[246] Callao 1825

Der Präsident begann:

»Es war im Märzmonat achtzehnhundertfünfundzwanzig, daß wir uns – mehrere Amerikaner und Briten, meistens Schiffskapitäne, vor dem französischen Kaffeehause in Lima befanden, in einer Unterhaltung begriffen, die für mich wenigstens – wahrlich eben nicht sehr viel Unterhaltendes hatte.

Wenn ich euch sage, daß gerade zu dieser Zeit Callao von den Patrioten zu Wasser und zu Lande blockiert und wir mit spanischen Gütern nach dieser Festung bestimmt waren, werdet ihr euch vorläufig eine Idee von der Kurzweiligkeit dieser unserer Unterhaltung bilden können.

Wir waren nämlich im November des Jahres zuvor von Hause, das heißt Baltimore, nach Havanna abgegangen, hatten da unsere Ladung gelöscht, dafür eine andere, teils auf eigene, teils auf Rechnung der dasigen Regierung eingenommen und Havanna gerade am ersten Dezember, also acht Tage vor der berühmten Schlacht von Ayacucho, verlassen, deren Fama uns nun auch regelmäßig auf dem Fuße folgte, so daß wir ihr während unserer Fahrt um den südamerikanischen Kontinent herum richtig immer nur einige Tage den Vorsprung abgewannen, bis wir, auf der Höhe von Callao angekommen, von ihr und ihren erschütternden Folgen erreicht wurden, als es einzulenken bereits zu spät war.

Wir konnten gar keinen Hehl daraus machen, daß wir nach Callao wollten; unsere Kargos, darunter Zigarren, zwanzigtausend Dollar am Werte, für die Festung bestimmt, sprachen zu laut; aber ich zweifle auch, daß, selbst wenn wir es gekonnt hätten, mein Kapitän vom Versuche, das Blockadegeschwader zu durchbrechen, abzubringen gewesen wäre. Er hatte das Wagestück vier Jahre früher, als die Flotte der Patrioten von Cochrane, berüchtigten Andenkens, [247] kommandiert wurde, versucht, und es war ihm gelungen, was etwas sagen will, wenn man Cochrane kennt; und dann hatte er auch seine eigenen Yankee-Notionen – Notionen, die, wie ihr wisset, einmal in einem Yankeeschädel fixiert, absolut nicht mehr herauszubringen sind. Diese Notionen kalkulierten, den Fall Callaos auf alle Art und Weise, und es koste, was es wolle, aufzuhalten, ein Kalkulieren, das, so seltsam dieses auch klingen mag, nicht bloß meinem Kapitän, sondern auch übrigen Landsleuten gar gewaltig zusetzte. Wirklich schien ihnen der Fall dieser Festung mehr als selbst die Kondemnation ihrer Schiffe und Kargos am Herzen zu liegen. Aber diese an Republikanern – und was mehr sagen will, Amerikanern so seltsam erscheinende Sympathie zugunsten der Fortdauer einer despotischen Herrschaft wird wieder sehr begreiflich, wenn wir bedenken, daß mit dem Falle Callaos – des letzten festen Haltes Spaniens in Südamerika – der Kampf auf diesem Kontinente so gut als beendigt, unser Handel durch die Pazifikation nicht nur einen seiner einträglichsten, sondern auch interessantesten Zweige verlor. Ich sage interessantesten, denn es war gewiß bei vielen weniger der Gewinn – obwohl dieser einem Amerikaner nie gleichgültig ist – als vielmehr der Reiz der tausend mit diesem Handel verbundenen Gefahren und Abenteuer, die ihn unsern Bürgern und Seeleuten so teuer gemacht. Auch hatten wir ihn bisher ausschließend innegehabt, diesen gewinn- und abenteuerreichen Handel, zuerst, weil wir die nächsten, und dann, weil wir gerade im Besitze der Artikel waren, die die Patrioten sowohl als Spanier am meisten bedurften. Wie es von gescheiten Leuten zu erwarten, hatten wir diese Art Monopols auch auf eine Weise ausgebeutet, die eine Verlängerung des interessanten Status quo recht sehr wünschenswert erscheinen ließ. Wir hatten den Spaniern Mehl und Fleisch zugeführt, wenn die Spanier am hungrigsten und die Zufuhren mit größtem Risiko und folglich Gewinn verbunden waren, und wieder den Patrioten, wenn diese nichts mehr zu nagen hatten. Während der Blockade waren natürlich die Spanier des Sukkurses am meisten bedürftig, und es schien um so billiger, ihnen diesen zu bringen, als sie sehr gut bezahlten und die Ladungen noch vor dem Torschlusse an Mann zu bringen waren.

So war denn die Brigg Perseverance, Kapitän Ready, Superkargo meine werte Person, von den Patrioten – etwa vier bis fünf Meilen vor dem Eingange des Hafens lavierend oder vielmehr die [248] Gelegenheit zum Einschlüpfen ablauernd – angehalten, aufgebracht und sogleich auf eine Weise behandelt worden, die uns mehr als einen Fingerzeig gab, daß wir aus dieser Falle wohl schwerlich entschlüpfen dürften. Unsere persönliche Habe ward uns zwar gelassen, wir aber sogleich ans Land und so weiter nach Lima gebracht worden. Von der Brigg sowohl als dem Kargo hatten wir, seit wir sie verlassen, nichts mehr gehört. In letzterem war ich einigermaßen stark interessiert, insofern darin mein ganzes Betriebskapital, die Früchte zehnjähriger Kontordienste, staken; auch der Kapitän war zu einem Fünfteile beteiligt, an der Brigg zur Hälfte.

Für einen angehenden Kaufmann aber ist es wahrlich keine sehr angenehme Empfindung, seine Hoffnungsbarke und mit dieser sein ganzes in langjährigem Dienste zusammengescharrtes, mühsam errafftes und so gleichsam in seine Existenz verwachsenes oder doch diese begründen sollendes Anfangskapital gleich beim ersten Auslaufen – es war meine erste Unterneh mungsreise – scheitern und sich so auf der Sandbank zu sehen, um ihn herum eine Rotte Haifische, die nach ihm und seinem zweiten Selbst schnappen. In der Tat kamen mir die Patrioten damals so ziemlich wie diese häßlichen Vielfraße vor, und oft fühlte ich, als ob ich im Schlunde eines dieser Schnapphähne stäke. Ich haßte sie so herzlich, daß ich sie alle erwürgen, ihnen mit Lust hätte den Hals umdrehen können.

Nicht so wieder mein guter Kapitän. Er trug sein Schicksal mit leichter Achsel, schnitzelte, die Gleichmut selbst, an seinem Stocke oder Stöckchen, und wenn ein solches gerade nicht vorhanden, an Tischen, Bänken, Sofas oder was sich gerade vorfand, knirschte allenfalls, wenn die Rede auf die Brigg kam, mit den Zähnen, fuhr aber dann um so eifriger zu schneiden und zu schnitzeln fort. Er war überhaupt ein nichts weniger als redseliger Mann. Während unserer langen Seereise waren oft Wochen vergangen, während welcher er, die nötigsten Befehle ausgenommen, keine Silbe von sich hören gelassen. Auch sprach man ihn nicht gerne an, wenn man es vermeiden konnte. Die essigsauren Züge, die dunkeln, in einer trüben Wolke schwimmenden, wie trunkenen Augen, die fest zusammengekniffenen Lippen, die gerunzelte Stirn luden wenigstens nicht ein. Er hatte beim ersten Anblicke etwas so zurückstoßend Düsteres, als einem beinahe Bedenken einflößte, ihn anzureden. Bei dem ersten Laute jedoch, den man von ihm hörte, schwanden Bedenken und Scheu. Ein unbeschreiblicher [249] Zauber lag in jedem seiner Worte, wie Musik klang es von seinen Lippen, und selbst wenn sich seine Stimme während eines heftigen Sturmes zum Gebrülle erhob, hatte sie doch noch Wohllaut. Es war, als ob sie beruhigend, schmeichelnd den Orkan besänftigen, einlullen wolle. Jedesmal wenn er sprach, nahmen seine düstern gekniffenen Züge diesen sanft wohlwollenden Ausdruck an; auch wenn er irgendeine Gefälligkeit erwies, dann wurde der Ausdruck dieser Züge so klar, heiter, mit sich und aller Welt zufrieden! Es lächelte ordentlich aus dem sonst so finstern Gesichte; man konnte dem Manne nicht mehr gram sein, fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Darum liebten ihn aber auch alle, die ihn näher kannten, wie einen Bruder, und trotz Schweigsamkeit drängten sich alle in seine Gesellschaft. Oft beschwichtigte sein bloßer Eintritt die heftigsten Streitigkeiten. Rauh, wie natürlich Kapitäne zuweilen zu sein pflegen, weiß ich mich doch nie zu entsinnen, daß ihm einer je ein rauhes oder rohes Wort gesagt hätte. In der Tat hatte er keinen Feind unter seinen Mitkapitänen, wohl aber viele, die für ihn ihren letzten Dollar geopfert hätten.

