Ludwig Rubiner
Nachwort zu
»Kameraden der Menschheit«

[326] Jedes Gedicht dieses Buches ist ein Bekenntnis seines Dichters zum Kampf gegen eine alte Welt, zum Marsch in das neue Menschenland der sozialen Revolution. Bekenntnis, das abgelegt wurde, als das noch die persönliche Sicherheit des Bekenners gefährdete. Und damit haben einige Dichter unserer Zeit endlich getan, was der Literatur der letzten Generationen so fernlag: sie haben mit Mut Verantwortung auf sich genommen. Die Wahl der Gedichte folgte dieser Bedingung der künstlerisch ganz ausgedrückten, offenen, menschlichen Parteinahme; sie erfolgte nicht nach dem elenden Allerweltsstandpunkt des sogenannten »rein künstlerischen« Wertes. Wir wissen, daß der »rein künstlerische« Wert unrein und ein Unwert ist; denn die Künstlerästhetik ist ein Denksystem des Bürgers, das die Abkehr von jeder entschiedenen Richtung auf den Kampf für die Gemeinschaft rechtfertigen soll und das dem als Künstler Auftretenden ermöglichen will, die persönliche Verantwortung gegenüber der Mitmenschheit abzulehnen. – Wir dagegen wissen und wollen, daß der Dichter menschlich für seine Worte verantwortlich ist und daß er mit ihnen den ungesagten Willen der anderen ausspricht. –

Aufgenommen wurden in dieses Buch auch die Gedichte einiger Dichter, die sich zunächst vom Kriege übermannen ließen, aber deren Erweckung und Bekehrung zum Kampf gegen den Krieg noch lange Jahre vor Kriegsende deutlich wurde. Nicht aufgenommen sind aber die sogenannten Arbeiterdichter, die als ehemalige Proletarier wissen mußten, was im Kriege gegen das Volk geschah, die sich vom Kriegskapitalismus zu jeder Art lyrischer Aktion gegen die verblutende Menschheit hündisch verräterhaft mißbrauchen ließen und die heute, selbstverständlich, jede Revolutionskonjunktur mitmachen.

Mut und Verantwortung, Hingabe der eigenen Person für eine Menschheitsidee – diese vom anständigen Literaten soeben erst entdeckten Voraussetzungen zur ethischen Änderung [326] der Welt – waren aber schon seit Generationen ganz selbstverständliche Bedingungen für das Proletariat:

Es ist nichts anderes als das Fehlen der langjährigen menschlichen Schulung des Proletariers, das den Dichter der Revolution auch sachlich und erkenntnismäßig weit hinter das Proletariat zurückstellt. Er ist ein Neuling der Revolution. Er nimmt zunächst noch gar nicht an der wirklichen Gemeinschaftstat teil. Der aufrichtige Revolutionsdichter, den wir heute kennen, der nicht Schlagworte reimt, sondern durch dichterische Schöpfungen die Revolution geistig vorwärtszutreiben sucht, stammt fast nie aus dem Proletariat, sondern beinahe immer aus dem Kleinbürgertum. So war seine historische Aufgabe zuerst, sich selbst aus dem Kleinbürgertum zu befreien. Daher ist die seelisch wertvollere Revolutionsdichtung nicht sozialistisch, sondern vorläufig noch utopistisch. Aber in dem revolutionären Neulingstum des Dichters liegt auch ein außerordentlicher Wert. Da ist, im Momente der Entstehung des Gedichtes, die Unbedingtheit, der Fanatismus, die Kompromißlosigkeit; und das Schöpferische des Revolutionsgedichtes: die ethische Entscheidung für die Zukunft. Es beschreibt nicht das Dasein, sondern ihm ist das revolutionäre Ziel selbst schon vollkommene Wirklichkeit. Wirklichkeit, die der Dichter mitten unter die Menschen stellt und an der er also aus dem Geiste und dem Willen mit zu bilden hilft. So gering unter den Dichtern die Sachlichkeit des Gemeinschaftszieles auftritt – die Produktionsmittel der Erde in die Hände der Produzierenden! –, so groß ist dagegen ihre Sachlichkeit auf allen geistigen, moralischen und Willenswegen der Revolution. Ihre Tat war: die Proklamation des seelischen Neubaus, die Proklamation der revolutionären Solidarität, der Gemeinschaftsfreiheit, der sozialen Gerechtigkeit.

Die alte Welt ist nicht mehr zu retten. Jeder Vers dieses Buches wirft mehr von ihr auf den Trümmerhaufen ihres Verfalls, jeder Vers ist ein kleiner Hebeldruck an der Arbeit für das Gemeinschaftsziel. Aber wie lange Zeit verging, bis die deutschen Dichter so weit kamen, sich zu entscheiden! Es ist bezeichnend, daß die ganz selbstverständlichen, ganz klaren und unbeirrbar ganz entschiedenen Kampfkameraden der Dichtung zuerst Franzosen sind, zu [327] einer Zeit, da beinahe kein deutscher Dichter die weltkapitalistische Aktion des Militarismus erkannt hatte, noch, wenn sie dunkel geahnt wurde, offen dagegen sich zu erheben wagte. Die drei französischen Dichter dieses Buches haben die Ehre des europäischen Gedichtes gerettet. Ihnen war die Hingabe an die Idee selbstverständlich, denn sie – in deren Bewußtsein die drei mächtigen Niederlagen des Proletariats in der Großen Französischen Revolution, in der Julirevolution und in der Pariser Kommune unvergessen waren – fühlten, daß es seit 1914 um die öffentliche Entscheidung im Kampfe des internationalen Sozialismus auf Jahrhunderte hinaus ging. Auch hier waren also die deutschen Dichter Neulinge. Auch hier kommt das Neulingstum fanatisch allgemeiner und wilder vorstoßend zum Ausbruch gerade so wie dieses ganze Deutschland, das bisher niemals ernsthaft an die Revolution geglaubt hatte, sich sein revolutionäres Bewußtsein offenbar mit viel größeren und schrecklicheren Opfern erkaufen muß als alle andern Völker mit revolutionärer Vergangenheit.

Und hier tritt der Dichter endlich an die Seite des Proletariers: Der Proletarier befreit die Welt von der wirtschaftlichen Vergangenheit des Kapitalismus; der Dichter befreit sie von der Gefühlsvergangenheit des Kapitalismus. Kameraden der Menschheit rufen zur Weltrevolution.

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