Die Lehre von der deutschen Dichtkunst . ────── Bei W. Langewiesche in Barmen sind erschienen: Blumenlese aus 101 deutschen Dichtern neuerer und neuester Zeit. Zum Deklamiren für die reifere Jugend in Gymnasien, Seminarien, höheren Bürgerschulen &c., so wie zum Privatgebrauch für alle Freunde deutscher Dichtkunst und Dichter. Herausgegeben von einem der 101. 24 Bogen 8., elegant gebunden mit Umschlag in Congrevedruck. 1 Thlr. Gallerie der Helden: Blücher, Washington, Schill und Hofer. Vier Lebensbeschreibungen, Deutschlands Jünglingen und Männern gewidmet von Dr . Rauschnick, Hofrath Ed. Gehe, Dr H. Döring und L. Wiese. Jn Einen Band gebundene Ausgabe mit 3 Stahlstichen. 3⅓ Thlr. P. D. Holthaus, (Schneidergesell!) Wanderungen durch Europa und das Morgenland. Dritte, verbesserte Auflage. Mit dem Bildniß des Herausgebers. Geh. ¾ Thlr. Dr . Franz Horn, Fortepiano. Kleine heitere Schriften. 3 Bände. 8. Geh. 3 Thlr. Derselbe, Mai und September. Eine Sammlung von Novellen, Skizzen, Kritiken &c. 2 Bde. 8. Geh. 2¼ Thlr. Poetisches Kleingewehrfeuer. Epigramme, Reimsprüche &c. von Teutonius Acerbus, Jan Pol, G. Puteolano, K. G. Korte und W. Jemand. Geheftet. ⅓ Thlr. Lies mich! Eine Sammlung von Novellen, Erzählungen, Dramen, Gedichten &c. Jn Verbindung mit beliebten Schriftstellern ( Ferd. Freiligrath, Franz Horn, Pustkuchen &c.) herausgegeben von W. Jemand. N. A. 3 Bände in Taschenformat, elegant gebunden mit Goldschnitt. 3 Thlr. H. Püttmann, Chatterton. 2 Bände. 1r Bd.: Leben des Dichters. 2r Bd.: Dichtungen (die ausgezeichnetesten des genialen „Wunderknaben“ Chatterton, metrisch übersetzt). 8. Geheftet. 1 ⅚ Thlr. Dr . Karl Rosenkranz, (Professor in Königsberg), geistlich Nachspiel zur Tragödie Faust. 8. Geh. \frac{5}{12} Thlr. Derselbe, die Naturreligion. Ein philosophisch=historischer Versuch. gr. 8. 1 ⅚ Thlr. Albert von Starschedel (in Paris), französische Schulgrammatik. 8. Geh. ½ Thlr. Deutsches Volksliederbuch. Vierte Auflage, 139 ausgewählte Volks=, Gesellschafts- und andere Lieder enthaltend. Geheftet. \frac{1}{12} Thlr. Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. ────── Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht bearbeitet und mit Hinweisungen auf die Gedichtsammlungen von Echtermeyer, Kurz, Schwab, Wackernagel und Wolff versehen von Ernst Kleinpaul, Lehrer an der höheren Stadtschule in Barmen. ────── Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, Jst ein Barbar, er sei auch wer er sei. Göthe . Barmen, 1843. Verlag von W. Langewiesche . ────── Druck von P. A. Santz in Altena. ────── Vorwort . U nsere Nationalliteratur, namentlich der (im engern Sinne) poetische Theil derselben, hat gegenwärtig, sowohl in höheren Lehranstalten, als unter den, der Schule entwachsenen Gebildeten eine sehr erfreuliche Beachtung gefunden. Die Bekanntschaft mit derselben betrachtet man ─ und mit Recht! ─ als ein nothwendiges Attribut der Bildung, als eine Quelle des edelsten Genusses. Schriftsteller und Buchhändler haben sich beeilt, den in dieser Beziehung laut werdenden Bedürfnissen entgegen zu kommen: fast mit jeder Woche mehren sich die Auswahlen deutscher Gedichte, erscheinen neue Ausgaben anerkannter Dichter und Kommentare zu einzelnen oder mehreren derselben. Nur die theoretische Seite der deutschen Poesie hat, nach unserer Meinung, die volle, verdiente Berücksichtigung noch nicht gefunden. Denn wenn wir auch über einzelne Zweige der Dichtkunst nicht nur mehrere ausführliche gelehrte Werke, sondern auch solche besitzen, die für ein größeres Publikum berechnet und dabei zum Theil recht zweckmäßig sind, so fehlt es uns doch an einer Schrift, die in anspruchsloser und faßlicher Weise sich über das Ganze der Poetik, über die Formen sowohl, als über die Gattungen und Arten derselben verbreitet. Wir schmeicheln uns deshalb mit der Hoffnung, durch das vorliegende Werkchen eine fühlbar gewordene Lücke auszufüllen. Jn wie weit uns das gelungen, darüber mögen sachverständige Kritiker und diejenigen entscheiden, die unsere Schrift gebrauchen! Bei der Beurtheilung, wie bei dem Gebrauch bitten wir folgende Punkte zu beachten: 1) Wir haben die Lehre von der Dichtkunst nicht als eine Theorie a priori genommen, sondern sie durchweg auf die Praxis, auf die Produktionen anerkannter deutscher Poeten zu begründen und nach diesen zu bestimmen gesucht. Namentlich ist unser Bestreben gewesen, die selbstständige nationale Entwickelung, die unsere Poesie praktisch in Hinsicht der Formen erreicht, auch in der Theorie geltend zu machen. Deshalb haben wir zwar die einmal bekannten und gebräuchlichen Namen aus der antiken (griechisch=lateinischen) Metrik beibehalten, aber nicht diese selbst ohne Weiteres auf die deutsche Dichtkunst übertragen. Daß so unsere Schrift einen haltbaren praktischen Grund gewonnen, dürfen wir um so mehr hoffen, als sich ein uns befreundeter Dichter der Mühe unterzogen hat, dieselbe mit uns fast Satz für Satz durchzugehen. Wir fühlen um so größere Verpflichtung, demselben öffentlich hiermit unseren herzlichen Dank abzustatten, da einige Paragraphen dem Wesentlichen nach ganz sein Eigenthum sind, andere auf seine Veranlassung mehr oder minder erhebliche Aenderungen oder Zusätze erfahren haben. 2) Es konnte unsere Absicht nicht sein, unsere Leser zu Dichtern machen zu wollen ─ die Dichter werden geboren. Allerdings würde es uns höchlich freuen, wenn hier oder da Einer, der das göttliche Pfund der Poesie schon in sich trug, durch unsere Schrift hinsichtlich der Anwendung desselben zu größerer Klarheit gelangen sollte. Zunächst aber bezweckten wir bloß, ältere und jüngere Freunde poetischer Speise für deren Genuß fähiger und empfänglicher zu machen. Um dabei möglichst vielen nützlich zu werden, suchten wir unser Buch so einzurichten, daß es sowohl unter Leitung eines Lehrers von den Schülern und den Schülerinnen höherer Lehranstalten gebraucht werden, als auch Erwachsenen zum Selbstunterricht dienen konnte. Für den Schulgebrauch aber, wie für den Selbstunterricht war es nothwendig, den Text durch Beispiele zu belegen und zu erläutern. Trotz dem trugen wir Bedenken, überall Beispiele beidrucken zu lassen. Denn hätten wir uns rücksichtlich derselben auch nur auf das Allernothwendigste beschränkt, so mußte doch das Buch um ein Bedeutendes theurer und damit sein Wirkungskreis ein sehr beschränkter werden; überdieß würden die Beispiele vom literar historischen Gesichtspunkte aus nur eine sehr ungenügende Auswahl abgegeben haben. Unserm Texte aber eine, auch in dieser Beziehung vollständige Gedichtsammlung beizugeben, und so die große Menge ähnlicher Bücher noch zu vermehren, dazu konnten wir uns für jetzt nicht entschließen. Wir wählten deshalb einen Mittelweg. Nur in den, über die Prosodik, die Metrik, die Versarten und den Reim handelnden Abschnitten führten wir gleich die nöthigen Beispiele an. Jn Hinsicht der Theil II . besprochenen lyrischen und epischen Dichtungsarten aber haben wir uns auf die unten angegebenen 1) Auswahl deutscher Gedichte für gelehrte Schulen, von Dr. Theodor Echtermeyer. Dritte Auflage. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses. 1842. 2) Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutschen von Haller bis auf die neueste Zeit. Vollständige Sammlung von Musterstücken &c. mit literarisch=ästhetischem Kommentar. Von Dr. Heinr. Kurz. 3 Theile. Zürich, Meyer und Zeller . 1840. 3) Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte. Von Haller bis auf die neueste Zeit. Von Gustav Schwab. Zweite Auflage. Leipzig, Weidmann . 1840. 4) Poetischer Hausschatz des deutschen Volkes. Vollständigste Sammlung deutscher Gedichte &c. Von Dr. O. L. B. Wolff &c. Leipzig, Otto Wigand . 5) Auswahl deutscher Gedichte für höhere Schulen, von Dr. K. E. P. Wackernagel. Dritte Auflage. Berlin, Duncker und Humblot . 1838. anerkannten und weitverbreiteten Gedichtsammlungen bezogen und deshalb unserem Buche ein, auf jene Werke verweisendes Register beigefügt. Wenn wir im Allgemeinen immer nur einige, nicht alle in den einzelnen Sammlungen vorhandenen Beispiele angedeutet haben, und uns auch nicht daran störten, daß sich wohl die eine oder andere Dichtungsart nicht in jeder derselben vertreten fand; wenn wir bei der dramatischen Poesie und den in prosaischer Form erscheinenden Dichtungen sowohl auf Anführung, als auf Andeutung von Beispielen verzichteten: so wird es darüber hier keiner besondern Rechtfertigung bedürfen. Was endlich den Abschnitt von den Strophen betrifft, so sind in demselben die nöthigen Beispiele dem Texte dann beigegeben, wenn sich solche nicht in mehreren der angezogenen Sammlungen fanden. 3) Die Anführung derjenigen Dichter, die sich in den einzelnen Dichtungsarten ausgezeichnet haben, soll die Literaturgeschichte nicht ersetzen, wohl aber dazu dienen, das Studium derselben zu fördern. Für den Schulunterricht, wie für den autodidaktischen Gebrauch scheint uns nämlich zur Erreichung der nöthigen Bekanntschaft mit der Nationalliteratur und deren Geschichte folgender Weg der naturgemäßeste und zweckdienlichste: a . Lesen ausgezeichneter poetischer Produkte mit bloßer Rücksicht auf das Verständniß des Gegenstandes und die Darstellung im Allgemeinen; b . Bekanntmachung mit den Formen der Dichtkunst; c . Bekanntmachung mit den Dichtungsarten, und zwar auf praktisch=theoretische Weise: erst lese man aufmerksam einige Beispiele, dann die Theorie derselben; d . erst wenn so schon eine ziemlich ausgedehnte Bekanntschaft mit den vorzüglichern Erzeugnissen der Literatur und den Verfassern derselben erreicht ist, erst dann nehme man die Literaturgeschichte vor. ─ Jst man diesen Weg gegangen, dann können die geschichtlichen Paragraphen unseres Werkes auch in mancherlei Weise zu Repitionen benutzt werden. Freilich nur für die neuere Literaturgeschichte. Wenn wir diese fast ausschließlich berücksichtigt haben, so ist es in der Ueberzeugung geschehen, daß nur sie für den größern Theil des Publikums, wie für diejenigen Lehranstalten, für die wir zunächst schrieben, Werth habe. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe für diese Meinung darzuthun. 4) Wir wollten nicht auf Kosten der Sache originell sein. Ohne deshalb unserer Selbstständigkeit etwas zu vergeben, haben wir uns namentlich in der Lehre von den Dichtungsarten hier und da gern auf andere Werke bezogen. ─ Möchte das von uns Benutzte recht viele unserer Leser dazu veranlassen, sich dem Studium der angezogenen Schriften (namentlich dem von Gervinus' Literaturgeschichte, Hoffmeister's Schiller und Schlegel's: Ueber dramatische Kunst und Literatur) hinzugeben! ─ Die Gefühle der Hochachtung und des Dankes, die wir für jene Autoren hegen, würden den lautesten Wiederhall finden: unsere Arbeit hätte die beste Frucht getragen und unserer Mühe wäre der schönste Lohn geworden! Barmen, Ende März 1843. Der Verfasser. Jnhalt . Seite Vorwort V Alphabetisches Register XV Theil I . Die Dichtkunst nach ihren Formen. Einleitung 1─4 I . Abschnitt. Prosodik oder Lehre von der Messung der Silben 5─10 II . Abschnitt. Von den Versgliedern. ─ Metrik 11─18 III . Abschnitt. Von den Versarten 19─35 IV . Abschnitt. Die Lehre vom Reim 36─55 V . Abschnitt. Von den Strophen 56─74 Zusatz 74─75 Theil II . Die Dichtkunst nach ihren Gattungen. Einleitung 79─81 I . Abschnitt. Lyrische Poesie 82─116 II . Abschnitt. Epische Poesie 117─154 III . Abschnitt. Dramatische Poesie 155─184 Anhang 185─188 Nachweisung von Beispielen 189─192 Druckfehler. Seite 24, Zeile 22 von oben statt „wenn wie“ lies „wenn wir“. „ 29, „ 1 von unten statt „Jambus“ lies „Trochäus“. „ 30, „ 19 von oben statt „die Zahl“ lies „die Schaar“. „ 40, „ 6 von unten statt „Reim o“ lies „Reim so“. „ 60, „ 1 „ „ „ „§. 49.“ lies „§. 42“. Alphabetisches Register. A Accentverse, 9, 34. Akrostichon, 72. Akt, 165. Alcäische Verse, 27. Alexandriner, 21, 22, 111, 127, 144. Allegorie, 119, 122 ff.; ─ anthropomorphische, 123; ─ metaphorische, 123; ─ personificirende, 123. Allegoriendichter, 126. Alliteration, 38, 39. Amphibrachysche Verse, 27. Amphibrachys, 12. Amphimaker, 12. Anagramm, 186. Anakreontische Lieder, 87. Anapäst, 12; ─ ische Verse, 26. Anfangsreim, 43. Annomination, 39. Antibachius, 13. Antike Versmaaße, 92. Antispast, 13. Arie, 99, 184. Ariette, 184. Arioso, 184. Arsis, 11. Asklepiadeische Verse, 29. Assonanz, 36─39. Auftakt, 16. Auftritt, 165. Aufzug, 165. B Bachius, 13. Ballade, 119, 136─141. Balladendichter, 141. Beschreibendes Gedicht, 115. Binnenreim, 43. Buchstabenräthsel, 186. Bucolysche Cäsur, 31. C Cäsur, 15; ─ bucolysche, 31. Cäsuren des Hexameters, 31. Cäsur, Fußcäsur, 15; ─ männliche, 16; ─ Verscäsur, 15; ─ weibliche, 16. Cancion, 66. Cantate, 98─100; ─ geistliche, 99; ─ weltliche, 99. Cantatendichter, 100. Catatilenen, 100. Catatillen, 99, 100. Cantatinen, 100. Canzone, 65. Carricatur, 110. Cavatine, 184. Charade, 186. Charakterstück (Lustspiel), 176. Choliambus, 23. Chor, 99. Choreus, 12. Choriambische Verse, 29. Choriambus, 13. Coda der Canzone, 65. Conversationsstück (Lustspiel), 177. D Daktylische Verse, 25. Daktylisch=spondeische Verse, 29 ff. Daktylus, 12. Deutsche Strophen, 58. Dezime, 68, 69. Dichter von Allegorien, 126; ─ Balladen, 141; ─ Cantaten, 100; ─ Elegien, 101, 102; ─ Epigrammen, 107; ─ Episteln, 113; ─ Epopöen, 146, 147; ─ Fabeln, 122; ─ Gnomen, 104; ─ Heroiden, 103; ─ Hymnen, 96; ─ Jdyllen, 136; ─ Komödien, 179; ─ Legenden, 129; ─ Lehrgedichten, 115, 116; ─ Liedern, 91; ─ Lustspielen, 179; ─ Mährchen, 133; ─ Novellen, 153; ─ Oden, 94; ─ Parabeln, 126; ─ Paramythien, 126; ─ poetischen Erzählungen, 127; ─ Romanen, 153, 154; ─ Romanzen, 141; ─ Sagen, 133; ─ Satyren, 111, 112; ─ Schauspielen, 181. Dichter von Sinnsprüchen, 104; ─ Tragödien, 173; ─ Trauerspielen, 173. Dichtkunst, 1. Dijambus, 13. Dimeter, 17. Dipyrrhichius, 13. Dispondeus, 13. Distichon, 32, 33, 101, 104, 106. Dithyrambendichter, 98. Dithyrambus, 97, 98. Doppeljambus, 13. Doppelpyrrhichius, 14. Doppelreim, 44. Drama, 155 ff. Drama im engern Sinne, 179. Dramatische Poesie, 117, 155 bis 184. Duett, 99. 184. Duodram, 183. E Echo, 44. Einheit der Handlung, 156. Einheit des Orts, 158. Einheit der Zeit, 158. Eintheilung der Verse, 16─18. Elegie, 100─102. Elegiendichter, 101, 102. Elegisches Distichon, 32, 33. Elegisches Versmaaß, 101, 103. Elfsilbler, 28. Endreim, 43. Entwickelung, 166. Epigramm, 104─107. Epigrammdichter, 107. Epigramm, ernstes, 105; ─ witzig=satyrisches, 105 ff. Epilog, 156, 166. Epische Poesie, 117─154. Episoden, 118, 141, 142, 157. Epistelndichter, 113. Epistel, poetische, 112, 113. Epitritt, 13. Epopöe, 144. Epos, 119, 141─147. Eposdichter, 146, 147. Epos, ernstes, 146; ─ idyllisches, 146; ─ klassisches, 144; ─ komisches, 146, 147; ─ romantisches, 145. Erotische Lieder, 86. Erzählung, 126; ─ poetische, 119, 126, 127. Exposition, 166. F Fabel, 119, 120─122; ─ des Dramas, 156; ─ dichter, 122. Feenmährchen, 133. Formen, poetische, 3, 4. Freiheitsgesänge, 87. Fuß, 12; ─ cäsur, 15. Füße der Canzone, 65. Füße, dreitheilige, 12, 13; ─ viertheilige, 13; ─ zweitheilige, 12. G Gasel, 72, 73. Gattungen der Dichtkunst oder Poesie, 77 ff. Gedichte, didaktische, 80, 114 ff.; ─ dramatisch=didaktische, 81; ─ episch=didaktische, 80; ─ Lehr=, 114─116. Gedichte, lyrisch=didaktische, 80. Gelegenheitsgedichte, vaterländische, 87 ff. Gesellschaftslieder, 86, 87. Gleichklang, 36─55. Gleichniß, 124. Glosse, 69. Glykonischer Vers, 28. Gnomon, 103, 104; ─ dichter, 104. H Handlung, Einheit der, 156. Hebung, 11. Heldengedicht, 141; ─ ernstes, 144. Held des Dramas, 156; ─ des Epos, 142; ─ der Komödie, 174; ─ der Tragödie, 168 ff. Hendekasyllabus, 28. Heroide, 103. Heroidendichter, 103. Heroischer Vers, 29 ff. Hexameter, 29─33, 111, 144; ─ Kleist 'sche, 32. Hiatus, 74, 75. Homonyme, 186. Hymne, 94─96. Hymnendichter, 96. J Jdylle, 119, 133─136. Jdyllendichter, 136. Jntermezzo, 183. Jntriguenstück, 176; ─ lustspiel, 176. Jonikus, fallender, 13; ─ steigender, 13. Jambus, 12. Jambus, hinkender, 23. Jamben, 19 ff.; ─ einfüßige, 19; ─ zweifüßige, 19, 85; ─ dreifüßige, 19, 85; ─ vierfüßige, 19; ─ fünffüßige, 20, 101, 127, 129; ─ sechsfüßige, 21, 22; ─ siebenfüßige, 23; ─ achtfüßige, 23. Jambische Verse, 19─23, 139. Jambisch=anapästische Verse, 27, 139. K Katastrophe, 157. Kettenreim, 43. Kirchenlied, 86, 96. Kleist 'sche Hexameter, 32. Knittelverse, 35. Knoten, dramatischer, 157. Komödie, 167, 173 ff. Kretische Verse, 25. Kriegslieder, 87. Kunstpoesie, 2. L Legende, 119, 127─129; ─ ernste, 128; ─ komische, 128. Legendendichter, 129. Lehrgedicht, 80, 114─116; ─ Dichter des, 115, 116. Liebeslieder, 86. Lied, 83─91; ─ Arten desselben, 85 ff. Lieder, anakreontische, 87; ─ dichter, 91; ─ erotische, 86; ─ Freiheits=, 87 ff.; ─ geistliche, 85, 86; ─ Gesellschafts=, 86, 87; ─ Kirchen=, 86, 96; ─ Kriegs=, 87; ─ Liebes=, 86. Lieder, Natur=, 86, 90; ─ politische, 87─89; ─ religiöse, 85, 86; ─ Vaterlands=, 86 ff.; ─ weltliche, 85 ff. Logogryph, 186. Lustspiel, 173 ff.; ─ dichter, 179; ─ höheres, 175, 176; ─ niederes, 175, 176. Lyrische Poesie, 79, 82─116; ─ Arten, 83; ─ Eintheilung, 83. M Madrigal, 63. Mährchen, 119, 129─133; ─ dichter, 133. Makamen, 34. Maschinerie des Epischen, 118, 145. Meistersonett, 65. Melodram, 183. Metrik, 11─18. Mittelreim, 43. Molossus, 13. Monodram, 183. Monolog, 166. Monometer, 17. Moral der Fabel, 121. Mythus, 130. N Naturlieder, 86, 90. Naturpoesie, 2. Nibelungenstrophe, 59. Nibelungenvers, 22, 127, 139, 144; ─ älterer, 22; ─ neuerer, 22. Novelle, 119, 151 ff. Novellendichter, 153. Novellette, 152. O Objektive Poesie, 2, 79. Octave, 61─63, 127. Ode, 91─94, 95. Odendichter, 94. Oper, 167, 181─184. Opera buffa , 183. Opera seria , 183, Oper, ernste, 183; ─ komische, 183. Operette, 183. Oratorien, 99. Ottava rime , 61 ff. P Päon, 13. Palimbachius, 13. Parabel, 119, 124, 125; ─ dichter, 126. Paramythie, 119, 125, 126. Parodie, 184. Pasquill, 110. Pause, logische, 15. Pentameter, 17, 32. Perepetie, 166. Persische Vierzeile, 73. Phaläkischer Vers, 28. Pherekratischer Vers, 28. Poesie, 1; ─ Zweck der, 2; ─ didaktische, 80, 81; ─ dramatische, 79, 117, 155─184; ─ dramatisch=didaktische, 81; ─ epische, 79, 117─154; ─ episch=didaktische, 80; ─ Hauptgattungen, 79; ─ lyrische, 79─116. Poesie, lyrisch=didaktische, 80; ─ objektive, 2, 79; ─ subjektive, 2, 79. Poetische Epistel, 112, 113. Poetische Erzählung, 119, 126, 127; ─ Formen, 3, 4. Posse, 175. Prolog, 156, 166. Prosa, 2. Prosodik, 4─10. Psalmen, 96. Pyrrhichius, 12, 14. Pythischer Vers, 29. Q Qualitätsverse, 9. Quantitätsverse, 9. Quartett, 99. R Räthsel, 185. Recitativ, 99, 184. Refrain, 59. Reim, 36─55; ─ Anfangs=, 43; ─ Binnen=, 43; ─ Bedeutung des, 46─48, 54, 55; ─ Doppel=, 44; ─ echo, 44; ─ eigentlicher, 42─44; ─ End=, 43; ─ formen, 42─44; ─ gekreuzter, 45; ─ Gesetze der Bildung, 48; ─ gleitender, 41; ─ identischer, 42; ─ im Liede, 85; ─ Ketten=, 43; ─ männlicher, 41; ─ Mittel=, 43; ─ reicher, 42; ─ Schlag=, 45; ─ schwebender, 41; ─ Stellung des, 44─46; ─ stumpfer, 41; ─ umarmender, 45; ─ ungetrennter, 44. Reime, unterbrochene, 46; ─ verschränkte, 45; ─ weibliche, 41. Reimstrophen, deutsche, 58. Rhapsoden, 97. Rhapsodie, 96, 97. Rhapsodisch, 97. Rhythmus, 11. Ritornell, 63, 64. Roman, 119, 147─154. Romandichter, 153, 154. Romane, ascetische, 150; ─ ästhetische, 150; ─ ernste, 150; ─ historische, 150; ─ humoristische, 150; ─ komische, 150; ─ Künstler=, 150; ─ pädagogische, 150; ─ philosophische, 149, 150; ─ Räuber=, 150; ─ Ritter=, 150; ─ satyrische, 150; ─ Schäfer=, 150; ─ sentimentale, 150; ─ theologische, 150. Roman, Wirkung des, 152. Romanze, 119, 136─141. Romanzendichter, 141. Rondeau, 68. S Sage, 119, 130─33. Sagendichter, 133. Sapphische Verse, 33. Satyre, 107─112. Satyre, ernste, 108; ─ komische, 108; ─ dichter, 111, 112. Scene, 165. Schauspiel, 167, 179 ff. Schlagreim, 45. Schleuderer, 12. Schön, 1. Schweif der Canzone, 65. Senkung, 11. Sestine, 65, 66. Silben, Eintheilung der, 5 ff.; ─ Messung der, 5 ff.; ─ räthsel, 186; ─ wägung, 5 ff. Singspiel, 181, 183. Sinnspruch, 103, 104. Sittenlustspiel, 176; ─ stück, 176. Skansion, 14. Skazon, 23. Sonett, 64, 111. Sonettenkranz, 64, 65. Spenser 'sche Stanze, 63. Spondeus, 12. Sprache, accentuirende, 10; ─ quantitirende, 10. Stanze, 61─63, 111, 144; ─ regelmäßige, 62; ─ unregelmäßige, 62, 63; ─ Spenser 'sche, 63. Stimmreim, 36─38. Streitgedicht, 69, 70. Strophen, 56─74; ─ antike, 58, 60, 61; ─ alcäische, 61; ─ asklepiadeische, 60; ─ ausländische, 61─74; ─ deutsche, 58─60; ─ gleichmäßige, 56; ─ moderne, 58, 61 ff.; ─ sapphische, 61; ─ ungleichmäßige, 56; ─ zweizeilige, 58; ─ drei=, vier=, fünf=, sechs=, siebenzeilige, 59; ─ acht=, neun=, zehn=, elf=, zwölf=, dreizehnzeilige, 60. Subjektive Poesie, 2, 79. T Takt, 12. Tendenz-Romane, 148 ff. Tenzone, 69, 70. Terzett, 99. Terzine, 63, 127. Tetrameter, 17. Theater, 160 ff. Theatralisch, 159 ff. Theatralische Wirkung, 160 ff. Thesis, 11. Tragödie, 167─173. Tragödie, antike, 167 ff.; ─ deutsche, 167 ff.; ─ griechische, 167 ff.; ─ moderne, 167 ff. Tragödiendichter, 173. Trauerspiel, s. Tragödie. Travestie, 184, 185. Tribrachys, 13, 14. Trimeter, 17. Trinklieder, 87, 98. Triolett, 67. Trochäen, zweifüßige, 23; ─ dreifüßige, 23, 84; ─ vierfüßige, 23, 24, 84; ─ fünffüßige oder serbische, 24, 101, 129, 144; ─ sechssüßige, 24; ─ siebenfüßige, 24; ─ achtfüßige, 24. Trochäisch=daktylische Verse, 27, 28, 85. Trochäische Verse, 23─25, 139, 144. Trochäisch=jambische Verse, 28, 29. Trochäus, 12. U Unregelmäßige Verse, 33. V Vaterlandslieder, 86 ff. Vaudeville, 183. Vers, 14. Versarten, 19─35. Verscäsur, 15. Verse, abgekürzte, 17; ─ alcäische, 27; ─ amphibrachische, 27; ─ anapästische, 26; ─ asklepiadeische, 29; ─ choriambische, 29; ─ daktylisch=spondeische, 29 ff.; ─ Eintheilung derselben, 16─18; ─ jambisch=anapästische, 27, 85; ─ jambische, 19─23; ─ Knittel=, 35; ─ kretische, 25; ─ Quantitäts=, 9; ─ Qualitäts=, 9; ─ sapphische, 33; ─ trochäische, 23─25; ─ trochäisch=daktylische, 27, 85; ─ trochäisch=jambische, 28, 29; ─ unregelmäßige, 33 ff. Versfuß, 12. Versfüße, 12. Versfüße, zweitheilige, 12; ─ dreitheilige, 12; ─ viertheilige, 13. Versglieder, 11. Vers, glykonischer, 28; ─ heroischer, 29. Versmaaße, antike, 92. Versmaaß, elegisches, 101, 103, 104, 106. Vers, phaläkischer, 28; ─ pherekratischer, 28; ─ pythischer, 29. Verse, unvollständige, 17; ─ überzählige, 17; ─ vollständige, 17. Verwickelung, 157, 166. Viertheilige Füße, 13. Vierzeile, 104; ─ persische, 73. Volkslieder, 90. Volksmährchen, 132. Volkspoesie, 2. Vorschlag, 16. W Wiederholungssatz, 59. Wohllaut der Wörter, 74, 75. X Xenien, 107. Z Zeitmessung, 9. Erster Theil. Die Dichtkunst nach ihren Formen . Einleitung . §. 1. D ie Poesie (als Kunst ) oder die Dichtkunst gehört zu den schönen Künsten. Die schönen Künste haben die Darstellung des Schönen zum Gegenstand. ( Schön heißt das, was durch die Verhältnißmäßigkeit und Vollkommenheit aller Theile, und insofern es eine höhere Jdee veranschaulicht, dem gebildeten Geschmacke Genuß bereitet.) Sie unterscheiden sich von einander in den Stoffen, durch welche diese Darstellung bewirkt, vermittelt wird. Der Stoff, das Darstellungsmittel der Dichtkunst ist die Sprache. Demnach wäre die Dichtkunst die ausgebildete Anlage, das Schöne sprachlich darzustellen, oder die Fertigkeit, das Schöne mittelst der Sprache regelrecht zur Anschauung zu bringen. Anmerkung. Das Wort Poesie bezeichnet mehrere Begriffe, nämlich: 1) wie oben, die Kunst des Dichtens; 2) die angeborne Anlage, die Naturgabe zum Dichten; 3) die Produkte dieser Naturgabe und die der Dichtkunst; 4) Momente im Leben, und Gegenstände der innern und äußern Welt, sofern sie ähnliche Eindrücke machen, wie ein gutes Gedicht. ─ Auch zu der eigentlichen Dichtkunst, wenn sie nicht zur bloßen Verskunst herabsinken soll, ist die erwähnte Naturgabe (die poetische Ader ) nöthig. Wird aber letztere ohne die erstere, d. h. ohne Bewußtsein der Regeln der Kunst, und ohne Nachahmung anderer poetischer Produkte, angewendet, so entsteht die ─ 2 ─ sogenannte Natur= oder Volkspoesie, in der trotz der mangelhaften Form mitunter eben so schöne Gedankenblitze sich finden, als in der vollendetsten Kunstpoesie . §. 2. Die Poesie wendet sich mit ihren Schöpfungen vorzugsweise an die Phantasie. Sie hat an und für sich keinen andern Zweck, als den, Genuß zu bereiten. „Während andre Mittheilungen durch die Sprache ihre Wirksamkeit auf irgend einen bestimmten Zweck, auf die Belehrung des Verstandes, auf die Lenkung des Willens durch den Verstand und die Erregung der Gefühle richten, sind ihre Schöpfungen im Gebiete innerer Anschauungen, der Phantasie, das freie, nicht von äußerer Wirklichkeit und ihren Bedürfnissen, Rücksichten und Zwecken beengte Spiel einer harmonischen Thätigkeit der geistigen Kräfte. “ ( Herling, Theorie des Styls.) Jndeß lassen sich auch mit ihr bestimmte Zwecke verbinden. Die wahre Poesie soll über die Schranken, Mühen und Sorgen des gewöhnlichen Lebens erheben und die Seele in die höheren Regionen des Jdealen und Vollkommenen versetzen, nicht aber das Gemüth in hysterische Träumereien versenken, es verweichlichen und der ernsten Wirklichkeit entfremden. Anmerkung. Jnsofern die Poesie die eignen Gefühle des Dichters oder außer ihm liegende Erscheinungen darstellt, theilt man sie ein in subjektive und objektive . §. 3. Der Poesie steht die Prosa entgegen. Prosa heißt die Art sprachlicher Mittheilung, welche mittelst des Verstandes Wahrheiten des Lebens, oder, bei der Täuschung, den Schein derselben zur Vorstellung erheben oder bestimmte Gefühle erregen will. Die Prosa strebt nach logischem Zusammenhange, ─ 3 ─ nach Verständlichkeit; sie will belehrend auf den Verstand, oder erregend auf den Willen und das Gefühl wirken. Darum bestimmt hauptsächlich der Jnhalt des Darzustellenden die Art der Wortfolge und der Wortbewegung. Anders bei der Poesie. Jhrem Wesen gemäß verschmäht sie die Sprache des gemeinen Lebens und erscheint in besonderen Formen, die eigenen Gesetzen unterworfen sind und poetische Formen genannt werden. Wenn poetische Produkte, wie z. B. der Roman, die Novelle, das Gewand der Prosa annehmen, wird der Ausdruck doch gewählter, die Darstellung lebendiger, bilderreicher sein, als in der Sprache des gemeinen Lebens oder in der, hauptsächlich Klarheit bezweckenden, der Wissenschaft, und man wird diese Art Prosa mit Recht durch das Prädikat poetisch von der gewöhnlichen unterscheiden können, so wie man umgekehrt gar viele Produkte, die der Form nach zur Poesie gehören, auch wohl in Bezug auf diese Form nichts zu wünschen übrig lassen, dem Wesen, dem Jnhalte nach, zur Prosa zählen muß. §. 4. Die Kenntniß der poetischen Formen ist zur vollen Würdigung der verschiedenen Kunstdichtungen unerläßlich. Ohne klare Einsicht in die Form wird sich das Wesen der Poesie der Seele nie ganz erschließen und kann der Genuß an derselben, da häufig gar viele Schönheiten in der Form liegen, nur ein unvollkommener sein. Daher ist jedem Gebildeten, der sich mit den Meisterwerken unserer Literatur befassen, sich an ihnen erquicken will, zuvörderst nöthig, daß er sich mit der Lehre von den poetischen Formen bekannt macht. Die folgenden Blätter bieten einen Abriß derselben. ─ 4 ─ §. 5. Die Lehre von den poetischen Formen, bald einseitig Metrik, bald eben so einseitig Prosodie, am richtigsten noch Verslehre benannt, zerfällt in folgende Abschnitte: 1) in die Lehre von der Silbenmessung, Prosodik; 2) in die Lehre von den Versgliedern, Metrik; 3) in die Lehre von den Versarten; 4) in die Lehre vom Reime, und 5) in die Lehre von den Strophen. Erster Abschnitt . Prosodik oder Lehre von der Messung (Wägung) der Silben. §. 6. M an theilt in der deutschen Verslehre die Silben in zwei Hauptklassen, nämlich in lange und kurze, richtiger: schwere und leichte Silben. Um zu erkennen, ob eine Silbe lang oder kurz (schwer oder leicht ) ist, hat man zu berücksichtigen: 1) ihre Qualität ─ und zwar a . bei mehrsilbigen Wörtern, ob sie eine Haupt= und Stammsilbe oder eine Nebensilbe (Vor- oder Nachsilbe) ist, b . bei einsilbigen Wörtern, ob sie eine mehr oder weniger wesentliche Bedeutung hat und zu welcher Wortart sie gehört. Die Stamm silben sind an und für sich lang (schwer), die Neben silben, sofern sie nicht aus selbstständigen Wörtern entstanden, kurz (leicht). Anmerkung. Eine Ausnahme macht das Wort lebendig. Hier ist die erste Silbe die Stammsilbe, die zweite und dritte sind Nebensilben. Dennoch legt der Sprachgebrauch den Nachdruck auf die zweite Silbe, wodurch dieselbe lang und die Stammsilbe kurz wird. ─ Die Vorsilben ur, miß, ant, un, vor, auf, an, nach (häufig auch um &c.) sind lang. Die Nachsiilben haft, schaft, keit, heit, bar, sam, sal, thum, lein, in, niß, ung, ei, isch, icht, zig, lich, so ─ 6 ─ wie alle aus noch jetzt gangbaren Adjektiven &c. gebildeten, haben wenigstens mehr oder minder Neigung zur Länge. Unter den einsilbigen Wörtern sind die mehr wesentlichen an und für sich lang, z. B. alle einsilbigen Substantive, Adjective und Zahlwörter, ─ die weniger wesentlichen kurz, z. B. alle einsilbigen Artikel, viele einsilbige Fürwörter, Verhältniß=, Umstands= und Bindewörter, wogegen andere zu diesen Arten gehörige einsilbige Wörter lang, die meisten aber unbestimmt sind. Auch die von Hülfszeitwörtern abgeleiteten einsilbigen Wörtchen (ist, war, hat &c.) sind meist als kurz, die übrigen einsilbigen Zeitwörter dagegen als lang anzusehen. §. 7. 2) ihre Betonung ─ ob sie betont (hochtonig oder tieftonig), tonlos oder mitteltonig ist. ─ ( Tonlose oder ganz unbetonte Silben im vollen Sinne dieses Prädikats giebts natürlich nicht, da zum Aussprechen jeder Silbe ein Ton erforderlich ist: man versteht darunter nur die, auf welche verhältnißmäßig am wenigsten Nachdruck gelegt wird.) ─ Bei richtiger Aussprache einzelner und nicht zusammengesetzter Wörter ist die Betonung (also der Wort accent) fast immer der Qualität der Silben entsprechend. ─ Die betonten Silben sind lang, die tonlosen kurz, die mitteltonigen an und für sich unbestimmt, bald lang, bald kurz. Beispiel: Männerfreundschaft. Hier sind die erste und dritte Silbe betont (die erste hoch tonig, die dritte tief tonig, beide auch zugleich Haupt- und Stammsilben), daher lang; die zweite Silbe ist tonlos (und Nebensilbe), daher kurz, ─ 7 ─ die vierte endlich ist mitteltonig, deshalb an sich unbestimmt. Jn jambischen, trochäischen, überhaupt in allen deutschen und modernen Versarten wird letztere in dieser Zusammensetzung als kurz betrachtet, in dem Wort „Genossenschaft“ dagegen als lang; (in antiken Silbenmaaßen kann sie auch in „ Freundschaft “ als lang genommen werden.) Denn man berücksichtigt: §. 8. 3) auch die Verbindung einer Silbe mit andern und ihre Stellung im Verse, insofern dadurch ihre Betonung sich ändert, ─ mit andern Worten: den Vers=, Satz= oder Redeaccent. Nicht bloß an und für sich mitteltonige, sondern auch an und für sich vollbetonte Silben werden dadurch, daß sie mit solchen Silben, welche bei richtigem, dem Jnhalte entsprechenden Lesen des ganzen Verses und Satzes vorzugsweise betont werden, in unmittelbare Berührung kommen, zu wenig betonten und daher kurzen Silben; und umgekehrt, nicht bloß an und für sich mitteltonige, sondern auch sehr wenig betonte Silben dadurch, daß sie zwischen zwei entschieden kurzen Silben stehen, zu mehr betonten und deshalb langen Silben. Beispiele : 1) Klein Roland, komm' herein geschwind! Mein Trost kommt all' von Dir. Uhland . 2) Jm Saal voll Pracht und Herrlichkeit Schließt, Augen, euch: hier ist nicht Zeit Euch staunend zu ergötzen. Göthe . 3) Denn es deckt die edlen Glieder Härenes Gewand. Schiller . ─ 8 ─ 4) Jn der Fluth begeisternder Gedanken. A. W. Schlegel . Die Silben „ klein, “ „ kommt, “ „ voll “ sind an und für sich lang, in dieser Verbindung aber mit Recht kurz gebraucht; und die letzte Silbe in „ Härenes, “ so wie in „ begeisternder, “ kann, obgleich an sich kurz, hier ihrer Stellung wegen als lang durchgehen. §. 9. Der Dichter darf indeß hierin nicht zu weit gehen. Sobald bei richtigem, dem Jnhalt entsprechenden Vortrage das geübte Gehör eine von dem Dichter als lang gebrauchte Silbe gar nicht als betont erkennen kann, oder umgekehrt, so ist der Vers mangelhaft. Solche mangelhafte Verse findet man nicht selten auch bei guten, selbst bei den besten Dichtern; so ist z. B. schon in dem oben angeführten Beispiel von Göthe die zweite Zeile nicht untadelhaft, weil bei richtigem Vortrag auf die als kurz gebrauchten Silben „ schließt “ und „ hier “ zu viel, und auf das als lang gebrauchte „ ist “ zu wenig Ton fällt, als daß man diesen Vers dem beabsichtigten (jambischen) Silbenmaaße ganz entsprechend finden könnte. ─ Ferner: Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. Freiligrath . Daß hier im zweiten Verse die Wörtchen „ er “ und „ der “ als lang gebraucht sind, ist nicht zu rechtfertigen, und nur die übrigen Vorzüge des Gedichts vermögen solchen Fehler in etwa zu verdecken, denn dem Sinne nach gelesen, fällt auf diese zwei ersten Silben durchaus kein Nachdruck, viel eher einiger auf ─ 9 ─ das Wort „ nach, “ ─ dann aber haben wir zwei Daktylen (siehe §. 18. 1), wo, dem gewählten Versmaaße nach, drei Trochäen (siehe §. 17. 2) stehen müßten! Ebenso ist das bekannte: „Zu des Lebens Freuden Schuf Gott die Natur“ unrichtig gebaut, denn dem Sinne nach fällt auf „ Gott “ wenigstens eben so viel Accent, wie auf „ schuf, “ und auf „ die “ viel weniger, als auf „ Gott, “ wogegen ─ dem (trochäischen) Versmaaße nach ─ „ Gott “ als kurz und „ die “ als lang genommen worden ist! Solche Formfehler können ein Gedicht unerträglich machen, zumal wenn der Jnhalt keinen besondern Ersatz bietet, und müssen deshalb möglichst vermieden werden. §. 10. Diejenigen Verse, in welchen jede als lang gebrauchte Silbe schon an und für sich lang und jede als kurz gebrauchte schon an und für sich kurz ist, ohne daß Stellung und Zusammenhang ihr einen andern Charakter geben, hat man wohl Quantitätsverse genannt (richtiger wäre Qualitätsverse ), wogegen dann die andern, in denen häufig der ursprüngliche Charakter einer Silbe (Länge oder Kürze) durch den Vers- oder Satzaccent ins Gegentheil umgewandelt wird, Accentverse heißen. §. 11. Eigentlich ist aber jeder deutsche Vers ein Accentvers, insofern nämlich immer der Accent, der sinngemäß auf die einzelnen Silben fällt, über den Charakter der letztern und des Verses entscheidet. §. 12. Eine Zeitmessung im eigentlichen Sinne des Worts wird also in der deutschen Prosodie nicht ─ 10 ─ angewendet; die zum Aussprechen einer Silbe nöthige Zeitdauer (ihre Quantität ) kommt nämlich bei uns nicht in Betracht. Eine Silbe mag noch so kurz sein und noch so schnell ausgesprochen werden: wir nennen sie dennoch lang, sobald sie betont ist. Das Wort „ Heller “ z. B. bestände nach der wirklichen Zeitmessung aus zwei kurzen Silben, „ Hehler “ dagegen aus einer langen (gedehnten) und einer kurzen Silbe; unsere Verslehre nennt aber sowohl in „Heller“ als in „Hehler“ die erste Silbe lang (schwer), die zweite kurz (leicht). Wir messen also die Silben nicht, obgleich wir uns dieses Ausdrucks bedienen, sondern wir wägen sie, nach dem Gewicht, dem Ton, der darauf gelegt wird. Jm Altgriechischen und im Lateinischen ist dies anders: da wird die Zeitdauer (Quantität ) wirklich berücksichtigt und ist von dem Accent unabhängig. Man nennt daher diese Sprachen quantitirend, die deutsche dagegen accentuirend. §. 13. Auch die Stärke (das Gewicht, der Grad) der Betonung kommt in der Regel nur insofern in Betracht, als dadurch bestimmt wird, welche Silben des Verses als lang, welche als kurz anzusehen sind. Es braucht also in gleichartigen größern Versen auch nicht gerade der Haupt= Satzaccent immer auf dieselbe Stelle zu fallen. Bei Liedern ist das in Rücksicht auf den Gesangvortrag oft wünschenswerth, dagegen würde in andern Gedichten dadurch zu viel Eintönigkeit eintreten. Zweiter Abschnitt . Von den Versgliedern. ─ Metrik. §. 14. S owohl in der ungebundenen, prosaischen, als auch in der gebundenen Rede wechseln lange und kurze Silben mit einander ab. Dadurch kommt Bewegung, Fluß in die Sprache. Jn der gebundenen Rede erfolgt diese Bewegung beständig nach einer mehr oder weniger regelmäßigen Gliederung der Zeittheile: sie ist rhythmisch. Auch bei der Prosa kann von Rhythmus die Rede sein, aber nie in der Weise und in der Ausdehnung, wie in der gebundenen Rede. So tritt der Rhythmus als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der gebundenen Rede auf. §. 