Episteln Gerne hätt ich fortgeschrieben, Aber es ist liegen blieben. Erste Epistel Jetzt, da jeglicher liest und viele Leser das Buch nur Ungeduldig durchblättern und, selbst die Feder ergreifend, Auf das Büchlein ein Buch mit seltner Fertigkeit pfropfen, Soll auch ich, du willst es, mein Freund, dir über das Schreiben Schreibend, die Menge vermehren und meine Meinung verkünden, Daß auch andere wieder darüber meinen und immer So ins Unendliche fort die schwankende Woge sich wälze. Doch so fähret der Fischer dem hohen Meer zu, sobald ihm Günstig der Wind und der Morgen erscheint; er treibt sein Gewerbe, Wenn auch hundert Gesellen die blinkende Fläche durchkreuzen. Edler Freund, du wünschest das Wohl des Menschengeschlechtes, Unserer Deutschen besonders und ganz vorzüglich des nächsten Bürgers, und fürchtest die Folgen gefährlicher Bücher; wir haben Leider oft sie gesehen. Was sollte man oder was könnten Biedere Männer vereint, was könnten die Herrscher bewirken? Ernst und wichtig erscheint mir die Frage, doch trifft sie mich eben In vergnüglicher Stimmung. Im warmen, heiteren Wetter Glänzet fruchtbar die Gegend; mir bringen liebliche Lüfte Über die wallende Flut süß duftende Kühlung herüber, Und dem Heitern erscheint die Welt auch heiter, und ferne Schwebt die Sorge mir nur in leichten Wölkchen vorüber. Was mein leichter Griffel entwirft, ist leicht zu verlöschen, Und viel tiefer präget sich nicht der Eindruck der Lettern, Die, so sagt man, der Ewigkeit trotzen. Freilich an viele Spricht die gedruckte Kolumne; doch bald, wie jeder sein Antlitz, Das er im Spiegel gesehen, vergißt, die behaglichen Züge, So vergißt er das Wort, wenn auch von Erze gestempelt. Reden schwanken so leicht herüber hinüber, wenn viele Sprechen und jeder nur sich im eigenen Worte, sogar auch Nur sich selbst im Worte vernimmt, das der andere sagte. Mit den Büchern ist es nicht anders. Liest doch nur jeder Aus dem Buch sich heraus, und ist er gewaltig, so liest er In das Buch sich hinein, amalgamiert sich das Fremde. Ganz vergebens strebst du daher, durch Schriften des Menschen Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu wenden; Aber bestärken kannst du ihn wohl in seiner Gesinnung Oder, wär er noch neu, in dieses ihn tauchen und jenes. Sag ich, wie ich es denke, so scheint durchaus mir, es bildet Nur das Leben den Mann und wenig bedeuten die Worte. Denn zwar hören wir gern, was unsre Meinung bestätigt, Aber das Hören bestimmt nicht die Meinung; was uns zuwider Wäre, glaubten wir wohl dem künstlichen Redner; doch eilet Unser befreites Gemüt, gewohnte Bahnen zu suchen. Sollen wir freudig horchen und willig gehorchen, so mußt du Schmeicheln. Sprichst du zum Volke, zu Fürsten und Königen, allen Magst du Geschichten erzählen, worin als wirklich erscheinet, Was sie wünschen und was sie selber zu leben begehrten. Wäre Homer von allen gehört, von allen gelesen, Schmeichelt' er nicht dem Geiste sich ein, es sei auch der Hörer, Wer er sei, und klinget nicht immer im hohen Palaste, In des Königes Zelt die Ilias herrlich dem Helden? Hört nicht aber dagegen Ulyssens wandernde Klugheit Auf dem Markte sich besser, da, wo sich der Bürger versammelt? Dort sieht jeglicher Held in Helm und Harnisch, es sieht hier Sich der Bettler sogar in seinen Lumpen veredelt. Also hört ich einmal, am wohlgepflasterten Ufer Jener Neptunischen Stadt, allwo man geflügelte Löwen Göttlich verehrt, ein Märchen erzählen. Im Kreise geschlossen, Drängte das horchende Volk sich um den zerlumpten Rhapsoden. »Einst«, so sprach er, »verschlug mich der Sturm ans Ufer der Insel, Die Utopien heißt. Ich weiß nicht, ob sie ein andrer Dieser Gesellschaft jemals betrat; sie lieget im Meere Links von Herkules' Säulen. Ich ward gar freundlich empfangen; In ein Gasthaus führte man mich, woselbst ich das beste Essen und Trinken fand und weiches Lager und Pflege. So verstrich ein Monat geschwind. Ich hatte des Kummers Völlig vergessen und jeglicher Not; da fing sich im stillen Aber die Sorge nun an: wie wird die Zeche dir leider Nach der Mahlzeit bekommen? Denn nichts enthielte der Säckel. ›Reiche mir weniger!‹ bat ich den Wirt; er brachte nur immer Desto mehr. Da wuchs mir die Angst, ich konnte nicht länger Essen und sorgen und sagte zuletzt: ›Ich bitte, die Zeche Billig zu machen, Herr Wirt!‹ Er aber mit finsterem Auge Sah von der Seite mich an, ergriff den Knittel und schwenkte Unbarmherzig ihn über mich her und traf mir die Schultern, Traf den Kopf und hätte beinah mich zu Tode geschlagen. Eilend lief ich davon und suchte den Richter; man holte Gleich den Wirt, der ruhig erschien und bedächtig versetzte: ›Also müß es allen ergehn, die das heilige Gastrecht Unserer Insel verletzen und, unanständig und gottlos, Zeche verlangen vom Manne, der sie doch höflich bewirtet. Sollt ich solche Beleidigung dulden im eigenen Hause? Nein! es hätte fürwahr statt meines Herzens ein Schwamm nur Mir im Busen gewohnt, wofern ich dergleichen gelitten.‹ Darauf sagte der Richter zu mir: ›Vergesset die Schläge, Denn Ihr habt die Strafe verdient, ja schärfere Schmerzen; Aber wollt Ihr bleiben und mitbewohnen die Insel, Müsset Ihr Euch erst würdig beweisen und tüchtig zum Bürger.‹ ›Ach!‹ versetzt ich, ›mein Herr, ich habe leider mich niemals Gerne zur Arbeit gefügt. So hab ich auch keine Talente, Die den Menschen bequemer ernähren; man hat mich im Spott nur Hans Ohnsorge genannt und mich von Hause vertrieben.‹ ›O so sei uns gegrüßt!‹ versetzte der Richter; ›du sollst dich Oben setzen zu Tisch, wenn sich die Gemeine versammelt, Sollst im Rate den Platz, den du verdienest, erhalten. Aber hüte dich wohl, daß nicht ein schändlicher Rückfall Dich zur Arbeit verleite, daß man nicht etwa das Grabscheit Oder das Ruder bei dir im Hause finde, du wärest Gleich auf immer verloren und ohne Nahrung und Ehre. Aber auf dem Markte zu sitzen, die Arme geschlungen Über dem schwellenden Bauch, zu hören lustige Lieder Unserer Sänger, zu sehn die Tänze der Mädchen, der Knaben Spiele, das werde dir Pflicht, die du gelobest und schwörest.‹« So erzählte der Mann, und heiter waren die Stirnen Aller Hörer geworden, und alle wünschten des Tages Solche Wirte zu finden, ja solche Schläge zu dulden.