[437] 57. Goldenes Uhrwerk über die Passion, worin alle Hauptumstände des Leidens Christi mit möglichster Anweisung der Zeit betrachtet werden
Mel.: Die Tugend wird durchs Kreuz geübet ... oder: Wie groß ist des ...
Sechs Uhr abends:
Du Bild der Demut und der Güte,
Willst du ein Knecht der Sünder sein?
Ei, wasche doch auch mein Gemüte
Und meinen ganzen Wandel rein,
Laß mich zu aller Menschen Füßen
Mich als den Mindsten bücken gern,
Im Dienst des Nächsten überfließen
Und mich in Liebe ganz verzehrn!
Sieben Uhr abends:
O Jesu, willst du mir auch geben
Dein paradiesisch Fleisch und Blut,
Das mir bereitet ist zum Leben,
Da du gestorben mir zu gut?
Komm, gib mir denn dich selbst zur Speise,
Halt stets dein Abendmahl mit mir,
Erquick und stärk mich auf der Reise,
Mein mattes Herz verschmachtet schier!
Acht Uhr abends:
Mein Hoherpriester, dessen Beten
Der Vater allezeit erhört,
Du wollst mich stets also vertreten,
Bis ich in eins vollendet werd';
[438]Solang ich leb' und schweb' auf Erden,
Dein armes, schwaches Kind bewahr,
Laß mich mit dir ganz eines werden
Und in dir mit der Frommen Schar!
Neun Uhr abends:
Ach, liebster Heiland, du mußt zagen,
Du bist betrübt bis in den Tod,
Ich seh' der Sünden Last dich tragen,
Ich selber mach' dir diese Not.
O Herr, mit dir in Trauern leben,
Ist besser als viel' eitle Freud';
Dein Zittern laß mir Kräfte geben
Und Trost in aller Traurigkeit!
Zehn Uhr abends:
Ich sehe dich, mein Jesus, liegen,
Der Leidenskelch dich sehr erschreckt,
Doch kannst du dich so sanfte schmiegen,
Weil dir des Vaters Wille schmeckt.
Hilf mir in meinem Leiden beten,
Daß ich mich beug' und traue dir,
Gib, daß mein Will' in allen Nöten
In deinem Willen sich verlier'!
Elf Uhr abends:
Ich danke, Jesu, deiner Liebe,
Der du gerungen mit dem Tod,
Da dich die Angst zum Beten triebe,
Und schwitztest Blut in höchster Not.
[439]Mach mich in meinem Kampf beständig,
Ach, stärke meinen blöden Mut,
Ja, bete selbst in mir inwendig,
So kann ich kämpfen bis aufs Blut!
Mitternacht:
Den Feinden gehst du, Herr, entgegen,
Du küssest den Verräter noch;
Ein Wörtchen kann sie niederlegen,
Und läßt dich willig greifen doch.
Gib, daß ich auch dein Kreuz mit Freuden
Dir täglich willig trage nach
Und auch das Werkzeug meiner Leiden
In Liebe gern umfassen mag.
Ein Uhr nachts:
Du läßt dich binden und dich zwingen
Unschuldig doch in sanftem Sinn,
Du läßt dich führen, schlagen, dringen,
Du stilles Lamm, zur Schlachtbank hin.
Ach, mach mich dir auch so gelassen,
Ach, bind und führ mich ewiglich,
Gib, daß ich schweige gleichermaßen,
Wenn andre Menschen plagen mich!
Zwei Uhr nachts:
Man fragt dich aus als ein'n Verräter,
Ich war der tückischböse Knecht;
Man schlägt dich als ein'n Übeltäter,
Doch war dein Tun und Reden recht.
[440]Herr, prüf und siehe, wie ich's meine,
Gib, daß ich ganz aufrichtig leb',
Und, wär' mein Tun auch noch so reine,
Doch nie dem Bösen widerstreb'!
Drei Uhr nachts:
Es hat dein Leiden, Herr, vermehret,
Daß Petrus noch verleugnet dich;
Dein holder Anblick ihn bekehret,
Drum weinet er so bitterlich.
Ach, mach mich weis' und treu in allen,
Daß ich an deiner Kraft mich halt',
Und wenn ich möcht' aus Schwachheit fallen,
Dein Anblick mich erneure bald!
Vier Uhr morgens:
Auf falsche Anklag' du nur schweigest,
Die Lästrer trägst du in Geduld,
Und da du von der Wahrheit zeugest,
Wirst du verdammet ohne Schuld.
Ich bin, wenn du nach Recht willst richten,
Des Todes und der Hölle wert,
Drum muß ich schweigen und mitnichten
Erzürnen, was mir widerfährt.
Fünf Uhr morgens:
Du wirst verspottet und verspeiet,
Man schlägt dein göttlich Angesicht,
Damit ich möchte sein befreiet
Von Spott und Pein in dein'm Gericht.
[441]Hilf, daß ich alle Schand' und Plagen
Nicht fürchte noch mich räche gar,
Die mich auf einen Backen schlagen,
Den andern lieber biete dar!