Wir waren seit acht Jahren miteinander bekannt und insofern Freunde, als ein erster Kommis und Schiffskapitän, die in Diensten eines und desselben Hauses stehen Freunde sein können. Immer hatte ich ihn während dieser Zeit als die Loyalität und Treue selbst gekannt; doch haftete von früher her etwas wie ein dunkler Fleck auf seinem Seemannscharakter. Er war nämlich von dem Philadelphier Hause, dem er früher als Kapitän gedient und das ihn sehr jung und in wenigen Jahren vom Schiffsjungen zum Kapitän befördert, plötzlich entlassen worden. Die Ursache seiner Ungnade war nicht genau bekannt geworden. Er sollte sich auf einer Rückfahrt von Havanna ein Vergehen zuschulden haben kommen lassen, das nicht bloß das Schiff, das er kommandierte, sondern auch die Consignees sehr stark kompromittierte, ja ihm selbst den Zutritt nach Havanna verschloß. In der Tat durfte er sechs oder sieben Jahre nicht dahin.

So unbestimmt auch diese Anklagen, so brauche ich Ihnen doch kaum zu sagen, daß sie in Philadelphia hinreichend waren, ihm alle bedeutenden Häuser um so mehr zu verschließen, als er bei seinem zurückhaltenden Wesen sich wieder um keinen Preis herabließ, irgendeine Aufklärung zu geben. Längere Zeit blieben auch alle seine Versuche, [250] eine neue Anstellung zu erlangen, fruchtlos; würden es auch, trotz seiner anerkannten Tüchtigkeit, wohl noch lange geblieben sein, wenn nicht der durch die unermüdlichen Anstrengungen Bolivars frisch angefachte Krieg dem südamerikanischen Handel auch einen frischen Aufschwung gegeben und so die in diesem Handel beteiligten Häuser gezwungen hätte, bei der Auswahl ihrer Kapitäne ein Auge zuzudrücken. So wurde er, obgleich nicht ohne einiges Widerstreben, von unserer Firma als Kapitän angestellt. Und wohl mochten wir uns zu dieser Anstellung Glück wünschen, denn wir verdankten ihr großenteils den Aufschwung, den unsere Geschäfte vor allen übrigen südamerikanischen Häusern Baltimores von dieser Stunde an nahmen. Seine früheren Prinzipale, als sie dies sahen, beeilten sich zwar, ihm wieder Vorschläge, und das sehr annehmbare, zu machen, aber er lehnte sie mit Unwillen ab. Auch war er nie dahin zu bringen, von dem Vorfalle oder Vergehen, der seinem Charakter als Kapitän einen so starken Flecken angehängt, auch nur eine Silbe zu erwähnen. Man bemerkte, wenn die Rede auf das erwähnte Haus kam, ein bitteres Hohnlächeln um seinen Mund spielen, zugleich aber wurde seine Miene so zurückschreckend finster, daß auch dem Neugierigsten die Lust zu weiteren Fragen verging.

Dieses dunkle Blatt in der Geschichte des Mannes, verbunden mit seiner Schweigsamkeit und seinem düstern, brütenden Wesen, verursachten mir, ich muß aufrichtig gestehen, während der Seereise oft seltsam unheimliche Gedanken.

Doch war er wieder das Muster eines Seemannes, ruhig, fest, entschieden, seine Matrosen mehr durch Winke als Worte leitend. Auf der Brigg herrschte die Stille einer Quäkerversammlung, selbst im höchsten Zorne entfuhren ihm keine Flüche oder Scheltworte; aber die zusammengekniffenen Lippen, die gerunzelte Stirn waren dann entsetzlich zu schauen! Der desperateste Matrose kroch wie ein Hund vor diesem Blicke weg. Jedoch hielten diese Gewitterwolken nie lange an, immer schwanden sie wieder in die gewöhnliche düstere Ruhe. Diese Ruhe habe ich selten an einem Manne so unerschütterlich gefunden. Während meiner achtjährigen Bekanntschaft hatte ich ihn auch kein einziges Mal von Leidenschaft hingerissen gesehen, die Gewitterwolke auf Stirn und Lippen ausgenommen, blieb er immer die personifizierte Gelassenheit, und selbst jetzt, wo sein ganzes mühsam erworbenes Haben auf dem Spiele stand, war auch nicht das [251] leiseste Anzeichen von Ungeduld an ihm zu verspüren. Wahr ist's, er schnitt und schnitzelte zuweilen heftiger denn gewöhnlich, aber das ist ein Zeitvertreib, der, wie Sie wissen, national ist und in dem ihm meine übrigen Landsleute nichts nachgaben.

Wahrlich! Wir Amerikaner sind nicht die Leute, uns durch irgendeine Quandary – eine Teufelei den Kopf verrücken zu lassen, und wenn ihn ja einer verliert, so setzen ihn die andern durch ihren imperturbablen Gleichmut gewiß wieder zurecht, vorausgesetzt, daß hinlänglich Dulcissimus twisted, Zigarren, Federmesser und Fülle von Stöcken, Bänken, Tischen oder sonstigem schneidbaren Materiale vorhanden. Ihr hättet nur sehen sollen, mit welcher Lust, welchem Eifer unsere Landsleute nicht nur Stöcke und Stöckchen zu Dutzenden, sondern auch Tische, Sessel, Sofalehnen, kurz alle nur erreichbaren Möbel im Kaffeehause zur Verzweiflung des Wirtes beschnitten; je härter das Holz, desto eifriger ihre Federmesser. Auch hatte jeder fürsorglich sein Schleifsteinchen, einen Zoll lang und breit, an dem er das stumpf gewordene Federmesser wieder schärfte; während wieder die vier Briten immer und ewig entweder brummten, sich und die Patrioten in die Hölle verwünschten oder – besoffen. Widerwärtig rohere, brutalere und doch wieder knechtischer gesinnte Menschen als diese Briten waren mir selten vorgekommen. Nach ihrem Treiben hätte man glauben sollen, das ganze pretiöse alte England müsse zugrunde gehen, so ihren lumpigen Kargos auch nur ein Haar gekrümmt würde. Ich hatte hier Gelegenheit, Vergleichungen anzustellen, und wahrlich, sie fielen nicht zum Vorteile John Bulls aus! Pshaw! John Bull spottet über Bruder Jonathans Dollarsucht, und allerdings suchen wir die Dollars. Es ist ein starker Splitter in unsern Augen, dieses immerwährende Dollarsuchen; nur steht John Bull mit dem Balken in den seinigen der Spott schlecht an. Gewiß suchen wir die Dollars und sind auch eifrig bemüht sie zu finden; aber wenn wir sie wieder verlieren, reißen wir uns deshalb doch nicht den Hals ab wie John Bull. Ich kenne wenigstens noch keinen respektablen Amerikaner, der sich wegen Dollarverlustes gehängt oder ertränkt hätte, wie es die Briten tagtäglich tun. Bei uns ist aber auch, John Bull mag dagegen sagen, was er will, der Mann noch etwas wert, apart von seinen Dollars, aber nicht bei ihm, wo er keinen Strohhalm mehr gilt als seine Guineen. Darum ist auch der echt englische Ausdruck ›er ist soundsoviel wert‹ bei uns in den [252] Seestädten steckengeblieben, im Lande hat er kein Glück gemacht. Gewiß hat der britische Charakter brillante Züge von Gerechtigkeit, Männlichkeit, Seelengröße und Stärke, aber auch häßliche, und darunter eine Gier nach Geld und Gut, die ihm diese Dinge nicht mehr als Mittel, nein, als höchste Lebenszwecke, ja als eine Art höherer Wesen betrachten läßt, die zu erlangen er auch das Desperateste nicht scheut. Der Brite dient des Goldes wegen Türken und Juden, Karlisten und Christinos, dem Himmel und der Hölle; wir nicht, wir nur – der Freiheit! Er würde euch das Goldstück erbarmungslos und mit eisernen Krallen aus den Eingeweiden herausreißen! Gott gnade dem armen Wichte, der pennylos das großmütige Großbritanien betritt! Bei uns finden Hunderttausende von europäischer Tyrannei Ausgestoßener noch immer einen Bissen Brotes! Sagt, was ihr wollt, im Charakter des Briten ist ein Zug von gefühlloser Härte, der noch immer an den norwegischen und normannischen Seeräuber mahnt; und so sehr er sich auch in den acht- oder neunhundert Jahren seines Auftretens auf der Weltbühne abpoliert, ganz verleugnet hat er sich nie, dieser Seeräubercharakter, wo er immer auftrat, sei es in Europa oder in Asien, in Ost-oder in Westindien.«

»Bravo!« riefen alle.

