Das Gesammtgebiet der teutschen Sprache , nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und practisch dargestellt von Karl Heinrich Ludwig Pölitz. ────── Dritter Band. Sprache der Dichtkunst . Leipzig, 1825. J. C. Hinrichssche Buchhandlung . Jnhalt des dritten Theiles . ────── Das Gesammtgebiet der Sprache der Dichtkunst. Einleitung. 1. Vorbereitende Begriffe. S. 1 2. Der eigenthümliche Charakter der Sprache der Dichtkunst. 4 3. a ) Verhältniß des Gefühlsvermögens zur Sprache der Dichtkunst. 6 4. Fortsetzung. 7 5. b ) Verhältniß der Einbildungskraft zur Sprache der Dichtkunst. 11 6. Fortsetzung. 14 7. c ) Die Technik der dichterischen Form. 18 8. Fortsetzung. 21 9. Fortsetzung. Ueber Prosodie in der teutschen Sprache. 23 10. Fortsetzung. Ueber den Reim. 28 11. Eintheilung der Dichtungsarten. 31 12. Die drei Schreibarten in der Sprache der Dichtkunst. 34 1) Die lyrische Form der Dichtkunst. 13. Charakter und einzelne Theile der lyrischen Dichtkunst. S. 36 14. a ) Das Lied. 39 15. Beispiele des religiösen Liedes, von Luther, Opitz, Spee, Dach, v. Cronegk, der Gottschedin, Joh. Andr. Cramer, Sturm, Fr. Leop. Graf zu Stolberg, v. Matthisson, Mahlmann, Tiedge. 42 16. Beispiele des weltlichen Liedes vom Kaiser Heinrich 6, Markgrafen Otto mit dem Pfeile, Joh. Valent. Andreä, Andr. Tscherning, v. Canitz, J. Chstn. Günther, Lessing, Gleim, Weiße, v. Halem, v. Salis, Voß, Ludw. Tieck, Kuhn, v. Houwald, und Grafen v. Löben (Jsidorus Orientalis). 58 17. b ) Die Ode. 79 18. Beispiele der Ode von Paul Flemming, Klopstock, v. Gerstenberg, Eulog. Schneider, Niemeyer, Heydenreich, v. Herder, v. Sonnenberg, Starke, Voß und einem Ungenannten. 85 19. c ) Die Hymne. 108 20. Beispiele der Hymne von Tscherning, Uz, Gleim, Mor. Aug. v. Thümmel, Lavater, Fr. Leop. Graf zu Stolberg, Kosegarten, Seume. 110 21. d ) Die Dithyrambe. 130 22. Beispiele der Dithyrambe von Willamov, Blum, Kuhn. 132 23. e ) Die Rhapsodie. 139 24. Beispiele der Rhapsodie von Ramler und Kosegarten. 140 25. f ) Die Elegie. S. 143 26. Beispiele der Elegie von Drollinger, Albr. v. Haller, Hölty, v. Herder, J. Geo. Jacobi, Manso, v. Matthisson, Mahlmann, Kuhn, Kosegarten. 147 27. g ) Die Heroide. 166 28. Beispiel der Heroide von Wieland. 170 29. h ) Die Cantate. 175 30. Beispiele der Cantate von Gottsched, Karl Gtfr. Küttner, Fr. Leop. Graf zu Stolberg, Ramler. 183 31. i ) Das Sonett. 193 32. Beispiele des Sonetts von Paul Flemming, Katharina v. Greiffenberg, Andr. Gryphius, v. Hoffmannswaldau, Schiebeler, Bürger, Aug. Wilh. v. Schlegel, Baggesen. 195 33. k ) Das Madrigal, Rondeau und Triolet. 203 34. Beispiele zu diesen Formen von v. Hagedorn, Lessing, Tiedge, Gleim, Klamor Schmidt, Ernst Schulze, Haug, v. Reinhard, Schneider, und einigen Ungenannten. 204 2) Die didactische Form der Dichtkunst. 35. Charakter der didactischen Form der Dichtkunst. 209 36. Beispiele aus dem Lehrgedichte von Opitz, Zernitz, Dusch, Withof, Heydenreich, v. Schiller, v. Nostitz und Jänckendorf (Arthur vom Nordstern), Manso, Conz, Christ. Schreiber, Tiedge, Pölitz. 218 3) Die epische Form der Dichtkunst. 37. Charakter und einzelne Theile der epischen Form der Dichtkunst. 248 38. Fortsetzung. S. 252 39. a ) Das ernste Heldengedicht. 255 40. Beispiele desselben von v. Schönaich, Klopstock, Bodmer, v. Sonnenberg, Fr. Aug. Müller. 262 41. b ) Das komische Heldengedicht. 284 42. Beispiele desselben von Rollenhagen und v. Thümmel. 286 43. c ) Die Romanze und Ballade. 297 44. Beispiele von Seume, Wilh. Aug. v. Schlegel, Luise Brachmann, v. Steigentesch. 301 45. d ) Die Legende. 318 46. Beispiele von v. Herder, v. Göthe, Langbein. 319 47. e ) Die poetische Erzählung. 327 48. Beispiele von Burcard Waldis, Hans Sachs, Tscherning, Zernitz, Gotter, v. Thümmel, Pfeffel, v. Gökingk, Aloys Schreiber. 330 49. f ) Die Fabel. 344 50. Beispiele von Bonerius, Burcard Waldis, v. Hagedorn, J. Benj. Michaelis, Lessing, Pfeffel, Gleim, v. Kleist, Burmann, J. Nic. Götz, Tiedge, Zink, Krummacher. 347 4) Die dramatische Form der Dichtkunst. 51. Charakter und einzelne Theile der dramatischen Form der Dichtkunst. 363 52. Fortsetzung. 365 53. Fortsetzung. 371 54. a ) Das Trauerspiel. 377 55. b ) Das Lustspiel. 383 56. c ) Das Schauspiel. 387 57. d ) Das Singspiel. S. 390 1) Melodrama. 58. Fortsetzung. 393 2) Oper. 3) Operette. 5) Die Ergänzungsklasse der vier Hauptformen der Dichtkunst. 59. Begriff und einzelne Formen der Ergänzungsklasse der Dichtkunst. 397 60. a ) Die Jdylle. 399 61. Beispiele derselben von Sal. Geßner, Reckert, Blum, Bronner. 401 62. b ) Die poetische Epistel. 410 63. Beispiele von v. Ziegler und Kliphausen, Chstn. Gryphius, v. Cronegk, Blumauer, Justi, v. Thümmel, Tiedge, Müchler, Schink. 412 64. c ) Die dichterische Schilderung. 426 65. Beispiele von Schwieger, Schottel, v. Hoffmannswaldau, v. Lohenstein, Joh. Nic. Götz, Gotter, Schubart, Jean Paul, Oehlenschläger, Tieck, Schink. 428 66. d ) Die Parabel und Paramythie. 442 67. Beispiele von Krummacher, Hamann, v. Herder. 444 68. e ) Der Dialog und Monolog. 448 69. Beispiele von Kosegarten, v. Schiller, Heydenreich. 451 70. f ) Die Satyre. 457 71. Beispiele von Rachel, Neukirch, Rabener, Falk. 549 72. g ) Die Parodie und Travestirung. 471 73. Beispiele von Gittermann, Bretschnei= der, Müchler, Blumauer und zwei Ungenannten. S. 475 74. b ) Der Roman, das Mährchen und die Novelle. 482 75. Fortsetzung. 487 76. Schluß. 490 77. i ) Das Sinngedicht und Epigramm. 491 78. Beispiele von v. Logau, Heydenreich, Conz, J. Geo. Jacobi, v. Schiller, Pfeffel, Klam. Schmidt, Klinkicht, Mnioch, Flemming, Chstn. Gryphius, Wernike, Lessing, Bürger, Kretschmann, Haug, Buddeus, Herklots, Weißer, Bouterwek, v. Kyaw und einigen Ungenannten. 493 79. k ) Das Räthsel, die Charade, der Logogryph und das Anagramm. 499 80. Beispiele von Müchler, Langbein, Kind, Heyne und einigen Ungenannten. 501 Berichtigungen . S. 88 Z. 18 v. o. l. mein en. ─ ─ Z. 6 v. u. l. 3 statt 2. S. 100 Z. 11 v. o. l. 1805. S. 176 Z. 1 v. u. l. durch diese. Das Gesammtgebiet der Sprache der Dichtkunst. ────────────────── Einleitung. 1. Vorbereitende Begriffe. D ie Begründung und Entwickelung des selbstständigen Charakters der Sprache der Dichtkunst, nach der ursprünglichen, im Wesen des menschlichen Geistes selbst enthaltenen, Verschiedenheit derselben von der Sprache der Prosa und der Beredsamkeit, ist nur vermittelst der Philosophie der Sprache möglich, inwiefern diese von der ursprünglichen Gesetzmäßigkeit des menschlichen Geistes ausgehet, und in den Thatsachen des Bewußtseyns die Ankündigung der drei selbstständigen Vermögen desselben ─ des Vorstellungs=, des Gefühls- und des Bestrebungsvermögens ─ nachweiset. Denn, wenn gleich im Allgemeinen jeder Darstellung durch Sprache zunächst die Vorstellung des dargestellten Gegenstandes, und also eine Thätigkeit des Vorstellungsvermögens vorausgehen muß; so stammen doch die verschiedenartigen Stoffe der Sprachdarstellung nicht blos aus dem Vorstellungsvermögen. Es sind vielmehr das Gefühls- und das Bestrebungsvermögen eben so, wie das Vorstellungsvermögen, ursprüngliche Quellen des Stoffes, der durch Sprache dargestellt wird. Weil aber das Gefühl und die Bestrebung nicht unmittelbar als Gefühl und Bestrebung in der Sprache dargestellt werden können, sondern nur mittelbar durch Vorstellungen, in welche die Gefühle und Bestrebungen aufgelöset werden müssen, bevor sie in den Kreis der Sprachdarstellung übergehen können; so ergiebt sich auch daraus von selbst, weshalb der Ursprung der Sprache der Dichtkunst aus dem tiefbewegten menschlichen Gefühlsvermögen und der Ursprung der Sprache der Beredsamkeit aus den zu dem Bewußtseyn gelangten einzelnen Zuständen des menschlichen Bestrebungsvermögens so häufig verkannt werden konnte, woraus die unrichtige Auffassung der Eigenthümlichkeit und des Grundcharakters der Sprache der Dichtkunst und der Beredsamkeit für Theorie und Praxis von selbst hervorging. Nur erst, nachdem in der Philosophie selbst die drei geistigen Vermögen nach ihrer ursprünglichen Selbstständigkeit, nach ihrer Eigenthümlichkeit, nach ihrer Verschiedenheit von einander, und nach ihrer Gleichordnung (Coordination) in Beziehung auf die Ankündigung ihrer Thätigkeit im Bewußtseyn wissenschaftlich durchgeführt worden waren, konnte auch in der Philosophie der Sprache (Th. 1. S. 146 ff.) die ursprüngliche Selbstständigkeit und Eigenthümlichkeit der Sprache der Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit ─ in Angemessenheit zu der im Bewußtseyn vorausgehenden Thätigkeit des Vorstellungs=, Gefühls- und Bestrebungsvermögens ─ wissenschaftlich entwickelt, und eben so die wesentliche Verschiedenheit der äußern Ankündigung dieser drei Sprachen, wie die Gleichordnung derselben in Beziehung auf den durch sie vermittelten wörtlichen Ausdruck der innern Zustände des Bewußtseyns durch Sprache, nachgewiesen werden. Denn so nahe auch im Kreise der Wirklichkeit die einzelnen Gebiete der Sprache der Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit an einander grenzen; so muß doch die Philosophie der Sprache zwischen diesen Sprachgebieten eben so scharf unterscheiden, und eben so genau ihren Umfang ausmessen, ihre Grenzen bezeichnen und ihren Jnhalt angeben, wie die Philosophie, in ihrem theoretischen Theile, den eigenthümlichen Charakter jedes der drei geistigen Vermögen nach seiner Ankündigung und nach seiner Verschiedenheit von den beiden andern Vermögen aufstellt, obgleich alle drei Vermögen Einem und demselben geistigen Subjecte angehören, und in Einem und demselben Bewußtseyn wahrgenommen werden. So wie aber die Wirksamkeit jedes der drei geistigen Vermögen, nach seiner Ankündigung im Bewußtseyn, in der Wissenschaft als ein in sich zusammenhängendes und abgeschlossenes Ganzes dargestellt werden kann und dargestellt werden muß, so nahe übrigens diese drei geistigen Vermögen einander verwandt sind und so oft die Zustände derselben in einander verschmelzen; so muß auch jedes einzelne Gebiet der Sprache der Prosa, der Dichtkunst und der Beredsamkeit als ein in sich abgeschlossenes Ganzes, nach allen seinen Gattungen, Arten und Formen, wissenschaftlich aufgestellt und durchgeführt werden, wenn gleich im Umfange der Sprache selbst diese Gebiete genau an einander grenzen und sich nicht selten gegenseitig berühren. 2. Der eigenthümliche Charakter der Sprache der Dichtkunst. Wenn der eigenthümliche Charakter der Prosa auf der Darstellung der unmittelbaren Zustände des menschlichen Vorstellungsvermögens, und der eigenthümliche Charakter der Beredsamkeit auf der Darstellung der einzelnen Zustände des menschlichen Bestrebungsvermögens vermittelst der Sprache beruht; so beruht der eigenthümliche Charakter der Sprache der Dichtkunst auf der Darstellung der individuellen Gefühle vermittelst der Sprache, unter der Bedingung der Jdealisirung dieser Gefühle durch die Selbstthätigkeit der Einbildungskraft. Nach dieser Begriffsbestimmung gehört daher zum Wesen des Dichters zuerst ein lebendiges, tiefes, sorgfältig und gleichmäßig gebildetes Gefühl, weil weder der Ausdruck bloßer Vorstellungen, noch bloßer Bestrebungen das Gepräge der Dichtkunst tragen kann; sodann eine selbstthätige Einbildungskraft, welche die individuellen Gefühle zu idealisiren vermag, weil nur derjenige Dichter ist, der die ihm einwohnenden individuellen Gefühle im Lichte des Jdeals darzustellen im Stande ist; und endlich eine Form der Sprache, unter welcher der idealisirte Ausdruck der individuelleu Gefühle nicht nur sogleich erkannt werden kann, sondern die auch wegen ihrer vollendeten äußern (technischen) Schönheit um ihrer selbst willen gefällt. Wenn also der eigenthümliche Charakter der Dichtkunst theoretisch begründet und wissenschaftlich durchgeführt werden soll; so müssen drei Hauptgegenstände in kurzen Umrissen erläutert werden, wovon die beiden ersten das innere Wesen der Dichtkunst, nach ihrer Verschiedenheit von dem ursprünglichen Wesen der Prosa und Beredsamkeit im menschlichen Geiste bezeichnen, der dritte aber die äußere Ankündigung der Dichtkunst in dem Kreise der Sprache betrifft. Denn wenn, nach der hier aufgestellten Theorie, ein reiches, tiefes und vielseitig gebildetes Gefühlsvermögen die unnachlaßliche Grundbedingung des eigenthümlichen Charakters und des Wesens der Dichtkunst bildet; so kann doch nur der als Dichter gelten, dessen Einbildungskraft so reich, so kräftig und so ausgebildet ist, daß er seine individuellen Gefühle zu idealisiren und unter der Hülle des Jdeals in der Sprache darzustellen vermag. Soll aber das Letzte ihm gelingen; so muß er auch über die Sprache nach ihrem ganzen Umfange gebieten, damit unter der von ihm geschaffenen Form der Sprache die Ursprünglichkeit seines dargestellten Gefühls und die Jdealisirung desselben vermittelst der Einbildungskraft bestimmt hervortrete. Denn nicht blos Sylbenmaas oder Reim, sondern die unverkennbare Ankündigung eines individuellen, durch die Einbildungskraft idealisirten, Gefühls vermittelst der Form der Sprache, entscheidet über die äußere (technische) Vollkommenheit der dichterischen Darstellung, während ─ im entgegengesetzten Sinne ─ bei erlangter Fertigkeit in prosodischer Bildung rhythmischer Reihen, das, was nach seinem ursprünglichen Wesen nur Prosa ist, und durchaus nicht in das Gebiet der Sprache der Dichtkunst gehört, unter der äußern Hülle von Sylbenmaas und Reim sich ankündigen kann. 3. a ) Verhältniß des Gefühlsvermögens zur Sprache der Dichtkunst. Gäbe es im menschlichen Geiste kein selbstständiges, vom Vorstellungs- und Bestrebungsvermögen verschiedenes, Gefühlsvermögen; so gäbe es auch im Gesammtgebiete der menschlichen Sprache keine selbstständige, von Prosa und Beredsamkeit ursprünglich verschiedene, Sprache der Dichtkunst. Die Selbstständigkeit und der eigenthümliche Charakter der Sprache der Dichtkunst steht und fällt daher mit der ursprünglichen Selbstständigkeit und mit der ursprünglichen Eigenthümlichkeit des menschlichen Gefühlsvermögens nach seiner Ankündigung im Bewußtseyn. Denn so unentbehrlich die Thätigkeit der Einbildungskraft zur Vollendung einer dichterischen Form bleibt; so liegt doch der im Gedichte darzustellende Stoff nicht im Kreise der Einbildungskraft, sondern im Kreise des Gefühlsvermögens. Forschen wir daher nach allen gelungenen dichterischen Gebilden vom Homer an bis auf Göthe und Schiller; so mußte der Stoff der Dichtungen aus ihren Gefühlen stammen, obgleich die Einbildungskraft dieser Dichter den Stoff zu der Form gestaltete, unter welcher der im Gefühlsvermögen gebohrne Stoff, als vollendete Form, in den Kreis der äußern Sprachdarstellung eintrat. Bei keinem Vermögen des menschlichen Geistes ist es aber so schwierig, wie bei dem Gefühlsvermögen, das Ursprüngliche und Eigenthümliche desselben aufzusuchen, dasselbe von dem Ursprünglichen der beiden andern Vermögen in ihren Ankündigungen innerhalb des Bewußtseyns scharf zu unterscheiden, und jenes Ursprüngliche und Eigenthümliche durch Sprache bestimmt zu bezeichnen. Denn sobald der an sich ursprüngliche Zustand des Gefühlsvermögens durch Sprache bezeichnet wird; sobald hat er auch bereits den Charakter seiner Ursprünglichkeit verloren, weil er nur dann in der Sprache durch Worte ausgedrückt werden kann, wenn er vorher Vorstellung geworden, mithin das Gefühl in Vorstellung ─ in den Znstand eines andern geistigen Vermögens ─ übergegangen ist. So viel aber auch von der im Bewußtseyn sich ursprünglich ankündigenden Jnnigkeit, Tiefe und Gluth der Gefühle, bei ihrem Uebergange in Vorstellungen, verloren gehen mag; so wohnt doch diesen aus dem Gefühlsvermögen stammenden Stoffen für die Sprachdarstellung noch immer so viel Jnnigkeit und Wärme bei, daß sie, nach ihrem Ursprunge, nicht mit den unmittelbaren Zuständen des Vorstellungsvermögens verwechselt werden können, sondern auf ihre Quelle, auf das dem menschlichen Geiste zukommende selbstständige Gefühlsvermögen, zurückgeführt werden müssen. 4. Fortsetzung. Soll das Gefühlsvermögen, völlig gleichmäßig mit dem Vorstellungs- und Bestrebungsvermögen, in der ursprünglichen Gesetzmäßigkeit des geistigen Wesens begründet seyn (Th. 1. S. 152 ff.); so muß ihm, wie diesen, theils eine ursprüngliche eigenthümliche Ankündigung seiner Thätigkeit, theils eine eigenthümliche Form dieser Thätigkeit, theils eine eigenthümliche Richtung auf den Gesammtzweck des menschlichen Daseyns zukommen. Die eigenthümliche Ankündigung der Thätigkeit des Gefühlsvermögens besteht aber darin, daß das Gefühl nicht, wie die Vorstellung, die Verbindung und Vereinigung eines Mannigfaltigen ist, in welcher man jedesmal Stoff und Form unterscheiden kann, sondern daß jedes Gefühl eine ursprüngliche Einheit bildet, die unauflöslich, unzertrennlich, und in welcher Stoff und Form Eins (identisch) ist. Durch diese Ankündigung ─ ursprünglich im Bewußtseyn, und folglich auch in der Sprachdarstellung ─ unterscheidet sich das Gefühlsvermögen wesentlich von dem Vorstellungs- und Bestrebungsvermögen, bei deren Ankündigung in jedem einzelnen Falle Stoff und Form getrennt wahrgenommen werden können. Sind in jedem Gefühle Stoff und Form Eins (identisch); so muß zweitens auch die eigenthümliche Form der Thätigkeit des Gefühlsvermögens von der Form der Vorstellung und von der Form der Bestrebung wesentlich verschieden seyn. Denn beruht die eigenthümliche Ankündigung des Gefühlsvermögens auf der Jdentität des Stoffes und der Form; so wird in der Form des Gefühls nicht erst ein Mannigfaltiges zur Einheit verbunden, wie bei der Thätigkeit des Vorstellungsvermögens; es ist vielmehr jene Jdentität des Stoffes und der Form diejenige Form, unter welcher jedes Gefühl zum Bewußtseyn gelangt. Alles also, was zum Gefühlsvermögen gehört, kündigt sich unmittelbar an. Es giebt daher von allem, was unter der Form des Gefühlsvermögens wahrgenommen wird, eine unmittelbare Gewißheit, während alle Ueberzeugung durch Begriffe des Verstandes, und selbst durch die Jdeen der Vernunft, nur mittelbar ist, mithin durch entgegengesetzte Begriffe und Jdeen bestritten und weggeläugnet werden kann. Das Gefühlsvermögen behauptet in dieser Beziehung den eigenthümlichen Charakter des unmittelbar Wirklichen (Realen) in dem gesammten (sinnlichen und geistigen) Daseyn des Menschen. Durchs Gefühl werden wir unsers Daseyns, unsers jedesmaligen Zustandes, des Daseyns der Dinge außer uns, und unserer Beziehung auf sie, so wie unserer individuellen Beziehung auf eine übersinnliche Welt unmittelbar gewiß, so daß kein logischer Scharfsinn und keine dialektische Gewandtheit die Ankündigung dieser unmittelbaren Gewißheit im Bewußtseyn ganz zu erschüttern vermag. Das Gefühlsvermögen behauptet aber auch eine eigenthümliche, von den beiden andern geistigen Vermögen verschiedene, Richtung auf den Gesammtzweck des menschlichen Daseyns. Wenn das Vorstellungsvermögen diesen Zweck als die höchste Jdee der Vernunft aufstellt, und das Bestrebungsvermögen diesen Zweck durch freie Handlungen verwirklichen will; so faßt ihn das Gefühlsvermögen nach seiner Unermeßlichkeit und Ueberschwenglichkeit auf, und trägt auf jedes einzelne Gefühl nach dem Verhältnisse, in welchem das einzelne Gefühl zu dem Gesammtgebiete des menschlichen Daseyns steht, diesen Charakter der Unermeßlichkeit und Ueberschwenglichkeit über. Denn wenn die Gefühle, nach der Verschiedenheit ihrer Ankündigung im Bewußtseyn, in sinnliche, intellec= tuelle, ästhetische und sittliche eingetheilt werden; so wird auch das Wahrnehmen der Unermeßlichkeit und Ueberschwenglichkeit des sittlichen Gefühls, als des edelsten und reinsten von allen, am höchsten und stärksten seyn, und, nach dieser Gradabstufung, das sinnliche Gefühl tiefer stehen, als das sittliche, ästhetische und intellectuelle, weil nur das sinnliche, nie aber ein geistiges Gefühl völlig befriedigt werden kann. Kann nun kein geistiges Gefühl völlig befriedigt, oder, was dasselbe heißt, der letzte Punct, der höchste Grad desselben erreicht, und eben so wenig der Jnhalt des Gefühls, als solches, und die Jnnigkeit und Unermeßlichkeit desselben durch Sprache völlig und erschöpfend ausgedrückt werden; so ist auch dieses Unermeßliche und Höchste des Gefühls ein Etwas, das alle Vergleichung mit den Zuständen des Vorstellungs- und Bestrebungsvermögens übersteigt, und als das Höchste und Letzte, in welchem jedes Gefühl sich endigt, nicht beschrieben und nicht zergliedert werden kann. Dieses Unermeßliche, das jedem geistigem Gefühle des Menschen beiwohnt, und selbst dem sinnlichen Gefühle eine höhere Stärke, als der bloßen Vorstellung verleiht, muß daher die unverkennbare Unterlage von allem bilden, was innerhalb des in sich abgeschlossenen Sprachgebiets der Dichtkunst sich ankündigt, und wodurch sich ursprünglich die Dichtkunst von der Prosa und Beredsamkeit unterscheidet. Denn jedes wirkliche Erzeugniß der Dichtkunst wird daran erkannt, daß der dargestellte Stoff weder aus bloßen Vorstellungen, noch aus Bestrebungen, sondern in Gefühlen besteht, weil ohne Reichthum, Fülle, Kraft und individuelle Eigenthümlichkeit der Gefühle kein Dichter gedacht werden kann. 5. b ) Verhältniß der Einbildungskraft zur Sprache der Dichtkunst. Jst gleich das Gefühlsvermögen die ursprüngliche Quelle alles dichterischen Stoffes; so bedarf doch dieser Stoff bereits innerhalb des menschlichen Bewußtseyns einer eigenthümlichen Form und Gestaltung, bevor er durch die Sprache nach außen dargestellt werden kann. Diese Form und Gestaltung erhält der dichterische Stoff durch die Einbildungskraft, nach der unerklärbaren Verbindung und Wechselwirkung, in welcher sie mit dem Gefühlsvermögen in dem Gemüthe des Dichters steht. Denn obgleich im Allgemeinen die Wirksamkeit der Einbildungskraft auf bestimmte Begriffe zurückgeführt werden kann; so bleibt doch das Verhältniß, in welchem sie zum Gefühlsvermögen bei jedem einzelnen Dichter (bei Milton, Pope, Klopstock, Matthisson, Schiller, Göthe u. a.) steht, unerklärbar. Aus diesem unerklärbaren Verhältnisse geht aber die dichterische Jndividualität hervor, die, bei allen classischen Dichtern, so unendlich verschieden ist, daß jeder wahre Dichter sogleich an dieser Jndividualität erkannt und von jedem andern vollendeten Dichter ( Lessing von Joh. Andr. Cramer, Gellert von Haller, Thümmel von Hölty, Bürger von Tiedge u. s. w.) unterschieden wird. Nach der allgemeinen philosophischen Entwickelung und Durchführung der drei geistigen Vermögen, wird die Einbildungskraft als eine besondere Ankündigung der Thätigkeit (Function) des Vorstellungsvermögens aufgeführt. Allein sie unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Verstande und der Vernunft, daß sie nicht das in der Anschauung gegebene Mannigfaltige zur Einheit des Begriffes verbindet, oder solche Vorstellungen hervorbringt, die wir, weil ihnen kein sinnlicher und erkennbarer Gegenstand entspricht, Jdeen nennen; sie erzeugt vielmehr, nach ihrer ursprünglichen Gesetzmäßigkeit, Bilder, die sie als vollendete Ganze dem innern Sinne vorhält. So wie aber die Einbildungskraft, nach ihrer eigenthümlichen Thätigkeit, Begriffe des Verstandes und Jdeen der Vernunft in Bilder zu verwandeln, und diese als Jdeale darzustellen vermag, welche durch freie Handlungen verwirklicht werden sollen; so vermag sie auch den ursprünglichen Gefühlen, welche, bevor sie durch Sprache dargestellt werden können, als Vorstellungen zum Bewußtseyn gelangen müssen, die idealische Versinnlichung zu geben, wodurch sie in der eigenthümlichen und selbstständigen Sprache der Dichtkunst sich ankündigen. Denn eben diese Form und dieser Charakter des Jdealischen in der Sprache der Dichtkunst stammt zunächst aus der eigenthümlichen Wirksamkeit der Einbildungskraft, doch so, daß, nach der Unermeßlichkeit und Ueberschwenglichkeit jedes wahren Gefühls, den vermittelst der Einbildungskraft identisirten Gefühlen ein höherer Grad der Jnnigkeit und Wärme innerhalb der Sprachdarstellung zukommt, als den durch die Einbildungskraft versinnlichten Begriffen des Verstandes und Jdeen der Vernunft, obgleich nicht zu verkennen ist, daß die idealisirte Darstellung der ursprünglichen Gefühle der idealisirten Darstellung der Jdeen der Vernunft näher steht, als der idealisirten Darstellung der Begriffe des Verstandes. Die zweite Grundbedingung der dichterischen Darstellung beruht daher darauf, daß der aus dem Gefühlsvermögen stammende Stoff für jedes dichterische Erzeugniß, nach seinem Uebergange ins Vorstellungsvermögen, vermittelst der Einbildungskraft eine idealische Bekleidung erhalte, und, mit dieser Ausstattung, eintrete ins Gebiet der Sprache; denn nur das Jdealische trägt in der Sprachdarstellung den Charakter der Dichtkunst. Der bloße Begriff des Verstandes, und wäre er noch so abgeglättet in Sylbenmaas und Reim gekleidet, kann nie als Erzeugniß der Dichtkunst erscheinen; denn ihm fehlt eben so die Abstammung aus dem Gefühlsvermögen, wie er der idealischen Haltung durch die Thätigkeit der Einbildungskraft ermangelt. (So wird z. B. Kästners Lehrgedicht von den Kometen nie als Gedicht gelten, ob es gleich im abgemessenen Sylbenmaase sich bewegt; dagegen sind viele Erzeugnisse Jean Pauls echt dichterische Formen, ob sie gleich des Sylbenmaases und Reimes ermangeln.) Unter allen Urbildern (Jdealen) der Einbildungskraft sind aber die Jdeale des Wahren, des Schönen und des Guten die drei höchsten, die sie hervorbringt, und welchen sie jede einzelne idealische Form unterordnet. Wenn das Jdeal des Wahren der höchste Zielpunct für alle durch das Vorstellungsvermögen vermittelte Erkenntniß, so wie das Jdeal des Sittlich-Guten der höchste Zielpunct für alle durch das Bestrebungsvermögen hervorzubringende freie Handlungen bleibt; so ist das Jdeal des Schönen der höchste Zielpunct für die gesammte Thätigkeit des Gefühlsvermögens. Denn, was das Gefühlsvermögen rühren und erschüttern soll, muß sich unter einer ästhetischen d. h. unter einer schönen Form ankündigen, die durch ihre vollendete Einheit ein unmittelbares Gefühl der Lust anregt, und die Einbildungskraft in ein freies und lebensvolles Spiel versetzt. Dieses Jdeal des Schönen ist daher die höchste Aufgabe für alle Werke der Kunst, so wie für alle Erzeugnisse im Gebiete der Sprachdarstellung. 6. Fortsetzung. Ob nun gleich kein menschliches Jndividuum des Gefühlsvermögens, und eben so wenig der Einbildungskraft ganz ermangelt, wiewohl beide, nach der unendlichen Verschiedenheit der Jndividuen, unter höchst verschiedenen Abstufungen und Graden der Stärke und Schwäche sich ankündigen; so wird doch die dichterische Begeisterung nur bei denjenigen Jndividuen unsrer Gattung angetroffen, in welchen die höhere Lebendigkeit und Stärke des Gefühlsvermögens mit einer ursprünglich schöpferischen und gleichmäßig entwickelten Einbildungskraft in der innigsten Verbindung steht, so daß der dem Gefühlsvermögen ursprünglich angehörende dichterische Stoff von der selbstthätigen Einbildungskraft zu einer idealischen Form ausgeprägt und erhoben wird. Jn diesem letztern Sinne ist die dichterische Begeisterung und Weihe an sich unerklärbar und ein Geschenk der Natur ( poëtae non fiunt, sed nascuntur ), inwiefern sie nämlich auf einer gleichmäßigen Stärke und Fülle des tiefbewegten Gefühlsvermögens und der schöpferischen Einbildungskraft beruht. Dieses innere dichterische Leben, das, unerklärbar nach seinem Ursprunge, nach seiner Ankündigung aber in einer gleichmäßigen Thätigkeit des Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft besteht, ist die Bedingung der äußern dichterischen Darstellung vermittelst der Sprache. Wo jenes innere dichterische Leben fehlt; da kann die Sprachform, ─ sogar bei aller technischen Vollkommenheit, ─ den dichterischen Charakter nicht an sich tragen; allein eben so wenig darf auch der dichterischen Darstellung, wenn sie aus jener Fülle des innern Lebens entsprungen ist, die äußere Vollendung der Form fehlen, weil sie nur nach dieser unter das höchste Gesetz für alle stylistische Darstellung, unter das Gesetz der Form (Th. 1, S. 224), gebracht werden kann. ─ Der Charakter eines dichterischen Kunstwerkes beruht also darauf, daß in demselben, als Stoff, reine und unmittelbare Gefühle versinnlicht, diese aber, vermittelst der schöpferischen Thätigkeit der Einbildungskraft, zu einer idealischen Form für die innere Anschauung, und, in Angemessenheit zu diesem dem Dichter im Bewußtseyn vorschwebenden Urbilde, sodann in der Sprachdarstellung zu einer vollendeten äußern Form erhoben werden. Jndem auf diese Weise das dichterische Erzeugniß entsteht, erscheint es, wie jedes andere Kunstwerk, als die Versinnlichung eines im Bewußtseyn vergegenwärtigten Jdeals, als unmittelbare Folge der vorhergegangenen hohen Rührung und Bewegung des Gefühlsvermögens, und als selbstthätiges Erzeugniß der Einbildungskraft. Durch diese Eigenthümlichkeit unterscheidet sich aber auch der wahre Dichter von dem Prosaiker, welcher seine unmittelbaren Begriffe und Jdeen darstellt, und von dem Redner, welcher durch die rednerischen Formen unmittelbar auf den Willen wirken und denselben zu Handlungen bestimmen will. Beide Zwecke liegen außer dem Kreise des Dichters; denn der Dichter folgt ausschließend dem unermeßlichen Drange seiner Gefühle und der, nach ihrem Zusammenhange mit dem Gefühlsvermögen unerklärbaren, Wirksamkeit seiner Einbildungskraft. Jn dem Augenblicke seines Erzeugnisses denkt der Dichter nicht an die Wirkung, die er hervorbringen wird, und beabsichtigt keine solche Wirkung; allein indem sein gebildeter Geist eine dichterische Form ins Daseyn ruft, erhält dieselbe auch sogleich, durch den erreichten hohen Grad seiner individuelle Reife, diejenige Gediegenheit, wodurch sie unwiderstehlich auf Gefühl und Einbildungskraft zu wirken vermag. Am Wesentlichsten unterscheidet sich aber der Dichter dadurch von dem Prosaiker und dem Redner, daß, ob er gleich nur zunächst seine individuellen Gefühle unter der dichterischen Form darstellt, er doch dadurch als Repräsentant seines ganzen Geschlechts erscheint. Denn die Gefühle, welche in ihm angeregt waren und die Vollendung des Kunstwerkes bewirkten, entspringen aus den Jdealen, welche ein Gemeingut der ganzen gebildeten Menschheit sind Derselben Meinung ist Schiller in s. Recension von Bürgers Gedichten; vgl. s. kl. prof. Schriften, Th. 4. S. 193 ff. „Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Jndividualität. Diese muß es also werth seyn, vor Welt und Nachwelt ausgestellt zu werden. Diese seine Jndividualität so sehr als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten Menschheit hinauf zu läutern, ist sein erstes und wichtigstes . Er versinnlicht daher die reine Menschheit in der Unendlichkeit ihrer Gefühle; seine Begeisterung erhebt ihn über die Schranken des Jndividuellen, und stellt ihn in den Mittelpunct seines ganzen Geschlechts. Zu diesem spricht er; in dem Charakter und in dem Namen desselben schildert er; so wie er fühlt, können und sollen alle Jndividuen seiner Gattung fühlen; denn in ihnen allen ist dieselbe Unermeßlichkeit des Gefühlsvermögens, und dieselbe Richtung der Einbildungskraft auf das Jdealische begründet. Mag daher immer das Jdealische unerreichbar bleiben für die Verwirklichung desselben in freien guten Handlungen; so wird es doch nach seiner Unermeßlichkeit im Gefühle wahrgenommen, und unter der möglichst höchsten Versinnlichung in der vollendeten schönen Sprachform dargestellt. Beruht, nach dieser Ansicht, das Wesen der Dichtkunst auf den aufgestellten Grundbedingungen; so ergiebt sich daraus die scharfe Grenzbestimmung derselben gegen Prosa und Beredsamkeit von selbst, und wie fehlerhaft es ist, wenn der ursprüngliche Charakter der Dichtkunst mit den beiden letzten vermischt wird. Dies kann aber auf zweifache Weise geschehen. Sind nämlich die individuellen Gefühle nicht innig und stark, oder ist die Einbildungskraft nicht thätig genug, um jene Gefühle nach ihrer Unermeßlichkeit Geschäft, ehe er es unternehmen darf, die Vortrefflichen zu rühren. Vom Aesthetischen gilt eben das, was vom Moralischen. Wie es hier der moralisch vortreffliche Charakter eines Menschen allein ist, der einer seiner einzelnen Handlungen den Stempel moralischer Güte aufdrücken kann; so ist es dort nur der reife, der vollkommene Geist, von dem das Reife, das Vollkommene ausfließt.“ und im Glanze des Jdeals darzustellen; so mischt sich der zergliedernde Verstand in die Darstellung, und die Form trägt das Gepräge einer Zwittergattung und Mißgeburt: es entsteht die sogenannte poetische Prosa. Eben so entspringt eine andere Mißgeburt, die rhetorisirende Dichtkunst, aus der Vermischung und Verwechselung von Gefühlen und Bestrebungen innerhalb der dichterischen Darstellung. Es behauptet daher nur dann die dichterische Form ihren eigenthümlichen, von der Sprache der Prosa und Beredsamkeit wesentlich verschiedenen Charakter, und erhebt sich zum vollendeten (ästhetischen) Gepräge der Schönheit, wenn sie das Jdealische in den Zuständen des Gefühlsvermögens nach seiner ganzen Reinheit, Kraft und Unermeßlichkeit darstellt, und durch die Sprache so vergegenwärtigt, daß, vermittelst der Anschauung der vollendeten dichterischen Form, eine, der dichterischen Begeisterung verwandte, Stimmung und Rührung des Gefühlsvermögens und ein ähnliches freies Spiel der Einbildungskraft bei Andern bewirkt wird, in welches sich weder eine Thätigkeit des Vorstellungsvermögens, das dargestellte Jdealische als Gegenstand des Erkenntnißvermögens zu behandeln und zu zergliedern, noch ein Trieb des Bestrebungsvermögens, dasselbe durch Handlungen zu verwirklichen, einmischt. 7. c ) Die Technik der dichterischen Form. Soll aber die dichterische Form das Gepräge der Vollendung an sich tragen; so muß zu den beiden ersten wesentlichen Erfordernissen derselben, zu der Abstammung des dichterischen Stoffes aus dem Reichthume und der Fülle des Gefühlsvermögens und zu der idealischen Gestaltung dieses Stoffes für den innern Sinn durch die schöpferische Thätigkeit der Einbildungskraft, noch ein drittes hinzukommen: die gediegene äußere dichterische Form in der Sprachdarstellung. Bereits oben ward erinnert, daß über das Erkennen und Wahrnehmen des Dichterischen in der äußern Sprachform durchaus nicht allein und zunächst Sylbenmaas und Reim, daß vielmehr die wahrgenommene Darstellung individueller Gefühle unter einer idealischen Haltung und Umgebung über den dichterischen Charakter eines stylistischen Erzeugnisses entscheidet. Allein diese innere Vollendung des dichterischen Geistes und Wesens muß auch auf die äußere Gediegenheit der Form in der Sprachdarstellung übergehen, damit das Gedicht, nach seiner innern und äußern Classicität, ein unauflösliches vollendetes Ganzes bilde. Denn wenn gleich die technische Vollkommenheit eines dichterischen Erzeugnisses den Mangel des Gefühls und des Jdealischen in demselben nicht ersetzen kann; so kann doch auch nur dasjenige Gedicht als vollendet gelten, in welchem mit dem innern wahrhaft dichterischen Leben des Gefühls und der Einbildungskraft die äußere Vollkommenheit der Form zusammentrifft. Die Grundbedingung der technischen Vollendung der Form ist der Wohlklang, welcher Melodie und Harmonie in sich einschließt. Auf ihm beruht der musikalische Charakter eines Gedichts. Denn wie in der Tonkunst der Wohlklang auf der Melodie und Harmonie der unarticulirten Töne beruht; so in der Sprache auf der Melodie und Harmonie der articulirten Töne. Wenn daher das Wesen der Tonkunst in der versinnlichten und veredelten Darstellung des jedem Gefühle eigenthümlichen Tones oder lautwerdenden Ausdruckes besteht; so hängt auch die technische Vollendung des Dichters davon ab, für die in seinem Bewußtseyn unter einer idealischen Haltung vergegenwärtigten Gefühle in der Sprache den rechten Ton zu finden, und die äußere Vollkommenheit seines Gedichts nach den Gesetzen der Melodie und Harmonie zu gestalten. Die Melodie besteht aber in der Tonkunst in dem, von dem Tonkünstler frei dargestellten, Verhältnisse der Aufeinanderfolge der Töne des in ihm angeregten Hauptgefühls; so wie die Harmonie die gleichzeitige Vereinigung verschiedener Töne, und die mit dem Flusse der Melodie fortschreitende Folge dieser Vereinigung, nach den unveränderlichen, in der Natur und in den Verhältnissen der Töne selbst begründeten, Regeln ihrer Verbindung zum Gleichgewichte unter sich selbst und zur Vollendung des musikalischen Ganzen als einer ästhetischen Einheit, bezeichnet. Wird dies von der Tonkunst auf die Darstellung articulirter Töne durch die Sprache übergetragen; so beruht in derselben die Melodie auf dem von dem Dichter gewählten Verhältnisse der Aufeinanderfolge der einzelnen Wörter nach rhythmischen Gesetzen, und die Harmonie auf dem, theils in den einzelnen größern Abschnitten, theils in der ganzen abgeschlossenen äußern Form des Gedichts erkennbaren, Gleichgewichte der einzelnen rhythmischen Theile und Wortreihen zur technischen Vollendung der Einheit des Ganzen. Der Wohlklang in der Sprachdarstellung wird daher eben so von den gewählten einzelnen Wörtern, wie von der Stellung, Aufeinanderfolge und Verbindung derselben zu Perioden abhängen. Dieser Wohlklang heißt in der Sprache der Prosa und Beredsamkeit Numerus, hingegen in der Sprache der Dichtkunst Rhythmus, der in einer noch höhern Beziehung, als der Numerus, den musikalischen Charakter an sich trägt, so wie auch der Gebrauch des Rhythmus ausschließend den Erzeugnissen der Dichtkunst vorbehalten, und in dem Sprachgebbiete der Prosa und Beredsamkeit fehlerhaft ist. Denn wenn der Numerus sich als denjenigen Wohlklang in der Sprachdarstellung ankündigt, der von der Ausdehnung der Melodie der einzelnen Laute und Töne auf die Folge und Verbindung ganzer Sätze und Perioden, und von der Berechnung des musikalischen Verhältnisses der Vorder= und Nachsätze gegen einander abhängt; so steht dagegen der Rhythmus unter den Gesetzen des Metrums. 8. Fortsetzung. Wenn gleich das Gesetz der Form auch für die äußere Sprachdarstellung der höchste Maasstab bleibt; so ist doch der mehr oder minder musikalische Charakter der einzelnen Sprachen ein Ergebniß der Erfahrung, und die Sprachen des Erdbodens sind, in musikalischer Hinsicht, sehr wesentlich von einander verschieden. Jm Allgemeinen gilt aber als Grundsatz, daß, je musikalischer ein Volk überhaupt ist, und je früher bei demselben der Sinn für Tonkunst geweckt und genährt wird, auch die Sprache desselben um so musikalischer sich ausbildet. Allein zu dieser musikalischen Fortbildung der Sprache trägt ebenfalls unverkennbar viel bei, ob das Volk, das dieselbe spricht, an sich lebhaft und für Tonkunst empfänglich ist; ob es in der mündlichen geselligen Unterhaltung (Conversation) und in dem Jugendunterrichte Werth auf richtige Betonung legt; ob seine Classiker Sinn für die musikalische Vollendung der Sprache und gründliche Kenntniß der Lehre von der Harmonie (vom Generalbasse) besitzen; ob bei dem Volke, neben der geistlichen Beredsamkeit, eine politische Beredsamkeit (z. B. in stellvertretenden Versammlungen, beim mündlichen gerichtlichen Verfahren) sich entwickelt, und namentlich ob seinen Rednern (auf Katheder und Kanzel) musikalische Kenntniß und Bildung zukommt. Für den Kenner der Regeln der Tonkunst ist es nicht schwer, bei Prosaikern, Dichtern und Rednern, aus der Art und Weise der Wahl, der Bildung, der Stellung und der Verbindung der Wörter zu Perioden und zu größern stylistischen Ganzen auf die Bekanntschaft derselben mit den Gesetzen der Tonkunst, und auf die Anwendung der letzten zurück zu schließen. Der Rhythmus, nach seiner Verschiedenheit von dem Numerus in der Sprache der Prosa und Beredsamkeit, und nach seiner Bestimmung, den Wohlklang der Sprache in einem Erzeugnisse der Dichtkunst zu vermitteln, beruht auf der Abtheilung eines dichterischen Ganzen in seine Glieder, und auf dem zwischen diesen Gliedern bestehenden Verhältnisse der Hebung und Senkung. So wird der Rhythmus die Grundbedingung des Metrums, unter welchem eine aus abwechselnden Zeitfüßen in bestimmt abgemessenen Schritten geordnete Folge und Bewegung der einzelnen Wörter und Wortreihen innerhalb eines dichterischen Ganzen verstanden wird. Alle gebildete Sprachen des Alterthums und der neuern Zeit können, in Hinsicht des Rhythmus, in quantitirende oder accentuirte eingetheilt werden. Der Grundcharakter dieser Verschiedenheit beruht darauf, daß in quantitirenden Sprachen, die gewöhnlich unter dem Einflusse der Tonkunst sich weiter ausbilden, der Accent zu Gunsten des Rhythmus von seinem Sitze auf der Sylbe verdrängt werden kann, so daß in diesen Sprachen der Rhythmus die Grundbedingung des Accents ist. Dagegen wird in den accentuirten Sprachen der Sitz des Accents durch den Sinn und die Bedeutung der Sylben und der Wörter unwiderruflich bestimmt; folglich ist in ihnen der Accent die Grundbedingung für den Rhythmus. Zu den quantitirenden Sprachen gehören die Sprachen des Alterthums, und namentlich die gebildetste unter allen, die griechische; zu den accentuirten Sprachen aber die Sprachen der jüngern abendländischen Völker, und namentlich die teutsche. 9. Fortsetzung. Ueber Prosodie in der teutschen Sprache. Die Sylbenmessung der Griechen erhielt unter dem Einflusse der Tonkunst ihre bestimmten Formen und ihren bezaubernden Wohlklang; sie bildete sich unter dem Einflusse des allgemein herrschenden Hexameters. Gewiß würde die ganze Prosodie der Griechen sich anders gestaltet haben, wenn nicht der Hexameter, sondern z. B. der Jambus das älteste künstliche Maas ihrer Sprache gewesen wäre, welches die begeisterten Laute der Dichter dargestellt hätte. Die Länge und die Kürze der Sylben darzustellen, ward daher der Zweck, und zugleich der Charakter der ältern Prosodie. Mit dem Geiste jener Völker verschwand aber, seit dem Zeitalter der Völkerwanderung, die höhere Blüthe ihrer Sprachen, die Harmonie ihrer Dichtkunst, und der darauf gegründete rhythmische Mechanismus ihrer Prosodie. Die Sprachen der in den Stürmen des Mittelalters siegreichen germanischen Völker waren entfernt von aller innern und äußern Ausbildung, und blos das Mittel der gegenseitigen Verständigung, welche von dem Accente, ohne Rücksicht auf den Wohllaut, geleitet ward. Diese Herrschaft des Accents blieb aber selbst in den spätern Zeiten, wo die Sprachen der germanischen Völker zur höhern Reife fortgebildet wurden. Der wesentliche Unterschied der neuern abendländischen Sprachen beruht also darauf, daß ihre Prosodie nicht von der Quantität der Sylben, sondern zunächst von dem Accente ausging, wodurch zugleich die Dichtkunst der jüngern abendländischen Völker ihren eigenthümlichen äußern Charakter erhielt. Allein für den, der teutschen Sprache versagten, Wohlklang der quantitirenden Sprachen fanden ihre Dichter einen Ersatz in dem Gleichklange der Sylben, mit welchem die einzelnen Zeilen sich schlossen. Dies ist der Reim in seiner ursprünglichen Gestalt, der nicht erst, wie Mehrere behaupteten, von den Arabern zu den Teutschen kam, sondern viel früher bereits von den Teutschen gebraucht ward, bevor der Einfluß der Araber auf Europa begann, wenn gleich das erste auf unsre Zeit gekommene gereimte teutsche Gedicht, ─ die evangelische Geschichte des Weißenburger Mönchs Otfried, ─ ins neunte Jahrhundert gehört. Der Reim ist in der Natur der teutschen Sprache selbst gegründet, und bereits die Kirchenväter des vierten Jahrhunderts Vgl. Grotefends Anfangsgründe der teutschen Prosodie (Gießen, 1815. 8.) S. 163 ff. reimten, nach Art der neuern Völker, lateinische Lieder. Allein die altsächsische Dichtkunst, welche von Holstein nach England gebracht ward, kannte so wenig den Reim, als die Dichtersprache des skandinavischen Nordens, in welcher nur die Alliteration (der Gleichklang in den Anfangsbuchstaben der Wörter) getroffen wird. Wenn also auch der Reim einzelnen teutschen Völkerschaften bereits bekannt war; so verbreitete sich doch sein allgemeiner Gebrauch erst später mit der sogenannten Ritterpoesie über Teutschland, welche von den Arabern zu den Franzosen ins südliche Frankreich, wo sie die Troubadours ausbildeten, und von diesen zu den Teutschen kam, die seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts mit glücklichem Erfolge in derselben sich versuchten. Jn geschichtlicher Hinsicht darf dabei nicht übersehen werden, daß die Provence zum burgundischen Reiche gehörte, das bereits im Jahre 1032, als Nebenreich, mit Teutschland unter Einem Regenten vereinigt ward. Allein der Reim im Mittelalter, so viel auch durch die lyrischen und epischen Dichter im Zeitalter der Minnesänger für ihn geschah, konnte im Ganzen nicht vollkommener seyn, als die Sprache selbst damals war. Seine freiere und mannigfaltigere Gestaltung mußte nothwendig von der höhern Reife der Sprache selbst abhängen, und nur nach seiner Ankündigung in diesem spätern und gereiftern Zeitalter kann über ihn entschieden werden, wenn man nicht ungerecht über diese eigenthümliche äußere Form der teutschen Dichtkunst absprechen will. Denn allerdings war die Accentuation der teutschen Sprache, als prosodischer Charakter derselben, bereits bestimmt, bevor die ersten Gesänge teutscher Dichter ertönten. Diese Dichter waren daher, sogleich bei ihrem ersten Auftreten in der Mitte des Volkes, in Hinsicht der Länge und Kürze der Sylben an die vorgefundene Herrschaft des Accents gebunden, wodurch zugleich die Prosodie der teutschen Sprache, in ihrer damaligen Gestalt, von der Prosodie der quantitirenden Sprachen wesentlich sich unterscheiden mußte. Nach dem geschichtlichen Charakter der teutschen Sprache, als einer accentuirten, sind aber, in der Prosodie derselben, accentuirte Sylben lange, und accentlose Sylben kurze Sylben. Der Zeit nach füllen die ersten zwei Theile aus, während den letzten nur ein Theil zukommt, so daß für eine jede lange Sylbe zwei kurze, und für zwei kurze eine lange stehen können. Zugleich erscheint, nach dem prosodischen Verhältnisse, die rhythmisch accentuirte Sylbe als Grund, die rhythmisch accentlose als Folge, und durch die Verbindung beider in der Rede entsteht eine rhythmische Sylbenreihe. Weil aber, ihrem Grundcharakter nach, in der teutschen Sprache der Accent nur auf Sylben gelegt wird, welchen die Bezeichnung des Sinnes in der Rede zukommt; so hängt auch in der teutschen Sprache das Verhältniß der accentuirten und accentlosen Sylben, oder der Rhythmus, ganz von dem Wortverstande ab, so daß in derselben der Wortaccent nie dem rhythmischen aufgeopfert werden darf. Es stehen aber zwischen den langen und kurzen Sylben in der Sprache gewisse Sylben gleichsam in der Mitte, die, unter gewissen Umständen, entweder gedehnt, oder beschleunigt werden, und deshalb mittelzeitige heißen. Zweizeitige ( ancipites ) werden sie nur im Allgemeinen genannt, weil sie, bei ihrem Gebrauche, jedesmal sogleich entweder lang oder kurz sind. Jst aber in der teutschen Sprache der Rhythmus abhängig von dem Accente; so ist auch das Metrum (das Versmaas) davon abhängig; denn das Metrum besteht (§. 8) in einem rhythmischen Ganzen aus abwechselnden Zeitfüßen, die zu einem bestimmten Schritte verbunden werden, und dessen Umfang, wenn er nicht zu klein ist, in Absätze und Einschnitte ( Cäsur ) getheilt, und durch einen sinnlich hervortretenden Schlußfall geendigt wird. Vermittelst des Rhythmus wird also ein dichterisches Ganzes, nach der Ankündigung seiner äußern Glieder, abgetheilt, und in dieser Abtheilung das Verhältniß der Hebung und Senkung der einzelnen Glieder festgehalten; denn Hebung oder Senkung, Steigen oder Fallen in abwechselnden Verhältnissen, ist der allgemeinste Charakter des Sylbenmaases. So einfach dieser Grundsatz an sich ist; so viele Mannigfaltigkeit und Abwechselung erhält er doch in der Anwendung auf die Darstellung der Versfüße. Jede Zusammensetzung mehrerer Sylben muß sich nämlich entweder mehr zum Falle, oder mehr zum Sprunge neigen. Zum Falle neigt sie sich, wenn das Lange vorangeht und das Kurze nachtönt ( Trochäus ); zum Sprunge, wenn das Kurze vorangeht und das Lange nachtönt ( Jambus ). Selbst zwei lange Sylben neigen sich, wegen ihrer Langsamkeit, mehr zum Falle, als zum Sprunge ( Spondeus ); zwei kurze Sylben hingegen neigen sich, ihrer Schnelligkeit wegen, mehr zum Sprunge, als zum Falle ( Pyrrhichius ), ob sie gleich in Hinsicht ihrer Dauer völlig gleich sind. 10. Fortsetzung. Ueber den Reim. Der Reim, als geschichtliche Erscheinung, ist ein ausschließendes Eigenthum der jüngern abendländischen Sprachen, die sämmtlich accentuirte Sprachen sind. Diese Sprachen bedurften eines Ersatzes für den ihnen ursprünglich fehlenden quantitativen Rhythmus, und dieser Ersatz liegt in dem Reime. Da aber der Accent die Bedeutung der Begriffe und Jdeen bezeichnet; so würde man bei der Begriffsbestimmung des Reimes nicht ausreichen, wenn man ihn blos in dem Gleichklange zweier Sylben am Ende zweier Verse suchen wollte. Mit diesem Formellen des Reims muß vielmehr etwas Materielles, das von den dichterisch dargestellten Vorstellungen abhängt, die in dem Gleichklange des Reims verbunden werden, vereiniget seyn; neben seiner äußern Natur muß ihm auch noch eine innere zukommen. Das Wesen des Reimes besteht daher darin: eine Reihe von Vorstellungen so zu ordnen, daß, mit Festhaltung gewisser Ruhepuncte, bestimmte Sylbenreihen mit solchen Vorstellungen schließen, die im wörtlichen Ausdrucke eine sinnlich=gleiche Gestalt annehmen (d. h. im Gleichklange stehen) können. Der Reim ist also nichts anders, als das Versinnlichen zweier verschiedenen Vorstellungen in zwei gleichklingenden Wörtern, und reimen heißt demnach: zu zwei verschiedenen Vorstellungen zwei gleichklingende Wörter auffinden, oder das in der Vorstellung Verschiedene unter gleichen Klang in sinnliche Einheit bringen. Soll der Reim ästhetisch wirken; so muß auf diesem Gleichklange der Wörter, welche verschiedene Vorstellungen zu einer sinnlichen Einheit verbinden, die äußere und zufällige (erfahrungsmäßige) Schönheit der Form beruhen, welche eben so, durch den Wohlklang der zusammengestellten articulirten Töne, ein reines Wohlgefallen bewirkt, wie die unter der Hülle der äußern Laute versinnlichten und idealisirten Gefühle. Denn nur auf diese Weise kann der innere und äußere Charakter eines dichterischen Erzeugnisses als Einheit zusammentreffen, und das Wohlgefallen an der dichterischen Form durch die Wahrnehmung gleichmäßiger Haltung und Durchführung beider Theile bewirkt werden. Die teutsche Sprache kannte zwar, nach ihrem ursprünglichen Charakter als accentuirte Sprache, blos den Reim als äußere Form ihrer dichterischen Erzeugnisse; allein bei der hohen Bildsamkeit derselben war es möglich, auch die griechischen Sylbenmaase in die Mitte derselben zu verpflanzen. Die ersten Versuche deshalb geschahen bereits im siebenzehnten Jahrhunderte; doch war es zunächst Klopstock, welcher, mit tiefer Erforschung der Technik der griechischen und der teutschen Sprache, die gelungene Anwendung derselben im Großen durchführte. Er fand viele Nachahmer, von welchen manche, aus Reiz der Neuheit und aus Vorliebe für die fremdher entlehnten Sylbenmaase, den Reim völlig aus der teutschen Dichtkunst verdrängen wollten, den doch Klopstock selbst im religiösen Liede beibehalten hatte. So wenig diese Absicht gelang; so führte doch der freiere Anbau der neuen Sylbenmaase zu einer bis dahin nicht geahneten Erweiterung der teutschen Prosodie. Unverkennbar hat die teutsche Dichtkunst selbst, so wie die Prosodie, dadurch an Maunigfaltigkeit, Abwechselung und Reichthum bedeutend gewonnen; auch ist aus dem fortgesetzten höhern Anbaue beider, des der teutschen Sprache ursprünglich einheimischen Reims und der entlehnten und eingebürgerten fremden Sylbenmaase, so wie aus dem frühern Kampfe beider mit einander, das allgemeine Ergebniß hervorgegangen: daß beide neben einander bestehen können und bestehen werden; daß durch die Anwendung beider der Reichthum der äußern Sprachformen vermehrt und eine größere Mannigfaltigkeit dieser Formen bewirkt worden ist; daß aber für gewisse Formen der dichterischen Darstellung mehr der Reim, und für andere wieder mehr die entlehnten Sylbenmaase sich eignen. Denn so gewiß das religiöse Lied, das Volkslied, die Cantate, die Romanze, und mehrere andere dichterische Erzeugnisse, des Reims nicht entbehren können; so gewiß hat doch z. B. die Elegie, so wie die epische und die dramatische Dichtkunst durch die Anwendung der fremden Sylbenmaase gewonnen. Bei einer unpartheiischen Würdigung des Charakters und der Fortschritte der teutschen Dichtkunst seit den letzten siebenzig Jahren wird man daher gewiß die Ueberzeugung erlangen, daß weder dem Reime ein Vorzug vor den fremden Sylbenmaasen, noch den letzten ein Vorzug vor dem Reime beigelegt werden darf, weil überhaupt beide nur die äußere und zufällige Schönheit der Form, nicht aber das wahre Wesen der Dichtkunst selbst bezeichnen, und der ästhetische Gehalt der äußern und zufälligen Schönheit der Form zunächst von dem innern Geiste des Gedichts, und von dem Verhältnisse des innern dichterischen Lebens zu der äußern technischen Form abhängt, unter welcher dasselbe erscheint. 11. Eintheilung der Dichtungsarten. Wenn der Stoff jeder dichterischen Darstellung aus den individuellen Gefühlen des Dichters stammt; so müssen gleichartige und verwandte Gefühle, die in dem Gemüthe des Dichters auf das genaueste verbunden sind, auch in der dichterischen Darstellung einander ähnlich und verwandt seyn. Darauf beruht der Grundsatz für die Eintheilung der verschiedenen Dichtungsarten. Unter einer Dichtungsart verstehen wir nämlich eine Klasse von Werken der Dichtkunst, deren gemeinsamer Charakter aus einer verwandten individuellen Stimmung im Gefühlsvermögen des Dichters hervorgehet. Alle in den besondern Gattungen zusammengestellte einzelne dichterische Formen (z. B. in der lyrischen Gattung das Lied, die Elegie, die Ode u. s. w.) müssen daher auf eine ähnliche Bewegung und Rührung des Gefühlsvermögens, und auf die Fähigkeit des Dichters sich zurückführen lassen, sein individuelles Gefühl durch die schöpferische Thätigkeit der Einbildungskraft zur Einheit der Form zu erheben. Nach dieser Ansicht muß es so viele verschiedene Klassen von Dichtungsarten geben, als es verschiedene Grundtöne des Gefühls für die ästhetische Darstellung giebt. 1) Diejenigen dichterischen Formen, in welchen das im Gemüthe des Dichters aufgeregte Gefühl der Freude und des Entzückens, oder der Wehmuth und Traurigkeit, als solches, in der idealisirten Darstellung zur Einheit der Form erhoben wird, so daß die Darstellung den unmittelbaren Ton und Ausdruck des Gefühls wiedergiebt, bilden den Umfang der lyrischen Dichtkunst. 2) Der Charakter der didactischen Dichtkunst hingegen beruht darauf, daß die ästhetische Form gewisse allgemeine Begriffe und Jdeen der Vernunft versinnlicht, die, durch ihre Verbindung und Vergesellschaftung mit bestimmten Gefühlen, eine höhere Bewegung des Gefühlsvermögens und ein freies Spiel der Einbildungskraft hervorbringen, so wie sie vermittelst der dichterischen Form als ästhetische Einheit erscheinen. 3) Die dichterische Darstellung kann ferner einzelne Handlungen, Thatsachen und Jndividuen, so wie den Zusammenhang der menschlichen Handlungen innerhalb des bestimmt abgeschlossenen Kreises der menschlichen Freiheit versinnlichen, diese freie Wirksamkeit der handelnden Wesen idealisiren, und die hohe Bewegung des Gefühls, hervorgebracht durch die Vergegenwärtigung der Wirkungen der menschlichen Freiheit, vermittelst einer vollendeten ästhetischen Form bezeichnen. Dies ist der Charakter der epischen Dichtkunst. 4) Der Charakter der dramatischen Dichtkunst besteht darin, daß der Zusammenhang der freien menschlichen Thätigkeit, vermittelst der ästhetischen Form, durch die dargestellten handelnden Personen selbst (ohne Wahrnehmung der Jndividualität des Dichters) vor unsrer Anschauung erscheint. Doch ist es Grundbedingung bei allen Formen der dramatischen Dichtkunst, daß das Wesen jedes einzelnen dramatischen Kunstwerkes nur durch die künstlerische Darstellung desselben auf der Bühne erschöpft und vollendet werde. 5) Endlich giebt es gewisse dichterische Kunstwerke, deren Charakter zwar bald der einen, bald der andern der vier aufgestellten Hauptklassen dichterischer Formen sich nähert, bald aber auch aus dem Verschmelzen der Eigenthümlichkeit mehrerer Klassen hervorgehet. Wenn denn nun auch in dem ersten Falle das einzelne Gedicht bisweilen unter eine der vier aufgestellten Klassen gebracht werden könnte; so wäre dies in dem zweiten Falle ohne Zwang nicht möglich, und bald würde die einzelne poetische Epistel, die einzelne Jdylle u. s. w. zur lyrischen, bald zur epischen Dichtungsart gehören. Es ist daher zweckmäßiger, weil die schöpferische Thätigkeit der Einbildungskraft nicht nach den in der Theorie aufgestellten Klassen von Dichtungsarten sich richtet, diese Dichtungsarten vielmehr nach der Wirksamkeit der Einbildungskraft aufgestellt und geordnet werden müssen, jene gemischten Formen der Dichtkunst in einer besondern Ergänzungsklasse aufzuführen. 12. Die drei Schreibarten in der Sprache der Dichtkunst. So wie in der Sprache der Prosa und Beredsamkeit jedes einzelne stylistische Erzeugniß, das auf den Charakter der Classicität Anspruch macht, einer der drei Schreibarten ─ entweder der niedern, oder der mittlern, oder der höhern ─ (Th. 1. S. 474 ff.) bestimmt angehören muß; so auch in der Sprache der Dichtkunst. Jedes einzelne Gedicht, es sey Lied oder Elegie, es sey Ode oder Hymne, es sey Fabel oder Epos, es sey Jdylle oder Epigramm, muß entweder in der niedern, oder in der mittlern, oder in der höhern Schreibart gehalten seyn, über welche Wahl der Schreibart zunächst, als innere Ursache, die Jndividualität des Schriftstellers, nicht selten aber auch, als äußere Ursache, bald der Charakter des darzustellenden Stoffes, bald der Zweck entscheidet, für welchen die stylistische Darstellung berechnet ist. Denn so wie Gellerts Jndividualität, in allen seinen dichterischen Erzeugnissen, ihn zunächst zur Anwendung der niedern und bisweilen der mittlern Schreibart führte, die höhere aber ganz ausschloß; so eignete sich wieder die Jndividualität von Joh. Andr. Cramer, von Klopstock, von Leopold Graf zu Stolberg, von Kosegarten, mehr zur mittlern und selbst zur höhern Schreibart, als zur niedern. Dazu kommt, daß selbst die äußern Ursachen bei der Wahl einer der drei Schreibarten in den meisten Fällen durch die innere Ursache, d. h. durch die Jndividualität des Dichters bedingt sind, weil die dichterische Jndividualität, ─ nach den in dieser Einleitung aufgestellten Grundsätzen, ─ auf der unerklärbaren innern Wechselwirkung des Gefühlsvermögens und der selbstthätigen Einbildungskraft beruht, so daß, wenn dem Dichter, durch diese innern Ursachen, der Stoff zu einer Messiade zugeführt wird, er von selbst für diese die mittlere Schreibart wählt. Dagegen wird er, wenn er ein religiöses, oder ein weltliches Volkslied beabsichtigt, in den meisten Fällen die niedere, und nur bisweilen die mittlere Schreibart für seine Darstellung, in der Hymne aber nie die niedere, sondern die mittlere, ja selbst die höhere Schreibart wählen. Es ist übrigens von Wichtigkeit sowohl für die Theorie und Praxis der Dichtkunst, als auch für die Kritik der vorhandenen dichterischen Erzeugnisse, den in jedem vorhandenen dichterischen Erzeugnisse vorherrschenden Charakter der einen oder der andern Schreibart auszumitteln, weil nicht blos das Urtheil über die zweckmäßige Auswahl der Schreibart für den dargestellten Stoff, sondern auch das Urtheil über die Festhaltung und Durchführung der gewählten Schreibart zur Einheit und Classicität der stylistischen Form, davon abhängt. Was endlich die sogenannte Manier des Dichters betrifft; so wird darunter, im guten Sinne, die erkennbare Jndividualität desselben an allen seinen stylistischen Erzeugnissen (selbst den anonymen) verstanden, inwiefern sie in gewissen, eben nur diesem Schriftsteller eigenthümlichen, Gefühlen, Jdeen, Bildern, Wendungen, Zusammenstellungen und einzelnen Ausdrücken, in der ganzen Anlage, dem Baue und der Vollendung der stylistischen Form besteht. Jn dieser Beziehung lassen sich die einzelnen Erzeugnisse von Luther, Klopstock, Göthe, Schiller, Kosegarten, Matthisson u. a. sogleich erkennen und von jedem andern Schriftsteller unterscheiden. Allein fehlerhaft wird die Manier, wenn sie nicht aus der Jndividualität des Schriftstellers selbst hervorgeht, sondern auf der bloßen Nachahmung eines originellen Dichters beruht. Deshalb sind denn auch die Nachäffungen der eigenthümlichen Manier von Göthe, Schiller, Matthisson und andern so widerlich, während wir dem selbstständigen Dichter gern die Wiederkehr von Formen verzeihen, die er einmal aus seiner Eigenthümlichkeit ausgeprägt und den meisten seiner Werke ertheilt hat. 1) Die lyrische Form der Dichtkunst. 13. Charakter und einzelne Theile der lyrischen Dichtkunst. Der Charakter der lyrischen Dichtkunst besteht nicht, wie einige Theoretiker wollen, in der Erregung, sondern in der idealisirten Darstellung (Objectivisirung) bestimmter individueller Gefühle unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. Bei allen einzelnen Erzeugnissen der lyrischen Dichtkunst beruht daher der dargestellte Stoff auf den subjectiven Gefühlen des Dichters, welche durch seine selbstthätige Einbildungskraft unter einer idealischen Umgebung aufgefaßt, und nach dieser idealischen Haltung vermittelst einer stylistischen Form dargestellt werden, die dem Gesetze der Form vollkommen entspricht, und, als vollendete Einheit, Richtigkeit und Schönheit der Form unausflöslich verbindet. Ob nun gleich die von dem lyrischen Dichter als Stoff dargestellten Gefühle ihm ganz individuell angehören, so daß sie, nach dieser Gestaltung und Ankündigung, in keinem andern menschlichen Gemüthe entstehen konnten; so erscheinen sie doch, unter der Einheit der dichterischen Form, nach ihrem Zusammenhange mit den höchsten Jdealen der Menschheit, als so geläuterte und rein menschliche Gefühle, daß jedes gebildete Wesen unsrer Gattung in denselben, als in seinen eigenen, sich wieder erkennt. Je verschiedener aber die menschlichen Gefühle theils an sich nach ihrer Quelle als sinnliche, intellectuelle, ästhetische und sittliche Gefühle, theils nach dem Grade ihrer individuellen Stärke seyn können; desto verschiedener ist auch der Charakter der einzelnen lyrischen Gedichte, so wie die Stärke des Tones und der ästhetischen Farbengebung in denselben. Denn anders äußert sich das sinnliche Gefühl bei dem Genusse der Liebe und des Weins, als das intellectuelle Gefühl bei der Wahrnehmung der Unermeßlichkeit des Weltalls, und das sittliche Gefühl bei der Vergegenwärtigung unsrer individuellen Fehler und Verirrungen, oder bei der dichterischen Darstellung des Glaubens an Gott und Unsterblichkeit. Wenn daher auch der gemeinsame Charakter aller lyrischen Gedichte darauf beruht, daß sie unmittelbare Gefühle unter einer idealischen Darstellung in einer vollendeten stylistischen Form schildern; so muß doch, bei der nähern Beurtheilung der einzelnen Erzeugnisse der lyrischen Dichtkunst, zunächst dasjenige Gefühl aufgesucht werden, welches als Stoff dem Gedichte zum Grunde liegt, und sodann der im Gedichte enthaltene Ton dieses Gefühls, der, innerhalb der Form, bald als Ton der Freude, gesteigert bis zur höchsten Stufe derselben, bis zum Ausdrucke des Entzückens, ─ bald als Ton der Trauer, bis zur höchsten Steigerung derselben in der tiefsten Wehmuth, nach sehr verschiedenen Graden der Stärke und der Fülle des Gefühls schattirt, erscheinen kann. Jene Verschiedenheit in dem ursprünglichen Charakter der zum Bewußtseyn des Dichters gelangten individuellen Gefühle, und diese Schattirungen in dem Tone der dargestellten Gefühle, entscheiden über die Verschiedenheit des Charakters und des Tones in den einzelnen Untergattungen der lyrischen Form der Dichtkunst. Diese Untergattungen sind: a ) das Lied; b ) die Ode; c ) die Hymne; d ) die Dithyrambe; e ) die Rhapsodie; f ) die Elegie; g ) die Heroide; h ) die Cantate; i ) das Sonett; k ) das Madrigal, das Rondeau und Triolet. 14. a ) Das Lied. Der Charakter des Liedes beruht auf der Darstellung nur Eines, aber eines bestimmten Gefühls, welches zum deutlichen Bewußtseyn gelangt, unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. Jm Tone des Liedes steht das zum Bewußtseyn gelangte und durch Sprache dargestellte Gefühl mit sich selbst im Ebenmaase. Dadurch unterscheidet sich das Lied von den übrigen einzelnen Formen der lyrischen Dichtkunst, namentlich von der Ode, der Hymne und der Dichyrambe, welche, im höhern Schwunge der dichterischen Begeisterung, das im Gefühle sich ankündigende Unendliche, bei gleichstarker Vergegenwärtigung der Schranken der Endlichkeit, darstellen. An sich ist der Ton des Liedes ein Ton reiner Freude, Beruhigung und Hoffnung. Dieser Ton wird angeregt durch die Richtung des Gefühls auf ein Gut, nach welchem das Gemüth sich sehnt, oder dessen Besitz und Genuß das Gefühl ergreift und erhebt, oder das im Allgemeinen dem Gefühle und der Einbildungskraft lebhaft vorschwebt. Denn dadurch unterscheidet sich das Lied von der Elegie und der Heroide, daß der in demselben herrschende Ton der Freude durch keine Beimischung eines Gefühls der Wehmuth verdunkelt wird. Das Lied wird eingetheilt in das religiöse (geistliche) und weltliche Lied. Das religiöse Lied enthält den Ausdruck und die Darstellung der erhabenen Rührung, die den Menschen bei der im Gefühle wahrgenommenen Allvollkommenheit Gottes, seiner Allheiligkeit und Allseligkeit, und bei der Vergegenwärtigung seiner Verhältnisse zu uns und unserer Verhältnisse zu ihm ergreift, die für uns die wohlthuendsten und beseligendsten sind, und die unser ganzes gegenwärtiges und künftiges Daseyn umschließen. Das religiöse Lied erscheint, je nachdem ein bestimmtes Gefühl sich in uns ausgebildet hat, bald als Ausdruck des Dankes gegen Gott, bald als Ton der Bewunderung desselben, der Demuth und der Pflichten gegen ihn, der Hoffnung auf ihn, und der Vergegenwärtigung unsers Abstandes zu ihm. Zugleich liegt der ganze Kreis der Lehren der positiven Religion im Umfange des religiösen Liedes. ─ Doch muß genau zwischen dem religiösen Liede und der religiösen (geistlichen) Dichtkunst überhaupt unterschieden werden. Denn die letzte beschränkt sich nicht blos auf das geistliche Lied, wenn gleich von jeher innerhalb des Gebiets der geistlichen Dichtungen der Anbau des religiösen Liedes am reichsten, vielseitigsten und mannigfaltigsten gewesen ist. Zur sogenannten geistlichen Dichtkunst gehören aber, außer dem Liede, auch die religiöse Ode und Hymne, und die religiöse Elegie. Denn viele religiöse Gedichte von J. Andr. Cramer, Klopstock, Balth. Münter und andern unterscheiden sich von dem Tone und der Farbengebung des Liedes so, daß sie, der Form nach, als religiöse Hymnen aufgestellt werden müssen; auf gleiche Weise gehören alle, zur ästhetischen Einheit erhobene, Bußlieder in den Kreis der religiösen Elegie. Besonders sind viele Gedichte, bestimmt für die Feier der christlichen Feste, nicht blos religiöse Lieder, sondern Hymnen im eigentlichen Sinne, worin die Erscheinung des Erlösers in der Welt, sein irdisches Werk, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt verherrlicht wird; so wie viele sogenannte Passionslieder, sobald ihre ästhetische Form classisch ausgeprägt ist, zu den gelungensten Elegieen gehören. Jm Gegensatze des religiösen Liedes, enthält das weltliche Lied die Darstellung eines bestimmten individuellen Gefühls, das durch die Zustände und Vorgänge des wirklichen Lebens angeregt wird, unter der vollendeten Einheit einer ästhetischen Form. Das weltliche Lied schildert als Lied der Liebe die Jnnigkeit, Stärke und Glut des Gefühls, das durch ein geliebtes weibliches Wesen bewirkt wird. Als Trinklied stellt es die Freuden sinnlich vollkommen dar, die der Wein gewährt. Als Gelegenheitsgedicht bezieht es sich auf eine denkwürdige Begebenheit des häuslichen oder öffentlichen Lebens, welche das Gefühlsvermögen anspricht und bewegt. Zu diesen Gelegenheitsgedichten gehören die Geburts=, Hochzeits=, Neujahrs- und Trauergedichte u. a., die nur deshalb so selten gelingen, und unter einer vollendeten Form erscheinen, weil nur selten das Ereigniß, das sie feiern sollen, ein wahres und inniges Gefühl in dem Gemüthe des Dichters aufregt. Denn wo diese Bewegung des Gefühlsvermögens fehlt; da wird auch das Gelegenheitsgedicht gerade des Dichterischen ermangeln, das nur aus dem Gefühlsvermögen stammen und dann unter der, von der Einbildungskraft geschaffenen, idealisirten Form erscheinen kann. ─ Es können aber auch Naturgegenstände und andere Vorgänge des Lebens, sobald sie den Zustand eines bestimmten Gefühls in dem Dichter zum Bewußtseyn erheben, den Stoff zum weltlichen Liede enthalten. ─ Volkslied nennt man das weltliche Lied dann, wenn die Darstellung desselben, durch das allgemeine Jnteresse seines Stoffes, so wie durch die höchste Einfachheit des Ausdruckes, unbeschadet der classischen Vollendung der Form, für alle Stände und Klassen des Volkes verständlich, genießbar und anziehend wird. 15. Beispiele des religiösen Liedes. 1) von Luther († 1546). [Nach der Originalausgabe.] Eine feste Burg ist unser Gott, Ein gute wehr unnd waffen; Er hilfft unß frey auß aller not, Die unns jetzt hat betroffen; Der alt böse Feindt Mit ernst ers jetzt meint, Groß macht und vil list Sein grausam rüstung ist, Auff Erd ist nicht seins gleichen. Mit unser macht ist nichts gethan, Wir sind gar bald verloren. Es streit für uns der rechte Man, Den Got hat selbs erkoren; Fragst du, wer er ist? Er heist Jesus Christ, Der Herr Zebaoth, Und ist kein ander Gott, Das Feld muß er behalten. Und wenn die welt voll Teuffel wer, Und wolt unns gar verschlingen; So fürchten wir unns nicht so sehr, Es soll unns doch gelingen. Der Fürst dieser welt, Wie sawr er sich stelt, Thut er vns doch nicht, Das macht, er ist gericht, Ein wörtlein kan ihn fellen. Das Wort sie sollen lassen stan, Und kein Danck darzu haben, Er ist bey unns wol auff dem plan Mit seinem geist und gaben; Nemen sie den leib Gut, ehr, Kind und Weib, Laß faren dahin, Sie habens kein gewin, Das Reich muß unns doch bleiben. 2) von Martin Opitz († 1639). Morgenlied. O Licht, gebohren aus dem Lichte, O Sonne der Gerechtigkeit, Du schickst uns wieder zu Gesichte Die angenehme Morgenzeit. Drum will uns gehören Dankbarlich zu ehren Solche deine Gunst. Gieb auch unsern Sinnen, Daß sie sehen können Deiner Liebe Brunst. Laß deines Geistes Morgenröthe Jn unsern dunkeln Herzen seyn, Daß sie mit ihren Stralen tödte Der eitlen Werke kalten Schein. Siehe, Herr, wir wanken; Thun und auch Gedanken Gehn auf falscher Bahn. Du wollst unserm Leben Deine Sonne geben, Daß es wandeln kann. Verknüpfe mit des Friedens Bande Der armen Kirche schwache Schaar; Nimm weg von unserm Vaterlande Verfolgung, Trübsal und Gefahr! Laß uns ruhig bleiben, Unsern Lauf zu treiben Diese kleine Zeit, Bis du uns wirst bringen, Wo man dir soll singen Lob in Ewigkeit. 3) von dem Jesuiten Friedrich Spee († 1635). Lob Gottes aus Beschreibung der fröhlichen Sommerzeit. (aus seiner Trutznachtigall ─ abgekürzt.) Jetzt wicklet sich der Himmel auf Jetzt b'wegen sich die Räder; Der Frühling rüstet sich zum Lauf, Umgürt't mit Rosenfeder. O wie so schön, wie frisch und kraus! Wie glänzend Elementen! Nit mögens gnügsam streichen aus Noch Redner, noch Scribenten. O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn, O reines Jahr! o schöner Tag! O spiegelklare Zeiten! Zur Sommerlust nach Winterklag Der Frühling uns wird leiten. Jn Luft ich hör die Musik schon, Wie sichs mit Ernst bereite, Daß uns empfang mit süßern Ton, Und lieblich hin begleite. O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. Für uns die schöne Nachtigall Den Sommer laut begrüßet, Jhr Stimmlein über Berg und Thal Den ganzen Luft versüßet. Die Vöglein zart in großer Meng Busch, Heck und Feld durchstreifen, Die Nester schon seyndt ihn zu eng, Die Luft klingt voller Pfeifen. O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. Wer legt nun ihn'n den Ton in Mund Dann laut und dann so leise? Wer zirkelt ihn'n so rein und rund So mannigfaltig Weise? Wer misset ihn'n den Athem zu, Daß mögens vollentführen Den ganzen Tag fast ohne Ruh So freudigs Tütelüren? O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. Jetzt öffnet sich der Erdenschoos, Die Brünnlein fröhlich springen; Jetzt Laub und Gras sich geben blos, Die Pflänzlein anher dringen. Wer wird die Kräuter mannigfalt Jn Zahl und Ziffer zwingen, Welch uns der Sommer mit Gewalt Ans Licht wird stündlich bringen? O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. Mein! saget an ihr Blümlein zart, Und laßt michs je doch wissen, Weil ihr an euch kein Farb gespart, Wer hat euch vorgerissen? Wo nahmet ihr das Muster her, Davon ihr euch copeiet? Das Vorbild wollt ich schauen ger', Welchs ihr habt conterfeiet. O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. Wo nur das Aug man wendet hin, Mit Lüsten wirds ergetzet; Ergetzet wird fast jeder Sinn, Und alles Wunder schätzet: Ohn Maas ist alle Welt geschmückt, Wer Künstler möchts erdenken? Wers recht bedenkt, wird gar verzückt, Das Haupt thut niedersenken. O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. Drum lobet ihn ihr Menschenkind, Bei nun so schönen Zeiten; All Traurigkeit nun schütt't in Wind, Spannt auf die besten Saiten. Auf Harf und Lauten tastet frei, Schneid't an die süßen Geigen, Mit reiner Stimm' und Orgelschrei Thut ihm all Ehr' erzeigen. O Gott, ich sing von Herzen mein, Gelobet muß der Schöpfer seyn. 4) von Simon Dach († 1659 als Prof. in Königsberg). Begräbnißlied. O wie selig seyd ihr doch, ihr Frommen, Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen! Jhr seyd entgangen Aller Noth, die uns noch hält gefangen. Muß man hier doch wie im Kerker leben, Da nur Sorge, Furcht und Schrecken schweben; Was wir hie kennen, Jst nur Müh' und Herzeleid zu nennen. Jhr hergegen ruht in eurer Kammer Sicher und befreit von allem Jammer; Kein Kreuz und Leiden Jst euch hinderlich in euern Freuden. Christus wischet ab euch alle Thränen; Jhr habt schon, wornach wir uns erst sehnen; Euch wird gesungen, Was durch Keines Ohr allhier gedrungen. Ach, wer wollte denn nicht gerne sterben, Und den Himmel für die Welt ererben? Wer wollt' hier bleiben, Sich den Jammer länger lassen treiben? Komm, o Christe, komm, uns auszuspannen! Lös' uns auf, und führ' uns bald von dannen! Bei dir, o Sonne, Jst der frommen Seelen Freud' und Wonne! 5) von v. Cronegk († 1758). Der auferstandene Heiland. Das Grab zerbricht und Gottes Sohn Verläßt der Todten Grüfte. Es dringt ein lauter Jubelton Siegprangend durch die Lüfte. Du, den der Engel Loblied preist, Entreiße, Vater, meinen Geist, Daß er dir heilig werde, Den Neigungen der Erde. Die Menschheit, Herr, erlaubt mir nicht, Mit dir empor zu steigen, Bis meines Körpers Grab zerbricht, Bis sich mein Haupt wird neigen. Alsdann nimm, nach vollbrachtem Lauf, Erstandener Heiland, nimm mich auf. Herr, nimm bei meinem Ende Den Geist in deine Hände. Mensch, willst du Gott in seinem Reich Nach deinem Tode sehen; So mußt du, deinem Heiland gleich, Von Todten auferstehen. Der lebt nicht, den die Lust der Welt, Den ihre Pracht gefesselt hält; Nach Gott und Tugend streben, Nur das heißt wirklich leben. Wohl dir, wenn du das Laster fliehst, Dem Frevler dich entziehest, Und liebst den Gott, den du nicht siehst, Jm Menschen, den du siehest! Als schon die nahe Stunde kam, Als der Erlöser Abschied nahm, Da sprach er zu den Seinen: Hört, Kinder, auf zu weinen! Jch geh zum Vater in das Reich, Das auch für euch beschieden. Geht! meinen Frieden laß ich euch, Jch geb' euch meinen Frieden. Nicht geb' ich, wie die Welt ihn giebt; Daran, daß ihr einander liebt, Daran will ich erkennen, Ob ihr auch mein zu nennen. Erretter! Heiland! Menschenfreund! Erweck' in mir die Triebe Durch die man sich mit dir vereint, Den Glauben und die Liebe! Mein Leben weih sich dir allein; Laß mich dem Nächsten nützlich seyn! Gieb selbsten Geist und Kräfte Zu jeglichem Geschäfte! So kann ich leben als ein Christ, Und als ein Christ erblassen. Jch weiß, daß du mein Heiland bist, Jch will von dir nicht lassen. Herr, segne mich! zu seiner Zeit Laß mich zu deiner Ewigkeit Vom Grab empor mich schwingen, Und heilig! heilig! singen. 6) von der Professorin Gottsched (geb. Kulmus), († 1762) ─ abgekürzt ─ Die Ewigkeit. O Gott! du warst von Ewigkeit, Bevor noch Himmel, Erd' und Zeit Auf deinen Wink entstanden. Eh noch dein Wink dem Sonnenstrahl Der Welt zu leuchten anbefahl, Warst du bereits vorhanden; Und stürzt einmal der Weltkreis ein, Wirst du nicht minder ewig seyn. Der Stunden Dauer scheint uns lang, Wenn wir voll Kummer, matt und krank, Fast Augenblicke zählen. Der Tageslauf verzehrt das Herz, Wenn wir bei ungewohntem Schmerz Uns unaufhörlich quälen. Dann däucht uns ja die bittre Pein, Ein ganz Jahrhundert lang zu seyn. Doch, ach! wie kurz ist unser Lauf, Mit wenig Jahren hört er auf, Als wären's so viel Stunden. Und wärest du Methusalah, Der nah bei tausend Jahren sah, Wie schnell sind sie verschwunden! Vor dir, o Herr, ists nur ein Tag, Ein kurzer Puls- und Herzensschlag. Der ganzen Welt bestimmte Zeit, Seitdem die Sonne weit und breit Luft, Berg und Thal verkläret; So lange Mond und Sterne sind, So lange hier ein Adamskind Und dieser Erdball währet: Was ist sie gegen dich, o Gott? Ein kurzes Nun, ein Nichts, ein Spott. Unendlicher, du alterst nicht, Dein ewig heitres Angesicht, Zeigt stets der Jugend Stärke. Dein Arm, der alle Wesen schafft, Bleibt ungeschwächt bei gleicher Kraft, Wirkt immer größre Werke. Der Mensch verschleißt wie ein Gewand; Dein ewig Thun hat stets Bestand. Könnt' jeder Tropfen in dem See Und jede Flocke von dem Schnee Und jedes Blatt auf Erden, Könnt' jeder Staub von Berg und Thal Und jeder Stern am Himmelssaal Ein ganz Jahrhundert werden; So wäre doch die lange Zeit Kein Punct von deiner Ewigkeit. Was ist denn, Herr, vor deinem Thron Das Menschenkind, der Erdensohn, Der Staub, der Wurm, die Made? Ein Augenblick bringt ihn zur Welt, Ein Augenblick hat ihn gefällt; Gebricht ihm deine Gnade. Ja füllt sein Lauf den weit'sten Raum, Jst doch sein Leben nur ein Traum. Das wahre Leben ist in dir; Dein Seyn, o Gott, daur't für und für, Dein Wesen nimmt kein Ende. Drum reiß' mich aus der Eitelkeit, Und scheid' ich einst aus dieser Zeit, Nimm mich in deine Hände. So werd' ich ewig vor dir stehn, Und, frei vom Tode, dich erhöhn! 7) von Joh. Andr. Cramer († 1788). Der erste Psalm. Heil, Heil dem Manne, der dem Rath Der Frevler sich entzieht; Dem Manne, der den krummen Pfad Der Uebertreter flieht! Der, wo der Gottheit Spötter lacht, Die fromme Seel' entfernt; Sich Gottes Recht zur Freude macht, Und Tag und Nacht es lernt. Er grünet, wie am Bach ein Baum Von seinem Segen schwillt, Sich hebt, und einen weiten Raum Mit seinem Wipfel füllt. Er trägt, wann seine Zeit kommt, Frucht, Stets unentlaubt und grün; Er tröstet den, der Schatten sucht, Der Wandrer segnet ihn. Das ist der Fromme! Was er macht, Wird Segen und erfreut. Der Sünder ists, der seiner lacht, Spreu, die der Wind zerstreut. Der, der sich gegen Gott empört, Besteht nicht im Gericht, Und wo ein Volk ist, das Gott ehrt, Blühn die Verbrecher nicht. Der Herr verklärt die edle Bahn, Die der Gerechte geht. Er schaut im Zorn den Sünder an: Des Sünders Weg vergeht. 8) von Sturm († 1786). Bruchstück aus einem Weihnachtsliede. ─ Kommt, laßt uns niederfallen Vor unserm Mittler Jesu Christ, Jhm danken, daß er Allen Erretter, Freund und Bruder ist. Er, gleich der Morgensonne Mit ihrem ersten Strahl, Verbreitet Licht und Wonne Und Segen überall. Durch ihn kommt Heil und Gnade Auf diese Welt herab; Er segnet unsre Pfade Durchs Leben bis zum Grab. O du, dem jetzt die Menge Der Engel und Verklärten singt, Empfang die Lobgesänge, Die dir dein Volk im Staube bringt. Auch du warst einst auf Erden, Was deine Brüder sind, Ein Dulder der Beschwerden, Ein schwaches Menschenkind. Was du jetzt bist, das werden Einst deine Brüder seyn, Wann sie, entrückt der Erden, Sich deines Anschauns freun. Bald sind wir zu dem Lohne Der Himmelsbürger dort erhöht; Nah sind wir dann dem Throne, Und schauen deine Majestät. Nicht mehr aus dunkler Ferne Schallt dann der Dank zu dir; Weit über Sonn' und Sterne Erhaben danken wir. Und dann durch jede Sphäre Schallt unser Lobgesang: Dem Ewigen sey Ehre, Dem Menschgewordnen Dank! 9) vom Grafen Friedr. Leop. zu Stolberg († 1819). Danklied (abgekürzt). Daß unser Gott uns Leben gab, Deß wollen wir uns freuen, Und von der Wiege bis ans Grab Jhm unsern Dank erneuen; Denn auch zur Freude gab uns Gott Auf dieser Welt das Leben, Und hat verheißen, nach dem Tod Der Wonne mehr zu geben. Wie fromme Kinder können wir Jn froher Einfalt leben; Drum hat der Vater schon allhier Ein Eden uns gegeben. Die Frühlingswärme haucht sein Mund, Und Kühlung wehn die Wogen; Am Himmel zeugt von seinem Bund Der schöne Regenbogen. Und Auen, Berge, Feld und Wald Verkünden seine Gnade, Und seines Namens Größe schallt Am hallenden Gestade. Jhn singt die kleine Nachtigall. O, laßt mit ihr uns singen! Laßt mit der frohen Lerche Schall Auch unser Lied erklingen! Aus freier Gnade hieß der Herr So schön die Erde werden. Bedarf zu seinem Wohlseyn Er Der Früchte dieser Erden? Drum wollen wir auch geben gern, Wie wir von ihm vernommen, Und ähnlich werden unserm Herrn, Und seyn, wie er, vollkommen. Wie Aeltern ihrem zarten Sohn Die Frühlingsblumen weisen; So zeigt uns Gott auf Erden schon, Wie seine Sterne kreisen. Wir schaun die Wunder seiner Hand Aus unsern tiefen Fernen, Und wissen, unser Vaterland Sey über jenen Sternen. Auf unserm Leben schwimmt, wie Schaum, Ein wenig Müh und Kummer; Das Leben ist ein Morgentraum, Der Tod ein kurzer Schlummer. Wir sinken freudig in den Staub, Der unsre Väter decket, Und gönnen Würmern ihren Raub, Weil Gott uns auferwecket. Es töne zu der Saiten Klang, So lange wir hier wallen, Sein Lobgesang; und Lobgesang Soll schon das Kindlein lallen! Und wenn's nach seinem Namen fragt; So drückt mit beiden Armen Das Kindlein fest ans Herz, und sagt: Sein Name heißt Erbarmen! 10) von v. Matthisson. Heiliges Lied. Dich preißt, Allmächtiger, der Sterne Jubelklang! Dich preißt, Allgütiger, der Seraphim Gesang! Die ganze Schöpfung schwebt in ewgen Harmonieen, So weit sich Welten drehn und Sonnenheere glühen. Dein Tempel, die Natur, wie deiner Herrlichkeit, Wie deiner Milde voll! Des Lenzes Blumenkleid, Des Sommers Aehrenmeer, des Herbstes Traubenhügel, Des Winters Silberhöhn, sind deiner Allmacht Spiegel! Was bin ich, Herr, vor dir? Seit gestern athm' ich kaum! Es trennt vom Todtenkreuz mich nur ein Spannenraum! Wohl dennoch mir! Wer sanft entschläft in Vatersarmen, Darf dem Erweckungswort vertraun! Es heißt: Erbarmen! 11) von Mahlmann. Lied des Trostes. Was grämst du dich? Noch wenig trübe Stunden, Dann heilen deine Wunden; Dann blickt dein Auge hell und klar! Dein Geist, so fest gekettet, Fliegt dann empor, und rettet Zum Lande seiner Heimath sich! Was grämst du dich? Der große Geist, Um den die Welten schweben, Sieht unser kleines Leben Und unsern Kummer gnädig an. Er zählt die Thränentropfen; Er stillt des Herzens Klopfen. Er ist es, der uns Trost verheißt, Der große Geist! Verzage nicht! Blick' auf in jene Ferne, Da glänzen tausend Sterne; Wie groß ist deines Vaters Haus! Ach dort, ach dort erwarmen An seiner Brust wir Armen! Drum, wenn dein Herz in Thränen bricht; Verzage nicht! 12) von Tiedge. Vertrauen auf Gott. (abgekürzt) Groß ist der Herr! Die Berge zittern Vor seiner Gottesmajestät, Wann er in dunkeln Ungewittern, Der Heilige, vorübergeht; Doch Liebe strömt aus seiner Hand, Jn finstern Wolken auf das Land. Vom Raum, wo sich der Halm entfaltet, Bis zu der letzten Sonn' hinaus, Herrscht sein Gesetz; als Vater waltet Er durch das große Weltenhaus, Der Leben giebt und Freuden schafft; Mit Liebe waltet er und Kraft. Was dich auch drückt, mein Herz: er rettet! Vertraun zu ihm ist deine Pflicht! Er, der dem Wurm ein Lager bettet, Der Gott verläßt den Menschen nicht. Der so viel giebt, und mehr verheißt ─ Erhebe dankend ihn, mein Geist! Vermiß dich nicht, mit ihm zu rechten! Mit Demuth nahe dich dem Herrn. Jn trauervollen Mitternächten Jst dir der Ewige nicht fern; Mit deinem Frieden, deinem Harm Wirf seiner Huld dich in den Arm! Vertraue Gottes Vaterhänden, Wenn er den frömmsten Wunsch versagt; Was hier beginnt, wird dort vollenden, Wo dir ein neues Leben tagt. Es ruhn im engen Raum der Zeit Die Keime deiner Ewigkeit. 