15. Durch die rhythmische Gliederung treten einzelne Zeittheile in stärkerem Tone heraus, als andere. Die letztern, weniger betonten (gewöhnlich tonlos genannten) Zeittheile bezeichnet man mit dem Namen Senkung, Thesis; die erstern, stärker betonten bilden die Hebung, die Arsis. Die Senkung besteht aus einer oder aus mehreren leichten Silben, die Hebung dagegen (wenigstens in den eigentlich deutschen Versen) stets nur aus einer schweren Silbe. ─ 12 ─ §. 16. Mehrere, durch eine Hebung zur Einheit verbundene Zeittheilchen bilden einen Fuß, Versfuß oder Takt. Man theilt die Füße ein nach der Zahl ihrer Zeittheilchen oder der Zahl der Silben, welche dieselben erfüllen und unterscheidet in der Theorie gewöhnlich zwei=, drei= und viertheilige oder zwei=, drei= und viersilbige Versfüße. Wir führen die Namen derselben hier auf, wenn wir uns gleich mit der Theorie dieser Eintheilung aus den weiter unten (§. 20) entwickelten Gründen nicht einverstanden erklären können. §. 17. Zweitheilige Versfüße. 1) Der Jambus, Schleuderer, ( type="versmetrik" ) entsteht durch die Verbindung einer leichten und einer schweren Silbe. 2) Der Trochäus, Läufer, auch Choreus oder Tänzer genannt ( type="versmetrik" ) wird gebildet durch die Verbindung einer schweren Silbe mit einer leichten. 3) Der Spondeus, Tritt ( type="versmetrik" ) enthält zwei schwere Silben. 4) Der Pyrrhichius, Läufer ( type="versmetrik" ) hat zwei leichte Silben. (Siehe §. 20.) §. 18. Dreitheilige Füße. 1) Der Daktylus, Fingerschlag, ( type="versmetrik" ) hat nach einer schweren zwei leichte Silben. 2) Der Anapäst, Gegenschlag, ( type="versmetrik" ) läßt auf zwei leichte Silben eine schwere folgen. 3) Der Amphibrachys, der Umkürzte ( type="versmetrik" ): eine schwere Silbe wird von zwei leichten eingeschlossen. 4) Der Amphimaker, der Umlängte, auch Kretikus genannt ( type="versmetrik" ): eine leichte Silbe zwischen zwei schweren. ─ 13 ─ 5) Der Bachius ( type="versmetrik" ): auf zwei schwere Silben folgt eine leichte. 6) Der Palim= oder Antibachius ( type="versmetrik" ) hat nach einer leichten zwei schwere Silben. 7) Der Molossus ( type="versmetrik" ) besteht aus drei schweren Silben. 8) Der Tribachys, der Dreimalkurze ( type="versmetrik" ) enthält drei kurze Silben. Anmerkung. Die Benennung in Bezug auf 5 und 6 ist nicht übereinstimmend; viele nennen 5 den Antibachius und 6 den Bachius. §. 19. Sogenannte viertheilige Füße. 1) Der Dijambus, Doppeljambus ( type="versmetrik" ). 2) Der Ditrochäus, Doppeltrochäus ( type="versmetrik" ). 3) Der Dispondeus, Doppelspondeus ( type="versmetrik" ). 4) Der Dipyrrhichius, Doppelpyrrhichius ( type="versmetrik" ). 5) Der Choriambus, Aufsprung ( type="versmetrik" ). 6) Der Antispast, Gegenzug ( type="versmetrik" ). 7) Der fallende Jonikus ( type="versmetrik" ). 8) Der steigende Jonikus ( type="versmetrik" ). 9) Der erste Epitritt ( type="versmetrik" ). 10) Der zweite Epitritt ( type="versmetrik" ). 11) Der dritte Epitritt ( type="versmetrik" ). 12) Der vierte Epitritt ( type="versmetrik" ). 13) Der erste Päon ( type="versmetrik" ). 14) Der zweite Päon ( type="versmetrik" ). 15) Der dritte Päon ( type="versmetrik" ). 16) Der vierte Päon ( type="versmetrik" ). §. 20. Jn der Praxis der deutschen Verskunst hat man es im Grunde mit keinen andern Füßen zu ─ 14 ─ thun, als mit dem Jambus, dem Trochäus, dem Spondeus, dem Daktylus und dem Anapäst. Wenigstens läßt jeder Vers, in welchem die Theoretiker andere Versfüße nachweisen, sich ebenso gut und in der Regel noch viel leichter so zerlegen, daß keine anderen zum Vorschein kommen, wohl aber am Schluß des Verses mitunter eine überzählige Silbe oder ein unvollständiger Fuß. Der Pyrrhichius, der Tribachys und der Doppelpyrrhichius sind überdieß schon nach der Erklärung in §. 16 keine wirklichen Versfüße, weil sie keine Hebung haben und für sich allein nicht stehen können. Jeder viersilbige Verstheil, der zwei Hebungen hat, läßt sich einfach als aus zwei Versfüßen zusammengesetzt, ansehen. Wenn man die im Deutschen vorkommenden, verschiedenen viersilbigen Wörter als Belege für die viertheiligen Versfüße aufführen will, so ist das darum verkehrt, weil Wort und Versfuß völlig zweierlei ist. (Galt doch im Griechischen sogar die Regel, daß nie ein einzelnes Wort einen einzelnen und vollständigen Versfuß ausmachen sollte!) §. 21. Werden mehrere Versfüße so verbunden, daß sie als ein rhythmisch geschlossenes Ganzes erscheinen, so entsteht ein Vers. Die richtige Abmessung desselben nach seinen Gliedern wird Skansion genannt. ─ Wenn man mit den meisten Theoretikern alle in §. 17 bis §. 19 genannten Verstheile als Füße gelten läßt, was wir keineswegs gewillt sind, so lassen sich die meisten Verse auf verschiedene Weise skandiren. Erkennt man aber nur Jamben, Trochäen, Spondäen, Daktylen und Anapäste und sodann regelmäßig= und unregelmäßig=gemischte (siehe §. 38 ff.) Verse an, so ─ 15 ─ fällt dieser verwirrende Umstand mit wenigen Ausnahmen weg. Der Ausnahmen würden noch weniger sein, wenn der Spondeus nicht wäre. Glücklicher Weise kommt bei uns dieser Fuß aber fast nur in Nachahmungen antiker Silbenmaaße als wirklicher und beabsichtigter Versfuß vor. §. 22. Wie es in der Musik Pausen giebt, d. i. Stellen, wo der Rhythmus fortgezählt wird, ohne durch Töne erfüllt zu sein, so erscheinen auch im Versrhythmus Pausen. Jnsofern diese für die Stellen, an welchen sie sich befinden, von dem Dichter aus Rücksicht auf den Bau und den Wohlklang der Verse absichtlich angewendet werden, namentlich aber, wenn sie von den Gesetzen der betreffenden Versart vorgeschrieben sind, heißen sie Cäsuren, (Verscäsuren). ─ Schon dadurch, daß der Wortfuß nicht mit dem Versfuß congruirt (wie es in den Versen der Alten fast immer, in deutschen Versen doch häufig der Fall ist) und also das Wortende innerhalb eines Versfußes fällt, entsteht oft ein leiser, bei geeignetem Lesen dem Ohr in etwa vernehmbar werdender Einschnitt, den man Cäsur, Fußcäsur nennt. Weit stärker aber wird die Cäsur, wenn sie zugleich in dem betreffenden Verse eine logische Pause ausmacht, d. h. den Satzverband als solchen durch Jnterpunktion trennt. (Beispiel 1, Zeile 1, und Beispiel 3, Zeile 2.) Die logische Pause braucht jedoch nicht immer mit der Verscäsur zusammen zu fallen, sondern kann auch selbstständig für sich eintreten. (Beispiel 3, Zeile 1.) Die Verscäsur ist oft zugleich Fußcäsur (Beispiel 1 und 2), häufig aber fällt auch die Verscäsur an das Ende ─ 16 ─ eines Fußes (Beispiel 3). Tritt die Cäsur nach einer schweren Silbe ein, so heißt sie männlich (Beispiel 1, Zeile 2, und Beispiel 3, Zeile 1, 2); erfolgt sie nach einer leichten Silbe, so nennt man sie weiblich (Beispiel 1, Zeile 1, und Beispiel 2, Zeile 1, 2). Anmerkung. Die Cäsur bezeichnen wir durch |, die logische Pause durch type="versmetrik" , die Verbindung beider durch type="versmetrik" . Beispiele : 1) Sag' ich, wie ich es denke type="versmetrik" , so scheint durchaus mir, es bildet Nur das Leben den Mann | und wenig bedeuten die Worte. Göthe . 2) Und singend einst und jubelnd | durchs alte Erdenhaus Zieht als der letzte Dichter | der letzte Mensch hinaus. Anast. Grün . 3) Und du, mein krummer Stahl, type="versmetrik" leb' wohl! type="versmetrik" Aus meiner dunkeln Werkstatt ziehst du hinaus! type="versmetrik" Jn Schlachten wirst du funkeln! Freiligrath . §. 23. Die logische Verbindung stellt zuweilen an den Anfang eines Verses eine tonlose Silbe, die in rhythmischer Hinsicht entweder zu dem vorhergehenden Vers zu zählen, oder als Unregelmäßigkeit anzusehen ist. Eine solche Silbe nennt man Vorschlag, Auftakt. Meist ist der Auftakt eine verwerfliche Licenz, ein Fehler des Dichters; nur da, wo er absichtlich angewendet wird, um dem Verse einen bestimmten (malerischen) Charakter zu geben, läßt er sich rechtfertigen. Jm Grunde verändert er stets die Versart; den trochäischen Vers macht er zu einem jambischen u. s. w. §. 24. Die Verse sind: I . nach der Zahl ihrer Silben: zwei=, drei=, ─ mehrsilbig; ─ 17 ─ II . nach der Zahl der Takte: Ein=, Zwei=, Drei=, Vier=, Fünf=, Sechstakte &c. (Monometer, Dimeter, Trimeter, Tetrameter, Pentameter, Hexameter &c.) III . in Rücksicht ihrer Vollständigkeit: a . vollständig; Beispiel 1, Zeile 1─4; b . unvollständig ─ es fehlen eine oder zwei Silben am Ende. Dadurch tritt am Ende des Verses eine Schlußpause (Katalexis) ein, die eine schärfere Sonderung desselben von dem nachfolgenden herbeiführt. Beispiel 3, Zeile 2. c . abgekürzt ─ es fehlt ein ganzer Fuß oder gar mehrere derselben; Beispiel 1, Zeile 5; 2, Zeile 4. Anmerkung. Wo in strophischen Verbindungen längere Verse regelmäßig mit kürzern wechseln, kann natürlich von Abkürzung nicht die Rede sein. d . überzählig ─ es ist am Schluß des Verses eine Silbe (oder ein Fuß) zu viel. Beispiel 2, Zeile 1. Beispiele : 1. 1) Wir fassen ein Gesetz begierig an, 2) Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient. 3) Ein andres spricht zu mir, ein älteres, 4) Mich dir zu widersetzen, das Gebot, 5) Dem jeder Fremde heilig ist. Göthe, Jphigenie. 2. 1) Ein lügenhaft Gewebe knüpf' ein Fremder 2) Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, 3) Zur Falle vor die Füße; zwischen uns 4) Sei Wahrheit! Göthe, Jphigenie. 3. Laß dein Hangen, laß dein Bangen, Jrrend Auge, schließ dich zu! Karl Beck . ─ 18 ─ IV . nach der Beschaffenheit der Füße: 1) jambische, 2) trochäische, 3) daktylische, 4) anapästische, 5) jambisch=anapästische, 6) trochäisch=daktylische, 7) trochäisch=jambische, 8) daktylisch=spondeische und sonstige mit Spondeen gemischte, 9) unregelmäßige Verse. Anmerkung. Eine rein spondeische Versart können wir nicht annehmen. Es lassen sich zwar mühsamer Weise auch größere Verbindungen von bloß an und für sich schweren Silben bewerkstelligen; indeß erhalten diese meist durch den Accent des Satzes entweder einen trochäischen, oder einen jambischen, oder einen trochaisch=jambisch gemischten Charakter. Und wenn wirklich beim Vortrage jede Silbe sich als betont herausstellt, so sieht das Produkt mehr etwa einer mörtellosen Zusammenstellung roher Steine, als einem rhythmischen Verse ähnlich; z. B. Oft kauft fremd Volk deutsch Korn auf. Dritter Abschnitt . Von den Versarten. I . Jambische Verse. §. 25. D er vorherrschende Charakter der jambischen Verse ist Lebhaftigkeit. Sie bilden den leichtesten, natürlichsten Rhythmus der deutschen Sprache. §. 26. Die einfüßigen und zweifüßigen Jamben sind selten, (Beispiel 1 und 2), auch vollständige dreifüßige kommen für sich allein nur wenig vor, (Beispiel 3), häufig aber in Verbindung mit überzähligen dreifüßigen (Beispiel 4 und 5) und vielleicht noch häufiger in Verbindung mit vierfüßigen Jamben (Beispiel 6). Der vierfüßige Jambus allein wird nicht weniger oft angewandt, (Beispiel 7, 8), seltner der vierfüßige in Verbindung mit dem fünffüßigen. Beispiele : 1) Wie lebt, Wie bebt, Wie strebt Das Herz in mir! Göthe . 2) Jch denke dein, Wenn durch den Hain Der Nachtigallen Akkorde schallen. Matthisson . 3) Jns Jnnre der Natur Dringt kein erschaff'ner Geist, ─ 20 ─ Glückselig! wem sie nur Die äußre Schale weis't. Göthe . 4) Befiehl du deine Wege Und was dein Herze kränkt, u. s. w. P. Gerhard . 5) Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sterne prangen Am Himmel hell und klar. u. s. w. Claudius . 6) Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll, Ein Fischer saß daran. u. s. w. Göthe . 7) Der alte Vater Martin war Mit Ehren sechs und achtzig Jahr. u. s. w. Mahlmann . 8) Wie dieser Sand vor Wind und Fluth Sich jagt in wirbelnden Gestalten, So fährt und schweift mein irrer Muth, Und keine Stätte kann ihn halten. Freiligrath . §. 27. Der fünffüßige Jambus ist durch Lessing in das deutsche Drama eingeführt und wird seitdem vorherrschend in demselben gebraucht. Außerdem findet er seine Anwendung in der Stanze, im Sonett u. s. w. (siehe §. 91 ff.). Die Cäsur erhält er nach dem zweiten, in der Mitte oder am Ende des dritten oder wohl auch in der Mitte des vierten Fußes. Häufig erscheint er mit einer überzähligen Silbe am Ende. Beispiele : 1) Das Wort ist todt, | der Glaube macht lebendig. Schiller . ─ 21 ─ 2) Was härter treffe, | Kränkung oder Schimpf, Will ich nicht untersuchen |; jene dringt Jn's tiefe Mark | und dieser ritzt die Haut. Göthe . Namentlich im Drama wird der Vers oft durch eine logische Pause unterbrochen. §. 28. Der aus sechs Füßen bestehende jambische Vers kommt im Deutschen häufig und in mehreren Formen vor; nämlich: 1) als einfacher sechsfüßiger Vers. Die Cäsur schneidet den dritten oder den vierten Takt. Z. B. Der Thränen Gabe |, sie versöhnt den grimmsten Schmerz. Göthe . Ein großer Mensch spricht edel | von der Welt und sich. Platen . §. 29. 2) als Alexandriner, welcher aus sechs (oft überzähligen) Jamben besteht und nach dem dritten Fuße immer eine Cäsur hat. Nach französischen Vorbildern in die deutsche Metrik eingeführt, fand dieser Vers besonders bei den schlesischen Dichtern des siebzehnten Jahrhunderts seine Pflege (daher: Jahrhundert des Alexandriners!). Später wurde er, zumal durch Klopstock und Lessing, ganz verdrängt und verpönt. Erst in der neuesten Zeit ist er wieder in Aufnahme gekommen. Freiligrath verbindet ihn mit vier- und fünffüßigen Jamben und vermeidet so die steife Einförmigkeit, die man ihm nicht mit Unrecht zum Vorwurf macht. Beispiele : 1) Vor Jedem steht ein Bild | des, was er werden soll; So lang er das nicht ist |, ist nicht sein Friede voll. Rückert . ─ 22 ─ 2) Des Herbstes mag sich freun', | was eine Frucht getragen, Da, was nur Blätter trug |, vor seinem Hauch muß zagen. Rückert . Anmerkung. Der Name „Alexandriner“ rührt nach Einigen von einem im dreizehnten Jahrhundert in Paris erschienenen Gedicht, das die Geschichte Alexanders des Großen zum Gegenstand hat, oder nach Anderen von einem der Verfasser dieses Gedichts, dem Mönch Alexander her. §. 30. 3) als der sogenannte neuere Nibelungenvers. Derselbe unterscheidet sich dadurch vom Alexandriner, daß er nach der dritten betonten Silbe noch eine überzählige tonlose hat, auf welcher unmittelbar die Cäsur folgt. ─ (Mit demselben Rechte läßt sich die erwähnte überzählige Silbe in Verbindung mit dem vierten Fuß als Anapäst betrachten.) Es ist merkwürdig, welche große Verwandlung die Eine Silbe hervorbringt: dieser Nibelungenvers gehört zu den wohlklingendsten und geschmeidigsten, die es giebt. Beispiel : Jst denn im Schwabenlande | verschollen aller Sang, Wo einst so hell vom Staufen | die Ritterharfe klang? Und wenn er nicht verschollen |, warum vergißt er ganz Der tapfern Väter Thaten, | der alten Waffen Glanz? Uhland . Anmerkung. Der ältere oder eigentliche Nibelungenvers zählt gewöhnlich ebenfalls sechs Hebungen (der letzte Vers der vierzeiligen Strophe auch häufig sieben oder acht). Die Senkungen oder tonlosen Silben wechseln jedoch ganz unregelmäßig mit den Hebungen ab, so daß dieser Vers keineswegs einen rein jambischen, sondern einen gemischten Charakter hat. Die Cäsur fällt aber auch hier regelmäßig zwischen die dritte und vierte Hebung und ist ebenfalls weiblich. Sofern, wie häufig der Fall ist, auch der neuere Nibelungenvers an verschiedenen Stellen Anapäste (mitunter auch wohl Spondeen) statt Jamben enthält, stellt er sich ebenfalls in die Klasse der gemischten Verse. ─ 23 ─ Beispiel : Uns ist in alten maeren wunders viel geseit von helden lobebaeren, von grozer kuenheit, von fröuden und hochgeziten, von weinen und von klagen, von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen. (Oft noch viel unregelmäßiger.) §. 31. Der siebenfüßige Jambus hat, wie auch der achtfüßige, immer die Cäsur nach dem vierten Takte. Ein Mühlstein und ein Menschenherz | wird stets herumgetrieben: Wo beides nichts zu reiben hat |, wird beides selbst zerrieben. Logau . Die Dummheit ist die größte Macht, | sie führt der Heere stärkstes an; Jch glaube, daß sie nie ein Held | bekämpfen und besiegen kann. Kopisch . §. 32. Noch müssen wir des hinkenden Jambus, Choliambus oder Skazon genannt, gedenken. Er besteht aus fünf Jamben und einem Trochäus. Durch diese Verbindung erhält er etwas Hinkendes in seiner Bewegung. A. W. Schlegel beschreibt ihn folgendermaaßen: Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrichter, Die immerfort voll Naseweisheit mitsprechen, Und eins nur wissen sollten, daß sie nichts wissen; Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers lahm sein. Wer sein Gemüth labt am Gesang der Nachteulen, Und wenn die Nachtigall beginnt, das Ohr zustopft, Dem sollte man's mit scharfer Dissonanz abhau'n. II . Trochäische Verse. §. 33. Die trochäischen Verse eignen sich zufolge ihres ruhigen Charakters im Allgemeinen mehr für ernste Gedichte. §. 34. Zwei= und dreifüßige Trochäen hat unter andern Göthe häufig angewendet. Die besonders von den Spaniern vielgebrauchten vierfüßigen ─ 24 ─ Trochäen eignen sich vorzüglich für Lieder und Romanzen, nicht aber für dramatische Gedichte. (Deshalb fanden Müllner und Grillparzer, welche dieselben in das deutsche Drama einführen wollten, wenig Nachahmung.) Beispiele : 1) Hört das Schreien, Hört das Toben! War es unten? Jst es oben? Göthe . 2) Schiltst du meine Thränen? Schiltst mein leises Sehnen, Weil es ringt nach dir? u. s. w. Fouqu é . 3) Aus dem Kloster hallen Glocken, Tausend Lichter funkeln helle, Die den Zug der Beter locken Nach der hohen Kirchenschwelle. Platen . §. 35. Fünffüßige Trochäen finden sich im Deutschen ziemlich häufig. Von ihrer Anwendung in den serbischen Volksliedern heißen sie serbische Trochäen. Beispiele : Todte Gruppen sind wir ─ wenn wie hassen; Götter ─ wenn wir liebend uns umfassen. Schiller . Was ist Weißes dort am grünen Walde? Jst es Schnee wol oder sind es Schwäne? Serbisch, von Göthe übersetzt. §. 36. Die sechsfüßigen Trochäen, wie auch die siebenfüßigen kommen seltener vor; achtfüßige sind in neuester Zeit häufig gebraucht worden. Beispiele : Laß dich nicht verführen | von der Rose Düften: Die am vollsten wuchert, | wuchert auf den Grüften. Platen . ─ 25 ─ Jhr im Dienst der Liebe stehend, | kommt, daß ihr mit treuer Kraft den Kern der Erd' uns schmelzen helft im Sonnenfeuer! Rückert . Florentiner! Florentiner! | was muß euern Sinn verkehren, Daß ihr eure große Männer | Fremden überlaßt zu ehren? A. W. Schlegel . §. 37. Hier erwähnen wir auch die sogenannten kretischen Verse, da sie unseres Dafürhaltens im Wesentlichen trochäischen Charakters sind, indem in jedem Kretikus die zweite Länge als ein unvollständiger Trochäus betrachtet werden kann. Sie kommen selten vor. Rückert hat sie mitunter in den Gaselen gebraucht; z. B. Weil im Feld Frühlingsthau perlt am jungen Grase, Sollt' ich nicht Freudenquell lassen thaun vom Glase? III . Daktylische Verse. §. 38. Verse mit bloß vollständigen Daktylen kommen nur selten vor; dagegen erscheinen oft vollständige Daktylen in Verbindung mit einem verkürzten (am Ende), den man jedoch auch als Jambus resp . als bloße Hebung ansehen kann. Man findet ─ namentlich in lyrischen Gedichten ─ ein=, zwei=, drei= und vierfüßige Verse dieser Gattung, fünf- und sechsfüßige weniger. Beispiele : 1) Fröhlicher Seliger, Herrlicher Tag! Göthe . 2) Rosen, ihr blendenden Balsam versendenden! Flatternde, schwebende, Heimlich belebende, Eilet, zu blühn. Göthe . 3) Kommen und Scheiden, Suchen und Meiden, Fürchten und Sehnen, Zweifeln und Wähnen, ─ 26 ─ Armuth und Fülle, Verödung und Pracht, Wechseln auf Erden wie Dämm'rung und Nacht. Matthisson . 4) Preis dem Geborenen Bringen wir dar, Preis der erkorenen Gläubigen Schaar! Platen . 5) Lüftchen! woher und wohin Trägst du so lieblichen Duft? Sicher, mit liebendem Sinn Schönes, Geliebtes dich ruft! Wessenberg . 6) Thöricht, auf Bess'rung der Thoren zu harren! Kinder der Klugheit, o habet die Narren Eben zum Narren auch, wie sich's gehört! Göthe . IV . Anapästische Verse. §. 39. Ganze Gedichte von rein anapästischen Versen giebts im Deutschen bis jetzt wohl noch gar nicht. Jn manchen Gedichten gemischten Versmaaßes finden sich aber allerdings hier und da auch reine anapästische Verse. Beispiel : Und es wallet und siedet und brauset und zischt, Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt; Bis zum Himmel u. s. w. Schiller im „Taucher.“ Anmerkung. Der Ungewohnheit wegen wird Mancher geneigt sein, in diesen und ähnlichen Versen die Anfangssilbe, wenn sie auch an sich kurz ist, als lang zu nehmen, wodurch der anapästische Charakter verloren ginge. Das wäre aber ─ hier wenigstens ─ ganz gegen die Absicht des Dichters, denn das Silbenmaaß im „Taucher“ besteht offenbar in einer regelmäßigen Abwechslung von vierfüßigen und dreifüßigen gemischten Versen. ─ Auf geeignete Weise gelesen, tritt der rein anapästische Charakter vollkommen hervor. Es liegt dann viel Schwung und hinreißende Kraft in dieser Versart, und dürfte daher bei geeignetem Jnhalte ihre häufigere Anwendung wünschenswerth sein, auch zu ganzen Gedichten, was freilich schwierig sein mag. Gewöhnen würde man sich bald daran. ─ 27 ─ V . Jambisch-anapästische Verse. §. 40. Gewöhnlich treten die Anapäste in Verbindung mit Jamben auf. Entweder leitet der Jambus den Vers ein, oder er vertritt auch noch in einem andern Takte die Stelle eines Anapästs, oder es wechseln in mannichfacher Folge Jamben und Anapäste ab. Solche aus Jamben und Anapästen gemischte Verse heißen alcäische. ─ Wenn bloß der erste Fuß jambisch, jeder folgende anapästisch ist und der letzte eine überzählige kurze Silbe hat (wie in Beispiel 1, Zeile 1, 2), so wird der Vers auch wohl ein amphibrachischer genannt, weil er sich dann auch in amphibrachische Verstheile ( type="versmetrik" ) zerlegen läßt. Beispiele : 1) Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder; Unsterbliche heben verlorene Kinder Mit feurigen Armen zum Himmel empor. Göthe . 2) Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, Zu tauchen in diesen Schlund? u. s. w. Schiller . 3) Es reden und träumen die Menschen viel Von bessern künftigen Tagen. Schiller . 4) Mein Vater, mein Vater! und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? ─ Göthe . VI . Tochäisch-daktylische Verse. §. 41. Wie Jamben und Anapäste, finden sich auch häufig Trochäen und Daktylen gemischt, und zwar ebenfalls auf die mannichfaltigste Weise. Beispiele : 1) Als der Schenke die Flöte hielt, Daß der Becher uns munde, ─ 28 ─ Hat die Flöte vor Lust gespielt, Eh' sie ihm war am Munde. Rückert . 2) Himmel! seit vierzehn Tagen unablässig Bist du so gehässig und regennässig, ─ Bald ein Schütten in Strömen, bald Geträufel; u. s. w. Lenau . 3) Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands! 4) Hoffnung, du liebes freundliches Licht, Das wie ein Stern durch die Wolken bricht. u. s. w. §. 42. Hierher gehören auch folgende im Deutschen angewendete antike Verse: 1) Der phaläkische Vers, vorzugsweise Hendekasyllabus, Elfsilbler genannt. Er besteht aus sünf Takten; der erste derselben ist ein Trochäus, (zuweilen ein Spondeus), der zweite ein Daktylus, die drei letzten sind Trochäen. Schema: type="versmetrik" Beispiel : Musen wandern wo aufgeschlagen werden Philosophische Lehrsystemsgerüste. Rückert . 2) Der pherekratische Vers: ein Daktylus steht zwischen zwei Trochäen. Schema: type="versmetrik" 3) Der glykonische Vers. Schema: type="versmetrik" Beispiel zu 2 und 3: 2) An das Göttliche glauben 3) Die allein, die es selber sind. Hölderlin . VII . Trochäisch-jambische Verse. §. 43. Eine Verbindung von Trochäen und Jamben läßt sich in vielen, besonders in nach antiken ─ 29 ─ Mustern gebildeten deutschen Versen nachweisen. Wir erwähnen hier von denselben nur solche, die in keine andere unserer Rubriken besser zu passen schienen: 1) Die choriambischen Verse. Jn diesen wechseln Trochäen und Jamben gleichmäßig ab. Beispiele : 1) Jst ein Bemühn eitler? Gewiß Schmerzlicher kein's, ängstlicher kein's! Göthe . 2) Ja, der gebot fröhlichen Kranz Nimmer, und nie tiefes Pokals Freudengenuß uns zu gesellen, u. s. w. Solger . 2) Die asklepiadeischen Verse: a . der kleinere asklepiadeische Vers. Schema: type="versmetrik" Schmeichelnd herrschet das Weib über den Gatten oft. b . der größere. Schema: type="versmetrik" Sel'ge Stunden erlebt nimmer der Mann, welcher dem Himmel trotzt. VIII . Daktylisch-spondeische und andere mit Spondeen gemischte Verse. §. 44. Der dem antiken nachgebildete deutsche Hexameter ist ein daktylisch=spondeischer Sechstakt. Er heißt auch heroischer Vers, da er besonders in den antiken Heldengedichten seine Anwendung fand. Pythischer Vers wird er genannt, weil bei dem delphischen Orakel die Aussprüche der Pythia von den Priestern in dieses Versmaaß gekleidet wurden. §. 45. Reine daktylische Hexameter, in denen dann doch der letzte Daktylus unvollständig (mit andern Worten ein Jambus ) ist, wurden und werden ─ 30 ─ selten, meist nur in besonderer Rücksicht auf den Jnhalt des Verses, gebraucht. (Siehe unten Vers 9.) Dagegen werden, den antiken Mustern entsprechend, die Daktylen mit Spondeen gemischt und zwar so, daß die Spondeen jeden beliebigen Takt erfüllen können. (Siehe unten Vers 4, 5, 6, 7, 8.) Jm fünften Takte jedoch wendet man sie nur dann an, wenn besondere (malerische) Zwecke obwalten. (Siehe unten Vers 11.) Dasselbe gilt von der Ausfüllung der vier ersten Takte durch lauter Spondeen. (Siehe unten Vers 10.) Am meisten liebt man den Spondeus im sechsten Takt. Die Eigenthümlichkeit des Hexameters hat A. W. Schlegel in folgendem Gedicht herrlich geschildert: Der Hexameter . 1) Gleich wie sich dem, der die See durchschifft, auf offener Meerhöh 2) Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt ist, 3) Daß der umwölbende Himmel die Zahl zahlloser Gestirne, 4) Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe: 5) So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend 6) Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den Schooß auf 7) Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der Rhythmen, 8) Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher, 9) Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen. ─ 10) Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern 11) Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe 12) Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd dahinreißt: 13) So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen, 14) Bald, o, wie kühn in dem Schwung! der Hexameter; immer sich selbst gleich, 15) Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich gürtet, ─ 31 ─ 16) Oder, der Weisheit voll, Lehrsprüche den Hörenden einprägt, 17) Oder geselliger Hirten Jdyllien lieblich umflüstert. ─ 18) Heil dir, Pfleger Homers! Ehrwürdiger Mund der Orakel! 19) Dein will ferner gedenken ich noch, und andern Gesanges. A. W. Schlegel . §. 46. Die Cäsuren des Hexameters sind sehr mannichfaltig. Als wesentliche Cäsuren, deren jeder richtige Hexameter mindestens eine haben muß, gelten folgende: 1) nach der ersten Länge des dritten Taktes. Vers 4 des obigen Gedichtes; 2) nach der ersten Kürze des dritten Taktes. Vers 8; 3) nach der ersten Länge des vierten Taktes. Bei den Alten und den besten Neuern tritt neben dieser Cäsur noch eine andere auf, und zwar nach der ersten Länge des zweiten Taktes. Vers 15. Von den vielen Nebencäsuren (deren eine für die Fälle unter 2 und 3 immer wünschenswerth ist) erwähnen wir nur noch die bucolysche, die mit dem Ende des vierten Taktes eintritt und ihren Namen von der häufigen Anwendung in den bucolyschen (idyllischen) Gedichten der Alten herschreibt. Vers 17. §. 47. Ob die Anwendung des Trochäus im Hexameter zulässig sei oder nicht, darüber herrschen verschiedene Meinungen. Für den Gebrauch desselben sprechen durch ihre Werke Göthe, Platen u. a., dagegen A. W. Schlegel, dem sich nach seinem Vorgange in der Elegie „Rom“ viele neuere Dichter angeschlossen haben. Sollen Trochäen angewandt werden, so wird immer darauf zu achten sein, daß nicht mehrere derselben auf einander folgen, und daß die lange ─ 32 ─ Silbe des einzelnen Trochäus vollständig betont, nicht bloß mitteltonig sei. Anmerkung. Hexameter mit einem Vorschlag, wie sie Ew. v. Kleist in seinem Gedichte „der Frühling“ angewendet ( Kleist' sche Hexameter ), haben keine weitere Pflege gefunden. §. 48. Neben dem Hexameter ─ nie allein ─ erscheint oft ein anderer Vers, der Pentameter. Er unterscheidet sich vom Hexameter dadurch, daß der dritte und der sechste Takt bei ihm nur aus je einer Silbe, und zwar immer aus einer langen bestehen. Sonach wäre er auch als sechstaktig zu betrachten und die Benennung Pentameter (Fünftakt) unrichtig. Er ist gewissermaaßen eine Verdoppelung der ersten Hälfte des Hexameters (bis zur männlichen Cäsur im dritten Takt). Jn der ersten Hälfte des Pentameters, besonders im ersten Takt, kann der Daktylus durch einen Spondeus ersetzt werden, im ersten Takt auch allenfalls durch einen Trochäus. Jn der zweiten Hälfte des Verses dagegen werden ─ der Regel nach ─ die Daktylen immer beibehalten. Der Pentameter hat eine ständige Cäsur, die stets nach dem dritten Takte an den Schluß der ersten Vershälfte fällt. Anmerkung. Man kann den Pentameter auch, seinem Namen entsprechend, so skandiren, daß sich nur fünf Füße herausstellen. Der dritte Fuß ist dann immer ein Spondeus, der durch die Cäsur durchschnitten wird. Der vierte und fünfte Fuß werden bei dieser Betrachtungsweise durch zwei Anapäste gebildet. §. 49. Aus der Verbindung eines Hexameters mit einem Pentameter entsteht das elegische Distichon (Doppelzeile ). „Nicht bloß zur Darstellung der sanften Traurigkeit in der eigentlichen Elegie, dem Klagelied, sondern auch ─ 33 ─ „„des Gefühls des beseeligten Wunsches,““ der sanften Freude der Liebe, der Freundschaft, ferner zu Epigrammen und Sprüchen wird das elegische Distichon, am liebsten als Redestrophe, wie in A. W. Schlegel's Gedicht: „die Elegie,“ gebildet.“ ( Dilschneider. ) Beispiele : 1) Auf, ihr Distichen, frisch! Jhr muntern lebendigen Knaben! Reich ist Garten und Feld! Blumen zum Kranze herbei! 2) Reich ist an Blumen die Flur; doch einige sind nur dem Auge, And're dem Herzen nur schön; wähle dir, Leser, nun selbst! 3) Doch verdriesset es nicht die Ewigen, wenn wir besonders Weihrauch köstlicher Art Einer der Göttlichen streu'n. Göthe . 4) Ferner die Sitten des Volks, die Rechte gesonderter Stämme, Jeglicher Zeit Denkmal war ich zu kennen bemüht. A. W. v. Schlegel . §. 50. Sapphische Verse: 1) Der kleinere sapphische Vers besteht aus fünf Füßen; die zwei ersten sind Trochäen, der dritte ist ein Daktylus, der vierte wieder ein Trochäus und der fünfte ein Spondeus. Beispiel : Donner Gottes dröhnt durch die schwarze Nacht hin. 2) Der größere sapphische Vers mag aus folgenden zwei Beispielen kennen gelernt werden: 1) Orgelton und Christengesang stimmten das Herz zur Andacht. type="versmetrik" 2) Wenn des Lieds Wohllaut sich erhebt tönt in der Brust der Nachhall. type="versmetrik" IX . Unregelmässige Verse. §. 51. Bei den meisten bisher behandelten Versarten wird für die Abwechselung und Reihenfolge der tonlosen und betonten Silben ein genau bestimmtes ─ 34 ─ Maaß festgehalten. Bei andern sahen wir, daß in dieser Beziehung dem Dichter schon ein Spielraum gelassen war, der aber immer noch seine festen Gränzen hatte. Es giebt jedoch auch Verse, bei denen der Verfasser für die Art der Silbenmischung sich gar keinem formellen Gesetze unterworfen hat. Zu welchen Gattungen die darin vorkommenden Füße gehören, ist an und für sich ganz gleichgültig, denn keine Gattung ist für diese Versart vorgeschrieben, keine ausgeschlossen, und es ist nicht einmal nöthig, daß alles sich in wirkliche Füße auflösen lasse. Gewöhnlich werden solche Verse nach einer gewissen Zahl betonter Silben, ohne alle Rücksicht auf die Zahl und Reihenfolge der tonlosen bestimmt. Man nennt sie daher auch wohl Accentverse im engern Sinne. §. 52. Zu dieser Klasse von Versen gehören vielleicht die meisten altdeutschen und die denselben nachgebildeten Verse, z. B. der eigentliche oder ältere Nibelungenvers, den wir schon bei Gelegenheit des neuern jambischen Nibelungenverses in §. 30 besprochen haben; ferner manche englische oder den englischen nachgebildete Balladenverse, und endlich wohl die Mehrzahl der eigentlichen Volkslieder. §. 53. Es giebt auch Verse, in denen selbst die Hebungen nicht gezählt werden, sondern bei denen das Maaß des Verses nur entweder von der logischen Abtheilung des Satzes oder von der zufälligen Stellung des Reims abhängt. Zu dieser Gattung gehören unter anderm auch die Makamen, eine Art gereimter Prosa, welche besonders durch Rückert aus Persien nach Deutschland verpflanzt wurde. ─ 35 ─ §. 54. Von den bessern Kunstdichtern werden die unregelmäßigen Verse keineswegs immer aus Bequemlichkeit gewählt; vielmehr wird von ihnen die Freiheit, die solche Verse gestatten, häufig zu rein künstlerischen Zwecken benutzt. Dies geschieht, indem sie die Stellung der Silben in den Versen und namentlich die Zahl und Vertheilung der tonlosen Silben dem betreffenden Gedanken möglichst entsprechend zu machen suchen. Je nachdem der Gang des Gedichts (in Bezug auf den Jnhalt) mehr munter oder mehr ernst, mehr leidenschaftlich oder mehr ruhig &c. wird, häufen oder vermindern sie die Zahl der tonlosen Silben u. s. w., nehmen dabei auch auf den rhythmischen Wohlklang die erforderliche Rücksicht. Da kann es dann nicht fehlen, daß unregelmäßige Verse mitunter vor den regelmäßigsten den Vorzug verdienen. §. 55. Gemischte Verse, bei denen die im vorigen Paragraphen dargelegten Rücksichten nicht stattfinden, die vielmehr Licenzen aller Art an sich tragen, pflegt man auch Knittelverse zu nennen. Jn naiv=komischen Gedichten sind dieselben oft von (relativ) großer Wirkung; als Versart betrachtet, nehmen sie aber die letzte, unbedeutendste Stelle ein. Beispiel : Sintemal und immassen drei Jahre Und einige Wochen hieselbst ware Herr Hieronimus Jobsius Als Theologiä Studiosus. u. s. w. Kortüm, Jobsiade. Vierter Abschnitt . Die Lehre vom Reim. §. 56. N eben der Betonung und dem Rhythmus erscheint im deutschen Versbau als drittes (jedoch nicht nothwendiges) Element der Gleichklang. Er ist entstanden aus dem Streben, den innern Zusammenhang sprachlich verknüpfter Vorstellungen eindringlicher zu machen, oder den Eindruck der Hauptvorstellungen zu verstärken und zwar durch Einwirkung auf das Gehör. Welcher Art diese Einwirkung ist, das läßt der Name schon ahnen: es wird derselbe Klang dem Ohr mehrmals vorgeführt; die Bedeutung aber, welche dieselbe für die Poesie hat, wird sich ergeben, wenn wir die Beschaffenheit der verschiedenen Gleichklänge werden kennen gelernt haben. §. 57. Der Gleichklang bezieht sich A . auf einzelne Vokale. Diese Art des Gleichklangs heißt Assonanz, Stimmreim. Sie entsteht, wenn in mehrern Wörtern, namentlich in den betonten Silben, dieselben Vokale herrschen. Die Assonanz tritt entweder in einer Reihenfolge von Wörtern oder am Ende der Verszeilen auf. Jm erstern Falle ist sie besonders dann von günstiger Wirkung, wenn die assonirenden Wörter verwandte Bedeutung haben. ─ ─ 37 ─ Die auf das Ende der Verszeilen gelegten Assonanzen können im Deutschen, wo die Consonanten sehr leicht das Uebergewicht erhalten, erst dadurch recht wirksam gemacht werden, daß man in einer Reihe von Versen am Schlusse eines jeden oder wenigstens jedes zweiten Verses denselben Vokal wiederkehren läßt. ─ Man hat auch wohl assonirende Verse dieser Art mit (im engern Sinne) reimenden Versen abwechseln lassen, wie z. B. Freiligrath in „der Blumen Rache“ (siehe §. 74, Beispiel 1). Ebenso findet man Assonanzen der ersten Art (innerhalb der Verse) in Verbindung mit dem Reim angewendet (siehe unten Beispiel 1). „Das Wichtigste bei der Assonanz ist und bleibt immer die Uebereinstimmung der Laute mit dem jedesmal herrschenden Gefühl, und es ist nur etwas sehr Allgemeines und zugleich Beschränktes, wenn wir bemerken, daß z. B. der Freude und Lust, wie auch dem Leid und Weh das i, dem Unbestimmten und dem Grellen, der Wehklage das e oder ä; der Bewunderung, dem Erhabenen, dem Entschlossenen das a, dem Staunen, der Trauer das o, der Furcht, dem Schrecken, dem Gräßlichen das u, dem Unklaren, dem sich Erhebenden das ö und ü, der Erschütterung, der Angst, dem Schmerz das ei, au und eu entspricht.