»Doch wir wollen«, fuhr der Präsident fort, »keine Physiognomie der britischen Geschichte, wir wollen bloß ein simples Bruchstück aus unserm und unsers Freundes Leben zum besten geben und kehren daher wieder zu unserm Kaffeehause und unsern quidkauenden, zigarrenrauchenden – vor allem aber Stöcke und Stöckchen schnitzelnden Kapitänen zurück. Der Wirt hatte endlich glücklich das Auskunftsmittel entdeckt, das, wie ihr wißt, auch in unsern Gerichts- und sonstigen Versammlungssälen mit ersprießlichem Erfolge in Anwendung gebracht worden: Er hatte nämlich eine ganze Fuhre von Stöcken herbeischaffen lassen, mit denen er Tische und Sessel, Sofas und alles, was nur Federmesser fürchten mußte, belegte, so daß meine guten Landsleute bloß zuzugreifen brauchten, was sie denn auch mit so vielem guten Willen taten, daß Kaffee- und Billardsaal und der Vorhof mehr Schreiner- oder Drechslerwerkstätten als einem Kaffeehause glichen.

Als geistige Würze zu diesem interessanten Zeitvertreibe dienten allenfalls die sogenannten Patrioten, die auf allen Plätzen, in allen Gassen umherstanden und lagen und uns vielen Spaß verursachten. [253] Es waren die zerlumptesten Bursche, die sich je señores soldados titulieren ließen – wahre Karikaturen, wie sie in ihrer funkelnagelneuen Freiheit umherstolperten und wieder sultansartig lagerten. Der eine hatte eine spanische Jacke, die er zu Ayacucho erbeutet, der andere eine amerikanische, die er von irgendeinem Matrosen erhandelt, ein dritter hatte keine Jacke, aber dafür eine gekürzte Mönchskutte, ein vierter einen Tschako, an dem der Deckel fehlte, ein fünfter paradierte barfuß in einer Mantille, ein sechster stak in einem galonierten Sammetrocke aus den Zeiten Philipps des Fünften her. Nur die sogenannten Volontärs waren besser uniformiert; die Offiziere jedoch hatten sich seit der erwähnten Entscheidungsschlacht auf das Pompöseste herausgeputzt, ihre Uniformen strotzten von Golde, und es gab Leutnants, die statt zweier Epauletten deren sechs und acht trugen, vorne, hinten, auf den Schultern, dem Rücken, und das keine kleinen, sondern Generalsepauletten.


Wie wir also saßen und standen – es war nach der Siesta – schnitzelnd, rauchend, Quids kauend und unserm Witz oder vielmehr Mißmut auf Kosten der Patrioten Luft machend – ging eine der Seitentüren des Kaffeehauses auf und ein Offizier trat heraus, der uns denn doch eine etwas bessere Idee von den guten Patrioten beibringen zu wollen schien. Es war ein Mann in den Dreißigen, sehr einfach, aber geschmackvoll uniformiert und von jenem anspruchslos einnehmenden Wesen, das dezidierte Naturen so gerne zur Schau tragen und das gegen die kriegerische Haltung seines jüngern, viel reicher uniformierten Begleiters scharf abstach, obwohl dieser im Range unter ihm stehen mußte, denn er ging einen Schritt hinter ihm her. Wie er an uns vorbeikam, erwiderte er unsere Verbeugungen mit einem kurzen, aber sehr verbindlichen Rucke an seinem dreieckigen Federhute und war auf dem Punkte, an uns vorüberzueilen.

Mein guter Kapitän stand einige Schritte seitwärts, unverdrossen an seinem zehnten oder zwölften Stocke schnitzelnd, als unsere Bewegungen ihn in dem Augenblicke aufschauen machten, wo der Offizier an ihm vorüberging. Dieser stutzte, zuckte, fixierte unsern Kapitän einige Sekunden, dann öffnete er die Arme und, mit freudeleuchtender Miene auf ihn zuspringend, drückte er ihn stürmisch an die Brust.

[254] Kapitän Ready!«

»Das ist mein Name!« versetzte ruhig der Kapitän.

»Kapitän Ready!« rief abermals der Offizier.

Der gute Kapitän stutzte, fixierte seinerseits den Offizier, aber sein zweifelhafter Blick verriet noch immer kein Erkennen.

»Kapitän Ready!« ruft der Offizier heftig, »kennt Ihr mich wirklich nicht mehr?«

»Nein!« versetzt der ihn noch immer zweifelhaft anstarrende Kapitän.

»Ihr kennt mich nicht? – Ihr kennt mich nicht?« rief beinahe vorwurfsvoll der Offizier, ihm etwas in die Ohren wispernd.

Jetzt schaut ihn der Kapitän einen Augenblick starr an, im nächsten werden seine Züge leuchtend vor Freude und Freundlichkeit, er erfaßt überrascht die Hand des Patrioten.

Ungestüm reißt ihn dieser wieder dem Kaffeehause zu, in dessen Innerem die beiden verschwinden.

Wir standen unterdessen, mannigfaltigen Vermutungen Raum gebend. Nach etwa einer Viertelstunde traten die beiden wieder heraus; der Offizier mit seinem reich uniformierten Begleiter gingen dem Regierungspalaste zu, der Kapitän schloß sich an uns an, dieselbe imperturbable Ruhe, die er immer war, auch sogleich wieder zu Stock und Federmesser greifend. Auf unsere Fragen, wer der Offizier sei, erfuhren wir bloß, daß er zum Belagerungsheere von Callao gehöre und einstmaliger Passagier des Kapitäns gewesen.

Dieser Bescheid wollte mir denn doch nicht ganz genügen, denn ich hatte die sämtlichen Patriotenhaufen in einen beinahe panischen Schrecken bei seiner Annäherung geraten sehen; auch schienen unsere englischen Kapitäne etwas Näheres von ihm zu wissen; sie kamen trotz des dicken Nebels, in dem sie schwebten, gar so kriechend heran, spitzten Augen und Ohren gar so scharf, wurden auf einmal so freundlich, selbst zu ihrem Grog, den sie vor dem Hause tranken, luden sie den guten Kapitän. Euer Brite ist nie widerwärtiger, als wenn er freundlich, zutraulich wird; die Selbstsucht, der krasseste Eigennutz grinst dann so ekelhaft aus seinen harten, brutalen Roastbeefzügen heraus! Mein Kapitän wandte ihnen, wie sie es verdienten, ohne ein Wort zu sagen, den Rücken.

