seit der Neimerkel im Ort is, verfolgt 'n der Ermischer mit seinem Hasse. 'rausschikanieren möcht' 'r ihn.

SCHÖNHERR.
Des wird ihn aber nich' gelingen, un' wenn 'r sich noch eso viele Schandarmen mittebringt.
WEIGEL.

Lassen Sie mich doch zufrieden, Meister. Denken Sie, ich wär' gerne zu Ihnen gekommen? Aber 'n Beamter muß seine Pflicht tun ohne Ansehen der Person und der Sache. Donnerwedder noch 'mal! Wenn mir mein Vorgesetzter sagt: Forsch. »Gendarm Weigel, geh'n Sie da ... durch die Wand!« dann geh'n wir durch! Einfach.

FRAU SCHÖNHERR
lacht hinter seinem Rücken.
NEUMERKEL.

Ei jo, bis Sie emal an 'ne Wand kommen, die de stärker is wie der Schandarm Weigel, un' dann rennen Sie sich den Kopp ein.

WEIGEL
dicht vor Neumerkel, ihn musternd.
Sie sind der Dingsda, der Neumerkel?
NEUMERKEL.
Der sein m'r.
WEIGEL.

So, na, wenn Sie denken, daß Gendarm Weigel mit sich spaßen läßt ... Nehmen Sie sich 'mal in acht, Ihnen kann's 'mal bewiesen werden.

SCHÖNHERR.
Wenn sich mein Gesell' nischt zeschulden kommen läßt, kann ihm nischt »bewiesen werden«.
WEIGEL.
Das wird man ja sehen.

Entsetzliches Geschrei, Gepolter die Treppe herunter. Alle rennen zur Türe. Ermischer stürzt herein, mit zerkratztem, blutunterlaufenem Gesicht. Hohngelächter.
ERMISCHER.
Zu Hilfe! Wasser! Wasser!
WEIGEL.
Aber, Herr Vorstand, was is denn los ... wie seh'n Sie aus?
ERMISCHER.
Angesprungen hat mich des Luder! Gebbt m'r Wasser!
SCHÖNHERR.
Hie gibt's keen Wasser. Holen Sie Ihre Sache un' verlassen Sie mein Haus.
WEIGEL
beguckt ihn.
Donnerwedder ... das hätte ja 'n Auge kosten können.
[501]
ERMISCHER
sein Taschentuch vor dem Gesicht, fast heulend zu Neumerkel.
Des is Körperverletzung. Des wärscht du büßen!
NEUMERKEL.
Ha, itze soll ich schuld sinn, un' ich bin noch nich'emal dabei gewes'n!
FRAU SCHÖNHERR.
Nu, des fählte ...! Iberhaupt, wann Sie dahie fertig sein, so machen Se, deß Se weiterkommen!
SCHÖNHERR.
Is recht. 'naus! 'naus!
WEIGEL.

Ruhe, zum Donnerwedder! Haltung, Herr Vorstand. Seh'n Sie bloß die Menschen da draußen. 'n ganzer Auflauf! Tun Sie doch bloß das Tuch weg.


Seifert kommt, den Korb vorsichtig tragend, beide Hände auf dem Deckel, triumphierend herein.
SEIFERT.
Ich hab' se! Ich hab' se!
WEIGEL.
Dann is 's ja gut. Dann können wir abrücken.
SCHÖNHERR.
Un' das gleich.
WEIGEL.
Kommen Sie, Herr Vorstand.
ERMISCHER.
Ich kann eso nich'. Soll ich denn zum Gespötte im Orte werden!
WEIGEL.
Dann geh'n Sie schon immer vor, Gemeindediener, wir kommen nach.

Seifert geht mit dem Korbe hinaus.
NEUMERKEL.
Des is eene Vergewaltigung!
WEIGEL.
Sie haben den Mund zu halten.
SCHÖNHERR.
Wärd ihr nu mein Haus verlassen?!

Gelächter und Hallo auf der Straße.
FRAU SCHÖNHERR.
Se schmeißen den Seifert mit Schnieballen, hahaha!

Seifert stürzt in den Hausflur, hinter ihm her ein Schneeballenhagel. Anzug und Korb voll Abdrücken von Schneeballen.
SEIFERT.

Himmelsackerment, werd' ihr mich zefrieden lass'n! Hereinflüchtend. Se lassen eenen nich' 'raus, Herr Schandarme. 's steh'n an die zweehundert Menschen uff der Straße un' schmeißen mit Schnie.

ERMISCHER.
Des wär' ja Rebellion!
WEIGEL.

Das wollen wir doch'mal seh'n. Er rückt schneidig das Käppi zurecht, lädt die Doppelflinte, nimmt sie schußbereit unter den Arm und geht forsch in den Hausflur. Mit barscher Stimme. Im Namen des Gesetzes! Ich fordere auf, die Straße freizugeben. Zum ersten-, zum zweiten-, zum drittenmal. Vorwärts, rechts und links auseinander treten! Gemurre einer großen Menge. Dann Ruhe. Weigel tritt gelassen wieder in die [502] Mitte der Stube, stößt das Gewehr auf; wichtig. Die Straße ist frei!

SCHÖNHERR.
Nu hab' ich's satt. 'naus aus meinem Hause!
WEIGEL.
Ich nehm' den Vortritt. Vorwärts, wer mit will! Er geht hinaus, Seifert ihm nach.
ERMISCHER
den Hut tief in die Stirne gerückt.
Wütendes Fäusteballen. Des sollt 'r mir büßen, Lumpenpackasch!
SCHÖNHERR.
'naus mit dem Bettelbürgermeest'r!
NEUMERKEL
springt zur Türe, Hände vor dem Munde.
Katzen-Ermischer!

Frau Schönherr und die Kinder ausgelassenes Gelächter. Die Kinder hinter Ermischer her, immerfort rufend: »Katzen-Ermischer! Katzen-Ermischer!« – Von draußen plötzlich hundertstimmiges Gelächter, Gepfeife, Gejohle, welches in »Hurra«rufe übergeht. Frau Schönherr und Gertrud stehen am Fenster und beobachten lachend die Vorgänge auf der Straße. Schönherr steht fäusteballend inmitten der Stube.
NEUMERKEL.

Da spricht 'r nu: 's hätt' keener Reschpekt für ihn. »Hurra!« schrei'n se, 'nen Orden hat 'r im Gesichte un' 'nen Titel hat 'r ooch gekriegt!


Der Vorhang fällt.

3. Akt

Dritter Akt

Die beiden Seiferts. Die beiden Ulbrichs. Ermischer. Neubert. Weigel. Frau Schönherr. Neumerkel.
Die Erdgeschoßstube in der Hütte des Gemeindedieners. Kleiner ärmlicher Raum mit getünchten Wänden. In der Mitte der rechten Seitenwand befindet sich die Türe, durch welche man beim Öffnen einen schützenden Holzvorbau erblickt. Zu seiten der Türe je ein niedriges Fenster ohne Vorhänge. In der Mitte des Hintergrundes (kahle Giebelwand) erhebt sich ein rissiger, baufälliger Lehmofen. Vorn an der linken Seitenwand führt eine Leiter zu einer Luke oben in der Wand, aus welcher Stroh herausliegt und durch die man auf den Boden des Anbaues gelangt. Hinter der Leiter, in der linken Seitenwand, ebenfalls ein schmuckloses Fenster; längs der Hinterwand, neben dem Ofen, das zweischläfrige Bett mit zwei Kopfkissen und bunten Kattunüberzügen. An der Hinterwand, neben dem Ofen, ferner [503] noch ein altertümlicher Schrank, darauf allerlei Gerümpel, ein großes Topfgestell mit Gerät. Vor dem Ofen eine Bank; direkt neben der Türe stehend einige Feldgerätschaften. An die Wand gehängt eine Anzahl Kleidungsstücke, darunter Seitengewehr, Dienstjoppe und Mütze des Gemeindedieners. Vor
dem ersten Fenster rechts eine braungestrichene, mächtige Lade. An der Wand, rings um das Fenster gehängt, eine Anzahl Vogelbauer. Ein paar bunte Bilder hängen noch an den Wänden. In der Mitte der Stube steht der plumpe viereckige Tisch, darauf eine Stehlampe und in der Stube, unordentlich umher, ein paar grobe Holzstühle.
Spätnachmittag. Sonntag. Im Ofen brennt Feuer. Auf dem Tische liegt Ermischers Hut. Frau Seifert, ärmliche Kleidung, schwarzes Haar, pfiffige, verschlagene Züge, geht mit verdrießlichen Blicken in der Stube umher, schaut ungeduldig die Bodenleiter hinauf. Ermischer kommt rückwärts die Leiter herabgeklettert, nach ihm Seifert, dicke Filzschuhe an den Füßen, Diensthose, baumwollene gestrickte Unterjacke, darunter man ein Barchenthemde sieht. Wie Ermischer sich unten umwendet, sieht man sein mit Pflastern streifenweise verklebtes Gesicht.

FRAU SEIFERT.
Is fei' alles recht, Herr Fierstand?
ERMISCHER.
's is recht, 's is recht.
FRAU SEIFERT.

Die wird in unsrer Pflege dick un' fett ... Un' was ich noch sprechen wollte ... sein denn nu die Kratze bald heile, Herr Fierstand?

ERMISCHER
patzig.
Se werden schon heile werden.
FRAU SEIFERT.

Nu, nehmen Se's bloß nich' ungüttig, ich frag' bloß eso ... Un' was 'ch noch sprechen wollte ... uff den Tag setzt's doch eenen Neigroschen Verpflegegeld un' eenen Fümfer für die Arbeit?

ERMISCHER
steht am Fenster rechts.
Jo, jo, jo.
FRAU SEIFERT.
Denn is 's itze schon 'n Daler un' fufzeh' Neigroschen, was mir zu kriegen ha'm.
ERMISCHER
Faust geballt zum Fenster hinaus.
Die Pakasch, die verfluchte!
SEIFERT
der bescheiden beiseite getreten, kommt herbei.
Was wärd denn sein, Herr Fierstand?
ERMISCHER.

Da ha'm se mich nu hie 'neingeh'n seh'n un' nu steht 'ne ganze Herde Kinder an der Straße. Komm ich 'naus, da geht's los: »Katzen-Ermischer! Katzen-Ermischer!« Bande!!

[504]
SEIFERT.
Des hat der Neimerkel 'rumgebracht.
ERMISCHER
blitzwütend.
Den buckligen Dingerich bring' ich noch an den Galgen!
FRAU SEIFERT
bittend.

Un' was ich noch sagen wollte ... mir Seiferts sein doch ganz arme Leute ... Herr Fierstand, möchten Sie nich' eso gut sinn un' geben uns schon den Daler fufzehn Neigroschen ...

ERMISCHER.
Ich? Sie ha'm wohl 'nen Affen?!
FRAU SEIFERT.
Nu aber ...
SEIFERT.
Mußt nich' eso habgierig sein, Lenl. Die Gemeende zahlt ja alles.
ERMISCHER.
Die Gemeende? Pfeifen wird sie euch was.
DIE SEIFERTS.
Nu aber, Herr Fierstand, nu da ...
ERMISCHER.

Des is ieberhaupt noch nich' 'raus, wer die Kosten zahlt. Uff der Amtshauptmannschaft sagen se: »'s is 'ne Poll'zeiangelegenheet der Gemeende, also muß die Gemeende bezahlen.« Un' d'r Gemeenderat spricht: »'s geht uns nischt an, 's is 'ne amtshauptmannschaftliche Anordnung, also bezahlen mir keenen Pfeng' für die Kosten.« Geh' ich wieder uff die Amtshauptmannschaft, da lachen die Referendare schon, wenn ich zur Türe 'nein komm'.

FRAU SEIFERT
fast weinend.

Ihr Leute, ihr Leute, da kriegen wir in unserer Armut am Ende noch nich' emal die paar Pfeng' vergüt'!

SEIFERT.
Nu, wann mir nu ... un' mir brächten den Herrn Fierstand die Katze ...
ERMISCHER.

Untersteh' dich bloß ...! Nach einer Weile. Aber wann ihr sie behalten möchtet, so hättet 'r uff eene bill'ge Weise een nützliches Haustier erworben.

FRAU SEIFERT.
Ei jo, ei jo, da können wir unsere Pfennige besser brauchen.
ERMISCHER
setzt seinen Hut tief in die Stirn, schlägt den Rockkragen hoch, daß man nur noch seine Nasenspitze sieht.
's is egal, ihr müßt se ä'm im Ufftrag der Gemeende verpflegen bis eene Entscheidung getroffen is.
FRAU SEIFERT.
Un' nach'r gucken mir in den Mond.
ERMISCHER.
M'r wird schon sehn. Guckt durchs Fenster. 's scheint, se sein fort. Tag ooch. Läuft rasch hinaus.
DIE SEIFERTS.
Tag ooch, Herr Fierstand. Sie laufen zum Fenster und sehen ihm nach.
FRAU SEIFERT.
Pst! Se ha'm sich hinter den Bäumen versteckt.
[505]
SEIFERT.
Da kommen se schon 'raus.