“ ( Dilschneider. ) ─ Die Assonanzen sind jedoch im Deutschen noch nicht besonders viel benutzt worden. Sie sagen unsrer Sprache auch nicht so zu, als den an Vokalen reicheren, sogenannten romanischen Sprachen. Beispiele : 1) Dringe tief zu Berges Klüften, Wolken folge hoch zu Lüften, ─ 38 ─ Muse ruft zu Bach und Thale Tausend aber tausend male u. s. w. Göthe . 2) Des Todes Grimm quillt plötzlich aus der höchsten Lust, Schnell färbt sich rosenlichte Liebe oft in Blut, Und Leichen häuft auf Leichen zorn'ge Ehr' und Wuth, Denn schrecklich rächt oft Ehre noch so kleine Schuld, Und muß sie uneins zürnen gar dem eignen Thun, Reißt unaufhaltsam wachsend alles fort der Fluch, Macht in Verwüstung ihre Allmacht greulich kund. F. Schlegel . 3) Betrogen wird gar leicht, wer auf den Freund gehofft. Wie selten ist der treuste treu bis in den Tod! Es tödtet unaufhaltsam oft ein schnelles Wort; Doch in der Liebe blüht für alle Schmerzen Trost. F. Schlegel. 4) Die Lüfte . Wie säuseln, ach so linde! Wir in den Blüthen, Und lindern heiße Liebe Jn kühlen Düften. Wenn Blumen süß erröthen, Beschämt sich neigen Berühren wir die schönen Jn leichter Eile. §. 58. Der Gleichklang kann sich ferner beziehen B auf einzelne Consonanten: in mehreren nicht zu weit von einander stehenden Wörtern finden sich nämlich dann am Anfange dieselben Mitlaute. Der dadurch entstehende Gleichklang, Alliteration genannt, ist der schon in der ältesten Zeit und da fast ausschließlich in der deutschen Poesie gebrauchte. Wie sehr er derselben angemessen ist, das bekundet seine häufige Anwendung in der Sprache des gemeinen Lebens. Wir führen nur einige Beispiele an: frank und frei, Haut und Haar, hoffen und harren, Kling und ─ 39 ─ Klang, Schimpf und Schande, Stumpf und Stiel, Mann und Maus, Lust und Liebe, Wind und Wetter, Worte und Werke u. s. w. Wie sich schon aus den angeführten Beispielen ergiebt, wird die Alliteration besonders dann von Wirkung sein, wenn die alliterirenden Wörter verwandte Vorstellungen bezeichnen, (so daß der Eindruck einer Hauptvorstellung durch die Verbindung mit mehrern Nebenvorstellungen erhöht wird,) wenn sie innendeutsam, malerisch sind, und endlich wenn sie nahe bei einander stehen. Beispiele : 1) Wo Liebe lebt und labt ist lieb das Leben. Schlegel . 2) Wohl schwellen die Wasser, wohl hebt sich der Wind; Doch Winde verwehen, doch Wasser zerrinnt. Bürger . 3) Wonne weht von Thal und Hügel, Weht von Flur und Wiesenplan, Weht vom glatten Wasserspiegel! Wonne weht mit weichem Flügel Des Piloten Wange an. Bürger . 4) Roland der Ries', am Rathhaus zu Bremen Steht er im Standbild Standhaft und wacht. Roland der Ries', am Rathhaus zu Bremen Kämpfer einst Kaisers Karl in der Schlacht. u. s. w. Rückert . §. 59. Eine Verbindung der Assonanz und Alliteration hat in der Annomination statt. Die Annomination besteht in der Zusammenstellung solcher Wörter, die einem gleichen Stamme angehören. Sie wird da angewendet, wo eine Hauptvorstellung besonders hervorgehoben und zur lebendigsten, geistigen Anschauung gebracht werden soll. ─ 40 ─ Beispiele : 1) Das Lied, das aus der Kehle dringt, Jst Lohn, der reichlich lohnet . Göthe . 2) Wenn ich still die Augen lenke Auf die abendliche Stille, Und nur denke, daß ich denke, Will nicht ruhen mir der Wille, Bis ich sie in Ruhe senke . Tieck . §. 60. Bezieht sich der Gleichklang C . auf ganze Silben, (mit Ausnahme der dem Hauptvokal vorhergehenden Laute,) d. h. sind nicht nur die Vokale, sondern auch die darauf folgenden Consonanten betonter Silben (und sämmtliche Laute der in denselben Wörtern etwa vorkommenden Nachsilben) von gleichem Klange, so bildet er den eigentlichen Reim. Anmerkung. Von diesem ist in den folgenden Paragraphen des Abschnittes ausschließlich die Rede. Daß der Reim unserer Sprache natürlich und angemessen sei, läßt sich ebenfalls schon aus dem häufigen Gebrauch desselben in der Sprache des gewöhnlichen Lebens folgern. Z. B. Heute mir, morgen dir! Heute roth, morgen todt! Schlecht und recht! Schritt und Tritt! Gehen und stehen! Wie gewonnen, so zerronnen! Borgen macht Sorgen! Eile mit Weile! Mitgegangen, mitgehangen! Jn Saus und Braus! Ehstand, Wehstand! Aufgeschoben, ist nicht aufgehoben! Gut und Blut! u. s. w. Anmerkung. Jn der rohen Volkssprache ist sofgar die Neigung zum Reim o stark, daß sie oft ein Wort willkührlich ändert, um es mit einem andern reimend zu machen, z. B. wie der Herre, so's Ge scherre (Geschirr); wie die Alten sungen, so pfiffen die Jungen; Gunst ist nicht umsunst; u. s. w. ─ 41 ─ §. 61. Jn besonderer Rücksicht auf die Beschaffenheit der reimenden und der denselben folgenden Silben erhalten die Reime verschiedene Eintheilungen und Benennungen. Jn der bei weitem größten Zahl deutscher Gedichte hat man es in dieser Beziehung nur mit männlichen und weiblichen Reimen zu thun. Männlich oder stumpf heißt der Reim, wenn er lediglich von betonten Silben gebildet wird, ─ z. B. Ohr und Rohr, Glanz und Kranz, er= scheint und ge weint, ─ weiblich, wenn auf die reimenden betonten Silben noch eine übereinstimmende tonlose folgt, z. B. ge boren, ver loren; glänzen, kränzen. Treten nach der betonten Reimsilbe noch zwei übereinstimmende tonlose Silben ein, so nennt man den Reim gleitend, z. B. Ge borener, Ver= lorener; Be kränzende, glänzende. Der Charakter unserer Sprache erschwert die Anwendung dieses Reimes, besonders wenn er als Endreim auftreten soll; wo er aber ungezwungen sich findet, ─ meist nur in kürzern Versen ─ ist er gewöhnlich von schöner Wirkung. ─ Schwebend wird der Reim genannt, wenn auf die reimende volltonige Silbe noch eine mitteltonige folgt, z. B. kraftvoll, saftvoll; Bereitung, Zeitung. Der schwebende Reim wurde bisher selten absichtlich und selbstständig angewendet, gewöhnlich geht er als weiblicher Reim mit durch, obgleich er offenbar von demselben sich durch größere Kraft unterscheidet. Doppelt=gereimte Spondeen, wie „Märzschnee,“ „Herzweh,“ ─ „Jagdspeer,“ „Schlachtheer,“ stören noch mehr, wo sie als weibliche Reime auftreten wollen; mit Absicht als besondere Reimgattung gebraucht, ─ 42 ─ können sie in geeigneten Fällen sehr wirksam sein; doch findet man sie höchst selten und für einfache deutsche Silbenmaaße sind sie zu schwerfällig und fremdartig. ─ Der sogenannte identische Reim wird durch die Wiederholuug desselben Worts (oder derselben Reimsilbe) gebildet, ist aber eben deshalb kein eigentlicher Reim und darf nicht die Stelle eines solchen in Gedichten, die wirklich gereimt sein sollen, vertreten. Jn einzelnen Fällen aber und zu besondern Zwecken, namentlich um die betreffenden Worte möglichst hervorzuheben, kann auch er seine Anwendung finden, z. B. Ach es entschwindet mit traurigem Flügel Mir auf den wiegenden Wellen die Zeit! Morgen entschwinde mit schimmerndem Flügel Wieder wie gestern und heute die Zeit, Bis ich auf höherem, strahlendem Flügel, Selber entschwinde der wechselnden Zeit . F. Stollberg . Der reiche Reim entsteht, wenn dem identischen Reim (also den gleichen Wörtern) ein wirklicher Reim entweder unmittelbar folgt, oder, was häufiger ist, unmittelbar vorangeht. Beispiel : Hab' ich doch Verlust in Allem, was ich je gewann, ertragen; Aber glaubet mir, das Leben läßt sich dann und wann ertragen! Zwar des Leidens ganze Bürde riß mich oft schon halb zu Boden, Doch ich hab' es immer wieder, wenn ich mich be sann, ertragen: Mir geziemt der volle Becher, mir der volle Klang der Lauten, Denn den vollen Schmerz des Lebens hab' ich als ein Mann ertragen! u. s. w. Platen . §. 62. Als besondere Reimformen sind außer ─ 43 ─ dem mit Recht am meisten gebrauchten (gewöhnlichen) Endreim zu nennen: 1) der Anfangsreim ─ die ersten Worte verschiedener Verse bilden den Reim. Beispiel : Zage nicht, wenn dich der grimme Tod will schrecken; Er erliegt dem, der ihn antritt ohne Zagen. Jage nicht das flücht'ge Reh des Weltgenusses, Denn es wird ein Leu und wird den Jäger jagen. Schlage nicht dich selbst in Fesseln, Herz, so wirst du Klagen nicht, daß du in Fesseln seist geschlagen. Rückert . 2) der Binnenreim ─ zwischen Anfang und Ende eines und desselben Verses erscheinen Reimklänge, z. B. Es brauset und sauset das Tambourin, Es prasseln und rasseln die Schellen drin. Brentano . 3) der Mittelreim ─ die Mitte des einen reimt mit der Mitte des andern Verses, wobei, wie beim Anfangs- und Binnenreim, der Endreim nicht ausgeschlossen ist. Beispiele : 1) Den Rittern in den Rücken fällt er mit grauser Wuth; Heut' will der Städter baden im heißen Ritterblut. Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt! Wie haben da die Färber so purpurroth gefärbt! Uhland . 2) Von Herzen brav, doch wild war der Graf. Der Bischoff hatt' ihn gescholten, Als wär' er ein Sklav; drum floh ihn der Schlaf, Und seine Augen rollten. L. Wiese . 4) der Kettenreim ─ das Ende eines Verses reimt mit der Mitte des folgenden, z. B. ─ 44 ─ Wenn langsam Welle sich an Welle schließet, Jm breiten Bette fließet still das Leben, Wird jeder Wunsch verschweben in dem einen: Nichts soll des Daseins reinen Fluß dir stören. Läßt du dein Herz bethören durch die Liebe, So werden alle Triebe losgelassen. u. s. w. F. Schlegel . 5) der Doppel= (und mehrfache) Reim ─ zwei oder mehrere Wörter eines Verses (besonders dem Schlusse zu) reimen mit den entsprechenden des andern. Beispiele : 1) Es ist sogar schon oft ge schehn, Euch selbst kann's unver hofft so gehn . L. Wiese . 2) Wir sind nun hier, voll Muth und Wuth, Wir sind nun dir mit Gut und Blut ! Derselbe . 6) das Echo. Es entsteht, wenn an das Endwort eines Verses das mit demselben reimende Wort sich unmittelbar anschließt. Beispiel : Geh', mein Roß, auf grüner Weide. ─ Leide! Ach, was bleibt mir nun noch offen? ─ Hoffen. Sagt ihr mir ein Wort, ihr Winde? ─ Finde! u. s. w.L. Tieck . §. 63. Sieht man auf die Stellung, welche die einzelnen Endreime einnehmen, so unterscheidet man: 1) ungetrennte Reime. Schema: aabb, aaabbb u. s. w. Epheu und ein zärtlich Gemüth Heftet sich an und grünt und blüht, ─ 45 ─ Kann es weder Stamm noch Mauer finden, Es muß verdorren, es muß verschwinden. Göthe . Wenn viele oder doch mehrere mit demselben Reim endenden Verse in ungetrennter Folge auftreten, so bedient man sich für dieselben auch des Ausdrucks Schlagreim. Beispiel : Lob des Goldes . Gesegnet sei der Gelbe mit dem lichten Rand; Der wie die Sonne wandelt über Meer und Land, Jn jeder Stadt daheim, zu Haus an jedem Strand, Gegrüßt mit Ehrfurcht, wo sein Name wird genannt! Er geht als wie ein edler Gast von Hand zu Hand, Empfangen überall mit Lust, mit Leid ent sandt. u. s. w. Rückert . 2) gekreuzte. abab . Zwischen heut und morgen Liegt eine lange Frist; Lerne schnell besorgen, Da du noch munter bist. Göthe 3) umarmende. abba . Ein reiner Reim wird wohl begehrt, Doch den Gedanken rein zu haben, Die edelste von allen Gaben, Das ist mir alle Reime werth. Göthe . 4) verschränkte. abcabc oder abcbac . O wundersüßes Wunder, heilig Wesen Der ewigen Gesänge, Die schon in jeder trunknen Brust erwachen! Wie leicht mag der vom herben Schmerz genesen Jn aller Freuden Menge, Dem hold die Musen aus den Augen lachen! Schlegel . ─ 46 ─ 5) unterbrochene. Weil' auf mir, du dunkles Auge, Uebe deine ganze Macht, Ernste, milde, träumerische, Unergründlich süße Nacht! Lenau . §. 64. Jn den ältesten poetischen Produkten unserer Sprache finden wir mehr die Alliteration, als den eigentlichen Reim angewendet. Später aber trat die erstere sehr zurück: der Reim (im engern Sinne) wurde fast allein angewendet und mit seiner Ausbildung wuchs die Bedeutung, welche man ihm beimaaß. Er galt als ein so wesentliches Erforderniß poetischer Produkte, daß nur das Poesie genannt wurde, was reimte. (Und bis auf den heutigen Tag finden sich der „Gebildeten“ viele, die da meinen, nur im Reime liege der Unterschied zwischen Poesie und Prosa: was sich reime, sei poetisch, was nicht reime, gehöre der Prosa an.) Jn der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als namentlich durch Klopstock die antiken Versmaaße in die deutsche Metrik eingeführt, und vorherrschend gebraucht wurden, fielen manche ─ und unter ihnen namhafte Dichter ─ ins Extrem und erklärten den Reim nicht nur für ein entbehrliches, sondern sogar für ein der wahren Poesie nachtheiliges Element. Man betrachtete ihn nur als eine Spielerei, die zum Kitzel des Ohrs diene, aber für die darzustellenden poetischen Gedanken gar leicht zum spanischen Stiefel, zum Prokrustesbett werde. Unsere größten Dichter der neuern Zeit huldigen weder dem einen, noch dem andern Extrem. Jhnen ist der Reim eben so wenig ein unbedingt nöthiges, wesentliches ─ 47 ─ Erforderniß, als ein überflüssiger oder gar schädlicher Schmuck poetischer Werke. Vielmehr halten sie ihn ─ natürlich den guten und an rechter Stelle angebrachten Reim! ─ für ein Mittel, den Eindruck des Dargestellten, namentlich der Hauptvorstellungen zu verstärken, die Einheit in der Mannichfaltigkeit der rhythmischen Bewegungen und die Harmonie der Vorstellungen durch gleichmäßige Berührung des innern und äußern Sinnes bemerkbar zu machen. Jm Reime liegt nicht die Poesie, der Reim vermag nimmer Gedanken, die an sich prosaisch sind, in poetische umzuwandeln. Aber er kann den Wohllaut und die Schönheit der Form bedeutend erhöhen, zugleich auch durch das malerische Element, was ihm meist eigen ist, das klarere Verständniß, eine lebendigere Auffassung der vom Dichter dargestellten Jdeen herbeiführen, und ihren Eindruck bleibender, fruchtbarer machen. ─ Wir treten gewiß auch keinem unserer gefeierten Dichter zu nahe, wenn wir noch die Behauptung beifügen, daß der Reim sogar häufig die Veranlassung zu vielen poetischen Schönheiten ist und dieselben gleichsam schaffen hilft. Natürlich! Nicht immer fließen den Dichtern die Reime so ganz von selbst zu, nicht selten müssen auch die begabtesten unter ihnen lange suchen, ehe sie einen Reim finden, der an sich tadellos ist und zugleich dem Gedankengang des Gedichts vollkommen entspricht; dadurch aber werden sie zugleich genöthigt, ihren Gegenstand von allen Seiten zu betrachten, mit ähnlichen Gegenständen zu ─ 48 ─ vergleichen u. s. w., wobei sich denn oft ganz neue Gesichtspunkte herausstellen, neue, herrliche Bilder sich finden. §. 65. Soll der Reim auf die Leser und Hörer die im vorigen Paragraphen angegebenen, in Absicht gestellten Wirkungen haben, so muß er (mehr oder weniger) unter dem Einfluß folgender Sätze und Gesetze gebildet und angewendet werden: 1) Nicht alle Gedichte vertragen den Reim; nicht allen steht er gleich gut. Am meisten eignet sich der Reim für die lyrische Poesie; das Lied selbst kann ihn nur schwer entbehren, Nur bei denjenigen lyrischen Gedichten, die eine starke, leidenschaftliche Aufregung schildern, ist seine Anwendung nicht durchweg zu empfehlen. ─ Jn den Epopöen antiken Charakters wird der Reim nie heimisch werden; dagegen pflegt das romantische und neuere Epos in Strophenformen aufzutreten, die den Reim nothwendig fordern. Ebenso wird in denjenigen epischen Dichtungsarten, welche den lyrischen Gattungen am nächsten stehen, wie namentlich die Ballade und Romanze, der Reim immer mit Vortheil angewendet. ─ Ob der Reim sich für das Drama eigne oder nicht, darüber kann man ebenfalls keine ausschließenden Bestimmungen aufstellen. Denn wenn sich auch behaupten läßt, daß der Natur des Dramas, insonderheit des Trauerspiels ─ einzelne lyrische Stellen natürlich ausgenommen! ─ der Reim nicht zusage, so kann man wiederum auch den großen Erfolg nicht in Abrede stellen, mit welchem er von einzelnen Dichtern, z. B. von Göthe im Faust, in dramatischen Dichtungen angewendet wurde. ─ 49 ─ §. 66. 2) Das Versmaaß gereimter Dichtungen muß einfach, die Verschlingung der reimenden Verse darf nicht zu verwickelt sein. ─ Am wenigsten paßt der Reim für die, den quantitirenden Sprachen entnommenen Odenversmaaße, auch gereimte Hexameter und Pentameter dürften leicht einen unangenehmen Eindruck machen. Ganz bestimmt darf man aber auch über diesen Punkt nicht absprechen. Der Binnenreim wenigstens wurde mitunter auch von den Alten angewendet und auch ein Reim-Spondeus am Ende des Hexameters scheint uns den Charakter dieses Verses wenig zu beeinträchtigen. Beispiele : 1) Bertha, du lose, zerpflückst du die Rose, die Wilhelm dir abbrach? Wahrlich, indem ich es seh', thut's in der Seele mir weh ! L. Wiese . 2) Einzug hält nun der König in seines Königthums Haupt stadt. Wo man, daß er schon jetzt zurückkäm, schwerlich ge= glaubt hat . Derselbe . Ueberhaupt läßt sich der Grundsatz, daß nur bei kürzern Versen der Reim anzuwenden sei, nicht aufstellen, eine große Menge von Dichtungen unserer größten Poeten beweist, wie auch in längern Verszeilen der gute Reim seine Wirksamkeit behauptet. Daß aber die Wirkung stärker wird, je näher sich die reimenden Wörter stehen, leidet keinen Zweifel, und jedenfalls wird der Eindruck des Reims ein sehr matter sein, wenn die reimenden Verse weit auseinander liegen. Das tritt z. B. schon in der Canzone hervor. ─ 50 ─ §. 67. 3) Da die verschiedenen Reime auch einen verschiedenen Charakter haben, so kann nicht jeder derselben für ein bestimmtes Gedicht passen. Hauptsächlich kommt hierbei der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Reimen in Betracht. Der männliche Reim charakterisirt sich durch Kraft, Bestimmtheit und Abgeschlossenheit und eignet sich deshalb für Gedichte kräftigen, ernsten Jnhalts; im weiblichen Reime dagegen liegt etwas Weiches, Zartes, Sanftes, darum ist er mehr für Gedichte, deren Jnhalt ruhige, sanfte Gefühle anzuregen bestimmt ist. Jndeß wird auch mitunter, um die Kraft etwas zu mildern, bei sehr kräftigem Jnhalt der weibliche Reim angewendet, so wie bei Gedichten zarten Jnhalts zuweilen der männliche Reim, damit das Zarte, Weiche nicht ins Weichliche, Verschwimmende übergehe, sondern vielmehr einen festern, bestimmtern Charakter erhalte. Eine Abwechselung männlicher und weiblicher Reime sagt begreiflicher Weise vielen Gedichten besonders zu. §. 68. 4) Des Reimes wegen darf man begründete grammatikalische Regeln nicht verletzen, die Wortfolge nicht willkührlich und unnatürlich verschrauben, die reimenden Wörter nicht verstümmeln oder verunstalten, auch die Sprache weder durch uneingebürgerte Fremdwörter, noch durch Provinzialismen, noch durch unedle, gemeine Ausdrücke entwürdigen. Viele unserer Dichter, namentlich auch Göthe, ─ 51 ─ haben in diesen Beziehungen nicht selten schwer gegen den guten Geschmack gesündigt. Beispiele : 1) Art'ges Häuschen hab' ich klein. Göthe . 2) Es wußt' es niemand, doch beide zusamm '. Derselbe . 3) Es war ein Bube frech genung . Derselbe . 4) Wegen glücklicher Momente . Derselbe . (Einzelne Reimwörter Göthe's sind sogar der Art, daß der Setzer aus Schaam für gut fand, Punkte statt Buchstaben zu setzen.) Jn einzelnen Fällen, namentlich in komischen Gedichten, ist allerdings manches zu entschuldigen oder wohl gar, als dem Jnhalte und Zwecke des Gedichts entsprechend, zu loben. Doch sind das Ausnahmen; die Regel aber bleibt in Kraft und es ist ihr eine genauere Beachtung sehr zu wünschen. ─ Das Streben, die gar zu oft dagewesenen, gewissermaaßen abgenutzten Reime möglichst zu vermeiden und dadurch eine originelle Frische zu erlangen, ist an sich löblich; führt es aber zu Benutzung von Fremd- und sonstigen ungeeigneten Wörtern &c., so fällt man offenbar aus der Scylla in die Charybdis. Hier ist auch Freiligrath zu nennen; doch rechtfertigen manche seiner Fremdwörter sich dadurch, daß sie Dinge bezeichnen, die dem Lande &c., von dem die Rede ist, eigenthümlich sind. §. 69. 5) Die reimenden Wörter müssen in Rücksicht des Satzinhalts, wo möglich, die relativ größte Bedeutung haben, also Hauptvorstellungen bezeichnen. ─ Jn dieser Hinsicht ─ 52 ─ können die meisten Reimpoesien Göthe's als Muster gelten; dagegen ist z. B. der dritte Vers folgender Strophe von Freiligrath sehr mangelhaft gereimt. Siehst du das Blut, o Rhein, Das meine Füße röthet? Vom Opfer ist's, das ein Aethiope mir getödtet! §. 70. 6) Die reimenden Wörter müssen möglichst innendeutsam und malerisch sein. „Je mehr die Reimwörter durch ihre, das Ohr treffende Bewegung, die, den innern Sinn treffende Bewegung der herrschenden Vorstellungen und Empfindungen nachahmen, desto besser sind sie.“ Poggel: Ueber den Reim und die Gleichklänge. Münster 1836. Wir empfehlen dieses Werkchen mit dankbarer Anerkennung dessen, was wir aus demselben für diesen Abschnitt benutzten. ─ Jndeß darf man auch hier nicht zu viel verlangen, zumal da unsere Sprache an vorzüglichen Wörtern dieser Art nicht allzureich ist. Selbst abstrakte Ausdrücke und Eigennamen wird man oft als tadellose Reime gelten lassen müssen. Uebrigens ist dem Dichter zu empfehlen, auch in Bezug auf den Reim die in §. 57 enthaltene Andeutung über den innern Charakter der Vokale nicht ganz außer Acht zu lassen, obgleich er sich daneben vor unnöthiger und unangenehmer Eintönigkeit beim Gebrauche derselben zu hüten hat. §. 71. 7) Endlich ist nöthig, daß der Reim den in formeller Hinsicht an ihn zu machenden Anforderungen entspreche. a . Er muß rein sein, d. h. es muß bei den reimenden Wörtern in Rücksicht des Klanges Ueberein= ─ 53 ─ stimmung der Reimvokale und der darauf folgenden Consonanten herrschen. Ueber die Reinheit des Reimes hat das Ohr zu entscheiden, nicht das Auge. Eine völlige Gleichheit der reimenden Buchstaben läßt sich daher nicht fordern. Reime, wie Gebäu und treu, wär und mehr, raubt und Haupt, Mord und Wort, zeigt und reicht, sprach und Tag u. a. wird man immer müssen als rein gelten lassen. Dagegen sind Reime, wie: wär und hehr, Morde und Worte, zeigen und reichen, Sprache und Tage, Lehren und Stören, Rose und Stoße, Vergnügen und Griechen, und ähnliche, mag sie Göthe oder ein Geringerer gebraucht haben, als unrein zu verwerfen. ─ Mehr noch, als eine Gleichheit der Laute, verlangt der reine Reim Gleichmäßigkeit der Zeitdauer und der Betonung. Gedehnte Silben können nicht mit geschärften, betonte nicht mit tonlosen gereimt werden. Namen und Flammen, Stumm und Ruhm, Schlacht und Magd, Brüllen und Fühlen, Brummen und Blumen, ─ sehn und huldigen, Herr und mächtiger u. a. können, bei nur einiger Strenge, durchaus nicht als reine Reime durchgehen. b . Eine reimende Silbe darf nicht unmittelbar auf eine ungereimte, betonte Silbe folgen. Wie häßlich ist dieserhalb folgende Reimung: So harret er aus ohne Murren und Klag' Der edle Herr bis zu Mittag. Collin . Bei weiblichen Reimen müssen auch in der Regel beide Silben jedes der reimenden Trochäen zu einem einzigen Worte gehören, es sei denn, daß durch das Gegentheil der Gleichklang für's Ohr nicht gestört würde. ─ 54 ─ Reime wie „es macht sich “ und „achtzig,“ „das bedaur' ich “ und „schaurig“ &c. kann man sich immerhin gefallen lassen, wogegen z. B. K. Simro ck's Reim „ ging er “ und „Finger,“ so wie der Freiligrath 'sche „ daß er “ und „Wasser“ &c., wenn man von der beabsichtigten komischen Wirkung absieht, durchaus verwerflich erscheint. c . Der Reim darf nicht eine Trennung des Reimwortes (am Ende der Verse) veranlassen; außer etwa auch, wenn dadurch eine komische Wirkung beabsichtigt wird; wie in dem bekannten: Hans Sachs war ein Schuh= Macher und Poet dazu. d . Die Reimwörter müssen, auch abgesehen von ihrer Uebereinstimmung, möglichst wohl= und vollklingend sein. Unter den Vokalen sind offenbar e und ä matter und weniger schön, als die übrigen, besonders u, o, ö, ü, eu, au u. s. w. Unter den, dem reimenden Vokal folgenden Consonanten scheinen l, m, n und r den Vorzug zu verdienen. Wenn zwei dieser vier Consonanten auf einen volltönenden Vokal folgen, dürfte der Reim in dieser Hinsicht am vollkommensten sein, z. B. Sturm und Thurm, Palmen und Psalmen u. s. w. Jndeß sind natürlich auch anders gebaute Reimwörter nicht zu vermeiden. Sogar solche, in denen auf den reimenden Vokal gar kein Consonant folgt, gehen mit durch, z. B. ja, da; ─ obgleich ihnen eine gewisse Unvollständigkeit des Klanges nicht abzusprechen ist. §. 72. Wir dürfen nie vergessen, daß der Reim nur dem Formellen der Poesie angehört, daß er den Genuß ─ 55 ─ an derselben wohl erhöhen, nie allein bewirken kann. Ein, dem Jnhalte nach vorzügliches Gedicht wird daher wegen einiger mangelhafter Reime noch keineswegs verwerflich, sondern steht immer noch weit höher, als ein, dem Jnhalte nach ordinäres Gedicht, welches im Schmucke der schönsten Reime prunkt. Nichts desto weniger aber bleibt es auch wahr, daß schlechte Reime jedes gebildete Ohr beleidigen und daher störender sind, als der gänzliche Mangel des Reims. Fünfter Abschnitt . Von den Strophen. §. 73. D urch die Verbindung mehrerer Verse zu einem, als rhythmische Periode abgegränzten, harmonischen Ganzen entsteht eine Strophe. Das Wesen der Strophen wird bedingt durch die Zahl und Art der Verse und durch die Stellung des Reims. §. 74. Jn Rücksicht auf die Länge der Verse kann man mit Feldbausch die Strophen eintheilen in gleichmäßige und ungleichmäßige. Die Verse der erstern haben alle eine gleiche Anzahl von Versfüßen, ─ doch kann der letzte Vers auch etwas kürzer sein ─ (Beispiel 1); die ungleichmäßigen Strophen sind entweder aus ungleichen Verspaaren zusammengesetzt (Beispiel 2), oder es wechseln gleiche Verspaare mit ungleichen (Beispiel 3), oder die gleichen Verspaare werden von einzelnen längern oder kürzern Versen unterbrochen (Beispiel 4), oder endlich Verse von verschiedener Länge bilden die Strophe (Beispiel 5). Beispiele : 1) Auf des Lagers weichem Kissen Ruht die Jungfrau, schlafbefangen; Tiefgesenkt die braune Wimper, Purpur auf den heißen Wangen. Freiligrath . ─ 57 ─ 2) Was gleitet durch der Wogen Schooß Jn dunkelstiller Nacht? So feierernst, als würd' ein groß, Ein Heldenwerk vollbracht? Stägemann. 3) Sehnsucht im Busen, wo ziehest du hin? ─ Hinauf zu den Sternen, Jn himmlische Fernen, Durch endlose Weiten Laß träum'risch mich gleiten, Ohn' Grübeln und Deuten, ─ So schwebe ich lächelnd der Ewigkeit zu, Und finde dort oben, nur oben erst Ruh'. Henriette Ottenheimer . 4) O du fröhliche, O du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue dich, freue dich, o Christenheit! ─ Falk . 5) Gott ist mein Lied! Er ist der Gott der Stärke! Groß ist sein Nam', und groß sind seine Werke Und alle Himmel sein Gebiet! Gellert . §. 75. Neben dem Rhythmus und dem Maaß der Verse ist (natürlich nur da, wo er stattfindet) der Reim von großem Einfluß auf die Strophenbildung. Häufig wird durch den Reim die Sonderung und die Vermehrung der Verse veranlaßt. So lassen sich in dem Nachtlied von Göthe die vier ersten Verse, sieht man vom Reim ab, auf zwei reduciren. Ueber allen Gipfeln Jst Ruh, Jn allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch Die Vöglein schweigen im Walde, ─ 58 ─ Warte nur! Balde Ruhest du auch. Ganz besonders aber dient der Reim als Binde= und Abrundungsmittel. §. 76. Die im Deutschen vorkommenden Strophen sind entweder deutsche Reimstrophen, oder antike Strophen, oder endlich sogenannte moderne, d. h. ausländischen, besonders südeuropäischen Sprachen nachgebildete Strophen. A . Deutsche Reimstrophen. §. 77. Die deutschen Strophenformen sind die wichtigsten und angemessensten für den deutschen Dichter. Und doch können wir hier nur noch wenig von ihnen sagen, denn sie zerfallen mit wenigen Ausnahmen nicht in genau bestimmte feststehende Arten, sondern ihre Mannichfaltigkeit geht fast ins Unendliche. Der denkende Dichter wählt für jeden Stoff eine Strophenform, die ihm für denselben die geeignetste scheint, ─ einerlei, ob sie schon in andern Gedichten sich findet oder noch nicht, ─ natürlich aber mit der nöthigen Rücksicht auf den Wohllaut und auf die Gesetze der Silbenwägung und des Reims. Auch muß er die Strophenform, die er einmal wählt, in der Regel für das ganze Gedicht beibehalten. Nach der Zahl ihrer Verse lassen sich die deutschen Strophen in zwei= bis etwa dreizehn zeilige eintheilen. §. 78. 1) Die zweizeilige Strophe kommt im Alt- und Neu-Deutschen sehr häufig vor, doch wird sie nicht immer als Strophe abgetheilt, oft tritt sie als bloßes Reimpaar auf. Jhr gewöhnlichstes Silbenmaaß ist das vierfüßige jambische oder jambisch=anapästische. ─ 59 ─ §. 79. 2) Die dreizeilige Strophe findet sich seltener, aber in den verschiedensten Versarten; in der Regel reimen alle drei Verse mit einander, oft auch nur zwei, wo dann entweder der mittlere oder der letzte reimlos ist. ─ Ueber die nach romantischen Vorbildern in die deutsche Poesie aufgenommenen, hierher gehörenden Strophenbildungen, Terzine und Ritornell, siehe §§. 95, 96! §. 80. 3) Die vierzeilige Strophe erscheint mit einem oder mit zwei Reimen nach folgenden Formen: + a + a, aabb, abab, abba . Sie findet sich außerordentlich häufig, und in vielen Silbenmaaßen, besonders in lyrischen Gedichten; so wie in Balladen und Romanzen. Eine vierzeilige Reimstrophe mit gepaarten männlichen Reimen ist auch die Nibelungenstrophe. Ueber das Sonett siehe §. 97. §. 81. 4) Die fünfzeilige Strophe tritt in verschiedenen Formen, meist mit zwei Reimen, zuweilen mit dem Refrain (Wiederholungssatz) auf. Anmerkung. Der Refrain ist ein Vers, der in jeder Strophe eines Gedichts wiederkehrt, meist ungereimt ist und dem Jnhalt nach oft nur mit dem Ganzen, seltener auch mit den einzelnen Strophen, in strengem Zusammenhange steht. Er dient in der Regel dazu, die Pointe des Gedichts, den Hauptgedanken hervorzuheben, und pflegt beim Gesangvortrag den Chor abzugeben. §. 82. 5) Jn der sechszeiligen Strophe sind die Reimstellungen noch mannichfaltiger; die gebräuchlichsten sind: ababab, ababcc, aabccb . Eine besondere Art sechszeiliger Strophen ist die Sestine. (Siehe §. 101.) §. 83. 6) Die siebenzeiligen Strophen haben ebenfalls mancherlei Formen; nicht selten ist der Refrain angewendet. ─ 60 ─ §. 84. 7) Die achtzeilige Strophe wird oft angewendet, am häufigsten erscheint sie mit folgenden Reimstellungen: abababab, ababcdcd, ababccdd, abbcaddc, aaabcccb, aabbcdcd u. s. w. Zu den achtzeiligen Strophen gehört auch die Stanze. (Siehe §. 91 ff.) §. 85. 8) Neunzeilige Strophen finden sich seltener. Die Reimformen sind mannichfacher Art. §. 86. 9) Die zehnzeilige Strophe (zu welcher auch die spanische Dezime gehört, siehe §. 105) wird schon öfter angewendet, dagegen sind 10) elfzeilige, 11) zwölfzeilige, und endlich 12) dreizehnzeilige Strophen seltene Erscheinungen, in denen Silbenmaaß und Reimstellung jedoch in gar vielerlei Weise stattfinden können. B . Antike Strophen. §. 87. Trotz der Bemühungen einzelner, bedeutender Dichter (wie Klopstock, Voß, Platen ), die antike Strophenbildung einzuführen, hat dieselbe doch im Ganzen wenig Pflege gefunden, zumal in neuester Zeit. Gewichtige Stimmen haben sich erhoben ( Göthe, Schiller, Schlegel, Tieck, Uhland ) und den Strophenbau der alten Sprachen als unserer Sprache nicht angemessen erklärt. Unter den angewendeten Formen sind folgende hervorzuheben: §. 88. 1) Die asklepiadeische Strophe. Sie besteht in der Regel aus zwei asklepiadeischen Versen, auf welche dann ein pherekratischer und ein glykonischer folgen. (§. 49.) ─ 61 ─ Ach! der Menge gefällt, was auf dem Marktplatz taugt, Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen: An das Göttliche glauben Die allein, die es selber sind. Hölderlin . §. 89. 2) Die alcäische Strophe mit zwei alcäischen Versen, einem überzähligen jambischen und einem logaödischen (daktylisch=trochäischen) Dimeter. Den reinen Quell der Wahrheit verließen oft Die Menschen, gruben mühsam sich Löcher aus, Wo nicht dem Lechzenden die Labung Quillet, wenn schwer ihm die Arme sinken. F. Stollberg . §. 90. 3) Die sapphische Strophe. Sie enthält drei sapphische Verse und einen adonischen. Jung und harmlos ist die Natur, der Mensch nur Altert, Schuld aufhäufend umher und Elend; Drum verhieß ihm auch die gerechte Vorsicht Tod und Erlösung. Platen . C . Ausländische (moderne) Strophen und solche sogenannte Dichtungsarten, die nach ihrer äussern Form bestimmt werden. §. 91. Die Stanze. Unter den modernen, dem Auslande entlehnten Strophen nimmt die Stanze ( Ottave rime, Octave ) als die lieblichste und schmuckvollste den ersten Rang ein. Sie besteht aus acht gleichlangen, meist fünffüßig jambischen Versen mit zweifachem oder dreifachem Reim. Jede regelmäßige Stanze muß dem Jnhalt und der Form nach ein abgerundetes Ganze bilden, d. h. der in einer Strophe ausgesprochene Gedanke muß in derselben zum Abschluß kommen. §. 92. Es giebt mehrere Arten von Stanzen, nämlich: ─ 62 ─ I . Die dem Jtalienischen entnommenen, regelmäßigen. Diesen liegt der vollständige oder überzählige fünffüßige Jambus zu Grunde; sie unterscheiden sich durch die Art und Zahl ihrer Reime. a . Stanzen mit zwei gekreuzten Reimen. Die aus acht überzählig=fünffüßigen Jamben bestehende, also nur weibliche Reime enthaltende Stanze, Siciliano genannt, kommt im Deutschen selten oder gar nicht vor. Jn männlichen und weiblichen Reimen wechselnde musterhafte Octaven hat uns Rückert in seiner Rose Siciliano geboten. Der Wechsel hat nach folgendem Schema statt: 1) ab, ab, ab, ab, 2) ab, ab, ab, ab u. s. w. b . Stanzen mit drei Reimen. abababcc . Die drei Reime sind entweder durchaus weiblich oder es wechseln männliche und weibliche ab (der männliche Reim fällt dann gewöhnlich auf den zweiten, vierten und sechsten Vers). Die Octaven der letztern Art verdienen im Deutschen den Vorzug, da der ausschließliche Gebrauch weiblicher Reime leicht eine, der Natur unsrer Sprache widerstrebende Mattigkeit mit sich führt. §. 93. II . Unregelmäßige Stanzen. a . Die deutschen Dichter haben sich mancherlei Abweichungen von den unter 1) angeführten Formen erlaubt. Sie haben sich weder streng an die Zahl der Versfüße, noch an die Zahl und Art der Reime gebunden, sondern fünffüßige Jamben mit vierfüßigen wechseln, ferner bald bloß gekreuzte, bald ungetrennte, bald drei, bald vier Reime eintreten lassen. Ja sogar die Versart hat man vertauscht ─ 63 ─ und statt der Jamben in Gedichten elegischen Jnhalts fünffüßige Trochäen gebraucht. b . Hierbei müssen wir auch der sogenannten Spenser' schen Stanze, einer vom englischen Dichter Spenser entweder erfundenen, oder von ihm ausgebildeten und in seiner „Feenkönigin“ angewendeten Strophenform gedenken. Sie besteht aus acht fünffüßigen Jamben und einem Alexandriner, und hat drei Reime nach dem Schema: ababbcbcc , es reimen sich also Vers 1 und 3; 2, 4, 5 und 7; 6, 8 und 9. Sie ist auch von deutschen Dichtern, namentlich in Uebersetzungen, und zum Theil unter mancherlei Abweichung, gebraucht worden. §. 94. Das Madrigal. Das Madrigal (wahrscheinlich so viel wie Schäferlied) ist ein Gedicht, das eigentlich nicht unter sechs und nicht über elf Verse und höchstens drei Reime haben soll. Man hat sich aber selten genau nach der Regel gehalten, und nennt jedes kleine, in ähnlicher Form erscheinende Gedicht tändelnder Tendenz ein Madrigal. §. 95. Die Terzine. Diese, schon von den Troubadour's gebrauchte Strophenform besteht aus drei fünffüßigen Jamben, die fortlaufend gekreuzte Reime bilden, weshalb zum Abschluß der letztern am Ende des Gedichts noch eine Verszeile beigefügt ist, die mit dem zweiten Verse der letzten Strophe reimt. ─ Das Schema ist also folgendes: aba, bcb, cdc, ded, efe, fgf ... xyx, yZy, Z . Die Terzine eignet sich hauptsächlich für ernste Gedichte lyrischer oder epischer Gattung. §. 96. Das Ritornell. Das Ritornell besteht aus dreizeiligen Strophen (gewöhnlich fünffüßige Jam= ─ 64 ─ ben). Vers 1 und 3 reimen, Vers 2 bleibt reimlos. Häufig ist der erste Vers ein Hemistich und enthält, dem italienischen Vorbilde gemäß, nur den Namen einer Blume. §. 97. Das Sonett. Das Sonett (Klinggedicht) besteht aus vierzehn fünffüßigen Jamben, von denen die acht ersten vierzeilige, die sechs letzten dreizeilige Strophen bilden. Die vierzeiligen Strophen enthalten nur zwei, und zwar umarmende Reime. Jn den dreizeiligen Strophen treten entweder zwei Reime in Terzinenform auf, oder es finden sich deren drei, die dann in mannichfacher Verschränkung, am häufigsten in folgenden Formen erscheinen: abcabc, abccba, abcacb, abbacc, abcbca . §. 