Was wieder meine Landsleute betrifft, so kennt ihr unsere – nennt es, wie ihr wollt: Delikatesse, Insouciance oder Apathie. Sie [255] schienen mit der erhaltenen Auskunft vollkommen zufrieden. Schiffskapitäne, und zwar amerikanische mehr als die jeder andern Nation, sie sind gebildeter, besser unterrichtet, auch unsere Schiffe in der Regel besser gebaut und eingerichtet, verkehren nicht nur häufig mit den verschiedensten Personen und Charaktern, sie haben auch vielfältige Gelegenheit, interessante Bekanntschaften zu knüpfen, diesen Bekanntschaften – die nicht selten hoch über ihnen stehen – Dienste und Gefälligkeiten zu er weisen, die sie in wahre Protektorbeziehungen bringen. In gewisser Hinsicht können unsere Schiffskapitäne ganz füglich mit Schauspielern verglichen werden, die auch in der einen ihrer Lebenshälften Rollen spielen, die es ihnen schwer werden dürfte, in der andern fortzuführen. Der Kapitän zur See ist vom Kapitän zu Lande eine in der Regel himmelweit verschiedene Person. Zur See ein halber oder vielmehr ein ganzer König, der unumschränkt herrscht, dessen leisester Wink Befehl wird, der es ganz in seiner Gewalt hat, seinen Untergebenen nicht nur, sondern Schiffsgenossen überhaupt den Aufenthalt zum Himmel oder zur Hölle umzuschaffen, ist er zu Lande wieder häufig eine ziemlich unbedeutende Person, die es nicht einmal mit dem Kommis seines Consignee verderben darf. Andererseits wird wieder dem Passagier seine Seereise nicht selten zur Epoche machenden Begebenheit, die ihm die Hauptperson – den Kapitän, oft das ganze Leben hindurch nicht vergessen läßt, während diesem wieder der einzelne Kajütenpassagier längst über den Hunderten, die nach ihm seinen Platz eingenommen, aus dem Gedächtnisse geschwunden. Unsern Seekapitänen war daher aus eigener Erfahrung sowohl die überströmende Freude des Patrioten im Momente des Wiedersehens als die verhältnismäßig kühle Erwiderung von seiten des Kapitäns so ziemlich erklärlich. Es wurden einige Bemerkungen über südamerikanischen Enthusiasmus gewechselt, mehrere analoge Fälle erzählt und dann – fielen sie alle wieder in ihr früheres Geleise zurück.


Am folgenden Morgen saßen wir gerade über unserer Schokolade, als eine Ordonnanz, sehr nett uniformiert, in die Veranda kam und nach Kapitän Ready fragte. Der Kapitän stand ganz gelassen auf, trat einige Schritte seitwärts, hörte, nicht verdrossen, nicht unverdrossen, die Ordonnanz an und setzte sich dann wieder ruhig zu seiner Schokolade, die er ganz behaglich ausschlürfte oder vielmehr ausaß; [256] denn in Südamerika wird die Schokolade bekanntlich dick wie Brei aufgetragen. Erst nach einer geraumen Weile fragte er mich, wie gelegentlich, ob ich nicht zu einem Ausfluge mit ihm Lust hätte, der vielleicht ein paar Tage währen könnte.

Ich ließ mir das natürlich nicht zweimal sagen, denn die Stunden hingen mir wie Blei an den Füßen; und so packten wir uns denn einen Anzug in unsere Sattelfelleisen, nahmen unsere Fänger und Pistolen und verließen das Kaffeehaus, vor dem wir zu meiner nicht geringen Überraschung die berittene Ordonnanz mit zwei prachtvollen superb, aufgezäumten Spaniern fanden.

Meine Neugierde war wieder stark erwacht, denn die Pferde waren die schönsten, die ich in Peru gesehen; aber mit allen meinen Fragen vermochte ich nicht mehr aus meinem schweigsamen Freunde herauszubringen, als daß unser Ausflug zum Offizier von gestern ginge, daß dieser im Belagerungsheere angestellt und einst sein Passagier gewesen, – wer er aber und was er sei, wisse er nicht. Damit mußte ich mich nun einstweilen begnügen, obwohl die verlegen gewordene Miene des guten Kapitäns ein mehreres hinter dem Busche vermuten ließ.

Als wir Lima etwa eine Meile im Rücken hatten, kam ein starker Kanonendonner in der Richtung, die wir nahmen, herüber; etwa eine Meile weiter ein Zug von Wagen und Karren, auf denen Verwundete nach Lima transportiert wurden. Der Kanonendonner wurde stärker. Auch Haufen von Marodeurs, die durch Felder, Hecken und Gärten schwärmten, ließen sich blicken, zogen sich aber zurück, sowie sie die Ordonnanz erkannten. Die Begierde, den Kriegsschauplatz recht bald zu sehen, erwachte nun sehr lebhaft in mir.

Nicht, daß gerade ein besonders kriegerisch eisenfresserischer Appetit in mich gefahren wäre! Nein, von jenem sogenannten chevaleresken, oder besser zu sagen, tollen Geiste, der so manche plagt und treibt, sich wie Narren in anderer Leute Streit zu mengen und Fell und Knochen zu Markte zu bringen, habe ich, dem Himmel sei Dank, auch nicht das Leiseste je in mir verspürt. Ich war immer ein Mann des Friedens und Handels, der sich weder um Patrioten noch Spanier kümmerte, vorausgesetzt, daß sie ihm sein Mehl und Salzfleisch, vor allem aber die Zigarrenkisten unangefochten ließen; aber in der Quandary, in der wir staken, und immer und ewig von demselben horriblen Gedanken, ein Bettler zu sein, gemartert, würden mir Seeräuber [257] selbst nicht unwillkommen gewesen sein, wenn ich meine Galle und Verzweiflung an ihnen hätte auslassen können. Auch schien es mir wohl möglich, daß die Spanier aus der Festung ausfallen und ihre und unsere Freunde in den Stillen Ozean treiben könnten, ein Gedanke, der trotz seiner Absurdität mir sehr wahrscheinlich wurde, obwohl ich mich hütete, ihn dem Kapitän mitzuteilen.

Was nun diesen betraf, so war er von Hause aus mit einer Stoa gesegnet, die ihn Pulver und Blei als ganz gleichgültige Dinge betrachten ließ. Er hatte während seines vierzehnjährigen Seelebens und seiner Ein- und Ausfahrten aus den blockierten südamerikanischen Häfen, der Zwölf- und Sechzehnpfünder so viele um die Ohren sausen gehört, auch der Strauße mit Piraten so tüchtige bestanden, daß bei ihm von Furcht gar nicht mehr die Rede sein konnte, und wenn er ja eine hatte, so war es die, von seinem feurigen Spanier geworfen zu werden, auf dem er, wie alle unsere Seemänner ein herzlich schlechter Reiter, herumbaumelte, nicht unähnlich einem überladenen Schoner im Troge einer schweren und konträren See. Doch kamen wir noch so ziemlich glücklich davon.

Nachdem wir eine mäßige Anhöhe erreicht, erblickten wir auch links die braunen düstern Bastionen der Forts, rechts Bella Vista und darüber hinaus den sogenannten stillen, aber in der Tat verdammt stürmischen Ozean.

Bella Vista ist eigentlich nur ein Dorf, aber die Gebäude sind mehrenteils Villas, in denen die Großen Perus die Sommermonate zubringen, da der kühlenden Seeluft zu genießen. Obwohl ganz von den Kanonen der Festung beherrscht, sind Häuser und Villas wieder so solid aufgeführt, daß der General en chef selbst mit dem größten Teile des Belagerungsheeres da sein Hauptquartier aufgeschlagen.

Die Ordonnanz wies uns oder vielmehr dem Kapitän, der das Spanische geläufig sprach, soeben die verschiedenen Punkte, wo Batterien errichtet waren. Die letzte, die fertig geworden, aber ihr Feuer noch nicht eröffnet, lag keine dreihundert Schritte von der Festung, wurde aber noch durch vorstehende Häuser gedeckt, die jedoch, bereits unterminiert, nächstens fallen sollten.

Während die Ordonnanz die Batterien und den Gang der Belagerung, soviel sie davon verstand, beschrieb, wurden unsere Pferde, und besonders das des Kapitäns, das von einem Offizier hohen Ranges geritten worden sein mußte – denn es wollte immer nur vorwärts [258] –, sehr unruhig, und da, wie bemerkt, mein guter Kapitän wohl ein Schiff, aber kein Pferd zu regieren verstand, verlor es endlich die Geduld und brach mit ihm so wütend aus, daß die unsrigen, wir mochten zurückhalten und bändigen, soviel wir wollten, nachstürmten, wohin, wußte der Himmel, wir nicht.

Wir kamen in einem Ozeane von Staub und Rauchwolken zur Erde und umbrüllt von einem Kanonendonner, der diese aus ihren Grundfesten reißen zu müssen schien.

