Auf den Geburts-Tag einer guten Freundin

Den 30. Merz 1735.


Geehrtes Jungfer-Bild!
Erlaube, daß mein Blat
Jetzt einen holden Blick von dir zu hoffen hat.
Nim Werthe! gütig an, was ich aus Freundschafts-Trieben
An deinem Freuden-Fest dir dießmahls zugeschrieben.
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Die Tugend, welche dir ins Herz gepräget ist,
Die würket, daß mein Wunsch dich ganz ergebenst grüßt.
Die Tugend an sich selbst mit allem ihren Wesen,
Ward schon im Alterthum zum Schmucke auserlesen.
Die edle Tugend zieht gern in die Seelen ein,
Sie will beym männlichen und Weibs-Geschlechten seyn.
Erwege, Wertheste! den Kern von allen Schriften,
So wird desselben Wort in dir den Beyfall stiften.
Die Väter erster Zeit, der Patriarchen Zahl,
Die Helden, Könige, Propheten allzumahl,
Empfanden gar zu wohl, wie nütz die Tugend wäre
Dem, der dem Herr der Welt Gehorsam, Furcht und Ehre
Zu leisten schuldig ist: Und wie man ohne sie
Dem nicht gefallen kan, der Mittags, spat und früh
Das Land mit Regen netzt, und stets nach Wohlgefallen
Die Ströme seiner Güt läßt auf die Menschen fallen.
Dergleichen schönen Bund gieng Sarah täglich ein,
Rebecca, Hanna, Ruth erwehlten sie allein;
Susanna, Judith auch. Sie kannten ihre Würde;
Deswegen trugen sie auch ihre sanfte Bürde.
Die Väter nicht allein, und Christen neuer Zeit,
Die haben ihre Seel der Tugend blos geweyht,
Und sie sehr hoch geliebt; Nein selber kluge Heyden
Bestrebten sich mit Fleiß ihr Aug an ihr zu weyden.
Sie wusten, daß ihr Dienst der Seelen sehr bequem,
Und allzeit nützlich sey; den Göttern angenehm,
Den Menschen lieb und werth, drum war es ihr Vergnügen,
Wenn sie nur an der Brust der Tugend konten liegen.
Ein muntrer Hercules hört zwar den Vortrag an,
Den ihm die Wollust dort im finstern Wald gethan;
Doch hört er auch zugleich der Tugend sanfte Stimme,
Und trieb darauf im Zorn, mit Ernst und grossem Grimme
Die schnöde Wollust fort, und gab den Herzens-Schrein
Mit gutem Vorbedacht der Tugend eiligst ein.
Dort wolt Aspasia nach Art der edlen Nymphen,
Durch ihren Wandel nicht der Tugend Glanz beschimpfen;
Nein, sie erwehlte sie. Auch andre Nymphen mehr,
Die ich hier übergeh, verehrten sie gar sehr.
O schön und edle Wahl, die Seel und Geist erfreuet,
Und die zu keiner Zeit den Menschen-Kindern reuet.
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Wo käm die Reue her? wer sie nur recht gesehn,
Wer ihren Trank gekost/ der wird sie nie verschmähn.
Die höchste Majestät, der alle dienen müssen,
Liebt, schützt und sorgt vor dem, der ihren Mund will küsen.
Die Menschen haben den, der ihren Schmuck beehrt,
In gutem Angedenk, und vor viel andern werth.
Die Tugend faulet nicht, sie lebt noch nach dem Sterben,
Und wird den schönsten Ruhm und Angedenk ererben.
Wohl! wenn ein Jungferbild ihr Herz der Tugend giebt,
Und sich in ihrem Glanz aufs brünstigste verliebt:
Und ihre Lust allein in ihrem Schmucke suchet,
So wird ihr auch so gar vom Zoil nicht gefluchet.
Drum preißt der Weiseste der Könge ihren Pracht
Dem Frauenzimmer an, und lehrt mit Vorbedacht,
Daß ohne ihrem Schmuck kein Frauenzimmer schöne,
Und liebens-würdig sey. Die aber dem Gethöne
Und Ruf der Tugend folgt, sey Liebs- und Lobens-werth,
Und noch viel köstlicher als Schätze dieser Erd.
Geehrtes Jungferbild! Du kennest meine Sinnen,
Daß sie die Heuchel-Kunst mit nichten liebgewinnen:
Deswegen laß mir zu, daß sich an deinem Fest
Die Warheit, die ich ehr, in etwas hören läßt.
Da dich an diesem Tag Gott dieser Welt geschenket,
Und dich schon in der Wieg mit seiner Hand gelenket,
Der deine Seele schon mit Güte überzog,
Als dein noch zarter Mund an seiner Mutter sog.
Des Schöpfers Liebe wuchs bey deinen Lebens-Tagen,
Und ließ dich damahls schon auch nach der Tugend fragen.
Da dein Verstand zur Kraft und seiner Reife kam,
Begab sichs, daß dein Herz die Frage vor sich nahm
Die Hercul dort im Wald, wie vor gesagt, geführet:
Folg ich der Tugend nach, die ewig triumphiret?
Gedacht, gesagt, geschehn. Die Wollust ward verflucht,
Du hast die Tugend nur und ihre Bahn gesucht:
Und bis auf diese Stund, bey allen unterfangen
Nur ihrer edlen Spur und Reitzung nachgegangen.
Deswegen schreibt man dich auch unter denen ein,
Die von dem Salomo vor schön befunden seyn.
Ich schweig mit mehrerm Lob, ich will nichts weiter sagen,
Denn dein bescheidnes Thun kan es nicht wohl vertragen.
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Ich sage jetzt nur das: Es ist heut meiner Brust
Nichts als nur Munterkeit und Frölichkeit bewust.
Warum? o frage nicht! der Tag, an dem der Himmel
Dich Tugend-volles Kind in dieses Weltgetümmel
Geschickt und dargestellt, erweckt zur Munterkeit:
Dein Fest versetzet mich in solche Lust und Freud.
Dabey gedenke ich an meine schuldge Pflichten,
Deshalb bemüh ich mich dieselben zu entrichten:
Und rufe jetzo aus: Willkommen holde Zeit!
Du bringst mir viele Lust; du hast mich sehr erfreut.
Hier will ich übers Ziel nicht wünschen, oder rufen,
Betrit nach hundert Jahr die schwarzen Grabes-Stufen.
Geliebtes Jungfer-Bild! Du siehst, ich bin recht froh;
Der Herr Herr, der dem Saul und auch dem Pharao
Ein Ziel gesetzet hat, wie lang sie sollen schnauben,
Der ordnet auch die Zeit, wenn uns der Tod soll rauben:
Dieß Ziel kan nie ein Mensch auf Erden übergehn,
Drum wünsch ich, daß die Zeit, die dir der Herr ersehn,
Dereinst verstreichen mag mit völligem Vergnügen,
Kein wiedriges Geschick müß sich zu dir verfügen.
Es müsse dein Gemüth beständig ruhig seyn:
Und wenn du dieses Fest, und dieses Lichtes Schein
Hinfort erblicken wirst; so mögs mit Lust geschehen.
Laß mich stets in der Zahl der Freundin bey dir stehen.

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