98. Das Sonett ist zunächst durch die schlesische Dichterschule in Deutschland angebaut worden. Der bei den Dichtern dieser Schule so beliebte Alexandriner mußte auch für das Sonett herhalten. ─ Später wurde es vernachlässigt, bis Bürger (der jedoch in fünffüßigen Trochäen schrieb) und die Romantiker es wieder in Aufnahme brachten. Man hat das Sonett für die verschiedensten Stoffe benutzt. Doch darf ein gutes Sonett nur einen Hauptgedanken enthalten, der in der letzten Strophe seine völlige poetische Entwickelung finden muß. §. 99. Noch müssen wir des Sonettenkranzes gedenken. Der Sonettenkranz ist eine Reihe von fünfzehn Sonetten und nach folgenden Gesetzen gebildet: 1) jedes einzelne Sonett entspricht (in seiner Form) den angeführten allgemeinen Regeln; 2) die Schlußzeile des einen ist die Anfangszeile des folgenden Sonetts; ─ 65 ─ 3) die Schlußzeile des vierzehnten Sonetts wird gebildet durch die Anfangszeile des ersten; 4) die Anfangszeilen der vierzehn ersten Sonette bilden das fünfzehnte, das sogenannte Meistersonett; 5) das Ganze muß einen geistigen Zusammenhang haben, also von einem Hauptgedanken durchzogen sein. §. 100. Die Canzone. Diese dem Proven ç alischen entstammende, meist für elegische Gegenstände gebrauchte Form ist im Deutschen selten (von Zedlitz in den „Todtenkränzen“), meist nur bei Uebersetzungen italienischer Poesien, angewendet worden. Versmaaß der Canzone ist der elfsilbige Jambus, mit dem der siebensilbige zuweilen abwechselt. Die Strophen sind in Rücksicht der Zeilenzahl keinem Zwange unterworfen, (gewöhnlich finden sich dreizehn, sechszehn oder elf Verse,) doch müssen sie gleichmäßig gebildet sein. Jede regelmäßige Strophe zerfällt in drei Abtheilungen. Die beiden ersten Abtheilungen, Füße genannt, enthalten eine vom Dichter abhängige Reimverschlingung ─ doch muß dieselbe durch das ganze Gedicht streng durchgeführt sein! ─ und bilden am Ende eine logische Pause. Die dritte Abtheilung, die coda oder der Schweif, schließt sich mit ungetrenntem Reim an die zweite an. Den Schluß des ganzen Gedichts bildet eine kürzere Strophe, die in Rücksicht der Verszahl gewöhnlich mit der dritten Abtheilung der vorhergehenden Strophe übereinstimmt. Jn dieser Schlußstrophe redet der Dichter in der Regel die Canzone selbst an, nimmt Abschied u. s. w. §. 101. Die Sestine. Die Sestine ist unstreitig die künstlichste der, dem Süden entlehnten Strophen= ─ 66 ─ formen. Sie besteht aus neununddreißig elfsilbigen Jamben, welche sechs sechszeilige Strophen und eine dreizeilige bilden. Die reimlosen, aber bedeutsamen Endwörter der ersten Strophe müssen als solche in allen Strophen, jedoch immer in anderer Ordnung wiederkehren. Jn der Regel ist die Reihenfolge der Endwörter bei jeder neuen, folgenden Strophe, in Bezug auf die vorhergehende, diese: 6, 1, 5, 2, 4, 3; so daß in der dreizeiligen Schlußstrophe dieselbe Ordnung stattfindet, in welcher die erste Strophe erscheint, nur mit dem Unterschied, daß die eine Hälfte der Endwörter in die Mitte, die andere an das Ende der Verse fällt. Die Dichter haben sich nicht immer streng an die angeführten Gesetze gebunden, sondern sich mancherlei Abweichungen gestattet. Soll aber die Sestine nicht ganz ihren Charakter verlieren, so darf wenigstens die Regel nicht umgangen werden, wonach das Endwort jeder Schlußzeile mit dem Endwort der nächsten Anfangszeile übereinstimmen muß. §. 102. Das Cancion ist eine, dem Spanischen entlehnte lyrische Form. Es besteht in der Regel aus zwölf (zuweilen aus mehr), in zwei oder drei Strophen vertheilten trochäischen Versen, die entweder lauter weibliche oder abwechselnd weibliche und männliche Reime enthalten. Die Reime der ersten Strophe müssen sich am Schluß wiederholen. Jn Bezug auf den Jnhalt ist noch zu bemerken, daß die erste Strophe den Hauptgedanken enthält, der in der (oder den) folgenden weiter ausgeführt wird. ─ 67 ─ Beispiel : I . Wenn ich unverstanden bliebe, Ohne Gegenstand mein Streben, Keine Liebe mir gegeben, Würd' ich dennoch innig lieben, Um so inniger nur leben. II . Was mein Sehnen lieblich wähnte, Was ich liebesehnend meine, Jst so heiter, lind' und reine, Daß kein Sinn sich weiter sehnte, Der gesehn dieß einzig Eine! Wenn ich fern von Freuden bliebe, Ohne Gegenstand mein Streben, Keine Liebe mir gegeben, Würd' ich dennoch innig lieben, Und in heitern Freuden schweben. F. Schlegel . §. 103. Das Triolett. Das Triolett, wahrscheinlich französischen Ursprungs, besteht in der Regel aus acht bis zwölf jambischen oder trochäischen Versen mit zweifachem Reim. Die beiden ersten Verse, welche einen abgeschlossenen Hauptgedanken enthalten, machen zugleich den Schluß des Gedichts aus, während der erste Vers sich auch noch in der Mitte wiederholt. Von dieser dreimaligen Wiederkehr des ersten Verses hat die Form ihren Namen. Das Ganze gehört den poetischen Spielereien an und eignet sich deshalb vorzüglich nur für tändelnde, scherzhafte Gedichte. Die wenigen Bearbeiter, die das Triolett im Deutschen gefunden hat, haben nicht immer streng die darüber geltenden Regeln befolgt. Beispiel : Umsonst. Wer einmal sich nicht freuen mag, Dem fruchten nicht Ermunterungen. Es flieht der Freude Huldigungen, Wer einmal sich nicht freuen mag; ─ 68 ─ Und wird ihm auch den ganzen Tag „Freut euch des Lebens!“ vorgesungen! Wer einmal sich nicht freuen mag, Dem fruchten nicht Ermunterungen. Raßmann . §. 104. Das Rondeau. Das Rondeau oder Ringelgedicht, ebenfalls französischen Ursprungs, soll eigentlich aus dreizehn, in zwei Strophen vertheilten, theils zehn=, theils elfsilbigen Jamben bestehen, und acht männliche und fünf weibliche Reime enthalten. Die Anfangsworte des ersten Verses müssen als Refrain am Schluß der ersten, so wie am Schluß der zweiten Strophe wiederkehren. ─ Die wenigen Rondeau's, welche wir im Deutschen besitzen, enthalten mancherlei Abweichungen von den aufgestellten Regeln. Beispiel : Es ist vollbracht! Mein Gönner Albericht Verlangt durchaus von mir ein Rundgedicht. Wie mach' ich das? wie soll ich das erringen? Acht Vers' auf icht und wieder fünf auf ingen? Das ist fürwahr ein peinlich Halsgericht. Doch sieh, schon fünf! Wohlan verzagter Wicht! Erheitre nur dein düstres Angesicht, So wird dir auch der achte Vers gelingen. Es ist vollbracht! Fünf Verse noch erheischt des Künstlers Pflicht, Wenn es mir nur nicht ganz an Hirn gebricht, So kann ich wohl das Werk zu Stande bringen. Lass' ich nur frisch den zwölften Vers erklingen, So fehlt gewiß mir auch der letzte nicht. Es ist vollbracht! Schmitthenner nach Voiture. §. 105. Die Dezime. Die Dezime ist eine, der lyrischen Poesie Spaniens und Portugals angehörende Strophenform. Sie besteht aus zehn vierfüßigen Trochäen, die gewöhnlich zwei oder drei und zwar meistens ─ 69 ─ weibliche Reime bilden. Die Verschlingung der Reime ist dem Belieben des Dichters überlassen; nur muß sie in allen Strophen übereinstimmend sein. Nach dem vierten Verse tritt eine logische Pause ein, welche die Strophe in zwei Theile trennt. Die Trennung wird jedoch dadurch gemildert, daß der folgende Vers sich mit ungetrenntem Reim anschließt. ─ Zuweilen tritt die logische Pause erst nach dem fünften Verse ein. §. 106. Die Dezime findet ihre Anwendung bei den sogenannten Glossen. Die Glosse ist ein Gedicht, das aus zwei Haupttheilen, dem Thema und den Variationen besteht. Der im Thema ─ einer, aus einem andern Gedicht entlehnten vierzeiligen Strophe ─ gegebene Hauptgedanke wird in vier Dezimen weiter durchgeführt (varirt) und zwar so, daß der letzte Vers jeder Dezime die wörtliche Wiederholung eines Verses aus dem Thema ist. §. 107. Ferner wird die Dezime zu der Tenzone (d. i. Streitgedicht ), einer mit der Glosse verwandten, ebenfalls spanischen Form gebraucht. Die Tenzone besteht aus drei Theilen. Der erste Theil, das Thema, ─ meist eine Strophe von vier vierfüßigen Trochäen ─ enthält eine Frage, die eine doppelte Beantwortung zuläßt. Die doppelte Antwort liefern die beiden letzten Theile. Es vereinigen sich nämlich zwei Dichter, das Thema nach entgegengesetzten, sich bekämpfenden Ansichten zu beantworten und zwar in folgender Form: Jede Antwort ist in so viel Dezimen gekleidet, als das Thema Zeilen zählt. Jede Dezime schließt mit einem Reimwort des Thema's und zwar treten diese Reimworte bei der ersten Antwort in der ─ 70 ─ nämlichen Reihenfolge auf, in welcher sie im Thema erschienen; bei der zweiten Antwort (dem dritten Theile) hingegen kommen sie in umgekehrter Ordnung vor, so daß das Ganze mit dem ersten Reimworte schließt. Jm Uebrigen bleiben die, den Bau der Dezime betreffenden, oben angegebenen Gesetze in Kraft. Beispiel : I . Thema. Sänger, sprecht mir einen Spruch! Sagt mir, was ist minder Noth: Der Geliebten Treuebruch, Oder der Geliebten Tod ? II . 1) Die vom Schwur sich los gezählet, Jn der reichsten Schönheit Schmuck, Jst sie doch ein Höllenspuck, Dessen Anblick schreckt und quälet. Reines Weib, das nie gefehlet, Lächelt noch im Leichentuch, Denn sie schied mit dem Versuch, Sel'gen Liebestrost zu sagen: Drum ist minder Tod zu klagen, Als gebrochner Treuverspruch. 2) Wenn Verrath, was Gott verhüte! Einen edlen Sänger trifft, Wandelt sich sein Lied in Gift, Stirbt ihm aller Dichtung Blüthe. Wenn die Braut von reiner Güte, Hingerafft durch frühen Tod, Jhm entschwebt in's Morgenroth: All sein Blick ist dann nach oben, Und in heil'gem Sang enthoben Fühlt er sich der ird'schen Noth. 3) Jene, die der Tod entnommen, Diese, die im Unbestand Weltlichen Gewühls verschwand, Keine wird dir wiederkommen. Wann der große Tag erglommen, ─ 71 ─ Wo von Gottes Richterspruch Heil ergeht und ew'ger Fluch, Dann ist Jene neugeboren, Diese bleibt auch dann verloren; Mehr als Tod ist Treuebruch. 4) Der du Kampf mir angesonnen, Wie du sonst mich überfliegst, Hoff' nicht, daß du heute siegst! Wahrheit hat voraus gewonnen. Ob dem Sang, den du begonnen, Wird dir selbst die Wange roth, Und dein Herz, vor banger Noth Jn mein Lied herüberflüchtend, Ruft des Truges dich bezüchtend: Falschheit kränket mehr, denn Tod! Uhland . III . 1) Gegner, doppelt überlegen, Ausgerüstet mit zwiefalter Waff' als Dichter und Sachwalter; Wenn ich dir mich stell' entgegen, Nenn' ich's um so mehr verwegen, Als, wie du mir selbst gedroht, Dir als Anwalt dar sich bot Gute Sach', und mir die schlechte; Daß mir bangt, wie ich verfechte Falschheit gegen Treu und Tod. 2) Dennoch sprech' ich excipirend: Wenn ein edles Herz es gibt, Das uneigennützig liebt, Jm Geliebten sich verlierend; Dieses sich mit Demuth zierend, Trägt Entsagung ohne Fluch, Wenn die Braut, statt Leichentuch, Fremder Hochzeitschleier schmücket, Und es fühlt sich selbst beglücket, Wenn sie's ist durch Treuebruch. 3) Ferner: Wenn's ein Herz kann geben, Von so sanfter Blumnatur, Das aus liebem Antlitz nur ─ 72 ─ Wie aus Sonnen saugt sein Leben; Wenn die Sonnen ihm entschweben Jn die lange Nacht, den Tod, Leuchtet ihm kein Morgenroth; Doch so lang die Augen funkeln, Mag auch Untreu sie verdunkeln, Leben kann es doch zur Noth. 4) Endlich, wer mit solchen Flammen Liebt, wie ich zwar selber nicht, Daß er denkt, was heut' zerbricht, Wächst auf Morgen neu zusammen, Der verschmerzt des Treubruchs Schrammen Leicht aus Hoffnung zum Versuch, Ob sich heilen läßt der Bruch; Aber mit gebrochnen Herzen Läßt sich ganz und gar nicht scherzen; Drum: Eh'r falsch als todt! mein Spruch. Rückert . §. 108. Eine, besonders zu kleinen Gelegenheitsgedichten häufig gebrauchte Form ist das Akrostichon. Das Eigenthümliche desselben besteht darin, daß die Anfangsbuchstaben der Verse unter sich ein Wort oder mehrere Worte bilden, zu welchem der Jnhalt des Ganzen in einiger Beziehung steht. Beispiel : Der Morgen . M orgen wird es in der Natur, A lles athmet erfrischt und beglückt; T hau hat jede Blume der Flur, H at den Wald und das Feld beglückt. I n dem Dunkel, wie schien voll Grauen L ang mir die Nacht, ohne Himmel und Licht! D och du kamst ─ o nun laß mich schauen E wig dein liebliches Angesicht! §. 109. Das Gasel ist eine, erst in neuester Zeit nach orientalischen (persischen) Vorbildern durch Rückert ─ 73 ─ und Platen in die deutsche Poesie eingeführte Form. Es besteht aus zweizeiligen Strophen, von denen die erste ungetrennte Reime bildet. Jn den folgenden Strophen bleibt der erste Vers immer reimlos, der zweite dagegen führt den Reim der ersten Strophe weiter durch. Dieser Reim ist entweder einfach oder er ist aus mehreren Wörtern zusammengesetzt. (Zuweilen ist auch der Anfangsreim angewendet.) Ein bestimmtes Versmaaß ist nicht vorgeschrieben, doch enthalten in der Regel sämmtliche Verse eine gleiche Zahl von Silben. An die orientalische Regel, wonach das Gasel nicht weniger als sieben und nicht mehr als siebenzehn Strophen enthalten soll, so wie an die Forderung, daß in den letzten Versen in passender Verknüpfung der Name des Dichters vorkomme, haben sich die wenigen deutschen Dichter, die Gaselen geliefert, nicht immer gebunden. §. 110. Die persische Vierzeile ist eine Strophenform, in welcher die beiden ersten Verse mit dem vierten reimen, während der dritte Vers reimlos bleibt. An ein bestimmtes Versmaaß braucht sich der Dichter nicht zu binden, aber die Zahl der Silben muß in den vier Versen dieselbe sein. Beispiele : Vom Himmel kam geflogen eine Taube, Und bracht' ein Kleeblatt mit dreifachem Laube. Sie ließ es fallen; glücklich, wer es findet! Drei Blättlein sind es: Hoffnung, Lieb' und Glaube. Rückert . Das Gasel . Jm Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her, Doch irrst Du, Freund, sobald Du sagst, sie schwanke hin und her. ─ 74 ─ Es wurzelt ja so fest ihr Fuß im tiefen Meeresgrund, Jhr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her! Platen . §. 111. Als Zusatz zu der Lehre von den poetischen Formen sei hier noch bemerkt, daß man, auch abgesehn von Silbenwägung, Reim, Vers- und Strophenbildung, bei der Wahl und Stellung der in Gedichten zu brauchenden Wörter möglichst nach Wohllaut zu trachten hat, ohne jedoch der Richtigkeit, Genauigkeit und Natürlichkeit des Ausdrucks dadurch Eintrag zu thun. Erschöpfende Regeln in dieser Hinsicht aufzustellen, dürfte weder möglich, noch nöthig sein. Man richte nur die gehörige Aufmerksamkeit auf diesen Punkt, (d. h. auf Vokale und Consonanten, Verbindung und Aussprache aller Wörter;) in den meisten Fällen wird dann das eigene Gefühl richtig entscheiden. Es sei indeß hier noch erwähnt, daß die in §. 71 d . in Bezug auf den Reim gemachte Andeutung auch auf die nicht gereimten Wörter ausgedehnt werden kann, ferner, daß a ) eine zu große Anhäufung von minder schönen Consonanten, wie s, z, t, p, ß, tz, sp u. s. w., b ) der zu häufige Gebrauch des Vokals e, besonders auch des unbetonten am Schluß der Wörter, c ) ebenso und noch mehr die gewaltsame Fortwerfung dieses e an Stellen, wo der Geist der Sprache die Apostrophirung nicht gestattet, und d ) eine zu lange Reihe von bloß einsilbigen Wörtern, zumal solcher, deren Qualität und Betonung zweifelhaft oder unbestimmt ist, ─ dem Wohllaut relativ schadet. ─ Sodann haben wir schließlich noch des sogenannten Hiatus zu gedenken. Der Hiatus (die Klaffung, Gähnung) entsteht, wenn ein Wort mit einem ─ 75 ─ Vokal endet und das unmittelbar darauf folgende mit einem Vokal (oder gar mit demselben Vokal) anfängt, (z. B. eine erbärmliche Erfahrung). Auch dies verstößt immer etwas (mehr oder weniger) gegen den Wohllaut. Die Anforderung, den Hiatus für alle Fälle zu vermeiden, wäre jedoch nur lächerlich, denn es würden dadurch Wortverstümmelungen und Satzverdrehungen nöthig, die vielmal schlimmer wären als der schlimmste Hiatus, und manche Gedanken ließen sich ohne die weitläufigsten Umschreibungen gar nicht ausdrücken; man könnte z. B. nirgend ein weibliches Hauptwort im Nominativ mit (bestimmtem oder unbestimmtem) Artikel (und mit oder ohne Adjectiv) anbringen. Und doch liest und hört man am Ende über Ausdrücke, wie „die Erscheinung,“ „eine prächtige Jnsel,“ „die herrlichste Eigenschaft“ u. s. w. in der Regel leicht hinweg, ohne auch nur im mindesten den Hiatus zu empfinden. Es ist also unseres Erachtens mit dem Hiatus bei weitem nicht so gefährlich, wie Manche darzuthun sich bemüht haben. Wo man ihn aber füglich und ohne anderweitige Uebelstände vermeiden kann, da vermeide man ihn! Zweiter Theil. Die Dichtkunst nach ihren Gattungen . Einleitung . §. 112. D as Wesen der Poesie besteht, wie wir bereits oben §. 1. sahen, in der durch die Sprache vermittelten Darstellung des Schönen. Die Darstellung des absolut Schönen ist entweder an etwas rein Jnneres oder an die Außenwelt geknüpft. Danach unterscheidet man subjektive und objektive Poesie. Jn jener bringt der Dichter das Schöne zur Anschauung, indem er seine eigenen Gefühle und Empfindungen schildert, in dieser, indem er Ereignisse aus dem Leben Anderer, ─ Erscheinungen der Außenwelt vorführt. §. 113. Die objektive Poesie zerfällt in die epische und in die dramatische. Die epische Poesie läßt den Dichter bei der Schilderung von Gegenständen der Außenwelt ganz objektiv und die Ereignisse als vergangen, als Begebenheit erscheinen; in der dramatischen tritt die Person des Dichters zwar ebenfalls ganz zurück, aber die Personen des Gedichts werden handelnd, die Ereignisse somit als gegenwärtig aufgeführt. §. 114. Lyrische, epische und dramatische Gedichte bilden die drei Hauptgattungen der Poesie. Jede derselben zerfällt in mehrere Arten, die unter sich ─ 80 ─ mehr oder weniger verwandt sind. Wenn in einem Gedichte das lyrische oder das epische oder endlich das dramatische Element ausschließlich oder doch überwiegend vorherrscht, so wird es sich unbedingt einer der drei Hauptgattungen unterordnen lassen. Nicht bei allen Gedichten ist dies jedoch der Fall. Oft findet in einem und demselben poetischen Produkt eine Verschmelzung von zwei oder gar von allen drei Elementen statt. Nicht nur enthalten dramatische Dichtungen einzelne lyrische oder epische Stellen, sondern häufig gestaltet sich auch das Epische lyrisch oder dramatisch, und das Lyrische wird epischen Charakters. Dieser Umstand erschwert oft sehr die Classifikation einzelner Gedichte. Wir werden in solchen Fällen den Hauptcharakter oder die Tendenz des Ganzen entscheiden lassen. §. 115. Tritt in poetischen Erzeugnissen die Belehrung als bestimmter oder als Hauptzweck heraus, so nennt man dieselben didaktisch. Die didaktischen Poesieen können nicht als eine besondere Hauptgattung aufgeführt, die einzelnen Produkte derselben müssen vielmehr immer derjenigen der genannten drei Hauptgattungen untergeordnet werden, mit der sie die meiste Verwandtschaft haben. Läßt der Dichter statt der Gefühle und Empfindungen ─ oder neben denselben ─ Gedanken und Betrachtungen vorwalten, so wird das Gedicht ein lyrisch=didaktisches; stellt er über Ereignisse, oder vielmehr beim Erzählen derselben, über Gegenstände des äußern Lebens, der Natur und der Kunst &c., belehrende Reflexionen an, so wird es ein episch=diktaktisches sein, legt er seine Lehren ─ 81 ─ handelnd auftretenden Personen in den Mund, so wird es dramatisch=didaktischen Charakter haben. §. 116. Es ist viel darüber gestritten worden, ob die Gedichte didaktischer Tendenz überhaupt in das Gebiet der Poesie gehören oder nicht. Wir unsern Theils können eine unbedingte Ausscheidung derselben nicht billigen. Allerdings soll die Poesie nach unsrer eigenen Erklärung zunächst keinen andern Zweck haben, als den, Genuß zu bereiten; allerdings scheint es sonach bedenklich zu sein, noch andere Zwecke neben jenen Hauptzweck zu stellen; ─ aber betrachten wir die große Zahl guter didaktischer Gedichte, so finden wir, daß man recht wohl Belehrung erzielen kann, ohne dem Hauptzweck der Poesie etwas zu vergeben. Freilich solchen Produkten, in welchen der nüchterne Verstand die Phantasie, überhaupt das Didaktische die Poesie erdrückt, die nur trockene Lehre (diese allenfalls in guter poetischer Form) bieten, aber alles poetischen Gehalts ermangeln, werden auch wir nicht das Wort reden. Erster Abschnitt . Lyrische Poesie. §. 117. L yrisch nannten die Griechen jedes Gedicht, das mit Begleitung der Lyra vorgetragen wurde. Wir legen den Namen allen denjenigen poetischen Produkten bei, deren Hauptcharakter Veranschaulichung des Schönen durch Schilderung bestimmter, subjektiver Empfindungen des Dichters ist. ─ Es giebt aber auch viele lyrische Gedichte, in welchen der Dichter nicht seine eigenen Gefühle schildert, sondern eine andere, entweder wirkliche oder fingirte Person, in deren Geist und Lage er sich hineindenkt, Gefühle aussprechen läßt. Hier hat also auch die Lyrik einen objektiven, wenigstens keinen eigentlich subjektiven Charakter. ─ Da es in Bezug auf die zu schildernden Empfindungen immer eines Anknüpfungspunktes bedarf, so werden die lyrischen Gedichte nicht bloß die Gefühle schildern, sondern zugleich diejenigen Erscheinungen und Ereignisse erwähnen oder vorführen, die dieselben veranlassen. Je mehr Berücksichtigung jenen Erscheinungen und Ereignissen in dem Gedichte zu Theil geworden ist, je mehr die Gefühlsschilderung selbst zu= ─ 83 ─ rücktritt, desto mehr nähert sich das Gedicht den epischen Gattungen. §. 118. Für die zur lyrischen Poesie zu rechnenden Dichtungsarten läßt sich ein durchgreifender Eintheilungsgrund nicht aufstellen. Theils bestimmen die Art der dargestellten Gefühle, theils der Grad ihrer Lebendigkeit, theils die Form, theils andere Rücksichten die Unterscheidung und Benennung. Wir führen sie deshalb ohne weitere Classifikation hier auf: 1) Das Lied; 2) die Ode; 3) die Hymne; 4) die Rhapsodie; 5) der Dithyrambus; 6) die Cantate; 7) die Elegie; 8) die Heroide; 9) das Gnomon; 10) das Epigramm; 11) die Satyre; 12) die poetische Epistel; 13) das Lehrgedicht (im engern Sinne). I . Das Lied. §. 119. Das Lied drückt in einer einfachen, aber möglichst vollendeten und für den Gesang geeigneten Form eine einzelne, bestimmte Empfindung aus. Einfachheit in jeder Hinsicht ist das wesentliche Erforderniß aller Gedichte, die den Namen Lied beanspruchen. Gewöhnliche Lebensverhältnisse und Ereignisse, überhaupt Gegenstände, die dem Gemüthe nahe liegen, werden die Anknüpfungspunkte der zu schildernden Empfindung bilden. Und diese Empfindung, wenn auch nach verschiedenen Beziehungen hin ausgesprochen, wird (in Rücksicht dieser Beziehungen) doch eine harmonische, ihr Erguß ein natürlicher, ruhiger, sanfter sein. ─ 84 ─ §. 120. Wie die Empfindung selbst, so muß auch der Ausdruck derselben sich durch Einfachheit charakterisiren. Das Gefühl, nicht die Jdee hat im Liede die Herrschaft; deshalb werden Gehalt und Gang der Gedanken, so wie die gebrauchten Bilder der gewöhnlichen Sphäre des Menschenlebens gemäß sein. Daß diese Forderung nur bei einer durchaus ungekünstelten, einfachen, aber nichts desto weniger vollendeten Form ihre befriedigende Lösung finden kann, ist an sich klar, wir beschränken uns deshalb in dieser Hinsicht auf folgende Bemerkungen: Der Umstand, wonach das Lied zugleich (oder vorzugsweise) für den Gesang mit bestimmt ist, macht nicht nur die strophische Abtheilung der Verse nothwendig, sondern auch die vollständige, metrische Uebereinstimmung der correspondirenden Verse mindestens wünschenswerth. Nur Abweichungen sehr unbedeutender Art sind in einzelnen Fällen hier zulässig. §. 121. Wie der äußere Bau der Verse, so nimmt auch der innere Charakter derselben des Dichters volle Aufmerksamkeit in Anspruch, mit andern Worten, das Versmaaß muß möglichst dem Jnhalt des Liedes gemäß gewählt werden. Bestimmte Vorschriften und ausschließende Bestimmungen lassen sich hierüber zwar nicht aufstellen; doch möchte im Allgemeinen Folgendes maaßgebend sein: Sanften, weichen Gefühlen, namentlich aber Empfindungen der Trauer entsprechen am meisten der dreifüßige und der fünffüßige Trochäus, während der vierfüßige Trochäus sich mehr für kräftige, ernste und für Gefühle der Sehnsucht eignet. ─ 85 ─ Entschlossenheit, Muth, Freude sprechen sich in vierfüßigen, naive, tändelnde Gefühle in zwei= und dreifüßigen Jamben, Heiterkeit, gesellige Fröhlichkeit in längern jambischen oder in jambisch=anapästischen Versen aus. Auch trochäisch=daktylische Verse werden oft mit gutem Erfolg für den Ausdruck gesteigerter Freude gebraucht. §. 122. Endlich fordert auch der Reim seine sorgfältige Beachtung. Wie wir schon oben (§. 65) bemerkt haben, kann das Lied denselben nur schwer entbehren. Wir finden ihn ─ mit sehr wenigen Ausnahmen ─ in allen deutschen Liedern. Und nicht mit Unrecht. Der Reim verleiht dadurch, daß er gleichsam schon eine Composition des Liedes bildet, demselben einen wundersamen Reiz; er vermag vorzugsweise die vollendete Harmonie der geschilderten Gefühle zu charakterisiren. Denn gerade im Liede lassen sich alle die, oben angedeuteten (möglichen) Schönheiten des Reimes am besten und vollständigsten entwickeln, alle die Wirkungen, die man durch denselben bezwecken kann, am leichtesten erreichen. Darum wird der Dichter immer auf die entsprechendsten, schönsten Reime vorzugsweise beim Liede bedacht sein müssen. Reimkünsteleien passen aber zu dem Charakter des Liedes eben so wenig, als künstliche und zusammengesetzte Versmaaße. Nur in naiv=komischen Gedichten dieser Art ist so etwas zuweilen mit guter Wirkung zu brauchen. §. 123. Die Lieder zerfallen nach ihrem Jnhalt zunächst in zwei Hauptklassen, in religiöse oder geistliche und in sogenannte weltliche Lieder. §. 124. Das religiöse Lied schildert immer ─ 86 ─ Gefühle, wie sie aus dem Bewußtsein unseres Verhältnisses zu Gott entspringen. Da dies Verhältniß nach den verschiedensten, rein menschlichen oder dogmatischreligiösen Lebensbeziehungen hin aufgefaßt werden kann, so lassen sich wieder verschiedene Arten religiöser Lieder unterscheiden, z. B. Bußlieder, Danklieder, Bittlieder u. a. Wird das religiöse Lied bei dem kirchlichen Gottesdienst angewendet, so heißt es Kirchenlied. §. 125. Weltlich nennt man ein Lied, wenn in ihm die Beziehung auf Gott nicht heraustritt, sondern gewöhnliche Lebensverhältnisse oder Gegenstände der sichtbaren Welt die Basis der geschilderten Gefühle bilden. Die meisten weltlichen Lieder haben die geschlechtliche Liebe zum Gegenstand; andere beziehen sich auf die geselligen Verhältnisse der Menschen; andere auf Zustände oder Ereignisse, oder auf bedeutende Personen des Vaterlandes; noch andere endlich basiren auf Gegenstände oder Erscheinungen der Natur. Danach kann man die weltlichen Lieder eintheilen in Liebeslieder, Gesellschaftslieder, Vaterlandslieder und Naturlieder. Einer dieser vier Arten werden sich die meisten Lieder unbedingt zuweisen lassen; nur bei einigen wenigen wird dies nicht der Fall sein. §. 126. Die Lieder, deren Gegenstand die Liebe ist, werden auch erotische (von Eros, dem Gott der Liebe) genannt. So unermeßlich groß die Menge der erotischen Lieder, so ansehnlich selbst die Zahl der ausgezeichneten unter denselben ist, so wird doch auch ferner die Liebe immer Hauptgegenstand des Liedes bleiben. Wie sie, als die Poesie des Lebens, dieses ─ 87 ─ verschönert und verherrlicht, so wird sie auch fort und fort dem Dichter ein unversiegbarer Quell der schönsten, herrlichsten Ergüsse sein. §. 127. Diejenigen Lieder, deren Gegenstand die geselligen (doch nicht die staatsbürgerlichen! ) Beziehungen der Menschen unter einander sind, fassen wir unter dem Namen Gesellschaftslieder zusammen, da uns dieser der entsprechendste scheint. Je nach ihrer besondern Tendenz erhalten die Gesellschaftslieder verschiedene Namen, z. B. Lieder der Freundschaft, Trinklieder, Wanderlieder u. s w. Anmerkung. Hierbei erwähnen wir auch die anakreontischen Lieder. Man gab im vorigen Jahrhundert denjenigen Gedichten diesen Namen, die nach den Vorbildern des griechischen Dichters Anakreon (zur Zeit des Cyrus ) frohen Lebensgenuß in naiver, leichter und gefälliger Weise aussprechen. Gleim so wenig, als die andern sogenannten Anakreontisten haben aber ihr Vorbild erreicht. Heut zu Tage braucht man den Namen nicht mehr, wiewohl die neueste Zeit reich genug an solchen Liedern ist, die denselben mit vollem Recht verdienen. §. 128. Unter dem Namen Vaterlandslieder fassen wir alle diejenigen Lieder zusammen, in denen Ereignisse oder Zustände oder (Beziehungen auf) bedeutende Personen des Vaterlandes die Basis der geschilderten Gefühle bilden. Sonach gehören in diese Rubrik die Kriegs= und Freiheitsgesänge (Vaterlandslieder im engern Sinne), die sogenannten politischen Lieder und diejenigen Gelegenheitsgedichte, welche bei festlichen Veranlassungen fürstlichen Personen überreicht werden oder als Ausdruck der Gefühle für dieselben dienen sollen. Die bei weitem größte Zahl dieser Lieder hat zugleich den Zweck, ─ 88 ─ die Vaterlandsliebe, die Theilnahme an vaterländischen Jnteressen zu wecken oder zu steigern. Es ist jedoch nicht genug, daß diese Tendenz heraustrete, ja auch nicht genug, daß das Gedicht Begeisterung athme, vielmehr ist vor allem nöthig, daß ihm der poetische Gehalt nicht mangele. Dieser allein bestimmt seinen wahren Werth. Das haben gar manche unserer Vaterlandsdichter viel zu wenig bedacht. Wir wollen schweigen von dem seichten Gehalt, von der oft in jeder Hinsicht bejammernswerthen Armseligkeit, welche die bei weitem größte Zahl derjenigen Lieder zeigt, die bei feierlichen Veranlassungen den Fürsten überreicht, die bei Vaterlandsfesten in die Zeitungen gerückt oder an der Tafel gesungen werden ─ sie sind für einzelne Tage und einzelne Zwecke bestimmt und gemacht und haben für die Literatur keine oder doch nur sehr geringe Bedeutung. Aber tief beklagen müssen wir es, wenn auch in den Kriegs= und Freiheitsliedern, und in den „ politisch “ zubenannten Gedichten die Poesie von der Tendenz in den Hintergrund geschoben, oder gar erdrückt ist, wie es leider! bei gar vielen der Fall ist. Ja leider! hat man der Poesie gar häufig nur das schöne Gewand gestohlen, um die Nüchternheit seiner patriotischen Gefühle dadurch zu verdecken! leider schlägt mancher Vaterlandsdichter, indem er die Ketten zu lockern, die Fesseln zu lösen sucht, in welche man das Vaterland in dieser oder jener Hinsicht geschlagen, die freie Göttin Poesie, die Herrin, nicht Sklavin sein soll, selbst in Ketten, damit die, an sich prosaische, Tendenz allein das Regiment führe. So soll es, so ─ 89 ─ darf es nicht sein! Der Ausdruck patriotischer Gefühle muß ein durch und durch poetischer, die besondere Tendenz des Liedes muß von der Poesie getragen, gehoben, verklärt sein. §. 129. Es ist in neuester Zeit viel hin= und hergestritten worden, ob die Politik in den Kreis der Poesie gehöre oder nicht? Wir finden es inconsequent und lächerlich, wenn man die Antwort unbedingt verneinend ausfallen läßt. Kriegsliedern hat man, unsers Wissens, die poetische Zulässigkeit noch nicht abgesprochen. Sind aber Kriegslieder im Grunde etwas anderes, als politische Lieder? Oder soll unsere Vaterlandsliebe sich nur auf das Departement des Auswärtigen und das des königlichen Hauses erstrecken? Soll das, was alle Gemüther eines ganzen Landes bewegt (oder doch alle bewegen sollte! ) nicht passender Stoff poetischen Ergusses sein? Wir beklagen es mit allen Besonnenen, wenn im politischen Liede eine gehässige Bitterkeit, persönliche Gereiztheit sich kund giebt; uns ekelt for ç irter Patriotismus an, trage er nun die blutige Farbe der Empörung oder die graue des Servilismus; wir sind nicht gemeint, (wie einer unserer neuesten politischen Dichter,) daß allen denjenigen Dichtern Gesinnungslosigkeit beizumessen sei, die in unserer politischen Zeit von etwas anderem singen, als von Politik; ─ aber wir freuen uns, wenn das Jnteresse des Tages ächte poetische Ergüsse veranlaßt, wir freuen uns, wenn wir nicht bloß von Waldvögelein und Mondenschein, von Liebespein und Liebeslust singen, sondern auch den Ton männlicher Gesinnung anstimmen hören, der das Herz kräftigt und die Entschiedenheit fördert. ─ 90 ─ §. 130. Die Naturlieder sprechen entweder die Gefühle aus, welche Gegenstände oder Erscheinungen der Natur im Gemüthe hervorrufen, oder sie schildern diese Gegenstände und Erscheinungen selbst, oder sie lassen das Gemüth betrachtend bei denselben verweilen, oder sie sind endlich allegorischen Charakters. §. 131. Hat ein weltliches Lied eine weite Verbreitung im Volke gefunden, wird es von demselben gern und viel gesungen, so nennt man es Volkslied. Viele der Volkslieder (man kann sagen die Volkslieder im engern Sinne überhaupt) sind aus der Mitte des Volkes hervorgegangen und gehören also der Naturpoesie an (siehe §. 1, Anmerkung). Produkte der Kunstpoesie werden nur dann zu Volksliedern werden, wenn sie der Bildungsstufe des Volks entsprechen, also im Volkstone gehalten sind und wenn sie des Volkes Jnteressen auf eine ihm zusagende Weise berühren. §. 132. Das Lied, das wohl überhaupt bei allen Völkern bis in die früheste Zeit ihrer Bildung hinaufreicht, ist auch in Deutschland schon frühe angebaut worden. Es liegt außer dem Kreise unserer Darstellung, eine Geschichte des deutschen Liedes zu geben; wir führen hier nur die Namen der ausgezeichnetsten unserer Liederdichter an. Anmerkung. Wir bemerken hier ein für alle mal, daß wir bei solchen Hinweisungen auf die Literaturgeschichte in der Regel vorzugsweise die letzten hundert Jahre berücksichtigen und daß eine erschöpfende Vollständigkeit nicht in unseren Absichten liegen kann. Jm religiösen Liede zeich= ─ 91 ─ neten sich aus: Luther, Nicol. Hermann, Ringwald, Joh. Herrmann, Rist, Paul Gerhardt, J. Angelus (Scheffler), Joach. Neander, Arnold, Neumark, Schmolke, Gellert, Klopstock, Uz, Cramer, Lavater, Zinzendorf, Herder, Novalis (Hardenberg), Albertini, Falk, Alb. Knapp, Spitta, Garve. Unter den Dichtern weltlicher Lieder nehmen Walther v. d. Vogelweide, M. Opitz, P. Flemming, S. Dach, Günther, Hagedorn, Gleim, Jacobi, Herder, Bürger, Fr. Stollberg, Voß, Claudius, Göthe, Schiller, Schubart, Matthisson, Salis, Hölty, A. W. Schlegel, F. Schlegel, Tieck, Fouqu é , Arnim, Hebel, Schenkendorf, Körner, Arndt, Uhland, Rückert, Schwab, W. Müller, J. Kerner, Mayer, Eichendorff, Chamisso, Platen, Heine, Hoffmann, A. Grün, Lenau, Freiligrath, Beck, Seidl, Herwegh, E. Geibel, Wolfg. Müller &c. eine vorzügliche Stelle ein. II . Die Ode. §. 133. Der ursprünglichen Bedeutung des Wortes gemäß nannte man im Griechischen jedes für den Gesang oder musikalische Begleitung sich eignende, also jedes reinlyrische Gedicht eine Ode. Bei uns hat das Wort eine engere Bedeutung. Wir nennen nämlich diejenigen Gedichte Oden, welche mit hoher Begeisterung und in künstlerischer, schöner Form Empfindungen schildern, die die Betrachtung erhabener Gegenstände, mit welchen sich die höhern ─ 92 ─ Jnteressen der Menschheit verknüpfen, erzeugt. Da also das Höhere und Höchste Gegenstand der Ode ist, so nimmt in ihr die Phantasie des Dichters den kühnsten Flug, spricht aus ihr eine auf die höchste Potenz gesteigerte Begeisterung, ist in ihr der erhabendste Schwung der Gedanken herrschend. Natürlich muß die Sprache dem Fluge der Phantasie folgen, der Begeisterung entsprechen und dem Gedankenschwunge gemäß sein. Sie wird sich namentlich durch Bilderreichthum und durch das Gewählte, ja oft Gesuchte des Ausdrucks sehr von der Sprache des gewöhnlichen Lebens und auch von der des Liedes unterscheiden. Was den Rhythmus angeht, so hat man sich nach Klopstock's Vorgange vorzugsweise der antiken Versmaaße, zumal der bekanntern Strophenformen derselben (§. 87 ff.) bedient. Diese Formen sind so herrschend geworden, daß man nicht selten sie als charakteristisches Merkmal angesehen und jedes lyrische Gedicht mit dem Namen Ode bedacht hat, das in solcher Form geschrieben ist. Es wäre jedoch lächerlich, wenn man nur diese Formen als der Ode angemessen erklären wollte. Auch hier entscheidet weder irgend eine Autorität, noch das Herkommen, sondern die Sache, der Jnhalt, und zu diesem passen oft die reindeutschen Verse besser, als Nachbildungen antiker. §. 