16. Beispiele des weltlichen Liedes. 1) Minnelied vom Kaiser Heinrich 6 († 1197), aus der Manessischen Sammlung, mit Nassers Verteutschung Verteutschung. Jch grüße mit Gesang die Süße, Die ich vermeiden nicht will, noch mag. Seit ich sie mündlich recht mochte grüßen, Ach leider das ist schon mancher Tag. Wer nun dieses Lied singet vor ihr, Ich gruesse mit gesange die suessen Die ich vermiden niht wil noch enmac. Doh ich si von munde rehte mohte gruessen Ach leides des ist manig tag. Swer nu disü liet singe vor ir Der ich so gar unsenfteclich enbir Es si wib oder man der habe si gegruesset von mir. Mir sint dü rich und dü lant undertan Swenne ich bi des minneclichen bin, Und swenne ich gescheide von dan So ist mir aller min gewalt und richtum dahin. Wan senden kumber den zelle ich mir danne ze habe, Sus kan ich an freuden stigen uf und ouch abe, Und bringe den wechsel als ich wenne dur ir liebe ze grabe. Sit das ich si so gar herzeclichen minne Und si ane wenken zallen ziten trage Beide in herze und ouch in sinne Underwilent mit vil maniger clage, Was git mir dar umbe dü libe ze lone, Der ich so gar unsanft (ungern) entbehr, Es sey Weib oder Mann, der habe sie gegrüßet von mir. Mir sind die Reiche und Länder unterthan, Wenn ich bei der Minniglichen bin, Und wann ich scheide von dannen (von ihr), So ist all meine Gewalt und mein Reichthum dahin. Nur herben Kummer den zähl' ich mir dann zur Habe (ist dann mein Loos), Sonst kann ich an Freuden steigen auf und ab Und bringe den Wechsel, wie ich wähne, durch ihre Liebe zu Grabe. Seit daß ich sie so gar herziglich minne, Und sie ohne Wanken zu allen Zeiten trage, Beides im Herzen und auch im Sinne, Unterweilen mit viel mancher Klage; Was giebt mir darum die Liebe zum Lohne? Da biutet si mirs so rehte schone E ich mich ir verzige ich verzige mich ê der crone. Er sündet swer des niht geloubet, Das ich moehte geleben manigen lieben tag, Ob ioch niemer crone kemme uf min houbet, Des ich mich an si niht vermessen mag. Verlur ich si was het ich danne, Da tohte ich ze freuden weder wibe noch manne, Uns wer min bester trost beide ze ahte und ze banne . 2) Bruchstück eines Minneliedes, vom Markgrafen von Brandenburg Otto mit dem Pfeile († 1308); aus der Manessischen Sammlung. Winter was hat dir getan Dü bluot vil minnecliche Und der kleinen voglin sueßes singen; Ich weis vürwar gar ane wan ohne Wahn; ohne allen Zweifel. Wil mich dü seldenriche an Vortrefflichkeit, an Vorzügen reiche. Ja, böte sie mir auch noch so schöne, Eh ich ihr entsagte, ich entsagte der Krone. Er sündigt schwer, ders nicht glaubt, Daß ich möchte leben manchen lieben Tag, Ob auch nie eine Krone käme auf mein Haupt, Der ich mich ohne sie nicht rühmen mag. Verlör ich sie, was hätt' ich dann? Dann taugt' ich zu erfreuen weder Weib noch Mann, Und wäre mein bester Trost beides zur Acht und zum Bann. . Trösten was kanstu mich danne getwingen bezwingen. Ich neme eine lange naht Fur tusend hande tausenderlei Arten. bluete Ich han mich des vil wol bedaht Mich tröstet bas besser; mehr. ir guete Danne der meie mir kan froide bringen . 3) von Joh. Valentin Andreä († 1654). Die verborgene Liebe. Edele Liebe, wie bist du bei uns verstecket, Daß sich dein Ursprung uns so selten nur entdecket? Von Gott bist du gebohren, Gott selbst hat dich erzeugt, Dem Menschen auserkohren, Dem die Natur sich beugt. Liebliche Liebe, wo bist du bei uns verborgen, Daß wir dein Saft und Kraft nicht schmecken heut, noch morgen? Die Welt thust du erfüllen Mit süßem Honigseim, Das größte Leiden stillen Durch deinen milden Schein. Jnnige Liebe, wo bist du bei uns verschlossen, Daß wir zu deiner Treu uns schicken so verdrossen? Alles kannst du verbinden, Was irgend ist zerstreut, Jn dir ist alles zu finden, Was Menschenherzen freut. Stetige Liebe, wo bist du bei uns verloren, Daß du, Standhafteste, nie kommst vor unsre Ohren? Du mußt den Bund erhalten, Den Bund der Menschenpflicht; Denn Liebe mag nicht alten, Die Treu kann rosten nicht. 4) von Andreas Tscherning († 1659). Auf einen Ausbund eines lustigen und possirlichen Hündleins. (abgekürzt) Freude des Herren und Liebe der Frauen, Herzfänger, Zeitendieb, Störer der Pein, Einer kann dich ohne Lachen nicht schauen; Käme der Sauertopf Cato herein, Er würd' in Gebärden Bald lustiger werden. Sollte nicht Menschen die Weise behagen, Wann du, sobald nur die Tafel gedeckt, Bringest dein' eigene Schüssel getragen. Lächerlich ists, so sie irgend versteckt, Das eifrige Suchen, Das hungrige Puchen. Raben, die müssen an Augen dir weichen, Phöbus Geflügel der singende Schwan Kann sich an Farbe mit deiner nicht gleichen, Deine, Liebuschlin, die gehet voran, Du prangest mit Gaben, Die wenige haben. Laß dem Catullus den Sperling vor allen; Statius sey auf die Tauben erhitzt; Laß dem Petrarca die Katze gefallen, Welche die Schriften vor Mäusen beschützt. Dich müssen die Weisen Viel rühmlicher preisen. Lipsius hätte vor seinem Saphire, Liebes Liebuschlin, dich werther geschätzt. Alles, was ich dir jetzt dactylisire, Was mein geringer Verstand dir gesetzt, Jst für dich, o König Der Hunde, zu wenig. Soll ich es sagen, als wie ich gedenke, Wann du in Fröhlichkeit trunken und geil Giebest zu sehen die künstlichen Ränke; Wahrlich, so hat die Natur dir ein Theil Vom Menschenverstande Gegeben zum Pfande. Cerberus muß dich genädig empfangen, Wann du wirst reisen in Acherons Haus. Still' aber späte sein heißes Verlangen, Atheme langsam den Flattergeist aus. Du wirst mit dem Leben Viel Freude begeben. Ehe du werdest gezwungen zu sterben, Lieber, so denke zuvor auf die Zucht; Mache dich wieder lebendig durch Erben. Wo du verlässest dir ähnliche Frucht; So kann man dein Scheiden Geduldiger leiden. Wann du verblichen; so wirst du begraben, Wo Amarißlein und wo Servitor Jhre gekammerte Grabestatt haben, Zwischen der Blumen gestirneten Flor, Als die in dem Garten Schon deiner erwarten. 5) von v. Canitz († 1699). Lob des Tabaks. (abgekürzt) Sonn' und Licht hat sich verkrochen, Und die Nacht ist angebrochen. Soll ich nun des Tages Last, Meine Sorgen und mein Grämen, Auf das Lager mit mir nehmen? Nein, ich will, um meine Rast Zu befördern, erst die Pfeifen Mit Tabak gestopft ergreifen. Unter allen seltnen Waaren, Die man uns in vielen Jahren Hat aus Jndien gebracht, Wird bei Jungen und bei Alten Dieses Kraut den Preis behalten, Weil es frohe Geister macht. Ja, bis sich die Welt wird trennen, Wird sein stetes Opfer brennen. Des Tabakskrauts goldne Blätter Sind bei manchem Unglückswetter Ein beliebtes Gegengift. Wider Pest und Liebeswunden Sind sie schon bewährt gefunden; Und wenn uns ein Kummer trifft, Können wir durch sanftes Hauchen Sie zu unserm Labsal brauchen. Daß die Lust und Pracht der Erden, Und ich selbst zu nichts muß werden, Hat mich der Tabak gelehrt, Wenn sein zarter Dampf sich zeiget, Der hoch in die Lüfte steiget, Und sich bald in Nichts verliert. Daß nun solch ein Kraut entsprossen, Hat den Satan sehr verdrossen. Er kann ohnedem nicht leiden, Wenn ein Mensch in stillen Freuden Jn sich selbst vergnüget ist. Drum, des Vaters eitler Grillen Bösen Wunsch nicht zu erfüllen, Schmauch ich, als ein frommer Christ. Er und alle Welt mag toben: Jch will doch den Tabak loben. 6) von Joh. Chstn. Günther († 1723). Die Rosen. (abgekürzt) An Rosen such' ich mein Vergnügen, An Rosen, die die Herzen ziehn, An Rosen, die den Frost besiegen, Und hier das ganze Jahr durch blühn, An Rosen, die wir bei den Linden Sonst nirgends leicht so reizend finden. Man lobt die bräunlichen Violen, Sie sind auch ihres Lobes werth; Doch, weil sie nur die Kinder hohlen, So bin ich nicht für sie erklärt, Und wähle mir die holden Stralen, Womit die vollen Rosen pralen. Erhebt mir nicht die Kaiserkronen, Die sonder Kraft und Balsam sind. Entfernt euch mit den Anemonen, Jhr Nam' und Ruhm ist nichts als Wind. Narcissen sind im besten Lande Ein Abriß von dem Unbestande. Die Ros' erquickt die blöden Sinnen Und hat das beste Zuckerrohr. Jhr goldner Umfang bricht von innen, So wie die Sonn' aus Nacht, hervor. Die Rose nährt die süßen Triebe, Und reizt die Liebe selbst zur Liebe. Mit Rosen schmück' ich Haupt und Haare, Die Rosen tauch' ich in den Wein; Die Rose soll für meine Jahre Die allerbeste Stärkung seyn. Die Rose zieret meine Flöten Und krönt mit mächtige Poeten. Auf Rosen mach' ich gute Reime, Auf Rosen schläfet meine Brust, Auf Rosen hab' ich sanfte Träume Von still- und warm- und weicher Lust; Und wenn ich einst von hinnen fahre, So wünsch' ich Rosen auf die Bahre. 7) von Gotthold Ephraim Lessing († 1781). Für wen ich singe. Jch singe nicht für kleine Knaben, Die voller Stolz zur Schule gehn, Und den Ovid in Händen haben, Den ihre Lehrer nicht verstehn. Jch singe nicht für euch, ihr Richter, Die ihr, voll spitz'ger Gründlichkeit, Ein unerträglich Joch dem Dichter Und euch die Muster selber seyd. Jch singe nicht den kühnen Geistern, Die nur Homer und Milton reizt; Weil man den unerschöpften Meistern Die Lorbeern nur umsonst begeizt. Jch singe nicht durch Stolz gedrungen, Für dich, mein teutsches Vaterland. Jch fürchte jene Lästerungen, Die dich bis an den Pol verbannt. Jch singe nicht für fremde Reiche. Wie käm' mir so ein Ehrgeiz ein? Das sind verwegne Autorstreiche. Jch mag nicht übersetzet seyn. Jch singe nicht für fromme Schwestern, Die nie der Liebe Reiz gewinnt, Die, wenn wir munter singen, lästern, Daß wir nicht alle Schmolken sind. Jch singe nur für euch, ihr Brüder, Die ihr den Wein erhebt, wie ich, Für euch, für euch sind meine Lieder. Singt ihr sie nach; o Glück für mich! Jch singe nur für meine Schöne, O muntre Phyllis, nur für dich. Für dich, für dich sind meine Töne. Stehn sie dir an; so küsse mich! 8) von Gleim († 1803). Straflied. Dumm machen lassen wir uns nicht, Wir wissen, daß wirs werden sollen! Vernunft heißt das von Gott uns angesteckte Licht, Das sie auslöschen wollen! Wir wissen, daß wir dumm, dumm wieder werden sollen, Und werdens ganz gewiß mit Gottes Hülfe nicht! Wir thun in allem unsre Pflicht; Mehr kann man nicht von uns verlangen. Auslöschen wollet ihr das angesteckte Licht, Jhr heuchlerischen Klapperschlangen, Jhr Katzen! ihr wollt uns wie dumme Mäuse fangen, Jhr fangt uns ganz gewiß, wie dumme Mäuse, nicht! Wir lieben unsern lieben Gott, Und unsern lieben guten König; Die beiden schützen uns: wir werden Hottentot Und Dumrian so wenig, Als ihr vernünftigen Gesetzen unterthänig, Gegeben durch Vernunft von unserm lieben Gott! Vernünftige Gesetze sind, Daß wir einander lieben sollen, Wie eine Mutter ihr gebohrnes erstes Kind, Und daß wir, wie wir wollen Anbeten den, um welchen Donner rollen, Und sanfte Winde wehn, und brausen Sturm und Wind. Der ist uns eine feste Burg! Dem werden sie schon unterliegen! Der hilft durch ihre Macht mit seiner Macht uns durch, Sie mögen heucheln, lügen, trügen! Das angesteckte Licht wird Finsterniß besiegen! Gott, aller Götter Gott, ist unsre feste Burg! 9) von Weiße († 1804). Schuhflickerlied. „Minister flicken am Staat; Die Schöppen flicken am Rath; Die Priester an dem Gewissen; Die Aerzte an Händen und Füßen.“ „O Jobsen! was flickest denn du?“ „Jch flicke den Herren Ministern, Den Schöppen, den Aerzten, den Priestern, Zerrißne Schuh.“ „Sie flicken, und flicken nicht recht; Sie flicken, und flicken oft schlecht, Und reißen unter dem Flicken Das Gute wieder in Stücken.“ „O Jobsen! wie flickest denn du?“ „Jch flicke den Herren Ministern, Den Schöppen, den Aerzten, den Priestern, Zerrißne Schuh Recht dichte zu.“ 10) von v. Halem († 1819). Trinklied. Das Leben gleichet der Blume! So sagen die Weisen. Wohlan! Das lasset uns, Freunde, bedenken, Und klüglich mit Weine sie tränken; Denn frischer blühet sie dann! Das Leben gleichet der Reise! So sagen die Weisen. Wohlan! Füllt, Freunde, die Gläser! Jch meine, Wir sprengen die Wege mit Weine; Viel lustiger reiset sichs dann. Das Leben gleichet dem Traume! So sagen die Weisen. Wohlan! Schon will es mich selber so dünken. Zum Glase! zum Glase! Wir trinken! Viel herrlicher träumt es sich dann! 11) von v. Salis. Das Grab. Das Grab ist tief und stille, Und schauderhaft sein Rand. Es deckt mit seiner Hülle Ein unbekanntes Land. Das Lied der Nachtigallen Tönt nicht in seinen Schoos, Der Freundschaft Rosen fallen Nur auf des Hügels Moos. Verlaßne Bräute ringen Umsonst die Hände wund; Der Waisen Klagen dringen Nicht in der Tiefe Grund. Doch sonst an keinem Orte Wohnt die ersehnte Ruh; Nur durch die dunkle Pforte Geht man der Heimath zu. Das arme Herz hienieden, Von manchem Gram bewegt, Erlangt den wahren Frieden Nur, wo es nicht mehr schlägt. 12) von Voß. Gesang der Teutschen. Der Geisteswildheit Nacht voll Grauen Lag öd' auf Teutschlands dumpfen Gauen; Da wandte Gott sein Angesicht, Und rief herab: Es werde Licht! Die Nacht verdämmert; Dämmrung schwindet; Der Wild', ein kaum belebttr Kloß, Wird Mensch, blickt um sich und empfindet, Was wahr und edel ist und groß. Chor . Wir alle! wir alle! Wir heben Herz und Hand! Es rufe Mann und Weib, das Kind am Busen lalle; Heil, Freiheit, dir! Heil, Vaterland! Vernunft, durch Willkühr erst befehdet, Doch kühn und kühner, singt und redet Von Menschenrecht, von Bürgerbund, Von aller Satzung Zweck und Grund! Jn Zauberschrift umher geschwungen, Fliegt tausendfach der weise Schall, Hat bald des Volkes Herz durchdrungen, Und schafft Gemeinsinn überall. Wir alle &c. Nicht herrscht durch fremder Formeln Düster Hinfort Gerichtsherr oder Priester; Das Volksgesetz wägt grad' und gleich Gerechtigkeit für Arm und Reich. Nicht mehr verfolgt wird Lehr' und Meinung, Nicht gilt für Gottesdienst ein Brauch. Nur Lieb' ist aller Herzen Einung, Der Tempel und Moscheen auch. Wir alle &c. Nur Tugend, nicht Geburt, giebt Würde; Vertheilt nach Kraft ist Amt und Bürde; Der bauet Kunst, Gewerb' und Saat, Der schmückt den Geist, der Heer und Staat; Der, gegen Feind' und Unterdrücker, Trägt Obermacht zu treuer Hut, Und giebt, des freien Volks Beglücker, Jhm Rechenschaft von Hab' und Blut. Wir alle &c. Was zittert ihr, der Staaten Wächter? Veredelt strebt das Volk nicht schlechter; Nur frei vom Mißbrauch wird der Thron, Vom Wahne die Religion! Die Fessel strengt ihr an? Vergebens! Zur Freiheit ruft uns unser Gott! Dem Geist im Vollgefühl des Sterbens Jst aller Welten Macht ein Spott! Wir alle &c. 13) von Ludw. Tieck. An einen Liebenden im Frühlinge. Wonne glänzt von allen Zweigen, Muthig regt sich jedes Reiß, Blumenkränz' aus Bäumen steigen, Purpurroth und silberweiß. Und bewegt wie Harfensaiten Jst die Welt ein Jubelklang, Durch der Welten Dunkelheiten Tönt der Nachtigall Gesang. Warum leuchten so die Felder? Nie hab' ich dies Grün gesehn. Lustgesang dringt durch die Wälder, Rauschend wie ein Sturmeswehn. Sieg und Freiheit blühn die Bäume, Heil dir Vaterland! erschallt Jubelnd durch die grünen Räume; Freiheit! braust der Eichenwald. Hoch beglückt, ja hoch gesegnet, Wem in diesem Lustgefild Liebesglück noch hold begegnet, Und die letzte Sehnsucht stillt. 14) von Fr. Adolph Kuhn. Rundgesang. Durch Teutschlands Gauen schwebt der Rhein Wie Teutsche stark und frei. Durch Felsen drängt sich bald der Fluß, Bald fliegt er schnell, mit leisem Kuß, Am Rebenland vorbei. So war im alten Eichenhain Der Ahnen gut Geschlecht. Wie Blitze traf ihr starker Arm; Sie waren noch für Freiheit warm, Und stolz auf Menschenrecht. Ha, Jubel! wann der Haingesang Aus düstern Harfen scholl; Wann zu der Enkel schönem Sieg Der Väter Chor aus Wolken stieg, Und Tod in Strömen quoll. Das galt dir, stolzer Römerling! Der, selbst entnervt und Sklav, Der Despotieen morsches Band Um unsre freien Berge wand, Bis dich der Donner traf! Da sank dein Zeus, dein Capitol, Vor Teuto's Heldenchor, Und unsrer Sprache Kraftgesang, Gezeugt bei Sturm und Schwerterklang, Flog Götterfrisch empor. Ja Dank, ihr Väter, opfern wir, Jhr nahmt die Freiheit auf, Als sie von Völkern feiger Art Zur Bettlerin erniedrigt ward, Jhr schlugt Despotenlauf! Daß nicht im bunten Römerkleid Der Teutschen Sprache lallt, Daß sie, von eigner Kraft gehegt, Noch unsrer Väter Züge trägt, Noch Teutsch in Liedern hallt; Daß unsrer Bildung freien Strom Kein enges Ufer zwängt; Daß sich ein großer Genius Mit freier Liebe freiem Gruß Zu jedem Volke drängt; Und daß ein gutes Vaterland Reich, an Heroen reich, Zur Schande nie dem braven Mann Nerone sog und sängen kann; Das dankt der Enkel euch! Zwar stürzten eure Eichen hin, Und Wodans Dienst verklang; Allein das Volk lebt immer noch, Das, nie gebeugt ins Römer Joch, Einst Legionen zwang. Der Freiheit hohes Unterpfand, Das eure Kraft uns gab, Das erb' auf unsre Söhne hin, Und weihe sie für teutschen Sinn, Und für ein freies Grab! 15) von v. Houwald. Trinklied bei dem akademischen Erinnerungsfeste der Niederlausitzer. Ein Gaudeamus soll uns heut vereinen! Jhr Juvenes der alten Zeit ─ herbei! Doch bei des Festes Freude sollt' ich meinen, Ständ' auch dem Dichter eine Frage frei? Chor. Auf alles ist heute die Antwort bereit, Drum frag' er getrost, wir geben Bescheid! Bringt ihr zur Lust, die aus dem Becher winket, Wie sonst, noch einen frohen, freien Geist? Begreift ihr jetzt, warum man: Schmollis trinket? Und was das tiefe Wort: Fiducit heißt? Chor. Ja, Schmollis dem ganzen Menschengeschlecht, Und dann Fiducit auf Gott und Recht! Der Arm, der sonst den Hieber rasch geschwungen, Daß er zum Kampf des Lebens sich gestählt, Hat er auch nun den rechten Kampf gerungen? Und ernst vertheidigt, was er treu gewählt? Chor. Wohl hat er gestritten mit Feder und Schwert, Und segnend und strafend die Kraft bewährt. Das Burschenherz, im Lieben und im Hoffen, Bei Mangel selbst, so überselig doch, Blieb, arm und reich, es immer treu und offen? Glaubt es an Liebe und an Freundschaft noch? Chor. Wir fanden die Liebe, wir fanden den Freund, Wir haben nicht einsam gelacht und geweint. Wohlan! so lebe denn im Saft der Reben, Wer die Dogmatik sich im Herzen fand! Wer Exegese aus Natur und Leben, Und Homiletik lernt' im Ehestand! Chor: Ja wer die Menschen zu Menschen erzog, Wer lehret und tröstet, der lebe hoch! Es lebe, wer begriffen Kant und Fichte, Und wessen Herz Jacobi warm gehaucht; Wer bei dem Aufblick zu der Wahrheit Lichte Nicht schwarzgefärbte Augengläser braucht. Chor. Es lebe, wer ahnet im stillen Gemüth, Was kein Verstand der Verständigen sieht. Es lebe, wer da richtet ohne Binde, Wer Stadt und Land nur nach dem Landrecht mißt, Wer allerwegen, wo man auch ihn finde, Ganz durch und durch im Corpus juris ist. Chor. Es lebe, wer, muthig aufs jus gestützt, Das Laster bestrafet, die Unschuld beschützt. Es lebe, wer des Seyns geheimes Walten Und seiner Pulse stilles Wort vernimmt, Wer kühn mit Zaubertränkchen weiß zu schalten, Damit das Lebensflämmchen weiter glimmt. Chor. Es lebe, wer Leben erquickt und erhält, Und rastlos dem Tode entgegen sich stellt! Es lebe, wer, noch eingedenk der Musen, Für's Vaterland den Degen muthig schwingt. Es lebe, wer, Natur an deinem Busen, Sein friedliches: beatus ille singt! Chor. Es lebe, wer nützt! das sey uns genug! Mit Wort und mit Feder, mit Schwert und mit Pflug! Es lebe alles, was wir einst besessen, Was uns erfüllt, begeistert und geweckt! Es lebe, was das Herz nie wird vergessen, Obgleich es längst ein dunkler Schleier deckt! Chor. Du holde Erinn'rung der seligen Zeit, Dir sey ein fröhlicher Becher geweiht! Und daß wir jene Zeit in Ehren halten, So bleibe stets der Burschensinn in Kraft! Ein reines Herz, ein frohes, kräft'ges Walten, Das sey der Geist der alten Burschenschaft. Chor. Und Schmollis ihr Brüder, dem Menschengeschlecht! Und nur Fiducit auf Gott und Recht! 16) vom Grafen v. Löben (Jsidorus Orientalis ) († 1825). Gelegenheitsgedicht Der Dichter studierte damals in Wittenberg, und schrieb dieses Gedicht im Namen sämmtlicher Studierenden bei dieser feierlichen Gelegenheit. Damals hatte der Dichter sich noch nicht zum Mysticismus hingeneigt. Das Gedicht selbst ist nirgends abgedruckt worden, und damals in Quartformat einzeln erschienen. ; zur Feier des Tages (6 März 1806), an welchem Professor Schröckh seine akademische Laufbahn vor 50 Jahren antrat. Die Zeiten lösen, was die Zeiten banden, Und flüchtig braust die Lebensflut dahin, Die vollen Segel brechen, Schiffe stranden, Ein Meer umschließt des Steuernden Gewinn; Und die aufsteigend schon in Wolken schwanden, Ergreift der Tod im Flug' und stürzt sie hin. Wie weit ihr Ruf auch durch die Welt gedrungen, Bald ist der Tuba stolzer Gruß verklungen! Doch wer, wenn Wellen sich auf Wellen gießen, Und rastlos wechselnd sich die Fluten drehn, Wer bleibt am Strand, zu dem die Strudel fließen, Jn immer gleicher Ruhe herrlich stehn, Und hält, die schönsten Perlen zu umschließen, Aus jenen Fluten, die zur Tiefe gehn, Die weite Urne still in zarten Händen, Dem Durst des Wandrers reich aus ihr zu spenden? Du Muse bist's, Erfahrene vor allen! Du, der sein Herz der Herrliche geweiht, Dem heute, froh vereint, die Stimmen schallen, Dem sich ein schöner Frühlingstag erneut. Stets wird Sein Nam' in deinem Tempel hallen, Sein Ruhm verklärt sich in Unsterblichkeit ─ Und jenen Kranz, mit dem Jhn Götter krönen, Kann dieser stille Lorbeer nicht verschönen! Doch magst Du nicht Dein Ohr dem Dank versagen, Den Dir die Jugend, greiser Priester, bringt! Und wenn die Lippen keinen Honig tragen, Und wenn zu schwach der Sänger Stimme singt; So mag der Glaub' an unser Herz Dir sagen, Was zu verschweigen uns die Sprache zwingt, Und fühl's, wie süß es sey, den Mann zu grüßen, Jn dessen Brust sich Güt' und Weisheit küssen! Weit war die Bahn ─ Heil Dir! ─ die Tagesfeier Des Halbjahrhunderts, wonnebringend, bricht Wie Abendroth vor aus der Zeiten Schleier, Bis hieher führt' und weiter führt die Pflicht! Und schön, wie Deines Lebens Morgenfeier Sey dieser Abendröthe sanftes Licht, Und der vergangnen Zeiten goldne Blüthe Sie lächle dir im innersten Gemüthe. Erhebend ist's, auf jener Bahn zu gehen, Wo Luther fest, wo still Melanthon stand, Die an der Wahrheit reinen Sonnenhöhen Die Fackel ihres Glaubens angebrannt; Erhebend, an dem heil'gen Quell zu stehen, Dem sich der segensreiche Quell entwand: Und was ihr Muth gepflanzt in jenen Stunden, Hast Du um ihren Sarkophag gewunden! Magst Du, auf dem der Beste der Monarchen Noch jüngst mit kaiserlicher Huld Als im November 1805, wenige Wochen vor der Schlacht von Austerlitz, der Kaiser Alexander von Rußland durch Wittenberg reiste, begrüßte ihn Schröckh geruht, Wie die Erwählten einst auf sichern Archen, Noch lange steuern auf der Lebensflut: Denn, wie die Schaar sich drängt zum Patriarchen, Sucht Dich der Blick, das Herz in frommer Glut. Mag sich der Himmel unserm Flehen neigen! Doch, ─ wo das Herz spricht, muß die Lippe schweigen. 17. b ) Die Ode. So wie beim Liede, so ist auch bei der Ode ein aufgeregtes und zum deutlichen Bewußtseyn erhobenes individuelles Gefühl der Stoff des Gedichts. Allein die Bewegung und Erschütterung des Gefühlsvermögens durch dieses zum Bewußtseyn gebrachte Gefühl ist schon an sich, wegen der Stärke und Erhabenheit des der Ode zum Grunde liegenden Gefühls, mächtiger, als beim Liede, weshalb auch die idealische Form, unter welcher die Einbildungskraft diesen Stoff als vollendete Einheit darstellt, einen höhern dichterischen Charakter ankündigt, als das Lied. Dazu kommt, daß, zugleich mit dem Bewußtwerden dieses idealischen, im Gefühle sich ankündigenden Gegenstandes, der unermeßliche Abstand des Endlichen von demselben im Gefühlsvermögen wahrgenommen wird und mit derselben Stärke zum Bewußtseyn gelangt, so daß zwei einander entgegengesetzte Gegenstände, das Unendliche und das Endliche, unter irgend einem bestimmten Stoffe gedacht, im Gefühlsvermögen die zwei einander entgegengesetzten Gefühle der Lust im Namen der Universität, wobei der Kaiser sich erinnerte, daß er in seiner Jugend nach Schröckhs geschichtlichen Lehrbüchern unterrichtet worden wäre. und der Unlust bewirken, die beide die Einbildungskraft des Dichters so mächtig ergreifen, daß sie beide, nach ihrem im Gefühle wahrgenommenen Gegensatze, in den Ton und die Farbengebung des Gedichts übergehen. Denn je stärker der Dichter von dem im Gefühle geahneten Unendlichen ergriffen und zur höchsten Versinnlichung dieses in der Wirklichkeit Unerreichbaren innerhalb der idealischen Form des Gedichts fortgerissen wird; desto mächtiger kündigt sich, in derselben Form der Darstellung, zugleich auch der im Bewußtseyn wahrgenommene Abstand des Endlichen vom Unendlichen und die gefühlte Unmöglichkeit an, den idealisch gedachten Gegenstand in der äußern freien Thätigkeit zu verwirklichen. Das im Jdeale wahrgenommene Unendliche kann aber nur mit einem Gefühle der Lust vergesellschaftet seyn, so wie die im Bewußtseyn sich ankündigenden Schranken der Endlichkeit von einem Gefühle der Unlust begleitet sind. Die hohe Begeisterung nun, wo der Dichter seine endliche Kraft an die Unendlichkeit des ihm im Jdeale vorschwebenden Gegenstandes hält, und, von dessen Erhabenheit durchdrungen, das Unvermögen der endlichen Kraft fühlt, jenen idealisirten Gegenstand zu erreichen oder zu verwirklichen, denselben aber im höchsten Schwunge der Begeisterung durch Sprache darzustellen und zu versinnlichen sucht, bewirkt die Entstehung der Ode. Sie ist daher der Ausdruck der höchsten dichterischen Bewegung eines endlichen Geistes, und Hymne, Dithyrambe, so wie in einzelnen Schilderungen die epische und didactische Dichtkunst, können nur insofern der Ode sich nähern, inwiefern sie gleichfalls den Abstand des Endlichen vom Unendlichen versinnlichen. Die Ode unterscheidet sich also, nach dieser Ansicht, dadurch wesentlich von dem Stoffe und dem Tone des Liedes, daß ihr ein gemischtes Gefühl der Lust und der Unlust zum Grunde liegt; das Gefühl der Lust, aufgeregt durch die Unendlichkeit des Gegenstandes und durch das Wohlgefallen an dem Schwunge der Einbildungskraft und des Gefühls, das Jdeal in der dichterischen Darstellung zu verwirklichen; das Gefühl der Unlust, veranlaßt durch die Unmöglichkeit, das Jdeal in der Wirklichkeit zu erstreben; doch so, daß bei dem Uebergewichte des Unendlichen über das Endliche im Gefühle, und bei der Wahrnehmung der vollendeten Versinnlichung des Jdealischen vermittelst der Darstellung, das Gefühl der Lust zuletzt das Gefühl der Unlust überwiegt, weil, durch den aufgeregten Schwung des Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft der Gegensatz des Endlichen zu dem Unendlichen geschwächt und gleichsam verdunkelt, und das Bewußtseyn ausgefüllt wird von dem Entzücken über die Verwirklichung des Jdeals in der dichterischen Darstellung. Ueber der ästhetischen Haltung und Durchführung der Ode vergißt der menschliche Geist die Endlichkeit und Beschränktheit seines Willens in der Erstrebung eines unendlichen Ziels, weil das Gefühlsvermögen und die Einbildungskraft von der Unendlichkeit des idealischen Gegenstandes ergriffen werden. Dieses Gefühl des Unendlichen, und dieser Wiederschein des Jdealischen ist es daher, was als Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust in jeder vollendeten Ode, die dieses Namens würdig ist, sich ankündigt. Weil aber in dem großen Augenblicke der wahren dichterischen Begeisterung der idealische Gegenstand, der dem Dichter vorschwebt, weder logisch zergliedert, noch metaphysisch durchgeführt, sondern nur unter starken, ergreifenden Zügen geschildert, und das dem innern Sinne vorschwebende Bild in eine äußere Darstellung ─ in das dichterische Ganze einer Ode ─ verwandelt werden kann; so geht, schon aus dieser ästhetischen Bestimmung der Ode, ihre wesentliche Verschiedenheit von der philosophischen Behandlung desselben Gegenstandes hervor, der in der Metaphysik der Vernunft, in der Dichtkunst aber dem Gefühlsvermögen und der Einbildungskraft dargeboten wird. Da der Charakter der Ode aus der innern hohen Bewegung des Gefühlsvermögens und aus der Versinnlichung des Gegensatzes des Endlichen mit dem im Jdeale dargestellten Unendlichen entspringt; so ist es vergeblich, eine nähere Classification der vorhandenen Oden zu versuchen, und namentlich sie, mit einigen Theoretikern, in philosophische und heroische Oden einzutheilen, wenn gleich damit keineswegs abgeläugnet wird, daß eben so die höchsten Jdeen der übersinnlichen Welt ─ Freiheit, Tugend, Unsterblichkeit, Gottheit, ─ wie die idealisirte Tapferkeit und die dem edlern Menschen möglichen Opfer der Entsagung und Aufopferung, als angemessene Gegenstände von dem Odendichter behandelt und unter einer vollendeten ästhetischen Einheit dargestellt werden können. Viele der in der Philosophie der Sprache aufgestellten untergeordneten Eigenschaften der Schönheit der Form (Th. 1. S. 280): die freieste Versinnlichung des Stoffes, die Mannigfaltigkeit, die ästhetische Einheit, die Schattirung, die Vertheilung von Licht und Schatten, das Neue, die Kraft, das Kühne, das Edle, Würdevolle und Große, besonders aber das Erhabene und Feierliche, gehören unmittelbar in den Umkreis der Ode, wenn sie eine hohe Wirkung auf Gefühlsvermögen und Einbildungskraft hervorbringen soll; doch wird das Unerwartete, das Pathetische, das Feierliche, selbst das Wunderbare nicht ganz von ihr ausgeschlossen. Wenn übrigens die Ode, in Hinsicht der übrigen Formen der lyrischen Dichtkunst, von dem Liede durch Stoff und Stärke des Tones, und besonders durch das in ihr ausgedrückte gemischte Gefühl der Lust und Unlust sich unterscheidet; so hat sie zwar mit der Elegie diese Darstellung der gemischten Gefühle gemein, erhebt sich aber durch die höhere Stärke und Kraft des Ausdruckes über dieselbe. Von der Hymne, mit der sie am nächsten verwandt und die, streng genommen, nur eine Untergattung der Ode ist, unterscheidet sie sich dadurch, daß die Ode jeden als unendlich gedachten Gegenstand versinnlichen kann, der Gegenstand der Hymne aber ein als göttlich dargestelltes Wesen ist. Denn wenn einige Theoretiker der Hymne, im Gegensatze der Ode, einen stärkern lyrischen Ausdruck beilegen wollen; so widerstreitet die Praxis dieser Lehre, weil es Oden giebt, welche viele Hymnen an Kraft des dichterischen Tones übertreffen, während allerdings auch Hymnen vorhanden sind, die im höhern lyrischen Ergusse dahin rauschen, als mehrere Oden. Nur selten wird, bei Ode, Hymne und Dithyrambe, die Stärke und Fülle des dichterischen Tones von dem gewählten Stoffe, in den meisten Fällen von der Judividualität und dem innern Feuer des Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft des Dichters abhängen. Tragen wir dies über auf die teutsche Sprache; so giebt es, den Ueberschriften nach, bereits Oden unter den dichterischen Erzeugnissen mehrerer Dichter des siebenzehnten Jahrhunderts; denn Opitz, Flemming, Tscherning, Günther u. a. haben einzelne Gedichte mit diesem Namen belegt. Allein halten wir den innern ästhetischen Charakter dieser ältern sogenannten Oden an den aufgestellten Maasstab; so hat die teutsche Literatur vor Albrecht v. Haller keinen eigentlichen Odendichter. Desto reicher ist aber ihre Zahl seit J. Andr. Cramer, Klopstock, v. Cronegk, v. Gerstenberg u. a. diese dichterische Form anbauten. ─ Der wesentliche Grund, daß bei den ältern teutschen Dichtern keine Oden in dem Sinne der Classiker späterer Zeit getroffen werden, liegt darin, daß keine Sprache gediegene Oden- und Hymnen-Dichter aufstellen kann, bevor nicht die Philosophie, und namentlich die Metaphysik, bei dem Volke, das diese Sprache spricht, bedeutende Fortschritte gemacht hat. Denn erst wenn der philosophische Geist in das Gebiet der übersinnlichen Welt einzudringen, und über die höchsten Jdeen der Vernunft ─ über Daseyn überhaupt, über Seele, Welt und Gott, und über alles, was mit diesen Jdeen zusammenhängt ─ sich zu verständigen gesucht hat, wie es bei den Teutschen in der Zeit der weitern Verbreitung der Leibnitz- Wolfischen Philosophie der Fall war; erst dann kann auch von dieser höhern und lebendigern philosophischen Forschung eine freiere Beziehung auf die Behandlung idealischer Stoffe von den Dichtern und auf die kräftigere Farbengebung derselben in der Ode und Hymne übergehen. Daß dem so sey, erhellt sogar geschichtlich daraus, daß nur diejenigen Völker, welche Philosophen im höhern Sinne des Wortes hatten, wie Griechen, Teutsche und Britten, reich im Anbaue des Gebietes der Ode sind, während andere Völker, ohne eigentliche Metaphysiker unter ihren Philosophen, mehr den Anbau der leichtern und gefälligern dichterischen Formen, als der Ode und der Hymne, in dem Umfange ihrer dichterischen Literatur besitzen. 18. Beispiele von Oden. 1) von Paul Flemming Die mitgetheilte Ode von Flemming, der übrigens an dichterischem Schwunge die sogenannten schlesischen Dichter übertraf, wird als Beleg für die am Schlusse des vorigen §. aufgestellte Behauptung hinreichen. Wie man gegen die Mitte des 17ten Jahrhunderts den Begriff der Ode nahm, erhellt schon daraus, daß das an sich treffliche Flemmingische Kirchenlied: Jn allen meinen Thaten &c. in seiner Gedichtsammlung mitten unter den Oden steht. ─ Außerdem gehört das Th. 1. S. 380 f. aufgestellte Beispiel des Erhabenen von v. Haller ebenfalls hieher ins Gebiet der Ode, und zwar gewissermaßen als der erste gelungene Versuch einer Ode in der teutschen Literatur. († 1640). Tugend ist mein Leben, Der hab' ich mich ergeben, Den ganzen mich. Tugend will ich ehren, Tugend wird mich lehren, Was sie selbst kann mehren, Sie wächst durch sich. Nicht des Weges Länge, Noch des Pfades Enge Schreckt mich davon. Laß dich Dornen stechen, Füß' und Kleider brechen, Sie wird alles rechnen Durch ihren Lohn. Alles andre alles Hat die Art des Balles, Der steigt und fällt. Schätze haben Flügel, Ehre läßt den Zügel, Lust kommt aus dem Bügel. Die Tugend hält. Hab' ich Gott und Tugend; So hat meine Jugend, Was sie macht werth. Die schönen Beide Wehren allem Leide, Lieben alle Freude, So man begehrt. 2) von Klopstock († 1803). Dem Erlöser. Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach Dein hohes Lob, o Sohn! wer bin ich, Daß ich mich auch in die Jubel dränge? Vom Staube Staub! Doch wohnt ein Unsterblicher Von hoher Abkunft in den Verwesungen! Und denkt Gedanken, daß Entzückung Durch die erschütterte Nerve schauert. Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung seyn, Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut, Und andrer Schauer Trunkenheiten Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken. Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten, Wo Adams Enkel wird, was sein Vater war, Als er sich jetzt der Schöpfung Armen Jauchzend entriß, und ein Leben dastand! O Feld vom Aufgang bis, wo sie untergeht Der Sonnen letzte, heiliger Todten voll, Wann seh ich dich? wann weint mein Auge Unter den tausendmal tausend Thränen? Des Schlafes Stunden, oder Jahrhunderte, Fließt schnell vorüber, fließt, daß ich aufersteh! Allein sie säumen, und ich bin noch Diesseits am Grabe! O helle Stunde, Der Ruh Gespielin, Stunde des Todes, komm! O du Gefilde, wo der Unsterblichkeit Dies Leben reift, noch nie besuchter Acker für ewige Saat, wo bist du? Laß mich dort hingehn, daß ich die Stätte seh! Mit hingesenktem trunkenen Blick sie seh! Der Ernte Blumen drüber streue, Unter die Blumen mich leg', und sterbe. Wunsch großer Aussicht, aber nur Glücklichen, Wenn du die süße Stunde der Seligkeit, Da wir dich wünschen, kämst; wer gliche Dem, der alsdann mit dem Tode ränge? Dann mischt' ich kühner unter den Throngesang Des Menschen Stimme, sänge dann heiliger Den meine Seele liebt! den Besten Aller gebohrnen, den Sohn des Vaters! Doch laß mich leben, daß am erreichten Ziel Jch sterbe! Daß erst, wenn es gesungen ist Das Lied von dir, ich triumphirend Ueber das Grab den erhabnen Weg geh! O du mein Meister, der du gewaltiger Die Gottheit lehrtest! zeige die Wege mir, Die du da gingst! worauf die Seher, Deine Verkündiger, Wonne sangen. Dort ist es himmlisch! Ach, aus der Ferne Nacht, Folg' ich der Spur nach, welche du wandeltest: Doch fällt von deiner Stralenhöhe Schimmer herab, und mein Auge sieht ihn. Dann hebt mein Geist sich, dürstet nach Ewigkeit, Nicht jener kurzen, die auf der Erde bleibt; Nach Palmen ringt er, die im Himmel Für der Unsterblichen Rechte sprossen. Zeig mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel Die Palme wehet! Meinem erhabensten Gedanken lehr' ihn Hoheit! führ' ihm Wahrheiten zu, die es ewig bleiben! Daß ich den Nachhall derer, die's ewig sind, Den Menschen singe! daß mein geweihter Arm Vom Altar Gottes Flammen nehme! Flammen ins Herz der Erlösten ströme! 2) von v. Gerstenberg († 1823). Unsterblichkeit. Er sprachs! und hervor aus der Tief' und der Nacht Entsprangen die Ordnungen alle, Vom Wurme des Sumpfs bis zum ersten Aeon, Vom Staube der Luft bis zur Sonne. Unendlichkeit schied Von Raum sich und Zeit, Und von der Verwesung das Leben. O du, die sich in mir ein Leben begreift, Und staunt, daß sie ist, und sich ahnet; Du ahnest Unsterblichkeit, Seele! Dein Traum Jst Lispel geheimen Erwachens. Nicht wirst du, mein Geist, Ein Hauch, der verweht, Deß leb' ich und sterb' ich, verwehen! Wann Erden zertrümmern und Sonnen verglühn, Und Staub sich versammelt zum Staube, Unsterbliche! schwingst du dich über das Grab! Was Nacht war, wird Tag und Erwachen! Was Nacht war, wird Tag! Dem Schlummer vermählt Sich Nacht, das Erwachen dem Tage. Sieh auf! es entschwebet der Wagen des Lichts, Mit seinen geflügelten Rossen, Dem spähenden Blick ins Verborgene hinab, Von Wogen der Meere verschlungen: Am Morgen der Nacht Steigt purpurner auf Zur Feste die Fürstin des Tages. 4) von v. Gerstenberg. Schlachtgesang. Feuerbraunes Angesichts, Jhr Auge blutroth, starr ihr Blick, So tanzen sie zum Todesreihn, Zum Todesreihn, zum Rabenmahl, Die Donnergötter, rasch dahin. Die Sonne steigt, und stiller wirds im Thal, Und Geisterschatten lispeln durch die Luft. Gegenüber tritt hervor Aus Wald und Felsenkluft der Feind, Hervor mit hohem Opferspiel, Zum Todesreihn, zum Rabenmahl, Hervor das Opfer, Mann und Roß. Die Sonne steigt, und stiller wirds im Thal, Und Geisterschatten lispeln durch die Luft. Brüllend wälzet sich die Schlacht, Von Heer zu Heer die Hyder fort. Und vom Gebrüll ertönt der Hain, Und der zerrißne Himmel tönt; Und Raben schweben näher her. Die Sonne steigt, und stiller wirds im Thal, Und Geisterschatten lispeln durch die Luft. Rosse brausen dumpf im Blut, Und ihre Reiter weinen laut, Ha! die zu Roß und die zu Fuß, Hinsturz! Verzweiflung! Wuthgeheul! Ha! Todesschaur ergreifen sie! Die Sonne sinkt, und stiller wirds im Thal, Und Geisterschatten lispeln durch die Luft. Auf Leichen und auf Sterbenden, Zerrißnen Gliedern seines Rumpfs, Schwankt noch einmal der Feind daher; Umsonst! umsonst! der Donner brüllt, Umsonst! umsonst! der Rabe schwebt. Die Sonne sinkt, und stiller wirds im Thal, Und Geisterschatten lispeln durch die Luft. Schleunig hebt er seine Schenkel, Bluttriefend flieht er durchs Gefilde, Brüllt aus sein Leben aus der Wunde; Und Donner rollen hinter ihm, Und fernher tönt das Opferspiel. Der Mond steigt auf, und Stille herrscht durchs Thal, Und Raben lagern sich aufs Leichenfeld. 5) von Eulogius Schneider († 1793). Ode auf Friedrichs (2) Tod. Ein Denkmal dir, vergötterter Friedrich! Unaufgefordert bau' ichs, und unbezahlt. Die Nachwelt seh' es einst, und spreche: Friedrichs Denkmal von Priesterhänden! O, daß es würdig werde des Einzigen! O, wie es tobt das Meer von Empfindungen Jn diesem Busen! wie vor meinen Augen der Riese der Menschheit dasteht! Jhn schildern will ich. Sterbliche, seht Jhn, Nicht eingehüllt in flimmernden Dichterschmuck! Jn seiner Größe, wie er dasteht, Will ich den Riesen der Menschheit schildern. Jn seiner Rechten blinket das Siegesschwert; Die Wage unentweihter Gerechtigkeit Hängt von der Linken; dies dem Schutze, Diese der Ruhe der Brennen heilig. Die Fürstenhüfte zieret, vom Hofgeschmack Nie aufgelöst, der Gürtel der Mäßigkeit; Sein Schwert ist der Aberglaube Und der zertretene Fanatismus. Wer bebte nicht vor Friedrichs Thatenfaust? Wer zählte die Trophäen, auf Galliens Zermalmten Uebermuth gepflanzet, Prangend auf modernden Sklavenknochen? Dort stehn sie am Ufer der Moldau, einst Gestemmt mit Oestreichs Leichen, bei Lissa dort, Und dort bei Mollwitz, Roßbach, Breslau Und auf den Felsen zerstörter Festen. Groß sind des Riesen Thaten! Mit Russenblut, Mit Franzenblut, mit Schweden- und Ungarnblut, Und, ach, mit teutschem aufgezeichnet, Stehn sie flammend im Buch der Zeiten. Doch ─ war er Held nur? war er nicht Menschenfreund? Nicht Vater seiner Tausende? Strömte nicht, Nachdem er ausgedonnert, Segen Auf die Gefilde geschützter Brennen? Sie aßen Brod, und hörten von ferne nur Des Hungers Brüllen, der Alemanniens Verdorrten Winzer, und nach Kalchmehl Lüsternen Pflüger begierig auffraß. Jn Friedrichs Arme flüchtete sich, verbannt Von heilig frommen Ländern, die Jndustrie, Des Reichthums Mutter. Auf Morästen Säet der Landmann, und Heerden blöken Auf dürren Haiden. Griechischer Kunstgeschmack Beseelt den Preußen. Seinen Anakreon Und seinen Pindar hört Apollo Staunend in nordischen Wäldern singen. Aus tausend Quellen strudelt Friedrichs Gold; Jn tausend Flüssen strömt es ihm wieder zu. So rollet von und zu dem Herzen Ab, und zurück, der Saft des Lebens. Verkriechet euch, Despoten! Was schauet ihr Jhm ins Gesicht? Er tränkte den Schmeichler nicht Mit Waisenblut, und feile Dirnen Mästet' er nicht mit dem Mark des Bürgers. Jn seinem Kerker faulte der Denker nicht; Sein Censor fraß nicht, gleich dem Getreidewurm, Der Schriften Kern aus, daß die Hülsen Schmachtenden Lesern den Gaumen ritzten. Sein Glaube war nicht künstliches Wortgeweb', Nach keines Wurmes dreistem System geformt, Nicht millionenfach durchflochten, Einfach, wie Gott und die Wahrheit, war er. Das Beste thun, war seine Religion; Sein Opfer rastlos wirkende Thätigkeit; Die Welt sein Tempel; seine Priester Herzberg und Carmer, der Brennen Solon. Sey Mensch, sey Bürger, sprach er, das Jnnere Des Herzens und der Meinungen richte der, Zu welchem Moses, Zoroaster, Christus und Muhamed rufen: „ Vater! “ Verheerte Friedrichs Jäger die Hoffnungen Des Landmanns, spottend? War nicht die höchste Lust Des Weisen, in der dunkeln Vorwelt Tiefen bei nächtlicher Lampe graben? Dort fand er dich, allmächtige Herrscherkunst, Die auf das Wohl des Ganzen ihr eignes baut, Bedächtlich eilt, und ihre Wunder, Wie die Natur, in der Stille wirket. Groß sind die Wunder Friedrichs, groß und viel! Wer rüttelte Europa ins Gleichgewicht? Wer sagte zu dem Erstgebohrnen Preußens: „Du herrschest dereinst am Mönus?“ Wer schlug von deinem Busen, Bavaria, Des nahen Buhlers nervigen Arm zurück? Wer schnitt Sarmatien in Stücke? Deckte die Weichsel mit freien Segeln? Nur fehlte die eherne Kette, die Er schlingen sollte um Alemanniens Getheilte Herrscher, daß sie schützten Graue Gesetze, den Bojerzepter Bewahrten den Absprößlingen Wittelsbachs, Die, unbehaucht vom römischen Cölibat, Dem Mörder teutscher Fürstenstämme, Blühen am Ufer des Vaters Rhenus. Er schlang die Kette um Almanniens Getheilte Herrscher. Als es Allvater sah, Da sprach er aus: „Sie sind vollendet Friedrichs Thaten, sie sind vollendet.“ Jetzt eilt der Engel Erster zu Friederich, Und bringt ihm die Botschaft: „Allvater sprach: Sie sind vollendet, deine Thaten, Friedrich Brennus, sie sind vollendet!“ „Komm, wirk' in jenen höhern Gegenden, Nicht mehr gehüllt ins hindernde Erdgewand, Nicht mehr bestritten von der Dummheit, Trotzend dem Gifthauch des blassen Neides!“ Dem Engel folgte Friederich, unverrückt Die Miene, seines innern Gehalts gewiß, Entschlossen, ewig fortzuwirken, Ewig zu streben nach Thatengröße. Jetzt kam er an. Sein harreten am Jaspisthor Der graue Ziethen, und der getreue Keith (Unsterblicher, als er hienieden Hätte vermuthet), Schwerin und Bevern. Jhm glänzt der Schwester Friederichs Sohn und Stolz, Der Held der Liebe, Guelfiens Leopold Entgegen; laut ertönt die Harfe Kleistens, des Barden mit hundert Narben. Ein Chor verklärter Weisen, von Sokrates Herab bis zum tiefblickenden Mendelssohn, Umringet ihn; halblächend reicht ihm Wilhelm, der Strenge, die Vaterrechte. So ziehen sie zum Throne Allvaters hin. Allvater krönet Friedrichs Haupt, und spricht: „Wirk' ewig! Bald bist Du den Göttern, Was Du den Söhnen der Erde warest!“ 6) vom Kanzler Niemeyer. Der Sternenhimmel. Wie gesät sind Tausendmaltausend ins Unermeßliche, Sonnen und Erden! Gott! Gott! wie herrlich! Steig' ich hinauf bis zu der Welten letzten, Dennoch erreicht' ich dich nicht! der Staub den Unendlichen! Welches Jauchzen, welcher Triumph schallt, welches Thränengebet Dir aus den Welten! Hoch tönt's, wo Pole Schneller sich drehn, sanft, wo der Lüfte Säuseln Kühlungen weht und der Quell! ─ Wird mit Entzückungen Einst vernehmen, staunend mein Ohr, Jubel der Himmlischen? Werd' ich euch kennen, Mitanbeter, euch? Wallen zu euch sterblich nicht mehr? Feiern Dort auf dem Siebengestirn, im Sirius, unter der Goldnen Aehre Feste der Seligen, werdet, Himmlische, Unter die Lauben, die aus Himmels Sproß Dort die Natur, ewig zu blühn, um euch schuf, Jhr mich begleiten? Komm' ich mit den Geliebteren, Dir kein Tod mehr dann mir entreißet, hinauf, wo lächelnde Himmelsbewohner mit uns zum Pfalme Singen dem Herrn, welcher den Staub zum Leben Schuf, das am Grabe nicht endet, ihn zur Unsterblichkeit. 7) von Heydenreich († 1801) Der erste Mai. Willkommen, Erstgebohrner des schönen Mais! Tag heil'ger Wonne! werth, daß der edelste Der Weine fließe, und des Liebreiz Göttinnen scherzend im Chortanz schweben! Sey mir willkommen, Liebling und Stolz des Jahrs! Willkommen, die du wieder erwachend jetzt Uns lächelst, holde Lebensblüthe Unsrer zum Alter schon flieh'nden Erde! Einst, da des ersten Frühlings milder Geist Die neugebohrne schmeichelnd umsäuselte, Und jugendlich im heii'gen Strale Goldner Jahrhunderte sie sich wiegte; Da schwebte dieser freundliche Frühlingswind Mit nimmer müden Fittigen um die Flur, Und ohne Saat und Menschenpflege Glänzten die Felder von reichen Früchten. So fanft durchwehn die Jnseln der Seligen Wohlthät'ge Lüfte, wehn und verwehen nie; So wallen ewig laue Weste Jn der Unsterblichen heil'gen Fluren. So säuselts durch den dämmernden stillen Hain Der stummen Schatten, lispelt mit Zauberhall Um der Vergessung holde Quelle, Spielt in der Trauerzipressen Zweigen. Und wann einst Gott mit heiliger Flammenglut Die Erde läutert, und die Jahrhunderte Des goldnen Friedens und der Unschuld, Jugendlich prangend, ihr wiederkehren; Dann wallet, ahn' ich, eben der sanfte Geist Um die verjüngte, wallt und verwallet nie, Und unsrer Seelen Aetherhüllen Laben des ewgen Frühlings Lüfte. O sey gegrüßt mir, Erster des schönen Mais! Tag hoher Ahnung! Sey mir gegrüßt, du Bild Des Jugendlebens unsrer Erde, Und der verjüngenden heiligen Zukunft! 8) von v. Herder († 1803). Die Tonkunst. (abgekürzt) Die du droben den Reihn der Sterne Und der Unsterblichen führst, Jn ewig jungem, schwebendem Jubeltanz, Nah und näher hinan des Allvollkommnen Thron, Und tief hienieden im Erdenthal, Unter des Himmels heiligem Blau, Jn leisen Tönen, im verlornen Laut Der Ahnung, unser Herz Jn die Chöre der Himmel erhebst: Ewige Harmonie! Kling' ein in meine Saiten! Heilige Harmonie! Kling' ein in meine Seele! Sie fühlt dich; sie will, sie wird dich fühlen! Des Wohllauts ew'ge Kette zieht Auch meinen Geist. Es wallt mein Herz Jm Strome der Melodie zum hallenden Ocean Der Allvollkommenheit. Wach auf in mir, du leiser Himmelston, Der meine Seele ward. Aus keiner Engelsharf' entquollest du. Dich hauchte Der Ewige selbst mir ein. Du bist mir Ewigkeit, Bist Gottesgefühl in mir, der unendlichen Harmonie Vorahnende Verkünderin. Wann einst mein Geist Vom Erdenstaube sich hebt empor, Und seiner Fesseln sanft sich windet los; Zu Hülfe komm' ihm dann, du heil'ger Strom, Von Tönen andrer Welt, Umström' ihn ganz, und trag' ihn sanft hinüber! Des Himmels Gabe bist du uns, O Tonkunst! bist ein Tropfen Von jenem hellen melodischen Wollustmeer, Jn dem das Weltall schwimmt, Ein Meer von Zahl und Maas und Lieb' und Tanz und Leben! Wann in des Lebens Labyrinth, Jm dunkeln Hain der bangen Mitternacht, Umringt von Thiergeheul und Höllenstimmen, Mein Herz erbebt, Und über sich verzagt, Und nirgends Ausgang findet: Des Himmels Tochter, süße Zauberin, Nicht mit Sirenen=, nicht mit Feenklang Erscheine mir; ein Lied der Andacht flöße Mir Ruh' ins Herz. Wie wird mir? Hör' ich nicht Jhr Kommen? Fühl' ich nicht Jhr sanftes Schweben wie im Mondesstral? Sie spricht mir zu; ein Engel spricht zu mir, Ein Himmelswesen, das unmittelbar Mein Herz berührt, die weinende Gerührte Laute, und den Klageton Schnell in Triumph verwandelt. „Verlassener, was zagest du, Jn trüber Einsamkeit? Gott, der den Gang der Sterne kennt, Kennt auch der Menschen Herz. Er giebt dem Schiffe seinen Weg, Den Winden ihre Bahn; Er wird auch dir im Weltenmeer Des Lebens Weg verleihn. Was zagest du? Der Erde Noth Geht wie ein Traum vorbei, Und was dir heute Mißlaut dünkt, Jst morgen Harmonie.“ „Schau gen Himmel, und sieh! Am hohen Tempelgewölbe Funkeln Sterne, da glänzt Gottes unsterbliche Schrift. Kann dein Auge sie zählen? dein Ohr die Stimme vernehmen, Die des Erschaffenden Ohr ewig und ewig vernimmt? So tönt alles um dich! Ein Stral der Sonne erklingt dir Sieben Töne des Lichts, golden und heilig im Klang. Allenthalben strömet dir zu das große Geheimniß Deiner Vollendung; du lernst ewig und ewig daran. Maas, Bewegung und Zahl im Kampf der liebenden Eintracht Spricht in Tönen dir zu: Eines in Allem ist Gott!“ O Harmonie, ich flehe dir, Du Seele meiner Seele! Rufe mir, Aus jedem Wesen rufe Den reinen Ton hervor, zu dem es klingt. O Führerin durchs Leben! Freundschaft ist Der Seelen Einklang. Lieb' und Güte sind Der süße Wohlklang, der in Allem tönt; Der immer reiner, immer höher steigt. Wohin? wohin? zu welcher Symphonie Der Symphonieen? 9) von v. Sonnenberg († 1806). Die Phantasie. (abgekürzt) Phantasie, schöner Traum der ersten Unschuld Unterm Baume des Lebens, der in Eden Mit des Wipfels Säuseln in mondheller Lenznacht herabsank! Und nun eröffnest du den großen Tempel Der Natur; an der Sonnen Feu'rgestaden Hallt dein Flug; verweht in den Sternenwelten, Welche dort glänzen! Träumest an Edens stillen Blumenhügeln Nicht blos, hörest in tiefer, blauer Ferne Auch den ernsten Baum der Erkenntniß fei'rlich Rauschen im Winde! Phantasie, ja dich schuf in ihrer schönsten Stunde fröhlich die Gottheit, die Natur wand Einen Regenbogen zum Kranze dir aus Blüthengelock her; Gab dir der Schönheit reine Schwanenflügel, Adlereile dann ihrem Silbersturme, Kleidete hell dich in der Morgenröthe Rosengewande! Ewige Jugend trankest du, o Göttin, Aus dem Strome des Lebens, und der Liljen Silberschnee umglänzte deines Busens Wallende Reize! Grazienkönigin! auch über Gräbern Blühest du; dir dampfet aus den Thälern Das Gebirg, vom ganzen Altar der Erde Nebel zum Opfer! Tief in des Haines dichten Laubgewölben Wallst du, lächelnd im wilden Sturm des Abends, Sieh, er bringt nur duftende Blüthenopfer Hin dir zu Füßen. Deinen Altären dampft der erste Weihrauch, Durch die ganze Natur, und ihrer Kinder Jubelchöre huldigen dir in dem schönen Frühe- und Spätroth! Einst, wann du auch im leisen Abendlüftchen, Unter säuselnder Eichen Schattenkühle, Mir am mondbeschimmerten Blumenhügel Rosig erscheinest; Sollen der Saiten reinste Silbertöne Mit dem Säuseln der Eichen Dank dir schallen, Bis ich endlich unter dem Blumengrase Ruhiger schlummre! 10) von Starke (Hofpred. zu Ballenstedt). Gefühl und Hoffnung der Menschheit. (abgekürzt) Entzücken ström' aus meinem Munde, Wie Flammen steig' empor mein Lied; Jch feire meine schönste Stunde Von süßem Hochgefühl durchglüht. Wie friedevoll des Stromes Wellen Jn Eine Flut zusammenschwellen; So laßt, im innigsten Verein, O Menschen, laßt uns Menschen seyn! Wir theilen auf der Bahn zum Ziele Des Lebens Schmerz, des Lebens Lust, Der Menschheit Ernst, der Menschheit Spiele; Wie meine, hebt sich eure Brust. O fühlet, wie mein Herz sich reget, Jch fühle, wie das eure schläget; Auch euch durchströmet Blut, wie mich, Und was ihr alle seyd, bin ich. O kommt, und kniet voll Andacht nieder, Und betet weinend mit mir an; Denn wir sind Menschen, wir sind Brüder, Und wandeln all' auf Einer Bahn. Der König in des Glanzes Fülle, Der Bettler in zerrißner Hülle, Der Mann der Weisheit und des Lichts, Der Mann im Schweis des Angesichts. Jch finde mich in Allen wieder; Verdammet selbst den Bösen nicht, Wir sind ja Menschen, wir sind Brüder, Es fehlt dem Armen nur an Licht. Ach wir sind Menschen; ─ Menschen bleiben! Was uns umhüllet, mag zerstäuben; Was in uns Menschheit heißt, besteht, Wann alles um uns her vergeht. Und sänk' in Millionen Trümmer Der Welten Heer, in Nacht ihr Lauf; Wir gehen neu mit Sternenschimmer Noch manchen Tag des Daseyns auf! Triumph! und jeden Tag verschwindet Die Thierheit mehr, und mehr entbindet Das Edle sich, das Zeit und Welt Hienieden noch gefesselt hält. ─ Mit Beben blickt nach deinen Kämpfen, Bedrängte Menschheit, wer dich liebt, Und wendet oft von deinen Krämpfen Die nassen Augen tiefbetrübt. So weint ein Weib mit Mutterherzen Den kranken Sohn und seine Schmerzen, Und zaget, wenn er stöhnend bebt, Und wann der Krampf ihn zuckend hebt. Entsage, Mutter, deinem Leide, Jetzt ruht dein Sohn in Schlaf gewiegt, Jndeß sein Geist mit junger Freude Sich warm um holde Bilder schmiegt; Genesung und Gedeihn und Leben Muß ihn im Traume jetzt umschweben, Er lächelt süß, und horch, er spricht, Und deutet uns sein Traumgesicht: Jhm däucht in seinen sel'gen Träumen, Er wall' im rosenfarbnen Licht Jm Frühling unter Blütenbäumen, Durch die des Morgens Röthe bricht. Wie Blumenduft umweht ihn linde Der Zephyrathem kühler Winde, Jndeß sein Haupt an Blüten streift, Und seine Hand nach Blüten greift. Er träumt, es hüben Adlerflügel Jhn in ein jugendliches Chor Von höhern Wesen über Hügel Und Hain und Wolken leicht empor. ─ Entsage, Mutter, deinem Leide, Dein Liebling träumt von Kraft und Freude; Sein wonnevolles Traumgesicht Jst Bürge: du verlierst ihn nicht. ─ Jch hänge trunken an dem Bilde; Es ist der Menschheit schöner Traum! Jch weide mich an seiner Milde Und fasse mein Entzücken kaum. Noch kämpfet sie, ─ doch, Heil den Kämpfen! Jm Kriege lernt sie Kriege dämpfen; Jm Streit mit Dunkel siegt das Licht, Jm Zwist mit Sinnlichkeit die Pflicht. Die Menschheit hofft; ─ in süßen Träumen Empfindet sie sich stark und groß, Erblicket Blüten in den Keimen Und Freiheit in des Dranges Schoos. Entsaget, Brüder, euerm Leide, Die Menschheit träumt von Kraft und Freude, Die Menschheit unterlieget nicht; Das bürget uns ihr Traumgesicht! Was reget sich in ihrem Sehnen Nach Wahrheit, Recht und Würdigkeit Und in dem Flehen heißer Thränen Nach höherer Vollkommenheit? Was hebt den Helden, Lehrer, Richter, Den Philosophen und den Dichter? Was glüht in jeglichem Gefühl Und adelt unsrer Künste Spiel? O das ist Ahnung, leises Wehen Entzückungsvollen Vorgefühls Von ihrer Würde höchsten Höhen Und Schimmer von dem Glanz des Ziels. Vor vollem Aufschwung ihrer Flügel Bedeckt uns zwar des Grabes Hügel; Doch sehn wir schon, sie strebt hervor, Sie schwingt sich siegend einst empor! Auf ihres Tempels Altar glühet Dann hell der Geistesfreiheit Licht, Und wer die Flamme lodern siehet, Erbebt vor ihrem Lodern nicht. Drum drückt sie nicht voll Jrrsinns nieder! Der ganze Tempel leuchtet wieder, Jn welchem Brüder auf den Knien Von heiligen Gefühlen glühn! Einst führt in starker, fester Rechte Vernunft den hohen Herrscherstab; Dann schwinden jedes Wahnes Nächte Und alle Fesseln fallen ab. Wie Harmonie vom schönsten Liede Beseligt jeden milder Friede, Ein Friede, den kein Schicksal bricht, Jhn schützt der Demantschild der Pflicht. ─ Triumph! zum Ziele laßt uns ringen, Zum Ziel, uns stralet schon sein Glanz, Und einst verschwindet, was die Schwingen Der Menschheit jetzt noch hemmet, ganz. Sie hebt sich dann mit kühnem Flügel Und segnend über unsre Hügel; Wir sehn auf lichter Sternenbahn Sie schön sich unsern Sternen nahn. O namenloses, süßes Beben! Wir stammen aus der Menschheit Schoos. Die Menschheit wird sich höher heben, So warf der Schöpfer ihr das Loos. O Brüder, Brüder, seht sie ringen; Triumph! sie dehnt, sie hebt die Schwingen; Wir sehn, auf lichter Sternenbahn, Sich kühn dereinst den Sternen nahn! 11) von Joh. Heinr. Voß. Die erneuerte Menschheit. Stille herrsch', Andacht, und der Seel' Erhebung, Rings umher! Fern sey, was befleckt von Sünd' ist, Was dem Staub anhaftet, zu klein der Menschheit Höherem Aufschwung! Dem die Weltkreis' all' in den Sonnenhimmeln Staub sind, dem Weltjahre wie Augenblicke; Dem, gesammt aufstrebend, der Geister Tiefsinn Nur Ein Gedank' ist; Dessen Macht kein Maas der Erschaffnen ausmißt; Dessen fernhin dämmerndes Licht Begeistrung Kaum erreicht, hochfliegend: den Geist der Geister! Betet ihn an! Gott! Nicht der Lipp' Anbetung ist werth der Gottheit, Nicht Gepräng' abbüßenden Tempeldienstes, Nicht Gelübd' und Fasten; nur That geklärter Menschlichkeit ehrt ihn! Dich allein, Abglanz von der Gottheit Urlicht, Menschlichkeit, dich sah der entzückte Denker, Bebt' in Wollust, rang, wie zur Braut der Jüngling, Ach! und umschloß dich! Ob wie todt auch starre der Geist der Menschheit Durch der Willkühr Zwang und gebotnen Wahnsinn; Doch erringt siegreich auch der Geist der Menschheit Neue Belebung. Zwar er schlief Jahrhunderte, dumpf in Fesseln, Todesschlaf, seit himmelempor die Freiheit Vor den Zwingherrn floh, und des Götzenpriesters Lauerndem Bannstral. Luther kam; auf schaudert' im Schlaf der Geist ihm, Blickt umher, schloß wieder das Aug' in Ohnmacht, Und vernahm leis' ahnend den Laut aus Trümmern Attischer Weisheit. Bald, wie Glut fortglimmt in der Asch', am Windhauch Fünkchen hellt, roth wird, und in Feuerflammen Licht und Wärm' ausgießt; so erhob der Menschheit Schlummernder Geist sich, Lebensfroh! Hin sank die verjährte Fessel, Sank der Bannaltar, und die Burg des Zwingherrn; Rege Kraft, Schönheit, und des Volks Gemeinsinn Blühten mit Heil auf! 12) von einem Ungenannten. (aus dem Merkur, von Philippi redigirt, Jahrg. 1824. St. 131.) Dem 31. October. Jsts doch still um mich her? Nebel der Frühlingszeit Wähn' ich aufsteigen dort an dem Gebirgsabhang, Wo der feiernde Chorus Oft unsterblichen Jubel sang. Und ein mahnender Geist, einsam und fürchterlich Steigt aus jenem Gewölk'! Hör' es, Thuiskons Volk, Worte strafender Predigt Ruft der einsame Geist dir zu. Lichthell flammet der Nord, als er die Red' beginnt, Und zum östlichsten Gau dringt der Erleuchtung Stral, Meerflutgegenden zittern, Als er drohend die Rechte hebt. „Wunderträumendes Volk! siehst du die Finsterniß Dort den Süden umziehn, furchtbar wie Höllennacht? Jst des schrecklichen Traumes Unglückseliger Schau'r dir fremd?“ „Jrrthum hüllte dich lang', grause Verwüstung schritt Kühn einher in der Nacht, und im Gefolg' der Tod. Da nahm göttlich Erbarmen Sich der armen Verirrten an.“ „Und ein heiliges Licht nahete dir, ein Trost Jn der Finsterniß Tief'. Kennst du nicht mehr dies Schwert Hoher göttlicher Wahrheit, Das des Satanas Seele traf?“ „Und ihr liebet nunmehr wieder die Finsterniß, Stellt das heilige Licht unter den Scheffel hin, Während ihr in der Dämm'rung, Leere Träume des Himmels träumt.“ „Evangelisches Volk! denk der Vergangenheit. Geistertödtender Wahn steht aus den Gräbern auf. Wehe dir, wenn er waltet ─ Fluch verkündet dir Luthers Geist ─!“ 19. c ) Die Hymne. Keine andere Form der lyrischen Dichtkunst ist der Ode so nahe verwandt, als die Hymne; denn auch in ihr wird der Gegensatz des Unendlichen und Endlichen durch die erhöhte Stärke der Einbildungskraft lebhaft versinnlicht; auch in ihr wogen die durch diesen Gegensatz aufgeregten Gefühle der Lust und Unlust mächtig gegen einander an; auch in ihr erscheint der dargestellte Hauptgegenstand im hohen Glanze des von dem Dichter gezeichneten Jdeals; auch in ihr steht die Wirklichkeit tief unter der von dem Dichter zur ästhetischen Einheit erhobenen idealischen Welt; auch in ihr siegt zuletzt das Jdeal über die Wirklichkeit, so wie das Gefühl der Lust über das Gefühl der Unlust. Dies alles hat die Hymne mit der Ode gemeinschaftlich; selbst nach der Fülle und Stärke des Tones, und nach dem Reichthume und der Mannigfaltigkeit der dichterischen Farbengebung, kann, wie schon bei der Ode bemerkt ward, zwischen Ode und Hymne kein wesentlicher Unterschied aufgestellt werden, weil die Kraft der dichterischen Darstellung und die Hochglut ihrer Farben weniger von dem Hauptgegenstande des Gedichts, als von der Jndividualität des Dichters, und von seinem ganz subjectiven Ergriffenseyn von dem darzustellenden Stoffe abhängt. Behalten wir aber die gelungensten dichterischen Erzeugnisse, welche zunächst als Hymnen bezeichnet werden, im Auge; so wird die dichterische Eigenthümlichkeit der Hymne, im Gegensatze der Ode, zunächst dadurch bestimmt, daß theils zum Gegenstande der Hymne nicht, wie bei der Ode, jede metaphysische Jdee überhaupt sich eignet, sondern entweder Gott selbst, oder ein allegorisches, als Gottheit personificirtes Wesen (z. B. die Sonne, die Tugend), wenigstens ein durch die Darstellung aus der Reihe des Endlichen herausgehobenenes, und nach seiner höhern, übersinnlichen Kraft gefeiertes Wesen; ─ theils daß, nach dem in der Hymne vorherrschenden dichterischen Grundtone, weniger der Gegensatz des Unendlichen und Endlichen und der das Gefühl bestürmende und erschütternde Abstand des letzten von dem ersten versinnlicht, als vielmehr ein Gleichgewicht in der Schilderung und Durchführung des vorherrschenden Gefühls der Lust festgehalten, und das ─ durch die Schranken der Endlichkeit zum Bewußtseyn gebrachte ─ Gefühl der Unlust minder stark gezeichnet wird, als das Gefühl der Lust. Wenn daher auch, der höhern dichterischen Schattirung wegen, das Gefühl der Unlust, veranlaßt durch den Abstand der Wirklichkeit von der Unermeßlichkeit des Jdeals, in der Hymne nicht ganz fehlen darf; so wird es doch nicht mit solcher Kraft emporgehoben und dem Gefühle der Lust gegen über gestellt, wie das Gefühl der Lust, so daß nicht nur in der ganzen dichterischen Haltung der Ton der Lust vorherrscht, sondern auch im Voraus der ästhetische Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust entschieden ist. Was den Anbau der Hymne von den frühern teutschen Dichtern betrifft, wohin namentlich Opitz und Tscherning gehören; so gilt dasselbe davon, was bei der Ode erinnert ward, daß die von den ältern Dichtern gewählte Aufschrift nicht über den innern Charakter ihres Gedichts entscheiden konnte, und daß, erst nach den Fortschritten der Philosophie im achtzehnten Jahrhunderte, der dichterische Aufschwung in der Hymne, wie in der Ode, möglich war. 20. Beispiele von Hymnen. 1) von Tscherning († 1659). Lob des Weingottes (Bruchstück). Absichtlich ist dieses Bruchstück unter die Hymnen, und nicht unter die Dithyramben aufgenommen, wohin es der Ueberschrift nach gehört hätte, weil der Ton und die Haltung der dichterischen Form durchaus nicht die trunkene Begeisterung bezeichnet, welche in der Dithyrambe vorherrschen muß. O Vater Bacchus komm, mein Geist der reget sich Zu fliegen in dein Lob. Komm her, ich singe dich, Du edles Blitzen-Kind. Jch mag nicht letzter bleiben, Da Teutschland diesen Tag sich unter dir läßt schreiben, Und stellt die Feier an. Du Geber aller Lust Giebst meiner Zunge Kraft, erquickest mir die Brust. Jch singe noch so gut, wann du mir in die Stirne Mit rechtem Maaße zeuchst. Ein nüchternes Gehirne Singt etwas, so doch nicht in langer Zeit besteht, Das mit dem Meister lebt, mit ihm auch untergeht. Was wäre doch das Pfand des Lebens ohne dich? Was hätten wir für Lust? Mit Weinen hebet sich Dies kurze Leben an, mit Hoffen und mit Zagen Vollführt man seine Zeit, mit Seufzen, Ach und Klagen Gesegnen wir die Welt. Da hilft kein Widerstehn! Jm Fall ich gut nicht will, so muß ich böse gehn. Drumb handelt dieser wohl, der seiner Zeit gebraucht, Der Zeit, die als ein Dampf in freier Luft verraucht, Und reißt uns mit sich hin; der auch mit großem Herzen Bleibt immer, wie er ist, verlachet Noth und Schmerzen, Stirbt ab der Sterblichkeit, und härtet seinen Muth. Hierzu, du Hüfte-Kind, sind deine Reben gut. Du starker Liber, du entzückst uns von der Erden, Du weckst die Sinnen auf, daß sie voll Geistes werden, Gehn allzeit über sich, bestehn wann alles fällt, Und schlügen auf sie zu auch Stücke von der Welt. Stets nüchtern seyn betrübt und martert das Gehirne, Der Sinnen edles Haus. Erhitzest du die Stirne Da gehn die Sorgen fort, da wandert alle Pein, Da wird der Knecht ein Herr, wie schlecht er auch mag seyn. Gefangne gehen los, und greise Köpfe jüngen; Dann ist man reich genug, und hat an allen Dingen Noch satten Ueberfluß, sorgt ganz für morgen nicht, Wie mancher für sein Geld den Hals ihm selber bricht. O Evan Evoe, laß jenen nüchtern bleiben, Dem Geld und Gut den Durst und Hunger muß vertreiben, Der dich ein ganzes Jahr auf seinen Tisch nicht kauft, Und wie das dumme Vieh das liebe Wasser sauft. Man weiß, wie mancher ist zu einem Weibe kommen, Auf die er nie gedacht, der deinen Saft genommen. Wo der in Gläsern springt, da thut das Lieben wohl, Da geht das Weibesvolk noch weiter, als es soll. Bei der kein Kuß verfängt, kein Bitten statt will finden, Läßt oftmals durch den Wein, wie keusch sie war, sich binden. Wo aber du nicht bist, da läßt die Liebe nach, Sie schöpfet ihre Lust aus deiner Reben Bach. ─ Was grämet man sich viel? Die Sorgen, so mich kränken, Die will ich allzumal heut in das Weinfaß senken. Nicht lebe morgen erst, wer heute leben kann. Herum, trinkt eines her, die Zunge klebt mir an. 2) von Uz († 1796). Gott der Weltenschöpfer. (abgekürzt) Zu Gott, zu Gott flieg' auf, hoch über alle Sphären Jauchz' ihm, weit schallender Gesang, Dem Ewigen! Er hieß das alte Nichts gebähren; Und sein allmächtig Wort war Zwang. Jhm, aller Wesen Quelle, werde Von allen Wesen Lob gebracht, Jm Himmel, auf der Erde, Lob seiner weisen Macht. Von ihrer hohen Bahn, in jener lichten Ferne, Jauchzt ihm die Sonne freudig zu. Du machtest mich, du Gott! Und rings umher die Sterne, Das Heer des Himmels, machtest du! Sein Lob, ihr schimmerreichen Schaaren, Tönt auf der dunkeln Erde nach, Von Wesen, die nicht waren, Und wurden, als er sprach. Jhr Himmel, öffnet euch, daß ich bewundernd preise, Wie Sonn' an Sonne friedlich glänzt, Und, ewig unverwirrt im angewies'nen Kreise, Doch weit gebietend, jede glänzt. Umsonst, die schwindelnden Gedanken, Verloren in dem großen Blick, Entfliehen in die Schranken Der niedern Welt zurück. Hoch über Sonnen stand der Schöpfer, dem sie leben, Und eine sah er an und sprach: Der Erde hab' ich dich zur Königin gegeben; Zeuch sie durch sanfte Bande nach, Daß du, ihr leuchtend, sie erfreuest, Und sanfte Klarheit in der Nacht Dem stillen Monde leihest, Den ich für sie gemacht. Wie war dir Erde nun, da dich zum erstenmale Der Sonne glänzend Antlitz fand, Da deine Königin, auf einem lichten Strale, Den liebreizvollen Tag dir sandt? Er kam; die goldnen Locken flogen Gezähmt durch einen Blumenkranz; Die jungen Stunden zogen Jhn auf zum Frühlingstanz. Du hast mit reichem Strom das Leben ausgegossen, Bis in die kleinste Felsenkluft! O Schöpfer! Gütigster! wie viele Stimmen flossen Dir dankend in der heitern Luft, Und drängten sich, in tausend Weisen, Ein lieblich wild vermischtes Chor, Dich, ihren Herrn zu preisen, Zu deinem Thron empor. Bald kam zur frohen Schaar der Zeuge deiner Größe, Der Mensch, den du zuletzt gemacht, Damit ein Wesen wär', das mit Vernunft genösse, Was deine Huld hervorgebracht. Geschaffen, daß er vor dir wandle, Dir unterwürfig, aber frei Nach weisen Pflichten handle, Dich lob' und glücklich sey! Er stammelte dein Lob mit dankbarem Gemüthe, Sobald er dacht' und froh empfand, Und überall dich sah, dich, o du höchste Güte, Dich am bestralten Himmel fand, Dich auf der blumenvollen Fläche, Dich im gewürzten Myrrhenduft, Jm Murmeln kühler Bäche, Dich in der Frühlingsluft. Dich loben, Herr, ist Pflicht! Dein Ruhm schallt ungezwungen Von meinem dankbarn Saitenspiel, Dein Ruhm erschalle laut von aller Menschen Zungen Bis an der Erde letztes Ziel, Jn ewig trauernden Gefilden, Und wo die Sonne sanft regiert, Und wo verbrannte Wilden Sie zu dem Schöpfer führt! 3) von Gleim († 1803). Die Sonne. Hast du die Morgendämmerung gesehn? Hast du das sanfte Roth betrachtet, das Die Wiederkunft der großen Sonne dir Verkündigt? War's in deinem Herzen still? Jn deiner Seele heiter? da du sie Die große Sonne sahst, was dachtest du? O welche Wunder meines Gottes dort Jn dieser einen Sonne! Herz, bet' an! Du, meine ganze Seele, voll von ihm, Sing' ihm ein Lied! Jn jedem Sonnenstral, (Und jeder Staub empfängt den seinigen) Jn jedem glänzt und leuchtet seine Macht Und seine Gnade! Singet, Menschen, ihn, Den mächtigen und guten Gott! Wenn ihr Jn ihrem herrlich schönen Aufgang sie Betrachtet, dann, ihr Menschen, singet ihn, Den mächtigen und guten Gott! Er hat Mit dieser Schönheit sie geschmückt; er läßt Das sanfte Roth, das euch gefällt, so sanft Aus ihren Stralen fallen, daß es euch Gefallen muß. Jhr Menschen, singet ihn, Den mächtigen und guten Gott! Er stellt Dies helle Thaugewölk vor ihren Glanz, Daß euer Auge, nicht geblendet, sie Aufsteigen seh' in ihrem Pomp! Sie geht Vor euern Augen ihren stolzen Gang, Und alles Finstere wird Licht. Sie steigt Jm Unermeßlichen empor, und thut Den Willen ihres Gottes; Leben fließt Mit ihrem Licht in alles um sie her! Jn alles strömt die Gotterschaffene Wohlthaten ihres Gottes. Blickt empor! Sie stehet da! Hat eines Menschen Hand Sie hingestellt? Hat eines Königs Macht Die ebne Bahn, aus welcher sie nicht weicht, Jhr angewiesen? Fraget sie! Sie geht Vor euern Augen ihren stolzen Gang, Und predigt ihren Schöpfer schweigend, thut Den Willen ihres Gottes, Tag für Tag Und Jahr für Jahr! Jhr Menschen, singet ihn, Den mächtigen und guten Gott! Sie geht Vor euern Augen ihren stolzen Gang. Und wenn es scheint, sie gehe niedriger Vor euern Augen ihren stolzen Gang; Dann deckt ein Purpurmantel ihr Gesicht Dann ist ein Stralenmeer um sie; dann sinkt Sie nieder, aber ruhet nicht! Sie geht Vor euern Augen ihren stolzen Gang, Und um den eurigen ist Finsterniß; Dann ruhet ihr. Jhr Menschen, singet ihn, Den mächtigen und großen, guten Gott! 4) von Moritz Aug. v. Thümmel († 1817). An die Sonne. (abgekürzt) Staub, der, zu Gott empor gedrungen, Am Fußtritt seines Thrones glimmt, Ziel meines Psalms, im Chor gesungen, Das jubelnd, dich umschlungen, Jn deinem Aether schwimmt. Seit du, der leeren Nacht entsunken, Dein stolzes Licht von ihm gehohlt, Sah' es in dem Gewühl der Funken, Die durch den Lichtraum prunken, Schon manchen Stern verkohlt. Nur deinem Urgestirn veraltet Kein Reiz! Mit gleicher Kraft beflammt, Treibt es sein großes Rad, entfaltet Die Zeiten, und verwaltet, Wie sonst, sein Mittleramt. Und lenken aller Erden Psalmen Gleich nicht den Ausfluß deines Strals; Doch überkleidest du die Palmen Des Athos, wie die Halmen Des rauhsten Schweizerthals! Juwel in des Erschaffers Kranze, Und erstes Wunder seines Hauchs, Du leitest, schmückst, vereinst das Ganze; Eins fehlt nur deinem Glanze: Bewußtseyn des Gebrauchs. Du stehst im größten Wirkungskreise Als Sklave, der im Joche prangt. Beherrscher seiner kurzen Reise Durchs Leben, dringt der Weise, Wohin sein Herz verlangt. Sey größer noch! Um deine Würde Vertauscht, selbst auf dem Weg ins Grab, Der Staubbewohner einer Hürde Nicht seines Lebens Bürde, Nicht seinen Wanderstab. Denn bald zu höhern Geistesproben, Entrückt den Prüfungen der Zeit, Schwingt ihn die Hand, die dich erhoben, Von diesem niedern Globen Auf zur Unsterblichkeit. Durch diesen heitern Blick ins Freie Verliert im Nebel meiner Bahn Sich keine Stunde mir; ich weihe Dem Ausgang sie, und reihe Sie meiner Zukunft an; Daß, wenn ich einst zu höhern Sphären Auf deinem Lichtweg übergeh', Der Fruchtstaub vieler guten Aehren Noch in dem Thal der Zähren Um meinen Hügel weh'! 5) von Lavater († 1801). Anbetung des Unendlichen. (abgekürzt) Jn stille Einsamkeit entflieh' ich! Entflieh', entreiße mich den holden Winken Der reizevollen Sterblichkeit ─ entfliehe Der Gattin und dem Freund'; entfliehe Der Kinder freudevollem Lächeln; Von allem weg zu dir, verborgner Vater! Gedanken weicht! Begierde flieh'! Steh' still Für alles Sterbliche, mein Athem! Denn leiser Freud' und tiefer Demuth voll Gelüstet's meine Seele, anzubeten Den Einzigen, der ewig ist, Dich, aller Geister Vater! Mit jedem Athem meines Mundes, Mit jedem Blicke meines Auges, Mit jeder Regung meiner Menschheit anzubeten Dich, meines Geistes Vater. Nicht war ich! Nicht! Du wolltest, und ich ward! O aller Wesen Wesen! Jch war ─ ja Jch auch war ein ewiger Gedanke Von dir! Du sprachst ihn aus! Da war Mein Jch mit jeder Kraft, mit jedem Leben, Die jede Zukunft, auch die fernste, Entwickeln wird! Jch ward, und mit mir ward Der Ewigkeit von dir mein ganzes Wesen Mit allen seinen Künftigkeiten Unsterblich ausgesprochen... Wie bet' ich an? wo find' ich Worte Den anzubeten, der mich werden hieß! Du bist, o Wesen aller Wesen, Denn ich, ich bin! Bin! Unergründlichstes von allen Geheimnissen, und doch gewissestes Von allem, was ich weiß! Sey aller meiner Lustgedanken Erster! Sey letztes aller meiner Lustgefühle! Du Gott, du bist! ich bin! Du warst eh' meine Mutter mich gebahr! Eh' mich mein Vater zeugte; Eh' meines Vaters Vater ihn gezeugt; Eh' einen Sohn gezeugt der Erste aller Väter! Nicht ewig waren wir! Nicht Einer ist's, Der ist, der war, ─ der Frühste ward, Da du sprachst: „ Werde! sey der Vater Von Millionen Vätern und von Söhnen!“ Du bist, nur du bist ewig! Erster! Erster! Denn ewig ist von uns nicht Einer! Du warst ─ du Undenkbarer! warst, Eh' aller Sterblichkeit urerster Vater Dem Rufe da stand: „Werde! Sey!“ Jch sinke tiefer vor dir hin! ─ Du warst, Eh' aller deiner Stralensöhne frühester Mit unnennbaren Wonnen: „Liebe! Liebe!“ Mit jedem Stral des Augs, mit jedem Schlage Des lebensvollen Herzens, Erstaunet über sich, und jede Regung seiner Natur dir „Liebe! Liebe!“ rief ─ ─ Da aller Thronen Erster aufzustreben An deiner Herrlichkeiten Saum Vor Milliarden Sonnenjahren Die kühnen Schwingen schwang ─ Und im Gefühle seines Seyns, Und deines undurchdringlichen Vorherseyns, Von Wonne trunken niedersank und schwieg; Da warst du ewig schon! Nur Jünglinge, nur Knaben sind Vor dir, du Ewiglebender, Nur Embryonen sind der Leben frühste; Sie, die den Erdball werden sahn, Jhn blühen sahn mit tausend neuen Leben; Verblühen wieder, wieder aufblühn sahn Den Erdenball, der mich im Unermeßlichen Vor deinem Angesicht vorüberträgt. ─ Was bin dann ich, was ich vor dir? Unreifer Staub bin ich! Ein Tropfen nur Vom Meere hingespritzt ans Ufer Der Wesen, bin seit gestern nur! Kaum lebend! Staub! noch kaum entsunken Der Nichtempfindung! Kaum sichtbar, Wesen kaum, ein Hauch, Der erst hinüberzittert an die Grenze Des Seyns, des Menschenlebens oder Todes. Was bin ich dann? was ich vor dir? Vor dir, der ist, der war, der seyn wird! Wer bin ich, daß mit dir ich reden, Dir meine kindlichen Gedanken, Dir meine bebenden Empfindungen Jn Menschensprache niederlegen darf; Mit meinem mir selbst unerforschten Wesen Mich nahen darf zu dir! Zu dir, Jch Athmender der Erdenluft? ─ Wie darf ich Dich, Ewiger, dich Vater nennen? Doch darf ich es; o Wonne, daß ich's darf! Dein Athem schafft und hält, Dein Athem tödtet, trennt, zernichtet Jetzt Sonnen, Funken jetzt! Jetzt Stern'! Jetzt Stäubchen! Mit Einem Hauche hauchest du zehntausend Sonnen Mit hunderttausend Erden aus! Ziehst du des Athems Hauch zurück; So ist der Sonnen all' kein Lichtstral mehr! Kein Stäubchen mehr der Erden all'! Wie Blumen an der Sonne welken, Verwelken Weltsysteme dir! Du nur, nur du bleibst, der du bist! Dir selber ewig gleich, Jehova, namenlos! Und was, Unendlicher, sind meine Preisgesänge Der tiefsten Ewigkeiten, Was gegen alle Geister, aller Unsterblichkeiten Jubelharmonie? Was gegen aller Lebenden und Athmenden Gesänge? gegen ihrer Jubel Summe? Vom höchsten aller Himmel ─ nieder Durch alle tief're Himmel, Herab durch alle Reihn von Sonnenwelten, Bis auf den Erdensäugling, Den Embryo, der athmet; Bis auf die unsichtbaren Bewohner jener tief verschloßnen Ströme Jn jedes Laubes tausendfachen Adern! Was gegen dieser aller Lobgesänge, Die Summe aller, was mein himmelvollstes Lied Jn fernen Ewigkeiten? Was diese ungeheure Summe, Was gegen dich, Unendlicher! Der Wesen Wesen! Erster! Letzter! Dich, Ewigeinziger! Dich, Ewigunerschöpfter! Jch stehe still, und sink' unmächtig! Denn ein Gedanke trifft, ein Lichtstral Gottes Ein Pfeil der Wahrheit Trifft die erstaunte Seele! ─ Jch neige tiefer mich; Die Stirne flammt; das Herz schlägt glühender; Du, Namenloser, du, bist jetzt schon der, Den mein erhabenstes, mein kühnstes Himmelslied Nach keinen hingeflohnen Milliarden Aeonen je erschöpfen, je erreichen wird; Den, wenn auch nach Jahrtausenden Noch immer höher, herrlicher, Noch unaussprechlicher, unendlicher, Undenkbarer sich meine Seele denken, Unausempfindbarer mein Herz empfinden wird ─ Du, du bist jetzt, bist jetzt schon, Da ich mit tiefer Ehrfurcht still, Jch Staub vom Staube, deinen Namen nenn', Mein ganzes Wesen sich vor dir, der Wesen Wesen, Ein Opfer niederlegt auf dem Altar der Erde ─ Du bist schon jetzt, der du mir seyn wirst Nach tausendmal Jahrtausenden; Du Ewigunerreichter bist mein Vater! 6) von Fr. Leop. Graf zu Stolberg († 1819). An die Erde. (abgekürzt) Erde, du Mutter zahlloser Kinder, Mutter und Amme! Sey mir gegrüßt! sey mir gesegnet im Feiergesange! Sieh', o Mutter, hier lieg' ich an deinen schwellenden Brüsten, Lieg', o Grüngelockte, von deinem wallenden Haupthaar Sanft umsäuselt, und sanft gekühlt von thauenden Lüften. Ach du säuselst Wonne mir zu, und thauest mir Wehmuth Jn das Herz, daß Wehmuth und Wonn', aus schmelzender Seele Sich in Thränen und Dank und heiligen Liedern ergießen! Erde, du Mutter zahlloser Kinder, Mutter und Amme! Schwester der allerfreuenden Sonne, des freundlichen Mondes, Und der stralenden Stern' und der flammenbeschweiften Kometen, Eine der jüngsten Töchter der allgebährenden Schöpfung. Erde, dich liebt die Sonne, dich lieben die heiligen Sterne; Dich der himmelwandelnde Mond! Sobald du vom Schlummer Dich erhebst, und Thau aus düftenden Wolken dir träufelt, Sendet die Sonne dir Purpur und Gold und glänzenden Safran, Daß du bräutlich geschmückt erscheinst im Morgengewande. O wie schimmerst du dann im rosigen Schleier, mit tausend Jungen Blumen umkränzt, von silbernen Tropfen umträufelt, Und mit glänzender Binde des blauen Meeres umgürtet! Erde, wie bist du so schön, mit Gottes Strömen gewässert! Wer vermag sie zu singen? Die Zwillingshelden, den Ganges Und den Jndus? wer die rauschenden Wasser des Euphrats? Wer den segnenden Nil, der aus ungesehener Urne Seine schwellenden Fluten durch sieben Mündungen ausströmt? Wer die herrschende Tiber? den heldenberühmten Eurotas, Welcher früh die nervige Jugend Lakoniens stählte? Ach, wer bringt mich hinüber auf Adlers Flügeln zu deinen Rollenden Meeren, du mächtigster Orellana? du Riese Unter den Flüssen! Dir staunen die heiligen Fluten des Weltmeers, Wenn du, stark wie ein Gott, in den Ocean dich ergießest! Aber vor allen seyd mir gegrüßt im steigenden Liede, Vaterländische Ströme! Du edle Donau! dem Morgen Strömst du erröthend entgegen, und grüßest die kommende Sonne, Wann sie flammend ihr Haupt aus purpurnen Wogen erhebt. Wankende Saaten umrauschen dich jährlich, und freudiges Landvolk Tanzet, mit blauen Blumen umwunden, an deinem Gestade, Wenn der Abend auf dir mit falben Fittigen ruhet, Und die glänzenden Sicheln dem winkenden Abendstern weichen! Dir gebührt ein eigner Gesang, o Rheinstrom! vor allen Flüssen Teutschlands bist du mir werth! Dich sah ich als Knabe, Wo, mit umwölkter Hand, die Natur am gängelnden Bande, Ueber Nebel und stürmenden Winden und zückenden Blitzen, Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felsenbahn leitet! Zahllos sind, o Erd', und edel deine Geschenke! Deinen Kindern geben sie Kraft und Nahrung und Freude! Sieh', ich hoff' es zu dem, aus dessen segnendem Fußtritt Sonnenstralen und Rosen blühn: erlöschenden Sonnen Und hinwelkenden Rosen verleiht er ewige Jugend, Wann dereinst die Ströme des Lebens dem himmlischen Urborn Werden entfliehn', in Flüß' und Bäch' und Quellen vertheilet, Und die ganze Schöpfung, verklärt, Ein Himmel, ihm lächelt! Erde, harre ruhig der Stunde des besseren Lebens! Samml' indessen in deinem Schoose die harrenden Kinder! Siehe, noch werden dich oft die wechselnden Stunden umtanzen, Dich mit blendendem Schnee und blühendem Grase noch kleiden! Nimmer wirst du veralten! Jm lächelnden Reize der Jugend Werden plötzlich erbleichen die Sonnen, die Monde, die Erden, Wann die Sichel der Zeit in der Rechten des Ewigen schimmern Und hinsinken wird, in Einem rauschenden Schwunge, Diese Garbe der Schöpfungen Gottes, die Wölbung des Himmels, Den wir sehn mit tausendmal tausend leuchtenden Sternen. 7) von Kosegarten († 1818). An die Natur. Ruhst und rastest du dann nimmer, erhabene Große Mutter? Versiegt nimmer der Lebensquell, Der den Schoos dir befruchtet, Der die säugende Brust dir schwellt? Von dem mattesten Stral, welcher den Morgen färbt, Regt die Rüstige sich, schafft und zerstört, und wirkt, Bis die blasseste Rose Jn den Locken des Abends welkt. Auf thauduftender Flur schlummert die Mitternacht. Seine wolkige Bahn wandelt der müde Mond, Ringsum gähnet die Schöpfung; Rastlos waltet die Schöpferin; Schwirrt im flüsternden Schilf, plätschert im Rohr des Sumpfs, Tränkt die Saaten mit Thau, duftet im Fliederbusch, Gurgelt heiser im Frosche, Flötet gellend im Wachtelschlag; Summt im blühenden Baum aus den Zehntausenden Goldner Käfer, beseelt Völker von gaukelnden Mücken, schrillt in der Grille Flügel, donnert im Wasserfall; Thürmt am Saume des Süd Wolken wie Berg' empor, Wälzt die Berge daher, prasselt aus kämpfenden Wolken, zückt in der Leuchtung, Stürmt im brausenden Wirbelwind. Die du, heilige Kraft, brünstig das All umschlingst, Alles Leben gebierst, alles Gebohrne nährst, Unbekannte, wer bist du? Nie erlauschte, wo wirkest du? Durch die Adern des All spritzest du flammend Blut, Kochst in Schachten das Gold, rüttelst den Ocean, Wölbst Basalte zu Domen, Höhlst kristallne Grotten aus. Aus dem Staube herauf rufst du die Pflanzenwelt. Säuselnd wallet die Saat, sausend der Eichenwald. Sonnan rauschet die Ceder, Würzig duftet das Veilchenthal. Stoffen giebst du Gestalt, giebst dem Atom Gefühl; Jubel füllen den Busch, Jubel die blaue Luft. Schau, es wimmelt im Tropfen; Schau, das Sandkorn bevölkert sich. Leben, nimmer gezählt, preisen dich, Künstlerin, Leben jeglicher Art, Kondor und Kolibri, Straußpolype und Flußpferd, Riesenmuschel und Räderthier. Aber lauter als sie preißt dich des Menschen Geist, Dich der Kante Vernunft, dich der Gesang Homers, Dich der Cirkel des Newton, Dich der Pinsel des Raphael. Ahn' ich Wahrheit? Bist du jenes unendliche, Unergründliche Ding, welches des Denkers Loth Zu ergründen, der Hymne Flug umsonst zu erfliegen strebt? Bist du Gottheit? bist du's, welche die Myrias Menschenzunge besingt, den der Mäander Zeus, Den der Jordan Jehova, Den Jsuren der Ganges grüßt? Schwindelnd steh' ich am Saum deiner Unendlichkeit! Eines ahn' ich: ich bin deiner Unendlichkeit Mitgenosse, bin Tropfe Deines stiebenden Flammenborns. Jn des flammenden Borns Silbergeriesel fließt Einst der Tropfe zurück, freut sich der Einigung, Und verschmilzt in der Welten Allumgürtenden Ocean. 