Unsere wild gewordenen Spanier hatten uns nämlich im Sturme dem Dorfe, und zwar gerade den der Festung zunächst gelegenen Häusern in dem Augenblicke zugerissen, wo diese mit einer dumpfen erderschütternden Explosion zusammensanken und den die Batterie just abgewartet hatte, um ihr Feuer auf die Festung zu eröffnen. Daß diese nicht zauderte, den Gruß mit Prozenten zurückzugeben, brauche ich euch wohl nicht zu sagen; und da auch die übrigen Batterien einfielen, so war das ein Gedonner, ein Gehagel von Kanonen, Kartätschen, Bomben und Haubitzen, als ob die Welt ganz und gar in Trümmer gehen sollte.

Die Pferde, mit uns zusammengesunken, hatten uns wie Mehlsäcke abgeworfen; die Ordonnanz war betäubt, ich halbtot, nur unser Kapitän schien die Sache ganz in der Ordnung zu finden, arbeitete sich ruhig unter seinem Spanier hervor, half mir und der der Sprache ganz beraubten Ordonnanz auf die Füße und fragte dann ganz gelassen, wo nur der Offizier zu treffen wäre.

Die Ruhe des Mannes war, um mich eines unserer Lieblingsausdrücke zu bedienen, in der Tat konsiderabel. Wohl an die dreißig Kugeln waren in die Mauer, hinter der uns unsere Tiere glücklicherweise abgeworfen, eingeschlagen, Steine kollerten auf allen Seiten herab – im Vorbeigehen sei es bemerkt, das Bruchstück war nicht mit Geld zu bezahlen, ohne dasselbe wären wir hier wohl all unserer Sorge und Verzweiflung wegen Kargo und Brigg ledig geworden – aber meinen guten Kapitän schien das alles nichts anzugehen. Er war nur ungeduldig über die Rauch- und Staubwolken, die aus den Batterien und den zusammengestürzten Häusern emporqualmten und uns in eine wahre ägyptische Finsternis versetzten, fragte wohl ein Dutzend der hin- und hereilenden Soldaten, keiner aber nahm sich die Zeit, ihn anzuhören, wenn sie auch hätten hören können.

Endlich hatten sich wenigstens die gröbsten Staubwolken verzogen, [259] auch die perplexe Ordonnanz sich einigermaßen orientiert, so deutete sie denn auf la batteria hin, der mich mein Freund auch ohne weiteres zuzog. Wir hatten noch keine zwanzig Schritte getan, als wir auch bereits auf eine Kanone stießen.

Alles war da, wie Sie sich leicht vorstellen mögen, lebendig. Die Batterie zählte dreißig Vierundzwanzig-und Sechsunddreißigpfünder, die mit einem Eifer, einem Mute bedient wurden, der meine Erwartungen von Patrioten-Bravour weit übertraf. In der Tat gab sich zuviel Bravour unter den Leutchen kund. Sie tanzten mehr um die Kanonen herum, als sie sich bewegten, und das mit einer Todesverachtung in Miene und Gebärden, die wie Trotz und Hohn aussahen. Sie hielten es nicht einmal der Mühe wert, die Kanonen von den Embouchuren während des Ladens zurückzuziehen, im Gegenteile, schoben diese noch immer hinaus und luden lachend die Spanier ein, doch besser zu treffen.

Es war, wir dürfen dies nicht vergessen, wenig über drei Monate nach dem glänzenden Siege von Ayacucho, einer der herrlichsten Waffentaten, die wohl je gefochten wurden und die denn begreiflicherweise auch die Truppen des Belagerungsheeres auf eine Weise elektrisierte, daß sie ordentlich dem Tode zutanzten, ja die Glücklichen zu beneiden schienen, die eine Kugel vor ihren Augen wegnahm.

So war von der Kanone, auf die wir zuerst stießen, bereits die Hälfte der Mannschaft weggeschossen; und wir waren kaum ein- und auf die Seite getreten – der Kapitän mir winkend, mich zu ducken –, als eine Kugel dem nächsten, der mir zur Seite stand, den Kopf mitnahm. Ich fühlte einen plötzlichen Luftstoß, der mich erstickt hätte, wäre ich glücklicherweise nicht seitwärts gestanden; zugleich schlug mir eine warme Masse ins Genick, Gesicht und auf den Kopf, die mich beinahe blind machte. Wie ich sie von mir wische, sehe ich den Mann kopflos zu meinen Füßen liegen. Das Grausen, das mich überfiel, könnt ihr euch unmöglich vorstellen! Es war zwar nicht das erstemal, daß ich ein Mitgeschöpf fallen gesehen, aber wohl das erstemal, daß mir sein Gehirn und Blut ins Gesicht spritzte. Mir wurde sterbensübel, die Knie schlotterten, das Blut schoß mir zum Herzen, der Kopf drehte sich mir im Kreisel, ich taumelte ohnmächtig an die Wand nieder.

Seltsam aber, der nächste, der fiel, brachte mich wieder zu mir. Er wirkte bei weitem nicht mehr so erschütternd auf mich ein; ein [260] starkes Herzklopfen überfiel mich zwar auch bei diesem noch, einiger Schwindel, aber bereits um vieles schwächer – der dritte, der bei der nächsten Kanone weggeschossen wurde, noch schwächer, so daß mit jedem Falle meine Furcht ab-, mein passiver Mut zunahm, bis er endlich zu einer Art Zuversicht wuchs, der, seltsam genug, etwas wie Schadenfreude beigemischt war. Wirklich fühlte ich bei jedem Falle ein Etwas, das mir wie eine Anwandlung von Schadenfreude vorkam, eine Art fixer Idee, die zugleich in mir auftauchte, ein gewisser Fatalismus, der mir zuflüsterte, daß das Schicksal soundso viele als Opfer erkoren und daß mit jedem, der fiele, auch meine Sicherheit zunähme, ich bald ganz gesichert sein würde.


Der Mensch ist doch ein seltsames Geschöpf, ob von Natur gut oder böse, will ich nicht entscheiden, aber ich glaube, die beiden Prinzipe halten sich so ziemlich die Waage, wenn nicht das letztere überwiegt.

Wunderbar jedoch, wie schnell selbst der nichts weniger als geborne Eisenfresser – denn der war ich, wie gesagt, nie – mutig werden kann. Die erste Kugel, die den Nachbar trifft, raubt Sinne und Bewußtsein, aber die zweite schon nicht mehr in dem Grade, oft bringt sie uns wieder zu Sinnen. Die dritte macht gleichgültig und die vierte ermutigt, bis wir endlich eine Stunde darauf dem Tode so kühl in das Auge sehen, als ob wir dazu geboren wären, was wir denn auch in Tat und Wahrheit sind. Eine halbe Stunde nach meinem Eintappen in die Batterie arbeitete ich an der Seite meines Kapitäns, zwar gebückt und geduckt, aber doch so ruhig, daß ich das Pfeifen der mir über den Kopf wegfliegenden Kugeln kaum mehr beachtete.

Wie ich jedoch – ein so ruhig friedliebender Bürger, als je Hauptbuch führte – zu diesem Artilleriedienste gebracht wurde, muß ich euch doch noch eines Ausführlicheren berichten.

Mein guter Kapitän hatte mich nämlich kaum in die Ecke der Batterie geschoben, mir bedeutend, den Kopf geduckt zu halten, als er sich auch aufmachte, um in echter Yankeeweise das Terrain zu rekognoszieren, was er denn in so unvergleichlich kühl ruhiger Fashion tat, hier einen Ruck gebend, dort einen nehmend, gerade als ob er da zu Hause wäre. Es war etwas ganz Charakteristisches in diesem seltsamen neugierigen Herumschlendern, Spekulieren. Erst[261] nachdem noch ein paar Artilleristen ins Gras gebissen, ging er determinierter zu Werke, nahm dem nächsten den Ladestock ab und befahl oder winkte vielmehr kurz gebietend einem andern, die Kanone zurückschieben zu helfen. Die Leute gehorchten, ohne eine Miene zu verziehen. Das Stück wurde zurückgeschoben, von ihm geladen, wieder vorgeschoben, gerichtet und abgeschossen. So bestimmt dezidiert war seine Art und Weise, daß keiner ein Wort einzuwenden wagte; ohne daß er den Mund auftat, alle gehorchten. Hier hatte ich wirklich Gelegenheit, mit Händen zu greifen, was Zuversicht und Selbstbewußtsein zu bewirken imstande sind. Als wäre die Batterie seit Jahren unter seinem Befehle gestanden, trat der gute Mann auf; keiner schien auch nur den leisesten Zweifel in seine Autorität zu setzen. Auch die nächsten Kanonen fügten sich bald unter seine Befehle. Es lag wirklich etwas unabweisbar Unwiderstehliches in dieser seiner ruhigen Keckheit, Zuversicht, das offenbar die schwächeren Geister allesamt beugte. Er kam mir wie einer jener Hinterwäldler vor, die auch ganzsans façon sich auf anderer Leute Land niederlassen und da zu Hause machen, unbekümmert, ob es gefalle oder nicht.