134. Wir können uns nicht versagen, hier die geistreiche Charakteristik folgen zu lassen, die der Heros der deutschen Literaturgeschichte, Gervinus, von der Ode entwirft: „Die Ode ist der Culminationspunkt aller lyrischen Poesie; die Spitze der musikalischen Poesie, ─ 93 ─ die sich selbst die Musik ersetzen und des Gesanges entbehren will. Sie sucht sich selbstständig hinzupflanzen, sie kann gelesen und braucht nicht so nothwendig, als das Lied gesungen zu werden. Allein eben diese Selbstständigkeit wird doch nur in der Ode erhalten, indem sie die mangelnde Musik in sich selbst herzustellen sucht. ─ Aus dem ganz musikalischen Charakter der Ode rührt es her, daß sie uns so leicht verführt, bloß dem Klange nach zu lesen, über den Tonfall uns zu freuen und unvermuthet Sinn und Gedanken zu vergessen. Sie verlangt laut gelesen zu werden; das Ohr, das musikalische Organ, will an ihr seinen vorzüglichsten Genuß; die Ode ist daher dort am trägsten und unleidlichsten, wo sie philosophische Abhandlung oder voll von kopfanstrengenden Allegorien und Bildern ist. ─ Nicht allein will das Ohr sein Recht im Empfangen der Ode haben, sondern es will auch bei Gesetz und Regel der Ode mitsprechen. Die Ode widersetzt sich und widerstrebt allem logischen verständigen Gange und jeder Regel, die eine bestimmte Ordnung da vorschreiben will, wo der regellose Affekt allein Gesetzgeber sein soll, der vor jedem Gegenstand anders operirt; wo sich eine Empfindung, ein Gefühl aus sich selbst und nach seinem eignen Gesetz zu einem oft sehr gesetzlos erscheinenden poetischem Tonstück formen will.“ Gervinus. Man meine aber nicht, daß in der Ode Planlosigkeit herrschen, daß sie sich des logischen Zusammenhangs ohne Weiteres entschlagen und als rein von der Willkühr erzeugt produciren dürfe. Wie hoch den Dichter seine Phantasie führen mag, nimmer darf sie ihn von seinem Gegenstande ab= und in ─ 94 ─ das Gebiet des Unklaren und Nebelhaften führen. Und selbst die größte Ungebundenheit der Darstellung muß bei genauerer Betrachtung immer eine strenglogische Gedankenkette nachweisen lassen. §. 135. Erst seit Haller fand die eigentliche Ode Bearbeiter. Was Haller und Cramer in dieser Dichtungsart leisteten, wurde bei weitem überflügelt durch die Oden Klopsto ck's, die noch immer als Muster dastehen. Nächst Klopstock zeichneten sich aus: Ramler, Uz, Herder, Hölty, Fr. Stollberg, Voß, Schubart und Hölderlin. Die Dichter der neuesten Zeit haben die Ode, wenigstens in antiken Silbenmaaßen, fast gar nicht cultivirt; selbst Platen's vorzügliche Leistungen fanden weder großen Anklang, noch Nachahmung. III . Die Hymne. §. 136. Das Wort Hymne (wörtlich so viel wie: ich webe, in übergetragener Bedeutung: ich feiere, ich lobsinge ) bezeichnete im Griechischen einen Lobgesang, der bei feierlichen Opfern unter Musikbegleitung vorgetragen wurde. Bei uns ist die dem Worte untergelegte Bedeutung eine sehr schwankende. Man giebt nämlich dem der Hymne beiwohnenden Begriff des Feierns entweder eine allgemeinere oder eine speciellere Beziehung und nennt im erstern Falle Hymnen alle die Oden, die zum Preise der Gottheit, oder ausgezeichneter Menschen oder auch zur Verherrlichung erhabener (doch immer personificirt gedachter!) Gegenstände der geistigen oder körperlichen ─ 95 ─ Welt dienen; im letztern Falle aber bedenkt man nur diejenigen Oden mit dem Namen, deren Gegenstand das Lob Gottes ist. ─ Wir sind geneigt, die engere Bedeutung als die richtigere anzunehmen und dagegen die Gedichte, deren Gegenstand die Verherrlichung von etwas Außergöttlichem ist, nur Oden, nicht Hymnen zu nennen. Anmerkung. Man könnte zwar sagen, in den zum Preise erhabener Menschen oder Gegenstände dienenden Gedichten sollen nicht diese an sich, sondern nur das Göttliche in ihnen verherrlicht, also gewissermaaßen auch das Lob der Gottheit gefeiert werden: dadurch aber würde man jedenfalls die Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe um ein Bedeutendes erweitern. §. 137. Während in der Ode die Empfindungen ausströmen, die die Betrachtung des Großen und Erhabenen überhaupt erzeugt, findet der Dichter der Hymne in der unaussprechlichen Größe Gottes den Gegenstand, der ihn zur Begeisterung hinreißt, seine Seele zur Andacht und Anbetung stimmt. Da nichts mit solcher Gewalt auf das menschliche Gemüth zu wirken vermag, als die Betrachtung der Herrlichkeit Gottes, so wird die Hymne im Tone der höchsten Begeisterung gehalten sein und der Ausdruck in ihr einen noch höheren Schwung nehmen müssen, als in der Ode. Nur dann wird dies weniger der Fall sein (oft nur zu sein scheinen), wenn die bewundernde Begeisterung die Seele des Dichters über alle Erscheinungen und alle Schranken des irdischen Lebens so erhebt, daß sie von denselben nicht mehr berührt wird und sich in seliger Anschauung des Unendlichen ganz verliert ─ oder wenn sich neben die anbetende Bewun= ─ 96 ─ derung des Schöpfers das Gefühl eigner Ohnmacht, Sündhaftigkeit und Schwäche stellt. Dann wird die Hymne entweder den Charakter einer erhabenen Ruhe oder den elegischer Wehmuth an sich tragen. §. 138. Jn Rücksicht der Form ist dem Hymnen=Dichter völlige Freiheit der Wahl gestattet. Man hat sich nach dem besondern Charakter der einzelnen Hymnen der verschiedensten Versmaaße, häufig auch mit gutem Erfolg des Reims bedient. §. 139. Sieht man von der nicht unbedeutenden Zahl derjenigen unserer Kirchenlieder ab, die den Namen Hymne zwar nicht führen, aber doch mit gutem Recht verdienen, so finden sich im Deutschen verhältnißmäßig nur sehr wenige Hymnen. Namentlich ist die neueste Zeit arm daran. Aus dem vorigen Jahrhundert dagegen besitzen wir Nennenswerthes der Art von Gellert, Klopstock, Cramer und Lavater. §. 140. Zusatz. Zu den Hymnen werden ─ und zwar großentheils mit vollem Rechte ─ auch die Psalmen, die uns in der Bibel aufbehalten sind, gerechnet. Man hat den Namen auch auf deutsche Hymnen dann angewendet, wenn dieselben rücksichtlich ihres Stoffes in der mosaischen oder christlichen Religion wurzeln. IV . Die Rhapsodie. §. 141. Die Rhapsodie hat, in Rücksicht ihres Gegenstandes, entweder mehr den Charakter der Ode oder mehr den der Hymnen. Jhre unterscheidende Eigenthümlichkeit liegt darin, daß sie 1) ihrem Jnhalt nach nur als ein Bruchstück erscheint, indem sie ─ 97 ─ vorzugsweise eine Seite ihres Gegenstandes behandelt; 2) daß sie ihrer Form nach mit völliger Freiheit auftritt und bald diesen, bald jenen Rhythmus annimmt. Was wir an Rhapsodien Bedeutendes besitzen, findet sich in der, am Schluß unseres Werkes beigefügten Nachweisung angegeben. Anmerkung. Der Name Rhapsodie ist dem Griechischen entlehnt. Jn Griechenland pflegten nämlich die bei Festen oder sonst öffentlich auftretenden, wandernden Sänger, wenn sie Gedichte vortrugen, einen Stab oder einen Lorbeerzweig in der Hand zu halten und wurden deshalb Rhapsoden (Leute, die während des Singens einen Stab halten), ihre Gesänge Rhapsodien genannt. Da diese Gesänge meist Bruchstücke größerer, (namentlich homerischer) Gedichte waren, so nahm man später rhapsodisch gleichbedeutend mit bruchstückartig . V . Der Dithyrambus. §. 142. Der Dithyrambus war ursprünglich eine Hymne, die dem Bachus zu Ehren bei dessen Festen gesungen wurde. Später sang man auch das Lob anderer Götter in Dithyramben. Der eigentliche Dithyrambus erscheint nach Jnhalt und Form unter dem Einfluß des Bachus, oder vielmehr seiner Gabe, des Weins, gebildet. Aus ihm spricht eine Begeisterung, wie sie der Rausch erzeugt und der Rhythmus charakterisirt gewöhnlich die ungeregelte Bewegung des Trunkenen. §. 143. Von eigentlichen Dithyramben kann bei uns nicht die Rede sein: sie sind ihrem Gegenstand nach unserer religiösen Anschauungsweise und unsern Sitten gleich sehr entfremdet. Doch hat man, ─ 98 ─ und nicht mit Unrecht, den Namen auf diejenigen lyrischen Gedichte angewendet, die einer außergewöhnlichen, rauschähnlichen Begeisterung entströmt und in einer Form geschrieben sind, die, zumal in rhythmischer Hinsicht, die größte Freiheit und Lebendigkeit zeigt. §. 144. Unsere Literatur ist überaus arm in dieser Dichtungsart. Zwar hat man zuweilen versucht, Trinkliedern dithyrambische Gestalt zu geben ─ im Ganzen mit wenig Glück. Erwähnung verdienen die Dithyramben von Willanow, Friedrich (Maler) Müller, Voß und Schiller. VI . Die Cantate. §. 145. Die Cantate ist eine, aus Jtalien zu uns gekommene lyrische Dichtungsart, deren hervorstechende Eigenthümlichkeit in der unbedingten Bestimmung für die musikalische Darstellung besteht. Sie schildert in einer Reihe von Sätzen Empfindungen, die zwar an denselben Gegenstand geknüpft, aber an Art und Stärke doch sehr verschieden sind. Gewöhnlich läßt der Dichter die verschiedenen Empfindungen auch durch verschiedene Personen aussprechen und giebt dadurch der Cantate einen mehr oder weniger dramatischen Charakter. Doch darf das Gedicht seine lyrische Natur nie verleugnen. Wo darum die Cantate nicht nur die Gefühle schildert, die sich aus gewissen Vorgängen entwickeln, sondern wo sie vielmehr diese Vorgänge selbst dadurch vorführt, daß sie Personen handelnd auftreten läßt, da wird dies doch mit solcher Einfachheit geschehen, daß den Empfindungen ─ denn auf diese kommt es an! ─ ─ 99 ─ freier Spielraum bleibt. Ein Gleiches gilt von denjenigen Stellen des Gedichts, die epischen Charakters sind: sie dürfen das Lyrische nie in den Hintergrund drängen. Vor Allem hat aber der Dichter die musikalische Bestimmung der Cantate immer im Auge zu behalten. Er muß Alles fern halten, was sich für die Composition nicht eignet oder dieselbe erschwert, und dagegen Alles benutzen, was dieselbe erleichtern, ihren Werth erhöhen kann. §. 146. Die Haupttheile der Cantate sind: das Recitativ, die Arie und der Chor. Der Jnhalt des Recitativ's ist entweder erzählend, oder beschreibend, oder reflektirend; er bildet gleichsam die Basis der Gefühle, welche in der Arie und dem Chor zur Darstellung gelangen. Jn der Regel ist die Begleitung im Recitativ höchst einfach gehalten und der Gesang erscheint als eine musikalische Deklamation. Die Arie nähert sich am meisten dem Liede. Sie tritt fast immer mit dem Reim und häufig in Strophenform auf. Oft ist die Arie dialogisch gehalten, d. h. der Ausdruck der Gefühle findet, abwechselnd oder vereint, durch zwei, drei oder vier verschiedene Stimmen statt. ( Duett, Terzett, Quartett. ) Jm Chore vereinigen sich alle oder doch viele der darstellenden Personen, um ein Gefühl auszudrücken, das sie alle durchdringt. §. 147. Man unterscheidet geistliche und weltliche Cantaten. Wenn die geistlichen Cantaten im größeren Style religiöse, besonders aber biblische Stoffe behandeln, nennt man sie Oratorien. ─ Kleinere, einfache Cantaten nennt man wohl Can= ─ 100 ─ tatillen, Cantatinen, und wenn sie nur für Eine Singstimme mit schwacher Begleitung bestimmt sind, Cantatilenen. §. 148. Die Cantaten haben, wie fast alle die Poesien, bei welchen die hinzukommende Musik die Hauptrolle spielt, mit geringer Ausnahme, unter den namhaften Dichtern nur wenige Bearbeiter gefunden; deshalb ist ihr poetischer Werth durchschnittlich sehr gering. Merkwürdig genug haben die poetischwerthvollen Cantaten, die wir z. B. von Herder, Ramler u. a. besitzen, nur sehr mittelmäßige oder gar keinen Componisten gefunden. Die bloß in musikalischer Hinsicht ausgezeichneten Cantaten, resp . Oratorien &c. hier aufzuführen, kann nicht unsere Aufgabe sein. VII . Die Elegie. §. 149. Die Elegie stellt die Gefühle der Wehmuth dar, welche sich, bei Betrachtung von etwas Jdealem oder Jdealisirtem, aus dem Bewußtsein menschlicher Schwäche und Beschränkung erzeugen. Während die Ode das Gemüth über alle Schranken des irdischen Lebens in die Regionen des Unendlichen, Ewigen, Jdealen erhebt, zieht die Elegie das Jdeale, Unendliche in den Kreis irdischer Beschränkung und menschlicher Schwäche herab und läßt es nur in diesem Spiegel sehen. ─ Alles, was uns theuer war, dessen Verlust wir jedoch jetzt beklagen, so wie jedes Gut, nach welchem wir uns heiß, aber vergeblich sehnen, kann Gegenstand der Elegie sein. Es ist dabei nicht nöthig, daß das Beklagte oder Ersehnte ─ 101 ─ gerade etwas Uebersinnliches, wirklich Jdeales sei, auch gewöhnliche Dinge des Lebens können dem Elegien=Dichter zum Vorwurf dienen, doch werden dieselben immer idealisirt erscheinen. Denn es liegt in der Natur der Klage und der Sehnsucht, den beklagten oder herbeigesehnten Gegenstand in höherem, vollkommenerem Lichte zu sehen. Wenn der vorherrschende Ton der Elegie auch der der Wehmuth, des Schmerzes ist, so darf sich der Schmerz doch nie zur Leidenschaftlichkeit steigern, vielmehr muß das Gemüth ruhig bleiben und gleichsam in dem Ausdruck seiner Leiden selbst Trost, Freude, Genuß finden. §. 150. Der Umstand, daß die Elegien der Alten in Distichen geschrieben sind, hat Mehrere veranlaßt, ohne Rücksicht auf den Jnhalt, alle lyrischen Gedichte, die in dieser Form auftreten, Elegien zu nennen. Wir meinen mit Unrecht. Freilich entspricht das sogenannte elegische Versmaaß dem Charakter der Elegie vorzüglich gut, aber es bestimmt denselben nicht und kann (die Beweise liegen in ältern und neuern Gedichten vor!) auch für ganz andern, als elegischen Jnhalt gebraucht werden. Die moderne Elegie ist an kein besonderes Metrum gebunden, doch versteht es sich von selbst, daß das gewählte immer dem Jnhalt gemäß sein muß. Am angemessensten erscheinen, neben der von vielen Dichtern beibehaltenen antiken Form, fünffüßige Trochäen oder Jamben. §. 151. Die Elegie ist, wenn auch nicht mit besonderer Vorliebe, doch, zumal seit Klopstock, vielfältig und mit Erfolg angebaut worden. Viele der bessern Elegien haben eine (beziehungsweise!) allgemeine ─ 102 ─ Bekanntschaft erlangt. Welcher Freund der Poesie kennt nicht Hölty's: Selig alle, die im Herrn entschliefen &c., und: Schwermuthvoll und dumpfig hallt Geläute &c.; so wie Matthisson's: Schweigend, in der Abenddämm'rung Schleier &c. und Tiedge's Elegie auf dem Schlachtfeld bei Kunersdorf? Zum Theil noch ausgezeichneter, wiewohl leider! nicht durchaus so bekannt ist das, was Klopstock, Herder, Schiller, Göthe, Schubart, A. W. Schlegel, W. v. Humboldt, Hölderlin, Jmmermann, Rückert, Matzerath u. a. im elegischen Fache geleistet haben. Auch mehrere der schönsten Gedichte Freiligrath's, z. B. „die Auswanderer,“ „Wär ich im Bann von Mekka's Thoren,“ „die Tanne,“ „die Bilderbibel,“ „Odysseus,“ „der ausgewanderte Dichter,“ „bei Grabbe's Tod,“ „ein Flecken am Rhein,“ ─ glauben wir, wenn auch nicht alle ganz unbedingt, den Elegien beizählen zu dürfen. Anmerkung. Wie überhaupt die Dichtungsarten, zumal die lyrischen, in der Praxis nicht all zu häufig ganz streng gesondert erscheinen, sondern oft mannichfaltig in einander überspielen und sich verschmelzen, so finden sich namentlich auch viele elegieähnliche Lieder oder liederartige Elegien, z. B. bei Lenau, Eichendorf, Heine &c.; desgleichen auch Oden, Hymnen, Rhapsodien, ja auch Romanzen, Balladen &c., welche der Elegie wenigstens sehr nahe verwandt sind. Wenn ein Gedicht nur wirklich schön ist, schöne Form mit schönem Jnhalt verbindet, so braucht der Dichter desselben sich nicht darum zu kümmern, in welche Klasse es gehöre, ─ er kann ruhig und unbesorgt zusehen, wenn die Theoretiker ─ sich die Köpfe darüber zerbrechen. Man darf mit ihm darüber eben so wenig rechten, als die Naturforscher mit dem lieben Gott, wenn etwa eine Pflanze nicht ins Linn é e'sche System passen will. ─ 103 ─ VIII . Die Heroide. §. 152. Die Heroide ist in Hinsicht ihres Jnhalts der Elegie verwandt. Auch in ihr ist der Ton der Wehmuth vorherrschend; auch sie spricht entweder die Klage über einen erlittenen Verlust, oder den Schmerz vergeblicher Sehnsucht aus. Aber sie erscheint nicht, wie die Elegie, als subjektive Aeußerung des Dichters, sondern ist objektiv gehalten. Der Dichter läßt nämlich eine historische oder fingirte Person auftreten und dieselbe Empfindungen der Sehnsucht oder der Klage gegen eine andere Person aussprechen. Da die Person, an welche die Heroide gerichtet ist, meist entfernt, von der sprechenden getrennt ist (─ oft durch den Tod ─), so nimmt das Gedicht die Form der Epistel (siehe dieselbe!) an. ─ Das Versmaaß ist meist das sogenannte elegische, doch hat man sich auch längerer trochäischer oder jambischer Verse und zwar oft in Verbindung mit dem Reim bedient. Anmerkung. Der Name Heroide schreibt sich von Ovid her, da in dessen Heroiden ausgezeichnete historische Personen ( Heroen, Helden ) auftreten. Für uns ist, wie aus der obigen Charakteristik hervorgeht, die Benennung durchaus unmaaßgeblich. §. 153. Nur sehr wenige unserer Dichter haben sich in der Heroide versucht; unter diesen wenigen ragen hervor: Wieland, Kosegarten, Eschenburg und A. W. Schlegel (Neoptolemus an Diokles). IX . Das Gnomon. §. 154. Das Gnomon (so viel wie Sinnspruch, Maxime ) ist ein Gedicht, das einen sinn= ─ 104 ─ reichen Gedanken, der entweder eine Weisheitslehre, oder eine beachtungswerthe Bemerkung, Erfahrung enthält, möglichst kurz und in einer Form ausspricht, die dem Gedächtniß leicht zugänglich ist. Vom Epigramm (siehe §. 156!) unterscheidet es sich dadurch, daß es sich immer absolut hält, d. h. sich weder an ein äußeres Objekt knüpft, noch auf eine besondere Situation des Lebens bezieht, und daß es immer didaktischer Tendenz ist. Hat der Dichter zur Einkleidung das sogenannte elegische Versmaaß gewählt, so nennt man das Gnomon auch wohl kurzweg Distichon. Rückert und Andere haben es wohl als kleines Gedicht von 4 Zeilen erscheinen lassen und es danach mit dem Namen Vierzeile belegt. Der Dichter ist weder an die eine, noch an die andere Form gebunden, vielmehr steht ihm rücksichtlich der Wahl derselben völlige Freiheit zu. §. 155. Wir sind (die in größern z. B. dramatischen Dichtungen enthaltenen Sinnsprüche ungerechnet)reich an gehaltvollen Gedichtchen dieser Art; unter den Dichtern derselben verdienen Göthe, Herder, Schiller, Gleim, Lavater, Claudius, Tiedge, Rückert, Wilh. Müller &c. eine ehrenvolle Erwähnung. X . Das Epigramm. §. 156. Das Epigramm war, wie sein Name sagt, ursprünglich eine Aufschrift oder Jnschrift auf Denkmälern, bei welcher es dem Dichter darauf ankam, den Sinn oder die Bedeutung des Denkmals mit wenigen, aber scharf ─ 105 ─ bezeichnenden poetischen Worten zur Anschauung zu bringen. Später hat es diese Bestimmung verloren und man nahm als die wesentliche Eigenthümlichkeit des Epigramm's die, überhaupt einen sinnreichen, an ein bestimmtes Objekt geknüpften Gedanken in möglichster Kürze und vollendeter Form so vorzuführen, daß er überraschend und ergreifend wirkt. Soll das Epigramm den angegebenen Zweck erreichen, so muß der Gegenstand, auf welchen es sich bezieht, immer als bekannt vorausgesetzt werden können und die bloße Anführung des Namens oder höchstens ein paar, als Ueberschrift des Gedichts geltende Worte müssen hinreichen, das Bild desselben dem Leser vorzuführen. Viele unserer Epigrammdichter haben in dieser Hinsicht sehr gefehlt; sie knüpften nämlich ihren sinnreichen Gedanken an unbekannte, ja wohl gar an fingirte Gegenstände. Dadurch aber muß nothwendig die Wirkung des Epigramms geschwächt werden. Dasselbe kann wohl überraschen, aber nicht ergreifen. Will man aber den Werth des Epigramms bloß darein setzen, daß es erst die Aufmerksamkeit spannen und dann dieselbe überraschend befriedigen soll, so weis't man es in eine ziemlich niedere Spähre. Wir haben es zu beklagen, daß sich die meisten unserer Epigrammdichter in dieser Spähre bewegen. Sie haben nicht nur das ernstgehaltene Epigramm sehr wenig kultivirt und dagegen fast nur das witzig=satyrische, das allerdings ihrem speziellen Zweck am besten genüget, angebaut, sondern sind auch bei diesem in den eben gerügten Fehler gefallen: sie bezogen sich nicht auf gegebene ─ 106 ─ Verhältnisse und Persönlichkeiten, sondern machten die Fälle zu ihren Witzen und setzten so gleichsam das Denkmal um der Jnschrift willen. Dadurch entzogen sie ihren Scharfsinn und Witz freilich der Controlle, die nur möglich ist, wenn der Name oder die Sache, auf welche sich derselbe bezieht, eine öffentliche, allgemein bekannte ist, ─ aber ihre Dichtung mußte auch alles Jnteresse und damit die Wirkung verlieren. Wie ganz anders ist das, wenn sich das Epigramm auf allgemein bekannte Gegenstände bezieht, wenn es z. B. als Grabschrift eines allgemein bekannten Mannes dient! Als solche zieht es die Summe, das Facit eines ganzen Lebens und war dieses ein verkehrtes, so steht es mit seiner satyrischen Spitze auf dem ernsten Monument, das an die menschliche Nichtigkeit ohnehin erinnert, mit ergreifender Wirkung. Wie viel schwindet aber von dem grundtiefen Jnhalt, dessen eine solche Grabschrift fähig ist, wenn der Todte ein bloß fingirter, moralischer Charakter von allgemein typischem Schlage ist. Anmerkung. Jm Obigen haben wir uns ganz und zum Theil wörtlich dem angeschlossen, was Gervinus im dritten Bande seiner Literaturgeschichte über das deutsche Epigramm bemerkt. §. 157. Auch für das Epigramm hat man sich des sogenannten elegischen Versmaaßes häufig bedient und auf dasselbe dann ebenfalls den Namen Distichon angewendet. Doch sind auch andere Formen viel gebraucht, namentlich auch der Reim oft angewendet worden. §. 158. Als die vorzüglichsten Epigrammdichter ─ 107 ─ gelten: Opitz, Weckherlin, Gryphius, Logau, Wernicke, Klopstock, Lessing, Kästner, Hagedorn, Herder, Bürger, Göckingk, Göthe, Schiller, Kretschmann, Haug, W. Müller, Rückert und Platen. §. 159. Eine besondere literarische Bedeutung haben die Epigramme gewonnen, die Göthe und Schiller unter dem Namen Xenien erscheinen ließen. Diese „ Gastgeschenke “ sprachen nicht nur allgemeine, sehr feine und treffende Bemerkungen über bekanntere Gegenstände der Kunst, der Literatur und des Lebens aus, sondern gaben namentlich durch den Spott und die Satyre, die sie über schlechte Autoren ausgossen, Anlaß zu einer sehr bedeutenden literarischen Aufregung, die sich in bittern Federkriegen Luft machte. Sofern sie insonderheit der oben ausgesprochenen Forderung genügen und sich nur auf öffentliche, bekannte (oder doch damals als bekannt vorauszusetzende) Gegenstände beziehen, sind sie als Musterepigramme aufzustellen, obwohl rücksichtlich der Form, mitunter auch des Jnhalts und des Tones, ihnen mancher Vorwurf zu machen ist, den auch leicht hingeworfene Produkte so ausgezeichneter Dichter sich nicht sollten machen lassen. Namentlich in neuester Zeit haben diese Göthe-Schiller 'schen Xenien manche, zum Theil recht glückliche Nachahmung gefunden. XI . Die Satyre. §. 160. Die Satyre ist ein, von Witz und Laune belebtes Gedicht, das entweder im Tone ernster Rüge die sittlichen Gebrechen ─ 108 ─ der Zeit von ihrer verderblichen, oder die weniger schädlichen Schwächen, Thorheiten und kleinlichen Bestrebungen derselben von ihrer lächerlichen Seite darstellt. Es giebt also eine ernste und eine scherzhafte oder komische Satyre. Die Satyre, sei sie nun ernst oder komisch gehalten, hat immer didaktische Zwecke: sie will beschämen, strafen, bessern oder warnen. Damit sie ihre poetische Sendung erreiche, ist richtige Wahl und dann richtige Auffassung und Darstellung des Stoffes besonders nöthig. §. 161. Was den Stoff an sich betrifft, so muß sich der Dichter zunächst klar sein, daß er wirklich vor das Forum der Satyre gehöre, daß er weder über, noch unter dem Horizonte derselben liege. Ueber dem Horizonte der Satyre liegen wirkliche Laster und Verbrechen: sie verlangen höhere, schneidendere, wirksamere Waffen, als die Poesie zu bieten vermag. Als unter dem Horizonte des satyrischen Gedichts liegend, sehen wir das an, was so unbedeutend und unbekannt oder gar so gemein ist, daß sich die Dichtkunst durch seine Bekämpfung nur entehren würde. Die meisten deutschen Satyriker haben sich namentlich den letztern Fehler zu Schulden kommen lassen ─ sie bewegen sich großentheils in einer zu niedern, zu geringen Spähre. Zum Beleg dieser Behauptung erinnern wir nur an Rabener, den man gewohnt ist, als einen unserer bedeutendsten Satyren-Dichter zu betrachten. Was er bekämpft, „gehört der Oeffentlichkeit gar nicht an, sondern den Kaffeegesellschaften, Schenken, höchstens den Casinos seiner Zeit; es wird ─ 109 ─ durch Umstände und Verhältnisse bestimmt, durch keinen Spott gebessert.“ ( Schlosser, Gesch. d. 18. Jahrhunderts.) Aber über welche Feinde soll der Dichter die satyrische Geißel schwingen? Unsere unmaaßgebliche Antwort geht dahin, daß die ernste Satyre allgemein verbreitete, entweder offen daliegende oder doch leicht nachzuweisende sittliche Gebrechen der Zeit in ihrem, das wahre Wohl untergrabenden Einflusse darzustellen, oder solche bedeutende Personen, die durch Lehre oder Wandel weithin Verderben wirken, an den Pranger zu stellen habe. Die komische Satyre dagegen hat sich besonders an die weitverbreiteten Thorheiten und Schwächen, verkehrten Ansichten und Meinungen, die zwar nicht gerade verderblich wirken, aber doch immer lächerlich machen und vernunftwidrig sind, zu halten, mögen sich diese nun als allgemeine Zustände oder in einer einzelnen Person repräsentiren. §. 162. Jn Hinsicht der Auffassung und Darstellung des gewählten Gegenstandes hat man gewöhnlich als Hauptforderung hingestellt, daß die Satyre die Sache treffe, nicht die Person. Sofern der Gegenstand ein Zustand, ein allgemein verbreitetes Uebel ist, leidet das natürlich keinen Zweifel. Muß aber ─ wie häufig ─ die Satyre gewisse Personen als die Repräsentanten oder Urheber der gerügten Gebrechen oder Schwächen &c. ansehen, so hat dieser Satz nur bedingte Gültigkeit. Wir möchten uns daher lieber so ausdrücken: Die Satyre muß, auch wenn sie die Person geißelt, dabei doch stets die Sache im Auge haben; ─ es muß aus der ganzen Haltung des Gedichts ─ 110 ─ und aus seinen Einzelheiten hervorleuchten, daß es dem Verfasser lediglich um die Sache, um die Bekämpfung oder Strafung der von ihm gerügten Uebel oder Fehler zu thun sei; diese jedoch muß er natürlich da angreifen, wo sie sich finden, also auch in der betreffenden Person, wenn er nicht durch Hiebe in's Blaue hinein sich selbst lächerlich machen will. Wo das Gedicht sich aber nur gegen die Person richtet, wo es nur auf deren Herabsetzung, Entwürdigung ankommt, wo man zu diesem Zweck wohl gar der Person unverschuldete Gebrechen vorwirft oder ihr Fehler und Vergehungen andichtet ─ da ist es nicht Satyre, sondern Pasquill und muß den poetischen Genuß vergällen. Vermeidet der Dichter diese Klippe, so ist jedenfalls der persönlich gemeinten Satyre der Vorzug zu geben, da die allgemein gehaltene nur zu leicht in eine Windmühlenschlacht à la Don Quixote ausläuft ─ „der Satyriker ficht mit Luftgebilden, wenn er Thorheiten schlagen will und seine Hiebe nicht auf die leibhaften Thoren fallen läßt.“ §. 163. Zur wirksamen Darstellung des Gegenstandes ist ferner nöthig, daß der Dichter sich vor entstellenden Uebertreibungen hüte, denn sonst wird die Satyre zur Carricatur und erregt Ekel und Widerwillen. Man muß dem Dichter aus jeder Zeile Eifer für Wahrheit und Recht abfühlen: sein Spott darf nie in Verleumdung, sein Hohn nie in Schadenfreude übergehen. ─ Endlich muß der Satyriker vorsichtig bei Verwendung des Witzes sein. Derselbe muß als natürlich, ungesucht erscheinen; man darf nicht jeder Zeile anmerken, daß sie witzig sein soll. Ueberhaupt hat sich gerade der Satyriker auch sehr vor gewissen ─ 111 ─ Manieren in der Darstellung zu hüten. So erhalten viele unserer, zum Theil berühmten Satyren dadurch etwas Widerliches, daß in ihnen die direkte Jronie, wonach man das Tadelnswürdige lobt und das Lobenswürdige tadelt, zu viel angewendet ist. §. 164. Die Satyre kann nicht nur als lyrisches, sondern auch als dramatisches oder episches Gedicht (als Lustspiel, Erzählung, Fabel, Brief &c.) in metrischer, wie in prosaischer Form auftreten. Wenn wir sie als lyrische Dichtungsart aufführen, so geschieht dies, weil sie in jedem Falle als subjektive Aeußerung des Dichters erscheint. Wo sie, als eigentlich lyrisch, metrischer Formen bedarf, hat man meist den gereimten Alexandriner, die Stanze, das Sonett und den Hexameter angewendet; doch sind andere Formen natürlich nicht ausgeschlossen. §. 165. Wenn wir über die Leistungen deutscher Dichter auf dem Felde der Satyre berichten sollen, so können wir kurzweg sagen: wir haben viele Satyriker, aber wenig Satyren. Was man bei uns so nennt, verdient mit wenigen Ausnahmen den Namen nicht. Das liegt nicht an unsern Dichtern, sondern wird durch unsere Verhältnisse herbeigeführt. Die Dichter müssen es ja scheuen, „die Größe, den Glanz, die den großen Haufen blenden, falsche Anmaaßung und leeren, eitlen Schein zu verhöhnen“ und „die eigentlichen Feinde der Menschheit, die Leute, welche ganz ungescheut der öffentlichen Meinung Hohn sprechen dürfen,“ Schlosser am angeführten Orte. mit ihrer satyrischen Ruthe zu ─ 112 ─ geißeln, wenn sie dafür auf Veranlassung derselben „Größen“ zwar nicht wieder mit Dichterwaffen gezüchtigt, aber mit Skorpionen gepeitscht werden. Diese Umstände haben denn die Folge gehabt, daß bei uns, statt des ehrlichen literarischen Kampfes, der gehässige literarische Meuchelmord dienende Herzen und Hände fand. Die verdeckten, verkappten, lichtscheuen Angriffe fanden Pflege: was konnten sie anders wirken, wenn sie überhaupt wirkten, als Haß, Bitterkeit und Rache? Wir brechen ab von diesem unleidigen Thema und schließen unsere Bemerkungen mit der Aufführung der wichtigsten unserer neuern sogenannten Satyriker. Es sind: Liscow, Rabener, Hagedorn, Lichtenberg, F. Stollberg, Wieland, Voß, Göthe, Falk, Jean Paul Fr. Richter, A. W. Schlegel, Tieck, Hauff, Jmmermann, Börne, Gutzkow, Griesinger u. a. XII . Die poetische Epistel. §. 166. Die poetische Epistel basirt zwar ihren Jnhalt auf den individuellen Beziehungen, in welchen der Dichter zu der Person steht, an welche der Brief (scheinbar zunächst) gerichtet ist, doch stellt sie denselben so dar, daß die empfangende Person gewissermaaßen als Repräsentant der ganzen Menschheit erscheint. Sofern die poetische Epistel immer subjektive Aeußerung des Dichters ist, wird sie vorzugsweise lyrischer Natur sein; aber sie kann auch ─ wie jeder gewöhnliche Brief ─ epischen oder didaktischen Charakter annehmen. ─ 113 ─ Da die persönlichen Verhältnisse zwischen dem Dichter und dem (vorgeblichen) Empfänger, wie schon bemerkt, die Grundlage des ganzen Gedichts bilden, so ist vor Allem nöthig, daß diese klar, allgemein verständlich heraustreten. Dabei müssen dieselben aber auch mehr oder weniger allgemein wichtig, mindestens allgemein interessant sein oder doch vom Dichter dazu gemacht werden. Je nach dem Jnhalt der Epistel wird der Ton derselben bald einfach vertraulich, bald scherzend und launig, bald ernst und gemessen, bald satyrisch gehalten sein. Jst das Gedicht vorzugsweise didaktischer Tendenz, so darf es doch nie die Gestalt einer erschöpfenden Abhandlung annehmen, sondern muß immer nur als eine freiere, die unterhaltenden interessanten Seiten hervorhebende Skizze erscheinen. Rücksichtlich der Form gelten keine bestimmten Vorschriften. Man hat bisher meist längere jambische oder trochäische, doch nicht strophisch=abgetheilte Verse, so wie auch den Alexandriner und Hexameter angewendet. §. 167. Die poetische Epistel ist eine Dichtungsart, die ihre Periode hatte. Wenigstens hoffen wir, nie wieder poetische Episteln in solcher Zahl und so unerquicklicher Gestalt kultiviren zu sehen, als es gegen die Mitte und das Ende des vorigen Jahrhunderts zumal von norddeutschen Dichtern geschah. Aus der Menge dieser Epistelndichter nennen wir nur die bekanntern Namen eines Gleim, Pfeffel, Wieland, Göckingk, Tiedge und Göthe. Die Leistungen der drei letztgenannten gelten mit Recht als die besten in diesem Fache. ─ 114 ─ XIII . Das Lehrgedicht (im engern Sinne ). §. 168. Nicht jedes Gedicht, mit welchem didaktische Tendenzen verbunden werden, erhält deshalb den Namen Lehrgedicht. Jm engern Sinne wenigstens können nur diejenigen Gedichte so genannt werden, welche sich in einer ganzen Reihe von Entwickelungen und Betrachtungen über einen Gegenstand verbreiten und die Belehrung als Hauptzweck vorwalten lassen. Jeder, die höheren oder auch nur gewöhnliche Jnteressen der Menschheit berührende Gegenstand kann Objekt des Lehrgedichts werden; nur muß derselbe auch das Gefühl oder die Phantasie, nicht bloß den Verstand ansprechen. Es wäre z. B. thöricht, einen reinmathematischen Gegenstand zum Vorwurf eines Lehrgedichts zu machen. Unter welchen Bedingungen das Lehrgedicht, wie alle Gedichte didaktischer Tendenz überhaupt, poetisch zulässig sei, darüber haben wir uns bereits in §. 116 ausgesprochen. Der Umstand, daß mit dem Lehrgedicht nicht noch besondere Zwecke (wie z. B. mit der Satyre) verbunden werden, daß es sich vielmehr im Kreise des Allgemeinen hält, macht eine um so strengere Aufmerksamkeit des Dichters in Rücksicht des poetischen Elements nöthig. Wie sehr er auch den logischen Zusammenhang zu beachten und klare Entwickelung der Gedanken zu erzielen hat, so muß er doch immer mehr auf das Gefühl, als auf den Verstand zu wirken suchen. Dadurch allein vermag er dem Gedichte poetischen Werth zu geben, ─ 115 ─ während es sonst zu einer, höchstens schön klingenden, aber trocknen, kalten Moralpredigt oder nüchternen Auseinandersetzung herabsinkt. §. 169. Zu den Lehrgedichten zählen wir auch diejenigen Gedichte, die beschreibend oder schildernd einen äußern, sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand so behandeln, daß sie nicht sowohl, wie die §. 130 angeführten Naturlieder als lyrischer Erguß, sondern vielmehr als ein, Belehrung bezweckendes poetisches Gemälde erscheinen und deshalb wohl beschreibende Gedichte genannt werden. Von diesen müssen wir vor allem fordern, daß Gegenstand und Beschreibung geeignet seien, die Phantasie anzuregen; denn nur dadurch vermögen sie sich in der Region der Poesie zu erhalten, aus der sie andernfalls unfehlbar in das Reich der Prosa hinabsinken. Für die Lehrgedichte sind mancherlei Formen gebraucht worden; doch hat man sich vorzugsweise des Alexandriners oder längerer jambischer Verse bedient; strophische Abtheilung derselben ist jedoch dabei nicht beliebt worden. §. 170. Das Lehrgedicht, dem früher oft ganze Zeitalter ausschließlich huldigten, ist in neuerer Zeit verhältnißmäßig wenig angebaut worden. Jndem wir in Rücksicht der ältern Produkte dieser Gattung unsere Leser auf die Literaturgeschichte verweisen, führen wir nur die bedeutendsten derjenigen Dichter auf, die seit Haller sich im Lehrgedicht versucht haben. Dahin gehören: Haller, Uz, Gleim, Bodmer, Lichtwer, ─ 116 ─ Gellert, Kästner, Dusch, Lessing, Herder, Wieland, Schiller, Tiedge (Urania), Rückert, Schefer, Fr. v. Sallet. ─ Jn der poetischen Beschreibung hat sich namentlich auch Freiligrath als Meister bewiesen. Zweiter Abschnitt . Epische Poesie. §. 171. J n der Einleitung zu der Lehre von den Gattungen der Dichtkunst haben wir uns (§. 113) bereits im Allgemeinen über das Wesen der epischen Poesie ausgesprochen. Die folgenden Bemerkungen schließen sich, als erläuternd, dem dort Gesagten an. Während es die Lyrik fast nur mit der Darlegung des innern Menschen zu thun hat, haben die epische und die dramatische Poesie die Aufgabe, den nach außen wirkenden Menschen und das Verhalten desselben bei allerlei Einwirkungen von außen darzustellen. Wenn uns mittelst solcher Darstellung oft auch die tiefsten Blicke in das Jnnere der handelnden und duldenden Personen eröffnet werden, so ist das weder der alleinige, noch der nächste Zweck ─ unser Gemüth wird vorzugsweise durch die That ergriffen und festgehalten. ─ Das Drama führt die Handlungen und Begebenheiten als gegenwärtig, als sich vor unsern Augen ereignend vor; in der Epik dagegen werden sie als schon vergangen erzählt. Zwar bedient sich der Epiker zu größerer Belebung der Darstellung ausnahmsweise zuweilen auch wohl ─ 118 ─ der gegenwärtigen Zeit als Sprachform, doch ist im Grunde auch dann die Vergangenheit gemeint. Die Wirkung der epischen Poesie beruht zunächst im Stoffe selbst. Deshalb wird sich gerade bei den epischen Dichtungsarten als wesentlichste Forderung die herausstellen, daß sie einen geeigneten, beziehungsweise wichtigen oder doch jedenfalls interessanten Stoff behandeln, und zwar in einer, diesem Stoffe und dem guten Geschmacke entsprechenden Weise. §. 