Man hört entfernt vielstimmiges, sich verlierendes Kindergeschrei: »Katzen-Ermischer! Katzen-Ermischer!« Die Seiferts halten sich lachend die Bäuche. Dann kommen sie wieder vor.
FRAU SEIFERT.
Was 'r für Kratzen im Gesichte hat. Hihihi!
SEIFERT.

Nu, 's war ooch zu dumm. Er wollte se eso fuchtig packen, die aber nich' faul, springt uff ... hupp, hupp! Zeigt, wie die Katze Ermischer zerkratzte.

FRAU SEIFERT
sitzt ausgelassen lachend auf der Lade.
SEIFERT.
Un' am Ende ha'm mir se nu uff'm Halse.
FRAU SEIFERT.

Nu sag nur, kann des bloß möglich sein, deß se uns uns're Kosten und Arbeit nich' vergüten? Faustschlag auf den Tisch. Verfluchtig nei', wann des der Ermischer macht, verklag' ich 'n beim Gerichte!

SEIFERT.

Pscht, pscht. Wärst du gleich ... Wenn 'r des heert, schickt 'r mich fort, un' denn liegen mir uff der Straße.

FRAU SEIFERT.
A was hie. Du sollst ihm emal deine Meinung sagen.
SEIFERT.
Nu sei bloß still, Lenl. Mir werden schon unser Geld kriegen.
FRAU SEIFERT.
Un' wenn mir's nu nich' kriegen?
SEIFERT.
Da ..., da möcht' m'r sich des Vieh beizeiten vom Halse schaffen.
FRAU SEIFERT.
Nich' wahr? Wann des gewiß is, da nehmen mir 'nen Prügel un' jagen se uff un' davon!
SEIFERT.
Pscht. Nee, über so was ...! 's kann mich meinen Dienst kosten.
FRAU SEIFERT.

Des is schon e Dienst. Zwölf Neigroschen uff den Tag an Lohn, 'n Häusel, wo eenen der Wind danächst 's Dach in die Stube schmeißt, un' e elendes bill' Kartuffelacker, des is schon e Dienst.

SEIFERT
zündet eine lange Pfeife an.

Eso is 's nu: da hat m'r emal 'nen tanzfreien Sonntag, wo m'r daheeme bleiben kann, und gleich is der Krach fertig.

FRAU SEIFERT
hat eine Weile, einem Einfall nachgrübelnd, auf der Lade gesessen und ihren Mann mit listigen Blicken verfolgt.

Denk emal, Mon, 's is schon een Daler un' fufzehn Netgroschen Unkosten. 's können leicht zwee Daler werden. Wann se's nich' bezahl'n, kannst du dich eene ganze lange Woche für nischt schinden.

[506]
SEIFERT.
's wär' doch ...! 's is ja gar nich' denkbar, deß der Gemeenderat sich eso verhielte.
FRAU SEIFERT.

I ja, i ja. Lehr' du mich den Gemeenderat kennen. Wer sein denn die meisten drinne, hä? Die Bauern. Un' eener is immer filz'ger wie der andere. 's darf bloß nischt kosten. Wenn die dich sitzen lassen ...!

SEIFERT
legt die Pfeife hin, geht unruhig in der Stube umher.
Hast recht, hast fei' recht!
FRAU SEIFERT.
Also ...? Sitzt lauernd auf der Lade.
SEIFERT
bleibt umhergehend an der Leiter stehen.
Ich möcht' se in den Gutsteich schmeißen un' sagen: se wäre uff un' davon.
FRAU SEIFERT.

Hm, – Reibt sich die Hände. – da wüßt' ich e'was Rätlicheres, hähähä ... Da wüßt' ich fei' e'was Rätlicheres. Da könnten mir ooch emal 'nen fetten Sonntag machen wie die reichen Bauern, die imanand Fleesch uff'm Tische ha'm.

SEIFERT
guckt sie sprachlos an, schlägt entrüstet auf den Tisch.

Ei, du gottverfluchtes Ding, du! Also da willste 'naus! Nee die Fraa'nsmenscher! Die größte Schlechtigkeet, uff die unsereens in seiner Dummheet gar nich' kommt, die ha'm se gleich ausgetiftelt!

FRAU SEIFERT.
Was hie. Is des Schlechtigkeit, wenn m'r sorgt, daß m'r wieder zu dem Seinigen kommt?
SEIFERT.
Nu ja ...
FRAU SEIFERT.

Un' machen's dahie im Erzgebirg die Leute nich' alle so, hä? Wenn die Strumpwirker, die Schnitzlersleute ja emal 'n Stück'l Fleesch uff'm Tische ha'm, so is 's Pferdewurscht oder e Hund'l oder 'ne Katze. Wo ha'm die's denn her, hä?

SEIFERT
geht unschlüssig und brummig umher, greift nach einer Weile hinter dem Ofen ein Küchenbeil heraus und prüft seine Schneide; wirft es wütend wieder hin.
Un' ich mach's ä'm nich'!
FRAU SEIFERT.
I, dann laß es gut sinn un' verbrenn dir deine Finger nich'. Sie macht sich am Ofen zu schaffen.

Während des Folgenden beginnt es langsam zu dunkeln. Der Abend bricht herein.
SEIFERT
hat seine Pfeife wieder angezündet.
's scheint, 's wärd Abendessenszeit, 'nen rechten Hunger hätt' ich.
FRAU SEIFERT.
Ich ooch.
[507]
SEIFERT.
Was wärd's denn geben?
FRAU SEIFERT
die mit einer Kaffeemühle hantiert, lacht ihm ins Gesicht.
SEIFERT.
Nu, du wirst doch noch een Stück'l Ziegenkäs' im Hause ha'm? 'nen rechten Appetit hätt' ich d'ruff.
FRAU SEIFERT.

Nich' eso viel wie mei' Fingernagel is da. Mir könnten ja unser Fleeschernes ha'm ... Ich sag' nischt mehr.

SEIFERT
steht überlegend an der Leiter.
Nach einer Weile freundlich. Soll ich dir e bill' zur Hand gehen, Lenl?
FRAU SEIFERT.
I ja, des bring' ich alleene.
SEIFERT.
Gib nur her. Nimmt ihr die Handmühle ab und mahlt Kaffee; nach einer Weile. Lenl.
FRAU SEIFERT.
Hä?
SEIFERT.

Horch emal d'ruff. 's wär' schon recht, wenn mir in unsrer Armut ooch emal e Stück'l Fleesch essen könnten ... Aber ... wenn's uffkommt ...

FRAU SEIFERT.
Un' wenn's uffkommt. Nach'r helf' ich dir 'raus.
SEIFERT.

Nu denn ... du bist fei' pfiff'ger wie ich ... Bal' mecht' ich's riskieren. Holt seinen blanken Hirschfänger.

FRAU SEIFERT.
Was stehste un' besinnst dich?
SEIFERT.
Nu also ... wenn du denkst, 's käm' nich' uff ...
FRAU SEIFERT.
Geh' nur endlich!
SEIFERT
klettert die Leiter hinauf; plötzlich stehen bleibend.
Das heeßt, Lenl ... ich weeß noch nich', ob ich's mache ... ich geh' nur emal 'nuff ...
FRAU SEIFERT.
Nu mach' nur un' geh'! Herrjess's, is des e Mon!
SEIFERT.
Ich geh' ja schon, ich geh' ja schon. Er verschwindet in der Wandluke.
FRAU SEIFERT
unruhig horchend und nach dem Fenster spähend.
's is mir doch g'rade, als knirscht's im Schnie ... Ei, des fehlte noch!

Sie eilt auf die Türe zu, im gleichen Augenblick tritt Frau Schönherr ein. Frau Seifert macht sich nun in der Stube zu schaffen, behält dabei die Bodenleiter unruhig im Auge.
FRAU SCHÖNHERR
durchfroren von der Kälte.
'n Abend, Fra' Seifert'n.
FRAU SEIFERT.
'n Abend, Schönherr'n.
FRAU SCHÖNHERR.
Ober'n Schnie liegt auf eurem Steig. Bis an die Knöchel bin ich durchgewat'.
FRAU SEIFERT.
Des macht, wann m'r in der Wirtschaft mehr zu tun hat als Schniewegschaufeln.
[508]
FRAU SCHÖNHERR.

Nu, wie soll ich da erscht tun, ich mit meinen Mon, 'nen Gesellen, vier großen Kindern. Un' nu noch des Kleene.

FRAU SEIFERT
höhnisch.

Denn sag' mir bloß, wenn de gar eso viel Arbeit hast, wie de da am Sonntagabend 'ne halbe Stunde vor'n Ort loofen kannst, zu Seiferts 'naus.

FRAU SCHÖNHERR.

Nu sieh ooch, ich komm' emal wegen der Katze. Ihr hat se nu schon ieber de dritte Woche un' m'r heert nischt un' heert nischt ... Was wird denn nu eegentlich?

FRAU SEIFERT.
Da mußte den Fierstand fragen.
FRAU SCHÖNHERR
suchend.
Wo habt 'r se denn?
FRAU SEIFERT.
Oben uff'm Dachboden.
FRAU SCHÖNHERR.
Emal seh'n möcht' ich se.
FRAU SEIFERT
springt vor die Bodenleiter.

Des gibt's nich'. Die is bei uns in beheerdlichem Gewahrsam un' da mußt du eenen Erlaubnisschein vom Fierstand beibringen, wann du se seh'n willst.

FRAU SCHÖNHERR.
Enee, des is doch ... wo is denn dein Mon?
FRAU SEIFERT.
Der is ooch oben ... der ... hält Wache bei'r.
FRAU SCHÖNHERR
verdutztes Gesicht, dann schallende Lache.

Ihr Leute, ihr Leute! Ich kann mich nimmer halten! Uff'm Dachboden habt 'r se eingesperrt un' dein Mon hält Wache bei'r. Erneutes Gelächter. Des is ja, als wär' se een gefährlicher Verbrecher! Habt 'r se ooch an der Kette? hahaha!

FRAU SEIFERT.
Stichel du nur imanand mit deiner gift'gen Zunge. Mir müss'n fei' tun, was uns geheeßen wird.
FRAU SCHÖNHERR.

Hä? Is des denn nich' 'ne Schande! Wenn's ooch bloß 'ne Katze is, 's is doch unser'n Gesell'n sei' Eegentum un' er will's zurück ha'm. Wo bleibt denn hie Recht un' Gerechtigkeet?

FRAU SEIFERT
heftig.

Also Schönherr'n, mein Mon is der Poll'zeier un' des kann ich nich' dulden, deß du eso verächtlich von Recht un' Gerechtigkeit sprichst.

FRAU SCHÖNHERR.

A was hie. Ich sag' nischt gegen deinen Mon. Deß dein Mon e dummes Luder is, des is bekannt, aber du bist eene durchtriebene Christine ...

FRAU SEIFERT.
Un' des sprichst du zu mir?
FRAU SCHÖNHERR
mit hervorbrechender Wut herausschreiend.

Du stellst den Vögeln Fallen, du nimmst Vogelnester aus, du legst dem Wild Schlingen, du maust dem Rittergut die Forellen dutzendweise aus dem Bache, du schaffst 's Holz zur[509] Nachtzeit meterweise aus dem Walde, du paschst 's Mehl zentnerweise ieber die Grenze ...!!

FRAU SEIFERT.
Un' wenn du nich' machst, deß de 'naus kommst, so wärscht du seh'n ...! Reißt die Türe auf.
FRAU SCHÖNHERR.
Mir werden uns schon sprechen!
FRAU SEIFERT.
'naus packst du dich!
FRAU SCHÖNHERR.
Du wärscht von mir hören. Läuft hinaus.
FRAU SEIFERT.
Un' du von mir! Wirft die Türe ins Schloß.
SEIFERT
ist zitternd die Bodenleiter herabgekommen und wirft den Hirschfänger hin.
Was is denn, was is denn bloß?
FRAU SEIFERT.
Die Schönherr'n war da.
SEIFERT
sinkt auf einen Stuhl.
Ei nu da, nu ha'm m'r verspielt, nu kommt 's 'raus.
FRAU SEIFERT.

Wenn du dich nich' egal für dumm verschleißen läßt, kommt nischt 'raus. Betrachtet seinen Hirschfänger. Wisch's emal ab, rasch.

SEIFERT
reinigt den Hirschfänger.
FRAU SEIFERT
holt einen eisernen Tiegel und ein Messer.