Diese von meinem Freunde gespielte Kommandantenrolle war es nun auch eigentlich, die mich allmählich ermutigte, kräftigte und endlich trieb, gleichfalls tätig zu werden. Man kann denn gewissermaßen in einer solchen Lage nicht untätig bleiben, ja der bloße Entschluß schon verursacht, daß einem die Courage wächst, so daß ich endlich selbst das Herz faßte, eine der Patronen aus dem Kasten herauszulangen, mich dabei freilich vorsichtiglich duckend, aber allmählich doch mehr und mehr den Kopf erhebend, bis ich ihn denn endlich so hoch trug als einer.

»Bravo!« riefen wieder alle.

»Seht ihr, so habe ich mir im letzten Patriotenkampfe gewissermaßen Lorbeeren erworben.

Etwa eine Stunde hatten wir wie Rosse gearbeitet«, – fuhr er fort –, »als das Feuer allmählich schwächer zu werden schien. Die meisten Kanonen waren unbrauchbar geworden, bloß noch ein halbes Dutzend, und zwar die unter unserm Kapitän stehenden, spielten noch fort, dank seinem unerschütterlichen Phlegma, das nach jedem Schusse immer erst das Geschützstück abkühlen ließ, wozu sich die andern in ihrem Eifer nur wenig oder gar nicht die Zeit nahmen. [262] Überhaupt, muß ich bemerken, waren die Patrioten trotz ihres fünfzehnjährigen harten Kämpfens mit den Spaniern immer nur noch sehr mittelmäßige Artilleristen, so wie denn die Artillerie überhaupt während dieses verhängnisvollen Kampfes bei weitem nicht die Rolle gespielt, die ihr in den Kriegen zivilisierterer Nationen sonst zugewiesen ist. Natürlich! Die Schlachten waren mehrenteils bloß durch die Infanterie oder Kavallerie geschlagen worden, und selbst in der von Ayacucho, die das Schicksal des ganzen spanischen Kontinentes entschied, waren auf beiden Seiten kaum ein halbes Dutzend leichter Geschütze im Feuer. Die Beschaffenheit des Landes, die ungeheuren Gebirge, Ströme, die Unfahrbarkeit selbst der Ebenen, der Pampas, ließen bei dem Mangel an Verbindungsstraßen und den häufig forcierten Märschen, die notwendig waren, den Feind durch einen unvorhergesehenen Schlag zu überraschen, die Anwendung dieser schwer zu transportierenden Zerstörungswaffe nur selten, und zwar viel seltener als in unserem Revolutionskampfe, zu. Auch bedingt bekanntlich der Artilleriedienst, soll er sich wirksam erweisen, einen Grad von mathematischem Wissen, den die Südamerikaner unter der elenden spanischen Regierung – die ihre ohnehin bornierten Geisteskräfte noch dazu mißbrauchte, ihre Völker ganz und gar zu verdummen – unmöglich erlangen konnten. Unterdessen verringert dieser Um- oder vielmehr Übelstand keinesweges das Verdienst der Patrioten, noch benimmt er dem Revolutionskampfe selbst etwas von seiner ungeheuren Wichtigkeit; im Gegenteile: so wie unsere Revolution, ohne Zweifel, das wichtigste Ereignis des letztverflossenen Jahrhunderts, erst eigentlich die Massen der Nationen, die Mittelklassen, zum Bewußtsein ihrer Rechte, zur Mündigkeit brachte, ja die Hauptquelle ward, aus der die französische sowie alle übrigen Revolutionen flossen und viele trotz aller Gegenbemühungen noch immer fließen müssen – so muß auch der spanische Freiheitskampf, obwohl bloßes Korollarium des unsrigen, doch noch sehr bedeutende Rückwirkungen sowohl auf das Mutterland als Europa überhaupt erzeugen, obwohl diese wieder bei weitem nicht von so universellem Einflusse sein dürften wie die unserer Revolution. Der spanisch-südamerikanische Charakter und Kontinent sind um vieles unzugänglicher, abgeschlossener, zurückstoßender; darum war auch in ihrem Revolutionskampfe von jener Sympathie, die für uns in der ganzen zivilisierten Welt und selbst unter unsern Todfeinden, den Briten, [263] erwachte, nur sehr wenig zu spüren; vorzüglich wohl auch deshalb, weil ihre Schilderhebung denn doch keine jener gloriosen Humanitätssonnen verherrlichten, die wie unsere Washington, Franklin, gleich groß als Menschen und Helden, Staatsmänner und Feldherren, Philosophen und Bürger, die Guten und Edlen aller Nationen elektrisierten und wohl elektrisieren werden, solange es Gute und Edle auf dieser Erde gibt!

Doch, revenons à nos moutons, kehren wir zu unserem Kapitän, der gerade geladen und gerichtet, um noch einmal abzufeuern, als – der Offizier von gestern, von mehreren Adjutanten und Stabsoffizieren begleitet, an uns herantrat. Er war öfters in der Batterie gewesen, hatte sich bei jeder Kanone aufgehalten, bei der einen ermuntert, der andern getadelt, einer dritten selbst Hand angelegt, bei der unsrigen war er immer vergnügt die Hände reibend stehengeblieben. Auch jetzt tat er es, und wie er die Hände so reibend jeder Bewegung des Kapitäns aufmerksam und bewundernd folgte, sah ich wohl, daß er einer der Generale der Patriotenarmee sein müsse.

Der Kapitän schoß jetzt los, und wie der Rauch verflog, sah man die gegenüberliegende Bastion wanken und dann in den Festungsgraben sinken. Der Fall wurde durch ein freudiges Hurra begrüßt, zwanzig Offiziere sprangen auf einmal vor, der unsrige der erste.

Die Szene hättet ihr nun sehen sollen!

Dem Kapitän an den Hals fliegen, ihn im Sturme umarmen, ihn ebenso stürmisch und im Fluge dem nächsten der Offiziere in die Arme werfen, dieser einem dritten, einem vierten: das war das Werk eines Augenblicks. Wie ein Ball flog mein imperturbabler Capitano und selbst ich durch ihre Hände, wie ein Lauffeuer gingen wir herum. Sie waren wie toll, närrisch geworden, geradezu liebetoll, rasend. Die Kugeln schlugen noch immer links und rechts in die Batterie ein, eine riß auch einen armen Teufel von Ordonnanz mitten entzwei, aber das genierte sie nicht, ihr Enthusiasmus wurde immer wilder. Es war etwas so Exotisches, so südlich Tropisches, wahrhaft Südamerikanisches in diesem Impromptu! Über uns die pfeifenden Kugeln, unter uns der blutschlüpfrige Boden, um uns Tote und Verwundete und Trümmer und Zerstörung aller Art, und wir aus den Armen eines Schwarzbartes in die eines andern fliegend! Mir verging Sehen und Hören, nur das lebendige Gefühl blieb mir, daß wir in Südamerika, in einem Patriotenlager waren. Diese Patrioten [264] lieben so entsetzlich, überströmen so augenblicklich! – sie kamen mir ordentlich furchtbar vor. Ich glaubte mich in irgendeinem Moslemlager, in einer der Tausendundeine-Nacht-Szenen, die ich während meiner Fahrt gelesen. Wie ich zur Besinnung kam, waren alle verschwunden.«

»Kapitän, was war das? Ich begreife nicht!« redete ich den Freund an.

»Ah, haben die Bastion herabgeschossen! – haben, haben –«, meinte mein Kapitän.

