619. Der Wolfstein.

C. v. Falkenstein Buch der Kaisersagen S. 99.


In einem Thale des Fichtelgebirges hütete ein Schäfer auf grüner Au. Mehrmals, wenn er die Heerde heimtrieb, fehlte eines seiner Thiere, er suchte es vergebens, es war und blieb verloren. Er hält nun genauer Wache und sieht einen großen Wolf aus dem Waldesdickicht schleichen und ein Lamm ergreifen. Wüthend stürzt er ihm nach, doch der Feind ist zu flink; ehe er sich's versieht, sind Wolf und Lamm verschwunden. Nunmehr nimmt er einen geübten Schützen mit sich; der Wolf naht, doch die Kugeln des Schützen prallen an ihm ab. Da fällt dem Jäger ein, seine Waffe mit dürrem Hollundermark zu laden; nächsten Tages schießt er und heulend läuft der Räuber waldeinwärts davon. Am andern Morgen begegnet dem Schäfer seine alte Nachbarin, mit der er nicht im besten Einverständniß lebte; er fragt sie, da sie vorüberhinkt: Ei Frau Nachbarin was habt ihr an dem Bein, das nicht mit euch will? Was geht's euch an, antwortet sie, und macht, daß sie wegkommt. Der Schäfer wurde aufmerksam. Diese Frau war längst verdächtig wegen böser Zauberei. Man wollte sie auf dem Heuberg in Schwaben, auf dem Köterberg, und wieder auf dem Hui bei Halberstadt gesehen haben. Er gab sie an, sie wurde eingezogen, befragt und mit einem Stab von[164] Erlenholz gestrichen, mit welchem der Zauberei verdächtige Personen, wenn sie läugneten, gezüchtigt wurden, und dann in Banden geschlossen. Plötzlich verschwand das Weib aus dem Gefängnisse, und Niemand wußte, wohin sie gekommen. Einige Zeit darauf sah der arme Hirt unvermuthet den verhaßten Wolf wieder aus dem Walde hervorbrechen, doch dießmal kam er nicht, um seine Heerde, sondern ihn selbst anzufallen. Der Kampf war wüthend. Der Hirt nahm alle seine Kräfte zusammen gegen Zahn und Kralle des reißenden Unthiers, und er wäre des Todes gewesen, wenn nicht zur rechten Zeit noch ein Jäger vorübergekommen wäre, und nach vergeblichem Kugelschuß den Wolf mit einem Messer niedergestochen hätte. In dem Augenblick, als das Blut aus seiner Seite sprang, lag das alte Dorfweib vor ihm auf dem Felde und wälzte und krümmte sich fürchterlich. Sie wurde nun vollends getödtet und zwanzig Fuß tief unter die Erde verschüttet. Da, wo man das Weib vergrub, legte man einen großen Kreuzstein, und nannte ihn, zum Andenken an diese Begebenheit, den Wolfstein. Es war aber nie ruhig und richtig in der Nähe des Steines, und der »Tückebote« oder der »brennende Mann« treiben, wie das Volk sagt, noch jetzt hier ihr gefährliches Spiel.

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