Sie werden wieder . . .

Sie werden nun wieder ins Ausland gehen. Sie werden wieder . . .

Sie werden wieder nach Amerika fahren, wie früher, und niemand wird so viel Wesens davon machen wie, natürlich, bisher. Sie werden wieder in Madrid sitzen, in Paris und in San Francisco, ›Deutsche im Ausland‹ wird das geheimnisvolle Gruseln verlieren, das es für die braven Kinder seit dem Jahre 1914 gehabt hat, wo sich ernsthafte Männer nur verstohlen, unter der Bank, fremde Zeitungen herumzeigen konnten, weil der Lehrer Staat es so wollte. Sie werden wieder in Christiania Geschäfte machen und nach den Kanarischen Inseln fahren, wenn es wieder erschwinglich sein wird. Und dann –?

Dann werden sie wieder nichts lernen – ich weiß nicht, welche Interpunktion ich diesem Satz anhängen soll: einen Punkt oder ein Fragezeichen. Werden sie dieses Mal die Augen aufmachen? Die alte Generation, der fast alle unsre politischen Führer angehören, sicherlich nicht mehr. Man hat stets ablehnen müssen, sich mit Erscheinungen wie Hergt oder Hermann Müller oder Wels oder Stresemann ernsthaft auseinanderzusetzen, weil das ja nun doch kein Niveau ist, auf dem man sich bewegen kann. Aber die Jungen –?

Der Deutsche war vor dem Kriege in vielen Schichten kosmopolitischer als irgendein andrer. Er beherrschte die Tatsachenwelt des Auslandes vielfach erstaunlich gut, sprach mehr und besser Sprachen als etwa der Franzose, der nicht konnte, oder der Engländer, der nicht wollte. Und was ist dabei herausgekommen?

Als der Krieg ausbrach, zeigte sich, daß der Deutsche nichts, nichts, nichts gelernt hatte. Er verstand nichts – und versteht nichts. Er hat bis heute nicht begriffen, daß eine Welt gegen ihn nicht aus rein wirtschaftlichen Ursachen geeint stand – er konnte sich diese Uniformität der Abneigung nur erklären aus Wirtschaftsneid und aus Hintertreppenintrigen. Daß es etwas ganz andres war, ist ihm nicht aufgegangen.

Über Deutschland hinweg haben sich Rußland und Frankreich die Hand gereicht. Größere Gegensätze sind kaum denkbar: im Fühlen, im Denken, im Religiösen, im Sozialen. Und doch haben sich die beiden in gewissen menschlichen Punkten verstanden; der Russe, zum Beispiel, [462] ist heute in Frankreich nicht übermäßig beliebt (wenn auch nicht grade unbeliebt; aber die Hausse ist vorbei) – und doch verstehen sie sich. Es ist, als ob es zwischen allen andern Völkern des Erdballs irgendetwas Gemeinsames gäbe, wovon der Deutsche ausgeschlossen ist. Und das sind nicht die Fakten und nicht die Moden und die Literaturen und überhaupt nichts, was man mit Händen greifen kann. Es ist grade das, was der Deutsche für sich gepachtet zu haben meint: die Weltseele.

Und wenn die neue Generation, die nun hinauskommt, nicht die Augen aufzumachen versteht, wenn auch sie sich wieder an den realen Tatsachen Genüge sein läßt oder – umgekehrt – Dinge ins Ausland hineingeheimnist, die nicht drin sind: dann wird das Land erneut an einer Welt vorbeileben und wiederum eines Tages nicht verstehen, daß die Geschichte gegen das Land auch über das Land hinweggeht.


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