8) von Seume († 1810). Gebet. (abgekürzt) Gott, Gott, den Mönch und Bonze nennet, Und weder Mönch noch Bonze kennet, Den man von Nation zu Nation, Durch schleichenden Betrug geblendet, Jn frömmelnder Verehrung schändet, Hier bet' auch ich, des Staubes Sohn. Des Weisen forschender Gedanke Bebt ehrfurchtsvoll in seiner Schranke, Und blickt mit Ahnung in dein Heiligthum, Und stehet, wenn in ihren Kreisen Dich Myriaden Welten preisen, Anbetend still zu deinem Ruhm. Du säest Welten aus wie Saaten, Und das Geheimniß deiner Thaten Jst blendend Licht und Harmonie und Sturm! Und in der Kette deiner Wunder Jst eine Sonne nur ein Zunder, Und eine Erde nur ein Wurm. Wer kann, o Wesen aller Wesen, Des Schicksals große Rolle lesen, Auf welche du der Himmel Ordnung schreibst? Wer hat mit dir im Rath gesessen, Das ewige Gesetz zu messen, Nach welchem du die Sphären treibst? Gott, in den Glanz des Lichts gehüllet, Gott, dessen Hauch das Weltall füllet, An dessen Kleid die Sonnen funkelnd stehn; Auf dessen Wink die Welten fallen, Und aus den Trümmern neue wallen, Und jubelnd sich in Sphären drehn: Gott, Vater, Schöpfer, Ordner, Walter, Des Cherubs und des Wurms Erhalter, Laß nichts mir, wann die Bosheit teuflisch glotzt, Laß nichts mir meinen Kinderglauben An deine Vatergüte rauben, Der aller Bosheit Giften trotzt. Jch bin, kann ich in Hypothesen Gleich nicht das große Räthsel lösen, Jch bin ein Funke deiner Ewigkeit; Und mein Gefühl mit Feuerschwingen Kann auf zu deiner Größe dringen Jn seines Werthes Trunkenheit. Laß mich nicht, wenn mein Busen wüthet, Und Lästerung und Wahnsinn brütet, Jm hohen Wahnsinn deine Weisheit schmähn; Jch stehe blind am großen Spiele, Und kann hinab zum fernen Ziele Nicht mit dem schwachen Auge sehn. Laß mich nicht, wenn mit Hohngelächter Des Rechtes rechtliche Verächter Der Tugend kaum den Götterwerth verzeihn, Laß mich nicht, wenn des Elends Knaben Umsonst nach Futter schrein, wie Raben, Durch Lästerung die Zung' entweihn. Laß mich nicht, wenn Hyänenhorden Provinzen zur Verwüstung morden, Und jubelnd über Menschentrümmern gehn, Laß mich nicht unter Menschenteufeln An deiner Vaterhuld verzweifeln, Wenn Höllengeister mich umwehn. So laß den Zweifel in mir stürmen, Und Nacht auf Nacht sich um mich thürmen, Und alle Sinne sich im Schwindel drehn; Jch will, o Gott, die Hände falten, Und mich an dich im Sinken halten; Und sinkend werd' ich nicht vergehn. Es sollen mich nicht Widersprüche, Nicht infulirter Männer Flüche, Nicht Edda, Vedam, und nicht Alkoran, Nicht Bibel, und nicht irre Weisen Von meiner Felsenwarte reißen, Auf der ich sicher harren kann. Aus deiner Hand gehn Orionen; Du hauchst der Geister Millionen Mit Götterkräften hin in ihre Bahn, Und zündest, wann die Geister zagen, Aus Mitternacht zu Sonnentagen Gewiß die Fackel wieder an. Aus Tod und Grab bricht meinen Blicken Dann unter himmlischem Entzücken, Gewiß der Ordnung Morgenlicht zuletzt; Dann tauch' ich mich in jene Kreise Der Welten, wann zur Weltenreise Aurora mir die Füße netzt. 21. d ) Die Dithyrambe. Die Dithyrambe gehört zu der dichterischen Form der Hymne, unterscheidet sich aber von derselben durch zwei wesentliche Merkmale, theils in Hinsicht des Gegenstandes, theils in Hinsicht des lyrischen Tones und der ganzen Haltung und Durchführung desselben. Denn wenn die Hymne die Gottheit selbst, oder jeden als göttlich gedachten Gegenstand feiert; so ist der Gegenstand der Dithyrambe ausschließend der Wein und der Gott des Weines; kein anderes, unter göttlichen Eigenschaften dargestelltes, Wesen kann der Stoff der Dithyrambe werden. Allein noch schärfer unterscheidet sich die Dithyrambe von der Hymne durch den in ihr vorherrschenden eigenthümlichen Ton des Gefühls, und oft selbst durch die regellose Form der Darstellung. Denn es ist der Ton einer trunkenen, oder nahe an die Trunkenheit hinstreifenden Begeisterung, welcher in der Dithyrambe vorherrscht, und als Folge einer vorhergegangenen sinnlichen Berauschung durch den Genuß des Weines sich ankündigt, woraus von selbst die kecke Auswahl üppiger Bilder, der Gebrauch gewagter Gleichnisse, ungewöhnlicher Ausdrücke, und das Vorhandenseyn kühner Sprünge in Hinsicht der Folge und Verbindung der aufgestellten Jdeen, Bilder und Gefühle sich erklären läßt. ─ Obgleich Ursprung und Benennung der Dithyrambe griechisch ist; so haben sich doch keine Gesänge dieser Art aus dem Alterthume erhalten, und nur die Nachrichten davon sagen aus, daß die Dithyramben bestimmt waren zur Verherrlichung des Bacchus an den ihm geheiligten Festen, so wie sie an diesen Tagen während eines wilden und regellosen Tanzes abgesungen wurden. ─ Bei der Wiedererweckung der Dithyramben von den neuern Dichtern mußte nothwendig der Anstrich der griechischen Oertlichkeit und Eigenthümlichkeit wegfallen. Willamov, Blum, Mahler Müller, Joh. Heinr. Voß, Schiller, Kuhn u. a. haben unter den Teutschen gelungene Dithyramben aufgestellt. Sie haben gefühlt, daß die Betrunkenheit an sich nie ästhetisch seyn, mithin auch nicht in einer schönen Form dargestellt werden kann, daß aber wohl der Uebergang von dem völlig nüchternen Bewußtseyn zu dem Zustande des begeisternden Rausches eine ästhetische Darstellung verstattet, wodurch Gefühl und Einbildungskraft mächtig bewegt werden, ohne doch dadurch im Leben selbst die Mittellinie des Schicklichen und in der dichterischen Schilderung die ästhetische Einheit der Form zu verletzen. Soll daher die Dithyrambe dem Gesetze der Form entsprechen; so darf sie zwar die schulgerechte Form eines bestimmten Sylbenmaases überschreiten, und mit Willkühr, selbst ohne die innere nothwendige Folge des dargestellten Gefühls, sich bewegen, weil dieses Gefühl durch den Genuß des Weins über die Ankündigung der Gefühle im nüchternen Zustande hinaus gesteigert wird; nie darf sie aber gegen die Richtigkeit und gegen die Schönheit der Form überhaupt verstoßen, weil sie sonst auf Gefühl und Einbildungskraft des wohlthuenden Eindrucks nothwendig ermangelt. 22. Beispiele der Dithyrambe. 1) von Willamov († 1777). Bacchus und Ariadne. (abgekürzt) Jubel, Jubel, Jubel! Jn wilder wüster brausender Fröhlichkeit Dir von uns gesungen, Vater Evius Unter orgischen Hochzeitfesten! Da hüpfen die weingebirgigen Jnseln alle Unsern hohen Gesängen nach, Und rauhe Felsen in Wonne. Die Nereiden in gesalzner Fluth Tanzen uns nach in Hochzeitreigen, Und Aeols tausendstimmige Heere Singen trunkne Hymenäen. Welche Taumelfeste, ihr Faunen! Er, auf dessen Stirn Ewige Jugend aufblühet, Und auf der vollen Wange Götterglanz purpurfarbig Um die Honiglippen sich ergießt, Drückt an die Götterbrust voll Glut, Eine süße Belohnung schwerer Thaten, Ariadnen, von Cytheren ihm erkohren, Seit er mit uns von den Triumphen Ueber die östliche Welt zurücke kam. Jubel, Jubel ihm! ─ Ho! ihr Faunen, wo sind wir? Wo die Naxischen Weinhügel? ─ Schöpferisch erhebt sich sein Thyrsus. Plötzlich hochgewölbte Lauben an Lauben Von Jasmin und Myrthen- und Rosengebüschen Kunstreich ein weiter Pallast um uns Mit Brautteppichen rund umzogen. Weite Schläuche vom Rebensafte schwellend Und Kelch an Kelch auf Purpurdecken Alle mit frischen Blumengehängen bekränzt. Er, Bacchus, unser Vater will so Sein Hochzeitmahl feiern! Schaut, Bacchanten, das lockre Rosengewölke Und den lazurn purpurbekleideten Goldumstralten Wagen Von zärtlichen Tauben leichtschwimmend gezogen! O! der unnennbaren Wonne, Die schnell durch alle Empfindung rauscht Bei diesem unausbildlichen Anblick Der Paphischen Fröhlichkeitsstifterin, Die mit ihrem lachenden Gefolge Ambraduftend herabschwebt. Die Amorn flattern vor ihr her, Und gaukeln lüstern Um die buntfarbigen Lauben Und fröhliche Rosen- und Rosmaringebüsche. Kommt in unsre Reigen, Götter der Fröhlichkeit, kommt! Seht ihr, wie Vater Lenäus Wollustlächelnd von Aphroditens Hand Die schöne Braut empfängt, Und Hochzeitfackeln ihm festlich lodern? Ein Sternendiadem setzt Paphia Der Götterbraut aufs stralende Haupt, Und ewig zu ihrer Vermählung Gedächtniß Wird von des hohen Aethers Gewölben Diese Sternenkrone schimmern. Auf dem furchtbaren Adler sanft daher gewiegt, Majestätischer Ernst im schwarzen Auge Und auf der gebieterischen Stirn, ─ Neigt euch zur Erde, ihr Bacchanten und Mänaden! ─ Der Donnrer erscheint, unsers Vaters Freudenfeste zu feiern; Und mit ihm auf Silbergewölkewagen Die blauäugigte Panzerbegürtete Pallas, Und der Kriegsempörer im eisernen Gewande, Und Phöbus der Gesängegebieter, Und alle Himmlischen kommen hernieder. Zehnfach, zehnfach laßt Eure Jubellieder schallen, Faunen, Satyrn und Nymphen! Dem kommenden Götterchor Und Lyäens Liebe heilig! Um die Myrthen umflochtenen Ufer Mit Amorn und Grazien Hand in Hand Tanzen wir, tanzen wir, Evoe! Lauter müßt ihr Pauken lärmen! Feierlicher ihr Zinken und Pfeifen tönen! Höher ihr brausenden Meereswogen toben! ─ Aber ─ laßt mich, Süßlächelnde Amors, laßt mich Meine trunknen Rundetänze vollenden! Faunen, helft mir! helft mir, ihr Nymphen! Mit Blumenketten gefesselt Werde ich euern Kreisen entrückt. ─ Wunderthätige Götter! Wo ─ wo bin ich hin? Vom Mänadentaumel erwacht Fühl' ich mein Herze nicht mehr. ─ Ho! Cypern! ─ Sey mir gegrüßt! Wollustathmendes Cypern! Der schaumgebohrnen Entzückungsschafferin Dreimal glückliches Vaterland! Wonneduftend um und um Aus tausend Blumengefilden, Die Busch an Busch der Liebesgöttin Jhre Opfergerüche weihen! ─ O diese Holdin, die ihr da Mit Rosen geschäftig umflechtet, Laßt mich von eurer wohlthätigen Hand, Holde Liebesgötter, empfangen! Bei Paphos und Knidos Heiligthum, Und eurer Mutter mächtigem Zaubergürtel selbst, Schwör' ich, euch Göttern der Zärtlichkeit Geweihet zu seyn! ─ Da ward mir Von der Amorn freudeberauschter Schaar, Feierlich mit Brautblumen geschmückt, Daphne unter Gesängen zugeführt. O des süßen Zärtlichkeitstaumels, Als ich sie also empfing! An ihrer Hand will ich, ─ Verzeih' es mir, trunknes Getümmel Epheu- und Rebenbekränzter Bacchanten ─ Jn süßerer Trunkenheit Den Göttern der Zärtlichkeit heilig seyn. Und du, Vater Dionysus, der selbst, Von Ariadnens Reizen bezwungen, Der Schönheit und Liebe huldigt, Verzeih, ich kann nicht, Jch kann nicht mehr euch folgen. Hier ist mein Thyrsus Und die Epheukrone zurück! Rosen und Myrthen und Jasmin Wallen jetzt um das gesalbte Haar! 2) von Blum († 1790). Jch fühl', ich fühle deine Feuer, Du göttlicher Tokayer, Du königlicher Wein! Reicht mir die mächt'ge Leier; Es sollen seine Feuer Unsterblich seyn! Unsterblich seyn? ─ So nehmt sie nur zurück die Leier, Und schenkt noch einmal ein; Es sollen seine Feuer Durch Thaten ewig seyn! Jch will, ich will verliebte Kriege, Mir sagt die Hoffnung süßer Siege: Jch werd' ein Cäsar meiner Zeiten seyn! Ja, seht, dort taumeln Liebesgötter, Berauscht von meinem Wein, Und streuen Rosenblätter, Und pflanzen einen Myrthenhain, Soll dies mein Schlachtfeld seyn; So eilt nicht, blanke Waffen, Jhr Knaben, mir zu schaffen, So bringt nicht Schild und Speer; Bringt rasche Kämpferinnen her, Bringt mir die braune Doris, Die kriegerische Chloris, Und Lauren und Nerinen, Und alle, die mein Herz verdienen! Denn fonst, ihr süßen Kinder, Kann ich auf solchen Wein Kein würd'ger Ueberwinder, Kein Cäsar meiner Zeiten seyn! 3) von Fr. Adolph Kuhn. Vor dem Rausche. O goldne, süße Reben, Jhr träufelt Himmelslust, Ein neues beßres Leben Jn froher Zecher Brust. Was Weise nicht erringen, Was Dichter nicht ersingen, Erfliegt auf Sonnenschwingen Der Adler: Trunkenheit. Was kümmert seine Flügel Des Ruhmes Gängelband, Der Wünsche steiler Hügel, Der Zukunft Nebelland; Was kümmert seine Lippe Der Wissenschaften Krippe, Wo ärmliche Gerippe Bei Folianten stehn. Er fliegt durch Orionen Mit glühendem Gesicht, Und buhlt um Myrthenkronen Der Alltagsliebe nicht. Jm Taumel höh'rer Wonne Umarmt er Baum und Sonne, Und hohlt aus voller Tonne Sich Lieb' und Sympathie. Jn Einem langen Zuge Trinkt er Vergessenheit, Und löscht vom Aschenkruge Das Wort: auf Ewigkeit. Bekränzt mit Rebenblättern Wird er den Mond erklettern, Und über Donnerwettern Mit frohem Auge sehn. Drum trinkt die goldnen Reben, Die uns zu Adlern weihn, Und laßt uns höher schweben, Und mehr als Menschen seyn. Laßt uns das arme Denken An Aermere verschenken, Und hin den Fittig lenken, Wo Denken Thorheit wird. Dort necken keine Berge Des Wandrers raschen Gang, Dort modern keine Särge, Lauscht kein Sirenensang; Der Freude vollste Trauben, Die Götter uns erlauben, Darf uns kein Bonze rauben, Der Götter mißverstand. Dort rauschen Himmelsbäume Mit Blüthen überschneit, Dort blüht am zarten Keime Die Allzufriedenheit. Dort sind der Väter Hallen, Und ihre Schatten wallen Mit frohem Wohlgefallen Den frohen Söhnen zu. 23. e ) Die Rhapsodie. Die Rhapsodie, die als besondere Form der Dichtkunst wenig angebaut worden ist, unterscheidet sich von der Ode und der Hymne weder durch die Verschiedenheit des dargestellten Gegenstandes, noch durch die Verschiedenheit des in der Rhapsodie vorherrschenden Tones des Gefühls; denn alle Gegenstände, welche in der Ode und Hymne dargestellt werden können, eignen sich auch als Stoffe für die Rhapsodie, und dieselbe Stärke, Jnnigkeit und Glut des Gefühls kann eben so in der Rhapsodie geschildert werden, wie in der Ode und Hymne. Allein dadurch unterscheidet sich die Rhapsodie wesentlich von der Ode und Hymne, daß in derselben entweder der dargestellte Gegenstand, wegen seiner Unermeßichkeit und wegen der durch ihn hervorgebrachten allzustarken Erschütterung des Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft, nicht gleichmäßig und erschöpfend durchgeführt, sondern blos in allgemeinen, unter sich nicht streng zusammenhängenden Umrissen verzeichnet, oder, eben wegen der aufgeregten Fülle des Gefühls und der Einbildungskraft, kein bestimmtes Metrum in der dichterischen Form festgehalten wird. Jn dieser letzten Hinsicht nähert sich die Rhapsodie der Dithyrambe, die ebenfalls nicht selten in einem willkührlichen Sylbenmaase sich bewegt; doch hat die teutsche Literatur auch Rhapsodieen mit bestimmt festgehaltenen Sylbenmaasen. 24. Beispiele der Rhapsodie. 1) von Ramler († 1798). Allgemeines Gedicht (von Ramler selbst in der Ueberschrift: Rhapsodie genannt). Zu dir entfliegt mein Gesang, o ewige Quelle des Lebens! O du von den Lippen danksagender Wesen Jehova gegrüßet, Und Oromazes und Gott! gleich groß im Tropfen des Thaues, Der hier vom Grase rollt, gleich groß in der Sonne, die rastlos Rund um sich an goldnen Seilen glückselige Welten herumführt; Jm Wurm, der einen bestäubten Erntetag lebt, und im Cherub, Der alle Naturen durchforscht seit seiner undenklichen Jugend, Und viele Glieder bereits an der Kette der Wesen verknüpft sieht, Er selbst der oberste, doch in deiner Größe versinket, (Wie soll ich in menschlicher Rede den Kindern der Erde Dich nennen?) O deines unendlichen Weltraums allbelebende Fülle! ─ Mit Schaudern versenkt sich in ihn mein Geist in den Tempeln der Wälder, Auf himmelanstrebenden Felsen, am Rande der brausenden Tiefe; Und o, wie verschwindet mir dann die sinnliche Freude! wie werden Mir alle Begierden erhöht! ─ Du Weltgeist, hier steh' ich, verloren, Auf einem Staube des Ganzen, und breite die Hände zu dir aus; Erhältst Du, wann einst dies zarte Gewebe des Leibes sich auflöst, Ein höheres Antheil von mir; so soll die Bewundrung deiner Mein langes Geschäfte verbleiben, mein langer Gesang. ─ 2) von Kosegarten († 1818). An die untergehende Sonne. Sonne du sinkst! Sonne du sinkst! Sink' in Frieden, o Sonne! Still und ruhig ist deines Scheidens Gang, Rührend und feierlich deines Scheidens Schweigen. Wehmuth lächelt dein freundliches Auge; Thränen entträufeln den goldenen Wimpern; Segnungen strömst du der duftenden Erde. Jmmer tiefer, Jmmer leiser, Jmmer ernster und feierlicher Sinkst du die Lüfte nach. Sonne du sinkst! Sonne du sinkst! Sink' in Frieden, o Sonne! Es segnen die Völker, Es säuseln die Lüfte, Es räuchern die dampfenden Wiesen dir nach; Winde durchrieseln dein lockiges Haar; Wogen kühlen die brennende Wange; Weit auf thut sich dein Wasserbett ─ Ruh' in Frieden! Schlummr' in Wonne! Die Nachtigall flötet dir Schlummergesang. Sonne du sinkst! Sonne du sinkst! Sink' in Frieden, o Sonne! Schön sinkt sich's nach den Schweißen des Tags, Schön in die Arme der Ruhe, Nach wohlbestandenem Tagewerk. Du hast dein Tagewerk bestanden, Du hast es glorreich vollendet, Hast Welten erleuchtet und Welten erwärmt, Den Schoos der Erde befruchtet, Die schwellenden Knospen geröthet, Der Blume Kelch geöffnet, Die grünen Saaten gezeitigt, Hast Welten gesäugt und Welten erquickt ─ Geliebt und Liebe geerntet, Gesegnet, und rings mit Segnungen Dein rollendes Haar bekränzt. Schlummre sanft Nach dem Schweiße des Tags; Erwache freudig Nach verjüngendem Schlummer! Erwach' ein junger freudiger Held! Erwach' zu neuen Thaten! Dein harrt die lechzende Schöpfung; Dein harren Au'n und Wiesen; Dein harren Vögel und Heerden; Dein harrt der Wandrer im Dunkeln; Dein harrt der Schiffer in Stürmen; Dein harrt der Kranke im Siechbett; Dein harrt der Wonnen seligste: Die Wonne zu lieben und zu werden geliebt; Der Seligkeiten unaussprechlichste, Die hohe vergötternde Seligkeit: wohlzuthun. Sink' in Frieden! Schlummr' in Ruhe! Erwach' in Entzückungen, Sonne! 25. f ) Die Elegie. Wenn die Elegie dadurch der Ode sich nähert, daß in ihr, wie in der Ode, das gemischte Gefühl der Lust und der Unlust, der Wonne und der Wehmuth, sich ankündigt, bis zuletzt, im Augenblicke der ästhetischen Vollendung des dichterischen Erzeugnisses, das Gefühl der Lust über das Gefühl der Unlust triumphirt; so unterscheidet sie sich doch wesentlich von der Ode theils durch die Art und Weise, wie sie den Gegenstand auffaßt und darstellt, der das gemischte Gefühl der Wonne und Wehmuth in dem Gemüthe des Dichters anregte, theils durch die Milde des in der Elegie vorherrschenden Tones der dargestellten Gefühle, so wie durch die sanftere Farbengebung in Hinsicht der von dem Dichter gezeichneten Bilder. Der ästhetische Charakter der elegischen Begeisterung ist nämlich die süße Wehmuth, welche aus der Verschmelzung der gleichmäßig aufgeregten Gefühle von Lust und Unlust entsteht. Jn diese wehmüthige Stimmung wird aber das Gemüth versetzt, wenn es mit ungetheiltem Jnteresse ein Gut sich vergegenwärtigt, das es entweder nie zu erreichen befürchtet, oder dessen Besitz und Genuß es vergeblich erstrebte, oder bereits wieder verlor, und wo dennoch, durch die von der Einbildungskraft bewirkte idealische Versinnlichung dieses Gegenstandes, das Entzücken bei der Betrachtung desselben, oder die Sehnsucht nach demselben, oder die Erinnerung an die ehemals im Besitze desselben genossene Seligkeit, das Gefühl der Lust, freilich bald stärker, bald schwächer, ein Uebergewicht über das Gefühl der Unlust behauptet, wodurch die dichterische Begeisterung vermittelt wird, in welcher die Elegie entsteht. Die hohe dichterische Wirkung der Elegie beruht daher auf dem Verschmelzen der Gefühle der Wonne und der Wehmuth bis zum endlichen Uebergewichte des Gefühls der Lust über die Unlust, ein Uebergewicht, das entweder aus der erhöhten Vergegenwärtigung und idealischen Versinnlichung des Gutes selbst, oder aus der von der Einbildungskraft bewirkten Erneuerung der ehemals im Genusse desselben gefühlten Seligkeit, oder aus der Thätigkeit der Einbildungskraft, den Genuß und Besitz desselben in die Zukunft zu versetzen, oder aus dem mächtig aufgeregten Bewußtseyn, dieses Gut verdient, und ohne eigene Schuld verloren zu haben, oder aus dem zur ästhetischen Einheit erhobenen Bilde von der Größe des mit dem idealisch gezeichneten Gute verbundenen Genusses entspringt. Nur in dieser Stimmung des Gemüths entsteht die bezaubernde Form der Elegie, an deren Hervorbringung die Jdeale der Einbildungskraft eben so vielen Antheil haben, als die erhöhte Sinnlichkeit und die im Gefühlsvermögen gegen einander ankämpfenden und allmählig mild in einander verschmelzenden Gefühle der Wonne und der Wehmuth. Deshalb herrscht auch im Tone der Elegie die Wehmuth des Unvermögens, den ersehnten Gegenstand entweder in der Gegenwart überhaupt nicht zu besitzen, oder ihn bereits verloren zu haben, oder ihn nie besitzen zu können. Diese Wehmuth des Unvermögens ist Ton der Trauer, allein nicht von der Art und Stärke, wie in der Ode, wo das Gefühl der Unlust aufgeregt wird von dem wahrgenommenen Gegensatze der Beschränkungen des Endlichen gegen das Unendliche. Zugleich vergesellschaftet sich mit diesem Tone der Trauer der Ton der Freude an dem Gegenstande selbst, der nicht, wie in der Ode, als unendlich, wohl aber unter dem milden Glanze des Jdeals erscheint, welches jedesmal das gebildete Wesen mit hoher Sehnsucht und mit dem Verlangen nach dessen Erreichung und Verwirklichung erfüllt. So kündigt sich im Tone der Elegie eine milde Schattirung der Gefühle an, wodurch für das Bewußtseyn zwar keine bleibende (weil ein gemischtes Gefühl kein bleibender Zustand seyn kann), aber eine unendlich süße Stimmung vermittelt wird. Der in der Elegie in den Mittelpunct gestellte Gegenstand kann entweder sittlich und religiös seyn, oder er kann, in den Schilderungen der Liebe, der Freundschaft und der irdischen Güter überhaupt, die Farbe der geläutertsten und vollendetsten Sinnlichkeit an sich tragen. Von selbst versteht es sich, daß die grobe Sinnlichkeit von der Elegie ausgeschlossen wird, weil sie keiner idealischen Darstellung fähig ist; allein alle, mit den Gesetzen der Vernunft und mit den geläutertsten Gefühlen der Sittlichkeit vereinbaren Gegenstände des wirklichen Lebens eignen sich für die Darstellung in der Elegie. (So z. B. Schillers Jdeale; Matthissons Elegie in den Ruinen eines Bergschlosses geschrieben; seine Kinderjahre; sein Genfersee &c.) Gleichmäßig gebietet die Elegie über die Kreise der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; oft findet sie die Gegenwart zu arm, wenn sie dieselbe mit Vergangenheit und Zukunft zusammenstellt; oft hält sie die Zukunft an den Spiegel der Vergangenheit, und erhebt die letztere über die erste; oft vergleicht sie auch die Armuth der Vergangenheit mit den in der Zukunft bevorstehenden Genüssen, die sie im Zauber ihrer Bilder im Voraus zum Daseyn ruft. Nur die Gegenwart verliert jedesmal in der Elegie bei der Zusammenstellung mit Vergangenheit und Zukunft; in der Gegenwart hat nichts Reiz, als die eben aufgeregte individuelle Stimmung des Dichters selbst, dessen Wehmuth entweder an den Farben der Vergangenheit, oder an den Bildern der Zukunft hängt. Daß die Elegie zur lyrischen Dichtkunst gehört, ist dadurch entschieden, daß die Gegenstände, die sie schildert, unmittelbare Gefühle, und weder Gefühle, durch Jdeen der Vernunft veranlaßt, noch Gefühle sind, die durch Thatsachen und Vorgänge in der Wirklichkeit angeregt werden. Vom Liede unterscheidet sich die Elegie, daß jenes den Ton einer reinen Freude, diese den Ton einer mit Wehmuth gemischten Freude enthält, weshalb denn auch, aus der religiösen Dichtkunst, alle sogenannten Bußlieder, Sterbelieder u. a. (§. 14.), nach ihrem dichterischen Charakter zur Elegie, und nicht zum Liede gehören. Wie die Elegie, dem Stoffe und dem Tone nach, verschieden von der Ode sich ankündige, ist bereits erinnert worden; desto mehr nähert sie sich aber der Heroide, theils nach der Darstellung des gemischten Gefühls der Lust und Unlust, theils nach der beiden gemeinschaftlich milden Farbengebung und nach der Durchführung des in ihnen vorherrschenden Grundtones des Gefühls. ─ Zur Einseitigkeit würde es führen, wenn man die äußere Form der Elegie entweder an abwechselnde Hexameter und Pentameter, oder, wie bei den ältern teutschen Dichtern, an das schwerfällige und ermüdende alexandrinische Versmaas binden wollte; vielmehr eignet sich jedes, dem Charakter der lyrischen Form überhaupt angemessene, Metrum auch zur Darstellung der Elegie. ─ Wenn gleich bereits griechische und römische Dichter die Elegie anbauten; so stehen doch, unter den gebildeten Völkern der neuern Zeit, die Teutschen, in Hinsicht der Elegie, über den Britten, Franzosen und Jtalienern, theils nach der Mannigfaltigkeit und dem Reichthume der elegischen Form, theils nach der Jnnigkeit, Wärme und Zartheit des idealisirten Gefühls. (v. Haller, v. Kleist, v. Göthe, v. Schiller, Klopstock, Hölty, v. Herder, Heydenreich, Jacobi, v. Stolberg, Kosegarten, Voß, v. Matthisson, v. Salis, Manso, Tiedge u. a.) 26. Beispiele der Elegie. 1) von Drollinger († 1742). Herbstgedanken. Der schwüle Sommer ist verschwunden, Die Sonne läuft der kühlen Wage zu; Die Erde neiget sich zur Ruh Nach ihren arbeitsvollen Stunden. Jhr bunter Schmuck wird blöd' und alt, Und, was sich nächst im Flor befunden, Verändert Farben und Gestalt. Der Himmel trübet sich. Es haucht ein frischer Duft Gleich einer kühlen Abendluft, Und will des Jahres Abend kühlen. Der Bäume Zierath weicht; die leichten Winde spielen Mit dem entlaubten Schmuck! O welch ein Unbestand! Doch nein, ich kenne deine Hand, Du großer Schöpfer und Erhalter! Des Laubes Schirm, die schattenvolle Wand, Die ihrer Früchte zartes Alter Vor Hitz' und Sturm in Sicherheit beschloß, Hat nun die treue Hut vollendet, Da der verwahrte Schutz gezeitigt und geendet; Drum fällt sie weg, und stellt ihn frei und bloß. O reicher Schatz, den wir bewundern müssen! Schau, wie die süße Last die schwanken Aeste beugt! Es scheint, als wollten sie die werthe Mutter küssen, Die Mutter, welche sie gezeugt. Der Blätter Schmuck, der allgemach verfleugt, Erscheinet nun noch eins so prächtig. Die schlanke Rebe steht an Frucht und Zierath trächtig. Schau, wie sie ihre grüne Pracht Mit Gold und Purpur ausgesticket; Wie sich ihr sterbend Laub zu guter Letzte schmücket, Und seinen Abschied herrlich macht. Wie aber? welch betrübtes Bild Erblick' ich voller Scham und Schanden! Jch Armer, ach! mein Herbst ist auch vorhanden, Mein Sommer ist bereits erfüllt! Wie darf ich, Höchster, vor dir stehn, Und mein beschämtes Haupt zu deinen Wolken strecken? Jch bin ein kahler Baum, gleich einer dürren Hecken, Von keinen Früchten reich, von keiner Zierath schön. O wehe mir! Die Axt der Rache blinket schon, Und dräut mir schnödem Holz mit dem verdienten Lohn! Erbarme dich! erwecke meine Kraft, Du Wesen voller Huld und Liebe; Und fülle mich mit neuem Saft, Mit einem gnadenvollen Triebe, Eh mich dein Grimm zur Straf' und Flamme rafft! Herr, laß mich noch in dieser Zeit, Obgleich mit später Frucht, zu deinem Ruhme dienen! So werd' ich dort in Ewigkeit Bei dir im Paradiese grünen! 2) von Albr. v. Haller († 1777). Beim Absterben seiner geliebten Mariane. (gedichtet 1736; ─ abgekürzt) Soll ich von deinem Tode singen? O Mariane, welch' ein Lied! Wann Seufzer mit den Worten ringen, Und ein Begriff den andern flieht. Die Lust, die ich an dir empfunden, Vergrößert jetzund meine Noth; Jch öffne meines Herzens Wunden, Und fühle nochmals deinen Tod. Jch seh dich noch, wie du erblaßtest, Wie ich verzweifelnd zu dir trat, Wie du die letzten Kräfte faßtest Um noch ein Wort, das ich erbat. O Seele, voll der reinsten Triebe! Wie ängstlich warst du für mein Leid? Dein letztes Wort war Huld und Liebe, Dein letztes Thun Gelassenheit. Ach, herzlich hab' ich dich geliebet, Weit mehr, als ich dir kund gemacht, Mehr, als die Welt mir Glauben giebet, Mehr, als ich selbst vorhin gedacht. Wie oft, wann ich dich innigst küßte, Erzitterte mein Herz und sprach: Wie, wenn ich sie verlassen müßte! Und heimlich folgten Thränen nach. Jm dicksten Wald, bei finstern Buchen, Wo niemand meine Klage hört, Will ich dein holdes Bildniß suchen, Wo niemand mein Gedächtniß stört. Jch will dich sehen, wie du gingest, Wie traurig, wann ich Abschied nahm; Wie zärtlich, wann du mich umfingest; Wie freudig, wann ich wieder kam. Auch in des Himmels tiefer Ferne Will ich im Dunkeln nach dir sehn, Und forschen, weiter als die Sterne, Die unter deinen Füßen drehn. Dort wird an dir die Unschuld glänzen Vom Licht verklärter Wissenschaft; Dort schwingt sich aus den alten Grenzen Der Seele neu entbundne Kraft. Dort lernst du Gottes Licht gewöhnen, Sein Rath wird Seligkeit für dich; Du mischest mit der Engel Tönen Dein Lied und ein Gebet für mich. Du lernst den Nutzen meines Leidens, Gott schlägt des Schicksals Buch dir auf; Dort steht die Absicht unsers Scheidens Und mein bestimmter Lebenslauf. Vollkommenste! die ich auf Erden So stark, und doch nicht gnug geliebt; Wie liebenswürdig wirst du werden, Nun dich ein himmlisch Licht umgiebt. Mich überfällt ein brünstigs Hoffen; O, sprich zu meinem Wunsch nicht nein; O, halt die Arme für mich offen! Jch eile, ewig dein zu seyn. 3) von Hölty († 1776). Die Mainacht. Wann der silberne Mond durch die Gesträuche blinkt, Und sein schlummerndes Licht über den Rasen streut, Und die Nachtigall flötet, Wandl' ich traurig von Busch zu Busch. Selig preis' ich dich dann, flötende Nachtigall, Weil dein Weibchen mit dir wohnet in Einem Nest, Jhrem singenden Gatten Tausend trauliche Küsse giebt. Ueberhüllet von Laub, girret ein Taubenpaar Sein Entzücken mir vor; aber ich wende mich, Suche dunklere Schatten, Und die einsame Thräne rinnt. Wann, o lächelndes Bild, welches wie Morgenroth Durch die Seele mir stralt, find' ich auf Erden dich? Und die einsame Thräne Bebt mir heißer die Wang' herab. 4) von v. Herder († 1803). Das Grab des Heilandes Größtentheils ist bei dieser Elegie die ältere Ausgabe in Herders Briefen, das Studium der Theologie betreffend, beibehalten, und nicht die zweite in s. Gedichten, herausgegeb. v. J. G. Müller (Stuttg. u. Tüb. 1817) Th. 2. S. 171 befolgt worden, weil sich in derselben kaum erklärbare Nachlässigkeiten finden. Man vergleiche nur z. B. sogleich die zweite und vierte Zeile der ersten Strophe: So schläfst du nun den Todesschlaf im Grabe, Du junger Held, der schöne Dornen trug. Dein Leben war für tausend Lebensgabe, Dein Tod erquickt auch Sterbende mit Muth . u. s. f. . So schläfst du nun den Todesschlaf im Grabe, Du junger Held, gefärbt mit schönem Blut, Dein Leben war für tausend Lebensgabe, Dein Tod erquickt auch Sterbende mit Muth. Ruh' dann, erlößt von jedem Jammer, Womit dich Menschenhärte traf, Jn deiner stillen Kammer Den schwer errungnen Schlaf. Du aber, Freund, an diesem bittern Tage, Komm, schau mit mir der Menschheit Scenen an. Sieh, welch' ein Mensch! betracht' ihn still, und sage: Wer Menschen segnender je werden kann. Komm, laß an seiner Gruft uns denken, Was uns im Tod allein erfreut; Aus Liebe sich zu kränken, Jst süße Dankbarkeit. Jn Nazareth, am Galiläermeere, Wer gab dem Jünglinge den hohen Geist, Der wie entkommen schon der Erden Schwere Hier hat die ältere Ausgabe: Erden sphäre . , Sein Reich den Himmel, Gott nur Vater heißt, Und schaut, wie seine Sonne leuchtet Auf Bös' und Gute, wie sein Thau So Ros' als Dornen feuchtet Auf Einer Gottesau. „Auf, laßt uns Kinder seyn der Vatergüte, Vollkommen, wie der Herr vollkommen ist!“ So pflanzt' er in der Sterblichen Gemüthe Unsterblichs Wesen, das sich selbst vergißt, Und im Verborgnen schafft und flehet Hier hat die neue Ausgabe: schafft und betet, ohne doch die drei folgenden Zeilen zu verändern, wo säet nicht auf betet sich reimt. , Für Menschen schafft, für Feinde fleht, Still für die Zukunft säet, Und still von dannen geht. „Glücksel'ge Armen! glücklich, die da leiden, Jn sanfter Unschuld, die Erbarmenden, Die, reines Herzens, Menschen Fried' und Freuden Und Mitleid reichen, und den Haß bestehn. Seyd fröhlich und getrost! euch lohnet Jm Himmel ew'ger Trost und Lohn; Der Staub, den ihr bewohnet, Jst bald dem Staub entflohn So die ältere Ausgabe. Die spätere hat: Wo jeder Gute wohnet, Dem Haß der Welt entflohn. .“ „Auf, seyd der Zeiten Licht, das Salz der Erde, Ein Stern der Nacht, ein Keim der Fruchtbarkeit. Jn euch ist Licht, damit Glanz um euch werde; Jn euch ist Gold, das ihr den Menschen leiht. Auf! dringet durch der Sieger Pforte! Eng ist die Pforte, schmal der Weg, Zum höchsten Freudenorte Ein unbetretner Steg So die ältere Ausgabe. Die spätere: Der zu dem Freudenorte Führt unbetretnen Steg. !“ Er sprachs, und ging voran die Donnerpfade So die ältere Ausgabe. Die spätere: So sprach er, und ging selbst der Dornen Pfade. Die noch dem Sterbenden sein blutig Haupt Jm Kranze schmückten. Haupt, du lächelst Gnade, Als hätte Ros' und Lorbeer dich umlaubt. Entschlummre! ─ Bald wird deine Krone, Siegprangend, wie der Sterne Glanz, Dem Menschengott zum Lohne, Ein ew'ger Gotteskranz. Denn, sanft wie Gott, gefällig gleich den Engeln, War Güte nur und Huld sein Königreich. Mitfühlend unsrer Last und unsern Mängeln, Nur sich allein an Kraft und Würde gleich. Einsam im lauten Weltgetümmel Jn seine Größe still verhüllt. So stralt am hohen Himmel Die Sonne, Gottes Bild So die erste Ausgabe. Die spätere hat: Ein Gotteseifrer ohn' Entrüsten, Der, nie verhöhnend, oft beweint, Was Menschen dulden müßten, Ein echter Menschenfreund. . Und konnten dem ein Unheil Fromme stiften? Die Priester, ach, ergrimmte sein Bemühn. Sie riefen ihn aus ihren alten Schriften, Und als er kam, erwürgten Priester ihn. Zu schwer der Heuchelei geworden, Entging er ihrer Tücke nicht. Jhn riß der Segensorden Jns ärgste Blutgerüst Diese ganze kräftige Strophe fehlt in der neuen Ausgabe. . Wie? hatt' er nicht schon lebend viel gelitten? Er, dessen Herz das Mitleid selber war. Ein zarter Sproß, um den die Stürme stritten, Ein Arzt, dem fremdes eignes Leid gebahr. „Laß diesen Kelch vorübergehen! Doch Vater, du hast ihn gefüllt. Dein Wille soll geschehen; Nicht ich, wie du, Herr, willt!“ Er trank den Kelch, und als nun seine Glieder Gefühl der Gottverlassenheit durchdrang; Schon drückte Nacht die matten Augenlieder, Des schweren Hohnes schwarze Wolke sank. Zerrissen war der letzten Schmerzen Geliebter Knote, der den Freund Mit Freund- und Mutterherzen Jm Tode noch vereint; Da blickt' er auf und sah die schönen Auen, Die er dem Sünder Mitleidsvoll verhieß. „Gedenk' an mich, und laß dein Reich mich schauen; „Heut sollst du's schaun, der Freuden Paradies.“ „Empfang' in deine Vaterhände Den matten Geist ─ es ist vollbracht!“ Da kam sein stilles Ende, Sein Auge brach in Nacht. ─ Nicht Thränen, Freund, ein Leben ihm zu weihen, Wie seines, das nur ist Religion. Was ihn erfreute, soll auch uns erfreuen, Was er verschmähte, sey uns schlechter Lohn. Mit Güte Bosheit überwinden. Undank der Welt, wie er, verzeihn, Jm Wohlthun Rache finden, Soll Christenthum uns seyn! 5) von Joh. Georg Jacobi († 1814). Die Linde auf dem Kirchhofe. Die du so bang den Abendgruß Auf mich herunter wehest, Zur Wolke schwebst, und mit dem Fuß Auf Todtenhügeln stehest, O Linde! manche Thräne hat Den Boden hier genetzet, Und Menschenjammer, blaß und matt, Auf ihn sein Kreuz gesetzet. Die auf dem einen Hügel hier Geweint um ihre Lieben, Die birgt ein andrer neben dir; Und ihrer wenig blieben. Sie schlafen. Ach! um ihr Gebein Verhallet schon die Trauer; Du Linde rauschest ganz allein Jn athemlose Schauer. Vergebens läßt auf kühles Grab Dein Zweig die Blüthe fallen; Vergebens tönt von dir herab Das Lied der Nachtigallen; Sie schlummern fort; du aber schlägst Jn modervolle Grüfte Die Wurzel, schmückest dich, und trägst Empor die Blüthendüfte. Auf Erden sieht man immer so Den Tod ans Leben grenzen; Doch ewig kannst du, stolz und froh, Die Aeste nicht bekränzen. Es trocknet schon der Jugend Saft Jn dir; Verwesung winket, Bis endlich deine letzte Kraft Dahin auf Gräber sinket. Wann aber dein Geflüster auch Verstummt an diesen Hügeln; So bringet neuen Frühlingshauch Der West auf Rosenflügeln. Damit die Felder wieder blühn, Umwallt er Berg' und Gründe; Will deinen Sprößling auferziehn, Und krönt die junge Linde. Wohl uns! der große Lebensquell Versiegt dem Geiste nimmer. Das Kreuz auf Gräbern, wie so hell Jn dieser Hoffnung Schimmer! O Linde! gern an deinem Fuß Hör' ich des Wipfels Wehen; Dein feierlicher Abendgruß Verkündet Auferstehen! 6) von Manso. Was sie mir nahm und gab. Auch mich hat einst der Wahn argloser Seelen, Der schmeichelnde, geliebt zu seyn, beglückt, Und unterm Schlag tonreicher Philomelen Ein Schwanenarm ans volle Herz gedrückt. „Nimm, sprach zu mir, am schönsten meiner Tage, Die lieblichste der Grazien, Nimm diesen Kuß, daß man, dich neidend, sage: Auch er war in Arkadien!“ Jch nahm den Kuß, und von mir selbst geschieden, Fühlt' ich für nichts, als für die Schmeichlerin. An sie verlor mein Herz den goldnen Frieden, Jhr opfert' ich den sorgenfreien Sinn. Mein Leben war Gedanke an die Traute, Mein kleinster Wunsch ihr Eigenthum, Und jedes Lied in die gewölbte Laute Ein süßes Lied zu ihrem Ruhm. Oft fragt' ich sie, wenn meine Silbertöne Jhr Ohr verschlang: „Was schenkst du mir dafür?“ „Nimm diesen Kuß, erwiederte die Schöne, Und sey mir treu, mein Herz gelob' ich dir!“ Und ich, berauscht von ihren Nektarküssen, Ließ ruhig in ihr Netz mich ziehn. So hat sie schlau, was mein war, mir entrissen, Und von dem Jhren nichts verliehn. O tief hinab in Lethens Strom versenken Möcht' ich das Bild, das meinen Jammer nährt ─ Und doch, und doch ist mir das Angedenken An ihre Huld und meine Qual so werth; Und doch gewann ich, in der wunderbaren, Mir täglich süßern Dienstbarkeit, So manches, was mein Herz sich zu bewahren, Mein Geist sich zu erneuern freut. Wer sonst, als sie, gab mir das süße Sehnen, Das bald mit Lust, und bald mit Schmerz erfüllt? Wer lehrte mich, was aus der Duldung Thränen Für himmlisches Entzücken niederquillt? Was zog mich zu der Freude Melodieen, Und band mich an der Schwermuth Ach? Was gaukelt noch in bunten Phantasieen Mir in vertraute Schatten nach? Vergiß dein Wort und mich, Adelaide, Vergiß den Kuß, mein theures Unterpfand! Jch werde nie dein zu gedenken müde, Und ehre gern, was ich für dich empfand! Das Saitenspiel, das mir im Busen tönet, Jst deiner Liebe Wiederklang; Was heute noch mich mit der Welt versöhnet, Der Traum, der schmeichelnd mich umschlang. 7) von v. Matthisson. Wunsch. An Salis. Noch einmal möcht' ich, eh' in die Schattenwelt Elysiums mein seliger Geist sich senkt, Die Flur begrüßen, wo der Kindheit Himmlische Träume mein Haupt umschwebten. Der Strauch der Heimath, welcher des Hänflings Nest Mit Kühlung deckte, säuselt doch lieblicher, O Freund, als alle Lorbeerwälder Ueber ber Asche der Weltbezwinger. Der Bach der Blumenwiese, wo ich als Kind Violen pflückte, murmelt melodischer Durch Erlen, die mein Vater pflanzte, Als die blandusische Silberquelle. Der Hügel, wo der jauchzende Knabenreihn Sich um den Stamm der blühenden Linde schwang, Entzückt mich höher, als der Alpen Blendender Gipfel im Rosenschimmer. Drum möcht' ich einmal, eh' in die Schattenwelt Elysiums mein seliger Geist sich senkt, Die Flur noch segnen, wo der Kindheit Himmlische Träume mein Haupt umschwebten. Dann mag des Todes lächelnder Genius Die Fackel plötzlich löschen; ich eile froh Zu Xenophons und Platons Weisheit, Und zu Anakreons Myrthenlaube! 8) von Mahlmann. Das Grab. Selig die Todten! Sie ruhen und rasten Von quälenden Sorgen, Von drückenden Lasten, Vom Joche der Welt und der Tyrannei; Das Grab, das Grab macht allein nur frei. Ueber der Erde, Da walten die Sorgen; ─ Jm Schooße der Mutter Jst jeder geborgen! O Nacht des Todes, du bettest weich; ─ Das Grab, das Grab macht allein nur gleich. Land der Verheißung, Du führest die Müden Nach brausenden Stürmen Zum seligen Frieden. Wann Freude verschwindet, wann Hoffnung verläßt; Das Grab, das Grab hält den Anker fest. Wieder sich finden, Und wieder umarmen, Und wieder am Herzen Geliebter erwarmen! Und ewig zu leben im süßen Verein! ─ Das Grab, das Grab wird uns all' erfreun! Kränzet die Thore Des Todes mit Zweigen! Und tanzt um die Gräber Den fröhlichen Reigen! Und steuert muthig zum Hafen hinein, Das Grab, das Grab soll Triumphthor seyn! 9) von Fr. Adolph Kuhn. Elegie an einen Wahnsinnigen. Vergieb, mein Bruder, daß der Harfe Saiten Den Klaggesang der Wehmuth nicht begleiten, Den mancher Mund dir noch entgegenträgt; Daß ich im Kerker deiner Mißgeschicke Noch einen Stral, noch Labungen erblicke, Die Sonnenlicht in keinem Busen hegt. Zwar beut kein Licht dir seine sanfte Rechte, Dein Leben ist wie dumpfe Mitternächte, Dein Herz ein auferstehungsloses Grab; Du bist nur dir dein ewiger Genosse, Erspähst vom Leben nur die nächste Sprosse, Und taumelst wie ein Jrrlicht dann hinab. Kein lichter Tag entzückt aus deinen Grüften Dich Modernden zu seinen Rosenlüften, Wenn Lenz Natur wie seine Braut umfängt; Kein halber Schimmer jubelnder Gefühle, Kein Odem aus der Schöpfungen Gewühle Hat sich in deine Felsenbrust gedrängt. Der bessern Erdenliebe Schmeichelworte Zersprengten nie für dich die goldne Pforte Des Allerheiligsten, das Geistern prangt; Und nie hast du, an Menschen hingesunken, Aus vollem Kelch die Wollust dir getrunken, Die eine Welt für ihren Kuß verlangt! Beweint von Keinem, wie nur wenig sanken, Wirst du allein, allein zum Grabe wanken, Allein und unbegrüßt dort auferstehn; Und wenn sich dort die Freunde jauchzend winken, Sich glühend Seelen in die Arme sinken, Dich freudelos und ewig einsam sehn. Von Weihestunden nimmer aufgefordert, Hat nie dein Geist zu Gott emporgelodert, Und nimmer dich sein Odem mild umrauscht, Und nimmer hat im Reiche der Naturen, Jm Sternenflug, auf lichten Sonnenfluren Dein matter Blick Unsterblichkeit belauscht. Vergieb, mein Bruder, daß der Harfe Saiten Den Klaggesang der Wehmuth nicht begleiten, Aus deren Blick dir manche Zähre dringt, Und höre mich, für den in hellen Stunden Gefühl und Geist wohl einen Kranz gewunden, Wie er nicht alle Locken hier umschlingt. Ha juble! von der Menschheit losgerissen Wirst du auch nie vom grausen Schicksal wissen, Wo Edle wild den Adelsbrief entweihn; Wo die, die Göttlichkeit im Busen tragen, Gleich Rasenden dem Sonnenlicht entsagen, Um in der Finsterniß sich fremd zu seyn. Kein Freund wird dich zum frohen Gotte lügen, Und dich zuletzt um jenen Schwur betrügen, Der in dem Bruder Brudersinn erblickt. Kein Liebeskuß wird mit entflammten Zügeln Dich in der Träume Feenland beflügeln, Aus dem ein Blitz dich in die Hölle schickt. Kein Kraftgefühl wird unter seinen Fahnen Um hohe That, um Heldenkampf dich mahnen, Jn dem zerknickt so oft der Arm erliegt, Und Phantasie wird nie mit ihren Stralen Ein Aetherbild aus dir und Träumen malen, Das deiner spottend über Sterne fliegt. Aus wildem Sturm, aus abgerißnen Aesten, Aus Hütten, aus verzweifelnden Pallästen, Aus Wogentrümmern, aus der Rasengruft Wird nie dein Ohr in dumpfen Trauerchören Das bange Sterbelied der Trennung hören, Das fürchterlich durch unsre Jubel ruft. Was nie ein Thor, ein Weiser nie errungen, Das ist nur deiner schwachen Hand gelungen, Die nimmer solchen Würfen nachgestellt. Emporgehoben über alles Sehnen, Und über alle Freuden, alle Thränen, Bist du allein dir ewig deine Welt. Drum zürne nicht, daß meiner Harfe Saiten Den Klaggesang der Wehmuth nicht begleiten, Jn deren Wimper manche Zähre bebt; Und du, o Geber mancher schwülen Tage! Vergieb, daß ich den Mann nicht ganz beklage, Den Wahnsinn auf in kühle Zonen hebt! 10) von Kosegarten († 1818). Der Maalstein. Wen haben sie hier in den Staub gebettet? Wen in die Nacht, die eiserne, verscharrt? Aus der kein Hahnenschrei, kein weckend Frühroth rettet, Auf die kein Sonnenaufgang harrt? Jn jene Nacht, in die kein Laut des Lebens, Kein leiser Hoffnungslispel niederwallt; Für die der Freude Sturm, der Angst Geheul vergebens Empor zum blauen Bogen hallt. Jn jene Nacht, in die der Wittwe Stöhnen, Der Waisen Klage nicht hinunterdringt; Jn jene Fernen, draus kein Flehen und kein Sehnen Den theuren Flüchtling wiederbringt. Bist du es, Edler, der in unserm Kreise So würdig und demüthig wandelte? So friedlich und so still, so schlecht und recht, so weise Und christlich dacht' und handelte? Geschlossen ist dein freundlich Aug' auf immer? Verriegelt ewig dein mitleidig Ohr? Du liegst und schläfst, und schlägst die schweren Wimper nimmer Aus deinem Todesschlaf empor? Und Herzensgüte, Herzensreinheit wäre Nicht besser, als das Gras, das Wiesen schmückt Und in der Sonne dorrt? nicht edler, als die Aehre, Die halbgereift der Sturmwind knickt? Nein, Menschenfreund, in diesem engen Hause Wohnt nicht dein beßres Selbst, dein wahres Du! Dein wahres Du, verschmähend dieser Welt Karthause, Flog jenen schönern Welten zu. Nur dein Gewand, zerrissen und zertrümmert, Vertrauten wir der großen Mutter Schoos, ─ Ein Samenkorn, dem einst der Menschheit Blum' entschimmert, Unkränkbar, schmerzlos, todeslos. Du selbst, Verklärter, schwangst mit Lichtstralsschnelle Dich über Erdengram und Sargesnacht Und Grabeseng' empor zu deines Edens Schwelle, Wo dir ein mildrer Himmel lacht; Wo eine schön're Sonne dich umlächelt, Wo eine schön're Erde dich umglänzt, Wo linde Kühlung dir die heißen Schläfen fächelt, Und der Vollendung Kranz dich kränzt. ─ Wie war dir, Sel'ger, als die neue Sonne Dir Staunenden entgegen funkelte? Als dich des Paradieses namenlose Wonne Hochwogig überflutete? Als Er, der Menschenretter Erster, Größter, Als Jesus Christus lächelnd zu dir sprach: „Sey mir gegrüßt, Geliebter, sey getrost, Erlöster! Dir folgen deine Thaten nach.“ „Mich hungerte, und du hast mich gespeiset! Mich schauderte, und du hast mich erwarmt! Nackt war ich und entblößt, verlassen und verwaiset, Und du hast meiner dich erbarmt!“ „Jch ward verklagt, und du hast mich vertreten; Krank lag ich, und du nahmst dich meiner an; Gefangen saß ich hart, du hast mich losgebeten, Und mich befreit von Acht und Bann!“ Da sprachst du: „Herr, mein Heiland, Quell des Guten, Wann hätt' ich jemals hungernd dich erblickt, Dich, der die Raben speist? dich durstig, der mit Fluten Lebend'gen Wassers uns erquickt? Dich nackend, der die Frühlingsanger kleidet, Dich eingekerkert, der die Himmel füllt, Dich heimlos, der in Eden neue Rosen weidet, Dich krank, dem alle Kraft entquillt? Doch liebend schaute Jesus auf dich nieder, Und: „Wahrlich, sprach er, Freund, ich sag' es dir: Was du gethan hast Einem meiner kleinsten Brüder, Das thatest du, mein Bruder, mir.“ ─ O süßes Wort! So hoch lohnt Jesus Christus Dem Mann, der wie sein Jch die Brüder liebt! Der, schauend auf sein großes Vorbild Jesus Christus, Barmherzigkeit an Brüdern übt. Barmherzigkeit, du Zarte, Klare, Milde, Einfältig, anspruchslos, voll Kraft und Ruh, Du allerschönster Zug aus Gottes Ebenbilde, Barmherzigkeit, wie schön bist du! Barmherzigkeit, du träufst in Todeswunden Des Mitleids Oel, der Hoffnung Labewein; Die schauerliche Nacht der letzten bangen Stunden Erhellt dein sanfter Mondenschein. Barmherzigkeit, du führst uns stracks und grade Zum Vater der Barmherzigkeit empor, Kniest an des Richters Stuhl, und flehest Gnade, Gnade, Und sprengst des Paradieses Thor. Barmherzigkeit, du flichtst in stiller Schwermuth Um unsre Todten diesen Rosmarin, Der blühn und duften soll, bis Rosmarin und Wermuth Nicht mehr auf Leichenhügeln blühn! 27. g ) Die Heroide. Die Heroide ist eine Elegie, doch mit der Eigenthümlichkeit, daß in derselben der Dichter nicht in seiner Person, sondern im Charakter einer abwesenden Person, gewöhnlich eines Verstorbenen, spricht, und auf diesen den Ausdruck seiner Gefühle überträgt. Die Benennung gehört dem Ovid, welcher in 21 Heroiden ausgezeichnete und bereits vollendete Jndividuen aus dem heroischen Zeitalter unter der lyrisch=epistolischen Form vergegenwärtigte. Denn dadurch eben gehört die Heroide, obgleich ihr äußeres Gewand epistolisch ist, zunächst zur lyrischen Form der Dichtkunst, daß in ihr weder Thatsachen, noch Grundsätze und Lehren versinnlicht, sondern individuelle Gefühle unter einer idealischen Haltung dargestellt werden. Enthielte die Heroide gleichmäßig oder abwechselnd die Schilderung von individuellen Gefühlen, Thatsachen und Lehren; so müßte sie, in der Theorie, als Untergattung der poetischen Epistel unter der Ergänzungsklasse dichterischer Formen aufgeführt werden. Sie wird aber, durch den in ihr vorherrschenden Grundton eines aus Wonne und Wehmuth gemischten Gefühls, eine Untergattung der Elegie. Die bald stärkere, bald schwächere Farbengebung in der Darstellung dieses gemischten Gefühls beruht theils auf dem in der Heroide versinnlichten Stoffe, theils auf der Lebendigkeit und Stärke der in dem Dichter aufgeregten Gefühle. So wie die einzelnen Elegieen an Fülle der Bilder und Kraft des Tones sehr von einander verschieden sind; so auch die Heroiden. Die dichterische Literatur der Britten, Franzosen und Jtaliener erscheint verhältnißmäßig reicher im Anbau der Heroide, als die teutsche, in welcher unter den Dichtern des siebenzehnten Jahrhunderts Hoffmannswaldau und Lohenstein, und unter den Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts Dusch, von Trautzschen, Schiebeler und Eschenburg sehr mittelmäßige Heroiden schrieben, und nur Wielands acht Briefe der Verstorbenen an hinterlassene Freunde (im zweiten Supplementbande seiner sämmtlichen Werke, S. 201 ff.) sich auszeichnen. Eine nicht unbrauchbare Sammlung: Heroiden der Teutschen, erschien von Fr. Raßmann, Halberst. 1824, wo, außer einer aufgenommenen Heroide von Wieland, auch eine von Bürger (frei nach Pope), eine von Tiedge, Kosegarten, Aug. Wilh. Schlegel, und von einigen minder wichtigen Dichtern, mitgetheilt worden sind. Weil übrigens jedesmal der Theorie, in Hinsicht der einzelnen Formen der Sprachdarstellung, der vielseitige Anbau dieser Formen durch die Classiker vorausgehen muß, bevor die Theorie derselben umschließend und erschöpfend entwickelt werden kann; so darf es nicht befremden, daß die Theorie der Heroide hinter der theoretischen Darstellung der übrigen lyrischen Formen zurücksteht, weil eben diese Form von ausgezeichneten Dichtern verhältnißmäßig am wenigsten angebaut worden ist. Unverkennbar ist der dichterische Stoff der Heroide weit beschränkter, als der Stoff der Elegie überhaupt; denn es sind Verstorbene, es sind vollendete Wesen, die in derselben redend, und nach dem ihnen von dem Dichter beigelegten Tone des Gefühls, eingeführt werden. Doch würde das Gebiet des Stoffes der Heroide noch mehr beschränkt werden, wenn die von einigen Theoretikern aufgestellte Bedingung gelten sollte, daß die aufgeführten Jndividuen und ihre Verhältnisse allgemein bekannt seyn, und von dem Dichter nach ihrem geschichtlichen Charakter geschildert werden sollten. Dies ist allerdings in einzelnen Heroiden der Fall, nicht aber eine unerläßliche Forderung an die Heroide überhaupt. Denn warum soll die schöpferische Einbildungskraft des Heroidendichters in Erfindung des Stoffes beengter seyn, als des Dichters der Elegie, der Ode, der Epopöe und andrer dichterischer Formen? Nicht der geschichtlich vorhandene, nicht der von dem Dichter idealisch geschaffene Stoff, sondern die vollendete Form der Darstellung entscheidet über den ästhetischen Gehalt der Heroide. Wohl aber muß der Heroidendichter, der einen geschichtlichen Stoff wählt (z. B. Brutus, Cäsar u. a.), dem in Thatsachen ausgeprägten Charakter seines Helden treu bleiben. Nach den besseren, in der teutschen und ausländischen Literatur vorhandenen, Heroiden unterscheiden sich dieselben von den Elegieen weniger durch den in beiden vorherrschenden Grundton des gemischten Gefühls der Wonne und Wehmuth, als durch eine größere Ausführlichkeit der Darstellung, welche eine vollständigere Schilderung der individuellen Gefühle, und der diese Gefühle veranlassenden Verhältnisse, verstattet. Doch eben in dieser lyrischen Mahlerei muß der Dichter nach der ganzen Lebendigkeit und nach dem Reichthume seiner Einbildungskraft sich ankündigen, damit nicht Einförmigkeit und Eintönigkeit die Form der Heroide drücke, und den ästhetischen Eindruck derselben vermindere und verdunkle. Wird aber diese Klippe von dem Dichter vermieden; so beruht unverkennbar das hohe Jnteresse, das die Heroide als lyrische Form gewährt, auf der stillschweigenden Annahme einer fortdauernden Verbindung zwischen den Vollendeten und ihren auf Erden zurückgebliebenen Geliebten, einer Verbindung, die von allen Mängeln der Sinnlichkeit, von allen auf Erden bestehenden Ungleichheiten der persönlichen und bürgerlichen Verhältnisse befreit, und von der Ruhe und Seligkeit des Zustandes vollendeter Geister umflossen ist. 28. Beispiel der Heroide. Alexis an Dion, (abgekürzt) von Wieland († 1813). Freund, die Liebe, die uns im irdischen Leben vereinte, Hat mein Sterben erhöht. Wie könnt' ich mein irdisches Glück dir Länger verhehlen, da einst uns jede Freude gemein war? Billig weih' ich die Erstlinge dir der himmlischen Früchte, Deiner göttlichen Freundschaft, die ich mit Seraphim breche. Doch du genießest sie schon, indem dein Freund sie genießet, Und durch dich sie genießt. Welch eine himmlische Wollust Muß es durch dein Jnnerstes athmen, das süße Bewußtseyn, Einen Engel gebildet zu haben! So lohnet die Weisheit! Dion, du weißt, wie freudig der Tod mich fand, ihm zu folgen, Ja ganz thränenfrei, hätte mich nicht mein Dion gehalten, Und die Klagen der zärtlichen Schwester. ─ Jch hoffte vom Tode, Was mir ein nächtliches Leben verweigert hatte; still lauschend Horchte mein Ohr dem Rauschen des Todesengels entgegen, Dem ich flehte zu eilen. Er kam. Sein kältender Anhauch Schauerte sanft durch jede Ader; nur flatternden Lüftchen Aehnlich, berührte mein Ohr die weinende Stimme der Freundschaft, Und jetzt sank ich in süße Betäubung, so sanft, wie der Abend Jn die Arme der Nacht auf weiche Blumen dahin sinkt. Als ich erwacht', o Wunder, so schwebt' ich, vom Körper entfesselt, Und von ätherischem Schimmer umflossen, über dem Lager, Wo ich die irdische Hülle gelassen, um die ihr im Kreise Sprachlos standet. Mit schüchternem Blick voll froher Verwund'rung Sah ich zweifelnd umher, und des Lichts noch ungewohnt, schlossen Jmmer die Augen sich wieder, wiewohl der irdische Mittag Einem ätherischen Auge nur matter dämmernder Glanz scheint. Eine Göttergestalt trat aus dem eröffneten Lichtkreis Majestätisch hervor, und löschte der irdischen Schönheit Dunklere Bilder aus meinem Gemüth', wie die steigende Sonne Schnell das Morgengewölk und die flüchtigen Schimmer der Dämmrung Löscht, und in triumphirendem Glanz den Himmel erfüllet. Mein zu junges Gesicht ertrug den Anblick des Engels Einen Augenblick kaum; ich sank in sanfter Betäubung Jhm in die zärtlich eröffneten Arme. Die himmlischen Lüfte, Die sein duftender Fittig verweht', erweckten bald wieder Mein entschlafnes Gefühl. Er hatte mit schwächeren Farben Seine zu göttliche Pracht gemildert. Jetzt sah ich ihn kühner Und bald unverrückt an; die Liebe, die mir sein Lächeln Eingoß, stärkte mein Auge zum überirdischen Anblick. Er hieß mich folgen. Mein Blick zerfloß in der blendenden Aussicht Durch den ätherischen Raum. Sein unermeßlicher Umfang War noch glänzendes Chaos für mich; ich schaute verwundernd Jn die ätherischen Felder. Da flammten unzählbare Sterne Um mich in grenzlosen Weiten; die einen schossen wie Blitze Jn das geblendete Auge; die andern, dem Abendstern ähnlich, Hauchten ein sanfteres Licht. Jn weiten helleren Kreisen Ruhten die Sonnen in göttlicher Pracht, in kreisendem Fluge Drängten sich, zahllos, die Erden zu ihrem beseelenden Lichte. Dreimal sank ich entzückt auf mein Antlitz; erhabene Gedanken Schwellten in meiner Seele sich auf, und strebten gen Himmel Hin zu dem göttlichen Licht, von dem die Funken hier schwammen. Auch der Engel, wiewohl des göttlichen Schauspiels gewohnet, Theilte mein Entzücken, und sah mit denkenden Augen Bald in die sternvolle Tiefe, bald auf mein Antlitz, das heller Schimmert'. Jetzt blickt' ich behend in den glänzenden Abgrund zurücke, Athmete geizig die himmlische Luft, und fühlt' es, o Dion, Daß hier mein Vaterland sey. Wir flogen weiter. Die Freude Ueber mein neues Leben gab meinem Fluge des Lichtes Schnelligkeit. Ganze Himmel entflohn mit ihren Gestirnen Unter uns weg. Schon schaut' ich mit festern, geübteren Blicken, Jn den ätherischen Ocean hin. Wie staunt' ich auf's neue, Da ich, was ich für Wüsten gehalten, voll Wesen erblickte. Freund, ich erstaunte noch mehr. Doch könnt' ich, was ich gesehen, Jn der irdischen Sprache dir mahlen? Die Sprache der Engel Selber ist noch zu arm, die Wunder des Schöpfers zu nennen. Mein Begleiter sah meinen Geist in Bewund'rung versunken, Ob ich gleich schwieg. Er sagte: wie billig entzückt dich der Anblick Einer dir neuen Schöpfung! Du glaubst, die Gottheit zu sehen, Die du vorher nur geahnt. Du fühlst sie dir näher, und schmeckest Still in dir selbst die Seligkeiten des großen Gedankens, Daß, der diese Himmel ins Leben hauchte, dich liebet. Hier, hier wachsen die Flügel der Seele, die göttliche Liebe, Liebe zum einzigen Wesen, dem alle Herzen gehören. Nur der thierische Mensch, versunken im Schlamme des Stoffes, Hat kein Auge, das Licht, das ihn durchleuchtet, zu sehen, Hat kein Ohr, zu vernehmen, was jeder Laut in der Schöpfung, Was ihm der mächtige Einklang von allen Welten verkündigt. Während mein Führer dies sprach, entdeckte sich endlich die Sphäre, Die ich bewohne, dem suchenden Aug'. Aus hundert Gestirnen Stralte sie prächtig hervor. Mit dreimal schnellerem Flügel Flohn wir ihr zu; ein süß erquickender zirkelnder Lichtstrom Ging von ihr aus; nie gefühlte Wollust durchstralte mein Wesen. Jch empfand, daß der Leib, womit mein himmlischer Schutzgeist Mich im Tode bekleidet, für diese Sphäre geschaffen, Seine Geburtsluft hauchte, er schien mir verklärter und leichter. Sieben saffirne Monde gehn mit harmonischen Schritten Um sie herum. Mit der sanften Dämm'rung des fernsten Begleiters Sanken wir auf die schönste der Welten. ─ Doch, Dion, hier schweigen Alle Menschenbegriffe; was ich gefühlt und gesehen, Wirst du alsdann erst fühlen und sehn, wann die einzige Hoffnung, Die der Tugend auf Erden erlaubt ist, der Tod dich mir zuführt. Hier, wo ich wohn', ist Sitz der Schönheit. Die übrigen Sonnen Scheinen nur Schatten von ihm. Ein Engel, der tausend Olympe Durchgeflogen, verweilet sich hier; sein Fuß, wie geheftet, Säumt auf den lazurnen Hügeln, und fast vergißt er im Anschaun Seines Fluges erhabenen Zweck. ─ Hier herrschet die Weisheit Schattenfrei, einfach, göttlich, die Schöpferin ewiger Wollust. Jeglicher Blick ist Wahrheit, in jeder Empfindung der Himmel, Jede Minute schwingt sich, mit Lobe der Gottheit beladen, Zum benachbarten Himmel der Himmel. Die heiligen Geister, Die hier wohnen, umarmen mich irdischen Fremdling so zärtlich, Als sie einander umarmen. Jch ruh' an der reinsten Freude Ewigem Brunnen. Jch bet', in Entzückungen ausgegossen, Jhn, den Unendlichen, an, der mich durch Tiefen von Liebe So beseligt hat. ─ O Freund, zu welchem mein Herz sich Mitten aus diesen Freuden nach deiner Erde gezogen Fühlet, mein ähnlichster Freund, wann kommst du, die Früchte der Tugend Mit mir von Bäumen des Lebens zu brechen? Wann werd' ich dich wieder Sehen, mit dir das Glück, das ich dir danke, zu theilen? 29. h ) Die Cantate. Die Cantate gehört zur lyrischen Form der Dichtkunst, weil sie Gefühle darstellt; allein ihre Eigenthümlichkeit und ihre Verschiedenheit von allen übrigen Formen der lyrischen Dichtkunst beruht auf ihrer Bestimmung zur Darstellung vermittelst der Tonkunst. Es ist daher die Cantate ein Erzeugniß der lyrischen Dichtkunst, dessen Stoff der Darstellung durch die Tonkunst fähig, und dessen Form auf diese Darstellung und Durchführung durchgehends berechnet ist. Aus diesem Gesichtspuncte betrachtet, ist der eigenthümliche Charakter der Cantate mehr ein äußerer, als ein innerer; doch muß, eben weil die Cantate erst durch die Verbindung der Dichtkunst und der Tonkunst Ein ästhetisches Ganzes bilden soll, die ganze dichterische Form derselben mit Beziehung auf das ihr zu ertheilende tonkünstlerische Gewand behandelt werden. Jm Kreise der lyrischen Dichtkunst bildet aber die Cantate nicht blos nach dieser ihrer äußern Eigenthümlichkeit, sondern auch nach dem in ihr vorherrschenden Tone der dargestellten Gefühle eine selbstständige, von den übrigen Formen der lyrischen Dichtkunst verschiedene, Form. Denn, nach den im Gebiete der teutschen Sprache vorhandenen Mustern in der Cantate ist sie durchaus nicht blos eine Untergattung des Liedes, wie die Dithyrambe von der Hymne, und die Heroide von der Elegie; sie kann sich vielmehr, nach dem Ausdrucke, der Fülle und Stärke des Tones der Gefühle, eben so der Ode, der Hymne und der Elegie, wie dem Liede nähern; es können in ihr reine Gefühle der Freude und Wonne, wie reine Gefühle der Wehmuth und Trauer, und gleichmäßig auch gemischte Gefühle der Lust und Unlust, bald in der Milde der elegischen Stimmung, bald in dem kühnen Schwunge der Ode und Hymne aufgestellt werden; bald können die Gefühle des Unendlichen und Endlichen in der Cantate in einem stark versinnlichten Gegensatze sich ankündigen, bald aber auch mit sich im Gleichgewichte stehen. Dazu kommt, daß in längern Cantaten, oder sogenannten Oratorien, eine große Abwechselung, Mannigfaltigkeit und Schattirung des lyrischen Tones in den Arien und Chören statt finden kann, besonders wenn durch die Recitative die Uebergänge aus dem einen Gefühle in das andere gehörig geleitet werden. Doch müssen, ungeachtet dieser Abwechselung und Schattirung der dargestellten Gefühle, die sämmtlichen einzelnen Theile der Cantate, deren Aufeinanderfolge gleichmäßig von dichterischen und tonkünstlerischen Rücksichten abhängt, überhaupt Ein ästhetisches Ganzes bilden, dessen Vollendung auf der innern Einheit und auf dem psychologischen Zusammenhange aller in der Cantate im Einzelnen verzeichneten und dargestellten Gefühle beruht. Weil aber die Cantate zunächst und durchgehends auf die tonkünstlerische Darstellung berechnet ist, und nur diese erst als Kunstwerk vollen= det wird (nach demselben Verhältnisse, in welchem die Oper, in der dramatischen Form der Dichtkunst, zu den übrigen Gattungen und Arten des Drama sich ankündigt); so muß auch der Dichter dem Tonkünstler vorarbeiten. Er darf daher die tonkünstlerische Behandlung weder bei der Wahl des Stoffes und des Metrums, noch bei dem Wechsel und der Aufeinanderfolge der einzelnen Recitative, Arien und Chöre, ja selbst nicht bei der Anwendung und Stellung der einzelnen Vocale aus dem Auge verlieren. Daraus folgt für die technische und ästhetische Gestaltung der Cantate, daß der Dichter und Tonkünstler auf halbem Wege sich begegnen müssen; daß aber auch der Dichter der Cantate die Grundsätze der Tonkunst verstehen und sich aneignen, so wie der Tonkünstler der dichterischen Begeisterung zu folgen im Stande seyn soll. Dem Stoffe nach, den die Cantaten behandeln, sind sie entweder religiöse oder weltliche. Die religiösen Cantaten versinnlichen, unter der vollendeten Einheit einer ästhetischen Form, bald die Eigenschaften und die Größe Gottes, die Verhältnisse, in welchen er zu uns stehet, und in welchen wir zu ihm stehen; bald die Tugenden, zu denen wir berufen sind, so wie die Verirrungen, durch welche wir uns von dem Ziele unsers Daseyns entfernen; bald den dunkeln und wundervollen Gang der menschlichen Schicksale auf Erden; bald die Unsterblichkeit und Vergeltung, die uns jenseits des Grabes erwartet; bald aber auch die Thatsachen und Lehren der jüdischen und christlichen Religion nach ihrem ganzen Umfange. (Dahin gehören viele treffliche Oratoria in teutscher Sprache: z. B. Ramlers Tod Jesu; die Auferstehung und Himmelfahrt; die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem; ─ Niemeyers Lazarus; Abraham auf Moria; Thirza und ihre Söhne; ─ Patzke's Tod Abels [ nach Geßner]; Saul, oder die Gewalt der Musik; Davids Sieg im Eichthale; ─ Schiebeler's Jsraeliten in der Wüste; und mehrere Cantaten von v. Gerstenberg, Zachariä, Lavater, Karl Gtfr. Küttner, Mahlmann, Rochlitz, Krummacher, Dolz u. a.) ─ Jm Gegensatze der religiösen, feiern die weltlichen Cantaten entweder wichtige Vorgänge und Gegenstände des wirklichen Lebens (z. B. bei Geburtstagen, bei Vermählungen, bei Einweihungen gewisser Anstalten, nach gewonnenen Schlachten), oder Gegenstände der Wissenschaft und Kunst (z. B. Meißners Lob der Musik), oder Stoffe der Mythologie (z. B. Ramlers Pygmalion) u. s. w. ─ Beide, sowohl die religiösen, als die weltlichen Cantaten, können von dem Dichter dramatisch behandelt werden, so daß er die handelnden Personen, zur größern Versinnlichung des Gegenstandes, selbst aufführt (so z. B. Niemeyer im Lazarus, im Abraham auf Moria; Patzke im Tode Abels &c.); doch ist diese Dramatisirung des Stoffes keine wesentliche, sondern nur eine zufällige äußere Form der Darstellung, wodurch selbst nicht einmal die höhere Jdealisirung und gesteigerte Versinnlichung des Stoffes, im Verhältnisse zu den nicht dramatisirten Cantaten und Oratorien, bewirkt wird. Denn kein Urtheil der ästhetischen Kritik wird Ramlers allgemein bekannten Tod Jesu in ästhetischer Hinsicht irgend einer andern ältern oder neuern Cantate nachstellen, ob er gleich nicht dramatisch behandelt ist. Der ästhetische Gehalt der Cantate hängt nicht ab von solchen außerwesentlichen Merkmalen, sondern von der wahren Begeisterung des Dichters von seinem Stoffe, von der gleichmäßigen idealisirten Durchführung desselben, von der vollendeten ästhetischen Einheit der Form, und von der durchgängig festgehaltenen Rücksicht auf die tonkünstlerische Darstellung aller einzelnen Theile, aus welchen die Cantate besteht. Diese einzelnen Theile der Cantate, auf deren Abwechselung und gegenseitiger Verbindung der äußere Charakter derselben beruht, sind ursprünglich: das Recitativ, die Arie und der Chor. Alle übrige Formen und Benennungen der einzelnen Theile der Cantate (z. B. Arioso, Cavatine, Duett, Terzett u. s. w.) sind blos nähere Schattirungen einer dieser drei wesentlichen Bestandtheile jeder Cantate. ─ Das Recitativ hat nämlich die Bestimmung, die in den Arien und Chören darzustellenden Gefühle, und die Wirkungen, welche diese Gefühle hervorbringen sollen, zu veranlassen und vorzubereiten; überhaupt soll das Recitativ in die Stimmung versetzen, welche die Cantate als vollendete ästhetische Form zu bewirken beabsichtigt. Dagegen muß die Arie Ein bestimmtes Gefühl der Wonne oder Wehmuth, oder die Schattirung eines gemischten Gefühls, als ein in sich abgeschlossenes Ganzes im menschlichen Bewußtseyn, versinnlichen, so daß auch in der tonkünstlerischen Behandlung die Einheit des Gefühls sorgfältig festgehalten wird. Die ältern Dichter der Cantate befolgten bei der Arie gewöhnlich mit Strenge und Sorgfalt die Abtheilung derselben in zwei Abschnitte, wovon der zweite gewöhnlich ein, dem in der ersten Abtheilung dargestellten Gefühle entgegengesetztes, Gefühl vergegenwärtigte, wofür auch der Tonkünstler eine andere Tonart (z. B. die Dominante, oder die Molltonart), bisweilen selbst ein anderes Zeitmaas (Mensur) wählte So z. B. Ramler in dem Tode Jesu, in der Arie, die der Schilderung folgt, daß Petrus den Erlöser dreimal verläugnete, und darauf, von Jesu angeblickt, in sich ging und bitterlich weinte. Erster Abschnitt . Jhr weich geschaffnen Seelen Jhr könnt nicht lange fehlen; Bald höret euer Ohr Das strafende Gewissen, Bald weint aus euch der Schmerz. Zweite Abtheilung . Jhr thränenlosen Sünder, bebet! Einst, mitten unter Rosen, hebet Die Reu den Schlangenkopf hervor, Und fällt mit unheilbaren Bissen Dem Frevler an das Herz. Sehr treffend hat Graun für die erste Abtheilung Es dur, für die zweite C moll gewählt. , doch so, daß nach der kurz ausgeführten zweiten Abtheilung die erste wiederhohlt ward. Die neuern Dichter aber haben weniger streng diese frühere äußere Gestaltung der Arie befolgt. ─ Das Duett, Terzett, Quartett u. s. w. sind an sich blos erweiterte Gestaltungen der Arie, und stehen nur dann an ihrem Platze in der Cantate, wenn mehrere Gefühle nach und neben einander individualisirt werden, die aber in Einem Gesammtgefühle ihren gemeinschaftlichen Mittelpunct haben, weil ohne diese Bedingung sowohl die dichterische, als die tonkünstlerische Behandlung der Einheit der Form unmöglich wäre. Allein wenn wirklich im Duett, Terzett u. s. w. ein Wechsel und ein Gegeneinanderhalten mehrerer Gefühle versinnlicht wird; so ist auch, bei gleicher dichterischen Behandlung, das ästhetische Jnteresse am Duette noch höher, als an der Arie, weil der Wechsel der dargestellten Gefühle eine mannigfaltigere Schattirung und eine höhere Farbengebung für den Dichter und Tonkünstler möglich macht. ─ Die sogenannte Cavatine ist eine Arie im verjüngten Maasstabe, die theils, in Hinsicht auf die dichterische Darstellung Eines Gefühls, gewöhnlich von kürzerm Umfange, theils in Hinsicht auf die Erfindung der Melodie und auf die ganze tonkünstlerische Durchführung, der Arie größtentheils ähnlich, nur aber ihrem Umfange nach beschränkter und kleiner ist, weil die Cavatine die in der Arie (wenigstens ehemals) übliche Abtheilung in zwei oder mehrere Haupttheile, und die derselben eigenthümliche Wiederkehr und weitere Ausmahlung des dichterischen und tonkünstlerischen Hauptgedankens von sich ausschließt. ─ Das Arioso, das entweder in der Mitte, oder am Schlusse eines Recitativs eintritt, kann nicht einmal als eine Arie im verjüngten Maasstabe gelten, weil der Dichter nur dann diese Benennung wählt, wenn ein angeregtes Gefühl stark genug wird, die ruhige Betrachtung, die im Recitative vorherrscht, zu unterbrechen, und sich unter dem Ausdrucke einer höhern innern Bewegung anzukündigen (z. B. bei der Darstellung eines Wunsches, einer Bitte, oder des raschen Ueberganges von einem Gefühle zu einem andern), wo denn auch der Tonkünstler die declamatorische Behandlung des Recitativs mit der Aufnahme und Vergegenwärtigung einer Melodie und dem Eintritte eines bestimmt festzuhaltenden Zeitmaases vertauscht, wodurch unmittelbar angeregte Gefühle, aber nicht in der Fülle und in dem Umfange der für eine Arie gewählten Melodie, bezeichnet werden. ─ Der Chor endlich hat die Bestimmung, das Gesammtgefühl zu vereinigen und auszudrücken, das durch die einzelnen Theile der Cantate, und namentlich durch die in den Arien, Duetten u. s. w. einzeln dargestellten und durchgeführten individuellen Gefühle vorbereitet worden ist. Namentlich müssen die Schlußchöre der einzelnen Theile einer längern Cantate die in den einzelnen Abtheilungen vergegenwärtigten Gefühle zu Einem kräftigen Ganzen bringen, besonders aber muß der Schlußchor (Finale) der ganzen Cantate das durch sie vermittelte Gesammtgefühl in der ganzen Fülle und Kraft desselben aussprechen, und sowohl die dichterische, als die tonkünstlerische Einheit der Form vollenden; denn der Chor vertritt die ganze als anwesend gedachte Gemeine, es sey in der religiösen oder in der weltlichen Cantate, und soll ihr Wortführer seyn, indem er den in Allen mächtig aufgeregten Gefühlen Sprache, Wohlklang, Ebenmaas und Einheit giebt Classische Dichter haben den Chor nach diesem Maasstabe behandelt. So z. B. Ramler im Schlußchore des Todes Jesu : Hier liegen wir gerührte Sünder, O Jesu, tief gebückt, Mit Thränen diesen Staub zu netzen, Der deine Lebensbäche trank: Nimm unser Opfer an. Freund Gottes und der Menschenkinder, Der seinen ewigen Gesetzen Des Todes Siegel aufgedrückt; Anbetung sey dein Dank! Den opfre jedermann! Eben so Meißner im Schlußchore seiner Cantate: Lob der Musik : Von der letzten kleinsten Erde 30. Beispiele der Cantate. 1) von Gottsched († 1766). Bruchstück aus der Cantate auf das (1723) eingefallene Jubelfest der roßgärtischen Kirche zu Königsberg. Arie. (Tochter Zion) Auf, ihr jauchzenden Gedanken! Derer Gottgeweihte Kraft Mich fast selber aus mir rafft. Alles Aechzen muß jetzt schweigen, Da sich Freudenstunden zeigen, Die der Herr mir selber schafft. Auf ihr &c. Da Capo . Recitativ . Komm, frohes Christenvolk! Der Höchste läßt dich rufen, Betritt jetzt deines Tempels Stufen, Worin er dich ein Jubelfest Nach hundert Jahren feiern läßt. Chor. (Gemeine) Dies ist der Tag, den der Herr machet. Lasset uns freuen und fröhlich darin seyn. Bis zur Gottheit Thron empor, Sey von tausendfachen Zungen, Tonkunst, dir ein Lob gesungen, Schalle dir ein Freudenchor! Engelharfen, Menschendank, Lerchenlied und Sphärenklang Mische sich zu deinem Ruhme, Töne dir im Weltgesang! . Recitativ. (Gottes Stimme) Du höchstgeliebte Schaar! So wird denn die Verheißung wahr, Die ich dir längst gethan: Dies Haus soll meine Rechte schützen, Des Höllenfeindes Blitzen Soll dir nicht schädlich seyn, Denn du bist mein. Arie. (Tochter Zion) Nie empfundne Süßigkeit Tränkt mich jetzt mit vollen Schalen, Gott, ich kann dir nicht bezahlen, Deine Huld ist täglich neu, Meiner Lippen Dankgeschrei Preiset dich zu tausendmalen; Denn ich schmeck' jetzt auf das Leid Nie empfundne Seligkeit. Recitativ. (Gottes Stimme) Sag an, o kleine Heerde, Hat dir bisher auch irgend was gefehlt? Hat dich, nachdem ich dich erwählt, An deiner Seelenweide Ein Hunger oder Durst gequält? Hab' ich dich nicht im Leide Mit Quellen süßes Trosts getränkt, Und dieses Haus mit Sicherheit beschenkt? Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Arie. (Tochter Zion) Mischet euch, rinnende Freudenkrystallen, Mischet euch mit Lob und Dank. Seufzer und Lachen Müssen jetzt ein Bündniß machen. Denn wir verknüpfen ein thränendes Lallen Mit Saiten und Klang. Mischet euch &c. Da Capo . 2) von Karl Gtfr. Küttner (Sup. in Pirna, † 1789). Cantate bei der Einweihung einer neuen Orgel. Chor . Kommet herzu, lasset uns dem Herrn frohlocken, und jauchzen dem Hort unsers Heils. Lasset uns mit Danken vor sein Angesicht kommen, und mit Psalmen ihm jauchzen. Recitativ . Ja strömt herzu im fröhlichen Gedränge, Jhr, denen heut die Brust vor Freude schwillt, Zum Tempel, der durch feiernde Gesänge Jed' Herz und Ohr mit heißer Andacht füllt. Mit lautem Jubel sey der Herr der Welt gepriesen, Der sich an uns nicht unbezeugt erwiesen. Jn rührender erhabner Einfalt stand Zwar längst ein Tempel hier, der durch des Meisters Hand Mit reizender lichtvoller Schönheit prangte. Eins fehlte noch, was Aug' und Ohr verlangte, ─ Jetzt ist es da; ─ vor unsern Augen steht Der neuen Orgel Pracht in edler Majestät, Und schallt für jedes Ohr, das zum Gefühl des Schönen Nicht ganz verstimmet ist, Zum Lobe deß, der dreimal heilig ist, Jn ernsten feierlichen Tönen. Sein triumphirender gebieterischer Klang Herrscht kühn, und überstimmt die größten Dissonanzen, Und zwingt den tausendstimmigen Gesang Des Volks zur Harmonie im Ganzen. Arioso . Doch soll die süße Harmonie Jm Himmel Beifall finden; So muß sich mit der reinen Melodie Des Herzens Reinigkeit verbinden. Recitativ . Kalt, wie ein Marmorbild, von keinem Geist beseelt, Jst jedes Lied, dem Glaub' und Liebe fehlt, Umsonst erweckt's den Wiederhall, Es ist und bleibt ein leerer Schall. Nie wird es durch die Wolken dringen, Nie werden Engel es zum Thron der Allmacht bringen. Durch Gottesfurcht belebe den Gesang; Dann wird des Herzens wärmster Dank Aus meinem Liede singen. Arie . Wann auf heißer Andacht Schwingen Unsre Jubel aufwärts dringen, Quelle süßer Harmonie, Orgel, dann begleite sie. Schwebt, von Gram und Schmerz zerrissen, Unser Geist in Finsternissen, Thränt aus uns der Buße Schmerz; O, dann schmelze Aug' und Herz! Durch dein schauervolles Schweben Zittre sanft in unser Ach! Um uns wieder zu erheben, Ahme durch ein süßes Beben Tröstend unsre Wehmuth nach. Wann auf heißer &c. Chor . Erhebt den Herrn, ihr weiten Himmelskreise! Jhr Erden singt, ihr Sonnen flammt sein Lob! Jhr Engelsharfen tönt zu dessen Preise, Den Assaph einst voll heil'ger Glut erhob. Jhn preist der Christ mit freudigem Entzücken, Stets eingedenk, was Gott an ihm gethan, Er ists, durch den sich Berg' und Thäler schmücken, Jhm jauchzt der Wald, ihn rühmt der Ocean. Jhn lobt im Lenz die duftende Viole, Jhn ehrt der Sturm in schauervoller Nacht; Jm Donner rollt sein Ruhm von Pol zu Pole, Und jeder Stern verkündigt seine Macht! Er, dessen Ruhm durch tausend Welten schallet, Verdient er wohl, ihr Christen, euern Dank? Jhr, die ihr heut zum Tempel feiernd wallet, Auf bringt ihm Preis, Anbetung und Gesang! Recitativ . Ja preist den Herrn, Bewohner dieser Stadt, Die seine Huld so hoch begnadigt hat! Wer schafft, daß Krieg und mörderische Seuchen, Und Hungersnoth von unsern Grenzen weichen? Wer flößt zur bösen Zeit uns Muth und Hoffnung ein? Wer krönt des Handels Fleiß mit Segen? Wer schenkt zur rechten Zeit uns Sonnenschein und Regen? Wer giebt dem Bürger Brod, den Früchten ihr Gedeihn? O eilt, ihm heut den wärmsten Dank zu weihn! Chor . Den bringen wir Empfindungsvoll, allgüt'ger Vater, dir! Recitativ . Ja, ihm sey Preis und Dank und Ehre; Noch wirkt durch seinen Geist die Kraft der reinen Lehre, Licht für den Geist, Gottseligkeit fürs Herz, Für Sünder Angst, und süßen Trost im Schmerz Für alle, die dem Wort nicht widerstreben. Den gottesdienstlichen Gesang zu heben, Gab seine Vorsicht uns der Orgel Majestät, Gebaut von Meisterhänden. Wer gab den Künstlern Kraft, sie rühmlich zu vollenden? Der Gott, zu dessen Ruhm sie heute festlich geht. Chor . Froh weihen wir Dies edle Werk, o Gott, zum Dienste dir! Recitativ . Laß unter uns dein Wort im Segen wohnen! Mit Heil erfüll' die Priester dieser Stadt! Für unsre Schulen sey ein Gott von Rath und That! Mit Brand wollst du dies Gotteshaus verschonen, Und segensvoll der Künstler Fleiß belohnen, Durch den es sich so sehr verschönert hat. Dem Magistrat und jedem Bürger dieser Stadt, Der diesen Bau, der dieses Tempels Zierde Durch edle Mildigkeit Zu deiner Ehr' und sich zum Ruhm vollführte, Sey du ein Segensgott in Zeit und Ewigkeit! Chor . O du, durch den die Thäler blühen, Zu dir jauchzt unser Lied empor. O du, durch den die Sonnen glühen, Dir schallt ein jubelvolles Chor: Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Erdkreis, sey fröhlich dem Schöpfer zu Ehren! Freut euch, ihr Himmel, frohlocket ihr Sphären! Hymnen voll Dankbarkeit höret er gern! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! 3) vom Grafen Fr. Leopold zu Stolberg († 1819). Wechselgesang. Einer . Wer spannet den Bogen Jm dunkeln Gezelt? Wer schwärzet die Wogen? Wer schrecket mit Blitzen die zagende Welt? Chor . Er spannet den Bogen Jm friedlichen Zelt; Er stillet die Wogen, Er tränket mit Labsal die lechzende Welt. Einer . Wer fähret auf Wettern Jm Wagen der Nacht? Wer dräut zu zerschmettern Den Fels und die Ceder, die wankend erkracht? Chor . Es trägt Jhn im Sturme Der Wagen der Nacht. Dem Menschen, dem Wurme, Verkündet sich segnend des Herrlichen Macht. Einer . Wer schaute die Rosse Von Seinem Gespann? Mit welchem Geschosse Durcheilt er, mit Wettern umgürtet, die Bahn? Chor . Die Kraft und die Eile, So heißt Sein Gespann! Des Mächtigen Pfeile Sind Flammen! Unendlichkeit heißet die Bahn! Einer . Ach höret ihr rollen Den Wagen daher? Er nahet! Ach, sollen Die Berge zerschmelzen, versiegen das Meer? Chor . Des Mächtigen Nähe Beseele die Welt! Hier ist Er! O, spähe Nach ihm nicht von ferne durchs Wolkengezelt! Einer . Wie soll ich ihn kennen? Wer zeiget mir ihn? O dürft' ich ihn nennen, Und zitternd vor ihm in den Staub hinknien! Chor . Sein Nam' ist Erbarmen, Und Liebe sein Thun! Wir sollen erwarmen Von Lieb', und im Schooße, wie Kinder, ihm ruhn! 4) von Ramler († 1798). Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. (abgekürzt) Chor . Gott, du wirst seine Seele nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe. Recitativ . Judäa zittert! seine Berge beben! Der Jordan flieht den Strand! ─ Was zitterst du, Judäens Land? Jhr Berge, warum bebt ihr so? Was war dir, Jordan, daß dein Strom zurücke floh? ─ Der Herr der Erde steigt Empor aus ihrem Schoos, tritt auf den Fels, und zeigt Der staunenden Natur sein Leben. ─ Des Himmels Myriaden liegen auf der Luft Rings um ihn her; und Cherub Michael fährt nieder, Und rollt des vorgeworfnen Steines Last Hinweg von seines Königs Gruft. Sein Antlitz flammt, sein Auge glühet. Die Schaar der Römer stürzt erblaßt Auf ihre Schilde: „Flieht, ihr Brüder, Der Götter Rache trifft uns, fliehet!“ Arie . Mein Geist, voll Furcht und Freude bebet; Der Fels zerspringt, die Nacht wird Licht. Seht, wie er auf den Lüften schwebet! Seht, wie von seinem Angesicht Die Glorie der Gottheit stralt! Rang Jesus nicht mit tausend Schmerzen? Empfing sein Gott nicht seine Seele? Floß nicht sein Blut aus seinem Herzen? Hat nicht der Held in dieser Höhle Der Erde seine Schuld bezahlt? Mein Geist &c. Choral . Triumph! Triumph! des Herrn Gesalbter sieget! Er steigt aus seiner Felsengruft. Triumph! Triumph! ein Chor von Engeln flieget Mit lautem Jubel durch die Luft. Recitativ . Freundinnen Jesu! sagt, woher so oft Jn diesem Garten? Habt ihr nicht gehört, er lebe? Jhr zärtlichen Geliebten hofft Den Göttlichen zu sehn, den Magdalena sah? ─ Jhr seyd erhört. Urplötzlich ist er da, Und Aloen und Myrrhen düftet sein Gewand: „Jch bin es! seyd gegrüßt!“ Sie fallen zitternd nieder. Sein Arm erhebt sie wieder: „Geht hin in unser Vaterland, Und sagt den Jüngern an: Jch lebe, Und fahre bald hinauf in meines Vaters Reich; Doch will ich alle sehn, bevor ich mich für euch Zu meinem Gott und eurem Gott gen Himmel hebe!“ Arie . Jch folge dir, verklärter Held! Dir, Erstling der entschlafnen Frommen! Triumph, der Tod ist weggenommen, Der auf der Welt der Geister lag. Dies Fleisch, das in den Staub zerfällt, Wächst fröhlich aus dem Staube wieder. O, ruht in Hoffnung meine Glieder Bis an den großen Erntetag! Jch folge dir &c. Chor . Tod! wo ist dein Stachel? dein Sieg, o Hölle, wo ist er? ─ Unser ist der Sieg! Dank sey Gott! und Jesus ist Sieger ! Recitativ . Auf einem Hügel, dessen Rücken Der Oelbaum und der Palmbaum schmücken, Steht der Gesalbte Gottes. Um ihn stehn Die seligen Gefährten seiner Pilgrimschaft. Sie sehn erstaunt von seinem Antlitz Stralen gehn; Sie sehn in einer lichten Wolke Den Flammenwagen warten, der ihn führen soll; Sie beten an. ─ Er hebt die Hände Zum letzten Segen auf: „Seyd meines Geistes voll; Geht hin, und lehrt, Bis an der Erden Ende, Was ihr von mir gehört: Das ewige Gebot der Liebe! ─ Gehet hin, Thut meine Wunder! Gehet hin, Verkündigt allem Volke Versöhnung, Frieden, Seligkeit!“ Er sagts, steigt auf, wird schnell emporgetragen; Ein stralendes Gefolg umringet seinen Wagen. Arie . Jhr Thore Gottes, öffnet euch! Der König ziehet in sein Reich. Macht Bahn, ihr Seraphimenchöre, Er steigt auf seines Vaters Thron. Triumph! werft eure Kronen nieder! So schallt der weite Himmel wieder: Triumph! gebt unserm Gott die Ehre! Heil unserm Gott und seinem Sohn! Jhr Thore Gottes &c. Chor . Gott fähret auf mit Jauchzen, und der Herr mit heller Posaune. Lobsinget, lobsinget Gott! Lobsinget, lobsinget unserm Könige . 31. i ) Das Sonett. Das Sonett gehört, wie das Madrigal, Rondeau und Triolet, nach seinem Umfange, zu den kleinern, und, seinem äußern Mechanismus nach, zu den bestimmt berechneten metrischen Formen. Sein dichterischer Charakter ist lyrisch; denn es stellt Gefühle, und zwar, in den meisten vorhandenen Erzeugnissen, die Gefühle der Liebe, nach ihrer ganzen Jnnigkeit und Zartheit, dar, welche, in Hinsicht auf den vorherrschenden Grundton, mehr mit milden und sanften, als mit starken Farben gezeichnet werden. Doch verschmilzt in mehrern Sonetten das Gefühl der Liebe in die verwandten Gefühle der Freundschaft, der Sympathie, der Religion, und der stillen Feier tiefer Gemüthsbewegungen überhaupt. Da übrigens der genau berechnete, kleine Umfang des Sonetts die weitere Entwickelung des angeregten dargestellten Gefühls von sich ausschließt; so muß das im Grundtone des Sonetts vorherrschende Gefühl unter der Form einer vollendeten ästhetischen Einheit sich ankündigen. Die äußere Eigenthümlichkeit des Sonetts beruht auf dem ursprünglichen und festbestimmten Mechanismus seiner Form. Dieser besteht in vierzehn gleich langen Versen (zwei Quadrainen und zwei Terzetten), wovon die ersten acht in zwei vierzeilige Strophen, die letzten sechs in zwei dreizeilige Strophen eingetheilt sind. Nach der frühern Gestaltung dieser äußern Form wechselten in den ersten zwei Strophen nur zwei Reime, und vier männliche mit vier weiblichen Endsylben ab, worauf in den sechs folgenden Zeilen wieder drei Zeilen männliche Reime, und drei Zeilen weibliche Reime enthielten, mit der Rücksicht, daß am Schlusse jedes Quadrains und jedes Terzetts ein dichterischer Gedanke geschlossen ward. Allein neuere Dichter haben, nicht ohne Erfolg, diese ängstliche Berechnung der äußern Form des Sonetts im Einzelnen verlassen, und nur den allgemeinen Mechanismus des Sonetts in Hinsicht auf die vierzehn gleich langen Zeilen, so wie in Hinsicht der zwei Quadraine und zwei Terzetts beibehalten. Das Sonett ist nicht teutschen, sondern italischen Ursprungs, und erhielt zunächst durch Petrarca's 118 Sonette eine weitere Verbreitung; denn diese wurden in die meisten gebildeten Sprachen übersetzt, und von italienischen und ausländischen Dichtern nachgeahmt. Von den teutschen Dichtern des siebenzehnten Jahrhunderts bauten Opitz, Flemming, Gryphius, Lohenstein, v. Hoffmannswaldau und andre das Sonett an; doch, im Ganzen, ohne auf ihre Sonette das höhere dichterische Leben überzutragen. Weit gelungener war der Anbau desselben seit dem dritten Viertheile des achtzehnten Jahrhunderts von Schiebeler, Bürger, Aug. Wilh. Schlegel, Manso u. a.; nur daß theils die Unzahl mißlungener Sonette, theils, selbst bei den gelungenen Formen in dieser Dichtungsart, die Einförmigkeit des Mechanismus und die Eintönigkeit des Ganzen demselben Abbruch gethan haben. 