Un' nu werd' ich dir was sagen, nu schließt du die Laden, sorgst, deß Licht wärd un' verhältst dich fei' stille. Springt behend die Bodenleiter empor.

SEIFERT
schließt, noch immer zitternd, dabei abgebrochene Sätze hervorstoßend, an den beiden Fenstern rechts die Laden.

Ne, laß du mich zefrieden. Mach' du die Sache alleene. Hätt' ich mich bloß nich' 'neingemengt. Des kost' mich meinen scheenen Posten. Un' 's is fei' een scheener Posten! Zweelf Neigroschen den Tag un' ooch noch freie Wohnung. E bill' feuchte is 's ja un' ooch e bill' baufällig. Aber ich brauch' doch keenen Pfeng' Miete bezahlen ... Zum offenen Fenster hinaus. Wer is da! Hä? Antwort! Schließt den Laden. 's scheint, 's war der Wind ... eenen neuen Anzug krieg' ich ooch alle Jahre uff Gemeendekosten ... Gottverdammich, wenn's 'rauskommt, wenn ich meinen scheenen Posten verlier' ...!

FRAU SEIFERT
kommt, die gefüllte Pfanne vorsichtig tragend, du Leiter herab.
Ei nu, du hast doch noch kee' Licht? ... Wärscht du denn so gut sinn, hä?
SEIFERT
zündet die Lampe an.
Nu wart' nur e bill', 's wärd schon lichte werden.
FRAU SEIFERT
hat die Pfanne in die Röhre gestellt und schürt das Feuer.

Des is e Mon. Da läuft 'r 'nun un' teepst, deß ich's [510] uff'm Dachboden hören kann. Überlaut. Wann's 'rauskommt, so is 's deine Dummheit!

SEIFERT.
Pscht. Horch emal ... kommt nich' eener ...?

Sie horchen gespannt.
FRAU SEIFERT.
's kann sein ... 's is e Männerschritt.

Im Vorbau hört man jemanden den Schnee abstampfen. Neubert tritt ein.
NEUBERT.
Guten Abend.
DIE SEIFERTS
übertrieben freundlich.
Guten Abend, Herr Neibert, guten Abend, des is eene Ehre.
FRAU SEIFERT.
Hie is 'n Stuhl für'n Herrn Neibert.
NEUBERT.
Danke, ihr Leute, danke schön ... Ich such' Sie schon überall, Gemeindediener.
FRAU SEIFERT.
Des macht: er hat seinen freien Sonntag.
NEUBERT.

Ach so, da kann man freilich suchen ... Ich wollte Ihnen nämlich sagen ... ja ... da is mir hinterbracht worden, daß der Dingsda, der Geselle vom Meister Schönherr, an allen Wirtshaustischen unverschämte Reden wider mich führen soll. Haben Sie schon 'mal was gehört?

SEIFERT
abwehrend.
Nee, Herr Neibert, also ich hab' da ieberhaupt nischt gehört.
NEUBERT.

Das heißt, Sie wollen nichts gehört haben. Zu was haben wir denn da eine Polizeiperson im Ort. Rennt ärgerlich hin und her, bleibt dann vor den Seiferts stehen. Sehen Sie, ich will mich jetzt bei der Gemeinderatswahl als Vertreter der Ansässigen aufstellen lassen. Aber ich habe zwei Feinde: der Ermischer, der die Bauern, der Schönherr, der die Schnitzlermeister gegen mich aufhetzt. Wenn nun noch so'n nichtsnutziger Bursche herumläuft und bei den Leuten freche Reden wider mich führt ... sehen Sie, das kann ich mir nich' gefallen lassen.

FRAU SEIFERT.

Also geht's wider die Schönherrsch? Nu, der Schönherr'n möcht' ich's schon wünschen, deß se emal kernig 'neinfiele.

NEUBERT.
Das will ich ja gerade, Frau Seifert.
FRAU SEIFERT.
Da mußt du emal Obacht ha'm, Mon.
NEUBERT.

's soll ja Ihr Schade nich' sein. Sehen Sie, wenn ich in den Gemeinderat gewählt werde ... Was ha'm Sie denn jetzt, Seifert?

SEIFERT.
Zweelf Neigroschen den Tag, Herr Neibert.
NEUBERT.

Schön, wenn ich gewählt werde, sorg' ich, daß Sie [511] achtzehn ... nein, fünfzehn Groschen den Tag kriegen, Seifert.

DIE SEIFERTS.
Nu, wenn des wäre ...! des wär' doch ...!
NEUBERT.
Sie können sich darauf verlassen. Bringen Sie mir so 'ne Äußerung und Sie sollen seh'n ...
SEIFERT.

Nu, wos der Neimerkel is, der hat schon emal 'ne schwere Beleidigung ieber Sie gesagt, möcht' ich sprechen.

NEUBERT
Notizbuch.
So, was hat er denn gesagt? 'raus damit.
SEIFERT.

Des war im »Deutschen Haus«. Da barmten die Schnitzlersleute, deß sie durch Ihre Fabrik bankerott würden. Un' eener spricht: Des is, weil die Kleenmeester nich' zusammenhalten, sonsten könnt' leichte der große Neibert bankerott werden. Un' da schreit der Neimerkel: »I ja, wenn der Neibert ooch dreiste bankerott wird, der weeß schon, wo Barthel den Most holt!«

NEUBERT.

So ... das hat 'r gesagt ... das is ja ... »Wo Barthel den Most holt.« ... Glotzt ihn dumm an, bricht plötzlich in Lachen aus und rennt umher. Da hat 'r eigentlich ganz recht. Ich denke, ich hab's bewiesen, daß ich weiß, »wo Barthel den Most holt«. Nee also, das is nichts, lieber Seifert.

SEIFERT.
Ich werd' emal d'ruff spannen.
FRAU SEIFERT.

Sie ha'm ganz recht, Herr Neibert. Was mir von den Schönherrsch auszusteh'n ha'm sitt'r der Katzengeschicht' ...!

NEUBERT
lacht.
Ja, sagen Sie ... die Katzengeschichte. Was wird denn nu eigentlich, hä?
SEIFERT
geht unruhig umher.
FRAU SEIFERT
jammernd.

Mir wissen's nich', Herr Neibert. Oben uff'm Dachboden sitzt se sitt'r drei Wochen. Mir müssen se füttern un' pflegen un' keener gibt uns 'nen Pfeng' zurücke ...

NEUBERT
an der Leiter.

So, so, da oben sitzt se. Ich glaub' schon, daß Ihnen die Geschichte viel Ärger und Verdruß macht. Schnuppert. Übrigens, das riecht ja hier wie in 'ner Hotelküche.

FRAU SEIFERT.
E bill' Braten ha'm mir.
NEUBERT.

Hä ... Braten? Da heißt's nu immer: im Erzgebirge hätten die Leute sonntags 'nen Hering an der Decke ... da huppten se nach ... hähä. Dabei hat der Gemeindediener 'nen leckeren Braten.

FRAU SEIFERT.
Nu, e bill' Fleesch tut uns ooch emal gut.
[512]
NEUBERT
im Gehen.

Das will ich meinen. Ich freu' mich ja auch d'rüber, denn da sieht man doch wieder 'mal, wie durch die Ausbreitung der Industrie der Volkswohlstand von Tag zu Tag gehoben wird ... Also denken Sie 'mal an die Sache, Gemeindediener. Adieu. Geht hinaus.

DIE SEIFERTS.
Jawohl, Herr Neibert, jawohl ... Tag ooch, Tag ooch.
SEIFERT.
Gott sei Dank, deß 'r 'naus is! Esu eene Angst!
FRAU SEIFERT.
I ja. Der hat nischt gemerkt. Hähä!
SEIFERT.
Fufzehn Neigroschen soll ich kriegen! Da möcht' m'r wünschen, er käm' 'nein in den Gemeenderat.
FRAU SEIFERT.
Nu freilich. Un' die Scheenherrsch ha'm m'r nu ooch in der Tasche.
SEIFERT.
Host racht. Host fei' racht.
FRAU SEIFERT
hantiert am Ofen.
SEIFERT
steht in der Stube.
FRAU SEIFERT.

Nu brauchste ooch keene Angst mehr ze ha'm. Recht mit Behagen kannste dei' Brat'l essen, als ob de der Ermischer selber wärscht.

SEIFERT
steht an der Türe.
M'r schnuppert's bis hieher.
FRAU SEIFERT
läuft zu ihm.
E Gerüch'l, als ob m'r bei den reichen Bauern wär'.
SEIFERT.
Un' wem dank' ich's? Der Fra'! Geh' emal her, Aale ...! Er faßt sie übermütig um die Hüften.
FRAU SEIFERT.
Nu aber, Seifert, wärscht du gescheit bleiben ...!

Seifert schwenkt sein Weib trällernd durch die Stube. Sie kreischt und will sich losmachen. Da erscheint Weigel auf der Schwelle. Sie fahren erschreckt auseinander.
WEIGEL.
Nanu ...?
DIE SEIFERTS.
D'r Herr Schandarme ... ach Gott, d'r Herr Schandarme!
WEIGEL.
Freilich bin ich's. Das geht ja hier zu ... Was is denn los?
FRAU SEIFERT.

Ach Gott, Herr Schandarme, mir ha'm uns bloß emal 'nen Spaß gemacht ... Möchten Se sich nich' setzen.

WEIGEL.

Danke. Sagen Sie, Gemeindediener, ich bin beauftragt, im Bezirk auf Pascher zu vigilieren. Der Unfug geht jetzt ins Große. Hier im Ort sollen auch welche sitzen. Wissen Sie vielleicht 'was.

[513]
SEIFERT.
Nee, also ich weeß da nischt, Herr Schandarme.
WEIGEL.
Nu aber, Sie sind doch lange genug hier. Ha'm Sie nich' wenigstens 'nen Verdacht?
FRAU SEIFERT.

Nu seh'n Se, Herr Schandarme, des is ä'm eso. Die armen Leute un' weil dehie alles teuer is, die gehen uff'n Abend ins Böhmische 'nein, holen sich Mehl un' Ware un' handeln vielleichte ooch damitte ...

WEIGEL.

Da holen se sich, da handeln se damit ... zum Donnerwedder, das is doch Schmuggel! Gemeindediener, da werden Sie 'mal aufpassen. Die Kerle müssen wir 'rauskriegen.

SEIFERT.

Ja, freilich ... des heeßt ... die Pascher sein böse Kunden. Die lauern eenen in d'r Dunkelheet uff un' hau'n eenen die Hucke voll.

WEIGEL.
Nu, das wäre ja noch schöner. Da können sie mit meiner Waffe Bekanntschaft machen!
SEIFERT.
Ich wer' emal uffpassen, Herr Schandarme.
WEIGEL
schnuppert.
Übrigens ... hier is ja 'n ganz delikater Bratengeruch.
SEIFERT
fassungslos.
FRAU SEIFERT.
E bill' Braten ha'm m'r im Toppe.
WEIGEL.
Was gibt's denn Gutes?
SEIFERT.
Nischt, Herr Schandarme ... ich gloob' ... e bill' Wild.
WEIGEL
plötzlich aufmerksam und beide scharf fixierend.
Wild? ... Wie kommen Sie denn zu Wild?
FRAU SEIFERT
sehr verlegen.
E bill' Hase, Herr Schandarme, m'r ha'm 'nen uff'm Felde gefunden ... ja.
WEIGEL.
Gefunden wollen Sie 'n haben ... und ha'm ihn nich' abgeliefert?
SEIFERT.

Ich wer' dir emal Holz holen. Klettert eilig die Leiter empor auf den Boden. Während des Folgenden hantiert er auf dem Boden mit Holz und steckt mehrmals ängstlich den Kopf aus der Luke.

WEIGEL.
Das is doch mindestens seltsam. Also nu sein Sie 'mal offen und ehrlich, Frau Seifert.
FRAU SEIFERT.

Was is da ehrlich ze sinn. Nee, Herr Schandarme, wenn Sie eso schlecht von uns denken ... Schürze vorm Gesicht.

WEIGEL.
Die Tränen können Sie unterwegs lassen. Geben Sie mir lieber Bescheid.
FRAU SEIFERT.

Mir ha'm 'nen gewiß un' wahrhaftig uff unser'n [514] Kartuffelacker gefunden, Herr Schandarme. 's war doch bis itze eso eene strenge Kälte un' meterhoch Schnie, da is er ä'm umgekommen. 's hätt' 'n doch keener beansprucht, un' da dacht' 'ch, machste e bill' Hasenpfeffer.

WEIGEL.

So, na ... ich werd's Ihnen 'mal glauben. Gott verzeih' mir die Sünde. Ich bin ja kein Unmensch ... Aber alles was recht is ... fein zugerichtet ha'm Sie 'n. 'n Gerüchel ...!