Sechs Uhr morgens:
Man führt dich vor Gericht unschuldig
Und, ob man dich verleumdet gleich,
Schweigst du doch still und bist geduldig,
Weil du kein irdisch Königreich.
Gib, daß ich auch der Welt absage
Und such', was himmlisch ist, allein,
Daß ich getrost an jenem Tage
Vor deinen Richterthron mag sein!
Sieben Uhr morgens:
Du wirst geschleppet und gejaget
Mit Schanden durch die Stadt herum,
Gleichwie ein albrer Narr geplaget,
Gefragt, verklagt, bleibst dennoch stumm.
Gib, daß ich auch in Schmach und Leiden
Mich so gelassen geb' dahin,
Viel Wort' und Ruhm bei Menschen meide
Und gern für nichts geachtet bin!
Acht Uhr morgens:
Den Lebensfürsten man verstößet
Und um den bösen Mörder schreit;
[442]Gar schändlich wirst du, Herr, entblößet,
Man geißelt dich mit Grausamkeit.
Ach, laß mich allem ganz absagen
Und stets erwählen dich allein;
Willst du mit deiner Zuchtrut schlagen,
So mache mich nur still und klein!
Neun Uhr morgens:
Man krönt dich mit der Dornenkrone,
Man beuget sich aus Spott vor dir,
Nun sitzt du auf dem höchsten Throne;
Ich beug' mich auch im Geist allhier,
Ich grüße dich, mein Herzenskönig,
Mein Herz sei dir ein Königreich!
Trag' ich die Dornenkron' ein wenig,
So werd' ich dir auch droben gleich.
Zehn Uhr morgens:
Verspott't, zerkratzet und verspeiet,
Wirst du zum Schauspiel hingestellt;
Den Heiland jeder verabscheuet,
Weil keinem die Gestalt gefällt.
Du schlechter Jesus bist mir lieber
Als aller Hoheit falscher Schein,
Dir will ich folgen, sollt' ich drüber
Ein Schauspiel aller Menschen sein.
Elf Uhr morgens:
Du mußt das Todesurteil hören,
Doch weiß man deine Unschuld wohl;
[443]Dein Stilleschweigen kann mich lehren,
Wie ich mich schuldig halten soll.
Wirst du, mein Richter, mir vergeben,
So acht' ich Menschenurteil nicht;
Mein alter Mensch, der soll nicht leben,
Mein Geist ihm auch sein Urteil spricht.
Mittags:
Dein Kreuz mußt du, o Jesu, tragen
Mit zweien Mördern durch die Stadt,
Man hat dich wohl dazu geschlagen,
Da du so ganz erschöpft und matt.
Laß mich mein Kreuz auch willig nehmen
Und dir, mein Heiland, tragen nach,
Ich will mich deiner Schmach nicht schämen;
Doch trage mit, weil ich so schwach!
Ein Uhr nachmittags:
Mit Gallentrank wirst du getränket,
Ans Kreuz genagelt jämmerlich;
Für die, so grausam dich gehenket,
Du bittest noch so gnädiglich.
Laß mich den Leidenskelch nicht scheuen,
Mit dir ans Kreuz mich bind allhier,
Daß sich mein Herz nicht mög' erfreuen
In ein'gen Dingen außer dir!
Zwei Uhr nachmittags:
Du hängst verschmäht am Schädelorte,
Versprichst dem Mörder Gnad' und Ruh,
[444]Du redest trostesvolle Worte
Der Mutter und dem Jünger zu.
Nun bist du in dein Reich gekommen;
Herr Jesu, ach, gedenke mein,
Gib, daß ich mög' mit allen Frommen
In deiner Lieb' vereinigt sein!
Drei Uhr nachmittags:
Du schwebst in höchster Not verlassen,
Da du mir Gnad' und Heil erwirbst;
Als wenn du wolltest mich umfassen,
So neigest du das Haupt und stirbst.
Laß auch mein'n Eigenwill'n sich neigen
Und mit dir sinken in den Tod,
Ich schenk' mich ewig dir zu eigen,
Verlaß mich nicht in meiner Not!
Vier Uhr nachmittags:
Du läßt dir öffnen deine Seite,
Woraus uns Blut und Wasser fließt;
Der Glaube saugt, und auch noch heute
Viel Gnad' und Leben draus genießt.
So steht mir denn dein Herz nun offen,
O Jesu, zieh mich tief hinein!
Du hast auch mir mein Herz getroffen,
Ich muß mit dir ein Herze sein.
Fünf Uhr nachmittags:
Du wirst gesalbet und bewunden
Und in ein neues Grab gelegt;
[445]Auch ich hab' dir ein Grab gefunden,
Doch ist es alt und kalt und schlecht.
Komm aber in mein Herz nur liegen,
So wird es wieder schön und neu;
Gib, daß ich allem Weltvergnügen
Als tot und ganz begraben sei!