172. Den Stoff der epischen Poesie bildet immer eine, entweder wirklich geschehene, oder vom Dichter erfundene, meist unter menschlicher Mitwirkung erfolgte Begebenheit. Wenn der Dichter die erzählte Handlung unter dem Einfluß übernatürlicher Mittel, unter Einwirkung höherer Wesen vor sich gehen ─ mit andern Worten das Wunderbare als Maschinerie eintreten läßt, so ist das der Regel nach nur dann zu billigen, wenn solcher Einfluß und solche Einwirkung auf menschlichen Glauben oder Aberglauben beruht; ─ der Dichter darf, wenn auch mitunter aus den Kreisen des Menschenlebens, doch nie aus denen menschlicher Vorstellung heraustreten. §. 173. Da keine Begebenheit, zumal wenn sie eine ausgedehntere ist, isolirt für sich dasteht, sondern immer andere, wenn auch minder wichtige Begebenheiten im Gefolge führt, so hat der Dichter ferner darauf zu sehen, daß die Hauptbegebenheit zu den neben= oder untergeordneten Begebenheiten (gewöhnlich Episoden genannt) in richtiges Verhältniß komme. ─ 119 ─ Es versteht sich von selbst, daß die Hauptbegebenheit als solche, der Stoff als eine Einheit heraustrete. Die eingeflochtenen oder begleitenden Episoden dürfen das Jnteresse an der Hauptbegebenheit nicht beeinträchtigen; sie müssen vielmehr geeignet sein, dasselbe zu heben und zu steigern. Das wird geschehen, wenn sie mit der Haupthandlung zusammenhängen, als Ursachen, Veranlassungen, Wirkungen oder Folgen derselben erscheinen; wenn sie die Entwickelung nicht stören, sondern nur naturgemäße Ruhepunkte in dieser ausfüllen. ─ Dasselbe gilt von den etwa eingeschalteten Charakterschilderungen und Beschreibungen der Gegenstände, die mit dem Hauptinhalt verflochten sind. Wie sich schon aus dem Obigen ergiebt, ist für den epischen Dichter eine Hauptaufgabe, daß er das Jnteresse gleichmäßig vertheilt. „ Des Epikers Zweck liegt im Ganzen. “ Wir sollen nicht ungeduldig zum Ziele eilen, sondern mit Ruhe bei jedem Schritte verweilen. Es kann also bei der epischen Poesie nicht auf einzelne, beherrschende Glanzpunkte abgesehen sein, sondern die einzelnen Theile müssen für sich eine gewisse Selbstständigkeit behaupten. Nur auf die kleineren Arten der Epik finden diese Regeln weniger Anwendung. §. 174. Zur epischen Poesie gehören 1) die Fabel; 2) die Allegorie, die Parabel und die Paramythie; 3) die poetische Erzählung; 4) die Legende; 5) das Mährchen und die Sage; 6) die Jdylle; 7) die Romanze und die Ballade; 8) das Epos; 9) der Roman und die Novelle. ─ 120 ─ I . Die Fabel. §. 175. Fabel heißt im allgemeinern Sinne überhaupt eine Begebenheit, eine Handlung. So nennt man die einer dramatischen oder epischen Dichtung zu Grunde liegende Handlung oder Begebenheit Fabel. Jm engern Sinne, als Dichtungsart, ist die Fabel die Veranschaulichung einer allgemeinen Jdee, meist einer Weisheits= oder Klugheitsregel durch eine erdichtete, als vergangen erscheinende Handlung, in welcher willenlose Wesen, vorzugsweise aber Thiere den Menschen repräsentiren. „Die Fabel ist in Hinsicht ihrer Auffassung allegorisch, nach ihrem Zwecke didaktisch, in Rücksicht ihrer Darstellung episch. “ Was zunächst die letztere angeht, so hat es der Dichter dabei nur mit der Vorführung des Faktischen zu thun, da eine Charakterzeichnung der handelnd eingeführten Wesen nicht nöthig ist, indem jedes derselben seine bestimmt ausgeprägte und als bekannt vorauszusetzende Eigenthümlichkeit hat, welche Eigenthümlichkeit zugleich die der ganzen Gattung ist. Wenn dieser Umstand einerseits die höchste Einfachheit der Handlung bedingt, so macht er anderseits auch eine Klarheit, Gedrungenheit und Bestimmtheit derselben möglich, die sich auf anderem Wege schwerlich so leicht erreichen läßt. Hauptsache ist nun, daß die fingirte Handlung der Fabel derjenigen möglichst analog sei, deren Sinnbild und Spiegel sie sein, auf welche sie Beziehung, Anwendung leiden, für welche sie zur Lehre dienen soll. ─ 121 ─ Je mehr dieses der Fall ist, je mehr die Handlungen der repräsentirenden Geschöpfe den Handlungsweisen der Menschen sich nähern, ─ je größer wird die Wirksamkeit der Fabel sein. §. 176. Der didaktische Zweck der Fabel muß aus der Erzählung unmittelbar selbst hervorspringen; eine besondere und ausführliche Aufführung der beabsichtigten Lehre halten wir für verwerflich. Wo sie stattfindet, erscheint sie entweder als überflüssig und schwächt den Eindruck, oder ─ sie legt Beweis von der mangelhaften Bearbeitung des Faktums ab. Dagegen ist eine leise Andeutung in einzelnen Fällen nicht nur zulässig, sondern für die Schwächeren an Verständniß auch wohl nothwendig. §. 177. Die Lehre der Fabel wird Moral genannt. Doch ist damit keineswegs gesagt, daß die Fabel immer eigentlich moralischer Tendenz sein müsse. Sie stellt vielmehr ─ gleichsam „ eine poetische Verkörperung des Sprichworts ─ frei von jeder religiös=dogmatischen, oder nationalen oder standesmäßigen Beziehung und Beschränkung, die allgemeinste Regel der Sitte und des Verkehrs fest und das giebt ihr den populären Charakter und den allgemeinen Werth.“ ( Gervinus. ) §. 178. Es wird der Bemerkung kaum bedürfen, daß der Ausdruck der Tendenz der Fabel entsprechen und sich durch Einfachheit, Kürze und Bestimmtheit auszeichnen muß. Bestimmte Formen sind übrigens dabei nicht vorgeschrieben; die Fabel kann eben so wohl metrisch, als prosaisch, dialogisch oder erzählend gehalten sein. Die meisten Fabeln sind jedoch ─ 122 ─ in Versen, und zwar großentheils in längeren jambischen und mit Anwendung des Reims geschrieben. §. 179. Die Fabel ist aus dem Alterthume zu uns herüber gekommen, und durch vielfache Pflege ganz volksthümlich geworden. Sie hat zu allen Zeiten eine Art Grundlage und Mittelpunkt unserer didaktischen Poesie gebildet. ─ Jn rein abgetrennter Behandlung finden wir sie zuerst in dem Edelstein des Bonerius (um 1340). Später wurde sie durch Hans Sachs, Burkhard Waldis, Erasmus Alberus kultivirt. Jm siebzehnten Jahrhundert nur wurde sie gänzlich vernachlässigt. Aber als La Motte und Lafontaine in Deutschland eingeführt wurden, erhielt sie neuen Schwung, namentlich durch Hagedorn. Diesem folgten die Autoren der bremischen Beiträge, unter denselben namentlich Giseke, Ebert, J. A. Schlegel, Zachariä und vor allen Gellert. Außer diesen sind noch zu nennen: Lichtwer, Gleim, Willamow, Pfeffel und Lessing. Seit durch Göthe's und Schiller's dramatische Leistungen die epische Poesie, mit Ausnahme einiger andern Arten derselben, in den Hintergrund geschoben, gewissermaaßen besiegt wurde, hat die Reproduktion der Fabel, bis auf wenige vereinzelte Erscheinungen, z. B. von Hey und Fröhlich, aufgehört. II . Die Allegorie, die Parabel und die Paramythie. §. 180. Die Allegorie. Jm Allgemeinen versteht man unter Allegorie die Andeutung, Bezeichnung einer Sache durch eine andere, ihr ähnliche. Jm engern Sinne nennt man Allegorien diejenigen ─ 123 ─ Produkte der Kunst, welche eine abstrakte Vorstellung, eine Jdee versinnlichen, verkörpern sollen. Als Erzeugniß der Poesie insbesondere bezeichnet Allegorie ein Gedicht, das einen übersinnlichen Gegenstand unter einem ihm vollkommen entsprechenden Bilde, das entweder ein einfaches, oder ein, aus mehreren einzelnen Bildern zusammengesetztes sein kann, schildert, versinnlicht. §. 181. Die Versinnlichung ist entweder eine unmittelbare oder eine mittelbare. Eine unmittelbare Versinnlichung findet statt, wenn der Dichter den übersinnlichen Gegenstand als ein sinnliches Wesen erscheinen läßt, wenn er ihn verkörpert, personificirt. (Personificirende Allegorie.) Mittelbar nennen wir die Versinnlichung, wenn Gegenstände der Wirklichkeit als Träger oder Sinnbilder der darzustellenden Jdee vorgeführt werden und zwar entweder dadurch, daß die menschliche Empfindungs=, Denk= und Thatkraft auf Naturgegenstände übergetragen wird ( anthropomorphische Allegorie ); oder dadurch, daß man an die Stelle des Hauptbildes ein Gegenbild setzt, welches das erstere versinnlicht ( metaphorische Allegorie ). Allegorie als Oberkategorie der metaphorischen Allegorie (=Metapher, in diesem Fall) (Begriffsabgrenzung); (metaphorische) Allegorie wird als genuines Mittel der Poesie verstanden (siehe Kontext) Die personificirende Allegorie hat ─ mit wenigen Ausnahmen ─ nur dann Werth, wenn die Verkörperung eine bereits allgemein angenommene, durch vielfachen Gebrauch anschaulich gewordene ist. Sobald die Personifikation nur ein neues Gebilde der dichterischen Phantasie ist, geräth die Allegorie in Gefahr, aus der Abstraktion in die Abstraktion zu führen, statt dieselbe sinnlich=faßlich zu machen. ─ 124 ─ §. 182. Die Allegorie erscheint entweder als ein für sich bestehendes, selbstständiges Gedicht, oder sie bildet einen Theil eines größern Gedichts, von welchem sie jedoch getrennt werden kann, unbeschadet ihres innigen Zusammenhanges mit dem Ganzen und ohne daß sie deshalb als Fragment erscheint. (Wir erinnern an die drei Ringe in Lessing's Nathan!) Größere, allegorisch=gehaltene Gedichte, wie Reinecke Fuchs u. a., belegt man in der Regel nicht mit dem Namen Allegorien. Eben so wenig wendet man den Namen auf diejenigen Gedichte an, die zwar allegorischer Tendenz sind, aber nicht im epischen Gewande auftreten. Eine große Menge lyrischer Poesien sind der Art. Jn Rücksicht der Form steht dem Dichter völlig freie Wahl zu, auch die Prosa kann mit Erfolg gebraucht werden. §. 183. Die Parabel. Die Parabel stimmt insofern mit der Fabel überein, als sie auch nur Veranschaulichung eines allgemeinen Satzes durch einen erdichteten Fall ist. Doch unterscheidet sie sich von derselben in folgenden Punkten: 1) erscheint die Handlung, der erdichtete Fall in der Parabel nicht, wie bei der Fabel, bestimmt, individuell, sondern unbestimmt. (Die Handlung tritt in der Parabel als Gleichniß auf, woran der allgemeine Satz klar gemacht, bewiesen werden soll. Das stellt unstreitig die Parabel in nähere Verwandtschaft zur Allegorie.) 2) gehört die, durch diesen Fall veranschaulichte Wahrheit dem Gebiete des höheren Seelenlebens an; woraus 3) folgt, daß nicht Thiere &c., sondern ─ 125 ─ Menschen selbst handelnd eintreten werden, was endlich 4) Rücksicht auf Zeichnung der Charaktere und besondere Aufmerksamkeit auf den Ausdruck bedingt. Was den letzteren insonderheit angeht, so ist zwar seine Form ganz von des Dichters Belieben abhängig, doch wird er, dem Wesen der Parabel gemäß, vorzugsweise das Gemüth ansprechen und möglichst edel gehalten, würdig sein müssen. §. 184. Die Paramythie. Die Paramythie ist als Nebenart der Parabel anzusehen. Jhre unterscheidende Eigenthümlichkeit besteht darin, daß sie höhere Wesen, Gegenstände des christlichen Glaubens oder der Mythologie, handelnd einführt. Die meisten Paramythien haben ihren Stoff der griechischen Mythologie entnommen. Da der Zweck der Paramythien mit dem der Parabeln ganz übereinstimmt, und auch bei ihnen Veranschaulichung einer höhern Wahrheit die Hauptsache ist, so muß es dem Dichter frei stehen, den gewählten Stoff seinen besondern Absichten entsprechend abzuändern. Die Form der Paramythie ist ebenfalls keinen besondern Bestimmungen unterworfen; wie bei der Parabel hat man sich auch bei ihr häufig der Prosa bedient. §. 185. Obwohl die allegorische Tendenz sich durch ganze Perioden unserer Literaturgeschichte als rother Faden zieht, so haben wir eigentliche Allegorien doch erst in neuerer Zeit erhalten. Auch die Parabel, deren schönste Muster die heilige Schrift vorführt, und die Paramythie wurden erst spät angebaut. Nur sind die sogenannten „zufälligen Andachten“ des alten Ascetikers Chr. Scriver (geboren 1629) voll der ─ 126 ─ herrlichsten Gleichnisse, von denen auch nicht ganz wenige dem mit dem Worte Parabel bezeichneten näheren Begriffe vollkommen entsprechen. Unter den neueren Dichtern glänzt in dieser Beziehung vor allen Herder. Neben und nach ihm haben Krummacher, Schiller, Göthe, Andreä, Bürger, Rückert, Nonne, Agnes Franz, Schwarz u. a. mehr oder weniger Bedeutendes geleistet. III . Die poetische Erzählung. §. 186. Erzählung überhaupt ist die sprachliche Darstellung einer Begebenheit nach ihrem Verlauf und ihren einzelnen Umständen. Verstandesmäßige Begründung und Verknüpfung der Begebenheit und klare, leichte Darstellung derselben sind die Forderungen, die man an eine gute, nichtdichterische Erzählung macht. Das Wesen der poetischen Erzählung beruht einestheils in der lebendigern, vorzugsweise auf die Phantasie berechneten, darum anschaulichern, idealern Auffassung, anderntheils in der schönern, vollendetern Darstellung einer mehr oder weniger einfachen, wirklich geschehenen oder erfundenen Begebenheit. Die poetische Erzählung kann gewissermaaßen als die Grundlage aller epischen Dichtungsarten angesehen werden; sie ist auch ─ mehr als irgend eine andere ihrer Gattung ─ mit allen sehr nahe verwandt. Daher sind die Gränzen ihres Gebiets sehr schwer zu ziehen. Was wir als ihre wesentliche Eigenthümlichkeit ansehen, wird sich durch eine nähere Erläuterung des oben Gesagten herausstellen. Die ─ 127 ─ poetische Erzählung stellt eine einfache, dem gewöhnlichen Lebenskreise entnommene Begebenheit ernsten oder komischen Charakters dar. Große Verwickelung, Episoden (im gewöhnlichen Sinne des Worts), wie sie sich beim Epos finden, sind bei ihr nicht zulässig. Ferner: die geschickte Vorführung eines interessanten Faktischen ist bei ihr Hauptsache. Sie will weder belehren, wie die Fabel und die Parabel; noch vorzugsweise das Gemüth ergreifen, wie die Ballade und Romanze. Deshalb ist ihr, außer etwa bei größerem Umfang, wo sie dem Epos sich nähert, auch lyrische Beimischung fremd, und sie eignet sich nicht für musikalische Komposition. Jhre Form ist metrisch und gereimt, wenigstens eins von beidem (das unterscheidet sie von der Novelle oder Novellette). Ein bestimmtes Metrum ist jedoch nicht vorgeschrieben, ─ der Dichter hat freie Wahl. Auch strophische Abtheilung wird nicht verschmäht. Chamisso hat mit großem Erfolg sich der Terzinen bedient; Andere haben die Oktaverime, den Nibelungenvers, den Alexandriner, den fünffüßigen Jambus u. s. w. angewendet. §. 187. Von den Dichtern poetischer Erzählungen verdienen besondere Erwähnung: Hans Sachs, Hagedorn, Kleist, Gellert, Gleim, Michaelis, Wieland, Lichtwer, Bürger, Pfeffel, Seume, Langbein, Kind, Kosegarten, Falk, Schwab, Waiblinger, Chamisso &c. IV . Die Legende. §. 188. Mit dem Namen Legende bezeichnete die alte römisch=katholische Kirche ursprünglich ein Buch, ─ 128 ─ in welchem alles das enthalten war, was dem Volke beim Gottesdienste vorgelesen werden sollte. Später trug man, den Begriff des Vorlesens festhaltend, den Namen auf diejenigen Bücher über, welche, als Sammlungen wunderbarer Begebenheiten aus dem Leben der Heiligen und Märtyrer, dazu dienten, in den Klöstern vorgelesen zu werden. Darauf nannte man diese Begebenheiten selbst Legenden; bis endlich der Name für die poetische Behandlung derselben angewendet wurde. Demnach verstehen wir hier unter Legende die poetische Darstellung einer, dem Sagenkreise der christlichen Kirche entnommenen, in der Regel wunderbaren Begebenheit. Die Legende ist somit eine besondere Art von poetischer Erzählung. §. 189. Die Legende wird gemeiniglich in die ernste und in die komische unterschieden. Die erstere stellt mit würdigem Tone, der, wie der behandelte Stoff selber, als Ergebniß schlichter Einfalt und kindlichen Glaubens erscheinen muß, eine wunderbare ernste Begebenheit, als solche dar; die letztere dagegen führt entweder eine, dem Gebiet der Sage angehörende, heitere Geschichte aus dem Leben eines Heiligen vor, oder sie sucht durch die Darstellung das Unhaltbare, Abergläubische zu zeigen, worauf sich die erzählte, wunderbare Handlung des betreffenden Heiligen stützt. Jm letzten Falle erhält sonach die komische Legende eine satyrische Tendenz; als eigentliche Satyre kann sie jedoch deshalb nicht angesehen werden. Denn auch die komische Legende soll nicht zur Geißel werden; sie soll nur erheitern, darf aber nie das gläubige Gemüth verletzen und verwunden. Jn diesem Stücke haben viele ─ 129 ─ Dichter gefehlt, indem sie die Legende in das Niedrige und Possenhafte herabzogen ( Langbein ). Wie eine komische Legende zu behandeln sei, das hat Göthe musterhaft in seiner Legende ( Petrus und das Hufeisen) gezeigt. §. 190. Eine bestimmte Form ist auch der Legende nicht vorgeschrieben. Am häufigsten sind, besonders von Herder, die serbischen Trochäen und fünffüßigen Jamben angewendet worden; doch hat man sich auch anderer Verse, so wie der Prosa mit Erfolg bedient. §. 191. Erst durch Herder wurde die Legende als besondere Dichtungsart eingeführt. (Unter den frühern Leistungen sind die komischen Legenden des Hans Sachs als vorzüglich zu nennen.) Nächst Herder haben wir Göthe, Schubart, Kosegarten, Falk, A. W. Schlegel, Amalie v. Helwig, Langbein, Fr. Kind, Apel, Uhland, Rückert, L. Schefer als mehr oder weniger ausgezeichnete Legendendichter anzuführen. V . Das Mährchen und die Sage. §. 192. Mährchen bezeichnet überhaupt eine, von der Volks- oder Kunstpoesie erdichtete Begebenheit, deren Entwickelung ─ ganz abgesehen von der Wahrheit der Natur und des Lebens ─ unter dem Einflusse wunderbarer Mittel (Bezauberung, Behexung &c.) und übernatürlicher Wesen, die gewöhnlich nur ein Gebilde des Aberglaubens oder der Phantasie sind ─ 130 ─ Kobolde, Nixen, Feen, Elfen, Hexen, Zauberer, Riesen, (Zwerge u. a.), erfolgt. Das Mährchen kann die Grundlage, die Fabel anderer epischer, wie auch dramatischer Dichtungen bilden, es kann aber auch als eigne, selbstständige Dichtungsart auftreten. Besondere Formen sind ihm im letztern Falle nicht vorgeschrieben; häufig erscheint es im Gewande der Prosa. Was aber die Darstellung an sich betrifft, so muß diese durch und durch die kindliche Einfachheit und Naivität athmen, welcher das Mährchen selbst seinen Ursprung verdankt. §. 193. Unter Sage versteht man eine nicht beglaubigte, nicht historisch begründete, aber von Geschlecht zu Geschlecht mündlich fortgepflanzte, an einen bekannten Ort, an eine bestimmte Zeit oder an eine historische Person geknüpfte Begebenheit, oder die Erzählung einer solchen. Das Element des Wunderbaren ist bei ihr nicht so unerläßlich, wie beim Mährchen; doch tritt sie nur selten ohne alle Beimischung der Art auf. Auch von der Sage gilt, was oben vom Mährchen gesagt wurde: sie ist entweder selbstständige Dichtungsart, ─ eine eigenthümliche Art poetischer Erzählung in prosaischer oder metrischer Form; oder sie bildet den Stoff einer andern epischen Dichtung, z. B. einer Ballade, eines Epos oder auch eines Dramas. Bewegt sich die Sage im Kreise der Götterwelt, oder gehört sie der durchaus vorgeschichtlichen Zeit an, oder veranschaulicht sie eine großartige religiöse Jdee, so heißt sie Mythus. ─ 131 ─ §. 194. Anmerkung. Die populäre Bedeutsamkeit der Sage und des Mährchens bestimmt uns, zur näheren Charakterisirung derselben hier das Wesentlichste dessen folgen zu lassen, was die Gebrüder Grimm darüber (in der Vorrede zu den deutschen Sagen) aussprechen. Man wird es uns nicht verargen, wenn wir solcher Männer Worte so wiedergeben, wie sie geschrieben wurden. „Es wird dem Menschen von Heimathswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wann er in's Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die Gränze des Vaterlands überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Mährchen, Sagen und Geschichte, welche neben einander stehen und uns nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen streben. Jedes hat seinen eignen Kreis. Das Mährchen ist poetischer, die Sage historischer; jenes stehet beinahe nur in sich selber fest, in seiner angebornen Blüthe und Vollendung; die Sage, von einer geringern Mannichfaltigkeit der Farbe, hat noch das Besondere, daß sie an etwas Bekanntem und Bewußtem hafte, an einem Ort oder einem durch die Geschichte gesicherten Namen. Aus dieser ihrer Gebundenheit folgt, daß sie nicht, gleich dem Mährchen überall zu Hause sein könne; sondern irgend eine Bedingung voraussetze, ohne welche sie bald gar nicht da, bald nur unvollkommener vorhanden sein würde. Kaum ein Flecken wird sich in ganz Deutschland finden, wo es nicht ausführliche ─ 132 ─ Mährchen zu hören gäbe, manche, an denen die Volkssagen bloß dünne und sparsam gesäet zu sein pflegen. ─ Die Mährchen also sind theils durch ihre äußere Verbreitung, theils durch ihr inneres Wesen dazu bestimmt, den reinen Gedanken einer kindlichen Weltbetrachtung zu fassen; sie nähren unmittelbar, wie die Milch, mild und lieblich, oder der Honig, süß und sättigend, ohne irdische Schwere; dahingegen die Sagen schon zu einer stärkern Speise dienen, eine einfachere, aber desto entschiedenere Farbe tragen, und mehr Ernst und Nachdenken fordern. Ueber den Vorzug beider zu streiten, wäre ungeschickt, auch soll durch diese Darlegung ihrer Verschiedenheit weder ihr Gemeinschaftliches übersehen, noch geleugnet werden, daß sie in unendlichen Mischungen und Wendungen in einander greifend, sich mehr oder weniger ähnlich werden.“ §. 195. Die im Munde des Volks lebenden, durch Volkspoesie geschaffenen Mährchen (die Volksmährchen im engern Sinne) und Sagen sind besonders durch die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm gesammelt worden. Durch diese Sammlungen ist dem deutschen Vaterlande ein Dienst geleistet, den es nicht genug anerkennen, für den es nicht genug danken kann. Nicht nur ist uns und der Nachwelt damit ein Schatz der herrlichsten Poesie gesichert: die „ Kinder= und Hausmährchen, “ die „ deutschen Sagen, “ sie sind uns überdieß zugleich ein Siegel und ein Spiegel. Ein Siegel ─ dafür, daß wir ein poetisches Volk sind, das auf seinen eignen Füßen wohl stehen kann, dem nicht Noth ist, von der Fremde zu borgen und in der ─ 133 ─ Fremde Trost, Erquickung, Freude zu suchen; ein Spiegel ─ ein reiner ächter Spiegel, der uns zeigen kann, ob und wie weit die poetischen Produktionen des Tages Muster= ─ oder Zerrbilder sind. ─ Die von der Kunstpoesie geschaffenen Mährchen und Sagen haben selten mit diesen Naturkindern gleichen Werth. Auch die aus dem Morgenlande zu uns gekommenen Feenmährchen möchten wir ihnen, ─ bei allem Lobe, das wir freudig vielen derselben spenden, ─ nicht gleich stellen. Doch verdienen die hierher gehörigen Leistungen eines Musäus, Tieck, Brentano, Fouqu é , Arnim, Wieland, Alzinger, Hoffmann, Hauff, Pfeffel, Chamisso, Schwab, Bechstein, Rückert, Simrock, Vogl, Zedlitz &c. größtentheils um so mehr Anerkennung, als sie in der Sagen- und Mährchenwelt des Volkes wurzeln. Neuerdings haben viele unserer ausgezeichnetsten Volksmährchen und Volkssagen in dem „Sagen- und Mährchenwald“ von L. Wiese ihre poetische Bearbeitung gefunden. VI . Die Jdylle. §. 196. Unter Jdylle (eigentlich so viel wie kleines Gemälde) versteht man eine Erzählung, die sich in den einfachsten, den Einflüssen der kultivirten Gesellschaft, der Wissenschaft und Kunst gleich fernen Lebenskreisen bewegt und zum Zweck hat, den Menschen im Stande der Unschuld und im Frieden mit sich und der Außenwelt darzustellen. „Die Jdylle führt uns in solche Stände, Zeiten und Räume, wo Ruhe und Friede herrscht.“ Schäfer, Jäger, Fischer sind meist die Personen, mit ─ 134 ─ denen sie es zu thun hat. Nicht sowohl hervorstechende Handlungen, als vielmehr Zustände, und zwar Zustände ruhigen Lebens, die weder durch Leidenschaften von innen, noch durch grelle Einwirkungen von außen gestört werden, sind Gegenstand ihrer Schilderung. ─ Verwickelung und Künstlichkeit der Verknüpfung sind ihrem Wesen zuwider. Die Darstellung muß höchst einfach, ganz natürlich, von gesuchten Worten und Wendungen frei sein. Deshalb sind auch bei metrischen Bearbeitungen ─ häufig erscheint die Jdylle in Prosa ─ künstliche Versmaaße durchaus zu meiden. §. 197. Die Jdylle im engern Sinne ─ das Schäfergedicht, das seinen Stoff lediglich aus der unkultivirten grauen Vorzeit nahm ─ ist aus der Mode gekommen. Der Grund davon liegt zum Theil in der Zeit, zum Theil in ihr unmittelbar selbst. „Sie ist,“ wie Gervinus sagt, „nur in solchen Ländern und solchen Zeiten zu Hause, wo Mangel an bewegter Geschichte ist.“ Jnwiefern sie selbst Elemente in sich trägt, die ihre Kultur behindern, darüber spricht sich Schiller (Ueber naive und sentimentalische Dichtung) also aus: „Die Jdylle, vor den Anfang aller Kultur gepflanzt, schließt mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben aus; sie stellt das Ziel hinter uns, zu dem sie uns hinführen soll und kann uns daher bloß das traurige Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen Natur ihren Zweck ausführt, so hat sie, bei dem höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Sie ─ 135 ─ kann nur dem kranken Gemüth Heilung, dem gesunden keine Nahrung geben; sie kann nicht beleben, nur besänftigen. Diesen in dem Wesen der Jdylle gegründeten Mangel hat alle Kunst der Poeten nicht gut machen können.“ Wir können die hier aufgeführten Mängel der Jdylle, sofern Schiller unter letzterer bloß das eigentliche Schäfergedicht verstand, nicht in Abrede stellen, doch sind wir keineswegs geneigt, der idyllischen Poesie überhaupt deshalb den Stab zu brechen. Welches Gemüth, ─ das hinein geworfen ist in ein bewegtes, arbeitreiches, ruheloses Leben, oder eingeengt durch die Zwangsjacke der Etiquette, oder berauscht durch endlose, lärmende Vergnügungen, ─ suchte nicht gern zu Zeiten in der Stille des Landlebens, im Umgang mit einfachen, den konventionellen Verschrobenheiten fernen Menschen, im Frieden der Natur Erholung, Freiheit und Ruhe? Wie aber die wirkliche Jdylle des Lebens, so hat auch der poetische Spiegel derselben einen hohen Reiz und auch für gesunde Gemüther einen unbestreitbaren Werth. Je reiner und treuer dieser Spiegel ist, je mehr er unserem ländlichen und bürgerlichen Leben entspricht, je höher ist dieser Werth. Freilich Süßlichkeiten à la Geßner müssen uns zuwider sein; aber haben wir nicht mehr als Geßner und Consorten? Besitzen wir nicht an solchen idyllenartigen Gedichten, die ihren Stoff aus dem Leben der Gegenwart schöpften, wie Göthe's Hermann und Dorothea, Voß Luise und siebenzigster Geburtstag, Kosegarten's Jucunde, Eberhard's Hannchen, Neufer's Tag auf dem Lande &c. einen theuren Schatz? Hat nicht Göthe selbst erklärt, unter allen seinen Werken sei es nur ─ 136 ─ Hermann und Dorothea, das ihm fortwährend Freude mache? Und noch eins! Wecken nicht unsere Poeten dadurch, daß sie uns bald ein Stück Weltschmerz zu verschlucken, bald einen Fatzen Zerrissenes zu verdauen geben, die Sehnsucht nach einfacher Natürlichkeit? Deshalb wollen wir uns auch durch solche Autoritäten, wie die obige, den wahren poetischen Genuß nicht verkümmern lassen! §. 198. Als Jdyllendichter haben ferner sich bekannt gemacht: Geßner, Ew. v. Kleist, Bronner, Miller, Hölty, Hebel, Usteri, Wyß, Karoline Pichler, Prätzel, Fr. Kind u. a. VII . Die Ballade und die Romanze. §. 199. Unter Romanze verstand man ursprünglich ein in romanischer Sprache Anmerkung. Romanisch nennt man die mit der Völkerwanderung entstandenen Töchtersprachen der römischen oder lateinischen Sprache; zu diesen gehören die italienische, französische, portugiesische, spanische und rhätische Sprache. abgefaßtes Erzählungslied; während Ballade ─ von ballare , tanzen ─ ein für musikalische Begleitung bestimmtes, vorzüglich aber als Text von Tanzmusik dienendes Lied bezeichnete. Später, als die englischen und schottischen episch=lyrischen Volkslieder in Deutschland bekannt, übersetzt und nachgeahmt wurden, nannte man von denselben diejenigen Balladen, welche einen ernstern, tragischdüsterern Charakter hatten, während der Name Romanze den mehr heitern, fröhlichen galt. Dann vindicirte der Eine der Ballade größere, der ─ 137 ─ Romanze weniger Ausführlichkeit, ─ der Andre wollte gerade das Gegentheil. Vielen war die Romanze, vielen die Ballade mehr lyrisch, als episch; die Meisten endlich kümmerten sich gar nicht um die feinen Unterschiede, sondern brauchten beide Namen als durchaus gleichbedeutend. Hier unsere Meinung! Anmerkung. Sie gründet sich zum Theil auf das, was Kurz und Echtermeier über den Gegenstand aufgestellt haben. §. 200. Ballade und Romanze sind erzählende Gedichte, bei welchen das Epische von lyrischen Elementen durchwebt ist, oder Zweck und Form mit der Lyrik gemein hat. Den Stoff können eben so wohl wirkliche, als erfundene Begebenheiten bilden. Jn der Regel ist derselbe der Sagen- und Mährchenwelt entnommen. Ob poetisch bearbeitete Sagen und Mährchen sich in die Kategorie der Romanzen oder in die der Balladen oder in keine von beiden stellen lassen, hängt theils von ihrem Jnhalt, theils von der Art ihrer Bearbeitung ab. ─ Die Ballade ist mehr dem Norden (der englischen, schottischen, schwedischen und dänischen Volkspoesie), ─ die Romanze mehr dem Süden (den epischen Gesängen der Spanier) verwandt. Die Ballade stellt die Begebenheit dar als außerhalb dem Menschen liegend, die Romanze faßt sie mehr vom Standpunkte des idealen Sebstbewußtseins auf. Jn der Ballade ist das Geschichtliche überwiegend, in der Romanze herrscht häufiger die Jdee. Die Ballade führt die That vor und zwar verfährt sie dabei mehr oder weniger dramatisch, d. h. die Art und Weise der ─ 138 ─ Erzählung ist durchaus vergegenwärtigend; die Romanze dagegen legt nicht selten auch die Beweggründe, die innere Seite des Handelns dar. Jn der Romanze schreitet die Erzählung mehr gleichmäßig fort, in der Ballade dagegen überspringt sie oft mehr oder weniger Wesentliches, läßt dieses jedoch durch Vorhergehendes oder Nachfolgendes errathen, oder läßt Lücken, welche die Phantasie des Lesers oder Hörers, die dadurch um so mehr aufgeregt wird, selbst auszufüllen hat, aber auch auszufüllen im Stande sein muß. Ueberhaupt steht der Ballade eine in etwa „ mysteriöse Behandlung“ wohl an, die jedoch nicht in Unverständlichkeit ausarten, nicht den Effekt schwächen, sondern ihn erhöhen muß; die Romanze dagegen ist in der Regel von vorn herein und durch und durch klar. Der Jnhalt der Ballade gestaltet sich meist tragisch, düster; wo sie nicht durch eine Beimischung des Wunderbaren, Dämonischen, Unheimlichen das Gemüth bewältigt, da ergreift sie es durch das Großartige, Eigenthümliche, das in der Begebenheit selbst liegt. Die Romanze dagegen hat zwar nicht immer den Charakter der Freude, aber immer den der Ruhe; selbst bei sehr traurigem Jnhalt durchweht sie immer der Hauch versöhnender, tröstender Milde. Die Ballade entspricht mehr dem mythischen, die Romanze mehr dem romantischen Kreise. §. 201. Die große Verwandtschaft, in welcher ─ trotz der aufgeführten charakteristischen Unterschiede ─ die Ballade und die Romanze zu einander stehen, hat auch eine Aehnlichkeit in der Form zur Folge. Beide haben musikalischen Charakter, beide müssen ─ 139 ─ für musikalische Begleitung geeignet sein. Deshalb können nur solche Verse gewählt werden, die eine musikalische Behandlung zulassen; Hexameter, antike Odenversmaaße u. dgl. würden ganz unpassend sein. Auch ist regelmäßiger Vers- und Strophenbau ein nothwendiges Erforderniß, jedoch bei der Romanze noch mehr, als bei der Ballade. Ueberhaupt hat der Dichter alle Mittel anzuwenden, durch welche der musikalische Charakter gewinnt. Namentlich wird er sich immer mit Nutzen des Reims bedienen. Wie das Verwandtschaftliche eine Uebereinstimmung, so bedingt das Abweichende in dem Wesen der Ballade und Romanze auch eine Verschiedenheit in Darstellung und Form. Für die Ballade eignen sich mehr die jambischen und die jambisch=anapästischen Verse (besonders die vierfüßigen und eine Abwechselung von vierfüßigen und dreifüßigen) so wie der Nibelungenvers; der Romanze dagegen sind trochäische (vorzüglich vierfüßige trochäische) Verse angemessener. Die Ballade liebt vorzugsweise den männlichen, die Romanze mehr den weiblichen Reim. Die Ballade, so sehr sie im Tone schwulstlos und volksthümlich zu halten ist, erfordert einen größern Aufwand äußerer Mittel; in ihr finden sich daher häufig neben dem Endreim Annomination, Alliteration, Binnenreime &c. angewendet; während die Romanze ─ trotz ihrer gewählteren Sprache ─ meist in der schmuckloseren Regelmäßigkeit des Liedes erscheint, zuweilen auch wohl statt des Reims sich der bloßen Assonanz bedient. §. 202. Unter den noch jetzt vorhandenen Volksliedern, die seit Jahrhunderten im Munde des deutschen ─ 140 ─ Volkes lebten, giebt es nicht ganz wenige, welche, abgesehen von den Mängeln der Form, als gute Balladen, häufiger freilich nur als Bruchstücke und Ueberbleibsel von solchen, gelten können. Wenn wir an Reliquien dieser Art weniger reich sind, als die Schotten, Britten, Schweden, Dänen &c., so rührt das wohl ohne Zweifel nur daher, weil in den letzten Jahrhunderten vor dem unsrigen leider in Deutschland eine große Gleichgültigkeit gegen überlieferte Volkspoesie herrschend war, wobei natürlich mancher köstlicher Schatz verloren ging. Um so mehr haben wir das Werthvolle dieser Art, was uns blieb, hoch zu achten, und es kann unseren begabtesten Kunstdichtern bei der Balladendichtung als Fingerzeig, in mancher Hinsicht als Muster dienen. (Auch die Unregelmäßigkeiten der Form nachzuahmen, würde freilich Thorheit sein.) ─ Jn der deutschen Kunstpoesie wurde das Feld der Ballade und Romanze zuerst durch Bürger mit Erfolg angebaut; seine „Lenore“ wird stets bewundert bleiben, wenn ihr auch etwas mehr Gedrängtheit zu wünschen wäre. An ihn schlossen sich andere Mitglieder des Göttinger Hainbundes an. Herder erwarb sich namentlich durch Bearbeitung spanischer Romanzen (des Cid!) und balladenartiger nordischer Volkslieder (wir erinnern nur an „Edward“) große Verdienste um die weitere Pflege derselben. Durch Göthe, zum Theil auch durch Schiller, und später durch Uhland, wurde das Ausgezeichnetste geleistet, was wir in dieser Gattung besitzen. Die Mehrzahl der Schiller 'schen „Balladen“ jedoch stellen wir als Gedichte überhaupt zwar eben so hoch, wie die Göthe 'schen &c., finden sie aber zu sehr ausgemalt ─ 141 ─ und zu wenig einfach, als daß wir sie als Muster wirklicher Balladen gelten lassen könnten; doch ist sein „Toggenburg“ (von ihm auch Ballade genannt) vielleicht die schönste Romanze Deutschlands. Jn Göthe's „Fischer,“ „Erlkönig“ &c. und in Uhland's „der Wirthin Töchterlein,“ „Roland Schildträger“ &c. ist die glücklichste Nachahmung und Ausbildung der ächtesten Balladen-Volkspoesie nicht zu verkennen. ─ Auch A. W. Schlegel, Fr. Schlegel, Th. Körner, Rückert, Platen, Schwab, J. Kerner, Chamisso, Zedlitz, Anast. Grün, Lenau, Mosen, Freiligrath, Vogl, Ebert, Seidl, Kopisch, Wolfg. Müller, Adelheid von Stolterfoth &c. haben Anerkennungswerthes geliefert. VIII . Das Epos. §. 203. Jn den bisher behandelten epischen Dichtungsarten hatten wir es nur mit einzelnen, wenn auch nicht ganz isolirten, doch mehr oder weniger in sich abgeschlossenen Begebenheiten zu thun. Bei dem Epos ist das anders. Das Epos stellt in einer Reihe in sich verknüpfter und zu einem Ganzen verbundener Begebenheiten von großer Wichtigkeit oder besonderem Jnteresse den Kampf menschlichen Willens und menschlicher Kräfte mit den feindlichen Elementen des Lebens (dem Schicksal) dar. §. 204. Unter den, als vergangen aufgefaßten, Handlungen, die den Stoff des Epos bilden, tritt eine als die leitende, als Haupthandlung hervor; an diese schließen sich die andern als Episoden, ─ 142 ─ als Zwischen= oder Nebenhandlungen an. Jn welchem Verhältniß diese Episoden zur Haupthandlung stehen müssen, haben wir im Allgemeinen bereits oben §. 