1819, 9. August. Mit Julie und Caroline von Egloffstein Am 9. August 1819 verlebten wir den Abend bei Goethe. Dieser hohe Freund hatte Julien Kreide zum Zeichnen geschenkt. Diese Gabe brachte das Gespräch auf die Zeichnung des Posthalters von Langensalza. Bei der Erzählung, wie wir in seine Schwächen eingegangen und dadurch seiner bis zur Verrücktheit gesteigerten Eitelkeit noch geschmeichelt hätten, bemerkte Goethe auf eine sein persiflirende Weise, daß darin die eigentliche Lebensklugheit bestehe und er ihr solches Benehmen gegen jedermann anrathe. Auf Juliens Frage, warum man nur gegen Carricaturen sich diese augenblickliche Verläugnung seiner Ansichten gestatte, erwiederte er mit sichtbarer Freude über ihre Bemerkung, daß diese Gattung von Menschen, indem sie aus ihrer Natur heraustrete, auch alle Verpflichtungen, so wir gegen uns und andere üben, auflösen, und man daher diese Personen als halbe Wahnwitzige dulde, statt sie zu widerlegen in ihre Ideen eingehe. Julie citirte eine Person aus ihrer Bekanntschaft, wo man täglich diese Regel übe. Jedes glaubte, sie errathen zu haben, als der alte Herr mit Feinheit einfiel, daß man nur im Staatskalender suchen dürfe, um so einen Gegenstand zu finden. »Erhaltet Eure Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe so viel wie möglich,« fuhr er fort, »aber verfallt nicht in den Fehler der jetzigen Zeit, nämlich: durch allzugroße Aufrichtigkeit grob zu werden.« Hierauf erzählte er uns eine niedliche Anekdote von einer alten würdigen Castellanin zu Nürnberg, welche in einer Gesellschaft von jungen Leuten, die sich mit ungeziemender Heftigkeit und Unart über die Schmeichler und Heuchler äußerten, plötzlich hinter ihrem Kaffeetisch mit zusammengeschlagenen Händen in vollem Unmuth ausrief: Ach, wie lieb' ich die Schmeichler und Heuchler!