FRAU SEIFERT.
M'r tut, was m'r kann.
WEIGEL
Blick auf seine Uhr; Pfiff.

Potz Blitz! 's is bald nachtschlaf'ne Zeit. Ich bin bloß wegen den Paschern hier 'rausgelaufen und muß nu den ganzen verfluchten Tanz wieder zurück. Stellt sein Gewehr bei der Lade hin. Ich wer' mich 'nen Augenblick verpusten.

FRAU SEIFERT.
Des tun Sie nur, Herr Schandarme.
WEIGEL.
Wo bleibt denn der Seifert.
FRAU SEIFERT.
Er sucht im Holze. Ruft an der Leiter. Mon, fix, fix!
WEIGEL
Seitengewehr abgeschnallt, nebst Käppi auf die Lade gelegt; setzt sich.

Das muß Ihnen der Neid lassen: das Kochen ha'm Sie 'raus. So'n Düftchen! Überhaupt der Hase ... 's geht nu' 'mal nischt d'rüber. Hase und Gans ... ja. Wenn ich 'ne Erstgeburt zu vergeben hätte ...

FRAU SEIFERT
betrachtet den Gendarmen mit listigen Blicken, kommt langsam vor.
Herr Schandarme, wenn ich wüßte, deß Sie's nich' ungütig nehmen ...
WEIGEL
ihr wohlwollend auf die Schulter klopfend.
Bei Ihnen nehm' ich überhaupt nichts »ungütig«, liebe Frau Seifert'n ... also 'raus damit.
FRAU SEIFERT.

So mecht' ich Sie recht bitten, hie ze warten bis d'r Hasenpfeffer fertig is, ich geb' Sie e ganz kleenes Finkl ze kosten.

WEIGEL.

Nee, das is nu ... also das kann ich wirklich nich' annehmen, liebe Frau Seifert'n. Beim Gemeindediener essen ... nee.

FRAU SEIFERT.
Nu, wenn Sie ä'm denken, 's geht nich' ...
WEIGEL.

Aber damit Sie nich' am Ende denken, ich veracht' Sie ... Nee, das is nich' meine Art, gewiß nich', liebe Frau Seifert'n. Also da wer' ich Ihr Gast sein.

FRAU SEIFERT
versteckter Hohn.
Des is scheen von Sie; nee, also des is wirklich e scheener Zug von Sie, Herr Schandarme.
[515]
SEIFERT
kommt mit einem Armvoll langen Rundholzes die Leiter herab.
WEIGEL.

Na, Seifert, heut' abend wer' ich Ihnen Gesellschaft leisten. Ihre liebe Frau hat mich zum Essen eingeladen.

SEIFERT
läßt erschreckt das Holz zur Erde fallen; rutscht aus und bammelt an der Leiter; dann wütend.
Nee, des is doch ... eso eene Frechheet is mir noch nich' vor'kommen!
WEIGEL.

Aber ich fass' 's doch gar nich' als Frechheit auf. Mensch, jetzt woll'n wir 'mal außerdienstlich gemütlich sein.

FRAU SEIFERT.
Nu ä'm. Komm, Mon, mach' dir deine Pfeffe an un' red' e bill' mit'n Herrn Schandarme.
WEIGEL.

'ne Sorte Stühle ha'm Sie ... man sitzt sich ja 'ne Hornhaut. Beguckt den Stuhl. Den hat wohl der Noah vergessen mitzunehmen, wie er in die Arche ging?

FRAU SEIFERT.

Nu, wenn Sie gerne weech sitzen, da ricken m'r den Tisch 'rieber un' der Herr Schandarme setzt sich uff's Bette. Greif emol zu, Mon.Sie nimmt die Lampe, während Seifert den Tisch vor das Bette schleppt.

WEIGEL.
Ja aber ... darf man denn das? so auf den Altar der ehelichen Liebe und Treue ...?
FRAU SEIFERT
quiekt.
I, machen Se nur keene Geschichten. Wenn Sie nur weech sitzen.
WEIGEL.

Na, dann wer'n wir so frech sein. Fleezt sich auf das Bette. Ah ... hier sitz' ich wie Gott in Frankreich. Wär' nu noch einer da, so könnten wir 'nen Skat kloppen.

SEIFERT
mit der Pfeife.
Des Luder is wieder emal verstuppt.
WEIGEL.
Kommen Sie her, Seifert. Hier ha'm Sie 'ne Zigarre. Paffen Sie das 'mal.
SEIFERT.
Ei, ich dank' schie. Hie is ooch Feier, Herr Schandarme.

Sie zünden sich Zigarren an.
WEIGEL.
Ah ...! 'ne Zigarre is halbe Fütterung ... Übrigens ha'm Sie hier 'ne ganz gemütliche Bude.
FRAU SEIFERT
bringt Brot, Teller, Messer, Gabel auf den Tisch.

Jja, Herr Schandarme, des is schlimmer wie eene Hundehütte, wo eenen hie die Gemeende 'neingesetzt hat!

SEIFERT.
Lenl, wärscht du nich' ...!
FRAU SEIFERT.

Nu, des wärd m'r doch sagen dürfen, des sieht doch e jedes. Imanand ho'n ich Angst, der Wintersturm schmeißt uns emal nächstens 's Dach in die Stube. Seh'n Se [516] bloß emal, wie's vor Feuchtigkeet 's Wasser die Giebelwand 'nunter treibt.

WEIGEL.
So baufällig is also die Bude.
FRAU SEIFERT.

Sie sehn's doch. Un' was des bill' Kartuffelacker is, was eenen die Gemeende gibt, da langen die Kartuffeln noch ni' emal fürs halbe Jahr, da müssen mir uns schinden un' krumm legen ...

SEIFERT.

Meine Fra' macht's gar eso schlimm. E bill' besser könnt's ja sinn, aber ich sprech': Wenn eener, un' 'r hat gar nischt ... des is noch schlechter.

WEIGEL
Gelächter.
FRAU SEIFERT.
Eso e Mensch is des nu.
WEIGEL.
Nee, Seifert, Ihre Frau hat ganz recht. Was kriegen Sie denn an Lohn?
SEIFERT.
Zwölf Neigroschen den Tag.
WEIGEL.

Verdammt dürftig. Da sollten Sie sich doch 'mal nach 'nem andern Posten umtun. In Zschopau ha'm se jetzt 'nen Schutzmann angestellt mit fünfundsiebzig Mark Monatsgehalt und dreißig Mark jährlich Wohnungsgeld. Das haut anders!

SEIFERT.

Was Sie sagen! Hast's gehört, Lenl? Fünfundzwanzig Daler uff'n Monat un' zehn Daler uff's Jahr Wohnungsgeld ooch noch. Soll m'rsch für möglich halten, deß eene Polizeiperson eso viel Geld verdient!

WEIGEL.

Ich wer' 'mal das Gemeindeblatt durchsehen, und wenn ich 'was finde, mach' ich Ihnen 'mal so'n »Gehorsamstes Gesuch«. Dadrinn hab' ich 'was los.

DIE SEIFERTS.
Des wär' zu scheene von Sie, Herr Schandarme ... da wär'n mir Sie ja eso dankbar.
WEIGEL.
Schon gut, schon gut.
FRAU SEIFERT.
Un' nu is 's ooch gleich mit'n Hasenpfeffer eso weit. Da soll'n Sie emal schmunzeln.
SEIFERT.
Hasenpfeffer?
FRAU SEIFERT
schreit ihn wütend an.
Nu freilich, Hasenpfeffer! Haste e'was dawider?
SEIFERT
in höchster Angst.
Aber, Lenl, nu bedenk dir doch ...
WEIGEL.
Ich versteh' nich' ...
FRAU SEIFERT.
Nu guckt bloß ... nu denkt 'r schon, 's dät' Sie bei mir nich' schmecken.
WEIGEL.
Aber freilich ...
SEIFERT.
Lenl ...!
[517]
FRAU SEIFERT
Rippenstoß, wütend.
Gehste denn nu Holz spalten!
SEIFERT.
Ich geh' schon, ich geh' schon.
WEIGEL
Gelächter.
Das is ja gerade, als ob er mir's nich' gönnte!
FRAU SEIFERT.
Eso is 's ooch balde ... Un' wenn ich ooch, – Bedeutsam. – ich gönn' Sie's von ganzen Herzen.
WEIGEL.
Ihnen glaub' ich's, liebe Frau Seifert. Sie sind eben eine harmlose, gastfreundliche Frau.

Man hört in der Ferne den langgedehnten Ruf einer Männerstimme: »Seifert! Hallo! Sei-fert!«
SEIFERT.
Horch emal, Lenl.
WEIGEL.
Da hat wahrhaftig jemand gerufen.
FRAU SEIFERT.
Was könnt' des sinn?

Wiederholte Rufe. Frau Seifert hat das Fenster geöffnet und den Laden aufgestoßen.
FRAU SEIFERT.
Wer is da! Was kann sinn?

Es wird ihr aus der Ferne unvernehmlich geantwortet.
FRAU SEIFERT.

Wer? der Ulbrich? is recht, gleich itze kommt 'r. Schließt das Fenster. Fix, Mon, mach emal Licht. Der Ulbrich steht an d'r Straße un' kann in d'r Dunkelheet den Steig nich' finden.

WEIGEL
verdrießlich aufgestanden.
Der Ulbrich ... der Briefträger?
FRAU SEIFERT.
I ja, blei'm Se nur sitzen, Herr Schandarme.
SEIFERT.
Was d'r Ulbrich is, des is e gemietlicher Kunde, der verdirbt nischt.
WEIGEL.
Wenn Sie denken, daß er mich nich' 'rumklatscht bei den Leuten ...
SEIFERT.
I ja, eso eener is d'r Ulbrich nich'.
WEIGEL.
Dann wer' ich 'mal sitzen bleiben.

Erneutes Rufen.
FRAU SEIFERT.
Mach' fix, Mon, mach' fix. Am Fenster. Er kommt itze, er kommt!
WEIGEL.

Zum Donnerwedder, da wird doch nich' etwa 'n Unglück passiert sein. Das wär' mir 'ne nette Geschichte.

SEIFERT.

Was soll denn ooch passieren? Der Ulbrich nimmt 's mit 'n Stücker Zehne uff. Wo der hinhaut, da wächst kee' Grashalm wieder ... Ich muß gleich emal gucken. Er hat währenddem eine Laterne angezündet, setzt seine Dienstmütze auf und geht hinaus.

WEIGEL.
Der Ulbrich hat wohl hier im Gebirge 'nen ganz schlauen Posten, hä?
[518]
FRAU SEIFERT.

Des lassen Se gut sinn, Herr Schandarme. Den drückt keene Not. Die Ulbrichs ha'm ihr schönes Häusel un' Acker, er hat seinen schönen Lohn un' uff's Neijahr Trinkgelder, deß 'n die Tasche platzt. Un' wenn 'r emal eso weit is, da kriegt 'r seine schöne Pension.

WEIGEL.
Und braucht sich nicht zu schinden und zu ärgern wie unsereins.
FRAU SEIFERT.

Der hält sich mit allen Leuten gut. Un' habgierig is 'r! Da möcht' m'r 's Gebratene wegstecken, sonsten langt er's aus d'r Pfanne 'raus.

SEIFERT
kommt herein, setzt sich auf die Lade und hält sich lachend den Bauch.
Nee, m'r läßt sich e'was gefallen, aber eso 'was von Besoffenheet ...!
WEIGEL.
Was, besoffen is 'r.
SEIFERT.
Wie eene Tümpelkreete.
FRAU SEIFERT.
Des is ja noch schöner, da können mir uns nu mit eenen Besoffnen 'rumstreiten.
WEIGEL.
Wir wer'n ihn gar nich' beachten; einfach schneiden wer'n wir den lästigen Kerl!

Die Ulbrichs erscheinen unter der Türe; er voran in seiner Zivilkleidung, dicker verschossener Winterüberzieher, Hose in den Stiefelschäften, nur die Dienstmütze auf, Knotenstock, Seiferts Laterne in der Hand. Frau Ulbrich: Mantel, Pelzmuff, Kopf in Wolltuch verpackt. Sie sind beide betrunken. Ulbrich torkelt. Frau Ulbrich lacht fortwährend vor sich hin.
ULBRICH
bleibt unter der Türe stehen, erblickt den Gendarmen, schauende Lache.

Ja is 'n des ... –Erneute Lache. – d'r Herr Schandarme! Der weeß also ooch schon, wo de stillen Ecken sein, wo m'r schweppern kann, ohne des 's eener sitt!