173 angedeutet. Entweder werden sie die Haupthandlung näher erklären, oder auf den Verlauf derselben hemmend oder fördernd einwirken ─ ein selbstständiges, von der Haupthandlung unabhängiges Jnteresse kann ihnen nicht eingeräumt werden, denn das würde die Einheit der Handlung, die mehr oder weniger auch das Epos fordert, vernichten. Diese Einheit der Handlung wird in der Regel dadurch vermittelt, daß unter den Personen, an welche die einzelnen Handlungen geknüpft sind, eine als Träger und Lenker der Haupthandlung dasteht. Diese Person heißt der Held des Stückes. Um den Helden koncentrirt sich dann das Ganze; an sein Geschick ist das der übrigen Personen geknüpft und diese haben zu ihm dasselbe Verhältniß, was die Nebenhandlungen zur Haupthandlung haben. Wie sich auf ihn das Ganze bezieht, so ist er wiederum an das Ganze gebunden; es sollen in ihm nicht sowohl einzelne, individuale Handlungen oder Leidenschaften hervortreten, sondern er soll vielmehr als Träger und Vertreter allgemeiner Bestrebungen erscheinen. Doch muß sich aus seinen Handlungen und seinen Reden ein klares Bild des Charakters ergeben. Der Held ist der Vorkämpfer gegen die Hemmnisse und widerstrebenden Elemente ─ das Schicksal ─ und selbst wenn er nicht siegend aus dem Kampfe hervorgeht, muß er immer als moralisch groß, eben als Held dastehen. ─ Die übrigen Personen, sei ihre Stellung ─ 143 ─ zum Ganzen noch so unbedeutend, dürfen nie überflüssig, noch weniger störend erscheinen. Aus der Art ihrer Handlungsweise muß sich der Leser ebenfalls ein bestimmtes Gemälde ihres Charakters entwerfen können und in diesem Charakter müssen zugleich ─ wie natürlich auch in dem des Helden ─ die Motive der Handlungen vollständig begründet sein. ─ Uebrigens ist es nach unserem Bedünken auch nicht fehlerhaft, wenn der Hauptpersonen, von ziemlich gleicher Wichtigkeit, in einem Epos mehrere sind; nur ist es dann ─ der erforderlichen Einheit des Ganzen wegen ─ um so unerläßlicher, daß Alle in engem Bezug zur großen Hauptbegebenheit (Katastrophe) stehen, indem sie theils dieselbe beschleunigen, theils sie (vergeblich) zu verhindern suchen; ─ gleich das erste und noch unerreichte Muster im Fache des Epos, die Jlias des Homer, ist dieser Art. §. 205. Was die Behandlung des Stoffs angeht, so liegt es im Wesen und in der Bestimmung des Epos, daß es dabei nicht sowohl (wie beim Roman) auf verstandesmäßige, historische Verknüpfung, sondern hauptsächlich auf lebendige Veranschaulichung ankommt. Das Epos geht in die Breite, die einzelnen Züge seines Gesammtbildes brauchen nicht in ununterbrochener Reihe neben einander, sondern können zerstreut liegen; nur müssen sie sich zu einer Anschauung vereinigen lassen. Das Epos kann darum auch nicht einseitig auf eine Empfindung wirken; es ergreift die Gesammtheit unserer Kräfte und gestattet weder lyrische Erreglichkeit, noch überhaupt Aufregung der Leidenschaften. „Wir empfangen die Eindrücke der Dichtung ─ 144 ─ in einem freien Gemüthe“ und es ist mehr Jnteresse, als eigentliche Theilnahme, was wir dem Epos widmen. Und selbst das Jnteresse ─ sei es nun nach der Eigenthümlichkeit des Stoffs ein allgemeinmenschliches oder ein religiöses oder ein nationales ─ wird durch den Begriff des Vergangenen, der das Fundament des Epos bildet, sehr gemildert und weniger lebhaft. §. 206. Jn dem Wesen des Epos liegt denn auch die Nothwendigkeit der metrischen Formen begründet. Bestimmte Vorschriften existiren über die Art derselben nicht, doch hat man sich vorzugsweise des Hexameters, des Nibelungenverses, der Stanze, des Alexandriners bedient. Auch fünffüßige Jamben und fünffüßige Trochäen, entweder in irgend einer Weise gereimt, oder, was in vielen Fällen noch geeigneter sein dürfte, ohne Reim, können füglich die Form eines Epos bilden. §. 207. Je nach der Verschiedenheit des Stoffs theilt man das Epos verschieden ein. a . Bildet eine außerordentliche, dem heroischen Mythen= und Sagenkreise oder eine der Geschichte angehörende Begebenheit den Stoff, so heißt das Epos Epopöe oder ernstes Heldengedicht. Das Großartige der Begebenheit bringt es mit sich, daß die Epopöe durchweg den Charakter des Erhabenen trägt. Sofern sich die Epopöe in der Behandlung und Form (Hexameter) den antiken Epopöen der Griechen und Römer anschließt, nennt man sie wohl auch klassisches Epos. Neben den menschlichen Personen treten im ernsten Heldengedicht auch wohl noch ─ 145 ─ Götter gestalten auf. Jnsofern dieselben im Glauben der Zeit und des Landes, da das Epos spielt, gleichsam leben, läßt sich wenig dagegen einwenden; die Phantasie des Lesers muß sich dann dahin versetzen. Jn jedem andern Fall aber, und besonders bei mehr modernen und vaterländischen Stoffen, können wir diese Art des Wunderbaren durchaus nicht billigen; denn da dieselbe sich weder auf unsern Glauben, noch auf deutschen Aberglauben stützt, so hat sie keinen Halt bei uns und erregt kein Jnteresse mehr. Christliche Engel, die Jungfrau Maria und auch wohl Christus selbst auftreten zu lassen, ist bei entsprechendem Stoff schon eher zu rechtfertigen, obgleich auch dies noch keineswegs für uns so natürlich sein dürfte, wie den alten griechischen und römischen Dichtern das Vorführen ihrer Volksgötter. Bloße Begriffe zu personificiren, um dadurch die Göttermaschinerien der Alten zu ersetzen (wie man mehrfach versucht hat), ist noch viel weniger anzurathen; es läßt uns kalt. Lieber ganz im Bereiche des Natürlichen geblieben! §. 208. b . Wenn das Epos seinen Stoff den Heldensagen oder der Geschichte des Mittelalters, der sogenannten romantischen Zeit entnimmt, so nennt man es wohl romantisches Epos. Die hervorstechende Eigenthümlichkeit des romantischen Epos bildet das Wunderbare, was hier in der Gestalt von Elfen, Feen, Zauberern und andern Gebilden des mittelalterlichen Volksglaubens als Maschinerie auftritt. §. 209. c . Jst endlich das gewöhnliche Leben, sind namentlich die einfachen, idyllischen Kreise ─ 146 ─ desselben (siehe §. 196!) Gegenstand des Epos, so nennt man es idyllisches Epos. Das idyllische Epos erscheint immer als eine Jdylle in größerem Maaßstabe. Es verträgt weder eine Beimischung des Wunderbaren, noch große Verwickelungen. Mehrere der Dichtungen, welche wir in §. 197 als lobenswerthe Jdyllen namhaft machten, gehören mit gleichem Recht auch hieher. §. 210. Wesentlicher, als die obige Eintheilung des Epos, ist die Unterscheidung in das ernste und in das komische. Das komische Epos ist immer nur als Parodie des ernsten anzusehen. Es soll das Gefühl des Lächerlichen erregen und erreicht seinen Zweck durch die Charakterzeichnung des Helden, durch die Verhältnisse, welche es vorführt, oder auch durch die Darstellung. Statt der menschlichen Personen treten in mehreren der besten unserer komischen Heldengedichte sprechende Thiere auf, wie in der Fabel. §. 211. Das Epos ist bei uns schon frühe gepflegt worden, in der neuern Zeit jedoch weniger, als in der ältern. Die vorzüglichsten Werke der Art sind: I . ernste. a . die älteren: 1) Herzog Ernst und die Aeneide von Heinrich von Veldeck, 2) Jwein von Hartmann von der Aue, 3) Tristan und Jsolde von Gottfr. von Straßburg, 4) Parzival von Wolfram von Eschenbach, 5) das Nibelungenlied, 6) Gudrun, 7) Teuerdank; b . die neuern: 1) der Messias von Klopstock, 2) der Oberon von Wieland, 3) Donatoa von Sonnenberg, 4) Richard Löwenherz von F. A. Müller, 5) die Makkabäer, die Rudolphiade und die Tunisias von ─ 147 ─ Pyrker, 6) Cäcilie und die bezauberte Rose von E. Schulze, 7) Jmmermann's Bearbeitung von Tristan und Jsolde, 8) Wittich Wieland's Sohn von K. Simrock. II . komische. a . ältere: 1) Reinecke Fuchs, 2) der Frosch-Mäuseler; b . neuere: 1) der Renommist, das Schnupftuch und Phaeton von Zachariä, 2) die travestirte Aeneis von Blumauer, 3) die Jobsiade von Kortüm, 4) die Bearbeitung des Reinecke Fuchs von Göthe, 5) die Töffeliade, 6) die Hanswurstiade, 7) die bedreute und wunderbar befreite Bibel &c. IX . Der Roman und die Novelle. §. 212. Der Roman giebt uns ein (mehr oder weniger ideal aufgefaßtes) Bild des geselligen Lebens in seiner Allseitigkeit und Gesammtheit oder in gewissen Beziehungen und Verhältnissen, indem er, unter dem Gewande historischer Wahrheit, in gewählter Sprache den Entwickelungsgang und die Schicksale eines einzelnen, bedeutenden Menschen erzählt. Er beschränkt sich nicht, wie die poetische Erzählung (von der er sich außerdem durch größere Verwickelung der Begebenheiten unterscheidet), auf ein einzelnes Lebensmoment, sondern trägt, wie das Epos, mehr den Charakter eines ganzen Lebens. Vom Epos aber unterscheidet er sich wesentlich in Folgendem: 1) während das Epos immer einen allgemeinern, objektiveren Charakter trägt, gestaltet sich im Roman Alles mehr subjektiv; 2) bei dem Epos kommt es mehr auf lebendige ─ 148 ─ Veranschaulichung, in dem Romane dagegen mehr auf verstandesmäßige, historische Verknüpfung der Begebenheiten an; 3) das Epos muß in metrischer, der Roman kann nur in prosaischer Form erscheinen. Anmerkung. Wie Karl Beck dazu gekommen ist, seinen „Janko“ einen Roman und noch dazu einen Roman in Versen zu nennen, ist schwer zu begreifen. §. 213. Man hat die Romane in Rücksicht des Stoffs verschiedentlich eingetheilt und benannt, und zwar hat man dabei entweder die besondere Eigenthümlichkeit, oder die Auffassung und Darstellung des Stoffes oder endlich die Lebenskreise, denen derselbe entnommen ist, ins Auge gefaßt. §. 214. Jn Betreff der Beschaffenheit des Stoffes sind zunächst zwei Hauptarten zu unterscheiden, die jedoch unter mancherlei Schattirungen häufig in einander übergehen. Der Stoff des Romans ist entweder rein faktisch, er beschränkt sich auf Darstellung der Begebenheiten, oder er ist mit, zu besondern Zwecken dienenden Raisonnements durchflochten: er hat eine Tendenz. Die sich auf das Faktische beschränkenden Romane ruhen entweder auf geschichtlichem Grunde, sie sind historisch, oder ihr ganzer Jnhalt ist fingirt. Der historische Roman, wie er sich nach Walter Scott's Vorgange auch in Deutschland ausgebildet hat, verdient unstreitig vor dem, dem Stoffe nach rein erfundenen, gemeiniglich nur der Unterhaltung dienenden Romane in mehrfacher Hinsicht den Vorzug; daß er aber, wie man wohl meint, ─ 149 ─ das ernste Studium wirklicher Geschichte fördere, möchten wir bezweifeln. Anmerkung. Nach unserer Meinung bewirkt er vielmehr meist das Gegentheil. Der Geschichtschreiber kann, ─ selbst wenn er sich einer schönern Darstellungsweise befleißigt, als sich von den meisten unserer Historiographen rühmen läßt, ─ seinen Stoff nicht immer so mundrecht bearbeiten, daß der Leser nur „Genuß“ daran findet: er muß oft Ernst, anhaltenden Fleiß und eine Anstrengung fordern, wie sie der historische Roman nie verlangt. Und das schreckt ab ─ man lies't, aber man studirt nicht gern. Aber der historische Roman hat nur zu oft noch eine weit bedenklichere Seite, die er zwar mit allen, auf geschichtlichem Grunde ruhenden Poesien theilt, die aber bei ihm am grellsten heraustritt: er trägt häufig zu falschen Vorstellungen über den wahren Hergang der Begebenheiten bei, er entstellt die Geschichte in den Köpfen seiner Leser. Die Freiheit des Dichters, sich an die historische Treue nur so weit zu binden, als es die poetischen Zwecke fordern, bringt diesen Uebelstand mit sich. Würde diese Freiheit nur bei unwesentlichen Gegenständen angewendet, so ginge es noch, aber leider dehnen sie die Romanschreiber oft auf sehr wesentliche aus und schaden so; ─ wie sehr, das wissen am besten alle Geschichtslehrer an höhern Schulen. Denn es ist unmöglich, den Schülern immer anzugeben, was im Roman wahr und was erfunden, es ist unmöglich, weil die Zeit fehlt, ganz abgesehen von dem Umstande, daß es Keinem zuzumuthen ist, alle Specialitäten, die der Romanschreiber wohl aus weitläufigen Quellen schöpfen kann, nach ihrem wirklichen Hergange im Kopfe zu haben. Deshalb empfehlen wir allen Dichtern historischer Romane, doch dem Beispiele zu folgen, was Mundt in seinem Münzer gegeben: möglichst geschichtlich treu zu schreiben! Jn den Tendenz-Romanen (die man wohl auch unter dem Namen philosophische Romane zusammenfaßt) tritt entweder das Faktische mehr oder weniger zurück und macht der Entwickelung ─ 150 ─ zusammenhängender Ansichten über Gegenstände der Moral, Wissenschaft oder Kunst Platz; oder das Faktische ist solchermaaßen erfunden und geordnet, daß es in seinem Gesammt-Eindruck eine Jdee veranschaulicht, eine große Lehre bestätigt oder eine falsche Zeitansicht bekämpft. Gerade im Tendenz= Roman findet der Dichter die beste Gelegenheit, sich auszusprechen, ─ die Resultate seines Nachdenkens einem zahlreichen Leserkreise mitzutheilen. Und in der That haben manche unserer ersten Geister in ihren Romanen Schätze niedergelegt, welche unsere ganze Beachtung verdienen. Nach der Eigenthümlichkeit der darin berührten Gegenstände unterscheidet man moralische, ascetische, ästhetische, pädagogische, theologische und (im engern Sinne) philosophische Romane. §. 215. Abgesehen von der Beschaffenheit des Stoffs, aber mit Rücksicht auf die Art der Auffassung und Darstellung desselben, unterscheidet man ernste, tragische, sentimentale, humoristische, komische, satyrische Romane. Nach den Lebenskreisen, in denen sich die Handlung des Romans bewegt, giebt es Ritter=, Räuber=, Schäfer=, Künstler= Romane u. s. w. §. 216. Jn Bezug auf die Darstellung hat der Romandichter besonders Folgendes zu beachten: Er muß das Jnteresse des Lesers fesseln und spannen durch steigernde Verwickelung der Begebenheiten; doch muß diese Verwickelung, wie der ganze Verlauf, immer den Schein historischer Wahrheit an sich tragen und eine naturgemäße, befriedigende Lösung ─ 151 ─ finden. Ferner hat der Dichter seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Zeichnung und Haltung der Charaktere und auf eine lebendige, blühende, die Phantasie anregende und beschäftigende Sprache zu richten. Wie schon oben erwähnt, muß die Form des Romans immer die Prosa sein, doch bleibt es dem Dichter überlassen, ob er seinen Gegenstand erzählend, dialogisch oder epistolarisch behandeln will. Ersteres ist das Gewöhnlichste, das dem epischen Charakter Entsprechendste; durch die dialogische Form nähert sich der Roman dem Drama, durch die epistolarische gewissermaaßen der Lyrik. ─ Auch die Einstreuung von Gedichten bleibt, wenn sie nur naturgemäß zum Ganzen paßt, unverwehrt. §. 217. Die Novelle verhält sich zum Roman, wie die poetische Erzählung zum Epos. Sie beschränkt sich mehr auf eine einzelne Begebenheit von poetischem Jnteresse und führt den Leser gleich mitten in die Verhältnisse hinein. Die Handlung schreitet in ihr weit rascher vorwärts, als im Roman, weshalb ihr auch eine mehr aphoristische Darstellung eigenthümlich ist. Das Alles verschafft ihr, abgesehen von der Begebenheit selbst, die allerdings auch an sich interessant sein muß, einen eigenthümlichen Reiz: sie versetzt den Leser in eine angenehme Spannung und Aufregung und befriedigt dieselbe dann in überraschender Weise. Was den Stoff und die Darstellung angeht, so gilt das bei dem Roman in dieser Beziehung Gesagte auch für sie; selbst die Eintheilungen und Benennungen desselben hat man auf sie übertragen. ─ ─ 152 ─ Novellen von geringem Umfange nennt man Novelletten. §. 218. Erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat die deutsche Literatur eigentliche Romane, aber schon jetzt ist die Masse derselben eine unabsehbare, und ihre Zahl mehr denn Legion. „Der Boden des Romans und der Novelle ist offenbar der ergiebigste und fruchtbarste. Der Roman, das sogenannte moderne Epos, ist das allgemeine Futter der Lesewelt, jeder Magen ist ihm recht, er erkennt keinen Unterschied der Stände an, er bringt, demokratisch wie er ist, eine gewisse Gleichmäßigkeit der Anschauungen und Empfindungen in die hohen und niedern Stände, er pflanzt dieselben Gefühle in die Dame von Stande, welche hinter seidenen Fenstervorhängen lies't, wie in die Hökerin und Trödlerin, welche in bretener Bude den kühnen Combinationen der Romantik nachhängt. Der Roman wird daher mehr als jede andere poetische und prosaische Gattung fabrikmäßig betrieben, weil eine so ungeheure Zahl von Consumenten vorhanden ist.“ Herm. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche. Der Roman ist, wie keine andere Dichtungsart, ins Volk gedrungen; wie er im Allgemeinen gewirkt, das läßt die Verordnung der Behörde ahnen, die die Leihbibliotheken nur seinetwillen unter polizeiliche Controlle stellt. Wir wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und dem guten Roman seinen Werth und seine heilsame Wirkung absprechen, aber wir verhüllen unser Antlitz vor dem maaßlosen Verderben, das uns der belletristische Schund, das uns die schlechten Romane gebracht. Es ist das Geringste, daß dem Volke der Geschmack an wahrer Poesie damit verdorben; es ist noch nicht das Aergste, daß von Tausenden Zeit, Geld und Beruf der „Lektüre“ geopfert wird ─ ─ 153 ─ wie ein vergiften der Pesthauch hat der Geist à la Clauren auf die Sittlichkeit gewirkt. Und das ist das Beklagenswertheste! Das ist ein Umstand, über den auch wir nicht hinweggehen konnten. Mit Feuer und Schwert sollte man diesen Krebsschaden unserer Literatur vertilgen. Besonders aber sollte man der Uebersetzungswuth entgegen arbeiten, die den Schund des Auslandes auch in das Vaterland verpflanzt und mit leichtfertiger Hand den Saamen ausländischer Lüderlichkeit und Frivolität ausstreut. Denn irren wir nicht, so stehen wir, was unsere Originalromane betrifft, jetzt in einer bessern Periode: selbst die „Talente“ schämen sich, unsittliches Zeug zu Tage zu fördern, und nur einzelne verkommene und verdorbene lumpige Lohnknechte elender Bücherfabriken geben sich noch dazu her, so „schmutzige Waare“ zu fabriciren. ─ Doch kommen wir nun zur Anführung unserer besten Roman- und Novellenschriftsteller! Anmerkung. Es wird kaum der Bemerkung bedürfen, daß wir auch von diesen keineswegs Alles gutheißen können. Es sind: Wieland, Musäus, Göthe, Klinger, Engel, Miller, Hippel, Thümmel, Jean Paul, E. Wagner, Laun, Heinse, Jacobi, Benzel= Sternau, Jung-Stilling, Lafontaine, Schilling, Zschokke, Veit Weber, Feßler, Hoffmann, Novalis, Tieck, Fouqu é , Arnim, Franz Horn, Houwald, van der Velde, Spindler, Steffens, v. Rehfuß, Posgaru, Rumohr, W. Hauff, Tromlitz, Blumenhagen, Eichendorf, Jmmermann, der Verfasser des Legitimen, der transatlantischen ─ 154 ─ Skizzen &c., Th. Mundt, Mosen, L. Bechstein, Gutzkow, Schefer, Th. Mügge, H. König, Will. Alexis, Ed. Duller, Kühne, Willkomm, Sternberg &c.; Benedicte Naubert, Caroline Pichler, Henriette Hanke, Friederieke Lohmann, Johanna Schopenhauer, Frau von Paalzow, Gräfin Hahn-Hahn, Luise Mühlbach &c. Dritter Abschnitt . Dramatische Poesie. §. 219. D ie Dichtkunst hat ihren Höhenpunkt in der dramatischen Poesie. „Das Drama vereint, wie es sich chronologisch auf dem Gipfel aller Dichtung, nur in einer Zeit künstlerischen Bewußtseins ausbildet, auch alle Dichtungsarten in sich.“ Die dramatische Poesie hat ihren Namen von dem griechischen Worte Drama, mit welchem man sowohl eine Handlung an sich, als auch die Vorstellung derselben bezeichnet. Jn dieser Benennung schon ist das Wesen und die Bedeutung des Dramas (im weitern Sinne) ausgesprochen. „Handlung ist der Welt allmächtiger Puls“ ─ und das Drama hat die Aufgabe, in ästhetischer Vollendung Ereignisse als gegenwärtig, mit einem Worte Handlungen vorzustellen. Es schildert nicht, wie die lyrischen, es erzählt nicht, wie die epischen Dichtungen ─ es stellt dar. Der dramatische Dichter läßt das Ereigniß, welches er vorführen will, sich vollständig vor unsern Augen entwickeln und die dabei betheiligten Personen selbstständig wirken. Deshalb tritt ─ 156 ─ im Drama die Person des Dichters ganz und gar zurück. Anmerkung. Denn Prolog und Epilog (siehe unten!), in welchen zuweilen auch die Person des Dichters vorkommt, sind nicht als wesentliche Theile des Dramas anzusehen. §. 220. Der Stoff (die Fabel ) des Dramas ist entweder reine Erfindung des Dichters, oder er ist der Sagen- und Mährchenwelt, oder endlich der Geschichte entlehnt. Jn Rücksicht desselben ─ sei er nun fingirt oder entlehnt ─ ist an den Dichter die Forderung zu machen, daß er ihn mit ästhetischer Wahrheit behandele, dem ganzen Verlauf der Handlung Natürlichkeit verleihe. Wie weit er sich bei den entlehnten, namentlich den geschichtlichen Stoffen der Treue zu befleißigen habe, das bleibt seinem Ermessen überlassen, doch möchte das, was wir §. 214 Anmerkung erwähnt haben, auch hier Beachtung verdienen. §. 221. Nur eine Haupthandlung darf den Stoff des Dramas bilden, und diese muß sich, wie schon gesagt, vollständig vor dem Zuschauer oder Leser entwickeln, d. h. sie muß bei einem Punkte beginnen, von welchem aus sich der naturgemäße Zusammenhang der Begebenheiten nach Ursache und Wirkung erklären und überschauen läßt, und sie kann erst da, muß aber auch da enden, wo eine befriedigende Lösung der Katastrophe, auf die Alles hinarbeitet, statt gefunden hat. Die Einheit der Handlung wird dadurch vermittelt, daß eine Person als Hauptperson, als Held herausgestellt wird. Der Held ist der Träger, wenn auch nicht immer der Leiter und Lenker der ganzen Handlung, er bildet den Mittelpunkt derselben, um seine ─ 157 ─ Person koncentrirt sich auch das ganze Jnteresse. Deshalb hat der Dichter auf seine Darstellung besondern Fleiß zu verwenden, und dafür zu sorgen, daß er in der Art, wie er ihn auftreten, indem, was er ihn thun und leiden und sprechen läßt, dem Zuschauer (oder Leser) ein vollständig klares und bestimmtes Charakterbild vor die Seele führe. Der Held wird dargestellt als im Conflikte mit dem, seinen Plänen und seinem Thun widerstrebenden Einflusse höherer Gewalten oder mit den Wirren und Hemmnissen des Lebens oder endlich mit seinen eignen Leidenschaften. Der Kampf gegen diese widerstrebenden Elemente bildet die Verwickelung der Handlung, die Schürzung des dramatischen Knotens. Die Verwickelung sowohl, als die Entwickelung und die Lösung des dramatischen Knotens, die Katastrophe, muß ─ da das Drama ein Bild des Lebens ist ─ durchaus natürlich und ungezwungen sein. Die Motive der Entwickelung und der Katastrophe müssen sich im Drama selbst finden und dürfen weder vor dasselbe, noch außerhalb desselben gesetzt werden. Jn den meisten Fällen werden diese Motive sich an die Personen knüpfen. Der Dichter muß darum darauf achten, daß alle Personen nach ihrem Charakter bestimmt und klar heraustreten und ihre Handlungsweise sich psychologisch daraus erklären läßt. Dann aber ist nöthig, daß sie mitwirken, daß ihre Handlungen wesentlich zur Vollendung des Ganzen beitragen, mögen sie nun in unmittelbarer Beziehung zur Haupthandlung stehen oder Episoden ─ 158 ─ derselben bilden. Keine Person bis zum letzten Statisten herab darf als überflüssig erscheinen. §. 222. Da die Handlung des Dramas immer den Schein der Wirklichkeit tragen soll, so haben viele Theoretiker die Forderung gemacht, den scheinbaren Verlauf derselben nicht nur an einem Tage, sondern auch an einem Orte vor sich gehen zu lassen, mit andern Worten: die Einheit der Handlung mit der Einheit der Zeit und des Orts zu verbinden. Diese Forderung ermangelt jedoch jedes haltbaren Grundes. Denn wollte man den Begriff der Natürlichkeit (der allerdings eine wesentliche Eigenschaft des Dramas bildet) so buchstäblich fassen und ihn dann konsequent auf alle Zweige der Darstellung ausdehnen, „so würde man dadurch alle poetische Form unmöglich machen, denn wir wissen wohl, daß die mythologischen und historischen Personen nicht unsere Sprache geredet, daß der leidenschaftliche Schmerz sich nicht in Versen ausgedrückt“ u. s. w. „Unsere Einbildungskraft geht aber leicht über die Zeiten hinweg, die vorausgesetzt und angedeutet, aber weggelassen werden, weil nichts Bedeutendes darin vorgeht; sie hält sich einzig an die vorgestellten, entscheidenden Augenblicke, durch deren Zusammendrängung der Dichter „den trägen Gang der Stunden und Tage beflügelt.“ Und eben so leicht vermag sie sich von einem Ort an einen andern zu versetzen, besonders wenn ihr noch die Scenerie und die Eintheilung in Akte zu Hülfe kommt. Selbst die Griechen, auf deren Vorbild man sich hierbei beruft, haben nur eine scheinbare Stätigkeit der Zeit beobachtet und sich erlaubt, während der ─ 159 ─ Chorgesänge weit mehr vorgehen zu lassen, als nach ihrer wirklichen Dauer vorgehen könnte. Seit Shakespeare zu der ihm gebührenden Anerkennung gekommen ist, haben sich übrigens die Dichter nicht mehr um diese Forderung gekümmert (nur die sogenannte klassische Schule der Franzosen hält sie noch fest). Man beobachtet vorzugsweise die Einheit der Handlung, und wo Sprünge der Zeit oder dem Orte nach stattfinden, sucht man sie durch die Eintheilung oder die Scenerie des Dramas zu vermitteln. Dagegen wird der Dichter immer die Sprache der Zeit, in der die Handlung spielt, möglichst analog gestalten müssen, wie auch bei der theatralischen Darstellung die Garderobe der Darstellenden, die Scenerie &c. immer der Zeit und dem Orte der Fabel entsprechen muß. §. 223. „Da schon in der dramatischen Form die Voraussetzung der sichtbaren Darstellung und der Anspruch darauf liegt, so kann ein dramatisches Werk immer aus einem doppelten Gesichtspunkte betrachtet werden, inwiefern es poetisch und inwiefern es theatralisch ist. Eins kann sehr wohl vom andern getrennt sein.“ Ein Drama kann poetisch sein, es kann auf den Leser einen ganz vortrefflichen Eindruck machen, Jm Grunde aber kann, wie A. W. Schlegel richtig bemerkt, das nicht für die Bühne berechnete Drama doch nur dann wirken, wenn man sich die Bühne hinzudenkt. während es den Zuschauer kalt läßt. Wiederum kann ein anderes Drama auf der Bühne Effekt machen, es kann großen theatralischen Werth haben, während sein poetischer Gehalt ein sehr geringer ist. Die besten Dramen werden die sein, die theatralische Wirkung mit ─ 160 ─ poetischem Gehalt vereinigen. Soll das Drama theatralisch wirken, so muß es die Aufmerksamkeit spannen, die Theilnahme erregen. „Der dramatische Dichter muß den Zuschauer gleich anfangs durch starke Eindrücke aus sich heraus versetzen, seiner Aufmerksamkeit gleichsam körperlich gebieten. Da er auf die Menge zu wirken hat, so muß er Alles, was das gewöhnliche Maaß von Geduld und von Fassungskraft übersteigt, sorgfältig vermeiden.“ Daß er dabei die allgemeine Bildung der Nation und den vorhandenen Grad der Kunstbildung berücksichtige, versteht sich von selbst. Er muß den Zuschauer zu sich empor heben, wenn er sich auch scheinbar zu ihm herabläßt. Er muß ihn mit fortreißen und dazu besonders „die Wirkung der Gegensätze benutzen, wodurch es möglich wird, ruhige Stille, in sich gekehrte Betrachtung, ja die nachlässige Hingegebenheit der Erschöpfung, eben so auffallend hervorzuheben, als in andern Fällen die gewaltsamste Bewegung, den heftigsten Sturm der Leidenschaften.“ (A. W. Schlegel. ) §. 224. Vorzugsweise in der theatralischen Wirkung beruht die hohe Bedeutung, die das Drama für das öffentliche Leben, für den Staat, für die Nationalbildung hat. Man braucht sich nur zu erinnern, wie sich hier und dort an die Aufführung von einzelnen Dramen geschichtliche Ereignisse von sehr ernstem Charakter knüpften, Anmerkung. So brach z. B. die belgische Revolution von 1830 nach der Aufführung der Stummen von Portici in Brüssel aus. wie bis auf den heutigen Tag in mehreren Ländern gewisse dramatische Dichtungen nicht auf die Bühne gebracht ─ 161 ─ werden dürfen, obgleich dieselben bühnengemäß sind und das Lesen derselben dabei Niemand verwehrt wird, ─ um die Wichtigkeit, die Macht, die das Drama auf die geselligen und staatsbürgerlichen Verhältnisse ausüben kann, zu ahnen. Hören wir darüber A. W. Schlegel: „Jm gewöhnlichen Umgange zeigen die Menschen nur ihre Außenseite. Mißtrauen oder Gleichgültigkeit halten sie davon zurück, andere in ihr Jnneres schauen zu lassen, und von dem, was unserem Herzen am nächsten liegt, mit einiger Rührung und Erschütterung zu sprechen, würde dem Ton der feinen Gesellschaft nicht angemessen sein. Der dramatische Dichter findet das Mittel, diese Schranken konventioneller, durch die Sitte vorgeschriebener Zurückhaltung einzureißen. Jndem er seine Zuhörer in so lebhafte Gemüthsbewegung versetzt, daß die äußeren Zeichen davon unwillkührlich hervorbrechen, nimmt jeder an den Uebrigen die gleiche Rührung wahr, und so werden Menschen, die sich bisher fremd waren, plötzlich auf einen Augenblick zu Vertrauten. Die Thränen, welche der Schauspieler sie für einen verleumdeten Unschuldigen, für einen in den Tod gehenden Helden zu vergießen nöthigt, befreunden, verbrüdern sie alle. Es ist unglaublich, welche verstärkende Kraft die sichtbare Gemeinschaft Vieler für ein inniges Gefühl hat, das sich sonst gewöhnlich in die Einsamkeit zurück zieht, oder nur in freundschaftlicher Zutraulichkeit offenbart. Der Glaube an dessen Gültigkeit wird durch seine Verbreitung unerschütterlich, wir fühlen uns stark unter so vielen Mitgenossen und alle Gemüther fließen in einen großen Strom zusammen. Eben deswegen ist aber das Vorrecht, ─ 162 ─ auf die versammelte Menge wirken zu dürfen, einem sehr gefährlichen Mißbrauche ausgesetzt. Wie man sie für das Edelste und Beste uneigennützig begeistern kann, so läßt sie sich auch auf der andern Seite in sophistischen Truggeweben verstricken, und von dem Schimmer falscher Seelengröße blenden, deren ehrgeizige Verbrechen als Tugend, ja als Aufopferung geschildert werden. Unter den gefälligen Einkleidungen der Poesie schleicht sich die Verführung unmerklich in die Ohren und Herzen ein. Vor allem hat sich der komische Dichter zu hüten, da er vermöge seiner Aufgabe immer an dieser Klippe hinstreift, daß er nicht dem Gemeinen und Niedrigen in der menschlichen Natur Luft mache, sich zuversichtlich zu äußern: ist durch den Anblick der Gemeinschaft auch in solchen unedlen Neigungen die Schaam einmal überwunden, welche sie gewöhnlich in die Gränzen der Anständigkeit zurück drängt, so bricht das Wohlgefallen am Schlechten bald mit zügelloser Frechheit los. Diese demagogische Kraft im Guten und Bösen hat billig von jeher die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber auf das Schauspiel gerichtet. Die Aufgabe dabei ist, die zum Gedeihen schöner Kunst nöthige ungezwungene Bewegung mit den Rücksichten zu vereinbaren, welche die jedesmalige Staats- und Sittenverfassung fordern.“ §. 225. Das Drama ist um des Theaters willen da, es erreicht seine Bestimmung erst dadurch ganz, daß es vorgestellt, aufgeführt wird. Es ist billig, daß wir auf diesen Punkt etwas näher eingehen und uns über die Stellung des Theaters zum Leben ins Klare setzen. Wir legen dem Theater eine ─ 163 ─ doppelte Tendenz bei ─ es soll zu einer geistreichen Unterhaltung dienen „Das Theater, wo der Zauber mehrerer Künste vereinigt wirken kann; wo die erhabenste und tiefsinnigste Poesie zuweilen die gebildetste Schauspielkunst zur Dollmetscherin hat, die Schauspielkunst, welche zugleich Beredtsamkeit und bewegliches Gemälde ist; während die Architektur eine glänzende Einfassung und die Malerei ihre perspektivischen Täuschungen herleiht, und auch die Musik wohl zu Hülfe gerufen wird, um die Gemüther zu stimmen, oder die schon ergriffenen durch ihre Anklänge noch mächtiger zu treffen; das Theater endlich, wo die gesammte gesellige und künstlerische Bildung, welche eine Nation besitzt, die Frucht von Jahrhunderte lang fortgesetzten Bestrebungen, in wenigen Stunden zur Erscheinung gebracht werden kann: das Theater hat einen außerordentlichen Reiz für alle Alter, Geschlechter und Stände, und war immer die Lieblings= Ergötzung geistreicher Völker. Hier sieht der Fürst, der Staatsmann und Heerführer die großen Weltbegebenheiten der Vorzeit, denen ähnlich, in welchen er selbst mitwirken konnte, nach ihren innern Triebfedern und Beziehungen entfaltet; der Denker findet Anlaß zu den tiefsten Betrachtungen über die Natur und Bestimmnng des Menschen; der Künstler folgt mit lauschendem Blick den vorüberfliehenden Gruppen, die er seiner Phantasie als Keime künftiger Gemälde einprägt; die empfängliche Jugend öffnet ihr Herz jedem erhebenden Gefühl; das Alter verjüngt sich durch Erinnerung; die Kindheit selbst sitzt mit ahnungsvoller Erwartung vor dem bunten Vorhange, der rauschend aufrollen soll, um noch unbekannte Wunderdinge zu enthüllen; alle finden Erholung und Aufheiterung, und werden auf eine Zeitlang der Sorgen und des täglichen Drucks ihrer Lebensweise enthoben.“ A. W. Schlegel . und zugleich öffentliche Bildungsanstalt sein. Wenn es leider! bei vielen, ja den meisten seiner Besucher zu einer Spielerei herabsinkt, die die Zeit raubt, die Kasse plündert und den Geist ruinirt, wenn es Schau-Spiel (in der miserabelsten Bedeutung ─ 164 ─ des Worts) wird, und wir nicht wissen, ob wir die Schuld davon mehr den Schauspielern, oder den Dichtern, oder der irrationalen Größe, die man Publikum nennt, beimessen sollen ─ so kann uns das doch nicht hindern, der Bühne jenen höhern Standpunkt einzuräumen. Das Theater soll unterhalten, aber auf eine den Geist weckende, bildende, erhebende Weise; die Kraft dazu liegt in ihm, denn der vollendetste Kunstgenuß, den die Poesie zu bieten vermag, läßt sich nur durch das Drama erreichen. Aber das Theater soll mehr: ─ es soll bilden, es soll befruchtend und belebend und allseitig fördernd in das Rad der Kultur eingreifen ─ wer wollte ihm die Befähigung dafür absprechen? Mit keiner Gattung der Poesie, als mit der dramatischen, lassen sich besondere Tendenzen so leicht und unvermerkt, so dem eigentlichen Kunstzweck unbeschadet und eben wegen der theatralischen Vorstellung so wirksam verbinden. Nur hüte sich der Dichter Tendenzen zur Schau tragen, oder den Zweck der Kunst Zwecken der Bildung unterordnen und nachstellen zu wollen, denn damit würde er nicht nur dem poetischen Gehalt seines Werkes schaden, sondern jede Wirkung von vorn herein annulliren. Die Kunst, auch die dramatische, wirkt nur durch den Reiz des Vergnügens, sie ist allein mächtig in der Freiheit. Hält das der Dichter aber immer fest im Auge, so kann er sich mittelst der Bühne große Verdienste um seine Nation erwerben. Denn von der Bühne herab lassen sich die Thorheiten und Verkehrtheiten der Zeit wirksamer geißeln, von ihr aus die Gebrechen derselben erfolgreicher heilen, ─ 165 ─ als durch Satyre und Lehrgedicht. Mehr als durch Freiheitshymnen und Kriegsgesänge läßt sich mittelst des Theaters auf die Vaterlandsliebe wirken. Ueberhaupt, was nur Beziehung auf die allgemeinmenschliche Bildung hat, ─ der Dichter darf es in seinen Kreis ziehen und weiß er nur die Sache recht anzugreifen, so kann er des guten Erfolgs gewiß sein. Nur eine Art der Wirksamkeit wünschen wir der Bühne nicht eingeräumt ─ es ist die religiös=moralische. So verwandt oft auch die Gefühle, welche ein gutes, namentlich ein gutes tragisches Drama erzeugen kann, dem eigentlich religiösen sind, so darf man deshalb doch nie dem Theater eine religiös=moralische Wirksamkeit beimessen, nie das Schauspielhaus neben die Kirche stellen wollen. Das verträgt sich, nach unserer Meinung, so wenig mit der Heiligkeit der Religion, als mit den Begriffen und Zwecken der Kunst. §. 226. Der äußern Form nach zerfällt jedes größere Drama in mehrere Akte oder Aufzüge und diese wieder in Scenen oder Auftritte. Diese Eintheilung ist einestheils ein bequemes Mittel, die Lücken der Zeit und die Veränderungen des Orts bei der Handlung zu verdecken, anderntheils gestattet sie dem Zuschauer und dem Schauspieler passende Ruhepunkte. Die Anordnung, Verbindung und Folge dieser Scenen und Akte muß durch die Folge der Handlung selbst begründet und gerechtfertigt scheinen. Daß der Akte gerade fünf sein sollen, ist eine Forderung, die Horaz so wenig, als alle, die dieselbe nach ihm stellten, naturgemäß begründen konnte. Es läßt sich weiter ─ 166 ─ nichts zur Rechtfertigung derselben sagen, als daß in den meisten Fällen (mit Rücksicht auf unsere Bühnenverhältnisse) diese Zahl als die passendste erscheint. (Doch ist trotzdem dieselbe nicht immer beibehalten, namentlich hat man der einaktigen und dreiaktigen Dramen nicht wenige.) Der erste Akt enthält die Exposition, die folgenden werden durch die Verwickelung oder Peripetie ausgefüllt, im letzten ist die Entwickelung und die Katastrophe enthalten. ─ Dem eigentlichen Drama geht wohl ein Prolog vorher, wie ihm zuweilen auch ein Epilog folgt. Der Prolog dient entweder dazu, die Handlung des Dramas historisch einzuleiten (in welchem Falle er den Verlauf der Fabel bis dahin erzählt, wo das Drama beginnt), oder er ist ein für sich bestehendes, vom Drama ganz unabhängiges Gedicht, das bei festlichen Gelegenheiten vor dem Beginn der Aufführung gesprochen wird, oder endlich er dient, wie der Epilog dazu, dem Dichter oder Schauspieler Gelegenheit zu geben, sich über ihre allgemeinen oder durch das vorliegende Drama herbeigeführten Verhältnisse zum Publikum auszusprechen. §. 227. Man hat sich für die verschiedenen Arten der Dramen sowohl der prosaischen, als auch mancherlei metrischer Formen bedient und die gewöhnliche Gesprächsweise, den Dialog, mit dem Monolog ─ dem Selbstgespräch ─ abwechseln lassen. Durch den Monolog soll dem Zuschauer mehr die innere Gemüthswelt der handelnden Personen dargelegt und Blicke in das, bei dem Dialoge nicht so offen daliegende Räderwerk der Beweggründe aufgeschlossen werden. ─ 167 ─ §. 