32. Beispiele des Sonetts. 1) von Flemming († 1640). Klage über die Furchtsamkeit der Teutschen. (während des 30jährigen Krieges.) Jetzt fällt man ins Confect, in unsre vollen Schalen, Wie man uns längst gedräut. Wo ist nun unser Muth? Der ausgestählte Sinn, das kriegerische Blut? Es fällt kein Ungar nicht von unserm eitlen Prahlen. Kein Busch, kein Schützenrock, kein buntes Fahnenmahlen Schreckt den Croaten ab. Das Ansehn ist sehr gut, Das Ansehn mein' ich nur, das nichts zum Schlagen thut. Wir feigsten Krieger wir, die Phöbus kann bestralen. Was ängsten wir uns doch, und legen Rüstung an, Die doch der weiche Leib nicht um sich leiden kann; Des großen Vaters Helm ist viel zu weit dem Sohne. Der Degen schändet ihn. Wir Männer ohne Mann, Wir Starken auf den Schein, so ist's um uns gethan, Uns Namens-Teutsche nur. Jch sag's auch mir zum Hohne . 2) von Flemming. Grabschrift, von ihm selbst kurz vor seinem Tode niedergeschrieben. Jch war an Kunst und Gut und Stande groß und reich, Des Glückes lieber Sohn; von Aeltern guter Ehren; Frei; meine; kunnte mich aus meinen Mitteln nähren. Mein Schall flog über weit. Kein Landsmann sang mir gleich. Von Reisen hochgepreist; für keiner Mühe bleich; Jung, wachsam, unbesorgt. Man wird mich nennen hören, Bis daß die letzte Glut dies alles wird verstören. Dies, teutsche Klarien, dies Ganze dank' ich euch. Verzeiht mir, bin ichs werth, Gott, Vater, Liebste, Freunde; Jch sag' euch gute Nacht, und trete willig ab. Sonst alles ist gethan, bis an das schwarze Grab. Was frei dem Tode steht, das thu' er seinem Feinde. Was bin ich viel besorgt, den Athem aufzugeben? An mir ist minder nichts, das lebet, als mein Leben. 3) von Katharina v. Greiffenberg, geb. v. Seyßenegg. (Jhre Gedichte erschienen 1662.) Die Gott lobende Frühlingslust. Das schöne Blumenheer geht wiederum zu Feld, Um Ruh und Farbenpracht recht in die Welt zu streiten, Des Laubes Lorbeersträuch' bekränzen's aller Seiten; Dryaden schlagen auf die kühlen Schattenzelt. Es ist mit Lieblichkeit verguldet alle Welt; Die Freudengeister sich ganz in die Luft ausbreiten. Die Welt=regierend Kraft will all's in Freud verleiten. Die süße Himmelsfüll' sich etwas erdwärts hält. Es weißt die Ewigkeit ein Fünklein ihrer Schöne, Ein Tröpflein ihres Safts, ein Stäublein ihrer Zier. Dies lieblich Kosten macht, daß ich mich erst recht sehne, Und lechz' mit dürrer Zung' und heißer Gier nach ihr. O Frühling, Spiegelquell, du netzest und ergötzest; Aus Erd' in Himmel-Lust die Seele schnell versetzest. 4) von Andr. Gryphius († 1664). Es ist alles eitel. Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein; Wo jetzo Städte stehn, wird eine Wiese seyn, Auf der ein Schäferskind wird spielen mit der Heerden. Was jetzo prächtig blüht, soll bald zertreten werden; Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch' und Bein; Nichts ist, das ewig ist, kein Erz, kein Marmorstein. Jetzt lacht das Glück uns an, bald dauern die Beschwerden. Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn. ─ Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn? Ach, was ist alles das, was wir so köstlich achten, Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind, Als eine Wiesenblum', die man nicht wieder findt! ─ Noch will, was ewig ist, kein einz'ger Mensch betrachten. 5) von Christian Hoffmann v. Hoffmannswaldau († 1679). Beschreibung vollkommner Schönheit. Ein Haar, so kühnlich Trotz der Berenice spricht, Ein Mund, der Rosen führt und Perlen in sich heget, Ein Zünglein, so ein Gift für tausend Herzen träget, Zwo Brüste, wo Rubin durch Alabaster bricht; Ein Hals, der Schwanen-Schnee weit weit zurücke sticht, Zwei Wangen, wo die Pracht der Flora sich beweget, Ein Blick, der Blitze führt und Männer niederleget, Zwei Arme, deren Kraft oft Löwen hingericht; Ein Herz, aus welchem nichts als mein Verderben quillet, Ein Wort, so himmlisch ist, und mich verdammen kann, Zwei Hände, deren Grimm mich in den Bann gethan, Und durch ein süßes Gift die Seele selbst umhüllet, Ein Zierrath, wie es scheint, im Paradies gemacht, Hat mich um meinen Witz und meine Freiheit bracht. 6) von Schiebeler († 1771). Du forderst ein Sonett von mir? Du weißt, wie schwer ich dieses finde, Darum, du lose Rosalinde, Versprichst du einen Kuß dafür. Was ist, um einen Kuß von dir, Das sich Myrtill nicht unterstünde? Jch glaube fast, ich überwinde; Sieh, zwei Quadrains stehn ja schon hier. Auf einmal hört es auf zu fließen. Nun werd' ich doch verzagen müssen! Doch nein, hier ist schon ein Terzett. Nun beb' ich doch ─ wie werd' ich schließen? Komm, Rosalinde, laß dich küssen! Hier, Schönste, hast du dein Sonett! 7) von Bürger († 1794). Die Unvergleichliche. Welch Jdeal aus Engelsphantasie Hat der Natur als Muster vorgeschwebet, Als sie die Hüll' um einen Geist gewebet, Den sie herab vom dritten Himmel lieh? O Götterwerk! mit welcher Harmonie Hier Geist in Leib, und Leib in Geist verschwebet! An allem, was hienieden Schönes lebet, Vernahm mein Geist so reinen Einklang nie. Der, welchem nie der Adel ihrer Mienen, Der Himmel nie in ihrem Aug' erschienen, Entweiht vielleicht mein hohes Lied durch Scherz. Der kannte nie der Liebe Lust und Schmerz, Der nie erfuhr, wie süß ihr Athem fächelt, Wie wundersüß die Lippe spricht und lächelt. 8) von Bürger. Auf die Morgenröthe. Wann die goldne Frühe, neu geboren, Am Olymp mein matter Blick erschaut; Dann erblaß' ich, wein' und seufze laut: Dort im Glanze wohnt, die ich verloren! Grauer Tithon! du empfängst Auroren Froh aufs neu, sobald der Abend thaut; Aber ich umarm' erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren. Tithon! deines Alters Dämmerung Mildert, mit dem Glanz der Rosenstirne, Deine Göttin, ewig schön und jung; Aber mir erloschen die Gestirne, Sank der Tag in öde Finsterniß, Als sich Molly dieser Welt entriß. 9) von Aug. Wilh. v. Schlegel. An Bürger. Süßer Sänger, willst du mir vertrauen, Wo sie wohnt, die dein Gesang erhebt? Wo sie wandelt, wo ihr Athem webt, Muß Gedeihn und Lust die Flur bethauen. Wie? du winkst mir da hinauf zu schauen, Wo der Feiertanz der Sterne schwebt? Die im Liede lieblich blüht und lebt, Weilt sie schon auf Paradiesesauen? Sänger, deine Müh' wird doch belohnt; Einsam klagst du nicht am Grabeshügel, Jedem Laute gabst du Seraphsflügel. Wo bei Laura deine Molly wohnt, Hören beide, zart, wie Tauben girren, Durch die Amaranthenlaub' ihn irren! 10) von Aug. Wilh. v. Schlegel. Laura's Thränen. Jch sah der höchsten Schönheit zarte Blüthe, Den Reiz, der meine Sinne so verwirrt, Daß alles sonst mir Traum und Schatten wird, Gepaart mit Seelenhuld und Engelsgüte. Und sah, von stummer Wehmuth wie berauscht, Jhr helles Aug' im Thau der Thränen schwimmen; Ach, Wald und Waldstrom hätte wohl gerauscht Bei ihren Reden, ihren Klagestimmen! Denn Weisheit, Seelenadel, Lieb' und Gram Verbanden da harmonisch sich zu Weisen, Die nimmer noch die Welt so süß vernahm. Es hallte nach in allen Himmelskreisen; Es säuselte kein Blatt an Busch und Baum, Nur Melodie durchfloß der Lüfte Raum. 11) von Baggesen Die beiden folgenden Sonette sind aus Baggesen's Karfunkel, oder Klingklingel-Almanach; ein Taschenbuch für vollendete Romaniker und angehende Mystiker. Auf das Jahr der Gnade 1810. ─ Jn diesem Almanache wurden die Schwärmereien der neuesten Mystiker mit Braminenweisheit gegeiselt, und ihre schwerfälligen Sonettenformen, in gelungenen Parodieen derselben, scharf gerügt. . An Kanne. Du sahst Europa's Söhne traurig darben, Als stammdurchsägte, gottentfallne Splitter; Da zogest du gen Osten, edler Ritter, Wo junger Morgen stralt mit alten Farben. Bald ziehst du heim. Wie froh zum Fest der Garben Der Schnitter zieht, umwallt von goldner Flitter, Jm Freudenschall der Festposaun' und Zitter, So voll Triumph gehst du zum Fest der Narben. Denn unsrer Wunden Arzt bist du erkohren, Und bannst des blinden Heidenthums Gespenster, Die uns umflattern gräßlich, klassisch=schaurig. Aus dir denn werd' Europa neugebohren, Und schaue durch des Ostens offnes Fenster, Die süße Himmelsbraut, nicht länger traurig! 12) von Baggesen. Jndische Ost-West=Erlösung. Jch seh', ich seh' herleuchten von den Anden Des neugebohrnen Lebens Gottverklärung. Des ostgekehrten Herzens Wunschgewährung Erlößt uns aus der Griechenhölle Banden. Europa's Völker, die sich trostlos wanden Jn abgestandner Lutherthums Verjährung, Erstehen neu, durch Orients Gebährung Zu Wonne, die sie nimmer noch empfanden. An Brama's Busen werden sie erwarmen; Vom herben Schmerz der alten Vaterschläge Wird indisch=gottversöhnt ihr Herz gesunden. Jch seh' ihn schon, mit beiden offnen Armen, Auf indisch=südamerikan'schem Wege. Wohl mir! Bald werd' ich aller Noth entbunden! 33. k ) Das Madrigal, Rondeau und Triolet. Madrigal, Rondeau und Triolet sind dem Sonett dadurch verwandt, theils daß sie, weil in ihnen Ein vorherrschendes Gefühl in einer vollendeten ästhetischen Form dargestellt wird, wie das Sonett, zur lyrischen Dichtkunst gehören; theils daß der kleine Umfang ihrer äußern Form auf einen bestimmten technischen Mechanismus berechnet ist, der aber in frühern Zeiten sorgfältiger, als gegenwärtig festgehalten ward. Ob nun gleich jedes zur ästhetischen Einheit erhobenes Madrigal, Rondeau und Triolet, nach seinem Grundcharakter, ein innerhalb der Form oft mehr nur angedeutetes, als durchgeführtes Gefühl aussprechen muß; so hat doch, in den meisten Fällen, der Witz einen eben so großen Antheil an der Hervorbringung und Festhaltung der kleinen dichterischen Form, als das Gefühl und die Einbildungskraft. Denn, nächst dem Ausdrucke eines milden und wohlthuenden Gefühls, verlangt auch die Vollendung der ästhetischen Form dieser kleinen Gedichte ein leichtes Spiel des Witzes, um ein augenblickliches Jnteresse zu erregen, weil sie weder nach Stoff noch nach Form geeignet sind, einen ähnlichen bleibenden Eindruck hervorzubringen, wie die größern Formen der lyrischen Dichtkunst: das Lied, die Ode, die Hymne, die Elegie u. a. Der vormals genau festgehaltene äußere Mechanismus dieser kleinen dichterischen Formen (beim Madrigal nie unter sechs, und nie über eilf Zeilen ─ beim Triolet acht Zeilen) ist von neuern Dichtern wenig berücksichtigt worden, so daß man alle kleinere lyrische Ergüsse, die weder Sonett, Rondeau, noch Triolet sind, in denen aber Zartheit des Gefühls, Feinheit der Wendungen und leicht tändelnder Witz ausgedrückt wird, Madrigale nennt. Dagegen ist das Rondeau eine dichterische Tändelei, wo in jeder Strophe nur zwei Reime abwechselnd vorkommen, die erste Zeile nach der dritten wiederhohlt wird, und der Refrain die ersten zwei Zeilen wiederhohlt, auf welche, vor dem Refrain, fünf Zwischenzeilen folgen. Das Triolet, das in neuerer Zeit bei den Teutschen mehr, als das Rondeau angebaut ward, ist, der Form nach, ein abgekürztes Rondeau, wo gewöhnlich nach der dritten Zeile die erste, und nach der sechsten die erste und die zweite Zeile wiederhohlet werden. 34. Beispiele zu diesen Formen. a ) Beispiele des Madrigals. 1) von Fr. v. Hagedorn († 1754). Der Wettstreit. Mein Mädchen und mein Wein, Die wollen sich entzwein. Ob ich den Zwist entscheide, Wird noch die Frage seyn. Jch suche mich durch beide Jm Stillen zu erfreun. Sie giebt mir größ're Freude, Doch öft're giebt der Wein. 2) von Lessing († 1781). Der alte und der neue Wein. Jhr Alten trinkt, euch jung und froh zu trinken; Drum mag der junge Wein Für euch, ihr Alten, seyn. Der Jüngling trinkt, sich alt und klug zu trinken; Drum muß der alte Wein Für mich, den Jüngling, seyn. 3) von Tiedge. Die Welle. Wohin, du trübe Welle? Wohin mit solcher Schnelle, Als trügst du einen Raub? ─ Jch bin des Lebens Welle, Befleckt mit Uferstaub; Jch eil' aus den Gewühlen Des engen Stromes, weit Zur Meerunendlichkeit, Um ab von mir zu spülen Den Uferschlamm der Zeit. 4) von einem Ungenannten. Der Singsang des Lebens. Das Knabenalter ist Jdylle; Der Jüngling braust des Herzens Fülle Jn Oden aus und Dithyramben; Der Mann schwankt hin und her in Jamben; Der Greis beklagt in Elegien Der guten Zeiten schnelles Fliehn; Der Tod macht auf den ganzen Kram Ein bittres Epigramm. b ) Beispiel des Rondeau. von Fr. v. Hagedorn. Die Empfindung des Frühlings. Du Schmelz der bunten Wiesen! Du neubegrünte Flur! Sey stets von mir gepriesen, Du Schmelz der bunten Wiesen! Es schmückt dich und Cephisen Der Lenz und die Natur, Du Schmelz der bunten Wiesen, Du neubegrünte Flur! Jhr schnellen Augenblicke Macht euch des Frühlings werth! Daß euch ein Kuß beglücke, Jhr schnellen Augenblicke! Daß uns der Kuß entzücke, Den uns die Liebe lehrt. Jhr schnellen Augenblicke, Macht euch des Frühlings werth! c ) Beispiele des Triolets. 1) von Gleim († 1803). Ein Triolet soll ich ihr singen? Ein Triolet ist viel zu klein, Jhr großes Lob hinein zu bringen! Ein Triolet soll ich ihr singen? Wie sollt' ich mit der Kleinheit ringen, Es müßt' ein großer Hymnus seyn! Ein Triolet soll ich ihr singen? Ein Triolet ist viel zu klein. 2) von Klamer Schmidt († 1824). Willkommen, alle kleine Freuden! Die großen sind für mich zu groß. Jch sitz' auf meines Liebchens Schoos; Willkommen, alle kleine Freuden! Hier könnt' ich Fürsten nicht beneiden. Hier heiß' ich ─ o wie anspruchslos ─ Willkommen alle kleine Freuden; Die großen sind für mich zu groß. 3) von Ernst Schulze († 1817). Willst du den losen Amor fangen; So werde keck und wild, wie er; Kein Wagestück sey dir zu schwer, Willst du den losen Amor fangen! Denn stille Treu und leises Bangen Die reizen jetzt den Schalk nicht mehr. Willst du den losen Amor fangen; So werde keck und wild, wie er! 4) von Tiedge. An das Leben. Fließ' hinab, mein stilles Leben! Hier ist nicht das Thal der Ruh. Trüb' und schleichend zitterst du, Von Zypressennacht umgeben, Deinem Wasserfalle zu. Fließ', o fließ' hinab, mein Leben! Wo die Segnungen der Ruh Um sein still'res Ufer schweben. Fließ', o fließ' hinab, mein Leben! Dort, wie still, was zögerst du? 5) von Haug. An Luisen. Ein schnelles Triolet Belohnst du mit drei Küssen? O Wonne, mir geräth Ein schnelles Triolet. Wie könnt' auch ein Poet Cytherens Gabe missen! Mein schnelles Triolet Belohne mit drei Küssen! 6) von Karl v. Reinhard. Man liebt nur Einmal. Einmal, einmal liebt man nur! Einmal nur in seinem Leben Kann man ganz sein Herz vergeben. Einmal, einmal liebt man nur. Und die Huldgöttinnen weben Einmal in der Liebe Schwur All' die Seligkeiten nur, Die zu Göttern uns erheben; Einmal, einmal liebt man nur! 7) von K. A. Schneider. Die flüchtige Freude. Die Freude flieht wohl über Thal und Hügel, Und nirgends bleibt der luft'gen Sohle Spur! Die Freude flieht wohl über Thal und Hügel, Kein Locken hemmt die nimmer lassen Flügel, Kein Goldpallast und keine Rosenflur. Nur Mäßigkeit, nur Weisheit ist ihr Zügel; O merkt euch das, ihr Söhne der Natur. Die Freude flieht wohl über Thal und Hügel, Und nirgends bleibt der luft'gen Sohle Spur! 8) von einem Ungenannten. Nolo, nolo Florus esse . Jch mag, ich mag nicht Cantor werden! Jn Kirchen schweig' ich sittsam still. Man muß sich wunderlich gebährden, Wenn man den Cantor machen will; Jch mag, ich mag nicht Cantor werden! Es recht zu seyn, macht viel Beschwerden, Und Plärren ist kein Kinderspiel. Jch mag, ich mag nicht Cantor werden! Jch trinke, leider, schon zu viel. 2) Die didactische Form der Dichtkunst. 35. Charakter der didactischen Form der Dichtkunst. Wenn der eigenthümliche Charakter der lyrischen Form der Dichtkunst auf der idealisirten Darstellung unmittelbarer Gefühle unter der Einheit einer ästhetisch=vollendeten Form beruht; so unterscheidet sich die didactische Form der Dichtkunst, oder das sogenannte Lehrgedicht, dadurch wesentlich von derselben, daß der unmittelbare Stoff des Lehrgedichts in Begriffen des Verstandes und Jdeen der Vernunft besteht. So wenig aber diese eigenthümliche Quelle des Stoffes im Lehrgedichte verkannt werden kann; so wenig folgt doch auch daraus, daß die Darstellung von Begriffen des Verstandes und Jdeen der Vernunft, blos vermittelst eines dichterischen Sylbenmaases oder vermittelst des Reims, solche metrische Formen zu Gedichten erheben könne, sobald sie des eigentlichen Wesens der Dichtkunst ─ der idealischen Darstellung individueller Gefühle ─ ermangeln. Denn so gewiß der Stoff zu allen Gebilden und Erzeugnissen der didactischen Form der Dichtkunst ursprünglich aus Begriffen und Jdeen des menschlichen Geistes besteht; so gewiß müssen doch diese Begriffe und Jdeen aus dem Kreise des Vorstellungsvermögens heraus- und in den Kreis des Gefühlsvermögens eintreten, und in demselben bestimmte, mit jenen Begriffen und Jdeen unmittelbar vergesellschaftete, Gefühle veranlassen, bevor von einer didactischen Form der Dichtkunst die Rede seyn kann. Nicht Metrum und Reim entscheiden über den eigenthümlichen Charakter der Dichtkunst; dies ward bereits in der Einleitung erwiesen. Denn könnten diese äußern und zufälligen (übrigens nichts weniger, als zu vernachlässigenden) Kennzeichen der Form über den aus dem innern Wesen des Menschen stammenden dichterischen Charakter eines ästhetischen Erzeugnisses entscheiden; so würden mehrere der ältern Dichter des siebenzehnten Jahrhunderts, die den Anbau der didactischen Dichtkunst bei den Teutschen erneuerten, in der That Gedichte aufgestellt haben, während ihre Formen nur metrisch behandelte Prosa enthalten. Wenn nämlich die Begriffe des Verstandes und die Jdeen der Vernunft blos als solche, ohne Vergesellschaftung mit reinen und starken, durch sie aufgeregten, Gefühlen, im Metrum oder Reim dargestellt werden; so gehören sie nicht ins Gebiet der Dichtkunst, sondern der Prosa, weil nur das den dichterischen Charakter ankündigt, was zunächst, bevor es in die Form der Sprachdarstellung übergeht, aus rein menschlichen Gefühlen stammt, wenn gleich diese Gefühle zu ihrem Bewußtwerden der Anregung durch Begriffe und Jdeen bedurften. Jst diese Ansicht im Wesen des menschlichen Geistes, in den Ankündigungen des Bewußtseyns, und in der unverkennbaren Verschiedenheit zwischen der Sprache der Prosa und der Sprache der Dichtkunst begründet; so folgt von selbst, daß diejenigen Dichter ─ gelind zu urtheilen ─ einen Pleonasmus sich zu Schulden kommen lassen, welche ihre unter die Form der didactischen Dichtkunst gehörenden Erzeugnisse lyrisch=didactische nennen, sobald nämlich durch das erste Prädicat die Vergesellschaftung individueller Gefühle mit Jdeen der Vernunft bezeichnet werden soll. Denn jedes didactische Gedicht muß, sobald es überhaupt Gedicht seyn, und also unter die Form der didactischen Dichtkunst gebracht werden soll, den Ton und die Farbe des Lyrischen, d. h. den Ton und die Farbe zum Bewußtseyn gebrachter und zur Einheit der ästhetischen Form erhobener Gefühle an sich tragen. Nach dieser, im Wesen des menschlichen Geistes und in dem gegenseitigen Verhältnisse des Vorstellungs- und Gefühlsvermögens begründeten, Ansicht beruht der Charakter der didactischen Form der Dichtkunst auf der idealisirten Darstellung von Begriffen des Verstandes und Jdeen der Vernunft, mit welchen bestimmte Gefühle vergesellschaftet sind, in der Einheit einer ästhetisch=vollendeten Form. Die Aufgabe und der Zweck der didactischen Form der Dichtkunst ist daher nicht Belehrung, wie dies die Bestimmung des prosaischen didactischen Styls ist; sondern ästhetische, d. h. aus dem Gefühlsvermögen stammende Darstellung und lebensvolle Versinnlichung gewisser Wahrheiten und Lehren aus den Kreisen der Wissenschaften und der Künste, welche, durch ihre Bedeutsamkeit, Größe, Tiefe und Fülle, eine kräftige Bewegung des Gefühlsvermögens, und, vermittelst dieser Bewegung, die dichterische Darstellung ihrer Gegenstände bewirkten. Nur solche Erzeugnisse der didactischen Form der Dichtkunst werden dem Gesetze der Form entsprechen, sobald der Dichter ─ was sich von selbst in Hinficht einer vollendeten dichterischen Form versteht ─ die übrigen Bedingungen dieses Gesetzes an jede ästhetisch vollendete stylistische Form erfüllt. Wenn daher in dem Lehrgedichte Gefühle vorherrschen und zur Einheit der Form erhoben werden, welche durch vorausgegangene Jdeen der Vernunft zum deutlichen Bewußtseyn gelangen; so folgt von selbst, daß das Lehrgedicht diese Jdeen der Vernunft nicht nach ihrem Verhältnisse zum Gebiete der menschlichen Erkenntniß (wie z. B. in der Metaphysik, in der Sittenlehre &c.), sondern nach ihrer Wirkung auf das Gefühlsvermögen darstellt. Deshalb darf auch weder die Darstellung des Lehrgedichts im Ganzen, noch im Einzelnen die Aufeinanderfolge der ästhetisch behandelten Jdeen der Vernunft den Anstrich einer systematischen Abhandlung oder einer logisch streng berechneten Entwickelung enthalten, weil beides dem naturgemäßen Ergusse mächtig aufgeregter Gefühle widerstreitet. Eben so wenig wird von dem didactischen Dichter eine die dargestellten Jdeen planmäßig erschöpfende ─ oder gegen jeden Einwurf polemisch durchführende ─ Behandlung verlangt; dagegen versinnlicht der Dichter die zu seinem Bewußtseyn gelangten Jdeen der Vernunft unter der idealisirten Einheit eines Bildes, das um seiner ästhetischen Vollendung willen in der Anschauung gefällt, und durch welches jene Jdeen aus dem Gebiete des Vorstellungsvermögens herausgehoben, und in den Kreis des Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft versetzt werden. Als unnachlaßliche Bedingung wird aber die ästhetische Darstellbarkeit jener Begriffe des Verstandes und jener Jdeen der Vernunft dazu erfordert, weil nicht alle und jede Begriffe und Jdeen, als Theile der menschlichen Erkenntniß, zur Vergesellschaftung mit menschlichen Gefühlen sich eignen. Denn schwerlich dürften die Lehren der Logik über Begriffe, Urtheile und Schlüsse, und über die Kategorieen, oder die Grundsätze der Größenlehre, der Sprachlehre u. s. w. als Stoffe des Lehrgedichts behandelt werden können, weil sie, ihrem Wesen und ihrer Ankündigung nach, mit dem Gefühlsvermögen in keiner Berührung stehen, und eben so wenig die Einbildungskraft zu einer idealischen Form begeistern können. Dagegen aber werden die Jdeen der practischen Vernunft ─ die Jdeen der Freiheit, der Sittlichkeit, der Tugend, der Unsterblichkeit, der Vergeltung, der Gottheit, des Weltalls und der ewigen Weltregierung ─ die an sich schon im Bewußtseyn mit einer höhern Stärke, als andere Begriffe und Jdeen des Vorstellungsvermögens, sich ankündigen, wegen ihres Zusammenhanges mit den geläutertsten und erhabensten Gefühlen des menschlichen Geistes, der dichterischen Darstellung am meisten fähig seyn. Nur auf diesem Wege wird die eigentliche dichterische Ansicht der Welt, des menschlichen Lebens und der menschlichen Erkenntniß nach ihrer abgeschlossenen Gesammtheit gewonnen, welche der Prosa, nach ihrem eigenthümlichen, von der Dichtkunst wesentlich verschiedenen Charakter, abgeht. Dies ist daher auch der Standpunct, aus welchem theils das Verhältniß der didactischen Form der Dichtkunst zur didactischen Prosa richtig aufgefaßt, theils die Stellung der didactischen Form der Dichtkunst gegen die lyrische, epische und dramatische Form derselben ausgemittelt wird. Unter diesen einzelnen Formen der Dichtkunst nähert sich aber die didactische am meisten und häufigsten der lyrischen Form, weil die Jdeen, welche den Stoff der didactisch=ästhetischen Darstellung enthalten, noch inniger mit dem durch sie angeregten Gefühle verschmolzen erscheinen, als in der epischen und dramatischen Dichtkunst die, der Außenwelt angehörenden, Thatsachen mit den durch sie erweckten Gefühlen. ─ Wenn einige Theoretiker das Lehrgedicht in das philosophische und scientifische einzutheilen versuchten; so ist dazu kein Grund vorhanden, weil keine ursprüngliche, in einem Vermögen des menschlichen Geistes enthaltene, Verschiedenheit zwischen beiden statt findet; denn die Stoffe von beiden sind gemeinschaftlich in den Begriffen und Jdeen des menschlichen Vorstellungsvermögens enthalten, so daß zwischen den einzelnen Lehrgedichten, nach der Verschiedenheit ihres Stoffes innerhalb der Jdeen der Vernunft, nur eine Steigerung von dem Höhern zum Höchsten statt finden kann, inwiefern die Jdeen der Vernunft selbst einander, dem Grade nach, untergeordnet sind, und Seele, Welt und Gott eben so die höchsten metaphysischen Jdeen bilden, wie Wahrheit, Schönheit und sittliche Güte die höchsten Jdeale der schöpferischen Einbildungskraft. ─ Was die einzelnen Untertheile der didactischen Dichtkunst betrifft; so giebt es keine solchen in dem Sinne, wie in der lyrischen Dichtkunst das Lied, die Ode, die Hymne, die Elegie u. a. als Untertheile von einander verschieden sind, welche durch den Grundton eines dargestellten einfachen oder eines gemischten Gefühls, so wie durch die mildere Farbengebung, oder durch die höhere Stärke des lyrischen Ausdruckes, von einander sich unterscheiden. Denn nur nach dem zufälligen äußern Umfange der Form kann das ausführliche Lehrgedicht (z. B. Tiedge's Urania, Schillers Künstler) von dem kürzern (z. B. der Theodicee von Uz u. a.) unterschieden werden, weil die Abwechselung und Mischung der in dem Lehrgedichte vorherrschenden und dargestellten Gefühle von den Jdeen der Vernunft abhängt, welche die mit ihnen vergesellschafteten Gefühle in dem Gemüthe des Dichters zum Daseyn rufen, und von der Einbildungskraft unter dem Glanze des Jdeals aufgestellt werden. Selbst die im dichterischen Gewande dargestellten Gnomen sind nicht besondere Untertheile, sondern nur kürzere Formen des Lehrgedichts, das eigentliche Lehrgedicht im verjüngten Maasstabe, und müssen, in ästhetischer Hinsicht, eben so nach dem Gesetze der Form beurtheilt werden, wie die größere didactische Form, welche einen Gesammtkreis von Vernunftideen durchführt und umschließt. Was endlich die Satyre, die sogenannte poetische Epistel und das Epigramm betrifft, welche von einigen Theoretikern der didactischen Dichtkunst zugetheilt werden; so werden sie in diesem Gesammtgebiete der Sprache der Dichtkunst unter der Ergänzungsklasse, oder unter den gemischten Formen der Dichtkunst aufgeführt, weil (wie ihre Theorie, weiter hinten, im Einzelnen zeigt,) durchaus nicht alle Satyren, nicht alle poetische Episteln, und nicht alle Epigramme nach Einem Maasstabe beurtheilt, und in Eine und dieselbe Klasse von Dichtungen gebracht werden können. Denn zugestanden, daß einzelne in der Sprache vorhandene Satyren, einzelne poetische Episteln und einzelne Epigramme der Theorie des Lehrgedichts untergeordnet werden könnten; so würde dies, im Verhältnisse zur Gesammtheit aller ästhetisch vollendeten Satyren, poetischen Episteln und Epigrammen, nur ein kleiner Theil seyn, weshalb es gerathener scheint, die Theorie dieser Formen nach der Mehrheit der in ihnen vorhandenen classischen Erzeugnisse zu bestimmen, und ihnen den Platz in der Ergänzungsklasse dichterischer Formen anzuweisen. Denn unverkennbar ist das Satyrische keine wesentliche und ursprüngliche Eigenschaft des Lehrgedichts, sondern, wo es in denselben angetroffen wird, nur ein zufälliges Merkmal des Didactischen, weil unzählige Stoffe der didactischen Dichtkunst ohne den Beisatz des Satyrischen bestehen, und dieser Beisatz ─ oder die Darstellung der Jdeen der Vernunft mit der Rüge der Verirrungen der menschlichen Freiheit von denselben ─ blos in der Jndividualität des Dichters ihren Grund hat, der durch die ästhetische Versinnlichung dieser Verirrungen das Jdeal von seiner indirecten Seite vergegenwärtigt. So sind die Sermonen des Horaz an sich Lehrgedichte mit satyrischer Haltung und Einkleidung, und versinnlichen allgemeine Wahrheiten durch den Kontrast des Ungereimten und Unsittlichen mit denselben. Eben so zufällig ist es, wenn, vermittest der epistolischen Einkleidung, allgemeine Wahrheiten auf die Verhältnisse eines bestimmten Jndividuums bezogen werden; denn die poetische Epistel ist, nach den vorhandenen classischen Formen in derselben, weder ausschließend eine Untergattung der didactischen, noch ausschließend eine Untergattung der lyrischen oder der epischen Form der Dichtkunst. Sobald sie unmittelbare Gefühle in Beziehung auf eine bestimmte Jndividualität schildert; so gehört sie der lyrischen Form der Dichtkunst an. Versinnlicht sie Gefühle, veranlaßt durch Thatsachen und Vorgänge des wirklichen Lebens; so müßte sie der epischen Form untergeordnet werden. Vergegenwärtigt sie aber Gefühle, erregt durch Jdeen und Wahrheiten der Vernunft; so würde sie, nur in diesem letztern Falle, zur didactischen Dichtkunst, mit dem zufälligen Merkmale der unmittelbaren Beziehung der dargestellten Jdeen auf eine bestimmt gedachte Jndividualität, gehören. ─ Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem Epigramm, das gleichmäßig unmittelbare Gefühle und Thatsachen des Lebens, wie Jdeen und Aussprüche der Vernunft als Stoff behandeln kann, mit dessen Vergegenwärtigung im Bewußtseyn rein menschliche Gefühle sich vergesellschaften, deren idealische Darstellung die dichterische Form des Epigramms vermittelt. ─ So reichhaltig von den frühern teutschen Dichtern die Form des Lehrgedichts angebaut ward; so gilt doch für den ästhetischen Charakter dieser Form dasselbe, was bereits in der Theorie der Ode ausgesprochen ward, daß nur erst mit den Fortschritten der Philosophie auf teutschem Boden, und namentlich mit dem tiefern Erforschen und Verbreiten der höchsten metaphysischen Jdeen, und den mit denselben in unmittelbarer Verbindung stehenden sittlichen Gesetzen, das Lehrgedicht, nach seinem Stoffe, einen höhern dichterischen Gehalt behaupten, und unter gediegenern Formen sich ankündigen konnte, als dies im siebenzehnten und in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts möglich war. 36. Beispiele aus dem Lehrgedichte. 1) von Opitz († 1639). Lob des Feldlebens. (Bruchstück) O wohl, und mehr als wohl, dem, welcher weit von Kriegen, Von Sorgen, Müh' und Angst, sein Vatergut kann pflügen, Lebt sicher und in Ruh, noch wie die alte Welt Zu Zeiten des Saturns, und pflügt sein kleines Feld; Spannt Roß und Ochsen vor, darf seinen Sinn nicht kränken Um armer Leute Schweis, weiß nichts von Wechselbänken, Von Wucher und Finanz, ist alles Kummers frei, Daß nicht sein Haab' und Gut im Meer ertrunken sey. Er denkt nicht, wie er komm' hoch an das Bret vor allen, Und könne Königen und Herren wohlgefallen; Steht nicht in Furcht und Trost, hält vor der Reichen Thür Sein Hütlein in der Hand, und kommt doch selten für. Das Alles darf er nicht, er hat, was er begehret, Sein Gut wird ihm von Gott, auch wenn er schläft, bescheret, Hat mehr, als der sein Herz auf bloßen Reichthum stellt, Besitzt nicht was er hat, ist arm und hat viel Geld. Er gehet fröhlich hin, führt jetzt die süßen Reben An Ulmenbäumen auf, daß sie beisammen kleben, Als ehelich vermählt; jetzt, weil die Schösse klein, Bricht er, was wild ist, ab, impft gute Sprößlein ein; Nimmt bald die Schaufel her, macht Furchen frei zu fließen Dem Wasser übers Feld; die Wiesen zu begießen, So dürr und durstig stehn, spaziert bald in das Gras, Das durch den Silberthau des Morgens noch ist naß. Bald stützt er einen Baum, der, von der Frucht gebeuget, Vor Last zerbrechen will, und sich zur Erden neiget; Und etwa sieht er gehn dort um das grüne Thal Die Schafe, Kälber, Küh' und Ochsen überall. Schaut er dann über sich; so sieht er seine Geißen Das Laub von dem Gestäud an einer Klippe reißen; Dabei ihr Mann, der Bock, vor Lust und Freuden springt; Hört, wie der Hirte wohl von seiner Phyllis singt, Die hinter einen Baum sich hatte nächst verkrochen, Als er ihr schönes Obst und Blumen abgebrochen; Hört, wie die braune Kuh im nächsten Thale brüllt, Daß ihre rauhe Stimm hoch über Feld erschüllt. Bisweilen leert er aus den Honigmacherinnen Jhr wächsern Königreich, das sie mit klugem Sinnen Sehr artlich aufgebaut, nimmt auch zur rechten Zeit Den feisten Schafen ab ihr dickes Wollekleid. Kommt dann, nachdem er hat den Sommernutz empfangen, Der Obst- und Traubenmann, der reiche Herbst, gegangen; Wie freut er sich so sehr, wenn er die Birnen ropft Vom Baume, den er selbst vor dieser Zeit gepfropft, Und lieset Aepfel auf, die selber abgefallen, Nimmt ihm hernachmals vor die schönsten unter allen, Beißt ungeschälet an; geht dann, besieht den Wein, Bricht reife Trauben ab, die purpurähnlich seyn. Jst er vom Gehen laß; so kann er sich fein strecken, Dort in den Schatten hin, wo ihn die Bäume decken; Der Vögel leichtes Volk macht seinen Lobgesang, Schreit überlaut, und wünscht den Sommer noch so lang. Die schöne Nachtigall läßt sonderlich sich hören, Schwingt ihre Stimme hoch dem Meyer wie zu Ehren. Die Frösche machen auch sich lustig an der Bach, Und ihr Coax Coax giebt keinem Vogel nach. Nicht weit von dannen kommt aus einem nahen Brunnen, Ein Bächlein durch das Gras gleichwie Krystall gerunnen, Draus schöpft er mit der Hand, eh er sich schlafen legt, Wozu der Bach Geräusch und Murmeln ihn bewegt. &c. 2) von Christ. Fr. Zernitz († 1745). Von den Endzwecken der Welt. (Bruchstück) Es herrscht ein Gleichheitsrecht bei aller Kreatur, Von Mensch und Thieren ist die Mutter die Natur, Das Leben hauchet sie in allen Blutgefäßen; Von ihr sind jedem Geist und Glieder zugemessen; Umsonst wirkt Weisheit nie. Mit Kräften ausgerüst't, Wirkt jede Seel' ihr Heil, so weit sie fähig ist. Nachdem sie Gutes kennt, wird ihr die Wahl gelingen, Und Wollust findet sie in sich und andern Dingen. Nur zu der Einrichtung der großen Harmonie Empfing der Mensch sein Theil, und auch sein Theil das Vieh, Es liegt in Aller Seyn ein solcher Geist verborgen, Der jede Art es lehrt, für ihren Zustand sorgen. So weih' denn zum Altar der Gottheit, Mensch, dein Herz; Es steige deine Lieb' in Flammen himmelwärts! Verehr' mit Jnbrunst Gott, knie hin, weil, uns zu lieben, Die Welt kein leeres Nichts, kein wüstes Rund geblieben. Erwäge, wie Natur zur Menschen Glück entstand, Und merk' das wohl, wozu Gott Sittlichkeit erfand; O welch ein groß Geschenk der Werth so vieler Welten; Wie kann der Menschen Dank doch Gottes Huld vergelten! Ja, Heiliger, es glaubt der Weise dir zum Ruhm, Die Welt, dein Werk, ist nicht des Todes Eigenthum; Aus Liebe hast du sie einst wollen zubereiten, Und deine Lieb' ist hier ein Vorbild künft'ger Zeiten. Der Tod, der unsern Leib mit Fäulniß einst durchdringt, Macht, daß der edle Theil, der Geist, sich höher schwingt; So wie vom Samenkorn die Staude sich erhebet; Wird auch zuerst der Mensch im dunkeln Stand belebet, Er keimt in der Geburt, wächst durch die Lebenszeit, Und seiner Blüthe Frucht ist die Unsterblichkeit. 3) von Joh. Jac. Dusch († 1787). Die Wissenschaften. (Bruchstück) ─ Die Weisheit stieg vom Himmel im goldnen Siegeswagen, Von sanften Frühlingswinden auf Fittigen getragen. Um ihre Schläfe blühte ein frischer Lorbeerkranz, Und eine Morgenröthe umstrahlte sie mit Glanz. Jhr folgt' in einem Zuge der Chor der jungen Töchter, Erhabne Wissenschaften, die geistigen Geschlechter. Von ihrer ernsten Stirne sprach Tiefsinn und Verstand, Und eine helle Fackel in der erhabnen Hand Umleuchtete ihr Antlitz mit einem Kreis von Klarheit. Du bahntest ihr die Wege, Erfinderin der Wahrheit, Die du den Geist erheiterst, der dann, durch dich gelenkt, In Schlüssen und Verbindung nach deinen Regeln denkt. Dein starker Geist enthüllet der Wahrheit sichre Zeichen, Durch richtiges Zergliedern, Zertheilen und Vergleichen. Du zogst an ehrnen Ketten den Jrrthum hinter her, Die Brut der Vorurtheile, ein unzählbares Heer; Des Witzes Erstgeburten, phantastische Geschlechter, Den Wahn, die blöde Meinung, und ihre blinden Töchter. Den frechen Sekteneifer, der unterm Sklavenjoch, Gezerrt vom alten Jrrthum, noch stolz im Staube kroch; Die bauten Hypothesen, geflügelte Chimären, Den dummen Aberglauben mit seinen finstern Heeren. O Wahrheit, wo ihr Flügel das forschende Gesicht Der Sterblichen umflattert, stralt deine Fackel nicht; Da werden dich die Füße der Priester niedertreten, Vor deinem dunkeln Altar den Jrrthum anzubeten. Der Haß wird dich verfolgen, und der Zeloten Zunft Aus frommem Grimme rufen: Verflucht sey die Vernunft! Mit Flammen wird der Pöbel sich an den Weisen rächen, Und wer nicht gläubig irret, wird dann den Tod verbrechen! Jhr folgte das Naturrecht im fliegenden Gewand; Ein heiliges Gesetzbuch trägt ihre rechte Hand; Gesetze, die der Schöpfer in unläugbaren Trieben Den denkenden Geschöpfen tief in die Brust geschrieben, Die auch der Malabare, der ohn' Erkenntniß irrt, So sehr er sie verläugnet, nie ganz vertilgen wird. Sie hat die Welt versöhnet, sie hat den Zwist vertrieben; Von ihr lernt beßre Nachkunft Gerechtigkeit zu üben; Der Frevel geht an Ketten, und ihre größte Pflicht Lehrt: Menschen seyd verträglich, beleidigt Andre nicht! Tyrannen, die voll Herrschsucht die Völker unterdrücken, Und mit beglückten Waffen der Freiheit Fesseln schicken, Gekrönten Straßenräubern, die mit kostbarem Blut Verächtlich Gold bezahlen, und, gleich der wilden Glut, Wenn sie den Wald ergreifet, begierig um sich fressen, Hat sie die ersten Grenzen der Herrschaft abgemessen. ─ Mit Ernst im Angesichte folgt ihr die Geisterlehre; Jhr Flug steigt über Körper zu einer höhern Sphäre, Sie stürzt der Gottesläugner entsetzliches Gebäu, Wenn Gottes Donner säumet. Sie reißt die Tyrannei Des blinden Wahns vom Throne. Jhr heil'ger Zorn zerschmettert Die angebetnen Klötze, die sich Betrug vergöttert. Sie schrecket Wunderthäter, macht die Orakel stumm, Stürzt feigem Aberglauben sein blutig Altar um; Zerbricht sein eisern Zepter, und führt durch beßre Lehren Die Welt von fürchterlichen zu heiligen Altären. Du unumschränktes Wesen, das alles schuf und trägt, Das in der starken Rechten die Morgensterne wägt; Gott, der du ewig warest, eh aus des Chaos Tiefen Die jauchzenden Gestirne zu deinen Füßen liefen; Eh diese niedre Erde den ersten Trieb empfing, Und feiernd vor dem Schöpfer der Welt vorüberging; Wo ohne dich ist Ruhe, du aller Freuden Quelle? Dich läugnen, Gott, verwandelt die Welt in eine Hölle. Verzweiflung ist das Leben, o Schöpfer, ohne dich; Die Sonnen werden traurig, und glänzen fürchterlich. Doch, Gott, du bist wahrhaftig, und meine Seele fliehet Beruhigt zu dem Schöpfer, den sie in allem siehet! Allein wer bin ich selber? Das weiß ich, dieser Staub, Der meine Glieder bildet, wird einst des Todes Raub. Dies sterbliche Gebäude wird einst die Pflanzen nähren, Eiu Theil von Andern werden, und mir nicht zugehören. Die Erde, seine Mutter, nimmt ihn bald wieder hin; Nichts werd' ich endlich bleiben, wenn ich ganz Körper bin. So will es eine Ordnung; so wechseln die Gestalten; Der Untergang des ersten muß stets das Neu erhalten. O Abgrund voller Schrecken, worin zurück geführt, Sich alles Leben endigt, und die Natur verliert; Wird denn die Nacht auf ewig, wenn sie herabgestiegen, Verbreitet auf dem Moder der ganzen Schöpfung liegen? Wie, oder führt beständig der alte Cirkellauf Das Alternde hinunter, das Neuere herauf? Ach! und ich hoffe Leben, zum Untergang erschaffen? Wo? an des Abgrunds Rande, wo meine Väter schlafen? Jetzt tret' ich ihre Hügel; sie waren, was ich bin! Bald wandelt eine Nachwelt auf meinem Grabe hin. Dann lieg' ich, aufgelöset, ins stille Nichts verloren, Und, was auch nach mir auftritt, ich werde nie geboren. Jn jedem Lenz ermuntert der Sonne warmer Stral Die Blumen aus dem Schlafe, und weckt ein schlummernd Thal; Die Pflanzen auferstehen, die schon begraben schienen; Der todte Baum erwachet, und seine Blätter grünen; Der jugendliche Frühling stellt alles wieder her; Für mich nur, schlaf' ich einmal, ist keine Widerkehr; Allein auf meine Asche, verscharrt im kleinen Hügel, Streckt ewig unerbittlich der Todtesschlaf den Flügel. Der Vorhang wird geöffnet. Nicht alles ist hier aus; Jch seh' in weitre Felder der Ewigkeit hinaus. Nicht ganz darf mich auf ewig der Schoos der Erden rauben; Wo nicht; so muß ich lästern, und keinen Schöpfer glauben. O jetzt erwach' ich wieder; der Leib wird Moder seyn, Doch das, was in mir denket, ist nicht, wie er, Gebein. Unsterblich ist das Wesen, das in mir will und denket; Nicht theilbar, wie sein Körper, den Form und Dau'r umschränket; Jn ihm besteht mein Leben; doch seiner Hütte Staub, Sey, wenn mein Schicksal winket, der Elemente Raub! 4) von Joh. Phil. Lorenz Withof († 1789). Sokrates, oder von der Schönheit. (bereits 1755 erschienen.) ─ ─ Licht! Schönheit! höchster Plan! Natur! Selbstständig Wesen! Geist! oder was du dir für Namen auserlesen; Beweger! Tugend! Kraft! Du, die in allem lebt! Wie stark bist du? wie groß? wie vielfach ausgegossen? Auch ich bin deiner Art und aus dir ausgeflossen, Und fließ' in dich zurück, wann sich mein Geist erhebt. Ach, ich bescheide mich und decke meine Blöße; Um dich allein gefall' ich mir, Nur blos ein Theil der ungeheuern Größe, Ein Theil, jedoch ein Theil von dir. Ganz herrlich, ewig jung, nie fähig zum Veralten Jn täglich sterbenden, stets werdenden Gestalten, Bleibst du das, was du warst, stets voll und immer neu. Hier treten Wesen auf, dort gehen Wesen unter; Du tilgst und zeugest stets; stets wirkend und stets munter, Sorgst du, daß jeder Tod ein Brunn des Lebens sey. Dort schwind't die flücht'ge Pracht der abgelebten Floren; Doch Floren folgt Pomona nach; Und jene wird von dieser neu gebohren, Das Grabmal wird ein Brautgemach. Wann unsre Geister sich mit reiner Tugend gatten, Verschwind't der Liljen Glanz gleich überstralten Schatten, Und lüstern lauschen sie nach unsrer Herrlichkeit. Die stille Majestät vollkommen guter Thaten, Die mehr durch Tugend uns, als sich mit Stolz berathen, Jst gleich verehrungswerth an Pracht, an Seltenheit. Wie kann ein Geist doch so der Schönheit sich entwöhnen? Und jauchzt noch, wann er sie verdrängt. Das thut der Wahn, der sich in allen Scenen Mit dummem Eigennutz vermengt. Ja, Phädon, wisse du: ein Geist, den Tugend kleidet, Kann nimmer schöner seyn, und wird mit Recht beneidet; O, Tugend ist ein Schatz, der Kronen überwiegt. Geuß, ew'ge Schönheit, doch, geuß du doch starke Fluten Jn meines Phädons Brust; sie sind ein Theil vom Guten, Warum allein mein Geist sich betend vor dir schmiegt. Wie Licht und Wärme nur aus jener Flammensphäre, Quillt wahre Tugend nur aus dir; Und kehrt zurück, wie Flüsse zu dem Meere, Und fließt in dich und ich mit ihr. 5) von Heydenreich († 1801). Das Selbstbewußtseyn. O Selbstbewußtseyn, meiner Unsterblichkeit Trugloser Bürge! Urquell der Hoffnungen, Die durch des Staubes Moderhülle Jn die umdämmerte Seele leuchten! Du bist mir heilig, weil noch wie Epheu sich Um meine Glieder Leben und Jugend schlingt; Dich werd' ich einst im Todeskampfe Noch mit den starrenden Lippen segnen. ─ Kaum fragt' ich sehnend, heiliger Ahnung voll, Nach jenem Land, das jenseits des Lebens liegt; (Viel hatt' ich von ihm durch die Sage, Viel durch die Lieder des Volks vernommen;) Wird, fragt' ich selbst mich, wann in den ängstenden Entbindungsqualen sterbend dein Wesen seufzt, Wird in des Todes Schweis die Seele Hin mit der Flamme des Lebens sterben? Wie, oder wird sie, wann nun die Flamm' erlischt Des matten Lebens, siegend der Asch' entfliehn; Und wird sie dann ein Zephyr Gottes Säuselnd in schönere Welten tragen? Da traten zu mir, Treue im Angesicht, Der Bürger viele, die in der Ewigkeit Nachtvollen Thälern meiner Seele Schon ihre lachende Stätte wiefen. Doch Heuchler waren's, Heuchler mit Freundes Blick, Trug ihre Rede, schimmernd im Fabelschmuck, Und eh' ichs wähnte, war die ganze Täuschende Rotte von mir geflohen. Da nahtest du dich, schuldlosen Angesichts, Der ungeschminkten göttlichen Wahrheit gleich, O Selbstbewußtseyn, ewig treuer Bürge der Hoffnungen meiner Seele. Jn dieser Hülle, künstlich von Staub gewebt, Zur Nahvertrauten eines Unsterblichen, Jn dieser Hülle, lehrtest du mich, Welch ein unsterblicher Fremdling wohne. Hin, in die ferne schattende Dämmerung Verlebter Leben, zogest du den Staunenden; Jch sah' im Geist mein ewiges Daseyn Wandern durch mancherlei Erdenhüllen. Und leise Laute tiefer Erinnerung Aus grauer Vorzeit lispelten wieder auf; Dich kannt' ich wieder, meines Daseyns Treusten Gefährten vom ersten Keim an. ─ Ha, daß vom Schlummer, welcher dich fesselte, Da du begannest, durch der Erwachungen Zahllose Grade, bis zum hellen Traumlosen Mittage deines Daseyns, O Selbstbewußtseyn, ich dich verfolgte, daß Von irgend einem schwindelnden Hügel her Mein Blick ihn schaute, deinen Lichtstrom, Wie er allmählig begann zu wogen, Jetzt dunkel dämmernd sich durch die Nächte wand, Jetzt immer heller, heller sich breitete, Und jetzt, zu vollem Glanz ergossen, Hell, wie der Mittag, sich auf mich senkte! Dich gab der Vater, da er mich wandern hieß, Mir zum Geleiter meiner Unsterblichkeit; Dich mit dem Staube nicht verwandten Kann die Zerstörung mir nicht entreißen. Von Jahr zu Jahr wandelt die Hülle sich, Staub mit dem Staube, wechselt und wechselt stets, Und doch im Wandeln meiner Hülle Stehst du mir fest, wie im Sturm die Eiche. Und o Triumph, Triumph! Wann die morsche fällt, Dann folgst du sicher deiner Unsterblichen; Wann ihre Trümmer Sturm verwehet, Folgst du ihr traulich in ferne Welten. O Selbstbewußtseyn, meiner Unsterblichkeit Trugloser Bürge, Urquell der Hoffnungen, Die durch des Staubes Moderhülle Jn die umdämmerte Seele leuchten! Du bist mir heilig, weil noch wie Epheu sich Um meine Glieder Leben und Jugend schlingt; Dich werd' ich einst im Todeskampfe Noch mit den starrenden Lippen segnen. 6) von v. Schiller († 1805). Die Künstler. (abgekürzt) Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige Stehst du an des Jahrhunderts Noch im achtzehnten Jahrhunderte gedichtet. Neige, Jn edler stolzer Männlichkeit, Mit aufgeschloßnem Sinn, mit Geistesfülle, Voll milden Ernsts, in thatenreicher Stille, Der reifste Sohn der Zeit; Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze, Durch Sanftmuth groß, und reich durch Schätze, Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg; Herr der Natur, die deine Fesseln liebet, Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet, Und prangend unter dir aus der Verwild'rung stieg! Jm Fleiß kann dich die Biene meistern, Jn der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer seyn; Dein Wissen theilest du mit vorgezognen Geistern, Die Kunst, o Mensch, hast du allein! Nur durch das Morgenthor des Schönen Drangst du in der Erkenntniß Land; An höhern Glanz sich zu gewöhnen, Uebt sich am Reize der Verstand. Was bei dem Saitenklang der Musen Mit süßem Beben dich durchdrang, Erzag die Kraft in deinem Busen, Die sich dereinst zum Weltgeist schwang! Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen, Die alternde Vernunft erfand, Lag im Symbol des Schönen und des Großen, Voraus geoffenbahrt dem kindischen Verstand. Jhr holdes Bild hieß uns die Tugend lieben, Ein zarter Sinn hat vor dem Laster sich gesträubt, Eh' noch ein Solon das Gesetz geschrieben, Das matte Blüthen langsam treibt. Eh vor des Denkers Blick der kühne Begriff des ew'gen Raumes stand; Wer sah hinauf zur Sternenbühne, Der ihn nicht ahnend schon empfand? Die, eine Glorie von Orionen Ums Angesicht, in hehrer Majestät, Nur angeschaut von reineren Dämonen, Verzehrend über Sternen geht, Geflohn auf ihrem Sonnenthrone, Die furchtbar herrliche Urania, Mit abgelegter Feuerkrone Steht sie ─ als Schönheit vor uns da. Der Anmuth Gürtel umgewunden, Wird sie zum Kind, daß Kinder sie verstehn; Was wir als Schönheit hier empfunden, Wird einst als Wahrheit uns entgegen gehn. Glückselige, die sie ─ aus Millionen Die reinsten ─ ihrem Dienst geweiht, Jn deren Brust sie würdigte zu thronen, Durch deren Mund die Mächtige gebeut, Die sie auf ewig flammenden Altären Erkohr, das heil'ge Feuer ihr zu nähren, Vor deren Aug' allein sie hüllenlos erscheint, Die sie in sanftem Bund um sich vereint. Freut euch der ehrenvollen Stufe, Worauf die hohe Ordnung euch gestellt; Jn die erhab'ne Geisterwelt Wart ihr der Menschheit erste Stufe! Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget, Je höh're schön're Ordnungen der Geist Jn einem Zauberbund durchflieget, Jn Einem schwelgenden Genuß umkreis't; Je weiter sich Gedanken und Gefühle Dem üppigeren Harmonieenspiele, Dem reichern Strom der Schönheit aufgethan ─ Je schön're Glieder aus dem Weltenplan, Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden, Sieht er die hohen Formen dann vollenden; Je schön're Räthsel treten aus der Nacht, Je reicher wird die Welt, die er umschließet, Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet, Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht, Je höher streben seine Triebe, Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe, So führt ihn, in verborg'nem Lauf, Durch immer rein're Formen, rein're Töne, Durch immer höh're Höhn und immer schön're Schöne Der Dichtung Blumenleiter still hinauf ─ Zuletzt, am reifen Ziel der Zeiten, Noch eine glückliche Begeisterung, Des jüngsten Menschenalters Dichterschwung, Und ─ in der Wahrheit Arme wird er gleiten. Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben; Bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben! Der Dichtung heilige Magie Dient einem weisen Weltenplane, Still lenke sie zum Oceane Der großen Harmonie! Der freisten Mutter freie Söhne, Schwingt euch mit festem Angesicht Zum Stralensitz der höchsten Schöne; Um andre Kronen buhlet nicht. Die Schwester, die euch hier verschwunden, Hohlt ihr im Schoos der Mutter ein; Was schöne Seelen schön empfunden, Muß trefflich und vollkommen seyn. Erhebet euch mit kühnem Flügel Hoch über euern Zeitenlauf; Fern dämmert schon in euerm Spiegel Das kommende Jahrhundert auf. Auf tausendfach verschlungnen Wegen Der reichen Mannigfaltigkeit, Kommt dann umarmend euch entgegen Am Thron der hohen Einigkeit. Wie sich in sieben milden Stralen Der weiße Schimmer lieblich bricht; Wie sieben Regenbogenstralen Zerrinnen in das weiße Licht: So spielt in tausendfacher Klarheit Bezaubernd um den trunknen Blick; So fließt in Einen Bund der Wahrheit Jn Einen Strom des Lichts zurück! 7) von v. Nostitz und Jänckendorf (Arthur vom Nordstern); aus s. Anregungen für das Herz und das Leben (Leipz. 1825). Gott . Gott ist uns das, wofür uns beim Gedanken Das Wort gebricht; was Ziel nicht kennt, nicht Schranken, Was kein Begriff bestimmt und lehrt; Wo Gleiches mangelt, um es zu vergleichen; Was durch Beschreibung nimmer zu erreichen, Was, forscht man nach, im Forschen stets sich mehrt. Bahn zu Gott . Die Bahn zu Gott kann die Natur dir zeigen; Doch kannst du bis zu ihm empor nicht steigen, Die Endlichkeit schließt dir das Thor. Nur durch die Menschheit, geistig einberufen Zum Heiligthum, eilst du zu höhern Stufen; Der Geist schwebt nur durch Geistiges empor. Werth der Beobachtungen . Ob richtig deine Uhr die Zeit dir zeige? Dein Wetterglas ob's sinke? ob es steige? Du hast drauf Acht, deß nimmst du wahr. Merkst du auch drauf: wie du die Zeit verwaltet? Ob dein Gefühl erwärmt sey? ob erkaltet? ─ Von Außen nicht, von Jnnen droht Gefahr! Verschiedenheit im Wachsthum . Der Weisen Zahl ─ wie klein! ─ Wie klimmt zum Hohen Der Mensch gemach! ─ Schnell wächst die Zahl der rohen Gemeinheit, die sich trotzig zeigt. ─ Giftpflanzen wuchern üppig, fast unzählig, Auch Pilz und Schwamm gedeihn ─ indeß allmählig Der Eichbaum kraftvoll zu den Wolken steigt. 8) von Manso. Zukunft. Was harret unsrer hinter jenen grauen Gebirgen dort, die feuchter Nebel drückt? Sinds Wüstenein ohn' Ende? Sind es Auen, Von Licht umstralt, mit ew'gem Reiz geschmückt? Wir möchten gern ins Land der Zukunft schauen, Und fühlen uns durch nichts so hoch beglückt. Der Geist versucht, aufstrebend, sein Gefieder; Allein, ermattend, kehrt er immer wieder. Was er zurück von seiner Wallfahrt bringet, Es ist ein Bild, halb Schatten, halb Gestalt; Ein Vorgefühl, das, schmeichelnd, ihn umschlinget, Ein Ton, der leicht im Jnnern wiederhallt. Je kühner er sich in die Wolken schwinget, Um zu erspähn, was droben wogt und wallt; Je mehr verwirren, wie im bunten Traume, Jhn die Gestalten aus dem fernen Raume. Er hört, erstaunt, vom Wesen sonder Schranken, Das rastlos schafft, und wirket und erneut; Vom Samenkorn unsterblicher Gedanken, Das, wuchernd, in der Erde Schoos gedeiht; Von Zeugnissen, die wir der Vorwelt danken; Vom Tugendsinn, der seines Lohns sich freut! Doch alles wird der Zweifelsucht zum Raube; Nichts bleibt ihm, als der Einfalt frommer Glaube! Ja, glauben soll, nicht wissen, nicht ergründen, Der Sterbliche, so lang' er diesseits lebt. Jst Licht sein Theil; er wird es jenseits finden, Wo sich gewiß auch eine Sonn' erhebt. Was mangelt uns in diesen Dämmergründen, Um die der Hoffnung milder Schimmer schwebt? Sie bietet uns Beruhigung und Frieden. Zum Glück bedarf das Herz mehr nicht hinieden! 9) von Conz. Das Orakel der Weisheit. (abgekürzt) Unbegreifliches, Wenig begreifendes Geschlecht der Sterblichen! Ausgesät über die unendliche Erde, Unendlich für dich, Aber der Schatten eines Puncts Vor dem, der das Unendliche selbst ist. Du kommst, weißt nicht woher? Gehst, weißt nicht wohin? Stückwerk dein Wissen, Arbeit dein Thun. ─ Ueber dir kreisen Sonnen und Planeten Jn ewiger Jugend, Scheiden, und kommen, und kennen ihre Zeit, Und du, unaussterblich in deiner Gattung, Lebst nur in der Gattung fort, Und findest kein Mittel, Dem Alter und dem Tode zu entgehn. Jmmer entgegenreifend der Zerstörung; Jm Kern des Lebens Trägst du den Wurm des Todes. Ueber dir hin Wandelt ihren ehrnen Gang die Nothwendigkeit. Du aber über deinen geschmückten Gräbern, Ueber deinen blumigen Trümmern, Weilest flüchtige Tage. Vor allen Kindern der grüngelockten Erde Gab dir der Schaffende Den Blick vorwärts ins Kommende, Und den Blick rückwärts ins Vergangne; Und zwischen zwei Welten, Der sichtbaren und der unsichtbaren, Stehest du da. Aber nur Dämmerung ist die Aussicht, Und einzelne Stralen der Morgenröthe Schwimmen in der weiten Ferne. Jch hörte viele Fragen Vom Orakel der Weisheit; Jahrtausende fragen sie, Jahrtausende streiten sie über der Antwort: „Was kann ich wissen, was glauben, was thun? “ Wo ist das Orakel der Weisheit? Jch will den Fels hinanklimmen, Und engten Dornen und Klippen den Pfad; Jch will durch die Dornen und Klippen Den steilen Gang hinauf, Wo das geheiligte Becken ertönt, Und mir Kunde der Weisheit Durch den Spruch der Weihe wird. Nicht im Dunkel des Hains, Nicht über klippigten Höhen, Wo magischer Bezauberung Gestalten Dich umwehn, Jn dir, Mensch, ist das Orakel der Weisheit. Höre dich selber! Genieße und leide! Dulde und entbehre! Liebe, hoff' und glaube! Suche den Ewigen nicht, Du möchtest ihn desto weniger finden, Vielleicht verlieren, wenn du ihn suchest. Glaub' ihn! Er ist dir nahe, um dich, über dir, in dir! Und seine schönste Tochter, die Liebe, Mit ihrer Schwester, der Hoffnung, Gab er dir zur Braut und Gespielin! Jhn singt dir die ganze Natur, Und sein feurigster Psalm ist dir der wandelnde Sternenhimmel. Such' ihm zu gleichen durch Liebe, so viel du kannst. Ringe nach Tugend. Und geböte der Unbekannte nicht; Pflicht ist für dich Der Vollkommenheit Gesetz, Der ewig unwandelbaren, Vor allem vorhandenen; Und die Harmonie des Weltalls Deutet auf sie! Und lohnte kein Jenseits; Und strafte kein Jenseits; (Nur irrende Leiter sind Lohnsucht und Furcht;) Gehorche der Pflicht! Bewahre die Krone, die du hast, Der Menschheit Würde! Fürchte den Tod nicht! Aber verachte ihn nicht! Den großen Lehrer, Den Heiland aus vieler Noth, Der dir die Bande lös't, Der's mit dir endet, oder vollendet! Glaube, er wird es vollenden! Glaub' an dich und Unsterblichkeit! Was drüben seyn wird, Wenn du Weisheit und Tugend Ehrtest und übtest; Wohl dir! du hast dich ! 10) von Christian Schreiber. Die Sprüche des Lebens. Es regt sich die Menschheit in ewiger Fülle; Das Göttliche ruht in erhabener Stille! ─ Und wie auch gebietet der Wechsel der Zeit, Sie ist nur ein Bild der Unendlichkeit; Und wirst du auch nimmer das Leben ergründen, So strebe, dich selbst in dem Leben zu finden. Es schauet dein Blick nur die endliche Scene, Es höret dein Ohr nur verrauschende Töne; Das Leben ist Schatten, die Ewigkeit Licht, Die Sinne erforschen das Göttliche nicht. Doch was dir vertrauen die innern Gefühle, Dem folge, du nahest dem ewigen Ziele! ─ Es giebt eine Ahnung, ein heiliges Glauben! ─ Wer wollt' es der Menschheit, der Hoffenden, rauben? ─ Denn wie auch die Meinung der Völker getrennt, Eins ist, was ein jeder im Herzen bekennt; Daß ein Höheres ist, als das Leben im Staube, Und das ist der wahre, der einzige Glaube! Es giebt eine Liebe zum Hohen und Schönen, Nach stiller Verklärung ein inniges Sehnen; Denn wie auch der Wüstling die Liebe entehrt, Die Reine hat stets ihre Würde bewährt; Und sänken ermattet die feurigsten Kräfte, Die Liebe belebt sie zum neuen Geschäfte. Es giebt eine Hoffnung zu glücklichern Stunden, Ein heilender Balsam für blutende Wunden; Und wie auch die Täuschung, der Trug uns umflicht, Die tröstende Hoffnung verlässet dich nicht. Sie läßt dich nicht sinken im Strome der Zeiten; Durch sie erst gewinnet das Leben Bedeuten. Die Räthsel des Lebens, ─ wer lös't sie dem Auge? ─ Wer ist, der hinab in die Tiefe sich tauche, Die Perle zu suchen auf trüglichem Grund? ─ Wer thut uns den Urquell des Göttlichen kund? ─ Tief unter den Bildern, da lieget die Wahrheit, Und über dem Scheine nur findest du Klarheit! 11) von Tiedge. Unsterblichkeit und Gottheit. (Bruchstück aus der Urania.) ─ Zwei Stunden Zeit, zu werden und zu schwinden, Und eine Sehnsucht, die an Ewigkeiten hängt: Kannst du den Widerspruch ergründen, Daß ans Unendliche das Endliche sich drängt? Die Rose fällt, die Duftgestalt geht unter! ─ Der Staub, der sich durch tausend Formen treibt, Verwes't, verwittert, und in bunter Verwandlung wiederkehrt ─ er bleibt! Und ist der Mensch, der, selbstgebietend, Ein freies, lichtes Seyn in seinem Busen pflegt, Er, der in sich die Welt, in sich die Gottheit trägt, Jst er nur Form, nur Staub? ein Blumenkelch, den wütend Der letzte Sturm herab von seinem Lenze schlägt? Doch warum muß der Mensch durch tausend Tode gehen? Weil tausendfaches Leben ihm gehört. Das ganze Weltall ist ein großes Auferstehen, Das ewig, ewig wiederkehrt. Durch Tode soll der Mensch erst leben lernen; Die Erd' entsinkt, das Reich der Seelen thut sich auf; Die Sonn erlischt, ─ zu tausend Sonnenfernen Winkt uns die dunkle Nacht hinauf! Verlaß den Laubesitz voll abgefallner Blätter! Tritt auf den Jura hin! Vernimm dort die Natur, Dies große Lied von Gott, dies Heldenlied für Götter; Und fühle deine eigne Götterspur. Wohin das Auge blickt, wie sich die Aussicht weitet, Wir ahnen einen tiefen Sinn; Die ganze Gegenwart, die uns umwogt, sie deutet Auf eine große Zukunft hin. Vom Schimmerlicht am Sumpf, bis zu dem Kranz von Tagen, Der blühend durch den Himmel kreis't; O welche Flut des Seyns! Die tiefen Wogen schlagen Bedeutungsvoll an deinen Geist. Es spiegelt in dem Geist, der so erhaben waltet, Weissagend mehr als Eine Welt sich ab, Wenn sie das Heiligthum der Nacht vor dir entfaltet; Und weihend steigt ein Genius herab, An deine Hoheit dich zu mahnen, Zu der du feierlich berufen bist. Unendlichkeit kann nur das Wesen ahnen, Das zur Unendlichkeit erkohren ist. Wie? oder ist es eines Traumgesichtes Verirrung nur, die uns ein hell'res Seyn verspricht? Jst dieser Drang nach höherm Licht Nicht Weissagung des höhern Lichtes? Dann sprich, warum, warum ward uns der Drang verliehn, Der tiefe Wahrheitssinn, der feierlich und kühn, Wie ein erhabner Seher, zu den Räumen Der Unermeßlichkeit hinüber reißt? Woher der immer rege Geist, So über sich hinaus zu träumen, Um dort zu fordern, was ihm hier gebricht? ─ Aus Licht ist er zum Licht gebohren; Zu einem höhern Loos' erkohren, Jst seine Heimath hier auf Erden nicht. Hier ist der Vorsabbath der lichten Sonnenfeier; Die Morgenstunde, die den Späher weckt, Hinauf zu schauen zu dem Schleier, Der uns das Heiligthum versteckt. Und sieh! des Dulders finstern Horizont Umzittert, wie ein rother Morgenschimmer, Ein stilles Leuchten, das die Trümmer Des Lebens freundlich übersonnt. Der Wolkenvorhang war hinweggezogen; Wie eine junge blühende Natur Umarmte sanft ein schöner Friedensbogen Die Stille seiner Lebensflur; Da war's, als spräch' ein Geist zu ihm die Worte: „Kein Funken einer Göttlichkeit verglüht! Zu höherm Glanz führt diese Blumenpforte; Sie ist aus Thränen aufgeblüht!“ Vom Seyn zum Seyn geht alles Leben über; Gestaltung reift zur Umgestaltung nur, Und die Erscheinung schwebt vorüber; Zum Nichtseyn ist kein Schritt in der Natur. Zwar überschattet Nacht den Urquell unsrer Tage; Wir wissen nicht, woher? wir wissen nicht, wohin Der große Strom die kleine Welle trage; Doch mein Triumph ist, daß ich bin! Seyn werd' ich, weil ich bin! des Daseyns höchste Blüthe, Des Daseyns Bürgschaft ist die Kraft in meiner Brust, Die Kraft, daß ich die Tugend mir gebiete; Durch mich bin ich mir dieses Seyns bewußt. Wie Geist und Körper ist, und wie sich Eins hinüber Jns Andre tief zu Einem Seyn verflicht, Zu einem solchen Seyn! der Mensch erforscht es nicht; Es ruhet Gottes Hand darüber! Erforschten wir es auch; sprich, was gewönnen wir? Genug, die Tugend bürgt dafür, Daß nicht in der Natur ein Quell versiegen werde, Der jenseits der Natur entrann. Was irdisch ist, gehört der Erde, Das Heilige gehört dem Himmel an! ─ Unsterblichkeit, auf hehren Schwingen Erflieget der Geist dein lichteres Reich, Und hinter ihm, wo die Gewalten ringen, Verrauscht der Sturm am dürren Gesträuch. Jhr, vom Naturgesetz gehalten, Jhr Sonnen, durchstralt den ewigen Raum; Mein Geist fliegt auf von den Naturgewalten, Und leuchtender stralt sein ahnender Traum! Es ist von ihm hinweggesunken Der irdische Druck; das Göttliche nur, Den heiligen, den reinen Aetherfunken Entwinket ein Gott dem Schoos der Natur! Uns ward ein Tugendsinn und Trieb nach Lebenswonne; Sie sind der Doppelstral, der in dies Leben fällt. Woher der Stral? Er zeigt von einer höhern Sonne, Und deutet mächtig hin auf eine Geisterwelt, Es ist ein Gott! und sieh, die Nebel sind zerflossen Vor diesem Sonnenstral; ein großer Lebenstag, Ein Auferstehungstag ist ausgegossen, Wo dumpfe Mitternacht voll Todesgeister lag! O Mensch, vermisse diesen Glauben, Und fühle, was dein Heiligstes vermißt. Du würdest die Vernunft selbst ihres Lichts berauben; Gott ist, weil eine Tugend ist! Und Heil und Heiligkeit sind zwei verwandte Flammen; Sie flammen hoch durch das Gebiet der Zeit, Und neigen ewig sich durch die Unendlichkeit, Und fallen dort in Einen Geist zusammen; Und dieser Geist ist Gott, kann Gott nur seyn. Kein Endlicher kann sich zu dieser Höh' erheben; Die höchste Seligkeit, das reinste Geistesleben, Sind in sich, durch sich eins; Gott fasset sie allein! Das wär' ein Wahn, ein Traum, was ich so warm umfasse? Was vor dem Geiste sich so dunkelhell enthüllt? Was meinen reinsten Sinn so rein, so tief erfüllt? Nein, jenes Weltall ist die große Körpermasse, Wohinter eine Welt der Geister sich verhüllt. Und diese Geisterwelt ist die erhab'ne Seele, Der Sinn des großen Alls, voll Gott und Götterart; Was göttlich ist, gehört zu dieser großen Seele, Die sich dem stillen Sinn der Ahnung offenbahrt. Du kannst dich dieser Ahnung nicht berauben; Dein Zweifel selbst verräth dir ihre leise Spur. Sie spricht durch die Natur zum Glauben, Der Glaube spricht von ihm zu der Natur. Du zweifelst nicht an jenen Himmelskerzen; Du ahnest Größe dort, und schaust entzückt hinan. Jst denn die Geisterwelt entfernter deinem Herzen? Jn deinem Geiste fängt das Reich der Geister an. Der höchste Geist ist Gott, und du wirst seiner inne, Wann tief der reine Sinn der Tugend dich entzückt; Hier ist sein Heiligthum, und dort im Reich der Sinne Jst er durch Weltnatur und Weisheit ausgedrückt. Jch war dem Tropfen Zeit entronnen; Und offen lag vor meinem Geiste nun Der Ocean, an dessen Ufer Sonnen, Wie ausgeworf'ne Kiesel, ruhn. Die Milchbahn streckte weit durch unermeßne Fluren Die tausend Arme wundervoll hinaus; Dort drückte seine hellen Spuren Verweilender das Wandeln Sottes aus. Da blitzten, wie von Götteridealen, Unsterbliche Gedankenstralen Jn meinem tiefsten Leben auf. Verklärter schwebten Monden hin und Erden, Aus Schattenhallen gingen sie herauf; Zu Morgensternen sah ich Abendsterne werden; Die Schatten blühten selbst zu Lichtgestalten auf. Gestirne zogen dort in weit entfernten Gleisen, Sie drangen bleich herauf mit ihren Nebelaun, Wie Geister, die aus öden Lebenskreisen Nach einer hellern Sonne schaun. So schwang mein Geist sich auf zum Gottesdienst der Sphären. Ha, welch ein Gottesdienst der Nacht! und doch kein Gott? ─ Bei jenen flammenden Altären Jm Tempel der Natur! Hier ist, hier waltet Gott! Sein Odem weht durch diese Stralenlaube; Dort betet die Vernunft: Erhabener, du bist! Bist nahe dem beseelten Staube! Ja, wenn den Heiligen die Grübelei vermißt; Dann findet ahnend ihn der Glaube, Der die Vernunft der Tugend ist. Es sey kein Gott! und todt sind diese Himmelsflammen; Sie haben hin durch deine Nacht geblitzt, Und Trümmer baun den wüsten Thron zusammen, Auf welchem einsam nur und stumm der Tod noch sitzt. Es sey kein Gott, von dem die Welten stammen; Jm Schoos des Zufalls ist der Lichttag aufgewacht; Der weise Zufall rief in aller ihrer Pracht Die tausend Sonnen hin in diese Glanzgefilde, Damit aus tausend Sonnen ─ Eine Nacht, Des Nichtseyns große Nacht sich bilde? Und die Natur, die holde Pflegerin, Auf deren Schoos wir einst in Schlummer fallen, Sie fragt umsonst: woher? wohin? Nein, Gottes Finger schrieb an diese Aetherhallen Mit heller Sternenschrift: ich bin! So find' ich denn im großen Weltenstrome, Wo Schöpfung sich an Schöpfung knüpft, Und im lebendigen Atome, Der, kaum gesehn, im Lichtstral hüpft: Ein Gott bevölkerte die unermeßnen Weiten Mit Geistern, angestralt von seiner Göttlichkeit; Vor ihm ist keine Zeit, uns gab er Raum und Zeiten; Er wandelt still dahin durch seine Ewigkeiten, Sein großer Schatten fällt durch das Gebiet der Zeit. Es herrscht sein unbeschränktes Walten Durch die Unendlichkeit in aller Kraft des Seyns; Gedanken Gottes sind die hehren Weltgestalten; Gott ist das All, das All ist Eins! Jhn preißt dein Leben mehr, als alle Huldigungen Der ewigen Natur, die kein Gedank' ermißt; O glaub' es dir, und den Versicherungen Von tausend Welten, daß Gott ist! Sey denn mit Dunkelheit des Pilgers Pfad umschleiert; Natur und Tugend, hin zur Gottheit führen sie! Der Tugend öffnet sich das Reich der Harmonie; Gott ist das hohe Lied des Tempels, wo sie feiert, Und die Natur die Melodie! Es ist ein Gott! der Tugend verbürgendes Leben Verkündigt ihn; sie wäre nicht, wäre kein Gott. Jhr ist das Wort der innigsten Weihe gegeben; Sie spricht es aus: es ist ein Gott! Sie zeuget laut, sie ruft es hinaus in die Ferne, Hinaus in die mit Welten umblühete Flur. Es ist ein Gott, antworten die ewigen Sterne Durch das Gewölbe der Natur. Der stille Geist, der innerste, seligste Friede Vertraut dem Hain das hohe Geheimniß von Gott. Und leise spricht im flötenden Nachtigallliede Der Hain es nach: es ist ein Gott! Der Erde Druck, die heiligen Leiden des Lebens, Erhöhn den Geist, erheben die Seele zu Gott; Die Tugend kämpft, und fordert den Sieg nicht vergebens; Sie triumphirt: es ist ein Gott! 12) von Pölitz. Die zehn Gebote vom Hirschensteine im Karlsbade am 7 Aug. 1818 niedergeschrieben, und in den thüringischen Erhohlungen abgedruckt. . Ein zweiter Sinai, erhebet in die Lüfte Sein graues Haupt der Hirschenstein, Und Gottes Allmacht grub in diese Granitklüfte Zehn heilige Gebote ein. Von Allem, was da lebt im Staube, fühlet Keiner Jn sich des ewgen Daseyns Spur; Unendlich ist im ganzen Geisterreich nur Einer, Der waltet groß in der Natur. Jhn sucht dein sehnend Herz; ihm beugt sich dein Gewissen; Du sollst ihn lieben, ihm vertraun. Du sollst des Vaters Segen rings um dich genießen; Doch wähne nicht, ihn selbst zu schaun. Du sollst das Gute um des Guten willen üben; Denn dann nur ist dein Wille rein. Du sollst dich selbst, doch mehr noch deine Brüder lieben, Und einig mit dir selber seyn! Zur Herrschaft soll schon hier das ew'ge Recht gelangen, Der Sultanismus untergehn; Jm Frieden soll die mütterliche Erde prangen, Und hoch der Freiheit Fahne wehn! Der Zwingherrn Fesseln, und der Diplomaten Sünden, Sie sollen einst, noch wär's zu früh, Jns Grab, das sie sich selbst bereiten, niederschwinden; Denn Gottes Kraft zerschmettert sie. Du sollst als freier Geist nach höchster Reife streben, Kein Sklave fremder Meinung seyn; Denn nur die selbsterrung'ne Wahrheit führt zum Leben Und zu dem innern Frieden ein. Du sollst das Reich des Lichts auf Erden weit verbreiten; Gott wohnt im Licht, und schuf das Licht, Und er erzieht uns hier zum Licht der Ewigkeiten ─ Was auch des Bonzen Jrrsinn spricht. Doch störe nie den Bruder, der nach andrer Meinung Dem Weltenurgeist schüchtern naht; Wir alle harren jenseits erst des Lichts Erscheinung, Und gehn hier einen dunkeln Pfad. Du sollst, willst du dem Vater in den Höhen gleichen, Sein Ebenbild auf Erden seyn; Dem Strauchelnd-Fallenden die Hand der Liebe reichen, Und selbst dem Sünder gern verzeihn. Du sollst nicht angstvoll zweifeln, nicht im Glauben wanken, Wann sich das letzte Licht verliert; Der Vorsicht Plan stammt nicht aus irdischen Gedanken; Genug, daß dich ein Vater führt! Du bist unsterblich! Lüfte kühn des Geistes Schwingen Jm Vorhof seines Heiligthums! Wann Geist und Leib sich trennen, wirst du siegreich dringen Zu höhern Tempeln seines Ruhms. Es wird ─ mag auch des Hirschensteins Geklüft verwittern, Die Glut des Sprudels untergehn, Des Kreuzbergs wilde Höh' im Sturme niederzittern, ─ Dies heilige Gesetz bestehn! 3) Die epische Form der Dichtkunst. 37. Charakter und einzelne Theile der epischen Form der Dichtkunst. Wenn der Character der didactischen Form der Dichtkunst auf der zur ästhetischen Einheit erhobenen Darstellung von Gefühlen beruht, die durch Begriffe des Verstandes, oder durch Jdeen der Vernunft aufgeregt und hervorgebracht werden; so beruht der Charakter der epischen Form der Dichtkunst auf der zur ästhetischen Einheit erhobenen Darstellung von Gefühlen, die durch Gegenstände in der Naturwelt, oder durch Vorgänge im Reiche der menschlichen Freiheit angeregt und erzeugt werden. Denn ob es gleich der allgemeine Charakter der Dichtkunst, und die Grundbedingung jedes einzelnen dichterischen Erzeugnisses ist, daß Gefühle dargestellt, und diese, vermittelst der idealischen Gestaltung des Stoffes, zur Einheit der Form verbunden werden; so unterscheiden sich doch die einzelnen Hauptklassen der Dichtkunst dadurch von einander, daß der darzustellende Stoff in der lyrischen Form in unmittelbaren Gefühlen des Dichters, in der didactischen Form in Gefühlen, hervorgebracht durch Begriffe des Verstandes oder durch Vernunftideen, und in der epischen Form in Gefühlen, vermittelt durch die Wahrnehmung von Naturgegenständen oder durch die Thatsachen und Wirkungen der menschlichen Freiheit, besteht. So wie also beim Lehrgedichte ein Begriff des Verstandes oder eine Jdee der Vernunft die Gefühle im Gemüthe des Dichters aufreget, welche, unter der Thätigkeit der idealisirenden Einbildungskraft, zur vollendeten Einheit der Form verbunden werden; so sind es im epischen Gedichte entweder Gegenstände und Erscheinungen in der Naturwelt, oder Jndividuen, Thatsachen und Vorgänge in der Welt der Freiheit, welche Gefühle anregen, denen die Einbildungskraft, vermittelst des freien Spieles ihrer Thätigkeit, die idealische Hülle ertheilt. Die Stoffe der epischen Dichtkunst unterscheiden sich daher von den Stoffen der geschichtlichen Prosa, bei aller übrigen Verwandtschaft mit denselben, theils dadurch, daß sie Gefühle, welche durch Thatsachen und Ereignisse veranlaßt werden, und nicht zunächst und ausschließend Thatsachen und Vorgänge schildern, wie die geschichtliche Prosa; theils dadurch, daß kein reingeschichtlicher Stoff als episch betrachtet und behandelt werden kann, der nicht an sich geeignet ist, Gefühle zu erregen, und der nicht in dem Gemüthe des epischen Dichters die aufgeregten Gefühle zur ästhetischen Einheit erhebt. Es werden also nicht alle geschichtliche Stoffe, ohne Ausnahme, der epischen Darstellung fähig seyn. Denn so wie es Begriffe, Jdeen und Gegenstände der menschlichen Erkenntniß giebt, welche keine Gefühle für die ästhetische Darstellung in der didactischen Dichtkunst zu vermitteln vermögen; so giebt es auch Naturgegenstände und Vorgänge in der Wirklichkeit (z. B. ein stinkender Sumpf, ein verwesender thierischer Leichnam, eine Lazareth-Amputation, eine Section u. s. w.), die sich nicht für die dichterischen Darstellungen eignen, weil sie das Gefühl zurückstoßen, statt daß es für die dichterische Behandlung mächtig aufgeregt, so wie, durch diese Aufregung, die Einbildungskraft in eine freie Thätigkeit zur Hervorbringung einer idealischen Form versetzt werden soll. Allein für diese Beschränkung der epischen Dichtkunst von der einen Seite in Hinsicht des Stoffes, wird sie von der andern wieder hinreichend entschädigt, daß sie, was dem Geschichtschreiber in der Prosa nie verstattet ist, theils die wirklichen Naturgegenstände und Thatsachen der Geschichte, nicht nach ihrer geschichtlichen Wahrheit, sondern nach ihrer ästhetischen Darstellbarkeit, d. h. nach den Gesetzen des Jdeals behandeln, theils daß sie sogar, nach der Aehnlichkeit wirklicher Erscheinungen und Vorgänge, Naturerscheinungen, Jndividuen und Thatsachen, die nie im Kreise der wirklichen Welt bestanden, durch die schöpferische Einbildungskraft ins Daseyn rufen darf, unter der einzigen Bedingung, daß der darzustellende Stoff einen ästhetischen Charakter trägt, und daß er von dem Dichter zur vollendeten Einheit der Form erhoben wird. Durch dieses freie Schaffen einer idealischen geschichtlichen Welt unterscheidet sich daher der epische Dichter wesentlich von dem Geschichtsschreiber in der Prosa. Es heißt den Charakter der epischen Dichtkunst, nach der Unermeßlichkeit ihrer Stoffe und Gebilde, ganz verkennen, wenn man z. B. dem Dichter eines Romans vorwirft, er habe einen Marc Aurel, einen Karl den Großen, einen Attila, einen Tamerlan, eine Jungfrau von Orleans, eine Maria Stuart, u. a. nicht mit geschichtlicher Treue gezeichnet. Dies war weder sein Beruf, noch seine Aufgabe. Allein wenn er diesen, im Allgemeinen aus der wirklichen Welt entlehnten, Stoff durch seine Behandlung nicht zu idealisiren, wenn er ihm nicht die ästhetische Einheit der Form zu ertheilen, wenn er nicht innerhalb dieser Form tiefe, innige und warme Gefühle auszuathmen vermochte; dann hat er freilich den Stab über sich selbst gebrochen, weil er weder Historiker, noch Dichter war, indem er das erste nicht seyn wollte und zu seyn nöthig hatte, das zweite aber, aus Mangel an Tiefe des Gefühls und aus Mangel an schöpferischer, die Einheit der ästhetischen Form erzeugenden, Einbildungskraft nicht zu seyn vermochte. Sobald aber der epische Dichter mit schöpferischer Kraft über den, der wirklichen Geschichte entlehnten, Stoff waltet, und denselben für ästhetische Zwecke in idealischen Formen ausprägt; sobald darf ihn das Urtheil der strengen Historiker nicht kümmern, wenn sie über den Eingriff in ihr Gebiet Klage führen. Denn kommt ihnen die Kraft des Geistes zu, den rein geschichtlichen Stoff zu einer vollendeten Form des prosaischen Styls, nach allen Bedingungen des Gesetzes der Form, zu gestalten; so werden sie innerhalb ihres Gebietes eben so classisch erscheinen, als der epische Dichter in dem seinigen, und Niemand wird Bedenken tragen, Schlözer, Spittler, Johannes Müller, Wachler, Luden u. a. auf gleiche Linie, innerhalb der gediegenen Form der geschichtlichen Prosa, mit den classischen Dichtern in den Formen der epischen Dichtkunst zu stellen, so verschiedenartig auch die Art und Weise ist, wie der Prosaiker, und wie der epische Dichter dem Gesetze der Form Genüge leistet. 38. Fortsetzung. Unverkümmert bleibt daher dem epischen Dichter das Recht, gleich dem Geschichtsschreiber in der Prosa, über alle Stoffe der beiden geschichtlichen Kreise: der Vergangenheit und der Gegenwart, unter der einzigen Bedingung zu gebieten, daß diese Stoffe ästhetisch darstellbar sind. Allein vorzugsweise vor dem Geschichtsschreiber in der Prosa behauptet der epische Dichter auch das Recht, eine idealische Vergangenheit und Gegenwart, als reines Erzeugniß seiner schöpferischen Einbildungskraft zu gestalten, sobald er den frei ins Daseyn gerufenen Stoff theils nach dem Gesetze der logischen und ästhetischen Möglichkeit, theils nach dem Gesetze der Form, als eine in sich gediegene und vollendete Kunstform, behandelt. Unter diesen Bedingungen gehört die ganze Zauber= und Geisterwelt in den Kreis der Stoffe des epischen Dichters, die er in den meisten einzelnen Formen der epischen Dichtkunst, in dem ernsthaften und komischen Epos, in der Romanze, Ballade, in der Legende u. s. w., mit dichterischer Freiheit anwenden kann; nur daß alle, der wirklichen Welt nicht einheimische, Wesen (z. B. Engel, Teufel, Feen, Sylphen, Nixen u. a.) nach dem Gesetze der logischen Möglichkeit und der ästhetischen Darstellbarkeit sich ankündigen müssen. Gegen die logische Möglichkeit verstößt aber blos der Unsinn, d. h. was nach dem Gesetze der formellen Wahrheit, ohne innern Widerspruch, nicht gedacht werden kann; so wie gegen die ästhetische Darstellbarkeit das verstößt, was keine Schönheit der Form verstattet, was mithin nie unter das Gesetz der Form ─ das höchste für alles durch Sprache Darstellbare und Dargestellte ─ gebracht werden kann. Weil aber unzählige einzelne vollendete Formen der epischen Dichtkunst ohne diese Beimischung einer Zauber- und Geisterwelt bestehen; so darf diese sogenannte Maschinerie nicht als zum Wesen der epischen Dichtkunst selbst erforderlich betrachtet werden, wie einige Theoretiker gethan haben. Denn so gewiß diese Maschinerie, nach den vorhandenen classischen Dichtern in der epischen Form, zu den Eigenthümlichkeiten der epischen Dichtkunst gehört; so gewiß darf sie doch nur zum Luxus, und nicht zum ursprünglichen Wesen dieser dichterischen Form gerechnet werden, weil sonst die Maschinerie bei keinem einzelnen classischen Erzeugnisse der epischen Dichtkunst fehlen dürfte. ─ Noch aber gehört es zu der Erweiterung des reichen Gebietes der epischen Stoffe, daß der epische Dichter ─ nächst den Thatsachen und Erscheinungen in der Wirklichkeit, sie heiße Vergangenheit oder Gegenwart, und nächst den durch die Einbildungskraft ästhetisch umgeschaffenen wirklichen Vorgängen, oder vermittelst der Einbildungskraft, nach dem Gesetze der logischen Möglichkeit und ästhetischen Darstellbarkeit, völlig neugestalteten Jndividuen, Begebenheiten und Naturerscheinungen, ─ eben so gut auch abwärts von dem Menschen (z. B. in der Fabel) seine Stoffe aus dem Kreise der unbelebten und der thierischen Organisationen, wie aufwärts aus den Kreisen der übersinnlichen Welt entlehnen, und beide Kreise mit dem unmittelbaren Kreise der menschlichen Freiheit in Verbindung und Wechselwirkung bringen kann, doch jedesmal nach einem festbestimmten Verhältnisse beider Kreise zum Kreise der menschlichen Freiheit. Denn das in der Fabel dargestellte Thier erscheint so wenig um seiner selbst willen, als das höhere Wesen in dem Epos und in der Ballade; beide sind des Menschen wegen da, um entweder den thierischen Jnstinkt in einer ästhetischen Verhüllung an den Wirkungskreis der menschlichen Freiheit zu halten, oder ein übersinnliches Wesen, nach seiner geistigen und überirdischen Kraft, in Gegensatz und Widerstreit, oder auch in Verbindung und Unterstützung mit den geistigen und physischen Kräften der handelnden Jndividuen zu bringen. Die dramatische Form der Dichtkunst, die der epischen nahe verwandt ist, unterscheidet sich dadurch wesentlich von derselben, daß in der epischen Form der Dichter in seinem eignen Namen spricht und wirkt, während der dramatische Dichter seine Jndividualität ganz aufopfert, und die Personen, die er schildert, selbst in die Mitte der Darstellung versetzt, um durch dieselben die Handlung durchführen und die ästhetische Einheit der Form vollenden zu lassen. Die einzelnen Formen der epischen Dichtkunst sind: a ) das ernste Heldengedicht; b ) das komische Heldengedicht; c ) die Romanze und Ballade; d ) die Legende; e ) die poetische Erzählung; f ) die Fabel. 39. a ) Das ernste Heldengedicht. Der Charakter des ernsten Heldengedichts beruht auf der zur ästhetischen Einheit vollendeten Darstellung des Kampfes der menschlichen Kraft überhaupt, besonders aber der Kraft des freien Willens mit der Macht des Schicksals. Das Heldengedicht versinnlicht daher zwei einander gegen über stehende Größen: Freiheit und Naturnothwendigkeit; die erste vergegenwärtigt in der Thätigkeit eines menschlichen Wesens, die zweite in einer auf den Menschen eindringenden äußern Macht und Gewalt, so daß die ästhetische Aufgabe des Epos und die Wirkung desselben in der Darstellung dieses Anwogens zweier feindlicher Kräfte gegen einander sich ankündigt, wodurch, bei der Anschauung dieses Kampfes, das gemischte Gefühl der Lust und der Unlust angeregt wird, bis zuletzt im Augenblicke der ästhetischen Vollendung der Form ─ es siege nun der Held über das feindliche Schicksal, oder er unterliege demselben ─ das Gefühl der Lust das Uebergewicht über das Gefühl der Unlust behauptet. Das Heldengedicht verlangt also Handlung, und zwar Handlung eines menschlichen d. i. eines, neben der physischen Kraft, mit geistiger Kraft und mit Freiheit des Willens ausgestatteten, aber unter den Schranken der Endlichkeit stehenden, und gegen die Macht der Naturnothwendigkeit, oder gegen die Vernichtung drohende Freiheit Andrer, anstrebenden Wesens. Denn im Epos wird unter dem Schicksale, das der Kraft des Helden feindlich sich entgegenthürmt, bald die in ihren Ankündigungen unaufhaltbar wirkende äußere Natur, bald die mit allem Nachdrucke berechneter Klugheit und abgemessener Bosheit anstrebende feindliche Freiheit andrer Wesen seiner Gattung, bald beides zusammen in abwechselndem Kampfe, bald aber auch der Antheil überirdischer Wesen an diesem mächtigen Kampfe verstanden. Von selbst folgt daraus, daß ─ sobald der Dichter seines Stoffes völlig mächtig ist ─ die ästhetischen Eigenschaften der Kraft, des Kühnen, des Edlen und Würdevollen, des Unerwarteten und Wundervollen, des Großen, des Erhabenen und Feierlichen, des Pathetischen und Rührenden (vgl. Th. 1. §. 51. 