WEIGEL.
Also, Ulbrich, das will ich mir von Ihnen ausgebeten haben ...
ULBRICH.
I ja, da gibt's nischt auszubitten. Mir sein ooch bei de Militärsoldaten gewesen ...
FRAU ULBRICH
immerfort lachend.
Nee, Herr Schandarme, was mein Mon is, der hat eenen sitzen ...! Quiekt.
ULBRICH.
Nu, un' du etwa'n nich'? Meine Fra' schweppert den Nordhäuser, als wär'sch Zichorienkoffee.

Die Ulbrichs: Gelächter.
ULBRICH.
Nu sag mir bloß, Seifert, was is 'n des für een Gerüch'l dehie?
FRAU SEIFERT
triumphierend.
Hasenpfeffer ha'm m'r!
[519]
ULBRICH.
Hasenpfeffer? Ei nu da. Du bist wohl Jagdpächter 'worden, hä?
WEIGEL.
Das is doch wohl lediglich Seiferts Sache, Ulbrich.
SEIFERT.
Meine Fra' hat'n doch uff'm Acker tot gefunden.
ULBRICH.

Ah so ... aha ... Was deine Fra' is, des is e braver Christenmensch. Wenn die emal Hase essen möcht', da liegt ooch schon eener tot uff'm Felde. Oder se spricht: »Ich möcht' e Ei ha'm«, un' denn kommen ooch schon den Paster seine Hennen un' leg'n ihr 'ne Mandel uff'n Tisch.

FRAU SEIFERT.
Möcht's du etwa sprechen: 's wär' nich' redlich erworben?
DIE ULBRICHS.
I, wie wär' mir das sagen. – Ich mach' bloß meinen Spaß.
FRAU SEIFERT.
Ihr ärgert euch doch bloß, deß d'r Hase nich' in euren Toppe schmort.
ULBRICH.
Nu, ich ess' ihn ooch aus deinen Toppe.
FRAU SEIFERT
höhnische Lache.
Aha, des wollt' ich bloß hören. Aber da gibt's nischt. Auf Weigel zeigend. Hie sitzt unser Gast.
ULBRICH.

Nu ... nu, da wart' nur emal uff e Wort. Schau emal her. Setzt eine Schnapsflasche auf den Tisch. Hie is d'r wahre Jakob!

FRAU SEIFERT.
Ei, des wär' schon recht, des könnten wir schon gebrauchen.
WEIGEL
Flasche betrachtend.

Donnerwedder, das is ja »Eibenstöcker«. Das hab' ich 'mal beim Ermischer getrunken, das is nich' zu verachten.

ULBRICH.
Un' nu gebt emal Glas'ln her.

Seifert bringt bereits ein paar Gläschen. Während des Folgenden wird ununterbrochen getrunken, namentlich Weigel spricht dem Schnaps begierig zu.
Frau Ulbrich sitzt, immer vor sich hin lachend, auf der Ofenbank.
WEIGEL.
Wissen Sie, Ulbrich, Sie sind doch ein kreuzbraver Kerl.
ULBRICH.
Des will ich meenen.
WEIGEL.

So der richtige, biedere Beamtenschlag. Wenn Sie 'mal in die Grube fahren, wird der Paster 'ne Rede halten müssen, die sich gewaschen hat ... Prost!

FRAU SEIFERT.

Nu, ans Sterben denken die Ulbrichs noch nich'. Die wollen erscht noch 'n paar Grosch'ln uff die Seite schaffen; was, Lies'l?

WEIGEL.

Is ja richtig, die gute Frau Ulbrich'n ha'm wir ganz [520] vergessen. Einschenkend. Aber nu 'mal 'ran, Frau Ulbrich'n, hier gibt's Zuckerwasser.

FRAU ULBRICH
auf der Ofenbank, immer vor steh hin lachend.
Nee, nee, mich laßt zufrieden. Hihihi!
WEIGEL.
Na denn ... weg muß'r. Prost! 'ne verdammt gemütliche Kiste is das hier.
FRAU SEIFERT.

Nu, des wird schon sinn. Un' nu schau'n Se emal her, Herr Schandarme. Setzt eine Schüssel dampfenden Bratens vor ihn hin. Hie wird recht sinn.

WEIGEL.

Ah! Ah! Aber nu ... präsentiert das Gewehr! Greift nach Messer und Gabel und macht sich heißhungrig über das Essen her.

ULBRICH
hat seine Mütze zu den Sachen des Gendarmen auf die Truhe geworfen, Rock aufgeknöpft, sich an den Tisch gesetzt.
Un' wo bleibt mei' Deel?
FRAU SEIFERT.
Dein Deel? Mon, gib emal e Stück'l Kreide, er mag's sich uff'n Disch malen.
ULBRICH.

Bis du fei' stille. In 'ner Wochen 'ner dreie fängt d'r Reih'schank an un' der erschte in der Reih' der Ansäss'gen is der Ulbrich. Der macht e »Schankfest«.

FRAU SEIFERT.
Ei gar. Da gibt's also Wellfleesch un' hausschlacht'ne Wurscht?
WEIGEL.
Also bloß damit die Pulle leer wird ... Prost!
ULBRICH.
Leer is se? Denn ha'm mir noch eene.Setzt die zweite Flasche auf den Tisch.
WEIGEL.

Nu, das läßt sich einer gefallen. Wissen Sie noch, wie's beim Kommiß war, Ulbrich?Schenkt ein. Faßt das Gewehr an! Fertig! Feuer!

ULBRICH UND WEIGEL.
Hurra! Sie trinken. Gelächter.
FRAU SEIFERT
bringt Ulbrich einen Teller Speise.
Also, wenn's fei' 'ne Schüssel Wellfleesch un' frische Wurscht setzt ...?
ULBRICH
macht sich über das Essen her.
Esoviel wie de willst, Lenl.
SEIFERT
ist währenddessen mit Gebärden der Angst in der Stube umhergegangen, nimmt sich jetzt ein Herz und setzt sich zu Weigel.
Sie wer'n entschuldigen, Herr Schandarme ... mir liegt 'n Steen uff dem Gewissen ...
WEIGEL
essend.
Spülen Se'n 'runter, Seifertleben; hier is Befeuchtigung.
FRAU SEIFERT.
Was hat bloß der Mon?
SEIFERT
wütend.
Ich halt' emal nich' länger die Gusche!
[521]
FRAU SEIFERT.
Des is doch ... wann der ja emal e Gläs'l kriegt, so is 'r gleich wie nich' gescheit.
WEIGEL.

Ja, wenn Sie's wirklich nich' vertragen können, Seifert, da is 's ja freilich besser, wenn Sie aufhören. Prost! Trinkt Seiferts Glas leer.

SEIFERT.
Herr Schandarme, schmeckt Sie denn des wirklich?
FRAU SEIFERT
wütend.
Nu guckt bloß ... su e Mensch, nu vertreibt er meine Gäste mit seiner Besoffenheet!
WEIGEL.

Lassen Sie's gut sein, Frau Seifert. Un's schmeckt viel zu delikat ... Gerade wenn's Wild is ... Hier oben im Gebirge, wo's Fleisch teuer und schlecht is, da sollten die armen Leute doch mehr Wild essen. Was, Ulbrich? Da weiß man doch wenigstens, was man ißt!

SEIFERT
faßt Ulbrich bei den Schultern.
Ulbrich, du bist mei' Freund ...
ULBRICH
aufgebracht.
Gehste weg oder ich hau' dir eene in die Lafette!
SEIFERT
seinerseits aufgebracht.

Nu, des is doch ... Wenn du eso bist un' kommst mir gleich mit Gewalttätigkeeten, da sag' ich nischt mehr, da is's mir schnuppe! Er setzt sich wütend zu Frau Ulbrich auf die Ofenbank.

FRAU SEIFERT
drohende Handbewegungen.
ULBRICH.

Da hat 'r sich nu an meine Fra' gemacht.Faßt Frau Seifert um die Hüften. Wie stehen denn mir zwee, Lenl, ha?

FRAU SEIFERT
macht sich kreischend los.
ULBRICH
singt unbeholfen.
»Wenn wir Soldaten durch die Stadt marschieren, – öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen ...«
ULBRICH UND WEIGEL
grölend einfallend und den Takt mit der Faust schlagend.

»Warum? – Darum! – Warum? – Darum! – We'n dem Tschingderassa – tschingderassa – tschingderassassa! – We'n dem Tschingderassa – tschingderassa –tschingderassassa! –« Gelächter der beiden.

NEUMERKEL
tritt ein, die Mütze auf dem Kopfe, in seinem gewöhnlichen, dürftigen Werkeltagsanzug.
DIE ANWESENDEN
stutzen.
FRAU SEIFERT.
Ei verflucht, der Buckel!
ULBRICH.
Der muß ooch gerade itze kommen.
WEIGEL.
Is das nich' dem Schönherr sein Gesell ... der aufdringliche Mensch?
[522]
NEUMERKEL.
Sie möchten entschuld'gen, ich mußt' emal herkomm'n.
FRAU SEIFERT.
Un' g'rad' uff'n Sonntagabend.
NEUMERKEL.

Des is bei uns armen Leuten egal, ob's Sonntag oder Werkeltag is, mir müssen imanand schuften. Euch merkt m'r freilich keene Not an.

FRAU SEIFERT
zu Weigel.
Eso neidisch is nu des hungrige Volk!
WEIGEL.

Was ha'm Sie uns denn zu beneiden? Wenn man uns keine Not anmerkt, so is das auch ganz in der Ordnung, versteh'n Sie mich!

FRAU SEIFERT.

Nu ä'm. Nur den Dummen geht's schlecht. Was die Gescheiten sein, die finden imanand 'nen Ausweg, hähä!

WEIGEL
den Teller hochhaltend und recht mit Hohn essend.
Freilich, und deshalb essen wir Hasenbraten und Sie, Sie dürfen zugucken.

Gelächter.
NEUMERKEL
aufgebracht.

Ich hab's ieberhaupt bloß mit'n Gemeendepoll'zeier ze tun. Zu Seifert. Die Fra' Schönherr'n schickt mich her, itze will ich mein Eegentum 'raus ha'm!

FRAU SEIFERT.
De Scheenherr'n schickt dich? Ei, guckt emal an.
SEIFERT
in großer Angst.
Mein guter Neimerkel, des geht nich' eso leichte ...
NEUMERKEL.

Was hie. Mir sein bei eenen rechtsverständ'gen Mon gewesen un' der spricht: ich soll beantragen, deß die Sach' wieder in den vorigen Stand zurückversetzt wärd un' denn richterliche Entscheidung verlangen.

SEIFERT
Blick auf den Tisch.

Mein guter Neimerkel, ich gloob', die Sach' läßt sich ieberhaupt nich' mehr in den »vorigen Stand zurückversetzen«.

ULBRICH.
Was meent 'r mit seinem »Eegentum«?
FRAU SEIFERT.

Er meent seine Katze. Schreiend. Mir müssen se verpflegen, mir müssen se füttern uff uns're Kosten un' der Dingerich wird noch frech!

WEIGEL.

Da muß ich mich wohl 'mal 'reinmengen.Kommt schwankenden Schrittes vor. Was wollen Sie ... Ihr Eigentum? Hier is Gendarm Weigel, hier is Gemeindediener Seifert. Wir stehen hier und wachen über Ihr Eigentum. Und hier, Herr Ulbrich is Zeuge, daß wir wachen.

[523]
ULBRICH
Faustschlag auf den Tisch.
Jawoll, des bin ich.
FRAU SEIFERT.

Un' wenn deine saub're Meester'n etwa'n meent, deß mir uns vor deiner frechen Gusche fürchten, denn kannst du ooch 'nausgepfeffert wer'n!

WEIGEL.
Wir können auch andre Saiten aufzieh'n!
FRAU SEIFERT.
Un' itze machste, deß de 'naus kommst!
NEUMERKEL
ängstlich auf die Türe retirierend; schreit.
Un' ich wer 's melden, wie 's zugeht beim Gemeendediener uff'n Sonntagabend!
ALLE.
'naus! 'naus!
NEUMERKEL
ist hinausgerannt.
ULBRICH.
So een Dingerich! Een' dehie ze stören.
FRAU SEIFERT.
Des is die Scheenherr'n, die hat 'n hergeschickt.
WEIGEL.
Und ich mach' Schicht. Ich hab' genug. Geh'n Sie mit, Ulbrich?
ULBRICH.
Zeit wär'sch, 's is bal' um elfe. Komm Aale.

Weigel versucht vergebens seinen Rock zuzuknöpfen, schnallt dann das Koppel über den offenen Rock, den Säbel auf dem Rücken, nimmt das Gewehr, vergreift sich schließlich und setzt Ulbrichs Postbotenmütze auf, wogegen Ulbrich des Gendarmen Käppi aufs Ohr setzt.
SEIFERT
gibt Frau Ulbrich die brennende Laterne.
Ich wer' dir emal die Laterne leihen, Christin', deß euch kee' Unglücke passiert in d'r Dunkelheet.
FRAU ULBRICH
nimmt kichernd die Laterne.
Hihihi! Nee, mich laßt zefrieden ... hihi ... mich laßt zefrieden.
WEIGEL.
Dem Kerl ha'm wir's 'mal bewiesen. Der war bald draußen.
ULBRICH.

