25/6934. An Sulpiz Boisserée Nach einem so gehaltvollen Zusammenseyn und einer so reichen Mittheilung fällt es schwer, aus der Ferne das Gespräch wieder anzuknüpfen, doch will ich nicht aufschieben Ihnen einige dankbare Worte für soviel empfangenes Gute zuzusprechen. Ohne zu wiederholen, wieviel Gutes mir durch Sie und die Ihrigen geworden, und ohne zu versichern, daß es bey mir wächst und fruchtet, sage ich nur: daß die nach meiner Rückkehr vorgenommenen Arbeiten mich zur Kunst und Kunstgeschichte zurückführen, und daß alles bey Ihnen Erfahrene sich sehr schön an das Ganze anschließt, und einen herrlichen Platz einnimmt. Einen älteren und neuern Besitz niederländischer Kunstschätze, späterer Meister, weiß ich nun erst recht zu schätzen, und um zu zeigen, wie nah sich meine Blätter an die Epoche anschließen, der Sie Ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben, will ich nur sagen, daß eine sehr schöne und bedeutende Zeichnung von Calvaert in meine Hände gekommen, wie denn auch von Bloemaert, Rubens, Rembrandt u.a. bedeutenden Männern unbezweifelte wichtige Arbeiten bey mir eingekehrt sind. Diese weiß ich erst recht in ihrer Maaße zu ehren, da ich die Trefflichkeit ihrer Vorgänger kenne, von denen sie eine so gründliche Überlieferung erbten, daß sie nach jener großen Zerstörung wieder eine neue Kunstwelt herstellen konnten. Nicht weniger giebt mir die Absicht, die Papiere, meine erste italiänische Reise betreffend, zu ordnen und zu redigiren, einen Blick in meine frühere Kunstbildung, wo ich, glücklicher Weise, wenig Falsches zu bedauern, nur manches Einseitige zu belächeln habe. Doch wir kommen ja, als Individuen, niemals ganz von einer Seite los, und es ist daher unsere Pflicht die andern auf der ihrigen zu betrachten, zu erkennen und zu lieben. Da ich Gelegenheit gehabt, noch mehr echte byzantinische Arbeiten zu sehen, so bin ich überzeugter, daß von dort her der ganze Cyclus des christlichen Olymps bildlich ist überliefert worden, welches wohl geschehen mußte, da man mehr oder weniger die charakteristischen Verschiedenheiten der Ober- und Untergötter auszudrücken bemüht gewesen. Haben Sie die Gefälligkeit von Ihrer Seite weiter darauf zu merken, weil für Kunst und Kunstgeschichte die Abstammung der Gestalten immer das Bedeutendste bleibt. Und somit leben Sie wohl, empfehlen Sie mich aller Orten, und entschuldigen mich, wenn ich der Pflicht, etwas von mir hören zu lassen, noch nicht nachgekommen. Ich muß mich freylich, bey dem vielen Guten, was ich auf dieser Weise empfangen, beynahe für insolvent erklären. Und damit leben Sie wohl, und lassen mich bald vernehmen, wie Sie Sich befinden. Hauptmann Raabe grüßt, er wohnt bey mir und belebt meinen kleinen Besitz und mein eifriges Wollen. Auf glückliches Wiedersehn! Weimar d. 19. Nvbr. 1814. Goethe.