53─59), für die Aufnahme in das ernste Heldengedicht besonders sich eignen, so wie, durch die Vergegenwärtigung dieser Eigenschaften innerhalb der vollendeten epischen Form, in dem Gemüthe des Anschauenden der Kampf des Gefühls der Lust mit dem Gefühle der Unlust veranlaßt wird, der, nur in dem Augenblicke der Entscheidung der epischen Handlung, in den Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Lust übergeht. Ob nun gleich der im Epos dargestellte Held eben so nach seiner physischen Kraft, und nach seinen geistigen Vermögen, namentlich nach der Größe seiner Vernunft und nach der Jnnigkeit seines Gefühls, wie nach seiner sittlichen Freiheit im Kampfe mit dem auf ihn eindringenden feindlichen Verhängnisse erscheinen kann; so erfüllt doch der Kampf der sittlichen Kraft gegen die Macht des widrigen Schicksals mit einem erhöhtern gemischten Gefühle der Lust und der Unlust, als die bloße Wahrnehmung der Aeußerung der physischen oder intellectuellen Kräfte, obgleich die ästhetische Wirkung des Heldengedichts zunächst auf dem idealisirten Anstreben gegen große, während des Kampfes fortdauernd gesteigerte, Schwierigkeiten beruht, in deren Besiegung die dem Helden einwohnende Kraft sich bewährt. Unter dieser Bedingung darf es auch nur Ein Jndividuum seyn, das im Mittelpuncte der dichterischen Darstellung steht. Auf diesen Helden muß sich alles im Epos beziehen; alles muß um seinetwillen da seyn; nichts darf in die Darstellung aufgenommen werden, das nicht in näherer oder entfernterer Verbindung mit ihm, und zwar nach dem Verhältnisse stände, in welchem er seine Kraft thätig beweiset. Das Erste daher, worauf es im Epos ankommt, bleibt die versinnlichte Darstellung, Haltung und Durchführung des Helden und der Aeußerung seiner durch das Schicksal aufgebotenen Kraft. Das Zweite ist die dichterische Schilderung der Macht des Schicksals, gegen welche er kämpft. Zwischen seiner Kraft und der Macht des Schicksals muß aber in der epischen Kunstform das sorgfältigst berechnete Verhältniß herrschen. Denn wäre die Macht des Schicksals ursprünglich stärker, als die Kraft, die gegen sie ankämpft; so wäre der Sieg des Schicksals im Voraus entschieden. Wäre hingegen die Kraft des Helden, als solche, sogleich in ihrer ersten Ankündigung überwiegend über die Gewalt des Schicksals, das sie zum Kampfe anregt; so könnte der Held nicht der Gegenstand unsrer Theilnahme und Bewunderung werden, weil nur die Gleichmäßigkeit der Kraft des Andranges und des Widerstandes die hohe Bewegung und den innern Kampf der Lust und Unlust im Gefühlsvermögen hervorbringt. Nur dadurch also, daß, bis zum Schlusse des Epos, gleichmäßig mit der sich verstärkenden Macht des Schicksals auch die Kraft des Helden in einer unverkennbaren Steigerung sich ankündigt, wird das Jnteresse an der Darstellung erhalten und erhöht. Mag übrigens der Held zuletzt siegen oder unterliegen; so streitet beides nicht mit dem Charakter des Epos; nur muß der Held, wann er unterliegt, als ein Wesen fallen, das bis zum letzten Augenblicke den Anspruch auf Achtung, Theilnahme und Bewunderung behauptet. Selbst der überirdische, der göttliche Held muß, sobald er im Epos erscheint, als sittlich vollendeter Mensch, im Vollgefühle und in der Vollkraft aller höhern geistigen Vermögen, nach der höchsten Reife der Vernunft, nach der größten Jnnigkeit, Reinheit und Stärke des Gefühls, und nach der unwiderstehlichen Kraft der geläutertsten sittlichen Freiheit sich ankündigen, um, ausgestattet mit dieser Gesammtheit vollendeter Eigenschaften, den großen Kampf mit der andringenden Macht des feindlichen Schicksals zu bestehen; denn der Knoten, dessen Schürzung auf der Steigerung dieses Kampfes beruht, soll nicht durch überirdische Kräfte zerhauen, sondern durch die Kraft des freien Willens gelöset werden. Der Dichter des Epos ist, wie die Theorie der epischen Dichtkunst überhaupt (§. 37 und 38.) zeigte, wenn er auch geschichtliche Thatsachen zur Unterlage seiner Darstellung wählt, nicht an das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit gebunden; wohl aber muß er die dichterische Wahrheit, die innere Nothwendigkeit in den Handlungen des Helden, und den innern Zusammenhang zwischen der Freiheit des Helden und der Macht des Schicksals festhalten, weil ohne diese innere Nothwendigkeit keine Einheit der ästhetischen Form möglich ist. Aus dem Festhalten dieser innern Nothwendigkeit ergiebt sich die Eintheilung des Epos in die einzelnen Acte oder Gesänge, so daß jeder einzelne Gesang ein in sich abgeschlossenes Ganzes des dargestellten Kampfes zwischen der Freiheit des Helden und der Macht des Schicksals bildet, obgleich jeder einzelne Gesang mit den vorhergehenden und nachfolgenden Gesängen im nothwendigen Zusammenhange stehen muß. Selbst die Aufnahme des Wunderbaren und Uebersinnlichen in das Heldengedicht (§. 38.) steht unter diesem Gesetze der innern ästhetischen Nothwendigkeit, so daß es keinen zufälligen und außerwesentlichen, sondern einen nothwendigen Bestandtheil der ganzen Handlung bildet. Die künstlerische Anlegung, Haltung und Durchführung des Epos, der darin vorherrschende Ton des Gefühls, und die wechselnde Farbengebung in den einzelnen dargestellten Gruppen und Schilderungen, ist eine Wirkung der Begeisterung und der schöpferischen Einbildungskraft des Dichters, und wird deshalb ─ im ganzen Umfange der ästhetischen Form ─ das Gepräge der Jndividualität des Dichters an sich tragen. Je größer seine dichterische Kraft ist, den Helden nach allen seinen Handlungen und Ankündigungen im Glanze des Jdeals, und, ihm gegen über, die Macht des Schicksals in ihrem ganzen Umfange darzustellen; je bestimmter das Gesetz des innern Zusammenhanges und der Nothwendigkeit zwischen allen einzelnen Theilen herrscht, und je mehr es ihm gelingt, das Jnteresse an der Darstellung bis zu dem Schlusse hin zu steigern; desto umschließender und sicherer wird die Wirkung des Epos seyn. Wenn man in neuerer Zeit den ästhetischen Charakter des Epos beinahe zu überschätzen und die epischen Dichtungen über die lyrischen zu stellen suchte; so darf man, um beide gehörig zu würdigen, den wesentlichen Unterschied zwischen beiden nie übersehen. Die lyrische Form der Dichtkunst versinnlicht nämlich die höchste Kraft des intensiven Lebens der Gefühle, die epische Form die möglichst höchste extensive Ankündigung dieser Gefühle in Handlungen, welche rückwärts in dem menschlichen Gefühlsvermögen begründet und mit den Aeußerungen dieser Gefühle vergesellschaftet sind. Die Aufgabe und der Zweck der lyrischen Dichtkunst ist daher die sinnlich vollendetste Subjectivität, so wie die Aufgabe und der Zweck der epischen Dichtkunst die sinnlich vollendetste Objectivität. ─ Ungeachtet dieser ursprünglichen Verschiedenheit ihres ästhetischen Charakters, stehen aber doch die lyrische und epische Form der Dichtkunst einander gleich in Hinsicht des ästhetischen Gehalts; denn dieser beruht nicht auf der Wahl des dichterischen Stoffes, sondern auf der Gediegenheit und ästhetischen Vollendung der Form, so wie das größere Wohlgefallen entweder an der lyrischen, oder an der epischen Form ─ bei gleicher Classicität derselben ─ von der individuellen Stimmung dessen abhängt, der bei der Betrachtung dieser Kunstformen verweilt. Man darf übrigens den modernen Epos nicht mit dem griechischen verwechseln; denn mehr, als die lyrische und didactische Form der Dichtkunst, trägt die epische die Farbe und das Gepräge der einzelnen Völker und Zeiten, weil ihr Jndividuen, Ereignisse und Thatsachen zum Grunde liegen, die nur im Lichte ihrer Zeit ganz richtig aufgefaßt werden können. So viel daher auch der epische Dichter von der geschichtlichen Wahrheit in seiner Darstellung abgewichen seyn mag; so wird er doch das Zeitalter, mit seinen Vorstellungen und Ansichten von Religion und Staatsleben, so wie das Volk nicht verläugnen können, aus dessen Geschichte mehr oder weniger in die einzelnen Schilderungen ─ vielleicht selbst nur in die Episoden ─ des Epos übergeht. Dies gilt von der Jlias und Odyssee, wie von dem Heldenbuche und dem Niebelungenliede. Kein Dichter der griechischen und römischen Vorzeit hätte des heiligen Grals, oder des Ezels und Siegfrieds gedenken können, und Dante in seiner göttlichen Komödie, Tasso in seinem befreiten Jerusalem kündigen nicht nur sogleich sich als christliche Dichter, sondern auch ─ im Gegensatze der Ritterdichtkunst des eigentlichen Mittelalters ─ als epische Dichter im ausgehenden Mittelalter an. Eben so tragen Miltons verlornes und wiedergefundenes Paradies theils den Charakter eines brittischen Dichters, theils die Farbe der religiösen und kirchlichen Ansichten seiner Zeit. Dies gilt selbst von dem vollendetsten Epos in teutscher Sprache, von Klopstocks Messiade. ─ v. Schönaichs Hermann, oder das befreite Teutschland, Bodmers Noachide, und Joh. Elias Schlegels Heinrich der Löwe stehen, in Hinsicht der ästhetischen Haltung, weit hinter dem Messias. Kräftig war der Ton in Zachariä's Schöpfung der Hölle; sein Cortes aber, und Wielands Cyrus blieben Bruckstück. Geßners Tod Abels und Voß Luise müssen als idyllisches Epos aufgeführt werden. Allein v. Sonnenberg schwang sich im religiösen Epos ─ im (unvollendeten) Weltende, und in Donatoa ─ dem Sänger des Messias am nächsten; so wie v. Alxinger im Doolin von Mainz und im Bliomberis, und Fr. Aug. Müller im Richard Löwenherz, Alfonso, Adelbert dem Wilden ─ mit wenigen andern ─ im ernsten weltlichen Epos nicht ohne Achtung genannt zu werden verdienen, wenn auch der ästhetische Gehalt ihrer Epopöen nicht überfeiert werden darf. 40. Beispiele aus dem ernsten Heldengedichte. 1) vom Freiherrn v. Schönaich († 1807; 81 Jahre alt). (aus s. Hermann, oder das befreite Teutschland; neue Aufl. Leipz. 1753. ─ Bruchstück aus dem zwölften Buche, wo Hermann die Teutschen den unter Varus sich nähernden Römern entgegen führt.) „Jauchzet Brüder, rufet Hermann, daß sie so vermessen sind; Daß die längst gehemmte Rache endlich Platz nnd Feld gewinnt; Gold und Purpur gleißen zwar auf den aufgeputzten Waffen; Aber was kann Gold und Glanz wider Stärk' und Tugend schaffen? Marsen! schaut! das sind die Feinde, die euch Joch und Ketten dräun; Schaut doch die vergoldten Waffen! Sollten die euch schrecklich seyn? Friesen, Sachsen, dämpft die Welle, die von jenem Hügel braust! Folgt Cherusker, und ihr Katten, thut, wie eures Fürsten Faust! Es wird keine Kunst doch seyn, Weichlinge zu überwinden; Und der Stolzen Lager muß heut in Rauch und Dampf verschwinden. Rastolf, nimm dort jenes Adlers, der so prächtig schimmert, wahr; Stell' ihn, Herzog, nach dem Treffen im geweihten Haine dar! Wer des Varus Scheitel wird vor des Hermanns Füße bringen; Dem soll unsrer Barden Mund Lob und Dank und Lieder singen.“ Säng ich gleich mit Götterstimmen, würde doch mein Lied zu schwach; Welche Göttin folgt den Helden unter Schwert und Spieße nach? Zwar die Zwietracht schürt die Glut, und Bellonen sieht man toben; Und Morbona selber hat ihre Schwingen frech erhoben. Krachend bricht sie aus der Hölle, bringet Tod und Schrecken mit; Das bewegte Teutschland zittert, wenn die Göttin niedertritt. Aus den Wüsten treibt sie Volk; sie entzündet Süd' und Norden; Und die stets beeiste Welt ist zur Schlacht gerufen worden. Hier spannt Mavors seinen Bogen, und sein Ruf erhitzt die Schlacht; Römer und auch Teutsche gleiten, weil das Blut sie gleiten mache. Varus, den die Schlacht nunmehr, Noth und Schand' und Ruhm entflammen, Sammlet seinen ganzen Muth in der stolzen Brust zusammen. „ Römer, ruft er, denkt an Cäsar, denkt an Rom und an die Welt, Die nun ihre scheuen Blicke nur auf euch gerichtet hält. Folget mir!“ und also bricht er der Ketten feste Glieder; Rastolf selber wird gehemmt; Teutsch' und Römer sinken nieder; Diesen flammen Ruhm und Ehre, und die goldnen Adler an; Jenen treibt die Freiheit wieder, die er nicht verlieren kann. ─ Varus, der sich von dem Sande unterdessen aufgemacht, Schweigt, und sieht mit bittern Schmerzen seines Heers gebrochne Kraft. Zähren voller Blut und Staub dringen von bestaubten Wangen, Die Verzweiflung zwinget ihn, nach dem Tode zu verlangen, Rasend greift er nach dem Schwerte, das zerknicket vor ihm liegt; Stößt es wütend in den Busen, daß sich Griff und Klinge biegt. Sprudelnd springt das Blut und fleußt auf die grauserfüllten Matten; Seine schwarze Seele fleucht zu der Väter edlen Schatten. Haubold, ein verwegner Teutscher, nimmt der Römer Feldherrn wahr; Gleich trennt er mit einem Hiebe seinen Kopf vom Rumpfe gar, Eilt zum Helden, ruft und spricht: „Fürst, hier liegt der Feind im Staube!“ Hermann siehts, und giebt ihm gleich den vergoldten Helm zum Raube. Edmund aber wird berufen. „Freund, so klingt des Herzogs Wort, Bringe diesen Kopf dem Marbod!“ Augenblicklich eilt er fort, Dieses Zeichen des Triumphs, da hier Teutschland Rom geschlagen, An der Marcomannen Hof zur Beschämung hinzutragen. So erfocht der Held die Freiheit; so bezwang er die Gefahr, Die der ganzen Erde schrecklich, und den Teutschen rühmlich war. Des beeisten Nordens Meer sah die frechen Adler glänzen; Nur der lorbeerreiche Tag setzte Rom den Rhein zu Grenzen. Rom erschrack; Augustus bebte; und man hielt den Feind so nah, Daß der Bürger ganz erschrocken Hermanns Schwert entgegen sah. Blut von tausend Opfern floß, wie das Fett von den Altären; Wahn und Andacht sollten nun den erzürnten Schwertern wehren. Doch der Held war seinen Völkern lang ein Fels, und starker Schild; Und ist noch den spät'sten Enkeln der vergeßnen Pflichten Bild. Bei den Teutschen hörte Rom endlich auf, zu überwinden; Endlich mußte diese Macht durch der Väter Arm verschwinden. Ach, wo lebt nun wohl ein Hermann? Holder Himmel, schaff' ihn doch! Teutschland heget ja wohl Helden; aber keinen Hermann noch. Jst es möglich, o, so laß meinen heißen Wunsch gelingen; Und du, Muse, sollst alsdann mit erhabnerm Tone singen ! 2) von Klopstock († 1803). Jesus in Gethsemane. (aus dem fünften Gesange des Messias.) ─ Jetzt denkt Gott sich selbst, und das Geisterheer, das ihm treu blieb, Und den Sünder, das Menschengeschlecht! Da zürnet er. Ruhend Hoch auf Tabor, hält er den tieferzitternden Erdkreis, Daß der Staub nicht vor ihm in das Unermeßliche stäube! Wendet gegen Eloa darauf sein schauendes Antlitz, Und der Seraph versteht die Red' in dem Antlitz Jehovah's; Steigt von dem Tabor gen Himmel. So hub von der Hütte des Bundes Sich die Führerin weg, die himmelstützende Wolke, Wenn das Volk, der sichtbare Zeuge von Bethlehems Sohne, Seine Gezelte von Oede zu Oed' auf Moses Gebot trug. Und der Gesendete stand auf einer Mitternacht stille, Schaute zum Oelberg nieder, erhub die Donnerposaune, Tönte des Weltgerichts Entsetzen aus der Posaune, Rufte gegen die Erd', und sprach: Bei dem furchtbaren Namen Dessen, der ewig ist, und seiner Gerechtigkeit Dauer Mit Unendlichkeit maß; der hält die Schlüssel des Abgrunds, Der mit rügender Flamme die Hölle, den Tod mit Allmacht, Und mit Gericht bewaffnet! Jst einer unter den Himmeln, Welcher, statt des Menschengeschlechts, im Gericht will erscheinen, Dieser komme vor Gott! So ruft Eloa vom Himmel. Und der Gottmensch schaute dem hohen Seraph ins Antlitz, Hörte den Klang der Posaune! Da ging er mit schnellerem Schritte Jn Gethsemane fort. Noch folgten ihm drei von den Jüngern Jn die schreckende Nacht. Er entriß sich ihnen, und eilte Ganz in das Einsame hin. Jehovah hub das Gericht an. Jn das Heiligste hast du mich zwar, Sionitin, geführet, Aber nicht in das Allerheiligste. Hätt' ich die Hoheit Eines Propheten, zu fassen die ewige Seele des Menschen, Und mit gewaltigem Arm sie fortzureißen; und hätt' ich Eines Seraphs erhabene Stimme, mit welcher er Gott singt; Tönete mir von dem Munde die schreckensvolle Posaune, Die auf Sina erklang, daß unter ihr bebte des Bergs Fuß; Sprächen der Cherubim Donner aus mir, Gedanken zu sagen, Deren Hoheit selbst der Posaune Ton nicht erreichte: Dennoch ersänk' ich, du Gottversöhner! dein Leiden zu singen, Als mit dem Tode du rangst, als unerbittlich dein Gott war. Ueber den Staub der Erde gebückt, die, im Graun vor dem Richter, Gegen sein Antlitz herauf mit stillem Schauer erbebte, Und im Beben den Staub zahlloser Kinder von Adam, Alle verdorrten Gebeine der todten Sünder, bewegte, Lag der Messias, mit Augen, die, starr auf Tabor gerichtet, Nichts Erschaffenes sahn, des Richtenden Antlitz nur schauten, Bang, mit Todesschweiße bedeckt, mit gerungenen Händen, Sprachlos, aber gedrängt von Empfindungen! Stark, wie der Tod trifft, Schnell, wie Gottes Gedanken, erschütterten Schauer auf Schauer, Auf Empfindung Empfindung, des ewigen Todes Empfindung Den, der Gott war, und Mensch. Er lag, und fühlt', und verstummte. Aber da immer bänger die Bangigkeit, heißer die Angst ward, Dunkler die Nacht, gewaltiger klang die Donnerposaune; Da stets tiefer bebte der Tabor unter Jehovah; Statt des Todtesschweißes, vom Antlitz des Leidenden Blut rann: Hub er vom Staube sich auf, und streckte gen Himmel die Arm' aus; Thränen flossen ins Blut; er betete laut zu dem Richter: Vater, die Welt war noch nicht. Bald starb der Erste der Menschen; Bald ward jede der Stunden mit sterbenden Sündern bezeichnet! Ganze Jahrhunderte sind, von deinem Fluche belastet, Also vorübergegangen. Nun ist sie, Vater, gekommen; Da die Welt noch nicht war, da noch kein Todter verwes'te, Wurde sie schon die selige Stunde des Leidens erkohren! Und nun ist sie gekommen! O seyd mir, Schlafende Gottes, Seyd mir in euren Grüften gesegnet! Jhr werdet erwachen! Ach wie fühl' ich der Sterblichkeit Loos! Auch ich bin geboren, Daß ich sterbe! Der du den Arm des Richters emporhältst, Und mein Gebein von Erde mit deinen Schrecken erschütterst, Laß die Stunde der Angst mit schnellerem Fluge vorbeigehn! Vater! es ist dir alles möglich, ach laß sie vorbeigehn! Ganz von deinem Zorn, von deinen Schrecken gefüllet, Hast du mit ausgebreitetem Arm den Kelch der Leiden Ueber mich ausgegossen. Jch bin ganz einsam, von allen, Die ich liebe, den Engeln, den Mehrgeliebten, den Menschen, Meinen Brüdern, von dir, von dir, mein Vater, verlassen! Schau, wo du richtest, ins Elend herab! Jehovah! wer sind wir, Adams Kinder, und ich! Laß ab, die Schrecken des Todes Ueber mich auszugießen! Doch nicht mein Wille geschehe! Vater, dein Wille gescheh'! Mein hingeheftetes Auge Schauet aus in die Nacht, und kann nicht weinen; mein Arm bebet, Starrt nach Hülfe gen Himmel empor; ich sink' auf die Erde: Sie ist Grab! Es ruft, durch alle Tiefen der Seele, Laut ein Gedanke dem andern: Jch sey von dem Vater verworfen! Ach, da der Tod noch nicht war! da noch die Stille des Vaters Ruht' auf dem Sohne! da Adam ward, daß er ewig lebte. Aber mein Erdegebein trägt auch die Gottheit! Jch leide! Jch bin ewig, wie du! Es gescheh', o Vater, dein Wille! Also sprach er, und richtete sich von seinem Gebet auf, Stützt' auf die wankende Rechte sich nieder, und schaut' in die Nacht hin . 3) von Bodmer (1783). Bruchstück aus dem achten Gesange der Noachide. (nach der umgearbeiteten Auflage vom J. 1781). ─ Als der Komet den Grenzen der Erde so nahe gekommen, Daß er kaum seinen Durchschnitt von ihrer Kugel entfernt flog, Sieh, da verließen die Wasser des Oceans ihre Gestade, Hoben den Rücken empor, und schwollen gegen den Stern auf. Lange schon streifte die Atmosphäre des fremden Gestirnes An die Grenzen der Erde, die beiden vermengten sich kreuzend, Seltsam verflochten; mit Arbeit und Müh rangen Stern und Erdball Einen Pfad durch den andern, damit er unaufgehalten Seinen verordneten Kreis in des Aethers Gefilden vollbrächte. Von der Gewalt im Grund unwiderstehlich erschüttert, Fielen die Thürme zu Trümmern, die Tempel und hohen Paläste, Hügel fielen auf Hügel, und Klippen stießen an Klippen. Als die Planeten so kämpften, zerriß der Dunstball des Schweifsterns. Eine Nacht hing über der andern an ehernen Ketten, Schwärzere Schatten, als welche sich über Cimmerien hängen. Oefters erhellte die tödtlichen Schatten ein schlängelndes Blitzen, Breit, wie ein Strom, und kreuzend vom Aufgang zum Untergang, Donner Brüllten mit schmetternder Stimm', und unter die Stimme des Donners Heulte Verzweiflung. Der Tod war in allen Gestalten vorhanden; Hing in der Luft, und wühlt' in der Erd', und stürmte vom Meer her; Wo man hinsah, da droht' allgegenwärtig sein Antlitz, Aber jetzt rissen die Bande der Wolken; die Urnen und Schläuche Thaten sich auf, und gossen kometische Meere herunter. Wen nicht die Erde begrub; den ergriff die Flut, o sie schleppte Unerbittlich zum Tod Nationen von Menschen und Thieren. Von der gehörnten Flut gespart, auf Berge geflohen, Standen da blasse Schaaren, den Tod nur länger zu schmecken, Keuchten nach Luft, und umschlangen mit beiden Armen die Bäume, Eine Frist von drei Athemzügen vom Tod zu gewinnen. Ueber sie rauschte die Flut mit Riesenschritten, nicht müde, Bis sie die Erde durchwandert hatte von Pole zu Pole. Ach, sie erhaschte die Sünder in ihrer sichersten Stunde, Eingeschläfert, im Schwindel der Lüst' und des Unsinns begraben; Denn sie kam wie ein Feind, der in der Mitternacht einbricht. Jn dem gestadlosen Meer, mit den Leichen der Sünder vermischet, Schwammen die Körper der Edlen, zur Seite der Thiere des Feldes, Alles Fleisch, das sich von der Speisetragenden Erde Nähret, verfolgte der Tod weltherrschend von Zone zu Zone. O wie war die Gestalt des Landes verkehrt, wie verwandelt! Wo nur jüngst noch der Lenz in seinem blumigten Kleide Zwischen der duftenden Ros' und dem Liede der Nachtigall lachte, Schmachtet' er unter den Banden, womit die Flut ihn gebunden. Schweflichte Dämpfe von finstern und groben Erzen des Abgrunds Flogen empor, und mischten mit Gift die Luft und das Wasser. Unterdeß floh der Komet, und rühmt', ihm hätte die Erde Nichts als die äußersten Ecken der Durstgebirge genommen. Vor dem Antlitz der Menschen, die Gott in die Arche beschlossen, Brüllten nicht ungehört die verschlossenen Donner im Erdreich, Wankte nicht unempfunden in ihrer Feste die Erde. Auch sie hatten den eisernen Himmel, gepeitscht von den Winden, Kommen gesehn, und über das Land sich breiten gesehen, Bis er aus seinen Cavernen die Meere Gewässers herabgoß. Aber den feindlichen Stern, der das Uebel der Erde gebracht hat, Sahn sie nicht mehr; er nahm, gehüllt in cimmerische Schatten, Seinen Lauf zu dem Kreis des Mercurs mit geflügelter Eile. Aber noch reichte die Flut nicht hinauf zur schirmenden Arche. Wo sie ein Fels umwölbend in Schutz nahm; über dem Haupt hin Fiel von der Höh' das Getös der Flut in schäumenden Wogen. Jnnerhalb schien ein nächtlicher Tag, die eisernen Wolken Hemmten das Licht, und vermischten die Tag' und die Nächte zusammen. Also flossen die Tage vorüber, zweideutige Tage, Die ein entkräftetes Licht nur mit welken Zügen bezeichnet. Unterdeß war die Flut beständig gewachsen, sie trat jetzt Ueber die Pforte des Paradieses, sie stieg in das Thal ein, Wo die Arch', an die Klippe gelehnt, dem Verderben entflohn war. Aber indem die Wolken mit jedem Tage zerflossen, Reinigte sich der Himmel, das Licht brach durch und besiegte Seine schwebenden Wässer, sie waren jetzt alle vergossen; Auf das Silber der Flut fiel die Sonn' im güldenen Glanze, O wie erstarrten die Menschen, als sie die gestadlose Wüste Sahn, allgegenwärtig die Flut, die Meere nach Meeren. Diese Gefilde von Wassern, die nur der Himmel begrenzte, Setzten sie lang aus sich selbst; sie standen und sahen erstaunet, Als in Gedanken bemüht, die Weiten der Meere zu messen; Aber verloren sich über dem Anblick, und hatten Mühe Jhre verirrten Sinne zu sich zurücke zu sammeln. Dann erhoben vor ihrer Stirne sich tödtliche Bilder, Eine Wahlstatt des Todes; sein Tummelplatz, seine Gerichtsstatt, Allgemeine Vertilgung, der Untergang aller Geschlechter, Aller Geschöpfe, die kürzlich den Athem des Lebens gehauchet; Aber vornämlich der Menschen, unzähliger, welche der Schöpfer Halb nur von Staub und halb von himmlischer Flamme gemacht hat, Die der Tod jetzt auf einmal in ihren Sünden ergriffen, Jüngling' und Greise, die Kinder und Väter, die Mütter und Bräute, Alle gemäht, und zugleich in Einem Grabe vermischt hat. Was für Hoffnung noch war, den Riß in der Schöpfung zu heilen, Kaum auf die Wenigen an, die der enge Kasten beschlossen. 4) von v. Sonnenberg († 1805). Bruchstück aus Donatoa, oder das Weltende. Anfang des vierten Gesanges. Sey mir, o Morgensonne, gegrüßt in deinem Erwachen; Rosiger Jugend noch, schwingst du dich heiter vom Lager des Aufgangs Wie die gekrönete Lieb' empor, an den Busen der Erde, Schmückst die Erde, wie dich, mit junger Herrlichkeit, lächelst Allem Leben und Tode mit Einer Liebe, und freust dich Ueber den Jugendspielen der Welt ─ auch dort, wo ins Kühle, Weich in die Blumen, mich einst zu meiner Kindheit Gespielen Niederbettet der Tod, ─ in der Hoffnung anderer Welt schon. Sonne, du steigst auch einst wie der Jüngling hinab, und dein Auge Schließt sich in Nacht, und schlägt es nun aus, dein Herz der Freude, Sinkest du mit im großen Zubettgehn aller Naturen. Aber, wann einst du aus Wolkengräbern in hoher Verklärung Wieder erwachst, und das Erstlings Lächeln des himmlischen Lebens Dir um die Morgenwange, wie ewiger Frühling, emporschwebt, Du, mit dem Sterne der Lieb' hochzeitlich geschmückt an dem Busen, Braut in der Jugend Gefühl, in deiner Göttlichkeit jauchzest, Und im Triumph mit dem jubelschlagenden Herzen dich vorschwingst, Ach, an die Erde dich schmiegst, die kalte Mutter erwärmend, Trunken vor Liebe und Licht, mit dem Kuß der Liebe sie aufweckst; Sonne, wann dann du dich froh in deiner Herrlichkeit umschaust, Alle Gräber sich dir aufschließen, wie Rosen dem Frühstral, Alle du kränzest, sie alle noch kennst, und nun auch des Jünglings Schlummerhügel besuchst, der gern einst deiner sich freute, Wann du ihn siehst, den noch schlummernden Sänger, und, gern ihn noch hörend, Nun ihm die Aschenlippen mit Edens Jugend umröthest. O der Wonne, dich wiederzusehn, und in deiner Umstralung, Weit um die Erde hinab, vom Niedergang bis zum Aufgang, Alles voll hoffender Auferstehungen, die in die Hymne Deines stillen Triumphs ihr lautes Entzücken nun mischen; Wann die Lieben jetzt all' aus ihren Gräbern heraufgehn, Alle die Trauten der Wiegenjahre, die ersten Umarmten, Meiner Kindheit Gespielen und meiner Jugend Gefährten, Du auch, Vater! und dir an der Hand, mit dem lieben Geschwister, Und mit den beiden hinübergeschlummerten Kleinen, die Mutter, Zwischen ihnen der Große, der, Mensch zu werden, mich lehrte, Alle in Mitte mit hochaufbebendem Busen, mit heißer Glühender Wange, mit stralendem Auge, die künftig der Jüngling Findet, die Jhn mit findet, vor dir, o Sonne, ihn findet! Wann von den Schlummerhügeln empor, an den stralenden Händen Aller dieser Verklärten zum Richter ich eil', und, den Arm jetzt Streckend zu ihm, sie all' um mich her, aufjauchze: „Hier komm' ich, Vater, mit meinen Geliebten, nun komm' auch, Vater, dein Reich uns!“ O wann er dann von dem Liebethron in unsre Umarmung „Meine Kinder!“ nun ruft, der große Lehrer der Liebe Unsre Umarmung umarmt, und Vaters Reich sich uns öffnet; Sonne, dann will ich mein Lied auf der neuen Erde dir singen ! Bruchstück aus dem zwölften Gesange; der Schluß des Epos. ─ ─ Und der Engel der Lieb' enthüllte das Räthsel des Schicksals, Lichter und lichter; da klärte des Allerheiligsten Nacht sich Rings im Unendlichen auf, die Nacht war lauterstes Urlicht ─ O wie glänzten sie hier, wie stralte jede der Thaten Ein in den göttlichen Plan der unendlichen Seligkeit Aller! Sieh, so löste das ewige Schicksal aller Natur sich Jn die unendliche Harmonie auf: Gott ist die Liebe! Ach, da sank nun aufs Knie das Universum des Lebens, Hob die Arme zu Gott, und tief aus dem schlagenden Herzen, Aller Schöpfungen riefs mit der Stimme des höchsten Erstaunens, Schauernden Wonneerstaunens aus Allen mit einmal: Allvater! Und jetzt schwebten im All der Entzückung die Wiederverklärten Jauchzend empor, es jauchzeten alle Naturen im Umkreis Alle Schöpfungen auf; des Lebens unendliches All ward Eine Jubelumarmung, und sieh' die Jubelumarmung Sank an die große Jehovabrust, an den Busen der Liebe. Und Jehova blickt' auf das All; da drängten der Welten Unermeßliche Heere sich all' um die große Umarmung, Eine Welt nur zu seyn, und allgegenwärtiger Himmel Ward die unendliche Welt, und ihre Sonne Jehova. Ach! da lag jetzt alle Natur, die Engel und Menschen Und der Dämonen Geschlecht an der Brust Allvaters Jehova, Alle wunde geblutete Herzen; da wurden jetzt alle Zugedeckt von der großen Allvaterhand, und die Thränen Jedes müde geweineten Augs von Jhr getrocknet; Und da blühten um sie die Paradiese der Liebe, Unter der Ewigkeit Morgenröthe mit allen Olympen, Jn der unendlichen Gotteswelt um alle vereinet. Ach da bebte, da zitterte selig an jeglichem Herzen Alles, was je es umschlang in allem Großen und Schönen, Alles in jeder Umarmung umarmte, in jeglicher Freude, Jn der Wonne umarmte, in allen Gespielen der Kindheit, Allen Jugendgeliebten, und kindlich in Vater und Mutter, Brüderlich traut in allen Geschwistern, und väterlich liebend Jn der Unschuld des Kindes und Enkels, am Busen umschlungen, Alles in höheren Wonnestunden des Lebens Umfaßte, Mitten im Jubel Erweinte, in jedem Schlagen des Herzens Heiß Ersehnte, in jeglicher Thräne vom Himmel Erflehte, Und in jeder süßen Beklemmung Erahnete, Alles, Ach in aller Liebe Geliebte, in allen Gebeten Je nur Erhoffte, und selbst im Olymp; ach alles, wornach nur Thränen gerufen, und ewige Sehnsucht von erster Geburt an Hatte geweint, da lags jetzt allen am Herzen, was je nur Junge seraphische Thränen, von Edens verjüngter Aurora Liebend gesättigt, je lächelten; da das All des Geliebten, Ach das Alles fassende Herz, wornach vom Beginn an Alle unsere Wünsche, und unsere Hoffnungen alle, Jedes liebende Ach, und jedes heiße Verstummen, Unser ewiges Greifen hinauf von Sterne zu Sterne, Ueber die Morgenröthen hinauf und über die Himmel, Jedes brechende Herz und jedes gewendete Auge, Alle Leben nur ewige Armausstreckungen waren: Sieh das Urideal, das nur für jegliches Wesen Einmal in der Jehovaschöpfung Unendlichem athmet, Und im engsten Vereine mit ihm nur Eine Natur ist; Endlich, endlich ruht es ja nun, ach endlich, Allvater, Allen im Arm, am schlagenden Herzen, mit schlagendem Herzen Mit umschlingendem Arm an seinem Urideale, Lächelte, Wonne weinete, jubelte, zitterte Liebe. Weint' in des Anderen Seligkeit laut das innere Eden, Aller Himmel Himmel aus überwallendem Herzen! Gott! da jubelt' die ganze lebendige Schöpfung im Einlaut Unser Vater, der du im allgegenwärtigen Himmel Ueberall bist, nun sind wir endlich vom Uebel erlöset, Hast nun den Fall uns verziehn, wie wir einander verziehen; O, wir fallen durch alle unendliche Ewigkeit nie mehr, Hast jetzt Allen Alles gegeben, dein Will' ist geschehen, Wie im Reiche der Engel vordem, in aller Natur jetzt, Allen gekommen dein Reich, dein Nam' in allen geheiligt, Ewig und überall bist du im allgegenwärtigen Himmel Unser Vater!!! 5) von Fr. Aug. Müller († 1807). Bruchstück aus seinem: Richard Löwenherz in 7 Büchern. (Berl. 1790. 8.) Die fromme Wuth, fürs Heil der Christenheit Durch einen Schwur zum Kreuz sich zu verbinden, Und im Geruch der Heiligkeit, Für ein erlog'nes Glück, erträumte Seligkeit Und vollen Ablaß aller Sünden, Das heim'sche Land, die Ruh' am eignen Heerd zu fliehn, Zum heilgen Grabe nach Jerusalem zu ziehn, Sein Schwert mit Bruderblut zu färben, Und endlich hart getäuscht im Arm des Grams zu sterben: Die fromme Wuth war noch nicht abgekühlt. Ein starker Wind aus Süden unterhielt Die Flammen immer noch, und fachte neues Feuer Jn jedem Christenherzen an. Vom Herrscher bis zum niedern Unterthan War Keiner, dem der Ruhm, Befreier Der Christenwelt im Orient zu seyn, Nicht preißlicher erschienen wäre, Als häuslich Glück, als Glück des Bürgers, und die Ehre Ein guter Fürst des guten Volks zu seyn. Wer fromm und heilig war, trat in den Bund mit ein; Und wer sein Lebelang ein böser Mann gewesen; Der schwor zum Kreuz, der schiffte sich mit ein, Und sieh', sein Haupt umstralt' ein goldner Himmelsschein, Und seine Seele war vom Sündentod genesen. So zog noch jedes Jahr ein immer größ'res Heer Gekreuzter Heiligen und Thoren über's Meer; Oft, um zu büßen, oft, für Gottes Ruhm zu streiten, Doch öfter, wuchs kein Glück im Vaterlande mehr, Jn jener Welt die Gunst des Schicksals zu erbeuten. Ein rein'rer Trieb und ein Gelübde hieß Auch Richard, Englands Fürst, in jenem Paradies Für Gottes Ruhm und seinen Glauben kämpfen. Der Heiden Uebermuth zu dämpfen, Und seinen Vater, dessen Fluch Er brennend auf dem Haupte trug, Durch heiße, reuevolle Thränen Am Grabe Christi zu versöhnen: Dies war sein frommer Schwur, und den Mit aller Treu' erfüllt zu sehn, Mußt' er sein neues Reich, noch kaum gekrönt, verlassen, Jn Rom auf seinen Knie'n des Himmels Huld erflehn, Vom Papst sich segnend weihen lassen, Und dann mit Frankreichs Fürst nach Palästina gehn. Er zog, umjauchzt von seinem tapfern Volke, Als Held und Büßender, zum mühevollen Streit. Und wie, in herbstlich später Zeit, Wann sich auf einer goldnen Wolke Des Tages Königin am Abendmeere senkt Und ihren Segenslauf nach andern Welten lenkt, Wie, wann ihr letzter Stral erbleichet, Der Schatten schwarzes Heer aus seinen Höhlen schleichet, Giftschwang're Nebel aus den See'n Und aus dem Bauch der Erde sich erheben, Und von den finstern Wolkenhöhn Mit starren Fittigen Orkane niederwehn; So sah man jetzt in dem verwaisten Staate Des Schicksals friedliche Gestirne untergehn Und Wetterwolken schwarz sich über ihm erhöhn. Verwirrung regte sich; der kühne Aufruhr nahte Dem unbewachten Königsthron; Die Zwietracht hob ihr Haupt, mit ihr Rebellion Und Elend bürgerlicher Kriege. Nur Einer blieb noch seinem König treu, Und war bereit, selbst Blut und Leben Mit Freuden für ihn hinzugeben. Und diesen kühnen Mann, der den gewagten Streit Für Richard oft beging, wer sucht' ihn in dem Stande Der Jünger Ossians, im friedlichen Gewande Der frohen Schaar, der Scherz und Freude nur gefiel? Ein Sänger war es, Blondel nannte Er sich. Schon früh entbrannte Sein edles Herz beim frohen Saitenspiel Für Tugend, Freundschaft und der Liebe Hochgefühl; Früh wählt' er schon, bestimmt von höherm Drang, das Ziel Der edlen, hohen Kunst, zu der er sich bekannte, Die Fürsten selbst geübt ─ das ehrenvolle Ziel: Ein Sänger unschuldsvoller Triebe, Erhab'ner Freundschaft, reiner Liebe, Der Fürsten Günstling und der Schönen Freund zu seyn. Jhn weihte Rollo selbst zu dieser Würde ein, Und England sah die ersten Früchte Von diesem früh genährten Drang. Er zeigte sich im schönsten Jugendlichte Am königlichen Hof. Sein göttlicher Gesang, Sein männlich schöner Bau, die Reize seiner Jugend Gewannen bald des jungen Richards Herz, Und seine liebenswürd'ge Tugend, Sein männlicher Verstand, sein Witz und edler Scherz Erhielten ihm das königliche Herz, Trotz der Verläumdung Gift, selbst auf dem stolzen Throne. O wohl dem reichen Erdensohne, Der auf dem Lebensweg ─ nicht eine Krone, Nicht Ehr' und Gut, nicht göttlichen Verstand, ─ Der einen Freund, wie diesen Jüngling, fand. Er ziehe hin zu der entfernt'sten Zone, Wo ew'ger Nebel schwebt, wo in dem Sonnenbrand Noch nie ein Baum gegrünt, er wohne Tief im verwachsenen Wald, auf Fels und dürrem Sand, Er traue Flut und Sturm, ─ des Glückes Unbestand Verfolg' ihn ohne Rast auf jeder Erdenstelle; Sein Freund hängt fest an ihm und weicht nicht einen Schritt, Und stieg' er selbst hinab zum Schwefelpfuhl der Hölle, Sein Freund blieb' immer treu und schritte herzhaft mit. Zwar wär' auch Blondel seinem Freunde Mit Freuden nachgefolgt, wohin sein Schwur ihn rief; Doch Richards übermüth'ge Feinde, Jhr Haß, der niemals starb, nur gleich dem Löwen schlief, Um fürchterlicher zu erwachen, Bedurfte nie so sehr den aufmerksamen Blick Der Redlichkeit, als jetzt, und Blondel blieb zurück, Um jeden Schritt der Bosheit zu bewachen, Und dem entfernten Freund' durch Briefe kund zu machen. Viel litt er schon in diesem schweren Amt', Auch hatt' er das Verderben mancher Streiche Von Richard und dem steuerlosen Reiche Durch Klugheit abgewehrt. Allein von neuem flammt Jetzt der Empörung Glut; mit schändlichen Gerüchten, Von Richards Tugend ausgesprengt, Sucht man den letzten Rest von Treue zu vernichten, Womit das irre Volk an seinem König hängt, Und schon entreißt es sich, von Neurungssucht gedrängt, Den Banden zugeschworner Pflichten. Umsonst hofft Blondel, seinem Freund Die drohende Gefahr durch Boten zu berichten; Kein Bote kommt zurück, und Richard selbst erscheint Noch immer nicht, obgleich die Zeit bereits verflossen, Nach welcher man die frohe Wiederkehr Jn das verwaiste Reich beschlossen. Nun sieht der treue Freund kein Rettungsmittel mehr, Als selber über Land und Meer Nach Asien zu ziehn. „Nur Richard kann der Retter Des schon verlornen Volkes seyn, Nur seine Gegenwart das aufgethürmte Wetter, Das seinem Reich' und ihm Verderben droht, zerstreun!“ So denkt der edle Mann; fest steht in seinem Herzen Der eiserne Entschluß, den keine Furcht entmannt; Ja, eh' der Morgen noch des Tages goldne Kerzen An Titans Fackel angebrannt, Tritt er, in Talifers Gewand, Trotz Frühjahrsluft und rauhen Stürmen, Der Freundschaft große Wallfahrt an; Und als der neue Tag den trüben Lauf begann, Schwand schon die stolze Stadt mit ihren hundert Thürmen Vor seinem oft gewandten, nassen Blick Jn undurchdringlich Grau der Morgenluft zurück. 41. b ) Das komische Heldengedicht. Das komische Heldengedicht ist dem ernsten Epos dadurch verwandt, daß es, wie dieses, ein im Mittelpuncte der Darstellung erscheinendes Jndividuum im Kampfe mit einem widrigen Geschicke versinnlicht, und durch die ästhetische Anlage, Haltung und Durchführung dieses Kampfes das gemischte Gefühl der Lust und der Unlust anregt, bis endlich, im Augenblick der Entwickelung und Entscheidung des Kampfes, der Held des komischen Epos als Sieger aus dem Kampfe hervortritt, und gleichfalls das Gefühl der Lust den vollständigen Sieg über das Gefühl der Unlust behauptet. Denn das ist eine nothwendige Bedingung des komischen Epos, daß das in den Mittelpunct des Ganzen gestellte Jndividuum zuletzt glücklich wird, und nicht dem widrigen Schicksale erliegt, wie dies im ernsten Heldengedichte eben so oft, als der Sieg des Helden über die Macht des auf ihn einstürmenden Schicksals, eintreten kann. Ob nun gleich das komische Heldengedicht, wie das ernste, eine sehr vielseitig durchgeführte und vielfach verwickelte Handlung, nicht selten auch eine Mischung von ernsten und komischen Scenen, darstellen kann; so ist doch weder das in die Mitte des Ganzen gestellte Jndividuum ein Held in dem höhern Sinne des Wortes, wie er in dem ernsten Heldengedichte (z. B. der Messias, Noah, Hermann der Cherusker, Richard Löwenherz u. a.) erscheint; noch ist das feindliche Geschick, das seine Kräfte in Thätigkeit setzt, von der Art und Weise, daß man eine völlige Vernichtung des Helden von ihm befürchten dürfte. Wenn denn also auch das Gefühl der Unlust durch die ästhetische Schilderung dieses widrigen Geschicks oft angeregt wird, und mit dem Gefühle der Lust in dem Gemüthe des Anschauenden abwechselt; so ist doch durchgehends im komischen Epos das Gefühl der Lust vorherrschend, weil der Dichter des komischen Epos die Widerwärtigkeiten seines Helden nur als Schatten zum Lichte gebraucht, nicht aber um, bis zur Auflösung des Ganzen, einen mächtigen und immer höher steigenden Gegensatz des Schattens und des Lichtes aufzustellen. Jm komischen Heldengedichte schimmert, bei allen neueintretenden Schwierigkeiten, doch im Voraus der Sieg und das Glücklichwerden des vielfach versuchten und geprüften Helden hindurch, so daß die Hauptaufgabe des Dichters bleibt, seinen Helden gegen alle Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten so ankämpfen zu lassen, daß er nicht nur unsre Theilnahme, sondern auch unsere Achtung behält, und daß wir ihn, am Schlusse des Ganzen, deshalb mit einem hohen Gefühle der Lust, als Sieger und belohnt erblicken, weil er den Kampf mit dem widrigen Geschicke ehrenvoll und durch seine eigne geistige Kraft bestand. Dieses Gefühl der Lust kann aber nur dann rein und vollständig seyn, wenn die Form des komischen Heldengedichts, als solche, eine in sich vollendete ästhetische Einheit bildet, die auch als bloße Form, noch abgesehen von dem dargestellten und glücklich gewordenen Helden, um ihrer selbst willen gefällt. Die teutschen Dichter des Mittelalters bauten das komische Heldengedicht vielfach an; allein allen fehlt die ästhetische Einheit und Vollendung der Form, und vielen der rein epische Charakter, weil das Didactische und Satyrische zu oft eingemischt ward. Doch gehört die vielfach in beiden teutschen Hauptdialecten gestaltete Fabel vom Reinecke dem Fuchs zu den gelungensten Formen des komischen Heldengedichts, neben welcher Rollenhagens sinnreicher Froschmäuseler seinen Platz verdient. ─ Unter den teutschen Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts versuchte sich besonders Zachariä in dem Renommisten (wovon der erste Theil dieses Werkes S. 409 ein Bruchstück enthält), in dem Schnupftuche, im Phaeton, im Murner in der Hölle nicht ohne Erfolg im komischen Epos. Jhm folgten Uz, Löwe und Dusch mit geringerm Werthe. Allein v. Thümmels Wilhelmine, obgleich nicht in die äußere Form des Metrums gekleidet, von dem Dichter selbst „ein romantisches Heldengedicht“ genannt, dürfte, nächst Wielands Oberon, unter allen diesen jüngern komischen Heldengedichten den Vorzug behaupten, wenn gleich Prätzels Feldherrnränke nicht ohne einzelne gelungene Schilderungen sind. 42. Beispiele aus dem komischen Heldengedichte. 1) von Rollenhagen († 1609). Bruchstücke aus dem sinnreichen Froschmäuseler, vorstellend der Frösche und Mäuse wunderbare Hofhaltung. α ) Anfang des ersten Capitels. Das Hofhalten, die Feind' und Macht, Das Blutbad und erschrecklich' Schlacht Der mannhaften Frösch- und Mäuse-Helden, Will ich in diesem Buch vermelden. Gott verleih dazu Rath und Gnad, Daß es zur Lehr und Lust gerath. Jhr freien Schulkünst' allgemein, So der Poeten Musae seyn, Tret' auch herzu, und steht mir bei, Daß ich, was nütz' und lieblich sey, Weißlich bedenk', künstlich aufzeich, Das euch zu Ehren auch gereich. Denn weil ihr seyd Jungfräulein zart; So bleibt ihr stets fröhlicher Art, Seht nicht ernstlich saur alle Stund, Sagt oft wahr mit lachendem Mund, Damit im Scherz die gute Lehr Bei der Jugend schaff desto mehr. Lasset die auch etwas Weisheit Allhie lesen in Fröhlichkeit, Und an Fröschen und Mäusen sehen, Wie es pflegt in der Welt zu gehen. Wie kanns besser seyn, denn daß Musen Einmal reden von den Frösch und Mäusen. Und ihr junge lustige Knaben, Die Lust zu ehrbar Kurzweil haben, Und suchet gern bei allen Sachen, Daß ihr in Freuden habt zu lachen, Wollt den Reimen ohn Beschweren Mit gutem Nachdenken zuhören. Soll euch ohn Zweifel mehr Nutz schaffen, Denn alles Narrenspiel der Affen, Der man auch wohl zu lachen pflegt, Obs gleich nicht viel in Beutel trägt. β ) aus dem 7ten Capitel, wo Ulysses seine Diener wieder zu Menschen machen läßt. Ulysses sprach aus großem Grimm: Es betreugt mich denn all mein Sinn. So beraubt euch der Circe Kunst Aller Witz und der Menschen Gunst. Es ist umsonst, daß man euch fragt; Das sey Gott im Himmel geklagt. Und ging damit wieder zum Schloß. Bald vom Dach zu ihm abher schoß Ein' wunderbare Vogelrott, Ein' graue Taub', war eh sein Bot'. Ein Papagoy war sein Orator, Ein Geyer war sein Procurator. Ein weiße Gans war sein Mundschenk, Ein Aff sein Schösser wohlgelenk. Ein hurtig Pferd sein Postlakai, Ein großer Bär und starker Leu, Die waren von sein' Kriegeshelden, Und sich gar sehr bekümmert stellten. Ein bunte Katz, zween kleine Hund Regten den Schwanz, leckten den Mund, Und legten sich für sein Füß. Bellten, schnarchten, winselten süß, Waren sein Edel Kammerknaben, Er wollt' aber ihren Dienst nicht haben, Und sprach: Geht hin zu euern Orden, Jhr seyd am mir zu Schelmen worden. Jch will mit euch nicht disputiren, Der Teufel mag euch sämmtlich führen, Und trieb sie mit der Ruthen abe. Also ward getroffen ein Knabe, Der bat: Ach Herr, hör' zuvor recht, Ehe du verläßt dein' arme Knecht. Wider unsern Willen ist geschehn, Daß wir also müssen hergehn. Wenn du wollst bei Circen erhalten, Daß sie uns gäb' unsre Gestalten, Ewig wir dir dankbar seyn wollten, Auch thun und leiden, was wir sollten. Das ist mir eine Wunderstimm, Sprach Ulysses, die ich vernimm. Wohlan, so tret zur rechten Hand, Der mich für seinen Herrn erkannt, Der Menschen Gestalt wieder begehrt, Mit mir in sein Vaterland fährt. Sie traten zu der Rechten all, Mit ein'm demüthigen Fußfall, Daß Ulysses vor Freuden weint, Und sprach: Das hätt' ich nicht gemeint. Jhr seyd mein treue liebe Knecht, Jch sorg für euch billig und recht. Jch will euch Menschen-Sprach erst geben, Die Menschen Gestalt auch darneben, Sollt ihr allsammt wieder empfangen. Circe kommt auch schon zu uns gangen. Damit rührt er sie mit der Ruth'; Sie dankten ihm mit Herz und Muth. Und Circe fragt: Mein lieber Gast, Sag an, wen du gefunden hast, Der gern mit dir heim reisen wollt, Den ich zum Menschen machen sollt? Ulysses sprach: Jn der Gemein Sagt einer Ja, der andre Nein. Jch weiß auch nicht, wie ich sie richt, Ob sie mein' Leut seyn, oder nicht? Darum bitt' ich vor allen Dingen, Wollst du sie all zusammen bringen, Und ihn'n ihr Gestalt wieder geben, So kann ich sie ausfragen eben. Darauf pfiff sie in einen Ring, Der an ihrer Halsketten hing, Daß es durch Haus und Wald erschallt, Und die Thiere herzu kamen bald. Und sprach: Nun tret auf diesen Ort, Wer vor zum Ulysses gehort, Daß ich ihm eine Verehrung geb', Der er gedenkt, so lang er leb. Sie traten zusamm auf ein Ecken; Circe ließ sie was Süßes lecken Aus einer großen silbernen Schaal, Und schenkt neu ein auf jedesmal, Und schlug sie mit verwandten Stecken; Da fiel auf all ein großes Schrecken. Das Haupt richt' sich wiederum empor, Der Rück' ward gerad, wie zuvor; Zween Füß traten beständig nieder, Die Händ wuchsen urplötzlich wieder. Die Haar und Federn gingen abe, Der ward ein Mann und der ein Knabe, Wie sie zuvor gewesen waren, Stärker, schöner, jünger von Jahren. Und Circe gab jedem ein Kleid; Das war ein'm lieb, dem andern leid. Einer lacht, der andre weint, Einer war Freund, der andre Feind, Schämten sich doch zu widersprechen, Fürchten, Ulysses würd' es rächen. Allein der Koch trotziglich pocht, Daß man ihn aus dem Dreck gesocht, Aus einer Sau zum Mensch'n gemacht; Darüber Circe selber lacht, Und sprach: Seht ihr nun, lieben Kind, Woher sich euer Elend findt? Daher, daß Niemand jeder Frist Mit seinem Stand zufrieden ist. Was Gott und die Natur uns geben, Das ist uns nimmer gut und eben. Man muß stets nach ein'm andern gaffen, Das macht die ganze Welt voll Affen. 2) von Moritz Aug. v. Thümmel († 1817). Bruchstück aus s. Wilhelmine. ─ Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen Fürsten, nicht fern von der schiffbaren Elbe, verbreiteten sich in dem anmuthigsten Thale zwanzig kleine Wohnungen fröhlicher Landleute. Junge Haselstauden und wohlriechende Birken verbauten dieses Landgut in Schatten, und versüßten dem fleißigen Bauer die entkräftende Arbeit, wenn der Hundsstern wütete, und, entblättert vom Boreas, flammte dieß nutzbare Gebüsch in wohlthätigen Oefen, wenn der Winter das Thal mit Schnee füllte, und nun ein Nachbar zum andern schlich, um die langen müßigen Stunden durch schlaue Gespräche zu verkürzen. So lebten diese Hüttenbewohner ruhig und mit jeder Jahreszeit zufrieden. Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus, hatte seit vier unglücklichen Jahren die ländliche Munterkeit verloren, die auch sonst auf seiner offenen Stirne gezeichnet war. Ein geheimer Kummer peinigte sein Herz. Wenn er die ganze Woche hindurch in der Einsamkeit seiner verrußten Klause getrauert hatte; dann winselte er am Sonntage der schlafenden Gemeinde unleidliche Reden vor, und selbst bei dem theuer bezahlten Leichensermone verließ ihn seine sonst männliche Stimme. Die Klügsten der Gemeine marterten sich umsonst, die Ursachen seines Leidens zu entwickeln. Was fehlt unserm Magister? fragte einer den andern. Wir lieben ihn ja; er ist der Vornehmste im Dorfe, und wird auch nicht etwa, wie dieser und jener, von einem hochmüthigen Junker geplagt, denn der unsere lebt, Gott sey es gedankt, fern von uns, und verbrauset seine Renten in Frankreich. So klagten die Bauern den Kummer ihres Magisters! Aber umsonst blieb ihr mitleidiges Nachforschen; der tiefsinnige Pastor verbarg seine Sorgen der Neugier, und außer Sonntags, wo sein Amt ihm gebot, schien seine Sprache verloren. Vier Jahrgänge finsterer Predigten hatte er also geendiget. Mit zitternden Händen geschrieben und auf einem Haufen gesammlet, lagen sie in einem verriegelten Schranke, oft von andächtigen Würmern besucht, die alle Buchstaben zerfraßen. Aber die komische Muse hüpft ängstlich über den heiligen Staub und über die traurigen Scheduln des Pastors. Sie beschäftige sich nur mit seinem Glücke, und erzähle den wunderbaren Traum, der ihn bewillkommend an der letzten Stufe des Jahres, mit dem Ende seines schwindsüchtigen Kummers schmeichelte. Jn der zwölften Stunde der Nacht erschien Amor dem eingeschlummerten Pastor, der über das Zudrängen dieses kleinen Unbekannten heftig erschrack; denn bisher hatte er ihn nur aus dem großen Rufe seiner Verwüstungen gekannt. Doch der freundliche Amor ließ ihn nicht lange in seinem ungewissen Erstaunen, schüttelte seinen Köcher, und sprach also zu ihm: Entschuldige den Amor, theurer Sebaldus, wenn er bisher wider seinen Willen dein Feind gewesen ist, und erschrick nicht über seine Erscheinung, die dir dein Glück verkündiget. Wilhelmine ─ bei diesem Namen durchströmte ein leuchtendes Roth die verfallenen Wangen des Pastors, und Amor fuhr lächelnd fort: Jch sehe, du erinnerst dich noch dieser lebhaften Schönen, die einst, in diesen Fluren geboren, nur von der unschuldigen Natur erzogen ward, die dir oft in der feurigsten Predigt, durch einen einzigen Blick ihrer hellblauen Augen, ein langes verhaßtes Stottern, ─ und, wenn du allein warest, manchen lauten Seufzer erregte. Ach, sie hätte dich gewiß zum Glücklichsten deines Standes erhoben, wenn nicht die Jntrigue eines neidischen Hofes sie deinem Kirchspiele entführt, und unter die fürstlichen Zofen versetzt hätte. O wie traurig hast du diese Zeit ihres Hofdienstes hinschleichen lassen! Doch das Ende deiner Leiden ist da! Wie leicht wird dir es werden in Wilhelminens tröstenden Armen, oder an ihrem wallenden Busen, der vergangnen traurigen Tage zu vergessen. Ermuntere dich also und höre meinen liebreichen Rath. Morgen wird die reizende Wilhelmine den graubärtigen Verwalter, ihren Vater, besuchen; ─ von keinem Höflinge begleitet, wird sie des Mittags zu ihm fahren. Welch ein bedeutender Wink, den das Schicksal dir giebt! Folge ihm; suche Wilhelminens Gesellschaft, und eröffne ihr, so rührend als du vermagst, deine brennende Neigung! Die neue Sonne rollte den jungen Tag des Jahres herauf. Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten jauchzte ihr entgegen; andere, unglücklicher, zerrissen das Neujahrsgedicht, seit dem September geschmiedet; denn ihr alter Mäcen ist den heiligen Abend vorher gestorben, und hinterläßt geizige Erben. Verjährte Rechte, drohende Wechselbriefe, erfüllte Hoffnungen und erseufzte Majorennitäten drängten sich auf den Stralen des neuen Lichts in das beunruhigte Herz der erwachten Sterblichen. Und der voll Hoffnung erwachte Pfarrherr ging in der Frühe zu Niclas, dem Verwalter; wünschte ihm ein fröhliches neues Jahr, und ließ sich wieder eins wünschen; dann erzählte er ihm seinen nächtlichen Traum bündig und kurz; denn die gebietenden Glocken hatten schon zum drittenmale geläutet, und die geputzte Gemeinde sah sehnlich ihrem Herrn Pastor mit seinem Neujahrswunsche entgegen. Ach wie fröhlich klopfte Niclas dem Herrn Magister die Achsel, und zweifelte gar nicht an der Erfüllung des Traumes. Hurtig bestellt' er die Küche; auch bat er den werthesten Träumer zur Tafel, und ging an seiner rechten Seite mit ihm vertraulich in die Kirche. Der künftige Herr Schwiegersohn hielt eine erbauliche Predigt, bis unter Singen und Beten die Mittagssonne hervortrat. Schon eilte die buntschäckige Gemeinde mit gesättigter Seele und hungrigem Magen nach Hause, als der erwartete Wagen zur Höhe des Dorfes hereinschimmerte. Mit weiten Schritten und fliegendem Mantel eilte der hagere Magister den sechs Schimmeln vorzukommen, um seine Schöne aus dem Wagen zu heben. Keuchend schmälte er auf sich, daß er so lange gepredigt; aber dennoch überhohlte er die rollende Kutsche, und empfing die holde Wilhelmine an der Thüre ihrer vormaligen Wohnung. Von dem Zurufe ihrer herzugelaufenen Bekannten begrüßt, reichte sie, nicht mehr als eine Nymphe des Dorfes, ihrem unerkannten Liebhaber die Hand mit kostbaren Ringen gezieret, und sagte höflich zu ihm: Wie geht es, werther Herr Pastor? Darauf umarmte sie ihren alten weinenden Vater, der vor der Hofstimme der Tochter erschrack, und nicht wußte, ob er mit seiner bäuerischen Sprache ihre Ohren beleidigen dürfte. Noch scheuer und in einem unaufhörlichen Bücklinge stand ihr Liebhaber vor ihr, und hustete immer, und sprach ─ nichts, ─ lange getrauete er sich auch nicht, sie anzublicken; denn ihr hüpfender Busen, von keinem ländlichen Halstuche bedeckt , war ein zu ungewöhnlicher Anblick für ihn, und setzte seine Nerven in ein fieberhaftes Erzittern. Mit zufriedenem Mitleiden beobachtete Wilhelmine den Einfluß ihrer Person, und riß endlich Vater und Liebhaber aus ihrer Betäubung. Jhre harmonische Stimme belebte manche vertraute Erzählung, bald von den Freuden des Hofes, von englischen Tänzen und überirdischen Opern, und von den unnützen Verfolgungen ihrer lächerlichen Amanten; bald aber auch bejammerte sie mit nachdenkender Stimme den steten Wechsel des Hofes und den Ekel, der hinterlistig dem taumelnden Höflinge nachschleicht, und da wünschte sie sich ─ welch ein Vergnügen für den horchenden Priester ─ einst wieder mit Ehren zur glücklichen Stille des Landes zurück. Unter diesen anmuthigen Gesprächen, wovon meine Muse nicht die Hälfte verräth, setzte sich die liebe Gesellschaft vertraulich und ohne Gebet zu Tische. Erschrocken dachte zwar der Magister daran; doch durfte er es jetzt nicht wagen, sich wider die Gewohnheiten des Hofes zu empören. Um das Mittagsmahl zu verherrlichen, hatte die schöne Tochter des Hauses vier Flaschen köstlichen Weins mitgebracht. Sie öffnete eine davon, und schenkte mit wohlthätigen Händen ihrem Liebhaber und Vater schäumende Gläser ein. Lange besah der Magister das unbekannte Getränk, kostete es mit der Miene des Kenners, und ließ doch sein Feuer verrauchen. Endlich fragt' er pedantisch: Liebe Mansell, für was kann ich das eigentlich trinken? Lächelnd antwortete sie: es ist von unserm Burgunder. Nach ihm setzte man auch eine langhälsichte Flasche des stillscheinenden bleichen Champagners auf die Tafel. Schon ganz freundlich durch den Burgunder, reichte sie der Magister den befehlenden Händen der Schönen. Aber er wäre bald vor Schrecken versunken, als der betrügerische Wein den Stöpsel an die Wand warf, und wie der vogelfreie Spion, der sich einsam und sicher in dem Walde geglaubt hat, durch den Mörser eines feindlichen Hinterhalts aus seiner Ruhe geschreckt wird ─ so betäubte der schreckliche Knall die Ohren des zitternden Pastors. Erst auf langes Zureden und hundert Betheuerungen der Schönen trank er den tückischen Wein, und empfand bald dessen feurige Wirkung; denn nun öffnete der laute Scherz und der wiederkehrende Witz seine geistlichen Lippen. Antithesen und Wortspiele jagten einander; und da gewann er auf einmal den ganzen Beifall der artigen Wilhelmine, wie ihm sein Traum vorher verkündigt hatte. Jetzt erschrack er nicht mehr vor dem erhabenen Busen, den er selbst belebender fand, als den brausenden Champagner. Dreimal hatt' er mit lüsternen Augen hingeschielt; da ward er so dreist und wagte es, von dem alten Verwalter unterstützt, das Herz der englischen Kammerjungfer zu bestürmen. So viele Waffen der Liebe, als nur seine unerfahrne Hand regieren konnte; so viele zärtliche Blicke, so ein gefälliges Lächeln, als ihm nur zu Gebote stehen wollte, verwendete er auf die Hoffnung einer geschwinden Eroberung. Welch eine Verschwendung von süßen rührenden Worten! Erstaunt sah Wilhelmine ihren dringenden Freund an, und dreimal wankte sie, ─ aber, ein geheimer Stolz und die Rücksicht auf den prächtigen Hof erhielt sie noch ─ bis ihr endlich Vater und Liebhaber, immer einander unterbrechend, das Wunder des Traumes entdeckten. Denn da erkannte sie selbst in allem die sichtbaren Wege des Himmels und ihren Beruf, und durch die Beredsamkeit des Pastors bekehrt, entfernte sie allen Zwang des Hofes von ihren offenherzigen Lippen. Wohlan! sagte sie, nachdem sie in einer kleinen freundlichen Pause die Beschwerden und die Vortheile des Hymen gegen einander gehalten, und noch die reife Ueberlegung auf ihrer Stirne saß. ─ „Wohlan! ich unterwerfe mich den Befehlen meines Schicksals; ja, ich will selbst mit Vergnügen das unruhige Leben des Hofes mit den stillen Freuden meines Geburtsortes vertauschen; und da Sie mich einmal lieben, Herr Pastor, so würde es unzeitig seyn, spröde zu thun. Jch sehe die Ungeduld Jhrer Neigung auf Jhrem Gesicht! Kommen Sie her, mein Geliebter, und ─ welch ein Triumph für einen Unerfahrnen, der nie den Ovid gelesen ─ küssen Sie mich, und nehmen Sie zum Zeichen unsrer Versprechung diesen Ring an!“ Und mit unaussprechlichem Vergnügen kam der schwerfällige Liebhaber gestolpert, küßte sie dreimal, und machte es zur Probe, recht artig. Sie steckte ihm einen Demant, in Form eines flammenden Herzens, an das kleinste Glied seines Fingers, und Er ─ welcher Tausch! ─ überreichte ihr einen ziegelfarbnen Karniol, worein ein Anker gegraben war. Nun brachte jede Minute neuen Zuwachs von Liebe und Vertrauen in ihre verbundene Gesellschaft, und frohe Gespräche von ihrer baldigen Hochzeit beschäftigten ihre unermüdeten Lippen. 43. c ) Die Romanze und Ballade. Wie in der lyrischen Form der Dichtkunst die Elegie zur Ode und Hymne sich verhält; so ungefähr verhält sich in der epischen Form der Dichtkunst die Romanze und Ballade zum eigentlichen Epos. Denn wie im Epos die Freiheit des im Mittelpuncte der Darstellung stehenden Helden zu dem ihn bestürmenden widrigen Schicksale sich ankündigt; so in der Romanze und Ballade die Thätigkeit und Kraftäußerung des aufgestellten Jndividuums in Beziehung auf die widrigen Schicksale, die auf dasselbe eindringen. Wie im Epos der Held entweder siegt, oder der Macht des Schicksals unterliegt; so wird er auch in der Romanze und Ballade entweder sein Ziel erreichen, oder dasselbe verfehlen. Wie endlich im Epos die gemischten Gefühle der Lust und Unlust gegen einander anwogen und um das Uebergewicht im Bewußtseyn des Anschauenden streiten, bis, am Schlusse der Form, bei der Wahrnehmung der ästhetischen Entwickelung, Auflösung und Entscheidung des Ganzen, und bei dem vor die Seele tretenden vollendeten Bilde von der Einheit der dichterischen Form, das Gefühl der Lust den Sieg über das Gefühl der Unlust feiert; so muß auch, am Schlusse der Romanze und Ballade, das Wohlgefallen an der Entwickelung der dargestellten Handlung und an der vollendeten dichterischen Form, den Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust vermitteln. Die Romanze und Ballade gehört, dem Stoffe nach, zur epischen Dichtkunst; denn er schildert zunächst Jndividuen, nach ihren Handlungen und Schicksalen. Oft ist es nur Ein Jndividuum, dessen Begebenheiten und Handlungsweise der Dichter vergegenwärtigt; oft aber wird eine Mehrzahl von Jndividuen in der Darstellung der Romanze geschildert, unter welchen jedesmal Ein Jndividuum als Hauptperson sich ankündigt. Doch nach der Form und dem Tone, der in der Romanze und Ballade vorherrscht, ist sie unter allen einzelnen Formen der epischen Dichtkunst der lyrischen am nächsten verwandt, weil nicht nur, wie in den übrigen epischen Formen, tiefe Gefühle durch die Darstellung menschlicher Handlungen und menschlicher Schicksale aufgeregt werden, sondern in den meisten Fällen die innigsten Gefühle des menschlichen Herzens, die Gefühle der Liebe, der Zärtlichkeit, der Freundschaft und der Theilnahme, den in der Romanze und Ballade versinnlichten Handlungen und Begebenheiten zum Grunde lagen. Der Stoff der Romanze und Ballade, er sey nun entweder aus der wirklichen Geschichte entlehnt und nur von dem Dichter für seinen ästhetischen Zweck gestaltet, oder er sey ein reines Erzeugniß seiner schöpferischen Einbildungskraft, kann bald der Mythologie, bald dem heroischen Zeitalter der Völker, bald den religiösen Vorstellungen und Ansichten, bald dem Klosterleben, bald auch den Vorgängen des gewöhnlichen Lebens angehören; nur muß ein höheres Gefühl als Grundton des Ganzen sich ankündigen, und die ästhetische Vollendung der Form auf der Haltung, Durchführung und Steigerung dieses Gefühls beruhen. Denn selbst bis zur Stärke der Leidenschaft kann dieses Gefühl von dem Dichter erhoben werden, je mächtiger entweder dieses Gefühl ursprünglich erscheint, oder je größer der Kampf ist, den die einwohnende Kraft des handelnden Jndividuums mit den Schwierigkeiten und Hindernissen eines widrigen Geschicks bestehen muß. Die Maschinerieen, die, wie in der Epopöe, in mehrern Romanzen und Balladen vorkommen, gehören nicht zu ihrem eigentlichen Wesen; denn es sind viele, der Form nach vollendete, Romanzen vorhanden, die der Maschinerie ermangeln (z. B. Schillers Bürgschaft; Seume's Opfer u. a.). Wo sie aber aufgenommen wird (z. B. in Bürgers Leonore u. a.), muß sie als ästhetisch = nothwendig erscheinen, und zur Schürzung und Entwickelung des Knotens der Hauptbegebenheit gehören. Die Kürze oder Länge der Form der Romanze und Ballade wird durch die gleichmäßige ─ weder abgebrochene, noch gedehnte ─ Haltung aller einzelnen Theile des ästhetischen Ganzen bedingt; so wie die Schlußentwickelung der Handlung oder der Schicksale des Jndividuums erfreulich (z. B. in Schillers Bürgschaft) oder traurig (z. B. in des Pfarrers Tochter von Taubenhain von Bürger ) seyn kann, ohne daß dadurch die Forderungen des Gesetzes der Form an die ästhetische Vollendung der Romanze und Ballade verändert werden. Ohne hinreichenden Grund bestimmten einige Theoretiker die Bezeichnung Romanze für die frohe und heitere Einkleidung und Durchführung, das Wort Ballade aber für die traurige und erschütternde Darstellung dieser epischen Kunstformen. Denn die Benennung Romanze stammt aus der verderbten lateinischen (romanischen) Sprache, in welcher man seit dem zehnten Jahrhunderte dichterische Schilderungen von kriegerischen und verliebten Abenteuern niederschrieb; und Ballade bezeichnete ursprünglich ein Lied, das man zur musikalischen Begleitung, ja selbst zum Tanze, sang. Jn theoretischer Hinsicht kann zwischen beiden Benennungen kein wesentlicher Unterschied ausgemittelt und durchgeführt werden; auch haben die classischen Dichter nie ausschließend an die eine oder die andere Bezeichnung sich gebunden. ─ Auf gleiche Weise verhält es sich mit der von einigen Theoretikern aufgestellte Forderung, daß der Ton der Romanze dem Volksliede sich nähern müsse. Zugestanden, daß dies bei einzelnen gediegenen Romanzen und Balladen ─ namentlich bei den Bürgerschen, Stolbergischen und Langbeinischen ─ wirklich der Fall ist; so liegen doch auch andere treffliche Gedichte aus dieser Gattung (besonders die von Schiller, Göthe, Seume, Schlegel, Tiedge, Kosegarten u. a.) nicht geradezu in dem Gesichtskreise der Kenntnisse, Meinungen und Ansichten des Volkes, sondern verlangen, um verstanden und ganz gefühlt zu werden, einen höhern Grad von geistiger und ästhetischer Bildung, als man gewöhnlich in der Mitte des Volkes antrifft. 44. Beispiele aus der Romanze und Ballade. 1) von Seume († 1810). Das Opfer. Noch strömte von den Thermopylen Der Perser Blut herab ins Meer, Die durch das Schwert der Griechen fielen, Als Sparta's Held sein kleines Heer Entschlummern hieß, und um die zweite Wache Gewaffnet seyn zu heißer Rache. Die Würger ruhn am Fels im Thale; Der Herold weckt um Mitternacht Zum feierlichen Todtenmahle. Sie stehn; das Opfer wird gebracht; Der König folgt, den Lorbeer in dem Haare Und schweigend, ihm zu dem Altare. Der Priester schlägt; das heilge Feuer Erhellt den Berg; Megist besprengt Mit einem grünen Lorbeerweiher Der Kämpfer Haupt, die dicht gedrängt Mit hohem Muth sich um die Flamme reihen, Zum Tod im Kampf sich einzuweihen. Leonidas sah, wie Alcide, Sein Ahnherr, als er Riesen zwang, Mit Götterblick von Glied zu Gliede Die Krieger an, und plötzlich drang Ein Flammenstral, als käm' er von dem Gotte, Jn jedes Herz der Heldenrotte. Der König sprach: „Gefährten, Brüder, Eßt jetzt der Freiheit letztes Mahl, Und trinkt den Wein; denn wenn wir wieder Zusammenkommen, ists im Thal Elysiums, wo glühend vor Verlangen Die Väter stehn, uns zu empfangen.“ „Denkt an die Männer, die im Streite Des Vaterlandes starben! Denkt, Jhr Heldengeist schwebt euch zur Seite, Und wägt der Enkel Werth und lenkt Des Schwertes Stahl, den östlichen Barbaren Mit tieferm Druck ins Herz zu fahren.“ „Das Weib mit ihren kleinen Knaben Beim Abschiedskuß, und jedes Pfand Der Liebe und der Freundschaft haben Sich uns vertraut. Das Vaterland, Die Freiheit ruft: wir sind der Freiheit Erben! Brauchts mehr zum Siegen oder Sterben?“ Er sprachs und aß; die Krieger zehrten Das Mahl, auf Schild und Speer gelehnt, Jn stiller Feier auf, und leerten, Des Landes Göttern ausgesöhnt, Die Schalen aus bei des Altares Dampfe, Und stärkten sich zum Todeskampfe. Der Zug geht, gleich dem Zug der Götter, Der vom Olymp die Rache trägt, Und wie vereinte Donnerwetter Der Erde Brut zu Trümmern schlägt; So trägt ihr Schwert, der Tyrannei zu lohnen, Den Tod in Xerxes Millionen. Tief ist die Nacht; aus Wolken blicket Selene mit dem jüngsten Stral, Und von des Helmes Spitze nicket Die Feder durch das Felsenthal, Jndeß im Schlaf mit tiefen Athemzügen Die Sklaven und Despoten liegen. Durch stumme Nationen schreitet Der kleine Heldenzug, zum Zelt Des großen Königs, und bereitet Verderben für die Morgenwelt. Schon glaubt im Traum mit taumelndem Vergnügen Der Stolz sich im Triumph zu wiegen, Stracks donnert ihn aus den Gefühlen Der Vorhof wach, wo schon in Blut Der Herakliden Dolche wühlen, Wo, mit gereizter Löwen Wuth, Die Griechen hoch dem Unterdrücker fluchen Und ihn mit Rächerstahle suchen. Der Droher flieht durch dunkle Gänge Vor seinem Tod; der Griechen Schwert Frißt hungrig in die reiche Menge Der goldnen Sklaven, und zerstört Den Schmuck des Jochs, dem sich mit krummen Rücken Die Schmeichler bis zum Staube bücken. Die Flamme steigt wie Nebelwolke Vom Lager zu dem Himmel auf; Der Schrecken wälzt von Volk zu Volke Laut heulend seinen Schlangenlauf; Die Opfrer mähn die zitternden Barbaren Zum Styx hinab bei langen Schaaren. Die Gegend raucht, die Kriegswuth brüllet, Verwirrung herrscht, bis Titans Licht Die todtenvolle Nacht enthüllet Und durch den dunkelnSchleier bricht; Leonidas ruft nun aus Blut und Flammen Sein göttergleiches Heer zusammen. Des Orients Entflohne schauen Mit Schaam nunmehr ihr Lager an; Der Anblick füllt mit Furcht und Grauen. Doch des Tyrannen Busen kann Das Todtenfeld und ein geheimes Zittern Noch nicht in seinem Stolz erschüttern. Die Sparter ruhn in Oeta's Grotten, Mit Herzen, die nach heißer Schlacht Des nahen Todes kühner spotten; Als schnell, wie mit Gewitternacht, Das ganze Heer in Stürmen auf sie dringet, Und sie zum neuen Treffen zwinget. Das Volk auf Wagen und auf Rossen Schwoll rund wie Meeresflut heran; Die Sparter standen, und beschlossen, Der Freiheit heilig, Mann für Mann Den Todeskampf, im Stolz gerechter Rache, Für ihres Vaterlandes Sache. Noch lange hielt der Heraklide Leonidas, mit Schwert und Speer, Gleich einer Felsenpyramide, Und gab Verderben um sich her, Bis, Mann auf Mann, die Seinen, ohne Wanken, Mit ihm im Wogenschwall versanken. Jhr Edlen, leuchtendes Exempel! Bewundrung jeder Nation, Und hohes Lob und Ehrentempel Sind durch Aeonen euer Lohn; Und, was euch mehr als alle Lorbeer kröne, Jhr seyd der Freiheit Lieblingssöhne! 2) von Aug. Wilh. v. Schlegel. Pygmalion. Festlich duften Cypriens Altäre, Vom Gesang ertönet Paphos Hain. Schön geordnet ziehn geschmückte Chöre Jn den Myrthumkränzten Tempel ein. Rosig blüh'nde Mädchen, zarte Knaben; Alle bringen sie Gelübd' und Gaben, All' erflehn, Verlangen in der Brust, Liebe, Reiz und Jugendlust. Wollust athmet aus den Rosenlauben, Wo sich willig manches Paar verirrt; Wo ein Paar von buhlerischen Tauben Jhrer Ankunft süß entgegen girrt. Küsse hört man flüstern in den Büschen, Wo sich Licht und Dunkel lieblich mischen, Wo der Grund, mit Moosen überwebt, Sich zum Lager schwellend hebt. Aber einsam, in sich selbst verschlossen, Schaut Pygmalion dem Feste zu; Das Frohlocken muthiger Genossen Weckt ihn nicht aus seiner ernsten Ruh. Suchtest du denn von den Schönen allen, Holder Jüngling, keiner zu gefallen? Oder hat, für die dein Sinn entbrannt, Spröde sich dir abgewandt? Ach, ihm kam wohl mancher Gruß entgegen, Mancher Wink verhieß ihm Gunst und Glück, Und es hob von schnellen Herzensschlägen Mancher Busen sich vor seinem Blick. Doch umsonst! nie öffnet er die Arme, Daß davon umstrickt ein Herz erwarme; Dieser Mund, wo frisch die Jugend blüht, Wird von Küssen nie durchglüht. Zur Geliebten hat er sich erlesen, Die noch nie ein sterblich Auge sah; Nur ein Schatte, doch ein mächtig Wesen, Jst sie fern ihm, und doch ewig nah. Tief in seines Jnnern heil'ger Stille Pflegt die Dichtung sie mit reger Fülle, Und umarmt das göttlich schöne Bild, Halb von eignem Glanz verhüllt. Jn erstauntes Anschaun so versunken, Fühlt er sich allein, wann er erwacht. „Götter! seufzt er dann, nur Einen Funken, Einen Funken eurer Schöpfermacht! Bin ich blos zu eitlem Wahn gebohren? Meine Lieb' an einen Traum verloren, Der, von ihrem Odem nie beseelt, Liebevoll sich mir vermählt?“ „Oder thronet, die ich lieb', im Saale Des Olymps mit sel'ger Allgewalt? Trinkt sie jeden Tag aus goldner Schale Jugend und ambrosische Gestalt? Wird sie zürnend den Vermeßnen tödten, Der in Lieb' entbrennt, statt anzubeten? Oder lächelt sie, voll Größ' und Huld, Seiner hoffnungslosen Schuld?“ „Göttin, deren neugebohrne Schöne Einst das Meer in Purpurglut getaucht; Du, die in die Brust der Menschensöhne, Wie der Götter, linde Wonne haucht! Sieh mit unaussprechlichem Verlangen Mich am Schatten deines Bildes hangen; Diese Züge hoher Anmuth lieh Nur von dir die Phantasie.“ „Zwar dich darf kein Sterblicher erblicken Wie du bist, wie dich der Himmel kennt; Kaum durchblitzen würd' ihn das Entzücken Einen schnell vernichtenden Moment. Aber laß, wie Frühlingswehn, dein Lächeln Eine jungfräuliche Stirn umfächeln, Wie die Sonn' im Bache sich beschaut: Und ich grüße sie als Braut!“ Also fleht er oft, doch aus den Sphären Steigt Erhörung niemals ihm herab. Nur die Kraft kann seinen Wunsch gewähren, Die zuerst dem Wunsche Flügel gab. Hoffst du Labung außer dir? Vergebens! Jn dir fließt die Quelle schönes Lebens. Schöpfe da, und fühle froh geschwellt Deine Brust, dein Aug' erhellt. Jener Zaubrer wandelnder Gestalten, Dädalus, erzog ihn einst für sie, Lehrt' ihn Bildung aus dem Stoff entfalten, Bis sie schön zum Ebenmaas gedieh. Gern besiegt von seines Meisels Schlägen, Schien der starre Felsen sich zu regen, Und er ward auf seines Lehrers Spur Nebenbuhler der Natur. Wie Prometheus Menschen, seine Brüder, Bildet er der Götter ganzes Chor; Zog zur Erde nur den Himmel nieder, Nicht die Erde zum Olymp empor. Edle Wesen, irdische Heroen, Doch nicht groß wie die unnennbar hohen, Schien ihr mildres, nicht umstraltes Haupt Der Unsterblichkeit beraubt. Aber seit ein namenloses Sehnen Süß und quälend seine Brust entzweit; Seit der Wahn des nie erblickten Schönen Jhn berauscht mit Allvergessenheit, Ließ er ruhn die Kunstbegabten Hände, Unbesorgt, ob er ein Werk vollende, Das nur halb, mit zweifelhaftem Sieg, Aus dem Stein ins Leben stieg. Nun, da zu der holden Unsichtbaren Jhn hinan des Muthes Fittig trägt, Will er seinen Augen offenbaren, Was sein Busen heimlich längst gehegt. Jn der Flut begeisternder Gedanken, Die entbunden um die Sinne schwanken, Liebeglühend, tritt Pygmalion Jn der Werkstatt Pantheon. Und, o Wunder, in verklärtem Lichte Stehen rings die stolzen Bilder da. Es enthüllt dem staunenden Gesichte Gottheit sich, wie er sie nimmer sah. Wie von reinem Nektarthau durchflossen, Wonnevoller Ewigkeit Genossen, Schön und furchtbar, scheinen sie erhöht Zu des Urbilds Majestät. Freudig, doch mit ahnungsvollem Schweigen, Blickt er auf der Himmelsmächte Kreis; Richter sind sie ihm und heil'ge Zeugen, Wie er ringt nach der Vollendung Preis. Nicht zu ruhn, noch feige zu ermatten, Schwört er, bis er den geliebten Schatten, Einen Fremdling in der niedern Welt Seinen Göttern dargestellt. Schöner Stein! in Paros kühlen Grüften Hat die Oreade dir gelacht; Ja, du wurdest aus den Felsenklüften Jn beglückter Stund' hervorgebracht! Von der Hand Pygmalions erkohren, Reiner Marmor, wirst du neugebohren. Was sein Stahl dir liebend raubt, vergilt Tausendfach das holde Bild. Wann Aurora kaum noch deine Weiße Röthet, eilt der Künstler schon herzu, Und ihm winkt von immer süßerm Fleiße Nur die Nacht gebieterisch zur Ruh. Wann des Schlafes Arm' ihn leis' umfangen, Spielt um ihn das schmeichelnde Verlangen, Zeichnet sein gelungnes Werk der Traum Dämmernd in des Aethers Raum. Endlich geht die freundlichste der Sonnen Ueber ihm, Vollendung bringend, auf. Endlich, endlich ist das Ziel gewonnen, Und die Palme kühlt des Siegers Lauf. Vor ihm blüht das liebliche Gebilde, Gleich der Rose, die der Frühlingsmilde, Welche webend, athmend um sie floß, Kaum den Purpurkelch erschloß. Hüllenlos, von Unschuld nur umgeben, Scheint sie sich der Schönheit unbewußt; Jhre leicht gebognen Arme schweben Vor dem Schoos und vor der zarten Brust. Reine Harmonie durchwallt die Glieder, Deren Umriß, von der Scheitel nieder Zu den Sohlen, hingeathmet fliegt, Wie sich Well' in Welle schmiegt. Selig festgezaubert im Betrachten Schaut Pygmalion, und glüht und schaut. Bald verstummt er, aufgelöst in Schmachten, Bald erschallt des Herzens Hymne laut. Mit des Steines nachgeahmtem Leben Strebt er sich so innig zu verweben, Daß sein Herz, von Lieb' und Lust bewegt, Wie in beider Busen schlägt. Was ersann er nicht, ihr liebzukosen? Welche süße Namen nannt' er nicht? Das Gebüsch verarmt an Myrth' und Rosen, Die er sorgsam ihr in Kränze flicht. Aber ach! wann wird ihr holdes Flüstern Seinen Liebesreden sich verschwistern? Wann besiegelt der erwärmte Mund Wiederküssend ihren Bund? Lächelnd einst, wie mildes Frühlingswetter, Schaut Urania vom lichten Thron; Von der Menschen Vater und der Götter Fordert sie der reinsten Treue Lohn: Sieh, allein von allen Erdensöhnen Hat Pygmalion, dem höchsten Schönen Huldigend, und frei vom Sinnenbrand, Sich zu meinem Dienst gewandt. Nicht aus Trotz, zu eitlem Schöpferruhme; Folgsam lauschend nur dem innern Ruf, Stellt' er im verborgnen Heiligthume Uns die Göttin dar, die er sich schuf. Jenen Funken, den Prometheus raubte, Zum Verderben seinem stolzen Haupte, Gieb ihn mir für den bescheidnen Sinn Meines Künstlers zum Gewinn. So die Göttin, und mit Wohlgefallen Winkt ihr Zeus, und neigt den Herrscherstab; Locken, den Olymp erschütternd, wallen Auf die Stirn ambrosisch ihm herab. Ein gewohntes Opfer darzubieten, Stand Pygmalion in Duft und Blüthen, Als es wie ein Blitz sein Mark durchdrang, Daß er zagend niedersank. Doch ihn locken ferne Melodieen Zauberisch ins Leben bald zurück. Rosenfarbne Morgenschimmer fliehen Um das Bild und laben seinen Blick. Wie von eines Aetherbades Wogen Wird sie sanft gewiegt und fortgezogen. Soll sie eures Himmels Zierde seyn? Götter! Götter! sie ist mein! Und er fliegt hinzu, und schlingt die Arme Kühn und fest um das geliebte Weib. Glühend, schauernd fühlt er, sie erwarme; Seinem Drucke weicht der Marmorleib. Und es schlägt ihr Herz die ersten Schläge, Und die Pulse werden hüpfend rege, Und das Drängen junger Lebenslust Schwellt die ungeduld'ge Brust. Und ihr Auge ─ Wonne würd' ihn tödten, Schloß' es sich dem fremden Tage nicht. Ach, sie drückt mit schüchternem Erröthen An des Jünglings Busen ihr Gesicht. Liebe! Liebe! stammeln beider Zungen, Und die Seelen, ganz in eins verschlungen, Hemmt ein Kuß im schwesterlichen Flug Mit geheimnißvollem Zug. 3) von Luise Brachmann († 1822). Columbus. „Was willst du, Fernando, so trüb' nnd bleich? Du bringst mir traurige Mähr!“ ─ „Ach, edler Feldherr, bereitet Euch: Nicht länger bezähm' ich das Heer. Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will; So seyd ihr ein Opfer der Wuth; Sie fordern laut, wie Sturmgebrüll, Des Feldherrn heiliges Blut.“ Und eh' noch dem Ritter das Wort entflohn; Da drängte die Menge sich nach. Da stürmten die Krieger, die Wüthenden, schon, Gleich Wogen, ins stille Gemach. Verzweiflung im wilden, verlöschenden Blick, Auf bleichen Gesichtern der Tod: ─ „Verräther! wo ist nun dein gleisendes Glück? Jetzt rett' uns vom Gipfel der Noth!“ „Du giebst uns nicht Speise; so gieb uns denn Blut!“ ─ „Blut!“ ─ riefen die Schrecklichen, ─ „Blut!“ Sanft stellte der Große den Felsenmuth Entgegen der stürmenden Fluth. „Befriedigt mein Blut euch; so nehmt es und lebt! Doch, bis noch ein einzigesmal Die Sonne dem feurigen Osten entschwebt, Vergönnt mir den segnenden Stral.“ „Beleuchtet der Morgen kein rettend Gestad; So biet' ich dem Tode mich gern. Bis dahin verfolgt noch den muthigen Pfad, Und trauet der Hülfe des Herrn!“ ─ Die Würde des Helden, sein ruhiger Blick, Besiegte noch einmal die Wuth. Sie wichen vom Haupte des Führers zurück, Und schonten sein heiliges Blut. „Wohlan dann, ─ es sey noch! ─ doch hebt sich der Stral, Und zeigt uns kein rettendes Land; So siehst du die Sonne zum letztenmal! So zittre der strafenden Hand!“ ─ Geschlossen war also der eiserne Bund; Die Schrecklichen kehrten zurück. ─ Es thue der leuchtende Morgen uns kund Des duldenden Helden Geschick. ─ Die Sonne sank, der Schimmer wich, Des Helden Brust ward schwer; Der Kiel durchrauschte schauerlich Das weite, wüste Meer. Die Sterne zogen still herauf, Doch, ach, kein Hoffnungsstern; Und von des Schiffes ödem Lauf Blieb Land und Rettung fern. Sein treues Fernrohr in der Hand, Die Brust voll Gram, durchwacht, Nach Westen blickend unverwandt, Der Held die düstre Nacht. „Nach Westen, ─ o, nach Westen hin, Beflügle dich mein Kiel! Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn, Du meiner Sehnsucht Ziel!“ „Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn Blick' auf mein Volk herab! Laß' es nicht trostlos untergehn Jm wüsten Flutengrab!“ ─ Er sprachs, der Held, vom Mitleid weich; Da horch, welch eiliger Tritt? „Noch einmal, Fernando, so trüb' und bleich? Was bringt dein bebender Schritt?“ „Ach, edler Feldherr, es ist geschehn! Jetzt hebt sich der östliche Stral.“ ─ „Sey ruhig, mein Lieber, von himmlischen Höhn Entwand sich der leuchtende Stral. Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol, Mir lenkt sie zum Tode die Bahn!“ ─ „Leb' wohl dann, mein Feldherr, leb' ewig wohl! Jch höre die Schrecklichen nahn!“ Und eh' noch dem Ritter das Wort entflohn, Da drängte die Menge sich nach; Da strömten die Krieger, die Wüthenden, schon, Gleich Wogen, ins stille Gemach. „Jch weiß, was ihr fordert, ich bin bereit, Ja, werft mich ins schäumende Meer! Doch wisset, das rettende Ziel ist nicht weit; Gott schütze dich, irrendes Heer!“ Dumpf klirrten die Schwerter, ein wildes Geschrei Erfüllte mit Grausen die Luft; Der Edle bereitete still sich und frei Zum Wege der fluchenden Gruft. Zerrissen war jedes geheiligte Band; Schon sah sich zum schwindelnden Rand Der treffliche Führer gerissen, und ─ „ Land! “ ─ „ Land! “ ─ rief es und donnert' es, ─ „ Land!! “ Ein glänzender Streifen, mit Purpur gemalt, Erschien dem beflügelten Blick; Vom Golde der steigenden Sonne bestralt, Erhob sich das winkende Glück. Was kaum noch geahnet der zagende Sinn, Was muthvoll der Große gedacht; ─ Sie stürzten zu Füßen dem Herrlichen hin, Und priesen die göttliche Macht. 4) vom Freih. v. Steigentesch. Der Troubadour. Am Quell, vom Tage matt beschienen, Saß Ritter Raymond, kalt und wild; Blaß, wie der Burggeist in Ruinen, Schwamm auf dem Felsenquell sein Bild. Da lispeln sanft der Harfe Saiten, Jm Liede weht ein weicher Sinn, Und des Gesanges Töne gleiten Wie Wellen über Blumen hin. Die Vorzeit flüstert durch die Lieder, Ein Geisterlaut umschwebt sein Ohr; Der Schrecken sträubt sein Haar empor, Und drückt den Blick zur Erde nieder. Die sanfte Sprache der Gefühle Wird jetzt auf jeder Saite wach, Des Morgens Traum, der Kindheit Spiele, Ahmt schwach und stark die Saite nach. Die halbgedämpften Töne beben, Wie durch das Laub der West im Mai; Der Kindheit goldne Träume schweben Jm Spiegel des Gesangs vorbei. Der schöne Traum, zu früh vergangen, Hat sanft des Ritters Herz erweicht; Ein mattes, kaltes Lächeln schleicht Auf die vom Gram gebleichten Wangen. Jetzt klagt hier, wie der Welle Tosen, Bald schwach, bald stark, mit leisem Schwung, Die Sehnsucht um verblühte Rosen, Jm Echo der Erinnerung. Der Ton, gleich scheidenden Gewittern, Verhallt nun sterbend, dumpf und schwach; Die Saite ahmt mit leisem Zittern Den süßen Ton der Freude nach. Der Vorzeit blasse Nebel sinken; Der Freude heitres Bild erwacht; Die Liebe ruft, das Leben lacht, Und des Genusses Horen winken. Dem Arm der Freude schnell entrissen Erhebt sich dumpf das Lied der Schlacht; Die Erde wird des Todes Kissen, Das Blut und Wunde schrecklich macht. Die Harfe schweigt. Jn ihren Pausen Verblutet röchelnd sich der Held, Und, wie des Meeres Wogen, brausen Die Töne durch das Leichenfeld. Des Ritters blasse Wangen färben Sich brennend, wie das Abendroth; Sein Auge rollt, es sucht den Tod, Umdonnert von der Schlacht, zu sterben. Der Harfe Stürme rauschen wilder, Das Siegel springt am Grab der Zeit, Der Sturm des Sängers weckt die Bilder Jm Nebel der Vergangenheit. Dumpf rauscht in jedem Grabe Leben, Wie in der Felsenkluft der Nord. Des Sängers blasse Lippen beben, Sein Stammeln malt den Brudermord. Die Wangen, wild entbrannt, verglühen; Jm Auge rollen Schuld und Haß. „Laß, ruft der Ritter leichenblaß, O laß das Bild vorüberfliehen!“ Da flüstern leise durch die Saiten Der Hoffnung süße Töne hin. Sanft, wie des Schicksals Fäden, leiten Sie in den Arm der Trösterin. Kühn trotzt der Mörder den Gesetzen, Jhn lenkt das ewige Geschick; Auf seinen Wink hält das Entsetzen Des Frevels, Dolch und Arm zurück. Der Ritter schlägt um die Gestalten Der Möglichkeit den Arm voll Kraft, Am Busen ohne Leidenschaft Das süße Traumbild festzuhalten. Der Sänger schweigt. Des Finstern Miene Wird wieder kalt und wolkenschwer; Da flüstert's leise durch das Grüne: „Erkennst du Erichs Ton nicht mehr?“ Er blickt empor. Die Augen wenden Sich ab, von Schuld und Schaam gepreßt; Er klammert sich mit kalten Händen An seines Bruders Knieen fest. Das Band des Schreckens löst sich wieder, Das seine Kraft gefesselt hält, Und auf die blassen Lippen fällt Die Thräne der Verzeihung nieder. 45. d ) Die Legende. Die Legende steht in demselben Verhältnisse einer Untergattung zur Romanze und Ballade, wie die Dithyrambe zur Hymne. Denn sie enthält die Darstellung von Gefühlen, welche durch die Vergegenwärtigung von Jndividuen, Handlungen und Begebenheiten erregt werden, unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. Allein der eigenthümliche Charakter der Legende, wodurch sie von der Romanze und Ballade sich unterscheidet, beruht darauf, daß ihr Stoff aus der religiösen Mythologie, und, wenn der Stoff der christlichen Religion angehört, aus der kirchlichen Ueberlieferung entlehnt ist. Mag nun der Stoff aus der indischen, oder der ägyptischen, aus der griechischen, oder der christlichen, oder der mahomedanischen Sagenwelt entnommen seyn; so hängt doch sein dichterischer Gehalt ab von seiner ästhetischen Darstellbarkeit in einer vollendeten Form. Enthält daher die kirchliche Sage, als Stoff, Handlungen und Thatsachen, welche entweder große Aufopferungen im Dienste der Tugend und den Heldensinn der Märtyrer bezeugen, oder welche angebliche Wunderthaten der sogenannten Heiligen und selbst manche lächerliche Ueberlieferung versinnlichen; so berücksichtigt der Dichter der Legende nicht die geschichtliche Beglaubigung dieser Stoffe; denn seine Aufgabe ist keine geschichtliche, sondern eine ästhetische, und diese wird erreicht, sobald er den ihm dargebotenen Stoff, inwiefern er einen wohlthuenden Eindruck auf sein Gefühlsvermögen vermittelte, zur Einheit der ästhetischen Form erhob. Nach den verschiedenartigen, bald ernsthaften, bald belustigenden, Stoffen, welche der Dichter der Legende zur Einheit der Form gestaltet, erscheint die Legende, wie auch die Romanze und Ballade, bald unter einer ernsthaften, bald unter einer komischen Einkleidung. Jn der ersten liegt das Außerordentliche, Uebernatürliche und Wunderbare in den Aeußerungen eines gesteigerten sittlich=religiösen Gefühls, dessen Bestrebung mit einem alle Erwartung übertreffenden Erfolge gekrönt wird. Jn der zweiten wird das Wunderbare in der Begebenheit, unter der Voraussetzung, daß die Begebenheit selbst der Erfolg eines sich verirrenden Gefühls war, als ein Gegenstand dargestellt, der vermittelst der vollendeten ästhetischen Hülle unser Lachen erregt. Die ernsthafte Legende ward mit Erfolg von v. Göthe, Aug. Wilh. v. Schlegel, v. Herder, Kosegarten, Justi, Krummacher, Uhland u. a., die komische besonders von Pfeffel und Langbein angebaut. 