Immer forsch, des is die Hauptsache. Schlaf wohl, Seifert. Schlaf wohl, Lenl. Biste mir noch gut? Er versucht sie um die Hüften zu fassen.

FRAU SEIFERT
macht sich kreischend los.
ULBRICH
singt.
»Wohl gerne Kuchen und Braten – Geben die Mädchen den Soldaten ...« Schwankt mit seiner Frau hinaus.
WEIGEL
grölend hinterher.
»Warum? – Darum! – Warum? – Darum! – We'n dem Tschingderassa, tschingderassa, tschingderassassa!« –
DIE SEIFERTS
stehen lachend inmitten der Stube.

Der Vorhang fällt.

4. Akt

[524] Vierter Akt

Die beiden Ulbrichs. Die beiden Seiferts. Ermischer. Neubert. Weigel. Neumerkel. Schönherr, Schnitzlersleute, Waldarbeiter, Bauern.
Erdgeschoßstube im Hause Ulbrichs. Eine Wohnstube, die in ein provisorisches Schanklokal umgewandelt wurde. Beschränkter niedriger Raum, getünchte Wände. Linker Hand, nach der Straße zu, zwei niedrige Fenster, durch die man ein paar kahle Bäume sieht. In der Hinterwand links die Türe zum Hausflur, in der Mitte der rechten Seitenwand die Türe zur Nebenstube. Die Zimmerwände sind rundum mit Tannengewinde geschmückt. Über der Türe zum Flur hängt ein tannenumwundener plumper Farbendruck: »Willkommen!« In der Mitte der Hinterwand steht ein ärmlicher Glasschrank mit allerlei altertümlichem Porzellangeschirr und mit Prunkstücken vollgepfropft. Davor auf einer Bank zwei Bierfässer. Dicht neben der Türe ein kleiner Tisch mit Biergläsern, rechts von dem Glasschranke, neben dem mächtigen Kachelofen, der sich in der Ecke erhebt, ein ebensolcher Tisch mit Schüsseln voll Wurst und Wellfleisch, sowie eine Tellersäule. So ist primitiv ein Büfett hergestellt. An der Hinterwand noch ein paar Buntdrucke: »Heute Schlachtfest!« (Ein Fleischer, der ein Schwein
schlachtet.) »Hier ist Reihenschank!« (Ein Bock mit schäumendem Bierglas.) Vor dem Ofen eine Bank. An der rechten Seitenwand eine altertümliche Uhr, nach vorne eine Kommode, an der Wand Bilder und Spiegel. Links zwischen den Fenstern ein plumpes Ledersofa, an der Wand ein paar Photographien. Von der Mitte der niedrigen Decke eine Lampe herabhängend. Inmitten der Stube ein runder Tisch, um ihn ein paar Holzstühle. Längs der rechten Wand zwei Tische mit Bänken. Links vor dem Sofa sowie vor dem Fenster Tische mit Stühlen und Bänken. Durch die Türe im Hintergrunde blickt man, auf der andern Seite des Hausflurs, in eine Stube, in der ein Bett steht.
Schöner Tag beim Beginne des Frühjahrs. Frau Ulbrich, sauber gekleidet, hantiert in blauer Schürze am Ofen und an ihren Fleischschüsseln.

SCHÖNHERR
Arbeitsanzug, tritt hastig ein.
Tag ooch, Fra' Ulbrich'n. Is der Mon noch nich' da?
[525]
FRAU ULBRICH.

Tag, Meester. Nee, er is nich' da. Ich lauere ooch schon. Die Reih'schankzeit is da, 's können Leute kommen und er läßt mich hie alleene.

SCHÖNHERR.
Ich möcht' doch gar zu gerne 'was Bestimmtes wissen ... Gebt mir een Glas Eefach, Frau Ulbrich'n.
FRAU ULBRICH
bringt es schon.

Hie is. Wohlsein, Meester. Sie sein der erschte Gast. M'r hofft, Sie bringen uns Glücke zum Reih'schank.

SCHÖNHERR.

M'r hofft ... Wohlsein. Trinkt. 's is nischt mehr los mit dem Reih'schank. Ich mach' längst keenen mehr.

FRAU ULBRICH.
Ja, des is 's eben: die Leute hangen nich' mehr an den alten Sachen.
SCHÖNHERR.
Ja, ja ... wo bleibt 'r nur, der Ulbrich?
FRAU ULBRICH.
Is 's so dringlich, Meester?
SCHÖNHERR.

Ja, ich wollt' mit ihm reden wegen dem Gesell'n, den Neimerkel. Man spricht: er hat eene Erbschaft gemacht.

FRAU ULBRICH.
Ei der Tausend, wie sollt' des möglich sinn!
SCHÖNHERR.

Er hat doch eene Schwester, drüben in Marienberg, een ganz armes Bettelmensch. Die is gestorben, und wie se sie aus der Holzkiste, da drinne sie schlief, 'rausnehmen, finden se im fauligen Stroh eenen Strump mit 'n zwanzig Daler an Ersparten ... Der Neimerkel is der eenz'ge Erbberechtigte und vor 'n Stunden 'ner zwee hat ihm der Ulbrich die Geldanweisung gebracht. Itze is 'r nach Olbernhau uff die Post, 's Geld holen.


Währenddem sind ein paar Waldarbeiter eingetreten; abgerackerte Leute, gebräunte Gesichter. Sie rauchen Pfeifen, tragen Seile, Beile, Stammsäge. Sie sind zuhorchend stehen geblieben.
FRAU ULBRICH, DIE WALDARBEITER
Ausrufe des Erstaunens.
Ei nu, was wird er nu machen ... eso viel Geld ... eso een Glück ...
SCHÖNHERR.
Und nu möcht' man doch Obacht geben, daß er nich' etwa'n Dummheeten macht mit all dem Gelde.

Die Waldarbeiter setzen sich an einen Tisch, Frau Ulbrich bringt ihnen Bier. Währenddem kommt Ulbrich angehetzt.
ULBRICH.
Tag ooch.
DIE MÄNNER.
Ah, da kommt er, der Wirt ... Tag ooch.
FRAU ULBRICH.
Nu sag bloß, Mann, wo bleibst du nur.
[526]
ULBRICH
steht im Hausflur, wirft seine Dienstsachen m die hintere Stube aufs Bett, zieht einen blauen Hauskittel an.
SCHÖNHERR.
Hat's denn seine Richtigkeet mit Neimerkels Erbschaft, hä?
ULBRICH.

Nu laßt mich bloß, ich hab' mich abgehetzt ... also, 's hat alles seine Richtigkeet. Ich bin dabei gewesen, wie'n der Sekretär 's Geld ausgezahlt hat. Zwanzig Taler.


Ausrufe des Erstaunens.
SCHÖNHERR.
Was macht er nu?
ULBRICH.
Er sitzt im »Erbgericht« in Olbernhau und macht »Fettlebe«.

Gelächter.
SCHÖNHERR.
Wenn er nur keen dummes Zeug angibt.
ULBRICH.
I ja, se werden ihm sein bill' Geld schon beizeeten allemachen.

Ermischer und Seifert kommen herein. Ermischers Gesicht ist leidlich wieder hergestellt. Die Leute stoßen sich an; Zeichen, unterdrücktes Kichern. Ermischer nimmt an einem leeren Tische Platz, Seifert setzt sich auf die Ofenbank.
ERMISCHER.
Ta-a-g.
DIE LEUTE.
Tag ooch.
ULBRICH
hereinkommend, höhnisch die Mütze ziehend.
Ah, der Ermischer. Nu, wie is denn das? Steh'n mir itze wieder eso mitenander, daß du mich besuchst?
ERMISCHER.

's is doch Reih'schank. Meine Pflicht is es, nach dem Rechten zu seh'n ... een Zuckerbier trink' ich.

ULBRICH.
's recht, un' der Seifert?
SEIFERT.
Ich dank' scheen, ich bin im Dienst.
ULBRICH.
Nu ... een Glas Eefaches bist du mir schonn wert ... Herrjess's, wie siehste denn aus, hä?!
SEIFERT.
Laß du mich zufrieden. Een jeder tragt sein Päckel, un' ich hab' meinen Steen uff dem Gewissen.

Gelächter.
ULBRICH.
Uff seine alten Tage kriegt's nu der Dingerich noch in den Kopp.

Unterdessen treten Bauern ein, ärmliche, von der Feldarbeit gebräunte Leute. Die setzen sich an Ermischers Tisch.
SCHÖNHERR.

Nu, Herr Fierstand, Sie sein ja wieder uff dem Posten. Vor'n Wochen 'ner dreie sah ich Sie, da sah'n Sie aus, als kämen Sie aus dem Türkenkrieg.


Unterdrücktes Gelächter.
[527]
ERMISCHER
wütender Blick auf Schönherr, dann zu den Bauern.
Der Reih'schank geht recht laut dahie, hä?
EIN BAUER.

Des wird noch besser. Haußen leeft der Neibert-Verlag'r 'rumm un' holt 'nen ganzen Zopp Schnitzlersleute zusammen.

SCHÖNHERR
höhnisch zu den Arbeitern.

Des macht, der große Neibert möchte doch gerne in den Gemeenderat, da gibt 'r nu 'ne Lage Freibier und eso wird denn die Sache gemacht, hähä.


Der Verleger Neubert erscheint unter der Türe mit einer Anzahl Schnitzlermeistern, dürftigen, schüchternen Leuten.
NEUBERT.

Kommen Sie nur herein, meine Herren, Sie brauchen sich nicht zu genieren. Ich sehe eine Ehre drinn ... heut sind Sie meine Gäste.

DIE SCHNITZLER.
Nee, Herr Neibert, eso geht des nich'. – Des woll'n mir nich' ha'm. – Mir sein Meester.
NEUBERT.

Machen Sie doch nich' so viel Umstände wegen 'nem Glas Bier. Herrgott noch mal! Ich bin ja schließlich auch bloß Meister ... Tag, ihr Leute.


Allgemeines Grüßen. Schönherr und Neubert messen sich mit grimmigen Blicken.
NEUBERT.

Na, Ulbrich, ich bin auch 'mal zu Ihnen gekommen ... will 'mal sehen, wie's auf so 'nem Reih'schank im Gebirge zugeht.

ULBRICH.
's recht, Herr Neibert. Womit kann ich dienen?
NEUBERT.

Geben Sie 'mal Bier her. Den Meistern hier und ... na, da sitzen ja auch die Waldarbeiter. Habt ihr auch die Gläser schon leer? Geben Sie auch da 'ne Runde hin.


Die Waldarbeiter: vergnügtes Gemurmel. Die Bauern und Schönherr: höhnische Blicke, gegenseitiges Anstoßen.
NEUBERT.

Da sagen nun die Leute, ich wäre stolz. Ulbrich, Sie bringen mir doch alle Tage 'n paarmal Geschäftsbriefe. Ha'm Sie schon 'mal was von Stolz an mir bemerkt?

ULBRICH.
I ja, Herr Neibert, i ja ...
NEUBERT.

Na, da hört ihr's ja. Alles leeres Gerede. Ich will nich' mehr sein wie die andern. Prost, ihr Leute.

ZURUFE.
Prost, Herr Neibert! Trinken.
NEUBERT.

Ja ... deshalb bin ich auch als Vertreter der allgemeinen Interessen für die Gemeinderatswahl aufgestellt worden. Ich werde schon meine Pflicht tun. Die, die mich wählen, sollen den richtigen Mann auf den richtigen Platz gestellt haben. Was, ihr Leute? Teilweise Zustimmung. Gemurmel. [528] Ich werde versuchen, Verbesserungen im Orte zu schaffen, denn es gibt ja genug zu bessern, ja ... so vieles ... also ...


Die Bauern tuscheln mißvergnügt mit Ermischer.
ERMISCHER.
Nu ... Sie wer'n entschuldigen ... ich möcht' bloß wissen, was da zu bessern is?
NEUBERT
vor ihm, Brille auf der Stirn, rennt dann nervös lachend umher.

Na, wissen Sie, wenn man da anfangen wollte ... also, wenn man da anfangen wollte ...! Aber ich zanke mich nich'. Ich will frei gewählt werden, ohne gehässige Agitation ... Geben Sie doch noch 'ne Runde Bier, Ulbrich.

ULBRICH.
Jawohl, Herr Neibert, des wird besorgt.