»Ja, aber was wollten sie nur? Ich glaube, die Leute hat der Sonnenstich verrückt. Wo sind sie alle hin?«

»Wahrscheinlich auf ihre Posten!« versetzte wieder mein unerschütterlicher Kapitän, den Schweiß von der Stirn wischend und sich zugleich anschickend, die Batterie eines Nähern zu besehen. Unsererseits hatte nämlich das Feuer gänzlich aufgehört; auch das feindliche hatte nachgelassen und ließ sich nur noch in langen Zwischenräumen hören. Wir warteten einige Minuten, bis es gänzlich schwieg, und begannen dann, durch die Batterie zu streifen. Sie bot, wie ihr euch leicht denken könnt, gerade keinen sehr erquicklichen Anblick dar, es gehörten starke Nerven dazu, hier Fassung zu behalten. Wir schritten über zerschossene Munitionskasten, in denen statt der Kugeln Hände, Füße, Rümpfe, zerschmetterte Hirnschädel lagen; auch die Erdwälle waren hie und da mit solchen grausigen Arabesken garniert. Es konnte einem übel wer den. Und doch waren in der ganzen Batterie nicht über hundert gefallen; aber Zwölf- und Vierundzwanzigpfünder, mit Bomben und Haubitzen versetzt, machen grausig Werk, und die Batterie war auch nicht zum besten angelegt. Die Patrioten standen im Fortifikationswesen natürlich noch weiter als selbst im Artilleriedienste zurück, und das feindliche Feuer hatte deshalb bedeutenden Schaden getan. Mehr denn die Hälfte der Kanonen war unbrauchbar geworden, einige zersprungen, andern die Lafetten weggeschossen. Andererseits hatte unser Feuer der Festung, soviel sich jetzt abnehmen ließ, eben nicht sehr großen Schaden zugefügt; die Bastion war allerdings in Trümmern und bot eine Bresche dar, die ein tüchtiges Regiment, von einer gut bedienten Artillerie gehörig unterstützt, wohl in die Festung bringen konnte; aber daran schien man – obwohl mit den brauchbaren Kanonen noch immer etwas zu machen gewesen wäre – nicht mehr zu denken. Der größte [265] Teil der Offiziere hatte, offenbar mit dem Resultate höchlich zufrieden, bereits die Batterie verlassen; die zurückgebliebenen waren bloß noch damit beschäftigt, die Toten und Verwundeten wegschaffen zu lassen, ohne sich weiter um Kanonen, Lafetten oder Batterie zu bekümmern. Selbst mir, dem nichts weniger als Kriegsmanne, kam dies denn doch ein bißchen sonderbar vor! So gewaltige Anstrengungen, so bedeutende Aufopferungen von Arbeit, Menschenleben, und gleich darauf eine Unbekümmertheit, ja Leichtsinn, der nichts weniger als klug oder militärisch ließ! Auch mein guter Kapitän schüttelte auf eine Weise den Kopf, die einige Unzufriedenheit – wenn nicht mit der Bravour unserer neuen Alliierten, diese konnte unmöglich größer sein, doch mit ihrer Kriegsklugheit verriet. Es war geradezu Leichtsinn, ja Indolenz, was hier zum Vorschein kam! Aber so sind sie nun schon einmal, diese Südamerikaner, im Kriege sowie im Frieden heißblütig, stürmisch, der verzweifeltsten, der unerhörtesten Kämpfe, Anstrengungen fähig! In ewigen Extremen überfliegen sie euch die Anden, ertragen Hunger und Durst, Hitze und Kälte, überwinden Gefahren, gegen die Napoleons Zug nach Italien bloßes Kinderspiel; überraschen den Feind, besiegen, vernichten ihn; aber legen sich dann, statt ihren Sieg zu verfolgen, ruhig zu ihrer Siesta und lassen sich vom ersten besten Nachzüglerhaufen wieder die Früchte ihres Sieges entreißen! Ein wahres Glück für sie, daß ihre Feinde, die Spanier, mit denselben liebenswürdigen Schwachheiten gesegnet waren. Wären ihre Gegner Amerikaner oder Briten gewesen, ihr Kampf dürfte wohl einen andern Ausgang genommen haben!


Wir hatten die Batterie besichtigt und waren gerade auf dem Punkte, sie zu verlassen, um auch die übrigen zu sehen, als unsere Ordonnanz gerannt kam und uns die Weisung brachte, sogleich im Hauptquartier zu erscheinen.

Wir gingen also dem Hauptquartier zu.

Auf dem Wege dahin sahen wir die Eigentümlichkeiten der Patriotenkrieger noch etwas näher, denn da, wie ich oben bemerkt, ein großer Teil des Belagerungsheeres teils in den Villas, teils in den Gärten lagerte und biwakierte, hatten wir die schönste Gelegenheit, sie auf unserm Spaziergange gewissermaßen im Neglige zu sehen. Und schönere, kriegerischer aussehende Truppen versichere ich nie gesehen zu haben als diese Patrioten. Es waren nicht mehr die Marodeurs, [266] die sich zu Lima umhertrieben; im Gegenteile, ausgesucht, trefflich und selbst reich uniformiert, boten sie Gruppen dar, die kein Maler schöner, pittoresker wünschen konnte. Diese dunkelbronzierten Salvator-Rosa-Gesichter, mit ihren schwarzen Bärten, ihren schwärzeren, glühenden Augen, diese lässigen und doch wieder so dezidierten, gleichsam a-tempo-Bewegungen, dieses chevalereske Auftreten haben keine anderen Truppen in dem Grade, selbst die Krieger der französischen Kaiserzeit nicht! Man muß sie biwakieren gesehen haben, es ist das Malerischste, was es geben kann! Der zerlumpteste Patriot, der kaum seine Blößen decken kann, wirft sich en héros zur Erde, wird wirklich pittoresk, wenn er sich lagert! Er hat eine so eigene Art, seine Lumpen zu drapieren! Nichts Gesuchtes, Künstliches, ein natürlich angeborener Takt! Ein Ruck, und der zerlumpte Mantel fällt mit einer Grazie um ihn, die einem anderen kein Königsmantel verleihen, kein Schauspieler bei uns erreichen könnte! Sie lieben aber auch das Liegen und verliegen wohl weit den größeren Teil ihres Lebens, als sie stehen oder sitzen. Könnten sie liegend arbeiten, ich glaube, sie würden auch etwas mehr arbeiten; aber da sie stehen oder sitzen müßten, taugen sie dazu nur wenig oder gar nicht. Das sahen wir in der Art und Weise, wie sie ihre Arbeiten trieben. Kaum einer putzte seine Waffen, aber mehrere mußten denn doch kochen, waschen; das taten sie, jedoch in einer Manier, die uns so quer erschien, daß wir, die Augen weit öffnend, stehenblieben. Während zum Beispiel die Hände kochten oder wuschen, schienen die übrigen Teile des Körpers, der Leib, die Füße, besonders aber der Kopf, weit erhaben über diese knechtischen Verrichtungen, nur widerspenstig gezwungen, sich zum Bleiben zu verstehen, mit einer Art Verachtung die Bewegungen der Hände zuzulassen. Sie waren wirklich drollig zu schauen, diese Patrioten, etwa wie ein britisch radikaler Lord Chamberlain, der seinem Souverän das Waschbecken oder Handtuch zu reichen bemüßigt, mit einer Art Hohn sich dazu versteht!

Sind kuriose Leute, diese Patrioten, aber ihr Wahlspruch lautet auch: Kriegen, Liegen und Lieben.


Wir kamen endlich vor einer noblen Villa an, die der davorstehende Wachtposten als Hauptquartier des Generals en chef des Belagerungsheeres bezeichnete, drängten uns durch Haufen von Ordonnanzen, [267] Adjutanten, Stabs- und Oberoffiziere und wurden einer Art Mayordomo übergeben, der uns in ein Gemach zu ebener Erde führte, wo wir unsere Felleisen fanden, die uns allerdings sehr nötig waren; denn berußt, geschwärzt, blutig, zerrissen, sahen wir mehr Banditen als friedlich ruhigen Bürgern dieser unserer Vereinten Staaten ähnlich.

