704. Die Neujahrsrosen.
Mündlich.
In Würzburg war einmal ein Fürst, der die Rosen ungemein liebte. Immer mußten sie seine Tafel schmücken und mit Duft erfüllen. Einst war ein ungeheuer kalter Winter, alle Blumen erfroren in den Gewächshäusern, [236] da die Gartenkunst noch keine so hohe Stufe erreicht hatte, als heut zu Tage. Das that dem Fürsten unendlich leid, daß er seine Lieblingskinder, die Rosen, entbehren mußte. Dies war auch den Würzburgern bekannt, und die Bürger traten in Berathung, wie sie am Neujahrstage ihrem geliebten Fürstenherrle seine langentbehrten Rosen ersetzen könnten. Blühende Rosen waren nirgends aufzutreiben. Da verfiel ein Bäcker auf den Gedanken, Rosen aus Backwerk zu formen und dem Fürsten als Neujahrsgeschenk zu bringen. Der Gedanke fand Beifall. Am Neujahrstage brachte jeder Würzburger Bäcker dem Fürsten eine frischgebackene Rose. Der Fürst war über diesen Einfall sehr erfreut und verlieh den Bäckern mehrere Privilegien. Seit der Zeit backen die Bäcker in Würzburg Neujahrsrosen, welche sie meistens als Neujahrsgeschenke an ihre Kunden geben.