Die Bauern, Schönherr: höhnisches Lächeln.
WEIGEL
kommt herein.
Tag, lieber Ulbrich, ich will auch 'mal 'n Glas Bier auf dem Reih'schank trinken.
ULBRICH.
's recht. Tag ooch, Herr Schandarme.
NEUBERT.
Tag, Herr Gendarm, auch hier?
WEIGEL.

T-a-g. Neubert bemerkend, strammstehend. A Pardong, Herr Neubert. Habe Herrn Neubert gar nicht gesehen.

NEUBERT.
Wollen Sie sich nich' 'n bißchen hersetzen?
WEIGEL.

Wenn Herr Neubert gestatten, bin ich so frei. Setzt sich zu Neubert an den Tisch. Ermischer bemerkend, nachlässig. Ah, Servus!

NEUBERT.
'n Glas Bier für den Herrn Gendarmen ...! Haben Sie tüchtig auf den Dienst spannen müssen?
WEIGEL.
Ja, allerdings ... zu tun gibt's immer. G'rade jetzt hab' ich unten im Ort einen Auflauf zerstreut.
NEUBERT.
Einen Auflauf? Was Sie sagen.
WEIGEL.

Ja, mitten d'rin war der bucklige Spielwarenmacher, der Neumerkel. Der Kerl kommt in einem Aufzuge von Olbernhau 'rüber ... na.

ULBRICH.
Er hat eene Erbschaft gemacht.
NEUBERT.
Eine Erbschaft? Na, das muß 'was Rechtes sein.
WEIGEL.

Ja, und die legt er nun, wie's scheint, in Schnaps an. Lärm draußen. Da hören Sie's ja schon, da is 'r ja angelangt.

NEUBERT.

Da sieht man's nun wieder. Für solche Leute is plötzlicher Geldbesitz geradezu 'n Unglück. Solche Leute muß man knapp halten. Zu den Anwesenden. Das heißt: ich meine das natürlich nur in bezug auf diesen speziellen Fall. Verallgemeinern will ich das nicht. Prost, ihr Leute!

VIELE STIMMEN.
Prost, Herr Neibert! Prost!

Neumerkel kommt herein, angetrunken, in seinem gewöhnlichen [529] Arbeitsanzuge, einen nagelneuen, grauseidenen Filzhut auf dem Kopfe, weiße Glacés an den Händen und mit einem neuen Sonnenschirm.
NEUMERKEL
im Hausflur, auf die Straße rufend.

Da denkt ihr, ihr könnt mich verachten? Ich wer's euch emal weise machen, so's Kapital sitzt. Schaut emal her! Wirft eine Handvoll Kupfermünzen auf die Gasse.


Kinderjubel draußen.
DIE WALDARBEITER UND BAUERN
erheben sich neugierig.
Nee, dees is doch- Er schmeißt's mit vollen Händen auf die Gasse. Er hat's Geld zum Wegschmeißen!
NEUMERKEL
in der Stube.

Hä? Schaut euch emal den Neimerkel an! Was sagt 'r nu? Bisher war ich een armer Schnitzlersjung', itze gehör'n mir zu'n Mittelstand. Auf die Tasche schlagend. Mir ha'm Geld wie Heu!

WEIGEL.
Ihre paar Taler wird bald der Teufel geholt haben.
NEUMERKEL.

Nu, fier mich langt's zu. Eenen neien Hut ho'n ich, een paar Klassiker und eenen Schärm und nu geh' ich meine Erbschwester begraben.


Gelächter.
WEIGEL.

Es wird auch not tun, daß Sie hier fortkommen. Bei 'nem andern Gemeindevorstand säßen Sie schon längst in Numero Sicher.

NEUBERT.
Sehr richtig, Herr Gendarm, sehr wahr gesprochen.
NEUMERKEL.
Nu, m'r wird doch noch een Wort sagen dürfen.
ERMISCHER
vorkommend.

Des is ooch dehie nich' anders, und wenn du dich dehie noch lange so ufführst, so kommst du sicher ins Spritzenhaus.

SCHÖNHERR
tritt ebenfalls vor.
Des wär' nu allerdings 's erschte Mal, deß een Gesell' vom Meester Scheenherr ins Spritzenhaus käme.
NEUBERT.
Wenn er sich danach beträgt ...
SCHÖNHERR.

Es is gewiß nich' recht, deß 'r sein Geld uff die Gasse schmeißt und sich betrinkt, aber was 'r mit seinem Gelde macht, des geht den Fierstand nischt an.


Zustimmende Gebärden der Waldarbeiter.
ERMISCHER
wütend.
Er macht der Gemeende bloß Schaden!
NEUMERKEL.

Wer macht Schaden? Itze bin ich een vermögender Mensch und wenn ich eenen Schaden mach', da wird's bezahlt.

ERMISCHIR.

Du wärst der Rechte. Eh' du dich dehie dicketust [530] mit deinem Gelde, bezahl du erscht der Gemeende was du ihr gekost' hast.

DIE BAUERN.
So is 's recht. – Er vertrinkt sein Geld. – Er mag bezahl'n, was 'r uns Unkosten gemacht hat.
NEUMERKEL
stutzt, tritt an ihren Tisch heran.
Was wär' ich euch Kartuffelbauern ooch schuldig!

Gelächter.
ERMISCHER.

Werd' du emal nich' frech, verstehste! Du bist uns schuldig, was deine Katze verdorben hat, die Verfahrenskosten, die Verpflägungskosten ...

NEUBERT.

Ganz richtig, ich hab' auch noch 'ne Schadenersatzforderung für Reinigung von Wäsche und Kleidungstücken.

ERMISCHER.
Und du willst dich dehie mausig machen?
WEIGEL.
Dem Burschen muß 'mal die Autorität gezeigt werden!
DIE BAUERN.
Schmeißt'n 'naus! – 'naus mit dem Kerl! – 'naus! 'naus!
SCHÖNHERR.

Ruhe dahie, zum Donnerwedder! ... Wenn mein Gesell' hie nich' gelitten is, so geht er alleene, aber von 'nausschmeißen gibt's nischt ... Neimerkel, sieh, deß du weiterkommst.

NEUMERKEL.

's recht, 's gutt ... Geht zur Türe, kehrt plötzlich hastig um. Von euch lass' 'ch mich noch lang' nich' lumpen. Was 's kost', des bezahl' ich!

ERMISCHER
guckt ihn über die Achsel an, lacht verächtlich und setzt sich an seinen Tisch.
NEUMERKEL
haut wütend Taler über Taler auf den Tisch.

Dehie und hie und hie ...! Hie sein die Unkosten, gebt mir mein Eegentum 'raus und mir sein fertig miteinander.


Gemurmel, Erstaunen, allgemeine Spannung.
ERMISCHER
guckt ungläubig das Geld an, streicht es dann rasch ein.

Des wär' ich mir nich' zweemal sagen lassen. Die paar Neigroschen, die iebrig sein, kannste morgen uff'm Gemeendeamt holen. Da kannste ooch deine Katze kriegen.


Gelächter der Bauern.
NEUMERKEL.
Nu, des gibt's nich'! Hie is mein Geld, wo is mein Eegentum?
SCHÖNHERR.
Des wär' ja noch schöner. Wenn der Mann den Schaden bezahlt, muß er seine Sach' ha'm.
DIE WALDARBEITER UND SCHNITZLERSLEUTE.
Da hat 'r recht. – Des is keen Verhalten. – Der Mann hat bezahlt, wo is sein Sach'?
[531]
ULBRICH.

Weeßte, Ermischer, mich geht's nischt an, aber des scheint mir ooch nich' recht. Der arme Mensch gibt sein Letztes her, da kann er verlangen, daß 'r seine Sach' krieg'.

ERMISCHER.
Er kann se ja morgen holen.
SCHÖNHERR.
Itze hat er se zu verlangen!

Neubert läuft lachend in der Stube umher.
WEIGEL.

Ulbrich hat ganz recht. 'n korrektes amtliches Verfahren is jedenfalls, daß 'ne beschlagnahmte Sache herausgegeben wird, sobald der Schaden ersetzt ist.

ERMISCHER.
Was soll'n mir uns streiten ... Gemeendediener! ... Seifert ...! Seifert!!

Seifert kommt in schlotternder Angst vom Ofen her nach vorn.
ERMISCHER.
Geh' emal und hol' den Neimerkel seine Katze.
SEIFERT
unartikulierte Laute.
ERMISCHER.
Hä?
SEIFERT.
's is bloß ... meine Fra' wird nich' d'rheeme sinn.

Gelächter.
ERMISCHER.

Nu, des wär' noch schöner. Seit wann geht's in Gemeendeangelegenheeten nach deiner Fra'! Allongsch marschee!


Seifert entfernt sich in großer Angst.
ULBRICH.
Wos hot bloß der Kerl!
NEUBERT
lacht.

Mir kommt die Sache bald verdächtig vor. Jedenfalls is es merkwürdig ... Wenn ich im Gemeinderat wäre ... Prost, Herr Gendarm ... Sie ha'm ja nichts zu trinken. 'n Bier, Ulbrich.

WEIGEL.

Danke sehr ... Prosit, Herr Neubert ... Ich höre, Herr Neubert wollen sich für den Gemeinderat aufstellen lassen?

NEUBERT.

Nu ... es is der Wunsch an mich herangetreten und ... ich bin nicht abgeneigt ... ich meine, sofern man mich wählt ...

WEIGEL.

Na, da wird wohl niemand hier unter Ulbrichs Gästen sein, der Herr Neubert nich' mit Freuden seine Stimme gäbe.


Schweigen.
SCHÖNHERR
höhnische Lache.
WEIGEL.

Na, erlauben Sie ... warum nich'? Herr Verleger Neubert is ein bereister Mann, der die Welt gesehen hat. Er war in Dresden und Leipzig, er war auch schon 'mal im Auslande ... jawohl, in Sachsen-Altenburg hat er 'ne Knopffabrik gehabt. So 'nen Mann kann der hiesige Gemeinderat [532] gebrauchen. Der wird 'mal Ordnung schaffen. Was, Herr Neubert?

NEUBERT.
O gewiß. Ordnung ... Wo ich Schlumperei sehe, fahr' ich dazwischen.
WEIGEL.
Na also, da hört ihr's ja. Und Schlumperei gibt's doch in der Gemeinde genug.

Unwilliges Gemurmel der Bauern.
ERMISCHER.
Nu, wenn so 'was der Schandarm spricht, möcht' ich bloß wissen, wo die Schlumperei sinn soll?

Neubert und Weigel sehen sich an, lachen mitleidig.
WEIGEL.
Hab' ich 'was gesagt?
NEUBERT.
I bewahre – Sie haben ganz im allgemeinen gesprochen, Herr Gendarm.
WEIGEL.
Also ... was wollen Sie denn eigentlich, lieber ... lieber Ermischer?
ERMISCHER
blitzig.
Also ... »lieber Ermischer«, des gibt's ieberhaupt nich'. Ich sprech' ooch nich': »lieber Weigel«.
WEIGEL.
Das würde ich mir auch schön verbitten.
ERMISCHER.
Und ich verbitt' mir des!!!
WEIGEL.

So ... – Verlegenheitspause. Ich mache manches gerne freundschaftlich, gemütlich ab; ich kann aber auch stramm dienstlich sein ... ja. Plötzlich aufspringend, blitzig herausfahrend. Wenn ich von »Schlumperei« rede, werd' ich schon wissen, was ich meine, versteh'n Sie mich!

ERMISCHER
geduckt.
Nu aber, Herr Schandarme ... dann sagen Sie's doch.
WEIGEL
immer heftiger.

Ich kenne überhaupt 'ne gewisse Gemeinde, wo's nächstens 'nen großen Wechsel geben wird, in den oberen Regionen nämlich ... da wird sich einer umgucken!

ERMISCHER
ganz verängstigt.
Ich mecht' bloß wissen ... Gebb mir noch een Zuckerbier, Ulbrich.
NEUBERT.
Sie haben da gewiß sehr zutreffende Andeutungen gemacht, Herr Gendarm.
WEIGEL
sitzt triumphierend da.
Wenn ich von »Schlumperei« spreche, weiß ich schon, wo ich hinaus will.
NEUBERT.
Nu freilich, man braucht sich doch bloß umzusehen ... Der Zustand der Gemeindewege ...
WEIGEL.
Also, da ha'm wir ja gleich 'was. Nu kommt's ja 'raus.
ERMISCHER.
Eso eene arme Gemeende kann nich' mehr fier Wegebau uffbringen.
[533]
DIE BAUERN
schreien wütend.

Uns sein die Gemeendewege gut genung! – Mir wer'n dahie erdrückt von Wegebaukosten! – Mir ha'm g'rade satt Steiern!

NEUBERT.