46. Beispiele der Legende. 1) von v. Herder († 1803). Der Tapfere. Ein edler Held ist, der fürs Vaterland, Ein edlerer, der für des Landes Wohl, Der edelste, der für die Menschheit kämpft. Ein Hoherpriester, trug er ihr Geschick Jn seinem Herzen, und der Wahrheit Schild Auf seiner Brust. Er steht im Felde, Feind Des Aberglaubens und der Ueppigkeit, Des Jrrthums und der Schmeicheleien Feind, Und fällt, der höchsten Majestät getreu, Dem redlichen Gewissen, das ihm sagt: Er suchte nicht, und floh nicht seinen Tod. „Was tödtet ihr die Glieder? (rief die Wuth Des Heidenpöbels,) sucht und würgt das Haupt.“ ─ Man sucht den frommen Polykarpus, ihn, Johannes Bild und Schüler. Sorgsam hatten Die Seinen ihn aufs Land geflüchtet: ─ „Jch Sah diese Nacht das Kissen meines Haupts Jn voller Glut (so sprach der kranke Greis); Und wachte mit besondrer Freude auf. Jhr Lieben mühet euch umsonst; ich soll Mit meinem Tode Gott lobpreisen.“ ─ Da Erscholl das Haus von stürmendem Geschrei Der Suchenden. Er nahm sie freundlich auf. „Bereitet, sprach er, diesen Müden noch Ein Gastmahl, ─ ich bereite mich indeß Zur Reise auch.“ ─ Er ging, und betete, Und folgete mit vielen Schmerzen ihnen Zum Consul. Als er auf den Richtplatz kam, Rief eine mächt'ge Stimm' im Busen ihm: „Sey tapfer, Polykarp!“ ─ der Consul sieht Den heitern, schönen, ruhig sanften Greis Verwundernd. „Schone (sprach er) deines Alters, Und opfre hier, entsagend deinem Gott!“ ─ „Wie sollt' ich meinem Herrn entsagen, dem Zeitlebens ich gedienet, und der mir Zeitlebens Gutes that?“ ─ „Und fürchtest du Denn keines Löwen Zahn?“ ─ „Zermalmet muß Das Weizenkorn doch einmal werden, sey's Wodurch es will, zur künft'gen neuen Frucht.“ Der Pöbel rief: „Hinweg mit ihm! Er ist Der Christen Vater! Feuer, Feuer her!“ Sie trugen Holz zusammen und mit Wuth Ward er ergriffen. ─ „Freunde, sprach er, hier Bedarfs der Bande nicht. Wer dieser Flamme Mich würdigte; der wird mir Muth verleihn.“ Und legte still den Mantel ab, und band Die Sohlen seiner Füße los, und stieg Hinauf zum Scheiterhaufen. ─ Plötzlich schlug Die Flamm' empor, umwehend rings um ihn, Gleich einem Segel, das ihn kühlete, Gleich einem glänzenden Gewölbe, das Den Edelstein in seine Mitte nahm, Und schöner ihn verklärte, bis ergrimmt Jhm eine freche Hand das Herz durchstieß. Er sank; es floß sein Blut; die Flamm' erlosch; Und eine weiße Taube stieg empor. Du lachst der weißen Taube? Soll einmal Ein Geier dir dem Sterbenden die Brust Durchbohren? Dem Gestorbenen das Aug' Ein Rab' aushacken? Aus der Asche sich Molch oder Natter winden? ─ Spotte nicht Des Bildes, das die Sage sich erschuf; Nur Einfalt, Unschuld, giebt im Tode Muth. 2) von v. Göthe. Der Gott und die Bajadere. Eine indische Legende. Mahadöh, der Herr der Erde, Kommt herab zum sechstenmal, Daß er unsers Gleichen werde, Mit zu fühlen Freud' und Qual. Er bequemt sich hier zu wohnen, Läßt sich Alles selbst geschehn. Soll er strafen oder schonen, Muß er Menschen menschlich seyn. Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet, Die Großen belauert, auf Kleine geachtet, Verläßt er sie Abends, um weiter zu gehn. Als er nun hinausgegangen, Wo die letzten Häuser sind, Sieht er, mit gemahlten Wangen, Ein verlornes schönes Kind. Grüß' dich Jungfrau! ─ Dank der Ehre! Wart', ich komme gleich hinaus ─ Und wer bist du? ─ Bajadere, Und dies ist der Liebe Haus. Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen; Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen, Sie neigt sich und biegt sich, und reicht ihm den Strauß. Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle, Lebhaft ihn ins Haus hinein. Schöner Fremdling, lampenhelle Soll sogleich die Hütte seyn. Bist du müd', ich will dich laben, Lindern deiner Füße Schmerz. Was du willst, das sollst du haben, Ruhe, Freuden oder Scherz. Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden; Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden Durch tiefes Verderben, ein menschliches Herz. Und er fordert Sklavendienste; Jmmer heitrer wird sie nur, Und des Mädchens frühe Künste Werden nach und nach Natur. Und so stellet auf die Blüthe Bald und bald die Frucht sich ein; Jst Gehorsam im Gemüthe, Wird nicht fern die Liebe seyn. Aber, sie schärfer und schärfer zu prüfen, Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen Lust und Entsetzen und grimmige Pein. Und er küßt die bunten Wangen, Und sie fühlt der Liebe Qual, Und das Mädchen steht gefangen, Und sie weint zum erstenmal; Sinkt zu seinen Füßen nieder, Nicht um Wollust noch Gewinnst, Ach! und die gelenken Glieder, Sie versagen allen Dienst. Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier Bereiten den dunkeln behaglichen Schleier Die nächtlichen Stunden das schöne Gespinnst. Spät entschlummert, unter Scherzen, Früh erwacht, nach kurzer Rast, Findet sie, an ihrem Herzen, Todt den vielgeliebten Gast. Schreiend stürzt sie auf ihn nieder; Aber nicht erweckt sie ihn, Und man trägt die starren Glieder Bald zur Flammengrube hin. Sie höret die Priester, die Todtengesänge, Sie raset und rennet, und theilet die Menge. Wer bist du? was drängt zu der Grube dich hin? Bei der Bahre stürzt sie nieder, Jhr Geschrei durchdringt die Luft: Meinen Gatten will ich wieder! Und ich such' ihn in der Gruft. Soll zu Asche mir zerfallen Diefer Glieder Götterpracht? Mein! er war es, mein vor allen! Ach, nur Eine süße Nacht! Es singen die Priester: wir tragen die Alten, Nach langem Ermatten und spätem Erkalten, Wir tragen die Jugend, noch eh' sie's gedacht. Höre deiner Priester Lehre: Dieser war dein Gatte nicht. Lebst du doch als Bajadere, Und so hast du keine Pflicht. Nur dem Körper folgt der Schatten Jn das stille Todtenreich; Nur die Gattin folgt dem Gatten; Das ist Pflicht und Ruhm zugleich. Ertöne, Trommete, zu heiliger Klage! O, nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage, O, nehmet den Jüngling in Flammen zu euch! So das Chor, das ohn' Erbarmen Mehret ihres Herzens Noth; Und mit ausgestreckten Armen Springt sie in den heißen Tod. Doch der Götter-Jüngling hebet Aus der Flamme sich empor, Und in seinen Armen schwebet Die Geliebte mit hervor. Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder; Unsterbliche heben verlorene Kinder Mit feurigen Armen zum Himmel empor. 3) von Langbein. Der Substitut des heiligen Georgs. Jn einer dunkeln Dorfkapelle, Dem heiligen Georg geweiht, Stand er in Lebensgröß' auf einer hohen Stelle Zum Trost des Volks seit langer Zeit. Der Priester sorgte stets aufs Beste Für des verehrten Schutzherrn Ruhm, Und reinigt' einst zu seinem Feste Mit eigner Hand das Heiligthum. Um dieses gute Werk zu krönen, Wollt' er ihn selbst ─ den Herrn Patron ─ verschönen, Und säubert' ihn vom Fuße bis zum Schopf; Der Besen aber stieß zu hart ihn an den Kopf, Und dieser ─ der vielleicht schon immer Ein wenig schwach gewesen war ─ Brach knacks vom Hals, und fiel in Trümmer. Der Priester raufte wild sein Haar. O ich Unglücklichster auf Erden! Was fang' ich an? Das Dorf wird rasend werden! Jch stehe morgen in Gefahr, Daß es in Rotten sich vereinigt, Und mich aus Christeneifer steinigt. ─ So klagend trat er an die Thür, Und seufzte Himmel an: Jhr Engel, Jhr guten Engel, helfet mir! Es kam nicht Einer; ─ doch dafür Erschien ein alter Galgenschwengel, Der weit und breit das Land durchzog, Theils betteln ging, und theils betrog. Er schlich gebückt an einem Stabe, Und bat um eine kleine Gabe. Mit Staunen sah der Capellan Vom Fuße bis zum Kopf ihn an, Und murmelte hinweg gewendet: Den haben mir die Engelein gesendet! Er gleichet, schwarzbraun wie ein Mohr, Dem Heil'gen, der sein Haupt verlor, So Zug für Zug, als wärens Zwillingsbrüder. Der Kerl ist mir ein wahrer Schatz; Jch stell' ihn an Georgens Platz, Und alles Volk fällt vor ihm nieder! Ein kluger Einfall! Der Vagant War in der Gegend nicht bekannt, Und nah und fern ließ sich kein Lauscher spüren. So hemmte nichts den Capellan, Das kühne Wagstück auszuführen, Und leise fühlt' er stracks dem Bettler auf den Zahn: Ob er des nächsten Tags der Rolle Des heiligen Georgs sich unterziehen wolle. Der Gauner hätte wohl, für ein Glas Brantewein, Sich nicht bedacht, der Teufel selbst zu seyn. Was sollt' er lange sich besinnen, Als Heiliger ein Trinkgeld zu gewinnen? Er sagte Ja, verschlief die Nacht Jn einem Winkel der Capelle, Und blähte sich bei früher Tageshelle, Bekleidet mit der Gallatracht Des Heiligen, an seiner Stelle. ─ Bald fanden sich viel fromme Seelen ein, Und strömten hin zum Könige des Festes. Er that, wie ihm befohlen war, sein Bestes, Und stand wie ein gebohrner Stein. Sie warfen sich mit flehenden Gebärden Zu seinen Füßen auf die Knie, Und glaubten fest, von ihm gehört zu werden, Seht, wie er lächelt, riefen sie, ─ Er blickt uns an, als lebt' er noch auf Erden! Der Afterheilige vernahm Mit Schrecken diese Schmeichelworte, Verwünschte still den bösen Kram, Und sehnte weit sich weg von seinem Orte, Wo bald das Ding noch schlimmer kam. ─ Ein Teufelchen, das ─ ohne Zweifel Beordert von dem Oberteufel ─ Jn einer Wespe Körper fuhr, Stach, wie mit einem Dolch, ihn tückisch in die Nase, Fast platzte er heraus mit einer Flucherphrase, Doch blieb's bei den Gedankenschwur: Flugs nach dem Gottesdienst der Rache zu genießen, Und jenen Plagegeist zu fangen und zu spießen. Jndessen nahm die schwellende Blessur Der Fliegengott selbst in die Cur, Und eilte, Balsam drauf zu gießen. Das war brühheißes Wachs, das an des Altars Wand, Drei Spannen über'm Kopf des Substituten, Von einer Kerze floß, die dort hellflammend stand, Und, schief gebeugt von Satans Hand, Nicht geizig war mit ihren Perlengluten. Dies Tropfbad hielt der Patient Nur zwei Secunden aus: „Kreuz tausend Element!“ Schrie er, und sprang mit Schmerzgrimassen Herab von seinem Postament. Ha, welcher Aufruhe in des Kirchleins Gassen! Die sämmtliche Gemeinde floh Zur Thür' mit Zetermordio, Als würd' ein Leu von Ketten losgelassen, Der Bettler, stürzend durchs Gewühl, Rief laut: „Schön Dank für solch ein Spiel! Nein, lieber ein Verdammter in der Hölle, Als so ein Heiliger in dieser Angstkapelle!“ 47. e ) Die poetische Erzählung. Je allgemeiner der Begriff des Erzählens ─ der mündlichen oder schriftlichen zusammenhängenden Mittheilung des Geschehenen ─ überhaupt ist; desto weiter ist auch, in der Reihe der epischen Formen, der Begriff der poetischen Erzählung. Denn alles, was aus dem Kreise des Wirklichen und Möglichen ästhetisch dargestellt, d. h. als aus den Gefühlen des Dichters stammend und als Gefühle anregend geschildert, und zur Einheit der Form verbunden werden kann, eignet sich zum Stoffe der poetischen Erzählung. Dadurch aber unterscheidet sich die poetische Erzählung vom Epos, daß in der erstern die dargestellte Handlung oder Begebenheit, in dem letztern hingegen das handelnde Jndividuum den Mittelpunct der ästhetischen Darstellung bildet. Jn der poetischen Erzählung erscheint nämlich das handelnde Jndividuum nicht als ein eigentlicher Held, der in noch unentschiedenem Kampfe mit dem auf ihn eindringenden widrigen Schicksale wahrgenommen wird; auch können die verwickelten Verhältnisse und Ereignisse, welche die poetische Erzählung schildert, nicht in der höhern Beziehung, wie im Epos, Schicksal genannt werden, weil es zunächst eine mehr oder weniger in sich fassende Thatsache ist, die der Dichter der poetischen Erzählung in den Mittelpunct des Ganzen stellt. Bei dieser Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit des Stoffes für die poetische Erzählung bleibt es die Hauptaufgabe für dieselbe, vermittelst der Vollendung der ästhetischen Form dieselben Gefühle anzuregen, welche in dem Gemüthe des Dichters das Entstehen der ästhetischen Form bewirkten, und zugleich die Einbildungskraft in ein freies Spiel zu setzen, um durch beides gemeinschaftlich ein reines Wohlgefallen an der Form hervorzubringen. ─ Je häufiger aber der erzählende Dichter mit der Darstellung freier Handlungen sich beschäftigen muß; desto mehr bedarf er des psychologischen Urtheils und Tactes. Zwar darf er die psychologischen Erscheinungen und Ergebnisse nicht philosophisch verarbeiten; allein er behandelt sie dichterisch, d. h. sein psychologischer Sinn und Tact unterstützt seine schöpferische Einbildungskraft, wenn diese, für die im Mittelpuncte der Erzählung darzustellende Handlung, einen ästhetischen Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen vermittelt, der mit derselben Nothwendigkeit sich ankündigt, wie der Zusammenhang von Ursach und Wirkung im wirklichen Leben der Menschen. Selbst das, was aus dem Kreise der physischen Welt in die poetische Erzählung aufgenommen wird, erscheint nach seiner Verbindung und nach seinem Zusammenhange mit der geistigen und sittlichen Kraft der handelnden Jndividuen, weil es nicht um seiner selbst willen, sondern zur Versinnlichung gewisser Thatsachen und Handlungen freier Wesen, in die poetische Erzählung gehört. Die poetische Erzählung kann entweder im ernsthaften, oder im komischen Gewande erscheinen. Die ernsthafte poetische Erzählung stammt aus Gefühlen, welche theils durch ernsthafte und wichtige Ereignisse des Lebens, theils durch ergreifende Handlungen des freien Willens angeregt, und vermittelst der Einbildungskraft zu einem lebensvollen dichterischen Ganzen gestaltet werden. Dagegen entspringt die komische poetische Erzählung aus dem, durch die Vergegenwärtigung menschlicher Schwachheiten, Thorheiten und Fehler, im Bewußtseyn des Dichters aufgeregten, Gefühle der Lust, das seine schöpferische Einbildungskraft in der ästhetischen Form der poetischen Erzählung in einem so hohen Grade versinnlicht, daß dadurch bei Allen dasselbe Gefühl der Lust veranlaßt wird. Doch muß der Dichter der komischen poetischen Erzählung, bei aller Lebendigkeit seiner Darstellung, sich innerhalb der Grenzlinie der Erzählung halten, und nicht ins Gebiet der eigentlichen Satyre hinüber streifen, welche die Unvollkommenheiten der intellectuellen Welt und die Gebrechen in der sittlichen Ordnung der Dinge mit aller Schärfe geiselt, die, durch den stark versinnlichten Abstand der wirklichen Welt zu der Höhe des dem Menschen gebotenen Jdeals der Wahrheit und sittlichen Güte, in dem Gemüthe des Satyrikers erzeugt wird. Von der Fabel, die häufig mit der poetischen Erzählung verwechselt wird, unterscheidet sie sich bestimmt dadurch, daß der Fabel ausschließend die Versinnlichung der Eigenschaften der Thierwelt zusteht. Die wesentlichsten Bedingungen der poetischen Erzählung sind Leichtigkeit und Natürlichkeit in der Darstellung. Eine gewisse Ausführlichkeit wird in dieser epischen Form eher, als in den übrigen, dem Dichter verziehen, sobald nur nichts eingemischt wird, was als entschieden überflüssig und außerwesentlich sich ankündigt; die unverkennbare Breite der Darstellung aber ist unvereinbar mit der Festhaltung des ästhetischen Charakters der Form. Reim und Metrum sind, wie bei allen dichterischen Erzeugnissen, auch in der poetischen Erzählung keine wesentlichen, sondern nur zufällige Eigenschaften der äußern Schönheit der Form. 48. Beispiele der poetischen Erzählung. 1) von Burcard Waldis († nach 1554). Vom Bischoff und einem Lotterbuben. Zum Bischoff kam ein Lotterbub, Sein Bengel gegen jm auffhub, Vnd bat jn, das er jm da bar Ein gülden geb zum neuwen Jar. Der Bischoff war ein karger Mann, Den Freihart sah er scheußlich an, Sprach: bist vnsinnig hab den Ritten Darffst umb ein gülden neuw Jar bitten? Der Bub sprach, schont gnediger Herr, Ob denn ein güld zu viele wer, Gebt ein Batzen, ich nem jn an, Daß jr ein gut neuw Jar müßt han. Er sprach, du bittest ja zu viel; Er sprach, ein kleines nemmen wil, Das ich mag haben euwre Gnad; Zuletst jn umb ein Pfenning bat. Denselben er jm auch nicht gab. Er sprach, das ich dennoch was hab, Von euwern gnaden beger sonst nit, Denn theilt mir euwern Segen mit. Er sprach: knie nieder lieber Son, Das du denselben magst entpfahn. Da sprach der Bub: behalt euwrn Segen, Jr dörfft jn zwar auff mich nicht legen; Ja wenn er wer eins Pfennings wehrt, Würd er mir nicht von euch beschert. 2) von Hans Sachs († 1576). Warum die Bauern nicht gern Lanzknecht herbergen. Mich thät eines Tages ein Pfaff fragen, Ob ich nicht warhaft wüßt' zu sagen, Warum die Bauern unwillig wär'n, Und herbergten die Lanzknecht nicht gern. Jch sagt: es liegt im Schwabenland Ein Dorf, Gersthofen ist genannt, Da hat die Ursach sich angefangen, Jm kalten Winter nächst vergangen. Da loff ein armer Lanzknecht hart Zerrissen, frostig auf der Gartt Jn großer Kält für einen Galgen, Darauf hört er die Raben balgen, Und sah einen Dieb hangen daran, Der hätt' zwei gute Hosen an. Da dacht ihm der arme Lanzknecht, Die Hosen kommen mir gleich recht; Und streift dem Dieb die Hosen ab, An Füßen wollten sie nicht rab, Wann (denn) sie waren daran gefroren. Der Lanzknecht flucht und thät im Zoren (Zorn) Und hieb dem Dieb ab beide Füß', Sammt den Hosen int (in den) Ermel stieß. Nun war es etwas spät am Tag, Gersthofen das Dorf vor ihm lag; Da trabet er gar frostig ein, Zu suchen da die Nahrung sein. Als er nun herumgartet spat, Zuletzt er dann um Herberg bat Ein Bauren, der sagt' ihm zu willig, Gab ihm ein Schüssel voll warmer Millich, Trug ihm in die Stuben ein Schütt Stroh, Deß war der frostig Lanzknecht froh. Nun hätt diesem Bauren dazu Diesen Abend kälbert eine Kuh; Nun war es eine grim kalte Nacht, Drum wars Kalb in die Stuben bracht, Daß es in Kält keinen Schaden empfing. Als jedermann nun schlafen ging, Und still wars in dem ganzen Haus, Zog der Lanzknecht die Hosen raus, Die er dem Dieb abzogen hätt, Die Füß' er ledig machen thät, Und zog des Diebes Hosen on (an), Und machet sich vor Tag davon, Ganz still, daß sein kein Mensch wahrnahm, Ließ liegen die Diebsfüß' beisam. Als früh die Bauermäd' aufston Und ward hinein die Stuben gon, Trug mit ihr ein großes Spanlicht. Als sie den Lanzknecht nicht mehr sicht, Allein das Kalb dort in der Ecken Höret gar laut schreien und blöken, Jndem sie die Diebesfüß' ersicht, Vermeinet gänzlich anders nicht, Denn das Kalb hätt' den Lanzknecht fressen. Erst wurd mit Furchten sie besessen, Säumt in der Stuben sich nicht lang, Und zu der Stubenthür aus sprang, Schreit am Tennen Zeter und Mord. Der Bauer ihr Mordgeschrei erhort, Erschrack und aus der Kammer schrier: Was ist dir? Sie antwort: weh mir O Bauer, es hat unser Kalb Den Lanzknecht fressen mehr denn halb; Allein liegen noch da seine Füß'. Der Bauer zucket sein Schweinspieß, Fuhr in rostigen Harnisch sein, Und wollt' zum Kalb in die Stuben nein. Die Bäurin schrie: o lieber Monn, Mein und deiner klein Kinder verschon; Das Kalb das möcht zerreißen dich. Der Bauer trat wieder hinter sich, Die Kinder weinten alle sam. Der Knecht auch aus dem Stadel kam; Sie konnten des Lanzknechts nicht vergessen, Meinten, das Kalb das hätt' ihn fressen. Jn sie kam ein solch Furcht und Graus, Und loffen alle aus dem Haus. Der Bauer zum Schultheiß sagt böse Mähr, Wies mit seinem Kalb ergangen wär Des Lanzknechts halb; darob wurd heiß Dem Schultheiß ging aus der Angstschweis, Hieß bald läuten die Sturmglocken. Die Bauern liefen all' erschrocken Auf den Kirchhof zitternd und frostig Mit ihrer Wehr und Harnisch rostig. Da sagt der Schultheiß in (ihnen) die Mähr, Wie daß ein grausames Kalb da wär, Das hätt' einen großen Mord gethon, Es hätt' ein Lanzknecht gefressen schon Bis an die Füß. Mit diesem Wurm Da müssen wir thun einen Sturm, Daß man es von dem Leben thu; Wann würd' das Kalb groß wie ein Kuh, So fräß' es uns all nach einander. Die Bauern erschracken allsander, Und zogen für das Haus hinan. Der Schultheiß, der war ihr Hauptmann, Der sprach zu ihnen: Nun stoßets auf. Die Bauern stunden all zu Hauf Und sahen das Haus alle an; Doch wollt' ihr keiner voren dran, Furchten, das Kalb möcht' ihn zerreißen; Deshalb thäten sie sich all' spreißen. Ein alter Bauer den Rath gab: Jch rath', wir ziehen wieder ab, Und fristen vor dem Kalb unser Leben. Wir wollen eine g'meine Steuer geben Jn dem ganzen Dorfe durchaus, Dem guten Mann bezahlen sein Haus, Und wollen darein stoßen ein Feuer, Verbrennen sammt dem Kalbungeheuer. Die Bauern schrien: fürwahr, jo, jo, Das ist der beste Rath also! So zündten an das Haus die Bauern, Mit gewohnter Hand stunden die Lauern Darum fürchten, das Kalb möcht' entrinnen, Und in dem Feuer nicht verbrinnen. Doch lag das Kalb, konnt noch nicht gehn; Das wollt kein närrischer Bauer verstehn. Jetzt nahm das Feuer überhand, Daß ihm das ganze Dorf abbrannt; Deß kamen die Bauern zu großem Schaden. Haben seit die Lanzknecht kein Gnaden, Und vermeinen des Tages noch heut: Lanzknecht sind unglückliche Leut. Deshalb herbergens die Bauern nicht gern, Thun ihr Beiwohnung sich beschwern, Daß ihnen nicht weiter Schaden wachs; Von solchen Gästen spricht Hans Sachs. 3) von Tscherning († 1659). Ein junger Hirte war zu schreien oft beflissen: Kommt, Brüder, helft! Der Wolf hat mir ein Schaf erbissen. Wenn nun das Hirtenvolk gesammt zur Stelle war; Da sprach er: seyd zur Ruh, es hat noch nicht Gefahr, Jch habe nur versucht, ob ihr auch wachsam wäret. Nachdem er aber sie auf andre Zeit begehret, Als Ernst vorhanden war, und jetzt vom Wolfe schon Ein Schaf war hingewürgt; da blieben sie davon, Wie laut er immer rief. Jetzt ward der Narr erst inne, Wie thöricht er gethan, und zog ihm stracks zu Sinne, Daß einem hier die Welt, der einmal Lügen liebt, Auch wenn er Wahrheit redt, nicht leichtlich Glauben giebt. 2) von Zernitz († 1745). Der Satz des nicht zu Unterscheidenden. Ein Philosoph, der Witz und seine Schöne liebt, Jm Scherz nur nicht der Wahrheit Beifall giebt, Gerieth, doch sonder Zorn, mit seinem Freund ins Streiten, Und sprach: Es ist nach hundert Logiken Der Satz des nicht zu Unterscheidenden Ein leerer Ton, und hat nichts zu bedeuten. Denn höre, fuhr er fort, und prüfe nur den Schluß: Ein jeder glaubt, es sey ein Kuß, ein Kuß; Mit der Erklärung ist man selbst beim Kuß zufrieden, Und sie spart mir jetzt zum Beweise Zeit. Ruht nun in dem Begriff kein Unterscheid; So ist kein Kuß vom andern unterschieden. Ja, sprach sein Gegner, ja du hast zum Theile Recht, Du nennest nur von Küssen das Geschlecht; Allein, dabei ist auch der Satz nicht anzuwenden. Doch gieb nur auf die Art der Küsse acht; Ein Kuß, geschickt auf Lippen angebracht, Entscheidet sich von dem auf zarten Händen. Noch mehr, kein einz'ler Kuß ist je dem andern gleich; Freund, sey einmal im Geist an Bildern reich, Sieh ein verliebtes Paar, so ist dein Schluß bestritten; Es wird, wenn man den Mund zum Kuß erwählt, Beim zweiten schon der erste Fleck verfehlt, Den Wangen nach küßt man nicht in der Mitten. Was Bilder? nein! ward hier von jenem eingewandt, Mit Augen seh' ich zwar, mehr mit Verstand. Wer nur den Sinnen traut, macht wenig starke Schlüsse. Der Unterschied im Kuß hat schlechten Grund, Es ist zudem ein rother Mund, ein Mund, Und Küsse sind im Wesen doch nur Küsse. Gut, rief bei diesem Streit der dritte Kaffeegast, Freund, aber sey zum Einwurf nur gefaßt; Denn sonst reichst du die Hand zum ersten zum Versöhnen, Den Satz des nicht zu Unterscheidenden Erweis ich dir mit deiner Lesbien, Die küssest du in einer Welt voll Schönen. 5) von Gotter († 1797). Der reisende Virtuose. Ein Virtuos aus jenem Lande, Wo, nächst der Weihe, keine Bahn So leicht zum Reichthum führet, als ─ o Schande! ─ Ein Messerschnitt, erwies dem teutschen Vaterlande Die Ehr' und setzt' es einst in Contribution. Die Wochenblättler (Ehrenmänner, Und aller Künste tiefe Kenner, Und Schöpfer mancher Reputation!) Verglichen seinen Silberton Der ersten Sängerin in Vater Zeus Orchester. Zwar kenn' ich jene Primadonna nicht; Doch wett' ich gleich mein glücklichstes Gedicht: So göttlich, als der Musen zehnte Schwester, Als unsre Mara, sang er nicht. Er kam an einen Hof (ein Höfchen wollt' ich sagen, Das meine Chronika nicht nennt) Und, ob die Außenwerk' ihm gleich nicht sehr behagen, So nöthigt ihn doch ein zerbrochner Wagen, Der Appetit, sein Element, Und ach! ein Ding, noch leerer, als sein Magen, Sein Beutel, sich beim Marschall anzusagen; Beim Marschall, der auch Kanzler, Präsident, Und General, und Haupt der Jägereien, Der Kirchen, hohen Schulen, Stutereien, Und Secretär des Luftballordens war; Ein Orden, der so fein zum Staatssysteme paßte, Daß er so Hof, als Stadt und gar Die Nachbarschaften in sich faßte; Mit Ausschluß der Montur und Liverei, Stand (Hungers stürbe sonst die arme Kanzelei) Der Eintritt jedermann für zehn Ducaten frei. Seit lange war für Geiger und Kastraten Dies Ländchen das Schlaraffenland. Kein Wunder, daß, so vortheilhaft bekannt, Ein gnädigstes Gehör auch Bellavoce fand. Die Durchlaucht, die im Zirkel der Magnaten, Umwölbt von einem Plüschsammt-Himmel, stand, War so begeistert, daß das Klatschen ihrer Hände Den Baß zum Schweigen zwang, und sie, noch vor dem Ende Der schmelzenden Cadenz, ihm in die Arme lief, Aus voller Kehle, die noch von Champagner rauchte: Bravo! bravissimo ! vortrefflich! himmlisch! rief, Und in ein Meer von Lob ihn untertauchte. „Beim Teufel! schloß das Lied, und müßt' ich Sie mit Gold Aufwiegen, großer Mann, ich nehme Sie in Sold; Was fordern Sie? Jhr' ist die erste Stelle, Mit Jntendantenrang in meiner Leibcapelle, Empfangen Sie zum Pfand den Ring ─ und diese Uhr!“ Mein Sänger, dem nichts als die Schelle Zum Narren fehlt', bläst zur Karrikatur Sich auf, und küßt den Rock, und pfeifet: „ Monseigneur, Suis à vos ordres , für fünftausend Gulden.“ Betäubt, als sah' er schon, zur Geisel seiner Schulden, Sich den Sequester nahn, erwiedert in C dur Der Fürst: „Wie? was? Jhm Gurgler! Jhm? fünftausend Gulden? Mein Kanzler hat fünfhundert nur!“ „Mag seyn, spricht der Sopran mit unverschämtem Lachen, Die Kanzler können Sie auch Dutzendweise machen; Doch ein Talent, wie meines, macht Natur.“ 6) von v. Thümmel († 1817). Die Frau Gemahlin und ihr Gemahl. Der Frau Gemahlin ihrem Mann ─ Jch wollte dir den Namen sagen, Allein er geht uns hier nichts an; Wozu auch das in unsern Tagen? ─ Ward eine Sache vorgetragen. Er sprach: die Sach' ist von Gewicht; Jch müßte mich des Ausgangs schämen, Und kurz ─ ich kann sie nicht auf meine Hörner nehmen. Hier sah ihm Frau Gemahlin ins Gesicht: ─ Mein Schatz, Sie kennen ihre Stärke nicht .“ 7) von Pfeffel († 1809). Der Bußprediger. Der wilde Pater Chrysolog, Der täglich neue Ketzer machte, Und täglich neue Wunder log, Die selbst der Pöbel oft belachte, Stieg einst, es war zur Faschingszeit, Auf einen Eckstein, um zu lehren, Und von dem Dienst der Eitelkeit Das Volk zur Buße zu bekehren. Schon hatte der erhitzte Streit Mit Sünd' und Teufel angehoben, Als ein Hannswurst mit lautem Toben Der Hörer dichten Damm durchbrach. Schnell ward der Prediger verlassen; Janhagel lief durch alle Gassen Dem bunten Pickelhering nach. Der Mönch ergrimmte. Welche Schmach, Rief er, ein Auswürfling der Hölle, Ein Narr entlocket euch der Quelle Des Heils, und tödtet euern Durst Nach Weisheit! Ach, ihr seyd verloren! Bin ich, ihr Gottvergeßnen Thoren, Denn nicht so gut, als ein Hannswurst? 8) von Pfeffel. Die zwei Griechen. Zwei Griechen, welche durch das Band Der Sympathie verbrüdert waren, Verließen jung ihr Vaterland Und suchten Glück bei den Barbaren. Das Schicksal trennte sie. Porphyr Kam nach Jllyrien, ward Kriegsknecht, Officier, Spion, Feldmarschall, Großvezier, Und kurz, in zwei und zwanzig Jahren Bestieg er, als der Schwiegersohn Des Königs, den ererbten Thron. Aret, der nichts von ihm erfahren, Kam als ein armer Philosoph, Vom Unglück stets verfolgt, an seines Freundes Hof, Der eben Audienz ertheilte. Was seh ich, Himmel, rief Aret, Der weinend ihm entgegen eilte, Porphyr, mein Bruder! ─ Was? fiel seine Majestät Erröthend ihm ins Wort; hinweg mit diesem Tollen, Der unsern Stand vergißt! Vielleicht hat gar ein Feind Sich hinter ihm verbergen wollen. ─ Vergieb mir, sprach Aret, ich hätte keinen Freund Auf einem Throne suchen sollen! 9) von Pfeffel. Die Jnjurienklage. Vor einem edlen Magistrat Erschien Herr Maß, ein neugebackner Rath, Und sprach: Hochweise Herrn, ein frecher Zeitungsschreiber Beschimpfte mich; da lesen Sie sein Blatt, Und rächen mich an diesem Ehrenräuber. Er sagt: ein teutscher Titus hat Jüngst einen Schöps zu seinem Rath erhoben. Herr, sprach der Präsident, wir haben keine Proben; Sie sind ja nicht genannt. ─ Ei, Sie befremden mich, Rief Matz, wer kann der Schöps wohl anders seyn, wie ich ? 10) von v. Gökingk. Predigt am Magdalenentage. Ein Priester predigte am Fest der Magdalene Vom Gräuel ihrer ersten Lebensart; Doch ward hernach das Lob der Schöne, Ob ihrer Reu' und Buße, nicht gespart. Nun, fuhr der Redner zu den Damen, Die vor ihm saßen, eifernd fort: Wie viel sind unter Euch, die mehr an diesen Ort Sich zu belustigen, als zu erbauen, kamen! O, sonderlich ist Eine unter Euch, Bei der hilft weder Drohn noch Bitten; An unverschämten lüderlichen Sitten Bleibt sie vielmehr sich immer gleich. Wie heilig hat sie alle Jahr Jm Beichtstuhl Besserung versprochen! Allein wie bald ward dies Gelübd' gebrochen! Und da sich ihre Frechheit immerdar Noch gar vermehrt: wer kann uns übel nehmen, Wenn endlich wir sie öffentlich beschämen? Denn, sagt die Bibel, wenn dein Bruder fehlt, Erinnr' ihn ein= auch zweimal dran; Doch wenn er dann den Weg der Besserung nicht wählt, So zeig's nach Pflicht der Kirche an. Das will auch ich jetzt thun. Es ist ─ es ist ─ Was meint ihr? Soll ich namentlich sie nennen? Jch sollte billig wohl; doch wißt ─ Allein, warum nicht? Gut, ihr sollt sie kennen! Vielleicht bringt dies zu ihrer Pflicht Sie noch zurück, so leid mir's thut, sie zu beschämen. Es ist ─ doch ohne Makel könnt' ich nicht Den Namen nur einmal auf meine Zunge nehmen. Jch will sie denn auf andre Art der Welt Kund machen, und einmal an ihr das Strafamt schärfen. Dort sitzt sie! Wie sie sich nicht stellt! Jetzt werd' ich mein Gebetbuch nach ihr werfen; Gebt Acht! gebt Acht! auf welch' es fällt! ─ Jndem er nun empor mit seinem Buche fuhr, War jede bange vor dem Falle, Und jede bückte sich. ─ „Verdorbene Natur, Jch dacht', es wäre Eine nur; Nun seh' ich erst, sie sind es Alle!“ 11) von v. Aloys Schreiber. Der Bramin. Zu einem alten weisen Bramen, (Die Zeit verlor uns seinen Namen!) Der, ferne von der Thorheit Spiel, Jn einer stillen Klause lebte, Und da durch guten Rath, so viel Er konnte, noch zu nützen strebte, Kam einst ein junger Biedermann, Und redet ihn bescheiden an: Mein Vater, bange Zweifel quälen Schon lange, lange meine Brust; Der Tugend Bahn ging ich mit Lust; Doch welch System soll ich erwählen? Als Knabe schon saß ich im Staub Der Schule zu der Weisen Füßen, Und horchte ihren strengen Schlüssen, Und blieb doch stets der Zweifel Raub. Der eine rief: geh meine Wege! Der andre: näher führ' ich dich! Ein dritter sprach Sanscritt für mich. Der Brame lächelt: O, die Rege Zum Guten gibt die Schule nicht! Dein eignes Herz kennt jede Pflicht, Mein Sohn; bewahre seine Lehren, Und folge ihnen stets mit Muth. Das übrige sind taube Aehren, Nur für gelehrte Scheunen gut. 49. f ) Die Fabel. Je häufiger der eigenthümliche Charakter der Fabel verkannt, und die poetische Erzählung mit der Fabel verwechselt wird; desto nöthiger ist es, die unterscheidenden Merkmale der Fabel von jeder andern Form der epischen Dichtkunst aufzufassen, und die Eigenthümlichkeit derselben, im Sinne der eigentlichen äsopischen Fabel, herzustellen. Denn nur die äsopische (die Thier=) Fabel verdient ausschließend diesen Namen, weil durch sie eine selbstständige, von jeder andern verschiedene, dichterische Form in den Kreis der epischen Dichtungsarten eintritt, in wiefern nämlich das Eigenthümliche der Fabel darauf beruht, menschliche Jndividuen, Zustände und Handlungen in dem, der menschlichen Freiheit verwandten, Kreise des Jnstinkts in der Thierwelt, unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form darzustellen. Jn der Fabel erscheint daher der Mensch nicht selbst, nach seiner Jndividualität und nach den Wirkungen seiner Freiheit; er wird aber unter der symbolischen Hülle des Jnstinkts versinnlicht. So gewiß also, nach dieser Ansicht, nie ein menschliches Jndividuum, sondern nur ein, nach seinen Eigenschaften und nach seiner Ankündigung bekanntes, Thier in den Mittelpunct einer Fabel gestellt werden darf; so gewiß wird doch auch die Fabel nicht der Darstellung des Thieres selbst wegen gedichtet. Es soll vielmehr der Mensch im Spiegel des Jnstinkts, eben so wohl nach den Ankündigungen seiner Freiheit überhaupt, wie nach den Verirrungen derselben, sich wieder erkennen, weil ─ ungeachtet aller ursprünglichen Verschiedenheit des Kreises der menschlichen Freiheit und des thierischen Jnstinkts ─ doch zwischen beiden theils eine Aehnlichkeit in Hinsicht auf die Hervorbringung einer äußern Wirkung in Angemessenheit zu einem vorausgegangenen innern Antriebe, theils sogar eine Verwandtschaft statt findet, da der Mensch, neben der seiner übersinnlichen Natur zustehenden Freiheit, in seiner sinnlichen Natur ebenfalls einen thierischen Jnstinkt wahrnimmt, und dieser nicht selten, in den äußern Handlungen des Menschen, ein Uebergewicht über die Ankündigung der sittlichen Freiheit behauptet. Der Mensch soll nämlich, im ästhetisch vollendeten Gegenbilde, sein eignes Bild, nach seinen guten Seiten, so wie nach seinen Fehlern und Mängeln, unter der Hülle der Dichtung erkennen. Sobald daher in der Darstellung der Fabel an die Stelle der Thiere entweder Menschen oder Gegenstände der leblosen Natur treten, verdient die ästhetische Form nicht mehr den Namen der Fabel, obgleich, in einzelnen Fällen, gleichsam als Ausnahme von der Regel, Gegenstände der leblosen Natur, gleich den Thieren, in den Mittelpunct der Fabel gestellt werden können, sobald, in einer allerdings sehr starken Personification, diesen leblosen Gegenständen Wirkungen beigelegt werden, die sich nach einer gewissen Verwandtschaft und Aehnlichkeit mit den Wirkungen der menschlichen Freiheit ankündigen. Denn die eigenthümliche Versinnlichung des Kreises der menschlichen Freiheit innerhalb des in sich abgeschlossenen Kreises des thierischen Jnstinkts beruht eben darauf: daß der Charakter der als handelnd aufgestellten Thiere allgemein bekannt ist, und daß man bei der Anschauung der ästhetisch vollendeten Form der Fabel stillschweigend voraussetzt, der Dichter schildere die Thiere nicht um ihrer selbst willen, sondern gebe eine menschliche Jndividualität unter der glücklich ergriffenen Aehnlichkeit derselben mit einem thierischen Wesen. Ob nun gleich im Kreise der Thierwelt keine Freiheit und Sittlichkeit angetroffen wird; so folgt daraus doch keinesweges, wie einige Theoretiker wollen, daß die Fabel blos Klugheitsregeln, nicht aber sittliche Ankündigungen ─ Tugenden und Verirrungen der Freiheit ─ versinnlichen könne. Denn nicht nur, daß der für die Fabel geeignete Kreis darstellbarer Stoffe durch diese Forderung sehr beengt werden müßte; es haben auch die ausgezeichnetsten Fabeldichter nicht blos Klugheitsregeln, sondern auf gleiche Weise sittliche Erscheinungen und sittliche Vorschriften vergegenwärtigt. Dies folgt von selbst aus der Bestimmung der Fabel, die Ankündigungen und Wirkungen der menschlichen Freiheit unter der Hülle des Jnstinkts zu versinnlichen, so, daß wenn auch den Thieren nicht Freiheit des Willens zukommt, doch in Angemessenheit zu den Antrieben des Jnstinkts nicht selten Wirkungen geschildert werden, welche die sittlich entarteten Wesen unsrer Gattung zu beschämen vermögen; z. B. in der Kindesliebe; in der Treue; in der Anhänglichkeit, in der Aufopferung für seinen Herrn u. s. w. Denn wenn das Thier, geleitet vom Jnstinkte, in seinen Aeußerungen naturgemäßer, unverdorbener und edler sich ankündigt, als der in sittlicher Hinsicht ausgeartete, von seinem Eigennutze und von seinen Leidenschaften fortgerissene Mensch; so muß durch die Versinnlichung dieses Kontrastes zwischen dem sicher führenden Jnstinkte und der sich von ihrem Ziele entfernenden Freiheit eine große Wirkung hervorgebracht werden. Doch gehört als unnachläßliche Bedingung dazu, daß die Fabel in ästhetischer Hinsicht nach der Einheit ihrer Form vollendet sey, so daß diese Form um ihrer selbst willen, auch abgesehen von dem im Stoffe enthaltenen Jndividuum, gefällt. Die Fabel soll nämlich die höchste Anschaulichkeit und Lebendigkeit der in ihr verhüllten Wahrheit bewirken, und deshalb soll die Hülle, welche das Gegenbild des wirklich gemeinten Gegenstandes enthält, das Gepräge der möglichst höchsten ästhetischen Vollendung an sich tragen. Daraus folgt von selbst, daß nur diejenige Fabel den Charakter eines dichterischen Kunstwerkes behauptet, welche in ästhetischer Einheit vollendet ist, so wie viele sehr gut gemeinte Fabeln (z. B. für Kinder berechnet) in pädagogischer Hinsicht brauchbar seyn können, ohne doch die Forderungen des gereiften Geschmacks an die ästhetische Gediegenheit der Form zu befriedigen. 50. Beispiele der Fabel. 1) von Bonerius (der in der zweiten Hälfte des 14ten Jahrhunderts lebte). Ein Fuchz hungern began, Unter einen hohen Boum er kan, Uf den ein rapp kam gepflogen Mit einem Kes gezogen, Den er geroubet hatte do; Des was der Fuchz unmassen fro. Do in der Fuchz erst an sach, Mit glatten worten er do sprach: Got gruez dich lieber Herre min, Uiwer diener wil ich sin, Und iemer wesen niwer knecht, Das dünkt mich billich unde recht. Jr sind so edel wnd so rich, Kein vogel mag sin niwer glich Jn allen kuinierichen; Jch w ê n uich (euch) muos entwichen Der sperwer und das faelkelin, Der habk und ouch des pfawe schin. Sueß ist uiwer (eurer) k ê len schal, Uiwer stim hoert man überal Jn dem walt erklingen, Wen ir geraten singen; Des hab ich wol genomen war. Der rapp sprach, das sol sin an alle var. Er liez sin stim us und sang, Das es dur den walt erklang. Jn dem gesang enpfiel im do Der k ê s; das wart der Fuchz vil fro Des muost der rappe schamrot st â n, Darzuo muost er den schaden h â n. 2) von Burcard Waldis († nach 1554). Von den schwangern Bergen. Jn alten zeiten, vor tausent Jarn Begab sichs, wie ich hab erfarn, Ein Landtgeschrey kam vnder die leut, Wie die Berge zur selben zeit Schwanger waren vnd solten geberen. Alls Volck lieff zu, mit grossem begeren, Vnd kam zusamen ein grosse schaar Auß vielen Landen gelauffen dar, Vnd schauwten an die Berge groß; Sie waren bauchet über dmoß, Ein lange zeit sie da erharten Mit grosser forcht theten erwarten Wenn sich nun offne würd die Erden Was seltzams dings darauß solt werden, Ein Dromedari oder Elephant, Oder sonst ein wunder vnbekannt. Zu letst kroch zu dem Berg herauß Ein kleine lecherliche Mauß; Als sie heraus lieff' und sich regt, Ward alles Volk zu lachen bewegt. 3) von v. Hagedorn († 1754). Der Bauer und die Schlange. Ein Ackersmann fand eine Schlange, Die fast erstarrt vor Kälte war. Sein Arm entriß sie der Gefahr Und ihrem nahen Untergange. Er nahm sie mit sich in sein Haus, Und sucht' ihr einen Winkel aus, Wo noch ein Rest von Reisern glühte. Doch, als ihr Frost und Noth entwich, Erhohlte, regt' und hob sie sich, Und lohnte dem mit Biß und Stich, Den ihre Rettung so bemühte. Betrogne Huld und Zärtlichkeit, Die Frevlern blindlings Hülfe beut. Hier folgt der Schade stets der Güte. 4) von Löwen († 1771). Ein Esel trug des Volkes größten Götzen, Und jederman ging in Prozession. Nun kennt man ja die guten Esel schon, Wie wichtig sie sich immer schätzen. Auch dieser Esel war so kühn, Und meinte: alle die Gesänge, Das Niederknien, der Weihrauch, das Gepränge, Kurz, alles sey für ihn. Ein klüg'res Thier, das dieser Dummheit lachte, Rief ihm ins Ohr: Herr Esel, glaube mir, Der Reverenz, den jetzt der Pöbel machte, Galt deinem Götzen, und nicht dir. Was hier die Fabel spricht, gehöret Für manche Excellenz und manche Herrlichkeit. Was auch der Pöbel oft an Jhro Gnaden ehret, Wovor er tief sich bückt, was ist es wohl? ─ sein Kleid! 5) von Joh. Benj. Michaelis († 1772). Die Buße der Wölfe. Zwei Wölfen kam bei sattem Magen Einmal die liebe Buße ein. Zwei Wölfen? wird mein Leser fragen. ─ Genug die Fabel sagts; ─ soll denn bei sattem Magen Nicht auch einmal ein Wolf die Missethat bereun; Da mancher wohl in unsern Tagen, Der noch um eins Gesetz und Recht verdreht, Um zwei Uhr in die Beichte geht! Sie fingen also an, ihr Leben zu beklagen. Ach, heulte Jsegrimm, wir haben viel gethan! Viel, hob der andre Sünder an. Ach, fuhr der erste fort, wie viel, das ich verschweige, Sah dieser fürchterliche Zeuge, Der Wald und unsre Höhle an. Wie manche Mutter sucht noch jetzt ihr Kind mit Aengsten! Wie manches Schaf beweint die Frucht! Allein von nun an sey die Grausamkeit verflucht; Denn ehrlich, Bruder, währt am längsten. So heulten sie, und weinten bitterlich Aus inn'rer Reue über sich. Allein im allerbesten Beten Zeigt sich ein Schaf ─ Ein jeder war betreten. Die Buße ─ und ein fettes Schaf! Je, fing drauf einer an, weil uns das Glück so traf, Wer weiß, wenn's wieder kommt! Komm, Bruder, friß das Schaf; Wir können morgen weiter beten. 6) von Michaelis. Die Hähne und der Marder. Die Herrschsucht, die mit jedem Ei gebohren Und mit der Zeit genährt, von Hahn zu Hahne stammt, Die Herrschsucht, sag' ich, war's, durch die, zur Wuth entflammt, Zwei Hähne sich den Tod geschworen. Sieg oder Sterben, ihr Entschluß, Stieß Brust auf Brust, und Fuß auf Fuß. Ein Schnabel prallte von dem andern. Ein Marder saß unfern in Ruh, Und sah dem Spiele lange zu. Nu, nu, sprach drauf der Schelm mit Lachen, Jch will geschwinde Friede machen. Gleich sprang er einem ins Genick, Und wanderte mit ihm zurück. Der andre flatterte indeß zum Hühnerhause, Und krähte zehnmal wohl dem Friedensstifter zu: Wie schmeckt das Morgenbrod? ─ So gieb dich doch zur Ruh, Erwiederte der Dieb; du sollst, ich schwör' dir's zu, Sowahr ich ehrlich bin! gewiß zum Abendschmause. 7) von Lessing († 1781). Der Rabe. Der Rabe bemerkte, daß der Adler volle dreißig Tage über seinen Eiern brütete. Daher kommt es ohne Zweifel, sprach er, daß die Jungen des Adlers so scharfsehend und stark werden. Gut, das will ich auch thun! Und seitdem brütet der Rabe wirklich ganze dreißig Tage über seinen Eiern; aber noch hat er nichts, als elende Raben, ausgebrütet. 8) von Lessing. Der Dornstrauch. Aber sage mir doch, fragte die Weide den Dornstrauch, warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden Menschen so begierig bist? Was willst du damit? was können sie dir helfen? Nichts, sagte der Dornstrauch. Jch will sie ihm auch nicht nehmen; ich will sie ihm nur zerreißen . 9) von Pfeffel († 1809). Der Bandwurm. Der Sultan Leu war krank; ihn plagte Ein Hunger, der mit steter Wuth An seinem Eingeweide nagte. Sein Leibarzt rieth ihm kurz und gut Zu essen. Der Monarch vollstreckte Die Vorschrift so gewissenhaft, Daß er das Land mit Knochen deckte, Und selbst die hohe Dienerschaft (Er fing schon an) verschlungen hätte, Wenn ihn der Tod nicht weggerafft. Nun ward, nach alter Etikette, Der Leichnam durch den Arzt secirt. Er fand mit schauderndem Erstaunen Jn den durchlauchtigen Kaldaunen Den größten Bandwurm einquartirt. Nach der Bestattung des Erblaßten Berief der Divan alle Kasten; Und man befahl durch ein Decret Dem Mufti, seinen Litaneien Die fromme Formel einzustreuen: Behüt', o mächtiger Prophet, Vorm Bandwurm Seine Majestät. 10) von Pfeffel. Die Beförderung. Des Löwen rauher Majestät Ward von der weisen Facultät Einst eine Cur von Eiern angerathen; Des Tags ein Schock. Die Cur schlug trefflich an; Doch eh die Herren sichs versahn, Gebrach es an Arznei. Dem siechen Potentaten Ging dieser Mangel nah. Als dies der Fuchs erfuhr, Erbot er sich mit einem hohen Schwur, Jhn bis zum Ueberfluß mit Eiern zu versehen; Und, wie man leicht errathen kann, Bedachte sich der Großsultan Nicht einen Augenblick, den Vorschlag einzugehen. Nun streifte Reinecke mit Paß durch Stadt und Land, Und wo er eine Henne fand, Verschlang er sie. Dem hohen Potentaten Bracht' er den Eierstock. „Vortrefflich, lieber Sohn, Rief der Monarch, was geb' ich dir zum Lohn? Wohlan, ich mache dich zum ─ Kammerpräsidenten . 11) von Pfeffel. Der Pelikan. Gesengt vom heißen Wittagswind Erstarb die Flur. Die Nymphe klagte Am trocknen Quell; und täglich jagte Der Hunger und sein Mordgesind, Die Seuchen, ganze Hekatomben Von Thieren in die Katakomben Der alten Nacht. Ein Pelikan Am Jda litt mit seinen Jungen Des Orcus Durst. Der Hyderzahn Des Tods, mit dem er lang gerungen, Durchwühlt ihr Mark. Von Harm durchdrungen, Sieht er verstummt die ganze Brut, Mit hohlem Aug' und heiserm Aechzen Nach einem Tropfen Wassers lechzen. Jetzt bricht sein Herz; voll schöner Wuth Reißt er mit der gestählten Spitze Des Schnabels eine tiefe Ritze Sich in die Brust, und spritzt sein Blut Den Kindern in die dürre Kehle. Sie trinken froh den Purpursaft Und schöpfen, wie vom frischen Oele Die seichte Lampe, neue Kraft. Nur folgt dem schaurigen Befehle Das jüngste nicht. Sein starrer Blick Klebt auf der Wunde; seine Seele Zerreißt ihr Band; es sinkt zurück, Verhüllt sein Haupt mit seinem Flügel ─ Und stirbt. ─ Von dem geweihten Hügel Schaut Vater Zeus mit stiller Lust Jn dieses Heiligthum der Liebe. Er weint. Der göttlichste der Triebe, Das Mitleid, schwellt des Rächers Brust; Er wischt den Tod vom Augenliede Des Martyrers. Der Pelikan Wacht glänzend auf, und der Chronide Nimmt ihn zum zweiten Vogel an; Doch nicht als Diener seines Zornes, Der mit dem Blitz bewaffnet ist; Als Träger jenes Segenshornes, Das er auf fromme Kinder gießt. 12) von Gleim († 1803). Zum Löwen sprach der Fuchs: Jch muß Dir's endlich nur gestehen, mein Verdruß Hat sonst kein Ende; Der Esel spricht von dir nicht gut; Er sagt: was ich an dir zu loben fände, Das wiss' er nicht; dein Heldenmuth Sey zweifelhaft; du gäbst ihm keine Proben Von Großmuth und Gerechtigkeit; Du würgetest die Unschuld, suchtest Streit; Er könne dich nicht lieben und nicht loben. Ein Weilchen schwieg der Löwe still; Dann aber sprach er: Fuchs, er spreche, was er will; Denn was von mir ein Esel spricht, Das acht' ich nicht. 13) von Ewald Christian v. Kleist († 1759). Der gelähmte Kranich. Der Herbst entlaubte schon den bunten Hain Und streut' aus kalter Luft Reif auf die Flur; Als am Gestad' ein Heer von Kranichen Zusammenkam, um in ein wirthbar Land, Jenseits des Meers, zu ziehn. Ein Kranich, den Des Jägers Pfeil am Fuß getroffen, saß Allein, betrübt und stumm, und mehrte nicht Das wilde Lustgeschrei der Schwärmenden, Und war der laute Spott der frohen Schaar. Jch bin durch meine Schuld nicht lahm, dacht' er Jn sich gekehrt, ich half so viel, als ihr, Zum Wohl von unserm Staat. Mich trifft mit Recht Spott und Verachtung nicht. Nur ach, wie wird's Mir auf der Reis' ergehn, mir, dem der Schmerz Muth und Vermögen raubt zum weiten Flug'! Jch Unglückseliger! Das Wasser wird Bald mein gewisses Grab. Warum erschoß Der Grausame mich nicht? ─ Jndessen weht Gewogner Wind vom Land' ins Meer. Die Schaar Beginnt geordnet jetzt die Reis' und eilt Mit schnellen Flügeln fort, und schreit vor Lust. Der Kranke nur blieb weit zurück, und ruht' Auf Lotosblättern oft, womit die See Bestreuet war, und seufzt vor Gram und Schmerz. Nach vielem Ruhn sah er das beß're Land, Den mildern Himmel, der ihn plötzlich heilt. Die Vorsicht leitet ihn beglückt dahin; Und vielen Spöttern ward die Flut zum Grab. Jhr, die die schwere Hand des Unglücks drückt, Jhr Redlichen, die ihr mit Harm erfüllt, Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht, Und wagt die Reise durch das Leben nur; Jenseits des Ufers giebt's ein beß'res Land; Gefilde voller Lust erwarten euch! 14) von Burmann († 1805). Der Esel und der Fuchs. Auf unschätzbare Lasten stolz ─ Denn Esel tragen oft sehr große Säcke Golds ─ Tappst einer bei dem Fuchs vorbei. Herr Esel, rief der Fuchs, warum so aufgeblasen; Wiewohl die Zeiten sind nicht immer einerlei, Jch weiß doch sonst, wie demuthsvoll Sie grasen! Sind die Juwelen Schuld, die heut' Jhr Buckel trägt? O lassen Sie den Kitzel sich vertreiben. Gesetzt, daß man halb Peru auf Sie legt; Sie werden doch ein Esel bleiben! 15) von Joh. Nic. Götz († 1781). Die gegenseitige Räucherung. Auf einer blassen Haide Von Lethe still durchflossen, Erblickt' ich, vor einander Auf ihrem Steiße sitzend, Die Schatten zweier Esel. Mit einem Vorderfuße Schwang jeglicher ein Rauchfaß Voll Ambra vor der Nase Des Bruders hin und wieder, Den Bruder zu verehren. Als ich erstaunet da stand, Sprach Minos: Siehe, Jüngling, Zwei alte Schulmonarchen, Die sich in ihrem Leben, Weil sie die Welt nicht lobte, Einander selber lobten. 16) von Tiedge. Das Privilegium. Der Vogel Zeus, der, wie ihr wißt, Der Großsultan der Vögel ist, Hatt' einen Landtag ausgeschrieben. Die Vögel kamen all' herbei; Und ward auch wohl nicht viel betrieben, So gab es doch viel Schmauserei. Mitunter wurden denn auch Klagen Dem hohen Sultan vorgetragen. Es war ein Sprosser, der begann. Hart klagte der die Melodramen Des unbescheidnen Kukuks an. „Der Kukuk schreit, so hub er an, Bis zum Betäuben seinen Namen Jm ganzen, weiten Wald herum. Erhabner Adler, mach' ihn stumm! Wir alle hören lieber Raben, Als diesen Narrn, den Wald durchschrein.“ ─ Der Adler sprach: „Ein Narr zu seyn, Die Freiheit muß ein jeder haben!“ 17) von Zink. Der Affe. Ein alter Affe setzte sich Zu seiner Lieblingskost, zu reifen Haselnüssen. Nachdem er Eine kümmerlich Mit stumpfen Zähnen aufgebissen, Sprach er voll Unzufriedenheit: Wie Alles doch sich ändert mit der Zeit! Die Nüsse selbst; auch diese waren Bei weitem nicht so hart in meinen Jugendjahren! 18) von Pfeffel. Der Phönix. Der Phönix lag auf seinem Sterbebette Von Myrrhen, Aloe und Zimmetreis. Minervens Kauz, ein Denker, wie man weiß, Erspähte die geweihte Stätte, Und sprach zum Einzigen: So, glaubst du, blöder Greis, Daß, hat die Glut zur Asche dich verzehret, Dein Jch verneut ins Leben wiederkehret? Der Phönix schwieg. Der Kauz fuhr fort: Erkläre mir, Was gründet deinen Wahn von einem andern Leben? Jch fordre stets Beweis. Den kann ich dir, Versetzt der Phönix, wohl nicht geben; Denn was man fühlt, beweist sich nicht, Und ein Gefühl, das laut, wie ein Orakel, spricht, Sagt mir: ich werde nicht vergehen. Drauf stecket er mit heit'rer Zuversicht Den Holzstoß an, und ruft: Auf Wiedersehen! Der Phönix, lieber Freund, philosophirte schlecht, Allein er wußte froh zu sterben, Und wer nicht fühlt, wie er, hat, wie mich dünkt, kein Recht, Jhm seine Freude zu verderben. 19) von Krummacher. Die Raupe und der Schmetterling. Dicht an der Erd' auf dunkelm Strauche saß Eine rauchbehaarte Raup' und fraß Das herbe Laub. Da schwebte auf leichtem Gefieder Vom bläulichen Himmel ein Schmetterling hernieder: Jhn trugen die spielenden Wellen der Lüfte Zur Blume, da trank er die würzigen Düfte. Die Raup' erhob erstaunt vom dunklen Strauch Jhr thierisch Haupt und seufzt: Auf niederm Bauch Muß ich mich kriechend im Staube plagen, Jndeß den Vogel dort durch die heitre Luft Vier goldgeschmückte Schwingen tragen. Jhn nährt der Blumen Saft und Duft, Und ich muß herbes Laub zernagen! ─ Der Sommervogel sang: Getrost, mein verkleideter Bruder, nicht immer Wirst du dich plagen im rauhen Gewand; Bald wird auch dich die freundliche Hand Der Mutter bekleiden mit Schimmer: Bald wird ein doppeltes Flügelpaar Auch dich zum fröhlichen Leben erheben, Den Staub abschüttelnd, verjüngt wie ein Aar, Wirst du in den Lüften und Düften dann schweben. Drum glaube und harre der besseren Zeit, Und trage geduldig dein staubiges Kleid! 20) von Pfeffel. Die Kirchenvereinigung. Jn einer griechischen Abtei Am Fuß des hohen Tabors, nährte Der Prior einen Papagei, Den er das Ave singen lehrte. Der Prior starb. ─ Die Reis'lust wacht Jm Virtuosen auf; er kehrte Mit leisem Flug, bei dunkler Nacht, Jns alte Vaterland zurücke. Er stellte sich dem Hofe dar. Der Adler, der zu gutem Glücke Ein Freund der edlen Tonkunst war, Erhob, als er in der Kapelle Sein Lied begann, ihn auf der Stelle An des verstorbnen Mufti Platz. So hohe Würden hatte Matz Sich auch im Traume nicht versprochen. Doch Ehre bläht, Gewalt macht kühn! Das neue Haupt des Sanhedrin Gebar gleich in den ersten Wochen Die Grille: seine Psalmodie Bei allen Vögeln einzuführen. Der frohe König billigt sie. Der Waldgesang, die Liturgie Des Herzens, konnt' ihn nicht mehr rühren; War für sein Ohr Kakophonie. Zudem ist ja das Reformiren Der Fürsten Steckenpferd. Sogleich Ließ er in seinem ganzen Reich Den neuen Kanon publiciren. ─ Nun schützte zwar der Vögel Chor Die hergebrachten Rechte vor; Allein da half kein Protestiren. Der Mufti drohte mit dem Bann, Der Sultan sprach vom Stranguliren; Und kurz, das neue Lied begann. Die Sänger wetzten sich den Schnabel, Und orgelten mit Angst und Pein Das tollste Wirrwarr durch den Hain, Das seit der Symphonie zu Babel Auf unserm Erdenrund erscholl. Den Vorsang führte, andachtsvoll, Der Storch, der wälsche Hahn, die Eule, Die Gans, der Kukuk und der Pfau. Sie kollerten sich braun und blau, Und füllten durch ihr Klaggeheule Das Land auf eine halbe Meile. Ein weißer Rabe, lahm und grau Vor Alter, saß bei dem Monarchen Und schwieg. Mit zornigem Gesicht Sprach der Despot zum Patriarchen: „Rebelle, warum singst du nicht?“ ─ „Weil dein Gebot mein Herz empöret,“ Versetzt der Alte, „glaube mir, Der Schöpfer hat ein jedes Thier Sein eigenes Gebet gelehret, Das ihm gefällt. Ein Lobgesang, Den Furcht erpreßt, ist Uebelklang, Jst Lästerung, die ihn entehret. Befiehl nur meinen Tod!“ ─ Er schwieg. Der Sultan auch. Wie Meereswogen Erschäumt sein Blut. ─ Noch schwankt der Sieg! Doch schnell rief er: „Jch ward betrogen. Heil dir, o Freund, du zogst mir ab Den Schleier, der mein Aug' umgab. Und ihr empfangt die Freiheit wieder, Jhr Vögel; singet eure Lieder Jn euerm angebohrnen Ton!“ Jetzt drangen sie in dichten Kreisen Entzückt um des Monarchen Thron, Und lobten Gott nach tausend Weisen. Der majestätische Choral Steigt wallend in die lichten Sphären. Der Sultan staunt. Zum erstenmal Hört er, was keine Mufti's hören: Jn der verschied'nen Melodie Die feierlichste Harmonie. 4) Die dramatische Form der Dichtkunst. 51. Charakter und einzelne Theile der dramatischen Form der Dichtkunst Weil jedes echte Drama ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet, das, nach seinem ästhetischen Charakter, nur als ein Ganzes richtig aufgefaßt werden kann; so war es nicht rathsam, einzelne Bruchstücke und Scenen aus den verschiedenen Formen der dramatischen Dichtkunst, als Belege für die aufgestellte Theorie, aufzunehmen, da der Umfang und die Bestimmung dieses Werkes die Mittheilung eines vollständigen dramatischen Erzeugnisses von selbst ausschloß. . Wenn gleich die dramatische Form der Dichtkunst der epischen näher verwandt ist, als der lyrischen und didactischen, weil sie, wie die epische, Gefühle darstellt, welche in dem Gemüthe des dramatischen Dichters mit der Vergegenwärtigung gewisser Jndividuen, Handlungen und Thatsachen sich vergesellschaften; so unterscheidet sie sich doch durch zwei wesentliche Puncte von der epischen Dichtkunst, und behauptet, nach denselben, einen eigenthümlichen Charakter. Denn erstens darf in keinem Erzeugnisse der dramatischen Dichtkunst die Jndividualität des Dichters selbst wahrgenommen werden, wie dies in der epischen Dichtkunst geschieht; vielmehr muß der dramatische Dichter die ganze Handlung durch die von ihm aufgestellten Personen beginnen, fortführen und beendigen lassen, so daß das in sich zusammenhängende und abgeschlossene Ganze des dramatischen Gedichts als ein nothwendiges Ergebniß der menschlichen Freiheit erscheint, hervorgebracht durch die äußere Wirksamkeit der von dem Dichter in den Mittelpunct der Handlung gestellten Jndividuen. Daran schließt sich die zweite, jedem dramatischen Gedichte eigenthümliche, Bedingung, daß es durchgehends für die Bühne berechnet sey, und daß es durch die theatralische Darstellung als schöne Form vollendet werde. Durch diese zweite Bedingung erhält das dramatische Gedicht eine äußere Aehnlichkeit mit der Cantate in der lyrischen Form der Dichtkunst, die zwar, als Gedicht, ein in sich zusammenhängendes ästhetisches Ganzes bilden muß, die aber, nach ihrer durchgängigen Berechnung für die tonkünstlerische Darstellung, erst durch die Verbindung mit einer gleichmäßig gediegenen musikalischen Kunstform das Gepräge der ästhetischen Vollendung erhält. ─ Ob nun gleich jede dramatische Form, inwiefern sie blos als Gedicht, ohne theatralische Darstellung, betrachtet wird, unmittelbar nach ihrem dichterischen Gehalte ein reines Wohlgefallen an der Einheit der ästhetischen Form bewirken kann und soll; so würde doch die Unmöglichkeit der theatralischen Darstellbarkeit derselben sie von der Reihe aller derjenigen classischen dramatischen Erzeugnisse ausschließen, deren Vollendung auf der gleichmäßigen dichterischen Einheit und theatralischen Darstellbarkeit beruht. Fassen wir, nach diesen Vordersätzen, den Charakter der dramatischen Dichtkunst auf; so beruht er auf der vollendeten ästhetischen Form, welche, berechnet für die theatralische Darstellung, eine in sich nothwendig abgeschlossene Handlung versinnlicht, die, nach ihrem Ursprunge, aus der tiefen Bewegung und Erschütterung des menschlichen Gefühlsvermögens stammt. Denn obgleich die dramatische Dichtkunst von der lyrischen dadurch wesentlich sich unterscheidet, daß sie nicht unmittelbare Gefühle, sondern Handlungen darstellt, welche aus der mächtigen Anregung menschlicher Gefühle stammen, und deren Vergegenwärtigung innerhalb der vollendeten Form unmittelbar auf das Gefühlsvermögen wirkt; so muß doch jedes dramatische Gedicht, wie das lyrische und epische, eine in sich abgeschlossene Einheit, sowohl nach dem Stoffe als nach der Form, bilden, und durchgehends, nach ihrer eigenthümlichen Wirkung, für die Darstellung auf der Bühne berechnet seyn. 52. Fortsetzung. Nach diesen Grundsätzen müssen die sogenannten drei Einheiten des Aristoteles, die er von jedem dramatischen Gedichte verlangt, beurtheilt werden: die Einheit der Handlung, der Zeit und des Ortes, welche namentlich von den ältern französischen dramatischen Dichtern nicht selten mit Aengstlichkeit festgehalten wurden. Unerläßlich für die Vollendung eines dramatischen Gedichts ist allerdings die Einheit der Handlung. Sie verlangt, daß der Stoff des Drama ein in sich nothwendiges und bestimmt abgeschlossenes Ganzes bilde. Es dürfen daher weder Personen, noch Handlungen und Ereignisse in den Stoff aufgenommen werden, die nicht in den Zusammenhang der darzustellenden Handlung in irgend einer Beziehung wesentlich gehören. Denn selbst das, was in einem dramatischen Gedichte, bei dem ersten Anblicke, zufällig zu seyn scheint, muß, am Schlusse des Ganzen, als nothwendige Bedingung in dem Zusammenhange des ganzen Stoffes sich ankündigen. Es darf daher kein Act, keine Scene, selbst keine Stelle in den einzelnen Scenen, überflüssig und müßig dastehen; es muß vielmehr ihr Verhältniß zu dem sich allmählig bildenden und ründenden Ganzen mit Sicherheit nachgewiesen werden können. Dasselbe gilt auf gleiche Weise von der Form des Drama. Sie muß, in Beziehung auf die Forderungen des Gesetzes der Form, ein in sich abgeschlossenes und vollendetes Ganzes bilden, so daß die Sprachdarstellung im Drama gleichmäßig den einzelnen Eigenschaften der Sprachrichtigkeit, wie den untergeordneten Eigenschaften der Sprachschönheit Genüge leistet. So gewiß daher ohne Einheit der Handlung kein dramatisches Gedicht auf Gediegenheit und ästhetische Vollendung Anspruch machen kann; so gewiß dürfen doch die beiden andern vom Aristoteles geforderten, Einheiten ─ die Einheit der Zeit und des Ortes ─ nicht als gleichgeltende Grundbedingungen mit der Einheit der Handlung aufgestellt werden. Denn, wenn gleich zugestanden wird, daß die Einheit der Zeit, und selbst die Einheit des Ortes in vielen dramatischen Erzeugnissen festgehalten worden sind, und, nach dem Wesen des darzustellenden Stoffes, auch in vielen derselben festgehalten werden müssen; so stehen sie doch mit der Einheit der Handlung nicht auf gleicher Linie der Bedeutsamkeit, und treffliche dramatische Dichter haben sie nicht festhalten wollen und festhalten können. Soll aber das dramatische Gedicht als Einheit in der Form sich ankündigen; so muß in dem Mittelpuncte desselben eine Hauptperson, nach ihrem Thun und Leiden, erscheinen, von deren Verhältnissen die ganze dargestellte Handlung ausgeht und abhängt, und auf deren Schicksale, in den einzelnen Theilen und Gruppirungen des Drama, alles sich bezieht. Diese Hauptperson im Drama muß daher der Einbildungskraft immer gegenwärtig seyn, selbst wenn sie von der Bühne, in den einzelnen Scenen, abgetreten ist; auch muß die Verwickelung und Entwickelung des dramatischen Knotens entweder von diesem Jndividuum selbst ausgehen, oder doch ─ in Angemessenheit zu seiner freien Thätigkeit ─ auf sein Schicksal den entschiedensten Einfluß behaupten. Nach dem Verhältnisse, in welchem der Dichter diese Hauptperson in den Mittelpunct des Drama stellt, muß er, mit künstlerischer Gewandtheit und ästhetischem Tacte, alle übrige im Drama auftretende Personen, so wie die gesammte Umgebung der Hauptperson, in Hinsicht auf den Gang ihrer Wirksamkeit und ihres Schicksals, behandeln. Die äußere Form des Drama, nach der Eintheilung in Acte (Aufzüge) und Scenen (Auftritte), hängt ab von der ästhetisch berechneten Folge in der Handlung selbst, um vermittelst derselben die innere Einheit des Ganzen fortzuführen und zu vollenden, zu welcher die gleichmäßige Behandlung der einzelnen Theile, und das innere und äußere nothwendige Verhältniß derselben gegen einander, wesentlich gehört. Die Anordnung, Verbindung und Folge dieser Aufzüge und Auftritte ─ als der einzelnen nothwendigen Glieder und Theile eines größern Ganzen ─ darf daher nicht der Willkühr und dem Zufalle überlassen bleiben; sie muß vielmehr aus dem Gesetze der innern Nothwen= digkeit hervorgehen, die theils in den Charakteren der handelnden Personen, theils in dem Verhältnisse der aus der Verwickelung des Knotens hervorgehenden Entwickelung desselben, zur Ausmittelung der ästhetischen Einheit des Ganzen, begründet ist. Denn nach diesem Gesetze der innern Nothwendigkeit muß jede Scene in Beziehung auf den Act, zu welchem sie gehört, und jeder Act nach seinem Verhältnisse zu der gesammten dramatischen Form ─ mithin nach dem Verhältnisse der einzelnen Theile zu dem vollendeten Organismus des Ganzen ─ erkannt werden können, so daß durch die Menge der handelnden Personen so wenig, wie durch die Mannigfaltigkeit der einzelnen Handlungen und Scenen, welche in dem dramatischen Gedichte angetroffen werden, die Einheit der Handlung und die ästhetische Vollendung der ganzen Darstellung gestört, sondern vielmehr auf die sicherste Unterlage zurückgeführt wird. Aus diesem Gesichtspuncte gefaßt, darf keine Person, die im Drama erscheint, keine Scene, am wenigsten ein ganzer Act, müßig dastehen und als überflüssig erscheinen; vielmehr muß Ein Geist das Ganze durchdringen, und dieser Geist muß, nach seiner Kraft, gesteigert sich ankündigen, je mehr der verflochtene Knoten der Handlung seiner Auflösung und Entwickelung, ─ und zugleich das dramatische Gedicht dem letzten Puncte seiner ästhetischen Vollendung sich nähert. ─ Die Form der Sprache in dem dramatischen Gedichte muß, im Allgemeinen, der dargestellten ästhetischen Handlung angemessen seyn; sie wird deshalb, nach Ton, Haltung und Farbengebung im Einzelnen, im Trauerspiele anders, als im Schauspiele und im Lustspiele sich ankündigen, obgleich in jeder Gattung und Art der dramatischen Dichtkunst das einzelne dramatische Gedicht dem Gesetze der Form, nach seinen beiden Grundbedingungen, der Wahrheit und Schönheit der Form, entsprechen muß. Je verschiedener daher die einzelnen Stoffe für das Trauerspiel, Schauspiel und Lustspiel sind; desto verschiedener wird auch der stylistische Ausdruck seyn; denn anders muß die Sprache im Wallenstein, als im Egmont, anders in Müllners Schuld, als in Klingers Medea auf dem Kaukasus, anders in Werners Weihe der Kraft, als in Klingemanns Luther sich ankündigen, obgleich die beiden letzten Dichter im Ganzen denselben Stoff behandelten. Dazu kommt, daß, obgleich der dramatische Dichter nicht selbst, wie der epische, in der Darstellung seines Gedichts erscheint, doch die Sprache im Drama, nach ihrer Kraft und Fülle, nach ihrer Klarheit und Gediegenheit, so wie nach der ganzen Farbengebung und Haltung im Einzelnen, von seiner Jndividualität ausgeht, die er nicht verläugnen kann. Nach dieser psychologischen Nothwendigkeit erkennen wir im Dichter der Jungfrau von Orleans, den Dichter des Dom Karlos, des Fiesko, des Wallenstein und der Maria Stuart, ─ im Dichter des Clavigo und der Jphigenia den Dichter des Tasso und des Egmont, ─ im Dichter der Albaneserin den Dichter der Schuld, ─ im Dichter des Moses den Dichter des Luther, ─ im Dichter der Freunde den Dichter der Erdennacht ( Raupach ) wieder. Denn so schöpferisch auch die Einbildungskraft des dramatischen Dichters walten, und so vielseitig sein Gefühl sich ankündigen mag; so liegt doch diejenige nothwendige Beschränkung in jedem endlichen ─ selbst hochgebildeten ─ Geiste, daß er nicht aus seiner Jndividualität ganz heraustreten, und seiner eignen, bereits früher angekündigten, Classicität nach allen ihren individuellen Eigenthümlichkeiten untreu werden kann. Diese Einheit und Gleichmäßigkeit in der Wahrnehmung der Jndividualität des classischen Dichters ist aber, unter dem Reichthume und der Mannigfaltigkeit der einzelnen dramatischen Formen eines und desselben Dichters, eine sehr willkommene Erscheinung. Denn nicht das Wiedererkennen derselben Eigenthümlichkeit eines classischen Dichters in der Behandlung eines neuen dramatischen Stoffes, sondern nur die Nachahmung einer entlehnten Manier stößt uns zurück, weil diese Nachahmung als Armseligkeit des Geistes sich ankündigt, bei welcher der Aufschwung zu einer eigenthümlichen Gestaltung der dramatischen Form, und zur Festhaltung und Durchführung dieser Eigenthümlichkeit in allen einzelnen dramatischen Erzeugnissen Eines und desselben Dichters unmöglich ist. Die Hauptklippen, welche der dramatische Dichter in Hinsicht der stylistischen Form vermeiden muß, sind: daß er weder ins Gebiet der Sprache der Prosa, noch ins Gebiet der Sprache der Beredsamkeit hinüberstreife, außer in den äußerst seltenen Fällen, daß der Stoff einen kurzen Uebergang in diese beiden Sprachgebiete verlangt. Denn selbst wenn der dramatische Dichter die Vorgänge und Erscheinungen des gewöhnlichen Lebens schildert, muß doch die stylistische Form die Ergreifung dieser Vorgänge von dem Gefühlsvermögen und die Wirkung jener Erscheinungen auf das Gefühlsvermögen überall hindurch schimmern lassen, weil jede Sprachdarstellung des dichterischen Charakters ermangelt, die ohne irgend eine Verbindung mit dem Gefühlsvermögen sich ankündigt. ─ Jn Hinsicht auf die äußere Gestaltung der stylistischen Form ist es aber der Dialog, in Abwechselung mit dem Monologe, an welchen die Folge und Fortführung der dramatischen Handlung geknüpft ist. Je schärfer daher die Zeichnung der einzelnen, in dem Drama auftretenden Charaktere, und je bestimmter die Haltung und Durchführung dieser Charaktere von Seiten des Dichters seyn wird; desto vielseitiger, mannigfaltiger und abwechselnder wird das innere Leben und die ästhetische Farbengebung im Dialog seyn, weil ─ selbst bei der übrigen Gediegenheit der dramatischen Sprachform ─ es Mangel an Reichthum des Geistes und der Einbildungskraft ankündigt, wenn entweder alle, oder doch die meisten Personen in Einem und demselben Drama ganz einerlei Sprache reden, und so die Mannigfaltigkeit im Gepräge des Jndividuellen nothwendig verloren geht. 53. Fortsetzung. Einer der ersten dramatischen Dichter des teutschen Volkes, und was noch mehr sagen will, einer der edelsten Männer dieses Volkes, hat die Schaubühne als eine moralische Anstalt So v. Schiller in der, von ihm zu Mannheim 1784 gehaltenen, und mit dieser Aufschrift versehenen, Vorlesung, die zuerst in der rheinischen Thalia, und dann berichtigt in s. kleinen pros. Schriften Th. 4. S. 3 erschien. ─ Vgl. J. H. v. Wessenberg, über den sittlichen Einfluß der Schaubühne. Konstanz, 1825. 8. betrachtet und dargestellt. Dies macht eine kurze Erklärung nothwendig. Nach unsrer Ansicht und Ueberzeugung ist weder der Zweck und die Bestimmung der dramatischen Dichtkunst im Besondern, noch der Dichtkunst überhaupt, der Zweck der Sittlichkeit. Der Zweck der Schönheit ist vielmehr der höchste Zweck aller Kunstwerke, mithin auch der gesammten einzelnen Formen der lyrischen, epischen, didactischen und dramatischen Dichtkunst. Die Bestimmung der Dichtkunst beruht daher auf ihrer völligen Angemessenheit zum Gesetze der Form, nicht aber zum Sittengesetze. Daraus folgt aber weder, daß sie sittliche Handlungen von sich ausschließen, noch daß sie vielleicht gar das Unsittliche als Gegenstand des Wohlgefallens auf die Bühne bringen soll. Nur so viel ergiebt sich aus dem höchsten Gesetze der Schönheit der Form, daß selbst das Sittliche, das die Bühne zeichnet, unter der Form der Schönheit sich ankündigen muß, wenn es unter die Stoffe der dramatischen Dichtkunst aufgenommen werden soll; denn, unter Festhaltung dieser Bedingung, wird allerdings der aus dem Kreise der sittlichen Welt entlehnte Stoff das Gemüth weit stärker ansprechen, als ein Stoff, der blos dem Kreise der intellectuellen Welt ─ z. B. der Vergegenwärtigung von Schwächen und Mängeln des menschlichen Verstandes, oder von Wirkungen des menschlichen Eigennutzes und der individuellen Eitelkeit, ─ angehört. Mag immer in Kotzebue's Lustspielen und Possen ein Langsalm, ein Herr von Püffelberg, oder der Page in den Pagenstreichen ein Gefühl der Lust in uns anregen, und unsre Einbildungskraft in ein freies und lebendiges Spiel versetzen; so wird doch die sittliche Kraft und Haltung des Marquis von Posa, des Max Piccolomini, und des Klingemannischen Luthers unser Gefühl stärker und mächtiger ergreifen, als die bloße Versinnlichung menschlicher Schwächen, Lächerlichkeiten und Verirrungen. Deshalb ist auch das Sittliche dem Schönen nahe verwandt, und wirkt unaufhaltbar, sobald es unter einer vollendeten schönen Form erscheint. Nur darf weder das dramatische Gedicht, noch die Bühne, an die Stelle der Sittenlehre und der Religion auf dem Katheder und der Kanzel treten und diese beiden geistigen Bildungsanstalten ersetzen sollen, weil sie dies, nach ihrer ursprünglichen Bestimmung, das Schöne in vollendeten Formen darzustellen, weder zu leisten vermögen noch dürfen. Nur also unter dieser Voraussetzung, und mit Festhaltung dieser Einschränkung unterschreiben wir folgende Sätze Schillers Ebendas. S. 7. ff. : „Welche Verstärkung für Religion und Gesetze, wenn sie mit der Schaubühne in Bund treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Thorheit und Weisheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen, wo die Vorsehung ihre Räthsel auflöset, ihren Knoten vor seinen Augen entwickelt, wo das menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt, und die Wahrheit, unbestechlich wie Rhadamanthus, Gericht hält. Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze sich endigt. Wenn die Gerechtigkeit für Gold verblindet, und im Solde der Laster schwelgt; wenn die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten, und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet; dann übernimmt die Schaubühne Schwert und Wage, und reißt die Laster vor einen schrecklichen Richterstuhl. Das ganze Reich der Phantasie und Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem Winke zu Gebote. Kühne Verbrecher, die längst schon im Staube vermodern, werden durch den allmächtigen Ruf der Dichtkunst jetzt vorgeladen, und wiederhohlen zum schauervollen Unterrichte der Nachwelt ein schändliches Leben. Ohnmächtig, gleich den Schatten in einem Hohlspiegel, wandeln die Schrecken ihres Jahrhunderts vor unsern Augen vorbei, und mit wollüstigem Entsetzen verfluchen wir ihr Gedächtniß. Wenn keine Moral mehr gelehrt wird; keine Religion mehr Glauben findet; wenn kein Gesetz mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch anschauern, wenn sie die Treppen des Pallastes herunter wankt, und der Kindermord geschehen ist. Heilsame Schauer werden die Menschheit ergreifen, und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen preisen, wenn Lady Macbeth, eine schreckliche Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht, und alle Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu vertilgen. So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger wirkt, als todter Buchstabe und kalte Erzählung; so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder, als Moral und Gesetze. ─ Aber der Wirkungskreis der Bühne dehnt sich noch weiter aus. Auch da, wo Religion und Gesetze es unter ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten, ist sie für unsre Bildung noch geschäftig. Sie ist es, die der großen Klasse von Thoren den Spiegel vorhält, und die tausendfachen Formen derselben mit heilsamem Spotte beschämt. Was sie oben durch Rührung und Schrecken wirkte, leistet sie hier durch Scherz und Satyre. Die Schaubühne allein kann unsre Schwächen belachen, weil sie unsre Empfindlichkeit schont, und den schuldigen Thoren nicht wissen will. Ohne roth zu werden, sehen wir unsre Larve aus ihrem Spiegel fallen, und danken im Geheimen für die sanfte Ermahnung. ─ Aber ihr großer Wirkungskreis ist noch lange nicht geendigt. Die Schaubühne ist mehr, als jede andere öffentliche Anstalt des Staates, eine Schule der practischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele. Jch gebe zu, daß Eigenliebe und Abhärtung des Gewissens nicht selten ihre beste Wirkung vernichten, daß sich noch tausend Laster mit frecher Stirne vor ihrem Spiegel behaupten; aber wenn wir auch diese große Wirkung der Schaubühne einschränken, ─ wie unendlich viel bleibt noch von ihrem Einflusse zurück? Wenn sie die Summe der Laster weder tilgt noch vermindert; hat sie uns nicht mit denselben bekannt gemacht? Mit diesen Lasterhaften, diesen Thoren müssen wir leben. Wir müssen ihnen ausweichen, oder begegnen; wir müssen sie untergraben, oder ihnen unterliegen. Jetzt aber überraschen sie uns nicht mehr. Die Schaubühne hat uns das Geheimniß verrathen, sie ausfindig und unschädlich zu machen. ─ Zugleich ist die Schaubühne der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden bessern Theile des Volkes das Licht der Weisheit herunterströmt, und von da aus in mildern Stralen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, erläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volkes; der Nebel der Barbarei, des finstern Aberglaubens verschwindet; die Nacht weicht dem siegenden Lichte ─ Unmöglich darf auch der große Einfluß übergangen werden, den die Bühne auf den Geist einer Nation haben kann. Nationalgeist eines Volkes nenne ich die Aehnlichkeit und Uebereinstimmung seiner Meinungen und Neigungen bei Gegenständen, worüber eine andere Nation anders meint und empfindet. Was kettete Griechenland so fest an einander? Was zog das Volk so unwiderstehlich nach seiner Bühne? Nichts anders, als der vaterländische Jnhalt der Stücke, der griechische Geist, das große überwältigende Jnteresse des Staates und der bessern Menschheit, das in derselben athmete.“ Zugestanden, daß alle diese Stoffe, insofern sie ästhetisch darstellbar sind, im Bereiche der dramatischen Dichtkunst liegen, und daß durch die dichterische Gestaltung derselben viel auf das Gemüth der Jndividuen und der Völker gewirkt werden kann; so hängt doch diese Wirkung selbst zunächst ab von der Vollendung der dramatischen Form, unter welcher diese Stoffe versinnlicht werden, und deshalb bleibt, ─ ohne die sittliche Wirksamkeit der Bühne zu verkennen oder abzuläugnen, ─ das Gesetz der Form, und nicht das Sittengesetz, der höchste Maasstab für die Würdigung der ästhetischen Vollendung dramatischer Dichtungen. Die einzelnen Formen der dramatischen Dichtkunst sind: a ) das Trauerspiel; b ) das Lustspiel; c ) das Schauspiel; d ) das Singspiel. 54. a ) Das Trauerspiel. Das Trauerspiel ist, in vielfacher Hinsicht, eben so dem ernsthaften Epos, wie das Lustspiel dem komischen Epos verwandt; nur daß bei dem Trauer- und Lustspiele als allgemeiner Grundzug des Dramatischen vorwaltet: die Haltung und Durchführung der Handlung durch die handelnden Personen selbst, ohne Wahrnehmung des dramatischen Dichters, und die Berechnung der dramatischen Form für die Darstellung auf der Bühne. Das Trauerspiel ist eine ästhetisch vollendete Form, welche durch die Versinnlichung der Art, wie die Freiheit des im Mittelpuncte der Handlung erscheinenden Helden gegen die Macht des auf ihn eindringenden Schicksals anstrebt, und durch die Versinnlichung des endlichen Unterliegens des Helden unter der Macht des Schicksals, das gemischte Gefühl der Lust und Unlust anregt und lebendig erhält, bis, in dem Augenblicke der Vollendung der Handlung, das Uebergewicht der Lust über das Gefühl der Unlust bewirkt wird durch das reine Wohlgefallen an der selbst in ihrem Unterliegen hohen geistigen oder sittlichen Kraft des Helden. ─ Denn, wie im ernsten Epos, steht im Mittelpuncte des Trauerspiels ein Jndividuum, das durch die ihm einwohnende geistige und sittliche Kraft gegen das auf ihn eindringende widrige Schicksal ankämpft, so daß, unter dem fortgesetzten Kampfe der Freiheit und des Schicksals, die Kräfte beider gesteigert und verstärkt erscheinen, und das handelnde Jndividuum, nach der von ihm entwickelten Kraft, der Held der Handlung genannt zu werden verdient. Soll aber das gemischte Gefühl der Lust und Unlust nicht nur aufgeregt, sondern auch während der Betrachtung des Kampfes der Freiheit des Helden mit der Macht des Schicksals erhöht und gesteigert werden; so müssen, in den einzelnen Acten und Scenen des Trauerspiels, die Kraft der Freiheit und die Macht des Schicksals in einer fortgesetzten gleichmäßigen Haltung erscheinen, weil das Gefühl der Lust nur durch die lebhafte Versinnlichung der entwickelten und gesteigerten hohen Kraft des Helden, das Gefühl der Unlust hingegen durch die auf ihn eindringende und ihn überwältigende Macht des Schicksals genährt wird, bis endlich, wenn der Held unterliegt, das Wohlgefallen an der erhabenen geistigen oder sittlichen innern Nothwendigkeit in der Handlungsweise des Helden, im Gegensatze der äußern Nothwendigkeit in der Macht des ihn zermalmenden Schicksals, so wie zugleich das Wohlgefallen an der Vollendung der ästhetischen Form, in uns das Uebergewicht des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust hervorbringt. Der Held des Trauerspiels, wie er in der Kraft seiner Freiheit dargestellt wird, erscheint entweder als ein Edler, der ohne seine Schuld leidet und gegen ein widriges Verhängniß ankämpft (so Wilhelm Tell; die Jungfrau von Orleans; Ferdinand Walter in Kabale und Liebe; Egmont), oder als ein Verirrter, dessen sittliche Kraft zwar eine fehlerhafte Richtung genommen hat, die aber selbst in der eigenthümlichen Ankündigung ihrer Verirrungen eine hohe Theilnahme zu erregen vermag (so Karl Moor in den Räubern; so Fiesko; so Wallenstein; so Maria Stuart; so Klingers Medea; so Leisewitzens Julius von Tarent u. a.). Allein je mehr sittlich und rein menschlich der Held des Trauerspiels erscheint; je weniger er durch eigene Schuld, je mehr er um seiner sittlichen Größe und Erhabenheit willen leidet; oder, wenn er die Schuld eigener Verirrungen trägt, je öfter die sittliche Kraft in ihm sich ermannt, je entschiedener das Uebergewicht der Lichtseiten in seinem Wesen über die Schattenseiten ist, und je gereinigter er von seinen Verirrungen in dem Augenblicke seines Unterganges erscheint; je mehr überhaupt die Kraft, die er entfaltet, aus seinem innersten Wesen hervorgehet, und mit der Steigerung der auf ihn eindringenden Leiden und Gefahren ebenfalls immer höher steigt; je fester und gehaltener er, bis zum letzten entscheidenden Augenblicke, die Kraft der Freiheit gegen die Macht des Schicksals behauptet und geltend macht; desto mehr werden auch in dem Anschauenden alle edlere Gefühle der Theilnahme und der Bewunderung aufgeregt, und von dem dramatischen Dichter die Eigenschaften des Großen, des Erhabenen, des Rührenden und des Pathetischen angewendet. Die hohe Kunst des Trauerspieldichters besteht also zunächst darin, die Freiheit des Helden und die Macht des Schicksals, selbst während der ununterbrochenen Steigerung ihres Kampfes, im gleichmäßigen Gegengewichte bis zum Augenblicke der Entwickelung im letzten Acte des Trauerspiels zu erhalten, so daß die Theilnahme an diesem Kampfe ununterbrochen genährt und befriedigt wird, bis sie in dem entschiedenen Siege des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust endigt. Die Frage über die Wiedererneuerung des Chors im Trauerspiele erhielt durch Schiller ein lebhaftes Jnteresse, als er in der Braut von Messina diese Wiedererneuerung practisch versuchte, und in dem Vorworte zu diesem Trauerspiele sie theoretisch rechtfertigte. Zugestanden, daß diese Anwendung des Chors in der Braut von Messina, schon wegen der Neuheit der Erscheinung und wegen der gelungenen Haltung des Chors, zu den interessantesten Erscheinungen der tragischen Dichtkunst gehören; so hat doch derselbe Dichter in dem später erschienenen Wilhelm Tell keinen wiederhohlten Gebrauch von dem Chore gemacht, und selbst Göthe hat in seiner Jphigenie, einem Trauerspiele völlig griechischen Ursprungs, desselben sich enthalten. ─ Gehen wir aber auf den Ursprung des Chors bei den Griechen zurück; so beruht die Anwendung des Chors auf dem ganzen örtlichen Charakter ihrer dramatischen Dichtkunst. Bei ihnen wurden die Feste der Gottheiten mit der dramatischen Darstellung einer Nationalbegebenheit beschlossen, an welcher das Volk, nach seiner republikanischen Souverainetät, Antheil genommen hatte. Deshalb erhielt es auch, wegen dieses seines Antheils, in der dramatischen Darstellung (der Kopie der Wirklichkeit) den Platz, den es im Urbilde eingenommen hatte. Der Chor ward der Repräsentant des ganzen Volkes im Trauerspiele, und Dichter, die ihren Vortheil verstanden, legten dann dem Chore öfters Gesinnungen und Urtheile bei, durch die sie die Meinung des Volkes leiten und bestimmen wollten. ─ Allein gleich nothwendig war bei den Griechen der Chor in Hinsicht auf das Locale der dramatischen Darstellung. An jenen Festen war nämlich eine Masse von Zuschauern anwesend, die oft über zwanzigtausend stieg. Kein Schauspielhaus in unserm Sinne faßte sie, und die Stimme der einzelnen Schauspieler würde zu oft verschollen seyn, wenn nicht der Chor, verbunden mit Musik und Tanz, die Handlung fortgeführt hätte. Nicht also zunächst eine ästhetische, sondern eine politische und locale Ursache, die aus dem Charakter eines Volksschauspieles und zwar bei einem republikanischen Volke hervorging, war es, was in der Tragödie der Griechen die Anwendung des Chors, der Musik und des Kothurns nöthig machte, wozu noch kam, daß die alte Tragödie keine Pause zwischen den Acten kannte, sondern der Chor den Faden der Handlung fortführte. Einen von der Tragödie der Griechen völlig verschiedenen Charakter trägt das Trauerspiel der Neuern. Handlung, sinnlich vollkommen und idealisirt dargestellt; eine innere Nothwendigkeit in der Verkettung und Folge der Verwickelung und Entwickelung, die durch nichts Fremdartiges unterbrochen werden darf; fortdauernde Thätigkeit aller wesentlich zum tragischen Kunstwerke nöthigen Personen, die durch keine Reflexion über sie zerstört wird, um die allmählig sich bildende ästhetische Einheit der Form in der Einbildungskraft des Anschauenden zu vollenden, und dann ihnen selbst die Reflexion darüber zu überlassen; dies ist der Charakter der neuern Tragödie. Der Chor wird nun beinahe in den meisteu Fällen das alles hindern, was man von dem modernen Trauerspiele, als einem vollendeten Kunstwerke, verlangt. Denn er unterbricht die nothwendige Folge der Handlung; er trägt weder zur Verwickelung, noch zur Entwickelung etwas bei; er unterbricht den Genuß an den idealisirten Charakteren, weil er selbst nichts Jdealisches darzustellen vermag, das nicht bereits in dem allgemeinen Grundrisse der innerhalb der ästhetischen Form durchzuführenden tragischen Handlung läge; er tritt vielmehr als etwas Fremdartiges in die Mitte der Handlung, und wenn er auch das erstemal bei seiner Erscheinung durch Ueberraschung, so wie durch die Gediegenheit der Sprachform interessirt, so spricht doch das tragische Gefühl gegen ihn, das in seiner freiesten Bewegung durch ihn sich unterbrochen fühlt. Selbst wenn man ihm (mit Schiller) die Bestimmung beilegt, die Reflexion von der Handlung zu sondern, und Ruhe in die Handlung zu bringen; so ist dies eben dem Charakter des Trauerspiels geradehin zuwider. Das Trauerspiel soll reine, idealisirte, ästhetisch vollendete Handlung seyn; denn nur durch diese Vollendung kann es dem Gesetze der Form entsprechen. Mischt nun der Chor Reflexion in die Mitte der Handlung; so stört er das Wohlgefallen an der Form, und vernichtet den innern Organismus dieser Form in seiner Einheit für die Einbildungskraft. Bringt er ferner Ruhe in die Handlung; so dürfte er dadurch noch nachtheiliger für die Wirkung der Handlung werden, die, so erschütternd auch die Darstellung seyn mag, doch nie so tiefgreifend seyn wird, daß Menschen sie nicht ertragen könnten, sondern einer darzwischen tretenden Ruhe bedürften. Denn was von Menschen gedichtet und auf der Bühne dargestellt wird, und wenn es auch der genialischste Dichter in dem überflutendsten Strome des Gefühls und mit der höchsten Bewegung der schöpferischen Einbildungskraft ins Daseyn ruft, kann doch, nach einem ewigen Gesetze für die Geisterwelt, von Wesen derselben Art ertragen werden, zu welchen auch der Dichter gehört. Noch kein vollendetes Trauerspiel hat seine Wirkung über die Grenzen eines menschlichen Gefühlsvermögens hinausgetrieben; denn einzelne nervenschwache Leser oder Zuschauer können nur die Ausnahme von der Regel bilden. Jn der Annäherung aber an die möglichst höchste Erschütterung des Gefühlsvermögens, und in der Bewirkung des möglichst freiesten Spieles der Einbildungskraft durch die Versinnlichung der dargestellten tragischen Handlung, liegt eben die große Aufgabe der tragischen Kunst. 