228. Der Hauptarten der dramatischen Poesie sind vier, nämlich: 1) die Tragödie; 2) die Komödie; 3) das Schauspiel; 4) die Oper. I . Die Tragödie. §. 229. Die Art dramatischer Dichtungen, welche man im Deutschen Tragödien zu nennen pflegt, hat nicht nur den Namen von den Griechen entlehnt, Anmerkung. Der Name Tragödie soll nach der gewöhnlichen Meinung so viel wie Bockgesang bedeuten und seinen Ursprung entweder von dem Umstande, daß bei den Bachusfesten, die man durch ernste lyrische oder heroische Gesänge feierte, dem Gott zu Ehren ein Bock geopfert wurde, oder von dem Gebrauch herschreiben, wonach man bei diesen Festen dem besten Sänger einen Bock als Preis zu Theil werden ließ. sondern ruht auch in Rücksicht ihrer Entstehung und Ausbildung ganz auf griechischem Boden. Die Vorbilder, welche uns in den griechischen oder antiken Tragödien gegeben sind, haben einerseits einen sehr wohlthätigen Einfluß auf die Kultivirung der deutschen Tragödie ausgeübt, anderseits aber ist durch die Aengstlichkeit, mit der man sich häufig an dieselben gebunden, eine heillose Begriffsverwirrung und manche poetische Mißgeburt erzeugt worden. So hat die antike Tragödie für die deutsche Literatur eine sehr hohe Bedeutung gewonnen; eine Bedeutung, die es uns zur Pflicht macht, bei der Betrachtung der deutschen Tragödie auf sie mit Rücksicht zu nehmen und ihre wesentlichen Eigenthümlichkeiten heraustreten zu lassen. Niemand hat, nach unserm Ermessen, das Wesen der griechischen und das der deutschen Tragödie und den ─ 168 ─ Unterschied beider klarer und gründlicher dargestellt, als Hoffmeister in seinem ausgezeichneten Buche: „ Schiller's Leben, Geistesentwickelung und Werke.“ Jndem wir uns in dem Folgenden auf ihn beziehen, können wir nicht umhin, hier die Gefühle der tiefsten Hochachtung und Dankbarkeit gegen diesen Schriftsteller aussprechen, der durch seine Leistung seinen Namen und seinen Ruhm neben den unsers unsterblichen Schiller gestellt hat. §. 230. Sowohl in der antiken, als in der modernen Tragödie wird der Mensch dargestellt, wie er, im Kampfe mit einer bedeutenden feindlichen Macht, seiner menschlichen Freiheit und Selbstständigkeit nach obsiegt, während er seiner sinnlichen, endlichen Existenz nach unterliegt. Je nach der Verschiedenheit dieser feindlichen Macht gestaltet sich auch der Charakter der Tragödie verschieden. Bei den Griechen war diese Macht die, mit religiösem Sinn aufgefaßte, ewige Ordnung der Dinge, das Schicksal, das Verhängniß, das Fatum, dem selbst die Götter (die ja überhaupt nur personificirte Naturmächte waren) nach ihrem individuellen und nicht geeinten Willen sich unterwerfen mußten. Wie der tragische Held durch den Kampf mit solcher Macht an die Gränzen der Menschheit gestellt wurde, so geht alles in der Tragödie über das Gewöhnliche hinaus und dieselbe hat selbst dann, wenn die Götter nicht als mitwirkend eingeführt sind, eine Richtung zum Uebersinnlichen. Die ganze Auffassung, wie die Darstellung der Handlung war idealisch: während die Jdee der sittlichen Freiheit des ─ 169 ─ Menschen in ihrer vollendetsten Gestalt heraustrat, offenbarte sich zugleich die Gebundenheit, in welcher sich der Mensch seiner sinnlichen Natur nach befindet ─ übermenschliche Hoheit und menschliche Wahrheit waren vereint und gaben dem Drama das Gepräge des Erhabenen, welches das Gemüth mit heiligem Schauer erfüllte. Diesem großartigen Charakter der antiken Tragödie entsprach auch die Art, wie dieselbe aufgeführt wurde. Nicht, wie bei uns, in den engen, von dem düstern Schein der Lampen meist spärlich erleuchteten Räumen eines Schauspielhauses, sondern in den weiten Hallen eines nach oben offenen Gebäudes und bei hellem Sonnenlichte fand die theatralische Vorstellung statt. Nur Jndividuen männlichen Geschlechts waren dabei thätig; die äußere Erscheinung derselben erhielt durch den Bühnenschuh (Kothurn) und die langen schleppenden Gewänder, wie durch die, das Gesicht bedeckenden Masken, die einestheils unkenntlich machten, anderntheils der Stimme größere Stärke verliehen, etwas Uebermenschliches und Heroisch-Göttliches. §. 231. Bei allen christlichen Völkern ist an die Stelle des Fatums, des blinden Schicksals, der Glaube an den persönlichen Gott, an die, durch seine Hand bewirkte allweise Lenkung der Weltgeschicke, an die göttliche Vorsehung getreten; dadurch aber ist eine ganz andere Anschauungsweise der Dinge und des Laufes dieser Welt begründet worden. Wenn man heut zu Tage das Wort Schicksal braucht, so verbindet man mit demselben einen bei weitem andern, als den ursprünglichen Begriff: „das ─ 170 ─ Schicksal der Alten ist mit der Kultur, aus welcher es sein Leben sog, zu Grabe gegangen.“ Nur eine unbegreifliche Verblendung konnte den Versuch wagen, es in den sogenannten Schicksalstragödien wieder herauf beschwören zu wollen. Jedermann weiß, wie sehr die Verfasser derselben ( Müllner, Grillparzer, Z. Werner ) sich dabei die Finger verbrannt haben. Da nun auch kein Dichter in die Versuchung kommen wird, seinen Helden gegen Gott selbst oder gegen seine Regierung, gegen die göttliche Vorsehung in Kampf treten zu lassen, so fragt es sich, worin der moderne Tragödiker Ersatz findet für jene untergegangene, erhabene Schicksalsidee? Er kann ihn nur finden in den Einrichtungen und festgewurzelten Formen der menschlichen Gesellschaft. Jndem aber der Dichter seinen Helden in Kampf stellt mit dem Gewohnheitsmäßigen in der Kultur, mit den habituell gewordenen Zuständen der Gesellschaft, indem er in ihm das Jdeale, gleichviel ob dasselbe irrig oder wahr ist, dem Realen, die Natur der Kultur entgegensetzt ─ führt er ihm einem Feinde gegenüber, dessen Macht wohl der des Schicksals der Alten an Furchtbarkeit nicht nachsteht. Der tragische Held tritt gegen eine ganze Welt auf und verletzt eine Ordnung der Dinge, für welche Tausende sich in den Streit zu geben bereit sind. Ein solcher Kampf aber gewährt einen hocherhabenen Anblick und selbst, wenn er von sittlicher Seite verwerflich ist, wird er einen tiefen Eindruck erzeugen, sobald uns in vollendeter Kunstdarstellung durch ihn eine außergewöhnliche, gewissermaaßen übernatürliche ─ 171 ─ Kraft vorgeführt wird. Jn dieser wesentlichsten Eigenthümlichkeit unserer Tragödie sind denn auch die andern charakteristischen Merkmale derselben begründet. „Unsere Tragödie stellt mehr handelnde und strebende, die alte mehr duldende Menschen dar. Ferner: die Menschen der antiken Tragödie erscheinen uns groß und bewundernswürdig in den Lagen, in welche sie durch eine fremde Macht geführt werden; die der neuern in den Verhältnissen, in die sie freiwillig selbst treten oder die sie sich zugezogen haben.“ §. 232. Bei der Behandlung des tragischen Stoffs muß es der Dichter natürlich darauf absehen, das Jnteresse des Zuschauers zu fesseln und zu spannen. Die tragische Handlung muß die Gefühle des Mitleids, der Besorgniß und Theilnahme, die (sogenannte tragische) Furcht hervorrufen, der Held selbst muß immer bewundernswürdig erscheinen, sei es auch nur durch die riesige Kraft, die er offenbart. Die im Gemüthe des Zuschauers geweckten Empfindungen dürfen jedoch nicht überspannt werden; das Gemüth darf weder durch ein unerträgliches Grausen gemartert, noch durch eine gränzenlose Angst gepeinigt, es soll erhoben werden. Zu diesem Zwecke ist zwar immer ein ernster Ausgang der Handlung nöthig (denn sonst würden die geweckten Gefühle auf vage Weise wieder zerstört werden), aber ein eigentlich trauriges Ende (der Tod des Helden) ist, wenn auch gewöhnlich, doch keineswegs durchaus erforderlich, weshalb auch der Name Trauerspiel nicht in allen Fällen dem entspricht, was wir Tragödie nennen. Die Hauptsache ist, daß der Totaleindruck ein wirklich tragischer sei: das ─ 172 ─ Gefühl der Nichtigkeit unseres irdischen Strebens und Lebens muß uns durchdringen und niederdrücken, zugleich aber das Bewußtsein, daß der sittliche Wille des Menschen auch im Mißgeschick und bis in den Tod vor keiner Macht der Welt sich zu beugen braucht, uns halten, stärken und erheben. Jn dieser Stimmung, worin die wahre Tragödie den nicht gar zu verhärteten Zuschauer versetzt, pflegt derselbe denn auch unwillkührlich seinen Blick auf das bessere Jenseits zu richten, das für die Widerwärtigkeiten dieses Lebens entschädigen und Alles, was hier dunkel ist, in hellem Lichte zeigen soll. Jn Rücksicht der Wahl des Stoffs lassen sich beschränkende Vorschriften zwar nicht aufstellen, doch möchte es im Allgemeinen immer zweckmäßiger sein, wenn der Dichter seinen Helden den höheren Kreisen der Gesellschaft entnimmt und die Handlung in deren Bereich vor sich gehen läßt. Hier finden sich im Ganzen immer schärfer ausgeprägte Jndividualitäten, die überdieß nicht, wie die Menschen niederer Klassen, durch kleinliche Verhältnisse eingeengt und gebunden werden. Deshalb konnte das sogenannte bürgerliche Trauerspiel, das sich in den niederern Lebenskreisen oder in dem engen Bezirk der Familie bewegt, kein dauerndes Glück machen. §. 233. Die Form der Tragödie ist fast immer metrisch; und zwar ist größtentheils der fünffüßige Jambus gebraucht. Jndeß finden sich auch Tragödien in Prosa, in vierfüßigen Trochäen und in gemischten Versarten. §. 234. Erst durch Lessing's Leistungen ist der ─ 173 ─ vollendetern modernen deutschen Tragödie die Bahn gebrochen, durch seine Dramaturgie, mehr noch aber durch das Bekanntwerden Shakespeare's in Deutschland wurde der Weg, auf dem sie sich ferner auszubilden hatte, gelichtet. Eine lange Reihe von Dichtern betrat diesen Weg und wenn wir auch die Abirrungen einzelner zu beklagen haben, so knüpfen sich doch an die Namen eines Klinger, Leisewitz, Göthe, Schiller, Collin, Oehlenschläger, A. W. Schlegel, Tieck, Fouqu é , Heinrich von Kleist, W. v. Blomberg, Th. Körner, Z. Werner, Müllner, Grillparzer, Raupach, Jmmermann, Platen, Grabbe, Houwald, M. Beer, v. Auffenberg, Fr. von Heyden, H. König, J. Mosen, Gutzkow, R. Prutz, Hans Köster, F. Hebbel nur wenig mittelmäßige oder werthlose Produktionen, wohl aber viele, die man gut oder gar ausgezeichnet nennen kann. II . Die Komödie oder das Lustspiel. §. 235. Die Komödie Komödie (wörtlich so viel wie Dorfgesang) bezeichnete ursprünglich einen festlichen Umzug, den die Griechen unter Anstimmung heiterer Spottgesänge an den Bachusfesten durch die Dörfer und Fluren hielten. Hieraus bildete sich, zunächst durch Aristophanes, die griechische Komödie. Die Eigenthümlichkeiten der letztern konnten wir hier mit Stillschweigen übergehen, da ein Verhältniß, wie zwischen der griechischen und deutschen Tragödie, hier nicht obwaltet. oder das Lustspiel ist die dramatische Darstellung von Handlungen, in welchen die Schwäche, Thorheit und Eigenheit mit dem Gewohnheitsmäßigen und Anerkannten im Leben (mit der Gesit= ─ 174 ─ tung) in einer Weise kämpft, die Ergötzen und Belustigung gewährt. ─ Das Lustspiel faßt das Leben mehr von seiner sinnlichen, oberflächlichen, irdischen Seite. An die Handlungen und die Charaktere, die es vorführt, kann nur der reale Maaßstab des Verstandes, nicht der ideale der Phantasie gelegt werden. Alles in ihm muß das Gepräge der Wirklichkeit tragen. Der Scherz und das Komische bilden die Seele des Lustspiels. Was der Dichter seinen Helden und die andern Personen reden und thun läßt, kann als Schwäche und Thorheit, kann verkehrt und ungereimt erscheinen, darf aber nie sittlichen Unwillen erregen. Eben so sollen die widerlichen Lagen und Verhältnisse, der Conflikt, in welchen die Handelnden (namentlich der Held) gesetzt werden, nie wahre Theilnahme erwecken. „Das komische Unglück darf nichts anders sein, als eine am Ende zu lösende Verlegenheit, es muß als eine lächerliche Noth erscheinen, die keine ernstlichen Folgen haben wird.“ ( Schlegel. ) Deshalb tritt auch an die Stelle des ernsten Geschickes der neckende Zufall, und es ist eine der Hauptaufgaben des Dichters, „die Widersprüche, deren verwirrtes Spiel ergötzt hat, am Ende geschickt bei Seite zu schieben; wenn er sie wirklich ausgleicht, wenn die Thoren vernünftig, die Schlechtgesinnten gebessert oder bestraft werden, so ist es um den lustigen Eindruck geschehen.“ §. 236. Wenn das Lustspiel auch vorzugsweise ergötzen, belustigen soll, so kann es doch auch höhere Zwecke verfolgen. Das gute Lustspiel wird immer auch sittlich wirken; nur wird es sich mehr auf dem Boden ─ 175 ─ des Erfahrungsmäßigen halten und also vorzugsweise Lehren der Klugheit, der Lebensweisheit geben. „Die Belehrung des Lustspiels geht nicht auf die Würdigung der Zwecke, sondern bleibt bei der Tauglichkeit der Mittel stehen. Seine Moral ist die Moral des Erfolgs und nicht (wie bei der Tragödie) die der Triebfedern. Das Lustspiel soll unser Urtheil in Unterscheidung der Lagen und Personen schärfen; daß es uns klüger macht, das ist seine wahre und einzig mögliche Moralität.“ (A. W. Schlegel. ) §. 237. Nach der Art, Auffassung und Behandlung des Stoffes (der eben sowohl ein der Wirklichkeit, der Geschichte entnommener, als ein erfundener sein kann,) hat man das Lustspiel verschiedentlich eingetheilt und benannt. Zunächst unterscheidet man höhere und niedere Lustspiele. Das niedere Lustspiel, die Posse, bewegt sich entweder in einer niedern Lebenssphäre und repräsentirt dann den, in Haltung und Ausdruck kunstlosen, derben Volkswitz, oder es führt Charaktere vor, die ihrer Schwächen und Gebrechen sich wohl bewußt sind, aber so unter der Herrschaft der Sinnlichkeit stehen, daß sie dieselben wohl eher mit großer Behaglichkeit zu hegen und zu pflegen, als sie abzustellen suchen. Jm höheren Lustspiel dagegen werden Personen dargestellt, die entweder von ihren lächerlichen Eigenschaften und Schwächen nichts wissen, oder dieselben so zu verbergen suchen, daß nur eine feine Beobachtung über die wahren Triebfedern des Handelns ins Klare zu setzen vermag. Deshalb hat der Dichter solcher Lustspiele die oft schwierige Aufgabe, mittelst leicht hingeworfener, gleichsam ─ 176 ─ abgelauschter Züge den wirklichen Charakter der Handelnden durchscheinen zu lassen. ─ Jn der Posse herrscht das selbstbewußte oder eingestandene Komische, im höhern Lustspiel das Komische der Beobachtung. Je nachdem das Komische mehr in die Charaktere oder in die verwickelten Lagen der Personen gelegt ist, je nachdem ist das Lustspiel mehr Charakter= oder mehr Jntriguenstück. „Ein gutes Lustspiel soll immer beides zugleich sein, sonst fehlt es entweder an Gehalt oder an Bewegung, nur freilich kann bald das eine, bald das andere ein Uebergewicht haben.“ Das Jntriguenstück entsteht, „wenn die Charaktere nur leicht angedeutet sind, eben so viel als nöthig ist, um Handlungen der Personen in dem und jenem Fall zu begründen, wenn sich die Vorfälle so häufen und die Verwickelung so auf die Spitze gestellt ist, daß sich die bunte Verwirrung der Mißverständnisse und Verlegenheiten in jedem Augenblicke lösen zu müssen scheint, und doch der Knoten immer von neuem geschürzt wird.“ Das Charakterstück sieht es mehr auf Entwickelung der Charaktere (namentlich eines Hauptcharakters) ab und sucht dieselben deshalb so zu gruppiren, daß einer den andern ins Licht stellt. Bezweckt das Lustspiel, ein Gemälde der Zeit zu sein, stellt es insonderheit die verkehrten, thörichten Richtungen derselben in ihrer Nichtigkeit und Lächerlichkeit dar, so heißt es Sittenstück. Schließt es sich dabei in Rücksicht der Charaktere und Tendenz genau dem geselligen Leben der Gegenwart an, sucht es namentlich den, in den Unterhaltungen der Gebildeten ─ 177 ─ herrschenden Ton zu treffen, so nennt man es Conversationsstück. §. 238. Was die Form des Lustspiels betrifft, so hat man sich dabei meistentheils der Prosa bedient. Die Behauptung, daß der Vers für das Lustspiel nicht passe, läßt sich jedoch deshalb nicht aufstellen; obwohl nicht zu leugnen ist, daß eine poetische Freiheit in Rücksicht des Ausdrucks, wie sie andere Dichtungsarten gestatten, ja zum Theil fordern, hier nicht angewendet werden darf. „Jm Lustspiel soll der Vers nur zu größerer Leichtigkeit, Gewandtheit und Zierlichkeit des Dialogs dienen. Der Versbau muß, unbeschadet dem Gebräuchlichen, Ungezwungenen, ja Nachlässigen des Gesprächstones, sich von selbst einzustellen scheinen.“ Deshalb hat über die Angemessenheit des Verses oder der Prosa nur der Gegenstand zu entscheiden. Daß die Bequemlichkeit der Dichter dabei (wie häufig der Fall ist) den Ausschlag gebe, ist nicht zu wünschen. Die versifizirten Lustspiele erscheinen meist in gereimten Alexandrinern, so wie in kürzern jambischen oder trochäischen Versen (und zwar ebenfalls mit Anwendung des Reims). Den für die Tragödie und das Schauspiel so häufig gebrauchten fünffüßigen Jambus hat man mit Recht nur sehr selten angewendet. §. 239. Es ist eine bekannte und leider! begründete Klage, daß wir es im Fache des Lustspiels noch zu keinen ersprießlichen Resultaten gebracht haben. Wir suchen die Ursachen dieser unerfreulichen Erscheinung nicht, wie Einige, in einer nationalen Unfähigkeit, in dem „ deutschen Ernst, “ sondern finden sie, mit Gervinus, nur in unsern Verhältnissen. ─ 178 ─ „Durch Verhältnisse,“ sagt Gervinus, „ist allerlei Schriftstellerei bedingt. ─ Wir haben in Deutschland keine Hauptstadt und keinen Hof, der den feinen Ton für das Jntriguenstück, ja nur für ein höheres Conversationsstück angäbe, wie es in Spanien der Fall war und in Paris; wir haben kein öffentliches Leben, wie England, und besitzen daher auch keine Charakterstücke von nationalem Werthe; unsere Verhältnisse gestatten kein Lustspiel, das im Charakter der Satyre“ ─ (der immer der dem Lustspiel angemessenste und in Hinsicht des Erfolgs der ergiebigste ist) ─ „einen Gegensatz bilde gegen ausgeartete Zustände der Gesellschaft oder gegen einen überhobenen Trieb des höheren Lebens; endlich: uns fehlte lange eine scharf ausgebildete Tragödie, der gegenüber das Lustspiel sich an der Aufhüllung der niedern und gemeinen Natur des Menschen künstlerisch freut. Ueberall also drängten uns unsere Verhältnisse aus dieser Gattung hinweg und doch forderten die Bedürfnisse der Bühne, daß auch sie existire.“ Da hat man uns denn Ersatz geboten in Uebersetzungen ausländischer Komödien. Daß aber diese Uebersetzungen, wilden Fluthen gleich, über uns hereinströmen, daß ein und dasselbe Erzeugniß fremder Muse, selbst wenn es noch so miserabel an Gehalt ist, oft in zehn, zwölf und mehr verschiedenen Uebertragungen uns vorgeführt wird ─ das liegt nicht allein an dem Mangel guter deutscher Originallustspiele, das liegt auch nicht in der eingefleischten Vorliebe, die der Deutsche für alles Ausländische hat, das liegt zum großen Theil mit ─ an dem leeren Magen vieler Literaten. Wir wollen nicht, wie es uns wohl Bedürfniß wäre, hier über diesen ─ 179 ─ Punkt uns weiter auslassen, darauf hinweisen aber müssen wir, wie viele unserer vorzüglichern Talente oft dazu gezwungen sind, um des lieben Brodes willen, Lohnknechte von Uebersetzungsfabriken zu werden. Sorgt Deutschland erst dafür, daß nicht mehr, wie heute noch, das bittere, aber wahre Wort Kästner's (auf Kepler ): „Er wußte nur die Geister zu vergnügen, Drum ließen ihn die Körper ohne Brod“ auf eine Menge unserer verdientesten Schriftsteller paßt ─ dann wird mit andern Uebelständen auch die Uebersetzungswuth und der Mangel an guten deutschen Originallustspielen mehr und mehr schwinden. ─ Führen wir uns nun noch die Namen derjenigen deutschen Dichter der letzten hundert Jahre vor, die sich, mit mehr oder weniger Glück, im Lustspiel versucht haben; es sind folgende: Lessing, Göthe, Lenz, Schröder, Jffland, Kotzebue, Th. Körner, Tieck, Klinger, Brentano, Robert, Eichendorff, Müllner, H. von Kleist, Frau v. Weissenthurn, J. Voß, F. L. Schmidt, Steigentesch, Vogel, Hollbein, Benzel-Sternau, Deinhardstein, Contessa, Raupach, Grabbe, Holtei, Platen, Jmmermann, Töpfer, Bauernfeld, Gutzkow, Elsholz, Amalie v. Sachsen, Kühne, Laube. III . Das Schauspiel. §. 240. Das Schauspiel, vorzugsweise Drama (im engern Sinne) genannt, ist ein Erzeugniß der neuern dramatischen Dichtkunst und findet sich als besondere Art derselben nur in Deutschland. Es war anfangs nur eine, sich durch starke Beimischung des ─ 180 ─ Rührenden oder Ernsten auszeichnende Abart der Komödie. Jetzt steht es zwischen der Tragödie und der Komödie so ziemlich in der Mitte. Jm Allgemeinen bezeichnet man nämlich mit dem Namen Schauspiel alle die Dramen, welche weder einen tragischen, noch einen durchaus komischen Charakter haben, bei denen vielmehr der Ernst als die wesentlichste Eigenthümlichkeit heraustritt. Sodann nennt man insbesondere die dramatischen Dichtungen so, bei welchen die Verwickelung der Handlung eine glückliche Lösung gewinnt und zwar entweder dadurch, daß der Held, unbeschadet seiner poetischen Jnteressen, zeitig genug den zum Unglück führenden Weg verläßt, oder dadurch, daß er über die, seinen Zwecken feindlichen Verhältnisse siegt. Jm letztern Falle wird der Widerstand, den der Held findet, entweder nur ein zufälliger, oder der des offenbaren Unrechts sein. ─ Die beabsichtigte glückliche Lösung der Verwickelung darf der Dichter nicht durch einen sogenannten deus ex machina bewerkstelligen. Dies geschieht aber, wenn der Knoten von außen her, von fremder Hand oder auf eine, nicht im Verlauf der Handlung begründete Weise gelöst werden soll. §. 241. Es liegt im Charakter des Schauspiels, daß es eine einfachere Verwickelung habe, als das Lustspiel. Jn Rücksicht der Form unterliegt es keinen besondern Bestimmungen; überhaupt aber leiden, wie natürlich, alle den dramatischen Dichtungen im Allgemeinen geltenden Vorschriften auch auf das Schauspiel ihre spezielle Anwendung. ─ 181 ─ Auf die näheren Unterscheidungen der nach Stoff und Behandlung verschiedenen Schauspiele (historische, romantische, humoristische, idyllische, geistliche, vaterländische, didaktische u. s. f.) brauchen wir hier nicht einzugehen: sie liegen in der Bedeutung dieser speziellen Benennungen unmittelbar selbst. §. 242. Als Dichter deutscher Schauspiele sind zu nennen: Lessing, Göthe, Gemmingen, Jffland, Schröder, Kotzebue, Tieck, Kleist, Fouqu é , Klingemann, Schiller, Uhland, Babo, Raupach, Körner, Wetzel, Oehlenschläger, Kind, Houwald, Deinhardstein. IV . Die Oper. §. 243. Die Oper im weitern Sinne (auch wohl Singspiel genannt) ist ein dramatisches Gedicht mit Musikbegleitung. Jn der Oper und allen ihren Unter- und Nebenarten findet eine innige Verschmelzung der Dichtkunst und Tonkunst statt. Dieser Umstand, die musikalische Bestimmung der Oper, bringt es mit sich, daß das lyrische Element das dramatische ganz durchdringt, ja dasselbe wohl überwiegt. Die eigentliche Handlung tritt in der Oper zurück; mehr, als auf raschen Fortgang der Handlung, kommt es bei der Oper darauf an, Entwickelung und Steigerung der Gefühle hervortreten zu lassen. Deshalb muß die Hauptaufgabe des Dichters die sein, die Personen in solche Situationen zu bringen, in welchen sie ihre Gefühle äußern können, und zwar Gefühle, die nur mittelst der Musik vollständig ausgesprochen und ver= ─ 182 ─ standen werden. So tritt die Poesie selbst ganz in den Hintergrund. Dies ist um so mehr der Fall, je mehr die Oper durch die Beihülfe anderer Künste, durch Tanz und Dekoration zu wirken sucht. Der Dichter hat, wie A. W. Schlegel bemerkt, nur eine poetische Skizze zu liefern, deren Umrisse nachher durch die übrigen Künste ausgefüllt und gefärbt werden. Die Oper zeichnet sich gewöhnlich durch äußeren Glanz aus: sie wirkt vorzugsweise mittelst der Sinne. Dieser Umstand bestimmt denn auch die Beschaffenheit ihres Stoffes. Größtentheils wird derselbe ganz romantischer Natur sein. ─ Die untergeordnete Rolle, die die Poesie in der Oper spielt, ist wohl die Hauptursache davon, daß wir fast keine Oper von eigentlich poetischem Gehalte besitzen. Dichter von Beruf und von Ruf wollen sich nicht dazu hergeben, ihre Kunst zur Magd der andern zu machen und ihrem Ehrgefühl kann es auch nicht gleichgültig sein, wenn das gesammte Publikum bei den Opern nur von der Komposition und dem Komponisten spricht und des Gedichts und des Dichters mit keiner Silbe gedenkt. Dazu kommt noch der Umstand, daß man nur dann musikalisch dichten kann, wenn man entweder selbst musikalisch, oder doch aufs Jnnigste mit dem Wesen der Musik vertraut ist. Da das auch bei wenigen Dichtern der Fall ist, so bekommen wir ─ Texte, und zwar der großen Menge nach solche, die der Oper als Dichtungsart eine so unbedeutende Stelle anweisen, daß, hätten wir nicht der Vollständigkeit zu Liebe gehandelt, wir ganz über sie würden geschwiegen haben. §. 244. Nach der Art des Stoffes, so wie ─ 183 ─ nach der Behandlung und dem Umfange desselben theilt man die Oper in mehrere Arten und unterscheidet: a . die ernste oder große Oper ( opera seria ). Sie ist ihrem Stoffe nach der Tragödie oder doch dem ernsten Schauspiel verwandt. Jm letztern Falle heißt sie romantische Oper, Zauberoper &c., wenn die Fabel in dem Mittelalter, oder in der Zauber- und Mährchenwelt spielt. Jn ihr herrscht durchweg Gesang. b . Die komische Oper ( opera buffa ) ähnelt in Rücksicht ihres Stoffes dem Lustspiel und läßt den Gesang mit dem Dialog abwechseln. c . Die Operette, das Singspiel im engern Sinne, läßt ebenfalls den Dialog und Gesang abwechseln und unterscheidet sich durch größere Einfachheit und geringeren Umfang von der ernsten und komischen Oper. d . Das (den Franzosen nachgebildete) Vaudeville ist ein Lustspiel oder eine Posse mit Liedern, deren Melodien beliebten Volksgesängen entnommen sind. e . Das Jntermezzo ist eine den Jtalienern nachgeahmte kleine komische Oper für zwei oder drei Personen, die als Zwischenakt für zwei verschiedene Theaterstücke oder auch dazu dient, bei einem und demselben Drama eine angenehme Unterbrechung herbeizuführen. Sowohl im erstern, als im letztern Falle steht sie außer allem innern Zusammenhange mit der Hauptvorstellung. f . Das Melodram (Monodram, Duodram). Jm Melodram wird die Deklamation nicht durch Gesang unterbrochen, die Musik dient nur dazu, die Rede einzuleiten oder zu begleiten oder auch die Pausen in derselben auszufüllen. Das Melodram wird Monodram genannt, wenn nur eine Person darin auftritt; Duodram ─ 184 ─ dagegen, wenn die Handlung von zwei Personen ausgeführt wird. §. 245. Als einzelne Theile der Oper sind anzuführen: Recitativ, Ariosa, Arie (Ariette), Cavatine, Duett, Terzett, Quartett, der Chor u. s. w. (Siehe §. 146!) ────── Anhang. §. 246. Es bleibt uns nun noch übrig, mit Wenigem derjenigen poetischen Erzeugnisse zu gedenken, die sich zu eigentlichen Dichtungsarten noch nicht durchgebildet haben, sondern, mit geringer Ausnahme, nur als in dichterische Form gekleidete Spielereien des Verstandes und Witzes erscheinen. Diese sind die Parodie und Travestie und das Räthsel mit seinen Nebenarten. §. 247. Die Parodie und die Travestie. Die Parodie (wörtlich Nebengesang ) und die Travestie (so viel wie Umkleidung ) haben das Gemeinschaftliche, daß sie in sich selbstständige Parallelen zu allgemein bekannten Gedichten bilden. Die Parodie trägt die Folge der Gedanken, die Art des Ausdrucks derselben, so wie die äußere Form des parallelisirten Gedichts auf einen andern, gewöhnlich gemeinern Gegenstand über; die Travestie behält den Gegenstand bei, sucht ihn aber ─ meist dadurch, daß sie ihn seiner ursprünglichen poetischen Form entkleidet ─ in's Komische und Lächerliche zu ziehen. Die Travestie, wie die ─ 185 ─ Parodie ist satyrischer Tendenz: beide suchen durch Witz und Laune zu unterhalten. Je nach der Art der zum Grunde liegenden Gedichte erscheinen die Travestien und Parodien bald als lyrisch, bald als episch, bald als dramatisch. Parodie und Travestie sind in Deutschland nicht besonders viel kultivirt worden und man wird Recht haben, wenn man der Meinung ist, daß die Ursache hiervon in dem mehr dem Ernsten zugewendeten Charakter der Deutschen liegt, der es schwer verträgt, daß man das Große und Schöne in irgend einer Weise persiflire. §. 248. Das Räthsel. Das Räthsel im allgemeinern Sinne ist ein Produkt des Scharfsinnes, bei welchem es darauf ankommt, einen ungenannten Gegenstand aus der Zusammenstellung einzeln angegebener Eigenschaften zu errathen. Soll das Räthsel gut sein, so muß es das Errathen des Gegenstandes möglichst erschweren, gleichwohl aber diejenigen Merkmale andeuten, welche in ihrer Vereinigung ein vollkommen treffendes, anschauliches Bild desselben geben. Diesen zwiefachen Zweck wird es erreichen, wenn es solche Merkmale vorführt, die einander zu widersprechen scheinen, oder auch wenn es Eigenschaften angiebt, die einzeln ─ aber nicht in ihrer Gesammtheit ─ zugleich andern Gegenständen, und zwar solchen angehören, auf die der Rathende leicht fällt. ─ Das Räthsel hat demnach einen allegorischen Charakter, nach seiner äußern Erscheinung ist es dem Epigramm verwandt. Es nimmt die verschiedensten poetischen Formen an; häufig erscheint es auch im Gewande der Prosa. ─ 186 ─ §. 249. Die einzelnen Arten des Räthsels sind folgende: das Räthsel (im engern Sinne), die Charade, das Logogryph und die Homonyme. Das Räthsel im engern Sinne, auch wohl Worträthsel genannt, charakterisirt immer gleich das ganze Wort. Die Charade, das Silbenräthsel, zerlegt ein (zusammengesetztes) Wort in seinen einzelnen Silben, charakterisirt erst die Bedeutung dieser und dann die des Ganzen in der oben angegebenen Weise. Das Logogryph oder Buchstabenräthsel bildet durch Wegnahme, Versetzung oder Veränderung einzelner Buchstaben eines Wortes neue Wörter, läßt durch angegebene Merkmale diese Wörter und durch diese dann das eigentliche Räthselwort errathen. Findet eine Versetzung der Buchstaben statt, so nennt man das Logogryph auch Anagramm. Enthält das Räthselwort eine mehrfache Bedeutung und wird es hiernach charakterisirt, so heißt das Räthsel Homonyme. §. 250. So groß auch die Zahl der Räthsel ist, die wir besitzen, so haben doch nur verhältnißmäßig wenige poetischen Werth. Fast nur die Schiller 'schen zeichnen sich in dieser Hinsicht rühmlich aus. Doch auch das Gute, was Apel, Roos, Th. Hell (Winkler), Kind, Moser, Houwald u. a. in diesem untergeordneten Fache geleistet haben, wollen wir nicht verkennen. Sollen wir schließlich den Wunsch aussprechen, daß die begabteren Dichter der Gegenwart sich nicht ganz ─ 187 ─ den Produktionen dieser Art entziehen möchten? Wir zweifeln fast, daß wir damit einem allgemeinen Verlangen Ausdruck verleihen würden. Bietet doch das Leben selbst der Räthsel so viele! Gehen doch Tausende und aber Tausende dahin, denen sowohl unsere irdische, als auch unsere himmlische Bestimmung ein großes Räthsel bleibt! Eine würdigere Aufgabe darum, als die Schürzung neuer Räthsel, ja die würdigste und höchste mögen unsere Poeten darin finden, daß sie auch durch ihre Kunst ─ die ja eine göttliche genannt wird ─ der Menschheit dieses gewaltige Räthsel mehr und mehr lösen helfen! ─ 188 ─ Hinweisung auf die, zum Belege und zur Erläuterung des Textes dienenden Beispiele in den Gedichtsammlungen von Echtermeyer, Kurz, Schwab, Wackernagel und Wolff. (Siehe das Vorwort!) Echter- Wacker- §. unseres meyer. Kurz. Schwab. nagel. Wolff. Lehrbuch's. Seite. Seite. Nummer. Seite. I . 493. 485 bis II. 261. 681. 687. 91─93. 490. 525. 501,2. 515 415. 83─91. 689. 542. 581 Die römischen Ziffern beziehen sich auf die Theile, die arabischen auf die Seitenzahl. I. 529. 94. II. 200,1. 92. 232. Die kleinern Ziffern deuten an, das wie vielte der auf der angegebenen Seite befindlichen Gedichte gemeint sei. II . 295. 418. (95─97.) 95. 383. 473. 580. 673. 676 ff. 98─102. 337. 338. 681. Die eingeklammerten Nummern sind Uebersetzungen, auf die leidet der Text nicht immer Anwendung. 259 bis 96. II. 585. 93. 94. 261. I . 389. 528. 406 bis 103 bis 214 bis 97─99. 491. II . 277. 414. 138. 226. 226 327. 574 659 ff. bis 230. ff. 695. II . 262,3. (139.) 233 bis 100. 725. 424. 668. 140 bis 239. 142. ─ 189 ─ Echter- Wacker- §. unseres meyer. Kurz. Schwab. nagel. Wolff. Lehrbuch's. Seite. Seite. Nummer. Seite. 242 bis 101. II. 581. (143.) 244. I . 278,3. 309. 328. 175 bis 239,2. 105. 106. 517,2. 178. 179 240. 241. 697. bis 181. II . 586 bis 211 bis 256 bis 109. 588. 698. 600. 690. 231. 259. 699,1. 29─36. I . 41. 236. 116 ff. 327. 544 7. 41. 43. 124. II . 343 ff. 374 ff. bis 625. 44. 26. 739. 612. 29. 30. I . 495. 180 ff. 81,1. 98,2. 126. 497. 352. 500. 511 bis 99,1. II. 509. 515. 518. 105,1.2.3. I. 481,2. 102. 166. 494. 90,2. 95. 127. II . 1. 7. 175. 486. 452. 465. 105,4. 324 ff. I . 183. 128 und 184. 37, 240 ff. 433 bis 78. 94. 129. 206. 265. II . 488,2. 385 ff. 448. 96. 101. 497 ff. I. 433. 66. 67. 480,4. 338. 516. 460. 461. 83,1. 130. 176. 294. II . 316. 582 ff. 466 ff. 99,2. 506. 743 ff 487. 100. 103,2 I. 415,1.3. 481,2. 166. 173. 59,2. 131. II . 1. 175. 203. 422. 488. 78,2. 199,3. 79,2. ─ 190 ─ Echter- Wacker- §. unseres meyer. Kurz. Schwab. nagel. Wolff. Lehrbuch's. Seite. Seite. Nummer. Seite. I . 43─47. 44 ff. 118. 127. 416 ff. 130 ff. 131 ff. 133 ff. 514. 516. 435 ff. 245 ff. 59─78. 134. II . 455 ff. 393 ff. 143 ff. 688 ff. I . 47. 55. 53. 141. 58. 592 129. 146,3 136. 519. 521. 216. 704. 238. bis 594. 160,2. 461. 463. 166 bis 141. 534. I . 506 ff. 256. 258. 79─82. 168. I . 281. 466 164 bis 142. II. 40. 263. 166. I . 196,2. 246 bis 145. 311. 345. 254. I. 420. 422. 498. 143. 200. 3. 4. 8. 177. 178. 149. 359. 557. II. 460. 515. 11. 140. 180. 182. 462. 183. 185. 205. 197 152. II . 270. bis 211. I . 33 ff. 88. 89. 154 569 ff. 63 ff. 563 90. 155 bis 18─24. 1119 bis bis 623 ff. bis 565. 158. 264. 35. 351. 1131. 159. II . 469 ff. 308 ff. 356. 357. 472. 752. I. 280. 557 II . 295. 456. 457. 1100 bis 160. 528. 297. 507. 530. 459. 1117. 651,2. I . 487. 491 1044 bis 166. 564. 522. 526. 5. 1061. ─ 191 ─ Echter- Wacker- §. unseres meyer. Kurz. Schwab. nagel. Wolff. Lehrbuch's. Seite. Seite. Nummer. Seite. I . 212. 49. 56 ff. 161 bis 980 bis 168. 582. II . 12. 301. 166. 1023. 735,2 ff. 744 ff. I . 241,1. 1024 bis 169. 361. II. 189,1. 599. 46. 53. 1043. 699,2. I . 20. 25. 275. 284. 69 ff. 72. 277. 279. 175. 94. 148. II . 207,2. 78. 150 ff. 281. 283. 711. 741. 286. I. 328. 77. 153. I . 28. 55. 180 37. 219. 347. 350. 197. 214 56. 57. 1090 bis bis 449. 492. 532. ff. 467. 101. 197. 1099. 185. II. 5. 522. 468. 268. 304. 580. 618. 316. I. 397. 12. 40. II. 215. 84. 128. 9. 98. 99. 254. 302. 186. 124. 322. 520. 418. 453. 157. 158. 337. 383. 473. 674,2. 676. 728. 267. 303. I . 357. 14. 22. 368. 542. 147. 432. 198. 208. 365 bis 188. 96. 111. II. 177. 720. 265. 407. 226. 277. 425. 738,2 I . 177. 1064 bis 196. 413. 560. 466,2. 515 6. 54. 1087. I . 400. 182 ff. 54. 119. 538 bis 200. 277. 121. 131. 540. 301. 302. 408 bis 199. 208. 221. II . 45 ff. 271 ff. 318. 321. 584. 250. 374. 290. 310. 329. 330. 376. 531. 532. 381 ff. 635. 393 ff. Bei W. Langewiesche in Barmen ist unter Anderm ferner erschienen: Erbauliche Parabeln von Christian Scriver, einst Oberhofprediger und Consistorialrath in Quedlinburg. ────── Sprachlich verjüngt und als Schatzkästlein auf alle Tage des Jahres geordnet. ────── Vierte, verbesserte Auflage, (sieben und zwanzigste von „Gotthold's zufällige Andachten“). ────── 8. Fein Papier. Mit Stahlstichen. Gebunden. Preis 1½ Thlr. ────── (Eine Ausgabe in kleinerem Format, nicht ganz so vollständig und ohne Stahlstiche, bei demselben Verleger erschienen und betitelt „Chr. Scriver's Gleichnissandachten“ &c., ist geheftet für ⅔ Thlr. zu haben). Dieses Werk „bildet einen kostbaren Diamantenschmuck aus 366 edlen, ächten Steinen, in deren jedem sich der Himmel spiegelt. Es ist ein Buch für Jedermann, vom Bettler auf dem Strohlager bis zum Fürsten auf dem Throne.“ ─ „ Scriver ist lichtvoll wie die Alpengipfel beim Aufgange der Sonne in ihrer Pracht, scharf wie das Schwert Gideons, süß wie Honig und Honigseim, mild wie ein Frühlingsthau im Mondenschimmer, fruchtbar wie ein von Gott gesegneter Garten, christlich wie ein Apostel!“ ────── Sagen- und Mährchenwald im Blüthenschmuck . Von L. Wiese. 2 Bde., geheftet. Preis 2 Thlr. ────── Westphälische Volkssagen in Liedern von L. Wiese. Geheftet. Preis ⅓ Thlr. Auch über diese beiden Werkchen hat sich in den geachtetsten deutschen Blättern die Kritik aufs günstigste ausgesprochen.