Und die Gemeindefeuerwehr sollten Sie 'mal sehen. Wenn's 'mal in meiner Fabrik brennt, ha'm sie noch nich' mal 'ne brauchbare Spritze.

ERMISCHER.
Mir ha'm kee' Geld.
DIE BAUERN
wie vorher.
Zu was brauchen mir 'ne Feuerspritze! – Mir löschen mit Wassereemern! – Mir ham' doch keene Fabrik!
ULBRICH.

's mag sinn, wie's will, ich sprech': een bill' mehr Schneid könnt' den Gemeendefierstand nischt schaden.

SCHÖNHERR.

Jawoll. Wenn m'r bedenkt, deß der Neimerkel sein Eigentum bloß itze kriegt, weil mir druff drücken ...

WEIGEL.

Freilich, daß der Mann sein Eigentum nicht sofort zurückerhalten sollte ... Um die Sache werde ich mich jetzt 'mal bekümmern.

DIE BEIDEN SEIFERTS
kommen herein, er zitternd hinter seiner Frau.
STIMMEN.
Da kommt der Seifert! – Er hat seine Fra' mittebracht. – Er hat ja die Katz' nich'! – Was is los?
FRAU SEIPERT
frech.
T-a-g. Was soll denn wieder emol los sinn mit meinen Mann, hä?
ERMISCHER.
Warum habt 'r die Katz' nich' mittebracht?
NEUMERKEL
schreiend.
Ich verlang' mein Eegentum 'raus, mein Eegentum!
SCHÖNHERR.
Sei du ruhig, Neimerkel, des wird sich schon finden.
FRAU SEIFERT.
Ich weeß nischt davon. Die Katz' is uff un' davon.

Alle springen erregt von den Plätzen.
WEIGEL.
Hab' ich's nich' gesagt? Da sieht man's ja wieder 'mal!
ULBRICH.
Des is doch een Skandal. Dem armen Menschen geschieht's größte Unrecht!
NEUMERKEL.
Ich verlang' mein Eegentum 'raus! Ich hab' bezahlt, ich verlang' mein Eegentum!
SCHÖNHERR.
Ruhig, Neimerkel, du wirst schonn seh'n ... Uff der Stelle verlang' ich Nachforschung!
ERMISCHER.

Des war eene beschlagnahmte Sache, der Seifert hat se in Verwahrung gekriegt und nu is se weg. Was is des fier een Gemeendediener!

[534]
FRAU SEIFERT.
Nu, mir ha'm ooch nich' eso uff se gespannt, mir mußten se doch eemal behalten fier die Kosten ...
SCHÖNHERR.
Mei' Gesell' hat alles bezahlt!
FRAU SEIFERT
fassungslos.
O Gott, o Gott, o Gott! Se is weg. Ich weeß ooch nich' ... weeßt du nich', Mann?
NEUMERKEL.
Mein Eegentum oder 's Geld!
NEUBERT
rennt lachend in der Stube umher.
ULBRICH
zu Frau Seifert.

Also, wenn du denkst, du kannst uns dehie mit deiner Schlechtigkeet für dumm verschleißen, denn werden wir's dir emal beweisen!

ERMISCHER.
Werd' ihr nu endlich sagen ...!
WEIGEL.

Also Ruhe. Die Sache übernehme ich hiermit. Das is 'n Kriminalfall, ich wer' schon Licht hineinbringen.

ULBRICH.
Drücken Se nur druff, Herr Schandarme, drucken Se druff!
WEIGEL
Bleistift, Protokollbuch.
Also, wann is die Katze angeblich weggelaufen?
FRAU SEIFERT.

Ich weeß ooch nich' ... 's kam emal abends een unbekannter Mon ... mit 'n schwarzen Mantel un' eenen großen schwarzen Bart ...

WEIGEL.

Den Mann kenn' ich. Der kommt immer zu den Dummen, wenn sie sich nich' mehr zu helfen wissen. Also, Gemeindediener, wollen Sie nun sagen, wie die Sache steht oder soll ich Anzeige bei der Oberbehörde erstatten?

FRAU SEIFERT
halblaut ängstlich.
Herr Schandarme, Herr Ulbrich ... ich möcht' bitten ... mir sein Freundschaft.
SCHÖNHERR
höhnische Lache.
Ach nee, se sein Freundschaft.
ULBRICH.
Uff die Freundschaft pfeif' ich!
WEIGEL.

Wenn ich im Dienst bin, kenn' ich keine Freundschaften und keine Rücksichten ... also, Seifert, wollen Sie Ihre Lage durch ein offenes Geständnis erleichtern oder wollen Sie mit Schimpf und Schande aus dem Dienst fliegen?

SEIFERT
plötzlich alle Schüchternheit überwindend, wütend herausschreiend.
Nu, wenn ich ... un' ich soll aus dem Dienst, so is mir alles egal!
WEIGEL.
Jetzt kommt's 'raus.
FRAU SEIFERT.
Mon, Mon, wirst du nich' ...!
ULBRICH.
Wirst du deinen Mann woll reden lassen. Immer 'raus damit!
SEIFERT.
Se is nich' uff un' davon, mir ha'm se alle gemacht!
[535]
ALLE
in höchster Spannung.
Ah!!!
SEIFERT.

Ich hab' ihr den Kopp abgehackt, meine Fra' hat se gekocht un' ihr zwee, – Auf Weigel und Ulbrich zeigend. – ihr habt se gefressen!!


Weigel und Ulbrich stehen wie versteinert. Die Leute, die einen Augenblick starr waren, brechen in ein endloses Hohngelächter aus.
ULBRICH.
Ihr spracht doch: ihr hättet 'nen Hasen tot uff dem Felde gefunden ...?
FRAU SEIFERT
in die Schürze heulend.

Mir ha'm nicht gewußt, was mir sagen sollten un' da ... un' da ... Plötzlich wütend. Nich' emal e Finkl ieberlei gelassen habt 'r un' nu wollt 'r meinen Mon um seinen Posten bringen? Kommt mir nur!


Gelächter.
ULBRICH
kratzt sich hinter den Ohren, geht geduckt hinter den Schanktisch zu seiner Frau, von wo er nicht mehr hervorkommt.
NEUMERKEL.
Mei' Eegentum 'raus! Mei Geld 'raus!
ERMISCHER.

Nu wer' ich mich der Sache emal annehmen. Seifert, geh' emal uffs Gemeendeamt, deß mir dadrieber een Protokoll anfert'gen.

SEIFERT.

's recht. Mein Posten is emal futsch; ich werd' schon 'ne Gemeende finden, die eenen tücht'gen Poll'zeier braucht.


Er geht unter dem Gelächter der Leute, gefolgt von seiner Frau, hinaus. Unter der Tür wendet sich diese und stürzt auf die Bauern zu.
FRAU SEIFERT.

Des könnt ihr Kartuffelbauern euch ieberhaupt emal merken: wenn ihr euren Poll'zeier bloß zweelf Neigroschen den Tag gebt, so dürft ihr ihm nischt Eßbares in Verwahrung geben! Rennt ihrem Manne nach.


Gelächter der Leute.
WEIGEL
der fassungslos, völlig geduckt beiseite gestanden hat, nimmt sich zusammen; mit unterdrückter Stimme zu Ermischer.

Herr Gemeindevorstand, kann ich vielleicht in der Sache ... ich meine, ob Ihre gütige Nachsicht ... meine Personalakten sind ohnehin so umfänglich ...

ERMISCHER.

Ich weeß schon. Bedeutsam. Das wird sich alles nach Ihrem zukünftigen dienstlichen Verhalten richten.

WEIGEL
Hände an der Hosennaht, militärisch stramm, überlaut.
Zu Befehl, Herr Gemeindevorstand.
[536]
ERMISCHER.
Ich wer' die Sach' prüfen und Sie dadrieber vernehmen. Sie sein doch bereit?
WEIGEL.
Zu Befehl, Herr Gemeindevorstand.
ERMISCHER.

Find't sich irgend een Entschuldigungsgrund, so wer' ich mich Ihrer wohlwollend annehmen, lieber ... lieber Weigel.

WEIGEL
zuckt zusammen, dann schneidig.
Fühle mich sehr geehrt, Herr Gemeindevorstand.
ERMISCHER.
Na, denn hätt' ich Ihnen vorläufig nischt mehr zu sagen.
WEIGEL.

So habe ich die Ehre, mich dem Herrn Gemeindevorstand ganz gehorsamst zu empfehlen.Macht kehrt, geht stramm hinaus. Hinter ihm her Gelächter.

ERMISCHER.
Den hab' ich aber geduckt.
NEUMERKEL.
Un' was wird denn nu mit meinem Gelde?
ERMISCHER.
Wart's ooch fei' ab. Der Gemeenderat wird beschließen un' denn wirste seh'n.
SCHÖNHERR.
Da kann er ja warten. Ich meene, wenn er sein Eegentum nich' kriegt, hat er sein Geld zu verlangen.
ERMISCHER.

Der Schaden is da, so oder so. Hie is Herr Neibert. Uff seine Beschwerde is die ganze Sache gemacht. Er verlangt vier Daler Schadensersatz.

NEUBERT
der umhergerannt ist, schießt vor.

Was, erlauben Sie mal! Nun, da die Gemeinde blamiert ist, wollen Sie mir wohl die Geschichte in die Schuhe schieben. Aber da verzichte ich lieber auf allen Schadensersatz!

SCHÖNHERR
laut zu den Leuten.

Habt ihr's gehört? Herr Neibert verzichtet uff Schadensersatz. So muß Neimerkel die vier Daler 'rauskriegen!

DIE LEUTE.
's recht! 's recht!
ERMISCHER
sieht Neubert, der ihm den Rücken gekehrt hat, unschlüssig an.

Ja, wenn des Herrn Neiberts Ernst is, so muß ich freilich ... Legt zögernd vier Taler auf den Tisch. Hie is der Schadensersatz.


Neumerkel streicht das Geld eilends ein.
NEUBERT.

Das heißt ... das is ja ... Gut, aber wenn ich keinen Schadensersatz bekomme, inwiefern haben diese Seiferts Verpflegungskosten zu beanspruchen, hä?

ERMISCHER.
Da ha'm Sie recht, nach Lage der Sach' kriegt der Seifeit keen Verpflegungsgeld.
NEUBERT.
Gut, dann müssen Sie aber auch das auszahlen.
[537]
ERMISCHER
legt Geld auf den Tisch.
Scheen. Hie sein zwee Daler Verpflegungsgeld.

Neumerkel streicht es ein.
SCHÖNHERR.

Wie aber steht's mit'n Verfahrungskosten? Wie kommt der Neimerkel dazu, der Gemeende Verfahrungskosten zu bezahlen, wenn des Objekt verschwunden is?

NEUBERT.
Das is ganz richtig; wenn ich nichts kriege, kriegt die Gemeinde auch nichts.
ERMISCHER.
Aber die Auslagen sein doch gemacht?
SCHÖNHERR.
Aber der Neimerkel hat se nich' zu bezahlen.
ERMISCHER
kleinlaut.
Des heeßt ... hie sein ... die Daler ... Legt den Rest des Geldes hin.
NEUMERKEL
streicht es ein.
Stimmt uff Heller un' Pfeng'. Die Erbschaft wär' wieder zusammen!

Gelächter.
ERMISCHER.

Ja, aber ... was wird denn nu? 's ausgegebene Geld steht bei der Gemeende zu Buche, wer bezahlt denn die Sach'?

SCHÖNHERR
nimmt höhnisch den Hut ab.
Ja, Herr Gemeendefierstand, die wer'n Sie wohl selber bezahlen müssen.
ERMISCHER
starrt ihn verblüfft an, greift dann wütend nach seinem Hut und stürzt hinaus.
I, da mag der Deifel dehie Gemeendefierstand sinn!

Gelächter hinter ihm her.
NEUBERT.

Wie liegt denn nun die Sache? Der Neumerkel hat sein Geld wieder, ich hab' den Schaden und obendrein noch den Spott?!.. Außer sich. Ich muß mich dafür bedanken, in so 'ner Gemeinde 'nen Gemeinderatsposten anzunehmen! Rennt hinaus.


Gelächter.
DIE BEIDEN ULBRICHS
hinter ihm her.
Herr Neibert! Herr Neibert! Sie ha'm ja's Freibier zu bezahlen vergessen! Herr Neibert ...!

Gelächter.
NEUMERKEL
klappert mit dem Gelde.
Wie wär's, Meester, wenn ich die Zeche glatt machte?
SCHÖNHERR.

Sei nich' dumm, Neimerkel. Des is doch immer verdeelt. Der eene sorgt für den Spaß un' die andern bezahlen die Kosten!


Der Vorhang fällt.
[538]

Fußnoten

1 Erzgebirgische Volksweise, von mir in Ehrenfriedersdorf gehört.

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