344. Die goldene Wiege im Tressower See.

Auf dem Gute Tressow bei Wismar befindet sich ein See, an dessen Ufern sich einige Hügel erheben, deren einer, mit Gehölz bewachsen, der Kellerberg genannt wird. Wurde in diesem See gefischt, so waren zwei Hindernisse im Wasser vorhanden, die man mit den Netzen oder der Fischwade zu vermeiden hatte. Das erste, die Mühlenwelle, ein Eichbaum, der zu einer Mühlenwelle bestimmt gewesen. Ein Fuhrmann hat diesen Baum trotz aller Warnungen über den gefrorenen See fahren wollen, doch die Eisdecke konnte die Last nicht tragen und das Fuhrwerk mit Gespann und Fuhrmann [264] sank in die Tiefe. Das zweite Hinderniß ist der Mann mit der goldenen Wiege. Von diesem erzählen alte Tressower Leute Folgendes. Vor alten Zeiten hauste auf dem Kellerberge am See ein Räuber. 1 Er hatte viele Höhlen in diesem Berge, die alle miteinander in Verbindung standen und viele so geschickt angelegte Ein- und Ausgänge hatten, daß der Räuber allen Verfolgungen stets glücklich entging; denn Niemand vermochte einen Eingang zu entdecken. So hatte er sich schon zum Herrn der Landstraße von Wismar nach Grevismühlen, die in einiger Entfernung an diesem Berge vorüberführt, gemacht. Er hatte stets eine Kette bei Gressow quer über der Landstraße liegend, eine zweite ebenso beim Sternkrug. Diese Ketten standen mit im Innern des Berges befindlichen Glocken in Verbindung, und kam ein Fuhrwerk des Weges, so berührte es die Kette und der Räuber wußte alsbald, durch die Glocken benachrichtigt, aus welcher Richtung der Wagen kam. So hatte er schon geraume Zeit sein Wesen getrieben und ungeheure Schätze erworben. Eines Tages verschwand ein Bauernmädchen in dieser Gegend und alles Suchen und Forschen nach demselben war umsonst. Einige Jahre waren schon verflossen, als die Verschwundene plötzlich zu Grevismühlen auf dem Jahrmarkte erschien. Ihre Verwandten drangen mit Fragen in sie, doch das Mädchen wollte keine Auskunft ertheilen, sie sei durch einen furchtbaren Schwur gebunden, keinem Menschen auf der Welt ihren Aufenthalt zu entdecken; bräche sie diesen Schwur, so würde das unfehlbar ihren Tod zur Folge haben. Da kam einer ihrer Verwandten auf einen glücklichen Gedanken. Das Mädchen hatte geschworen, keinem Menschen ihr Schicksal zu enthüllen, aber einem leblosen Gegenstande konnte sie es erzählen, ohne dadurch meineidig zu werden. Auf seinen Rath ging das Mädchen zum Ofen und erzählte ihm, der Räuber habe sie in dem Berge am Tressower See gefangen gehalten, nach vielen Bitten ihrerseits habe er ihr endlich die Erlaubniß ertheilt, den Grevismühlener Markt besuchen zu dürfen, zuvor aber ihr jenen Schwur abgenommen, der sie zur Rückkehr zu ihm und zum Stillschweigen über ihr Schicksal verpflichtete. Man gab nun der Gefangenen Erbsen mit auf ihren Rückweg und hieß sie dieselben auf ihrem [265] Wege ausstreuen. Eine große Anzahl Bewaffneter machte sich darauf auf den Weg, verfolgte, durch die Erbsen geleitet, die Spur des Mädchens. Glücklich wurde der Eingang gefunden und der Berg auf allen Seiten besetzt. Dem Räuber blieb jedoch ein geheimer Ausgang nach dem See zu. Eilig raffte er seine bedeutenden Schätze zusammen, packte sie in eine goldene Wiege und warf sich mit dieser in einen Kahn. So entkam er auf den See, doch auch das jenseitige Ufer war von Feinden besetzt. Als er sich von allen Seiten von Verfolgern umgeben und nirgends ein Entkommen möglich sah, da bohrte er ein Loch in den Boden des Kahns und versank mit allen seinen Schätzen in der Mitte des Sees.


Wirthschafter L. Thilo in Neuheinde, nach Erzählung des Inspectors Metterhausen. Vgl. weiter unten die Räubersagen; WS. 26a; Schwartz S. 140.

Fußnoten

1 Der Name des Räubers ist dem Berichterstatter entfallen.

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