55. b ) Das Lustspiel. Wenn es zunächst die ästhetischen Eigenschaften des Edlen, des Großen, des Erhabenen, des Rührenden und Pathetischen sind, welche, nach ihrer freiesten Versinnlichung, den Grundton in der Darstellung der Tragödie bilden; so sind es die Eigenschaften des Scherzhaften, des Lächerlichen und Komischen Vgl. Th. 1. S. 402 und S. 406. , deren ästhetische Farbengebung in der Komödie vorherrscht. Denn der Scherz besteht in einer absichtlichen, von dem Andern sogleich anerkannten, Verstellung, wodurch der Scherzende das in ihm aufgeregte Gefühl der Lust nach außen mittheilen, und dem, welchem der Scherz gilt, ein unmittelbares Gefühl der Lust gewähren will. Der Scherzende tritt daher aus seinem natürlichen und bekannten Charakter heraus, um durch einen angenommenen Ton ein augenblickliches Gefühl der Lust bei Andern zu vermitteln. Jm Gegensatze des Scherzes beruht das Lächerliche auf der äußern Ankündigung der Verirrungen des menschlichen Verstandes und Geschmackes, nach allen dadurch in den Handlungen sichtbaren Schwachheiten, Einseitigkeiten und Schiefheiten, sie mögen nun aus unreifen Meinungen und Urtheilen, oder aus Verbildungen des Geschmacks (z. B. in der Kleidung, in äußern Sitten), oder aus Selbsttäuschungen in der gesellschaftlichen Ankündigung (z. B. durch Eitelkeit, Aufgeblasenheit, Stolz, Verliebtseyn im Alter &c.) hervorgehen. Nie können aber unmittelbare sittliche Verirrungen ein Gegenstand des Lachens werden. Denn werden sie unter einer ästhetischen Form dargestellt; so verfallen sie dem Richterstuhle der Satyre. Sie sind zu wichtig und stehen mit dem höchsten Zwecke der Menschheit, dem Zwecke der Sittlichkeit, zu sehr im Gegensatze, als daß sie, wie das in der äußern Ankündigung wahrnehmbare Widersinnige, Zweck- und Verhältnißwidrige, ein Gegenstand des Lachens werden könnten. ─ Das Komische endlich, das, wie das Lächerliche, auf einem unmittelbaren Gefühle der Lust beruht, das durch die zur ästhetischen Form ausgeprägte Versinnlichung des Widersinnigen, Unvollkommenen und Zweckwidrigen vermittelt wird, unterscheidet sich dadurch von dem Lächerlichen, daß mit diesem allgemeinen Gefühle der Lust das Gefühl unsers Uebergewichts über das nach seinen Schwachheiten und Verirrungen dargestellte Jndividuum sich verbindet. Denn bei dem, was uns als komisch erscheint, fühlen wir nicht blos überhaupt und im Allgemeinen ein Gefühl der Lust über das vermittelst der dichterischen Versinnlichung zur Einheit der Form gebrachte Unvollkommene und Zweckwidrige; wir fühlen zugleich, daß wir höher stehen, als das vor unsere Anschauung gebrachte Jndividuum, und daß wir nicht fähig wären, die ihm beigelegten Schwächen und Verirrungen uns zu Schulden kommen zu lassen. Tragen wir diese ästhetischen Grundbegriffe des Scherzhaften, Lächerlichen und Komischen auf diejenige dramatische Kunstform über, die wir das Lustspiel nennen; so beruht der Charakter desselben entweder auf der ästhetisch vollendeten Versinnlichung gewisser menschlicher Schwächen, Thorheiten, Mängel und Unvollkommenheiten, oder auf der mannigfaltigsten, durchgängig aber auf das Gefühl der Lust berechneten Verwickelung (Jntrigue) in der dargestellten Handlung, so daß, in beiden Formen des Lustspiels, durch die Wahrnehmung des ästhetisch versinnlichten Causalzusammenhanges in der Handlung, das Gefühl der Lust angeregt, und, vermittelst der Durchführung der Verwickelung der Handlung, lebhaft erhalten und gesteigert wird, bis die Auflösung des Knotens am Schlusse der vollendeten dramatischen Form die innigste und völligste Befriedigung des Gefühls der Lust vermittelt. Wenn daher bei dem Trauerspiele, durch die Anlegung der Charaktere und durch die Fortführung der Handlung, die gemischten Gefühle der Lust und Unlust angeregt werden, die beide, während der ganzen Darstellung der Handlung, mit einander wechseln und gegen einander anstreben, bis endlich das Wohlgefallen an der Vollendung der tragischen Form, so wie das Wohlgefallen an dem in seiner Freiheit unterliegenden Helden, den Sieg des Gefühls der Lust bewirkt, und das Gefühl der Unlust an dem widrigen Gange seines Schicksals niederschlägt; so ist dagegen in dem Lustspiele die Erfindung der Handlung, die Haltung der Hauptperson, die Durchführung der Verwickelung, die bestimmte Berechnung des Verhältnisses der Episoden zu dem Ganzen, besonders aber der Schluß, oder die Auflösung und Entwickelung des ästhetisch geschürzten Knotens, auf den völligen und entschiedenen Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust berechnet. Doch unterscheidet sich im Einzelnen das sogenannte Jntriguenstück von dem eigentlichen Lustspiele und der Posse, daß in den letztern die Schilderung menschlicher Schwächen und Thorheiten, oder auch die Darstellung ununterbrochen fortgesetzter Neckereien und einer idealisch gezeichneten Petulanz, das Gefühl der Lust unaufhörlich nähren und steigern, während im Jntriguenstücke das Gefühl der Lust, wegen der mannigfaltigen Verwickelung der Handlung, bisweilen durch die ─ ein gemischtes Gefühl der Unlust leise anregende ─ Besorgniß unterbrochen wird, wie der Knoten sich lösen, und ob die Person, für welche unser Gefühl sich erklärt, das Ziel ihrer Wünsche erreichen und glücklich werden dürfte. (So rechnen wir Jüngers Er mengt sich in alles, Kotzebue's teutsche Kleinstädter &c. zu den eigentlichen Lustspielen; Lessings Minna von Barnhelm, Großmanns Nicht mehr als sechs Schüsseln, Jfflands Herbsttag und Aussteuer, Kotzebue's Jndianer in England &c. zu den Jntriguenstücken; und Kotzebue's Pagenstreiche, Wildfang, Wirrwarr &c. zu den Possen.) 56. c ) Das Schauspiel. Wenn gleich der Begriff des Schauspiels an sich so allgemein ist, daß er alle für die Bühne berechnete dramatische Kunstformen umschließt; so wird doch, in der Reihe der einzelnen Gattungen und Arten der dramatischen Dichtkunst, unter der Benennung: Schauspiel eine, blos der teutschen Dichtkunst und Literatur angehörende, Mittelgattung dramatischer Formen zwischen dem Trauer- und Lustspiele verstanden, deren Eigenthümlichkeit darauf beruht, daß das Schauspiel, gleich dem Trauerspiele, das gemischte Gefühl der Lust und der Unlust, allein nicht in der Stärke und Fülle, wie das Trauerspiel, aufregt, und den Wechsel beider Gefühle, während der ganzen Fortbildung der Handlung, lebendig erhält und steigert; mit dem Lustspiele aber die fröhliche Entwickelung und Auflösung des dichtgeschürzten Knotens theilt, und dadurch den Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust vermittelt. Ob nun gleich im Schauspiele die in den Mittelpunct der Handlung gestellte Hauptperson nicht im Charakter eines tragischen Helden sich ankündigt, und die Masse widriger Verhältnisse und Ereignisse, die auf sie eindringt und ihre Kraft beschäftigt, nicht, im Sinne des Trauerspiels, Schicksal genannt werden kann; so erscheint doch die Hauptperson im Schauspiele im Kampfe mit mannigfaltig verflochtenen und widrigen Verhältnissen, die ihre geistige und sittliche Kraft in vielfache Thätigkeit setzen, und die endliche, frohe oder ungünstige, Entwickelung dieser Verhältnisse, bis zu der letzten Scene der Handlung, unentschieden lassen. Deshalb ist auch der Ton im Schauspiele ernst und würdevoll, und die Farbengebung im Einzelnen nicht aus den Gebieten des Lächerlichen und Komischen entlehnt. Der Stoff der Handlung selbst gehört gewöhnlich dem Kreise des häuslichen und bürgerlichen Lebens an, so daß nicht nur die Hauptperson zunächst nach ihrer Stellung im häuslichen und bürgerlichen Leben erscheint, sondern auch die ihre Thätigkeit aufregenden und ihre Kraft spannenden Verhältnisse und Ereignisse unmittelbar aus jenen Kreisen stammen. Alles ästhetisch=Darstellbare aus den häuslichen Verhältnissen der Gatten, der Aeltern, der Kinder, der Verwandten, und der Dienstboten gegen einander, so wie aus den öffentlichen Verhältnissen des bürgerlichen Lebens, nach den verschiedenen Ständen, Aemtern und Berufsarten im Staatsdienste, eignet sich zum Stoffe des Schauspiels, der, in seinen unendlich mannigfaltigen Schattirungen, eben so viele Veranlassungen für die Hauptperson enthält, Adel der Gesinnung und Charakterfestigkeit zu bethätigen, wie ihm zugleich die Prüfungen und Leiden angehören, an welchen die geistige Kraft und der sittliche Charakter der Hauptperson sich üben und bewähren soll. Je neuer, vielseitiger und kräftiger die Verhältnisse sind, unter welchen der dramatische Dichter die Hauptperson im Schauspiele und die Leiden und Widerwärtigkeiten erscheinen läßt, die den Frohsinn seines Lebens und seine berufsmäßige Ankündigung im häuslichen und öffentlichen Kreise verkümmen; desto mehr wird es ihm gelingen, die gemischten Gefühle der Lust und Unlust in gleichmäßiger Lebendigkeit, während der Dauer und Fortführung der dargestellten Handlung, zu erhalten, bis endlich die dichterische Gerechtigkeit gehandhabt, und Edelmuth und Rechtschaffenheit anerkannt, gerechtfertigt und belohnt, so wie das Laster entlarvt, beschämt und bestraft wird. Je länger und zweifelhafter der Kampf der Hauptperson gegen die widrigen Verhältnisse ihres Lebens fortdauert; je mehr sie, bei diesem fortgesetzten Kampfe, den Reichthum eines vielseitig gebildeten Geistes, und die Hoheit, Kraft und Würde eines völlig reinen Charakters entfaltet; desto mehr muß die siegende und befriedigende Entwickelung dieser verflochtenen und traurigen Verhältnisse das Uebergewicht des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust am Schlusse der Handlung herbeiführen. Wird das Schauspiel in diesem Sinne und Geiste als eine selbstständige Gattung der dramatischen Dichtkunst festgehalten und zur ästhetischen Einheit der Form ausgeprägt; so verdient es nicht den früher ihm beigelegten Namen der weinerlichen Komödie. Es behauptet vielmehr einen eigenthümlichen Charakter in der Mitte zwischen dem Trauer- und Lustspiele, und bereichert das Gebiet der dramatischen Formen mit neuen gediegenen Kunsterzeugnissen. Oder wollten wir wirklich Schauspiele, wie v. Gemmingens teutschen Hausvater, Lessings Nathan den Weisen, Jfflands Jäger, Mündel, Verbrechen aus Ehrsucht, den Spieler, die Advokaten, und Dienstpflicht, selbst Kotzebue's Menschenhaß und Reue und seinen Benjowsky, ─ wollten wir Göthe's Tasso, Götz von Berlichingen und Stella, Schröders Ring, Kratters Mädchen von Marienburg, Babo's Strelitzen, Klingemanns Luther, Columbus und Moses, selbst Werners Weihe der Kraft und seinen Attila, so wie so viele andere zur Gattung des eigentlichen Schauspieles gehörende einzelne Erzeugnisse, aus dem Gebiete der dramatischen Formen für immer streichen, weil es einigen Theoretikern unwillkommen war, einer neuen dramatischen Gattung in der Mitte zwischen dem Trauer- und Lustspiele einen Platz zu verstatten, und das, worin die Praxis der Dichter vorausgeeilt war, in der Theorie allmählig nachzuhohlen! So wie aber das Schauspiel die Mitte zwischen dem Trauer- und Lustspiele hält; so auch der Ton und die Stärke der durch das Schauspiel aufgeregten und genährten Gefühle. Denn an sich schon gewährt die Mischung und der Wechsel der Gefühle der Lust und der Unlust eine eigenthümliche Befriedigung des Gefühlsvermögens, wie dies die Elegie und die ganze epische Dichtkunst beweiset. Dazu kommt beim Schauspiele, daß dieses das Gefühl der Unlust dem Gefühle der Lust mehr gegenüber stellt, als es beim Lustspiele möglich ist, wo das Gefühl der Lust fast ausschließend vorwaltet; daß es aber auch nicht so erschütternd auf das Gefühlsvermögen einwirkt, wie das Trauerspiel, weil die Hauptpersonen des Schauspiels nicht als tragische Helden, und die Hindernisse, die sie zu bekämpfen haben, nicht unter den Machtschlägen eines unwiderstehlichen Fatums sich ankündigen. 57. d ) Das Singspiel. Das Singspiel verhält sich zu den einzelnen Formen der dramatischen Dichtkunst, wie die Cantate zu den übrigen Formen der lyrischen Dichtkunst; es ist die ästhetisch=vollendete Einheit einer dramatischen Handlung, die, nach ihrer Anlage, Haltung und Durchführung, entweder auf eine beständige oder abwechselnde Begleitung der Tonkunst, und, vermittelst der Verbindung der dramatischen Dichtkunst mit der Tonkunst, auf eine hohe Bewegung und Rührung des Gefühlsvermögens, so wie auf die Hervorbringung eines reinen Wohlgefallens an der gleichmäßig durch Dichtkunst und Tonkunst vollendeten ästhetischen Form, berechnet ist. Es gilt daher von der dichterischen Behandlung des Singspiels alles, was (§. 29) im Allgemeinen von dem Verhältnisse der Cantate, als eines dichterischen Kunstwerkes, zur tonkünstlerischen Behandlung und Darstellung derselben gesagt worden ist. Der Dichter muß den Tonkünstler durchgehends im Auge behalten, und ihm vorarbeiten. Dies gilt sowohl von den in die dramatische Handlung aufgenommenen männlichen und weiblichen Personen, als auch von dem Umfange und Jnhalte, und von der Länge und Kürze der einzelnen Scenen und Acte, so wie von dem genau berechneten Verhältnisse der Arien und Cavatinen, der Duette, Terzette u. s. w., und der Chöre gegen einander. Da die ästhetische Vollendung des Singspiels auf dem gleichmäßigen Zusammenwirken zweier Künste beruht; so müssen auch beide in der Bildung und Ausprägung der dramatischen Form des Singspiels als unauflöslich verbunden sich ankündigen. So gewiß aber die theatralische Wirkung des Singspiels von dieser unauflöslichen Verbindung der Dicht- und Tonkunst abhängt; so kann doch in einer wissenschaftlichen Darstellung des Gesammtgebietes der teutschen Sprache nur von den verschiedenen Formen des Singspiels, nach ihrem dichteri= schen Charakter, und nach ihrer Stelle in der Reihe der übrigen dramatischen Dichtungsarten, die Rede seyn. ─ Das Singspiel zerfällt in die drei einzelnen Formen: das Melodrama, die Oper, und die Operette. 1) Das Melodrama ─ welches Monodrama, Duodrama u. s. w. seyn kann ─ ist ein dramatisches Gedicht, dessen Eigenthümlichkeit darin besteht, daß die Rede durch abwechselnd eintretende Musik unterbrochen wird. Es unterscheidet sich wesentlich von der Oper und Operette dadurch, daß weder Arien, noch Duette und Chöre darin vorkommen, sondern die Anwendung der Tonkunst theils zur Versinnlichung und Erweiterung der in der Rede bereits ausgedrückten Gefühle, theils zur Vorbereitung auf die sogleich in der Handlung darzustellenden Gefühle dient. ─ Unter den Teutschen ward das Melodrama zuerst von Brandes in der Ariadne auf Naxos angebaut, welchem Benda das tonkünstlerische Gewand mit solchem Erfolge gab, daß Ariadne auf Naxos noch jetzt nicht ganz von der Bühne verschwunden ist, und mehrere Dichter und Tonkünstler diesem gelungenen Vorbilde, doch mit geringerem Erfolge, nachstrebten. So Ramler im Pygmalion, Gotter in der Medea, Fr. Rambach in dem Theseus auf Kreta, Kaffka in der Rosamunde und andere. ─ Ob nun gleich die dramatische Dichtkunst durch den Eintritt des Melodrama in die Reihe der dramatischen Dichtungsarten einen Zuwachs erhielt; so behauptet es doch, in dem Kreise der dramatischen Kunstformen, die unterste Stelle. Denn seine Darstellung hat, durch den Mangel mehrerer Personen, zu wenig Handlung, und folglich auch zu wenig Abwechselung und Mannigfaltigkeit; sein Stoff muß sich auf einen zu kleinen Kreis von Gefühlen und von Begebenheiten beschränken, durch welche Gefühle aufgeregt werden. Es wird daher die ästhetische Vollkommenheit des Melodrama hinter der durch Dichtkunst und Tonkunst ungleich reicher ausgestatteten Oper und Operette zurück bleiben. Dazu kommt, daß die eintretende Tonkunst, und zwar je mehr sie dem Charakter der dargestellten Gefühle anpaßt, das Einförmige des Eindruckes verstärken muß, weil sie nichts anders durch Töne darstellen kann, als was bereits durch Worte ausgedrückt worden ist. Der natürlich fortschreitende Gang des Gefühls wird aber auch durch die stets wiederkehrende Tonkunst nicht selten unterbrochen und aufgehalten, und dadurch der innere nothwendige Zusammenhang zwischen den zur ästhetischen Einheit verbundenen Gefühlen gestört. Endlich häufen sich auch für den beinahe durchgehends allein auf der Bühne auftretenden Schauspieler die Schwierigkeiten dadurch, daß er die häufigen Zwischenzeiten der Tonkunst durch ein passendes mimisches Spiel ausfüllen muß. 58. Fortsetzung. 2) Der dichterische Charakter der Oper nähert sich bald dem Trauerspiele, bald dem Lustspiele, bald dem Schauspiele. Denn in der ernsthaften Oper ( opera seria ) handelt ein Held nach der ähnlichen Ankündigung des Helden im Trauerspiele; in der komischen Oper ( opera buffa ) werden Thorheiten und Fehler versinnlicht dargestellt, oder Jntriguen ausgesponnen, an deren Darstellung der Faden bis zur völligen Entwickelung fortläuft; die gemischte Oper endlich wird auf gleiche Weise, wie das Schauspiel, gebildet, und wechselt mit ernsthaften und heitern Stoffen und Scenen. ─ Für den Dichter der Oper tritt, in der umschließendsten Bezeichung des Begriffes, dasselbe Verhältniß ein, in welchem der Dichter der Cantate zum Tonkünstler steht. Denn, nach der ursprünglichen Bestimmung der Oper, schreiten nicht nur in derselben Dichtkunst und Tonkunst gemeinschaftlich und unauflöslich verbunden durch Recitative, Arien und Chöre fort; es muß auch der Ausdruck der Verwickelung und Entwickelung des Ganzen an beide Künste zugleich gebunden seyn. Ob nun gleich die Verbindung der Dicht- und Tonkunst die Grundbedingung des ästhetischen Charakters der Oper bildet; so werden doch nicht selten auch die Wirkungen der übrigen Künste, namentlich der Mahlerei, der Plastik und der Tonkunst, aufgeboten, um den Gesammteindruck der Oper zu verstärken. Nothwendig wird, unter diesen Verhältnissen, die Oper zu den vollendetsten Kunstwerken gehören, sobald der Dichter eine wirklich ästhetisch gediegene dramatische Form ins Daseyn rief, und der Reichthum seiner Einbildungskraft, frei und rücksichtslos auf absichtlich berechnete Wirkungen und Theaterschläge, über die Anwendung der übrigen Künste für den Gesammtzweck der theatralischen Darstellung der Oper gebot. Denn sollen diese verbundenen Künste einen gemeinschaftlichen und unwiderstehlichen Eindruck auf das Gefühlsvermögen hervorbringen, der von der vollendeten Einheit der Oper als Kunsterzeugniß abhängt; so müssen die einzelnen Ankündigungen der übrigen in den Kreis der Oper gezogenen schönen Künste auf dem Gesetze des ästhetischen Causalzusammenhanges beruhen, und mit der dichterischen und tonkünstlerischen Vollendung der Form zu Einem unauflöslichen Ganzen verschmelzen. 3) Die Operette ist jüngern Ursprungs, als die Oper, und dadurch von derselben verschieden, daß in der Operette die tonkünstlerische Begleitung zunächst auf Arien, Duette und Chöre beschränkt ist, und regelmäßig mit dem Dialoge abwechselt, während in der Oper, nach ihrer ursprünglichen Einrichtung, kein Wort und Laut ohne tonkünstlerische Begleitung sich ankündigen darf. Die Operette hingegen war ursprünglich ein dramatisches Kunstwerk, in welchem der Dialog vorherrschte, der nur, wenn die Gefühle der handelnden Personen mit einer höhern Lebendigkeit und Stärke aufwogten, von Arien, Duetten und Chören unterbrochen ward. Auch hatte die Oper, in ihrer ursprünglichen Gestalt, blos eine komische, dem Lustspiel ähnliche, Einfassung, und die Anlegung, Haltung und Durchführung ihrer Arien und Chöre war gewöhnlich höchst einfach, natürlich und kunstlos. (So erscheint die Operette noch in der Jagd von Weiße und Hiller, in der Liebe auf dem Lande, in Lottchen am Hofe, im Dorfbarbier, im Erntekranze u. a.) Als aber die italienischen und französischen Opern, mit Hinweglassung der Recitative, an deren Stelle der Dialog trat, auf teutschen Boden versetzt und mit teutschen Texten begleitet wurden; da ward auch bald der frühere Unterschied zwischen der Oper und Operette und der einfache Ton und Charakter der Operette vergessen; das Publicum verlangte kunstvollere Arien und Chöre in der Operette, an welche es sich bei der Oper gewöhnt hatte, und eine fast eben so reiche Maschinerie, wie in der Oper. Entschieden hat dies auf den dichterischen und tonkünstlerischen Anbau der Operette nachtheilig eingewirkt, weil Dichter und Tonkünstler von dem frühern bestimmt ausgeprägten und eigenthümlichen Charakter der Operette sich entfernten, um durch ihre Formen dem Publicum desto sicherer zu gefallen. Daher die oft so häufigen Ueberladungen und sinnlosen Ausschmückungen der Operette mit Gegenständen, die dem dichterischen Stoffe derselben fremd sind; daher überhaupt der wesentliche Mangel an Operetten, deren dichterischer Gehalt, auch ohne die tonkünstlerische Gediegenheit der Form, anerkannt und entschieden wäre. ─ Denn soll die Operette auf ihre ursprüngliche Eigenthümlichkeit zurückgeführt werden; so muß der Dichter derselben die Gesangstücke nur dann eintreten lassen, wenn der ästhetische Zusammenhang des Ganzen den Ausdruck lebendiger und hoher Gefühle der handelnden Personen mit sich bringt, und der prosaische Ton des Dialogs von selbst in Sylbenmaas und Reim übergeht. 5) Die Ergänzungsklasse der vier Hauptformen der Dichtkunst. 59. Begriff und einzelne Formen der Ergänzungsklasse der Dichtkunst. Die Praxis ist in allen Künsten, und also auch in der Dichtkunst, der Theorie vorausgeeilt, so daß die Theorie, im Allgemeinen, das Abstractum von dem enthält, was in der Praxis einer und derselben Gattung oder Art von den entschiedenen Classikern zur vollendeten Form ausgeprägt ward, und deshalb als Muster für alle Zeiten gilt. Wenn denn nun auf diese Weise die Theorie der Praxis folgt, und das, der Form nach Aehnliche, Verwandte oder Gleiche, unter gewisse Hauptgesichtspuncte bringt; so entstehen dadurch die verschiedenen Klassen von Dichtungsarten, inwiefern jede einzelne Dichtungsart die Gesammtheit von dichterischen Formen in sich faßt, deren gemeinsamer Charakter aus einer verwandten individuellen Stimmung im Gefühlsvermögen des Dichters hervorgehet. Nun giebt es aber im Kreise der Dichtkunst jeder Nation, wie bereits bei der Ausmittelung des Grundsatzes für die Eintheilung der verschiedenen Dichtungsarten (§. 11.) erinnert ward, gewisse dichterische Kunstwerke, deren Charakter zwar bald der einen, bald der andern der vier aufgestellten Hauptklassen dichterischer Formen (der lyrischen, didactischen, epischen und dramatischen Dichtkunst) sich nähert, bald aber auch aus dem Verschmelzen der Eigenthümlichkeit mehrerer dieser Klassen hervorgehet. Solche dichterische Formen würden nicht ohne Zwang unter eine der vier aufgestellten Hauptklassen der Dichtkunst gebracht werden können, weil z. B. wohl die einzelne, nicht aber jede Jdylle zur epischen Form, und eben so die einzelne poetische Epistel, nicht aber jede poetische Epistel, zur lyrischen Form der Dichtkunst gerechnet werden kann. Mag daher auch der Ausdruck einer Ergänzungsklasse der vier Hauptformen der Dichtkunst etwas Unbequemes haben, und zur Bezeichnung der hieher gehörenden einzelnen Kunstformen ein noch schärfer bestimmender Begriff zu wünschen seyn; so ist es doch besser, den Begriff einer Ergänzungsklasse beizubehalten und in derselben alle diejenigen dichterischen Formen aufzuführen, die nicht ausschließend einer der vier Hauptklassen der Dichtkunst untergeordnet werden können, als diese Unterordnung durch künstelnde Deutung und ästhetischen Zwang zu bewirken. Zu dieser Ergänzungsklasse rechnen wir als einzelne dichterische Formen: a ) die Jdylle; b ) die poetische Epistel; c ) die dichterische Schilderung; d ) die Parabel und Paramythie; e ) den Dialog und Monolog; f ) die Satyre; g ) die Parodie und Travestirung; h ) den Roman, das Mährchen und die Novelle; i ) das Sinngedicht und Epigramm; k ) das Räthsel, die Charade, den Logogryph, und das Anagramm. 60. a ) Die Jdylle. Je weiter die Wirklichkeit von dem Jdeale eines goldenen Weltalters abliegt; desto erquickender ist die idealisirte Darstellung der Menschheit unter einem friedlichen und harmonischen Verhältnisse zu sich selbst, zu dem Schicksale, und zu der äußern Natur. Diese Darstellung enthält die Jdylle. Das goldene Weltalter, das die älteste Dichtkunst in die Vergangenheit, die Philosophie in den fernen Kreis der Zukunft, nie aber ein Historiker und Philosoph in die Gegenwart und Wirklichkeit versetzt, stellt der Jdyllendichter als verwirklicht, unter dem Zauber einer ästhetischen Form, vor uns hin. Reinheit und Einfachheit der Sirten, Unschuld des Herzens und Wandels, Wahrheit, Zartheit und Jnnigkeit des Gefühls müssen die Ankündigung des Menschen in der Jdylle bezeichnen. Noch hat ihn das Gift der bürgerlichen Gesellschaft nicht berührt; noch kennt er keine andern Bedürfnisse, als die, zu welchen ihn die einfache Natur selbst leitet; noch ist seine Liebe reiner Naturklang; noch sind seine Neigungen unschuldig und unverdorben, und noch trägt sein Charakter das Gepräge ursprünglicher Güte und Unverdorbenheit. Die äußere Natur bringt mit diesem Adel der innern Gesinnung ein Leben ohne Schmerz und Kummer, eine friedliche, schöne, paradiesähnliche Umgebung in die innigste Verbindung, und so stralt in der Jdylle die Ruhe des innern Lebens zurück in die große, harmonische Natur. Alle Thorheiten und sittliche Gebrechen der wirklichen Welt, alle beengende Formen der Convenienz und der bürgerlichen Verhältnisse, liegen tief unter dem Kreise der Jdylle. Jn ihr erscheinen die Menschen einander gleich, und sogar die Thiere sind in ihr weder Feinde des Menschen, noch Feinde gegen sich selbst. Der Mensch der Jdylle darf aber auch von dem Dichter nicht auf die Höhe der künstlichen Cultur gestellt werden, welche blos die Folge der im bürgerlichen Leben eingeführten und bestehenden Verhältnisse ist. Daraus läßt sich erklären, warum die Jdyllendichter die Menschen, die sie schildern, gewöhnlich aus dem Hirten=, Schäfer=, Fischer= und Jäger= Leben entlehnen, und weshalb im Ganzen die einfache ländliche Natur in ihren Gebilden vorherrscht. Denn der Kreis des Jdyllendichters ist ein Kreis neben oder außerhalb der Wirklichkeit; ja sogar nur selten mit der geschichtlichen Hindeutung, daß diese Wirklichkeit in der fernsten Vergangenheit vorhanden gewesen, aber nun auf immer verschwunden sey. Deshalb schildert die Jdylle auch kein bestimmtes und mit einem geschichtlichen Namen bezeichnetes Volk der Erde und keine bestimmte Oertlichkeit des Erdbodens. Dem Stoffe nach gehört die Jdylle zur epischen, nach dem in ihr vorherrschenden Grundtone des Gefühls aber zur lyrischen Form der Dichtkunst. Die teutsche Literatur erfreut sich vorzugsweise, vor der Literatur andrer europäischer Völker, eines reichen Anbaues der Jdylle; zugleich ein sicherer Beleg des reinen unverdorbenen Naturtones der teutschen Dichter und ihrer Nation, so lange sie Wohlgefallen an der milden idealischen Welt der Jdylle findet. Salomo Geßner, Rost, Reckert, Ewald v. Kleist, Götz, Blum, Mahler Müller, Hölty, Jacobi, Klamer Schmidt, v. Göthe, v. Bonstetten, Bronner, Voß, Kosegarten, Krummacher, Baggesen u. a. sind gefeierte Namen im Gebiete der Jdyllendichtung. 61. Beispiele der Jdylle. 1) von Salomo Geßner († 1787). Bruchstück aus dem Tode Abels. Die stillen Stunden führten den rosenfarbenen Morgen herauf, und gossen den Thau auf die schattigte Erde; indeß schoß die Sonne ihre frühen Stralen hinter den schwarzen Cedern des Berges herauf, und schmückte mit glühendem Morgenroth die durch den dämmernden Himmel schwimmenden Wolken. Da gingen Abel und seine geliebte Thirza aus ihrer Hütte hervor, in die nahe geruchreiche Laube von Jasmin uud Rosen. Zärtliche Lieb' und reine Tugend gossen sanftes Lächeln in die blauen Augen der Thirza, und reizende Anmuth auf ihre rosenfarbenen Wangen; und weiße Locken flossen am jugendlichen Busen und ihre Schultern herunter, und umschwebten ihre schlanken Hüften. So ging sie dem Abel zur Seite. Braune Locken kräusten schattigt sich um die hohe Stirne des Jünglings, und zerflossen auf seinen Schultern; denkender Ernst mischte sanft sich in das Lächeln der Augen. Jn schlanker Schönheit ging er daher, wie ein Engel daher geht, wenn er in einen dichteren Körper sich hüllet, den Sterblichen sichtbar zu werden. Er soll irgend einem Frommen, der im Einsamen betet, mit guter Botschaft von dem Herrn erscheinen. Zwar umhüllet ihn ein Körper, menschlich gebildet; aber aus seiner reizenden Schönheit hervor schimmert der Engel. Thirza sah mit zärtlichem Lächeln ihn an, und sprach: Geliebter! jetzt da die Vögel zum Morgenlied erwachen, sey mir gefällig, und singe mir den neuen Lobgesang, den du gestern auf der Flur gedichtet hast. Was ist lieblicher, als mit Gesängen den Herrn loben? Wenn du singest, o dann wallet mein Herz voll heiligen Entzückens, wenn du die Empfindungen sagst, die ich nur empfand und nicht sagen konnte! Jhr antwortet' Abel und umarmte sie: Was deine süßen Lippen von mir begehren; das alles sey dir gewähret, meine Thirza! Les' ich einen Wunsch in deinen Augen, dann sey er erfüllt; wir wollen hier auf das weiche Moos uns setzen, dann will ich den Lobgesang singen. Sie setzten sich neben einander in der düftenden Laube, deren Eingang die Morgensonne vergoldete, und Abel hob so seinen Lobgesang an: Weiche du Schlaf von jedem Aug', entweichet ihr flatternden Träume! Die Vernunft geht wieder hervor, und erhellet die Seele, wie die Morgensonne die Gegend erhellet. Sey uns gegrüßt, du liebliche Sonne hinter den Cedern herauf! du gießest Farb' und Anmuth durch die Natur hin, und jede Schönheit lachet verjüngt uns wieder entgegen. Entweiche du Schlaf von jedem Aug'; entfliehet, ihr flatternden Träume, zu den Schatten der Nacht! Wo sind sie, die Schatten der Nacht? Jns Dunkel der Haine und in die Felsenklüfte sind sie gewichen, und erwarten uns da, oder in dicht verwachsenen Lauben mit erquickender Kühlung am heißen Mittage. Dort, wo der Morgen den Adler früher weckte; was dampft dort von den schimmernden Häuptern der Felsen, von den glänzenden Stirnen der Berge in die helle Morgenluft empor, wie Opferrauch dem Altar entsteigt? Die Natur feiert den Morgen, und opfert dem Herrn der Schöpfung Dank. Jhn soll jedes Geschöpf loben, ihn, der alles schaffet und erhält. Ja ihm zum Lobe zerstreuen die jungen Blumen ihre frühen Gerüche; ihm singet der Vögel mannigfaltiger Chor, hoch in der Luft, oder von den Wipfeln der Bäume, der Morgensonn' entgegen; ihm zum Lobe geht der Löw' aus seiner Höhle hervor, und brüllet sein Entzücken fürchterlich durch die Wildniß aus. Lob' ihn, du meine Seele, den Herrn, den Schöpfer und Erhalter; des Menschen Lobgesang steige vor allen zu dir empor! Er soll dich loben, wenn jedes Geschöpf noch in seinem Lager schlummert; wenn kein Gesang noch von den Wipfeln tönt, und aus den wiegenden Büschen. Ertöne mein einsames Lied laut durch die stille Dämmerung, daß du weit umher jedes Geschöpf zum Lobe erweckest. Herrlich, herrlich ist die Schöpfung, in der er uns Unwürdigen seine Weisheit und Güte enthüllet. Jeder meiner Sinne fchöpfet Entzückung aus diesem unendlichen Meere von Schönheit, und strömt sie der entzückten Seele zu. So sang Abel an der Seite seiner Geliebten; in heiliger Andacht saß sie noch wie horchend; jetzt schlang sie ihren lilienweißen Arm um seinen Hals, sah zärtlich ihn an, und sprach: Geliebter! wie schwang sich meine Andacht mit deinem Gesange höher! Ja, Geliebter! nicht nur meinen schwächern Leib schützet deine zärtliche Sorgfalt; auch meine Seele schwinget sich unter deiner Führung empor. Wenn sie auf ihrem Pfad sich verliert, und Dunkel um sich her sieht, und in heiligem Erstaunen hinsinket; dann hebest du sie, und erhellest das Dunkel, und entwickelst das stille Erstaunen zu lauten erhabnern Gedanken. So sprach sie, und die zärtlichste reinste Liebe goß unaussprechliche Anmuth in jeden Ton der Stimme und in jede Gebärde. Abel antwortete nicht; aber wie er zärtlich sie anblickte und an seinen Busen sie drückte; das redete von seinen Empfindungen mehr, als Worte hätten reden können. Ach! so glücklich war der Mensch, da er noch zufrieden nichts von der Erde begehrte, als Früchte, die sie willig gab, nichts vom Himmel flehte, als Tugend und Gesundheit; eh' seine Unzufriedenheit nimmer gesättigte Wünsche aussendete, die unzählige Bedürfnisse erfanden, und sein Glück unter schimmerndes Elend vergruben. 2) von Karl Christian Reckert († 1800). Milet. O wie entzückt mich der schöne Abend, sprach der junge Milet. Jch will mein Mädchen hohlen; denn die Gegend schlummert, und sanfte Ruhe verbreitet sich über die Gefilde. Dann wollen wir uns dort auf den herabgerissenen Felsen setzen, und ich will ihr ein frohes Lied singen. Jetzt ging er hin und hohlte sein Mädchen, und sie setzten sich auf den herabgerissenen Stein, und er sang ihr ein Lied, während daß seine Hand auf ihrem klopfenden Busen ruhte. Ach, Phillis, hob er an, Phillis, mein Herz ist froh, wenn du mich liebst; es fühlt sein Glück, der Busen bebt mir voll Freude! O Phillis, seit ich dich sah bei den Blumen am Wasser stehen, und dein rosenfarbener kleiner Mund zum Lächeln sich öffnete; Phillis, ach, da war ich voll Freude! Wann sie dich liebte, Milet, so sprach ich oft seufzend; dann wäre ich glücklicher, wie ein König, der weite Länder beherrschet. Aber, o Phillis, das Glück belohnte meine Liebe; du wurdest mir gewogen, und liebtest mich zärtlich. Ach, dein Herz werde nie untreu; es bleibe friedlich, wie diese Gegend, die umher lachet, indeß daß der Mond sie erhellet, und dein Mund öffne sich freundlich zu sanften Küssen. O du, hob Phillis an, du, den ich mehr liebe, als wie die Hirten die Blüthen, oder die Mädchen die bunten Kränze. Seit ich dich sah in meiner Hütte; als du nach einem nicht verlornen Lamme fragtest; da gabst du mir Feigen, und drücktest mir froh die Hand, und meine Mutter lachte recht freundlich, als du mich küßtest; denn, Milet, sie liebt dich. Seit der Zeit war ich voll Freude; denn dein Kuß, süßer, als wie die Feigen, machte mein Herz unruhig. ─ Ach, wenn er dich liebte, hob ich öfters an, Phillis; wie glücklich würdest du seyn! Dann ging ich unter das schützende Dach hervor, und sah seufzend zum Himmel, und weinend bat ich um deine Wiederkunft und Gegenliebe. Oder ich wartete deiner am Hügel, wenn das Abendroth lachte; und wenn ich dich dann sah, so hüpfte ich vor Freuden, und du brachtest mir im Körbchen Feigen mit Blumen, und dann umarmten wir uns recht lange, und weinten voll Freude über unsre Liebe. O mein Milet, ich kann, nein, ich kann es dir nicht sagen, wie ich mich freue, wenn ich dich erblicke. Drücke mich an deine klopfende Brust, und reiche mir freundlich die rothen Lippen zum Küssen. Jetzt umarmten sie sich, und Phillis erzählte auf den herabgestürzten Steinen ein Geschichtchen. Höre, hob sie an, höre Milet, ich mußte jüngst recht lachen, als mir Daphnis erzählte: Chloe wollte ihn nicht lieben, unerachtet er ihr so oft ein Liedchen gesungen. Aber Phillis, ihr Herz ist nicht so zärtlich, wie das deine, liebe Phillis; du bist gefälliger, als Chloe; o liebe mich! Und da wollte er mich küssen. Aber Milet, wie stutzte Daphnis, als ich ihm sagte: er sollte dich fragen. Da ward er böse, recht böse, und ging von mir ohne Abschied. So erzählte die artige Phillis, und Milet belohnte ihre Liebe mit unzähligen Küssen, und jetzt gingen sie, unter lieblichem Scherze, sich froh umarmend, zu ihren Hütten. 3) von Blum († 1790). Amyntas. Zum Flötenspieler Daphnis kam Die kleine Doris mit dem blonden Haar. „Du, sprach sie, dessen Lieder süßer sind Als Honig, süßer sind als Rosenduft, Amynt ist heut der Wälder Lied, Die Mädchen alle singen heut sein Lob, Und ich, ich lieb' ihn sehr, und säng' ihn gern Am besten; aber an Gesang Bin ich nur arm, und stammeln kann ich nur. Lehr' mich von ihm ein Lied! denn keiner singt Wie du so schön, du lieber Hirt; Du Freund der Mädchen mit dem blonden Haar!“ „Amyntas, sprach der Hirt, verdient Gesang, Und hättest du sein Lob von mir auch nicht, Du süßes Kind der Grazien, begehrt; So hätt' ich dennoch weit umher Den Hügeln seinen Namen kund gemacht, Die stolzen Tannen hätten sich vor ihm Geneigt, und alle Quellen ihm gerauscht. Hebt an, ihr Musen, in den Büschen, Und in dem tiefen Thal! Der Abend röthet schon den Saum der Wolken, Und Echo wartet auf Gesang. Entzücken füllet meinen Busen, Jhr guten Götter, ihr! Mein Auge sieht, daß unter einem Dache Die Tugend bei dem Glücke wohnt. Amyntas, nicht die tausend Hufen Mit Heerden überschwemmt, Sind dein Verdienst; ein fühlend Herz im Busen Gesellet dich den Göttern bei. Du wirst in unsern Liedern leben, Amyntas, bis das Meer Versiegt, und Wälder aus den Fluten steigen, Und Fische schwimmen durch die Luft. Verstummet nun, ihr scheuen Musen; Die laut're Freud' erwacht. Amynt erschallet aus den hohlen Thälern, Und von den Bergen schallt Amynt.“ So sang der Hirt. Der kleinen Doris schlug Das Herz vor Freude; lange sprach sie nicht, Bis seines Liedes letzter Silberlaut Aus tiefen Hainen sterbend wieder kam. Da sagte sie gerührt: „Nun dank' ich dir, Nun werd' ich nicht der Spott der Mädchen seyn; Erquickend ist dein Lied, wie Sonnenglanz Jn kalter Luft, wie Morgenthau, Der lieblicher die Blumen macht. Und nun, wie soll ich deine Güte dir Vergelten, o du bester Hirt? denn ach, Ein armes kleines Mädchen hat wohl nichts, Das deine Lieder dir bezahlen kann!“ „Du sollst mir tausend Küsse schuldig seyn, Sprach Daphnis, bis du sechszehn Sommer hast, Und einen Kuß verstehst!“ 4) von Franz Xaver Bronner. Die Fische des Thierkreises. Kühle Abenddämmerung entlockte frische Wohlgerüche den blühenden Bäumen, und der thauigen Wiese. Lüstern umherriechend streckte der naschhafte Aal den Kopf aus dem Wasser, und wälzte sich spielend aufs Land, im jungen Hafer zu schwelgen, oder im weichen Erbsenkeime. Da saßen Amymone und Elon, beide schön, wie Latonens lockige Kinder, hinter duftenden Rosensträuchen am Bache, und beklagten thränend, und Wange an Wange geschmiegt, ihr widriges Geschick. Schwerer Kummer preßte schon lang ihre liebenden Herzen. Denn ein strenger Spruch des delphischen Orakels hatte ihnen die Hoffnung geraubet, von Hymens sanften Banden sich jemals umschlungen zu sehen. Jhr väterliches Thal, einsam und abgesondert vom übrigen bewohnten Lande, ward in mehrern Jahren nur durch wenige Blüthen nachwachsender Jugend erfreuet. Denn die Mütter grüßten meistens nur schwächliche Kinder ins Leben, die bald hinwelkten, wie kränkelnde Pflanzen; und Niemand wußte dem Uebel zu steuern; Niemand dachte, daß die fortgesetzten Zeugungen naher Verwandten, von keinem fremden Blute erfrischt, endlich ausarten können, dem Weizen gleich, der immer eben denselben Acker besämt. Da sandte man Geschenke nach Delphi, zwei zierlich geformte Becher und eine köstliche Opferschale, den Willen der Götter zu hören. Und die begeisterte Priesterin sprach: Heil euern Gefilden, Jhr fragenden Boten, Wenn künftig die Söhne Einheimischer Mädchen Umarmungen fliehen! Seitdem gaben die folgsamen Väter ihre reifenden Töchter nur auswärtigen Freiern, und mannbare Jünglinge hohlten sich fremde Bräute. „O warum, Geliebte, sprach Elon mit sanfter Wehmuth, warum trennt uns ein unerbittliches Schicksal? Wann ich die blühende Winde sehe mit weißen Glocken, wie sie umarmend am geliebten Strauche hinanstrebt; wenn ich sehe, wie jeder summender Käfer, jeder Vogel buhlend zur wartenden Gattin hinschwebt, und jeder gesellige Fisch wollüstig sein streichendes Weibchen umhüpft; und wenn ich denn denke, daß unsre Verbindung allein ein feindliches Verhängniß verbietet; dann, Geliebte, dann weinet etwas aus meinem Jnnersten heraus; mir wird so bange ─ ich kann's nicht aussprechen! Dann wünsche ich mir das Glück des summenden Käfers oder des hüpfenden Fisches, und manchmal möchte ich sie beneiden, weil niemand bei ihnen die heiligste Neigung in lästige Fesseln zwängt. O warum mußte ich hier gebohren werden, hier, wo die Götter mir verbieten, dich, Mädchen voll Unschuld, als meine Gattin zu lieben? Glücklicher wäre ich, viel glücklicher, wenn mich einsam mit dir, auf der fernsten Jnsel, das große Weltmeer umschlösse, wie den fernen Mond das blaue Leere umschließt.“ Amymone. O du sanft leuchtender Mond, und ihr funkelnden Lichter da oben! Schon oft hab' ich euch betrachtet, schon oft hab' ich gesagt: ihr kleinen Sterne, ihr wißt wohl auch von der Liebe; denn das reinste Feuer ist die Liebe, und ihr brennet mit dem reinsten, glänzendsten Feuer. Und wenn ihnen der holde Mond auf seiner Bahn sich nahte; wenn endlich sein wandelndes Antlitz sie langsam berührte; dann fiel mir ein heiliges Lied ein, und ich fragte mich: war das nicht ein Kuß? Elon. Starr blickte ich neulich seine volle Scheibe an; da glaubte ich schöne Auen und leuchtende Hügel darin zu sehen; er schien mir in blauer Ferne einher zu fahren, wie eine schwimmende Jnsel auf unermeßlicher See. O Amymone, dachte ich, wäre ich mit dir in diesen lichten Auen droben, in diesen wonnigen Gefilden, wo gewiß kein herbes Verhängniß treue Liebende trennt! Wie wohl wär' uns dort! Wie wohl im seligsten Genusse der Liebe! Wüßtest du mehr zu wünschen? „Alles, alles hätt' ich dann, Geliebtester!“ sprach das zärtliche Mädchen, und schlang ihren sanft bebenden Arm um ihn. „O wie glücklich wären wir dort, wie unaussprechlich selig! Die Gestirne, so glaub' ich im Ernste, sind der Liebe hold; man liebt dort auch. Jst nicht der Abendstern der Liebe geheiligt? Und sind die beiden Fische des Thierkreises nicht ein liebendes Paar? Die Priesterinnen im Tempel lehrten es neulich. Wann ich traurig bin, dann denk' ich des Liedes, das sie sangen; dann sing' ich es, und sanfte Heiterkeit erhellet meine Seele wieder, wie wenn die Sonne nach trüben Regentagen durch dünnes Gewölke das Land beleuchtet. ────── Vernehmt es, gefühlvolle Seelen! Mit süßem Entzücken sehen die guten Götter auf treue Liebende nieder, und krönen sie, wo nicht hinieden, doch über den Sternen mit Wonne. 62. b ) Die poetische Epistel. Die poetische Epistel unterscheidet sich von dem eigentlichen Briefe, dessen Theorie in dem Sprachgebiete der Prosa aufgestellt ward, dadurch, daß sie vermittelst des Jndividuums, an das sie gerichtet ist, zu dem ganzen menschlichen Geschlechte spricht, und Wahrheiten, Gefühle oder Thatsachen von allgemeinem Jnteresse versinnlicht, während der prosaische Brief zunächst und ausschließend Einer Person bestimmt, und, im strengsten Sinne, auch dieser nur verständlich und interessant ist. Es beruht daher der Charakter der poetischen Epistel auf der individualisirten Darstellung gewisser allgemeiner menschlicher Wahrheiten, Gefühle, Verhältnisse oder Ereignisse, unter der Einheit einer ästhetisch vollendeten epistolischen Form. Der Dichter spricht zwar in der poetischen Epistel nur zu Einer Person; er idealisirt aber dieselbe so, daß er zu ihr, als zu seinem ganzen Geschlechte redet, und daß diese Person in der poetischen Epistel gleichsam selbst zu einem poetischen (idealisirten) Wesen wird; denn in die Darstellung der poetischen Epistel gehört nur das, was von dem Jndividuum, als Theil seiner Gattung, aber nach individuellen, von dem Dichter ihm beigelegten, Beziehungen ausgesagt wird. Daraus folgt, im Gegensatze des prosaischen Briefes, daß dieser so speciell, die poetische Epistel aber so generell als möglich seyn muß, und daß, je specieller der Jnhalt und die Form der Darstellung in der poetischen Epistel ist, sie um so mehr von ihrer eigentlichen Bestimmung, und von ihrem ästhetischen Charakter sich entfernt. Denn der ästhetische Gehalt der poetischen Epistel steigt um so höher, je allgemeiner, d. h. je verwandter den rein menschlichen Jnteressen, ihr Stoff ist, und je freier der Dichter über die Form gebietet, um, vermittelst derselben, dem Stoffe die möglichst höchste Versinnlichung und das frischeste dichterische Leben zu ertheilen. Die poetische Epistel gehört zu den gemischten Formen der Dichtkunst, weil sie eben so oft rein subjective Gefühle, wie Gefühle veranlaßt durch allgemeine Wahrheiten, oder hervorgebracht durch Verhältnisse und Vorgänge des wirklichen Lebens versinnlichen, und bald im ernsthaften, bald im komischen, ja selbst im satyrischen Gewande erscheinen kann, je nachdem die vorherrschende Stimmung der Gefühle des Dichters in derselben sich ankündigt. Jm Besondern kann jede einzelne poetische Epistel unter eine der drei Hauptgattungen der Dichtkunst gebracht werden. Denn bilden die reinen individuellen Gefühle des Dichters den Stoff der poetischen Epistel; so gehört sie zur lyrischen Form. Versinnlicht sie bestimmte allgemeine Wahrheiten und Jdeen der Vernunft unter der ästhetischen Hülle; so schließt sie sich an die didactische Form an. Schildert sie endlich Jndividuen, Verhältnisse des Lebens und Thatsachen der Geschichte unter einer idealisirten Umgebung; so ist sie Untergattung der epischen Form. ─ Die Wahl des Sylbenmaases hängt von dem sichern Tacte des Dichters ab, und muß dem darzustellenden Stoffe entsprechen; doch ist das in den ältern teutschen Episteln gewöhnliche Alexandrinische Sylbenmaas, wegen seiner Unbehülflichkeit, veraltet. 63. Beispiele der poetischen Epistel. 1) von Heinr. Anshelm v. Ziegler und Kliphausen († 1690). Aus Th. 1. seiner: „ Heldenliebe der Schrift alten Testaments “ ─ (abgekürzt). David an Bathseba. Was Brand und Centnerpein aus Mund und Herzen presset; Das wirft der schwache Kiel an ein geringes Blatt. Was meinen matten Geist kaum Seufzer hohlen lässet, Das suchet Klee und Trost in Jebus holder Stadt. Jch bin nicht, der ich bin, noch der ich bin gewesen; Jch will nicht, was ich weiß, ich weiß nicht, was mir fehlt. Man wird in Jsrael von meiner Thorheit lesen, Wo dieses Thorheit heißt, was auch die Weisen quält. Jm Feuer such' ich Eis, und Schatten bei der Sonnen, Bei Dornen Lust und Schlaf, bei Flammen kühle Luft, Des Geistes süße Ruh hat einen Riß gewonnen, Der nicht zu heilen ist, bis Bathseba mich ruft. Es starret Kiel und Hand, es schämet sich das Herze Zu sagen, was mein Aug' im Garten hat erblickt. Wodurch im Hui erlosch der Weisheit helle Kerze, Wodurch Verstand und Geist mir selber wird entrückt. Wiewohl ein König darf hier etwas freier schreiben, Und einer Fürstenhand ist etwas mehr erlaubt. Jch schreibe, was dir nicht kann mehr verborgen bleiben, Was mir die Ruhe stört, was Heil und Leben raubt. Der Sonnen helles Rad lief nach dem blauen Westen, Und senkte sich bereits in Thetis grünen Schoos; Man hörte voller Lust in den belaubten Aesten Die Sängerin der Nacht, als David sich entschloß, Auf der erhöhten Burg sich einsam zu ergötzen. Er setzte seinen Fuß auf das gewohnte Dach. Es ließe keine Lust sich dieser gleiche schätzen, Die Aug' und Herz ergötzt. Dort lief ein Silberbach Durch das bekleete Thal, und spielte mit den Wellen; Hier war ein grünes Thal mit Rosen überstreut. Man hörte hier und da die Schäferhunde bellen, Der Hirten Feldgeschrei bei brauner Abendzeit. Der Sonnen letztes Gold bezog die bunten Matten, Und der entfernte Berg gab einen Wiederschein. Der Bäume dickes Laub warf einen langen Schatten, Man trieb das müde Vieh auf allen Straßen ein. Ach, hätt' ich meine Lust hier gleichfalls eingetrieben, So wär' ich sonder Schmerz, so lebt' ich sonder Weh. Ach wäre Blick und Sinn im freien Felde blieben; So aber wandt' ich mich in der geraumen Höh, Und ließe Aug' und Stern Jerusalem bestralen. Der Häuser hohe Pracht, der Gassen weite Zier, Die schienen Müh und Lust nach Würden zu bezahlen. Der Mauern Wunderbau vermehrte die Begier Die innre Gartenlust in etwas zu beschauen. Nicht weit von dieser Burg war Florens holder Sitz, Den selbst Natur und Kunst nicht schöner konnte bauen. Hier rührte meinen Geist der Wollust strenger Blitz. Mein Vorwitz führte mich zu einem Marmorkasten, Jn welchem Perl und Fluth mit sanftem Rauschen sprang. Hier konnte nicht mein Geist nach Willen länger rasten, Als deine Wunderpracht die müden Augen zwang Auf deinen Fuß zu sehn. Der Kleider leichtes Prangen Verrieth den heißen Schluß; du suchtest Fluth und Bad. Es spielten durch die Luft die glutbeseelten Wangen, Jch weiß, wie sich mein Geist dadurch entzündet hat. Die weiße Liljenhand entschnürte Rock und Kleider, Und warf Gewand und Schmuck in das bekleete Gras. Es schwand mir Aug' und Licht; ich starb, ich ward, ach leider Durch dich in mich verstrickt. Bald ward ich roth, bald blaß. Jch wußte ferner nicht fast in mir selbst zu bleiben, Als das gewellte Haar schwamm auf der vollen Brust. Jch kann dir meine Qual nicht, wie ich will, beschreiben, Als deines Leibes Schnee war meine Augenlust. Es will Vernunft und Brunst nunmehr den Zügel rauben, Und der Begierden Roß zerreißet Zaum und Band. Du magst, wie meiner Schrift, dem Boten kühnlich glauben; Es ist ihm meine Noth mehr, als zu wohl, bekannt. Laß dir des Mannes Grimm nur nicht im Wege stehen; Jm Brennen sieht man nicht, im Lieben ist man blind. Zudem so will ich ihn durch meine Hand erhöhen, Daß er zur Dankbarkeit mir Frau und Liebe gönnt. Man muß verbotne Brunst nur an dem Pöbel strafen; Gekrönten ist Gesetz und Lieben unterthan. Ein Hirte braucht zur Kost das beste von den Schafen, Und bei dem Fürsten gilt nicht ein gemeiner Wahn. Es ist mein Harfenspiel durch deine Hand verstimmet, Die Saiten sind entzwei, ich such' ein neues Spiel, Das voller Anmuth dort im Marmorkasten schwimmet, Der Wollust süßer Ton beseelet Geist und Kiel. Komm Bathseba, mein Licht! Komm Bathseba, mein Leben! Mein Lager soll der Brunn, ich deine Quelle seyn. Es kann dich dieses Bad einst auf den Thron erheben. Komm, komm, und gieb sofort den zarten Willen drein. 2) von Demselben. Bathseba an David. (abgekürzt) Kein Blitz erhellet mehr die schattenreichen Wälder, Als mich, Durchlauchtigster, dein Schreiben hat beschämt. Es rannte Scham und Blut durch meiner Wangen Felder. Gewiß, ich habe mich zu Tode fast gegrämt. Jch weiß nicht, ob ich werd' ein förmlichs Wort ersinnen; Es irret Kiel und Hand, es zittert Arm und Fuß. Es will die Dinte nicht, so wie sie sollte, rinnen, Weil ich mich allzusehr vor David schämen muß. Hat meinen Seelenbau der Fürst entblößt gesehen? Hab ich ihm, wie er schreibt, Brust, Schoos und Haut entdeckt? O Himmel! ach wie wird, wie soll mir nun geschehen? Gewiß, dies Centnerwort hat mich in Tod erschreckt. Jedoch ich kann mich nicht so, wie ich soll, verstellen; Mein Ungehorsam wär' ein nur verstellter Zwang, Es mag von mir die Welt ein schlimmes Urtheil fällen, So sag ich doch: ich bin durch dich vor Liebe krank. Wer ungehorsam ist, wenn Fürstenaugen winken, Der weiß nicht, was ein Prinz, und was Verhängniß ist. Er weiß den Göttertrank der Wollust nicht zu trinken, Wenn uns ein Heldenmund auf Brust und Wangen küßt. Jch wünsche dir durch mich ein doppeltes Vergnügen; Jch wünsche, daß mein Leib auch Perl und Schwan beschämt. Kann dieser nur mit Lust in Davids Armen liegen, So hat sich Bathseba vergebens nur gegrämt. So bald der Abend wird Burg, Stadt und Feld bedecken, So mach' ich Leib und Geist von Kleid und Sorgen los. Alsdann wird Aug' und Fuß sich nach der Höhe strecken, Und meine Gaben sind die Frucht der glatten Schoos. 3) von Christian Gryphius († 1706). Der Tempel der keuschen Liebe, an Herrn * * Hochzeittage. (abgekürzt) Jch saß, geehrter Freund, nnd wollte dieses Fest, Das deine Liebe krönt, mit freier Hand bedienen; Doch weil mich Phöbus nur Cypressen pflanzen läßt, So konnte keine Blum' auf meinem Pindus grünen. Jch griff die Saiten an; doch war kein Freudenhall, Kein angenehmer Ton, kein Brautlied zu verfassen. Es schien, als wollte mich der stete Trauerschall, Nach dem ich singen muß, nichts Schönes singen lassen; Bis mir ein seltner Trieb in Herz und Augen fiel, Den ich, vertrauter Freund, dir jetzt entdecken will. Jch war, ich weiß nicht wo, doch gänzlich außer mir, Jn einer andern Welt, auf angenehmen Höhen; Und sah das schönste Schloß von Jaspis und Porphyr, Jn einem Cedernhain vor meinen Augen stehen. Was weiland Rom, Athen und Babel groß gemacht, War hier weit trefflicherund edler vorgestellet, Weil reiche Lieblichkeit und wundervolle Pracht Sich zu der seltnen Kunst und Zierlichkeit gesellet. Das Auge ward entzückt; die Sinne stimmten ein, Und schlossen, dieses Werk muß mehr als menschlich seyn. Jndem ich aber noch an diesem Wunderbau, Der unvergleichlich war, mich freudenvoll ergötze; So hör' ich eine Stimm': Auf, Sterblicher, komm, schau, Wie hoch des Himmels Gunst die reinen Seelen schätze; Halt aber Augen, Hand, Herz, Ohr' und Zunge rein, Und zieh dich völlig ab von Venus geilem Triebe; Hier glänzt ein göttlichs Licht, ein Engelgleicher Schein; Hier ist, mit einem Wort, der Tempel keuscher Liebe. Komm, lerne, daß die Welt und ihr bethörter Wahn Nicht, wie der Himmel will, die Liebe treiben kann. Damit bewegte sich das diamantne Thor; Die Riegel sprangen ab; ich kam in einen Garten, Der überirdisch war; hier wurden Aug' und Ohr Mit höchster Lust erquickt; die hundertfachen Arten Des schönsten Rosenstocks vermählten ihren Glanz Mit Nelken, Lilien, Violen und Jesminen. Hier stand kein flüchtiger, kein welker Blumenkranz; Die sanfte Frühlingsluft war voller Seraphinen; Die stimmten einen Ton mit Händ' und Lippen an, Dem sich kein Lautenspiel des Orpheus gleichen kann. Nachdem ich mich genug an diesem Ort erquickt; So hieß ein Seraphin mich, über mein Verhoffen, Noch etwas weiter gehn; wie ward ich hier entzückt; Jch fand, o schönster Blick! den Tempel selber offen. Was Rubens, Titian und Sandrart dargethan, Was Raphael, Bernin und Küsel aufgesetzet, Jst bloßes Schattenwerk; das stolze Vatican Wird gegen diesen Bau nur wie ein Tand geschätzet. Hier ist ein solcher Schmuck, dem Gold und Silber weicht, Und dem kein Glanz, kein' Pracht der edlen Steine gleicht. Jch warf, nicht ohne Furcht, ein Aug' auf das Altar; Das hatte Fleiß und Kunst aus köstlichen Magneten Bis in die Höh' geführt, und auf demselben war Ein immer brennend Feur, das keine Kräfte tödten, Kein Wasser dämpfen kann, in reinem Porcellan. Hier läßt, wer stets die Glut des Himmels in dem Herzen Zu unterhalten sucht, und vor der geilen Bahn Der Wollust fliehen will, bei den geweihten Kerzen Sich in ein Bündniß ein, das keinem Tode weicht, Und Gottes milde Gunst mit Haufen auf sich zeucht. Hier sah ich dich, mein Freund, mit deiner Liebsten knien; Jhr trugt ein weißes Kleid, nebst grünen Lorbeerkränzen; Der Himmel that sich auf, und wie es damals schien, So fing der ganze Platz weit schöner an zu glänzen. Die Flamm' auf dem Altar schlug heller in die Höh; Jch hörte hin und her viel süße Saiten klingen; Man wünschte Glück und Heil zu dieser neuen Eh, Und hieß der Sterne Chor ein nettes Brautlied singen. Bis endlich dieser Schall, selbst bei dem Saitenspiel, Aus einer Wolke dir recht in die Ohren fiel: Nimm hin das fromme Kind, der keuschen Liebe Pfand, Und lebe wohlvergnügt in tausendfachem Segen, Bis, nach vollführtem Lauf, der Kindes-Kinder Hand Euch wird zu gleicher Zeit in Eine Grube legen. Dies ist des Himmels Schluß. Hiermit verschwand das Licht, Der Tempel und Altar mit allen Wunderschätzen. Jch aber dachte bald, dies liebliche Gesicht Dir, werther Herzensfreund, wohlmeinend aufzusetzen, Versichert: Trifft der Wunsch nach meinem Willen ein; So werd' ich ein Prophet, nicht ein Poete seyn! 4) vom Freih. v. Cronegk († 1758). Er schrieb, wenige Tage vor seinem Tode, auf seinem Krankenbette, an einen Freund: Wann sich ein Reimer untersteht, Und deines Cronegks Asche schmäht; So sey dein Amt, sein Herz zu rächen! Hier liegt ein Jüngling, kannst du sprechen, Der seines Lebens kurze Zeit Unschuld'ger Musen Scherz geweiht. Hätt' ihm die Parze läng'res Leben Und wen'ger Flüchtigkeit gegeben; So würden seine Schriften rein, Und kritisch ausgebessert seyn. Die Nachwelt wird ihn zwar nicht nennen; Und dies erträgt er ohne Schmerz: Doch sollte sie sein Herz recht kennen, So schätzte sie gewiß sein Herz. 5) von Blumauer († 1798). Brief eines strengen Vaters an seinen Sohn. Ein strenger Vater schrieb an seinen Sohn: „Durch gegenwärt'gen Postillon Erhältst du einen Beutel, wohlbespicket Mit Thalern, den dir ─ ohne daß ich's weiß ─ Hier deine liebe Mutter schicket. Nach einem Monat hohlt, wenn du mit Fleiß Und mit mehr Emsigkeit studirest, Mit meiner Stutte unsre Magd dich ab. Besteige sie, sie geht den besten Trab; Doch hüte dich, daß du sie nicht forcirest. Von dir ist übrigens die Sage allgemein, Du könnest nicht ein Wort Latein Bis Dato sprechen oder schreiben. Jch sagt' es dir ja immerhin: Du bist und bleibst ein Eselskopf! „Jch bin Dein treuer Vater: Hans von Eiben.“ 6) von Karl Wilh. Justi. An Engelschall. (abgekürzt) O selig, wem nach Nacht und Stürmen Entschleiert Gottes Sonne lacht, Die Wogen sich nun minder thürmen, Und Ruhe mit dem Tag erwacht: Doch dreimal selig, wer mit Wonne Sein Tagewerk vollendet denkt, Und der entwölkten Abendsonne Den frohen Blick des Dankes schenkt! Erkenne dich in diesem Bilde, Und lächle der Vergangenheit! Schau froher hin in die Gefilde Der Zukunft ─ deine Rosenzeit. Nun blühet Friede deinen Tagen, Sie fließen sanft und kummerlos; Denn Edelsinn und Weisheit tragen Dich lächelnd in Fortuna's Schoos. Mir aber hätte nicht vergebens Ein Genius den Kelch des Lebens Gemischt aus Wermuth und aus Wein, Um weis' und sittlich gut zu seyn; Und wähnt' ich einsam oft zu gehen, Verlassen, ohne Schutz und Licht; So führt' er mich doch ungesehen, Und gab dem Herzen Zuversicht. Wohl blühten, Trauter, mir hienieden Auch Rosen ─ unsrer Jugend Wahn ─ Doch öfter, ach, war mir's beschieden, Zu wallen auf der Dornenbahn. Hold schwebst du nun im bleichen Bilde, Helldüstere Vergangenheit, Um meinen Geist! Ein Lustgefilde Scheint mir das Thal der Jugendzeit. Es hebt mein Geist sich mit der Sonne, Wenn sie, vom Wolkenflor enthüllt, Mit neuem Glanz und Himmelswonne Die ganze weite Schöpfung füllt! So mahlt sich deinen Seherblicken, Freund, nach der kurzen Winternacht, Die Welt in ungeseh'ner Pracht, Wann einst dein Auge, ganz Entzücken, Beim Urbild' aller Schönheit weilt. Und hast du spät das Ziel ereilt, Dann siehst du deinen Engel winken, Der dich in Gottes Eden führt, Wo deine Seele, tief gerührt, Wird aus der Lebensquelle trinken! Auch mir ruft einst mein Engel zu, ─ Wann meiner Freunde Zähren fließen, Und sanft sich meine Augen schließen, Wie Blumen in der Abendruh; Die bange Wehmuth, spricht er, schweige! Du, trockne deine Thränen ab; Am Hügel steht der Wanderstab, Und wird zum Rosenzweige! 7) von v. Thümmel († 1817). Der Liebhaber an seine junge Geliebte, mit der er schon einige Zeit versprochen war. Du übertreibst, o Freundin meiner Jugend, Den Reiz der Schaam und Sittsamkeit, Und in dem Fieber deiner Tugend Betrügst du dich um Glück und Zeit. Wie lange willst du noch, wie lange Das treuste Band der Ehe fliehn, Und mir zur Qual im kurzen Uebergange Vom Fräulein bis zur Frau ─ verziehn? Du hörst mich nicht? Geliebteste! so höre Doch deiner ersten Mutter Rath; Sie, die das Maas der jungfräulichen Ehre Am richtigsten gemessen hat. Als sie der Herr, mit jedem Reiz umgeben, Der dich jetzt schmückt, ins Leben rief, Bewahrte sie dies jungfräuliche Leben So lange nur, als Adam ─ schlief. 8) von Tiedge. An Rosalia. (Bruchstück) ─ ─ O Freundin, glaub' an diese Lehre: Die Tugend ist sich gleich. Du bist So groß, so gut in deiner Sphäre, Wenn du sie bis zur kleinsten Leere Ganz ausfüllst, wie der Seraph ist, Der freilich eine größre Sphäre, Jedoch mit Sonnenflügeln mißt. Halbherzigkeit ist augenblicklich, Jst nur ein Ton, nicht Melodie; Nicht Eine Tugend, Harmonie Der Tugenden macht glücklich. Hier liegt die Kunst, die jeder nennt, Die hochgepriesne Kunst, zu leben. Das Leben ist ein Jnstrument, Von Gott uns in die Hand gegeben; Von ihm zu Wahrheit und Verstand Ganz rein gestimmt; nur, Harmonieen Für Geist und Herz daraus zu ziehen, Das überließ er unsrer Hand. Da leiert freilich mancher Stümper An Geist und Herzen, unserm Ohr Sein unmelodisches Geklimper Nicht ohne eignes Bravo vor. Wie lieblich hallt aus Griechenland Die edle Harmonie herüber, Die Sophroniskus Sohn verstand! Wie, Freundin, oder hörst du lieber Den Mann von Nazareth, den Mann, Der für die Tugend starb? Wohlan! Jch folge dir zur Felsenhöhle, Wo dieser Göttermuth entschlief, Der aus der größten Menschenseele Der Tugend Harmonieen rief, Ein Leben rief, das durch die Stürme Des Schicksals so harmonisch floß, So friedlich, wie es in dem Schirme Der Zöllnerhütte sich ergoß. Ein Geist so hell, ein Herz, vom Staube Der Pilgerschaft so unbestreut, Vereinen sich zur Göttlichkeit, An die ich voller Rührung glaube. Und dieser Geist, der sich geweiht Jm Lebensstral der Wahrheit sonnte, Jst ein Gestirn, das hell und schön Hervortritt, um am Horizonte Der Menschheit herrlich aufzugehn. Der edle Mann lebt nie vergebens; Er geht einst, hemmt sich hier sein Lauf, Nach Sonnenuntergang des Lebens, Als ein Gestirn der Nachwelt auf. O blicke zu dem Mann des Strebens, Mit stiller Andacht blick' hinauf! Wir sehn ihn unter seinen Freunden, Ganz Friede, tragende Geduld; Dort steht er mitten unter Feinden, Groß, wie der Sieg; sanft, wie die Huld. Hier predigt er. Mit welcher Weihung Reißt seiner Lehre Geist und Sinn Zur Wahrheit seiner Tugend hin! Dort spricht er göttliche Verzeihung Herab auf eine Sünderin. Hier stillt er thränenvolle Klagen, Und dort verschmäht er einen Thron. Wer ist der Mann, um für den Lohn Der Wahrheit Alles das zu tragen? Er sagt es selbst ─ ein Menschensohn, Der, weil er anders war und glaubte, Als ihm des Wahnes Täuschungsspiel Zu glauben und zu seyn erlaubte, Zum Opfer seiner Wahrheit fiel. Er geht, mit ruhiger Erhebung Zum Himmel, den er selbst sich gab, Den dunkeln Todesweg hinab; Sein letztes Athmen spricht Vergebung Auf seine Peiniger herab. Er fühlt sein Werk. Durch das Getümmel Der Feind' und durch die Todesnacht Drängt dies Gefühl mit Göttermacht, Und strömt in sein: Es ist vollbracht! Den fürchterlich errungnen Himmel. O dieser Zauber hält uns fest; Durchglüht uns, wie ein mildes Feuer; Er reißt uns fort, daß ihren Schleier Die Seel' im Fluge fallen läßt, Und wie in einer Engelfeier, Wo unter ihr die Sorge wühlt, Die nahende Vergött'rung fühlt. 9) von Müchler. Liebesbrief eines Sprachmeisters. Nein, es genügt dir nicht ein Brief im Substantiv; Verschönern möcht' ich ihn durch manches Adjectiv; Zu schwach ertönt mein Lied von deinem Nom'nativ, Denn meine Muse steht, ach, stets im Genitiv, Und niemals war für mich Apollo ein Dativ; O, Holde, sey für mich nie ein Accusativ! Taub blieb der Musengott bei meinem Vocativ, Und immer steh' ich nur bei ihm im Ablativ. Nimm meine Huldigung; denn sie ist positiv, Und meine Zärtlichkeit kennt keinen Comp'rativ; Bis zu des Lebens Ziel bleibt sie superlativ. Welch Glück, erschiene sie dir recht indicativ. Stell' auf die Probe sie durch den Jmperativ, Sie übertrifft gewiß den höchsten Optativ. Jn meinem Herzen bleibt die Lieb' infinitiv; Und hiermit schließ' dein Knecht in Demuth seinen Brief. 10) von Schink. An das Ding in Kiel. (Aus dem Liter. Merkur, 1820. St. 99.) Du sprichst von Christenthum, und willst ein Lutherthum Nach deiner Mache darauf gründen? Blödsinniger, du lästerst Luthers Ruhm, Und ladest auf ihn deine Sünden. Er wollte Licht, du willst die Finsterniß; Er löste, wie sein Herr und Meister, Von Knechtschaft die gefangnen Geister; Du stürztest gern, wärst du des Siegs gewiß, Zurück ins Joch die Freigewordnen wieder, Und schleudertest, wie der in Rom Einst vor Jahrhunderten, aus Peters heilgem Dom, Gern Jnterdict und Bannstral nieder; Wärst gern, wie er, dreifach gekrönt Mit obermönchischer Tiare, Jn deinem schwarzen Amtstalare Kiels Papst. Dein blinder Wahn verhöhnt Das heiligste der Menschenrechte, Des Geistes Freiheit, die Vernunft. Nicht Christen machst du, Priesterknechte, An Christus Glauben nicht, an dich und deine Zunft. Und wähnest du, es werde dir gelingen, Zurück zu führen Nacht ins helle Reich des Lichts? Du irrst dich, Päpstlein, irrst! Die Nacht wird dich verschlingen, Und die Tiare, die du faselst zu erringen, Ein Strohkranz ist sie ─ weiter nichts! 64. c ) Die dichterische Schilderung. Obgleich die schöpferische Einbildungskraft überhaupt daran erkannt wird, daß sie die ihr vorschwebenden Gegenstände schildert, indem sie jeden einzelnen Theil der dargestellten Form unter bestimmten und lebensvollen Umrissen zeichnet und die Gesammtheit dieser Theile zur Einheit der ästhetischen Form erhebt; so giebt es doch auch eine selbstständige Gattung der Dichtkunst, die dichterische Schilderung, durch welche entweder die Erscheinungen des äußern, oder die Erscheinungen des innern Sinnes, nach dem innerhalb des Gefühls wahrgenommenen nothwendigen Zusammenhange zwischen diesen Erscheinungen, gleich einer plastischen Form, zu einer in sich abgeschlossenen (objectiven) Einheit ausgeprägt werden. ─ Denn dem Dichter erscheint eben so die Natur- und Menschenwelt, wie die Geisterwelt und die Kunstwelt, als ein in sich abgeschlossenes vollendetes Ganzes. Schildert er daher, im Drange seiner Gefühle, die Erscheinungen der Natur (z. B. Opitz den Vesuv, Haller die Alpen, v. Kleist den Frühling, Zachariä die Tageszeiten, Kosegarten Arkona, v. Matthisson den Genfersee &c.); oder schildert er menschliche Formen, oder die Regungen der Liebe; so dürfen sie nicht blos nach ihren Einzelnheiten, sie müssen vielmehr nach ihrer innigen und unauflöslichen Verbindung zu kleinern oder größern sinnlichen Ganzen dargestellt werden. So entstehen im Gebiete der Dichtkunst die Naturgemählde, nach der Aehnlichkeit verwandter Kunstformen in der Mahlerei und Bildnerei. Auf gleiche Weise gestaltet die schöpferische Einbildungskraft des Dichters die Ankündigungen und Erscheinungen der übersinnlichen Welt in seinem Jnnern zu einer in sich abgeschlossenen Schilderung, in welcher die einzelnen Theile (Jndividuen, Geister, Thatsachen u. s. w.) zwar als besondere Glieder des Ganzen mit Bestimmtheit erkannt, zugleich aber auch nach ihrem Verhältnisse zu dem mit hoher Lebendigkeit und Kraft gehaltenen und durchgeführten ästhetischen Ganzen versinnlicht werden. (So v. Schiller die Götter Griechenlands, Manso die Jnseln der Seligen, v. Matthisson Elysium, Jean Paul viele Naturgemählde, Träume u. a.) Wenn nun auch die einzelne dichterische Schilderung, je nachdem sie entweder die Versinnlichung unmittelbarer Gefühle, oder die Versinnlichung von Gefühlen enthält, die bald durch Jdeen der Vernunft, bald durch Thatsachen der Vergangenheit, bald durch Stoffe aus der Mythologie und Geisterwelt veranlaßt werden, entweder der lyrischen, oder der didactischen, oder der epischen Form der Dichtkunst angehört; so kann doch, eben wegen der großen Verschiedenheit des Ursprungs und der Anregung der individuellen Gefühle, welche der dichterischen Schilderung zum Grunde liegen, diese höchst vielseitige dichterische Form nur in der Ergänzungsklasse dichterischer Formen aufgeführt werden. 65. Beispiele derselben. 1) von Jacob Schwieger († nach 1665). (Aus s. geharnschten Venus, die er Hamb. 1660 unter dem Namen: Filidor der Dorfferer, herausgab.) Es ist ein Ort in düstrer Nacht, Wo Pech und blauer Schwefel brennet, Deß hohler Schlund nie wird erkennet, Als wenn ein Blitz ihn heiter macht; Mit Schlamm und schwarzen Wasserwogen Jst sein verfluchter Sitz umzogen. Megära denkt da Martern aus Mit ihren Schwestern, denen Schlangen Um die vergift'ten Schläfen hangen; Dort ist die Grausamkeit zu Haus; Dort wohnet Neid und Widerwillen, Man höret da des Cerbers Brüllen. Jxions Marterrad ist da, Und Tantalus, zum Durst verbannet; Der Tityus steht ausgespannet, Und wünscht, sein Ende wäre nah. Dort sind die ausgehöhlten Fässer Jn Lethens dunklem Todgewässer. Zu dieser Höhlen ist bestimmt, Wer mit der zarten Liebe spottet. Wer gegen Amor auf sich rottet, Und wilder Venus Waffen nimmt, Treibt mit Verliebten Scherz und Possen, Wird hier in Ketten eingeschlossen. Hingegen ist ein grünes Thal, Wo die beblümten Weste kühlen; Hier höret man von Saitenspielen, Von Lust und Freuden ohne Zahl; Die Felder blühn in bunten Nelken Und Rosen, welche nie verwelken. Hier wehet eine Zimmetluft; Man höret hier ohn' Ende schallen Den Schlag der muntern Nachtigallen; Hier ist kein Frost, kein Nebelduft; Kein Blitz, kein Donnerschlag, noch Regen, Zieht schwarzen Wolken hier entgegen. Hier ist ein milder Liebesstreit; Das junge Volk spielt mit Jungfrauen Auf Elis bunten Silberauen; Scherz, Liebe, Lust und Fröhlichkeit, Vergnügung, Ruh und süßes Lachen Verkürzt ihr unaufhörlichs Wachen. Wohl dem, der sich der Lieb' ergiebt! Der wird, bekrönt mit Myrthenkränzen, Genießen dieses kurzen Lenzen; Wohl dem, der keusch und treulich liebt! Jhn wird mit Sieg, Triumph und Singen Der bleiche Charon überbringen. 2) von Georg Schottel († 1676). (Bruchstück aus „ der nunmehr hinsterbenden Nymphen Germaniae elendesten Todesklage “, Braunschw. 1640. 4., wo er die Geister der teutschen Vorfahren redend einführt.) ─ Soll dieses Teutschland seyn? So würden sie wohl sagen, Das alte Vaterland, worinnen wir geschlagen Und donnergleich erlegt, wer nur kam übern Rhein? Hie ist das Land ja nicht; es kann gewiß nicht seyn. Es muß sein Scytherland, der Tartaren Gebiete, Ein Land voll Grimmigkeit, erfüllt mit Höllen Wüte. Es ist die Barbarei, da wilde Drachen seyn. Sie speien Feur, auf daß sie selbst sich äschern ein. Nein, es muß Teutschland seyn! Die Sternen uns nicht trügen. Der Rhein und Elb' ist hie; die Luft selbst kann nicht lügen. Der blau schwarz dicke Harz; schaut, hie ist noch der Ort, Da Varus biß ins Gras. Die Donau läuft noch fort. Hier wurden von der See die Leiber angetrieben, Nachdem der Römer Volk samt tausend Schiffen blieben, Hier hielt Germanicus! Dort floh hin der Cäcin! Der Menschenwürger auch, der Cäsar, zog hier hin! Es ist das Land, da wir gebohren und erzogen, Und mit der ersten Milch die Tugendlust gesogen. Es wird ohn Zweifel seyn von Grund auf umgekehrt. Wir sehens überall verwüstet und verheert, Der Gallier Gesind, das sehen wir bei Haufen. Dort tritt ein Wälscher her. Schau, wie sie herrisch laufen Die Spanier, recht aus Trotz! Hier zieht ein Schotte an; Ein Schwede und ein Finn steht dort beim Engelsmann. Ein Unstern böser Art muß haben dir geleuchtet; Ein giftig reicher Thau hat durch und durch befeuchtet Dich, liebstes Vaterland; bist du nun so veracht, Erbettelst Recht und Schutz vom Glück' und fremder Macht! 3) von v. Hoffmannswaldau († 1679). Lobrede auf das liebwertheste Frauenzimmer. (Bruchstück) Hochwerthes Jungfernvolk, ihr holden Anmuths-Sonnen, Jhr auserwählter Schmuck, der Haus und Gassen ziert. Wer ist so steinern, der euch nicht hat liebgewonnen? Und welchen habt ihr nicht mit Fesseln heimgeführt? Wer ist so kühn, der darf vor eure Augen treten, Wenn ihr die Waaren habt der Schönheit ausgelegt? Wer will euch, Liebste, nicht als einen Gott anbeten, Weil ihr das Bildniß seyd, das Venus selbst geprägt. Jedoch ich will nur blos ein Theil von dem berühren, Mit welchem die Natur euch herrlich hat versehn. Der Sinnen Schiff soll mich in solche Länder führen, Wo auf der See voll Milch nur Liebeswinde wehn. Die Brüste sind mein Zweck, die schönen Marmorballen, Auf welchen Amor ihm ein Lustschloß hat gebaut; Die durch das Athemspiel sich heben und auch fallen, Auf die der Sonne Gold wohlriechend Ambra thaut. Sie sind ein Paradies, in welchem Aepfel reifen, Nach deren süßer Kost jedweder Adam lechzst, Zwei Felsen, um die stets des Zephyrs Winde pfeifen, Ein Garten schöner Tracht, wo die Vergnügung wächst; Ein überirdisch Bild, dem alle opfern müssen, Ein ausgeputzt Altar, vor dem die Welt sich beugt; Ein krystalliner Quell, aus welchem Ströme fließen, Davon die Süßigkeit den Nektar übersteigt. Sie sind zwei Schwestern, die in Einem Bette schlafen, Davon die eine doch die andre keinmal drückt; Zwei Kammern, welche voll von blanken Liebeswaffen, Aus denen Cypripor die goldnen Pfeile schickt. Sie sind ein zäher Leim, woran die Sinne kleben; Ein Feuer, welches macht die kältsten Herzen warm; Ein Bezoar, der auch Entseelten giebt das Leben; Ein solcher Schatz, vor dem das Reichthum selbst ist arm. Ein kräftigs Himmelsbrod, das die Verliebten schmecken; Ein Alabasterhaus, so mit Rubinen prahlt; Ein süßer Honigseim, den matte Seelen lecken; Ein Himmel, wo das Heer der Liebessterne strahlt; Ein scharf geschliffen Schwert, das tiefe Wunden hauet, Ein Rosenstrauch, der auch im Winter Rosen bringt; Ein Meer, worauf man der Sirenen Kräfte schauet, Von denen das Gesäng bis in die Seele dringt. Sie sind ein Schneegebirg, in welchem Funken glimmen, Davon der härtste Stahl wie weiches Wachs zerfleußt; Ein wasserreicher Teich, darinnen Fische schwimmen, Davon sich sattsam ein verliebter Magen speist. Sie sind der Jugend Lust, und aller Kurzweil Zunder, Ein Kranz, in welchem man die Keuschheitsblume sieht; Sie kürzen Langezeit, und stiften eitel Wunder, Weil beides Glut und Schnee auf ihrem Throne blüht. Sie sind ein Blasebalg, ein Feuer aufzufachen, Das durch kein Mittel nicht kann werden ausgelöscht. Zwei Beete, wo Rubin und Marmel Hochzeit machen, Wo süße Mandelmilch der Rosen Scharlach wäscht. Ein werthes Heiligthum, das keusche Lippen küssen, Vor dem sich Herz und Knie in tiefster Demuth neigt; Ein Meer, aus dem sich Lust und Lieblichkeit ergießen; Ein Bergwerk, dessen Grund zwei Demantsteine zeigt. u. s. w. 4) von v. Lohenstein († 1683). Siegeskranz der auf dem Schauplatze der Liebe streitenden Röthe. (abgekürzt) Schwarz . Jhr Schwestern, unser Glanz führt in sich Anmuthsquellen, Nährt Zunder reiner Brunst, hat Oele süßer Glut. Doch können wir uns nicht in gleichen Reihen stellen; Der steht der Vorzug zu, die größte Wunder thut. Welch Richter soll nun nicht für mich sein Urtheil fällen? Mein Stral zermalmet Erz, macht brennend Eis und Flut. Wenn kalte Seelen soll'n der Liebe Wirkung fühlen, Muß mein liebäugelnd Blitz aus meinen Wolken spielen. Weiß . Kein düstrer Schatten gleicht sich hellen Sonnenstralen; Mein Glanz tilgt deinen Dunst, mein Schimmer deine Nacht. Der schöne Himmel muß mit meinem Silber prahlen; Schau, wie die weiße See mit meinen Perlen lacht. Narziß und Lilie muß den Schoos der Erde mahlen; Was schön ist in der Welt, wird weiß ans Licht gebracht. Aus der verspritzten Milch der Juno mußten werden Die Milchstraß' im Gestirn, und Lilien auf der Erden. Roth . Gebt Schwestern mir den Preis im holden Liebeskriege; Der Liebe Glut läßt sich in Schnee nicht hüllen ein. Die Purpurmuschel war der Venus erste Wiege; Cupido muß gesäugt mit rothen Flammen seyn. Selbst die Natur steckt aus Merkmale meiner Siege, Des Himmels Garten blümt der Sterne rother Schein. Mit Rosen prangt die Welt, das Wasser mit Korallen, Wenn alle drei verliebt einander woll'n gefallen. Schwarz . Sagt, wie ihr dort und da geborgte Farben nehmet; Wenn ihr entfärbt seyd, scheint mein nie erbleichend Licht. Der Schnee erblaßt vor mir, die Röthe steht beschämet, Wenn ein verliebter Stral aus schwarzen Augen bricht. Aus diesen Wolken wird der Liebe Blitz gesämet; Es fährt aus heller Luft, aus Regenbogen nicht. Der Liebe Zeughaus ist in diese Nacht gebauet, Wo man mehr Sonnenschein, als nicht am Tage, schauet. Weiß . Wenn meine Lilien gleich nicht woll'n den Rosen weichen, Da, wo die Braut von sich der Liebe Samen streut; So muß mein Silber doch nur vor der Röth' erbleichen, Wo ihren reinen Geist der süße Trieb erfreut. Jedoch ich werde noch des Ruhmes Zweck erreichen, Wenn, süßes Paar, mein Trieb euch noch was Lust verleiht. Weil sich mein Schnee nicht wird von euern Gliedern trennen, Wird süßer Liebesreiz in euern Herzen brennen. Roth . Kommt, Schwestern, kränzet mich mit Ros- und Myrthen=Zweigen; Komm, Venus, opfere den goldnen Apfel mir. Weil meine Flamme muß die Liebesfackel zeugen; So zieht ihr Nymphen mich jetzt allen Farben für. Es kann die keusche Braut nicht meinen Trieb verschweigen, Der Wangen Röthe mahlt den Liebsten ab in ihr. Ja morgen wird die Braut durch Schamröth' uns entdecken, Daß starke Liebeskraft im Rothen müsse stecken. 5) von Joh. Nic. Götz († 1781). Die Welt. Die Welt gleicht einer Opera, Wo jeder, der sich fühlt, Nach seiner lieben Leidenschaft Des Lebens Rolle spielt. Der Eine steigt die Bühn' hinauf Mit einem Schäferstab; Ein Andrer, mit dem Marschallsstab, Sinkt, ohne Kopf, herab. Wir armer guter Pöbel stehn Verachtet, doch in Ruh, Vor dieser Bühne, gähnen oft, Und sehn der Fratze zu. Die Kosten freilich zahlen wir Fürs ganze Opernhaus; Doch lachen wir, mißräth das Spiel, Zuletzt die Spieler aus. 6) von Gotter († 1797). Die Neuvermählte an ihrem Hochzeitballe. Leicht schwebt durch die Reihen, die staunend sich trennen, Leicht schwebt sie am Arme des Liebenden hin, Gott Hymens jüngste Priesterin. Kaum wagen's die Mädchen, sie Schwester zu nennen; Mit forschenden Blicken und trauterem Sinn Umarmen die Weiber die neue Geweihte; Die Männer beneiden dem Sieger die Beute; Den Jünglingen drängen, im Taumel der Lust, Sich Seufzer der Sehnsucht aus klopfender Brust. So feiert, im Schauspiel, das Jauchzen der Menge, Bewillkommnen Tänze, begrüßen Gesänge Ein glückliches Paar, im entscheidenden Act. O schwebt, von gefühlvollen Zeugen umgeben, So leicht und harmonisch auf Blumen durchs Leben; Den Ton gebe Freundschaft, und Liebe den Tact! 7) von Schubart († 1791). Die Messiade. Willst du dich auf gen Himmel schwingen, Und hören, was die Engel singen, Und hören, was Jehova spricht; So lies dies himmlische Gedicht! Willst du den Mittler hangen sehen, Ach, auf des Schädelberges Höhen, Mit jammerbleichem Angesicht; So lies dies christliche Gedicht! Willst du in Glut und Schwefelmeeren Das Brüllen der Satane hören, Gedrückt vom Fluch und vom Gericht; So lies dies schreckliche Gedicht! Willst du gesalbte Männer, Frauen, Und Mädchen, gleich den Engeln, schauen, Getreu der gottgeweihten Pflicht; So lies dies heilige Gedicht! Willst du, bei Harmonie der Sphären, Die teutsche Sprache donnern hören Mit felsensplitterndem Gewicht; So lies dies Vaterlandsgedicht! Willst du in süßen Sympathieen, Voll Ahnung jenes Lebens, glühen, Und wünschen, daß dein Auge bricht; So lies dies göttliche Gedicht! 8) von Jean Paul. ─ Die Pyrenäen ruhten groß, halb in Nächte, halb in Tage gekleidet, um uns, und bückten sich nicht, wie der veraltende Mensch, vor der Zeit, sondern erhoben sich ewig, und ich fühlte, warum die Alten die Gebirge für Giganten hielten. Die Häupter der Berge trugen Kränze und Ketten von Rosen aus Wolken gemacht. Aber so oft sich Sterne aus dem leeren tiefen Aethermeere herausdrängten, und aus den blauen Wolken glänzten; so erblichen Rosen an den Bergen und fielen ab. Nur das Mittagshorn schaute, wie ein höherer Geist, lange der tiefen einsamen Sonne nach und glühte entzückt. Ein tieferes Amphitheater aus blühenden Citronenbäumen zog uns mit Wohlgerüchen auf die eingehüllte Erde zurück, und machte aus ihr ein dunkles Paradies. Und die Nachtigallen wachten in den Rosenhecken am Wasser auf, und zogen mit den Tönen ihres kleinen Herzens tief in das große menschliche. Und glimmende Johanniswürmchen schweiften um sie von Rose zu Rose; und im spiegelnden Wasser schwebten nur fliegende Goldkörner über gelbe Blumen. ─ Aber da wir gen Himmel sahen, schimmerten schon alle Sterne, und die Gebirge trugen, statt der Rosenketten, ausgelöschte Regenbogen, und der Riese unter den Pyrenäen war statt der Rosen mit Sternen gekrönt. ─ O müßte dann nicht jeder entzückten Seele seyn, als falle von der gedrückten Brust die irdische Lust, als gebe uns die Erde aus ihrem Mutterarme reif in die Vaterarme des unendlichen Genius, ─ als sey das leichte Leben verweht? ─ Wir kamen uns wie Unsterbliche, und erhabener vor; wir wähnten, das Sprechen über die Unsterblichkeit habe bei uns den Anfang der unsrigen bedeutet. 9) von Oehlenschläger. Johannes in der Wüste. Fort, fort, ihr Otterngezüchte, fort! Verpestet mit Nebeln nicht die heilige Luft! Fort! Suchet im Moore den Wohnungsort! Nistet tief, tief in der Felsenkluft! Aber fort, daß der Blüthenduft Samenschwanger befruchte den Ort. Flieht, gehorcht meinem Wort. Jn euern Nebeln nistet nur Laster und Tod; Jhr verschleiert das steigende Morgenroth, Erstickt, wie Herodes, die Kindelein, Damit der Heiland nicht soll gedeihn. Aber er gedeiht! ich künd' es euch an. Fort! daß er wachsen und blühen kann! Brauset, ihr Eichen, und schüttelt das lockige Haar. Krachet tief in die mächtigen Wurzeln hinein; Laut will ich zornig im Winde schrein, Damit das Gesindel verzage gar. Es sterbe, was nicht befördert des Lebens Heil. An Baumes Wurzel lieget das Beil, Und welcher Baum der nicht gedeiht ─ Den hau' ich um und werf' ihn weit; Weit, ohn' alle Barmherzigkeit! Fort vom Ort! Jhr Schlangen, ihr Molch', ihr Kröten! Bald wird Sonne die Luft erwärmen, erröthen, Wecken im Waldsgrün unzählige Flöten, Euch mit euern Dünsten tödten. Darum flieht Weit vom Gebiet. Fort, gehorcht des Zornes Lied! 10) von Ludw. Tieck. Bruchstück aus der „ Frühlingsreise. “ ─ Nie vergißt der Frühling wieder zu kommen, Wenn Störche ziehn, wenn Schwalben auf der Wiese sind. Kaum ist dem Winter die Herrschaft genommen; So erwacht und lächelt das goldne Kind. Dann sucht er sein Spielzeug wieder zusammen, Das der alte Winter verlegt und verstört; Er putzt den Wald mit grünen Flammen, Der Nachtigall er die Lieder lehrt. Er rührt den Obstbaum mit röthlicher Hand; Er klettert hinauf die Aprikosenwand; Wie Schnee die Blüthe noch vor dem Blatt ausdringt; Er schüttelt froh das Köpfchen, daß ihm die Arbeit gelingt. Dann geht er, und schläft im waldigen Grund, Und haucht den Athem aus, den süßen; Um seinen zarten rothen Mund Jm Grase Viol' und Erdbeer sprießen. Wie röthlich und bläulich lacht Das Thal, wann er erwacht! Jn den verschloßnen Garten Steigt er über's Gitter in Eil, Mag auf den Schlüssel nicht warten; Jhm ist keine Wand zu steil. Er räumt den Schnee aus dem Wege, Er schneidet das Buxbaum-Gehege, Und feiert auch am Abend nicht; Er schaufelt und arbeitet im Mondenlicht. Dann ruft er: wo säumen die Spielkameraden, Daß sie so lange in der Erde bleiben? Jch habe sie alle eingeladen, Mit ihnen die fröhliche Zeit zu vertreiben. Die Lilie kommt und reicht die weißen Finger; Die Tulpe steht mit dickem Kopfputz da; Die Rose tritt bescheiden nah, Aurikelchen und alle Blumen, vornehm und geringer. Der bunte Teppich ist nun gestickt: Die Liebe tritt aus Jasminlauben hervor. Da danken die Menschen, da jauchzt der Vögel ganzes Chor; Denn alle fühlen sich beglückt. Dann küßt der Frühling die zarten Blumenwangen, Und scheidet und sagt: ich muß nun gehn; Da sterben sie alle an süßem Verlangen, Daß sie mit welken Häuptern stehn. Der Frühling spricht: Vollendet ist mein Thun, Jch habe schon die Schwalben herbestellt, Sie tragen mich in eine andre Welt; Jch will in Jndiens duftenden Gefilden ruhn. Jch bin zu klein, das Obst zu pflücken, Den Stock der schweren Traube zu entkleiden, Mit der Sense das goldene Korn zu schneiden; Dazu will ich den Herbst euch schicken. Jch liebe das Spielen, bin nur ein Kind, Und nicht zur ernsten Arbeit gesinnt; Doch wenn ihr des Winters überdrüssig seyd, Dann komm' ich zurück zu eurer Freud', Die Blumen, die Vögel, nehm' ich mit mir, Wann ihr erntet und keltert, was sollen sie hier? Ade! Ade! ist die Liebe nur da, So bleibt euch der Frühling ewiglich nah! 11) von Schink. Tyrannentod. Das Angesicht vom Schrecken bleich, Von Nacht das Aug' umgeben, Lag ein Tyrann in kaltem Schweis, Und rang mit Tod und Leben. Starr stand das Hofgesind' um ihn, Still, wie des Grabes Höhle. Er aber zuckte, röchelte, Und sträubend floh die Seele. Als sie empor fuhr, schwebt' auf sie Mit blutigem Gefieder Aus düsterm, nächtlichem Gewölk Ein Todesengel nieder. Dem hochgeschwungnen Schwert entfuhr Ein ganzes Meer von Flammen. „Mir nach ─ erscholl des Rächers Ruf ─ Und höre dich verdammen!