Der Hausoffizier mahnte uns, mit unserer Toilette zu eilen, da aufgetragen werden sollte, sobald Se. Exzellenz der Kommandierende aus den Batterien zurückkommen würden.

Wir eilten demnach und waren noch nicht ganz fertig, als der Hausmagnat abermals kam, uns vor Se. Exzellenz zu bringen.

Wir traten in einen Saal, in dem wir eine gedeckte Tafel und wohl an die sechzig Offiziere fanden, darunter auch diejenigen, mit denen wir bereits in der Batterie so stürmische Waffenbrüderschaft geschlossen. Ohne auch nur einen Augenblick auf unsern Empfang von Seite des Hausherrn – hier natürlich keine geringere Person als die Exzellenz – zu warten, sprangen sie mit einem »buen venido, Capitanos«, auf uns zu, umarmten uns abermals, warfen uns dann ihren Mitoffizieren zu, gerade als ob kein Hausherr oder General en chef vorhanden gewesen wäre. Das wäre nun bei uns als eine Unmanier erschienen, deren sich kein Bootsmann, viel weniger ein Korps Offiziere hätte zuschulden kommen lassen; hier fiel es jedoch nicht nur nicht auf, es erschien ganz in der Ordnung.

Diese Südamerikaner haben wieder eine Art und Weise, solche Dinge zu tun, die eben, weil sie, ohne berechnet zu sein, rein dem Sturme der Empfindungen entsprudelt, nicht nur nichts Unschickliches, Ungezogenes, im Gegenteile einen liebenswürdig feurig chevaleresken sans-façon-Anstrich hat und ihnen wieder sehr gut zu ihren Flammenaugen, ihren brünetten Olivengesichtern, ihren rabenschwarzen Bärten läßt. In der Regel jedoch ist der Südamerikaner nichts weniger als stürmisch oder mutwillig burschikos, im Gegenteile eher formell, solenn. Man sieht es ihrem Wesen, allen ihren Bewegungen ab, daß sie Abkömmlinge der gravitätisch stolzen Spanier, sich ihrer Abkunft von diesen Spaniern vollkommen bewußt sind; nicht der heutigen, von bigotten Pfaffen und Regenten debauchierten – nein der ritterlichen Spanier des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, an deren Taten sie sich gerne spiegeln – und an die sie es lieben ihre Gegenwart anzuknüpfen, wie alle jene[268] Völker, die durch geistlichen oder weltlichen Despotismus oder beide zugleich aus einer geschichtlich hohen Vorzeit in eine traurig tiefe Gegenwart herabgesunken sind.

Der Zeitpunkt aber, in den unsere Bekanntschaft mit ihnen fiel, war denn auch wohl geeignet, Gemüter, von Natur so empfänglich für das Große und Hohe, enthusiastisch zu stimmen!

Es war ein Zeitpunkt, wie er glücklichen Nationen in ihrem Leben nur einmal, unglücklichen nie erscheint, der Zeitpunkt der Befreiung von einem furchtbaren – Körper und Geist gleich erdrückenden, gefangenhaltenden Joche! Dieser Zeitpunkt war aber dem ganzen spanischen Amerika wie ein Meteor gekommen. Der Kühnste hatte noch vier Monate vorher gezweifelt, der Tapferste verzweifelt. Wie durch ein Wunder war, wo Niederlage gewiß schien, ein glänzender Sieg erfochten worden, ein Sieg, der die Niederlage des Feindes auf allen Punkten so rasch, unaufhaltbar nach sich zog, daß buchstäblich das ganze spanische Südamerika in einem einzigen Siegesrausch aufjauchzte! Was für unser Land die Gefangennehmung Lord Cornwallis', das war für Südamerika die Schlacht von Ayacucho! Das ganze ungeheure Land von Panama bis an den Amazonenstrom erwachte durch diese zu neuem Leben, zu neuem Dasein! In der Tat, ein ganz neues Leben, Dasein, das man gesehen haben muß, um es zu begreifen! Öffentliche und Privatfeindschaften, Eifersucht und Streit waren wie in Lethes Strome begraben; brüderlich umfingen sich Millionen und abermals Millionen; über die Anden, die Kordilleren reichten sie sich die Hand; Kolumbia eilte Peru zu Hilfe, um den gemeinschaftlichen Feind vertreiben zu helfen, Buenos Aires den La-Plata-Staaten: überall die großartigsten Gesinnungen, die herrlichsten Taten!

Wahrlich, ein großer Moment, ein herrlicher für den Menschenfreund, dem es vergönnt ist, eine solche Wiedergeburt und Auferstehung eines ganzen Volkes mitzufeiern! Es verschwindet in solchem Momente alles Niedrige, Gemeine so gänzlich, die edelsten, die hochherzigsten Gefühle treten so stark, gewaltig hervor, treiben, drängen alles Unwürdige so tief in den Hintergrund zurück! Der elendeste Sklave wird in solchen Momenten zum Helden!

Ich gestehe euch, mir erschienen die Patrioten an diesem Tage in einem Lichte, so glänzend, daß der Nimbus mich noch jetzt zu ihren Gunsten befangen hält.

[269] Nie glaubte ich herrlichere Männer gesehen zu haben, und sie waren es auch in der Tat in diesen Tagen! Aus den ersten Familien des Landes – viele Sprossen geschichtlicher Häuser, hatten alle in blutigen Schlachten gefochten, sich Lorbeeren errungen, die ihnen um so schöner ließen, als das Bewußtsein, Großes geleistet zu haben, ihnen wieder eine unbeschreiblich zartsinnige Bescheidenheit verlieh.

Wohl zeigte sich damals der südamerikanische Charakter in seinem schönsten Lichte, und nie, weder früher noch später, hatte ich liebenswürdigere, ritterlichere und doch wieder bescheidenere, anmutigere Helden gesehen. Seit diesem Tage sind mir die Südamerikaner teuer, und ich verzweifle nicht an einer glänzenden Zukunft, so traurig auch die Gegenwart aussieht!


Die Tafel war, wie sie sich bei einem General en chef erwarten ließ, der eine Armee kommandierte, welche eine Hafenfestung belagerte. Die edelsten französischen und spanischen Weine flossen in Strömen, die ausgesuchtesten Gerichte waren im Überflusse vorhanden, aber obwohl wir den Champagner aus Biergläsern tranken, war doch nicht die geringste Spur von Trunkenheit zu bemerken.

In dieser Beziehung dürften wir von den Patrioten noch einiges zu lernen haben!

Der erste Toast, der ausgebracht wurde, galt: Bolivar!

Der zweite: Sucre!

Der dritte: der Schlacht von Ayacucho!

Der vierte: der Verbrüderung Kolumbias und Perus!

Der fünfte: Hualero!

Das war also unser Offizier von gestern, wie wir jetzt erst ausfanden, der General en chef des Belagerungsheeres.

Er stand auf, hob sein Glas und sprach nicht ohne heftige Bewegung:

»Señores! Amigos! Daß Sie Ihren Waffenbruder in Ihrer Mitte haben, daß er seine Dienste, sein Blut dem Vaterlande weihen darf, das verdanken Sie diesem unserm teuern alten Freunde und neuen Waffenbruder, den ich Ihrer Freundschaft und Bruderliebe als sehr würdig empfehle!«

Wie er jetzt den Kapitän zu sich emporriß, ihm stürmisch um den Hals flog, wie dem eisernen, imperturbablen Seemanne die Tränen in die Augen traten, er mit zitternden Lippen bloß die zwei Worte [270] zu stammeln vermochte: »Amigo sempre!« – das mußte man gesehen haben.

Das ganze Offizierskorps umschlang die beiden.

Noch den folgenden Tag verblieben wir im Lager, am nächstfolgenden ritten wir nach Lima zurück, wo der Kapitän in die Wohnung seines Freundes, des Generals, ziehen mußte.

Von seiner Gattin, die ihrem Manne auch nach Lima gefolgt, sowie von dem General selbst vernahm ich denn den Ursprung der seltenen Freundschaft zwischen einem der ausgezeichnetsten Patriotenheerführer und meinem schweigsamen Brigg-Kapitän.

Es war der dunkle Fleck in seinem Seemannscharakter.

Ich wünschte, die Worte des edlen Ehepaares mit demselben Feuer, derselben edlen, glühend poetischen Sprache geben zu können, in der sie mir gegeben waren!

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