“ Sie folgte. Abermals rief's laut: „Hier weile! Dir vorüber Gehn deines Lebens Thaten jetzt, Sieh, und verzweifle drüber. Der Spiegel der Vergangenheit Sinkt deinen Augen nieder, Und jede That des Unrechts kehrt Jn dein Gedächtniß wieder!“ Also geschah's. Geschändeter, Erwürgter Unschuld Jammer; Entweihete Mysterien Jn stiller Tugend Kammer; Hier eine Kindesmörderin, Dort, zugesellt den Todten, Ein überschmeichelt treues Weib Umschwebten den Despoten. Dann sah er sich auf seinem Thron, Und an des Thrones Füßen Ein bleiches ausgemergelt Volk Für seine Prachtsucht büßen. Er trank der Unterthanen Fleiß Aus funkelnden Pokalen, Fraß seines Landes fettes Mark Bei seinen Königsmahlen! Sah ein unendlich Leichenfeld Jm ungerechten Kriege; Vernahm des Elends Angstgeschrei Bei jedem seiner Siege; Geheul um ihn, und Ströme Bluts, Und Schädel, halb gebrochen, Wollt' er entfliehn, und stürzt', und sank Bleich unter Todtenknochen. „Verdammt, rief jeder Schädel laut. Fluch, rauschte jede Welle Des Blutstroms um ihn, Ungeheu'r! Hinab, hinab zur Hölle!“ Er stürzt, umzischt vom Rächerschwert, Umblitzt von seinen Flammen; Und alle Knochen rasselten Hoch über ihm zusammen! 66. d ) Die Parabel und Paramythie Die Allegorie und Vision, die, als selbstständige dichterische Ganze betrachtet, auch hier aufgeführt werden konnten, sind bereits, in der Lehre von den Tropen, Th. 1. S. 461 und 465 theoretisch und practisch erläutert worden. . Die Parabel enthält die Darstellung einer Handlung, die das Sinnbild einer höhern Wahrheit der Vernunft oder eines sittlichen Grundsatzes in sich einschließt, unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. So wie das Gleichniß aus einer fortgesetzten und durchgebildeten Vergleichung entsteht; so die Parabel aus einem völlig durchgebildeten Gleichnisse. Sie trägt den Charakter des Epischen, weil sie eine Handlung in den Mittelpunct der Darstellung stellt; allein sie ist auch der didactischen und lyrischen Dichtkunst nahe verwandt, weil sie die Handlung nicht ihrer selbst wegen, wie der epische Dichter, sondern als Versinnlichung einer Vernunftwahrheit oder eines ewig gültigen Grundsatzes der Sittlichkeit, unter der bildlichen Hülle darstellt, und weil dieser von der selbstthätigen Einbildungskraft bewirkten freien Versinnlichung eine hohe Bewegung des Gefühlsvermögens zum Grunde liegt, ohne welche die Parabel überhaupt nicht das Gepräge der Dichtkunst tragen könnte. Dadurch unterscheidet sich denn auch die Parabel wesentlich von der Allegorie und der Fabel. Denn die Allegorie (Th. 1. S. 461) nennt den eigentlichen Gegenstand, der versinnlicht werden soll, nicht selbst, sondern läßt ihn unter einem ihm völlig entsprechenden Bilde erscheinen; auch ist es nur zufällig, wenn die Allegorie eine Vernunftwahrheit oder einen sittlichen Grundsatz versinnlicht, weil sie auf gleiche Weise auch das Gegenbild von etwas Mythischen, Geschichtlichen u. s. w. ästhetisch vollendet aufstellen kann. Noch bestimmter unterscheidet sich die Parabel von der Fabel (§. 49.), deren eigenthümlicher Charakter auf der Versinnlichung menschlicher Handlungen und Zustände in dem, der menschlichen Freiheit verwandten, Kreise des Jnstinkts beruht. Die Paramythie, von Herder mit diesem Namen belegt, und (in s. zerstreuten Blättern ) in vielen gelungenen Formen ausgeprägt, enthält die ästhetisch vollendete Darstellung eines Jndividuums, einer Begebenheit, oder einer Handlung, die den orientalischen oder griechischen Mythen des Alterthums angehören, mit einer modernen Deutung und Beziehung. Die Paramythie hat durchgehends eine epische Unterlage; allein gewöhnlich waltet in ihr der Ton des Gefühls noch stärker vor, als in der Parabel. Beiden, der Parabel und Paramythie, ist es wesentlich, daß ihr Ausdruck natürlich, einfach und ungekünstelt sey, damit auch der Verstand und das Gefühl des Volkes und der Jugend den gemeinten Gegenstand, oder die versinnlichte Wahrheit, unter der sinnbildlichen Hülle sogleich wiedererkenne, und diese, vermittelst der vollendeten ästhetischen Form, einen desto tiefern Eindruck auf das Gefühlsvermögen hevorbringe. 67. Beispiele der Parabel und Paramythie. a ) der Parabel. 1) von Krummacher. Der Blinde. Ein Blinder stand mit aufgerichtetem Haupte in den Stralen der milden Frühlingssonne. Jhre Wärme durchströmte seine Glieder, und ihr Glanz senkte sich auf die dunkeln Globen seines Angesichts, das er unverwandt ihr darbot. O du unbegreifliches Lichtmeer! rief er aus, du Wunder der allmächtigen Hand, die dich erschuf, und auf deiner herrlichen Bahn dich leitet. Aus dir strömet ewige Fülle, Leben und Wärme, und nie versieget deine Kraft! Wie groß muß der seyn, der dich gebildet hat! So sprach der blinde Mann. Seine Rede vernahm ein Anderer, der neben ihm stand. Und es befremdeten ihn die Worte des Blinden. Deshalb begann er und fragte: Wie kannst du das Gestirn des Tages bewundern, und siehest es nicht? Da antwortete der Blinde und sprach: Eben darum, mein Freund. Seit das Licht meiner Augen verdunkelt und der Glanz der Sonne mir verschlossen ward, nahm ich sie in meine Seele auf! Jedes Gefühl ihrer Nähe lässet sie in mir selbst aufgehen, und ihren Glanz in meinem Jnnern leuchten. Jhr aber schauet sie nur, wie alles, was ihr täglich sehet, mit leiblichem Auge! 2) von Hamann. Frage und Antwort. „Wie kömmt's doch, daß von allen Blumen, die Auf Feld und Anger blühn, so wenig nur Den Wohlgeruch, den süßen Duft uns weihn, Der dieses Veilchen hier so werth uns macht? Sie trinken alle doch denselben Thau, Denselben Stral der Sonne und des Monds; Sie sprossen alle ja aus Einem Schoos, Und Eine Mutter ist es, die sie nährt!“ ─ So sprach der Jüngling zu dem weisen Mann. „Wie kommt's, mein Sohn, erwiedert der, daß von Den Menschen nicht ein Jeder Wohlgeruch Zum Himmel schickt durch edle, gute That? Hat die Natur doch Keinen je versäumt! Es leuchtet Jedem ja die Sonne mild, Und milder noch der Mond. Für Jeden schmückt Die Erde sich mit goldner Frucht. Es wölbt Für Jeden sich der blaue Aether, weht Mit kräft'gem Lebenshauch um seine Stirn. Es flimmert Jedem doch der Stern des Rechts, Und Jedem schallt die Stimme des Gefühls!“ b ) der Paramythie. 1) von v. Herder. Der sterbende Schwan. „Muß ich allein denn stumm und gesanglos seyn? sprach seufzend der stille Schwan zu sich, und badete sich im stillen Glanze der schönsten Abendröthe; beinahe ich allein im ganzen Reiche der gefiederten Schaaren. Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer meine Wellen ziehe, und mich im Abglanze des Himmels trunken verweile. ─ Wie wollte ich dich singen, goldene Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes niedertauchen und sterben.“ Stillentzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich lockte. Es war der Gott der Abend=und Morgensonne, der schöne Phöbus. „Keusches, liebliches Wesen, sprach er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner verschwiegenen Brust nährtest, und sie konnte dir nicht eher gewährt werden.“ Kaum hatte er das Wort gesagt; so berührte er den Schwan mit seiner Leier, und stimmte auf ihr den Ton der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton den Vogel Apollo's, und aufgelöset und ergossen sang er in die Saiten des Gottes der Schönheit, dankbar froh besingend die schöne Sonne, den glänzenden See, und sein unschuldiges seliges Leben. Sanft, wie seine Gestalt, war das harmonische Lied; lange Wellen zog er daher in süßen entschlummernden Tönen, bis er sich ─ im Elysium wieder fand, am Fuße des Apollo in seiner wahren himmlischen Schönheit. Der Gesang, der ihm im Leben versagt war, war sein Schwanengesang geworden, der sanft seine Glieder auflösete; denn er hatte den Ton der Unsterblichen gehört, und das Antlitz eines Gottes gesehen. Dankbar schmiegte er sich an den Fuß Apollo's und horchte seinen göttlichen Tönen, als eben auch sein treues Weib ankam, die sich in süßem Gesange ihm nach zu Tode geklaget. Die Göttin der Unschuld nahm beide zu ihren Lieblingen an; das schöne Gespann ihres Muschelwagens, wenn sie im See der Jugend badet. Gedulde dich, stilles, hoffendes Herz! Was dir im Leben versagt ist, weil du es nicht ertragen konntest, giebt dir der Augenblick deines Todes! 2) von v. Herder. Die Sterne. Müde und matt war Daniel von seinen Gesichten der Zukunft, die ihm so oft seine Kraft genommen, und ihn mit Schauder erfüllet hatten; als endlich Einer aus dem Rathe der Wächter zu ihm sprach: „Gehe hin, Daniel, und ruhe, bis das Ende komme, daß du aufstehest in deinem Theile am Ende der Tage!“ Gelassen hörte Daniel das räthselhafte Wort und sprach zu dem Manne, der neben ihm stand: „Meinest du, Herr, daß diese Gebeine werden wieder grünen?“ Und der himmlische Bote nahm ihn bei der Hand, und zeigte ihm den Himmel voll leuchtender Sterne. „Viele, sprach er, so unter der Erde schlafen, werden erwachen; die Lehrer aber werden leuchten, wie des Himmels Glanz, und die, so viel zum Guten gewirkt haben, wie die unvergänglichen Sterne.“ ─ Er sprachs, und berührte ihn mit seiner Rechte, und Daniel entschlief unter dem Anblicke des Himmels und seiner hellleuchtenden ewigen Sterne. 68. e ) Der Dialog und Monolog. Obgleich der Dialog und Monolog nach ihrer Abwechselung und Aufeinanderfolge, und beide durchgeführt nach dem Gesetze der Form, eine Grundbedingung der äußern Ankündigung der dramatischen Dichtkunst sind; so beschränken sie sich doch keinesweges allein auf die dramatische Form. Sie können eben so in die epische, wie in die didactische und lyrische Dichtkunst abwechselnd eingelegt werden, um eine höhere Mannigfaltigkeit der Form und ein verstärkteres Jnteresse an derselben zu vermitteln; sie können auch zur ästhetischen Selbstständigkeit erhoben und als größere, für sich bestehende Kunstformen, durchgeführt werden. Nach dieser ästhetischen Durchführung und Gestaltung unterscheiden sie sich völlig von der blos mündlichen Unterhaltung; und je nachdem durch sie entweder unmittelbare Gefühle, oder Jdeen und Wahrheiten der Vernunft, oder wichtige Vorgänge des menschlichen Lebens versinnlicht werden, nähern sie sich bald mehr der lyrischen, bald mehr der didactischen, bald mehr der epischen Dichtkunst. Erscheint der Dialog als eine selbstständige Kunstform; so wird durch ihn entweder eine reichere Mannigfaltigkeit, Schattirung und Abwechselung im Tone und Ausdrucke derselben Gefühle, oder die Versinnlichung gewisser einander entgegengesetzter Gefühle, Wahrheiten oder Thatsachen (die Versinnlichung eines ästhetisch durchgeführten Antagonismus ) beabsichtigt und bewirkt, weil die Verschiedenheit und der Contrast dieser Gefühle, Wahrheiten und Thatsachen durch ihre Gegeneinanderstellung am bestimmtesten vergegenwärtigt wird. So wie aber die poetische Epistel gegen den zum Sprachgebiete der Prosa gehörenden Brief sich verhält; so verhält sich auch der ästhetische Dialog zum gewöhnlichen Gespräche bei der mündlichen Unterhaltung. Je specieller nämlich der prosaische Brief und die mündliche Unterhaltung sind; desto mehr entsprechen sie ihrem Zwecke. Dagegen stellen die poetische Epistel und der ästhetische Dialog idealisirte Menschen auf, die namentlich im Dialoge als Repräsentanten der gesammten Menschheit, oder doch als Repräsentanten einzelner Gattungen, Klassen und Stände derselben geschildert werden. Daher kann der Dialog eben so das Gefühl der Liebe, nach seiner verschiedenartigen Ankündigung in den beiden Geschlechtern der Menschengattung, wie den Kampf zweier einander entgegengesetzten (religiösen oder politischen) Ansichten und Systeme darstellen, so, daß die schöpferische Einbildungskraft des Dichters besonders an der glücklichen Erfindung, gelungenen Haltung und erschöpfenden gegenseitigen Stellung und Durchführung der Eigenthümlichkeit der einander entgegengesetzten Jndividuen und Charaktere, nach der Ankündigung ihrer Gefühle, Grundsätze, Ansichten und Meinungen, erkannt wird. Ob nun gleich durch die ästhetische Versinnlichung dieses Antagonismus menschlicher Gefühle, Grundsätze und Handlungen das gemischte Gefühl der Lust und Unlust in dem Anschauenden angeregt und unterhalten wird; so soll sich doch dasselbe, in dem Augenblicke der Vollendung der Form, durch die an die Stelle dieses Antagonismus getretene Harmonie, in ein siegendes Gefühl der Lust auflösen. Der Monolog, als eine selbstständige ästhetische Form, beruht auf der Versinnlichung und vollendeten Durchführung eines stark angeregten Gefühls, oder einer mächtig emporstrebenden Leidenschaft. Denn nur eine hohe Bewegung des Gefühls- oder des Bestrebungsvermögens kann den Zustand bewirken, daß der Mensch, der allein ist, durch lautes Sprechen sein inneres subjectives Leben gleichsam objectivisirt, weil er der Sprache bedarf, um dem Drange und Kampfe in seinem Jnnern Luft zu machen. ─ Ob nun gleich auch jedes Gebet als ein in sich vollendeter Monolog betrachtet werden kann (und Reinhard, Zollikofer, Marezoll u. a. treffliche Gebete in diesem Sinne aufgestellt haben, die aber zunächst zur Sprache der Beredsamkeit gehören); so findet sich doch der Monolog am häufigsten in der dramatischen Dichtkunst, wo derselbe, sobald ihn die schöpferische Kraft des Dichters an den rechten Ort versetzt und zur ästhetischen Gediegenheit erhebt, von hoher psychologischer und dramatischer Wirkung ist. (Viele Jdyllen Geßners gehören in den Kreis der Monologe. Unter den neuern Tragikern sind die Monologe Schillers in den Räubern, im Fiesko, im Wallenstein, in der Jungfrau von Orleans, ─ Göthe's, Müllners u. a. allgemein bekannt.) 69. Beispiele des Dialogs und Monologs. a ) des Dialogs. 1) von Kosegarten († 1818). Das Geständniß. Theon und Theano. Theano . Weg ist sie, Gottes Sonne! Wohlthuns müde, Und wie die Tugend ruhig, schlief sie ein. O wiegte diese Ruh, o lullte dieser Friede Mich in den langen Schlummer ein! Theon . Schön sank sie hin, die Starke, Hohe, Große, Und steigt bald wieder schimmernder empor. So blüht Theano einst aus der Verwesung Schoose Verschönert und verjüngt hervor. Theano . Wie glüht der Westen! Theon sieh, wie wallen Die rothen Fluten um der Sonne Grab! Es regnet Rosen, Theon; Diamanten fallen Aus jenem Duftgewölk' herab. Theon . Und regnen einstens diese Rosen, fallen Des Thaues Perlen einst auf meinen Stein; Wird auch Theano wohl zu Theons Hügel wallen Und Blumen auf den stillen streun? Theano . Wie sagst du, Theon? ─ Ach die klare Bläue, Die, wie ein wogend Lichtmeer, uns umschwillt! Wie diese lautre Flut, wie diese Füll' und Treue Des matten Herzens Lechzen stillt! Theon . Dies matte Herz lechzt, Beste, nach dem Lande, Wo das Verhängniß sich der Lieb' erbarmt; Wo alles Zwanges los, und ledig aller Bande Sich selig Seel' und Seel' umarmt. Theano . Siehst du den regen Punct hoch in den Lüften? Hörst du der Lerche wirbelnd Abendlied? Jetzt schweigt sie, kreist herab auf thauberauschte Triften, Und sinkt ins hochbegraste Ried! Theon . Die Glückliche! Sie lebt ein seligs Leben. Jhr kürzt den Tag, die süße Harmonie; Die süßre Nacht verwallt ihr zephyrleicht und eben Am Busen der geliebten Sie. Theano . Zurück du Rascher! Morde nicht das Veilchen, Von Thau und Düften schwer hinabgedrückt! Verstreue deinen Duft, verblühe, frommes Veilchen, Von meinem Finger ungepflückt. Theon . Du wolltest Florens Lieblingskind verachten? Mißgönnen wolltest ihm den Stolz, die Lust, Sein Leben auszublühn, sein Daseyn auszuschmachten An eines Engels reiner Brust? Theano . Wie meinst du, Theon? ─ Theon, welche Frische! Jn Amboina's Würzen schwebt die Luft! Die kleebeblümte Flur, die thaubesprengten Büsche, Sie träufeln Balsam, strömen Duft. Theon . Es ist der Liebe Hauch, der um uns säuselt, Es ist der Liebe Athem, der uns kühlt, Der Liebe Lispel ists, der deine Locken kräuselt, Und fächelnd um die Wangen spielt! Theano . Ja wohl ists Abglanz einer ew'gen Güte, Die in den rothen Wolken dort sich mahlt. Wohl ist es Kraft und Huld, die uns aus jeder Blüthe, Aus jedem Halm entgegen stralt! Theon . Und die mir stralt in dieser Wangenblüte, Jn dieser Augen himmelblauem Licht; O wandellose Huld, o anspruchslose Güte, Die jedem dieser Züg' entspricht! Theano . Ja schön bist du, du unsers Lebens Wiege Und einstens unser Grab! ─ Ach wenn ich nun An deiner kalten Brust, du gute Mutter, liege; So laß mich schuldlos an dir ruhn! Theon . Ja schön ist unser Stern im Frühlingsgrüne. Doch schöner ist ein menschlich Angesicht, Wann leis' aus jedem Zug', und laut aus jeder Miene Der Seele hohe Schönheit spricht. Die Flur erschließt sich lauen Regengüssen, Der Blume Kelch dem jungen Morgenlicht; So fühlt zu solcher Huld mein Herz sich hingerissen, Und liebte gern und ─ darf es nicht. Theano . Und darf nicht, Theon? ─ Wonne, Theon, Wonne! Sie schlägt die Sängerin, die Nachtigall! Entzücken, das mich schwillt, bist du noch Erdenwonne? Bist du nicht Eden, sel'ges Thal? Theon . Ja Eden ist es. Wo du weilst, ist Eden, Und wo du lächelst, blüht Elysium ─ Ach lächle nicht so hold; dein Lächeln täuscht den Blöden, Und wandelt ihn zum Helden um. Horch, wie sie flötet! Weckt kein leises Sehnen, Kein süßes Ahnen dieser Ton in dir? Du wendest dich? du weinst? Was deuten diese Thränen, Was weissagt dies Erblassen mir? Nein, länger, länger duld' ichs nicht. Zu brechen Droht dieses Herz, zurückgedrängt in sich ─ Laß, theure Seele, laß das große Wort mich sprechen: Theano, ach, ich liebe dich ! 2) von v. Schiller. Brutus und Cäsar. Brutus . Sey willkommen, friedliches Gefilde, Nimm den letzten aller Römer auf. Von Philippi, wo die Mordschlacht brüllte, Schleicht mein gramgebeugter Lauf. Cassius, wo bist du? ─ Rom verloren? Hingewürgt mein brüderliches Heer? Meine Zuflucht zu des Todes Thoren! Keine Welt für Brutus mehr! Cäsar . Wer mit Schritten eines Niebesiegten Wandert dort vom Felsenhang? ─ Ha! wenn meine Augen mir nicht lügten, Das ist eines Römers Gang! ─ Tiberfohn, von wannen deine Reise? Steht sie noch die Siebenhügelstadt? Oft geweinet hab' ich um die Waise, Daß sie nimmer einen Cäsar hat! Brutus . Ha! du mit der drei und zwanzigfachen Wunde! Wer rief, Todter, dich ans Licht? Schaudre rückwärts zu des Orkus Schlunde, Stolzer Weiner! ─ triumphire nicht! Auf Philippi's eisernem Altare Raucht der Freiheit letztes Opferblut; Rom verröchelt über Brutus Bahre, Brutus geht zum Minos ─ Kreuch in deine Flut! Cäsar . O, ein Todesstoß von Brutus Schwerte; Auch da ─ Brutus ─ du? Sohn, es war dein Vater ─ Sohn ─ die Erde Wär' gefallen dir als Erbe zu. Geh ─ du bist der größte Römer worden, Da in Vaters Brust dein Eisen drang; Geh, ─ du weißt's nun, was an Lethe's Strande Mich noch bannte; ─ Schwarzer Schiffer, stoß vom Lande! Brutus . Vater, halt ─ im ganzen Sonnenreiche Hab' ich Einen nur gekannt, Der dem großen Cäsar gleiche; Diesen Einen hast du Sohn genannt. Nur ein Cäsar mochte Rom verderben; Nur nicht Brutus mochte Cäsar stehn! Brutus will Tyrannengut nicht erben. Wo ein Brutus lebt, muß Cäsar sterben; Geh du linkwärts, laß mich rechtwärts gehn! b ) des Monologs. von Heydenreich († 1801). Lebewohl an die Jugend. (abgekürzt) Sie ist verschwunden die blühende Zeit des Lebens, die Periode des Frohsinns und harmloser Heiterkeit. ─ Welche unvergeßliche, genußvolle Stunden hat sie mir gewährt! Stunden, nach denen noch im späten Alter dieses Herz sich zurücksehnen wird. Wie war alles um mich her so lachend und heiter! Welches schöne Bündniß knüpfte der Zauber der Hoffnung zwischen Gegenwart und Zukunft! Mit Freude begrüßte der Jüngling den Morgen, und mit lieblichen Schwärmereien sagte er dem sinkenden Tage das Lebewohl. Jetzt bin ich Mann, und sehe zurück in das entschwundene Gefilde der Vergangenheit; die Erinnerung stellt mir ihre Scenen mit lebhaften Zügen dar. Es war der wichtigste Zeitraum des Lebens, der Zeitraum, von welchem das Glück der übrigen Lebensalter am meisten abhängt; der Zeitraum, in welchem der Mensch eine Richtung bekommt, die ihn meistens sein ganzes irdisches Daseyn hindurch begleitet. Dichter, ihr nennt die Jugend einen Traum; aber sie ist es nur zum Theil. Träume sind die Freuden des Jünglings; aber keine Träume seine Thaten. O diese Thaten haben ein ewiges unveränderliches Daseyn im sittlichen Reiche; sie verschwinden nicht, bekommen durch keinen Zauber der Phantasie und Erinnerung eine andere Gestalt; ihre Verwandlung ist auch für die Allmacht eines Gottes nicht möglich. Habe ich dich oft entweiht, edle Blütenzeit des Lebens; was kann ich mehr, als mit Reue an deine Grenze knieen, und mit Thränen mir selbst die Tilgung jedes Fleckens schwören, der die Menschheit herabwürdigt. Kann ich mehr, als mit Vorsätzen, in der Laufbahn der Männlichkeit fortschreiten, fest und innig genug, um mir das Leben unerträglich zu machen, wann ich sie je verließe? ─ Lebe denn wohl, holder Morgen des Lebens! Schwebe mir oft vor im Bilde der Erinnerung, und führe die beseligende Hoffnung mit dir, daß jenseits des Grabes dem Erweckten eine Jugend aufdämmert, schöner noch, als diese. ─ 70. f ) Die Satyre. Da das Satyrische, als ästhetische Eigenschaft, bereits (Th. 1. S. 413) unter den untergeordneten Eigenschaften der Schönheit der Form aufgeführt und mit zwei Beispielen belegt worden ist; so muß hier der Satyre als einer selbstständigen dichterischen Form gedacht werden, deren ästhetischer Charakter auf der Verbindung derjenigen Merkmale, an welchen das Satyrische als Eigenschaft des Schönen erkannt wird, zur vollendeten Einheit der Form beruht. Die Satyre enthält nämlich die Versinnlichung des Contrastes, in welchem gewisse bestimmte Unvollkommenheiten der intellectuellen und sittlichen Welt zu den höchsten Jdealen des Wahren, Schönen und Guten stehen, unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. Da jedes Jdeal höher steht, als die Wirklichkeit; so muß schon an sich die Wirklichkeit, bei dem Zusammenhalten mit dem Jdeale, jedesmal verlieren, noch mehr aber, wenn die dichterisch geschilderte Wirklichkeit einen reichhaltigen Stoff in Hinsicht der Verirrungen des menschlichen Verstandes oder der menschlichen Freiheit darbietet. Nothwendig muß die Versinnlichung des hoch über den Kreisen des menschlichen Lebens stehenden Jdeals ein Gefühl der Lust, so wie die Ankündigung der menschlichen Verirrungen von diesem Jdeale ein Gefühl der Unlust anregen und lebendig erhalten, bis dieses gemischte Gefühl der Lust und Unlust zuletzt, im Augenblicke der Vollendung der ästhetischen Form, bei dem entschiedenen Siege des Jdeals über alles Unvollkommene, Beschränkte und Unsittliche, das im Contraste mit dem Jdeale in der Wirklichkeit erscheint, in einem Uebergewichte des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust endigt. ─ Soll die Satyre diese Wirkung hervorbringen; so muß der Stoff derselben ästhetisch darstellbar seyn, und die Form als vollendete Einheit erscheinen. Es ist aber nicht jede Unvollkommenheit der intellectuellen Welt, und nicht jede Verirrung der sittlichen Freiheit ästhetisch darstellbar, obgleich die letztern dem Gebiete der philosophischen Sittenlehre angehören; vielmehr sind nur diejenigen Unvollkommenheiten und Verirrungen des Menschen ein ästhetischer Stoff für die Satyre, welche von dem Dichter zur Einheit der Form erhoben werden, und das Anwogen des Gefühls der Lust und der Unlust gegen einander bewirken können. Da dies bei dem Pasquill nicht möglich ist; so wird das Pasquill ganz von der Satyre ausgeschlossen. Eben so wird die persönliche Satyre nur selten gelingen, nnd Liscov's Satyren stehen deshalb im Ganzen so tief, weil sie fast durchgehends persönlich waren. Der dichterische Gehalt der Satyre beruht vielmehr darauf, daß sie im Allgemeinen den Abstand der Wirklichkeit von dem Jdeale versinnlicht, und die entarteten Jndividuen, Stände nnd Klassen des menschlichen Geschlechts, meistens unter angenommenen Namen, nach ihren Fehlern schildert, und dadurch als Vertreter der beeinträchtigten Rechte der Sittlichkeit erscheint. ─ Dem Tone nach kann die Satyre bald strafend, bald lachend seyn, je nachdem sie den Gegensatz des Jdeals und der Wirklichkeit entwe= der mit der Geisel des bittern Ernstes, oder mit der Geisel des schneidenden Spottes hervorhebt; auch wird die Satyre unter beiden Ankündigungen das gemischte Gefühl der Lust und der Unlust, und zuletzt den völligen Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust bewirken, sobald die schöpferische Kraft des Dichters sie zur Einheit und ästhetischen Vollendung der Form erhob. 71. Beispiele der Satyre. 1) von Rachel († 1669). Probe einer bösen Sieben. (abgekürzt) Nichts Bessers, als ein Weib, ist, wie mich dünkt, auf Erden; Auch kann nicht Bösers, als ein Weib, gefunden werden. Sie träget beiderlei, Kreuz, Unglück, Glück und Heil, Milch, Honig, Gift und Gall in ihrem Busen feil, Und hat in einer Hand, gleichwie die Kinder pflegen, Zu spielen Pinkewink, Lust, Leben, Fried' und Segen, Und in der andern Hand Zorn, Tod, Fluch, Haß und Zank. Ach, solches Pinkewink bringt Schmerz sein Lebelang. Wer diese Hand ergreift; der kriegt nicht nur die Hände, Ja vielmehr Haus und Hof voll Kreuz und voll Elende. Was sag' ich Haus und Hof? Es muß was Mehrers seyn, Jst doch die ganze Welt vor Weiberzorn zu klein. Wann der, wie oft geschieht, hat überhand genommen; So soll der Teufel selbst aus seiner Hölle kommen, Und hohlen jedermann, auf den sie zornig sind, Hund, Katze, Kuh und Kalb, Knecht, Magd, Mann und das Kind. Da hebt das ganze Haus vom Keifen an zu sausen, Als wie die wüsten Wind' im wilden Meere brausen. Jhr Rachen thut sich auf, wirft Feuer aus und Gift; Die Zähne beißen sich, die braune Zunge kifft, Die donnert, hagelt, flucht, läßt nichts sonst von sich spüren, Und machet ein Geschrei, als zwanzig Bauern führen. Sie hüpft, sie rennt, sie springt, als wie ein rasend Pferd, Jst gleich die Sach' oftmals nicht eines Dreiers werth. Wenns hoch kommt, ist die Katz' ihr in den Topf gekrochen, Und hat den Topf geleckt und ungefähr zerbrochen; Die Köchin hat das Fleisch versalzen und verwürzt, Auch ist der Essigkrug beim Ofen umgestürzt. Wann nun der frommen Frau die Bosheit ist vergangen; So kommt ihr wieder an ein Sehnen und Verlangen Nach Hoffahrt. Jst dies nicht, spricht sie, die neuste Tracht? Man hat sie nur jetzund aus Frankreich mitgebracht, Mein herzer Mann, seht doch, wie schön steht der die Mütze; Mein Herzensmännchen seht, wie hübsch ist diese Spitze. Mein Rock ist hier ganz kahl, ich muß mich drinnen schämen! Was werd' ich immermehr für Farbe wieder nehmen? Roth, grün, blau, gelb und schwarz, die sind gar zu gemein; Wenn ich was haben soll, so hab' ichs gern allein. Dem armen Mann wird bang. Er sitzt dort, wie auf Kohlen; Was hilfts? Sie läßt nicht ab, er muß den Beutel hohlen. Ob er sich noch so sehr mit vielen Worten wehrt; So muß er geben her, so viel sie nur begehrt. Nun Beutel, ei, ei, ei; jetzt wirst du müssen schwitzen; Gieb Geld zur neuen Pracht; gieb Geld zur Mütz' und Spitzen, Gieb ganz her, was du hast, die Frau hält stürmisch an; Ach gieb, gieb bald! sollt' auch der letzte Heller dran. Wann nur der Kaufmann hat das Geld; so sitzt die Docke, Und sperrt sich, prangt und prahlt in ihrem bunten Rocke. Das Maul wacht endlich auf, will auch versorget seyn: Wo ist das beste Bier? wo ist der beste Wein? O Mann, seyd doch nicht so ein arger Pfenningdrucker; Gebt Geld! ich hätte gern Citronen, Wein und Zucker. Mir ist fürwahr nicht wohl, mir schaudert gar die Haut; Jch aß zuvor zu viel fett Fleisch und Sauerkraut. Geh Magd, und laß mir stracks ein gut paar Kuchen backen. Der arme Mann sitzt dort, und klauet sich im Nacken. Doch wann er freundlich ist; so krieget er den Rand Vom Kuchen, und was sonst daran ist abgebrannt. Dies alles ging noch hin, als: Banketiren, trinken, Auch keifen, wenn sie nur den Hund nicht ließe hinken. Bald blökt das Reh, bald kräht ein junger stolzer Hahn; Es find't sich auch wohl oft ein Kammercapellan, Der sich mit dieser Frau fein Tag und Nacht ergötzet, Wodurch dem armen Mann ein Horn wird aufgesetzet, Und ihm in seinem Hut zehn Krempen machet ein; Doch muß der gute Mann damit zufrieden seyn. Dies ist die Probe nun an einer bösen Sieben, Wie sie auf der Capell der Laster abgetrieben! 2) von Benj. Neukirch († 1729). Auf einen neuen Doctor. (abgekürzt) Zum öftern hab' ich schon der Thorheit nachgedacht, Warum die kluge Welt erkaufte Narren macht, Und jüngst hat ein Athen, wo große Männer leben, Dir dummen Eselskopf den Doctorhut gegeben. Du bist kein Philosoph; als Weiser thätest du Dies andern, was du willst, das man dir selber thu; Du würdest deine Frau nicht, wie der Teufel, plagen, Und, wie ein Lumpenhund, dich mit den Mägden schlagen. Du bist kein Weltmann nicht; dieweil du nicht verstehst, Warum du deiner Frau zur linken Seite gehst; Das heißt: du sollst dein Weib nicht treiben, sondern führen, Und sie mit Höflichkeit, nicht mit Gewalt regieren. Du bist kein Medicus; sonst nähmst du in der Pein Ein treibendes Klystier für deine Würmer ein. So hast du auch nicht viel in Gottes Wort vergessen; Sonst würdest du dein Thun nach dem Gewissen messen. Du bist auch kein Jurist; denn wer das Recht erklärt, Der weiß wohl, daß das Weib nicht einen Mann ernährt, Und daß, soll eine Frau der Haushaltung befehlen, Man ihr die Krüge nicht muß aus der Kammer stehlen. Was Henker bist du denn? ─ Ein Narr, der nichts gelernt; Ein Flegel, der nur drischt, was Andre eingeernt. Und gleichwohl bist du doch ein großer Doctor worden? Erhabner Eselskopf, man kommt nicht in den Orden, Wo man bei dieser Zeit nicht Künste mit sich bringt, Und, wenn die Kunst gebricht, von großer Zahlung singt. Wie geht es denn nun zu? ─ Das Geld hat dich erhoben; Das Geld, das dir, wie Koth, oft in der Hand verstoben, Das deines Vaters Fleiß mit vieler Müh gehegt, Und du schon, eh er starb, mit Schanden angelegt. Drum fingst du nach der Zeit dich endlich an zu grämen, Und dachtst, ich muß mir nur ein liebes Weibchen nehmen, Die, weil ich armer Schelm in Büchern nichts gethan, Und alles Geld verschluckt, mich noch erhalten kann. Das Glücke war dir hold, du wurdest angenommen; Dein Titel hat ein Weib, nicht aber du bekommen. Nun hast du, was du willst; du lebst, wie dir's gefällt, Die Frau ernähret dich, ihr Vater schafft dir Geld; Die Braten müssen dir fast in die Gurgel fliegen. Du kannst den ganzen Tag im Bette schnarchend liegen. Du bist mehr Katz' und Aff', als einem Menschen gleich, Die Lippen hängen dir, die Wangen werden bleich, Dein Kinn ist zugespitzt, gleichwie die Bauernhüte, Die Nase kommt mir vor, wie eine Krämertüte, Jn welche man ein Pfund Rosinen schütten kann. Dein Gang ist abgeschmackt, und jedes Wort zeigt an, Daß du ein garstigs Thier in deinem Busen trägest, Und dennoch brummest du, wenn du dich schlafen legest; Du brummest, wann du wachst; du brummest, wann du stehst; Du brummest, wann du frißt; du brummest, wann du gehst. Jhr Musen, was habt ihr in euerm Rath gedacht, Als ihr ein solches Thier zu einem Doctor macht? Ach, hört doch einmal auf der Erde vorzulügen, Sonst wird der beste Mann kein schönes Weibchen kriegen. 3) von Rabener († 1771). Ein Traum von den Beschäftigungen der abgeschiedenen Seelen. (abgekürzt) ─ Mir träumte, ich sey gestorben. Jch sah den Körper, von dem sich meine Seele getrennt hatte, mit eben der Gleichgültigkeit liegen, mit welcher man eine abgelegte Redoutenmaske ansieht. Jch werde nicht gern sehen, wenn mir jemand hierin widersprechen, und läugnen wollte, daß eine Seele ihren Körper so gleichgültig ansehen könnte. Bei mir ist dies gar nicht unwahrscheinlich, besonders da mein Körper eben nicht so gebaut gewesen, daß er mich zu einer merklichen Eigenliebe bewogen hätte. Jch berufe mich hierin auf den guten Geschmack meiner verstorbenen Frau, welche in ihrem Leben viele Körper gekannt hat, in deren Umgange sie weit mehr Annehmliches und Artiges zu finden vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man gründliche Beweise fordere. Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, ihre Eifersucht ─ ─ Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, und bedauerte wegen dieses unersetzlichen Verlustes meiner entworfenen Schrift den Verleger, mein Vaterland, die Nachwelt; ja ich würde sagen, daß ich mich selbst bedauert hätte, wenn es unter uns Gelehrten eingeführt wäre, in diesem Puncte offenherzig zu seyn. Genug, ich sah, daß es mit meiner Gelehrsamkeit aus war, weil ich nicht mehr schreiben konnte. Das Einzige, was ich zu meiner Beruhigung that, war, daß ich zum Bücherschranke eilte, und mit einer recht väterlichen Zärtlichkeit alle diejenigen Bücher übersah, welche durch meine unermüdeten Hände ihr Daseyn erhalten hatten. Vielleicht würde ich in dieser Stellung noch lange geblieben seyn, wenn ich nicht das freudige Schrecken wahrgenommen hätte, welches meine ungeduldigen Erben überfiel. Sie eilten so hungrig zu meinem Bette, als wenn ein Raub auszutheilen wäre. Jst er todt? ist er auch wirklich todt? schrieen sie. Ja, endlich einmal ist er im Ernste todt. Geschwind schickt nach dem Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen, ─ antwortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, welche durch mein Absterben alle diejenigen Tugenden zu erben hoffte, welche gewisse gründliche Liebhaber bei ihr zeither vergebens gesucht, und ihr um deswillen die Freiheit zu ihrem großen Verdrusse nicht geraubt hatten. Diese Muhme vergoß viele Thränen, und seufzte mit lauter Stimme: Der ehrliche Vetter! Tröste ihn Gott! Es ist ihm recht wohl! Wir wollen ihm seine Ruhe gönnen! Dieses war die Losung zum Plündern. Den ersten Sturm hatte meine Geldcasse auszustehen. Meinen Kleidern und meinem Geräthe ging es eben so. Bis hieher hatte ich meinen Erben ganz gelassen zugesehen. Als ich aber merkte, daß es über meine Papiere hergehen sollte; so fing ich an zu zittern. Alles ward aufs sorgfältigste durchgesucht. Gegen alle Briefe, in denen die Worte standen: leiste gute Zahlung, und nehme Gott zu Hülfe, hatten sie eine andächtige Ehrfurcht. Endlich traf die Reihe meine gelehrten Concepte, welches mich recht wüthend machte. Jch eilte voll Verzweiflung hinzu, sie zu vertheidigen. Vielleicht aber würde ich dennoch unvermögend gewesen seyn, wenn nicht meiner Schwester Sohn, ein Meister von sieben freien Künsten, wider seinen Willen mir beigestanden, und das ganze Paket unter den Tisch geworfen hätte, mit der Versicherung: es sey nur Maculatur. Der Jgnorant! Als meine Erben noch mit dieser Haussuchung beschäftigt waren, merkte ich einen Haufen von Bedienten, welche im Namen ihrer Herrschaften ein gewisses Compliment hersagen mußten, das sie das herzliche Beileid nannten. Die Bekümmerniß über meinen Tod mochte in der ganzen Stadt gleich stark und allgemein seyn; denn ihre Formulare endigten sich alle mit den Worten: daß der Himmel den betrübten Hinterlassenen diesen empfindlichen Verlust durch anderweitige Glücksfälle reichlich ersetzen möchte! Nunmehr ward alles zu meiner Beerdigung veranstaltet. Man eilte damit ganz ungewöhnlich, und gab Geld über Geld, mich aus dem Hause zu bringen. Dieses geschah unter einer ansehnlichen Begleitung. Man brachte meinen Körper in die Kirche, mit Beobachtung aller der kläglichen Gebräuche, so diejenigen verdienen, welche ein rühmliches Ende nehmen und Mittel hinterlassen. Zuletzt trat noch ein Redner auf, welchem meine Erben in einem versiegelten Päckchen vorher alle meine Tugenden begreiflich gemacht hatten. So zufrieden ich jederzeit in meinem Leben mit mir selbst gewesen bin; so zweifelhaft war ich doch bei dieser Lob- und Trauerrede, ob ich es auch wirklich sey, welchen er meine. Jch sah mich in der ganzen Kirche um, in der Meinung, vielleicht noch eine andere Leiche zu finden, auf welche alle diese Lobeserhebungen gehen sollten; ich fand aber dergleichen nirgends, und merkte, daß ich es selbst im ganzen Ernste seyn müßte. Er nannte mich einen großen, berühmten, gründlich gelehrten Mann, eine Stütze der Wissenschaften, seinen Mäcenaten. Und das mochte noch gehen. Für zwölf Ducaten war es eben nicht zu viel. Endlich aber machte er es zu arg. Er schwor, und er schwor mit einer solchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Gesichte ward; er schwor, sage ich, daß ich zwar ein großer Gelehrter, aber noch ein größerer Menschenfreund, ein starker Beförderer der schönen Künste und Wissenschaften, aber noch ein weit stärkerer Vertheidiger der Wittwen und Waisen gewesen wäre. Meine vergnügte und beglückte Ehe sey eine sichtbare Vergeltung dieser seltenen Tugenden gewesen. „Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der weiland hochedelgebohrnen Frauen, Frauen“ ─ Himmel, wie erschrack ich, daß er meine verstorbene Frau citirte. Jch floh, ohne mich umzusehen. Jch floh vor Angst zur Kirche hinaus, und aus Furcht, die hochedelgebohrnen Gebeine möchten mir nachkommen, schwang ich mich in die Höhe. ─ ─ 4) von Joh. Dan. Falk. Jeremiade des ehrwürdigen Paters Joseph Hyacinth Jgnatius. (abgekürzt) Mein lang verhaltner Groll bricht endlich aus! Leer ist der Tempel, voll das Opernhaus; Kein Fürst vertauscht mit frommem Pilgerstabe Sein Diadem, und wallt zum heil'gen Grabe. Der Schloßbarbier scherzt über Salomo's Enthaltsamkeit, und über Jericho's Kriegsexpedition und alte Mauern; Jhm wiehern Beifall halbberauschte Bauern. O was erleb' ich noch für Herzeleid! Jrrglaube herrscht im Lande weit und breit. Wem liegt noch was an seinem Seelenheile? Nur selten labt mich eine Wildpretskeule, Ein Eberskopf, vom Schloßhof oder Amt Mir zugesandt im sauern Predigtamt. Wer kümmert sich um Gott und seine Diener? Vor Zeiten weckte mich der Gäns' und Hühner Geschnatter oft noch vor dem Morgenroth; Jetzt in Gehöft' und Stall ist alles todt. Und präparir' ich mich aus der Postille, Stört mich nicht mehr das liebliche Gebrülle. Beglückter Mann, der fest am Glauben hält! Groß ist sein Erbtheil schon in dieser Welt. Voll Demuth nimmt er den Verstand gefangen; Jhn quält kein Zweifel, roth sind seine Wangen; Sanft ist sein Morgenschlaf und frisch sein Blut, Er liest nur wenig, und verdauet gut. Der Atheist wälzt schlaflos sich im Bette, Und grübelt, und vertrocknet zum Skelette. Uns tränkt der Herr mit seinem Segensborn, Giebt unsern Bäumen Obst, dem Acker Korn, Giebt unserm Tische Fleisch, dem Becher Trauben, Dem Bett' ─ ihr wißt wohl was ─ dem Geiste Glauben. Selbst David war ja nicht von Schwachheit rein; Wie? und ich Staub, ich Wurm, ich sollt' es seyn? Die Liebe lauscht am Thron' und am Altare; Jch war erst dreißig, Klärchen sechszehn Jahre. Jhr Vater starb, ich nahm mich ihrer an. Und welcher Pfarrherr hätt' es nicht gethan? Die sanftgewölbte Brust, die schwarzen Haare, Der Rosenmund ─ vor seinem Stufenjahre, Wen ließe wohl ein solch Madonnchen kalt? Und wie gesagt, ich war erst dreißig alt: Da trat die holde Dirn' herein ins Zimmer, Mit einer Anmuth, ich vergeß' es nimmer, Bot sie mir guten Tag, vor Schüchternheit Erröthend. Jch sprang gleich voll Freundlichkeit Entgegen ihr. ─ Mit sanftgebognem Nacken Trat sie zurück. Jch kniff sie in die Backen. Sie pflückt' am Schürzchen, sah zur Erde hin. Lieb Klärchen, werde meine Schaffnerin, So bat ich sie, mit lauten Herzensschlägen; Mein schönes Klärchen hatte nichts dagegen. Den Sonntag nickt' ich ihr blos freundlich zu. Den Montag hieß ich sie vertraulich Du. Den Dienstag küßt' ich sie. Roth sah sie nieder; Die Mittwoch küßte sie mich zärtlich wieder. Den Donnerstag drang sie auf einen Schwur; Jch schenkt' ihr Freitags eine Perlenschnur; Sonnabends wagt' ich kleine Schäkereien, Allein sie weint', und wollt' um Hülfe schreien. Drob ward ich Sonntags etwas aufgebracht. Es war gerade tief um Mitternacht, Da zog ein Wetter auf; ich lag im Bette. Es blitzt; drauf knarrt die Thür; im Nachtcorsette, Ein Lämpchen in der Hand ─ zwölf mocht' es seyn ─ Schlüpft sie, gleich einer Heiligen, herein. Herr Pater, sprach das holde Kind mit Zittern: Jch bin nicht gern allein bei Ungewittern; Jch hab' euch wach geglaubt, verzeiht! ─ Jch bot Jhr liebreich meine Hand; sie ward blutroth Und sträubte sich. Jch zog sie sanft herüber; Die Lamp' erlosch, der Donner ging vorüber. Der Mond schien hell; sie seufzte zärtlich, ach! Der Geist war willig, doch das Fleisch war schwach. Neun Monden drauf that Klärchen eine Reise; Denn kurz ─ es ging ihr nach der Weiber Weise. Jndessen stieß kein Beichtkind sich daran. Jch blieb ein unbescholtner, heil'ger Mann. Nun wuchs mein Muth; nun ward ich täglich freier; Mein Dorf gab Stoff zu süßem Abenteuer, Und manches giftiges und faul Geschwätz, Jhr Brüder, muß der Lehrer im Gesetz Um Christi und der Kirche willen leiden. Deisterei macht Alt und Jung zu Heiden. O heil'ger Nepomuk, Dominicus, O Augustin, o Sanct Jgnatius, Laßt eure Söhne Gnade vor euch finden! Schützt uns den Glauben ─ und die fetten Pfründen! O dreimal heil'ge Jnquisition, Bist du auf ewig unsrer Erd' entflohn? O holde Himmelstochter, steig' hernieder! Bau' die in Schutt zerfall'nen Klöster wieder! Gebenedeite, komm' im Blutgewand, Mit Beil und Folterzang' in deiner Hand! Furchtbare Glaubensrächerin, erschein', Und Asche, Todtenschädel und Gebein Bezeichne deinen Schritt. O welch ein Schimmer! Du steigst herab. Ein klägliches Gewimmer Tönt aus den Grüften der Gewürgten hohl, Und dumpf entgegen dir, von Pol zu Pol. Wohin ich schau, da schlagen knatternd Flammen Rund über Ketzerleichname zusammen. Triumph! hier wird der Gottesläugner Kant, Dort Pred'ger Zöllner in Berlin verbrannt. Hier schleppt man Maimon aus der Synagoge; Dort bebt am Holzstoß Trapp der Pädagoge. Mit ihnen lodert manch verruchtes Buch Empor, dem Herrn ein lieblicher Geruch. Vertilgt auf ewig sind die Menschenrechte; Wohin ich schau', Bartholomäusnächte. Herr Schirach wird beim Papst Historicus, Und hat den Vortritt beim Pantoffelkuß. Von Predigtstößen schwitzt nun Preß' an Presse; Statt Mara psalmodir' ich eine Messe. Der heil'ge Vater herrscht vom Tajostrom Bis an den Rhein. Nun wimmelt es in Rom Von Jndianern, Galliern und Polen, Die sich Reliquien und Ablaß hohlen. ─ O Augustin, o heil'ger Busenbaum, Gewähr' Erhörung diesem schönen Traum! 72. g ) Die Parodie nnd Travestirung. Obgleich die Parodie und Travestirung als selbstständige ästhetische Ganze sich ankündigen, und auch als solche beurtheilt werden; so unterscheiden sie sich doch von allen andern dichterischen Formen dadurch, daß sie ein bereits vorhandenes dichterisches Kunstwerk mit einem ernsthaften Charakter voraussetzen, und ihr ästhetischer Treffpunct und Gehalt von dem Verhältnisse abhängt, in welches sie, als spätere Kunstwerke, zu dieser bereits vorhandenen Kunstform treten. Soll aber die Parodie und Travestirung von ästhetischer Wirkung seyn; so muß das parodirte oder travestirte Kunstwerk sowohl nach seiner Grundidee, als nach seiner Haltung und Durchführung, ja selbst nach vielen einzelnen Stellen und Ausdrücken so bekannt seyn, daß der Leser der Parodie und Travestirung sogleich dasselbe sich vergegenwärtigt. Denn eben diese stillschwei= gende Vergleichung beider Kunstformen durch die Einbildungskraft vermittelt das hohe Jnteresse an der Parodie und Travestirung, sobald nämlich beide in ästhetischer Hinsicht als vollendete Formen sich ankündigen. ─ Bei mancher äußern Verwandtschaft, sind Parodie und Travestirung doch, ihrem Wesen und Charakter nach, von einander verschieden. Jn der Parodie wird der Gegenstand des ernsthaften dichterischen Kunstwerkes verändert, aber der Mechanismus und der Ton der dichterischen Form beibehalten, so daß unter dieser nur wenig veränderten äußern Hülle und Einkleidung ein andrer Stoff dargestellt und zur Selbstständigkeit der Form erhoben wird. Ob nun gleich die Parodie auch für den, der den verglichenen Gegenstand nicht kennt, als ein für sich bestehendes dichterisches Kunstwerk ästhetischen Werth behaupten muß; so beruht doch das eigentliche Wohlgefallen an dem dichterischen Charakter der Parodie auf der stillschweigenden Vergleichung beider Kunstwerke, und auf der Gleichstellung beider in Hinsicht ihres ästhetischen Gehalts. Der von dem Dichter der Parodie gewählte Gegenstand kann aber entweder wieder ein ernsthafter, oder er kann ein komischer und ironisch gehaltener Stoff seyn, sobald er nur ein glücklich getroffenes und durchgeführtes Gegenbild von dem Gegenstande in dem frühern Kunstwerke enthält. Jm Gegensatze der Parodie behält die Travestirung den Gegenstand des ernsthaften Kunstwerks bei, verändert aber, durch die Verwandlung der ernsthaften Form in eine komische, dessen Darstellung und Durchführung so, daß, durch die ästhetische Vollendung dieser neuen komischen Form, der bis dahin blos ernsthaft geschilderte Gegenstand selbst, vermittelst der neuen Einkleidung und Versinnlichung, als ein komischer Stoff erscheint, der Lachen erregt, und durch dessen sinnlich vollendete Darstellung ein reines Gefühl der Lust bewirkt und erhalten wird. Die Zahl der Parodieen ist in der teutschen Literatur weit größer, als die Zahl der Travestirungen, obgleich nur wenige Parodieen, in dem aufgestellten Sinne, zu den durchgängig gelungenen gerechnet werden können. Jn dramatischer Hinsicht ist Mahlmanns Herodes vor Bethlehem eine sehr treffende Parodie von Kotzebue's Hussiten vor Naumburg. Unter den Travestirungen der Teutschen behauptet, bei vielen einzelnen Derbheiten und metrischen Härten, Blumauers (nicht vollendete) travestirte Aeneis doch den Charakter des Hochkomischen und vieler gelungenen Schilderungen. Kotzebue travestirte selbst sein Trauerspiel Octavia. Ungleich tiefer in ästhetischer Hinsicht stehen die travestirte Jungfrau von Orleans, so wie der travestirte Hamlet und Nathan der Weise. Wenn manche Theoretiker im Allgemeinen gegen alle Parodieen und Travestirungen sich erklärten, weil durch sie ein gefeiertes Kunstwerk in den Kreis des Lächerlichen gezogen würde, und dadurch an seinem ästhetischen Werthe verlöre; so beweiset eine solche Behauptung zu viel. Denn der psychologische Grund des Wohlgefallens an der Parodie und Travestirung ist der Grund des Wohlgefallens am Komischen und Lächerlichen überhaupt, und also an sich in der menschlichen Natur gegründet, und keineswegs verwerflich. Selbst das ernsthafte Kunstwerk, das parodirt und travestirt wird, kann an sich dadurch nicht verlieren, weil ihm ein selbstständiger ästhetischer Werth und Charakter zukommt, und weil nur ein vollendetes, und ein in der Nationalliteratur entweder hoch stehendes, oder doch allgemein bekanntes, Kunstwerk mit Erfolg parodirt und travestirt werden kann. Denn blos in dem einzigen Falle dürfte das parodirte und travestirte Kunstwerk an ästhetischem Werthe verlieren, wenn die Parodie und Travestirung als Kunstform höher stände, und dadurch das ältere Kunstwerk gleichsam verdrängte, oder doch tief in Schatten stellte. Wird aber ein an sich unvollendetes und nur mittelmäßiges Kunstwerk parodirt und travestirt; so hindert dadurch der Dichter der Parodie und Travestirung selbst die beabsichtigte ästhetische Wirkung, wenn auch seine Kunstform ästhetisch höher stände, als die parodirte und travestirte. Denn nur dann würde die Vergleichung der Parodie und Travestirung mit einem solchen früher vorhandenen parodirten und travestirten Kunstwerke ein reines Wohlgefallen gewähren, wenn der Dichter eben die ästhetische Unvollkommenheit der ältern Kunstform zum Treffpuncte seiner Parodie oder Travestirung gemacht, und diese Unvollkommenheit mit siegreichem Erfolge innerhalb seiner neugeschaffenen dichterischen Form versinnlicht hätte. ─ Abgesehen daher von vielen unreifen und mißlungenen Parodieen und Travestirungen, gewähren die, welche in gelungenen Parodieen und Travestirungen neue dichterische Formen ins Daseyn rufen und zur ästhetischen Einheit erheben, dem Kreise der Nationalliteratur eine wahre Bereicherung und Erweiterung. 73. Beispiele derselben. a ) Parodieen. 1) von Gittermann. Ein Wort, keins von Schillers drei Worten. Ein Wort verkünd' ich euch inhaltsschwer, Es gehet von Munde zu Munde. Zwar stammet es nur von außen her, Das Herz giebt nicht davon Kunde. Und doch regiert es die ganze Welt Mit allgewaltiger Macht ─ das Geld. Es tastet des Menschen Freiheit an; Es drohet sogar der Tugend; Umringt mit Sorgen und Grämen den Mann, Verleitet die liebe Jugend; Verbittert das Leben, erschweret den Tod, Ein reger Zunder unendlicher Noth. Des einzigen Wortes bedarf es nur, Um alle Verbrechen zu kennen, Um alles Elend, das Mutter Natur Nicht schuf, auf einmal zu nennen. Ein Wort ─ ein einziges Wort: das Geld, Begreifet das Unheil der ganzen Welt. So ist es, so bleibt es, wie es war Auf diesem Ringe voll Schmerzen! Nur walte nie das Wort, voll Gefahr Allherrschend in euern Herzen. Der Mensch verliert seinen ganzen Werth, Sobald sein Herz das Geld begehrt! 2) von Bretschneider. Parodie auf Göthe's: Kennst du das Land &c. Siehst du das Licht? das jenseits unbegrenzt Aus tausend Welten auf uns niederglänzt, Jn das der Nächte Finsterniß nie dringt, Das rein und frei sich durch den Aether schwingt; Siehst du das Licht? ─ Dahin, dahin, Laß aus des Lebens banger Nacht uns fliehn! Siehst du das Blau? das jeden Stern umschließt, Den Aether, der durch alle Welten fließt, Der nie getrübt, von keinem Sturm bewegt, Den Stral des reinsten Lichtes trinkt und trägt; Siehst du das Blau? ─ Dahin, dahin, Laß aus des Lebens Nebelluft uns fliehn! Siehst du den Stern? der dort so hell uns glänzt, Wo keine Nacht des Lebens Traum begrenzt, Wo keines Truges Gaukellicht uns scheint, Kein Donner rollt, kein liebend Auge weint; Siehst du den Stern? ─ Dahin, dahin, Laß aus des Lebens Thränenthal uns fliehn! 3) von einem Ungenannten. (Es stand diese Parodie von Voßens: Bekränzt mit Laub &c. im Hamburg. Corresp. 1819, St. 33.) Am Rhein, am Rhein gedeihen gute Stände; Gesegnet sey der Rhein! Da schwingt die Willkühr keine Feuerbrände; Da herrscht Gesetz allein. Die Fürsten sind der treuen Stämme Väter, Jhr Heil beglücket sie, Und nimmer stören feile Volksverräther Die schöne Harmonie. Der Völker Liebe schirmet ihre Rechte Bei drohender Gefahr; Denn Undank wohnet nur im feigen Knechte, Der niemals Bürger war. Vergebens tobt der Herr Feudalphilister; Denn Fürst und Volk sind wach; Und hülfen ihm der Kukuk und sein Küster, Er wäre doch zu schwach! Wohl manche Länder zum Exempel haben Ein Ding, sieht aus wie Stand, Jsts aber nicht; ─ mit solchen Bettlergaben Beglücket man kein Land. Wann Fürstenrecht und Bürgerrecht sich einet, Nur dann gedeiht der Staat; Wo man nicht sä't und nur zu säen scheinet, Da reifet keine Saat. So wollen wir's am Rheine nimmer halten, Auch unsre Fürsten nicht; Bei uns soll Recht und Bürgerfreiheit walten; ─ Nur Recht gebahr die Pflicht. Am Rhein, am Rhein gedeihen gute Stände; Da herrscht Gesetz allein; Da schwingt die Willkühr keine Feuerbrände; Gesegnet sey der Rhein! 4) von Müchler. Trinklied (aus dem Weinkeller ). Parodie auf: Jn diesen heilgen Hallen &c. Jn dieses Kellers Hallen Weiß man vom Durste nicht; Ein frohes Lied zu lallen, Jst jedes Zechers Pflicht; Hier leert er manchen Schoppen aus, Und wanket dann berauscht nach Haus. Jn diesen kühlen Mauern Kauft jeder Wein für Geld, Bald süßen und bald sauern, Wie jedem es gefällt. Doch trinkt er nicht vom besten Wein, Verdient er nicht, hier Gast zu seyn. 5) von einem Ungenannten. Freudenlied der Jünger Lavaters in Bremen 1787 Lavater befand sich im Jahre 1787 in Bremen, wo er zum Mysticismus und selbst zum Katholicismus sich hinzuneigen schien. ─ Bekanntlich parodirte selbst Semler das Lavater'sche Gedicht vom Jahre 1785: Empfindungen eines Protestanten in einer katholischen Kirche: „Der kennt noch nicht dich Jesus Christus, wer deinen Schatten nur entehrt“ &c. . Parodie auf das alte Kirchenlied: Wie schön leucht't uns der Morgenstern &c. Wie schön leucht't uns von Zürich her Der Wunderthäter Lavater, Mit seinen Geistesgaben! Sein neues Evangelium Hat uns bezaubert um und um, Thut blöde Seelen laben. Wunder, Zunder Zum Magismus, Prophetismus, Zauberkuren Zeigen seines Fingers Spuren. Was war das für ein Freudenschein, Als er trat mitten zu uns ein, Die Jünger hier zu grüßen! Jm liebetrunkenen Genuß Kam Herz und Seele zum Erguß, Jn Eins mit ihm zu fließen. Kinder, Sünder, Matadoren, Weise Thoren, Groß und Kleine Taumelten, als wie vom Weine. Da ward mit sonderlicher Ehr', Als wenn's der Dalailama wär, Dem theuern Gast hofiret. Das Jnstitut, das große Faß Man ihm zu zeigen nicht vergaß, Und was nur Bremen zieret. Damen, Kamen, Wo er weilte, Wo er eilte, Jhm entgegen, Bettelten um Kuß und Segen. Mit Segen und mit neuer Lehr' Die Kirchen, Häuser, Gassen er Thät mildreich überschwemmen. Gleich wie Papst Pius thät in Wien, Also agiren sah man ihn Jn unserm lieben Bremen. Leise, Weise, Jm Gedränge Von der Menge Hinzuschreiten, Thät man ihm zur Demuth deuten. b ) Bruchstück aus Blumauers travestirter Aeneide. (Der geflüchtete Aeneas wird durch einen, von der Juno veranlaßten, Sturm nach Afrika verschlagen.) ─ ─ Herr Zeus saß ─ salva venia ─ So eben frisch und munter Auf seinem Leibstuhl, und da sah Er auf die Welt herunter; Denn das war ja der Augenblick, An dem er mit der Menschen Glück Sich abzugeben pflegte. Frau Venus kam, und machte da Dem Donnerer Visite; Denn da versagte der Papa Jhr niemals eine Bitte. ─ „Ach, Herr Papa, so fing sie an, Was hat mein Sohn euch denn gethan, Daß ihr so sehr ihn hudelt?“ „Er soll, nicht wahr, ich merk' es schon, Jtalien nicht finden? Verspracht ihr mir nicht selbst, er soll Noch Roms Triregnum gründen? Und weil ihr da des Leibes pflegt, Geht euer Weibchen her, und neckt Mir meinen armen Jungen.“ Der Alte schnitt ein Bocksgesicht, Und küßt' ihr sanft die Wange: „Mein Kind, bekümmre dich nur nicht, Mir ist für ihn nicht bange. Wird nicht dein Sohn der Großpapa Der Datarie und Curia; So heiß mich einen Schlingel!“ „Und daß du so gerade hier Mich trafst, soll dich nicht reuen; Jch will auf meinem Dreifuß dir Ein Bischen prophezeien: Gieb Acht! Für's erste baut dein Sohn Jn Latium sich einen Thron, Und stiftet die Lateiner.“ „Hierauf kommt Romulus, und den Wird eine Wölfin säugen. Drum wird er einen mächtigen Jnstinkt zum Rauben zeigen. Das wird ein Kerl nach meinem Schlag, Der schiebt die halbe Welt in Sack, Und schenkt sie seinen Römern.“ „Nach diesem wird ein Reich entstehn, Das hat nicht Weib, noch Kinder, Und dennoch wird die Welt es sehn; Es dauert drum nicht minder. Ja, was noch weit unglaublicher, Es wird sich, wie das Sternenheer Am Firmament, vermehren.“ „Der aber dieses Reich regiert, Wird sehr die Welt kuranzen; Ein jeder fromme König wird Nach seiner Pfeife tanzen. Er hält von andrer Leute Geld Ein großes Kriegsheer, und die Welt Küßt ihm dafür den Stiefel.“ „Jhn werden Völker auf den Knie'n Wie einen Gott verehren. Thut's einer nicht; so wird er ihn Durch Feuer Mores lehren. Auch trägt er einen größern Hut, Als ich, und blitzt sogar; ─ doch thut Sein Blitzen wenig Schaden.“ „Weil nun die Welt gewohnt schon ist, Von Rom zu dependiren; So wird, so lang man Füße küßt, Dieß Reich nicht exspiriren. Der Römer Herrschsucht ─ kurz und gut ─ Steckt nun einmal in ihrem Blut. So les' ich in den Sternen.“ ─ „Was deinem Sohne heut geschah, Soll nicht mehr arriviren; Er soll sich jetzt in Afrika Ein Bischen divertiren. Merkur! geh nach Karthago hin, Und sag: ich ließ der Königin Den Mann recommandiren.“ ─ 74. h ) Der Roman, das Mährchen und die Novelle. Wenn der ästhetische Charakter des Romans nach der Mehrheit von Romanen bestimmt werden sollte, die seit der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts, bald nach der Erfindung der Buchdruckerkunst, in Teutschland verbreitet wurden; so würde allerdings der dichterische Gehalt desselben nicht hoch anzuschlagen seyn. Denn unter der Unzahl von Romanen in der teutschen Literatur sind es im Ganzen nur wenige, die wirklich das dichterische Gepräge an sich tragen, und unter der vollendeten Einheit einer ästhetischen Form sich ankündigen. Zu diesem ästhetischen Charakter des Romans darf übrigens Metrum und Reim nicht gerechnet werden, weil sonst alle Romane, die des Sylbenmaases und Reimes ermangeln, von dem Kreise dichterischer Formen ausgeschlossen werden müßten. Eben so wenig darf man den dichterischen Charakter des Romans nach den ältesten Formen desselben auf teutschem Boden bestimmen; denn diese waren, in der zweiten Hälfte und gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts, theils prosaische Umarbeitungen früherer epischer Gedichte; theils Darstellungen, die aus den Ereignissen der Zeit und des teutschen Volkes selbst hervorgingen; theils Erzählungen, die den unverkennbaren Stempel ihres ausländischen Ursprungs verrathen. Selbst die Behandlung der eigentlichen Geschichte war in jenen Zeiten nicht selten reichhaltig mit Mythen und Fabeln ausgestattet, so daß, unter diesen Verbrämungen, der unterscheidende Charakter zwischen Geschichte und Roman nicht streng festgehalten ward. Zu den ältesten romantischen Darstellungen in teutscher Sprache gehören die Melusine, die Magelone, und der Kaiser Octavianus, welche, mit Einschluß des Tristan, des Flos und der Blankeflos, und mehrerer andrer, im sechszehnten Jahrhunderte unter dem Titel: das Buch der Liebe (zu Frankfurt am Main, 1587 in Folio) zusammengedruckt wurden. Eben so gehört zu den volksthümlichen Romanen des funfzehnten Jahrhunderts der Till Eulenspiegel, der wahrscheinlich zuerst niederteutsch geschrieben, dann aber ins Hochteutsche übersetzt, und vielfach bearbeitet ward. Noch entfernter von dem Jdeale einer ästhetisch vollendeten Dichtung waren in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts die überspannten Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig: seine durchlauchtigste Syrerin Aramena, und seine römische Octavia, so wie die asiatische Banise des Heinrichs Anselm von Ziegler und Kliphausen. Nur der Anfang des ersten Buches dieser asiatischen Banise stehe hier als Beleg, wie in jener Zeit der Charakter des Romans aufgefaßt und gehalten ward. „Blitz, Donner und Hagel, als die rächenden Werkzeuge des Himmels, zerschmettere die Pracht deiner goldbedeckten Thürme, und die Rache der Götter verzehre alle Besitzer der Stadt, welche den Untergang des königlichen Hauses befördert, oder nicht solchen nach äußerstem Vermögen, auch mit Darsetzung ihres Blutes, gebührend verhindert haben. Wollten die Götter, es könnten meine Augen zu donnerschwangern Wolken, und diese meine Thränen zu grausamen Sündfluten werden. Jch wollte mit tausend Keulen, als ein Feuerwerk rechtmäßigen Zorns, nach dem Herzen des vermaledeiten Bluthundes werfen, und dessen gewiß nicht verfehlen; ja es sollte alsobald dieser Tyrann, sammt seinem Götter = und Menschenverhaßten Anhange, überschwemmt und hingerissen werden, daß nichts als ein verächtliches Andenken übrig bliebe. Doch ach, wie irre ich? was rede ich? Sollte wohl solche Rache ohne Unterschied und ohne einiges Bedenken vollzogen werden? Wo bliebe dann die überirdische Banise? um derentwillen einig und allein der Himmel noch die abscheulichste Strafe über Pegu zurück hält, und welche das gütige Verhängniß noch sonder Zweifel von dem ganzen kaiserlichen Stamme wird übrig, ach wer weiß, ob nicht in der Hand eines grausamen Besitzers, gelassen haben, um so viel mehr die geschlagenen Gemüther der fast entseelten treuen Unterthanen wieder aufzurichten, und zu erinnern: es sey noch ein Stern vorhanden, welcher leicht wiederum zu einer Sonne werden könnte, wenn man ihm aus seiner jetzigen Finsterniß zu seinem vorigen Glanze verhülfe. Auf derowegen Prinz von Ava; erinnere dich desjenigen, womit du Banifen verpflichtet bist, und wisse, daß du die glückselige Besitzung einer so himmlischen Schönheit nicht eher würdig genießen kannst, du habest dich denn durch wirkliche Rache an ihren Feinden sattsam um sie verdient gemacht. Ach aber, was schwärmst du noch weiter, unglückseliger Prinz! Erinnerst du dich nicht, daß du zwar ein König vom Stande, doch nicht vom Lande bist?“ u. s. w. Der Roman jener Zeit stand übrigens eben so weit von dem Jdeale des Romans ab, wie überhaupt der Charakter der Dichtkunst jenes Zeitalters von den Forderungen des Gesetzes der Form an jedes vollendete dichterische Erzeugniß; auch ward diesem Mangel weder durch den vielgelesenen Simplicissimus des Samuel Greifenson, der unter dem Namen Schleifheim von Sulzfort auftrat, noch durch die vielen, dem brittischen Robinson des Daniels de Foe nachgebildeten, Robinsonaden, noch durch Schnabels vielgepriesene Jnsel Felsenburg, und durch ähnliche Romane des angehenden achtzehnten Jahrhunderts abgeholfen. Erst als seit dem Jahre 1740 die teutsche Sprache, und namentlich die teutsche Dichtkunst einen Riesenschritt vorwärts that, erhielt die Nationalliteratur unsers Volkes allmählig Romane, die einen echten dichterischen Charakter trugen, wenn gleich ─ bei der weit verbreiteten Lesesucht unter allen Ständen ─ des Mittelgutes und der schlechten Waare aus dieser Gattung von Kunstformen weit mehr zu Tage gefördert ward, als der gehaltvollen Werke. Deshalb darf aber auch die Theorie des Romans nicht von den unvollkommenen, sondern nur von den gelungenen und vollendeten Formen aus dieser Gattung von Kunstwerken abgeleitet werden. Nach diesen beruht der Charakter des Romans auf der idealischen Darstellung der menschlichen Gattung, so wie der Schicksale und der gegenseitigen Verhältnisse und Beziehungen ihrer Jndividuen auf einander, nach allen möglichen Aeußerungen der menschlichen Freiheit, und nach allen möglichen Schattirungen des öffentlichen, häuslichen und individuellen Lebens, unter der Bedingung, daß der aus den Ankündigungen, Schicksalen und Handlungen dieser Jndividuen hervorgehende Stoff unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form dargestellt werden könne. Die Stoffe des Romans können daher eben so gut aus der wirklichen, wie aus der idealischen Welt entlehnt werden; der Romanendichter darf die Jndividuen, Thatsachen und Handlungen im Kreise der Geschichte nach ästhetischen Gesetzen gestalten, und einen ästhetischen Causalzusammenhang vermitteln, der von dem geschichtlichen völlig sich entfernt; denn ihn bindet nicht, wie den Geschichtsschreiber, das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit, sondern das Gesetz der Form. Er hat seine Aufgabe gelöset, und dichterisch über den von ihm behandelten Stoff geboten, sobald er dem Gesetze der Form Genüge leistet, d. h. sobald er einen Stoff auswählt und gestaltet, der an sich ästhetisch darstellbar ist, und der durch seine schöpferische Einbildungskraft zur vollendeten Einheit der Form erhoben wird. Er ist daher in der Wahl des Stoffes aus beiden Kreisen des Wirklichen und Möglichen nur durch die ästhetische Darstellbarkeit dieses Stoffes beschränkt. Die Zeichnung, Haltung und Durchführung der aufgestellten Charaktere, die Gruppirung der Begebenheiten, die Vertheilung von Licht und Schatten, die Farbengebung in den einzelnen Theilen, die Berechnung der Verwickelung und Entwickelung des Knotens gegen einander, und die Duchführung des Ganzen zur Bewirkung eines Gesammteindruckes auf das Gefühlsvermögen, sind die Bedingungen, an deren Erfüllung die ästhetische Vollendung der Form des Romans erkannt wird. 75. Fortsetzung. Der Roman gehört zur Ergänzungsklasse dichterischer Formen, weil, nach den gelungenen Erzeugnissen in dem Kreise romantischer Dichtungen, drei Hauptgattungen unterschieden werden müssen, je nachdem entweder die Hauptperson in dem romantischen Ganzen sich ankündigt, oder ein bestimmter Grundton des Gefühls in demselben vorherrscht: der lyrische Roman, der didactische Roman, und der epische Roman. Zu den lyrischen Romanen gehören alle diejenigen, welche ausschließend die Darstellung und Versinnlichung von Gefühlen nach allen ihren Schattirungen, besonders aber des Gefühls der Liebe ─ sey es nun die höhere platonische, oder die veredelte sinnliche Liebe, überhaupt die Ankündigungen der Geschlechts=, der Aeltern=, Kindes=, Gatten=, Geschwister- und Freundesliebe ─ enthalten, so daß die dargestellten Jndividuen und Handlungen an diesem gemeinsamen Ausdrucke der Gefühle erkannt werden. Romane dieser Art verdienen, sobald ihre ästhetische Form vollendet ist, wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Ausdrucke der höchsten und reinsten individuellen Gefühle in den einzelnen Erzeugnissen der lyrischen Form der Dichtkunst, die Benennung: lyrische Romane. Zu ihnen gehören die idealisirten Schilderungen hoher Leidenschaft, die vollendeten Familiengemälde, und alle sogenannte sentimentale Romane (z. B. Werthers Leiden; Siegwart; Sophiens Reise von Hermes; Ewalds Rosenmonde; Heinse's Ardinghello; viele Romane von Jean Paul, Lafontaine u. a.). Jm Gegensatze des lyrischen Romans, hat der didactische Roman die Aufgabe, den Menschen, wie er seyn soll, und das menschliche Leben überhaupt nach seiner idealischen Haltung und Ankündigung darzustellen. Er will so wenig, wie das Lehrgedicht, im eigentlichen Sinne belehren, und den Verstand durch Mittheilung von Begriffen aufklären; allein die im Dichter aufgeregten Gefühle veranlaßten seine Einbildungskraft, ein Jdeal des Menschen und des Lebens zu zeichnen, wie sie in der Wirklichkeit nicht getroffen werden, um, nach diesem Vorbilde, die Wirklichkeit zu gestalten, das menschliche Leben von seinen Unvollkommenheiten, Beschwerden und von den Folgen der Verirrungen der menschlichen Freiheit zu befreien, und die ganze Denkart und Handlungsweise der Menschen zu einer Höhe hinaufzuläutern, die ihrer sittlichen Würde entspricht. So wie nun die Schöpfung, Haltung und Durchführung solcher idealisirter menschlicher Charaktere der Einbildungskraft blos nach ihrem Zusammenhange mit dem tief bewegten Gefühlsvermögen möglich ist; so wird auch die vollendete Einheit eines didactischen Romans wieder tief auf das Gefühlsvermögen wirken, und ein reines Wohlgefallen an der gediegenen dichterischen Form vermitteln. (Zu den didactischen Romanen rechnen wir: den Grandison, die Clarissa, Wielands Agathon, Fr. Heinr. Jacobi's Woldemar, Meyers Dya-Na- Sore, Engels Lorenz Stark u. a.) Der epische Roman endlich beruht auf der Darstellung von Jndividuen, Ereignissen und Handlungen unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. Bei dem epischen Romane müssen aber mehrere Untergattungen unterschieden werden. Denn er kann, wenn er einen Helden im Kampfe mit seinem widrigen Schicksale schildert, und ihn zuletzt entweder über dasselbe siegen, oder demselben unterliegen läßt, so nahe an den Epos grenzen, daß beinahe blos der Abgang des Metrums den epischen Roman von dem eigentlichen Epos unterscheidet. (So z. B. Klingers Raphael de Aquilas und sein Giafar der Barmecide; Schillers Geisterseher u. a.) Er kann ferner große und gefeierte Jndividuen des Alterthums oder der neuern Zeit idealisirt darstellen, und ihnen, unter der ästhetischen Form, viele psychologische Ansichten abgewinnen. (So z. B. Hallers Alfred; Feßlers Marc Aurel, sein Attila, Matthias Corvinus; ─ Karl der Große u. a.) Er kann aber auch bisweilen nur eine ins Große gesponnene Erzählung von Ereignissen des gewöhnlichen Lebens unter einem ernsthaften oder komischen Gewande seyn (z. B. Müllers Siegfried von Lindenberg; Anton Walls [ Heyne ] Amathonte, Corane, das Lamm unter den Wölfen; Musäus physiognomische Reisen; viele Romane von Friedr. Laun [ Schulz ] u. a.). Er kann endlich unter der humoristisch=satyrischen Einkleidung sich ankündigen (z. B. Hippels Lebensläufe nach aufsteigender Linie; Noldmanns Aufklärung in Abyssinien, und die Papiere des Etatsraths von Schafkopf von Knigge; Jean Pauls Fibels Leben, der Komet; Hoffmanns Elixiere des Teufels u. a.) 76. Schluß. Zu dem Kreise des Romans gehören auch das Mährchen und die Novelle. Der unterscheidende Charakter des Mährchens beruht theils auf der völligen Erdichtung des Stoffes, ohne denselben entweder ganz oder theilweise aus den Begebenheiten der Wirklichkeit zu entlehnen und dichterisch zu gestalten; theils auf der Einmischung überirdischer Wesen in die Verwickelung und Entwickelung der ästhetisch durchgeführten und zur Einheit der Form erhobenen Handlung. So wie der epische, und theilweise selbst der dramatische Dichter höhere Kräfte und Wesen mit dem Kreise der Menschheit in Verbindung und Wechselwirkung bringen darf; so auch der Dichter des Romans, der dabei, wie der epische und dramatische Dichter, nur an das Gesetz des ästhetischen Causalzusammenhanges gebunden ist, weil der thatsachlich unerklärbare Zusammenhang zwischen der Geisterwelt und der Welt freier Wesen zu dem unermeßlichen Gebiete des Möglichen gehört, über welches der Dichter, unter der Bedingung der ästhetischen Darstellbarkeit des Stoffes, eben so frei, wie über den Kreis des Wirklichen gebietet. Die reichste Quelle und die ansprechendste Form des Mährchens ist das sogenannte Volksmährchen, wo der Stoff der Darstellung aus dem einheimischen Sagenkreise des vaterländischen Volkes entlehnt ist. Die Novelle ist an sich ein abgekürzter Roman, oft selbst im metrischen Gewande. Jn dem Worte selbst liegt kein, seinem Wesen nach von der allgemeinen Bezeichnung des Romans abweichender, Begriff; allein nach den ästhetischen Erzeugnissen zu urtheilen, die unter dem Namen der Novelle sich ankündigen, verstehen die Dichter derselben solche romantische, bald kürzere, bald längere, Erzählungen, in welchen die dargestellten Jndividuen unter sehr verschiedenartigen Verhältnissen des Lebens und nach einem oft räthselhaften Gange ihres Schicksals erscheinen. Wenn die Erfinder der Novellen, die Spanier und Jtaliener, zunächst unter diesem Namen scherzhafte Liebesabenteuer schilderten; so haben die Teutschen diesen Namen im weitern Sinne gebraucht, und nicht selten ernsthafte und sentimentale Kunstformen unter dieselbe Bezeichnung gebracht. 77. i ) Das Sinngedicht und Epigramm. Die Benennung und Form des Epigramms ist griechischen Ursprungs; es enthielt eine sinnvolle kurze Ueberschrift oder Aufschrift auf Tempeln, Gebäuden, Kunstwerken u. s. w. ─ Jn der neuern Dichtkunst beruht der Charakter des Epigramms auf der Versinnlichung Eines hervorstechenden Gedankens, in der möglichst kleinsten, aber ästhetisch vollendeten Form der Darstellung. Nur Ein Gedanke darf in dem Epigramme herrschen; dies sey nun ein in Worte gekleidetes Gefühl; oder ein von der Einbildungskraft und dem Witze hervorgehobener Begriff; oder ein bestimmt bezeichnetes Jndividuum oder Ereigniß. Dieser Gedanke muß aber hervorstechend (frappant) seyn, und vermittelst der Form versinnlicht, so wie durch die ästhetische Vollendung der Form dem Gefühle so nahe gebracht werden, daß im Bewußtseyn ein unmittelbares Wohlgefallen an der Einheit der ästhetisch vollendeten Form sich ankündigt. Zugleich muß die Form des Epigramms, so weit es der darzustellende Gedanke verstattet, die möglichst kleinste seyn, weil der Eine im Epigramme herrschende Gedanke seine Kraft und Wirkung bei einer weitern Ausführung verlieren würde. Endlich muß der ästhetische Treffpunct (Pointe) im Epigramm, wo möglich, auf den Schluß fallen, so wie Lessing die ästhetische Vollkommenheit des Epigramms in zwei Puncte: Erwartung und Aufschluß setzte. Das Epigramm gehört zu den gemischten dichterischen Formen, weil sein Stoff eben so gut individuelle Gefühle, wie Begriffe des Verstandes, und einzelne Handlungen und Thatsachen versinnlichen kann. Man unterscheidet, nicht ohne Grund, zwischen dem eigentlichen Sinngedichte, und dem Epigramme im engern Sinne. Jn dem eigentlichen Sinngedichte wird ein sinnvoller Gedanke anschaulich, neu, kurz und treffend dargestellt, ohne die bestimmte Absicht, dadurch zu loben oder zu tadeln. Dagegen erscheint im Epigramme, im engern Sinne, Ein Gedanke, der, als Ausdruck des Witzes, entweder loben, oder tadeln, oder im Allgemeinen spotten soll. Das lobende Epigramm enthält das verdiente, und durch die Thätigkeit der Einbildungskraft ästhetisch versinnlichte, Lob eines Jndividuums, oder einer Handlung und Thatsache. Das tadelnde Epigramm vergegenwärtigt, unter der Einheit einer vollendeten Form, bald die intellectuellen ästhetischen Mängel, Jrrthümer und Thorheiten, bald die sittlichen Fehler, Verirrungen und Gebrechen der Menschen. Nicht selten ist es durch bittern Witz gewürzt, und heißt auch das Strafgedicht. Das spottende Epigramm endlich enthält den Ausdruck eines leichten, mit Gewandtheit dargestellten, Witzes über irgend einen Gegenstand, den man von seiner schwachen Seite ergreift. 78. Beispiele des Sinngedichts und Epigramms. α ) des Sinngedichts. 1) von v. Logau († 1655). Hoffnung und Geduld. Hoffnung ist ein fester Stab, Und Geduld ein Reisekleid, Da man mit, durch Welt und Grab, Wandert in die Ewigkeit. 2) von Heydenreich († 1801). Das Leben, ein Traum. Brüder, ein Traum ist unser kurzes Leben, Aber ein Traum von großer wahrer Bedeutung. Prüfe dein Leben, und du siehst prophetisch Vor dir die Zukunft! 3) von Conz. Die Bewährung. Der Demant wird nur an dem Demant hell; Der große Geist nur an dem Großen groß; Das reine Herz bewährt sich nur am Reinen. 4) von J. Geo. Jacobi († 1814). Grabschrift zweier Schwestern, welche im blühendsten Alter bald nach einander starben. Sie flochten unschuldsvoll am Kranz der Jugendfreude; Da ließ ein Engel sie die bessern Kränze sehn, Ließ seine Frühlingspalme wehn; Und sie umarmten sich. „Komm Schwester,“ sagten beide, „Der Engel winkt uns, heimzugehn!“ 5) von v. Schiller († 1805). Das Kind in der Wiege. Glücklicher Säugling! dir ist ein unendlicher Raum noch die Wiege; Werde Mann, und dir wird eng die unendliche Welt. 6) von Pfeffel († 1809). Das Epheu. Seht diesen Eichenstamm; gestürzt vom Ungestüm Des Wettersturms, liegt er im traurigen Gefilde; Um ihn schlang Epheu sich, und fiel und starb mit ihm. O Freundschaft! dich erkennt mein Herz in diesem Bilde! 7) von Klamor Schmidt († 1824). An die sterbende Agathe, als sie sagte: „Wir sehen uns zum letztenmale!“ Dein Gott so groß! dein Geist so schön! Wie könnten wir zum letztenmal uns sehn! 8) von Klinkicht († 180.). Mit der Zeit fortgehen. Fortgehst du mit der Zeit? Wie wenig thust du dann! Der Weise geht der Zeit voran. 9) von Mnioch. Philosophieen und Philosophie. Wie es den Philosophieen ergehen wird? ─ Nun Freund, sie gehen Um die Philosophie ─ diese doch dreht sich um sich. 10) von einem Ungenannten. Friedrich der Einzige. Auch Friedrich führt im Göttersaale Sein Genius zu Lethe's Schale. Nein, sprach der hohe Schatten, die Trinkt nur ein Nero, Friedrich nie! β ) des Epigramms. 1) von Flemming († 1640). Grabschrift eines Hundes. Die Diebe fuhr ich an, die Buhler ließ ich ein; So konnten Herr und Frau mit mir zufrieden seyn. 2) von v. Logau († 1655). Die Freundschaft, die der Wein gemacht, Wirkt, wie der Wein, nur eine Nacht. 3) von Christian Gryphius († 1706). Sieben Eigenschaften des Prügels. Daß die Hunde sich verlieren, Narren sich als klug aufführen, Kinder etwas Gutes fassen, Schläfer von dem Schlaf' ablassen, Müßiggänger Fleiß erzeugen, Eitle Prahler stille schweigen, Säufer nicht stets trunken bleiben ─ Jst dem Prügel zuzuschreiben. 4) von Wernike († um 1720). Segen eines Bischoffs. Ein Bauer nahm den Hut nicht ab, Als man dem Volk den Segen gab. Wie nun der Bischoff dieses schaute, Und mit der Kirchenbuß' ihm draute; So sagt er: Jst der Segen gut; So geht er wohl durch meinen Hut. 5) von Wernike. Römische Beichtbuße. Es fand sein zartes Weib ein Ehmann in Gefahr, Und wollte, weil es so zu Rom gebräuchlich war, Aus großer Liebe sich bequemen, Die Ruthenstreich' ihr abzunehmen, Die in der Beicht' ein Mönch ihr heilig auferlegte. Als nun der Pater ihm den Rücken lustig fegte; So rief sein Weib: Haut zu, Herr Pater, denn ich bin Gar eine große Sünderin. 6) von Lessing († 1781). An Einen. Du schmähst mich hinterrücks? Das soll mich wenig kränken. Du lobst mich ins Gesicht? Das will ich dir gedenken! 7) von Lessing. Auf einen Brand zu **. Ein Hurenhaus gerieth um Mitternacht in Brand. Schnell sprang, zum Löschen oder Retten, Ein Dutzend Mönche von den Betten. Wo waren die? Sie waren ─ ─ bei der Hand, Ein Hurenhaus gerieth in Brand. 8) von Bürger († 1794). Die ganze Nacht hab' ich kein Auge zugethan, Fing Ursula am Sonntagsmorgen an. Nun will ich in die Predigt gehen, Und Wunders halber sehen, Ob ich nicht da ein wenig nicken kann. 9) von Karl Fr. Kretschmann († 1809). Der gefundene Reim. Längst schon suchte Mäv einen Reim auf Muse. Endlich kam sein Weib, und der Reim ─ Meduse . 10) von Kretschmann. Auf Maladett, den Wucherer. Viel Silber hat sein grauer Schopf, Viel Gold sein Kasten aufzuweisen; Die Nase Kupfer; Blei sein Kopf; Die Stirn viel Erz; das Herz viel Eisen. Kurzum, der ganze Maladett Jst Satans Stufenkabinett. 11) von Pfeffel († 1809). Auf Radulphs Grab. Jn dieser Marmorgruft Verwesen Radulphs kalte Reste; Er war Minister ─ sonst verwes'te Er in der freien Luft! 12) von Haug. Erhörung. „Minister wär' ich nun durch Schmeichelei und Kosten, Ach, und Minister seyn, fällt unser Einem schwer. O, gieb mir, guter Gott, Verstand zu diesem Posten!“ Da gab der gute Gott ihm einen Secretair. 13) von Buddeus († 18..). Eigene Grabschrift, wenige Tage vor seinem Tode gemacht. Jch habe geliebt, geträumt und gewacht, Gescherzt, getrunken, geweint und gelacht, Mich glücklicher oft, als ein Kaiser, gedacht; Auch, Gott verzeih mir's, viel Verse gemacht. Hier hat man mich endlich zum Schweigen gebracht, Bis diese stumme Gesellschaft erwacht. 14) von Herklots. Goldmacherei. Jm Menschenblut, versichert ein Adept, Kann man den echten Keim des Goldes finden. Hat er geglaubt, was Neues zu ergründen? Das ist ein altes fürstliches Recept. 15) von Weißer. Ueber das Verbot des Bettelns in Teutschland. Wie grausam ists von dir, Germania, Das Betteln deinem Volke zu verwehren; So raubst du deinen besten Köpfen ja Das letzte Mittel, sich zu nähren. 16) von einem Ungenannten. Raub eines Diploms. Ach, ihm ward geraubt, worauf er Alles baut: Ehre, Glanz und Ruhm ─ kurz ─ seine Eselshaut. 17) von einem Ungenannten. Der Censor. Der Herr der Welten sprach: „Auf dieser Erde Sey Wort und Schrift des Geistes Zeuge!“ Ein kleiner Censor sprach im Zorn: „Es werde Hier alles stumm, und jeder schweige!“ 18) von einem Ungenannten. Katechisation. Prediger. Wie denkst du dir das Paradies, mein Kind? Mädchen. Als Garten, wo verbot'ne Früchte sind. 19) von einem Ungenannten. Auf einige Romanenschreiberinnen. Verschont mit Schriften uns, ihr lieben zarten Puppen; Zum mündlichen Geschwätz leihn wir euch gern das Ohr. Kocht, wenn's nicht anders ist, kraftlose Wassersuppen; Nur setzt sie uns nicht auch in euern Büchern vor. 20) von Bouterwek. Die neue Epoche. Pfeif', o Vortrefflicher, mit uns aus Einem Loche; Dann machst du alle Tag' Epoche. 21) von v. Kyaw. Parallele zwischen dem Zeitungsschreiber Matz und dem Pastor Stentor. Sie gleichen sich natürlicher und schöner, Als je zwei Menschen auf der Welt; Sie lügen beiderseits für Geld, Von dieser Welt lügt Matz ─ und Stentor lügt von jener . 79. k ) Das Räthsel, die Charade, der Logogryph, und das Anagramm. Mehr als leichte Spiele des Witzes, die für den Augenblick ein unmittelbares Wohlgefallen erregen, denn als tief im Gefühlsvermögen begründete dichterische Formen, müssen das Räthsel, die Charade, der Logogryh und das Anagramm betrachtet werden. Nie wird man sie mit den höhern Erzeugnissen der lyrischen, didactischen und epischen Dichtkunst auf gleiche Linie des ästhetischen Gehalts stellen können, wenn gleich ihre Stoffe bald der einen und bald der andern dieser drei Klassen der Dichtkunst nahe verwandt sind. Das Räthsel enthält innerhalb einer kleinen dichterischen Form die ästhetische Darstellung eines Gegenstandes, der in der Form nicht genannt, aber nach seinen gesammten wesentlichen Merkmalen genau bezeichnet wird, um an diesen angegebenen Merkmalen erkannt und errathen werden zu können. Die Charade, oder das Sylbenräthsel, ist eine Abart des Räthsels, in welcher zuerst die einzelnen Sylben des Wortes, durch welches der nicht genannte Gegenstand bezeichnet wird, und dann das Ganze selbst nach den ihm eigenthümlichen Merkmalen in der ästhetischen Form versinnlicht werden müssen, damit man den unter der Hülle verborgenen Gegenstand errathe. Der Logogryph, oder das Buchstabenräthsel, enthält eine ganze Kette von Räthseln, die alle auf ein Hauptwort führen, dessen Sylben einzeln darin geschildert sind, so wie dessen Buchstaben, nach ihrer Versetzung, andere Wörter bilden, die gleichfalls in dem Logogryphe bezeichnet werden. Das Anagramm endlich, oder das Worträthsel, behauptet seine Eigenthümlichkeit dadurch, daß, nach der völligen Versetzung der Buchstaben eines Wortes, ein völlig neuer Begriff, mit einer von der ursprünglichen Bezeichnung des Wortes wesentlich verschiedenen Bedeutung, entsteht. 80. Beispiele derselben. α ) des Räthsels. von Müchler. Mein Vaterland ist nicht der kalte Norden; Denn ich gedeih' und reif' im wärmern Süden nur. So lieblich ich auch bin, so zeigt doch meine Spur Verwüstung, Blutvergießen, Morden. Doch schmück' ich oft des schönsten Mädchens Haar, Und schimmere an ihrem Hals und Busen; Es brachte selbst ein Priester teutscher Musen Als Weihgeschenk mir eine Ode dar. Vor meinem Glanz muß selbst der Purpur weichen; Der Kühnste wird durch meine Glut geschreckt; Und wehe dem, der einmal mich geschmeckt; Denn nichts erlös't ihn aus des Todes Reichen. (Die Granate .) β ) der Charade. 1) von einem Ungenannten. Die erste Sylbe fällt vom Himmel; Die zweite Sylbe steigt gen Himmel; Das Ganze ist eine Stadt. ( Schneeberg .) 2) von Langbein. Wenn Regen rauscht und Wind und Wetter weht, Mag man sich gern zur ersten Sylbe retten. Nur die erschreckt kein Sturm, auf deren Ruhebetten Die zweite steht. Zählt Mancher auch zu den vom Glück erhalt'nen Gaben Das Eigenthum der ersten nicht; So kann doch wohl der arme Wicht An seiner Frau das Ganze haben. ( Hauskreuz .) γ ) des Logogryphs. von Friedr. Kind. Ein Fischchen blieb an einer Angel hangen; Bald ward ich selbst in einem Netz gefangen: Weg war mein Herz, dahin war meine Ruh. Man zog das Netz nicht zu; nein, es ward aufgeschlagen. ─ Jch soll den Fisch, ich soll das Netz dir sagen? Setz nur zu sieben noch den achten zu! Du räthst es nicht? Nimm von den achten wieder Drei vorn hinweg; so tönt es süße Lieder. Nimmst du noch eins; so sind sie weiß und rund, Doch zu gewisser Zeit auch gelb, roth oder bunt. ( Schleier, Schleie, Leier, Eier .) δ ) des Anagramms. 1) von Heyne († 1812). Austria ─ vastari . (Aus Heyne's Leben von Heeren .) 2) von Fr. Kind. Drei Sylben ─ o geliebte Wohnung! Oft in der Fremde dacht' ich dein, Und wünschte nichts mir zur Belohnung, Als umgekehrt die Drei zu seyn. Daß man das Wort noch mehr muß lieben, Hat Jffland und ein Freiherr es geschrieben, Hat Jffland drin der teutschen Welt Zwei wack're Teutsche dargestellt. ( Vaterhaus ─ Schauspiel von Jffland; Der Hausvater vom Freih. v. Gemmingen .) Ende des dritten Theiles .